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CONVEESATKWS-LEXIKON,
Eine Encyklopädie
der
gesammten musikalischen Wissenschaften.
Für Gebildete jüler Stände,
unter Mitwirkung
der
titcmui|ificii Soiiiiuillion ilcs ßcvfiiier loiifciuififcrDcreiiis,
sowie
der Herren Muslkdir. C. Billert, Gustos A. Dörtfel, Kapellmeister Prof. Dorn,
Prof G. Elidel, Direktor Gevaert, L. Hartmami, Dr. F. Hufler Prof. h. W.
Jähils, Dr. W. Langlians, Professor E Mach, Prf/-%^^- l YmZ'
Dr Oscar Paul, Dr. A. Reissmann, Prof. E. F. Richter Prof. W.H.KicUl,
Musikdirektor Dr. W. Rust, fteh. Rath Schlecht, 0. TlCrSCh, Direktor
L. Wandelt, Dr. H. Zopft' u. s. w., u. s w.
bearbeitet und herausgegeben
von
Hermaim Mendel.
Fünfter Band.
BERLIN,
Verlag von Robert Oppenheim.
1875.
HL-i 00
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Harmonielelire. 1
Harmouielehre (Schluss des in Band lY, begonnenen Art.). Helmholtz
ist indessen weit davon entfernt, hiermit Alles erklären zu wollen. Er spricht
es im Gegentheil am Schlüsse seines "Werkes bestimmt aus, in der Aesthetik
der Musik nicht weiter vorschreiten und nicht zur Lehre vom Rhythmus, von
den Compositionsformen , von den Mitteln des musikalischen Ausdruckes über-
gehen zu wollen. Er fährt (S. 560) fort: »In allen diesen Gebieten werden
die Eigenthümlichkeiten der sinnlichen Empfindung noch hin und wieder einen
Einfluss haben, aber doch wohl nur in sehr untergeordneter Weise. Die eigent-
liche Schwierigkeit wird in der Verwickelung der psychischen Motive liegen,
die sich hier geltend machen. Freilich beginnt auch hier erst der interessan-
tere Theil der musikalischen Aesthetik — handelt es sich doch darum, schliess-
lich die Wunder der grossen KuDstwerke zu erklären, die Aeusserungen und
Bewegungen der verschiedenen Seelenstimmungen kennen zu lernen. So
lockend aber auch das Ziel sein möge, ziehe ich es doch vor, diese Unter-
suchungen, in denen ich mich zu sehr als Dilettant fühlen würde. Anderen zu
überlassen, und selbst auf dem Boden der Naturforschung, an den ich gewöhnt
bin, stehen zu bleiben.«
So überlässt der jetzt fast allein massgebende Vertreter der physikalisch-
physiologischen Seite der Musikwissenschaft diese eine Aufgabe der H. den
Philosophen und speciell den Aesthetikern. Ganz ähnlich machen es in dieser
Beziehung die neueren Lehrbücher der Harmonie, sowohl die für die Praxis
bestimmten, als auch die rein wissenschaftlichen. Auch sie stellen weitere For-
schungen nach den letzten Gründen in Beziehung auf das Wesen der Tonkunst
und auf ihre Wirkungen nicht an. Was aber in dieser Frage von hervor-
ragenden productiven Künstlern in Wort und Schrift bekannt geworden ist,
trägt viel zu sehr den Charakter des Unwissenschaftlichen, als dass es für die
Eutwickelung der H. nach dieser Seite von Vortheil sein könnte. — Es wäre
demnach jetzt nachzuweisen, wie Philosophen und Aesthetiker ihre Aufgabe
gegenüber dem besprochenen Problem zu lösen versucht haben. Dieser Nach-
weis gehört aber nicht mehr zur H.; ich muss es daher dem Leser überlassen,
sich durch das Studium der Philosophie und Aesthetik hierüber Aufschluss
zu verschaflPen. Zur vorläufigen Orientiruug sind übrigens die Geschichten
der Aesthetik von R. Zimmermann, H. Lotze u. A. zu empfehlen.
So wenig die eigentlichen Fachschriften sich in neuerer Zeit mit der
Frage nach der eigentlichen Aufgabe der Musik im Allgemeinen befassen,
ebenso wenig geben sie Anweisung, wenn es sich darum handelt, welche Mittel
der Schüler zur Erreichung eines bestimmten musikalischen Zweckes anzuwenden
habe; und doch ist dieses ja nur die eine Seite der H., nämlich der Nachweis
darüber, wie und zu welchen Zwecken das harmonische Material zu verwenden
sei. Zu dieser Beschränkung ist aber die Berechtigung unumwunden zuzuge-
stehen gegenüber der Unlösbarkeit der gestellten Aufgabe. »Solche Lehren fruchtbar
darzustellen, dazu gehörten einmal die vollendetsten praktischen Künstler, die
fähig und bereit wären, die verschiedensten Tonspiele und Mienenspiele der
Natur in jedem Augenblicke abzulauschen und so rasch wie charakteristisch
in Noten zu fixiren, weil nur durch Darlegung zahlloser Beispiele zu einer
solchen Lehre überhaupt der Grund zu legen wäre. Die Künstler aber, die
dies Talent besässen, würden es nie an so zerstreute und zugleich so pedan-
tische Studien vergeuden wollen; sie würden die Schüler lieber an ihr Beispiel
als an irgend eine Lehre verweisen. Zu solch einer Lehre gehörten nicht
allein soLche praktische Künstlernaturen, sondern auch Männer, die mit der
vollkommensten wissenschaftlichen Kenntniss der Technik ihrer Künste zugleich
die allgemeinste Bildung und die ausgebreitetste weltmännische Menschenkunde
verbänden. Diese letzteren Eigenschaften pflegt das künstlerische wie das ge-
sellige Genie auf ganz instinktivem Wege zu erwerben; für den Kunstlehrer,
den wir suchen, würde noch erfordert werden, dass er zu allen den angeführten
Besitzen auch noch die Gabe hinzufüge, sich von Allem die bewussteste
Muaikal. Con^js^Lexikon. V. 1
f 6^
REß^RQ^O^
2 Harmonielehre.
Kechenschaft zu geben und wieder die Errungenschaften seines seltenen Geistes
in das Bewusstsein Anderer klar und deutlich übertragen zu können. Mit
keinen geringeren Begabungen als diesen scheint der Preis einer solchen Kunst-
lehre zu erjagen. A\ äre nun aber diese kaum denkbare Vereinigung all dieser
Eigenschaften in Einer Persönlichkeit gegeben, so begännen dann erst die
gegenständlichen Schwierigkeiten der Aufgabe, die geradezu an das Unmög-
liche gi'enzen.«
»Man mag die allgemeine Natur der (Icfühle und Leidenschaften von
Grund aus kennen, man mag ihre Arten und Grade in die schärfsten sche-
matischen Gruppen geordnet haben, mau mag die Rhythmen, die Grundtöne,
die Accente und alles, was die Elemente ihrer Natursprachc ausmacht, aus-
wendig wissen: es giebt nicht eine Gemiithsbewegung, wie bestimmt und stark
sie geartet sei, die sich selbst in Einem und demselben Menschen einmal wie
das anderemal äusserte, für die es also einen gemeingültigen künstlerischen
Ausdruck gäbe. In der reichen Mannichfaltigkeit des Lebens wechselt unter
den Einwirkungen der vielgestaltigsten Verhältnisse, unter der Zumischung der
verschiedenartigsten begleitenden Leidenschaften Vorstellungen und Einbildungen
ihre Weise, ihre Stärke, ihre Färbung in jedem Momente einer jeden Lage
eines jeden Menschen, so dass der Tonkünstler, der irgend eine Gemüthsbe-
wegung darstellen soll, immer zugleich die Zeit zu beachten hat in der, und
den Ort an dem, und den Gegenstand um den, und die Person in welcher
der Affect in Bewegung kommt.«
»Blickt man von den so beweglichen Gegenständen der musikalischen Nach-
ahmung zu den Mitteln und Wegen der Nachahmung herüber, so zerbröckelt
hier das Material, wo man anfasst, in einer ähnlichen AVeise, ohne feste An-
haltspunkte zu gewähren. Man hat die Tonarten nach ihrem seelischen Aus-
druck zu charakterisiren versucht, und nichts Burleskeres kann man zusammen-
stellen, als die grell widersprechenden Ergebnisse, zu denen man da und dort
gelangte. So hat man auch über die psychische Bedeutung der Intervalle phi-
losophirt; allein von jedem einzelnen der auffallenderen Uebergänge würde sich
nachweisen lassen, dass man ihn bald zu sinnlich malerischen, bald zu blos
emphatischen, bald zu geistig charakteristischen Zwecken, und zwar zu den
allerverschiedensten, verwenden, ja dass der Sänger dabei durch gut oder schlecht
angebrachtes TJeberschleifen die Absicht des Setzers einmal trefflich verdeut-
lichen, das anderemal gäuzlich zerstören könne. Hier ist Alles Zwei- und
Vieldeutigkeit und erhält seine Bestimmtheit erst durch die Innern und äussern
Beziehungen und Verbände zu dem Umgebenden, genau wie in dem gegen-
ständlichen Theile der künstlerischen Aufgabe, in den Regionen der Gefühle.
In so verwickelten Aufgaben nun wird sich der Künstler, den man sie im
einzelnen erst lehren sollte, niemals zurechtfinden; der die Schule der musi-
kalischen Technik durchgemacht hat und die Anlage zu einer instinktiven
Erkeuntniss des Welt- und Menschentreibens in sich trägt, wird sie fast ohne
jede Anweisung lösen« (Gervinus, »Händel und Shakcsp.«, S. 205).
Erkennt man die Ausscheidung der erwähnten Momente aus der H. als
berechtigt an, so ist das harmonische Material immer noch nach verschiedenen
Richtungen hin wissenschaftlich zu untersuchen. Zunächst sind Untersuchungen
physikalisch-physiologischer Natur möglich, d. h. Untersucliungen von Erschei-
nungen, welche bei Entstehung von Klängen, Klangverhältnissen und Zusam-
menklängen entstehen in den klingenden Körpern und Organen, in der Um-
gebung derselben, wie in unserem Gehörorgane und den damit zusammen-
hängenden Nerven- und Gehirnsubstanzen. Diese Aufgabe ist als ein besonderer
Theil der Musikwissenschaft von der H. getrennt und wird in der Regel als
Akustik (s. d.) bezeichnet, über die schon abgehandelt worden ist.
Die eigentliche H. hat die Resultate jener Forschungen nur insoweit in
Rechnung zu ziehen , soweit dieselben zum eingehenden Verständnisse alles
dessen nothwendig sind, was Musikern und Dilettanten bei ihrer Beschäftigung
Harmonielehre, 3
mit Musik hinsichtlich des harmonischen Materials entgegentritt; es sind dieses
namentlich die Lehren von den Schwingungszahlen und den Schwingungsver-
hältnissen, von den Partial- oder Aliquottönen, von den bei Zusammenklängen
entstehenden Schwebungen und Combinationstönen (s.d. und unter »Aku-
stik«) und Aehnliches. — Lange Zeit glaubte man, mit Hülfe der Schwing-
ungsverhältnisse oder, was schliesslich dasselbe ist, der Saitenlängen Alles
erklären zu können; jene Berechnungen haben sich daher im Laufe der Jahr-
hunderte zu einer besonderen Wissenschaft herausgebildet, über welche unter
Kanonik das Nähere zu finden ist. In die eigentliche H. gehört hiervon nur
dasjenige, was nothwendig und erforderlich ist zur Ableitung der grundlegenden
Principien und zur Erlangung eines eingehenden Verständnisses in Betreif der
Construction von Tonsystemen. Ausserdem behält die H. aber noch folgende
Aufgaben: L hat sie nachzuweisen, wie das harmonische Material sich in der
Praxis nach und nach entwickelt hat; II. hat sie sich mit Aufsuchung und
Betrachtung der einzelnen harmonischen Elemente zu befassen.
Die erste Aufgabe führt zu einer »Greschichte der Harmonie«, die,
so wichtig sie ist, hier nicht gegeben werden kann. Es ist daher hier nur
anzudeuten, wie die H. in den verschiedenen Epochen sich mit der zweiten
Aufgabe abgefunden hat, eventuell ob sie hierbei das Richtige getroffen oder
sich geirrt hat, um dann schliesslich aus den gewonnenen Grundlagen heraus
eine TJebersicht über das Gesammtgebiet der H. nach dem jetzigen Stand-
punkte der Wissenschaft geben zu können.
Die Griechen sowohl wie alle anderen Völker des Alterthums kennen eine
Harmonie in dem Sinne des gleichzeitigen Erklingens mehrerer nebeneinander
hergehender, melodisch verschiedener Stimmen gar nicht; ihr Gesang war nur
einstimmig und höchstens durch die- Octave verdoppelt. Die antike H. hatte
sich daher auch nur um das zu kümmern, was zu einer wohlgeordneten Melodie
gehört. So beschäftigen sich die griechischen Theoretiker auch nur damit, was
sich auf die Tonordnung der Melodie, ihre Tonart, Modulation, . ihr Klang-
geschlecht und dergl. bezieht. Welches nun diese ihre Lehren sind, das findet
man in den Artikeln: Griechische Musik, Klanggeschlecht, Tetra-
chor d, Chromatisch, Diatonisch, Enharmonisch u. s. f. angegeben.
Zu erwähnen bleibt nur, dass sich unter den Tonlehrern zwei Secten bildeten,
»von denen die ältere den Lehren des Pythagoras, die jüngere denen des Ari-
stoxenus folgte. Pythagoras und seine Anhänger verwarfen in Sachen der
Tonbestimmung das Urtheil des Gehörs und erkannten nur der Messung am
Monochord und der Rechnung das Schiedsrichteramt zu. Die Zahlen waren
ihnen eine Regel, ein Kanon für die Tonbestimmung, daher sie Kanoniker
genannt wurden. Im Gegensatze zu dieser Zahlentheorie des Pythagoras be-
hauptete etwa 200 Jahre nach ihm, Aristoxenus, das Gehör sei der alleinige
Richter in Sachen der Intervallenbestimmung, und dasjenige Verhältniss, in
welchem die Töne vom Gehör vernommen würden, sei allein massgebend. Seine
Schule nannte man die Harmoniker.« (A. v. Dommer, »Handbuch der Musik-
geschichte« S. 19.)
Die von Pythagoras für die diatonische Scala und für das Tonsystem auf-
gestellten Zahlenverhältnisse galten bei den Tonlehrern des ganzen Mittelalters
bis zu Zarlino (1519 — 1590, s. Tonsystem). Auch viele andere Lehren der
griechischen Theoretiker behielten so lange Gültigkeit. Die Veranlassung hierzu
gab besonders Boethius mit seinen Büchern »Je musicav. »Boethius selbst er-
scheint in seiner Schrift vorzugsweise als gelehrter Redactor der musikalischen
Theorien und Sätze eines Pythagoras, Aristoxenus, Nikomachos, Ptolemäos
u. A., aul welche er sich auch ausdrücklich beruft.« »Sein tief gelehrtes aber schwer-
verständliches Werk blieb für das Mittelalter eine Art Fundamentalcodex der
Musik. Denn es war jener Periode ein Bedürfniss, für jedes Wissen, für jede
Speculatiou ein gegebenes, von nicht anzutastender Autorität hingestelltes
Fundament zu haben, an das die Forschung erklärend, ausdeutend, weiterstrebend
j
4 Harmonielehre,
ihre Lehren knüpfte, durch das gegebene Fundament aber eben verhindert war,
voraussetzuugslos auf die let/teu Gründe der Sache zurückzugehen. Ja, sie
hätte es für Frevel gehalten, irgend einen Lehrsatz jener Autorität anzutasten,
kaum wagte sie eine prüfende Untersuchung. Wie die Scholastik auf die
Kirchenlehre ein unendlich künstliches Gebäude aufthürmte, so fand der Musik-
gelehrte an Buethius einen festen Anhaltspunkt.«
Boethius hatte die Tendenz, »keineswegs ein musikalisches Lehrbuch, son-
dern vielmehr eine philosophische Phänomenologie der Musik zu bringen. Er
will die Gründe der musikalischen Erscheinungen begreifen lehren, und zwar
zunächst die physikalischen und mathematischen Momente derselben, Dass die
Musikforscher des Mittelalters (mit Ausnahme des durch und durch praktischen
Guido von Arezzo) solches nicht einsahen und die Begriffe philosophischer und
praktischer Musiklehre foi'twäiirend verwirrten und durcheinander warfen, war
vielleicht der schlimmste Schade, den ihr Studium des Boethius vorschuldete.«
(A. W. Ambros, »Geschichte der Musik«, Bd. II. S. 39 ff.)
Indem ich mich diesem Urtheile vollständig anschliesse, glaube ich zugleich
das Unzulängliche in der Begründung der Lehre bis weit über die Blüthezeit
des Contrapunktes hinaus angedeutet zu haben. AVas nun die Sätze der H.
selbst betrifft, so nahm man zu den verschiedenen Zeiten von den durch
Boethius mitgeth eilten altgriechischen Lehren, was man gerade für nothwendig
hielt, und suchte aus ihnen zu entwickeln, was etAva nicht vorhanden war. So
nahm man in der Epoche der einstimmigen Musik auch in der nachchristlichen
Zeit (bis etwa lOOü n. Chr.) die Lehren von den Octavengattungen und dei'gl.,
so weit man sie verstand und für erforderlich hielt, herüber und entwickelte
aus ihnen, was zur Erklärung der sogenannten Kirchentonarten und ihrer Ein-
richtung erforderlich war. Die Kirche ertheilte sodann den gewonnenen Lehren
gleichsam ihre Sauction und erhob sie dadurch zu Dogmen, deren Nichtbe-
achtung geradezu für sündhaft galt. Näheres über diese Lehren findet man
unter Kirchenton.
Bei den ersten Versuchen in der Mehrstimmigkeit musste schon weiter ge-
gangen werden (s. Dia p ho nie, Organum, Discantus), obwohl man die
Grundlagen noch vollständig festhielt. Sobald nun aber die Praxis zum Ge-
brauche einer wirklichen Mehrstimmigkeit gelangte, Hessen die griechischen
Lehren gänzlich im Stiche, und man sah sich auf rein empirische Versuche
angewiesen, aus denen dann wieder schliesslich rein für die Praxis berechnete
Regeln extrahirt wurden. Man findet dieselben augegeben in dem Artikel:
Strenger Satz; gewöhnlich bezeichnet mau sie mit dem Namen: contra-
punktisehe Regeln, weil sie bei den Uebungen im einfachen Contrapunkt ein-
geprägt wurden. Versuchte man aber eine Begründung jener Regeln, so bezog
man sich, so gut oder übel dieses eben gehen wollte, auf die altgiiechischen
]jehren. Eine eigentliche Accordenlehre in unserem Sinne giebt es eigentlich
erst seit J. P. Rameau (1722). Denn selbst bei Anwendung des sogenannten
Generalbasses (s. d.) hielt man zunächst noch die coiitrapunktische Auf-
fassung fest, die einen mehrstimmigen Satz rein melodisch entstehen lässt.
Dies erkennt man in allen Lehrbüchern der damaligen Zeit; so z. B. bei A.
Werckmeister (>■> Hypomnemala musica oder Musikal. Memorial« — Quedlinbui'g,
1697 — und y>IIarmonolor/ia musica oder Kurtze Anleitung zur Composition«
— Franclcfurt und Leipzig, 1702), bei Dav. Heinchen (»Der Generall)ass in
der Cumposition«, Dresden, 1728), ja selbst noch bei J. JMattheson (»Grosse
Generalbassschule«, Hamburg, 1731 und »Kleine Generalbassschule«, Hamburg,
1735). Ein eigentliches Harmoniesystem stellte eben zuerst Rameau auf.
In welcher Weise sich von da ab die Wissenschaft entwickelte, ist des
Näheren in den Artikeln Consonanz und Dissonanz, H armoniesystera
u. s. f. nachgewiesen. Ohne weiteren Beweis wird aber zugestanden werden,
dass von Wissenschaftlichkeit in der H. nur die Rede sein kann, wenn wenig-
stens versucht wird, alle Einzelnheiten auf allgemeine Principien zurückzuführen,
Harmonielehre, 5
um daBn aus diesen heraus die einzelnen Fälle erklären und begründen zu
können. Wie weit man aber selbst in neuerer Zeit noch von wirklicher Wissen-
schaftlichkeit entfernt war, beweist ein Einblick in die Schriften J. Ph. Kirn-
bergers, der bis zum heutigen Tage noch als hervorragende Autorität gilt, und
über dessen »Die wahren Grundsätze zum Gebrauche der Harmonie« (Berlin
und Königsberg, 1773) sich z. B. der sachkundige J. N. Porkel in seiner 1792
erschienenen »Allgemeinen Litteratur der Musik« (S, 347) wie folgt ausspricht:
»Ist das vollkommenste System der Harmonie, nach welchem sich die allerver-
wickeltsten Sätze der tiefsinnigsten Harmoniker erklären und auf ihre einfachen
Grundquellen zurückführen lassen.«
Kirnberger nimmt nun, ohne auch nur die Frage nach den Gründen hierzu
aufzuwex'fen , zwei Arten von Grundaccorden an, Dreiklänge und Septimen-
accorde. Er construirt dann alle möglichen Grundaccorde auf folgende Weise
(»Kunst des reinen Satzes in der Musik«, Berlin und Königsberg, 1774, I.
S. 33): »Wenn man also gar alle in unserem heutigen System liegenden Ac-
corde will kennen lernen, so darf man nur auf folgende Weise verfahren: 1)
Sucht man alle darin liegenden Dreiklänge auf und nimmt deren Verwechse-
lungen. Dadurch erhält man alle consonirenden Accorde. 2) Setzt man zu
jeder Art des Dreiklanges die Septime hinzu und nimmt auch davon alle Ver-
wechselungen. Dadurch bekommt man alle dissonirenden Accorde.« Er geht
dabei von der Einrichtung der Dui'- und Molltonartleiter aus, fragt aber keines-
wegs, warum diese gerade so und nicht anders eingerichtet sind; ja er gründet
seine Schlüsse auf eine geradezu unwahre Voraussetzung, indem er die abstei-
gende Form der sogenannten melodischen oder alten Molltonleiter als die eigent-
liche Grundform annimmt (s. Molltonleiter und Tonart). Er gelangt dann
ferner zu dem gleichfalls unwahren Schlüsse, dass der verminderte Dreiklang
(h — d" — -f) ein consonirender Accord sei; dann entwickelt er aus der G-dur-
und ^-OTO^Ztonleiter ohne Weiteres den Accord h — dis' — f — a, lediglich, weil
er ihn braucht. Endlich aber sind seine Begründungen meist vollkommen un-
stichhaltig, weil er in ihnen von Voraussetzungen ausgeht, die selbst erst der
Begründung bedürfen. Man lese nur einmal die Beweise in den Anmerkungen
auf S. 6 und 7 der »Wahren Grundsätze«. Wie unzulänglich gleichwohl Kirn-
berger's Harmoniesystem in Beziehung auf seinen Umfang noch ist, wird unter
Harmoniesystem näher angedeutet werden.
Noch weniger als Kirnberger dürfen Marpurg und Albrechtsberger, die
mit Kirnberger immer gleichzeitig genannt werden , Anspruch auf Consequenz
und Vollständigkeit machen. Der erste Theoretiker, welcher diese Unzuläng-
lichkeit erkannte und bis zur Evidenz nachwies, war Gottfr. Weber (»Versuch
einer geordneten Theorie der Tonsetzkunst«). Derselbe will aber, weil ihm
die vorhandenen Erklärungen und Begründungen nicht genügen, von solchen
Erklärungen und Begründungen überhaupt nichts wissen. »Ich für meinen
Theil«, sagt er S. XXIV seiner »Allgemeinen Musiklehre« (3. Aufl., 1831),
»mag lieber auf den nichtigen Glanz einer am Ende doch unzureichenden
Gründlichkeit, und insbesondere auf den Schein mathematischer Behandlung
geradezu verzichten.«
Die Lehrer der Harmonie sind nun , mit Ausnahme von M. Hauptmann
und seinen Anhängern etwa, bis heute über diesen Standpunkt noch nicht
hinausgekommen. Die klarsten Köpfe unter ihnen stellen sich auf den Stand-
punkt G. Weber's. So klagt der Verfasser eines der besten derartigen Werke
neuester Zeit (E. Fi*. Richter, »Lehrbuch der Harmonie«) über die jetzige
Jugend, »die gern Alles so klar haben möchte, dass kein Zweifel möglich sei«.
Die unklareren Köpfe dagegen begnügen sich noch heute mit der bei Kirn-
berger kritisirten Erklärungs- und Begründungsweise. Die Behauptung, dass
man über Kirnberger resp. über G. Weber nicht hinausgekommen sei, gilt mit
der gegebenen Einschränkung für die Chorführer der theoretischen Literatur
neuerer Zeit (Job. Andre, Marx, Dehn, Lobe, Richter und Weitzmann), wie
g Harmonielehre.
für die ganze Schaar ihrer Nachbeter und Nachtreter. IM. Hauptmann ging,
wie bereits angedeutet, einestheils zu weit, anderntheils abor ist sein System
nicht umfangreich genug, um den Fortschritten der Praxis in neuerer Zeit ge-
recht werden zu können. Nachweis hierüber bringt der Artikel Harmonie-
system. — Zum Beweise dafür, dass trotz der Behau])tung Gr. AVeber's eine
wissenschaftliche Behandlung des Gegenstandes möglich ist, folgt zum Schluss
noch eine ITebersicht darüber, wie der Verfasser die ganze Sache auftasst.
Bei diesen Auseinandersetzungen, welche zugleich eine kurze Uebersicht
alles dessen geben, was gebildete IMusiker und Dilettanten über den fraglichen
Gegenstand wissen müssen, folge ich meinem »Elementarbuch der musikalischen
Harmonie- und Modulationslehre« (Berlin, R. Oppenheim, 1874). Die That-
sache, dass jedes Tonstück für den Hörer nach Inhalt und Form ein Stück
Aussenwelt ist, und dass wir zur Wahrnehmung dieser Aussonwelt nur durch
Vermittclung der sinnlichen Empfindung gelangen können, die wiederum nur
durch Bewegungen der Materie entsteht, lehrt, wie ein musikalisches Kunst-
werk auf seinem Wege aus der Seele des Componisten bis zur ßeceptionskraft
des Hörers umgesetzt werden muss in eine Summe von Bewegungen der Ma-
terie. Die Bewegungen, in welche musikalische Gedanken bei ihrer Versinn-
lichung umgesetzt werden, heissen Klangbewegungen, und die durch sie hervor-
gerufenen AVahrnehmungen nennt man Klänge. Aus einer Betrachtung der
klangerzeugenden Bewegungen und aus der Einrichtung des die AYahrnehmung
solcher Bewegungen vermittelnden Gehörorgans ergiebt sich , dass Klänge nur
nach vier verschiedenen Eigenschaften unterschieden, verglichen und zusammen-
gefasst werden können: nach Tonhöhe, Dauer, Stärke und Klangfarbe. Auf
der Unterscheidung, Yergleichung und Zusammenfassung der einzelnen Klänge,
in welche der Componist seine musikalischen Gedanken umzusetzen hat, beruht
aber die musikalische Auffassung. Aus dem Umstände, dass man Klänge, in-
sofern sie nach ihrer Höhe unterschieden werden. Töne nennt, und dass die
Zahl der verschiedenen Töne eine unbegrenzte ist, erklären sich die Begriffe:
Tonreich als die Gesammtheit aller Töne, Tonsystem als eine nach be-
stimmten Principien getroffene Auswahl von Tönen, und Tonleiter (s. d.) als
eine nach der Höhe geordnete Aneinanderreihung der Töne eines Tonsystems.
Die Erkenntniss der Nothwendigkeit einer Bezeichnung der einzelnen Töne
für die theoretische Unterscheidung führt dann auf die Bezeichnung der Töne
nach den Stufenzahlcn einer bestimmten Tonleiter (erste, zweite, dritte Stufe
etc. rcsp. Prime, Secunde, Terz u. s. w.)^ durch Buchstabennamen (Staramtöne
und abgeleitete Töne) und durch die Notenschrift (Liniensystem, Notenzeichen,
Schlüssel und Versetzungszeichen). Hieran knüpft sich dann wieder die Er-
klärung der Begriffe: diatonisch, chromatisch und enharmonisch, die Mitthei-
lung einzelner von den Akustikeru geraachter Beobachtungen über die Ton-
höhe (absolute Schwingungszahlen der vernehmbaren, der musikalisch verwerth-
baren Töne und der Gabeltöne), sowie die Erklärung der Begriffe: Kammerton
und Chorton (s. Akustik und die betreffenden Specialartikel). Au die Er-
klärung des Begriffes Intervall (s. d.) reiht sich dann die Benennung der Inter-
valle nach der Zahl der Notenstufen (Prime, Secunde, Terz u. s. f. [s.d.])
und die Belehrung über die durch blosse Octavversetzung entstehende Um-
kehrung, Erweiterung und Verengerung der Intervalle (s. d.), natürlich nur
insofern, als es sich um die blosse allgemeine Unterscheidung der Intervalle
handelt. Hier ti^eten nun die ersten praktischen Hebungen auf. Genauer be-
trachtet werden dann zunächst nur diejenigen drei bestimmten und feststehenden
Intervalle, aus denen alle in gebräuchlichen Ton Systemen vorkommenden Inter-
valle sich ableiten lassen: reine Octave, reine Quinte und grosse Terz. Bei
der praktischen Uebung, reine Quinten und grosse Terzen aufwärts und ab-
wärts von gegebenen Tönen aus zu bilden, knüpfe ich an die Einrichtung der
Claviatur unserer Pianoforte und Oi'geln an, indem ich zunächst die Tasten
zwischen den Tönen dieser Intervalle abzählen lasse. Diese Uebung, welche
Harmonielehre. 7
die Grundlage für die gesammten praktischen Fertigkeiten in der H. bildet,
muss bis zur vollständigen Geläufigkeit in der Bildung jeuer drei Intervalle
fortgeführt werdeu. An die Mittheilung der durch Akustiker festgestellten
Verhältnisse der Schwingungszahlen jener drei Intervalle (1:2, 2:3, 4:5)
schliesst sich dann eine einfache Belehrung über die bei Intervallberechnungen
möglichen Operationen (Addition, Subtraction, Multiplikation, Division und
Interkalation von Intervallen (s. »Kanonik«) und über die Herstellung und
Berechnung verschiedener Ton Systeme (s. d.). Diese Betrachtungen führen
dann zu der Ueberzeugung, dass unsere jetzige gleichschwebende Temperatur
(a. d.) mit zwölfstufigem Tonsysteme für die praktische Anwendung die em-
pfehlenswertheste ist, da sie die möglichst vollkommene Vereinigung zweier
sich ausschliessender Bedingungen ergiebt, nämlich: a. möglichste Reinheit
aller Intervalle und möglichste Consequenz in der Orthographie (s. d.) für alle
Tonarten; — h. grösstmögliche Einfachheit der für das System erforderlichen
Mechanik der Instrumente. Die allgemeine Einleitung schliesst dann ab mit
einer allgemeinen Betrachtung der drei andern Eigenschaften eines Klanges,
der Dauer und Stärke (Notengattungen, Taktzeichen, Taktstriche, Tempowörter,
Betonung) und der Klangfarbe (Partial- oder Aliquottöne u. s. f., s. d. und
»Akustik«).
Da nun ein Musikstück nur als eine einheitlich zusammengesetzte Wahr-
nehmung auf uns wirkt, das Vereinen der Wahrnehmungen und der mit ihnen
verbundenen Vorstellungen bei der musikalischen Auffassung wie bei der musi-
kalischen Composition aber ein zeitliches Aneinanderfügen ist, so ergiebt sich
das musikalische Gehör als »diejenige Fähigkeit unserer Seele, mittels deren
dieselbe den Zusammenhang zwischen den einzelnen einander folgenden Wahr-
nehmungen und Vorstellungen erkennt, welche beim Anhören eines Tonsatzes
in uns hervorgerufen werden.« Insofern unsere Seele die zwischen den ein-
zelnen Klängen eines Tonstückes bestehenden Beziehungen hinsichtlich ihrer
vier Eigenschaften wahrnimmt, insofern sind diese Klänge miteinander verwandt.
Die H. hat nun nachzuweisen, wie das musikalische Gehör dazu kommt, Klänge
in Beziehung auf ihre Tonhöhe als verwandt zu erkennen. Sie lehrt, dass
unsere Seele bestimmte einfache und feststehende Maasse haben muss. Es sind
dieses zunächst die drei einfachen (Grund-) Intervalle: reine Octave, reine
Quinte und grosse Terz. Sind diese drei Intervalle bei der Auffassung einer
Tonverwandtschaft wirklich abzumessen, so ist die Verwandtschaft eine har-
monische. Zwei Töne haben aber auch dadurch eine gewisse Aehnlichkeit,
dass sie nahe beieinander liegen. Bei der Aufeinanderfolge von harmonisch
verwandten Tönen treten als engste Schritte die Schritte in Halb- und Ganz-
tönen sehr häufig auf; diese Schritte müssen sich bei häufigem Anhören von
Musik so fest einprägen, dass sie endlich selbst wieder dazu dienen können,
eine Verwandtschaft zwischen zwei Tönen erkennen zu lassen, selbst wenn eine
harmonische Verwandtschaft zwischen diesen Tönen nicht vorhanden ist. Hieraus
ergeben sich nun als Grundlage für die ganze H, die folgenden beiden ein-
fachen Sätze: »I. Töne sind harmonisch verwandt, wenn zwischen ihnen die
drei Grundintervalle abgemessen werden können. II. Töne sind durch Nach-
barschaft in der Tonhöhe verwandt, wenn sie nur einen Halbton oder höchstens
einen Ganzton von einander entfernt sind.« Die Erkenntniss der Verwandt-
schaft erfolgt in beiden Fällen unbewusst, d. h. ohne dass jedes einzelne dieser
Intervalle als solches zur bewussten Erkenntniss gelangt. Es ist daher ein
Irrthum, dem ich leider in meinem 1868 veröffentlichten grösseren Werke
(»System und Methode der Harmonielehre«) noch nicht bestimmt widersprochen
habe, wenn man behauptet, die musikalische Auffassung beruhe auf Verstandes-
combinationen, die Wirkung der Musik bestehe in einem von der Seele mit
Bewusstsein angestellten Zählen. — Aus dem Begriffe der harmonischen Ver-
wandtschaft ei'giebt sich dann ohne Weiteres der Begriff: Accord oder Harmonie
als eine Zusammenfassung von mindestens drei wesentlich verschiedenen aber
8
llarniouielehre.
harmouisch verwandten Tönen. Zunächst wird nun die Benennung aller mög-
lichen Zusammenklänge (Dreiklaug, Septimenaccord, Nonenaccord und deren
TJmkehrungeu) ganz im Allgemeinen erklärt und geübt; dann erst folgt eine
nähere Betrachtung der Accorde mit Beziehung auf die gegebene Definition,
Zur Bestimmung der harmonischen Vei'wandtschaft zwischen wesentlich ver-
schiedenen Tönen können nur reine Quinten und grosse Terzen verwendet wer-
den, da die Töne der reinen Octave nicht wesentlich verschieden sind. Jedes
dieser Intervalle kann von einem Tone aus nur nach zwei verschiedeneu Seiten
gemessen werden, aufwärts oder abwärts. Hieraus ergiebt sich der Unterschied
zwischen Consonanz und Dissonanz, sowie der Grund, weshalb es nur zweierlei
consonirende Grrundaccorde (Dur- und Molldreiklang) geben kann. Näheres
findet mau unter Consonanz und Dissonanz (Bd. II. S. 572 fi".). Hieran
schliesst sich die praktische TJebung in der Bildung der Dur- und Molldrei-
klänge durch Abmessen von Quint und Terz, und der Umkehrung dieser Accorde
mit Hülfe der Octavversetzung ihrer Töne. Ferner folgt die Bezeicl)nung dieser
Accorde in der Greneralbassschrift und eine allgemeine Betrachtung über den von
entstehenden Combinationstönen und Schwebungen abhängigen »physischen
Klang« der Accorde (s.d.). "Werden die Töne eines Accordcs nicht gleichzeitig
angeschlagen, so gelangt man zu der harmonischen Verwandtschaft zwischen den
Tönen einer Melodie. Diese Verwandtschaft ist entweder eine direkte, wenn
beide Töne demselben Grundintervalle angehören (a), oder eine indirekte, wenn
beide Töne mit demselben dritten Tone*) oder doch mit zwei unter sich ver-
wandten Tönen harmonisch verwandt sind (b). Dabei kann die harmonische
Verwandtschaft zwischen den Tönen eines und desselben Schrittes unter ver-
schiedenen Bedingungen (voraufgehende Tonverbindungen, etwaige Begleitung
u. dergl.) eine sehr verschiedenartige sein (c). Sind keine derartigen Beding-
ungen vorhanden, so stützt sich das Ohr auf die nächstliegende und einfachste
Vermittelung (»Trägheitsgesetz«, s, d.).
a.
b.
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Aus der Thatsache, dass eine Reihe von Tönen, welche mit demselben
Tone oder mit harmonisch verwandten Tönen harmonisch verwandt sind, ionisch
eine Eiidieit bilden, erklärt sich die Entstehung der sogenannten altgälischen
Tonart (a) , sowie der Begrifi": Tonart (s. d.) und die Begründung dafür, dass
es nur zwei Geschlechter unter den Tonarten geben kann (Dur und Moll).
Hierauf sind die wesentlichen Töne in der Tonart durch Abmessen von Quinten
und Terzen aufzusuchen (/;); ferner erklären sich die Begrifi'e: diatonische und
cliromatische Töne, die Entstehung der wesentlichen Vorzeichnung (s. d.) bei
verschiedenen Tonarten, sowie die Ausdrücke: Normaltonarten, Paralleltonarteu,
*) Diese vermittelnden Töne sind in den folgenden Beispielen durch Viertelnoten
ansredeutet.
Harmonielehre. 9
enharmonisch- verschiedene Tonarten u. dergl. Als praktische Uebungen er-
scheinen hier: das Aufsuchen der wesentlichen Töne jeder Tonart und das
Setzen der wesentlichen Vorzeichnung.
Es folgen dann Betrachtungen über die Anfänge, Schlüsse (s. Cadenz)
und über die übrigen Schritte innerhalb einer melodischen Darstellung der
Tonart in ihren wesentlichen Tönen (s. Fortschreitung), woraus sich wie-
derum die Tonartleiter als eine besondere Form melodischer Darstellung der
Tonart ergiebt (a). Praktisch geübt werden die Anfänge und Schlüsse inner-
halb der verschiedenen Tonarten, sowie die Herstellung der verschiedensten
Tonartleitern. An die Kenntniss der Durtonartleiter schliesst sich dann die
nähere Unterscheidung der Intervalle als natürliche (grosse oder reine) und
chromatische (kleine, verminderte, übermässige u. s. f.), sowie die Uebung im
Umkehren derselben (s. lutervallenlehre und die specielleu Artikel: Gross,
Rein u. s. f.).
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Die Zuziehung der Verwandtschaft durch Nachbarschaft in der Tonhöhe
(s. d.) lehrt nun einerseits einzelne dieser wesentlichen Töne unter Bedingungen
als blose (diatonische) Durchgänge, Neben-, Hülfs- und Zwischentöne (s. d.)
betrachten, andererseits erkennt man hieraus, unter welchen Bedingungen und
in welcher Weise chromatische Durchgangs- , Neben-, Hülfs- und Zwischentöne
zwischen den Tönen eines gebrochenen Accordes oder einer melodischen Tonart-
dai-stellung erscJieinen können. Hieran knüpft sich dann die Belehrung über
Entstehung und Einrichtung der sogenaiinten Manieren, insofern dieselben durch
Zuziehung von Nachbartönen entstehen, und über Bildung und Veränderung
von Motiven der Tonfolge (steigend, fallend etc.). Praktisch geübt wird das
letztere in harmonisch figurirten Accorden und anderen der Tonart eigenen
melodischen Wendungen mit und ohne Zuziehung von blos durch Nachbarschaft
verwandten Tönen. — Die Wirkung von Tonverbindungen hängt nun in vielen
Fällen (bei Tonschlüssen, bei Harmonieschritten u. s. f.) besonders von der
rhythmischen Stellung der verbundenen Theile ab ; ausserdem ist aber für die
praktischen Uebungen die Kenntniss der rhythmischen Gliederung eines Ton-
stückes wenigstens in ihren Elementen wünschenswerth. Es folgen daher jetzt
einige Mittheilungen aus der Rhythmik, obwohl diese Lehre zur eigentlichen
H. nicht gehört. Entsprechend einer schon durch Aristoxenus festgestellten
Definition des Begriffes Rhythmus wird mit Benutzung der Zwei- und der
10
Harmonielehre.
Dreitheiligkeit (als der beiden Grundverliältnissc) das Nothwendigste über
Metrum, Takt, rhythmische Motive, Glieder, Sätze, Periodeu, Modelle und Se-
quenzen mitgetheilt. Praktisch geübt werden die Bildung und Veränderung
iliythmischer Blotive, die Herstellung von rhythmischen Gliedern, Sätzen, Pe-
rioden und kurzen Melodien zu Liedern innerhalb harmonisch figurirter Accorde
und melodischer TonartdarstcUuiigen. Die Kenutniss der melodischen Tonart-
darstellungen (Modulationsmittel) führt dann ohne Weiteres zur Belehrung über
die melodische Modulation, über die melodische Verwandtschaft der Tonarten,
über die sogenannten Kirchentonarten (s. d.) als besonderer und fest-
stehender Arten melodischer Ausweichung, Die zuletzt angegebenen praktischen
ITebuugen werden nun durch Zuziehung des neuen Stoffes erweitert. . Hiermit
ißt für die H. die Melodik, soweit diese nicht die harmonische und die stim-
mige Brechung (s. d.) zuzuzielien hat, erledigt.
Hierauf folgt die Lehre vom Stimmenwesen (Stimme, Einstimmigkeit,
Mehrstimmigkeit, wirkliche Stimme, Oberstimme, Unterstimme, Aussenstimme,
Mittelstimme, erste Stimme u. s. f., Sopran, Alt u. s. w., Stimmschritt, me-
lodische Bewegung, Verdoppelung und Auslassung von Accordtönen, Octav-,
Quint- und Terzlage, enge und weite Harmonie), ferner Regeln über den (phy-
sischen) Wohlklang der Accorde und von der harmonischen Brechung oder
Figuration der Accorde. Die letztere wird praktisch geübt, und sie führt durch
Zuziehung der (angekreuzten) Durchgangs-, Neben-, Hülfs- und Zwischentöne
zur Erklärung von Fällen wie bei a, mit Benutzung verschiedener rhythmischer
Motive in den verschiedenen Stimmen zur Herstellung der AVcndungen bei h.
Hieran schliesst sich die Belehrung über die absoluten (steigend, fallend u. b. w.)
und die relativen (Gegenbewegung, Seitenbewegung u. s. f.) Bewegungen der
Stimmen, über die ersten Stimmführungsregelii (gegen Octaven- und Quinten-
parallelen und gegen gleichzeitige Sprünge in gleichem oder annähernd gleichem
Abstände der Stimmen, über die Vermeidung des Einklanges auf guter Takt-
zeit) und über die Eintheilung der Octaven- und Quintenparallelen (offene und
verdeckte). Näheres findet man in den Specialartikeln.
(Jos. Haydn.)
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(Fr. Chopin.)
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(Rieh. Wagner.)
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(Jos. Ilaydn.)
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Bei der Verwandtschaft zwischen Accordcn werden zunächst nur die con-
sonirenden Accorde beachtet. Auch hier erkennt das Ohr die Verwandtschaft
Harmonielehre.
11
nur durch Abmessen der drei Grundintervalle [a). Im Allgemeinen ist die
Verwandtschaft um so schwerer zu erkennen, je mehr Intervalle abzumessen
sind. Jedoch können auch hier verschiedene Umstände verändernd einwirken.
So kann z. B, die Nachbarschaft einzelner Töne zweier Accorde die beiden
Accorde inniger verbinden; dagegen kann ein Harmonieschritt durch Entstehen
einer harmonischen Brechung, oder durch Heraushören verschiedener melodischer
Vermittelungen mehrerer Stimmen unangenehm und unverständlich werden.
Dies führt nun auf verschiedene Stimmführungsregeln. Hierher gehören unter
anderen die besondere Beachtung der Bassstimme, die Hegeln gegen parallele
Sprünge, gegen Quinten- und Quartenparallelen und gegen Schritte in gleich-
artigen Terzen und Sexten, die Aufzählung der Bedingungen, unter welchen
Sprünge in einer einzelnen Stimme gestattet sind, die Regeln, welche das Fest-
halten des gemeinschaftlichen Tones, das Ergreifen der Nachbartöne und die
Vollständigkeit und den Wohlklang der verbundenen Accorde betreffen u. s. f.
Werden die verbundenen Accorde beide gebi'ochen, so entsteht oft eine so-
genannte stimmige Brechung, die sich ganz wesentlich von der blosen harmo-
nischen (gemeinen) Brechung unterscheidet. Bei der stimmigen Brechung ent-
stehen noch mancherlei verschiedene verdeckte Octaven- und Quintenparallelen
(Brechungsoctaven und Brechungsquinten, Accentoctaven u. s. f.). Näheres
findet sich unter Stimmführung und in den Artikeln: Fortschreitung, harmo-
nische Brechung, stimmige Brechung, Octavenparallelen u. s. f.
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Auch in Beziehung auf Accordverbindungen ist das Wesen der Tonart
(s. d.) von grosser Wichtigkeit. Soll sich eine Harmoniefolge innerhalb einer
und derselben Tonart bewegen, so müssen auch in ihr alle vermittelnden Inter-
valle von den Tönen des tonischen Dreiklanges aus abzumessen sein. »Zu
einer Tonart gehören alle diejenigen Accorde, deren gegenseitige harmonische
Verwandtschaft sich an den Tönen des tonischen Dreiklanges vermitteln lässt.«
Es ergeben sich für C-dur und A-moll zunächst folgende consonireude Accorde.
(Siehe auch Consonanz und Dissonanz vind Tonart.)
C-dur.
A-moll.
Die Verbindung des tonischen Dreiklanges mit jedem dieser Accorde ver-
mittelt sich unter allen Bedingungen innerhalb der betreffenden Tonart, wenn
es das Beharrungsvermögen des musikalischen G-ehörs zulässt (s. S. 8) ; diese
Schritte sind deshalb auch die am häufigsten gebrauchten, z. B.
A. in Dur: I + V, I + IV, I + m, I + vi;
B. in Moll: I -f- V, I + IV, I + III, I + VI;
und deren Umkehrungen. Aber auch folgende Schritte:
A. in Dur: vi + iii, vi + IV, V + iii, IV + V, V -f vi, iii + IV;
B. in Moll: VI + III, VI + IV, V -f III, iv + V, V + VI, III + iv;
12
Harmonielehre.
und deren Umkehrungen lassen sich unter Bedingungen in der betreflfenden
Tonart vermitteln, und sie sind deshalb anwendbar. (Weiteres sehe man nach
in »Fortschreitung«, »Harmonieschritt« und »Tonart«.) Es treten aber auch hier
schon sehr fern verwandte Accorde zusammen (z. B. die Accorde zweier neben-
einander liegender Stufen (in + IV in Dur u. s. f.). Diese so schwer ver-
ständlichen Schritte müssen, wenn sie auftreten, durch Benutzung der Ver-
wandtschaft durch Nachbarschaft in der Tonhöhe möglichst gemildert werden.
Nun treten bei ihnen meist offenbare Quintenparallelen, Schritte in gleichartigen
Terzen und Sexten, unliarmonische Querstäude u, dergl, auf, die bei Benutzung
der Verwandtschaft durch Nachbarschaft in der Tonhöhe verschwinden. Dieses
veranlasst eine genauere Betrachtung jener Fehler und eine eingehendere AVür-
digung der gegen sie gerichteten Regeln (s. die betreffenden Artikel). Prak-
tisch geübt werden alle angegebenen Schritte mit besonderer Beachtung der
einschlagenden Regeln und G-esetze. — Auch bei Accoi'dverbindungen können
nicht - accordliche Durchgangs-, Neben-, Hülfs- und Zwischentöne eingefügt
werden. Hieraus erklären sich dann leicht Wendungen wie die bei a. Es
können aber hier ausserdem noch andere Abweichungen eintreten. So kann
man einen Ton des ersten Accordes noch zum zweiten erklingen lassen (Vor-
halte bilden, s, d.), man kann einen Ton des zweiten Accordes schon zum
ersten anschlagen (Vorausnahmen eintreten lassen , s. d.) ; ferner kann man
Accordtöne zu einer ganzen Reihe von Accorden festhalten (s. Orgelpunkt
und Liegende Stimmen); mau kann endlich eigentliche Haupttöne als bloso
Nebentöne anwenden, während blose Nebentöne zu Haupttönen werden können
(s. Durchgang u. s. f.). Auf diese Weise wird die Mannigfaltigkeit ganz
unberechenbar, und die Erklärung der Wendungen bei h bietet keine Schwierig-
keiten mehr, wenn man sich gewöhnt, alles Unwesentliche auszuscheiden und
auf die einfachste harmonische Grrundlage zurückzugehen. Schliesst man hieran
nun noch die Lehre von den harmonischen Cadeuzen (s, Cadenz) und von
der harmonischen Modulation (s. d.), stets mit praktischen Uebungen verbunden,
so ist der Schüler befähigt, die allermannigfaltigsten Tonsätze zu bilden und
theoretisch zu erklären, soweit es sich nur um Verbindung consonirender
Accorde und um Anwendung vorbereiteter und durcligehender Disstmanzen
handelt. Aber selbst die Anwendung der verschiedensten dissonirenden Accorde,
wie dieselbe gewöhnlich gelehrt wird, ist hier bereits mit eingeschlossen. Um
dieses durcli die Praxis zu beweisen, gebe icli unter c einige ganz selbstständig
gemaclite und noch uncorrigirte Arbeiten zweier bis hierlier geführter Schü-
lerinnen.*) Das zuletzt aufgeführte Lied gebe ich aus Raumersparniss nach
dem ersten Entwürfe.
(Rieh. Waijner, ^^Lohengrinv..)
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mässiger IJegalJung imtl nicht bedeutender Fertigkeit im Claviersjtiel; dieselben genossen,
ohne die geringsten Vorkenntnisse, aber mit grossem Euer und l'^leisse, bis dahin wenig
mehr als ein Jahr lang (mit wöchentlich einer Stunde) meinen Unterricht im Neuen
Musikinstitut von A. Werkenthin.
Harmonielehre.
13
(Sei. Bach.)
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Harmonielehre.
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da wird das Herz mir frei.
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Wollte man sich mit dem begnügen, was die jetzige H. allenfalls noch
lehi'en konnte, so dürften sich hier gleich die Uebiingen in der Composition
event. im strengen Satze und im Contrapunkte anschliessen. Meine Absicht
war aber, auch in den Fällen Aufklärung zu schaffen, in denen die alte Lehre
rathlos Halt machen musste; und diese Erklärungen ergeben sich auf ganz die-
selbe einfache und consequente Weise, wie alles Bisherige. Die dissouirenden
Accorde, ihre Vorbereitung und Auflösung, ihre Behandlung innerhalb der
Tonart und dergl. werden wie bei den consonanten Accorden aus den S. 7
mitgetheilten zwei (die Grundlage der ganzen H. Hldenden) einfachen Sätzen
abgeleitet, und in dem Kapitel über alterirte und übervollständige
Accorde finden viele als »harmonische Ungeheuerlichkeiten der Zukunfts-
musiker« verschrieene Zusammenklänge auf dieselbe Weise ihre Erklärung.
Eingehenderes findet man unter Consonanz und Dissonanz, Tonart,
Orthographie, TJebervollständige Accorde. — Hierauf folgt unter dem
Titel: »von den zufälligen Dissonanzen« eine genauere Betrachtung der im
Allgemeinen schon bekannten: Durchgänge, Wechselnoten, Neben-, Hülfs- und
Zwischentönc, der Vorhalte, Vorausnahmen, ßückungen und nachschlagenden
Töne, der Durchgangsaccorde bei wirklicher Mehrstimmigkeit, sowie der Orgel-
punkte und der liegenden Stimmen. Das Betreffende hierüber bringen die ge-
nannten Artikel (s. auch Consonanz und Dissonanz, Tonart, Nachbar-
töne, Wirkliche Mehrstimmigkeit). — Eine kurze Belehrung über die
Stylarten, eine gedrängte TJebersicht der Regeln des strengen Satzes und einige
praktische Winke bilden den Schluss des ganzen, noch nicht 11 Bogen starken
Buches. Ich denke, dass man nun, nachdem der Schüler Sätze wie die fol-
genden (a) erklären kann, mit gutem Grewissen zu den praktischen Uebungen
im Contrapunkte oder in der Composition fortschreiten darf, eventuell, sobald
es sich nur um die Ausbildung von Dilettanten handelt, eine Belehrung über
die verschiedenen musikalischen Formen anschliessen kann.
Harmonielehre.
15
a. (Jos. Haydn.)
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(Beethoven.)
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Hiermit ist, so hoffe ich, die Aufgabe als lösbar nachgewiesen, welche der
H, gestellt werden musste, wenigstens sicher so weit, als es sich um ihre prak-
tische Verwerthung beim Musikunterricht handelt. lieber Einrichtung und
Werth der verschiedenen Harmoniesysteme wird der betreffende Artikel Auf-
schluss geben. — Es ist daher hier nur noch eine kurze Uebersicht über die
einschlagende Literatur (praktische Lehrbücher u. dergl.) zu geben. Die her-
vorragendsten älteren Schriftsteller, deren einschlagende Werke ja zum Theil
bereits angezeigt sind, sollen hier nur in annähernd chronologischer Ordnung-
kurz namhaft gemacht werden; es sind folgende: J. R. Ahle, J. Gr. Ahle, W.
C. Printz, A. Werckmeister, Fr. E. Niedt, Joh. Dav. Heinchen, Job. Mattheson,
J. A. Scheibe, Gr. A. Sorge, J. Ph. Rameau, J. d'Alembert, Gr. Tartini, J. Riepel,
Ph. E. Bach, Er. W. Marpurg, J. Ph. Kirnberger, H. Chr. Koch, Albrechts-
berger, J. H. Knecht, A. Andre, Vogler, Türk, G. Weber, Gr. Schilling, A. B.
Marx, Gl-. W. Eink. Von praktischen Lehrbüchern aus neuerer und neuester
Zeit, die irgend welche Bedeutung haben, sind noch zu nennen: S. W. Dehn,
»theoretisch-praktische Harmonielehre« (2. Aufl., Berlin 1860), L. E. Gebhardi,
»Generalbassschule« (3. Aufl., Brieg 1866), M. Hauptmann, »die Lehre von
der Harmonika (Leipzig 1868), Dr. F. P. Graf Laurencin, »die Harmonik der
Neuzeit erläutert« (Leipzig 1861), J. C. Lobe, »vereinfachte Harmonielehre«
16
Harmoniemotiv.
(Leipzig 1861)^ J. Gr. Meister, »vollständige Harmonie- und Generalbasslehre«
(2. Aufl., Weimar 1852), E. F. Richter, »die Elementarkenntnisse zur Hax--
monielehre und zur Musik überhaupt« (Leipzig 1852) und »Lehrbuch der
Harmonie« (8. Aufl., Leipzig 1870), A. Reichel's »Harmonielehre mit besonderer
Kücksicht auf das Wesen der Con- und Dissonanzen der Tonart« (Dresden
1862), Fr. W. Schütze, »praktische Harmonielehre« (3. Aufl., Leipzig 1865),
Fr. Silcher, »Harmonie- und Compositionslehre« (2. Aufl., Tübingen 1859),
C. F. Weitzmann , »die neue Harmonielehre im Streit mit der alten« (Leipzig
1861) und »Harmoniesystem« (Leipzig 1860). Die Zahl unbedeutenderer Leit-
fäden u. s. f. ist eine noch viel grössere; ihre Aufführung darf unterbleiben.
Otto Tiersch.
UarmoiiieinotiT. Wie man durch Zusammenfassung von mehreren Tönen
Motive der Tonfolge (s. d.) bildet, um durch Wiederholung und Verknüpfung
derselben allerlei melodische Wendungen entstehen zu lassen, so stellt man aus
zwei oder drei Accorden H.e her, durch deren Wiederholung und Verbindung
allerlei harmonische Wendungen hervorgebracht werden. Solche H.e können
entstehen aus einem und demselben Accorde, wenn man dessen verschiedene
Lagen (s. d.) oder Umkehr ungon (s. d.) ohne und mit Zuziehung von
Neben-, Hülfs-, Durchgangs- und Zwischentönen u. dergl. mit einander ver-
bindet (a), oder aus einer Verbindung verschiedener Accorde (b). Besteht das
H. aus verschiedenen Accorden, so müssen diese nahe verwandt sein, weil eine
AViederholung eines Har m onioschrittes (s. d.), dessen Bestandtheile nur
fern verwandt sind; unverständlich werden muss. In der ßegel bestellen die
H.e auch in der That aus der Verbindung der nächstverwandten Accorde, d. h.
aus der Verbindung des tonischen Dreiklanges mit den Dreiklängen der Ober-
oder der Unterdominante resp. mit dem Hauptseptimenaccordc oder einem andern
Accorde der Dominantdissonanz (den verminderten Dreiklängen der 2. resp. der
7. Stufe, dem Septimenaccorde der 7. Stufe u. s. f., s. Consonanz und Dis-
sonanz). Wird ein und dasselbe H. mehrmals nach einander wiederholt, so
entsteht ein sogenannter Harmoniegang (s. d.) und unter Bedingungen eine
harmonische Sequenz (s. d.).
a. (BeetJwven, op. 10. 3.)
(Berfhoven, op. 22.)
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h. (BeefJi., 0^.22.)
(Beethoven, op. 13.)
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(Beeflwven, op. 10. 3.)
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0. Tiersch.
Harmoniemusik. 1 7
Harmouiemnsik, mitunter kui'zweg Harmonie, nennt man eine nur mit
Blasinstrumenten (sowohl Holz- als Blechinstrumenten) besetzte Instrumen-
talmusik (s. Orchester). Wann diese Bezeichnung zuerst in Grebrauch ge-
kommen ist, lässt sich mit Bestimmtheit nicht mehr nachweisen. Wahrschein-
lich ist nur, dass dieselbe erst im 18. Jahrhundert sich Bahn brach, nachdem
die Vereinigung von Holz- und Blechinstrumenten zu Kunstzwecken sich über-
haupt erst allgemeiner verbreitet hatte. Man fühlte sich, wie es scheint, an-
geregt, durch sie auszudrücken, dass man in solcher Musik mehr Harmonie,
d. h. Grleichartigkeit der Tonkraft der einzelnen Tonwerkzeuge und der instru-
mentalen Klangfarben fand, als in der durch die gewöhnlichen Orchester, be-
stehend aus Streich- und Blasinstrumenten, ausgeführten. Diese Anregung
wiederum entsprang wohl der Erfahrung, dass, wenn man Tonstücke im Freien
durch Streich- und Blasinstrumente ausführte, die Hörer, je weiter sie sich
von der Tonquelle entfernten, das Tongebäude immer mehr skelettartig wahr-
nahmen. Die leitenden Tougänge, Melodien, sowie die Harmonie, meist durch
Streichinstrumente gegeben, verschwinden nämlich oft schon gänzlich, wenn
durch Blasinstrumente gegebene Melodien und Harmonien immer noch deutlich
zu Gehör gelangen. Das Tonstärkenverhältniss beider Instrumentgattungen
nimmt also in ungleicher Weise allmälig ab. Diese ungleiche Tonabnahme ist
im geschlossenen Räume von gar keiner Bedeutung, indem im gewöhnlichen
Orchester dort die Streichinstrumente nach Bedürfniss vielfach besetzt und
dazu gewöhnlich ein-, höchstens zweifache Blasinstrumente massig in der Kraft
verwendet werden, damit eine überall einheitliche Klangwirkung stattfindet.
Musste man da nicht schon frühzeitig einer Instrumentzusammenstellung, die
solchen Uebelstand nicht hatte, im Freien den Vorzug geben? — Hierzu ge-
sellte sich noch das Empfehlenswerthe, dass die Witterungsverhältnisse der
guten Ausführung von H. fast gar nicht störend in den Weg traten, während
von Streich- und Blasinstrumenten zu gebende Musik oft durch solche ganz
verhindert wurde; auch die Tonwerkzeuge selbst litten durch solche nicht.
Alle diese Vorzüge der H. lernten zuerst die fahrenden Leute kennen,
welche für billigste Entschädigung die musikalischen Volksbedürfnisse befrie-
digten und ebenso die Musikbanden der ersten stehenden Kriegerhaufen.
lieber die Zeit, wann diese Entdeckung noch nicht allgemeiner in Ge-
brauch war, belehrt indirekt ein Wandgemälde im Nürnberger Bathhause aus
dem J. 1521. Man sieht auf demselben in Händen gebildeter Musiker bei
einem festlichen Aufzuge nur Lauten, Harfen und Streichinstrumente in
grösserer Anzahl, Bläser vereinzelt. Näheres findet man in dem Werke »Kunst
und Leben der Vorzeit« von A. v. Eye (Nürnberg, 1855). Die Künstler und
bessern Stände nahmen hiernach in jener Zeit noch keine Notiz bei Musiken
im Freien von dem schon eingebürgerten Treiben der fahrenden Leute. Das
sich Geltendmachen der Blasmusik bei den Kriegermusikchören fällt sogar noch
etwas später. Dr. Kastner in seinem y>Manuel general de Musique militairev.
p. 100 — 104 berichtet, dass der Prinz Conde 1647 bei der Belagerung von
Lerida noch ein Streichinstrumentorchester zur Anfeuerung seiner Krieger an-
wendete, und dass es in jener Zeit Sitte war, dass die Grossen ihre Haus-
kapellen mit ins Feld nahmen. Bald nachher finden wir diese Sitte nicht
mehr. Bei der geringen Stärke der jedesmal thätigen Heerestheile in jener
Zeit scheint die Verwendung einer geringen Tonkraft genügt zu haben, welche
jedoch beim Wachsen der Heerestheile und der Königsgewalt bald nicht mehr
ausreichte und auch als nicht praktisch erachtet wurde.
Im Volks- wie 'Kriegerleben tritt also ziemlich gleichzeitig ein Aufkeimen
dieser neuen Musikart, der Harmoniemusik, hervor, und aus diesen Keimen
erwachsen Früchte für die Kunst, denen bis heute noch allgemein hohe An-
erkennung gezollt wird. — Im Bürgerkreise, wo man zuerst gewiss nur
Schöpfungen für Streichorchester durch H. nachzuahmen sich bemühte, fand
man bald die meisten Tänze, eigens dafür gesetzt, in kleinster Besetzung in
Musikal. Convers.-Lexikou. V. *
18 Harmoniemusik.
Gebrauch, aus denen sich die Suite und die sogenannten Parthien bald
entwickelten; die Krieger schufen den Marsch als Kunstform und Hessen sich
angelegen sein, ihre Corps nach Kräften stark besetzt zu führen. In Bezug
auf die Ausbildung der H. bis jetzt sind somit überhaupt zwei Gesichtspunkte
stark in die Augen springend: die Fortbildung des Musikkörpers und die Aus-
bildung der Tonstücke selbst für diesen Körper im Bürger- und Kriegerleben.
Im Bürgerleben ist bei H. die Zahl der Tonwerkzeuge in früherer Zeit stets
nur eine geringe gewesen; nothdürftig suchten die fahrenden Leute nur den
melodischen und harmonischen Anforderungen des Volkes zu genügen. In der
Kunst ist diese Besetzungsart auch später sogar nicht vermehrt worden. Man
legte nur auf Verbesserung der Instrumente selbst eine besondere Sorgfalt
und traf zu Kunstleistungen eine entsprechend erachtete Auswahl aus den-
selben. Auch in neuester Zeit hat sich hierin keine Aenderung gezeigt, d. h.
bei H.en, die von Bürgern bei Volksbelustigungen im Freien ausgeführt wer-
den, wenn man eben die verbesserten Tonwerkzeuge nicht als solche betrachten
will. Alle Volksbedürfnisse, die grössere Musikcorps wünschenswerth machen,
als Festaufzüge im Freien, werden jedoch fast durchgängig von dem andern
H.zweige, von der Militärmusik zufrieden gestellt.
"Was hingegen die Ausbildung der durch H. zu gebenden Kunstwerke
im Bürgerleben anbelangt, so weiss man, dass bald eine Entwickelung derselben
stattfand, die nicht allein zu eigens zu praktischen Zwecken gesetzten Ton-
stücken führte, sondern auch zu solchen, die künstlerische Erbauung zum
Hauptgrund hatten und meistens nur für hervorragendere Solospieler geschrieben
wurden. Dadurch erwarb sich die H. keinen kleinen Verdienstantheil an der
Ausbildung unserer heutigen vollkommensten instrumentalen Kunstform, der
Sinfonie. Ausser dieser Antheilnahme an der Ausbildung der modernen
Sinfoniefoi'm hat die H. auch in neuester Zeit zu Tonschöpfungen für Blas-
instrumente mit Pianoforte Veranlassung gegeben, von denen nur Hummel's
Septuor und Beethoven's Op. 16 als weltbekannte, hochgeschätzte Juwelen der
Kunst aufgeführt seien. Die Werke letzterer Art versiegten jedoch in aller-
jüngster Zeit fast gänzlich, da die Tonsetzer sich dem Denken in diesem Kunst-
felde entfremdeten, und machten Arrangements für kleinbesetzte H. Platz, die
von weniger hervorragenden Tonsetzern, nur um Geld zu erwerben, gemacht
und öffentlich feilgeboten werden; es sind dies moderne Tonwerke, die wieder
den frühesten der H. entsprechen. Ganz vereinzelt, durch die Ausbildung und
Verbreitung des H.körpers beim Militär wohl hauptsächlich veranlasst, steht
die Bemühung Mendelssohn's, ein Tonwerk, in Gestaltung einer in der Or-
chestermusik gepflegten Kunstform gleich, für H. zu schreiben, nämlich die
Ouvertüre Op. 24. Kunstgeschichtlich ist dies "Werk als Beleg für die Fort-
bildung der Kunst durch die H. nicht von Bedeutung. Es beweist nur, was
später berührt wird, dass wirkliche Künstler sich um Schaffung einer selbst-
ständigen Literatur für jenen Tonkörper wohl bemüht haben, jedoch keine
Anerkennung fanden. Man denke nur au Gossec (s. d.) und dessen kaum
noch beachteten Verdienste um die H. In den bewegten Zeiten der ersten
französischen Revolution spielten die grossen Volksfeste ihre Rolle, und diese
forderten vocale und instrumentale Tonwerke für Massen im Freien. Diesem
bisher nicht gekannten Bedürfnisse genügte damals Gossec in einer Weise, die,
wäre dieselbe weiter gepflegt worden, die militärische H. zu einer künstlerischen
Höhe geführt hätte.
Was nun speciell die Militär -H., zuvörderst deren Besetzung, anbelangt,
so sehen wir zuerst eine Vergrössei'ung der Corps langsali aber stetig statt-
finden. Später, bei der Vergrösserung der Menschenmassen, für die solche
Corps bestimmt waren, gab man scharf klingenden Blasinstrumenten jeder Art
den Vorzug und suchte diese möglichst zu vervollkommnen und massiger mit
allen möglichen andern zusammenwirken zu lassen. Man machte zu dem Zwecke
selbst neue Erfindungen, um dem für geschlossene Räume organisch construirten
Harmonieprincip. - -.
Orchester äliuliche Toukörper schaffen zu könnpn T. i
unserer abendländischen Musik ganz fremden Elemente' d« S °M T^'" ^''
aus der sogenannten JanitschareLusik in den Kre s Lr H au'^"? ""'''''''
Raubte durch diese dem Ehythmischen der KriegsZsieSe Trosse Be^eir
rang geben zu können Die grösste rationelle Ausbildung erJekhten dUH
txr :: h 7'%: ^.::^ t'd l ^-f-™«^' - «g'n°eri:hfet-
Jahrhunderts zu Paris zramtenglete" CommLor'z^f FeSeT 'T
dem Europas pflegte, so winzig ergiebt sich das Verdienst <Use Kolosse I'
die Kunstentw.ckelung Die specielle Aufgabe, welche denselben zu erfüHeu
Äes't '^un^or^ 'Dirl^he thHtt""\ ^"t ''^l ^-"-"-^ "^^
st aber auch alks Schöpferische dieses Mnsikfeldes zu Ende, denn die w3
vTeichTuurd^irK""''«" ''""'l """ ^"»^ -°" "-'" aU le allSt"
verseicntung dieser Kunstform anschauen, denn als eine Yerbessernn<r d1
» Marschen verwandten Melodien nämlich,' in frühester Ze t krieger h mäch«.
« kend, nahmen m neuer Zeit, wo der Geschwindmarsch Vorzug weTse zur
«Itung gelangte, eine immer leichtere Gestaltung an, die in neuester ZeTt vi
C„"d 1^"?""^'^"^'^^° °f*8^^ "-•>' - unte'rscheWenir So besteht
Cang^entevon^Ttch^- T ^'"''''«" /" ^us Märschen, Potpourris und
i^rrangements von lonschopfungen aus der Orchester- und der ClaviermiiR,-t
^^Xl^J:^ rvo:ter:tnT Ä-iH?5
W nur als ein geduldeter Körper noch zu betrachten ist dessen gerint
"^rvt^S^f^SJ:^ -^^^^-^ ^^^-^^^ für seinen S
en !!T'?''^""^'^- ^.'^ '^^"^ ^"^^^ ^°^ Zusammenklängen muss *zwi;chen
en verbundenen Harmomen zunächst eine harmonische Verwandtlchaf t
Ln V • "^ T' ^- ^- '^^^^^^^ ^^^ Tönen des einen und des folgenden
pcordes müssen die drei Grundintervalle (reine Octave, reine Qu nt! und
ZZn:to:r!rr ^-tl 'r^^-^ ^^^^^^^^ ^^^^ Wi VerblnTung ge-
rochener Accorde. Nun wird aber die Verwandtschaft zwischen zwei Acc^rden
.durch eine innigere, dass die einzelnen Stimmen stufenweise fortschreiten
eil dann die Verwandtschaft durch Nachbarschaft in der TonhTh d)
^h zugezogen wii-d. Ausserdem können auch noch allerhand DurhSng^
kd aUein d?')!'".? Zwischen öne eingefügt werden, deren Erscheinen Lzig
£Len lä.«f '^ Nachbarschaft^ in der Tonhöhe, also melodisch sich recht?
f-tigen lasst. Ferner lassen sich durch blose rhythmische Veränderungen in
KurZaurr' ^-^-Jr\?"^^^'"^^^^" ^^^^^^P-^^^^ Hegende Stllmen^
lorJialte Voi ausnahmen, nachschlagende harmonische Töne u. dergl.) bei einer
xchÄh Im "^f 'f -^.'^^ ^^^^ ^'^^ ^^'^^ -° Zusalinklängen
ekhe nti ."f h S\eichze,t.ge Erklingen mehrerer Melodien entstehen,
eiche nur auf hervorragenden Takttheilen harmonisch zusammentreffen. Jeder
.ei R^hT^' ^%'^'' ''^' Verbindung gebrochener Accorde ist al 0 nach
ei Richtungen hm zu betrachten, nämlich I. ob die verbundenen Accorde
rmomsch verwandt sind, II. ob die einzelnen Stimmen möglichst flie sende
.d zusammenhängende Melodien bilden. Diese beiden ßücksichtnalen un er
Harmoniescbluss - HarmoniescliTitt.
, .. . / 1 A -R Mnvv^ als »Harmonie-« und »Melodieprincip«.
scheidet man (nach A. B- ^a x) ^^^^'^J^ besonders hervortreten, bald
Von diesen kann bald das eine, bald ^as anaere harmonischen
können beide gleichzeitig sich ff ^^ ^ f^^,,,f;\,iTp WchtU der ver-
oder gemeinen Brechung (^•^^;)^f^^V^^f Brechungen (s. d.) treten beide
bundenen Accorde zurück, /^^/^^^^^"^'f^^^^ "Weniger bemerklich, auf. In ver-
Princlpe gleich-^^^^' /^^\^,f 'g^^^^' in Lrcforden u. s. f.) kommt es auf
ihnen herrscht also das melodische Pnncip vor. 0. Tieisch.
F „ . und vonalen durch Nebeu-, Hülfs- uud ^wischentöue u_ dergL^ e„ -
Srndeu ZusammeukKugeu, a„ sich herechU^e -»J^^ ^ ,«;'' ^ue ein
?-^i:j^rrdrÄ = ;:^c -r x_ae „aaeu
kann Es würden dieses von dem Tone C aus folgende sein:
a. Dreiklänge
6. Septimenaccorde.
^^^mf:^%m^^:
Nonenaccorde,
ailais
z|^!
■^^m^
^■
»f-=*
man s ch indessen auf jene 18 btammaccoiae, bu gi _ „^ iq v 19 — ^KV
Xebend temperirten zwölfstufigen Tonsysteme noch ^.«^^^^l.^/ \^ " ^ ',?
dem Klange nach verschiedene «tammaccorde. Das wurde (2 G^^^^^^^
oder 46445 verschiedene möglichere ergeben; denn X'^'\^'^Xä:TZZvl
:ich Jeder dieser 216 Accorde ^ -gend einer TJmk^^^^^^^^^
Accorde verbinden lassen. Es ^o-en -^b ^
vielerlei Ursachen gemildert werden. So w ikt ^mji. o ^
viel milder, als bei schneller, weil dem Ohre mehr Zeit "^^^^^t ' ^;L«'
Tonischen Beziehungen klar zu machen Es können I^Ttte ^^önn" in s"
bleiben, welche die Verbindung vermitteln; oder die «^h^f « ^^^"^ ^^i^^,
der gute Eluss der einzelnen Stimmen, H^ntstehun^ rr.-u« nnd Zwischen-
wendLg von Durchgängen -^I^echselnoten, Neb^^^^^
tönen, von Vorhalten, Vorausnahmen u. s. f.). Blog ich f^^^ ^ ^ ^f ° {
also ;ile jene Schritte. Aber wenn wir uns ^^^^''^^''^tJ^^^^
die Zahl von 6888 H.en beschranken wollten, .^;J^l^^!^;;*^f^ ^^^, mechanisch
noch immer unentwirrbar, sobald man mit der alteren iheone nui
Harmoniespiel — Harmoniesystem. 21
ordnend vorgehen will. Die Zurückführung auf jene einfachen Principien der
Tonverwandtschaft, welche sich in dem Artikel Harmonielehre und ander-
wärts angegeben finden, vereinfacht jedoch die Sache ganz enorm; denn aus
jenen Principien heraus lässt sich jede einzelne jener Fortschreitungen auf das
leichteste erklären , und da sich die einzelnen Schritte hinsichtlich der Ver-
ständlichkeit der bloseu harmonischen Verwandtschaft zwischen den verbundenen
Accorden leicht anordnen lassen, so kann die Theorie bei weiterer Entwickelung
der Praxis in Beziehung auf den Gebrauch fernverwandter H.e leicht folgen,
ohne ihre Grundprincipien aufgeben zu müssen. Bis jetzt hat sich die Praxis
hinsichtlich der Schritte von und zu dissonirenden Accorden, soweit diese
Schritte sich lediglich auf die harmonische Tonverwandtschaft (s. d.) grün-
den, mit den leichtest verständlichen H.en begnügt; angegeben finden sich die-
selben unter Auflösung, Consonanz und Dissonanz und Vorberei-
tung. Die Anordnung der Schritte zwischen consonirenden Accorden ist unter
Fortschreitung aufzusuchen. Alle übrigen bis jetzt verwendeten Schritte
erklären sich aus diesen heraus durch Anwendung von Vorhalten, Vorausnahmen,
nachschlagenden Tönen, Orgelpunkten, liegenden Stimmen und wirklicher Mehr-
stimmigkeit, oder durch Zuziehung der Verwandtschaft durch Nachbarschaft
in der Tonhöhe. Das Nähere hierüber findet sich in den betreffenden ge-
nannten Artikeln und unter Durchgang, Hülfs- und Nebenton, Zwi-
schenton, Wechseluote, übervollständige Accorde, zugefügte Töne.
0. Tiersch.
Harmoniespiel (französ,: jeu de harmonie), s. Flageolet.
Harmoniesprung', s. Harmonieensprung.
Harmoniesystem oder System der Harmonie. »Unter einem Systeme
der Harmonie,« sagt Forkel (»Allgemeine Litteratur der Musik«, Leipzig 1792,
S. 343), »versteht man eine solche Verbindung und Ordnung aller musikalischen
Intervallen und Accorde, dass man dadurch in den Stand gesetzt wird, von der
Abstammung und Brauchbarkeit eines jeden derselben Red' und Antwort zu
geben. Rousseau nennt es eine Sammlung von Regeln der Harmonie, die
aus einigen allgemeinen Principien gezogen sind; es ist aber weit weniger eine
Sammlung von Regeln der Harmonie, als vielmehr ein Stammbaum aller ein-
zelnen Glieder der ganzen Tonfamilie , die sämmtlich nur von einigen wenigen
Grundtönen erzeugt werden. Ist nun ein solches System der Harmonie richtig,
das heisst: ist es auf ein wahres allgemeines Principium erbaut, so muss kein
einzelner Ton im Zusammenhange einer Melodie, und kein Accord in der Har-
monie vorhanden sein, oder aufgenommen werden, dessen Natur, Wesen und
Behandlung nicht durch seine Abstammung von einem gewissen Gruudaccorde
erklärt und bestimmt werden kann. Ohne die Kenntniss eines solchen Systems
geht der Componist im Gebrauche und" in der Behandlung manches Intervalls
und manches Accordes ebenso unsicher, als der Sprachforscher bei solchen
Wörtern, zu welchen er kein Stammwort, folglich weder die Abstammung, noch
den wahren Grund der demselben beigelegten Bedeutung zu finden weiss. Man
sieht hieraus, dass ein System der Harmonie, genau genommen, nichts anderes
ist, als eine Art von musikalisch- etymologischem Index, woraus man den Ur-
sprung, Zusammenhang und die Bildung der Intervallen und Accorde er-
kennen kann.«
Neben einer ziemlich treffenden Erklärung des Begriffes H. und einem
hinreichenden Maassstabe zur Beurtheilung der Richtigkeit eines Systems, ent-
halten diese Auslassungen auch den Beweis für den praktischen Werth syste-
matischer Darstellung des Gesammtgebietes der Harmonielehre. Ueber ähn-
liche praktische Vorzüge der systematischen Lehrweise spricht sich A. B. Marx
(»Lehrb. der Comp.« I. S. 506 ff.) wie folgt aus: »Das Verfahren des Lehrers
hat dreifache Wichtigkeit. Zunächst für den Fortschritt des Schülers; es ist
natürlich nichts weniger als gleichgültig, wie schnell, leicht und sicher der
Fortschritt geschehe. Dann für die geistige Entwickelung; jenachdem sich eine
22 Harraoniesystem.
Lehre an den Verstand oder das nachdenkenlose Gedächtniss wendet, wird sie
eine oder die andere Richtung der Greisteskraft hervorrufen. Endlich für die
Sache; eine Lehre, die den Lehrstoff blos äussei'lich aufrafft, statt ihn vernunft-
gemäss zu entwickeln, entfremdet sich und den Schüler dem Stoffe selber und
fasst ihn unlebendig und falsch auf.« Wenn es etwa noch nöthig gewesen wäre,
hiermit die Bedeutung der Systematisirung der Harmonielehre für die Ton-
kunst selbst nachzuweisen, so bedarf es andererseits wohl keines Wortes, um
den Werth der Versuche zur Systematisirung für die Wissenschaft im All-
gemeinen darzulegen. Man muss es daher mit A. B. Marx allerdings wunder-
lich finden, »wie neuere Lehrer Angesichts der systematischen Entwickelung
der Accorde bei ihrer alten Weise beharren können, statt sich dem Fortschritte
anzuschliessen. — oder, wenn er irrig sein sollte, ihn zu beleuchten und zu
berichtigen. tt (A. a. 0.) Das Verfahren, die Harmonien, welche man vorfindet,
mechanisch »nebeneinander und gleichzeitig miteinander aufzustellen«, ist daher
entschieden zu verurtheilen. »Man geht dabei von der Tonleiter aus, stellt
zuerst auf den Stufen der Z)?<rtonleiter alle aus ihr zu bildenden Dreiklänge
(a), dann alle Septimenaccorde (b), ferner (jedenfalls ist es, das Princip einmal
f
zugestanden, folgerichtig) auch auf den Stufen der IfoUioiileiieT alle Dreiklänge
und Septimenaccorde, sogar alle Nonenaccorde nebeneinander, die sich aus den
Tönen der Tonleiter herauszählen lassen.« »So überliefert man dem Schüler
die Harmonie massenweis' und reichlich und unerschrocken. Selbst wenn man
an der Möglichkeit einer systematischen Entwickelung zu verzweifeln TJrsach'
hätte, wäre das Verfahren doch aus methodischen Gründen nicht zu billigen.
Die richtige Methode einer auf Anwendung und Ausübung hinarbeitenden
Lehre fordert, dass man den Stoff theile und in jedem Momente der Unter-
weisung nur so viel überliefere, als eben jetzt zur Anwendung kommen kann.
Also schon aus diesem — wenngleich nur äusserlichen ■ — Grunde müsste der
Stoff getheilt, es müsste das Leichtere oder Näherliegende, das zunächst oder
zumeist Brauchbare und Nothwendige hervorgesucht werden.« (A. B. Marx,
a. a. 0.) Aber erst durch eine Lehrart, die sich »als wirkliches System hin-
stellen darf und auf einem tieferen Grunde ruht, als auf der blos äusserlichen
Berechnung der Lehrklugheit oder Methode«, ist auch die treffendste Methode
erlangbar.
Es bleiben nun die einzelnen Versuche zur systematischen Entwickelung
der Harmonie noch zu besprechen und zu beurtheilen. Dieselben gliedern sich
nach ihrem Zwecke in zwei verschiedene Klassen. Die eine Parthei unter den
systematisirenden Schriftstellern bezweckt mit ihrem Voi'gehen weiter nichts,
als den Lehrstoff dem Schüler möglichst leicht zugänglich und behaltbar zu
machen; ihr Zweck ist also ein methodischer, und die Princij^ien, welche sie
bei Anordnung ihres Systems befolgen, liegen eigentlich ausserhalb der Sache.
Deshalb haften diese Systematiker in der Regel auch an blosen Aeusserlich-
keiten; eine wissenschaftliche Bedeutung ist ihren Versuchen daher nicht zu-
zuschreiben, wohl aber der Werth derselben für die praktische ITnterweisung
nicht zu unterschätzen. Der erwähnenswertheste Vertreter dieser Richtung im
vorigen Jahrhundert war Job. Phil. Kirnberger, dessen »Kunst des reinen
Satzes in der Musik« (Berlin, 1771 — 79) und »Die wahren Grundsätze zum
Gebrauche der Harmonie« (1773) besonders zu erwähnen sind. Kirnberger
nimmt zwei Grundaccorde an: L den consonirenden Dreiklang, der gross (a),
klein (h) oder vermindert (c) ist; und II. den dissonirenden wesentlichen Sep-
timenaccord, der viererlei Zusammensetzung fähig ist: entweder besteht er aus
Harmoniesystem.
23
der kleinen Septime mit der reinen Quinte und grossen (d) oder kleinen (e)
Terz; oder mit der falschen Quinte und kleinen Terz (/); oder aus der grossen
Septime mit der reinen Quinte und grossen Terz (g).
a.
h.
c.
d.
e.
/.
9-
-<^f — S—
Si—
— §~
— g—
— g—
»
o
- ^
S '
• s -
gH
<Z2
■ ^-
äs_
Aus diesen Accorden leitet er alle anderen Accorde her. lieber dieses
System äussert sich Forkel (»Allgem. Litteratur der Musik«) wie folgt: »Ist
das vollkommenste System der Harmonie, nach welchem sich die allerver-
wickeltsten Sätze der tiefsinnigsten Harmoniker erklären und auf ihre einfachen
Grundquellen zurückführen lassen.« »Zur richtigen TJebersicht des ganzen Zu-
sammenhanges der Harmonie ist diese Schrift die vorzüglichste, die wir besitzen.«
Vom jetzigen Standpunkte aus ist aber dagegen zu erwidern, dass von einer
Zurückführung auf die »Grundquellen« nicht die Rede sein kann, da die An-
nahme der obigen Grundaccorde doch eine ganz beliebige und durch nichts
gerechtfertigte ist. Wie unzureichend aber das Kirnberger'sche H. hinsichtlich
seines Umfanges ist, das hat schon Gottfr. Weber nachgewiesen, der in ver-
schiedenen Anmerkungen seines »Versuchs einer geordneten Theorie der Ton-
setzkunst« eine ziemlich vernichtende Kritik gegen dasselbe geübt hat (s. Con-
sonanz und Dissonanz und Harmonielehre). Dem TJrtheile Forkel's
kann also selbst in Beziehung auf die praktische Bedeutung jenes Systems
nicht mehr zugestimmt werden. Wie äusserlich übrigens Kirnberger der ganzen
Sache gegenüber steht, zeigt sich ausser an vielen anderen Stellen namentlich
auch da recht deutlich, wo er den übermässigen Terzquartsextaccord bei a ab-
leitet von dem Terzquartsextaccorde bei b (s. Kirnberger, »Die wahren Grund-
sätze«, S. 30).
Zugestehen muss man allerdings, dass unter allen Systematikern seiner
Hichtung Kirnberger am consequentesten verfährt, obwohl er von den Beding-
ungen, welche Porkel von einem richtigen Systeme erfüllt sehen will, gar nichts
zu wissen scheint. Wenigstens werden sich folgende Auslassungen nur im
letzteren Sinne auslegen lassen: »Wenn diese Vorhalte aber in unseren neuen
Compositionen ohne alle Vorbereitung gesetzt und als ein Hauptaccord behan-
delt werden, auf folgende Art (ß) etc., so mögen die Herren es selbst verant-
worten. Wir können von der Schreibart der unharmonischen Ausländer und
derer, die sich nach ihnen gebildet haben, nicht Eed und Antwort geben«
(a. a. 0. S. 33 ff.).
a.
I
— c^-
:tr=r
lö-
-r:ö-
-^
Vor Gottfr. Weber trat übrigens schon Marpurg sehr entschieden gegen
manche Annahmen Kirnberger's auf, und S. W. Dehn (»Theor.- praktische
Harmonielehre« S. 83) sagt in dieser Beziehung: »Ganz gewiss ist es, dass
Kirnberger's »Kunst des reinen Satzes« bei weitem nicht den ausgebreiteten
Ruf, der ihm noch hier und da in unserer Zeit zugeschrieben wird, erhalten
hätte, wenn man es nur mit eben so viel Scharfsinn hätte kritisch ansehen
wollen, als es Marpurg in manchen seiner Schriften (z. B, in einem Anhange
24 Harmoniesystem.
zum »Versuch über die musikalische Temperatur«, Breshiu, 1776) gethan hat.«
Indessen ist gerade manches von dem, was Marpurg als unstatthaft hinstellt,
Kirnberger als Verdienst anzurechnen, so z. B. die Lehre von den Vorhalten,
nach welcher verschiedene dissonirende Zusammenklänge als durch blose zu-
fällige Dissonanzen entstanden gedacht und »sogar zwei verschiedene Arten
der Entstehung eines und desselben Accordes demonstrirt werden«. — Das
von Forkel besonders belobte Werk ist übrigens nicht von Kirnberger selbst,
sondern mit Bewilligung Kirnberger's von dessen Schüler J. A. P. Schulz be-
arbeitet und unter Kirnberger's Namen herausgegeben. (S. AUgeni. Leipz.
Musik-Zeitung, Jahrgang II. S. 278.) — Ein, nach dem Titel (t>Si/steme dliar-
monie etahli sur la 'pre]^aTation, resolution et Ivjature des Dissonancesa) zu
schliessen, dem Kirnberger'schen ganz ähnliches H. von dem französischen Abbe
Nicolas Roze (geb. zu Bourgneuf 1745) theilt de la Borde im 3. Bande seines
y>Ussai sur la Musiquea, S. 476 — 483, mit (Dehn, a. a. 0. S, 83). — Fr.
W. Marpurg selbst, »der Vertheidiger, Verbesserer und Verbreiter« des später
zu erwähnenden Rameau'schen H.'s, stellte in seinem »Handbuche bei dem
Greneralbasse und der Komposition mit 2 — 8 Stimmen« (Berlin, 1755 — 58)
ein aus Rameau'schen und eigenen Grundsätzen vermischtes System auf. Das-
selbe giebt den eigentlichen Hauptvorzug des Rameau'schen Systems, die Ab-
leitung aus einem einheitlichen Principe, im "Wesentlichen wieder auf, ohne
indessen zu wirklicher Vollständigkeit gelangen zu können. — J. G-. Albrechts-
berger, der besonders durch seine Schüler (L v. Beethoven, Job. Gänsbacher,
Nep. Hummel, Mich. Umlauf, Jos. Weigel u. A.) bedeutenden Ruf als Theore-
tiker erlaugt hat, hat ein eigentliches H. gar nicht aufgestellt. Seinem Systeme
liegen, wie auch in bald mehr, bald weniger hervortretender Weise allen gleich-
zeitig und vielen später erschienenen Harmonielehren, die von Rameau aufge-
stellten Principien zu Grunde.
Einer der bedeutendsten Theoretiker unseres Jahrhunderts war Gottfr.
Weber. Von eigentlich wissenschaftlicher Behandlung der Theorie der Ton-
setzkunst will derselbe nichts wissen; darum weist er z. B. die harmonische
Akustik und namentlich die mathematische Intervallenlehre sogar als Theil, noch
mehr aber als Grundlage der Tonsetzlehre, aus seinem Lehrgebäude (»Versuch
einer geordneten Theorie der Tonsetzkunst«, B. I — IV, 3. Aufl., 1831) heraus.
Er rechtfertigt sich hierüber (»Allgemeine Musiklehre«, 3. Aufl., 1831, S. XX.)
wie folgt: »Es meinen ja die meisten Tonsetzlehrer, die Theorie der Tonsetz-
kunst müsse nothwendig auf die harmonische Akustik gegründet werden, und
fangen deshalb ihre Lehrbücher mit arithmetischen und algebraischen Exem-
peln an! Allein mich dünkt dieses, um es beim rechten Namen zu nennen,
nichts anderes als leere Schwindelei und unzeitige Gelehrsamkeitskrämerei,
d. h. Pedanterei. Denn man kann der gründlichste Tonsetzer, der grösste
Contrapunktist, man kann Mozart und Haydn, Bach und Palestrina sein, ohne
zu wissen, dass sich ein Ton zu seiner Quinte wie 2 zu 3 verhält; und es ist,
meiner innigen TJeberzeugung nach, ein recht unverständiger Missgriff' der
Tonsetzlehrer, wenn sie, in die Lehre der Tonsetzkunst, solche Demonstrationen
durch Brüche, Potenzen, Wurzeln und Aequationen, und andere Rechnungs-
exempel einmischen, von welchen beim Vortrage der Theorie der Tonsetzkunst
auszugehen, mir grade so vorkommt, als wollte einer den Unterricht in der
Malerei mit der Theorie von Licht und Farben, von graden und krummen
Linien anfangen, den Musik-Unterricht mit dem Studium der Harmonie, und
den Sprach -Unterricht mit der Philosophie der Sprache, oder einem Kinde
Sätze aus der Grammatik demonstrircn, um es Papa und Mama sagen zu
lehren.« Weber hat in sofern Recht, als nicht Alles in der Harmonie und
Modulation von der Akustik abzuleiten ist, wie viele Theoretiker angenommen
zu haben scheinen; ich stimme ihm auch zu, wenn er meint, die praktische
Compositionslehre könne die Kenntniss jener Lehren entbehren. Wenn er
aber selbst von der »Theorie« der Tonkunst solches fordert, so ist er entschieden
Harmoniesystem. 25
im Irrthume. Theorie ist eine "Wissenschaft und keine Kunst. Einzelnes aus
der Theorie der Musik (z. B. die Construction von Tonsystemen u. dergl.) ist
absolut unverständlich ohne gewisse Kenntnisse aus der Akustik; und wer nicht
Alles kennt, was die Wissenschaft über seine Kunst gefunden hat, der mag
ein sehr guter Kunsthandwerker sein, ein wirklich durchgebildeter Künstler
ist er nicht. Papa- und Mamasagenlernen gehört gar nicht zur Theorie der
Sprache, und das angezogene Beispiel hinkt also gewaltig; dagegen ist aber
eine Theorie der Sprache ohne Grrammatik und Philosophie der Sprache eben
keine Theorie. Ein Musiker muss aber die Theorie seiner Kunst kennen. In
diesem Punkte weiche ich daher ganz entschieden von Gottfr. Weber ab und
stimme dem bereits angezogenen Ausspruche (s. Grammatik) des alten Werck-
meister bei: »Ich halte einen Strohschneider und Besenbinder, der da rationes
über seine Handthierung vorzubringen weiss, viel klüger, als einen solchen
unbesonnenen Musicaster, der nur nach seinem Gänse -Gehirn hinsetzet, was
seiner Phantasterey gut deucht« etc. — Gottfr. Weber hat sich zu seiner An-
sicht wohl besonders durch die damalige Unzulänglichkeit und gleichwohl
ziemlich anspruchsvolle Ueberhebung der Akustik verleiten lassen; er ist ein
viel zu gediegener Forscher, als dass er einer absichtlichen Ungründlichkeit
das Wort reden könnte. Zudem hatte er in seinem genannten Werke mehr
die praktische Ausbildung von Componisten im Auge, als eigentlich theoretische
Unterweisung in der Musikwissenschaft; die Entstehung jener irrigen Ansicht
ist also erklärlich und entschuldbar genug. Schlimmer und schädlicher ist es aber,
dass die Weber'sche Ansicht unter den späteren Musiktheoretikern, theils um
ihrer Bequemlichkeit willen , theils auch aus gewissen Principien , verschiedene
Anhänger und Förderer gefunden hat. Ich nenne hier zunächst zwei noch zu
erwähnende Schriftsteller: S. W. Dehn, der Weber's Ausspruch geradezu citirt,
und E. Fr. Richter, der nur insofern eine ähnliche Ansicht hat, als er meint,
es seien nicht alle Erscheinungen, Gesetze und Regeln in Beziehung auf Ton-
verbindungen wissenschaftlich zu erklären, weil die musikalische Kunst,, wie sie
sich in der Neuzeit gestaltet habe, eine künstlich entwickelte, die Tonsprache
überhaupt etwas conventioneil gebildetes sei. Bei Dehn sprechen ähnliche
Gründe mit, wie bei Weber; Pichter's Ansicht aber wird später noch näher zu
berühren sein.
Andere Theoretiker, namentlich aber viele praktische Musiker, sind nun
noch viel weiter gegangen als Weber, indem sie der Wissenschaft überhaupt
jede Bedeutung für die Tonkunst selbst absprechen zu müssen glaubten. So
unterrichtet man in der Composition lediglich zu dem Zwecke, um die Schüler
im mechanischen Gebrauche einzelner Accorde und Accordverbindungen abzu-
richten. Für Ciavierspieler, Sänger u. s. f. hält man sogar die Kenntniss der
Harmonie- und Modulationslehre und der Lehre über Herstellung der verschie-
denen Kunstformen für vollkommen überflüssig, und dressirt sie lediglich darin,
einzelne Tonsätze nach dem Muster ihrer Lehrer mechanisch hörbar zu machen.
Man wird daher bald dahin kommen, auch die Leierkasteubauer, wenigstens
aber die Verfertiger von grösseren mechanischen Musikwerken zu den Ton-
künstlei-n zu zählen; denn auch diese machen Tonstücke hörbar, — imd ob
dieses nun durch Walzen und Stifte, oder durch Kehle und Finger geschieht,
ist im Wesentlichen ja dasselbe. Dahin freilich würden Richter, Dehn und
Gottfr. Weber niemals gefolgt sein; aber wohl ist dieser abschüssige Weg schon
mit der Zustimmung zu der nur beziehungsweise richtigen Behauptung G.
Webers betreten. — Die zu seiner Zeit gültigen Anschauungen hat G. Weber
allerdings in vollkommen vernichtender Weise kritisirt. Nach ihm erscheint
die damalige »ganze mathematische Behandlung der Tonsatzlehre an sich selbst,
bei unbefangener Betrachtung, doch nur als Täuschung.« »Ohne dieses Letz-
tere,« fährt er fort, »hier ausführlich darthun zu wollen, begnüge ich mich, nur
auf Bin Beispiel hinzuweisen, auf die sogenannte Schöpfung der Leiter, und
Construction der Tonstufen aus den Aliquoten der Saitenlängen, und den
26 Harmoniesystem.
Aliquottönen der Blasinstrumente, oder was dasselbe ist, aus den, der natür-
lichen Zahlenreibe 1, 2, 3 u. s. w. entsprechenden Schwingungsverhältnissen,
mit welchem Allem die Theoretiker die Tonsatzlehre, rechter Gründlichkeit
halber, oder auch wohl erudüionis et decori gratia, nothwendig anheben zu
müssen glauben, indess doch grade hier die Unzulänglichkeit der Rechen-
operation recht augenscheinlich ist. Die C-dur\ii\iQv soll aus den Aliquoten
einer C- Saite, oder aus den natürlichen Tönen einer C- Trompete, geschöpft
werden, und beide geben doch, sowie auch die Zahlenverliältnisse, 1:2, 2:3,
u. s. w. , nicht nur weder ein reines a, noch ein leidliches/", sondern auch
statt des der Leiter eigenen Tones //, das leiterfremde h, oder eigentlich einen Ton,
der in unser Tonsystem gar nicht passt, oder aber, wenn man ihn als h be-
trachtet und gebraucht, die herausgebrachte Tonreihe eher zur Tonleiter von
F stempelt, so dass die sogenannte (7- Trompete gewissermassen eher eine _F-
Trompete heissen könnte; obgleich auch dieses wieder nicht so recht eigentlich
passen will, weil in der Trompete der Ton f ebenfalls nicht rein zu finden ist,
sondern nur ein heilloses Mittelding zwischen f und fis, sowie auch kein reines
a\ — Jenen TJebelstand fühlend, haben Mehre, z. B. de Momigny und später
Schicht versucht, die harte Tonleiter aus den harmonischen Tönen der Domi-
nante herzuleiten, welches zwar etwas besser gelingt, wobei aber die Töne _/",
1) und a immer wieder falsch bleiben. — Allein was hülfe es auch, wenn man
solcher Gestalt die harte Tonleiter sich aus der Natur entwickeln sähe, indess
die weiche ja doch immer durch willkürliche Versetzung der Terzen, oder durch
sonst willkürliche Unterstellungen, gemacht werden, und also doch immer als
Artefact, als etwas Willkürliches, als ein Gebilde des Menschenwitzes, erscheinen
müsste? — Denn man sehe z. B., wie Rameau, d'Alembert, Marpurg u, A. sich
plagen, winden und drehen, um die Entstehung eines weichen tonischen Drei-
klanges herauszudrechseln. Die Natur selbst — so lehren sie — lässt uns,
in den Querschwingungen einer C-Saite, die Töne c—g-—c'—e'—g' (ausserdem
aber auch noch viele andere! — und in den Erzitterungen anderer Körper
wieder ganz verschiedene Töne!) mithören.«
»Es ist uns also ein harter Dreiklang von der Natur selbst gegeben, indem
sie uns, zugleich mit dem Grundtone einer querschwingenden Saite, auch seine
grosse Terz und Quinte von selbst hören lässt. Ein weicher Dreiklang, so
fahren sie fort, ist nun freilich nirgend eben so gegeben, indem weder eine Saite,
noch irgend ein anderer Körper, zugleich neben seinem Grundtone, auch dessen
kleine Terz, als Beiton von selber mithören lässt: allein wenn wir uns die
kleine Freiheit nehmen, den Accord 0—e—g in C—es—g zu verwandeln, so
ist dies es zwar kein natürlicher Beiton von C (also von der Natur nicht als
Terz von c angedeutet): aber g ist doch ein Beiton einer ^s- Saite; und
darum (!!!), weil die Quinte von C zugleich auch grosse Terz von es ist, und
beim Anschlagen einer G^-Saite, sowohl eine C-Saite, als auch eine J^s-Saite ein
g mit erzittern lässt, — darum ist der Zusammenklang von C—es—g gerade
so gut, wie von der Natur selbst gegeben. Das ist ja handgreiflich! — Der
harte Dreiklang ist darum natürlich, weil die beiden höheren Töne Aliquoten
des Grundtones sind, der weiche Dreiklang aber darum, weil, umgekehrt, seine
Quinte eine Aliquote eines jeden der beiden tieferen (nämlich Quinte von C
und Terz von Fs) ist. Letzteres ist eben nur grade das Umgekehrte vom
Natürlichen, und folglich ja ebenfalls ganz natürlich. — Der harte Dreiklang
ist, von der Natur selbst, dadurch gegeben, dass eine und dieselbe Saite
wirklich einen solchen Zusammenklang hören lässt: Aber auch der weiche ist
als von der Natur selbst gegeben anzusehen, denn zwar lässt eine C-Saite kein
-EJs mit erklingen: aber eine -EJs-Saite lässt, unter vielen anderen Tönen, doch
auch ein G (als Terz!) hören, und folglich (?) ist der Zusammenklang C—es—g
als von der Natur selbst gegeben nicht zu verkennen. — Hat man auf solche,
oder ähnliche, schlussgerechte Weise, einmal einen harten und einen weichen
Dreiklang errungen, so ist nichts leichter, als, zu jedem derselben auch eine
Harmoniesystem. 27
passende Tonleiter zu finden. Man darf nur mit einem harten Dreiklange
auch noch die harten Dreiklänge seiner Quinte und seiner Quarte verbinden
(und zwar darum gerade diese und nur diese, weil — sie sich am besten dazu
schicken — ), so hat man ja ordentlich unmittelbar aus der Hand der Natur
eine Z'z^rtonleiter empfangen, und ebenso eine J/bZZtonleiter , wenn man, mit
einem weichen Dreiklange, den weichen auf seiner Quarte, und bald den weichen,
(denn so wird gelehrt), bald den harten, auf seiner Quinte, in Verbindung
setzt. — Solche, und ähnliche, theils ganz unpassende, theils sonst willkürliche
Hypothesen an die Spitze stellend, wagt man denn, ein Lehrgebäude zur Schau
zu stellen, welches, mit dem Scheine mathematischer Begründung prangend,
grade um so gefährlicher ist, je mehr man sich bestrebt, ihm den Anstrich
systematischer Ableitung und untrüglicher Folgerung zu geben, wie unsere
Kunstlehrer so gerne thun.«
Ich habe diese Auslassungen so ausführlich gegeben, weil sie mich für die
Folge der Kritik der damals gebräuchlichen — mid mancher neueren — H.e
überheben. — "Weber selbst, wenn er auch die Lehren der Theorie in geord-
neter Weise vorführt, verschmäht es natürlich, ein eigenes H. aufzustellen; er
lässt sich bei Anordnung seines Lehrplanes nur von äusseren Rücksichten leiten.
Dass dieses wirklich der Fall ist, erkennt man aus folgenden Auslassungen.
»Die Tonkunstgelehrten sind über die Zahl ihrer Grundharmonien eben so
uneinig, wie z. B. die Botaniker über die ihrer Klassen, oder die Grammatiker
über unsere Deklinationen. Man disputirt, polemisirt, und zankt sich auch
wohl darüber, wie viele Grundharmonien es gebe; — ein Streit, welcher mir
ungefähr eben so bodenlos vorkommt, wie der, wie viele gener a plantarum es
in der Natur gebe, indess die Natur selbst zuverlässig von all den, vom
Menschenwitz ersonnenen generibus nichts weiss. Hier kann die Frage nicht
sein, wie viel genera es eigentlich gebe, sondern nur: in wie viele sich die
Gattungen am füglichsten ordnen lassen, damit man, unter möglichst wenige
Hauptklassen, möglichst viele Gattungen von möglichst vielen gemeinschaftlichen
Merkmalen bringe. Es sind ja alles nur verschiedene Arten, sich die Sache
vorzustellen. Ich wenigstens will mit Niemand streiten, der von mehreren
Grundharmonien ausgeht als ich, oder von wenigem auszugehen vermag.
A-priorische Demonstration kann wohl hier gar nicht eintreten. Die Aufgabe
ist nur, eine Eintheilung zu finden, welche die möglichste Folgerechtheit der
aufzustellenden Lehre begünstigt. Man verlange daher keinen E/echtfertigungs-
grund von vorn herein, warum ich nun grade sieben Grundharmonien aufi'ühre,
und warum nicht auch einen sogenannten übermässigen, einen hartverminderten,
weichverminderten , oder gar doppeltverminderten Dreiklang u. s. f., — warum
hier nichts von all diesen schönen Sachen? — Einmal schon darum, weil, wie
der Verfolg zeigen wird, meine sieben- Grundharmonien vollkommen hinreichen,
um alle in unserer Musik vorkommenden Tonverbindungen daraus zu erklären,
und es wenigstens besser ist, mit "Wenigem auszulangen, als mit Vielem. Fürs
Andere weil die Zurückführung aller möglichen Harmonien auf diese sieben
Grundharmonien, der Folgerichtigkeit der zu gebenden Theoreme am günstigsten
ist.« (»Versuch einer geordn. Theorie«, I. S. 205.) Hieraus ist wohl ersicht-
lich, dass es Weber nur auf eine Bekanntmachung mit den in der Musik vor-
kommenden Accorden, nicht aber auf eine Erklärung und Begründung derselben
ankommt. Es ist daher auch nur consequent, wenn er in den Fällen, in denen
seine Grundharmonien nicht ausreichen, beliebig andere Eintheilungs- und TJnter-
scheidungsgründe zuzieht. Als Grundharmonien stellt er folgende Accorde auf:
a. Dreiklänge. h. Septimeaaccorde.
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28 Harmoniesystem.
Dass er aber mit diesen Grundhai*monien nicht ausreicht, sieht er selbst
ein. »Es kommen aber in unserer Musik auch häufig Zusammenklänge solcher
Töne vor, welche sich in keiner der oben aufgezählten Grrundharmonien also
beisammen finden, unter welchen sich mithin allemal wenigstens ein Ton be-
findet, welcher nicht zur Grundharmonie gehört, der Harmonie fremd, harmonie-
fremd ist.« (Weber, a. a. 0. I. S. 236.) Viele dieser Fälle lassen sich nun
nicht, wie Weber selbst erkennt, durch Eintreten bioser zufälliger Dissonanzen
erklären. Er nimmt daher des Weiteren noch eine selbständige None an, durch
welche »einer Harmonie gleichsam noch ein Bestandtheil mehr, ohne Weiteres,
beigefügt werden kann« und »die nicht an die Bedingungen von Durchgangs-
und Vorhaltsnoten gebunden, nicht einzig als Nebenton eines zunächst neben
ihr liegenden harmonischen Intervalls, sondern von all diesen unabhängig vor-
kommen kann« (a. a. 0. S. 2.37 und 252). Ferner nimmt er seine Zufluclit
zu der hier wiederholt verurtheilten Tlieorie von der »Umgestaltung einer Har-
monie durch willkürliche (oder zufällige) Erhöhung oder Erniedrigung eines
Intervalls«. Dass Weber mit diesen Mitteln unter Zuziehung von Durch-
gängen, Vorhalten u. dergl. so ziemlich ausreicht, ist klar; eben so klar aber
ist auch, dass hierbei von einer systematischen Behandlungsweise auch nicht
die Spur vorhanden ist.
Was nun der von Weber vertretene Standpunkt (s. S. 27) im Allgemeinen
anlangt, so ist sein Vergleich der Harmonien mit Naturgegenständen — ein
Vergleich, dem man übrigens auch bei anderen Theoretikern wieder begegnet
— vollkommen unzutreffend. Accorde und Tonverbindungen überhaupt sind
eben keine Naturprodukte, sondern entstehen erst durch die Beziehungen, in
welche der menschliche Geist die einzelnen Klänge zu einander versetzt; es
muss dalier eben derselbe Geist wohl die Principien auffinden können, nach
welchen er bei jenen Beziehungen verfährt. Demnach ist eine »a-priorische De-
monstration« hier keineswegs ausgeschlossen, wie Weber und mit ihm auch
S. W. Dehn, E. Fr. Richter und Andere positiv behaupten.
Ein Zeitgenosse G. Weber's, A. Andre, nimmt im Allgemeinen eine ähn-
liche Stellung ein, wie Weber selbst; — auch er unterscheidet lediglich nach
Gesichtspunkten, die ausserhalb der Sache selbst liegen, wird in sich selbst
aber über diese Thatsache nicht ganz so klar, wie G. Weber. Er meint (A.
Andre, »Lehrbuch der Tonsetzkunst«, Offenbach 1832, I. S. 47), den Dreiklung,
Sejjtimen-, Septnonen-, Ilndecimen- und Terzdecimenaccord könne man in ihrer
ursprünglichen Gestalt Stammaccorde nennen. »Indessen«, fährt er fort, »scheint
es, dass nur der ursprüngliche harte Dreiklang diese Auszeichnung mit Recht
verdient.« Weiterhin nimmt er gleichwohl den einen Septimenaccord (c — e — g — V)
als Stammaccord an und giebt folgende TJebersicht. »Sämmtliche Accorde
möchten sich daher in nachstehend bemerkte neun Klassen eintheilen lassen.
1. Stammaccorde: a. der harte Dreiklang als Hauptstammaccord aller übrigen;
h. der erwähnte Septimenaccord als anzunehmender Stammaccord der dissoni-
renden Accorde. 2. Abgeleitete Accorde: a. die zwei Verwecliselungen des
harten Dreiklanges; h. die drei Verwechselungen des erwähnten Septimen-
accordos. 3. Nachgebildete Accorde: a. alle nachgebildeten Dreiklänge {c — es—g,
eis — e—g, c — e—gis u. s. f.) sammt ihren Verwechselungen; h. alle nachgebil-
deten Septimenaccorde (c — es — g — h, e — e—g — h u. s. f.) sammt ihrer Ver-
wechselung. 4. ITneigentliche Stammaccorde: a. der Septnonenaccord mit der
kleinen Septime und grossen None; h. der Undecimenacoord mit der kleinen
Septime, grossen None und reinen Undecime; c. der Terzdecimenaccord mit der
kleinen Septime, grossen None, reinen Undecime und grossen Terzdecime.
5. Retardationsaccorde, welche durch die Zurückhaltung (Retardation) stufen-
weise fortschreitender Intervalle gebildet werden. 6. Präsonanzaccorde, worunter
in gegenwärtigem Lehrbuche diejenigen Retardationsaccorde verstanden werden,
welche dissonirender Natur sind, und ihrer Fasslichkeit wegen frei (ohne Bin-
dung der retardirten Intervalle) eintreten können. 7. Durchgehende Accorde:
Harmoniesystem. 20
a. solche, bei welchen ein einzelner durchgehender Ton eine Veränderung der
Harmonie fühlbar werden lässt; h. solche, bei denen dieses durch zwei und
mehr durchgehende Töne erzeugt wird; c. solche, welche sich beim Orgelpunkte
bilden, 8. Chromatische Accorde, nämlich solche, welche sich durch eine chro-
matische Veränderung dieser oder jener Tonstufe der unter No. 1, 2 und 3
angeführten Accorde bilden, und endlich 9. Enharmonische Accorde, nämlich
solche, welche eine enharmonische (mehrdeutige) Behandlung dieses oder jenes
ihrer Intervalle gestatten und auch erhalten.«
Gegenüber diesem zusammengesetzten Apparate, der gleichwohl noch man-
ches »Scheint mir« und vielfache Inconsequenzen nothwendig macht, muss man
allerdings Weber Recht geben, dass es »besser ist mit Wenigem auszulangen,
als mit Vielem«. Andre bildet nun nach dieser IJebersicht seine Accorde aus
der Dur- und JfbZ^tonleiter. ^Hierbei nimmt er die letztere in auf- und ab-
steigender Form der sogenannten alten oder melodischen JfbWtonleiter als
Grundlage an, muss aber gleichwohl auch noch die »zufällige Erhöhung und
Vertiefung« der Töne zu Hülfe nehmen, um das, was in der Praxis vorkommt,
in sein System zwängen zu können. — Somit ist auch Andre der Versuch
einer systematischen Darstellung der Harmonielehre auch nicht im entferntesten
gelungen. — Einer der namhaftesten späteren Theoretiker, S. W. Dehn, geht
gleich direct von dem Begriffe Tonart aus, den er in folgender Weise definirt.
»Tonart ist der Inbegriff von acht Tönen, deren jeder einzelne zu einem be-
stimmten Ton, Haupt- oder Grundton, in einem einmal als Norm angenommenen
Verhältniss der Entfernung steht.« »Das angedeutete Verhältniss der acht
Töne zeigt sich in der heutigen Tonkunst in zwei verschiedenen Arten, deren
eine wir die Z)Mrtonart, die andere die JfoZZtonart nennen.« (»Theoret. -prak-
tische Harmonielehre« S. 54.) Nach einer Erklärung und Begründung für die
Entstehung gerade dieser Gebilde zu fragen, hält er nicht für nothwendig;
sein Staudpunkt ist also der bei Weber und Andre kritisirte. Neu ist bei
ihm, dass er, wie später auch sein Schüler A. ßeichel (»Harmonielehre mit
besonderer Kücksicht auf das Wesen der Con- und Dissonanzen der Tönarten«,
Dresden 18G2), den einzelnen Stufen der Tonartleitern die Eigenschaften des
Consonirens (Prime, Terz, Quinte, Sexte und Octave) und des Dissonirens
(Secunde, Quarte, Septime und allen chromatischen Tönen) zuerkennt (s. »Con-
sonanzen der Tonart«). Dem entsprechend sind bei ihm auch die Accorde
f—a — c' und g^—h — d' resp. f—as — c' und (j — li — d' in C-dur resp. G-moll
dissonant und bedürfen einer bestimmten Fortschreitung (Auflösung) , — eine
Behauptung, die Dehn vergeblich durch Berufung auf die Praxis zu beweisen
sucht. Ein Fortschritt würde mit Annahme dieser Principien nach keiner Seite
hin angebahnt werden; die consequente Dui-chführung dieses Gedankens würde
im Gegentheil die erlaubten Fortschreitungen in einer Weise beschränken,
welche weder die gute Praxis noch auth die Theorie des letzten Jahrhunderts
als gerechtfertigt erscheinen lässt. Im Uebrigen müssen Dehn und Reichel
ihren eigenen Annahmen an vielen Stellen untreu werden; das tritt besonders
klar zu Tage in den Abschnitten über die Cadenzen, die Trugfortschreitungen
u. dergl.
Was nun die Construction des H.'s selbst betrifft, so weicht A. Reichel,
dessen Harmonielehre in fasslicherer und einfacherer Weise eingestandenermassen
nur die Theorie Dehn's und B. Klein's geben will, von Dehn nur wenig ab.
Ich gebe daher die Uebersicht über dieses System im engsten Anschlüsse an
Dehn wie folgt. »Der Ausdruck Accord bezeichnet in der Musik den gleich-
zeitigen Zusammenklang von zwei oder mehreren generell verschiedeneu Inter-
vallen, denen allen ein und derselbe Ton als Basis, oder als tiefster Ton zum
Grunde liegt« (Dehn, a. a. 0. S. 79 ff.). »Alle in der Musik gebräuchlichen
Accorde, die nach der Anzahl ihrer verschiedenen Töne entweder Dreiklänge,
Vierklänge, Fünf klänge oder Sechsklänge genannt werden, sind entweder
1. leitereigeue , oder 2. leiterfremde Accorde, Leitereigene Accorde sind alle
80 Harmoniesystem.
diejenigen, die aus Tönen bestehen, welche der Tonleiter einer Tonart eigen-
thümlich sind. Leiterfremde Accorde werden hingegen diejenigen genannt, die
aus Tönen verschiedener Tonarten zusammengesetzt sind; sie entstehen meistens
durch Vorhalte, oder Vorausnahmen, oder durch melodisch durchgehende Noten,
also durch Willkür in der praktischen Behandlung einer Folge mehrerer Accorde.
Die leitereigenen Accorde sind entweder a. Ötammaccorde (auch Grrundaccorde
genannt), oder h. solche, die durch Umkehrung der Stammaccorde entstehen
und Umkehrungen genannt werden, oder endlich c. Accorde, die durch Vor-
ausnahmen, Vorhalte oder melodisch durgehende Noten entstehen, Stamm-
accorde sind diejenigen, deren Töne, wenn sie nach der Tonfolge der Tonleiter
geordnet werden, terzenweise über einander liegen.« »Weil die terzenweise
Zusammenfügung der Töne zu einem Accord, und die Umkehrung der Inter-
valle (wenn auch letztere nicht in ihrem ganzen Umfange) in der Natur der
Töne begründet liegen, so können die Stammaccorde und deren Umkehrungen
natürliche oder regelmässige, hingegen alle solche Accorde, die durch willkür-
liche Vorausnahmen u. dergl. entstehen, künstliche oder willkürliche Accorde
genannt werden. Die Stammaccorde und ihre Umkehrungen sind in Bezug
auf die Tonart, zu welcher sie gehören: a. vollkommene oder unvollkommene
Accorde; h. Haupt- oder Nebenaccorde. Vollkommene Accorde sind diejenigen
Dreiklänge, welche nur aus Consonanzen der Tonart bestehen. Unvollkommene
Accorde hingegen alle übrigen Dreiklänge und andere Accorde, welche ent-
weder nur aus Dissonanzen der Tonart oder aus Consonanzen und Dissonanzen
dex'selben zusammengesetzt sind, oder denen doch ein nur aus Dissonanzen der
Tonart bestehender Dreiklang zum Grunde liegt. Die vollkommenen und die
unvollkommenen Accorde sind entweder a. Hauptaccorde oder h. Nebenaccorde.
Hauptaccorde sind solche, denen entweder der vollkommene Dreiklang auf dem
Grundton der Tonart, oder der unvollkommene Dreiklang auf dem Leitton der-
selben zum Grunde liegt. Alle übrigen tonischen Stammaccorde und ihre
Umkehrungen sind Nebenaccorde. Ausser den bezeichneten Stammaccorden und
ihren Umkehrungen sind zu den Hauptaccorden einer Tonart noch diejenigen
Fünf- und Sechsklänge zu rechnen, welchen, wenn sie gleich keine Stammaccorde
sind, der unvollkommene Dreiklang auf dem Leitton der Tonart zum Grunde
liegt {g — h — d'—f — a, g — li — d—f—as, c—g — h — d—f u. s. f,). Alle unvoll-
kommenen Hauptaccorde sind in der Praxis einer bestimmten Behandlung
unterworfen, in Folge welcher sie nothwendig einen anderen Accord nach sich
ziehen. Diese bedingte Folge eines anderen Accordes wird Auflösung ge-
nannt, wenn der dem unvollkommenen Accorde unmittelbar folgende ein voll-
kommener Accord ist, der mit jenem zu einer und derselben Tonart gehört.
Alle unvollkommenen Nebenaccorde werden wie unvollkommene Hauptaccorde
behandelt.«
»Zur systematischen Construction sämmtlicher Hauptaccorde einer Tonart
bedarf es solcher einfachen Accorde, die, selbst Hauptaccorde, allen übrigen
complicirteren zum Grunde liegen und deshalb als Elemente derselben betrachtet
werden können. Der nach Anzahl seiner Töne einfachste Accord ist ein Drei-
klang, der aus zwei generell verschiedenen Intervallen eines beiden gemein-
schaftlichen Basstones besteht. Derjenige Dreiklaug, welcher in den natürlichen
Eigenschaften eines Tones begründet ist, besteht, wenn man die verschiedenen
Töne nach dem musikalischen Alphabet ordnet, aus einem Basston, dessen Terz
und Quinte. Es stellen sich nämlich, abgesehen von noch anderen mitklingenden
Tönen, die zunächst erklingenden Töne einer in hörbare Schwingungen ge-
brachten Saite, wenn man diese z. B. in C stimmt, in folgenden Verhältnissen dar:
Q—c—g — c'-e\
Wenn man von diesem Zusammenklange die verschiedenen Verdoppelungen des
tiefsten Tones weglässt und die übrig bleibenden Töne nach der Folge ordnet,
wie sie in der diatonischen Folge der Töne der Tonart G-dicr vorkommen, so
erhält man folgenden Dreiklang«:
Harmoniesystem. 31
»Diese terzenweise Verbindung mehrerer Töne zu einem Accord ist ein
aus der physikalischen Klanglehre entlehnter Grundsatz, der hinreicht, alle
übrigen Hauptstammaccorde systematisch zu entwickeln.« In dieser Art logischer
Schlüsse (man erinnere sich an die Weber 'sehen Auslassungen auf S. 26) ent-
wickelt nun Dehn aus dem gefundenen Princip der terzenweisen Anordnung
heraus die einzelnen Dreiklänge für Dur und Moll. Dieselben unterscheiden
sich danach, ob ihre Bestandtheile Consonanzen oder Dissonanzen der Tonart
sind. Der Accord der 1. und 6. Stufe besteht in Dior und Moll aus lauter
Consonanzen (c — e — g und a — c' — e resp. c — es—g und as — c' — es'), der Accord
der 7. Stufe dagegen aus lauter Dissonanzen der Tonart (Ji — d'—f); in den
übrigen Dreiklängen sind Consonanzen und Dissonanzen gemischt. »Nachdem
bisher die Verschiedenheit der Dreiklänge gezeigt worden ist«, fährt Dehn
(S. 93) fort, »kommt es nun noch darauf an, zu bestimmen, welche Dreiklänge
und nach welchem Grundsatze diese als Elemente der übrigen zur Tonart ge-
hörenden Hauptaccorde angenommen wei"den können.« Diese Bestimmung trifft
Dehn nun nach folgender Schlussfolgerung: »Mit dem Ausdrucke Element wird
derjenige Dreiklang bezeichnet, der nur aus gleichartigen Stoffen der Tonart,
d. h. entweder nur aus Consonanzen, oder nur aus Dissonanzen derselben be-
steht, und zugleich die Tonart, zu welcher er gehört, entweder unmittelbar
oder mittelbar zu erkennen giebt, also Hauptaccord derselben ist.« Nachdem
er nun gefunden, dass die Dreiklänge der 1. und 6. Stufe nur aus Conso-
nanzen zusammengesetzt sind, der Dreiklang der 7. Stufe dagegen nur aus
Dissonanzen der Tonart besteht, der Dreiklang der 6. Stufe aber die betref-
tende Tonart »weder unmittelbar noch mittelbar zu erkennen giebt«, gelangt er
ohne Weiteres zu folgendem Grundsatze: »Es sind also nur 2 leitereigene Drei-
klänge der Tonart als Elemente aller übrigen Hauptaccorde derselben anzu-
nehmen: I. der Dreiklang auf dem Grundton der Tonart; II. der Dreiklang
auf dem Leitton der Tonart.« Er braucht nun blos oben oder unten in »terzen-
weiser Anordnung« neue Töne »anzufügen«, um ziemlich alle in einer Tonart
gebräuchlichen Dissonanzen zu construiren. Dadurch, dass in den Accorden
g-h-d' -f - a', 1i — ä' —f -a',g-h-d' -f - as' , h-d' -f - as' und d—f- as'
der Ton a resp. as nach Dehn's und ßeichel's Annahme ein consonirender Ton
ist, werden die gezogenen Kreise, wie es scheint, auch nicht im gei'ingsten ge-
stört; auch nicht durch gewisse andere Abweichungen. Solche Dinge sind
eben als »Ausnahmen von der Regel zu betrachten«. Gleichwohl muss Dehn
auch noch von dem beliebten Mittel Gebrauch machen, gewisse Töne einer Har-
monie »zufällig chromatisch zu verändern«; so bei Construction des übermässigen
Sextaccordes (S, 110) und an andern "Stellen. Bei Dehn und Reichel finden
wir also die Schwächen der Auffassung, die Gottfr. Weber so energisch kenn-
zeichnet, in der naivsten Verbindung mit den an Weber's eigener Anschauung
nachgewiesenen Irrthümern.
Nicht viel besser steht es um die Systeme von Marx, G. Schilling und
Logier, obwohl sich die beiden ersten Forscher auf die Wissenschaftlichkeit
und Gründlichkeit derselben gegenüber anderen Versuchen nicht wenig zu
Gute thun. Dr. G. Schilling (»Polyphonomos, oder die Kunst, in 36 Lectionen
sich eine vollständige Kenntniss der musikalischen Harmonie zu erwerben«,
Stuttgart 1842) sagt in der Vorrede über sein System, es sei entstanden aus
dem Bestreben, »ein Mittel aufzufinden, durch welches das ganze grosse weite
Lehrgebäude der musikalischen Harmonie auf die einfachsten, weil natürlichsten
Principien zurückgeführt werden könnte«. Er giebt zu, dass Logier ihm den
ersten Weg gezeigt habe, und dass der aufmerksame Beobachter auch viel
Aehnlichkeit zwischen seiner und Logier's Darstellungswe'ise finden werde.
»Wir haben,« fährt er fort, »ein und denselben Standpunkt, von welchem wir
32 Harmoniesyatem.
ausgehen, der indessen auch vor uns schon von andern Lehrern der musika-
lischen Harmonie betreten und angenommen wurde: allein während Logier,
abgesehen von seiner offenbaren mancherlei Ideen-Confusion, mit allen unseren
Vorgängern die verschiedenen Lehrsätze der Harmonie in dieses eine Grund-
princip, welches ist das des Mitklangs mehrerer Töne in einem, hineinzutragen
sich bemüht, folgere ich dieselben aus demselben heraus, und entwickele so von
der Wurzel an gleichsam, zu welcher die Natur selbst den Samen legte, auch
nur an der Hand der Natur wieder langsam den Baum von Stamm zu Zweig
und von Zweig zu Ast bis endlich zur Krone.« »Insofern meine Anschauung
von dem Wendepunkte der Natur und Kunst selbst aus gleichsam geschieht,
scheint sie mir auch die einzig richtige und jedenfalls untrügliche und klarere
zu sein , weil in der Natur selbst Alles wahr und klar ist und sein muss.«
»So gründet sich der AVerth und Vorzug, den ich diesem meinem Lehrbuche
der musikalischen Harmonie vor jedem andern Werke seiner Art glaube bei-
legen zu dürfen, neben der möglichsten Klarheit und Popularität der Dar-
stellung vorzüglich noch auf die äusserste Einfachheit in der, auf ein rein
akustisches, also Naturgesetz sich basirenden systematischen Zusammenstellung
der Sachen, ohne der möglichst weiten Ausdehnung und grössten Vollständig-
keit der Lehre an und für sich auch nur das Mindeste dabei zu vergeben.«
Sehen wir uns nun, die Popularität der Darstellung und manchen andern
Vorzug nicht bestreitend, jene »Entwickelung aus der Wurzel, zu welcher die
Natur selbst den Samen legte«, an, so können wir dem Selbstlobe des Ver-
fassers durchaus nicht zustimmen; im Gregentheil werden wir unwillküi'lich an
die allerstärksten Ausdrücke und Verurtheilungen Gr. Weber's erinnert werden.
Schilling macht seinen Schülern Mittheilung über die Erscheinung der Aliquot-
oder Partialtöne, »jene allerdings an sich unerklärbare, wundersame, aber nichts
destoweniger richtige und ebenfalls ganz einfache Naturerscheinung«, aus wel-
cher sich einfach und leicht »die ganze lange Reihe, das unermesslich grosse
und vielverzweigte Grebäude der harmonischen Toncombination, wie aus einem
unerschöpflichen Quell, einer geheimnissvollen Zauberurne gleichsam, nach und
nach entwickelt«.
»Seine Schüler müssten«, meint er, »bei Betrachtung dieser Erscheinung
ein wenn auch nur noch dunkles Gefühl erhalten von der ausserordentlichen
Einfachheit des Principien, auf welchen unsere ganze weitschichtige Lehre von
den Accorden etc. beruht, und wie in der That durch die Natur selbst gleichsam
geboten ist, was die stolze Sophisterei bis jetzt für ein Wunderwerk mühseliger
Speculation angesehen wissen wollte und selbst auch ansah.« »Das Erste, was
Ihnen dabei auffallen muss, ist das octaven- und quinten weise Verhältniss der
zunächst in dem Gruudton enthaltenen Töne. Nun ist die Octave aber nichts
anderes als die Wiederholung der Prime in erhöhter Potenz; die Quinte also
der nächst vorherrschende Ton in der harmonischen Ton« oder Klangreihe eines
angenommenen Grundtones, und somit naturrechtlich die Dominante. Der
zweite Ton, welcher ausser der Octave und der mit dieser am meisten conso-
nirenden, weil ihr zunächst liegenden, Quinte zum Vorschein kommt, ist die
Terz: bedürfen Sie eines noch weiteren Grundes, warum der sogenannte Drei-
klang aus Tei'z, Quinte und Octave bestehen muss, und dieser Accord die be-
friedigendste, die consoiiireudste Harmonie bildet?« Es ist wohl überflüssig,
noch die Ableitung des Hauptseptimenaccordes aus dem Blitklange der natür-
lichen Septime, die Ableitung der stufenweisen Fortschreituiig aus dem Mit-
klange des 9. Partialtones u. dergl. mitzutheilen, um die Grundlage des Schil-
ling'schen Systems zu prüfen. — AVas nun die Zuläuglichkeit des Systems
betrifft, so muss auch Schilling wieder seine Zuflucht nehmen zu der Theorie
von der »zufälligen Erhöhung und Erniedrigung« (a. a. 0. S. 388 und ander-
wärts) einzelner Töne eines Accoixles. Wo bleibt da die gerühmte Einheit?
Aehnlich ist es mit dem Marx'scheu H. Auch er glaubt in dem Phänomen
der Partialtöne den Schlüssel zu Allem gefunden zu haben. »Es ist nicht
1
Harmoniesystem. 33
Willkür oder eine zufällige und unaufgeklärte Wahrnehmung unseres Sinnes,«
— lehrt er in seiner »Allgem. Musiklehre« S. 215, — »dass wir unsere Har-
monie eben auf den Terzenbau gründen, sondern es ist wissenschaftlich erwiesen,
welche Töne in den nächsten Verhältnissen zu einander stehen.« »Las st man
nun (bei C, c, g, c% e', g', V) die drei überzähligen Vortöne weg und fasst diese
Toureiheu da zusammen, wo sie am engsten aneinander liegen, so erhält man
einen Terzenbau, und zwar die beiden Hauptaccorde c — e—g und c — e—g — h,
aus denen und nach denen alle übrigen Accorde gebildet werden. Die Ent-
wickelung aus jenem einen, oder (wenn man will) aus diesen zwei Stamm-
accorden ist in folgerechter Vernünftigkeit in der Kunst selber vorhanden.«
Diese wissenschaftliche Begründung entspricht, wie jeder erkennt, ganz der
Art, wie sie Weber schildert und vei'urtheilt ; auffallender indessen sind noch
viele andere Stellen, »Die natürlichste Grundlage für Tonfolgen«, führt Marx
(»Lehrb. der mus. Comp.« S. 22) aus, »ist die Reihe der sieben Tonstufen,
da sie ja die Grundlage unseres ganzen Tonsystems sind.« Zur Begründung
dieses »Grundsatzes« verweist er auf die »Allgem. Musiki.« S. 12; dort findet
sich nun folgendes Einschlagende: »Das Tonsystem enthält also alle in der
Musik zur Anwendung kommenden Töne. Dieser Töne sind über Hundert.
Es würde beschwerlich sein, wollte man für jeden einen besonderen Namen
festsetzen. Man hat also Anlass genommen, alle Töne unter sieben Inbegriffe
zu bringen, die Tonstufen heissen.« »Diese Töne heissen bekanntlich (fährt
die Compositionslehre fort): C D E F G A S und bilden die normale Dur-
tonleiter, oder die Tonleiter von C-dur. So ist also die Z>Mrtonleiter erste
Grundlage für die zu bildenden Tonfolgen.« Die Gründe scheinen Marx hier
einmal doch nicht ganz stichhaltig gewesen zu sein, denn er tröstet uns: »Die
triftigem Gründe dieser Wahl werden sich späterhin (bei der Erörterung der
JfoZZtonleiter und anderwärts) von selbst ergeben.« Sieht man nun zunächst
an der ersten Stelle nach, so findet man folgende Auslassungen: »Die Durion-
leiter haben wir harmonisch gerechtfertigt. Ihr tonischer Dreiklang war ein
grosser Dreiklang, auch Z^wrdreiklang genannt. Auch auf ihrer Ober- und
Unter dominante hatten wir grosse Dreiklänge gefunden, und in den Tönen
dieser drei Dreiklänge {G—e—g, g — h — d' und f—a — c') war die vollständige
Z^wrtonleiter enthalten. Uebrigens haben wir schon unter den Harmonien der
Dwrtonleiter kleine Dreiklänge gefunden. AVir sollten daher annehmen: wie
die DjM'tonleiter auf der Tonika, Ober- und TJnterdominante Z>«wdreiklänge
hat, so müsse die J/öZZtonleiter auf denselben Punkten JfoZZdreiklänge (kleine
Dreiklänge) haben. Allein dann würde die JifoZ/tonart desjenigen Accordes
verlustig gehen, den wir zu Ganzschlüssen und sonst vielfältig für so gut als
unentbehrlich halten müssen.« »Folglich« u. s. w. Eben so unumstösslich ist
der Beweis, dass in: »Huhe — Bewegung — Huhe« sich »das Grundgesetz
aller musikalischen Gestaltung ausspricht« (S. 23).
Um ferner einen zur Tonart gehörigen Dorainantseptimenaccord zu erhalten,
lässt Marx den siebenten Partialton des C-Klanges (&) ganz unberücksichtigt und
bildet einfach aus dem C, 9. und 11. Partialton {g' — d'^—f^) eine zweite »har-
monische Masse«, obgleich er weiss, dass f' gar nicht f' ist, sondern ein Ton
zwischen f^ und fis^ (a. a. 0. S. 57). Denselben Fehler macht er bei dem
Nachweise der Auflösung des Dominantaccordes (S. 89), in welcher Auflösung
er »das Grundgesetz für die ganze Harmonik« erkennt, »zu dem alle ferneren
Gesetze nur Folgerungen und Zusätze sind«. Weiter entwickelt dann Marx
(S. 96) den ilToZMreiklang in folgender Weise: »Vergleichen wir die neuen
(ilfoZMreiklänge) mit den alten (jDi«rdreiklängen): so finden wir zwar, dass sie
ebenfalls Dreiklänge, — aber, dass sie in ihrem Inhalt, in ihren Intervallen
jenen keineswegs ganz gleich sind.« »Allein auch die kleine Terz ist in der
S. 57 gerechtfertigten ersten harmonischen Masse enthalten, und so recht-
fertigen sich auch die neuen (Moll-) Accorde.« Andere (leitereigene wie leiter-
fremde) Accorde entwickelt Marx nun aus den gefundenen, indem er bald Töne
Musikal. Convers.-Lexikou. V. 3
34 Harmonicsystem.
zusetzt (Nonenaccorde u. dergl.), bald Töne weglässt (verminderter Dreiklang),
bald das geistreiche und allerneueste Mittel der »zufälligen Erhöhung und
Vertiefung« anwendet. Neben dieser »Wissenschaftlichkeit« nehmen sich nun
folgende Auslassungen allerdings sonderbar aus: »Gottfr. Weber unter andern
stellt eine Reihe Accorde mechanisch aneinander, wie sie sich zufällig in der
Tonleiter neben einander finden, und muss sich, nun er die natürliche und
wissenschaftliche Grundlage verloren, freilich in hundert einander zweifelhaft
machende abweichende Bedenken und Betraclitungen verlieren, während —
wenn man an dem wesentlichen Hergang der Sache festhält — ein einziger
Grundsatz für die ganze Harmonik genügt« (Allgem. Musiklelire S. 216). —
Jedenfalls muss das uniDartheiische Urtheil hier sehr zu Gunsten G. Weber's
ausfallen. —
J. G. Lobe, dessen »Lehrbuch der musikalischen Composition« (Leipzig,
1866) neben dem von A. B. Marx augenblicklich wolil am verbreitetsten ist,
hat gar nicht die Absicht, ein eigenes H. aufzustellen. »Hinsichtlich des hier
zu Grunde gelegten H.'s ist manches aus früheren Lehrbüchern beibehalten
worden, was Neuere besser erkläi't zu haben glauben. Manches dagegen auch
abweichend von den bisherigen Annahmen behandelt worden. Ich lege, im
Ganzen genommen, auf die eine oder andere Erklärungsweise wenig Gewicht.
Nach allen sind grosse Meister gezogen worden. Auch hat man bis jetzt noch
nicht vermocht, ein vollkommen consequentes System aufzustellen; welches man
wählen möge, Inconsequenzen hat jedes« (a. a. 0., I., S. XIII der Einleit.).
— Auch Fl. Geyer (»Musik. Compositionslehre«, I., 2. Auil. 1874) hat kein
eigenes H. ; er schliesst sich, was er freilich nirgends direkt zugesteht, eng an
A. B. Marx mit seinen beiden »harmonischen Massen« au. — 0. F. Weitzmann
dagegen macht bestimmten Anspruch darauf, ein neues H. aufgestellt zu haben
(»Harmoniesystem«, Leipzig 1860, Kahnt). Nach meiner Ueberzeugung hält
das genannte Wei'kchen gar nicht, was es in seinem Titel verspricht. Nach-
dem auf zwei Seiten die Entstehung und Berechtigung unserer gleichschwe-
benden Temperatur besprochen ist, fährt der Verfasser fort: »Consonanzen
nennen wir diejenigen Zusammenklänge, welche, wenn sie ohne Verbindung
mit anderen Harmonien erscheinen, dem Gehör das Gefühl der Selbstständigkeit
und der Ruhe gewähren, im Gegensatze zu den unselbstständigen Dissonanzen,
welchen das Streben innewohnt, in eine Consonanz überzugehen oder sich in
eine solche aufzulösen. Folgt aber statt der erwarteten Auflösung der Disso-
nanz eine neue Dissonanz, so entsteht eine Trugfortschreitung.« »Der grosse
(Dur-) Dreiklang, und ebenso der kleine (Moll-) Dreiklang, enthält bei Ver-
doppelung seiner Töne in höheren Octavcn alle Consonanzen, und mit den
letztgenannten Accorden, welche auch in der Terzsext- und Quartsextlagc
ihre consonirende Natur noch bewahren, ist das Feld der Consonanzen für
immer abgegrenzt und abgeschlossen. Alle übrigen Zusammenklänge aber hat
das Ohr von jeher als Dissonanzen aufgefasst, und deren Anzahl hat sich bis
auf die heutige Zeit immer mehr und mehr vergrössert. Unsere weitere Auf-
gabe wird es also vorzüglich sein, die Berechtigung der bisher noch nicht er-
klärten Dissonanzen darzuthun und deren natürliche Grenzen festzustellen.«
Besser entspi'icht daher dem Inhalte des Werkcliens sein zweiter Titel:
»Erklärende Erläuterung und musikalisch theoretische Begründung der durch
die neuesten Kunstschöpfungen bewirkten Umgestaltung und Weiterbildung
der Harmonik«, obgleich auch hierin die »theoretische Begründung« vieles zu
wünschen übrig lässt. Dass AVeitzmann ein eigentliches System gar nicht her-
stellen wollte, bestätigt er des Weiteren durch folgende Auslassungen: »Die
bisher betrachteten consonirenden Accorde und deren natürlichste Fortschrei-
tungen gehören der classischen sowohl wie der romantischen Tonkunst, der
Vocal- und der Instrumentalmusik an; unserer Aufgabe gemäss hatten wir
deshalb nicht nöthig, eine ausführliche Begründung der dahin gehörenden Ge-
setze zu geben« (S. 15). Was nun die Beantwortung der weiteren Fragen
Harmoniesystem. 35
selbst betrifift, so weicht "Weitzmann von dem "VVege, den die bis jetzt namhaft
gemachten Systematiker eingeschlagen haben, nicht wesentlich ab. Neu und
anerkennenswerth ist es, wenn Weitzmann die Verwandtschaftsgrade der Ton-
arten nicht allein abhängig gemacht sehen will von der Anzahl der Töne, in
welchen sich die Tonartleitern von einander unterscheiden. »Nicht die äussere
Aehnlichkeit der Stammtöne, sondern die Verbindungen des Hauptaccordes
werden uns also sichere Anhaltpunkte gewähren, gleichzeitig auch die näheren
und entfernteren Verwandten der Tonart zu erforschen« (S. 16). Nicht neu
aber ist die Art und Weise, wie er die Verwandtschaft zwischen Accorden
nachweist als abhängig von der Anzahl der gemeinschaftlichen Töne. Darnach
würden der 0-dur- und der i)-moWdreiklang in ö-dur eine Verwandtschaft gar
nicht haben; sie wären, wie Weitzmann sich ausdrückt, unverbunden. Um in-
dessen eine Verwandtschaft zwischen solchen Accorden nachweisen zu können,
muss die noch weniger neue und dabei unhaltbare Behauptung herhalten:
Accorde sind verwandt, wenn sie in verwandten Tonarten vorkommen. Auf
diese Weise gelangt Weitzmann dann allerdings zu folgender Schlussfolgerung:
»Die neuere Harmonielehre kann demnach mit ßecht den Satz aufstellen : Einem
consonirenden Accorde kann jeder andere consonirende Accord folgen« (S. 19),
Noch auffallender ist die Schlussfolgerung bei der Behandlung der Dissonanzen.
»Das Vorrecht, frei und ungebunden aufzutreten«, sagt Weitzmann S. 35,
»räumte man bisher nur denjenigen Septimenaccorden ein, in denen ein oder
zwei verminderte Dreiklänge enthalten waren, wie in g — h—d—f, li — d—f—a
oder li — d—f—as.v. «Die neuere Tonkunst aber«, fährt er fort, »lässt auch die
schärfste Dissonanz frei auftreten, wenn es durch den Charakter des Tonstückes
bedingt wird, und wenn dieselbe eine regelmässige Auflösung oder Trugfort-
sclireituug nimmt.« Und diese Behauptung glaubt er durch folgende Sätze
begründen zu können: »Denn eine B.ede darf mit einer Frage beginnen, wenn
nur die Antwort darauf erfolgt, und die Mathematik darf den combinirtesten
Lehrsatz aufstellen, wenn sie nur den Beweis zu liefern im Stande ist. Sollte
also ein Tonstück nicht mit einem Septimenaccorde, in welchem die herbsten
Dissonanzen, eine übermässige Quinte und eine grosse Septime, zugleich ent-
halten sind, beginnen können ?« »Ja, sollte die Dissonanz nicht zuweilen, gleich
den so eben aufgestellten Fragen, die Antwort schuldig bleiben können, wenn
dieselbe nur in dem Folgenden verdeckt enthalten ist?« Die Schlussfolgerungen
sind, wie man sieht, in Weitzmann's H. sehr wenig wissenschaftlich und conse-
quent. Ein Verdienst ist dem Werkchen jedoch nicht abzusprechen; es hat
zuerst den Nachweis geführt, dass die alte Lehre der neueren Musik gegenüber
unhaltbar geworden war^ — und um dieses Verdienstes willen hat es auch mit
Recht seiner Zeit Anerkennung gefunden bei allen denen, welche der neueren
Musik ihre Existenzberechtigung zugestehen.*)
Auf anderem Standpunkte gegenüber der neueren Entwickelung der Ton-
kunst steht A. Reissmann (»Lehrbuch der musikalischen Composition«, Berlin
1866, J. Guttentag). Er muss allerdings folgendes zugestehen: »Neben einer
*) Dass ich mit meinem Urtheile über Weitzmann's Harmoniesystem gerade bei
denjenigen am wenigsten Anklang finden werde, welche mir in Beziehung auf die Unzu-
länglichkeit aller anderen Harmoniesysteme wohl am meisten zustimmen, ist mir nicht
unbekannt. Gleichwohl habe ich es nicht unterlassen wollen, gerade das Weitzmann'sche
System ausführlich zu prüfen. Es haben sich selbst namhafte Vertreter der ofriciellen
musikalischen Kritik nicht gescheut, ihnen zusagende Erscheinungen über Gebühr zu
loben und die Schäden derselben zu verdecken, dagegen alles das, was mit ihren vor-
gefassten Meinungen diftcrirt, herunterzuziehen oder todtzuschweigen. Habe ich doch
aus eigener Erfahrung Versuche der letzteren Art in Beziehung auf einzelne officielle Ver-
treter der Kritik an Tageszeitungen und an anderen Blättern 2u constatiren gehabt. Kein
Wunder also, wenn das Publikum ziemlich misstrauisch ist und man leicht in den Verdacht
kommen kann, ähnliche Falschmünzergedanken zu hegen. So ist mir z. B. von keineswegs
böswiUiger Seite her die Vertretung einer Consequenz meines Systems als blosse Parthei-
taktik ausgelegt worden. Einem ähnlichen Verdachte nun musste ich gerade in Beziehung
auf Weitzmann's Harmoniesystem am entschiedensten entgegentreten.
3*
36 Harmoniesystem.
Reihe berühmter und zum Theil vorti'efflicher Lehrbücher der musikalischen
Composition sind (in den letzten Jahrzehnten) sogenannte Kunstwerke ange-
staunt und mit enthusiastischem Beifall begrüsst worden, die all' und jeder
Lehre sich entziehen, allen bisher mit grossem Scharfsinn entwickelten Systemen
und Theorien offenbar Hohn sprechen« (I. S. I). Er erklärt sich aber diese
Thatsaclie hauptsächlich daraus, dass er die Production unserer Tage ohne
Einschränkung für »plan- und ziellos« (S. IV), für »eitles Spiel mit Klang-
effecten« und für »Ungeheuerlichkeiten einer verwilderten Phantasie oder des
intentionenreichen Ungeschicks« (S. VI) halten zu müssen glaubt, wenn er auch
eingesteht, dass die Compositionslehre selbst auch einen Theil der Schuld trage.
Ein von A. Sörgel verfasster und unterschriebener Artikel der »Vossischen
Zeitung« verkündigte kurze Zeit nach dem Erscheinen des genannten AVerkes,
dass der Verfasser ein ganz neues musikalisches Princip aufgefunden habe, das
Priucip des Halbtones. In Beziehung hierauf findet sich nun a. a. 0 S. 3
Folgendes: »Die diatonische Tonleiter zeigt zugleich das Hauptprincip der musi-
kalischen Gestaltung. Wie die künstlerische Form überhaupt, so erfordern auch
die verschiedenen Musikformen, dass die einzelnen Glieder derselben nicht nur
ebenmässig herausgebildet, sondern zugleich aufeinander bezogen werden. Denn
nur in der Gegenwirkung der einzelnen Tlieile aufeinander entsteht die schöne,
die künstlerische Form. Dies Grundprincip finden wir schon in der diatonischen
Tonleiter gestaltend wirksam. Sie bewegt sich in Ganz- und Halbtönen und
ordnet diese so, dass sie selbst in zwei gleichmässig gebildeten Hälften (c — c/—e—y
und g — a — h — c) sich darstellt. Das eigentlich Abschliessende der Gestaltung
der diatonischen Tonleiter bildet der Halbton.« Es ist mir beim besten Willen
nicht möglich gewesen, hierin eine weltbewegende neue Entdeckung zu ent-
decken, Reissmann muss auch schon S. 4 zugestehen, »dass Jahrhunderte
hindurch die Musikpraxis« diesem Principe nicht entsprach, und S. 9 hat er
selbst »sein ursprünglich gestaltendes Princip fast ganz verloren«. Was nun
sein H. selbst betrifft, so schliesst er sich bald an dieses, bald an jenes vor-
handene System an. So finden sich S. 13 (Dominantgesetz), S. 16 (harmo-
nische Massen) und anderwärts Anklänge an Marx; bei der Behandlung der
Begriffe Consonanz und Dissonanz (S. 41) stützt er sich auf Helmholtz; die
Construction und Charakterisirung des Dur- und JfoZZdreiklanges (S. 138) er-
innert an M. Hauptmann u. s. f. Von einem selbstständigen H. ist also nicht
die Rede, denn die Septimen- und Nonenaccorde entwickelt Beissmann wieder
ganz in alter Weise durch »terzeuweise Anordnung« (s. S. 34).
Sehr gross ist die Zahl der Schriftsteller, welche der Harmonielehre
öffentlich nur dadurch näher getreten sind, dass sie sich berufen fühlten zur
Abfassung von »kurzgefassten Harmonielehren«, »kleinen und leichtfasslichen
Harmonielehren«, »leichtfasslichen Harmonie- und Generalbasslehren«, »Hand-
büchern für Schullehrer und Seminaristen« u. dergl. Die grosse Mehrzahl
dieser Schriftsteller ist sich über die eigentliche Aufgabe der Harmonielehre
kaum klar geworden; ja vielen von ihnen ist nicht einmal die Beherrschung
der rein mechanischen lutei'vallenlehre gelungen. Unter allen derartigen Werken
neuerer Zeit — (ältere verschwinden in der Regel mit dem Aufhören der
amtlichen Thätigkeit ihrer Verfasser spurlos) — zeichnet sich vortheilhaft aus:
E. Fr. Richter's »Lehrbuch der Harmonie« (Leipzig, 1. Aufl. l.sr)3, 8. Aufl. 1870).
Der Verfasser steht, wie schon erwähnt, auf einem ähnlichen Standpunkte in
Beziehung auf die H.e wie G. Weber. Ueber seine Ziele spricht er sich in
dem Vorwort wie folgt aus: »Das Buch enthält keine wissenschaftlich -theore-
tische Abhandlung über Harmonik, sondern ist, wenn es sich auch insoweit wie
jede Harmonielehre auf eine feste Grundlage stützt, nur dem praktischen Zwecke
gewidmet, der auf abstrakt-wissenschaftlichem Wege bei jetzt vorhandenen spär-
lichen Mitteln sehr schwer zu erreichen sein dürfte. Man hat zwar von jeher
gern nacli mathematischer Bestimmtheit der musikalischen Regeln gefragt, und
besonders ist die Jugend, die, oppositionell dem Autoritätsglauben gesinnt, gern
Harmoniesystem. 37
Alles so klar haben möchte, dass keiu Zweifel möglich sei;« »und es ist nicht
zu läugnen, dass sich in dieser Beziehung eine Lücke in der musikalischen
Literatur findet, die auszufüllen noch Niemandem vollständig gelungen ist.
Alle Versuche der Art sind bis jetzt nicht im Stande gewesen, ein wirklich
haltbares wissenschaftlich-musikalisches System, nach welchem durch ein Grund-
princip alle Erscheinungen im musikalischen Gebiete als stets nothwendige
Folgerungen sich dargestellt finden , zu schaffen.« Richter zweifelt zwar nicht
wie AVeber an der Möglichkeit eines solchen Systems, ja er weist geradezu auf
das gleichzeitig mit dem seinigen erschienene Hauptmann'sche Werk (»Natur
der Harmonik«) als auf ein solches hin, »welches im Stande sein dürfte, eine
fühlbare Lücke auszufüllen«; aber er verzichtet wie "Weber freiwillig auf eine
systematische Grundlage. Das tritt besonders auch dadurch klar zu Tage, dass
er z. B. auf übermässige Terzen, Septimen und Nonen (S. 3), auf verminderte
Secunden, Sexten und Nonen (S. 4), auf den Septimenaccord der ersten Stufe
in Moll (a — c — e—gis, s. S. 83) u. dergl. verzichtet, ohne auch nur einen
einzigen Grund dafür anzugeben.
Mit E. Fr. Richter darf die Reihe der selbstständigen Forscher auf dem
Gebiete der praktischen Harmonielehre geschlossen werden. Fasst man nun
das Urtheil über die bis jetzt besprochenen Versuche zusammen, so ergiebt
sich folgende Sentenz: Diese lediglich für die Praxis construirten H.e ent-
behren sämmtlich der wissenschaftlichen Consequenz, mögen nun die Verfasser
der genannten Werke diese Consequenz absichtlich vernachlässigen, oder mögen
sie in Folge eigener Unklarheit die wissenschaftliche Schlussfolgeruug durch
Trugschlüsse und Phrasen ersetzen.
Die Zahl derjenigen H.e, die den wissenschaftlichen Boden nicht ohne
Weiteres verlassen, ist bei Weitem kleiner. Der Erste, welcher ein solches
H. aufzustellen suchte, war J. Ph. Rameau (1683 — 1764). Er war überhaupt
der Erste, welcher ein H. construirte. Schon vor ihm war es allerdings ver-
sucht worden. Regeln über die Bildung von mehr als zweistimmigen Zusammen-
klängen aufzustellen, so z. B. durch G. Zarlino (j>Istitutioni liarmoniclie».^ Venedig
1558, 62 und 73), Steffano Vanneo (j>Becanetuvi de Musica aureaa, Rom 1533)
und Andere. Ebenso war die TJmkehrung der Intervalle im Contrapunkte
lange bekannt. Aber ei'st Rameau leitete die Lehren über Verbindung von
Tönen zu Intervallen und Accorden von einem einzigen Grundsatze ab und »wandte
das Wesen der TJmkehrung auf ganze Accorde an, indem er aus wenigen Haupt-
oder Stammaccorden andere ableitete«. »Er fand in der vor seiner Zeit
üblichen Lehre der Harmonie keinen eigentlichen Zusammenhang, mancherlei
willkürliche Annahmen, die sich nicht selten einander widersprachen, und ver-
suchte daher ein allgemeines Princip als Basis des ganzen H.s aufzustellen.«
»Die Grundlage des Rameau'schen Systems, d. h. die terzen weise Verbindung
der Töne zu Accorden und die Umkdirung mancher Accorde, sind in den
später von andern Theoretikern aufgestellten H.en immer wieder aufgenommen
und werden noch beibehalten« (S. W. Dehn, a. a. 0. S. 81 ff.). Die Bedeu-
tung des Rameau'schen H.s ist demnach wohl über jeden Zweifel erhaben.
Er veröffentlichte seine Ideen zuerst 1722 unter dem Titel: r>TraiU de Vhar-
moniev. (Paris, 1722); diesem ersten Werke Hess er noch eine ganze Reihe
anderer Arbeiten folgen. »Dunkelheiten im Ausdrucke«, sagt E. L. Gerber
(»Lexikon der Tonkünstler«, Leipzig 1792), »und ein gewisser Mangel an
Methode, welches zusammen genommen gemacht hat, dass diese Werke vielen
unverständlich geblieben sind; bewog den Herrn d'Alembert, einen kurzen
und fasslichen Auszug von ^llen Sätzen und Regeln dieser sämmtlichen Werke
in seinen yJElemens de musique tJieorique et pratique'i, zu geben: von welchem
Werke uns nachmals Herr Marpurg eine deutsche TJebersetzung geschenkt hat«
(»Herrn d'Alembert's Systematische Einleitung in die musik. Setzkunst nach
den Lehrsätzen des Herrn Rameau«, Leipzig 1757). »Die Franzosen glauben
allgemein«, erzählt J. N. Forkel (»Allgemeine Litteratur der Musik« S. 344),
38 Harmoniesystem.
»D'Alembert habe durch sein AVerk die Theorie der Harmonie des Rameau
erst recht verständlich und l^rauchbar gemacht. Demohngeachtet hat sich ßa-
meau zehn Jahre später sehr über ihn beklagt, und ihn beschuldigt, er habe
ihn blos kritisiren wollen.« Rameau's System wurde von vielen Seiten an-
gefochten, von andern aber vertheidigt. Was nun die Bedeutung dieses Systems
betrifft, so versteht sich wohl von selbst, dass das Urtheil seiner Bearbeiter
ein möglichst günstiges sein muss. Grleichwohl müssen schon diese mancherlei
Schwächen eingestehen. So erklärt d'Alembert in seinem Vorbericht: »Man
erwarte aber nicht, hier alle Regeln der musikalischen Setzkunst zu finden,
insbesondere die Regeln der vielstimmigen Musik, die, weil sie weniger strenge
sind, fürnehmlich durch die Uebung, durch Nachahmung guter Muster, durch
Beyhülfe eines mündlichen Unterrichts, etc. erlernt werden.« Nach Marpurg's
Urtheil sind »die Erfahrungen und Grundsätze, worauf nach dem Herrn Rameau
der Herr d'Alembert sein System erbauet, wider alle vernünftige Einwendungen
noch nicht gesichert«, und es »bleibt das theoretische System des Herrn Rameau
nur so lange das wahrscheinlichste, bis uns jemand ein besseres liefert, und
die praktischen Lehrsätze daraus herleitet.«
Die Grundlage des Rameau'schen Systems bilden folgende Erfahrungen:
1. Jeder Klang (C) enthält unter seinen Partialtönen (s. d.) neben anderen
Tönen auch die Oberoctave seiner Quinte (y) und die zweifache Oberoctave
seiner grossen Terz (e'), und wenn man den Grundton anschlägt, so erklingen
die auf jene Töne gestimmten Saiten mit. 2. Wenn man einen Ton (c')
anschlägt, so werden die Saiten der unteren Octave seiner Unterquinte (F)
und der zweifachen Unteroctave seiner grossen Unterterz (Äsi) theilweise mit
erzittern. 3. »Es ist niemand, der die Aehnlichkeit zwischen einem Tone und
seiner Ober- oder Unteroctave nicht wahrnehmen sollte. Diese beiden Töne
vermischen sich beinahe ganz und gar im Gehöre, wenn man sie zusammen
anschlägt« (a. a. 0. S. 9, 10 und 13). Hieraus entwickelt nun Rameau den
7)Mrdreiklaug c—e—g (eigentlich 0—g — e') iiud den JfbWdreiklang y — as — c'
(eigentlich Asi—J? — c') als die vollkommensten Accorde, von denen der erste
»ein Werk der Natur ist«, während der andere »nicht so unmittelbar und gerade
von der Natur ertheilet ist« (S. 16). »Weil mit dem Tone c die Oberduo-
decime g (eigentlich g') mit erklinget und die Unterduodecime/" (eigentlich Fi)
mit erzittert«, fährt d'Alembert fort, »so können wir einen aus dem Tone c
und seinen beiden Duodecimen bestehenden Gesang formiren, oder welches
vermöge der dritten Erfahrung einerley ist, wir können diesen Gesang aus der
Ober- und Unterquinte des Tones c zusammensetzen. Hieraus entstehet fol-
gender in Quinten fortgehender Gesang /'—c—y, welchen ich den Grundbass
von c in Quintenfolge nenne. Wir werden in der Folge sehen, dass es Grund-
bässe in Terzenfortschreitungen gicbt, welche von den beiden zweifachen Octaven
der grossen Terzen entstehen, von welchen die obere (e^) mit dem Huupttone
erklingt, die untere {Äs\i) aber erzittert« (S. 17). Hieraus nun wird sowohl
die Construction der Tonart, wie die Accordverwandtschaft abgeleitet. Die
Art und Weise jener Begründung ist schon durch die Auslassungen G. AVeber's
(s. S. 25) kritisirt. Ich beschränke mich deshalb hier auf einige Einwen-
dungen , welche das System selbst betreffen. Zunächst ist es inconsequent,
dass Rameau die Dur- und ü/bZZtonartleiter aus folgenden Grundbässen ent-
C-Dur: c, g, c, /, c, g, d, g, c.
A-Moll : e, "a, e, a, d, a, d.
Hiermit geht die Einheit des Tonartwesens gänzlich verloren; ausserdem
müssen in der (7-(7z«'tonartleiter zwei verschiedene a angenommen werden, —
und ähnlich ist es in 3foll (s. Tonart). Ferner sollen nach der Theorie
vom Grundbasse Harmoniefolgen wie die bei a, die doch sehr häufig auftreten,
nicht gestattet sein. Hiergegen macht übrigens schon Marpurg seine Be-
denken geltend.
Harmoniesystem. 39
a.
-4
-5}-
-ö-
I I
-C^ e^-
-3
Nocli bedenklicher wird aber das Rameau'sche Princip bei Construction
der Dissonanzen. An die Thatsache, dass der Grundbass c.cj in G-dur und
in G-dur, der Grundbass c\f in G-dur und in ^-dur möglieb ist, werden fol-
gende Sclilussfolgerungen angeknüpft: »Wenn man also von c z\x f oder g in
einem Grundbasse fortgeht, so weiss man noch nicht bis dahin, in was für
einem Tone man ist. Es wäre gleichwohl ein Vortheil, solches zu wissen, und
ein gewisses Mittel den Stammton von seinen Quinten unterscheiden zu können.
Man wird zu diesem Yortheile gelangen, wenn man die Töne g und f in einer
Harmonie zusammenbringet, das ist, wenn man zu der Harmonie von der
Quinte g, nämlich zu g — Ji — d die zweite Quinte/ auf diese Weise hinzuthut
q — h — d—f.«. »Lasst uns itzo sehen, was wir zu der Harmonie von der Unter-
quinte des Stammtones, nämlich zw f—a — c hinzufügen werden, um solche von
der Harmonie des Stammtones zu unterscheiden. Man sollte anfänglich glauben,
dass man die zweite Quinte, nämlich g derselben zusetzen müsste.« »Aber diese
Einführung des g in den Accord /— a — c würde zwo Secunden hinter einander
verursachen, nämlich/-—^ und g — a, und die Vereinigung dieser Dissonanzen
würde dem Gehöre zu viuangenehm seyn; eine Ungleichheit, die man vermeiden
muss« (S. 46). »Wir werden aus dieser Ursache, anstatt des g, die Quinte
davon, nämlich d nehmen, welches der Ton ist, der am meisten damit überein-
stimmet, uud wir bekommen alsdann den Accord f—a — c — d zur Harmonie
für /.« Dass diese Schlussfolgerungen ziemlich bedenklich sind, wird man ein-
sehen; wenigstens ist das Princip, dass die Accorde als von der Natur gegebene
Zusammenklänge zu betrachten sind, hier vollständig aufgegeben. Noch in-
consequenter ist die Entwickelung eines Accordes, »welchem die vorhergehenden
Regeln den Eingang in die Harmonie bald zu versagen scheinen«, nämlich des
Septimenaccordes c — e—g — h. »Wenn man dem Accorde c — e—g eine Sep-
time hinzusetzen will, um c in eine Dominante zu verändern: so kann man
vorher gelehrtermassen nichts anderes als h hinzufügen, und in diesem Falle
würde der Accord von der tonischen Dominante in dem Tone ,/ sein c — e—g — h,
sowie die Töne g — li — d—f den Accord von der tonischen Dominante in dem
Tone c ausmachen. Wenn man aber den Eindruck des Tones c in der Har-
monie erhalten will, so verändert man dieses h alsdann in h, und folglich den
Accord c — e—g — h in c — e—g — ha (S. 54). Hier hat man die famose Theorie
von der zufälligen Erhöhung und Vertiefung der Töne einer Harmonie in nuce.
Der Hauptfehler des Systems beruht > aber in seiner Unzulänglichkeit gegen-
über der Praxis schon der damaligen Zeit; diese Unzulänglichkeit ist bei-eits
erwähnt worden, aber sie wird auch durch die Annahme von »Freiheiten, deren
man sich selten bedienen muss« (S. 100), direkt zugegeben. Gleichwohl ist
das, was Rameau ohne jegliche Vorarbeit erreicht hat, eine bewundernswerthe
Leistung, und es wird sich zeigen, dass seine Auffassungen noch in neuester
Zeit mit nur sehr geringen Abweichungen wiederkehren.
»Während gleichzeitig mit Marpurg und Kirnberger, sowohl in Frankreich
als in Deutschland manche andere Harmonielehren erschienen, denen, wie auch
noch den neueren und neuesten, die Eameau'schen Principien bald mehr, bald
weniger zum Grunde liegen, stellte in Italien der als Violinspieler berühmte
Giuseppe Tartini, geb. zu Pirano 1692, gest. 1770 in Padua, ein System der
Harmonie auf, welchem er aber nicht nur die von Rameau als natürliche Grund-
lage der Harmonie angenommene Sympathie der Töne, sondern noch ein musi-
kalisches Phänomen zum Grunde legte, welches er zuerst entdeckt haben will«
(Dehn, a. a. 0. S. 83). Es war dieses die Entstehung der sogenannten
40
Harmoniesystem.
Differenztöne (s, d. und Akustik) ersten Grades. Von Tartini werden
für die verschiedenen Intervalle folgende als Viertelnoten notirte DifFerenztöne
angegeben, die aber zum Theil nicht die richtige Höhe haben (vgl. Helmholtz,
»Tonempfindungen«, S. 228 ff.).
(
I
f) , grosse kleine sjrosser Ideiner s^rosser kleiner grosse kleine p. • ,
Vjuarte, ^^^.^^ ^^^^^ Ganzton, Ganzton, Halbton, Halbton, Sexte, Sexte, '''Jui^te.
r r
-öös=:
nrc^:
~^^^
^^
ii^l
t:=:^1;
^m^
Tartini veröflfentlichte und vertheidigte sein System durch folgende Werke:
■nTrattato di Musica, secondo la vera scienza dclV armoniaa. (Padua, 1754), »i)e
Principii delV Ärmonia musicale, contenuta ncl diatonico Geilere, Dlasertazione«
(Padua, 1767) und -»^Hisposta alla CriUca del di lui Trattato di Musica di 21.
Serre di Ginevraa (Venedig, 1767). Ein Auszug der Haujitsätze dieses H.'s
findet sich im zweiten Jahrgange von J, A. Hiller, »"Wöchentliche Nachrichten
und Anmerkungen die Musik betreffend« (Leipzig, 1767). Die Urtheile über
dieses System sind meist wenig günstig. Bei Gerber (»Lexic. der Tonk,«,
Leipzig, 1792) heisst es (IL S. 622) über Tartini: »Auch als Theoretiker hat
er seinen AVerth, welcher sich auf seine grossen Kenntnisse und Erfahrungen
in der Kunst gründet, Dass er seine Sätze in so mancherley mathematische
und algebraische Dunkelheiten eingehüllt hat, soll nach dem P. Colombo daher
kommen, weil er ein schlechter Rechenmeister und noch schlechterer Mathe-
matiker war, und sich deswegen bei seinen musikalischen Rechnungen eine ganz
eigene Verfahrungsart ausgedacht hatte, die ihm durch die TJebung eben so
leicht geworden war, als sie andern unverständlich blieb. Auch konnten viel-
leicht neue und unbekannte Ideen nicht auf gewöhnliche Weise dargestellt
werden. Burney erklärt sich hierüber mit dem Socrates also: „Was ich ver-
stehe, ist vortrefflich, und deswegen bin ich geneigt zu glauben , dass das, was
ich nicht verstehe, ebenfalls vortrefflich ist."« Forkel (»Allgem. Litteratur der
Mus.«, S. 346) meint: »In Italien ist es fast ausschliessend bewundert worden,
in Frankreich nur zum Theil, und in Deutschland fast gar nicht.« Dehn
(a. a. 0. S. 85) sagt: »Der Vorwurf (sich allzuweit mit der mathematischen
Klanglehre oder speculativen Theorie eingelassen zu haben) trifi't ganz beson-
ders Tartini's H,, welches durch ganz eigenthümlichc Rechnungsarten und durch
allerlei mystische Beziehungen der Accorde, an vielen Stellen ganz und gar
unverständlich bleibt. Aus diesem Grunde hat es auch keine Aufnahme ge-
funden, weder in Deutschland und Frankreich, noch in Italien, wenn es gleich
nach seiner Erscheinung die Federn der gelehrtesten Theoretiker beschäftigte.«
A. V. Dommer (»Handb. der Musikgesch.«, Leipzig 1868, S, 458) urtheilt über
das Bestreben Tartini's, das Entstehen der Differenztöne zur Systemconstruction
zu verwerthen, wie folgt: »Doch ist diese Erscheinung für den betreffenden
Zweck ungeeignet, es kam nichts dabei heraus, Tartini war auch ein besserer
Musiker als Rechenmeister.« Eine eingehende Beurtheilung des Tartini'schen
H.'s findet sich bei J. A. Scheibe, »lieber die musikalische Composition.«
Erster Theil (Leipzig, 177.3). Scheibe's Endurtheil ist (S. 579) folgendes:
»Aus der Nachricht, die der Pat. Colombo dem Herrn Burney, den Tartini
betreffend, ertheilet, sollte man fast auf den Gedanken kommen, dass Tartini
entweder wenig oder nichts von der Theorie gewusst, und sich also nur das
Ansehen gegeben, etwas zu wissen, auch sich diesfalls zur Ausführung seines
Traktats der Feder des P. Colombo bedienet hat, oder dass er, weil der Letztere
bekennet, Tartini habe nicht einmal die gemeine Rechenkunst verstanden, seine
Harmoniesystem. 41
wahre Meynung von der Zahlentheorie mit gutem Vorbedacht in ein mathe-
matisches Gewebe verhüllt, damit er sich in keine Streitigkeiten verwickeln,
und sich den Ruhm eines grossen Theoretikers auch nach seinem Tode er-
halten mögte.«
Dieselben Principien nun, von welchen Rameau und Tartini ausgingen,
verwendet noch die heutige Naturwissenschaft zur Erklärung der Gesetze der
Harmonie. Von allen hierher gehörigen H.en sind heute nur noch allgemein
anerkannt das von H. Helmholtz, niedergelegt in dessen »Lehre von den Ton-
empfindungen« (3. Aufl., Braunschweig 1870), und allenfalls noch das v. Oet-
tingen'sche (»Harmoniesystem in dualer Entwickelung«, Dorpat und Leipzig
1866), welches letztere nur eine Erweiterung und consequentere Durchführung
des Helmholtz'schen Systems sein will. So weit es sich um die Erklärung
des Con- und Dissonirens handelt, habe ich mich über die Grundprincipien
beider Systeme schon in dem betreffenden Artikel ausgesprochen. Hier handelt
es sich nur um die Beurtheilung der Principien, so weit sie zur Herstellung
eines H.'s verwerthet werden, und um die Betrachtung dieses H.'s selbst. Hin-
sichtlich seiner Stellung gegenüber den Versuchen Eameau's und Tartini's
äussert sich Helmholtz (a. a. 0. S. 352) wie folgt: »In der Mitte des vorigen
Jahrhunderts, wo man unter den Uebeln eines verkünstelten gesellschaftlichen
Zustandes schwer zu leiden anfing, mochte es genügen, eine Sache als natürlich
darzustellen, um dadurch auch zu beweisen, dass sie schön und wünschenswerth
sei, und auch gegenwärtig werden wir nicht läugnen wollen, dass bei der grossen
Vollendung und Zweckmässigkeit sämmtlicher organischer Einrichtungen des
menschlichen Körpers der Nachweis solcher in der Natur gegebenen Verhält-
nisse, wie sie Bameau zwischen den Tönen des Dwraccordes aufgefunden hatte,
alle Beachtung verdient, wenigstens als Anhaltspunkt für die weitere Forschung.
Und in der That hatte auch Bameau, wie wir jetzt übersehen können, voll-
kommen richtig vermuthet, dass von dieser Thatsache aus die Lehre von der
Harmonie zu begründen sei. Aber abgemacht war es damit freilich nicht.
Denn in der Natur kommt Schönes und Hässliches, Heilsames und Schädliches
vor. Der blose Nachweis, dass etwas natürlich sei, genügt also noch nicht, es
ästhetisch zu rechtfertigen. Ausserdem hätte Eameau bei geschlagenen Stäben,
Glocken, Membranen , angeblasenen Hohlräumen noch mancherlei andere ganz
dissonente Accorde hören können, als bei den Saiten- und übrigen Musik-
instrumenten. Solche Accorde würde man doch auch für natürlich erklären
müssen. Zweitens ist auch die Aehnlichkeit der Octave mit ihrem Grundton,
auf welche Rameau sich stützt, ein musikalisches Phänomen, welches eben so
gut der Erklärung bedarf, wie das Phänomen der Consonanz.«
Diese Einwürfe sind sehr beachtenswerth und richtig. Sonderbar ist nur,
dass Helmholtz selbst gleichwohl das Vorkommen der harmonischen Obertöne
in den Klängen der Saiten zur Grundlage für die Beurtheilung der Consonanz
und Dissonanz, ja für die Tonverv^andtschaft und damit für sein ganzes System
macht. Dadurch müsste ja die "Wirkung eines und desselben Zusammenklanges
und die Verwandtschaft zwischen Klängen eine wesentlich andere werden je
nach der Zahl und Art der Obertöne, die in dem Klange des verwendeten In-
struments enthalten sind, und nach dem Tonsysteme, nach welchem das be-
treffende Instrument abgestimmt ist, — und dem widerspricht doch die Erfah-
rung geradezu. Das letztere will Helmholtz freilich nicht zugeben, obwohl er
z. B. in Beziehung auf den übermässigen Dreiklang (S. 324) folgendes zu-
gestehen muss: »Auf dem Claviere sieht es so aus, als wenn dieser Accord,
den man für den Zweck der praktischen Ausführung nach Belieben C—E—jis
oder G— JS— Gis schreiben könnte, consonant sein müsste, denn jeder Ton des-
selben bildet mit jedem andern ein Intervall, welches auf dem Claviere als
consonant betrachtet wird, und doch ist dieser Accord eine der herbsten Disso-
nanzen, worüber alle Musiker einig sind, und wovon man sich jeden Augen-
blick überzeugen kann.« Zur Erklärung dieser Erscheinung sollen dann
42
Harmoniesystem.
folgende Auslassungen dienen: »Auf einem nach reinen Intei'vallen gestimmten
Instrumente giebt sich freilich gleich das Intervall E — Äs als entschieden
dissonant zu erkennen. Es ist dieser Accord ein hübsches Beispiel dafür, wie
doch auch selbst in der ungenauen Stimmung des Claviers der ursprüngliche
Sinn der Intervalle sich geltend macht, und das Urtheil des Ohres bestimmt.«
Es ist jedenfalls nicht ganz klar, wie Helmholtz hiermit eine Erklärung und
Begründung gegeben zu haben vermeint, um so mehr, als diese Erklärung
vorkommt in einem Gebiete, wo nach Helmholtz's eigener Auslassung (S. 357)
»mechanische Nothwendigkeit herrscht und alle Willkür ausgeschlossen ist, wo
man also auch von der "Wissenschaft verlangen kann, dass sie feste Gesetze der
Eisch einungen aufstelle, und einen strengen Zusammenhang zwischen Ursache
und Wirkung streng nachweise.« Wie stimmt jenes »hübsche Beispiel« zum
folgenden das Gegen theil beweisenden Schritte?
(Rieh. Wagner.)
Uebrigens weiss Helmholtz recht gut, dass zur Erklärung und Begründung
musikalischer Regeln die i-ein physikalisch -physiologischen Betrachtungen nicht
ausreichen; er hätte es nur auch in Beziehung auf den Unterschied zwischen
Consonanz und Dissonanz und auf die Ton- und Accordverwandtschaft noch
mehr betonen sollen, dass auch hier psychologische Motive viel vorherrschender
sind als die blosen physischen und physiologischen Gründe. Zur Erklärung
des verschiedenen physischen Charakters der verschiedenen coiisonirenden und
dissonirendeu Zusammenklänge reicht ja die Helmholtz'sche Theorie von der
AVirkung der Schwebungen und der Combiuationstöne allerdings aus, nicht aber
auch zur Aufklärung über die verschiedenartige Wirkung jener Zusammen-
klänge überhaupt, wie es nach Helmholtz's Auslassungen scheinen könnte. Iij
Beziehung auf diese andere Stellung der Sache gegenüber, sobald das eigentlich
musikalische Gebiet betreten ist, finden sich bei Helmholtz (S. o58) folgende
Erklärungen: »Indem wir in dieser dritten Abtheilung unsere Untersuchungen
hauptsächlich der Musik zuwenden, und zur Begründung der elementaren Re-
geln der musikalischen Composition übergehen wollen, betreten wir einen andern
Boden, der nicht mehr rein naturwissenschaftlich ist, wenn auch die von uns
gewonnene Einsicht in das AVesen des Hörens hier noch mannigfache Anwen-
dung finden wird. AVir schreiten hier zu einer Aufgabe, die ihrem Wesen nach
in das Gebiet der Aesthetik gehört. Wenn wir bisher in der Lehre von den
Consonanzen von Angenehm und Unangenehm gesprochen haben, so handelte
es sich nur um den unmittelbaren sinnlichen Eindruck des isolirten Zusammen-
hanges auf das Ohr, ohne alle Rücksicht auf künstlerische Gegensätze und
Ausdrucksmittel, nur um sinnliches Wohlgefallen, nicht um ästhetische Schön-
heit. Beide sind streng zu trennen, wenn auch das erstere ein wichtiges Mittel
ist, um die Zwecke der letzteren zu erreichen. Die geänderte Natur der fortan
zu behandelnden Gegenstände verräth sich schon durch ein ganz äusserliches
Kennzeichen, nämlich dadurch, dass wir fast bei jedem einzelnen derselben auf
historische und nationale Geschraacksvcrschiedenheiten stossen.« Das Folgende
aber zeigt dann, daf>s Helmholtz den Boden der Naturwissenschaft doch nicht
genügend aufzugeben AVillens ist. Nachdem er constatirt hat, dass nur die
Thatsache, ob ein Zusammenklang mehr oder weniger rauh ist als ein anderer,
Harmoniesystem. 43
von der anatomischen Structur des Ohres abhängt, fährt er fort: »Wie viel
Rauhigkeit aber der Hörer als Mittel musikalischen Ausdrucks zu ertra^-en
geneigt ist, hängt von Geschmack und Grewöhnung ab.« Also nur der Grad
der Con- oder Dissonanz ist von psychologischen Motiven abhängig, und nur
in sofern ist die Grenze zwischen Consonanzen und Dissonanzen als veränderlich
anzunehmen und konnten die »Tonleitern, Tonarten und deren Modulationen
einen mannigfachen "Wechsel« durchmachen; zur Erklärung der Sache selbst
genügen die physikalisch-physiologischen Bedingungen,
Helmholtz entwickelt nun ganz consequent erst die melodische Verwandt-
schaft zwischen Klängen. Nachdem er an analogen Fällen aus andern Gebieten
der sinnlichen "Wahrnehmung nachgewiesen hat, dass wegen des Messens der
Aenderung in der Tonhöhe kein continuirlicher TJ ebergang, sondern nur stufen-
weiser Fortschritt in der Melodie stattfinden kann, fährt er (S. 391) fort:
»Fragen wir nun , welcher Grund kann da sein , wenn wir von einem gewissen
Anfaugstone ausgehen, den Schritt nach irgend einem bestimmten anderen
Tone zu bevorzugen vor den Schritten nach seinen Nachbartönen? Wir erin-
nern uns dabei, dass schon beim Zusammenklang je zweier Töne ein solches
Verhältniss von uns bemerkt worden ist. Es ei'gab sich dort, dass gewisse
besondere Tonintervalle, nämlich die Consonanzen, sich im Zusammenklange
vor allen von ihnen auch nur wenig verschiedenen Intervallen durch den Mangel
der Schwebungen auszeichneten. Einige dieser Intervalle, die Octave, die
Quinte und Quarte, finden wir nun in allen bekannten Tonleitern \vieder.«
Nachdem er nun die Ansicht der neueren Theoretiker, dass die Tonleiter ent-
standen sei durch Auflösung der Grundaccorde der Tonart, widerlegt hat, fährt
er fort: »Die angeführte Ansicht und Hypothese der Musiker kann in etwas
abgeänderter Fassung einen Sinn erhalten, wenn wir nämlich annehmen, dass
dieselben physikalischen und physiologischen Beziehungen der Klänge, welche
sich bei den Zusammenklängen geltend machen (das Zusammenfallen der Par-
tial- und Differenztöne), und die Grösse der consonanten Intervalle bestimmen,
auch in der Construction der Tonleiter, wenn auch unter abgeänderten Be-
dingungen, wirksam sein können.«
Helmholtz entwickelt dann daraus, dass man in der reinen Octave und
Duodecime einen Theil der Partialtöne des Grundklanges höre, und aus dem
Zusammenfallen von Partialtönen beim Erklingen der reinen Octave und Quinte,
diese Intervalle als die nächsterkeunbaren Beziehungen von Klängen. Ganz
ähnlich ist es mit der TJmkehrung der Quinte, der reinen Quarte. Auch bei
der grossen Terz und deren Umkehrung, der kleinen Sexte, fallen Obertöne
zusammen. »Indessen je schwächer die übereinstimmenden Obertöne werden,
desto schwerer wird es natürlich, die dadurch gegebene Beziehung der Töne
zu empfinden, besonders weil diese Ueberein Stimmung beim gewöhnlichen unbe-
fangenen Hören zwar empfunden werden kann, aber nicht als solche zur be-
wussten Wahrnehmung kommt.« — Möglich ist es, dass die Verwandtschaft
zwischen den Tönen der genannten Intervalle hiermit wii'klich ihrem Wesen
nach begründet und erklärt ist; indessen macheu sich doch noch verschiedene
Bedenken hiergegen geltend. In unserer temperirten Stimmung fallen die be-
treffenden Obertöne bei Quinten und Terzen keineswegs genau zusammen, —
und noch weniger gilt dieses bei etwaiger unreiner Ausführung von Musik-
stücken, — und gleichwohl wird auch hier die Verwandtschaft erkannt. Und
selbst bei Stimmung in richtigen Quinten und Terzen würde dieses Princip
für Erklärung der Verwandtschaft der natürlichen Septimen und Nonen , die
Helmholtz bei Construction des Dominantseptimenaccordes und des hieraus ent-
standenen Nonenaccordes mit verwerthet, aus denselben Gründen unzureichend
sein. Zudem würden ja selbst bei psychologischer Erklärung, nach welcher die
Verwandtschaft durch die Erkenntniss der einfachsten Schwingungsverhältnisse
entsteht, die Obertöne zusammenfallen, nur weil sie durch einfachste Theilung
des klingenden Körpers entstehen, — also rein zufällig. Die Thatsache, dass die
44
Hiirraouiesystem.
Verwandtschaft zwischen den Tönen jener Intei'valle ara leichtesten erkennbar
ist, kann aber nicht bestritten werden; es mag daher die Helmholtz'sche Er-
kiärungsweise, die trotz der Einwendungen manches für sich hat, so lange
Geltung haben, bis uns Physiologie oder Psychologie — denn einer oder beiden
"Wissenschaften fällt die Aufgabe bestimmt zu — eine stichhaltigere zu bieten
im Stande sind. Helmholtz geht aber noch weiter. Die nach seinem Principe
schwerer erkennbare Verwandtschaft bei Terzen und Sexten vei-anlasst ihn zu
behaupten, »dass die Verwandtschaft der Octave, der Quinte und auch wohl die
der Quarte zu ihrem Grundtone im melodischen Fortschritte von allen musi-
cirenden Völkern leicht und sicher bemerkt wurde, die Verwandtschaft der
Terzen und Sexten aber viel schwerer, und dass die letzteren Intervalle zu
sicherer und bestimmter Anerkennung erst durch die harmonische Musik ge-
langten« (S. 396). Er benutzt daher zur Construction der alten Tonleitern
nur Octave, Quinte und Quarte, oder eigentlich nur Octave und Quinte. Haupt-
veranlassung hierzu sind ihm allerdings historische Gründe, nämlich die theo-
retische Construction der Tonsysteme mit fünf Stufen in der Octave, und ferner
die Thatsache, dass die Verwandtschaft der in den Melodien verwertheten Töne,
sobald man dieselben in Leiterform bringt, auf diese Weise ziemlich einfach
nachzuweisen ist. Das erste widerlegt sich durch die eben so sichere Thatsache,
dass die Theoretiker bei Systemconstruction die Terzen auch bis in die neueste
Zeit hinein unbeachtet gelassen haben. In Beziehung auf das zweite muss
erinnert werden, dass die Verwandtschaft zwischen den Tönen einer Melodie
von etwas ganz anderem abhängt, als von den in ihr vorkommenden Tönen
und davon, welcher dieser Töne zufällig die Grenze nach unten bestimmt. Die
Verwandtschaft der Töne einer Melodie ist oft eine ganz andere, als die Ver-
wandtschaft der Töne derjenigen Tonleiter, auf welcher die Melodie zufällig
beruht. Die Verschiedenheiten der folgenden Liedanfänge, denen allen die Leiter
d—f—g — a — h — d' oder nach Helmholtz's Construction die des Tonsystems
h—f—g — d—a zu Grunde liegt, werden dieses ohne weiteres beweisen.
-,^=v-
fe£
^-
=t=:4:
:|t
In Beziehung auf die griechische Musik ist es also sehr misslich, Schlüsse
zu ziehen, da von ihr fast nur die Construction der Leitern bekannt ist. Was
aber die Musik anderer alter Völker betrifft, so sprechen die von Helmholtz
mitgetheilten Beispiele keineswegs für seine Behauptung, dass z. B. bei dem
Schritte einer grossen Terz die Quintverwandtschaft vierten Grades der näheren
Terzverwandtschaft vorzuziehen sei. TJeberhaupt fasst Helmholtz den Begriff
»Tonai't« oder »Tongeschlecht« nach meiner TJeberzeugung zu allgemein. Von
einer solchen Einheit kann doch nur die Rede sein, wenn sich die Gesammtheit
der Töne auf eine bestimmte Einheit bezieht, sei diese Einheit nun nur ein
einziger Ton, oder seien es zwei oder mehr einheitlich verwandte Töne, d. h.
also die Töne einer Octave, einer Quinte oder einer Terz resp. eines conso-
nirenden Accordes. Im letzteren Falle entsteht nach meiner Auffassung unsere
heutige Tonart, während bei den alten Tonarten sich alle Töne entweder nur
H ar moniesystem .
45
auf einen Ton, oder doch nur auf zwei einheitlich verwandte Töne zu beziehen
brauchten. Wollte man alle möglichen Beziehungen, in denen die Töne einer
diatonischen Leiter verbunden werden können, als Tonarten auffassen, so müsste
man unzählige Tongeschlechter annehmen; denn noch heute treten die Töne
einer Leiter alle Augenblicke in Verhilltnissen auf, die ein Verlassen derjenigen
Tonart bedingen, in deren Leiter sich die Melodien bewegen. Nach meiner
Annahme giebt es nur die alten, nach unserer heutigen Anschauung unvoll-
kommenen Tonarten und unser Dur und Moll. Die ersteren ordnen sich,
sobald sie wirklich nur eine Tonart darstellen, bald unserem Dur, bald unserem
Moll unter. Alle Tonfolgen, bei denen dieses nicht der Fall ist, also auch
Melodien, bei denen die Verwandtschaft von mehr als drei Quintenschritten
abhängig ist, sind keine Tonarten, sondern Tonartverbindungen, deren Zahl
eben unbegrenzt ist und die von Helmholtz entwickelte Anzahl von Touge-
schlechtern bei weitem übersteigt. Dass wir übrigens unvollständige Tonarten
noch heute haben, mögen die folgenden Melodien beweisen, während Tonart-
verbindungen, wie sie sich in verschiedenen sogenannten alten Tonar-ten finden,
in den vorher gegebenen Beispielen aufgetreten sind. Den beiden folgenden
Melodien liegen die Leitern
c — d—e—g — h — c resp. c — d—es—f—g—li — c
zu Grunde, und die auftretenden Töne sind die nächsten Verwandten von g
resp. von c und g.
(C-dur.)
3^=^i=i|=3^iyEiE3Eg
[^
^
ZiZZZ4-
^s,f=i
m
w
-^^-
^^^^^^i
Somit ist es nicht noth wendig, den alten Völkern andere Grundprincipien
in Beziehung auf Erkenntniss der Tonverwandtschaft zuzuschreiben als uns.
Der Helmholtz'sche Grundsatz auf S. 358 seines Werkes über die Tonverwandt-
schaft bedarf also einer Abänderung. Er lautet: »Das System der Tonleitern,
der Tonarten und deren Harmoniegewebe beruht nicht auf unveränderlichen
Naturgesetzen, sondern ist die Consequenz ästhetischer Principien, die mit fort-
schreitender Entwickelung der Menschheit einem Wechsel unterworfen gewesen
sind und ferner noch sein werden.« Nach, meiner Auffassung würde dafür zu
setzen sein: »Die Erkenntniss der Tonverwandtschaft beruht auf unabänderlichen
Naturgesetzen. Die Bedingungen aber, unter denen diese Gesetze in den ein-
zelnen Fällen wirken, sind abhängig nicht blos von ästhetischen, sondern oft
auch von rein mechanischen Principien, die einer Veränderung unterworfen
waren und sein werden.« Die Frage, ob wirklich auch rein mechanische Be-
dingungen verändernd einwirken können, wird bejaht durch Anführung der
Thatsache, dass die Modulation zur Blüthezeit des Contrapunktes wesentlich
beeinflusst wurde: 1. von den als Dogmen gültigen Eegeln des strengen Satzes,
2. von den damals herrschenden Ansichten über die Kirchentöne, 3. von der
Einrichtung des damals gebräuchlichen (unvollständigen reinen Quinten-)
Tonsystems:
es — h^f—c — g—d—a—e — li—fis — cis—gis.
In Beziehung auf die melodische Tonverwandtschaft erscheint also das
Helmholtz'sche H. — abgesehen von seiner Unzulänglichkeit — als nicht con-
46 Harmoniesystem,
sequent genug. Die consouirenclen Accorde construirt Helraholtz aus den nach
seiner Auffassung wegen mangelnder Schwebungen consonir enden Intervallen.
Er gelangt zur Herstellung der Dur- und Jl/bZZdreiklänge in den verschiedenen
Umkehruugen, und zwar auf Grund folgender Definition: »Damit ein Accord
consonant sein könne, ist zunächst klar, dass jeder Ton desselben mit jedem
anderen Tone consonant sein müsse« (S. 320), d. h. nur wenig Schwebungen
ergeben dürfe. Wie sich diese Definition hinsichtlich des übermässigen Drei-
klanges bei temperirter Stimmung als unzureichend erweist, wurde schon be-
rührt. Die consöuirenden Accorde selbst betrachtet dann Helmholtz als Ver-
treter gewisser Grrundklänge ; er steht also hierin Rameau mit seinem Funda-
mentalbasse sehr nahe. Der C-c?<«*dreiklaug ist in allen seinen Lagen Vertreter
des Klanges C; der (7-woZZdreiklaug in der Stammform ist ein durch den Ton
es (für e) »etwas veränderter oder getrübter« C-Klang; der C'-wioZZsextaccord
dagegen erscheint bald als getrübter 6-Klang, bald auch als veränderter Es-
Klang. Mit demselben Rechte Hessen sich auch der übermässige Dreiklang
c — e — (jis, der Septimenaccord c — e—g — h und die Nonenaccorde c — e—g — b — d
und c—e — g — h — des als »getrübte 0-Klänge« auffassen, und thatsächlich thut
Hclmlioltz dies auch in Beziehung auf die letzteren Accorde. Dass diese An-
schauungen nicht gerade geeignet sind, besondere Klarheit über die Accordlehre
zu verbreiten, bedarf wohl keines Beweises.
Die Verwandtschaft zwischen consonirenden Accorden bestimmt Helmholtz
durch folgende Sätze: »Direkt verwandt nenne ich zwei Accorde, welche einen
oder mehrere Töne gemein haben. Im zweiten Grade verwandt sind Accorde,
welche beide mit demselben consonanten Accorde direkt verwandt sind. Wenn
zwei Töne zweier Accorde identisch sind, ist ihre Verwandtschaft eine engere,
als wenn nur ein Ton es ist« (S. 454). In Beziehung auf die Verwandtschaft
ersten Grades behält also Helmholtz die alte Ansicht einfach bei. Bei Ver-
wandten im zweiten Grade aber muss sich nach dieser Ansicht der Hörer einen
ausgelassenen Accord dazwischen denken, zwischen y—o — c und g — h — d also
z. B. den Accord c — e—g. Warum aber soll dem Ohre zugemuthet werden,
sich einen ganzen Accord zu denken, da es ja von dem vorhandenen c aus
durch eine einzige Quinte den Ton g, und von hier aus leicht die anderen Töne
finden kann. Dabei ist diese Annahme immerhin noch so unzureichend, dass
Helmholtz z. B. schon in Beziehung auf Palestrina, Gabrieli, Monteverde und
andere Componisten erklären muss: »Es fehlt bei den genannten Meistern noch
fast jede Rücksicht auf die Verwandtschaft der einander folgenden Accorde
unter sich. Diese folgen einander oft in ganz unzusammenhängenden Sprüngen«
(S. 4.54). Bei Construction der dissonirenden Accorde stimmt Helmholtz ziemlich
genau mit M. Hauptmann überein; dieser Tlieil seines H.'s bedarf also hier
keiner näheren Betrachtung.
Weiter entwickelt wurde das Helmholtz'sche System nach gewissen Seiten
hin durch A. v. Oettingen (»Harmoniesystem in dualer Entwickelung«). Wenn
V. Oettingen auch in verchiedenen Punkten von Helmholtz abweicht, so siimnit
er doch in Bezieliung auf den Standpunkt, von dem er ausgeht, ziemlich genau
mit ihm überein. Helmholtz hat die Erweiterungen v. Oettingen's auch ge-
wissermaassen angenommen, indem er in der dritten Auflage seines AVerkes
wiederholt anerkemiend auf das v. Oettingon'sche AV^erk hinweist; v. Oettingen
selbst kennzeichnet seinen Standpunkt auf folgende Weise: »Im Anschluss an
die Theorie der Klanganalyse und an die Funktionen des menschlichen Gehör-
organes entwickelt Helmholtz eine Theorie der Dissonanz. Dieser Thcil der
Untersuchung hat besonders für die Instrumentationslehre hohen Werth, und
scheint das Fundament der Aesthetik zu bilden bestimmt. Aber auch die
Harmonielehre ist wesentlich gefördert. In dem Princip der Verwandtschaft
der Klänge, und in der Anschauung, die Accorde als A^ertreter von Klängen
anzusehen, d. h. im Princip der Klangvertretung, — da liegt die geeignete
Grundlage für eine rationelle Theorie der Musik« (S. 2). Bei den JfoZMrei-
Harmoniesystem. 47
klängen stimmt v. Oettingen allerdings der Helmholtz'sclien Auffassung in Be-
ziehung auf diese Ansicht nicht zu. »Eine derartige negative Begründung der
J/oZ^harmonie kann unmöglich befriedigend das Verständniss dieses Accordes
ausdrücken. Dem Intervall c — g könnte auf diese Weise jeder beliebige andere
Ton (etwa dis) als »störendes Element« beigesellt werden« (S. 44). Auch in
Beziehung auf den Wohlklang der Intervalle fand v. Oettingen, »dass als Grund-
lage für die Theorie Helmholtz's Erörterungen nicht ausreichen können« (S. 5).
»Angeregt durch ein eingehendes Studium des Helmholtz'schen Werkes, ent-
deckte ich neue Gesichtspunkte, die eine weitergreifende Speculation zu ge-
statten schienen. Die Theorie der Dissonanz, wie Helmholtz sie entwickelt,
schien wie vorhin schon angedeutet, mehr als Grundlage für eine Instrumen-
tationslehre, als für den allgemeinen, von jeglicher Klangfarbe unabhängigen
und ganz bestimmten Begriff der Dissonanz in der Harmonielehre geeignet.
In dem Princip der Vei'wandtschaft der Klänge gelang es mir, ein, zwar von
Helmholtz wohl bemerktes, aber nicht conseq^uent verfolgtes Moment zu finden.
Und von hier aus erschloss sich auch für das andere Princip, für das der
Klangvertretung, ein neuer Standpunkt, von welchem aus der Bau der Ton-
systeme, die Verwandtschaft der Tonarten, und die Theorie der Dissonanz und
ihrer Auflösung einer neuen Bearbeitung unterzogen werden konnten« (S. 4).
Die Klangverwandtschaft entwickelt v. Oettingen nun in folgender Weise:
»Wir kennen c — e — rj als Bestandtheile des O-Klanges, denn wenn letzterer er-
tönt, werden allemal, wenn ein an Obertönen reicher Klang unser OJir afficirt,
alle die demselben entsprechenden Fasern unseres Gehörorganes in Schwin-
gungen versetzt. Dadurch sind wir im Stande, umgekehrt, wenn mehrere Töne
erklingen, zu unterscheiden, ob und welchem Grundklange sie angehören. Letz-
teres Moment, und das ist hier zu beachten, beruht auf einer psychologischen
Thätigkeit, »der Erinnerung«. Ohne Hinzuziehung dieser wäre in der That
jede Erklärung fruchtlos, — Nun aber kann nicht geläugnet werden, dass wir
die Intervalle erkennen, auch wenn ganz obertonlose Klänge angegeben werden,
und noch mehr: Wir sind im Stande, Töne und Melodien zu denken, ohne
dass irgend ein Theil des Gehörorganes durch äussere physikalische Erregungs-
mittel afiicirt werde, und wir können uns Töne in reiner und solche in unreiner
Stimmung vorstellen. Das Princip der Verwandtschaft der Klänge müssen wir
anerkennen in der Art, wie es Helmholtz dargethan, aber es gewinnt eine
tiefere Bedeutung, wenn wir es als Grundlage einer nunmehr verständlichen
psychologischen Thätigkeit erfassen.« »Was den Grad der Verwandtschaft der
Klänge anbetrifft, so glaube ich, dass derselbe nicht von der Klangfarbe
der einzelnen Instrumente abhängig sein kann.« »Oder wollte man behaupten,
dass für die Clarinette und für gedeckte Pfeifen, die bekanntlich nur ungerade
Obertöne haben, eine näliere Verwandtschaft zwischen Grundton und Duodecime
besteht, als zwischen Grundton und Octave? Bei Orgelpfeifen, die merklich
von der reinen Stimmung abweichende Octavenobertöne haben, werden wir
ebenso wenig diesen verstimmten Tönen einen nahen Verwandtschaftsgrad ein-
räumen wollen. Diese Beispiele deuten darauf hin, dass wir dem Princip der
Verwandtschaft der Klänge, auf Grund reiner Obertöne, eine tiefere psycho-
logische Bedeutung zuerkennen müssen« (S. 41 ff.). »Wenn ein Ton bald nach
seinem Verschwinden von Neuem erklingt, so erkennt man ihn als denselben
wieder. Wird statt eines einfachen Tones ein Klang vernommen, so ist jeder
Partialton des Klanges nachher ein im Gedächtniss vorhandener Ton. Ver-
wandt werden endlich je zwei Klänge sein, die gemeinsame Partialtöne be-
sitzen.« Der erste Theil der Helmholtz'schen Definition der Klangverwandtschaft
(s. S. 43) wird deshalb in folgender Weise geändert: »Verwandt im ersten
Grade nennen wir Klänge, welche entweder Partialtöne eines und desselben
Grundtones sind, oder zwei gleiche Partialtöne haben.«
Der Verwandtschaftsgrad zweier Töne ist nach beiden Richtungen ein und
derselbe. »Das Intervall e— y = 5:G kann beispielsweise als fünfter und sechster
48 Harmoniesystera.
Partialton des Gruudtoncs Ci = l angesehen werden, und ebenso ist der gemein-
schaftliche Oberton 7i'^ = 36 der sechste Partialton von e und der fünfte von y.a
' »Bei Octave, Quinte, grosser Terz, grosser Sexte, grosser Septime und vielen
anderen Intervallen stimmt der Grundton mit dem tiefereu Intervalltone, der
gemeinschaftliche Oberton mit dem höheren Intervalltone überein. Bei Quarte,
kleiner Sexte, grossem Halbton \\. s. w. ist es umgekehrt. Bei kleiner Terz
und grosser Sexte und den Umkehrungen und Erweiterungen beider ergänzt
der Grrundton das Intervall zum Z>«rdreiklange, der gemeinschaftliche Oberton
dagegen zum ilToZZdreiklange.« »In ähnlicher A¥eise könnte leicht weiter unter-
sucht werden, welche Beziehungen zwischen Grundton resp. gemeinschaftlichem
Oberton und den gegebenen Intervalltönen bestehen für andere Intervalle. Allein
weder für praktische noch für theoretische Gesichtspunkte würde ein erheblicher
Vortlieil aus der Untersuchung der weiter liegenden Gebilde erwachsen« (S. 52).
Der Abschluss ist also rein willkürlich. Den Verwandtschaftsgrad kann v. Oet-
tingen daher auch nur »im allgemeinen« bestimmen »durch diejenigen Ordnungs-
zahlen der Partialtöue eines gegebenen Intervalls, welche den gemeinschaftlichen
Oberton bilden, oder durch diejenigen Oi'dnungszahlen, welche dem Intervall
in Beziehung auf den Grundklang zukommen«. Er muss aber sofort auch zu-
gestehen, dasB hiermit ein eigentliches Maass für die Verwandtschaft noch nicht
gegeben ist. »Das Moment der Uebereinstimmung des Grundtones und des
gemeinschaftlichen Obertones mit den Intervallbestandtheilen allein kann hier
nicht entscheiden. Denn eine solche findet selbst bei sehr engen Intervallen
statt wie z. B. bei 15:16 = Ä:e oder 125 : 128=^is: as.« Er erklärt auch das
Auffinden eines Maasses für »sehr schwer«. Freilicli versucht er ein solches
aufzustellen; diese Speculation erscheint ihm aber selbst als »noch zu wenig
begründet, und in gewissem Sinne zu vage, um befriedigen zu können«. Es
ist also liiermit nicht viel erreicht. Zudem lassen sich gegen diese Ansicht
dieselben Einwürfe machen, die v. Oettingen selbst Helmholtz gegenüber con-
statirt (s. S. 47). Denn wenn das Ohr einen falschen Oberton hört, so kann
unmöglich »die Erinnerung« den richtigen festhalten.
Hinsichtlich der consonirenden Accorde findet v. Oettingen folgendes: Bei
Z>wrdreiklängen {e — e — fj) treffen die Grundtöne ((7i) der beiden verbundenen
Terzen {c—e und e — cj) zusammen, während die gemeinschaftlichen Obertöne
derselben (e^ und li?') nicht zusammen ti'efFen. Bei den il/b/Zdreiklängen [c—es—g)
dagegen haben die beiden Intervalle (c — es und es~g) zwar einen gemeinschaft-
lichen Oberton (^^) , aber ihre Gi^undtöne (^AsTi und Tlsi) difi'eriren. Hiermit
glaubt nun v. Oettingen die Hauptmann'sche Ansicht, dass der J/oZZdreiklang
der Gegensatz des Dwrdreiklanges sei, auf naturwissenscliaftliche Grundlagen
zurückgeführt zu haben. Ich kann dem nicht beistimmen. Diese Erscheinung
muss sich nach der Hauptmann'schen Construction der Dreiklänge aus Quint
und Terz, weil auf rein mathematischer Basis beruhend, ganz von selbst er-
geben; sie kann daher gar nichts beweisen. Es Hesse sich dasselbe aber ausser-
dem auch für Septimenaccorde und verschiedene andere Zusammenklänge nach-
weisen. Noch klarer tritt die Unhaltbarkeit des v. Oettingen'schen H.'s bei
folgender Construction der Tonsysteme, Tonarten und Tonleitern auf: »Jeder
Zweiklang für sich ist zweideutig. Ohne Hinzunahme von Terzen ist daher
ein System nicht denkbar.« Die Verbindung der Töne_/— e— y, in welcher c
das Centrum wäre, »kann den Namen eines Systems noch nicht beanspruchen,
weil in derselben noch kein Dreiklang möglich.« »Versuchen wir statt der
Töne y, c, g deren Klänge zu einem System aufzubauen , so können wir zwei
verschiedene "Wege einschlagen:
f—a~c, c — e-g, g — h—d
h — des — y, f — as — c, c — es —g.a
»Die ersten drei Di-eiklänge sind aufsteigend, die letzteren absteigend ge-
und
Harmoniesystera .
49
bildet. Stellen wir die Bestandtheile je dreiei' Dreiklänge nach der Tonhöhe
zusammen, so erhalten wir folgende zwei diatonische Tonleitern:
c — d — e — f—g —a — li — c
c — des — es — f— g — as — h — e.
Die erste ist die jD«rtonleiter, die in entsprechender Weise von jeher dar-
gestellt worden, die zweite dagegen ist die dorische Tonleiter der Griechen
(phrygische Kirchentonart). Keine der beiden Leitern ist symmetrisch in sich
gestaltet, wohl aber ist die zweite der vollkommene Gregensatz der ersten«
(S. 63 ff.).
Man sieht, auch v. Oettingen ist der Ansicht, dass die melodische Ver-
wandtschaft abhängig sei von der Leiter, in welcher sich eine Melodie bewegt;
ja er nimmt sogar an, die Verwandtschaft sei in der Leiter und in der Melodie
dieselbe, wie bei Verbindung der aus den Leitertönen gebildeten Accorde. Wie
irrig diese Anschauung ist, habe ich schon S. 44 Helmholtz gegenüber nach-
zuweisen versucht. Bei v. Oettingen kommt aber noch hinzu, dass derselbe
unser Moll als reines System gar nicht anerkennen will; dem widerspricht aber
die Praxis unserer Componisten, die Ansicht aller Theoretiker, wie auch die
TJeberzeugung derjenigen, welche sich sehr eingehend mit dem Studium des
Volksgesanges beschäftigt haben. Freilich sucht v. Oettingen seine Anschau-
ungen gerade als mit der Praxis übereinstimmend zu begründen. Er ist liierbei
aber nicht sehr glücklich. In Beziehung auf die als Beispiele citirten Volks-
melodien brauche ich nur an die S. 44 beigebrachten Thatsachen zu erinnern.
Mit seinen anderen Belägen ist es noch misslicher. Wenn er folgende Har-
monisirung (a) für entsprechend der dorischen Melodie hält, so ist die «Ehr-
würdigkeit des dorischen Geschlechts«, von der er spricht, jedenfalls sehr frag-
lich. Wie er aber aus der Bassmelodie der «Egmontouverture« (h) einen Beleg
für die Natürlichkeit und Gebräuchlichkeit des dorischen Geschlechts entwickeln
will, ist gänzlich unerfindlich. Der erste Theil ist der C-woZWreiklang mit dem
melodisch eingefügten Nebentoue as zu ^; der zweite Theil dagegen ist ja nichts
anderes als der Dominantseptimenaccord g — h — d—f mit dem Nebentone' a* zu g.
Wenn hier nicht die C-OToWtonart markirt sein soll, so ist sie es nirgends; ich
wüsste wenigstens kaum ein überzeugenderes Beispiel für dieselbe anzuführen.
Wie V. Oettingen dazu kommt, hier eine Aehnlichkeit mit der ganz unmelo-
dischen Tonfolge bei c zu entdecken, ist mir ganz unbegreiflich.
pfE^E*=EEl
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^^iSi«^^^
•^
Die Ansichten, welche in dem v. Oettingen'schen Werke über die Ver-
wandtschaft der Accorde und über die Dissonanzbildung entwickelt sind, über-
gehe ich hier; man findet sie schon in diesem AVerke unter Consonnnz und
Dissonanz und Fortschr oitung kritisirt.
Musikal, Convers.-Loxikon. V.
50 Harraoniesystem.
F. W. Opelt (»Allgemeine Theorie der Musik auf den Rhythmus der
Klaugwellenpulse gegründet«, Leipzig 1852) steht nur in soweit auf natur-
wissenschaftlichem Boden, als er von den Schwingungszahlen und deren Ver-
hältnissen ausgeht. Uehrigens ist Opelt's Theorie nur eine etwas modificirte
Form der Theorie des berühmten Mathematikers L. Euler (»Tentamen novae
theoriae Musicaea, Petropoli 1739). Nach dieser Theorie gefällt »Ordnung
unserer Seele besser als Unordnung, und so gefällt uns auch eine Vei'bindung
von Tönen, wenn wir in ihren Schwinguugszahlen leicht eine Ordnung ent-
decken können.« lieber den Charakter der Schwingungsrhythmen behauptet
Opelt folgendes: Rhythmen der Zahl 2 und deren Vielfache haben einen ruhigen
Charakter, Rhythmen der Zahl 3 einen lebendigen, bei 5 ist der Charakter zur
Aufregung hinneigend, bei 7 völlig aufregend und bei 11, 13 und 17 störend.
Helmholtz spricht sich über diese Theorie wie folgt aus: »Euler hat diese
Untersuchungen nicht nur auf einzelne Consonanzen und Accorde, sondern auch
auf Folgen von solchen, auf die Construction der Tonleitern, die Modulationen
angewendet, und es kommen viele überraschende Specialitäten vollkommen
richtig heraus. Aber abgesehen davon, dass das Euler'schc System die Er-
klärung der Thatsache schuldig bleibt, warum eine schwach verstimmte Con-
sonanz nahezu ebenso gut klingt, wie eine reine, und besser als eine stärker
verstimmte, während doch die Zahlen Verhältnisse gerade für eine schwach-
verstimmte Consonanz in der Regel am meisten complicirt sein werden, so liegt
die Hauptschwierigkeit der Euler'schen Ansicht darin, dass gar nicht gesagt
wird, wie es die Seele denn mache, dass sie die Zahlenvcrhältnisse je zwei
zusammenklingender Töne wahrnehme. "Wir müssen bedenken, dass der natür-
liche Mensch sich kaum klar macht, dass der Ton auf Schwingungen beruhe.
Dafür ferner, dass die Schwingungszahlen verschieden sind, bei hohen Tönen
grösser als bei tiefen, und dass sie bei bestimmten Intervallen bestimmte Ver-
hältnisse haben, fehlt den unmittelbaren bewussten sinnlichen Wahrnehmungen
jedes Hülfsmittel der Erkenntniss« (Helmholtz, a. a. 0. S. 350). Diese Ein-
würfe gelten genau in derselben Fassung auch Opelt gegenüber. Dazu kommt,
dass bei Opelt und Euler die Dissonanz etwas ganz zufällig Störendes ist, das
System selbst auf Zulänglichkeit aber durchaus keinen Anspruch machen kann.
Auf rein psj^chologischer Grundlage beruhen die H.e von 0. Kraushaar
(»Der accordliche Gegensatz und die Begründung der Scala«, Cassel) und M.
Hauptmann (»Die Natur der Harmonik und Metrik«, Leipzig 1853). Ueber
die Kraushaar'sclie Schrift berichtet M. Hauptmann in der Vorrede seines
"Werkes: »Der Verfasser dieser Schrift, Herr Otto Kraushaar, bekennt in einer
Zuschrift, mit welcher er das AVerkchen mir übersendet, dass die darin dar-
gelegte Theorie aus Grundbestimmungen entwickelt sei, die er von mir zuerst
ausgesprochen gehört habe. Möchte er diess in der Schrift selbst mit einigen
Worten erwähnt haben. Jetzt kann es sonderbar scheinen, dass zwei Autoren
in etwas Neuausgesprochenem sich so auffallend mit gleichen Gedanken be-
gegnen, wie es in einigen Punkten von Kraushaar's Schrift und der gegen-
wärtigen zu finden ist: namentlich in der Erklärung des J/bZZdreiklanges , in
der Nachweisuug eines positiven und negativen Verhaltens von akustischen
Bestimmungen überhaupt; und ebenso in manchen Aeusserlichkeiten, wie die
Bezeichnung der Accorde und des Systems der Tonart« (S, VII). Hierzu "be-
merkt V. Oettingen (a. a. 0. S. 47): »Obgleich sehr kurz, so ist doch Kraus-
haar's Darstellung in einigen Punkten consequenter , als die Hauptmann's.
Was aber die negativen Eigenschaften und die Klangbedeutung der ilfoZZdrei-
klänge betrifft, dürfte unzweifelhaft die Priorität Hauptmann, wenn nicht etwa
Rameau gebühren.« Seine Absichten deutet 0. Kraushaar wie folgt an: »Den
accordlichen Gegensatz gründe ich auf den Gegensatz der Töne, von welchen
aus die Accordbildung erfolgt, und den Gegensatz der Töne oder den soge-
nannten tonischen Gegensatz auf den der Grössen- und Schwingungsverhältnisse
der Körper, deren Vibrationen den Impuls zur Tonerzeugung geben. Dadurch
Harmoniesystem. 51
gewinne ich einen festen Anhaltspunkt zwischen dem Hörbaren und Sichtbaren,
somit zwischen der Musik und der Aussenwelt überhaupt.« Die letzte Be-
hauptung ist freilich leider ein sehr gewagter Trugschluss, da weder die Grössen-
noch die Schwingungsverhältnisse der tönenden Körper sichtbar sind. »Ich
leite«, fährt Kraushaar fort, »den denkenden Kunstfreund, indem ich meine Be-
trachtungen von Zusammenklängen ausgehen lasse, die ihrer Wirkung nach
bekannt sind, zu deren Grrundbestandtheilen und von da weiter fort zum tönen-
den Princip. Von diesem aus gelange ich zu einer nicht nur neuen, sondern
auch philosophisch festeren Bestimmung der musikalischen Grundaccorde , als
diejenige ist, welche man bis jetzt gewonnen hat. In Folge dessen gelange
ich zur Entwickelung des accordlichen Gregensatzes und mit Hülfe dieser neuen
Lehre zur Begründung der Scala, als der einstimmigen Darstellung der Ver-
bindung der zunächst auf einander bezüglichen entgegengesetzten Accorde« (S. 4).
Man erkennt leicht, dass Kraushaar zu denjenigen gehört, denen die melodische
Verwandtschaft einzig und allein abhängig erscheint von den Tönen, welche
eine Melodie berührt. Dass dieses eine sehr einseitige Auffassung ist, wurde
schon S. 44 dargelegt. Noch weniger Zustimmung verdient aber die Art und
"Weise, wie Ki-aushaar S. 15 ff. die Systeme der Tonarten entwickelt. Er stellt
die Töne auf, deren Schwingungszahlen entsprechen würden den ganzen Zahlen
von 1 bis 32 resp. den Brüchen von ^i bis ^/si. Durch Ausscheidung der
»gleichnamigen oder Octavtöne« erhält er die Reihen
1, 3, 5, 7, 9, 11, 13
und j
Hieraus construirt er die Tonreihen
c — g — e — b — d — f—a und c—J" — as — d — h—g—es,
ohne zu bedenken, dass die Töne vom jedesmaligen vierten Tone ab in keinem
einzigen Tonsysterae vorkommen. Er muss ülnügens selbst folgendes eingestehen:
»Mit der Darstellung der vorstehenden entgegengesetzten Tonreihen wäre
übrigens für musikalische Betrachtungen im Grunde auch nichts gewonnen.«
Gleichwohl behauptet er kurz nachher: »Bei alle dem bleibt die übrige Ent-
wickelung der entgegengesetzten Tonreihen von grosser "Wichtigkeit, weil die
auf den Grund derselben zu stützende Darstellung des tonischen Gegensatzes
nicht an den unerfassbaren "Umfang von Tönen gebunden ist« (S. 24); und in
der That baut er auf jener kritisirten Grundlage weiter. Ich gehe deshalb
sofort zu M. Hauptmann über, was ich wohl um so sicherer thun kann, als
viele Einzelheiten der Kraushaar'schen Theorie, wie schon erwähnt, bei M.
Hauptmann wiederkehren. Uebrigens hat Kraushaar seine im Vorworte aus-
gesprochene Absicht, in einem grösseren Werke seine neue Lehre umfangreicher
und vollständiger darstellen zu wollen, so viel mir bekannt, bis jetzt noch nicht
ausgeführt.
Moritz Hauptmann's Werke ist von verschiedenen Seiten zum Vorwurfe
gemacht worden , »dass die der Hegel'schen Dialektik entsprechende Termino-
logie dieses Buches dasselbe einem grösseren Leserkreise unzugänglich gemacht
habe«. C. E. Naumann (»Ueber die verschiedenen Bestimmungen der Tonver-
hältnisse«, Leipzig 1858, S. 43) urtheilt in folgender Weise: »Was die an die
Spitze der Hauptmann'schen Lehre gestellten, der Hegel'schen Denkweise ent-
sprechenden philosophischen Begriffe anlangt, so scheint es uns, als erschwerten
sie nur den Zugang zu dem hier so reichlich fliessenden Quell musikalisch-
theoretischer Belehrung. Für Denjenigen, welclier sich mit der Lehre Hegel's
von der Bewegung der Begriffe durch die drei Momente des ununterschiedenen
mit sich Eins-seius, des von sich Verschieden- seins und der. Beides in sich
verbunden enthaltenden höheren Einheit niclit befreunden kann, ist es daher
mindestens nothwendig, für jene philosophischen Begriffe analoge, die gewöhn-
liche Logik nicht übersteigende Gedanken zu substituiren.« Helmholtz und
andere stimmen diesem TJrtheile bei. Was die Verbreitungsfähigkeit des
52 Harmoniesystem.
Hauptmann'schen "Werkes betrifft, so glaube ich im Gegensatze zu obiger An-
nalime, — und ich scheue mich nicht, es hier zu bekennen, — dass gerade
die Unverstäudlichkeit dem Hauptmann'schen Werke viele Bewunderer erwoi'ben
hat, Bewunderer freilich, an denen Hauptmann selbst wohl kaum etwas gelegen
haben wird. Die Thatsachcn selbst sprechen für meine Ansicht, Den von
Naumann ausgesprochenen AVunsch hat M. Hauptmann selbst verwirklicht
(»Die Lehre von der Harmonik. Nachgelassenes Werk, herausgegeben von
Dr. Ose. Paul«, Leipzig 1868); die Vereinfachung der Hauptmann'schen Lehre
hat aber eher ernüchternd gewirkt, als neue Anhänger gewonnen. Die Be-
deutung des Hauptmann'schen Werkes wird indessen hierdurch keineswegs
geschmälert.
Mit der Annahme von nur drei direkt verständlichen und unveränderlichen
Intervallen (reine Octave, reine Quinte und grosse Terz) betrat Hauptmann
unstreitig den richtigen Weg. Auch bei Construction der consonirenden Drei-
klänge durch Auf- und Abwärtsmessen von Terz und Quint, und theilweise
auch noch in Beziehung auf die Entstehung der dissonirenden Accorde muss
man Hauptmann zustimmen. Schade nur, dass er sich theils durch seine Be-
geisterung für die Hegel'sche Pbilosophie, theils auch durch die in Folge einer
Nichtberücksichtigung verändernder Bedingungen entstandene Unzulänglichkeit
seines Systems veranlassen liess, für jene Intervalle philosophische Begriffe ein-
zuführen und sie »in ihrer ganz allgemeinen Wesenheit und nicht blos als
Tonintervalle gefasst haben« zu wollen. Durch diese Ansicht wird er verleitet
zu unzulänglicher, einseitiger und dabei unrichtiger Construction der Tonarten
und der Modulationen und zu incousequenten Anschauungen bezüglich der
Accordverbindungen. Unzulänglich und einseitig z. B. scheint es mir, wie schon
S. 44 nachgewiesen wurde, die Tonart aus einer Verbindung von Accorden
herstellen zu wollen. Geradezu unrichtig aber ist es, wenn Hauptmann die
J/oZZtouartleiter wie bei a, construirt (s. »Die Lehre von der Harmonik« S. 28),
wo durch die Verwandtschaft mit den Tönen g — c — d—f die tonartliche Ein-
heit gänzlich zerstört wird. Ganz dasselbe gilt in Beziehung auf Hauptmann's
Annahme einer MoUdurtonnri (h, S. 29).
a.
|^^S£gEiE5=4f^;=fe=P?^E^JE^E3i:^|
-• ti— :-5 — ^— =— !r^ • ä — —m — "^ — «3 — =— tr
III III
Hinsichtlich der Harmonieschritte vermag Hauptmann eine Verwandtschaft
nur nachzuweisen, wenn gemeinschaftliche Töne vorhanden sind. »Ohne einen,
zwei auf einander folgenden Accorden gemeinschaftlichen, vorhandenen oder
hinzugedachten Ton ist eine verständlich fortschreitende Dreiklangsfolge nicht
möglich« (a. a. 0. S. 40). »In der Accordverbindung liegt zwischen dem C-dur-
und ö-t?M?'dreiklange der jE'-woZZdreiklang, zwischen dem F-dur- und C-durArei-
klange der ^^-?noZMreiklang. Diese Zwischenaccorde werden bei harmonischer
Vermitteluug nicht übersprungen, und können nicht umgangen werden, sie liegen
am Wege. Es sind Stationen, bei denen im Schnellzuge nicht angehalten wird.«
Die meisten Fortschreitungen sind also nach Hauptmann's Ansicht erst durch
das Einschieben ausgelassener Accorde erklärlich, — was jedenfalls eine In-
consequenz des ganzen Systems zur Folge haben musste (s. auch Fortschrei-
tung). Hauptmann selbst erkennt in Rücksicht auf diese seine Ansicht von
der Accordverwandtschaft folgendes an: »Mit solcher formalen Selbstbestimmung,
die eine Folge von Accorden nur allein in gebundener Nothwendigkeit er-
Harmonieverbilldung — Harmonieverscliiebungeu. 53
wachsen, ja wie eine mineralische Krystallisation anschiessen lässt, ohne alle
Freiheit und "Wahl, würde allerdings für die musikalische Composition ein sehr
beschränkendes Material geboten sein. Ihre Productionen würden in diesen"
Fesseln den egyptischen Sculjituren gleichen müssen, deren Verhältnisse in so
strenger Bestimmtheit vorgeschrieben waren, dass zwei Statuen gleicher Höhe,
von verschiedenen Bildhauern gefertigt, auch in allen Theilen genau dieselben
werden mussten« (»Natur der Harmonik«, S, 73). Dieses Zugeständniss führt
ihn aber nicht, wie es consequenter Weise doch sein müsste, auf die Unzuläng-
lichkeit seiner Hypothese, sondern er glaubt sich damit helfen zu können, dass
er dem musikalischen Organismus »auch eine freiere, ja die freieste Bewegung
seiner Glieder innerhalb der G-esetzmässigkeit« zugesteht. Untersucht man nun
die Zulänglichkeit des Hauptmann'schen H.'s der Praxis gegenüber, so ergiebt
sich folgendes: Hauptmann kann unser gleichschwebendcs Tousystem, das für
die Praxis der letzten zwei Jahrhunderte, und hoffentlich auch für immer, allein
maassgebend ist, nur »als Nothlüge« anerkennen, während er selbst dafür ein
Tonsystem giebt, das seiner Unvollständigkeit wegen nur ein unvollkommenes
Surrogat bietet. Dass aber das Hauptmann'sche H. zur Erklärung und Be-
gründung dessen nicht ausreicht, was die moderne Tonkunfet an harmonischen
Mitteln verwendet, dafür spricht M. Hauptmanu's bekannte absprechende Stel-
lung gegenüber den Fortschritten der modernen Composition (s. auch Ton-
system).
Alle bis jetzt besprochenen H.e beruhen also entweder auf unhaltbaren
Voraussetzungen, oder sie entbehren der vollständigen wissenschaftlichen Con-
sequenz; nebenbei aber sind die meisten von ihnen, auch schon bei einer Be-
schränkung auf die Compositionen unserer anerkannten classischen Meister,
vollkommen unzulänglich. Gleichwohl hält man sich nicht selten für berechtigt,
auf Grund des einen oder des anderen dieser Systeme in den Werken neuerer
Meister »harmonische Ungeheueidichkeiten« , »Missklänge« u. dergl. wittern zu
dürfen; ja man hat es gewagt, gegenüber von Versuchen neuer Systemconstruc-
tionen öffentlich zu sprechen von dem »Wüste in den Köpfen derjenigen, welche
ähnlich den alten Scholastikern neue Theoreme ersinnen, um die harmonischen
Ungeheuerlichkeiten der Zukunftsmusiker zu rechtfertigen«. Glücklicherweise
gehen diese Aeusserungen allerdings meistens aus von solchen, denen, wie ihre
eigenen Compositionsversuche zur Evidenz erweisen, die einfachsten Elemente
der Harmonielehre unbekannt sind; solche Verdächtigungen und Entstellungen
können daher jedenfalls auch keinen Forscher auf der betretenen Bahn irre
machen. Meinen eigenen Versuch (»System und Methode der Harmonielehre«,
Leipzig 1868), ein consequentes und auch für die neuesten Erweiterungen auf
dem Gebiete der Harmonie zulängliches System zu construiren, brauche ich
schliesslich nur hindeutungsweise zu berühren. Zur Kritik dieses Systems
genügt ja die Kenutniss derjenigen Artikel dieses Werkes, in denen die Grund-
züge desselben niedergelegt sind. Otto Tiersch.
Harmonieverbiudung: (Verbindung der Harmonieen, Verbindung
der Accorde) wird gebraucht: bald für Harmonieschritt (s. d.), bald für
Harmoniefolge (s. d.), bald bezeichnet man mit diesem Ausdrucke auch die
Art und Weise, wie zwei aufeinander folgende Accorde mit einander verbunden
sind (durch gemeinschaftliche Töne etc., s. Harmonische Fortschreitung).
0. T.
Harmoaieverschiebuügeu entstehen durch diejenigen Harmonieschritte, in
denen der Eintritt des neuen Accordes auf einem anderen Takttheile stattfindet,
als zu erwarten war. Wann von einer solchen gesprochen werden kann, hängt
davon ab, auf welchen rhythmischen Stellen eines Tonstückes vorzugsweise der
Harmouiewechsel stattfindet. Wird jeder Accord in der Regel über einen ganzen
Takt ausgehalten, so kann schon der Eintritt einer neuen Harmonie innerhalb
eines Taktes, — also selbst auf guter Taktzeit, — als H. erscheinen; in der
Begel spricht man von einer solchen aber nur dann, wenn der Eintritt des
54
Hannoniewechsel — Harmonik.
neuen Accordes auf unbetonten Taktth eilen stattfindet, und die ergrififeneu
Accorde über die gute Taktzeit hinaus ausgehalten werden (a). Im dreitheiligeu
Takte indessen erscheint auch der Eintritt auf dem zweiten Takttlieile bei Aus-
haltuug über den dritten Takttheil hinaus als H. (h). Die Wirkung der H.
ist ähnlich deijenigen, welche innerhalb einer Melodie durch die sogenannten
rhythmischen Rückungen (s. d.) erzielt wird; über diese spricht sich G.
Weber (»Allgem. Musiki.« §, XCV.) wie folgt aus: »Allerdings findet unser
Gefühl in solcher Benachdruckung und Belastung der innerlich leichteren Zeit,
etwas gleichsam Verschobenes und Widerhaariges, etwas aus der Ordnung des
gewöhnlichen Geleises Gerücktes, eine Verzerrung der gewöhnlichen rhythmischen
Symmetrie; allein diese eigene Art der Empfindung lässt sich zuweilen, am
rechten Orte und mit Umsicht angebracht, ganz vortheilhaft benutzen.«
u. (Roh. Schumann.)
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(Beethoven.)
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0.
(s.
llarinouie Wechsel findet statt bei jedem Eintritte eines neuen Accordes
Harmonieschritt).
Harmoniflfite (französ.) ist der Name eines aus der Artenfluth harmonium-
artiger Touwerkzeuge der Neuzeit, die mehr durch ihre Namen und äussere
Gestaltung als durch innere Eigenthümlichkeiten sich von einander unterscheiden,
hervorragenden Instrumentes französischen Ursprunges. Alle diese Arten sind
beschriebenen Umkreise bekannt, wie der Verfertiger der-
im Stande ist. Die H. ist nach der Anzeige
des Musikinstrumentenfabrikanten Matth. Bauer
No. 26, Jahrg. 1874), ein kleines
eng
so lange und im
selben für sie zu interessiren
eines der deutschen Erbauer,
in Wien (in der deutschen Musikerzeitung
Harmonium (s. d.) mit oder ohne starke Register, das 3, S'/z oder 4 Octaven
Umfang besitzt. 0.
Harmonik (die Lehre von der Harmonie) erklärt H. Ch. Koch («Musi-
kalisches Lexicon«, Frankfurt a. M. 1802) wie folgt: »H. war bei den Griechen
diejenige Wissenschaft, die wir heut zu Tage die musikalische Grammatik nennen.
Sie rechneten dahin: 1. die Kenntniss der Töne überhaupt, 2. die Intervallen,
3. die Systeme und Klanggeschlechter und 4. die Tonarten und Octaveugat-
tungen. Einige griechische Theoristen rechnen hierzu noch die Melopöie (die
unserer Composition entspricht), von anderen aber wird sie von der H. getrennt
und zu der eigentlichen Setzkunst gerechnet, die bei den Griechen aus der Melo-
pöie, Rhythmopöie und Poetik bestand.« Gathy (»Musik. Conversations-Lexikon«)
bemerkt in dieser Beziehung weniger zutreffend: »Die Griechen verstanden
darunter die mathematische Untersuchung der Klänge und der musikalischen
Harmonik — Harmonische Brechung. 55
Köi'per.« In der heutigen Musikwissenschaft ist der Ausdruck H. gleichbe-
deutend mit dem Begriffe: »Lehre von der Harmonie« gebräuchlich, wobei der
Ausdruck »Harmonie« bald im engsten, bald im weitesten Sinne gefasst wird
(s. Harmonie und Harmonielehre). 0. T.
Harmonik, s. Plageolettöne.
Harmonika, s. Harmonica.
Harmouiker, s. Harmonici.
Harmouiphon, ein 1837 von dem Instrumentenmacher J. P. Panis in Paris
erfundenes Blaseinstrument mit Claviatur, dazu bestimmt, die schwierig zu behan-
delnde Oboe und das Bassethorn zu ersetzen. Dieses Instrument erregte anfangs
einiges Aufsehen in Frankreich, gehört aber schon jetzt zu den in dieser Art
wieder fallen gelassenen Erfindungen. Es konnte vermittelst des Mundes oder
eines Blasebalges zur Ansprache gebracht werden, während die Finger sich auf
dem der Pianoforteclaviatur ähnlich construirten Tastenzeuge bewegten. Der
Ansatz bot keine Schwierigkeiten, der Ton war dem der Oboe zum Vei-wechseln
ilhnlicli, und zweistimmige Tonsätze konnten mit Leichtigkeit ausgeführt werden.
In dieser Art wenigstens sprachen sich französische Zeitungen über das ver-
schollene H. aus.
Harmonisch ist alles, was sich auf die Harmonie (s. d.), diesen Begriff
im verschiedensten Sinne genommen, bezieht. "Welche Bedeutungen dieser Aus-
druck in der Musikwissenschaft haben kann, ist aus den folgenden Zusammen-
setzungen ersichtlich.
Harmonische Addition, s. Addition.
Harmonische Anlage eines Tonsatzes ist die Art und Weise, wie der
Tonsatz hinsichtlich der in ihm verwendeten Accorde und Accordverbindungen
eingerichtet ist.
Harmonische Ausweichung ist die harmonische Modulation (s. d. und
Ausweichung) aus einer Tonart in eine andere, d. h. also die mit Hülfe von
Harmonien oder Accorden hergestellte Verbindung zweier harmonisch charak-
terisirter Tonarten (s. Modulation, Tonart u. s. f.).
Harmonische Begleitung, s. Begleitung.
Harmonische Bewegung ist die Art und Weise, wie die einzelnen Stimmen
bei einer Accordverbindung von einem Tone des ersten zu einem Tone des
zweiten Accordes fortschreiten (s. Fortschreitung). Die einzelnen Arten
der harmonischen B. findet man in dem Artikel: Bewegung angegeben.
Harmonische (oder gemeine) Brechung. Die Töne eines Accordes ver-
lieren ihre harmonischen Beziehungen zu einander auch dann noch nicht, wenn
sie nicht gleichzeitig, sondern nach einander angeschlagen werden, wenn also
der Accord gebrochen wird (s. Arpeggio, Figuration und Grebrochene
Accorde). Wenn sämmtliche Accorde einer Harmoniefolge gebrochen werden, ein
mehrstimmiger Satz also durch eine ^-eringere Stimmenzahl oder durch eine
einzige Stimme dargestellt wird, so können zwei verschiedene Fälle eintreten.
Erscheint diejenige Stimme, welche die betreffende Harmoniefolge darzustellen
hat, dabei so geführt, dass sie zwar die Harmonien andeutet, indem sie deren
Bestandtheile durchläuft, dass aber ihr Gesang doch nur als eine einzige Me-
lodie sich geltend macht (d), so spricht man von bioser harmonischer oder ge-
meiner Brechung. In diesem Falle ist auf die Verbindung zwischen den ge-
brochenen Accorden viel weniger zu achten, als darauf, dass der Schwung der
Melodie nicht gestört werde, dass also die melodische Verwandtschaft zwischen
den einander folgenden Tönen eine leicht erkennbare und besonders dem Ton-
artwesen entsprechende ist. In dem zweiten Falle , wo man nämlich die Fort-
schreitung der einzelneu Stimmen der aufgelösten Accordfolge gleichsam noch
heraushört, wo also eine einzige Stimme gewissermaassen mehrere selbstständige
Stimmen vorstellt ('S), spricht man von stimmiger Brechung (s. d.).
56
Harmonische Cadenz — Harmonische Molltouartleiter.
a. (Beethoven.)
-K-^JTTI
• 1 Li^iBL^Mab
^^ , ^ >-
:sf--^
b.
:p
S^eEE
^m
Harmouische Cadenz heisst jeder Schluss, der aus einer Accordverbinduug
bestellt (s. Cadenz).
Harmouische Dissonanzen, s. Consonanz und Dissonanz.
Harmonische Fortschreituug' ist die Bewegung von einem Accorde zu dem
andern (s. Fortschreitung, Harmoniefolge und Harmoniescliritt),
Harmonische Grmndlag'e ist die (meistens sehr einfache) Harmoniefolge,
aus welcher ein Tonstück durch Einfügung von zufälligen Dissonanzen (s, d.)
u. dergl. hervorgegangen ist (s. Harmonische Zergliederung).
Harmonische Härten entstehen, wenn einander folgende Accorde in keine
gute Verbindung mit einander gesetzt worden sind. Näheres hierüber ist noch
unter Hart zu finden.
Harmonische Hand, s. Guido von Arezzo.
Harmonische Mehrdeutigkeit. Es kann im harmonischen Gewebe der eine
oder der andere Zusammenklang nicht selten in verschiedenen Fällen verschie-
denartig aufgefasst werden, indem er sich entweder von mehreren Grundhar-
monien gleichzeitig ableiten lässt, oder aber als durch zufällige Dissonanzen
entstanden dargestellt werden kann. Ebenso kann jeder einzelne Ton eines
solchen Zusammenklanges verschiedentlich aufgefasst werden. Diese Möglichkeit,
sich ein und denselben Ton oder Zusammenklang auf verschiedene "Weise er-
klären zu können, heisst Mehrdeutigkeit (s. d.). Sind die betreffenden
Klänge in den verschiedenen Fällen der Erklärung nur der Tonhöhe nach
gleich, in der Notirung aber^ verschieden, so ist eine en harmonische Mehr-
deutigkeit (s. d.) vorhanden. Sind die betreffenden Klänge aber in den
verschiedenen Fällen auch in der Notirung gleich, so heisst die Mehrdeutigkeit
eine einfach harmonische. Die Töne des Accordes li—d'—f können betrachtet
werden als Bestandtheile von li — d' — /' , g — h' — d' — /", gis — li — d' —f., h — d—f— as,
h~ d—f—a u. s. f.; der Dreiklang c — e—g ferner kann auftreten als tonischer
Dreiklang in 0-dur , als Dominantdreiklang in F-dur, als Unterdominantdrei-
klang in G-dur, als Mediantendreiklang in Ä-moll, als ITntermediantendreiklang
in E-moll u. s. f. Beide Zusammenklänge sind demnach harmonisch mehr-
deutig, lieber den Werth der harmonischen M. gilt dasselbe, was von G.
AVeber am Schlüsse des Artikels enharmouische Mehrdeutigkeit (s. d.)
angeführt worden ist. Näheres sehe man noch unter Mehrdeutigkeit nach.
Harmonische Modulation. Unter Modulation (s. d.) versteht man be-
kanntlich die »Art und Weise, wie das Ohr in eine Tonart eingestimmt, in
derselben erhalten oder in eine neue Tonart umgestimmt wird«. Wird dieses
Einstimmen, Erhalten und Umstimmen durch Accordverbindungen erreicht, so
entsteht eine harmonische M. Näheres über dieselbe und über ihre verschie-
denen Arten bringt der Artikel Modulation.
Harmonische MoHtonartleiter. Die JlToZZtonartleiter (s. d.) wird von
verschiedenen Theoretikern in verschiedener Gestalt dargestellt. Diejenige Form,
welche auf- und abwärts gleich (mit kleiner Sexte und erhöhter Septime) er-
scheint (a), heisst die harmonische M., weil man sie meist aus den drei Haupt-
accorden (h) der J/oZZtonart (s. d.) entwickelt; sie wird auch wohl als
neuere ^IToZZtonart leiter bezeichnet. Ueber ihre Berechtigung, ihre Con-
ßtruction, sowie über die Entstehung und Berechtigung der zweiten Art (c),
Harmonische Multiplication — Hafmouische Nebenuoten.
57
der sogenannten melodischen oder alten Molli nleiter (s. d.), lese man
die Artikel: Ji'o^Ztona.rt, Jfo^Ztonartleiter, Tonart und Tonartleiter
nach; auch unter Harmouiesystera findet sich man lies hierher gehörige.
A-moll.
^ — =5 — ;=;
f=- =3
'—' er
P=fe4^;
*=t
,+ +
:t=
1=1=1-
■tz
:t
:t=
-\r-
0. T.
Harmouische Multiplication nannten die Alten eine der harmonischen
Rechnungsarten (s. d.), die in neuerer Zeit nicht mehr in Anwendung ge-
bracht wird, da sie, nur zu wiederholten Verbindungen derselben Verhältnisse
anwendbar, durch die Addition (s. d.) gänzlich verdrängt ist. Die harmo-
nische M. bestand darin, dass mau die Grlieder des gegebenen Verhältnisses
quadrirte und das Produkt beider Grlieder in die Mitte setzte. AVenn z. B, das
Verhältniss 3 : 2 gegeben, so ist 3X3 = 9, 2x2 = 4, und 3X2 = 6; folglich
das Facit 9:6:4, welche Ausfühx'ung man in folgendem Ansätze wohl am
kürzesten angedeutet sieht:
3 : 2
9:6:4
Jede fortgesetzte progressionengebende harmouische M. würde folgendermaasseu
anzusetzen und auszuführen sein:
9:6 , 6:4
giebt
81
: 54 : 36
UHU.
36
: 24
16
9
: 6 9 : 6
1 1
: 36
6
: 4 6
4
81 : 54
: 24 :
16
3:23
1 1 1
: 2 3
1 1
2 3 :
i I
2
2.
Harmouische Nebeuuoteu oder harmonische Nebentöue. Wie man eine
Accordfolge durch harmonische Brechung (s. d.) in eine Melodie um-
wandeln kann, so kann man umgekehrt auch jede einfache Melodie ausschmücken,
indem man einzelne Töne ihrer harmonischen Begleitung zuzieht. Diese zur
Melodie gezogenen Töne heissen harmonische N.; dieselben spielen bei Aus-
schmückung von Melodien, namentlich für Instrumentalstimmen, eine sehr wich-
tige Bolle. Durch sie wird es möglich, .von einer einzigen Stimme eine Melodie
mit ihrer ganzen harmonischen Begleitung darstellen zu lassen, was namentlich
bei Sachen für concertirende Soloinstrumente oft erforderlich ist. So bildet
Fr. Chopin aus dem einfachen Gesang bei a durch Zuziehung von harmonischen
und anderen Nebennoten den reichen Satz bei h, in welchem die harmonischen
Nebentöne der Melodie durch Kreuze, die anderen Neben- und Durchgangstöne
dagegen durch Sternchen ausgezeichnet sind.
0. T.
58 Hannouische Obertöiic — Harmonische Sequenz.
Harnionisclie Obertöne, s. Obertöne, Paitialtöue und Akustik.
Harmonische Progression nennt man jede mehrfach harmonisch getheilte
Proportion. Die kürzeste Weise, eine harmonische P. zu erhalten, ist; man
addirt die Diffei-enz zweier gegebener Zahlen zur ersten oder grössten derselben
und dividirt mit der gefundenen Summe das Produkt beider Zahlen. Also erste
und zweite Operation. Tlieilung der gegebenen Proportion 2:1.
i7 T\-rc II a 2x1 = 2 ; 2. 3 = "/3 giebt die Proportion: 2 : 1 : Vs
/i Differenz; '/s öumme; ' / o i /
oder in reinen Zahlen ausgedrückt: 6:3:2. Dritte Operation, Man theilt
die letzte Proportion: 3 : 2.
3 3
2/ T^cc I/O 3X2 = 6:6.4 = l'/a giebt die Progression:
/i Differenz; 74 Summe; ' / o r.
6:3:2: 1^2 oder in reinen Zahlen: 12 : G : 4 : 3. In gleicher Weise ope-
rirend schaffen sich Progressionen mit beliebiger Anzahl von Gliedern. Aus-
führlicheres über die harmonische Proportion und Progression bietet Marpurg
in seinen Anfangsgründen des Progressionscalcüls. 2.
Harmouisclie Proportion nennt man jeden Zahlenausdruck, der aus der
harmonischen Theilung eines Verhältnisses (s. d.) entstanden ist. Jede har-
monische P. kennzeichnet sich daran, dass bei derselben die Differenz des
grössten und mittleren Gliedes gegen die Differenz des mittelsten und kleinsten
sich stets wie die des grössten zum kleinsten verhält. Man sehe die harmo-
nische Proportion 6:4:3.
6 : 4
— 4:3 6:3
2:1 = 2T1* „
Harnioüischer Dreiklanj^' (lateiu.: Trias harmonica) war der frühere Name
für den cousonirenden (Dur- und Moll-) Dreiklang. Einzelne ältere Theoretiker
nennen, aber nicht mit Recht, auch diejenigen dissonirenden Dreikläiige so, die
sie als Grundaccorde glauben annehmen zu müssen. So findet sich bei J. A.
Sclieibe (»Ueler die musikalische Composition«, I. Theil, S. 72) folgende De-
finition: »Dor harmonische Dreiklang ist eine dreistimmige Grundharmonie und
besteht aus einem angenommenen Grundtone, dessen Terz und dessen Quinte.
Es giebt eigentliche, vollkommene oder consonirende, und uneigentliche, ano-
maliHche oder dissonirende harmonische Dreiklänge.« 0. T.
Harmonische Rechnung-sarten heissen alle arithmetischen Hülfsmittol der
Kanonik (s. d.), welche angewandt werden, um sowohl Klänge der harmo-
nischen Tonleiter (s. d.) , als auch ideale Töne in Zahlen ausdrücken zu
können. Da es mehrere arithmetische Wege nach diesem Ziele hin giebt, so
unterscheidet man diese als besondere Theile dieser Wissenschaft und spricht
dem entsprechend von einer harmonischen Transposition oder Ver-
setzung der Verhältnisse; einer harmonischen Addition; einer har-
monischen Subtraktion; einer harmonischeu Vergleichung der Ver-
hältnisse; einer harmonischeu Theilung der Verh äl tnisse; einer har-
monischen Progression und einer harmonischen A'^erl)indung der
Verhältnisse. lieber das Wesen aller dieser einzelnen harmonischen K. unter-
richten die Specialarlikel dieses Werkes. 2.
Harmonische Reihe, s. Harmonische Sequenz.
Harmonisclicr Gehalt eines Tonsatzes. Mit diesem Ausdrucke bezeichnet
man die Summe der in einem Tonstücke verwendeten Accorde, Accordverbin-
dungen und Modulationen, sowie die Art und AVeise, wie dieselben benutzt
worden sind.
Harmonische lliickuns", s. Harmonieverschiebungen.
Harmonische Setinenz oder harmonische Reihe ist »eine fortgesetzte
Reihe gleicher Harmonieschritte« (Gottl'r, Weber, »Versuch«, II., §. 239). Unter
Harmoniegang (s. d.) wurde schon mitgetheilt, dass die harmonischen S.en
Harmouisclios Intervall — Harmonisclie Theilung der Verhältnisse.
59
entstellen, wenn man dasselbe Harmoniemotiv (s. d.) mehrmals in conse-
quenter Weise wiederholt (a). Die zu wiederholende Gruppe besteht in der
Regel nur aus zwei Accorden; sie kann aber auch grösseren Umfang haben.
Die Aehnlichkeit zwischen den einzelnen Motivwiederholungeu, die Symmetrie
in der Sequenz, hängt ab: 1. von der Gleichartigkeit der Schritte in der Bass-
stimme (daher Quiutensequenzen, Quartensequenzen etc.), 2. von der Aehnlich-
keit der Schritte in den übrigen Stimmen, 3. davon, dass alle gleichliegenden
Accorde gleichartig (lauter 7)i<rdreiklänge u. dergl.) sind, 4, davon, dass alle
Accorde in gleichartiger Umkehrung und Lage erscheinen, 5. von der Gleich-
artigkeit in der rhythmischen Stellung. Näheres findet sich noch unter Sequenz.
0. T.
Harmouisclies Intervall. Ein Intervall wird harmonisch genannt, wenn
seine Tonglieder gleichzeitig als Zusammenklang, melodisch hingegen, wenn
sie im Nebeneinander als Melodie erscheinen.
Harmonisclie Subti-aktion nennt man diejenige der harmonischen Rech-
nungsarten (s. d.), welche zur Auffindung zweier Zahlen führt, deren Ver-
hältniss die DiflFerenz von zwei gegebenen Verhältnissen haben. Die Ausfüh-
rung fordert eine kreuzweise Multiplication , wie die Division der Brüche.
Sucht man z. B. die Differenz zwischen 2 : 1 und 4:3, so findet man diese in
folgender Art:
2vl
4A3
6:4 = 3:2 2.
Harmouische Theiluug- der Intervalle, s. Kanon ik und Theilung der
Intervalle.
Harmonisclie Tlieilnng- der Verhältnisse nennt man diejenige der harmo-
nischen Rechnungsarten (s. d.), welche man anwendet, um aus einem
grösseren Verhältnisse zwei, drei oder mehr kleinere zu schafi'en, die zusammen
dem grösseren gleich sind. Diese Aufgabe ist durchaus gleich mit der: eine,
zwei oder mehr Mittelproportionalen zu zwei Zahlen zu suchen, und kanu in
dreifacher Weise gelöst werden, wonach man auch, Boetius folgend, drei: arith-
metische (ß. d.), geometrische (s. d.) und harmonische Theilungen der
Verhältnisse unterscheidet. Die Eigenheiten des Produkts jeder dieser Rech-
nungsarten zeigt am klarsten deren Unterschied. Die arithmetische Thei-
lung der Verhältnisse bringt ungleiche geometrische Verhältnisse hervor,
in welchen die Difi"erenzen der Glieder gleich sind; die geometrische Thei-
lung der Verhältnisse ergiebt gleiche geometrische Rationen, deren Glieder
ungleiche Differenzen haben; und die harmonische Theilung erzeugt un-
60 Harmonische Tonleiter - Harmonische Vergleichung der Verhältnisse.
gleiche geometrische Verhältnisse mit ungleichen DiflFereuzen der Grlieder.
Bei letzter Theilungsart nun ist das Rechnungsverfahren folgendes: Man sub-
trahirt das kleinere Grlied des Verhältnisses vom grösseren , multiplicirt den
Rest mit dem kleineren Gliede, dividirt die erhaltene Grösse durch die Summe
der beiden gegebenen Glieder und addirt zu dem Quotienten das kleinere Glied,
Letztere Summe ist das gesuchte Mittelglied. Sucht man z. B. das Mittelglied
des Verhältnisses 2:1, so ergiebt sich dasselbe wie folgt: 1 von 2 bleibt 1;
1X1 = 1; 2 + 1 = 3; 3 in 1 giebt Vs; 1 + 73 = 173; 2:173:1. Da die
mittlere Zahl dieser Proportion eine gemischte ist, so muss man alle Propor-
tionsglicder mit dem Nenner des Bruches multiplicix'en, um dieselbe in reinen
Zahlen zu erhalten. Ob die harmonische Theilung das rechte Resultat gegeben
hat, lehrt die Untersuchung der Richtigkeit der harmonischen Proportion
(s. d.). Diese Rechnungsart wird in der Kunst in jüngster Zeit nur bei der
Octave 2:1; der Quinte 3:2; der grossen Terz 5:4 und bei der kleinen Sexte
8 : 5 angewendet, da alle anderen Intervalltheilungen unharmonische Proportionen
ergeben würden. 2.
Harinouische Tonleiter nennt man eine Reihenfolge von Tönen in einer
Octave, deren Klänge man durch die einfachste Theilung einer Saite feststellt.
Diese Klänge sind einzeln zum Grundton im vollkommensten, harmonischsten
Verhältniss. Nimmt man jedoch irgend einen anderen Klang dieser Tonleiter
als Grundton an und versucht gleiche Intervalle zu demselben, so wirken diese
Zusammenklänge oft durchaus von ersteren verschieden, unharmonisch. Dies
beruht auf der Verschiedenheit der Verhältnisse der Saitenlängen, welche diese
Klänge erzeugen. Letztere sind in ihrem Verhältnisse durchaus nicht ersteren
gleich. Deutlicher als die Anschauung der Saitenverhältnisse machen uns
Zahlen, welche diese Verhältnisse darstellen, diese Unterschiede. Die Artikel
über die harmonischen Rechnungsarten (s. d.), welche in Zahlen diese
Verhältnisse geben, bieten das Nothwendige in dieser Beziehung, weshalb auf
diese verwiesen sei. Hier sei nur noch erwähnt, dass nach vielfachen Versuchen
endlich sich ergab: dass zur möglichst besten Harmonie zu jedem Tonleiter-
klange nur die Töne der temperirten Scala (s. d.) geeignet erscheinen.
Schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts führte man dies Wissen praktisch
ein, und ist Seb. Bach's »wohltemperirtes Ciavier« wohl als erster derartiger
Markstein in der abendländischen Kunst zu verzeichnen. Später, selbst in
neuester Zeit, wie Helmholtz's »Plan für rein gestimmte Instrumente mit einem
Manual« in seiner »Lehre von den Tonempfindungen« S. 598 beweist, tauchte
der Gedanke immer wieder auf, eine harmonische T. zu schaffen, die für jeden
Stufenton uns vollkommene Consonanzen (s. d.) zu Gebote stellt. In
wie weit dies möglich ist, wird die Zukunft lehren. Alle Tonwerke jedoch,
die durch Instrumente dargestellt werden, welche nur einen Klang nach dem
anderen zu geben vermögen, und deren Klänge in Minimas flexibel sind, werden
annäliernd stets durch Klänge der harmonischen T. vorgeführt, welche Eigen-
heiten der abendländischen Musik in den Artikeln: A, Ais, As, B etc. und
A-dur etc. in ausführlicherer Weise erörtert sind. Alles dies lehrt, dass eine
vollkommene harmonische T. das ideale Material der abendländischen Tonkunst
in sich schliesst, jedoch bis heute es in der Praxis noch nicht möglich geworden
ist, dies Material zur Darstellung von Tonstücken rein anzuwenden. 2.
Harinouische Transposition der Verhältnisse, s. Trans position.
Harmonische Verbind» ns,»- der Verhältnisse, s. Verbindung.
Harmonische Vergleichnng- der Verhältnisse. Wie man durch die har-
monische Subtraktion erfährt, um wie viel zwei Verhältnisse von einander
unterschieden sind, jedoch nicht, welches von beiden das grössere ist, so belehrt
uns die h. V. der V. ausser über die Differenz derselben zugleich über das
Grössenverhältniss beider zu einander. Betrachtungen über Verhältnisse
grösserer Ungleichheit (s. d.) lehren, dass von Proportionen mit gloicheni
Vordersatz dasjenige Verhältniss das grössere ist, welches den kleinsten Hinter-
Harmonische Verwandtschaft der Klänge. ß\
satz aufzuweisen hat; so z. B. ist 6:3 grösser als 6:4. Um nun diese Ver-
gleichung ausführen zu können, bedient man sich der Rechnungsart, welche
man zur Erhaltung gleicher Nenner für verschiedene Brüche in Anwendung
bringt. Man setzt beide Proportionen in Bruchform nebeneinander und zwar
stets die grösseren Zahlen nach oben stellend, da wir mit Rationen grösserer
Ungleichheit rechnen. Dann multiplicirt man die Zähler unter sich und findet
dadurch den Hauptzähler der beiden noch zu suchenden Nenner; und endlich
multiplicirt man beide E-ationsglieder kreuzweise, um die gesuchten Nenner zu
erhalten. Letztere stellen die Differenz der Verhältnisse dar und zeigen zu-
gleich das grösste beider Verhältnisse dadurch an, dass selbiges den kleinsten
Nenner besitzt, Beispiel:
Hiernach stellt 45:36 = 5:4 das grösste Intervall, die Terz, und 45:40 = 9:8
das kleinste, den grossen Ganzton dar. Zu bemerken ist hier noch, dass, wenn
man mit Verhältnissen kleinerer Ungleichheit rechnet, alles dasjenige, was in
Vorangegangenem vom Zähler gesagt ist, dort auf den Nenner Anwendung
findet. 2.
Harmonische Verwamltsehaft der Kläng-e. Nach den Auseinandersetzungen
auf S. 6 des Artikels Harmonielehre sind Klänge nur in sofern mit einander
verwandt, als es unserer Seele gelingt, die Beziehungen zwischen ihnen zu er-
kennen, in welchen sie hinsichtlich ihrer verschiedenen Eigenschaften zu ein-
ander stehen (s. Verwandtschaft der Klänge). In wie verschiedener Weise
die verschiedenen Schriftsteller die Verwandtschaft hinsichtlich der Tonliöhe zu
erklären versucht haben, ist in dem Artikel Harmoniesystem nachgewiesen
worden. Hier habe ich daher nur noch meine Anschauung von der Sache
darzulegen, da nur nach meiner Theorie die harmonische Verwandtschaft
als eine besondere Art der Ton höhen verwand tschaft (s. d.) betrachtet
wird. Nach meiner Auffassung erkennt unser Ohr eine Verwandtschaft in der
Tonhöhe zwischen Klängen nur dann, wenn 1. zwischen den Klängen die Grund-
intervalle (reine Octaven, reine Quinten und grosse Terzen) einzeln oder in
verschiedenartigen Verbindungen abgemessen werden können, oder 2. die Klänge
nicht weiter als einen Halbton oder höchstens einen Ganzton von einander
entfernt sind. Die letztere Art der Tonverwandtschaft nenne ich (nach Helm-
holtz) die »Verwandtschaft durch Nachbarschaft in der Tonhöhe« (s. Nach-
barschaft und Verwandtschaft). Die erstere Art der Tonhöhenverwandt-
schaft bezeichne ich als »harmonische Verwandtschaft der Klänge«. "Wie unsere
Seele dazu kommt, das einzelne Grundintervall aufzufassen, das nachzuweisen
überlasse ich der Physiologie und Psychologie; als die einfachsten und leichtest
fassbaren werden ja die drei genannten Intervalle von allen Forschern zugegeben.
Dass aber unsere Seele bei Auffassung von Verhältnissen und Beziehungen
sich mit möglichst einfachen Mitteln begnügt, ist ein allgemein anerkannter
Grundsatz der Psychologie. Die Hypothese nun , aus welcher ich die har-
monische Verwandtschaft der Klänge entwickele, stimmt mit diesem Grundsatze
genau übereiu; sie lautet: »Töne sind harmonisch verwandt, wenn zwischen
ihnen die Grundintervalle abgemessen werden können.« Liesse sich nun aus
dieser Hypothese, — mit Zuziehung natürlich der zweiten Art der Tonver-
wandtschaft, die an anderer Stelle zu erklären und zu begründen ist, — ein
vollkommen consequentes und vollständig umfassendes Harmoniesystem con-
struiren, so würde jene Hypothese so fest gegründet sein, wie es überhaupt
irgend eine Hypothese auf irgend einem Gebiete des menschlichen Wissens sein
kann. Ob mir dieses zu erreichen gelungen ist, mag man an den einzelnen
theoretischen Artikeln (Harmonielehre u. s. f.) dieses Werkes prüfen. Hin-
sichtlich der harmonischen Verwandtschaft aber sollen hier einzelne Andeu-
tungen folgen.
Die harmonische Verwandtschaft zwischen zwei einander folgenden Tönen
62
Harmonische Verwandtschaft der Klänge.
ist entweder eine direkte, oder eine indirekte. Direkt ist sie, wenn beide Töne
Bestandthcile eines und desselben Grundintervalls sind (a); indirekt dagegen
sind zwei Töne harmonisch verwandt, wenn sie beide mit einem dritten' Tone
oder mit zwei direkt verwandten Tönen direkt oder mittelbar verwandt sind (b).
Die mittelbare Verwandtschaft »zwischen den Tönen eines und desselben
Schrittes kann eine sehr verschiedenartige sein, da sie sich auf sehr verschieden-
artige Vermittelungen gründen kann. So kann die Verwandtschaft zwischen
den beiden nur mittelbar verwandten Tönen c' und d' vermittelt werden au
einem von den drei Tönen f, g und a, — deren jeder mit jedem der beiden
Töne des Schrittes verwandt ist, — oder an den unter sich verwandten Tönen
c und cj, a und e, f und a u. s. f.« Die vermittelnden Töne sind in den fol-
genden Beispielen durcli Viertelnoten angegeben; von ihrer Octavlage kann
abgesehen werden, da die Octavc nachweisbar nur eine Wiederholung ihres
Grundtones ist. »Auf welche Vermittelung sich die Verwandtschaft in jedem
einzelnen Falle gründet, das hängt theils von den voraufgehenden Tonverbin-
dungen, theils von der etwaigen Begleitung ab«, nämlich davon, welcher der
vermittelnden Töne bereits besonders hervortretend im Ohre liegt. »Geht nichts
voraus und ist auch keine Begleitung vorhanden, so stützt sich das Ohr stets
auf die nächstliegende und einfachste Vermittelung, weil diese auch immer die
am leichtesten fassbare und verständlichste ist. Hier ist es die am Tone (j
erfolgende, da c' sowohl als d' mit g direkt verwandt ist« (s. des Verf. »Ele-
mentarbuch« S. 31 ff.).
iiiiliäiilpl^^pi
I U.S. I.
Pll^^l
u. s.
Erklingen drei oder mehr wesentlich — d. h. dem Namen nach — ver-
schiedene aber harmonisch verwandte Töne zu gleicher Zeit, so entsteht eine
Harmonie oder ein Accord; jeder andere Zusammenklang ist entweder eine
zufällige Dissonanz oder eine Discordanz. lieber die Bildung der Accorde und
über die verschiedenen Arten derselben findet man Näheres unter Consonanz
und Dissonanz. — Aufeinanderfolgende Accorde sind harmonisch verwandt,
wenn die Töne des zweiten Accordes von den Tönen des ersten Accordes aus
durch die Grundintervalle sich bestimmen lassen (s. Fortsehreitung, Auf-
lösung, Vorbereitung etc.). — Sind in einer Tonfolge oder in einer Har-
monieverbindung alle bei Erkenntniss der harmonischen Verwandtschaft abzu-
messenden Grund Intervalle von den Tönen eines und desselben consonirenden
Dreiklanges abzumessen, so entsteht eine Einheit, welche wir Tonart (s. d.)
nennen. Werden die Töne einer Tonart ihrer Höhe nach so geordnet, dass
die Vermittelung der einzelnen Schritte an den Tönen des tonischen Drei-
klanges erfolgt, so entsteht die Tonartleitcr (s. d.); ist die Anordnung eine
solche, dass die vermittelnden Intervalle von anderen Tönen abzumessen sind,
so entstehen Tonleitern mit anderem Charakter (Kirchentöne, griechische
Tonarten [s. d. und Tonart]). Gewisse abschliessende Schritte innerhalb
Harmonische Zergliederung — Harmonium.
63
einer Tonart heissen Cadenzen (s. d.). "Werden mehrere Tonartdarstellungen
verbunden, so entsteht eine Ausweichung (s. d. und Modulation). — So
ergiebt sich alles, was sich auf die harmonische Verwandtschaft gründet, in der
consequentesten "Weise. Zieht man nun noch das Moment der rhythmischen
Verschiedenheit in den einzelnen Stimmen und die Verwandtschaft durch Nach-
barschaft in der Tonhöhe zu, so umfasst das System alle Einzelnheiten, von
den einfachsten Weisen der Volksmelodien ältester und neuerer Zeit, bis zu den
complicirtesten melodischen Wendungen und den bestverleumdeten »harmonischen
Ungeheuerlichkeiten der Zukunftsmusiker«, eine Vollständigkeit, die wohl noch
kein System erreicht hat.
Harmonische Zergliederung. Um die einfachste harmonische Grund-
lage (s, d.) eines Tonsatzes kennen zu lernen, um also nur das auszuscheiden,
was auf der harmonischen Verwandtschaft (s. d.) der Töne beruht, muss
man alle durch andere Bedingungen entstandenen zufälligen Zuthaten entfernen.
Hierhin gehören alle rhythmisch zu begründenden ^Veränderungen , als Vor-
halte, Vorausnahmen etc., — sowie alle durch die zweite Art der Ton-
verwandtschaft eingeführten D urchgänge, Neben-, Hülfs- und Zwischen-
töne (s. die einzelnen Artikel und Zufällige Dissonanzen). Dieses Ver-
fahren nennt man die »harmonische Zergliederung« eines Tonstückes. So
wird durch die Zergliederung des Bach'schen Sätzchens bei a die harmonische
Grundlage bei h gefunden.
a. (Seh. Bach.)
Otto Tiersch.
Harmouium (latein.) ist ein Tasteninstrument, welches, zuweilen mit zwei
Manualen und Pedal gebaut, als Abart der im J. 1821 von A. Häckel zu
Wien erfundenen Phy sharmonica (s. d.) , erst seit 1853 bekannt ist. Wer
der Erfinder desselben , ist bis jetzt unbekannt. Wahrscheinlich haben Viele,
Instrumentbauer wie Musikliebhaber, sich in diese Ehre zu tlieilen. Die Töne
beider Instrumente, der Physharmonica und des H.'s, entstehen, indem Zungen
tönend erregt werden und zwar durch dichtere als die atmosphärische Luft.
Diese Tonzeugung ist eine etwas schwerfällige bei der Physliarmonica, jedoch
eine durchaus präcise bei dem H. und beruht hierin hauptsächlich der Unter-
schied beider Instrumentarten. Seinen Grund hat diese verschiedene Präcision
bei der Tonangabe darin, dass bei der Physharmonica nur der Luftstrom die
Vibration der Zunge bewirkt, während beim H. durch die sogenannte Per-
cussion (s. d.) die Zungenvibration augenblicklich erzeugt wird gemäss dem
Luftstrom, dessen stete Fortdauer dem Ermessen des Spielers als Auf-
gabe zufällt. Ausser dieser Tonzeugungsverschiedenheit ist dem H. noch eigen,
dass es mehrere Zungenreihen, Spiele genannt, für die gleichen Töne besitzt,
64 Ilarmouivim.
(leren Zungea, verschieden gestaltet, verschiedene Klangarten geben, während
die Physharmonica eigentlich nur eine Reihe Zungen aufweisen darf. Auch
die Stellung der Zungen zur "Windlade bietet einen Unterschied zwischen H.
und Physharmonica. Bei ersterem befinden sich die Zungen innerhalb, bei
letzterer ausserhalb der Wiudladc. Dies Instrument, welches an Schönheit
und Kraft des Klanges kleineren Orgelwerken ähnelt, hat vor denselben den
Vorzug, dass es eines viel geringeren Raumes bedarf und leicht von einem
Orte zum andern gebracht werden kann, ohne dadurch auch nur im geringsten
zu leiden. Man findet deshalb dasselbe in Öesangzirkeln, kleinen Kirchen u. s. w.
sehr häufig in Gebrauch, und von vielen Instrumentbauern wird dasselbe aus-
schliesslich gefertigt, die denn auch, je nach ihrem Talente, sich noch immer
dessen Fortbildung angelegen sein lassen. Die bekanntesten H.fabriken sind
die von P. Schiedmayer in Stuttgart und P. Tilz in Wien, denen sich in
neuester Zeit E. P. Needham in New -York zugesellt hat. Die Luft, welche
zur Tonbildung beim H. gebraucht wird, wird durch ein Gebläse demselben
zugeführt und zweckentsprechend verdichtet. Das Gebläse ist dem der Orgel
nicht unähnlich eingerichtet und findet fast immer in dem Instrumentspieler
selbst zugleich seinen Behandler oder Balgtreter; selten wird dasselbe bei
grösseren H.'s mittelst einer Kurbel oder eines eigens construirten Hebelwei-ks
von einem besonders damit Beauftragten behandelt. Das Gebläse nimmt ge-
wöhnlich die untere Hälfte des mehr niedrigen als breiten, äusserlich spindartig
gestalteten Instrumentkastens für sich in Anspruch und besteht aus zwei neben-
einanderliegenden gleichgrossen Schöpfbälgen und einem darüber befindlichen
sogenannten Reservebalg. Die Schöpfbälge werden von dem Spieler mittelst
Trittbretter, welche Hebel zur Hebung der unteren, beweglichen, mit inneren
Ventilen versehenen Balgplatten in Bewegung setzen, von den Füssen ab-
wechselnd regiert. Beim Senken der unteren Schöpfbalgplatten ergeben sich
die Ventile als Saugventile. Die Oberplatten der Schöpfbälge werden durch
ein Brett gebildet, das die ganze Breite des Instruments über denselben ein-
nimmt , und das zugleich das obere Brett des Reservebalges , der ebenfalls ein
Faltenbalg ist, bildet. Jeder Schöpf balg entleert sich seines Windvorraths
nach oben durch einen Canal, der in der Windlade endet.
Nach der Entleerung des entsprechenden Schöpfbalges schliesst ein in
dem Canal befindliches Ventil denselben, damit die in die Windlade getriebene
Luft nicht auf dem gekommenen Wege entweiche, sondern in den Reservebalg
gehe. Unterhalb der beweglichen unteren Pla,tt6 des Reservebalges befinden
sich mehrere nach oben wirkende gewundene Strebefedern. Die durch den
Canal in den Reservebalg getriebene Luft bewirkt, je nachdem die Strebefedern
es gestatten, die Senkung der unteren Platte des Reservebalges, welche Sen-
kung durch die je nach dem Federdruck sich verdichtende Luft bewirkt wird.
Damit dieser Druck bei etwaigem Nichtverbrauch der in dem Reservebalg ge-
schöpften Luft diesen nicht zu sprengen vermag, sind ein oder mehrere Sicher-
heitsventile angebracht. Des leichteren Verständnisses halber seien gleich hier
noch zwei Einrichtungen des H.'s beschrieben, die im Gebläse iliren Sitz haben
und durch Züge, ähnlich den Registern (s. d.) der Orgel, in Thätigkeit ge-
setzt werden, die Expression und Tremblant oder Tremolo genannten;
sie gehören beim H. zu den Hülfszügen. Expression, zu deutsch »Ausdruck«,
ist ein Zug, in dem hauptsächlich jener grosse Vorzug des H.'s vor der Orgel
seine Begründung hat, den Ton nach dem Gefühle des Tonzeugers an- und
abschwellen zu lassen. Wird ohne Exjjression zu ziehen gespielt, so befinden
sich alle drei Bälge in Thätigkeit. Die Schöpfbälge führen ununterbrochen
dem Reservebalg neue Luft zu, der Federdruck bestimmt die Dichtigkeit der-
selben und zugleich die Dichtigkeit, in welcher dieselbe durch den Reservebalg
zurück in die Windkammern getrieben wird, itm zu steter Anwendung bereit
zu sein. Der Druck dieser Luft ist ein stets ganz gleichmässiger, und derselbe
erleidet durch etwaige Ungleichheiten des Balgtreters wenig oder gar keine
Harmonium. ß5
Veränderung, besonders wenn der Reservebalg gross gebaut ist. Daher kann,
besonders bei grösseren Instrumenten mit schwacher ßegistrirung, wobei also
der Windvorrath immer bedeutend bleibt, selbst der ungeschickteste Neuling
spielen, ohne dass irgend ein Stossen im Tone oder etwa plötzlicher Wind-
mangel einträte. Der Reservebalg gleicht Alles aus, der Ton ist plan wie der
Orgelton. Nur bei starker ßegistrirung, also bei grösserem Windverbrauch,
lässt auch der Reservebalg einige Nüancirung der Tonstärke durch An- und
Abschwellen zu. In hohem Grade wird aber eine solche ebenso für das ganze
Werk, wie für jede Stimme durch Ziehen des Expressionszuges ermöglicht.
Dieser setzt den Reservebalg ausser Thätigkeit durch Verschluss desselben.
Die Luft wird nun unmittelbar durch die Schöpfbälge in die Windkammern zu
den Zungen getiüeben und deren Dichtigkeit, bestimmt durch die Schnelligkeit
der Zuführung, hängt ganz von dem Willen des Spielers ab; jede Art der
Tonmodification ist somit abhängig von der Art, wie er das Fussbrett behandelt.
Es treten dadurch also Schwierigkeiten in der Tonbehandlung beim H. ein,
dass man den Expressionszug anwendet, die bei stärkerer Registrirung wachsen,
indem der Reservebalg nicht mehr ausgleichend zu wirken vermag. Diese
Schwierigkeiten stufenweise zu überwinden, ist eine der Hauptaufgaben des
angehenden H.spielers. Der zweite der erwähnten Züge, Tremblant oder Tre-
molo geheissen, bewirkt eine bebende Tongebung. Der Zug macht die Ver-
werthung einer Vorrichtung in dem Grebläse möglich, die eine periodische Unter-
brechung des tonzeugenden Luftstromes bezweckt. Diese Bebung lässt sich,
wie Viele behaupten, schöner mit dem Fusse allein beim Treten des Brettes
ausführen, und findet hauptsächlich bei den Oboe und Fagott genannten Spielen
Anwendung.
Zu den sonst noch dem H. eigenen Hülfszügen sind zu rechnen die
Fortezüge, Sourdine, Melodie, Grrand Jeu, Manual- und Pedal-
koppel. Die Fortezüge, für jede Manualhälfte einer, heben hölzerne be-
filzte Decken, die zur Dämpfung des Tones über Schalllöchern liegen,, in die
Höhe, und erlauben somit dem Klange unbehinderte Fortpflanzung. Wenn man
stets allen Registerzügen des H. über dem Manuale eine Stelle anweist, so hat
man diesen zuweilen unterhalb vom Manuale einem Hebel, der mittelst des
Knies behandelt wird, überwiesen. Sourdine, Dämpfer, ist ein in zweifacher
Art construirter Hülfszug. Entweder bewirken hölzerne befilzte Decken die
Dämpfung oder die Oefinung einer besonderen Wiudkanimer, aus der spär-
licherer Windzufluss eine schwächere Tonbildung hervorruft. Statt der Be-
nennung Sourdine findet man auch zuweilen Celeste. Melodie ist ein erst
ganz neuerdings eingeführtes Hülfsregister, das bewirkt, dass von h aufwärts
nur der oberste der gleichzeitig gegriffenen Töne, also die Melodie, doppelt
erklingt, während alle übrigen Töne, diß Begleitung also, einfach gehört werden.
G-rand Jeu, grosses Spiel, so viel bedeutend wie volles Werk, ist ein Hülfs-
zug, der die plötzliche Oeffnung aller Spiele bewirkt. Für gewölmlich befindet
derselbe sich oberhalb des Manuals angebracht, seltener als Knieregister. Bei
H.'s mit zwei Manualen, die in neuester Zeit gar nicht mehr zu den Selten-
heiten gehören, findet man auch den Hülfszug Manualkoppel angebracht,
mittelst welches die Tasten des tiefer liegenden Hauptmanuals die des Ober-
manuals herabziehen. Ueber Einrichtung derselben, sowie die der Pedal -
koppel, welche bezweckt, dass beim Niedertreten einer Pedaltaste zugleich die
entsprechende Taste des Hauptmanuals herabgezogen wird, sehe man im Artikel
Koppel das Nähere.
Noch als Hülfszug könnten wir den Perkussion genannten anführen.
Dieser Zug stellt einen Mechanismus mit der Tastatur in Verbindung, der die
schnellste und präciseste Touangabe, selbst ein Staccato zu geben , ermöglicht.
Der Mechanismus besteht aus Hämmerchen, die an die Zungen schlagen und
diese augenblicklich in Vibration versetzen, welche Vibration durch den gleich-
zeitig hinzuströmenden Wind in Stetigkeit erhalten wird. Diese Mechanik
Musikal. Convers. -Lexikon. V. 5
66 Harmonium.
kann für jedes Spiel angefertigt wei'den, Gewöhnlicli findet man sie jedoch
nur bei vicrspieligen einfach und bei sechs- und achtspieligeu zweifach. Schliess-
lich sei noch des Proion gements erwähnt, das gewöhnlich noch Abarten
mit der Nebeubezeichnung donx und forte mit sich führt. Diese Benennung
führt eine Vorrichtung, welche bewirkt, dass ein angeschlagener Ton auch
dann noch und zwar beliebig lange fortklingt, wenn selbst der Finger längst
von der Taste entfernt ist. Regiert wird diese Yorrichtung durch zwei bis
vier Kniehebel, von denen die innerhalb befindlichen von aussen nach innen
und die äusseren umgekehrt gedrückt werden. Je nachdem diese Vorrichtung
auf alle, wenigere oder ein Spiel wirkt, ist ihre Benennung, wie oben angedeutet,
verschieden. Die Wirkungen, welche durch diese Vorrichtung erreicht werden,
sind ähnlich denen, welche das von Zachariae erfundene Kunstpedal (s. d.)
für Piano's hervorbringt, doch durch die dem H. eigene stete Tonfortbildung
wirksamer als die jenes Pedals.
Wenden wir uns nun zur Beschreibung der eigentlichen Tonzeuger des
H.'s, so können wir nur berichten, dass dies einzig messingene Zungen ohne
Ansatzröhren sind, die durch Stösse strömender Luft in tönende Vibration
versetzt werden. Die durch die Zungenvibration geregelten Luftstösse gegen
die ruhige Luft jenseits der Zungen wirkend, sind die Quelle des starken, durch
seine Schönlieit so beliebt gewordenen H.tones. Die verschiedenartige Gestal-
tung der Zunge, besonders in Bezug auf ihre Dicke an dem zumeist scliwin-
genden Ende, gestattet beinahe das ganze in der Kunst angewandte Tonreich
mittelst kleiner Zungen zu geben. Ebenso führte die Entdeckung, dass Zungen
durch mannigfache Formenänderung in den Dimensionen Register von ganz
verschiedenem Klangcharakter gaben, bald zur Einführung der verschiedenen
Spiele beim H. Die Namen und Bezeichnung dieser Spiele, welche man auch
wohl klingende Register nennt: Oor 10°^; Dolce 2,5'"; Aeoline 5'"; Voix Celeste
2,b'^\ Hauthois 2,5™; Fifre Ißh"^; ClarineU b'""; Fliite 2,5"^; Oor anglais 2,5"';
Bordun h^; Clairon 1,25'"; Basson 2,5"^ und Bomharde 10'" zeugen für das,
was die Fertiger zu erreichen strebten und welche Theile des Tonreiches durcli
die bezeichneten Spiele vertreten sind. Der Zugang der tonzeugeiiden Luft
zu jedem Spiele wird durch einen über dem Manuale befindlichen Knopf, Zug,
Register oder Manubrium genannt, bewirkt. Gezogen öffnet solcher Knopf
durch Hebel die Wiudkammer des entsprechenden Spiels und bringt die Tastatur
mit den die Zungeulochdeckel bewegenden Hebeln in Zusammenhang; abgestosseu
schliesst er die AVindkammer und hebt die Verbindung des Regierwerkes dieses
Spieles mit der Tastatur auf.
Noch mag hier über die klingenden Register des H.'s gesagt werden, dass
keins der klingenden Register für den ganzen Manualumfang bestimmt ist, son-
dern immer nur für die Hälfte; bei den fünfoctavigen Instrumenten im Bass
gewöhnlich von der Taste für G bis zum e' , also 29 Töne, und im Discant
oder Sopran von f^ bis c*, also 32 Klänge. Diese Halbirung jedes Spiels hat
ihren Grund in einer gewissen Nothwendigkeit. Jedes einzelne Register ahmt
nämlich die Klangfarbe desjenigen Instruments nach, dessen Namen es trägt.
Nur für zwei Register der Neuzeit, ein Pedal- und ein Manualregister aus-
genommen, finden wir Benennungen von Blasinstrumenten, weil Streichinstru-
mente sich wohl durch Pfeifen, nicht aber durch Zungen nacliahmen lassen, wie
die Orgel beweist. Kein Blasinstrument hat jedoch den Ambitus (s. d.) von
fünf Octaven, keins reicht also für die ganze Mauualausdehnung aus: deshalb
muss stets ein das höhere Tonreich vertretendes Instrument von möglichst
ähnlicher Klangfarbe die Tonreihe dort fortsetzen, wo die tiefere endet. Damit
nun der Spieler die gleichfarbigen Tonreihen so schnell als möglich zu erkennen
vermag, bezeichnet man die beiden sich ergänzenden Register gewöhnlich mit
der gleichen Ziffer, welche unter dessen Eigennamen gesetzt wird. Wie wir
gesehen haben, übertrifft die Registerzahl eines H.'s die einer kleinen Orgel
weit; ebenso ist auch der Tonumfang desselben schon grösser als der einer
Harmonisiren — Harold. ß7
solchen, und beide Vorzüge des H.'s scheinen noch nicht ganz abgeschlossene
Entwickelungszustände desselben zu sein. Dass dies, besonders das den Ton-
umfang Betreffende, wirklich der Fall ist, wird Jedem einleuchten, wenn er
beachtet, dass, obgleich das Manual ungefähr nur fünf Octaven zeigt, durch die
Verwerthung der verschieden hohen Zungenreihen (10'", 5™ und 1,25°^) jedoch
der Ambitus sich bis auf sieben Octaven stellt, welcher Umfang nur von den
grössten Orgeln übertroffen wird. Wir sehen hieraus, dass das H. bis heute
noch nicht bis an den Höhepunkt seiner Entwickelung gelangt ist, wohin jedoch
das noch immer wachsende Interesse für dasselbe zu treiben scheint. Wir finden
das H. nicht allein zur Gesangbegleitung gern gesehen, sondern besonders wird
dasselbe schön gefunden, wenn es, schwach und entsprechend registrirt, mit
Violine oder Flöte zusammenspielt. Selbst mit einem Ciavier gemeinsam bietet
dasselbe überraschende Wirkungen. Am meisten jedoch, selbst in ganzer Kraft,
kann es sich im Zusammenspiel mit einem Streichquartett oder kleinen Or-
chester entfalten, wo es dann als Surrogat für die Blasinstrumente eintritt. B.
Uariuouisireu heisst, eine Melodie mit einer harmonischen Begleitung
versehen.
Harmonisirung ist die harmonische Begleitung einer Melodie (s. Har-
monie).
Harmonius, Sohn des berühmten Ketzers Bardesanes, lebte im 2. Jahr-
hundert n. Chr. und schuf viele Melodien zu geistlichen Liedern. Um die Lehre
seines Vaters zu verbreiten, setzte er zu dessen Oden und Gesängen Melodien,
die sehr gefielen und ihm viele Anhänger zuführten. Um die schönen Gesänge
zu erhalten, suchte Ephaem dieselben der rechtgläubigen Kirche zuzuwenden,
indem er zu denselben neue Texte dichtete und befahl, diese von der Gemeine
singen zu lassen. f
Harmonometer (aus dem Griech.), d. i. Harmoniemesser, nennt man
jedes akustische Instrument oder mechanische Werkzeug, durch welches das
mathematische Verhältniss der Töne zu einander (die Summe der Schwingungen
des tonerregenden oder tönenden Körpers) ermittelt und festgestellt werden
kann. Die Schwingungen, die sich zu einem musikalisch verwendbaren Tone
gestalten, gehen nämlich viel zu schnell vorüber, als dass sie das Auge zählen,
das Ohr mathematisch unterscheiden könnte. Das älteste zuverlässige Hülfs-
mittel, diesen Mangel aufzuheben und die Schallwellen zu berechnen, war das
Monochord (s. d.). Die neueren und neuesten besseren Instrumente dieser
Art findet man in dem Artikel Akustik angeführt.
Harnisch, Johann Jacob, ein deutscher Kirchencomponist aus der Mitte
des 17. Jahrhunderts, welcher seiner Zeit in gutem Ruf gestanden haben muss,
von dessen äusserem Leben Näheres aber bis jetzt nicht ermittelt ist. Mehrere
Motetten, Psalme, Concerte für vier bis sechs Stimmen von ihm, zusammen
mit Compositionen anderer Zeitgenossen, erschienen unter dem Titel y^Calllope'
mixtaa. (Worms, 1652).
Harnisch, Otto Siegfried, gelehrter deutscher Tonkünstler, war um 1588
Cantor am Domstift St, Blasius zu Braunschweig, dann von 1603 bis 1621
Cantor am Pädagogium zu Göttingea und endlich Kapellmeister zu Celle, als
welcher er um 1630 starb. Von seinen zahlreichen, aus Kirchenmusiken, geist-
lichen und weltlichen Liedern bestehenden Compositionen ist eine Anzahl er-
halten geblieben, so die lange beliebt gewesenen «Neuen lustigen deutschen
Liedlein« (Helmstädt, 1588 und 1591; Hamburg, 1591 und 1651; Nürnberg,
1604). Als das bedeutendste seiner theoretischen Werke gilt die y>Artls musicae
delineation (Frankfurt, 1608).
Harold, Organist und Kirchencomponist zu Wien, lebte ums Jahr 1796,
wie die damaligen Wiener Jahrbücher der Tonkunst anführen. Er wird be-
sonders seiner vorzüglichen Fugen wegen gerühmt. — Ein anderer Musiker
H., der als tüchtiger Ciaviermeister geachtet war, lebte gleichzeitig in Wien als
Messner im neuen Schottenfelde. t
68 Harpa — Harrer.
Harpa (latein.), Arpa (ital.), Harpe (frauzös.) oder Harp (engl.), der
fremdlündisclio Name für Harfe (s. d.).
Harpe, la, französischer Musikschriftsteller zu Paris, ist der Verfasser einer
Schrift über Gluck's Oper »Ipliigenia in Aulis«. — Eine englische Sängerin
in London, Miss H., wird um 1784 von Burney u. A. auszeichnend erwähnt.
Harpeg'g'iatur, Harpeggio, Harpe ggiren, corrumpirte deutsche Formen
für Arpeggiatur, Arpeggio, Arpeggiren (s. Arpeggio).
Harper, Thomas, vorzüglicher englischer Trompetenvirtuose, geboren 1788
zu AVorcester, kam in einem Alter von zehn Jahren nach London und studirte
dort unter Elvey's Anleitung Musik. Eine lange Zeit fungirte er nach er-
folgter praktischer Ausbildung als Hornist und Trompeter bei einem englischen
Regimente, sodann bei mehreren kleinen Theatern, bis er endlich in die seiner
Künstlerschaft entsprechendere Stelle im Orchester des Drurylane-Theaters, der
italienischen Oper und der Philharmunischen Coucerte kam, von welcher aus
sein Ruf sich weithin verbreitete. Er starb am 20. Jan. 1853 zu London.
Auch seine Söhne zeichneten sich als Musiker vortlieilhalt aus: Thomas H.
als Virtuose auf dem Instrumente seines Vaters und Charles H. auf dem
Hörne, während Edmund H. , welcher sich als Musiklehrer in Irland nieder-
liess, ein trefflicher Pianist war und auch Einiges componirt hat.
Harpichord, identisch mit Arpichord (s, d.).
Harpiuella (latein.) oder Arpinella (ital.) ist der Name einer kleinen
Harfenart in Lyraform, die den Schallkasten zwischen zwei Saitenparthien auf-
wärts gestellt führt. Sie ist somit der Spitzharfe (s. d.) ähnlich und von
dieser nur durch die äussere mehr romantische Form unterschieden. Wie jene
hat auch die H. die Basssaiten auf der linken und die Discantsaiten auf der
rechten Seite des Schallkastens, wenn das Instrument von dem Spieler behan-
delt wird, und werden diese Saitenparthien jede mit der ihr zugewandten Hand
gerissen. Im Basse bietet diese Harfenart die diatonischen Klänge von C bis
ö\ und im Discant die Töne von c' bis (f. Sechs Töne, die von c' bis a\
befinden sich somit doppelt im Bezüge der H., nämlich auf jeder Seite des
Schallkastens einmal, und diese werden von dem Spieler, so gilt die Hegel,
stets dort, wo sie ihm am bequemsten greifbar sind, erzeugt. Die Stimmung
der H. ist in Es-dur und führt dieselbe, um auch in andere Tonarten modu-
liren zu können, sieben Winkel (s. d. oder s. Harfe). Dies zum Gebrauche
in unserer Kunst wohlausgestattete Tonwerkzeug ist in neuerer Zeit in Concerten
gar nicht mehr anzutreffen, und selbst aus dem Privatgebrauch scheint es auch
schon gänzlich entschwunden zu sein, obgleich es zu Kammermusiken und zur
Begleitung des Gesanges sich vorzüglich eignen soll. Da die H. nur 0,75'"
hoch und höchstens 0,4'" breit gebaut wird, leicht tragbar ist und im Preise
sich viel billiger als die Harfe stellt, so ist diese Erscheinung wohl weniger
durch die Instrumentseigenthümlichkeiten erklärbar, als durch die menschliche
Schwäche, dem beliebtesten Instrumente sich womöglich ganz zuzuwenden. 0.
Harpsichord oder Harpsicord, sonst Harpsicon (engl.) ist der in
Grossbritannien gebräuchliche allgemeine Name für Ciavier oder Flügel.
Harrer, Gottlob, deutscher Contrapunktist und Kirchencomponist, hatte
seine gelehrten musikalischen Studien in Italien gemacht und wurde in der
ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Musikdirektor in Leipzig angestellt.
Als sich Friedrich der Grosse 1745 in Leipzig vorübergehend aufhielt, zeichnete
er H. durch Aufmerksamkeiten aus und liess sich von ihm täglich auf dem
Flügel accompagniren. Auf einem Badebesuche starb H. 1764 zu Karlsbad.
Gedruckt ist von seinen A¥erken das Wenigste. Jedoch kennt man von ihm
viele Kircheusachen (Oratorien: »Der Tod Abcl's«, riGioas re di Giudav., drei
Passions- Oratorien), ferner Sinfonien, Concerte für verschiedene Instrumente,
Flötenduos, Ciaviersonaten u. s. w. Ausserdem hinterliess er auch eine theo-
retische Schrift, betitelt: y>8pecimen contrapuncti in octava efiam in decima con-
verti/iilis.a
Harriers-Wipperu — Harris. 69
Harriers-Wippern, Louise, s. AVippern,
Harries, Heinrich, Dichter, Musikschriftsteller und Componist, geboren
1762 zu Flensburg, starb als Pastor zu Brügge in Holstein am 28. Septbr. 1802.
Einige seiner Gedichte setzte Hanke (s. d.) in Musik. Von seinen Schriften
sind musikalisch bemerkenswerth: »lieber Musik, ihre "Wirkung und Auwendunff«
und ein Aufsatz im Flensburger "Wochenblatt für Jedermann (1793, S. 85 flF.).
Die von H. noch bekannten Compositionen sind »Der Mai«, ein Hirtengesang
von Eammler (Altena, 1793), und »Melodien zu mehreren Liedern von Mat-
thison«, nur als Manuscript verbreitet. Mehr über H, ist in Meusel's gelehrt.
Deutschland zu finden. -j-
Harring-tou, Name mehrerer englischer Künstler und Gelehrten, die sich
auf musikalischem Gebiete hervorgethan haben. Ein gewisser H., dessen Vor-
name unbekannt und der in Sicilien geboren war, glänzte in den Jahren 1793
und 1794 zu London als vorzüglicher Oboebläser in den dortigen grossen Sa-
lomon'schen Concerten. Er war ein Schüler Lebrun 's und suchte stets darin
eine hohe Ehre, hervorzuheben, dass er seine ganze Kunstbildung Deutschland
zu verdanken habe. — John H. hiess ein Schüler von Tallis, der ums J. 1514
in Diensten des Königs Heinrich VIIL von England stand. Seine Hymne
y>The Blaclce Sauntus, or MonJces Hymn to Saunte Sutane, v. ein Canon in suh-
diatesseron et diapason a 3, den Hawkins in seiner Hist. of Music Vol. V p. 437
mittheilt, pflegte der König selbst gern zu singen. — Ein Dr. John H. of
Bath, Herausgeber der Nugae antiquae, hat in diesem Werke sich als einen
vorzüglichen Musikkenner legitimirt, indem er in demselben einen 1696 an
Isaak Newton gerichteten Brief abdrvickt, der die 47. Proportion im ersten
Buche des Euclides, von den Con- und Dissonanzen handelnd, auf eine neue
und leichtere Art erklärt. Hawkins giebt in seiner Hist.- of Musi'c Vol. III
p. 141 flP. diesen Brief ganz wieder. Nach Burney's Mittheilung soll H. auch
der Componist mehrerer Catches gewesen sein. — Endlich ist noch ein H. zu
nennen, der ums J. 1800 zu London als Instrumentalist wirkte; von demselben
sind nur drei Theile englischer Gesänge, bei Broderip erschienen, bekannt
geworden. f
Harris, Name einer Familie berühmter englischer Orgelbauer, deren Stamm-
vater, dessen Vorname nicht bekannt ist, um 1650 aus Frankreich einwanderte
und die mit der berühmten Orgelbauerfamilie Smith zu Ende des 17. und im
Anfange des 18. Jahrhunderts in ihrer Kunst in England um den Preis rang.
Vorzüglich that sich der Sohn des Stammvaters, Benatus H., gestorben 1724
oder 1725, hervor, der sich in seinem Alter nach Bristol zurückgezogen
und sein Geschäft seinem Sohn John H. übergeben hatte, der den alten
Familienruhm aufrecht erhielt. Vgl. Hawkins, Hist. of Music Vol. IV p. 353
bis 356. , t
Harris, Augustus, englischer musikalischer Schriftsteller, geboren am
12. Juni 1826 in Neapel, trat schon früh erfolgreich als Schauspieler in Italien
und England auf und machte sich als dramaturgischer Schriftsteller, der die
Feder mit Leichtigkeit führte, vortheilhaft bemerkbar. Diesem Umstände und
seinen musikalischen Kenntnissen verdankte er es, dass er schon 1846 als
Chef-Begisseur der königl. italienischen Oper am Coventgarden- Theater zu
London angestellt wurde, in welcher Eigenschaft er zahlreiche französische
Operntextbücher aus dem Französischen für die italienische Bühne übersetzte.
Seiner Erfahrung und Geschicklichkeit in allen Theaterangelegenheiten wegen
hoch geachtet, starb er in Folge einer innerlichen Entzündung am 19. April
1873 zu London.
Harris, Jacob, englischer Gelehrter, geboren 1709 zu Salisbury, hat u. A.
eine die Musik betreffende Abhandlung geschrieben, die auch eine deutsche
Uebersetzung (Halle, 1780) erlebte. Der deutsche Titel dieser Schrift ist:
»Abhandlung über Kunst, Musik, Dichtkunst und Glückseligkeit.« H. selbst
starb am 21. Decbr. 1780 in Salisbury als Secretair der Königin. f
70 Harris - Hart.
Harris, Joseph, englischer Kirchencomponist, der als Nachahmer des
Händerschen Styls erscheint, war anfangs Organist in Birmingham, zuletzt in
Liverpool, wo er 1814 starb.
Harris, Joseph Johann, englischer Kirchencomponist, war als Organist
in Southwark angestellt und veröflfentlichte: »A selection qf j^salms and hymn-
tunes, adapted to the psalms and liymnes used in ihe church of St. Olaf, South-
Toarl-« (London, 1827).
Harris, Joseph Macdonald, fruchtbarer und beliebter englischer Com-
ponist, lebte zu Anfange des 19. Jahrhunderts als geschätzter Pianoforte- und
Gesanglehrer zu London.
Harrison, John, englischer Mathematiker, der Erfinder der Seeuhren,
stellte auch zuerst eine, wenn auch nur kurze mathematische Berechnung der
Tonverhältnisse, vermittelst eines von ihm erfundenen Monochords auf. Ge-
boren 1693 zu Foulby in der Grafschaft York, lernte er bei seinem Vater als
Zimmermann, Hess sich aber schon 1726, wo er einen neuen Pendel erfand,
durch sein mechanisches Genie auf wissenschaftliche Bahnen führen. Er starb
am 24. März 1776.
Harrison, Robert, Ijerühmter englischer Concertsänger, geboren um 1760
zu London, glänzte von 1784 bis 1793 in den Concerten London's, besonders
in den Salomon'schen als ausgezeichneter Tenor. Auch als Gesangscomponist
hat er sich in seiner Zeit einigermassen bekannt gemacht. Er starb im J. 1812.
— Ein ebenfalls vorzüglicher Tenor neuester Zeit, William H., starb am
11. Novbr. 1868 zu London.
Harrys, Georg, deutscher Schriftsteller, geboren 1781 zu Hannover, war
der Begleiter und Geschäftsführer Paganini's auf dessen Kunstreisen durch
Deutschland und gab endlich ein darauf bezügliches Reisebuch heraus, welches
den Titel führte: »Paganini in seinem Reisewagen und Zimmer, in seinen red-
seligen Stunden, in gesellschaftlichen Zirkeln und seinen Concerten.«
Harsch, Graf yon, deutscher Musikliebhaber, der um 1785 als kaiserl.
österreichischer Feldzeugmeister starb, war ein leidenschaftlicher Flötenspieler
und Beförderer der Musik. Auf seinen Gütern wie in Wien hielt er Abends
von 6 bis 9 Uhr täglich Vocal- und Instrumentalconcerte ab, die seine 24 Mann
starke Hauskapelle ausführte und zu denen jeder fremde Virtuose geladen
wurde. f
Harsley, William, englischer Kirchencomponist, geboren am 15. Novbr.
1774 in London, erwuchs unter einem höchst nothdürftigen Schulunterrichte,
sodass er erst etwa 1790 dazu kam, Musik treiben zu können. Aber erst
noch sieben Jahre später gelang es ihm zu ernsteren und tieferen Studien in
dieser Kunst vordringen zu können und zwar mit solchem Erfolge, dass er
schon 1800 zu Oxford Baccalaureus der Musik wurde. Von da an veröffent-
lichte er Motetten, Kanons und Glees seiner Composition und machte sich auch
als Orgelspieler so vortheilhaft bekannt, dass er 1803 die Stelle eines Orga-
nisten an der Waisenkapelle erhielt, welche er aber 1812 mit derjenigen an
der Belgrave- Kapelle vertauschte.
Uarson, Johann Samuel, vortrefflicher deutscher Orgelspieler und ein
vielseitig wissenschaftlich gebildeter Künstler, starb im März 1792 in noch
jungen Jahren als Organist an der Marienkirche zu Berlin, welches Amt er
seit 1780 inne gehabt hatte. Er galt für einen der besten Schüler Kirnber-
ger's, der, wie der Necrolog in der Berliner musikalischen Zeitung sagt, in
Rücksicht auf den Fundamentalbass im Choral, der Erfindung eigener Fugen
und Execution der Seh. Bach'schen Werke auf der Orgel seines Gleichen
suchte. — In Kühnau's Choralbuche findet sich von H.'s Composition der
Choral No. 68: »Gott ist mein Lied.«
Hart ist zunächst gebräuchlich als TJebersetzung für Dur (s. d.). Dann
aber bezeichnet es in IMusikstückan auch »den Mangel an ästhetischer Voll-
kommenheit.« »Im letzten Falle versteht man unter h. das Gcgentheil von
Hart — Hartig. 71
dem Sanften und Fliessenden. Ein Tonstück äussert Härte, wenn die Melodie
durch übermässige oder andere unsangbare Intervallen fortschreitet, wenn die
Modulation zu plötzlich in entfernte Tonarten tritt, wenn die Folge der ein-
zelnen melodischen Theile erzwungen ist, wenn die Accorde in keiner guten
Verbindung unter einander stehen etc.« (H. Ch. Koch, »Musik. Lexicon«). Fasst
man den Begriff h. so weit, so bezeichnet er in verschiedenen Epochen sehr
Verschiedenes. Was ehemals als »allzu hart« geradezu verboten war, daran
nehmen heutzutage nur noch die pedantischsten Alterthümler Anstoss; dagegen
erklärt vielleicht mancher nur an moderne Musik gewöhnte Hörer — eben so
einseitig — die harmonischen Fortschreitungen eines Palestrina oder Orlandus
Lassus für »hart«. So findet man bei A. Gathy (»Musik. Conversations-Lexi-
con«) folgende Behauptung, die heute gewiss ziemlich sonderbar klingt. Der
Tonsetzer wird zur Anwendung von Härten gelangen, »wenn er im Ausdrucke
der Empfindung des (ruten zu viel thut, was dann nicht selten mit dem Schwül-
stigen zusammenfällt, wie es z. B. zuweilen in Fr. Schubert's Compositionen
der Fall ist.« — In diesem weiten Sinne kann von einem Verbote melodischer,
harmonischer und modulatorischer Härten (s. d.) um so weniger die Bede sein,
als einmal die musikalischen Ausdrucksmittel nicht immer zu allen Zeiten für
dieselben Zwecke dieselben bleiben können , als dann die Art des Ausdruckes
ebenso wie der Grad der Empfindung bei verschiedenen Componisten verschie-
denartig sein kann, als ferner die verschiedenartige Ausführung derselben Stelle
und verschiedene andere Bedingungen dieselbe Wendung bald mehr bald minder
hart erscheinen lassen, und als endlich das Harte selbst, den Begriff so all-
gemein gefasst, mit Hecht am rechten Orte als Ausdrucksmittel verwerthet
werden darf. Zu meiden sind nur Härten, die entweder durch logisch unrich-
tige melodische, hai'monische und modulatorische Fortschreitungen entstehen,
oder aber hervorgebracht werden durch Anwendung von herben melodischen,
harmonischen und modulatorischen Wendungen an Stellen, an denen diese Wen-
dungen gänzlich unmotivirt erscheinen müssen. 0. T.
Hart, James, englischer Tonkünstler, der im Anfange des 18. Jahrhun-
derts zu London in Diensten der königlichen und Marienkapelle wirkte. —
Sein Sohn, Philipp H., geboren um 1670, war Organist an der Andreas- und
Michaels -Kirche in London und starb 1750 in hohem Alter. Er huldigte
durchaus dem alten Musikstyle und hatte somit anfangs eine ausgebreitete An-
hängerschaft, die sich jedoch mit jedem Jahre verringerte. Von seinen Com-
positionen sind nur zwei, soviel bekannt, besonders gedruckt worden: eine
Sammlung von Fugen für die Orgel und 1728 das Morgenlied aus Milton's
verlornem Paradiese, beide zvi London. Andere Arbeiten von ihm befinden
sich in einigen Kirchenmusik-Sammlungen damaliger Zeit. t
Hart, Joseph, trefflicher englischer Pianist und Orgelspieler^ geboren 1794
zu London, wurde als Chorknabe in die St. Paulskirche gebracht und erhielt
dort Musikunterricht bei Säle, Erst zehn Jahre alt, vermochte er schon dem
Organisten Atwood Adjunctendienste zu leisten und vervollkommnete sich
später immer mehr im Orgelspiel bei Wesley und Cook, im Clavierspiel bei
J. B. Gramer. Nachdem er an mehreren Orten der Grafschaft Essex und
Middlessex als Organist fungirt hatte, kehrte er 1815 nach London zurück
und beschränkte sich vorläufig auf Ertheilung von Musikunterricht. Dann
wurde er Chordirektor bei der englischen Oper und schrieb als solcher eine
Oper »Der Vampyr« und mehrere Farcen. Er hat auch einen »Abriss der
Harmonie- und Compositionslehre« (London, 1825) veröffentlicht.
Hartig", ein kunstliebendes und kunstpflegendes Grafengeschlecht zu Prag,
das in dieser Eigenschaft schon 1715 hervortritt. Der damalige Graf war, Avie
Stölzel und Quantz bestätigen, ein vorzüglicher Ciavierspieler und sammelte
von weit und breit her die neuesten Compositionen, welche er dann mit einem
ausgewählten Orchester aufführen Hess. — In derselben Art, als Pianisten und
Förderer der Tonkunst zeichneten sich um 1796 daselbst die Grafen Franz
72 Hartig — Hartniaim.
und Ludwig H. aus, von denen der erstere auch Recitative und Arien, sowie
Duette componirt liat.
Hartig, Franz Christian, deutscher Tonkünstler und Tenorsänger, ge-
boren am 31. Jan. 1750 zu Heldenberg in der Wetterau, erhielt seine wissen-
schaftliche Ausbildung, mit der auch Musik verbunden war, im Kloster zu
Helmstadt, aus welchem er zu einem fünfjährigen Cursus nach dem Seminar
zu Mannheim abging. Er war hierauf zwei Jahre lang Musikdirektor in Op-
penheim und kam dann nach Mainz, wo ihn der Theaterdirektor Marchand
überredete, Bühnensänger zu werden. Als solcher ersang sich H. in Mannheim
die Gunst des Kurfürsten Karl Theodor, der 1771 seine schöne Tenorstimme
bei E,aflf weiter ausbilden Hess. Als kurfürstl. Hofsänger und erster Tenorist
der italienischen Oper siedelte H. mit seinem Souverän von Mannheim nach
München über und war daselbst bis zum Tode Karl Theodor's, 1799, thätig,
worauf er sich nach Mainz zurückzog, wo er 1812 noch lebte. — Auch seine
Tochter, Johanna H., nachherige Madame Koch, geboren am 14. März 1779
zu München, war eine treffliche Sängerin, die schon 1794 in München debütirte,
vier Jahre hindurch in Stuttgart sang und 1799 in Mannheim engagirt war,
wo sie den Schauspieler Karl Koch heirathete und bald darnach der Bühne
gänzlich entsagte.
HartkJis, Friedrich Wilhelm, Organist und Componist, geboren am
10. März 1805 zu Bennungen in Thüringen, wo sein Vater Organist war,
bezog das Lyceum in Frankenhausen und nahm daselbst beim Organisten
Weisseuborn musikalischen Unterricht. Von seinem 21. Jahre an besuchte er
das königl. Institut für Kirchenmusik in Berlin und vervollkommnete sich zu-
gleich bei Kelz im Violoncellospiel. Hierauf fungirte er als Gresanglehrer an
verschiedenen Schulen Berlins und wurde 1835 Organist an der Pauls- und 1839
an der Elisabethkirche. Verschiedene Compositionen für Schul- und Kirchen-
chöre, sowie für Orgel bezeichnen seine noch jetzt fortwährende Thätigkeit.
Hartknoch, Karl Eduard, Ciavierspieler und Componist, geboren um
1775 zu Riga, war ein Clavierschüler Hummel's in Weimar und lebte als ge-
schätzter Musiklehrer in St. Petersburg, dann in Moskau. In letzterer Stadt
starb er im J. 1834. Von seiner Composition sind Nocturnes, Walzer und
Variationen für Pianoforte im Druck erschienen.
Hartmaou von Aue, einer der talentvollsten, gelehrtesten und ausgezeich-
netsten deutschen Minnesänger, stammt wahrscheinlich aus dem Oeschlechte
der Herren von Wesperspül, einem Schlosse in Thurgau, welches dem Kloster
Reichenau im Bodensee dienstpflichtig war und das noch jetzt im Munde des
Volkes schlechtweg die »Aue« genannt wird. H. selbst sagt von sich, dass er
»Dienstmann war zu Aue«. Geboren war H. in der letzten Hälfte des 12.
Jahrhunderts und hat seine gelehrte Bildung wahrscheinlich im Kloster Reichenau
erhalten. Nachdem er seinen Lehnsherrn verloren, dessen Tod er in seinen
Gesängen mehrfach beklagt, scheint er sich in Franken aufgehalten zu haben,
von wo er, auf das Aufgebot Kaiser Heinrich's VI. hin, 1195 ins heilige Land
zog. Von dort zurückgekehrt, wird er von Wolfram von Eschenbach im »Par-
cival«, also nach 1201, als ein noch lebender Dichter bezeichnet. Er scheint
in der That erst zwischen 1210 und 1220 gestorben zu sein. AVir besitzen
von H. nächst zarten, anmuthigen Minne- und Kreuzliedern zwei Büchlein oder
Briefe und vier grössere erzählende Gedichte. Die Formvollendung, mannig-
faltige Gestaltung, reiche wohllautende Sprache und vollklingenden Reime hat
er mit anderen berühmtesten Dichtern aus der Blüthezeit der höfischen Poesie
zwar gemein, aber an Kernhaftigkeit der Gesinnung und Objectivität der Auf-
fassung überragt er sie alle, ebenso wie er dadurch ausgezeichnet ist, dass er
sich von der gesuchten Erapfindelei der übrigen Minnesänger frei erhalten hat
und in seinen Poesien das phantastische Element beinahe ganz zurückdrängt.
Hartinanii, Christian Karl, einer der vorzüglichsten deutschen Flöten-
virtuosen des 18. Jahrhunderts, geboren um 1750 zu Altenburg, glänzte auf
Hartmiian. 73
seinem Instrumente in seiner Heimath und auf Kunstreisen, so 1786 in Ham-
burg und später in E-ussland, wo er eine Stelle als Musikdirektor annahm.
Im J. 1790 war er in Erlangen, von wo aus er nach Paris ging. Auch dort
gefeiert, wurde er im J. III der Republik zum Professor am Conservatorium
ernannt und bekleidete daneben bis zu seinem Tode, um 1804, die Stellung
als Flötist im Orchester der Grossen Oper. Als Componist hat er sich durch
Concerte, Duos, Variationen und Fantasien für Flöte bekannt gemacht. — Sein
Zeitgenosse und thüringer Landsmann, Christoph Heinrich H., geboren
um 1750 zu Rudisleben bei Arnstadt, componirte Ciavier- und Duo -Sonaten,
ITebungsstücke , Lieder, sowie eine zweiaktige Oper, »Das Zauberschloss«, und
starb als Organist zu Eimbeck um 1826.
Hartmann, Franz, tüchtiger deutscher Violinist und Componist für sein
Instrument, geboren 1807 zu Coblenz, zeichnete sich als Virtuose auf Kunst-
reisen und auf den itheinischen Musikfesten vielfach aus und wurde Concert-
meister des Theater- und Concertorchesters in Köln, als welcher er im
J. 1857 starb.
Hartinaun, Friedrich, vortrefflicher deutscher Vocalcomponist und Diri-
gent, geboren um 1805 im Reussischen, war lange Jahre hindurch Musikdirektor
des durch seine Kunstleistungen weithin berühmten Männergesangvereines zu
Neuss am Rhein und componirte in dieser Eigenschaft zahlreiche Kircheu-
musikwerke und Chorgesänge. — Sein geist- und talentvoller Sohn, Ludwig
H., zählt zu den besten musikalischen Feuilletonisten Norddeutschlands und
zu den feurigsten Vorkämpfern der durch Liszt und "Wagner angebahnten
neuesten Richtung in der Musik. Greboren 1836 zu Neuss, erhielt er von
seinem Vater seine erste musikalische Erziehung im Ciavierspiel und der Har-
monielehre und bildete sich in Leipzig allseitig aus, in künstlerischer Beziehung
am dortigen Conservatorium, wo Moscheies und Hauptmann in der Praxis und
Theorie der Tonkunst seine Hauptlehrer waren. Durch das Studium Wagner'-
scher Musik, dem er sich privatim hingab, entflammt, begab er sich an den
Musenhof Franz Liszt's in Weimar, zu dessen Coryphäen er in den Jahren
1856 und 1857 zählte. Von Liszt selbst pianistisch bis zur Vollkommenheit
ausgebildet, trat er 1859 zu Dresden in einem Concerte der Schröder-Devrient
mit grossem Erfolge auf. Er fixirte sich hierauf in der sächsischen Hauptstadt
und entfaltete eine rege Thätigkeit als Pianist, Componist und Musikschrift-
steller in der in Weimar angenommenen Richtung, der er in Dresden uner-
müdlich Bahn zu brechen suchte. Einestheils ermuntert, anderentheils bitter
bekämpft, nahm er bald eine exclusive, aber geachtete unabhängige Stellung
ein, die er noch gegenwärtig mit Umsicht behauptet. Durch den Verkehr mit
der Schröder-Devrient angeregt, schrieb und veröfi'entlichte er eine Reihe von
Liederheften, ausserdem aber auch Clayiercompositionen, welche sich weithin
bekannt machten, und denen zum Mindesten distinguirte Erfindung und geist-
reiche Reflexion nachzurühmen ist; im Manuscript vollendete er eine Oper,
»König Helge«, deren Textbuch er ebenfalls selbst verfasst hatte. Als Kritiker
und langjähriger Redacteur des Feuilletons der Constitutionellen Zeitung hat
er sein Ansehen im lokalen Umkreise gesichert, als geschätzter Mitarbeiter an
Fachzeitschriften (»Tonhalle«, »Musikal. Wochenblatt« u. s. w.) aber durch seine
schlagenden, gedankenreichen Aufsätze auch nach auswärts einen schriftstelle-
rischen Namen von bestem Klange sich erworben.
Hartmanu, Heinrich, deutscher Kirchencomponist, geboren in der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts, wurde 1608 Cantor zu Coburg und starb daselbst
1616. Man kennt von ihm: r>Confortativac sacrae symplioniacaev^ für 5, 6, 8 und
mehr Stimmen (Coburg, 1612) und einen zweiten Theil hierzu (Erfurt, 1617). f
tlartmauu, Heinrich August Ferdinand, deutscher Tonkünstler, ge-
boren um 1770 zu Hamburg, Hess sich als Violinist ia Russland nieder und
war um 1800 Musikdirektor am französischen Theater zu St. Petersburg. Er
schrieb Solostücke für Violine.
74 Hartmann.
Hartmnnn, Johann, geschickter deutscher Violinist und Componist, ge-
boren um 1735 in Schlesien, war 1754 Violinist in der fürstbischöfl. Kapelle
zu Breslau und um 1760 Concertmeister am Hofe zu Rudolstadt. Von dort
aus trat er in die Dienste des Herzogs von Ploeu und kam mit seinem Sou-
verän 1768 nach Kopenhagen, wo er ausserordentlich zahlreiche "Werke für die
Kirche und das Theater schrieb, die in der dänischen Musikerwelt eines aus-
gezeichneten Rufes sich erfreuten, beim Brande des Schlosses Christiansborg
aber sämmtlich verloren gingen. Die Oper H.'s, »Balder's Död« (Baldur's
Tod), nannte man im grossen Style, an Gluck mahnend, geschrieben und in
einer anderen, »Der Fischer« betitelt, kam zuerst das bald darauf in den Volks-
mund übergegangene und dänischer Nation algesang gewordene Lied »Kong
Christian stod ved hojen Mast« (Held Christian stand am hohen Mast) vor.
H. war ein Anhänger der alten Richtung in der Musik, die er bis Gluck und
Händel ausdehnte, wollte aber selbst Haydn und Mozart nicht mehr gelten
lassen. Er starb im J. 1791 zu Kopenhagen. —
Sein Sohn August Wilhelm H., geboren um 1775 zu Kopenhagen, er-
hielt seine Ausbildung im Violinspiel vom Vater, trieb aber auch eifrig Clavier-
und Orgelspiel, so dass er, nachdem er schon früh in die königl. Kapelle ge-
treten war, um 1800 bereits auch Organist an der Garnisonkirche zu Kopen-
hagen wurde, welches Amt er hochbetagt noch im J. 1850 inne hatte. Er
hatte ein nicht geringes Compositioustalent, hielt aber seine Tonschöpfungen
streng und bescheiden zurück. Aus seiner Ehe mit Christiane "Wittendorf,
einer Tochter des Organisten in Fredensborg, entsprang am 14. Mai 1805
Johann Peter Emil H. , welcher gegenwärtig zu den gefeiertsten Musikern
und Componisten Dänemarks zählt. Dieser zeigte früh schon grosse Lust zur
Musik und lernte beim Vater Ciavier- und Violinspiel. Sein höchster "Wunsch
war, es einmal bis zum Kapellmusiker zu bringen, allein der verständige Vater,
welcher wusste, dass dies gerade kein Glück war, hielt ihn zum Studiren au.
AVeyse hörte den jungen H. auf Ciavier und Orgel phantasiren, sah seine Com-
positionen und setzte es durch, dass derselbe sich mehr wie vorher mit der
Tonkunst beschäftigen durfte. Nun hatte H. auf einmal einen treuen und tief
erfahrenen Freund, dem er jeden seiner Compositionsversuche zeigte und von
dem er die besten Lehren und Rathschläge empfing. Um jene Zeit kam eine
ganz neue Strömung in die dänische Musikwelt, indem der treffliche Gesang-
lehrer Siboni die italienischen Tonschöpfungen, welche so schön und einschmei-
chelnd für die Menschenstimme liegen, in Kopenhagen einführte und zur
Geltung brachte. Dieser musikalische Geschmack war gänzlich gegen Weyse's
Natur und Anschauungen und fand in ihm einen erbitterten Gegnei*. H., sein.,
begabtester Schüler, musste die Ansichten des Musikveteranen durch "Wort und
Schrift unterstützen und that es fi^eudig und gern. Gleichzeitig bestand er 1827
und 1828 die juridischen Examina mit höchster Auszeichnung. Einestheils trat
H. nun in den Staatsdienst, andercntheils unterstützte er den Vater in seiner
Organistenstellung an der Garnisonkirche und wurde zugleich auch Lehrer an
dem Conservatorium der Musik zu Kopenhagen, dessen Direktor Siboni war.
Die beiden Gegner lernten sich so kennen, schätzen und schlössen sich auf-
richtig aneinander an, was nicht verhinderte, dass H. "Weyse's musikgelehrten
Rathschlägen und Winken nach wie vor folgte.
H. entfaltete, nachdem seine äussere Stellung gesichert war, eine Aufsehen
machende Tliätigkeit als Componist, indem er mit immer fruchtbarem Schöpfer-
verniögen aus der Tiefe seiner reichen und rausiktheoretisch gefestigten Phan-
tasie zahlreiche Schätze hervorförderte, die zwar von sehr ungleichem Werthe
sind , aber doch mehr oder weniger das ächte Gepräge der Schönheit und des
hoben Talentes aufweisen. "Was zunächst seine Bethätigung auf musikalisch-
dramatiscliem Gebiete betrifft, so ist H. von den dänischen Componisten viel-
leicht derjenige, welcher die meisten Bedingungen in sich vereinigt, um eine
wirkungsvolle und lebenskräftige dramatische Musik zu schaffen, was ja doch
Hartmaun. 75
immer als die höchste Aufgabe der Kunst angesehen wird. Dass dies nur
innerhalb verhältnissmässig enger Grenzen geschehen, ist lediglich dem ganzen
Entwickelungsgange und der Geschmacksrichtung der modernen, auf das Rea-
listische gerichteten Zeit zuzuschreiben. Der Drang und die Fähigkeit der
Componisten, wirklich dramatische Musik zu schreiben, muss unter diesen Um-
ständen von dem Theater in den Concertsaal und zur Cantate gedrängt werden,
die durch die dem ersten Drittheil des 19. Jahrhunderts noch unbekannten
Musik- und Gesangvereine fürsorglich gepflegt wird. Haben sich doch diese
künstlerischen Kräfte bereits auch einen bedeutenden Theil von dem Stoffe
angeeignet, der früher ausschliesslich dem Theater zufiel, so dass die Concert-
säle in Wirklichkeit Zufluchtsstätten für einen grossen Theil der älteren drama-
tischen Musik sind, welche ihr Heimathsrecht auf der Bühne eingebüsst Laben.
Der Grund, dass H. als vorzüglich beanlagter dramatischer Componist im besten
Sinne des "Wortes nicht eine grosse Reihe von Musikdramen geschafi"en hat,
muss in dem Mangel an entsprechenden Stoffen, ein Mangel, der allenthalben
besteht, gesucht werden. Seine erste vieraktige Zauberoper »Ravnen« oder
»Broderpröven« (Der Rabe oder die Bruderprobe), Text von H. C. Andersen,
wurde zuerst am 29. Octbr. 1832 in Kopenhagen aufgeführt und noch 1865
gegeben. Aber nur die Musik war es, welche die wärmste Anerkennung, be-
sonders .von Seiten der Kenner fand. Es folgte am 23. April 1835 die Oper
»Die Corsaren«, Text von H. Hertz, die binnen Jahresfrist vom Repertoire
wieder verschwand, und am 12. Mai 1846 das dramatische Singspiel »Liden
Kirsten« (Die kleine Christine) mit Text von H. C. Andersen, eines der an-
muthigsten Werke national-dänischer Musik. Der warme, sinnige Volkston ist
darin mit grosser Genialität getroffen und durchgeführt; Natürlichkeit und aus-
drucksvolle dramatische Charakteristik treten in jeder Nummer anziehend hervor,
und die Instrumentation bekundet einen ausgezeichneten Griff in die schönsten
Wirkungen des Orchesters.
Auf Marschner's Anregung hin, der im Frühjahre 1836 H. in Kopenhagen
kennen und schätzen lernte, unternahm der Letztere eine Reise durch Deutsch-
land, Fnmkreich und die Schweiz, welche ihn in die interessantesten künst-
lerischen Verbindungen brachte, u. A. mit Spohr, mit dessen romantisch-elegischer
Richtung H. sehr sympathisirte. Als Zeichen der Erkenntlichkeit für herzlich-
liebevolle Aufnahme widmete H. dem deutschen Meister seine erste Sinfonie
(op. 17 in G-moU), welche auch in Kassel mit grösstem Beifalle aufgeführt
wurde. Für das Theater lieferte H. noch zahlreiche Compositionen zu den
Dramen Oehlenschläger's, Heiberg's, Andersen's und zu den classischen Ballets
Bournonville's. Hier hat H. einen reichen, anderwärts noch nicht einmal ge-
hobenen Schatz von nordischen Tönen niedergelegt. Sein letztes und vielleicht
vollendetstes Werk dieser Art ist »Völvens Spaadom«, welches zuerst im April
1872 von den lundensischen und kopenhagener Studenten mit Begeisterung
aufgeführt wurde. Aber auch auf dem Gebiete der weltlichen Cantate, der
lyrischen Gesangs- und der Pianofortemusik hat sich H. fruchtbar und bemer-
kenswerth ausgezeichnet. Dort sind es Gelegenheitscompositionen bei feierlichen
und festlichen Vorkommnissen am dänischen Königshofe, hier ein reicher Schatz
von Liedern, welche in die Augen fallen. Von den letzteren sind auszeichnend
zu nennen: die neun Lieder unter dem Titel »Salomon und Sulamith« und die
sechs Lieder zu Winther's Gedicht »Hjortens Fingt«, ferner die in den Volks-
mund übergegangenen vierstimmigen Gesänge »Flyv, Fügl, flyv« (Fliege, Vogel,
flieg'), »Snart er Natten svuuden« (Bald ist die Nacht entschwunden) und
»Slummrer södt i Slesvigs Jord« (Schlumm're süss in Schleswigs Erde). Von
H.'s Pianofortestücken dürften die »Novelletten« , »sechs Charakterstücke«,
rtSis JStudes insiructivesis. und »Phantasiestücke« die bekanntesten und vorzüg-
lichsten sein.
HartmnuD, Johann Gottfried Henning, geschickter deutscher Ton-
künstler und Dirigent, geboren am 28. Mai 1779 zu Hamburg, wurde schon
76 Hartmann — Hartong.
frühzeitig von seinem Vater, dem Rathsmusiker Johann Samuel H., im Singen,
Ciavier- und Violinspiel unterrichtet. Im Generalbass und in der Composition
wurde später Schwencke sein Lehrer. Als Violinist trat er um 1795 in das
Orchester der damals in Hamburg domicilirten französischen Oper, genoss noch
den Unterricht von Andreas Romberg und folgte 1799 einem Rufe in das
Orchester des französischen Theaters in St. Petersburg. Bald darauf wurde er
Dirigent der deutschen Oper, als welclier er 1806 Gesangs- und Orchesterkräfte
im Auslande zusammenstellte. Im J. 1821 wurde er wegen Differenzen mit
dem Intendanten der kaiserl. Orchestermusik pensionirt, aber schon 1822 als
kaiserl. Kapellmeister wieder angestellt. Nachdem er noch 1826 seine Vater-
stadt wiedergesehen hatte, reiste er ein Jahr später auf Kosten des Kaisers
nach Italien, zog sich aber auf der Rückreise durch den Umsturz seines Wagens
unfern Krakau eine gefährliche Erkältung zu, so dass er nur mit Mühe St.
Petersburg wieder erreichte. Dort dirigirte er zwar noch zwei Mal, sank aber
dann, völlig erschöpft, auf das Krankenlager und starb am 6. März 1828, als
Künstler wie als Mensch den vorzüglichsten Ruf hinterlassend.
Hai'tmann, Karoline, vortreffliche deutsche Pianistin, geboren 1808 zu
Münster bei Colmar, war die Tochter eines begüterten Fabrikbesitzers und
erreichte 1833 in Paris unter Chopin's und Liszt's Anleitung, sowie durch
angestrengtes Selbststudium den höchsten Grad pianistischer Virtuosität. Den
Anstrengungen moderner Kunstanforderungen aber körperlich nicht gewachsen,
verfiel sie in eine Brustkrankheit und starb schon am 30. Juli 1834 zu Münster,
wohin sie in dem letzten Stadium ihrer Krankheit zurückgekehrt war.
Hnrtiiiaun, Matthias, ein tüchtiger deutscher Orgelbauer, der im Anfange
des 18. Jahrhunderts in der Altstadt von Magdeburg seine Werkstatt hatte.
Das 35 stimmige Orgelwerk zu Wanzleben mit drei Manualen, Pedal und fünf
Bälgen baute H. im J. 1712, wie Adlung in seiner Music. meclianic. I. S. 281
berichtet. f
Hartnianu, Michael, deutscher Musiker des 17. Jahrhunderts, war an-
fangs Hofmusicus in Kassel, wurde aber daselbst nach Cornetto's Tode, also
nach 1650, als landgräfl. hessischer Kapellmeister angestellt und starb als
solcher um 1670. Näheres ist von ihm nicht bekannt geblieben.
Hartinauu, Simon, ein tüchtiger Harfenist deutscher Abkunft, der um
1770 in Paris, später in Lyon lebte, gab ums J. 1777 zu Lyon von seiner
Composition heraus: drei Divertissements für Harfe und Violine und eine So-
nate für zwei Harfen. f
Hartog, Eduard de, hervorragender, in unabhängigen Verhältnissen le-
bender holländischer Musikdilettant, geboren 1826 zu Amsterdarn, hatte im
Ciavierspiel und in der Composition eine Reihe ausgezeichneter Lehrer, nämlich
Theod, Döhler, Mad, Dulcken, Hoch, Orchestermitglied des deutschen Theaters
in Amsterdam, Bertelsmann, Elwart, Litolff und Aug. Heinze. Im J. 1852
nahm H. seinen bleibenden Wohnsitz in Paris, nachdem ihn schon vorher seine
musikalischen Studien wiederholt dorthin oeführt hatten. Dort erwarb er sich
einen bedeutenden Ruf als Pianist, sowie als Componist, der auf fast allen Ge-
bieten der Tonkunst mit Erfolg thätig war und häufig von sich hören Hess.
Von seinen, Talent, Feinsinnigkeit und Intelligenz bekundenden Arbeiten ver-
öffentlichte er durch den Druck: Streichquartette, eine Ouvertüre zu Em.
Augier's Drama »Portia«, Chorsachen mit Orchesterbegleitung, ein- und mehr-
stimmige Lieder und Gesänge, Claviercompositionen und Violinstücke. Durch
Aufführungen in Paris wurden ausserdem noch von ihm bekannt viele Kamraer-
musikwerke, Kirchensachen, Orchesterstücke, Chöre, Arien u. s. w. Unauf-
geführt und im Manuscript bewalirt H. endlich noch die Opern »Lorenzo
Aldini« und »Xe mariage de Lopeti.
Hartonio:, ein schwäbischer Prediger, soll nach Hiller's Angabe der Ver-
fasser des 1749 zu Nürnberg unter dem Titel: »P. O. Kumani Musicus theo-
Härtung — Hase. 77
retico-practicustn herausgekommenen systematischen Werkchens gewesen sein,
welches Hiller wie Adlung zum Gebrauche sehr empfohlen haben. f
Härtung-, s, MüUer-Hartung.
Härtung, A. L., Ende des 18. Jahrhunderts Violinist in der herzogl. Ka-
pelle zu Braunschweig, um 1794 auch Musikalienhändler daselbst, veröffent-
lichte als op. 1 vier Bücher Violinduos seiner Composition in Frankfurt und
Amsterdam.
Härtung-, H. A., Ciavierspieler und Musikdilettant in Leipzig, gab, wahr-
scheinlich in seinen Studienjahren, bei Breitkopf »Vermischte musikalische Auf-
sätze fiir's Klavier« erster und zweiter Theil (Leipzig, 1792), y>So)iate ä 4 mainsca
No. 1 (1793), »Leichte musikalische Sätze für ungeübtere und mittlere Klavier-
spieler«, 1. Quartal (1794) und »Musikalische Skizzen«, erstes Bäudchen (1794)
heraus. Später ist von H. nichts weiter bekannt geworden. t
Hai'tuug-, Karl August, deutscher Orgelvirtuose und Componist, war zu
Ende des 18. Jahrhunderts Organist an der reformirten Kirche zu Braun-
schweig und componirte zahlreiche Lieder und Gesänge mit Ciavierbegleitung,
sowie auch Orgelstücke, welche letztere aber zu allermeist ungedruckt ge-
blieben sind.
Härtung-, Johann Michael, einer der berühmtesten deutschen Orgel-
bauer des 18. Jahrhunderts, lebte auf dem Schlosse Vippach bei Erfurt und
baute in mehreren Kirchen Thüringens vorzügliche grosse Werke, Er starb
um 1780.
Härtung-, Michael, deutscher Lautenmacher, lebte in den ersten Jahr-
zehnten des 17. Jahrhunderts zu Padua, von wo aus seine Instrumente, die
lange Zeit hindurch überaus geschätzt waren und sehr hoch im Preise standen,
sich über ganz Europa verbreiteten. Sein Lehrmeister war gleichfalls ein
Künstler deutscher Abkunft, nämlich der in Venedig ansässig gewesene Leon-
hard Tieffenbrucker der jüngere gewesen.
Hartverminderter Dreiklaug ist nach einigen Theoretikern der Dreiklang
auf der zweiten Stufe der MoUtona^vt, bestehend aus Grundton, erhöhter kleiner
Mit hinzugefügter Sep-
Terz und kleiner Quinte, also in A-moll.
time und in der zweiten Umkehrung entsteht aus ihm der häufig in Anwendun
Der h. D.
gebrachte Terz- Quarten- Accord mit übermässiger Sexte: q
ist ebenso wie der doppeltvermiuderte nur ein uneigentlicher Dreiklang,
und beide sind überhaupt nur zur Erklärung des übermässigen Sext-
accordes aufgestellt worden.
Hartwig-, Karl, Organist und Musikdirektor zu Zittau, hat sich um 1760
als fruchtbarer und beliebter Componist hervorgethan. Von seinen Werken
sind erhalten geblieben: ein deutsches Magnificat, siebzehn Ouvertüren, sieben
Concerte (sechs für Flöte und eins für Violine) und ein Quartett mit obligatem
Fagott, sämmtlich im Manuscript. Gedruckt scheint überhaupt von seinen
vielen Compositionen keine einzige zu sein. t
Hasans, Jacob, s Hase.
Haschka, Lorenz Leopold, musikkundiger deutscher Gelehrter, geboren
zu Wien am 1. Septbr. 1749, lebte in späteren Jahren daselbst als Exjesuit
und machte sich besonders als Dichter und Schriftsteller einen Namen. Ein
Gedicht von ihm, welches er 1775 zu Wien erscheinen Hess, feiert den B,itter
Gluck bei seiner Rückkunft aus Frankreich, Bemerkenswerther wäre ein
Ciaviertrio, als dessen Componist H, auf dem Titel angeführt und welches
ebenfalls um diese Zeit in Wien gestochen worden ist, wenn es zweifellos
feststünde, dass der Componist desselben und der hier Genannte dieselbe
Person ist, t
Hase, Georg, deutscher Musiker, geboren in der zweiten Hälfte des 16.
78 Hase — Hasert.
Jahrhunderts zu Nürnberg, woselbst er auch gelebt zu haben und gestorben
zu sein scheint, veröffentlichte laut der Bibl. class. germ. des Draudius »Newe
Täntz mit schönen Texten zu vier Stimmen« (Nürnberg, 1610).
Hase, Jacob, latinisirt Ha saus, deutscher Gelehrter, geboren 1694 zu
Bremen, schrieb u. A. eine nDisjyuia/io de inscrlplione I'salmi vigesimi secundU^
worin er zu beweisen sucht, dass daselbst ein musikalisches Instrument ange-
zeigt werde. Diese Disputation findet man in Ugolini Thes. ant. sacr. T. XXXII
p. 207 — 230. H. selbst starb als Professor am Gymnasium zu Bremen bereits
am 17. Juni 1723. t
Hase, Julie, talentreiche deutsche Sängerin und an der Hofoper in Dresden
engagirt, geboren um 1800, war, wo sie sich in Deutschland hören Hess, be-
sonders als Zerline, Pamina, Myrrha etc., ungemein beliebt und wusste in der
That ihren Gesang durch Naivetät und Innigkeit anziehend zu beleben. Leider
starb sie sclion, ohne ein höheres Ziel erreicht zu haben, am 30. Juli 1826,
nachdem sie 1824 ihrer Körperleiden wegen der Bühne hatte entsagen müssen.
Hase, Wolfgang, deutscher Tonkünstler und Theologe, geboren zu
Quedlinburg ums Jahr 1600, in den Mannesjahren, 1636, Cantor an der
Stiftsschule Sanct Alexandri zu Eimbeck und gestorben als Pfarrer zu Negen-
born im Amte Salzderhelden, gab als Cantor heraus: »Gründliche Einführung
in die edle Musik oder Singkunst« (Osterode, 1643). Eine zweite von ihm
vermehrte und verbesserte Auflage dieses Werkes erschien zu Goslar im
J. 1657. t
Uaseubalgr, Johann Friedrich, trefflicher ausübender Tonkünstler und
Componist, geboren 1771 zu Werna in der Grafschaft Hohenheim, erhielt seine
erste musikalische Bildung von seinem Vater, eine gute wissenschaftliche Er-
ziehung aber auf mehreren öffentlichen Sclmlen. Im J. 1807 wurde er Musik-
direktor am Martineum zu Braunschweig und 1828 am vereinigten Gesammt-
gymnasium daselbst. Ausserdem gründete er die noch bestehende Braun-
schweiger Singakademie, welche er zwölf Jahre hindurch mit grosser Umsicht
leitete und war aiich sonst als Musiklehrer erfolgreich thätig. In seiner Jugend
hatte er sich lange mit der Harfe beschäftigt, die er aber mit Beginn seiner
Lehrerlaufbahn liegen Hess. Er starb am 28. Juli 1859 zu Braunschweig.
Componirt hat er Kirchen- und Schulgcsänge, Sonaten für Harfe und Violine,
Fantasien und Variationen für Harfe u. s. w. — Seine beiden Töchter, Caro-
line und Herrn ine H., bildete er musikalisch vortrefflich aus, so dass sie
sich um 1825 eines guten Rufes erfreuten, die Erstere, nachmals an den Hofrath
Prof. Marx in Braunschweig verheirathet, als Pianistin, die Andere als
Harfenspielerin.
Hasenliuopü", Sebastian, deutscher Contrapunktist des 16. Jahrhunderts,
aus Salzburg gebürtig, hat sein Andenken durch Motetten für 5, 6, 8 und
mehr Stimmen (München, 1588) erhalten. Die königl. München er Bibliothek
besitzt ein Exemplar derselben. Vgl. Draudii Jiibl. class. p. 1618. f
Haserodt, Musikdirektor und Organist zu Eschwege, war der Oheim des
bekannteren Johann Andreas H., geboren am 12. Febr. 1694 zu Schlottheim
in Thüringen, dessen Vater früh starb. Er nahm sich seines Neffen sehr warm
an, adoptirte ihn und unterrichtete ihn, so weit er vermochte, selbst, besonders
in der Musik. Im J. 1714 schickte er denselben auf die Universität zu Jena,
wo dieser jedoch nur 1'/« Jahr verweilte, indem der Oheim starb und er zu dessen
Nachfolger im Berufe erwählt wurde. Er führte sich durch Aufführung einer
selbstcomponirten Kirchenmusik ins Amt ein. Vgl. Hiller's Nachrichten im
dritten Bande. f
Hasert, Johann, deutscher Trorapetenvirtuose und Instrumentbauer, ge-
boren zu Bercka, voi-mals Haynich in Thüringen, am 1. April 1680, zeigte von
Jugend auf viel Talent zur Musik und zur Schnitzkunst. Erstere erwählte
er zum Beruf und erlernte 1699 die Trompeterkunst. Er begab sich 1701 in
Kriegsdienste und maclite neun Feldzüge in Brabant mit. In den Wintermonaten
Hasert. 79
studirte er fleissig in der Kunst weiter. Im J. 1709 wurde er Hoftrompeter
zu Eisenacli und verweilte dort bis zu seinem bald nach 1732 erfolgten Tode.
In seinen letzten Lebensjahren verwerthete H. auch noch seine mechanische
Anlage, indem er sehr gute Violinen, Violdigamben , Violoncelle und Claviere
kleinster Form fertigte und eine Instrumentbauwerkstatt bleibend errichtete, f
Hasert, Rudolph, vorzüglicher deutscher Pianofortevirtuose, geboren am
4. Febr. 1826 zu Greifswald, war der Sohn eines dortigen theologischen Pro-
fessors und erhielt bei frühzeitig sich geltend machendem Musiktalente den
ersten guten Ciavierunterricht. Dem AVillen seines Vaters gemäss durfte er
sich zwar mit der Musik beschäftigen und auf sich einwirken lassen , was die
Greburtsstadt an künstlerischen Genüssen bot, allein als Lebeusberuf sollte er
das Studium der Theologie erwählen und trat in Folge dessen, nach Durch-
laufung des Gymnasiums, zu Greifswald in das erste TJniversitätssemester ein.
Zur Fortsetzung der gottesgelehrten Studien begab er sich 1847 nach Halle,
wo er bei Hob. Franz die ersehnte musikalische Nahrung in Hülle und Fülle
fand. Er erklärte dem Vater nun seinen Entschluss, sich ausschliesslich der
Tonkunst zu widmen und ging nach Berlin, wo er von 1848 bis 1850 bei
Theod. Kullak das höhere Pianofortespiel und bei S. W. Dehn Composition
und Contrapunkt mit hingebendem Eifer studirte. Die unausgesetzt betriebenen
technischen Uebungen brachten aber ein Fingerleiden zu Wege, das ihn auf
nicht zu bestimmende Zeit der musikalischen Ausübung entzog und endlich
veranlasste, wieder zur Universität zurückzukehren.
In Greifs vvald beendete er nach Jahresfrist das Studium der Theologie
durch das übliche Examen und unternahm zunächst eine Vergnügungsreise
nach Stockholm. Dieser Ausflug wurde aber zu einer Kunstreise. Denn in
der schwedischen Hauptstadt und in durchaus künstlerischer Umgebung er-
wachte seine Leidenschaft für die Musik aufs Neue, und er Hess sich leicht
bestimmen, in einem Concerte der Sängerin Henriette Nissen als Pianist mit-
wirkend aufzutreten. Mit Vortrag von Liszt's Sonnambula-Fantasie erzielte er
einen glänzenden Erfolg, durch den angefeuert, er concerdrend Gothenburg,
Christiania und Kopenhagen besuchte. In letzterer Stadt war seine Aufnahme
eine warm entgegenkommende; er wurde daselbst auch zu den Hofconcerten
gezogen und erhielt den Titel eines dänischen Hofpianisten. Im J. 1855 Hess
sich H. ebenfalls erfolgreich in Paris hören und begab sich hierauf, einen treff-
lichen Virtuosenruf vorausschickend, wieder nach Deutschland. Weimar übte
auch auf ihn zunächst seinen magnetischen Einfluss aus, und dort fand er bei
Liszt ein warmes Entgegenkommen und einen anregenden Umgang. Missliche
Geldverhältnisse aber gestatteten nicht, seinen Aufenthalt allzu lange auszu-
dehnen, und er kehrte in seine Heimath zurück, von welcher aus er nochmals
Dänemark, sodann Hamburg und 1860 Berlin besuchte. In letzterer Stadt
veranstaltete er drei Concerte, deren künstlerisches Resultat nicht befriedigen-
der sein konnte und H. bewog, sich gänzlich in Berlin niederzulassen. Von
1861 bis 1869 wirkte er daselbst als Musiklehrer und Componist, freilich aber
in so stiller und bescheidener Weise, dass er der sich hervordrängenden Con-
currenz fast immer das Feld räumen musste. Ueberwiegend sah er sich auf
Anfertigung von Ciavierarrangements und Transscriptionen angewiesen, die er
zum grossen Theil pseudonym herausgab. Von seinen eigenen Compositionen
für Pianoforte, sowie für eine Singstimme ist im Laufe der Zeit nur der ge-
ringste Theil erschienen. Unter denselben ragt eine Etüde für die linke Hand
als ein in ihrer Art unübertreffliches Uebungsstück hervor, wie denn überhaupt
H.'s Fertigkeit mit dieser Hand auf einer wahrhaft fabelhaften Höhe steht.
Von wohlmeinenden Freunden berathen, gab H. 1870 der ausübenden Ton-
kunst, die ihn nicht sorgenfrei hinzustellen vermochte, Valet und nahm eine
Predigerstelle an der Strafanstalt zu Straussberg an, von wo aus er 1872 in
gleicher Eigenschaft an die evangelische Kirche zu Rathenow versetzt wurde.
In eifriger Amtsthätigkeit betreibt er hier die Musik, in der er bis zu einem
gQ Hasius — llasier.
der höchsten Gipfelpunkte vorgedrungen ist, lediglich zu eigenem Genüsse und
zu eigener Erbauung.
Uasius, Johann Matthias, deutscher Gelehrter, war zuletzt Professor
der Mathematik in Wittenberg und hat als Magister und Assessor der philo-
sophischen Fakultät zu Leipzig eine »Dissertalio de Tuhis stentorcisv. (Leipzig,
1719) herausgegeben. t
Hasler, Dominicus, Mönch und Organist in der Abtei Lucelle, vielleicht
ein Sprosse der berühmten hier folgenden Musikerfamilie dieses Namens, ver-
öffentlichte y^Vl Sonates pour VOrguev. (Nürnberg, 1750). f
Hasler, Isaac, der Vater dreier berühmter deutscher Musiker, deren
ältester einer der grossen Altmeister des Orgelspiels und der evangelischen
Kirchenmusik ist, war um die Mitte des 16. Jahrhunderts Musiker in Joachims-
thal, zog aber dann nach Nürnberg, wo ihm seine Söhne geboren wurden,
deren ersten musikalischen Unterricht er selbst übernahm. — Von diesen giug
der älteste, Johann Leonhard H. (gewöhnlich von seinem Aufenthalte in
Oesterreich her Hans Leo von H. genannt), geboren 1564 zu Nürnberg,
nachdem er der väterlichen Unterweisung entwachsen war, 1584 nach A^enedig,
wo er im Contrapunkt und in der Composition ein Schüler des berühmten
Andrea Gabrieli wurde, mit dessen Neffen, seinem Mitschüler, er innige Freund-
schaft schloss. Nach einjährigem Aufenthalte in dieser strengsten und ge-
diegensten Schule damaliger Zeit, wurde er auf der Rückreise in die Heimath,
wahrscheinlich auf direkte angelegentliche Empfehlung Gabrieli's hin, 1585 in
dem berühmten Fugger'schen Hause in Augsburg, dessen Majorat Octavianus II.
führte, als Organist angestellt. In dieser Stellung componirte und veröffent-
lichte er seine gefeierten vierstimmigen Cauzonetteu und fünf- bis achtstim-
migen geistlichen Festgesänge (28 lateinische Motetten), seine Madrigale, Messen
u. s. w. , welche die damalige Welt in ihrer mit Gediegenheit gepaarten An-
muth wahrhaft überraschten und sämmtlich wiederholte Auflagen erfuhren.
Kurz vor seinem Weggange aus dem Fugger'schen Hause Hess er seine gleich-
falls unerhörtes Aufsehen machenden y^öantiones novae ad modum italicum oder
Newe teutsche Gesänge zu 4, 5, 6 vnd 8 Stimmen« (Nürnberg, 1597) er-
scheinen. Als Hofmusicus trat H. 1601 in die Kapelle des Kaisers Rudolph II.
zu Wien, und hier soll er seiner grossen Kunstmeisterschaft wegen durch
kaiserliches Decret in den Adelstand erhoben worden sein, eine Thatsache,
welche jedoch noch nicht unanfechtbar erwiesen ist. Während seines Aufent-
haltes in Wien schrieb er fortgesetzt zahlreiche mehrstimmige deutsche Gesänge,
aber auch Ballette, Gagliarden, Intraden u. s. w. für Instrumente. Im J. 1608
zogen ilm die Kurfürsten von Sachsen, Christoph IL und Johann Georg, als
Hoforganisten nach Dresden, und namentlich schätzte ihn der Letztere so hoch,
dass er ihn fast niemals aus seiner Nähe liess. Mit diesem Fürsten machte
H. auch 1612 die Reise nach Frankfurt a. M., wo ihn aber am 8. Juni des-
selben Jahres der Tod ereilte, welcher einem schon lange mit sich herum-
getragenen schwindsüchtigen Leiden ein Ende machte. H.'s Bedeutung als der
grösste Orgelspieler seiner Zeit wird noch von seiner epochemachenden Stellung
in der Kunstgeschichte als Meister des geistlichen und weltlichen Liedes über-
boten. Als solcher gebührt ihm auch das Verdienst, von der Wende des 16.
und 17. Jahrhunderts etwa an, den Grund zu den nachmaligen leichter fass-
lichen und angenehmeren Melodien der Lieder in der evangelischen Kirche
gelegt zu haben, weshalb seine zahlreichen dahin gehörenden Werke, die meisten-
theils zuerst in Nürnberg erschienen, nachher aber allenthalben neu aufgelegt
wurden, einen unzerstörbaren historischen Werth besitzen, wie denn überliaupt
alle seine Arbeiten das Zeichen der Classicität jener alten Zeit an der Stirn
tragen. JNIehrere seiner Choralmelodien befinden sich u. A. auch in dem zu
Strassburg erschienenen Hizler'schen Choralbuche. Eine der schönsten ist die
mit den Worten nHerzlich thut mich verlangen« (oder »Befiehl du deine Wege«
u. s. w.) beginnende, wclrl.c ursprünglich auf den Text des weltlichen Liedes
Haslinger. Q\
»Mein G'müth ist mir verwirrt« (»Lustgarten deutscher Gresänge«, Nürnberg,
1601) componirt war. Nach Tucher ist sie wahrscheinUch aus dem Görlitzer
Gresangbuche von 1613 zuerst in den kirchlichen Grebrauch gekommen. Eine
katholische Autorität (Proske) sagt besonders schwerwiegend über den evan-
gelischen H. : »Die Schreibart dieses Meisters im Figuralsatze vereinigt in sich
das Höchste und Schönste, was deutsche und italienische Kunst jener Zeit zu
leisten vei'mochte. Bei reichster Gedankenfülle sehen wir ihn immer klar, be-
stimmt und fest; innerlich gehaltvoll, schwunghaft und wirksam nach aussen,
besonders im mehrchörigen Satze. Neuere Bahnen betrat er vorsichtiger als
der jüngere Gabrieli; er hielt zwischen diesem und dem gemeinsamen grossen
Lehrer Andrea Gabrieli die Mitte. Ein edler Wetteifer dieser jungen Künstler
unter sich ist jedoch nicht zu verkennen; den sichersten Beweis davon liefert
eine Sammlung der grossartigsten Musiksätze, welche nach dem Tode dieser
Meister erschien (die unter Gabrieli namhaft gemachten yyJReliquiae«) , deren
Kunstgehalt zu solcher Höhe gesteigert ist, dass mau vor Staunen und Be-
wunderung nicht zu entscheiden vermag, welchem von Beiden der Preis
gebührt.« —
Der jüngere Bruder Johann Leonhard's, Jacob H., geboren 1566, starb
zu Hechingen als Organist des Grafen von Hohenzollern. Auch er gehörte
zu den berühmtesten Orgelvirtuosen seiner Zeit und hat sich als Componist
zahlreicher Messen, Magnificats, Psalme u. s. w., die von 1601 bis 1608 zu
Nürnberg erschienen, hervorragend ausgezeichnet. Unter diesen wird der von
ihm componirte 51. Psalm für acht Stimmen besonders hoch geschätzt. — Der
jüngste der Brüder, Kaspar H. , stand als Meister der Praxis und Theorie
dem ältesten am nächsten. Geboren um 1570, wurde er 1587 Organist in
seiner Vaterstadt Nürnberg und blieb in diesem Amte bis zu seinem Tode
im J. 1618. Mit seinem Bruder Johann Leonhard als dem 40. gehörte er
als der fünfte zu den 53 Sachverständigen, welche 1596 das Orgelwerk zu
Grüningen bei Halberstadt untersuchen und abnehmen mussten. Aber auch
als Ciavierspieler hat er sich einen Namen in damaliger Zeit erworben. Ai'-
beiten von ihm finden sich in der Sammlung riSymjjhoniae sacrae von 4, 5 bis
16 Stimmen« (1. Theil, Nürnberg, 1598; 2. Theil ebendas. 1600), welche auch
Werke anderer zeitgenössischer Componisten enthält. Von diesen y>8ymj)}wniae
sacrae«. giebt übrigens Clessius noch eine ausdrücklich unter H.'s Namen eben-
falls 1598 zu Nürnberg erschienene Ausgabe.
Haslinger, die Firma einer .der bedeutendsten Musikverlagsgeschäfte
Deutschlands, welche ihren Sitz in Wien hat und deren Inhaber sich durch
musikalische Intelligenz ganz besonders hervorthaten. Gründer derselben ist
Tobias H., geboren am 1. März 1787 zu Zell in Oberösterreich. Derselbe
war anfangs Geschäftstheilnehmer dei- Musikalienhandlung von S. A. Steiner
und Compagnie, deren alleiniger Inhaber er 1826 wurde, von welcher Zeit an
er dieselbe unter eigenem Namen fortführte. Mit den Musikkoryphäen seiner
Periode, wie Beethoven, Fr. Schubert, Fr. Lachner, Lindpaintner u. v. A. stand
er nicht allein im geschäftlichen, sondern auch im freundschaftlichsten Ver-
kehre, und die Namen sowie die Werke derselben waren es denn auch haupt-
sächlich, welche seinen Verlag in Flor brachten. Er starb am 18. Juni 1842
zu Wien. — Sein Sohn und Geschäftsnachfolger, Karl H. , hat sich zugleich
auch als ausübender und schaffender Tonkünstler ausgezeichnet. Geboren am
11. Juni 1816 zu Wien, erhielt derselbe eine sorgfältige wissenschaftliche und
künstlerische Ausbildung. Sein laugjähriger Lehrer im Piauofortespiel war
Karl Czerny, in der Composition der Ritter von Seyfried, und durch diesen
Unterricht gestählt, legte er schon in den 1830er Jahren glänzende Proben
seiner musikalischen Tüchtigkeit ab. Bis zu seinem Tode, welcher am 26.
Decbr. 1868 zu Wien erfolgte, beförderte er über 100 von Werken verschie-
denster Gattung seiner Composition in den Di-uck, vergrösserte aber auch
ausserdem seinen blühenden Verlag in kunstwürdiger Art. Um die Musik zu
Musikal. Couvers. -Lexikon. V. 6
82 Hasse.
heben, veranstaltete er mit reichen Mitteln unausgesetzt, theils in seinem Hause,
theils in den grossen Sälen Wiens Mittags- und Abendconcerte, in welchen er
unter Herbeiziehung von einheimischen und fremden Kunstnotabilitäten wenig
bekannte ältere gediegene, sowie neue, der empfehlenden Einführung bedürftige
Tonschöpfungeu vorführte. In Ansehung aller dieser und anderer einschlä-
giger Verdienste wurden ihm zahlreiche Auszeichnungen vom Kaiserhofe , von
Vereinen und Musikgesellschaften zu Theil, Von seinen eigenen Arbeiten sind
zu nennen: die Oper »Wanda«, die Cantate »die Grlocke«, Text von Schiller,
die Sinfonie • Cantate »Napoleon«, Quartette, Trios, Claviersolosachen, Lieder
u. s. w. Auch seine geistlichen Compositionen sind anzuführen; diese und jene
Messe von ihm wird noch dann und wann beim Gottesdienste in den Kirchen
Wiens aufgeführt. In Bezug auf das Arrangement für industrielle Verlags-
zwecke entfaltete er gleichfalls eine immerhin anzuerkennende Thätigkeit, indem
er, fremde Hülfe verschmähend, meist selbst die ei'forderliclien Potpourris,
Trausscriptionen und Ciavierbearbeitungen (darunter alle bei ihm erschienenen
Strauss'schen Orchestertänze und Märsche) setzte. Sein sehr umfangreich ge-
wordenes Verlags- und Sortimentsgeschäft am Graben zu Wien führt noch
gegenwärtig seine Wittwe, Josephine H., unter der bisherigen Firma »Karl
Haslinger, quondam Tobias« fort.
Hasse, der Name mehrerer deutschen Tonkünstler und Instrumentenmacher,
unter denen der zuletzt zu erwähnende Johann Adolph H. diesen Namen
zu hohem Glänze und unvergänglichem Ruhme erhoben hat. Zunächst sind
die beiden H. , Vater und Sohn, zu erwähnen, deren Vornamen nicht bekannt
geblieben sind, die aber als bedeutende Instrumentenmacher bis in die letzten
Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts hinein in Hamburg wirkten und sich durch
Fabrikation von vorzüglichen Flügeln und Ciavieren einen weithin gehenden
Ruf erworben haben. Um 1773 war allem Anscheine nach keiner von Beiden
mehr am Leben. — Ein anderer H. mit unbekanntem Vornamen starb 170.3
als Domorganist zu ÄTagdeburg. — Die Reihe der bekannteren Träger dieses
Namens eröffnet: 1) Franz Xaver H. , in der ersten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts Musikdirektor des Bischofs von Basel, welcher 1751 zu Augsburg
von seiner Composition sechs Trios für Streichinstrumente als op. 2 veröffent-
lichte. — Es folgen: 2) Gustav H., hervon-agender Liedercomponist der
Gegenwart, geboren um 1838 zu Halle a. S. In seiner Vaterstadt sowie in
Leipzig studirte er Clavierspiel, Clarinette und Theorie, war in mehreren Or-
chestern und Hess sich etwa 1868 in Berlin als Musiklelirer nieder. Von dort
aus veröffentlichte er eine Anzahl von Liedgesängen, welche von einem be-
deutenden lyrischen Talente, von feinem Geschmacke und einer sinnigen Auf-
fassung Zeugniss ablegen, so dass die Acten über diesen jungen Componisten
voraussichtlich noch lange nicht geschlossen sind. — 3) Nicolaus H., Ton-
künstler des 17. Jahrhunderts, welcher um 1650 an der Marienkirche zu
Rostock als Organist angestellt wax'. Von seinen schöpferischen Arbeiten hat
derselbe mehrere durch den Druck veröffentlicht. Folgende derselben führt
E. L. Gerber in seinem Tonkünstlerlexicon vom J. 1812 an: y>Deliciae Mu-
sicaea, Allemanden, Couranten und Sarabanden auf 2 oder 4 Violinen, Violon,
Clavicymbel oder Tiorbe zu musiciren (Rostock, 1656); »Musikalische Erqvick-
stunden«, in Allemanden u. s. w. auf 2 Violinen, Violadagamba, 1 A^iolon,
Clavicymbel oder Tiorbe (Ebendas., 1658); y>Appendix etlicher Allemanden,
Couranten etc.« so Sirassburgische Studiosi an Rostockische Studiosos über-
sendet gehabt (Rostock, 1658); und »Melodien zu Dr. Heinrich MüUer's himm-
lischen Liebesflammen« in zehn geistlichen Liedern. Letztere sind in Müller's
Betrachtungen von geistlichen Liedern (Nürnberg, 1728) enthalten. Der Zeit-
genossen TJrtheil über H.'s Compositionen war lobend, wie Wetzel's Auslassungen
darüber bestätigen. — 4) Peter H. lebte um 1700 als Organist der Kirche
und Scbullehrer zu Bergedorf bei Hamburg und war der Vater von
Hasse, Johann Adolph, dem berühmtesten und in fast ganz Europa
Hasse, 83
gefeiertsten Operncomponisten der vormozart'schen Musikepoche. Geboren am
25. März 1699 zu Bergedorf, erhielt er von seinem Vater den ersten Unter-
richt in der Kunst. Um seine Studien fortzusetzen, ging er in die benach-
barte grosse Hansestadt, welche zu jener Zeit gerade der Mittelpunkt bedeu-
tender musikalischer Bestrebungen war. Grlückliche Anlagen, ein angenehmes
Aeussere und eine schöne Tenorstimme erwarben ihm die Theilnahme eines
einflussreichen Schriftstellers, Ulrich König, der ihn dem Direktor der ersten
stehenden deutschen Oper Hamburgs, dem berühmten Reinh. Keiser, empfahl.
In den Opern des Letztgenannten erschien H. zum ersten Male als Sänger auf
der Bühne. Ueberhaupt hat Keiser den grössten Einfluss auf die allseitige
Entwickelung der Fähigkeiten des jungen H. im Gesänge, Ciavierspiel und
Tonsatz gehabt, wie es H. denn an vielfacher Anregung in Hamburg überhaupt
nicht fehlte. Der Erfolg seines ersten und ferneren Auftretens und einige
talentvolle Compositionsversuche verschafften ihm bald eine neue Empfehlung
König's und zwar an den Hof von Braunschweig, wo H. 1722 eintraf und
zuerst als Opernsänger auftrat. Ein Jahr später, 1723, Hess er schon seine
erste Oper »Antigonus« dort aufführen. Dieses Werk, welches einige sehr an-
sprechende Sätze enthielt und überaus beifällig aufgenommen wui'de, Hess gleich-
zeitig wahrnehmen, was dem jungen Künstler noch Alles an einer guten theo-
retischen Ausbildung fehlte, und der Herzog von Braiinschweig entschloss sich
daher, ihn zur Vollendung seiner Musikstudien nach Italien gehen zu lassen.
Im J. 1724 kam H. in Neapel an und begab sich für den Anfang unter die
Leitung Porpora's, dessen Charakter und Rathschläge ihm aber nicht sugesagt
zu haben scheinen.
Da H. ein fertiger Ciavierspieler war, so wurde er in der feinen Gesell-
schaft sehr gern gesehen und hatte dadurch Gelegenheit, vor dem alten Ales-
sandro Scarlatti zu spielen, der ihn lieb gewann und bald ihm eine fast väter-
liche Zuneigung schenkte. Von den E,athschlägen und dem Schutze Scarlatti's
seit 1725 unterstützt, hatte H. das Glück, einen reichen Kaufherrn kennen zu
lernen, welcher von ihm eine zweistimmige Serenade für ein Familienfest ver-
langte. Dies Musikstück wurde später öffentlich und zwar von dem berühmten
Farinelli und der Tesi vorgetragen, und der Ei'folg dieser Leistung H.'s war
so gross in Neapel, dass der junge und liebenswürdige deutsche Künstler (ü
caro Sassone, wie ihn die Schönen Neapels schon nannten, welcher Beiname
ihm auch für die Zukunft verblieb) die Aufforderung erhielt, für das grosse
königl. Theater eine Oper zu componiren. Es war dies »Sesostrate«, welches
Werk im Mai 1726 gegeben wurde und bald den Namen des jungen Meisters
durch ganz Italien verbreitete. Er selbst aber ging 1727 nach Venedig, wohin
ihn sein guter Stern und der Glanz einer Stadt riefen, die nicht ihres Gleichen
in der Welt hat. Er war 28 Jahre alt, in der Vollkraft des Lebens und in
der ersten Entfaltung seines Ruhmes begriffen, was der jugendlichen Zuversicht
ein so unendliches Wachsthum verleiht. Er wurde von dem hohen vene-
tianischen Adel mit grosser Auszeichnung empfangen und in ihre Paläste und
Clubs eingeführt.
Im Theater und in der Kirche bewundert, von der grossen Welt ausge-
zeichnet, zu deren Unterhaltung er durch seine herrliche Stimme und sein
Talent als Clavierspieler das Beste beitrug, wurde er schnell der Held des
Tages. Die Damen bekränzten ihn mit Blumen, die geschäftigen Abbates aus
der eleganten Sphäre verfolgten ihn mit ihren Sonetten, sogar die Gondelfahrer
begleiteten ihn mit dem lärmenden Zurufe: »Es lebe der geliebte Sachse!« Er
wurde noch 1727 zum Professor und Kapellmeister an einer der vier Musik-
schulen Venedigs, am Conservatorio degV Incurabili, ernannt, für welche er ein
Miserere für zwei Sopran-, zwei Altstimmen und Streichquartett componirte,
das seinen Ruf behauptete, in der Folge alljährlich am Charfreitage in Venedig
aufgeführt wurde und über welches sich der Padre Martini, der sich auf der-
gleichen verstand, wie kaum ein Anderer, mit Entzücken äusserte. Nach einer
6*
84 Hasse.
kurzen Heise nach Neapel, 1728, wohin er ging,, um eine neue Oper, •nAttalo,
re di Bitinian, aufführen zu lassen, welche seine früheren glänzenden Erfolge
nur bestätigte, kehrte er nach Venedig zurück, wo ihn eines der glücklichsten
und beneidetsten Ereignisse seines Lebens erwartete.
Es lebte zu jener Zeit, vom Theater in London gekommen, in dieser
Wunderstadt eine junge, schöne Frau von bezauberndem Geiste, eine jener
Königinnen der Kunst und der Phantasie, wie sie einzig Italien hervorbringen
kann. Faustina Bordoni, die hier Gemeinte, 1700 zu Venedig von wohl-
habenden und angesehenen Eltern geboren, ward schon in früher Jugend für
die dramatische Laufbahn bestimmt. Kenntnissreich, lebhaft und von Ehrgeiz
erfüllt, studirte sie mit Eifer die Gnindsätze des Gesanges und der Musik
überhaupt unter der Leitung des vortrefflichen Francesco Gasparini, welcher
auch der Lehrer Marcello's und Direktor des Conservatoriums della pietä war.
Die seltenen Anlagen Faustina's, ihre reizende Persönlichkeit und die Pracht
ihres schönen Organes zogen die Aufmerksamkeit des grossen und vornehmen
Benedetto Marcello, des Componisten der bewunderungswürdigen und allbe-
kannten Psalmen, auf sich, und er zog Faustina in seinen Palast, in welchem
er eine Art Akademie gebildet hatte, die allen berühmten Musikern , Dichtern
und Schöngeistern Venedigs zum Sammelplatz diente. Marcello selbst, als
eifriger Verehrer von Kunst und Wissenschaft, fand seine Freude daran, die
lernbegierige Jugend mit seiner Börse und seinem Unterrichte zu unterstützen.
Er gab der i-eizenden Faustina Lectionen, lehrte sie richtig athmen, den Ton
einsetzen und das Recitativ vortragen, welches in der guten altitalienischen
Schule für den wichtigsten Theil der Gesangskunst galt. Marcello arbeitete
damals gerade an seinen Psalmen, deren Text in italienischen Vei'sen ihm sein
Freund Girolamo lieferte, ein Edelmann , der sich ebenfalls nicht blos mit den
Vorzügen begnügte, die ihm seine Abstammung verliehen.
Sechszehn Jahre alt, trat Faustina in Venedig in »Ariodante« auf, der
Oper eines unbedeutenden Componisten, Polarolo. Vor diesem Volke von
Künstlern, welches so gut verstand, den Ernst der Politik mit den Zerstreu-
ungen eines heiteren Daseins, die Sorgen des Kaufmannes mit der Lebenslust
des Edelmannes zu vereinigen, war der Erfolg der jungen Künstlerin ein glän-
zender. Dennoch, sei es, dass Faustina selbst mit sich unzufrieden war, sei
es, dass ihr Marcello zu verstehen gab, wie viel ihr noch fehle, um das Ziel
zu erreichen, das er ihrem Ehrgeize gezeigt, genug, sie verschwand plötzlich
vom Schauplatze und hielt sich einige Zeit ganz zurückgezogen, um ihre schwie-
rigsten Parthien, mit denen sie später die Welt entzückte, aufs Sorgfältigste
zu studiren. Ein Jahr später, 1717, trat sie wieder und mit grösserer Sicherheit
auf. Sie feierte den vollständigsten Triumph, indem sie alle Herzen bezauberte.
Bald darnach nach Florenz berufen, ist für den unerhörten Jubel, den sie
erregte, ein unzweifelhaftes Zeugniss geblieben, nämlich eine Denkmünze, welche
man ihr zu Ehren prägte. Auch in Neapel wollte man ein so himmlisches
Wesen bewundern. Im J, 1722 erschien Faustina doi't zum ersten Male in
der Oper »Bajazet« von Leo, und errang einen vollständigen Erfolg. Ihr Ruf
war bereits über die Gränzen Italiens hinausgedrungen, und Faustiua wurde
am Theater zu Wien mit einem jährlichen Gehalte von 15,000 Guhlen ange-
stellt. Sie erschien gegen Ende 1724 am Hofe Kaiser Karl's VI., des Vaters
von Maria Theresia, des Mitbewerbers um die spanische Erbfolge und des viel-
leicht leidenschaftlichsten Musikliebhabers seiner Zeit, der selbst ausgezeichnet
Ciavier spielte und Opern componirte, welche die Mitglieder seiner Familie
und die Grossen seines Reiches aufführen mussten. Sein Hof wimmelte daher
auch von Musikern und Virtuosen, die ihm ungeheure Summen kosteten.
Faustina wurde von ihnen gut empfangen und erwarli sich bald den Beifall
auch der pedantischsten und peinlichsten Kunstrichter, zu denen der alte Ka-
pellmeister Fux gehörte.
Es scheint jedoch, dass sich auch Gegner dieses prachtvollen Talentes
Hasse. g5
erhoben. Die Eugherzigkeit des alten Wiens fand bald einige Vertreter, die
sich an dem Anblicke erbosten, wie diese holden Sirenen Italiens, ganz aus
Liebreiz gewoben, die Gunst des Hofes in Beschlag nahmen und in den Herzen
der Jugend sträfliche Wünsche erregten. Eaustina kümmerte sich wenig um
diese grämlichen Philosophen und zerstreute durch einen einzigen Ton alle
Wolken, mit denen man ihren Ruhm verdunkeln und ihre Allgewalt schwächen
wollte. Sie war zwei Jahre lang am österreichischen Hofe, als Händel, welcher
auf Reisen war, um Sänger zu suchen, die ihn in seinem Kampfe mit den
Gegnern seines Genies unterstützen konnten, nach Wien kam, sie hörte und
sofort für sein Theater in London für 2000 Pfd. Sterl. gewann. Faustina kam
1726 in England an, wo sie die Cuzzoni fand, welche dort seit drei Jahren
über die Herzen aller drei Königreiche herrschte und sich ihre Eroberung
nicht leichten Kaufes entreissen Hess.
Diese beiden berühmten und durchaus ebenbürtigen Künstlerinnen hatten
schon einmal in Venedig, im J. 1717, ihre Kräfte an einander gemessen, wo
sie zusammen in einer Oper Gasparini's, y>La manoa, sangen. Jede von ihnen
war zwar mit eigenthümlichen Vorzügen begabt, die sich noch mehr durch
ihren glücklichen Gegensatz hervorhoben, den beide Frauen bildeten, wenn sie
neben einander erschienen. Das Publikum aber, von dem interessanten Wett-
eifer Beider angezogen , reizte sie nur zu um so lebhafteren Anstrengungen,
durch deren Erfolge die grosse Welt in zwei Lager gespalten ward. Es war
dies der erste jener grossen Kämpfe, zu denen England seit Anfang des 18.
Jahrhunderts bis auf die allerneueste Zeit den Schauplatz abgab. In einer
Oper Händel's, »Alessandro«, sang Faustina zum ersten Male in London.
Neben ihr waren die Cuzzoni und der Sopranist Senesino beschäftigt, Alle mit
Aufgaben versehen, die ihrem Talente vom Componisten vortrefflich angepasst
waren. Die Cuzzoni sang die erste Arie, y>Dolce amor sorrisea , welche höchst
anmuthig war; dann folgte eine Arie der Faustina: y^LusingJie piu caran, von
einem etwas kräftigeren Charakter und so frischer Melodie, dass dieselbe bald
populär wurde. Nachdem so Jede einzeln sich versucht hatte, sangen Beide
als Clorinde und Herminia ein Duett zusammen, worin Händel mit vielem Takte
die Eigenliebe beider Rivalinnen berücksichtigt hatte. Der Eindruck dieser
Nummer war unbeschreiblich wunderbar. Im dritten Akte sang die Cuzzoni
noch: »Älla sua gabhia d''oro<s. und triumphirte vollständig damit. Später sangen
beide Künstlerinnen nochmals zusammen in der letzten Oper Händel's, »Othon«,
in welcher die Cuzzoni eine Arie zum Entzücken vortrug. Dann aber musste
man die Beiden getrennt von einander halten, denn der Krieg zwischen ihnen
war erklärt, und es misslang selbst Händel, trotz seiner Willensfestigkeit und
der herben Strenge seines Wesens, diese beiden entgegengesetzten Noten der
Tonleiter der Leidenschaft mit einander in Einklang zu bringen. Die Zer-
würfnisse künstlerischer Eifersucht gingen so weit, dass ein englischer Verfechter
der Faustina sich mit einem französischen Prinzen des Hauses Orleans, der
ein Verehrer der Cuzzoni war, duellirte und Sieger blieb. Die Cuzzoni musste
in der That vorläufig England verlassen, wo sich ihre Nebenbuhlerin als
Herrin des Kampfplatzes behauptete. Hochgefeiert und mit Ehren und Gold
beladen, kehrte endlich Ende des Jahres 1728 auch Faustina nach Venedig
zurück und lebte dort längere Zeit zurückgezogen^ aber von Anbetern umgeben
und eine feenhafte Pracht um sich verbreitend. Da sie der Ruhe bedürftig
war, so sang sie nur in befreundeten Häusei'n vor einem ausgewählten Zu-
hörerkreise, aber auch blos, wenn sich ihr Meister Benedetto Marcello da-
selbst befand.
In dieser Zeit fühlte sich Faustina von dem Aufsehen belästigt, welches
der ihr noch unbekannte junge H., schon berühmt durch seine Leistungen und
seine liebenswürdige Persönlichkeit, in Venedig machte. Sie hatte es entschieden
abgelehnt, ihn zu sehen, aus Eigensinn vielleicht, oder aus Verdruss, dass sie
ihn noch nicht unter den Höflingen bemei'kte, die ihre Zurückffezoffenheit be-
86 Hasse.
lebten. Eines Tages willigte sie endlich nicht ohne Sträuhcn ein, sich in eine
Gesellschaft zu begeben, wo der caro Sassone ebenfalls erscheinen sollte. Dieser,
höchst anspruchslos in seinem Auftreten, blieb einen Theil des Abends unbe-
achtet in einer Ecke, bis man ihn endlich ersuchte, ein Stück seiner Compo-
sition zu singen. Er wählte eine jener gefühlvollen Arien, die er gar trefflich
zu componiren verstand, und spielte dann noch mit grosser Vollendung eine
der schwierigen Sonaten von Scarlatti. Ohne Faustina gesehen zu haben, die
hinter seinem Rücken ihm mit steigendem Entzücken zuhörte, gingen Beide
auseinander. Aber das leicht entzündbare Herz der italienischen Künstlerin
hatte Feuer gefangen; nicht gewöhnt, sich einen Wunsch zu versagen, zog sie
H. in ihre Nähe, und kurze Zeit nach dieser glücklichen Begegnung folgte die
Aufsehen machende Vermählung Beider. H. brachte seiner Gattin als »Morgen-
gabe« eine schöne Parthie in der ersten Oper, welche er für sie schrieb, »Da-
lisa«, die 1730 in Venedig zur Aufführung gelangte. Er schrieb für seine
geliebte Venetianerin noch eine zweite Oper, eine seiner besten Partituren:
»Artaserse«, welche im Theater des heiligen Johannes Chrysostomus mit grossem
Erfolge gegeben wurde.
Damals traf ihn ein glänzender Ruf als Ober-Kapellmeister an den königl.
polnischen und kurfürstl. sächsischen Hof in Dresden, und er begab sich mit
seiner Faustina, die gleichzeitig als Primadonna der dortigen italienischen Oper
engagirt worden war (Beide mit 12,000 Thalern Grehalt), nach Deutschland
zurück. Wahrscheinlich hielten sie sich in München auf der Durchreise auf
und Faustina Hess sich auch hören, denn ein Schöngeist des bairischen Hofes
widmete ihr ein lateinisches Gedicht, von dem einige Verse das Talent der
reizenden Sängerin sehr richtig als ein Herz und Gemüth bewegendes charak-
terisiren. An dem Hofe des prunkvollen, galanten Kurfürsten August II.,
welcher der Mittelpunkt von Intriguen und Verführungen aller Art war, traf
H. mit seiner schönen Faustina 1731 ein. Beide waren noch jung, beide ge-
feiert und anerkannt Meister in der Kunst des Gefallens. Die erste Oper,
welche H. für das Dresdener Theater schrieb und mit reichen Gesang- und
Orchesterkräften aufführte, war y^Älessandro nelV Indien, die als eines seinei-
Meisterwerke betrachtet wurde. Faustina war bewundernswürdig darin und
verdiente den Beifall der strengsten Kunstrichter. Alle Opern, welche H.
während der dreissig Jahre componirte, die er am sächsischen Hofe zubrachte,
waren darauf berechnet, den Ruhm der schönen Venetianerin, die ihm unauf-
hörlich als seine wirkliche Muse vorschwebte, zu verherrlichen. Aber schon
die ebengenannte Oper brachte den feurig liebenden Gatten um den Alleinbesitz
seiner angebeteten Frau. Denn gar zu glanzvoll zudringlich hatte er die Vor-
züge derselben in das schönste Licht zu stellen sich bemüht, als dass nicht
der leidenschaftliche Kurfürst für die in jeder Beziehung reizende Sängerin
hätte glühen sollen.
Dem Gatten wurde demnach deutlich aber entschieden unter den Fuss
fresreben, er möge zum Besten der Kunst und seines Talentes abermals eine
Reise nach Italien unternehmen. Tiefen Kummer im Herzen, aber sich ins
Unvermeidliche fügend, verliess er 1733 Dresden für einige Zeit, seine allzu
verführerische Faustina zurücklassend, wie es befohlen. Ihr Bild aber trug er
im Innersten seiner Seele mit sich hinweg und durchwanderte das Land seiner
ersten Triumphe, besuchte abermals die Städte Venedig, Mailand, Neapel, indem
er Opern schrieb, die überall mit demselben Beifallssturm aufgenommen wur-
den, deren Erfolge aber sein Lebensglück nicht mehr ausmachten. In Dresden
1)efand sich der Gegenstand aller seiner Gedanken; dahin eilte er bis 1740
immer wieder, von Hoifnung und Besorgniss erfüllt, zurück und wurde, kaum
angelangt, von höchster Seite her wieder gehen gehcissen. H. war in dieser
Periode, 1733, von Italien aus auch nach England berufen worden, um den er-
bitterten Kampf, dessen Schauplatz London geblieben war, mit fortsetzen zu
helfen. Als man ihm diesen Vorschlag machte, rief er mit einer seines Talentes
Hasse. 87
würdigen Bescheidenheit aus: »Ist denn Händel todt?« Ei- konnte sich nicht
denken, dass ein Land, welches ein so grosses Genie wie Händel zu besitzen
das Griück hatte, sich an andere Componisten wenden konnte. Obwohl mit der
grössten Auszeichnung behandelt, verweilte er nur kurze Zeit in London, kaum
länger, als um die Inscenesetzung seines »Artaserse« zu leiten, um nicht mit
dem überragenden Meister in Nebenbuhlerschaft zu treten.
Im "Winter von 1739 auf 1740 war H. in Venedig, und diesmal war seine
geliebte Gattin bei ihm. Mit ihr kehrte er hierauf nach Dresden zurück, wo-
selbst nun Faustina ihren noch immer fast unbeschränkten Einfluss zu Gunsten
ihi-es Mannes und seiner Stellung geltend machte. Dennoch hatte H. in stark
befestigter musikalischer Souveränetät noch immer mit AViderwärtigkeiten zu
kämpfen, deren Hauptgegenstand der alte Porpora, sein erster italienischer
Lehrer, war, den sich die Erbprinzessin von Sachsen, eine Erzherzogin von
Oesteri-eich, zum Gesangslehrer ei-koren hatte. Seit ihrer Begegnung in Neapel
widmeten sich diese gefeierten Musiker einen gründlichen Hass, den die Zeit
keineswegs gemildert hatte. Die gnädige Aufnahme, welche Porpora gefunden
hatte, und sein Einfluss auf die Erbprinzessin, welche sehr geschmackvoll sang,
waren H. ein Dorn im Auge, und als nun gar Porpora's jugendliche, bei Hofe
und in der Stadt gefeierte Schülerin Regina Mingotti den Glanz seiner über
Alles geliebten Faustina zu verdunkeln anfing, da hätte H. nicht Ober-Kapell-
meister sein müssen, um seine Autorität nicht zur kleinlichsten Intrigue aus-
zunützen, der zunächst die junge Künstlerin weichen musste.
Nach dem Tode August's IL befestigte H. seine Macht wesentlich. Denn
August III. war ein ebenfalls prachtliebender Fürst, ein grosser Jäger und
erklärter Verehrer der italienischen Musik, welcher sich sein ganzes Leben
hindurch von seinem allmächtigen Minister, dem Grafen Brühl, beherrschen
liess. Unter seiner kraftlosen Regierung, wo Feste, Schauspiele, Kunstschau-
stellungen und Vergnügungen jeder Art den Geist des Königs in Beschlag
nahmen und die Einkünfte des Landes verschlangen, trat der siebenjährige
Krieg ein, welcher Sachsen vollends zerrüttete und seine Unabhängigkeit auf
das Spiel setzte. Friedrich der Grosse fiel im Ganzen zwei Mal mit bewaff-
neter Hand in Dresden ein, zuerst 1745 nach der Schlacht bei Kesselsdorf.
Er wohnte noch an demselben Abende der italienischen Oper bei, wo man
»Arminio« von H. gab, und der kunstverständige preussische König wurde
durch Faustina's Leistung und das vortreffliche Hofopernorchester in Erstaunen
gesetzt. Während seines damaligen neuntägigen Aufenthaltes wurde H. jeden
Abend zu dem gekrönten Kunstfreunde beschieden, um ihm auf dem Flügel
zu accompagniren , und als der König abreiste, drückte er ihm seine Zufrie-
denheit durch Ueberreichung eines Diamantringes aus, während dem Orchester
eine Summe von 1000 Thalern überwiesen wurde, die H. vertheilen musste.
Im J. 1760 kam Friedrich abermals, aber minder leicht nach Dresden, Er
beschoss die Stadt mit Kanonen, und während des Bombardements, von dem
die Geschichte eine traurige Erinnerung aufbewahrt, musste H. seine schöne
Bibliothek und einen Theil seiner Manuscripte verbrennen sehen, welche er zu
einer vollständigen Herausgabe seiner Werke geordnet hatte, die auf Kosten
seines Landesherrn geschehen sollte. Andere Unfälle waren vorhergegangen.
So litt H. seit 1755 an einer anhaltenden Heiserkeit, die ihm seine schöne
Tenorstimme für immer geraubt und seine Sprache allmälig so leise gemacht
hatte, dass man zuletzt Mühe hatte, ihn zu verstehen.
Aber die Belagerung Dresdens hatte noch härtere Folgen für H., als den
Verlust seiner Werke. August III. nämlich empfand endlich das Bedüi-fniss,
seine total zeiTÜtteten Geldverhältnisse einigermaassen zu ordnen; er enthob
u. A. 1763 das Ehepaar H. seiner Functionen und belohnte ihre jahrelangen
Dienste dui'ch eine bedeutende Pension. H., der aus dem ihm lieb gewordenen
Wirkungskreise ungern geschieden war, ging bald darauf mit seiner Familie
nach Wien, wo er für den Carneval und zu Hoffesten bis 1766 ausser sechs
88 ^ Hasse.
Opern noch viclu Kammerinusikwerke scliriel). Tni .T. 1769 eomponirte er das
von seinen meisten übrigen Werken abweichende Intermezzo y>Piramo e Tisha.
Zwei Jahre später begab er sich nach Maihmd, wo er seine letzte Oper, tiRuij-
gieroa, für die Hochzeit des Erzherzogs Ferdinand schuf und dann, auf Wunsch
Faustina's, nach Venedig. Auch hier eomponirte der greise, von der Gicht
schwer geplagte Meister noch Manches von Bedeutung. Namentlich sandte er
durch den Kapellmeister Schnstcr eine vierstimmige Messe und das vielgenannte
E,cquicm nach Dresden, das er übi-igcns nicht für sein Begräbniss, sondern für
die Obsequien August's III. gesetzt hatte. Als seine allerletzte Composition
wird ein Te deum bezeichnet, welches er um 1780 schrieb und welches bei
Anwesenheit des Papstes in Venedig aufgeführt wurde. H. starb am 23. Decbr.
178.3 zw Venedig an der Gicht; seine gefeierte Gattin, deren Todesjahr und
Todestag sich in Dunkel hüllt, war ihm jedenfalls schon vorauf gegangen.
Franz Sal. Kandier hat mit vieler Mühe 1820 H.'s vcifallene letzte Ruhestätte
in der Kirche von Santa Marcuola aufgefunden und auf derselben ein Denkmal
von weissen Marmor errichten lassen.
Die drei Kinder des hochberühmten Paares, ein Sohn und zwei Töchter,
hatten die Anmuth ihrer Mutter nicht geerbt. H. war gross, stark gebaut und
hatte ein sehr schönes Gesicht; auf seiner grossen, gewölbten Stirn, welche an
seinen Bildern hervorsticht, sprach sich die Geradheit seiner Seele und die
Anmuth seiner die Zeitgenossen erquickenden Melodien aus. Er war aller-
dings auch nicht ohne Charakterschwächen, und sein Benehmen gegen Porpoi'a,
dessen Alter er verbitterte, kann man weder gutheissen noch entschuldigen. —
Faustina's Persönlichkeit vereinigte alle Vorzüge Italiens. Sie war von kleiner,
ebenmässiger Gestalt, und in ihrem strahlenden Antlitze glänzten zwei schöne,
schwarze, schelmische Augen. Ihr edel geschnittener Mund Hess fast ununter-
brochen zwei Reihen kleiner, feiner Zähne sehen, die ein schönes Lächeln ver-
breiteten. Wohl erzogen und gut unterrichtet, mit lebhafter Einbildungskraft
begabt, war Faustina eine Frau, die alle Grazie einer venetiauischen Edeldarae
besass. Ihre Mezzo-Sopranstimme hatte den grossen Umfang von beinahe zwei
Octaven, und diese lauge, schöne Stufenleiter silberreiner Töne war von wunder-
barer Biegsamkeit, Da sie vortrefflich musikalisch gebildet, mit dem seltensten
dramatischen Bewusstsein ausgestattet war, wendete sie mit grösster Leichtigkeit
die verwickeltsten Verzierungen an. Alle Wunder der Vocalisation, die ein-
fache und chromatische Tonleiter , die Triller und melodischen Funken ihres
anmuthig bewegten Geistes strömten aus ihrem Munde. Ihre Intonation war
nie unsicher, ihre sanfte, durchdringende, mehr helle als starke Stimme führte,
ohne zu straucheln, die kühnsten Schwierigkeiten aus. Faustina berührte in
ihrem Gesänge die Leidenschaft, ohne sie vollständig auszudrücken; sie streifte
blos die Oberfläche der Tiefen, ohne hinabzutauchen, und führte dafür in der
reizendsten Weise tausend tändelnde Spiele aus. Ihre Aussprache war voll-
endet. Alle Zeitgenossen der seltenen Frau stimmen darin überein, dass sie
die Eigenschaft besass, welche die Italiener mit y>il canto (jranitov bezeichnen;
d. h. eine Gesangweise, die pcrlenartig fliesst, süss und durclidringend ein
glückliches Gemisch von Anmuth und Kraft, Schatten und Licht, Heiterkeit
und Ernst bietet. Alle Kunstrichter: Mancini, Burney, Hawkins, Schubart,
Quantz u. s. w., welche diese zehnte Muse Italiens gehört, sind einig in ihrem
TJrtheile über Faustina. Grossmüthig, phantastisch, von Gei.st und miithwilliger
Heiterkeit erfüllt, hatte sie überdies einen jener tausendfarbig schillernden
Charaktere, der seltensten Gegensätze voll. Ihre Unterhaltung war ein flackern-
des Feuer von merkwürdigen Anekdoten, eine lebendige Geschichte der da-
maligen iVFusik. Selbst als 72 jährige Frau hatte sie nichts von der Heiterkeit,
dem Witz und der Lebhaftigkeit ihrer Jugend eingebüsst. Zwei authentische
Bilder giebt es von ihr; das eine, in London gefertigt, stellt sie im vollen
Glänze der Jugend dar, das andere, ein Pastellgemälde von Rosalba, befindet
sich in der Dresdener Gallerie.
Hasse. . 89
Zu Anfange des 18. Jahrhunderts, einige Jahre vor Grluck, geboren und
kein Originalgenie, hat H. nicht die kräftige Leidenschaft des Letzteren, auch
nicht die markig deutschen Eigenschaften seiner Zeitgenossen Keiser, Händel
\x\\d Seb. Bach; er Hess sich vielmehr gänzlich von der melodischen Kunst
NeaiJels und Venedigs berauschen und hinreissen, wurde den Kunstgesetzen
se'ner nordischen Heimath untreu. Kein Wunder, denn von den Frauen ver-
wöhnt, bewundert und gefeiert von dem naiven Volke Italiens, welches noch
den leicht entzündbaren und lärmenden Enthusiasmus seiner Heldenzeit be-
wahrte, — so ward H. von seinem ersten selbststäudigen Auftreten an mit
Blumen gekrönt und als Kind Hesperiens betrachtet. Seine zahlreichen Opern,
von denen nur eine einzige deutschen Text hat, gleichen säramtlich, was die
Vertheilung und den Zuschnitt der Musiknummern betrifft, den Opern von
Vinci, Porpora, Leo, Pergolese und den übrigen Meistern der damaligen ita-
lienischen Schule. Es ist eine Reihenfolge von Arien, alle auf dieselbe Art
gebildet, mit ein oder zwei Duetten, selten ein Terzett und einigen sehr ein-
fachen Chören versehen. Seine Listrumentation beschränkt sich im Allgemeinen
auf das Bogenquartett, von einigen Seufzern der Oboe, der Flöte und des
Fagotts begleitet. In pathetische Scenen Hess er das Hörn und zuweilen auch
die Trompete hineinklingen.
Dies sind die Farben, aus denen H.'s Orchester bestand; es war weder
mannigfaltiger, noch hatte es mehr Fülle als dasjenige Händel's. Aber durch
die Anmuth und Zartheit der Melodien, durch die dem Zeitgeschmacke an-
gepasste Schönheit der Arien und Duette, geeignet, das Talent damaliger Ge-
sangskünstler hervorzuheben, hat sich H. seinen Ruhm erworben; er war ein
Instinktmusiker, der mit Leichtigkeit nnd Gewandtheit die glücklichen, trotz
vieler Verbrämungen einfachen und sangbar charakteristischen Gesänge nieder-
schrieb, wie sie ihm sein Herz eingab. Daher waren seine Opern und selbst
seine kaum mehr ernsthaften Kirchenmusiken von den Sopranisten und Sänge-
rinnen der Mode überaus gesucht. Seine klaren, wohlthuenden Weisen, welche
die Freuden und Leiden der Liebe zierlich malen, haben Europa entzückt, und
zehn Jahre hindurch erheiterte der berühmte. Farinelli den schwermüthigen
König Philipp V. von Spanien, indem er ihm allabendlich einige Arien H.'s
vorti-ug. Durch die Lieblichkeit und den milden Charakter seiner Musik, deren
rhythmische Uebersichtlichkeit und FassHchkeit und durch die Einfachheit
seiner Formen gehört H., wie schon erwähnt, der italienischen Schule der ersten
Hälfte des 18. Jahrhunderts an, deren Schwächen und reizende Eigenschaften
er besitzt; für die letzteren war sogar ein Seb. Bach zugänglich, der nicht
selten nach Dresden reiste, um H.'s Musik in der dort durch den Meister selbst
gepflegten Vollkommenheit zu hören. H.'s Gesang beschwichtigte die Leiden-
schaften viel mehr, als dass er sie heraufbeschwor. Wäre dies ebenfalls der
Fall gewesen, hätte er auch eine tiefere Durchdringung des Harmonischen
offenbart und nicht rein schablonenmässig gearbeitet, so würde sich sein Einfluss
bei Weitem länger gehalten haben. So aber musste sein liebenswürdiges
Talent den später auftretenden Grossmeistern der Bühne, Gluck mit seiner
Tiefe und Mozart mit seiner gediegenen urbanen Universalität, gegenüber als-
bald in tiefen Schatten treten, und der Einfluss desselben war nicht dazu an-
cethan, seine Person zu überleben. Als er sich 1771 im Greisenalter noch
nach Mailand begab, um seine letzte Oper zu componiren, traf er avif den
jungen, damals vierzehnjährigen Mozart, welcher dort gleichzeitig mit seinem
ersten musikalisch dramatischen Versuche, y>Mitridafe, re di Poiitea, debütirte.
n., als er das Lallen dieser göttlichen Muse hörte, brach tief bewegt in die
denkwürdigen Worte aus, die zu einer in Erfüllung gegangenen Prophezeiung
geworden sind: »Dies Kind wird uns Alle vergessen machen!«
H.'s Compositionen sind an Zahl so enorm, dass sie schwerlich vollständig
zu catalogisiren sind; kannte er zuletzt sie doch nicht einmal mehr alle. Seine
Opern übersteigen die Ziffer hundert und eeiner Oratorien, Messen, Cantaten,
90 Hasselhetk — Hasso.
Instrumental-Concert- und Kammersätze ist Legion; jedoch ist dieser Nachlass
mehr umfangreich als mannigfaltig. Ausser vielen Textbüchern des Apostolo
Zcno hat er die sämmtlichen dramatischen "Werke Metastasio's , ausgenommen
den i-iTemistoclev , in Musik gesetzt, und zu den meisten Stücken des grossen
italienischen Dichters hat er nicht blos eine, sondern zwei, drei bis vier Parti-
turen geliefert. Das war ja auch die Methode, nach welcher alle italienischen
Componisteu jener Musikepoche von Pergolese bis Paisiello verfuhren. Ein
annähernd vollständiges Verzcichuiss aller dieser Werke bieten Gerber und
Fetis in ihren Wörterbüchern; wir dürfen uns die seitenlange Aufzählung der
längst verschollenen Titel und Namen deshalb ersjjaren. Den reichsten Manu-
scriptenschatz dieses Meisters bewahrt die königl. Bibliothek in Dresden; aber
auch in allen grösseren deutschen Bibliotheken Deutschlands ist sein Name mehr
oder minder stark vertreten, besonders in der k. k. Hof bibliothek in Wien, die
an Handschriften besitzt: Ein vierstimmiges y>Miserere(i, ^^Conßtehora, y>Kyrie und
Gloriavi und »Te deum«, sämmtlich mit Instrumentalbegleitung, ferner eine »Can-
tate für Sopran«, vier y>Salve re(ji)ia<.<., ein ^•'Regina coeliv, Litaneien (.36 Blätter)
und drei Arien. Karl von Bruyck begleitet die Aufzählung dieser Werke mit
der kritischen Randglosse: »Alle diese Arbeiten enthalten mehr oder minder
viel des Trefflichen und Interessanten. Auszunehmen wäi'en die ganz manie-
i'irten y>Salve regina<i und die Litaneien, abgesehen von dem musikalisch inter-
essanten y>Agnios deiv.a
H.asselbeck, deutscher Violinist, der zu Ende des 18. Jahrhunderts lebte
und in des Herrn von Kees grosser Akademie zu Wien als Führer der zweiten
Geigen namhaft gemacht wird, Hess »zwölf deutsche Tänze für Ciavier« drucken,
die 1796 Im kaiserl. grossen Redoutensaale ausgeführt wurden. Vgl. die Wiener
Jahrb. der Tonkunst vom J. 1796. t
Hassclt, Anna Marie Wilhelmine, vortreffliche deutsche Sängerin,
nachgehends unter dem Namen H.- Barth rühmlichst bekannt, wurde am
1.5. Juli 1813 zu Amsterdam geboren, erhielt aber ihre Erziehung und ihi'en
ersten musikalischen Unterricht von ihrem zehnten Jahre an bis 1828 in
Frankfurt a, M. und OfiFenbach. Im letzteren Jahre begab sich ihr Oheim mit
ihr nach Karlsruhe, wo Jos. Fischer ihre Gesangstudien leitete, die sie 1830
bei Pietro Romani in Florenz vollendete. Im Carneval 1831 bereits debütirte
sie im Communaltheater zu Triest als Ezilda in Pacini's r>GU Arahi nelle Gallien
so erfolgreich, dass sie als Primadonna für die Saison engagirt wurde. Sie trat
hierauf noch auf anderen Theatern Italiens sehr beifällig auf, in Vicenza auch
in einer Serie von Concerten mit Hubini. Nachdem sie während des Carnevals
von 1833 im Carlo Felice-Theater zu Genua gesungen, reiste sie nach München,
trat dort im Concert, hierauf als Imogene in Bellini's »Pirat« auf und wurde
in Folge des glänzenden Ausfalles ihrer Leistungen bei der Hofoper engagirt.
Im Sommer 1838 gastirte sie in Wien und wurde für das k. k. Hofopern-
theater am Kärnthnerthore gewonnen, dem sie von 1839 an bis zu ihrer Pen-
sionirung als hervorragende, zuverlässige künstlerische Kraft angehörte. In
Rollen wie Norma, Donna Anna, Jessonda u. s. w. hat sie seltene Triumphe
gefeiert.
Hassler, s. Hasler.
Hassloch, Christiane Magdalene Elisabeth, geborene Keilholtz,
gute deutsche Sängerin, geboren 1764 zu Pirna, betrat 15 Jahre alt zu Mann-
heim die Bühne. Von 1795 bis 1798 sang sie im deutschen Theater zu
Amsterdam, wurde dann zu Kassel engagirt, wo sie den Sänger Hassloch
heirathete, und war bis 1804 der Liebling jeuer Hofbühne. Hierauf verliess
sie Kassel und verschwand mit diesem Schritte gänzlich vom öffentlichen
Schauplatze.
Hasso, deutscher Orgelbauer der letzten Hälfte des 15. Jahrhunderts, ge-
bürtig aus Gudenberg. der nebst Cranz 1499 die Blasius-Orgel zu Braunschweig
baute, wie Praetorius in seiner Syntagm. p. 112 berichtet. f
Hatatno — Hauck, 91
Hatamo (arab.), s. Kabaro.
Hattascli, Disma, einer der vorzüglichsten denischen Violinspieler des
18. Jahrhunderts, geboren zu Hohemaut in Böhmen im J. 1725, trat 1751, als
vorzüglicher Virtuose bereits anei'kannt, in herzogl, gothaische Dienste, aus
welchen am 13. Octbr. 1777 ihn der Tod abrief. Auch als Componist hat
sich H. versucht, wie die von ihm hinterlassenen Manuscriple von zwei Sin-
fonien und sechs Violinsolos beweisen. — Seine Gattin, Anna Pranzisca H.,
geborene Ben da, Schwester der berühmten Musiker dieses Namens, war seit
1751 Kammersängerin in Gotha und setzte besonders durch ihre vollendete
Coloratur alle Hörer in Erstaunen. Sie starb 1780. — Heinrich Christoph
H. , vielleicht ein Bruder des Vorigen, geboren 1739, war Schauspieler am
Theater zu Hamburg, hat sich jedoch durch Composition verschiedener Ope-
retten auch als Tonkünstler einen Namen gemacht. Man kennt von ihm: »Der
Barbier von Bagdad«, »Der ehrliche Schweizer« und »Helva und Zcline«, die
sämmtlich in den beiden letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts öifenilich
aufgeführt wurden. Einzelne Nummern daraus, sowie von einzelnen Stücken
Arrangements wurden um 1796 in Hamburg gedruckt. t
Hatter, "Wilhelm Ferdinand, irrthümlich in einigen Wörterbüchern für
Halter (s. d.) aufgeführt.
Hattou, J. L., englischer Componist, geboren um 1814, der seine höhere
musikalische Bildung in Deutschland empfing, einige Zeit lang in Wien lebte
und endlich seinen bleibenden Aufenthalt in London nahm. Eine Oper von
ihm, »Pascal Bruno«, ist nicht ohne Beifall 1844 in Wien aufgeführt worden.
Hatzfeld, ein aus Oberhessen entsprossenes und nach seiner Stammburg
an der Edder benanntes altes Dynastengeschlecht, von dessen Abkömmlingen
sich einige durch musikalische Tüchtigkeit hervorgethan haben, so: August
von H., einer der fertigsten deutschen Violinspieler des 18. Jahrhunderts,
welcher sich im engeren freundschaftlichen Verkehr mit dem berühmten Vachou
in Paris und mit Mozart auch sonst musikalisch tüchtig ausgebildet hatte. Er
war Domherr zu Eichstädt und hielt sich die meiste Zeit am kurfürstl. Hofe
zu Mainz auf. Im Quartettspiel, das er eifrig betrieb, gehörte er zu den
Koryphäen seiner Zeit. Erst 31 Jahre alt, starb er im Januar 1787. — Sein
jüngerer Bruder, Hugo von H., war in der Wende des 18. und 19. Jahr-
hunderts kurfürstl. Mainz'scher Gesandter in Berlin und mit einer sehr schönen
Tenorstimme, sowie mit gediegenen musikalischen Kenntnissen begabt, wie
Reichardt, der ausserdem seinen Gesangsvortrag rühmt, warm anerkennt. Im
J. 1807 sind in Berlin sechs Romanzen seiner Composition erschienen. — Eine
gleichzeitig lebende Gräfin von H. hielt sich 1783 in Bonn, später in Wien
auf und galt in beiden Städten als eine der bedeutendsten Sängerinnen und
Ciavierspielerinnen.
Haube, s. Hut.
Hauch, s. Vocal.
Hauch, Adam Wilhelm, von, dänischer Gelehrter, ist der Verfasser eines
von selbstständiger, scharfer Beobachtungsgabe zeugenden Werkes, welches
über die harmonischen Schwingungen handelt, die Transversalen genannt
werden, sowie über den Ton, welchen dieselben hervorbringen (Kopenhagen,
1794). — Sein Sohn, Johann Carsten von H., geboren 1791 zu Prederiks-
hald, einer der vorzüglichsten dramatischen, epischen und erzählenden Schrift-
steller Dänemarks, war nicht minder als genialer Naturforscher ausgezeichnet,
in welcher letzteren Eigenschaft er denn auch als Professor der Physik au der
Akademie zu Soröe thätig war.
Hauck, s. auch Haug und Hauk.
Hauck, ein um 1740 zu Gaildorf angestellter gräfl. limburgischer Cantor
und Organist, der, wie Meyer in der Vorrede seines Musiksaales aussagt, einer
der trefl9ichsten Tonsetzer seiner Zeit gewesen sein soll. f
Hauck, Karl, ein guter Violinist zu Berlin, der auf seinem Instrumente
UL* Ilauck — Haue.
vom königl, preussischen Kammermusiker C. Hertel, später vom Concertmeister
Moser ausgebildet, zuerst 1817 sich erfolgreich öffentlich hören liess. Im
J. 1821 trat er als Kammermusiker und erster Violinist in die königl, Kapelle
zu Berlin, welchem Institute er activ über 45 Jahre lang angehörte.
Hauck, Wenzislaus, ausgezeichneter deutscher Pianist und hervorragend
begabter Componist für sein Instrument, wurde am 27. Febr. 1801 (nicht
28, Febr.) zu Habelschwerdt in der Grafschaft Grlatz geboren, erhielt durch den
dortigen Organisten Deutsch den ersten Unterricht im Ciavierspiel, Gesang
und den Anfangsgründen der Generalbasslehre und übte sich fleissig auf der
Violine und mehreren Blaseinstrumenten. In seinem 13. Jahre versah er be-
reits den Schulgehülfendienst in einem Dorfe unweit Habelschwerdt. Vier
Jahre später begab er sich als Schreiber eines Oberamtraanns nach Breslau,
wo er, von Heinr. Birnbach unentgeltlich iinterrichtet, die Aufmerksamkeit des
Kapellmeisters Schnabel erregte, der ihn in einem von ihm veranstalteten Con-
certe auftreten liess und ihn ermunterte, bei der Musik berufsmässig zu ver-
harren. Von 1825 an war daraufhin H. ein treuer Schüler von J. N. Hummel
in Weimar und kehrte erst 1827 nach Breslau zurück, wo er sich mit ausser-
gewöhnlichem Erfolge hören liess und bald darauf eine Aufsehen machende
Kunstreise durch Ober- Schlesien, Galizien, Krakau und Ungarn antrat. Im
J. 1828 liess er sich in Berlin nieder und wirkte daselbst mit dem grössten
Beifall als Musiklehrer und Concertspieler ; auch erlangte er in den angesehen-
sten Häusern , so beim Fürsten Badziwill u. s. w. Zutritt und wurde zum
Lehrer der königl. Prinzessinnen Wilhelm, nachmaligen Kaiserin Augusta, Karl
und Albrecht erwählt. Leider aber setzte seine schwache Gesundheit seinem
Leben ein allzu frühes Ziel, denn er starb schon am 29. Novbr. 1834, kaum
heimgekehrt von einer Kunstreise aus Wien, plötzlich an einer Lungenlähmung
und hinzugetretenem Blutstui'ze zu Berlin, nachdem er noch wenige Tage zuvor
ein Concert gegeben iind wegen des der Grossfüi'stin Marie von Russland er-
theilten Unterrichts einen kostbaren Diamantring erhalten hatte. — Seine im
Druck erschienenen Compositionen bestehen in einer Sonate (op. 1), Rondos,
Variationen und Divertissements für Pianoforte; ausserdem hinterliess er Ouver-
türen, Lieder und Gesänge, Balletsätze u. s. w. im Manuscript. Eine ehren-
volle monographische Skizze widmete ihm die Roh, Schumann'schc »Neue
Zeitschrift für Musik« in ihrem Jahrg. von 1835.
Ilandeck, Karl, voi'züglicher deutscher Hornvirtuose, war seit 1748 erster
Waldhornist in der königl, polnischen Kapelle zu Dresden; ihm als zweiter
zur Seite stand Anton Hampel (s, d.). Später nahm sein Sohn, Joseph
H. , geboren 1762 in Böhmen, die Stelle des Vaters nicht minder ehrenvoll
und als Künstler wie Mensch geachtet, ein. Im J, 1826 pensionirt, starb der-
selbe am 10. Octbr. 1832 zu Dresden. f
Haiidiinont, Abbe Etienne Pierre, Meunier d', hervorragender fran-
zösischer Kirchencomponist, geboren 1730 zu Bourgogue, wurde in seinem
24. Jahre Musikmeister an der Kirche zu Chalons, von wo er nach Paris
ging und noch eifrig Composition studirte. Im J. 1764 wurde er Kapell-
meister an der Kirche der Saints Innocents zu Paris und zehn Jahre später
an St. Germain l'Auxerrois, in welchen Stellungen er zahlreiche Kirchenwerke
grösseren wie kleineren Umfanges componirte und aufführte. Er starb zu Paris
zu Anfange des 19. Jahrhunderts. — Ein anderer Meunier d'H. , mit Vor-
namen Joseph und gleichfalls Abbe, geboren 1751 zu Paris, war 1788 gleich-
falls an der Kirche der Saints Innocents angestellt und war zwar ein angenehmer
Violinist, als Componist aber von untergeordneter Bedeutung.
Haudouville, Adricn Henri, französischer Componist aus Ronen, lebte
um die Mitte des 18. Jahrhunderts zu Paris.
Haue hiess in der Kunstsprache der alten deutschen Trompeterzunft eine
eigenthümliche Art des Zungenschlages (s. d.), die bei Feldstücken als be-
sondere Kunst nur von Eingeweihten gegeben werden konnte. Mit der Zunft
Haueisen — Hauer. 93
selbst ist dieser Fachausdruck, sowie die H. selbst ganz ausser Gebrauch ge-
kommen und vergessen. Nur ein Werk, Altenburg's »heroisch - musikalische
Trompeter- und Paukerkunst«, giebt noch nähere Auskunft über dies Zunft-
geheimniss, weshalb seine Auslassungen hier folgen mögen. »Die H.«, berichtet
er, »ist von verschiedener, eigentlich aber nur von zweierlei Art. Die erste
kann man die überschlagende heissen, weil sich bei ihrer Ausführung allemal
zwei gewisse Töne gleichsam überschlagen. Die zweite nennt man die schwe-
bende, weil der Ton, auf welchem man sie anwendet, mit einer Schwebung
oder Bebung, bald stark, bald schwach, auch bald crescendo, bald decrescendo,
angegeben wird. Bei jeder Art von H. aber werden von dem Trompeter die
Sylben to-ho in das Mundstück kurz ausgesprochen oder eigentlich nur mit
der Zunge und einem Hauch ausgestossen. Bei der ersten Art wird der
zweite überschlagende Ton, der immer das nächst unter dem zuerst angegebenen
Tone liegende Intervall von dem Dreiklange des Grrundtones der Trompete ist,
z. B. bei einer .EJ^-Trompete 5, wenn zuei'st es angegeben, oder es, wenn zuerst
g angeblasen wurde, nur ganz kurz gehört, der erste Ton darnach aber noch
einmal stark angegeben und etwas länger ausgehalten. Ferner ist noch zu er-
innei'n, dass die H. immer nur am Ende eines Feld- oder Tafelstücks, keines-
wegs aber, oder doch nur höchst selten, in der Mitte oder beim Prinzipal
angewendet wird.« 0
Haueisen, W. N., deutscher Tonkünstler, geboren zu Gehren bei Arnstadt
um 1744, war Organist zu Frankfurt a. M. und hat sich daselbst durch Heraus-
gabe einiger Compositionen, sowie durch G-ründung eines Musikverlags einen
Namen gemacht. — Ein gewisser F. Karl H. machte sich 1831 durch Ver-
öffentlichung einiger Ciavierrondos bekannt. t
Hauer, Ernst, Cantor zu Dardesheim bei Halberstadt, etwa von 1810
bis 1828, und seitdem bis 1840 Musiklehrer an der Bürgei-schule zu Halber-
stadt , veröffentlichte acht Lieder und ein Singebuch für Schulen. — Sein
ältester Sohn, Hermann H., geboren am 18. Aug. 1812 zu Dardesheim, übte
sich schon früh als Altist des Choi-es im Dome zu Halberstadt im Gesänge,
von seinem zehnten Jahre an auch im Orgelspiele. Mit zwölf Jahren gab er
bereits selbst Musikunterricht und erwarb sich dadurch die Mittel, um beim
Organisten Liebau in Quedlinburg, zu dem er fleissig hinüber wanderte. Unter-
weisungen empfangen zu können. Der Eintritt H.'s in das Schullehrer-Seminar
unterbrach diesen lehrreichen Vei'kehr, jedoch nahm er nun Violinunterricht
beim Stabstrompeter Soussmann und spielte fleissig Ciavier. Nach absolvirtem
Seminarcursus ging H. um 1832 nach Berlin, wo er bei Rungenhagen, Marx,
Dehn, A. W. Bach in verschiedenen Zweigen der Tonkunst höhere Studien
machte und wurde 1845 Organist an der damals neu erbauten Jacobikirche
daselbst, welche Stelle er noch gegenwärtig inne hat. Gleichzeitig hat er sich
durch seinen Gesangunterricht in verschiedeneu Volksschulen sehr verdient
gemacht. Auf diesem Berufsfelde gründete er 1844 einen Gesangverein für
Handwerker, der lange Zeit hindurch ehrenvoll bestand. Nach Eingehen des-
selben errichtete er einen neuen Verein, den er trefflich eingeübt hält und mit
dem er noch jetzt von Zeit zu Zeit öffentliche Kircheuaufführungen veran-
staltet. Wegen seiner Verdienste als Musiklehrer und Componist wurde er
1870 zum königl. Musikdirektor ernannt. Veröffentlicht hat er von seinen
zahlreichen Compositionen Kirchenstücke, eine Cantate, ein- und mehrstimmige
Lieder und Gesänge, sowie von seinen übrigen Arbeiten eine »Praktische Ge-
sanglehre für Schulen und Chöre« (1. Tbl. Berlin, 1856) und die Schrift
»Praktische Bemerkungen zu der Schrift des Hrn. Geh. B,aths Schede über
die Gesangsnoth in der evangelischen Kirche« (Berlin, 1853). — Sein jüngerer
Bruder, Karl H. , geboren um 1824 zu Halberstadt, empfing seine höhere
musikalische Ausbildung in Berlin als Schüler des königl. Kirchenmusik- Institutes
und der Akademie der Künste. Als Musiklehrer thätig, erhielt er 1862 die
Organistenstelle au der St. Marcuskirche und wurde Gesanglehrer au der
94 Hauff— Haulc,
Stralauer Realschule zu Berlin. Er ist ebenfalls ein trefflich gebildeter Com-
ponist und hat ein- und mehrstimmige G-esänge geistlichen und weltlichen
Styls veröffentlicht, ausserdem aber auch Aufsätze und Kritiken für die »Neue
Berliner Musikzeitung« geschrieben.
HauiF, Johann Christian, gründlicher deutscher Musiktheoretiker und
Componist, geboren am 8. Septbr. 1811 zu Frankfurt a. M., woselbst er auch
seine musikalische Ausbildung von den besten Lehrern empfangen hat. Unab-
lässig im Lehrfache thätig, ist er seit Begründung der Frankfurter Musikschule
Direktionsmitglied und Lehrer der Theorie an derselben. Er componirte Sin-
fonien, Quartette, Ciaviertrios, Motetten u. s. w. und veröffentlichte als Frucht
seiner reichen musikalischen Erfahrungen eine gediegene »Theorie der Ton-
setzkunst« in fünf Bänden (1. Bd. 2 Thle., Frankfurt a. M., 1863. 64, enth.:
Harmonielehre, nebst einer ausführlichen Erläuterung über die Entstehung und
Entwickeluug der alten Tonarten; 2. Bd. 2 Thle., Frankfurt, 1867. 68, enth.:
das Studium des einfachen Contrapunktes, der Nachahmung und des figurirten
Chorales; 3. Bd., Frankfurt, 1869 u. s. w., u. s. w.).
Hauff, Wilhelm Gott lieb, deutscher Componist, geboren zu G-otha und
nachmals Feldcantor bei den gothaischen Regimentern in holländischen Diensten,
hat sechs Sinfonien (Paris, 1774), 6 Sextuors, en harmonie concertante für
blasende Instrumente (ebendas., 1776) und drei Ciaviertrios (Brüssel, 1777)
von seiner Composition veröffentlicht. f
Hang', Friedrich, Hofinstrumentenmacher zu Stuttgart um 1791, hat sich
durch Fertigung guter Pantalons, Fortepianos und Flügel einen Ruf erworben.
Vgl. Musikal. Zeitung des J. 1791 S. 176. t
Uaug-, Virgilius, deutscher Tonkünstler aus der Mitte des 16. Jahr-
hunderts, lebte als Cantor oder Schullehrer zu Breslau und hat sich durch die
Herausgabe von y^Eroternata musicae praeticae ad captum pw^rifcw formatan
(Breslau, 1541) um die Jugend seiner Zeit verdient gemacht. Auch soll sein
Name als Componist verschiedener Kirchenmelodien in Hans AValter's und
anderen Caiitionalen vorkommen. "f
Hauk, Minnie, eine der ersten deutschen Gesangsgrössen der Gegenwart,
wurde am 16. Novbr. 1852 zu New-Yoi'k geboren. Ihr Vater war ein in
Amei'ika 1848 eingewanderter deutscher Gelehrter, ihre Mutter Amerikanerin.
Schon im Alter von acht Jahren machte sich Minnie H. in der Hauptkirche
ihrer Geburtsstadt, als Sängerin Aufsehen erregend, bemerkbar, zog aber mit
den Eltern in eine Farm nach Kansas, von da nach New -Orleans, wo sie bei
einem französischen Sänger den ersten geregelten Unterricht erhielt. Dreizehn
Jahre alt, sang sie in einem patriotischen Wohlthätigkeitsconcerte auf der
Oj)ernbühne letzterer Stadt die Auftrittsarie der Norma, sowie eine Arie aus
Auber's >5Krondiamanten« und wurde von Blumen und Huldigungen überschüttet.
Im J. 1866 siedelte die Familie wieder nach New- York über, und dort leitete
ein italienischer Gesanglehrer, Errani, höchst erfolgreich die höhere gesangliche
Ausbildung Minnie's. Ein Bewunderer ihres Talentes, der reiche Amerikaner
L. Jerome, errichtete in seinem Hause in New -York eigens eine Bühne, auf
welcher sie als »Linda« u. s. w. ihre ersten dramatischen Versuche mit über-
raschendem Erfolge machte, so dass sie der Direktor Maretzek unter glänzenden
Bedingungen für die Musikakademie zu New -York engagirte. Sie debütirte
1868 als »Nachtwandlerin« und war von diesem Momente au die gefeiertste
Sängerin der amerikanischen Metropole und bald auch durch GastsjDiele in
Boston, Philadelphia, Chicago, Baltimore, Cincinnati, Washington, des ganzen
amerikanischen Continents. Ihr Repertoir umfasste damals die Opern Lucia,
Don Pasquale, Dou Juan, Romeo und Julia, Crispino e la comare, Barbier
und Fra Diavolo. Der Ruf des neu aufgegangenen Gesangssternes drang über
den Ocean, und sie wurde 1869 für die Saison in London engagirt, welches
Engagement sie nach einem Studienausflug nach Italien antrat. Ausser in ihren
älteren Partliien feierte sie als Zerline, Cherubin und Margarethe Triumphe
Haumann. 95
seltenster Art. Die gleiche enthusiastische Anerkennung fand sie in demselben
Jahre in der italienischen Oper des Direktors Bagier zu Paris. Hierauf unter-
nahm sie mit Sivori eine Concertreise durch Holland und endlich ein Gast-
spiel in Moskau, überall die durch ihren Zeitungsruhm hochgespannten Er-
wartungen übertreffend, das Publikum entzückend und durch ihre reizende
äussere Erscheinung fesselnd. Im Juni 1870 gastirte sie in Wien, wo sie sich
ihre ersten deutschen Beifallskränze holte. Selten ist dort eine fremde
Sängerin mit wärmerer SymjDathie begrüsst worden. Das Aufsehen, welches
sie in Wien erregte, die Aufnahme, welche nicht glänzender sein konnte, und
der Ausbruch des deutsch -französischen Krieges bewogen Minnie H., einen
dreijährigen Contrakt mit der k. k. Hofoper abzuschliessen, und sie blieb der
gefeierte Liebling der Wiener, auch als sie 1873 die Stellung an der Hof-
bühne mit derjenigen der Primadonna an der neu errichteten »Komischen Oper«
in Wien vertauschte. Als sie noch in demselben Jahre, durch Intriguen ver-
anlasst, letzteres Institut verliess, erlosch der Stern desselben.
Minnie H. gastirte hierauf mit den seltensten Erfolgen an deutsch-öster-
reichischen und deutsch-russischen Bühnen, 1874 längere Zeit in Pesth, von
wo sie im Novbr. desselben Jahres zum ersten Male zu Gastspielen nach
Norddeutschland abging, an die ihr Aufsteigen zum höchsten Gipfel des Ruhmes
zu knüpfen sein dürfte. Sie sang bis zu Ende des Jahres an der königi. Oper
zu Berlin (episodisch auch in Braunschweig) Mignon, Zerline (Don Juan),
Rosine und Margarethe und brachte durch ihre jugendfrische, vorzüglich ge-
bildete Stimme frisches Blut in den welk gewordenen Körper dieses Institutes,
in dem sich die Clique ihr Nest gebaut und ausser den Wagner'schen Opern
das gesammte Bepertoir mit Beschlag belegen, keine neue Kraft, viel weniger
eine überragende Grösse aufkommen lassen wollte. Wenn die königi. Verwal-
tung die künstlerische Seite ihrer Mission herauszukehren weiss, so wird sie
den gerechten Wünschen des kunstgebildeten Publikums Rechnung tragen und
die auch in Berlin hochgefeierte Sängerin für die deutsche Hauptstadt ge-
winnen; die alten abgehetzten Paradepferde sind bis zur Monotonie vorgeritten.
— Minnie H. beherrscht das Soubretten- und . Coloraturfach der Oper in un-
vergleichlicher Souveränetät, hat aber auch auf dramatischem Gebiete hervor-
ragende Proben der Tüchtigkeit abgelegt. Von allen Sängerinnen der Gegen-
wart hat sie den weitaus grössten Rollenkreis inne und singt deutsch, italienisch,
französisch, englisch und ungarisch mit gleicher Vollendung und einschmei-
chelnder Grazie, Ihr Gesangstalent unterstützen ein gewandtes, empfundenes
und lebendiges Spiel und eine blendende Erscheinung.
Hanmauu, Theodor, Violinvirtuose der belgisch - französischen Schule,
geboren am 3. Juli 1808 zu Gent von israelitischen Eltern, bereitete sich,
dem Wunsche der letzteren gemäss, auf dem Athenäum zu Brüssel und der
Universität zu Löwen zum Rechtsstudium vor. Je lässiger er die aufgedrängten
Studien betrieb, um so eifriger ging er den Musikstudien nach, besonders
nachdem er durch Snell, Violinist am Theater zu Brüssel, im Violinspiel ziemlich
weit gebracht worden war. Beharrliches Selbststudium förderte ihn weiter,
und plötzlich verliess er die Universität und spielte im Opernorchester zu
Brüssel als Volontair am ersten Geigenpulte mit. Im J. 1827 unternahm er
eine Concertreise nach Paris und London und gefiel in ersterer Stadt sehr,
in letzterer fast gar nicht. Muthlos kehrte er in seine Heimath zurück, voll-
endete das Rechtsstudium und absolvirte das Doctorexamen. Eine feste An-
stellung verscherzte er, da er sich wieder mit ungestümem Eifer auf die Ver-
vollkommnung seines Violinspiels warf. Er erschien 1832 wieder in Paris,
wo er Furore machte und besuchte hierauf, von. grossem Erfolge begleitet,
Südfrankreich, Norddeutschland und Russland. Im J. 1837 war er wieder in
Paris, verschwindet aber von dieser Zeit an gänzlich von der Oeffentlichkeit.
Sein Ton wird als wohlklingend, sein Spiel überhaupt als fertig und elegant
gerühmt, wenn ihn nicht, wie häufig, nervöse Aufregung und Unruhe be-
9(> Kaun — llauptaccent.
herrschten, die seine Leistungen sehr ungleich machten. Für sein Instrument
hat er Fantasien, Rondos, Variationen u. s. w. geschrieben, welche jedoch als
Mittelgut zu bezeichnen sind,
Hann, Johann Ernst Christian, deutscher Gelehrter und Musikkenner,
geboren zu Gräfentonna am 21. Juni 1748 und gestorben 1801 als Stiftspre-
diger, Landschulen -Inspektor und Direktor des Schullehrerseminars zu Gotha,
hat sich durch einen Abschnitt seines Schulsystems in Bezug auf die Lehre
des Orgelspielens in Serainarien in seiner Zeit verdient gemacht. Dieser Ab-
schnitt ist unter dem Titel: »Anweisung zu den Anfangsgründen der Musik
überhaupt und denen des Claviers insonderheit«, als das 34. Kapitel aus Herrn
Haun's Methodus (Erfurt, 1801), besonders erschienen. f
Uanpt, wahrscheinlich ein Musiker von deutscher Abstammung und zu
Paris als Hornist wirkend, gab daselbst mit Punto gemeinschaftlich jene be-
rühmte y>M('thode pour apfrendre les elemens des 1 et 2 Oorsa heraus. f
Haupt, (Karl) August, einer der ausgezeichnetsten Orgelvirtuosen der
Gegenwart, geboren am 25. Aug. 1810 zu Cunau in Schlesien, besuchte von
1824 bis 1827 das Gymnasium zu Sorau und begab sich hierauf nach Berlin,
wo A. W. Bach im Orgelspiele, Beruh. Klein und nach dessen Tode S. W.
Dehn seine Lehrer wurden. Sein erstes öffentliches Auftreten 1831 als Orgel-
virtuose machte bereits Aufsehen, und er wurde 1832 als Organist an der
französischen Klosterkirche, 1835 an der Elisabethkirche, 1839 an der zu St.
Nicolai und 1849, nach dem Tode seines genialen Freundes Thiele, an der
Parochialkirche (an letzterer zugleich als Glockenist) zu Berlin angestellt.
Das zuletzt erwähnte Amt bekleidet er noch gegenwärtig mit grosser Auszeich-
nung. Im J. 1838 reiste er, um sich weiter auszubilden, zu Friedr. und Job.
Schneider, bei welchen Meistern er sich besonders in der Improvisation vervoll-
kommnete. Durch zalilreiche Concerte verbreitete sich sein Buhm als unver-
gleichlicher Virtuose und Kenner der Orgel, und von weit und breit her kamen
Notabilitäten seines Instrumentes, um seine Rathschläge, ja sogar noch seinen
Unterricht zu erbitten. So wurde ihm u. A. 1854 der ehrenvolle Auftrag
zuertheilt, die Ausarbeitung der Disposition für die Riesenorgel im Krystall-
palast zu London auszuführen. Erst in den 1860er Jahren aber wurde sein
sebnlichsler AVunsch erfüllt, seine reichen Kenntnisse als öffentlicher Lehrer
auf eine spätere Generation übertragen zu dürfen, indem er Anstellung am
königl. Kirchenmusik-Institute fand. Nach A. W. Bach's Tode wurde er zum
interimistischen Direktor und 1870 endlich zum wirklichen Direktor dieser
Anstalt und zugleich zum Professor der Musik ernannt. Von seinen zahlreichen
Compositionen sind diejenigen für Orgel leider Manuscript geblieben und nur
ein- und mehrstimmige Lieder theils selbststäudig, theils in zahlreichen fremden
Sammlungen im Druck erschienen. Endlich hat er noch ein Choralbuch
(Berlin, 1869) herausgegeben, welches in der einschlägigen Literatur einen
hohen Rang behauptet.
Haupt, Leopold, deutscher Theologe und Musikkenner, bis zur Mitte
des 19. Jahrhunderts Archidiaconus an der Peter- und Paulskirche zu Görlitz,
hat veröffentlicht »A'olkslieder der Wenden« (Grimma, 1841) und »Sechs alt-
testamentliche Psalmen mit ihren aus den Accenten entzifferten Singweiseno.
Haupt, Moritz, deutscher Violinist und Coraponist , war seit 1834
im Orchester des Stadttheators zu Frankfurt a. M. angestellt und hat um
1840 einige Siufonien und andere grössere Werke seiner Composition auf-
führen lassen.
Hauptabsatz, s. Absatz.
Hauptaccent, s. Accent, Metrum, Rhythmus, Takt, Thesis. Als
Ergänzung des Artikels Accent mögen hier noch einige Schriften genannt
werden, die über diesen Begriff, soweit derselbe für Musiker von Bedeutung
ist, Aufklärung geben: 1) Job. Mattheson, »Der vollkommene Kaj^ellmeister«
(Hamburg, Christian Herold, 1739), S. 112 ff. und S. 174 ff. — 2) Heinrich
Hauptaccorde — Hauptciavier. 97
Chr. Koch, »Versuch einer Anleitung zur Composition« (Rudolstadt und Leipzig,
1782), IL Thl. S. 270 flf. und IIL Thl. S. 13 ff. — 3) Joh. Aug. Apel,
»Metrik« (Leipzig, 1814). — 4) »Leipziger musikalische Zeitung«, Jahrg. 1830,
Spalte 805 ff. : — 5) Moritz Hauptmann, »Die Natur der Harmonik und Metrik«
(IL Aufl., Leipzig, 1874). — 6) E.ud. "Westphal, »Elemente des musikalischen
Rhythmus« (Jena, 1872), L Thl. S. 16 ff. 0. T.
Hauptaccorde oder Hanptharmonien. Aeltere Theoretiker gebrauchen diesen
Ausdruck gewöhnlich zur Bezeichnung der Dur- und JfoZZdreiklänge, mitunter
aber auch gleichbedeutend mit Grundharmonien; im letzteren Falle bezeichnen
sie damit diejenigen Grund- oder Urformen der Accorde, nach deren Muster
andere Accorde gebildet werden. Als solche H. gelten: der Dreiklang (a) und
der Septimenaccord (h) in unbestimmter Notation bei terzenweiser Anordnung.
a. -8- h. E§E
Gewöhnlich gebraucht man den Ausdruck H. aber in Rücksicht auf die Be-
deutung gewisser Accorde innerhalb einer Tonart (s. d.); die H. sind in
diesem Sinne die wichtigsten Accorde einer Tonart, d. h. diejenigen Harmonien,
die in der Tonart am häufigsten auftreten, und deren Verbindung am besten
geeignet ist, das Ohr in die betreffende Tonart einzustimmen. In der Regel
zählt man hierzu die Dreiklänge der ersten, vierten und fünften Stufe (a) und
den Dominantseptimenaccord (h)] alle anderen in der Tonart möglichen Accorde
heissen dann Nebenaccorde (s. d.).
C-dur. A-moll.
a. h. a. h.
_CL
^=g=^llE|«^
Bei einigen Theoretikern wird der Ausdruck H. auch im engeren Sinne nur
zur Bezeichnung des Accordes der ersten Stufe (oder des tonischen Drei-
klanges, s. d.) verwerthet. 0. T,
Hanptcadeuz, auch Finalcadenz (s. d. und Cadenz).
Hanptcanal nennt man in der Orgel die Windröhre, in welche durch die
mit ihr eng verbundenen Balgschnauzen der "Wind unmittelbar aus den Schöpf-
bälgen strömt, und von dem aus derselbe dann erst in die Nebencanäle ge-
trieben wird. Der H. ist stets vierkantig gebaut und sind die Kanten des-
selben sorgfältig durch Leim und Belederung winddicht gemacht. Die Grösse
und "Weite des H. richtet sich streng nach der Grösse des Orgelwerkes, zu
dem er verwandt werden soll, und sind über diese Dimensionen von den ver-
schiedenen Meistern feste Regeln aufgestellt. Man findet diese Regeln in
Töpfer's »Orgelbaukunst« §. 103 S: 100 ff., sowie in J. S. Hallen's »Kunst
des Orgelbaues« (6. Band der »Werkstätte der Künste«) S. 310 ff., auf welche
Werke verwiesen sei. Je nach dem Gutheissen des Orgelbauers fertigt derselbe
den H, einer Orgel ungetheilt oder getheilt an, um dadurch die Windvertheilung
in angemessenster Weise zu befördern. Der H. birgt in seinem Räume noch
verschiedene andere Orgeltheile. Von diesen mag zuerst das Contraventil
(s. d.) vermerkt werden, das dem Winde den Rückgang nach den Schöpfbälgen
abschneidet, und dann das Haupt-Sperrventil (s. d.), das den Wind vom
Werke abschneidet, sowie dessen Zugang zu demselben beherrscht. Schliesslich
ist noch zu bemerken, dass der Zug Evacuant (s. d.) oder Windablasser
und der Gazeschweller (s. d.), sowie die Windwaage (s. d.) in dem H.
ihre Stelle finden. 2.
Hauptciavier, Hauptmanual oder Haupttastatur nennt man bei einer Orgel,
welche mehrere Manuale hat, dasjenige, welches direkt die meisten und grössten
klingenden Stimmen beherrscht. Bei zwei Manualen ist es stets das untere;
sind drei Claviere vorhanden, so ist gewöhnlich das mittlere das H., seltener
Musikal. Convers.-Lexikou. V. 7
98 Hauptdreildänge -- Hauptmann.
das untere. Wahrscheinlich giebt man der Anordnung, das H. bei drei Ma-
nualen in die Mitte zu bauen, um deswegen den Vorzug, weil dann die Kop-
pelung der verschiedenen Manuale leichter zu construiren ist. 2.
Haupldreikläug-e, s. Hauptaccorde.
Hauptformell der Tonstücke. Die Zahl der Formen, in denen Tonstücke
erscheinen können, könnte eben so gross sein, wie die Zahl der Tonstücke selbst.
Es stimmen aber eine ganze Anzahl einzelner Tonstücke in gewissen wesent-
lichen Zügen überein. »Der Inbegriff nun der Grundzüge, in denen eine
Masse einzelner Kunstwerke übereinstimmt, heisst Kunstform. Es ist klar,
dass es solcher Kunstformen mehrere oder viele geben kann; ja, wer die Un-
ermesslichkeit und TJnbegränztheit des geistigen Lebens kennt und seine Thä-
tigkeit beobachtet, wird schon voraussetzen, dass die Zahl der Kunstformen
nicht zu begränzen ist, dass immer neue erfunden werden können« (A. B. Marx,
»Lehrb. der Comp.« II. S. 5). Es giebt aber gewisse Grundformen, von denen
alle anderen Formen sich ableiten, oder aus denen und den abgeleiteten Formen
sie sich zusammensetzen lassen. Diese Grundformen heissen die H. Die Zahl
und Art dieser H. ist übrigens zu verschiedenen Zeiten und bei den verschie-
denen Theoretikern durchaus nicht gleich geblieben. Näheres hierüber findet
man unter Kunstformen.
Hauptfortschreitungren eines Accordes sind diejenigen Harmonieschritte,
welche von dem betreffenden Accorde aus die natürlichsten sind (s. Fort-
schreitung, Cadenz und Auflösung).
Hauptgedaukeii sind die bedeutungsvollsten und hervortretendsten Gedanken
innerhalb eines Tonsatzes (s. Gedanke).
Hauptg-esang-, s. Hauptmelodie.
Haiiptgrade des Tempo, s. Tempo und Tempo Wörter.
Hauptiutervalle sind diejenigen Töne eines Accordes, welche zur Chai'ak-
terisirung des betreffenden Accordes erforderlich sind; im Dreiklange sind es
Grundton und Terz, im Semptimenaccorde die Septime u. s. f. (s. Intervall).
— Einzelne Theoretiker verstehen unter H.n auch diejenigen Intervalle, von
denen andere Intervalle durch Umkehrung u. dergl. abgeleitet werden; so ist
die Terz das Hauptintervall zur Sexte u. s. f. Nach meinem Systeme werden
bekanntlich alle harmonischen Intervalle abgeleitet von drei Intervallen : reine
Octave, reine Quinte und grosse Terz; diese drei Intervalle würden demnach
die H. sein. Ich gebrauche für dieselben indessen den Namen Grundintervalle.
— Endlich werden mit diesem Ausdrucke auch wohl die natürlichen Inter-
valle (s. d.) bezeichnet. 0. T.
Hauptlade oder Hauptwindlade der Orgel nennt man diejenige Wind-
lade, welche auf sich die grössten und meisten Principalstimmen stehen hat.
Man baut die H. bei grossen AVerken stets mit zwei Windeinfällen, damit dem
starken Windverbrauch volle Genüge werden hann und nicht ein Schluchzen
des Tones einzutreten vermag. lieber den Bau der H. berichtet der Artikel
Windlade (s. d.). 2.
Hauptlag-en, s. Lagen.
Hanptleiter oder Haupttonleiter, s. Normalleiter und Stamm-
tonleiter.
Hauptmaoii, Lorenz, trefflicher deutscher Orgelspieler, Kirchencomponist
und Gesanglehrer, geboren am lö. Jan. 1802 zu Grafensulz in Niederösterreich,
leistete schon in seinem zwölften Jahre Bedeutendes im Orgelsi^iel. Bis zum
24. Lebensjahre war er Lehrer in seinem Geburtsorte, begab sich 1826 nach
Wien, wo er die Organistenstelle am Theresianum und an der Paulanerkirche
erhielt, studirte unter Seyfried eingehend die Composition und wurde spiltei'^
gleichzeitig einen gründlichen Gesangunterricht ertheilend, Chordirektor an
der Augustiner-Pfarrkirche der Vorstadt Landstrasse. Er starb in sehr geach-
teter Stellung am 25. Mai 1870 zu Wien. Componirt hat er Messen, Gradu-
alien und andere Kirchensachen, die noch immer sehr geschätzt sind, sowie
Hauptmann. 99
Ciaviersonaten, Violin- und Orgelstücke, gute Solfeggien, instructive Singduette
u. s. w. Ein Theil dieser Werke ist in AVien auch im Druck erschienen.
Hauptmann, Moritz, hochbedeutender Musiktheoretiker, voi^züglicher Ton-
setzer und Contrapunktist , wurde am 13. Octbr. 1792 zu Dresden geboren,
wo sein Vater, Johann Gottlob H., als Hofbauconducteur, später als Ober-
landbaumeister angestellt war. Er verlebte seine früheste Kindheit ohne wesent-
liche Störungen, erhielt sehr bald einen vom Vater überwachten Unterricht in
den alten Sprachen, in der Mathematik und im Zeichnen, erlernte von seiner
Mutter, Louise Salome H., geborene Saxe aus Genf, spielend das Fran-
zösische und gewöhnte seine Zunge im Umgange mit italienischen Musikern
am Hofe Dresdens mit grosser Leichtigkeit an die Aussprache italienischer
Wörter. In seinem achten Jahre begann der Violinunterricht bei Scholz, und
die Fortschritte in diesem Zweige der Tonkunst waren so bedeutend, dass er
mit dem berühmten Pianisten Franz Ignaz Lauska schon im J. 1806 schwierige
Sonaten vom Blatt weg spielen konnte. Im J. 1808 von Grosse im General-
bass und Ciavierspiel unterrichtet, machte er in diesem Jahre wiederholte Com-
positionsversuche, setzte im folgenden Jahre die contrapunktischen Studien fort
und erhielt gegen Ende jenes Jahres den Hofkapellmeister Morlacchi zum
Lehrer in der Composition.
Die Neigung H.'s zur Tonkunst trat in seinem 19. Jahre so entschieden
hervor, dass der Vater dem Willen des Sohnes, Musiker zu werden, kein Hin-
derniss in den Weg legte, trotzdem er denselben durch die sorgfältigste Er-
ziehung in der Mathematik, im Zeichnen und in den classischen Wissenschaften
zum Baufache hatte vorbereiten lassen. Behufs höherer musikalischer Aus-
bildung ging der Jüngling 1811 nach Gotha zu dem in dieser Stadt damals
als Concertmeister fungirenden Louis Spohr, machte unter dessen Leitung
eifrige Studien im Violiuspiel und in der praktischen Composition, erzielte
durch dieselben die besten Resultate, von denen besonders ein Violinconcert,
eine Ouvertüre, mehrere Messensätze und Lieder hervorzuheben sind, und schloss
sich als jüngerer Freund diesem seinem Lehrer aufs Innigste an. Im J, 1812
kehrte er nach Dresden zurück, erhielt daselbst in der Hofkapelle eine Stelle
als Violinspieler, nahm jedoch bald wieder seinen Abschied, machte Kunstreisen
nach Wien und Prag, wurde 1815 Musiklehrer im Hause des Fürsten Repuin
in der Absicht, mit dessen Familie später nach Italien zu gehen, und nahm
dann, als sich durch die Ernennung dieses Fürsten zum Gouverneur von Klein-
russland das italienische Reiseprojekt zerschlagen hatte, vom J. 1815 ab seinen
Aufenthalt zuerst in Petersburg, dann in Moskau und zuletzt in Pultava, wo
er bis zum J. 1820 als Lehrer der hohen Familie thätig war.
In letzterer Stadt, wo er wenig äussere Anregung zur Tonkunst fand, pflegte
er wieder die mathematischen und naturwissenschaftlichen Studien, leistete sogar
als Architekt und Feldmesser häufig den wirksamsten Beistand und legte durch
seine Vertiefung in die Akustik und Theorie der Musik den Grund zu seiner
späteren Bedeutung als musikwissenschaftlicher Denker. In der Composition
war er ebenfalls, hauptsächlich in den letzten Jahren seines russischen Aufent-
halts, thätig. Eine ganze Reihe seiner Arbeiten , von denen später viele im
Druck erschienen sind, datiren aus dieser Zeit; es sind darunter viele deutsche
und italienische Gesänge, die Violinduetten op. 2, auch eine grosse tragische
Oper »Mathilde«. Im J. 1820 kehrte der Künstler nach Dresden zurück und
lebte hier zwei Jahre als Privatmann. Portwährend im freundschaftlichen Brief-
wechsel mit Spohr in Kassel stehend, gestalteten sich endlich die Verhältnisse
der Art, dass H. 1822 nach Kassel als Violinspieler in die HofkaiJelle berufen
wurde, wo ihm Spohr auch Schüler zuwies, welche sich in der Theorie und
Composition ausbilden wollten, z. B. Ferd. David, Curschmann, Norbert Burg-
müller, Grenzebach, Kiel etc., und Spohr bekennt in seiner Biographie, dass
H. vorzügliches Geschick dazu entwickelt habe. Seine Compositionsthätigkeit
entfaltete sich hier in huliem Grade; Motetten, Messen, Cantaten , Lieder con-
lüO Hauptmann
cipirte hier der Meister und erlebte mehrere mit Erfolg gekrönte Aufführungen
seiner Oper »Mathilde«; auch beschäftigte er sich eingehend mit musikwissen-
schaftlichen Arbeiten und unternahm, theils zur Bereicherung seiner Kenntnisse,
theils zur Erholung Reisen nach Italien und Frankreich.
Seit dem 27. Novbr. 1841 mit der Tochter des Akademiedirektors Hummel
in Kassel vermählt, machte er mit seiner Gattin Susette, deren künstlerische
Ausbildung als Malerin und Sängerin das poetische Gremüth des Meisters so
oft zum Schaffen begeisterte, im Sommer 1842 eine Reise nach Paris, von
welcher er bald zurückkehrte und dann der an ihn ergangeneu Berufung zum
Cantor und Musikdirektor an der Thomasschule zu Leipzig Folge leistete.
Nach einem für Spohr besonders schmerzlichen Abschied trat er am 12. Septbr.
1842 das Cantorat an, wurde zugleich Lehrer am Consei'vatorium der Musik,
erhob sich durch seine wissenschaftliche und künstlerische Thätigkeit zu dem
grössten Theoretiker des 19. Jahrhunderts empor und erwarb sich als einer
der edelsten Menschen die höchste Liebe und Achtung der ihm Näherstehenden.
Vom bayerischen, hannoverschen und sächsischen Hofe durch Ritterorden aus-
gezeichnet, von der Universität Göttingen zum Ehrendoctor promovirt, von der
philosophischen Facultät der Universität in Leipzig bei mehreren Gelegenheiten
als Examinator zugezogen, und von verschiedenen bedeutenden Gesellschaften
zum Ehrenmitgliede ernannt, beschloss der Meister sein edles, reiches Leben
am 3. Jan. 1868 und ward am 6. Jan., nachdem Pastor Valentiner und Pro-
fessor Eckstein dem verehrten Todten in der Thomasschule herrliche Worte
der Liebe und des Dankes gewidmet hatten, mit den höchsten Ehrenbezeugungen,
welche an den Tod Mendelssohn's, des ihm lange vorangegangenen Freundes,
erinnerten, zur Erde bestattet. Seine treue Gattin, die mit ihrem tiefen Geiste
und Herzen die verwandte Seele des edeln Mannes so ganz verstand, und seine
drei trefflichen Kinder beweinten den unersetzlichen Verlust; aber nicht allein
seine Familie, sondern ganz Leipzig trauerte um den Dahingeschiedenen, welcher
den durch die bedeutenden Cantoren Calvisius, Bach, A. Hiller etc. geschaf-
fenen Ruhm der ehrwürdigen Thomasschule zu erhalten und noch höher zu
führen wusste.
Dass »die Melodie des polyphonen Satzes eine gebundene, nicht auf einer
basirenden Harmonie allein ruhende, sondern durch andere Melodien, die gleich-
berechtigt sich mit ihr bewegen sollen, mitbestimmte« ist, wurde in der neueren
Zeit von keinem mehr zur Geltung gebracht, als von Moritz H. Durch das
Studium der Italiener, S. Bach's, Händel's und anderer Tonschöpfer, sowie
durch fortwährendes Denken zum vollendetsten technischen Ausdruck befähigt,
konnte er die Gefühle seines Innern in klarster Gestaltung äusserlich fassen
und fixiren, so dass die Nachwelt an seinen "Werken einen Schatz reiner Freude,
tiefer Erbauung und reicher Belehrung ererbt hat. In seinen zwei-, drei- und
vierstimmigen Gesängen spiegelt sich seine ganze reine Seele wieder, und wie hinter
ihm im wesenlosen Scheine jeder gewöhnliche Gedanke lag, so finden wir auch in
seinen Compositionen stets den reinsten Satz, die wahrste Empfindung. Auf
der Höhe der Kunst stehend, strebte er stets darnach, nicht für den Künstler
und Kunstkenner allein, sondern für die Menschen zu schreiben, daher auch
sein eigener Ausspruch im Allgemeinen sein ganzes Schaffen charakterisirt:
»Das Höchste der Kunst ist überall nicht für den Künstler und Kunstkenner
ausschliesslich da, sondern für den Menschen.« Man betrachte nur sein op. 46,
in dem er so fröhlich und glücklich die Natur besingt, wo er bei aller contra-
punktischen Kunst die schönste Einfachheit bewahrte und den zweistimmigen
Satz in einer "Weise verwendet, die jedem Kenner Bewunderung abnöthigen
muss. Fast noch höher stehen die zwölf dreistimmigen Canons, op. 50, in
denen der Meister zeigte, wie auch in der strengen Form die volle Entwicke-
lung des melodischen Elements möglich ist. Unter der Menge vierstimmiger
Gesänge heben wir nur op. 32 hervor, nicht, als ob die anderen "Werke diesem
nachständen, da H. jeden Stoff, welchen er componirte, mit Meisterschaft be-
Hauptmanual — Hauptner. 101
wältigte, sondern hauptsächlich aus dem Grunde, weil die in diesem Hefte ent-
haltenen Lieder am populärsten geworden sind.
"Wenn der musikalisch Empfängliche Erbauung sucht, so mache er sich
mit den kirchlichen Tonstücken H.'s bekannt, von denen die beiden Messen,
die eine a capella, die andere mit Instrumentalbegleitung componirt, als die
umfangreichsten Werke dieser B-ichtuug in seinem Schaffen bezeichnet werden
müssen. Eine höhere Vollendung des Tonsatzes hat kein Componist des 19.
Jahrhunderts offenbart, als wie man ihn in diesen Meisterwerken angewendet
findet, gleichwie auch Niemand leugnen dürfte, dass H. in seinen theoretischen
Schriften einen Schatz der Belehrung niederlegte, um den ihn alle Musik-
gelehrten beneiden können. Die tiefe, umfassende Kritik über Werke von
Seb. Bach und Klengel, die aus Bach's Kunst der Fuge gewonnenen klaren
Dispositionen, die akustisch und theoretisch gleich werthvollen Abhandlungen
in Chrysander's »Jahrbüchern für musikalische Wissenschaft«, die Regeln zur
Beantwortung des Fugenthemas in den Wiener Recensionen, endlich die wahrhaft
grossartigen Entwickelungen in seinem umfangreichsten Werke: »Die Natur
der Harmonik und der Metrik« (Leipzig, 1853) zeigen einen Geist, auf den
die ganze Welt der Töne stolz sein muss. Indem er hier die Erfahrungen
eines ganzen Künstlerlebens in Erwägung zog, vermochte er den von ihm er-
gründeten Gesetzen des Tonsystems in seiner harmonischen und metrischen
Gestaltung einen philosophischen Ausdruck zu geben , dessen Logik für alle
Zeiten als Muster für theoretische Analysen gelten wird. Von dem Elemen-
tarsatze ausgehend: »Jede verständige Formation beruht von Hause aus auf
einem gegebeneu Gegensatze; dieser ist das Element derselben. In der Sprache
ist es die Silbe, die aus Vocal und Consonant zusammengesetzt ist, in der
Musik das Intervall aus dem einen und anderen Tone , in der Architektonik
ist es die Verticale und Horizontale«, hiervon ausgehend und diesen Elemen-
tarsatz gewissermaassen in höhere Potenzen erhebend, war es ihm möglich, das
ffanze Gebäude seiner Harmonik und Metrik zu errichten und dabei stets mit
klarem Bewusstsein die Vermittlung der Gegensätze durchzuführen. Wie er
im Leben bald den tiefen Ernst für die heilige Sache offenbarte, bald den
feinen Humor in gesellig heiterer Umgebung hervorsprudeln Hess, und so
häufig im Process des künstlerischen Schaffens diese Gegensätze seiner edeln
Natur zu vermitteln wusste, so gelang es ihm auch, historisch und ästhetisch,
theoretisch und praktisch die ganze Summe des accordlichen und rhythmischen
Gegensatzes zu entwickeln und die Geschichte der Theorie in glänzendster
Weise zu begrenzen. 0. P.
Hanptmannal, s. Hauptciavier.
Hauptmelodie, s. Hauptstimme und Melodie, ist derjenige Gesang,
welcher in einem homophon mehrstimmigen Satze von der einen oder von allen
Hauptstimmen nacheinander voi'getfagen wird. — Mitunter fasst man diesen
Begriff auch gleichbedeutend mit Hauptstimme selbst.
Hauptmotiv ist dasjenige Motiv (s. d.), welches innerhalb eines Tonsatzes
in der Hegel zuerst auftritt und im Verlaufe des ganzen Stückes am häufigsten
wiederholt wird. So ist das Beispiel bei a das H. des ersten Satzes von Beet-
hoven'ß (7-7woZZ-Symphonie (s. auch Thematische Arbeit).
a.
0. T.
Hauptuer, Thuiskon, deutscher Gesanglehrer und gefälliger Vocalcom-
ponist, geboren um 1825 zu Berlin, war zu seiner höheren musikalischen Aus-
bildung Schüler der königl. Akademie der Künste und wurde 1847 durch eine
Prämie ausgezeichnet. Von 1850 an fungirte er als Orchesterdirigent, zunächst
des Vorstädtischen Theaters, welches er 1852 mit dem Königsstädter Theater
102 Hauptnoten — Hauptschluss.
vertauschte. In dieHer Zeit schwang er sich zu einem der beliebtesten Local-
coraponisten des Tages empor, indem er für die genannten Bühnen, sowie für
das Friedrich- Wilhelmstädtische Theater in Berlin viele Gesangpossen, Lieder-
spiele u. dergl. componirte, welche zum Theil das Eintagsleben überdauerten.
Im J. 1854 begab sich H. nach Paris, wo er vier Jahre lang im Conserva-
torium, sowie in der Duprez'schen Gesangsschule die besten Methoden der
Stimmbildung studirte. Nach Berlin 1858 zurückgekehrt, war er als Gesang-
lehrer, sowie journalistisch als Referent für die »Neue Berliner Musikzeitung«
thätig und veröffentlichte die Frucht seines Studienaufenthaltes in Paris, eine
grosse deutsche Gesangsschule (Berlin, 1861). Im J. 1863 wurde er als Go-
sanglehrer an die Musikschule nach Basel berufen, in welcher Stellung er bis
1869 verblieb. Hierauf nahm er seinen Aufenthalt in Potsdam und wirkt da-
selbst, ohne in die öffentlichen Musikzuständc mit einzugreifen, durch Ertheilung
von Privat-Gesangunterricht.
Haiiptnoten ist in mehrfachem Sinne gebräuchlich. 1. Zunächst bezeichnet
man damit diejenigen Töne, welche zur harmonischen Grundlage (s. d.)
eines Tonstückes gehören, also wirkliche Accordtöne sind; ihnen gegenüber
stehen dann die Nebennoten (s. d.), welche durch Anwendung von zufälligen
Dissonanzen (s. d.) entstehen. — 2. In einem wesentlich anderen Sinne
spricht man von H. in Rücksicht auf die rhythmische Stellung der Töne; in dieser
Beziehung versteht man darunter alle diejenigen Töne, welche den gramma-
tischen Accent (s. d.) bekommen, ganz abgesehen davon, ob sie zu der zu
Grunde liegenden Harmonie gehören oder nicht (s. auch Anschlagende
Noten). — • Unter H. versteht man 3. bei den Verzierungen (s. d.) die-
jenigen Noten, über welchen das Zeichen einer besonderen Spielmanier (Doppel-
schlag, Triller u. s. w.) steht. Die H. bezeichnen also immer denjenigen Ton,
welcher durch Zuziehung seiner Hülfstöne oder Nebentöne verziert wird. Bei
den folgenden Verzierungen bei a ist also das c" die Hauptnote, d" und lif
dagegen sind die Hülfsnoten. Einzelne Theoretiker nennen endlich 4. aucli
wohl den Gruiidton der Tonart (die Tonika) so, und gebrauchen demnach
Hauptnote gleichbedeutend mit Hauptton (s. d.).
Hauptpartie ist der wichtigste Theil oder die wichtigste Stimme in einem
grösseren Tonsatze. 0. T.
Hauptprincipal nennt man die 2,5 metrige Principalstimme eines Manuals,
selbst wenn neben derselben noch eine 5 metrige in demselben vorhanden ist.
Grund hierfür ist wahrscheinlich die Menschen stimme, deren Töne das Manual
wiederzugeben zur Aufgabe hat, und deshalb wird wohl auch das Principal,
welches dies vermag, als H. dieses Theils des Tonreichs der Orgel angesehen.
Die Bezeichnung der 5 metrigen Principalstimme im Pedal als H. daselbst
hat ebenfalls hierin seine Begründung, da man die Töne, welche das Pedal
geben soll, als eine Octave unter denen der Menschenstimme stehend, normal
erachtet und somit alle 5 metrigen Klänge als Grundklänge des Pedals
anschaut. 2.
Hauptprobe, s, Generalprobe und Probe.
Hauptreg-ister, s. Grundstimmen.
Hauptsäuger (ital.: Primo 2(07no) und Hauji tsängerin (ital.: Primadonna)
nennt man diejenigen Gesangskünstler, welche Heldenrollen oder Haupt-
parthien in grösseren Vocalwerken (Oper, Oratorium, Cantate u, s. w.) aus-
zuführen haben.
Haui>tsatz, s. Thema.
Hauptschluss, s. Finalcadenz.
Hauptseptime ~ Hauptsperrventile. 103
Hauptseptime ist die Septime des Hauptseptimenaccordes. Einzelne Theo-
retiker nennen aber auch jede andere kleine Septime H.
Hauptseptimeuaccord, Hauptsej)timenharmonie oder Dominantsep-
timenaccord ist der Septimenaccord (s.d.), welcher auf der fünften Stufe
(Dominante) jeder Dur- und jeder J/bZZtonart steht; in G-dur und C-moll also
der Accord g—h-d'—f. 0. T.
Hauptsperrventile nennt man in der Fachsprache der Orgelbaukunst be-
lederte Holzklötzchen, welchen für gewöhnlich die Cancellenaufschnitte luftdicht
zu decken obliegt; ihre eigentliche Aufgabe jedoch ist, beim Orgelspiele nach
dem Ermessen des Spielers dem Winde den Zugang zu den Pfeifen zu eröffnen
und dadurch deren Erklingen zu bewirken. Ausser dieser Benennung führt
man noch viele andere für diese Orgeltheile, wie Springventile, weil diese
Ventile vermittelst der unter ihnen befindlichen Federn stets in die Ruhelage
zurückspringen; Spielventile, da sie eben beim Sf)ielen der Orgel beson-
ders hervorzuhebenden Autheil nehmen; Windladen- oder Windkasten-
ventile, von älteren Autoren auch Laden- oder Windladenklappen ge-
nannt, wodurch man hauptsächlich den Ort, wo diese Ventile in der Orgel
gebaut werden, bezeichnen wollte, oder auch schlechtweg nur Klappen oder
Windklappen. In lateinischen Fachwerken findet man für die H, die Be-
nennung: Paraglossae. Die Zahl der H. in einem Werke ist so gross als
die Zahl der Claviaturtasten desselben. Ihrer Struktur nach sind die Kern-
stücke der H. längliche, viereckige, hölzerne Klötzchen, deren Länge und Breite
nach diesen Ausdehnungen der durch sie zu deckenden Cancellenöffnungen be-
stimmt wird. Gefertigt werden diese Klötzchen aus trockenem, so weiss als
möglich scheinendem, geradfaserigem Eichen- oder Weissbuchenholz, da fettes,
sehr hartes und braunes sich leichter zu werfen pflegt. Alle Klötzchen er-
halten einerlei Grestalt nach einer hölzernen Patrone und werden bis etwa zur
Hälfte ihrer Dicke der Quere nach mit einer feinen Säge zwei oder drei Mal
eingeschnitten , um dadurch deren Werfen beim Eintrocknen zu verhindern.
Noch ist über die Gestaltung der Klötzchen zu bemerken , dass man sie von
beiden Seiten der Länge nach abhobelt, d. h. an der der Cancellenöffnung ab-
gewandten Seite, und zwar so viel, dass ihr Rücken in der Mitte nur die Dicke
von höchstens 4 Mm. zeigt, damit sie vermöge dieser Zuspitzung den auf sie
drückenden Wind leichter zu durchschneiden vermögen. Noch wäre über die
je nach Erfordei'uiss verschiedenen Ausdehnungen dieser Klötzchen zu berichten,
indem nämlich von deren verhältnissentsprechender Grösse und Bauart sehr
viel abhängt. Diese Ausdehnungen sind jedoch nicht fest anzugeben, weil die-
selben von den in dieser Beziehung gemachten Erfahrungen der Orgelbauer
abhängig sind. Um jedoch annähernd hierin etwas zu bieten, seien hier die
nach einer Orgel genommenen Maasse mitgetheilt, deren Pfeifen prompt und
kräftig ansprachen, und deren Spielart hinsichtlich ihrer Flachheit und Leich-
tigkeit zu den vorzüglichsten gehört. Zugleich fügen wir der tabellarischen
Aufzeichnung der Ausdehnungen der H. den weitesten Abstand derselben bei
deren Oefifnung bei.
Die Ausdehnungen der H. waren Die OefFnung
in d. Länge beim C: 43 Cm., in d. Breite 58,8 Cm. u. in d. Dicke 24 Mm. 15 Mm.
- c: 33 Cm., - - - 43 Cm. - - - - 21,8 Mm. 10,9 Mm.
- - - - c*:27Cm., - - - 39 Cm. - - - - 19,6 Mm. 9,8 Mm.
- - - - c^25Cm., - - - 31,4 Cm. - - - - 17,4 Mm. 8,7 Mm.
- - - ■ c^24Cm., - - - 27,4 Cm. - - - - 15 Mm. 7,5 Mm.
Ist nun die Fertigung dieser Klötzchen auch noch so genau, so wird
dennoch ein winddichter Verschluss der Cancellenöffnungen durch sie schwer
zu ermöglichen sein, obgleich sie nach jeder Seite um 2 Mm. die Cancellen-
öfi'nungen überragen, weshalb man dieselben an der der Cancellenöffnung zu-
gewandten Seite beledert. Als hierzu am tauglichsten hat sich wollreiches
weissgares Scbafleder ergeben. Vor etwa zweihundert Jahren , so bericlitet
104 Hauptsperrventile.
Adlung in seiner y>Mus. mecli.v. S. 32, wurde hierzu Tuch angewandt. Im
Anfange des 19. Jahrhunderts erst nahm man weissgares Schafleder, später,
in den 1830er Jahren, auch häufig rohgares. In neuester Zeit jedoch findet
man nur das weissgare in Anwendung und muss sich somit dies im Laufe der
Zeit als das am meisten hierzu geeignete Material herausgestellt haben. Man
wählt zu diesem Zwecke Felle aus, die überall in gleicher Entfernung vom
Rücken gleiche Dicke des Leders zeigen und sich nicht in zwei Schichten auf-
lockern. Die lange Lederwolle wird sorgfältig mit dem Sand- oder Glashobel
kurz abgeschabt, um sicher zu sein, dass keine freien Fasern sich in der "Wolle
befinden, die sonst leicht, ein Spielwerk des Windes, Störungen bei der Ton-
zeugung verursachen könnten, und die glatte Seite beschabt man zweckent-
sprechend, damit beim Aufleimen des Leders sich die Endstellen nicht leicht
lösen. Die genauere Ausführung der Belederung findet man in J. S. Hallen's
»Kunst des Orgelbaues« S. 66 ff., worauf an dieser Stelle verwiesen sei. Im
Allgemeinen ist hierüber nur hei-vorzuheben , dass die H. stets an ihrem
Kopf, Kopfende, Klapjienkopf oder H.kopf genannten Theile, d. i. der,
wo das Ventil beim Gebrauche sich öffnet, das dünnere dem Rücken abge-
wandte Felltheil, das Schwanzende, der entgegengesetzte Theil des H.'s, hin-
gegen das dickere, dem Rücken nähere Leder zeigt. Das Schwanzende macht
sich nach der Belederung des H.'s auch noch dadurch kenntlich, dass an dem-
selben das Leder über das Holz hinaus eine 2,6 Cm. lange Fortsetzung hat.
Die Lederfortsetzung, schlechtweg Schanz genannt, leimt man bei der Ein-
setzung der H. an den Windladenboden, dass er eine Art Garnier bildet, das
dem Ventil eine freie auf- und abwärtsgehende Bewegung gestattet. Statt
dieses Ledergarniers erfand der Orgelbauer Volkland in Erfurt um die Mitte
des 18. Jahrhunderts eine andere Einrichtung hierfür, nämlich: er Hess den
Schwanz der H. ganz weg. Dafür kantete er die Seite des Schwanzendes von
oben nach unten scharf ab und lehnte diese Kante an eine schmale Leiste,
wo dann das Ventil seinem Schwänze zu vermöije eines Einschnittes auf einem
starken Draht von Messing läuft. Diese Einrichtung ist deswegen zu em-
pfehlen, weil diese Ventile leicht herausgenommen und wieder eingesetzt
werden können.
Alle H. würden nun, nur an diesem Schwanzende in beschriebener Art
eingeleimt oder anders construirt, hängend sich in der Windlade befinden, wenn
nicht unter den Ventilen angebrachte Federn, Spielventilfedern genannt,
dieselben fest gegen die Cancellenöffnung pressten. Die Sperrventilfeder ist
ein ungeglühter Messingdraht, der, in zwei gleiche Theile getheilt, in der
Mitte auf einer dazu erfundenen Maschine, Federbrett, in Ringe gewunden
ist. Der eine Schenkel dieser Feder steckt fest im Kopfe des H.'s, ungefähr
2,6 Cm. vom Ende; der andere in dem Windladenboden. Das Gewinde ist
dem Schwanzende zugewandt. Damit nun im Gebrauch die Feder nicht wankt,
sondern stets unter der Mitte des Ventils sich bewegt, ist dasselbe von vorn
nach hinten tief eingekerbt. In diese Kerbe ist, wie oben angegeben, das
Ende der Feder fest in das Ventil eingeschlagen. Der andere Schenkel wird
gewöhnlich durch den Einschnitt der Leiste des Kamms, der dem Windkasten
entlang angebracht ist, in seiner Bewegung regulirt. Um zu verhindern, dass
die Ventile selbst nicht zur Seite abweichen können, sind oberwärts im Deckel
der Lade Drahtstifte eingeschlagen, die den Ventilen ihre Bewegungsbahnen
vorschreiben. Diese Stifte dürfen jedoch nicht zu kurz sein, sonst kann es
sich leicht ereignen, dass das Ventil, wenn es niedergezogen ist, sich auf die-
selben setzt und nicht wieder zurückspringen kann; ein immerwährendes Er-
klingen des Tones würde die Folge sein. Zuweilen fehlen diese Leitestifte,
auch wohl Ventilleiter, Ventildrähte oder Klappenleiter genannt, und findet
man zu demselben Zwecke an den Köpfen der H. längliche Oesen angebracht,
durch welche die Leitestifte gehen. Wie wir sahen, werden die H. stete hori-
zontal unterhalb an den Windladen deckel angebracht; in früherer Zeit jedoch
Hauptstimme. 105
hat man auch versucht, dieselben perpendiculair zu stellen. Die hierbei zu-
sammengesetztere Mechanik zum Aufziehen derselben aber, sowie die fast gar
nicht bemerkbaren Vorzüge dieser Herstellung hat diese ganz ausser Gebrauch
gebracht. Betrachten wir nun noch den Zusammenhang des H.'s, dessen Be-
schaffenheit wir in Vorangehendem genau bis auf eine am E-ücktheile desselben
unweit der Kerbe befindlichen Drahtöse beschrieben haben, mit der Tastatur,
so ergiebt sich derselbe etwa folgendermaassen. In die letzterwähnte Oese, die
in der Mitte oder etwas näher dem Schwanzende, je nachdem die Oeffnung
des H.'s grösser oder kleiner gewünscht wird, angebracht ist, fasst mittelst einer
anderen Oese ein Draht, der Pulpetendraht, welcher durch den Boden der
"Windlade geht. Dieser steht mit dem Abstrakten und dieser mit dem Clavis
in Verbindung. Beim Niederdrücken einer Taste öffnet der durch sie bewegte
Pulpetendraht die entsprechende Cancelle, indem er das H. aus seiner Ruhlage
herabzieht. Lässt man die Taste los, so wirkt die Spielventilfeder wieder frei
auf das H. und drückt es fest auf die Cancellenöffnung. Man hat auch schon
mehr als ein H. geglaubt zu einer Pfeife bauen zu müssen. Schon in alten
Zeiten waren Orgelbauer besorgt, dass die grossen Pfeifen nicht genug Wind
durch ein H. erhielten, um den Ton voll und ruhig zu geben; sie ertheilten
deshalb jeder der grössten Orgelpfeifen zwei H. Diese Einrichtung aber musste,
da jedenfalls zwei Ventile aufzuziehen mehr Kraftaufwand fordert als eins, eine
Ungleichheit in der Spielart ergeben, weshalb man, später dies einsehend, diese
Einrichtung auch wieder einstellte. In neuerer Zeit wurde jedoch dieser Ge-
danke noch einmal angeregt und sogar noch erweitert. Der Orgelmeister Prof.
J. G. Töpfer zu Weimar empfiehlt in seiner Orgelbaukunst vom J. 1833 S. 126
statt einer Cancelle von grösserer Ausdehnung lieber deren vier oder noch
mehrere zu bauen, weil dadurch die Spielart der Orgel leichter werde, und
sucht dies mathematisch zu beweisen. Schon Schilling in seinem Tonkünstler-
lexikon aber stellt diesem mathematischen Beweise für die Sache einen ebenso
mathematischen gegen dieselbe entgegen, und die Praxis hat bis heute letzteren
Beweis als den wirklich richtigen anerkannt. 32.
Hauptstiiuine, Hauptmelodie oder Hauptgesang wird bald in engerem, bald
in weiterem Sinne angewendet. »Im weiteren Sinne des Wortes versteht man
darunter jede Stimme, die durch das ganze Tonstück hindurch mit ihrer eigenen,
und von den übrigen Stimmen verschiedenen Melodie in die Harmonie des
Ganzen einstimmt. So viel also ein Tonstück Stimmen enthält, deren jede
ihre eigene und besondere Melodie hat, ebensoviel H.n sind in demselben vor-
handen. Von den H.n unterscheidet man die Neben- oder Füllstimmen, welche
entweder nur durch Verdoppelung der schon in den H.n vorhandenen Töne
die Harmonie ausfüllen, oder vermittelst welcher diese oder jene H. im Ein-
klänge oder in der Octave verstärkt wird« (H. Ch. Koch, »Musik. Lexikon«,
Artikel: Hauptstimme). In diesem weitesten Sinne sollte man indessen die
"Wörter »Haupt- und Nebenstimme« nicht anwenden; zur Bezeichnung des hier
gemachten Unterschiedes eignen sich die Ausdrücke : reale oder wirkliche Stimme,
resp. Füll stimme (s. d.) viel bessei-.
In einem etwas engeren Sinne verwendet Gottfr. Weber den Ausdruck H.
»In Ansehung der grösseren oder geringeren Wichtigkeit einer Stimme, im
Vergleiche gegen andere, unterscheidet man Haupt- und Nebenstimmen. AVenn,
unter den mehreren Stimmen, Gesängen oder Melodien, aus welchen ein Satz
besteht, eine oder mehrere aus irgend einem Grunde, sich vor den übrigen vor-
züglich auszeichnen, vor den anderen hervortreten, und dadurch die Aufmerk-
samkeit des Gehörs vorzüglich auf sich ziehen, so legt man einer solchen den
Titel Hauptstimme, Hauptmelodie, Hauptgesang, bei, und nennt in deren Gegen-
satze die übrigen: Nebenstimmen, begleitende, oder Begleitungsstimmen. Oft
nennt man die Hauptmelodie oder den Hauptgesang auch kurzweg: den Ge-
sang, oder: die Melodie, die Neben- oder begleitenden Stimmen aber: die Be-
gleitung.« »Man kann im Allgemeinen sagen, dass die beiden äusseren Stimmen
106
Hauptstimrae.
mehr und bestimmter ins Grehör fallen, als eine Mittelstimme; und zwar vor-
züglich die Oberstimme. Die äusseren sind darum schon als solche immer ge-
wissermaassen als H.ii zu betrachten.« »Manche Schriftsteller pflegen die Bass-
stimme auch Grrundstimme zu nennen; diese Benennung ist aber ungeeignet.«
»Der ganze Unterschied zwischen Haupt- und Nebeustimmen ist übi-igens an
sich selber, wie man sieht, nur relativ, und bald sehr merklich, bald auch
wieder so gering, dass er beinahe verschwindet, und dass zuweilen gleichsam
alle Stimmen in gleichem, oder fast gleichem Grade H.n sind, wie z. B. bei a,
wo jede der vier Stimmen ihren eigenen, für sich selbst sprechenden Gesang
hat« (Gottfr. Weber, »Versuch«, I. S. 154 fi".).
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lieber die Behandlung der H.n dieser Art spricht sich G. Weber wie
folgt aus: »Eben darum, weil die H.n vorzüglich ins Gehör fallen, verdienen
sie auch, dass man sie am sorgfältigsten ausbildet, und die Gesetze der guten
Stimmführung darin am gewissenhaftesten , und strenger beobachtet als in den
Nebenstimmen, in welchen letzteren, aus entgegengesetztem Grunde, kleine Ab-
weichungen von der regelrechten Reinheit dem Gehöre weniger aufi'allen, und
deshalb eher verzeihlich sind, als in den H.n, Ebenfalls wegen dieses bestimm-
teren Hervortretens der H.n vor den minder bemerkt werdenden Nebenstimmen,
und wegen des Zurücktretens dieser Letzteren hinter die Ersteren, ist es denn
auch nöthig, dafür besorgt zu sein, dass die H.n schon unter sich allein, und
auch abgesehen von den Nebenstimmen, einen guten Satz bilden, so dass der
Satz auch dann noch gut sein würde, wenn die Begleitung etwa gar weg
bliebe. Ich will dies durch ein Beispiel erläutern. Wenn man in folgendem
Satze (a) die beiden oberen Stimmen allein, und ohne die übrigen, spielt, so
klingt solcher zweistimmige Satz, wie jeder leicht bemerkt, sehr unbefrie-
digend« (wegen der fehlerhaften Auslassung, s. d.). »Wollte man nun die
erwähnten beiden Tonreihen allein von zwei vorzüglich ins Gehör fallenden
Stimmen vortragen lassen, z. B. von zwei Singstimmeu, die unteren aber blos
einem begleitenden Instrumente in den Mund legen , so würde dies keineswegs
befriedigen« (a. a. 0. §§. 9 — 10).
Endlich wird der Ausdruck H. aber auch in einem noch engeren Sinne
angewendet. So erklärt H. Ch. Koch (»Versuch einer Anleitung' zur Compo-
sition«, II. S. 4 ff.): »So viel Stimmen in einem Tonstücke vorhanden sind,
eben so viel verschiedene Melodien enthält ein solches Tonstück. Auch die
sogenannten Füllstimmen sind hiervon nicht ausgeschlossen, so lange sie nämlich
mit anderen Stimmen nicht im Einklänge oder der Octave fortgehen. Ob nun
gleich die Hauptzüge dieser Stimmen in der Seele des schaffenden Tonsetzers
Hauptstimme.
107
zusammen als ein einziges Bild entstehen müssen, wenn die eigentliche Absicht
der Kunst erreicht werden soll, so sind dennoch diese Stimmen nicht von einer
und eben derselben Beschaffenheit, entstehen nicht aus einer und derselben
Absicht, Eine derselben enthält oft gleichsam den Umriss des Gremäldes, den
bestimmten Inhalt des Ideals des Tonsetzers, diese pflegt man die H. zu nennen.
Eine andere dient ihm zum Grunde des harmonischen Grewebes, womit dieses
Bild ausgemalet wird, diese nennt man die Grundstimme. Wieder andere sind
dazu vorhanden, die Draperie, die Auszierung und Vervollkommnung zu be-
wirken, und diese werden mit den Namen der Mittel-, Füll- und Nebenstimmen
beiieichnet.« In dem »Musik. Lexikon« desselben Schriftstellers finden sich
bei dem bereits im Eingange angezogenen Artikel noch folgende Erklärungen.
»Im engeren Sinne des "Wortes versteht man unter einer H. eine solche,
durch welche die Empfindung besonders ausgedrückt wird, die bei einem Ton-
stücke zu Grunde liegt, und welcher die übrigen vorhandenen Stimmen blos
zur Begleitung und Unterstützung dienen. In dieser Bedeutung behauptet
z. B. in einer Arie blos die Singstimme, oder in einem Concerte blos die con-
certirende Stimme den Charakter der H. Bei solchen Tonstücken sind, so
lange der Vortrag der H. dauert, alle übrigen Stimmen blos begleitende
Stimmen, das ist, sie sind nur deswegen vorhanden, um der H. theils durch
die Harmonie, theils auch durch ihre metrischen Bewegungen mehr Deutlichkeit
und Bestimmtheit zu geben.« — In ähnlichem Sinne fasst A. B. Marx den
Begriff H. »In der homophonen Schreibart sind zweierlei Stimmen zu unter-
scheiden: die H., welche den wesentlichen Inhalt vorzutragen hat und den An-
sprüchen an kuustgemässe Melodie entsprechen soll, und die Nebenstimmen,
welche nur um der H. willen da sind, — nicht eignen selbstständigen Inhalt
haben, sondern den der H. bestärken oder hervorheben sollen. Hier
Andante.
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sehen wir ein homophones Sätzchen vor uns. Die Oberstimme zeigt eine be-
stimmt geformte und in sofern befriedigende Melodie, — gleichviel wie gering
ihre künstlerische Bedeutung sein mag. Die vier anderen Toureihen haben
offenbar nur den Zweck, die H. mit Harmonie und gleichmässig bewegtem
Rhythmus zu unterstützen; keine dieser Notenreihen könnte für sich als Melodie
gelten, oder wohl gar der Oberstimme den Rang als H. streitig machen. In
der Regel ist die Oberstimme H. ; sie ist wegen ihrer Lage und der beweg-
licheren und eindringlicheren Natur der höheren Töne am geeignetsten dazu.
Allein es kann auch jede andere Stimme, z. B. der Bass (ö), oder der Tenor,
oder der Alt sein. Oder es kann eine Stimme um die andere als H. auftreten;
z. B. das obige Sätzchen erst in seiner Weise aufgeführt werden, also mit der
Oberstimme als H. ; dann könnte Bass (wie unten bei a) oder Tenor die Haupt-
melodie wiederholen und die Oberstimme an der Begleitung theilnehmen; —
oder es könnten in ein und demselben Satze (wie unten bei V) die Stimmen
in der Hauptmelodie sich ablösen, es könnte erst der Tenor, dann der
Discant u. s. f. H. sein.« Die durch diesen Wechsel hervorgebrachte Mannig-
faltigkeit findet namentlich in der Kammermusik (s. d.) häufige Verwerthung;
sie dient dazu, die homophone Schreibweise mehr zu beleben, ja sie der Poly-
phonie näher zu bringen. Fasst man in einem homophon mehrstimmigen Satze
zusammen, was die sich ablösenden H.n nach einander vortragen, so erhält man
die Hauptmelodie (s. d.) des Satzes.
108
Hauptstimme,
»Vergleichen wir die letzten Beispiele (a und h) mit dem vorhei'gehenden,
so sehen wir, dass die Nebenstimmen auch mannigfaltigeren und anziehenderen
Inhalt übernehmen, dass jede von ihnen ihren eigenen Weg gehen, oder auch
eine sich besonders hervorthun kann. In den vorstehenden Fällen wird man
demungeachtet nicht zweifelhaft sein, welches die H. ist« (Marx, »Allgera.
Musiki. a S. 263 fif.). Es können jedoch, auch wenn man den Begriff H. in
diesem engsten Sinne fasst, in einem Tonstück gleichzeitig mehrere H.n auf-
treten. »In Tonstücken, in welchen immer nur eine solche H. vorhanden ist,
kann der Tonsetzer die vorhandene Empfindung immer nur so ausdrücken, wie
sie sich bei einem Menschen nach seiner besonderen oder individuellen Art
äussert. Die Tonkunst besitzt aber auch das Vermögen, die individuellen Em-
pfindungsarten mehrerer Menschen, die sich zugleich äussern, auszudrücken.
Soll dieses geschehen können, so müssen mehr Stimmen vorhanden sein, die
den Charakter als H.n behaupten, oder die sich durch ihre hervorstechenden
Darstellungen der verschiedenen Modificationen der Empfindung auszeichnen«
(Koch, »Lexikon«). »Ist ein Satz oder eine ganze Composition so beschaffen,
dass nicht eine Stimme H. ist und die anderen Nebenstimmen, sondern dass
alle Stimmen wesentlichen Inhalt, gleichmässigen Antheil am Ganzen, so viel
wie möglich jede die Eigenschaften kunstgemässer Melodie hat, so ist die eigent-
liche Mehrstimmigkeit vorhanden.« »Das Sätzchen
ist so abgefasst, dass man keine Stimme ohne die andere irgend als befrie-
digend, keine als H. ansehen kann; jede der beiden Stimmen strebt nach mög-
lichster Vollkommenheit in melodischer Beziehung, jede unterstützt, ergänzt die
andere und wird von ihr unterstützt, jede hat gleich wesentlichen Antheil am
Ganzen: Jede ist H.« (Marx, a. a. 0. S. 264). Man erkennt, dass bei dieser
engeren Fassung des Begriffes H. der Unterschied zwischen Homophonie
und Polyphon ie (s. d.) lediglich davon abhängt, ob an jeder Stelle eines
Tonsatzes sich immer nur eine, oder ob sich gleichzeitig mehrere Stimmen als
H.n geltend machen. — Der Ausdruck H. erleidet also bei verschiedenen
Theoretikern verschiedenartige Anwendung, und man hat sich daher immer erst
Hauptstimmgattungen — Hauptton. 109
ZU überzeugen, in welchem Sinne er zu nehmen ist. — Näheres findet sich
übrigens noch unter Stimme, Mehrstimmigkeit, Contrapunkt u. s. f.
0. Tiersch.
Hauptstimiu^attun^eu oder auch Hauptstimmen der Composition
heissen bei einzelnen Theoretikern die vier Klassen der Singstimmen (Bass,
Tenor, Alt und Sopran). — S. Marpurg, »Abhandlung von der Fuge« (Leipzig,
1806) I. S. 1 ff.
Hauptstück, Hauptsatz oder Haupttheil bezeichnet in einem mehrtheiligen
Tonstücke (Menuett, Walzer, Marsch u. s. f.) den ersten Theil, während man
die übrigen Theile (die Trios) Nebenstücke nennt.
Hanptstufeu, Grundstufen, Normalstnfeu oder Stammtöne sind bei unserer
Tonbenennung diejenigen Stufen des Tonsystems, von deren Namen die Namen
der übrigen Stufen durch Anhängung der Erhöhungs- und Erniedrigungssilben
(is und es) abgeleitet werden, also diejenigen Töne, welche in der Notenschrift
ohne Grebrauch von Versetzungszeichen dargestellt werden können (c, d, e,
f, g, a, h).
Haupttacttheil, s. Haupttheil.
Haupttactzeit, s. Haupttheil.
Haupttastatur, s. Hauptciavier.
Haupttheil wird von einigen Theoretikern (z. B. auch von Marx) bisweilen
in dem Sinne von Haupt stück (s. d.) angewendet. — Am häufigsten und
am richtigsten gebraucht man diesen Ausdruck jedoch bei der Unterscheidung
der Tacttheile (s.d.) nach dem Grade ihrer Betonung (s. Accent), H. be-
zeichnet dann immer die schwerste Tactzeit, ist also gleichbedeutend mit Haupt-
tacttheil, Haupttactzeit oder Hauptzeit. Den stärksten Accent bekommt be-
kanntlich beim natürlichen Tactgewicht (s. d.) stets jede erste Note nach
dem Tactstriche, und dieses gilt sowohl in den einfachen wie in den zusammen-
gesetzten Tactordnungen. H. ist also immer der erste Tacttheil. In den ein-
fachen Tactordnungen stehen ausser ihm in jedem Tacte nur noch Nebentheile.
In den zusammengesetzten Tactordnungen dagegen finden sich in jedem Tacte
noch solche Theile, die in der einfachen Tactordnung, aus welcher die betref-
fende zusammengesetzte entstanden ist, Haupttheile waren; diese heissen dann
gewesene Haupttheile, In der viertheiligen Tactordnung ist z. B. der
dritte, in der sechstheiligen der vierte, in der neuntheiligen der vierte und der
siebente und in der zwölftheiligen der vierte, siebente und zehnte Tacttheil
ein gewesener H.
Hauptthema, Hauptsnbject oder auch wohl Hauptsatz heisst das erste
Thema (s. d.) einer mehrfachen Fuge (Doppelfuge, Tripelfuge u, s. f., s.
Kanon und Fuge), während man z. B. das zweite Thema einer Doppelfuge
(das Contrathema oder Contrasubje et, s. d.) Nebenthema nennt. Weiteres
findet sich unter Thema.
Hauptton wird in verschiedenem Sinne gebraucht. Bei einzelnen Theo-
retikern (z. B. bei Seim. Bagge, »Lehrbuch der Tonkunst«, Leipzig, 1873) ist
H. fälschlicherweise gleichbedeutend mit Haupt stufe oder Stammton (s. d.).
— Andere Schriftsteller (z. B. Ed. Bernsdorf, »Neues Universal- Lexikon der
Tonkunst«) fassen diesen Begriff ebenso unrichtig auf, indem sie ihn als über-
einstimmend mit Hauptnote (s. d.) nehmen. — Ebenfalls unzutreffend ist die
Anwendung des Wortes H. für Haupttonart (s. d.), wie sich dieses z. B. bei
J. C. Lobe und A. B. Marx findet. — Viel richtiger ist die Anwendung dieses
Ausdruckes bei Gottfr. Weber; bei ihm ist H. gleichbedeutend mit Grundton
der Tonart, Tonica (s. d.), tonische Note, erste Note, erste Stufe, Prime,
Finalnote, Finalsaite, Principalnote und Hauptnote (Weber, »Versuch«, II. S. 1 ff.).
Noch zutreffender ist aber die Anwendung bei H. Ch. Koch (»Musik. Lexikon«.
In seinem »Versuch einer Anleitung« bezeichnet Koch freilich — I. S. 28 —
ganz unrichtig die Ober- und die Unterdominante als H.e). »H. ist derjenige
Ton, dessen harte oder weiche Tonleiter bei einem Tonstücke zum Grunde
110 Haupttonart — Haus.
gelegt worden ist.« »Mit dem Worte Tonica dagegen bezeichnet man den
Gruudton derjenigen Tonart, in welcher sich die Modulation aufhält. Der H.
eines Tonstückes, das ist, der Gruudton derjenigen Tonart, in welcher es gesetzt
ist, bleibt unveränderlich; wenn man daher, sobald die Modulation in eine ver-
wandte Tonart übergehet, von dem Grundtone derselben sprechen wollte, so
müsste mau sagen, der Grundton der Tonart der Quinte, oder der Grundton
der Tonart der Sexte u. s. w. Statt dieser Weitläufigkeit sagt man lieber die
Tonica. Die Tonica ist demnach von dem H. eines Tonstückes darin unter-
schieden, dass sie bei dem Uebergange in eine andere Tonart ihren Platz ver-
ändert, da hingegen der H. eines Tonstückes durch das ganze Toustück hin-
durch ebenderselbe bleibt« (Koch, a. a. 0.).
Haupttouart. Tonsätze, die für sich einheitliche Ganze bilden, beginnen
und schliessen in der Regel in derselben Tonart, und diese Tonart wird auch
im Verlaufe eines Stückes selbst vorzugsweise benutzt. Diese Tonart, »auf
welche sich alles, was die Modulation betrift't, bezieht, in welcher der Satz nicht
allein angefangen und geschlossen wird, sondern die sich auch immer von neuem
hören lassen muss, nachdem der Satz in eine andere Tonart (Nebentonart,
s. d.) geleitet worden ist«, heisst die H. des Tonstückes. Eingehenderes findet
man unter Modulation und Modulationsordnung. 0. T.
Hauptventil, in der Orgel das Cancellcnventil (s. Orgel).
Hauptveutilfeder, Spielventil-, Klappen- auch Schlagfeder, nennt
man eine Feder, welche die Ruhelage eines Hauptsperrventils (s. d.) be-
wirkt. Diese Federn werden aus gehärtetem, starkem Messingdraht gefertigt.
Die Form derselben wird gebildet durch ein Federauge, d. i. ein Rundgewinde
des Drahtes, das in zwei Schenkel von 13 bis 15 Cm. Länge ausläuft, deren
Enden etwa 0,7 Cm. lang, rechtwinklich abgebogen und scharf zugespitzt sind.
Diese Enden, Federfüsse oder kurzweg Füsse genannt, werden zweckent-
sprechend, wie in dem Artikel Hauptsperrventile näher angegeben ist, in die
Windlade und das Hauptsperrventil eingeschlagen. Die Federaugen, gebildet
durch den l*/2 oder 2^/2 rund gewundenen Federdraht (je nachdem man mehr
Federkraft oder mehr Dauer der Feder zu erzielen beabsichtigt), werden auf
dem Federbrett, einer eigens hierzu erfundenen Maschine, gemacht. Federn
von gleicher Construktion finden in der Orgel noch unter den Pedaltasten
Verwendung und erhalten dort gemäss ihrem Gebrauch den Namen: Pedal -
tastenfedern (s. d.). 32.
HauptveutilöH'uuug- oder Windklappenöffnung nennt man den Raum
zwischen dem Hauptsperrventilkopfe und der Windladendecke. Es ist nämlich
von Wesentlichkeit, dass diese Oeftuung so gross ist, dass sofort so viel Wind
durch die Cancellenöfi'nung strömen kann, als erforderlich ist, die über derselben
stehende Pfeife kräftig und prompt ertönen zu lassen. Die Grösse der H.
genau festzustellen, ist bisher nicht möglich gewesen, jedoch sind in der Tabelle
des Artikels Hauptsperrventile Maasse dieser Art einer guten Orgel ange-
geben, auf welche hier verwiesen sei. 32.
Haui>twellenl)rett nennt man ein über oder unter einer Tastatur befind-
liches Wellenbrett (s.d.), das mit dieser in unmittelbax'em festen Zusammen-
hange steht, und dessen Wellen die Bewegung der Tasten auf Wellen anderer
Bretter, also erst mittelbar an die Bestimmung, übertragen. 0.
Hauptwerk heisst im Allgemeinen jede grosse und schöne Orgel, die man
als meisterhaft gearbeitet ansieht, im engereu Sinne jedoch die Abtheilung einer
grösseren Orgel, welche die grössten, meisten und stärksten Stimmen aufweist.
Gewöhnlich wird diese Abtheilung mittelst nur einer Tastatur behandelt,
welche man dann dem entsprechend Hauptmanual oder Hauptciavier
(s. d.) nennt. 0.
Hauptwiudlade, s. Hauptlade.
Uauptzeit oder Haupttactzcit, s. Haupttheil, Accent und Tact.
Haus, Doris, vortreffliche deutsche Sängerin, geboren am 13. Mai 1807
Hauschild — Hausen. Hl
zu Mainz, war die Tocliter eines wohlhabenden Rheinbrückenmeisters, der seine
Kinder trefflich erziehen Hess. Im Ciavierspiel und Gesang erhielt Doris von
ihrem neunten Jahre an bei dem damals geschätzten Kapellsänger Heidelofi
Unterricht, den sie später als Schülerin einer Erziehungsanstalt zu Köln bei
einem Herrn von Zenz fortsetzte. Erst der rasch hinter einander erfolgende
Tod ihrer Eltern aber realisirte ihren Wunsch, sich ganz der Kunst widmen
zu dürfen, in der ihr Vormund, ein Verwandter in Castel bei Mainz, sie nun
völlig ausbilden Hess. Sie debütirte 1825 zu Mainz mit bestem Erfolge und
wurde noch in demselben Jahre in Frankfurt a. M. engagirt, wo sie bald der
Liebling des Publikums war. Auf einer Gastspielreise 1829 nach Karlsruhe
und Stuttgart, wurde sie in letzterer Stadt für das Hoftheater gewonnen, dem
sie als fleissiges und beliebtes Mitglied, nachmals auch zur königlichen Kammer-
sängerin erhoben, bis zu ihrer Pensionirung angehörte. Im J. 1834 besuchte
sie als Gast auch Norddeutschland und wurde in Rollen wie Donna Anna,
Fidelio, Desdemona u. s. w. ausgezeichnet. Sie starb am 11. Januar 1870 zu
Stuttgart.
Hauschild, Ernst, deutscher Musikgelehrter und verdienstvoller Förderer
der Tonkunst in der Schweiz, wurde 1816 zu Altenburg geboren und studirte
neben der Musik Philologie, in welcher Wissenschaft er den Doctorgrad erwarb.
Von 1849 an bis zu seinem Tode, am 29. Juli 1872, fungirte er als Docent
der Musik an der Universität zu Basel und widmete nebenbei seine Zeit der
Hebung des höheren Kunstlebens in Basel, sowie des schweizerischen Volks-
gesanges. Er ist der Verfasser folgender Schriften: »Abriss der tonsprachlichen
Zeichenlehre. Für höhere Volksschulen« (Mühlhausen i. Eis., 1849); »Blicke
in die Geschichte der neueren Tonkunst, eine akademische Antritts-Vorlesung«
(Basel, 1849); »Ueber den sogenannten rhythmischen Choral, ein Vortrag in
der Baseler Predigergesellschafta (Basel, 1854); »Tonsprachliche Zeichenlehre,
Elementar-Theorie der Tonkunst« (Basel, 1862).
Hauschka, Vincenz, vortrefflicher Violoncellist, geboren am 21. Jan. 1766
zu Mies in Böhmen, wurde als achtjähriger Knabe, nachdem er den ersten
Musikunterricht von seinem Vater, einem Schullehrer, empfangen hatte, Chor-
sänger am Dom zu Prag. Gleichzeitig erlernte er bei Seeger die Elemente
des Generalbasses und bei Christ Violoncellospiel. Als Violoncellist kam er
auch später in die Hauskapelle des Grafen Joseph von Thun in Prag, nach
dessen Tode, 1788, H. eine erfolgbelohnte Kunstreise durch Deutschland machte.
Endlich Hess er sich in Wien nieder und wurde daselbst 1793 Rechnungsrath
bei der k. k. Familiengüter- Verwaltung. Bei der Gründung der Gesellschaft
der Musikfreunde und bei der Errichtung des Conservatoriums war er einer
der thätigsten und geschätztesten Förderer. Er starb im J. 1833 zu Wien
und hinterliess zahlreiche Compositionen. Gedruckt von denselben sind nur
sechs Sonaten für Violoncello, Lieder und Canons.
Hansdörfer, deutscher Orgelbauer, der ums J. 1750 zu Tübingen lebte,
machte sich durch Erfindung einer neuen Basslade bekannt. Zu Esslingen,
wo er ein schönes Werk baute, soll er zuerst diese seine Erfindung angewandt
haben, welche später von A. Stein verbessert worden ist. Vgl. Hiller's Nach-
richten, Thl. I. p. 87. — Ein anderer H., ums J. 1794 Orgel- und Instrument-
bauer zu Schwarzenberg, hat in seiner Gegend mehrere achtenswerthe Werke
gefertigt. f
Hause, Wencislaus, hervorragender Virtuose auf dem Contrabass, ge-
boren gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Böhmen, war anfangs Violinist,
warf sich aber in seinen Mannesjahren auf den Contrabass und wurde Professor
dieses Instrumentes am Conservatorium zu Prag. Etüden von ihm und seine
Schule für Contrabass gehören zu dem Besten in diesem Literaturzweige. Als
Jüngling hat er in Dresden auch Violinsachen veröffentlicht.
Hausen, s. Friedrich von Hausen.
Hansen, Johann, deutscher Harfenvirtuose und Verbesserer seines Instru-
112 Hausen — Häuser.
mentes, geboren im März 1698 zu Grrossen- Mehlen im Schwarzburg'schen , wo
sein Vater Cantor und seines Sohnes erster Lehrer in der Musik war. Um
die Rechte zu studiren , besuchte H. das Gymnasium zu Mühlhausen und die
Universität zu Jena. In letzterer Stadt dirigirte er zwei Jahre hindurch das
musikalische Collegium und gab endlich die wissenschaftliche Laufbahn ganz
auf. Er wandte sich 1729 nach "Weimar und wurde alsbald seines vortreff-
lichen Harfenspiels wegen herzogl. Kammermusiker. Als solcher starb er aber
schon am 5. Decbr. 1733, nachdem er kurz vorher die Construktion einer
Harfe in Angriff genommen, auf welcher man auch ohne die sogenannten Halb-
töne in allen Tonarten accompagniren könne.
Hausen, Wilhelm, deutscher musikkundiger Theologe, geboren zu Dil-
lingen, hat als Exjesuit bis zum J. 1789 hin mehrere Erbauungsschriften
herausgegeben, worunter eine: »Der singende Christ, d. i. Geist- und lehrreiche
Gesänge mit Melodien« betitelt (Dillingen, 1763), ihres musikalischen Inhalts
wegen bemerkenswerth ist. f
Hauser, Franz, ausgezeichneter dramatischer Sänger, Gesanglehrer und
gediegener Musikkenner, wurde am 12. Jan. 1794 als der Sohn eines soge-
nannten Preisassenbauern zu Krasowitz bei Prag geboren. Ob seiner unge-
wöhnlichen Anlagen schickten ihn die Eltern mit neun Jahren nach Prag, wo
er die Gymnasialstudien vollendete, einen Versuch mit der Jurisprudenz machte
und dann die Medicin zu studiren begann. Bei der ersten Operation, welcher er
auf der Klinik beiwohnte, wurde H. ohnmächtig, und so entschied dieser Vor-
fall (ähnlich wie bei Berlioz) wahrscheinlich seinen Entschluss , sich gänzlich
seiner Lieblingskunst, der Musik, zu widmen. Durch den Tod seines Vaters
sah der junge H. sich bald auf seine eigene Kraft angewiesen und erwarb
durch Stundengeben mühsam seinen Unterhalt. Oefter erzählte er in späteren
Jahren, wie damals im strengen Winter ein blauer Frack und Nankinghosen
seine einzige Kleidung waren und wie er sich glücklich schätzte, in der ge-
heizten Stube eines Collegen arbeiten zu dürfen. Bei dem damals berühmten
Componisten Tomaschek studirte H. den Contrapunkt und die Composition.
Durch den Kapellmeister Triebensee wurde er veranlasst, sich ganz dem Ge-
sang zu widmen, und betrat 1817 zum ersten Male als Sarastro die Prager
Bühne, welcher er durch die folgenden vier Jahre als erster Bass und Bai'iton
angehörte. Von da wurde er durch Spohr nach Kassel, hierauf (1825) von
C. M. v. Weber nach Dresden berufen. Ein Jahr später gab er in Berlin Gast-
rollen als »Figaro« (Barbier), »Tristan«, »Lysiart« und »Don Juan«. Im J. 1828
hörte ihn in Frankfurt Franz Lachner und engagirte ihn für das Kärntnerthor-
Theater in Wien, wo H. nicht nur in der deutschen, sondern auch in der
damals so berühmten italienischen Oper eine erste Stelle einnahm. Im Früh-
jahr 1832 gehörte er zu der auserwählten Sängergesellschaft (Schröder-Devrient,
Haizinger etc.), welche die ersten deutschen Opernvorstellungen in London
gab. Nach einem halbjährigen Aufenthalt in England wirkte er kurze Zeit
am Leipziger Stadttheater (unter Ringelhardt's Direktion), wurde 1835 nach
erfolgreichem Gastspiele von Spontini für die Berliner Hofoper engagirt und
debütirte als »Telasco« im »Cortez«. Im J. 1836 verliess er Berlin wieder und
ging zunächst zum Breslauer Stadttheater.
Als Sänger zeichnete ihn Schönheit der Stimme, Einfachheit und Innigkeit
des Vortrages und vollendete Technik aus. Sein Rollenfach kann man nach
dem damaligen Repertoire das des Basso cantante nennen. H.'s Figaro, Lysiart,
Rocco, Faust, Barbier von Sevilla, Jacob, Micheli, Bertram, Cinna, Teil galten
für Musterrollen. Er hatte eine so ungewöhnlich ausgebildete Coloratur, dass
er sich oft mit der Sonntag neckte und in italienischen Opern mit ihr in
Variationen wetteiferte. Nach mehrmonatlichem Aufenthalte in Paris und einer
Reise durch ganz Italien kehrte H. im Winter 1838 nach AVien zurück, wo
er als Gesantflehrer wirkte. Im J. 184G wurde er von König Ludwig T. nach
München berufen, um daselbst das Conservatorium für Musik einzurichten, dem
Hauser. 113
er bis zum Herbste 1864, also durch nahezu zwei Decennien, als Direktor
vorstand. Um die Organisirung dieser Anstalt, insbesondere um das Aufblühen
der Gesangskunst daselbst hat H. grosse Verdienste. Als vortrefflicher Sänger,
durchgebildeter Musiker und Mann von Geist war H. ein Gesanglehrer wie
wenige. Er hat seine reichen Erfahrungen und Beobachtungen auf diesem
Gebiete in seiner »Gesanglehre für Lehrende und Lernende« (Leipzig, bei Breit-
kopf und Härtel, 1866) veröffentlicht, einem überaus lehrreichen, fasslich und
anziehend geschriebenen Buche. Sein Hauptaugenmerk beim Unterricht war
auf Stimmbildung und musikalisches Verständniss gerichtet. Mechanisches Ab-
richten war ihm verhasst, aber er wusste seinen Schülern ein so anschauliches
Bild von dem Gesangorgan und dessen Functionen zu geben, dass sie alle, wie
einer seiner Schüler sich ausdrückt, »Stimmen bekamen«. Viele namhafte
Sänger verdanken H. ihre Ausbildung, wie die gefeierte Henriette Sontag, der
treffliche Bariton Joseph Hauser in Karlsruhe, der Kammersänger von Milde
in Weimar, die Hofopernsängerin Vogl in München u. v. A.
Neben der Führung der Direktorial- Geschäfte, wozu ihn seine universelle
Bildung besonders befähigte, so dass er in jedem speciellen Unterrichtsfach die
eingehendste Controle auszuüben vermochte, befasste sich H. nicht nur mit der
Unterweisung im Solo- und Chorgesang, sondern häufig noch mit dem Ele-
mentar-Unterricht, indem er an der Ueberzeugung festhielt, durch eine falsche
Grundlage könne das schönste Talent verloren gehen. Nur die klare, fesselnde
Unterrichtsmethode H.'s ermöglichte es, dass die schwierigsten contrapunktischen
Chorsätze von Seb. Bach in den Ensemble -Uebungen der Gesangsklasse mit
solcher Präcision ausgeführt wurden, wie es im Münchener Conservatorium der
Fall war. Durch sein Selbstbewusstsein, seine mitunter vielleicht derbe und
unbequeme Geradheit, die zu keiner seinen üeberzeugungen widersprechenden
Concession sich hergab, hatte sich H. in München viele Feinde gemacht. Ob
ausser den künstlerischen und religiösen Gegnerschaften, denn H. gehörte der
streng katholischen Richtung an, auch noch andere mitspielten, ist nicht klar
geworden, wie denn überhaupt vielleicht die feinsten Maschen des Netzes ver-
borgen blieben, das schliesslich H. über den Kopf gezogen wurde. Thatsache
ist, dass H., zwar siebzigjährig, aber noch in erstaunlicher geistiger wie körper-
licher Rüstigkeit, 1864 pensionirt wurde.
Eine Denkschrift an den Unterrichtsminister, die H. aus Anlass des Ge-
rüchtes von seiner bevorstehenden Pensionirung verfasste, giebt Zeugniss von
seiner Freimüthigkeit und ungeschwächten geistigen Energie. Er bekämpft
darin zunächst das bald nach dem Thronwechsel aufgetauchte ßeformproject,
das Conservatorium dem Ressort des Unterrichtsministers zu entziehen, um es
der Hofmusik - Intendanz unterzuordnen. »Es wäre schwierig zu entdecken,«
schreibt H., »was ein Institut, das seinem inneren Wesen nach pädagogischer
Natur ist, mit einer Hofcharge gemein haben und woher diese das Kriterium
für die Beurtheilung der Lehrer und Schüler entnehmen sollte. Hinter diesem
Project steckt nichts Anderes als die Absicht, dass das königl. Conservatorium
im Interesse des Theaters da sein solle, d. h. dass dieses über die Verwendung
der Zöglinge nach seinem Bedürfniss verfügen, diese an Concert- Aufführungen
u. dergl. sich obligatorisch zu betheiligen hätten, wobei natürlich die Theater-
Direktion mit den Begabteren nach Gutdünken und Theater- Bedürfnissen ex-
perimentiren dürfte, und zwar auf Staatskosten.« Dieser Ansicht, fährt H. fort,
können nur diejenigen beipflichten, welche das Wesen des Theaters gar nicht
kennen. Bei der Gründung des Münchener Conservatoriums sei eine allgemeine
Bildungsanstalt beabsichtigt gewesen, analog der Bestimmung anderer Bildungs-
anstalten, wie die Akademie der bildenden Künste, das Gymnasium, die Uni-
versität, und keineswegs eine blosse »Theater-Chorschule«. Auch was H. weiter
über die Eigenschaften eines Direktors, über Zweck und Aufgabe der Conser-
vatorien etc. ausführt, enthält goldene Wahrheiten.
Dass in den Jahren nach H.'s Pensionirung der Gesangsunterricht und
Musikal. Convers.-Lexikon. V. 8
114 Hauser.
dessen Resultate am Münchener Conservatorium ein rapides Sinken wahrnehmen
Hessen, wird kaum von Jemandem bestritten. H. machte sich auch besonders
verdient um die Kenntniss und Verbreitung classischer Musik, insbesondere
Bach'scher Werke, und zwar zu einer Zeit, da das Verständniss für diesen
Meister in der musikalischen Welt fast noch nicht existirte und die Pflege
desselben nur höchst vereinzelt war. Schon zu Anfang der 1820er Jahre
sammelte er aufs eifrigste alle Bach'schen Werke, deren er habhaft werden
konnte und unternahm sogar Reisen, um alte Drucke und Abschriften sich zu
verschaffen. Im J. 1833 erwarb er in Leij)zig die bedeutende Pölchau-Schicht'-
sche Sammlung Bach'scher Autographe. Die Benützung dieser Schätze ge-
stattete er mit grosser Liberalität, wie denn z. B. Jos. Fischhof in AVien seine
renommirte Bach- Sammlung durch Abschrift des grössten Theiles der H.'schen
Collektion zu Stande brachte. H. hinterliess eine komplete Sammlung aller
existirenden Bach'schen Werke, zu welchen er einen vollständigen thematischen
Catalog verfasst hat, mit Angabe der Besitzer der Autographe, der Abschriften,
Original-Ausgaben etc. An diesem Cataloge hat H. beinahe 50 Jahre gearbeitet
und die Herausgabe desselben seinem Sohne testamentarisch aufgetragen.
Nicht nur in der Musik, sondern auch in der Literatur verfolgte er eine
ernste Richtung und studirte mit Vorliebe philosophische Schriften. Er las
die alten Classiker in der Ursprache. Nebst einer bedeutenden Musikalien-
und Büchersammlung hinterliess H. auch eine schöne Sammlung von Bildern
und Radirungen alter Meister, für welche er grosses Verständniss Ijesass. Ein
Mann von so echter, allgemeiner Bildung, dabei von so jugendlich frischem
Geist, so kräftigem, wohlwollendem Gemüth musste wohl die Besten seiner Zeit
gewinnen und fesseln. Mit den Gebrüdern Grimm, mit Tieck, Dr. Carus, Pro-
fessor Purkynje, den Componisten Spohr, C. M. v. Weber, Mendelssohn, Schelble,
Hauptmann, mit Otto Jahn, mit Seydelmann, Jenny Lind und anderen gei-
stigen Notabilitäten stand er in freundschaftlichem, persönlichem und brieflichem
Verkehr. Er hatte das Glück, bis zu seiner letzten Stunde geistig frisch und
thätig zu bleiben, unberührt von den Gebrechen des Alters. In Folge seiner
Pensionirung war er 1865 von München nach Karlsruhe gezogen. Nach dem
Tode seiner vorti'efilichen Gattin (1867) aber übersiedelte er nach Freiburg
im Breisgau, weil sein lebhaftes Bedürfniss nach wissenschaftlicher Nahrung
und Anregung ihn nach einer Universitätsstadt trieb. Dort starb er am
14. Aug. 1870 ohne vorhergegangene Krankheit fast plötzlich an einem Hirn-
schlage im 77, Lebensjahre. Ed. Hanslick.
Hanser, Joseph, der jüngere Sohn des Vorhergehenden, geboren um 1833,
wurde von seinem vortrefflichen Vater zu einem vorzüglichen Baritonsänger
ausgebildet, der nach mehreren erfolgreichen Gastspielreisen als Hofopernsänger
in Karlsruhe engagirt und später zum grossherzogl. Kammersänger ernannt
wurde. Als solcher ist er noch gegenwärtig eine gediegene Stütze des dortigen
Opernrepertoires. — Sein älterer Bruder, Moritz H., geboren 1826 zu Bei'lin,
hatte seine Elementar -Musikerziehung von dem Vater und seine höhere musi-
kalische Ausbildung auf dem Conservatorium zu Leipzig unter den Augen
Mendelssohn's und Hauptmann's erhalten. Sein Talent und sein Streben waren
ein bedeutendes, vielversprechendes, wie er in seiner ersten und einzigen Stel-
lung als Musikdirektor am Stadttheater zu Königsberg i. Pr. zu bethätigen
begann. Dort starb er aber leider schon am 31. Mai 1857, als Liedercom-
ponist bereits vortheilhaft bekannt, und eine vollendete Oper, »Der Erbe von
Hoheneck«, Text von Ed. Devrient, hinterlassend.
Hauser, Michael (Miska), hervorragender Violinvirtuose der neuesten
Zeit, geboren 1822 zu Pressburg in Ungarn, erhielt daselbst auch mit acht
Jahren seinen ersten Unterricht auf der Violine durch Jos. Matulai und wurde
1835 Zögling des Conservatoriums zu Wien, an welchem Böhm und Mayseder
seine Violinstudien leiteten. Im J. 1839 begann er ein musikalisches Touristen-
leben und zwar zunächst mit Concertreisen in Deutschland, besuchte 1842
Hauser — Hausmann. 115
Norddeutschland, Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland und Russland; von
1851 ab England, Nord- und Südamerika, Westindien, Californien, die Südsee-
inseln und Australien und kehrte 1858 über Indien und Aegypten nach Europa
zurück, worauf er sich auch in Italien, in Paris und in Berlin (1864) mit
grösstem Beifall hören Hess. Seine Erlebnisse und Erfolge auf der Weltum-
segelung hat er in seinem »Wanderbuch eines österreichischen Virtuosen, Briefe
aus Californien, Südamerika und Australien« (2 Bde., Leipzig, 1858 und 1859)
ausführlich mitgetheilt. In seiner Heimath erholte er sich in Zurückgezogenheit
von den Strapazen aller dieser Reisen und erschien nur selten noch, zuletzt
1874 in Köln in der Virtuosenarena. Als brillanter, technisch fertiger Geiger
wurde er zwar noch immer anerkannt, war aber in jeder Beziehung sonst von
anderen Rivalen weit überholt worden. Auch seine Compositionen für Violine,
angefüllt mit technischen Kunststückchen, sind für die gegenwärtige Generation
abgethan; nur einige seiner Lieder ohne Worte für Violine und Arrangements
von Schubert'schen Liedern werden von Dilettanten noch gern gespielt.
Häuser, Nathalie, Pianistin, geb. 14. Juli 1857 in Pesth, war eine Schülerin
ihres Vaters, des Sängers und Musiklehrers Jos. H. Von Liszt 1870 in die
Oeffentlichkeit eingeführt, erhielt sie ein Staatsstipeudium. Sie concertirte 1873
in Süddeutschland, der Schweiz, 1874 in Paris, London, am Rhein und trat im
Jan. 1875 in Berlin auf.
Hanser, TJriel, gelehrter deutscher Theologe, geboren zu Waldsee in
Vorderösterreich am 26. Mai 1702, lebte später als Franziskaner zu Innsbruck
und veröffentlichte eine: alnstruetio fundamentalis cantus choralis ad usum re-
form, prov, Tirol. D. Leojwldi ord. frat. min. accommodatav. (Augsburg, 1765).
Vgl. Meusel's gelehrtes Deutschland. t
Hausius, Carl Gottlob, Musikdilettant, geboren am 31. März 1755 zu
Frendiswalde in Kursachsen, gab bis zum J. 1794 hin: »Gesänge am Ciavier«
(Leipzig, 1784); »Frohe und gesellige Lieder« (ebendas., 1794) und ausserdem
verschiedene Gedichte mit Melodien in den Taschenbüchern zum geselligen
Vergnügen von 1791 und 1792, heraus. t
Hanska, s. Hauschka.
Haasmann, Hauslente hiessen ehemals ziemlich allgemein der Stadtpfeifer
oder Stadtmusicus mit seinen Gehülfen und Lehrlingen. Er war der Haus-
mann, sein Musikcorps die Hausleute (s. Stadtmusicus).
Hansmann, eine deutsche Tonkünstlerfamilie, die in ihren Sprossen über
200 Jahre hindurch in Ansehen stand. Der Stammvater derselben, Valentin
H., geboren 1484 zu Nürnberg, war ein Freund und Altei-sgenosse Mart.
Luther's und des berühmten Kapellmeisters Joh. Walther, ausserdem häufig
des Letzteren Reisegefährte. Von H. kennt und singt man noch die Melodie
zu dem »der grosse Glaube« genannten Choral »Wir glauben All' an einen
Gott«, gesetzt um 1520. — Von seinen Abkömmlingen sind hier zu nennen:
1) Sein Sohn Valentin H., der gegen Ende des 16. Jahrhunderts Rathsherr
und Organist zu Gerbstädt war. Er componirte viele Arien, mehrstimmige
Lieder und andere Gesänge, Intraden, Paduanen, Gagliarden, auch Canzonetten,
Madrigale u. s. w., die einzeln und in Sammlungen unter allerlei Titeln er-
schienen. Gerber und Fetis liefern in ihren Wörterbüchern das umfangreiche
Verzeichniss davon, dem noch hinzuzufügen wäre: »Newe liebliche Melodeyen
mit 4 Stimmen, so auch zum Tantz einestheils mit Texten, anderentheils ohne
Text gesetzt, zu gebrauchen« (Nürnberg, 1598). Vielleicht ist No. 7 des Ver-
zeichnisses bei Gei'ber und No. 8 bei Fetis eine spätere Ausgabe dieses Werkes.
— Sein Sohn, ebenfalls 2) Valentin H. geheissen, war Organist zu Löbejün
und wurde von seinen Zeitgenossen als solcher gerühmt, noch mehr aber dessen
Sohn, wiederum mit Namen 3) Valentin H. Dieser, geboren um 1655 zu
Löbejün, war ein Zögling der Thomasschule in Leipzig und als solcher Musik-
schüler von Knüpfer und Fabricius. Während seines nachherigen Aufenthaltes
auf der Akademie in Erfurt, lebte er ein volles Jahr als Gefangener in einem
8*
116 Hausorgel — Hautin.
Kloster, in das ihn Unbedaclitsamkeit geführt hatte. Durch List befreit, wandte
er sich zur Fortsetzung seiner Studien nach Tübingen, von wo aus er in die
herzogl. Kapelle zu Stuttgart gezogen wurde, welche damals Capricornus leitete.
Im J. 1689 war er in Halle, wo der Kurfürst von Braudenbui-g gerade die
Huldigung empfing, und Hess sich am Hofe als Ciaviervirtuose und als Sänger
hören, worauf ihn der Fürst von Anhalt -Köthen als Musikdirektor mit nach
Köthen nahm. Bald darauf aber ging H. als Organist nach Aisleben, und von
dort zog er sich in seine Geburtsstadt Löbejün zurück, die er nicht wieder
verlassen zu haben scheint. Gerber schreibt ihm eine ungedruckt gebliebene
Abhandlung: »Quaesfiones, an sex vel Septem sint voces?v. zu. — Sein Sohn
4) Valentin Bartholomäus H. wurde 1678 zu Löbejün geboren und von
dem Vater so erfolgreich in der Musik unterrichtet, dass er 1689 bei den Hof-
festen in Halle Kammerduette mit demselben singen konnte und von dem Fürsten
von Köthen als Hofmusicus engagirt wurde. Mit seinem Vater verliess auch
er Köthen bald wieder und trieb bei seinem Grossvater in Löbejün und von
1691 an bei seinem Vetter Edling in Lauchstädt noch eingehend Singen,
Orgelspiel und Composition. Im J. 1694 soll er zum Schultheiss in Schaf-
städt ernannt und nach Halle behufs Aneignung der erfordei'licheu wissen-
schaftlichen Ausbildung für dieses Amt geschickt worden sein. Er besuchte
fleissig die benachbarten kleinen Fürstenhöfe, compouirte Verschiedenes für
dieselben, und führte seine Werke zugleich selbst auf. Schon 1696 wurde er
für solche Dienste durch den fürstl. Kapellmeister Stock sogar eigens nach
Sondershausen gerufen. Dann bekleidete er auch einmal das Hof- und Orga-
nistenamt zu Merseburg und nach Zachau's Tode zwei Mal eine Organisten-
stelle in Halle. Bei Probespielen in Berlin und Magdeburg dagegen fiel er
total durch. Endlich wurde er Organist und 1717 sogar Bürgermeister in
Schafstädt, in welcher Stellung er auch gestorben sein mag. In Mattheson's
»Ehrenpforte« rühmt er sich, der Lehrer von 30 Organisten und Verfasser
von folgenden (übrigens ungedruckt und unbekannt gebliebenen) vier theo-
retischen Abhandlungen gewesen zu sein: »Leichte Anweisung zur Composition«;
»Orgelprobe«; »Beschreibung von den drei Generibus und Eintheilung der
Temperatur«; »Z)e proportionibus musicis und von den Radical- Zahlen der Con-
und Dissonanzen«.
Hausorgel, s. Zimmerorgel.
Hausse (französ.), der Frosch (s. d.) am Bogen der Streichinstrumente.
Hautbois (französ.), die Oboe (s. d.).
Uautboist oder Hob o ist (aus dem Französ.) wird im Allgemeinen der
in dem Musikcorps eines Infanterieregiments dienende Musiker genannt.
Hautbois (I'.aiuour (französ.; ital.: Oboe d^amore), eine besondere Art der
Oboe (s. d.), welche jetzt laugst veraltet ist.
Haut-dessus (französ.), der hohe Sopran.
Haut-dessHS oder Premier-dessus (französ.), der hohe Discant.
Haute-coutre (französ.) nennt man zunächst die Altstimme, hin und wieder
auch den hohen Tenor, so geheissen als höhere Gegenstimme des in alten
Vocalwerken die Hauptmelodie führenden Tenors (s. Alt, Gontr^ Alio). Auch
eine der im 17. Jahrhundert gebräuchlichen drei Arten der Violen hiess H.
(s. Viola).
Haute-Feuille, Jean de, französischer Gelehrter, geboren am 20. März
1647 und gestorben als Abbe in Diensten der Herzogin von Bouillon zu
Orleans, seiner Geburtsstadt, am 18. Octbr. 1724, hat nebst anderen Büchern
eine akustische Preisschrift verfasst. Dieselbe führt den Titel: ^^ Dissertation
sur la cause de VEchov. (Bordeaux, 1718). t
Haute taille (französ.), der hohe Tenor (s. Tenor). Auch eine der im 17.
Jahrhundert gebräuchlichen drei Arten der Violinen wurde H. genannt (s. V i o 1 i n e).
Hauleterre, s. Hotteterre.
Hauliu oder Houiliiu, Pierre, französischer (iraveur des 16. Jahrhunderts,
\
Hautmann — Hawkins, J17
aus La Rochelle gebürtig, soll die ersten musikalischen Zeichen, deren man
sich in Frankreich bedient hat, gestochen haben.
Hautmann, vorzüglicher Lautenvirtuose und Violinist deutscher Abkunft,
lebte im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts als gefeierter Künstler und auch
in Werken der Maler und Dichter seiner Zeit verherrlicht, zu Paris.
Hannil, Adrian oder Antoine de, auch Hauville geschrieben, fran-
zösischer Contrapunktist der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, ist durch
seine y^Lyre öhrestienne ä 4 voixa (Lyon, 1566) bekannt geblieben. Eine vier-
stimmige Messe von ihm findet sich in der Messensammlung Giulio Bona-
gionta's (Mailand, 1588). Vgl. Draudii Bihl. Exot, und Verdier Bibl. f
Havemann, Johann, deutscher Tonkünstler, war um die Mitte des 17.
Jahrhunderts Musikdirektor an der Dreifaltigkeitskirche und Cantor am
Joachimthal'schen Gymnasium zu Berlin und gab als solcher »dreiesig latei-
nische Concerte berühmter Italiener für 1, 2 bis 7 Stimmen« als ersten Theil
(Berlin und Jena, 1659) heraus. Mehr von ihm ist nicht bekannt. f
Having'a oder Havinglia, Gerhard, trefflicher holländischer Musiker, war
in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts Organist und Componist zu
Alkmaar in Nordholland und veröffentlichte 1726 zu Amsterdam Ciaviersuiten
seiner Composition, sowie 1727 ebendaselbst eine Abhandlung über den Ursprung
der Orgeln. Ferner hat er auch David Keller's »Tractat vom Generalbass«
ins Holländische übersetzt.
Hawdon, englischer Tonkünstler, wirkte zu Ende des 18. Jahrhunderts
zu London als Organist und veröffentlichte y>Dicets for tke Pf. ä 4 «i.« (Lon-
don, 1795); »TT Ooneertos for the Pfv (ebendas.); y>Sonata, la Ch.asse,for the
Pf.i( und » VI Voluntaries for the Organa, als op. 4 (ebendas.). Vgl. Preston's
C atalog. f
Hawes, William, wohlerfahrener englischer Tonkünstler, geboren 1785
zu London, kam 179.3 als Chorknabe in die königl. Kapelle und wurde musi-
kalisch besonders von Thomas Ayrton unterrichtet. Nach Verlust seiner
Knabenstimme trat er 1802 als Violinist in das Orchester des Coventgarden-
Theaters und wirkte später auch in den philharmonischen Concerten und in
anderen Concertvereinen mit. Nachdem er in mehreren Kirchenchören Londons
thätig gewesen, ward er 1814 Lehrer der Chorknaben an der Paulskirche und
drei Jahre darauf an der königl. Kapelle. In dieser Stellung vereinigte er
sich mit J. Welsh zur Etablirung einer grossen Musikalienhandlung und leistete
der Verbreitung der deutschen Musik, die er sehr verehrte, grossen Vorschub.
Er war es auch, der als Mitglied der Theaterdirektion mit begeisterter Aus-
dauer für die Aufführung von Weber's »Freischütz« eintrat, der endlich am
.3. Juli 1824 zuerst in London in Scene ging und dessen Einbürgerung in
England nur H. zu danken ist. H. starb am 18. Febr. 1846 zu London.
Componirt hat er besonders viele Gesänge, namentlich sogenannte Glees. Ausser-
dem hat er auch eine neue Ausgabe von Thomas Morley's Madrigalensammlung
y>The Triumph of Orianav veranstaltet.
Hawi ist die Benennung eines Zeitmaasses in der persisch -türkischen
Musik, das in seiner kleinsten Unterabtheilung zwei Viertel führt, welche im
Tempo des Ällegro moderato sich bewegen müssen. Der ganze H. besteht aus
32 solcher Unterabtheilungen in unmittelbarer Folge. 0.
Hawkins, Sir John, berühmter englischer Musikhistoriker, geboren 1719
zu London als Sohn eines Architekten, war ebenfalls für das Baufach be-
stimmt, ging aber zum Eechtsstudium über und wurde ein tüchtiger Advocat.
Sein lebhaftes Interesse für Literatur und Musik fand im Umgange mit Sa-
muel Johnson und Dr. Pepusch erwünschte Nahrung, von der er noch zehrte,
als ihn 1761 das Amt eines Friedensrichters in die Grafschaft Middlessex
führte. Seine Uneigennützigkeit machte ihn dort vortheilhaft bekannt, und
als er 1768 und 1769 bei Unterdrückung der Revolten zu Brentford und
Moorfields sehr wirksam eingriff, wurde er 1772 vom Könige zum Ritter er-
118 Havvksbee — Haydn.
hoben. Eine reiche Heirath 1753 und eine ebensolche Erbschaft 1759 setzten
ihn in den Stand, den Bücher- und Manuscriptenschatz des Dr. Pepusch zu
erwerben und seine Lieblingsidee auszuführen, nämlich eine Greschichte der
Musik zu schreiben, die ihn übrigens noch 16 Jahre angestrengter Arbeit
kostete , bis sie unter dem Titel y>Ilistory of tlie science and practice of musia
(5 Bde., London, 1776) glänzend ausgestattet erschien. In demselben Jahre
erschien auch der erste Band von Burney's Musikgeschichte und schädigte den
Eindruck des H.'schen AVerkes, da alle Welt ohne Weiteres dem des schon
längst anerkannten Musikgelehrten den Vorzug gab. Erst im Laufe der Zeit
schwand dieses Vorurtheil und man sah ein, dass der überwiegend citirende und
referirende als selbst urtheilende H. sehr wohl neben Burney bestehen konnte.
H.'s Arbeit giebt überhaupt weitaus nur werthvolle, unverarbeitete Materialien
zu einer G-eschichte der Musik, während die Burney's mehr Geschichte selber
ist. Uebrigens zeichnet sich die erstere durch die Anführung von Texten aus
einer Masse von äusserst selten gewordenen Büchern und durch die Mitthei-
lung von Compositionen, die sonst schwerlich jemals wieder an das Tageslicht
gekommen wären, vortheilhaft aus. Der wichtigste und schätzbarste Theil des
H.'schen Werkes ist der fünfte Band, der von den ersten Concerten und musi-
kalischen Versammlungen in England und von der Einführung und Ausbrei-
tung der Oper daselbst handelt, zugleich aber auch Biographien der bedeuten-
deren damaligen Künstler und Compositionsproben enthält. In dem » Universal
magazine of hnowledge and 'pleasufev., Jahrg. 1777, befindet sich noch von H.
eine Abhandlung, betitelt »TÄe general hisfory and pecidiar character of ilie
ivorks of Ärcangelo GoreUia, eine weitere Ausführung dessen, was in der Musik-
geschichte über diesen Gegenstand gesagt ist. H. selbst starb am 21. Mai 1798,
nachdem er acht Tage vorher vom Schlage getroffen worden war.
Hawksbee, Francis, englischer Physiker, geboren im 17. Jahrhundert,
veröffentlichte mehrere die Fortpflanzung des Tones behandelnde Aufsätze,
deren Titel in Gerber's Tonkünstlerlexikon vom J. 1812 aufgezeichnet sind, f
Haydeu, George, englischer Tonkünstler, war im Anfange des 18. Jahr-
hunderts Organist an der Maria-Magdalenenkirchc zu Bermondsey und veröf-
fentlichte ausser kleineren Gesangstücken im J. 1723 drei Cantaten seiner
Composition. Mehr über H. berichtet Hawkins in seiner Hist. of music Vol.
V. p. 179. t
Haydeustamm, vou, vornehmer Musikdilettant, war schwedischer Gesandter
in Constantinopel und führte 1786 daselbst eine von ihm componirte italienische
Oper auf.
Haydn oder Hayden (Haiden), s. auch Hey den.
Haydn, Joseph, der Vater der neuei-en Instrumentalmusik, der Altmeister
der claesischen Periode der Tonkunst, stammt aller AVahrscheinlichkeit nach
von einer böhmischen Tonkünstlerfamilie Moldauteyn's her. Dieselbe war jeden-
falls schon geraume Zeit vor Joseph's Geburt nach Rohrau, einem dicht an
der ungarischen Grenze in Niederösterreich gelegenen Marktflecken, der dem
Grafen Harrach als Fideicommiss und Majorat gehörte, übergesiedelt. Die
Familie schrieb sich ursprünglich Haiden, wie sich aus einem Extract des
Grundbuches der Grafschaft Bohrau über die Behausung von Mathias Haiden,
Joseph's Vater, ergiebt. Erst unser Meister änderte die Schreibweise in die
jetzt übliche Haydn um. Mathias Haydn war AVagenbauer von Profession
und hatte auf der Wanderschaft durch das deutsche Reich in Frankfurt a. M.
ein wenig die Harfe spielen gelernt. Nach Bohrau zurückgekehrt, hatte er
sich dort im J. 1728 mit Anna Maria Koller, einer Tochter des Rohrauer
Marktrichters, verheirathet. Beide Eheleute, mit hübschen Stimmen begabt,
ergötzten sich an Festtagen daran, lustige Lieder zu singen und zu begleiten.
Die Ehe war mit neun Kindern gesegnet, sechs Söhnen und drei Töchtern.
Von den sechs Söhnen starben drei in frühester Jugend, die anderen drei,
Joseph, Michael (s. d.) und Johann haben sich mehr oder weniger einen
Haydn. 119
Namen in iler Kuustwelt gemacht. Am wenigsten bekannt von diesen ist der
jüngste, Jobann Haydn, geboren in Robrau am 23. Decbr. 1743. Wie seine
beiden älteren Brüder, kam auch er behufs des musikalischen Studiums als
Chorknabe in das Kapellhaus zu St. Stephan in Wien, woselbst ihn noch
Joseph selbst unterrichtet haben soll. In späteren Jahren gab er Musikunter-
richt und erhielt endlich, wohl nur auf Joseph's mächtige Fürsprache hin,
eine Stelle als Hofsänger in der fürstl. Eszterhazy'schen Kapelle, als welcher
er am 20. Mai 1805 starb.
Joseph Haydn nun, der älteste von allen, war in Rohrau am 31. März
1732 geboren und wurde nach damaligem katholischen Brauche am folgenden
Tage, den 1. April, getauft. Aus diesem Umstände erklärt sich die vielfach
irrige Annahme, dass H. am 1. April geboren sei, wie auch das Protocoll der
Pfarre B;ohrau angiebt, womit aber, wie aus Obigem ersichtlich, der Tauftag
gemeint ist. Als er etwa das vierte Jahr zurückgelegt hatte, nahm er bereits
an den Gesangübungen seiner Eltern Theil. Er bediente sich dabei zweier
hölzerner Stäbchen, wovon ihm das eine als Yioline galt, die er mit dem andern
strich, als ob er Geige spielte. Er entwickelte dabei ein so richtiges Tact-
gefühl, dass, als einmal im J. 1737 der im Nachbarstädtchen Haimburg woh-
nende Schulrector Frank, ein entfernter Verwandter der Familie, besuchsweise
nach Rohrau kam, dieser sofort den Eltern den Vorschlag machte, den Sohn
zur Musik ausbilden zu lassen und ihn zunächst nach Haimburg in die Schule
zu schicken. Da der alte H. seinen Sohn dem Priesterstande widmen wollte,
so war ihm dieses Anerbieten ganz erwünscht. Und so kam denn Joseph 1738
nach Haimburg unter die Obhut des Schulrectors Frank, der ihm Unterricht
in den Elementargegenständen und in der Musik ertheilte. Er lernte hier fast
alle Instrumente kennen und einige Sogar spielen, u. a. auch die Pauken, deren
er zwei zufällig im Hause des Schulmeisters entdeckt hatte. Pasch machte er
sich in der Stille daran und übte sich mit aller Kraft im Schlagen, so dass
er schliesslich sogar eine Art Liedchen hervorbrachte. Auch im Singen wurde
Joseph, da er eine angenehme Stimme besass, etwas ausgebildet und sollte ihm
dies bald zur grossen Empfehlung gereichen, da er hierdurch dem Dechanten
von Haimburg bekannt wurde. Der Dechant stand in enger Freundschaft mit
dem k. k. Hofkapellmeister Peuter in Wien, und als dieser einmal nach Haim-
burg kam, um sechs jüngere Chorknaben für seine Kapelle zu St. Stephan zu
suchen, empfahl ihm der Dechant sofort den jungen Joseph H. , und auch der
Schulrector Frank wusste nur Gutes über Joseph's Stimme zu sagen. Nachdem
H. einige Proben seines Talentes zur grössten Zufriedenheit Peuter's abgelegt
hatte, zögerte dieser nicht lange, ihn als Chorknaben am St. Stephanschor
aufzunehmen. Doch musste Joseph noch bis nach vollendetem achten Jahre
in Haimburg bleiben und fleissig die Tonleiter üben. Inzwischen besprach
Reuter die Angelegenheit mit JoseplVs Vater und sagte diesem zu, dass er für
das Fortkommen seines Sohnes sorgen wolle.
Im Laufe des J. 1740 verliess denn Joseph H. nach beinahe dreijährigem
Aufenthalte Haimburg und siedelte nach Wien über, um beinahe zehn Jahre
lang die Pflichten eines Chorknaben zu erfüllen. Auch hier erhielt er, wie
in Haimburg, nothdiü-ftigen Unterricht in den verschiedenen Fächern des Wissens.
Das Hauptgewicht wurde avif die praktische Musik gelegt und er empfing dem-
nach im Singen die gründlichste Anleitung; als seine beiden Hauptlehrer sind
zu nennen der Chorist Gegenbauer und der Tenorist Finsterbusch. In der
Theorie erhielt er im Ganzen nur zwei Lectionen von Reuter. Was Joseph
daher an musikalischen Kenntnissen weiter lernen wollte, dazu musste er selbst
Hand anlegen, und er that dies auch mit grossem Eifer trotz der vielen Ent-
behrungen, an die sich sein Magen gewöhnen musste. Wenn seine Kameraden
spielten, so hat er später selber erzählt, nahm er sein Clavierl unter den Arm
und ging damit auf den Boden, um hier ungestörter üben zu können. Auch
im Componiren versuchte er sich schon; so componirte er im Alter von zehn
120 Haydn.
.TalirPn eiiio vierstimmige Mei?se mit 16 Orchesterstimraen , die er erst später
im holieii Alter aufiPand. Selbst aii 8-, 12- und 16 stimmige Compositionen
machte er sich ganz dreist, indem er meinte, es sei Alles recht, wenn nur das
Papier recht voll sei. Bei der Composition eines 12 stimmigen Salve regina
überraschte ihn einst Reuter und tadelte ihn dnrob, indem er 1)cmerkte, ob er
denn nicht mit zwei Stimmen genug habe und erst den zweistimmigen Satz
lernen wolle. Indess war Reuter doch über den Fleiss und die Leistungen
Joseph's so erfreut, dass er sich einst dem Vater gegenüber erbot, für alle
seine Söhne sorgen zu wollen. In Folge dessen schickte der alte Mathias H.
auch seine beiden anderen Söhne, Michael und Johann, in das Kapellhaus zu
St. Stephan. Als Michael in den Chor aufgenommen wurde (1745), war
Joseph bereits fünf Jahre darin und erhielt den Auftrag, seinen jüngeren
Bruder in den Elementen der Musik zu unterrichten, was ihm jedenfalls grosse
Freude bereitete. Als sein jüngster Bruder Johann eintrat, war Joseph schon
längere Zeit nicht mehr Chorknabe. Bereits in der letzten Zeit seines Aufent-
haltes nämlich wurde Joseph's Stimme, den Eintritt der Mutationsperiode an-
kündend , sichtlich schlechter. Sehr schwankend sind die Angaben über den
Zeitpunkt des Austrittes aus dem Kapellhause. Die meisten Quellen führen
das 16. Jahr, Carpani das 19. Jahr an; H. selbst giebt in einem Briefe an
ein Mädchen an, dass er bis in das 18. Jahr seines Alters Sopran gesungen
habe. Danach würde sein Austritt etwa in der zweiten Hälfte des J, 1749 oder
Anfang 1750 erfolgt sein. Auch ein anderer Vorfall führt als frühesten Termin
auf das Jahr 1749. Bei den öffentlichen Musikaufführungen pflegte nämlich
Joseph immer die Solls zu singen, so auch bei der alljährlich am 14. Novbr.
(den Vigilien des St. Leopoldstages) wiederkehrenden kirchlichen Feier zu
Kloster Neuburg. Am 14. Novbr. 1748 sang nun zum ersten Male Michael
H. die Solls, da die Kaiserin Maria Theresia sich bei Reuter darüber beklagt
hatte, dass Joseph ja nicht mehr singen könne. Nicht lange darauf wird also
wohl sein Austritt erfolgt sein.
Die Eltern hatten Joseph, wie oben erwähnt, zum geistlichen Stande be-
stimmt, doch der Sohn widersetzte sich dem auf das Entschiedenste.« Dagegen
unternahm er gleich nach seinem Austritt eine "Wallfahrt nach Mariazell, einem
Marktflecken in Steiermark. Von dem dortigen Regens chori mit der Bitte,
im Chor mitsingen zu dürfen, zurückgewiesen, griff er zur List, indem er am
folgenden Tage dem Knaben, der das Altsolo zu singen hatte, an der betref-
fenden Stelle das Blatt plötzlich wegriss und zu allgemeiner Zufriedenheit mit-
sang. Der Chorregent war darüber so erfreut, dass er sofort bei der Geist-
lichkeit eine CoUecte vei'anstalten Hess, die 16 Culden einbrachte und die er
H. überreichte. Auch lud er denselben bei sich zur Tafel, welche Einladung
acht Tage lang dauerte. Nach Ablauf der Zeit kehrte H., allerdings nur mit
sehr geringen Mitteln ausgestattet, nach Wien zurück und miethete sich zu-
nächst ein armseliges Dachstübchen ohne Ofen und kaum gegen Regen und
Schnee geschützt, in dem am Kohlmarkt belegenen Michaeierhause No. 1220.
Seinen Unterhalt erwarb er sich vorerst durch ziemlich schlecht bezahlten
Musikunterricht (er erhielt monatlich 2 Gulden) und durch Mitwirken im Or-
chester bei Tanzmusiken. Im J. 1751 wurde er von dem in demselben Hause
wohnenden berühmten Dichter Metastasio als Ciavier- und Gesanglehrer für
ein siebenjähriges Mädchen, die Tochter seines Freundes Martinez, die bei ihm
in Pension war, angenommen und erhielt durch drei Jahre freie Beköstigung.
Bei Metastasio lernte H. auch den berühmten italienischen Gesanglehrer Por-
pora kennen. Derselbe unterrichtete die Geliebte des venetianischen Gesandten
in "Wien, Correr, im Gesänge und übertrug H. das Amt der Begleitung auf
dem Ciavier. Die Sommermonate verbrachte Correr mit seiner Geliebten im
Bade Mannersdorf bei Brück. Porpora und H. mussten mitgehen und H.
verrichtete sogar drei Monate hindurch Bedientendienste bei Porpora, wofür
er monatlich 6 Ducaten und die Kost an Correr's Officiantentafel erhielt. So
Haydn. 121
drückend diese Stellung auch für H. war, so profitirte er doch sehr viel durch
den dreijährigen Umgang mit Metastasio und Porpora, materiell sowohl wie
geistig; denn er lernte hier zugleich die italienische Sprache und die italienische
Gesangs- und Compositionsmethode auf das Gründlichste kennen.
In dieser Zeit entstanden denn auch seine ersten kleineren Ciaviersonaten,
Trios und Serenaten. Letztere wurden öfters des Abends von H. und seinen
musikalischen Genossen in den Strassen Wiens executirt, und lernte er bei
dieser Gelegenheit den Schauspieler Kurz, genannt Bernardone, vom Kärnth-
nerthortheater kennen , dessen Frau er einmal ein solches Ständchen gebracht
hatte. Auf dessen Aufforderung hin schrieb er im J. 1753, im Alter von
21 Jahren, seine erste Oper: »Der krumme Teufel«, wofür er 25 Ducaten er-
hielt. Die Oper wurde nur drei Mal aufgeführt und dann wegen der darin
enthaltenen Satyre auf den hinkenden Theaterdirektor Affligio verboten. So
stiegen H.'s Einkünfte denn mehr und mehr; auch für seine Lectionen erhielt
er allmählich 5 Gulden monatlich, und er konnte sich somit, nachdem die drei
Jahre des Unterrichts bei Frl. Martinez vorüber waren (1754), ein besseres
Quartier auf der Seilerstatt miethen. Andererseits suchte er sich auch gute
theoretische "Werke zu verschaffen und kaufte sich zuerst Ph. Em. Bach's
Schriften, die er eifrigst studirte, später Mattheson's »Vollkommenen Kapell-
meister« und Fux' fiGradus ad Parnassumv. In dieser Periode wurde H. bei
den barmherzigen Brüdern in der Leopoldstadt als Vorspieler für jährlich
60 Gulden angestellt; des Sonn- und Feiertags spielte er um 10 Uhr die
Orgel in der Kapelle des Grafen Haugwitz und um 11 Uhr sang er in der
Stephanskirche die Messe mit. Jede Function beim Gottesdienste wurde ihm
mit 17 Kreuzern bezahlt. Daraals wird es wohl auch gewesen sein, dass Joseph
seinen jüngsten Bruder Johann unterrichtete, der seit 1752 als Chorschüler
bei St. Stephan eingetreten war.
Während er auf der Seilerstatt schon eine geraume Zeit wohnte, traf ihn
das bedauerliche Unglück, dass ihm alle seine Habseligkeiten gestohlen wurden.
Auf diese Nachricht hin kam der Vater selbst nach Wien und gab dem Sohne
wenigstens ein 17-Kreuzerstück. Durch die Freigebigkeit seiner Freunde sah
er seinen Verlust bald wieder ersetzt, und er erholte sich leicht durch einen
zweimonatlichen unentgeltlichen Aufenthalt bei einem Baron Fürnberg, dessen
Bekanntschaft er wahrscheinlich auch bei jenen Strassenmusiken, die ja Hoch
und Niedrig galten, gemacht hatte. Baron Fürnberg hatte einige Meilen von
Wien in Weinzierl eine Besitzung und veranstaltete hier öfters kleine Musiken,
namentlich Quartette, wozu er sich ausser seinem Pfarrer und Verwalter auch
H. und Albrechtsberger, einen Bruder des bekannten Contrapunktisten, einlud.
Auf diese Weise entstand schon um die J. 1753/54 das erste Quartett in B
von Joseph H., welches sich so allgemeinen Beifalls zu erfreuen hatte, dass er
für denselben Kreis nach und nach Tnehrere Quartette lieferte. Waren so die
bisherigen Bekanntschaften sämmtlich von grossem Glücke für H.'s Fortkommen
gewesen (die des Baron Fürnberg wurde es noch mehr weiterhin), so hatte er
um dieselbe Zeit auch einen Friseur Keller kennen gelernt, der in Bezug auf
den Hauptschritt seines Lebens einen unheilvollen Einfluss ausüben sollte.
Die Bekanntschaft war wohl dadurch entstanden, dass Keller den jungen H.
öfters in der Stephanskirche gehört hatte und Gefallen an ihm fand. Er fragte
ihn daher einmal, ob er wohl geneigt sei, eine seiner beiden Töchter in der
Musik zu unterrichten , auf welches Anerbieten H. bereitwilligst einging. Er
ei'hielt dafür die Kost im Hause, und als Keller von dem Unglück hörte, das
H. betroffen, so säumte er nicht, ihm auch anderweite Unterstützung angedeihen
zu lassen: ja er beredete ihn endlich, doch das unsichere Quartier auf der
Seilerstatt zu verlassen und in sein Haus auf der Landstrasse zu ziehen, wo
er freie Wohnung erhielt. H. nahm diese ihm erzeigte Wohlthat dankend an,
hielt sich aber dafür der Familie Keller verpflichtet. Nun traf es sich, dass
er durch fortgesetzten Unterricht und Umgang die eine Tochter Kcller's mehr
1^2 Haydn.
und mehr liebgewonnen hatte, und er l)eschloss, dieselbe, wenn er erst ein
festes Einkommen haben würde, zu heirathen. Doch der Tod raffte sie früh-
zeitig hinweg, und nun trieb ihn sein Pflichtgefühl gegen die Familie dazu,
das Versprechen einzugehen, dei*maleinst die andere Tochter zu ehelichen, eine
Wahl, die wohl nicht unglücklicher ausfallen konnte. H. blieb bei dem
Friseur Keller auf der Landstrasse bis zum J, 1758 oder 1759 wohnen.
Um diese Zeit erhielt er dui'ch die Empfehlung des Baron Fürnberg eine
Anstellung als Musikdirektor bei dem böhmischen Grafen IMorzin mit einem
jährlichen Gehalte von 200 Gulden, freier Wohnung und Kost. Obgleich
sämmtlicbe beim Grafen angestellte Musiker unverheirathet sein mussten, so
heirathete H. dessenungeachtet noch im J. 1759 obengenannte Tochter des
Friseurs und glückte es ihm auch, sein eheliches Yerhältniss geheim zu halten.
Seine Ehe war indess keine glückliche , da seine Frau herrschsüchtig und bis
zum Ilebermaasse bigott, ausserdem überhaupt von unfreundlichem, liebelosem
Wesen war. Den Winter über residirte Graf Morzin in Wien, den Sommer
verbrachte er auf seinem Gute bei Pilsen, und so verlebte H. hier glückliche
und vergnügte Tage. Im .T. 1760 componirte er für das Morzin'sche Orchester
seine erste Symphonie in D. Als dieselbe aufgeführt wurde, war zufällig auch
der mit dem Grafen Moi'zin befreundete Fürst Paul Anton Eszterhazy, ein
grosser Musikfreund, anwesend. Die Symphonie gefiel ihm selir gut, und da
er gleichfalls eine Musikkapelle unterhielt, so gedachte er H. als Vicekapell-
meister in seine Dienste zu nehmen. Erleichtert wurde ihm dies Vorhaben
durch den Entschluss des Grafen Morzin, der Schulden halber seine Kapelle
auflösen musste. Indess vergingen Monate, H. war schon einige Zeit stel-
lungslos und harrte mit Sehnsucht der Aufforderung des Fürsten, der, wie es
schien, sein Versprechen ganz und gar vergessen hatte. Einer aus des Fürsten
Kapelle, mit Namen Friedberg, der zugleich Freund und Verehrer H.'s war,
war nicht minder unglücklich darüber als H. selbst, und er bewog diesen daher,
eine neue Symphonie zu schreiben, die am 50. Geburtstage des Fürsten, den
22. April 1761, in Eisenstadt aufgeführt werden sollte. Die Aufführung ge-
laug zur vollsten Zufriedenheit, der Fürst erinnerte sich bald seines Verspre-
chens, und schon am 1. Mai war Joseph H. definitiv als Vicekapellmeister
unter der Direktion des Oberkapellmeisters Gregoiüus Werner angestellt. Erst
neuerdings ist das Anstellungsdecret aufgefunden und im J. 1868 in den »Sig-
nalen« zum ersten Male veröffentlicht worden. Bis dahin findet man in allen
Quellen das J. 1760 und als Tag der Anstellung den 19. März angegeben;
worauf sich diese Angabe gründete, ist schwer zu ermitteln.
Das Decret besagt nun an erster Stelle, dass, da der bisherige Kapell-
meister Gregorius Werner seines hohen Alters wegen seinem Dienste nicht
mehr in vollem Maasse nachzukommen im Stande sei, Joseph H. ihm als Vice-
kapellmeister beigegeben werden solle, als welcher er bei den Chormusiken dem
ersteren, der den Titel Oberkapellmeister erhielt, noch subordinirt war, bei
allen anderen INTusikeu indess vollkommen selbstständige Anordnungen zu
treffen hatte. Im Uebrigen gewährt das Decret in seiner Urform einen gründ-
lichen Einblick in die Hausordnung fürstl. Kapellen damaliger Zeit, indem
darin vor Allem H. ans Herz gelegt wird, dass er sich als ehrliebender Haus-
offizier stets nüchtern aufzuführen wissen werde und nichts an seiner Kleidung,
selbst bis auf Zopf und Haarbeutel, vernachlässigen dürfe. Man verlangte viel
von H.; er sollte Dirigent und Componist, Schiedsrichter, Aufseher und In-
structor zugleich sein; auch erwartete man von seinem Eifer, dass er die Ka-
pelle auf eine Höhe bringen werde, die ihm zur Ehre gereiche. Nun, diese
Erwartung bat H. in glänzendem Maasse erfüllt (vgl. den Art. Eszterhazy).
Sein Gehalt betrug anfänglich ausser bedeutenden Naturalemolumenten jährlich
400 Gulden. Dasselbe wurde später vom Fürsten Nicolaus Joseph, nachdem
H. zum Hauptkapellmeister befördert worden, auf 700 und endlich auf 1000
Gulden erhöht. Fürst Paul Anton lebte nur noch ein Jahr; er starb im J. 1762.
Haydn. 123
Im Auftrage dieses Fürsten hatte H. die vier Tageszeiten in Form von Quar-
tetten componirt, ein Werk, das indess sehr wenig bekannt geworden ist. Die
Hauptzeit seines Schafifens waren die 28 Jahre der Regierung des Fürsten
Nicolaus Joseph, der, wie in dem Art. Eszterhazy des Näheren ausgeführt ist,
ein wahrer Maecen der Musik war. H.'s Vater erlebte noch die Freude, seinen
Sohn als Beamten in der fürstlichen Uniform zu sehen; derselbe starb im
J. 1763, während seine Mutter bereits 1754 das Zeitliche gesegnet hatte.
Das äussere Leben H.'s verlief ziemlich glatt in diesem Zeiträume. Den
grössten Theil des Jahres verbrachte er mit dem Fürsten in dessen neuem
Lustschlosse Eszterhaz, oder, wie H. meist schreibt, Estoras, dessen Bau 1769
fertig geworden war. Der gewöhnliche "Wiuteraufenthalt war Eisenstadt, wo
H. ein eigenes kleines Haus besass, das zwei Mal ein Raub der Flammen ward,
jedoch jedesmal ihm vom Fürsten neu aufgebaut wurde. Doch wir finden H.
auch im Winter in Eszterhaz, und kurze Zeit verweilte er Geschäfte halber
selbst in Wien. Um das J. 1770 erkrankte er heftig au einem hitzigen Fieber,
das ihn längere Zeit arbeitsunfähig machte. Ln Uebrigen war H. bis in sein
hohes Alter von ziemlich kernfester Gesundheit. Seine Lieblingserholungen in
Ungarn waren die Jagd und der Fischfang, denen er fleissig oblag. In ge-
schäftlicher Beziehung unterhielt er einen regen Briefverkehr vor allem mit
Breitkopf und Härtel in Leipzig seit den siebenziger Jahren , mit Artaria in
Wien und mit dem Instrumentenmacher und Musikalienverleger W. Forster in
London seit 1780 resp. 1781. Letztere beide Correspondenzen sind zum grössten
Theile veröffentlicht, die mit Artaria in Nohl's »Musikerbriefen«, die Forster'-
sche in Sandys' y>lIistory of the violina. Die sehr umfangreiche Correspondenz
mit Breitkopf und Härtel ist bisher noch ungedruckt. Alle diese Briefe geben
den genauesten Aufschluss über die Entstehung der meisten Compositionen
H.'s aus dieser Zeit, bestehend in zahlreichen Symphonien, Q.uartetten, Trios,
Sonaten u. s. w., die H. je nach Bedarf für das fürstl. Orchester schrieb und
die nach und nach auch durch den Stich im Publikum allgemein bekannt
wurden. So erschienen die ersten Quartette im J. 1764, die ersten Symphonien
1766 in Paris.
Weniger bekannt geworden sind H.'s Opern, deren Originale sich grössten-
theils noch im Eisenstädter Archiv befinden. Selbst damals drangen dieselben
kaum über die Grenzen Ungarns, und sie waren ja auch nur auf die primitiven
Einrichtungen im Marionettentheater zu Eisenstadt, später zu Eszterhaz, das
Fürst Nicolaus Joseph von seinem Bruder überkommen, berechnet. Schon 1762
componirte H. die erste vierstimmige Oper, y>Äcide e Galateav, die am 11. Jan.
1763 zu Ehren der Vermählving des Grafen Anton Eszterhazy mit der Gräfin
Erdödy in Eisenstadt aufgeführt wurde. Von da an brachte fast jedes Jahr
eine neue Oper, anfänglich meist deutsche Marionettenopern und italienische
Opere huffe und Burlette, denen nicht selten sogar der Hof beiwohnte, so dass
H. den Auftrag erhielt, auch für das Hoftheater in Wien eine Oper zu schreiben.
Er componirte zu dem Zwecke das Dramma (jiocoso: »ia vera costanzaK, dessen
Aufi'ührung in Wien jedoch durch niedrige Cabalen hintertrieben wurde. Im
J. 1779 wurde dasselbe in Eszterhaz aufgeführt und Kaiser Joseph II. befand
sich selber unter den Zuhörern. Mittlerweile hatte der Fürst ein neues Opern-
haus bauen lassen, zu dessen Einweihung H. Anfang 1780 die Oper »Za /e-
deltä premiatav schrieb. In der Folge componirte H. auch einige italienische
Opere serie, so 1782, wie aus einem Brief an Artaria vom August jenes Jahres
hervorgeht, zu Ehren der Anwesenheit eines russischen Grossfürsten und seiner
Gemahlin eine welsche Oper, die nicht näher bezeichnet ist, wahrscheinlich
»Orlando Palatinov^ oder nAlessandro il (jrandeM, und im Sommer 1783 die
vArmida«. Letztere wurde, wie H. selbst an Artaria berichtet, am 29. Febr.
1784 bereits zum zweiten Male mit dem grössten Beifall aufgeführt.
Ausser den Opern hatte H. auch ziemlich viel Kirchenmusik zu sclu'eiben,
Messen, Stahat mater etc.; desgleichen componirte er eine Anzahl weltlicher
124 Haydn.
Cantaten, Lieder und Arien. Im J, 1774 schuf er sein erstes weniger bekannt
gewordenes Oratorium: »/Z ritorno di Tobiaa , hauptsächlich zu dem Zwecke,
um die Bestrebungen der in Wien bestehenden Tonkünstlerwittwcu- und Waisen-
gesellschaft, als deren Mitglied er aufgenommen zu werden wünschte, zu unter-
stützen. Er erbot sich, auch fernerhin seine Werke zur Aufführung lierzu-
leihen, ohne zu ahnen, wie schnöde dieses Anerbieten genilssbraucht werden
würde. Statutenmässig hatte er nämlich im Falle der Aufnahme ausser den
laufenden Beiträgen ein Antrittsgeld von .300 Gulden zu zahlen, da er nicht
in Wien wohnte. Man wollte ihm dasselbe in Folge obigen Anerbietens er-
lassen, verlangte aber, dass er einen Revers darüber ausstellen sollte, je nach
Begehren Compositionen zu liefern; dessen weigerte sich nun H. ganz ent-
schieden in offener Sitzung in Gregenwart des Kapellmeisters v. Bonno, eines
HeiTU V. Sterzer u. a., da ihm seine Dienstpflichten gegen den Fürsten Eszter-
hazy nicht die nöthige Zeit dazu Hessen; er könne sich nur zur Lieferung von
Compositionen verpflichten, soweit es Zeit und Umstände erlaubten. Darauf-
hin erfolgte denn auch die Aufnahme und TT. bezahlte die Einlage mit 368
Ciulden 10 Kreuzern. Ti'otzdem verlangte nun die Gesellschaft laut Beschluss
der Sitzung vom 10. Novbr. 1778 noch nachträglich uiiter Androhung der
AnnuUirung seiner Aufnahme von H. die Unterschrift jenes erst begehrten
Reverses, nachdem dieselbe schon einige Zeit von H.'s Werken Nutzen gezogen
hatte, und richtete am 18. Jan, 1779 ein dahin lautendes Schreiben an H.
Indess dieser antwortete ziemlich gereizt am 4. Febr., indem er den wahren
Sachverhalt darlegte und seine bezahlte Einlage zurückforderte. Die Gesell-
schaft zahlte ihm sein Geld denn auch zurück, und seine Aufnahme war somit
annuUirt. Nichtsdestoweniger erbot sich H., auch ferner neue Werke von • sich
unentgeltlich herzuleihen. Im .1. 1781 wurde er von Neuem von der Gesell-
schaft um Herleihung seines Tobias mit Aenderungen und Kürzungen ersucht.
H. war nicht abgeneigt, sich diese Mühe zu nehmen, wenn man ihm Benefiz-
billete oder eine andere Bonification bewillige. Darauf aber ging die Gesell-
schaft nicht ein und beschloss in der Sitzung vom 25. Octbr. 1781, ein anderes
Oratorium zu wählen.
Später freilich erhielt H, für die ihm widerfahrene Unbill glänzende Ge-
nugthuuiig. Von anderer Seite empfing H. schon jetzt Beweise der grössten
Anerkennung. So ernannte ihn die Akademie der Philharmoniker zu Modena
1780 zu ihrem Ehrenmitgliede, und H. componirte aus Dankbarkeit dafür die
vierstimmige Cantate nLHsola disahitatav, die 1785 von der Akademie aufgeführt
wurde. Im .1. 1784 sandte ihm Prinz Heinrich von Preussen für sechs dem-
selben gewidmete Quartette eine goldene Medaille mit seinem Portrait, 1787
König Friedrich Wilhelm II. als Anerkennung für seine Compositionen (er
hatte eben eine Cantate »Deutschlands Klage über den Tod Friedrich des
Grossen« geschrieben) einen prächtigen Diamantring. Noch einer Composition
aus dieser Zeit ist zu gedenken. Im J. 1785 erhielt H. nämlich aus Cadix
den Auftrag, zu den sieben Worten Christi am Kreuze eine Instrumentalmusik
zu setzen, die in den Pausen zwischen den einzelnen Worten, während der
Bischof am Hochaltar kniete, executirt wurde. H. entledigte sich seines Auf-
trages mit der ihm eigenen Gewissenhaftigkeit und verarbeitete sie später noch
zu Quartetten, in welcher Form sie am bekanntesten geworden sind. In spä-
teren Jahren schrieb ein Passauer Domherr einen deutschen Text dazu.
In den letzten Lebensjahren des Fürsten Nicolaus Joseph war H. auch
mit des Fürsten Leibarzt, einem Dr. v. Genzinger näher bekannt geworden,
dessen Gast er, so oft er in Wien war, jeden Sonntag IMittag sein musste.
Er lernte dabei des Arztes Gemahlin Marianne kennen, die grosse Liehe zur
Musik hatte, und auch ihrerseits sich sehr zu H. hingezogen fühlte. Es ent-
spann sich daraus in der Folge ein reger Briefverkehr, der von Mitte 1789
bis Ende 1792 dauerte und namentlich über die erste Londoner Reise vielfache
Aufschlüsse giebt.
Haydn. 125
Wir gelangen nämlich nunmelir an einen der wichtigsten Lebensabschnitte
des Meisters. Wiederholt war H, schon von seinen Freunden aufgefordert
worden, Kunstreisen nach Italien und Frankreich zu unternehmen; doch konnte
er es nie über sich gewinnen, seinen Fürsten zu verlassen. Im Laufe der
achtziger Jahre mehrten sich die Einladungen aus England. H.'s Compositiouen
waren in London schon in den sechsziger und siebenziger Jahren bekannt ge-
worden; fast in allen Concertunternehmungen jener Jahre erschien H.'s Name
an der Spitze. Im J. 1783 bildete sich unter dem Protectorate des Lord
Abingdon eine neue Gesellschaft unter dem Namen der »Professional- Coucerte«.
Sie trat schon bald nach ihrer Gründung in Correspondenz mit H., um diesen
zur Reise nach London zu bewegen, doch anfangs vergeblich. Wie indess aus
einem Briefe vom 8. April 1787 in der oben erwähnten Forster'schen Corre-
spondenz hervorgeht, hatte doch H. die ernstliche Absicht, Ende 1787 London
zu besuchen, ja Forster hatte ihm schon für diesen Fall eine Wohnung offerirt;
noch im Juni spricht er wiederholt die Hoffnung aus. Porster im kommenden
Winter zu sehen. Da aber von Gramer, dem Leiter der Professional- Concerte,
keine Antwort eintraf, so zerschlug sich die Reise und H. schien nicht übel
Lust zu haben, den Winter in Neapel zuzubringen. Doch auch hieraus wurde
schliesslich nichts. Dagegen erhielt H. vom König von Neapel den Auftrag,
mehrere Compositionen für ihn zu liefern, und er musste demselben ausserdem
fest versprechen, nach Neapel zu kommen.
Was nun der Gesellschaft der Professional -Concerte nicht gelungen war,
das sollte nur wenige Jahre später einem deutschen Violinisten aus Bonn, Jo-
hann Peter Salomon, glücken. Salomon war in den siebenziger Jahren Concert-
meister bei dem Prinzen Heinrich von Preussen gewesen und trat schon da-
mals eifrig für H.'s Compositionen ein. Im J. 1786 siedelte er nach London
über und gedachte hier mit den Professional-Concerten in Concurrenz zu treten.
Kaum hatte er auch von dem Scheitern der Unterhandlungen dieser Gesell-
schaft mit H, gehört, als er im J. 1788 selber in Correspondenz mit diesem
trat, um ihn für sein neues Unternehmen zu gewinnen. Doch auch ihm wurde
es nicht leicht, denn H. verhielt sich auch jetzt wieder von neuem ablehnend.
Erst 1790 trat der entscheidende Wendepunkt ein. Am 28. Septbr. dieses
Jahres starb nämlich Fürst Nicolaus Joseph Eszterhazy, und sein Sohn und
Nachfolger, Paul Anton, der wenig Interesse für Musik hatte, löste die Kapelle
bald nach dem Tode des Vaters auf. Fürst Nicolaus Joseph hatte H. in
seinem Testament eine lebenslängliche Pension von 1000 Gulden ausgesetzt;
Paul Anton gewährte ihm noch eine Zulage von 400 Gulden. War auch die
Kapelle aufgelöst, so behielt doch H. den Titel Kapellmeister bei und hatte
eine ruhigere Stellung dabei, als früher. Er verkaufte sofort sein kleines Haus
in Eisenstadt für 1500 Gulden und siedelte noch im Herbst 1790 nach Wien
über, wo er sich im Hause seines Freundes Hamberger auf der Wasserkunst-
bastei No. 1196 eine Wohnung miethete.
Hier war es, wo eines Abends gegen Ende November jener obengenannte
Salomon*in H.'s Zimmer trat, um persönlich das zu erwirken, was ihm schriftlich
nicht gelungen war. Salomon war nämlich auf einer Kunstreise durch Italien
und Deutschland begriffen, um Musikkräfte für sein neues Unternehmen zu
gewinnen, als er von dem Tode des Fürsten Eszterhazy hörte und nun sofort
beschloss, nach Wien zu eilen, um H. womöglich gleich mitzunehmen. H. machte
zwar noch einige Schwierigkeiten, vor Allem wegen seines Fürsten, doch dieser
gewährte ihm bereitwilligst Urlaub und so wurde denn der Accord zwischen
Salomon und H. unter folgenden Bedingungen geschlossen: H. musste sechs
neue Symphonien componiren und dieselben persönlich dirigiren; dafür erhielt
er 300 £, ferner 200 £ für das Verlagsrecht und endlich noch ein garantirtes
Benefizconcert zu 200 £. H. beging die Vorsicht, sich von Salomon die
Summe von ca. 5000 Gulden in englischem Gelde vorschiessen zu lassen und
dieselbe theils bei seinem Fürsten, theils bei dem Bankhause des Grafen Fries
126 Haydn.
in "Wien zu cleponiren, um gegen alle Eventualitäten gesichert zu sein. "Was
H. sonst an Werth- und Staatspapieren besass, übergab er der Frau v. Gen-
zinger zur Aufbewahrung, da er dieselben dem Leichtsinn seiner Frau nicht
anvertrauen wollte. An baarem Gelde besass er ausser jenen oben erwähnten
150U Gulden noch 500 Grulden, die er sich in der Zeit gespart hatte; doch
schienen ihm die 2000 Gulden noch nicht genug, und er lieh sich von seinem
Fürsten noch 450 Gulden zur Reise, die er indess noch im ersten Jahre seiner
Anwesenheit in London abzahlte. Rechnet man die 1400 Gulden jährlicher
Pension hinzu, so war H. gegen alle Fährlichkeiten , die ihm etwa zustossen
konnten, gedeckt. Kurz vor seiner Abreise hatte er sich noch einiger einge-
gangener Verpflichtungen zu entledigen. "Wie oben erwähnt, hatte König
Ferdinand von Neapel mehrere Compositionen bei ihm bestellt; nun traf es
sich, dass der König in dieser Zeit gerade in Wien anwesend war, und H.
überreichte demselben in einer besonderen Audienz am 13. Decbr. seine Ar-
beiten. Als dieser aber nun hörte, dass H. schon in zwei Tagen nach London
abzureisen gedenke, war er höchst unwillig darüber und erinnerte H. neuerdings
an sein Versprechen, nach Neapel zu kommen, was dieser denn auch nach der
Rückkehr aus England zusagte.
Die Abreise H.'s und Salomon's aus Wien ex'folgte nunmehr am 15. Decbr.
Abends; die Reise ging über München, wo H, die persönliche Bekanntschaft
des Concertmeisters Canuabich machte, alsdann den Main und Rhein abwärts
nach Bonn. Hier trafen sie am 25. Decbr., dem ersten Weihnachtsfeiertage,
ein und beschlossen, auch den zweiten Feiertag daselbst zu verweilen. H. be-
suchte an diesem Tage mit Salomon die Messe und lernte nach Beendigung
derselben den Kurfürsten Maximilian Franz von Köln, der hier residirte und
eine treffliche Hof kapeile hielt, näher kennen; derselbe verfehlte nicht, auch
seine Musiker mit H. bekannt zu machen. Von Bonn ging alsdann die Weiter-
reise über Brüssel, wo der Aufenthalt nur eine Stunde währte, nach Calais,
woselbst die Reisenden bei schon länger anhaltendem Regen am 31. Decbr.
Abends anlangten. Am folgenden Tage, dem Neujahrstage, früh um ^/iS Uhr
bestiegen dieselben das Schifl" und fuhren bei ziemlich widrigem Winde nach
Dover über, wo die Ankunft erst um 5 Uhr Nachmittags erfolgte. In London
trafen H. und Salomon endlich am 2. Jan. 1791 glücklich und wohlbelialten
ein, und H. brachte die ei'ste Nacht bei dem Musikalienverleger Bland in
No. 45 Holborn vis-a-vis Chancery Laue in der City zu. Erst am folgenden
Tage bezog er die für ihn gemiethete Wohnung in No. 18 Great Pulteney street
in dem Hause eines italienischen Kochs, der zugleich für H.'s leibliche Bedürf-
nisse sorgte.
Salomon wohnte in demselben Hause, und beide pflegten gewöhnlich
zusammen zu speisen, wenn H. nicht Einladungen folgen musste, die in der
ersten Zeit ziemlich häufig vorkamen; er erwehrte sich indess ihrer sehr
bald, um Herr seiner Zeit zu bleiben und seinen eingegangenen Verpflichtungen
nachkommen zu können. Auch wurde seine Zeit im Anfang durch Besuche
und Gegenbesuche sehr in Anspruch genommen, und es war für ihn von be-
sonderem Interesse, mit hervorragenden Persönlichkeiten des damaligen London
näher bekannt zu werden, Zu ihnen gehörte vor Allem Dr. Burney, mit dem
er schon seit Jahren in Briefwechsel gestanden und der auch seine Ankunft
in London mit einem schwungvollen Gedichte: yy Verses on tke arrival in JEng-
land of the great Musieian Haydn January 1791« gefeiert hatte. H. versäumte
es daher nicht, alsbald mit Salomon nach Chelsea hinauszufahren, wo Burney
als Organist von Chelsea College wohnte. Von anderen Persönlichkeiten, die
alle H. ihre Hochachtung zu bezeigen kamen und die er zum Theil schon von
Wien her kannte, sind zu nennen: Giornovicchi, Dussek, Clementi, Storace,
Kelly, Attwood, Baumgarten, Cramer, Crosdill, Cervetto und endlich Allen
voran Gyrowetz, mit dem H. ein enges Freundschaftsband verknüpfte, so dass
dieser glücklich war, in der fremden grossen Stadt einen Bekannten gefunden
Haydn. 127
zu haben, auf dessen Freundschaft und Aufrichtigkeit er in allen Fällen
rechnen konnte.
Schon am 15. Januar brachten die Zeitungen die Ankündigung von zwölf
Salomon-Concerten, deren Subscriptionspreis auf fünf Guiueen festgesetzt war.
Das erste Concert sollte am Freitag den 11. Febr. stattfinden; in Folge ver-
schiedener Hindernisse musste dasselbe indess mehrfach autgeschoben werden
und fand endlich am 11. März statt. Hierdurch hatten die Professional, die
von Anfang an als Feinde Salomon's und H.'s auftraten, einen grossen Vor-
sprung. Ihr erstes Concert fand bereits am 7. Febr. statt und konnten sie
nicht umhin, eine Symphonie, sowie ein Quartett von H. in ihr Programm
aufzunehmen, über deren Ausführung, vor Allem der Symphonie, sich H. selbst
sehr beifällig äusserte. Mittlerweile und noch vor Beginn der Salomou-Concerte
hatte H. vielfach andere Concerte besucht, in denen theilweise Compositionen
von ihm aufgeführt wurden; auch einem Hof balle, der am 18. Jan. zur Ge-
burtstagsfeier der Königin stattfand, und einem Hofconcerte in Carlton House,
dem Palais des Prinzen von Wales, am folgenden Tage, wohnte H. bei. Die
einzelnen Erlebnisse H.'s in London behandelt eingehend Pohl's treffliches Buch
über H.'s beide Besuche in London, auf das an dieser Stelle verwiesen sei. Der
Erfolg des ersten Salomou-Concertes am 11. März war glänzend und sicherte
das ganze Unternehmen; noch glänzender fiel das zweite Concert am 18. März
aus, indem die im ersten Concert aufgefühx'te neue Symphonie in D-dur (No. 2
der Sammlung) auf besonderes Verlangen repetirt wurde; desgleichen die sämmt-
lichen übrigen Concerte, in denen H.'s Name ausser den Symphonien wieder-
holt mit einem Quartett, einem Concertino und einer Cantate erscheint. Das
zwölfte und letzte Concert fand am 3. Juni statt. Inzwischen hatte H. sein
Benefizconcert, das ursprünglich auf den 7. April angesagt war, am 16. Mai
gegeben und brachte ihm dasselbe eine Einnahme von 350 £.
Beim Abschlüsse des Contracts hatte sich H. auch verpflichtet, eine Oper
zu schreiben, und es zeigte sich hierbei später, wie gut es war, dass er seine
Forderungen im Vorhinein gedeckt hatte. An Stelle des 1789 abgebrannten
Opernhauses wurde nämlich schon im folgenden Jahre eine neue Oper gebaut,
deren Unternehmer Gallini war; 1791 sollte dieselbe eingeweiht werden und
H. schrieb zu dem Zw-ecke den y>Orfeo e ]^uriclice<i. Indess man hatte versäumt,
zeitig genug die Erlaubniss des Königs und des Parlaments einzuholen, und
so wurde die Benutzung des Gebäudes zur Oj)er gänzlich untersagt. H.'s Orfeo
kam demgemäss gar nicht zur Aufführung und blieb auch unvollendet. Als
Ersatz sandte H. später seine »Armida« ein, von der sich das Autograph in
der Bibliothek der Sacrecl Jiarmonic Society zu London befindet. An Stelle der
verunglückten Oper war es nun Gallini wenigstens gelungen, den Saal zu
Abendunterhaltungeu bewilligt zu erhalten. In diesen Concerten, die wöchent-
lich zwei Mal stattfanden und vom 26. März bis zum 9. Juli dauerten, wurden
zuweilen Symphonien, vor Allem aber Cantaten und andere Gesangstücke von
H. zur Aufführung gebracht.
Am 23., 26. und 28. Mai und 1. Juni fand die letzte im vorigen Jahr-
hundert abgehaltene grossartige Händelfeier in der altehrwürdigen Westminster-
abtei statt, und H. war es vergönnt, Zeuge derselben zu sein. Händel's Musik
wirkte gewaltig ergreifend auf H., der sie hier zum ersten Male in ihrer vollen
Pracht entfalten hörte. Am 6., 7. und 8. Juli folgte sodann die sogenannte
Oxfordfeierlichkeit. Um die Doctorwürde in der Musik zu erlangen, waren
nicht gerade aussergewöhnliche Kenntnisse erforderlich; was aber nicht fehlen
durfte, war eine bei dieser Gelegenheit zu erlegende Summe von 100 Guineen.
H. wäre wohl schwerlich je auf den Gedanken gekommen, seine Kunstgenossen
durch diese Wüi'de überragen zu wollen; allein sein Freund Dr. Burney that
alles Mögliche, um seinen Liebling auch in dieser Weise verherrlicht zu sehen.
H. hat selbst die Feierlichkeiten in einem leider verloren gegangenen Briefe
an Marianne v. Genziuger beschrieben. Es fand an allen drei Tagen Concert
128 Haydn.
statt, am zweiten Tage wurde die von H. eigens für diese Feier bestimmte
Symphonie in G (später unter dem Namen Oxfordsymphonie bekannt) aufge-
führt; der eigentliche öffentliche Actus fand am 8. Juli Vormittags statt, und
da für Ehrengrade keine Diplome ausgefertigt werden, so wurde H.'s Ernen-
nung nur einfach im Register der Universität als ein Act of convocation be-
zeichnet. Aus Artigkeit sandte H. später der Universität einen sogenannten
Canon cancrizans a tre auf die Worte: »T/^y voice, o Harmony , is divine«.
Von Oxford zurückgekehrt, hielt sich H. nicht mehr lange in London auf;
er war froh, eine Zeitlang das Landleben gemessen zu können und folgte,
wahrscheinlich schon Ende Juli, bereitwilligst der Einladung des Banquier
Brassy, doch einige Wochen auf seinem etwa zwölf Meilen von London ent-
fernten Gute das erquickende Stillleben eines englischen Landaufenthalts kennen
zu lernen.
H. verweilte hier beinahe zwei Monate. Unterdessen langte ganz uner-
wartet ein Schreiben seines Fürsten bei ihm an, der ihn nach Hause zu-
rückberief, um für bevorstehende Festlichkeiten zu Eszterhaz eine Oper zu
schreiben. H. konnte jedoch der Aufforderung nicht Folge leisten, da er schon
durch erneuerte Contracte noch für den nächsten Winter an London gebunden
war. Die Contracte waren unter denselben Bedingungen abgeschlossen worden ;
nur für das Verlagsrecht der sechs Symphonien zahlte Salomon die erhöhte
Summe von 300 £. Bereits am 16. Aug. zeigte Salomon im Morning chronicle
auf das Bestimmteste an, dass die Concerte nach demselben Plan, wie im ver-
flossenen Winter, wieder stattfinden würden. H. ging demgemäss, als er gegen
Ende Septbr. nach London zurückkehrte, ziemlich bewegten Tagen entgegen.
Dazu kam noch ein anderer Umstand. Die Unternehmer der Professional-
Concerte nämlich, die mit Neid auf den grossen Erfolg der Salomon -Concerte
herabgesehen hatten, machten jetzt mehrere vergebliche Versuche, H. auf ihre
Seite zu bringen. Doch das gelang ihnen nicht, indem H. standhaft seinen
gegen Salomon eingegangenen Verpflichtungen treu blieb. Nun griffen sie zu
einem anderen Mittel und traten mit Ignaz Pleyel, einem Schüler H.'s, in Ver-
bindung, um dadui'ch Meister und Schüler zu verfeinden. Auch Zeitungsartikel
niussten dazu dienen, H. allerwärts zu verläuniden ; selbst in Wien hatte man
sich bemüht, sein Thun und Treiben und vor Allem sein Ausbleiben zu ver-
dächtigen. Pleyel, der natürlich nicht wusste, zu welchen Intriguen er miss-
braucht wurde, sagte zu und traf am Ende des Jahres in London ein.
Mittlerweile hatte H. noch im Spätherbste manche Festlichkeiten durch-
zumachen, so u. a. das bekannte Lord Mayorsfest am 5. Novbr. und das darauf
folgende Farewell-Dinner in Mansion House am 9. Novbr., zu welchen beiden
er geladen war. Grleich danach ist, H. wieder auf das Land gereist, um auf
etwa 14 Tage der Einladung eines Lords, der 100 Meilen von London ein
Grut besass, zu folgen. Dies war indess noch nicht der letzte Landaufenthalt
in diesem Jahre. Am 24. Novbr. nämlich folgte er einer wiederholten Auf-
forderung des Prinzen von Wales, seinen Bruder, den Herzog von York, auf
seinem Schlosse Oatland, ungefähr 21 Meilen von London entfernt, zu besuchen.
Er blieb zwei Tage da und wurde mit vielen Ehrenbezeugungen überhäuft.
Am 30. Novbr. reiste er bereits wieder auf drei Tage zu einem Sir Patrik
Blake auf das Land, Doch schien das fortwährende Hin- und Herreisen bei
dem englisclien Herbstnebel nicht günstig aiif seine Gesundheit zu wirken; er
hatte sich einen ziemlich starken Rheumatismus zugezogen. Indess war er
bereits am 14. Decbr. so weit hergestellt, dass er einem ihm zu Ehren veran-
stalteten Gastmahle bei dem Parlamentsrathe Mr. Shaw beiwohnen konnte. Mr.
Shaw Hess es sich angelegen sein, H. durch ganz besondere Auszeichnungen
seine Verehrung zu bezeigen. Die Weihnachtsfeiertage und den Sylvesterabeud
brachte H. vergnügt in Gesellschaft seines Schülers Pleyel zu, der am 23. Decbr.
in London angekommen war. In vollster Freundschaft gingen Beide dem be-
vorstehenden Kampfe entgegen, der anders enden sollte, als die Professional es
Hayda. 129
sich geträumt hatten. Leider liefen diese doch wieder den Salomon-Concerten
den Vorrang ab. Am 13. Febr. 1792 war das erste Professional-Coucert und
glänzte H.'s Name als Zeichen der Aufmerksamkeit an der Spitze, wie er denn
auch in den übrigen Concerten nicht fehlte. Das erste der zwölf Salomon-
Concerte fand am 17. Febr. statt. Ausser den neu componirten Symphonien
wurden auch einige ältere, fertige Arbeiten H.'s, die er sich von Wien aus
schicken Hess und die zum Theil für London noch neu waren, aufgeführt.
Unter den neuei'en Compositionen ragt namentlich die bekannte, im sechsten
Concert am 23. März aufgeführte Symphonie mit dem Paukenschlage hervor.
Im zweiten Concert wurde der Chor: der Sturm mit Quartettsolo und Or-
chesterbegleitung, den H. als ersten Versuch über englische Textworte com-
ponirt hatte, aufgeführt und fand grossen Beifall. Sein Benefizconcert gab H.
diesmal am 3. Mai und am 21. Mai folgte Salomon's alljährliches Benefiz nach.
Die letzten Salomon-Concerte, in denen fast regelmässig die berühmte Sängerin
Mad. Mara sang, hatten so viel Zuspruch, dass sich Salomon veranlasst fand,
noch ein Extraconcert zu geben. Zuerst für den 26. Mai angesagt, fand das-
selbe am 6. Juni statt, und so endete die Saison wiederum gegen Erwarten
der Professionalisten mit dem grössten Erfolge. Im Laufe des Mai und Juni
wohnte H. , wie das Jahr zuvor, verschiedenen Privatconcerten bei und am
14. Juni war er zum Könige nach Windsor geladen, von wo er noch an dem-
selben Tage das Pferderennen zu Ascot besuchte; am folgenden Tage, den
15. Juni, war er bei dem berühmten Astronomen "William Herschel auf dessen
Laudgute Slough bei Windsor zum Besuch.
Trotzdem nun H.'s Zeit in dieser Weise theils durch die Arbeiten für
die Salomon-Concerte, theils durch lästige Einladungen vollauf in Anspruch
genommen war, fand er doch noch Müsse und Grelegenheit für kleinere Arbeiten,
die er mehr zu seiner Erholung schrieb. So bearbeitete er für einen eng-
lischen Musikalienhändler Napier, der sich in den misslichsten Vermögensum-
ständen befand, eine Anzahl schottischer Lieder, die so reissenden Absatz fan-
den, dass Napier sein Glück damit machte. Er zahlte H. nachträglich 50
Guineen für die erste Sammlung und konnte diese Summe für die zweite
Sammlung sogar verdoppeln. Auch für Thompson in Edinburgh bearbeitete
H. dann in ähnlicher Weise schottische, wallisische und irische Melodien. Selbst
als Ciavierlehrer aufzutreten erlaubte ihm seine Zeit noch und führt dieser
Umstand dazu, noch kurz einer zarten Angelegenheit zu gedenken. Eine ge-
wisse Mrs. Schroeter nämlich nahm ebenfalls Unterricht bei H., um sich im
Ciavierspiel zu vervollkommnen. Sie wurde H. mehr und mehr mit herzlicher
Hochachtung zugethan, und da auch dieser ihre aufrichtige Hingebung zu
schätzen wusste, so gestaltete sich bald ein inniges Verhältniss, welches nur
bedauern lässt, dass es nicht zum erwünschten Ziele führen konnte. H. besass
21 Briefe von ihr, die vom 8. Febr. Bis zum 16. Juni 1792 reichen und einen
stetig zunehmenden Wärmegrad der zärtlichsten Zuneigung zeigen; von H.
selbst haben wir leider keine Zeüe.
Mittlerweile rückte nun auch die Zeit der endlichen Abreise heran. Daran
gemahnte ihn vor Allem ein Brief seiner Frau , die ihm schrieb , sie hätte ein
schönes Häuschen in der Kl. Steingasse No. 73 gesehen, das für einen billigen
Preis zu kaufen sei; er möge ihr doch 2000 Gulden übersenden, um dasselbe
zu kaufen. Doch H. schickte klugerweise das Geld nicht, sondern kam selbst
bald nach Wien. Der Tag seiner Abreise von London ist nicht bekannt, jeden-
falls Anfang Juli. Seine ursprüngliche Absicht war, über Paris zurückzureisen,
doch gab er dieselbe wieder auf und erwartete noch eine Ordre von seinem
Fürsten, ob er nach Frankfurt a. M. zur Krönung Kaiser Franz IL am 14.
Juli kommen sollte. Andernfalls wollte er über Holland nach Berlin zum
König von Preussen und von da über Leipzig, Dresden und Prag nach Wien
zurückkehren. Welche Tour er nun in der That eingeschlagen haben mag,
darüber sind wir nicht unterrichtet, indessen hat er wohl seinen Plan nochmals
Musikal. Couverä.-Le&ikou. v. 9
130 Haydn.
geändert, da von einer Anwesenheit in Berlin nichts weiter bekannt geworden
ist. Fest steht nui', dass er, wie auf der Hinreise, so auch auf der Rückreise
Bonn berührte. Das kurfürstl. Orchester gab ihm ein Frühstück, und der
junge Beethoven legte ihm bei dieser Gelegenheit eine Cantate vor, die er auf
den Tod Leopold II. componirt hatte und die H.'s Beifall fand.
Wahrscheinlich wurden jetzt auch zum Theil die Verabredungen getroffen,
unter denen H. zum Lehrer Beethoven's erwählt wurde. Da der Kurfürst,
dessen Zustimmung unbedingt nothwendig war, zur Krönung des Kaisers in
Frankfurt verweilte, so konnte H. nicht, wie er vielleicht gewünscht, den jungen
Beethoven gleich mitnehmen. H. reiste bald wieder von Bonn ab und traf in
AVien noch Ende Juli oder Anfang August ein. Beethoven s Abreise verzögerte
sich noch einige Monate; erst im November reiste derselbe nach "Wien, um
H.'s Schüler zu werden. Der Unterricht begann alsbald und dauerte bis gegen
Ende des J. 1793; Beethoven machte schnell grosse Fortschritte, worüber H.
mehrfach günstige Berichte nach Bonn sandte. Im Juni 1793 ging Beethoven
mit H. nach Eisenstadt und hatte dieser auch die Absicht, ihn auf seiner zweiten
Reise nach England mitzunehmen; aus welchen Gründen dieser Plan später
aufgegeben wurde, darüber sind nur Vermuthungen erlaubt. Am wahrschein-
lichsten ist folgende. Die Beziehungen zwischen H. und Beethoven blieben
nämlich nicht lange wirklich herzliche, nur verstand es Beethoven, seine Un-
zufriedenheit zu verbergen. Doch gelegentlich äusserte er sich wohl dahin,
dass H. es nicht gut mit ihm meine, und er nahm sich deshalb noch im Laufe
des J. 1793 einen zweiten Lehrer in dem Componisten Schenk. Alles dies
mochte H. schliesslich zu Ohren gekommen sein und erklärt wohl hinreichend
seine baldige Abreise ohne die Gesellschaft Beethoven's.
Aus seinem Aufenthalte in Wien ist sonst wenig zu berichten. Im Winter
1793 dirigirte er in der Akademie der oben genannten Tonkünstlerwittwen-
und Waisengesellschaft seine sechs Londoner Symphonien und erntete damit
grossen Beifall. Auch wurde ihm in demselben Jahre eine angenehme Ueber-
raschung zu Theil, indem ihm Graf Carl Leonhard von Harrach in seinem
Geburtsorte Rohrau in dem gräflichen Parke ein Monument errichten Hess,
eine viereckige Säule mit mehreren Inschriften, deren Spitze eine etwa 15 Zoll
hohe Büste H.'s aus Gyps zierte. Mittlerweile hatte sich H. das Häuschen in
der Vorstadt Gumpendorf, Kl. Steingasse No. 73, besehen, von dem ihm seine
Frau geschrieben. Ihm gefiel die einsame, stille Lage des mit einem kleinen
Gärtchen versehenen Hauses, und so kaufte er dasselbe. Da es aber ohne
Stockwerk war, Hess H. das Haus während seiner zweiten Reise nach England
vollständig ausbauen. Zu dieser zweiten Reise hatte sich H. schon bei seiner
ersten Anwesenheit verbindlich gemacht und mit Salomon einen neuen Contract
geschlossen, nach welchem er sechs neue Symphonien schreiben musste. Aiisser-
dem hatte er auch in England Verbindungen mit Verlegern geschlossen , die
seine nochmalige Anwesenheit dort erheischten. Fürst Paul Anton ertheilte
zwar nur zögernd seine Erlaubniss, musste aber schliesslicli obigen Umständen
Rechnung tragen, und so reiste denn H. am 19. Jan. 1794 von Wien ab, dies-
mal über Wiesbaden nach London, woselbst er glücklich am 4. Febr. anlangte.
H. bezog nicht seine frühere Wohnung) sondern eine freundlicher gelegene
No. 1 Bury street St. James's, die er wohl der Aufmerksamkeit seiner Freundin
Mrs. Schroeter zu verdanken hatte.
Salomon hatte das erste Concert bereits auf den 3. Febr. angesetzt, musste
dasselbe aber wegen der verspäteten Ankunft H.'s auf den 10. Febr. verschieben.
Die Concerte fanden dies Jahr au den Montag Abenden statt, da die Profes-
sional ihr Ende erreicht hatten, und H.'s Name blieb demgemäss bei seinem
zweiten Aufenthalte auch unangetastet von Neidern. Wie in den Vorjahren,
brachten die Concerte wiederum theils schon ältere, theils neu für diese Saison
componirte Symphonien. Unter letzteren ragt diesmal besonders die Militär-
Symphonie hervor, die in diesem wie im folgenden Jahre mehrmals wiederholt
Haydn. 131
werden musste. Im zehnten und elften Concert kam auch ein Quintett von
H. für zwei Violinen, zwei Viola und Cello zur Aufführung. Dasselbe erschien
später im J. 1799 als op, 88 in "Wien bei Joseph Eder und widerlegt am
schlagendsten die landläufige Annahme, H. habe überhaupt keine Quintette ge-
schrieben. Sein Benefizconcert gab H, diesmal am 2. Mai, Salomon das seinige
am 28. Mai. Mittlerweile war zu Hause in Eszterhaz eine grosse Veränderung
vor sich gegangen. Kurz nach seiner Ankunft in London erhielt nämlich H.
die Nachricht vom Tode des Fürsten Paul Anton, der drei Tage nach seiner
Abreise, am 22. Jan., gestorben war. Sein Nachfolger, Fürst Nicolaus, der,
wie sein Grrossvater, ein eifriger Förderer der Musik war, wenn auch in etwas
anderer Art (vgl. den Art. Eszterhazy), säumte nicht, die ganze Kapelle, mit
H. an der Spitze, wiederherzustellen. Auf einer Reise durch Italien begriffen,
benachrichtigte denn auch Fürst Nicolaus im Laufe des Sommers von Neapel
aus H. von seinem Plane. Höchst erfreut über diese Nachricht, schlug H.
sofort ein, und versprach, nach Erfüllung seiner eingegangenen Verpflichtungen
sich wieder, wie früher, ganz dem Dienste seines Fürsten zu widmen. In den
Sommer- und Herbstmonaten machte H. verschiedene Ausflüge auf das Land,
meist in Begleitung englischer Kunstgrössen, so im August nach der Abtei
Waverley, im September nach dem Badeorte Bath, im November nach Taplow
und Preston.
So kam denn allmählig wieder der Winter heran und mit ihm die letzte
englische Saison H.'s. Die Salomon -Concerte fanden laut einer Ankündigung
vom 16. Jan. 1795 in diesem Jahre nicht statt, dagegen war ein neues Concert-
unternehmen an der Oper in Aussicht gestellt, in welches nunmehr H. mit
denselben Bedingungen, wie unter Salomon, eintrat. Salomon selbst hatte den
Plan, eine Nationalschule für Musik zu errichten. Die neuen Opemconcerte
im grossen Concertsaale des Kingstheaters nahmen am 2. Febr. ihren Anfang
und wurden alle 14 Tage an den Montag Abenden abgehalten. Auch hier
kamen theils ältere, theils eigens dafür componirte Symphonien von H. zur
Aufführung, und die angekündigten neun Concerte hatten einen solchen Erfolg
gehabt, dass noch zwei weitere Concerte am 21. Mai und 1. Juni gegeben
wurden. In der Fastenzeit wurden in demselben Saale an sechs Freitagabenden
Concerte mit vorwiegend Icirchlicher Musik abgehalten, doch eröffnete auch hier
den zweiten Theil eine Symphonie von H. Jene Montagabend- Concerte wurden
auch noch im J. 1796 fortgesetzt, und trat ihnen alsdann Salomon in der Art
bei, dass er die Benutzung der für ihn von H. componirten Symphonien ge-
stattete. Eine grosse Verehrung genoss H., wie schon aus seinem ersten Aufent-
halte hervorging, bei Hofe, und wurde er fast zu allen Concerten in diesem
Winter geladen. Namentlich der Prinz von Wales gab in seinem Palais Carlton
House im Granzen 26 Concerte und B. dirigirte sie sämmtlich. In allen diesen
Hofconcerten kamen selbstverständlich H.'sche Compositionen zur Aufführung,
und H. selbst musste u. a. in dem Concerte bei dem Herzog von York am
1. Febr., sowie in dem Concerte bei der Königin in Buckinghamhouse einige
seiner deutschen Lieder singen.
Wie in den Vorjahren, so wohnte H. auch dies Jahr verschiedenen Privat-
concerten bei, in denen neue Compositionen von ihm aufgeführt wurden. Sein
letztes Benefizconcert in London gab er am 4. Mai im Haymarkettheater, und
gelangte hier u. a., wie er selber näher angiebt, seine zwölfte und letzte eng-
lische Symphonie in D zur Aufführung. Das Concert brachte ihm eine Ein-
nahme von 4000 G-ulden. H. verlebte noch einige stille Monate in London
und fasste bereits damals den Plan, ein Oratorium zu schreiben. Lord Abingdon,
der ihn vor Allem dazu überredete, empfahl ihm Nedham's englische TJeber-
setzung von Seldom's Mare clausum, und H. begann die Arbeit. Er mochte
sich aber doch zu einem so ausgedehnten Werke der englischen Sprache nicht
mächtig genug fühlen, und so blieb es bei der Composition einer kurzen, ein-
fachen Arie für Bass und einem grösseren Chor für vier Singstimmen. Diese
9*
132 Haydn.
Composition ist gänzlich uubekaunt geblieben und gelaugte das Mauuscript,
voUstäudig in H.'s eigener Handschrift, durch Lord Abiugdon iu den Besitz
des Flötisten Monzaui, der es dem British Museum zum Geschenk machte, wo
es noch gegenwärtig aufbewahrt ist. Am 15. Aug. trat nun H. seine Rück-
reise au. Seinen Weg nalim er diesmal über Hamburg, wo er Ph. Em. I>ach
kennen lernen wollte, der indess schon todt war, und Dresden nach Wien, wo
er wohlbehalten Ende August eintraf.
Sein zweimaliger Aufenthalt in England hatte ihm ausser einer Fülle von
Auszeichnungen und dem vollauf geernteten Ruhme einen pecuniäreii Rein-
gewinn von 24,000 Gulden eingebracht, so dass er dem Alter mit sorgenfreiem
Blicke entgegensehen konnte. Als neu bestätigter Kapellmeister des Fürsten
Nicolaus, als welcher er jetzt nur seine eigenen neuen Compositionen in Eisen-
stadt zu leiten hatte, bezog er au Pension und Gehalt ausser dem gewöhidichen
Deputat ein festes jährliches Einkommen von 2300 Gulden. Ausserdem genoss
er das Vergnügen, ein eigenes Haus mit einem kleineu Gärtchen zu besitzen,
das indess, wie es schien, bei seiner Rückkehr noch nicht fertig ausgebaut war
(uach anderen Nachrichten kaufte er es jetzt überhaupt erst); denn er miethete
sich zunächst eine Wohnung am Neuen Markt im Hoföbstlerischen Hause, wie
aus einer gleich zu erwähnenden Concertanzeige hervorgeht. Am 18. Decbr.
1795 gab nämlich H. in dem kleinen Redoutensaale eine musikalische Akademie,
in welcher drei seiner Londoner Symphonien aufgeführt werdeu sollten. Die
Eintrittskarten dazu waren in seiner obengenannten Wohnung zu haben. Auch
am 8. Jan. 1796 dirigirte H, in demselben Saale ein Concert der Sängerin Sgra. Bolla
und führte darin mehrere neue Compositionen von sich aul. In den späteren
Jahren finden wir noch mehrfach H. in Wiener Wohlthätigkeitsconcerten seine
Werke leiten, so 1801 zum Besten der Verwundeten von Hohenlindeu. Die
Revolutionsaera, die damals Europa durchzog, hatte ihre Schatten auch bis
nach Ocsterreich geworfen; die französischen Jacobiner schmeichelten sich mit
der Hoffnung, auch unter den Wienern Anhänger und Theilnehmer ihrer An-
schläge zu finden. Aus diesem Anlasse entstammten im J. 1790 die schänd-
lichen Jacobiner- Verfolgungen und Hinrichtungen in Oesterreich und Ungarn.
Dies gab dem Grafen Saurau, späteren k. k. Oberstkanzler, die Anregung, auf
die Dichtung und Composition einer österreichischen Volkshymne hinzuwirken,
und er veranlasste den Dichter Haschka, den Text zu liefern. In Betreff der
Composition trat er mit H. iu Verbindung, und so entstand im Januar 1797
die berühmte Nationalhymne: »Gott erhalte Franz den Kaiser«. Am 28. Jan.
erhielt die Composition das Imprimatur von des Grafen Saurau eigener Hand,
und am 12. Febr. wurde das Lied zu des Kaisers Geburtstage in allen Theatern
Oesterreichs mit dem grössten Enthusiasmus aufgeführt. Dasselbe Jahr brachte
H. auch die glänzendste Genugthuung für früher erlittene Unbill. Die Tou-
künstlerwittvven- und Waisengesellschaft gab nämlich einem Antrage ihres Se-
cretärs Wrauitzky auf unentgeltliche Aufnalime H.'s jetzt Folge, und in der
feierlichen Sitzung am 11. Decbr. 1797, in der Graf Küfstein, der Protektor
der Gesellschaft, persönlich den Vorsitz übernahm, wurde H. nach einer vom
Secretär gehaltenen Anrede zum Assessor' senior ausgerufen. Noch heute be-
steht diese Gesellschaft in Wien fort und hat später den Namen: »Pensions-
verein Haydn« angenommen.
Mittlerweile hatte H. sein eigenes Häuschen bezogen und dasselbe wurde
nun die Geburtsstätte der beiden Oratorien, die seinen Ruhm durch die ganze
Welt getragen haben. Die erste Anregung zur Composition der »Schöpfung«
ging von England aus. Wie oben erwähnt, hatte H. iu London ein Oratorium
zu componiren angefangen, wegen mangelnder Kenntuiss der englischen Sj) räche
indess den Plan wieder aufgegeben. Dasselbe Bedenken machte er geltend, als
auch Salomon, durch die grossen Erfolge H.'s ermuthigt, diesen zur Compo-
sition eines Oratoriums aufforderte und ihm den bereits fertigen Text seines
Freundes Lidley brachte. H. nahm jedoch den Text mit nach AVien, und da
Haydn, 133
man ihm auch hier keine Ruhe liess, so zeigte er den mitgebrachten Text dem
Freiherrn v. Swieten, der ihn vor Allen zur Composition aufgemuntert; der-
selbe erbot sich nun, eine freie deutsche TJebersetzung zu liefern, und so ent-
stand der Text der »Schöpfung« in der GestaH, wie wir ihn noch heute be-
sitzen. H. begann die Composition im J. 1797 und im April 1798 war sie
bereits fertig. Er schwankte längere Zeit, ob er das Oratorium zuerst in
London oder in Wien sollte aufführen lassen. Salomon, der von der deutschen
Bearbeitung des Lidley'schen Textes gehört hatte, drohte H. mit einem Process
wegen gesetzwidriger Benutzung desselben; doch nahmen beide Theile die Sache
nicht gar so ernst und einigten sich wieder in Güte. Salomon ersuchte H.
dringend, ihm ein Exemplar der Partitur zu schicken, und dieser that es denn
auch bereitwilligst. Inzwischen waren zehn Männer aus dem kunstsinnigen
österreichischen Adel zusammengetreten und hatten die erste Aufführung der
»Schöpfung« in Wien gesichert. Sie zahlten H. ein Honorar von 700 Ducaten
für die Originalpartitur, bestritten sämmtliche Kosten der Aufführung, sandten
ihm die ganze Einnahme (4088 Gruldcn 30 Kreuzer) als Geschenk und über-
liessen ihm die Partitur zum Verkauf an einen Verleger. So fand denn die
erste Aufführung der »Schöpfung« im Schwarzenberg Palais am 19. Jan. 1799
statt; am 19. März wurde dieselbe zu H.'s Benefiz wiederholt. Im folgenden
Jahre 1800 sollten auch London und Paris die erste Aufführung dieses Werkes
erleben, jenes am 28. März, dieses am 24. Decbr., und an beiden Orten fand
es, ebenso wie in Wien, den grössten Beifall. H. erzielte schliesslich eine Ge-
saramteinnahme von etwa 12,000 Gulden. Ermuthigt durch den ungemeinen
Beifall, den das Werk fand, arbeitete Erhr. v. Swieten noch einen zweiten eng-
lischen Text, nämlich James Thomson's Lehrgedicht yySeasons«, zu einer Art
Oratorium um und veranlasste H., auch dieses zu componiren. So entstanden
im J. 1800 »die Jahreszeiten«, die durch die Frische der Composition und
durch die charakteristischen Nachahmungen aus dem Naturleben ganz denselben
Erfolg errangen, wie die »Schöpfung«. Auch hier trat der österreichische
Adel zusammen und erwirkte das Recht der ersten Aufführungen , die wie-
derum im Schwarzenberg Palais am 24. und 27. April und am 1. Mai 1801
stattfanden.
Kurze Zeit nach Beendigung des letzten Werkes befiel H. ein heftiges
Kopffieber, wohl eine Folge der Anstrengungen, die durch die Composition der
beiden Oratorien entstanden waren, und nahmen überhaupt seit 1802 in Folge
der Erschütterung seines Nervensystems seine Kräfte allmählig ab. Das Jahr
1803 brachte seine letzten beiden Compositionen, das letzte (83) unvollendet
gebliebene Quartett und eine Ciaviersonate für die Gemahlin des General
Moreau. In den letzten Jahren mehrten sich in Gestalt von Diplomen, Me-
daillen u. s. w. Ehrenbezeigungen über Ehrenbezeigungen von überall her.
Auch durch das AYohlwollen seiner Fürstin erhielt H. laut dem Briefe des
Fürsten vom 26. Novbr. 1806 in Folge der zunehmenden Theuerung noch eine
jährliche Zubusse von 600 Gulden, die er indess nicht mehr lange genoss.
Denn mehr und mehr schwanden seine Kräfte sichtlich, und namentlich der
Tod seiner beiden Brüder Johann und Michael, 1805 und 1806, hatte ihn
tief erschüttert. Da erhellte noch einmal ein Lichtblick sein Alter; es war
ihm beschieden, seine eigene Apotheose zu feiern. Am 27. März 1808 gab
man in der Aula des TJniversitätsgebäudes seine »Schöpfung« und wurde H.
bei seinem Eintritte mit Trompeten- und Paukenschall begrüsst, wie überhaupt
durch Gedichte und Beifallsbezeigungen auf das grossartigste gefeiert. Der
Empfang und die ganze Anffülirung erschütterten ihn indess derraaassen , dass
er sich schon nach dem Schlüsse des ersten Theiles musste aus dem Saale
forttragen lassen, und es war dies das letzte Mal, dass er in öffentlicher Ver-
sammlung erschien. Das Kriegsjahr 1809 rieb seine Kräfte vollends auf, das
Einrücken der französischen Armee in Wien wirkte nachtheilig auf sein Ge-
müth, und ein paar Kanonenschüsse am 10. Mai bracliten ihn zur Ohnmacht.
1 34 Haydn.
Er spielte noch mehrmals sein Kaiserlied, und am 31. Mai Morgens beschloss
Joseph H. sauft sein thaten- und ruhmreiches Leben. Im J. 1820 erfolgte
die TJeberführung seiner Leiche nach Eisenstadt und fand die feierliche Bei-
setzung hier am 7. Novbr. statt; das Grabdenkmal, das ihm Fürst Nicolaus
setzen Hess, war ziemlich ärmlich. H.'s Frau, die geträumt hatte, in dem ge-
kauften Häuschen ihren "SVittwensitz aufzuschlagen, war bereits im J. 1800 in
Baden gestoi-ben, wo sie schon längere Zeit getrennt von ihrem Manne gelebt
hatte. — Eine genaue Aufzählung und eingehendere Würdigung der H.'schen
Compositionen würde die Grenzen dieses Werkes nur noch mehr überschreiten
und sei deshalb in Bezug auf den Catalog seiner Werke auf Gerber's »Neues
Tonkünstlerlexikon« und Fetis' »Biographie des musiciensa verwiesen. Der
Ruhm Joseph H.'s, Vater der neueren Instrumentalmusik zu sein, ist so be-
gründet, dass darüber wohl keine Worte weiter zu verlieren sind. Möge sein
Andenken stets in Ehren gehalten werden und hoffen wir, dass Deutschland
endlich recht bald mit der leider noch immer felilenden ausführlichen Biographie
dieses Meisters beschenkt werde. P. Jaerschkerski.
Haydu, Michael, der jüngere Bruder des Vorigen, war in ßohrau am
14. Septbr. 1737 geboren und erhielt die ersten Anleitungen zur Musik durch
die Hebungen seiner Eltern, an denen er sich ebenso, wie vorlier sein Bruder
Joseph, betheiligte. Im J. 1745 wurde er als Chorknabe in das Kapellhaus
zu St. Stephan aufgenommen und, wie schon im Leben Joseph's berichtet ist,
unterrichtete ihn dieser in den Elementen der Musik. Michael zeichnete sich
durch seine reine Sopranstimme und besonders durch den weiten Umfang der-
selben (drei Octaveu) vor allen Chorknaben vortheilhaft aus. Als seines Bru-
ders Joseph Stimme schon anfing zu mutiren, wurden ihm bei kirchlichen Festen
die Solls übertragen, und er erregte namentlich am 14. Novbr. 1748 an den
Vigilien des St. Leopoldfestes durch den Vortrag eines Salve rejina einen
solchen Beifall von Seiten des Kaisers und der Kaiserin, dass er von beiden
ein Geschenk von je 12 Ducaten erhielt. Von Reuter lernte Michael nicht
mehr, wie die elementarsten Kenntnisse der Musik; alles weitere verdankte er
seinem eigenen Talente und seinem Fleisse. Auf der Orgel hatte er es vor
Allem bald zu solcher Fertigkeit gebracht, dass er öfters für den Organisten
bei St, Stephan eintrat. Durch die Werke Bach's, Graun's, Händel's und
Hasse's, die er sich zu verschaffen suchte, bildete er sich nicht nur zu einem
trefflichen Violinspieler aus, sondern er lernte auch die Natur aller übrigen
Instrumente kennen. Wie sein Bruder Joseph, versuchte er sich schon als
Sängerknabe in Compositionen; ja er errichtete unter seinen CoUegen eine
kleine musikalische Genossenschaft, deren Vorsitz er führte und in welcher er
streng alle Plagiate überwachte. In Bezug auf die wissenschaftliche Bildung
ragte er allen seinen Kunstgenossen voran; er eignete sich eine gediegene clas-
sische Bildung an, die classische Literatur war ihm nicht fremd, und er machte
grosse Fortschritte in der lateinischen Sprache. Ferner trieb Michael mit Vor-
liebe Geschichte und Geographie, und erstere war noch im vorgerückten Alter
seine Lieblingsbeschäftigung, so dass er sich mit der Zeit eine eigene Bücher-
sammlung angelegt hatte.
Um 1754/1755 trat Michael wegen Mutation seiner Stimme aus dem Ka-
pellhause aus, und Reuter versprach ihm alle Unterstützung angedeihen zu
lassen. Indess dies Versprechen ist wohl niemals in Erfüllung gegangen, und
Michael war nun ganz sich selbst überlassen. Er lebte in der ersten Zeit, wie
sein Bruder Joseph, vom Unterrichtertheileu. Im J. 1757, im Alter von 20
.Fahren, wurde er als Kapellmeister des Bischofs nach Groswardein in Ungarn
berufen und blieb hier bei ziemlich magerer Besoldung fünf Jahre. Seine
Compositionen, die sich grossen Beifalls erfreuten, erwarben ihm einen Ruf
nach Salzburg. Der Neffe des damaligen Fürst -Erzbischofs empfahl Michael
seinem Oheim, und er wurde von diesem im J. 1762 als Orchesterdirektor mit
300 Gulden Gehalt und freier Tafel angestellt. Später erhielt er vom Staate
Haydn. 135
den Titel als Concertmeister und Domorganist nebst 400 Gulden jährlicher
Besoldung; bei dem Regierungsantritte des Kurfürsten und Erzherzogs Ferdinand
von Oesterreich wurde ihm dieselbe auf 600 Gulden erhöht.
Schon im ersten Jahre seiner Anstellung verheirathete sich Michael mit
der eben aus Italien zurückgekehrten Tochter des Salzburger Domkapellmeisters
Lipp, welche sich durch ihre prachtvolle Stimme und durch ihren schönen Vor-
trag im Gesang, den Michael noch mehr ausbildete, die Stelle einer Hofsängerin
erwarb. Aus dieser Ehe wurde ihm eine einzige Tochter geboren, die aber
bereits im Alter von drei Jahren starb, und wirkte dieser Todesfall sehr nach-
theilig auf Michael's Gemüthsstimmung ein. Im Uebrigen war im Gegensatze
zu seinem Bruder seine Ehe eine glückliche, wie wohl aus den »an seine von
ihm vorzüglich geschätzte Gattin« gerichteten Liedern hervorgeht. Wir be-
sitzen von ihm gegen .50 solcher vierstimmigen Lieder, die damals ungemeinen
Beifall fanden und viel gesungen wurden. Die Geburtsstätte derselben war
das Pfarrhaus zu Armsdorf, dessen Bewohner Pfarrer Rettensteiner Michael's
intimster Busenfreund war. Die Hauptcompositionen Michael H.'s umfassen
Kirchennmsik, so namentlich Offertorien, Messen, Gradualien. Letztere com-
ponirte er im besonderen Auftrage des Erzbischofs Hieronymus von Colloredo,
der die Symphonien, welche bisher während des Hochamtes zwischen Epistel
und Evangelium abgeleiert worden waren, gern verbannt wissen wollte. Michael
nahm den Text dazu aus dem Graduale im römischen Missale, bearbeitete ihn
für die gewöhnlichen vier Singstimmen, zwei Violinen und die Orgel, und so
entstand das erste Graduale am 24. Decbr. 1783; in seinem Nachlass haben sich
nicht weniger als 114 Gradualien vorgefunden. Von den 20 Messen, die wir
von ihm besitzen, componirte er zwei im Auftrage der Kaiserin in den Jahren
1801 und 1803, und eine grosse Messe von zwei Chören für den Madrider Hof.
Dies waren auch fast die einzigen Werke, für die er eine, und zwar wahrhaft
königliche, Bezahlung erhielt und annahm; die Gradualien trugen ihm nichts
ein, und überhaupt war Michael entschieden gegen jedwede Verbreitung seiner
Werke durch Stich und Druck. Von der Breitkopf und Härtel'schen Verlags-
handlung in Leipzig wurden ernsthafte Versuche gemacht zur Herausgabe seiner
Werke; anfangs bewilligte er zwar diesen Schritt, doch zuletzt gab er nichts
mehr her von seinen Compositionen. Desto mehr waren gewinnsüchtige Co-
pisten darauf bedacht, Abschriften seiner Werke weit und breit herumzusenden.
So kam es, dass nur wenige seiner Werke im Druck erschienen sind; die voll-
ständige Sammlung seiner Compositionen , unter denen sich auch weniger be-
kannt gewordene Symphonien, Serenaden, Quintette etc. befinden, besitzt das
St. Petersstift zu Salzburg.
Michael H. erhielt mehrfach ehrenvolle Anträge nach ausserhalb zur Ver-
besserung seiner Stellitng, allein er vermochte sich von Salzburg und seinem
geliebten Pfarrer Rettensteiner nicht zu trennen, so drückend auch oft seine
Lage sein mochte. Im .L 1801 reiste er in Begleitung seines Pfarrers nach
Wien, um der Kaiserin die von ihr bestellte erste Messe persönlich zu über-
reichen und bei der Aufführung zu dirigiren, und auch in den nächsten Jahren
kam er öfters nach Wien; aber vergebens waren die Anstrengungen seiner
Freunde, ihn in Wien festzuhalten. Ebenso lehnte er im J. 1803 das An-
erbieten seines Bruders Joseph ab, ihm die Kapellmeisterstelle beim Fürsten
Eszterhazy zu verschaffen; ohne die Emoliimente hätte das Gehalt mehr als das
Doppelte dessen, was er in Salzburg bezog, ausgemacht, und dazu kamen gerade
damals recht unerquickliche Verhältnisse, die ihn um so mehr hätten zur An-
nahme dieser Stellung antreiben müssen. Doch trotz alledem kehrte er von
einem Aufenthalte za Wien stets vergnügt und heiteren Sinnes nach Salzburg
zurück und tröstete sich immer mit einigen ihm versprochenen Verbesserungen
seines Schicksals, die aber nie in Erfüllung gingen. Sein geringes Einkommen
suchte er lieber durch unermüdetes Unterrichtgeben im Generalbass bei Privat-
schülern und im Kapellhause und mit dem Spiele auf der mit keinem Pedal
136 Hayes - Hayn.
versplienen Orgel in der heil. Dreifaltigkeitskirche in etwas zu vermehren. Im
J. 1801 traf ihn noch das Unglück, beim Eindringen des Feindes in Salzburg
von französischen Husaren, die ihm das Seitengewehr an die Brust setzten,
geplündert zu werden; sie nahmen ihm seine beste Habe, die er besass, und
seinen vorausempfangenen dreimonatlichen Gehalt weg. Der Verlust wurde ihm
grösstentheils durch seine Freunde wieder ersetzt, auch sein Bruder Joseph
unterstützte ihn vielfach und machte ihn in seinem Testamente zum Universal-
erben. Doch diese Absicht vereitelte Michael's frühzeitiger Tod. Zu seinem
tiefsten Leidwesen war nämlich im Novbr. 180.3 sein intimster Freund, der
Pfarrer Rettensteiner, nach Seewalchen in Oberösterreich versetzt worden und
Michael fing seit dieser Zeit an zu kränkeln. Noch im J. 1804 entledigte er
sich mehrerer Aufträge der königl. Akademie der Tonkunst in Stockholm, zu
deren Mitglied er ernannt worden war, und im J. 1805 componirte er noch
eine Messe für die Kapellknaben , deren er mehrere geschrieben hatte, wohl
seine letzte Arbeit. Im Juni 1806 besuchte Pfarrer Betten steiner den immer
kränker und kränker werdenden Michael zum letzten Male in Salzburg. Er
starb am 10. Aug. 1806 im Alter von 69 Jahren. Seine Wittwe erhielt für
das von ihm an den kaiserl. Hof geschickte Iteqidem 600 Gulden als Honorar
ausgezahlt und Fürst Nicolaus Eszterhazy belohnte dieselbe für die Partituren,
die sie an ihn gesandt hatte, mit einer lebenslänglichen Pension. Durch die
Bemühungen seines Freundes Rettensteiner wurde Michael in der Peterskirche
zu Salzburg, wo er begraben lag, ein Grabdenkmal gesetzt. — Michael H.'s
Name ist weniger berühmt geworden , als der seines Bruders Joseph , doch
zeigen seine Kirchencompositionen, die Hauptwerke seines Lebens, die ganze
Tiefe seiner religiösen Empfindungen. Ihnen weihte er fast ausschliesslich sein
schöpferisches Talent; seine Instrumental-Compositionen besitzen nicht den glei-
chen "Werth, woran wohl zumeist der Mangel an äusserer Anregung Schuld
sein mag. F. J.
Hayes, "William, englischer Musikgelehrter und Coraponist, geboren 1708
zu Hanbury, wurde in ganz jungen Jahren bereits als Organist in Shrewsbury
angestellt, fungirte später in gleicher Eigenschaft an mehreren Colleges und
Kirchen zu Oxford, wie er denn auch an dieser Universität im Laufe der Zeit
Doctor der Musik (1749) und Professor wurde. Er starb im .T. 1779 und
lünterliess zahlreiche Anthems und Kirchenstücke im Mauuscript. Im Druck
erschienen sind von ihm übei'haupt nur Lieder und Gesänge, sowie eine Schrift,
betitelt: -aUemarls on Ävisoii's essai/ on musical expressioni (London, 175.3) und
•nAnecdotes of the five music-meetings at CTitirch-Langtontn (London, 1768). —
Sein Sohn, Philipp H., geboren 1739 zu Oxford, veröffentlichte als königl.
Kammermusiker zu London 1768 sechs Clavierconcerte. Ferner betheiligte er
sich an den in den 1780er Jahren daselbst erschienenen Sammlungen von Ge-
sängen für drei und vier Stimmen. Im J. 1777 war er zu Oxford zum Doctor
der Musik ernannt worden und erhielt nach dem Tode seines Vaters die Pro-
fessorstelle an der Universität. Gestorben ist er zu London, wohin er sich zu
einer musikalischen Aufführung begeben hatte, am 27. März 1707 auf dem
Kirchwege. Er galt für einen der corpulentesten Männer in ganz England,
nicht minder als über die Maassen eingebildet auf sich und neidisch auf jeden
anderen Künstler. Kirchencompositionen verschiedener Art von ihm sind Ma-
uuscript geblieben.
Haym, deutscher Componist, lebte um die Mitte des 17. Jahrhunderts
und war zuletzt Kapellmeister des Herzogs von Neuburg. Er hat sechs Messen
seiner Compositiou veröffentlicht. — Ein älterer Namensverwandter von ihm,
.Johann H., scheint in der zweiten Hälfte des 16. .Tahrhunderts in Augsburg
gelebt zu haben , da dort eine von ihm herausgegebene Litaneiensammlung er-
schienen ist.
Haym oder Haim, Nicolo Francesco, s. Aimo.
Hayn, Friedrich Gottlob, deutscher Claviercomponist, geboren 1771 zu
Hayne — H-dur. 137
Presden, war Organist in AViirzen nnd hat sich duroh folgende Compositionen
bekannt gemacht: «Petites pieces pour le Clav.a (Leipzig, 1797); y>VIII Variaz.
für Ciavier über: Freut euch des Lebens« (Dresden, 1797); »Anleitung, An-
gloisen mit Würfeln zu componiren« (Dresden, 1798). f
Hayne, s. auch Heyne.
Hayne oder Heine, Gottlob, deutscher Tonkünstler, geboren 1684 zu
Berlin, ward um 1708 als Violoncellist bei der Kapelle Friedrich's L mit 300
Thalern Grehalt angestellt. Beim Thronwechsel wurde mit der ganzen Kapelle
auch H. entlassen, erhielt aber bald darauf als Entschädigung die Stelle eines
Domorganisten und Schullehrers. Als solcher errichtete er um 1720 im Dom-
Schulhause den ersten Gresangverein in Berlin, an dessen Hebungen ausser den
Domschüleru auch andere Musikfreunde Theil nahmen. König Friedrich Wil-
helm I., der diesen Gesang einst beim Vorbeireiten mit Wohlgefallen hörte,
ernannte darauf hin H, zum Musiklehrer des Kronprinzen (Friedrich II.).
Dieser Umstand hob jenen kleinen Verein und erwarb H. die fortdauernde
(rnade seines hohen Schülers, der dessen musikalische Angebinde nicht nur
wohlwollend aufnahm, sondern auch gern durchspielte. Selbst Quantz durfte
keine Ausstellungen gegen diese wohlgemeinten Kunstgeschenke erheben. H.
scheint 1758 gestorben zu sein, da sein Name in dem Berliner Adresskalender
jenes Jahres zum letzten Male angegeben ist.
Haynil, Baudouin, französischer Geistlicher und Kirchencomponist, lebte
in der letzten Hälfte des 1(5. Jahrhunderts und war Musikdirektor an der
Kirche Saint-Nicolas des Champs zu Paris. Er hat viele Motetten componirt
und einige davon auch veröffentlicht.
H-dur (ital.: Si maggiore, französ.: 8i majeur, engl.: B major) nennt man
diejenige der 24 Tonarten der modernen abendländischen Musik, deren Tonleiter
nach der Dv/rregel gebildet ist und den h genannten Klang unserer C-dursGa\&.
zum Grundtone hat. Durch diese Regel tritt die Nothwendigkeit einer Er-
höhung der in C-dur: c, d, f, g und a genannten Klänge um einen Halbton
(s. d.) ein, und wird deren Name hierdurch (s. Erhöhungssylbe) zu eis, dis, ßs,
gis und ais, wodurch sich für die Folge der Tonleiter von H-dur folgende
Namen ergeben: 7?, eis, dis, e, ßs, gis, ais und h. Diese Klänge werden in der
sogenannten eingestrichenen Octave durch folgende Zahl von Körperschwing-
ungen in der Secunde erzeugt, wenn man das kleine h als durch 243,75
Schwingungen gebildet annimmt:
Ä' durch 487,5 Schwingungen,
ais' - 451,36 - ,
gis' - 406,12 - ,
fls' • 361,11 - ,
e' - 325,0
dis' - 304,46 - ,
eis' - 270,66 - ,
h - 243,75
Es ist überflüssig, an dieser Stelle auf die Verschiebbarkeit der namhaft
gemachten Klänge, je nachdem sie, in dieser Tonart oder in einer anderen
liegend, als Klänge eines Tonstückes in H-dur vorkommen, näher einzugehen,
da in den Artikeln Ais, G-dur u. a. darüber weitläufig abgehandelt worden
ist. Dagegen sei ein einschlägiger, bereits in dem Artikel F-dur berührter
Gegenstand auch hier ins Auge gefasst. Die in gewöhnlichen Männer- und
Frauenstimmen sich deckenden Klänge scheinen durch ihre mathematisch ab-
gewägten, instinktiv klar und sofort unserem Erkennungsvermögen fassbaren
Verhältnisse der Schwingungen eines tonangebenden Körpers den unserem Ge-
hörssinn höchsten Genuss zu bereiten. Der an der unteren Grenze dieser
Region liegende Grundton dieser Tonart, wie die beinahe an der oberen befindlichen
Klänge der Quarte und Quinte von S-dur geben den sogenannten festen
Klängen (s.d.) eine Unwandelbarkeit und Reinheit, wie fast in keiner anderen
138 Head - Hebden.
möglicli ist, welclier sich die Stimmiiug der Terz in gleich erfreulicher "Weise
zugesellt. Diese Genauigkeit in den Klängen der Ivlangquinte von IL-äur,
welcher Genauigkeit sich auch alle Wiederholungen derselben in höherer und
tieferer Octave erfreuen, giebt dieser Tonart die Macht, die Gefühlsnerven stets
in der ungeändertsten Weise wieder berühren zu können, wohingegen die Töne
der Oberquarte von H-diir diese Macht nur in geringerem Maasse besitzen.
Diese Eigenheit der Grundkläiige von lE-dur , welcher die Wissenschaft in di-
rekter Weise bisher noch gar nicht näher getreten ist, hat früher auf eine
ästhetische Erklärungsweise des Charakters auch dieser Tonart geführt, die
noch heute, da eben kein wissenschaftlicher Ersatz dafür vorlianden, Vielen von
Werth erscheint. Besonders finden poetische Gemüther für derlei Erklärungen
sich sehr eingenommen, und da Componistcn meist zu solchen zählen, und
dadurch sich in ihrem Schaffen zuweilen und zwar nicht zu Ungunsten ihrer
Schöpfungen mitbestimmen lassen, so sei auch hier die ästhetische Erklärung
von Jl-dur, wie sie in der Blüthezeit dieser Anschauungen, in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts, ausgebildet gelehrt wurde, aufgezeichnet. Der Vater
dieser Anschauungen, oder wenigstens der, welcher zuerst solche in abgeschlos-
sener Form darstellte, Schubart, sagt in seinen »Ideen zu einer Aestheiik der
Tonkunst«, 1806 von seinem Sohne herausgegeben, p. .377 ff.: y>I[-dur ist stark
gefärbt, wilde Leidenschaften ankündigend, aus den grellsten Farben zusammen-
gesetzt. Zorn, Wuth, Eifersucht, Raserei, Verzweiflung und jede Last des Her-
zens liegt in seinem Gebiete.« J. J. Wagner später äussert sich in einem Ar-
tikel der »Leipziger musikalischen Zeitung« von 1823 p. 717 in ähnlicher
Weise, wie Schubart, und schliesst seine Auslassungen mit folgenden merk-
würdigen Versen:
Murmelthiere, Bärentreiber,
Dudelsack, Zigeunerweiber,
Und Hanswurstens fetter Scherz,
Dann die heiligen drei König'
' (Trinken viel und zahlen wenig).
Die erfreuen jedes Herz.
Kreuzerpfeifen vmd Schallmeyen
Rufen Mädels in die Reihen,
Und es wirbelt sich der Tanz.
Kirmes ist noch nicht zu Ende ;
Klatschet jubelnd in die Hände,
Und verdienet euch den Kranz!
Diesen Schluss der Abhandlung Wagner's nennt Schilling in seinem »Uni-
versallexikon der Tonkunst« (1836), Artikel K-dur ^ zwar den grössten Miss-
griff bei der Erklärung, fährt jedoch in nicht sehr unähnlicher Weise fort:
Stark gefärbt allerdings erscheinen die Klänge von H-dur, wilde Leidenschaften
ankündigend, aus den grellsten Farben zusammengesetzt. Mit E-dur ist jene
Tonart gewissermassen zu vergleichen, dem lichten Feuerfai'b und dem bren-
nenden Gelb; aber es ist Zorn, AVuth, Eifersucht, Raserei, Verzweiflung und
jede Last des Herzens, was aus ihren Klängen spricht, und nicht eine leicht-
fertige, ungezügelte Kirmeslust, die wie ein wilder Regenstrom den Schlamm
des Gemeinen fortspühlt. Wie wenig hat sich demnach die Erklärungsweise
des Charakters der Tonart Il-dur in der Zeit von 30 Jahren verändert! —
Hoffentlich werden die in neuester Zeit von mehreren Seiten aus unternom-
menen Versuche, die Eigenheiten der verschiedenen Tonarten wissenschaftlich
zu erklären, im Interesse der Musikwissenschaft allen ferneren willkürlichen
Auslegungen einen Damm entgegen setzen. B.
Head, Francis A. , englischer Tonkünstler, war um 1810 Organist zu
Ashfield und sammelte die verschiedenen Compositionen der biblischen Psalme,
die er mit anderen geistlichen Gesängen (London, 1840) herausgab.
Heather, s. Heyther.
Hebden, John, berühmter englischer Tonkünstler und Violoncellist des
Hehelius — Hebräer. 139
18. Jahrhunderts, der besonders in den grossen Concerien damaliger Zeit zu
London als Solospieler Furore machte.
Hebelius, Samuel, latinisirt aus Hebel, deutscher Gelehrter des 16.
Jahrhunderts, welcher nach des Draudius Aufzeichnung herausgegeben hat:
y>Evangelia dominicalia per totum annum ad Germanicas cantionum forrmilasn
(Görlitz, 1571).
Hebenstreit, Pantaleon, der Erfinder des nach seinem Namen »Pantaleon«
oder »Pantalon« genannten Instrumentes, war zugleich einer der grössten Vio-
linspieler seiner Zeit. Geboren 1667 zu Eisleben, erlernte er, da er schon früh
Talent bekundete. Tanzen, Violinspielen u. s. w., und Hess sich im letzten
Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts in Leipzig als Tanzmeister nieder. Jedoch
musste er Schulden halber diese Stadt nach einigen Jahren verlassen und hielt
sich im Geheimen bei einem ihm von der Schule her bekannten Landprediger
im Merseburg'schen auf. Dort, in unfreiwilliger Müsse, verbesserte er das
Hackebrett, welches in der Dorfschenke zur Tanzmusik gebraucht wurde, so
wesentlich, dass er mit Recht der Erfinder eines neuen Instrumentes genannt
Averden konnte (s. Pantaleon), Nachdem er sich auf demselben eingeübt
hatte, reiste er 1705 an den Hof Ludwig's XIV. und erregte in Versailles
und Paris das grösste Aufsehen. Vom Könige von Frankreich reich beschenkt,
kehrte er nach Deutschland zurück und fand 1706 eine feste Anstellung als
Kapelldirektor und Hoftanzmeister in Eisenach. Sein Violinspiel rühmt Tele-
mann, der zwei Jahre später ebendaselbst Concertmeister wurde, sehr und fügt
hinzu, dass es ihm grosse Mühe gekostet habe, sich einem solchen Virtuosen
gegenüber zu behaupten. H. räumte ihm aber noch in demselben Jahre das
Feld und ging zu Concerten nach Wien, wo er vom Kaiser in der schmeichel-
haftesten Art ausgezeichnet wurde. Ende des J. 1708 trat er als Kammer-
musiker in kurfürstl, sächsische Dienste und scheint seitdem Dresden, wo er
auch evangelischer Hof kapelldirektor wurde und den Titel eines geheimen Käm-
merers erhielt, dauernd nicht mehr verlassen zu haben. Dort starb er am
15, Novbr. 1750. Seine vornehmsten Schüler auf dem Pantaleon waren Binder,
Gumpenhuber und Gebel, welche das Instrument noch auf die folgende Gene-
ration brachten, die es aber dann nicht weiter cultivirte. Der um 1789 zu
Ludwigslust verstorbene Kammermusiker Noelli, Pantaleonist des Herzogs von
Mecklenburg - Schwerin , gilt als der letzte Virtuose desselben; mit ihm ver-
schwand dasselbe in der That aus der Oeffentlichkeit. — Eine Componistin,
Sophie Wilhelmine H,, in der zweiten Hälfte des 18, Jahrhunderts lebend,
hat Oden und patriotische Dichtungen von Gleim, Gotter, Voss u. A, in Musik
gesetzt und veröfi"entlicht, — Ein Musikdirektor des Leopoldstädtischen Theaters
in Wien, Namens H., geboren um 1812, hat sich durch Composition von Ouver-
türen, Operetten und Possen, welche er für diese Bühne schrieb, vorübergehend
einen Namen gemacht.
Heberle, A,, ein süddeutscher Componist des 18. Jahrhunderts, war durch
zahlreiche Concerte, Allemanden, Suiten, Sonaten, Duos für verschiedene In-
strumente in seiner Zeit sehr bekannt und beliebt,
Hebert-Turbry, s, Turbry.
Hebräer. Hebräische Musik. Den Namen H. d^^iny führte die Völker-
familie, welche, nach ihrem Stammvater Israel auch Israeliten genannt, in den
Zeiten von ungefähr 1700 v. Chr. bis 70 n, Chr, das Land Canaan bewohnte
und dort zeitweise einen mächtigen Staat bildete. Der Name H. unterscheidet
sich von der Bezeichnung Israeliten so, dass letzterer der patronymische, genea-
logische war, welchen das Volk selbst sich beizulegen pflegte, ersterer der, unter
welchem es bei den Ausländern bekannt war, weshalb es im alten Testamente
fast nur im Gegensatze gegen andere Völker (1. Mose 40, 15; 43, 32) und
wenn Nichtisraeliten redend eingeführt werden, vorkommt (1, Mose 39, 14, 17;
41, 12 u, m.), dagegen bei den Griechen und Römern allein gebräuchlich ist.
S, Pausanias, Josephus und Tacitus, Er ist eigentlich appellativ und
140 Hobräev.
bedeutet: Jenseitige, Leute aus dem jenseitigen Lande, von 1'2V jenseitiges
Land, insbesondere Land jenseits des Euphrat, und der Ableitungssylbe "^ — .
Wahrscheinlich wurde er den unter Abraham aus den Gegenden im Osten des
Euphrat ins Land Canaan eingewanderten Stämmen (1. Mose 14, 13) von den
Canaanitern beigelegt; wiewohl die hebräischen Grenealogen ihn patronymisch
durch Söhne des Eber (1. Mose 10, 21; 4. Mose 24, 24) auffassen.
lieber die ITrheimath der Semiten überhaupt, welcher Völkergruppe die
H. angehören, ist nichts Sicheres bekannt, doch haben die neuesten Forschungen
etwa Folgendes über den Ursitz derselben und deren Wanderung bis zur meso-
potharaischen Ebene ergeben. Man hat sicli durch IMancherlei gedrungen ge-
fühlt, die unermessliche Hochebene Turans zwischen Oxus und Jaxartes als
Ursitz der Stammväter der Semiten wie Arier anzunehmen. Dort, westwärts
von den schneebedeckten Abhängen des hoch über die Wolken ragenden Bo-
lortag und der gewaltigen Erdanschwellung von Pamir sassen wahrscheinlich
die Urseniiten in naher Berührung mit den Stammvätern der Arier. Ursachen,
die wir nicht mehr zu erkennen vermögen , drängten mit unabweislicher Noth-
wendigkeit zur Auswanderung. Da grosse Menschenmassen in solchem Falle
gerade wie die Gewässer in den natürlichen Senkungen des Bodens sich fort-
bewegen, so richtete sich der Strom der auswandernden Menschenfluth, der
gegen Osten durch unwegsame Gebirgsketten und wasserlose Strecken gehemmt
war, gegen AVesten, folgte vermuthlich dem Laufe der grossen Wasseradern,
besonders dem Oxus, und führte am Südrande des kaspischen Meeres herum
immer weiter gegen Südwesten. Durch einen der Pässe der Elburzkette drnng
man in die medische Gebirgslandschaft ein, und von da musste von selbst der
Abfluss der immer mehr und mehr sich aufstauenden IMassen in das tiefe
Becken der assyrisch-raesopothamischen Niederung erfolgen, welcher wahrschein-
lich durch die alte Einbx'uchstelle aller Volksströme von und nach Medien,
durch die Felsenschlucht von Holwun , erfolgte, welche die Zagroskette hier
durchklüftet. Einmal im Tieflande angekommen, sammelten sich die aufeinander
folgenden Menschenwellen, bedeckten in immer grösserem Umkreise das ganze
Gel)iet und erlangten allmählig durch stärkere Spannung genügende Ausdeh-
nungskraft, um auch die westlichen und südwestlichen Nachbarländer, Syrien
und Arabien, zu besetzen und zu colonisiren.
Ueber die culturhistorischen Verdienste der H. der Nachwelt einigermaassen
zusammenhängende sichere Kunde zu geben, blieb fast gar nichts ausser der
heiligen Schrift, der Bibel. Das Land Canaan, deren Volkssitz, in dem einst
»Milch und Honig flössen«, wie damalige Schriftsteller sich ausdrückten, ist
gegenwärtig fast eine Wüste. Keine Monumentsruine berichtet über die ver-
gangene Pracht und Herrlichkeit, und nur wenige Bewohner verbringen jetzt
hier ihr Leben in Nichtsthun und Armuth , wo zur Zeit der Herrschaft der
H. die regste Thätigkeit einer fast übergrossen Bevölkerung sich kundgab, und
die Reichthümer der AVeit von Hand zu Hand wanderten. Und die Nach-
kommen der einstigen Inhaber Canaan's, welche dieser Erdscholle mittelst
Thätigkeit und Geisteskraft damals und Jahrtausende nachher Weltruf erwarben,
leben jetzt zerstreut über den ganzen Erdball, überall körperlich leicht kennt-
lich, ohne jegliches politische Band, und sprechen die verschiedensten Sprachen.
Das Einzige, was die H. ausser ihrer Körpcrbildung und ihrer fast keinem
anderen Erdbewohner innewohnenden Anlage, der weltlichen Schlauheit, aus
ihrer Blüthezeit bisher bewahrten, ist: starres Festbalten an die alten theo-
kratischcn Lehren und dürftige Kenntniss der früheren Muttersprache. Die
Art der AVahrung beider Güter jedoch hat auch mit der Zeit, je nach dem
Aufejithaltsort der Nachkommen, sich sehr verändert. Aber auch dieser Starr-
sinn, bisher durch den den H. gewordenen politischen Druck mehr gefördert
als getödtet, scheint allmählig an der Sonne der Freiheit zu schmelzen und
nur ein Verlangen und Streben nach dem erhabenst, glänzendst und gross-
artigst Scheinenden zurückgelassen zu haben, das auch wohl bald den Um-
Hebräer. 141
ständeu nach vom Zeitgeiste verniclitet werden wird. Alles, was durch diesen
Starrsinn uns somit noch erhalten zu sein scheint, muss vom Ursprünglichen
sehr verschieden, wenn nicht gar gänzlich anders geartet sein. Und wenn dies
jetzt wirklich noch nicht der Fall ist, so wird dies doch bald der Fall sein
müssen, indem darin jetzt in einem Jahrzehnt Veränderungen, die früher Jahr-
hunderte forderten, vorgehen. Was lassen sich für Bausteine unter solchen
Umständen für eine Musikg-eschiclite der H. aus der Tradition erhoffen?
Fast überall muss der Forscher auf schon verschobenen Unterlagen umher-
tappeu und sieht sich oft zu Conjectureu gezwungen, will er eine Gesammt-
darstelluug geben: die die verschiedensten Anschauungen aus einem Gesichts-
punkte beleuchten. Die natürliche Folge von Conjecturen aber ist, dass Jeder
in glücklicher Stunde einzelnen Wahrheiten wohl nahe kommt, im grossen
Ganzen jedoch stets, durch seine Zeitbrille die feststehenden Eiuzelnheiten be-
trachtend, mehr oder weniger verschobene Anschauungspunkte wählt, von wo
aus er die umhüllte Wahrheit betrachtet. Und dennoch ist es fast jedem ge-
bildeten Christen beinahe ein Bedürfniss, sich eine Meinung über die Musik
der H. zu schaffen, da diese Musik mehr oder weniger als Hauptwurzel der in
der Praxis der heutigen abendländischen Kunst heimischen anzusehen ist. Die
innige Vereinigung derselben als Kunst mit der Religion bei den H.n ergiebt
dies fast von selbst, indem man gewiss in der ersten christlichen Zeit in un-
serem Gottesdienste meist überall die hebräischen Gesänge zum Vorbilde nahm.
Wir wollen deshalb in unserem streng geschichtlichen Bericht so viel als mög-
lich die feststehenden Thatsachen wie die Meinungen genau zu kennzeichnen
uns bemühen, damit Jedem ein Selbsturtheil zu fällen leichter werde, und wir
empfehlen ausserdem, folgende feststehende Thatsachen bei den Betrachtungen
in Miterwägung zu ziehen.
Die plötzliche Zerstörung des Tempels zu Jerusalem, des Mittelpunktes
des Lebens der H., sowie die Zerstreuung des Volkes in alle Welt, machte die
genaue Kenntniss der Sprache der H., schon vorher wankend, sehr schwierig;
gewisse Ausdrücke der Bibel wurden vielfach verschieden gedeutet. Die be-
rühmtesten älteren Kirchenväter, Origines, Basilius der Grosse, der heilige
Chrysostomus u. A. konnten sich über diese Materie ebensowenig einigen, als
schon die Siebeuzig, 277 v. Chr., es bei der Uebersetzung des alten Testaments
ins Griechische vermocht hatten. Besonders tritt dies in den Ueberschriften
der Psalme und in diesen selbst, wo musikalischer Instrumente Erwähnung
geschieht, zum Nachtheil einer Geschichte der Musik der H. hervor. Man sehe
in Bezug hierauf nur Burney's y>IIist. of Musm VoL I. p. 232 nach, welche
nicht weniger als sechs von einander abweichende Uebersetzungen einiger Verse
des 150. Psalms anführt. In Forkel's »Geschichte der Musik«, Thl. I., S. 129
findet man einen getreuen Abdruck dieser Stelle. Sodann die Unkenntuiss der
Bedeutung der hebräischen Accente in Bezug auf die Musik, welche Bedeutung
nur von Wenigen angezweifelt wird. Nicht einmal das Alter dieser Zeichen
kann mit Sicherheit nachgewiesen werden. Einige behaupten, dass der Ge-
brauch derselben aus Mose's Zeiten stamme, andere, dass sie erst nach der
babylonischen Gefangenschaft, 530 v. Chr., eingeführt seien, und noch andere,
sie seien noch viel früheren Ursprungs.
Wenn somit die aus der hebräischen Urquelle, der Bibel, geschöpften
Nachrichten manchmal verschiedene Deutungen zulassen, so sind uns durch die
neuesten Forschungen doch Kenntnisse erwachsen, welche diese Deutungen liin
und wieder näher zu bestimmen vermögen. Diese Kenntnisse sind Funden in
den Ruinen Assyriens (s. Assyrische Musik) und Aegyptens (s. Aegyp-
tische Musik) zu danken. Die politische Lage des Landes Cauaan zwischen
den genannten beiden Culturstaaten und die Beachtung der Wanderung der
H. vor der Besitznahme ihres Landes lassen über die wahrscheinliche Beschaf-
fenheit ihrer Musik manche berechtigte Vermuthuug zu. Die Wiege dieses
Volkes stand, wie die Bibel berichtet, am Eupbrat, wo ein ausgebildetes Musik-
142 Hebräer.
leben stattfand, das fast nur von Männern, und zwar oft von solchen aus den
höchsten Ständen, ausgeübt wurde. In dem Eutwickelungsleben des hebräischen
Volkes, zur Zeit als es erst gastweise und dann im dienenden Verhältniss in
Aegypten war, lässt eich annehmen, dass die dortige Musik, deren Träger im
Leben fast nur Frauen waren, auf ihre aus Assyrien bewahrten Kunstreste
stark einwirkte. Dieser Lebensschule gemäss müssen sich denn auch in der
Glanzperiode der H. deren Kunstleistungen ausgebildet haben. In dieser Glanz-
j)eriode war die Musik bei den H.n ein Hauptfaktor ihrer G-ottesverehrung,
und indem dieser sich dem dem Volke innewohnenden Verlangen und seinen
gemachten Erlebnissen entsprechend gestaltete: stets das Glänzendste, Erha-
benste und Grossartigste zu bieten, erwarb sie sich einen Ruf in den Blüthe-
zeiten des Staates, der nicht allein noch bis heute andauert, sondern der durch
sein Alter immer mehr mährchenhafte Gestalt angenommen hat. Folgt man
nun der von den Urvätern der H. selbst zusammengestellten Geschichte in der
Bibel, so ist von der jetzt vorhandenen Fassung zu bemerken, dass dieselbe,
ehe sie durch Schriftzeichen fixirt worden ist, Jahrhunderte, vielleicht Jahr-
tausende hindurch von Geschlecht zu Geschlecht stückweise überliefert wui'de,
wie noch heute in Arabien geschichtliche Mittheilungen.
Diese Wortüberlieferungen, denn so muss man dieselben nennen, da stets
nicht der Geist, sondern die Fassung bis zum Titelchen wiederzugeben Pflicht
war, ist deswegen besonders zu beachten, weil sie im Zusammenhange mit
dem Ton im ganzen Alterthume gebräuchlich war, und in diesem Zusammen-
hange einzig unveränderbare Begriffe zu kennzeichnen vermochte. Die kleinste
"Wortänderung bedingte eine entsprechende Ton- und Sinnänderung. Letztere
war von solcher Bedeutung, dass ein mit einem bestimmten Tone gesprochenes
"Wort z. B. »Stein« bedeutete, während dasselbe "Wort, mit einem anderen Tone
gegeben , dem Begriffe »Wasser« entsprach. Dies beweist die noch heute in
der hohen Staatssprache zu Japan und China, wenn auch vielleicht schon ver-
stümmelt, vorhandene Verbindung des Tones mit dem Worte, welche im hohen
Alterthume an allen Culturstätten gepflegt worden zu sein scheint. Dies musi-
kalische Moment bedingt, wie in dem Artikel Chinesische Musik (s. d.) zu
sehen, eine Ausbildung der Musik als Kunst, welcher Ausbildung dort auch
in der "Urgeschichte, wohl nur, da selbige seit frühester Zeit aufgezeichnet
worden ist, volle Gerechtigkeit widerfahren. Die H. hingegen, obgleich sie, wie
meist alle Culturvölker , ihre "Urgeschichte bis zur Erschaffung der Welt und
des ersten Menschenpaares zurückführen, scheinen diesem Culturtheile, der
Musik, nicht jene der Geschichte dienende Bedeutung beigemessen zu haben,
wie die Chinesen und andere alte Völker, sondern dieselbe mit der Zeit für
werthlos erachtet zu haben, indem sie nur das Materielle der Vergangenheit,
besonders die Folge der Stammväter, als wichtig für die Nachkommen be-
trachteten. Andererseits mag auch der Grund solcher Erzählungsweise der
langen Vorzeit bis auf den als Stammvater der H. genannten Abram in der
Bibel ohne musikalische Berichte darin liegen, dass von den Erzvätern die
Musik wohl noch praktisch, ohne theoretisch erkannt zu sein, geübt worden
ist. Die noch heute in Japan und China bei den höchsten Staatsaktionen ge-
bräuchliche Redeweise mag einem Stadium mittlerer Abnahme dieser Kunst
gleichen.
Dass diese Vorzeit vorhanden gewesen ist, scheint die 1. Mose 4, 21 dem
Jubal zugeschriebene Erfindung der Saiten- und Blasinstrumente zu beweisen.
Solche Erfindung setzt das Vorhandensein eines Musiksystems und einer nach
Gesetzen erstrebten Tondarstellung mittelst Werkzeuge voraus. Eine Erwäh-
nung von Pauken oder Trommeln allein würde zu dieser Folgerung nicht be-
rechtigen, wohl aber eine Erwähnung obiger Tonwerkzeuge ohne die der Pauken
oder Trommeln. Wenn in Fetis' lilllst. d. musique« Tom. I. p, .371 zu lesen,
dass Tubalkain, der Stiefbruder Jubal's, der Erfinder erzener Schlaginstrumente
gewesen sei, so beruht dies auf irrthümlicher Uebersetzung der Bibelstelle
Hebräer, 143
1, Mose 4, 22, oder wenigstens auf einer sehr freien Lesart dieser Stelle; be-
rechtigter scheint die Erklärung derselben von Dr. J. L. Saalschütz in seiner
»Geschichte und Würdigung der Musik bei den Hebräern«, S. 3, zu sein:
"Wenn nun auch die klingenden (metallenen) Schlaginstrumente, die Sistern,
Becken und Pauken erst später erfunden wurden, so war doch der erste Schritt
schon gethan, und der zweite konnte wenigstens nicht lange ausbleiben, da
gleichzeitig mit der Erfindung der Instrumentalmusik auch die gemacht wurde,
Metall zu formen, welche, wie oben erwähnt, dem Stiefbruder des Musikers
zugeschrieben wird. Die Erfindung Jubais fand nach der Bibel vor der 2987
V. Chr. stattgefundenen grossen Fluth statt, welche nach der hebräischen Ur-
kunde das Menschengeschlecht bis auf Noah und seine Söhne vernichtete. Auch
andere Völker des hohen Alterthums, so die Chinesen, berichten über eine
solche Fluth, welche das Greschlecht theilweise vernichtete, doch noch immer
viele Greschlechter, das Volk, übrig liess. Die Zeitangaben über diese Fluth.
bei den H.n und den Chinesen sind fast coincident. Angeführt mag hier noch
werden, dass Josephus, ein Zeitgenosse Christi, in seiner »Jüdischen Geschichte«
zu Ende des vierten Capitels zweier Säulen erwähnt, die vor dieser Fluth,
unmittelbar nach Adam's Tode und dessen Prophezeiung über den Untergang
des grössten Theils der Menschen, in Syrien errichtet worden sein sollen , um
die bis dahin gemachten hervorragenden Erfindungen nachkommenden Ge-
schlechtern zu erhalten, weil in mittelalterlichen Schriften oft berichtet wird,
die Säulen hätten nur die Musik Betreffendes nachgewiesen.
Unter den vielen dieser Schriftsteller seien nur angeführt: Gervasius Til-
beriensis, 1170—1230 n. Chr., und Adam de Fulda, 1430—1470 n. Chr.,
welche dasselbe ohne Quellenangabe behaupten. Josephus jedoch weiss hierüber
sonst nichts, wohl aber berichtet er: die Säulen hätten noch zu seiner Zeit
gestanden. Alle diese Berichte über Musik entsprechen denen anderer Cultur-
völker aus der Zeit der Halbgötter, tragen aber, wahrscheinlich des Glaubens
der H. an Einen Gott wegen, eine durchaus mehr menschliche Gewandung.
Die Gleichheit haben sie jedoch mit den sonstigen der Urvölker, dass sie That-
sachen bieten, die die Musik als Kunst in jenen Tagen vermuthen lassen,
wenn selbige auch der unseren viel unähnlicher gewesen sein muss, als z. B.
die des heutigen Orients. Krass tritt dies hervor, wenn wir diese Berichte
mit denen der Chinesen vergleichen, die die gelehrtesten Calcüle über die Musik
zu jeder späteren Zeit als der Urzeit nur als schwache Versuche ansehen, jene
Kunst wieder zu ergründen. Jedenfalls muss die grosse Fluth im Flachlande
Mesopothamien viel verderbenbringender dem Menschengeschlecht gewesen sein,
als im gebirgigen China, und die diese Katastrophe Ueberlebenden konnten
nicht Bewahrer aller vorher bekannten Kunsttheile sein, weshalb mehr und
weniger eine neue Erfindung derselben nothwendig war, die jedoch erst bei
einer in grösseren Gesellschaften lebenden Bevölkerung möglich war, wo nicht
mehr Jeder alle Kraft gebrauchte, die Mittel zum Leben der Erde abzuringen,
sondern Zeit zu Mittheilungen und Betrachtungen behielt, wie er durch ge-
machte Erfindungen das Dasein angenehmer zu gestalten vermöchte. Geschicht-
lich nennt man diese Zeit wohl den Anfang der geschichtlichen Zeit. In
diese trat das Volk zwischen dem Euphrat und Tigris erst zur Zeit Abram's,
des Stammvaters der H., 2000 v. Chr.
Die Staatenbildung in diesen Gegenden, welche wahrscheinlich den freier
denkenden Nomadenfürsten Abram aus seinem Vaterlande trieb und seinen
gleichgesinnten zahlreichen Nachkommen ein Wanderleben von einem halben
Jahrtausend, bis Moses, 1500 v. Chr., in Palästina, Aegypten und Arabien
führen hiess, lässt eigene Erfindungen in der Kunst kaum denken, wohl aber
lässt sich vermuthen, dass man die dem eigenen Leben zusagenden Kunstge-
bräuche anderer Völker je nach dem eigenen Wohlleben nachzuahmen sich be-
mühte. Dieser Auffassung gemäss erscheint die zweite Erwähnung der Musik
in der Bibel: 1. Mose 31, 26 — 27. Laban, ein Enkel des Bruders Abram's,
144 Hebräer.
ia Assyrien wohnhaft, der ums J. 1739 v. Chr. lebte, sagt zu seinem heimlich
entflohenen Schwager Jakob, Isaac's Sohn, als er ihn auf der Flucht nach Pa-
lästina eingeholt hatte: »Wanini bist Du heimlich geflohen? Ich hätte Dich
begleitet mit Singen, Pauken und Harfen!« Wem tritt bei diesen Worten
nicht gleich ein Bild der Reliefs, welche, in neuester Zeit aus den Trümmern
Kuijundschik's und andern Orten des alten Assyriens erstanden, über die Musik
jeuer Tage berichten, vor die Augen? Neben einer starken melodieführenden
Instrumentenmasse, welche weithin Chöre zu leiten vermochten, werden hier
zuerst die schallverstärkenden und die Hauptbetonuugen der Wörter unter-
stützenden Schlaginstrumente als längst im allgemeinen Grebrauch befindliche
erwähnt. Wenn ein kleiner Nomadenfürst, wie Laban, diese Art des Geleits
als selbstverständlich bezeichnet, so ist obige Yermuthung wohl nicht gewagt
zu nennen und lässt zugleich ahnen, dass die Musik der Assyrer, mehr im
Besitze des Volks und der in demselben im Wohlstaude Lebenden ein Luxus-
artikel, sich es zur höchsten Mitaufgabe stellte, dem Zeitgeiste zusagende Klang-
freuden jeder Art neben der auf das Fest bezüglichen musikalischen Wort-
illustration zu bereiten. Vgl. hiermit das im Artikel Assyrische Musik S.
326 bis 330 im ersten Theil dieses Werkes Gesagte.
Mehr aber noch als die eben erwähnte Bibelstelle schildert diese Eigen-
heit, welche damals in der Musik aller Semiten sich eingebürgert zu haben
scheint, ein späterer Zeitgenosse Laban's, der wahrscheinlich in Arabien hei-
mische Hiob (Hiob 21, 12), als er die Sitten der Gottlosen beschreibt: »Sie
jauchzen mit Pauken und Harfen (Zithern) und sind fröhlich mit Pfeifen.«
Diese wenigen Nachrichten der Bibel über Musik aus der Zeit des Nomaden-
lebens der H. legt klar dar, dass dieses noch gegenwärtig so conservative Volk
auch während seiner wachsenden politischen Bedeutung stets den assyrischen
Geist der Kunst in seiner Musik sich anzueignen suchte und zwar denselben
in seiner seichteren Gestalt. In der auf dieser folgenden demokratischen
Herrscherzeit, von Moses bis Saul, 1500 bis 1100 v. Chr., hingegen scheinen
die H. in eigener, gewähltei'er Weise diese Musik ausgebildet oder den staat-
lichen Normen des Heimathlandes ihren Verhältnissen entsprechend, nachgebildet
zu haben. Moses, der von ägyptischen Priestern in der Landesweisheit er-
zogene H. , welcher sich trotz dieser Erziehung dennoch zu seinen Stammes-
genossen innig hingezogen fühlte und deren Befreiung aus Jahrhunderte langer
Knechtschaft, sowie deren sittliche Hebung sich zur Lebensaufgabe machte und
durchführte, lernte, selbst sehr musikbegabt, gewiss auch die Musik der Aegypter.
Diese Kunst, wahrscheinlich von der assyrischen dadurch unterschieden, dass
die Kenntniss der Octave, in Assyrien bei den Priestern mit fünf, beim Volke
mit sieben Klängen Gemeingut, in Aegypten nur Geheimbesitzthum der höchsten
Priesterklasse war, die dieselbe vielfach zerlegte und nur die Tetrachorde als
vom Volke erkenn- und ausfülirbar erachteten: pflegte Moses in seinem Volke
in den ihnen bekannten Elementen und Hess alle Calcüle der ägyptischen
Priester, schon um deswillen, weil in seinem Volke keine diese einmal zu be-
greifen vermögenden Glieder vorhanden waren, wahrscheinlich ganz ausser Acht.
Die bei den Griechen Päane (s. d.) genannten Hymnen, in ihrer ägyptischen
Urform gewiss sehr einfach, jedoch aus tetrachordischen Intervallen gefügt, von
welchen einige in den ägyptischen Aufenthaltsox'ten der H. den Gliedern des
damaligen Volkes von Kindesbeinen her bekannt, obgleich die eigene, wenn
auch verwilderte Gotteslehre sie vom Singen derselben fernhielt, wollte Moses,
der Reformator seines durch Frohndienste der einstigen eigen zu nennenden
Kunst entfremdeten Volkes, im ursprünglichen Geiste durch Vorbilder, nicht
durch Lehre wieder erwecken, ohne jedoch Geeigneterscheinendes aus Aegypten
c/anz von der Hand zu weisen.
Für die Annahme, dass solche ägyptischen Gesänge dem Volke wohl be-
kannt waren, spricht die Auslassung 2. Mose 32, 18 über die Art der An-
betung eines goldenen Kalbes; wahrscheinlich eines dem Apis der Aegypter
Hebräer. 145
nachgebildeten Götzenbildes. Die erste Probe einer musikalisch-reformatorischen
Bemühung Mose's, an der die Schwester Aaron's Theil nahm, findet sich in
der Bibel 2. Mose 15 aufgezeichnet. Es ist ein Lob- und Triumphlied nach
der wunderbar durch Untergang des die H. verfolgenden pharaonischen Heeres
im rothen Meere vollendeten Befreiung von jeglicher ägyptischen Herrschaft auf
der fast unbewohnten Landenge Suez gesungen, AVir finden hier ein Loblied
von dem Höchsten des Volkes vorgetragen, ähnlich wie es in Assyrien Sitte
war, während von Aegypten aus auf alle umwohnenden Völker die Anschauung
übergegangen war, dass Musik nur von Frauen oder »losen Leuten« ausgeführt
werden dürfe, wie die Bibelstelle 2. Samuelis 6, 16 zu beweisen scheint. Die
Ausführung des Lobliedes unterstützte die Schwester des späteren Hohen-
priesters der H. durch einen mit einer Handpauke ausgeführten Tanz, dem alle
Weiber, wie es heisst, mit Pauken am Reigen folgten. Wahrscheinlich war letztere
Lobpreisungsart, besonders von Frauen dargestellt, mehr ägyptischer Natur.
Auch der Saug Mose's, in der ersten Freiheitszeit nach dem Erlebniss der
ersten grossen Gefahr ausgeführt, mag noch in der Melodie ein der höheren
Priesterkaste Aegypteu's theilweise entlehnter gewesen sein, denn wer vermag
sofort in der Extase seine Dank- und Lobpreisung in Worte nach einem noch
erst zu erstrebenden Ideale zu fassen und mit Tönen vereint vorzutragen?
Mag dem nun sein, wie ihm wolle, so viel ist gewiss, wie zu Laban's
Zeiten Gesang und Pauken als neue Momente der musikalischen Kunst ge-
nannt werden, geschieht hier zum ersten Male des Tanzes Erwähnung. Will
man sich annähernd über die Art dieses' Tanzes eine Vorstellung machen, so
scheint es geboten, denselben als eine mehr pantomimenartige Darstellung zu
den gesungenen Worten aufzufassen, ähnlich wie in dem Artikel chinesische
Musik (s. d.) schon die Verbindung beider Künste, der Ton- und Tanzkunst,
in frühester Zeit zur dortigen Vorelternverehrung geschildert wird. Solche
Schlüsse vom Aeussern der Musik in einem asiatischen antiken Musikkreise
auf dasselbe in einem andern zu ziehen, dürfte nicht für zu gewagt erachtet
werden; denn man lese nur die Abhandlung ȟber den Verkehr in der antiken
Welt« (Ausland, No. 10 des Jahrg. 1874) und ähnlichen Stoff behandelnde
neuere Aufsätze nach, woraus zu ersehen, dass es viel merkwürdiger sein würde,
wenn eben keine Kunde von solchem Aeusseres Betreffenden über die Landes-
grenze eines Culturstaates gelangt sein sollte; der Geist, aus dem dies Aeussere
entsprang, mag meist Geheimniss geblieben sein, doch das Schauliche ver-
lockte zum Nachahmen und zu Mittheilungeu darüber. Noch mag hier an-
geführt werden, dass erst in und nach dieser Zeit in der Bibel der Fertigung
und des Gebrauchs von Metallblasinstrumenten Erwähnung geschieht und zwar
4. Mose 10, 2—10 der Schatzotzroth , n^nSSn, und Josua 6, 5—13 der
Schofar, HDItJ, worüber später Ausführlicheres gesagt werden wird. Nur das
mag hier gleich noch bemerkt werden, dass es von den silbernen Trompeten,
die Moses fertigen Hess, heisst: dieselben sollten aus reinem Silber getrieben
(geschmiedet) werden. Im hohen Alterthum fand man sonst meist gegossene
Metallblasinstrumente (s. die Artikel Hörn und Blasinstrumente).
Während der vierzigjährigen Wanderung der H. in der Wüste, wo Moses
dem kommenden Geschlechte erst sociales Beisammenlebcn und Sichbemühen
lehrte, waren Kriegs- und Signalinstrumente die nothwendigsten Tonwerkzeuge.
Ein wirkliches Kunstleben konnte sich erst je nach der sittlichen Hebung und
Freiheit des Volkes und dem ruhigeren Leben desselben entfalten. Ganz der
gewöhnlichen Volksentwickelung entsprechend findet man bei den oft im Besitz
ihrer eben errungenen festen Wohnplätze gestörten H. ein mehrseitiges Auf-
tauchen von Siegesliedern, wahrscheinlich indem man das des Moses zum Vor-
bild nahm, als einzige Kunstbemühung heimisch werden. Die 400 Jahre nach
Mose's Tode, die sogenannte Periode der Richter, waren die Zeiten der Stärkung
und Concentrirung der volklichen Kraft bei den H.n, in denen die H. bald frei,
bald Sclaven der umwohnenden Völker waren. Nach jedem erfochtenen grossen
Muaik.'il. Couvürs.-Lexikou. V. It)
1 46 Hebräer.
Siege, und deren waren in dieser Zeit gewiss nicht wenige, versuchten die
Kunstbegabteren der Siegesfreude in Wort und Ton einen Ausdruck zu geben,
der nach der steigenden Entwickelung der hebräisclien Poesie sich auch immer
mehr national kunstmusikalisch gestalten musste. In der Bibel ist von der-
artigen Kunsterzeugnissen, Richter 5, der Lobgesang der Deborah bewahrt.
Man vergleiche über denselben Herder, »vom Geiste der hebräischen Poesie«,
Till. 2 S. 270. Nichts wird übrigens von einem mit diesem Gresange verbunden
gewesenen Tanze oder Instrumentspiel geschrieben. Anders ist es mit dem
Richter 11, 34 beschriebenen Siegesreigen der Tochter Jophtha's, bei dem Adufe
und Reigen genannt werden. Fast lässt sich annehmen, dass bei jedem Sieges-
oder Festgesange denselben führende Tonwerkzeuge wie Tanz Anwendung
fanden und der Bericht stets nur gerade des am meisten Aufsehenerregenden
gedenkt. Als gewiss lässt sich dies wenigstens von dem Bericht Richter 21, 21
annehmen, der über ein Tanzfest der Jungfrauen zu Silo erzählt und nichts
von einer Musik dazu sagt.
Ausser den Metallblasinstrumenten und der Adufe, welche beide eher eine
Verflachung als eine Ausbildung der musikalischen Kunst documentiren , wird
in der Bibel bis zur Zeit Saul's, 1120 v. Chr., keiner anderen Tonwerkzeuge
Erwähnung gethan, und die letztere wird hier (1. Samuelis 10, 5) in einer
Art berührt, als wäre sie durchaus überall in der Gesellschaft der sogenannten
Prophetenschulen selbstverständlich bekannt. Samuel sagt, nämlich zu Saul:
»Darnach wirst Du zum Hügel Gottes kommen und einer Schaar Propheten
begegnen, die von der Höhe herabsteigen mit Harfe, Adufe, Flöte und Zither
vor sich her und weissagen.« lieber das, was man sich hier und 1. Samuelis
19, 19—20, 2. Könige 2, 3— -15, 4, 34 und 22, 14 unter Prophetenschaar zu
denken habe, giebt Herder in Kürze die treffendste Auskunft. Sie waren nach
ihm »eine Versammlung junger oder erwachsener Menschen, die sich unter Sa-
muel's Anweisung, der ein Richter und Vater des Staates war, in dem übten,
was damals zur Nationalweisheit gehörte.« Wie in neuerer Zeit die Universi-
täten der Sammelplatz von Weisen sind, denen die lernbegierige Jugend zueilt,
um sich das staatlich zu gewissen Aemtern geforderte Wissen zu verschaffen,
so finden wir um hervorragende Männer des Alterthums eine Schaar von Jüng-
lingen und Männern versammelt, die durch täglichen Umgang mit denselben
sich deren Kenntnisse und Tugenden anzueignen suchten. Seit früher Zeit
schon hatte auch bei den H.n sich diese Erhaltungs- und Ausbreitungsart er-
rungener Weltweisheit eingebürgert.
Schon Moses bildete Josua in dieser Weise, nach 2. Mose 33, 11,
seinen .steten Gesellschafter zum Feldherrn (2. Mose 17, 9 ff.), sowie nach
4. Mose 27, 18; 5. Mose 34, 9 und Jos. 1, 1 — 9 zum Staatsmann und
Propheten und in weniger andauernder Art in anderer Beziehung wahr-
scheinlich auch noch Andere, namentlich Glieder der Familie Aaron's. In
und nach Mose's Zeiten, wo die Ausübung strenger Zucht in Religion und
Führung den H.n nothwendig, war die Heranbildung nur weniger zu hervor-
ragenden Aemtern tüchtiger Personen möglich und erforderlich. Die Art der
Einführung der religiösen Gesetze durch Moses, welche letztere er dem aber-
gläubischen Haufen, damit derselbe eben williger den Anordnungen folgte, als
von dem, Andern als ihm unnahbaren Gotte unmittelbar angeordnet, überant-
wortete, sowie die Absonderung eines Theils des Volkes unter Bevorzugung
desjenigen, dem die Wahrung des Glaubens an Einen Gott und dessen Ver-
ehrung in von ihm festgestellter Form oblag, verlieh dem Volke eine Adels-
klasse, welcher eine gewisse Weisheit sich anzueignen Pflicht, und der auch
eine Fortbildung in sich leichter möglich war, als Gliedern anderer Stämme
der H. Es scheint jedoch, als ob in der Zeit, nachdem die verschiedenen Stämme
der H. feste Wohnsitze im Lande Canaan bezogen hatten, bei den Leviten, die von
allen fleischlichen Sorgen frei waren, sich mehr der Trieb für eine verknöcherte
Erforschung und Erhaltung der Moses'schen Religioiisanschauungen breitmachte.
Hebräer. 147
als eine Sorge für eine zeitliche Fortbildung derselben und der damit im engen
Zusammenhange stehenden Wissenschaften und Künste. Auch die Theilung
der Gewalt in der Herrschaft über die H., welche Moses bei Lebzeiten ein-
führte, indem er seinen Bruder Aaron zum Hohenpriester ernannte und selbst
die weltliche Führung des Volkes handhabte, — zu deren Fortsetzung er Josua
ausbildete, trotzdem er die Lehre gab, dass nur der Hohepriester im Namen
Gottes das Volk regieren sollte: ergab sich im Laufe der Zeit als sehr nach-
theilig für die politische Entwickelung des Volkes.
Wohl mochte Moses der Gedanke voi-geschwebt haben, dass ein Herrscher-
talent sich von selbst Jedem kenntlich mache, und, da die Aufgabe eines sol-
chen eine durchaus andere sei, als die eines Priesters, die Wahl eines solchen
zur zeitweisen Allgemeinführung gesetzlich nicht beengt werden dürfe. Leider
zog er sein Verhältniss zu Aaron, wie dessen Stetigkeit, nicht in Erwägung,
als er die Anordnung 5. Mose 17, 9 ff. traf. Auch das sich herausstellende
Bedürfniss, im Bürgerleben Männer zu besitzen, die die Lehren der Staats-
religion vollkommen inne hatten und nicht dem Stamme Levi entsprossen
waren, führte allmählig zu dem Hervortreten weiser Männer — von denen man
zu Friedenszeiten in Streitsachen sich ein Urtheil erbat und deren Rath man
in Zeiten grosser staatlicher Gefahr anrief und befolgte, je nach ihrem allge-
mein erworbenen Vertrauen — als Lehrer, die um sich einen Kreis von Nicht-
leviten zur Ausbildung sammelten, und Richter genannt wurden. Der Richter
mag es in jenen Tagen wohl gleichzeitig an verschiedenen Orten viele mit und
ohne Schülerkreis gegeben haben, von denen in frühester Zeit die Geschichte nichts,
später jedoch die staatlichen Grossthaten und die Namen Einzelner anführt.
Auch hat mit der sich steigernden Concentrirung des Staates sich die Zahl
der Prophetenschulen von Bedeutung wohl gemehrt und in denselben sich ein
festes Lehrsystem eingebürgert. In der Bibel werden solcher Prophetenschulen
als zu Najoth in Rama (1. Samuelis 19, 10 und 20), zu Bethel (2. Könige 2, 3),
zu Jericho (2. Könige 2, 5, 7 und 15), zu Gilgal (2. Könige 4, 38). und zu
Jerusalem (2. Könige 22, 14 und 1. Könige 10, 10) bestehend erwähnt. Unsere
Kenntniss des Lehrstoffes auf diesen Schulen ist eine sehr lückenhafte; nur so
viel ist gewiss, dass man dort neben der Auslegung der Thora und der schon
vorhandenen prophetischen Orakel, auch in der Fertigung und dem Absingen
religiöser Lieder unterrichtete. Vielleicht war noch in jener Zeit traditionell
etwas aus der uralten, Wort und Klang sich gegenseitig bestimmenden Kunst-
weise erhalten, die man in den Prophetenschulen zeitgemäss auszubilden sich be-
mühte. In diesen Schulen, deren vollkommenste Einrichtung unter Samuel, 1120
V. Chr., stattfand, wurde also eine nationale Ausbildung der Theorie der musika-
lischen Kunst wahrscheinlich mit den anderen Lehrgegenständen eng verbunden
und die höchste Vollendung solcher erstrebt. Wenn also irgendwo eine Aus-
kunft über das den H.n Eigenthümliche in der Musik zu erhoffen ist, so wird
dies nur mit dem genaueren Wissen über die Lehrweise in den Propheten-
schulen uns werden können. Das Königthum in Israel zerstörte diese Schulen
bald gänzlich und pferchte die Kunst wieder in die Lebensthätigkeit der Le-
viten ein, indem es wohl die Früchte der Prophetenschulen ihnen mitüberant-
wortete, jedoch dem verknöcherten Kunstthum derselben kein neues Leben zu
verleihen vermochte.
Die Musik der H. bestand wahrscheinlich, wie die der Assyrer, theil-
weise in einem instinktiven Zählen von Körperschwingungen, das, um genau
zu geschehen, nur langanhaltende Schöpfungen, Töne, zum Beobachtungs-
gegenstande gebrauchen konnte, deren Feststellung den Tonwerkzeugen oblag
und deren Ausführung eine grössere Sängerzahl (Chor) übernahm; theil-
weise in freien, Tonfreuden bereitenden Klangfolgen, deren Hauptpunkte nur
instrumental gegeben wurden und werden konnten und die von einer Einzeln-
stimme (Solo) ausgeführt wurden. Die Tonfeststellung muss jedenfalls in der
Blüthezeit der H. durch das damit verbundene Wort sehr beeinflusst oder gar
10*
1 48 Hebräer.
fest bestimmt worden sein, denn die künstliche Alpliabetisirung mancher Dich-
tungen lässt fast keine andere Voraussetzung, warum dies der Fall ist, zu.
Es scheint hier also, wie in China in den Musikgelehrtenkreisen, in den Pro-
phetenschulen, wie schon erwähnt, das Bemühen stattgefunden zu haben, im
altassyrischen G-eiste die Tonkunst zeitgemäss auszubilden, deren sinnliche Ge-
staltung im Mutterlande nur noch die Schaale, jedoch nichts vom Kerne der
Urkunstseele bot, und die den H.n zur Verherrlichung ihres verehrten Einen
Gottes als einzig anwendbar schien. Durch das instinktive Zählen, man ver-
zeihe den prosaischen Ausdruck, doch wir wissen keinen anderen, der der Wahr-
heit näher käme, mussten Musikbewanderte jener Tage gewiss ebenso in Bezug
auf Beobachtung der correcten Intervalldarstellung, wie heutigen Tages Fugeu-
liebhaber durch Verfolgung der Tonfadenverschlingungeu interessirt werden, die
die Geistesthätigkeit einzig für sich in Anspruch nehmend, also allmälig jeder
anderen Thätigkeit abwendend, deshalb der Musik einen gemüthberuhigenden
Ruf verleihen. Das das Zählen unterbrechend stattfindende Ergehen in freien,
nur in Einzelnklängen fixirten Tongängen, was durch das Erfindungsverraögen
und den schmelzend gegebenen Tonfluss des Erzeugers noch besonders erfreute,
ja oft selbst zur Bewunderung hinzureissen vermochte, war gewiss nur solcher
Gemüthsberuhigung förderlich. Dieser bei den H.n jener Zeit wohl vorzüglich
geschätzten Eigenschaft der Musik hatte es der von Samuel schon als hoch-
begabt erkannte, körperlich unbedeutende Hirtenknabe des Stammes Juda,
David, zu verdanken, dass Samuel ihn für fähig erklärte, einst Israel zu re-
gieren und ihn zum Gesellschafter des Königs Saul zu machen wusste, dem er
durch sein hervorragendes Harfenspiel die trüben Stunden verscheuchen sollte.
Wir unterlassen, Betrachtungen über die Placirung des zukünftigen Königs
beim gegenwärtigen durch den eifrigen Vertreter der Priesterkaste, denn dazu
waren die Richter geworden, anzustellen, fühlen uns aber gedrungen, in
Kürze die Umwandlung der demokratischen zu einer monarchischen Herr-
schaft in Israel zu erzählen, da diese auf die Kunst von bedeutendem Einfluss
sich ergab.
Die H. waren nämlich des ewigen Suchens in den Zeiten der Gefahr nach
einem weltlichen Führer müde und hatten sich durch den angesehensten Richter,
Samuel, einen König, Saul, erküren lassen, 1100 v. Chr. Derselbe war aus
dem kleinsten Stamme, Benjamin, erwählt, und wohl kaum ohne die Absicht,
nicht etwaigen Eigenwillen gegen den der Priester durch zu grossen Anhang
im Volke zu unterstützen. Dieser König lebte noch in einfacher Richterweise
zu Gilgal, und als er einmal versuchte, neben der übernommenen Richtermacht
auch Priestergewalt zu üben (1. Samuelis 13), verfiel er in Zerwürfniss mit
seinem Beschützer und dem Clerus. Die Z'^rwürfnisse mehrten sich mit der
Zeit und führten zur heimlichen Königssalbung David's durch Samuel, dem
allmächtigen Richter, als Nachfolger Saul's, der wohl gehoflFt hatte, seinem Sohne
seine Macht zu vererben. AVahrscheinlich gaben Samuel die Erziehung David's
in einer Prophetenschule und dessen religiöser Sinn das Zutrauen, dass der-
selbe niemals gegen der Priester Willen zu handeln wagen werde und dass
sich von ihm, zur Ausführung weltlicher Handlungen die Unterstützung des
mächtigsten Stammes als Brüder hinter sich, eine schnelle und dem Volke
wohlthätige Gewaltführung hoffen Hess. In wie weit diese Voraussetzungen
Samuel's sich erfüllten, mag Jeder aus der Weltgeschichte ersehen; hier nur
noch die die Musikentwickelung bei den H.n angehenden Grundzüge der mo-
narcliischen Zeit. Nach Saul's Heimgang unter David's Herrschaft schon wurde
die Richterwürde in ihrer bisherigen Stellung bei den H.n überflüssig, die
Prophetenschulen verödeten allmälig,, indem Alles sich um den weltlichen Herr-
scher, den König, schaarte, als er die letzte Feste der Jebusiter, Hebron
(2. Samuelis .5, 6 — 7), eingenommen hatte und .Terusalem zur Hauptstadt des
Landes erhob. Die Leviten herrschten ferner zwar nicht mehr, waren jedoch
der geachtetste Stand, dem abrr der Sohn Juda's, David, Gesänge in neuester
Hebräer. 149
"Weise schuf, die sie nicht allein in den Ritus aufnahmen, sondern auch, durch
die Erblichwerdung der Davidischen Herrschaft gezwungen, dem A^olke dauernd
vorführten, so dass dies selbst den Werth derselben abzuwägen im Stande war.
Diese neue Kunstepoche , die der königlicheu Herrschaft in Israel, von Saul
bis Zedekia, 1100 bis 600 v. Chr., zeichnete sich in erster Zeit durch schnelle
Entwickelung der hebräischen Musik bis zum höchsten Glanzpunkte hin aus,
welcher Glanz jedoch bald wieder allmälig sich verringerte und welchen man
dann nur zeitweise nach dem erhaltenen Gesetz und der Erinnerung wieder
herzurichten bestrebt war. Die Bibel ist besonders reich an Mittheilungen über
die Musik in dieser Zeit.
Der geniale David, nachdem er durch Harfenspiel und Gesang (1. Sa-
muelis 16, 22) sich des Königs Gunst erworben hatte, buhlte auch um die des
Volkes, und dies feierte ihn (1. Samuelis 18, 6 — 7): »Saul hat Tausend ge-
schlagen, doch David Zehntausend!« durch Gesang und Reigen mehr denn den
König selbst. Diese Feier David 's giebt uns ein Bild von der Art der H.,
Jubelhymnen in Form von Doppelchören auszuführen. Gewiss hatte schon seit
der "Wüstenwanderung der H. (4. Mose 21, 17) solcher "Wechselgesang im
frommen "V^olksleben sich eingebürgert und vervollkommnet, und die Vermuthung
Forkel's in seiner »Geschichte der Musik«, Thl. I. S. 115, dass von dieser
Gewohnheit wahrscheinlich die Art, nach welcher wir in der katholischen
Kirche oft Psalme und Motetten singen hören, sich herschreibt, scheint nicht
unberechtigt zu sein. David, nachdem er 1058 v. Chr. selbst zur Regierung
gekommen war und dem Yolke, untei'stützt von seinem Stamme, eine festere
Gliederung verlieh, bevorzugte dabei nach allen Seiten hin besonders den Cultus
der H. , in welchem diese sich von allen Umwohnern unterschieden, indem er
demselben einen bis dahin in Israel nicht gekannten Musikpomp beifügte. Die
Bundeslade wurde in Stationen von der Landesgrenze in die von ihm erkorene
Hauptstadt des Landes gebracht, und er selbst, der geliebte König, führte,
tanzend im Reigen vor der Lade her (2. Samuelis 6, 14), den feierlichen Zug.
Diess Schauliche schon wusste David dem unendlich Erhabenen, dem Volks-
geiste angemessen nicht allein, wie eben angedeutet, bedeutender auszuführen,
als es bisher je wahrgenommen war, sondern er gab auch Gesetze, wie künftig
zu Jerusalem, wo ein Tempel prächtiger als der Königspalast für die Bundes-
lade gebaut werden sollte, eine stete musikalische Verherrlichung des Aller-
höchsten ausgeführt werde, zu welcher alle Musikbegabten Israels unter Leitung
aus dem Stamme Levi erlesener Männer verpflichtet wurden. Nach dem Be-
richte in dem 15., 16. und 23. Capitel des ersten Buchs der Chronica er-
wählte David Heman, Assaph und Ethan (später Jedithun genannt) zu Ober-
leitern der Cultusmusik und Schenanja zum Gesanglehrer. Diese, denen ihre
Kinder, vier und zwanzig an der Zahl, zunächst unterstellt waren, hatten die
Leitung und Ausbildung von viertausend Musikern zur Lebensaufgabe (l. Chro-
nica 23, 5). Von diesen Viertausend waren nach 1. Chronica 25, 7 zwei
Hundert und acht und achtzig Meister, was wohl heissen soll, theoretisch und
praktisch gebildete Musiker. Diese Meister waren in vier und zwanzig Ord-
nungen getheilt. Jede Ordnung hatte einen der Söhne der obengenannten
Oberleiter zum Vorgesetzten.
Solche festen Bestimmungen über Pflege und Pfleger heimischer Musik
werden wohl an allen Culturstätten des Alterthums, wo die Kunst geachtet
und ein Faktor des Gottesdienstes war, festgestellt worden sein; uns ist jedoch
nur eine andere solche bekannt. Amiot bringt diese in seinem Werke »Me-
moire sur la musique des Ckinoisa, 1779, eine TTebersetzung aus Li-koang-ti's
Schriften: nLes Ojficiers de Musique etoient 1) deux grands Mandarins de Vordre
du milieu; 2) quatre maitres de Musique, Mandarins d^un ordre inferieur ä
oelui de deux premiers; 3) huit docteurs de Musique du degre superieur;
4) seize docteurs de Musique du, degre inferieur; 5) liuit Mandarins subalternes
du titre de la garde de la Musique; 6) huit Musicographes ; 7) huit surnume-
1 50 Hebräer.
raires: 8) quatre-vingts^ disciples.a "Weiteres über die Anordnungen David's in
Bezug auf Musik findet man im Artikel Leviten in diesem Werke, in S. v.
Tils' »Dicht-, Sing- und Spielkunst der alten H.« und in der Bibel. Hier nur
noch die Bemerkung, dass die schallendsten Tonwerkzeuge, die Metallblasinstru-
mente, in dem Gesetz bei den H.n den gewissenhaftesten Händen, denen der
Priester, anbefohlen wurden. Die metalleneu, beckenartigen Schlaginstrumente
scheinen meist nur von den IVlusikleitern geführt worden zu sein, um die decla-
matorischen Pulse durch deren Anwendung hervorzuheben, wie etwa dies die
Chorführer der Griechen durch das Stampfen mit ihren mit eisernen Sohlen
bewaffneten Füssen in Bezu£f auf den Rhythmus thaten. Nur das Rasseln mit
System (s. d.), da wohl das Brüllen der Opferthiere durch dasselbe übertönt
werden sollte, wurde gewöhnlichen Leviten anvertraut.
Wenn in der Bildungszeit dieser Gesetze, wie aus der Stelle 2. Samuelis
6, 5 erhellt, auch noch zuweilen alle bei einem Feste gegenwilrtigen Musik-
begabteren an den Kunstausführungen Theil nahmen, so ist dies wohl mit der
Zeit mehr und mehr verschwunden. Auch der gänzliche Ausschluss von Sänge-
rinnen beim wirklichen Gottesdienste scheint um diese Zeit erst sich heraus-
gebildet zu haben. Nach dem Gesetz hatten somit nur bei einem gewöhnlichen
Gottesdienste die Meister einer Ordnung, 11, denen nach Ermessen Schüler
beigesellt wurden , unter dem vorgesetzten Leiter die Musik auszuführen ; an
Festtagen wurden je nach Bedeutung des Festes mehrere oder alle Ordnungen
und deren Beihelfer unter Leitung der angestellten Leiter derselben vereinigt.
Bei grösseren Räumlichkeiten und einem ausgebreiteteren Miisikwissen gab man
vielleicht bald beim gewöhnlichen Gottesdienste dem Verlangen, stets, wenn es
die Mittel erlauben, die höchstmöglichste Pracht zu entfalten, dadurch Genüge,
dass man die ausserordentlichen Sänger und Instrumentisten , so viel als es
irgend anging, vermehrte. Durch eine steigende Coucentrirung der Musik um
die Bundeslade und der immerwährenden volklichen Kenntnissnahme derselben
muBste bei den H.n jede Spur einer freien weltlichen Volksmusik, wie zur Zeit
des Mittelalters im Abendlande, verloren gehen, indem die geistliche Musik die
etwa vorhandene weltliche sich einverleibte oder tödtete. Weltliche und geist-
liche Musik unterschieden sich hier vielleicht bald nur durch die derselben bei-
gefügten Worte und dadurch, dass erstere vorzüglich von Laien und Frauen,
letztere nur von Priestern und Leviten ausgeführt wurde. Auch der Pflege
der weltlichen Musik scheint David in späteren Jahren besondere Aufmerksam-
keit zugewandt zu haben, wenn vielleicht auch nur, um sich neben den Ton-
freuden an dem Anblick der Ausführenden, schönen Sängerinnen u. s. w. , zu
weiden. Aus der Bibelstelle 2. Samuelis 19, 35, der Antwort des hochbetagten
Gileaditers Berzelai an David, als dieser ihn an seinen Hof ziehen will: »achtzig
.Jahre bin ich heut, hal)en denn meine Sinne noch Kraft, das Süsse vom Bittern
zu unterscheiden, oder kann Speise und Trank noch deinen Knecht erlustigen,
oder kann ich noch hören den Gesang der Sänger und Sängerinnen?«
lässt sich nur annehmen, dass hier von einer Hof- oder Tafelmusik die Rede
ist und nicht von einer gottesdienstlichen Feier. Demgemäss würde sich er-
geben, dass schon David, um eine seinem Wissen und Geschmacke entsprechende
Musik bei Hofe zu haben, hierzu Sänger u. s. w., wie solche beim Gottesdienste
thätig waren, fest anstellte, also eine Haus- oder Hofkapelle gründete. Siehe
hierzu 1. Chronica 25, 2.
Was hatte, nach dem hier nur im Auszuge Mitgetheilten zu urtheilen,
David nicht alles für die Musik der H. errungen, und dennoch war sein Thun,
trotzdem es schon das Staunen der Mitwelt auf sich zog, nur die Grundlage
zu dem, was unter der Regierung seines Sohnes Salomo, 1001 v. Chr., in
dieser Beziehung geschah. Dieser, schon als Prinz voll höchster Anlage und
Intelligenz, welche seines Vaters Macht nicht unbemerkt sein Hess, liebte und
pflegte als König alle das Leben versüssende Genüsse. Wie alle orientalischen
Herrscher errichtete er sich einen Harem, in dem sechszig legitime Frauen und
Hebräer. \q\
achtzig Coucubinen Platz fanden. Bei seinen Festen zierten die kostbarsten
Leckereien die Tafeln, und wo er selbst über seinen Haushalt berichtet (2. Pre-
diger Salomonis 2, 8 — 9), sagt er über Musik: »Ich schaflFte mir Sänger und
Sängerinnen und Wollust der Menschen, allerlei Saitenspiel; und nahm zu
über alle, die vor mir in Jerusalem waren.« Wir finden hier den Bestand
einer Hof kapelle, die wir schon unter David als wahrscheinlich erachteten, von
Salomo selbst bezeugt. Seine direkte Betheiligung an der Kunstförderung,
besonders weltlicher Natur, beweisen seine Dichtungen, die noch erhalten ge-
blieben sind. Siehe »Sprüche, Prediger und Hohelied Salomonis« in der Bibel,
Das für Musik merkwürdigste ist das »Hohelied«, ein als Singspiel verwerth-
bares dramatisches Schäferspiel, ähnlich dem indischen Idyll des Jagadewa:
»Gitagowinda«. Palästrina's Composition desselben für Wechselchöre, zwischen
denen Braut und Bräutigam sehr wohl die Scene darstellen könnten, scheint
diese Anschauung, als schon von ihm gebilligt, zu beweisen. So etwa soll
es auch, nehmen Einige an, bei der Vermählung Salomo's mit der Tochter
Pharao's wirklich von der Hauskapelle dargestellt worden sein.
Man sieht aus dem eben Angeführten, wie Salomo trotz seiner Herrscher-
pflichten noch Zeit für Selbstbetheiligung an der Fortbildung der hebräischen
weltlichen Musik zu finden wusste, und sich um dieselbe wohl nicht gering
anzuschlagende Verdienste erworben hat, da anzunehmen ist, dass er ausser den
erhaltenen Dichtungen noch manches Andere geschaffen haben wird. Nähme
man auch an, dass z. B. das »Hohelied« nur eine Nachahmung eines fremd-
ländischen Kunstwerkes war, so fiel Salomo doch die Verpflichtung zu, diese
dem hebräischen Greiste conform zu machen. Wechselchöre und pantomimische
Tänze waren national, nur ein dramatisches Schauspiel verbot das Gesetz, und
somit erheischte eine Dichtung, wie das »Hohelied« Salomonis, eine Belief-
darstellung einer Figur gleiche cantatische Tonfassung. Wie um die weltliche,
so hat Salomo auch um die gottesdienstliche Musik seines Volkes sehr grosse
Verdienste. Das hervorragendste letzterer Art ist jedenfalls das, dass er die
von David geplante (1. Chronica 17, 1) würdige Stätte für Musik, den Tempel,
erbaute und, seiner ausgebildeten Prachtliebe entsprechend, die Anordnungen
seines Vaters in Bezug auf die Musik beim Gottesdienste diesem Prachtbau
gemäss erweiterte, 110,000 geschickte phönizische Arbeiter waren während
etwa dreier Jahre im Libanon, dem Gebirge im Norden Palästina's, einzig mit
dem Fällen von Cedern und deren, wie der nothwendigen Quadersteine Zu-
richtung zum Tempelbau beschäftigt. Alle von David gesammelten Edelmetalle
und von Salomo durch seine nach Ophir und anderen fernen Ländern von
Ezion Geber aus geführten Handelsunternehmungen gehäuften Kostbarkeiten,
wie Sandelholz, Elfenbein, Seide u. A., wurden von Salomo einem Baumeister
des König Hiram von Tyrus zu diesem Baue zu Gebote gestellt, und von den
Händen der geschicktesten phönizischfen Künstler geschah die Fertigung sämmt-
licher Tempelgeräthe. Eine wahrhaft verschwenderische Freigebigkeit muss
dabei in jeder Beziehung, nach den auf uns gekommenen Nachrichten zu ur-
theilen, stattgefunden haben. Josephus berichtet in seiner »Jüdischen Historie«
im zweiten Capitel des achten Buches darüber Genaueres und sagt, die Musik
näher berührend: »Der Trompeten und Posaunen, wie sie Moses zu machen
befohlen hatte, waren 200,000. Für die Leviten, die geistliche Lieder singen
sollten, Hess er 20,000 Röcke von der köstlichsten Seide fertigen. Er liess
auch 40,000 Saiteninstrumente, wie Harfen und Psalter, aus köstlichem Kupfer
machen, Salomo , und hat alle solche Geräthschaften zu den andern
Schätzen des . Tempels gelegt,«
Solche Mittel erlaubten natürlich eine Grossthat in der Musik, wie sie
kaum bisher irgend wo stattgefunden hatte, zur Einweihung des Tempels aus-
zuführen, von der die Kunde dui'ch den Mund der Erbauer, Phönizier, gewiss
nicht verkleinert, in alle Welt getragen wurde. In der Bibel (2. Chronica 5,
12 — 13) steht darüber: »Und sämmtliche levitische Musiker, Assaph, Heman
j^52 Hebräer.
und Jedithum, mit ihren Söhnen und Brüdern, in Bysßus gekleidet, standen
mit Kastagnetten, Harfen und Zithern zur Morgenseite des Altars; und mit
ihnen 120 Priester, welche auf Trompeten bliesen. Ganz zugleich, als hörte
man die Stimme eines Einzigen, Hessen sich bei dem „Dank und Lob dem
Ewigen" die Trompetenbläser und Sänger vernehmen. Und wie sie nun das
„Preiset den Ewigen, er ist freundlich, ewig währet seine Güte" anstimmten
bei dem Schalle der Trommeten, Meziloth und Sangwerkzeuge, so ward der
Tempel von der Herrlichkeit Gottes erfüllt.« Salomo's Weltverkehr, Pracht-
entfaltung und Denkweise, ganz gegen die Bestimmung Mose's, dass die H.
in klösterlicher Abgeschlossenheit leben, jede engere Berührung und jede
Vermischung mit andern Völkern, wie es noch heute die Chinesen thun, meiden
sollten, hatte die Augen aller Herrscher, erst wohl bewundernd, doch bald be-
neidend, auf dies Volk gelenkt und in demselben selbst eine Denkfreiheit er-
zeugt, die erst zur Theilung und dann bald zum gänzlichen Untergange führte.
Nach Salomo's Tode, 986 v. Chr., tbeilte sich das Reich der H. in die beiden
Eeiche Juda und Israel. Nur der Tempel, in welchem an hohen Pesten sich
die H. beiderseits einfanden, verlieh ihnen noch ein gewisses Gefühl der Zu-
sammengehörigkeit, was sich je nach dem Festhalten an oder Abfall vom
Einen Gott moderirte. Das erstgenannte Königreich regierte ein Sohn Sa-
lomo's, Rehabeam, das andere Jerobeam, ein Wahlkönig aus dem Stamme
Ephraim.
Die H., durch diese Theilung politisch sehr geschwächt und in der Folge
meist von schlechten Königen regiert, konnten bald dem Andränge der um-
wohnenden Völker nicht einmal, viel weniger dem der Weltreiche Aegypteu
und Babylon, zwischen denen sie gerade in der Mitte lagen, widerstehen.
Zwar machten sich wieder in diesen Nothzeiten, wie früher in ähnlichen, Kund-
gebungen kühner Männer, Propheten, zum Wohle Aller rathend, bemerkbar,
doch vermochten sie nur wenige Sonnenblicke vor der gänzlichen Finsterniss
zu erringen. 721 v. Chr. führte Salmanassar die Israeliten als Gefangene nach
Assyrien, und 607 Nebukadnezar den König Joachim mit einem Theil des
Stammes Juda nach Babylon; der Pest blieb einem tributpflichtigen Herrscher
unterstellt im Lande. Bald nachher jedoch, 588 v. Chr., lehnte sich der Va-
sallenkönig Zedekia gegen Babel auf und wurde bei dessen Bekämpfung Jeru-
salem erobert und der Tempel zerstört. Die Kostbarkeiten wie einen Theil
des Volkes führte man nach Babylon, der andere floh nach Aegypten. Wie
in Zeiten, wo man ein Elend erkennt, stets das Gedächtniss der bessern, ver-
gangenen Tage auftaucht, so sieht man auch hin und wieder in dieser Zeit
Anstrengungen, die gesunkene Tempelmusik in alter Reinheit und Pracht
wieder herzustellen; es begann hiermit politisch, wie für die Musik, bei den
H.n die Zeit dei' Auflösung'. Die Theilung des Reichs der H. veran-
lasste, dass die Einwirkung der Tempelmusik auf das Volk immer geringer
wurde und dass die Fortbildung der Kunst wieder mehr den Händen des Volks
zufiel; auch die Frauen treten immer mehr wieder in den Vordergrund der
Musikausführenden. Dies führte zu wachsendem Gebrauch der Musik in rein
sinnlicher Weise, die oft von den Propheten hart getadelt wird. Arnos spricht
in dieser Weise im 6. Capitel Vers 5: »Dem Mund der Harfe entlocken sie
unwürdige Töne. Wie David, so erdenken auch sie sich Instrumente«; und
Jeremias sagt Capitel 5 Vers 11 — 12: »Wehe denen, , die bei Zither,
Harfe, Adufe, Flöte und Wein ihre Gelage halten.« Dass immer mehr Frauen
die Ausführung auch guter Musik übernahmen, scheinen die Bibelstellen 2. Chro-
nica 35, 25 und Jeremias 9, 17 u. a. zu beweisen, was zur Folge hatte, dass
in der Gefangenschaft alle Musikbegabteren sich zusammenthaten (s. Psalm 137),
um die alte Kunst zu pflegen und dass dadurch die H. bei ihrer Rückkehr in
die Heimath, nach Nehemia's 7, 67 Bericht, einen Chor von 245 Sänger und
Sängerinnen besassen, worunter nur 148 Nachkommen Assaph's waren. Zum
zweiten Male, nachdem 537 v. Chr. der Sammler der Schriften des Alten
Hebräer. 153
Testaments, Esra, die H. aus Babylon nach Palästina zurückgeführt hatte
(s. Esi'a 1), erhebt sich zu Jerusalem an der Stelle des alten ein neuer Tempel
(s. Nehemia 2 — 4). Man suchte dem Cultus und der Musik in diesem eine
dem alten Glänze ähnliche Pracht zu verleihen. Die Mittel wie der Geist
hierzu jedoch fehlten imd wurden durch eine zweihundert Jahre andauernde
Herrschaft des jedesmaligen Hohenpriesters nicht geschaffen. Auch die Volks-
macht scheint unter dieser Herrschaft eher ab- als zugenommen zu haben, und
der spätere häufige Wechsel letzterer zehrte immer mehr an der realen Volks-
kraft, die, nur durch den Tempel gestärkt, im Ideale immer grössere Dimen-
sionen annahm, 322 v. Chr. wurde Palästina Provinz des Reiches Alexander's
des Grossen; nach dessen Tode, 320, eignete es sich dessen ehemaliger Statt-
halter Aegyptens, Ptolemäus, an; vom J. 300 bis 279 v. Chr. war es Provinz
des syrischen Königreiches; von 279 bis 203 v. Chr. stand es wieder unter
ägyptischer Herrschaft und dann von 203 bis 169 v. Chr. wieder unter syrischer
Botmässigkeit.
Ein stetes Wanken einer Willkürherrschaft mehrt bei den Beherrschten
die, welche sich gegen eine solche auflehnen, und führt oft zu ganz eigenthüm-
lichen Erscheinungen. Besonders scheint in dieser Zeit sich bei geistig hervor-
ragenderen H.n vielfach eine sehr grosse Erbitterung gegen die Unterdrückung
des Vaterlandes ausgebildet zu haben, die bei weniger Thatkräftigen im Aus-
wandern aus der Heimath und Zurückziehen an einsame Orte, um sich dort
nur religiösen Gedanken hinzugeben, bei anderen, dem Volke die eigene That-
kraft zutrauenden Männern in Gewaltthaten, um die nationale Selbstständigkeit
zu erreichen, sich kundgab. Erstere Ursachen führten zur Bildung vieler reli-
giöser Sekten, von denen in musikalischer Beziehung besonders die der Thera-
peuten (s. d.) von Bedeutung ist. Dies wai'en nach Aegypten gewanderte H.,
die dort bei Alexandrien am See Mareotis ein einsiedlerisches Leben führten.
Erst gegen 400 n. Chr. hörte diese Sekte auf zu sein, und müssen die Glieder
derselben in ihren Gesängen, da sie eben ein Band zwischen Juden- und
Christenthum in der Zeit bilden, viel von alten hebräischen Gesängen, wenig-
stens deren Sangart, bewahrt haben. In anderer Weise waren die Erfolge der
Makkabäer. Diese schafften die politische Selbstständigkeit von 169 bis 107
V. Chr. und eine Herrschaft der Hohenpriester bis 70 v. Chr., worauf wieder
eine Königsherrschaft sich ausbildete. Zwistigkeiten in der Königsfamilie
gaben den Römern schon 65 v. Chr. Veranlassung, sich in die Landesangelegen-
heiteu zu mischen, und dies führte bald zur Besitznahme des Landes durch
diese; die Könige wurden hierauf Statthalter der Römer. Christi Geburt.
Eine Darstellung des Geistes und der politischen Verhältnisse um diese Zeit
in Palästina findet man in treuester Weise in den ersten Capiteln des »Lebens
Jesu« von Renan.
Als letzter König der H,, trotzdem derselbe nur als Speichellecker der
römischen Kaiser sich bemerkbar machte, kann Herodes angesehen werden, nach
dessen Ableben, gleich nach Christi Geburt, das Reich Juda bald zur wirk-
lichen römischen Provinz wurde. Wie Herodes in jeder Beziehung den Römern
Genehmes nur zu fördern suchte, so auch findet man ihn bemüht, die Musik
betreffend zu handeln. Die römische Anordnung: Canaan ist Provinz des
Kaiserreichs! gab zu immer mehr sich häufenden Auflehnungen der H. Grund
und führte zu dem für sie unglückseligen Ziele, dass Titus mit einem grossen
Kriegsheere gegen Jerusalem zog, dasselbe eroberte und den Tempel verbrannte.
AVas bei dieser Eroberung Jerusalems noch verschont geblieben war, fand 135
n. Chr., wo eine neue Empörung in gleicher Art gedämpft wurde, seinen Unter-
gang. Die fast ein Jahrtausend das Land der H. durchfluthenden Kriegsheere
fremder Völker, sowie die Empörungen im Lande hatten nicht allein stets die
Thatkräftigen des Volkes dem Tode geweiht und die zuletzt noch darin Woh-
nenden in alle Winde zerstreut, sondern auch alle Monumente, die noch viel-
leicht etwas über die Musik der H. zu berichten vermöchten, vernichtet. Was
154 Hebräer.
bisher etwa noch geblieben , zerstörte der Fanatismus der Muhamedaner und
der Kampf der Kreuzfahrer mit diesen. Das zerstreute Volk der H. suchte in
der Fremde gewiss auch die alten Gesänge zu wahren, doch, da nichts dieselben
Fixirendes vorhanden, konnten sie dies nur nach Maassgabe ihres Gedächtnisses
unternehmen. Dieser Aufgabe wiederum vermochten sich nur Einzelne zu unter-
ziehen, und deshalb mussten sehr bald so verschiedene Varianten der Original-
melodien entstehen , dass man aus denselben nichts mehr vom Original zu er-
kennen vermochte, indem selbst die Elemente, Grundtöne, derselben je nach
dem neuen Musikkreise, in dem die Varianten foi'tlebten, anders wurden, weil
eben die Theorie der H. ganz verloren gegangen war. Tn den Grossstaaten,
wie Spanien, Polen etc., welche die H. duldeten, nahmen die Varianten wieder
allgemein anerkannte Formen an, die denn auch bald in abendländischer Weise
aufgezeichnet wiu'den.
Man vergleiche in dieser Beziehung z. B. die von Forkel in seiner Ge-
schichte der Musik gegebenen Melodien zum 18. Psalm S. 163 mit der S. 165.
Aus dem Vergleich wird leicht ersichtlich werden, dass beide mit der TJrmelodie
wohl fast nichts Gemeinsames haben können. Höchstens wäre zu vei'muthen,
dass die ägyptischen Juden noch den TJrgesängen zunächstkommende Weisen
besitzen könnten, da sie etwa 200 v. Chr. in grösserer Zahl ausgewandert, in
Heliopolis sich einen Tempel nach dem Muster des Salomonischen gebaut
hatten, in dem sie gewiss auch die alten religiösen Melodien in treuester Form
in Anwendung zu bringen und zu erhalten sich bestrebt hatten. Diesem Kreise
entwuchsen auch die einzigen letzten hebräischen Schriftsteller, welche noch
beinahe aus den letzten Zeiten des staatlichen Bestandes des Reiches der H.
einige Kunde übermitteln, Josephus und Philo. Es folge hier die Uebersetzung
einer solchen Auslassung aus Philo's ITeg^ ßlov S^Ec>)Q7jTiy.ov, ed. Frankof. p. 901 sq.,
da sie von Einigen als Beleg für den Innern Zusammenhang der letzten Tempcl-
musik in Jerusalem und den ersten christlichen Gesängen, vielleicht von denen,
die Ambrosius von Mailand zu fixiren suchte, angesehen werden. Derselbe
sagt dort von dem Gesangs der Therapeuten zu seiner Zeit, 50 n. Chr.: »So-
dann (nach gehaltenem religiösen Vortrage) stehet Einer auf und singt einen,
an Gott gerichteten Lobgesang; entweder einen, den er selbst neu verfertigt,
oder einen alten, von den früheren Dichtern; denn Maasse und Weisen hinter-
liessen jene Dichter in dreifüssigen Versen, bei Dankfesten zu singen,
in Lobliedern, bei Trankopfern und vor dem Altar und, in veränderter
Versart, von Chören vorzutragen, sämmtlich in abwechselnden, wohlge-
messenen Strophen. Nach diesem thun auch Andere desgleichen nach der
Ordnung, in einer gehörigen Reihenfolge, indem alle mit vieler Ruhe auf-
merksam zuhören, ausser am Ende beim Schlussgebete, wo sämmtliche Männer
und Frauen ihre Stimmen erheben.« Hierauf wird nun ein einfaches und
frommes Mahl gehalten. »Sodann stehen Alle zusammen auf und es bilden
sich zuerst in der Mitte des Speisezimmers zwei Chöre, einer von Män-
nern, der andere von Frauen. In jedem wird das geachtetste und des Ge-
sanges kundigste Mitglied zum Führer und Vorsänger erwählt. Darauf singen
sie auf Gott verfertigte Hymnen in vielen Versmaassen und Weisen, bald
mit ganzem Chore, bald in harmonischen Wechselgesängen. Und wenn nun
jeder der beiden Chöre allein und für sich seine freudigen Empfindungen aus-
gesprochen hat, so vermischen sie sich, zusammen einen einzigen Chor bil-
dend, als Nachahmung jenes, am rothcn Meere versammelten, wo sowohl Fi'auen
als Männer, von gemeinsamer Begeisterung ergriffen, einen einzigen Chor bil-
deten und Gott, ihrem Retter, Dankhymnen sangen, indem Moses den Gesang
der Männer, den der Frauen Mirjam leitete. Diesem vorzüglich nachahmend,
bildet der männliche und weibliche Chor der Therapeuten, indem in herüber
und hinüber tönenden Weisen, sich zu dem rauhen Ton der Männer, der feine
der Frauen mischt, eine harmonische und den Regeln der Kunst wirklich ent-
sprechende Symphonie.«
Hebräer. 155
Somit hätten wir nun durch Mittheilung der die Musik betreffenden Be-
gebenheiten und Verordnungen bei den H.n die Materialien zu einem Urtheile
über die Musik gegeben, welchen wir nur noch in Kürze einige Betrachtungen
über die Instrumente derselben zufügen wollen, da die genaueren Angaben über
dieselben in den Specialartikeln gegeben werden. Von den H.n scheinen keine
Tonwerkzeuge erfunden zu sein, "Wenn auch von David dasselbe in dem dritten
Verse des im hebräischen Urtexte zwar nicht vorhandenen, aber in der syrischen,
arabischen, äthiopischen und griechischen TJebersetzung sich findenden 151.
Psalme: »Als ich die Schafe meines Vaters hütete, machte ich mir mit meinen
Händen Pfeifen und mit meinen Fingern fertigte ich mir Zithern« , behauptet
wird, so ist doch klar, dass der Sänger hiermit wahrscheinlich nur seine frühe
Handgeschicklichkeit und die Verwerthung derselben zu Grünsten seines musi-
kalischen Talentes hat documentiren wollen. Die täglichen Vorkommnisse bei
Kindern auf dem Lande und bei den Viehhütern in Gebirgsgegenden: erstere
schnitzen sich im Frühling aus jungen Weidenzweigen Pfeifen und letztere aus
Rinde die sogenannten Alpenhörner (s. d.), geben gleich zu erachtende Er-
lebnisse an die Hand. Auch die Stelle Amos 6, 5, deren wortgetreue TJeber-
setzung vorher gegeben ist, lässt mehr auf ein Wissen vom Hörensagen schliessen,
dem man in sofern nachgestrebt zu haben glaubte, als man kleine Veränderungen
an wenig bekannten Tonwerkzeugen vornahm und dieselben als im Granzen
neuex'funden ausgab. Es würde nur die Frage zu beantworten sein: woher
hatten denn die H. die grosse Zahl von Tonwerkzeugen, welche man in der
Bibel aufgeführt findet? Grewiss hatten die kleinen zwischen den drei grossen
Culturreichen Assyrien, Phönizien und Aegypten gelegenen Staaten je nach
ihrem Bedürfniss, ihrer Lage und ihrem Verkehr aus diesen sich Tonwerkzeuge
angeeignet und die H. es wie diese gemacht, oder, was wahrscheinlicher, dicht
vor ihrer Blüthezeit unter Salomo erst solche ihrem Kunstgeschmacke ent-
sprechenden in veränderter Form aus den Kleinstaaten bezogen. Letzteres ist
eben um des Kunstsinnes und des steten Verkehrs David's, des gefürchteten
Nachbars, halber das Wahrscheinlichere, dem sich vielleicht Mancher durch
Zusendung eines prächtigen Instrumentes angenehm zu machen suchte. Die
kurzen Wanderungen der Tonwerkzeuge lassen sich heute selbst ahnungsweise
nicht mehr erforschen , wenigstens nach bisherigem Wissen ; vielleicht breitet
die vergleichende Sprachforschung darüber noch einst Helle aus. Uns fällt
somit nur die Aufgabe zu, die möglichen Beziehungen dieser Tonwerkzeuge zu
denen der nahe gelegenen grösseren Culturkreise zu ergründen.
Nehmen wir an, wie die vorangegangenen geschichtlichen Mittheilungen
fast darthun, dass die Semiten zur Zeit der Trennung Abram's von ihnen
schon die Musik nur in der Weise trieben, dass sie die Früchte einer festen
Theorie derselben volklich zu pflegen vermochten, das Wissen der Theorie aber
nur Wenigen zu eigen war. Was konnte von alledem der einzelne Nomaden-
fürst Abram für seine Nachkommen mit in die Fremde nehmen, als höchstens
wenige Tonwerkzeuge, deren Behandlung Knechtshände in Mussestunden über-
nahmen und deren Ausbesserung oder Nachbildung nur in naturalistischer
Weise stattfinden konnte, da, wie die Forschung ergeben hat, die Bildung der
H. nicht auf Grund der ursemitischen Cultur fortbaute, sondern sich erst wieder
kindlich mit dem Volkwerden entfaltete. Finden wir doch in R. Hassencang's
»Ueber die Steinzeit bei den Aegyptern, Semiten und Indogermanen« nach-
gewiesen, dass zur Zeit der Richter, 1090 v. Chr., im Lande Canaan kein
Schmied wohnte, um wie viel weniger wird dort ein Instrumentenfertiger zu
finden gewesen sein ! Und dennoch ist anzunehmen , dass von den in der
Blüthezeit cultivirten Saiteninstrumenten der H. wenigstens eins seit sehr langer
Zeit gepflegt worden ist. Die Harfe, Kinnor (s. d.), und zwar die tragbare
assyrische, kann sie auf ihren Wanderzügeu von der Urheimath an begleitet
haben und selbst durch die in Aegypten vielfach anders gestaltete in ihrer
Form zwar beeinflusst, doch nicht gänzlich verdrängt sein. Ebenso die Pflock-
156 Hebräer.
flöte und Pauspfeife (s, Macbol und TJgab), da weniger Kunst zur Fertigung
dieser Blasinstrumcute erforderlich, denen sich bald die Handpauke, Adufe
(s, d,), beigesellte. Erst mit dem Volkwerden der H. finden sich durch Moses
die Blechblasinstrumente Schatzotzeroth (s. d.) und Schofar (s. d.) ein-
geführt, von denen wahrscheinlich, dass sie von Aegyptern gefertigt wurden;
gewiss ist wenigstens, wie aufgefundene hebräische Münzen mit deren Abbil-
dung darthun, dass dieselben nach ägyptischen Instrumenten gebaut worden
sind. Diese angeführten Tonwerkzeuge, und keine andern, findet man in den
fünf Büchern Mose aufgezeichnet. Erst später in den nächstfolgenden Büchern
der Bibel findet man noch: den Nebel (s, d.), die Ghithith (s. d.), den
Tseltselim (s. d.), den Asor (s. d.), den Jobel (s. d.), den Halil (s. d,),
den Karen (s. d.), den Schalischin u. A. angeführt, denen sich im Buche
Daniel noch die Maschrokitha (s. d.), Kitharos (s. d.), Sabeka (s. d.)
und Psanterin (s. d.) zugesellen.
In der Entwickelung der hebräischen Musik sehen wir ferner, dass noch
zu David's Zeiten die edleren Tonwerkzeuge, die Saiteninstrumente, höchstens
mit schwachtönenden Schlaginstrumenten, Handpauken, in Gemeinschaft in der
religiösen Musik bevorzugt, getrennt von den Blechblasinstrumenten und Metall-
schlagwerkzeugen, die vielleicht, hauptsächlich Dirigirinstrumente, noch gar
nicht in Gebrauch kamen, gebraucht wurden, während Salomo alle Arten Ton-
werkzeuge, ihrem Charakter entsprechend, bei hohen Cultusfesten in möglichst
grossen Massen verwerthen Hess. Die einzige Abbildung des grösseren, Schofar
oder Keren (s. d.) zu nennenden hebi'äischen Metallblasinstruments, gewöhnlich
durcli Posaune übersetzt, findet sich im Relief des Triumphbogens des Titus
zu Rom. Dieselbe hat ein ungebogenes Rohr, ist dem Schallloch nahe wenig
konisch erweitert und mit einer Stürze versehen. Dies Instrument ist in seiner
Form dem Metallblasinstrument auf assyrischen Bildwerken älmlich, nur be-
deutend grösser und ruht auf einem eigens dazu gebauten Gestelle. Dies lässt
annehmen, dass nach der babylonischen Gefangenschaft die assyrische Form
dieses Tonwerkzeugs bevorzugt worden ist, und nach dem Princip der H., das
Ausserordentlichste zu Ehren ihres Gottes zu verwenden, in der grössten Aus-
dehnung angefertigt wurde, so dass es nothwendig wurde, dauernd dem Instru-
mente ein festes Lager zu geben. Eben die Grösse dieses Instruments, in der
es sich in seiner Zeit gewiss von allen bei andern Völkern vorhandenen gleicher
Art unterschied, veranlasste wohl nur Titus, es bei seinem Triumpheinzuge in
Rom seinen Mitbürgern als schätzbare Trophäe vorzuführen.
Betrachten wir nun die Gattungen der Tonwerkzeuge der H. im Ver-
gleiche zu den unsrigen, so finden wir unter den Saiteninstrumenten sich
zwei besonders durch Lage des Resonanzbodens zu den Saiten kenntlich
machende: die Harfen, solche, wo der Sangboden neben, und die Zithern und
Kitharen, solche, wo derselbe unter den Saiten befindlich war; letztere noch
mit einem Griffbrett. Der Ton wurde denselben einerseits durch Reissen,
andererseits durch Schlagen der Saiten entlockt. lieber das Vorhandensein
eines Bogeninstruments bei den H.n hat man lange gestritten, doch neigen sich
die Meinungen der Neuzeit dahin, dass die Annahme eines solchen auf einer
falschen IJebersetzung des Wortes Minnim (s. d.) beruhe, was überhaupt nur
»Saiten« bedeute, also in Bezug auf Tonwerkzeuge als Gattungsname, wie unsere
Bezeichnung »Saiteninstrumente«, aufzufassen sei. Von Blasinstrumenten
waren bei den H.n die bei uns gepflegten Gattungen, INTetall- und Holzblas-
instrumente, stark in Gebrauch. Erstere wurden nach 2. Chroniker 5, 13 in
der Blüthezeit der hebräischen Musik selbst melodieführend in Anwendung ge-
bracht. Mehr als jene aber dienten zu jener Zeit die Holzblasinstrumente,
die Flöten, zur Leitung der Gesänge, besonders im offenen Räume ausserhalb
des Tempels. Die Arten dieser Gattung unterschieden sich besonders durch
die Anblasungsart derselben. Man hatte Flöten, ähnlich den unsrigen ohne
Tonlöcher, in den Händen niederer Musiker befindlich (s. Maschrokitha oder
Hebräer. 157
Pansflöte), gerade und wahrscheinlich auch Querflöten, Halil, Machol etc.,
welche wie unsere Oboen mittelst Blätter intonirt wurden, und die Doppelflöte,
Nebek (s. d.) oder Nechiloth (s. d.) benannt, doch keine unseren Clarinetten
ähnliche. Dafür aber waren die von uns verworfenen Pflockflöten (s. d.)
in mehrerlei Grestalt in höchster Blüthe. Auch der jetzt im Abendlande noch
öfter von untergeordneten Musikern gehörte Dudelsack, Syphonia(s. d.),
war schon den H.n bekannt. Schliesslich mag hier noch die Magrepha (s. d.)
erwähnt werden, die im Tempel gestanden haben und eine Art Orgelwerk ge-
wesen sein soll. Mehr darüber findet man im entsprechenden Artikel.
Schlaginstrumente finden wir bei den H.n ebenfalls in zwei Grattungen
vertreten, diejenigen, wo ein Membran, und die, wo Metall die tönenden Körper
bilden. Von ersterer Gattung hatten sie nur eine Art, die Adufe, welche in
Mose's Zeiten, der ägyptischen gleich, eine viereckige Gestalt hatte und erst
später durch assyrischen Einfluss die bekannte runde Form erhielt. Die andere
Gattung bildeten die Tseltselim und Metsilo th (grosse und kleine Metall-
becken), Schalischim (die ägyptische Systre, s. d.) und Menana'im (ein mit
Schellen und Glocken wahrscheinlich behangenes Gestell) genannten Instrumente,
deren Eigenton bei einigen sogar mehr in Betracht gezogen worden zu sein scheint,
als bei uns der von ähnlichen Tonwerkzeugen, z. B. der Becken. Ueber die
Zahl der bei einem Tempelfeste in der Blüthezeit der H. thätigen Instrumente
lässt sich Henr. Horchius in seiner Diss. de igne sacro (in TJgolini thes.
Vol. XXXII. p. 118 fi".) nach Thalm. in tract. Eracliin und andern jüdischen
Schriftstellern folgendermaassen aus: Diö Zahl der Nebel darf nicht geringer
denn zwei und nicht grösser denn sechs sein; der Flöten durften nicht weniger
denn zwei und nicht mehr denn zwölf geblasen werden; der Trompeten nicht
unter zwei, sonst so viel man wollte; der Zithern nicht unter neun, sonst auch
so viel man wollte. Die Zahl der Cymbeln, Metallschlaginstrumente, war auf
ein einziges beschränkt, wie früher bemerkt, als Dirigirwerkzeug. Ueber die
Aufstellung der Instrumentisten und sonstigen Musiker im Tempel, die Auf-
bewahrung der Tonwerkzeuge ebenda etc. findet man in v. Til's »Dicht-, Sing-
und Spielkuust der alten H.« sehr Ausführliches nebst einer dazu gehörigen
Abbildung, und sei dies Werk zum Nachlesen empfohlen, da diesbezüglich bis
heute noch dieselben Anschauungen herrschend sind.
Die von mittelalterlichen Schriftstellern gepflegte symbolische Auffassung
der Töne bei den H.n, die man diesen, weil solche bei den alten Aegyptern,
Chaldäern und Chinesen vorhanden, auch zuzuschreiben sich berechtigt hielt,
zu berichten, dürfte hier in engem Rahmen als unwesentlich in Bezug auf die
Kunst bei den H.n zu betrachten sein. Verwiesen sei deshalb nur auf die
Werke »i« apoc. cap. de Magia naturali et Cahalaa von Picus de Mirandola und
y>de Musiea Hehraeor. in Comm. in Genes.a von Mar. Mersenne , sowie auf
V. Thymus' »Symbolik des Alterthums«. Ein anderes musikalisches Argument
der Bibel: die Ueberschriften der Psalme, jener hebräischen Tempel-
hymnen der Blüthezeit, erscheint jedoch geboten, in Kürze besprochen zu
werden. Wir finden in diesen die uns bekannten Instrumentnamen, sowie
andere, welche theilweise wenigstens als solche betrachtet werden, wie Nechi-
loth (Ps. 5), Gitthit (Ps. 8), Schoschauim (Ps. 45), Alamoth (Ps. 46),
Machalat (Ps. 53) u. A. Diese wahrscheinlichen lustrumentnamen sind viel-
leicht Varianten von bei den nächsten Umwohnern der Israeliten geschafi'enen,
in Canaan eingeführten Tonwerkzeugen, die in ihrem Tonreiche sich von den
allgemeiner gekannten durch einen beschränkteren Umfang oder durch eine
wenigerstufige Scala unterschieden. Auch vielleicht persönliche Erfindungen,
die nach dem Verbesserer benannt wurden (s. Ps. 39 Jedithun), waren da-
runter. Diese Ueberschriften hatten wahrscheinlich den Zweck, das Touwerk-
zeug zu bezeichnen, was am geeignetsten zur Melodieführung beim Absingen
dieses Psalmes wäre, indem es gerade den Ambitus (s. d.) und die Tonfolge
besässe, welche hier nothwendig. In andeier Weise sind Ueberschinften , wie:
158 Hebräer.
Jonat JElem Rechohim (Ps. 56), »von der stummen Taube unter den Frem-
den«, oder Mutiahen (Ps, 9), von Michaelis in seiner Uebersetzung der Psalme
S. 10 durch »von der schönen Jugend« wiedergegeben, aufzufassen. Wie noch
heute oft bei Gesäugen oder Festliedern über denselben die Anfangsstrophe
eines Liedes, selbst eines Tanzes etc. steht, dessen Melodie allgemeiner bekannt
ist, so nimmt man an, verrathe auch eine derartige Ueberschrift, dass die
nachfolgende Hymne nach der Melodie einer unter jener Bezeichnung bekannten
zu singen wäre.
Noch sind zwei sehr häufig in den Psalmen vorkommende Ausdrücke hier
zu erwähnen, indem sie eine gewisse Beziejiung zur Musik haben müssen, ob-
gleich diese bisher nur theilweise allgemeiner in gleicher Art angenommen wird.
Den ersteren: Sela (s. d.), von den neueren Juden durch »Lob« übersetzt,
finden Viele sich gedrungen, als Wort ohne irgend welchen Eigenbegriff auf-
zufassen. Wie Euouae (s. d.) der Yocalextrakt aus seculorum amen, so nehmen
diese an, sei S-l-h der consonantische Extrakt einer uns unbekannten hebräischen
Phrase, dem man sjjäter eine vocale Einlage verlieh. lieber die Zeit des Ur-
sprungs dieses Wortes, wie über dessen Einführung in die Psalmen, welche
Einführung jedoch erst lange nach deren Dichtung mit Grewissheit anzunehmen,
ist nichts bekannt. Ausser dieser Bedeutungsannahme herrschen noch viele
sehr verschiedene Lesarten über die dem Worte zugetheilte Bedeutung in den
Psalmen. Einige behaupten, dass man dies Wort für ein solches betrachten
müsse, das den Sänger auf eine gewisse Veränderung aufmerksam machen
solle; andere sehen es für ein blosses Füllwort zur musikalischen Verwerthung,
wie etwa die Italiener ihr si, an; oder für eine Pause, für eine Aufforderung
zu höherer Andacht, für Anzeigung einer Wiederholung, für Andeutung einer
Tonwandlung u. dgl. m. Keine dieser Ansichten hat bis heute sich einer all-
gemeineren Anerkennung zu erfreuen. Der zweite Ausdruck: Lamnatzeach
(s. d.), über den Einige, wie z. B. Calmet, ganze Dissertationen schrieben, ist
in neuerer Zeit allgemeiner in einer Art aufgefasst. Derselbe steht im Urtext
fast über allen Psalmen. In den deutschen Uebersetzungen ist derselbe meist
durch »zum Vorsingen« oder »zu spielen« wiedergegeben. In der That aber
rauss man dies Wort dem Stammwort y>Mnatzeachvi, »überwinden«, entsprechend
durch »dem Ueberwinder« oder dem »Virtuosen« übersetzen, wonach dann z. B.
die Ueberschrift des 61. Psalmes heissen müsste: Ein Psalm David's vom ersten
Vii'tuosen auf der Neginoth darzustellen. Dies soll wohl heissen, dass dieser
Psalm in vollendetster Art auszuführen dem Vorsteher der die Neginoth füh-
renden Ordnung als Pflicht obläge.
Hieran anschliessend, seien nun die verschiedenen Wege angedeutet, die
man betreten hat, um dem Geiste der hebräischen Musik und deren innerer
Beschaffenheit näher zu treten. Ueber die Grrundeleme nte der Musik der
H., deren Fundamentalton und deren Tonleiter ist bisher fast gar nichts Be-
stimmtes bekannt. Man kann mit Gewissheit nur voraussetzen, dass die H.
das Tonreich, soweit es die Männer- und Frauenstimme besitzt, in Anwendung
brachten, obgleich spätere Cabalisten die Kenntniss des Tonreichs bis zur
äusserst denkbaren Grenze ihren Musikgelehrten zuschreiben. Als tiefsten
Klang dieses Tonreiches wird der unserem F entsprechende, nach Erwägung
vielfacher Andeutungen hierüber aus der antiken Musik überhaupt, angenommen,
der bei einigen Culturvölkern, den Griechen z. B., durch den Anfangsbuchstaben
des Alphabets bezeichnet wurde. Die höhere Octave dieses Klanges wurde in
jener Zeit stets als Stimmton betrachtet, wie heute unser a', indem man den-
selben als Mittelklang des Tonreichs — der Männerstimme — annahm, und
derselbe verlor selbst bei der Erweiterung des Tonreichs lange diese Nutz-
anwendung nicht. Spätere Aufzeichnungen hebräischer Schriftsteller schrieben,
wie gesagt, ihrem Volke die speculativsten Calcüle über die Anschauungen des
Tonreichs wie des Stimmtons zu. So sagt Jezirah: »In diesen Regionen der
undnlirten Bewegungen giebt es für Ohr und Mund keine Töne mehr; nur
Hebräer. J 59
der Gedanke vermag es, Töne solcher Lage sich vorzustellen etc.« Für die
Aufländung des Mitteltons des Tonreichs findet man in demselben Buche an-
gegeben, dass derselbe durch den Gregenklang zweier sich kreuzenden Ton-
reihen — deren imaginäre Zeugertöne den Regionen einer jenseits des Be-
reiches der Klangerscheinungen liegenden Tiefe und einer über die Grenze der
wirklichen Klangphänomene hinausreichenden Höhe — erhalten werde, und das
Zeichen T T T denselben versinnbildlicht habe. In wie weit diese und ähnliche
Berichte späterer hebräischer Schriftsteller aus der Tradition geschöpft oder
Speculationen phantastischer Zeitgenossen, als schon in grauer Vorzeit vor-
handene Theoreme annehmend, waren, ist bis heute nicht mit Gewissheit fest-
zustellen. Gewiss ist, dass das Toureich der H. die Klänge der Männer- und
rrauenstimme in sich schloss; dass sie ferner dies in Octaven theilten und jede
Octave wahrscheinlich höchstens sieben oder wenigstens fünf Stufen zeigte,
deren Intervallverhältniss möglicherweise verschieden wai".
Ob nun diese Elemente der Musik der H. in längerer Andauer (choral-
artig), so dass sie auch getrennt vom Worte gegeben werden konnten und dann
nicht allein Tonfreuden bereiteten, sondern auch an die sonst damit verbun-
denen Worte erinnerten und den Hörer in die Gemüthsfreuden, welche die Ver-
einigung beider bereiteten, versetzte, Verwerthung fanden, oder ob sie nur in
kürzei'er Weise, wie die Worte mit Tönen in einer Declamation, ihrer Höhe
und Tiefe nach unterscheidbar gebraucht wurden; — und ob ferner die Ton-
gaben in einem strengen wiederkehrenden Rhythmus, wie wir ihn in der Neu-
zeit nur kenneu (Folge der Zusammenklänge), oder einen complicirteren , wie
wir ihn in der indischen Musik (s. d.) ausgebildet finden, oder gar nur in
einer Art Zeitfolge, welche eine gewisse geforderte Ordnung verrieth — man
könnte dies freien Rhythmus nennen — , würde zunächst zu erwägen sein.
Wo uns feste Monumente der Art aus grauer Vorzeit blieben, s. chinesische
Musik, berichten sie, dass beide Arten der Tonverbindungen mit Worten in
der Kunst im Gebrauch waren. Weshalb sollten die H., wie Forkel in seiner
Geschichte der Musik sich zu beweisen bemüht, nur eine Art gepflegt haben?
Indem man nun die Verbindung der Töne mit den Worten, welche bei
den H.n, wie wir bestimmt wissen, bei vielen noch in der Bibel erhaltenen
Dichtungen stattfand, zu ergründen suchte, wandte man den sogenannten Ac-
centen der H. seine besondere Aufmerksamkeit zu, da diese der Sage nach
mit der zu den Worten gehörigen Musik in engster Beziehung stehen sollten.
Diese Accente sind kleine Häkchen und Striche, welche theilweise über, theil-
weise unter die Schriftzeichen gesetzt wurden. Kircher giebt in seiner Musurgia
universalis T. I. cap. II. §. VI. eine Darstellung derselben, wo er sie die mo-
derne Tonnotation der H. nennt, und bald darnach findet man die Tongänge
daselbst aufgezeichnet, welche in seiner Zeit von deutschen und italienischen
Juden vorgeblich nach diesen Accenten gesungen wurden. Andererseits (vgl.
Villoteau y>de Vetat actuel de Vart musical en Egyptea., 2me partie, cliap.V, art. II)
schreibt man den Accenten in neuester Zeit selbst ein hohes Alter zu. Man
bewahrt in der Altstadt von Kairo in Aegypten in der Synagoge Ben Esra
sofer, der des Sohnes Esra's des Schreibers, eine gerollte Bibel, die im alten
Hebräisch ohne Vocale geschrieben ist, welche von den Juden als eigenhändig
von dem Propheten Esra geschrieben betrachtet wird und Gegenstand hoher
Verehrung ist. Tag und Nacht brennt vor dem dieselbe wahrenden Schranke
eine Lampe, und Kranke wallfahrten, Heilung von einem Gebete vor dem
Schranke oder dem Anblick dieser Bibel hoffend, aus weiter Ferne herzu.
Diese Bibel hat in allen Büchern die sogenannten tonischen Accente, d. h. die-
jenigen, welche man als Gesangsnoten der H. betrachtet.
Wie man bei allen orientalischen Völkern der Neuzeit nur Tonphrasen,
keine Tonzeichen findet, so nimmt man an, dass auch die Accente seit frühester
Zeit bestimmte Toufolsfen forderten. Nach der Zerstöruncr Jerusalems und
160 Hebräer,
der Zerstreuung der H. zeigt sich der musikalische Grebrauch der tonischen
Accente in allen Synagogen heimisch, doch die ui-sprüngliche Tondarstellung
derselben hat, besonders in Europa, erhebliche Wandlungen erlebt. Dieselben
Zeichen finden eine durchaus verschiedene Art der Ausführung bei den H.n
der verschiedenen Grossstaaten. Alle, die deutschen, die portugiesischen, die
polnischen, die spanischen, die italienischen, wie die englischen Juden, haben
fast eine durchaus verschiedene Sangweise für ein und denselben Accent. Alle
jedoch behaupten, wie wenigstens F. J. Fetis schreibt, dass die reinste und
wenigst veränderte Sangweise für die Accente sich bei den orientalischen Juden,
besonders denen in Aegypten, erhalten habe. Hierfür soll besonders sprechen,
dass die beiden in Aegypten bestehenden jüdischen Sekten, die Rabbanaym
und Karaym. welche in allen Lehren und Grebräuchen durchaus von einander
unterschieden sind, dieselben Gesänge für die gleichen tonischen Zeichen haben.
Die Auslassung Fetis' in seiner Histoire generale de la Musvpie Tom. I. p. 444 :
y^JEn premier lieu, cette tradition est plus conforme au ijoüt du chant oriental que
Celle des Israelites europeens, parce qu^elle n'a pas suhi Vinßuence d^une musique
etrangereti, über die Reinheit der Tradition, fordert aber zu der Erwägung
heraus: ob der jetzt in Aegypten herrschende arabische oder türkisch-arabische
Musikgeist den Gesang der H. daselbst nicht auch beeinflusst haben sollte?
Ferner würde wohl noch zu bedenken sein , ob nicht etwa diese Tonphrasen-
zeichen mehr den Sologesang bestimmend gesetzt worden sind, während die
chorisch auszuführenden Gesangweisen durch andere Bedingungen bestimmt
oder einzig der Tradition anheimgestellt wurden.
"Was nun die hier in Betracht zu ziehenden Accente selbst anbetrifft, so
ist deren Zahl nach Uebereinstimmuug mehrerer Musikgelehrter und Philologen
auf 25 zu beschränken; JPackta, Munahh, Zarka, Segoal, Schalscheleth ,
Thalslia, Dargha, Thehhir , Azla, Gheresch, Scheue Gherischaim,
Merka, Jethih, Kadma, Thelisha ghedola, Käme pharah, Phazer u
I'hazer Xaton, Zakef-Katon, Zakef-ghadol, Rahia, Athnahh, Soph
pasuk, Legormi, Jerach hen iomo und Maphach genannt, deren Zeichen
und Sangweisen in den besondern Artikeln gegeben wird. Die Sangweisen
derselben wurden, wie dort zu ersehen, von Verschiedenen: Kircher, Bartolocci
und Pater Guarin, in sich unterscheidender Art gegeben, denen sich in neuerer
Zeit M. Naumbourg, erster Amtsverwalter der Pariser Synagoge, beigesellte.
Auch des Letzteren Aufzeichnungen der durch die Accente angedeuteten Sang-
weisen stimmen nicht mit denen der früher Erwähnten überein. Noch ist über
diese Tonphrasen zu bemerken, dass dieselben in ihren Tonverhältnissen, doch
nicht in der Tonhöhe , wie sie geschrieben sind , zur Ausführung gelangen
müssen. lieber die Tonhöhe bestimmt, nach allgemeiner Annahme, die jedes-
malige Tonart des Tonstückes. Ein Zeichen, wodurch die H. diese anzeigten,
ist bisher jedoch nicht bekannt geworden. Vielleicht ist dies durch die uns
noch eben oft unverständlichen TJeberschriften der Psalme angedeutet, indem
die Einzcltöne der Octave, falls ein Blasinstrument oder ein anderes Tonwerk-
zeug darin genannt ist, durch die diesem eigenen Töne bedingt wurde. Als
Endresultat obiger Ergehungen über die gebräuchlichen Entzifferungen der
Accente möchte somit zu betrachten sein: dass beide Gattungen von Lesarten
der Sangweisen, die Orientale wie occidentale, von der ursprünglichen der H.
abweichen müssen, indem noch in ersterer die landesüblich herrschende Ton-
gattung: Moll (s. d.), in letzterer die im Abendlaude vorherrschende: Dur
(s. d.) überwiegend ist. Ferner ist zu bemerken, dass es sehr schwer oder gar
nicht möglich sein muss, einen zusammenhängenden Gesang nach den Accenten
allein darzustellen, da uns bisher kein einziger bekannt, der nur auf diese
fussend niedergeschrieben wurde. Deshalb haben wohl im Laufe der Zeit
Mehrere versucht, auf anderem Wege den alten Gesang der H. zu entdecken.
Der Erste, der in dieser Weise beachtenswerthe Versuche anstellte und uns
Proben seiner Forschung überantwortete, war ein Prediger zu Waiblingen,
Hebräer.
Itil
Namens Speiclel. In seinem Werke: »Unverwerfliclie Spuren von der alten
Davidischen Sing-Kunst etc.« (Stuttgart, 1740), giebt er ein ausgebildetes System,
das hier in Kürze angedeutet sei. Speidel beweist im ersten Capitel seines
Werkchens, dass durch Einführung redender Personen in den Psalmen ange-
geben werde, ob eine oder mehrere Personen (Sopran, Alt, Tenor und Bass)
solche Stellen zu singen hätten. Im zweiten Capitel führt er alle Psalmstellen
auf, die er für Belege dieser Deutung ansieht. Das dritte Capitel weist nacb,
dass die H. nur fünf Töne in der Octave gebrauchten und dieselben durch
ihre Vocalzeichen andeuteten. Demnach war die Tonleiter der alten H. nach
seiner Angabe:
Ferner suchte Speidel zu beweisen, dass
** bchureck; Kybbutz. Jie Vocale auch zugleich zur Bezeichnung der
0 — Cholem; Kametz-chatuph. Kürze und Länge der Töne gedient haben;
* Chirek. (Je^. lange Vocal habe nämlich eine ganze Note,
^ Zeri; Saegol. flei- kurze eine halbe, und der kürzeste eine
"^ — Kametz ; Patach. Viertelsnote gegolten. Der Takt ist nach dem
u — Schureck; Kybbutz. fünften Capitel eine Erfindung der neueren
Cholem; Kametz-chatuph. Musiker. Im sechsten Capitel weist er nach,
dass die Accente in den Psalmen nur die
Wiederholungen andeuten. Nach diesen Priu-
cipien übergiebt Speidel im siebenten Capitel
seines Werkchens die Musik zum 46. Psalm,
Diese Probe bewegt sich wirklich nur in der
fünfstimmigen Tonleiter, hat nur dreierlei Noten in Betreff ihrer Zeitdauer,
und bietet Soli und Tutti nach den verschiedenen im Text angegebenen Per-
sonen; Tutti stets im Einklänge oder Octaven:
Tuta. Psalm 46.
Discaut.
i — Chirek.
e — Zeri; Saegol.
a — Kametz; Patach.
welche hier abschriftlich folgt.
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Musikal. Convers. -Lexikon. V.
11
162
Hebräer.
Discant-Solo.
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na-har, pe-la-gaf, jesam mechu-ir E-lo-lim;Keclosch,kedosch,mischkene El-jon.
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Tenor -Solo.
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E - lo-him be-kir-ba bal timmott: ja se rae ha E - lo-him, lif-not bo-ker.
Discaiit.
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han - nu Go-jim nia-tii mam-la-chott: na-tan be-ko-lo, ta - miig a - rez.
Tutti.
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Alt -Solo.
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ad keze ha-a-rez: keschetjescbabber sekizzetchanitt, a-galott, a-galott, jisrof baesch.
Bass-Solo.
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h;u--pu u-deu-ki ki a - a -nochi E -lohim : a-rum bag- go-jim; arum ba-a-rez.
Hebräer.
163
Tutti.
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Jeho-va Zepha-ott jm-ma-nu:
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E - lo - he ja - ja ha-kof Sae-la.
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II
Trotz Forkel's Verwerfung dieser Entzifferung altliebräischen Gesanges,
ohne dass derselbe dabei auf die Basirung derselben, sondern mehr auf die
Musik selbst, wie sie seinem abendländischen Geschmacke zusagt, gerade das
Hauptgewicht legt, können wir uns nicht erwehren, dennoch dieser Musik eher,
wie mancher andern weiter unten zu erwähnenden, das Wort zu reden. Was
z. B. das Unisono des Chores, die freie dem Wortlaute entsprechende Betonung,
die Tonfolge, ja selbst die fünfstufige Scala anbelangt, so zeigt diese Art der
althebräischen Musikdarstelluug, dass sie von einer sehr sinnigen Natur erfasst
wurde, welcher der antike Musikgeist nicht durchaus fremd war. Würde noch
behaiiptet sein, dass die Soli nur in den Haupttönen durch die Noten fest-
gestellt wären, und Tonfioskeln, wie sie die Kehlfertigkeit und der Geschmack
des Darstellers zu bieten vermochten, gewohnheitsgemäss dazwischen einge-
schaltet worden seien: so würden Kenner der antiken Kunst sich vielleicht
gedrungen fühlen zu glauben, dass Speidel seine Weisheit aus Urquellen ge-
schöpft habe, die bisher keiner als er sah. In Bezug auf die letzterwähnte
Kunstart der H. darf man wirklich dies glauben, wenn man zwei vorhandene
Zeugnisse jeuer Zeit in Miterwägung zieht. In dem grössten , in den Trüm-
mern von Kuijundschik gefundenen Relief bemerkt man eine weibliche Figur,
die die Hand an den Hals legt. Siehe Bild und Auslassung darüber im Ar-
tikel Assyrische Musik. Eine Stelle des Traktats Joma berichtet ferner,
wenn wir dessen lateinische Uebersetzung von Scheringliam Cap. 3 Sect. 2 als
leitend annehmen , über die ehemalige Sangweise der H. von einem Leviten
Hogrus, der seines schönen Gesanges ^egen berühmt war: »dass er den Daumen
in den Mund gesteckt ixnd den Finger an die Nase gehalten habe, wenn er
recht schön, künstlich und anmuthig singen wollte.« Eine Durchflechtung der
jetzt als menschlich erachteten Singkunst, Bewegung in fest angenommenen Inter-
vallen, mit Nachahmungen derjenigen von Singvögeln (Nachtigall), ist vielleicht
in Babylon und den verwandten Musikkreisen in gewisser Beziehung das Ideal
der höchsten Kunst gewesen.
Mehr als Speidel war wohl der berühmte Hebräist Anton bei seinen Ent-
deckungsbemühungen der althebräischen Sangeskunst von dem abendländischen
Musikgeiste durchdrungen. Die Resultate seiner Forschungen findet man in
seinem Werke: y>Salomonis Carmen melicum quod canticum cantiorum dicitur, ad
metrum priscum et modos musicos revocare, recensere et notis criticis aliisque il-
lustrare incipita (Yitebergae, 1793) der OefFentlichkeit übergeben. Anton glaubte
zu beweisen, dass die H. , gleich den Abendländern seiner Zeit, schon harmo-
nisch gesungen haben und nahm an, dass die Accente die Harmonie, ob solche
zwei- oder dreistimmig sei, betreuende Zeichen wären. Er behauptete z. B.,
11*
164
Hebräer.
dass die Dargha die Sexte f— d' oder die Terz d—f; das Segoal die Quinte
g — d' oder die Octavey — ^'; das Zakef-Katon die Sexte h—g'; das Zakef-ghadol
die Terz a — e' oder die Quinte a — c' u. W. darstellten. Diese Gesetze, von
Anton auf das Hohelied Salomonis praktisch angewandt, führten ihn zur Her-
stellung ein- und zweistimmiger Gesänge mit einem besondern Instrumental-
basse und Vorspielen. Hier folgt eine Probe seiner Entzifferung der Musik
zu den ersten Versen des ersten Capitels des Hohenliedes:
Vorspiel.
Sulamita mit jungen Landleuten.
Sulaniita.
Bass.
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Sulamita.
Chor der Landleute.
Chor.
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ki-rah do-
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Hebräer.
165
Wir überlassen es jedem Musikkundigeren, über den Satz, die Modulation
etc. des vorangegangenen Musikstückes, wie über die Möglichkeit solcher Ton-
wendungen in Salomonischer Zeit sich seine eigene Meinung zu bilden und
wenden uns zu den noch ferner gemachten und bekannter gewordenen Ver-
suchen der Entzifferung althebräischer Musik. — Es sei demnach auf das
AVerk: »Physiologie und Musik in ihrer Bedeutung für die Grammatik, beson-
ders die hebräische etc.« (Leipzig, 1868) von Franz Dielitzsch aufmerksam
gemacht. Derselbe sagt daselbst S. 23: »Die hebräische Grammatik greift in
die Musik e'in, wie die Grammatik keiner andern Sprache«, und über die
Art, wodurch dies geschieht, ebenda S. 23 und 24: »Jeder Yers des alttesta-
mentlichen Textes bildet eine durch Tonzeichen geregelte, aus Vorder- und
Nachsatz mit ihren Cadenzen bestehende musikalische Periode. Man nennt
diese Tonzeichen Accente«; und kommt in Folge seiner Forschungen zu dem
Endschluss, dass, nach den vielfachen "Wandlungen der durch Accente gebotenen
Tongänge, die der IJrmelodie zunächstkommenden Melodien nicht bei den H.n
in Europa, sondern bei denen des Orients, vorzüglich bei denen in Aegypten
zu suchen wären, alle verschiedenen beim Gottesdienste von Juden gebrauchten
Lesarten der Accente aber, wie man aus den durch sie erzeugten Gemüths-
stimmungen entnehmen könne, aus der alten Darstellungsweise entstanden seien.
In Noten finden wir keine seiner Forschungen verkörpert vor.
Indem wir nun diesen verschiedenen Entzifferungsarten der alten hebräi-
schen Musik die letztbekannte derartige anreihen, wollen wir, um dem Leser
recht klar die Resultate derselben vorzuführen, uns bestreben, meist im Geiste
des Forschers, L. Arends, uns auszudrücken. Die verschiedenen Versuche,
im Anschluss an die Recitation der Bibelverse in den heutigen Synagogen, die
wirkliche Vocalmusik der alten H. lediglich aus den Accenten darzustellen,
brachten es nie zu einer Melodik, welche auch nur annäherungsweise dem Reiz
und der Weihe eines gottgewidmeten Gesanges entsprechen, welche derselbe
schon bei einer fast tausendjährigen Musikpflege, von Moses bis etwa zu Jere-
mias' Zeiten, geschweige bei dem so hervorragenden Tonsinn des hebräischen
Volkes erhalten musste, soll eben nicht ebenso psychologischer wie geschicht-
licher Widerspruch hier für eine zu suchende Thatsache maassgebend eintreten.
Aus ' diesem Grunde hatte wohl auch Saalschütz die Herstellbarkeit des alt-
hebräischen Gesanges lediglich auf Grund der Accente bezweifelt, ohne jedoch
gerade an die hier zunächstliegenden Momente — an die Laute, die Zeitmaass-
verhältnisse der Wortsylben und den ganzen natürlichen Rhythmus der Sprache
überhaupt — zu denken, welche in erster Linie für die betreffende Frage in
Betracht zu ziehen war. Was aber jener musikalischen Behandlung der Psalmen
und Prophetengesänge noch ganz besonders den Charakter der antiken Ge-
sangsart entzieht, sind einestheils ebenso ihre melismatischen Verzierungen, wie
andererseits ihre Einzwängung in eine choralartige Vortragsweise, insofern
erstere gerade während der künstlerischen Blüthezeit der alten Welt von der-
selben überall als eine unnatürliche Abweichung von der sprachlichen Syllabik
perhorrescirt wurde, letztere aber nicht minder im Widerspruch mit der ganzen
Rhythmik der Sprache stand, die gerade im Hebräischen eine so ungemein
reichhaltige ist.
Diese und ähnliche Erwägungen, zu denen namentlich noch weitgehende
166
Hebräer.
Untersuchungen über die schon im höchsten Alterthum gewürdigte musikalische
Bedeutung der ]jaute gehörten (man denke u. A. nur an die heiligen Singlaute
der Gnostiker und alten Aegyptcr, über die die Kirchenväter Irenäus und
Eusebius berichten und die mit der uralten siebentönigen Sphärenscala [s.d.]
in der innigsten Beziehung standen), bestimmten den Privatgelehrten L. Arends
(s. d.) in Berlin , sich die Lösung des besagten Problems zu einer Hauptauf-
gabe seines kunst- und sprachwissenschaftlichen Forschungseifers zu machen
und das Resultat seiner Arbeiten in einer Abhandlung: »Uebcr den Sprach-
gesang der Vorzeit und die Hcrstellbarkeit der althebräischen Vocalmusik«,
mit entsprechenden Musikbeilagcn (Bei'lin, 1867), darzulegen. Ob man es hier
mit Argumentationen, die mit Nothwendigkeit zu sichern Proben einer alt-
hebräischen Melodik führen, oder mit einem Spiel von Conjecturen zu thun
hat, das könnte selbst in einem umfangreicheren Artikel, als dieser sein darf,
nicht vollständig befriedigend erwogen werden können. Sehen wir deshalb das
eigentliche Hilfsmittel, auf Grund dessen jenes Werk die Herstellbarkeit der
althebräisclien Vocabnusik behauptet, und einige daraus hervorgegangene Proben
dieses Gesanges näher an, und zwar stets mit Vergleichung der Laute und
Töne nach jenem Mittel der Arends'schen althebräischen Laut- und Tonscala
und der sprachlichen und musikalischen Zeitmaasse und Rhythmen. Die von
Arends in seinem Werke S. 78 gegebene Laut- und Tonscala ist folgende:
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Mit Hilfe dieser Laut- und Tonscala hat Arends mehrere Melodien des
alten Testaments hei'gestellt und einige derselben seinem Werkchen angehängt.
AVir wählen aus diesen Melodien, um den Toncharakter derselben zu zeigen,
die für die Worte des Psalms 137 Vers 1^ — 4: »An den Wassern Babylons
Sassen wir und weinten etc.« aus, und fügen der durch diese Entzifferung alt-
hebräischer Gesänge erhaltenen Melodie die zu dem gleichen Texte als tradi-
tionell betrachtete nach englischer Bearbeitung, sowie den Anfang des rhyth-
mischen Chorals hinzu, es Jedem überlassend, die etwaige Aehulichkeit in
diesen dreien selbst zu entdecken.
V. 1.
Arends'sche Entzifferung.
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Yal - na -ha - roth
ba - wäl schäm ja-scha-we- nu gam • ba - chi-
.^ V. 2.
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Hebräer.
167
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mi-schi - ir
ZI - jon.
Y. 4.
E-ecJi' na- schi -ir etil schi-ir Je - ho-wah yal ademath ne - char.
Traditionsmelodie nach englisclier BearlDeitung.
it-pi=jt
ü — I ^
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Oh weep for those thatweepbyBa-bel'sstreamjWhosshrines are de-solate, whose
m
->=ä-~-'
^^•=t
■•- — a-
i5ES±*E|
?t^T
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land a dream, Weep for the harp of Judah'sbrokenshell. Mourn where their
Godhathdwellthe God - less dwell! And where shall Is - rael lave her bleeding
i
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:t:
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^F:
:f=^=t=^;
feet? And when shall Zi-on's songs a gainseemsweet? And Judah's me - lo - dy once
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"^^^^
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more re - joice The hearts that leap'd be - fore its heav'nly voice.
Rhythmisclie Choralmelodie des 137. Psalms.
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-r:=t=
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3^
Diese Choralmelodie, bypojoniscli, plagaliscli, erschien zuerst 1525 im
Strasßburger Kirchenamt. Sie wird gewöhnlich als Composition des Organisten
und Vikars "Wolfgang Dachstein zu Strassburg , der 1524 zur evangelischen
Lehre übertrat, betrachtet. Die Tonart des Chorals spricht jedoch mehr für
eine Verwerthung einer schon vorhandenen Tonweise, als für eine neue Com-
position Dachstein's. — Wenn man nach diesen Berichten über die verschie-
denen Entzifferungsversuche althebräischer Yocalmusik die Mittel vergleicht,
auf die gestützt die verschiedenen Forscher die Versuche anstellten, so findet
man, dass sie entweder die Buchstaben als Ton- oder die Schriftzeichen als
168 Hecht — Heckel.
Tonphrasenzeichen ansehen zu müssen glaubten. Auch der Unpartheiischste
wird hiernach annehmen müssen, dass jedenfalls eines der beiden Mittel oder
beide etwas Kcelles bergen , und dass neben denselben die Ueberlieferung in
Tönen selbst vielleicht in der Blüthezeit der hebräischen Kunst die grösste
Hauptrolle spielte. Mit der Zerstreuung des Volkes in alle Welt verlor diese
Tradition ihre verpüicliteten Hüter, die Leviten, und wurde von dem jeweiligen
localen Musikgeiste beeinflusstes Zufälligkeitsergebniss, und die Deutung der
als Notation erachteten Zeichen, jener todten Zeugen vergangener Tage, musste
sich immer mehr verdunkeln. Ob nun nach solchen Schicksalen der hebräischen
Kunst je es möglicli sein wird, diese wieder darzustellen, oder ob dieselbe gar
schon annähernd dargestellt worden ist, wird wohl für immer Geheimniss
bleiben. Die Versuche von Fetis in seiner »Hist. de la musique» T. I. p. 465 ff.,
die Tonfolge der H. durch Reflexion festzustellen, wollen wir hier nicht weiter
beleuchten — empfehlen dieselbe jedem Wissbegierigen jedoch — , da die
Grundpunkte, von denen jene ausgehen, nach vielem Vorhergesagten we-
nigstens eben nicht berechtigt erscheinen und somit zu Endresultaten führen
müssen, die in der That keine Wahrscheinlichkeit für sich besitzen. Wie das
Volk der H. in alle Welt zerstreut wurde, so zerfloss auch die pompöse Form
der hebräischen Musik. In den frühesten Zeiten der Christenlieit jedoch, wo
die in Höhlen sich sammelnden Andächtigen die Stelle der Leviten, ohne es
selbst zu wissen, nach ihrem Vermögen übernahmen, diente dem Emporkeimen
der neuen Gotteslehre der Geist derselben als eine in Liebe sich beigesellende
Magd, die dem Nachkommen die erste Nahrung bot. Die Bemühungen des
heiligen Ambrosius (s. d.) scheinen die letzten lebendigen Ausflüsse der alt-
hebräisclien Vocalmusik einer fortgesetzten Wandlung zu entziehen gesucht zu
haben, jedoch der Zeit gemäss, und in der Zeit ist Nichts beständig unter der
Sonne, als der Urgeist, aus dem alles Zeitliche sicli bildet. Auch in dem un-
verfälschten Stamme der H. scheint ein Urgeist des Empfindens in der Musik
sich noch bis heute bewahrt zu haben, der sich durch viele Aeusserungeu des-
selben von dem anderer Völker unterscheidet, trotzdem nicht abzuleugnen ist,
dass die H. jedem andern Musikempfinden eine Einwirkung auf das Ihrige zu
versagen nicht vermochten. Dies beweisen die Kunstheroen, welche in jedem
Musikkreise , wenn wir über solche in neuester Zeit getreu zu berichten ver-
möchten , sich aufweisen lassen würden. Im Abendlande nennen wir nur die
Tonmeister Meyerbeer, Mendelssohn und Halevy und verweisen ausserdem auf
die Legion von verdienstvollen Priestern der Kunst aus dem Stamme der H.,
welche alle täglich die AVahrheit der Worte »Die Form hat man zerbrochen,
doch der Geist lebt in uns Allen fort« durch ihre Thaten beweisen.
C. Billert.
Hecht, Eduard, deutscher Pianist, geboren 1832 zu Dürkheim, erhielt
seine höhere musikalische Ausbildung auf der Rheinischen Musikschule zu
Köln und erwarb sich nachgehends als Concertspieler einen guten Ruf. Er
lebt in seiner Vaterstadt als Musiklelirer und hat einige Hefte Ciavierstücke
und Lieder seiner Composition veröffentlicht.
Heck, ein in England lebender Tonkünstler von wahrscheinlich deutscher
Abkunft, veröffentlichte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu London
ein Lehrbuch des Generalbasses.
Heckel, Johann Christian, ein gerühmter deutscher C()ini)onist, geboren
am 15. Aug. 1676 zu Bischofswerda, studirte in Leipzig Theologie und Musik
und wurde 1699 Cantor in seiner Vaterstadt, von wo er 1713 in gleicher
Eigenschaft nach Pirna berufen wurde. In letzterer Stadt starb er 1744.
Walther bezeichnet ihn als einen tüchtigen Componisten; gleichwohl ist kein
Werk von ihm auf die Nachwelt gekommen. Historische Schriften dagegen
von ihm kennzeichnen ihn als einen wissenschaftlich sehr gebildeten Mann. —
Den gleichen Namen, Johann Christian H., führte ein musikkundiger Theologe
des 18. Jahrhunderts, der, 1747 zu Augsburg geboren, seit 1780 dritter
Heckel — Heckmann. 169
Diaconus an der Barfüsserkirche daselbst war und eine Schrift: »Beschreibung
der Steinischen Melodica« veröffentlichte.
Heckel, Karl Ferdinand, Begründer einer ziemlich umfangreichen
Kunst-, Musikalien- und Instrumentenhandlung in Mannheim, wurde am 12. Jan.
1800 in "Wien geboren und erhielt daselbst eine gute musikalische Ausbildung,
besonders auf dem Pianoforte, die ihn befähigte, Compositionen zu beurtheilen
und selbst zu schreiben. Er wandte sich jedoch dem musikalischen Geschäfts-
fache zu vind etablirte 1821 zu Mannheim die noch jetzt unter der Firma
C. F. Heckel bestehende Handlung. Als Leiter derselben hat er sich besonders
durch Edirung billiger Ausgaben classischer Werke (Mozart's Opern im Clavier-
auszuge u. s. w.), eines Orgeljournals und der preisgekrönten Werke des Mann-
heimer Musikvereins einen Namen gemacht. Auch das locale Musikwesen ver-
dankte ihm uneigennützige Unterstützung und Förderung, in Folge dessen er
Mitglied des Mannheimer Hoftheatercomites wurde. Hochgeachtet starb er im
April 1870. — Sein Sohn und Greschäftsnachfolger, Emil H., nimmt in Mann-
heim dieselbe hervorragende Stellung ein, wie sein Vater, ausserdem hat er
sich auf dem Partheigebiete der Musik durch rückhaltloses Einstehen für die
Tendenzen Rieh. Wagner's einen Namen gemacht und ist der Gründer des
ersten Richard Wagner -Vereins in Deutschland, ebenso der Unternehmer der
(übrigens verunglückten) Nationalsammlung für das Bühnenfestspielhaus zu
Bayreuth.
Heckel, "Wohlfen, deutscher Lautenvirtuose, lebte um die Mitte des 16.
Jahrhunderts zu Strassburg im Elsass und veröffentlichte eine Sammlung von
Compositionen für sein Instrument.
Heckenauer, Johann, deutscher Lautenvirtuose, wird um das Jahr 1700
mit Auszeichnung erwähnt. Näheres über seinen Lebenslauf ist nicht bekannt
geblieben.
Hecker, A. J., deutscher Tonkünstler, war um die Wende des 18. und 19.
Jahrhunderts Cantor in Potsdam und veröffentlichte als solcher eine Schrift
über den Gesang in Kirchen und Schulen.
Hecker, Justus Friedrich Karl, ausgezeichneter medicinischer Histo-
riker, Sohn des als Arzt, Lehrer und medicinischer Schriftsteller hochgeachteten
August Friedrich H., wurde am 5. Jan. 1795 zu Erfurt geboren, studirte
die Heilkunde in Berlin und wurde daselbst 1817 Privatdocent, 1822 ausser-
ordentlicher und 1834 ordentlicher Professor der Universität, sowie auch Mit-
glied der Ober-Examinationscommission. Er veröffentlichte u. A. : »Die Tauz-
wuth, eine Volkskrankheit im Mittelalter«, 92 S. und 4 Notentafeln mit Ta-
i'antelmelodien (Berlin, 1832; italienisch von Fassetta: Florenz, 1838).
Heckmanu, Georg Julius Robert, vortrefflicher Violinvirtviose der
Gegenwart, wurde am 3. Novbr. 1848 zu Mannheim geboi'en. Sein Vater, ein
geachteter Lehrer und zugleich Dirigent des Mannheimer Singvereins, war der
Clavierlehrer des vorzüglich beanlagten Sohnes und verschaffte ihm bald darauf
auch den Violinunterricht Jean Becker's, unter dessen Leitung, sowie unter
derjenigen Naret-Koning's er überraschende Fortschritte machte. Kaum 14
Jahre alt, wurde er in Folge dessen Mitglied der Mannheimer Hotkapelle und
genoss hierauf noch die Unterweisungen des Kapellmeisters Vincenz Lachner
in der Compositionslehre und Max Bruch's im Clavierspiel. Vom Grossherzoge
von Baden unterstützt, bezog H. im Herbst 1865 das Conservatorium zu Leipzig,
wo er seine Studien unter Ferd. David, Moritz Hauptmann u, s. w. eifrig fort-
setzte, schon im zweiten Studienjahre prämiirt und bald darauf als Concert-
meister der Musikgesellschaft »Euterpe« in Leipzig angestellt wurde. Die
freien Sommermonate verwandte H. zu Studienreisen, die ihn 1869 nach Paris,
wo er bei Alard und Leonard die Eigenthümlichkeiten der französisch -bel-
gischen Geigerschule kennen lernte, und 1870 nach Berlin zu Joachim führten.
Er machte darauf Concertreisen und erwarb sich Namen und Verdienst durch
den Vortrag der neuesten Violinwerke, z. B. der Concerte von Bruch und
170 Hecquet — Hedouin.
Svendsen, ausserdem durch Kammermusikauffülirungen, die er mit namhaften
Künstlern in Norddeutschlaiid, Wien und Holland veranstaltete. Seit 1872 in
Köln als Concertmeister und Sologeiger angestellt, setzte H. dort und in den
benachbarten rheinischen Städten seine Thätigkeit auf dem Felde der Kammer-
musik erfolgreich fort und erhielt zahlreiche Berufungen zu Solovorträgen,
u. A. auch nach England. H.'s Spiel zeichnet sich durch Wärme und Fein-
fühligkeit aus, sein Vortrag zeugt von tiefem Verständniss und liebevoller An-
eignung der Eigenthümlichkeiten des vorliegenden Werkes. Die Wirkung auf
den Zuhörer ist daher auch stets eine anregende und wohlthuende. — H.'s
Gattin, Marie H. , geborene Hertwig, eine tüchtige Pianistin, ist in Greiz
geboren und auf dem Conservutorium zu Leipzig unter Moscheies und Wenzel
musikalisch ausgebildet. Im Vereine mit H. erwarb sie sich schon in Leipzig
durch den Vortrag und die Verbreitung weniger bekannter Werke von Brahms,
Gernsheim u. A. Verdienste und grosse Anerkennung. Seit ihrer Verheirathung,
1873, ist sie auch in den rheinischen Städten eine gern gesehene mitwirkende
Künstlerin in den Kammermusikaufführungen ihres Gatten. Ihr weicher, klang-
voller Anschlag, verbunden mit feiner musikalischer Auffassung, macht sie auch
als Solistin zu einer hervorragenden Erscheinung.
Hecquet, Charles Joseph Gustave, französischer Musikschriftsteller
und Componist, geboren am 22. Aug. 1803 zu Bordeaux, studirte die Tonkunst
in Paris und trat seit 1830 vielfach als Theaterfeuilletonist und später als Com-
ponist von Vaudevilles und Operetten hervor. Seine bedeutendsten Werke in
diesem Fache sind die komische Oper »ie braeonnier« (1847) und die Operette
y>Marinette et Gros-Menm (1856). Sein Hauptverdienst aber erwarb er sich
durch gut geschriebene Kritiken und Referate für verschiedene Zeitschriften,
besonders für die ^^ Illustration (i, deren Mitarbeiter er ununterbrochen bis in die
1860er Jahre war.
Hedericus oder Helpericus, ein Mönch zu Hirschau (um 894), ist der
Verfasser von Musiktractaten, aus denen Gerbert in seinen »Script, eccles. mus.K
II. pag. 33 Einiges wiedergegeben hat, und soll verschiedene Gesänge zu Ehren
der Heiligen theils angeordnet, theils auch selbst vei'fasst haben.
Hedjaz, s. Hogaz.
Hedlnf, Heinrich Gottfried, deutscher Theologe, geboren am 7. März
1748 zu Görlitz, gestorben ebendaselbst als Diaconus am 24. Jan. 1785, ist
der Verfasser einer Schrift über die Kirchenmusik.
Hedwig:, Johann Luca, tüchtiger Tonkünstler, geboren am 5. Aug. 1802
zu Heldsdorf bei Kronstadt in Siebenbürgen, war der Sohn einfacher sächsischer
Landleute, zeigte aber schon früh solche Anlage für Musik, dass ihm der Orts-
cantor Unterricht im Gesang und auf der Violine gab, den H. später als Gym-
nasiast zu Kronstadt eifrig fortsetzte. Nach höheren musikalischen Zielen
strebend, ging H. 1819 nach Wien, wo er bei Jo«. Drechsler und J. Blumen-
thal Generalbass, Contrapunkt und Compositionslehre studirte. Mit Glück trat
er hierauf als Componist auf, und seine Instrumentalsachen, besonders Ouver-
türen, wurden Repertoirestücke der AViener Theater. Grösseres aber leistete
er auf dem Gebiete der Cantate, der IMotette und des Volksliedes. Im J. 1840
wurde er als Stadtcantor und Musikdirektor der evangelischen Stadtkirche
nach Kronstadt berufen und erwarb sich einen Namen, der noch jetzt daselbst
unvergessen fortlebt. Seine Choräle, »Wer nur den lieben Gott«, »Lob, Ehr'
und Preis«, und sein siebenbürgisches Volkslied, Text von M. Moltke, drangen
in alle Schichten der Bevölkerung. Mit der Composition eines Oratoriums,
»Der Allmacht Wunder« , und eines Cautatencyclus für das ganze Kirchenjahr
beschäftigt, ereilte ihn der Tod am 8. Jan. 1849. Von seinen Werken er-
schienen im Druck: Siebenbürgische Volkslieder für Chor, ein Sopransolo »Er-
strahle, Licht« und eine »Kronstädter theoretisch-praktische Gesauglehre« (Kron-
stadt, 1848), welche letztere eine unveränderte zweite Aufluge erlebte.
Hedouiu, Pierre, französischer Musikschriftsteller und Componist, geboren
Hedikomos — Heermann. 171
am 28. Juli 1789 zu Boulogne, hat eine Opei', sowie Romanzen und Gesang-
notturnos geschrieben.
Hedikomos (griech.) ist der Name eines der Singetänze bei den alten
Griechen.
Heegmau, Alphons, französischer Gelehrter, geboren 1802 zu Lille, ver-
fasste und veröffentlichte ein Werk, betitelt: fExamen de la theorie musicale
des Grecsvi.
lieereu, Arnold Hermann Ludwig, einer der vorzüglichsten deutschen
Historiker, geboren am 25. Octbr. 1760 zu Arbergen bei Bremen, erhielt seine
gelehrte Bildung auf der Domschule zu Bremen und der Göttinger Universität.
Vom Studium der Theologie wandte er sich zu philologischen und historischen
Studien und wurde Privatdocent an der Hochschule zu Göttingen. Von einer
wissenschaftlichen Reise nach Italien 1787 zurückgekehrt, wurde er zum ausser-
ordentlichen, 1794 zum ordentlichen Professor der Philosophie und 1801 zum
ordentlichen Professor der Geschichte, nachher zum Hofrath und später zum
Geh. Justizrath ernannt. Er starb, als gelehrte Autorität hoch angesehen, am
7. März 1842 zu Göttingen. Von seinen zahlreichen scharfsinnigen, nach Inhalt
und Form classischen Werken gehört hierher eine -nBissertalio de cliori Grae-
cormn irajjici natura et indole, ratione argumenti hahita<i. (Göttingen, 1785).
Heerhoru, ein Blasinstrument der alten Deutschen, welches das Zeichen
zum Angriff' gab und auch während der Schlacht geblasen wurde.
Heeriugeu, Ernst vou, deutscher Tonkünstler, geboren 1810 im Preussi-
schen, siedelte 1845 nach New- York über und ersann daselbst als Musiklehrer
ein neues Notensystem, welches die Erlernung der Musik, namentlich des Piano-
fortes, wesentlich erleichtern sollte und für die Vereinigten Staaten patentirt
wurde. In einer englischen Schrift setzte er 1850 die Vortheile seines Systems
auseinander und erschien Ende 1851 in Norddeutschland, um für dasselbe da-
selbst Propaganda zu machen. Allenthalben zurückgewiesen und heftig be-
kämpft, kehrte er tief vergrämt nach Amerika zurück und starb am 24. Decbr.
1855 zu Washington. Eine Beschreibung seines bald darauf verschollenen
Systems findet man in der Berliner Musikzeitung »Echo« 1851 No. 17. H.
schaffte die Vorzeichnung, die einfachen und doppelten Kreuze und Bee ab
und bezeichnete zum Ersatz dafür die Untertasten des Claviers mit leeren | ,
die Obertasten mit gefüllten Köpfen ' ' ^ u. s. w. Den Bass schrieb er mit
/-Schlüssel auf der fünften Linie, wodurch die Noten dieselben Namen wie die
des Discants erhalten. Den Werth der Noten drückte er durch grösseres oder
kleineres Format der Notenköpfe aus, und die Linien über dem üblichen Noteu-
system, regelrecht sonst mittelst Strichen durch Hals oder Kopf bezeichnet,
schrieb er ganz aus, wenn über die Linien hinausgegangen werden musste.
Die Stärkegrade von ppp bis fjf sollten durch Ziffern von 1 bis 9 ersetzt
werden, und der Takt wurde mit Beseitigung aller Brüche durch Zahlen an-
gedeutet, welche eben so viele Schläge bedeuteten. Im Druck erschienen sind,
in das H.'sche System übertragen, ein Marsch von Molck und der königl.
preussische Armeemarsch Nr. 102, componirt von der Prinzessin Augusta von
Preussen, jetzigen deutschen Kaiserin (Berlin, Schlesinger'sche Musikhandlg.),
die in dieser Ausgabe als Curiositäten anzusehen sind.
Heermaim, Hugo, vortrefflicher deutscher Violinist, geboren am 3. März
1844 zu Heilbroun, widmete sich frühzeitig dem Violinspiel und bezog zu seiner
höheren musikalischen Ausbildung das Conservatorium zu Brüssel, wo de Beriot
und Fetis seine Hauptlehrer waren. Von dort begab er sich nach Paris, wo
er sich erfolgreich hören Hess und hietauf mit seiner Schwester Helene H.,
einer talentvollen Harfenvirtuosin , auf Kunstreisen durch Frankreich, Belgien
und Deutschland. Im J. 1865 erhielt und nahm er einen Ruf als Concert-
meister nach Frankfurt a. M. an und gründete daselbst einen angesehenen
Quartettverein, der überaus verdienstlich die Pflege der Kammermusik in die
172 Heerpjiuken -— Heerwagen.
Hand nahm und H. einen bedeutenden Ruf als Quartettspieler verschaffte. Seit
1871 ist dieser Quartettvereiu , bestehend aus den Künstlern H. , E. Renner,
E. "Welcker und Valentin Müller, ein integrirender Theil der Frankfurter Mu-
seumsgesellschaft, welche mit demselben allwinterlich zehn Kammermusikabende
veranstaltet. H. selbst hat Viotti'sche Concerte neu herausgegeben und mit
Cadenzen versehen.
Heerpaukeu findet man zuweilen noch ein Orgelregister benannt, das, wenn
man es aufzieht, zwei im Prospect befindliche Engelfiguren theilweise in Be-
wegung setzt. Dieselbon haben bewegliche Arme und lialten in den Händen
Klöpfel, welche vor denselben befindliche Pauken traktiren. Das Einstossen
des Registers hebt die Armbewegung auf. Dies Register wurde als eine Ver-
vollkommnung der Heertroramel (s. d.) angesehen und erfreute sich, jedoch
nur der zierenden Schaulichkeit wegen, bei grossen "Werken längere Zeit hin-
durch einer steten Beachtung. — Auch eine ältere, sehr grosse, sonst den
unserigen ganz ähnliche Art Pauken führte den Namen H.' Prätorius, der sie
(Syntagma II. 77) beschreibt, nennt sie »viigehewre Rumpelfässer«. 2.
Heerpaiiker nannte man zur Zeit der zünftigen Trompeter die Pauken-
schläger übcrliaupt, die ihrer besondern Tüchtigkeit wegen Thcilnehmer der
kaiserl. Privilegien waren. Die damals geforderte Kunsttüchtigkeit der H. wird
folgendermaasseu beschrieben: »Es muss aber ein H, gute Wissenschaft von
der Musik haben, denn ein Musik -Stück recht zu tractiren, muss er gewisse
Tact-Noten, wie auch Pausen vor sich im Bass-Schlüssel haben, wie auch die
Melodeyen der Aufzüge oder Trompeter gleichsam auswendig wissen, damit er
nicht zu bald, oder langsam aufhöre, und muss er jederzeit vor der Pinal-
Cadenz einen guten langen "Wirbel oder Triller formiren, und hernach, wann
die Trompeter alle schon aufgehöret, erst den letzten, und zwar starken Streich
auf die ins c gestimmte, und zur rechten Hand ihm stehende Paucke führen.
"Will man aber ein Echo darauf tractiren, so schlage man nahe \\m den Rand
gegen die Schrauben Circulweise fein sachte, doch geschwinde herum, darauf
alsdann wieder straks mit starken "Würbein imd Schlägen in die Mitten , und
mit langsamen starken Streichen stets aufs c, doch muss der Schlägel in der
linken Hand fort und fort behende auf dem // fortgehen, und solches kommt
recht Heroisch heraus, sonderlich wenn es zum Final kommet. ]3amit nun die
Schlägel in den "Wirbeln und Schlägen fein von einer Paucke auf die andere
von sich Selbsten sj)ringen mögen, so stelle man beyde Paucken etwas einwärts
gegeneinander, so wird solches desto füglicher geschehen können. AVill man
aber die Heerpaucken, gleich wie die Trompeten im Schall gedämpffet haben,
so überdeckt man die Felle mit wüllenen Tuche, da sie dann gantz duse
gehen.« 2.
Heertrommel, auch Härtrommel geschrieben, hiess in älteren Orgeln ein
Register, das der Bemühung früherer Orgelbauer, alle Klänge zur Verherr-
lichung Gottes in dem Kircheiiinstrumente zu Gebote zu haben, seine Entsteh-
ung verdankt. Man beabsichtigte durch dies Register, wie schon der Name
andeutet, den Trommelklang wiederzugeben, dieses durch zwei bis vier gewöhn-
lich fünfmetrige Pfeifen, deren Klänge etwa um einen Viertelton von einander
verschieden waren und welche gleichzeitig ertönten. Das Erklingen der Pfeifen
bewirkte man durch das Ziehen des mit H. bezeichneten Registers; mit dem
Abstossen des Registers hörte der Klang auf. Die Tonwirkung der vier Pfeifen,
ein starkes Geräusch mit einem etwas hervorragenden Klange, war somit dem
Schalle einer Trommel in der That nicht unähnlich. Dies Register, welches
sich eigentlich nie einer rechten Anerkennung erfx-eute, wurde sjiäter in ge-
läuterterer Form als He er pauke (s. d.) gebaut, in neuerer Zeit jedoch, wo
man die Principien des Orgelbaues in Bezug auf ihre Disposition änderte, ist
eins wie das Andere aus der Orgel fast gänzlich verschwunden. 2.
Heerwag'en, Friedrich Ferdinand Traugott, deutscher Theologe, ge-
boren 1732 zu Buttenheim in Franken und gestorben am 10. März 1812 als
Heffelmeyer — Heidenreicli. 173
Pfarrer zu Markt -TJehlfeld bei Erlangen, verfasste und veröffentlichte eine
»Literaturgeschichte der evangelischen Kirchenlieder aus der alten, mittleren
und neuen Zeit« (2 Bde., Neustadt an der Aisch und Schweinfurt, 1792 — 1797;
neue Aufl. Wien, 1802). Ein 1799 durch Prospekte angekündigter dritter Band
ist nicht erschienen.
HelFelmeyei', s. Höffelmayer.
Heg'ar, Friedrich, trefflicher Violinist und verdienstvoller Dirigent, wurde
am 11. Octbr. 1841 in Basel geboren und erhielt daselbst seinen ersten Musik-
unterricht. Im J. 1857 vertauschte er das Gymnasium seiner Vaterstadt mit
dem Conservatorium in Leipzig, auf welchem er bis Ostern 1860 seine höheren
musikalischen Studien betrieb. Nach seinem Austritte aus dem Institute er-
hielt er die Concertmeisterstelle an der in Warschau concertirenden Bilse'schen
Kapelle, widmete aber den folgenden Winter seiner weiteren Ausbildung in
Leipzig. Im März 1861 besuchte H. Baden-Baden und Paris und erhielt im
Herbste desselben Jahres durch Stockhausen's Empfehlung die Stelle als Musik-
direktor zu Gebweiler im Elsass. Nach zweijähriger Thätigkeit daselbst siedelte
er nach Zürich über. Dort, zuerst als Concertmeister, später als Kapellmeister
beim Theater angestellt, erhielt er 1865 auch die Dii-ektion der Abonnements-
concerte der allgemeinen Musikgesellschaft und des Gesangvereins »gemischter
Chor«. In diesen Stellungen, sowie als Dirigent des Concertorchesters der
Tonhalle seit 1868 erwarb er sich hervorragende Verdienste um das öffeutliclie
Musikleben in Zürich. — Sein jüngerer Bruder, Emil H., geboren am 3. Jan.
1843 in Basel, ist ein vortrefflicher Violoncellist, der ebenfalls seine höheren
musikalischen Studien auf dem Conservatorium in Leipzig absolvirt hat. Im
J. 1866 wurde er erster Violoncellist im Gewandhaus- und Theaterorchester
zu Leipzig und bald darauf auch Lehrer seines Instrumentes am dortigen Con-
servatorium. Gleichzeitig ist er geschätztes Mitglied des von Perd. David be-
gründeten Streichquartettvereins am Leipziger Gewandhause, welcher letztere
mit mustergültigen Kammermusik-Aufführungen regelmässig hervortritt.
Heiberger, Joseph, deutscher Tonkünstler und Componist, lebte 1777
zu Bom und brachte dort in jenem Jahre eine von ihm componirte italienische
Oper mit grossem Erfolge zur Aufführung.
Heideg'g'er, Johann Heinrich, schweizerischer Theologe, geboren am
1. Juli 1633 zu Bärenschweil im Canton Zürich, zuletzt Doctor und Professor
an der Züricher Hochschule, hat mehrere Werke verfasst und veröffentlicht,
in denen er über Erfindung, Vortrefflichkeit und Missbrauch der Tonkunst,
sowie über Musik und ihre Wirkungen handelt.
Heiden, Sebastian, s. Heyden.
Heidenreich, David Elias, deutscher Dichter aus der zweiten Hälfte des
17. Jahrhunderts, war Consistorialrath und Secretair der Pruchtbringenden
Gesellschaft. Er ist der Verfasser des Operutextbuches »Liebe kröhnt Ein-
tracht«, das, im deutschen Geschmacke damaliger Zeit geschrieben, ein wahres
dichterisches Ungeheuer und platt in der Darstellung ist.
Heidenreich, Friedrich, deutscher Orgelbauer um 1770, gab bei Ge-
legenheit einer Orgeleinweihung eine kleine Schrift über die verschiedenen
Töne und ihre Verhältnisse, die beim Anschlagen einer Orgeltaste vernommen
werden, heraus. — Sein Namens- und Zeitgenosse, Georg Christoph H.,
war Orgelbauer und Organist zu Tannstädt in Thüringen, wo er 1800 in
einem Alter von ungefähr 64 Jahren starb. Die Orgelbaukunst betrieb er
erst seit 1770 und hat nach dieser Zeit mehrere gute Werke in Thüringen
aufgerichtet.
Heidenreicli, Karl Heinrich, auch Heydenreich geschrieben, talent-
voller Odendichter und scharfsinniger Aesthetiker, geboren 1764 zu Stolpen,
studirte in Leipzig seit 1779 Philosophie und war daselbst von 1789 an Uni-
versitäts-Professor. Im J. 1798 legte er Krankheits halber dies Amt nieder
und zog nach Burgwerden bei Weissenfeis, wo er am 26. April 1801 starb.
174 Heidfeld — Heinefetter.
Sein »System der Aesthetik« (Leipzig, 1790) ist auch in musikalischer Hinsicht
sehr beachtenswerth. In demselben suchte H. diese Wissenschaft nach den
Grundsätzen der kritischen Philosophie zu entwickeln. Freilich gelang es ihm
noch nicht, diesen Gegenstand befriedigend im Ganzen abzuschliessen , aber
geistvolle Behandlung des Einzelneu ist ihm nicht abzusprechen. Auch in
anderen Schriften und Artikeln behandelte er seine Themen im Geiste und
Sinne Kant's mit grosser Selbstständigkeit der Forschung. Besonders nennens-
werth in musikalischer Beziehung sind noch seine Aufsätze in Fest's »Beiträgen
zur Aufklärung und Beruhigung« (Bd. 2, Leipzig, 1790, pag. 129 ff. und
pag. 24 ff.): »lieber den Grundbegriff der schönen Künste« und »Warum ur-
theilen die Neueren so zweideutig über die Nützlichkeit der schönen Künste
für den Staat und die Menschheit?« H. würde überhaupt der Wissenschaft
noch weit bedeutendere Dienste geleistet haben, wenn nicht Ausschweifungen
und eine ungeregelte Lebensweise seinen frühen Tod herbeigeführt hätten.
Heirtfeid, Johann, deutscher Theologe, geboren im Westphälischeu in der
ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, war Professor zu Herborn und hat im
kirchlichen Sinne auch über Musik geschrieben.
Heig'eurtorf, Karoline von, s. Jagemann.
Heilanrt, um 1800 Organist am Kloster Isenhagen unweit Celle, wurde
zu jener Zeit zu den vorzüglichsten Virtuosen seines Instrumentes gerechnet.
Heiüg-, s. San et US.
Heilig'or, ausgezeichneter deutscher Tenorsänger, war im Kirchenchore zu
Hamburg angestellt und starb daselbst im J. 1714.
Hcilinann, Joseph, ein tüchtiger deutscher Instrumentenbauer, geboren
1768 zu Mainz, war der Sohn des in seiner Zeit rühmlichst bekannten kur-
mainz'schen Hof - Orgelbauers und Ciaviermachers M. Heilmann, der 1798
starb. In dem letzteren Jahre verlegte H. die vom Vater übernommene Fabrik
nach Erfurt und starb daselbst im J. 1803. Er soll auch als Ciavierspieler
nicht unbedeutend gewesen sein.
Heimbrortt, Johann Sebastian, zu Anfange des 18. Jahrhunderts Or-
ganist zu Leipzig, veröffentlichte von seinen Compositionen: »Die durch An-
trieb des heiligen Geistes hervorgebrachte und Gott wohlgefällige Seelenmusik«
(Leipzig, 1715).
Heindl, ausgezeichneter deutscher Flöten virtuose, geboren um 1820 im
Oesterreichischen, lebte meist in AVien, wo er in Concerten das grösste Auf-
sehen erregte. Leider fand er ein frühes tragisches Ende, indem er, am
13. Aug. 1849 dem Schützenfeste in Nürnberg beiwohnend, im Wagen durch
einen unvorsichtigen Schützen erschossen wurde.
Heine, s. Heyne.
Heinecke, .lohaun Emanuel, oder Hei nicke, deutscher Componist,
war Lector und Cantor in Dortmund und veröffentlichte 1758 sechs Mourquis
für Ciavier.
Heinefetter, ein gepriesenes Sängerinnen -Schwesterkleeblatt, von dem die
älteste und berühmteste, Sabine H., den deutschen Namen auch im Auslande
ehrenvoll vertrat. Geboren 1805 zu Mainz, soll Sabine, wie die grosse Mara,
zuerst als herumziehende Harfenistin und Sängerin sich und ihre arme Familie
kümmerlich ernährt haben, bis ein Musikkenner auf ihre schöne Stimme aufmerksam
wurde und dieselbe ausbilden Hess. Sie debütirte darauf 1824 in Frankfurt
a. M. und kam nach Kassel, wo sich Spohr für sie interessirte und ihre künst-
lerische Fortbildung betrieb. Nachdem sie auch in Berlin sehr gefallen hatte,
erhielt sie in Kassel einen lebenslänglichen Contrakt, den sie jedoch aus ge-
ringfügiger Ursache nicht viel später brach, indem sie heimlich nach Paris
entwich. Dort machte sie bei Tadolini weitere Gesangstudien und trat zugleich
in der italienischen Oper neben der Malibran und Sontag beifällig auf. Nach
Deutschland 1829 zurückgekehrt, gelang es ihr erst in AVien, wo sie ein Jahr
lang engagirt war, bedeutende Erfolge zu erringen. Sie gastirte noch auf
Heineke — Heinemeyer. 175
mehreren deutschen Theatern und erschien endlich 1832 in Mailand an der
Scala, wo man ihr huldigte und sie glänzend feierte, nicht minder 1833 in
Berlin, wo sie dem königsstädtischen Theater zwei Jahre lang angehörte und
als Norma, Romeo, Straniera, Anna Bolena u. s. w. für unübertroffen dastehend
galt. Im J. 1835 war sie in Dresden ein halbes Jahr lang engagirt, 1836
trat sie wieder in Mailand auf iind führte hierauf bis 1843, wo sie in fran-
zösischen Provinzstädten erschien, ein künstlei'isches Wanderleben. Damals
heirathete sie den Kaufmann Marquet in Marseille und entsagte der Bühne.
Von einer Geisteskrankheit befallen, wurde sie anfangs 1872 in die Heilanstalt
zu Illenau gebracht, wo sie am 18. Novbr. desselben Jahres starb. In ihrer
Blüthezeit mit den schönsten Mitteln ausgestattet und reich begabt, zeigte sie
auch für die Darstellung ein scliönes Talent. Nur irrte sie von den Grund-
sätzen des einfach Schönen häufig ab und missbrauchte ihre trefflichen Anlagen
zu künstlichen Effekten, die als Manier erschienen. — Sie war die Lehrerin
ihrer gleichfalls berühmt gewordenen, ihr im Tode vorangegangenen Schwestern
Kathinka H., geboren 1820 und 1840 in Paris, 1842 in Brüssel engagirt,
und Clara H. gewesen. Die letztere, geboren am 17. Febr. 1816, war be-
sonders in Wien gefeiert, als Madame Stöckl-H. aber auch auf fast allen
grösseren Opernbühnen Deutschlands rühmlichst bekannt. Sie starb am 24.
Febr. 1857 im Irrenbause zu Wien. — Den Namen H. repräsentirten auf
deutschen Theatern zu gleicher Zeit die Sängerinnen Eva (1842 in Breslau),
Fatime (1834 in Wien), Nanette und Sophie (1833 in Prag), welche in
nächstem Verwandtschaftsverhältniss zu der zuerst genannten berühmten Fa-
milie gestanden haben.
Heineke, Karl, deutscher Schulmann, war 1808 Eector in Berlin und
veröffentlichte von seiner Composition Tänze und Variationen für Pianoforte
unter dem Titel »Alte und neue Zeit«.
Heinekeu, Nicolas, deutscher Tonkünstler, geboren gegen Ausgang des
18. Jahrhunderts im Sächsischen, lebte als Musiklehrer in London und machte
sich als Componist durch acht in Musik gesetzte Psalme (London, 1820) vor-
theilhaft bekannt.
Heiuemanu, Marcus, Musiklehrer und Componist zu Berlin, war von 1835
bis 1846 als guter Tenorist Mitglied der dortigen Singakademie und veröffent-
lichte als op. 1 und 2 mehrere Lieder und Gesänge. ■ — Zu gleicher Zeit
machte sich eine Sängerin der Singakademie, Jenny H., Schülerin L. Rell-
stab's, welche gleichfalls Lieder und Gesänge ihrer Composition veröffentlicht
hat, ebendaselbst bemerkbar.
Heinemeyer, Christian, vortrefflicher deutscher Flötenvirtuose, geboren
1796 zu Celle, war schon als Knabe im Orchester thätig und trat 1820 in
die königl. Kapelle zu Hannover. Im J. 1823 wurde er als königl. Kammer-
musiker und erster Flötist angestellt und feierte 1855 in Erinnerung an sein
erstes öffentliches Auftreten sein fünfzigjähriges Jubiläum. Auch als Concert-
spieler war er wegen seiner seltenen Bravo ur und Fertigkeit sehr geschätzt
und wirkte in diesem Fache bis 1859, in welchem Jahre er sein letztes öffent-
liches Concert veranstaltete. Er starb am 6. Decbr. 1872 zu Hannover. —
Einen noch grösseren, weiter verbreiteten Ruf als Flötist erwarl) sich sein Sohn
Ernst Wilhelm H., der, am 25. Febr. 1827 in Hannover geboren, schon
frühzeitig von seinem Vater Unterricht erhielt. Seit 1845 wirkte er an der
Seite des Letzteren in der königl. Kapelle, ging jedoch 1847 als erster Flötist
zur kaiserl. Kapelle nach St. Petersburg und wurde später zugleich Lehrer
seines Instrumentes an der Theaterschule daselbst. Von 1859 an lebte er mit
russischer Pension, die er sich durch eine zwölfjährige Dienstzeit erworben
hatte, wieder in seiner Geburtsstadt Hannover, welche er aber, unzufrieden mit
den Ergebnissen des Krieges von 1866, der sein Vaterland an Preussen brachte,
wieder verliess, worauf er sich nach Wien begab. Ohne öffentlich aufzutreten,
beharrte er dort in Zurückgezogenheit bis zu seinem Tode, der am 12. Febr. 1869
176 Heinert — Heiuleiu.
erfolgte. Seine Compositionen für Flöte sind brillant und auf den höclisten
Grad teclmisclier Ausbildung effectvoU berechnet, entbehren aber der künst-
lerischen Tiefe.
Heinert, C. A., um 1722 Cautor in Minden, verfasste einen Auszug aus
dem Manuscripte des Regino y>D('. armonica institutionev..
lleiiiicheii, Johann David, gelehrter deutscher Tonkünstler und aus-
gezeichneter Componist, geboren am 17. April 1683 zu Crössuln bei Weissen-
fels, war der Sohn eines Predigers und musste, um sich zum Rechtsstudium
vorzubereiten, die Thomasschule in Leipzig besuchen. Dort trieb er bei den
Cantoren Schelle und Kuhnau eifrig Musik und besuchte fleissig die von Mel-
chior Hoffmann gegebenen Opernvorstellungen. Nach Vollendung seiner Studien
wurde er Advocat in Weissenfeis, begab sich aber nach einigen Jahren wieder
nach Leipzig und von dort nach Italien, um sein Heil als Operncomponist zu
versuchen. Von den einschlägigen Arbeiten fanden nGalpurnia«. und »/ pazzi
per troppo amore«. in Italien Beifall und Beachtung. In Rom traf er mit dem
Fürsten von Anhalt -Köthen zusammen, mit dem er nach Venedig reiste, wo
sich gerade der Kronprinz von Sachsen, nachmalige König August IL auf-
hielt, welcher an H.'s Cantaten so viel Gefallen fand, dass er in Erinnerung
daran den Compouisten 1718 als Kapellmeister nach Dresden berief. Ein
Streit, den schon 1719 daselbst, musikalischer Anordnungen wegen, H. mit
dem Castraten Senesino hatte, veranlasste die Entlassung der italienischen
Operngesellschaft durch den König. H. blieb an der Spitze der Kirchenmusik,
für die er fleissig Messen und andere AVerke schrieb. Gleichzeitig arbeitete er
sein Hauptwerk, eine schon in Leipzig verfasste, in Hamburg 1711 als »Neu
erfundene und gründliche Anweisung zur Erlernung des Generalbasses« er-
schienene Generalbassschule um und veröffentlichte sie unter dem Titel: »Der
Generalbass in der Composition, oder neue und gründliche Anweisung, wie ein
Musikliebender mit besonderm Vortheil durch die Principia der Composition,
nicht allein den Generalbass im Kirchen-, Kammer- und theatralischen Stylo
vollkommen et in altiori (jradn erlernen, sondern zu gleicher Zeit in der Com-
position selbst wichtige Profectus machen könne. Nebst einer Einleitung oder
musikalischen Raisonnement von der Musik überhaupt und vielen besoudern
Materien der heutigen Praxeos« (Dresden, 1728). In diesem höchst schätz-
baren, fast 1000 Seiten starken und mit sehr vielen Notenbeispielen versehenen
Lehrbuche versäumt H. keine Gelegenheit, vor der übertriebenen Anwendung
contrapunktischer Gelehrsamkeit in der praktischen Musik zu warnen, ein Rath,
den er selbst aber nicht eben befolgte, da seine, übrigens sehr selten gewordenen
Compositionen überwiegend gekünstelte Gedankenarbeiten sind. Mit dem Plane
beschäftigt, eine grosse Messe zu schreiben, in welcher alle Arten des Contra-
punkts Verwendung finden sollten, ereilte ihn am 16. Juli 1729 in Dresden
der Tod. Er starb an der Schwindsucht. Von seinen Werken findet man die
Opern »Flavio Crispo« und »Mario«, sowie fünf Serenaden, 57 Cantaten und
TafMmusiken in der königl. sächsischen Bibliothek zu Dresden.
Heiuickc, Christoph, deutscher Ciaviervirtuose, geboren 1717 zu Engels-
dorf bei Leipzig, war 1757 als Cembalist in der Kapelle des Fürsten von
Anhalt-Zerbst angestellt.
Hcinlein, Paul, vorzüglicher deutscher Ciavier- und Orgelspieler, sowie
gewandter Componist, ward am 11. April 1626 als der Sohn des berühmten
Arztes Sebastian H. zu Nürnberg geboren. Seine früh sich kundgebende
Anlage zm* Musik erhielt durch Unterricht auf Ciavier, Orgel und mehreren
anderen Instrumenten eine feste Basis, und 1646 schickte ihn sein Vater be-
hufs weiterer künstlerischer Ausbildung nach Linz und München, ein Jahr
später sogar nach Italien, wo H. drei Jahre lang bei den anerkanntesten
Meistern dem Studium der Composition ol)lag. Nach Nürnberg zurückgekehrt,
wurde er zuerst als Rathsmusicus, 1655 als Organist an der Egidienkirche,
1656 als Musikdirektor an der Frauenkirche und endlich 1658 als Haupt-
Heinrich VI. — Heinrich von Morungen. 177
Organist zu St. Sebaldus angestellt. In dieser Eigenschaft starb er am 6. Aug.
1686, hochgeschätzt als einer der besten Virtuosen seiner Zeit. Auch als
Componist vieler verschiedenartiger Stücke für seine Instrumente, sowie zahl-
reicher Kirchenwerke war er in seiner Zeit berühmt. Erhalten geblieben sind
von ihm nur zwei Gelegenheitsarbeiten, deren volle Titel Gerber in seinem
Tonkünstler-Lexicon vom J. 1812 aufführt.
Heinrich VI., römisch- deutscher Kaiser von 1190 bis 1197, der dritte aus
dem Geschlechte der Hohenstaufen, zählt zu den bedeutendsten deutschen Minne-
sängern. Im J. 1165 geboren, wurde er schon 1169 zum römischen König
gekrönt, folgte 1190 seinem Vater Friedrich I. in der Kaiserwürde und starb
nach einer schrecken vollen Regierung, vielleicht durch Vergiftung, am 28. Septbr.
1197 zu Messina. Von ihm sind die Texte zweier Lieder erhalten geblieben,
deren zart und schön ausgedrückte Gedanken um so mehr zu bewundern
sind, als sie mit seinem tyrannischen und blutdürstigen Charakter im grellsten
Widerspruche stehen.
Heinrich I., im 15. Jahrhundert, und Heinrich III., von 1574 bis 1589
König von Frankreich, zeichneten sich in der praktischen Musikübung zu
ihrer Zeit hervorragend aus und verschmähten es nicht, als Säuger auch öffent-
lich aufzutreten.
Heinrich VIII., König von England und Irland von 1509 bis 1547, be-
stieg mit 18 Jahren, tüchtig au Geist und Körper ausgestattet und durch eine
wissenschaftliche wie künstlerische Erziehung wohl vorbereitet, den Thron, auf
dem er sich gleichwohl als Despot so furchtbar machen sollte. Wie der ge-
sinnuugsverwandte Nero trieb er sehr eifrig, ja leidenschaftlich Musik, die
freiUch seine Sitten keineswegs sänftigte; er sang, spielte die Flöte und das
Spinett mit hervorragender Fertigkeit und componirte auch mit vielem Ge-
schicke. In Boyce's Sammlung alteuglischer Kirchenmusik befindet sich ein
vierstimmiges Anthem von ihm, welches mit den Worten beginnt: »O Lord^
the maker of all thinffsa und im zweiten Bande von Hawkin's »Geschichte der
Musik« eine dreistimmige lateinische Motette: «Quam pulchra es«. Auch zwei
vollständige Messen zum Gebrauche der königl. Kapelle hat er componirt.
Heinrich IV., Herzog von Breslau, deutscher Minnesänger, gelangte 1266,
noch minderjährig, zur Regierung und hatte während seines Lebens fast un-
ausgesetzt Fehden mit benachbarten Fürsten und Zwistigkeiten mit der Geist-
lichkeit zu bestehen. Dennoch begabte er viele Stiftungen, Kirchen, Klöster
und erijaute 1288 die Collegiatkirche zum Heiligen Kreuz in Breslau, welche
noch jetzt eines der bedeutendsten Bauwerke der Stadt ist und in der er auch
begraben liegt. Im J. 1289 zum Herzoge von Krakau erwählt, starb er am
23. Juni 1290 auf seiner Burg zu Breslau, ohne sein neues Land gesehen zu
haben. H. war ein ritterlicher Held und vielseitig gebildet, sogar gelehrt. Ob-
gleich polnischen Stammes, liebte er doch deutsche Bildung und Sprache, ja
dichtete und sang in der letzteren. Nur zwei seiner Lieder sind auf uns ge-
kommen; diese bekunden aber sein Talent zur Genüge und gehören zu den
besten und sinnigsten Erzeugnissen der höfischen Kunst.
Heinrich von Linouwe, deutscher Minnesäuger aus den ersten Jahrzehnten
des 13. Jahrhunderts, von dessen Leben und Schaffen nichts bekannt geblieben
ist. Dass sein Name noch erhalten geblieben ist, verdanken wir* seinem Zeit-
genossen, dem Epiker Rudolph von Ems, der in seinen Gedichten »Alexander«
und »Wilhelm von Orlenz« H.'s Erwähnung thut.
Heinrich von Meissen, s. Frauenlob.
Heinrich von Morungen, deutscher Minnesänger, lebte Ende des 12. oder
zu Anfange des 13. Jahrhunderts und stammte wahrscheinlich aus dem säch-
sischen (nicht süddeutschen) Geschlechte der Morungen, welches seine Burg
am Flüsschen Mor bei Göttingen hatte. Seine Lieder haben in Sprache sowie
Haltung etwas Alterthümliches , das auf die Zeit der ersten Entwickelung der
höfischen Dichtung hinweist. Gleichwohl zeichnen sie sich durch raschen,
MusUsal. Convers. -Lexikon. V. 12
178 Heinrich von Müglin — Heinrichs.
lebendigen Gang, sowie durch grossen Reichthum an wirkungsvollen Bildern
und geistreichen Wendungen aus.
Heinrich von Müg-liu, oder eigentlich von Mügeln, denn er war aus
Mügeln im Meissen'schen gehürtig, soll nach der TJeberlieferung der Meister-
singer einer der vier (oder zwölf) Erfinder des Meistergesanges gewesen sein ;
auch war sein »langer Ton« einer von den vier gekrönten Tönen des meister-
lichen Hortes. Er lebte in der zweiten Hälfte des 14. .Jahrhunderts und scheint
sich vorzüglich in Böhmen und Oesterreich aufgehalten zu haben. Die von
ihm erhalten gebliebenen Lehr- und lyrischen Gedichte sind zwar überwiegend
abenteuerlich -phantastisch gehalten und historisch merkwürdig, sonst aber von
keiner künstlerischen Bedeutung.
Heinrich von Ofterdiiigeu, deutscher Minnesänger zu Anfange des 13.
Jahrhunderts, der an den Höfen des Herzogs Leopold von Oesterreich und
des Landgrafen Hermann von Thüringen sich aufhielt und im Leben der hei-
ligen Elisabeth, sowie in der Sage vom »Singerkriege auf der Wartburg« eine
Rolle spielt. Dichtungen von ihm sind nicht vorhanden. — Ein ungefährer
Zeitgenosse von ihm war der Minnesänger Heinrich von Rücke, welcher
aber nur von dem Epiker Heinrich von dem Türlin als solcher namhaft ge-
macht wird und sonst verschollen ist.
Heinrich von Teldeck (oder von Veldegge), vielgepriesener deutscher
Minnesänger vom Niederrhein, lebte in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhun-
derts an verschiedenen Höfen (u. A. in Cleve und in Tliüringen) und ist jeden-
falls vor Beginn des 13, Jahrhunderts gestorben, da schon Wolfram von Eschen-
bach ihn seinen Meister nennt und Gottfried von Strassburg seinen Tod be-
klagt. Er darf als einer der ersten deutschen Kunstdichter und Mitbegründer
des Minnesanges betrachtet werden. Die lyrischen Episoden in seinem Haupt-
werk »Eneit« (Aeneide) sind vortrefflich, voll Lieblichkeit der Sprache und
Anmuth der Gedanken. Sein Bild, sehr sinnig und ansprechend aufgefasst,
befindet sich in der Manesse'schen Liederhandschrift.
Heinricli, Johann Gottfried, deutscher Tonkünstler, geboren um 1810
zu Schwiebus, war zuletzt Organist in Züllichau. Er hat Kirchen- und Schul-
gesänge componirt und ausserdem für Seminaristen, Lehrer, Cantoren und
Organisten folgende Schriften veröfi'entlicht: »Der accentuirend- rhythmische
Choral« (Glogau, 1861), eine Erörterung der Frage, wie sich der evangelische
Choralgesang in seiner wahren Einfachheit allgemein durchführen lässt, und
»Orgellehre. Structur und Erhaltung der Orgel« (Glogau, 1861).
Heinrich, Wilhelm, deutscher Tenorsänger, geboren 1804 zu Berlin, war
seit seiner Knabenzeit Mitglied des königl. Opernchors daselbst und während
seiner Militär- Dienstzeit (1823 bis 1826) Dirigent der Liturgiesänger seines
Regiments. Nachmals wieder Chorist des Hoftheaters, wurde er 1830 zum
Solosänger ernannt und war in zweiten Tenorrollen sehr verwendbar. Im
J. 1853 wurde er ehrenvoll pensionirt.
Heinrichs, Anton Philipp, ein seltsames, durch absonderliche Lebens-
schicksale gegangenes Musiktalent, geboren am 11. März 1781 zu Schönbüchel
in Böhmen, erhielt einigen Claviei- und Violinunterricht, wurde aber Kaufmann
und Fabrikbesitzer. Der Fall seines Hauses zwang ihn, nach Amerika zu gehen,
und er liess sich in Kentucky nieder, wo er eifrig Musik betrieb, als Naturalist
componirte und seine Arbeiten, die in den Vereinigten Staaten überraschend
schnellen Eingang fanden, drucken liess. Dadurch angefeuert, bestrebte er
sich, die Harmonie- und Compositionslehre gründlicher kennen zu lernen und
begab sich nach London, wo er auf diesen Zweck hin sein kleines Vermögen opferte
und dahin gekommen, sieben Jahre lang Violinist in einem kleinen Orchester
war. Auch in London erschienen nicht wenige seiner Compositionen. Mit
einer Sinfonie reiste er 1834 zur Preisconcurrenz nach Wien, bei welcher ihm
jedoch Franz Lachner den Rang ablief. Nach Amerika zurückgekehrt, liess
er sich in New- York nieder iind spielte, unter dem Namen »der Vater Heinrich«
Heinrichs — Heinrotli. 179
bekannt, eine populäre Figur. Obwohl er in allen Gattungen componirte, ver-
mochte er nicht mehr durchzudringen. Noch einmal, 1857, besuchte er Deutsch-
land und sein engeres Vaterland, fand aber daselbst keinen Boden für seine
künstlerischen Bestrebungen und kehrte 1858 nach New- York zurück, woselbst
er am 3. Mai 1861 hochbetagt starb.
Heinrichs, Johann Christian, geboren um 1760 zu Hamburg, ver-
öffentlichte eine für damalige Zeit interessante Schrift »über Entstehung, Fort-
gang und jetzige Beschaffenheit der russischen Jagdmusik«.
Heinrici, s. Heurici.
Heinroth, Christoph G-ottlieb, tüchtiger deutscher Orgelspieler, ein
Schüler des berühmten G. Gr. Schröter, war 62 Jahre hindurch Organist an
der Peterskirche in Nordhausen. — Sein Sohn, Gottlieb H., studirte, obwohl
musikalisch gut ausgebildet, in Halle Theologie und zeichnete sich auch
späterhin als Sänger und Harfenspieler aus. Auch hat er Mehreres, besonders
Trios für Harfe, componirt.
Heinroth, Johann August Günther, berühmter musikalischer Schrift-
steller, war das fünfte und jüngste Kind des oben genannten Christoph
Gottlieb H. und zu Nordhausen am 19. Juni 1780 geboren. Musikalisch
vorzüglich beanlagt, unterrichtete ihn sein Vater schon sehr frühzeitig im
Ciavierspiel und Generalbass, und mit fürf Jahren sang H. die Melodien aus
den Hiller'schen Operetten nach, während er. zwölf Jahre alt, componirte und
Lieder dichtete. Nachdem er das Gymnasium seiner Vaterstadt durchlaufen
hatte, bezog er 1798 die Universität Leipzig und zur Vollendung seiner theo-
logischen Studien 1800 die zu Halle. Der Umgang, dort mit Hiller, hier mit
Türk erhielt ihn bei fleissiger musikalischer Uebung. Bei einem musikliebenden
Pfarrer zu Gittelde am Harz erhielt H. hierauf eine Hauslehrerstelle, die er
aber zwei Jahre später mit einem Posten als Lehrer an dem neu erstandenen
Jacobson'schen Institute in Seesen, an dessen Organisation er kräftig mitwirkte,
wie nicht minder für die Reform des jüdischen Gottesdienstes jener Stadt, für
welchen er Lieder dichtete, Melodien setzte und dieselben mit Orgelbegleitung
versah. Dasselbe that er auch für die israelitischen Gemeinden in Kassel und
Bei'liu, wohin Jacobson darauf seine Cultusreform verpflanzte. Mittlerweile war
H. zum Doctor der Philosophie in Helmstädt promovirt worden und erhielt
1818 einen Buf als Universitäts - Musikdirektor nach Göttingen als Nachfolger
Forkel's. In dieser schwierigen Stellung suchte er zunächst das ganz ge-
schwundene Interesse für die neuere Musik zu heben und errichtete zu diesem
Zwecke eine akademische Singakademie und einen eigenen öffentlichen Lehr-
stuhl für den wissenschaftlichen Theil der Tonkunst, führte wieder die unter
Forkel eingegangenen regelmässigen akademischen Concerte ein und ertheilte
jungen Theologen Unterricht im Kirchen- und Altargesange. Um sein Wirken
nicht blos zu localisiren, vielmehr zu. erweitern, veröffentlichte er eine »Volks-
note oder vereinfachte Tonschrift«, welches Büchlein in allen Elementarschulen
Hannover's Eingang fand und die unvollkommene Zifferschrift verdrängte.
Dem praktischen Zwecke desselben reihte er an: eine »Gesangunterrichtsmethode
für höhere und niedere Schulen« und eine »Kurze Anleitung, die Choräle nach
Noten leichter und geschwinder als nach Ziffern singen zu lehren«, welcher
letzteren er zur Vervollständigung hierauf auch noch »166 Choralmelodien nach
dem im Königreiche Hannover ziemlich allgemein eingeführten Böttner'schen
Choralbuche in leichte Tonarten transponirt« und »169 Choralmelodien mit
Harmonien begleitet« beigab. Die in diesen Schriften niedergelegte Methode
wurde auch von dem Schullehrer -Seminar zu Hannover adoptirt, und so hat
sich H. ein fortdauerndes Verdienst um den allgemeinen Gesangunterricht so-
wohl, als um den öffentlichen Kirchengesang erworben. Eine »Kurze Anleitung,
das Ciavierspielen zu lehren« fand nicht minder günstige Aufnahme, als seine
zahlreichen , meist auf das Instructive gerichteten Compositionen für dies In-
strument und seine vielen Lieder und Gesäuge, deren Texte er häufig auch ver-
12*
180 Heins — Heint«.
fasst hat und die zum Tbeil in den Volksmuud übergegangen sind. Seine
schriftstellerische Thätigkeit war ebenfalls eine bedeutende und hoch anerkannte.
Abgesehen von poetischen, historischen, geographischen und naturwissenschaft-
lichen Werken schrieb und veröffentlichte er in Göttiugen sein Antrittspro-
gramm »lieber die Vernachlässigung des Gesanges«, ferner »Musikalisches
Hülfsbuch für Prediger, Cantoren und Organisten« (1833) und zahlreiche Auf-
sätze, Abhandlungen und Kritiken iür die »Leipziger allgem. musikal. Zeitung«,
»Cäcilia«, »Eutonia« und für das Schilling'sche »TTnivcrsallexikon der Tonkunst«.
Nach einer nach allen Seiten hin anregend und segensreich entfalteten AVirk-
samkeit starb H. am 2. Juni 1846 zu Göttingen. — Seine Tochter, Francisca
H., machte sich als Concertsängerin mit schöner, sehr umfangreicher und wohl-
gebildeter Stimme im engeren Umkreise vortheilhaft bemerkbar.
Heins, J. J., geboren 1810 zu Schnega bei Ueltzen, etablirte 1838 zu
Hamburg unter der Firma Baum garten und Heins eine Pianofortefabrik,
die er durch Betriebsamkeit und Intelligenz zu Ruf und Bedeutung brachte,
besonders als es ihm glückte, durch Erfindung der Construction mit über-
liegenden Basssaiten einen neuen wichtigen Impuls für den Ciavierbau hervor-
zubringen.
Heinse, Johann Jacob Wilhelm, ein genialer deutscher Dichter und
Schriftsteller, dessen Künstlerromane wegen der eingeflochtenen scharfsinnigen
Kunsturtheile unsere Beachtung verdienen. Geboren am 16. Febr. 1749 zu
Langen wiesen im Sondershauseu'scheu, wurde er nach einem bewegten Jugend-
leben 1787 Vorleser, bald darauf Hofrath und Bibliothekar des Kurfürsten von
Mainz. Während der Kriegszeiten flüchtete er die ihm anvertraute Bibliotliek
nach Aschaffenburg, wo er bis zu seinem Tode, am 22. Juni 1803, verblieb.
Sein Roman »Hildegard von Hohenthal« (2 Bde., Berlin, 1796; 2. Aufl. 3 Bde.,
ebendas. 1801; neue Ausg., Leipzig, 1838), so gemein und werthlos die Hand-
lung ist, bekundet eine glühende Liebe zur Musik, namentlich zur italienischen,
und im didaktischen Theile eine tüchtige Kenntniss musikalischer Dinge,
welche über die Apotheose der nackten Sinnlichkeit liinwegsehen lassen muss.
Es ist übrigens offenbar, dass diese Betrachtungen über die Tonkunst aus hand-
schi'iftlichen Notizen, die H. in Italien niedergeschrieben hatte, entstanden sind;
oft hat er die ursprüngliche Fassung derselben nicht einmal überarbeitet, son-
dern ganz so mitgetlieilt, wie er sie zur Zeit hingeworfen hatte, um seinem
Gedächtnisse zu Hülfe zu kommen. Daher sind sie zwar stets geistreich , an-
regend und im höchsten Grade bemerkenswerth, aber sie verlieren durch die
oft rohe Form der Darstellung, noch mehr aber durch ihre ungehörige Ein-
kleidung vielfach an Werth.
Heinseu, Johann, geschätzter deutscher Organist, der als solcher zu An-
fange des 18. Jahrhunderts in Breslau angestellt war. In dieser Zcdt gab er
auch neu variirte Choralgesänge für Ciavier heraus.
Ucinsins, Clara, talentvolle Gesangscomponistin, geboren 1801 zu Berlin,
war die Tochter des 1849 verstorbenen Literaturhistorikers und Grammatikers
Theodor H. Rungenhagen unterrichtete sie in der musikalischen Composition,
und schon 1819 liess sie ein Heft Balladen und Gesänge erscheinen. Sie
verheirathete sich 1822 mit dem Kaufmann Junge, starb aber schon am 11. März
1823 zu Berlin.
Heiusius, Ernst, Organist zu Arnheim in Geldern um 1760, componirte
Sinfonien und Violinconcerte. — Zu Anfange des 17. Jahrhunderts lebte zu
Frankfurt a. 0. der Superintendent Martin H. , welcher zugleich ein guter,
eifriger Säuger und ein durchgebildeter Musiker war.
Heintz, Albert, guter Pianist und Orgelspieler, geboren um 1818 zu
Berlin, war zuerst Schüler des Organisten C. Rust in Berlin und machte seine
weiteren Studien im königl. Institute für Kirchenmusik. Im J. 1855 wurde
er Organist an der neu erbauten Andreaskirche, von welcher er später an die
Petrikirche versetzt wurde. Gleichzeitig wirkt er als geschätzter Pianofortelehrer.
Heintü — Heiuze. 281
Lieder und Ciavierstücke seiner Composition sind im Druck erschienen, in
neuester Zeit auch »Aneinandergereihte Perlen« (Potpourris) aus R, Wa^ner'-
Bchen Musikdramen.
Heiutz, Wolfgang, auch Heinz geschrieben, berühmter deutscher Com-
ponist und vortrefflicher Orgelspieler, lebte in der ersten Hälfte des 16, Jahr-
hunderts und stand um 1530 als Organist in den Diensten des Erzbischofs
Albert zu Halle, Das von Mich. Vehe herausgegebene Gesangbuch (Halle,
1537) enthält Melodien theils von ihm, theils von seinem Freunde und Collegeu
Joh. Hoffmann. Der noch jetzt gesungene Choral »Christ, unser Herr zum
Jordan kam« (cl f (j a g c h a) wird ihm irrthümlich zugeschrieben ; er hat
nur einen Tonsatz über die ältere Melodie in Ehaw's Schulgesangbuch von
1544 geliefert. Ausserdem hat H. eine Orgel- und Instrumenttabulatur ver-
öffentlicht.
Heiutzeluiauu, Johann, musikkundiger deutscher Theologe, geboren am
29. Jan. 1626 zu Breslau, besuchte das Elisabeth -Gymnasium daselbst und
später die Universität Wittenberg. Schon 1651 wurde er zum E,ector des
Gymnasiums zum grauen Kloster in Berlin ernannt, 1658 zum Diacon an der
Nicolaikirche daselbst und endlich 1660 zum Superintendenten in Salzwedel,
als welcher er 1687 starb. Von ihm: y>Oratio de musica colendaa (Berlin, 1657).
Heinz, August Humbert, musikkundiger Mediciner aus Schlesien, lebte
gegen Ende des 18. Jahrhunderts als Arzt zu Waidenburg, gründete daselbst
ein Liebhabertheater und führte auf demselben einige Singspiele eigener Com-
position mit vielem Beifall auf.
Heinze, s. Häntze.
Heinze, Gustav, Firma einer deutschen Musikverlagshandlung, die ihren
Sitz in Leipzig hat und 1858 von Gustav Moritz H. gegründet wurde.
Dieser, geboren 1834 zu Bernburg, zeichnet sich als guter Clavierspieler und
durch ein treffliches Kunstwissen aus, wie denn auch sein Verlag überwiegend
aus gediegenen Werken (Schumann'sche, Berlioz' gesammelte Schriften u. s. w.)
zusammengesetzt ist. — H.'s Gattin, Sara H., geborene Magnus ^ geboren 1839
zu Stockholm, ist eine ausgezeichnete Pianofortevirtuosin , welche ihre höhere
Ausbildung der Schule Theod. Kullak's, sowie auch Dreyschock und Fr. Liszt ver-
dankt und in Concerten, besonders in Norddeutschland und in ihrem Vater-
lande, sich einen überaus ehrenvollen Ruf erworben hat. Seit ihrer Verhei-
rathung wirkt sie in Dresden als angesehene Müsiklehrerin und Concertspielerin.
Einige Bearbeitungen Bach'scher und Field'scher Werke, in denen sie einen feineu
Geschmack und pädagogisches Geschick bekundet, sind im Druck erschienen.
Heinze, Gustav Adolph, verdienstvoller deutscher Componist und Ton-
künstler in Amsterdam, geboren den 1. Octbr. 1820 zu Leipzig, war der Sohn
des vortrefflichen Musikers Ferdinand H. . welcher dreissig Jahre hindurch
ein höchst ehrenwerthes Mitglied des Gewandhaus -Orchesters zu Leipzig war
und im Juli 1850 daselbst starb. Sowohl unter seines Vaters Leitung auf
dessen Instrument, der Clarinette, als unter der W. Haake's auf dem Piano,
entwickelten sich die Anlagen des jungen H. so schnell, dass man ihm schon
mit 15 Jahren eine feste Anstellung bei dem Gewandhaus -Orchester ertheilte.
Den ersten Unterricht in der Harmonielehre erhielt er 1834 von dem Orga-
nisten Sieber, der jedoch bald abgebrochen und mit gutem Erfolge von E. G.
Müller fortgesetzt ward. Leider folgte aber Müller nur zu bald einem Rufe
nach Altenburg. Im J. 1840 erhielt H. durch Mendelssohn's Einfluss einen
einjährigen Urlaub, welchen er zu eingehenden Studien bei dem Kammermusicus
Kotte in Dresden benützte, während er in der Composition die lehi-reichen
Fingerzeige des Kapellmeisters Reissiger benutzte. Kunstreisen nach Hannover,
Kassel, Hamburg etc. folgten hierauf, welche ihm u. A. auch Marschner's und
Spohr's Anerkennung einbrachten. Besonders günstig wirkte Mendelssohn auf
H,, welcher ihm wohlwollend seine Compositionen durchsah, so den ersten Akt
182 Heinze.
der Oper »Loreley«, au welcher H. damals arbeitete. Doch das Orchesterfach
genügte dem jungen, höher strebenden Künstler nicht; er legte plötzlich seine
Stellung am Gewandhaus- Orchester nieder und auch zu gleicher Zeit sein In-
strument, welches er sonderbarer Weise seitdem nie wieder berührt hat. Im
J. 1844 wirkte H. bereits als zweiter Kapellmeister am Stadttheater zu Breslau.
Unstreitig übte seine Gattin, eine sehr talentvolle Künstlerin, einen grossen
Einfluss auf seinen Geist und sein Schaffen aus, denn sie verstand es, seinem
Streben das rechte Ziel zu zeigen. Im Decbr. 1846 brachte er seine erste
dreiaktige Oper »Loreley« in Breslau zur Aufführung, und dieses Erstlings-
werk erfreute sich einer ehrenvollen Aufnahme von Seiten der Kritik und des
Publikums. Schon 1848 erschien seine zweite Oper, »Die Ruine von Tharand«.
Die Texte beider Werke waren von seiner begabten Gattin verfasst. Auch
diese Arbeit erwarb sich einen überaus glücklichen Erfolg. Am 22. Jan.
1849 brachte auch Leipzig, H.'s Vaterstadt, und hierauf Dresden diese Oper
zur Aufführung.
Im J, 1850 folgte H. einem Rufe als Kapellmeister der deutschen
Oper nach Amsterdam; die bald darauf erfolgende Auflösung des Instituts
führte ihn jedoch in das Privatleben. Erst 1853 erschien er wieder in
einer öffentlichen Stellung und zwar als Direktor der Liedertafel »Euterpe«,
welche sich unter seiner fast 20jährigen Leitung zu einer der renommirtesten
des Landes erhob. Im J. 1857 übernahm er auch die Direktion der philan-
tropischen Concerte von »Vincentius von Paulo« , dessen Programme nur auf
dem oratorischen Gebiete sich bewegen und für deren Ausführung H. die
grösste Sorgfalt entwickelte, so dass diese Concerte, getragen von einem vor-
trefflichen, oft über 250 Sänger zählenden Chore, zu den bedeutendsten Kunst-
produktiouen Hollands gehören. Für diesen Verein schrieb H. zwei grosse
oratorische Werke: »Die Auferstehung« und yySancta Caecilia«, deren erste Auf-
führungen am 4. Febr. 1863 und 28. Jan. 1870 stattfanden. Zu Beiden
dichtete wiederum Frau Henriette Heinze-Berg die mustergültig zu nen-
nenden Texte. Diese Werke fanden eine fast enthusiastische Aufnahme, haben
sich unglaublich schnell in ganz Holland verbreitet und überall dieselben glän-
zenden Erfolge errungen. Auch in Deutschland wurden sie mit grossem Glück
aufgeführt in Gotha, Frankfurt, Gladbach. Im J. 1860 übernahm H. die
Leitung des Chores in der französischen Kirche auf vier Jahre, und 1862 er-
richtete er im Auftrag der Maalschappy tot bevoi'derincj der Tonkunst eine Ge-
sangschule, welche sich unter seiner 9jährigen Leitung eines so glücklichen
Erfolges erfreute, dass sich vier Jahre später durch Zuziehung der instrumen-
talen Classen die jetzige Musikschule daraus Ijildete.
Für die lutherische Kirche errichtete H. 1868 den Kirchengesang- Verein
«Excelsiora, dessen Hauptzweck die Veredelung und Verbreitung des protestan-
tischen Kirchengesanges a capella ist. Die Resultate dieses Vereines sind
bis jetzt übei'aus günstig zu nennen. Unter den 140 Mitgliedern von er-
probten musikalischen Fähigkeiten befinden sich viele herrliche Stimmen (fast
alle Privatschüler von H.), so dass die Solisten in dem Chor selbst gefunden
werden. Die Thätigkeit des Vereins besteht aus der Mitwirkung an grossen
Festtagen und drei grossen Concerten jährlich in der Kirche. — H. hat über
50 AVerke geschrieben, von denen mehr als 30 im Druck erschienen sind. Die
hervorragendsten ausser seinen beiden Oratorien sind drei Messen, wovon die
zweite alleiniges Eigenthum der katholischen Kirche rtAd majorem dei gloriamv.
ist, Cantaten, Cantiken, ein Ciaviertrio, viele grössere Stücke für Männerchor
mit und ohne Orchester, Lieder etc., sowie eine Gesangschule für Elementar-
Untei'richt in holländischer Sprache (Amsterdam, in 4. Aufl. erschienen). Zu
seinen bekannt gewordenen Manuscripten gehören die beiden schon genannten
Opern, drei Concert- Ouvertüren, Concertstücke für Harmonie- und Streich-
orchester, verschiedene grosse Festeantaten mit holländischem Text, Lieder,
Chöre etc. Rechnet man zu dieser vielseitigen Thätigkeit H.'s grosse Anzahl
Heischkol ~ Heiserkeit. 183
Musikschüler, die sich in Amsterdam auf Hunderte in allen Zweigen der Kunst
erstrecken, so ist ersichtlich, dass in ihm ein reiches Künstlerleben vertreten
ist. Ausser etwa dem im Haag verstorbenen Lübeck ist aber auch niemals
einem deutschen Künstler eine so allgemeine Popularität in den Niederlanden
zu Theil geworden, wie H. Beinahe alle Kunstvereine Hollands zählen ihn
zu ihrem Ehreumitgliede und ausserdem verlieh ihm der König von Holland
den Orden de Eikenkroon, sein Landesherr, der König von Sachsen, den Al-
brechtsorden und der kunstsinnige Herzog von Coburg den Ernestinischen
Hausorden.
Heischkel, Johann Jacob, deutscher Lautenvirtuose, war seit 1671 in
Berlin als kurfürstl. brandenburg'scher Kammermusiker angestellt und hatte
seiner Kunstfertigkeit wegen einen weit verbreiteten Ruf.
Heiser, August, vorth eilhaft bekannter deutscher Messing - Blasinstru-
mentenmacher, geboren am 6. Octbi'. 1801 zu Berlin, begründete am 1. Juli
1826 zu Potsdam eine eigene Fabrik, deren trefflich gearbeitete Inventions- und
Ventilinstrumente seineu Namen über Europa hinaus bis nach Amerika und
Australien trugen.
Heiser, Wilhelm, populär gewordener deutscher Liedercomponist, geboren
am 15. April 1817 zu Berlin, zeigte schon früh eine schöne Sopraustimme,
die, verbunden mit der Sicherheit im TreflFen der schwierigsten Intervalle, Ver-
anlassung gab, dass H., kaum 12 Jahre alt, als Chorknabe in die königl. Oper,
sowie in den kleinen Kapellenchor des Königs Friedrich Wilhelm III., be-
stehend aus sechs Knaben und sechs Männern, unter Leitung des Prof Zelter,
Ed. Grrell und des Major Einbeck, aufgenommen wurde. Als bei dem ersten
Auftreten von Mantius, am 22. Aug. 1830 als Tamino in der »Zauberflöte«,
der Versuch gemacht wurde, die drei Oenien von Knaben singen zu lassen,
wurde H. mit der Parthie des ersten Knaben betraut; der Versuch selbst
übrigens gelaug über alle Erwartung. H, widmete sich für die Folge ganz
der Bühne und wurde als Sänger bei den Hoftheatern in Schwerin und Son-
dershausen angestellt, beschloss aber diese Laufbahn und widmete sich aus-
schliesslich der Composition und der Ertheilung von Gresangunterricht und
zwar nach einander in Stralsund, Berlin und Rostock. Auf Wieprecht's Wunsch
wurde H. 1853 als Musikmeister des Garde -Füsilier -Regiments in Berlin an-
gestellt, übernahm auf Vorschlag Neithardt's die Leitung des Garnison-Kirchen-
Chors und hat sich als vortrefflicher Dirigent bewährt. Nach dem Feldzuge
von 1866 nahm er seinen Abschied und widmete sich ausschliesslich und mit
Erfolg dem Gesangunterricht. Von einigen hundert Liedern, die H., ausser
einigen Tänzen und Märschen für Ciavier, bis 1875 veröffentlicht hat, sind
sehr viele nicht nur in Deutschland überaus beliebt geworden, sondern auch,
in die betreffenden Landessprachen übersetzt, nach Frankreich, England, Schweden
gelangt, so besonders »Das Grab auf der Haide«, »Die Thräue«, »Zieht im
Herbst die Lerche fort« und »Die beiden Grenadiere«. Auch ein Liederspiel
von H. wurde in Berlin sehr beifällig gegeben.
Heiserkeit (latein.: raucedo) nennt man eine gewisse Unregelmässigkeit der
Stimme, wodurch diese ihren lauten, reinen und metallischen Klang einbüsst
und statt dessen rauhe, ungleichartige, schnarrende oder auch pfeifende Töne
hervorbringt. Gleichzeitig erscheint der Gebrauch des Organs erschwert und
durch Husten, der das Hinderniss hinwegzustossen versucht, unterbrochen.
Die nächste Ursache dieser Unregelmässigkeit liegt in einer in der Kehlkopf-
schleimhaut vorgegangenen Veränderung der gewöhnlichen Glätte derselben.
Nur bei fortdauernder Vernachlässigung oder fortwirkenden Schädlichkeiten ist
diese Veränderung geeignet, einen hohen Grad anzunehmen, ja bis zur Zer-
störung der afficirten Haut und des darunter liegenden Knorpels zu führen.
In selteneren Fällen rührt die H. allein von Nervenverstimmung her, bei wel-
cher die Stimmritze krampfhaft zusammengezogen wird. Die H. ist im All-
gemeinen also keine selbstständige Krankheit, sondern nur ein Krankheitszeichen,
184 Heisius — Helder.
welclies je nach den übrigen begleitentlen Umständen mehr oder weniger Wich-
tigkeit hat. Eine leichte Erkältung, der Genuss erhitzender geistiger Getränke,
eine Anstrengung der Stimme kann H. hervorrufen, die meist durch Ruhe und
Vermeidung der Schädlichkeiten leicht gehoben wird, mitunter aber auch eine
im Körper befindliche Krankheitsanlage dazu bringt, den Kehlkopf zum Orte
ihres Ausbruches zu treffen und dann nur mit Hebung der ganzen Krankheit
sich verliert. — Auch von rauh und unrein, pfeifend oder schnarrend ertönen-
den Zungenpfeifen der Orgel sagt man, dass sie »heiser« klingen.
Heisius, Kaspar, latinisirt aus Heise, ein Contrapunktist des 16. Jahr-
hunderts, der mit Auszeichnung erwähnt wird.
Heissler, Karl, ein vorzüglicher Violinvirtuose der Gegenwart, geboren
am 18. Jan. 1823 zu Wien und daselbst von den besten Lehrei'n auch musi-
kalisch allseitig gebildet. Er ist seit 1843 ein hochgeschätztes Mitglied der
k. k. Hof kapelle und zugleich Professor am Conservatorium , sowie Dirigent
des Orchestervereins dn* Gesellschaft der Musikfreunde zu Wien. Wie seine
Lehrer Jos. Böhm, Matth. Durst und Georg Hellmesberger zeichnet auch er
im Solo- und Quartettspiel sich hoch aus.
Helbigr, Gottfried, Organist und rühmlichst bekannter deutscher Instru-
mentenmaclicr der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, welcher in Liegiiitz
lebte, wo er auch am 1. Jan. 1795 starb. Seine Claviere mit und ohne Flöten-
register, sowie auch seine Elügel waren gesuchte und geschätzte Artikel. —
Nach seinem Tode übernahm und führte sein Sohn Gottlob H. die Instru-
mentenwerkstätte fort.
Held, August, deutscher Musiklehrer und Componist, geboren um 1812
zu Magdeburg, wirkte daselbst bis vor Kurzem. Er hat Tänze und Aehn-
liches für Pianoforte veröffentlicht. — Ein Tanzcomponist aus Baiern, Bruno
H,, lebte um 1815 zu Mannheim, und ein Gesangscomponist und Doctor der
Medicin, Johann Theobald H., geboren um 1760, zu Prag.
Held, Jacob, hervorragender deutscher Violinist und Instrumcntalcom-
ponist, geboren am 11. Novbr. 1770 zu Landshut, war der Sohn des dortigen
Cantors, der ihn schon als siebenjährigen Knaben mit einem Violinconcert von
Stamitz öffentlich auftreten Hess. Als Gymnasiast zu Landshut trieb H. auch
fleissig Orgel- und Clavierspiel und wurde bald als Organist an das dortige
Seminar gezogen. Als Student der Philosophie kam er 1788 nach München
und fand in dem Gi'afen von Tauffkirchen einen Gönner, der ihn durch K. v.
Haraijeln und dann durch Friedr. Eck im Violiuspiel vollends ausbilden und
von Dauzi in der Composition unterrichten Hess. Als Virtuose besuchte H.
später das übrige Deutschland, die Schweiz und Nordft-ankreich und Hess sich
auch mit seinem elfjähiügen Sohne in Doppelconcerten hören. Hierauf scheint
er sich auf seinen Dienst als Hofmusiker und Musiklehrer in München be-
schränkt zu haben. Comi^onix't hat er Ouvertüren für Oi'chester, Streichquar-
tette, sowie Concerte und Variationen für Violine.
Hclder, Bartholomäus, latinisirt Helderus, geistlicher Dichter und
Tonsetzer, geboren um 1585 zu Gotha, wo sein Vater, Johann H. , Super-
intendent war. Trotzdem er musikalische und wissenschaftliche, besonders
theologische Studien getrieben hat, war seine erste Stellung die eines Schul-
diencrs (Liidimoderntor) zu Friemar, einem Dorfe bei Gotha. Seit 1616 Pfarrer
in Remstädt, vier Stunden von Gotha gelegen, starb er daselbst am 28. Octbr.
1635 an der Pest. Von 1614 bis 1621 veröffentlichte er an musikalischen
Werken: ToCymbalum Genethliacum, d. i. Fünfzehn Schöne, Liebliche vnd An-
muthigc New- Jahres und Weihnacht- Gesänge mit 4, 5 und 6 Stimmen« (Er-
furt, 1614); -nCyynhalmn DaviJicum, d. i. Geystliche Melodeyen vnd Gesänge
mit 5, 6 und 8 Stimmen« (Erfurt, 1620); »Das Vater Unser, nach ihren ge-
wöhnlichen Melodien in Contrapuncto colorato mit vier Stimmen gesetzet« (Er-
furt, 1621). Ausserdem befinden sich noch 54 Melodien und Tonsätze von
ihm im Gothaischen Cantionale sacrum (3 Thle., Gotha, 1646, 1648, 1648;
Heldius — Helikon. 185
2. Aufl. 1651, 1655, 1657). lieber H.'s Dichtungen findet man Näheres in
E. E. Koch's »Geschichte des Kirchenlieds und Kirchengesangs« 3, Bd. 3. Aufl.
(Stuttgart, 1867) S. 114, 248. Vgl. auch Wetzel's Hymnopoegr. I. 407.
HeldiuSj Jeremias, latinisirt aus Held, deutscher Musikgelehrter des
17. Jahrhunderts, ist der Verfasser eines y>Sc]iema melopoeticmnis.
Hele, Georges de la, niederländischer Contrapunktist, geboren in der
ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu Hainaut, war Musikmeister an der Ka-
thedralkirche zu Tournay und wurde von dort aus als Kapellmeister an den
Hof des Königs Philipp II. nach Madrid berufen. Sein Todesjahr ist unbe-
kannt. In Antwerpen erschienen von ihm acht Messen für 5, 6 und 7
Stimmen (1578).
Helene Paulowna, Grossfürstin von Russland, eine vorzügliche Pianistin
und begeisterte Freundin, Kennerin und Förderin der Musik, wurde am 9. Jan.
1807 zu Stuttgart als Prinzessin von Würtemberg geboren und führte bis zu
ihrer Vermählung mit dem Grossfürsten Michael von Russland (am 19. Febr.
1824) die Namen Friederike Charlotte Marie. Sie wirkte in Russland
höchst segensreich für die Hebung und Verbreitung von Kunst und Wissen-
schaft und war u. A. die Begründerin und Patronin der sehr eiuflussreich ge-
wordenen Musikconservatorien in verschiedenen Städten, sowie der grossen
Musikgesellschaften, die sich über den ganzen russischen Staat ausdehnen.
Ausserdem unterstützte sie mit fürstlicher Munificenz talentvolle Musiker und
beförderte die Herausgabe wichtiger Musikwerke in der liberalsten und um-
sichtigsten "Weise. Ihr Tod, der unerwartet am 20. Jan. 1873 in St. Peters-
burg erfolgte, traf die höheren Kunstbestrebungen im russischen Reiche wie
ein unersetzlicher Verlust.
Helfer, Charles d', französischer Kirchencomponist zu Anfange des 18.
Jahrhunderts, war Canonicus und Lehrer der Kapellknaben an der Kirche zu
Soissons und hat Messen und Vespern gesetzt, die sich durch schöne und
kunstvolle Harmonie auszeichnen sollen. — Ein deutscher Componist für Orgel
gleichen Namens, nämlich Friedrich August H., geboren am 2. Aug. 1800
zu Weissenfeis, war als Organist in Gera angestellt.
Helia, Camillo di, italienischer Contrapunktist des 16. Jahrhunderts aus
Bari, schrieb und veröffentlichte zweistimmige Motetten. — Ein Zeitgenosse,
wahrscheinlich auch naher Verwandter von ihm war der gleichfalls als Contra-
punktist genannte Vittorio di H.
Helikou (griecb.) ist der Name eines schon von Aristides und von Ptole-
maeus, y>IIarmonicoruin(.<. lib. 2 cap. 2, erwähnten und genauer beschriebenen Ton-
werkzeuges, das, wie das Monochord (s. d.), zur Feststellung der richtigen
Saitenverhältnisse verschiedener Intervalle angewandt wurde. Dies Tonwerkzeug
bestand, wenn man der Beschreibung des Pater Kircher in seiner y>Musurgiav.
lib. IV. pag. 189 folgt, aus einem einfachen Schallkasten, dessen Resonanzboden
genau quadratisch gestaltet war. Zwei gegenüberliegende der Quadratseiten
des Resonanzbodens theiltc man in vier und in drei gleiche Theile. Von jedem
Punkte der einen zum correspondirenden der andei'n Parallelseite des Resonanz-
bodens zog man eine Saite — im Ganzen also sieben, die dann mit der unge-
theilten Resonanzbodenseite gleichlaufend gingen — und stimmte alle diese
Saiten im Einklang. Ferner zog man eine Linie von der einen Ecke der einen
ungetheilten Quadratseite zur Mitte der andern. Genau in dieser Flucht setzte
man bewegliche Stege (s. d.) unter die Saiten und erhielt dann durch die
verschiedenen hierdurch gebildeten Saitentheile verschiedene Intervalle in höchster
Reinheit. Das H. gab nach dieser Einrichtung folgende Tonverhältnisse: den
Einklang (s. d.) durch das Verhältniss 1:1 dargestellt; die Octave (s. d.)
= 2:1; die Doppeloctave (s. d.) =4:1; die Quinte (s. d.) =3:2; die
Zwölfte, Duodecime (s. d.) oder Octave der Quinte =3:1; die Quarte
(s. d.) =4:3; die Eilfte, Undecime (s. d.) oder Octave der Quarte =8:3
und den grossen Ganzton (s, d.) =9:8. Da das H. nicht alle Intervalle
186 Hell - Heller.
darstellte, so construirte mau sich aucli. wohl In früherer Zeit H.s mit mehr
Saiten. Vgl- Kircher's ^yMusurgiaa I. pag. 188 und riCölius Rhodiginusa, Alle
Tonwerkzeuge jedoch, die auf Grund der Theorie des H.s construirt wurden,
genügten niclit für jede gewünschte lutervalklarstellung. Besonders gahen sie
keine sofort klar zu erkennende Uebersicht der geometrischen Saitenverhält-
nisse. Deshalb sah mau bald die H. genannten Tonwerkzeuge mehr als eine
musikalische Spielerei, denn als zur Bestimmung der Saiteulängen der ver-
schiedenen Intervalle dienliche Tonwerkzeuge an. Jetzt kennt man dieselben
nur noch, wie erwähnt, nach der Beschreibung in älteren musiktheoretischen
Werken. 2.
Hell nennt man jeden klaren und scharfen Ton, der sowulil in weiterer
Ferne als in nächster Nähe dem Ohre angenehm klingt und leicht iu Bezug
auf seine Klanghöhe erkennbar ist. Wahrscheinlich ist das vorzüglich nur er-
kennbare Erscheinen des Haupttones ohne Aliquottöne (s. d.) in höherer
Intensität die Ursache der h. genannten Toneigenheit. Weil nun diese Ton-
eigeuheit bei den Klängen der offenen Labialstimmen der Orgel sich am meisten
bemerkbar macht, so könnte man dieselbe wohl auf die ganze Gattung dieser
Register anwenden, wie sie in früherer Zeit auf einem Register insbesondere
gebraucht wurde (s. Hellpfeife). 2.
Hcllbacb, Johann Andreas, deutscher Tonkünstler, geboren 1665, war
Cantor an der Hauptkirche zu Naumburg und Musikdirektor an den Kirchen
St. Othomar und St. Mauritius daselbst.
Hellebraud, Johann, Componist und Musiklehrer, geboren im J. 1808
in Zdic (Böhmen), lernte das Pianofortespiel bei Habern in Prag, und als er
nach Lemberg kam, auch den Generalbass und Contrapunkt bei Witte iu Lem-
berg, wo er später zu den renommirtesten und gesuchtesten Musiklehreru ge-
hörte. A'^on seinen zahlreichen Compositionen, die sich im Manuscripte bei
seiner Gattin in Lemberg befinden, ist nur eine einzige im Druck erschienen,
nämlich eine Folka hrillante, die er auch nur auf Anregung Fr. Liszt's, des
Dedicanten derselben, herausgab. H. starb am 2. Aug. 1861 in Lemberg. Er
hat den Ruf eines bescheidenen Künstlers und eines ausgezeichneten Musik-
lehrers hinterlassen. M — s.
Heller, Ferdinand, deutscher Tenorsänger und Componist, war um 1783
zu Bonn in der kurfürstl. kölnischen Hofkapelie angestellt, zu deren vorzüg-
lichsten Sängern er gerechnet wurde.
Heller, Stephen, vortrefflicher Pianist, aber noch ausgezeichneter als
geistvoller Componist für sein Instrument, wurde am 15. Mai 1815 zu Pesth
von ziemlich bemittelten Eltern geboren. Als einziger Sohn erhielt er eine
sorgsame Erziehung, mit welcher auch Unterricht im Ciavierspiel verbunden
war. Gegen die kaufmännischen Studien, für die er bestimmt war, verrieth
der Knabe bald eine unüberwindliche Abneigung, gefiel sich aber dafür um so
besser in seinen musikalischen Erholungsarbeiten und machte so grosse und
bedeutende Fortschritte, dass er sich an der Seite seines Pianofortelehrers F.
Bräuer in einem Doppelconcerte von Dussek öffentlich hören lassen konnte.
In Folge dessen fügte sich sein Vater der Nothwendigkeit und schickte den
Sohn zu dessen geistiger wie musikalischer Ausbildung nach Wien. Bei dem
vortrefflichen Ciaviermeister Ant, Halm daselbst erhielt H. einen gediegenen,
rasch fördernden Musikunterricht, so dass er schon nach seinem ersten Con-
certe im J, 1827 von sich reden machte. Nach seiner Vaterstadt zurückgekehrt,
gab er einige ergiebige Concerte, da seine Mitbürger sich drängten zu hören,
ob aus dem verschlossenen, unbeachtet gebliebenen Knaben wirklich ein Künstler
geworden sei. Bald darauf trat H. seine erste und letzte Kunstreise durch
Oberungarn nach Krakau, Warschau und weiterhin über Breslau, Leipzig,
Braunschweig, Hannover nach Hamburg an. Von dort ging er über Frankfurt
a. M. nach Augsburg. Ein von ihm componirtes Concert mit Orchesterbeglei-
tung war damals die erste grössere Probe seines schaffenden Talents. In
I
HeUer. 187
Augsburg überfiel ihn eine gefährliclie Krankheit, und er musste seine Concert-
reise untei'brechen. Er fand in einem kunstliebenden Hause freundschaftliche
Aufnahme und die liebenswürdigste Pflege. Das erfreulichste Ergebuiss dieses
Aufenthalts war neben der allmälig wiedergekehrten Gesundheit ein inzwischen
gewonnenes wahres Verständniss der Musik, und eine erste Liebe legte überdies
den Keim zu seinen späteren musikalischen Dichtungen in sein Gemüth. Im
freundschaftlichen Umgange mit einem hochintelligenten Kunstkenner, dem
Grafen Eugger, sowie mit Chelard, Drobisch und Stetten bildete sich auch sein
Geist schnell aus, und der Einfluss jener glücklichen Zeit äusserte sich deutlich
in seinen damaligen Compositionen op. 7, 8 und 9, welche sich so vortheilhaft
von seinen ersten Versuchen unterscheiden, dass sie als die eigentlichen Anfänge
seines künstlei'ischen Schaffens betrachtet werden müssen.
H. ging erst nach mehrjährigem Aufenthalte in Augsburg zu seinen Eltern
auf Besuch, kehrte aber schon im nächsten Jahre dahin wieder zurück. Nach
seinem eigenen Geständnisse hat er in Augsburg mehr Musik gelesen und die
ältere wie neuere Musikliteratur besser kennen gelernt, als dies auf irgend einer
Hochschule hätte der Fall sein können. Künstlerisch gefestigt, erwachte die
alte Wanderlust wieder in ihm, und er begab sich 1838 auf den Rath seiner
Freunde nach Paris. Hier fand er eine ungeahnte einflussvolle Anregung nach
allen Seiten hin, die er besonders dazu benutzte, die Lücken, die allzu ein-
seitiges Kunststudium bei ihm gelassen hatten, nach und nach zu ergänzen;
literarische und historische Studien füllten in erster Linie seine Zeit aus. Der
Umgang mit den geistigen Notabilitäten der französischen Hauptstadt ausserdem
rückte ihn zwar dem Cultus der eleganten, spirituellen Manier näher als jemals
zuvor, aber er vermochte ihn nicht um seinen deutschen Musikglauben zu
bringen, dem er in seiner späteren Richtung stets treu blieb. Die Leiden für
sein unabhängiges Streben im Leben, in der Kunst und im Worte blieben
nicht aus, und er musste diesem Streben manchen materiellen Vortheil zum
Opfer bringen, aber niemals hat er sich, wie seine Compositionen beweisen, zu
Modearbeiten demüthigen lassen. So musste er denn anfangs oft Noth leiden
und verschiedene Leidenschaften mit ihren Stürmen von Gemüth saufreguugen
über sich ergehen lassen, ohne dass er geistig erschüttert oder gebeugt worden
wäre. Alles, was manchen Anderen gebrochen haben würde, diente nur zur
Stählung seines Talents und seines selbstständigen Charakters, und die ihm
nicht erspart gebliebenen geistigen Kämpfe und Seelenleiden fanden einen ver-
edelten Abglanz in seinen Tondichtungen, die für den Kenner, überhaupt für
empfindende Gemüther um so mehr Anziehungskraft haben, als sich in
denselben in der That die Geschichte eines edeln, vielgeprüften Lebens ab-
spielt. Er ernährte sich in den ersten Jahren seines Aiifenthaltes in Paris
theils von Unterricht, theils von seiner Feder durch musikalische Kritiken,
die so fein und geistreich geschrieben waren, dass sie nicht geringes Auf-
sehen machten.
H. zog es vor, seine damaligen Compositionen in der Provinz und fast
umsonst herauszugeben, um nicht durch das Betreten der Landstrasse der
ßoutine seiner Kunstreligion untreu zu werden, was ihm bei den Pariser Ver-
legern den B,uf eines unpraktischen Märtyrers einbrachte. Er spielte nur noch
in den intimen Kreisen Auserwählter, die ihn hoch verehrten, von denen aus
sich aber endlich sein Name über die enge Sphäre hinaus eine sichere Bahn
brach. Seinen Humor wie seinen Schmerz tobte er in den anspruchslos Etüden
genannten charakteristischen Phantasiebildern op. 16, kleinen gehaltvollen Meister-
stücken der Clavierliteratur , aus. Ein so ernstes, beharrliches Kunststreben
musste endlich selbst in Paris von Erfolg gekrönt sein und dem Manne, der
nur geistreiche und gediegene Werke schuf, auch in materieller Beziehung eine
freundlichere Stelle sichern. Von etwa 1845 an darf sich H., der Paris nur
im Sommer mit einem Erholungsaufenthalte, meist in der Schweiz, vertauscht
hat, den Eingebungen seiner Phantasie und reichen Laune hingeben und hat
188 Hellingk — Hellmesberger.
niclits mehr vom Unverständniss zu besorgen. Seine Werke für Pianoforte,
mit denen er oft fast zu lange pausirte, wurden in der ganzen Mu^ikwelt un-
geduldig erwartet und mit höchster Freude empfangen. Er wird von der
Kritik einstimmig als der edelste und ursprünglichste Pariser Claviercomponist
anerkannt, und selbst das Pariser Conservatorium, welches ihm, dem Ausländer,
vergeblich ein Professorenamt anbot, hat die meisten seiner Werke in seinen
Unterrichtsstoff gezogen. — H. hat bis jetzt 140 Hefte von seinen Corapositionen,
bestehend in Sonaten, Etüden, Capricen, Phantasien, Imjjromptu's, Charakter-
stücken u. dergl., veröffentlicht. Was diese Werke auszeichnet, ist eben,
dass sie den Eindruck einer inhaltreichen Individualität hervorrufen, welche
Form und Inhalt in den wohlthuendsten Einklang zu bringen weiss und
deren Melodie und Harmonie stets poetisch berühren, weil sie immer eigen-
thümlich sind.
Helliug-k, Lupus, ein Contrapunktist zu Anfang des 16. Jahrhunderts,
wird als ein vorzüglicher Meister seiner Zeit gerühmt.
Helliug'warr, Peter, niederländischer Mathematiker, lebte zu Anfange des
17. Jahrhunderts zu Hoorn und lieferte in einer Schrift Berechnungen über
die Weite der Töne, Länge der Orgelpfeifen u. s. w.
Hellmann, Johann Adam Maximilian, deutscher Tonkünstler, war
1727 Cembalist der kaiserl. Hofkapelle in Wien, von wo aus er nach Italien
ging und dort u. A. das Drama »Abigail« in Musik setzte.
Helliiiesberg'er, eine um das Kunstleben Wiens hochverdiente Musiker-
familie, deren ältestes Haupt Georg H. war. Geboren am 24. April 1800 zu
Wien, erhielt derselbe von seinem Yater, einem gewesenen Landschullehrer, den
ersten Violinunterricht und brachte es bei vorzüglichen Anlagen so weit, dass
er sich als achtjähriger Knabe schon öffentlich hören lassen konnte. Mit zehn
Jahren wurde er erster Sopranist der kaiserl. Hofkapelle an Stelle des so eben
ausgeschiedenen Franz Schubert. Für den geistlichen Stand bestimmt, durch-
lief er später die Klassen des Cisterzienserstifts Heiligenkreuz und nahm in
Wien die theologischen Studien auf. Allein er beschloss, sich ganz der Musik
zu widmen, und die Gesellschaft der Musikfreunde kam seinen Absichten ent-
gegen, indem sie ihn von Böhm im höheren Violinspiel und von Eman. Förster
in der Composition unterrichten liess. Bald wurde er als Hülfslehrer und
weiterhin als ordentlicher Professor am Conservatorium zu Wien angestellt.
Eine lange Reihe vorzüglicher Violinisten, in erster Reihe seine beiden Söhne
Georg und Joseph, bezeichnen seine ehrenvolle Lehrthätigkeit. Als Schup-
panzigh 1829 starb, wurde H. zum Orchesterdirektor am Hofoperntheater er-
nannt und ein Jahr später auch in der Hofkapelle angestellt. Endlich pen-
sionirt, lebte er in Zurückgezogenheit, bewahrte aber seine Rüstigkeit und
Geistesfrische bis zu seiner letzten Stunde. Er starb am 16. Aug. 1873 zu
Neuwaldegg bei Wien. Als Solospieler fertig und elegant, hat er sich auch
als Quartettspieler einen guten Namen erworben. Von seineu Compositionen
sind Concerte, Variationen, ein Streichquartett u. s. w. im Druck erschienen.
— Der ältere seiner beiden Söhne, gleichfalls Georg H. geheissen, geboren
1828 zu AVien, wurde unter väterlicher Anleitung ein vortrefflicher Violinist,
der 1847 auf Concertreisen durch Deutschland und England grosse Erfolge er-
rang und 1849 als Concertmeister der königl. Hofkapelle in Hannover ange-
stellt wurde. Leider starb er in dieser Stellung schon am 12. Novbr. 1852,
nachdem er eine Oper, »Die Bürgschaft«, vollendet hatte. — Sein Bruder,
Joseph H., geboren zu Wien am 3. Novbr. 1829, ist dasjenige Glied der
Familie, welches dem Namen einen hellleuchtenden Glanz verliehen hat. Früh-
zeitig hatte auch er vom Vater die trefflichste Ausbildung erhalten , so dass
er gleichfalls an der Kunstreise durch Deutschland im J. 1847 Theil nehmen
konnte. Schon 1850 wurde er Professor des Violinspiels und Direktor des
Wiener Conservatoriums, 1860 Concertmeister am Hofoperntheater und 1865
als Nachfolger Mayseder's erster Violinist der kaiserl. Hofkapelle, eine Ernen-
Hellmich — Hellmuth. 189
nung, welche um so mehr Aufsehen erregte, als man fast zum ersten Male von
dem Principe der Anciennität zu Gunsten wahrhaft überlegener Begabung einer
jüngeren Kraft abging. H.'s grösstes Verdienst um Wien aber beruht in der
festen Begründung, ja Popularisiruug der edeln aber ernsten Kunstgattung des
Streichquartetts. Mit den von ihm in Verbindung mit Durst, Heissler und
Schlesinger am 4. Novbr. 1849 eröffneten und trotz des mehrmaligen Personen-
wechsels bis auf den heutigen Tag fortgeführten Quartettconcerten ging für die
Kammermusik eine neue Aera in Wien auf, insofern, als es H. um die allmälige
Veröffentlichung unbekannter oder verschollener Werke dieser Gattung in voll-
endetster Art zu thun war, ein Princip, welches er später auch auf Orchester-
compositionen ausdehnte. Als Dirigent weiss er das ihm unterstehende jugend-
liche Zöglingsorchester des Conservatoriums zu wahren Glanzthaten fortzureissen.
Nicht minder verdienstvoll wirkte er als mehrjähriger artistischer Leiter der
grossen Concerte der Gesellschaft der Musikfreunde. In anerkennenswerther
Bescheidenheit hat H. niemals auf einem Felde zu glänzen gesucht, auf dem
ihm hervorragende Anlage versagt ist, in der Composition; er hat lediglich
Instructives veröffentlicht und einige ältere, von ihm zum Theil erst wieder
aufgefundene Arbeiten anderer Meister neu herausgegeben. Als Violinist und
als Lehrer dieses Instruments jedoch geniesst H. eines wohlverdienten aus-
gezeichneten Rufs. Eine Menge jugendlich aufstrebender Talente wurde von
ihm in hingehendster Art herangebildet und grossgezogen, unter diesen sein
eigener hochbegabter Sohn, geboren 1856, der seit 1872 an seiner Seite in
den Quartettconcerten tüchtig mitwirkt. Die mannigfachen musikalischen Ver-
dienste H.'s wurden wiederholt gebührend anerkannt, von der Stadt Wien
durch Verleihung des Ehrenbürgerrechts, vom Kaiser von Oesterreich und
anderen Fürsten durch Orden, wie er denn auch schon 1855 als Jury-Präsident
der Pariser Weltausstellung die Ehrenmedaille und das französische Ritterkreuz
der Ehrenlegion erhalten hatte.
Hellmich, Karl, verdienstvoller deutscher Instrumentenmacher, geboren
am 20. April 1818 zu Potsdam, fertigte seit 1844 Streichinstrumente, die einen
vorzüglichen Ruf haben, und brachte bei denselben mit Erfolg seine Erfindung
an, die Balken zu fenstern, um dadurch die möglichst freieste Schwingung
der Saiten zu bewirken. Im J. 1851 übernahm er die renommirte Instru-
mentenhandlung seines Schwiegervaters Karl Grimm in Berlin und starb da-
selbst 1867.
Helliuich, Wilhelm, vortrefflicher deutscher Violinist, geboren am 30. Juni
1839 zu Berlin, erhielt seine höhere musikalische Ausbildung von Ferd. Laub
und ist seit dem 1. Aug. 1868 als erster Violinist der königl. preussischen
Kapelle angestellt. An der Spitze verschiedener Unternehmungen im Interesse
gediegener Kammermusik wirkt er ausserdem sehr verdienstvoll in Berlin.
Hellmuth, Friedrich, guter deutscher Sänger und Componist, geboren
1744 zu Wolfenbüttel, verdankte seiner herrlichen Knabenstimme eine gründ-
liche Ausbildung in der Musik. Er widmete sich der Oper und dem Schau-
spiele und übernahm die Direktion des markgräfl. schwedt'schen Theaters. Als
trefflicher Tenorsänger und als Schauspieler war er 1770 in Weimar und
hierauf in Gotha beliebt. Von letzterer Stadt aus ging er als Hofmusiker
nach Mainz, wo er auch als Instrumentalcomponist (u. A. drei Sonaten für
Ciavier mit Begleitung von Violine und Violoncello) Anerkennung fand. Er
starb zu Anfange des 19. Jahrhunderts in Mainz. — Sein Bruder, Karl H.,
war ebenfalls Hofmusiker in Mainz, lebte aber seit 1801 zurückgezogen in
Erfurt, wo er auch um 1830 hochbetagt gestorben ist. Er war der Gatte der
berühmten Sängerin Franzisca Josepha H,, geborene Heist, geboren 1746
zu Mainz, die zuerst Sängerin und Schauspielerin am Seiler'schen Theater zu
München, um 1772, in welchem Jahre sie sich mit H. verheirathete, als Bra-
voursängerin in Weimar und dann in Gotha glänzte. Hierauf war sie kurfürstl.
Kammersängerin in Mainz, von wo aus sie 1785 mit ihrem Gatten Deutschland
190 Hellpfeife — Helmbrecht.
bereiste und mit dem grössten Beifall sich u. A. in Dresden hören Hess. Sie
wurde noch in demselben Jahre für das raarkgräfl. schwedt'sche Theater und
1788 für das Nationaltheater in Berlin engagirt, 1794 jedoch verabschiedet.
Ihre Tochter war Marianne Müller (s. d.) und ihre Schülerin die berühmte
Schick. An ihrer sehr umfangreichen und biegsamen Stimme setzte die Kritik
nur eine gewisse Schärfe und Schneidigkeit aus.
Hellpfeife nennt Prätorius ein 2,5 metriges offenes Manualregister. Wes-
halb diese Stimme wohl diesen Namen erhalten hat, ersieht man in dem Ar-
tikel hell (s. d.), ebenso dass man besser thäte, diesen Zusatznamen einer
Gattung Orgelstimmen zu geben, als einer einzelnen Stimme. 2.
Helhvaag-, Christoph Friedrich, geboren am 6. März 1754 zu Calw
im Herzogthum Würtemberg, war bischöfl. lübeck'scher Hofrath und Leibarzt
zu Eutin und suchte in einer gedruckten Dissertation den Parallelismus der
Farben des Regenbogens mit den Tönen der musikalischen Octave nach-
zuweisen.
Hellwig, (Karl Friedrich) Ludwig, königl. preussischer Musikdirektor
und Hofdomorganist zw Berlin, wurde am 23. Juli 1773 zu Cunersdorf bei
Wrietzen geboren, wo sein Vater Prediger war und den Sohn gleichfalls zum
geistlichen Stande erziehen Hess, Violin- und Ciavierspiel trieb H. schon in
"Wrietzen und mehrere aridere Instrumente, besonders Orgel, erlernte er fast
ohne Anweisung als Gymnasiast zu Berlin. Nach dem Tode seines Vaters,
1789, trat er als Theilhaber in eine Farbenfabrik, studirte aber nebenbei noch
eifrig die musikalische Theorie und Composition beim Kammermusiker A.
Gürrlich, beim Kapellmeister G. A. Schneider und bei Zelter, welcher letztere
ihn 1793 als Tenorist in die Singakademie zog, deren Vicedirektor F. 1803
wurde. Als Zelter 18ii9 die erste Liedertafel stiftete, trat H. als eines der
ersten Mitglieder bei und lieferte derselben im Laufe der Zeit 25 Männerchor-
compositiouen. Im J. 1812 gab er seine Geschäftsverbindung ganz auf und
wurde 1813 Domorganist und Musiklehrer am Jnachimsthal'schen Gymnasium,
sowie an mehreren anderen öffentlichen Anstalten. Rastlos musikalisch wii'kend,
starb er nach kurzer Krankheit am 24. Novbr. 1838 zu Berlin. Seine theils
durch den Druck, theils durch locale Aufführungen bekannter gewordenen
Compositionen sind die Opern »Die Bergknappen«, Text von Th. Körner (1822
im Berliner Hoftheater gegeben) und »Don Silvio«, Text von Rosellen, ferner
Messen, Motetten, Psalme, Kanons, Choräle und viele Gesänge und Lieder.
Auch Ciavierauszüge zu Händel'schen Oratorien, Gluck'schen Opern und zur
Johannespassion von J. S. Bach hat er besorgt und herausgegeben.
Helmboeker, Cornelius, bedeutender niederländischer Tonkünstler, war
um 1624 als Organist in Haarlem weithin berühmt.
Hclmbold, Ludwig, musikkundiger deutscher Theologe, geboren am
21. Jan. 1532 zu Mühlhausen in Thüringen, gestorben ebendaselbst als Super-
intendent im J. 1598, ist als Componist geistlicher Lieder bemerkenswerth.
Heliiibrecht, Christian Friedrich Franz, nach seinem Stiefvater, einem
Major, auch Wendt genannt, ein blinder Tonkünstler, geboren um 1765 zu
Berlin, verlor früh das Augenlicht, behielt jedoch bis zu seinem 25. Jahre noch
einen Schimmer. Mehrere Instrumente, besonders Harfe, Ciavier und Orgel,
lernte er fertig spielen und wurde 1790 Organist der französischen Kloster-
kirche in Berlin. Als solcher führte er nicht allein alle französischen Kirchen-
lieder und Psalme, sondern auch eine Menge grosser Orgelstücke von Seb.
Bach und Kirnberger auswendig aus. Im J. 1798 erfand er eine türkische
Janitscharenmusik, bei der mittelst eines Triebwerks alle Feldmusik durch ihn
allein gespielt ward. Ebenso erfand er eine fühlbare Notenschrift für Blinde,
die er »Hakennoten« nannte und welche die Leipziger musikal. Ztg. vom
J. 1804 S. 721 genauer beschreibt. H. starb um 1825 zu Berlin. Eine Com-
position von ihm für Orgel und Ciavier, betitelt: »Das Launenspiel«, findet
sich in J. C. AV. Kühnau's »Die blinden Touküustler« (Berlin, 1810).
Helmer — Helmholtz. 191
Helmer, Kai-l, ein vielseitiger Musikbeflissener, geboren um 1740 zu
Prag, wurde als Lauten- und Instrumentenmacher, Musikverleger und Virtuose
auf Laute und Mandoline rühmlich genannt.
Helmholtz, Karl, deutscher Gesangcomponist, wirkte von 1827 bis 1848
in Halle als Musiklehrer und hat einstimmige Lieder mit Ciavierbegleitung
componirt, sowie den 24. Psalm in Musik gesetzt.
Helmholtz, Hermann (Ludwig Ferdinand), berühmter und hochbe-
deutender Physiker und Physiolog, der sich auch um die Musikwissenschaft
unvergängliche Verdienste erworben hat, wurde am 31. Aug. 1821 zu Potsdam
geboren, woselbst sein Vater Gymnasiallehrer war. Er studirte 1839 in Berlin
Medicin, wurde 1842 Assistenzarzt an der Charite, 1843 Militärarzt in Potsdam
und 1848 Lehrer der Anatomie an der Berliner Akademie. Ein .Tahr später
folgte er einem Rufe als Professor der Physiologie nach Königsberg und ging,
bereits als physiologische Autorität gefeiert, 1855 an die Universität zu Heidel-
berg, wo er auch den Charakter eines Geheimen Rathes verliehen erhielt. Seit
1871 wirkt er wiederum als Professor seines Fachs an der Universität zu
Berlin. Auf mannigfaltigen Gebieten hat H. der Wissenschaft, der Kunst und
dem Leben wahrhaft unschätzbare Dienste geleistet. Seine wichtigen Ent-
deckungen, welche er in den Büchern vom Augenspiegel und der physiologischen
Optik und in dem Werke vom »Gesetz der Erhaltung und Kraft« niederlegte,
können hier nur vorübergehend angedeutet werden. H. ist aber auch der be-
deutendste neuzeitige Forscher auf dem Gebiete der Akustik, und die Resultate
seiner bezüglichen Forschungen und Experimente liegen vor in dem Werke
>^Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die
Theorie der Musik« (1. und 2. Ausgabe, Braunschweig, 1863 und 1865). Hier
bringt er Licht in die dunkelsten Parthien der Musikwissenschaft und löst
auf die einfachste Art Räthsel, vor denen die Philosophen und Musiktheoretiker
bisher rathlos gestanden haben. Die Lehre vom Schalle, welche durch sinn-
reiche akustische Experimente schon Chladni festgestellt und ausgebildet hat,
diente H. zur Grundlage, und indem er eine physikalische, physiologische und
psychologische Akustik unterschied, fasste er diese in seiner Lehre von den
Gehörempfindungen zu einem vernunftentsprechenden Systeme zusammen. Nach
seiner Ansicht haben die Gehörempfindungen wie die Gesichtempfindungen
einerlei Ursprung: in den Bewegungen und Schwingungen elastischer Körper,
mögen sie nun Farben erzeugendes Licht oder Klänge sein, deren Wellen an
das Ohr und durch dieses Instrument an die betrefi"enden Nerven schlagen.
Die ganze Wirkung der Musik ist demnach auf die Correspondenz unserer
Nerventhätigkeit mit den Bewegungen ausser uns befindlicher Körper zurück-
zuführen. Es ist in physikalischer Beziehung gleichgültig, ob die Schwingungen
als langsamere mit dem Ohre oder als raschere mit dem Auge wahrgenommen
werden. Die Lichtwellen wie die Tonwellen erregen unsere Nerven nach dem-
selben Gesetze zur Mitschwingung. H. beobachtete nun speciell die Vorgänge
im Ohr, und es gelang ihm nachzuweisen, wie im Ohr der Schall bis zu den
empfindenden Nerven hingeleitet wird, wie die verschiedenen Erregungen der
Nerven verschiedenen Gehörempfindungen entsprechen und darauf die Gesetze
der musikalischen Kunst, die eigentlichen Compositionsregeln beruhen. Der
Musiker giebt allerdings den Tönen eine freie, lediglich aus seiner Subjectivität
fliessende Anordnung und Form, aber er ist an das physikalische Gesetz der
melodischen und harmonischen Verwandtschaft der Töne gebunden, welches
sich auch in seinen Empfindungen ausspricht. Mittelst eines für das Ohr con-
struirten Resonanzapparates untersuchte H. die Partialtöne eines Klanges, die
den Grundton begleitenden harmonischen Obertöne, den Einfluss derselben auf
die Klangfarben der Toninstrumente, die Klänge der Streichinstrumente, der
Flötenpfeifen, Zungenpfeifen, der Vocale. Er forschte den Toncombinationen,
Consonanzen und Dissonanzen oder Tonschwebungen nach. Die Obertöne sind
die harmonischen Beigaben; sie verleihen dem Grundtone Fülle und Charakter.
192 Heimond — Hemiolie.
Das Gefühl der Melodie beruht weseutlich auf der "Wahrnehmung der Harmonie,
wobei allerdings die Subjectivität, die Beschafl'enheit der Gehörwerkzeuge und
der Empfiudungsnerven eine bedeutende Rolle sjjielt. — Ausserdem hat H. in
dem oben benannten Werke auch der Historik der Musikforschungeu seit Pytha-
goras und Terpander Darstellung gegeben, wie er überhaupt bemüht ist, die
Consequenzen des von ihm aufgestellten wichtigen Systems nach allen Seiten
hin zu tragen.
Hclinond, Christian Gottfried, deutscher Virtuose auf dem Glasspiele
oder Yerrillon (s. d.), war aus Reiche in Schlesien gebürtig, wo er um 1690
geboren ist, und machte um 1730 Aufsehen, indem er auf seinem sehr ein-
fachen Instrumente ganze Solos und Concerte mit vollständiger Begleitung
vortrug.
Helmont, Adrieu Joseph van, belgischer Componist und Dirigent, ge-
hören am 14. April 1747 zu Brüssel, kam als Chorknabe in die Kapelle des
Statthalters der Niederlande und wurde daselbst auch im Violinspiel und in
der Cümposition unterrichtet. Nachmals ging er als Dirigent an das Operii'
theater iti Amsterdam, nach dessen Brande er nach Brüssel zurückkehrte und
Amtsnachfolger seines A'^aters als Musikdirektor an der Kirche St. Gudule
wurde. Er starb erst am 28. Decbr. 1830 und hat im Manuscript Kirchen-
corapositionen hinterlassen, sowie eine Oper, r>L^amant le^ataire«, die seiner Zeit
zu einer einmaligen Aufführung gelangt ist.
Heiner, Johann, Organist zu Braunschweig, war einer der 53 im J. 1596
zur Prüfung der neuen Schlosskirchenorgel zu Grüningen bei Halberstadt be-
rufenen Organisten Deutschlands. In der nach dem Alter geordneten Reihen-
folge war er der 46. Vgl. Werkmeister's Org. Gruning. rediv. §.11. f
Helpericus, s. Hedericus.
Hell, Heintz, einer der ältesten deutschen Lautenvirtuosen, welche die
Musikgeschichte neunt^ da er schon um 1413 in Nürnberg wirkte,
Helwig", Johann Friedrich, Violagambist der kurfürstl. Kapelle zu
Berlin seit dem 2. Jan. 1654, war auf Befehl des grossen Kurfürsten Friedrich
AVillielm in der Musik ausgebildet worden. — Genau denselben Namen
trug ein fürstl. sächsischer Secretär und Kapelldirektor, welcher 1729 in
Eisenach starb.
Hehvig', Joseph, ein Orgelbauer aus Grulich in Böhmen, errichtete u. A.
in der Maria Lauretakirche zu Prag im J. 1734 ein grosses Orgelwerk.
Hemberg'er, Johann August, deutscher Instrumentalcomponist, welcher
in Paris lebte und dort wie in Lyon 1785 Concerte, Quartette, Trios für
Ciavier und für Violine veröflFentlicht hat.
Hemesiiis, Nathan, latinisirt aus Hernes, ein englischer Musikgelehrter,
hat eine polemische Schrift gegen einen gewissen Tomb veröffentlicht, welche
den Titel führt: »De musica evangelica seit vindicatio psalmodiae contra
Tomhuma.
Hemidiapeuto (griech.) war in der altgi'iechi sehen Musik die Bezeichnung
für die verminderte Quinte, also für h—fj e—b u. s. w.; ebenso Hemiditonos
diejenige für die kleine Terz.
Hemiolie (aus dem Griech.) findet in der musikalischen Fachsprache durch
Baini in seinem "Werke über Palestrina wiederum Anwendung, indem derselbe
als Kennzeichen der der zweiten Epoche angehörigen Werke dieses Meisters
anführt, dass darin H.n enthalten seien, grössere und kleinere; letztere seien
durch ganz schwarze Noten dargestellt. Die Bedeutung dieses Fachausdrucks
ist uns durchaus unverständlich und glaubtauch Kandier (s.d.), wie derselbe
in der Bearbeitung des angeführten Werkes S. 159 ausspricht, dass nur eine
Erklärung Baini's selbst diese klar zu machen vermöchte. Das Wort selbst,
vom griechischen liAiohog herkommend, das anderthalb oder noch ein halb mal
so viel bedeutet, bietet wenig Anhalt dazu, seine Bedeutung als Fachausdruck
in der Musik fest zu ergründen. Es lässt sich nur vermuthen, dass das Auftreten
Hemitonium — Hemmkeile. 193
eines Tripeltaktes — der also anderthalb solcher Zeittheile besitzen musste,
wie ein sonst als Ganzes betrachteter zweitheiliger Takt — zuerst eine H.
genannt wurde, und bald für beide, gerade und ungerade, getheilte Takte der
Gattungsname H. in Gebrauch kam. Ferner lässt sich vermuthen, dass die
ambrosianische Vermengung gerader und ungerader Rhythmen seit dem 10. Jahr-
hundert in den harmonisirten Kunstwerken auch Eingang fand, und dass
Palestrina in der zweiten Epoche seiner Kunstschöpfungen diese rhythmische
Bereicherung als kunsthebend erachtete und pflegte. Um nun die verschiedenen
H.n zu kennzeichnen, so scheint Palestrina die Schreibweise der eigentlichen
H.n durch schwarze Noten im Gegensatze zu den sonst nur gebräuchlichen
weissen eingeführt zu haben , um den Ausführenden nicht auf den Wertli der
Einheit, sondern nur auf die Zahl der Einheiten aufmerksam zu machen, welche
zu einem Ganzen gehörten; die Einheit hatte stets dieselbe Zeitlänge. TJm
die Mitte des 18. Jahrhunderts findet man eine ähnliche Auffassung über die
Bedeutung des Fachausdrucks H, »Hemiola sind im Tripel- Takte schwartz
gemachte Noten, welche die lieben Alten aus guter Meinung, den Anfängern
zum besten erfunden haben, damit dieselben bey Erblickung derselben ein
Notabene und Kennzeichen hätten, dass solche Noten nach dem Takte müssten
syncopiret und getheilet werden, welches aber heut zu Tage mehrentheils ab-
gekommen.« Dass solche Taktvermengungen später aus der eigentlichen Kunst
immer mehr verschwanden, bewirkte die Entwickelung derselben; dass sie aber
in früheren Zeiten in derselben besondern Werth hatten, verrathen noch heute
uns gebliebene Beste der musikalischen Vergangenheit, von denen nur einige
rhythmische Choräle, der "Wosnak (s. d.), ein böhmischer Nationaltanz und
viele Volkslieder angeführt seien. S. auch Mensuralnotenschrift und den
Artikel Color. 2.
Hemitonium (latein.-griech.) ist der antike Name für Halbton. Dem ent-
sprechend war H. majus der grosse Halbton oder die auf zwei Stufen liegende
kleine Secunde, z. B. e—f; H. minus, die auf derselben Stufe liegende über-
mässige Prime, z. B. c—cis.
Hemmel, Siegismund, deutscher Componist des 16. Jahrhunderts, war
um 1550 fürstl. würtembergischer Kapellmeister in Stuttgart und hat »den
ganzen Psalter David's mit vier Stimmen« herausgegeben,
Heiumerleiu, Johann Nicolaus, fürstbischöfl. Kammermusicus zu Lem-
berg, veröfi"entlichte 1748 eine Messe seiner Composition. — Bekannter ist der
etwas später lebende Joseph H., der als fertiger Clavierspieler und Componist
gerühmt, 1780 als Musiklehrer in Frankfurt a. M. wirkte und 1786 bei einer
Gräfin von Vorberg angestellt war. Später ging er nach Paris und ist daselbst
um 1799 gestorben. Von seinen Compositioneu hat er veröffentlicht: vier
Clavierconcerte , sechs Trios, 24 Sonaten für Ciavier und Violine, sechs vier-
händige Ciavier- Sonaten u. s. w.
Hemmis, Franz, oder Hemm es, deutscher Ciavier und Orgelspieler, war
im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts Organist in Osnabrück und hat Kirchen-
melodien und Ciavierstücke seiner Composition herausgegeben.
Hemmkeile, Hemmklötze, Registerzapfen oder Sperrzapfen nennen die
Orgelbauer hölzerne Keile oder Klötze von 2,6 Cm. Länge, 1,3 Cm. Breite
und 1,6 Cm. Dicke, die auf der Lade mit Stiften befestigt und aufgeleimt sind.
Dieselben befinden sich zu Ende der Lade, den Parallelwippen gerade gegen-
über, und dienen dazu, den Aufzug der Parallelen genau zu bestimmen. Um
dies zu vermögen, befindet sich in der Parallelenmitte, von dem dem Schlüssel
derselben entgegengesetzten Ende ab bis zur als nothwendig erachteten Stelle,
eine Binne, die genau die Ausdehnung des entsprechenden Keiles hat und eine
leichte und correkte Bewegung der Parallelen gestattet. Beim Aufziehen eines
Registers wird durch das plötzliche Aufhören der Rinne die "Weiterbewegung
der Parallele verhindert. Statt der Keile findet man auch von einigen Orgel-
bauern starke Stifte aus gehärtetem Messingdraht in gleicher Weise zu gleichem
Musikal, Convera.-Lexikon. V. 1^
194 Hemmstifte — Henkel.
Zwecke angewandt, welche man dann wohl He mm stifte nennt. Unter allen
Umständen ist eine genaue Arbeit der H. und der Rinne geboten. Die
Wirkung der H. ist dann bei einem vollständigen Aufziehen eines Registers
folgende: Die übereinander befindlichen Löcher in der Windlade und im
Stocke (s. d.) haben zwischen sich die gleich grossen Oeffnungen der Pa-
rallelen. 2.
Hemmstifte, s. Hemmkeile.
Hempel, Georg Christoph, Kammermusicus und Violinist der herzogl.
Kapelle zu Grotha, geboren daselbst 1715, componirte Sinfonien, Concerte und
Solos für die Violine und starb am 4. Mai 1801 zu Gotha. — Ein Kirchen-
componist gleichen Namens, Karl Wilhelm H., geboren 1777 zu Chelsea bei
London, war 1804 Organist an der St. Marienkirche zu Truro.
Hempsou, eigentlich Denis a Hampsy, Zeit- und Kunstgenosse des be-
rühmten Harfners Carolan, wurde 1695 zu Craigmore bei Garvagh in der
G-rafschaft Londonderry geboren, woselbst seine Familie bedeutende Farmen
und Ländereien besass. Da H. schon früh sehr gute Anlagen zeigte und durch
die Blattern erblindet war, so beschlossen seine Eltern, ihm eine musikalische
Ausbildung geben zu lassen. In seinem zwölften Jahre begann er demgemäss
das Studium der Harfe unter dem berühmten O'Cahan, welchem später noch
verschiedene bedeutende Lehrmeister folgten, und achtzehn Jahre alt, wurde H.
bereits Harfenspieler des Kanzlers Canning zu Garvagh, bei dem er jedoch
nur ein halbes Jahr verblieb. Nach der Sitte seiner Zeit widmete er sich dem
Berufe eines Wanderlebens, durchzog ganz Irland und Schottland und kehrte
nach zehnjähriger Abwesenheit, an Ruhm und Ehren reich, in seine Heimath
zurück. Im J. 1745 war er abermals in Schottland, wo er u. A. die Ehre
erfuhr, vor dem damaligen Prätendenten Karl Stuart im Ediuburger Schloss
zu spielen und von diesem ausgezeichnet zu werden. Noch in seinem 97. Jahre
erschien H. auf der grossen nationalen Harfenversammlung, welche am 13., 14.
und 15. Juli 1792 zu Belfast abgehalten wurde, und erregte dort durch seine
eigenthümliche, acht nationale und traditionelle Spielweise, sowie durch sein
staunenswerthes Gedächtniss im Recitiren alter Volkslieder das grösste Auf-
sehen und die ungetheilteste Anerkennung aller dort versammelten musi-
kalischen Koi'yphäen. H. starb 1807 in dem ungewöhnlich hohen Alter von
112 Jahren zu Magilligan (Derry) und hinterliess eine Tochter und zahl-
reiche Enkel. Fr.
Heudekasyllaben (aus dem Griech.), nach dem altgriechischen Dichter
Phaläkos auch Phaläkische Verse genannt, heissen elfsylbige, trochäisch-
daktylische Verse, die sich besonders für kleine poetische Tändeleien eignen
und unter den Römern von Catullus und Martialis angewendet wurden. Das
Schema derselben ist: — b:^ | — v^ >^ — I O — •^ — C^.
Henfliug, Konrad, deutscher Mathematiker zu Anfang des 18. Jahrhun-
derts, war Hofrath zu Anspach und starb daselbst im J. 1720. Er schrieb
u. A. über Intervalle und Temperatur und veröffentlichte eine Schrift »De novo
systemate musico.^i
Henkel, fruchtbarer Componist von Orgel- und Kirchenwerken, geboren
am 18. Juni 1780 zu Fulda, war ein Schüler und Freund des berühmten
Organisten Vierling, der die Traditionen Seb. Bach's auf ihn übertrug. Schon
früh wirkte H. als Kammermusicus in der fürstbischöfl. Kapelle seiner Vater-
stadt und wurde 1805 Musiklehrer an der dortigen Normalschule. In rastloser
Thätigkeit widmete er sich seitdem und bis ins hohe Alter der Heranbildung
talentvoller Schüler und der Vollendung eigener Compositionen. Schon 1801
hatte er ein Fuldaer Choralbuch herausgegeben, welches eine einflussreiche Um-
wandlung des Kirchengesanges in der ganzen Diöcese zu Wege brachte und
1846 verbessert neu herausgegeben wurde. Für das Fuldaer Gymnasium, als
dessen Lehrer er von 1816 bis 1848 wirkte, betheiligte er sich an der Heraus-
gabe von drei verschiedenen Choralbüchern, die nicht wenig treffliche Melodien
Henneberg. 195
von ihm selbst enthalten. Ferner veröffentlichte er von etwa 200 Compositionen :
drei Requien, viele Orgelstücke und Schulgesänge, 100 Versette, Ciavierstücke,
Duo -Sonaten, vierhändige Ciaviersachen, Lieder und Gesänge u. s. w. Er
starb am 4. März 1851 zu Fulda. — Sein ältester Sohn, Greorg Andreas
H., geboren am 4. Febr. 1805 zu Fulda, erhielt vom Vater die gediegenste
musikalische Anleitung und machte schon im 11. Jahre Compositionsversuche.
Jedoch für das B-echtsstudium bestimmt, bezog er 1824 die Universität zu
Marbui'g. Zur Musik sich zurückwendend, suchte er eine Lebensstellung in
diesem Berufe zu gewinnen, aber vergebens, denn die Julirevolution vereitelte
eine ihm bereits zugesicherte Anstellung an Choron's Musikinstitut in Paris,
und confessionelle Rücksichten machten eine Berufung als Hoforgauist in Ko-
burg rückgängig. H. nahm, nachdem auch einige andere derartige "Versuche
gescheitert waren, seine juristischen Studien wieder auf und absolvirte nach
zweijährigem Studium das Examen. Endlich im J. 1837 erhielt er die ersehnte
Anstellung im musikalischen Fache und zwar als Lehrer an dem neu errichteten
Schullehrer- Seminar zu Fulda. Auch seine Compositionen, die selbst Mendels-
sohn's Lob erfuhren, brachen sich nun Bahn, und es erschienen im Druck:
eine Ouvertüre zu "Wallenstein's Lager, eine Sonate für Pianoforte und Violine,
Männergesänge, Ciavier- und Orgelstücke. Sinfonien, Messen, Motetten, Ouver-
türen u. V. A. von ihm ist dagegen nicht gedruckt in die Oeffentlichkeit ge-
langt. Für einen militärischen Trauermarsch erhielt er 1848 vom Kriegs-
ministerium in Paris den Preis. Als Musikdirektor seines Seminars starb er
am 5. April 1871 zu Fulda. ■ — Sein jüngerer Bruder, Heinrich H., geboren
am 14. Febr. 1822 zu Fulda, war gleichfalls ein Schüler seines Vaters, dem
er im Organistenamte schon früh assistirte. Zur weiteren Ausbildung, beson-
ders im Pianofortespiel, übergab er sich 1839 der Unterweisung Aloys Schmitt's
in Frankfurt a. M. und studirte zugleich unter Kessler und dem Hofrath Andre
Theorie und Tonsatz. Bei dem Letzteren, dem langjährigen vertrauten Freund
seiner Familie, ordnete er damals die Mozart'schen Handschriften und gab das
wichtige »Thematische Verzeichniss der Handschriften Mozart'sa heraus. In
seine Vaterstadt zurückgekehrt, veranstg,ltete er Concerte, gründete zwei Gesang-
vereine und leitete ein Jahr hindurch für seinen schwer erkrankten Bruder
den Musikunterricht am Schullehrer- Seminare. Im J. 1844 wurde er als
Organist an die Kirche St. Eustache nach Paris berufen; ein Brand der Orgel
daselbst vereitelte jedoch den Antritt des Engagements. Von 1846 bis 1847
lebte H. in Leipzig, das für ihn musikalisch sehr anregend war. Das Jahr
1848 rief ihn wieder in die Heimath, von der aus er 1849 seinen Wohnsitz
nach Frankfurt a. M. verlegte und sich dauernd dem Lehrberufe widmete.
Hier gründete er mit mehreren CoUegen die Frankfurter Musikschule, deren
Vorstande er noch gegenwärtig angehört, sowie selbstständig einen Kirchen-
Gesangverein, den er lange Jahre hindurch dirigirte. Ausserdem trat er mit
grösstem Erfolge öffentlich als Pianist auf und gab und giebt noch alljährlich
stark besuchte Kammermusikconcerte mit ausgesprochen classischen Programmen.
Seine Compositionen bestehen in Chorgesängen und Liedern, welche letzteren
zum Theil sehr beliebt geworden sind, sowie in Salon- und Charakterstücken
für Pianoforte. Ausserdem gab er eine gute Clavierschule und Uebungs-
stücke heraus.
Henneberg, Johann Baptist, trefflicher Orgel- und Ciavierspieler, sowie
geschickter Dirigent, geboren am 6. Decbr. 1768 zu Wien und von seinem
Vater, dem Organisten im Schottenstift, musikalisch ausgebildet, war seit 1790
Kapellmeister am Schikaneder'schen Theater und später, nachdem er einige
Jahre auf dem Lande privatisirt hatte, Organist und Operndirigent des Fürsten
Nicolaus von Eszterhazy. Nach Auflösung der fürstl. Kapelle ging er wieder
nach Wien, erhielt die Ernennung als Chorregent und Kapellmeister an der
Stadt-Pfarrkirche und 1818, als Nachfolger Seb. Oehlinger's, die kaiserl. Hof-
organistenstelle. Er starb am 27. Novbr. 1822 in Wien und hinterllcss zalil-
13*
196 Henner — Hennig.
reiche Compositionen, als Singspiele, Sinfonien, Ouvertüren, Cantaten, Kirchen-
sachen, Lieder, Männerchöre, Notturnos für Männerstimmen allein und auch mit
concertirenden Blasinstrumenten u. s. w.
Henner, Freiherr von, ein vorzüglicher Musikdilettant, der um 1796 in
Prag als k. k. Landesunterkämmerer angestellt war. Er spielte in hervor-
ragender Tüchtigkeit Violine und componirte Sinfonien, Quartette u. dergl,
Ueunes, (G-oswin) Aloys, deutscher Masikpädagog und Componist, ge-
boren am 8. Septbr. 1827 zu Aachen als der Sohn eines dortigen Secretärs
bei der Bürgermeisterei, bekundete schon frühzeitig bedeutende musikalische
Anlagen, indem er durch sich selbst Guitarre und Ciavier spielen lernte. Da
er für das Studium der Theologie bestimmt war, so erhielt er auch keinen
nennenswerthen Musikunterricht weiter und durchlief das Aachener Gymnasium.
Als Primaner desselben, in seinem 16. Jahre, entschloss er sich, zum Postwesen
überzugehen und versah innerhalb der nächsten sechs Jahre den Speditions-
dienst in Herford, Olpe, Köln, Duisburg, Aachen, Eupen, Haynau, Neisse und
Deutz. Nachdem er in Berlin das Staatsexamen bestanden und der einjährigen
Militär - Dienstzeit genügt hatte, folgte er, 24 Jahre alt, seinem Hange zur
Musik, widmete sich zwei Jahre hindurch den künstlerischen Studien auf dem
Couservatorium zu Köln und begann seine neue Laufbahn als Musiklehrer in
Creuznach, die er in Alzey, wo er auch Dirigent des Gesangvereins wurde,
und in Mainz fortsetzte. Im J. 1863 liess er sich mit seiner Familie in Wies-
baden nieder und that sich dort, wie auch schon in Mainz, als Componist von
Gesängen, Liedern und Clavier-Saloustücken hervor, von denen gegen 100 Hefte
im -Druck erschienen. Sein bedeutendstes, mit einem anerkennungswerthen
Fleiss und Eifer betriebenes Werk sind die weitverbreiteten instructiven »Cla«
vier-Unterrichtsbriefe«, welche einer neuen Methode für den Elementar-TJnterricht
Bahn brachen und, so vielfach sie auch angefeindet wurden, zahlreiche Auflagen
erlebten und über Deutschland hinausdrangen. Im Intei'esse dieses Werks
und seiner talentvollen Tochter und Schülerin, Therese H., geboren 1861
zu Wiesbaden, welche als kleine Concertgeberin und Pianistin Aufsehen erregte,
nahm H. 1872 seinen bleibenden Aufenthalt in Berlin, wo er gleichfalls als
Musiklehrer wirkt.
Heuuig, Christian Friedrich, vortrefflicher deutscher Componist, war
in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Kapellmeister des Fürsten Franz
Sulkowsky in Sorau. Gedruckt sind von seinen Werken einige Ciavierstücke,
Trios, Quodlibets, besonders aber Gesänge für Freimaurer und Lieder mit
Clavierbegleitung, die um 1780 ungemein beliebt und verbreitet waren. Sonst
kennt man noch von ihm Sinfonien und andere Orchesterstücke, sowie Streich-
quartette u. s. w., welche Sachkenntniss und Gediegenheit bekunden.
Heuni^, Karl, Organist und Componist in Berlin, geboren daselbst am
23. April 1819, wirkte, seit 1847 angestellt an der St. Pauls- und seit 1851
bis zu seinem Tode, am 18. April 1873, an der Sophienkirche. Unter seiner
Direktion standen der Männerchor »Lyra« und der Sophienkirchchor, die er
auf eine hohe Stufe der Leistungsfähigkeit brachte und für die er eine grosse
Anzahl werthvoller Chorgesänge weltlichen und geistlichen Inhalts componirte.
Dieser Verdienste wegen wurde er 1863 zum königl. Musikdirektor ernannt.
Seine bedeutendsten Werke sind die Sinfoniecantate »Die Sternennacht« (1854
aufgeführt), sowie ein Königspsalm (1849) und ein Friedenspsalm (1854), beide
für Soli, Chor und Orchester; ausserdem Lieder und Claviercompositionen. —
Ein Sohn von ihm, gleichfalls Karl H. geheissen, wirkt als Organist, Dirigent
des St. Pauli -Kirchenchors und Vorsteher eines Musikinstituts für Pianoforte
und Gesang sehr verdienstvoll und einflussreich in Posen.
Hennig, Rudolph, bedeutender deutscher Violoncellist, geboren 1848 zu
Güstrow als der Sohn des dortigen Musikdirektors, machte seine höheren musi-
kalischen Studien von 1862 bis 1864 auf dem Couservatorium zu Leipzig und
unternahm 1866 eine Kunstreise durch die Vereinigten Staaten von Nordamerika.
Hennigk — Henning. 197
Im J. 1867 Hess er sich in New- York nieder, folgte aber schon ein Jahr später
einem Kufe an das Conservatorium in Philadelphia, an welchem er noch gegen-
wärtig als Lehrer seines Instruments erfolgreich thätig ist.
Henuigk, Heinrich Julius, deutscher Componist und Musikschriftsteller,
geboren 1786 zu Dresden, war bis zu seinem Tode Organist an der Johannis-
kirche daselbst und ist ausser mit Compositionen mit zwei musikhistorischen
Büchern in die Oeffentlichkeit getreten.
Henniugr, Christian, Cantor zu Neu-Ruppin, veröffentlichte von seiner
Composition 1670 eine »Abendmusik für Discant und Bass«.
Henning, Karl, begabter deutscher Tonkünstler und Verfasser instructiver
"Werke, geboren am 26. Febr. 1807 zu Halberstadt in dürftigen Verhältnissen,
sah sich frühzeitig auf Erwerb durch die Musik angewiesen und erlernte in
Folge dessen fast alle gangbaren Orchesterinstrumente, für die er ohne weitere
Anleitung componirte, was gerade für seinen Bedarf nöthig war. Mit 15 Jahren
wurde er Bassethornbläser im Landwehrbataillon und später Trompeter im
Kürassierregiment zu Halberstadt. Damals zeichnete er sich auch als Klappen-
hornist Aufsehen machend aus. Zum Stabstrompeter des achten Kürassier-
regiments ernannt, blieb er in dieser Stellung bis 1837, worauf er als Stadt-
musikdirektor nach Zeitz ging, dort viele Schüler heranbildete und sehr Ver-
dienstliches mit seinem Orchester leistete. Er starb 1866 zu Zeitz. Durch
zwei praktisch eingerichtete Violin- und eine Violoncelloschule nebst vielen
Uebungsstücken für beide Instrumente erwarb er sich auch nach aussen
hin einen guten Ruf. Ausser diesen Werken veröffentlichte er noch leicht
spielbare Compositionen für Violine und für Violoncello mit Pianofortebe-
gleitung und für zwei Violinen, die sich als recht brauchbar für Anfänger er-
wiesen haben.
Henning, Karl Wilhelm, guter Violinist und Dirigent, geboren am 31.
Jan. 1784 zu Berlin, erhielt von seinem Vater, einem Regimentsmusiker, den
ersten nothdürftigen Musikunterricht, der ihn befähigte, in Tabagien und Tanz-
localen kümmerlich sein Brod zu verdienen. Durch fleissiges Selbststudium
erwarb er sich die Gunst Seidler's, der ihn hierauf unterwies und mit den
besten musikalischen Vorbildern in Verbindung brachte. Bald konnte er als
Violinist in das Orchester der italienischen Oper treten, bei A. Gürrlich Com-
positionslehre studiren und 1804 als Violinspieler mit einem selbstcomponirten
Concertstück unter Beifall öffentlich auftreten. Im J. 1807 wurde er beim
Orchester des königl. Nationaltheaters angestellt und 1811 als Kammermusiker
der Hofkapelle, in welcher er 1822 den Titel eines königl. Concertmeisters sich,
erwarb. Von 1823 bis 1826 versah er die Musikdirektorstelle am neu errich-
teten königstädtischen Theater, trat aber dann als wirklicher Concertmeister in
die königl. Kapelle zurück. Im J, 1833 ward er bei Errichtung der musi-
kalischen Section der Akademie der Künste zum Mitglied derselben ernannt,
erhielt 1836 den Titel königl, Musikdirektor und wurde von Friedrich Wil-
helm IV. 1840 zum königl. Kapellmeister erhoben, sowie bald darauf mit dem
Rothen Adlerorden decorirt. Nach fünfzigjähriger Dienstzeit wurde er 1848
ehrenvoll pensionirt, bewahrte aber sein Interesse für die Tonkunst und übte
selbst noch täglich auf der Violine. Er starb im April 1867 zu Berlin. Com-
ponirt hat er die dreiaktige komische Oper »Das Rosenmädchen« (1825 auf-
geführt), Musiken zu 30 Schauspielen, Melodramen und zu zwei Ballets, ferner
Cantaten und Gesänge, ein Streichsextett, Violinquartette, Trios und Duette,
endlich Sonaten und Solostücke für Violine und für Violoncello, Als Violin-
lehrer hat H, eine ganze Reihe von königl, Kammermusikern ausgebildet. —
Sein Bruder, Albert H, geboren 1792 zu Breslau und von ihm unterrichtet,
war ein talentvoller Geiger und Lehrer seines Instruments. Seit 1811 Kammer-
musicus und Violinist der königl, Opernkapelle, rückte er zum Sinfoniedirigenten
auf, starb aber schon 1832 zu Berlin. Er hinterliess einen Sohn, Hermann
H., geboren um 1820 zu Berlin, den sein Oheim Karl Wilhelm erzog und
198 Henning — Henschel.
ausbildete, so dass derselbe 1840 als königl. Kammermusiker in die Hofkapelle
eintreten konnte, in welcher Stellung er noch gegenwärtig thätig ist.
Heuniug', Meister, ausgezeichneter und berühmter deutscher Orgelbauer
zur Zeit der "Wende des 16. und 17. Jahrhunderts, war anfänglich Tischler in
Hildesheim. Prätorius rühmt H.'s Orgelwerke in dem Stifte St. Blasius zu
Braunschweig und in der St. Gotthardts- Kirche zu Hildesheim, deren Dispo-
sitionen er auch mittheilt. Gestützt auf denselben Gewährsmann, halten Einige
H. für den Erfinder der jetzigen Spahnbälge in der Orgel.
Henning, "Wilhelm, trefflicher Violoncellist, geboren zu Potsdam um 1820,
war der Sohn des dortigen, 1851 verstorbenen Direktors der Musikschule des
Militär -"Waisenhauses. Gründlich auf seinem Instrumente ausgebildet, wurde
er 1844 als Kammermusiker der königl. Opernkapelle in Berlin angestellt,
in welcher Stellung er noch gegenwärtig thätig ist.
Henningsen, Magnus Peter, deutscher Tonkünstler, geboren am 10. März
1655 zu Hannover, war der Sohn des dortigen Stadtlieutenants Joachim H.,
begann in Helmstedt Universitätsstudien, kam aber dann als Bassist in die
Kapelle des Herzogs Ferdinand Albrecht von Braunschweig, wurde 1680 als
Cantor nach Königsberg in der Neumark und 1688, nach Klingenberg's Tode,
in gleicher Stellung an die Marienkirche in Berlin berufen. Dort starb er
im Mai 1702. Von seinen Compositionen besitzt die Berliner Singakademie
eine Motette, »Der Gerechte wird grünen« in Abschrift.
Henri, Paul Emil, musikkundiger Theologe, geboren am 22. März 1792
zu Potsdam, war während seiner Studienzeit auf der Universität zu Berlin von
1809 bis 1813 Mitglied der dortigen Singakademie, wurde 1815 Prediger des
französischen Waisenhauses und 1826 Prediger der französischen Kirche da-
selbst. Er starb am 24. Novbr. 1853 zu Berlin und hat mehrere Schriften
zur Geschichte der Berliner Singakademie (Berlin, 1852) herausgegeben.
Henrici, Heinrich, trefflicher deutscher Tonkünstler, geboren 1835 zu
Eberbach am Neckar, besuchte von 1854 bis 1857, für wissenschaftliche Studien
bestimmt, die Universität zu Heidelberg, trieb aber zugleich sehr eifrig Clavier-
und Orgelspiel, sowie Musiktheorie und Compositionslehre. Von 1856 bis 1859
führte er die Direktion des Liederkranzes zu Heidelberg und hierauf bis 1861
die des gleichnamigen Vereins in Karlsruhe. Im letzteren Jahre wurde er
Organist der evangelischen Stadtkirche in Karlsruhe und übernahm später zu-
gleich wieder die Leitung des Liederkranzes. In diesen beiden Stellungen,
sowie als Musiklehrer wirkt er auch noch gegenwärtig sehr erfolgreich. Com-
ponirt hat er Orchester- und Chorwerke, die bei ihrer Aufführung grossen
Beifall fanden.
Henricns, lateinisch für Heinrich (s. d.).
Henriou, Paul, beliebter französischer Gesangscomponist, geboren am
20. Juli 1819 zu Paris, schrieb eine Unzahl gefälliger Romanzen, von denen
nicht wenige allgemein populär wurden und weit über Frankreich hinaus-
gingen. Im J. 1854 trat er auch mit einer zweiaktigen komischen Oper » TJne
rencontre dans le Danuhea hervor, welche in Paris gegeben wurde und eine
freundliche Aufnahme fand.
Henry, Bonaventure, französischer Violinvirtuose und Componist für
Bein Instrument, Hess sich 1780 im Goncert spiritiiel zu Paris hören und wurde
als erster Violinist im Orchester des Theaters Beaujolais angestellt. Er zeich-
nete sich auch als Lehrer und Componist aus und hat ein Violinconcert, So-
naten für zwei Violinen und Bass, Variationen, Uebungsstücke , Capricen und
eine Schule für Violine veröffentlicht. Im J. 1791 lebte er noch in Paris. —
Ein guter Clarinettist gleichen Namens, der auch für dieses Instrument com-
ponirte, lebte um 1815 in Paris.
Henschel, Georg, einer der bedeutendsten deutschen Oratorien- und Lieder-
sänger der Gegenwart, wie überhaupt ein vorzüglicher, vielseitig gebildeter
Tonkünstler, wurde am 18. Febr. 1850 zu Breslau geboren und zeigte bereits
Henschel — Henselt. 199
in seinem sechsten Jahre hervorragende musikalische Anlagen, welche durch
L. Wandelt, später durch Julius Schäflfer die erste Ausbildung erfuhren, so
dass er schon 1862 in Berlin öffentlich als Pianist auftreten konnte. Im
J. 1867 verliess er das Breslauer Gymnasium und studirte auf dem Conser-
vatorium zu Leipzig bei Richter, Moscheies und Götze ausschliesslich Musik.
Mit dem Abgange des Letzteren, seines Gesanglehrers, verliess auch er die
Anstalt und begab sich 1870 nach Berlin, wo er die königl. Hochschule der
Musik besuchte und in der Composition ein Schüler Friedr. Kiel's, im Gesang
der Ad. Schulze's wurde. Von Berlin aus verbreitete sich sein Sängerruf auf
Concertreisen über Deutschland, Belgien und Holland, und auf Musikfesten wie
bei grossen Aufführungen weit und breit ist seine Mitwirkung gesucht. Seine
Vorzüge im Gesänge sind Wohllaut der umfangreichen Baritonstimme, vorzüg-
liche Tonbildung und Aussprache, namentlich aber acht musikalische Auffassung
und warme Innerlichkeit. Auch als Componist ist H. thätig und mit einer
grossen Anzahl von Liedern, Clavier-Kanons und einer kanonischen Orchester-
suite ehrenvoll aufgetreten. Ausserdem hat er ein Oratorium und eine drei-
aktige Oper, »Friedrich der Schöne«, vollendet.
Henschel, Johann Abraham, geschickter deutscher Orgel- und Ciavier-
spieler, geboren am 19. Septbr. 1721 zu AVohlau, wurde, nachdem er die latei-
nische Schule daselbst durchlaufen hatte, 1740 Lehrer am Kinderhospital zu
Breslau und 17-12 Kirchensänger an Maria-Magdalena. Von 1745 an studirte
er in Jena Theologie und ei-hielt 1748 die Stelle des Cantors in Wohlau, 17.53
die des Rectors zu Neumarkt. Letzteres Amt gab er 1762 wieder auf und
lebte hierauf in Breslau als Privatlehrer, bis er 1773 Cantor und Schulcollege
bei St. Bernhardin wurde. Als solcher starb er am 8. Febr. 1791 und hinter-
liess den Namen eines tüchtigen, erfahrenen Musikers.
Heusei, Fanny, s. Mendelssohn-Bartholdy.
Hensel, Gottlob, deutscher Tonkünstler, geboren um 1765 in Schlesien,
war Organist an der Peter-Paulskirche zu Liegnitz und trat als Componist mit
Gesängen und Ciavierstücken hervor.
Hensel, Johann Daniel, 1757 zu Goldberg in Schlesien geboren, studirte
in Königsberg und war 1786 Hofmeister in Halle, wo er noch beim Musik-
direktor Türk Musik studirte. Dort gab er 1787 ein Singspiel, »Cyrus und
Cassandra«, Text von Rammler, heraus. Im J. 1794 errichtete er in Hirsch-
berg eine Erziehungsanstalt, in der auch in der Musik unterrichtet wurde, und
veranstaltete von Zeit zu Zeit Concerte. Von seinen vielen Compositionen
sind noch zu nennen: die Oper »Daphncj«, die Operetten »Die Geisterbeschwö-
rung« und »Die Geisterinsel«, das Oratorium »Jesus«, dessen Text er gleichfalls
verfasst hat, ferner Cantaten, eine Clavierschule (1799 und 1800) und »Vor-
übung für Clavierspieler« (2 Hefte). Die Oberschlesische Monatsschrift von
1789 Bd. 2 enthält eine Abhandlung >on ihm, betitelt: »Ueber den Zustand
der Musik in Schlesien«.
Henselt, Adolph, einer der ausgezeiclmetsten Pianisten und Claviercom-
ponisten der Gegenwart, wurde am 12. Mai 1814 zu Schwabach in Baiern
geboren, wo sein Vater Kattunfabrikant war. Mit seinen Eltern zog er im
dritten Jahre nach München und erhielt dort Unterricht im Violinspiel. Da
ihm aber das Pianoforte mehr zusagte, so vertauschte er die Instrumente und
Hess sich vom Correpetitor Lasser in den Elementen des Ciavierspiels ausbilden.
In seinen eifrigen Bestrebungen hatte er das Glück, von einer ausgezeichneten
Künstlerin, der Geheimräthin von Fladt, einer ehemaligen Mitschülerin C. M.
von Weber's und Meyerbeer's beim Abt Vogler, Unterricht im Ciavierspiel und
in der Harmonielehre zu erhalten und den belehrenden Umgang Poissl's zu
geniessen. Die Erstere wusste sogar den König Ludwig I. von Baiern für
ihren fleissigen Schüler zu interessiren, so dass derselbe, 17 Jahre alt, aus der
königl. Privatkasse die Mittel erhielt, nach Weimar zu J. N. Hummel zu gehen,
um sich seiner höchsten Ausbildung zuführen zu lassen. Hier studirte nun
200 Henselt,
zwar H. mit Eifer die "Werke seines neuen Lehrers und componirte unter
Aufsicht desselben auch selbst ein Clavierconcert , im Uebrigen vermochte er
es aber nicht, sich an die Spielmethode Hummel's zu gewöhnen, da er bereits
einer durchaus eigenartigen Richtung huldigte, und er kehrte deshalb nach
acht Monaten ziemlich unbefriedigt nach München zurück. Nach kurzem
Aufenthalte daselbst begab er sich nach Wien, wo er zwei Jahre lang bei
Sechter contrapunktische Uebungen betrieb und in einsiedlerischer Abgekehrtheit
von den Zerstreuungen und Vergnügungen der Hauptstadt mit Energie und
unermüdeter Zähigkeit sich seiner Vervollkommnung im höheren Ciavierspiele
hingab. Unter dieser aufreibenden Beharrlichkeit litt endlich seine Gesundheit
so bedenklich, dass die Aerzte eine Erholungsreise anordneten, die H. 1836
zunächst nach Karlsbad, dann nach Berlin führte. Obwohl dort nur in Privat-
kreisen auftretend, erregte die eigenthümliche und in ihrer Art wunderbar
vollendete Spielweise des jungen Virtuosen das grösste Aufsehen und fand in
dem einflussreichen Musikkritiker Ludw. Rellstab einen begeisterten öffentlichen
Anwalt, der ihn dem Publikum als den grössten Pianisten seiner Zeit pries.
Nicht geringer war H.'s Erfolg in Dresden, Weimar und Jena, in welchen
letzteren beiden Städten er einen längeren Erholungsaufenthalt nahm. Hierauf
kehrte er über Dresden und Leipzig nach Berlin zurück und Hess sich in diesen
Städten, sowie in Breslau, wo er sich 1837 verheirathete, zum ersten und leider
auch zum letzten Male von einem grösseren deutschen Publikum in Concerten
bewundern. Hohe Empfehlungen führten ihn 1838 nach St. Petersburg und
in die vornehmsten dortigen Kreise, welche ihn durch Aemter und Ehrenstellen
dauernd an die russische Hauptstadt zu fesseln wussten. Zum Kammervir-
tuosen der Kaiserin ernannt, spielte er fast nur in den intimen Kreisen des
Hofes und unterrichtete die kaiserlichen Kinder; eine gleiche Stellung nahm
er beim Prinzen von Oldenburg ein. Später wurde er zum Inspektor des
Musikunterrichts der sämmtlichen weiblichen Staats-Erziehungsanstalten ernannt
und erhielt von seinem Schüler, dem Kaiser Alexander, den "Wladimirorden,
mit welchem der Adelstitel verbunden ist. Bis zum Krimkriege trat er hin
und wieder in St. Petersburg und auch in anderen Städten des russischen
B-eiches öffentlich auf, in der Hauptsache aber widmete er sich nur dem Musik-
unterricht und der Composition.
Jährliche Sommen-eisen führten ihn auch nach Deutschland, besonders
nach Berlin und Schlesien, mehr aber zu seiner Erholung als zu Kunstzwecken.
Auf diesen Reisen vertritt er eine neue Art von Virtuosität, die bescheidene
Virtuosität, die nicht als solche öffentlich gelten will, die still kommt und still
wieder geht. In dem Hause eines bevorzugten Musikfreundes oder eines Piano-
fortefabrikanten versammelt er dann eine nur wenige Köpfe zählende Kunst-
gemeinde und spielt einige Stunden hinter einander Werke von seinen Lieb-
lingsmeistern Beethoven, C. M. von Weber, Hummel, Moscheies, Chopin, Liszt
und von eigener Composition, der Menge nach genug für mehrere Concerte,
der Ausdauer nach zu viel für mehrere andere Virtuosen, der Schönheit nach
zu wenig für sein andächtiges Auditorium. Sein Spiel ist im höchsten Grade
fesselnd, voller Poesie, charakteristischen Lebens, Intelligenz und umfasst die
Totalität der modernen Technik in den verschiedenartigen Schattirungen: er
singt am Ciavier wie Thalberg, dichtet und träumt wie Chopin, schreitet als
ein Hercules einher wie Liszt, stets liebevoll dem Genius hingegeben, den er gerade
darstellen will. Hätte er seine Anspruchslosigkeit und seine Scheu vor dem
grossen Concertsaale abzulegen vermocht, so würde er als ein im seltensten
Maasse feiner, kunstgereifter und gediegener Pianist Epoche in der Musikwelt
gemacht und Tausenden von Strebenden zum glänzenden Beispiel gedient haben.
Seine Compositionen sind nicht der Zahl, aber ihrem Kunstwerthe nach be-
deutend. Sie bestehen in Etüden, welche in der Ciavierliteratur zu den besten
vorhandenen zählen, in einem Concert, einem Duo und einem Trio von hoher
VortreflBichkeit und Schönheit, in Variationen, glänzenden Salonstücken und
Henstridge — Hentschel. 201
einer grösseren Reihe von Tranescriptionen und Bearbeitungen "Weber'scher,
Beethoven'scher und Hummersclier "Werke für ein und zwei Pianofortes. Den
J. B. Cramer'sclien Etüden hat er durch selbstständige, geistvolle Hinzufügung
einer zweiten Ciavierstimme einen melodischen, neuen Reiz verliehen. Frische,
eigenartige Melodik, warme Empfindung und sorgsame Arbeit sind die Kenn-
zeichen aller Werke H.'s, denen überdies der Adel und die überzeugende, hin-
reissende Gewalt der reinsten Gefühlssprache eigen ist.
Henstridg-e, Daniel, berühmter englischer Kirchencomponist, war um 1710
als Organist an der Kathedralkirche zu Canterbury angestellt.
Hentschel, Ernst Julius, vortrefflicher deutscher Schul- und ]\Iusik-
pädagog, geboren am 26. Juli 1804 zu Zudel bei Görlitz, erhielt den ersten
allgemeinen Unterricht von seinem Grossvater, dem Organisten Hohberg in
Langenwaldau bei Liegnitz und, verbunden mit Ciavier- und Violinspiel, nach
dessen Tode, im J. 1811, vom Organisten Prüfer daselbst. Seine weitere Aus-
bildung fand er seit 1815 in der Pensionsanstalt des Pfarrers Balthasar und
von 1817 an beim Cantor Speer in Kroitzsch an der Katzbach. Im J. 1823
ging H. auf Staatskosten nach Berlin, um Logier's neues Musiksystem an Ort
und Stelle zu studiren, und wurde 1824 als dritter ordentlicher Lehrer an das
Seminar nach "Weissenfels berufen, an dem er 1826 in die zweite Stelle auf-
rückte. Zugleich übernahm er den gesammten Musikunterricht und widmete
sich demselben dort und seit 1832 an der zum Seminar vorbereitenden Prä-
parandenanstalt mit einer Hingebung und einem Geschick, welches die treff-
lichsten Früchte trug. Vom Staate unterstützt, hatte er im Sommer 1830 eine
pädagogische Reise nach dem Rhein und nach Süddeutschland unternommen,
die nicht ohne vortheilhaften Einfluss auf sein weiteres verdienstvolles Wirken
blieb. In Wort, Schrift und Composition vertrat er unablässig den gediegenen
Standpunkt der TJnterrichtsfrage, wie er ihn tagtäglich praktisch verwirklichte,
und eine unabsehbare Reihe tüchtiger Schüler trug seinen Ruf in alle Theile
des Landes. Seine Verdienste wurden durch Verleihung des Titels eines königl.
Musikdirektors und zweier preussischer Orden auch von höchster Seite aner-
kannt. In voller Rüstigkeit, geehrt und geachtet, ist er noch gegenwärtig in
seinen pädagogischen Stellungen zu Weissenfeis thätig. Ausser mehreren weit
verbreiteten Elementar-Schulliederbüchern (»Kinderharfe«, »Liederhain« u. s. w.)
hat er ein »Evangelisches Choralbuch mit Zwischenspielen« herausgegeben,
welches bis zur siebenten Auflage vorgeschritten ist. Die von ihm begründete
und lange Jahre hindurch redigirte pädagogisch - musikalische Monatsschrift
»Euterpe«, sowie seine zahlreichen Abhandlungen und Aufsätze über musika-
lische und Schulgegenstände in verschiedenen pädagogischen Zeitschriften, die
stets den denkenden Lehrer kennzeichnen, haben auch in grösserem Umkreise
wesentlich zur Fortbildung deutscher Schullehrer beigetragen.
Hentsclielj Franz, deutscher Componist und Dirigent, geboren am 6,Novbr.
1814 zu Berlin, trat, von früh auf mit Musik beschäftigt, 1833 als Accessist
für Flöte und Contrabass in die königl. Kapelle, studirte seit 1836 Contra-
punkt bei Grell und A. W. Bach und von 1838 bis 1841 Composition bei
A. B. Marx. Im J. 1843 ging er als Musikdirektor an das Stadttheater zu
Erfurt, 1845 in gleicher Eigenschaft nach Altenburg und kehrte dann nach
Berlin zurück, wo er von 1848 bis 1851 die musikalischen Anfführungen des
Privattheaters Urania dirigirte und bis in die Gegenwart hinein Musikunterricht
ertheilte. Er componirte eine Oper, »Die Hexenreise«, mehrere Singspiele und
melodramatische Musiken, die in Erfurt und im Königstädtischen Theater zu
Berlin aufgeführt wurden, ebenso Märsche und andere Stücke für Orchester
und für Militärmusik; ferner Concerte für Flöte, Oboe, Clarinette und Hörn
und endlich Verschiedenes für Ciavier und für Gesang, Eine Ciavierschule von
ihm ist ebenfalls noch Manuscript.
Hentschel, Theodor, hervorragender deutscher Componist und Dirigent,
geboren am 28. März 1830 zu Schirgiswalde in der Oberlausitz, war von
202 Henyk — Herabstrich.
seinem neunten Jahre an Alt- Solosänger an der Hofkirche zu Dresden und
besuchte weiterhin drei Jahre hindurch das Conservatorium zu Prag, an wel-
chem Ciavierspiel und Gesang seine Hauptfächer waren. Hierauf trat er wieder-
holt als Pianist und Componist in den Euterpeconcerten in Leipzig auf und
wurde am dortigen Stadttheater, nachdem er eine Saison hindurch als Opern-
dirigent in Halle fungirt hatte, Musik- und Chordirektor. Seine Erstlingsoper,
»Matrose und Sänger«, bekundete zwar grosses Talent, fand aber nicht den
Beifall des Leipziger Publikums und musste zurückgelegt werden. Im J. 1863
folgte H. dem Rufe als erster Kapellmeister an das Stadttheater zu Bremen,
in welcher Stellung er noch gegenwärtig mit Umsicht und Energie thätig ist.
Eine Zeitlang (von 1867 bis 1872) führte er auch die Mitdirektion dieser
Bühne. Im J. 1874 trat er wieder mit einer Oper, »Der Königspage«, hervor,
welche einen sehr . bedeutenden localen Erfolg errang. Ausserdem hat er
Ouvertüren und sinfonische Märsche für Orchester, eine Messe für Männerstimmen
und Ciavierstücke componirt.
Henyk, einer der ausgezeichnetsten Lautenisten der älteren Zeit, wurde in
der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu Prag geboren und unter den ersten
Virtuosen seiner Zeit genannt.
Hepp, Sixtus, einer der vorzüglicheren deutschen Ciavier- und Orgel-
spieler der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts, war am 12. Novbr. 1732 zu
Geisslingen in Würtemberg geboren und hatte bei Jomelli in Ludwigsbui'g die
Composition studirt. Er starb 1801 als Organist an der neuen Kirche zu
Strassburg. Von seiner Composition sind einige Ciaviersonaten im Druck
erschienen.
Hept.achordum (griech.-latein., ital. : ettacorda), d. i, Siebensaiter , ein bis
Ende des 18. Jahrhunderts sehr gebräuchlicher Fachausdruck in der Musik,
der auch noch beibehalten worden war, als man schon die meisten über Musik
abhandelnden Werke in deutscher Sprache schrieb. In der Blüthezeit desselben
hatte man für diesen Ausdruck eine zweifache Auslegung. Erstens nannte man
ein Intervall, die Septime (s. d.), und zweitens die diatonische Folge von
sieben Klängen, sechs Ganztöne und einen Halbton, H. Der Halbtou befand
sich jedesmal von der dritten zur vierten Stufe, und es würden somit die jetzt
c, d, e, f, g, a und h genannten Töne ein solches H. sein. Neben diesem H.
bestand auch das mit zwei Halbtönen, den ersten zwischen der dritten und
vierten und den zweiten zwischen der sechsten und siebenten Stufe. Ersteres
H. würde authentisch (s. d.) und letzteres plagialisch (s, d.) genannt
werden können. Noch düi'fte hier nebenbei bemerkt werden, dass einige Musik-
gelehrte das H. als Tonmaass der Hebräer annehmen, aus Avelchem dann, der
angewandten doppelten Auffassungsweise halber, das Hexachord (s. d.) als
nothwendiges Tonmaass im Abendlande entstanden sei. Dass das H. mit sechs
ganzen und einem halben Ton in allen Produkten dasselbe geben muss, wie
die moderne Octave, ist wohl Jedem einleuchtend, sowie, dass das andere H.
zwei ineinander geschobene Tetrachorde (s. d.) sind, und die erste derartige
abendländische Auffassung der griechischen ihre Entstehung verdankt. 2.
Herabstrich oder Herunterstrich nennt man bei Bogeninstrumenten,
die beim Spielen wagerecht gehalten werden, wie Violine, Viola und deren Ab-
arten, denjenigen Bogenstrich, bei dem der Bogen vom Frosche nach der Spitze
zu über die Saiten geführt wird. An und für sich hat dieser Strich mehr
Kraft als der in entgegengesetzter Richtung geführte Hinaufstrich , und es ist
deshalb Sache der Uebung für jeden Spieler, die unbedingt erforderliche mög-
lichst gleiche Klangstärke bei beiden Stricharten sich zu eigen zu machen.
Man folgt demnach allerdings einer in der physischen Anlage begründeten
Vorschrift, wenn man, wie dies fast selbstverständlich geschieht, die accentuirten
Noten durch H., die accentlosen durch Hinaufstrich ausführt, jedoch lässt sich
dies keineswegs zur festen Regel erheben. Nur jedes melodische Glied, welches
vom vorangehenden durch eine Pause getrennt ist und im Niederschlage anhebt,
Heraklides — Herbart. 203
muss mit dem H. angefangen, während Auftaktnoten von Melodien und Melo-
diengliedern stets mit dem Hinaufsti'iche gespielt werden. Die moderne Or-
chesterdisciplin hat eine genaue TJebereinstimmung der Bogeninstrumentisten
in den Streicharten eingeführt, welche aber mehr aus ästhetischen, wie aus
praktischen Rücksichten geboten erscheint. S. auch Bogenstrich,
Heraklides, ein altgriechischer Philosoph und Geschichtschreiber aus
Heraklea in Pontus, daher Ponticus, spottweise aber von den Alten Pom-
picus, d. i. der Prunkhafte, genannt, lebte um 328 v. Chr., hörte den Piaton,
Speusippos und Aristoteles und soll auch über Musik geschrieben haben.
Wenigstens werden von späteren Schriftstellern verschiedene Titel von ein-
schlägigen Werken des H. citirt,
Herault, Jean Louis, französischer Kirehencomponist , war TJnterkapell-
meister des Königs Franz I. von Frankreich um 1545 und hat einige Com-
positionen hinterlassen. — Eine Musiklehrerin gleichen Namens, Palmyre II.,
geboren 1801 in der Touraine, lebte in Paris, wo sie sich durch Composition
von Ciavierstücken grosse Beliebtheit bei den Dilettanten erwarb.
Herbain, Chevalier d', auch Herbin geschrieben, französischer Opern-
componist, geboren 1734 in Paris, trat mit 15 Jahren in den Militärdienst
und wurde ziemlich schnell Capitain. Im J. 1750 besuchte er Italien und Hess
in Rom 1751 ein von ihm componirtes Intermezzo y>Il gelosoi aufführen, wel-
ches auch in Florenz nicht ohne Erfolg gegeben wurde. Er garnisonirte hierauf
in Corsica und schrieb 1753 zu Bastia die Opern »JZ trionfo del cigliov. und
»Laviniaa. Im J. 1756 wieder in Paris, trat er mit der einaktigen Oper
r>Celimenev. und später mit den komischen Opern y>Les äeux talentsa (1763) und
»Nanette und Lucas« (1764) auf. Er starb 1769 zu Paris. Auch zwei Can-
taten und eine Motette y>Exultatev. von ihm sind bekannt geworden.
Herbart, Johann Friedrich, einer der originellsten Denker der neueren
Zeit, geboren am 4. Mai 1776 zu Oldenburg als der Sohn eines Justizraths,
trieb als Gymnasiast auch eifrig Clavierspiel. Im J. 1794 bezog er zu philo-
sophischen Studien die Universität Jena, wo er mit Fichte bekannt wurde,
dessen Wissenschaftslehre er aber alsbald mit. einer seltenen Unabhängigkeit
der eigenen Prüfung entgegentrat. Nicht anders stellte er sich den Lehren
Schelling's und Hegel's, überhaupt der ganzen sich immer weiter verbreitenden
Zeitphilosophie gegenüber, von der er sich, des hingehendsten Studiums der
altgriechischen Philosophen beflissen, vollständig emancipirte. Im J. 1797
nahm er eine Hauslehrerstelle in Bern an, habilitirte sich 1802 in Göttingen,
wurde 1809 ordentlicher Professor der Philosophie und Pädagogik in Königs-
berg und folgte 1833 einem Rufe zurück nach Göttingen, wo er am 14. Aug.
1841 starb. Die Philosophie H.'s charakterisirt im Allgemeinen der Geist
einer strengen Untersuchung und die Zuversicht, dass sich durch die in dem
Inhalt der Begriffe selbst liegende Kothwendigkeit eines willkürlos fortschrei-
tenden Denkens ein festes, unveränderliches, zwar einer immer fortschreitenden
Entwickelung fähiges, aber fortwährenden Schwankungen nicht unterliegendes
Wissen erreichen lasse. Zu diesem Zwecke war er zunächst bemüht, die ver-
schiedenen Richtungen philosophischer Untersuchungen, deren Gränzen er viel-
fach inenander gewirrt fand, wieder zu sondern, die ursprünglichen Probleme,
von denen sie auslaufen, genau festzustellen und sie nach der durch die Natur
der Sache selbst geforderten Methode zu lösen. In dieser Art hat er auch
der Kunstästhetik und Philosophie der Tonkunst ausgezeichnete, nicht unan-
gefochten gebliebene, aber je länger je mehr anerkannte Dienste geleistet, be-
sonders in seinen »Psychologischen Bemerkungen zur Tonlehre« (Königsberg,
1811), im neunten Capitel der »Encyclopädie der Philosophie aus praktischen
Gesichtspunkten« (Halle, 1831, 2. Aufl. 1841), in seinem Hauptwerke )5Psychologie,
als Wissenschaft neu gegründet auf Erfahrung, Metaphysik und Mathematik«
(2 Bde., Königsberg, 1824 — 1825) und in den »Physiologischen Aphorismen«.
Ausserdem hat er einige Sonaten für Pianoforte componirt.
204 Herbeok.
Herbeck, Johann, vielseitig ausgezeichneter deutscher Tonkünstler, be-
deutend als Componist und hochverdient als Dirigent, wurde als der Sohn
eines armen Handwerkers am 25, Decbr. 1831 zu Wien geboren. Schon in
seinen ersten Kinderjahren offenbarte er ein so ausgesprochen musikalisches
Talent, dass ihm ungeachtet der dürftigen Familienverhältnisse eine mehrmonat-
liche Unterweisung im Gesang zu Theil wurde. Zehn Jahre alt, wai'd er als
Sängerknabe in das Cistercienserstift Heiligenkreuz unweit Wien aufgenommen.
Hier war es, wo seine vorzügliche Discantstimme das Interesse mehrerer Wiener
Künstler, wie Georg Hellmesberger u. A., auf sich zog, so dass diese den
Stiftsvorsteher bewogen, den Knaben bei Rotter in Wien Harmonielehre stu-
diren zu lassen. Dieser Unterricht dauerte einige Monate, und hiermit war
auch Alles erschöpft, was von Seiten Anderer für H.'s musikalische Ausbildung
geschehen ist. Alles Andere: die genaue Kenntniss des Generalbasses wie der
Corapositionslehre, das eindringliche Verständniss der Technik sämmtlicher
Saiteninstrumente, der Orgel und des Claviers verdankt H. sich selbst, seinem
unermüdeten, ausharrenden Fleisse. Auch die für jeden Gebildeten so wichtige
humanistische Bildung ward nicht vergessen. In Wien durchlief er das Gym-
nasium und widmete sich dann den rechtsgelehrten Studien, welche er aber nur
drei Jahre hindurch fortsetzte, um sich dann mit verdoppeltem Eifer der Musik
ausschliesslich zuzuwenden.
Easch erklomm er seitdem Stufe um Stufe bis zur höchsten gesellschaft-
lichen ßanghöhe. Im J. 1852 wurde er Chordirektor bei den Piaristen in der
Josephstadt zu Wien, 1856 Chormeister des Wiener Männergesangvereins an
Stegmayer's Stelle, 1858 Diiügent des neu gegründeten Singvereins und Pro-
fessor am Conservatorium, ein Jahr später artistischer Direktor der Gesellschaft
der Musikfreunde, 1863 Vice-Hofkapellmeister, endlich 1866, mit Uebergehung
des Anciennitätsverhältnisses, in Berücksichtigung seiner überragenden künst-
lerischen Begabung, erster kaiserl. Hofkapellmeister. Endlich, 1871, wurde er
sogar als Nachfolger Dingelstedt's zum Direktor der kaiserl. Hofoper in AVien
ernannt, und seinem Regimente verdanken das Personal und das Repertoire
dieser Kunstanstalt die wichtigsten Verbesserungen und Bereicherungen, so
dass in dem neuen glänzenden Hause, welches ihm übergeben wurde, durch
ihn frisches Blut in den Opernkörper geleitet wurde, der durch die voran-
gegangene kopflose Wirthschaft entsetzlich gelitten hatte. H.'s Verdienste in
dieser Hinsicht sind noch zu neu, als dass sie jetzt schon genügend gewürdigt
werden könnten; im Einstudiren und Leiten der von ihm gewählten Opern,
besonders der classischen und derer Meyerbeer's und Wagner's, weiss man
seinen Besitz allgemein zu schätzen. In Folge seiner letzten Ernennung hat
H. seine Stelle als artistischer Direktor der Gesellschaft der Musikfreunde
aufgegeben, wie schon vier Jahre vorher die als Chormeister des Männergesang-
vereins, welcher letztere ihm seine glänzendsten Triumphe verdankte. Als Chor-
dirigent, besonders in der Leitung grosser Massen, zeigte sich H. unüber-
troffen und wusste die feinsten Nuancen, die schärfste Sonderung von Licht und
Schatten in der Darstellung mit der grössten Präcision und Schlagfertigkeit
zu vereinigen.
Nachdem er seinen Chor allmälig zu den grössten Wirkungen befähigt
hatte, unternahm er es, eine Reihe der erhabensten musikalischen Meisterwerke,
besonders auch die Franz Schubert's, wieder an das Licht zu ziehen und durch
treffliche Darstellungen zu beleben. In dieser Wirksamkeit hat er sich als
Dirigent des Singvereins und der Gesellschaftsconcerte um die Musikverhält-
nisse Wiens ausserordentlich verdient gemacht. Wenn er auf diese Weise die
beiden genannten Institute von Sieg zu Siege führte, so vergass er auch des
ihm unterstehenden »Männergesangvereins« nicht. Er that vielmehr das Mög-
lichste, um diesen Verein aus dem Einerlei der gewöhnlichen Liedertafelkost
auf eine höhere Stufe künstlerischer Aufgaben zu heben. Indem er alljährlich
wenigstens eines der Concerte des Männergesangvereins mit Orchester gab,
Herbenus — Herbst. 205
dehnte er das musikalieche Gebiet desselben wohltbätig aus. Als glänzendste
Concertthat H.'s stehen die grossen Aufführungen in der "Wiener Reitschule
Ende 1866 zum Besten der im österreichisch-preussischen Kriege Verwundeten
da. In denselben wirkten sämmtliche Chorvereine Wiens und der Umgebung
(über 1600 Personen) mit, und H. leitete diese riesigen Massen mit einer
Sicherheit und Ruhe, dass ein ähnliches Zusammenwirken selten beobachtet
wurde; das feinste, kaum vernehmbare Pianissimo kam eben so zur Geltung,
wie das brausendste Portissimo, und fast alle kleineren Stücke wurden zur
Wiederholung verlangt. — Als Componist ist H., wie in seinem übrigen musi-
kalischen Wirken, fast ausschliesslich Autodidakt. Früh schon vollendete er
einige kirchliche Musikstücke, die indessen noch keinen bestimmten Charakter
aussprechen; dagegen vervollkommnete er sich mit jedem weiteren Werke und
ist endlich mit seiner grossen Messe (1866), die offenbar dem eifrigen Studium
von Beethoven's Missa solemnis ihre Entstehung verdankt, in die Reihe der
bedeutendsten österreichischen Tonsetzer der Gegenwart getreten. Ausserdem
schrieb er mehrere Ouvertüren , zwei Sinfonien , von welchen die zweite in
C-dur, nicht frei von TJebertreibungen des materiellen Effekts, wiederholt mit
grossem Beifall aufgeführt wurde, ferner fünf andere Messen, zwei Streichquar-
tette, Ciavierstücke und viele Chorlieder, unter denen besonders »Der Lanz-
knecht« und »Marschiren« durch ihr kräftig realistisches Gepräge stets von der
grössten Wirkung sind. Energie und Kraft, Vermeidung alles Süsslichen ist
überhaupt der Charakterzug aller Compositionen H.'s.
Herbenus, Matthäus, niederländischer Theologe und Schulmann, geboren
1451, war Rector der Schule St, Servatii zu Mastricht und verfasste die Schrift:
y>De natura cantus et miraculis vocisv.
Herberth, Robert, deutscher Kirchencomponist, geboren um 1770 zu
Röttingen in Franken, war Professor der Theologie und geistlicher Rath zu
Passau, dann zu Salzburg und endlich Beneficiat zu Oedheim bei Heilbronn.
Er hat Messen, Cantaten, Variationen u. s. w. componirt und auch einige ge-
lehrte Gelegenheitsschriften verfasst.
Herbin, Chevalier d', s. Herbain.
Herbin, Auguste Frangois Jullien, französischer Orientalist, geboren
am 17. März 1783 zu Paris, stellte hauptsächlich über die Musik der Orien-
talen Untersuchungen an, die er der Oeffentlichkeit übergab. Er starb im
blühendsten Jugendalter am 30. Decbr. 1806 zu Paris.
Herbing', August Bernhard Valentin, einer der talentvollsten und
beachtenswerthesten deutschen Liedercomponisten im neckisch -heiteren Genre,
war adjungirter Organist und Vicarius am Dom zu Magdeburg und starb da-
selbst noch jung im J. 1767. Er veröffentlichte zuerst 30 Oden unter dem
Titel »Musikalische Belustigungen« (Leipzig, 1758) und später in Musik ge-
setzte »Fabeln und Erzählungen«. Eine eingehende kritische Würdigung dieser
originellen Werke nebst Proben aus dem ersteren derselben, von dem ein zweiter
Theil 1767 erschien, enthält E. 0. Linduer's »Geschichte des deutschen Liedes
im 18. Jahrhundert« (Leipzig, 1871) S. 81 ff.
Herbinins, oder Herbinus, Johann, musikkundiger Theologe, geboren
um 1630, war Pastor in Graudenz und behandelte in seiner kirchenhistorischen
Schrift »De cryptis Kyoviensibusa auch Gegenstände der alten Kirchenmusik.
Herbst, deutsche Sängerin, eine Schülerin der Frau Benda, war 1792
herzogl. mecklenburgische und später fürstl, dessau'sche Hofsängerin. Als solche
gastirte sie 1809 am königl. Nationaltheater zu Berlin, wurde engagirt und
debütirte am 31. März 1810 als Vitellia in Mozart's »Titus«. Sie sang u. A.
auch die Donna Elvira im »Don Juan«, den Cherubin im »Figaro« und die
Myrrha im »Unterbrochenen Opferfest«, schied aber bereits im J. 1811 wieder
aus, weil sich gegen ihre Darstellung der jugendlichen Emmeliue in der
»Schweizerfamilie« eine bedeutende Opposition bemerkbar machte.
Herbst, Heinrich, deutscher Orgelbauer, lebte zu Anfang des 18. Jahr-
206 Herbst — Herder.
hunderts zu Magdeburg und errichtete u. A, 1718 das bewunderte Werk in
der Stiftskirche zu Halberstadt mit 74 Stimmen, drei Manualen, zwei Neben-
clavieren, Pedal und acht Bälgen. — Sein Sohn und Schüler, Johann Grott-
fried H., war Orgelbauer zu Striegau, nach Anderen zu Petersdorf, und baute
1749 die Orgel im evangelischen Bethause zu Striegau mit 25 Stimmen, und
1755 die des evangelischen Bethauses zu Neumarkt mit derselben Anzahl von
Stimmen.
Herbst, Johann Andreas, deutscher Musikgelehrter und Componist,
geboren 1588 zu Nürnberg und daselbst auch musikalisch ausgebildet, war von
1628 bis 1640 Kapellmeister in Frankfurt a. M. , folgte dann einem gleichen
Bufe zurück in seine Vaterstadt, nahm aber schon um 1650 sein früheres Amt
in Frankfurt wieder ein, das er bis zu seinem Tode, um 1665, verwaltete.
Von seinen gelehrten Werken sind bekannt geblieben: y>Miisica practica sive
instructio pro symplwniacisv. (Nürnberg, 1642, und ferner Frankfurt, 1653 und
1658), enthaltend eine kurze Anleitung zum Sing- und Instrumental-Unterricht
nach damaligen Anforderungen ; ferner y^Musica poetica sive compendium melo'
poeticuma (Nürnberg, 1643), eine Harmonielehre; endlich r>Arte prattica e poetica«
(Frankfurt, 1653), eine aus italienischen Werken gezogene Lehre vom Contra-
punkte. Von seinen Compositionen kennt man mehrere drei- und sechsstimmige
geistliche Gesänge und das nTheatrum amorisa, fünf- und sechsstimmige deutsche
Gesänge nach Art der welschen Madrigale.
Herbst, Johann Friedrich Wilhelm, musikkundiger deutscher Theo-
loge, geboren am 1. Novbr. 1743 zu Petershagen, war Prediger an der Marien-
und an der Heiligengeist -Kirche zu Berlin und starb in diesem Amte am
5. Novbr. 1807. Er ist der Verfasser eines Buches: »lieber die Harfe, nebst
einer Anleitung sie zu lernen«.
Herbst, Michael, vorzüglicher deutscher Hornvirtuose, geboren am 24.
Septbr. 1778 zu Wien, erhielt den ersten Unterricht auf seinem Instrumente
von einem gewissen Faistenberger , verdankt aber seine Meisterschaft auf dem-
selben lediglich dem eigenen Talente und Fleisse. Anfänglich in der Privat-
kapelle des Freiherrn von Braun augestellt, trat er 1806 als Solospieler in
das Orchester des Theaters an der Wien, Hess sich häufig in Hof- und öflFent-
lichen Concerten mit' enthusiastischem Beifall hören und erhielt bei Errichtung
des Conservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde die Stelle als Professor
seines Instruments daselbst. Unter seinen zahlreichen treflHichen Schülern haben
sich besonders Bauchinger, König, Leeb, Rust und Schmidt ausgezeichnet. H.
starb am 15. Octbr. 1833 zu Wien. In seinem Nachlasse befand sich neben
Uebungsstücken das vollständig ausgearbeitete Manuscript einer grossen Schule
für Hörn, die jedoch auch später leider nicht im Druck erschienen ist.
Herder, Johann Gottfried von, einer der eigenthümlichsten, umfas-
sendsten und geistreichsten Schriftsteller und überhaupt einer der edelsten
Geister deutscher Nation, wurde am 25. Aug. 1744 zu Mehrungen in Ost-
preussen geboren, wo sein Vater Mädchenschullehrer und Cantor war. Nicht
begünstigt durch Erziehung und äussere Umstände, entwickelten sich die herr-
lichen Geistes- und Herzensanlagen des jungen H. durch eigene Kraft. Er
studirte in Königsberg, durch Gönner unterstützt, Theologie und Philosophie
und war daneben Lehrer am Friedrichscollegium , dann 1765 Lehrer au der
Domschule zu Riga und Prediger daselbst. Im J. 1767 unternahm er eine
grössere Reise bis nach Frankreich hinein, ward ein Jahr später Reiseprediger
des Prinzen von Holstein -Eutin, 1770 Hofprediger und Consistorialrath in
Bückebui'g und 1775 zum Professor in Göttingen berufen, aber nicht angestellt.
Dafür ging er als Hofprediger, General -Superintendent und Ober-Consistorial-
rath nach Weimar und wurde 1801 in den Adelsstand erhoben. Er starb am
18. Decbr. 1803 zu Weimar. Als reinster Priester der Humanität hat der
grosse Mann auch die Musik in den Kreis seiner Forschungen gezogen. In
den fliegenden Blättern »Von deutscher Art und Kunst'; (Homburg, 1773)
Herdliska — Hering. 207
befindet sich neben Groethe'scben und Möser'scben Abhandlungen auch ein
Aufsatz von H., »Ossian und die Lieder altei* Völker«, welcher einen bedeu-
tenden Einfluss auf die dem Volksthümlichen sich zuwendende Bewegung in
der Kunst ausübte. Im Zusammenhange mit den hier entwickelten Ansichten
gab H. später seine »Volkslieder« (2 Thle., 1778 und 1779; neue Ausg. 2 Bde.,
Leipzig, 1840) heraus. In seinem Werke »Geist der hebräischen Poesie«
(Dessau, 1782; 3. Aufl. von Justi, 2 Bde., Leipzig, 1825) sind die Abhand-
lungen »Von der Musik der Psalmen«, »lieber die Musik als Gesang aus Asmus'
sämmtliclien Werken« und »lieber die Verbindung der Musik und des Tanzes
zum Nationalgesang« hervorzuheben. In der Schrift »Cäcilia« (in der 5. Samm-
lung seiner zerstreuten Blätter) handelt er über die Beschaffenheit der heiligen
Musik, der Hymnen und der christlichen Liturgie. Auch in seinen »Briefen
zur Befördei"ung der Humanität« ist häufig von diesen Dingen die Rede. In
der Zeitschrift »Adrastea« schreibt er in der 9. Nummer des vierten Stücks
(1801) über den Tanz, über das Melodram, die neueste deutsche Oper und
die Wirkung der Musik überhaupt auf Denkart und Sitten; in No. 5 des
zweiten Stücks (1802) nach einer Lebensbeschreibung und ästhetischen Wür-
digung Händel's, über das Oratoi'ium und ebenfalls über die Wirkung der Ton-
kunst. Nicht minder wichtig und interessant sind für den denkenden Musiker
auch seine Abhandlungen »Ueber den Ursprung der Sprache«, seine »Fragmente«
(1767), »Kritischen Wälder« (1769), »Von den Ursachen des gesunkenen Ge-
schmacks« u. s. w. Eine Culturgeschichte der Musik des 18. Jahrhunderts,
welche er 1802 in Aussicht stellte, konnte er leider nicht mehr vollenden.
Aber auch ohne diese hat der ganze Culturzustand Deutschlands von ihm
einen mächtigen, weithin sich verbreitenden Impuls erhalten, und an warmer,
tiefer Begeisterung für alles Schöne, acht Menschliche, Würdige, Grosse hat
ihn Keiner überragt.
Herdliska, Henri, genannt Tourterelle, französischer Instrumentalcom-
ponist, geboren 1796 zu Paris, lebte später als Ciavierlehrer zu Bordeaux, wo
er im Novbr. 1821 auch starb. Er hat Ciaviersachen mit Begleitung verschie-
dener Instrumente componirt und veröfi'entlicht.
Heredia, Piedro, auch Herredia geschrieben, spanischer Kirchencom-
ponist der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, lebte in Italien und war seit
1630 Kapellmeister an der St. Peterskirche zu Bom. Als solcher starb er im
J. 1648. S. auch Eredia.
Heremita, s. Eremita.
Herfurth, Rudolph, guter deutscher Violinist und Dirigent, geboren am
9. Febr. 1844 zu Eisenberg im Altenburg'schen, erhielt von seinem Vater, dem
dortigen Stadtmusikdirektor, den ersten Musikunterricht. Nach Beendigung
seiner Schulzeit sollte H. auf das Conservatorium zu Leipzig gehen, sah sich
aber, da gerade sein Vater starb, auf sich selbst angewiesen und trat, um doch
an bester Quelle zu studiren, Ende 1860 als erster Violinist in eines der
Leipziger Musikcorps. Bald darauf begann er ein Wanderleben, welches ihn
als Sologeiger in verschiedene Orchester Deutschlands führte, bis er im Herbst
1868 die Musikdirektorstelle in Ereiburg in Baden und während des Sommers
die Leitung der Kurkapelle in Badenweiler übernahm. Seit 1871 ist er neben
Weissheimer Kapellmeister der Oper am kaiserl. subventionirten Theater zu
Strassburg im Elsass.
Herigrerns, genannt Abbas Laubiensis, niederländischer Geistlicher und
Tonsetzer, gestorben um 1010 im Bisthum Lüttich, componirte eine Hymne
y>Ave perquam« und zwei Antiphonien auf den Apostel Thomas: »O Thoma di-
d'i/mea und »O Thoma ajwstolev.
Hering-, Alexander, deutscher Orgel- und Ciavierspieler, war 1669
und später als Organist der Kreuzkirche zu Dresden angestellt, in welchem
Amte er zu den ersten Musiklehrern des berühmt gewordeneu Joh. Kuhnau
7ii,hlte.
208 Hering.
Hering, Karl (Friedrich August), geschickter deutscher Violinist und
fleissiger Componist, geboren am 2. Septbr. 1819 zu Berlin, erhielt von seinem
Vater, einem Maler, den ersten Musikunterricht, den er aber erst als Jüngling
in der Möser'schen Musikschule bei Hub. Ries fortsetzte. Gleichzeitig studirte
er dann als Schüler der Akademie der Künste bei ßungenhagen die Compo-
sition. Einer noch höheren Ausbildung beflissen, ging er 1840 zu Lipinski
nach Dresden, bei dem er das höhere Violiuspiel, und dann zu Tomaschek in
Prag, unter dessen Leitung er Ciavierspiel und Gesang eifrig studirte. Hie-
rauf Hess er sich auf Concertreisen auch in Wien, Olmütz, Brunn, Leipzig,
Stettin u. s. w. mit Beifall als Violinist hören, entsagte aber 1844 dem Vir-
tuosenthum und kehrte nach Berlin zurück, wo er 1846 zeitweilig als Accessist
in die königl. Kapelle trat. Er gründete 1848 einen »Sonatenverein« behufs
Pflege der Kammermusik, der bis 1851 bestand, worauf er eine Musikschule
für Violine, Ciavier, Gesang und Theorie der Musik ins Leben rief, welche
er, mittlerweile zum königl. Musikdirektor ernannt, bis 1867 leitete. Seine
zahlreichen Compositionen bewegen sich in allen Gattungen der Musik und
bestehen in Sinfonien, Ouvertüren, Blasequintetten, Streichquartetten, Violin-
und Ciaviersachen, zum grossen Theil instructiver Art, ferner in Messen,
Psalmen, Gesängen und Liedern. Sein zum Armeemarsch (No. 146) erhobener
Wrangel- Marsch ist in seltener Art populär geworden. Endlich gab er auch
eine Elementar -Viplinschule mit beigefügten Etüden, sowie die didaktischen
Schriften »Methodischer Leitfaden für Violin -Lehrer« (Leipzig, 1857) und
»Ueber Rud. Kreutzer's Etüden, Anweisung für Violin-Lehrer« (Leipzig, 1858)
heraus.
Hering, Karl Gottlieb, ausgezeichneter musikalischer Pädagoge, wurde
(nach seiner eigenhändigen Notiz) am 25. Octbr. 1766 zu Schandau in Sachsen
geboren. Er erhielt seine Bildung in der Stadt- und später in der Fürsten-
schule zu Meissen, studirte zu Wittenberg und Leipzig, war in letzterer Stadt
befreundet mit Weisse, Müller, Klodius und Hiller, wurde Hauslehrer bei Krug
von Nidda in Gatterstädt bei Querfurth, dann 1794 Lehrer und einige Jahre
später Conrector und Organist zu Oschatz, 1811 Oberlehrer an der Stadtschule
zu Zittau und übernahm später in dieser Stadt auch den Musikunterricht am
Seminare. Er starb daselbst am 4. Jan. 1853. — Von seinen musikalischen
Werken sind verschiedene in 4. bis 7. Auflage erschienen und weit über die
Grenzen Deutschlands verbreitet, indem sie in Oesterreich, England, Spanien
und Nordamerika Nachdruck erlitten. — Was seinen Namen in der Kunst-
geschichte zu einem bleibenden macht, ist der Umstand, dass er einer der ersten
war, der den Musikunterricht pädagogisch behandelte. Er legte seine An-
schauungen und Erfahrungen in folgenden Werken nieder: 1. »Instructive Va-
riationen, ein neues, wenigstens unbenutztes Hülfsmittel zur leichtern Erlernung
des Clavierspiels und zur Selbstübung« (1802); 2. »Neue praktische Ciavier-
schule für Kinder nach einer bisher ungewöhnlichen leichten Methode« (4 Bdchen.
4. 1804 — 1807); 3. »Neue sehr erleichterte jiraktische Generalbassschule für
junge Musiker, zugleich als ein nöthiges Hülfsmittel für diejenigen, die den
Generalbass ohne mündlichen Unterricht in kurzer Zeit erlernen wollen« (3 Bde.
4. 1806); 4. »Neue praktische Singschule für Kinder, nach einer leichten
Lehrart bearbeitet« (4 Bdchen. 4. 1807 — 1809); 5. »Pi'ogressive Variationen
zu einer möglichst leichten Erlernung des Clavierspielens« (4. 1808); 6. »Prak-
tische Violinschule nach einer neuen und leichtern Stufenfolge« (4. 1810);
7. »Praktische Präludirschule, oder Anweisung in der Kunst, Vorspiele und
Fantasien selbst zu bilden« (2 Thle. 4. 1812 u. 1814); 8. »Kunst, das Pedal
fertig zu spielen und ohne mündlichen Unterricht zu erlernen« (gr. 4. 1816);
9. »Gesanglehre für Volksschulen« (8. 1820); 10. »Musikalisches Volksschulen-
gesangbuch« (2 Thle. 8. 1821 u. 1824) und 11. »Allgemeines Choralbuch, oder:
Sammlung der in den evangelischen Gemeinden üblichen Kirchenmelodien, für
den Gesangunterricht in Schulen geordnet« etc. (gr. 8. 1825). Ausser seinen
Hering — Hermann. 209
Unterrichtswerken schrieb er auch viele Lieder (mit und ohne Begleitung) für
die Jugend, von denen mehrere (so z. B. »Horch, wie schallt's dorteu so lieblich
hervor«) Volkslieder geworden sind, Männerchöre und Anderes; ferner gründete
er 1830 das später von seinem Sohne in etwas veränderter Form fortgesetzte
»Musikalische Jugendblatt füi- Gesang, Ciavier und Flöte«. Weitere Werke
von ihm finden sich angezeigt in seiner »Gresanglehre für Volksschulen« (Leipzig,
1820) S. XIV. 0. T.
Hering:, Karl Eduard, der Sohn des Vorigen, ein vielseitiger Componist
und guter Lehrer, geboren am 13. Mai 1807 zu Oschatz, war dort und während
er das Gymnasium zu Zittau besuchte ein Musikschüler seines Vaters. Als
Student in Leipzig studirte er bei Theod. Weinlig Contrapunkt und stand im
anregenden Verkehr mit Aug. Pohlenz, Nachdem er mehrere Jahre hindurch
in Dresden privatisirt hatte, wurde er 1839 Organist an der lutherischen
Hauptkirche und Seminar-Musiklehrer in Bautzen. Dort hat er sich auch als
Gründer und langjähriger Dirigent eines Gesangvereins sehr verdient gemacht.
Als Componist im grossen Style ist er aufs Ehrenwertheste zuerst mit einem
Oratorium, »Der Erlöser«, aufgeführt 1834 in Leipzig und später in Bi-aun-
schweig, Prag, Dx-esden, und mit einer Messe in B-dur, 1835 in Prag auf-
geführt, hervorgetreten. An grossen Werken reihten sich im Laufe der Zeit
diesen an: die Oratorien »Die heilige Nacht«, »David«, »Salomo«, »Christi Leid
und Herrlichkeit«, sowie die Opern »Conradin, der letzte Hohenstaufe«, »Tor-
denskjold«, mehrere Messen und Cantaten, Hymnen, Psalme und Balladen, meist
für Männerchöre. Im Druck erschienen sind jedoch nur kleinere Arbeiten von
ihm, als Ciavierstücke verschiedener Art, Lieder und Chorgesänge. Ueberall
bekundet sich der durchbildete Musiker, welcher die Harmonie und den reinen
Satz meisterhaft handhabt. Für den Unterricht hat H. ausserdem noch ver-
fasst und veröffentlicht: »Singbüchlein zur Vorbereitung auf den Choralgesang
für die Unter- und Mittelklassen der Stadt- und Landschulen« (Bautzen, 1846);
»Buch der Harmonie. Grundlage für Unterricht und Bildung in der Musik«
(1. Abth., Löbau, 1861); »Dreissig Choralmelodien mit bezifferten Bässen und
theoretischen Anmerkunsen«.
Heritier, Jean 1', französischer Kirchencomponist, welcher in der ersten
Hälfte des 16. Jahrhunderts lebte. Von seinen Compositionen sind zwei Mo-
tetten in die Sammlung von Attaignant (Paris, 1534) aufgenommen; eine andere
Motette von ihm citirt Pater Aaron.
Hermaiiu, genannt Hermannus contractus, d. i. der Lahme, weil er
durch die Gicht so gelähmt war, dass er ohne Beihülfe seine Körperlage nicht
verändern konnte, war einer der berühmtesten Gelehrten und vorzüglichsten
Geschichtschreiber, sowie der tüchtigste noch bekannt gebliebene Tonsetzer des
11. Jahrhunderts. Geboren am 18. Juli 1013 aus dem Geschlechte der Grafen
von Vehringen in Schwaben, kam er in seinem siebenten Jahre in die Kloster-
schule zu St. Gallen, wo er sich früh schon in den mathematischen Wissen-
schaften, in der Astronomie, Geometrie und besonders auch Musik auszeichnete.
Im dreissigsten Lebensjahre trat er ganz in den geistlichen Stand und lebte
seitdem im Kloster Reichenau, wo er trotz seiner Gebrechlichkeit das Lehramt
verwaltete und der Wissenschaft wie Kunst oblag. Von seinen schweren körper-
lichen Leiden niedergedrückt, starb er schon in seinem 41. Jahre, am 24. Septbr.
1054, auf dem väterlichen Gute Aleshusen (Alschhauseu) bei Biberach. Neben
seiner vorzüglichen Chronik und einigen astronomischen Schriften schrieb er
auch ein Buch »De monochordoa (s. Gerbert, Script, eccles. IL p. 125). Ferner
dichtete und componirte er viele Kirchengesänge, namentlich einige Sequenzen
oder Prosen von grosser Schönheit, welche Schubiger in sein Werk »Die
Sängerschule St. Gallens« (Einsiedeln, 1858) aufgenommen hat. H. wird auch
von Einigen für den Verfasser der Kirchengesänge »Salve reginav. und »Alma
redemtorisa gehalten.
Hermauu, deutscher Kircheugesangscompouist, geboren um die Mitte des
Musikal. Couverd.-Lexikou. V. 14
210 tiermaua.
16. Jahrhunderts in Franken, war Cantor an der Landesschule Pforta in
Thüringen und componirte mehrere Choralmelodien. Er starb im J. 1628. —
Ein Zeitgenosse von ihm, Johann H., geboren 1585 zu Räuden bei Liegnitz,
starb 1647 als Prediger zu Polnisch Lissa und hat eine Sammlung von Ge-
sängen eigener Composition herausgegeben.
Hermann, Christian Grottfried, deutscher Kirchensänger und Com-
ponist, geboren am 19. Febr. 1753 zu Breslau, erhielt auf dem Gymnasium
St. Maria Magdalena von Ostermayer Musikunterricht und sang dann fünf
Jahre lang, zuletzt als Altist, an der Elisabethkirche seiner Vaterstadt, bis er
1772 als wirklicher Choralist, 1778 als Subsignator und 1784 als Cantor an
dieser Kirche angestellt wurde. In Anerkennung seiner mehr als fünfzigjäh-
rigen treuen Dienste wurde er endlich im April 1828 mit vollem Gehalt vom
Magistrat in den wohlverdienten Ruhestand versetzt. Von seinen zu den ver-
schiedensten Gelegenheiten componirten Arbeiten ist nichts im Druck erschienen.
Dagegen hat er sich um Graun's »Tod Jesu« durch alljährlich am Charfreitage
veranstaltete Aufiführungen grosse Verdienste erworben.
Hermann, Constanz, vorzüglicher Violinist und Componist für sein In-
strument, geboren am 16. Aug. 1823 zu Douai, wurde auf Concertreisen in
Frankreich und Belgien hochgefeiert und bereicherte die Violinliteratur mit
guten Compositionen aller Art.
Hermauu, Friedrich, ausgezeichneter deutscher Violinvirtuose, Componist
und Lehrer seines Instruments, geboren 1828 zu Frankfurt a. M., erhielt den
ersten Musikunterricht von Bernh. Mohr und besuchte dann von 1843 bis
1846 das Conservatorium in Leipzig, wo er besonders bei Ferd. David, Men-
delssohn und Hauptmann die höheren Studien der Tonkunst betrieb. Sofort
nach Beendigung des dreijährigen Cursus an der Anstalt wurde er am 1. Novbr.
1846 als erster Bratschist im Leipziger Gewandhaus- und Theaterorchester
angestellt und bekleidet diese Stelle, sowie diejenige eines Violinlehrers am
Conservatorium noch gegenwärtig, letztere mit besonders glücklichem Erfolge.
Als stylvoller, geschickter Componist hat er sich höchst vortheilhaft bekannt
gemacht durch eine 1852 im Leipziger Gewandhause mit grossem Beifall auf-
geführte Sinfonie, durch Capriccios für drei Violinen, Etüden für Violine, ein
Duo für Violine und Violoncello, ein Streichquartett und Anderes, welches
auch im Druck erschienen ist. Ausserdem hat er die Orchesterbegleitung der
Viotti'schen und Kreutzer'schen Violinconcerte für Pianoforte arrangirt und
zahlreiche treffliche Bearbeitungen von Werken classischer Meister, worunter
auch Uebertragungen der Sinfonien von Beethoven, Mendelssohn und Schumann,
geliefert. Als Bratschist gehört H. entschieden zu den allerersten Virtuosen
der Gegenwart, und als Quartettspieler leistet er dem Musikleben in Leipzig
unschätzbare Dienste.
Hermann, Jacob, hervorragender Mathematiker und Phj^siker, geboren
am 19. Juli 1678 zu Basel, wurde 1713 Professor zu Padua, hierauf 1719 zu
Frankfurt a. 0., 1724 zu St. Petersburg und endlich 1731 in seiner Vater-
stadt, wo er auch am 11. Juli 1733 starb. In Padua verfasste er die Schrift y>De
vibrationihus chordarum tensarum disquisitiod und in Frankfurt das gleichfalls
für die Musik wichtige "Werk »De motu chordarum, quihus instrumenta musica in-
strui solent, atque stahili sonorum mensuraa (Exercit. Francofort. Tom. I. Sect. II.).
Hermann, Johann David, vortrefflicher Clavierspieler und Componist,
geboren um 1760 in Deutschland, kam 1785 nach Paris und trat dort im
Concert spirituel mit grossem Erfolge auf. Von der Königin ]\[arie Antoinette
zum Clavierlehrer erwählt, war sein Glück im TJnterrichtsfache entschieden.
Nach Steibelt's Erscheinen 1787 in Paris bildeten sich sogar zwei Partheien,
von denen sich die eine für H., die andere für den neuen Meister erklärte.
AVährend der Revolutionszeit erwarb sich H. durch Speculation beim Verkauf
der Nationalgüter beträchtliche Summen und zog sich mit denselben in das
Privatleben zurück. Hochbetagt lebte er noch in den 1830er Jahren in Paris.
Hermann — Hermstedt. 211
Von seinen sehr zahlreichen Compositionen sind Concerte, Sonaten, Potpourris
u. dergl. für Ciavier im Druck erschienen.
Hermauiij Johann G-ottfried Jacob, einer der scharfsinnigsten deut-
schen Philologen und ausgezeichneter Humanist, geboren am 28. Novbr. 1772
zu Leipzig, studirte, bei entschiedener Neigung für die altclassische Literatur,
dennoch eingehend die Rechte, wandte sich aber dann, seinen glänzenden Fähig-
keiten entsprechender, wieder der Philologie zu, wurde 1798 ausserordentlicher
und 1803 ordentlicher Professor an der Universität Leipzig, an welcher er als
erste Zierde derselben und mit allen akademischen Ehren überhäuft bis zu
seinem Tode, am 31. Decbr. 1848, segensreich wirkte. Yon seinen "Werken
wirkten auch fruchtbringend für die musikalische Wissenschaft: liElementa
doctrinae metricaed (Leipzig, 1816) und sein »Handbuch der Metrik« (Leip-
zig, 1799).
Hermanu, Nicolas, deutscher Kirchengesangscomponist, war um die Mitte
des 16. Jahrhunderts Cantor zu Joachimsthal in Böhmen und auch als voi'-
trefflicher Dichter in seiner und für alle Zeit hochgeschätzt. Er starb hoch-
betagt am 5. Mai 1561. Die herzogl. Bibliothek in Gotha bewahi't noch vier
verschiedene Ausgaben von seinen Gesängen, von denen drei nach seinem Tode
veranstaltet worden sind. Einige noch jetzt gesungene Choräle sind von ihm
zugleich gedichtet und componirt, wie »Lobt Gott, ihr Christen« und »Erschienen
ist der herrliche Tag« (e e e h eis d h a), letzterer von H. zu dem Texte
»Am Sabbathtag Marien drei« gesetzt. Die ihm vielfach zugeschriebene Me-
lodie »Aus meines Herzens Grunde« steht nicht in seinen erhalten gebliebenen
"Werken, kommt vielmehr zuerst in des Barth. Gesius »Geistlichen deutschen
Liedern« (1601) vor.
Hermann der Damen, deutscher fahrender Sänger, geboren in der ersten
Hälfte des 13. Jahrhunderts in Norddeutschland, hielt sich an den Höfen seines
G-eburtslandes , namentlich bei den Grafen von Brandenburg, Holstein und
Schleswig auf. Er besingt denn auch meistens das Lob der Fürsten und
Herren, von denen er damaliger Zeitsitte gemäss Gaben empfing; das merk-
würdigste und für die Literaturgeschichte wichtigste seiner Gedichte ist das
an seinen jüngeren Zeitgenossen Heinrich Erauenlob gerichtete, dessen Lehrer
und Meister in der Kunst überhaupt er nicht unwahrscheinlich gewesen ist.
Hermes, griechischer Name für Mercurius (s. d.).
Hermes, Hermann Daniel, deutscher Theologe, geboren am 24. Jan.
1731 zu Petznik bei Stargard in Hinterpommern, war Pastor an der Maria-
Magdalena-Kirche zu Breslau, wo er am 12. Novbr. 1807 starb. Er hat Lieder
mit selbst componirten Melodien herausgegeben. — Bedeutender für die Musik
war sein jüngerer Bruder, der als Schriftsteller und Dichter bekannte Johann
Timotheus H., geboren in Petznik am 31. Mai 1738 und gestorben am
24. Juli 1821 zu Breslau als Superintendent, Pastor primarius zu St. Elisa-
beth und erster Professor der Theologie an der Universität. Mit seinen Ro-
manen, namentlich »Fanny Wilkes« (2 Bde., Leipzig, 1766; 3. Aufl. 1781)
und »Sophiens Reise von Memel nach Sachsen« (5 Bde., Leipzig, 1770 — 1775;
6 Bde., 1778), hat er Aufsehen erregt und vielfach genützt, so wenig dieselben
als plumpe Nachahmungen englischer "V^orbilder auch höheren Kunstanforde-
rungen genügen konnten. In dieselben flocht er zahlreiche Lieder nach be-
kannten Melodien ein, die grossen Beifall fanden und eine Zeit lang allgemein
gesungen, auch von J. A. Hiller in grosser Anzahl neu componirt wurden.
H.'s Haus in Breslau war übrigens der Sammelpunkt für Künstler von nah
und fern und wirkte fördernd auf den musikalischen Geschmack der Stadt ein.
H. ist auch der Verfasser zweier musikalischer Aufsätze: »Noch Etwas über
das Ciavier« und »Nähere Nachrichten, Breslau'sche Claviere betrefi'end« in den
Schlesischen Provinzialblättern Bd. IL S. 437 ff. und Bd. IIL S. 560 ff.
Hermstedt, Johann Simon, vorzüglicher deutscher Clai'inettvirtuose, ge-
14*
212 Hero - Hdrold.
boren am 29. Decbr. 1778 zu Langensalza, erhielt auf dem Militärknaben-
Institute zu Annaberg Unterricht auf fast allen Instrumenten und wurde hierauf
Lehrling des Stadtmusicus Knoblauch in Waldheim, später beim Stadtmusicus
Bär in Coldiz. Darnach kam er als erster Clarinettist in ein Regiments -Musik-
corps zu Langensalza, das zeitweilig nach Dresden beordert wurde, wo H. zum
ersten Male gute Vorbilder hörte und Unterricht im Violinspiel und General-
bass nahm. Als der Fürst von Schwarzburg 1800 ein eigenes Militär-Musik-
corps errichten Hess, kam H. als erster Clarinettist nach Sondershausen, wurde
später Musikdirektor desselben und endlich fürstl. Hofkapellmeister. Als solcher
starb er am 10. Aug. 1846 zu Sondershausen. Seinen unvergleichlichen Ton
und seine eminente Technik verdankte er lediglich der aufmerksamen Beobach-
tung guter Säuger und Violinvirtuosen. So wanderte er 1808 hinüber nach
Gotha, um in dieser Weise Spohr zu studiren, der ihn kennen lernte, lieb
gewann und eigens für ihn ein Clarinettenconcert und Variationen schrieb.
Mit diesen Compositionen Hess er sich 1809 in Leipzig hören und wurde dort,
sowie in Dresden, Prag und Berlin , besonders auch , da er zuerst sein Instru-
ment aus allen Tönen blies, für den ersten Meister der Clarinette erklärt.
Auch C. M. V. Weber, mit dem H. 1812 zuerst zusammentraf und mit dem
er 1815 eines seiner Coucerte in Prag gab, hatte die Absicht, eigens ein Concert
für ihn zu schreiben. Die letzte Kunstreise H.'s fällt in das Jahr 1832, wo
man ihn wieder in Leipzig allgemein bewunderte. Componirt hat H. nur
einige wenige kleine Stücke für sein zwölf Mann starkes Musikcorps, sonst
nichts, wohl aber hat er vielerlei, namentlich Werke von Mozart und Haydn, für
Harmoniemusik arrangirt.
Hero, aus Alexaudria gebürtig, einer der vorzüglichsten Mathematiker und
Mechaniker des Alterthums, um 185 v. Chr. lebend, verfasste zwei Bücher
»Ueber die Verfertigung der Automaten«, herausgegeben von Baldi (Venedig,
1601), und mehrere andere, theils verloren gegangene, theils nur noch in
Bruchstücken vorhandene Schriften, namentlich eine Beschreibung der Con-
struktion der Wasserorgel des Ktesibius, welche letztere deutsch übersetzt J. C.
Vollbeding in seiner »Kurzgefassten Geschichte der Orgel« (Berlin, 1793)
wiedergiebt.
Hero, Hippolyt, vortrefflicher französischer Contrabassvirtuose, geboren
am 22. März 1819 zu Mons, ist Lehrer seines Instruments an der Musikschule
daselbst und hat ein gutes Lehrbuch für dasselbe veröffentlicht.
Herolde (französ.), eine Composition im grossartigen Style, ein Heldenstück,
dessen Hauptcharakter Erhabenheit ist.
Heroique (französ.; ital.: eroico), Vortragsbezeichnung in der Bedeutung
heroisch, heldenmässig, grossartig.
Herold, Franz Joseph, guter Clavierspieler und gründlicher Musiklehrer,
geboren am 16. März 1755 zu Soltz im Elsass (nicht 1757 zu Hamburg),
kam 1781 nach Paris, wo er sich bald zu den geschätztesten und gesuchtesten
Lehrern seines Instruments emporschwang. Als solcher starb er zu Anfang
des J. 1806. Von seiner Composition erschienen leichte Ciavier- Sonaten, So-
naten für Harfe und Sonaten für Ciavier und Violine.
Herold, Louis Joseph Ferdinand, talentvoller und berühmter fran-
zösischer Operncomponist, der Sohn des Vorigen, wurde am 28. Jan. 1791 zu
Paris geboren. Unter musikalisch günstigen Vei-hältnissen wuchs er heran,
sollte sich aber dem Wunsche seines Vaters gemäss wissenschaftlichen Studien
widmen. Erst der Tod des Letzteren änderte des Knaben Lebensplan, und
H. trat 1806 'in das Pariser Conservatorium , wo Louis Adam sein Lehrer im
Clavierspiel ward und ihn so weit brachte, dass H. 1810 den ersten Preis er-
hielt, während ihn Catel in der Harmonielehre unterrichtete. Im J. 1811 be-
gann er bei Mehul die höheren Compositionsstudien, und schon im Aug. 1812
errang er mit der Cantate y>Madame de LavalUeret den grossen Staatspreis,
der ihn drei Jahre lang zu Studien nach Rom führte. Vor seiner Rückkehr
Herold. 213
über "Wien und München nach Paris ging H. von Rom aus nach Neapel und
brachte dort im Teatro del Fondo ziemlich beifällig seine Erstlingsoper »Za
gioventu di Mirico F« zur Aufführung. In Paris führte ihn Boieldieu auf die
Opernbühne, indem er ihn zur Mitarbeit an seiner Oper yOIiarles de Francei
veranlasste, in Folge dessen man H. selbstständig das Textbuch zu y>Les rosieres«
(Die ßosenmädchen, 1816) zur Composition für die Opera comique anvertraute.
In dieser und in seiner folgenden Oper »Z-a clochettea (Das Zauberglöckchen
1817) trat er in der Schreibart seines Lehrers und Vorbilds Mehul so fest
und sicher auf, dass man schon deutlich seine dem Gediegenen zugewendete
Richtung erkennen konnte. Nur galt die Mehul'sche Manier bereits als über-
wundener Standpunkt. Aus Mangel eines Textbuches schrieb H. hierauf einige
Pianofortecompositionen, die jedoch kein Glück machten. Erst im Octbr. 1818
erschien er mit der dreiaktigen Oper y>Le premier venua (Der Erste, der Beste),
die ebenso wie die folgende »Zes troqueurs<s. (1819) eine laue Aufnahme fand.
Die letztere, unter dem Namen »Der Tausch« 1820 in Wien und 1825 in
Berlin gegeben, trug wenigstens den Namen ihres Componisten zum ersten
Male über den Rhein. Die beiden einaktigen Opern •aL'amour platonique<.<. und
y>L^auteiir mort et vivaiiU (1820) scheiterten total an ihren matten Texten und
gingen spurlos vorüber.
Entmuthigt nahm H, wieder die Stelle als Accompagnateur bei der
Opera Italien an, die er bereits im ersten Jahre der Direktion der Madame
Catalani bekleidet, dann aber in Erwartung grösserer künstlerischer Er-
folge aufgegeben hatte. Erst 1823 versuchte er sich wieder mit der ko-
mischeu Oper »Ze muletiera (Der Maulthiertreiber) , deren Musik wenigstens
die Kritik grosse Anerkennung angedeihen Hess. Bis 1826 folgten nun die
Opern y>Lasthenie<i, y> Vendome en Espagnev. (mit Auber gemeinschaftlich com-
ponirt), »Ze roi Renen und »Ze liipi7i hlanc« (Das weisse Kaninchen), in denen
sich die Einwirkungen des musikalischen Tageshelden Rossini geltend machten,
die aber keinen Beifall zu finden vermochten. Da erschien am 12. Aug. 1826
in der Opera comique »Marie«, vielleicht seine beste Partitur, und die lange
Enttäuschung lohnte der erste durchgreifende, unbestrittene Erfolg, der auch
in Deutschland ein lebhaftes Echo fand. Leider konnte er diese für seinen
Ruhm so günstige Zeit nicht zu weiteren grösseren Arbeiten benutzen. Denn
seit 1824 war er Chordirektor bei der italienischen und seit 1827 Gesangschef
bei der Grossen Oper, und dieses schwierige, zeitraubende Amt Hess ihm bis
1829 nur eben für ihm übertragene Balletcompositionen (yyÄstolphe et Jocondea,
-nTherese ou la somnambule«, vLi/diea, y>Gendrillon« und y>La ßlle mal gardeev),
sowie für die Ouvertüre und sonstige Musik zu dem politischen Gelegenheits-
drama »Ze dernier jour de Missolomighia einige Müsse übrig.
Als er endlich 1829 mit der kleinen Oper y>LHllusion« (Die Täuschung)
und der grösseren y>jEmmelinev. hervortrat, begegnete er seinem alten Miss-
geschicke; man rühmte reizende Einzelnheiten seiner Musik, die Werke selbst
aber fielen beinahe durch. Das letzte Jahr der Bourbonenregierung aber brachte
ihm als ehrendes Zeichen der Anerkennung wenigstens das Ritterkreuz der
Ehrenlegion. Der Grossen Oper widmete H. hierauf das vieraktige Ballet »Za
helle au hois dormanta, und mit Carafa zusammen schrieb er 1830 die kleine
Oper yiL'auberge d^Auraya. Aber erst mit der Oper »Zampa« (1831) erntete
er wieder den allgemeinsten, lautesten Beifall, der sich auf alle Opernbühnen
Europas verpflanzte, trotzdem gerade in diesem Werke das Verfehlte dem Ge-
lungenen die Wage hält. Fast gleichzeitig erschien in Paris »Za marquise de
Brinvilliersa, gedichtet von Scribe und Castil-Blaze, an deren Musik ausser H.
noch Auber, Berton, Boieldieu, Cherubini, Halevy und Paer betheiligt gewesen
sind. Allein H.'s Kraft war gebrochen, seine Gesundheit durch anstrengende
Amtsgeschäfte untergraben; Ruhe und eine Erholungsreise wollte er sich,
nachdem er so eben erst mühsam den Ruhmestempel erreicht hatte, nicht ver-
gönnen, vielmehr componirte er, seinem Brustübel schon ganz verfallen, noch
214 Heroux — Herrmann.
seine Meisterwerke »Zo medecine sans medecina (Das Heilmittel) und »Xe pre
aux clercs« (Der Zweikampf), erlebte aber den glänzenden Erfolg des letzteren
nicht mehr, da er am 18. Jan. 1833 zu Paris starb. Seinen Verlust hielt man
noch lange nachher in Frankreich für unersetzlich, um so mehr, da H. auch
als edler, wohlwollender Mensch gleich gross war wie als Künstler. Die von
ihm begonnene Oper nLoudovica wurde von Halevy in pietätvoller Hingebung
vollendet. — Ausser den oben angeführten musikalischen Bühnenwerken hat
H. noch zwei Sinfonien und drei Quartette (in Rom) und 59 "Werke für Piano-
forte, bestehend in drei Concerten, sechs Sonaten, Rondos, zwölf Fantasien
u. s. w. componirt, die jedoch neben jenen Arbeiten kaum in Betracht kommen
können. H.'s Musik überhaupt trägt den Stempel der neueren französischen
Opernschule; einestheils liebenswürdig und graziös, lebhaft und pikant, huldigt
sie dem äusseren G-lanz und blendenden Schimmer, ohne jedoch je zu lang-
weilen. Angenehme Motive, wirksame Harmonien und eine geschickt gehand-
habte Instrumentation vollenden den günstigen Eindruck. An charakteristischer
Kraft fehlt es H. noch mehr wie seinem Rivalen Auber, mit dem er ausser-
dem gemein hat, dass er seine Einfälle wohl trefläich zu bearbeiten , aber nicht
wählerisch genug zu sichten weiss. Aber die Kunst, ohne sich vertiefen zu
müssen , angenehm anregend und einschmeichelnd zu wirken , verstand er im
hohen Grade und benutzte sie mit einer Gewandtheit, dass er manchen ihm
überlegenen Componisten seines Landes zuvorkam. Zu bedauern ist, dass er
so oft und so lange seine beste musikalische Kraft matten und unlebensfähigen
Textbüchern zuwenden musste.
Heronx, Franz, guter Ciavier- und Violinspieler, war zugleich mit seinem
älteren Bruder, einem tüchtigen Flötisten, bis zu Anfange des 19, Jahrhunderts
im Orchester zu Frankfurt a. M. angestellt und hat Ciavierstücke componirt
und herausgegeben. — Sein Sohn, Karl August H., geboren 1786 und ge-
storben am 2. Jan. 1842 zu Frankfurt, war 36 Jahre lang Vorspieler an den
zweiten Geigen im Orchester ebendaselbst und wurde als tüchtiger Musiker und
auch als guter Componist sehr gerühmt.
Herpol, Hom., musikgelehrter deutscher Theologe, lebte um die Mitte
des 16. Jahrhunderts als Prediger zu Freiburg im Breisgau und galt für einen
tüchtigen Contrapunktisten, der mit Vorliebe complicirte Fugen schrieb.
Herr, Johann Georg, vorzüglicher deutscher Hornvirtuose, geboren in
der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu Gotha, Hess sich 1714 in Hamburg
öffentlich hören und fand die höchste Anerkennung.
Herrmaun, Christian Gotthelf, deutscher Theologe und ästhetischer
Schriftsteller, geboren 1765 zu Erfurt, war Superintendent und Professor in
seiner Vaterstadt und starb als solcher am 26. Aug. 1823. Seine kunst-
philosophischen Abhandlungen und Schriften sind für den Musikbeflissenen
nicht ohne "Werth.
Herrmaun, Heinrich, beliebter norddeutscher Tanzcomponist, geboren
am 22. März 1827 zu Frankfurt a. 0., ist seit vielen Jahren am Stadttheater
daselbst als Musikdirektor angestellt und hat eine Reihe von angenehm in das
Ohr fallenden Tänzen und Märschen veröffentlicht. — Ein anderer, älterer Tanz-
componist, Wilhelm H., geboren 1807 zu Trier, lebte 1834 zu Berlin und
besass auch als Pianist eine nicht ungewöhnliche Fertigkeit.
Herrmaun, Gottfried, vielseitig gebildeter deutscher Tonkünstler und
Componist, geboren am 15. Mai 1808 in Sondershausen, erhielt seinen treff-
lichen ersten Musikunterricht, ebenso wie sein jüngerer Bruder Karl H., spä-
terer fürstl. schwarzburg'scher Kammermusicus, von seinem Vater, einem sehr
tüchtigen Musiker, der als Solovioloncellist in der fürstl. Hofkapelle angestellt,
später als Stadtmusicus nach Nordhausen ging und viele gute Zöglinge bildete.
Unter solchen musikalisch günstigen Verhältnissen aufwachsend, trat H. schon
früh als Violinist, Pianist und Quartettspieler vortheilhaft hervor und lieferte
auch schon ziemlich beachtenswerthe Compositionsversuche. Sechszehn Jahre
Herrmann — Herschel. 215
alt, nahm ihn Spohr in Kassel in seine besondere Obhut und ertheilte ihm
unentgeltlichen Unterricht, wofür H. des Meisters jüngster Tochter Clavier-
lectionen gab. Auch der Unterweisung Hauptmann's in der Composition hatte
er sich zu erfreuen. Den besonderen Empfehlungen Spohr's verdankte er die
Stelle als erster Violinist in der königl, Kapelle zu Hannover und als Musik-
lehrer der sämmtlichen Kinder des Grafen von Platen-Hallermund, Er schloss
sich ausserdem eng dem dortigen Hoforganisten und ausgezeichneten Pianisten
Aloys Schmitt an und erreichte auch auf dem Pianoforte eine Vollkommenheit,
die ihn beinahe dies Instrument zu erwählen bestimmt hätte. Bald nach Schmitt
kam auch H. nach Frankfurt a. M. und zwar in das vom Kapellmeister Guhr
trefflich geführte Theater- und Concertorchester. Der Umgang daselbst mit
Ferd. Ries, Schnyder von Wartensee, Schelble u. s. w. kam H. aufs Beste zu
statten und regte ihn u. A. zur Bildung eines Quartettvereins an, der erfolg-
belohnte öffentliche Concerte gab und sich auch auf Kunstreisen mit grossem
Beifall hören Hess. Die unruhigen politischen Zeiten lösten 1831 endlich
diesen Verein, dem auch H.'s Bruder Karl als Violoncellist angehörte, wieder
auf und führten den einen Quartettgenossen hier-, den anderen dorthin, H.
jedoch als städtischen Musikdirektor und Organisten der St. Marienkirche
nach Lübeck. Dort wirkte er musikalisch aufs "Wohlthätigste auf die Musik-
verhältnisse ein und begründete u. A. 1839 die grossen norddeutschen Musik-
feste, welche abwechselnd in Lübeck, Schwerin, Rostock, Hamburg u. s. w. ab-
gehalten wurden. Im J. 1844 erhielt H. den Ruf als fürstl. Hofkapellmeister
nach Sondershausen, dem er folgte; ein hoher Aufschwung dieses Instituts
datirt von der achtjährigen Thätigkeit H.'s auf diesem Posten her. Wieder-
holte ehrenvolle Anträge aber und die seinetwegen verbesserte Stellung zogen
ihn 1852 wieder nach Lübeck zurück. Dort betheiligte er sich um 1856 auch
als Mitdirektor und Dirigent am Stadttheater und führte daselbst mit grossem
Beifall seine Opern r>Toussaint de V Ouvertura und »Barbarossa« auf. Von
anderen seiner Opern erschien daselbst in jüngster Zeit noch »Das Johannis-
feuer«, während »Die Walpurgisnacht« zur Aufführung vorbereitet wird. Auch
sonst ist H. als Componist nach allen Seiten hin sehr productiv gewesen; er
schrieb Sinfonien, Ouvertüren, Concerte, Octette, Quartette, Trios, grössere und
kleinere Gesaugssachen , von denen vieles durch den Druck und durch aus-
wärtige Aufführungen weithin verbreitet wurde. Als ausgezeichneter Dirigent
und Leiter von grossen Gesangvereinen bekannt und bewährt, nahm H. 1869
auch die Berufung als Direktor des Bachvereins in Hamburg an, die er jedoch
der mit dem wöchentlichen Hin- und Herreisen verbundenen Strapazen wegen
schon 1870 wieder aufgeben musste. Ueberhaupt hat sich H. als Lehrer, be-
sonders auch des Gesanges, vielseitig mit Glück bewährt, und beschäftigt ihn
gegenwärtig ausser seinen Töchtern, von welchen die Jüngste gleichzeitig ein
hervorragendes Harfentalent besitzt, die weitere Fortbildung seiner hochbegabten
Nichte Clara H. aus Sondershausen, welche 1874 das Conservatorium in
Leipzig sehr ehrenvoll absolvirt hat. Von H.'s regem Eifer und seltener
Rührigkeit dürfte, trotz seines vorgerückten Alters, noch manche schöne That
in der Kunst zu erwarten stehen.
Herrmauu, Karl Friedrich, gründlicher deutscher Toukünstler, geboren
1786, und 1848 als Cantor in Greiz noch in Thätigkeit, gab bis 1845 mehrere
theoretisch-musikalische Werke heraus und ebenso das Hiller'sche Choralbuch,
welches er mit Zwischenspielen versehen hatte.
Herschel, Friedrich Wilhelm, der grosse und berühmte Astronom, war
zugleich ein guter Musiker, der sich durch die Kunst erst seinen Weg zum
Firmaraente bahnen musste. Geboren am 15. Novbr. 1738 zu Hannover als
der Sohn eines Musikers, Avurde er vom Vater zu gleicher Beschäftigung an-
gehalten, was H. jedoch nicht hinderte, nebenbei noch Mathematik und Sprachen
zu treiben. Im 14. Jahre trat er bei einem Regiment als Hautboist ein und
ging 1757, um sich in der Musik besser ausbilden zu können, nach London.
216 Herschel — Herstell.
Sein fertiges Ciavier-, Orgel- und Harfenspiel verhalf itm zu Ruf und Pro-
tection, und der Grraf von Darlington stellte ihn als Organisator und Lehrer
eines Miliz-Musikcorps in der Grafschaft Durham an. Als dieses eingeübt war,
liess sich H. als Musiklehrer in Leeds nieder, von wo er 1765 als Organist
nach Halifax kam, welche Stelle er ein Jahr später mit der einträglicheren
eines Musikdirektors in Bath vertauschte. Hier leitete er auch Concerte und
gab viele Musiklectionen, benutzte aber jeden freien Augenblick, um die Mathe-
matik in ihrem ganzen Umfange zu studiren und astronomische Werke zu lesen.
Mit selbstgefertigten Telescopen gelang es seitdem H., Entdeckungen an Ent-
deckungen zu reihen, die ein ungeheures Aufsehen in der gelehrten Welt
machten. Nach und nach liess er die Musik ganz liegen und beschäftigte sich
ausschliesslich mit dem Sternenhimmel und mit den Instrumenten, ihn so genau
wie möglich zu erforschen. Vom König Georg in eine sorgenfreie Lage ver-
setzt, bezog er das Landgut Slough bei Windsor, auf welchem er, von Ehren-
bezeugungen überhäuft, am 25. Aug. 1822 starb; er wurde zu TJxton in Berk-
shire begraben. Noch 1786 sollen übrigens nach Petis von ihm eine acht-
stimmige Sinfonie und Stücke für Harmoniemusik in England herausgekommen
sein. Wahrscheinlich aber sind diese Compositionen seinem Bruder Jacob
H. (s. unten) zuzuerkennen. — Der einzige Sohn Friedrich Wilhelm H.'s,
Sir John Erederick William H., geboren 1790 zu Slough, erhielt seine
wissenschaftliche Bildung auf der Universität zu Cambridge und setzte die von
seinem Vater betriebenen Forschungen fort. Nebenbei beschäftigte er sich mit
Untersuchungen über physikalische Gegenstände und hat u. A. eine »Abhand-
lung über die Theorie des Tons« geschrieben und veröffentlicht.
Herschel, Jacob, Bruder von Friedrich Wilhelm H., geboren 1734
zu Hannover (nach Anderen aber und wahrscheinlicher erst 1740), wurde einer
der besten deutschen Violinisten seiner Zeit und soll nach Einigen als solcher
zuerst Hofmusicus in der kurfürstl. Kapelle seiner Vaterstadt, nach Anderen,
nachdem er in England beim Musikcorps eines Milizregiments in Diensten
gestanden, Violoncellist (?) in Bath gewesen sein. Im J. 1771 (nach Anderen
1775) ging er nach Amsterdam und veröffentlichte daselbst von seiner Com-
position sechs Quartette für Ciavier und Streichinstrumente. Nach der Meinung
Einiger sei er erst nach dieser Zeit in Hannover angestellt gewesen und dann
(um 1786) nach London gegangen, wo er zwei Sinfonien und Streichtrios heraus-
gegeben habe und 1792 gestorben sein soll; nach Anderen soll er im letzge-
nannten Jahre vor dem Thore Hannovers ermordet gefunden, also von London
bereits wieder zurückgekehrt sein. Es ist klar, dass diese merkwürdige bio-
graphische Confusion vielfach auf Verwechselungen mit seinen Brüdern beruht.
Fest steht, dass H. in Hannover angestellt gewesen ist und zeitweilig sich in
Amsterdam und vielleicht wiederholt (zuletzt 1786) in London aufgehalten hat.
— Sein jüngerer Bruder, Alexander H., geboren um 1745 zu Hannover,
war ein ausgezeichneter Violoncellist und als solcher ebenfalls in der dortigen
Hof kapeile angestellt. Auch als Quartettspieler, sowie als Lehrer seines In-
struments war er hochgeachtet. — Die Schwester endlich, Karoline H., ge-
boren 1750 zu Hannover, eine gute Harfenspielerin, war nebst einem vierten
Bruder, einem Mechanicus, die unverdrossene Gehülfin des Astronomen H. in
England. Als solche hat sie auch mehrere Kometen entdeckt. Sie starb am
19. Jan. 1848, 97'/« Jahre alt, zu Hannover.
Herstell, Karl, rühmlichst bekannter deutscher Orgel-, Clavierspieler und
Componist, geboren 1764 zu Heisa, einem Dorfe bei Kassel, war bis zu seinem
Tode; im J. 18.36, Hoforganist in Kassel und hat von seiner Composition
Ciavier-, Orgelstücke und für den Kasseler Singchor geschriebene Motetten
veröffentlicht. Auch ein »Orgelwerk für Landorganistenct und eine Abhandlung
»Ueber den Gebrauch der Orgelstimmen« von ihm sind im Druck erschienen.
— Sein Sohn, Schüler und Amtsnachfolger, Adolf H. , geboren zu Kassel,
wirkte auch zugleich noch als Musiklehrer am Seminar daselbst und hat
Herstricli — Hertel. 217
Kircten- und Scliulstücke für Gesang mit und ohne Begleitung, ferner Tänze
und Harfensachen componirt.
Herstrich ist dasselbe bei Bogeninstrumenten, deren Saiten beim Spiel
senkrecht stehen (also bei Violoncello, Grambe und Contrabass), was der Her ab-
strich (s. d.) bei wagerecht behandelten Streichinstrumenten. Der Bogen
wird beim H. mit der von links nach rechts sich bewegenden rechten Hand
gleichfalls vom Frosch nach der Spitze zu über die Saiten geführt, nur dass
seine Lage hier wagerecht, beim Herabstrich aber senkrecht ist. In allem
TJebrigen gilt vom H. dasselbe wie vom Herabstrich (s. auch Bogenstrich).
Hertel, Johann Christian, ausgezeichneter deutscher Gamben virtuose
und fruchtbarer Instrumentalcomponist, geboren 1699 zu Oettingen in Schwaben.
Seine Jugendzeit verlebte er in Merseburg, wo sein Vater, wie vorher in Oet-
tingen, Hofkapellmeister war. Da H. Theologie studiren sollte, so unterrichtete
ihn der Vater nur nebenbei im Gesang und im Gambenspiel; Violin- und
Ciavierspiel dagegen wusste der talentvolle Knabe heimlich zu erlernen, indem
er den Hoforganisten Kaufmann oft besuchte, der ihm auch die Compositions-
regeln beibrachte. Als Hofkapellknabe zeichnete er sich damals durch einen
gut musikalischen Vortrag aus, und auch in Hofconcerten auf der Gambe wurde
er bereits gern gehört. Im J. 1716 ging er als Theologe nach Halle ab, er-
öffnete und unterhielt aber von dort aus eine rege Verbindung mit dem be-
rühmten Kuhnau in Leipzig. Seinem immer dringender werdenden "Wunsche,
sich ganz der Musik widmen zu dürfen, widerstand endlich sein Vater auch
nicht länger, als er zufällig einmal den Sohn in überraschend fertiger und ge-
fühlvoller Art eine Corelli'sche Violin- Sonate spielen hörte. Auch der Herzog
von Merseburg nahm sich H.'s an und schickte ihn behufs vollkommener Aus-
bildung, besonders im Gambenspiel, zu dem gefeierten Ernst Christian Hesse
in Darmstadt. Dort betrieb H. zugleich bei den Kapellmeistern Graupner,
Grünewald und dem Concertmeister Simonetti das Studium der Composition
und der verwandten Musikfächer. Im J. 1718 berief ihn der Herzog von
Merseburg zurück, veranlasste ihn aber bald darauf, sich auch an den Höfen
von "Weissenfels , Cöthen, Zerbst und Dresden hören zu lassen. In Eisenach
Hess sich H. 1719 als erster Violinist der Hof kapeile engagiren und begann
Sinfonien, Ouvertüren, Quartette, Sonaten, Concerte u, s. w. zu componiren,
die er stets dem Kapellmeister Stölzl in Gotha zur Beurtheilung vorlegte. Im
Druck erschienen jedoch nur einige Violin- Sonaten. Von Eisenach aus begab
er sich 1723 nach Anspach, 1725 nach Kassel und 1726 nach "Weimar, überall
Aufsehen machend durch sein vollendetes Spiel. Hierauf besuchte er seinen
alten Vater in Merseburg und J. S. Bach in Leipzig, worauf er nach Dresden
und 1727 nach Holland ging. Kaum in Eisenach wieder eingetroffen, liess
ihn der Kronprinz von Preussen, nachmalige König Friedrich der Grosse, durch
Graun nach Ruppin einladen, wo H. 1732 sich hören liess. Auf der Rückreise
spielte er beim Fürsten Günther in Sondershausen, der ihn aufforderte, fleissig
Compositionen einzuschicken und jährlich wenigstens einmal selbst an den dortigen
Hof zu kommen. Nach Birkenstock's Tode wurde H. in Eisenach zum Concert-
meister und Direktor der fürstl. Concert- und Kammermusik ernannt. Noch
immer folgte er den zahlreichen ehrenvollen Einladungen nach auswärts, liess
sich aber nicht bewegen, Eisenach dauernd zu verlassen. Dies geschah erst
1742, als sein Herzog starb und die ganze Kapelle entlassen wurde. Auf Em-
pfehlung Franz Benda's kam H. alsbald als Concertmeister an den Hof von Mecklen-
burg-Strelitz. Damals liess er sich nur in Schwerin noch hören, da ihn der
schwarze Staar befiel, der endlich mangelhaft operirt, ihm alle weiteren Unter-
nehmungen verbot. Dieser Unglücksfall, sowie der Umstand, dass 1753 die
Kapelle aufgelöst und er selbst pensionirt wurde, versetzte ihn in den trau-
rigsten Gemüthszustand, dem er im Octbr. 1754 erlag. Auch als Componist
war H. zu seiner Zeit hoch angesehen, und besonders fanden seine concer-
tirenden Ouvertüren und Quartette allgemeinen Beifall, ohne dass sie jedoch
218 Hertel.
im Druck erschienen. — Sein Sohn und Schüler, Johann Wilhelm H., ge-
boren am 9. Octbr. 1727 zu Eisenach, hat den Vater bis zu dessen Tode nicht
verlassen. Er war einer der vorzüglichsten A-'^iolinisten in Benda'scher Manier,
nicht minder fertiger Ciavierspieler und als Componist bedeutend und beliebt
wie sein Vater. Als Hofcomponist kam er 1757 nach Schwerin, wo er später
Kapellmeister wurde. Als die Kapelle 1770 an den Hof von Ludwigslust kam,
blieb H. bei der Prinzessin Ulrike in Schwerin als deren Hofrath und Privat-
sekretär. In dieser Stellung starb er, vom Schlage getroffen, am 14. Juni 1789.
Er hat Sinfonien und Quartette, Claviorsonaten und Concerte geschrieben, die
für tüchtige Werke galten. Besonders aber war er als Componist von Oden
und Liedern allgemein beliebt, ohne übrigens als solcher irgendwie bedeutend
zu sein. Ausserdem lieferte er zwei Passionen und als Hofrath in Schwerin
sieben geistliche Singspiele, deren Titel Gerber in seinem Lexikon aufführt.
Auch als Schriftsteller auf musikalischem Gebiete hat er sich bekannt gemacht
durch eine nicht zu Ende gekommene »Sammlung musikalischer Schriften«
(Leipzig, 1757 und 1758), enthaltend kritische Abhandlungen und Anmerkungen
über die Oper aus dem Italienischen und Französischen. In seinem höheren
Alter wandte er sich mit Vorliebe zur Blumenzucht, die er mit solchem Er-
folge betrieb, dass er sich weithin bei den Gärtnern und Blumenfreunden vor-
theilhaft bekannt machte.
Hertel, Karl, guter Violinist, geboren am 13. März 1784 in Berlin, Hess sich
seit 1808 auf seinem Instrumente mit Beifall öffentlich hören und wurde auch
um diese Zeit bereits in der königl. Kapelle beschäftigt, bis er 1811 als wirk-
licher Kammermusiker angestellt wurde. Diesem Institute gehörte er, zuletzt
als ältestes Mitglied desselben, volle 50 Jahre an, worauf er, schon 1857 durch
Verleihung des ßothen Adlerordens ausgezeichnet, 1862 ehrenvoll pensionirt
wurde. Er starb zu Berlin am 16. Novbr. 1868. — Sein Sohn, Peter Ludwig H.,
geboren am 21. April 1817 zu Berlin, erwarb sich als geschickter Balletcom-
ponist einen weitverbreiteten Buf. Den ersten Violiuunterricht erhielt derselbe
von seinem Vater und, weiter vorgerückt, von dem vortrefflichen Ed. Bitz. Im
Ciavierspiel unterrichtete ihn W. Greulich und in der Composition Jul. Schneider
und A. B. Marx. Mit Sinfonien, Ouvertüren, Quartetten, Tänzen und Ciavier-
stücken trat er zuerst hervor, ohne aber eine grössere Aufmerksamkeit zu er-
regen. Dies gelang ihm erst, als ihm der königl. Balletmeister Ph. Taglioni
das für London geschriebene, von Cesare Pugni in Musik gesetzte Ballet »Sa-
tanella« in umgearbeiteter und erweiterter Gestalt anvertraute, um die neuen
Nummern zu componiren. Das Werk selbst, im April 1852 zum ersten Male
aufgeführt , gewann sich in seltener Art die Gunst des Publikums von Berlin,
später von Wien, Mailand u. s. w. und befindet sich noch jetzt auf dem Ballet-
repertoire. Alle im weiteren Verlaufe von Taglioni für die Berliner Hofbühne
gearbeiteten Ballets und Tanzdivertissements erhielt seitdem H. zur Com2)0-
sition. Es sind dies: »Die lustigen Musketiere« (1852), »Alphea« (1853),
»Ballanda« (1855), »Morgano« (1857), »Flick und Flock« (1858), »Ellinor«
(1861), »Electra« (1863), »Sardanapal« (1865), »Fantasca« (1867), »Don Parasoht
(1869), »Militaria« (1871), von denen viele Tanznummern ins Volk drangen
und populär wurden. Auch mehrere Claviercompositionen von H. sind während
dieser Zeit erschienen. H. selbst wurde 1858 zum königl. Hofcomponisten und
1860 zum Dirigenten der königl. Balletmusik ernannt, in welchen Funktionen
er noch gegenwärtig thätig ist.
Hertel, Matthäus, namhafter deutscher Organist der ersten Hälfte des
17. Jahrhunderts, welcher an der Kirche zu ZüUichau angestellt war. Eine
von ihm verfasste, ihm aber entwendete und unter fremdem Namen heraus-
gekommene »Orgelprobe« fand in damaliger Zeit grosse Verbreitung. — Sein
Sohn, Christian H., zählt zu den berühmtesten deutscheu Orgelspielern seines
Jahrhunderts. Er fungirte seit etwa 1670 nach einander in Sorau, Lucken-
walde und Fürstenwalde und starb in der letztgenannten Stadt.
Hertenstein — Herz. 219
Hertenstein, Dietrich Daniel, deutscher Theologe, geboren um 1715
zu Ulm, promovirte an der Universität zu Jena mit der Dissertation: r>De
Jiymnis ecclesiae apostoUcae«.
Herther, F., der Componist der in Leipzig und an mehreren anderen
deutschen Bühnen sehr beifällig gegebenen Oper »Der Abt von St, Gallen«,
nennt sich mit seinem eigentlichen Namen Hermann Günther, war Arzt in
Leipzig und gehörte zu den kunstgebildetsten Dilettanten dieser Stadt.
Hertwig, Marie, s. Heckmann.
Hertz, Michael, Ciaviervirtuose und Componist, geboren am 28. Septbr.
1844 zu Warschau, wo sein Vater Präsident des k. k. Censur-Comites war,
erhielt den ersten Musikunterricht von seiner Mutter, musste aber, nachdem
er das Realgymnasium durchlaufen hatte, in die königl. Bank von Polen ein-
treten. Kaum zwei Jahre daselbst, wandte er sich gegen den "Willen seiner
Eltern gänzlich zur Musik und bezog das Conservatorium zu Leipzig, wo er
bei Plaidy, Reinecke und Moscheies eifrig studirte. Später vollendete er bei
H. V. Bülow in München saine Ciavierstudien, Mit Glück trat er nun als
Pianist in seiner Vaterstadt auf und wurde hierauf als Kapellmeister der pol-
nischen Oper in "Warschau engagirt, welchem Institut er zwei Jahre lang an-
gehörte. Im J. 1872 kam er als Lehrer des Clavierspiels an das Stern'sche
Conservatorium in Berlin, dem er noch gegenwärtig angehört. Mit grossem
Beifall hat er sich im Januar und Februar 1875 auch in Berlin als Ciavier-
virtuose in Concerten hören lassen. Componirt hat er Ciavierwerke und
polnische und deutsche Lieder, von denen viele im Druck erschienen sind
und sich einer günstigen Aufnahme von Seiten der musikalischen Kritik er-
freuten,
Hertzberg, Rudolph von, vortrefflich gebildeter Tonkünstler und Dirigent,
geboren am 6. Jan. 1818 zu Berlin, erhielt schon frühzeitig Ciavierunterricht,
weiterhin auch von Kilitschgy und L. Berger, welcher letztere ihn 1832 er-
folgreich der OeflFentlichkeit als Pianist vorführte. Nach Vollendung seiner
Studien im Contrapunkt und in der Composition bei S. W, Dehn, besuchte
H. von 1836 bis 1838 Ober- und Unteritalien, woselbst ein längerer Aufent-
halt in Neapel, Rom und Mailand sehr förderlich für sein Kunstwissen war.
Nach Berlin zurückgekehrt, widmete er sich hauptsächlich dem musikalischen
Lehrfache, wurde 1847 zum Gesanglehrer beim königl. Domchor berufen und
1858 zum königl. Musikdirektor ernannt. Als Neithardt 1861 starb, ward H.
als Nachfolger desselben in der Oberleitung des königl. Domchors angestellt,
und er erwarb sich in dieser Stellung das Verdienst, den berühmten Chor
unter schwierigen Umständen und mit beschränkteren Geldmitteln auf der Höhe
erhalten zu haben, die derselbe unter seinem Vorgänger erreicht hatte. Von
der Composition hat sich H., sein Talent bescheiden schätzend, schon lange
zurückgezogen und sich blos an dem Sammelwerke fMusica sacrav. betheiligt.
Nur zehn "Werke von ihm, bestehend in Liedern mit Clavierbegleitung und
Pianofortestücken, sind in der Zeit von 1836 bis 1839 im Druck erschienen.
Herunterstrich, s, Herabstrich.
Herve, Componist zahlreicher französischer Operetten und Bouflfonerien,
die zum Theil mit Beifall aufgeführt worden sind, lebt in Paris. In Deutsch-
land ist nur seine Burleske »Doctor Faust junior« durch Aufführungen in Wien
bekannter geworden,
Hervelois, Caix de, französischer Componist, geboren um 1670, stand als
Musiker in Diensten des Herzogs von Orleans und hat in Amsterdam zwei
Bücher y>Pieces pour la Basse de Viole avec la Basse continuev. veröffentlicht,
Herz, H., guter Violinist, geboren um 1797 zu Prenzlau, kam um 1821
als königl, Kammermusiker in die Opernkapelle zu Berlin, die er jedoch 1827
wieder verliess, um in die Hofkapelle im Haag zu treten. Später ging er
nach Sumatra und Java, war längere Zeit Officier in holländischen Diensten
220 Herz — Herzberg.
und dann bei der Regierung in Java als höherer Beamter angestellt. Im
Besitz einer holländischen Pension kehrte er endlich nach Berlin zurück.
Herz, Heinrich (Henri), ausserordentlich beliebter Claviercomponist
und fertiger Pianist, geboren am 6. Jan. 1806 zu Wien, erhielt seinen ersten
Musikunterricht bei seinem Vater und bei dem Organisten Hunten in Coblenz.
Acht Jahre alt, Hess er sich daselbst bereits öflfentlich hören und fing auch
bereits an zu componiren. Von Coblenz aus ging er mit seinem Vater nach
Paris, wo es 1816 demselben gelang, den Sohn in das Conservatorium zu
bringen, in welchem auch bereits dessen Bruder (s. unten) ausgebildet worden
war, H, wurde daselbst der Clavierklasse Pradher's zugewiesen und erhielt
auch nicht lange darauf den ersten Preis. In der Harmonie- und Corapo-
sitionslehre bei Dourlen machte er gleichfalls rasche Fortschritte, so dass er
schon 1818 ein »Air tyrolien variea und ein Tultondo alla Gosaccau. seiner Com-
position herausgeben konnte, welche "Werke auch alsbald ihre Liebhaber fanden.
Seitdem erhöhte und verbreitete sich sein Ruf als Pianist und Componist in
rapider Weise, und er wurde populär wie nur Wenige, Nachdem er viele
Concerte in Paris und überhaupt in Frankreich mit seltenstem Erfolge gegeben
hatte, besuchte er 1831 mit Lafont zusammen Deutschland und allein 1834
England, wo er einen solchen Enthusiasmus erregte, dass er auch später öfter
mit Vorliebe dahin zurückkehrte. Von 1846 bis 1847 concertirte er in den
Vereinigten Staaten, von 1849 bis 1850 in Californien und Südamerika und
hat 1851 in Paris die Erlebnisse dieser Reisen niedergeschrieben und ver-
öffentlicht. Seitdem widmete er sich wieder anhaltender dem Ciavierunterricht
auf dem Pariser Conservatorium, dessen Professor er schon 1842 geworden war.
Er trat auch noch mitunter öffentlich auf, aber ohne grössere Erfolge aufweisen
zu können, da ihn die neueren Heroen des Ciavierspiels lange schon weit über-
flügelt hatten; eigentliche Triumphe erlebte er nur noch auf einer Concertreise
durch Spanien, mit welcher er seine Virtuosenlaufbahn beschloss. In Paris
hatte er auch eine Ciavierfabrik gegründet, deren Fabrikate, Flügel sowohl als
Pianinos, sich einen Weltruf erwarben; in derselben befindet sich ein 500 Per-
sonen fassender Concertsaal, welcher zu Aufführungen vielfach benutzt wird.
— Von den zahlreichen Compositionen H.'s behaupten nur die Etüden und
die für Schulzwecke geschriebenen Werke in ihrer auf technische Feistigkeit
geschickt gerichteten Tendenz noch immer einigen Werth. Diesen zunächst
zeichnen sich seine Concerte und grösseren Kammermusikwerke durch mehr
Pleiss und Tiefe, als sie ihm sonst eigen ist, aus. Seine Popularität bei den
Dilettanten aller Länder gewann er jedoch durch eine Menge von Variationen,
Rondos, Fantasien, Divertissements u. dergl. leicht wiegende, seichte Arbeiten,
die angenehm ins Ohr fallen und in einer eigenthüralichen, eleganten und
brillanten Manier geschrieben sind. Mit denselben begründete er eine eigene
Schule des Clavierspiels, welche der mechanischen Fertigkeit einen vergrösserten
Spielraum gewährte und damit einen glänzenden, geschmackvollen Vortrag ver-
band. Diese Richtung hielt sich in der Mode des Tages, bis ihr die gehalt-
vollere eines Chopin, Liszt, St. Heller u. s. w. noch bei Lebzeiten ihres Be-
gründers den Garaus bereitete. — Sein älterer Bruder, Jacques Simon H.,
geboren am 31. Decbr. 1794 zu Frankfurt a. M., hatte ebenso vom Vater seineu
ersten Musikunterricht empfangen und besuchte seit 1807 das Pariser Conser-
vatorium, auf welchem er gleichfalls von Pradher seine tüchtige Ausbildung als
Pianist erhielt. Er erwarb sich als Concertspielcr einen bedeutenden Ruf,
wurde aber besonders als Ciavierlehrer in Paris geschätzt und gesucht. Auch
er hat viele grössere und kleinere Ciavierwerke geschrieben und veröffentlicht,
die sich durch eine leichte, elegante Faktur auszeichnen und zu ihrer Zeit be-
liebt waren.
Herzberg-, Anton, geschickter Pianist und Componist, geboren am 4. Juni
1825 zu Tarnow in Galizien, kam behufs seiner musikalischen Ausbildung
jung nach Wien und Hess sich von Bocklet im Ciavierspiel und von Preyer
Herzberg — Herzog. 221
in der Harmonielehre und Composition unterrichten. Auf erfolgreichen Concert-
reisen besuchte er Ungarn, Polen und Südrussland und Hess sich 1866
in Moskau nieder. Im J. 1868 trat er nochmals in deutschen und fran-
zösischen Städten auf und scheint seitdem sich in seine ursprüngliche Hei-
math zurückgezogen zu haben. Seine im Druck erschienenen Compositionen
für Pianoforte, aus etwa 80 Salonstücken bestehend, bekunden Talent und
Gewandtheit.
Herzberg, Martin Jacob, vortreflSicher deutscher Fagottvirtuose, war in
der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der Provinz Preussen geboren. Um
1766 erhielt er Anstellung als königl. Kammermusiker in Berlin. Die Kenner
rühmten damals seinen vorzüglichen Ton und seine ausgezeichnete Fertigkeit,
sowie die ti-effliche Behandlung, die er seinem Instrumente angedeihen Hess.
Herzberg, Wilhelm, reichbegabter und vielversprechender Tonkünstler,
geboren am 18. Octbr. 1819 zu Cüstrin, wurde durch seinen Vater, einen tüch-
tigen Organisten, zuerst mit der Musik bekannt gemacht. Nachdem er das
Gymnasium zu Frankfurt a. 0. durchlaufen hatte, studirte or in Berlin acht
Semester hindurch Theologie und besuchte gleichzeitig die königl. Akademie
der Künste, an der Bach und Bungenhagen seine Musiklehrer waren. Seine
Fortschritte in der Tonkunst waren so ausserordentliche, dass er wiederholt
die silberne Medaille, sowie andere Auszeichnungen davontrug. Darauf hin
wandte er sich ausschliesslich der Musik zu, und die königl. Akademie führte
in öffentlicher Sitzung 1843 eine Sinfonie und 1844 ein Streichquintett und
ein grösseres Opernfragment von ihm auf. Bereits hatte sein Name durch im
Druck erschienene Lieder und Gesänge, durch Sonaten und Charakterstücke
für Pianoforte, sowie durch den von ihm ertheilten trefflichen Ciavierunterricht
einen guten Klang erlangt, als er während eines besuchsweisen Aufenthalts in
seiner Heimath am 14. Novbr. 1847 zu Gorgast bei Cüstrin allzufrüh und als
ein Opfer sträflichen Muthwillens starb. Man hatte nämlich den des Beitens
Unkundigen beredet, ein Pferd zu besteigen und dasselbe in die schnellste
Gangart gebracht, um sich an dem Benehmen des Reiters zu ergötzen. Ein
jäher Fall auf das Pflaster und der Tod H.'s war die Folge dieses Streichs.
Im Manuscript hat H. eine Oper, »Die Bergknappen«, und ein Oratorium,
»Tobias«, ferner Sinfonien, Ciaviertrios, Violinconcerte , Pianofortewerke und
Gesänge aller Art hinterlassen. Auch schriftstellerisch hatte er begonnen, sich
bemerkbar zu machen, wie drei Aufsätze von ihm in der »Neuen Berliner
Musikzeitung« vom J. 1847 (»Ueber Beethoven's Opferlied«, »Das deutsche
Yolkslied und das Waldhorn« und »Ueber musikalische Reminiscenzen«)
darthun.
Herzog, August, deutscher Tanzcomponist und guter Clarinettist, geboren
um 1815 zu Hamburg, hat ausschliesslich in seiner Vaterstadt, ehemals auch
als Dirigent von Unterhaltungsconcef ten , gewirkt. Von seinen Tänzen sind
viele weit über Hamburg hinaus beliebt geworden und einige Zeit hindurch
musikalische Modeartikel gewesen.
Herzog, Johann Georg, ausgezeichneter deutscher Orgelvirtuose, Musik-
theoretiker und Componist, geboren am 6. Septbr. 1822 zu Schmolz bei Kro-
nach in Baiern, wurde daselbst von dem Lehrer Bodenschatz und von 1840
an auf dem Seminar in Altdorf von Herrling in der Musik unterrichtet. Schon
1842 wurde er als Organist der evangelischen Hof- und Stadtkirche zu Mün-
chen und 1849 zugleich als Cantor ebendaselbst angestellt. Ein Jahr später
ward er auch Professor am Münchener Conservatorium. Im J. 1855 folgte er
einem Rufe als Professor der Musik an der Universität Erlangen, woselbst er
gegenwärtig noch wirkt und ausserdem noch als Dirigent der Singakademie
und des akademischen Gottesdienstes fungirt. Als Componist gediegener Orgel-
werke grösseren und kleineren Umfanges hat er sich einen weitverbreiteten
Ruf erworben. Sein »Präludienbuch« und »Handbuch für Organisten« haben
bleibenden Werth. Auch Chorgesänj^e von ihm sind im Druck erschieuen,
222 Herzogenberg — Hesse von Strassburg.
die sich durch melodischen und harmonischen Gehalt vortheilhaft hervorthun,
H. ist ebenso der Verfasser eines vortrefflichen Choralbuchs und einer grossen
Orgelschule.
Herzogenberg, Heinrich TOn, begabter deutscher Componist, welcher
seinen Wohnsitz bis Mitte 1872 in Graz hatte und dann nach Leipzig über-
siedelte. Von seinen Compositionen sind Ciavierstücke (auch ein Duo für
Pianoforte und Violoncello), sowie ein- und mehrstimmige Lieder und Gesänge
erschienen, welche in die Schumann -Brahms'sche Richtung schlagen. Durch
Aufführungen in Graz sind von ihm eine Columbus- und Odysseus- Sinfonie,
sowie ein »deutsches Liederspiel« bekannt geworden, welche Werke die ehrende
Anerkennung der Kritik gefunden haben.
Hes (ital.: sihemolle; französ.: sibemol; engl.: b ßat), der um einen halben
Ton erniedrigte Ton S, welcher häufiger B (s. d.) genannt wird.
Hesdiu, Pierre, französischer Vocalcomponist, war um 1522 Canzlist der
Bruderschaft vom heiligen Julian zu Paris und nach der Thronbesteigung
Heinrich's II. von Frankreich, 1547, Sänger in der königl. Kapelle, Er hat
zahlreiche geistliche und weltliche Gesänge componirt, die sich in französischen,
italienischen, niederländischen un4 deutschen Sammelwerken des 16. Jahrhun-
derts vorfinden.
Hesedschi nennen die Araber in ihrer Musiklehre die Zeitmaasse, welche
in geringerer Zahl als bei uns (nur vier), unserem sehr langsam, langsam,
gehend und schnell entsprechend, angenommen werden. Diese Zeitmaasse sind
jedoch nicht so streng von einander zu unterscheiden, da in der arabischen
Musik auch die Gelehrten nur oft auf das mehr oder weniger langsame der
Bewegung achten, indem bei Gesangausführuugen die Zeitbestimmungen ge-
wöhnlich nach der Ueberlieferung gegeben werden. Mehr über die H. findet
man in dem Werke: nFarahensis a^ud Kosegartena Tome I. fol. 131. 2.
Hesletiue, James, englischer Orgelvirtuose und fruchtbarer Kirchencom-
ponist, lebte iu der Mitte des 18. Jahrhunderts und war zuerst Organist
an der Hauptkirche zu Durham und später an der St. Katharinenkirche zu
London.
Hesliug) Quirinus, deutscher Kirchencomponist zu Ausgang des 16. Jahr-
hunderts, war aus Kahla in Sachsen gebürtig und hat die Psalme Davids in
Musik gesetzt. Dieselben erschienen unter dem Titel: y>Q,uirini Heslingii Oalensis
•musica Davidis psalterii totiusa (Leipzig, 1592).
Hespel, Homer, deutscher Contrapunktist des 16. Jahrhunderts, wahr-
scheinlich identisch mit dem Freiburger Prediger Herpol, gab heraus: »No-
vum et insigne opus musicum, in quo textus evangeliorum 5 vocihus expH-
muntum.
Hess, hervorragender deutscher Orgelbauer, lebte in der letzten Hälfte des
18. Jahrhunderts zu Ochsenhausen in Schwaben. — Sein Zeit- und Standes-
genosse, Hans Heinrich H. , war in Gouda (Holland) ansässig und hat von
1760 bis 1774 mehrere gute Orgeln in niederländischen Städten, besonders in
Bodengraven, Schoonhoven, Utrecht, Schiedam, Dortrecht und Willemstadt auf-
gerichtet. — Der Bruder dieses Letzteren, Joachim H. , war von etwa 1770
bis 1810 Organist und Componist zu Gouda und hat in der Zeit von 1774
bis 1784 drei kleine, aber von Gründlichkeit und Sachkenntniss zeugende
Schriften in holländischer Sprache über Orgelspiel, Orgelregistrirung und
Orgeldisposition herausgegeben, deren ausführliche Titel Gerber und Fetis
anführen.
Hess, Michael, deutscher Componist des 17. Jahrhunderts, hat eine acht-
stimmige Messe r>Quam dilecta etc.v veröffentlicht.
Hesse von Strassburg, deutscher Meistersinger zu Anfang des 13. Jahr-
hunderts, von dem nichts weiter bekannt geblieben ist, als was Rudolph von
Ems, der ihn einen Schreiber in Strassburg nennt, in elf Verszeilen seines
Epos »Wilhelm von Orlenz« über ihn raittheilt.
Hesse. 223
Hesse, berülimter thüringischer Orgelbauer, lebte zu Ende des 18, Jahr-
hunderts in Dachwig bei Erfurt und hat u. A. 1799 die grosse Orgel in der
Michaelskirche in Erfurt aufgerichtet.
Hesse, Adolph (Friedrich), einer der berühmtesten deutschen Orgel-
virtuosen, vortrefflicher Pianist und gediegener Componist, wurde am 30. Aug.
1809 zu Breslau als Sohn des Orgelbauers Friedrich H. geboren. Da er
schon im fünften Jahre nach Oehör alle kleinen Tonstücke, die ihm vorgespielt
wurden, auf dem Ciavier nachspielte, so erhielt er einen guten Musiklehi'er
Namens Speer, und da er überraschend schnelle Fortschritte machte, den ge-
diegenen Orgel- und Pianoforteunterricht Friedr. Wilh. Berner's und des Or-
ganisten Ernst Köhler, die er Beide schon im neunten Jahre im Kirchendienste
häufig vertrat. Damals, im J. 1818, machte er mit seinem Vater Kirchen-
besuche in sächsischen Städten und gab in Bernburg, dem Geburtsorte des
Letzteren, ein Concert als Pianist. Eifrig weiterstudirend, trat er endlich 1827
in einer von Berner geleiteten grossen Aufi"ührung als Componist mit einer
Ouvertüre in D-moll und als Ciavierspieler mit Hummel's S-tnoll-Concert mit
grossem Beifall in Breslau auf. Dieser Erfolg seines Schülers war Berner's
letzte Freude, der am 9. Mai desselben Jahres starb. In Folge dessen wurde
H. als zweiter Organist an der St. Elisabethkirche angestellt und zeichnete sich
so aus, dass er vom Breslauer Magistrat ein ßeisestipendium erhielt, welches
ihn in den Stand setzte, Leipzig, Kassel, Hamburg und Berlin zu besuchen,
wo er Aufsehen erregende Orgelconcerte gab und zum ersten Male seine Com-
positionen für dieses Instrument öffentlich hören Hess. In "Weimar studirte er
noch einige Zeit bei Hummel, in Darmstadt und Kassel pflegte er förderlichen
Umgang mit Rinck und Spohr und componirte unter dem Einflüsse dieser
Meister als bedeutend zu bezeichnende Orgelwerke und zwei Sinfonien. Auf
mehreren ferneren Reisen, die er theils auf eigene, theils auf Regierungskosten
unternahm, wuchs sein Ruf höher und höher. Mittlerweile war H. 1831 als
erster Organist an der Hauptkirche zu St. Bernhardin in Breslau angestellt
worden, welches Amt er bis zu seinem Tode verwaltete. Im J. 1844 nach
Paris eingeladen, weihte er dort die grosse Orgel zu St. Eustache ein, und die
Revue et gazette musicale rühmte ihm nach: »H. spielt allein schon mit den
Füssen gewaltiger, als Andere mit ihren Händen.« Den verlockenden Aner-
bietungen, in Paris zu bleiben, gab H. keine Folge, sondern kehrte nach
Breslau zurück, um jedoch schon 1846 eine neue Reise und zwar nach Italien
anzutreten. Im J. 1852 war er in England, wo man ihn anstaunte und feierte,
so namentlich im Krystallpalaste zu London, dessen Riesenorgel er meisterhaft,
in blendender Pracht vorzuführen wusste. Auch als Pianist wurde er vielfach
ausgezeichnet. Nach Breslau aber pilgerten Schüler von nah und fern, denen
er ein unvergleichlicher Lehrer war. Im Uebrigen lebte er einfach und zurück-
gezogen und trat persönlich nur als Organist und als Dirigent der Sinfonie-
concerte der Breslauer Theaterkapelle in die Oeffentlichkeit. Er starb am
5. Aug. 1863 in Breslau. Von seinen Compositionen, denen auch, soweit sie
nicht Orgelwerke, die vorzüglich seine Meisterschaft bekunden, sind, Bedeutung
nicht abzusprechen ist, können angeführt werden: ein Oratorium »Tobias«,
mehrere Cantaten, Motetten, ein Psalm, ein Choralbuch für die Provinz Schlesien,
sechs Sinfonien, vier Ouvertüren, ein Streichquintett, einige Quartette, ein
Clavierconcert, eine vierhändige Sonate und kleinere Stücke für Pianoforte.
Aufsätze von ihm finden sich in mehreren musikalischen Zeitschriften.
Hesse, Ernst Christian, einer der berühmtesten deutschen Violdagamben-
Virtuosen, geboren am 14. April 1676 zu Grossen- Gottern in Thüringen, machte
seine Studien, zu denen auch die Anfangsgründe der Musik gehörten, zu
Langensalza und Eisenach und trat sodann, zunächst als überzähliger Canzlei-
beamter, in hessen- darmstädtische Dienste. In Giessen, wohin er 1694 dem
Hofstaate seines Fürsten folgte, studirte er die Rechte. Im J. 1698 durfte
er zur A^ervollkommnung iu dem schon früher erlernten Garabeuspiel nach
224 Hesse.
Paris gehen und genoss dort drei Jahre lang den Unterricht der damals be-
rühmtesten Meister dieses Instruments, des Marin Marais und Forqueray's.
Nach seiner Rückkehr erhielt er in Darmstadt den nichtsbedeutenden Titel
eines Hofkriegsraths. Verschiedene Jahre hindurch bereiste er hierauf als
Künstler die Hauptstädte Europas, sah Holland, England, Italien, das übrige
Deutschland, sammelte überall Ehre und ßeichthümer und wurde als dir vor-
züglichste deutsche Gambenvirtuose gepriesen. In Wien erhielt er, ausser
anderen glänzenden Belohnungen, des Kaisers kostbares Bildniss an einer
schweren goldenen Kette zum Ehrengeschenk. Nach Darmstadt 1708 zurück-
gekehrt, verheirathete er sich 1713 mit der gefeierten Johanna Elisabeth
Döbricht (s. weiter unten) und trat alsbald darauf die ihm in Wien ange-
tragene Kapellmeisterstelle an, die er bis 1719 verwaltete. In diesem Jahre
ging das Künstlerpaar zu den kurprinzlichen Vermählungsfestlichkeiten nach
Dresden ab, bei welcher Gelegenheit H.'s Gattin in verschiedenen italienischen
und deutschen Opern von Lotti, Heinichen u. A., er selbst aber in den Hof-
concerten als Componist und Virtuose mit seltenem Erfolge auftrat. Reich
beschenkt begaben sich Beide nach Darmstadt zurück, wo H. ruhig und zu-
frieden, einem heiteren Lebensgenüsse huldigend, erst am 16. Mai 1762 starb.
An Compositionen hinterliess er, ausser verschiedenen Gesangssachen für die
Kirche, die er als Kapellmeister geschrieben hatte, eine grosse Menge von
Suiten, Sonaten und Fugen für sein Instrument, welche die ganze Stärke, wie
die feurige Phantasie ihres Componisten kuudthun. Als Virtuose soll er sich,
ausser durch eine eminente Fertigkeit, durch die Kunst ausgezeichnet haben,
die Klangfarbe anderer Instrumente, der Oboe, des Horns, der Violine, täu-
schend zu copiren. — Seine schon erwähnte Gattin, Johanna Elisabeth H.,
geborene Döbricht, glänzte bereits 1709 als eine der vorzüglichsten Opern-
sängerinnen ihrer Zeit auf dem Theater zu Leipzig neben ihren zwei Schwestern,
die als Ehefrauen Ludwig und Simonetti hiessen. Als Hofsängerin in Darm-
stadt verheirathete sie sich 1713 mit H., an dessen Seite sie darauf ununter-
brochen blieb und den sie auch überlebte. — Der Sohn Beider, Christian
Ludwig H., geboren zu Darmstadt, bildete sich unter väterlicher Leitung
ebenfalls zum Gambisten, als welcher er um 1754 als Kammermusicus in der
königl. Kapelle und um 1766 in der des Prinzen von Preussen in Berlin an-
gestellt war. Er ist nicht allein einer der grössten Virtuosen seiner Zeit, son-
dern auch einer der letzten Vertreter seines bald darauf in Verschollenheit ge-
rathenen Instruments gewesen.
Hesse, (Friedrich Wilhelm) Julius, vortrefflicher Pianist und Musik-
lehrer, geboren am 2. März 1825 zu Hamburg, wo sein Vater Genremaler und
seine Mutter Bühnensängerin war, huldigte von früh auf der musikalischen
Uebung und kam 1838 nach Berlin. Dort bildete er sich bei dem Kammer-
virtuosen F. Wörlitzer, später bei dem Kammermusiker Mohs im Ciavierspiel
bis zur Künstlerschaft aus und trat seit 1842 häufig als Concertspieler mit
grossem Beifall öffentlich auf. Daneben ertheilte er einen guten Unterricht
und gehöi't noch gegenwärtig zu den vielbeschäftigten Lehrern seines Instru-
mentes. Ein von ihm aufgestelltes eigenartiges System für den Fingersatz er-
harrt noch immer die Veröffentlichung durch den Druck.
Hesse, Johann Georg Christian, vorzüglicher deutscher Fagottvirtuose,
geboren 1762 zu Nordhausen, war als Hofmusicus in der fürstl. bernburg'schen
Kapelle zu Ballenstädt angestellt. Auf Concertreisen verbreitete er um 1800
seinen Ruf über Deutschland, Holland, England und Frankreich, und es wurde
anerkannt, dass seine technische Fertigkeit, sein geschmackvoller Vortrag und
seine Einsicht in die musikalische Kunst übei'haupt ihn in die erste Reihe
seiner CoUegen stelle. — Sein älterer Brudei', Johann Wilhelm H., geboren
1760 zu Nordhausen, gestorben 1795 als herzogl. Kammermusiker zu Braun-
schweig, war ein nicht minder ausgezeichneter Meister des Fagotts. Um 1780
producirte er eine Verbesserung seines Instruments, darin bestehend, dass er
Hesse — Heteron parakalisma. 225
die Klappenlage veränderte und ein Clarinettenmuudstück zum Anblasen ver-
wendete, wodurcli der Ton und die Klangfarbe des Fagotts überraschend ver-
schönert sein sollten. Der Herzog von Braunschweig war auch so sehr entzückt
über diese Neuerung, dass er H. eine Gehaltszulage von jährlich 100 Thalern
bewilligte. Es spricht aber gegen die Zweckmässigkeit der H.'schen Verän-
derung, dass kein anderer Fagottist, selbst sein Bruder Joh. Georg Christian
nicht, dieselbe adoptirt hat.
Hesse, Johann Heinrich, deutscher Musiktheoretiker und Componist,
war um 1780 Hofcantor und Musikdirektor zu Eutin und componirte 24 geist-
liche Oden. Ausserdem hat er eine Generalbasslehre verfasst und veröffentlicht.
— Sein Zeitgenosse war Johann Leonhard H. , geboren um 1735 zu Star-
gard und 1754 als Kammermusiker und Violinist in der Opernkapelle zu
Berlin angestellt. Im J. 1798 wurde derselbe peusionirt und starb um 1805
zu Berlin.
Hessel, deutscher Mechaniker, lebte zu St. Petersburg und dann in Berlin
und construirte 1785 eine Harmonica mit einer Tastatur, welche er Clavier-
harmonica nannte. TJm das Instrument in Aufnahme und zur Verbreitung
bringen zu helfen, componirte Mozart einige Piecen für dasselbe. Auf diesem
Instrumente Hess sich damals der Harmonicaspieler Dussik hören, vermochte
ihm aber keine Anerkennung zu schaffen.
Hesselbarth, Heinrich, deutscher Tonkünstler und Dirigent, geboren 1820
zu Potsdam, studirte in Berlin die Theologie, bevorzugte aber die musikalische
Uebung und wandte sich bald gänzlich der Tonkunst zu. Er fungirte hierauf
als Operndirigent an den städtischen Bühnen zu Magdeburg, Potsdam, Stettin
und kam 1851 nach Dessau, wo er sich eng mit Friedr. Schneider befreundete.
Erst nach dem Tode desselben und nachdem er provisorisch den verstorbenen
Meister vertreten hatte, verliess er Dessau wieder und folgte einer Berufung
als fürstl. Hofkapellmeister nach Rudolstadt. Dort wirkt er noch gegenwärtig,
indem er das fürstl. Orchester im Theater und im Concert dirigirt, sowie den
dortigen Kirchengesaugverein leitet.
Hessmauu, Franz, deutscher Violinvirtuose, lebte um 1770 in Prag und
galt damals für den besten Vertreter seines Instruments im ganzen König-
reich Böhmen.
Hesychastisch (von dem griech. i^av^u^tir, d. i. stillleben, ruhig sein) hiess
bei den Griechen des classischen Alterthums eine der drei Arten, in welche
die Melopöie bezüglich ihres Ausdruckscharakters getheilt wurde. Während
die systaltische Melopöie den Charakter inniger, zärtlicher, und die diastaltische
denjenigen heiterer, freudiger Empfindungen ausdrückte, hielt die hesycha-
s tische die Mitte zwischen beiden und trug den Ausdruck sanfter Bewegung
und ruhigen Fortgangs an sich.
Heterogen und homogeu (aus dem Griech.), d. i. verschiedenartig und
gleichartig, haben in der Musik ihre eigenthümliche Bedeutung, indem man
unter homogenen Tönen solche versteht, welche mit der Tonleiter eines an-
genommenen Grundtons näher verwandt und verbunden sind als andere, nämlich
die hcteroeenen Töne. So wird z. B. der Ton Fis mit der Durtonavt von
G homogen, dagegen der Ton Ges mit derselben heterogen sein, da Ges mit
jener Tonart entferntere Beziehungen als Fis hat.
Heteron parakalisma (griech.), ^^'f*^, ist eine Sypotas (s. d.), die aus dem
demotischen Schriftzeichen '2.^--' der alten Aegypter entstanden ist. Es möge
hier ein Beispiel folgen, worin das H. nebst andern Notationszeichen, wie dessen
Ausführung in unserer Tonschrift, wiedergegeben ist:
: J-p^-
1 — t~li
— ö — ■
b— g r -H
Muaikal. Converä.-liexikon. Y. la
226 Heteros Ex6 — Heuchemer.
Heteros Exö (griech.), (^^ t ist eine Hypotas (s, d.) der griechisch-ka-
tholischen Kirche, die wahrscheinlich aus einem der demotischen Schriftzeichen
der alten Aegypter entstanden; aus welchem ist jedoch bisher nicht nach-
gewiesen. Ein Beispiel, in dem dies Tonzeichen angewandt ist, folgt hier;
darüber ist die Notation in unserer "Weise gesetzt:
[~T—\^
1 1^ 1 1^ ^ 1
L 1
W^F^
. 1^ Jj.J« — J «-• s .
... .o
--9^ I ^ ^' 2.
Iletscli, (Karl Friedrich) Ludwig, tüchtiger Pianist und Violinist,
bedeutender Componist und Dirigent, wurde am 26. April 1806 zu Stuttgart
geboren als der Sohn eines Mitgliedes der dortigen Hofkapelle. Der Concert-
meister Abeille unterrichtete ihn im Pianofortespiel, und sein späterer Musik-
lehrer, als der Vater 1813 Stadtmusicus in Tübingen geworden, war der Or-
ganist Weiss. Aus der lateinischen Schule trat H. 1820 in das theologische
Seminar in Schönthal, wo er auf musikalisches Selbststudium angewiesen war,
und erst seitdem er 1824 das evangelisch -theologische Stift in Tübingen be-
zogen hatte, konnte er die Lücken seiner Musikkenntniss bei guten Lehrern
mehr und mehr ausfüllen. Ohne Vorwissen seiner Eltern, die von einem musi-
kalischen Lebensberuf nichts wissen wollten, kehrte er 1828 der Theologie den
Kücken und begab sich 1830 nach Stuttgart, wo er Musikunterricht ertheilte,
dann auch die Direktion des Liederkranzes und eines Liebhaberorchesters
übernahm und, von Lindpaintner künstlerisch berathen , eifrig weiterführte.
Eine 1833 am Hoftheater aufgeführte zweiaktige Oper von ihm, »Ryno«, hatte
einen so freundlichen Erfolg, dass der König von Würtemberg ihm die Mittel
gewährte, eine musikalische Studienreise nach Wien zu unternehmen, von der
H. erst nach einem Jahre zurückkehrte. In Stuttgart traf ihn die Berufung
zum akademischen Musikdirektor in Heidelberg, der er 1835 folgte. In dieser
Zeit zeichnete er sich als Dirigent sowohl, wie als Componist vortheilhaft aus
und richtete auch im übrigen Deutschland die Blicke auf sich, als er 1840
mit dem 130. Psalm vom Stuttgarter Musikverein und 1843 mit einem Duo
für Pianoforte und Violine vom Norddeutschen Musikverein mit den ausgesetzten
Prämien belohnt wurde. Schon vorher war ihm von der Heidelberger Uni-
versität die Doctorwürde ertheilt worden. Ein grösserer Wirkungskreis aber
eröffnete sich für ihn in Mannheim, wohin er 1846, zum zweiten Kapellmeister
und Chordirektor des Hoftheaters ernannt, abging. Dort übernahm er auch
die Leitung der Liedertafel, die er zu höheren und besseren musikalischen
Zwecken führte. In beiden Stellungen verblieb er bis zu seiner letzten langen
und schweren Krankheit, welcher er am 28. Juni 1872 in Mannheim erlag.
• — Von H.'s zahlreichen Compositionen sind Sinfonien und Oratorien, Clavier-
und Violinconcerte, Divertissements für einzelne Blaseinstrumente und Har-
moniemusikstücke im localen Umkreise vortheilhaft bekannt, andere Ciavier-
werke und besonders ein- sowie mehrstimmige Lieder und Gesänge auch durch
den Druck verbreitet worden.
Hettisch, Johann, guter Violoncellist, geboren 1748 zu Liblin in Böhmen,
galt um 1772 bereits als der beste Virtuose seines Instruments in Prag,
wurde dann aber kaiserl. Beamter und als solcher nach Lemberg versetzt.
Dort starb er im J. 1793. Er hat Concerte und Solos für Violoncello com-
pouirt.
Hen, Johann Jacob, vorzüglicher deutscher Hörn virtuose, geboren 1748
zu Arnstadt in Thüringen, war ein Schüler Punto's und wirkte als Mitglied
der herzogl. Kapelle in Weimar.
Heuchemer, Johannes, trefflich gebildeter deutscher Tonkünstler, geboren
1826 zu Vallendar bei Coblenz, wo sein Vater Organist war. Von demselben
schon früh musikalisch unterrichtet, setzte H. diese Studien als Gymnasiast
Heudier — Heulen. 227
in Coblenz bei Au schütz fort. Um 1849 ging er als Musikdirektor nach
Eupen bei Aachen ab und von da 1851 an das Conservatorium zu München,
zuerst als Lehrer an der Vorbereitungsklasse, worauf er zum Professor des
Ciavierspiels an der Anstalt selbst ernannt wurde. Leider starb er schon am
14. Febr. 1858 zu München und hinterliess an Compositionen Ciavierstücke,
Lieder und Gesänge, die eine grosse Begabung erkennen lassen.
Heudier, Antoine Frangois, guter französischer Violinist und gewandter
Instrumentalcomponist, geboren 1782 zu Paris, war Orchesterchef am Theater
zu Versailles und hat für dasselbe Melodramen und Ballets in Musik gesetzt.
Auch Violinsachen, unter diesen ein Concert, hat er componirt,
Heugel, Henri, französischer Musiklehrer, Instrumenten- und Musikalien-
händler in Brest, eignete sich die Lehrmethode Gallin's an, errichtete auf
Grund dieses Systems ein Musikinstitut und gab ein Lehrbuch seiner Xlnter-
richtsprincipien heraus. Er starb um das J. 1840. • — Sein Sohn, Louis H.,
errichtete 1831 in Paris ein Musikaliengeschäft, das im Laufe der Zeit an
Umfang und Bedeutung in dem Maasse zunahm, dass es in Frankreich nur
von dem weit älteren Musikverlage von Brandus übertrofFen wird. Ausser den
classischen Compositionen von Bach, Händel, Mozart, Clementi u. s. w. in vor-
züglichen Ausgaben hat H. fast alle "Werke von Gevaert, F. David, Ch. Gounod
und A. Thomas verlegt und grosses Geschick bewiesen, nur werthvolle Arbeiten
zu erwerben. Am 1. Decbr. 1833 begründete er die musikalische Zeitung
ytLe Menestreh, die er noch gegenwärtig mit grosser Umsicht im Interesse der
guten Musik und unterstützt von den namhaftesten Musikgelehrten Frankreichs
und Belgiens redigirt.
Heugel, Johann, ein Contrapunktist des 16. Jahrhunderts, war von etwa
1560 bis gegen 1580 Kapellmeister des Landgrafen Philipp des Grossmüthigen
von Hessen. Mehrstimmige Gesangssätze von ihm finden sich im y>Concenfus«
von Salblinger (1545) und in noch früheren Sammelwerken, so in denen des
Graphaeus (1537), Petrejus (1538) und Kriesstein (1540).
Heulen ist ein im gewöhnlichen Leben sehr häufig gehörter Ausdruck für
ein Tönen, welches sich dem Ohre in einer plötzlicheren oder langsameren Art
bemerkbar macht, in der höchsten wie geringsten Kraft mit stetigem nicht
schroffen Uebergange aus einer Tonstärke in die andere variirt, dabei in der
Tonhöhe stets sich verändert und zwar durch alle physikalisch fast nur mög-
lichen Tonhöhen unmittelbar sich bewegend. Man spricht demgemäss vom H.
des Kindes, des "Windes etc. In der Kunst selbst hört man diesen Ausdruck
nur zuweilen für ein durchaus unkünstlerisches Singen, besonders für ein
schlechtes Portamento (s. d.) angewandt, doch stets für eine fehlerhafte Er-
scheinung bei der Orgel. "Wenn nämlich bei der Orgel nach dem Aufziehen
der Eegister, oder schon nach der Füllung der Bälge mit Wind ein Ton stetig
forterklingt, so sagt man: die Orgel" heule. Man kann sich leicht vorstellen,
welche entsetzlichen Missklänge bei der Behandlung eines solchen "Werkes ent-
stehen müssen, und es seien daher die gewöhnlichsten Ursachen dieses Uebels
hier vermerkt. 1. Ist eine Hauptventilfeder (s. d.) so schwach, dass sie
das Hauptsperrventil (s. d.) nicht luftdicht gegen den Canzellenauf-
schnitt (s. d.) drückt, so dringt der Wind in die Pfeife und dieselbe ertönt
immerfort. 2. Hat sich irgend ein Körper zwischen Hauptventil und Canzellen-
aufschnitt festgesetzt, so hat dies dieselbe Folge. 3. Wenn eine Taste durch
Werfen des Holzes oder durch Behinderung in nicht normaler Euhlage ist, so
wird dadurch die Canzellenöffuung dem Winde zugänglich. 4. Auch aus
feuchtem Holze gefertigte Abstrakten trocknen oft so sehr zusammen, dass sie
das Ventil aufziehen. 5. Wenn das S in der Oese sich verschlingt oder sonst
eine Verbindung der Abstrakten sich verküi'zt. 6. Wenn man während des
Orgelspiels eine Koppel (s. d.) anzieht, die eigentlich nur angezogen werden
darf, wenn die Tasten in der Euhlage sind, oder wenn eine Schiebekoppel
(s. d.) nicht gerade angezogen wird. 7. Wenn eine Taste zu hoch geschroben
15*
228 Heumiinu — Heuze.
ist. 8. "Wenn ein Hauptventil sich auf einen Leitestift (s. d.) fängt oder
solcher abgebrochen ist und die Bewegung des A'^entils dadurch unsicher ist.
9. Zuweilen kommt es selbst vor, dass: wenn sich eine Lederfaser am Spund
des Windkastens (s. d.) löst, die ausserhalb des Windkastens von dem aus
der Lade zwischen dieser und dem Spund oder Vorreiber strömenden Winde
so hin und hergetrieben wird, dass das Leder selbst einen Ton erzeugt. Ausser
diesen Ursachen mag es noch manche andere geben, die jedoch, da sie sehr
selten vorkommen, übergangen werden können. Nur darauf sei noch aufmerksam
gemacht, dass man, bevor man eine Abhülfe des H.'s zu bewerkstelligen sucht,
zuvörderst die Ursache desselben erst genau erforscht, da sonst bei dem künst-
lichen Bau dieses Instruments leicht statt einer Abhülfe des Uebels dasselbe
in stärkerer Art erst erzeugt werden könnte. Am besten ist es schon, falls
man nicht ganz sicher in seinem Mittel ist, die Abhülfe einem Orgelbauer zu
überlassen. 2.
Heuiiiauu, Christoph August, bekannter deutscher Literarhistoriker,
geboren am 3. Aug. 1681 zu Allstädt im Weimar'schen, kam, nachdem er seit
1709 an der Schule zu Eisenach gelehrt hatte, 1717 als Inspektor an das Gym-
nasium zu Göttingen, wo er wesentlich zur Verwandlung desselben in eine
Universität l)eitrug, an welcher er 1734 als Professor der Literargeschichte,
sowie der Theologie angestellt wurde und am 1. Mai 1764 starb. Unter seinen
Werken befinden sich auch einige kleine Schriften über Musik, so »über das
Sela bei den Hebräern«, »über Weihnachtslieder« u. s. w.
Heurteur, Guillaume le, französischer Contrapunktist, war um die Mitte
des 16. Jahrhunderts Canonicus an der Kirche St. Martin in Tours und hat
zahlreiche Gesänge componirt. Im J. 1545 und 1548 sind dergleichen kirch-
lichen Inhalts von ihm in Paris im Druck erschienen, andere finden sich in
verschiedenen Sammelwerken damaliger Zeit vor.
HeuscLkel, Johann Peter, gründlich gebildeter deutscher Tonkünstler,
geboren am 4. Jan. 1773 zu Harras bei Eisfeld, wurde 1794 erster Oboist in
der Hofkapelle zu Hildburghausen und zugleich Hoforganist daselbst. Im
J. 1796 unterrichtete er Karl Maria v. Weber im Clavierspiel, und derselbe
bewahrte diesem seinem »braven, strengen und eifrigen« Lehrer ein dankbares
Andenken. H. schrieb Harmoniemusikstücke, Concerte und Variationen für
Oboe, Sonaten und Variationen für Ciavier, Lieder und Gesänge u. s. w., von
welchen Werken jedoch ausser iustructiven Ciavierstücken nur sehr wenig im
Druck erschienen ist. Durch Herausgabe eines Choralbuchs zu dem Hildburg-
hausen'scheu Gesangbuch (1808) erwarb er sich um Stadt und Land noch
besondere Verdienste, da mit demselben endlich unter den vielen überflüssigen
Kirchenmelodien aufgeräumt wurde. Als 1826 der Hof von Hildburghausen
nach Altenburg übersiedelte, folgte H. einem Rufe nach Wiesbaden , wo er in
aller Stille noch lange als Hoforgauist und Musiklehrer wirkte. Er starb im
J. 1853 zu Biebrich.
Haussier, Johann, deutscher Orgelbauer des 16. Jahrhunderts, der in
München lebte und in Baiern mehrere gute Kircheninstrumente erbaut hat.
Heuze, Jacques, bedeutender französischer Violinvirtuose, geboren um
1738 zu Paris, machte sich schon früh als Concertspielcr und Anführer der
Violinen im Orchester vortheilhaft bekannt. Um 1760 reiste er nach St. Peters-
burg und war 1764 während der Festlichkeiten der Kaiserkrönung in Frank-
furt a. M., von wo aus er einem Rufe als Concertmeister an den Hof von
Kassel folgte. Als 1786 der Landgraf starb und die Kapelle entlassen wurde,
begab sich H. wieder nach Paris, wo er in den 1790er Jahren starb. An
seinem Spiel wurde enorme Fertigkeit und Feuer gerühmt. — Seine Gattin,
Anna H., geborene Scali, aus Rom (1752) gebürtig, war als italienische
Opernsängerin nach Kassel gekommen, verlor aber dort 1785 ihre Stimme.
Nach ihres Mannes Tode lebte sie in Paris als Gesauglehreriu und starb da-
selbst um 1810.
Hewitt — Hexameter. 229
Hewitt, John H., englisch- amerikanischer Tonkünstler, geboren 1801 zu
New- York, wendete sich vom Studium der Eechte, dem er sich anfangs hin-
gegeben hatte, ab und widmete sich der Tonkunst. Er schrieb u. A. Opern
und Oratorien, unter welchen letzteren »Jephta« in seinem Vaterlande beson-
ders gelobt wurde und machte sich auch als Balladencomponist rühmlich be-
kannt. Seit 1845 lebte er in Baltimore. — Ein englischer Musikgelehrter
gleichen Namens, Dr. D. C. Hewitt, lebte um 1815 zu London und ver-
öflfentlichte damals ein Lehrbuch, worin er eine neue Theorie der Melodie,
Harmonie und Modulation aufstellte.
Hexachordum (griech.-latein,; ital.: essacordo)^ d. i. Sechssaiter, ein nur im
Abendlande seit dem 11. Jahrhundert in der Musik gebräuchlicher Ausdruck,
der aus den griechischen Wöi'tern: f"|, sechs, und x^Q^'h Saite, gebildet worden
ist, diente entweder zur Benennung eines Intervalls, der grossen Sexte (s.d.),
oder als Name für die sechsstufige Tonleiter, bestehend aus vier Ganztönen
und einem Halbton, welcher letztere stets zwischen der dritten und vierten
Stufe der Scala sich befinden musste. Das H. soll von Guido von Arezzo
(s. d.) als Toumaass eingeführt worden sein, und zwar ungefähr um 1000 n. Chr.
Dasselbe muss in jener Zeit der frühesten Eutwickelung der im Abendlande
später ausschliesslich gebräuchlichen Tongattungen Dur (s. d.) und Moll
(s.d.) aus den 0 ctavgattungen (s.d.) sich bald plagialisch (s. d.) wirkend
ergeben haben. Als diese "Wirkung erkannt wurde, benannte man die H.e auf
einigen Tonstufen, trotz der stets gleichen Bauweise, mit besondern Namen,
um dadurch die Anwendung des :] q^uadratum oder des '? rotundum anzuzeigen.
Man unterschied das H. durale oder durum: g, a, h, c, d und e, so genannt,
weil das if quadratum stillschweigend darin Platz fand; das H. mollare oder
molle: f, g, a, b, c und t?, so geheissen, weil das p rotundum oder molle dai-in
heimisch; und das H. naturale oder jjennanens: c, d, e, f, g und a, weil dies
die ursprünglichen natürlichen Klänge desselben. Um diese Unterschiede stets
klar vor Augen zu haben, hatte man selbst einen Yers in Gebrauch:
C naturam dat; F, t? molle tibi signat.
Gr per ij durum dicas cantare modernum.
Die als Namen für die Töne des H.'s eingeführten Sylben: ut, re, mi, fa, sol
und la statt der schon gebräuchlichen alphabetischen Benennungen derselben:
e, d, e, f, g und a, führten zu einer Kunst im Gesauge, der Mutation (s. d.),
die so lange der schnelleren Eutwickelung der abendländischen Musik Fesseln
anlegte, dass sie erst die Solmisation (s. d.) mit ihren Varianten im 17.
Jahrhundert zu sprengen vermochte. Den letzten gewuchtigen Streich gegen
diese Fessel führte Johann Matthesou in seiner Schrift: »Das beschützte Or-
chestre, oder desselben zweite Eröfi'nung, worin endlich des lange verbannt ge-
wesenen ut re mi fa sol la todte (nicht tota) musica unter ansehnlicher Be-
gleitung der zwölf griechischen modorum, als ehrbarer Verwandten und Trauer-
leute, zu Grabe gebracht und mit einem Monument zum ewigen Andenken
beehrt wird« (Hamburg, 1717). Seit jener Zeit ist das H. als Toumaass nur
rein geschichtlich geworden. Einzig und allein die syllabische Tonbenennung,
durch dasselbe hervorgerufen, wird noch von einigen Gesanglehrerinnen als
besonders nützlich, um die gute Aussprache beim Singen zu fördern, gepflegt,
doch dürfte auch diese letzte Blüthe des veralteten Tonmaasses, des H.'s, sehr
bald den '^eg alles L'dischen wandeln. S. auch Solmisation. C. B.
Hexameron (griech.), eine Zusammenstellung von sechs Gedichten, Ton-
sätzen u. s. w. , war eine früher oft angewandte Titelbeuennung für ein Werk,
welches aus sechs verschiedenen Stücken bestand.
Hexameter (griech.), eine von den Griechen im hohen Alterthuni bereits
erfundene Versart, wegen der frühesten Anwendung im Heldengedichte oder
Epos auch die heroische oder epische genannt, besteht, wie schon der Name
andeutet, aus sechs Füssen, von denen die vier ersten Daktylen oder Spondeen
230 Hexapsalmus — Heyden.
sind, der fünfte in der Hegel ein Daktylus (—^^) und nur unter gewissen
Beschränkungen, namentlich wenn ein mehr als dreisylbiges Wort den Aus-
gang bildet, ein Spondeus ( ), der sechste endlich ein Spondeus ( ) oder
Trochäus (— ^) ist, nach folgendem Schema:
Diese an sich ziemlich zwanglose Versart verlangt dennoch für die Ausbildung
des rhythmischen und euphonischen Verhältnisses die grösste Sorgfalt und ist
deshalb einigen besonderen Regeln unterworfen, von denen diejenige über den
Einschnitt oder Ruhepunkt (s. Cäsur) ungefähr in der Mitte des Verses die
wichtigste ist. Ausserdem ist eine Abwechselung der Daktylen mit den Spondeen
in den einzelnen Versen wünschenswerth, wenn nicht etwa der Dichter durch
blosse Daktylen oder Spondeen das Rasche oder Langsame der Handlung
selbst bezeichnen will. Das rhythmische Element des H.'s lässt sich in dem
Tanze der Alten nachweisen, der erste Gebrauch desselben in den griechischen
Orakelsprüchen, wie denn schon Herodot den ältesten auf einem Dreifuss in
einem Apollotempel bei Theben in phönizischer Sprache entdeckt haben will.
Unter den griechischen Dichtern findet man ihn bei Homer schon völlig aus-
gebildet, während er bei den Römern zuerst von Ennius statt des saturnischen
Verses eingeführt wurde und in seinen Anfängen rauh und unbeholfen war.
Mit mehr oder weniger Glück haben die Dichter von allen gebildeten Nationen,
wie die Deutschen schon im 14. Jahrhundert, die Italiener und Eranzosen
besonders im 16. Jahrhundert th eilweise den H. anzuwenden gesucht.
Hexapsalmus oder Hexapsaluium (griech. /^«i/'«P./*oc oder thiipuliiov) nennt
man in der griechisch-katholischen Kirche sechs Psalmen, die in Erühmessen
abgesungen zu werden pflegen. 2.
Hftxarmouisch (aus dem Griech.) nannten nach Rousseau Dictionn. die
Griechen des Alterthums einen Nomos oder Gesang, der einen weichlichen
und spielenden Charakter an sich trug.
Hey, Ludwig, niederländischer Orgelbauer, hatte seine Werkstätte um
1770 in Antwerpen und zeichnete sich daselbst vor seinen übrigen Fach-
genossen aus.
Heyda, Joseph, ein tüchtiger Orgel- und Ciavierspieler, geboren 1740
in Wien, wo er später bis etwa 1800 Organist an der Kirche St. Michael
war. Um 1800 pensionirt, starb er, 66 Jahre alt, am 17. März 1806 zu
Wien.
Heyden, Sebald, ausgezeichneter deutscher Gelehrter und Musiktheore-
tiker, geboren 1498 zu Nürnberg, wurde 1519 Cantor an der dortigen Spital-
schule, später Rector der Schule St. Sebaldus und starb am 9. Juli 1561 zu
Nürnberg. Als Componist geistlicher Gesänge trat er weniger hervor, obgleich
ihn sein Biograph Zeltner auch als solchen preist, denn als Tonlehrer. Na-
mentlich war er für die Mensuraltheorie und Taktlehre damaliger Zeit von
der grössten Wichtigkeit, wie folgende seiner Schriften beweisen: y>Musieae
sticMosisv. (Nürnberg, 1529), welche über Ursprung und Nutzen der Musik,
über Scala, Claves, Pausen, Töne und Takt handelt, und »Z)e arte canendi ac
vero signarum in cantihus usu« (Nürnberg, 1537; 3. Aufl. 1540). Auch das
erstgenannte Buch ist nachmals noch öfter unter dem Titel nBudimenta musi-
cesv. oder y>Institutionesvi gedruckt worden. — Sein Sohn, Johann H,, geboren
um 1540 zu Nürnberg, war Organist an der St. Sebalduskirche daselbst und
ebenfalls ein vorzüglicher Musiker. Berühmt ist derselbe als Erfinder des so-
genannten Geigenwerks oder Geigen -Clavicymbels, welches er in der Schrift
r>Commentatio de musicali instrumento, reformato a Johanne H. seniorea etc.
(Nürnberg, 1605) ausführlich beschrieben hat. Auf eine fernere Beschreibung
dieses Instruments in der Schrift »Musicale instrumentum reformatumn (Nürn-
berg, 1610) erhielt er vom deutschen Kaiser Rudolph II. ein Privilegium auf
Verfertigung und Verkauf desselben. H. starb bald darauf, 1613, zu Nürnberg.
Heydenhammer — Hialemos. 231
Heydenhammer, deutscher Componist des 16. Jahrhunderts, von dem 1548
mehrere weltliche Lieder zu vier Stimmen gedruckt erschienen sind.
Heydenreicli, s. Heidenreich.
Heylanus, Peter, ein Contrapunktist des 16. Jahrhunderts, von dessen
"Werken nur noch ein Gesangssatz zu vier Stimmen übrig geblieben ist.
Heyne, Christian Grottlieb, einer der bedeutendsten deutschen Huma-
nisten, der um Förderung und Verbreitung der Alterthumswissenschaften die
grössten Verdienste hat, wurde am 25. Septbr. 1729 zu Chemnitz in Sachsen
unter den drückendsten äusseren Verhältnissen geboren. Nach einem bewegten
Leben wurde er 1763 Professor der Beredtsamkeit in Göttingen und erhielt
ein Jahr später zugleich die Aufsicht über die Universitätsbibliothek. Mit
dem glänzendsten Erfolge wirkte er dort bis zu seinem Tode, am 12. Juli 1812,
durch Wort und Schrift im Interesse der altclassischen Literatur und ei'läuterte
in vielen Programmen, Abhandlungen, sowie in seinen grösseren Schriften
und Ausgaben der alten Schriftsteller auch die Kunst und das Kunstwesen
im Alterthum.
Heyne, Friedrich, vortrefflicher deutscher Flötenvirtuose, der um die
Wende des 18. und 19, Jahrhunderts herzogl. raecklenburg'scher Kammer-
musiker war und sich auch auf Concertreisen in Deutschland einen bedeutenden
Namen machte. Er schrieb Concerte, Duos und Solostücke für sein Instrument,
war aber noch mehr als Componist von Arien, Oden und Liedern geschätzt.
— Seine Gattin, Felicitas Agnesia H., geborene Ritz, geboren 1756 zu
Würzburg, verheirathete sich als berühmte deutsche Sängerin zuerst 1774 mit
Friedrich Ludwig Benda in Hamburg. Als sie 1783 Hofsängerin in
Schwerin wurde, Hess sie ihre Ehe trennen und verband sich bald darauf mit
H., in dessen Begleitung sie mehrere grössere Reisen unternahm, die dem Paare
grosse Ehren eintrugen. Von England und Irland kehrte sie 1791 nach Lud-
wigslust zurück und ist seitdem aus der Tagesgeschichte verschwunden.
Heynitz, Johann Gottfried, geschickter deutscher Orgelbauer, lebte um
die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts zu Kuhna in der Oberlausitz.
Heyse, Anton Gottlieb, deutscher Harfenvirtuose und Componist für
dieses Instrument, lebte zu Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts
zu Halle a. S. und veröffentlichte ausser einer »Anweisung die Harfe zu
spielen« (Halle, 1814; 2. Aufl. 1822): sieben Sonaten in drei Heften für Harfe
und Flöte und eine Serenade für Harfe mit zwei Flöten, zwei Hörnern
und Bass.
Heyther, William, auch Heather geschrieben, englischer Musikliebhaber,
geboren um 1570 zu Harmondsworth in der Grafschaft Middlessex, wurde als
Chorknabe an der Magdalenenkirche zu Oxford musikalisch gebildet, später
Mitglied der königl. Vocalkapelle und 1622 zugleich mit Orlando Gibbons
Doctor der Musik daselbst. Im J. 1627 stiftete er, angeregt durch Camden,
der eine Professur für Geschichte gründete, einen eigenen musikalischen Lehr-
stuhl an dieser Universität, den er mit einem bestimmten Capitale zur Be-
soldung eines Lehrers begabte. Ausserdem schenkte er dem Institute zu
Unterrichtszwecken mehrere Instrumente und verschiedene gedruckte und
geschriebene Musikwerke. Er selbst starb kurz darauf, im Juli 1627, zu
Oxford.
Heywood, englischer Tonkünstler und Harfenist des 16. Jahrhunderts,
aus London gebürtig, spielte der Königin Maria auf ihrem Todtenbette natio-
nale Weisen vor. Er starb um 1575 zu Mecheln.
Hezedsel ist der Name eines Zeitmaasses im persisch - türkischen Musik-
kreise, das in seiner kleinsten Unterabtheilung zwei Viertel führt, welche im
Tempo Andante grazioso sich bewegen müssen; der ganze H. besteht aus fünf
solcher Unterabtheilungen in unmittelbarer Folge. 0.
Hialemos (griech.) ist die Benennung einer altgriechischen Musikweise (s.
Nomos), die zu Ehren des Musengottes Apollon angestimmt wurde.
232 Hiatus — Hientzsch.
Uiatus (latein.), d. i. Spalt, Oeffnung, nenut man in der Dichtkunst und
Grammatik das Zusamraentreflfen zweier Vocale an dem Ende des einen und
im Anfangs des folgenden "Wortes, wodurch bei der Aussprache eine dem
Gähnen, daher der Name, ähnliche Ocflfnuug des Mundes entsteht. Die auf
diese Weise erzeugte Härte ist in den meisten Sprachen durch die sogenannten
euphonischen Buchstaben, in der griechischen durch die Krasis, in der latei-
nischen bei der Scansion der Verse durch die Elision vermieden worden. In
der Musik richtet sich die Behandlung des H, nach dem Texte. Ist dieser
Prosa, so wird derselbe häufig nicht weiter beachtet; man singt seine beiden
Vocale auf zwei Noten. Im Verstexte dagegen muss die Elision dem Metrum
entsprechend erfolgen, wenn die Längen und Kürzen des Verses richtig ein-
gehalten werden. So würde es fehlerhaft sein, in dem Verse r>che da me ü
pub^involara zu den Vocalen o (trotz des Accents in der ßede) und i zwei
Noten zu setzen, sie als zwei Kürzen statt als eine Länge zu behandeln, weil
die Declamation dadurch an Gewicht verliert. Es muss also heissec wie unter
b, nicht wie unter a:
che da me ti puo in-vo-lar? che da me tl pu'iuvo - lar?
Im Deutschen kommt der H. zwar auch vor, jedoch findet Elision oder Zu-
sammenziehung der Vocale, wie im Lateinischen und Italienischen, nur sehr
selten statt, da nur wenige deutsche Worte mit einem, anderen Vocale als mit
e endigen, welches entweder ausgesprochen oder apostrophirt wird. Der Ton-
setzer, welcher lateinische oder italienische Verstexte componirt, muss dera-
gemäss, um keine Verstösse zu begehen, sich mit der betreflPenden Sprache und
Prosodie bekannt machen.
Hien, Ludwig Christian, deutscher Clavierspieler, war um 1771 Kam-
mervirtuose der Herzogin von Würtemberg in Stuttgart und hat von seiner
Composition eine Sonate für Ciavier veröffentlicht.
Hientzsch, Johann Gottfried, vortrefläicher deutscher Schulmann, Ton-
künstler und unermüdlicher Musikschriftsteller, geboren am 6. Aug. 1787 zu
Mokrehna, unweit Torgau, wurde von seinem Schullehrer Vieweg in den Ele-
menten des Ciavierspiels und später in dem Dorfe Püchau von dem Cantor
Meissner auch im Orgel- und Violinspiel unterrichtet. Da er Landschullehrer
werden sollte, so wurde er 1803 auf die Thoraasschule zu Leipzig gebracht,
wo er auch Gesang übte und tüchtige musikalische Anregungen in der Kirche
und in der Stadt erhielt. Zu Ostern 1808 bezog er die Leipziger Universität
und nahm zugleich die Hauslehrerstelle bei einem Kaufmanne an. Um die
Lehrmethode Pestalozzi's kennen zu lernen, begab er sich 1810 nach der
Schweiz und erhielt auch alsbald in Yverdun den Gesangunterricht einer Klasse
übertragen, bei welcher Thätigkeit er sich zugleich mit Pfeiffer's und Nilgeli's
auf die Musik übertragenem System Pestalozzi's vertraut machte. Im Spät-
sommer 1815 verliess er Yverdun und ging über Zürich, wo er Xägeli's Unter-
richtsart und Singakademie kennen lernte, nach München. Dort blieb er neun
Monate, während welcher Zeit er höhere Musikstudien bei Gratz machte und
mit dem Hoforganisten Ett freundschaftlich verkehrte. Auf Empfehlung des
prcussischen Gesandten in ^lünchen hin mit einem einjährigen Riäsestipendiura
versehen, besuchte H. Biberach und daselbst J. H. Knecht, ferner A. E. Müller
in Gotha, den Organisten Jungnickel in Merseburg, Naue in Halle u. s. w.
und kam Ende Febr. 1817 nach Berlin, wo er noch bei Zelter studirte und
noch in demselben Jahre eine Anstellung als Seminar-Musiklehrer in Neuzelle
erhielt. In diese Zeit, welche durch Reisen nach Potsdam und Berlin, sowie
nach Breslau, wo er Schnabel, Berner und Cantor Siegert aufsuchte, anregend
Hieraulen — Hierochord. 233
unterbrochen war, fällt die Herausgabe seines Sammelwerks »Ä.lte und neue
geistliche Lieder, Choräle und kleine Motetten von den vorzüglichsten Meistern
zum Gebrauch in Kirchen und Schulen« u. s. w. (2 Hefte), dem dann eine
»Auswahl der bessern deutschen Volkslieder, zunächst für Schulen zwei-, drei-
und vierstimmig eingerichtet, nebst einem Liederbiiche für Kinder« u. s. w.
und später auch eine »Sammlung drei- und vierstimmiger Gesänge, Lieder,
Motetten und Choräle für Männerstimmen von verschiedenen Componisten«
folgte. Im J. 1822 wurde ihm die Direktorstelle am evangelischen Schullehrer-
Seminar zu Breslau übertragen, und er begann nun, nach allen Seiten des
Musiklebens hin, als Lehrer, Componist, Dirigent und Schriftsteller, hebend
und fördernd zu wirken. Zugleich regte er die jährlichen schlesischen Musik-
feste an, begründete die Musikzeitschrift »Eutonia«, die von 1828 bis 1837
bestand, und veröffentlichte noch weitere Sammlungen von mehrstimmigen Ge-
sängen, Motetten, Chorälen u. s. w. Im J. 1833 wurde er als Direktor des
Schullehrer- Seminars nach Potsdam versetzt und übernahm 1852 die Oberleitunsr
des Blindeninstituts zu Berlin, dort wie hier durch seine schulgerechte Methode
sich grosse Verdienste erwerbend. Aus dem letztgenannten Amte schied er
am 1. Octbr. 1854, blieb aber auch im Privatleben besonders schriftstellerisch
unausgesetzt thätig und begründete noch am 1. April 1856 die Zeitschrift
»Das musikalische Deutschland«, von der ihm aber nur zwei Hefte herauszu-
geben verstattet war, da er am 7. Juli 1856 zu Berlin an einem gastrischen
Fieber starb. — Sein Sohn, Karl Ferdinand H., ein trefflich gebildeter Ton-
künstler, widmete sich der musikhändlerischen Laufbahn und begründete 1856
eine Musikalienhandlung, verbunden mit Musikverlag in Breslau , der er noch
gegenwärtig mit grosser Sachkenntniss vorsteht.
Hieraulen (griech.: leQavh'ig, von isqov, Tempel, und alulog, Flöte), in Merula
De sacerd, p. 53 und in alten Inschriften »heilige Pfeifer« genannt, hiessen
bei den Alten die Bläser, welche ihre Kunst vorzüglich während des Gottes-
dienstes ausübten. Von den H. unterschieden die Griechen und Römer die
Hierophonen oder gottesdienstlichen Sänger. Beide Musikerklassen bildeten
zusammen eine Gesellschaft, die alle Jahre zu Rom wie zu Athen am 14. Juni
ein Standesfest feierten, bei dem sie ihre Kunst auf offener Strasse, in grossen
Zügen dahinziehend, ausüben durften und sich allen, auch den ausgelassensten
Lebensfreuden, ohne dadurch im Rufe zu leiden, hingeben durften. f
Hierax, ein berühmter Flötenspieler des alten Griechenlands, war ein
Schüler des Olympos und hinterliess nach seinem frühen Tode einen selbst
erfundenen Modus (s. d.), welcher der hieracische (Hieracius) nach ihm ge-
nannt wurde.
Hierliug, Andreas, deutscher Orgel- und Harmonicavirtuose, geboren um
1760 zu Gräfenrode bei Arnstadt in Thüringen, befand sich seit 1796, ohne
Anstellung, meist auf Reisen. Noch -1832 und 1833 Hess er sich in Süd-
deutschlaud öffentlich hören. Die Harmonica's, die er vorführte, fertigte er
selbst und verkaufte sie dann gelegentlich wieder. Auch baute er sogenannte
Aeolodikons, die er ebenfalls öffentlich spielte. Ueberhaupt wurden seine Fa-
brikate sehr gerühmt.
Hierochord nannte Schmidt, Universitäts- Gesanglehrer und ordentlicher
Lehrer am Gymnasium zu Greifswald, ein von ihm um 1830 construirtes Ton-
werkzeug, welches er zur Leitung eines einstimmigen Gesanges als besonders
geeignet ei'achtete. Dasselbe war eigentlich nichts weiter, als ein Monochord
(s. d.), an dem die Saite durch eine Tastatur behandelt wurde. Das anhal-
tende Erklingen der Saite bewirkte eine Kurbel, durch welche ein mit Kolo-
phonium (s. d.) bestrichenes Rad bewegt wurde, das unmittelbar die Saite
berührte. Die Tasten des H, waren mit Messingstiften versehen, die beim
Niederdi-uck der Taste als Tangenten (s. d.) die Saiten verkürzten. Die
Claviatur, welche zwei Octaven hatte, wurde rxiit der linken Hand behandelt,
während die rechte die Kurbel drehte. Das Instrument war in einem Kasten
234 Hieronymus Rhodius — Higgajou.
von 70 Cm. Länge, 22 Cm. Breite und 20 Cm. Hölie befindlich. Wie diese
Einrichtung ergiebt, war es unmöglich, mehr als einen Ton auf einmal hei'vor-
zubringen, weshalb es sich denn auch nur zur Leitung des Gesanges in Schulen
und in kleineren Kirchen eignete. Besonders empfahl die Qualität des Tones
dies Instrument dazu. Der Klang desselben nämlich war von durchdringender
Stärke, ähnlich dem einer Rohrstimme der Orgel. Diese Klangfülle, wie den
Klangchai-akter soll das H. der eigenthümlichen Bauweise des Schallkastens
zu verdanken gehabt haben, indem in demselben sich mehrere Resonanzböden
befanden. TJeberhaupt betrachtete der Erfinder diesen Theil des Listruments
als Geheimniss und ist solches, da das Tonwerkzeug nicht dauernd sich bc'
hauptete, auch Geheimniss geblieben. Ein anderer Vorzug dieses Tonwerkzeugs
war noch der, dass die von ihm hervorgebrachten Töne stets nur in dem ihm
eigenen Verhältnisse gegeben werden konnten, was ihm den Ruf verschaffte,
dass es unverstimmbar sei, Auf der Tastatur befand sich übrigens die Buch-
stabenbencnnung der Töne, so dass auch derjenige, der keine Noten kannte,
wenn er die Melodie, welche er spielen wollte, in Buchstaben aufgezeichnet vor
sich hatte, dennoch dieselbe darstellen konnte. 2.
Hieronymus Rhodius, so genannt von seiner Geburtsstätte Rhodus, gehörte
zu den altgriechischen Peripatetikern oder Wanderlehrern und verfasste eine
Schrift y>De citharoedisa.
Hieronymus, Sophronius Eusebius, genannt der Heilige, einer der
berühmtesten Kirchenlehrer von mehr feurig-phantastischem als philosophischem
Geiste, wurde 331, nach Anderen 342 zu Stridon in Dalmatien von heidnischen
Eltern geboren. Um 360 trat er zu Rom zum Christenthum über und starb
nach einem wechselvollen Leben 419 oder 420 in dem von ihm 386 gegrün-
deten Kloster zu Betlehem in Palästina. Seine Verdienste um die Musik sollen
in der Erfindung des jetzigen sogenannten Mönchgesanges und dessen Ein-
führung als liorae canonicae bestehen.
Hieronymus de Moravia, französischer Dominicaner der zweiten Hälfte
des 13. Jahrhunderts, ist einer der bekannt gebliebenen vier Schriftsteller
jener Zeit, welche über Mensuralmusik geschrieben haben. Der betreffende
»Z)e musicati betitelte Tractat ist zwar nicht herausgegeben worden, befindet
sich aber in einigen Bibliotheken.
Hierophon (griech.), s. Hier'aulen.
Hierotheus, Bischof im Orient um 350, gilt als der erste, welcher beson-
dere Hj^mnen für die griechisch-katholische Kirche verfertigte und einführte.
Ein Gleiches für die lateinische Kirche geschah zu derselben Zeit durch den
Bischof Hilarius (s. d.).
Hifthorn, Hiefhorn oder Hüfthorn, ein kleines gerades, aus Büffel-
oder grossen Ochsenhörnern gefertigtes Jagdhorn von grellem , unangenehmem
Klang, welches von den Jägern in festlicher Kleidung an einem breiten Ban-
delier (Hiefriemen oder Hornfessel) über der linken Schulter getragen wird
und bei Jagden als Signalinstrument dient. Es ist mit einem gedrechselten
Mundstück versehen und giebt zwei oder drei verschiedene Töne her, Hiefe
oder Hifte (Jagdrufe) genannt, welche man zu verschiedenen Kundgebungen
der Ereignisse und des Commandos in lange, kurze, einfache und doppelte
unterscheidet. Der sogenannte Henneberg'sche Hief besteht aus drei einfachen
lang gezogenen Tönen. Es giebt drei Arten von H. : Zinken von hohem,
klaren, Halbrüden hörner von mittlerem und Rüdenhörner von tiefem,
groben Tone, letztere ausserdem sehr unbequem zu führen. Die um das H.
gewundenen Schnuren heissen in der Jägersprache Hornsatz.
Higgrajon (hebr.: 'i^■'^^), ist wahrscheinlich ein auf Musik bezüglicher he-
bräischer Ausdruck. Derselbe findet sich im 9. Psalm Vers 17 und im 92.
Psalm Vers 4. A. Pfeiffer in seinem y>Tract. de Ncginotli aliisqe instrumenfis
musicis Hehraeoruma p. XVIL behauptet zwar, dies Wort beziehe sich einzig
auf Poesie, wozu er sich durch die Septuaginta berechtigt hält, die dasselbe
Higius — Hildebrandslied. 235
stets durch cpdr'j wiedergegeben habe. Hiergegen steht jedoch die Auslassung
de Wette's in seinem »Commentar über die Psalmen in Beziehung auf seine
TJebersetzung derselben« (Heidelberg, 1823), wo er in der Einleitung S. 52
behauptet, dass dies Wort »Gesang mit Harfenbegleitung« bedeute. Er führt
zur Begründung seiner Meinung daselbst die griechische TJebersetzung folgender
beiden Stellen au: nbo 1V^T\ übersetzt durch cpdij diaifjäXnuTo^; Soloinstrument,
und 1i:in "jT^i^n "^by, übersetzt fitr oidijg iv xi&dQu, öesang mit Guitarren-
begleitung. 2.
Higins, B. Mulling er -Higius.
Hijaja ist ein neuerer Name einer der vorzüglichsten indischen Tonarten,
deren Leiter mit keiner der älteren indischen Scalen übereinstimmt. Diese
Benennung, dem persischen Hedgaz (s. d.) entstammend, scheint auch für
eine H. genannte der persischen Tonfolge ähnlich gebildete in Indien geblieben
zu sein. 2.
Hilarius der Heilige, Bischof seiner Vaterstadt Pictavium (Poitiers) um
die Mitte des 4. Jahrhunderts und gestorben am 13. Jan. 368, soll der Erste
gewesen sein, welcher Hymnen für den gottesdieustlichen Gebrauch der abend-
ländischen Kirche verfasste und einführte.
Hildebraud-Komberg'j s. Romberg (Bernhard).
Hildebrand, Balthasar, deutscher Orgelspieler und Dichter, geboren am
22. April 1610 zu Jauer in Schlesien, war Schüler des berühmten Organisten
Ambr. Profe und seit 1626 kaiserl. öffentlicher Notarius an der Peter-Pauls-
kirche in Liegnitz, als welcher er am 22. Decbr. 1657 starb. Die ehrenvollen
Inschriften auf dem ihm gesetzten Grabmonumente findet man in Hoffmann's
»Tonkünstler Schlesiens«.
Hildebraud, Christian, deutscher Tonkünstler, geboren in der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts, war Musiker in Hamburg und hat zwei Bücher
Paduanen und Gagliarden seiner Composition herausgegeben.
Hildebrand, Philipp, deutscher Orgelbauer, lebte in der zweiten Hälfte
des 17. Jahrhunderts zu Stadt am Hof bei Regensburg und errichtete u. A.
1664 das als schön gerühmte Werk in der Klosterkirche zu Gars, das nach-
mals der Oi'gelbaumeister Ant. Bair in München restaurirte.
Hildebrand, Zacharias, deutscher Orgelbaumeister, der beste Schüler
Gottfr. Silbermann's, war aus Sachsen gebürtig, lebte aber ohne festen Aufent-
haltsort in Norddeutschland und starb um 1760. Er baute u. A. die Orgel-
werke in der katholischen Schlosskirche (um 1743) und in der Neustädter
Kirche zu Dresden, sowie zu St. Wenzeslaus in Naumburg. Nach der Angabe
Job. Seb. Bach's verfertigte er auch ein meisterhaftes Lautenclavicymbel, von
welchem Adlung in der ^^Musica mechanicaK II. S. 139 eine nähei'e Beschrei-
bung giebt. — H.'s Sohn und Schüler, Johann Gottfried H., ist der Er-
bauer der grossen berühmten Orgel von 60 Stimmen in der Michaeliskirche
zu Hamburg (um 1760), die seinen Namen mit Ruhm gekrönt hat. Vgl.
Adlung's y>Mus. mecli.v. I. S. 241.
Hildebrandslied wird das älteste Denkmal deutscher Poesie genannt, wel-
ches nur in einer einzigen, leider sehr unvollständigen Handschrift des 8. Jahr-
hunderts erhalten geblieben ist. Das Lied selbst ist ohne Zweifel viel älter
und behandelt in alliterirenden Versen den Zweikampf des aus dem Hunnen-
lande zurückkehrenden Hildebrand mit seinem Sohne Hathubrand, der sich dem
Eindringen des ihm durch eine dreissigjährige Abwesenheit fremd gewordenen
Ritters widersetzt. Diese sagenhafte Begebenheit gehört zu denen, von welchen
das deutsche Volk am längsten gesungen hat. Denn eine Handschrift des 15.
und gedruckte fliegende Blätter des 15., 16. und 17. Jahrhunderts haben ein
Volkslied vom alten Hildebrand erhalten, das im Ganzen denselben Inhalt hat;
die Eorm desselben zeigt jedoch auf das 13. Jahrhundert, denn es ist in der
Umgestaltung der Nibelungenstrophe (dem sogenannten »Hildebrandston«) ge-
dichtet, welche im 15. Jahrhundert ganz ausser Uebung gekommen war. Der
236 Hildebrandt — Hillebrand.
Umstand, dass noch nach siehen Jahrhunderten alte Mären wiederktlircn, die
schon längst verschollen zu sein schienen und die jedenfalls von der ritterlichen
Poesie unberührt geblieben waren, ist ein schöner Beweis, wie treu das deutsche
Volk an seinen Liedern und Sagen hielt.
Hildebrandt, deutscher Violinist, lebte in der Wendezeit des 18. und 19.
Jahrhunderts und war um 1815 als königl. Kammermusiker zu Berlin ange-
stellt. — In derselben Zeit lebte als Geigeninstrumentmacher zu Hambur<r
Michael Christoph H. Derselbe war ursprünglich Formschneider in einer
Hamburger Kattunfabrik gewesen. Unter seinen Instrumenten hatten beson-
ders die Bratschen und Contrabässe grossen Ruf, und seine Reparaturen galten
als vortrefflich.
Hill, ausgezeichneter englischer Orgelbauer, kurz vor 1800 zu London
geboren, erlerate bei seinem Vater seine Kunst und hat während seines langen
Lebens für viele Städte des Insclreichs vorzügliche Werke geliefert, welche
mit mancherlei neuen und geistreich erdachten Erfindungen und Verbesserungen
ausgestattet sind. Mendelssohn schätzte H. sehr hoch und hielt die von ihm
gebaute grosse Orgel in der Peterskirche zu London für das schönste Instru-
ment der Welt. H. starb im hohen Greisenalter im Jan. 1871 zu London.
Hill, Frederick, verdienstvoller englischer Pianist und Violinist, geboren
um 1760 zu Louth in Lincoln, wirkte in seinem Mannesalter als Musiklehrer
in London. — Sein Sohn Joseph H. , geboren in London, war als Pianist,
Harfenist und Orgelspieler, sowie als Musiklehrer gleichfalls rühmlich bekannt
und hat für diese Instrumente auch mancherlei componirt und veröffentlicht.
Hill, John, vorzüglicher englischer Kirchencomponist, geboren 1724 zu
Rugby in Warwickshire, in welcher Stadt er auch seinen bleibenden Wohnsitz
behielt und seine Werke schuf, die selbst Händel schätzte und als Meister-
arbeiten bezeichnete. Noch ein .Jahr vor seinem Tode, der am 19. Jan. 1797
erfolgte, gab er eine grosse geistliche Cantate, »Der erste Sabbath«, nach Mil-
ton's verlorenem Paradiese heraus, und in seinem Nachlasse fand man u. A.
noch zwei grosse Anthems.
Hill, Karl, ausgezeichneter deutscher Opern- und Concerisänger, geboren
um 1840 zu Idstein im Nassau'schen, war der Sohn eines Arztes und erhielt
schon früh Ciavierunterricht, den er als Gymnasiast in Wiesbaden eifrig fort-
setzte. Im 17. Jahre entwickelte sich seine klangvolle Baritonstimme, deren
Ausbildung sich der herzogl. Hofopernsänger Jeshewiz in Wiesbaden und
weiterhin der Musikdirektor Rühl mit dem erfreulichsten Erfolge unterzogen.
Zwar war H. vom Gymnasium zum Postfach übergegangen, sang aber unbe-
schadet dessen in fast allen Städten des Rheinlandes, sowie in Holland bei
Musikfesten, in Oratorien, Concerten und erwarb sich einen weitgehenden
Sängerruf. Als 1866 die Thurn- und Taxis'sche Post an Preussen überging,
beschloss H., sich ausschliesslich der Kunst zu widmen, da von der neuen
Verwaltung eine ähnliche Liberalität in Bezug auf Beurlaubungen nicht zu
erwarten war. H. sang zuerst am Stadttheater zu Frankfurt a. M. mit grossem
Erfolge, wurde aber schon 1868 an die Hofbühne zu Schwerin berufen, deren
bedeutendste künstlerische Kraft in Bass- und Baritonparthien er noch jetzt
ist. Mit Gehaltserhöhung und Pensionszusicherung ist er mittlerweile auch zum
grossherzogl. Kammersänger ernannt worden. Wiederholt gastirto er in Ham-
burg, Lübeck, Leipzig, Frankfurt a. M. , AVien u. s. w. und sang bei grossen
Aufführungen und Musikfesten in noch weit mehr Städten mit immer gleichem
grossen Erfolge. Als seine Haupt -Bühnenrollen gelten Jacob, Hans Helling,
der Jäger (im »Nachtlager in Granada«), Hoel, Don Juan, Leporello und Graf
Almaviva (im »Figaro«).
Hillebraud, guter deutscher Basssänger, war erst am kaiserl. Hofopern-
theater zu Wien engagirt, gastirte 1820 am Hoftheater zu Berlin als Ober-
priester (in der »Vestalin«), Sarastro, Durlinski (in »Lodoiska«) , Osmin und
Hess sich daselbst zum Verbleiben gewinnen. Mau rühmte damals seine um-
Hillepraiidt — Hiller, 287
fangreiclie, kräftige Bassstimme, die nur in der Mittellage zu wünschen übrio-
Hess, und sein vortheilliaftes Aeusserc. Im J. 1824 folgte er einem Rufe an
die Hof bühne zu Hannover, gastirte aber 1827 wiederum sehr beifällig in Berlin.
Wahrscheinlich ist er in Hannover bis zu seinem Tode verblieben.
Hilleprandt, Franz Edler von, begeisterter Musikfreund und Förderer
der Tonkunst, war Hof- und Geiichtsadvocat, Präsident der Advocatenkammer,
Secretär des Mozarteums, Vorstand der Filiale der deutschen Schillerstiftunö'
u. s. w. in Salzburg, Wo es Zwecke der Kunst und Humanität zu fördern
galt, da stand er obenan mit E,ath uud That und stets mit bestem Willen.
Das Verdienst, in dem Mozarteum (s. d.) ein Pflanzstätte classischer Musik,
eine Bildungsanstalt, die der Stadt zur Zierde gereicht, geschaffen zu haben,
gebührt fast ausschliesslich seinen rastlosen Mühen, Hochverehrt von seinen
Mitbürgern und von allen Künstlern, die jemals in Salzburg geweilt hatten,
starb er am 17. Septbr. 1871 in hohem Alter an einer Herzlähmung.
Hiller, Ferdinand, einer der hervorragenden Meister und Lehrer der
Tonkunst, wurde am 24. Octbr. 1811 zu Frankfurt a. M, als der Sohn eines
sehr angesehenen israelitischen Kaufmanns geboren. Da sich frühzeitig bei
dem Knaben musikalische Anlagen zeigten, so erhielt er von seinem siebenten
Jahre an Lectionen bei dem Violinisten Hofmann, bald darauf den Pianoforte-
unterricht von Aloys Schmitt und endlich theoretische Unterweisung bei Voll-
weiler. Wenngleich ihm der Vater die wissenschaftliche Studienlaufbahn vor-
geschrieben hatte , für die H. gleichfalls die glänzendste Begabung bekundete,
so gab er doch endlich dem glühenden Wunsche des Knaben und dem Eathe
musikalischer Autoritäten nach, dass derselbe sich gänzlich der Kunst widmen
durfte. Seit seinem zehnten Jahre componirte H. , und mit diesen Versuchen,
sowie durch sein Ciavierspiel erregte er die lebhafte Theilnahme von Mendels-
sohn, Moscheies, Schelble und Schnyder von Wartensee, die ihn immer enger
mit der Musik verbanden. Vierzehn Jahre alt, wurde H. dem vortrefflichen
J. N. Hummel in Weimar übergeben, welcher dem Schaffensdrang desselben
keine Fesseln anlegte, um so mehr, als er seinen Schüler nur pianistisch aus-
zubilden hatte. Er vermittelte sogar die Aufführung zweier Ouvertüren und
der Zwischenaktsmusik zu »Maria Stuart«, welche H. damals vollendet hatte,
im dortigen Hoftheater. Im Frühjahr 1827 begleitete H., der in Weimar auch
die reichlich gebotene Gelegenheit zur Erreichung einer allgemeinen Bildung
trefflich wahrgenommen hatte, so dass ihm selbst Goethe ein hohes Interesse
schenkte, seinen Lehrer Hummel auf einer Concertreise nach Wien, wo der
junge Künstler Beethoven kennen lernte, dessen Persönlichkeit einen mächtigen
Eindruck bei ihm hinterliess. Dort veröffentlichte er auch bei Haslinger sein
op. 1, ein in Weimar geschriebenes Ciavierquartett. Nach Frankfurt a. M.
in das elterliche Haus zurückgekehrt, trat H. als Pianist häufig öffentlich auf
und componirte fleissig, besondere für "den Schelble'schen Cäcilienverein, dessen
Accompagneur am Ciavier er geworden war. Im J. 1829 begab sich H. nach
Paris und blieb dort, anfangs an dem Choron'schen Institute als Lehrer der
Harmonie angestellt, dann privatisirend, immerfort aber eifrig studirend, einige
Reisen nach Deutschland abgerechnet, sieben Jahre, innerhalb deren er überaus
anregenden vertrauten Umgang mit Künstlergrössen wie Cherubini, Meyerbeer,
Rossini, Berlioz, Chopin, Liszt, Börne, Heinr, Heine und vielen anderen Aristo-
kraten des Geistes pflegte, in deren Kreis er als ein Ebenbürtiger aufgenommen
worden war. Er trat auch häufig öffentlich als Ciavierspieler mit dem grössten
Erfolge hervor, veranstaltete 1835 in Verbindung mit Baillot eine Reihe von
Concerten für Kammermusik und führte im Conservatorium Sinfonien und
andere grosse Werke seiner Composition auf, kurz, erregte ein nachhaltiges
Interesse bei den Franzosen, Von den damals herausgegebenen gediegenen
Arbeiten sind besonders sein Clavierconcert op. 5 und seine 24 Etüden op, 15
mit Auszeichnung zu nennen. Im J. 1836 kehrte H. nach Frankfurt zurück
und dirigirte für seinen tödtlich erkrankten Freund Schelble den Cäcilienverein.
238 Hiller.
Ein Jahr später ging er nach Italien und führte in Mailand, wo er sich zuerst
aufhielt, seine Oper »Romilda«, Text von Kossi, 1838 auf, welche jedoch durch-
fiel. Für diesen Misserfolg entschädigte ihn aber reichlich die glänzende Theil-
nahme, welche unmittelbar darauf sein Oratorium »Die Zerstörung Jerusalems«
zuerst in Leipzig, dann auch in den verschiedensten grösseren Concertstädten
Deutschlands fand. Den "Winter 1839 auf 1840 verlebte H. im Interesse dieses
AVerks in Leipzig, kehrte jedoch 1841 wieder nach Italien zurück und trat in
Rom in einen regen Verkehr mit Baini, dem Direktor der päpstlichen Kapelle,
durch den er die vergrabenen Schätze der altclassischen Kirchenmusik kennen
lernte. Im J. 1842 war er wieder in Deutschland und wechselte seinen Aufent-
haltsort zwischen Frankfurt, Leipzig, dessen Gewandhausconcerte er den Winter
von 1843 bis 1844 hindurch dirigirte, und Dresden, wo er Abonnementscon-
certe veranstaltete, welche auch auswärts die Aufmerksamkeit auf sich zogen.
Die ebendaselbst von ihm compouirte Oper »Conradin« wurde zwar am Hof-
theater aufgeführt, verschwand aber alsbald wieder.
Ein ehrenvoller E-uf führte H. 1847 nach Düsseldorf, wo er bis 1849 die
grossen Aufführungen leitete. In demselben Jahre wurde ihm die Stelle eines
städtischen Kapellmeisters in Köln und die Organisation und Direktion des
dortigen Conservatoriums übertragen, die er 1850 antrat und in welchen Stel-
lungen er sich, rastlos thätig, noch gegenwärtig befindet, so dass er zugleich
mit dem ihm anvertrauten Institute am 3. April 1875 sein eigenes 25jähriges
Jubiläum festlich begehen durfte. Während dieser Zeit war er drei Mal auf
längere Zeit in Paris, zuerst im Winter 1851 bis 1852, wo er die dortige
italienische Oper dirigirte, sodann 1853 und 1855, wo er mit glänzendem Er-
folge als Pianist und Instrumentalcomponist auftrat. Auch später hat er Köln
häufig, aber immer nur auf kürzere Zeit, behufs Direktions- und Virtuosen-
ausflügen nach Berlin, Dresden, Frankfurt, München, Braunschweig, Amsterdam
und besonders England, das ihm stets die ehrenvollste Aufnahme bereitete,
verlassen. Die grossen Rheinischen Musikfeste in den Pfingsttagen von 1853,
1855, 1858, 1859 u. s. w. standen ebenfalls unter seiner Direktion. Im Uebrigen
war seine Thätigkeit in Köln selbst und ist es bis zur Stunde eine sehr an-
gespannte, aber auch für die musikalischen Zustände des Rheinlandes eine sehr
bedeutungsvolle. Diese Stadt hat es fast ausschliesslich ihm zu danken, dass
sie in musikalischen Dingen mitgerechnet wird. Die dortigen grossen Güi'ze-
nichconcerte haben unter seiner Leitung, durch seine gediegenen Programme
und durch sein vortrefflich eingeübtes Orchester im Concertwesen der musi-
kalischen Welt eine beachtenswerthe Stellung erlangt und sind oft genug die
Stütze und Grundsäule für hervorragende Thaten junger Talente gewesen.
Als Componist ist H. sehr fruchtbar gewesen; seine neueste grössere Can-
tate »Mirjam's Siegesgesang« trägt die Opuszalil 151, eine Ziffer, die 1875
bereits wieder überstiegen war und eine bedeutende Anzahl umfangreicher
Werke einschliesst, als vier deutsche Opern (»Ein Traum in der Christnacht«,
1844, »Conradin, der letzte Hohenstaufe«, 1847, »Die Katakomben« und »Der
Deserteur«, 1865), zwei Oratorien (»Die Zerstörung Jerusalems« und »Saul«),
mehrere Cantaten (y>Ver sacruma, »Loreley«, »Mirjam's Siegesgesang«, »Die
Nacht«, »Pfingsten«, »Aus der Edda« u. s. w.), Hymnen, Psalme und andere
Kirchenmusiken, ferner drei Sinfonien, sieben Ouvertüren, Quartette, Trios,
Duos, Violinconcerte und meist reizvolle Pianofortesolos, bestehend in Sonaten,
Concerten, Capriccios, Rondos, Charakterstücken, Etüden, Märschen u. s. w.,
endlich Chöre , ein- und mehrstimmige Lieder und Gesäuge aller Art. Diese
grosse Menge Compositionen ist von sehr ungleichem Werthe; neben Arbeiten
voll genialer Inspiration und formaler Vollendung stehen unvermittelt andere,
welche dem sorglosesten Dahinwerfen ihr Dasein verdanken. Das Gelungene
von dem Missrathenen zu trennen, streng kritisch zu sichten und das fertig
Gewordene sorgfältig zu feilen, war niemals H.'s Sache; er hätte sonst bei
Beiner Begabung, Erfindung, Phantasie und technischen Meisterschaft eine ton-
HUler. 239
angebende Stellung in ganz Deutschland einnehmen, einem Mendelssohn, mit
dem ex' so manchen verwandtschaftlichen idealen Zug gemein hat, gleichkommen
müssen. Als Pädagoge hat H. eine ganze Reihe berühmt gewordener Schüler
herangebildet, von denen Max Bruch und Fr. Grernsheim unter den Ersten
stehen dürften. Auf diesem Gebiete seiner Thätigkeit veröffentlichte er ein
Lehrbuch mit »Uebungeu zum Studium der Harmonie und des Contrapunkts«
(2. Aufl., Köln, 1860). Dies leitet auf H. den musikalischen Schriftsteller,
der durch seine ästhetisch -kritischen Artikel im Feuilleton der »Kölnischen
Zeitung« zu den geistvollsten und berufensten Musikern gehört, die jemals die
Feder geführt haben, um sich über ihre Kunst vernehmen zu lassen. Origi-
nelles, Glänzendes sticht überall hervor, und das Bekannte, Geläufigere weiss
er mit einer Grazie zu sagen, welche unwiderstehlich fesselt. Während nur
zu viele Kunstschriftsteller sich bemühen, den Gedanken zu schminken, versteht
es H. , vermöge unvergleichlicher stylistischer Meisterschaft, ihn zu vergolden.
In Buchform erschienen von diesen zerstreuten Feuilletons: »Die Musik und
das Publikum« (Köln, 1864) und »Aus dem Tonleben unserer Zeit« (2 Bde.,
Leipzig, 1867; neue Folge, Leipzig, 1871).
Hiller, Johann Adam, eigentlich Hüller geheissen, ein als Componist,
Gesanglehrer und Musikschriftsteller hochverdienter deutscher Tonkünstler,
wurde am 25. Decbr. 1728 zu Wendisch - Ossig bei Görlitz als der Sohn des
dortigen Dorfschulmeisters geboren. Früh verwaist, sah er sich auf Verwer-
thung seiner schönen Discantstimme in Singechören angewiesen, trieb eifrig
Ciavier- und Violinspiel und übte sich auf allen Instrumenten, die ihm zu-
gänglich waren. Auf dem Gymnasium in Görlitz, in welcher Stadt ein Golle-
gium musicum errichtet wurde, und auf der Kreuzschule zu Dresden unter Ho-
milius, der ihn im ClaviersiDiel und Generalbass unterrichtete und fleissig
Hasse'sche Opernpartituren abschreiben Hess, legte er den Grund zu seiner
höheren allgemeinen wie musikalischen Bildung. Seine Armuth zwang ihn,
durch allerlei Nebendienste seinen Unterhalt zu erwerben, und aus dieser Ur-
sache auch konnte er erst 1751 die Univei'sität Leipzig beziehen, um die Rechte
zu studiren. Des Broderwerbs wegen wirkte er in den Concerten, wo es gerade
nöthig war, bald als Contrabassist, bald als Flötist mit. Hasse und Graun
wai'en seine musikalischen Ideale, die er gründlich studirte, während er J. S.
Bach und auch spätei-hin Gluck weniger Geschmack abgewinnen konnte. Auf
Geliert's Empfehlung wurde H. 1754 Hofmeister des jungen Gi'afen Brühl in
Dresden, Sohnes des allmächtigen sächsischen Ministers, mit dem er 1758 wieder
die Universität zu Leipzig besuchte. Damals setzte er Geliert's geistliche
Lieder und andere Gedichte in Musik, wurde aber durch Yerdüsterung und
Hypochondrie, welche ein früher Kampf mit Noth und Elend, sowie eine finstere
Auffassung der damaligen Weltlage bei ihm hervorgerufen hatte, von belang-
reicheren Ai-beiten abgehalten. Wie um sich zu zerstreuen , begann er im
Octbr. 1759 mit der Begründung einer musikalischen Wochenschrift unter dem
Titel »Wöchentlicher musikalischer Zeitvertreib«, Gesangcompositionen theils
heiterer, theils ernster Art, meist von H. selbst verfasst, und kleinere Instru-
mentalstücke enthaltend. Im praktischen Fache war damals nichts Aehnliches
bekannt, und dies Unternehmen fand daher bald Nachahmung.
Im J. 1760 legte H. seine Hofmeisterstelle nieder, lehnte sogar einen Ruf
als Professor nach St. Petersburg ab und lebte privatisirend in Leipzig. Das
Leipziger grosse Concert, dessen Leitung er 1763 übei'uahm und welches ihm
im Wesentlichen seine Einrichtung verdankt, führte ihn wieder mehr in die
Oeffentlichkeit. Hier Hess er sich die Förderung des Gesanges ganz besonders
angelegen sein. Zu diesem Zwecke errichtete er 1771 eine unentgeltliche Sing-
schule für Frauen und Knaben, in welcher viele treflBiche Sängerinnen von ihm
gebildet wurden; Corona Schröter und Gertrud Schmähling, nachmalige Mara,
waren schon vorher seine Schülerinnen. Bald nach dem siebenjährigen Kriege
hatte er eine andere Wochenschrift: »Wöchentliche Nachrichten und Anmer-
240 Hiiler.
kungeu, die Musik betreffend« (17G6 bis 1770) begonnen, welche wiederum
Corapositionen, unter diesen die Aufsehen machenden Lieder von J. Th. Her-
mes (s. d.), aber auch eine Reihe von historischen, kritischen, theoretischen
Mittheilungeu u. s. w., ebenfalls aus H.'s Teder, brachte. Auch das Leipziger
Theater gelangte damals unter Koch zur Blüthe, und auf dessen Veranlassung
dichtete Felix Weisse deutsche Operetten nach Art der in Paris sehr beliebten
französischen, die H. für eine Truppe, welche höchstens Lieder singen konnte,
sehr geschickt in Musik setzte.
So erschienen die in ganz Deutschland Epoche machenden, überaus po-
pulär gewordenen Operetten: »Die verwandelten Weiber«, »Der lustige Schuster«,
»Lottchen am Hofe«, »Die Liebe auf dem Lande« und besonders »Die Jagd«,
welche letztere noch nach hundert Jahren auf der Bühne fortlebte. Von an-
deren gefielen noch: »Der Dorf barbier«, »Der Erntekranz«, »Die Jubelhochzcit«
und »Das Grab des Mufti«. Nicht minder hielt man seine zahlreiclien kleinen
Lieder für mustergültig, und in der That bahnten dieselben für ihre Gattung
einen neuen, besseren, minder zopfigen Geschmack an. Mit dem sogenannten
grossen Concert, dem er 1775 mit den Knaben und Mädchen seiner Singschule
einen neuen Aufschwung verlieb, konnte er 1781 als Direktor, zum ersten
Male in seinem Leben mit einem kleinen Jahrgehalt bedaclit, den eben fertig
gewordenen Concertsaal im Gewandhause beziehen. Ein Jahr später reiste er
mit seinen Schülerinnen, den Schwestern Podleski, nach Mitau, organisirte dort
dem Herzog von Kurland eine Kapelle und ei'hielt eine Jahrespension von
600 Thalern, sowie den Kapellmeistertitel. Auf der Rückreise nach Leipzig
veranstaltete H. in verschiedenen Städten Händel - Aufführungen , so 1786 in
Berlin den »Messias«, 1787 in Breslau, wo er 16 Concerte ankündigte, den
»Judas Maccabäus«, dann aber auch Haydn's y>Stabat matera^ und Graun's »Tod
Jesu«, in welchen Werken seine beiden Töchter als Sängerinnen mitwirkten.
Als Doles 1789 das Cantorat in Leipzig niederlegte, wui'de H. sein Nachfolger
als Cantor und Musikdirektor der Thomasschule und liess sich in diesem Amte,
trotz seiner immer stärker wieder überhand nehmenden Hypochondrie, die
Pflege und Verbesserung des Kirchengesanges sehr angelegen sein, ebenso wie
er sich jedes einzelnen Schülers, in dem er musikalisches Talent fand, aufs
Treueste annahm.
Seitdem fanden seine Motetten und besonders das von ihm verfasste
»Choralbuch« (Leipzig, 1793; Nachtrag und Anhang dazu ebendas. 1794 und
1797), mancher Ausstellungen ungeachtet, die man nicht mit Unrecht in har-
monischer Beziehung an demselben machte, eine allgemeine A^erbreitung. Ob-
wohl mit Vorliebe einem Hasse, Graun und Händel ergeben, deren Werke er
bevorzugte, verschluss er sich dennoch nicht dem neuen Style eines Haydn
und Mozart. Das Uequiem des Letzteren schrieb er sich eigenhändig ab und
setzte auf den Titel: f>Ojjus summum viri siimmi W. Ä. Mozartvi. Nachdem H.
1801 mit Belassung seines vollen Gehaltes und freier Wohnung in den wohl-
verdienten Ruhestand versetzt worden war, ergab er sich gänzlich seinem un-
heimlichen alten Begleiter, dem Trübsinn, und starb endlich am 16. Juni 1804
an gänzlicher Entkräftung. Die dankbaren Schülerinnen Podleski setzten ihm
1832 das Denkmal, welches sich vor der Thomasschule in Leipzig befindet.
H.'s Bedeutung als Compouist von Liedern und Operetten (vierzehn an der
Zahl) ist weiter oben schon gewürdigt worden. Seine Instrumentalwerke für
Orchester (darunter 30 Sinfonien) , Kammermusik und Ciavier dagegen haben
der Zeit schon längst ihren Ti'ibut geopfert. Unter seinen Kirchenwerken,
bestehend aus Hymnen, Psalmen, Chöi-en und Arien, Duetten, Terzetten, Can-
taten, Misereres, Kyries, Glorias und einer Menge Choralmelodien, zeichnet sich
der 100. Psalm als eigenthümlich und werthvoll aus; als Sammelwerk verdienen
seine sechs Bände Motetten noch jetzt alle Beachtung. Schulwerke von ihm
sind eine Violinschule und mehrere Singmethoden, von denen die verdienstvolle
»Anweisung zum Singen« lange Zeit hindurch mit Recht hochgeschätzt und
Hillmer — Hilton. 241
viel benutzt wurde. — Sein Sohn, Friedrich Adam H., geboren 1768 in
Leipzig, lernte beim Vater Gesang und Violinapiel und erwarb sich andere
gediegene Kunstkenntnisse. Seit 1783 trat er vielfach öffentlich als Sänger
und Violinist in seiner Geburtsstadt auf und ging 1789 als Tenorist zur Tilly'-
schen Schauspielergesellschaft nach Rostock, vertauschte aber schon im folgen-
den Jahre diese Stelle mit der eines Musikdirektors am Theater zu Schwerin,
wo er sich zugleich als Violinist sehr auszeichnete, bis er 1796 in derselben
Eigenschaft zum neu gegründeten Nationaltheater in Altena übertrat. Im
J. 1803 wurde er von dort als Dirigent an das Theater zu Königsberg i. Pr.
berufen und erwarb sich daselbst als talentvoller Künstler und biederer Mensch
die grösste Hochachtung. Er begann 1812 Vorlesungen über Musik zu halten,
in denen er neue Ideen zu Tage brachte und sich als trefflich unterrichteter
und denkender Tonkünstler zeigte. Kaum hatte er aber diesen Kursus beendet,
als er auch schon am 23. Novbr. 1812 starb. Er hat vier Operetten (»Adel-
stan und Röschen«, »Das Schmuckkästchen«, »Die drei Sultane« und »Das
Nixenreich«), ein Festspiel (»Friedrich von Schiller's Manen«), Arien, Gesänge
und Instrumentalstücke zu verschiedenen Dramen, Hymnen, sechs Streichquar-
tette, Variationen für Violine, eine vierhändige Ciaviersonate u. s. w. componirt,
gemüthvolle, wenn auch nicht gerade tiefe Musik.
Hillmer, Friedrich, denkender deutscher Tonkünstler und guter Violinist,
geboren um 1762 zu Berlin, trat 1798 daselbst mit einem von ihm erfundenen
Instrumente, welches er »Alldrey« nannte, öffentlich als Virtuose auf. Dies
Instrument, au welchem er, laut seiner Aussage, sechs Jahre lang gearbeitet,
war 14^/2 Zoll lang und 10 Zoll breit, hatte zehn Saiten, von denen vier be-
sponnen waren und wurde mit Bogen und Finger gespielt. Das Griffbrett
war 10 Zoll lang, 3^2 Zoll breit und konnte durch einen Mechanismus den
Saiten bald näher, bald entfernter, auch nach Erforderniss höher gebracht
werden. Ebenso brachte H. beim Polychord eine Verbesserung an, die ihm
nach seiner Anzeige von 1818 durch eine besondere Richtung des Steges ge-
lungen sein sollte. Auch auf diesem Instrumente, sowie auf einem änderen,
von ihm Violalin genannt, Hess er sich in Berlin hören. Endlich führte er
1836 ein ebenfalls von ihm erfundenes und »Tibia« genanntes transportables
Ciavier von fünf Octaven Umfang vor. Alle diese Instrumente gehören in die
Reihe der bald wieder verschollenen Erfindungen. H. selbst war seit 1811
königl. Kammermusiker und Bratschist der Hofkapelle zu Berlin, wurde 1831
als Correpetitor derselben pensionirt und starb am 15. Mai 1847. — Für die
von ihm erfundenen Instrumente, namentlich für Alldrey, hat er auch man-
cherlei componirt. — Sein Sohn, Joseph H., geboren 1824 zu Berlin, Hess
sich schon 1833 mit Beifall als Violinist hören und unternahm später auch
mit seinem Vater eine grössere Kunstreise. Seinem Instrumente, sowie dem
Gesänge widmete er eingehende Studien," wurde 1850 als königl. Kammermusiker
angestellt und wirkt daneben sehr erfolgreich als Gesanglehrer, welcher auch
der Bühne schon manche bewährte künstlerische Kraft zugeführt hat, und als
Dirigent des Philharmonischen Vereins in Berlin.
Hillmer, Gottlob Friedrich, trefflich gebildeter Dilettant und in seiner
Jugend als Sänger, Ciavierspieler und Liedercomponist sehr geschätzt, wurde
am 21. Febr. 1756 zu Schmiedeberg in Schlesien geboren. Er studirte in
Breslau und Halle, wurde später Inspektor und Gesellschafter des Prinzen
Eugen von "Würtemberg, 1791 Geheimer Consistorialrath , 1794 Mitglied der
geistlichen Immediat-Examinationscommission zu Berlin und 1798 in den Ruhe-
stand versetzt. Zu Neusalz in Schlesien, wo er seine Pension verzehrte, starb
er am 4. März 1835. Seine Oden und Lieder erschienen in der Zeit von
1781 bis 1787 und fanden weite Verbreitung.
Hilton, John, guter englischer Vocalcomponist, war in der ersten Hälfte
des 17. Jahrhunderts Baccalaureus der Musik und Organist an der Marga-
rethenkirche zu Westminster in London. Er starb nach 1649 und hat geist-
Musikal. Convers.-Lexikon. V. 16
\
242 Himmel — Himmelfahrt.
liehe land weltliche ö-esänge componirt, die Hawkins zu den besseren jener Zeit
rechnet. — Ein Landsmann und Namensgenosse von ihm, Walthei' H., Car-
thäusermönch um 1430, ist der Verfasser eines Tractats »De musica eccle-
siastican.
Himmel) Friedrich Heinrich, trefflicher Clavierspieler und beliebter
deutscher Coraponist, geboren am 20, Novbr. 1765 zu Treuenbrietzen in der
Provinz Brandenburg von unbegüterten Eltern, studirte in Halle Theologie
und hatte sich nach Potsdam b 'geben, um zum Antritt einer Feldpredigerstelle
das Examen zu bestehen, als König Friedrich Wilhelm II. Gelegenheit fand,
sich von seiner Fertigkeit im Clavierspiel und seinem musikalischen Talent
überhaupt zu überzeugen, worauf er ihn durch Aussetzung eines Jahrgehaltes
in den Stand setzte, sich ganz der Tonkunst zu widmen. H. ging nun zu-
nächst nach Dresden, wo er unter Naumann Composition und Contrapunkt
studirte, und nachdem er in Berlin 1792 sein Oratorium y>Isaacco figura del
redentorea, Text von Metastasio, zur Aufführung gebracht liatte, ernannte ihn
der König zum Kamraercomponisten und liess ihn eine Studienreise nach Italien
antreten. In Venedig erntete H. als Operncomponist mit dem Pastorale »//
primo navi(jfatorei< 1794 reichen Beifall, nicht minder ein Jahr später in Neapel
mit yySemiramidea. Nach seiner Rückkehr wurde er 1795 an Reichardt's Stelle
königl. Kapellmeister in Berlin und schrieb nun ununterbrochen Cantaten und
dergl. für die Hoffeste und Trauertage des preussischen Königshauses. Nach-
dem er zur Huldigung Friedrich Wilhelm's III. ein vierstimmiges Te deum
mit Orchester componirt, und am 8. Juli 1798 aufgeführt hatte, reiste er
nach Stockholm und St, Petersburg. Für den russischen Hof schrieb er
1798 die Oper »Alessandro«, welche ihm 6000 Rubel einbrachte, verweilte 1799
in Riga und kehrte über Schweden und Dänemark 1800 nach Berlin zurück.
Dort brachte er 1801 seine dreiaktige Oper »Vasco de Gaman im Opernhause
und im Nationaltheater sein Liederspiel »Frohsinn und Schwärmerei« zur Aul-
führung und machte dann Kunstreisen nach Paris, London und Wien. Am
16. Mai 1804 erschien in Berlin seine dreiaktige Operette »Fanchon, das Leier-
mädchen«, Text von Kotzebue, die in ganz Deutschland einen fabelhaften Er-
folg hatte. Ihr folgten 1806 »Die Sylphen«, eine Zauberoper, und 1811 das
Singspiel »Der Kobold«, zuerst in Wien, wohin H. seine letzte Reise unter-
nommen hatte, gegeben. Er starb am 8. Juni 1814 an der Wassersucht zu
Berlin. Gerade an seinem Todestage wurde »Fanchon« aufgeführt. — H. hat
noch eine Menge von Liedern und Gesängen componirt, von denen nicht wenige
ausserordentlich populär geworden sind, so besonders »Es kann ja nicht immer
so bleiben« , »An, Alexis send' ich dich« und »Vater , ich rufe dich« , ferner
mehrere Clavierconcerte, Kammermusiksachen verschiedener Art, Kirchenstücke
(darunter besonders das »Vater Unser» von Mahlmann und mehrere Psalme)
u. s. w. Ein vollständiges Verzeichniss findet sich in Ledebur's »Tonkünstler-
Lexikon Berlins« (Berlin, 1860). Einfache, liebenswürdige, sinnige Melodik,
aber Mangel an Tiefe der Gedanken und an Grösse des Styls charakterisirt
H.'s Compositionsweise. Beethoven urtheilt über ihn: »er besitze ein ganz
artiges Talent, weiter aber nichts«, und sein Lehrer Naumann sagt: »Hätte er
in früheren Jahren strenger gegen sich selbst sein, mehr studiren, mehr Fleiss
anwenden mögen, er wäre gewiss einer der grössten Meister seiner Zeit ge-
worden.« Als Clavierspieler hatte H. einen sehr angenehmen Vortrag und
besonders einen reizenden Anschlag.
Himmelbauer, Wenzel, berühmter Violoncellovirtuose aus Böhmen, lebte
1764 in Prag, dann, in der Hof kapeile angestellt, in Wien, wo er auch als
Gesanglehrer grossen Ruf erlangte. Sein Spiel wurde als kräftig und rein
gerühmt und seine Feitigkeit im Notenlesen bewundert. Gedruckt sind von
seiner Composition Duos für Flöte oder Violine und Violoncello (Lyon, 1776),
andere Duos für Violoncello jedoch Manuscript geblieben.
Himmelfahrt bezeichnet das geheiranissvolle Scheiden Jesu von der Erde
Hinaufstrich — Hinestrosa. 243
am vierzigsten Tage nach seiner Auferstehung, das von dem Evangelisten Lucas
als ein sichtbares Verschwinden desselben in einer Wolke erzählt wird. Zum
Andenken daran feiern die Christen aller Bekenntnisse jährlich am Donnerstage
in der fünften Woche nach Ostern als ein hohes Fest das Himmelfahrts-
fest (latein. : Festum ascensionis domini). In der römisch-katholischen Kirche
ging früher (und jetzt noch in Frankreich) der Messe eine feierliche Pro-
zession ausserhalb des Gotteshauses voraus, wobei Reliquien der Heiligen mit-
getragen und nebst verschiedenen, den Evangelien entnommenen Responsorien
oder Antiphonen auch der Preisgesang des Portunatus r>Salve festa dies« ab-
gesungen wurde. Die Prozession selbst sollte den Gang der Apostel zum Oel-
berg darstellen, von dem aus Christus sich in die Wolken erhoben haben soll.
Ehemals war diesem Tage eine eigene Sequenz: yyUea: omnipotens die kodierna<(.
zugetheilt. An manchen Orten hat sich eine seltsame bildliche Darstellung der
H. erhalten. Vor der Vesper begiebt sich der Clerus im Festornate in die
Mitte der Kirche , wo eine Bildsäule Christi auf einem kleinen Altar bereitet
ist, um in die Höhe gezogen werden zu können. Nach dem feierlich durch
den Diakon abgesungenen Evangelium stimmt der Celebrant drei Mal mit
immer mehr erhobener Stimme den Vers an: »Äscendo ad |;a^re?» meumn und
der Chor setzt ihn fort mit: riDeum meum et deum vestrum, alleluja«. Hierauf
wird die Figur in die Höhe gezogen, und nach dem Verschwinden derselben
über dem Gewölbe stimmt der Celebrant die Oration an. Nach dem festlich
gesungenen »Benedicamus domino« beginnt sodann die Vesper.
Hinaufstrich oder Aufstrich (s. d.) bezeichnet bei Bogeninstrumenten,
die beim Spiel wagerecht gehalten werden, als Violine, Bratsche, Viole d'amour
u. s. w., die Führung des Bogens mit aufwärts und von rechts nach links sich
bewegendem Arme, so dass also der mit der Spitze aufgesetzte Bogen nach
dem Frosche zu über die Saiten sich bewegt (s, Herabstri ch).
Hiudle, Johann, ausgezeichneter deutscher Contrabassvirtuose und Com-
ponist für sein Instrument, geboren am 10. Febr. 1792 in Wien von unbe-
mittelten Eltern , lernte in einer öffentlichen Schule Singen und Violoncello-
spielen, was ihn befähigte, als Lehrling eines Geigenmachers durch rastlose
Uebung ohne fremde Anleitung sich auf dem Contrabass einzuspielen und 1817
mit einem enormen Erfolge öffentlich sich hören zu lassen. Ein Jahr später
trat er in das Orchester des Theaters an der Wien, dem er an zwanzig Jahre
lang angehörte, worauf er Orchestermitglied des kaiserl. Hofburgtheaters wurde.
Im J. 1821 besuchte er die österreichischen Provinzstädte und 1827 Prag,
Dresden, Leipzig und Berlin, wo er das grösste Aufsehen erregte. Seine
Fertigkeit, Reinheit und Feinheit des Spiels, sowie seine Sicherheit bei An-
wendung der Flageolettöne sollen unvergleichlich gewesen sein. Er starb am
9. Aug. 1862 in Wien. — Sein Sohn, Andreas H., machte sich seit 1836
als Pianist und trefflicher Musiklehrer in Wien bekannt.
Hindola ist der Name einer der Töchter des Brahma und der Saraswati,
deren Benennung die Inder auch einer ihrer Raga's (s. d.) beigelegt haben.
Die Tonfolge der H. genannten Raga, eine der zwei, welche genau durch unsere
Notenschrift darstellbar und nicht sieben Stufen in der Octave besitzt, ist fol-
gende, deren indische Tonbenennung unter der Note hier beigefügt ist:
-^ —
1
ma, dha, ni, sa, ^a, raa.
0.
Hinestrosa, Luis Venegas de, spanischer Musikgelehrter des 16. Jahr-
hunderts, ist der Verfasser eines Trautats über Notation und Tabulatur für
Laute, Harfe und Viola, über Choral- und figurirten Gesang, sowie über den
Contrapunkt, betitelt: nTratado de cifra de nueva para tecla, arpa y vicjuela,
de canto llano, de uryano y contrapuntov^ (Alcala, 1557).
10*
244 Hingston — Hinterbalgfalte.
Hingstou, John, englischer Organist des 17. Jahrhunderts, ein Schüler
des Orlando Oibbons, war erst bei Karl I., dann bei Oliver Cromwell ange-
stellt, dessen Kinder er auch unterrichtete und in dessen Hause er Concerte
gab. Sein berühmtester Schüler war der nachmalige Dr. Blow.
Hinkel, Franz, trefflicher deutscher Violoncellist, geboren 1804 zu Alten-
burg, wurde 1835 als königl. Kammermusiker in Berlin angestellt und veran-
staltete daselbst 1836 im Verein mit Constantin Decker Concerte für Kammer-
musik. Er starb bereits am 20. April 1838 zu Berlin.
Hinubnrg, AVilhelm, deutscher Musiker, war 1535 Cantor in Jüterbock
und hat eine Auswahl von zwei- und dreistimmigen Chorälen veröflPentlicht.
Hinner, deutscher Harfenvirtuose, der sich um 1770 nach Paris begab
und dort Aufsehen machte. G-eringen Erfolg dagegen hatte daselbst seine
Operette t>La fausse delicatesse«, die er 1776 aufführen Hess. Bis 1781 war er
in Diensten der Königin, reiste nach London und lebte dann wieder in Paris,
wo er noch 1805 sich befand. Er veröffentlichte von seiner Composition So-
naten, Variationen, Duos u. s, w, für Harfe.
Hiurichs, Johann Christian, s. Heinrich.
Hiurichs, Johann Peter, deutscher Instrumentenmacher gegen Ende des
18. Jahrhunderts, machte sich besonders dadurch vortheilhaft bekannt, dass er
mit grossem Geschick die guten englischen Flügel nachahmte.
Hiurichs, Franz, deutscher Liedercomponist, geboren um 1830 zu
Halle a. S., woselbst er auch die Rechte studirte. Der vertraute Umgang mit
Hob. Franz, der zuerst sein Musiklehrer war, später sein Schwager wurde,
regte ihn zu einer Anzahl sinniger Compositionen im Liedfache an, welche sich
allerdings von der Franz'schen Compositionsweise ganz und gar beeinflusst
zeigen, aber gebildete Musikfreunde interessiren dürfen.
Hiusch, Albert Anton, deutscher Orgelbauer aus Hamburg, lebte gegen
die Mitte des 18. Jahrhunderts hin in Grroniugen und besass in den Nieder-
landen einen bedeutenden Buf in seinem Fache. Von seinen Arbeiten rühmte
man besonders die Orgelwerke in der lutherischen Kirche zu Grroniugen und
in der reformirten Kirche zu Midwolde, sowie die Reparatur des berühmten
Instruments in der Martinskirche zu Groningen (1740). — Ein Orgelvirtuose,
Ewald H., aus Danzig gebürtig und von Joh. Jac. Frohberger unterrichtet,
war in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundei'ts als Hoforganist in Kopenhagen
angestellt und wurde als grosser Meister auf seinem Instrument gerühmt.
Hinstrich nennt man bei denjenigen Saiteninstrumenten, deren Saiten beim
Spielen senkrecht laufen, also bei Violoncello, Violdigambe und Contrabass, die
dem Hinaufstrich (s. d.) der wagerecht gehaltenen Bogeninstrumente con-
forme Procedur mit dem Bogen. Der letztere wird beim H. mit der von rechts
nach links sich bewegenden rechten Hand von der Spitze nach dem Frosche
zu über die Saiten geführt, nur dass er hier eine wagerechte, beim Hinauf-
striche eine mehr senkrechte Haltung hat. Näheres über beide Stricharten bietet
der Artikel Herab strich.
Hinterarm. In der Instrument-, besonders der Orgelbaukuust tritt oft
die Anwendung von Druck- oder Winkelhebeln ein. An jedem solchen Hebel,
wie jedes Lehrbuch der Physik klar macht, unterscheidet man zwei Arme,
nämlich die Theile desselben, welche vom Unterstützungspunkt nach verschie-
dener Richtung sich von einander entfernen. Der Arm, auf den die Kraft
wirkt, wird Vorder-, der demselben abgewandte der Hinterarm genannt.
Dem entsprechend nennt man den Theil der Balg taste (s. d.) bei der Orgel,
auf den der Balgtreter (s. d.) sich stellt, den Vorderarm, und den anderen,
vom Ruhe- oder Unterstützungspunkte derselben bis zum Balgkopf (s. d.)
den H. der Taste, wie denn auch bei der Manualtaste die sogenannte blinde
Taste der H. derselben genannt wird. Ebenso wendet der Orgelbauer diesen
Fachausdruck in Bezug auf Wellen- und Registerstangentheile au. 0.
Hinterbalgfalte, schlechtweg auch Hinterfalte, uennt der Orgelbauer
Hinterbalgfaltenspäliue — Hippothoros. 245
die am Scliwanzende eines Balges befindliche, aus zwei mit Leder verbundenen
sogenannten Späbnen bestehende Palte desselben, 0.
Hinterbalgfaltenspähne oder kurzweg Hinterspähne nennt der Orgel-
bauer die schmalen Brettchen, welche zur Fertigung der Hinterbalgfalte noth-
wendig sind. Man unterscheidet bei diesen noch die Hinterober- und Hin-
terunterbalgfaltenspähne. 0.
Hinteroberbass nennt Adlung in seiner Mus. mecJi. org. pag. 233 eine
Abtheilung der Göi-litzer Orgel, und zwar die hinter der Manuallade des Ober-
claviers befindliche Pedalwindlade nebst Zubehör. Sonst ist dieser Fachausdruck
nicht in Anwendung gekommen. 0.
Hinteroberbalgfaltenspähne, s. Hinterbalgfaltenspähne.
Hintersatz heisst in den alten Orgeln das vom Principal oder Prästanten
geschiedene Pfeifenwerk, welches nicht durch Schleifen in verschiedene Stimmen
gesondert war, sondern beim Niederdruck einer Taste stets mixturartig zu-
sammen ansprach. Der Name H. i'ührt daher, weil dieses Pfeifenwerk hinter
den Prästant, die vorn im Prospekt aufgestellte Hauptstimme, gesetzt wurde
(s. auch Principal und Orgel).
Hinterspähne, s. Hinterbalgfaltenspähne.
Hinterunterbass ist in Adlung's Mus. mech. org. pag. 233 der Name für
eine Abtheilung der Görlitzer Orgel, nämlich der hinter der Manuallade des
Untei'claviers befindlichen Pedalwindlade nebst Zubehör. Sonst ist dieser Fach-
ausdruck nicht wieder vorgekommen. 0.
Hinterunterbalgfaltenspähne, s. Hinterbalgfaltenspähne.
Hinterwellenarm, s. Hinterarm.
Hintze, Jacob, deutscher Instrumentalmusiker und Gresangscomponist, ge-
boren 1622 zu Bernau unfern Berlin, war um 1666 kurfürstl. brandenburg'-
scher Hofmusicus in Berlin und zog sich später in seine Grebui-tsstadt zurück,
in welcher er, den Euf eines vorzüglichen Contrapunktisten hinterlassend, 1695
starb. Er besorgte die zwölfte Ausgabe von Joh. Crüger's y>Fraxis. ■pietatisu
(Berlin, 1690) und hängte derselben 65 »geistreiche epistolische Lieder«, Me-
lodien von ihm selbst zu Texten von Jos. Hermann an, von denen jedoch keine
mehr im kirchlichen Gebrauch ist. "Wohl aber sind unter den Liedern, durch
welche diese Ausgabe auf 1220 Nummern gebracht wurde, sechszehn andere
ebenfalls von ihm, von denen das Lied »Gieb dich zufrieden«, Text von Paul
Gerhardt, und »Alle Menschen müssen sterben«, Text von Albinus, letzteres
von H. componirt oder wenigstens geändert, noch jetzt gesungen werden.
Hinze, Joseph Simon, s. Häntz.
Hippasos, ein pythagoräischer Philosoph und Tonkünstler des alten Grie-
chenlands, geboren in Metapont, nach Anderen in Kroton, soll über Musik
geschrieben haben und zuerst die Proportionen der Töne aus der Langsamkeit
und Geschwindigkeit der schwingenden Saite berechnet haben, während sein
Lehrer Pythagoras dieselben gemäss der Länge und Schwere der Saiten
feststellte.
F Hippias, altgriechischer Sophist aus Elis, um 400 v. Chr., der Zeitgenosse
des Socrates, machte sich namentlich durch seine übertriebene Eitelkeit und
Prahlerei, die auch Piaton in zwei nach ihm benannten Dialogen geisselt, im
ganzen Alterthum bekannt. Er soll auch über Musik geschrieben haben.
Hippokrene (griech.), d. i. Eossquelle, hiess der vom Abhänge des Berges
Helikon in Böotien begeisterndes "Wasser sprudelnde Quell, weil er der Sage
nach in Folge eines Hufschlags des Pegasus entstand. Er war dem Apollon
und den Musen heilig, und Alle, die aus ihm tranken, fühlten sich zu Gesang
begeistert.
Hippolythus, Blas ins, gelehrter Mönch und Tonkünstler der ersten HäKte
des 16. Jahrhunderts, welcher von 1547 bis 1549 im Kloster ürspringen in
Schwaben vierzig Schülerinnen Figuralmusik lehrte. Er starb im J. 1549.
Hippothoros (griech. mno^oQog, d. i. Beschäler) oder Hipponomos war
246 Hire — Hirschau.
bei den alten Griechen der Name einer bestimmten Melodie (griech. Nomos),
welche bei der Begattung der Pferde gespielt wurde, um den Segen der Götter
dem Acte zuzuwenden. 0.
Uire, Philippe de la, vorzüglicher französischer Mathematiker, geboren
1638 zu Paris, war Professor und Lehrer am königl. Collegium daselbst und
hat in seinem mathematischen Hauptwerke auch den Touberechuungen einen
grösseren Abschnitt gewidmet.
Hirsch, Andreas, ein lutherischer Geistlicher der zweiten Hälfte des 17.
Jahrhunderts, machte sich musikalisch durch einen von ihm geliefei'ten Abriss
aus der zweibändigen y>Musurgia universalis^ des berühmten Jesuiten Athanasius
Kircher bekannt.
Hirsch, Leopold, guter deutscher Violinist und Instrumentalcomponist,
war bis 1790 Mitglied der unter Jos. Haydn's Direktion stehenden fürstl.
Eszterhazy'schen Kapelle zu Eisenstadt in Ungarn und wurde hierauf im Hof-
theater-Orchester zu Wien angestellt. Er componirte u. A. Violinduette, eine
Serenade (Cassation) für zwei Violinen, Oboe und Violoncello, Streichquartette,
Variationen für Violine, Duette für Violine und Violoncello, für zwei Flöten
u. s. w. H. war 1811 noch am Leben.
Hirsch, Rudolph (Johann), ein bekannterer deutscher Dichter, Lieder-
componist und Schriftsteller, geboren am 1. Febr. 1816 zu Napagedl im Länd-
chen der Hannaken in Mähren, war der Sohn des dortigen Justizamtmanns
und zum Juristen bestimmt. Er absolvirte in Folge dessen das Gymnasium
zu Olmütz, dann zu Brunn, trieb nebenbei eifrig Clavierspiel und Generalbass
und bezog die Universität zu Wien, wo er mit dichterischen Versuchen aller
Art und mit der ästhetisch und kritisch unreifen Schrift »Gallerie lebender
Tondichter« (Güns, 18.S6) öffentlich hervortrat. Von 1839 bis 1840 practicirte
H. beim Magistrat zu Brunn und übernahm sodann in Leipzig die Redaction
der Zeitschrift »Komet«, welche er bis Anfang 1843 fortführte. Er gründete
hier ferner das »Album für Gesang«, eine in vier Jahrgängen erschienene
Sammlung von Originalgesängen deutscher Componisten und veröffentlichte an
zwanzig Hefte Lieder, Balladen und Romanzen seiner Composition, die er zum
Theil auch selbst gedichtet hatte. Um das Mädchen seiner Wahl heirathen
zu können, musste er 1843 wieder in den österreichischen Staatsdienst zurück-
treten. In Triest machte er 1844 das Staatsexamen, wurde dort und in Istrien
angestellt und 1849 zum Gubernialconcipisten ernannt, wonach er 1850 als
Bezirkscommissär in das k. k. Ministerium des Innern gezogen wurde. Seit
1852 fungirte er in der Eigenschaft eines wirklichen kaiserl. Hofconcipisten
und Bibliothekars der obersten Polizeibehörde in Wien und starb daselbst als
kaiserl. Hofsecretär a. D. am 10. März 1872 an der Herzbeutelwassersucht.
Seine Theilnahme für das musikalische Leben, auch als er mit op. 31 sein
Musikschaffen abgeschlossen hatte, bekundete er als Correspondent mehrerer
Musikzeitschriften, besonders der »Neuen Berliner Musikzeitiing« und als lang-
jähriger Musikreferent der kaiserl. Wiener Zeitung, in welches Amt nach seinem
Tode A. W. Ambros eintrat. Auch eine andere Schrift von ihm, betitelt
»Mozart's Schauspieldirektor« (Leipzig, 1859), ist noch zu erwähnen.
Hirschan, ein Fabrikdorf im Oberamte Calw des würtemberg'schen Schwarz-
waldkreises, verdankt seine Entstehung dem ehemaligen Kloster gleichen Namens,
dessen Ruinen einen nahen Hügel äusserst malerisch zieren. Dieses hochbe-
rühmte Kloster, lateinisch monasterium Hirsangiense geheissen, nach der Regel
des heil. Benedict, wurde vom Grafen Erlafried von Calw um 830 erbaut, durch
Hrabanus Maurus, damaligen Abt von Fulda, mit 15 Mönchen bevölkert und
im Septbr. 838 eingeweiht. Wie alle Benedictinerklöster zeichnete sich auch
H. sehr bald durch wissenschaftliche und Kunst-, besonders musikalische Bil-
dung aus, und im 10. Jahrhundert hatte die dortige Schule einen weit ver-
breiteten Ruf erlangt. Zur Zeit der Reformation säcularisirt, wurde es im
Hirschbach — Hirtenlieder. 247
.T. 1692 durch die Franzosen eingeäschert. Vgl. Christmann, »Greschichte des
Klosters H.« (Tübingen, 1783).
Hirschbach, Hermann, deutscher Componist und gefürch teter Musik-
kritiker, geboren zu Berlin am 29. Febr. 1812, erhielt frühzeitig Violin- und
später bei H. Birnbacb Compositionsunterricht. Im J. 1839 trat er zuerst
als Componist öffentlich auf und zwar mit Streich-Quartetten über die Motive
aus Goethe's »Faust«. Ein Jahr später folgten Quintette und Septette seiner
Composition und hierauf noch viele andere Kammermusikwerke, aber auch drei
Sinfonien und fünf Ouvertüren. Er liess sich später in Leipzig nieder und
begründete und redigirte daselbst von 1843 bis 1845 ein »Musikalisch-kritisches
Repertorium«, worin er eine verstandesscharfe, aber auch äusserst schneidende
Kritik übte, die ihm ringsum zahlreiche Feinde schuf, so dass H. verbittert
der Musik entsagte und sich dem kaufmännischen Berufe zuwandte. Auch der
Neuen Zeitschrift für Musik, der Novellenzeitung und vielen anderen Blättern
liefei'te er damals geistvolle Artikel. Im Vorwort zur Partitur- Ausgabe seiner
Sinfonien op. 46 und 47 (50 Werke sind überhaupt von ihm erschienen) sagt
er, sich selbst und sein künstlerisches Streben charakterisirend: »Mein Leit-
stern vom ersten Augenblick an, wo ich ans selbstständige Schaffen ging, hiess
Charakteristik. In bloss kunstvoller Entwickelung die Instrumentalmusik weiter
zu bringen, war damals (1836) nicht mehr möglich. Man musste sich begnügen,
die polyphone Schreibart in der Kammermusik da, wo sie in Anspruch ge-
nommen wurde, auf der Höhe zu erhalten. Aber dadurch war nichts verloren;
neben dem unerschöpflichen Gedankenreichthum unserer Kunst blieb die schär-
fere Ausprägung und grössere Fassung des charakteristischen Inhalts übrig.
Damit hing die Ausweitung und vielfach anderweitige Handhabung der freien
Formen unvermeidlich zusammen. Schon vor 24 Jahren habe ich laut den
Grundsatz bekannt: Der Inhalt bestimmt die Form. Immer habe ich es
für frivol gehalten, den Hörer aus einer Stimmung in die andere zu schleudern,
so dass er zuletzt ganz leer ausgeht, als wenn die Kunst bloss ein Spass wäre.
Nein, eine Stimmung, auch die ernsteste, wenn nicht der Plan es anders ver-
langt, festzuhalten und zu erschöpfen, das war meine Aufgabe, eine Aufgabe,
wozu es allerdings, ausser den thematischen Hülfsmitteln, einer weitausholenden
Erfindung bedarf.«
Hirschfeld, ein vorzüglicher deutscher Waldhorn virtuose, geboren um 1775
in Spredau bei Cölleda in Thüringen, erlernte die Musik beim Stadtmusicus
in Gera und übte sich besonders auf dem Hörn , bis er es zu hervorragender
Geschicklichkeit auf diesem Instrumente gebracht hatte. Eine feste Anstellung
suchend, ging er 1800 nach St. Petersburg und dann nach Stockholm, wo er
Mitglied der königl. Kapelle wurde. Von 1795 bis 1825 galt er in Bezug auf
schönen Ton, geschmackvollen Vortrag und technische Fertigkeit für einen
Virtuosen ersten Ranges. Noch 1830 ferhielt er in Stockholm glänzenden Beifall.
Hirschfeld, Christian Cay Lorenz, ein besonders um die Gartenbau-
kunst ausgezeichnet verdienter Gelehrter, geboren am 16. Febr. 1742 in dem
holstein'schen Dorfe Nüchel bei Eutin, -gBstorben am 20. Febr. 1792 als Etats-
rath und ordentlicher Professor der Philosophie und schönen Wissenschaften
zu Kiel, gehört hierher, da er auch der Verfasser des Werkes »Plan der Ge-
schichte der Poesie, Beredtsamkeit , Musik, Malerei und Bildhauerkunst unter
den Griechen« ist.
Hirschfeld, Michael, ein deutscher Orgelbaumeister des 16. Jahrhunderts,
baute zu Breslau ein Werk mit 33 klingenden Stimmen.
Hirschflechsen, s. Flechsen.
Hirtenlieder (franz.: Airs champetres oder Pastourelles) sind Gesänge,
welche die ländlichen Melodien der Hirten nachahmen und oft mit Glück in
Opern, Oratorien und Cantaten eingeflochten werden (vgl. das Hirtenspiel in
Fr. Liszl's Oratorium »Christus« als besonders charakteristisch). Ehemals in
der an Hirtengedichten und Idyllen überreichen sentimentalen Epoche der Zgpf-
248 Hirtenpfeife — Hitzelberger.
zeit waren sie an der Tagesordnung, bis eine andere Geschichtsperiode zeit-
gemässere "Weisen forderte,
Hirtenpfeife, s. Panpfeife und Schalmey.
His (ital.: si diesis, franz.: si diese, engl.: h sharp) ist der alphabetisch-sylla-
bische Tonname für das um einen Halbton erhöhte h unserer modernen abend-
ländischen Scala. In der den Tasteninstrumenten eigenen temperirten Tonfolgc
entspricht His genau dem alphabetisch c genannten Klange und wird durch
dieselbe Taste, wodurch dieser angegeben wird, hervorgebracht. In der dia-
tonischen Tonleiter jedoch ißt His die übermäßsige Septime von c, durch das
Verhältniss 48 : 25 = (8 : 5) + (6 : 5) bestimmt, welches Verhältniss durch die
harmonischen Rechnungsarten, Addition etc., gefunden wird. Bei allen Ton-
werkzeugen, wo die Tonhöhe zu bestimmen dem Instrumentisten anheimfällt,
sowie im Gesänge, ist die Verschiedenheit der Sis und c zu nennenden Klänge
bemerkbar und wird aus diesem Grunde auch die Rechtschreibung derselben
bei Tonstücken für Instrumente, deren Ton in der Tonhöhe durch ihre Spieler
veränderbai', wie für Gesang, durchaus empfehlenswerth. Man vergleiche z. B.
die Saitenstellen beim Cello oder Contrebass, wo der Spieler His greift, mit
der , wo derselbe e abgränzt. Man wird diese Stellen bedeutend von einander
abweichend finden. Als Fundamentalton einer Tonart findet man His im
abendländischen Musikkreise nicht vor, wohl aber als Leitton (s. d.) in Cis-
dur (s.d.) und Cis-moll (s.d.). In letzterer Eigenschaft wird die diatonische
Stimmung des His, verschieden von c, unserem Musikempfinden durchaus ent-
sprechend gefordert, wenn es irgend möglich ist. Notirt wird der His ge-
nannte Klang mit der h zu nennenden Note, vor die das gewöhnlich Kreuz
(ff) genannte Erhöhungszeichen gesetzt wird. 0.
Hisis ist der alphabetisch - syllabische Tonname für das um zwei Halbtöne
erhöhte h unseres Tonsystems. Aufgezeichnet wird Hisis durch die h zu nen-
nende Note, vor die ein sogenanntes Doppelkreuz (s. d.) (X) gesetzt wird.
Die musikalische Orthographie fordert die Aufzeichnung von Hisis noch viel
seltener, als die von His, und sei hier um so mehr in Bezug auf Hisis auf
den Artikel His verwiesen, als die Erweiterung der dort angestellten Betrach-
tungen Jedem leicht fallen wird. Noch sei bemerkt, dass die Benennung
hishis dieses Klanges eine durchaus falsche ist, da die Erhöhung durch einen
Halbton durch Anhängung der Sylbe is (s. d.) an den alphabetischen Ton-
namen ausgedrückt wird, und die Erhöhung um zwei Halbtöne also durch
zweifache Anhängung dieser Sylbe. 0.
Histiäns, altgriechischer Lyraspieler, welcher aus Kolophon gebürtig
war und der Lyra des Hermes oder Mercur die zehnte Saite hinzugefügt
haben soll.
Hita, Don Antonio Rodriguez de, spanischer Kirchencomponist, lebte
um die Mitte des 18. Jahrhunderts und war Kapellmeister an der Kathedrale
zu Palencia im Königreich Leon. Ausser vielen Kirchencom])ositionen schrieb
er ein Lehrbuch der Harmonie und Composition, betitelt: y>Metodo hreve y fdcil
de estudiar la composicion y un nuevo modo de contrapunto para el nuevo estilov,
und dem berühmten Sänger Carlo Broschi (Farinelli) gewidmet. Die darin
gelehrte neue Art des Contrapunkts besteht darin, dass H. die natürlichen
Dissonanzen ohne Vorbereitung zulässt.
Hitzelberger, ein geschickter deutscher Flötenvirtuose, war 1786 Kammer-
musiker der Kapelle des Bischofs von Würzburg. — Seine Gattin, Sabine
H., deren Familienname nicht bekannt geblieben ist, war am 12. Novbr. 1755
zu Randersacker geboren. Im TJrsulinerinnenkloster zu "Würzburg erzogen,
erregte sie schon in ihrem zehnten Jahre als Kirchensängeriü durch ihre
herrliche Sopranstimme Aufsehen. Später liess sie der Fürst Adam Friedrich
zugleich mit der als Madame Marx gleichfalls berühmt gewordenen Sängerin
durch Steffani, den er eigens nach "Würzburg gezogen hatte, gesanglich aus-
bilden und sie ausserdem noch im Ciavierspiel und in den Sprachen unter-
Hitzenauer — Hiüen. 249
richten. Ihr Eifer und ihr Fleiss in Allem, was Kunst betraf, führte zu glän-
zenden Erfolgen. Der Kurfürst Maximilian von Köln, der sie in einem Hof-
concerte in Würzburg hörte, war von ihren Leistungen so hingerissen, dass er
sie reich beschenkte und sie gern gewonnen, wenn nicht ein bindender Con-
trakt sie als Hofsängerin an jene Stadt gefesselt hätte. Im .1. 1776 ward sie
nach Paris berufen , um sechs Monate lang in den Concerts spirituels und des
amateurs zu singen, Yergebens bot ihr der König von Frankreich den Titel
einer Kammersängerin mit 6000 Francs Jahresgehalt an , Propositionen , die
ihr ähnlich auch vom Kurfürsten von Mainz ebenfalls umsonst gemacht wurden.
Nur ein einziges Mal noch, im "Winter 1783, Hess sie sich bewegen, "Würzburg
auf einige Monate zu verlassen und in Frankfurt a. M. in Concerten zu singen.
In Würzburg aber war und blieb sie hochgefeiert, wie es sich bei ihrer wunder-
vollen, der Flöte ähnlichen und drei Octaven umfassenden Stimme , ihrer emi-
nenten Coloraturfertigkeit und ihrem tief empfundenen Vortrage nicht anders
erwarten Hess, Im vorgerückteren Alter widmete sie sich der Bildung junger
Gesangstalente, Im J. 1807 war sie noch am Leben. Zu ihren vorzüglichsten
Schülerinnen gehören u. A. ihre vier Töchter, von denen die beiden älteren
leider allzu früh dahinstarben. Die älteste, welche eine ausgezeichnete Alt-
stimme besass, war mehr Pianistin als Sängerin, widmete sich jedoch nicht
ausschliesslich der Kunst und starb kurz nach ihrer Verheirathung mit einem
Hofmusicus in Würzburg. Die zweite, Kunigunde H., stand der Mutter als
Sängerin sehr nahe. In ihrem Vortrage lag eine mächtige Leidenschaft und
ihre Stimme, umfangreich wie selten eine, hatte einen bezaubernden Schmelz,
so dass ihr stets stürmischer Beifall zu Theil wurde. Jedoch auch sie starb
frühzeitig. Die dritte, Johanna H., geboren 1783 zu Würzburg, vs^ar eine
vorzügliche Contr'altistin. Im J, 1800 ging sie mit ihrer jüngsten Schwester
Regina (s. weiter unten) nach München, wo sie Anstellung als Kammer-
sängerin erhielt und sich bald darnach mit ihrem Landsmann, dem Hörn- und
Violinvirtuosen Bamberger, Mitglied der Münchener Kapelle, verheirathete.
Die vierte der Schwestern endlich, Regina H., geboren 1786 zu Würzburg,
wurde zugleich mit ihrer Schwester bairische Kammersängerin und vollendete
ihre Ausbildung erst in München unter Winter, Cannabich und Vogel. Als
Napoleon sie im Don Juan daselbst gehört hatte, suchte er sie für Paris zu
gewinnen; sie blieb jedoch in München und verheirathete sich daselbst 1808
mit einem königl. Hofmusiker.
Hitzenaner, Christoph, Cantor zu Lauingen im 16. Jahrhundert, com-
ponirte geistliche und weltliche Lieder und veröfifentlichte eine kleine Schrift
über Composition von Gesängen.
Hitzler, Daniel, erfahrener und gebildeter deutscher Musikgelehrter, ge-
boren 1576 zu Haidenheim im Würtemberg'schen , war nach Vollendung theo-
logischer Studien Prediger an verschiedenen Orten, dann Pastor und Schul-
inspektor zu Linz, später Superintendent zu Kirchheim, hierauf General- Super-
intendent und endlich Propst und Kirchenrath zu Stuttgart, wo er am 4. Septbr.
1635 starb. Der Kirchengesang verdankt im wesentliche Verbesserungen. In
seiner y>]i£nsica novaa schlägt er die von ihm ersonnene Bebisation statt der
Solmisation vor. Ausserdem veröffentlichte er noch »Musikalisch figurirte
Melodien der Kirchengesänge, Psalmen und geistlichen Lieder« (Stuttgart, 1634)
und noch einige dahin gehörige Werke, die als Sammlungen der besten Kirchen-
melodien Musterwerke für die Tonsetzer seiner Zeit waren.
Hiüen ist der Name eines uralten chinesischen Blasinstruments aus ge-
brannter Erde. Wie früher die Christen zur Ehre Gottes dem Kircheninstru-
mente, der Orgel, glaubten Nachahmungen alles Hörbaren einverleiben zu
müssen, so schufen die alten Chinesen aus allen von ihnen als Grundstoffe der
Natur erachteten Materien Tonwerkzeuge, die bei der Verehrung des höchsten
Wesens und der Voreltern Anwendung fanden. Die Erde, eins der Haupt-
weltelemente nach ihrer Ansicht, bot den Grundstoff zum H., unji sie nannten
250 Hiüeu-ku — H-moll.
deshalb dessen Klang: den Ton der gebrannten Erde. Dies Tonwerkzeug
wurde aus Erde so geformt, dass es aussen die Gestalt der Hälfte eines Gänse-
uud innen die eines Hühnereies hatte. Diese Gestult hatte symbolische Be-
gründung. In der Eispitze war das Anblaseloch. Auf der einen Seite hatte
das H. drei ein Dreieck bildende Tonlöcher und auf der dieser entgegengesetzten
Seite noch zwei. Diese Tonlöcher erlaubten die fünfstufige chinesische Ton-
leiter und durch Ueberblasung deren Octave darzustellen. Der Grundton des
H. , wie aller chinesischer Tonwerkzeuge war der Hoang-tschung (s. d.),
etwa unser f. Das H., dessen vollendetste Darstellung nach chinesischen Nach-
richten schon hundert Jahre vor der Regierung Hoaug-ti's (s. d.) , 2637 v.
Chr., gesetzlich festgestellt gewesen sein soll, bot in der Behandlung bedeutende
Schwierigkeiten, ward aber vielleicht gerade mit aus diesem Grunde sehr hoch-
geehrt. Später, unter der Regierung des älteren Tschu oder Tscheu, 1122
V. Chr., wurde es, so berichten die Chinesen, vervollkommnet. Dies soll wolil
heissen, es wurde mit der siebenstufigen Scala versehen. Man kannte von da
ab zwei Arten H. , grosse und kleine, mit sechs Tonlöchern. Die hier ange-
gebenen Jahreszahlen sind dem Werke Amiot's »Memoire sur la musique des
Chinoisv. (1779) entnommen. Dies "Werk bietet auch Ausführlicheres über das
H., wie eine Abbildung desselben. Noch heute hat das H. seinen Platz in
dieser Form im chinesischen Orchester bei hohen religiösen Festen. Man wird
kaum irren, wenn man in dem Vorhandensein eines ähnlichen Tonwerkzeuges
an einer anderen asiatischen Culturstätte , Babylon, auch einen Beweis dafür
findet, dass in jener grauen Vorzeit die Kenntniss hochgeachteter Culturerzeug-
nisse schon den Weg über die Grenzen der Heimath fand. Siehe Abbildung
und Beschreibung einer aus gebrannter Erde gefertigten Flöte in dem Artikel
Babylonische Musik dieses Werkes. B.
Hiüen-ku ist der Name einer chinesischen Pauke, die während der Regie-
rungszeit des Tscheu, 1122 v. Chr., in den Ceremonien zu gebrauchen staatlich
geboten war. Dieselbe hatte einen hölzernen Trommelsarg, der dem des Tsu-ku
(s. d.) ähnlich war, und zwei einander entgegengesetzt befindliche Felle, welche
im Hoang-tschung (s. d.) , unserm y, gestimmt waren. Form und Grösse
des Sarges war wie die eines mittelgrossen Fasses. Ein vierkantiger Balken,
der in ein kx-euzförmiges Fussgestell eingefügt war, ging durch den Sarg.
Neben dem H. hingen an dessen Seiten unmittelbar zwei kleine Pauken gegen
Osten und Westen, d. h. zur Rechten und Linken des Schlägers. Die eine
derselben hiess Scho-yng (s. d.) und die andere Eulh-ku (s. d.). Amiot
giebt in seinem Werke: r>Memoire sur la musique des Ghinois« eine Abbildung
dieses Tonwerkzeugs. 0.
H-moll (ital.: Si minore, franz.: Si mineur, engl.: B minor) heisst die-
jenige von den 24 Tonarten des modernen abendländischen Tonsystems, welche
den h genannten Klang zum Gruudton hat, worauf nach der Norm der Moll-
gattung: ein Ganzton, ein Halbton, zwei Ganztöne, ein Halbton und zwei Ganz-
töne, die Einzelnklänge dieser Molhrt gebaut sich folgen dermaassen ergeben:
h, eis, d, e, ßs, g, a und h. Man müsste eigentlich diese Tonfolge eine Ueber-
tragung der Octavgattung (s. d.) von a auf h nennen, da sie nur den Kern
der Töne in H-moll bietet. Die moderne Melodiegestaltung nämlich fordert
unmittelbar vor dem Schluss einer Melodie die Darstellung der abendländischen
Diatonik, d. h. die Gabe des Halb- und Ganztones, und zwar des Ei-steren
unter- und des Letzteren oberhalb des Schlusstons. Wenn dieser Forderung
nicht direkt in der Melodie genügt wird, so findet sie in der Harmonie ihre
Befriedigung. Da nun, diesen letzteren Halbton, der Leitton (s. d.) genannt,
mitgerechnet, in der JfoZZleiter drei Halbtöne auftreten, so wird dadurch das
vor dem letzten Halbton befindliche Intervall um einen Halbton grösser, also
ein und einen halben Ganzton gross; eine unserem Tonsystem durchaus un-
eigene Scalafortschreitung. Um diese uneigene Fortschreitung zu verhindern,
findet man die Klänge in der Oberquart jeder J/oWtonleiter oft geändert, und
Hnilicka — Ho. 251
zwar stets je nach dem Empfinden des Tonsetzers in verschiedener "Weise; selbst
durch Aufstellung von mehr als sieben Stufen in der Leiter (s. A-moll). Alle
diese Veränderungen der if-»JoZ^tonleiter, welche eine Aenderung der oben an-
gegebenen Töne erfordern, nennt man zufällige Veränderungen, und finden die-
selben in den verschiedenen Artikeln: Modulation, Molltonart, Semito-
nium modi etc. ihre rationelle Erklärung. Beachten wir die Auslassungen
der Aesthetiker in früherer Zeit über den Charakter von H-moll, so sehen
wir bei einem der hervorragendsten derselben, J. J. Wagner, in dessen »Ideen
über Musik«, Leipz. allgem. musikal. Zeitung des J. 1823 No. 43, diese Ton-
ai't gar nicht erwähnt, was sich andere, wie Schilling in seinem musikalischen
Lexikon, durchaus nicht zu erklären vermögen. In Schubart's »Ideen zu einer
Aesthetik« II. Thl. jedoch findet sich über S-moll Ausführlicheres. Da H-moll
Kreuztöne hat, sagt Schubart, so gehört es zu der Gattung von Tonarten,
welche dazu dient, wilde und starke Leidenschaften auszudrücken. Sie, H-moll,
als Species, berichtet er weiter, ist gleichsam der Ton der Geduld, der stillen
Erwartung seines Schicksals, und der Ergebung in die göttliche Fügung.
Darum ist seine Klage so sanft, ohne jemals in beleidigendes Murren oder
Wimmern auszubrechen. Die Applikatur dieses Tones ist in allen Instrumenten
ziemlich schwer; darum findet man auch so wenige Stücke, welche ausdrücklich
in selbigem gesetzt sind. Deshalb, sagt ein anderer Aesthetiker jener Tage,
kennen wir auch nichts Ergreifenderes, als einen frommen Trauergesang in
S-moll, das in eine unbeschreibliche Entzückung versetzt die himmelwärts ge-
richtete Seele, wenn es am rechten Orte durch die Dominante^« im Trug-
schlüsse modulirt nach dem sanft beruhigenden G-dur. Besonders nur zu
langsamen, feierlichen, sanften, auch ernsthaften Tonstücken möchten wir daher
auch diese Tonart angewendet wissen. Dies ist ungefähr der kürzeste Inhalt
aller ästhetischen Ergehungen über Il-moll, welcher Inhalt in sofern noch heute
bei vielen Musikern von Bedeutung, als derselbe durch keine wissenschaftliche
Erklärung der Gefühlseindrücke U-molVs bis heute zu ersetzen versucht, ge-
schweige denn erreicht worden ist, und manche Tonsetzer gerne eine Bestim-
mung kennten, die bei der Wahl der Tonart, in welche sie ihre Schöpfungen
zu notiren hätten, allgemeine Anerkennung hätte. Würden wir unsern der-
artigen wissenschaftlichen Versuchen, welche sich auf die Art, wie die Menschen-
stimme die festen Töne (s. d.) der Tonart giebt und in welcher Klangregion
sich diese befinden , basiren und den bei den andern Specialartikeln über
Molltonarten ausführlicher angestellten Erwägungen hier Folge geben, so wären
die Hauptpunkte, welche die Gefühlseindrücke von H-moll bestimmen: die Quint-
lage an der Grenze der höhern Rruchlage der Stimme und die Unsicherheit
der Terz , wie der Klänge der Oberquarte dieser Tonart. Alle Schlussfolge-
rungen aus diesen Hauptpunkten zu ziehen, darf um so mehr dem Leser selbst
überlassen werden , als vorerwähnte Muster den Gang derselben vollkommen
klar legen. C. B.
Hnilicka, Aloys, tüchtiger Organist und Kirchencomponist, geboren am
21. März 1826 zu Wildenschwert in Böhmen, erhielt seine erste musikalische
Ausbildung im Angustinerkloster zu Alt-Brünn, wohin er, zehn Jahre alt, als
Discantist kam. Weiterhin bildete er sich im Orgelspiel und in der Compo-
sition auf der Prager Organistenschule aus und wurde 1849 als Organist an
der Hauptkirche in seiner Vaterstadt angestellt. Er componirte ein Oratorium
»Das verlorene Paradies«, zehn Messen, drei Requien, viele Psalmen, Litaneien
u. s. w., Werke, die sich durch Schwung und Innigkeit auszeichnen sollen.
Ho (chines.) ist, nach Amiot's Erklärung in dem Kapitel »Bildung des
chinesischen Tonsystems« des Werkes y>Memoire sur la musique des Chinoisa,
der neue Tonname für das Hoang-tschung (s. d.) genannte Lü (s. d.), dessen
Notation durch folgendes Schriftzeichen stattfindet: p, wie die dort gegebene
Tabelle zeigt. Bei jeder Modulation erhält der neue Grundton den Namen
252 Hoai-Nan-Tsee - Hobein.
Ho. Letzte Regel auf die von Petis in seiner Stilist, de la musiquen Tome T.
p. 59 vorgeführten neuen chinesischen Tonnamen angewandt, die in Bezug auf
das dort folgende Beispiel chinesischen Sanges gegeben sind, führt zu deren
richtigem Verständniss. 0.
Hoai-Nan-Tsee, chinesischer Musikgelehrter, lebte ungefähr 105 v. Chr.
und ist der Verfasser einer Musiktheorie, von der jedoch nur Fragmente er-
halten geblieben sind, aus denen Amiot Einiges mittheilt, so z. B. die Auf-
stellung der Progression 1 (f), 3 (c), 9 (g), 27 (d), 81 (a) als Gruudtöne der
fünfstufigen Tonleiter, welche letztere von f aus die Tonfolge f, ff, a, c, d
giebt. Innerhalb dieser Tonleiter bewegen sich überhaupt die altchinesischen
Volksmelodien.
Hoang' (chines.) ist der Name des "Weibchens jenes Wundervogels der chi-
nesischen Sage, Pung-hoang, welcher Ling-lun (s. d.) sechs Töne (die
Ganztöne) des Tonreichs angab, denen sie die andern sechs (die Halbtöne)
zufügte. 2.
Hoang-ho (chines.), d. i. gelber Fluss, ist der Name eines grossen etwa
600 Meilen langen Stromes in China, Die Sage berichtet, dass an seinen
Quellen die TJrheimath der Chinesen, wie deren Musik gewesen (s. Ling-lun).
Hier weisst die Sage im Westen, was die Semiten nach Nordost und die Arier
nach Osten verlegten. 2.
Hoang'-ti (chines.), d. i. erhabener Gebieter, ist der Name des chinesischen
Herrschers, welcher die Reihe der mythologischen Kaiser schliesst; die Regie-
rung desselben soll nach dem Schuking 2637 v. Chr. geendet haben. Vgl.
Gützlaff's »Geschichte des chinesischen Reiches« S. 21 bis 23. Derselbe wird
nicht allein als mächtiger Held und weiser Vater seines Volkes geschildert,
der sehr viele Erfindungen, wie die Zahlen, Maasse und Gewichte, Bearbeitung
der Metalle etc. demselben überantwortete , sondern auch als Schöpfer der
Musik in höchster Vollendung, sowie der in derselben gebräuchlichen Instru-
mente angesehen. Mit der Ausführung seiner Gedanken in Bezug auf Musik
beauftragte er den weisen Ling-lun (s. d,). 2.
Hoang-tschnng (chines.), d. i. gelbe Glocke, ist der Name des Fundamen-
tallü's im chinesischen Musikkreise. Er ist der Vater und Erzeuger aller
Klänge, repräsentirt den Kaiser und muss deshalb in höchster Würde erzeugt
wei'den, wenn er überhaupt zu Gehör kommt. In der chinesischen Musik, wo
jeder Klang symbolische Erklärung findet, ist der H. dem Monat der winter-
lichen Sonnenwende, unserm December, dem in chinesischer Zeitrechnung eilften,
gewidmet. Die genaueste Feststellung des H., der ungefähr unserm F entspricht,
ist seit allerfrühester Zeit höchste Aufgabe der Musikgelehrten China's ge-
wesen und sind, denselben überall in gleicher Tonhöhe zu besitzen, die mannig-
fachsten Erfindungen von Tonwerkzeugen gemacht worden. Auch ergaben die
verschiedenartigsten Betrachtungen über den H, den Chinesen die Urkeime zu
vielen praktischen Dingen. So z. B. führte die Ausmessung der Bambusröhre,
welche den H. erzeugten, mittelst Schukörnern zu den landesüblichen Längen-,
Flächen- und Körpermaassen. Dieser Klang wurde nach der Sage zuerst dem
Ling-lun (s. d.) von dem Wundervogel Fung-hoang überantwortet, und fand
jener Gelehrte, dass derselbe dem Rauschen der Quelle des Hoang-ho (s. d.)
und dem Sprechton seiner Stimme gleich war. Ling-lun überbrachte dem Kaiser
Hoang-ti (s, d.) die Röhre, welche diesen Klang gab, ihn als Fundamentalton
der chinesischen Kunst empfehlend, und seit jener Zeit hat man denn auch
gesucht, diesen unwandelbar im ganzen Reiche zu erhalten und jedem Ton-
werkzeug als Hauptklang einverleibt (s. Lü). 2.
Hobbs, englischer Componist zu Ausgang des 18. Jahrhunderts, veröffent-
lichte 1795 mehrere dreistimmige Glee's seiner Composition.
Hobein, Johann Friedrich, deutscher Tonkünstler, war Organist an
der Frauenkirche zu Wolfenbüttel und starb als solcher im J. 1782. Er hat
von seiner Composition Ciavier- Sonaten und Lieder veröffentlicht.
Hoboe — Hoch. 253
Hoboe (franz.: Shutbois), s. Oboe. — Hoboist, s. Hautboist und
Oboist.
Hobrecht, Jacob, auch Obrecht geschrieben, ein Meister aus der zweiten
niederländischen Schule, geboren um 1430, war um 1475 Kapellmeister zu
Utrecht, in welcher Zeit er auch den nachmals berühmten Erasmus als Chor-
schüler im Singen unterrichtete. Von 1491 an befand sich H. in Antwerpen
und starb im J. 1507. Durch seine Compositionen, denen fast durchgehends
ein Zug strenger Erhabenheit eigen ist, erwarb er sich die höchste Achtung
seiner Zeitgenossen und der Nachwelt. Ambros sagt von ihm: »Unter den
Meistern vor Josquin ist er die mächtigste Erscheinung, und der Tonsatz bei
ihm schon beträchtlich entwickelter, die Harmonie volltöniger, als bei Okeghem,
mit dem er übrigens alle Eigenheiten der Schule, alle Feinheiten, Spitzfindig-
keiten und Satzkünste gemein hat.« Von seinen Arbeiten hat Petrucci unter
dem Titel y> Misse Obrecht^ (Venedig, 1503) fünf Messen gedruckt, von denen
sich ein Exemplar in der Bibliothek zu München befindet. Eine andere Messe
»Si dederoa erschien 1508 in Venedig und wird von Burney als vortreffliches
contrapunktisches Werk bezeichnet; noch andere stehen in Sammlungen da-
maliger Zeit. Eine Anzahl bedeutender Motetten von ihm hat Petrucci in
seine grosse Motettensammlung aufgenommen; einzelne findet man auch bei
Glarean, Rhau, in Walther's Cantionale, in Forkel's Greschichte II. S. 521
u. s. w. Ausserdem kennt man noch Lieder (kleine Motetten) von ihm und
eine nPassio domini nostri Jesu Christi secundum Mafth.a 4 vocibus.
Hocetus oder Ochetus, Occheto, Hocquetum, französisch - lateinisches
Wort, wahrscheinlich von hoquet, d. i. Schluchzen, abgeleitet, ist der im späteren
Mittelalter gebräuchliche Fachausdruck für eine bei den alten Sängern sehr
verbreitet gewesene Unsitte, welche darin bestand, in der Ueberschwänglichkeit
der Empfindung die Noten nicht gemäss ihrem Werthe richtig auszuhalten,
sondern willkürlich kleine Pausen (ital.: sospiri) einzuschieben, welche mit einem
seufzenden oder schluchzenden Athemzuge hervorgestossen wurden. Diese fehler-
hafte Manier behandelt schon Franco von Cöln sehr ausführlich in einem
eigenen Capitel seiner y^Musica et cantits mensurabilisv. (Grerbert, Script, eccl.
III. 14 ff.) und sagt: utOchetus truncatio est cantus , rectis omissisque vocibus
truncate prolatusoi etc. Auch Pseudo-Beta (um 1260) spricht davon und Papst
Johann XXII. macht in seiner berühmten Bulle »Docta sanctoruma um 1320
den Anhängern »der neueren Schule« den Vorwurf, sie hätten den Oantus
ürmus durch Soceti entstellt. Bald darnach scheint der Spuk ein Ende gehabt
zu haben, denn in Tinctori's y>DiJf. terra, mus.a, dem ältesten musikalischen
Wörterbuch (um 1477), kommt der Ausdruck bereits gar nicht mehr vor (s.
auch Gontrappunto alla mente).
Hoch, Höhe (ital.: alto, franz.: aigu) ist an und für sich ein relativer
Begriff, ebenso wie der Gregensatz, die Tiefe, und bezeichnet im Allgemeinen
diejenigen Tonempfindungen, welche durch höhere Grrade von Schwingungs-
geschwindigkeit klangerzeugender Körper im Gehör erweckt werden. Ein Ton
ist nur hoch, insofern er mit einem anderen, dessen Klangkörper in gleicher
Zeiteinheit eine geringere Anzahl Schwingungen zurücklegt, absichtlich oder
unwillkürlich verglichen wird. Der höchste, musikalisch verwendbare Ton ist
das fünfgestrichene c mit 4224 Schwingungen in der Secunde, dessen Tonhöhe
mit dem menschlichen Gehöre noch deutlich sich bestimmen lässt, während die
darüber hinaus bis zu dem Punkte, von wo ab überhaupt alle Schallempfin-
dungen aufhören, befindlichen Klänge nicht mehr deutlich als Intervalle unter-
scheidbar, musikalisch also auch nicht zu verwenden sind. Im Besonderen
bestimmt man die Höhe der Töne nach dem Tonumfang des Klangorgans,
welches man gerade ins Auge fasst. So ist z. B. d^ für die Flöte, Oboe oder
Sopranstimme ein sehr tiefer Ton, während er auf dem Violoncello in die
höhere, in der menschlichen Bassstimme in die höchste Lage fällt. Ebenso
254 Hochamt — Hodges.
ist der tiefste Violintoa, das kleine g, für den Contrabass höchste Höhe u. s. w.
(s. auch Klang).
Hochamt, s. Messe.
Hochbrucker, auch Hochprugger geschrieben, geschickter deutscher Har-
fenist und Fabrikant von Bogeninstrumenten zu Donauwörth, lebte um 1700
und hielt sich auch einige Zeit in Augsburg auf. Er ist der Ei-finder der
Pedalharfe, die er um 1720 selbst allgemeiner bekannt machte (s. Harfe).
Sonst weiss man von ihm nur noch, dass er 1732, als Walther sein musi-
kalisches Lexikon schrieb, noch am Leben war. — Sein Sohn, Simon H.,
geboren 1699 zu Donauwörth, war ebenfalls Virtuose auf der Harfe, namentlicl-
auf der Pedalharfe seines Vaters, mit der er auf Kunstreisen ging. Zu Ende
des J. 1729 spielte er auch vor dem kaiserl. Hofe zu Wien, der sein Talent
sehr bewunderte. Mehr über ihn ist nicht bekannt geworden.
Hochbrucker, Pater Cölestin, ausgezeichneter deutscher Orgel- und
Harfenspieler, nicht minder verdienstvoller Componist, wurde am 10. Jan. 1727
zu Tagmersheim in Baiern geboren und war ein Bruderssohn des gleichnamigen
Erfinders der Pedalharfe. Sein Vater, ein Schullehrer, unterrichtete ihn in den
classisclien Sprachen, im Gresang, Orgel- und Harfenspiel. H. studirte darauf
zu Neuburg und dann zu Freising, wo ihn Camerloher in der musikalischen
Composition unterwies. Im J. 1747 ti'at er in das Benedictinerkloster Weihen-
stephan und empfing 1752 die Pi'iesterweihen. Unter seinen vielen gediegenen
Kirchencompositionen aller Art ragt ein Oratorium mit schönen Chören, be-
titelt: «Die Juden in der Gefangenschaft zu Manassa« , hervor. H. starb im
J. 1803. — Sein jüngerer Bruder, Christian H., geboren am 17. Mai 1733
zu Tagmersheim, brachte es besonders auf der Pedalharfe zu einer ausserordent-
lichen Greschicklichkeit. Im J. 1770 Hess er sich in Paris als Lehror seines
Instruments, das bereits wesentlich vervollkommnet worden war, nieder und
fand viele Schüler, Bewunderer und Nachahmer. Bei der Königin erhielt er
nach Hinner's Abgang die Stelle eines Lehrers und Kammervirtuosen. Die
französische Revolution trieb H. 1792 nach London, wo er Corapositionen von
sich herausgab. Weitere Nachrichten über ihn fehlen. Man kennt von ihm
drei Hefte Divertissements und andere Stücke für Harfe, 15 Sonaten und
drei Duette desgleichen, eine Sammlung von Arietten mit Harfenbegleitung
U. 8. W.
Hochreiter, Johann Balthasar, deutscher Kirchencomponist aus der
Wendezeit des 17. und 18. Jahrhunderts, war um 1706 Organist zu Bambacli
in Oberösterreich und hat u. A. vierstimmige Vespern geschrieben.
Hoclistetter, A. L., deutscher Bühnensänger, war von 1829 bis 1840 an
der königl. Oper zu Berlin engagirt. — Seine G-attin, Emilie H., geborene
Benelli, war eine Tochter und Schülerin Antonio Benelli's (s.d.) und kam
mit diesem 1823 nach Berlin. Sie wurde 1825 als Gesauglehrerin des weib-
lichen Chorpersonals der königl. Oper daselbst angestellt und starb am 4. Dec])r.
1851 zu Berlin im 46. Lebensjahre.
Hocker, Joliann Ludwig, deutscher Theologe, geboren 1746 zu Leu-
tersheim, war Pfarrer zu Hailsbron im Anspach sehen und starb daselbst am
16. April 1796. Er schrieb u. A. über die Benutzung mathematischer Wissen-
schaften für Musik.
Hocmellc, Pierre Edraond, blinder französischer Tonkünstler und Com-
ponist, geboren am 18. Septbr. 1824 zu Paris, erhielt seine musikalische
Ausbildung auf dem dortigen Conservatorium. Seit 1849 lebt er als Organist
zu Roule.
Hodermau, G. C. , Componist und Clavierlehrer zu Amsterdam um 1792,
ist der Verfasser einer Ciavierschule und componirte Sinfonien, Quintette, Cla-
vierconcerte, Sonaten u. s. w.
Hodges, Edward, englischer Tonkünstler, geboren 1796 in Bristol, war
daselbst 19 Jahre lang Organist, erhielt 1825 von der Universität zu Cambridge
HÖckh — Höllmayer. 255
den G-rad eines Doctors der Musik und folgte endlich einem Rufe nach Amerika.
Seit 1839 war er Organist an der Trinity-Kirche in New- York und hat sich
um die Veredelung des künstlerischen Geschmackes in der Hauptstadt der Ver-
einigten Staaten wohlverdient gemacht. Er schrieb mehrere Kirchencom-
positionen, kehrte endlich nach England zurück und starb in seiuer Heimath
im J. 1867.
Höckh, Karl, vortrefflicher deutscher Violinvirtuose, geboren am 22, Jan.
1707 zu Ebersdorf bei Wien, machte vom 15. Jahre an beim Stadtmusicus in
Pruck die musikalische Lehre durch und war dann vier Jahre hindurch in
Ungarn und Siebenbürgen Hautboist im österreichischen Militärdienste. Nacli
Ablauf dieser Zeit begab er sich nach Wien, wo er Franz Benda kennen
lernte, der ihn mit auf seine Reise nach Polen nahm. Beide Künstler wurden
in Warschau vom Starosten Sukascheffsky in Dienste genommen und zwar H.
für das Waldhorn, das er ebenso vorzüglich blies als er Violine spielte. Als
Benda 1732 Warschau verlassen musste, vergass er seines Freundes nicht und
verschaffte demselben die Steile eines Concertmeisters des Fürsten von Anhalt-
Zerbst. Als solcher starb H. im J. 1772 zu Zerbst. Wie im Violinspiel, so
ist auch in seiner Compositionsmanier der Einfluss Benda's auf ihn unverkenn-
bar. Im Druck erschienen von ihm sieben Parthien für zwei Violinen und
Bass (Berlin, 1761); handschriftlich kennt man von ihm sechs Sinfonien, 12
Solos für Violine und 18 Violinconcerte.
Höfel, Johann, deutscher Theologe und Jurist, geboren am 24. Juni
1600 zu Uffenheim in Franken, ist der Verfasser einer -»Musica christiana (1634),
sowie der r>Novellae sacrarum cantionumai. etc. (1671).
Höfer, deutscher Basssänger, gastirte, noch jung und von Pesth kommend,
1836 am Königsstädtischen Theater in Berlin als Graf Waldburg und Orovist
in Bellini's »Unbekannte« und »Norma«, worauf er daselbst engagirt wurde.
Im J. 1838 ging er zum Stadttheater nach Breslau und 1841 zum grossher-
zogl, Theater nach Weimar, wo er bis 1855 als Sänger, seitdem aber und noch
gegenwärtig (1875) überwiegend als Schauspieler thätig ist.
Höffelmayer, Thadäus, vorzüglicher deutscher Violinvirtuose, geboren um
1750 zu Rastatt, war seit 1775 in der churfürstl. Hofkapelle zu Mainz an-
gestellt und heirathete daselbst die seit etwa 1784 als Maria H. berühmte
Hofsängerin. — Sein Bruder, Joseph Anton H. , ebenfalls aus Rastatt ge-
bürtig, war ein ausgezeichneter Virtuose auf dem Violoncello und der Pauke,
der sich auf weiten Reisen einen grossen Ruf erwarb.
Höfler, Johann August, vorzüglicher deutscher Sänger und Schauspieler,
geboren 1785 zu Kloster Au im bairischen Innkreise, glänzte besonders als
Opernsänger zu Leipzig. Noch 1830, als seine Stimmmittel schon bedeutend
abnahmen, sang und spielte er in Dessau den Masaniello in Auber's »Stumme«
in fünf auf einander folgenden Vorstellungen, vom 21. bis 29. April, unter
ausserordentlichem Beifall. Er starb im J. 1835.
Höff'ler, Konrad, deutscher Virtuose auf der Viola da Gamba, geboren
um 1650 zu Nürnberg, war Kammermusicus des Herzogs von Sachsen-Weissen-
fels und machte sich auch als Componist durch herausgegebene 12 Parthien
für Gambe bekannt.
HöUerer, Franz Xaver, vortrefflicher Violinist und geschickter Compo-
nist, geboren um 1801 zu Stuttgart, war erster Violinist der dortigen königl.
Kapelle und schrieb Ballets für die Stuttgarter Hofbühne, ausserdem auch
Lieder mit Pianofortebegleitung.
Hölling, Johann Konrad Stephan, deutscher Theologe, war Prediger
zu Hildesheira und veröffentlichte daselbst eine »Oratio musica - ecclesiasficaa
(Hildesheim, 1732).
Höllmayer, Franz, gerühmter deutscher Fagottvirtuose, geboren am 22.
März 1777 zu Wien, war Hofmusiker der dortigen kaiserl. Kapelle. Ausser-
halb Wiens scheint er nicht aufgetreten zu sein. — Um dieselbe Zeit wurde
256 HöltzHn - Hoepuck.
in Wien ein Nainensverwaudter, Anton H., als Componist genannt, von welchem
1798 daselbst ländlerische Tänze und Trios erschienen.
Höltzlin, Joseph, deutscher Componist der zweiten Hälfte des IG. Jahr-
hunderts, aus Augsburg gebürtig, veröffentlichte »Lustige Lieder sammt an-
nehmlichen Hochzeitsgesängen«,
Hölzel, Gustav, guter deutscher Baritonsänger und beliebter Liedercom-
ponist, geboren am 13. Septbr. 1813 in Pesth, ward bei der Hofoper in Wien enga-
girt, trat aber 1836 nach beifälligem Gastspiele zum Königsstädtischeu Theater
in Berlin über. Ein Jahr später kehrte er jedoch bereits wieder an die Wiener
Hofoper zurück, der er als sehr geschätztes und zuverlässiges Mitglied bis 1861
angehörte, wo er zum allgemeinen Bedauern einer tendenziös veränderten Text-
stelle im Liede des Bruders Tuck in Marschner's »Templer und Jüdin« wegen
seine sofortige Entlassung erhielt. In Concerten sang er nun in Paris, Lon-
don u. s.w., 1870 auch in Amerika, trat aber 1874 noch einmal, jedoch nur
ganz kurze Zeit, in der Komischen Oper zu Wien auf. Seitdem privatisirt er
in Wien. Als Componist hat er einige Ciavierstücke, geistliche Gesänge, be-
sonders aber eine sehr beträchtliche Anzahl gemüthvoller Lieder geschrieben
und veröffentlicht, welche den ungetheilten Beifall der Dilettanten und eine
weite Verbreitung gefunden haben.
Hölzerues Gelächter (latein.: ligneum psalterium, franz.: claquebois), s.
Strohfiedel.
Hone, Samuel, guter Fagottist, geboren am 31. Jan. 1809 zu Birnbaum
in der Provinz Posen, wurde 1826 Hautboist im Kaiser Alexander -B,egiment
zu Berlin, 1829 Accessist der königl. Kapelle ebendaselbst und 1832 königl.
Kammermusiker, als welcher er über 25 Jahre lang noch thätig war.
Höuicke, Johann Friedrich, tüchtiger deutscher Tonkünstler, geboren
1755, war lange Zeit hindurch Musikdirektor und Correpetitor am Stadttheater
zu Hamburg und starb daselbst am 29. Aug. 1809. Als Componist ist er mit
einer Operette, einer Sinfonie, Arien und Liedern hervorgetreten.
Höpner, Christian Gottlob, trefflicher deutscher Orgelspieler, Pianist
und Musiklehrer, geboren am 7. Novbr. 1799 zu Frankenberg bei Chemnitz,
durfte, da sein Vater, ein Weber, durchaus nichts von Musikübung wissen
wollte, nur heimlich Ciavierspiel betreiben und war, 14 Jahre alt, ohne Vor-
wissen desselben bereits ein ziemlich fertiger Pianist. Vom 17. Jahre übte er
in gleicher Weise dadurch, dass er sich, in der Kirche dem Frühgottesdienste
beiwohnend, einschliessen Hess, auf der stummen Claviatur der Orgel. Als
Webergeselle endlich ermöglichte er es, dass er sich frei und offen eine kleine
Orgel mit sieben Stimmen und Pedal und einige musikalische Lehrbücher an-
schaffen durfte. Im J. 1824 sah Anacker in Freiberg einige von H.'s Com-
positionsversuchen und munterte denselben zu weiteren Studien auf. Ein
Gleiches that 1827 Hummel. H. ging darauf hin nach Dresden und studirte
vier Jahre lang bei Joh. Schneider, dessen bester Ciavier- und Orgelspieler
einer er wurde. Als vorzüglicher Musiklehrer lebte er noch 1860 in Dresden.
Niir kleinere Pianoforte- und Orgelstücke seiner Composition sind im Druck
erschienen. — Ein älterer Namensverwandter von ihm, Stephan H. , aus
Pentzlin in Mecklenburg gebürtig, war 1616 Cantor zu Frankfurt a. 0. und
veröffentlichte daselbst deutsche und lateinische Gesänge seiner Composition.
Uöppner, Karl Magnus, deutscher Orgelvirtuose und Kirchencomponist,
geboren am 6. Aug. 1837 in Heida bei Riesa, war nach einander Schüler von
Friedr. Wieck, Charles Mayer, Julius Otto und Joh. Schneider. Er lebt gegen-
wärtig als geschätzter Musiklehrer in Dresden. Als Componist ti'at er 1864
mit einer Ouvertüre in Dresden mit grossem Beifall auf. Clavier-Sonaten und
grössere Arbeiten von ihm für Ciavier und Orgel sind nur im Manuscript
vorhanden.
Hoepuck nennen die Indier eine ihrer uralten Wundermelodien, der man
nachsagt, sie besässe die traurige Eigenheit, dass der unvorsichtige Sänger
Hörbeder — Höffmann. 257
derselben sofort nach dem Gesänge sein Leben einbüsste. Es darf jedoch räthsel-
haft erscheinen, dass, da eine indische Notirnng derselben wahrscheinlich nie
stattgefunden hat, diese Melodie den Späterlebeuden noch bekannt bleiben
konnte. 0.
Hörbeder, Franz, vortrefflicher deutscher Posaunist, geboren 1799 in
Wien, war in seinen Mannesjahren Mitglied der kaiserl. Hof kapelle seiner Ge-
burtsstadt.
Höre, Johann Gottfried, deutscher Schulmann, geboren 1704 zu
Naumburg, war seit 1751 Rector der Landesschule in Meissen und starb als
solcher am 8. März 1771. Yon ihm ein Schulprogramm: »Series cantorum
Afranoritma etc.
Hörger, deutscher Componist und Dirigent, geboren 1804 zu Bremen,
war 1831 Musikdirektor in Cassel und später Kapellmeister am Stadttheater
zu Düsseldorf. Dort brachte er auch 1838 eine Oper seiner Composition,
»Donna Juana«, ohne grösseren Erfolg zur Aufführung.
Hörnigk, Louis, deutscher Arzt und Musikkenner, lebte zu Anfang des
17. Jahrhunderts in Frankfurt a. M. und veröffentlichte von seiner Composition
ein Werk, betitelt: ■uTriphyllum symplioniarum sacrarutna.
Hörnleiu findet man zuweilen in älteren Orgeln eine 0,6metrige Stimme
benannt, die dem Gemshorn (s. d.) oder Nachthorn (s. d.) ähnlich klingt. 0.
Hörorgau, s. Ohr.
Hössler, deutscher Kii-chencomponist, geboren 1806 zu Altenburg, war
Cantor in seiner Vaterstadt und durch seine Kirchencompositionen im localen
Umkreise vortheilhaft bekannt. Als sein bestes Werk galt ein »Vater unser«
für zwei Chöre.
Hötzl, Ludwig, Kirchencomponist der letzten Hälfte des 17. Jahrhun-
derts, war Canonicus des Benedictinerordens und gab 1688 Vespern seiner
Composition heraus.
Höveln, Konrad von, deutscher Gelehrter, geboren um 1630 unweit
Hamburg, ist der Verfasser eines »Entwurf der Ehren -Tanz- und Singschau-
spiele«.
Hofconcert, s. Concert und Kammermusik.
Hofer, von, berühmter deutscher Lautenvirtuose der ersten Hälfte des
18. Jahrhunderts, war um 1738 Hofmusicus des Churfürsten von Mainz.
Später kam er an den Hof Karl's VI. in Wien, wurde Lehrer der kaiserl.
Prinzessinnen und starb um 1750.
Hofer, Andreas, deutscher Kirchencomponist des 17. Jahrhunderts, war
Vicekapellmeister und Chorregent am Dom zu Salzburg und veröffentlichte eine
Sammlung von Kirchenstücken unter dem Titel: nVer sacrum seu ßores musici
5 vocihus et totidem instrumentis proclucendi et pro offertoriis potissimum serva-
turi ad occurrentes per annum festivitates cum quibusdam pro communis (Salz-
burg, 1677).
Hoffer, Madame, s, unter Weber (Joseph a).
Hofifkuutz, Aurora, gute deutsche Sängerin, geboren 1818 zu Danzig,
ging zu ihrer musikalischen Ausbildung nach Berlin und war von 1838 bis
1846 ein sehr geschätztes Mitglied der dortigen Singakademie. Im J. 1840
debütirte sie im königl. Opernhause als Agnes von Hohenstaufen, wurde enga-
girt und gehörte diesem Theater bis 1846 an, wo sie einen Fabrikanten
Namens Rothländer heirathete und sich gänzlich in das Privatleben zurückzog.
Hoffiuauu, deutscher Orgelbauer, lebte um 1830 zu Hamburg und ist der
Erfinder eines orgelähnlichen Instruments, welches er »Rigabellum« nannte, das
aber wenig Beachtung fand und bald in Verschollenheit gerieth. — Ein Sänger
und Schauspieler, H. N. Hoffmann, um 1797 am Stadttheater zu Hamburg
engagirt, machte sich in seiner Zeit zugleich als Componist von Gesängen und
Liedern bekannt. — Von einem Georg H. existirt gedruckt ein Concert für
zwei Hörner (1799), von einem Ignaz H. aus derselben Zeit eine Sonate für
Muaikal. Convers. -Lexikon. V. 17
258 HoÜmann.
Violine und Bass und von einem Joseph H., gleichfalls damals erschienen,
ein Nutturno für zwei Violinen und Bass und ein Trio für zwei Violinen und
Violoncello. — Ein C. G. Hoff manu endlich, geboren 1803 in Niederschlesien,
Prediger in Freiburg bei Breslau, ist der Verfasser einer Geschichte der Ge-
sangvereine und Musikfeste Niederschlesiens.
Hoiriiiauu, Christian, s. Hofmann.
tloilmauu, Ernst Theodor Amadeus (eigentlich Ernst Theodor
Wilhelm), einer der originellsten deutschen Tonkünstler und Schriftsteller,
zugleich tüchtiger Jurist, wurde am 24. Jan. 1776 zu Königsberg i. Pr. ge-
boren, wo sein Vater Justizcommissarius und Kriegsrath war. Ein sehr fähiger
Kopf, wie H. war, machte er auch in der Musik bei dem Organisten Podbielski
rasche Fortschritte. In Königsberg studirte er die Rechte und trieb daneben
eifrig Clavierspiel , Gesang, Composition, Sprachen und Zeichuenkunst. Nach
abgelegtem Examen wurde er 1795 Auscultator in Königsberg, 1796 bei der
Oberamtsregierung zu Glogau angestellt und 1798 als Kammergerichts-Referen-
darius nach Berlin versetzt. Im J. 1801 kam er als Regierungs-Assessor nach
Posen , ein Jahr später wegen einiger von ihm gefertigter Caricaturen nach
Plozk, wo er u. A. die Composition der Singspiele »Der Renegat« und »Fau-
stinea begann, und 1804 als Rath nach AVarschau, wo der Einmarsch der
Franzosen im J. 1807 seine Staatscarriere jäh unterbrach. Ohne Aussichten
im Vaterlande und ohne Vermögen, benutzte er seine musikalischen Kenntnisse
als Erwerbszweig für sich und seine Familie und dirigirte die dortigen Concerte.
Gern folgte er unter diesen Umständen 1808 einer Einladung des Grafen von
Soden nach Bamberg als Musikdirektor bei dem dort neu errichteten Stadt-
theater. Er componirte zum Antritt dieses Amtes im J. 1809 die vieraktige
Oper »Der Trank der Unsterblichkeit«. Als aber das Theater bald geschlossen
wurde, gerieth er in so grosse Noth, dass er, um essen zu können, wie er selbst
gesteht, den letzten Rock verkaufen musste. Ertheilung von Gesangunterricht
und Arbeiten für die von Rochlitz redigirte Leipziger »Allgemeine musikalische
Zeitung« mussten ihm dürftigen Unterhalt gewähren. Seine ersten Artikel für
die letztere waren die merkwürdige Charakterschilderung »Johannes Kreisler«
(später aufgenommen in H.'s »Phantasiestücke in Callot's Manier« Bd. I) und
»Ueber Beethoven's Instrumentalmusik«; mit ihnen und anderen sollte er bald
in ganz Deutschland bekannt werden. Ausserdem sang er in den herzogl.
Concerten, in der Kirche in Haydn'schen Messen, componirte eifrig, schrieb
Theaterartikel für die »Zeitung für die elegante Welt«, zeichnete, malte und
unterrichtete auch im Clavierspiel. Im J. 1810 übernahm Holbein die Leitung
des Bamberger Theaters, und nun fand H. als Theatercomponist, Decorateur,
Maschinist, Architekt und Direktionsgehülfe eine ihm durchaus zusagende Be-
schäftigung. Aber schon 1812 entsagte Holbein dem Theater und H. verlor
dadurch sein festes Einkommen. Er hörte jedoch nicht auf, fleissig zu arbeiten,
und componirte u. A. 18.13 sein Hauptwerk, die dreiaktige romantische Oper
»Undine«, deren Text Fouque selbst nach seiner bekannten Erzählung bear-
beitet hatte.
Mittlerweile war ihm die Musikdirektorstelle bei der Jos. Seconda'schen
Schauspielergesellschaft in Dresden angetragen worden, und er leitete das Or-
chester dieser abwechselnd dort und in Leipzig spielenden Truppe bis im
Septbr. 1814, wo er sich mit Aussichten auf eine Staatsanstellung wieder nach
Berlin wandte. Im J. 1816 endlich wurde er daselbst vom Justizministerium
als Rath bei dem königl. Kammergericht angestellt und brachte in demselben
Jahre seine »Undine« auf die königl. Bühne zu Berlin, welche einen durch-
schlagenden Erfolg hatte, so dass sie in Jahresfrist 14 Mal wiederholt wurde.
Selbst C. M. V. Weber beurtheilte sie in einem besonderen Aufsatze (Leipz.
AUgem. Musikztg. 1817 No. 12) überaus günstig und sagt. Alles zusammen-
fassend: »Das ganze Werk ist eines der geistvollsten, welches uns die neuere
Zeit geschenkt hat.« — Als im J. 1819 durch B. Klein, L. Berger und
Hoflmann. 259
L. Rellstab die jüngere Liedertafel in Berlin gegründet wurde, üess sich H.
bald darauf in dieselbe aufnehmen und componirte für sie mehrere Gesänge,
Leider starb der geniale Mann schon am 25. Juni 1822 in Folge seines un-
regelmässigen Lebens an der E-ückenmarkdarrsucht nach qualvollen Leiden.
Auf seinem Grabsteine stehen die Worte: ausgezeichnet — im Amt — als
Dichter — als Tonkünstler — als Maler. In Hitzig's Werke »Aus H.'s Leben
und Nachlass« (2 Bde., Berlin, 1823) findet man im zweiten Bande S. 358 fiF.
ein Urtheil über H. als Musiker von A. B. Marx. Seine Compositionen, be-
stehend in 11 Opern, Musiken zu Schauspielen, einem Ballet, Kirchenwerken,
Liedern und Gesängen, einer Sinfonie und anderer Instrumentalmusik, finden
sich mit vollen Titeln verzeichnet in C. v. Ledebur's »Tonkünstler -Lexikon
Berlin'sa (Berlin, 1860).
Dass H. überhaupt seltene musikalische Kenntnisse besass und die Ton-
kunst mit ungewöhnlicher Tiefe auflfasste, zeigt sich auch in seinen vortreflf-
lichen Dichtungen, bestehend in Romanen und Erzählungen, Novellen und
Märchen von hohem Kunstwerthe, in denen er sich oft und gern mit der Musik
und musikalischen Erscheinungen beschäftigt. Mit einer reichen und stets ge-
schäftigen Phantasie begabt, die ihm das Reich des Wunderbaren ebenso le-
bendig eröfi'nete, als das der Wirklichkeit, mit einem unerschöpflichen Humor
und einem kaustischen Witz verband er eine seltene Klarheit des Geistes, die
wenigstens ssinen amtlichen Arbeiten nachgerühmt wird, und war ein Meister
der Darstellung und einer reichen, lebendigen, wohlgefügten Sprache. Ausser
vielen Beiträgen für literarische Blätter kommen hier in Betracht seine schon
erwähnten »Phantasiestücke in Callot's Manier« (3 Thle., Bamberg, 1814),
welche der ihm geistesverwandte Jean Paul mit einem empfehlenden Vorworte
begleitete. Diese enthalten meist Kunstnovellen, welche, wenn auch eine und
die andere in das Reich der Ahnungen und überreizten Denk- und Empfin-
dungsweise überschlägt, wie »Don Juan«, doch die Grenze der poetischen Wahr-
heit innehalten. Wie diese Erzählung das Yerstäudniss des Mozart'schen
Meisterwerks eröffnet, so wird im »Ritter Gluck« die Eigenthümlichkeit dieses
Meisters in lebendiger Weise dargestellt. Das zweite Werk, welches hier we-
nigstens erwähnt werden muss, sind die »Lebensansichten des Kater Murr nebst
fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler in zufälligen
Maculaturblättern« (2 Bde., Berlin, 1820 bis 1822), an deren Vollendung H.
durch den Tod gehindert wurde. Hier, wie in seinen zerstreuten musikalischen
Recensionen schlug er allerdings häufiger jenen überspannten, excentrischen
Ton an, der seinen vielen Nachahmern so verderblich geworden ist und die
musikalische Kritik der Folgezeit zum Theil in blosse somnambulistische Ex-
clamationen aufgelöst hat.
Hoffmann, Eucharius, deutscher Musikgelehrter und Componist, geboren
zu Heldburg in Franken, war erst Cantor, dann, um 1580, Conrektor zu Stral-
sund. Er veröffentlichte die für jene Zeit vortrefflichen didaktischen Werke
y>Doctrina de tonis seu modis musicisa etc. (Greifswald, 1582; weitere Aufl.,
Hamburg, 1584 und 1585) und »Musicae pracücae praecepta ad usuin juventutisu
(Greifswald, 1584; Hamburg, 1585, 1588), sowie vierstimmige geistliche Lieder
(Rostock, 1577). Im Uebrigen componirte er noch Psalme und einige Hoch-
zeitgesänge zur Vermählung des Herzogs von Pommern.
Hoffinauu, Franz, tüchtiger deutscher Musikpädagoge, geboren am 8. Septbr.
1767 zu Leobschütz, war als Gymnasiast zugleich Schüler des berühmten Or-
ganisten Kuchelmeister. Er widmete sich dem Schulfache, ward Schulamts-
gehülfe zu Katschir und 1794 Cantor und Regenschori an der katholischen
Stadtpfarrkirche zu Ratibor, wo er am 9. Febr. 1823 starb. — Sein Sohn,
Karl Julius Adolph Hugo H., geboren am 16. Febr. 1801 zu Ratibor,
sang, von seinem Vater unterrichtet, in der Kirche als Altist und machte mit
elf Jahren Compositionsversuche. Im J. 1815 nahm ihn das Convictorium zu
Breslau auf, er wurde 1819 Chorpräfekt und bezog 1821 die Breslauer Uni-
260 Hoffmauu.
veisitüt als Student der Philologie und Philosophie. Musikalisch sehr fördei*-
lich war ihm damals der Umgang mit Berner und Schnahel, der ihn anregte,
1822 den akademischen Musikvereiu zu gründen. Nach einigen Reisen von
1823 bis 1826, erhielt er 1827 die Direktion der Kapelle des Grafen von
Reichenbach zu Leobschiitz. Ein Jahr später wurde er an Franz Luge's Stelle
als llegenschori, Musikdirektor uud Grymnasial-Musiklehrer nach Oppebi berufen
und 18.30 auch zum Chordirektor an der katholischen Hauptkirche daselbst
ernannt. Sein literarisches Hauptwerk sind »Die Tonkünstler Schlesiens, ein
Betrag zur Kunstgeschichte Schlesiens von 960 bis 1830« u. s. w. (Breslau,
1830), ein vortreffliches Nachschlagebuch, welches einen enormen Sammelfleiss
bekundet. Ausser vielen Aufsätzen für schlesische Zeitschriften, besonders für
Hientzsch's «Eutonia«, verfasste er eine »Literatur der Musik des 18. und 19.
Jahrhunderts«, eine »Geschichte der Musik bei den Provengalen, Trouliadours
und Minnesängern«, eine »Geschichte des Meistergesangs«, »Die Musik der
Griechen und Römer« uud mehrere Elementarwerke, von denen »Die Wissen-
schaft des Gesanges« in Gymnasien und höheren Bürgei-schulen als Leitfaden
eingeführt ist. Seine Compositionen bestehen in Liedern, Chorälen (für das
Oppeln'sche christkatholische Gesangbuch) und Gesängen, in Kircheusachen,
Ciavierstücken, vier Polonaisen für Orchester, Concerten für verschiedene In-
strumente, einigen Operetten u. s. w. — Sein jüngerer Bruder, August H.,
geboren am 23, Septbr. 1803 zu Ratibor, war Cantor zu Hennersdorf bei
Laubau in Schlesien.
HoiTinauu, Friedrich, vortrefHicher Violinvirtuose und guter Pianist, ge-
boren 1791 zu Nowgorod, trat 1808 in das Pariser Conservatorium, wo Baillot
sein Hauptlehrer war. Im J. 1811 wurde er erster Violinist im Orchester des
Stadttheaters zu Frankfurt a. M., ging 1815 als Musikdirektor nach Detmold,
kehrte aber 1820 in seine frühere Stellung nach Frankfurt zurück und ertheilte
auch Violin- und Ciavierunterricht. Zu seinen Schülern zählt u. A. Ferd. Hiller.
H. starb am 6. April 1863 zu Frankfurt a. M.
Hoffmauu, Friedrich Alexander, vortrefflicher deutscher Tonkünstler
der neuesten Zeit, war Domkapellmeister und Orchesterdirektor des Stadtthea-
ters in Graz und starb daselbst am 26. Jan. 1871.
HoffinauU) Friedrich Benedict, dramatischer und lyrischer Dichter,
sowie Musikschriftsteller, geboren am 11. Juli 1760 zu Nancy, schrieb viele
Operntexte für zum Theil berühmte Componisten und starb am 25, April 1808
zu Paris.
Hoffmauu, Gerhard, deutscher Mathematiker, Architekt und Tonkünstler,
geboren am 11. Novbr. 1690 zu Rastenberg, studirte Mathematik und das
Baufach zu Jena und wurde 1719 herzogl. Bauverwalter in "Weimar. Stets
schon der Musikübung beflissen, übte er bei dem Kapellmeister J. W. Dresen
die Musiktheorie aufs eingehendste und compouirtc viele geistliche Cantaten
und andere Kirchenstücke. Aber auch andere Resultate wusste er als aus-
gezeichneter Mathematiker für die praktische Tonkunst zu erzielen. Im J. 1727
verbesserte er sein Lieblingsinstrument, die Flöte, durch ein zweites Ventil,
welches er nicht minder vortheilhaft weiterhin auch bei der Oboe anbrachte.
Ferner erfand er einen Zug an der Violine, mittelst dessen die Stimmung der-
selben mit der linken Hand sofort aus dem Chor- in den Kammerton und
wieder zurück verändert werden konnte. Ein Jahr später, wo er auch Käm-
merer zu Rastenberg wurde , gab er eine Berechnung der Temperatur heraus,
um mit derselben die Instrumente leicht stimmen zu können, die er dann 1733,
um sie auch für Orgeln anwendbar zu machen, verbesserte und erweiterte.
Im J. 1734 erfand er ein besonderes Saitenmaass, nach welchem alle Arten
von Saiten schnell ausgewählt und in das richtige mathematische Verhältniss
zu einander gestellt werden konnten. Zum Büi'germeister von Rastenberg
1736 erwählt, blieb H. in diesem Amt bis zu seinem Tod, der sich aber nirgends
angegeben findet.
Hoffmann. 261
Hoffmauu, Gustav, genannt Graben-Hoffmann (s. d.).
Uoifmano, Heinrich Anton, deutsclier Violinvirtuose und Dirigent, ge-
boren am 24. Juni 1770 zu Mainz, studirte auf der Universität daselbst die
Eecbte und Philosophie. Beim Ausbruch des Revolutionskriegs starb sein
Vater, und er sah sich in schwerer Zeit auf die eigene Erwerbsth'ätigkeit an-
gewiesen. Er wählte, da er fertiger Violinist war, die Musik als Lebensberuf,
wurde kurfürstl. Kammermusiker und blieb es bis zur Belagerung von Mainz,
die ihn zur Auswanderung trieb, worauf er nach Aschaffenburg ging und von
dort aus 1799 eine Violinistenstelle am Stadttheater in Frankfurt a. M. an-
nahm. Im J. 1801 wurde er daselbst Correpetitor, später Concertmeister, 1817
Vice - Musikdirektor und 1819 wirklicher Musikdirektor und Mitdirektor des
Theaters. Als Guhr 1821 zum Kapellmeister berufen wurde, blieb H. Vice-
Musikdirektor und erster Violinist. Er liess sich 1835 pensioniren und lebte
bis zu seinem Ende, am 19. Jan. 1842, der Composition. Im Druck erschienen
von seinen Werken sechs Streichquartette, zwei Violinconcerte, ein Concertante
für zwei Violinen, 12 Lieder mit Clavierbegleitung und Duette für Violine und
Violoncello, die sämmtlich ein hervorragendes Talent verrathen. — Sein Bruder,
Philipp Karl H., geboren am 5. März 1769 in Mainz, war ein tüchtiger
Pianist. Anfangs nur Musikliebhaber, widmete er sich nach dem Tode seines
Vaters der Ertheilung von Unterricht und verliess auch zugleich mit seinem
Bruder die Vaterstadt. Er wandte sich nach Offenbach, wo er Musiklehrer
bei dem reichen kunstsinnigen Kaufmann Bernard und in dessen Privatkapelle
als Bratschist angestellt wurde. Nebenbei trieb er eifrig Naturwissenschaften
und gehörte zu den Begründern der "Wetterau'schen naturforschenden Gesell-
schaft. Auf einer Heise nach Amsterdam , später nach "Wien erfuhr er als
Künstler und wissenschaftlich gebildeter Mann viele Ehren, Im J. 1810 sie-
delte er nach St. Petersburg über, wo er sich als hochgeschätzter Musiklehrer
und Concertspieler Vermögen und eine angesehene Stellung schuf, so dass er 1820
nach Frankfurt a. M. gehen und lediglich seinen künstlerischen und wissen-
schaftlichen Neigungen leben konnte, wiewohl er es nicht verschmähte, mitunter
noch öffentlich zu spielen. Man rühmte auch damals noch die Fertigkeit,
Präcision und Nettigkeit seines Vortrags. Von der Composition, in welcher
er sich vormals mit Glück versucht hatte, kam er je länger je mehr zurück.
Erschienen sind von seinen Arbeiten: Sonaten für Pianoforte und Violine,
vierhändige Variationen, ferner Rondos, eine Fantasie, Variationen u. s. w. für
Ciavier und Cadenzen zu sechs Mozart'schen Claviercoucerteu , deren Adagios
er zugleich ausschmückte.
Hoffmauu, Heinrich August, nach seinem Geburtsorte H. von Fal-
lersleben genannt, sehr verdienter deutscher Sprachforscher und einer unserer
edelsten und gemüthvollsten Liederdichter, wurde am 2. April 1798 zu Fallers-
leben im Lüneburg'schen geboren, besuchte das Gymnasium zu Helmstedt und
das Catharineum zu Braunschweig und bezog 1816 die Universität Göttingen,
anfangs Theologie, dann aber dort, sowie 1819 in Bonn eifrig Philologie stu-
dirend. Im J, 1821 machte er im Interesse der Sprachforschung eine Studien-
reise nach Belgien und Holland, privatisirte dann in Berlin und wurde 1823
Custos an der Universitätsbibliothek zu Breslau, 1830 ausserordentlicher und
1835 ordentlicher Professor der deutschen Sprache und Literatur daselbst.
"Wegen der in seinen »unpolitischen Liedern« (2 Bde., Hamburg, 1810. 1841)
ausgesprochenen Grundsätze und Tendenzen erhielt er 1843 seine Entlassung
ohne Pension, führte darauf ein unstetes "Wanderleben und verweilte episodisch
längere Zeit in Berlin und "Weimar. Endlich wurde er als fürstl. Bibliothekar
zu Corvey in "Westphalen angestellt und starb als solcher am 19- Jan. 1874.
— H.'s grosse und vielseitige Vei-dienste als Dichter von Liedern, welche für
die musikalische Composition vorzugsweise geeignet sind, sowie um die wissen-
schaftliche Behandlung der deutschen Sprache und Literatur haben hier nicht
Besprechung zu finden. Erwähnt seien von seinen werthvollen Arbeiten als
262 Hoffniann.
in die Musik einschlägig nur seiue reichhaltige »Geschichte des deutschen
Kirchenliedes bis auf Luther's Zeit« (Breslau, 1832; 2. Aufl., Hannover, 1854),
seine »Schlesischen Volkslieder mit Melodien« (Leipzig, 1842), seine »Deutschen
Gesellschaftslieder des 16. und 17. Jahrhunderts« (Leipzig, 1844) und seine
»Kinderlieder« (Leipzig, 1843; nach Original- und Volksweisen herausgegeben
von L. Erk, Berlin, 1873). Dass ein Dichter, welcher die sanggerechte Rede-
form so glücklich traf, zugleich Tondichter war, wie die alten Minne- und
Meistersinger, erscheint fast natürlich. Auch in dieser Eigenschaft fand er die
richtige Weise und viele seiner Melodien sind, ähnlich wie seine Dichtungen,
volksthüralich geworden, z. B. »Zwischen Frankreich und dem Böhmerwald«,
»Uffem Berg, do möchti rueihe«, »Des Morgens um halbe viere«, »0 wie ist es
kalt geworden«, »"Wer singet im Walde« (Herr Ulrich) u. s. w.
HofTmann, Heinrich Theodor, deutscher Tonküustler, geboren am 12.
März 1807 zu Arnsdorf bei Schmiedeberg in Schlesien, war Cantor und
Organist zu Friedland und schrieb einen Leitfaden für den ersten Gesang-
unterricht.
HoiTmann, Joachim, deutscher Componist und Musikgelehrter, geboren
1788 in Niederösterreich, war seit 1815 in Wien als Tonkünstier vortheilhaft
bekannt und hat Sinfonien und Cantaten componirt. Ebenso ist er der Ver-
fasser einer Harmonielehre.
Hoffmann, Johann, berühmter Componist und Organist des 16. .Jahr-
hunderts, stand in der ersten Hälfte desselben in Diensten des Erzbischofs
Albert zu Halle a S., wo er auch zu dem Gesangbuche von Mich. Vehe mit
W. Heintz Melodien componirte. — Ein Ende des 18. Jahrhunderts leben-
der Johann H. war Virtuose auf der Mandoline und gab um 1799 zu Wien
Compositionen für Mandoline mit Begleitung verschiedener Instrumente heraus.
Uoffmaun, Johann, vortrefflicher deutscher Tenorsänger, geboren am
22. Mai 1805 zu Wien, wuchs unter günstigen Verhältnissen auf, übte mit
Vorliebe Musik und besuchte die Universität, worauf er schon 1820 eine An-
stellung beim Magistrat in Wien erhielt. Von Kennern auf seine schöne
Stimme aufmerksam gemacht, liess er dieselbe von Elsler, später von Simoni
ausbilden, während er bei Weigl die übrigen Fächer der Musik studirte. Im
J. 1826 debütirte er in der kaiserl. Oper am Kärnthnerthor, u. A. als »Titus«,
und wurde eugagirt. Nach der Auflösung der Wiener Hofoper war er drei
Jahre hindurch beim Stadttheater zu Aachen, ging dann, durch die Milder
empfohlen, zu einem Gastspiele an die königl. Oper nach Berlin und wurde
1829 für dieselbe gewonnen. Als Antrittsrolle sang er am 31. Mai 1829 den
Max im »Freischütz«, welche Parthie er an dieser Bühne überhaupt 26 Mal
ausführte. Am 5. Mai 1835 schied H. in der Rolle des Fra Diavolo von Berlin
und folgte einem Kufe nach St. Petersburg. Von dort ging er 1838 an das
Theater in Riga, dessen Direktion er ein Jahr später als Holtei's Nachfolger
übernahm. Im J. 1844 kehrte er nach Deutschland zurück, war von 1847
bis 1852 Direktor des ständischen Theaters in Prag und trat 1855 die Direk-
tion des Josephstädter Theaters in Wien an. Als Säuger war er sehr brauch-
bar und überaus bewandert, jedoch missfiel in Berlin sein süddeutscher Dialekt
beim Singen. — Seiue Gattin, Katharina H., geborene Krainz, genannt
Greis, geboren am 24. Febr. 1809 zu Graz, war die Tochter eines rühmlichst
bekannten Orgelbauers daselbst. Früh schon trat sie, da sie musikalische
Anlagen bekundete, in den Theaterchor und begab sich zu ihrer weiteren Aus-
bildung nach Wien zu Ciccimara. Sie debütirte hierauf 1826 mit Erfolg in
der Oper »Marie« von Herold und wurde 1828 in Aachen eugagirt. Ein gün-
stig ausgefallenes Gastspiel am Königsstädtischen Theater in Berlin führte
1829 zu ihrer Anstellung daselbst und nach ihrer Verheirathung 1830 zur
Ernennung als königl. Hofopernsängerin, nachdem sie als Elvira in Auber's
»Stumme« debütirt hatte. Ihrem Gatten folgte sie nach St. Petersburg und
Riga. Sie starb am 4. Decbr. 1857 zu Frankfurt a. M.
Hoffmann. 263
Hoifiuauu, Johann Georg, geschickter deutscher Orgelspieler und gründ-
licher Musiktheoretiker, geboren am 24. Octbr. 1700 in einem schlesischen
Dorfe bei Niemptsch als der Sohn eines armen leibeigenen AVebeis, kam 1713
bei dem Organisten J. H. Quirl zu Niemptsch in eine fünfjährige Musiklehre
und lernte daselbst Gesang, Ciavier- und Violinspiel, Trompete, Posaune und
etwas Theorie. Mit fünf Thalern Ersparnissen wanderte er 1717 nach Breslau
und wurde Bedienter des jungen Barons von Reichenbach, dessen Hofmeister
der nachmalige Professor Giersch, H. an dem Unterrichte seines Zöglings im
Italienischen und Französischen Theil nehmen Hess. Der Musikdirektor Wilisch
der sich seiner musikalisch annahm, empfahl ihn endlich 1720 für die Stelle
eines Unterorganisten an der St. Elisabethkirche zu Breslau. Jetzt studirte
H. mit unermüdlichem Fleisse Alles, was zur Musik gehörte, wurde 1725
zweiter Ciavierspieler bei der italienischen Oper und erhielt 1727, als der
Kapellmeister Treu nach Prag abging, sogar die Orchesterdirektion derselben.
Ein Jahr später übernahm er die Composition der Vesper- Musiken, wurde 1737
Organist an der Kirche St. Barbara und 1742 Oberorganist an der Maria-
Magdalenenkirche. Als solcher starb er, hoch angesehen in ganz Schlesien, im
J. 1780 zu Breslau. Er componirte vier vollständige Jahrgänge Can taten und
andere Kirchengesänge zum gottesdienstlichen Gebrauch für alle Sonn- und
Festtage, ferner zwei Passions -Oratorien, gegen 400 Serenaden, Coucerte,
Gelegenheitswerke u. s. w. , die jetzt freilich ziemlich steif und trocken er-
scheinen.
Hoffmanu, Johann Georg, deutscher Orgelspieler und Componist für
sein Instrument, geboren 1738 zu Schlawa im damaligen Fürstenthum Glogau,
erhielt von seinem Vater Unterricht im Singen und auf der Orgel, welchen
Fertigkeiten er die Stelle als Choralist an der Elisabethkirche in Breslau und
eine Freistelle an dem dortigen Gymnasium verdankte. Als sein Vater 1763
starb, wurde er Stadt- und Kirchenmusicus zu Schlawa und nach dem Brande
dieses Orts, 1765, Organist an der evangelischen Kirche zu Niebusch bei Frei-
stadt. Als solcher starb er im J. 1809. Componirt hat er Orgelstücke.
Hoffmauu, Johann Christoph, ausgezeichneter deutscher Dilettant, lebte
zu Nürnberg und stand daselbst um 1686 wegen seiner musikalischen Fertig-
keiten in besonderem Ansehen.
HofiFmanu, Johann Leonhard, deutscher Musikgelehrter, geboren in der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, gestorben am 29. Septbr. 1814 zu Er-
langen, ist als Verfasser des Buchs »Versuch einer Geschichte der malerischen
Harmonie mit Erläuterungen aus der Tonkunst« bekannt geworden.
HofTmanu, Karl Johann, deutscher Gelehrter, geboren 1804 im Mecklen-
burg'schen, studirte in Berlin Philosophie und Geschichte und veröffentlichte
die Schrift: »Beweis und Darstellung des ausgebildeten musikalischen Taktes
der alten Griechen aus ihrer eigenen Musik. Angehäugt: Deutsche Ueber-
setzung der wichtigsten griechischen und lateinischen Beweisstellen für nicht
in den alten Sprachen bewanderte Musikfreunde« (Berlin, 1832).
Hoffmanu, Leopold, s. Hofmann.
Hoffmauu, Ludwig, geschickter deutscher Tonkünstler, geboren am 27.
Octbr. 1830 zu Berlin, machte von 1848 bis 1851 seine musiktheoretischen
Studien auf der königl. Akademie der Künste daselbst unter A. W. Bach und
Ruugenhagen und erhielt für wohlgelungene Arbeiten die grosse silberne Me-
daille. Er war hierauf seit 1853 mehrere Jahre hindurch als Kapellmeister
an verschiedenen Stadttheatern thätig und führte als solcher 1855 in Stettin
seine zweiaktige Oper »Das Wirthshaus am Kyffhäuser« auf. Im J. 1858
übernahm er die Stelle als Dirigent des Musikvereins und der Liedertafel in
Bielefeld, leitete die grossen Abonnementsconcerte daselbst mit Auszeichnung
und wurde 1862 zum königl. Musikdirektor ernannt. Von 1864 bis 1868, in
welcher Zeit er in Dresden lebte und den dortigen Neustädter Gesangverein
dirigirte, trat er besonders auch als Componist hervor vind machte ßich vor-
264 Hoftmann — Hoffmeister.
züglich durch ein Sextett für Blasinstrumente und ein Streichquartett in D-dur
rühmlichst bekannt. Im letztgenannten Jahre siedelte H. nach Berlin über,
wo er, als Gesanglehrer an einer höheren Töchterschule, sowie am Friedrich-
Wilhelms - Gymnasium , als Lehrer der musikalischen Theorie am Schwantzer'-
schen Institute und von Privatunterricht stark in Anspruch genommen, gegen-
wärtig überwiegend pädagogisch wirkt. Seit 1870 wurde er auch immer von
Neuem zum zweiten Vorsitzenden des Berliner Tonkünstlervereins gewählt. —
H.'s gedruckte Compositionen bestehen in trefflichen Kammermusikwerken, sehr
sinnigen ein- und mehrstimmigen Gesängen und Ciaviersachen. Im Manuscript
befinden sich viele geistliche Werke.
Hofl'niauii, Martin, berühmter Saiten-Instrumentcnmacher, besonders auch
von Lauten, die in ganz Deutschland geschätzt waren, lebte zu Ende des 17.
und im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts zu Leipzig, woselbst er 1725 starb.
— Von seinen Söhnen betrieb der ältere, Johann Christian H., den
Lautenbau mit Glück weiter, während der jüngere Violinen und Gamben
fertigte.
Hon'mauu, Richard, vortrefilicher Pianist und Componist für sein In-
strument, geboren 1828, lebt in New-York und wird dort den besten Virtuosen
zugezählt. Er hat viel im modernen, eleganten Style componirt.
Holfmauu, Sophie, deutsche Sängerin und Gesanglehrerin, geboren 1803
zu Berlin, ward daselbst im Louisenstifte erzogen und erhielt, da sie Gesangs-
talent zeigte, mit der nachmaligen Sängerin Henriette Carl bei der königl.
Sängerin Schmalz Unterricht. Im J. 1822 debütirte sie an der königl. Oper
und wurde engagirt. Sie sang u. A. Aennchen (Freiscliütz), Tancred, Zerline
(Don Juan), Annius (Titus), Fatime (Obcrou) u. s. w. Der Wunsch, die Stufe
der Vollendung als Sängerin zu erreichen, veranlasste sie, 1831 ihr Engage-
ment aufzugeben und nach Italien zu gehen, wo sie unter Francesco Schira,
weiterhin unter Eliodoro Bianchi studirte. Sie sang hierauf an italienischen
Bühnen Mezzosopranparthien , die ihre Stimme erheblich schädigten, so dass
sie dem Rathe Pavesi's folgte und ferner nur noch in Altrollen auftrat. Auf
diesem Gebiet hatte sie 1832 in Venedig und Mailand auch bedeutenden Er-
folg, nicht aber in Berlin, wo sie 1833 gastirte und nicht wieder engagirt
wurde. Sie betrat seitdem nicht mehr die Bühne und heirathete den Schau-
spieler Alix, von dem sie sich jedoch bald wieder scheiden Hess. Seitdem
widmete sie sich der Ertheilung von Gesangunterricht und starb 1852 an einer
Brustkraukheit zu Berlin.
Hoffmayer, deutscher Tonkünstler, lebte zu Ende des 18. Jahrhunderts in
Wien. Von seiner Composition erschienen 1783 zu Paris sechs Quartette für
Flöte, Violine, Viola und Bass.
Hoffmeister, Franz Anton, ehrenwerther deutscher Tonkünstler und
fruchtbarer Componist, geboren 1754 zu Rothenburg am Neckar, kam mit
vierzehn Jahren nach Wien und studirte dort die Rechte. Die Gelegenheit,
viel und Gutes zu hören, befestigte seine Neigung zur Musik und brachte ihn
nach Vollendung seiner juristischen Studien zu dem Entschluss, sich ganz der
Tonkunst zu widmen, welcher er seitdem einen bewunderungswürdigen Fleiss
und Elfer zuwandte. Er wurde endlich Kapellmeister an einer der Kirchen
Wiens und gründete eine Buch-, Kunst- und Musikalienhandlung daselbst.
Gegen Ende 1798 machte er sich von Amt und Geschäft frei und begab sich
auf Reisen, zunächst nach Pi*ag, wo er u. A. sein »Vater unser«, das für sein
bestes Werk gilt, im Januar 1799 wiederholt auö"ührte. In der Aljsicht, nach
London zu gehen, kam er in Leipzig an, gefiel sich dort aber so, dass er blieb
und gemeinschaftlich mit dem Organisten Kühnel Ende 1800 das berühmt gewor-
dene und noch jetzt bestehende Bureau de miisique (s. Peters) errichtete.
Obwohl die Geschäfte von Anfang an sehr gut gingen, überliess H. doch schon
1805 seinen Autheil an der Handlung seinem Geschäftsgenossen und zog sich
nach Wien zurück, wo er ausscbliesslich der Composition lebte, bis er am
Hof haimer — Hofmann. 265
9. Febr. 1812 den ihn schon lange peinigenden asthmatisclien Anfällen erlag.
— H. war weder ein Mann von Genie, noch ein tief denkender Tondichter,
gleichwohl war sein Styl natürlich, anmuthig, brillant und leicht eingänglich,
so dass seine Arbeiten zahlreiche Verehrer fanden und eine Zeit lang alle
Kirchen und Concertsäle erfüllten. Seine Fruchtbarkeit in allen Musikgat-
tungen und für fast alle Instrumente gränzt an das "Wunderbare, denn er schrieb
eine Unmasse von Kirchenwerken, neun Opern (darunter der überaus beifällig
aufgeführte »Telemach«, »Der erste Kuss« u. s. w.) , mehrere Sinfonien und
Concerte. Dazu kommen allein für die Flöte 156 Quartette, 96 Duette, 44
Trios, 30 Concerte und 18 Quintette, für Streichinstrumente 42 Quartette,
18 Trios, 52 Duette, für die verschiedensten Soloinstrumente Variationen und
Nocturnen, endlich andere grössere und kleinere Stücke für Orchester, für sechs-
und achtstimmige Harmoniemusik u.. s. w. Von seinen zuletzt herausgekom-
menen Arbeiten wurden besonders die Claviercompositionen und die Maurer-
lieder gut aufgenommen. Die Partitur seiner Oper »Telemach, Prinz von Ithaka«
befindet sich in der königl. Bibliothek zu Dresden.
Hofhaimer, Paul (oder Johann Paul), grosser deutscher Orgelvirtuose
und der gelehrteste Componist seiner Zeit, wurde im J. 1459 zu Eadstadt an
der Gränze von Steiermark geboren. Ohne jemals einen Musiklehrer gehabt
zu haben, brachte jpr es im Orgelspiel und in der Composition bis zu dem
damals höchst erreichbaren Grade. Im J. 1493 kam er als Hofrausicus und
Organist in die Dienste Friedrich's III. in Wien, dem Maximilian I. folgte,
welcher H. besonders hoch schätzte und ihn in den Adelsstand erhob , worauf
ihm König Ladislaus von Ungarn 1515 nach einer grossartigen Aufführung
im Stephansdom zu Wien den Orden vom goldenen Sporn und den Rittei--
schlag ertheilte. Bald darauf zog sich H. nach Salzburg zurück und starb
daselbst in seinem eigenen, nach ihm benannten Hause im J. 1537. An seinem
Orgelspiel wurde die grosse Gewandtheit auf dem Manual wie auf dem Pedal
und seine Fertigkeit in der Durchführung auch der schwersten Themata ge-
rühmt. Seine compositorischen Arbeiten halten, nach dem Zeugniss des Lus-
cinius, immer die wahre Mittelstrasse, sind correkt und bei aller tiefen Gründ-
lichkeit dennoch stets gefällig, blühend und grossartig stylisirt. Er setzte viele
Kirchenstücke, Choräle, die Oden des Horaz, Lautenstücke, drei-, vier- und
fünfstimnüge canonische und contrapunktische Gesänge u. s. w., von welchen
die Wiener Hofbibliothek fünf handschriftliche Quartbände besitzt. Im Uebrigen
findet sich überaus selten von ihm etwas vor. Er entwarf auch nach eigenen
Grundsätzen feste Regeln für die Setzkunst. Sein Ruhm drang sogar ins Aus-
land und selbst von entfernten Ländern kamen Viele nach Wien, um den ausser-
ordentlichen Meister zu hören und seinen Unterricht zu geniessen. Als die
bedeutendsten seiner Schüler nennt man: Argentin von Bern, Johann Buschner
aus Constanz, Johannes Coloniensis am sächsischen Hofe, Conrad aus Speier,
Johann Kotter, Schachingerus von Padua und Wolfgangus aus Wien.
Hofmanu, Orgel- und Instrumentenmacher zu Gotha, erfand 1779 einen
Doppelfiügel, auf welchem auf jeder der beiden Seiten sich je zwei Claviere
befanden, so dass vier Spieler zugleich auf dem Instrumente spielen, alle vier
Claviere aber auch für einen Spieler gekoppelt werden konnten. Der Herzog
von Sachsen-Gotha erwarb dies Instrument, welches später vielfach nachge-
ahmt wurde.
Hofmaiin, Auguste, geborene Gassner, eine vorzügliche Pianistin, ge-
boren am 3. Octbr. 1826 zu Wien, war eine Schülerin Bocklet's und erwarb
sich, obwohl sie die Musik nicht berufsmässig trieb, einen ausgezeichneten
Namen im lokalen Umkreise. Leider starb sie schon am 5. März 1855
zu Wien.
Hofmann, Christian, deutscher Tonkünstler, geboren in Guben in der
zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, war Cuntor in Crossen und gab eine
kurzgefasste »Anweisung zur Singkunst« heraus.
266 Hofmann.
Hofinann, Heinrich, talentvoller und hervorragender Componist der Gegen-
wart, geboren am 13. Jan. 1842 zu Berlin, wurde mit neun Jahren in den
königl. Domchor aufgenommen und machte seine höhex'en musikalischen Studien
von 1857 an im Clavicrsjncl bei Th. Kullak, in der Compositiouslehre bei
S. "W. Dehn und E. "Wüerst. Hierauf trat er häufig als Concertspieler und
1863 auch in einem eigenen Cuncerte auf, wirkte hauptsächlich als Musiklehrer
und schrieb zahlreiche kleinere Claviercompositionen. Der glückliche Erfolg
seiner einaktigen Oper »Cartouche«, 1869 in Berlin und dai-auf in vielen an-
deren deutscheu Städten sehr erfolgreich gegeben, bestimmte H., sich aus-
schliesslich der Composition zu widmen , und nun entstand seine ungarische
Suite op. 16, welche von allen grösseren Orchestern unter aussergewöhnlichem
Beifall ausgeführt wurde und sogar in Amerika eine glänzende Aufnahme fand.
Nicht minder bedeutend war der Erfolg seiner Frithjof-Sinfouie, op. 22, ebenso
in den Gesangvereinen seines geist- und humorsprühenden Charapagnerliedes
für Männerchor und Orchester, op. 17, und so ist es erklärlich, dass gegen-
wärtig die Blicke der gesammten deutschen Musikwelt mit Spannung auf dieses
mächtig emporstrebende künstlerische Talent gerichtet sind, nach dessen Ar-
beiten die angesehensten Verlagsfirmen fahnden. Die neueste grosse Compo-
sition H.'s ist das »Märchen von der schönen Melusine«, Gedicht von W. Oster-
wald, für Soli, Chor und Orchester, op. 30. Sonst sind „von ihm erschienen
eine Schauspielouvertüre, ungarische Tänze und Charakterstücke für Orchester,
ein Ciaviertrio, Streichsextett, mehr- und einstimmige Gesänge, zwei- und vier-
händige Ciavierstücke u. s. w. In allen seinen Werken ist H. ersichtlich be-
strebt, unter Wahrung der classischen Form einen bedeutenden Inhalt zu ent-
wickeln, und dies erklärt die glänzende Aufnahme derselben.
Hofmauu, Johann Christian, vortrefilichor Oboevirtuose, geboren 1743
zu Rinteln, war Oboist in einem Militär -Musikcorps in Kassel und kam von
dort um 1766 nach Weimar, wo er ein Schüler des berühmten Barth wurde
und dessen INEanier sich aneignete. Nach seines Lehrers Abgange, im J. 1770,
trat H. als Kammermusicus und ei'ster Oboist in dessen Stelle. Er scheint
Ende des 18. Jahrhunderts gestorben z'U sein und hinterliess den Ruf eines
ausnehmend fertigen Bläsers.
Hofmauu, Karl Eduard, Musikpädagog und Componist, geboren 1797
zu Dürrhennersdorf bei Löbau in der Oberlausitz, erhielt seine erste musi-
kalische Ausbildung von seinem Vater im Orgel- und Pianofortespiel, besuchte
das Lyceum zu Löbau und wurde Chorpräfect daselbst. Im J. 1813 kam er
nach Prag und genoss unentgeltlich den Unterricht des Altmeisters W. Toma-
schek, der ihn im J. 1816 dem Fürsten Paar zu Wien als Musiklehrer em-
pfahl. Im J. 1820 kehrte H. nach Prag zurück und wirkte daselbst als gründ-
licher Ciavierlehrer bis zu seinem Ende, am 24. Novbr. 1860. Aus seiner
Schule ist eine Reihe vorzüglicher Schüler, von denen sich einige grossen Ruf
erworben, hervorgegangen, so J. Pischek (auch als tüchtiger Pianist geschätzt),
Ed. Hanslik, Jul. Benoni, Wilh. B. Mayer, Jos. Poliner, dann die Damen Mila
Zadrobilek aus Heidelberg, Marie Pisarovic u. s. w. Als er in Wien verweilte,
machte er sich mit L. v. Beethoven bekannt und arrangirte dessen zweite und
dritte Sinfonie (erschienen bei Simrock in Bonn), sodann auch dessen fünfte
Sinfonie (bei Breitkopf und Härtel) zu acht Händen. Diese vortrefflichen
Arrangements erregten selbst die Aufmerksamkeit Mendelssohn's, der H. zur
vierhändigen Bearbeitung seines »Elias« vorschlug. H. lieferte ausserdem viele
achtbändige Ouvertüren-Arrangements, z. B. Don Juan, Cosl fan tutte, Fidelio,
Oberen, Lodoiska, Meergeuse von Fr. Skroup, Ouvertüre über slavische Me-
lodien von E. Tittl, einen Ciavierauszug des Tomaschek'schen Requiems in C-moll
mit Singstimmen; dann arrangirte er vierhändig die Tomaschek'schen Ouvertüren
in ^s und zur Oper »Seraphine«. Ausser diesen Arrangements componirte er
mehrere Liederhefte, einen Trauermarsch, ein Vater unser für eine Singstimmc
mit Orgelbegleitung und hinterliess eine »Vierhändige Ciavierschule«. Zahl-
Hofniami — Hogaz. 267
reiche musikalische Beiträge von ihm enthält die Zeitschrift »Hylos«. Seine
noch jetzt in Prag lebende Wittwe ist im Besitz seiner ungedruckt gebliebenen
Arbeiten. M — s.
Hofmaun, Leopold (nicht Hoffmann), deutscher Tonkünstler und Com-
ponist, geboren im J. 1738 zu "Wien, erhielt eine vortreffliche musikalische
Ausbildung, so dass er schon um 1760 einen bedeutenden Ruf, besonders als
Instrumentalcomponist besass. Im J. 1764 wurde er zum Kapellmeister der
Metropolitankirche St. Stephan und zum kaiserl. Hofcomponisten ernannt und
starb als solcher am 17. März 1793 zu Wien. Wie der ihm im Tode voran-
gegangene Mozart ruht er auf dem St. Marxer Friedhof. Von H.'s vielen
Werken sind befremdlicher Weise nur wenige gedruckt.
Hofiuaun, Melchior, deutscher Compouist und geschickter Dirigent, ge-
boren in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, war als Kapellknabe in
Dresden unter dem Direktor J. C. Schmid erzogen worden und wurde 1704
als Nachfolger Telemann's Musikdirektor an der neuen Kirche, an der Thomas-
schule, sowie auch an der Oper zu Leipzig. Ort und Jahr seiner Geburt wie
seines Todes sind unbekannt. Das öffentliche Concert und die Oper in Leipzig,
für die er auch componirte, gelangten unter seiner Leitung zu Ruf und Ruhm.
Im J. 1710 reiste er nach London und kehrte erst 1712 nach Leipzig zurück.
Von seinen Werken kennt man nur die Titel zweier als sehr gefällig gerühmten
Opern, »Acontius und Cidippe« und »Rhea Sylvia«, letztere 1720 auch in
Hamburg aufgeführt; Gerber führt noch als Manuscripte ein Kyrie und einen
vollständigen Jahrgang von Sonntags- und Festgesängen an. — Ein später
lebender Michael H. machte sich seit 1764 als Sinfoniencomponist bekannt.
Hofmeister, Friedrich, angesehener deutscher Musikverleger, geboren im
J. 1781 , begründete am 19. März 1807 zu Leipzig das zu Bedeutung heran-
gewachsene Musikaliengeschäft, welches noch jetzt seinen Namen trägt. Er
übertrug 1852 die Fortführung desselben seinen beiden Söhnen, von denen der
ältere, Adolph H., der verdienstvolle Herausgeber der grossen Handbücher
der musikalischen Literatur, die ein unentbehrliches Nachschlagewerk für jeden
Musikalienhändler und Kunstforscher bilden, am 26. Mai 1870 in Leipzig starb.
Der jüngere Bruder desselben, Professor Dr. Wilhelm Friedrich Benedict
H. in Heidelberg, ist gegenwärtig der alleinige Besitzer der Handlung.
Hofmeister, Reinhold, Organist in Aschersleben, war einer der 53 im
J, 1596 zur Prüfung der neuen Schlossorgel zu Grüningen bei Halberstadt
berufenen Organisten Deutschlands. In der nach dem Alter geordneten Reihen-
folge war er der 18. Vgl. Werkmeister's Org. Gruning. recliv. §. 11. f
Hofstetter, Pater Romanus, deutscher Gottesgelehrter und Instrumental-
componist von Ruf, war um die Mitte des 18. Jahrhunderts Geistlicher im
Kloster Amorbach bei Miltenberg und starb 1785. Seine Ciavierquartette und
Ciaviertrios waren zu ihrer Zeit weithin bekannt und beliebt.
Hogarth, George, englischer Musikgelehi'ter , geboren im J. 1784 zu
London, war Secretär der philharmonischen Gesellschaft daselbst und ist der
Verfasser einer werthvollen Geschichte der Oper in Italien, Frankreich, Deutsch-
land und England, die unter dem Titel »Wusical hiography and criticism et
memoirs of tlie operav erschien und die dramatische Musik von ihren Anfängen
bis zum J. 1851 behandelt. H. starb am 19. Febr. 1870 zu London. Er
war der Schwiegervater des berühmten Charles Dickens, sowie der Schwager
des Dichters George Thompson in Edinburg, dessen schottische Lieder einst
Beethoven zusammenstellte und componirte.
Hogaz, der Name einer der fünf Provinzen Arabiens, ist in der Fach-
sprache der Musik der Perser der Name einer der zwölf Makamat's (s. d.);
wahrscheinlich wurde in jener Provinz diese Tonart erfunden oder zuerst am
meisten gepflegt. Die Grundklänge der H. genannten Klangart sind ungefähr
folgenden unseres Musiksystems gleich:
268 Hoheuthal -- Hohlfeld.
1 3 5 8 10 13 15 18
:^t^=:2S-
11
Die über den Noten stehenden Ziffern geben genau die wirkliche Grosso der
Intervalle nach den Grundregeln der persischen Kunst: die Octave wird in 18
gleiche, kleinste Intervalle getheilt; aus einer Anzahl solcher können alle
grösseren Intervalle nur zusammengesetzt sein. Die Klänge der oben ange-
gebenen Normalleiter der Makamat H, können in der oberen Quinte in vier-
facher Weise verändert werden, was durch die Einschiebung noch eines Grund-
klanges gefordert wird; die Töne der unteren Quarte sind jedoch feste. Am
klarsten mag dies die Aufzeichnung der Veränderungen durch Zahlen in oben
angegebener Bedeutung darthun:
I. Veränderung: 1. 3. 5. 8. 10. 12. 14. 15. 18.
IL „ 1. 3. 5. 8. 11. 13. 15. 17. 18.
III. „ 1. 3. 5. 8. 10. 13. 15. 17. 18.
IV. „ 1. 3. 5. 8. 10. 11. 14. IG. 18.
0.
Hoheuthal, Elise Gräfin von, geborene Ehrhardt, deutsche Sängerin
von l)edeutendera Ruf, geboren 1804 zu Wien, erhielt, da sie mit vortrefflichen
Stimmmittelu und einem anziehenden Aeusseren begabt war, ihre musikalische
Ausbildung zu Wien und wurde am dortigen Hofoperntheater engagirt. Auf
Gastspielreisen besuchte sie Prag und Dresden und war bis zu ihrer Verhei-
rathung mit dem musikliebenden Grafen von Hoheuthal, im J. 1828, in
Leipzig engagirt. Seitdem ist sie nicht mehr öffentlich aufgetreten. Von
ihrem Gatten brachte die »Leipz. Allgem. musikal. Zeitung« 1831 mehrere
historische Artikel, aus Burney's Reisebericht gezogen, und 1835 einen Nekrolog
auf den Sänger Benincasa.
Hoheufels, Burkhard von, s. Burkhard.
Hohenzollern-Hechiugrcu, s. Friedrich Wilhelm Constantin, Fürst
von Holienzollern-Hechingen.
Hohe Stiunueu (in der Orgel) sind im Allgemeinen alle Manualstimmcn
unter 2,5 Meter und alle Pedalstimmen unter 5 Meter. Denn da 2,5 Meter
für jene und 5 Meter für diese die rechte Tonhöhe haben, so sind alle an der
Zahl kleineren Stimmen hohe und an Zahl grössere tiefe Stimmen.
HohlleM, Johann, Mechanicus zu Berlin, geboren 1711 zu Hennersdorf
in Sachsen und gestorben 1771 in Berlin, war in jungen Jahren Posamentir-
gehülfe und hielt sich als solcher schon längere Zeit in der preussischen Resi-
denz auf, ohne allgemeiner bekannt zu sein. Geistige Regsamkeit jedoch und
ein seltenes Talent zur Mechanik, welche ihn trieben, seine Fertigkeit zu ver-
werthen, machten ihn bekannter und führten ihn bei der Begründung eines
eigenen Hausstandes zu einer entsprechenden Aenderung seines Berufs. Diese
Berufswahl veranlasste oder wurde veranlasst durch die Bekanntschaft H.'s mit
mehreren Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften in Berlin, als Eni er
(s. d.) und Sulzer (s. d.), die ihm sehr zugethan waren. Sulzer gab sogar
H. einige Zeit freie Wohnung in seinem Hause. Dies lässt vermuthen, dass
entweder H. sich zu besonderen mechanischen Ausführungen diesem Gelehrten
ganz zu Diensten stellte, oder, was wahrscheinlicher ist, dass der Beruf eines
Mechanikers H, nicht nährte und Sulzer ihm seiner mechanischen Strebsamkeit
wegen über einige drangvolle Lebenstage mit hinweghalf. Gleiche Gründe
wird der mehrjährige Aufenthalt H.'s auf dem gräflich Podewil'schen Ritter-
gute in der Nähe Berlins gehabt haben, welcher mit dem Brande desselben,
1757, endete. Zwei seiner mechanischen Construktioncn haben eine Zeit lang
allgemeiner in Kreisen von Tonkünstlern und Laien Beachtung gefunden und
H. eine Stelle in der Musikgeschichte eingetragen. Die erste war die Ferti-
Hohlflöte — Hohmaun. 269
gung einer Improvisirmascliine, d. h. einer Maschine, welche die Töne,
die ein Ciavierspieler hervorbi'iugt, sofort notirt. Ueber die Einrichtung
derselben unterrichtet der Specialartikel, Ein gewisser Creed zu London (1747)
und J. F. Unger zu Eimbeck (1751) hatten über eine solche Maschine zwar
geschrieben, aber keine Ausführung derselben bewerkstelligt. Durch Euler mit
diesen Beschreibungen bekannt geworden, machte H. sich sofort an die Ferti-
gung derselben und legte sie 1752 der Akademie zur Prüfung vor. Die
Akademie fand sich jedoch nicht veranlasst, dieselbe als vollkommen zu er-
achten, sondern stellte sie H. wieder zurück und überantwortete demselben
dabei 25 Thaler als elirende Anerkennung seiner Bestrebung. Diese Maschine,
welche H. bis an sein Lebensende bewahrte , erwarb nach seinem Tode die
Akademie käuflich; nach einer anderen Nachricht ist sie 1757 mit verbrannt.
Die zweite allgemeiner bekannt gewordene That H.'s war die Verbesserung der
Ciaviergambe, welche er Bogenflügel (s. d.) nannte. Im J. 1753 führte er
diese Erfindung bei Hofe der Königin -Mutter vor, wobei Phil. Eman. Bach
das Instrument spielte. In Folge dessen erhielt H. später vom König
Friedrich II. eine Gnadenpension, die er von 1765 au bis zu seinem Lebens-
ende bezog. t
Hohlflöte, auch Hohlpipe und Tbun flöte, nennt man eine Manual-
und Labialstimme der Orgel, welche in früherer Zeit meist nur 1,25 metrig
gebaut wurde. Deshalb eutstaud für diese Stimme, wurde sie nur 0,6 metrig
gefertigt, der Name Kleinhohlflöte, der in älteren Schriften oft mit Nacht-
horn und Waldhorn verwechselt wurde. In neuerer Zeit wird dieselbe am
häufigsten 1,25- und 2,5 metrig ausgeführt und trägt dann immer den Namen
H.; sehr selten findet man sie 5 metrig im Pedal, wo sie dann wohl die Be-
nennung Gross-Hohl flöte erhält. Die kleinste Bauart dieser Orgelstimme
fürs Pedal, 0,6- und 0,3 metrig, trägt den Namen Kleinflötbass. Noch ist
in Bezug auf die Benennung dieser Stimme hier anzuführen, dass Biermann
in seinem Werke S. 5 für dieselbe die Namen Subbass und Thunbass,
und Prätorius S. 132 Koppel als gebräuchlich aufführt. Auch Füllstimraen
(s, d.) von dieser Bauart findet man mehrerlei unter besonderen Namen in
Gebrauch. So heisst dieselbe, 1,67 metrig ausgeführt, im Manuale: Hohl-
quinte; 3,35 metrig gebaut, im Pedal: Gross-Hohlquinte; und 0,4metrig
gefertigt: Quint-Flöte. — Alle Variauten der H. nun erhalten offene Pfeifen
mit etwas weiterer Mensur und sind deshalb von etwas kürzerer Bauart, als
die der gewöhnlichen Prinzipalstimmen; auch am Labium (s. d.) erhalten die
Pfeifen einen engeren Aufschnitt. Derselbe wird nur so hoch bemessen, dass
eben keine Schärfe im Klange hervortritt. Ursprünglich baute man die Pfeifen
der H. cylindrisch. TJm jedoch der H. den charaktervollen Ton zu verleihen,
giebt man jetzt oft den Pfeifen dieser Stimme die Form der Gemshornpfeifen,
die Schallröhre nach oben hin enger verlaufen lassend. Die Pfeifen findet man
sowohl aus Holz wie auch aus Metall gefertigt, doch ist ersteres das geeignetste
und meist angewandte Material. Zuweilen suchen auch Orgelbauer die tieferen
Töne der H. mittelst gedeckter Pfeifen hervorzubringen, was aber durchaus
zu verwerfen ist, da dadurch ein Theil dieser Orgelstimme eine diesem Register
fremde Klangfarbe erhalten muss. 2.
Holilquiute oder Quintflöt, ist in Bauart und Klang gleich der Hohl-
flöte (s. d.), nur dass sie als Nebenstimme zu 1,9 Meter, 0,9 Meter und 0,45
Meter gebaut wird.
Hohlsclielle, veralteter Name für Quintatön (s. d.).
Hohmaun, Christian Heinrich, deutscher musikalisch -pädagogischer
Schriftsteller, geboren am 7. März 1811 zu Niederwern bei Schweinfurt, erhielt
Unterricht auf Ciavier und Orgel theils von seinem Vater, einem Schullehrer,
theils von dem Organisten Stepf in Schweinfurt. Auch Violine und andere
Orchesterinstrumente spielte er schon frühzeitig, trieb aber mit Vorliebe theo-
retische Musikstudien, Nachdem er die höhere Bürgerschule in Schweinfurt
270 Hohustock — Holbeiu
durchlaufen hatte, bereitete er sich für das Lehramt vor, wurde sehr jung noch
Hülfslehrer zu Reichenberg bei Würzburg und besuchte von 1830 bis 1832
das Seminar zu Altdorf. Im J. 1833 übernahm er selbst die verschiedenen
Zweige des Musikunterrichts an diesem Seminare, bis er 1843 als Musik- und
Rechenlehrer an das neu errichtete Schullehrer-Seminar in Schwabach versetzt
wurde. Seinen Ruf als musikalischer Schriftsteller begründete er durch seinen
praktischen Lehrgang für den Gesangunterricht in Volksschulen, sowie durch
seine Violin- und Clavierschule , d«rei "Werke, die den gewiegten Lehrer ver-
rathen und mehrfach neu aufgelegt worden sind. Ganz vorzüglich ist aber sein
»Lehrbuch der musikalischen Composition, nach pädagogischen Grundsätzen
bearbeitet« (2. Aufl., Altdorf, 1849; 3. Aufl. in 2 Bdn., Altdorf, 1856 und 1857),
welches klares Wissen und selbstständiges Denken bekundet und einen neuen,
eigenartigen Lehrgang einschlägt.
Hohustock, Karl, trefilicher Componist, sowie guter Ciavier- und Violin-
spieler, geboren 1828 in Braunschweig, stammt aus einer sehr musikalischen
Familie und machte schon um 1846 grössere Concertreisen. Von 1848 bis
1860 wirkte er in Philadelphia als hochgeschätzter Musiklehrer und erhielt von
der dortigen Universität die Doctorwürde. Hierauf kehrte er in seine Heimath
zurück und lebte privatisirend in Blaukenburg, sodann und noch gegenwärtig
in Braunschweig. Er schrieb Sinfonien, Ouvertüren, Ciavier- und Violinconcerte,
sowie grössere und kleinere Vocalwerke, veröfi'entlichte aber nur sehr wenig,
obwohl seine im Druck ei'schienene Coucertouvertüre und Sonate für Pianoforte
und Violine von einem aussergewöhnlichen Compositionstalent deutlich Rechen-
schaft ablegten. — Seine Schwester, Adele H., war eine vorzügliche Pia-
nistin, die in Concerten zu Paris und Hamburg 1848 durch ihr Spiel Auf-
sehen machte.
Heinrich, Adam Sigismund, bedeutender deutscher Trompetenvirtuose,
starb um 1737 als Stadttrompeter zu Breslau. Er war auch als Componist
zu seiner Zeit rühmlich bekannt.
Hol, Richard, einer der hervorragendsten holländischen Componisten der
Gegenwart, geboren um 1840 zu Utrecht, ist Dirigent der städtischen Concerte
seiner Vaterstadt. Durch Sinfonien und andere grosse Orchesterwerke (Ein-
leitung zur Legende vom fliegenden Holländer, »Erklärung« u. s. w.), sowie
durch Vocalcompositionen hat er sich auch in Deutschland einen geachteten
Namen erworben.
Holbach, Paul Heinrich Dietrich, Baron von, geistvoller materia-
listischer Philosoph und Schriftsteller, der Sohn eines reichen Emporkömmlings,
geboren um 1723 zu Heideisheim in der bairischen Pfalz, kam in früher
Jugend nach Paris, wo er bis an seinen Tod, am 21. Juni 1789, im ange-
nehmsten Lebensgenuss, aber ununterbrochen arbeitsam, lebte. Unter seinen
Werken befinden sich auch zwei musikalische Streitschriften, in denen er, gleich
J. J. Rousseau und Baron Grimm, im Interesse der italienischen die franzö-
sische Musikrichtung bekämpft. Es sind dies: -oÄrret rendu ä V ampldtheätre
de Vopera<i (Paris, 1752) und »Lettre ä une dame sur Vetat present de Voperav.
(Paris, 1752).
Holbeiu, Franz Ignaz von, deutscher Musiker, Schauspieler, Maler,
Sprachmeister und dramatischer Schriftsteller von ausgezeichnetem Talent, ge-
boren 1779 zu Zippersdorf bei Wien, wurde frühzeitig bei der Lottodirektion
in Lemberg angestellt, folgte aber bald seinem Triebe nach Unabhängigkeit
und zog unter dem Namen Fontano in die Welt. Um 1797 lebte er als
Musik- und Sprachlehrer in Berlin, bis er 1798 durch Iffland bei dem dortigen
Theater angestellt wurde, wo er besonders als Basssänger gefiel. Später lebte
er als Theaterdichter in Wien, ging dann als Sänger und Schauspieler nach
Regensburg und übernahm endlich nach einander die Direktion der Bühnen
von Würzburg und Bamberg, die Regie des Theaters in Hannover und die
Leitung des Theaters in Prag. In diesen Stellungen hatte er so viel Geschäfts-
Holberg — Holländer. 271
kenntniss und praktische Einsicht bewiesen, dass er endlich als Direktor des
kaiserl. Hofburgtheaters nach Wien berufen wurde. Er übernahm, 70 Jahre
alt, unter schwierigen Umständen 1849 sogar noch die Direktion des dortigen
Hofoperntheaters und starb am 5. Septbr. 1855. Seine Schrift über den
Werth musikalisch-theatralischer Dichtungen ist auch für Tonkünstler von her-
vorragendem Interesse.
Holberg, Ludwig, Freiherr von, vortrefflicher Violinvirtuose und gebil-
deter Tonkünstler, noch bekannter als Schöpfer der neueren dänischen Lite-
ratur, war am 6. Novbr. 1684 zu Bergen in Norwegen geboren, studirte in
Kopenhagen Theologie und wirkte dann als Hauslehrer. Durch Sprachen- und
Musikunterricht wusste er sich so viel zu erübrigen, dass er nach und nach
Holland, Deutschland, Frankreich und endlich auch England besuchen konnte,
wo überall er sich auch als Violinspieler mit Beifall hören liess. Seit 1718
lebte er als Professor in Kopenhagen und widmete sich dichterischen und
schriftstellerischen Arbeiten, die ihm wohlverdienten Ruhm und Ehre eintrugen
und mit denen er sich bleibende Verdienste um die dänische Literatur und
Bühne erworben hat. Im J. 1747 in den Ereiherrnstand erhoben, starb er
am 27. Jan. 1754 zu Kopenhagen.
Holcombe, Heinrich, englischer Opernsänger und Vocalcomponist des
18. Jahrhunderts, wirkte als einer der Ersten an der nationalen Singbühne zu
London, in welcher Stadt er im J. 1756 gestorben ist.
Holden, John, britischer Musikgelehrter, gebürtig, wie es scheint, aus
Schottland, war in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Professor an der
Universität zu Glasgow und veröffentlichte die bis dahin in England beste und
gründlichste theoretische Schrift, betitelt: y>Än essay toioards a rational System
of musica (Glasgow, 1770). Dieselbe behandelt die Elemente der praktischen
Tonkunst und die Theorie der Musikwissenschaft.
Holder, Joseph "William, guter englischer Orgel- und Ciavierspieler,
sowie Componist, geboren 1765 zu London, war Chorknabe der königl. Kapelle
und machte bei seinem Vater tüchtige musikalische Studien, Als Organist
fungirte er zuerst an der Kirche St. George the martyr, dann in einem Orte
der Grafschaft Suffolk, nachdem er 1792 Baccalaureus der Musik in Oxford
geworden war. In Essex später privatisirend , war er 1824 noch am Leben.
Er hat viele Kirchenstücke, Ciaviersachen und Gesänge componirt.
Holder, "William, gelehrter englischer Contrapunktist und Kirchencom-
ponist, geboren 1614 in der Grafschaft Nottingham, war Doctor der Theologie,
Canonicus und Subdiaconus der königl. Kapelle, der sich die Verbesserung des
Kirchengesanges in seiner Parochie sehr angelegen sein liess. Er starb 1697
zu London. In Tudway's Collection befinden sich vier sehr beachtenswerthe
Anthems von ihm. Burney loht seine yyJElements qf speecha (1669) als lehrreich
für Vocalcomponisten, und seine r>Tredtise of the natural grounds and principles
of harmonyv. (London, 1694; weitere Aufl. 1701 und 1734) hatte auch einen
bedeutenden äusseren Erfolg.
Hole, John, s. Hoyle.
Holfeldt, auch mitunter Hohlfeld geschrieben, ausgezeichneter Contra-
bassvirtuose, war 1738 in der Herrschaft Schluckenow in Böhmen geboren.
Eür den Kaufmannsstand bestimmt, aber in seinen Geschäften nicht vom Glück
begünstigt, nahm er mit dem grössten Eifer die Uebungen auf dem Contrabass
wieder auf und reiste 1765 nach Paris, wo er im Orchester der Grossen Oper
Anstellung erhielt und sich öfter sehr erfolgreich als Solist hören liess. Im
J. 1774 musste er nach Böhmen zurückkehren, um die Handlungsgeschäfte seines
Vaters zu übernehmen. Reichardt, der ihn 1775 ein Concert spielen hörte,
spricht mit Bewunderung von dieser Leistung. H.'s Todesjahr ist nicht
bekannt, fällt aber wahrscheinlich in das letzte Jahrzehnt des 18. Jahr-
hunderts.
Holländer, Alexis, vortrefflicher deutscher Componist und Dirigent, ge-
272 Holland — Hollander.
boren am 25. Febr. 1840 zu Ratibor in Schlesien, besuchte das St. Elisabeths-
gymnasium zu Breslau und trieb eifrig Clavierspiel bei Karl Schnabel und Ad.
Hesse. Als Primaner leitete er bereits einen aus Schülern besteheuden Ge-
sangverein. Von 1858 bis 1861 besuchte er als Student der Philosophie die
Universität zu Berlin, gleichzeitig aber auch die königl. Akademie der Künste,
an der er unter Grell und A. W. Bach die höhereu Musikstudien betrieb.
Ausserdem bildete er sich noch privatim in der Compositiou beim königl. Kam-
mermusiker Böhmer weiter aus. Seit 1861 wirkt H. als Lehrer der Chorklasse
und des Clavierspiels an der Akademie des Professors Th. Kullak und dirigirt
seit 1865 einen Gesangverein (von 1870 an Cäcilienverein genannt), der mit
Consequenz und Erfolg beflissen ist, vorzugsweise in Berlin noch unbekannte
Werke älterer wie neuerer Meister zu Gehör zu bringen. Die Aufführungen
von Brahms' »Deutschem Requiem« (1872) und Händel's »Semele« (1875) ge-
hören zu den Glanzthatcn dieses von H. vortrefflich organisirten Vereins. Von
H.'s Compositionen sind Ciavierstücke, sowie ein- und mehrstimmige Gesänge,
welche den feinsinnigen, intelligenten Tondichter bekunden, im Druck erschienen.
— H.'s Gattin, Anna H., geborene Becky, geboren am 5. Jan. 1840 zu
Berlin, ist eine geschätzte Concertsän gerin mit sympathischen, wohlgebildeteu
Stimmmitteln, die auch ausserhalb iluer Geburtsstadt verdienten Beifall ge-
funden hat. Sie ist von 1855 bis 1858 auf dem Stern'schen Conservatorium
unter Sabbath und Jul. Stern ausgebildet worden und wirkt gegenwärtig als
treffliche Gesanglehrerin.
Holland, Holländische Musik, s. Niederlande.
Hoüaud, Constantin, deutscher Tonküustler, geboren 1798 in Posen,
studirte um 1822 Theologie in Breslau und zeichnete sich gleichzeitig als
guter Sänger und fertiger Flötenbläser aus. Im J. 1823 begann er sich ganz
der Tonkunst zu widmen, die er von da ab eifrig in allen ihren Zweigen
studirte. Als Musikdirektor wurde er 1829 am Breslauer Theater angestellt,
welche Stellung er eine Reihe von Jahren umsichtig bekleidete. Von seinen
Compositionen sind nur kleinere Ciavierstücke erschienen und ein Vaudeville,
»Nicolo Pagauini«, bekannter geworden.
Holland, Johann David, beliebter deutscher Gesangscomponist, geboren
1746 bei Herzberg am Harz, war Musikdirektor an der Katharinenkirche zu
Hamburg. Als Componist trat er um 1774 mit kleinen Ciavier- und Vocal-
sachen auf, sodann 1780 mit dem in Hamburg sehr beifällig aufgeführten Ora-
torium »Die Auferstehung Christi« und 1790 mit einem Entr'act zu dem
Trauerspiel »Hamlet«. Sehr verbreitet waren seine Gesänge mit Ciavierbeglei-
tung, von denen er mehrere Hefte veröffentlicht hat.
HoUauder, Christian, ein vorzüglicher niederländischer Contrapunktist
des 16. Jahrhunderts, geboren um 1520 in Holland, hiess eigentlich Christian
Jans, und wurde 1549 zum Kapellmeister von Sancta Walburgis in Oudenarde
ernannt. Er trat um 1556 in die Dienste des deutsch -römischen Kaisers
Ferdinand I., nach dessen Tode, 1564, er bei Maximilian II. fungirte. Schliess-
lich war er als Caplan der Hofkapelle des Herzogs Wilhelm V. von Baiern in
München angestellt, wo er um 1575 gestorben zu sein scheint. Er componirte
und veröffentlichte eine bedeutende Anzahl vier- bis achtstimmiger geistlicher
und weltlicher Gesänge (München, 1570), sowie eine Reihe deutscher Lieder
für fünf und mehr Stimmen mit Begleitung verschiedener Instrumente (Mün-
chen, 1575). Ausserdem gab Joh. Pichler von Schwandorf eine Sammlung
dreistimmiger Motetten von ihm unter dem Titel heraus: y>Triciniormn, quan-
tum vivae vocis, tum omnis generis instrumentis musicis commodissime applieari
possunU etc. (München, 1573), und 18 andere Motetten von ihm befinden sich
in Joanelli's fThesaurus musicus« (Venedig, 1568). H. war ein für seine Zeit
ausgezeichneter Tonsetzer, der einen grösseren Ruhm verdient hat, als er ihm
in Wirklichkeit zu Theil geworden ist. Sein Styl zeigt eine Reinheit und
dabei Eleganz der Harmonie, wie sie der grössten Meister würdig ist; die
Hollander — Holmes. 273
Stimmenführung ist vorzüglich und seine Musik überhaupt trägt einen ge-
wissen rhythmischen Charakter, welcher im 16. Jahrhundert kaum sonst noch
anzutrefPen ist.
HoUander, Hermann, niederländischer Tonsetzer des 17. Jahrhunderts,
war gegen 1650 Musikmeister an der Collegiatkirehe St. Maria in Breda und
ist durch folgendes Werk bekannt geblieben: yyJuhilus ßliorum dei ex SS. PP.
suspiriis musico concentu una, duabus, tribus, quatuor vocibus decantandivi (Ant-
werpen, 1648).
Hollander, Johann, oder Johann von Holland, niederländischer Con-
trapunktist aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, von dessen Composition
sich vier-, fünf- und sechsstimmige Gesänge in den Sammlungen von Tilman
Susato (1543 und 1544) befinden.
Hollander, Sebastian, oder Holoander, niederländischer Contrapunktist,
geboren zu Dortrecht am Ende des 15. Jahrhunderts, war Kapellmeister des
Herzogs Wilhelm I. von Baiern und Vorgänger Orlando Lasso's in diesem
Amte.
Hollandre, Charles Felicien d', niederländischer Kirch encomponist, ge-
boren zu Ende des 17. Jahrhunderts in der Provinz Hainaut, war Kapell-
meister an der St. Walpurgiskirche zu Oudenarde in Ostflandern und starb
als solcher am 23. April 1750. Er hat Kirchencompositionen im würdigen,
einfachen Style hinterlassen. — Sein Landsmann und Namensverwandter, Jean
d'H,, geboren am 24. Decbr. 1785 zu Gent, schrieb Messen, Stücke für Har-
moniemusik und Romanzen und starb am 19. Decbr. 1839 zu Gent.
HoUbek, Severin, deutscher Orgelbauer zu Ende des 17. Jahrhunderts,
war aus Zwickau gebürtig und baute u. A. 1695 zu Schneeberg ein Orgelwerk
von 39 klingenden Stimmen.
Hollbusch, Johann Sebastian, gründlicher deutscher Musiktheoretiker
und Componist, der Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts in Mainz
als Musiklehrer wirkte. Man hat von ihm einige Violincompositionen, die ihrer
Zeit für gute Unterrichtsstücke galten, sowie ein »Tonlehrsystem«, das in Dialog-
form abgefasst ist.
Hollmann, Madame, s. Crux.
Hollnba oder Holuba, Franz und Wenzel, zwei Brüder und Waldhorn-
virtuosen aus Böhmen, waren 1763 in der Hofkapelle zu Kassel und später
im Orchester der italienischen Oper zu Paris angestellt. Dort befanden sie
sich noch 1788, scheinen aber bald darnach nach Deutschland zurückgekehrt
zu sein. Einige damals erschienene Duos für Hörn tragen ihren Namen.
Holly, Franz Andreas, beliebter Bühnencomponist sowie guter Clavier-
und Orgelspieler, geboren 1747 in Böhmisch-Luba, studirte im Jesuitencollegium
zu Prag und trat hierauf als Novize zu den Franciscanern, deren Orden er
aber vor erlangter Priesterweihe wieder vei'liess, um Musiker zu werden. Zu-
erst war er Orchesterdirigent beim Direktor Brunian in Prag, ging dann 1769
in gleicher Eigenschaft an das Koch'sche Theater nach Berlin und wurde 1775
Musikdirektor bei der Wäser'schen Gesellschaft in Breslau. Als solcher starb
er am 4. Mai 1783. Für die verschiedenen Theater, deren Dirigent er ge-
wesen, hat er 15 meist beifällig aufgenommene Singspiele, einige grosse Ballets,
Ouvertüren, Entr'acte, Chöre und Märsche zu Dramen u. s. w. componirt.
Auch mehrere grössere und kleinere Kirchenstücke hat er hinterlassen. Seine
Oper, »Der Kaufmann von Smyrna«, erschien im Clavierauszug 1775 zu
Berlin.
Holmes, berühmter englischer Fagottvirtuose, dessen Name besonders in
den Salomon'schen Coucerten zu London um 1793 glänzte. Auch in anderen
Concerten der Folgezeit wurde er stets ehrenvoll erwähnt. Man rühmte be-
sonders die Leichtigkeit und Fertigkeit, mit der er sein Instrument rein und
wohlklingend zu behandeln wusste.
Holmes, Alfred, hervorragender englischer Componist der Gegenwart,
Musikal, Convers.-liexikon. V. 18
274 Holmes — Holstein.
geboren um 1840 zu London, hat seine musikalischen Studien theils in seiner
Vaterstadt, theils in Paris und auf grösseren Reisen durch Deutschland,
Schweden und Russland gemacht. Vier Sinfonien, von denen besonders die
beiden letzten, »Johanna d'Arc« und »Robin Hood« (1875), gerühmt werden,
sowie andere grosse Instrumental- und Vocalwei'ke bezeichnen bis jetzt sein
auf die höchsten Aufgaben gerichtetes Streben, dem in Paris, St. Petersburg
und London der Beifall der Kenner zu Theil wurde. Er lebt gegenwärtig
wieder in London.
Holmes, Edward, vielseitiger englischer Tonkünstler, geboren 1797 un-
weit London, bildete sich in der englischen Metropole tüchtig aus und wurde
ein sehr gesuchter Musiklehrer. Er besuchte 1837 Deutschland und schilderte
die empfangenen musikalischen Eindrücke in dem interessanten Buche: y>Bamhle
among the miisicians of Germanyn etc. (London, 1838 und in weiteren Aufl.).
Von 1829 an war er musikalischer Mitarbeiter an dem neu gegründeten Journal
»Atlas« und veröffentlichte weiterhin eine Biographie Mozart's nach Nissen
(London, 1845). Im .J. 1849 ging er nach Amerika, wo er als Musiklehrer
und musikalischer Schriftsteller sehr thätig war und starb am 28. Aug. 1859.
Holmes, Jobn, englischer Kirchencomponist, war um 1600 Organist zu
Salisbury. Gesänge von ihm befinden sich in dem berühmten Sammelwerke
r>The triumph of Orlanaa.
Holius, Greorges, berühmter englischer Tonkünstler, lebte zu Ende des
18. Jahrhunderts und war Organist zu Lincoln.
Holowiu, Greorg, Herr von Comines und Holowin in Flandern, Feldherr
und Diplomat in seinen Blüthejahren , hat auch als Schriftsteller sich hervor-
gethan. Unter seinen Büchern befindet sich eines, »De musicaa betitelt,
das nach Walther's Aussage sehr Verschiedenes und oft Unerhörtes bieten soll.
Nach Swertii Athen. Belgic. starb H. 1537 an der Schwindsucht und liegt im
Schlosse Holowin begraben. t
Holstein, Franz vou, hervorragender deutscher Componist der Gegenwart,
geboren am 16, Febr. 1826 zu Braunschweig, war der Sohn eines höheren
Militärs und ebenfalls für den Kriegerstand bestimmt. Einiger Ciavierunterricht,
den er genoss, und der Besuch musikalischer Aufführungen weckten in ihm
eine leidenschaftliche Liebe zur Tonkunst und eiferten ihn zu naturalistischen
Corapositionsvei suchen an. In seinem 15. Jahre musste H. in das Cadetten-
haus in Braunschweig treten, wo er in Rob. Griepenkerl einen Lehrer fand,
der den musikalischen Beruf seines Schülers erkannte und demselben bedeutende
Förderung angedeihen Hess. Während H. sich zum Officiersexamen vorbereitete,
arbeitete er zugleich heimlich an einer kleineu zweiaktigen Oper, »Zwei Nächte
in Venedig«, die er, als er 1845 zum Lieutenant ernannt worden war, im
Privatkreise auflFührte. Seitdem nahm er geregelten Unterricht im Ciavierspiel
und in der Compositionslehre und studirte die Opernpai-fituren der Meister,
von denen besonders Mej'erbeer einen enthusiastischen Eindruck in ihm hervor-
rief. Nach dem Feldzuge in Schleswig-Holstein, den H. mitgemacht hatte, be-
gann er in Braunschweig eine grosse fünfaktige Oper, deren Textbuch sich an
Scott'« Roman »Waverley« anlehnte und die er 1852 als Adjutant des Land-
wehrbataillons in Seesen vollendete. Die Ouvertüre derselben hatte schon
früher die Aufmerksamkeit H. Litolff's erregt, der auch die ersten kleinen
Gesangssachen H.'s zum Druck beförderte. Das erbetene Urtheil M. Haupt-
mann's in Leipzig über die genannte Oper fiel so günstig aus, dass H. , trotz
des Widerstrebens seines Vaters, seinen Abschied vom Militär nahm und 1853
nach Leipzig übersiedelte. Neben fleissigen theoretischen und technischen
Studien, denen er im dortigen Conservatorium und unter der Privatleitung
Hauptmann's oblag, componirte er einige Kammermusikstücke, viele vierstimmige
Gesänge, sowie eine Conccrtouvertüre »Loreley«. Krankheit nöthigte ihn, 1854
in das elterliche Haus in Braunschweig zurückzukehren, aber schon 1856 suchte
er das künstlerisch anregende Leipzig wieder auf und füllte bei Hauptmann
Holtei — Holtheuser. 275
und E-ietz die letzten Lücken seiner musikalisclien Bildung aus. Zugleicli
schuf er eine ßeihe von Orchester- und Kammermusikwerken, Hierauf be-
suchte er Süddeutschland und Italien, wo er in Rom den "Winter 1856 — 1857
verlebte. Seitdem schrieb er auch mehrere grössere und kleinere Kirchen-
compositionen. Im J. 1858 verweilte H. in Berlin, ein Jahr später in Paris
und pflog Umgang mit den bedeutendsten künstlerischen Grössen. Immer aber
kehrte er nach Leipzig zurück, wo er seinen häuslichen Herd begründet hatte.
Körperliche Leiden jedoch wirkten lähmend auf seine, Productivität, und er
musste auf ärztlichen Bath hin sogar seine regelmässigen Ciavierübungen ein-
stellen. Statt dessen hörte er Collegien über Aesthetik, Geschichte, Philosophie,
und mechanische Arbeiten, besonders Zeichnen, sowie poetische Beschäftigungen
füllten seine Zeit vollends aus. Schon glaubte man, dass er das Kunstgebiet,
dem er seine ganze Existenz geopfert hatte, für immer verlassen habe. Da
erschien er 1869 mit der von ihm gedichteten und componirten Oper »Der
Haideschacht« auf der Hofbühne'zu Dresden und am 29. Jan. 1870 in Leipzig,
und dieses feinsinnige edle Werk fand dort, sowie in München, Weimar, Kassel,
Köln u. s. w, einen Beifall, wie er lange keiner deutschen Oper zu Theil ge-
worden war, so dass es noch fortwährend auf dem Rundgang über die Bühnen
begriffen ist. Nicht minder bedeutenden Erfolg, obwohl weniger Glück hatte
H.'s feine komische Oper »Der Erbe von Morley«, welche 1872 das Stadttheater
zu Leipzig zuerst brachte, und ohne Zweifel stehen von H. noch hervorragende
musikalisch- dramatische Werke zu erwarten, wenn ihm Gesundheit und Produc-
tionslust auch ferner zur Seite bleiben. Denn H. charakterisirt sich als ein
begabter, mit vollem Herzen gebender Componist, welchem nach Seite des Ge-
sanglichen wie des Instrumentalen hin eine überraschend gewandte und sichere
Beherrschung der Mittel eigen ist.
Holtei, Karl you, dramatischer und lyrischer deutscher Dichter, auch
Gesangscomponist, geboren am 24. Jan. 1798 zu Breslau, studirte daselbst,
wandte sich aber plötzlich der Schauspielkunst zu. Später wurde er in Breslau
als Theatersecretär und Bühnendichter angestellt, ging dann nach Bei-lin und
wurde 1825 beim Königsstädter Theater daselbst in gleicher Eigenschaft en-
gagirt. Hier verfasste er seine mit grösstem Beifall aufgenommenen Lieder-
spiele »Die AViener in Berlin« und »Die Bei'liner in Wien«, sowie die Schau-
spiele »Der alte Feldherr« und »Lenore«, zu denen sämmtlich er die Musik
selbst arrangirte. Ausserdem lieferte er dem Componisten Franz Gläser den
Text zu dessen beliebter Oper »Des Adlers Horst«. Im J. 1834 verliess er
Berlin und unternahm mit seiner Gattin Gastspielreisen, Im J. 1837 über-
nahm er als Direktor das Theater zu Riga und 1841 das Stadttheater zu
Breslau, von wo er sich als Privatmann nach Graz zurückzog und hochbetagt
noch lebt. Als Dichter hat er das Verdienst, das Vaudeville in Form des
deutschen gemüthlichen Liederspiels m Deutschland eingebürgert zu haben.
Yiele seiner Lieder, von denen er unter dem Titel »Deutsche Lieder« (Schleu-
singen, 1834; 2. Aufl. 1836) eine Sammlung herausgab, sind mit Recht po-
pulär und allgemein beliebt. Von seinen Compositionen erschienen: »Dichter
und Sänger, Sammlung deutscher Lieder mit Pianoforte« (Berlin, 1832) und
»Das Vaterland für , eine Singstimme mit Pianoforte«. ■ — Ueber seine zweite
Gattin, Julie von H., geborene Holzbecher, s. den Artikel Holzbecher.
Holten, Karl von, vorzüglicher deutscher Pianist, geboren am 26, Juli
1836 zu Hamburg, genoss zuerst den Musikunterricht Jacques Schmitt's, dann
Grädener's in seiner Vaterstadt und vollendete seine Studien von 1854 bis 1856
im Conservatorium zu Leipzig. Seitdem wirkt er in Hamburg als sehr ge-
schätzter Concertspieler und Musiklehrer und hat sich in ersterer Eigenschaft
sehr erfolgreich auch in Kiel, Lübeck, Berlin u. s. w. hören lassen. Von seinen
Compositionen erschienen Kammermusikwerke, eine Kindersinfonie, Ciaviersachen
und Lieder mit Pianofortebegleitung,
Holtheuser, Johann von, Magister und Dichter, geboren zu Anfang des
18*
276
Holtzmann — Holz.
16. Jahrhunderts in Hildburghausen, woselbst er auch lebte und wirkte, ver-
öflFentlichte ein Lobgedicht, betitelt: y>Encomium musicae, artis antiquissimae et
divinae carmine ele(jiaco scriptum^, etc.
Holtzmauu, deutscher Kirchencoraponist, war von etwa 1770 an zwanzig
Jahre hindurch kurfürstl. pfälzischer Hofkapellmeister in Meersburg. Er war
bereits in Verschollenheit gerathen, als J. B. Hamma 1861 bei Durchstöberung
der Kirchenschätze in Meersburg und der dort liegenden Compositionen H.'s
die Entdeckung machte, dass das Credo der vierten Messe von H. in der Me-
lodie identisch sei mit derjenigen der französischen Marseillaise. Diese Musik-
weise als ursprünglich deutsche zu reclamiren, lohnt aber kaum der Mühe, da
sie in der bekannten rhythmischen Fassung acht französisch ist und bleibt.
Holtzner, Anton, deutscher Kirchencomponist des 17. Jahrhunderts, hat
Messen, Motetten, Maguificats u. s. w. seiner Composition hinterlassen.
Holuba, s Holluba.
Holz der verschiedensten Art hat man seit den ältesten Zeiten zur Fer-
tigung von Touwerkzeugen augewandt. Instinktiv wählte man von den Harten
stets die die Fortpflanzung des Schalles fördern dsten (Kiefern- und Tannen-
holz) zu Resonanzböden und die härteren anderweitig zweckdienlichst, so dass
wir, wo uns genauere Kunde über Beschaffenheit und Art der in frühesten
Zeiten zu den Einzelntheilen von Instrumenten angewandten H.arten wird, oft
staunen müssen, wie die Sinuigkeit der Alten gleichen Anforderungen zu ge-
nügen verstand, wie in der Jetztzeit die Praxis im Bunde mit der Wissenschaft.
Das H. nämlich, was jetzt zum Instrumentbau als vorzüglichstes erachtet wird,
muss Gewächsen entnommen sein, die unter bevorzugten Gedeihensbedingungen
emporwuchsen. Bäume, die an sonnigen, nicht sumpfigen Orten gewachsen
sind und in der höchsten Kraftfülle zu einer Zeit — Herbst oder Winter oder
der entsprechenden Jahreszeit — , wo die SaftcirUulation im Pflanzenreiche eine
geringere oder gänzlich unterbrochene ist, gefällt sind, hält man allgemein für
zum Instrumentbau vorzüglich brauchbares H. liefernd. Das H. von durch
Windbruch oder Raupenfrass geschädigten Gewächsen, sowie wurmstichiges
oder zum Theile bläulich aussehendes gilt für durchaus ungeeignet zur Fertigung
von Tonwerkzeugen. Das als geeignet erachtete H. wird jedoch nicht sofort
verwandt, sondern erst jahrelang an trockenen, schattigen Orten, wo es an allen
Seiten dem Luftzuge zugänglich ist, aufbewahrt, ehe es in Gebrauch genommen
wird. Diese Aufbewahrung bewirkt die Entfernung fast jeder Feuchtigkeit
aus dem organischen Gewebe des H.es und giebt dem Molekülsystem desselben
die die Klangwirkung förderndste elastische Eigenschaft, welche kein anderes
zum Instrumentbau verwandtes Material besitzt. Die elastische Eigenschaft
der verschiedenen H.arten, so hat man durch die Wissenschaft gefunden, ist
nicht allein bei den verschiedenen H.arten an und für sich sehr verschieden,
sondern auch noch bei derselben Art, je nachdem die Tonfortpflanzung der
Faser entlang, senkrecht gegen die Jahresringe oder parallel mit den Ringen
geführt wird, wie folgende Tabelle, Tyudall's Werk »Der Schall« S. 50 ent-
nommen, ergiebt:
Name des Holzes.
Der Faser
entlang.
Senkrecht
gegen die Ringe.
Parallel
den Ringen.
Akazie
Kiefer
15467 M.
15218 „
10965 „
12622 „
10900 „
13516 „
14639 „
15314 „
15306 „
16677 „
13472 „
14050 „
4840 M.
4382 „
6028 „
5036 „
4611 „
4665 „
4916 „
4567 „
4491 „
5297 „
5047 „
4600 „
4436 M.
2572 „
Birke
Eiche
Tanne
4643 „
4229 „
2605 ,
Ulme
3324 .,
Sycamore
ifsclie
Erle
Espe
Ahorn
Pappel
3728 „
4142 „
3423 „
2987 „
3401 „
3444 „
Holz — Holzapfel. 277
in einer Sekunde. Noch mag hier angeführt werden, dass man das wohl aus-
getrocknete H. gegen Zerstörung durch Würmer mittelst eines Anstrichs zu
schützen sucht, und zwar das H, der Tannen, was zum Bau von Orgelpfeifen
benutzt werden soll, durch öfteres Bestreichen mit einem heissen Absud von
einem Theile Wallnussblätter und drei Theilen Wermuth, in welchem man auf
ein Quart 3 Loth Alaun und 4 Loth Kampfer auflöst, und das zu Besonanz-
böden angewandte durch Ueberziehen mit einem dünnen Lack. Wie nun die
Kenntniss bisheriger Erfahrungen und die Entdeckungen der Wissenschaft in
neuerer Zeit von berühmten Instrumentbauern in der Praxis benutzt werden, lehrt
die bekannte Art, wie der berühmte deutsche Geigenbauer Jacob Stainer
oder Steiner (s. d.) sein zu verarbeitendes H, sich selbst suchte. Er reiste
zu dem Ende in Grleirsch, einer Gegend hinter dem Haller Salzberge, herum
und suchte dort an sonnigen Abhängen gewachsene Eichten aus, welche er zur
Winterzeit schlagen, abschälen, zu Brettern schneiden Hess und erst nach
jahrelanger Lagerung verarbeitete. Diesem Berichte fast gleichlautend ist eine
Erzählung aus grauester Vorzeit. Ling-lun (s. d.) ging auf Kaiser Hoang-ti's
(s, d.) Befehl in die im nordwestlichen China gelegene Provinz Si-jung und
schnitt behufs zu fertigender Flöten völlig ausgewachsene Bambusrohre von
den sonnigen Abhängen der Berge. Die gleichartige Knotenbildung dieser
Rohre blieb nicht ohne Einfluss auf die chinesische Kunst. Ferner wird in
chinesischen Schriften berichtet, dass Fuhi (s. d.) den Körper des Scheng
(s. d.) aus dem H. des Tung-mu, einer Tannenart, fertigte, und der Baum,
dessen H. zu Instrumenten angewandt werden sollte, an südlichen Bergabhäugen
gewachsen sein musste. Die beiden angeführten geschichtlichen Thatsachen,
welche klar darlegen, nach welchen Grundsätzen sinnige Fachmänner in neuester
wie ältester Zeit Bäume auswählten, aus denen sie H. zum Bau von Tonwerk-
zeugen gewannen, zeigt eine Unveränderlichkeit nach Jahrtausenden, wie man
wohl nur selten begegnet. Eine gleiche, wie einzelne Beispiele lehren, zeigt
sich fast noch heute in Bezug auf die Anwendung der H.arten zu Einzeln-
theilen der Instrumente. Ob letztere durch die wissenschaftlich festgestellte
verschiedenartige Fortpflanzung des Tones mit der Zeit moderirt werden wird,
ist noch fraglich, was theilweise wohl seinen Grund mit in der oft geringen
wissenschaftlichen Bildung der Instrumentbauer haben mag. Soviel scheint
jedoch sicher zu sein, dass durch die bisherigen wissenschaftlichen Erforschungen
schon die gewohnten H.gebrauchsarten oft ohne Nachtheil verändert werden
könnten. Was noch über die bisherige H.gebrauchsart zu besonderen Instru-
menten zu sagen wäre, ist so umfangreicher und unsystematischer Natur, dass
es, in zusammenhängender Weise aufgestellt, dem Leser keine überschauliche
Klarheit der gegenwärtig herrschenden Gebräuche bieten dürfte, weshalb wir
bei jedem Tonwerkzeuge insbesondere über die H.art berichten, aus welcher
selbiges gefertigt wird und in dieser Beziehung auf die Specialartikel dieses
Werkes verweisen. C. B.
Holz, Karl, begeisterter Musikfreund und Förderer der Künstler, zugleich
ein tüchtiger Violinspieler, geboren 1799 in Wien, war niederösterreichisch-
stäudischer Beamter, stand aber in enger Verbindung mit allen hervorragenden
Tonkünstlern seiner Vaterstadt, besonders mit Beethoven, der ihn vielfach
freundschaftlichst auszeichnete. H. war auch seit 1829 Direktor der vom Chor-
regenteu Franz Xaver Gebauer 1819 gegründeten Goncerts spirituels in Wien,
welche noch gegenwärtig bestehen und die er während seiner langjährigen
Leitung auf eine achtungswerthe Stufe hob. Insbesondere verdankte man es
ihm, dass Beethoven's Werke dem Publikum vorgeführt und dadurch der Ge-
schmack an classischen Tonwerken in Wien angeregt wurde. H. war allgemein
um so höher geschätzt und verehrt, als er im Leben ein ebenso geist- als ge-
müthvoller jovialer Mann war, welcher wie durch seine Kenntnisse, so durch
seinen Witz zu unterhalten wusste. Er starb am 9. Novbr. 1858 zu Wien.
Holzapfel, Johann Gottlob, musikkundiger deutscher Theologe, geboren
278 Holzbauer.
am 1. Mai 1739 zu Odershausen im "Waldeck'schen und gestorben als Ober-
pfarrer und Inspektor der Kirchen und Schulen der Herrschaft Schmalkalden
am 21. Juni 1804, lieferte in der Vorrede zu Vierling's Choralbuch viele prak-
tische Vorschläge zur Verbesserung des Kirchengesangs. — Sein Zeit- und
Standesgeuosse, Bruno H., war Subprior im Augustinerkloster zu Regens-
burg und gab um 1760 zu Nürnberg verschiedene Ciaviersachen seiner Compo-
sition heraus.
Holzbauer, Ignaz, gediegener und fruchtbarer Componist von Opern,
Kirchenmusiken, Orchesterwerken, geboren 1711 in Wien, war der Sohn eines
Lederhändlers, der ihn für die ßechtsgelehrsamkeit bestimmte. Seine Vorliebe
für die Musik zu befriedigen, schloss er sich an die Chorknaben des St. Ste-
phansdomes an, die ihm gegen allerlei kleine Vergütungen einige Unterweisung
im Gesang, Ciavier-, Violin- und Violoncellospiel ertheilten. Die Theorie der
Musik studirte er heimlich nach dem -oGradus ad, Parnasstima von Fux, der
ihn auch zu Compositionsversuchen anregte. Um nach Italien zu kommen,
trat er als Secretär in die Dienste des Fürsten von Thurn und Taxis, mit
dem er jedoch nur bis Laibach gelangte, worauf er mit einem Wiener Arzte
die Reise nach Venedig fortsetzte. Nach sechs Monaten wurde er durch ein
Fieber zur Rückkehr nach Wien gezwungen, nach dessen Beseitigung er als
Dirigent der italienischen Oper des Grafen Rottal nach Mähren ging. Mit
seiner jungen Gattin wurde er 1745 am Hoftheater zu Wien angestellt, er als
Musikdirektor, sie als Sängerin. Nach einer zweiten italienischen Reise von
1747 an, folgte er im August 1750 einem Rufe als Hofkapellmeister nach
Stuttgart, wo er ausschliesslich für die Kirche und Kammer compouirte, u. A.
zwei Oratorien (nlsaccoa und »ia Betulia Uherata«), 21 Messen, 37 Motetten,
Misereres u. s. w. Früher componirte Opern und Ballets verwarf er nun selbst
und gab sie nicht zur Aufführung her. Dagegen schrieb er 1753 für das neu
erbaute kurfürstl. Theater zu Schwetzingen die pastorale Oper ytll figlio delle
selve«, die einen so glänzenden Erfolg hatte, dass er alsbald als Direktor der
Hofkapelle nach Mannheim gezogen wurde, wo er sich mit der Oper rtlssipiled
einführte, der er mehrere andere italienische Singspiele folgen Hess, unter diesen
die sehr beifällig aufgenommene yylsola disabitatan und den -dDoti Gliisciottov..
Im J. 1756 unternahm er eine dritte Reise nach Italien, deren hauptsächlicher
Zielpunkt Rom und die dortige päpstliche Kapelle war. Kaum über Wien
nach Mannheim zurückgekehrt, war er schon 1757 wieder in Turin, wo er,
einem Auftrage folgend, dem dortigen königl. Theater die Oper yyNitettid lieferte,
deren grossartiger Erfolg ihm von Mailand aus das Gesuch, auch für dort eine neue
Oper zu schreiben, eintrug. Vorerst reiste er aber über Paris nach Mannheim
zurück und traf erst 1759 in Mailand mit seinem T>Älessandro nelV Indiev. ein,
welcher für eine seiner besten dramatischen Partituren gilt und in nicht ganz
zwei Monaten dreissig Mal hinter einander bei stets überfülltem Hause auf-
geführt wurde. Alle weiteren, sehr zahlreichen Aufträge italienischer Bühnen-
direktionen lehnte er ab und begab sich wieder nach Mannheim, wo er noch
zahlreiche Orchester- und Instruraentalwerke componirte, weiterhin die Opern
•aippolito e Ärrieiav (1768), y>Ädriano in Siriaa (1772) und hierauf viele Messen,
Psalme, Motetten u, dergl., sowie die Oratorien »La morte di Oesua, »Z« Giu-
ditta<i und »JZ giudizio di Salomonen. Im J. 1776 folgte seine erste und einzige
deutsche Oper »Günther von Schwarzburga, mit prachtvoller Ausstattung häufig
gegeben und in Mannheim beim Verfasser im Druck erschienen, sodann noch
»Zfl! clemenza di Titoa, »ie nozze d^Arianna e di Baccoa, das Melodram »Der
Tod der Dido« und endlich 1782 yiTancredia, welche letztere Oper er für das
Münchener Theater schrieb, aber da sein Gehör 1781 sehr schwach geworden
war, nicht mehr hören konnte. Als seine letzte vollendete Arbeit gilt eine
Messe mit deutschem Text vom Kammerrath Kohlenbrenner, deren künstle-
rischer Werth sehr bedeutend sein soll. H. starb an einer Brustentzündung
am 7. April 1783 zu Mannheim. Seine Schaffensthätigkeit war bewunderns-
Holzbecher — Holzblasinstrumente. 279
werth, und auch als Lehrer hat er vortrefflich gewirkt. Seine "Werke bestehen
in Oratorien, 26 vierstimmigen Messen mit Orchester, 37 Motetten und anderen
Kirchencompositionen, ferner in einer deutschen und zehn italienischen Opern,
vielen Schäfer- und Singspielen, sowie Ballets, endlich in 96 Sinfonien, 18
Quartetten, meist für Streichinstrumente, und 13 Concerten für verschiedene
Instrumente. Hauptvorzug derselben ist die innigste Verschmelzung einer aus-
drucksvollen und fliessenden Melodie mit der strengsten harmonischen Reinheit
des Satzes und der trefflichsten Behandlung der Singstimmen wie des Orchesters,
weshalb er auch Bedeutenderes im dramatischen wie im kirchlichen Styl leistete,
obgleich sich Mozart selbst über den letzteren sehr günstig äusserte. In den
hinterlassenen Papieren H.'s fand sich auch seine Selbstbiographie, die im Oc-
toberhefte des musikalischen Correspondenten von 1790, S. 107 ff., abgedruckt
ist. H. war überhaupt ein gut gebildeter Mann, der sehr gewandt die latei-
nischen und italienischen Dichter las und den Horaz fast ganz auswendig wusste.
Holzbecher, Karl David, guter deutscher Tenorsänger, geboren 1779 zu
Berlin, sang schon 1794 kleinere Opernparthien im Nationaltheater daselbst
und wurde nach Mutation seiner Stimme für zweite Tenorrollen fest engagirt.
Bis 1825 gehörte er der königl. Oper als brauchbares Mitglied an, wurde dann
pensionirt und starb am 20. Mai 1830 zu Berlin. — Seine Tochter, Julie
H., geboren zu Berlin am 29. Juli 1809, war seit 1824 als Schauspielerin und
Opernsängerin am königsstädtischen Theater daselbst angestellt, verheirathete
sich 1830 mit K, von Holtei (s. d.) und verliess mit demselben 1834 Berlin.
Sie starb in Folge zu früher Entbindung am 10. Jan. 1839 zu Higa.
Holzblasinstrumente nennt man alle Blasinstrumente, deren Klangröhren
aus Holz gefertigt sind. Die Tonzeugung bei diesen Instrumenten wird ent-
weder durch eine besondere Art der Einhauchung des menschlichen Athems,
oder durch eine künstlich erzeugte Luftströmung, wie bei den Orgelpfeifen,
bewirkt. Kein Culturvolk der Erde gab es, das nicht schon in frühester Ent-
wickelungszeit Tonwerkzeuge dieser Gattung kannte und je nich seinem Bil-
dungsfortschritt ausbildete. Alles üe Heschichte der Blasinstrumente (s. d.)
Betreffende ist in dem Hauptartikel aufgezeichnet und hier nur wenig die H.
allein Berührendes anzuführen; ebenso findet sich auch alles Akustische der
H. in dem bezeichneten Artikel vor. Bemerkenswerth ist sonst nur, dass seit
dem 16. Jahrhundert die Gattung der H. immer mehr Bedeutung gewonnen
und jetzt in freien Räumen im Bunde mit den Blechblasinstrumenten (s. d.)
fast jede andere Gattung von Tonwerkzeugen schon verdrängt hat. Vorzüglich
lassen sich hier zwei Arten, Flöten und Blattflöten, der H. unterscheiden.
Erstere werden durch den freien Luftstrom, letztere durch einen mittelst eines
Blattes (s. d.) moderirten Luftstrom tönend erregt. Noch könnte man eine
Eintheiluug nach der conischen und nichtconischen Bohrungsweise der Schall-
röhre bilden, welche Eintheilung jedoch, da sie nicht augenblicklich zu erkennen,
weniger zu empfehlen ist. "Wohl aber wäre eine Eintheilung der H. mit Blät-
tern in solche, die mittelst zweier Blätter, wie Oboe (s, d.) , Fagott (s. d.)
u. s. w., und solche, die mittelst eines Blattes, wie Clarinette (s. d.) u. a.,
intonirt werden, anwendbar. "Was nun die Klangweise der verschiedenen Arten
der H. anbetrifft, so zeigt dieselbe sich, ähnlich derjenigen der Blechblasiustrumente,
weniger von einander abweichend als die der Streichinstrumente. Bei letzteren,
wohl eine Folge des weniger mächtigen Klanges derselben, hat jede Instru-
mentart eine leicht erkennbare besondere Klangweise. Bei den H.n hingegen
tritt eine solche nur leicht erkenntlich bei den Gattungen zu Tage, und man
redet dem entsprechend von clarinett-, oboe- und flötenartig klingenden H.n.
Besonders findet dies seine Anwendung bei den Klängen der Orgelpfeifen.
Um nun diese Klangunterschiede in der vollendetsten Art bei der Orgel zu
geben, befleissigt man sich einer sorgfältigen Bauart im Allgemeinen wie im
Speciellen der Orgelpfeifen. Da letztere Bauart in den einzelnen Artikeln
ausführlicher berücksichtigt wird, so ist sie hier bei Seite zu lassen und sind
280 Holzbogen — Holzmiller.
nur die Eigenheiten der allgemeinen Bauweise anzudeuten. Zu allen wind-
dichten Orgeltheilen verwendet man kiehnene Bretter, wo möglich ohne Aeste
und ohne harzige Theile. Aeste, wo sie vorhanden, schneidet man aus und
füllt das Loch mit gesundem Holze. Diese Holztheile setzt man gleichfaserig
laufend, wenn sie mit dem im Artikel Holz (s. d.) angegebenen Absud be-
strichen worden sind, zusammen. Pfeifen aus Holz werden nach dem gleichen
Prinzip gebaut, doch zu denselben, je nach der gewünschten Klangart, ver-
schiedene Holzarten genommen. Je härter, sagt der Orgelbauer, die Holzart
ist, je kerniger ist der Ton, und je weicher, um so zarteren Klang kann man
aus derselben erzielen. Die Pfeifen einer Orgel müssen im Innern immer glatt
gehobelt sein, und werden, wenn ein vorzüglich kerniger Ton gewünscht wird,
mit Leim und Bolus glatt verstrichen. Durch dies Verstreichen bewirkt man
ein Verstopfen der Holzporen und giebt den Pfeifen eine bedeutendere Oscil-
lationskraft. Von diesen Allgemeinbestimmungen scheint die wichtigste: dass
zu Toni'öhren verwandtes Holz stets der Länge nach die Faser laufend haben
muss, welche Bestimmung auch bei den durch Menschenhauch intonirten H.n
gilt. Alles übrige die H. Betreffende sehe man in den Specialartikeln. 0.
Holzbogen, Joseph, deutscher Violinvirtuose und Instrumentalcomponist,
war bereits Mitglied der Hofkapelle zu München (um die Mitte des 18. Jahr-
hunderts), als er 1753 nach Italien reiste und bei Tartini seine letzte Aus-
bildung im Violinspiel und in der Compositiou erhielt. Er kehrte hierauf in
seine frühere Stellung zurück und starb 1779 als peusionirter Kammermusicus
zu München. Burney gedenkt seiner in seinem musikalischen Reisetagebuch
mit auszeichnendem Lobe. Obwohl von H.'s Compositionen nichts gedruckt
wurde, kennt man sechs Sinfonien, sechs Streichtrios, ein Trio für Oboe, Fagott,
Hörn und ein solches für Violine, Fagott und Bass von ihm.
Holzer, Johann, Organist in Wien, veröffentlichte von seiner Composition
1779 Lieder mit Clavierbegleitung und weiterhin auch Sonaten für Ciavier
mit Begleitung verschiedener Instrumente.
Holzflöte oder Holzpfeife, ein sehr selten vorkommendes, nur aus Holz
gebautes Flötenwerk in der Orgel von 2,5 Meter.
Holzharmonica, s. Harmonie a.
Holzhäuser, Heinrich, deutscher Tonkünstler, geboren 1675 in Wien,
war daselbst kaiserl. Hof kapellmeister, sowie Musikdirektor der Kaiserin Eleonore
und starb am 8. März 1726 zu Wien.
Holzhen, deutscher Orgelbauer, lebte in der letzten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts zu Ottobeuren in Schwaben und hat in seiner Gegend viele treffliche
Kircheninstrumente errichtet.
Holziuger, Pater Benedictus, deutscher Kirchencomponist , aus Aichach
in Baiern gebürtig, war seit 1747 Benedictinermönch und hat mehrere Vespern
geschrieben^ die nicht im Druck erschienen sind. Er starb im J. 1805.
'^"'^ Holzmann, Anton, Benedictinermönch und Kirchencomponist, war zu An-
fang des 17. Jahrhunderts Subprior im Marienkloster zu Schutter im Breisgau
und veröffentlichte von seinen Compositionen eine Kirchenmusik.
Holzmanu, Daniel, deutscher Meistersinger zu Augsburg, lebte in der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (1571).
i 'Holzmiller, Eduard, trefflicher deutscher Tenorsänger und auch Lieder-
componist, geboren um 1806, war zuerst in Wien engagirt, von wo aus er
1830 in Berlin eintraf, am Königsstädtischen Theater als G-eorge Brown in
der weissen Dame auftrat und für diese Bühne gewonnen wurde. Im J. 1836
verliesB er Berlin, nachdem er den Almaviva im »Barbier« als Abschiedsrolle
gesungen hatte, und war von da an bis 1842 beim königl. Hoftheater in Han-
nover engagirt. Er scheint sich hierauf in das Privatleben zurückgezogen zu
haben. H. besass eine schöne Stimme und angenehmes Aeussere, jedoch fehlte
seinem Vortrag und Spiel seelische Belebung. Von seiner Composition er-
schienen in Hannover einige Liederhefte. — Seine Gattin, Betty H., geborene
Holzner — Homeriden. 281
Vio, stammte aus Italien, galt als eine vorzügliche Opernsängerin und war an
denselben Bühnen engagirt.
Holzner, Anton, s. Holtzner.
Holzprincipal nennt man eine in manchen Orgelwerken vorkommende
Principalstimme , welche, zu 2,5 oder 5 Meter gebaut, in nur schwach er-
tönenden Orgelabtheilungen, etwa in einem dritten oder vierten Manuale
oder im Pedale, disponirt ist und deren Pfeifen durchweg aus Holz gefer-
tigt sind. 0.
Holzsaiten sind ein Klangmaterial, welches sich bei einigen Völkern auf
niedriger Kunststufe im Gebrauch befindet. So fertigen in Mittelamerika
einige Indianerstämme ein guitarrenartiges Reissinstrument an, dessen Bezug,
aus wenigen Saiten bestehend, sie aus den Fasern einer Palmenart fertigen.
Der Ton dieser Saiten soll, wie mehrere Eeisende versichern, angenehm und
ziemlich stark tönend sein. 0.
Homann oder Höh mann, deutscher Componist der Gegenwart, geboren
1811 in Memel, wirkte in seiner Vaterstadt als Theaterkapellmeister und liess
daselbst u. A. seine Opern »Karl XII.« (1844) und »Die Küsse« (1846) aufführen.
Homati, Tommaso, italienischer Tonsetzer des 16. oder 17. Jahrhunderts,
ist nur noch dadurch bekannt geblieben, dass er Messen und Psalme seiner
Composition in den Druck gegeben hat.
Homberg-er, Paul, tüchtiger deutscher Componist und Contrapunktist,
geboren um 1560, war Cantor in Regensburg und starb als solcher daselbst
am 19. Novbr. 1634.
Home, Sir Everard, einer der ausgezeichnetsten englischen Physiologen
und Anatomen, geboren 1756 zu Edinburg, wurde Professor der Anatomie und
Chirurgie am königl. Collegium der Wundärzte zu London, dann Präsident
derselben, endlich 1813 zum Baronet und Leibarzt des Prinz-Regenten erhoben
und starb am 31. Aug. 1832 zu Chelsea. Unter seinen "Werken befinden sich
auch gediegene Schriften über den Bau des Ohres und über das Trommelfell.
Homer, der älteste und gefeiertste Dichter- und Sängername des grie-
chischen Alterthums, der Vater der epischen Gesänge, war, der gewöhnlichen
Sage nach, ein Sohn des Mäon, daher er auch der Mäonide genannt wurde,
und stammt, wie sich fast mit Bestimmtheit nachweisen lässt, aus Jonien in
Kleinasien oder aus einer der nahegelegenen Inseln, etwa Chios. Sein Ur-
sprung und sein übriges Leben sind in Dunkel gehüllt, was der Sage Ge-
legenheit bot, die Fabel ergänzend hinzutreten zu lassen und ihm Blindheit,
grosse Lehrer und weite Reisen beizulegen. Ebenso unsicher ist die nähere
Zeitbestimmung seiner Blüthe, da man dieselbe von 1105 v. Chr. abwärts bis
850 V. Chr. gerückt hat. Viele Gelehrte der neueren Zeit haben sogar sein
Vorhandensein als einzelnes Individuunj bezweifelt, während Andere ihn, worauf
allerdings die Etymologie seines Namens führt, als den Zusammenfüger schon
vorhandener Gesänge, noch Andere endlich vorsichtiger als den Repräsentanten
einer ganzen jonischen Sängerschule (s. Homeriden) betrachten. Die beiden
Hauptgedichte, die wir unter seinem Namen besitzen, sind die »Ilias« und
»Odyssee«, deren Stoff dem Sagenkreise des trojanischen Kriegs entlehnt und
so glücklich gewählt und behandelt ist, dass jedes ein gefälliges Ganze bildet.
Wie hoch man diese ächten Nationalge sänge feierte, dafür ist Beweis, dass
Pisistratus und die Pisistratiden in Athen eine Sammlung derselben veranstal-
teten und verordneten, dass sie jährlich an dem Fest der Panathenäen von den
Rhapsoden (s. d.) öffentlich vorgetragen wurden. Die hohen Vorzüge der
H.'schen Gesänge in Bezug auf Inhalt, Darstellung und Sprachform, welche
letztere für alle späteren Zeiten als Muster galt, sind der höchsten Bewunderung
werth und werden immer gepriesen werden.
Homeriden, eigentlich Abkömmlinge des Homer, nannten die Alten ur-
sprünglich eine auf der Insel Chios einheimische Sängerfamilie, welche die
Lieder Homer's durch Ueberlieferung fortpflanzte oder auch in gleichem Geiste
282 Homet — Homoioptoton.
Gesänge verfasste, die man ebenfalls mit dem allgemeinen Namen der Home-
rischen bezeichnete. Später verstand man darunter überhaupt Diejenigen,
welche Homer's Gresänge mit Kunstfertigkeit öffentlich vortrugen, was aus-
schliesslich die Hhapsoden (s. d.) thaten.
Homet, Abbe, französischer Tonsetzer, war zuerst, um 1730, Chorknabe
der Kathedrale in Chartres, wurde dann Kirchensäuger zu Amieus und ei'hielt
endlich das Amt als Musikmeister an der Kirche von Notredame zu Paris, in
welcher Stadt er 1777 starb. Motetten von ihm befinden sich im Manuscript auf
der Pariser Bibliothek und andere Stücke in der Maitrise der Notredamekirche.
Homeyer, Joseph Maria, deutscher Orgelvirtuose und Componist, ge-
boren am 18. Septbr. 1814 zu Lüderode am Harz, hat durch die glänzende
Behandlung seines Instruments auf Reisen Aufsehen gemacht und wurde Ka-
pellmeister des Herzogs von Lucca. Er hat Sinfonien, Orgel- und kirchliche
Vocalwerke geschrieben und ein verdienstvolles Werk, y>Gantus Grec/oriamtsa, verfasst.
Homilius, Grottfried August, einer der ausgezeichnetsten Organisten
-und Kirch encomponisten des 18. Jahrhunderts, geboren am 2. Febr. 1714 zu
Rosenthal an der sächsisch -böhmischen Grenze, wurde 1742 Organist an der
Frauenkirche zu Dresden, 1755 Musikdirektor an den drei Hauptkirchen und
Cantor an der Kreuzschule daselbst, welche letztere er als gründlicher, treuer
und im höchsten Grade gewissenhafter Lehrer zu grosser Blüthe brachte. Er
starb am 1. Juni 1785 zu Dresden. Im Orgelspiel zeigte er E-eichthum und
Gedanken, tiefe Kenntniss der Harmonie, ungemeine Fertigkeit und zweck-
mässige Wahl im Eegistriren. Von seineu ausgezeichneten Kirchencompositionen
hat er nur wenige drucken lassen; erschienen sind von diesen: eine Passions-
cantate, gedichtet von Buschmann (1775), eine Weihnachtscantate, betitelt »Die
Freude der Hirten über die Geburt Jesu« (1777), sechs deutsche Arien im
Clavierauszuge für Freunde ernsthafter Gesänge (1786) und einige Motetten
in der von seinem Schüler J. A. Hiller herausgegebenen Motettensammlung.
Als ManuBcripte wurden verbreitet: mehrere Passionen und drei Cantaten, 32
ein- und zweichörige Motetten mit Solostimmen, ein Jahrgang Kirchenmusiken
auf alle Sonn- und Festtage, ein einstimmiges Choralbuch in 167 Chorälen,
mehrere vai'iirte und fugirte Choräle und ein Choralbuch, das bei dem Gottes-
dienst in Dresden gebraucht wird, endlich noch sechs Trios für die Orgel
u. s. w. Seine Motetten sind überwiegend zu den Mustern dieser Gattung zu
rechnen, seine Chöre erscheinen höchst kunstreich und tiefgedacht, zugleich
aber auch überaus fliessend, und sein Choralsatz ist edel, würdevoll und gross.
Auch ein Lehrbuch des Generalbasses hat er verfasst. Der grösste Theil der
Manuscripte H.'s befindet sich in der königl. Bibliothek zu Berlin, ein anderer
Theil im Archiv des Kreuzchors zu Dresden.
Hommel, Karl Ferdinand, berühmter deutscher Rechtslehrer , geboren
am 6. Jan. 1722 zu Leipzig, studirtc anfangs Medicin, dann die Hechte, ward
1744 Doctor, 1750 ausserordentlicher, 1756 ordentlicher Professor der Rechte,
1763 Ordinarius der juristischen Facultät und starb in hohem Ansehen am
16. Mai 1781 zu Leipzig. Unter seinen mannichfaltigen akademischen Schriften
befindet sich eine, welche eine Erklärung des goldenen Horns in der nordischen
Mythologie giebt.
Hommertc, englischer Orgelvirtuose der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts,
war als königl. Kammermusiker in London angestellt und liess sich 1786 auch
auf der Orgel der St. Michaeliskirche in Hamburg hören. Als Componist ist
er mit mehreren Ciaviersonaten an die Oeffentlichkeit getreten.
Homogen, s. Heterogen.
Homoioptoton und Homoioteleuton (griech.), aus der Rhetorik in die
Musik übergegangene Ausdrücke, sind die alten Bezeichnimgen für die General-
pausen, und zwar ersterc für die Generalpause, die nicht bei Gelegenheit
eines Tonschlusses gemacht wurde, letztere für diejenige, die auf einen Ton-
schluBS folgte.
Homophonie — Homophoner StyL
283
Homophonie (griech., d. i. Einklang) nannten die Grriechen jeden Gesang,
der von zwei oder mehreren Stimmen gleichzeitig im Einklänge oder in Oc-
taven gesungen wurde. Jetzt gebraucht mau dieses Wort in einem anderen
Sinne, und zwar — im Gegensatze zu Polyphonie (s. d,) — für Tonsätze,
die nach der homophonen Schreibweise abgefasst sind (s. den folgenden Artikel).
Homophoueu Styl, homophone Schreibweise hat ein Tonsatz, wenn in ihm
gleichzeitig immer nur eine einzige Stimme die Hauptmelodie führt oder als
Haupt stimme (s. d.) auftritt, der sich alle anderen Stimmen (die Begleitungs-
oder Nebenstimmen) in rhythmischer und harmonischer Beziehung unterordnen,
mögen nun diese letzteren nur einfach die begleitenden Accorde angeben (wie
bei o), oder in Gestalt von wirklichen Melodien erscheinen (wie bei b). Die
Hauptmelodie kann dabei nach und nach von allen Stimmen übernommen wer-
den, der Satz bleibt dennoch homophon. — Treten dagegen in einem Tonsatze
immer mehrere Stimmen gleichzeitig als Hauptstimmen auf (c), so heisßt die
Schreibweise »polyphon« (s. d.). — Eine bestimmte Grenze lässt sich zwischen
der homophonen und polyphonen Schreibweise gar nicht ziehen; kann sich doch
auch jede Nebenstimme in Gestaltung und Bedeutung dem Charakter einer
Hauptstimme mehr und mehr nähern. — "Wechseln in demselben Tonstücke
homophone und polyphone Stellen mit einander ab, so heisst der Styl gemischt
(s. Styl). — Je nach der angewandten Schreibweise theilt man auch wohl
die Kunstformen selbst ein in homophone, polyphone und gemischte Formen
(s. Kunstform).
(
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a. (Beethoven, Op. 59 No. 1.)
(VioP. II. und Viola.)
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Die homophone Schreibweise ist erst viel später zur Uebung gekommen,
als die polyphone. Die ersten Versuche in der mehrstimmigen Composition
waren darauf gerichtet, mehrere selbstständige Melodien mit einander zu ver-
binden (s. Diaphonie), und so ist auch die ganze erste Epoche der mehr-
stimmigen Musik (bis 1600) lediglich von der Polyphonie beherrscht. Selbst
Homophonus — Hooper. 285
als man darauf verfiel, eine einzelne Stimme mit Begleitung von Instrumenten
singen zu lassen, beschränkte man sicli zunächst darauf, dass man in polyphon
gehaltenen Tonsätzen einfach die nicht gesungenen Stimmen durch Instrumente
ausführen Hess. »Die Harmonie dieses Musikstyls ist wesentlich Polyphonie,
welche, anscheinend zufällig, aus dem Zusammentrefien der unter sich bestimmte
consonirende und dissonirende Intervalle bildenden Töne mehrerer gleichzeitig
neben einander hingehender Melodien entsteht, während in der Homophonie,
wie sie um 1600 entstand, die vereinzelte, zur Hauptsache gewordene Melodie in
der sie tragenden Harmonie (die ursprünglich nur in einem bezifferten Basse
bestand) nur eine Art Commentar erhielt, in welchem die harmonischen Be-
ziehungen der Melodie auf die einzelneu Klangstufenaccorde der Scala, aus
welchen sie gebaut ist, dem Hörer klar und ausdrücklich entgegengehalten
werden« (Ambros, »Gesch. der Musik«, Bd. III. S. 121). Die ersten wirklich
homophonen Tonsätze (für die Laute u. dergl. Instrumente) hatten neben der
Melodie nur den Bass mit wenigen Ziffern, »bis später diese Begleitung selbst
wieder durch Figurirung und Paraphrasirung ihres einfachen Harmoniegehaltes
eine gewisse Selbstständigkeit erhielt, ohne doch aus ihrer Abhängigkeit von
der Hauptmelodie zu treten: denn selbst die reichste, orchestrirte u. s. w. Be-
gleitung bleibt ohne die Hauptstimme lückenhaft und unbefriedigend« (a. a, 0.).
0. Tiersch.
Homophonus (griech.-latein.) , oder unisonus, aequisonus (latein.), der
Einklang.
Houaner, Lorenz, deutscher Tonkünstler, lebte um 1770 in Paris und
veröffentlichte Ciaviersonaten und Quartette seiner Composition.
Houdt, Ghearkin d', belgischer Tonsetzer aus der ersten Hälfte des
16. Jahrhunderts, ist durch Kirchengesänge seiner Composition bekannt ge-
blieben.
Honorio, Eomoaldo, italienischer Camaldulensermönch und Componist,
lebte um die Mitte des 17. Jahrhunderts und erfreute sich eines bedeutenden
musikalischen Eufes. In der Sammlung des Ambrosius Profe (Leipzig, 1641
bis 1646) befindet sich eine Motette von ihm. Sonst führt "Walther von ihm
noch vier- bis achtstimmige Messen, drei- bis fünfstimmige Psalme, vier- bis
achtstimmige Litaneien und Concerte für eine bis vier Stimmen mit dem Basso
continuo für Orgel an.
Hoo^he, Diek van der, niederländischer Musikschriftsteller aus der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts, gab 1769 in holländischer Sprache »Elemente der
Vocalmusik« heraus.
Hook, James, fruchtbarer englischer Componist, geboren 1746 zu Nor-
wich, war ein Schüler des dortigen Organisten Garland. Nach Beendigung
seiner Studien ging er nach London, wo er an fünfzig Jahre hindurch als
Organist fungirte. Im J. 1829 war er noch am Leben. Er hatte den Ruf
eines sehr geschickten Orgelspielers und fleissigen Componisten. In letzterer
Eigenschaft kennt man von ihm gegen 140 Werke, nämlich ein Oratorium
y>The ascensionv, sieben komische Opern, einen Entr'act, eine Farce, drei Melo-
dramen, sechs Concerte mit Orchesterbegleitung, 30 Sonaten, theils für Ciavier
allein, theils mit Begleitung einer Flöte oder Yioline, viele Duos und eine
grosse Zahl von Variationen und Divertissements für Ciavier, zwei- sowohl
wie vierhändig, sodann eine Ciavierschule, endlich auch mehr als 2000 ein-,
zwei-, drei- und vierstimmige Lieder und Gesänge mit Ciavierbegleitung, welche
in verschiedenen Sammlungen erschienen.
Hook, Robert, auch Hooke geschrieben, berühmter englischer Mechaniker
und Mathematiker, geboren am 18. Juli 1635 zu Fresh water auf der Insel
Wight, veröffentlichte u. A. y>Observationes in Gl. Fiolemaei librum harmoni-
corumv. Er starb am 3. März 1703 zu London.
Hooper, Edmund, vortrefflicher englischer Orgelspieler und sehr ge-
schätzter Componist der Wendezeit des 16. und 17. Jahrhunderts, war Orga-
286 Hoornbeck — Hopffer.
nist an der königl. Kapelle, sowie an der "Westminsterabtei zu London und
starb daselbst am 14. Juli 1621. Er ist einer der Verfasser des Psalmenwerks,
welches 1594 zu London erschien; Authems von ihm befinden sich in der
Barnard'schen Sammlung.
Hoorubeck, Cornelis, niederländischer Orgelbauer, lebte zu Anfang des
18. Jahrhunderts und baute u, A. in der lutherischen Kirche zu Amsterdam
ein vortreffliches Werk mit 37 klingenden Stimmen.
Hopfe, (Heinrich) Julius, gründlicher deutscher Musiktheoretiker und
Componist, geboren am 18. Jan. 1817 zu Schloss Heldrungen in Thüringen,
wurde von seinem Vater, einem Prediger, für die Handlung bestimmt und mit
15 Jahren in ein Geschäft nach Magdeburg gebracht. Nach einem Jahre
jedoch kam er auf das Gymnasium zu Eisleben, um Theologie zu studiren, da
sein älterer Bruder, der sich zu diesem Berufe vorbereiten sollte, inzwischen
gestorben war. Dort nahm H. auch bei dem Seminarlehrer Karnstedt und
nach dessen Tode bei dem Organisten Güuthersberg musikalischen Unterricht,
fing an, Tänze zu componiren, die sehr gefielen, und da er dieselben viel ge-
spielt und auch gedruckt sah, so brachte er deren Zahl nach und nach bis
auf 1200. Im J. 1840 bezog H, die Universität zu Berlin und studirte zu-
gleich an der Akademie der Künste bei A. W. Bach und Rungeuhagcn Musik.
Nach Vollendung seiner wissenschaftlichen und musikalischen Studien und
nachdem er das philosophische Doctorexamen bestanden hatte, Hess er sich in
Berlin als Lehrer des Clavierspiels und der Harmonielehre nieder und wirkte
zugleich als Dirigent von Instrumcntalmusikvereinen. Als Componist wurde
er im localeu Umkreise durch sein Oratorium »Die Auferweckung des Lazarus«
(1850), durch seine Sinfonien (neun an der Zahl), Ouvertüren und verschie-
denartige Karamermusikwerke achtungswerth bekannt. Im Druck erschienen
sind jedoch nur mehrere Kirchencantaten , ein- und mehrstimmige Lieder, ein
Streichquintett, Trios, zweihändige und vierhändige Ciavierstücke. Ausserdem
hat er ein Choralbuch und für didaktische Zwecke zwei Clavierschulen und
ein systematisch geordnetes »Verzeichniss classischer und vorzüglicher Compo-
sitionen für das Pianoforte zu zwei und vier Händen, Duetten, Trios, Quartetten
u. s. w.« (Berlin, 1850) veröffentlicht.
Hopffer, (Ludwig) Bernhard, vorzüglich begabter deutscher Componist,
geboren am 7. Aug. 1840 zu Berlin, erhielt durch seinen Vater, einen wohl-
habenden Juwelier, eine treffliche wissenschaftliche Erziehung, zu welcher sich
Violin- und Ciavierunterricht ziemlich früh gesellten. Mit knabenhafter Leiden-
schaftlichkeit componirte er schon als Gymnasiast schlecht und recht Opern,
deren Texte sein älterer Bruder zusammengereimt hatte. Endlich, 1857, begann
er das eigentliche Studium der Musik in der Kullak'schen »Neuen Akademie
für Tonkunst«, wo Th. Kullak im Ciavier-, "Wohlers und Espenhahn im Violon-
cellospiel, S. "W. Dehn und R. Wüerst in der Theorie und Composition seine
Lehrer waren. Als er dies Institut Ostern 1860 verliess, wurden eine Ouver-
türe und eine Sinfonie von ihm als Probearbeiten dem Publikum vorgeführt
und von demselben sowie von der Kritik sehr beifällig aufgenommen. Er trat
hierauf nur noch mit einigen Orchesterwerken, ausgeführt in den Liebig'schen
Sinfonieconcerten, hervor, erschien aber dann auch plötzlich mit einer grossen
Opernpartitur, die, warm empfohlen, Annahme im königl. Opernhause fand und
am 11. April 1871 zum ersten Male mit ziemlich bedeutendem Erfolge auf-
geführt und öfter wiederholt wurde. Es war dies »Frithjof«, Text von Em.
Hopffer (s. weiter unten), die stichhaltige Probe einer tüchtigen künstlerischen
Kraft voll gesunden Sinnes und ernsten Strebens. Im Auftrage der königl.
General- Intendantur schrieb H. hierauf das Festspiel »Barbarossa«, Dichtung
von Hein, welches zu Ehren der aus Frankreich heimkehrenden Truppen auf-
geführt wurde. Leider unterbrach sein Gesundheitszustand die weitere Ver-
folgung der so glücklich betretenen Bahn. H. musste seit Frühjahr 1872 einen
Kuraufenthalt in Süddeutschland, der Schweiz und Italien nehmen, von welchem
Hopfgarten — Hoppe. 287
er 1875 mit einer neuen, mittlerweile vollendeten grossen Oper zurückzukehren
gedenkt. Von seineu Werken sind im Druck erschienen: eine Anzahl Lieder
und Gesänge, zwei Violin- Sonaten, ein Streichquintett, ein Ciavierquartett,
vierhändige Märsche, einige Chorsachen mit Orchester, die Oper »Frithjof« und
das Festspiel »Barbarossa«. — H.'s älterer Bruder, Emil Heinrich H., ge-
boren am 22. Jan. 1838 zu Berlin, besuchte nach Absolvirung des französischen
Gymnasiums zuerst das Berliner Conservatorium von A. B. Marx, J. Stern
und Th. Kullak, bezog aber bald hierauf, dem letzteren folgend, die »Neue
Akademie für Tonkunst« und studirte daselbst bei Kullak, Ferd, Laub (Violine)
und S. W. Dehn. Mit besonderer Vorliebe jedoch beschäftigte er sich mit Poesie
und dramatischer Literatur und schrieb für seinen Bruder Bernhard die drei-
aktige komische Oper »Der Student von Prag« und die grosse Oper »Frithjof«,
welche letztere ihn rühmlichst bekannt machte. Es folgten derselben die grossen
Opern »Hermione«, von M. Bruch, und »Edda«, von Karl Beinthaler componirt
und mit Erfolg in Berlin und Bremen aufgeführt. Eine neue, ebenfalls für
seinen Bruder geschriebene Oper ist so eben (1875) auch in der Musik voll-
endet und wird jetzt an die Bühnen verschickt. Seit 1872 lebt Emil H. in
Hamburg, wo er beim Hambui-gischen Correspondenten als Theaterreferent und
ßedacteur des Feuilletons angestellt ist und durch seine sachkundigen, ge-
diegenen Kritiken, namentlich auch über die Oper, sich eine angesehene Stellung
erworben hat.
Hopfgarten, Ludwig Ferdinand von, deutscher Jurist und Musikfreund,
geboren am 20. Juli 1744 zu Dresden, war 1767 wirklicher Appellationsrath
daselbst und veröffentlichte ein scherzhaftes Gedicht, betitelt: »Ursprung der
Musik und Dichtkunst«.
Hopkins, Edward John, hervorragender englischer Orgel virtuose, Musik-
gelehrter und Componist, geboren am 30. Juni 1818 zu London, erhielt vom
achten Jahre an seine musikalische Erziehung als Chorknabe der königl. Ka-
pelle, welchem Institute er durch sechs Jahre angehörte. Schon 1833 ertheilte
man ihm vor vielen Bewerbern die Organistenstelle in einer Parochie der
Grafschaft Surrey. Hier componirte er Antiphonien und andere Kirchenstücke
und erwarb einen vom Gresham-Collegium ausgesetzten Compositionspreis. Bald
darauf wurde er auch Mitarbeiter der musikalisch -antiquarischen Gesellschaft
in London, die es sich zur Aufgabe gestellt hatte, die "Werke der alten Kirchen-
componisten, in die moderne Notirungsart übertragen, herauszugeben. Im
J. 1843 wurde H. zum Organisten und Kapellmeister der Tempelkirche in
London ernannt, und in dieser Stellung verfasste er das hochwichtige, überaus
interessante Werk y>The orgaii, its liistory and constructions«. etc. (London,
1855), in welchem auf das Gründlichste die Orgel, ihr Bau und ihi'e Wirk-
samkeit beschrieben ist, gefolgt von einer Beschreibung der grössten Kirchen-
instrumente in ganz Europa, vorzüglich in England, und vervollständigt
durch eine Geschichte der Orgel, welche letztere Edward Rimbault zum Vei*-
fasser hat.
Hopkinsen, Francis, englischer Mechaniker, lebte zu Paris und brachte
daselbst 1788 eine zweckmässigere Bekielung der Claviere in Vorschlag, welche
die Anerkennung der Instrumentenmacher fand.
Hoplit, pseudonymer Mitarbeiter der »Neuen Zeitschrift für Musik« in
den 1850er Jahren (wahrscheinlich Rieh. Pohl), dessen Artikel sich durch
rückhaltslose Aggression für die Tendenzen der neudeutschen Musikrichtung
auszeichnen, verfasste in diesem Sinne auch eine grössere Schrift, betitelt: «Das
Karlsruher Musikfest im October 1853« (Leipzig, 1853).
Hoppe, Adam, musikkundiger Theologe, geboren in der ersten Hälfte des
16. Jahrhunderts zu Lemberg, war Prediger zu Teppliwada im schlesischen
Fürstenthiim Münster und veröffentlichte 1575 y>Cantiones dierum dominicalium
et festorum annüi. — Sein Namens- und Standesgenosse, Thomas H., geboren
am 8. Octbr. 1628 zu Penseko, war Pastor im Greiffenberg'schen und compo-
288 Hoppe - Horäk.
nirte als solcher ein Psalmenwerk. Derselbe starb als Prediger an der Marien-
kirche zu Colberg am 2. Jan. 1703.
Hoppe, Johann Grottlieb, deutscher Tonkünstler und Musiklehrer, ge-
boren am 3. April 1774 zu Langhelwigsdorf im Kreise Bolkenhain - Landshut,
war 1796 Organist und Schullehrer in Grüuberg, später Cantor in Hirschberg
und begab sich als solcher nach Berlin, wo er Logier's System studirte. Nach
Hirschberg zurückgekehrt, errichtete er nach den neu gewonnenen Grrundsätzen
ein Musikinstitut. Sonst ist H. noch durch einige Choralmelodien auch als
Componist bekannt gewoi'den.
Hoppe, Wilhelm, deutscher Musikpädagog, geboren 1797 in Branden-
burg, war Musiklehrer am Seminar zu Königsberg und dann zu Insterburg.
Er veröffentlichte 1829 eine Anweisung zum Gesangunterricht in Seminarien
und später einen »Leitfaden zum Gesangunterricht in Volksschulen« mit einer
Singfibel (Insterburg, 1852).
Hoppeustedt, August Ludwig, musikkundiger deutscher Theologe, war
um 1800 Superintendent zu Stolzenau in der Grafschaft Hoya und unternahm
es mit Erfolg, durch Composition und Verbreitung von Liedern für niedere
Schulen die Volksbildung zu heben. Er starb 1830, 77 Jahre alt.
Hopper, Karl, deutscher Tonkünstler und Componist der ersten Hallte
des 17. Jahrhunderts, lebte am englischen Hofe zu London. Daselbst wurde
1636 eine grössere Composition von ihm, betitelt: »Die Lustbarkeit des Königs«,
aufgeführt.
Hopser oder Hops-Anglaise, ein erst unlängst aus der Mode gekom-
mener, ursprünglich englischer, aber auch in Deutschland noch in den ersten
Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts sehr beliebter Gesellschaftstanz. Er war
von lebhaftem Charakter und die Musikweise desselben, nur zwei Reprisen auf-
weisend, stand im ^/i-Takt. In Walzerart componirt und getanzt, hiess er
Hops- Walzer. In beiden Arten wurden die Tanzschritte nicht geschleift,
sondern gehüpft, daher der Name.
Horae canonicae, horae reguläres oder h. officii divini (latein.), d. i.
Dienststunden, hiessen bei dem römisch-katholischen Clerus die täglichen sieben
bestimmten Bet- und Singezeiten, welche die Geistlichen in Klöstern, Stifts-
und Domkirchen, vorschriftsmässigen Anordnungen (dem Brevier) entsprechend,
inne zu halten hatten. Die erste Einrichtung derselben geht bis zum Kirchen-
lehrer Hieronymus (s. d.) in das 4. Jahrhundert hinauf, der auch im Auf-
trag des Papstes Damasus die Psalme in sieben Abschnitte, nach den sieben
Tagen der AVoche, eintheilte, so dass auf jeden Tag eine bestimmte Anzahl
von Psalmen fiel. Diese sieben Stunden oder Tagzeiten heissen: 1. Matutin
und Laudes (s. d.); 2. die Prim (s. d.); 3. die Terz; 4. die Sext; 5. die
None; 6. die Vesper (s. d.); 7. das Completorium. Die Matutin und Laudes
gehören eigentlich für die Nacht, Vesper und Complet für den Abend; alle
drei werden unter dem Namen »officium nocturnuma begriffen; die übrigen vier
bilden das Tagesofiicium oder »officium diurnuma. Die genannten drei Tagzeiten
heissen auch die grossen Hören (horae majores), die anderen vier die kleinen
Hören (horae minores). Papst Gregor der Grosse verordnete für die einzelnen
Stunden als Präfation die Anfangsworte des David'schen Psalms: y>Domine ad
adjuvandum me festina<i, und Urban II. bestimmte, dass in diesen Hören auch
noch Gebete an die heilige Jungfrau gerichtet werden sollten, Gregor VII.
verkürzte füi* seinen Hof den allmälig zu bedeutender Länge angewachsenen
»Cursus«, welches verkürzte Officium den Namen i>Breviarium curiae romanaev.
(Brevier) erhielt und auch vom Weltclerus und allen Orden, mit Ausnahme
der Benedictiuer, angenommen wurde.
Uordk, Wenzel Emanuel, vortrefflicher Orgelspieler, Musikgelehrter und
Componist, geboren am 1. Jan. 1800 zu Mscheuo- Lobes in Böhmen, erhielt
von Jos. Schubert in Mscheno Musikunterricht und war mit zwölf Jahren
bereits ein ziemlich fertiger Orgelspieler. Im J. 1813 kam er nach Prag aufs
Hörn. 289
Grymnasium, war nebenbei Sängerknabe an verschiedenen Kirchen und machte
hierauf autodidaktisch Theorie- und Compositionsstudien. Erst weit später ab-
solvirte er bei Tomaschek einen Cursus in der Harmonielehre. Etwa 1833
erhielt er eine Organistenstelle an der Theiner Pfarrkirche zu Prag, kam dann
1836 als Chorregent an die Kirche Maria im Schnee, 1853 in gleicher Eigen-
schaft an die Adalbertskirche und endlich wieder an die Theinkirche. Als
Chorregent derselben starb er am 1. Septbr. 1871. In Böhmen gilt er für
einen der gediegensten und zugleich fruchtbarsten Kirchencomponisten der
Neuzeit; acht Messen, Gradualien und andere geistliche Werke, sodann melo-
dienreiche und charakteristische Lieder und Chorgesänge, sowie eine Gesang-
schule hat er veröffentlicht. Ausserdem ist er der Verfasser eines Harmonie-
systems, welches unter dem Titel »Die Mehrdeutigkeit der Harmonien, nach
leicht fasslichen, aus der harmonischen Progression entlehnten Grundsätzen«
(Leipzig, 1846) erschienen ist.
Hörn (latein.: cornu, ital.: corno, französ.; cor), ist ein Tonwerkzeug, wel-
ches seit den ältesten Zeiten her an allen Culturstätten der Erde und zwar
aus dem verschiedensten Material, als Hörn, Holz, Metall etc. gefertigt worden
ist. Die Nachrichten über die Vervollkommnung des H.s im antiken Zeitalter
sind selbst in Bezug auf dessen Aeusseres sehr lückenhaft. Diese Lücken-
haftigkeit hat wohl darin ihren Grund, dass man dies Musikinstrument nicht
in die Zahl der in der Kunst gebräuchlichen einreihte, sondern es nur, um
weithin vernehmbare Bufe oder Befehle zu ertheilen, anwandte und noch dazu für
diesen Zweck bald auf weite Entfernungen hin die kürzere, enge Schallröhre,
die Trompete, mehr der konisch schnell sich erweiternden, dem H,, vorzog.
Muster zum H. ist ursprünglich ersichtlich das Thierhorn, dessen Spitze man
bis zur natürlichen Höhlung des dickeren Theils desselben hin durchbohrte,
gewesen. Aus den chinesischen, assyrischen, ägyptischen und allen anderen
orientalischen Musikkreisen her ist zu uns über die dortige Kindheitsform des
H.s nichts gelaugt, denn die Nachricht chinesischer Urkunden, dass ein ge-
wisser Ki-pe zuerst das Thierhorn als Tonwerkzeug angewandt habe, ist zu
dürftiger Natur, als dass sie von musikgeschichtlicher Bedeutung zu erachten
wäre, da sie uns selbst ohne Angabe der Zeit, wann dies geschah, übermittelt
ist. Begegnen wir hier doch auch später niemals einem ähnlichen Tonwerk-
zeug, sondern nur erst in neuerer Zeit findet man ein aus Holz gefertigtes
Instrument mit längerer gerader konisch erweiterter Schallröhre im kriegerischen
Gebrauch, das als eine schon ausgebildete Form des H.s anzusehen ist. Aehnlich
erblicken wir auf ägyptischen Bildern das H. nur in vollendeterer Form, aus
Metall mit gerader Schallröhre gefertigt. Bei beiden Culturvölkern scheint
eine scharfe Sonderung zwischen Trompete und H. in früher Zeit niemals
stattgefunden zu haben. Es erscheint am vortheilhaftesten, um wenigstens eine
Hegel zu haben, nach der in der Anschauung über diese Blasinstrumente des
Alterthums eine Klarheit zu erzielen möglich ist, alle solche Tonwerkzeuge
mit durchweg konischer Schallröhre als eine Abart des H.s anzusehen, und
alle solche Instrumente mit meist gleichmässig engerer Röhre zur Trompeten-
gattung zu rechnen, weshalb diese Kegel hier auch zu Grunde gelegt sein soll.
Die Metallinstrumente der Aegypter wurden, was bemerkenswerth zu sein scheint,
wenn man auf die Bibelstellen 4. Mos. 10 v. 2 etc. fussen darf, geschmiedet
(s. Hebräische Musik). Anders als bei diesen vorzüglich Ackerbau treiben-
den Völkern, die ausserdem wohl nur im Kriege H.er führten, dem abend-
ländischen H. ähnlicher und mehr in die Augen fallend, macht sich die Aus-
bildung der Form dieses Blasinstruments bei den Ariern und Semiten bemei-kbar.
Letztere brauchten es theilweise in ähnlicher Art wie die Aegypter, doch in
mehrerlei Gestalt, wie die Darstellungen aus Assyrien lehren (s. Assyrische
Musik). Seltener findet man auch hier noch das H. in seiner Urgestalt in
Gebrauch, um beim Cultus oder anderen grössei'en Versammlungen den Anfang
wichtiger Momente allen Anwesenden anzuzeigen. Die Juden gebrauchten beim
Musikal. Convers.-Lexikou. V. l-d
290 Hörn.
Gottesdienste im Tempel an gewissen Festtagen Widderhörner. Hier mag noch
darauf hingedeutet werden, dass es noch nicht festgestellt ist, ob die Ausbildung
des H.s nicht in einer ganz eigenen Form durch die Semiten stattgefunden
hat. Wir verweisen in dieser Beziehung auf die weiterhin gegebene Abbildung
mit den betreffenden Erläuterungen.
Am meisten gepflegt und in der Form ausgebildet aber erscheint das H,
bei den Ariern. Das indische, Nur sing (s. d.) genannte Tonwerkzeug, das
bei feierlichen Gelegenheiten und religiösen Ceremonien Anwendung findet,
zeigt eine grosse Kunstsorgfalt (s. dessen Bild in Fetis' r>B.istoire de ?nusique<i
Tome II. p. 304), Eine Indien allein eigenthümliche Gestaltung des H.s bietet
das ßamsinga (s. d.) genannte Tonwerkzeug. Die grösste Aehnlichkeit mit
dem indischen Nursing hatten die H.er in der Blüthezeit Etruriens, 1500 v.
Chr., von welchen nach alten Monumenten Abbildungen in eben angegebenem
Werke Tome III. p. 458 und 459 zu finden sind. Dieselbe Form behielt das
H. bei den Römern, nur erhielt es bei denselben die ausgebildete Stürze (s. d.)
und einen kunstvolleren Zusatz zu bequemerer Handhabung. Noch mögen hier
neben dem letztgenannten Tonwerkzeug der Römer, von ihnen Buccina (s. d.)
genannt, die Buccina marina (s. d.) derselben, sowie die in Muschelform in
verschiedener Grösse gefertigte Buccina und die Ossea tibia (s. d.) erwähnt
werden; letztere um daran die ersten Anfänge der Theilung dieser Instrument-
gattung in vei'schiedene Arten zu documentireu. Hierauf Bezügliches bietet
Dr. George Kastner in seinem y>Manuel general de musique militairea. Ehe
wir diese Theilung andeuten und die Ausbildung des H. im Abendlande ver-
folgen, müssen wir noch den Blick auf vorgeschichtliche Spuren des H.s im
Norden Europas wenden. Die in dem Artikel Blasinstrumente (s. d.) ge-
gebene Abbildung des Kiwikmonumentes documentirt, wie ebenda näher erörtert
ist, den wahrscheinlich gewohnten Gebrauch zweier unter sich verschieden ge-
formter H.er bei hohen feierlichen Gelegenheiten. Das erste dieser H.er ist
ähnlich dem Nursing der Inder gebaut, das zweite durchaus anders. Die ebenda
erwähnten Funde von H.ern in Torfmooren, welche nach bishei'igem Wissen
derselben Zeit entstammen, dürften über die zweite Form Aufhellung geben.
Diese Tonwerkzeuge scheinen ursprünglich den Hörnern der Auerochsen nach-
gebildet worden zu sein und dann allmälig diese Form, vielleicht durch den
Gebrauch beeinflusst, in die eines S verwandelt zu haben. Alle bisher ge-
fundenen H.er aus jener Zeit sind aus Bronze gegossen und zeugen in allen
Theilen von einem hohen technischen Kunstbestreben. Band II. S. 33 dieses
Werkes giebt eine Abbildung eines einem Auerochsenhorn nachgebauten Ton-
werkzeugs. Die Bedeutung, welche möglicherweise diese Instrumente auf die
Gestalt des abendländischen H.s gehabt haben, scheint es zu gebieten, dass
Jedem beide damals gebräuchlichen H.formen genauer bekannt sind. Es folge
daher hier eine Abbildung des schönsten im Kopenhagener Museum auf-
bewahrten H.s aus jenen Tagen, welches die zweite Art klar darstellt, sowie
eine vergrösserte Darstellung mehrerer Einzelnheiten desselben. Die Orna-
mentik, ebenso die Gestalt desselben lässt nach der Fortschrittsweise in jener
alten Zeit mindestens auf eine vorangegangene, nach Jahrhunderten zu zählende
Entwickelungsperiode schliessen.
Wie das Kiwikmonument zeigt, wurde dies H. vom Bläser beim Gebrauch
in der Art getragen, dass es zwischen dem linken Arm und dem Körper ein-
geklemmt wurde, so dass das Schallende desselben, dem Rücken des Hornisten
folgend, mit seiner Schallwindung gegen dessen rechte Lende lehnte, damit
derselbe mit der rechten Hand noch bequem den Rand des Instruments fassen
konnte. Eine Feststellung darüber, ob diese H.er im Norden Europas selbst
gefertigt wurden und deren Form wie Gebrauch dort erfunden worden ist, oder
üb dieselben nur dahin von anderen Culturstätten eingeführt, ist bisher nicht
möglich gewesen. Einerseits glaubt man annehmen zu müssen, die Phönizier,
andererseits die Etrusker seien die Fertiger dieser Tonwerkzeuge gewesen,
Hörn.
291
doch ist für keine dieser Annahmen ein Beleg vorhanden, eben so wenig als
an einer der beiden Culturstätten noch sonst wo ein ähnlich gebautes H. bisher
gefunden worden. Vgl. hierzu Nilsson's »Das Bronzealter« (Hamburg, 1869);
»Neue Forschungen über die Etrusker« (Ausland No. 29 Jahrg. 1874); »Das
alte Etrurien« (Europa No. 41 im Jahrg. 1874) und »Die Fahrten der Phö-
niker« (Ausland No. 1 Jahrg. 1875). Sollte diese Feststellung einstmals ge-
lingen, so würde dadurch nicht allein ein sicherer Einblick in den Zusammen-
hang und Verkehr der Bewohner der verschiedenen Culturstätten klar werden,
sondern auch die so vollendete Fertigung dieser H.er vielleicht zu noch un-
geahnten musikgesohichtlichen Enthüllungen den Weg erhellen.
In der sich entwickelnden ritterlichen, christlichen Zeit im Abendlande,
vom 8. bis 11. Jahrhundert, zeigt sich in Europa das H. in seiner tirsprüng-
19*
292 Hörn.
liebsten Gestalt im Grebrauch der Bevorzugtesten der Gesellschaft. Dem "Wohl-
stände entsprechend, führte man dasselbe aus kostbarem Material. Besonders
liebte man es damals. H.er aus dem dem Golde als gleich werthvoll erachteten
Elfenbein zu besitzen. Die Aussenseite dieser meist nur 0,35 Meter langen,
aus den Zähnen junger Elephanten gefertigten H.er strotzt gewöhnlich von
kunstreichem , Jagd- oder Kriegsscenen darstellendem Schnitzwerk. Die Art
der Arbeit dieses Scbnitzwerks wie die Darstellung desselben weisen auf die
Fertigung dieser H.er in Werkstätten des Orients hin. Das Wissen, wo die
Fertiguiigsorte der Elfenbeinhörner waren, und das Nichtwissen über die Stätten,
wo die nordischen gegossenen Bronzehörner gebaut sind, möchte bei einer aus-
führlicheren Geschichte des H.s mehr zu erwägen empfohlen sein. Solcher
Elfenbeinhörner giebt es im Abendlande noch sehr viele in Antiken und Kunst-
sammlungen , wie im Privatbesitz. In der Pfalzkapelle Karls des Grossen zu
Aachen z. B. fand man ein Elfenbeinhorn, welches vom Volksraunde für das-
jenige erklärt wurde, welches Harun al Raschid dem fränkischen Kaiser als
FreandscLaftssymbol übersandt habe. Das H. ßoland's, welches dieser Held
zu Roncevalles in Navarra 778 geblasen, das im Kloster Nonnenwerth bei ßo-
landseck später aufbewahrt und von dort durch Karl IV. weggenommen worden
sein soll, befindet sich im Schatze des St. Veitdomes zu Prag. Auch die
kaiserl. Schatzkammer in Wien besitzt ein Prachtexemplar dieser Art H. Die
Sage geht, dass dasselbe in der denkwürdigen Hunnenschlacht im J. 955 im
Lechfelde von deren Heerführer Lehel geblasen sei, um die Seinen zum Ent-
scheidungskampfe zu entflammen, der ihm den Tod brachte. Keins dieser H.er
hat ein Tonloch aufzuweisen , auch lässt nichts an denselben vermuthen , dass
man zur Intonirung derselben sich jemals eines Mundstücks bedient habe.
Ferner findet man auch keins derselben mit einer Stürze versehen.
Die H.er überhaupt fanden, wie angedeutet, in der Kunst jener Zeit keinen
Platz, weil im Cultus, der sich Alles, was Musik genannt wurde, angeeignet
hatte, nur eine Pflege des Gesanges stattfand und dadurch auch erst die Basis
zur abendländischen Kunst gelegt wurde. Sie hatten daher kirchlich höchstens
vor Einführung der Glocken zum Zusammenrufen der Gemeindeglieder eine
Verwendung. Nach dem 11. Jahrhundert jedoch bis zum 17. hin scheinen die
»fahrenden Leut« sich einer mehrseitigen Ausbildung dieses Instruments be-
fleissigt zu haben, die denn auch zu häufigerer Nachbildung des H.s aus Metall,
Holz etc., zur Einrichtung von solchen mit Tonlöchern, zum Bau von Zinken
(s. d.), Cornetten (s. d.), zu verschiedener anderer Gestaltung desselben, be-
sonders nach Erfindung der Harmonie zu sogenannten Accorden (s.d.), sowie
zur Darstellung des Jagdhorns (s. d.), Gorno di Oaccia (s. d.) führte.
Letzteres, das eigentliche Mutterinstrument unseres im Abendlaude H. genannten
Ton Werkzeugs, erfreute sich im Mittelalter eines hohen Ansehens. Trotzdem
es die Kunst aus ihren Hallen verbannte, schätzte es die höhere Gesellschaft.
Wie das elfenbeinerne Hifthorn ein nothwendiger Theil der Ausrüstung jedes
Grossen war, so kennzeichnete das Jagdliorn die liervorragenderen Männer in
besonderer Stellung. Die Helmschmucke und Wappen mehrerer vaterländischer
Geschlechter bestätigen diese Anschauung und geben theilweise selbst Auf-
schluss, wenn man die Zeit der Verleihung der Adelsdiplome beachtet, über
die stattgefundeue veränderte gesellschaftliche Schätzung und Gestaltung des
Hift- und Jagdhorns. H.er z, B. finden sich in den Wappen der Geschlechter
der Herzöge von Würtemberg, der Grafen von Abensberg und von Wartenberg,
der Edlen Horneck von Hornberg u. A. Die H.er der Wappen von Abens-
berg und Hornberg lassen den Schallbecher deutlich erkennen. Das Wappen
der Grafen Wartenberg-Kolb, im J. 1169 erhoben, zeigt ein völlig kreisrund
gewundenes Jagdhorn. Ob nun die Windung des H.s die Buccina bewirkte
und eine Verlängerung der Schallröhre den vollen Kreisa])schluss forderte, ist
bisher nirgend in Betracht gezogen, scheint jedoch in einer geschichtlichen
Entwickelungsgeschichte des H.s beinahe nothwendig, sowie darüber Gewissheit
Hörn. 293
zu erlangen: ob die Eömer ihre gebogene Tonröhre der Buccina gössen oder
schmiedeten; die Etrusker scheinen das letztere gethan zu haben. Haben die
Römer ihre Schallröhren geschmiedet, so würde der Weg von einer bis zu
mehreren kreisförmigen Biegungen einer längeren Schallröhre gewiss kein so
schwer zu beschreitender gewesen sein, wenn auch die Methode des ehemals
und später von einander zu verschieden, als dass er nicht erst allmälig versucht
und geebnet worden wäre.
Bisher berichtete man in der Musikgeschichte, daas im J. 1688 zu Paris
die Erfindung zuerst gemacht sei, das H. kreisförmig zu biegen; dies soll wohl
heissen, mehrfach kreisrund nebeneinanderliegend gebogen. "Wie dies geschah,
lehrt der Artikel Metall- und Blechinstrumente. Neuere Forschung jedoch
sieht dies für einen Irrthum an, der aus einer Musikgeschichte in die andere
ohne Prüfung überging. Besonders schätzenswerth in dieser Beziehung er-
scheinen die angeführten Gründe des königl. sächsischen Kammermusikers und
Musikschriftstellers Julius E,ühlmann in seiner Abhandlung »Das "Waldhorn«
(Neue Zeitschrift für Musik, Jahrg. 1870 und 1871). »Die Kunst, Metall-
röhren zu winden,« sagt derselbe, »kannte man schon in früherer Zeit, nicht
nur in Asien, sondern auch in Europa.« Selbst wenn der vorerwähnte Beweis
(das H. in dem angeführten "Wappen) nicht vorhanden wäre, so hätte man ihn
mindestens in Virdung's y>Miisica<f etc. (1511) oder in Prätorius' ^Syntagmav-
(1620) unter den Abbildungen der Jagdhörner finden können. Es soll hier
nicht auf die zahlreichen Jagdbilder von "Wauvermann, Teniers und andere
niederländische Bilder, sondern nur auf Mersenne's »Harmonie universelle
(Paris, 1637), Partie second de Traite des i?isfruments , livre cinquieme p. 245,
hingewiesen werden, da in diesem "Werke fünf verschiedene H.er in sehr cor-
rekter Abbildung in Holzschnitt ausgeführt sind; nämlich drei H.er mit nur im
Halbkreis gebogener Röhre, ein viertes mit einer einmaligen Kreiswindung in
der Mitte, die aber nicht ganz die volle Höhe des Zirkels erreicht, und ein
fünftes H,, welches schneckenhausartig die Röhre sieben Mal gewunden hat.
Diese letztere Form ist es, die sich schon bei Yirdung und Prätorius vorfindet,
von der wir aber nicht behaupten können, ob sie deutschen oder französischen
Ursprungs ist.
Da wir der Abbildung des Jägerhorns zuerst, wie schon erwähnt, 1511
bei Yirdung und nachmals 1637 in Mersenne's Buch begegnen, so ist ersicht-
lich, dass die kreisrunde Form nicht erst im J. 1688 in Paris erfunden worden
sein kann, sondern schon vor dem 16. Jahrhundert in Deutschland auftritt
und sich bis in das 17. Jahrhundert etc. dort wie auch in Frankreich erhalten
hat. In Mersenne's "Werk findet sich auch die Länge der abgebildeten H.er
genauer angegeben. Das kleinste H. hat 1 Meter, das mittlere 1,35 und das
grösste 2 Meter Länge gehabt. Nach ^dieser Angabe muss auch eine dreifache
Stimmung dieser H.er vermuthet werden, da nach akustischen Gresetzen eine
Metallröhre von 1 Meter Länge gegen eine von 1,35 Meter eine wesentliche
Verschiedenheit des Grundtones wie der harmonischen Obertöne voraussetzt,
auch das H. von 2 Meter Länge genau eine Octave tiefer gestanden haben
muss, als das von 1 Meter. Soviel ist wenigstens anzunehmen, dass, so wie
die Grösse verschieden, auch die Stimmung eine difi'erirende gewesen ist. Dass
zur Zeit Mersenne's die vCors de chassea, wie er sie nennt, schon zu mehr als
nur Signalinstrumenten benutzt wurden, ersieht man daraus, dass er angiebt,
dieselben würden zur Unterhaltung der Herrschaften in einem »Concert ä quatre».
oder auch in Vereinigung mit Hoboen bei Jagden verwendet. Demnach müssen
auf diesen H.ern kleine Jagdstücke ausgeführt worden sein, die in ihrer Art
schon einen musikalischen Zweck, wenn auch niederer Gattung erfüllten.
Bis zu unserer Zeit haben sich leider aus dieser frühesten Epoche des
Tonsatzes für Waldhorn keine Beispiele erhalten, da selbst Mersenne, der sonst
für derartige Monumente in seinem Werke gesorgt hat, in diesem Falle keine
Beispiele liefert. Sowohl an den in der »Harmonie universelle^ befindlichen
294 Hörn.
Abbildungen, als auch an den in den vorher erwähnten Hornbildern in Wappen
ist ein besonderes Mundstück deutlich sichtbar, welches einen ausgebogeneu
Rand und die Kesselform hat, womit die Tonangabe in ganz gleicher Weise
ermöglicht war, wie wir solche noch jetzt in Gebx'auch finden. Somit könnten
wir annehmen, dass im Wesentlichen schon in diesem Instrumente unser mo-
dernes Waldhorn zu sehen wäre, wenn dem nicht einige Bedenken, das wich-
tigste ist die Länge der Tonröhre, entgegenständen. Ferner wichtig für die
Beschafifenheit des Jagdhorns in seiner Ausbildungsperiode ist noch ein Holz-
schnitt in einem 1502 zu Strassburg erschienenen Buche, einer mit Holzschnitten
versehenen Ausgabe von » Virgils Operati. Man sieht auf diesem Holzschnitt
einen Trompeter und einen Hornisten dargestellt, die beide ihren Instrumenten
heitere Tonweisen zu entlocken bestrebt scheinen. Dem Hornisten hängt ein
zirkelrundes H. um den Hals, dasselbe wird von demselben in der Nähe des
Mundstücks gefasst, während die Rechte dem Instrument tiefer unten als
Stütze dient. Das Instrument hat die Gestalt eines modernen H.s, nur trägt
der Spieler es so, dass dessen ausgebogener Schallbecher sich über der linken
Schulter nach vorn gerichtet zeigt.
Schliesslich mag hier noch eine Sandsteinfigur, welche vor dem Jagdschlosse
Moritzburg bei Dresden befindlich, Erwähnung finden, da sie beweist, dass auch
in Sachsen vor 1688 zirkeiförmig gebaute Waldhörner zu den allgemein be-
kannten Dingen zu zählen waren, denn jene Kunstfiguren wurden 1670 auf-
gestellt. Jäger, die hier im Costüm jener Zeit dargestellt sind, tragen über
die linke Schulter H.er, die sich von den unsern wenig unterscheiden. Selbst
die Länge der Tonröhre derselben ist länger, als sie nach Mersenne's Angabe
sein könnten, schon der des modernen Waldhorns annähernd gleich. Die uns
hier vorgeführten Veränderungen dieses Tonwerkzeugs, welches während der
Jagd besonders im Walde so häufig seine Anwendung fand, hat nach dieser
auch selbstredend seinen Namen Jagd- oder Waldhorn erhalten und letzteren
sogar behalten, als es selbst die Kunst in den Kreis ihrer Mitwirkenden auf-
nahm. Nach solcher Ausbildung des Jagdhorns lässt sich wohl nicht annehmen,
dass noch von einer Erfindung eines solchen die Rede sein kann. Dennoch
berichtet man und druckt noch immer, dass gegen Ende des 17. Jahrhunderts
in Paris, sowie dass 1720 durch den Instrumentbauer Wieszek zu Prag das
Waldhorn erfunden sei. Vielleicht wendete man an beiden Orten der Ferti-
gung desselben eine ganz besondere Sorgfalt zu und unterschieden sich die
Fabrikate aus diesen Städten durch eine gewisse Eleganz und kleine Verän-
derung der Form oder Verlängerung der Tonröhre von den bisher gebräuch-
lichen. Welcher Art jedoch diese Neuerung war, ist der Nachwelt fremd ge-
blieben. An Wahrscheinlichkeit gewinnt diese Auffassung noch durch folgende
gewöhnlich der Pariser Erfindung des Waldhorns beigefügte Erzählung vom
Grafen Franz Anton von Spörken aus Böhmen, wenn man sich den Hergang
der Sache etwas anders zurecht legt. Dieser hohe Herr und gewiss auch grosse
Jagdliebhaber besuchte im J. 1680 Paris und sah daselbst zum ersten Male
vielleicht das Waldhorn in eleganter Form gebaut in Gesellschaftskreisen in
Gebrauch, Er, selbst sehr grosser Musikkenner und wohl auch zu Kunstver-
suchen geneigt, fand sich gedrungen, diese neue Kunstschöpfung für sein Haus
zu erwerben und Hess deshalb zwei seiner Bedienten in der Kunst, das Wald-
horn in der modernen Weise zu behandeln, in Paris unterrichten, welche Kunst
diese auch sehr bald sich aneigneten und, in der Heimath dieselbe ausübend,
grosses Aufsehen erregten. Die Namen dieser beiden Bedienten sind uns leider
nicht erhalten. Wohl aber wissen wir, dass später der Graf Spörken noch
einen gewissen Wenzel Sweda, der zu Lissa geboren war, auf seine Kosten
nach Paris sandte, um das H. blasen zu lernen, und dieser bis an sein Lebens-
ende in Diensten des Grafen verblieb. Diese Erzählung lässt eher vermuthen,
dass ein Spiel für zwei H.bläser in Paris Mode war und dasselbe dem Grafen
sehr gefiel, so dass, nachdem vielleicht einer der Diener, welche diese Spielart
Hörn.
295
des H.s gelernt hatten, gestorben war, er dafür sich Ersatz schaffte, als dass
es sich um Einführung eines durchaus neuen Tonwerkzeugs gehandelt habe
von dem man bisher keine Kenntniss hatte.
In Bezug auf die allgemeinere Anwendung des Waldhorns ist als bestimmt
anzunehmen, dass in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts dasselbe schon in
der deutschen Oper- und Kammermusik häufiger Anwendung fand. L. v. Köchel
schreibt in seinem "Werke »Die kaiserliche Hofkapelle in Wien« (1869) S. 80
dass während der Zeit von 1712 bis 1740 Wenzel ßossi und Friedr. Otto als
Jägerhornisten mit 360 Fl. Gehalt bei der Oper angestellt wai'en. Nach der
Zeit, sagt derselbe Schriftsteller in demselben Werke, verschwindet dasselbe aus
der kaiserl. Oper und taucht erst 1787 als Waldhorn wieder auf, und zwar
wieder zu zweien. Im Orchester scheint das H. in Wien noch früher einge-
führt worden zu sein, denn in einer Suite für Orchester von J. J. Fux,
deren Composition zwischen 1707 bis 1709 fällt, ist das Waldhorn angewandt.
Nach Küchelbeck's »Allerneuesten Nachrichten vom kaiserlichen Hof« aus dem
J. 1732 war ein kaiserl. Waldhornist an der Oper angestellt. Nach Moritz
Fürstenau's Werk »Zur G-eschichte der Musik und des Theaters am Hofe zu
Dresden«, Bd. II. S. 58, wurden dort am 26. Febr. 1711 zwei Waldhornisten
aus Böhmen, Joh. Adalbert Fischer und Franz Adam Samm, jeder mit 300 Tha-
lern Gehalt angestellt. Auch an anderen Orten Deutschlands waren um diese
Zeit die H.er schon im Kunstgebrauch. Mattheson schreibt 1713 aus Hamburg:
»dass das Corno da caccia schon sehr en vogue gekommen; die brauchbarsten
haben F als Stimmung. Sie klingen auch dicker und füllen besser als die
übertäubenden und schreienden Clarinen (Trompeten), weil sie um eine Quinte
tiefer stehen.« Ferner mag hier noch angeführt werden, dass Händel in seiner
»Wasserfahrtmusik« (1715) und Seb. Bach in seinen Cantaten, den Cöthener
Concerten, der JT-wioZZ-Messe etc., ein und zwei Waldhörner bald als Solo bald
als Füllstimmen anwendet. Die Annalen der Pariser Oper berichten, dass das
Jagdhorn zuerst 1759 in den Sybariten von Rameau gebraucht wurde, nach-
dem es schon 1735 auf der Bühne zu Fanfaren in y>AcMUe et Deidamiea von
Campra Anwendung gefunden hatte. Die Orchesterhörner mit der Verbesserung
von Hampel in Dresden wurden 1767 und vier Hörner gleichzeitig zum ersten
Male in der Ouvertüre zu y>IIoratms Coclesa von Mehul gebraucht.
Fest dürfte nach allem diesem stehen, dass das H. im weiteren Sinne sich
seit frühester Zeit stetig im Besitz aller Völker der Erde befand. Das Einzige
aber, was uns die Entwickelungsgeschichte desselben beweist, ist, dass, wie
vereinzelte Lichtstellen in den Jahrtausenden, wo dies Tonwerkzeug stets nur
wirthschaftlichen Zwecken diente, darthun, je nach den herrschenden Anschauungen
es blos äusserlich verschiedene mehr oder weniger künstlerische Gestaltungen
erhielt, bis es im Abendlande zu der Form gelangte, in welcher dasselbe in
der Reihe der Kunsttonwerkzeuge eine Stelle einzunehmen vermochte; selbst
gesteigerte Ansprüche haben an der Grundform nichts geändert. Dies noch
heute im Kunstgebrauch zu manchen Leistungen bevorzugte H. ist ein Blech-
blasinstrument ohne Tonlöcher, das aus einer zusammengelötheten Messing- oder
Silberblechröhre von 7,36 bis 11,33 Meter Länge in gerader Ausdehnung be-
steht, die in einer weiten Stürze endigt. Um das Instrument dauerhaft zu
bauen und handlich zu haben, hat man diese Röhre mehr-, gewöhnlich vierfach
zirkelrund, oder auch theilweise anders gewunden und diese Windungen so
aneinander gelöthet, dass sie stets in gleicher Lage bleiben müssen. Angeblasen
wird dies Tonwerkzeug mittelst eines metallenen Mundstücks mit konischem
Kessel und schmalem Rande. Von der Trompete unterscheidet sich das H.
ausser der zirkelrunden Gestalt und dem grösseren tellerförmigen Schalltrichter
noch durch die längere, andersconstruirte Schallröhre. Die Trompetenröhre
ist nämlich vom Mundstück bis zum Schalltrichter überall gleich eng, während
die des H.s am Mundstück ungefähr 9,7 Millimeter Durchmesser hat und sich
dann stetig, bis kurz vor ihrem Ende zunehmend, bis zu 1,18 Centimeter er-
296 Hörn,
weitert. Dann beginnt der Schalltrichter, welcher gewöhnlich ungefähr 0,3 Meter
Durchmesser hat. Die längere Schallröhre und die konische Bauart der Röhre
bewirken, dass das H. um eine Octave tiefer als die Trompete erklingt und
dasB man dessen Tonreich deshalb 5 metrig nennt; dies soll heissen, das tiefste
G eines solchen H.s hat dieselbe Höhe wie eine Orgelpfeife von 5 Meter Länge.
Die Handlichkeit dieses Tonwerkzeugs scheint es gefordert zu haben, dass man
die Schallröhre nicht zu lang baue und wurde deshalb es durchweg gebräuchlich,
die H.er allgemein in gleicher Grösse zu fertigen; man baute die H.er so,
dass der Grrundton derselben dem heutigen F, späteren Es entsprach. Mit-
wirkend hierzu war auch wohl, dass man sehr früh oft mehr als ein H. gleich-
zeitig gebrauchte, z. ß. beim Halali (s. d.), und durch gleichen Bau der H.er
harmonische Tougaben derselben sich fast von selbst ergaben.
Dieser gleichzeitige Gebrauch mehrerer H.er führte zunächst zu dem gleich-
zeitigen Kunstgebrauch von zweien, wie die Erzählung vom Grafen Spörken
zu belegen scheint. Dieser Kunstgebrauch von zwei H.ern allein forderte ge-
wiss bald eine Notirung der Stücke für dieselben, und da eine solche ohne
Beachtung der eigentlichen Klaughöhe nur verhältnissmässig nothwendig war,
wählte man die leichteste Kunstnotiruug in C-dur. Diese früheste Schreibweise,
da sie der Eigenheit des H.s wegen auch ferner zu keinen Uebelständen Anlass
gab, hat sich bis heute erhalten, wie weiter unten ersichtlich sein wird. Dies
H., gewöhnlich Naturwaldhorn genannt, besitzt ein theilweise lückenhaftes
Tonreich. Durch weniger oder mehr starkes Anblasen und verschiedenartigen
Gebrauch der Lippen und des Ansatzes kann man auf demselben alle soge-
nannten Naturtöne, welche die Tabelle in dem Artikel Aliquottöne nach-
weist, hervorbringen. Die am leichtesten auf dem H. erzeug- und davon künst-
lerisch anwendbaren sind:
:4:
ar-j^^g^gjgg^^^^^^
wenn der Grundton des H.s G ist; je nach der Tonhöhe des Grundtous ändern
sich selbstredend auch die Obertöne. — Da bald nach Einführung des H.s
dessen Anwendung in der Kunst immer häufiger auch mit anderen Tonwerk-
zeugen gleichzeitig versucht wurde, ergab sich, dass das Tonreich desselben
entweder nicht für die Ansprüche ausreichte oder sich theilweise durchaus nicht
rein darstellen Hess, trotzdem man zu einem Hülfsmittel, dem Stopfen (s. d.),
seine Zuflucht nahm. Vgl. Mattheson's »Kapellmeister« (1739). Man baute,
um den künstlerischen Anforderungen genügen zu können, H.er mit verschie-
denen Grundtönen, d. h. von verschiedener Grösse. Allgemeiner fand man bald
neben F- und Es -'S.. B- , G- und tiefe 5 -H.er im Gebrauch. — Um ferner
kleine Grundtonhöhenveränderungen zu bewirken, die im Zusammenspiel mit
Rohrinstrumenten sich oft als durchaus nothwendig ergaben, erfand man in
Deutschland, wie aus Virdung's und Prätorius' Schriften hervorgeht, den Stift
(s. d.), einen kleinen Bogen (s. d.), der an dem Anblaseende der Schallröhre
eingesteckt wurde; in diesen kam dann das Mundstück. Um dies zu vermögen,
muBste das Anblaseende der Schallröhre gleich etwas weiter gearbeitet sein.
Solche Erweiterung findet sich an keinem französischen Waldhorn aus jener
Zeit, woraus wohl zu folgern, dass sich in Frankreich damals noch nicht das
Bedürfniss für so weitgehende Verbesserungen des Waldhorns kund gab. Wenn
diese Erwägungen zunächst feststellen, dass in Deutschland allein die Ver-
besserung des Waldhorns geschah, so ergicbt die Thatsache, dass 1718 für
Dresden zwei H.er aus Wien angekauft wurden, sowie verschiedene andere
Nachrichten: dass Wien und Prag im Bau dieser Tonwerkzeuge am weitesten
vorgeschritten waren. Die für Dresden gekauften H.er mit zwei silbernen
Mundstücken und sechs Stiften kosteten jedes 50 Thlr.
Hörn. 297
Die in Deutschland immer mehr übel empfundenen Mängel in der In-
tonation, besonders des zweiten Naturwaldhorns im Orchester, sowie die Be-
schwerlichkeit, bei guten Kunstleistungen stets mehrere H.er und verschiedene
Stifte zur Hand haben zu müssen, führte 1753 den Secondohornisten der königl.
polnischen und churfürstl. sächsischen Kapelle, Anton Joseph Hampel, zu der
Erfindung der Bogen (s, d.), ßöhrenenden, die in der Mitte der Schallröhre
eingeschoben werden. Durch diese Erfindung wui'de die bisherige Einrichtung,
mehrere H.er und Stifte zu führen, überflüssig. Noch ist zu bemerken, dass
Hampel der Erfinder der Dämpfer (s. d.) oder Sordinen (ausgehöhlte
Hölzchen) des H.s war. Die erste Fertigstellung eines solchen H.s, Maschinen-
oder Inventionshorn genannt, geschah durch den Hofinstrumentenbauer Job.
Werner zu Dresden nach Hampels Angaben im J. 1754. Die Maschine oder
Invention des H.s besteht aus einer bogen- oder kreisförmig gestalteten Röhre,
deren Enden mit dem mittleren Theil der Schallröhre gleich dick sind, die in
zwei ofi'ene Schallröhrenzapfen, welche bemerkbar werden, wenn der darin ge-
wöhnlich befindliche Theil der Schallröhre ausgezogen ist, eingeschoben werden.
Diese Bohren, Bogen genannt, schliessen luftdicht an die "Wände der Zapfen
an. Ein mehr oder weniger bewirktes Heraufschieben der Bogen auf die Zapfen
ruft sehr geringe Stimmdiflferenzen hervor, da dadurch die Schallröhre mehr oder
weniger verlängert wird; es macht somit die Reinheit des Grundklanges und
der Naturtöne mehr von dem Willen des Musikers abhängig, als die früher
dazu augewandten Stifte. Ferner bewirken die weniger gekrümmten Bogen
eine leichtere Bildung der Schallwellen, als die kurzen und oft häufig gewun-
denen Stifte dies zuliessen. Ferner ist zu bemerken, dass Werner schon die
Zapfen der Schallröhre in einer etwa 0,6 Meter über das nothwendige Maass
hinausgehenden Länge und etwas nach aussen gerichteten Stellung fertigen
Hess, wodurch die Bogen, ohne die Windung der Schallröhre zu berühren, be-
quem auf die Zapfen ein- und ausgeschoben werden konnten.
Obgleich nun dies H. in vieler Beziehung das frühere Waldhorn übertraf,
so wurden doch schon zu Ende des 18. Jahrhunderts durch die Anforderungen,
welche der immer wachsende Orchestergebrauch, an dasselbe stellte, Mängel
entdeckt, welche der so sehr am Alten hängende Musikschriftsteller Fetis in
seinem Aufsatze y>Cor simple etc.« aufzudecken sich bemühte. Welcher Art diese
Aussätze waren, darüber mag die TJebersetzung des wesentlichen Theils der-
selben von Rühlmann belehren, »Vergebens haben Künstler wie Punto, Lebrun,
Fr. Duvernoy und später Gallay die Fehler der Stopftöne bis zu einem gewissen
Grade verbessert, doch haben sie nicht mehr als eine Octave oder Decime
ausgleichen können und mussten in den beschränkten Grenzen bleiben, welche
man mit dem Namen Gor minte bezeichnet, d. h. welches weder hoch noch tief
ist. In der eingestrichenen Octave kann man nur ein abscheuliches / und d
haben, das kleine h ist ziemlich nichts, ebenso ist es in derselben Octave mit
a und as, noch weniger ist hier ein/, e, es, d und eis möglich, mit einem
Worte, man hat keine Basstöne. In Rücksicht auf die Töne der zweiten Hälfte
der eingestrichenen und die volle Reihe der zweigestrichenen Octave, welche
talentvolle Künstler in ihrer künstlich erzeugten chromatischen Tonleiter ziem-
lich gleichmässig wiedergegeben haben, bleibt es doch nur eine Ausnahme,
denn die Egalität existirt nur bis zu einem gewissen Grade der Kraft, die
höchstens im Solo aber nicht im Tutti zu erreichen ist. Diese Töne sind selten
mit Energie in einem Forte angeblasen worden. Daher kommt es, dass in den
Partituren von Haydn, Mozart und in mehreren Werken von Beethoven die
H.er zum Pausiren verdammt sind, während ihre sonore Kraft oft unentbehrlich
zu sein scheint. Man konnte nur dieses unangenehme Hinderniss vermeiden,
indem man die H.er während des Musikstücks in einen anderen Ton umstimmen
Hess; dies war jedoch nur durch längeres Pausiren möglich; oder man verwen-
dete vier H.er in verschiedenen Stimmungen, welche aber auch nicht für alle
Fälle ausreichend waren. Was geht aus alledem hervor? Dass das einfache
298 Hörn.
Natur- und Inventionshorn ein unvollkommenes Instrument ist.« Diesen
Uebeln abzuhelfen, bemühte sich in sinniger Weise ein Dilettant in London,
Charles Clagget. Derselbe liess sich zwei H.er, das eine in Es, das andere in
jD stimmend, so zusammenbauen, dass sie beide mittelst eines Mundstücks an-
geblasen werden konnten. Durch eine Klappe wurde die nicht anzublasende
Röhre geschlossen. Noch in der Jetztzeit findet man eine in dieser Art con-
struirte Trompete, welche auf der Wiener Weltausstellung ausgestellt und mehr-
fach patentirt worden ist, in der Musikerzeitung (s. die Beilage der No. 11
des J. 1875) angepriesen. Es ergaben sich durch diese Verbindung der beiden
H.er in der vierten Octave folgende Töne:
8 9 10 11 12 13 14 15 16
d . e . fis . gf . a . bf . c'f . eis' . J' .
dis . f . g . gis-\ . ais . Äf . eis' . d' . dis'
Man sieht, dass durch diese H.construktion nicht allein alle chromatischen
Klänge, sondern dass einige sogar auf zweifache Weise hervorzubringen möglich
war. Von diesen Tönen waren aber die mit einem Kreuz versehenen: g, gis,
b, h und c' nicht rein und mussten durch stärkeres Anblasen oder Stopfen
verbessert werden. Diese Mängel und die schwierigere Behandlungsweise obigen
H.s verhinderten es, dass sich dasselbe einer allgemeineren Anerkennung er-
freute. Eine andere Verbesserung des H.s bemühte sich ein Deutscher Namens
Kölbel, der ums J. 1760 in Petersburg lebte, zu machen, die sich jedoch auch
keiner grossen Verbreitung erfreute. Derselbe liess an verschiedenen Stellen
der Schallröhre Klappen anbringen. Dies beeinträchtigte jedoch die Intonation
wie den Toncharakter des H.s in sehr nachtheiliger Weise. Ferner baute der-
selbe ein H., auf dessen Stürze ein halbrunder beweglicher Deckel war, den
der Bläser nach Ermessen leicht zur Deckung der Scliallröhre behandeln konnte.
Dies Instrument, von dem Erbauer Amorschall (s. d.) genannt, sollte die
chromatische Tonreihe leicht und gleichartiger im Klange geben. Von den
sonst noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sich um Verbesserung
des H.s verdient gemacht habenden Männern mögen hier noch einige angeführt
werden, da über sie wenigstens etwas Näheres bekannt geblieben ist. Im J.
1781 construirte Carl Türrschmidt ein Inventionswaldhorn, dessen Schallröhre
er kreuzweise legen liess. Er behauptete, dass in dieser Röhrenconstruktion
besser die Schallwellenbildung stattfände, und dadurch das Blasen des Instru-
ments sehr erleichtert würde. Raoux, Instrumentbauer in Paris, fertigte das
erste H. aus Silber. Bergonzi machte zuerst silberne Klappen und Bini baute
das erste tiefe 5-H. Jean Brun, geboren 1759, Waldhornist in der königl.
Kapelle zu Berlin, erfand einen Lack, der, bei neuen H.ern inwendig angewandt,
dieselben vor Oxydirung schützen, alle Unebenheiten ausgleichen und einer exakten
Bildung der Tonwellen förderlich wirken sollte.
Von weitgehendster Tragweite für die Ausbildung des H.es ergab sich
die 1814 stattgehabte Erfindung der Ventile (s. d.), welche ein Waldhornist
in der Kapelle des Fürsten Pless in Schlesien, Heinrich Stölzel mit Namen,
zuerst construirte und am Waldhorn anbrachte , wonach dies Tonwerkzeug
Ventilhorn genannt wurde. Es wird übrigens berichtet, dass Stölzel nicht
allein, sondern in Gemeinschaft mit dem Berghoboisten Blühmel nach mannig-
fachen Versuchen diese Verbesserung, durch Verlängerung der Tonröhre den
Klang um einen halben , ganzen oder anderthalb Töne zu vertiefen , entdeckte.
Die ersten Nachrichten über diese Erfindung wurden der musikalischen Welt
1815 durch den Kapellmeister Bierey in Breslau und 1817 durch Fr. Schneider
in Leipzig zu Theil. Beide machten in der »Allgem. musikal. Zeitunga ihre
Ansichten darüber bekannt. Wahrscheinlich durch diese VeröflFentlichungen
mit der neuen Erfindung bekannt geworden, baute 1818 der Instrumenten-
bauer J. B. Dupont in Paris ein H. mit Ventilen, welches das französische
Ministerium auf fünf Jahre patentirte. Auch in Deutschland fanden sich
Hörn. 299
Mehrere, welche die Stölzel'sche Erfindung zu verbessern sich bestrebten. Als
wesentlich in dieser Weise ist die Bemühung des Instrumentenbauers Fr. Sattler
in Leipzig hervorzuheben. Das Stölzel'sche H. besass nämlich zwei Büchsen-
ventile an verschiedenen Stellen der Tonröhre. Sattler jedoch baute ein H.
mit drei Büchsenventilen, die den Stölzel'schen ganz gleich construirt waren.
Diese Ventile waren jedoch so an der Tonröhre angebracht, dass die Haltung
des H.s beim Blasen, die durch die Stölzel'sche Bauart in anderer "Weise ge-
fordert wurde, in gewohnter Weise geschehen konnte. Seiner Zeit mehr Auf-
sehen erregend, weil die Presse von diesen Verbesserungen sehr häufig be-
richtete, doch weniger musikhistorisch bemerkenswerth, hat sich mit der Zeit
das y>Gornet ä pisto7i<i (s. d.) Meyfried's in Paris und das »Cor omnitoniquev
von Adolph Sax in Brüssel ergeben, ersteres ein in G-estalt dem alten Posthorn
fast gleich gebautes Messingblasinstrument mit drei Ventilen, letzteres dem
deutschen Ventilhorn ähnlicher.
Die Bemühungen deutscher und französischer Instrumentbauer in Bezug
auf die vorzüglichste Fertigung der Ventile führten zu drei Aiten derselben:
Büchsenventilen (s. d.), Hebel-, Schub- oder Röhrenventilen und
Cylinder- oder Drehventilen, deren Unterschiede in dem Artikel Ventile
(s. d.) ausführlicher beschi'ieben sind. In Frankreich und England nennt man
die ersten beiden Arten -»pistonsa oder »« clefsa, wohingegen die dritte Art
meist y>ä cylindresa und nur zuweilen in Oesterreich »Eadelmaschine« genannt
wird. Welche Vorzüge und Nachtheile die besonderen Ventilarten in ihrer
Anwendung beim H. haben, ist in demselben Artikel eingehender besprochen,
sowie die Einwirkung der Touwechselmaschine (s. d.), erfunden von Cer-
veny in Königsgrätz, auf dieselben. Trotzdem nun die Ventile zuerst beim
H. Anwendung fanden, so hat es doch Jahrzehnte gewährt, ehe diese Erfindung
allgemein Einführung fand. Man hat diese allgemeine Einführung wohl vor-
züglich der Entwickelung der Militärmusik zu danken. Die grosse Wichtigkeit
der Ventile wurde so durch die Praxis überall erkannt, und schon der oben
erwähnte Musikschriftsteller Fetis giebt in dem bezeichneten Aufsatz eine noch
heute schätzbare Zusammenstellung derselben, welche hier folgen mag. »Das
Waldhorn, dessen Tonumfang früher nur zwei unvollständige Octaven in der
ein- und zweigestrichenen Octave besass und in der kleinen Octave blos zwei
Töne hatte, ist durch die Erfindung der Ventile zu einem Instrumente umge-
staltet worden, welches eine chromatische Tonleiter durch mehrere Octaven
besitzt, wie alle anderen. Es scheint also, dass auf die Frage: welches Instru-
ment soll vorgezogen werden, das einfache oder das Ventilhorn? — es nur
eine Antwort geben kann, nämlich: das Ventilhorn. Jedoch sind die musi-
kalischen Kreise durchaus noch nicht dahin gelangt, eine vollständige TJeber-
einstimmung über diesen Gegenstand sich anzueignen. In Frankreich und be-
sonders auch in Paris existirt ein ungünstiges Vorurtheil für das Ventilhorn,
und viele der Künstler bleiben hartnäckig an dem alten Instrumente attachirt,
unter dem Vorwande, dass durch Anbringen der Ventile das H. schwerfällig
gemacht und die natürliche Schönheit des Tones geschädigt werde. Dieses
Vorurtheil übt selbst seinen Einfluss auf die Componisten aus, welche in dieser
Zeit, wo man mit Begierde jede Neuerung aufsucht, doch die alte Behandlung
in der Instrumentation beibehalten, und welche, wenn sie in ihren Partituren
Ventilhörner für gewisse Effekte vorschreiben, sich derselben nur mit Schüch-
ternheit bedienen und die grossen Hülfsmittel gar nicht zu begreifen scheinen.
Ich (Fetis) habe mir vorgenommen, diesen Trrthum aufzuklären, um dem Gegen-
stand Glauben zu verschafiFen, indem ich beweisen werde, dass es eine Art
Barbarei ist, den Gebrauch eines Instruments ausschliesslich zu erhalten, wel-
ches die meisten der Töne in der gegenwärtigen Musik entbehrt. — Nur das
Ventilhorn ist ein vollständiges Instrument, weil es in seinem ganzen Umfange
offene und natürliche Töne besitzt. Es hat eine Octave im Bass, wo auf dem
einfachen H. nur zwei Töne vorhanden waren; ausserdem hat es noch mit drei
300 Hörn.
Ventilen vier gute Töne in der grossen Octave. Mit diesem Instrumente hat
man ein ausgezeichnetes H. für Bass und Alt, welches an Sonorität vorzüglich
genannt werden kann. Die französischen Künstler machen gegen das Ventil-
horn die Einwendungen, einerseits, dass der silberne Klang des einfachen H.s
verändert werde, andererseits, dass für den Ausdruck gewisser melancholischer
Passagen die gestopften Töne nöthig wären. Sind diese Einwürfe begründet?
Nein, Artöt, Professor am Conservatorium in Brüssel, welcher den schönsten
Ton hat, den man auf dem einfachen H. hören kann, hat nichts von dieser
kostbaren Eigenschaft verloren, als er das Ventilhurn adoptirte. Andere Künstler
haben, ich gestehe es, auf dem Ventilhorn einen schwerfälligen, spröden, pelzigen
Ton; allein es ist sehr zweifelhaft, ob sie auf dem einfachen H. einen besseren
haben würden. — In Hinsicht auf den Ausdruck, welchen man in der An-
wendung der gestopften Töne vermischt mit den offenen zu finden glaubt, habe
ich nur eine einfache Bemerkung entgegenzustellen: die erste Eigenschaft, wel-
che ein Sänger in seiner Kunst erlangen soll, ist die Egalität, die Gleichartig-
keit und Sonorität aller Töne in seiner Stimme. Diese Egalität, diese Gleich-
artigkeit des Klanges, weit entfernt, ein Hinderniss im Ausdruck zu sein, ist
im Gegentheil die Eigenschaft, welche uns angenehm berührt und unwider-
stehlich erregt. Nun, das vollkommenste Instrument ist doch unstreitig das-
jenige, welches der menschlichen Stimme am nächsten kommt, und der Künstler,
welcher gut accentuirt, ohne der Reinheit des Klanges zu schaden, ist ohne
Zweifel derjenige, welcher hierin die grösste Vollendung erlangt hat. Die
Gleichmässigkeit der offenen Töne des Ventilhorns hat also eine TJeberlegenheit
von grosser Bedeutung über die TJngleichmässigkeit der Töne des einfachen
H.s, sowohl für den Ausdruck zarter Stellen, als auch für die energische Kraft.
"Wenn es nun für die Klangfarbe gemischte Effekte giebt, in welchen die ge-
stopften Töne sehr nützlich sein können, wie die Sordinen bei den Streich-
instrumenten es sind, so sind doch die Ventile am Waldhorn kein Hinderniss,
denn man kann beim Ventilhorn ebenso gut Gebrauch von der Hand machen,
als wie beim einfachen H.a
Diese Auslassungen ergänzend, mögen noch die Bemerkungen H. Hübler's,
ersten Wnldhornisten an der königl. Kapelle zu Dresden, hier eine Stelle finden.
»Jeder gute Waldhornist wird bei der Benutzung des Ventilhorns auch stets
Gebrauch von der im Schallbecher liegenden rechten Hand machen, wenn er
gestopfte Töne erzeugen will. Denn gerade durch das Studium der gestopften
Töne erzielt man einen weichen schönen Ton. Der grosse Vorzug des Ventil-
horns besteht nicht allein in der chromatischen Tonleiter mit lauter offenen
Tönen, sondern auch darin, dass man mit Hülfe der Ventile eine chromatische
Tonleiter gestopfter Töne hervorbringen kann. Namentlich ist letztere Ton-
reihe in der ein- und zweigestrichenen Octave mit Effekt zu verwenden. R.
"Wagner und Fr. Liszt liefern in ihren Werken die vollständigsten Beweise
dafür.« — Auch in Deutschland ist die Ansicht verbreitet, dass der Klang des
einfachen H.s viel schöner sei, als der des Ventilhorns. Diese Meinung beruht,
wie Fetis richtig bemerkt, auf Vorurtheil; jedoch muss dabei vorausgesetzt
werden, dass der Bläser sein Ventilhorn eben auch als einfaches H. behandelt,
d. h. dass er die rechte Hand während des Blasens im Schallbecher liegen
lässt. Wenn allerdings der Bläser das Ventilhorn derartig hält, dass die rechte
Hand vollständig ausserhalb des Bechers kommt — wie man es öfters bei
kleinen Orchestern in der Provinz, auch nicht selten bei Militärkapellen findet,
dann hat in Wahrheit der Ton des Ventilhorns einen harten, ja fast gemeinen
Klang. In diesem Falle hat man dann nicht Unrecht, das einfache H. dem
Ventilhorn vorzuziehen. Bei Waldhornbläsern, welche auf den Namen von
Künstlern Anspruch machen, dürfte eine solche fehlerhafte Haltung des Instru-
ments wohl kaum gefunden werden, und so kann man seine Uebereinstimmung
mit dem Ausspruch von Fetis erklären. Offen auszusprechen und zu behaupten
ißt, dass es ein sehr geübtes, fein musikalisches Ohr erfordert, um ganz kleine
Hörn. 301
Differenzen im Tone zwischen dem einfachen und dem Yentilhorn in i''-Stim-
mung wahrzunehmen. Unter hundert Fällen dürften neun und neunzig vor-
kommen, wo dies kaum unterschieden wird. — Von Einfluss auf diese Differenz
ist hauptsächlich die Bauart und die Weite der Röhren. Früher hatte das
einfache H. viel engere Röhren, wodurch der Ton zwar etwas heller im Klange
und beim Blasen leichter ansprechend war, aber auch viel dünner und schnei-
dender erschien. Der Charakter des Ventilhorns ist ein sonorer, gleichmässiger
Klang, der hauptsächlich maassgebend ist, um ihm den Vorzug zu geben. —
Diese Bemerkungen noch mehr ergänzend, ergeht sich Philipp Dornaus, Virtuose
und Componist auf dem Waldhorn, in seinem Aufsatze: »Einige Bemerkungen
über den zweckmässigen Gebrauch des Waldhorns etc.«, Leipz. musikal. Zeit-
schrift, dritter Jahrg. S. 308, ferner die Abhandlung Heinrich Gottwald's im
24. Jahrg. S. 125 bis 135 der »Neuen Zeitschrift für Musik«, welche Aufsätze
nachzulesen empfohlen sei. Das jetzt gebräuchliche Ventil - Waldhorn unter-
scheidet sich von dem oben beschriebenen in keiner Wesentlichkeit und wird
auch in langer Zeit wohl sich keiner zu erfreuen haben, sondern nach jetzigem
besten Erkennen kann man den Ausbau dieses Tonwerkzeugs als abgeschlossen
betrachten.
Schliesslich mag hier noch einer besonderen H.art, der russischen Jagd-
hörner, Erwähnung geschehen. Dieselben sind geradeausgehend gebaut, unge-
fähr wie ein Sprachrohr, und bringen mit Leichtigkeit nur einen einzigen
Ton hervor. Jeder Bläser hat die Aufgabe, nur den Grundton seiues Instru-
mentes anzugeben, wenn derselbe in einem Tonstücke gehört werden soll, die
andere Zeit jedoch zu pausiren, Eiue Ensemblemusik, mit solchen Tonwerk-
zeugen ausgeführt, erfordert grosse Sorgfalt und Einübungszeit, indem oft einige
dreissig Mann Sinfonien, Concerte, Märsche, Choräle, kurz alles Mögliche in
solcher Weise ausführen. Nur der hohe Musiksinn, der im niederen Stande
des slavischen Volkes fast Jedem angeboren ist, und die Strenge, mit der diese
von ihren Vorgesetzten behandelt werden konnten, waren im Stande, derartige
Kunstleistungen möglich zu machen. Der Erste, welcher die russische' Jagd-
horn-Musik (1754) ausführen Hess und wahrscheinlich auch erfunden hat, war
Marc seh (s. d.), ein geborener Böhme, Tonkünstler in Petersburg, in Diensten
des damaligen Oberjägermeisters Naryschkin. Um noch eine in den vierziger
Jahren dieses Jahrhunderts epochemachende Erscheinung — der Waldhornist
Vivier nämlich blies nach der oberflächlichen Auffassung, ja selbst das Urtheil
von Fachleuten wurde zuerst irre geführt, mehrstimmig — zu erklären, müssen
wir hier einige Betrachtungen über die Tonbildung mit dem H. anstellen: die
Lippen des H.bläsers wirken wie gespannte Membrane, und von den mehrfach
in die Schallröhre fliessenden Schallstrahlen multiplicirt, von der Lippenspan-
nung und der Stärke des Luftstromes bedingt, das Schallrohr den eigenen
Grundton oder einen seiner Aliquottöne. Da bei dieser Thätigkeit nur die
Lippen beschäftigt sind, so vermag der Bläser noch mittelst der Stimmritze
Töne zu bilden, die durch die Nase einen selbstständigen Ausgang erhalten
können. Diese Töne sind nasal und meistentheils nur wenig hörbar. Stärker
erklingen hingegen diese Töne, wenn der Bläser sie durch die Schallröhre des
H.s ihren Ausgang finden lässt, indem dann das H. wie ein Sprachrohr wirkt.
Der stärker klingende gesungene und der durch das Blasen geschaffene Klang
bewirken die Zeugung eines noch gleichzeitig vernehmbaren Tones, Summa-
tionston genannt. Ueber die physikalischen Gesetze, nach denen dieser Sum-
mationston sich bildet, findet man Belehrung in dem Artikel Akustik (s. d.)
dieses Werkes, sowie in den Werken »Die Lehre von den Tonempfindungen«,
S. 227 bis 236, und in John Tyndall's »Der Schall«, S. 330, 339 ff.
Betreffs der Notirung für das H. gesetzter Tonstücke hat sich seit frü-
hester Zeit nichts geändert. Die Normalstimmung jedes H.s wird als in C-dur
angenommen und ergeben sich die Klänge desselben je nach dem von C ver-
302
Hörn.
schiedenen Grundton und zwar um eine Octave tiefer. Folgende Naturklänge
eines H.s mööen dies veranschaulichen:
Notirung klingt auf dem C-Horn Z)-Horn
■^^f=^
Us-TLorn
if^
^-Horn JP-Horn
Ö-Horn
-4s-B[orn
■^E^b±==£-:i£S- ■ =^
:^:
^-Horn
hoch JB-Horu
1^3
3=^
P-
^^^:^^
tief -B-Horn
In Bezug auf den Gebrauch des H.s und dessen geschichtliche gesteiger-
tere Eutwickelung findet man Eingehenderes in der zweiten Abtheilung der
oben erwähnten Abhandlung »Das Waldhorn« von Rühlmann in der Neuen
Zeitschrift für Musik, Jahrg. 1871. Hier seien nur noch die Grundzüge des
jetzigen Gebrauchs dieses Instruments kurz verzeichnet. Je nachdem die Stim-
mung des H.s, je nachdem gebraucht man die höheren Klänge desselben; H.er
in hoher Stimmung werden nicht so hoch benutzt als tiefere. Allgemein ist .
die Regel, dass man z. B. die G-, As-, Ä- und hohen 5 -H.er nur bis e, die ;
tieferen Stimmungen: F-, E-, Es-, D-, C- und tief -B-H.er jedoch bis g notirt,
gebraucht. Von diesen Klängen sind stets die Naturtöne die am häufigsten
benutzten, und wählt man nach der Anwendung dieser denn auch die Stimmung
des H.s. Zu den gangbarsten Tongängen, wenn sich diese Instrumente selbst-
ständig bemerkbar machen sollen, gehören nachfolgende:
t^-M
Neben dieser Gebrauchsweise und derjenigen , lange anhaltende Töne zur
Füllung der Harmonie zu geben, findet sich die, rhythmische Marken (das so-
genannte Pochen) mit demselben Tone auszuführen oftmals, wie
E
1 y
Meist sind in den Orchestern nur zwei, ein sogenanntes erstes und zweites
H. in Anwendung, aber auch vier oder sechs thätig; stets sind bei grösserer Zahl
als zwei nur zwei gleicher Stimmung. Bios in Jäger- und Militärmusikcorps
treten die H.er massiger auf, weil sie dort nicht allein den eigentlichen Ton-
körper, sondern auch die höhere Tonregion zu geben zur Aufgabe haben, wo-
hingegen im gewöhnlichen Orchester die H.er hauptsächlich nur um der 2,5-
metrigen Tonregion die gewünschte Fülle zu verleihen, dienen. Alle diese
Regeln beziehen sich auf den chorischen Gebrauch des H.s. Als Soloinstru-
ment, als welches es in den verschiedensten Zusammenstellungen mit Piano,
Streichinstrumenten, Gesang u. s.w. vorkommt, gelten natürlich diese Regeln
in Bezug auf den zu verwerthenden Umfang als Grundregeln. Diese unterliegen
Hörn. 303
jedoch je nach der G-eschicklichkeit des Spielers vielfaclier Aenderung. — Die
Literatur für H., im Ganzen nicht gross zu nennen, hat meist der Feder her-
vorragender Virtuosen ihre Entstehung zu danken; doch hat die Neuzeit in
diesem Felde fast nichts geboten, während Werke aus den vorigen Jahrzehnten
noch jetzt vorhanden und gesucht sind. Als besonders bekannt sind die Schulen
von Domnich, Duvernoy und Punto zu nennen und darnach diejenigen von
Kling, Fröhlich, Dauprat u. A. Der Virtuosen auf dem H. gab es sehr viele,
und es seien hier nur genannt: Agthe, Bailly, Bamberger, Bauchingei-, Beccaria,
Belolli, Bliesener, Bode, Buri, Collin, Dickhut, Eisen', Garcia, Gügel, Haase,
Harmüller, Hauser, Herbst, Holluba, Hradetzky, Hutzier, Kohaut, Kretschmer,
Lanz, Leander, Lother, Marquardt, Mieksch, Neumann, Niesle, Falsa, Punto,
Pfafie, Polack, Rausch, Rothe, Scharfenberg, Schröder, Schunke, Seebach, Yivier
u. A. — Auch in den Orgeln gab es eine H., Zinke, Cornet, Cornetto
oder Waldhorn benannte Stimme. Dies in neuester Zeit sehr selten gebaute
2,5 metrige Orgelregister, einerlei mit Sesquialtera (s. d.) , ist entweder eine
Zungen- oder eine gemischte Stimme. Man findet sie auch zuweilen in anderen
Maassen. So berichtet Wolfram in seinem Werke »Anleitung zur Kenntniss
der Orgeln etc.« S. 210, dass es 2,5- und 1,25 metrige, H. genannte Orgel-
register gebe, und Adlung in seiner «musikalischen Gelahrtheit« giebt sogar
Nachricht über eine im Königsberger Kneiphof und eine zu Mühlhausen in
Thüringen befindliche 0,625 metrige Stimme, ebenfalls H. genannt. Sollte wirk-
lich wieder das Bestreben sich Bahn brechen, ein den H.klang vertretendes
Orgelregister zu bauen, so würden wohl solche Maasse, wie 1,25 und 0,625
Meter, nicht mehr versucht werden, da in diese Gegend des Tonreichs die
Klänge des H. genannten Tonwerkzeugs gar nicht hineinragen, und man doch
nur bezwecken würde, die H.klänge den andern der Orgel beizufügen. —
Noch wäre zu bemerken, dass Prätorius S. 186 einer 0,6 metrigen Orgel-
stimme, Hornbässlein genannt, erwähnt. Wahrscheinlich hatte diese Stimme
den Namen »Bässlein« nur davon erhalten, dass der Orgelbauer dieselbe dem
Pedal einverleibt hatte. C. B.
Hörn, deutscher Violinvirtuose und Instrumentalcomponist, war um 1755
Concertmeister des Grafen Brühl in Dresden und hat um 1760 Sinfonien,
Violinconcerte und Parthien seiner Composition herausgegeben.
Hörn, August, geschickter deutscher Componist und Musiklehrer, ge-
boren am 1. Septbr. 1825 zu Freiberg in Sachsen, war 1843 einer der ersten
Schüler des neu gegründeten Conservatoriums in Leipzig, machte daselbst den
vorgeschriebenen dreijährigen Cursus durch und lebt seitdem, abgerechnet eine
mehrjährige Unterbrechung von 1862 bis 1868, die er in Dresden zubrachte,
in Leipzig. Er schrieb Ouvertüren für Orchester, Ciavierstücke und Gesänge,
welche Talent und eine kunstfertige Hand bekunden. Besonders vortheilhaft
bekannt aber machte er sich durch Arrangements von Orchesterwerken oder
Vocalcompositionen mit Orchesterbegleitung für Pianoforte vierhändig und für
zwei Claviere. Eine einaktige Oper von ihm, »Die Nachbarn«, Text von Roh.
Jonas, fand bei ihrer ersten Aufführung am Stadttheater in Leipzig, im März
1875, vielen Beifall.
Hörn, Ferdinand, einer der grössten deutschen Harfenvirtuosen, aus
Breslau gebürtig, befand sich 1786 zu Berlin, 1787 zu Hamburg, 1792 wieder
in Breslau, 1793 in Leipzig u. s. w. und führte ein unstetes Leben, da er
wegen Schulden sich allenthalben verfolgt sah, so dass er häufig seinen Namen
verändern musste. Seit 1813 hat man von ihm, der, wo er sich hören Hess, Alles
entzückte und in Staunen versetzte, nichts mehr gehört; wahrscheinlich ist er
in selbstverschuldeter Armuth verkommen.
Hörn, Franz Christoph, deutscher belletristischer und musikalischer
Schriftsteller, geboren am 30. Juli 1781 zu Braunschweig, besuchte das Catha-
rineum daselbst, studirte hierauf die Rechte in Jena, in Leipzig Philosophie,
Geschichte und Aesthetik, wurde 1802 Doctor der Philosophie, 1803 als Lehrer
304 Hörn.
an das Gryranasium zum grauen Kloster nach Berlin und 1805 in gleicher
Eigenschaft an das Lyceum nach Bremen berufen. Sein Gesundheitszustand
nöthigte ihn, dem Lehramt zu entsagen, worauf er 1809 nach Berlin zurück-
kehrte, dort als Privatgelehrter lebte und am 19. Juli 1837 starb. Schätzbare
musikalische Aufsätze von ihm befinden sich in der »Leipz. allgem. musikal.
Zeitung« und in der »Cäcilia«.
Hörn, Grottfried Joseph, geschickter deutscher Instrumentenmacher, ge-
boren 1739 zu Nickern bei Dresden, übernahm als gelernter Müller die Mühle
seines Vaters. Mit gutem Talent für Mechanik begabt, kaufte er das Hand-
werkszeug des verstorbenen Instrumentemuachers Schwarz und brachte 1772
ohne Anweisung ein Ciavier zu Stande, dem bis 1796 gegen 500 andere folgten,
die den Werken gelernter Meister nichts nachgaben; weniger glückte ihm der
Bau von Fortepianos und Orgeln, den er ebenfalls versuchte. — Noch bedeu-
tender als Instrumentenmacher war sein jüngerer Bruder, Johann Gottlob
H., geboren 1748 zu Nickern, welcher von 1771 bis 1773, nachdem er in
Dresden Tischler gewesen, bei dem berühmten Stein zu Augsburg gelernt
hatte. Von Stein kam er zu Friederici in Gera und 1779 etablirte er sich
in Dresden. Gleich sein erstes Ciavier, welches der regierende Graf von Reuss
zu Köstritz kaufte, fand den ungetheilten Beifall der Kenner und begründete
seinen grossen Ruf. Bis 1796, seinem Todesjahre, sind an 1000 Instrumente
aus seiner Fabrik hervorgegangen, die sehr gesuchte Artikel gewesen sind.
Nach seinem Tode übernahm einer seiner Gehülfen Namens Renzsch das rühm-
lichst bekannte Geschäft.
Hörn, Heinrich, berühmter Harfen virtuose, geboren 1789 zu Paris von
deutschen Eltern, kam, nachdem er daselbst die Elemente der Musik erlernt
hatte, in seinem zehnten Jahre nach London, wo er sieben Jahre hindurch
eifrig das Harfenspiel studirte und 1805 Concerte veranstaltete. Hierauf Hess
er sich von dem berühmten Harfenisten Jean Elouis vollends ausbilden, mit
dem er durch vier Jahre Concertreisen durch Schottland und Irland unter-
nahm. Nach seiner Rückkunft in England Hess er sich in Bath auf einer
Erard'schen Harfe mit doppelter Bewegung (ä double mouvement) hören, welche
damals noch so gut wie unbekannt war, und erregte das grösste Aufsehen und
Bewunderung. H. Hess sich hierauf als Musiklehrer in London nieder und
componirte und veröfifentlichte 15 Solos und Präludien, sowie viele Rondos
und Variationen für Harfe. Auch eine Schule für die einfache und Doppel-
harfe hat er herausgegeben.
Horu, Johann Kaspar, deutscher Jurist und ausgezeichneter Musik-
dilettant, lebte in Dresden und gab von 1664 bis 1681 zahlreiche Instrumental-
und Vocalcompositionen heraus, die sich einer grossen Beliebtheit erfreuten,
z. B. das nParergon mitsicmna, das in fünf Theilen zu Leipzig erschien und eine
Menge Sonaten, Allemanden, Ballette, Sarabanden u. s. w. für fünf Instrumente
(Violinen, Violas und Basso continuo) enthielt; andere Sammlungen derselben
Art von ihm erschienen 1677 in Leipzig, ferner Arien und Canzouetten für
eine bis sechs Stimmen mit Begleitung von fünf Violinen oder Flöten und
einem Contrabass, endlich geistliche Melodien für Winter und Sommer nach
den Evangelien für vier Stimmen mit Violinen, Violas und einem Bass u. v. a.
Hörn, Karl Friedrich, deutscher Tonkünstler und Componist, geboren
am 13. April 1762 zu Nordhausen, lernte schon früh die Elemente der Musik
und studirte später bei dem Organisten Schröter Composition und Contrapunkt.
Mit zwanzig Jahren kam er nach London, wo sich der sächsische Gesandte,
Graf Brühl, erfolgreich für sein Fortkommen bemühte. Bald darauf gab H.
seine ersten Ciaviersonaten heraus, die ihn vortheilhaft bekannt machten. Auf
Empfehlung Clementi's und einiger englischen Adeligen wurde er zum Clavier-
lehrer der köuigl. Prinzen als Naclifolger Christian Bach's ernannt und stand
von 1789 an ununterbrochen im Dienst des Hofes, zumal ihn 1823 Georg IV.
auch als Organist seiner Kapelle anstellen Hess, welchen Platz er bis au seinen
Hornbässleln ~ Hornquinten. 3Q5
Tod, am 3. Aug. 1830, inne hatte. Er componiite und veröfiPentlichte sechs
Sonaten für Ciavier, Yioline und ßass, zwölf andere für Ciavier und Flöte
zwölf Divertissements für Militärmusik, zwölf Variationenhefte für Pianoforte,
Violine und Violoncello und eine Generalbassschule. — Sein Sohn, Karl
Eduard H., geboren 1786 in London, war ein Schüler seines Vaters, sowie
im 14. Jahre des Sängers Rauzzini. Darauf debütirto er in der englischen
Oper als Darsteller und wurde ziemlich gut aufgenommen; eine Oper dagegen,
die er für diese Bühne schrieb, fiel durch. Besser gefielen andere Stücke
seiner Composltion und seine spätere Oper nThe Bee-hivea, welcher er, durch
den Erfolg angeeifert, nach und nach vierzehn andere folgen liess, von denen
y>Lalla Hoo/cha, y>The Wizard(.<., ^^Charles iJie Boldvi, y>The magic bridea u. s. w. in
London und auf anderen Theatern sehr beifällig gegeben wurden. Nach län-
gerer Pause erschien er 1814 auch wieder als Opernsänger und wurde vom
Publikum gut aufgenommen. Später ging er nach den Vereinigten Staaten
von Nordamerika und starb daselbst im J. 1849. Ausser Opern hat er auch
viele englische Gesänge compouirt, und veröffentlichte auch eine Sammlung
von indianischen Melodien, für eine oder zwei Stimmen mit Pianofortebeglei-
tung gesetzt.
Horubiissleia ist der Name eines Pedalregisters zu 0,6 Meter, eine Flöten*
stimme, die auf Hornart intonirt. Vgl. Prätorius, Syntagma II. 186.
Hornbugle (engl.), das Jäger- oder Signalhorn (s. d.).
Horuburg, Johann, Organist zu Brandenburg, war einer der ältesten der
im J. 1596 zur Abnahme der Schlosskirchenorgel zu Grüningen bei Halberstadt
berufenen 53 Organisten ; denn in der nach dem Alter geordneten Heihenfolge
war er der sechste. Vgl. Werkmeister's y>Org. Gruning. rediv.a §.11. f
Hornemau, Johann Ole Emil, begabter dänischer Componist, geboren
1809 zu Kopenhagen, dessen Lieder und Gesänge in ihrer Heimath im hohen
Grad beliebt und populär geworden sind, so u. A. der auch im Ausland be-
kannt gewesene »Tappere Landsoldat«, welcher im Schleswig -holstein'schen
Kriege von 1864 eine Polle spielte und für ein dänisches Nationallied an-
gesehen wurde. H. starb am 29. Mai 1870 zu Kopenhagen.
Horner, Thomas, deutscher Musikgelehrter des 16. Jahrhunderts, aus Eger
in Böhmen gebürtig, lebte in Königsberg und ist der Verfasser eines Lehrbuchs,
betitelt: »De ratione componendi cantusn (Königsberg, 1546).
Hornist, andere Bezeichnung für Hornbläser.
Horumusik, eine in neuerer Zeit vorzüglich beim Militär und zwar bei
den Jägern , der Artillerie und den Füsiliercorps üblich gewordene Art der
Bataillonsmusik von lauter Blechinstrumenten, namentlich von allen Gattungen
Hörnern, in mehreren Tonarten gestimmten Trompeten und Posaunen oder
Tubas, in welchem Ensemble jedoch die Hörner dominiren müssen. Bei der
jetzigen Vollkommenheit aller dieser Instrumente ist es möglich geworden, nicht
blos Märsche, sondern auch alle Arten von Concertstücken mit der H. aus-
zuführen. — Eine besondere Art der H. ist die russische Hörn- oder Jagdhorn-
musik, welche auf den geradeausgeheuden, ungefähr wie ein Sprachrohr gestal-
teten russischen Jagdhörnern, deren jedes nur einen einzigen Ton angiebt,
ausgeführt wird. Das Nähere über diese seltsame Species bietet der Artikel
Russische Musik.
Hornpipe oder Hornpfeife, der Name eines besonders in Wales ge-
bräuchlichen Holzblasinstruments, das wie eine Pfeife geschnitten ist, Griff-
löcher und ein Hörn an jedem Ende hat; das eine Hörn dient als Mundstück,
in welches die Luft eingeblasen wird, das andere bildet die Mündung, aus
welcher die Töne hervortjehen. Auch der nach dieser Pfeife oder nach dem
Dudelsack mit Hut und Stock getanzte englische Nationaltanz von eigenthüm-
licher Melodie heisst Hornpipe (französ.: Matelotte). Auf der Bühne wird
er meist im Matrosencostume ausgeführt. S. übrigens auch Anglaise.
Hornyuinteu ist die Bezeichnung für gewisse verdeckte Quinten, welche
Musikal. Convers. -Lexikon. V, <-0
306 Hornsordin — Horsley.
entstehen, wenn von zweien Stimmen die obere zwischen der Octave und De-
cime stufenweise auf- und absteigt und dabei von der unteren mit der Terz,
Quinte und Octave des Dreiklangs secundirt wird, z. B.:
--h=i^t-
-0-
T'
t
Ausser im strengen zweistimmigen Yocalcontrapunkte sind diese H. jederzeit
gestattet. Ihren Namen haben sie, weil sie in Hern- und Trompeten-
bicinien sehr häufig sind, wie denn die in dem obigen Beispiel gezeigte Fort-
schreitung eine diesen Instrumenten besonders eigenthümliche und geläufige
Figur ist.
Hornsordin, ein mit Tuch überzogenes Stückchen Holz oder Pappe, das
mit der rechten Hand in die Stürze des Horns geführt wird, um erforderlichen
Falls den Ton zu dämpfen, S. Hörn und Dämpfer.
Hornstein, Pater Hieronymus, deutscher Geistlicher und Tonkünstler,
geboren 1720 zu Ochsenhausen, war Organist im Kloster Ottobeuern und starb
daselbst 1758. Er wird als Componist eines Miserere genannt.
Hornstein, Robert von, begabter und trefiflicher deutscher Componist, geb.
1833 zu Stuttgart, machte seine höheren musikalischen Studien um 1850 auf dem
Conservatorium zu Leipzig und lebte hierauf in Süddeutschland und in der
Schweiz. Im J. 1873 wurde er als Professor beim Conservatorium in München
angestellt, welche Stellung er noch gegenwärtig einnimmt. Von seinen Com-
positiouen sind Clavierstücke und Lieder mit Piauofortebegleitung erschienen,
welche den phantasievollen und geschickten Tondichter verrathen. Auch in
der Operette und im Ballet hat er erfolgreich gearbeitet. Werke dieser Art
sind an den Ho'"theatern zu Stuttgart und München sehr beifällig zur Auf-
führung gelangt.
Hornwerk ist ein Fachausdruck älterer Orgelbauer für eine gemischte
Stimme mit besonders hervorstechender grosser Terz, wahrscheinlich eine Art
Cor nett (s. d.). — Den Namen H. führte auch eine besondere Art selbst-
ständiger orgelartiger Pfeifenwerke, wie dergleichen eines auf der Höhe des
Schlosses zu Salzburg, gegen die Stadt zu hervorragend, sich befand. Es be-
stand aus einer grossen, aus Subbass und Principal, Octav, Quint und Super-
octav combinirten Mixtur und wurde durch ein Wiilzenwerk getrieben. Früher
spielte es alle Morgen und Abende, seit lange und bis zuletzt allerdings nur
ein einziges Stück, bis ihm durch Reparatur noch eilf andere Stücke hinzu-
gefügt worden sind.
Horr, Peter, vortreflflicher Clavierspieler und Musikpädagog, geboren am
13. Juli 1800 zu Kleinsteinheim bei Hanau, wo sein Vater Schullehrer war,
erhielt seine musikalische Ausbildung in Hanau und später unter J. Vollweiler
in Ofifenbach, um als Musiklehrer zu wirken. Er siedelte 1828 nach Frankfurt
a. M. über und fand dort einen bedeutenden Wirkungskreis. Für den Unter-
richt componirte und veröffentlichte er sehr brauchbare instructive Ciaviersachen,
sowie Sonatinen, Variationen, eine vierhändige Ciaviersonate u. s, w., verfasste
eine praktische Pianoforteschule, welche eine weite Verbreitung fand, und arran-
girte zahlreiche classische Werke in sehr geschickter Art vierhändig für das
Ciavier, so besonders die Mozart'schen Opern.
Horsley, William, ausgezeichneter englischer Pianist, Orgelspieler und
Componist, geboren am 15. Novbr. 1774 zu London, wurde zuerst von einem
Deutschen Namens Schmidt im Clavierspiel unterrichtet, später aber durch die
drei Brüder Pring im Orgelspiel und in der Composition auf die höchste Stufe
des Erlernbaren gebracht. Als Organist wirkte er an mehreren Kapellen und
Kirchen Londons, machte sich jedoch besonders dadurch verdient um das öffent-
liche Musikleben, dass er im Verein mit seinem Schwiegervater W. J. Calcott
Horstig — Hosa. 307
einen Verein gründete, in welchem der nationale und der Kircbengesang mit
Ernst, Eifer und weithin leuchtenden Erfolgen gepflegt wurde. Besonders für
diesen Verein componirte H. eine Menge von drei- und vierstimmigen Glees,
welche in ganz England bekannt und beliebt wurden, ferner Antiphonen für
zwölf reale Stimmen, zahlreiche Canons und andere Kirchenstücke, ausserdem
aber auch Instrumentalconcerte, Trios, Ciaviersachen u. s. w. Hochgeachtet starb
H. am 12. Juni 1858 zu London. — Sein Sohn, Charles Edward H., ge-
boren 1821 zu London, machte seine höheren Musikstudien unter Mendelssohn's
Leitung in Leipzig und kehrte als ein tüchtiger und gewandter Componist
nach London zurück. Von seinen grossen Arbeiten haben die Oratorien
»David« und »Joseph«, Sinfonien und Ciaviertrios in England einen bedeutenden
Erfolg gehabt.
Horstig, Karl Gottlob, geachteter deutscher Theologe und thätiger För-
derer der Musik, geboren am 3. Juni 1763 zu Rheinswalde und gestorben am
21. Jan. 1835 als Superintendent und Consistorialrath zu Bückeburg, com-
ponirte Kinderlieder (Leipzig, 1798) und lieferte von 1798 bis 1818 viele
werthvolle Aufsätze und Abhandlungen in die Leipz. allgem. rausikal. Zeitung,
Cäcilia und Berliner musikal. Monatsschrift. Ausserdem verfasste er ein Taschen-
buch für Sänger und Organisten, ein Choralbuch in Zifl'ern (Minden, 1801),
J. Chr. Fr. Bach's sowie Fr. Neubauer's Biographien im 6. Jahrg. von Schlichte-
groll's Necrolog u. s. w. — Seine Gattin war die ältere Tochter des Majors
Aubigny von Engelbronner (s. d.), eine geachtete Sängerin, welche an
H.'s Kinderliedern einigen dichterischen Antheil hat.
Hortense Eugenie de Beauharuais, die Stieftochter des Kaisers Napoleon I.
aus dessen erster Ehe mit Josephine von Beauharnais, war eine nicht unbe-
gabte Dilettantin. Geboren am 18. April 1783 zu Paris, wurde sie durch ihre
Vermählung mit Louis Napoleon Königin von Holland und Mutter Napoleons IIL
Sie hat Romanzen componirt, welche der Flötist Drouet in kunstgerechte Form
bringen musste, unter diesen das bekannter gewordene y>Partant pour la ßyrie<f.j
welches man zur Zeit des zweiten Kaiserreichs vergebens zur französischen
Nationalhymne emporzuschrauben bemüht war.
Horwitz, Leopold, Claviercomponist, Musiklehrer und Instrumenten-
händler, geboren 1799 zu Berlin, Hess sich als Pianist daselbst um 1823 öfter
hören und schrieb bis 1854 zahlreiche Variationen, Tänze und andere Ciavier-
stücke für Dilettanten. In herabgekommenen, dürftigen Verhältnissen starb er
1859 im jüdischen Krankenhause zu Berlin.
Horzalka, Johann, bedeutender Ciavierspieler und begabter Componist,
geboren 1778 zu Triesch in Mähren, empfing seine ersten musikalischen Kennt-
nisse von seinem Vater, einem Organisten, der ihn 1799 zu höherer Ausbil-
dung nach "Wien schickte. Im Ciavierspiel erhielt H. dort von Moscheies
freundliche Rathschläge und studirte zugleich unter Em. Förster eifrig Har-
monielehre und Composition. Als Pianist und Componist trat er hierauf sehr
glücklich in Wien hervor. Man kennt von ihm mehrere Messen und andere
Kirchenstücke, Entr'acts, Ouvertüren, Ciavierstücke und Lieder, die grosses
Geschick und viel Talent bekunden. H. starb am 9. Septbr. 1860 zu Penzing
bei Wien.
Horzizky, Franciscus, kunstgeübter Dilettant, geboren um 1756, war in
der Zeit von 1780 bis 1795 geheimer Sekretär des Prinzen Heinrich von
Preussen in Rheinsberg. Er componirte 14 französische Opern, deren Texte
meist vom Prinzen Heinrich verfasst und von denen auch verschiedene Ge-
sangsnummern im Druck erschienen sind. H. starb am 25. Octbr. 1805 zu
Berlin. — Ein anderer H., nämlich Johann Alexander Louis H., geboren
am 25. Aug. 1798 zu Berlin, vermuthlich ein Sohn des Vorigen, war königl.
Kammermusiker und Musiklehrer daselbst und starb am 19. Octbr. 1829.
Hosa, Georg und Thomas, zwei Brüder, beide vorzügliche Waldhornisten,
geboren zu Anfang des 18. Jahrhunderts zu Melnik in Böhmen, erhielten nach
20*
308 Hose - Ho-Süy.
Aufsehen erregenden Kunstreisen durch Deutschland in Brüssel beim Prinzen
Karl von Lothringen eine lebenslängliche Anstellung als Hofmusiker. Sie
Hessen sich noch vielfach in anderen Ländern öffentlich hören, wurden all-
gemein bewundert und brachten es zu grossem "Vermögen. Georg starb um
1766 zu Brüssel und hat nichts componirt, während Thomas, der erst am 17.
März 1776 ebendaselbst verschied, Concerte und Duos für Hörn, welche er zu
eigenem Gebrauch geschrieben hatte, im Manuscript binterliess.
Hose, s. B üchse.
Hosianna (hebr.), d. i. gieb Heil! gieb Segen! war bei den Juden ein
ähnlicher Ausbruch der Freude wie unser Hoch! und der "Willkommenruf für
Könige oder Helden des "Volks.
Hospiuiau, Rudolph, schweizerischer Theologe und Kirchenhistoriker,
geboren am 7. Novbr. 1547 zu Fehraltdorf im Canton Zürich, starb am 11.
März 1626 als Archidiaconus in Zürich, Er hat in seinem "Werke »i)e origine
et iwogressu rituum et ceremoniarmn ecclesiasticarumn (Zürich, 1593) über Kir-
chengesang und Orgelwesen geschrieben.
Hossa, Franz, Violinvirtuose aus Böhmen und vorzüglicher Bratschist,
war 1792 beim Concertorchester in Leipzig und später in "Wien angestellt,
wo er auch gestorben zu sein scheint.
Hosseyuy nannten die Muhammedaner einen Trauergesang auf den Sohn
Ali's, Hosseyn, der im 61. Jahre der Hedschra ermordet wurde. Wahrscheinlich
waren die Intervalle dieses Trauergesanges einer bisher nicht gebräuchlichen
Tonfolge entnommen und bildete man später aus diesen Klängen auch andere
Gesänge, wodurch diese Tonfolge mit der Zeit als eine der zwölf den Maka-
mat's (s. d.) dem persischen Musikkreise eingereiht wurde und zum Andenken
an ihren "Ursprung den Namen H. erhielt. Die Tonfolge dieser Tonart wird
annähernd durch unsere Noten folgendermaassen dargestellt:
1 3 5 8 10 12 15 18
m
r^s:
Die über den Noten stehenden Ziffern stellen genauer die Grösse der Inter-
valle dar, indem sie die Zahl der kleineren Intervalle, von denen 18 auf eine
Octave gehen, welche das gemeinte grössere bilden, angeben. In der arabischen
Musik gebraucht man den Ausdruck H. in zweifacher Art. Erstens nennt
man so den unserm c entsprechenden Klang, welchen man auch durch die
gelbe Farbe versinnbildlicht; und dann giebt man ihn einer Tonfolge, die je-
doch mit der persischen gleichen Namens fast gar nichts gemein hat. Die
Tonfolge ist etwa wie folgt:
*
-O— ifä^-
ü
Das hier angewandte Erhöhungszeichen ij! zeigt an , dass die dritte Viertelston-
erhöhung stattfinden soll, indem man die Erhöhungszeichen in folgender Ord-
nung annimmt: ;; erster, ^ zweiter und f dritter Viertelston. 0.
Hoste, Spirito 1', italienischer Tonsetzer, geboren zu Reggio zu An-
fang des 16. Jahrhundei-ts , veröffentlichte fünf Bücher Madrigale seiner Com-
position.
Hostie, französischer Componist, war 1788 Musiker (Clarinettist) des Her-
zogs von Montmorency in Paris und machte sich durch gut geschriebene Con-
certe und Duos für Clarinette auch in Deutschland vortheilhaft bekannt.
Ho-Siiy ist der Name eines chinesischen Musikgelehrten, der sich weitläufig
in einem Werke darüber ergeht, dass der Pien-tsche (s. d.), unser e, und
der Pien-kung (s. d.), unser h, durchaus unnütze Klänge in der chinesischen
Hot — Houterman. 309
Kunst sind. S. Amiot, ^Memoire sur la musique des Chinois, tant anciens que
7nodernes<i, III® partie, p. 161. f
Hot, Peter de, ein niederländischer Contrapunktist der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts, von dem man nicht viel mehr noch als den Namen kennt.
Hotar's nennen die Indier diejenigen ihrer Priester, welche die Aufgabe
haben, heilige Hymnen bei öffentlicher Feier zu recitiren, zum Unterschiede
von den Udgätar's, Sängern solcher Hymnen. Dies Gebetsprechen der H. ge-
schieht nach einem streng vorgeschriebenen Rhythmus, der stets bei den H. sich
correcter kund geben muss als bei den Sängern. f
Hothby, John, latinisirt Hothbus, altenglischer Carmelitermönch , ist
der Verfasser zweier Tractate über Musik, von denen sich der eine, unter dem
Titel yllotliby, Änglici, proportiones musicaea, auf der Pariser Bibliothek und
der andere, betitelt »P. Jo. Hotliohi Carmel. de proportionihus et canto figurato,
de contrapuncto , de monochordov. j auf der Bibliothek zu Ferrara befindet. Von
dem letzteren hat der Pater Martini eine Abschrift für sich anfertigen lassen.
Hoti oder Hori nennen die Indier einen als uralt geachteten Gesang,
welcher die Liebe Krischna's zum Inhalt hat. Die Melodie zu diesem Gesänge
hat vier Theile von durchaus verschiedenem Charakter. F. H. von Dahlberg
hat in seinem "Werke »lieber die Musik der Inderct auf der dritten Notentafel
diesen Gesang musikalisch wiedergegeben. t
Hottemanu, berühmter Gambenvirtuose des 17, Jahrhunderts, welcher in
Frankreich geboren war und daselbst auch lebte, soll um 1650 die Theorbe
erfunden haben.
Hotteterre, Henri, mitunter auch Hoteterre und Hauteterre ge-
schrieben, geschickter französischer Blaseinstrumentenmacher am königl. Hofe
zu Paris, starb 1683 zu St. Germain. — Von seinen beiden Söhnen war Niclas
H. , gestorben 1695 zu Paris, Fagottist der königl. Kapelle und hat auch für
sein Instrument componirt, während Louis H., genannt le Romain (weil er
Rom und Italien besucht hatte), zu den berühmtesten Flötenvirtuosen der
"Wendezeit des 17. und 18. Jahrhunderts zählt. Derselbe war ebenfalls bei der
Kammermusik des Königs von Frankreich angestellt und schrieb ausser zahl-
reichen Stücken für sein Instrument eine berühmte Anweisung zum Flöten-
und Oboespiel, welche unter dem Titel y>Principes de la flute traversiere ou
flute d^Ällemagne, de la flute ä hec ou flute douce, et du hauthois etc.a in Paris
erschien, von 1699 bis 1741 vier Auflagen erlebte und auch in holländischer
Uebersetzung herauskam. Als Ei-gänzung hierzu vei'fasste H. das "Werk y>L^art
de preluder sur la flute traversiere , sur la flute ä hec, sur le hauthois etc.<f.
(Paris, 1712). Sein letztes, im Druck erschienenes "Werk war eine Methode
für die Musette (Paris, 1738).
Hottinet, s. Barra.
Hottinger, Johann Heinrich, berühmter Orientalist des 17. Jahrhun-
derts, geboren am 10. März 1620 zu Zürich, studirte zu Genf, besuchte Frank-
reich, Holland, England und wurde bereits 1642 Professor in seiner Vaterstadt,
von wo aus er durch seine zahlreichen Schriften die ganze gelehrte "Welt er-
füllte. Von musikalischem "Werth war besonders sein "Werk »De augmentis
musicae saeculo XI V factisa. Im Begriff, einem wiederholten Rufe an die Uni-
versität zu Leyden zu folgen, ertrank er 1667 bei der Abreise mit dreien
seiner Kinder in der Limmat, indem der zu stark belastete Kahn umschlug.
— Sein Urenkel, Johann Jacob H., geboren 1750, gestorben als Professor
und Chorherr zu Zürich am 4. Febr. 1819, machte sich rühmlich bekannt als
Philolog, Aesthetiker und Literator.
HoTiang--Tscliin-Tf!chonaug oder Hoang- Tschin-Tschuang, lebte zu
Peking um die Mitte des 17. Jahrhunderts und schrieb eine umfassende Ab-
handlung über die chinesische Harfe.
Houdemaun, s. Hudemann.
Houterman, Marcus, ausgezeichneter niederländischer Contrapunktist, ge-
310 Hoven — H-quadrat.
boren 1537 zu Brügge, starb am 5. Juni 1577 zu Rom. "Weder Notizen über
sein äusseres Leben, noch eines seiner Werke sind bis jetzt ermittelt worden,
was um so mehr zu bedauern ist, als die Bezeichnung r>musicus sui temporis facile
princepsa auf den höchsten Grad der Achtung bei seinen Zeitgenossen, zu denen
ein Palestriua zählte, schliessen lässt. Dem gegenüber liegt allerdings die
Vermuthung nahe, dass H. gar nicht schaffender, sondei'n nur ausübender Mu-
siker gewesen sei.
Hoveu, Pseudonym, s. Vesque von Püttlingen.
Hoveu, Joachim van der, niederländischer Lauten virtuose aus Antwerpen
zu Ende des 16. und zu Anfang des 17. Jahrhunderts, hatte über seine Hei-
math hinaus auch dadurch einen grossen Ruf, dass er Stücke berühmter
Meister seiner Zeit für die Laute einrichtete. Bekannt sind von letzteren:
nCaniiones selectae ad testudinis usum accommodataen (Arnheim, 1600 und in
späteren Aufl.).
Howard, Lady, berühmte englische Sängerin zu London um 1695, war
eine Schülerin Purcell's, der eine Menge von Gesangscompositionen eigens für
sie geschrieben hat, die sie öffentlich zum Vortrag brachte. Ueberdies war sie
die Gattin des berühmten Dichters Dryden.
Howard, Samuel, gelehrter englischer Tonsetzer, Doctor der Musik, war
um 1718 in London geboren und wurde von 1731 an in der königl. Kapelle
daselbst erzogen, wo Gates sein Hauptlehrer war. Er componirte ausschliesslich
im streng englischen Style, dem er vor allen Compositionsweisen den Vorrang
zuerkannte, und zwar besonders Ciavier -Sonaten und sehr beliebt gewordene
Balladen, welche sich durch natürlichen, fliessenden Gesang auszeichnen. Einiges
Andere von ihm befindet sich in Boyce's Sammlung ^^Gatliedral-Musicu.
Howes, William, berühmter englischer Tonkünstler des 17. Jahrhunderts,
geboren in der Nähe von Worcester, war Sänger der königl. Kapelle in Windsor,
während der Revolution um 1649 aber an der Christkirche zu Oxford an-
gestellt. Nach Cromwell's Diktatur kehrte er nach Windsor zurück und bezog
so lange Soldatensold, bis Karl IL ihn wieder in sein ursprüngliches Amt ein-
zusetzen im Stande war. Als Mitglied der königl. Kapelle starb er zu London.
Sein Todesjahr findet sich nirgends notirt und Compositionen von ihm sind
nicht erhalten geblieben.
Howgill, William, Organist in London um 1810, machte sich durch
Orgelcompositionen vortheilhaft bekannt. Er ist vielleicht derselbe H. mit un-
bekanntem Vornamen, von dem fünfzehn Jahre früher in London einige Ciavier-
werke im Druck erschienen sind.
Hoyer, s. L'Hoyer.
Hoylan, John, englischer Orgelspieler und Componist, geboren 1783 zu
Sheffield, wo sein Vater Messerschmied war, genoss in der Musik den Unter-
richt des Organisten William Mather, dessen Amtsnachfolger er auch 1808
wurde. Im J. 1819 ging er als Organist nach Louth in Liucolnshire. Von
ihm: Anthems und andere Kirchenstücke, Gesänge, Lieder und Claviercom-
positionen.
Hoyle, John, englischer Musiklehrer, gestorben 1797 zu London, ist der
Verfasser eines »DictioJiarimn musicae, heing a complete dictionary or treasury
of music etc.« (London, 1770), dessen zweite Auflage den Titel führte: »^
complete dictionary of music , containing a füll explaiiation , divested of technical
phrases, of all the words and terms english, italian etc.a (London, 1790). — Ein
anderer englischer Tonkünstler, Edmund H., vielleicht der Sohn oder Neffe
des Vorigen, lebte ebenfalls in London und ist der Verfasser der Schrift >->A
short treatise on the gamev. (London, 1750).
Hoyoul oder Hoioul, Balduin, belgischer Contrapunktist der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts, hat in Nürnberg 1590 gedruckte dreistimmige
geistliche Lieder und Psalme componirt.
H'Cluadrat, s. B.
Hrabanek — Huber. gjj
Hrabanek, Franz, trefflicher Basssänger, geboren 1823, war seit 1855
ein sehr beliebtes und verwendbares Mitglied der k. k. Hofoper zu Wien und
starb daselbst in Folge eines Schlaganfalls am 19. Octbr. 1870.
Krabe, Joseph, ausgezeichneter Contrabassvirtuose und vorzüglicher Lehrer
und Componist seines Instruments, geboren 1816 zu Bubensch bei Prag, be-
suchte das Prager Conservatorium , wo W. Hause sein HauptleVrer war, und
wurde bereits zwei Jahre nach vollendeten Studien, im J. 1845, als Professor
an demselben Institute angestellt. Seine treue, umsichtige Lehrthätigkeit da-
selbst bezeichnet am Besten die lange Reihe vorzüglicher Schüler, die er ge-
bildet hat und von denen hier Abert, Moissl, Storch, Rambousek, Laska, Sladek
und Hraba besonders genannt seien, nicht minder seine bewährten Schulen und
Etüden für Contrabass. Ausserdem hat er für dieses Instrument mit Orchester-
begleitung Concerte, Variationen, Divertissements, Fantasien u. s. w. componirt,
die leider ungedruckt geblieben sind. H. starb inmitten seiner verdienstvollen
Thätigkeit am 19. März 1870 zu Prag. Er hat sein schwerfälliges Instrument
nicht nur aus der bisherigen Einfachheit und Einförmigkeit emporgebracht,
sondern er hat dasselbe auch zum wahren und wirklichen Soloinstrument er-
hoben, wie aus seinen hinterlassenen Compositionen deutlich ersichtlich ist.
Zu diesem Behufe hat er zuerst auch den Handschuh bei der Behandlung
dieses Instruments abgeschafft, der vielleicht noch lange in Gebrauch geblieben
wäre. H.'s Spiel war durch "Wohlklang und seelenvollen Vortrag ein im höch-
sten Grade fesselndes und ergreifendes, so dass er auch als Virtuose unüber-
trofi'en dastand. — Ein Sohn von ihm, den er gleichfalls zum vortrefflichen
Contrabassisten ausbildete, lebt und wirkt gegenwärtig in Russland.
Hradetzky, Friedrich, vorzüglicher "Waldhornvirtuose, geboren am 25.
Jan. 1776 zu Swietlau in Böhmen, kam noch jung nach "Wien, wo er bald in
das Opernorchester trat. Später wurde er k. k. Hof- und Kammermusicus
und zählte zu den ausgezeichnetsten Vertretern seines Instruments in damaliger
Zeit. Im J. 1820 trat er in den Pensionsstand.
Hrazek, Peter Irenäus, Virtuose auf der Viole d'amour, geboren 1725
zu Schan in Böhmen, machte grosse Kunstreisen und veranstaltete viele Con-
certe zum Besten des Johannesordens. Er starb am 13. April 1777 zu Ken-
kers in Böhmen. Für sein Instrument hat er besonders Sonaten componirt.
Hrotswitha, minder richtig Hrosuita oder Roswitha geschrieben, die
berühmte Nonne des Benedictinerklosters Gandersheim, in das sie 958 getreten
war, ist als Dichterin und als Quellenschriftstellerin der deutschen Geschichte
von der grössten Wichtigkeit. Ebenso jedoch, wie es unbegründet, dass sie
einem sächsischen Adelsgeschlecht entsprossen sei und eigentlich Helene von
Rossow geheissen, ebenso unerwiesen ist, dass sie viel für die Musik gethan
und sogar componirt habe.
Huber, Madame, s. Will mann.
Huber, Felix, Dichter und Componist, gestorben zu Bern am 23. Febr.
1810, machte sich durch seine schweizerischen Lieder und Gesänge bekannt
und beliebt. Ausser einigen Lieder-sammlungen eigener Composition veröffent-
lichte er eine Sammlung schweizerischer Volkslieder, die mehrere Auflagen
erlebte.
Huber, Franz Xaver, deutscher Dichter, geboren 1760 zu Manderfingen
in Oesterreich, machte sich besonders auf dem Gebiete der Singspiel- und Opern-
dichtung einen Namen. Den grössten Beifall erwarb sich seine heroisch -ko-
mische Oper »Das unterbrochene Opferfest« (Frankfurt und München, 1803),
wovon allerdings der grösste Theil der Musik P. v. Winter's zuzuschreiben ist.
H. starb 1804 in Ulm.
Hnber, Johann Nepomuk, deutscher Theologe, geboren am 13. Mai
1803 auf der Insel Reichenau, war Prediger in Waltersweiler bei Offenburg
und hat sich musikalisch bekannt gemacht durch einen Leitfaden für den Cla-
vierunterricht und für den Gesangunterricht, sowie durch eine neue, in der
312 Huber — Hubert.
»Leipziger allgemeinen musikalischen Zeitung« veröflfentliclite Theorie der Bil-
dung der Accorde.
Huber, Joseph, guter Violinist und talentvoller, eigenartiger Componist,
geboren am 17. April 1837 zu Sigmaringen, war der Sohn eines fürstl. Be-
amten, der eifrig Musik trieb und den Sohn bei Zeiten ebenfalls musikalisch
unterrichten Hess. Mit treflSichen Vorkenntnissen ausgerüstet, trat der junge
H. 1854 in das Conservatorium zu Berlin und studirte bei Leop. Ganz Violin-
spiel, bei A. B. Marx Harmonie- und Compositionslehre. Unbefriedigt von
dem langsamen Vorschreiten im Massenunterricht und angezogen durch die
Bestrebungen Liszt's, suchte er Weimar auf und Hess sich von Edm. Singer
und P. Cornelius weiter ausbilden. Begeistert für die dort eingesogenen neuen
Ideen und deren Repräsentanten, trat er drei Jahre später als Violinist in die
Hofkapelle des Fürsten von Hechingen zu Löwenberg in Schlesien und com-
ponirte daselbst zwei sinfonische Dichtungen, Violinsachen, Lieder u. s. w., die
an Ort und Stelle meist auch ausgeführt wurden. Bald aber genügte H. dieser
eng beschriebene AVirkungskreis nicht mehr, und er folgte 1864 einem Bufe
als Concertmeister der »Euterpe« nach Leipzig, wo die Bekanntschaft mit dem
Dichter Peter Lohmann ihn zu Kunstbestrebungen neuer Art entflammte.
Die Musik sollte nach seiner hier gewonnenen Ansicht ihre Form, als aus innerer
Nothwendigkeit hervorgehend, in jedem gegebenen Falle erstehen lassen, nicht
gehemmt durch unkünstlerische Elemente, nicht beeinflusst durch Formbeding-
ungen anderer Künste. Den architektonischen Formenzwang möglichst ab-
schüttelnd, begann er die Composition der Oper »Die Hose von Libanoncr,
Text von P. Lohmann, deren Partitur 1870 im Druck erschien und die auch
äusserlich zum mindesten als Curiosum gelten darf. Grleichzeitig machte er
auch den Versuch, die neue Form des musikalischen Dramas, das so viele Mo-
tive, als der Dichter Figui'en auftreten lässt, um aus dem Kampfe derselben
das gültige sieghaft hervortreten zu lassen, auf das Gebiet der absoluten Musik
zu übertragen. So entstanden zwei Sinfonien, die beide hier und dort zur
Aufführung gelangt sind. Mittlerweile war H. 1865 als Violinist in die königl.
Kapelle zu Stuttgart getreten, in welcher Stellung er noch gegenwärtig sich
befindet. In neuerer Zeit hat er nach dem Princip organischer "Weiterbildung
von Melodieanfäugen, ohne wörtliche Wiederholungen, einige Lieder und Instru-
mental-Solostücke componirt und auch seine zweite Oper »Irene«, Text gleich-
falls von P. Lohmann, vollendet. Unbekümmert um den äusseren Erfolg, der
ihm bisher noch nicht zu Theil geworden ist, sucht H. seine Ideen auszubauen
und immer mehr voll und ganz zu entfalten.
Huber, Ludwig, berühmter deutscher Orgelvirtuose, geboren 1763 zu
Mundolsheim, war Organist an der Moritzkirche zu Ingolstadt und ist als Com-
ponist von Opern und Kirchenwerken aufgetreten.
Huber, Thaddäus, deutscher Instrumentalcomponist, lebte um 1780 zu
Wien und hat von seiner Composition sechs Streichquartette veröffentlicht,
welche im Haydn'schen Style geschrieben sind.
Hubert, Anton, italienisirt Uberti, genannt Porporino, weil er ein
Schüler des berühmten Porpora gewesen war, gehörte zu den ausgezeichnetsten
Altisten-Castraten des 18. Jahrhunderts, Von deutschen Eltern 1697 in Ve-
rona geboren und von Porpora musikalisch ausgebildet, kam er 1741 als
königl, Kammersänger nach Berlin, woselbst er bis zu seinem Tode, am 20.
Jan. 1783, verblieb. Sein Vortrag des Adagio und seine Darstellungskunst
wurden als mustergültig gerühmt.
Hubert, Christian Gottlob, deutscher Ciavier- und Orgelbauer, geboren
1714 zu Fraustadt in Polen, war von 1740 an im Dienst des fürstl. Hofes zu
Baireuth, mit dem er auch 1769 nach Anspach übersiedelte. Seine Instru-
mente, namentlich Fortepianos und Flügel, waren bis nach Frankreich und
England hinein gesucht. Von verschiedenen mechanischen Verbesserungen, die
ihm zugeschrieben werden, kann keine mehr namhaft gemacht werden.
Huberty - Hucbald. 313
Huberty, Antonie Cäcilie, geborene Clavel, s. Saint-Hiiberty.
Hubmeyer, Hippolylus, deutscher Theologe, gestorben am 9. Decbr. 1637
als Superintendent zu Heldburg, vertheidigte mit der grössten Hartnäckigkeit
die überkommenen sechs Aretinischen Sylben gegen die von Calvisius aufge-
stellten sieben.
Hucbald (Hugbald, Ubaldus), Mönch des Klosters St. Amand der
Diöcese Tournay in französisch Flandern, muss um das Jahr 840 geboren sein,
wenn nämlich die Angabe seiner Biographen richtig ist, dass er im J. 932
im Alter von 90 Jahren gestorben ist. Sein Geburtsort ist unbekannt; einige
Autoren nennen ihn einen Franzosen, doch düi'fte das heutige Belgien ihn mit
gleichem Hechte zu seinen Söhnen zählen. Sicher ist, dass er seine Studien
im Kloster St. Amand unter der Leitung seines Oheims Milo machte. Seine
Fortschritte in den Wissenschaften waren überi-aschend, insbesondere in der
Musikwissenschaft, was um so bemerkenswerther ist, als dieses Studium zu
seiner Zeit ein sehr verwickeltes war, in Folge der Unklarheit, die seit der
Vermischung der altgriechischen und der Gregorianischen Tonarten in allen vor
dem 11. Jahrhundert entstandenen Lehrbüchern herrschte. Bald jedoch hatte
H. seine musikalischen Kenntnisse derart erweitert, dass die Eifersucht seines
Oheims erregt wurde: bei Gelegenheit einer von H. im Alter von zwanzig
Jahren zum Fest des h. Andreas componirten Kirchenmusik, durch deren Er-
folg sich Milo verdunkelt glaubte, entstand ein Bruch zwischen ihnen, in Folge
dessen H. aus der Schule entfernt wurde. Gezwungen, das Kloster St, Amand
zu verlassen, ging H. nach Nevers, wo er auf eigene Hand eine Schule für
Musik und andere "Wissenschaften eröffnete; auch verfasste er hier eine Lebens-
beschreibung der h. Cilinia und componirte Gesänge zu ihrer Ehre. Doch war
seines Bleibens auch in dieser Stadt nicht lange; sein Wissensdurst führte ihn
im J. 860 nach Saint -Germain dAuxerre, um dort den Unterricht Heiries,
eines der gelehrtesten Männer jener Zeit, zu geniessen. Nach einer neuen
Heihe von Studienjahren, während welcher er u, A. den Remy von Auxerre
(Remigius Ältisiodorensis) , den Commentator des Martianus Gapella., zum Mit-
schüler hatte, söhnte er sich mit seinem Oheim aus und kehrte bald darauf
nach St. Amand zurück, als gleichzeitiger Ueberbringer der Gebeine des h.
Cyrillus, dessen Lebensgeschichte er später auch verfasst hat. Nach dem Tode
Milo's im J. 872 folgte H. demselben in der Leitung der Klosterschule von
St. Amand; in diese Zeit fällt auch die Entstehung einer bizarren Dichtung
zum Lobe der Kahlköpfe, der dem König Karl dem Kahlen von Frankreich
gewidmeten »Ae/jloga de Calvisv, in welcher jedes Wort mit einem G beginnt.
Dies merkwürdige Beispiel einer noch halb barbarischen Kunstübung ist
übrigens im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts wieder mehrfach veröffent-
licht ■vvoi'd.en.
Nachdem H. seine Schüler genügend ausgebildet hatte, um ihn in der
Schule von St. Amand zu ersetzen, begab er sich um 883 nach dem Kloster
St. Bertin, wo er auf den Wunsch des Abtes B,adolph die Leitung einer ähn-
lichen Schule übernahm und binnen Kurzem seine Verdienste so zur Aner-
kennung zu bringen wusste, dass ihm der Abt beträchtliche Ländereien in der
Landschaft Vermandois (Grafschaft Picardie) zum Geschenk machte. H. jedoch,
ausschliesslich von seinen Studien und religiösen Pflichten erfüllt, entsagte als-
bald dieser Schenkung zu Gunsten der Mönche von St. Bertin. Um 893
wurde er in Gemeinschaft mit dem schon genannten Remy vci. Auxerre vom
Erzbischof Poulques nach Rheims berufen, um dort die Wiederherstellung der
alten Kirchenschulen zu übernehmen; von den Hymnen, die er während seines
Aufenthalts in Rheims für das Fest des h. Thierry componirte , ist nichts auf
unsere Zeit gekommen. Nach Foulques' Tode um das J. 900 kehrte er in
das Kloster St. Amand zurück, um dasselbe später nicht mehr zu verlassen,
H.'s bedeutendste wissenschaftliche Werke — unter ihnen eine Reihe musikalischer
Lehrbücher — sind hier entstanden, selbst die politischen und kriegerischen
314 Hucbald.
Wirren, von denen Gallien und Belgien ebendamals heimgesucht wurden, ver-
mochten nicht, ihn in seiner emsigen Arbeit zu stören. Er starb in St. Amand,
nach einigen Chronisten am 25. Juni 930, nach anderen am 21. Octbr. des-
selben Jahres oder endlich am 20. Juni 932, welches letztere Datum die grösste
"Wahrscheinlichkeit für sich hat, da H.'s Todestag mehrfach als ein Sonntag
bezeichnet wird, und jener 20. Juni in der That auf einen Sonntag fiel. Die
Worte des Chronisten Sigebert (Gerbei-t, scriptores c. 107) in Bezug auf H.'s
schöpferische Thätigkeit lauten: »Seine Meisterschaft in den freien Künsten
war eine so hervorragende, dass er als Philosophus galt; er verfasste die Le-
bensbeschreibungen vieler Heiligen, und zu ihren Gesängen setzte er, da er in
der musikalischen Kunst besonders bewandert war, eine saufte und regelrechte
Melodie.« Die für die Folgezeit wichtigsten Arbeiten H.'s, die musikalisch-
theoretischen Schriften, durch welche er sich einen so ehrenvollen Platz in der
Musikgeschichte errungen hat, finden sich bei Sigebert nicht erwähnt. Ihre
Anzahl ist nicht mit völliger Sicherheit zu bestimmen, da H.'s Manuscripte
nicht allein seltener sind, als die der anderen Musikschriftsteller des Mittel-
alters, sondern auch nur theilweise als echt gelten können.
Seine vom Fürst-Abt Gerbert in dessen y>Scriptores ecdesiastici« I. S. 104
bis 229 veröffentlichten Werke sind folgende: 1) Liher Uhaldi peritissimi
musici de liarmonica institutione; dasselbe ist von Gerbert nach einem
Manuscript der Bibliothek des Strassburger Franciskanerklosters und einem
anderen der Bibliothek von Cesena zusammengestellt, handelt hauptsächlich
von den Neumen der Antiphonien und Besponsorien und ist eine Art Com-
mentar einer im 9. Jahrhundert von Beginon, Abt von Prüm, unter demselben
Titel herausgegebenen Abhandlung. Wie Begiuo, so hält auch H. streng an
dem griechischen System fest, doch kann diese Unselbststäudigkeit — im Ver-
gleich zu den späteren Werken des Autors — keineswegs als ein Beweis für
die Unechtheit der erwähnten Schrift gelten, so wenig wie das Nichtvorhanden-
sein der sogleich zu erwähnenden Notenschrift, da die Erfindung einer solchen
erst dann stattfinden konnte, nachdem sich die Neumen-Notation bei längerem
Gebrauche als ungenügend erwiesen hatte.
2) Älia musica, enthaltend eine Eeihe kleinerer Abhandlungen über die
acht Tonarten des römischen Kirchen gesanges, denen H. noch vier weitere,
von ihm »Parapteres« genannt, hinzufügt, für die Antiphonien und Pealmodien;
über die Länge der Orgelpfeifen und die Schwere der Cymbeln; endlich über
die fünf (einfachen und zusammengesetzten) Consonanzen der Griechen. Alle
diese verschiedenen Abhandlungen sind aus Manuscripten der Bibliotheken von
Strassburg und von Begensburg (St. Emmeran) entnommen und auf die, am
Schlüsse des letzteren befindlichen Worte hin r>explicit musica Ubaldia dem H.
zugeschrieben worden. Unzweifelhaft echt indessen, und zugleich das wichtigste
der H.'schen Werke über die Theorie der Musik ist:
3) Suchaldi Monachi Eliionensis Musica Unchiriadis. Von diesem
Werke befinden sich in der Pariser Bibliothek vier Manuscripte (No. 7202,
7210, 7211 und 7212 in folio), das erste betitelt y)Enchiridion musicae, authore
ZTchubaldo, Francigenae<.< ; das zweite (unvollständige) y>Liber enchiriadis de Mu-
sica, sive theoria musicae, authore anoyiymoa; das dritte und vierte ebenfalls
anonym und aus dem 12. Jahrhundert stammend; No. 7211 das correcteste
und besterhaltene. — Dies Werk enthält in 19 Capiteln eine vollständige Ab-
handlung der Elemente der Musikwissenschaft nach griechischen Principien,
sowie verschiedene Anweisungen zur musikalischen Notation, Das eine System,
ebenfalls den Griechen folgend, stellt mit Hülfe von acht verschieden gedrehten,
dem griechischen Alphabet entnommenen Zeichen den Umfang von 2*/» Octave
dar; doch ging H. dabei, wie es scheint, ganz nach Willkür zu »V^erke, und
indem er die zwei Reihen der griechischen Notenzeichen, deren eine die Ge-
sangs-, die andere die Instrumentalnoten enthielt, vermischte, geht für seine
Notation u. a. der wichtige Vortheil der altgriechischen Notenschi'ift verloren,
Hucbald.
315
das Limma oder den diatonischen Halbton durch dasselbe Zeichen (nur in
veränderter Lage) auszudrücken. Von Bedeutung ist sie nur als Schlüssel zum
Verständniss der älteren Neumenschrift (von Fetis y^notation saxonnev. genannt),
von welcher H. ein Beispiel neben der von ihm vorgeschlagenen und genü-
gend erläuterten beigefügt hat, und deren Entzifferung in Folge dessen
wesentlich erleichtert ist. Die zweite, in der ymusica eiicTiiriadis^n erwähnte,
von H. Bellermann in der Allgem. musikal. Ztg. Jahrg. 1868 No. 37 ausführlich
beschriebene Notation ist die Dasian- Notation, so genannt nach dem griechi-
schen Worte Daseia (seil. Frosodia), d. h. »mit dem Spiritus asper versehen«.
Das Zeichen für denselben ist bekanntlich, wie auch das für den Spiritus
lenis, aus dem Zeichen H hervorgegangen, und zwar bezeichnete die linke
Hälfte jf- den Sp. asper, die rechte -^ den Sp. lenis. Das erste dieser beiden
Zeichen nun, welches schon bei Alypius die Reihe der Instrumentalnoten in
der lydischen Scala beginnt und auch für H.'s Notenreihe den Ausgangspunkt
bildet, wurde von ihm benutzt, um die Schlusstöne (ßnales) der Kirchenton-
arten folgendermaassen festzustellen:
D erhält als primus finalis ein Dasian mit einem schrägen S am oberen
Ende:
E erhält als secundus ßnalis ein Dasian mit abwärts gekehrtem c am
oberen Ende: j- .
F erhält als tertius finalis ein schrägstehendes I.
G erhält als quartus finalis ein Dasian mit einem aufwärts gekehrten c
o
am oberen Ende: Jr .
Diese Zeichen wiederholen sich vier Mal, entsprechend der mittelalterlichen
Tetrachordeintheilung in Graves, Fi?iales, Superiores und Fxcellentes, mit Aus-
nahme des I, welches keiner vierfachen Lage fähig ist und daher durch andere
Zeichen, nämlich N, /l und X ersetzt werden muss; dazu kommen noch zwei
umgelegte Zeichen für die höchsten Töne, so dass die ganze Tonreihe H.'s
in folgender Gestalt erscheint:
uTttues
rABC
Flu (lies
DEFG
SuTJCTiores
CL
1) C tl
Eaccellcates
e f
rta
»ttT »Tt)
\ \ Cr.
"Wie indessen jene Tetrachordeintheilung verschiedenartige Quartengattungen
ergiebt, so ist auch die Gruppirung von vier zu vier Noten zwecklos und ver-
wirrend, weil man unwillkürlich bei denselben Zeichen auch die gleichen Ver-
hältnisse erwartet; auch ist es ein schon von dem gelehrten, im J. 1054 ge-
storbenen Benedictiner Hermannus Contractus erwähnter TJebelstand dieser No-
tation, »dass man nicht mit der Octave (oder dem achten Zeichen) ein dem
ersten entsprechendes Zeichen wieder bekommt, sondern erst mit dem neunten;
mit anderen Worten, dass sich die gleichen Zeichen nicht in der Octave, son-
dern in der None wiederholen«. Diese beiden Tonschriften konüten schon
deshalb keine Verbreitung finden, weil sie mit der antiken, sowie mit der pri-
mitiven Neumen- Notation den Maugel gemein hatten, das Steigen und Fallen
der Töne nicht zu versinnlichen; deshalb empfiehlt H. später noch eine dritte
Notation: er zieht Linien, zwischen welche er die Textess} ben schichtet, wobei
die Buchstaben T und S am Rande links andeuten, ob von einer Linie zur
anderen der Schritt eines ganzen oder eines halben Tones gemeint sei, und
kurze Diagonalstriche das Auge von einer Linie zur anderen leiten, z. B.:
316
Hucbald.
*
ttt
*
Ix / \ lus\
D
T
Ec \
3sYd\ 1 in. cjuo \ o / no \
S
ce \
/ Lp do / 01l\
f
ucre
est
T
Dies von Ambros (»Geschichte der Musik« II. S. 131) mitgetheilte, einem
Codex aus dem 11. Jahrhundert entnommene Beispiel übersetzt derselbe, nach
den Andeutungen der alten Schriftsteller deldamirt, folgenderweise in die mo-
derne Tonschrift:
^^^r
t=
:t=t
:r^:
ENiSE
-1^-
it
^SEf
Ec - ce ve - re Is - ra - e - li - ta in quo do - las non est.
Im folgenden, ebenfalls von Ambros mitgetheilten Beispiel verbindet H.
die obige Tonschrift der grösseren Deutlichkeit wegen mit der Dasian-Notation :
tI A\\
T I
le\
TAX
iTI,/
t\
I f
tT
fi/\
tt
^
In modernen Noten:
AI - le
lu
a.
"Wäre H. darauf gekommen, die schon zu seiner Zeit als Notenzeichen
benutzten Punkte statt der Textessylben den Linien einzufügen, so würde sein
System ohne Zweifel die Neumenschrift bald verdrängt haben, und er würde
die Ehre eines Erfinders der modernen Tonschrift beanspruchen dürfen, während
dieselbe in der That dem Guido von Arezzo zukommt, als dem Ersten, welcher
die Linien sowie die Spatien in der angedeuteten "Weise benutzte.
Den wichtigsten Theil der nmusica encMriadisv bildet die mit dem 13. Ca-
pitel bginnende Lehre von der Diaphonie oder dem Organum, womit man
zu H.'s Zeit den mehrstimmigen Gesang bezeichnete, sobald sich derselbe nicht
allein auf den Einklang und die Octave beschränkte. Zwar kommt der Name
Organum jeder gleichzeitigen Consonanzen-Fortschrcitung zu; da jedoch der
Einklang keine wahre Consouanz, sondern Identität ist, und die Octave sich
nur wenig von ihm unterscheidet, so wird das Organum hauptsächlich aus
Quarten- und Quintenfortschreitungen bestehen müssen. Neben diesem Parallel-
Organum bespricht aber H. noch ein anderes, das im Gegensatz zu jenem so-
genannte schweifende Organum, in welchem zwar wieder die Quartparallelen
vorherrschen, jedoch mit Secunden und Terzen und Einklängen untermischt.
Dieses Organum, welches bei aller Dürftigkeit doch die Elemente der modernen
Mehrstimmigkeit enthält, darf nur zweistimmig angewendet werden, während
man das Parallel- Organum auch in der Octave verdoppeln, und so gleichzeitig
erklingende Quinten-, Quarten- und Octaven-Gänge hören lassen kann; dagegen
gestattet das schweifende Organum dem begleitenden Sänger die Freiheit des
Improvisirens, mit der alleinigen Einschränkung, niemals zwei Terzen auf ein-
ander folgen zu lassen und stets im Einklang den Gesang zu beginnen und
zu schliessen.
Hucbald.
317
H. kann weder als der Erfinder des Organums gelten — denn schon zu
Anfang des 9. Jahrhunderts erwähnt der Philosoph Scotus Erigena seiner als
einer allgemein bekannten Sache*) — noch konnten seine Theorien auf die
musikalische Praxis einen unmittelbar befruchtenden Einfluss ausüben. Den-
noch ist sein Verdienst, die Regeln der mehrstimmigen Musik zum ersten Male
ausführlich dargelegt zu haben, unbestreitbar; und wenn neuerdings Dr. Oscar
Paul in seiner »Geschichte des Ciavierspiels« (Leipzig, 1868) die Behauptung
aufgestellt hat, das H.'sche Organum sei nicht als ein Zusammenklingen, son-
dern als ein Nacheinander -Erklingen zu verstehen, so kann man ihm nicht
beipflichten, denn die Grründe für jene Behauptung erweisen sich bei genauer
Untersuchung als völlig unhaltbar.**) Nach ihm hätten alle bisherigen Erklärer
des H. dessen Ausdrücke unrichtig übersetzt; ^^concentusa bedeute nicht »har-
monischen Zusammenklang«, sondern wie das griechische y>rjQi.wgiJ.t'rot>» eine
melodische Folge — worauf ihm zu erwidern ist, dass y>ijQi.iog^m>ov<f. überhaupt
alles »Geordnete« bedeutet, ^concentusa aber vorzugsweise ein gleichzeitiges Er-
klingen, z. B. den einstimmigen Beifallsruf des Volkes im Theater (PI. Pau.
2, 6 und 46, 2). Das Wort y^responderea übersetzt Paul beharrlich mit »ant-
worten« — im Hinblick auf seine der modernen Fugenlehre entnommene Hy-
pothese — während es doch ebensowohl »übereinstimmen«, »passen«, »ent-
sprechen«, »sich schicken« heissen kann; das Wort yinvicemv.**'*') bedeutet
allerdings »abwechselnd«, aber nicht minder »gegenseitig«, und das Wort y>jun-
(jereoif) berechtigt durchaus nicht zu der Annahme, dass die der Hauptmelodie
»beigefügten« Stimmen ihr »der Zeit nach gefolgt« und »später wieder von ihr
abgelöst« seien. Schliesslich beruft sich Paul auf die Guidonischen Ausdrücke
•apraecedentes vocesv. und ^^subsequentes vocesa; er übersieht, dass das erstere
dieser beiden Prädicate im vorliegenden Falle mit »übertreffen«, »den Vorzug
haben« (s. Plautus -nvestrae fortunae meis praecedunt«), das letztere mit »nach
etwas sich richten« (s. Cicero »Jios motus subseqin dehet gesttis«) zu übersetzen
ist,tt) uiid indem er sich an die wörtliche, nächstliegende Bedeutung hält,
folgert er: »Nachdem die Principalstimme gesungen war, ertönte antiphonisch
das Organum, so dass also von Quinten- und Quartenparallelen gar keine
Rede ist«. Auch das von Kiesewetter und Ambros beschriebene sogenannte
schweifende Organum soll nach Paul nicht gleichzeitig mit der Hauptmelodie
gesungen worden sein, und er giebt dafür das folgende dem 18. Capitel des
Guidonischen Micrologus entnommene Beispiel:
FFGGFFDEFEB G
Ip si
so
G
G D D G G
U
G
G G G G
Hier ist das Liegenbleiben des Organums auf demselben Ton durch die
Bemerkung motivirt, dass »wenn die Principalstimme im Tonus tritus (F) tiefere
Töne singt als diesen, das Organum auf eben dem Tonus tritus (d. h. seinem
Piagaltone G) verweilen muss«, weil die Tonart nicht mehr festzuhalten wäre,
wenn es ebenfalls abwärts ginge. (y^Saepe autem cum inferiores trito voces
*) Gerbert „Scriptores" I. S. 21: „Ut enim organicum melos ex diversis qualitatibus
et quantitatibus conficitur, dum viritim separatimque sentiuntur longa a se discrepantibus,
intensionis et remissionis proportionibus segregatae, dum vcro sibi iuvicem coaptantur
secundum certas rationabilesque artis musicae regulas per singulo? tropos naturalem quam-
dam dulcedinem reddentibus." — De divina natura.
**) Siehe Allgem. musikal. Ztg. 1870 No. 5 „Hucbald's Organum" von E. Krüger.
***) „Nunc id, quod proprie Sympboniae dicuntur, id est, qualiter eaedem voces sese
invicem canendo habeant prosequamur."
t) „Symphonia est vocum disparium inter se junctarum dulcis coucentus."
tt) Beide Ausdinicke von Guido bei seiner Erklärung der Diaphonie gebraucht.
318 Hucbald.
cantor admiserit, Organum suspensum tenemus in trito.a)*) Gerade dies Beispiel
aber beweist, dass es sich beim Organum nur um gleichzeitiges Erklingen
handeln kann; denn wie sehr auch die Begriffe vom musikalisch Schönen in
den verschiedenen Zeiten und bei den verschiedenen Völkern von einander
abweichen, so würde man doch das Beispiel eines einstimmigen unrhythmischen
Gesanges mit unveränderter Tonhöhe in der gesammten Musikgeschichte
vergebens suchen.
Hätte Herr Paul die historische Entwickelung der mehrstimmigen Musik
genugsam im Auge gehabt, so würde er schwerlich zu obigem Resultate ge-
kommen sein. Er selbst erinnert daran (a.a.O. S. 241), dass schon die Hebräer
und die Griechen den antiphonischen oder Wechsel -Gesang angewendet haben
— die letzteren ohne Zweifel in den von ihnen als Consonanzen erkannten
Quinten und Quarten; hierüber also hätte H., der die griechische Musiktheorie
hinlänglich kannte und sie zur Basis der seinigen gemacht hat, kein Wort zu
verlieren gebraucht: Seine musikalische Aufgabe war es, wie überhaupt die
des Mittelalters, für das Zusammen-Erklingen der Intervalle und für die Ver-
bindung dieser Zusammenklänge einen theoretischen Boden zu gewinnen, und
seine Bestrebungen mussten ihren naturgemässen Ausgangspunkt von denjenigen
Intervallen nehmen, die schon den Griechen als Consonanzen gegolten hatten.
Ob die parallelen Quinten- und Quarten-Gänge nur als eine Speculationstheorie
mittelalterlicher Mönche, wie Kiesewetter meint, oder ob sie nach Ambros' Ver-
muthung als eine täglich geübte Singeweise anzusehen sind**) — dies kommt
bei der vorliegenden Frage natürlich nicht in Betracht, wiewohl letzteres keines-
wegs unwahrscheinlich ist, und am allerwenigsten deshalb geläugnet werden
kann, weil das moderne Ohr jene Parallelgänge als einen Missklang empfin-
det.***) Nachgerade hat sich wohl die Erkenntniss Bahn gebrochen, dass die
sogenannten unumstösslichen Regeln des musikalischen Geschmacks vorwiegend
auf Gewohnheit und Uebereinkunft beruhen, und mit vollem Rechte behauptet
Fetis in seinem yResume philosophiquen (Biographie des musiciens, erste Aufl.
S. CLIX) TÄpres ce que j'ai dit des penchans de divers peuples dans la musique,
il me parait demontre, que Veducation de Voreille peut developper des goüts si
diff'erents, quHl w'y a point de regle generale pouv ses impressionsa.
In Gerbert's Sammlung folgt diesem Werke als viertes ein Commentar der
y>E7ichiriadis(i in Gesprächsform, und als fünftes die nOommemoratiof) hrevis de
tonis et psalmis modulandisu (kurze Abhandlung über den Vortrag der Kirchen-
töne und Psalmen), ein für die Musikgeschichte hochwichtiges Document, da
es Psalmen-Intonationen enthält, die von den älteren Traditionen der italieni-
schen Kirche abweichen. — Ein von H. componirter und nach seinem System
aufgeschriebener Gesang für das Fest des h. Thierry wird von späteren Schrift-
stellern erwähnt, scheint jedoch verloren gegangen zu sein. — Ausführlicheres
über H. findet sich in Coussemaker's ^Memoire sur Huchaldvi etc. (Paris, 1841),
wo seine Bedeutung in Folgendem zusammengefaBst ist: H.'s Theorie, fast ganz
auf das griechische Musiksystem basirt, konnte nur wenig zum Fortschritt der
Kunst beitragen. Anders seine praktischen Lehren und Versuche, unter welchen
die auf das Organum oder die Diaphonie bezüglichen obenan stehen. Er ist
es, der die ersten Regeln und die ersten Beispiele für die Mischung der Töne
im gleichzeitigen Erklingen giebt, und sein Name wird deshalb mit der Ent-
stehung der Harmonie aufs engste verbunden bleiben, wie er auch mit Recht
*) Siehe Gerbert „Scrlptores" S._ 22a.
**) „Dass wirklich und wahrhaftig in solcher Weise gesungen worden, ist wohl zwei-
fellos; der eindringliche Quintenklang tönte damals den Zuhörern kräftig anregend; sie
mochten gerade in dem, was uns heutzutage un rträglich scheint, einen eigenen Reiz
finden" (s. Ambros, Geschichte der Musik II. S. 141).
***) Siehe E. Krüger „Hucbald's Organum" in der AUgem. musikal. Ztg. 1870 No. 5,
t) Fetis hält dies für einen Copisten-Irrthum und glaubt „commentatio" lesen zu
müssen.
Hucke — Hüayllaca. gjg
an der Spitze der langen Reihe von Schriftstellern steht, die sich die Erfor-
schung und Erweiterung dieser Wissenschaft zum Ziel gesetzt haben.
W. Langhans.
Hucke, Georg, s. Hück.
Hudiuaun, Friedrich Ludwig, deutscher Dramendichter, geboren zu
Anfang des 18. Jahrhunderts zu Hamburg, wo er auch als Doctor der Rechts-
gelehrsamkeit lebte, trat in einem »Bericht von den Vorzügen der Oper vor
den Tragödien« (Hamburg, 1732) eifrig zu Grünsten der Oper gegen Gottsched
auf, welchem letzteren er sich gleichwohl später ganz anschloss und sogar gegen
den »Messias« von Klopstock (Rostock, 1754) schrieb.
Hudler, Anton, vorzüglicher deutscher Paukenvirtuose, geboren am 7.
März 1784 zu Zwettel in TJnterösterreich, war ein Schüler Anton Edler's in
"Wien und wurde 1814 auch dessen Nachfolger als kaiserl. Hofpauker. Auch
sein von ihm ausgebildeter Sohn wurde Mitglied der Hofkapelle in Wien und
erfand oder vervollkommnete eine zweckmässige Vorrichtung, um mit einem
Zuge sämmtliche Schrauben der Pauke anzuziehen und dadurch das Instru-
ment sofort rein umzustimmen, wodurch zugleich die Felle besser conservirt
wurden, als es früher der Fall war.
Hudson, George, englischer Tonkünstler, lebte um die Mitte des 17.
Jahrhunderts zu London und gehörte zu den Componisten, welche an der
1656 auf Schloss Rutland aufgeführten Operette »Die Lustbarkeit des ersten
Tages« mitarbeiteten.
Hue, Balthasar de, niederländischer Schriftsteller des 17. Jahrhunderts,
von dem auch eine musikalische Abhandlung: tiMusae musicaeque encomiumo.
(Amsterdam, 1680) existirt.
Hüara-püara ist der heimische Name eines unserer P ans flöte (s, d.) ähn-
lichen mexikanischen Tonwerkzeugs mit acht Schallröhren, das schon vor der
Eroberung durch die Spanier dort sehr verbreitet gewesen sein muss und wahr-
scheinlich bereits denselben Namen führte. Funde in den Ruinen von Palanke,
dem tief im TJrwalde aufgefundenen Trümmerhaufen einer grossen alten Stadt,
brachten zwei Exemplare dieses Instruments zu allgemeiner Kenntniss, Eins
davon mit Schallröhren aus Schilfrohr fand durch Alexander von Humboldt
seinen Weg nach Europa, das andere, aus Stein gearbeitet, nahm der fran-
zösische General Paroissien an sich; beide sollen dieselben Töne geben. Eine
genauere Beschreibung des von Alex. v. Humboldt mitgebrachten H. findet man
in M. Minutoli's -DDescription d^une ancienne ville de Guatemalav. (Berlin, 1832,
p. 53 et pl. XII Fig. 1). Ueber das Tonreich der H. angestellte Untersuch-
ungen, welche ergeben, dass die Töne
'^^m^^^^^^-
^i=Ziii?=^=:^^
:!==:
hervorzubringen auf diesem Instrument möglich war, sobald, was eine eigen-
thümliche Culturhöhe beweist, an drei Tonröhren vorhandene Tonlöcher gedeckt
wurden, sind in Fetis' y>llist. de la musique« T. I. p. 100 et 101 angestellt.
In wie weit diese Betrachtungen der Wahrheit nahe kommen, ist schwer zu
entscheiden. Ein Exemplar der H. findet sich übrigens auch, im britischen
Museum zu London. 2.
HUankar ist der mexikanische Name einer alten Trommelart dieses Cul-
turvolkes. Mehrere Exemplare derselben sind in den Museen zu Mexiko und
Lima befindlich. 2.
Hüayllaca ist der mexikanische Name einer in Mexiko bei den Indianern
noch heute sehr beliebten grossen Flöte, die aus Schilfrohr mit sechs Ton-
löchern gefertigt und mittelst eines Mundstücks zum Tönen gebracht wird. Die-
selbe wurde schon von den alten Mexikanern gepflegt, denn in den Ruinen
320 Hüber — Iliiller.
von Palanke hat man dex-eu mehrere gefunden, die in dem Museum zu Mexiko
aufbewahrt werden. 2.
Hüber, "Wendelin, Kirchencomponist und Organist an der Dorotheen-
kirche zu Wien um die Mitte des 17. Jahrhunderts, veröffentlichte daselbst
um 1650 Motetten und andere geistliche Gresänge seiner Compositiou.
HUbler, Karoline Elisabeth, geborene Steinbrecher, geboren 1733,
war eine Sängerin mit schöner Stimme und trefflicher Darstelluugskuust. Sie
war zuletzt bei der Oper in St. Petersburg angestellt.
Hnbner, Johann Christian, Pianofortebauer aus Narwa, lebte zu Ende
des 18. und anfangs des 19. Jahrhunderts zu Moskau und erfand daselbst 1801
ein Bogenclavier, welches er Orchestrine (s. d.) nannte.
Hiibner, Joseph, deutscher musikkundiger Theologe, ein um die Reform
der katholischen Kirchenmusik sehr verdienter Mann, wurde am 31. Aug. 1755
zu Kleppelsdorf bei Lähe geboren und war der Sohn eines wohlhabenden
Müllers, der den Sohn zwar im Singen und Ciavierspiel unterrichten Hess,
jedoch für die Kirche bestimmte. H. besuchte zu diesem Zweck das katholische
Gymnasium zu Breslau, bildete sich aber zugleich als Discantist der Domkirche
daselbst musikalisch weiter aus und verwaltete später als Student der Theologie
und Philosophie zugleich das Amt eines Chorpräfecten im Convict. Im J. 1779
wurde er katholischer Prediger zu Brieg und begann alsbald, die besseren Cho-
i'äle auszuwählen und diese seiner Gemeinde gut und würdig singen lehren zu
helfen. Als Professor der Philosophie und Prediger an der Universitätskirche
zu Breslau seit 1783 führte er eine regelmässige Kirchenmusik ein, derent-
wegen Bekenner aller Confessionen sonntäglich das Gotteshaus füllten. Mit
immer mehr durchgreifender Kraft setzte er das Werk von 1798 an, wo er
Pfarrer und Erzpriester an St. Nicolai zu Breslau wurde, fort, ersetzte u. A.
die dort übliche klägliche Figuralmusik, die er abschaffte, durch einen erheben-
den gemeinschaftlichen deutschen Gesang und dichtete und componirte selbst
viele Sonntags- und Festgesänge, die auch anderwärts in Schlesien eingeführt
wurden. Auch als Oberconsistorialrath, Assessor der königl, Schuldeputation
und Domprediger weiterhin lebte und wirkte er begeistert und begeisternd für
die so glücklich unternommene Sache und hinterliess ein ihn überlebendes
ehrendes Andenken als gründlicher Verbesserer der gesammteu katholischen
Kirchenmusik seiner Provinz. Im J. 1803 noch zum Doctor der Theologie
und des kanonischen Rechts ernannt, starb H. 1810 in Breslau. Er hat gleich-
falls, wenn auch vielfach nicht unter seinem Namen, zahlreiche weltliche
Lieder und Gesänge gedichtet und componirt, die sehr geschätzt und ver-
breitet waren.
Hübsch, Johann Baptist, gern gehörter Bassbuffo, geboren 1755 zu
Jamnitz in Mähren, betrat erst 1782 zum ersten Male das Theater, machte
aber seitdem und bis zu Ende des 18. Jahrhunderts auf den ersten deutschen
Bühnen grosses Aufsehen.
Hübsch, Johann Georg Gotthelf, deutscher Mathematiker, geboren
um 1690, war um die Mitte des 18. Jahrhunderts Lehrer seiner Wissenschaft
in Schulpfoi'ta bei Naumburg. Er starb um 1773. Walther besass handschrift-
lich mehrere musikalische Abhandlungen von ihm, und auch Gerber erstand
aus H.'s Hinterlassenschaft 31 solcher Aufsätze und führt sie in seinem Ton-
künstlerlexlkon von 1812 auf, die sich über verschiedene Gegenstände der Com-
Position, des Instruraentenbaus und der musikalischen Kritik verbreiten.
Hück, Georg, auch Hucke geschrieben, Contrapunktist des 17. Jahr-
hunderts, lebte und war wahrscheinlich auch gebürtig im Herzogthum Preussen.
Da nichts Gedrucktes mehr von ihm vorhanden , so ist man lediglich auf die
Glaubwürdigkeit der älteren Angabe augewiesen, dass er zu den durch gedruckte
Werke bekannt gewesenen Contrapunktisten der von Eccard gegründeten preussi-
schen Tonschule gehört hat.
HUffer, Franz, keuntnissreicher und geistvoller deutscher Musikschrift-
Hüfthoru — Hülfsuoteu. 32 J^
steller, geboren um 1846 in der Rheinprovinz , machte seit 1866 in Berlin
gründliche wissenschaftliche, besonders philosophische und musikalische Studien.
Als Mitarbeiter betheiligte er sich damals an der »Allgemeinen musikalischen
Zeitung« und Hess in seinen Aufsätzen und Correspondenzen vorzüglich eine
hohe Verehrung für E,ob. Schumann durchblicken. Gleichzeitig beschäftigte
er sich aufs Eingehendste mit den altsprachlichen Denkmälern der Proven§alen
und promovirte 1869 zum Doctor der Philologie. Ein Jahr später siedelte er
nach London über und wurde der musikalische Hauptmitarbeiter der dortigen
Zeitschrift »TÄe Acadeiny<.<i, sowie Correspoudent des »Musikalischen Wochen-
blatts« in Leipzig. An den Bestrebungen zu Gunsten Eich. Wagner's in Eng-
land nahm er regen Antheil und ist in Eolge dessen zum Vorstandsmitglied
des "Wagnervereins in London gewählt worden. Um das Verständniss der
"Werke dieses Componisten, sowie derjenigen der neueren Richtung überhaupt
im Inselreiche zu verallgemeinern, verfasste er eigens eine grössere Schrift,
welche auch deutsch unter dem Titel »Die Poesie in der Musik« (Leipzig, 1875)
erschien und von Seiten der Kritik sowohl Lobpreisungen wie heftige AngriflFe
erfahren hat. Das vorliegende »Musikalische Conversations-Lexikon« verdankt
der Feder H.'s einige Biographien altfranzösischer Trobadors und Trouveres.
Hüfthorn, s. Hifthorn.
Hiilfsaccorde, Hülfsharmonieu. »Unter dieser Benennung ist der Haupt-
septimen- oder Dominantenaccord aus „Stöpel's Harmonielehre" in andere Werke
übergegangen« (behauptet A. Gathy, »Musikal. Convers.- Lexikon« S. 220).
»So werden in einigen Lehrbüchern der Harmonie diejenigen Accorde genannt,
die aus der Umkehrung des verminderten Septimenaccordes (der ebenfalls als
ein solcher tonischer Hülfsaccord betrachtet wird) zum Vorscheine kommen,
und die vorzüglich geschickt sind, vermittelst der enharmonischen Verwechse-
lung der Töne die Modulation aus der Haupttonart in entfernte Tonarten zu
leiten, oder aus solchen entfernten Tonarten wieder zurück in den Hauptton
zu gehen« (erklärt dagegen H. Chr. Koch, »Musikal. Lexikon« S. 1555). In
keiner dieser Bedeutungen ist das Wort jetzt noch gebräuchlich, und überhaupt
eignet sich dasselbe auch nur zur Bezeichnung derjenigen Zusammenklänge, die
durch Anwendung von Hülfsnoten (s. den Artikel Hülfsnoten etc.) entstehen;
in diesem Falle gebrauchen aber die Theoretiker lieber Ausdi'ücke wie: Durch-
gehende Accorde (s.d.), Scheinaccorde, Mischaccorde u. s. f. 0. T.
HUlfsbalg, s. Balg und Crescendozug.
Hülfsg-ewicht, auch Ausgleichungs-, Compensations- und Mitge-
wicht, in früheren Zeiten öfter, aber unpassend, Gegengewicht genannt,
ist eine ziehende oder drückende Kraft, die, auf den hintei-en Theil eines
Orgelbalges wirkend, dem ausströmenden Winde gleiche Kraft giebt. Die
zweckmässigste Art derselben ist unstreitig die Strebefeder von Stahl
oder Holz.
Hülfsuoteu, Hülfstöue, Nebentöne oder uneigentliche Durchgänge
sind eine besondere Art von unharmonischen Nebennoten (s. d.); es sind
demnach Töne, welche nicht zu den wesentlichen Bestandtheileu einer Melodie
oder eines Accordes resp. einer Accordverbindung gehören, sondern nur eine
zufällige Verzierung oder Ausschmückung derselben bilden. In dem Artikel
Durchgang und an anderen dort (III. S. 285) genannten Stellen wurde
bereits nachgewiesen, dass alle diese Töne ihr Erscheinen vorzugsweise auf die
»Verwandtschaft durch Nachbarschaft in der Tonhöhe« (s, d.) gründen. H.
heissen diese Töne dann, wenn sie nur zu einem einzigen wesentlichen Tone
(ihrem Haupt tone, s. d.) durch Nachbarschaft in der Tonhöhe in Beziehung
stehen, während Durchgangs- und Zwischentöne (s. d.) immer mit zwei
wesentlichen Tönen verbunden erscheinen. »Beiläufig erkennen wir hier, dass
die bekannten sogenannten Manieren (s. d.): Vorschlag, Doppelvorschlag,
Triller, Doppelschlag und all' ihre Unterarten nichts sind, als einfache oder
gehäufte, wiederholte Hülfstöne. Sie sind den wesentlichen Melodietönen zu-
MusU;al. Convers. -Lexikon. V. 21
322 Hülfsstimmen — Hüllweck.
gesetzt, ei'sclieinen in sofern als Nebensache, und werden daher gewöhnlich mit
kleinerer Schrift notirt. Allein man sieht leicht ein, dass sie im Sinne eines
Ton Stückes wesentlich bedeutsam sein können, — und nur deswegen dürfen die
anderen Töne wesentlich genannt werden, weil sie zu der natürlichen Grund-
lage des Ganzen, der Harmonie, gehören; daher man jene Töne ebenfalls mit
grösseren Noten aufgezeichnet findet, und besonders in den "Werken neuerer
Zeit, wo sie mehr mit Bedeutung, zu bestimmtem Zwecke, gesetzt werden,
während sie in älteren "Werken (namentlich vor C. P. E. Bach und Jos. Haydn)
mehr willkürlich, als »Agremens«, als beiläufige Ausschmückungen, erscheinen«
(Marx, »Compositionslehre«, I. 299). Die H. sind, wie die Durchgänge, dia-
tonisch oder chromatisch, je nachdem sie in der im Ohre liegenden Tonart
leitereigen oder leiterfremd (s. d.) sind. Die diatonischen H. können von
ihrem Haupttone eine ganze Tonstufe abstehen; die chromatischen dagegen
dürfen von ihm nur um eine Halbtonstufe entfernt sein. Jeder Hülls- oder
Nebenton muss aber in seinen Hauptton fortschreiten. Solche H. kann man
zu jedem Tone einer Melodie oder eines Accordes, in jeder Stimme und auch
in mehreren oder allen Stimmen gleichzeitig auftreten lassen; sie können auf
leichter oder (als "Wechselnoten, s, d.) auf schwerer Taktzeit erscheinen und
beliebig längere oder kürzere Dauer haben; sie können direkt in ihren Haupt-
ton fortschreiten oder (bei Brechungen u. dergl.) von ihm durch eingeschobene
Haupt- oder Nebentöne getrennt sein; sie können in wesentliche Töne umge-
wandelt werden u. dergl. mehr. Hieraus ergiebt sich, dass durch ihre Anwen-
dung die allerverwickeltsten Zusammenklänge entstehen können (s. Beisp. II.
S. 592 fi"., III. S. 290 und an anderen Orten). Diese Zusammenklänge könnte
man wohl Hülfsaccorde (s. d.) nennen; man zählt sie aber zu den zufälligen
Dissonanzen und bezeichnet sie als durchgehende Accorde, Scheinaccorde, Misch-
accorde, uneigentliche Accorde u. s. f. — Weiteres findet man noch unter Con-
sonanz (II. S. 592), Nebentöne, Tonverwandtschaft und an anderen dort namhaft
gemachten Stellen dieses Werkes. 0. Tiersch.
Hülfsstiuimen nennt man in der Fachsprache des Orgelbaues diejenigen
Manualstimmen, welche gradfüssig kleiner als 2,5 Meter, und im Pedal die-
jenigen Stimmen, welche gradfüssig kleiner als 5 Meter sind, weil dieselben
in Verbindung mit den Quint- und Terzstimmen den Gruudton verstärken, ihn
mehr hervorheben.
Hüllmandel, Nicolaus Joseph, Ciaviervirtuose und Componist für sein
Instrument, geboren 1751 zu Strassburg, war der Neffe des berühmten Hor-
nisten Rudolph und Hess sich in Hamburg von Phil. Eman. Bach vollends
musikalisch ausbilden. Im J. 1775 besuchte er Mailand und das übrige Italien,
ein Jahr später Paris, wo er sich auf dem Ciavier imd der Harmonica hören
und als Musiklehrer der feinen Welt fesseln Hess. Nach einem Ausfluge nach
London, 1787, verheirathete er sich mit einer reichen Französin, wurde aber
1790 durch seine Verbindungen mit dem königl. Hof und Adel verdächtig und
musste seiner Sicherheit wegen nach London fliehen, während seine Güter ein-
gezogen wurden. Die Existenzfrage trieb ihn dort wieder zur Ertheilung von
Unterricht und zur Comijositiou, und selbst als er vom ersten Consul seine
Güter zurück erhielt, blieb er in London, zog sich aber ganz von der Oeffent-
lichkeit zurück und starb 1823. Er hat Sonaten für Ciavier, für Ciavier und
Violine, für Ciavier, A^ioline und Violoncello, ferner Variationen, Divertissements
u. dergl. compouirt und veröffentlicht.
Hiillweck, Ferdinand, bedeutender Violin- und vortrefflicher Quartett-
spieler, geboren am 8. Octbr. 1824 zu Dessau, erhielt in seiner Vaterstadt eine
tüchtige musikalische Ausbildung, namentlich auch, und zwar durch Friedi-.
Schneider, in der Harmonielehre und Composition. Schon 1844 wurde er als
erster Violinist in die königl. Kapelle zu Dresden gezogen, in welcher Stel-
lung er sich noch gegenwärtig befindet. Ausserdem wirkt er als Lehrer seines
Hülphers — Hülskamp. 323
Instruments am Dresdener Conservatorium und hat Compositionen veröffentlicht,
von denen die didactischen Violinwerke einen hervorragenden Werth haben.
Hülphers, Abraham Abrahamson, war um 1773 Musikdirektor und
Organist zu Westeräs in Schweden und veröffentlichte eine gründliche Abhand-
lung über musikalische Instrumente, besonders über die Orgel.
Hülse, in der Fachsprache des Orgelbaues gleichbedeutend mit Büchse
(s. d.) oder Hose.
Hülseu, Botho von, General - Intendant der königl. Theater zu Berlin,
Hannover, Kassel und "Wiesbaden, am 10. Decbr. 1815 zu Berlin geboren, war,
dem Brauche in seiner Familie gemäss, für den Soldatenstand bestimmt. Im
Cadettencorps für diesen Beruf erzogen, trat er in das Kaiser- Alexander-Gre-
nadierregiment als Officier ein. Seine Mussestunden füllte er mit literarischer
Thätigkeit aus. Schon als Knabe hatte er eine grosse Vorliebe für das Theater
gezeigt, die sich besonders dadurch kundgab, dass er jede Gelegenheit benutzte,
um im Familienkreise dramatische Aufführungen zu veranstalten, bei denen er
sich als talentvoller Darsteller erwies. Im Officiercorps seines Regiments wusste
er die Vorliebe für eben solche Veranstaltungen zu erwecken und erregte da-
durch sogar das Interesse des Königs Friedrich Wilhelm IV. Im J. 1848
machte er als Kegiments-Adjutant den dänischen Feldzug mit und stand ein
Jahr später den Aufständischen in Dresden gegenüber. Als Fr. von Küstner
1852 seinen Abschied als Generalintendant der königl. Schauspiele in Berlin
nahm, berief der König, der sich bei verschiedenen Gelegenheiten immer mehr
von dem dramatischen und Verwaltungstalent des Lieutenants v. H. überzeugt
hatte, denselben auf den erledigten Posten. Diese unerwartete Ernennung
war so überraschend, dass sie eine gewaltige Aufregung hervorrief, die sich
noch steigerte, als H. ein strammes soldatisches Regiment im Theaterdienst zu
handhaben begann. Aller Anfeindungen ungeachtet, behauptete H. dieses Amt
jedoch mit Erfolg und Geschick und hat seinen Kunstsinn, seinen Geschmack
und sein grosses administratives Talent im glänzendsten Lichte gezeigt. Von
den Gunstbezeugungen zweier Könige überschüttet, erweiterte sich seine Macht-
sphäre in demselben Maasse, wie der Staat Preussen durch seine Annexionen.
Wenn auch das Schauspiel unter ihm die Bedeutung, welche ihm früher eigen
war, einbüsste und zurückkam, so verstand er es doch zu allen Zeiten, in der
Oper eine Vereinigung von künstlerischen Kräften zu Wege zu bringen, die
in der Gegenwart beinahe einzig genannt werden kann. Die Novitäten kamen
langsam, blieben aber doch wenigstens nicht aus, wurden künstlerisch meister-
haft aufgeführt und mit allem erdenklichen scenischeu Pomp geschmackvoll
ausgestattet. Auch die praktische Verwaltung ist unter H. eine musterhafte,
und der finanzielle Zustand unter keinem seiner Vorgänger ein so blühender
gewesen. Durch sein ganzes Vorgehen, hat sich H. ein dauerndes Denkmal in
der Geschichte der deutschen Oper gesetzt, welche das H.'sche Regiment zu
ihren Glanzperioden rechnen wird. — Vermählt ist H. seit 1849 mit Helene
von H., geborene Gräfin von Häseler, welche als lyrische Dichterin und
belletristische Schriftstellerin auch in weiteren Kreisen vortheilhaft bekannt
geworden ist.
Hiilshofl", Max Freiherr TOu Droste, kunsterfahrener deutscher Dilettant,
geboren um 1766 zu Münster, war Dirigent eines Gesangvereins in seiner
Vaterstadt und hat viele zu seiner Zeit weithin geschätzte Compositionen ge-
schrieben, als: Streichquartette, Kirchenstücke, Claviersacheu, die Opern »Der
Tod des Orpheus«, »Bianca«, »Der Einzug« u. s. w. Ein Tedeum von ihm wurde
1801 in Münster aufgeführt.
Hüläkamp, Gustav Heinrich (Henry), einer der hervorragendsten
deutschen Instrumentenfabrikanten der Vereinigten Staaten von Amerika, ist
aus Westphalen gebürtig und hat besonders den Ciavierbau in den bedeutendsten
Werkstätten Deutschlands, Englands und Amerikas gründlich studirt. Im
J. 1850 gründete er zu Troy im Staate New -York seine eigene Fabrik, die
21*
324 Hiimmelchen — Huet.
er schnell in Flor zu bringen wusste. Das grösste Aufsehen erregten 1857
Beine in New-York ausgestellten sogenannten symmetrischen Flügel, die in Folge
dessen eine Preismedaille erhielten. Eine gleiche Auszeichnung wurde H. auf
der Weltausstellung zu London 1862 zu Theil, wo seine Erfindungen im Fache
des Ciavier- und Violinbaues einem hervorragenden Interesse begegneten. Seit
1866 hat H. seine Fabrik nach New-York verlegt.
UUmuielcheu oder Hummel, ein veraltetes Orgelregister, das angezogen
zwei schwach tönende Zuugenpfeifen, von denen die eine in G, die andere in
l' oder G gestimmt war, zur Ansprache brachte; beide tönten so lange fort,
bis man den Zug wieder abstiess. Ebenso wird die fortklingende Saite der
russischen Balalaika und werden die beiden fortklingenden Saiten der
Baueruly ra H. genannt.
Uüuteii, Franz, vortrefflicher deutscher Piaaiist und beliebter Claviercom-
ponist, geboren am 26. Decbr. 1793 zu Coblenz, wo sein Vater, Daniel H.,
Organist war. Dieser führte denn auch den Sohn in die Elemente der Musik
ein und lehrte ihn, obwohl er nicht Musiker werden sollte, Ciavier und Gui-
tarre spielen. Mit zehn Jahren fing H. an zu componiren, mit sechszehn selbst
Unterricht zu ertheilen, und 1819, von Henri Herz, einem ehemaligen Schüler
seines Vaters, dazu ermuntert, ging er nach Paris und auf das Conservatorium.
Dort studirte er zwei Jahre lang mit gutem Erfolge bei Pradher Clavierspiel,
bei Keicha Harmonielehre und bei Cherubini Contrapunkt. Vergünstigungen
und Stipendien, die ihm seine Lehrer gern zuwenden wollten, wurden ihm als
Ausländer abgeschlagen, und er sah sich genöthigt, billigen Ciavierunterricht
zu geben und Modemusik, besonders Variationen, Divertissements, Rondos und
Fantasien für Pianoforte zu zwei und vier Händen zu schreiben. Diese leichte
Waare schlug bei Dilettanten und Schülern durch, und von der Zeit an wurde
sein Unterricht gut honorirt und die Verleger in Prankreich, Deutschland und
England zahlten ihm für jede gedruckte Noteuseite 200 Francs. In wohl-
habenden Umständen kehrte er Ende 1837 nach Coblenz zurück, wo er sich
ein Eesitzthum erwarb und Jahrzehnte hindurch in behaglichster Art dem
Unterricht, der Composition und seiner Familie lebte und noch gegenwärtig
hochbetagt weilt. Seiner Compositionen sind über 300 und ihr Kennzeichen
ist, dass sie leicht hingeworfen, melodisch gehalten sind und dem Tages-
geschmack huldigen, übrigens nicht mehr "Werth beanspruchen, als ihnen eigen
ist. Auch viele Etüden und eine grössere, sehr verbreitete Clavierschule hat
H. veröffentlicht. — Zwei jüngere Brüder von ihm, Wilhelm H. und Peter
Ernst H., sind, wenn auch mit weit gei'ingerem äusseren Erfolg, in seine
Fusstapfen getreten. Wilhelm wirkte ununterbrochen in seiner Vaterstadt
Coblenz als Musiklehrer und Componist für Ciavierschüler, während Peter Ernst,
geboren am 9. Juli 1799 zu Coblenz, sich in gleicher Eigenschaft in Duisburg
niederliesB und ausser zwei- und vierhändigen Ciavierstücken auch Duos für
G-uitarre und Flöte, sowie Trios für Guitarre, Flöte und Viola schrieb.
Huerga^ Cyprianus de la, spanischer Cisterziensermönch und Musik-
gelehrter, gestorben um 1560 im Kloster Alcala, ist der Verfasser einer Ab-
handlung über hebräische Musik.
Hürt, Theobald, vorzüglicher Fagottvirtuose, geboren 1793, war Mitglied
der kaiserl. Hofkapelle, Solo -Fagottist am Hofoperntheater und Professor am
Conservatorium zu Wien und starb daselbst am 9. März 1858.
Uuet, Pierre Daniel, ausgezeichneter und sehr vielseitig, auch musi-
kalisch gebildeter französischer Gelehrter und Dichter, geboren am 8. Febr.
1630 zu Caen, erhielt seine Bildung durch die Jesuiten, lebte von 1652 an
mehrere Jahre am königl. schwedischen Hofe und wurde später zu Paris Lehrer
des Dauphin, für den er mit Bossuet die berühmt gewordenen Ausgaben der
alten Classiker in usum delphini (des Dauphins) besorgte. Nachdem er 1676
die geistlichen Weihen empfangen hatte, erhielt er nach einander die Abteien
und Bisthiimer Auuay, Soisaous, Avranches und Fonteuay bei Caen. Um ganz
Hüttenbrenner. 325
seinen Studien leben zu können, entsagte er um 1700 der Bischofswürde und
zog sich in das Professhaus der Jesuiten zu Paris zurück, wo er am 21. Jan.
1721 starb. Seine Untersuchungen über die Musik des Alterthums waren für
die Weiterforschung von hervorragendem Interesse.
HUttenbrenner, Anselm, ein durchgebildeter deutscher Tonkünstler und
Componist, geboren am 13. Octbr. 1794 zu Graz, war der Sohn eines wohl-
habenden Gutsbesitzers und erhielt bei sich kund gebenden musikalischen An-
lagen schon früh beim Domorganisten Matthäus Gell Gesang- und Ciavier-
unterricht. Schon 1802 konnte er sich mit einem Mozart'schen Clavierconcert
in Graz öffentlich hören lassen und erntete dort, wie bald darauf in Triest und
Klagenfurt mit Compositionen von Mozart, Beethoven, Hummel und Bies den
lebhaftesten Beifall. Als Gymnasiast begann er 1808 mit Eifer Generalbass-
studien, trat aber 1811 in das Cisterzienserstift Bein als Novize, um sich,
elterlichem "Wunsche entsprechend, dem geistlichen Stande zu widmen. Nur
zwei Jahre jedoch trug er das Ordenskleid, als es ihn nach Wien trieb, um
dort die Bechte zu studiren. Nach Vollendung dieses Studiums trat er in die
militärische Gerichtspraxis in der Absicht, als Auditeur eine Anstellung zu
suchen. Bei der vielseitigen musikalischen Anregung, die ihm Wien bot, konnte
er es sich nicht versagen, sich wieder mit erhöhtem Eifer der Musik zuzuwen-
den, und so studirte er bei Salieri fünf Jahre hindurch die Theorie des Ton-
satzes und pflegte mit hingebender Liebe den vertrauten Umgang mit Beethoven,
Franz Schubert, Gyrowetz, Sechter und Assmayer. Seit 1816 trat er auch
als Pianist und Improvisator erfolgreich in Wien auf, und zu gleicher Zeit
erschienen seine ersten Compositionen im Druck. Eine Sinfonie in E-dur von
ihm fand 1819 in Graz ehrenvolle Aufnahme. Aus seinem frisch sich aus-
breitenden Kunstleben riss ihn um 1820 der Tod seines Vaters, und er musste
sich, wiewohl sehr ungern, entschliessen, die Verwaltung der von demselben
ihm und seinen sechs Geschwistern als Erbschaft hinterlassenen Güter zu über-
nehmen. In Graz machte er sich um das steiermärkische Musikleben hoch-
verdient und wurde denn auch schon 1825 zum Direktor des dortigen Musik-
vereins g. wählt, welcher von da ab seine Gesangs- und Instrumentalschulen
glänzend erblühen und seine Concerte an Wichtigkeit gewinnen sah. Die son-
stigen Mussestunden widmete H. der Composition und musikkritischen Be-
richten für verschiedene Blätter. Im J. 1825 wui'de sein erstes grosses, dem
Andenken Salieri's gewidmetes Bequiem aufgeführt, welches zur Todtenfeier
Beethoven's, später zu derjenigen des Kaisers Franz I. in Graz, sowie zur Er-
innerung an Fr. Schubert in Wien wiederholt und von der Kritik den aus-
gezeichnetsten Kunstwerken dieser Gattung zugezählt wurde.
Im Laufe der Zeit schrieb H. noch zwei andere Bequien, viele Graduales,
Motetten und Psalme. Zu Anfang 1827 überliess er seine schon 1824 com-
l)onirte zweiaktige komische Oper »Armella oder die beiden Vioeköniginnen«
dem Grazer Theater zur Aufführung, deren Musik glänzenden Beifall fand,
deren mangelhaftes Textbuch jedoch ein längeres Bühnenleben verhinderte.
Nicht anders erging es seiner Oper »Lenore«, die 1835 in zwei Akten und
1837 zu dr<;i Akten erweitert, öfter aufgeführt wurde und ihm herzliche Ova-
tionen von Seiten seiner Mitbürger eintrug. Bekannt ist, dass Beethoven in
den Armen H.'s verschieden ist, und dass H. eine lebenslängliche heilige Pietät
für den Grossmeister bewahrt hat. Die vielfachen Auszeichnungen, die ihm
von seiner Vaterstadt, von Vereinen und Gesellschaften weit und breit zu Theil
wurden, vermochten jedoch einer mit vorrückendem Alter sich steigei-nden Ver-
bitterung H.'s keinen Einhalt zu thun. Nachdem er seinen Aufenthaltsort in
nächster Nähe von Graz mehrmals gewechselt hatte, zog er um 1865 nach dem
Flocken Ober-Andritz, wo seine Söhne und Töchter gemeinschaftlich eine länd-
liche Besitzung an sich gebracht hatten, und lebte in grösster Abgeschiedenheit
lediglich dem Naturgenuss, bis ihn ein schmerzhaftes Unterleibsleiden befiel,
dem sich ein Kopftyphus zugesellte, welchen Krankheiten er am 5. Juni 1868
826 Hütter — Hugot.
erlag. — H. gehörte zu den tief angelegten, aber wenig verstandenen Künstler-
naturen, er war auch, wie Constantin Wurzbach in seinem biographischen
Lexikon sagt, ein schöpferisches Talent von seltenem E,eichthum. Dies be-
zeugen H.'s hiuterlassene Werke, von denen kaum der vierte Theil durch öffent-
liche Aufführung oder durch Herausgabe oder durch Abdruck in dem von ihm
durch zwei Jahre redigirten »Musikalischen Hellerraagazin« bekannt geworden
sind. Es sind dies: vier Opern, zehn Ouvertüren, fünf Sinfonien, drei Trauer-
märsche, Sonaten, sogenannte Geisterscenen, 24 Clavierfugen, zwei Streichquar-
tette, ein Streichquintett, viele Stücke für Pianoforte zwei- und vierliiindig;
ferner neun Messen, drei Requien und andere Kirchenmusik, 300 Männer-
quartette und Chöre, über 200 Lieder u. s. w. Eine warm geschriebene
nekrologische Skizze widmete dem Dahingeschiedenen Karl Gottfr. Ritter
v. Leitner unter dem Titel »Anselm Hüttenbrenner« (Graz, 1868, im "Verlage
des Verf.).
Hütter, Johann Gottfried, deutscher Tonkünstler, geboren am 14. Febr.
1742 zu Brauuau bei Löwenberg in Schlesien, erhielt als Dorfschüler von dem
Cantor Beyer daselbst den ersten musikalischen Unterricht und war später
als Gymnasiast in Hirschberg zugleich Präfekt des dortigen Stadtsingechors.
Von 1767 bis zu seinem Tode, um 1810, wirkte er als Cantor und Organist
zu Kunzendorf bei Löwenberg. Von seinen Compositionen ist keine gedruckt
erschienen; sein Verdienst gipfelt jedoch in der Begründung eines Orchesters
und in Veranstaltung von Oratorieuconcerten, Einrichtungen, die in der dortigen
Gegend bis dahin unbekannt gewesen waren.
Hüttuer, Johann Baptist, vorzüglicher Violoncellovirtuose, geboren am
1. Jan. 1793 zu Graz, war ein Schüler des rühmlichst bekannten Violoncellisten
J. Zimmermann und wurde selbst erster Violoncellist am Theater zu Pesth,
zwei Jahre später an dem zu Lemberg. Im J, 1820 trat er eine sehr erfolg-
reiche Concertreise durch Polen und Russland an und ward 1822 als Lehrer
für das Conservatorium und als Solospieler für das ständische Theater in Prag
gewonnen. In diesen Stellungen starb er am 1. März 1839 zz Prag.
Hiigard, Pierre, französischer Kirchencomponist, war um die Mitte des
17. Jahrhunderts Lehrer der Chorschüler an der Kathedralkirche zu Paris.
Eine Messe seiner Composition ist damals im Druck erschienen.
Hu^enius, der latinisirte Gelehrtenname für Huyghens (s. d.).
Hug-o II., Graf von Montfort, Herr zu Bregenz, einer der letzten deut-
schen Minnesinger, geboren 1357, machte 1395 mit dem Dichter Oswald von
Wolkenstein eine Wallfahrt nach Jerusalem, die an Abenteuern reich war, und
starb 1423, 67 Jahre alt. So sehr seine Gesänge in der Form gegen die-
jenigen älterer adeliger Dichter zurückstehen, wie er selbst offen anerkennt, so
gewinnen sie desto mehr durch ihre Frische und ungezwungene Natürlichkeit.
Wenn auch nicht in der äusseren Gestaltung, so Hess er doch ersichtlich in
Inhalt und Anschauungsweise die alten Minnesänger auf sich wirken, zugleich
aber auch das Volkslied, so dass sich in seinen Liedern eine merkwürdige,
aber nicht unangenehme Mischung beider Richtungen kundgiebt, H. zählt
übrigens zu den Sängern, welche die Musikweisen zu ihren Dichtungen nicht
mehr selbst erfanden, da ihm sein getreuer Knecht Burk Mangolt in Bregenz
die Melodien zu seinen Minneliedem und Briefen eigens setzen rausste.
Hngro von Saiza, deutscher Minnesinger _, wahrscheinlich zu Ende des 12.
oder zu Anfang des 13. Jahrhunderts lebend, wird von dem epischen Dichter
Heinrich von dem Türlin ehrenvoll erwähnt und mit anderen Dichtern seiner
Zeit besungen. Sonst ist keine biographische Nachricht, ,kein Lied von ihm
auf die Nachwelt gekommen.
Hngrolinns, Vincentius, latinisirt aus Vincenzo TJgolini (s. d.).
Hug'ot, A., genannt der Jüngere, ausgezeichneter französischer Flöten-
virtuose, geboren 1761 zu Paris, wurde 1789, als Viotti das Orchester der
Pariser italienischen Oper zusammenstellte, als erster und sein älterer Bruder
Huguenet — Hummel. 327
als zweiter Flötist bei demselben angestellt. Später war er aucb wie viele
andere berühmte Künstler Musiker in der Nationalgarde und ward von dort
aus als Professor seines Instruments an das Conservatorium berufen. Mit
seinem Bruder zusammen stand er seit 1796 auch im Orchester des Theaters
Feydeau und wurde in den Concerten dieser Bühne als der vollendetste Solo-
spieler gefeiert, den Frankreich jemals aufzuweisen gehabt hatte. Gerade mit
der Bearbeitung einer Flötenschule im Auftrage des Direktoriums des Conser-
vatoriums beschäftigt, verfiel er in ein Nervenfieber und stürzte sich am 18.
Septbx'. 1803 in einem Anfalle von Raserei, nachdem er sich mehrere Messer-
stiche beigebracht hatte, aus dem Fenster des vierten Stocks. Zerschmettert
und entseelt wtu-de er aufgehoben. Die Materialien zu der Flötenschule ordnete
und ergänzte darnach Job. Georg "Wunderlich und veröffentlichte sie unter
seinem und H.'s Namen, ein "Werk, das noch gegenwärtig stark im Gebrauch
und in allen Ländern gedruckt ist. Auch H.'s Compositionen waren noch
lange Zeit nach seinem Tode sehr geschätzt; sie bestehen in Concerten, Varia-
tionen und Etüden für Flöte, Sonaten für Flöte und Bass, Flöten -Duos und
Trios für zwei Flöten und Bass.
Huguenet, Jacques, französischer Tonkünstler des 17. Jahrhunderts, war
als Violinist in der königl. Kapelle zu Paris angestellt und hat von seiner
Composition Sonaten für Violine und Bass veröffentlicht.
Huitaces de Beaulien, s. Beaulieu.
Hnlskamp, s. Hülskamp.
Hnlst, Felix van, s. Vanhulst.
Hnmau, in der Fachsprache des Orgelwesens gleichbedeutend mit lieblich.
Hnmangedakt oder Lieblichgedakt findet man zuweilen ein 2,5 Meter
gross gebautes Orgelregister benannt, das sanft und lieblich erklingt (s. Ge-
dakt). 0.
Hnuauns, Pseudonym, s. Hartong.
Hnme, Tobias, englischer Ofl&cier und fertiger Spieler der Violdigamba,
lebte um 1700 und hat Compositionen für sein Instrument herausgegeben.
Hummel, s, Hümmelchen.
Hummel, Christian Gottlieb Emanuel, guter deutscher Orgelspieler,
war in Hildburghausen angestellt, wo er 1799 starb. Er hinterliess ein "Werk,
betitelt: »Der Musicus oder von der gründlichen Erlernung der Musik«. —
Sein Namensverwandter war Georg Peter H., um die Mitte des 18. Jahr-
hunderts Mitglied der churfürstl. sächsischen Hofkapelle in Dresden und als
Waldhornist sehr gerühmt. — Denselben Namen führte endlich noch Mat-
thäus H,, welcher um 1720 als Lauten- und Geigenmacher in Nürnberg thätig
war. — Ausserdem wird noch ein vorzüglicher Oboebläser, Johann Friedrich
H., genannt, der um 1746 als Kammervirtuose im Dienste des fürstl. Hofes zu
Anspach stand.
Hummel, Friedrich, tüchtiger deutscher Clarinettvirtuose , geboren am
18. Septbr. 1800 zu Memmingen bei Augsburg, erlernte die Musik als Lehr-
ling beim Augsburger Stadtmusicus. Im J. 1819 trat er als Hautboist in das
Begiment »König« zu München und hatte das Glück, von Bärmann unter-
richtet und ausgebildet zu werden. In gleicher "Weise wie seine Fertigkeit,
vergrösserte sich seitdem sein Ruf, und 1833 wurde er als Lehrer der Clari-
nette und Flöte in den Musikverein der "Universität zu Innsbruck gezogen.
Dort, sowie überhaupt in Tyrol Hess er sich mit dem grössten Beifall öffentlich
hören und unternahm auch 1836 eine grössere erfolgbelohnte Kunstreise über
Salzburg nach Prag, Zittau, Leipzig, Altenburg, "Weimar u. s. w., wo überall
sein Talent eine ehrenvolle Anerkennung fand. — Sein Bruder Tobias H.,
geboren am 13. Juni 1805 zu Memmingen, war ein Fagottschüler Bomberg's
und diente ebenfalls als Hautboist in dem Regiment »König«. Er verblieb je-
doch in München und wurde 1835 in der königl. Kapelle angestellt. Seine
Fertigkeit und Vortragsmanier galten für unübertrefläich.
328 Hummel.
Huiiiiiiel, Johann Julius, einer der angesehensten deutschen Musikver-
leger des 18. Jahrhunderts, geboren 1723 in Berlin, errichtete in seiner Vater-
stadt unter der Regierung Friedrich's des Grossen die erste grössere Musi-
kalienhandlung, mit welcher er nach und nach einen Verlag und eine Anstalt
für Notenstich und Druck verband. Er war u. A. der erste Herausgeber meh-
rerer Haydn'scher Sinfonien, die in einer für ihre Zeit Aufsehen erregenden
schönen Ausgabe erschienen. Für seine Umsicht und Thätigkeit war H. zum
königl. Comraerzienrath ernannt worden und starb als solcher am 27. Febr. 1798
in Berlin. — Sein Sohn und Erbe, Johann Bernhard H., geboren um 1760
zu Berlin, hatte eine vorzügliche musikalische Ausbildung erhalten und leistete
als Clavierspicler wie nicht minder als Componist Hervorragendes. Nach beiden
Seiten hin geschätzt, lebte er um 1797 als Musiklehrer in Warschau, kehrte
aber nach dem Tode seines Vaters zurück nach Berlin und führte dessen Ge-
schäft, auf Vergrösserung und gediegene Erwerbungen bedacht, weiter. Ob-
wohl er in seiner Stellung und mit seinen Kenntnissen einen wichtigen Faktor
im öffentlichen Kunstleben Berlins bildete, konnte er als Geschäftsmann der
praktischen Ausübung der Musik seitdem nur noch wenig Zeit widmen. Von
seinen Compositionen sind Sonaten für Ciavier allein und für Ciavier und
Violine, Variationen, Lieder u. s. w. im Druck erschienen.
Hummel, Johann Nepomuk, einer der ausgezeichnetsten, berühmtesten
Clavierspieler und vortrefflicher, wohlbewanderter Componist, wurde am 14.
Novbr. 1778 zu Presburg geboren und erhielt bei sich schon früh kund geben-
den ungewöhnlichen Anlagen den ersten musikalischen Unterricht durch seinen
Vater Joseph H., dem Musikmeister im Militärstift zu Wartenberg, wohin die
Familie um 1780 versetzt worden war. Singen und Clavierspiel zog der kleine
H. bald der Uebung im Violinspiel, zu welcher ihn sein Vater anhielt, vor.
Als letzterer nach Aufhebung jener Anstalt 1785 von Schikaneder als Or-
chesterdirektor nach Wien gezogen wurde, erregte des Knaben Talent und
Fingerfertigkeit Mozart's Interesse in dem Grade, dass er denselben unter seine
Leitung und sogar in sein Haus nahm. Zwei Jahre lang genoss H. diese
beneidenswerthe Schule und unternahm hierauf mit seinem Vater von 1788
bis 179.5 Kunstreisen durch Deutschland, Dänemark, England und Holland.
Zum Jüngling gereift, kehrte er endlich nach Wien zurück und machte nun
unter Albrechtsbergei'S besonderer Leitung und in Salieri's und Haydn's bil-
dend(!m Umgange seine fernere Schule im strengen Contrapunkt sowohl wie in
der freien Composition, deren Früchte verschiedene Ciavierwerke und Trios
waren, von denen jedoch nur die Sonate in Es-dur op. 13 und die Fantasie
op. 18 einen bereits hervorstechenden Kunstwerth bekundeten, während die
übrigen Sonaten, Rondos und ein Concert in 0-dur sich bald überlebten. ' ■
Als Kapellmeister trat H. 1803 in die Dienste des Fürsten Eszterhazy
und fand als solcher Anlass, sich auch in der kirchlichen und dramatischen
Musik zu versuchen. Seine erste Messe (B-dur) fand den vollen Beifall Haydn's,
und am Hoftheater in Wien, dem der Fürst um jene Zeit vorstand, kamen
auch einige dramatische Compositionen H.'s zur Auffuhrung. Im J. 1811 ver-
liess H. den fürstl. Dienst und widmete sich, ohne öffentlich aufzutreten, dem
Musikunterricht und der Composition. Es entstand u. A. die noch jetzt viel
gespielte nBella capricciosau und das grosse Rondo in A-dur mit Orchester-
begleitung, welches einen Wendepunkt in H.'s Claviei-compositionsart bezeichnet
insofern, als es einen Uebergang zu seiner späteren brillanten Setzweise bildet,
die für lange Zeit die Hauptnorm aller Pianofortemusik gebliel)en ist. — Erst
in Stuttgart, wohin er 1816 als Kapellmeister berufen wurde, trat er auch
wieder zögernd und zagend als Clavierspieler öffentlich auf, und zwar mit einer
das allgemeinste Staunen erregenden Meisterschaft und namentlich einer so
vollendeten Improvisationsgabe, gleichviel ob in freier, gebundener oder fugirter
Form , wie sie nach allen übereinstimmenden Zeugnissen wohl kaum jemals
vorgekommen ist. Gleichen Schritt mit seinem grossartigen Virtuosenruf hielt
Hummel. 329
sein ComponiBtenrulam, den er mit dem Clavierconcert in A-moll und mit dem
herrlichen Septett unverlöschbar begründete. Im J. 1820 ging er als Kapell-
meister nach Weimar und i'eiste 1822 im Grefolge der ihn hochverehrenden
Grossherzoijin Maria Paulowna nach Russland, wo er, unmittelbar beim kaiserl.
Hofe und dem höchsten Adel eingeführt, eine Aufnahme fand, wie sie gross-
artiger nicht gedacht und auch weder vorher noch nachher einem Künstler zu
Theil geworden ist. Auch fernerhin unternahm er grosse Kunstreisen und er-
füllte die ganze Musikwelt mit dem Grlanz seines Namens und seiner unver-
gleichlichen Kunst.
Schon in der ersten Zeit seines Aufenthalts in "Weimar entstand die schöne
Sonate in Fis-moll (op. 81), das Concert in H-dur (op. 89), das Quintett in
Es-dur (op. 87), die Trios in E- und Es-dur (op. 83 und 93), die vierhändige
Sonate in Äs-dur (op. 92) und die zweihändige in D-dur (op. 106), das Rondo
in B-dur (op. 99) u. v. a., lauter Compositionen, die in ihrer Art als muster-
gültig und nachahmungswerth gepriesen wurden. Im J. 1825 concertirte er
in Paris, wo er zum Ritter der Ehrenlegion ernannt wurde, 1826 in Belgien
und Holland, 1827 in Wien, wo er auch sein herrliches Concert in Äs-dur
zum ersten Mal hören liess, 1828 in Warschau und 1829 abermals in Frank-
reich und feierte überall wahrhaft unerhörte Triumphe. Ebenso besuchte er
1830 und 1833 England und leitete im letzteren Jahre eine Saison hindurch
die Oper in London. Von da an begann seine Gesundheit zu wanken, und
er musste sich im Kapellmeisteramt öfter wie je vertreten lassen, sowie den
Musikunterricht, dem er eifrig und erfolgreich zu jeder Zeit obgelegen hatte
(Ferd. Hiller und Ad. Henselt waren u. A. seine Schüler), auf das Aeusserste
beschränken. Statt auf Kunst- begab er sich nun auf Badereisen; sie halfen
ihm nur zeitweilig auf, bis er der Herzbeutelwassersucht unterlag. Er starb
am 17. Octbr. 1837 zu Weimar. - In H. erreichte ein Zweig Seb. Bach'scher
Kunst, der aufgezogen war durch Phil. Eman. Bach, Clementi und .1. B. Gramer,
und zu deren Klarheit, Correetlieit und harmonischen Tüchtigkeit der un-
mittelbar an Mozart und Haydn erwärmte H. das regere Gemüthsleben der
sogenannten Wiener Schule brachte, seinen Höhepunkt und Abschluss. Leiden-
schaftlichkeit hat H. nie entwickelt, wohl aber Schönheit und ruhige Klarheit
der Form, die immerhin noch als der bessere Theil der Kunst gelten dürfen.
Seine Erfahrungen und Grundsätze hat er in einer »grossen Pianoforteschule«
(Wien bei Haslinger) und in Studienstücken dargelegt, die freilich erst zu
einer Zeit erschienen, wo bereits eine neue Richtung sich gebieterisch Bahn
zu brechen begonnen hatte, und die nun nicht mehr die Bedeutung erlangen
konnten, die sie früher hätten beanspruchen können.
H.'s Compositionen bestehen ausser in Ciavierwerken aller Art mit und
ohne Begleitung, zwei- und vierhändig,, in den Cantaten »Das Lob der Freund-
schaft« und »Diana ed Endimionev, sowie in mehreren grossen kirchlichen und
dramatischen Werken. Letztere, die Opern »Z<? vicende d'amore«, »Mathilde
von Guise«, »Das Haus ist zu verkaufen« (einaktig), »Die Rückfahrt des Kai-
sers« (einaktig), das Feenspiel »Die Eselshaut« und die Pantomimen und Bal-
lets »Der Zaulaerring«, »Der Zauberkampf«, y> Paris et Selenea, »Das belobte
Gemälde«, »Sappho von Mitylene« waren ohne Erfolg, wogegen seine beiden
Messen (op. 80 und 111), welche wohl maassvoll im Satz gehalten, aber zu
lang sind, sodann ein Graduale und ein Oflfertorium (op 88 und 89), welchen
beiden es jedoch an kirchlichem Charakter gebricht, sich bis jetzt in den ka-
tholischen Kirchen Oesterreichs gehalten haben. Seine verdienstvollsten Werke
sind seine Sonate in Fis-moll, seine beiden Concerte in A-moll und H-moll,
das Septett und einige Trios, da sie einen bleibenden Kunstwerth in sich
tragen. — H.'s Sohn, Eduard H., geboren 1814 zu Wien, erhielt eine aus-
gezeichnete musikalische Erziehung und würde sich als Pianist und Componist
auch allgemeiner bekannt gemacht haben, wenn der Ruhm seines Vaters ihm
nicht hemmend entgegen getreten wäre. Er wirkte als Kapellmeister an
330 Humor — Humphrey.
mehreren bairischen und österreichischen Bühnen, so 1840 in Augsburg, bis
1872 in Troppau, darauf in Brunn und seit 1874 an der Komischen Oper
in Wien. Er lebt gegenwärtig wieder in Brunn.
Huinor (latein.) wird sowohl in physiologischer wie in psychologischer und
in ästhetischer Bedeutung gebraucht. Das lateinische Wort Jiumor heisst eigent-
lich Feuchtigkeit; die jetzt gangbare Bedeutung desselben aber ist Laune oder
Aufgelegtsein. Man sieht leicht, dass die letztere Bedeutung die psychologische,
die erstei'e die physiologische ist, und dass man zvs^ischen dem Physiologischen
und dem Psychologischen irgend einen Zusammenhang voraussetzte. Zu den
ältesten Versuchen, ihn durch den Einfluss zu erklären, den die Feuchtigkeit
oder Trockenheit auf den menschlichen Körper und die G-emüthsstimmung
ausübt, gehören die Systeme der griechischen Aerzte Hippokrates und Galenus.
Vorzugsweise von den Engländern behauptet man, dass sie im H. sich aus-
zeichnen, und wirklich ist vornehmlich durch englische Schriftsteller der Aus-
druck H. in Gebrauch und Umlauf gekommen. Lessing aber war der Erste,
der das Wort H. durch Laune übersetzte; jedoch erklärte er nachher, sehr un-
recht daran gethan zu haben; »denn«, sagte er, »ich glaube es unwidersprechlich
beweisen zu können, dass Humor und Laune ganz verschiedene, ja in gewissem
Verstände ganz entgegengesetzte Dinge sind. Laune kann zu Humor werden;
aber Humor ist, ausser diesem einzigen Falle, nie Laune«. Die neuere Aesthetik
hat den Begriff des H. in kunstphilosophischer Bedeutung noch genauer zu
fixiren gesucht. Darnach bezeichnet H. nicht blos eine zufällige Form der
Darstellung, sondern einen bestimmten Typus der Welt- und Lebensanschau-
ung, der in der Darstellung seinen entsprechenden Ausdruck sucht. Der Hu-
morist steht zwischen dem Komiker und Satyriker, nähert sich aber mehr
dem reinen Komiker durch seine Disposition, auch da noch lächeln und scherzen
zu können, wo Andere das Gesicht in düstere Falten ziehen. Es giebt für
den H. keine Thoren, sondern nur Thorheit und eine tolle Welt. Darum
findet er Welt und Menschen weder lächerlich noch abscheulich, sondern be-
dauernswerth, woraus sich jene milde Empfindsamkeit erklärt, welche den Hu-
moristen vor Anderen eigen ist und durch welche seine Stimmung bald zum
Elegischen herab-, bald bis zum Pathos hinaufsteigt.
Man vergleiche in dieser Beziehung den letzten Satz des Beethoven'schen
Septetts mit dem hier Gesagten. Bemächtigt sich der Gedanke an beide zu-
gleich der Seele des schaffenden Künstlers, so entsteht jene Ausgelassenheit,
in welcher der lebhafteste Witz sich sarkastisch in wunderlichen Combinationen
entladet. Ein musikalisches Beispiel hierzu bietet das Finale der siebenten
(Ä-dur-) Sinfonie ebenfalls von Beethoven, wie denn Beethoven in seinem tragi-
komischen Pathos in der Musik der grÖsste, ja vielleicht der einzige Humorist
ist, während z. B. Haydn vorwiegend die Laune und Ausgelassenheit reprä-
sentii't. Jene Stimmung aber, welche den H. von seiner ei'habenen Seite zeigt,
bei der von Naivetät keine Rede mehr sein kann, und um welcher erhabenen
Seite willen Jean Paul das Humoristische das »umgekehrt Erhabene« nennt,
darf gleichwohl nicht die vorherrschende sein , weil er sonst nur verwunden
würde, da er vielmehr heilen und aus der Entzweiung die Harmonie wieder-
herstellen will, wie sich eben in der Tonkunst nur bei Beethoven bestimmt
nachweisen lässt. Die humoristische Schönheit übrigens kann kaum eine
andere sein als eine solche, wobei der individuellen Freiheit ungleich mehr
Spielraum verstattet wird, als in Werken und Tonsätzen von regelmässiger
Schönheit.
Humphrey, Pelhara, englischer Contrapuuktist und Virtuose auf der Laute,
geboren 1647 zu London, gehörte zu den ersten Chorknaben, welche nach
Wiedereinführung der Kirchenmusik in England um 1660 dem Kapellmeister
Cook untergeben wurden. Im J. 1666 wurde er, da er seine Stimme verlor,
Mitglied der königl. Instrumentalkapelle und trat seitdem als Componist von
Anthems und anderen geistlichen Gesängen so bedeutungsvoll hervor, dass er
Hungarn — Hunt. 331
die Eifersuclit seines Lehrers erregte, nach dessen Tode 1672 H. in der That
zum Master of the children erwählt wurde. Jedoch starb er schon am 14. Juli
1674. Vorzügliche Compositionen von ihm finden sich in Boyce's nöatheäral-
Musica vind in der Sammlung »TÄe treasury of musicv., sowie im Anhang zu
Hawkin's Geschichte der Musik.
Hnug-arn, Gottfried, deutscher Componist, geboren in der zweiten Hälfte
des 17. Jahrhunderts zu Rochlitz, war Cantor zu Weissensee und hat unter
dem Titel »Musikalische Kirchenlust« u. s. w. (Gotha, 1690) geistliche Lieder
und Gesänge für zwei bis fünf Stimmen veröffentlicht.
Huug-er, Christoph Friedrich, deutscher Bogeninstrumentbauer des
18. Jahrhunderts, war ein Schüler des Geigenmachers Jaug in Dresden gewesen
und hatte seine "Werkstätte in Leipzig errichtet, von wo aus der Ruf seiner
vortrefflichen Violoncello und Altviolen, sowie seiner vorzüglichen Reparaturen
sich weithin verbreitete. Dagegen behaupteten seine Violinen und Contrabässe
nicht den gleichen Grad der Werthschätzung. H. starb 1787 zu Leipzig im
69. Lebensjahre.
Hung-er, Gottlieb Gottwart, deutscher Tonkünstler, geboren um 1736
zu Dresden, hatte neben seinen juristischen Studien in Leipzig eifrig Clavier-
und Flötenspiel sowie Composition getrieben und es zu bemerkenswerther Fer-
tigkeit gebracht, wie er denn auch als Flötist beim grossen Concert in Leipzig
angestellt war. Im J. 1768 wurde er Advocat und starb 1796 als Accise-
Inspektor zu Leipzig. Man kennt von seinen Compositionen "Weisse's »Kinder-
lieder« (Leipzig, 1772), sowie sechs nach seinem Tode erschienene vierhändige
Clavier-Polonaisen. Andere Ciaviersachen von ihm, Gesänge und Gelegenheits-
cantaten sind Manuscript geblieben.
Huug-ersberg:, Felix, der berühmteste deutsche Mandolinenspieler zu An-
fang des 16. Jahrhunderts, stand als Officier in den Diensten des Kaisers
Karl V. und wird in den Reisebüchern Albrecht Dürer's häufig mit Auszeich-
nung erwähnt.
Hnnn, Joseph, deutscher Ciavierbauer zu Ende des 18. Jahrhunderts,
lebte zu Berlin und erhielt für ein dem König Friedrich Wilhelm IL gelie-
fertes Fortepiano den Titel eines Hof-Clavierinstrumentenmachers, mit welchem
von 1797 an ein Jahresgehalt von 400 Thalern verbunden wurde. Sonst
waren seine Fabrikate selbst in Berlin nur wenig bekannt.
Hunnis, William, englischer Tonkünstler und Dichter des 16. Jahrhun-
derts, übernahm 1566 unter Eduard VI. die Direktion des Instituts der Chor-
knaben in London und führte dieselbe bis zu seinem Tode, welcher am 6. Juni
1597 erfolgte.
Hnuuins, Christi'an, deutscher Tonkünstler, geboren in der letzten Hälfte
des 16. Jahrhunderts zu Herbsleben -in Thüringen, war zu Anfang des fol-
genden Jahrhunderts Hoforganist zu Cronenburg in Dänemark und ist als
Componist geistlicher Gesänge bekannt geblieben. — Ein Arzt desselben Na-
mens, Friedrich Wilhelm H., lebte zu Ende des 18. Jahrhunderts zu Weimar,
woselbst er eine medicinische Schrift veröffentlichte, betitelt: »Der Arzt für
Schauspieler und Sänger«.
Hiiuolt, Christian Friedrich, ein musikkundiger deutscher Jurist, ge-
boren 1680 zu Wandersieben bei Arnstadt in Thüringen, prakticirte in Ham-
burg und lebte seit 1714 in Halle. Er ist der Verfasser einer Schrift über
das Orgelspiel. — Sein älterer Zeitgenosse, Georg H., aus Leisnig in Sachsen
gebürtig, war Inspektor zu Tangermünde in der Mark Brandenburg, wo er
am 3. Mai 1687 starb. Derselbe hat die zehn Gebote und die drei Artikel
des apostolischen Glaubensbekenntnisses in Reime gefasst und mit Melodien
versehen, herausgegeben.
Hunt, Arabella, berühmte englische Lautenvirtuosin und Sängerin zu
Ende des 17. Jahrhunderts, war die Gesanglehrerin der Prinzessin Anna von
Dänemark und der Königin Maria und starb im Decbr. 1705 zu London. Ihr
332 Hunt — Hurlebusch.
Haus war der Sammelpunkt der englisclien Schöngeister, und Blow und Purcell
componirten eigens Lautenstücke für sie, die für jeden anderen Virtuosen un-
ausführbar gewesen sein sollen. Von Congreve wurde in einer Ode auch ihre
seltene Schönheit besungen. — In derselben Zeit, um 1700, lebte ein Com-
ponist, Thomas H., ebenfalls in London, von dem sich einige fünfstimmige
Gesänge in dem Sammelwerk y>The triumph of Orianaa befinden.
Hnnt, Karl, bedeutender deutscher Violinvirtuose und Componist, geboren
am 27. Juli 1766 zu Dresden, erlernte seit 1770 sein Instrument bei seinem Vater,
dem kurfürstl. sächsischen Kammermusicus Franz H., und studirte seit 1776
Composition bei Seydelmann. Am 10. Aug. 1783 wurde er als erster Violinist
der Hofkapelle in Dresden angestellt und schrieb viele Violinconcerte (worunter
auch Doppelconcerte), Streichquartette, mehrere Kirchen- und zehn andere Sin-
fonien, über 50 Einlagestücke in Opern, die Operette »Das Denkmal in Ar-
cadien«, Lieder und Ciaviersachen, was Alles von einem hervorragenden Com-
positionstalent Zeugniss ablegt.
Hnpfeld, Bernhard, geschmackvoller deutscher Violinvirtuose und guter
Musiklehrer, geboren am 24. Febr. 1717 zu Kassel, machte den Anfang im
Violinspiel als Hof -Sängerknabe (1729 bis 1733) unter Anleitung Agrell's.
Der schwedische Graf von Hörn nahm ihn 1734 mit nach Wien und Ungarn,
von wo 1736 zurückgekehrt, H. bei Agrell Composition studirte. Schon 1737
stellte ihn der Graf von Wittgenstein als Musikdirektor an und 1740 wurde
er Kapellmeister des österreichischen Regiments Waldeck. Als solcher schrieb
er ungedruckt gebliebene Quartette, Terzette, Arien, zwölfstimmige Sinfonien
u. s. w. Mit guter Gelegenheit reiste er 1749 nach Italien und studirte unter
Domenico Ferrari zu Cremona und unter Trauquillini zu Verona das höhere
Violinspiel, sowie unter Barba die Tonsetzkunst. Zum Direktor der fürstl.
Waldeck'schen Kapelle in Arolsen 1751 ernannt, componirte er Violinsolos und
Trios, Flötenconcerte, Ciaviersonaten und sechs Sinfonien, die im Druck er-
schienen, ausserdem noch Vocalsachen. Als Concertmeister war er 1753 beim
Grafen von Sayn-Wittgenstein-Berleburg und folgte endlich 1775 einem Hufe
als TJniversitäts- Musiklehrer und Concertmeister nach Marburg, wo er 1794
starb. Bis zuletzt war er als Violinspieler und auch als Gesanglehrer sehr
geschätzt; als Componist dagegen verschwand er unter der Menge hervor-
ragender begabter Zeitgenossen.
Hnrka, Friedrich Franz, einer der vorzüglichsten Tenorsänger des 18.
Jahrhunderts, auch als Liedercomponist, Gesanglehrer und Violoncellist überaus
beliebt, wurde am 23. Febr. 1762 zu Merklin iu Böhmen geboren und sang
schon früh im Chor der Kreuzherrenkirche in dem benachbarten Prag als
Altist, während ihm Biaggio Gesangunterricht ertheilte. Als seine Altstimme
sich in einen schönen Tenor verwandelt hatte, ging er 1784 nach Leipzig auf
die von Bondini geleitete Bühne. Als Kammersänger kam er 1788 nach Schwedt,
hierauf nach Dresden und 1789 nach Berlin, wo er am 10. Decbr. 1805 starb.
In Berlin ist er seltener in der Oper, als in Concerten aufgetreten, wie er denn
auch dem sogenannten grossen Concerte im Gasthof zur Stadt Paris als Di-
rektor vorstand. Seine Stimme, an und für sich schon durch Klangschönheit
berückend, war vorzüglich geschult und im Coloraturgesang wie in der Can-
tilene unvergleichlich. Als Componist zahlreicher Lieder hatte H. ebenfalls
bedeutenden Ruf und grosse Beliebtheit; seine Oper »Das wüthend.' Heer«
dagegen hat nur einen geringen Erfolg gehabt. Ausserdem hat er noch eine
Cantate und Kanons geschrieben.
Hnrlebasch, Heinrich Lorenz, tüchtiger deutscher Orgelvirtuose, ge-
boren am 8. Juli 1666 zu Hannover, studirte Ciavier- und Orgelspiel nach
einander unter Kniller, Coberg und Ehrenstein, worauf er in Braunschweig
Organist an der St. Magnikirche, dann nach Delphin Strunck's Tode 1694 an
der Martins- und Egidienkirche und endlich an der Katharinenkirche wurde.
Seinem Orgelspiel soll Fertigkeit im hohen Grade eigen gewesen sein, Tiefe
Hurtado — Hus-Deßforges. 333
aber gemangelt liaben. — Sein Sohn und Schüler, Konrad rriedrich H.,
geboren 1696 zu Braunscbweig, empfing seine höhere musikalische Ausbildung
seit 1714 in Hamburg und zwei Jahre später in Wien. Hier fehlte es ihm
nicht an tonkünstlerischer Anregung, und noch ehe er 1718 seine Kunstreise
nach Italien antrat, zählte er schon zu den fertigsten Clavierspielern seiner
Zeit, Während seines an Ehren reichen dreijährigen Aufenthalts jenseits der
Alpen verfasste er u. A. eine Abhandlung über die Harmonie, welche er aber
erst 1726 in Braunschweig vollendete. Von Italien aus besuchte er 1721 zu-
nächst München, wo man ihn nach mehreren Concerten am Hofe vergebens zu
fesseln suchte, dann das übrige Deutschland. In Folge seiner Oper nL'inno-
cenza difesav. wurde er 1722 als Hofkapellmeister und Organist nach Stockholm
berufen; da man ihm aber die letztere Stelle schliesslich vorenthielt, so reiste
er 1725, nachdem er noch die Oper y>Ärmenio<i. vollendet und aufgeführt hatte,
nach Braunschweig zurück. Ein Jahr später folgte er einem Rufe nach Bai-
reuth, sodann nach Dresden als Kapellmeister, gefiel sich aber in beiden Stel-
lungen nicht und siedelte 1727 nach Hamburg über, wo er als Musiklehrer
privatisirte und fleissig componirte, so u. A. Cantaten und Festmusiken, die
Oper y>Flavio Cunibertoa, zahlreiche Gesänge, aber auch viele Instrumental-
sachen, namentlich für Ciavier, Orgel u. s. w. Eine Stelle als Organist der
dortigen St. Petrikirche, die ihm 1735 winkte, lehnte er ab, da er weder die
gebräuchliche Probe spielen, noch die Wahlherren um ihre Stimme besonders
ansprechen wollte. Dagegen nahm er um 1738 das Organistenamt an der refor-
mirten Kirche in Amsterdam an. Am Leben war er dort noch 1762, aber
schwer geplagt vom Chiragra, so dass er kein Amt mehr versah. Ein Choral-
buch und mehrere Claviercompositionen sind die einzigen Arbeiten von ihm,
welche in Holland erschienen. H. war ein zierlicher Ciavier- und guter Orgel-
spieler, auch als Componist nicht ohne Talent und Erfindung, allein sein fah-
riges, dennoch mit grossem Selbstbewusstsein gepaartes Wesen hat ihn nur
ausnahmsweise über eine beklagenswerth oberflächliche Behandlung . hinaus-
kommen lassen.
HartadO) Tomas, musikgelehrter spanischer Priester, geboren 1589 zu
Toledo, verfasste als Canonicus des dortigen Minoritenordens die Abhandlung:
y>De chori ecclesiastici antiqidtate^ necessitate et fructibus^. Er starb als Präpo-
situs seines Ordens 1659 zu Sevilla.
Hus-Desforges, Pierre Louis, einer der ausgezeichnetsten französischen
Violoncellovirtuosen und geschmackvoller Componist für sein Instrument, ge-
boren am 14. März 1773 zu Toulon, war von mütterlicher Seite her ein Enkel
des berühmten Violinisten Jarnowich. Mit acht Jahren kam er als Chorknabe
an die Kathedrale von La ßochelle und erhielt einen guten musikalischen
Unterricht. Im J. 1792 trat er als Trpmpeter in ein Jägerregiment und machte
die ersten Bevolutionskriege mit. Vier Jahre später nahm er eine Violon-
cellistenstelle im Orchester des Theaters zu Lyon an, ging aber bald darauf
auf das eben gegründete Pariser Couservatorium , wo er bei Janson dem Ael-
teren die höheren Violoncellostudien machte und gleichzeitig im Orchester des
Theätre des irotibadours wirkte. Ende 1800 reiste er als Orchesterchef einer
französischen Schauspielergesellschaft mit nach St. Petersburg, wo er mehrere
Jahre verblieb. Seit 1810 befand er sich auf Concertreisen in den franzö-
sischen Provinzen und nahm 1817 wieder seinen bleibenden Aufenthalt in
Paris, wo er als erster Violoncellist in das Orchester des Theaters der Forte
St.-Martin trat. Im J. 1820 errichtete er in Metz eine Musikschule, die jedoch
nicht prosperirte, weshalb er bald nach Paris zurückkehrte und dort anfänglich
privatisirte. Endlich, 1828, trat er als Orchesterchef zum Theater des Gymnase
dramatique, legte aber diese Stelle nothgedrungen schon 1829 wieder nieder,
da mau ihn als den Direktionspflichten nicht gewachsen erklärte. Er nahm
hierauf die Stelle eines Musiklehrers an der Schule zu Pont-le-Voy bei Blois
an und starb als solcher am 20. Jan. 1838. Seine ehemals in Prankreich sehr
334 Hustache — Huygliens.
beliebt gewesenen Compositionen bestehen in Concerten, Sonaten, Variationen,
Duos für Violoncello, Streichtrios iind Quintetten, sowie einer concertirenden
Sinfonie für Violine und Violoncello. Ebenso ist er der Verfasser einer Vio-
loncelloschule.
Hustache, Claude Theodor, französischer Tonkünstler und Componist,
geboren am 16. Febr. 1821 zu Gray, studirte Claviersjjiel und Compositiou
auf dem Conservatorium zu Dijon, in welcher Stadt er sich auch als Musik-
lehrer niederlies. Er hat von seiner Composition Pianofortesachen und Ro-
manzen veröffentlicht.
Hut (latein.: pilea) nennt man den beweglichen Deckel auf dem gedeckten
zinnernen Pfeifenwerke der Orgel (s, Orgel und Gedakt). Statt des Aus-
drucks H. gebraucht man auch die Bezeichnungen Büchse, Haube, Deckel,
Deckung, Kappe oder Stülpe. Die Benennungen Kappe oder Büchse sind in
der Fachsprache der Orgelbauer mehrdeutig; die übrigen Nameii aber beziehen
sich nur allein auf den Körper.
Huth, Louis, gewandter deutscher Tonkünstler, geboren um 1810 im
Mecklenburg'scheu , lebte anfangs in Berlin als Orchester- Violoncellist und seit
1835 als Musiklehrer. Im J. 1843 ging er als fürstl. Theaterkapellmeister
nach Sondershausen ab, übernahm aber schon 1845 das Theater in Potsdam
auf eigene Rechnung und führte dasselbe bis 1849, wo ihn die ungünstigen
Zeitverhältnisse zum Rücktritt nöthigten, in trefilicher Art. Er lebte hierauf,
Musikunterricht ertheilend, in Potsdam und Hannover, später in London, wo
er 1859 starb. H.. war ein begabter Gesangs-, besonders Liedercomponist;
sein »Hindumädchen« und »Der Reiter und sein Liebchen« waren längere Zeit
hindurch in ganz Deutschland gesungene Artikel. An grösseren Werken hat
er das Ox'atorium »Die Apostel am Pfiugsttage« und die Opern »Golo und
Genoveva« und »Bellarosa« geschrieben.
Hutscheuruyter, Wilhelm, geschickter holländischer Tonkünstler, geboren
am 28. Decbr. 1796 zu Rotterdam, erhielt mit sieben Jahren von dem Musik-
meister Dahmen Violinunterricht; später lernte er Waldhorn und Trompete
und wurde als junger Mann schon im Stadtorchester, sowie im Musikcoi-ps der
Bürgergarde zu Rotterdam angestellt, in welchen Corporationen er 1822 zum
Kapellmeister aufrückte. Von achtem Kunsteifer beseelt, begründete er 1826
das zu grosser Bedeutung für das ganze Land herangewachsene Conccrtinstitut
y)Eriidifio musicaa und erhielt für seine Verdienste im Laufe der Zeit viele
Auszeichnungen, u. A. 1858 den Orden der Eichenkrone. Rotterdam hat der
auch als Mensch hochgeachtete Künstler niemals bleibend verlassen und widmet
sich, obgleich hochbetagt, auch noch gegenwärtig der Direktion seiner Militär-
kapelle und eines Kirchenchors. Für die erstere hat er viele Harmoniemusik-
sachen theils componirt, theils arrangirt, dann aber auch für grosses Orchester
Sinfonien und Ouvertüren geschrieben. Ausserdem zählen eine Oper r>Le roi
de Bohemen, viele grössere und kleinere Kircheustücke, mehrstimmige Gesänge
und einstimmige Lieder zu seinen Compositionen. Reiner Satz zeichnet alle
seine Arbeiten vortheilhaft aus.
Huttari, Jacob, vortrefflicher Violinist des 18. Jahrhunderts, geboren zu
Schüttenhofen in Böhmen, wurde zu den besten Vertretern seines Instruments
im ganzen Lande gerechnet und starb im J. 1787 zu Prag. Auch seine
Compositionen für Violine wurden als werthvoU und geschickt gearbeitet
gerühmt.
Hnyghens, Constantin, berühmter holländischer Dichter und auch in der
Musik sehr erfahren, im Haag 1596 geboren, war Rath und Secretär des Prinzen
von Oranien und starb am 28. März 1687. Musikalisch ist er durch seine
anonym im Druck erschienene Abliandlung zur Klarstellung der Frage, ob
Instrumente in der Kirche zu dulden seien (Haag, 1641), sowie durch seine
Schrift »Orgelgebrüyk in de Kcrke der vereenigtc Nederlande« (Amsterdam,
1660) bemerkenswerth. — Sein Sohn war jener Christian H., den man als
Huzler — Hyller. 335
einen der grössten Forscher und Entdecker auf den Gebieten der Mathematik,
Physik und Astronomie rühmt. Geboren am 14. April 1629 im Haag, studirte
derselbe seit 1649 in Leyden und gab sich, nachdem er grosse Reisen nach
Dänemark, Frankreich und England gemacht hatte, in seinem Vaterlande in
grösster Zurückgezogenheit seinen grossartiges Aufsehen erregenden Forsch-
ungen und Entdeckungen hin. Er starb am 8. Juli 1695 im Haag und hinter-
liess u. A. auch die musikalisch werthvoUe Schrift y>Novus eyclus harmonicus«,
welche sich in der von Gravesande besorgten Ausgabe seiner Werke (4 Bde.
Leyden, 1724; Amsterdam, 1728) befindet. In derselben beweist er mit vielem
Scharfsinn, warum die Quintenfortschreitungen falsch seien.
Hnzler, Johann Adam, ein geschickter deutscher "Waldhornbläser, war
um 1770 Stadtmusicus zu Nürnberg und lebte daselbst noch im J. 1795.
Seine beiden Söhne bildete er selbst zu Meistern auf seinem Instrumente aus.
— Von diesen musste der ältere, Johann Sigmund H., geboren 1772 zu
Nürnberg, schon früh an der Seite seines Vaters im Orchester zu Tanz und
Aufführungen mitwirken. Im J. 1807 wui'de er in der neuen königl. west-
phälischen Kapelle zu Kassel angestellt, war aber nicht lange mehr wirksam,
da er schon im Sommer 1808 starb. An Corapositionen hinterliess er einige
Hornconcerte und Quartette, eine Cantate, »Frühlingsweihe der Hirten«, die
grosse Oper »Samora« und die dramatische Idylle »Die Laube«. — Sein jün-
gerer Bruder, Johann Ludwig H., geboren 1780 zu Nürnberg, war ebenfalls
lange Zeit hindurch ein tüchtiger Waldhornist, warf sich später aber mit Vor-
liebe auf die Oboe, auf welcher er sich nicht minder ausgezeichnet haben soll.
Er scheint übrigens Nürnberg nicht verlassen zu haben und dort auch ge-
storben zu sein. — Ein Sohn Johann Sigmund's, nämlich Karl H., lebte
nach dem Tode seines Vaters als Waldhornist und Violinist zu Königsberg in
Preussen, wendete sich aber um 1816 dem Studium der Sprachen und Realien
zu und starb 1835 als Conrector der Bürgerschule daselbst,
Hyacintliia oder Hyacinthien nannten die Griechen das dreitägige Fest,
welches, am längsten Tage des Jahres beginnend, in Sparta und zunächst in
Amyklä dem Liebling des Apollon, Hyacinthus, zu Ehren gefeiert wurde. Es
wurde durch Absingung von Hymnen mit Begleitung von Flöten oder einigen
Saiteninstrumenten, sowie durch andere festliche Spiele mit grossem Pomp be-
gangen und erhielt sich noch bis in die römische Kaiserzeit hinein. Eine ein-
gehende Beschreibung der H. hat Athenäus geliefert.
Hyagnis, der älteste griechische Flöten bläser, Vater des unglücklichen
Marsyas, lebte ungefähr 1500 v. Chr. Er soll die Doppelflöte erfunden und
die bisherige Flöte und das Flötenspiel wesentlich verbessert haben. Plutarch
behauptet sogar, dass er die Kunst des Flötenspiels überhaupt erst erfunden
habe. Auch soll er der Leyer des Hermes (Mercurs) die sechste Saite hin-
zugefügt haben. Burmaun in der Ausgabe von Ovid's Metamorphosen (lib. IV.
400) will ihn Oeagnis genannt wissen, steht aber mit dieser Behauptung ver-
einzelt da.
Hycaert, s. Ycaert.
Hyde, englischer Trompetenvirtuose, galt in der Wendezeit des 18. und
19. Jahrhunderts für den grössten Meister seines Instruments im ganzen
Inselreich.
Hydraulos (griech.: vÖQavlog), d. i. Wasserflöte, ist die griechische Bezeich-
nung der hydraulischen Orgel oder AVasserorgel (s. d.).
Hye, Madame de la, französische Componistin, Lehrerin des Pianoforte-
und Orgelspiels, eine Grossnichte J. J. Ronsseau's, lebte und wirkte zu Paris,
wo sie im Novbr. 1838 starb. Sie hat Messen und andere geistliche Stücke,
sowie Opern, Ciavier- und Orgelsachen, Romanzen u. s. w. componirt, ausserdem
über Harmonie und Contrapunkt und eine Clavierschule geschrieben. Die letz-
teren Wei-ke sind jedoch Manuscript geblieben.
Hyller, Martin, musikkundiger deutscher Theologe, geboren am 28. Septbr.
336 Hymaeos — Hymnos.
1575 zu Striegau in Schlesien, ist der Verfasser eines y>Eneo7nium musicesa
Er starb 1651 als Consistorialratli zu Oels.
Hymaeos (griech.), dasselbe was Epimylion (s. d.), nämlich ein Müllerlied.
Hyiuber, Werner, Componist und guter Violinist, geboren 1734 zu Jech-
nitz in Böhmen, trat 1755 in den Orden der barmherzigen Brüder und war
1796 Musikdirektor im böhmischen Kloster Kukusen. Er war zu seiner Zeit
vortheilhaft als Componist von Messen und anderen Kirchenwerken, sowie von
Sinfonien und Violiuconcerten bekannt.
Hymeu oder Hymenaeos (griech.) hiess eigentlich der Hochzeitsgesang,
den die Begleiter der Braut oder angestellte Chöre von Knaben und Jung-
frauen sangen, wenn diese aus dem väterlichen Hause in das des Bräutigams
geführt wurde, dann in späterer Zeit erst personificirt der Hochzeitsgott selbst,
der als geflügelter bekränzter Knabe mit einer Brautfackel und einem Schleier
in den Händen dargestellt wird. Gleichbedeutend mit dem Hochzeitsgesang H.
ist das Epithalamion (s.d.),
Hymnerophon (aus dem Griech.) nannte der dänische Mechaniker Riffelsen
zu Kopenhagen ein von ihm im J. 1812 erfundenes akustisches Instrument,
das eine sehr bedeutende Variation der Chladni'schen und ihnen ähnlicher Er-
findungen zu sein scheint. Es besteht aus grossen Bleigabeln, welche durch
Tangenten in Bewegung gesetzt werden und messingene Scheiben berühren,
die auf einer durch ein Schwungrad in Bewegung gesetzten Walze befestigt
sind und auf diese Weise die Töne hervorbringen.
Hymui saliares (latein.) waren die aus der ältesten Zeit stammenden Ge-
sänge der Römer, welche die Salii oder Priester des Mars absangen, wenn sie
am ersten Tage des Maimonats als am Feste des Kriegsgottes mit den dem-
selben geweihten heiligen Geräthschaften tanzend (latein.: salire, d. i, hüpfen)
dui'ch die Strassen der Stadt Rom zogen.
Hyuiuolog'le (aus dem Griech.) nennt man die Kenntniss der Kirchenlieder
und Kirchenlieddichter, welche letztere insbesondere auch Hymnologen heissen
(s. Kirchenlied).
Hymnos (latein : hjmnus, Italien.: Inno) oder Hymne nannten die Griechen
von Alters her einen Preis- oder Lobgesang, welcher zu Ehren der Götter
oder Heroen bei feierlichen Opfern und Festen, oft mit Begleitung der Instru-
mentalmusik, bisweilen auch unter feierlichen Tänzen, gesungen wurde und nach
den Gottheiten verschiedene Namen und Charaktere, z.B. Dithyrambus (s.
d.), Päan (s. d.) u. s. w. erhielt; dann aber auch überhaupt jedes Loblied oder
jede Ode, worin ein übersinnlicher oder vorzüglich erhabener Gegenstand im höheren
Schwünge der Kunst besungen wird. Der Hymnengesang ist uralt und bei
allen Völkern, die eine ausgebildetere Gottesverehrung hatten, ein integrirender
Theil derselben gewesen. Die herrlichsten Muster dieser Gattung religiöser
Poesie liefern die Psalme der Hebräer, da sie dem morgenländischen Charakter
und ihrer Religion zufolge noch feuriger und religiöser als die Hymnen der
Griechen sind. Letztere waren früher fast ganz episch, wie z. B. die unter
dem Namen des Homer bekannt gebliebenen; sie erzählten die Mythen der
Götter und gaben von ihnen wie von den Thateu der Menschen eine anschau-
liche Schilderung. Die späteren griechischen Hymnen, wie die des Pindar
und Kallimachus, sind schon mehr lyrischer Art (s. Lyrik). Die christlichen
Hymnen sind unmittelbar aus den Psalmen der Hebräer hervorgegangen, welche
letztere die erste Kirche zugleich mit aller Pietät conservirte. Sie sind
grössttntheils ganz lyrisch und sprechen, hervorgegangen aus dem frommen
Drange, dem Herrn ein neues Lied zu singen, das Gefühl des Menschen aus,
der sich zu dem Unsichtbaren erhebt. In dieser Art sind sie der Ausdruck
der verschiedensten Stimmungen des menschlichen Herzens. Der Apostel
Paulus unterscheidet schon zwischen Psalmen, Lobgesäugen (vfipoi) und geist-
lichen Liedern, und die Kirche sauctionirte dem entsprechend die Psalme,
Hymnen und Cantica und beechräukte die ersteren auf den bekannten Psalter
Hymnos. 337
David's, bezeichnete mit Gantica die übrigen psalmenartigen G-esänge der Bibel
(so im alten Testament z. B. das Canticum Moysis, das Ganticum trimn puero-
rum, das G. Mzechiae u. s. w. , aus dem neuen Testament das G. riMagnificata,
y^Benedictus« und 'nNunc dimittisa) und gab nur den vom apostolischen Zeitalter
an neu hinzugekommenen Gesängen, welche mit den Bitten Lobgesänge ver-
einigten, den Namen Hymnen. In der morgenländischen (griechischen) Kirche
wird der Bischof Hierotheus (s. d.), in der abendländischen (lateinischen)
der heil. Hilarius von Poitiers (s. d.) als der erste angenommen, welche
schon im 4. Jahrhundert Hymnen eigens für den gottesdienstlichen Gebrauch
verfasst haben. Aber erst durch den heil. Ambrosius, der theils seibat neue
verfasste, theils schon vorhandene aufnahm, wurden sie direkt in das Officium,
und zwar zunächst der mailändischen Parochie, eingeführt. Das Ansehen des
Ambrosius als Hymnendichter war so gross, dass man neben den von ihm
selbst verfertigten auch die hinsichtlich des Sylbenmaasses ihnen nachgebildeten
Hymnen anderer geistlicher Dichter Ambrosianische Hymnen nannte und der
Ausdruck nAmbrosianusa zuweilen gleichbedeutend mit nHi/jnnus«. gebraucht
wurde. Auch das berühmte r>Te deiim laudamusa heisst y^ Hymnus Ämhrosia7ius<s.
(der Ambrosianische Lobgesang), wiewohl er erweislich nicht von Ambrosius
verfasst ist (s. Ambr osianischer Lobgesang). Der Gebrauch der Hymnen
in der f^ mischen Kirche wurde durch das vierte Concil zu Toledo im J. 633
verordnet; in der römischen Lithurgie kommen sie erst im 10. Jahrhundert
vor, und in den deutschen Kirchen scheinen sie nicht vor Ende des 13. Jahr-
hunderts gebräuchlich gewesen zu sein. Einige Parochien, z. B. die von Lyon,
haben bis heutigen Tages den Ausschluss der Hymnen aus dem Officium fest-
gehalten.
Die römische Kirche hat im Tagesofficium eben so viele Hymnen, als
dieses Hören oder Stunden in sich fasst, nämlich sieben; jedoch ist ihr Platz darin
verschieden. Im Matutin (s. d.) folgt der H. alsbald nach dem Invitatorium,
in den Lau des (s. d.), in der Vesper imd Complet nach den Psalmen, wobei
nur eine kurze Lesung, das Capitel, eingeschaltet ist (gemäss der Anordnung (?)
des Apostels: psalmi, hymni, cantica). In den kleineren Hören hat der H.
seinen Plr z vor den Psalmen. Ausser dem Officium hat man noch bei anderen
kirjhiich. a Handlungen Hymnen zu singen, z.B. bei der Priesterweihe (y>Veni,
Creator piritus«), bei der Benediction mit dem AUerheiligsten (i>Pange liiigum),
bei Prozessionen u. s. w. Durch Hymnen angesungen wird überhaupt nicht
allein der dreieinige Gott, sondern auch die Jungfrau Maria und alle Heiligen
einzeln oder insgesammt. Ueber die Anwendung der Hymnen für jede Festzeit
vollinhaltlich, oder mit weggelassenen oder veränderten Schlussformeln, mit
Orgelbegleitung oder ohne dieselbe giebt das JDirectorium chori (s, d.) Auf-
schluss. Was den musikalischen Theil der christlichen Hymnen betrifft, so
sollen sie Muster des Ausdrucks frommer Stimmung in Tönen sein; ihre Me-
lodie hält gleichen Schritt mit dem erhabenen Schwünge der Verse und dient
nur um so mehr dazu, das Wort zu verklären. Sie werden daher meist mit
figurirter Musik gesungen, denn die langsame und gleichförmig fortschreitende,
oft auch im Singen gedehnte Melodie des Chorals würde den feurigen Flug des
H. hemmen. Die älteren Hymnen haben in der Regel eine Note über einer
Sylbe, nur am Ende der Textzeile findet sich zuweilen ein Neuma (s. d.). An
der Absingung der Hymnen betheiligte sich stets der ganze Chor.
Die vorzüglichsten Hymnendichter oder Hymnologen der katholischen Kirche
von den ältesten christlichen Zeiten an, wo mau noch in Prosa dichtete und
den freien Psalmbau der Hebräer zum Muster nahm, bis zum 15. Jahrhundert,
wo das feste Metrum und der Strophenbau der Griechen und Römer, ja sogar
der Reim längst gültige Regel war, sind aus dem »Lexikon der kirchlichen
Tonkunst, herausgegeben von P. Utto Kornmüller« (Brixen, 1868) im Folgenden
zusammengestellt. Die Nachrichten über die Gesänge des apostolischen Zeit-
alters, heisst es daselbst, sind dürftig; es ist aber schon durch mehrere bekannte
Muailral. Conveis. -Lexikon. V. 22
338 Hymnos.
Stellen des Apostels Paulus (Coloss. 3, IG; Ephe«. 5, 18; 1. Cor. 14, 26)
unzweifelhaft, dass ausser den alttestamentlichen Gesängen auch von Anfang
an neue Lieder in den christlichen Versammlungen gesungen wurden. Im
2. Jahrhundert nennt man als Hymnendichter den Märtyrer Athenogenes (ge-
storben 169) und Clemens von Alexandria. Im 3. Jahrhundert findet sich
bereits ein grosser Reichthxim an H., uud als vorzüglicher Dichter derselben
wird der ägyptische Bischof Nepos gerühmt. Mit dem 4. Jahrhundert beginnt
ein mächtiger Aufschwung der christlichen Poesie, veranlasst durch die damals
erfolgte Befestigung der neuen Lehre, sowie durch die Bestrebungen der Hä-
retiker, die gerade durch Gesänge ihre Dogmen in das Volk zu bringen suchten.
Ihnen stellte sich Chrysostomos mit Gesängen orthodoxen Inhalts schroff gegen-
über. In der morgenländisclien Kirche zeichnete sich in derselben AVeise be-
sonders der heil. Ephraem aus. Bei den Griechen ist aber bereits ein Verfall
der Hymnendichtung bemerkbar, obwohl derselben Gregor von Nazianz, Synesios,
Bischof von Ptolemais (5. Jahrhundert), Andreas, Erzblscliof von Kreta (ge-
storben 724), Germanus, Patriarch von Koustantinopel, Johannes Damascenus
u. V. A. ihre Kräfte widmen.
Als eigentlicher Begründer des lateinischen Hymnengesanges ist der heil.
Hilarius (s. d.), gestorben 3G8, zu betrachten, obwolil die ihm zugeschriebene
Sammlung von anderen Verfassern herrülirt. Den sogenannten englischen
Lobgesang y>Gloria in excelsis«, welcher in der Messe gesungen wird, übertrug
er aus dem Griechischen. Dem Papst Damasus, gestorben 384, werden auch
zwei Hymnen zuerkannt: y>Deus sacrata nominisa, dem heil. Andreas, und «Mar'
tyris ecce diesa, der heil. Agatha zu Ehren gedichtet. Des heil. Ambrosius
Bedeutung für den Hymnengesang, die bis in die Gegenwart reicht, ist weiter
oben anerkannt. Er gilt für den Dichter und Sänger folgender Loblieder:
y>Aeterne verum conditora; y>Äd regias agni dajjcsa; nAeterna coeli gloria«; y>Äeterna
Christi munerav.; y>Au7'ora jam spargit polumv; r> Aurora coelum purpuratu ; t>Con-
sors paterni luminisa; y>Oreator ahne sideruma; y>Deus tuorum milituma; y>En
clara voce redarguitv. ; y>Ex more docti mysticon; yiHominis superne conditora;
y>Jam Christus astra ascenderatv. ; y>Jam lucis orto sideren; y>Jam soL recedit igneusa;
■nJesu Corona celsiorfs.; r>Jesu corona virginuma; »Immense coeli conditorn; nLucis
Creator optime«; y^Magnae deus potentiaea; -nNox atra rerum contegiti; y>Rerum
Creator omniuma; y>Rex sempiterne coelitum«; »Salutis humanae sator«; »Somno
refectis artubus«; »Splendor paternae gloriaea; »Summae parens clementiaev. ; . »Te
lucis ante terminuma; »Telluris ahne condifora; y>Te trinitatis veritas« ; »Verbum
supernum prodiens e patrisu u. s. w. Der heil. Augustin ist hier zu erwähnen,
weil er zu »Ad perennis vitae fontemv. den Stoff lieferte (Medit. S. August.
cap. 25), der später, vielleicht durch Peter Damiani, verarbeitet worden ist.
Sicherer wird ihm das JPraeconium paschale »Exultet jam angelicis choris« am
Charsonnabend zugeschrieben, und der Osterhyninus »Cum rex gloriaev. ist ganz
aus seinen Schriften entnommen. Dem 5. Jahrhundert gehört noch ausserdem
der mit Recht gefeierte Hymnolog Aurelius Prudentius Clemens aus Saragossa
in Spanien (gestorben 412) an. Aus seiner Sammlung von Liedern auf alle
Tage (Liber cathemerinon) und aus seinen Gesängen auf die heiligen Märtyrer
(Liber perisfephanon) hat die römisch katholische Kirche ungefähr 14 Hymnen
wohl nicht ohne Abänderungen aufgenommen, z.B. »Ales diei nuntiusa ; »Lux
ecce surgit aureav.; »Salvete flores martyrumK ; »O sola magna urbiuma; »Quicun-
que Christum quaeritisu u. A. Sein Zeitgenosse ist der wahrscheinlich schot-
tische Presbyter Sedulius (gestorben 430), Verfasser eines grösseren (Opus
paschale) und zweier kleineren Gesänge, von welchen einer die Geschichte Jesu
in 23 Strophen erzählt, deren jede mit einem anderen Buchstaben des Alpha-
bets beginnt. Hieraus sind die zwei Hymnen »A solis ortus cardinea und
»Hostis Herodes impiea für Weihnachten und Epiphanias entlehnt.
Im 6. Jahrhundert ist es zunächst Venantius Fortunatus aus Oberitalien,
gestorben um 600 als Bischof von Poitiers, von dessen Hymnen mehrere die
Hymnos. 339
kirchliche Sanction erlangt haben, z. B. y>Pange lingua gloriosi certaminisa;
y>Vexilla regis prodeunta; y> Salve festa dies«; y)Qu,em terra pontus sideraa; ^^Ag-
noscat omne saeculum«. Vor Allen aber glänzt Papst Gregor I., der Verbes-
serer des Gottesdienstes und Kirchengesanges (regierte von 591 bis 604), auch
als Hymnendichter; seine bekanntesten derartigen Lieder sind: »Audi, benigne
conditora; y>Scce jam noctis tenuatiir umbraa; »Primo dierum omniumn ; y>I^octe
surgentes vigilemus omnesa; -nltex Öhriste factor omnium«; »Te lucis ante ter-
minuma. Der Zeit nach zunächst ist Beda venerabilis, geboren um 672 in
England, zu nennen, den schon AValafr. Strabo als geistlichen Liederdichter
anführt. Von seinen 11 Hymnen wurde nur der mit nHymimm canamus glo-
riaeii noch im 14. Jahrhundert am Himmelfahrtstage gesungen. Weiterhin tritt
als berühmt Paul Winfried, genannt Paulus Diaconus, gestorben um 800 als
Mönch des Klosters Monte Cassino, hervor. Er diclitete mehrere Hymnen,
von denen diejenige zu Ehren des heil. Johannes, beginnend » Tft queant laxis«,
wegen der von Guido von Arezzo daraus entnommenen Solmisationssylben ut,
re, mi, fa, sol und la zu einer besonderen Bedeutung gelangt ist. Dem Kaiser
Karl dem Grossen wird der H. » Veni, creator spiritusi. zugeschrieben , so sehr
die Wahrscheinlichkeit dagegen spricht. Zu den Hymnologen des 9. Jahr-
hunderts zählen ferner: Alcuin (gestorben 804), Paulinus von Aquileja (ge-
storben 804), Walafried Strabo von Reichenau (gestorben 849), Tutilo von
St. Gallen (gestorben 880), Hrabanus Maurus (gestorben 856), welchem letz-
teren die bekannten Hymnen nOhriste, sanctorum decus angeloruma, »Festum
nunc celehren, r>Tibi, Christe, splendor patrisvi ihren Ursprung verdanken sollen,
und endlich Theodulphus, Bischof von Orleans (gestorben 821), der Verfasser
des am Palmsonntage gesungenen »Gloria, laus, Jionor«.
Im 10. Jahrhundert entwickelte sich eine eigßnthümliche Poesie in den
Sequenzen (s.d.) oder Prosen (s.d.), Ihr Urheber oder zum wenigsten ihr
Beförderer ist Notker Balbulus der Aeltere, Abt von St. Gallen (gestorben
912). Durch geistliche Dichtungen zeichneten sich in derselben Periode aus:
Odo , Abt von Clugny (gestorben 942), Hucbald, Mönch von St. Amand (ge-
storben 932), Ekkehard (gestorben 966) und Notker der Jüngere (gestorben
975), beide Mönche von St, Gallen. Im 11, Jahrhundert treten hervor: Robert,
König von Frankreich (gestorben 1031) mit der Sequenz » Veni, sancte Spi-
ritus«, Hermannus Contractus mit der Sequenz »Jve praeclara maris Stella«
und den Antiphonien »Alma redemtoris mater« und »Salve regina«, sowie Petrus
Damiani, Abt von Avellano (gestorben 1072), einer der fruchtbarsten geist-
lichen Dichter, mit der Osterhymne »Paschalis festi gaudium« und dem Gesänge
»Ad perennis vitae fontem«, aus den Schriften des heil. Augustinus bearbeitet.
Es folgen nun die besten Hymnologen, nämlich: der heil. Bernhard, Abt von
Clairvaux (gestorben 1153), mit »Jesit, dulcis memoria«, sodann der Doctor an-
gelicus genannte heil. Thomas von Aquino (gestorben 1174) mit seinen Altars-
Sacramentgesängen »Pange lingua gloriosi corporis«, »Lauda, Sion«, »Adoro te
devote« und » Verbum supernum j)i'odiens«, ferner der heil. Bonaventura aus dem
Eranciscanerorden (gestorben 1274), der viele geistliche Sänger bildete und wie
der heil, Bernhard besonders die Jungfrau Maria besaug, und endlich Tliomas
von Celano (um 1250), Sänger des »Dies irae«, sowie Jacoponus (gestorben
1306), von dem das »Stabat mater« herrührt. — Vom 15. Jahrhundert ab ist
die lateinische Hymnographie (eine andere Hess die römisch katholische Kirche
nicht gelten) so gut wie abgeschlossen, obwohl einige werthvolle H. auch später
noch vorkommen. Im Allgemeinen aber verlieren die betreffenden Dichtungen
immer mehr den Hymnencharakter und gehen in weichliche, spielende, gekün-
stelte Cantionen oder Lieder über. Die Zeit war eben eine andere, uukirch-
lichere geworden, und die Nachahmung des Altclassischen war nicht geeignet,
nach dieser Seite hin zu reformiren. Am bekanntesten sind aus späterer Zeit
die Liebesseufzer des heil. Ignatius »O deus, ego amo te, nam prior«, des heil.
Eranciscus Xaverius »O deus, ego amo te , nee amo fe, nt salres me«, des heil.
340 Hypate — Hyper,
Aloysius »O Christe, pendens arbore« und der Marienhymuus des heil. Casimir
y>Omne die die Mariaei.
Die unzähligen Hymnendichter und Hymnen in allen Sprachen, welche
nicht ins kirchliche Officium gelangten, können hier nicht berücksichtigt werden.
Eine Reform des Breviers Hess Papst Pius V. vornehmen und auf 96 Nummern
bringen, wobei er die sanctionirten Hj'^mnen in ihrer ältesten Form, oft in Prosa,
beibehielt. Damit aber wollte sich der durch die Renaissance der classischen
Studien und Wissenschaften geweckte Geist nicht begnügen. Schon Urban VIII.
ernannte eine Commissiou von drei Jesuiten, welche die alten Hymnen poe-
tischer gestalten sollten , jedoch nicht überall fanden die also verbesserten Ge-
sänge Aufnahme. In Frankreich unternahm man im 18. Jahrhundert eine
Umgestaltung des Breviers auf eigene Hand, indem man eine grosse Anzahl
der kirchlich anerkannten Hymnen ausmerzte und durch modernere ersetzte.
Als hervorragende Dichter derselben werden genannt: Jean Baptiste de San-
teul, geboren 1630 zu Paris und Canonicus von St. Victor, und Charles Coffin,
geboren 1676 zu Paris und Rector der Universität daselbst, welcher 1749
starb. Die durch Compositionen der grössten Tonmeister besonders berühmt
gewordenen Hymnen sind: y>Salve Reginas, r>Ave Maria«, »0 salutaris hostiav,
» Veni, creatora, -oLaudate, pueri«, i^Regina coeli«, y>Laudetur Jesus Chrisfusa und
das aus dem 15. Jahrhundert stammende y^Ave verum corpusa von unbekanntem
Dichter. Das ^Gloria in excelsisi oder die grosse Doxologie hat den beson-
deren Namen H. angelicus oder evangelicus; das sogenannte Trisagiura, in der
griechisclien und lateinischen Kirche am Charfreitag gebräuchlich, heisst auch
H. trinitatis ; das Sanctus — JET. triumphalis ; der von den Kirchenvätern den
Psalmen aufgedrängte Vers -nGloria patri et ßlio« (die kleine Doxologie) — H.
glorißcationis , und endlich heissen Hymni ej)istolici die vor der Epistel und
Hymni evangelici die nach der Epistel angestimmten Lobgesänge.
Hypate (griech.) war der Name des tiefsten Tons in den beiden tieferen
Tetrachorden des sogenannten vollkommenen etc. Tonsystems; nämlich: Hypate
hypaton (latein. Principalis principalium) , d. i. der Ton I£ im Tetrachord
Hypaton, tiefster Ton des Tetrachordsysteras; Hypate meson (latein. Princi-
palis mediarum), d. i. der Ton e im Tetrachord Meson (s. Tetrachord),
Hypatoides (grii^ch.) hiess die tragische Stylart der altgriechisolien Melo-
pöie (s. d.), welche sich nach Gebrauch und Uebereinkunft in den tieferen
Tonlagen bewegte, um dadurch Ernst und Trauer zum Ausdruck zu bringen.
Hypaton (griech.) ist der Name des untersten (ersten) Tetrachordes des
altgriechischen Tonsystems und umfasste die Töne H—e (s. Tetrachord).
— Hypaton diatonos war eine andere Benennung des Tones Lichanos hy-
paton, d. i. unser Ton d (s. Tetrachord).
Hyper, deutscher Orgelbauer aus Sachsen, wahrscheinlich im 17. Jahr-
hundert lebend, errichtete in der Stadtkirche zu Pegau ein Werk mit 30 klin-
genden Stimmen, welches 1790 reparirt wurde.
Hyper (griech.), d. i. über, darüber. Die Alten setzten diese Präpo-
sition behufs bestimmter Bezeichnung den Intervallnamen, theils auch den Namen
der Tonarten vor, bei ersteren, um die aufwärts gezählten Intervalle oder Ober-
intervalle von den herunterwärts gerechneten oder Unterintervallen zu unter-
scheiden: z. B. Hyperdifonos, Oberterz, Hyperdiapason, Oberoctave u. s. w. Dies
geschieht aber nur in Fällen, wo es ausdrücklich darauf ankommt, das Ober-
von dem Unterintervall zu unterscheiden; sonst genügte schon einfach Ditonos und
Diapason ebenso, wie man heutzutage unter Terz und Octave stillschweigend die
Oberterz und Oberoctave versteht und sie nur dann ausdrücklich derartig be-
zeichnet, wenn man möglicher Weise auch das gleichnamige Unterintervall an-
nehmen könnte. Für H. kommt bei Intervallnaraen synonym auch die Prä-
position Epi vor, so dass also z. B. Epidiapente völlig gleichbedeutend mit
Hj-perdiapente, d. i. die Oberquinte, ist. Den Namen der Tonarten vorge-
setzt, bezeichnete H. , dass die Stammtouart um eine Quarte höher zu trans-
Hyperäoliscli - Hypo. 341
poniren sei; die dorische Tonart d—d^ hiess also, auf g — g^ versetzt, hyper-
dorisch.
Hyperäolisch nannten die Griechen die 14. Transposition der Mollscala
in die Octave b — b"^, also nur eine um eine Octave höhere Wiederholung von
B — b^ hypojonisch (s. Tetrachord). In der mittelalterlich - kirchlichen Ton-
kunst bezeichnete dieser Name die Octavgattung Ticdefgah (authentisch)
und findet sich im Glareanischen System zwar aufgeführt, aber nicht mitgezählt,
weil sie nicht im Gebrauch gewesen (s. Tonart).
Hyperbolaeou war der Name des fünften und höchsten Tetrachords (e^ — a^)
des altgriechischen Tonsystems (s. Tetrachord). — H.diatonos dagegen
war eine andere Benennung des Tones Paraneie hyperbolaeon, d. i. g"^.
Hyperbolisch (aus dem Griech.), ein aus der Rhetorik in die Kunstsprache
übergegangener Ausdruck, abgeleitet von Hyperböle, d. i. Uebertreibung, be-
zeichnete bei den Griechen alle in einem übertriebenen, schwülstigen und ge-
suchten Styl verfassten Dichtungen und Gesänge.
Hyperdi.apason (griech.), die Oberoctave (s. flyper).
Hyperdiazeuxis (griech.) nannten die altgriechischen Kunstlehrer die Tren-
nung zweier Teti'achorde durch das Intervall einer Octave, wie eine solche bei
den Tetrachorden Sgpaton und Hyperlolaeon stattfindet (s. Tetrachord).
Hyperdltouos (griech.), die Oberterz (s, Hyper).
Hyperdorisch oder mixolydisch hiess bei den Griechen sowohl die
Octavgattung h c d e f g a h, als auch als Tonart die auf (7— y' trans-
ponirte Mollscala (s. Tetrachord).
Hyperiouisch, bei den Griechen die 12. Transposition der ^-wioZZ- Tonleiter
auf die Octaven g —g , wurde auch das höhere Mixolydisch genannt.
Hyperlydisch hiess bei den Gi'iechen als Octavgattung unser g a Ti c
d e f g (mit der hypophrygischen oder ionischen zusammenfallend) und als
Tonart die 15,, auf h—h"^ transponirte Molltonleiter, welche die um eine Octave
höhere Wiederholung von S—l}, hypophrygisch (oder ionisch) ist und erst
in späterer Zeit hinzugekommen ist.
Hypermeter (griech.) heisst in der Metrik ein Vers mit einer die gesetz-
mässige Länge überschreitenden Schlusssylbe, welche mit der Anfangssylbe des
folgenden Verses zusammengelesen oder gesungen wird, wie dies namentlich in
den iambischen, trochäischen und daktylischen Versen der altrömischen Dichter
der Fall ist, wobei eine Elision stattfindet.
Hypermixolydisch hiess bei den Griechen die auf a — a^ transponirte Moll-
scala (hyperphrygisch) (s. Tetrachord).
Hyperphrygisch nannten die Griechen als Octavgattung ahcdefga,
welche mit der hypodorischen (äolischen) zusammenfiel und ebenfalls die 13.
Tonart (auch hypermixolydisch geheissen), nämlich die auf a — a^ transponirte
Molltonleiter, eine um eine Octave höhere Wiederholung von A— a} (hypo-
dorisch). In der mittelalterlich-kirchlichen Tonkunst hiess H. die Glareanische
Octavgattung fgahcdef (plagalisch) , Nebenton von hcdefgah
hyperäolisch authentisch, welche aber ebenso wie ihr Hauptton niemals im
kirchlichen Gebrauch gewesen ist (s. Tonart).
Hypo (griech.), d.i. unter, darunter. Die griechischen und mittelalter-
lichen Kunstlehrer setzten diese Präposition den Namen der abwärts gerech-
neten Intervalle vor, um dieselben von den aufwärts gezählten zu unterscheiden,
z. B. Sypoditonos, Unterterz; Hypodiatessaron, TJnterquarte; Hypodiapente, Unter-
quinte; Hypodiapason, Unteroctave u. s. w. Speciell die Griechen setzten
H. auch den Namen der lünf Haupttonarten vor, um damit ihre um eine
Quarte tiefer transponirten Nebentonarten zu bezeichnen. So ist 6?—t?* dorisch,
aber Ä — a> hypodorisch. Hierüber, sowie über die Anwendung dieser Prä-
342 Hypoäolisch — Hypoionisch.
Position auf die 2., 5. und 8. Octavgattung findet man Näheres unter Tetra-
chord. In den Kirchentönen und Tonarten des 16. Jahrhunderts ist H. die
Unterscheidungspartikel der plagalischen Nebentöne von ihren authentischen
Haupttönen, auf deren Unterquarte ihr Ambitus (s. d.) beginnt. Der pla-
galische Nebenton der dorischen Tonart heisst demnach hypodorisch (auch
doriiis remissus), der der lydischen desgleichen liypolydisch (lydius remissus)
U.S.W, (s. Tonart, Authentisch, Plagalisch).
Hypoäoliscli hiess bei den Griechen die vierte Transposition der A-moll-
Tonleiter auf c — c"^, ursprünglich tieferes Hypolydisch genannt. Die
mittelalterlich -kirchliche Tonkunst bezeichnete mit H. oder aeolius remissus,
aeolius plagalis die 10. Octavgattung (des Glareanischen Systems), die Plagale
von äolisch (s.d.), nämlich e f g a h c^ d^ e\ Von Choralmelodien bis um
1600 stehen ursprünglich in diesem Ton: »Allein zu dir, Herr Jesu Christcf,
»War' Gott nicht mit uns diese Zeit«, »Wo Gott der Herr nicht bei uns
hält«, »Vater unser, der du bist« und »Kyrie eleison«. Im transponirten System
hat der H.-Modus der christlichen Zeit die Gestalt: A h e d e f g a. Bei-
spiele aus den Choralgesängen hierfür giebt es nicht. Im altchristlichen System
der acht Kirchentonarten ist er gleich seiner authentischen Tonart noch nicht
vorhanden.
Hypodiapasou, Hypodiapeute, Hypodiatessarou, Hypoditouos, s. Hypo.
Hypodiazeuxis (griech.) bezeichnete in der Musik der Griechen den Zwischen-
raum einer Quinte, die sich zwischen zwei Tetrachorden befindet, welche durch
ein drittes Tetrachord von einander abgesondert sind. So macht der tiefste
Ton des Tetrachords Meson (Hypate meson, d. i. unser e) gegen den tiefsten
Ton des Tetrachords Diezeugmenon (Paramesos, d. i. unser h) das Intervall
einer Quinte aus, während beide Tetrachorde durch das dazwischen liegende
Tetrachord Synemmenon getrennt sind.
Meson. Diezeugmenon.
1 .n 7, ^1 ,;i gl
f g a h c^ d^ h c^ d'
1
J
Synemmenon.
Hypodorisch hiess bei den Griechen als Octavgattung (auch äolisch ge-
nannt) die Reihe a h c^ d^ e^ f^ g^ a} , als Tonart dagegen die auf A — a^
transponirte Mollscala. In der christlichen Zeit war H. als Octavgattung
a h c^ d^ e^ f^ g^ a} plagalisch und führte auch den Namen Tonus secundus,
d, i. zweiter Ton oder Flagis proti. In den Tonarten des 16. Jahrhunderts
ist der Modus hypodorius oder dorius remissus, dorius plagalis gleichfalls der
sogenannte zweite Ton. Das reguläre System zeigt ihn in dieser Gestalt:
a h c^ d^ e^ f^ g^ a^ , das transponirte System also: d^ e* /^ g^ a^ 6* e^ d^.
Bis zum 16. Jahrhundert sind nur Choräle im letzteren vorhanden und zwar:
»Nun kommt der Heiden Heiland«, »Helft mir Gottes Güte preisen«, nPuer
natus in BeÜehemi, r>Surrexit Christus liodiev., »Christe, der du bist Tag und
Licht«, »Kommt her zu mir, spricht Gottes Sohn«, »Was mein Gott will«,
»Von Gott will ich nicht lassen«, »Hilf Gott, dass mir gelinge«. Vgl. Sethus
Calvisius, Exercit. mus. duae etc. I. 21.
Hypoiastisch oder
Hypoionisch nannten die Griechen die zweite Transposition der A-moll-
Scala auf die Octaven B — h^, auch tieferes Hypophrygisch geheissen (s. Te-
trachord). Im alten Gregorianischen System der acht Töne ist der h. ge-
nannte noch nicht vorhanden; im späteren Glareanischen System ist dieser
Modus dagegen die 12. Octavgattung, Plagale des Haupttons ionisch (c — c^),
die im regulären System von dem Klange g (also g a h c^ d^ e^ f^ g^), im
transponirten aber von c {?l\bo c d e f g a h c^) beginnt und gewöhnlich der
Hypokritika — Hypophrygisck. 343
ßechste Ton genannt wird. Nur ein Beispiel aus den Kirchengesängen bis
1600 findet sich im regulären System des h.en Modus oder ionicus remissus
(ionicus plagalis), nämlich »Herzlich lieb hab' ich dich, o Herr«, sehr viele
jedoch im transponirten System, als: »Ein Kindeleiu so löblich«, »/n dulci
jubiloa, »Komm, heiliger Geist, Herre Gott«, »Nun bitten wir den heiligen Geist«,
»Allein Gott in der Höh' sei Ehr'«. »Herr Gott, dich loben alle wir«, »Hilf
Gott, wie geht das immer zu«, »Es spricht der Unweisen Mund wohl«, »In
dich hab' ich gehoffet, Herr«, »Nun lob' mein' Seel' den Herrn«, »An Wasser-
flüssen Babylons«, »Nun freut euch, hebe Christen gemein«, »Herr Christ, der
einig' Gottes Sohn«, »Sie ist mir lieb, die werthe Magd«, »0 Herre Gott, dein
göttlich's Wort«, »Ich dank' dir, lieber Herre«, »Nun schlaf, mein liebes Kin-
delein«, »Danket dem Herrn heut und allezeit«, »Nun lasst uns Gott den Herrn«,
»Ach, wie elend ist unser Zeit«, »Wenn wir in höchsten Nöthen sein«, »Wer
Gott vertraut, hat wohl gebaut«, »Wenn mein Stündlein vorhanden ist«, »Es
ist gewisslich an der Zeit«, »0 Lamm Gottes unschuldig«; y>Jam moesta quiesce
querula«; nDicimus grates tibi«. Vgl. Sethus Calvisius, Exercit. mus. duae
etc. (1600).
Hypokritika (griech.) war bei den alten Griechen die Kunst der rhyth-
mischen Bewegungen und ausdrucksvollen Gebehrden (OrcJiesis oder Orchestik),
womit der Bühnendarsteller seine Reden und Gesänge begleitete und eindring-
licher gestaltete. Declamation und Action wurden auch abgesondert: der eine
Schauspieler declamirte oder saug, und ein anderer, der aber mit ihm eine und
dieselbe Person repräsentirte, führte die Action und Mimik dazu aus. Man
findet die H. auch als Wissenschaft der Handgebehrden (Chironomie) erklärt,
jedoch umfasst sie mehr als diese, indem sie die Stellungen und Bewegungen
des ganzen Körpers, überhaupt alles, was zur körperlichen Action gehört, in
sich fasst. Diese Gebehrdenkunst aber war bei den Alten eine ausgebildete
Wissenschaft, deren Studium Jeder, der öffentlich auftrat, aufs Gewissenhafteste
sich angelegen sein Hess. Den Schauspielern wurden die Gebehrden vor-
geschrieben und von ihnen, ähnlich wie Dichtung und Gesang, auswendig ge-
lernt. Nach der Eintheilung der Musik durch Aristides Quintilianus gehört
die H. neben der organischen (Instrumental-) und odischen (Vocal-) Musik zu
demjenigen Theil der praktischen Tonkunst, der die Gegenstände, welche die
Ausführung und Darstellung betreffen, umfasst.
Hypolydisch nannten die Griechen als Octavgattung die Reihe f q a h c^
d^ e^ f^ , als Tonart die auf c —c transponirte Mollscala (s. Tetrachord).
Im christlichen Mittelalter war der Modus hypolydius oder lydius remissus,
lydius plagalis , die im regulären System vom Klang c (also c d e f g a h c^),
im transponirten System von f aus gebildete Reihe (f g a h c^ d^ e^ f^).
Von Beispielen aus den Choralgesängen in dieser Tonart war bis zum J. 1600
nur ein einziges vorhanden, nämlich »^.r legis oiservantiaa (im Sysfema trans-
positum).
Hypomixolydisch ist in der christlich-mittelalterlichen Tonkunst die Octav-
gattung d^ e^ f^ g^ a^ h^ <?* d'^ plagalisch, Nebenton von G—g mixolydisch
authentisch (s, Tonart). Der Modus hypomixolydius oder mixolydius remissus,
mixolydius plagalis, heisst auch der achte Ton und beginnt im regulären System
vom Klange d^, im transponirten von g (also g a b c^ d^ e^ f^ g^) aus. Har-
monische Beispiele aus den Choralgesängen bis 1600 finden sich nur folgende
im regulären System: »Gelobet seist du, Jesu Christ«, »Danksagen wir Alle«,
y>Festum nunc celebre magnaque gaudia«, »Dies sind die heiligen zehn Gebot'«,
»Gott sei gelobet und gebenedeit«.
Hypophrygisch hiess bei den Griechen als Octavgattung unser g a h c d
e f g (auch ionisch genannt) und als Tonart die auf H—W transponirte Moll-
scala (s. Tetrachord). Im christlichen Mittelalter war der Modus hypo-
344 Hjpoproslambanomenos — Hyrtl.
phrygius oder phn/ffius remissus, phrygius plagalis Nebenton von e — e^ phrygisch
authentisch und hiess auch der vierte Ton (quartus tonus oder plagis deutet-)).
Er liegt in der siebenten Octavengattung, welche im regulären System von
h quadratum (unser h), also h c* d^ e' /' g^ a^ h\ im transponirten aber von
e aus (e f g a h c^ d^ e^) geleitet wird. Folgende der Choralmelodien bis
zum J. 1600 stehen ursprünglich in der h.en Tonart (Systema regul.): »Herr
Gott, dich loben wir«, »Erbarm' dich mein, o Herre Gott«, »Die Welt ist nichts
zu unser Zeit«, »Mitten wir im Leben sind«, »Also heilig ist der Tag«; (Sy-
stema trannp.): »Nun lasst uns den Leib begraben«.
Hypoproslainbanoiiienos (griech.; laiein.: superassumtus sc. tonus) bezeich-
nete in der altgriechischen Tonkunst don noch unter dem Proslambanomenos
des griechischen Tonumfangs (unserem heutigen Ä) befindlichen Ton G, wel-
cher auch Epiproslambanomenos genannt wurde.
Hyporchemata (griech.) war bei den Griechen des classischen Alterthums
eine bestimmte Gattung von lyrischen Dichtungen, die singend vorgetragen und
von Listrumenten und Tanz begleitet wurden. Nach dem Zeugniss des Athe-
näus soll das Hyporchema grosse Aehnlichkeit mit einem sonst Kordax ge-
nannten komischen griechischen Tanze gehabt haben. Dem aber widerspricht
Menander's Angabe, welcher behauptet, die H, seien gleichwie die Päane dem
Apollo heilig gewesen, woraus man denn bestimmt auf einen viel ernsteren
Charakter schliessen müsste. Ausgeführt wurde dieser Singtanz um den Altar
herum, sobald das heilige Feuer angezündet war und das Opfer zu verzehren
anfing. Vgl. Marpurg, »Krit. Einleit. in die Gesch. und Lehrs. der Musik«
(1759) S. 40 und 41.
Hypo syuaphe (griech.) bezeichnete in der altgriechischen Musik die Tren-
nung zweier Tetrachorde durch ein drittes dazwischen gelegtes, welches aber
mit jedem der beiden getrennten Tetrachorde ein verbundenes Tetrachord aus-
macht, wobei die gleichen (d. h. die ersten, zweiten, dritten, vierten) Töne der
getrennten Tetrachorde immer eine kleine Septime aus einander stehen. Dieser
Fall findet statt bei den beiden Tetrachorden Hypatou und Synemmenon,
welche durch das Tetrachord Meson getrennt sind, während dieses letztere
mit jedem jener beiden verbunden ist:
Hypaton. Synemmenon.
Sedefgahc^d^
]__., (
Meson.
Hypotas (griech.) ist der Name für jedes der sogenannten grossen Nota-
tionszeichen in der Musik der griechisch-katholischen Kirche. 2.
Hypsil ist in der griechisch-katholischen Kirche der Name für das durch
X dargestellte Musikzeichen, welches für die Tonphrase z^ ^^=^ — ^^| gesetzt
wird und in dem demotischen Schriftzeichen -1 der alten Aegypter seinen Ur-
sprung haben soll. 2.
Hyrtl, Jacob, vorzüglicher österreichischer Oboevirtuose, geboren im
J. 1769, war Anfangs Mitglied der fürstl. Eszterhazy'schen Kapelle, später
erster Oboist am Leopoldstädter Theater in Wien, woselbst er am 17. April
1852 starb.
I — Jackson. S4b
I. J.
I, der neunte Sprachlaut des deutschen Alphabets, ist von Kirnberger
der zwischen der übermässigen Sexte und der kleinen Septime liegenden zu
kleinen natürlichen Septime 7 : 4 beigelegt worden. Dieser Theoretiker unter-
nahm es, dieses als consonirend erklärte Intervall in die praktische Musik ein-
führen zu wollen und einen consonirenden Vierklang c e g i aufzustellen, den
auch Fasch, aber ohne weiteren Erfolg, für nothwendig erklärte und sich des-
selben bediente (s. Septime). Als Tonbeneunung auf dem Notensystem (der
Tabulatur) der Lauteninstrumente stellen i und ii die Klänge /' und h (auf
der sogenannten Clainsancksait) vor.
Jacchini, Giuseppe, berühmter italienischer Violoncellist, war zu Anfang
des 18. Jahrhunderts an der Kirche San Petronio in Bologna als Instrumen-
talist angestellt und zugleich auch Ehrenmitglied der philharmonischen Aka-
demie jener Stadt. Er hat Instrumentalstücke componirt, unter diesen Concerti
da Camera « 3 <s 4 stromenti con Violoncello oblujato (Bologna, 1701).
Jacchus (latein. ; griech.: lakchos), ein Beiname des Bacchos, als Sohn der
Demeter und des Zeus, war anfänglich auch eine Bezeichnung des Festgesanges,
welcher bei Abholung des Bildes dieses Gottes aus dem Kerameikos zu Athen
nach Eleusis abgesungen und in welchem unter feierlichen Anrufungen J. ein-
geladen wurde, an dem Feste Theil zu nehmen und es anzuführen.
Jachet oder Jaquet und Jacques von Mantua, s. Berchem.
Jachimek, Franz, rühmlichst bekannter ungai-ischer Pianist, der aufweiten
Concertreisen im fünften und sechsten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts all-
gemeine Anerkennung sich erwarb, fand sein Ende bei einem Schiffbruch
zwischen China und Japan im März oder April 1870, nachdem er kurz zuvor
mit grossem Erfolg einige Concerte in Peking gegeben hatte.
Jachmann-Wag-ner, s. Wagner.
Jackson, Edward W., englischer Musikfreund, geboren um 1805, lebte
als Rentier und Friedensrichter in einer Ortschaft unweit London. Er hatte
in seinem 12. Jahre Violinspiel gelernt, dasselbe lange mit Eifer betrieben,
dann aber im Drange anderer Geschäfte bei Seite gelegt. Als er dasselbe im
54. Jahre zu TJnterhaltungs- und Erziehungszwecken seiner starken, namentlich
aus Töchtern bestehenden Familie wieder aufnehmen wollte, machte er die
"Wahrnehmung, dass Finger und Hand ihm schon nach wenigen Minuten er-
lahmten. Um der Unbeweglichkeit und Schwäche der Finger- und Handgelenke,
die auch Musiklernenden oft grosse, die Gesundheit gefährdende Anstrengungen
bereiteten, abzuhelfen, verfiel er auf eine rationelle gymnastische Methode, welche
er auf einer grösseren Reise nach dem Continent um 1860 verschiedenen Auto-
ritäten des Ciavier- und Violinspiels, Musikpädagogen und Aerzten vorlegte,
deren Beifall und Empfehlung er davontrug. Er veröffentlichte, überall dazu
aufgemuntert, seine Beobachtungen und Erfahrungen in Form eines Lehrbuchs,
welches auch deutsch übersetzt unter dem Titel »Jackson's Finger- und Hand-
gelenk-Gymnastik zur Ausbildung und Stärkung der Muskeln für musikalische
Zwecke« (Leipzig, 1867) erschienen ist.
Jackson, William, vorzüglicher englischer Violinist und fruchtbarer Com-
ponist, war geboren im Mai 1730 zu Exeter, weshalb er auch häufig J. von
Exeter genannt wurde. Bei trefflichen künstlerischen Anlagen studirte er
Violin-, Ciavier- und Orgelspiel sowie Musiktheorie in seiner Vaterstadt, worauf
er im 18. Jahre nach London ging und sich durch Geminiani und durch den
Organisten der königl. Kapelle, Travers, völlig ausbilden Hess. Später kehrte
er in seine Heimath zurück, wo er Musikunterricht erth eilte und im Juli 1803
346 Jackson — Jacob.
starb. Als Violinist hatte er den Ruf, sich Geminiaui's Spielweise, die in
England lange Zeit für die vorzüglichste galt, vollständig zu eigen gemacht
zu haben. Als Componist ist er mit den Opern y>The lord of the Manor«,
»Metamorpkosesa, mit der Musik zu dem Drama y>Li/cidas(.(, ferner mit Kirchen-
werken, Quartetten, Ciavier- und Violin- Sonaten, endlich mit Pastoralduetten,
Canzonetten, Songs, Epigrams u. s. w. aufgetreten. Auch mit Malerei und
Literatur beschäftigte er sich angelegentlich, und von seinen Schriften sind
hier zu nennen: r>Thirty letters on various subjecfsa (London, 1782), worin er
auch von musikalischen Gegenständen handelt, und »Olservations on the present
State of music in Londons (London, 1791). Eine ihm von Gerber zugeschrie-
bene Harmonielehre ist nicht im Druck erschienen, und die Schrift r>Ä preli-
minaiy discourse to a scheine demonstrating the perfection and harmony of soundsa
rührt von einem anderen William Jackson her, welcher in der ersten Hälfte
des 18. Jahrhunderts Lehrer der Mathematik in London war. Diese Schrift
enthält die Beschreibung und Abbildung einer Maschine, welche die Bezie-
hungen zwischen den diatonischen, chromatischen und enharmonischen Tonver-
hältnissen anschaulich machen soll. Sie erschien bereits im J. 1726 zu London.
Jackson, William John, talentvoller englischer Orgelspieler und Com-
ponist, geboren 1813, lebte als Organist zu Masham und hat bedeutend zu
nennende Compositionen geliefert, unter denen sich besonders zwei Oratorien,
»Jesaias« und »Die Befreiung Jerusalems«, auszeichnen. Er starb im April 1866
zu Masham.
Jacob I., König von Schottland von 1424 bis 1437, geboren 1393 als
der Sohn Robert's III., verdankte die umfassende Geistesbildung, die ihn vor
seinen Zeitgenossen auszeichnete, einer langen Gefangenschaft in England.
Sein Vater schickte ihn nämlich 1405, um ihn den Nachstellungen seines
Oheims, des nach der Krone strebenden Herzogs von Albany, zu entziehen,
nach Frankreich. Das Schiff wurde jedoch an die englische Küste getrieben,
und Heinrich IV. hielt es für gerathcn, den Prinzen als Unterpfand eines so
eben mit Schottland abgeschlossenen Waffenstillstandes festzuhalten. Robert III.
überlebte den Verlust seines Sohnes nicht, und der zum Reichsverweser er-
nannte Herzog von Albany betrieb keineswegs die Auslösung des Gefangenen.
Erst nach Heiurich's V. Tode verstanden sich die Engländer zur Freilassung
des Prinzen gegen ein Lösegeld von 40,000 Pfd. Sterl., und dieser wurde nach
erfolgter Rückkehr nach Schottland, im März 1424, als König anerkannt.
Seine Regierung war segensreich für das in tiefe Verwilderung gerathene Volk;
mit Eifer und Besonnenheit suchte er durch eingreifende Reformen Bildung
und Gesittung wieder zu heben. Der Adel verschwor sich in Folge dessen
gegen des Königs Leben, und derselbe wurde in der Nacht vom 20. Febr. 1437
ein Opfer dieser Verschwörung. Die Zeitgenossen rühmen die Bildung, Ge-
lehrsamkeit und musikalische Kunstfertigkeit J.'s. Er war Virtuose auf acht
Instrumenten, besonders auf der Harfe, und soll, wie er in schottischer und
lateinischer Sprache höchst anziehend und schwungvoll dichtete, auch einer der
bedeutendsten Componisten seiner Zeit gewesen sein. Wenn er aber wohl
auch kaum der Erfinder der ihm zugeschriebenen Nationalmelodien Nieder-
schottlands ist, so hat er doch ohne Zweifel die Kirchenmusik der Schotten
verbessert und für dieselbe selbst Gesänge gedichtet und in Musik gesetzt.
Dies bestätigt Alessandro Tassoni, der in seinen nPensieri diversii (Venedig,
1646) sagt: »Unter den neueren Componisten ist König Jacob I. von Schott-
land zu merken, welcher nicht nur geistliche Lieder verfertigte und in Musik
setzte, sondern sogar eine neue melancholische und klagende, von aller anderen
ganz verschiedene Musik erfand.« Von einem von J. verfassten, 1430 er-
schienenen Musiktraktate hat sich keine Spur entdecken lassen.
Jacob, deutscher Orgelbauer, lebte zu Anfang des 17. Jahrhunderts und
baute 1606 zu Lübeck ein Kirchenwerk von 30 klingenden Stimmen. —
Gleichfalls mit unbekanntem Vornamen lebte im folgenden Jahrhundert ein
Jacob — Jacobi. 347
französischer Violinvirtuose, Scliüler von Gavinies, zu Paris. Er war 1765
im Orchester der grossen Oper angestellt, starb 1772 und hat ausser Yiolin-
sachen auch Motetten componirt. Ebenso veröffentlichte er ein musikalisches
Lehrbuch.
Jacob, Benjamin, geachteter englischer Orgelvirtuose, geboren 1778 zu
London, erhielt den ersten Musikunterricht von seinem Vater, der ihn darauf
als Chorknabe in die Portlandkapelle bi'achte. Um 1796 studirte J. bei Arnold
Harmonielehre und fungirte nach und nach als Organist an verschiedenen
Kirchen Londons. Von 1809 bis 1814 galt er nächst Wesley und Dr. Crotch
für den besten Orgelspieler der englischen Metropole. Er hat Orgelstücke,
Gesänge für den Gottesdienst, weltliche Songs u. s. w. componirt.
Jacob, Friedrich August Leberecht, deutscher Vocalcomponist und
Sänger, geboren am 25, Juni 1803 zu Kroitzsch bei Liegnitz, erhielt von
seinem Vater und dem Cantor Speer den ersten Musikunterricht, den er unter
Hentschel, nachmaligem Seminardirektor in Weissenfeis, fortsetzte. Im J. 1819
bereits wurde J. Hülfslehrer zu Herrndorf bei Glogau, und 1820 trat er in
das Schullehrerseminar zu Bunzlau. Seit 1824 war er Cantor, Organist und
Lehrer zu Konradsdorf bei Liegnitz, in welcher Stellung er sich noch in den
1850er Jahren befand. Er hat Gesänge für Männerchor, verschiedene Samm-
lungen von Schulliedern und Anweisungen zum Singen für Volksschulen heraus-
gegeben, ebenso auch einigen musikalischen und pädagogischen Zeitschriften
Aufsätze seiner Eeder zugewendet.
Jacob, Günther, geschätzter deutscher Kirchencomponist, war zu An-
fang des 18. Jahrhunderts Benedictinermöuch im St. Nicolasstifte zu Prag.
In der Zeit von 1714 bis 1726 erschienen von ihm in Prag Messen, Vesper-
psalmen, ein Te deum u. s. w.
Jacobelli, Giovanni Battista, Caplan der Königin von Polen, veröffent-
lichte von seiner Composition 1643 eiuen Gesangskanon, den Gerber als »sonderbar
in der Erfindung« bezeichnet.
Jacobello, berühmter altitalienischer Orgelbauer zu Venedig, lebte um die
Mitte des 14. Jahrhunderts und ist der Baumeister der ersten Orgel in der
St. Marcuskirche daselbst.
Jacobetti, Pietro, italienischer Geistlicher und Kirchencomponist, geboren
unfern Cremona in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, war Priester zu
Ripatransone im Kirchenstaat und ist als Componist der Werke: y>Lamenta-
tiones cum omnibus resjjonsoriis in liehdomade sancta et passionis in missis do-
minieae Palmarum et Parasceve quatuor vocibus«. und nLiher primus mutetorum
4, 5 et 6 voeibusu (Venedig, 1589) bekannt geblieben.
Jacobi, deutscher Lautenvirtuose aus Meissen, lebte zu Anfang des 18. Jahr-
hunderts und war in jener Zeit besonders durch seine Compositionen für dieses
Instrument weithin rühmlichst bekannt.
Jacobi, Adam Friedrich Ernst, musikkundiger deutscher Theologe,
geboren am 27. Octbr. 1733 zu Ichtershausen in Thüringen, starb 1807 als
Consistorialrath und Pfarrer zu Cranichfeld im Herzogthum Gotha. Er ist der
Verfasser einer Schrift über die Glocken und Glockenspiele Hollands.
Jacobi, Christian Gotthilf, vorzüglicher deutscher Orgel- und Ciavier-
virtuose, geboren am 26. Jan. 1696 zu Magdeburg, erblindete in Folge der
Blattern, was ihn jedoch nicht abhielt, das dortige Gymnasium zu durchlaufen.
Sein vorzügliches Gedächtniss, wie überhaupt seine glänzenden Anlagen be-
wogen den Organisten Lipe, ihm von 1710 an Musikunterricht zu ertheilen.
Binnen zwei Jahren vermochte J. alle Choräle auf der Orgel zu spielen und
rein und richtig zu präludiren. In Zeitz seit 1712, sowie in Leipzig und
Jena, wo er philosophische und juristische Vorlesungen hörte, setzte .7. das
Musikstudium eifrig fort und machte dann mehrere erfolgreiche Kunstreisen
als Ciavier- und Orgelvirtuose durch Sachsen und Franken. Zurückgekehrt,
Btudirte er nach Büchern, die er sich vorlesen Hess, Verskunst und Composition.
348 Jacobi — Jacobitus.
Im J. 1720 ward er als Organist an der Peters- und 1726 ebenso an der
Katharinenkirche in Magdeburg angestellt, wo er um 1750 starb. Von seinen
Compositiouen, die er einem anderen Musiker zu dictiren pflegte, ist keine bis
auf die Gegenwart gekommen. Als Virtuose soll er nacb übereinstimmendem
Zeugniss seiner Zeitgenossen zu den ersten Meistern gehört haben.
Jacobi, Friedrich Wilhelm, deutscher Fabrikant von Blech-Blase-
instrumenten, geboren 1754 zu Berlin bei Oschatz, erlernte seine Kunst bei
dem berühmten Hörn- und Trompetenmacher Leuthold. Nach überstandener
siebenjähriger Lehrzeit blieb er auch noch als Gehülfe bei seinem Meister und
etablirte sich endlich 1788 selbstständig in Dresden. Sein Ruf vergrössertc
sich überaus schnell und seine Instrumente wurden theuer bezahlt. Ein von
ihm im J. 1800 gebautes silbernes Hörn soll nach Gerber's Mittheilung zu den
schönsten Instrumenten damaliger Zeit gehört haben.
Jacobi, Johann Christian, l)edeutender deutscher Oboevirtuose, geboren
1719 zu Tilse in Lithauen, erhielt den Unterricht auf seinem Instrument zuerst
von seinem Vater, später vom Kammermusiker Peter Glösch in Berlin. Als
Kammermusiker iind erster Oboist der Kapelle des Markgrafen Karl zu Berlin
wurde er 1746 angestellt und verblieb daselbst bis 1768, wo er zum Direktor
der Hautboistenschule in Potsdam ernannt wixrde, in welcher Stellung er am
12. Juli 1784 starb.
Jacobi, Karl, deutscher Fagottvirtuose und Componist für sein Instru-
ment, geboren zu Anfang des 19. Jahrhunderts, war viele Jahre hindurch
Stadtmusikdirektor zu Göttingen und hat zahlreiche tüchtige Orchestermusiker
herangebildet.
Jacobi, Konrad, vortretflicher deutscher Violinist, geboren 1756 zu Mainz
als der Sohn des dortigen Concertmeisters, der auch sein Lehrer wurde. Im
J. 1782 wurde J. Correpetitor bei dem Grossmann'schen deutschen Theater
und einige Jahre später Musikdirektor beim Nationaltheater in Mainz und
Frankfurt. Als Musikdirektor der Hofkapelle zu Dessau 1802 angestellt, starb
er am 11. Juli 1811 daselbst in Folge eines Schlaganfalles. Gerber, der ihn
1785 hörte, erklärte ihn für einen der fertigsten und gefühlvollsten Virtuosen
sowie tüchtigsten Orchesteranführer seiner Zeit. J. hat Concerte und andere
Stücke für Violine componirt, die er mit grossem Beifall öffentlich vortrug,
die aber nur in Abschriften circulirten, da er nichts davon drucken Hess.
Jacobi, Michael, deutscher A^iolin-, Lauten- und Flötenvirtuose und einer
der fruchtbarsten und beliebtesten Liedercomponisten des 17. Jahrhunderts,
wurde zu Anfang desselben in der Mark Brandenburg geboren und brachte
seine Jünglings- und Mannesjahre auf Reisen durch Deutschland, Frankreich
und Italien zu, diente auch u. A. im Heer der Republik Venedig in deren
Krieg gegen den Papst. Ueborall wurde seine Virtuosität mit grossem Lobe
anerkannt. Von Kiel aus wurde er 1651 als Cantor der St. Johannisschule
nach Lüneburg berufen , und hier erwarb er sich durch seine Gesangscompo-
sitionen den ehrenvollen Beinamen als »Deutschlands Amphion«. Mehrere
Liedersammlungen von ihm, in den Jahren 1651 bis 1663 gedruckt, führt
Walther und nacb ihm Gei'ber nach den Titeln auf. Besonders zahlreich sind
die Kirchenlieder Job. Rist's, welche J. componirt hat, und ausserdem hat er
auch ein weltliches Singspiel dieses Dichters, »Das friedejauchzende Teutsch-
land«, 1653 in Musik gesetzt. J. starb um 1670 zu Lüneburg.
Jacobi, Tobias, deutscher Vocalcomponist aus Hirschberg in Sclilesien,
war in der letzten Hälfte des 17. Jahrhunderts Notar und Schullehrer zu
Seidenberg in der Oberlausitz und hat besonders durch seine Motetten Be-
liebtheit und Ruf erlangt. In einer Sammlung von vier bis zehn Stimmen
vereinigt, erschienen dieselben 1664 unter dem Titel y>Scala coeli musicalis et
spiritualis«.
Jacobitus, Petrus Araicus, der latinisirte Name für Pietro Jaco-
betti (s. d.).
Jacopo von Bologna — Jacqmin. 349
Jacopo vou Bolog'ua, berühmter altitalienisclier Componist, lebte zu Ende
des 14. Jahrhunderts und war ein Zeitgenosse Francesco Landiuo's, genannt
il cieco. Ein Manuscript von ihm, enthaltend zwei- und dreistimmige C-iesänge
in der Franco'schen schwarzen Notirung, wird in der Staatsbibliothek zu Paris
aufbewahrt.
Jacopone oder Jacopo Benedetto, latinisirt Jacobus de Benedictis,
hochberühmter altitalienischer Hymnendichter des 13, Jahrhunderts, stammte
aus der adligen Familie Benedetti und war zu Todi im Spoletanischen ge-
boren. Er studirte die. Rechtsgelehrsamkeit und wurde einer der angesehensten
Advocaten Roms. Der plötzliche Tod seiner jungen schönen Frau, welche beim
Einstux'z eines Saales erschlagen wurde, erschütterte ihn so, dass er, in Lumpen
gehüllt, Italien durchirrte, endlich dem weltlichen Leben gänzlich entsagte und
Franciscanermönch wurde. Seitdem trat er als Bussprediger auf und hielt
scharfe Strafreden, sogar gegen den Papst Bonlfacius "VIIL, welcher ihn dafür
in den Kerker setzen Hess. Erst im J. 1303 ward er wieder frei, begrub sich
darauf in die klösterliche Einsamkeit und starb im J. 1306. Seine ySymni
et prosae sacraev. sind häufig gedruckt worden. Unvergänglich aber bleibt
sein Name durch die berühmte Sequenz nStabaf mater<i, welche er im Ge-
fängniss gedichtet, nach Einigen auch mit der ursprünglichen Melodie versehen
haben soll.
Jacotin, Contrapunktist, war nach neuesten Forschungen ein Belgier von
Geburt und zwischen 1440 und 1450 geboren. Er ist vielfach mit Jachet oder
Jacques von Mantua (s. B er ehern) verwechselt worden und hat Messen, Mo-
tetten und Chansons componirt, die sich in verschiedenen Sammelwerken des
16. Jahrhunderts befinden, so in den von Petrucci 1519 veröffentlichten »J/o-
tetti d^ella coronav, in Salblinger's •nCoyicentusa. (1545) und in den von Adrien
le Roy und von Ballard herausgegebenen Collectionen von Chansons. Sechs-
stimmige Messen von ihm, die 1510 selbstständig erschienen sind, hat der Abbate
Santini in Rom seiner Sammlung einverleibt.
Jacotot, Joseph, französischer Pädagoge, bekannt durch seine Methode
des Universalunterrichts, wurde am 4. März 1770 zu Paris geboren und in der
Polytechnischen Schule daselbst gebildet. Anfangs Advocat, wurde er Pro-
fessor der Humanitätswissenschaften, hierauf Capitän der Artillerie, später Se-
cretär im Kriegsministerium und, nachdem er einige Zeit Substitut des Direk-
tors der Polytechnischen Schule und Professor der Mathematik gewesen, als
Professor der französischen Literatur und Sprache nach Löwen berufen. Hier
führte er seit 1818 sein System des Universalunterrichts ins Leben ein, nach-
dem er 30 Jahre lang nach der alten, ihm verkehrt erscheinenden Methode
unterrichtet hatte. Ausser für die verschiedenen Schullehrzweige brachte er
dieses System auch für den Musikunterricht ziemlich erfolgreich in Anwendung,
indem er auch hier nicht mit den sogenannten Elementen, also mit den Noten,
Schlüsseln und anderen Zeichen beginnen, sondern von vornherein versuchen
Hess, eine bekannte Volksweise aufzusetzen und die Bedeutung der dazu er-
forderlichen Zeichen durch selbstständige Geistesthätigkeit aufzufassen und zu
erlernen.
Jacqmin, Frangois, französischer Hornvirtuoee, geboren am 28. Juli
1793 zu Ronen, kam, nachdem er in seiner Vaterstadt musikalisch vorbereitet
worden war, 1814 auf das Pariser Conservatorium, woselbst im Hornblasen
Dauprat sein Lehrer wurde. Seit 1819 war J. erster Hornist im Orchester
der italienischen Oper und seit 1826 in dem der Opera comique. An Compo-
sitionen hat er Duette für zwei Hörner, Fantasien für Hörn und Harfe, Va-
riationen für Hörn und ausserdem eine Hornschule veröfi"entlicht. — Sein
Vetter, Jean Baptiste Fran<;;ois J., geboren am 27. Septbr. 1799 zu Ronen,
wurde im Pariser Conservatorium zum geschickten Harfenisten ausgebildet und
fand als solcher 1826 Anstellung im Orchester der Opera comique. Er starb
1834 zu Paris und hat verschiedene Harfenstücke seiner Composition veröffenthcht.
350 Jacquavt — Jadiu.
Jacqiiart, Jean, französischer Ciavierbauer, lebte iu der ersten Hälfte des
17. Jahrliuuderts in Paris. Aus seiner AVerkstätte gingen Claviere und Spi-
nette hervor, welche in damaliger Zeit in hohem Ansehen standen und weithin
gesuchte Artikel waren.
JacqueS) achtbarer französischer Musikliebhaber, lebte um die Mitte des
18. Jahrhunderts zu Paris. Von seinen Compositionen wurde eine Motette im
Concert spirituel aufgeführt, welche die Kenner für vortrefflich in Erfindung
und Arbeit erklärten.
Jacqnin, französischer Vocalcomponist zu Ausgang des 17. Jahrhunderts,
ist durch eine Messe, sowie durch Airs und Chansons seiner Composition, die
er im Druck erscheinen Hess, bekannt geblieben.
.lacquot, Charles Jean Baptiste, französischer Musikschriftsteller und
Feuilletonist, geboren um 1821 zu Mirecourt, gab u. A. unter dem Titel
y>Les contemporainsvi biographische Notizen heraus, die sich auch mit meh-
reren berühmten zeitgenössischen Musikern befassen. Er starb 1860 zu St.
Petersburg,
Jadassohn, Salomon, gewandter, vielseitiger Componist der Gregenwart,
geboren am 15. Septbr. 1831 zu Breslau, bildete sich musikalisch daselbst
unter Hesse im Clavierspiel , Lüstuer auf der Violine und Brosig in der Har-
monielehre. Zu höherer Ausbildung in diesen Eächern und um die gesammte
Tonkunst zu studiren, trat er 1848 in das Conservatorium zu Leipzig, welches
er jedoch schon nach einem Jahre, angezogen durch die glänzende Erscheinung
Fr. Liszt's in Weimar, wieder verliess. Unter der Leitung des letzteren brachte
er es als Pianist bis zum Stadium der Virtuosität, und erfolgreich Hess er sich
ziemlich häufig öffentlich hören. Bald aber folgte er dem Drange nach ge-
diegenen Compositionsstudien und wurde zu diesem Zwecke ein fieissiger
Schüler Moritz Hauptmann's in Leipzig. In dieser Stadt fixirte er sich 1852
als Componist und Musiklehrer, übernahm 1867 zugleich auch die Funktionen
eines Dirigenten des Musikvereins »Euterpe«, die er bis 1869 ausübte, und
wurde nach auffälliger Verzögerung endlich auch in das Lehrercollegium des
Conservatoriums gezogen, dem er durch die Tüchtigkeit seiner Gesinnung und
seines Strebens Ehre macht. Er unterrichtet an dem genannten Institut in
den Fächern Harmonielehre, Contrapunkt, Composition und Pianofortespiel.
Seine Compositionen zeugen von Talent, grossen Kenntnissen und hervorragen-
dem Geschick; durch frischen, klaren Gedankenfluss und glatte Form sind die-
selben wahrhaft ausgezeichnet zu nennen. Sie bestehen in Sinfonien, Sonaten,
Stücken in kanonischer Form für Orchester, Trios, Solo- und Duo- Sonaten,
Charakterstücken und dergleichen für Pianoforte, geistlichen Gesängen und
Liedern.
Jadiu, eine belgische Musikerfamilie, welche nach Frankreich übersiedelte
und dort zu grossem Ruf gelangte. Als ältestes Glied wird George J. ge-
nannt, ein tüchtiger Fagottvirtuose, welcher um die Mitte des 18. Jahrhunderts
in der Kapelle Ludwig's XV. in Versailles angestellt war. — Sein Bruder,
Jean J., war lange Zeit in Brüssel als Musiklehrer und zugleich als Violinist
im Orchester des Erzherzogs-Statthalters daselbst thätig, ging dann aber eben-
falls nach Paris, wo er Mitglied der königl. Kapelle wurde, Ciavier- und Violin-
unterricht ertheilte und kurz vor Ausbruch der französischen Revolution starb.
Von seinen Söhnen sind zu nennen: 1. Louis Emanuel J., geboren am
21. Septbr. 1768 zu Versailles, wurde, von seinem Vater musikalisch unter-
richtet, einer der fertigsten Ciavierspieler und Violinisten seiner Zeit, sowie
sehr beliebter Componist. Früh schon ward er als Musikpage in der Maitrise
der königl. Kapelle untergebracht, und widmete sich, nachdem er dieselbe ver-
lassen hatte, unter Anleitung seines Bruders Hyacinthe (s. weiter unten) be-
sonders noch dem höheren Clavierspiel. Als zweiter Cembalist wurde er 1789
in das Orchester des neu errichteten Theätre de Monsieur gezogen, rückte 1791
in die erste Stelle und trat ein Jahr später aus dem Theaterverbande. Für
Jäger. 351
das Musikcorps der Pariser Nationalgarde, dessen Mitglied er so wie viele
andere ausgezeichnete Musiker geworden war, schrieb er zahlreiche Harmonie-
stücke und componirte Cantaten, Lieder und Hymnen für die damaligen National-
und patriotischen Feste. Im J. 1802 wurde er zum Professor am Couserva-
torium und 1806 zugleich zum Orchesterchef am Theater Moliere ernannt.
Seit 1814, nach Aufhebung des Conservatoriums, fungirte er als Grouverneur
der Musikpagen bis zum J. 1830, ausgezeichnet 1824 durch den Orden der
Ehrenlegion, worauf er pensionirt wurde. Seitdem lebte er meist auf dem
Lande bei Montfort l'Amaury und starb um 1840. Für sein grosses Greschick
in der Composition zeugen ausser den bereits bezeichneten Gelegenheitsarbeiten
eine fast unübersehbare Menge von Instrumentalstücken aller Art, Gesängen
und Romanzen, sowie gegen 30 grössere und kleinere zum Theil beliebt ge-
wesene, gefällige Opern, wie: y>Amelie de Montfo^^ta, r>Les talismans«, r>Mahomet Il.a,
»L'avare punia, y>Le negociant de Boston^, »La supercherie par amoura, -aLes
hons voisinsa, r>Les deuoc lettresa etc. — 2. Hyacinthe J., geboren 1769 zu
Versailles, genoss den Ciavierunterricht seines Vaters, darauf den Hüllmandel's
und wurde bei Errichtung des Pariser Conservatoriums zum Professor seines
Instruments ernannt. Seine Unterrichtsmethode galt als vorzüglich und seine
Instrumentalcompositionen, bestehend in Clavierconcerten, Sonaten und Legons,
Trios, Streichquartetten u. s. w., wurden sehr geschätzt. Leider starb er schon
1802 an einem Brustleideu zu Paris. — 3. George J., geboren 1771 zu
Versailles, war ein Gesangsschüler Richer's und lebte bis 1817 als Siuglehrer
in Paris. Er ist der Componist zahlreicher Romanzen und Chansons, die seinen
Namen auch in das Ausland trugen.
Jäger, eine deutsche Familie von vortrefflichen Musikern, deren ältestes
Glied, Johannes J., ein Meister des Violoncellos war. Geboren am 31. Aug.
1748 zu Schlitz in der Grafschaft Görtz in Schlesien, trat er in seinen Jüng-
lingsjahren als trefflicher Waldhornist in holländische Militärdienste und kam
hierauf an den herzogl. Hof zu Stuttgart, wo er sich dem Violoncello widmete.
Um 1776 wurde er als Kammervirtuose des Markgrafen von Anspach-Bäyreuth
angestellt und erhielt später den Titel eines markgräfl. Musikdirektors. Seit
1798 lebte J. privatisirend und sich dem Unterricht seiner beiden Söhne wid-
mend, in Breslau. Diese letzteren sind: 1. Johann Zacharias Leopold J.,
geboren 1777 zu Anspach und schon in seinem neunten Jahre als Violoncellist
bewundert, Hess sich 1787 am königl, Hofe zu Berlin hören und erhielt von
der Königin ein jährliches Stipendium von 100 Thalern bewilligt. Nach meh-
reren Kunstreisen, die auch später fortgesetzt wurden, Hessen sich Vater und
Sohn 1798 in Breslau nieder, wo sie als Virtuosen ersten Ranges und als
Lehrer ihres Instrumentes hochgeschätzt waren. — 2. Ernst J., geboren 1800
in Breslau, machte als zehnjähriger Knabe in seiner Geburtsstadt sowie auf
Kunstreisen, die er mit dem Vater durch Deutschland und Ungarn unternahm,
ausserordentliches Aufsehen. Ein vorrübergehender Unterricht bei Beruh. Rom-
berg bewirkte, dass er bald seinen Vater und Bruder in der Meisterschaft auf
dem Violoncello übertraf. Mit Beiden lebte er in behaglichen Verhältnissen
und wie diese als Concertspieler sehr gesucht, in Breslau bis 1825, in welchem
Jahre er einem Rufe als Kammermusiker und Solo -Violoncellist der königl.
Kapelle nach München folgte.
Jäger, Franz, ungemein beliebter deutscher Tenorsänger, geboren 1796
zu Wien, wurde als ausserordentlich stimmbegabt erst, als er bereits Schul-
lehrergehülfe (nach Anderen Schuhmachergeselle) war, vom Kapellmeister Weigl
entdeckt und dem Gesangunterricht sowie der Bühne zugeführt. Im J. 1817
debütirte er als Ramiro in Isouard's »Aschenbrödel« im Theater an der Wien
und machte 1820 seine ersten erfolgreichen Kunstausflüge. Bis 1824 war er
der bevorzugte Lieblingssänger der Wiener, worauf er sich für das königs-
städtische Theater in Berlin gewinnen Hess und hiermit in die Glanzzeit seiner
Künstlerlaufbahn trat. Im J. 1828 ging er nach Stuttgart, wo er jedoch
352 Jäger — Jahns.
nicht sehr gefiel, so dass er bald den Schauplatz seiner Triumphe, Berlin,
wieder aufsuchte. Dort fand man aber seine Stimme dem Verfall anheimge-
fallen und versagte ihm den früheren Beifall. Auch in München 1831 wollte
es ihm nicht gelingen, sich die Gunst des Publikums zuzuwenden. Gastreisen
nach österreichischen Provinztheatern und nach Wien, wo er kaum zum Auf-
treten gelangen konnte, brachten ihm ebenfalls keinen uennenswerthen Erfolg.
Eine hartnäckig auftretende Heiserkeit des ermüdeten Stimmorgans setzte diesen
letzten Versuchen vollends ein Ziel, und er musste der Bühne gänzlich ent-
sagen. Er nahm 1836 die Stelle als Gesanglehrer am Hoftheater in Stuttgart
an, der er sich mit Eifer widmete, und starb daselbst am 10. Mai 1852. Seine
frühere vortreffliche Ausbildung unter "Weigl's Aufsicht befähigte ihn, auch
als Vocalcomponist mit sehr sanggerecht und gemüthvoll geschriebenen Liedern
aufzutreten, von denen das »Der Traum des ersten Kusses« überschriebene noch
lange nach seinem Tode sich der Popularität erfreute.
Jäg-er, Kon r ad, s. Geiger.
Jägertruiumet, Jägertrommet oder Jägerhorn hiess im 17. Jahrhun-
dert ein kleines, unserem heutigen Posthorn nicht unähnlich gebautes Hörn,
welches die Jäger führten. Dasselbe war mit dicht kreisförmigen Windungen
gefertigt und hatte kaum die Raumausdehnung der damals gebräuchlichen
Trompete, weshalb wohl die Benennung J. allgemein gebräuchlich wurde. Eine
Abbildung davon findet sich in der r,Syntagm. mus.a von Prätorius Tom. II.
auf der achten Kupfertafel, und ist diese Darstellung in den meisten später
erschienenen musikhistorischen Werken genau wiedergegeben. 0.
Jahns, Friedrich Wilhelm, königl. preussischer Musikdirektor und
Professor in Berlin, wurde am 2. Jan. 1809 daselbst geboren und von sorg-
samen Eltern erzogen. Schon früh wurde sein Talent zur Musik erkannt und
durch den Unterricht des geschätzten Pianisten Charles Detroit genährt. Seine
schöne Sopraustimme und seine äussere Erscheinung interessirten hervorragende
Mitglieder des königl. Theaters: den Baritonisten H. Blume und den Schau-
spieler Lemm; sie lenkten die Aufmerksamkeit des Intendanten Grafen Brühl
auf den Knaben, bestimmten die Eltern, ihn der Bühne zu widmen, und bald
wurde J. als Sopran in den Chor der königl. Oper eingestellt, wirkte bei Auf-
führung classischer Werke mit und trat in einigen kleinen Rollen im Schau-
spiel auf. Da hierdurch jedoch sein Schulbesuch litt, so zogen ihn die Eltern
nach etwa einem Jahre von dieser direkten Vorbildung für die Bühne zurück.
Die Fortccewährung freien Besuches von Theater und Concertsaal Hess aber
auch in der Folge alle bedeutenden Werke und Meister der dramatischen Kunst
und der Musik an J. vorübergehen. Von diesen künstlerischen, ihn in der
Stille fortbildenden Erlebnissen sollte endlich eines entscheidend auf den Knaben
wirken: die Erstlingsaufführung des »Freischütz« unter C. M. v. Weber's eigener
Leitung (18. Juni 1821). Diese riss ihn zum Enthusiasmus hin und ent-
zündete in ihm jene Liebe zu AVeber's Muse, welcher J. bis ins Alter treu
geblieben ist. Mit nachhaltigem Fleisse hatte er sich bisher schon dem Stu-
dium des Ciavierspiels hingegeben; bald empfing er auf dem Gymnasium zum
grauen Kloster auch die erste gründliche Unterweisung im Gesänge durch
Ed. Grell.
Indessen hielten seine Gönner die Absicht, J. der Bühne zuzuführen, fest,
und nach seinem Abgange vom Gymnasium übernahmen, hingebend und un-
eigennützig, Leram die dramatische, Stümer die gesangliche Ausbildung des
Jünglings, der nun eine Reilie von Parthien ernsten Faches auf der Privat-
bühne »Urania« gab, die damals Vorzügliches leistete. Daneben setzte J. seine
musikalischen Bestrebungen fort, geleitet von dem königl. Kammermusiker
Louis Horzizky, Flötisten und Pianisten, einem tretfiichen Schüler Berger's und
Zelter's. Dieser feinsinnige Künstler und geschickte Componist blieb bis zu
seinem allzu frühen Tode J.'s Lehrer im Clavierspiel wie Theorie. Bald unter-
nahm bei ernstem Weiterstudium J. selbstschöpferische Versuche, die Aner-
Jahns. 353
kenriuiig fanden; seine Bethätigung als Sänger und Pianist öflfnete ihm zugleich
einflussreiche Kreise, und endlich errang er mit seinem ersten gestochenen
Gesangwerke einen entschiedenen Erfolg. Dies Ereigniss brachte in J. den
schon längst emporgewachsenen Entschluss, die theatralischen Bestrebungen
aufzugeben und die musikalische Laufbahn zu betreten, zur vollen Reife. Als
Concertsänger mit Beifall aufgenommen, zählte J. bald zu den gesuchten, und
in nicht langer Zeit zu den ersten Gesanglehrern Berlins. Als solcher bis
jetzt noch rüstig wirkend, hat er über 900 Schüler und Schülerinnen privatim
unterrichtet; auch Prinzessin Louise von Preussen, die Tochter des Prinzen
Karl, zählte dazu von 1849 bis 1852; zugleich war er am Hofe dieses Prinzen
bis 1856 als leitender Musiker und Sänger bei Festlichkeiten thätig.
Im Novbr. 1845 begründete J. einen Gesangverein, welchem er 25 Jahre
hindurch bis Decbr. 1870 als Director vorstand. Der »Jähns'sche Gesang-
verein« widmete sich in seinem fein geschulten gemischten Chore den Werken
der besten Meister geistlicher und weltlicher Musik. Im Hause des verewigten
Schinkel ins Leben getreten, hatte derselbe das Glück, seine Versammlungen
und Uebungen fast ausschliesslich im Laufe seines Bestehens nach und nach
in den schönen Sälen vier verschiedener königl. Ministerien halten zu dürfen.
— Neben den Erfolgen seiner Lehrer- und Dirigententhätigkeit hat J. deren
nicht minder als Componist aufzuweisen. Im Stich erschienen von ihm von
1829 bis jetzt über 130 ein- und mehrstimmige Gesänge (darunter mehrere
Kirchensachen), ferner 1834 ein grosses Trio für Piano, Violine und Cello,
ein melodisch und harmonisch frisches und glänzendes Werk, op. 10 (Berlin,
Schlesingei'), an welchem sich 1835 einer der seltenen literarischen einfachen
Diebstähle vollzog, insofern dasselbe in Paris, gänzlich unverändert in Partitur
und Stimmen, unter folgendem Titel herauskam: »J^'' Trio concertant pour
Piano, Violon et Violoncello dedie ä son ami Mr. Henri de Limay par Charles
Merzdj op. 34. Ferner erschienen von J.: »Grosse Sonate« für Pianoforte und
Violine, op. 32 (Meyerbeer dedicirt; Wien, Haslinger); »Grosses Duo« für
Pianoforte und Cello, op. 33 (ebendas,); »4 Fieces car acter istiques«. für Piano-
forte, op. 29 (ebendas.); »Heeres- Auszug und Heimkehr«, zwei deutsche Fest-
märsche für Pianoforte zu vier Händen auf das Jahr 1871, op. 49 und 50
(Berlin, Schlesinger) und andere Pianofortewerke kleineren TJmfangs. — Un-
gedruckt blieben bis jetzt eine namhafte Anzahl von Gesängen und Pianoforte-
Compositionen, unter denen die zu vier Händen von hervorragendem Werthe
— alles Arbeiten hauptsächlich aus den späteren Jahren bis zur Gegenwart
und Belege einer immer frischen Arbeitskraft und nie erlöschender Freude
am Schaffen.
Eine ausgezeichnete Stelle nimmt J. als Arrangeur ein; er bearbeitete
als solcher u. A. Spontini's »Borussia« und »Festmarsch« für Pianoforte zu vier
Händen; das Bedeutendste aber in dieser Richtung leistete er in den vierhän-
digen Pianoforte- Arrangements Web er 'scher Werke, welche in ihm ihren ver-
ständnissvollsten Interpreten gefunden haben. Dahin gehören die derartigen
Bearbeitungen der vier grossen Pianoforte-Sonaten op. 24, 39, 49 und 70; des
grossen Trios op. 63, des zweiten grossen Ciavier - Concerts in Ss, der
grossen Messe No. I in ^.^', wie der Ouvertüren zu »Freischütz« und »Preciosa«.
Auch ist hier seiner kritischen Neu-Ausgaben, der von 100 Weber'schen Lie-
dern und der neuen vollständigen Ciavierauszüge von »Oberon« und »Preciosa«
(sämmtlich Berlin, Schlesinger) zu gedenken. — Dein Meister Weber ist denn
auch ganz vorzugsweise J.'s schriftstellerische Thätigkeit gewidmet, deren
Hauptwerk von der Kritik des In- und Auslandes als eine musterhafte Arbeit
von grossem und dauerndem Werthe einstimmig anerkannt wurde. Es ist dies
der gegen 500 Seiten starke Band, betitelt: »C. M, von Weber in seinen
Werken. Chronologisch -thematisches Verzeichniss seiner sämmtlichen Com-
positionen nebst Angabe der unvollständigen, verloren gegangenen, zweifelhaften
und untergeschobenen, mit Beschreibung der Autographen, Angabe der Aus-
Musikai. Oouver.s.-Lexikou. V. *•'
t
354 *Taell.
gaben und Arrangements, kriüsclien, kunstbistorischen und biographischen An-
merkungen, unter Benutzung von Weber's Briefen und Tagebüchern und einer
Beigabe von Nachbildungen seiner Handschrift« (Berlin, 1871). Dieser grossen
Arbeit, welcher nur etwa Köchel's »Mozart« verglichen werden kann, schloss
sich an: »C. M. v. Weber. Eine Lebensskizze nach authentischen Quellen.
Mit einem neuen Bildnisse AVeber's« (Leipzig, 1873). Bei gedrängter Kürze
ist diese Biographie wohl das Zuverlässigste, was in so engem Rahmen über
den Meister erschienen. Auch eine namhafte Anzahl einzelner Aufsätze hat
J. in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht. — Von Bedeutung ist die musi-
kalische Bibliothek J.'s, als deren seltenster und werthvollster Schatz eine
Sammlung von nTVeberianuK erscheint, welche gegen 35ÜÜ Piecen umfasst.
Unter den Noteu-Autographen Weber's befinden sich darin u. A. die vollstän-
digen Entwüi'fe zu »Euryanthe« und der »Aufforderung zum Tanz«, die Lieder
zu »Leyer und Schwert«, die Messe in JSs etc.; ungedruckt: ein Concert für
Viola, die Theatermusiken zu »Yngurd« und E. Gehe's »Heinrich IV.«, mehrere
früheste Jugendarbeiten Weber's etc.; dazu kommen gegen 300 eigenhändige
Briefe und Schriftstücke des Meisters, gegen 700 Briefe desselben in Copie,
dessen sämmtliche gedruckte und ungedruckte Werke, jene in der ersten und
fast allen Ausgaben und Arrangements des In- und Auslandes, diese in Copie;
eine ganze Literatur über Weber in grösseren Werken und kleineren Einzel-
schriften, eine Sammlung bildlicher Darstellungen, Weber betreffend, darunter
allein 86 Bildnisse desselben, Reliquien, Curiusen u. v. A. Diese -nWeherianan
sollen nach J.'s Ableben an eine öffentliche Staatsbibliothek übergehen, —
Aeusserliche Anerkennungen, die J. geworden, sind: 1849 seine Ernennung
zum königl. Musikdirector, 1870 desgleichen die zum k. Professor; ferner 1871
die Verleihung des Ritterkreuzes des k. k. österreichischen Eranz-Josef-Ordens,
des Ritterkreuzes 1. Klasse des grossherzogl. badischen Ordens vom Zähringer
Löwen, des Ritterkreuzes 2. Klasse des herzogl. Sachsen-Ernestinischen Haus-
ordens, der goldenen Medaille durch den König Ludwig IL von Baiern, wie
1846 einer gleichen durch den damaligen Kronprinzen Georg von Hannover.
— Ein von Stein gezeichnetes, von C. Fischer lithographirtes ähnliches Bildniss
von J. erschien 1854 in Berlin, Tx'autwein (Bahn).
Jaell, Alfred, voi-züglicher Pianofortevirtuose, geboren am 5. März 1832
zu Ti'iest, wurde von seinem Vater anfangs im Violinspiel unterrichtet, ging
aber in seinem sechsten Jahre zum Ciavier über, auf dem er so reissende Fort-
schritte machte, dass er von 1843 an als angestauntes AVunderkind grosse
Concertreisen unternehmen konnte. Wien, Mailand und das südliche Frank-
reich waren damals die Hauptstätten seiner Triumphe. Ende 1845 begab er
sich nach Brüssel, wo er zwei Jahre lang blieb und nur einige Ausflüge nach
Holland machte, hierauf 1847 nach Paris, wo man ihm als Pianisten huldigte.
Er blieb dort bis zur Februarrevolution von 1848 und trat dann eine mehr-
jährige Concertreise nach Amerika an. Im J. 1854 durchflog er Deutschland,
Polen und Russland und hielt sich in Leipzig und Paris länger auf, überall
unverminderte Triumphe einerntend. Vom König von Hannover wurde er zum
Hofpianisten ernannt und erfreute sich auch zahlreicher ajiderer Auszeichnungen.
Seit 1860 wechselte er seinen Aufontlialt zwischen Holland und Paris und be-
gleitete im AVinter 1864 und 1865 die Sängerin Carlotta Patti als Concert-
genosse durch Deutschland, ohne jedoch namhafte Erfolge aufweisen zu können, ,
da er bereits durch geistvollere Pianisten in den Schatten gestellt war. Nur
in Italien und Frankreich begegnete er nach wie vor der alten Anhänglichkeit,,
und er gab auch während und nach dem französischen Kriege von 1870 seiner
Sympathie für die besiegte Nation unverhohlenen Ausdruck. Verheirathet ist
er mit der vortreftlichen Pianistin Traut mann, mit der zusammen er häufig
in Paris und in französischen Badeorten Concerte giebt. Sein Spiel ist im
höchsten Grade fertig und iraponirt durch Glanz, aber nicht durch Tiefe.
Diesen Eigenschaften entsprechend sind auch seine Compositionen, bestehend ■
Jäschke — Jagati. 355
in Transscriptioneu, Salonstücken, Fantasien über Openimelodien und anderen
schalen Ciaviersachen. Er hat es in Folge seines unausgesetzten Touiisteulebeus
auch nicht zu einem einzigen gehaltvollen grösseren Werke gebracht.
Jäschke, Hermann Gustav, tüchtiger deutscher Violinist, geboren am
13. Decbi'. 1818 zu Breslau, machte sich im localeu Umkreise als hervorragen-
der Vertreter seines Instrumentes rühmlich bekannt. An die grössere Oeffent-
lichkeit trat er als Componist von Ciavier- und Violinstücken.
Jaffe, Moritz, guter Violinist und talentvoller Componist, geboren am
3. Jan. 1835 zu Posen, wurde von seinem Vater, der Gutsbesitzer war, eben-
falls für die Landwirthschaft bestimmt und musste die Gymnasien in Posen,
Bromberg und seit 1853 in Berlin besuchen. Nachdem er in der Provinz
einen nothdürftigen Musikunterricht genossen hatte, wurde er in Berlin ein
fleissiger Violinschüler von H. Ries und trat in die königl. Orchesterschule.
Zugleich begann er bei C. Böhmer die theoretischen Curse. Der Abneigung
seiner Familie gegen musikalische Studien musste er endlich nachgeben und in
ein Bankgeschäft treten. Dort hielt er es jedoch nicht lange aus und begab
sich 1858 heimlich nach Paris, wo er bei Maurin und bei Massard Violinspiel
sowie bei Hauptner Compositionslehre studirte. Nach Berlin zurückgeführt,
musste er sich wieder der industriellen Thätigkeit zuwenden, Hess sich aber
von Ferd. Laub vollends ausbilden; öffentlich aufzutreten wurde ihm jedoch
nicht gestattet. So sehr ihm das Glück in seinen industriellen Unternehmungen
zur Seite stand, so wenig befriedigt fühlte er sich von der Consequenz, der
Kunst nur als Dilettant nahe stehen zu dürfen, und nachdem er sich eifrig den
Studien des Contrapunktes und der Instrumentation unter Leitung B. Wüerst's
und sodann Ludw. Bussler's hingegeben hatte, entsagte er den Handlungsge-
schäften und widmete sich in gesicherten Verhältnissen seit 1870 ausschliesslich
der Musik. Er hat bis jetzt zwei Opern, »Das Käthchen von Heilbronn«, auf-
geführt in Augsburg und Prag, und »Eckehard«, componirt, ausserdem ein
Streichquartett, eine Reverie für Violine, mehrere Preislieder für das deutsche
Liederbuch u. s. w. Bedeutend ist J. als Quartettgeiger; als solcher weiss er
fast sämmtliche Quartette von Mozart, Beethoven, Mendelssohn, Schubert u. s. w.
auswendig.
Jagrati nennen die Inder einen musikalischen Rhythmus der Hymnen der
Veda's (s. d.). Bis heute herrschen über diese Rhythmen im Allgemeinen,
wie über den J. genannten noch verschiedene Anschauungen. Benfey behauptet,
der J. bestehe aus vier Abtbeilungen, jede aus zwölf Sylben gebildet, welche
Sylben zuweilen je sechs, zuweilen je zwölf eine Strophe ausmachen. Jedes
Glied hat iambisches Metrum, jedoch die Schwere auf dem letzten Theil
s_
4
steht. In gewissen Hymnen gestaltet sich der J. jedoch so, dass auf einen
Spondeus ein lambus folgt, und noch andere mehr hiervon abweichende J.
findet man im modernen Volksgesang, wie:
-1^—
T
, wodurch ein regelmässiger musikalischer Rhythmus ent-
(i-R-^-
s
S _ 1^ 13
r-[4'rr-\^^-rr-f4rrr[^rrf4-rrt
etc.
M. Müller theilt alle vedischen Rhythmen in sieben Klassen, und findet, dass
der J. aus 12 + 12+12 + 12 Sylben im rein iambischen Zeitmaass besteht.
Derselbe giebt als Beispiel folgende Sätze;
Ab - hi tyam meslam pur-ra-ha tamrig miham indram
23*
356
Jacfdhorn — Jaha.
gir - tlür ma - da - ta var - va
T-rTi-r-r-rr-r
j. ^
ar - na
-o-
vam
i-r'
e
- J. ^ S ^ Z ^ J. ^ J. ^ J. ^ ±
Yar - ya hya - vo na vi - ka ran - ti mti - nus - kä bhu - ee
i I 13 I ! I
-rrr-rrr-ri r^rr-rTT-rtT-rTT "r
manihust • lain abhi
e-p
vipram ar - ka - ta
4 I
-nr-rr
Gewissheit über die J. kann erst die Zukunft bieten (s. Indische Musik). 0.
Jag'dhoru (ital.: co7'no da caccia, franz.: cor du chasse) oder Waldhorn,
s. Hörn.
Jag'cin.aun, Christian Joseph, deutscher Gelehrter, geboren 1735 zu
DingelstUdt im Eichsfeld, wurde nach einem wechselvollen Mönchs- und Priester-
leben 1773 Direktor am katholischen Gymnasium zu Erfurt und 1775 Privat-
bibliothekar der Herzogin Amalie von Weimar. Als solcher starb er am
4. Febr. 1804 zu Weimar. Der »Deutsche Merkur« brachte von ihm 1796 einen
Beitrog zum Leben und zur AVürdigung Sacchini's, — Seine Tochter, Karo-
line J. , geboren 1778 zu Weimar, glänzt unter den Sternen der deutschen
Bühneugesang- und Schauspielkunst. Durch ihre ausserordentliche Schönheit
und ihr sich schon früh kund gebendes seltenes Talent nahm sie die Herzogin
Amalie völlig für sich ein , welche sie nach Mannheim sandte und durch das
Sängerpaar Beck, sowie durch Iffland gi'ündlich für die Bühne ausbilden Hess.
Von dort, wo sie bereits höchst erfolgreich aufgetreten war, zurückgekehrt, de-
bütirte sie am 19. Febr. 1797 im »Oberou« von Wranitzky und wurde als
Hofsängerin am weimar'schen Theater angestellt. Durch ihre körperlichen
Reize, wie durch ihr seelenvolles Spiel, ihren unvergleichlichen Vortrag und
ihre im Tragischen ergreifende Darstellung riss sie Alles zur Bewunderung hin und
einige Ausflüge, besonders ein Gastspiel in Berlin im J. 1801, vermehrten ihren
Ruhm. Selbst Goethe und Schiller huldigten ihr, und der Grossherzog Karl
August buhlte um ihre Liebe. Erst nach langem Widerstreben ergab sie sich
dem Letzteren und wurde unter dem Namen Frau von Heigendorf mit dem
Rittergut Heigendorf beschenkt. Ihrem seitdem mächtigen Einflüsse soll sogar
Goethe gewichen sein, indem er, um ihr gänzlich das Feld zu räumen, 1821
von der Verwaltung der Bühne zurücktrat, auf welche sie von da an bis zum
Tode des Grossherzogs, als Künstlerin noch 1822 bewundert, den grössten
Einfluss ausübte. Hierauf musste sie, gehasst vom Hofe und dem Lande,
Weimar verlassen und ging nach Berlin, wo sie mehrere Jahre zurückgezogen
verlebte. Seit 1830 jedoch hielt sie sich abwechselnd auf ihrem Gute, in
Mannheim und anderen deutschen Städten auf. Sie starb 1847 zu Dresden.
.Jalin, Otto, einer der berühmtesten Philologen und Archäologen Deutsch-
lands, aber auch tüchtiger Musiker, mustergültiger Kritiker und vorzüglicher
musikalischer Schriftsteller, wurde am 16. Juni 1813 zu Kiel geboren. Durch
seinen Vater, welcher Syndicus war, erhielt J. eine vortrefiliche Gymnasial-
bildung, erst in seiner Vaterstadt, dann zu Schulpforta, mit welcher eine un-
ausgesetzt eifrige Beschäftigung mit Musik verbunden war. Seine Universitäts-
studien begann er 1831 zu Kiel unter Nitzsch, setzte sie zu Leipzig unter
Hermann fort und vollendete sie von 1833 an unter Lachmann und Böckh zu
Berlin. Nachdem er 1836 in Kiel promovirt und sich einen Winter in Kopen-
hagen aufgehalten hatte, ging er, von der dänischen Regierung unterstützt,
1837 nacli Paris, dann nach der Schweiz und im Herbst 1838 nach Italien,
wo er zu Rom eifrig archäologischen und altmusikalisch cn Forschungen oblag.
Jahn. 357
Nach seiner Rückkehr Ende 1839 habilitirte er sieb in Kiel, wurde aber schon
1842 als ausserordentlicher Professor nach Greifswald berufen, wo er 1845 eine
ordentliche Professur erhielt. Zwei Jahre später ward er in gleicher Eigen-
schaft sowie als Direktor des archäologischen Museums in Leipzig angestellt,
und auch hier war er musikalisch überaus thätig. Wegen seiner Theilnahme
an den politischen Bewegungen der Jahre 1848 und 1849 wurde er 1851
seines Amtes entsetzt und privatisirte seitdem in Leipzig, bis er Ostern 1855
einem ehrenvollen Rufe an die Universität Bonn Folge leistete. Sein Wirkungs-
kreis daselbst war ein sehr umfassender und sein bewundernswerther Privat-
fleiss erweiterte denselben zu ausserordentlichem Umfang. Gerade mit der
Herausgabe von Moritz Hauptmann's Briefen beschäftigt, ereilte ihn leider zu
früh bei einem Besuche in Göttingen am 9. Septbr. 1869 der Tod.
J. hat sich das Heimath- und Büi'geri*echt auf drei Gebieten gewonnen,
deren jedes die volle Zeit und Kraft des Einzelnen sonst zu fordern pflegt:
auf dem der classischen Philologie und Archäohgie, der deutschen Literatur,
namentlich der mittelalterlichen, endlich der Geschichte der Musik. Sein der
letzteren gewidmetes Hauptwerk ist die grosse »W. A. Mozart« betitelte Bio-
graphie (4 Bde., Leipzig, 1856 bis 1859; zweite umgearbeitete Aufl., 2 Bde.,
Leipzig, 1867). Unermesslich ist die Ausbeute geduldiger, liebevoller, wissen-
schaftlicher Arbeit, die hier niedergelegt worden. Nicht allein in dem Reich-
thum und der Zuverlässigkeit des thatsächlichen StofiPs, wie in der ruhigen
Sicherheit des kritischen und ästhetischen Urtheils ist diese Lebensbeschreibung
unübertroffen und für alle Zeiten mustergültig, sondern auch noch durch den
wichtigsten Vorzug, der sie zu einem biographischen Kunstwerk stempelt.
Während sie nämlich das Wesen ihres Helden aus dessen innerster Natur-
anlage, wie aus den verschiedenen, es nährenden und kräftigenden Bildungs-
elementen organisch sich entwickeln lässt, während sie in der Mannigfaltigkeit
des Einzelnen stets die Beziehungen zum Ganzen gegenwärtig hält, entfaltet
sie ein Schauspiel, das in seiner reinen Harmonie, durchsichtigen Klarheit und
allseitigen Folgerichtigkeit kaum minder erhebend, als irgend welche unter den
Schöpfungen, die dem hier geschilderten Leben ihre Entstehung verdankten, ist.
Dabei erscheint der Tondichter Mozart werdend und wachsend stets in innigster
Wechselwirkung mit den Menschen und Dingen um ihn her; gleich einem
mächtigen Stamm mit allen Zweigen, Blättern, Blüthen und Früchten, nicht
minder mit dem gesammten Erdreich, das seine Wurzeln umklammern, ist hier
die Gestalt des Meisters herausgehoben aus dem Boden der Culturgeschichte.
Der grossen Mozart- sollte eine ähnliche Beethoven-Biographie folgen, zu der
J. bereits eine Fülle unschätzbaren Materials mühsam zusammengebracht hatte.
Er sollte seinen Vorsatz jedoch unerfüllt lassen und die auf diese Arbeit mit
Recht gesetzten grossartigen Erwartungen durch den Tod vereiteln.
Seine in verschiedenen Zeitschriften zerstreuten musikalisch -kritischen
Artikel gab J. unter dem Titel »Gesammelte Aufsätze über Musik« (Leipzig,
1866) heraus. Namentlich mit den »Grenzboten« hat er bis zuletzt in lebhafter
Verbindung gestanden; sie verdanken ihm auf musikalischem Felde zwei geist-
volle Berichte über die beiden grossen niederrheinischen Musikfeste von 1855
und 1856, einen an kritischer und biographischer Belehrung reichen Aufsatz
über die Gesammtausgabe der Beethoven'schen Werke, endlich die geharnischten
Artikel über Berlioz und Rieh. Wagner. Der begeisterte Bewunderer und
kundige Ausleger des classischen Alterthums, dem in den Schöpfungen der
Wiener Tonschule eine ähnliche Welt der Schönheit aufleuchtete, wie sie einst
dem antiken Ideal entblüht, erblickte in den Tonstürmen der jüngsten roman-
tischen Schule nur die rohen Ausbrüche kunstfeindlicher Willkür. Endlich
hat J. noch eine Schrift »Ueber Mendelssohn's Paulus« (Kiel, 1842) und einen
durch seine kritische Sorgfalt musterhaften Ciavierauszug von Beethoven's
»Ijeonore« (Leipzig, 1851) verfasst. Auch als Componist von Chor- und Solo-
liedern, denen Weihe und Innigkeit der Stimmung, Fluss und Adel des Aus-
358 Jaina — Jambe-de-Fer.
drucks nachzurühmen ist, hat er sich versucht. Sinnige Weisen hat er endlich
zu einigen Gedichten aus Klaus Groth's »Quickhorn« gesetzt. Eine in strengster
philologischer Zucht geschulte Kritik, umfassendste "Weite des allgemeinen
geistigen wie des künstlerischen Gesichtskreises, die damit zusammenhängende
Besonnenheit, Reife und Unbefangenheit des Urtheils, die innigste Vertrautheit
mit der geschichtlichen Entwickelung der Musik, das klare Bewusstsein von
ihrem ästhetischen und nicht minder von ihrem ethischen Beruf, dazu genaue
Bekanntschaft mit ihrem technischen Werkzeug, endlich eine selbst unter deut-
schen Gelehrten seltene Arbeitskraft, alle diese Eigenschaften im erhebenden
Bunde zeichneten J. aus und sichern ihm einen der allerersteu Plätze in der
musikalischen Literaturgeschichte.
Jaina ist der Name einer Blattflötenart aus weichem Schilfrohr, welche
bei den Indianern im westlichen Südamerika, wie Tschudi in seinen Reise-
skizzen aus Peru (1846) berichtet, heimisch ist. Der Ton dieses Instru-
ments soll auf die Indianer schwermuthsvoll wirken, so dass derselbe sie aus
dem lärmendsten Toben sofort zur grössten Ruhe und Andacht umzustimmen
vermochte. 0.
Jaladhamala heisst in der indischen Musik ein Rhythmus aus 52 Sylben,
welche in folgenden Längen gegeben werden müssen:
^ r I ii I riiiiri i ii r
Er wird vier Mal wiederholt und vier Glieder sind zuzusetzen (s. Indische
Musik). 0.
Jaleo de Xeres (span.), ein in Spanien gebräuchlicher Nationaltanz von
lebhaftem Charakter. Durch die moderne Oper und das Ballet ist er all-
gemeiner bekannt geworden.
Jalousieschweller nannte Grenie eine Vorrichtung an der Orgel, die er
1811 erfand und vermöge welcher er den Klang mehrerer Register nach Be-
lieben zu- und abnehmen lassen konnte. Er baute zu dem Ende die Register,
welche er sich in dieser Weise zu Gebote stellen wollte, in einen festgeschlos-
senen Kasten. Die eine Wand dieses Kastens bildeten Jalousienläden, welche
von dem Spieler nach Belieben geöffnet und geschlossen werden konnten, so
dass, je naclidem der Ton der Orgelpfeifen freier oder behinderter nach Aussen
gelangte, sich die Kraft desselben kundgab. Man regiert die Jalousien durch
unter dem Orgelmanuale angebrachte Registerstangen, welche mit dem Knie
behandelt werden, oder durch an der Seite oberhalb des Pedals befindliche
Hebel, die mit den Füssen niedergetreten werden ; beide Registerzugarten wer-
den mittelst einer Feder wieder in die Ruhelage getrieben (s. auch Cres-
cendo- und Decrescendozug). • 2.
Jamard, fi'anzösischer Geistlicher und Mathematiker, geboren 1720 in
der Normandie, war Prior in Roquefort und veröffentlichte Untersuchungen
über die Theorie der Musik nach einem Werke Balliere's über denselben
Gegenstand.
Jamata-Koto oder Jamata-Kollo nennen die Japanesen ein Saiteninstru-
ment, das dem Kin (s. d.) der Chinesen ähnlich, doch viel roher gebaut ist.
Dasselbe, die Harfe des gemeinen Volkes, besitzt einen Bezug von nur sechs
Saiten und diese werden mit einem Piektrum behandelt. 0.
Jambe-de-Fer, Philibert, französischer Contrapunktist des 16. Jahrhun-
dei'ts, geboren zu Lyon (nicht, wie vielfach raitgetheilt, zu la Fere), bekannte
sich zur calviuistischen Religion und hat in Folge dessen die Psalmbearbeitungen
dieser Kirche in Musik gesetzt. Er scheint auch einige Zeit in Poitiers und
Paris gelebt zu haben, dürfte aber in Lyon, vielleicht sogar als ein Opfer der
Bartholomäusnacht, im August 1.572. gestorben sein. Seine bekannt gebliebenen
AVerke sind: »Les cent psaumes de David mis en fraiignis jmr Jean Poictevin,
ä quatre partiesi (Poitiers, 1549; spätere Ausg. 1551 und Paris, 1558); »Les
lambikon — Janacconi. 359
vingt-deux octonnaires du psalme 119 de David, traduits par J. Poictevin, mis
en musiqioe ä 4 partiesv. (Lyon, 1561); »Zes cent et cinquante psaumes de David,
mis en rimes frangaises par Clement 3Iarot et Theodore JBeze ä quatre et cinq
partiesa (Paris, 1561, und Lyon, 1564).
lambikon (griech.) hiess einer der fünf Theile der den Sieg des Apollon
über den Drachen Python feiernden Hymne, mit welcher die in den pythischen
Spielen zu Delphi um den musikalischen Preis wetteifernden Sänger sich hören
lassen mussten.
lamblichns, ein neuplatonischer Philosoph aus Chalcis in Cölesjn-ien, lebte
im 4. Jahrhundert n. Chr. und war ein Schüler des Porphyrius. An dem
Kaiser Julian fand er, als Vertheidiger des alten Grötterglaubens , einen be-
geisterten Verehrer. Von seinen vielen Schriften, von denen u. A. eine Ab-
handlung über die Musik verloren gegangen zu sein scheint, sind ausser einigen
mathematischen noch übrig ein grösseres Fragment des Lebens des Pythagoras
und eine Ermahnung zur Philosophie, beide von Kiessling (Leipzig, 1813 und
1815) herausgegeben. Das Meiste, was von der Lehre des Pythagoras über
die musikalischen Propoi'tionen noch bekannt geblieben ist, stammt aus dem
zuerst genannten Bruchstück.
lambos (griech.; latein.: lamhus) heisst in der Metrik theils ein aus einer
kurzen und langen Sylbe (^ —) bestehender Versfuss, theils überhaupt ein aus
mehreren solchen Füsse zusammengesetzter Vers, auch der iam bische Vers
genannt, dessen Erfindung man dem altgriechischen Dichter und Tonkünstler
Archilochus (s. d.) zuschreibt, der ihn schon völlig ausgebildet in seinen
Schmähgedichten angewendet hat (s. auch Metrum).
James, John, berühmter englischer Orgelvirtuose und Componist, geboren
gegen Ende des 17. Jahrhunderts, fungirte an mehreren Kirchen in London
als stellvertretender Organist, wobei er sich auf jährlich acht Pfd. Sterl. stand.
Gleichwohl übertraf er hoch alle Organisten, für die er aushülfeweise eintrat,
und seine Kunst zu improvisiren und frei zu phantasiren soll anstaunenswerth
gewesen sein. Zu einer festen Anstellung vermochte er leider nicht zu ge-
langen, da er zu sehr dem Trünke und anderen Ausschweifungen ergeben war.
Er starb 1745 zu London und wurde in hervorragend feierlicher Weise be-
erdigt, da zahlreiche Musiker sich einfanden und eine Trauerhymne seiner
Composition ausführten. Hinterlassen hat er einige Fantasien und Capriccios
für Orgel im grossen Style Händel's, sowie viele Gesänge. — Ein englischer
Flötist neuerer Zeit, William N. James, ein Schüler Nicholson's, hat unter
dem bescheidenen Titel -»A word or two on the ßufe« (London, 1826) ein
ziemlich umfangreiches Buch veröffentlicht, welches auf 252 Seiten die tech-
nischen, bei der Flöte in Betracht kommenden Gegenstände behandelt und
biographische Notizen über zahlreiche Flötenvirtuosen älterer und neuerer Zeit
giebt. Eine Uebersetzung dieses Buches im Auszuge von Karl Grenser befindet
sich im Jahrg. 18.30 der »Leipziger allgem. musikal. Zeitung«.
Jan, latinisirt Janus, ist der Name zweier Componisten des 17. Jahr-
hunderts. 1. David J. , ein niederländischer Touküustler, veröffentlichte die
150 Psalme David's, nach Melodien der reformirten Kirche für vier bis acht
Stimmen gesetzt (Arastex-dam, 1600). — 2. Martin J., um 1650 Cantor zu
Sorau, dann Rector zu Sagan, endlich Prediger, zuerst in Eckersdorf bei Sagan
und dann im Brieg'schen, starb daselbst zwischen 1665 und 1670. Sein
Hauptwerk ist das yyPassionale melodicuma (Görlitz, 1663), wie er denn über-
haupt als Componist von Choralweisen bei seinen Zeitgenossen vortheilhaft
bekannt gewesen wai*.
Janacconi, Giuseppe, auch häufig Jannaconi und Jannacconi ge-
schrieben, vortrefflicher Kirchentonsetzer der neueren römischen Schule, wurde
1741 zu Rom geboren. Sein erster Lehrer im Gesang, Accompagnement und
den Anfangsgründen des Contrapunktes war Soccorso Riualdini, Sänger der
päpstlichen Kapelle, worauf J. bei Gaetano Carpiui, Kapellmeister an mehreren
360 Janatka — Janequin.
Kirclien in Rom, seine Studien fortsetzte. Vollkommen ausgebildet, wurde er
mit Pasquale Pisari befreundet, mit dem zusammen er einen grossen Theil der
"Werke Palestrina's in Partitur setzte, bei welcher Arbeit sich J. so kenntniss-
reich und geschickt zeigte, dass Pisari erkläi'te, kein Anderer sei so würdig,
die Traditionen der altröraischen Schule weiter zu verpflanzen. In der That
errichtete J. auch eine Schule für Composition, welcher Italiener und Ausländer
zueilten, und aus der urA. Basili und Baini hervorgegangen sind. Im J. 1811
wurde J. zum Kapellmeister des Vaticans und der St. Peterskirche ernannt,
als welcher er Nachfolger Zingarelli's war, der das Direktorium des Conser-
vatoriums in Neapel übernommen hatte, und starb am 16. März 1816, nachdem
er einige Tage zuvor auf der Strasse von einem Schlaganfall getroffen worden
war. Er war ein Meister ersten Ranges im strengen, wie im sogenannten or-
ganischen und instruraeutaleu Style; vorzüglich aber entwickelte er im acht-
und 16 stimmigen Satze eine geniale Kraft, die in neuerer Zeit vergeblich ihres
Gleichen suchen möchte. Man hat von ihm viele Messen zu vier, acht und
16 Stimmen, theils mit Begleitung der Oi'gel, theils mit Orchester, ferner
Psalme, Motetten, Magnificats, Te deums, OfiFertorien, Kanons und andere
Kirchenstücke, die sich theils im Besitz von Baini und Fetis befanden, theils
in der Santini'schen Sammlung zu Rom und in der Proske'schen Bibliothek
zu Regensburg aufbewahrt werden. Die letztere weist von ihm auf: mehrere
vierstimmige Motetten, ein Autograph »Temcisti manuma für drei Stimmen
mit der Jahreszahl 1794 und einen ebenfalls von seiner Hand sehr zierlich
geschriebeneu Kanon.
Jauatka, Johann Nepomuk, ausgezeichneter Waldhornvirtuose und
Lehrer seines Instruments, geboren am 29. April 1800 zu Trzeboratitz in
Böhmen, genoss den ersten musikalischen Unterricht von seinem Oheim Joseph
Zelenka, dortigem Scliullehrer und Organisten, und trat 1813 als Zögling in
das Conservatorium zu Prag, wo er bis 1819, eingehend das "Waldhorn sowie
Harmonielehre und Contrapunkt studirend, verblieb. Im J. 1822 wurde er
als Hornist an das Hofoperutheater zu Wien gezogen, dem er bis zum Schlüsse
dieses Theaters 1828 angehörte, worauf er in das Orchester des Theaters an
der Wien trat, 1832 aber einem Rufe als Lehrer für AValdhorn an das Con-
servatorium zu Prag folgte. Dort wurde er zugleich Oi'chestermitglied des
ständischen Theaters und Direktor der Tonkünstler- Societät für Wittwen und
Waisen. Seinem Lehramt widmet er sich auch noch gegenwärtig, obwohl
hochbejahrt, mit grossem Eifer; von seinen Schülern sind vorzugsweise zu
nennen: Heinr. .Grottwald, Alois Taux, Joh. Lewy und Joh. Koleschowsky.
Besonderes Verdienst erwarb sich J. durch Abfassung eines gründlichen theo-
retischen und praktischen Uuterrichtsbuches für Waldhorn, welches mit bestem
Erfolge in der Prager Lehranstalt zur Anwendung beim Unterricht ge-
langt ist.
Jancourt, Louis Marie Eugene, vorzüglicher französischer Fagottist
und Componist für sein Instrument, geboren am 15. Decbr. 1815 zu Chateau
Thierry, kam, musikalisch bereits trefflich vorbereitet, im Decbr. 1834 auf das
Conservatorium zu Paris. Schon ein Jahr später erhielt er daselbst den zweiten
und 1836 den ersten Preis in der Klasse für Fagott. Von 1837 an fungirte
er in mehreren Pariser Theaterorchestern, bis er als erster Fagottist an die
dortige italienische Oper kam. Im J. 1848 folgte er einem Rufe als Professor
seines Instrumentes an das Conservatorium zu Brüssel, kehrte jedoch nach
acht Monaten nach Paris zurück, um die erste Stelle im Orchester des Con-
servatoriums und in dem der Grossen Oper einzunehmen, von der er jedoch
bald darauf zur Komischen Oper überging. Er veröfiFentlichte eine vortreffliche
theoretische und praktische Pagottschule in drei Thcilen und ebenso von
seiner Composition Duos, Fantasien, Variationen und andere Stücke für das-
selbe Instrument.
Janeqnin, s. Jannequin.
Jani — Janitscharen-Musik. 361
Jani, Johann, guter deutscher Ciavierspieler und gewandter Componist,
geboren um die Mitte des 17. Jahi-hunderts zu Göttingen, empfing seine wissen-
schaftliche und musikalische Ausbildung auf der Martinsschule in Braunschweig.
Im Ciavier unterrichtete ihn mit glänzendem Erfolge Leyding, und als sich bei
ihm eine schöne Bassstimme entwickelte, wurde er zum Präfect des Stadtsinge-
chors ernannt und vielfach auch im Theater verwendet. In der Composition
unterrichtete ihn der Kapellmeister Theil, der sich 1686 einige Zeit lang in
Braunschweig aufhielt. Zu theologischen Studien bezog J. die Universität in
Helmstädt und siedelte hierauf als Privatlehrer für Sprachen, Realien und
Musik nach Hamburg übei'. Von dort erhielt er einen Ruf als Hof- und
Stadtcantor nach Aurich, dem er folgte, wie er daselbst auch später zum Hof-
organisten ernannt wurde. In diesen Stellungen componirte er viele Kirchen-
musiken, sowie für seine Gattin, eine gewesene Bühuensängerin in Hamburg,
Concertarien, die er meist selbst dichtete und die abschriftlich vorhanden ge-
blieben sind. Im Druck ist keine von J.'s Compositionen erschienen. Er starb
1728 zu Aurich.
Jauiewicz, auch Yaniewicz geschrieben, polnischer Violinvirtuose, ge-
boren um 1750 zu Wilna, genoss der Protection des Königs Stanislaus zu
Nancy und kam um 1770 nach Paris, wo er seine fünf ersten Violinconcerte
veröffentlichte. Hierauf besuchte er Italien und concertirte u. A. 1786 in
Mailand. Von dort ging er nach London und war bis zu seinem Tode Diri-
gent des Orchesters der italienischen Oper daselbst.
Jauina, Olga voü, vorzügliche Pianistin, geboren am 17. Mai 1847 zu
Lemberg, empfing die höhere Ausbildung auf ihrem Instrumente durch Fr. Liszt.
Nach Vollendung ihrer Studien liess sie sich in Weimar, Leipzig und "Wien
mit grossem Beifall hören und wurde besonders als ausgezeichnete Interpretin
Chopin'scher Werke gerühmt. Ihre späteren Kunstreisen, 1873 nach Amerika,
und ihr Auftreten in Paris, im Eebr. 1875, tragen ein abenteuerliches Gepräge,
und ein von ihr verfasstes, anrüchig gewordenes Buch -»Souvenirs d\in cosaquea
(Paris, 1874) trug mit dazu bei, ihren Künstlerruf in Verfall zu bringen.
Janitsch, Anton, berühmter Violinvirtuose und Componist, geboren 1753
in der Schweiz, begann im vierten Jahre Violine zu spielen und eri'egte als
siebenjähriger Knabe bereits das Staunen aller Kenner. Als er zwölf Jahre
alt war, schickte ihn sein Vater zu Pugnani nach Turin, der ihn in zwei Jahren
zur höchsten Vollkommenheit brachte. Mit 2000 Gulden Gehalt wurde J.
bereits 1769 als kurfürstl. Concertmeister zu Trier angestellt, und sein Ruf
als Virtuose und Componist begann sich über ganz Deutschland zu verbreiten,
so dass ihn der Graf von Oettingen- Wallenstein für seinen Hof gewann. Nicht
lange darauf aber ging J. als Musikdirektor an das Grossmann'sche Theater
nach Hannover, wo er bis 1794 verblieb. Im Begi'iff, nach England zu gehen,
liess er sich vom Grafen Burgsteinfurth als Kapellmeister gewinnen und blieb
nun bei demselben bis zu seinem Tode, der am 12. März 1812 zu Steinfurt
erfolgte. Von seinen allgemein gerühmten Compositionen ist nichts im Druck
erschienen.
Jauitsch, Johann Gottlieb, vortrefflicher Contrabassist, geboren am 19.
Juni 1708 zu Schweidnitz, bildete sich als Gymnasiast zu Breslau und als
Student der Rechtsgelehrsamkeit zu Frankfurt a. 0. auch musikalisch tüchtig
aus und wurde, nachdem er Secretär des Kriegsministers von Happe gewesen
war, 1736 als Kammermusiker in die kronprinzl. Kapelle zu Ruppin und Rheins-
berg gezogen. Mit Friedrich II. ging er 1740 nach Berlin und führte dort
bis zu seinem Tode im J. 1763 die Oberleitung der Redoutenmusiken. Er
hat im Style Graun's Cantaten, Trauermusiken, Quartette, Serenaden, ein Te
deum und eine Krönungsmusik componirt.
Janitscharen-Mnsik oder Türkische Musik. Den ersten Namen erhielt
diese Musikart im Abendlande nach denen , welche zuerst diese Musik doi't zu
Gehör brachten, den Janitscharen, der im 14. Jahrhundert organisirten
362 Janitschareu-Musik.
türkisclien Miliz. Jede grössere Coloniie dieser Krieger hatte ein eigenes
Musikcorps, das, indem die Jauitscharen überall Furcht und Schrecken ver-
breiteten, durch Beine diese Thaten begleitenden wilden und seltsamen Klänge
die Aufmerksamkeit der Abendländer auf sich lenkte. Türkische Musik
nannte man diese Musikart später nach dem den Orient beherrschenden Volke,
unter dessen Fahnen dieselbe zuerst in fester Form bekannt wurde, den Türken.
Dies Volk drang aus seinen Ursitzen , südlich vom Altai in Hochasien, durch
die Steppen Asiens nach Persien und errichtete von dort aus eine über die
Fluren Asiens, Afrikas und Europas sich ausbreitende Weltherrschaft aus den
Trümmern des Kalifats und des oströmischen Kaiserreiches. Erst im 17. Jahr-
hundert jedoch scheint diese Musikart selbst bei den Türken als Kriegsmusik
bis zu einer festen Form sich entwickelt zu haben, trotzdem die orientalische
Krieersmusik in der älteren Zeit meist schon ähnlicher Art war. Im Abend-
lande hört man ja heute noch ähnliche Musik, wenn man den sogenannten
Tusch (s. d.) mit seinem Tongewirr noch Musik nennen will. Nach den frii-
hesten Mittheilungen führte das Musikcorps der Jauitscharen folgende Instru-
mente: a) 3 kleine Oboen, 2 grössere Oboen, 1 Querflöte, alle von sehr scharfem,
durchdringenden Schalle in Unisono- oder Octavenstimmung; h) 1 grosse Pauke,
2 kleine Pauken, 3 kleine Trommeln, 1 grosse Trommel, die bald mit Filz-
ballen auf dem Fell , bald mit Metallstäben (den Kehrseiten der Schlägel) auf
dem Holze behandelt wurden; c) 2 Cymbeln, jede mit zwei kleinen Cymbeln,
Becken, 1 Cymbel mit zwei grossen Becken und 2 Triangel.
Das Zusammenspiel dieser Tonwerkzeuge war derartig, dass jeder Musiker
das ihm anvertraute Tonreich in kräftigster Art zu verwerthen suchte und
zwar die Blasinstrumente in schnellster Abwechselung der ihnen eigenen Klänge
der arabischen Tonleiter. Die tiefsten Töne in diesem Orchester gaben die
geschlagenen Felle in durchaus unbestimmter Höhe und durch dies Donner-
getöse schmetterten die Cymbelschläge. Auf dem düstern Tonwirrwarr, der in
solcher Art entstehen musste, gipfelten in fast schwindelnder Höhe die Metall-
klänge der Triangel und zwischen beiden Tonregionen machten sich, gleich
Fäd^n, die scharfen Klänge der Oboen und Flöten im schnellsten Auf- und
Niedergehen und in ungebundenster Rhythmik geltend. Dem Zusammenspiel
fehlte nach unseren Begriffen der eigentliche Körper, und dasselbe musste des
vagen Tonabstandes der Hauptmassen halber, sowie der gewaltigen Wirkung
der gleichzeitig erklingenden unharmonischen und unserer Kunst oft durchaus
fremden Klänge wegen, sinnverwirrend auf die Hörer wii-ken. Wie der Chinese
und wahrscheinlich auch der alte Assyrer und Aegypter durch die von Ge-
schlecht auf Geschlecht vererbte Lehre seiner Hierophanten jedem Einzelton
eine besondere Vorstellung beizulegen pflegte; wie ferner bei den alten Abyssi-
niern das blosse Erklingen der Posaune das kriegerische Gefühl eines Mannes
so übermächtig anregte, dass er wie ein Wahnsinniger um sich schlug; ja wie
noch heut zu Tage der Ton der Trommel auf die Santals, einen Urstamm
Indiens, so einzuwirken vermochte, dass diese nur mit Bogen und Pfeilen be-
waflFneten Wilden sich sogar den Engländern mit Todesverachtung entgegen-
warfen, bis der Ton ihrer Trommel nicht mehr ertönte: so hatte auch bei den
Türken die Janitscharenmusik die fast schon mit der Muttermilch eingesogene
Wirkung, ein Signal zur Auslassung der äussersten bestialischen Wuth zu sein,
welche den Kämpfer entweder zum Siege oder zum Tode zu führen hatte.
Diese Klänge entströmten stets dem Orte, wo der Anführer (Pascha) sich auf-
hielt, der zum Zeichen seines Ranges sowie seines Glaubens in seiner Nähe
eine Stange tragen liöss, deren Spitze ein Halbmond zierte und an deren Seiten
BD viel Rossschweife herabhingen, als ihm sein Rang erlaubte.
Es ist erklärlich, dass diese sonderbaren, wilden Klänge auch den Nach-
ahmungseifer der Abendländer reizten und diese, nachdem sich die schäumenden
Wogen des immer weiter drängenden Islam in den letzten Ausläufen bei Zenta,
1697, gebrochen hatten, das Gelüste verspürten, diese Klänge, durch die sie
Janitschareu-Trommel — Janitzek. 363
so oft in Schrecken versetzt worden waren, ebenfalls als ein Mittel zur Er-
reichung sicherer Siege zu besitzen. Die Türken, nach ihrer Niederlage ge-
neigt, sich die Nachbarn als Freunde zu erhalten, suchten sich denselben, den
Polen und 0 esterreichern, dadurch angenehm zu machen, dass sie ihnen
Janitscharenmusikbanden zum Geschenk machten. August II., König von Polen,
jener prachtliebende Herrscher (1699 — 1730), zugleich Kurfürst von Sachsen,
Hess zuerst zu Mühlberg die Deutschen ein solches Musikcorps hören. Die
Eussen unter Katharina I. (1725 — 1727) bildeten die J. nach, die jedoch deren
Nachfolgerin, Elisabeth (1730 — 1741), nicht treu genug erschien, weshalb sie
den Musikdirektor Schirmfeil nach Constantinopel sandte, damit er an Ort und
Stelle von der Einrichtung dieser Corps sich einen Begriff verschaffte und
danach die russische J. reformirte. In Preussen fand sie unter Friedrich I.
(1701 — 1713) Eingang und in Frankreich erst in den Jahren von 1770 bis
1772; jedoch wandte man in diesen Reichen sogleich die abendländischen Eohr-
instrumente an.
Bald verloren sich im Abendlande die selbstständigen J.corps gänzlich;
man fügte nur den Musikcorps des Fussvolkes den Geräusche gebenden Theil
der J. zu und nannte sie dann, diese Zufügung als etwas unserem Musikgeiste
Fremdes betrachtend, meist Türkische Musik (in Italien Bandd). Ausser
einzelnen Instrumenten, Trommeln, Becken und Triangeln der J., haben die
Musikcorps des Fussvolkes im Abendlande auch noch das Standeszeichen des
orientalischen Heerführers sich angeeignet, das zwar in den verschiedenen Län-
dern vielfache Modifikationen erlitten und durch Glockenbehang beinahe zu
einem Easselinstrument umgewandelt ist, von seinem Ursprung jedoch fast
überall durch einen Halbmond und zwei Eossschweife noch heute Zeugniss
ablegt. Neuerdings fängt der abendländische Musikgeist an, diese Kinder der
Wilduiss nach seinem Sinne noch weiter umzuformen. Der Triangel ist beinahe
vergessen und wird durch die Metallharmonika ersetzt; nur Trommeln und
Becken harren noch ihrer Cultivirung. "Wie die letztere zu erstreben sein
dürfte, lehrt ein Aufsatz im »Musikalischen "Wochenblatt« Jahrg. I. No. 47:
»Die türkische Musik wie sie ist und rational- sein sollte«. Selbst im Orient,
wo mit dem sich immer milder gestaltenden Kriegsgeiste der Janitscharen auch
deren Musik sich dem analog entwickelte, ist mit dem Anfange des 19. Jahr-
hunderts in der Besetzung eine Veränderung eingetreten. Verschiedene Burnas
(Oboen), selbstverständlich in arabischer Stimmung, Kabazuruas (scharfe Trom-
peten), Borns (Becken), Zitz (kleine Trommeln) und ein Daul oder Kios
(grosse Trommel) bildeten das Orchester; Querflöten, Triangel und Pauken
waren nur höchst selten zu finden. Mit der Aufhebung der Janitscharen selbst,
1826, ist diese Musik im Orient vollends im Verschwinden begriffen und wer-
den dort immer mehr die Kriegermusikcorps ganz nach abendländischem Muster
eingerichtet. Der Bruder des italienischen Operncomponisten Donizetti wurde
zu dem Ende vom Sultan eigens nach Canstantinopel berufen, und es wird
jetzt dort, wo man sonst nur J. hörte, mancher abendländische Marsch, manche
Opernarie oder Strauss'sche Walzer etc. von der türkischen Militärmusik der
Menge vorgeführt. . B.
Janitscharen-Trommel ist einer der mitunter vorkommenden Namen für
das gewöhnlich grosse oder türkische Trommel (s. d.) genannte Schlag-
instrument.
Jauitzok, Johann, eigentlich Janetzek geheissen, tüchtiger Violinist,
geboren 1768 zu Koschentin in Obcrschlesien, war bereits Leibjäger des Grafen
Sobeck daselbst, als er bei den Musikern der Kapelle' seines kunstliebendeu
Herrn Gelegenheit fand, sich musikalisch auszubilden und mit solchem Talent
und Eifer diese Gelegenheit ergriff, dass wir ihn schon 1794, gerühmt als fer-
tiger Spieler seines Instrumßnts und als gewandter Musikdirektor, an der
Spitze des Orchesters des "Wäsei-'schen Theaters zu Breslau finden. Zugleich
leitete er das sogenannte Eichter'sche Concert. Am Nervenfieber starb er
364 Janke — Jansa.
zu Breslau am 8. April 1806. Compositioneu von ihm sind weder erschienen,
noch sonst vorhanden.
Jauke, Gustav, tüchtiger Pianist und Violinist, geboren am 22. Novbr.
1838 zu Berlin, machte seine musikalischen Studien auf dem Stern'schen Con^
servatorium daselbst, an welchem er auch seit 1861 als Lehrer des Clavierspiels
angestellt ist. In den Sinfonieconccrten des Direktors Jul, Stern hat er sich
1874 und 1875, wie als trefflicher Solospieler, so wiederholt als guter Orchester-
dirigent gezeigt. Er hat Etüden und andere Compositioneu für Pianoforte,
Chorwei'ke zum Gebrauch für den königl, Domchor in Berlin und Lieder für
eine Singstimme geschrieben und veröffentlicht. Ausserdem übertrug er ver-
schiedene classische Werke für Orchester, von denen die siebensätzige Serenade
von Beethoven und ein »Moment musicaU von Schubert durch Aufführungen
allgemeiner bekannt wurden.
Jauneqnin, Clement, auch Janequin, Janecquin, Jannecquin und
Jennecquin geschrieben, ein genialer französischer Contrapunktist des 16.
Jahrhunderts, blühte unter der Regierung des Königs Franz I. und später.
Leider ist fast so viel wie nichts von seinem äusseren Leben bekannt. Er
scheint Kirchenkapellmeister zu Lyon und erst Katholik, dann Calvinist ge-
wesen zu sein; denn während er früher Messen und Motetten componirte, setzte
er später französische Gesäuge der reformirten Kirche und die Psalme Marot's
in Musik. In den Archiven der päpstlichen Kapelle zu Rom befinden sich
von ihm im Manuscript einige Messen über französische Gesänge. Im Druck
erschienen sind vierstimmige Motetten (Paris, 1533), eine Sammlung franzö-
sischer Chansons (Paris, 1537), vierstimmige vOanzoni francesU (Venedig, 1538),
sodann aber 1544 zu Lyon seine berühmten und eigenthümlichen yyinventions
musicalesa für vier und fünf Stimmen, vocale Tongemälde, welche u. A. folgende
descriptive Titel führen: »ie caqiiet des feinmesn, »ie chant du rossignola, »ie
cJiant de Valouettea: »ia chasse au cerfa., y>La hataille ou defaite des Suisses ä
la journee de Marignana u. s. w. Eine fernere Ausgabe von diesen Kriegs-,
Pastoral- und Jagdliedern erschien, von ihm selber noch durchgesehen und ver-
bessert, unter dem Titel: y>Verger de musique, contenant ^^^arfie des plus excellens
laheurs de mattre G. Janneqmn etc.« (Paris, 1559). Um dieselbe Zeit erschienen
seine in Musik gesetzten Sprüche Salomo's und 82 Psalme David's. Seine
mehrstimmigen Gesänge verschiedener Art allein umfassen 17 Bücher, jedes zu
25 bis 30 Nummern, und einige von ihnen sind Muster eines seine Zeit über-
ragenden Genies, die von einer Erfindung und Originalität zeugen, wie sie sich
in gleichem Maasse bei keinem Tonsetzer des 16. Jahrhunderts nachweisen
lassen. TTebi'igeus befinden sich auch Arbeiten von J. in mehreren Samm-
lungen, die von 1557 bis 1564 in Paris bei Adrian le Roy und Rob. Ballard
im Druck erschienen, und auch Jacques Paix hat in seiner »Orgeltabulatur«
(Lauingen, 1583) einige Stücke von ihm, für Orgel arrangirt, mitgetheilt.
Jauowka, Thomas Balthasar, gelehrter Tonkünstler, geboren zu Kut-
tenberg in Böhmen um 1660, war Licentiat der Philosophie und Organist zu
Prag und ist der Verfasser des ersten musikalischen Wörterbuchs der neueren
Zeit, betitelt: «Clai-is ad thesaurum magnae artis musicae etc.« (Prag, 1701).
Dies Buch, 324 Seiten stark, sollte laut Vorwort nur die Einleitung zu einem
umfassenderen Werke sein, welches jedoch nicht erschienen ist.
Jansa, Leopold, verdienstvoller Violinvirtuose und Componist, geboren
1797 zu Wildenschwert in Böhmen als Sohn eines Tuchmacbers, erlernte bei
dem dortigen Schulmeister Jahada die Elemente des Singens, Violin-, Clavier-
und Orgelspiels. Im letzteren vervollkommnete er sich unter seinem Vetter,
dem Organisten Zizius, wie er es auch auf der Violine als Gymnasiast durch
fleissige Hebung zu grosser Fertigkeit brachte. Als Student der Rechte in
Wien seit 1817 Hess er sich öfter öffentlich hören, und der Beifall, den er
erhielt, befestigte seinen Entschluss, sich gänzlieh der Musik zu widmen, be-
sonders da sein Landsmann, der Hoforganist Worzischek, ihm hülfreiche Hand
Jansen. 365
bot und ihn dem gelehrten Eman. Förster zuführte, bei dem J. Generalbass-
lehre und Tonsatz zu studiren begann. Als Virtuose wurde er bald neben
Mayseder und Böhm gerühmt, und 1823 ti'at er als Kammermusiker in die
Hauskapelle des Grafen von Brunswick. Ein Jahr später wurde er bereits
mit dem Titel eines kaiserl. Kammervirtuosen in die Hofkapelle gezogen, und
1834 erhielt er das Amt eines Musikdirektors und Yiolinprofessors am TJni-
versitätsconvict. Schon vorher, nach Schuppanzigh's Tode, hatte er es unter-
nommen, dessen beliebte Quartettunterhaltungen zu übernehmen, und er führte
dieselben mit wechselnden Quartettgenossen bis 1849 fort, wo Heissler, Durst
und Schlesinger an seiner Seite spielten. Diese Quartettabende waren bis
zuletzt in dem überwiegend frivolen Musikleben Wiens ein sicherer Ort wahrer
und würdiger Kammermusik und übten in ihrer pei-iodischen Wiederkehr einen
bedeutenden Einfluss auf die musikalische Bildung der österreichischen Haupt-
stadt aus. Im J. 1849 ging J. zu Concerten nach London und liess sich
während seines Aufenthaltes daselbst gern bereden, auch in einem Concert zum
Besten der in Folge der Revolution aus Ungarn Vertriebenen mitzuwirken.
Dieser Akt der Humanität zog ihm jedoch von Seiten der österi'eichischen
Regierung einen Verbannungsbefehl zu, und er sah sich genöthigt in London
zu bleiben und als Concertspieler und Musiklehrer seine Existenz weiter zu
führen. Erst 1867 wurde er amnestirt und kehrte 1868 nach Wien zurück,
wo ihn das Publikum und die Kunstgenossen ehrenvoll empfingen. Er beschloss,
den Rest seiner Tage in Salzburg zu verleben, suchte aber nach kurzer Ab-
wesenheit Wien wieder auf und liess sich sogar 1872 noch einmal öffentlich
hören. Er starb am 25. Jan, 1875, Geschrieben und veröflfentlicht hat er
Violinconcerte, Streichquartette, Streich trios und Duette, sowie auch einige
Kirchenstücke, besonders aber zahlreiche Fantasien, Rondos, Variationen, Solo-
stücke und instruktive Sachen für Violine, die sämmtlich in einem gefälligen
Style gearbeitet sind und noch gegenwärtig als anregender LTnterrichtsstofif bei
Lehrern und Schülern zum Theil sehr beliebt sind,
Janseu; Gustav, erfahrener deutscher Tonkünstler, geboren 1817 zu
Dortmund, erhielt den ersten Musikunterricht von seinem Vater und trat be-
reits im jugendlichen Alter als Pianist und Flötist mit Beifall öffentlich auf.
Später (1840) ging er nach Berlin, wo er Unterricht zu ertheilen anfing, Zu-
tritt zu dem kunstsinnigen Grafen Westmoreland erhielt und, mit dessen Em-
pfehlungen ausgerüstet, sich als Musiklehi'er nach London begab. Nach einigen
Jahren kehrte er jedoch nach Berlin zurück, wo er auch noch gegenwärtig in
geachteter Stellung wirkt. Von ihm erschien 1861 ein bemerkenswerther er-
gänzender »Anhang zu Beethoven's Clavier-Sonaten« und weiterhin eine Reihe
von Liedern mit Ciavierbegleitung, unter denen das Goethe -Album in sechs
Heften (Berlin, 1863) hervorragt. Diese lyrischen Spenden J.'s stehen in
einem auffallenden Gegensatz zu den Erscheinungen der Gegenwart; einfach,
schmucklos und ungekünstelt, weht aus ihnen ein naiver Geist, der bis auf die
Haydn'sche Zeit zurückweist.
Jausen, Gustav F., vortrefflicher Tonkünstler und Componist, geboren
am 15, Decbr, 1831 zu Jever im Königreich Hannover, erhielt seine höhere
musikalische Ausbildung in Leipzig, wo ihm Coccius Pianoforte- und Riccius
theoretischen Unterricht ertheilte. Er begab sich hierauf nach Göttingen als
Musiklehrer und wurde 1855 als Organist nach Verden berufen. Im J. 1861
ernannte ihn der König von Hannover zum Musikdirektor. Als Ciavier- und
Gesangcomponist hat er sich einen guten Namen erworben, einen noch bedeu-
tenderen jedoch durch Arrangements verschiedener Art für Pianoforte,
Jansen, Johann Anton Friedrich, begabter Componist, Pianist und
Violinist, von dänischen Eltern in Deutschland geboren, machte seine musi-
kalischen Studien in Wien , ging hierauf als Musiklehrer nach Venedig und,
da es ihm hier nicht glückte, 1817 nach Mailand, wo er zugleich Mancherlei
für Militärmusikcorps, Pi'ivatpersonen und Verleger componirte, was, soweit es
366 Jansen — Janssens,
bekannt, künstlerisch gediegen und zugleich brillant in der technischen Aus-
führung ist. Seiu künstlerisches Geschick schützte ihn jedoch nicht vor Notli
und Elend, und heruntergekommen und aufgerieben starb er im April 1827
zu Mailand. YeröfiFentlicht hat er Stücke für Blasinstrumente, Sonaten und
Divertissements für Ciavier und Violine (oder Tlöte), Sonaten, Variationen,
Kondos, Polonaisen, Uebungen für Ciavier u. s. w. — Ein Zeitgenosse von ihm
war Johann Heinrich Friedrich Ludwig J., geboren am 31. Mai 1785
zu Salstheynessum bei Hildesheim und gestorben als Cantor zu ßhede in
Westphalen im J. 18.32. Er hinterliess im Manuscript ein treflliches Werk,
betitelt »Evangelische Kirchengesangskunde«, welches nachmals, von H. Gräfe
herausgegeben (Jena, 1838), im Druck ei'schienen ist.
Jansen, Cornelius, latinisirt Jansenius, der berühmte niederländische
Kirchenreformator, dem der Jansenismus seinen Namen verdankt, geboren am
28. Octbr. 1585 zu Accoy in Holland, war von 1630 bis 1636 Professor der
Theologie in Löwen, dann Bischof zu Ypern in Flandern, als welcher er am
6. Mai 1638 an der Pest starb. In seinem Commentar zum Mosaischen Pen-
tateuch hat er auch über Hebräische Musik geschrieben.
J.ausenne, Louis, französischer Tenorsänger, geboren zu Anfang des 19.
Jahrhunderts zu Paris, erfreute sich seiner angenehmen, wohlgebildeten Stimme
Avegen grosser Beliebtheit in lyrischen Gesangsparthien. Um 1842 zog er sich
vom Theater zurück und lebte als Gesanglehrer in Paris. Für Unterrichts-
zwecke veröffentliclite er Singübuugen mit Begleitung des Pianoforte, welche
eine vortreffliche Vorschule zu den 36 Vocalises von Bordogni abgeben.
.lansou, Jean Baptiste Aime Joseph, genannt J. Vaine, vortrefflicher
französischer Violoncellovirtuose, geboren 1742 zu Valenciennes, genoss den
vorzüglichen Unterricht seines Landsmanns Berthaut. Im J. 1766 spielte er
mit grossem Beifall im Concert spirituel zu Paris und begleitete 1767 den Erb-
prinzen von Braunschweig nach Italien, wo er als Virtuose Aufsehen erregte.
Von Paris aus, wo er 1771 wieder concertirte, machte er grosse Kunstreisen
nach Deutschland, Dänemark, Schweden und Polen. Im J. 1789 Hess er sich
bleibend in Paris nieder und wurde bei Errichtung des Conservatoriums zum
Professor an demselben ernannt. Als dieses Institut 1802 eine neue Organi-
sation erhielt, verlor er sein Amt, und aus Gram hierüber starb er am 2. Septbr.
1803 zu Paris. Von seinen Compositionen sind Streichquartette, Concerte für
Violoncello und Sonaten für Violoncello und Bass erschienen. — Sein Bruder,
Louis Auguste Joseph J., war ebenfalls ein vorzüglicher Violoncellist.
Geboren am 8. Juli 1749 zu Valenciennes, wurde er von seinem Vater und
dann von seinem Bruder ausgebildet, welchem letzteren er an Fertigkeit, aber
nicht an Schönheit des Tones gleichkam. Im J. 1783 Hess er sich in Paris
nieder und war von 1789 bis 1815 Mitglied des Orchesters der Grossen Oper
daselbst. Einige Jahre später starb er. Von seiner Compositiou sind Streich-
trios und Sonaten für Violoncello und Bass erschienen.
.Tausseu, Cesar, vorzüglicher Clarinettvirtuose, geboren am 11. April 1781
zu Paris und auf dem dortigen Conservatorium ausgebildet, brachte einige
wesentliche Verbesserungen an der Clarinette an.
Janssen, N. A., holländischer Priester und gelehrter Tonkünstler, geboren
zu Ende des 18. Jahi-hundei-ts , war lange Zeit Organist in Löwen und Ge-
sanglehrer am erzbischöfl. Seminar zu Mecheln. Ausser mehreren Kirchen-
compositionen veröffentlichte er das wichtige Werk y>Les vrais principes du
chant gregoriena (Mecheln, 1845), welches deutsch von J. C. B. Smeddinck
unter dem Titel »Wahre Grundregeln des Gregorianischen oder Choralgesanges.
Ein archäologisch -liturgisches Lehrbuch des Gregorianischen Kirchengesanges«
(Mainz, 1847) erschienen ist.
Jaussens, Jean Frangois Joseph, belgischer Componist, geboren am
29. Jan. 1801 zu Antwerpen, empfing von seinem Vater, Musikdirektor an
der Karlskirche daselbst, und später von de Loeuw, Kapellmeister an der
Janus — Japan. 367
Paulskirclie, den ersten Musikunterriclit und liess sich hierauf von Lesueur in
Paris weiter ausbilden. Nach zweijähriger Abwesenheit kehrte er in seine
Vaterstadt zurück, wo er 1821 seine erste vierstimmige Messe für Chor und
Orchester in der Karlskirche sehr erfolgreich zur Aufführung brachte. Im
J. 1824 liess er seine komische Oper »ie pere rivah und später eine andere
y>La jolie ßaneeea folgen. Inzwischen war er zur Advocatur übergegangen,
wurde aber gleichwohl 1825 zum Direktor der Harmoniegesellschaft in Ant-
werpen ernannt. Nach einem vorübergehenden Aufenthalt in Yerviers starb er
geisteskrank zu Antwerpen am 3. Febr. 1835. Ausser den bezeichneten Com-
positionen hat er Mess^, Motetten, Hymnen, Psalme, Cantaten, Lieder u. s. w.,
sowie Sinfonien, von welchen eine descriptive, betitelt: »ie lever du soleil«,
hervorzuheben ist, componirt.
Janus, s, Jan.
Japau. Dies in allerneuester Zeit sich uns nach jeder Seite hin immer
mehr erschliessende Inselreich Asiens hat in Bezug auf Musik viel Besonderes
aufzuweisen, trotzdem im grossen Granzen wohl anzunehmen ist, dass von China
aus seit frühester Zeit alles "Wissen und somit auch die Musik diesem Volke
überkommen ist. Die Abzweigung des japanesischen Volkes von den Chinesen
muss in sehr früher Zeit geschehen sein und zwar mit vielen die Bildung con-
servirenden (Srliedern; später scheint jedoch kein volklicher Verkehr Jahrhun-
derte hindurch stattgefunden zu haben. Die Weisen Japans, so viel uns bis
heute bekannt, was aber jetzt täglich sich umgestalten kann, fanden es zweck-
dienlich, auch ihrem Volke eine Urgeschiclite bis in die graueste Vorzeit zu
geben, jedoch datirt eine wirklich geschichtliche Zeit erst nach Christi Geburt
unserer Zeitrechnung. In europäischen Geschichtswei'ken wird nämlich mit
Bestimmtheit, jedoch ohne Quellenangabe, berichtet: dass Japan 57 n. Chr.,
zwar damals schon von einem König beherrscht, doch noch ein durchaus un-
cultivirtes Land, Gresandte mit Greschenken nach China schickte, und diese chi-
nesischen Ansiedlern den Weg bahnten, sowie chinesisches Wissen und chinesische
Kunst ins Vaterland einführten. Die uns bekannte Ausbildung der Japanesischen
Musik documentiit jedoch eine viele Jahrhunderte früher vorhandene hohe
Bildungsstufe in Japan, die der damaligen chinesischen durchaus gleich war.
Chinas staatliche Erschütterungen, die Vernichtungen der Dynastien und deren
Kunst, späteres Streben, dieselbe wieder zu ergründen und einzuführen, ver-
änderten, wie der Artikel China in diesem Werke nach^veist, die antike Musik
dort gänzlich, gaben einem neben der Kunst sich entwickelnden Gefallen an
Klangfreuden eigener Art Raum und hinterliessen nur ein überschwängliches
Lob der antiken Kunst neben dem Bekenntniss, dass diese Kunst Jedem jetzt
ein mit sieben Siegeln verschlossenes Buch sei, das zu lesen Niemandem mehr
möglich wäre. Japan jedoch hatte weniger derartig auf die Kunst einwirkende
Staatsumwälzungen zu bestehen und giebt deshalb mehr documentale Anhalts-
punkte, durch welche uns ein Licht über die antike Kunst werden kann. «Es
seien hier einige Erlebnisse der Neuzeit mitgetheilt nach Aussagen von hoch-
gebildeten Japanern über ihre Kunst, wobei jedoch darauf aufmerksam gemacht
sei, dass ein wirkliches Wissen über die Musik der Japanesen erst dann uns
werden wird, wenn ein Gelehrter dieses Reiches, bekannt mit der abendlän-
dischen Musik, uns darüber belehrt.
Von einem Musik liebenden und treibenden Japanesen in Berlin wurde
u. A. gesagt: in den ersten drei Monaten wäre unsere Musik ihm durchaus
ungeniessbar gewesen, da er keine Harmonie gekannt hätte und sich bei jedem
Tone etwas Besonderes zu denken gewohnt gewesen sei. Diese Auslassung
näher bestimmend, darf die Aeusserung eines anderen Japanesen gelten, der
auf die Frage: ob ein Gesang zu denselbpn Worten stets derselbe wäre in
Bezug auf Rhythmus und Tonhöhe, so dass zwei, hundert Meilen auseinander
wohnende Sänger ihre Kunst nur in gleicher Weise auszuüben vermöchten,
mit einem entschiedenen Ja antwortete. Ueter die in Fetis' i>I£ist. de musique«.
368 Japaa.
Tom. I. pag. 80 und 81 aufgezeichneten Melodien äusserte derselbe: diese seien
nicht genau, sie seien aus dem niedern Volkskreise und das Lied besonders
nur ähnlich einem unzüchtigen Mädchen. Schliesslich sei noch erwähnt, dass
die Gesandtschaften in den Audienzen an den europäischen Höfen stets bei
diesem Staatsakt ihre Rede sangen. Darnach lässt sich annehmen, dass die
Musikbegabten höherer Stände noch feste Gesetze ihrer Kunst haben und be-
folgen. Aus Allem aber geht hervor, dass der Geist der antiken chinesischen
Kunst, gegenwärtig in China selbst in der Sprache sehr verwischt, in Japan
noch vollkommen bekannt ist und in den höchsten Kreisen sorgsam gepflegt
wird. Manches Interessante über die moderne japanesische Musik findet man
in einem Aufsatz der »Neuen Zeitschrift für Musik« Jahrg. 1875 No. 15 und
16 nach Mittheilungen aus Dr. Müller's Organ der deutschen Gesellschaft für
Natur- und Völkerkunde Ostasieus, bearbeitet von B. M. Kapri. Leider jedoch
bietet auch dieser Aufsatz nur Stückwerk. Es lässt sich übrigens nicht leugnen,
dass jetzt in Japan im gewöhnlichen Leben die innige Verschmelzung der
Sprache und Musik noch mehr als in China verschwunden ist.
Diesem Umstände, wie einer späteren lange Zeit hindurch fast gänzlichen
Abgeschlossenheit des Verkehi's mit China, verdankt dies Volk seine fast nur
ihm eigenthümlich erscheinenden Tonwerkzeuge, deren Kenntniss bisher auch
nur sehr lückenhaft im Abendlande ist. Zwar sind einige japanesische Instru-
mente in unseren Kunstsammlungen, in Holland, London und Paris; auch haben
Privatleute, wie Adolph Sax in Paris, solche im Besitz; ja im Abendlande
selbst reisten schon zuweilen kleinere japanesische Musikergesellschaften herum
und Hessen sich öffentlich hören: jedoch haben alle diese praktischen Anschau-
ungen noch nichts zu einer genaueren Kenntniss derselben beigetragen. Die
kleinen Kapellen hatten stets w^enig schallende Instrumente, wenn man die
Schlaginstrumente abrechnet, und scheinen mehr in engeren Räumen in ihrer
Heimath Verwendung gefunden zu haben, wo man mit denselben bekannte Ge-
sänge reproducirte und dadurch auf die Landsleute einen Eindruck zu machen
vermochte, der einem solche Melodien Nichtkennenden zu schätzen unmöglich
ist. Nicht die Tongänge selbst, sondern die daran sich knüpfenden Erinner-
ungen scheinen dort die Tonfreuden zu bereiten. — Von den uns bekannt
gewordenen japanesischen Tonwerkzeugen sind anzuführen: das in verschiedenen
Grössen vorkommende Kollo (s. d.), welches, dem chinesischen Ke (s. d.)
ähnelnd, als die japanesische Harfe angesehen werden muss; Ambros in seiner
«Geschichte der Musik« Thh I. S. 38 nennt dieses Tonwerkzeug ohne Quellen-
angabe Koto und führt drei Arten desselben an, dessen vorzüglichste eben
den Namen Koto (s. d.) führt; die beiden anderen Arten haben die Namen
Kin-Koto (s. d.) und Jamata-Koto (s. d.). Guitarrartige japanesische
Instrumente sind die Biwa, deren Schallkasten einer durchschnittenen Birne
gleich gebaut ist, vier Saiten als Bezug hat, sechs Bunde auf dem Halse be-
sitzt, einen fast rcchtwinklich zurückgebogenen AVirbelkasten zeigt und im
Resonanzboden zwei halbmondförmige Schalllöcher hat; die Kusse (s. d.) und
Samsim (s. d.). Auch ein Bogeninstrument, Kokin (s. d.) genannt, findet
man in Gebrauch.
Au Blasinstrumenten hat man ein dem chinesischen Tscheng (s. d.)
gleiches; nur hat dasselbe statt des Gänsehalses ein kurzes, starkes Mundstück;
eine Menge Flöten aus Bambus , Lang- wie Querflöten mit vier bis sieben
Tonlöchern; ein oboenartiges Tonwerkzeug von kurzer Bauart und Holzflöten
ä hec von zierlicher Arbeit, stellenweise mit Querbändern oder Zwirnumwicke-
lungen, deren Töne jedoch in kleineren Intervallen als unsere Halbtöne aus-
einander liegen. Als trompetenartige Blasinstrumente wären anzuführen eine
Ai't Oboe mit Schallbecher aus Rohr und ein aus einer Seemuschel gefertigtes
mit einem kurzen röhreuartigen Mundstück, Von eigenthümlichen Schlag-
instrumenten sind besonders hervorzuheben ein durchaus eigenthümliches Rassel-
instrument, das zwei Metallringe führt, die mit einem Metallstab geschlagen
Japart — Jarmusiewicz. 369
werden, sowie auch eine auf einem Gestell fest befindliche Trommel. Ausser
diesen Schlaginstrumenten findet man fast alle ostasiatischen Schlag- und
E,asselinstrumente in Japan in Gebrauch, Schliesslich mag noch bemerkt
werden, dass in den Orchestei'n oft mehr Frauen als Männer oder beide in
gleicher Zahl thätig sind. Siehe hierzu Siebold's y>Nipjpon, archief voor de he-
schrijving van Japans, Tafel I bis XII Abth. c. Mehr und Genaueres über
die Kunst dieses hochbegabten und fleissigen Volkes ist bereits von der nächsten
Zukunft zu erhoffen. B.
Japart, Jean, belgischer Tonsetzer des 15. Jahrhunderts, lebte in Italien.
Neuerdings hat man in einigen alten Sammlungen mehrstimmige Gesänge von
ihm aufgefunden.
Japha, Georg Joseph, vortrefflicher deutscher Violinist, geboren 1832
zu Königsberg, besuchte, tüchtig vorbereitet, von 1850 bis 1853 das Conser-
vatorium in Leipzig und wurde Concertmeister des Theaters und der Gürze-
nichconcerte zu Köln. Auch als Lehrer seines Instruments am Kölnischen
Conservatorium, als Vorgeiger bei fast allen rheinischen Musikfesten und
als erster Spieler in den Quartettveranstaltungen hat er sich rühmlich ausge-
zeichnet.
Japha, Louise, s. Langhans.
Japona ist der Name eines spanischen Tanzes, der im 16. Jahrhundert
erfunden wurde und zu der Zahl derjenigen gehört, welche sich durch freiere
Bewegung und üppige Stellungen hervorthaten ; bei der grossen Menge
fanden diese Tänze, und somit auch die J., vielen Beifall, so dass sie bald
die älteren sittsamen ganz in Vergessenheit brachten. Von der Musik zur J.
hat sich nichts erhalten; nur weiss man, dass Gesänge den Hauptbestandtheil
derselben ausmachten. 0.
Japsen, Paul, geschickter deutscher Violinist, geboren am 9. Septbr. 1843
in Berlin, studirte nach guter Vorbereitung unter Leitung Ferd. Laub's das
höhere Violinspiel und unter Friedr. Kiel Contrapunkt und Composition.
Schon früh ein besonderes Interesse für den Unterricht hegend, begann er bald,
im Interesse desselben schriftlich zu wirken. Wie denkend er in diesem Fache
vorging, bekunden in den Jahrgängen 1870 und 1871 der Berliner Musik-
zeitung »Echo« und der »Deutschen Musikerzeitung« folgende seiner Aufsätze:
»lieber die zu frühe Anwendung des vierten Fingers beim Violinunterricht« ;
»Von der Haltung der linken Hand bezüglich des Violinunterrichts« und »Von
der Bewegung der Finger der linken Hand in Bezug auf den Violinunterricht«.
Am 1, April 1872 wurde J. als Kammermusiker und erster Violinist in der
königl. Kapelle in Berlin angestellt und ertheilt daneben auch ferner noch einen
guten Musikunterricht.
Jaqaard, ausgezeichneter französischer Violoncellovirtuose, geboren um
1830, erhielt seine musikalische Ausbildung auf dem Pariser Conservatorium,
das er, mit häufigen Preisen gekrönt, verliess. Als Solo- wie als Quartett-
spieler wird er von den Franzosen in die allererste Heihe des Virtuosenthums
gestellt.
Jarabe (span.) ist der Name eines spanischen Nationaltanzes, welcher aus
zwei Theilen besteht, von denen der eine von Instrumenten ausgeführt, der
andere gesungen wird.
Jardini, Madame, berühmte Sängerin, Schwester des gefeierten Tänzers
Vestris, hatte ihre Blüthezeit zwischen 1760 und 1770, während welcher sie
bei der Grossen Oper zu Paris angestellt war. Mit ihrem Bruder unter-
nahm sie 1763 eine Kunstreise nach Deutschland und sang u. A. zu Stutt-
gart in Jomelli's »Egeria«. Ihre Hauptrollen sollen die Heroinen in Gluck's
Opern gewesen sein.
Jarmusiewicz, Johann, polnischer Tonkünstler, gestorben 1844 zu Za-
CiJersk, einem Schlosse in Galizien, veröffentlichte eine Abhandlung über Melodie
und Harmonie nach einem eigenartigen, neuen Systeme und ausserdem noch
Musikal. Convera.-Lexikon. V. 24
370 Jarnowich — Java.
den Gregorianischen Gesang in moderner Notation mit Begleitung der Orgel
oder des Pianoforte.
Jarnowich oder Jarnowicki, s. Giornovichi.
Jaspar, Andree, vortrefflicher belgischer Violoncellist und Compouist,
geboren am 18. Decbr. 1794 zu Lüttich, war von 1840 bis 1856 Kapellmeister
in seiner Vaterstadt und hat grössere und kleinere Kirchenwerke, Sinfonien
und Violinsolis componirt.
Jaspis, Gottfried, deutscher Gelehrter, lebte in den ersten Jahrzehnten
des 18. Jahrhunderts zu Wittenberg und veröflfentlichte eine Schrift: yyJDe
tibicinihus in funere adJnbltis, ad illustrandum Matthaei eap. JX« etc. (Witten-
berg, 1717).
lastisch (latein.: lastius modtis) bezeichnet dasselbe wie ionisch oder
ionicus modus (s. d.). Vgl. Cassiodor's »Instit. mus.a und Gerbert's Script. I.
17. Dieser Ausdruck wurde zuerst von Aristoxenus für die gewöhnlich ionisch
genannte altgriechische Tonart gebraucht. In Folge dessen ist auch Hypo-
iastius und Syperiastius dasselbe wie Hypo- und Hyp er ionicus (s. d.).
Janch, Johann Nepomuk, vortrefflicher Pianist und Componist, ge-
boren am 25. Jan. 1793 zu Strassburg im Elsass, war ein Compositionsschüler
Spindler's und erhielt 1814 Anstellung als Musiklehrer an der Normalschule
seiner Vaterstadt, wo er auch sonst als tüchtiger Clavierlehrer geschätzt
war. Compositionen von ihm, als Kirchenmusiken, Orgelstücke, Concerte, So-
naten, Fantasien, Variationen u. s. w. sind in Paris und Strassburg im Druck
erschienen.
Jaugtzer, deutscher Oboevirtuose und Componist für sein Instrument, war
um 1802 in der Kapelle des Bischofs von Würzburg angestellt und hat be-
sonders Oboeconcerte geschrieben.
Jauner-Krall, s. Krall.
Java, diese Perle der Sunda- Inseln in Ostindien, hat schon in sehr früher
Zeit hin einen hervorragenden Ruf genossen, und es suchten viele Indien- und
Chinamüde dort sich eine neue Heimath, der sie die vatei'läudische Bildung
theilweise überbrachten. Diesem Umstände vorzüglich verdankt J., besonders
was Musik anbelangt, seine indo - chinesische Cultur, die sich jedoch überwie-
gender chinesisch einbürgerte, wie die dort gebräuchlichsten Tonleitern ergeben,
und die in üppigster Form , der leicht auf dieser Insel zu erwerbenden Wohl-
habenheit halber, sich vorfindenden Tonwerkzeuge ofifenbaren. Die herrschenden
Tonleitern kennen keine Sruti's (s. d.), sondern fast einzig nur die fünf
Stufen der chinesischen Scala und sind die Melodien diesem Material ent-
sprechend. Die prachtvoll ausgestatteten Musikinstrumente, meist den modernen
chinesischen nachgebildet, haben in dem Galempung (s. d.), der javanischen
Harfe, ihre höchste Entfaltung, dem sich der Gen der (s. d.) und die Gam-
bang-(s. d.)arten in verschiedenartigster Gestalt anreihen, nebst allen son-
stigen ungestimmten Schlaginstrumenten des neuchinesischen Musikkreises, unter
denen der Gong (s. d.) wie Kumpul (s. d.) nicht fehlen. Nach dem J. 1405,
mit der Verbreitung des Islams auf J., trat ein Kampf des arabischen Musik-
systems mit dem zur Zeit herrschenden ein. In diesem Kampfe hat das alte
Musiksystem fast überall seine Herrschaft behauptet. Die Tonwerkzeuge der
Araber jedoch haben sich, dem entsprechend modificirt, neben den älteren In-
strumenten Eingang verschafft. Man findet seit jener Zeit vielfach die zwei-
saitige Reh ab (s. d.) in schönster Ausstattung, die Guitarre (s. d.) in der
Hand der hausirenden Pontoo's, Musiker und Sänger, in primitivster Form,
und andere dem arabisch - persischen Musikkreise entstammende Saiteninstru-
mente in J. heimisch. So zahlreich die Zahl der Saiten- und Schlaginstru-
mente in diesem Lande, so arm an Zahl sind die Blasinstrumente. Man kennt
hier nur eine Form der Trompete und zwei Flötenarten: Suling (s.d.) und
Garinding (s.d.) genannt. Viele dieser Instrumente werden auf J. oft gleich-
zeitig verwerthet und geschieht die nationale Anwendung ungefähr folgender-
Javault — Ibach. 371
weise: Mit gestimmten Schlaginstrumenten, Gamb angspiel (s. d.) der ver-
schiedensten Art nebst allerlei Saiteninstrumenten führt mau eine Melodie aus,
deren Rhythmen durch ungestimmte Schlaginstrumente hervorgehoben werden;
die stärksten Zeittheile des oft freien Zeitmaasses (s. Indische Musik) her-
vorzuheben, liegt dem Gong und Kumpul ob. — Die J. umgebenden Inseln
werden noch heute von mehr uncultivirten Völkern bewohnt, deren Musiksinn
Befriedigung in einfachen Klangfreuden sucht, welche nichts von Kunst ahnen
lassen. J. ist somit nicht allein eine Perle der dortigen Inselwelt in Bezug
auf seine wirthschaftlichen Produktionen , sondern auch in seinen Cultur- und
Kunsterzeugnissen. Zum Nachlesen, um dadurch Erlebnisse auf J. Reisender
kennen zu lernen, besonders Musik betreffend, empfehlen sich Stamford
Raffles ^^Sistory of Java<.( (2 Bde., London, 1817) und Pfyffer's »Skizzen von
der Insel J.« B.
Javanlt, Louis, französischer Compouist von Harmoniemusiken, war zu An-
fang des 19. Jahrhunderts Souschef im Musikcorps der kaiserl. Garde zu Paris.
— Sein Sohn, Louis Marie Charles J., geboren am 17. Decbi\ 1808 zu
Paris, wurde auf dem dortigen Conservatorium zum tüchtigen Geiger ausgebildet
und fuugirte längere Zeit als erster Violinist im Orchester der Opera comique.
Javiirek, Joseph, Componist, geboren am 2. Octbr. 1756 in Benesov
(Berauner Kreis in Böhmen), wo sein Vater Lehrer war. Seine literarische
und musikalische Bildung erhielt er im Sazaver Benedictinerkloster, wo sein
Bruder Chorregent war. Beide Brüder verliessen aus unbekannten Gründen
ihr Vaterland und gingen in die Fremde. Joseph J. begab sich im J. 1793
nach Polen, wo er eine Musiklehrerstelle beim Fürsten Radziwil annahm. Im
J. 1800 wurde er zum Professor am Conservatorium in Warschau und später
am Alexanderinstitute ernannt, wo er sehr erspriesslich wirkte, J. starb am
22. Juni 1846 und hat sich um die Musik zu "Warschau überhaupt und um
die Kirchenmusik insbesondere bedeutende Verdienste erworben. In seinem im
J. 1825 abgehaltenen Concerte in Warschau wirkte auch sein Schüler Friedrich
Chopin mit, der sich durch den Vortrag eines Moscheles'schen Concertes in
Fis-moll und einer freien Fantasie auf dem Aeolopantalon auszeichnete. J.
schrieb viele Compositionen, die aber fast alle im Manuscript blieben. — Wie
sein Vater und Bruder, war auch sein Oheim, der Pater Vincentius J., ein
tüchtiger Tonkünstler. Derselbe, geboren am 7. Decbr. 1730 zu Ledecz bei
Kuttenberg, war Dominicaner, dirigirte 20 Jahre lang die Choraufführungen
in seinem Kloster und hat Kirchenwerke componirt. M — s.
Jay, einer der berühmtesten englischen Bogeninstrumentenmacher des 17.
Jahrhunderts, von dem aber kaum mehr als der Name bekannt geblieben ist.
— Bekannter ist Dr. John J., gleichfalls ein Engländer. Derselbe war ein
Violinschüler von Hindmarsh, hatte hierauf Unterricht bei Francis Philipps
und vollendete seine musikalische Elrziehung auf dem Continent. Seit 1800
wirkte er in London als angesehener Musiklehrer, wurde 1809 Baccalaureus
und später Doctor der Musik zu Oxford. Um 1838 war er noch am Leben.
Von seiner Composition hat er eine Ouvertüre für Orchester, Sonaten und
Variationen für Ciavier, englische Lieder und Gesänge u. a. veröffentlicht.
Ibach, Firma mehrerer seit langer Zeit berühmten Orgelbauanstalten und
Pianofortefabriken zu Bonn und zu Barmen, von denen zu nennen sind:
1) Adolph I. in Bonn, Orgelbauwerkstätte und Pianofortehandlung, welche
gute Kirchen- und Hausorgeln liefert. 2) C. Rudolph I., gestorben am 26.
April 1863, der älteste von vier Brüdern, welche sich mit grossem Erfolge
dem lustrumenteubau widmeten, war Thellhaber der Orgel- und Pianoforte-
fabrik, welche in Barmen unter den Firmen Adolph I. vmd Sohn, Ad. I.
Söhne und Gebrüder C. Rudolph und Richard I. bestand. 3) Gustav
Adolph I., Pianofortebauer in Barmen, eröffnete sein Geschäft am 1. Juni
1862, nachdem er vorher einer der Theilhaber der Firma Adolph I. Söhne
gewesen war. Er liefert Pianinos und Flügel in solider Ausführung und aner-
372 Ibykus — Ideal.
kennenswerther Güte. 4) Richard I., Orgelbauanstalt in Barmen, gegründet
1794 durch Adolph I., besteht seit dem 1. Jan. 1869 unter der jetzigen Firma
und zählt zu den bedeutendsten Werkstätten dieser Gattung in Deutschland,
indem sie jährlich sechs bis acht Kircheninstrumente liefert, welche zu den
bedeutendsten "Wei'ken der Orgelbaukunst gehören, und nach Holland, Belgien,
Spanien, Amerika u. s. w. exportirt. 5) Rudolph I., Inhaber der Firma
Rud. I. und Sohn in Barmen, die grösste und älteste Pianofortefabrik im
westlichen Deutschland, gegründet 1794 durch Adolph I., bestand darnach als
Orgel- und Pianofortefabrik unter den weiter oben unter 2 genannten Firmen
und seit dem 1. Jan. 1869 nur als Pianofortefabrik unter der jetzigen Firma.
Die Erzeugnisse dieses Etablissements standen von jeher in einem bedeutenden,
wohlerworbenen Ansehen; Umfang und Ausdehnung des Ciavierbaues daselbst
begründete aber erst der gegenwärtige Inhaber, der seinen vorzüglich gear-
beiteten Instrumenten in kurzer Zeit einen "Weltruf zu verschaffen wusste. Er
liefert jährlich 300 bis 400 Flügel und Pianinos, welche sich neben ihrer über-
aus soliden Arbeit durch einen mächtigen und doch angenehmen Klang aus-
zeichnen, weshalb dieselben auf den verschiedenen Weltausstellungen stets prä-
miirt und von anerkannten Musikautoritäten als zu den besten Instrumenten
der Gegenwart gehörend empfohlen worden sind.
Ibykus, altgriechischer Sänger und lyrischer Dichter, ein Zeitgenosse des
Anakreon, war aus Rhegium in TJnteritalien gebürtig und kam um die Mitte
des 6. Jahrhunderts v. Chr. an den zur Zeit sehr glänzenden Hof des Ty-
rannen Polykrates von Samos. Später, nachdem er mehrere Reisen unter-
nommen hatte, kehrte er in seine Vaterstadt zurück, wo er auch gestorben ist.
Einer schon im Alterthum verbreiteten Sage nach, die auch Schiller in seiner
schönen Ballade »Die Kraniche des I.« behandelt hat, wurde er auf einer seiner
Sängerfahrten von Räubern überfallen und ermordet. Seine Drohung, dass die
Kraniche, welche während dieser ruchlosen That in der Luft vorbeizogen, ihn
einst rächen würden, ging zu Korinth in Erfüllung. Yon I. erwähnen die
Alten sieben vorhandene Bücher Gedichte in dorisch-äolischer Mundart, welche
heroisch-erotischen Inhalts waren und sich durch Gluth der Phantasie und
Leidenschaft auszeichneten, wie auch die noch übrig gebliebenen, von Schneidewin
und von Bergk gesammelten und herausgegebenen Bruchstücke derselben
beweisen.
Icht ist der indische Name [eines Notenwerthzeichens , durch welches man
zwei gleiche Längen im */4-Takt vermerkt, also: B— p— p— 0.
Ideal (vom griech. idsa) im weiteren Sinne des Wortes wird dem Realen
entgegengesetzt als das blos Vorgestellte, Gedachte, im Gegensatz zu dem
Wirklichen, ausserhalb und unabhängig von dem Denken Existirenden. Im
engeren Sinne versteht man unter einem I. einen als wirklich gedachten Gegen-
stand, der einer Idee, einem Vorbilde oder Musterbilde vollkommen entspreche.
Wie vielfach daher die Gebiete sind, in denen der Gedanke des Musterhaften,
Vollkommenen und Vollendeten eine Bedeutung hat, so vielfältig ist die An-
wendung des Begriffs I., daher vorzüglich sittliche und ästhetische I.e; dann
im Einzelnen I. der Kunst, I. der Wissenschaft, I. des Weisen, I. der Tugend,
des Staats, der Familie u. s. w. Der Philosoph Kant spricht sogar von einem
theoretischen I. der reinen Vernunft; ebenso würde ein I. der Hässlichkeit,
der Bosheit u. s. w. gedacht werden können. Insofern man versuchen kann
und auf dem sittlichen Gebiete versuchen soll, das Wirkliche dem I. gemäss
zu bestimmen, bedient man sich des Wortes I.wohl auch da, wo ein Wirk-
liches der Idee in hohem Grade zu entsprechen scheint, so namentlich wiederum
im Gebiete der schönen Künste. Wo sich Ideen nicht anschaulich darstellen
lassen, wie eben in den Künsten, sondern wo, wie in der Wissenschaft, die
Aufgabe darin besteht, sie durch Begriffe zu bestimmen, wird das Wort Idee
und I, oft gleichbedeutend gebraucht. Jedes von der Phantasie des Künstlers
Idee — Jeep, 373
entworfene, von dem Darstellungsvermögen ausgeführte I. wird nie ganz erreicht
werden und immer nur ein mehr oder weniger vollkommenes Abbild des Ur-
bildes bleiben; gleichwohl soll ein solches I. dem Geiste des Künstlers immer
vorschweben, damit er sich immer mehr ihm zu nähern suche, und ein Künstler
ist deshalb auch um so grösser, je vollkommener das I. ist, das er sich ent-
wirft, je feuriger er es sich in seiner Einbildungskraft darzustellen vermag, und
je mehr Kraft er in sich trägt, sein Werk dem vorschwebenden I. ähnlich zu
machen. — Idealisiren heisst ein Wirkliches nach einer Regel der Voll-
kommenheit behandeln, oder anders ausgedrückt, dem Stoffe in der Darstellung
die Vollkommenheit verleihen, welche das Wirkliche nicht hat. So muss alle
Kunst i. , indem der Künstler nach Idealen arbeitet. Im Sprachgebrauch des
gewöhnlichen Lebens bezeichnet man durch dieses Wort bisweilen auch die
Täuschung, welche in dem Wirklichen mehr Vollkommenheit zu finden glaubt,
als es besitzt. Der Tondichter idealisirt mit Glück, wenn es ihm gelingt, durch
seine Musik die Seele vom Irdischen abzuziehen und für höhere Regungen
einzunehmen. Psychologisch genommen richten sich überhaupt die Ideale eines
Menschen nach der Höhe seiner geistigen Ausbildung; Jedem wird dasjenige
ein Ideal, was ihm in irgend einer Art ein Maass der Vollkommenheit dar-
bietet, daher in diesem Sinne die ästhetischen Ideale (denn das Aesthetisch-
Schöne ist gleichbedeutend mit dem Idealisch- Schönen), ebenso wie die sitt-
lichen, politischen, religiösen Ideale nicht nur einzelner Menschen, sondern
ganzer Zeitalter und Völker sehr verschieden sind.
Idee, s. Gedanke.
Idw.111 nennen die Inder ein Werthzeichen ihrer Notenschrift, welches die
Gesangnoten in folgender Länge und Betonung wiedergiebt:
^~r~rr\-r-\^ ^ o. ^
Idylle (griech. stdvXhav), d. i. ein kleines Bild, nennt man eine dem ein-
fachen, unverdorbenen Landleben entnommene poetische Schilderung, deren
Schauplatz die Natur ist. Ein Tonstück, das solche Schilderungen musikalisch
darzustellen sucht, wird daher gleichfalls I. genannt. Vogelgesang, Wellen-
geplätscher, Echoruf, Schalmeien- und Hörnerklang, Naturlaute aller Art sind
als Darstellungsmittel für diese Art von Schilderung niemals verschmäht
worden und dürften auch kaum zu umgehen sein, wiewohl deren Anwen-
dung meist zu einem Realismus verführt, der in der reinen Kunst nicht statt-
haft ist.
Jean, altfranzösischer Contrapunktist , genannt l'Orguenneur, d. i. der Or-
ganist, welcher Beiname auf seine Hauptbeschäftigung hinweist, lebte im 13.
Jahrhundert. Zwei Gesänge von ihm sind der Nachwelt erhalten geblieben.
Jeanuou, französischer Musikgelehrter, geboren zu Anfang des 18. Jahr-
hunderts zu Lyon, hielt in der Akademie seiner Vaterstadt Vorlesungen über
die Harmonie, in welchen er u. A. auch bereits eingehend von dem Ton handelte,
welcher durch Reiben an einem Glase hervorgebracht wird.
Jeannotus, s. Zanotti.
Jean-Pierre, Jean Nicolas, französischer Orgelbauer, geboren 1811 zu
Ventron, war anfangs Uhrmacher zu Nampotelize, ging aber später zum Orgel-
baufach über und verfertigte als Autodidakt mehrere gute Werke. Er erfand
auch einen von grossem Scharfsinn zeugenden complicirten Mechanismus für die
Orgel, welchem er den Namen i>Metroton(f. beilegte,
Jeep, Johann, auch fälschlich Jepp geschrieben, einer der ausgezeich-
netsten deutschen Vocalcomponisten der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts,
geboren um 1585 zu Dransfeld unfern Göttingen, hielt sich in seinen Blüthe-
jahren ausschliesslich in Baiern und Würtemberg auf, und war seit etwa 1625
gräfl, hohenlohe'scher Kapellmeister zu Weikersheim. Gestorben ist er um
1650 zu Ulm. J, war ein ebenso sinniger wie geschickter Tonsetzer, und es
ist lebhaft zu bedauern, dass von seinem äusseren Leben nicht mehr bekannt,
374 Jeffrys — Jeliotte.
von seinen interessanten Arbeiten, welche zu ihrer Zeit nach Verdienst hoch-
geschätzt waren, nicht mehr übrig geblieben ist. Er bewegte sich iu den alten
Kirchentöneu mit einer Sicherheit, Feinheit und Anmuth, die vorthoilhaft gegen
den gleichzeitig üblichen Formalismus absticht. Man hat von ihm: »Geistliche
Psalme und Kirchengesänge Dr. Martin Luther's und anderer frommer Christen,
mit vier Stimmen, dem Choral uach componiret« (Nürnberg, 1607); »Schöne
auserlesene liebliche Tricinia. so von Laurentio Medico in welscher Sprache
ausgegangen« (Nürnberg, 1610 und IGll); »Studenten -Gärtleins erster Theil,
newer lustiger weltlicher Liedlein mit drei, vier, fünf Stimmen zu siugeu und
zu spielen« (Nürnberg, 1607); »Studenten -Öilrtleins anderer Theil u. s. w.«
(Nürnberg, 1609); »Chi'istliches Gesang -Büchleincf (Ulm, 1618). Wie beliebt
und verbreitet von diesen Werken namentlich das » Studenten- Gärtlein« gewesen
sein muss, das J. laut Titel »allen der löblichen Musik-Kunst Liebhabern, be-
sonders aber den edlen Studenten vnd züchtigen Jungfrawen zu sondern an-
nemblichen Ehren vnd Wohlgefallen« gewidmet hat, davon ist Beweis, dass
dasselbe in der Zeit von 1607 bis 1621 sechs Auflagen erlebt hat. Dass aber
J. selbst noch lange nach seinem Tode in Ehren stand, bekundet ein von
seinem Landsmann Ullrich gestochenes Portrait, welches nach Gerber's Angabe
im J. 1673 erschienen sein soll. Man wird allerdings kaum fehl gehen, wenn
man diese Angabc als einen Druckfehler und 1637 als das Erscheinungsjahr
des bezeichneten Stiches annimmt.
Jeffrys, Matthäus, englischer Tonkünstler, der zu Ende des 16. Jahr-
hunderts lebte, Baccalaureus der Musik der Universität Oxford und 1593 Chor-
sänger und Kirchenvicar zu Wills war.
Jeleusperger, Daniel, gelehrter Tonkünstler, geboren 1797 unweit Mühl-
hausen am ßhein , trieb von früh auf Musik und wurde später in den Noten-
Steindruckereien zu Mainz und Offenbach angestellt. Als eine derartige An-
stalt auch in Paris begründet wurde, zog man J. mit einigen anderen jungen
Leuten dorthin. Dies Unternehmen jedoch schlug fehl, und J. sah sich, um
sein Leben zu fristen, darauf angewiesen, als Ciavierstimmer zu fungiren. Zu-
gleich nahm er Unterricht in der Harmonie- und Compositionslehre bei Reicha,
der ihn so liebgewann , dass er ihn zum Repetitor seiner Klasse am Pariser
Conservatorium bestimmte, an welcher Anstalt J. später als Professor- Adjunct
angestellt wurde. Die Gesellschaft der Pariser Componisten, welche 1820 an-
fing, ihre Werke selbst herauszugeben, ernannte J. zu ihrem Geschäftsführer,
und unter seiner Aegide erschien u. A. der »Tratte de haute c07nj}osition« seines
Lehrers Reicha und die »Methode de cor alto et de cor hassen von Daupx-at.
Er selbst begann damals und veröffentlichte später sein AVerk »Lliormonie au
commencement du 19. siecle et methode four Vetudiera. (Paris, 1830), welches in
deutscher Uebersetzung von Aug. Häser (Leipzig, 1833) erschien. Sonst hat
er noch die Chorgesangs-Schule von A. F. Häser und die Hummersche Ciavier-
schule ins Fi'anzösische übersetzt und herausgegeben. Gestorben ist er am
30. März 1831 zu Mühlhausen.
Jelich, Vincenz, Contrapunktist des 17. Jahrhunderts, geboren zu St.
Veit am Flaum, ist durch Kircheugesänge seiner Composition bekannt ge-
blieben.
Jeliuek, Franz Xaver, tüchtiger Oboevirtuose und Componist, geboren
am 3. Decbr. 1818 zu Kaurins in Böhmen, erhielt seine höhere Ausbildung
auf dem Conservatorium zu Prag und folgte 1841 einem Rufe nach Salzburg,
wo er als Lehrer seines Instrumentes und als Archivar am Mozarteum, sowie
auch als Lehrer der Composition erfolgreich wirkt. Von seinen Compositionen
sind besonders Kirchenmusikstücke und Männerchöre von Bedeutung.
Jeliotte, Pierre, berülimter französischer Tenorsäuger und gewandter
Componist, geboren 1711 unfern Toulouse, erhielt seinen ersten musikalischen
Unterricht als Chorknabe an der Maitrise der Kathedralkirche daselbst. Der
Ruf seiner selten schönen und hohen Tenorstimme drang bis zum Prinzen von
Jendritza — Jensen. 375
Carignan, dem General- In spector der Pariser Grossen Oper, der ihn kommen,
debütiren liess und anstellte. Er sang nun von 1733 bis 1755 an dieser
Bühne mit grossartigem Erfolge und starb 1782 zu Paris. Seine sonstige
musikalische Vortrefilichkeit beweist ausser vielen Chansons, die Musik zu
dem Ballet »Zelisca«, welche er 1745 zur Vermählungsfeier des Dauphins com-
ponirt hat.
Jendritza, ein um die Musik verdienter Schulmann, geboren am 27. Jan.
1783, seit 1815 Rector in Namslau, wirkte in seinem Kreise durch Verbes-
serung des Schulgesanges und Hebung der Volksmusik nachhaltig im Interesse
der künstlerischen Bildung seiner Landsleute.
Jenaer, Johann Baptist, begeisterter Musikfreund und guter Pianist,
geboren am 23. März 1792 (nicht 1797) zu Kirchhöfen bei Freiburg im Breis-
gau, war kaiserl. Hofkriegsraths-Beamter in Wien und hat sich um die Gesell-
schaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaats, deren langjähriger
Canzleidirektor er war, grosse Verdienste erworben. Er starb am 30. März
1856 zu Wien.
Jenicke, Johann, deutscher Componist und Dichter des 17. Jahrhunderts,
lebte zu Magdeburg und liess daselbst im J. 1667 vier Ballets und Sarabanden
seiner Composition im Druck erscheinen.
Jenisch, Paul, niederländischer Gelehrter und Tonkünstler, geboren am
17. Juni 1558 zu Antwerpen, starb daselbst hochbetagt am 18. Decbr. 1647.
Mattheson führt ihn im »PZws ultrai als Beispiel an, wie heilsam die Musik-
übung auf die von Noth and Unglück Verfolgten wirken könne.
Jenkitts, John, einer der bedeutendsten englischen Viola da Gamba- Vir-
tuosen und Instrumentalcomponisten, geboren 1592 zu Maidstone in der Graf-
schaft Kent, blühte besonders um die Mitte des 17. Jahrhunderts. Vor der
englischen Revolution stand er in Diensten Karl's I., nach dessen Sturze er
fortwährend auf Reisen lebte, bis er 1671 zu Kimberley starb. Der Compo-
sitioneu J.'s für Viola da Gamba sollen Legion gewesen sein; jedoch ist von
ihnen allen Nichts gedruckt worden. Nur in dem Sammelwerk für Viola:
yiSpeel- Tresor van 200 de nieawste Ällemanden^ Gouranterij Sarabanden etc.n
(Amsterdam, 1664) befinden sich einige Violastücke von J., und auch Burney
theilt ein solches im dritten Bande seiner Geschichte mit. Dagegen veröfi'ent-
lichte J. selbst: nTheophila or Love^s sacriföcea (London, 1651), ein mehrstim-
miger Gesang, und 12 Sonaten für zwei Violinen und Bass (London, 1660;
Amsterdam, 1664), das erste bekannt gewordene Werk in England, das in
italienischer Manier für ein Ensemble von Violinen und Bass und nicht für
Violen oder Lauten geschrieben war. In Smith's y>Musica antiqua« befinden
sich auch noch einige Arien J.'s. — Ein Jenkins, dessen Vorname aber nir-
gends genannt wird, galt um 1783 und später für einen der grössten Trom-
petenvirtuosen Englands und trat häufig in den damals zu London veranstal-
teten grossen Concerten auf.
Jenueqnin, s. Jannequin.
Jennewitz, s. Janiewicz.
Jensen, Adolph, phantasievoller Componist der Gegenwart, geboren am
12. Jan. 1837 zu Königsberg in Preussen, bekundete schon früh ein hervor-
ragendes Talent für die Musik, welches sich in autodidaktischen Kunst-
studien Raum zu schaffen suchte, bis L. Ehlert und Friedr. Marpurg ihm einen
geregelten Unterricht ertheilten. Als beide Lehrer im Vei'laufe von zwei Jahren
Königsberg verliessen, war J. bereits so weit gediehen, dass er an guten Mustern
seine Studien selbstständig fortsetzen und mit eigenen Compositionen sich hervor-
wagen konnte, von denen Ouvertüren, ein Streichquartett, Sonaten und andere
Stücke für Ciavier, besonders aber mehrere Gesangswerke zu nennen sind. Die
Sorge für eine gesicherte Existenz führte J. 1856 nach Russland, wo er sich
ziemlicli rasch die Mittel erwarb, mit Hülfe deren er in persönlichen Verkehr
mit Roh. Schumann, der sein enthusiastisch verehrtes Vorbild geworden war.
376 Jepp — Jesser.
treten wollte. Die Katastrophe, welche in demselben Jahre über den letzteren
hereinbrach, vereitelte diesen Herzenswunsch. J. kehrte 1857 nach Deutschland
zurück und nahm zunächst die Stelle als Kapellmeister am Stadttheater zu
Posen an, welche er aber nur eine Saison hindurch inne hielt, um sich dann
nach Kopenhagen zu begeben, wo ihn N. W, Grade durch künstlerische Rath-
schläge sehr förderte. Nach einem zweijährigen Aufenthalte in der dänischen
Hauptstadt siedelte er nach seiner Vaterstadt Königsberg über und schwang
sich dort zu den geschätztesten Musiklehrern empor, während gleicherweise
sein Componistenruf in Folge der von da an schneller im Druck erscheinenden
und auf einander folgenden sinnigen Lieder und Ciavierstücke sich weiter und
weiter verbreitete. Zu Anfang des .T. 1866 folgte er einem Rufe nach Berlin
als Lehrer der Tausig'schen Schule für Ciavierspiel und gehörte diesem Institute
bis Ende 1868 an, worauf er sich in Dresden und 1870 in Graz niederliess.
Von seinen bekannt gewordenen Compositionen werden seine Ciavier -Sonate
op. 25, das geistliche Orchesterstück »Der Gang nach Emmaus«, der Nonnen-
gesang für Frauenchor mit Harfe, zwei Hörnern und Pianofortebegleitung,
ferner die Liedercyklen »Dolorosa« und »Erotikon«, endlich seine Liederhefte
op. 4, 6, 22, sowie die Pianofortestückc op. 37, 38 und 42 dem Gediegensten
zugerechnet, was die neuere Musikliteratur in Deutschland hervorgebracht hat.
— Sein Brudei-, Gustav J., ein vortrefflicher Violinist, besuchte 1871 die königl.
musikalische Hochschule in Berlin und wirkt seit 1872 als geschätzter Lehrer der
Harmonieklasse am Conservatorium zu Köln. Auch von ihm sind Lieder und
Pianofortecompositionen im Druck erschienen, und eine Concertouvertüre seiner
Composition, welche 1875 in einem der Gürzenichconcerte zu Köln zum ersten
Male zur Aufführung gelangte, fand ihres Schwunges und ihrer guten Arbeit
wegen den Beifall der Kenner sowie des dortigen Publikums.
Jepp, s. Jeep.
Jerach beu Jomo, "QV )^ rr^"^, ist der Name des unter den letzten Buch-
staben gesetzten hebräischen Accentzeichens, welches die orientalischen Hebräer
durch folgenden Tongang -^— i»?-— *^^«^|— f -*-p pHl geben; Aehnlichkeit mit
dieser Lesart lässt sich in der deutschen Auffassung nicht verkennen:
-^ — ^-
0.
Jeremiaden, s. Lamentationen.
Jeröme de Moravie, Dominicaner zu Paris, s. Hieronymus de Mo-
ravia.
Jeroniino, Pater Francisco de, musikgelehrter portugiesischer Hierony-
miter-Mönch, geboren 1692 zu Evora, war Kapellmeister im Kloster zu Belem
und componirte viele acht- bis 16 stimmige Responsorien, achtstimmige Messen,
Te deen, Psalme, Hymoen, Vespern, Motetten u. s. w., von denen Einiges in
der Bibliothek zu Lissabon aufbewahrt wird.
Jesir ist nach Naumburg's Werk: r>Cha7its reli(jieux des Israelitesu. u. s. w.
(Paris, 1847) der Name eines dem Jethib (s. d.) gleichen Accentzeichen der
Hebräer, und soll, im zweiten Buche Mose voi'kommend, stets die Tonphrase
II
anzeigen. 0.
: Z\s\h
Jesrie ist ein "Werthzeichen in der indischen Notation: -3 J^iS ^-c das durch
3 - I ' I
Noten in folgender Art gegeben werden muss: 9 — o p |~o— s— 1— e>^
Jesser, gerühmter Waldhornvirtuose der zweiten Hälfte des 18. Jahrhun-
derts, war aus Böhmen gebürtig, befand sich 1784 am Cap der guten Hoffnung
und scheint auch nicht wieder nach Europa zurückgekehrt zu sein.
Jester — Jeu de büffle. 377
Jester, Ernst Friedrich, beliebter deutscher Operncomponist , geboren
1745 zu Königsberg, war seinem Berufe nach königl. preussischer Forstbeamter
und hat als solcher mehrere Opern componirt, die den Beifall seiner Lands-
leute fanden.
Jesas, Name mehrerer portugiesischer Tonkünstler geistlichen Standes.
Sie sind der Reihe nach: 1) Antonio de J., aus Lissabon gebürtig, war
Mönch und von 1636 an bis zu seinem Tode, am 15. April 1682, Professor
der Musik an der Universität zu Coimbra. Auf der Bibliothek zu Lissabon
trifft man noch Kirchencompositionen von ihm. — 2) Bernardino de J,,
auch Sena genannt, geboren 1599 zu Lissabon, trat 1615 zu Viana in den
Franciscauerorden, in welchem er Chorvicar, später, um 1659, Definitor wurde.
Als vorzüglicher Sänger und Componist war er auch vom König Johann lY.
sehr geschätzt. Er starb am 10. April 1669; Kirchencompositionen von ihm
bewahrt die dortige Bibliothek. — 3) Don Carlos de J. -Maria, musika-
lischer Schriftsteller, geboren 1713 zu Lissabon und gestorben 1747 als Mönch
zu Coimbra, veröffentlichte eine grössere Abhandlung, betitelt: y>Arte de eanto
chadv. (Coimbra, 1741), als deren Verfasser er sich pseudonym. Luiz da Maya
Croecer nennt, welcher Name sich anagrammatisch auf seinen eigenen zurück-
führen lässt. — 4) Gabriel de J., ebenfalls ein Ordensgeistlicher und zwar
seit 1676 zu Alcobaga, war aus Leiria gebürtig und wird als Orgel- und Harfen-
spieler, sowie als Componist gerühmt. Mit besonderer Auszeichnung werden
fünf seiner Motetten, betitelt: »Quinze motetes para as quinze estagones da via
sacjra com as letras da escritura sagradaii etc., hervorgehoben. Vgl. Machado,
Bihl. lus. in. p. 314.
Jethib oder Jathib, l'^p*' , heisst der hebräische Accent A, welcher bei
den orientalischen Israeliten unter den ersten Buchstaben eines "Wortes gesetzt
wird; derselbe zeigt ihnen an, dass der .Sänger drei Töne der diatonischen
Scala fallend in folgenden "Werthen ausführen soU: -^^ — *^~'T~'^ — F — ?~^ i-
Kircher hat das J. mit der Mercha (s. d.) verwechselt und behauptet, die-
selbe fordere eine Wiederholung desselben Tones; der erste kurz, der zweite
lang. Nathan giebt eine der ersten Deutung fast entgegengesetzte Erklärung,
welche nach der Lesart der ägyptischen und syrischen Hebräer aufgestellt
sein soll:
Ganz von diesen Deutungen verschieden ist die
Behauptung des berühmten Hebräisten Conrad Gottlieb Anton in seinem Werke:
ytSalomonis Carmen melicum quod canticum canticorum dicitur, ad metrum priscum
et modos musicos revocare, recensere et notis criticis aliisque illustrare incipitK
(Wittenberg, 1793), das J. zeige an, dass zwei Stimmen die Sexte d—7i gleich-
zeitig singen sollen. Man sieht hieraus, wie unser Wissen über die hebräische
Musik beschaffen. Im TJebrigen s. Hebräische Musik. 0.
Jetze, Paul, deutscher Tonkünstler, lebte als Professor der Musik und
Cantor um 1684 zu Stettin. Er war der Letzte, welcher den Amtstitel »Pro-
fessor der Musik« führte.
Jeu (französ.) bezeichnet im Allgemeinen jeden Registerzug an der Orgel.
Im Besonderen ist z. B. J. d^anche das Schnarrwerk; J, dränge oder J. Celeste
die Engelsstimme (s. Cölestinzug und Pedal); J. de flütes das Flöten-
register; J. de trompettes das Trompetenregister; J. de voix humaine die
Menschenstimme (latein.: vo:v humana).
Jeu ä Ibouche ist die französische, zuweilen auch früher in Deutschland
angewandte Benennung der Labial stimmen (s. d.) der Orgel. 2.
Jen de büffle oder Jeu ä peau de huffle (französ.), d.i. Spiel mit
Büffelleder, nannte im 18. Jahrhundert Balbastre einen von ihm erfundenen
Pianozug am Clavecin (s. d.) oder Pantalon (s. d.). Die Tangenten (s. d.)
dieser Tonwerkzeuge waren meist aus Metall, seltener aus Holz ohne jegliche
378 Jd de vieles — Ignatius der Heilige.
Belederuug und gaben deshalb einen etwas scharfen Klang, der viele hohe
Beitöne zeigte. Balbastre baute ausser diesen Tangenten eine vollständige
Garnitur mit Büffelleder überzogener Hämmerchen in diesen Instrumenten, die
mittelst einer Mechanik statt der Tangenten die Saiten schlagen konnten.
Dadurch erhielt er einen viel weicheren Klang, der fast ohne alle höheren
Beiklänge war und zugleich etwas gedämpft ertönte. Da die Belederung der
Hämmerchen, wie erwähnt, aus Büffelleder bestand, gab der Erfinder diesem
Pianozug den ihm eigenthümlichen Namen. — Zu gleichem Zwecke fast, doch
in anderer "NT^eise bei diesen Instrumenten gebrauchtes Büffelleder führte zu
einer anderen Anwendung desselben musikalischen Fachausdrucks. Um nämlich
in späterer Zeit die Klänge eines Pianos in leiserer Art hören zu lassen,
brachte man in demselben eine mit Büffellederstreifen versehene Holzstauge an,
welche Stange mittelst eines Hebels dicht unter die Saiten so geschoben werden
konnte, dass die Hämmerchen, statt unmittelbar gegen die Saiten zu schlagen,
die Lederlappeii gegen die Saiten pressten und so mittelbar erst dieselben
tönend erregten. Dadurch trat sofort bei der Tonerregung auch eine leichte
Hemmung der Vibration der Saite ein und bewirkte diese einen eigenthüm-
lichen leisen Klang. Der Hebel wurde entweder mittelst des Knies oder eines
besonderen über der Claviatur befindliclien Hegisterzuges regiert. Später suchte
man dieselbe Wirkung durch Tuch- statt der Büffellederstreifen zu erzielen,
von welcher Art, ein Piano hervorzubringen, man in neuester Zeit jedoch
gänzlich abgekommen ist. 2.
Jeu de violes (französ.), ein Satz Geigen, d. h. vier bis fünf Geigen von
verschiedener Grösse für die verschiedenen Stimmen der Musik,
Jeürük-seinnsi ist eine der Bezeichnungen in der persisch-türkischen Musik,
wodurch man das Zeitmaass, die Bewegungsart und Zahl der Zeittheile eines
Hauptabschnittes anzeigt. J. insbesondere zeigt an, dass stets nur ein Glied
dreiviertel Takt im Allegrotempo gegeben wird. 0.
Jeu graud (französ,), d. i. grosses Spiel oder volles Werk, heisst ein be-
stimmtes Register des Harmoniums (s. d.). Der so genannte Zug öffnet
gleichzeitig alle klingenden Stimmen des Instruments und gestattet somit die
Yerwerthung der Klänge desselben in der grössten Stärke. 2.
Jeuue, Claude le, s. Lejeune.
Jeves, Simon, englischer Geistlicher und Yocalcomponist, war in der
ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Vicar an der Paulskirche zu London und
componirte gemeinschaftlich mit Heinrich Lawes die Arien und Gesänge, welche
vor dem König Karl I. in Whitehall aufgeführt wurden. Er starb 1662 zu
London.
Jewit, Ran dal oder Raudolph, englischer Tonkünstler von Ruf und
Schüler von Oi'laudo Gibbons, war in seinen jüngeren .Jahren zu Dublin als
Oi'ganist angestellt, verliess aber 16.39 Irland, um nach England zu gehen, wo
er das Organistenamt zu Winchester annahm. Kurze Zeit darauf jedoch starb
er. Hawkins führt ihn auch als geschickten Componisten an.
Jey-tsu nennen die Chinesen das dritte Lü (s. d,) ihi'es Tonsystems, wel-
cher Klang ungefähr unserem y gleich ist. 0.
Ignanimus, Angelus, italienischer Dominicanermönch, Componist und
musikalischer Schriftsteller, geboren um 1500 zu Altamura in Calabrien, lebte
und wirkte jedoch in Oberitalien und starb 1543 als Kirchenkapellmeister zu
Venedig. Dort sind auch verschiedene Sammlungen Messen, Motetten, Vespern,
Lamentationen und Madrigale von ihm für drei bis sechs Stimmen erschienen.
Ein Traktat von ihm, »De cantu, ^lanoa, soll sich handschx'iftlich im Kloster
Altamura befinden.
Ignatius der Heilige, Bischof von Antiochien seit 49 n. Chr., war noch
ein Schüler des Apostels Johannes und führte den Beinamen Theophoros,
d, i. der »Gott« oder, nach seiner eigenen Erklärung, »Christum im Herzen
trägt«. Die Legende bezeichnet ihn als jenes Kind, das Jesus seinen Jüngern
Ikeu — Illusion. 379
als Muster hinstellte. I. sehnte sich nach dem Märtyrertode, den er auch fand,
indem er unter Kaiser Trajan zu ßom im J. 107, nach Anderen erst 116,
vor der schaulustigen Yolksmenge im Circus von Löwen zerrissen wurde. Die
katholische Kirche feiert seinen Gedenktag am 1. Februar. Er zuerst soll die
Antiphonen im christlichen Kirchengesang aufgebracht haben.
IkeH, Konrad, deutscher Theologe, geboren am 25. Decbr. 1689 zu
Bremen, war Professor seiner Pacultät, sowie erster Prediger an der Stephans-
kirche daselbst, und hat u. A. über die silbernen Trompeten der alten Hebräer
geschrieben. Er starb am 25. Juni 1753.
II, der männliche Artikel der italienischen Sprache, sei hier besonders in
folgenden Zusammensetzungen erwähnt: II doppio movimento (französ.: le
double mouvement), d. i. die doppelte Bewegung (s. Doppio). — II fine, d. i.
das Ende. — // tempo crescendo, d. i. das Zeitmaass (Tempo) zunehmend,
eine Vortragsbezeichnung in der Bedeutung im wachsenden, d. h. schneller wer-
denden Zeitmaasse. Häufiger werden in demselben Sinne die Bezeichnungen
accelerando (s. d.) oder stringendo (s. d.) gebraucht.
Ildefonso, latinisirt Ildephonsus, spanischer geistlicher "Würdenträger,
geboren 607 zu Toledo, starb 669 als Erzbischof daselbst und wird unter den
Hymnologen der römisch-katholischen Kirche genannt. Mehrere Hymnen zu
Ehren der Jungfrau Maria und einiger Heiligen soll er nicht blos gedichtet,
sondern auch mit Musikweisen versehen haben.
U^eu, Karl David, ausgezeichneter deutscher Schulmann, geboren am
26. Febr. 1763 zu Burgholzhausen unweit Naumburg, studirte zu Leipzig
Theologie und Philologie und wurde 1790 ßector der Stadtschule zu Naum-
burg, 1794 Professor der classischen und orientalischen Literatur an der Uni-
versität zu Jena und 1802 Rector der Landesschule zu Pforta. Im J. 1830
nahm er seine Entlassung, siedelte nach Berlin über und starb daselbst am
17. Septbr. 1834. Von seinen Schriften ist von musikalischer Bedeutung die
Abhandlung: »Ohorus graecus tragicus qualis fuerit et quare ejus usus hodie re-
vocari nequeafa (Leipzig, 1788).
Ilias, s. Homer.
Iliusky, Graf Johann Stanislaus, polnischer Componist, geboren 1795
im Schlosse Romanow in Polen, befleissigte sich in Wien unter Leitung Sa-
lieri's und Kauer's höherer tonkünstlerischer Studien und erwarb sich durch
zahlreiche Kirchenwerke aller Art einen guten Ruf. Im üebrigen aber hat er
auch Sinfonien und Ouvertüren, Streichquartette, Clavierconcerte und sehr viele
Lieder mit Pianofortebegleitung componirt.
Illgner, Johann Christian, guter deutscher Orgelspieler, geboren am
24. Juni 1800 zu Louisdorf im Freistädter Kreise, erhielt 1837 Anstellung
als Organist der Elftausend-Jungfrauenkirche zu Breslau.
Illasion (aus dem Latein.) heisst im Gebiete der schönen Künste die
grösstentheils durch Kunst erzeugte Täuschung, vermöge welcher man sich der
angenehmen Einbildung hingiebt, als wäre das Dargestellte die Sache selbst.
Es kann hier jedoch nur von einer bewussten Täuschung die Rede sein, welche
uns mit denselben oder ähnlichen Gefühlen, Empfindungen oder Vorstellungen
erfüllt, wie das Wirkliche selbst uns erscheinen würde, obschon wir wissen,
dass wir es nur mit einer Nachbildung des Wirklichen zu thun haben. Sie
ist demnach nur dann ästhetisch und damit zugleich berechtigt, wenn sie als
Mittel dient, das Schöne darzustellen und das in sich Vollendete zu verkörpern.
Wenn sie aber die Verwechselung des Scheinbaien mit dem Wii'klichen selbst
oder eine blos materielle Wirkung zur Absicht hat, so artet sie aus einer
ästhetischen, sich selbst bewussten Täuschung in einen groben Betrug aus.
Je mehr es gelingt, die künstliche Täuschung durch künstliche Mittel in uns
hervoi'zubringen, in desto höherem Grade wird sich unser ästhetisches Gefühl
befriedigt fühlen. Ein Hauptgrund dieses Wohlgefallens beruht in der Mit-
thätigkeit, zu welcher sich unsere Phantasie aufgefordert fühlt, wie in der
380 Imagination — Imbroglio.
o'
AVahrnehmung, welche reiche Mittel der Kunst für die Nachahmung des Natur-
wirklichen zu Gebote stehen. Die I. hat in allen Künsten einen grossen
Spielraum, und wenn man lange und oft behauptete, dass sie sich im Gebiete
der Tonkunst nur in den ohnehin verdächtigen Tongemälden äussere, so hat
man sie in einem allzu materiellen und beschränkten Sinne aufgefasst. Man
würde sie dann, weiterschliesseud, auch der Poesie absprechen und sie nur in
das Gebiet der darstellenden Kunst und der bildenden Künste verweisen müssen,
bei denen sie freilich erkennbarer, aber nicht so intensiv als in der Tonkunst
und in der Poesie sich geltend macht. So werden z. B. die Chöre, Arien
und Recitative in einer Oper oder einem Oratorium uns um so mehr aflSciren,
je mehr sie in uns die I. erwecken, als drücke sich in ihnen der Empfiudungs-
zustand, dem Text entsprechend, aufs wahrste und lebendigste aus. Alle
Künste beruhen am letzten Ende auf dem schönen Schein, auf der I., die jedoch
nur zum geringsten Theile auf der durch blos materielle und körperlich sicht-
bare Kunstmittel bewirkten Sinnestäuschung beruht.
Imagination (aus dem Latein,), gleichbedeutend mit Einbildungs-
kraft (s. d.).
Imbaalt, französischer Violinist, Musiklehrer und Musikverleger zu Ende
des 18. Jahrhunderts in Paris, gab seit etwa 1780 Werke französischer Com-
pouisten in schön gestochenen Ausgaben heraus, über welche später ein jährlich
erneuerter Katalog (derselbe war 1792 sechs Grossfolio-Blätter stark) erschien.
Als Virtuose trat I. noch 1787 in Paris öffentlich auf.
Imbert, französischer Musikschriftsteller, geboren um 1750 zu Sens, wes-
halb er I. de Sens genannt wurde, lebte in Paris und veröffentlichte u. A.
eine -»-^Methode de plain-chanU etc. (Paris, 1780). Er starb im Aug. 1790. —
Unter dem Namen Imbert de Francia verfasste ein französischer Mönch
des 13. Jahrhunderts einen Musiktraktat, der sich abschriftlich in der Pariser
Bibliothek befindet. — Ein Musikliebhaber Imbert de Lapheleque endlich,
um 1830 zu Paris lebend, veröffentlichte daselbst in einer Brochure Notizen
über Paganini und in einer Zeitschrift einen Aufsatz über Rossini's »Teil«.
Imbimbo, Emanuele, italienischer Musikgelehrter und Componist, geboren
1765 zu Neapel, erhielt seine tonkünstlerische Bildung auf dem Conservatorium
San Onofrio seiner Geburtsstadt und widmete sich nach vollendeten Studien
dem Unterrichte im Gesang und in der Harmonielehre, zuerst in seinem Vater-
lande und dann in Paris, woselbst er sich 1808 niederliess. Er componirte
und veröffentlichte italienische Arietten, einige Kirchenstücke und eine dra-
matische Scene »Zo sjjettroa. Seine bedeutendsten Arbeiten aber sind die
yPartimenti ou hasses chijfrees de FenarolU etc. mit einer Fortsetzung dazu mit
italienischem und französischem Text, sowie die pädagogische Schrift riObser-
vations sur renseif/nement mutuel appUq^ue ä la musique et sur quelques ahus
introduits dans cet art; precedees d^une notice sur las conservatoires de Naples«.
(Paris, 1821).
Imbroglio (italien.; französ. : confusion) , d. i. Verwirrung, Verwickelung,
ist eine besondere, irreguläre Art der Accentuation, bei welcher in verschie-
denen gleichzeitig erklingenden Stimmen eines Tonsatzes die accentuirten und
accentlosen Takttheile so mit einander verwechselt, in einander gewirrt oder
gegen einander geführt werden, dass eine Vermischung der geraden und un-
geraden Taktart hervorgerufen wird, ohne dass die verschiedenen Stimmen in
verschiedener Taktart notirt sind. So kann zu einer Stimme im ^/^-Takt z. B.
eine andere treten, die durch Einsatz und Bindungen den Eindruck des ■'/4-Takts
erzeugt. Beispiele findet man im Menuetto des Streichquartetts Heft 16 No. 1
(Leipziger Ausgabe) von Haydn, in Beethoven's Quartett op. 59 No. 2 und
dem ersten Allegro von dessen Eroica- Sinfonie, besonders häufig auch in den
Mazurken von Chopin. Auch das sogenannte Contraterapo, das Tempo
rubato u. s. w. (s. d.) gehört hierher und wird mitunter in demselben Sinne
wie I. gebraucht.
Imhoff — Imitatio per augmentationem. 381
Imhoff, Johann Sigmund Gleorg von, vortrefflicher deutscher Ciavier-
spieler und Musikliebhaber, geboren am 23. Octbr. 1745 zu Nürnberg, woselbst
er in seinen Mannesjahren Stadtgerichts-Assessor und Burgamtmann war. Ein
achtjähriger Unterricht bei dem Organisten Siebenkäs und eine grosse Reise
durch Deutschland im J. 1767 hatten seine musikalischen Talente und seinen
Geschmack aufs Schönste entwickelt, und die persönliche Bekanntschaft sowie
Correspondenz mit Eman. Bach, Naumann, Hasse, Gluck, Jos. Haydn, Gass-
mann, Reichardt, der Mara u. s. w. kam hinzu, um ihn in der Musik und ge-
diegenen Musikübung zu festigen und zu verfeinern. Er veranstaltete in seinem
Hause wöchentliche Quartettauflführungen, an denen die bedeutendsten in Nürn-
berg verweilenden Künstler*, wie C. Stamitz, Punto, Ramm, Schwarz, die beiden
Romberg, Andre, Chladni u. v. A. Theil nahmen. Im J. 1812 dürfte I. noch
am Leben gewesen sein; selbst geschaffen scheint er nichts zu haben.
Imitatio (latein., von imitari — nachahmen, nachmachen), Imitation (fran-
zös.), Imitatione oder Imitazione (Italien.) — die Imitation oder die Nachah-
mung (s. d.).
Imitatio aeqnalis motus (latein.) — die Nachahmung in gleicher Bewegung
(s. hierüber und über die folgenden Ausdrücke den Artikel Nachahmung).
Imitatio cancrizaus oder retrograda oder per motum retrogradtom, Imitazione
eoncherizante oder concherizata (Italien.), Imitation en retrogradant (französ.) —
die rückgängige oder krebsgängige Nachahmung.
Imitatio cancrizaus (in) motu contrario — die verkehrte krebsgängige
Nachahmung.
Imitatio canonica, oder totalis, oder legata — die gebundene, kanonische
Nachahmung.
Imitatio homophona oder in unisono — die Nachahmung im Einklänge
oder in der reinen Prime.
Imitatio inaeqnalis motus — die ungleiche oder verkehrte Nachahmung;
die steigenden Schritte des Themas durch fallende oder umgekehrt beant-
wortet.
Imitatio in heptachordo superiori oder inferiori — die Nachahmung in
der Ober- oder TJnterseptime.
Imitatio in liexachordo superiori oder inferiori — die Nachahmung in
der Ober- oder TJntersexte.
Imitatio in hyperditono oder in hypoditono — die Nachahmung in der
Ober- oder Unterterz.
Imitatio in hyperdiapason oder liypodiapason — die Nachahmung in der
reinen Ober- oder Unteroctave.
Imitatio in hyperdiapeute oder hypodiapente — die Nachahmung in der
reinen Ober- oder Unterquinte.
Imitatio in hyperdiatessaron oder Jiypodiatessaron — die Nachahmung in
der reinen Ober- oder Unterquarte,
Imitatio (in) motu contrario (s. Imitatio per motum contrarium). "
Imitatio in secunda superiori oder inferiori — die Nachahmung in der
Ober- oder Untersecunde.
Imitatio interrupta — unterbrochene Nachahmung; die nachahmende Stimme
wird durch Pausen unterbrochen.
Imitatio in unisono (s. Imitatio homophona).
Imitatio invertibilis — umkehrungsfähige Nachahmung.
Imitatio libera oder simplex (latein.), Imitazione sciolta oder semplice
(Italien.), Imitation simple (französ.) — die freie, ungebundene Nachahmung.
Imitatio lig'ata (latein.), Imitazione legata (Italien.) — die strenge, gebun-
dene oder kanonische Nachahmung.
Imitatio partialis oder periodica — die theilweise, periodische, freie Nach-
ahmung; die nachahmende Stimme beantwortet nur einen Theil des Themas.
Imitatio per au§:mentationem — die Nachahmung in der Vergrösserung.
382 Imitatio per diminutionem — Imperfectio.
Imitatio per «liiuiuntiouein — die Nachahmung in der Verkleinerung.
Imitatio periodica — die periodische Nachahmung (s. Im. partialis).
Imitatio per motnm coutrariuin oder in motu contrario (latein.), Imitazione
riversa, alla riversa oder per m,ooimenti contrarii (italien.), Imitation renversee
oder par mouvement contraire — die verkehrte Nachahmung.
Imitatio per motum coutrarium stricte reversum (latein.), Imitazione dl
contrario riverso (italien.) — die strenge verkehrte Nachahmung.
Imitatio per motum retrogradum (s. Im. cancrizans).
Imitatio per thesiii et arsiu — die Nachahmung auf entgegengesetzten
Takttheilen.
Imitatio simplex (s. Im. libera).
Imitation (französ., s. Imitatio),
Imitation en retrog'radant (s. Imitatio cancrizans).
Imitation par mouvemeut contraire oder Im. renversee (s. Imitatio per
motum contrarium).
Imitation simple (s. Imitatio liherd).
Imitatioue oder Imitazione (italien., s. Imitatio).
Imitatioue alla riversa (s. Imitatio per motujn contrarium).
Imitatioue al contrario riverso (s. Imitatio per motum contrarium stricte
reversum).
Imitatione coucherizaute oder concherizata (s, Imitatio cancrizans).
Imitatioue legrata (s. Imitatio ligata).
Imitatioue per movimeuti coutrarii oder Im. riversa (s. Imitatio per motum
contrarium). 0. T.
Immerwährender Kauou oder unendlicher Kanon (latein.: Canon per-
petuus oder G. inßnitus), s. Kanon.
Immler, vorzüglicher deutscher Violoncellist, war zu Ende des 18. Jahr-
hunderts Cantor in Coburg und hat zahlreiche Kirchenmusikwerke componirt.
— Ein Musiklehrer in der Schweiz, Johann "Wilhelm I., verfasste und ver-
öffentlichte 1828 eine »Anleitung zum Singen für Landschulen«.
Immutabilis sc. accentus (latein.), s. Äccentus ecclesiasticus.
Immyus, John, der Stifter der Madrigal Society zu London, ein be-
geisterter Musikfreund des 18. Jahrhunderts, hatte in seiner Jugend etwas
Ciavier-, Violin-, Gamben- und Flötenspiel erlernt, musste aber, in seinen Ver-
mögensumständen zurückgekommen, Schreiberdienste bei einem Advocateu
nehmen. Als die Äcademy of ancient music gegründet wurde, trat er als Te-
norist in diese Gesellschaft und wurde dadurch mit Pepusch bekannt, der ihn
als Copist und Gehülfe an sich zog. In dieser Stellung lernte er die alten
Kunstwerke genau kennen und lieben, so dass er von neuerer Musik nichts
mehr wissen wollte. In Folge dessen stiftete er 1741 die Madrigal Society,
deren Mitglieder, meist aus Handwerkern bestehend, er durch Eifer und Fleiss
dahin zu bringen wusste, dass sie jedes englische oder italienische vier- oder
fünfstimmige Madrigal vom Blatt zu singen vermochten. I. selbst hatte mit
seiner Familie um die Existenz zu kiimpfen, so dass sich mitleidige Freunde
veranlasst sahen, ihm im späteren Mannesalter eine Stelle als Lautenist in der
königl. Kapelle zu verschaffen, die ihm wenigstens 40 Pfd. Sterl. jährlich
sicherte. Er starb am 15. April 1764 zu London. Vgl. Hawkins V. S. 349.
Impazientemeute oder impaziente (Italien.), Vortragsbezeichnung in der
Bedeutung ungeduldig.
Imperfect (aus dem Latein,), d. i. uiivoUlständig, ein auf die Mensur des
Taktes bezüglicher Kunstausdruck, bezeichnete das zweitheilige Maass der
vier grösseren Notengattungen in der Mensuralmusik (s. Mensuralnoten-
schrift).
Imperfectio (latein.) oder Imperfection perfecter Noten nannten die
alten Kunstlehrer aus dem Zeitalter der Mensuralmusik den Abzug des dritten
Theiles von dem Werthe einer Note (s. Mensuralmusik).
Imperioso — Improvisiren. 383
Imperioso (Italien.), Vortragsbezeiclinung in der Bedeutung herrisch,
gebieterisch.
Iinpetnoso oder Impetuosamente, dasselbe wie con impeto (s. d.), Yor-
tragsbezeichnung in der Bedeutung stürmisch, heftig, ungestüm.
Imponeute (italien.), Vortragsbezeichnung in der Bedeutung entschieden,
kühn, deutet vorzugsweise auf ein kräftiges Abstossen der Accorde.
Impresario (italien.), der Operndirektor, häufig auch der Concer tunter-
nehmer, überhaupt derjenige, welcher eine Künstlei-gesellschaft , um dieselbe
öffentlich auftreten zu lassen, in Engagement genommen hat.
Impromptu (französ.), von dem latein. in promptu, eigentlich der Stegreifs-
einfall, der Schnellgedanke, wurde in neuerer Zeit als die Bezeichnung einer
Gattung von Tonstücken gebraucht, welche den Eindruck hervorrufen, als
seien sie aus dem Stegreif schnell hingeworfen. Besonders in der Ciavier-
literatur ist dieser Titel, vorzüglich durch Chopin, sehr häufig und beliebt
geworden.
Improvisatoreu (italien.: improvisatori) , das sind Stegreifsdichter, heissen
in Italien, wo sie vorzugsweise im Abendlande heimisch. Dichter und Sänger,
welche aus dem Stegreife (latein,: es improviso) jedes aufgegebene oder selbst-
gewählte Thema sogleich dichterisch ausführen und diese Verse entweder decla-
miren oder unter Begleitung der Gruitarre oder Mandoline im Becitativstyle
absingen. Zuweilen dialogisiren auch zwei I. über einen Gegenstand. Bei
Völkern von lebhafter und fruchtbarer Phantasie ist die Begabung, ohne alle
Vorbereitung zu dichten und zu singen, angeregt besonders durch Musik, oft
allgemein, z, B. bei vielen Negerstämmen und unter den Arabern. Eine Idee
von den Improvisationen der letzteren geben die von Bückert frei nachgebil-
deten »Makamen« des Hariri. "War, wie aus mehreren Stellen der Alten zu
schliessen, Griechenland die Heimath der I. des Alterthums, so wurde dies für
das neuere Europa, Valencia und Minorca ausgenommen, vom 12. Jahrhundert
ab ausschliessend Italien, wo Petrarca die Sitte der improvisir enden Dichter,
den Gesang mit einem Lauteuinstrumente zu begleiten, eingeführt zu haben
scheint. Damals und lange noch nachher herrschte selbst an den Pürstenhöfen
das lebhafteste Interesse für die Kunst der I. Lebhafte Einbildungskraft,
Formtalent und Gewalt über die Sprache und den dichterischen Ausdruck be-
sitzen die letzteren mehr oder weniger insgemein, aber von höherem künst-
lerischem Werthe kann bei solchen Produkten einer momentan erregten Stim-
mung für gewöhnlich wenigstens nicht die Rede sein. Ohne Zweifel waren
es auch mehr nur einzelne geniale Züge, wodurch diese Stegreifdichter und
ihre Augenblicksproduktionen ausserhalb Italien einen grossen Huf ei'langten,
als sie, wenigstens unter den gebildeten Ständen, in Italien selbst gegenwärtig
besitzen. Meist sind sie nur noch reine Naturalisten, Leute aus geringen Volks-
schichten, als Pischer, Gondoliere u.^s. w. Auffallend ist es, dass die meisten
I., deren Namen die Kunstgeschichte bewahrt hat, in Toscana oder Venedig,
namentlich in Siena und Verona, geboren sind, und dass dieses Talent sich bis
auf den heutigen Tag an diesen Orten fortgepflanzt hat.
Improvisiren nennt man in der Musik insbesondere die von Begabung
zeugende Pertigkeit, über ein gegebenes Thema ohne Vorbereitung frei zu
phantasiren. Die musikalische Improvisation setzt , neben der Anleitung dazu,
tüchtige Studien und völlig freie Handhabung der Mittel des kunstgerechten
Ausdrucks, der Harmonie, des Contrapunkts, Periodenbaues, überhaupt alles
dessen, was zur Composition gehört, voraus, wenn sie mehr als nur momentanen
Werth haben, nicht blos ungeregelter, augenblicklicher Erguss sein soll. Die
orössten Meister wie Seb. Bach, Händel, Beethoven haben diese Kunst auf
Orgel und Ciavier mit Vorliebe gepflegt und, gemäss dem Hrtheile aller Zeit-
genossen, in einer die höchste Bewunderung erregenden Vollendung; in neuerer
und neuester Zeit haben sich in dieser Weise .J. N. Hummel, Perd. Hillei-,
"W. Taubert, C. Reinecke u. s. w. ganz besonders ausgezeichnet. TJebrigens
384 Improvisü'mascMne — Indien.
soll ein jeder Musiker im freien Phantasiren sich üben, aber mit strenger Ein-
haltung der Gesetze des bestimmten Ausdrucks und der logischen Entwickelung ;
man gewinnt dadurch bedeutend an Fertigkeit im schnellen und präcisen Ge-
stalten der Gedanken, ausserdem, dass dadurch die Erfindung angeregt wird
und mancher gute, der Verwendung und Ausbildung werthe Einfall zu Tage
kommt. Daher pflegen auch viele Componisteu ihre Phantasie, bevor sie an
die Arbeit gehen, durch Improvisation zu beleben.
Improvisirmaschiue oder Phantasirmaschine, anderer Name für Ex-
temporirmaschine oder Melograph (s. d.).
Iiicalzando (italien.) , von incalzare d. i. nachsetzen , verfolgen , hat als
musikalische Vortragsbezeichnung die Bedeutung eindringlich verfolgend, etwas
bewegter (als vorher).
lucautare (Italien.; französ.: enchanter), einsingen (s. Stimmbildung).
Incaruatus est (Latein.), d. h. er (Gott) ist Fleisch geworden, ein Theil
der Messe der römisch-katholischen Kirche und zwar des Credo (s. d.) der-
selben.
lucledoii) Charles, englischer Säuger und Liedercomponist, geboren 1764
in der Grafschaft Cornwallis, zeichnete sich besonders durch den Vortrag eng-
lischer und irischer Volkslieder, sowie schottischer Balladen aus und setzte
selbst zahlreiche Melodien zu lyrischen Gedichten. Er starb am 11. Febr. 1826
zu Worcester.
In corpo (Italien.), das Enthaltensein verschiedener Stimmen in einer ein-
zigen. Ganone in corpo, der geschlossene, in einer Stimmzeile notirte Kanon
(s. Kanon).
Indeciso (Italien.), Vortragsbezeichnung in der Bedeutung unentschie-
den, unbestimmt.
Index (latein.), der Anzeiger, das Inhaltsverzeichniss , als Kunstausdruck
auch mitunter für Gustos (s. d.) gebraucht.
India, Sigismondo d*, s. Sigismondo.
Indien. Indische Musik. Indier oder Inder nennt man die jetzigen Be-
wohner der südöstlichen Halbinsel Asiens, welche sich selbst den Namen Hindu
beilegen. Die natürlichen Grenzen ihres Landes sind im Westen der Indus,
im Norden das Himalajagebirge und im Süden und Osten der indische Oceau.
Ausser den Indern befinden sich in diesem gesegneten Lande auch noch viele
andere Volksstämme, die sich jedoch mehr in unwirthsamen und schwer zu-
gänglichen Gebirgsgegenden aufhalten, wie die Gonda's, Bhilla's, Kanda's, Pa-
haria's, Kola's u, A. Diese mehr der Negerrace ähnelnden Völker betrachtet
man als die Urbewohner I.s, da keine Sage bei ihnen über eine Einwanderung
vorhanden ist, während die Hindu's selbst über ihre Besitznahme I.s Nach-
richten besitzen. Von den der Greschichte I.s vorangehenden bekannten Mo-
menten seien hier zuerst die wissenschaftlich als wahrscheinlich nachgewiesenen
mitgetheilt und darnach die sagenhaften. — Zwischen Persien und dem Indus,
südlich von Baktrien, nimmt man die Ursitze eines dort zum Volke gewordenen
Menschengeschlechts an, das man nach seiner Hautfarbe die »weisse Race«, und
nach dem alten Namen dieses Landes, Arye, Arier nennt. Dieser Urstamm,
die Arier, verliess in Massen seine Wiege in sehr früher Zeit, entweder in
Folge einer Uebervölkerung der bewohnten Fluren, oder, wie Professor Alb.
Weber in Bei-liu behaujitet, weil eine Vei'schiedenheit der religiösen Ansichten
das fernere Beisammenwohnen unmöglich machte, oder aus anderen uns un-
bekannten Gründen. Ein Hauptstamm der Arier, die Perser, von dem sich
später wahrscheinlich die meisten jetzt Europa bewohnenden Volksstämme ab-
zweigten oder an dem sie sich vorbeibewegten, zog nach AVesten; der andere,
die Inder, ging über die Ausläufer des Himalaja und den Indus und machte
jenseits des Indus im Pendschab auf lange Zeit Rast. Für diese Wanderung
und den angegebenen Aufenthalt der Inder im Pendschab in vorhistorischer
Zeit zeugen die Hymnen der Rig-Veda (s.d.), des ältesten der vier litur-
Indien. 385
gischen Bücher der Bramanen. In diesen Hymnen wird des Indus als Grenz-
strom gedacht und des Ganges, des später als heilig verehrten Wassers, mit
keiner Sylbe erwähnt. Dafür, dass alle genannten Völker eine gleiche Ur-
heimath hatten, spricht aus unserem Wissen, dass die alten Baktrier wie die
Perser sich selbst auch Arier nannten; dass ferner die physiologischen Typen
der heutigen Hindu's denen der Perser etc. durchaus gleich sind und dass aus
den Sprachen aller dieser Völker eine einstmalige gemeinsame Ursprache sich
nachweisen lässt. Noch mag hier angeführt werden, dass die Inder einen Ge-
sang Arya heissen und die Perser so eine ihrer Tonarten nennen. lieber eine
frühere Raststelle der Hindu's vor dem Aufenthalt im Pendschab scheint auch
in der Rig-Veda eine Andeutung enthalten zu sein. In der grossen Hymne
von Dirghatamas lautet nämlich ein Vers: »Der Himmel ist mein Vater, die
grosse Erde habe ich zur Mutter; das höchstgelegene Vaterland über ihrer
Oberfläche ist meine Geburtsstätte.« Woi'auf Hesse sich diese Auslassung an-
ders beziehen als auf ein längeres Verweilen im Himalaja? lieber die Zeit-
dauer dieser Wanderung der Hindu's lassen sich ebenfalls nur Vermuthuugen
aufstellen. Die Sprache, in der die Rig-Veda geschrieben, ist nicht sehr unter-
schieden vom Sanscrit, zwar sehr wortai'm und ungelenkig, doch gewiss sehr
abweichend schon von der Ursprache.
Zu solcher sprachlichen Umwandlung gehören Jahrhunderte, ja vielleicht
Jahrtausende, und hat man deshalb und anderer Gründe halber die Zeit des
Aufenthalts der Hindu's im Pendschab und die Abfassung der Hymnen der
Rig-Veda 1600 v. Chr. angenommen, und man glaubt, dass die Einwanderung
nach Indien überhaupt mindestens 2000 v. Chr. stattgefunden habe. Nachdem
wahrscheinlich die Fluren des Pendschab dem sich schnell mehrenden Geschlecht
nicht mehr Ueberfluss boten und dem romantisch ritterlichen Thatendrange
der sich allraälig gebildet habenden Kriegerklasse keinen Spielraum gewährten,
da erst fand die Ausbreitung bis zum Ganges und weiter nach Süden hin statt.
Was ist natürlicher, als dass mit dieser Ausbreitung der Hindu's in Indien
die Krieger ein Uebergewicht über alle anderen Stände errangen! Dies Ueber-
gewicht jedoch, in Folge des Ueberflusses allmälig erschlaffend, wurde durch
die Anstrengungen der Priester, welche bei dem frommen Sinne des Volkes
im Ruhezustande fruchtbaren Boden fanden, bald nicht allein paralysirt, son-
dei-n sogar überflügelt und führte wachsend zur baldigen Herrschaft der Bra-
minen. Die Braminen, allein noch im Besitz der alten religiösen Vorstellungen
und Gebräuche, die dem Volke im Allgemeinen bei ihren Erhaltungs- und
Eroberungsthaten entschwunden waren, boten dem phantastischen Sinne des
Volkes überreich eine Beschäftigung des Geistes, die jetzt im Alltagsruheleben
durchaus weniger Nahrung fand. Vorzüglich für uns wichtig ist, dass von
denselben dem musiksinnigen Volke eine Menge eng mit dem Cultus verbun-
dener Gesänge überantwortet wurde, deren Abfassung sie bis in die graueste
Vorzeit setzten und oft Göttern zuschrieben. Ja, sie fanden es sogar geboten,
neben den Schilderungen der Entstehung der Welt und der Menschen, welche
denen anderer alter asiatischer Culturvölker, wie denen der Semiten, Chaldäer
etc., durchaus nicht unähnlich sind, der Gattin Brama's, des Urvaters der Welten,
der Saraswati, der aus dessen Haupte Geborenen, die Pflege und den Schutz
der Musik zuzusprechen.
Man findet durch diese Darstellung nicht allein die grosse Wichtigkeit
documentirt, die die Braminen seit ihrer Herrschaft der musikalischen Kunst
beilegten, sondern darf hierin auch ein Merkmal sehen dafür, dass in der Ur-
heimath der Arier schon die Musik als Kunst geübt worden sein muss. Wäh-
rend der Wanderung der Hindu's erbte sich diese Kunst jedoch nur theilweise
fort, indem Einzelne nach ihrem Bruchstückwissen Gesänge mittheilten, worauf
diese den Urschöpfungen gewiss schon sehr unähnlichen später, umschlungen
von blüthenreichen Mythen, dem lebenden Geschlecht als Muster für Neu-
schöpfungen und aufzustellende Kunstregoln dienten. Man sieht hier dieselbe
Musikal. Convers.-Lexikon, V. 25
386 Indieu.
Erscheinung, wie an anderen altasiatischcu Culturstütten, dass schon die graueste
Vorzeit die Musik als Kunst pflegte. Spätere sociale Verhältnisse jedoch ver-
wischten das A¥issei! über die uralte Kunst, und es blieben ferner nur einige
Sagen, die zuweilen durch wahrscheinlicli jener Urzeit näher gelegenen Zeiten
entsprossene Monumente vergewissert erschienen. Solche Sagen aber, je ferner
sie der Urzeit sich breit machten, forderten für die antike Kunst und deren
AVirkung einen Glauben, welcher in neuester Zeit nicht mehr allgemeiner An-
erkennung sich erfreut, und leider Schlüsse auf die Urquelle, aus welcher sel-
biger entsprang, auch nur annäherungsweise gestattet. Mit einiger Sicherheit
lässt sich nur sehr wenig über die antike Kunst der Hindu's vermuthen, und
zwar nach dem ältesten musikalischen Denkmal derselben, der erwähnten liig-
Veda, blos über die in der Kunst zumeist augewandten Elemente derselben.
Die Hindu's hatten wahrscheinlich seit der Urzeit nur die siebenstufige Ton-
leiter in der Octave in Gebrauch , weil fast bei allen Ariern in frühester wie
späterer Zeit diese allein Anwendung fand, während im chinesischen Musikkreise
nur die Klänge der fünftönigen Scala zu Melodien gebraucht wurden, trotzdem
man die sieben- wie zwölftönige Leiter gekannt haben soll.
Wie vielfach in überschwänglichster Weise wunderwirkend man viele Me-
lodien des hohen Alterthums erachtete, mögen folgende Sagen beweisen. Ge-
wisse Melodien, so behauptet man, wirkten auf Menschen, Thiere und die un-
belebte Natur so, dass diese sich ganz nach dem Willen des Sängers bewegen
mussten. Andere durfte kein Sterblicher ausführen, AvoUte er nicht von Flammen
verzehrt werden. Dies bewiess die Ausführung dieses Raga (s. d.) durch den
berühmten Sänger Nack-Gobaul, der zur Zeit Akber's lebte. Trotzdem der-
selbe bis zum Halse im Flusse Djumna stand, wurde er vom Feuer verzehrt,
als er, dem Befehle des Herrschers gehorchend, den erwähnten Raga sang.
Eine andere Melodie konnte Regen hervorzaubern, und W. Ouseley in seinem
Werke »Orient, collecf.a I. p. 74 berichtet, dass erzählt wird: eine Säugerin
habe mit derselben Bengalen vor Misswachs und Hunger gerettet. Wieder
eine andere Melodie sollte Kraft haben, dass die Sonne sich verdunkelte und
der Vortrag derselben durch einen Sänger Akber's, Mia-Tu-Sine, bewirkte,
dass der Palast des Herrschers in tiefste Finsterniss gehüllt wurde. — Dass
ferner die Musik seit der frühesten Zeit bei den Indern in höchster Achtung
stand, geht daraus hervor, dass die ersten Musiker in innigstem Zusammen-
hange mit den Göttern geschildert werden. Brama, nachdem er dreitausend
Billionen und vierhundert Millionen Jahre im Brama -Ei sich befunden und
dann durch die Kraft seines Gedankens die Hülle, woraus Himmel und Erde
entstand, zerrissen hatte, schuf den Mann. Dieser rief dann zehn grosse Weisen
aus dem Nichts hervor, welche, die Schöpfung erweiternd, ausser den Himmel
und Erde bevölkernden Göttern, die Gandharven (s. Gandharvas) und Apsa-
rasen hervorbrachten. Letztere waren jene Musikerinnen und Tänzerinnen des
Indra, die oft die Verlockung selbst frommer Büsser und Einsiedler zur Sünde
übernahmen und dafür dann hart gezüchtigt wurden; Wasischta verwandelte
die Apsarase Rambha für solche That in Stein. Beide Geschlechter ausfüh-
render Musiker befanden sich meist bei frohen Feiern in Gesellschaft der Götter
selbst und, so steht im Pantscha-tantram geschrieben: »Nichts giebt es, was
in der Welt selbst Göttern lieber wäre als Gesang; durch den Zauber der
Saiten fing Ravana den Siva selbst.«
Solche und ähnliche Stellen finden sich in indischen Werken zu hunderten,
welche beweisen, wie schon in frühester Zeit die Musik im Leben der Inder
eine sehr hervorragende Rolle spielte, und wie von jedem Zweige dieses Volkes,
deren nicht gerade wenige waren, dieselbe in eigener Weise verherrlicht und
dargestellt wurde. Diese Darstellungen wurden dann mit der Zeit Allgemeingut.
Selbst die Musiktheoreme wurden theilweise als von Göttern selbst aufgestellt
gelehrt. So erzählt man, dass die Götter Isvara und Banuman jeder eins
der vier Haupttonsysteme schufen, und die beiden anderen von den Menschen
Indien. 387
Bharata-Muni, dem Erfinder der Dramen mit Musik und Tanz, und Calinath,
einem frommen "Weisen, zuerst aufgestellt wurden, Nebentonarten behauptete
man zur Zeit Krischna's 16,000 besessen zu haben, welche Zahl dadurch ent-
stand, dass jede Gopi, Nymphe, sich eine besondere Sangweise schuf, um sich
dadurch die Liebe eines als Hirten auf Erden weilenden Grottes zu erringen.
Noch die jetzt gebräuchlichen Benennungen der indischen Tonarten durch
Namen von Nymphen, wie später mitgetheilt werden wird, beweist, dass trotz
der vielen socialen Einwirkungen, welche dem so romantischen Menschenstamme
der Inder zu Theil wurden, von demselben noch heute die Tradition jener
frühen Auffassung der Kunst bewahrt wird. Man bringe nur in Erwägung,
wie uach wenigen Jahrhunderten volklicher B-uhe fortdauernd andere Völker
die Inder beeiuflussten und wie dadurch deren Seelenleben, zu welchem doch
unstreitig auch die Musik gezählt werden muss, sich modificiren musste. Assy-
rische wie persische Heere drangen schon ums Jahr 1200 v. Chr., so berichten
die Sage und assyrische Funde, bis ins Herz I.s vor und behaupteten oft
längere Zeit ihre Herrschaft daselbst. Dadurch verbreiteten sich märchenhafte
Nachrichten über I. in den anderen damaligen Culturstaaten Asiens und Afrikas,
und diese führten ums Jahr 1000 v. Chr. zu ausgebreiteten Handelsverbin-
dungen. Indier besuchten die Häfen des persischen und rothen Meeres, und
Araber wie Phönizier dehnten ihre Seefahrten bis I. aus, über deren Endpunkte
dieselben jedoch in der Heimath aus Klugheit durchaus unzuverlässige, oft
wunderreiche Mittheilungen machten. Die Feldzüge des Cyrus, 500 v. Chr.,
und die darauf folgenden Alexander's des Grossen machten I. bekannter und
brachten die ersten sichereren Nachrichten über dies Wunderland nach Europa.
In I. selbst wurde hierdurch später das Verlangen angeregt, sich mit dem
mächtigsten Staate des Abendlandes, dem römischen, zeitweise in Verbindung
zu setzen, und sehen wir in Folge dessen öfter Gesandtschaften beim Kaiser
in Bom erscheinen, um theilweise Schutz gegen die Einfälle des griechisch-
baktrischen Beiches, welches bis 136 v. Chr. hin demselben seine Macht fühlbar
machte, und anderer wilder Horden Mittelasiens zu erflehen. Dann folgte bis
ins 6. Jahrhundert n. Chr. hin eine Herrschaft eingeborener Fürsten, der
endlich die bleibendere Besitznahme durch Araber, Perser und Mongolen, fana-
tisirter Muhamedaner, folgte.
Mit dieser Besitznahme beginnt erst die eigentliche historische Zeit I.s.
Während dieser Zeit hatte sich der Euf von I.s Beichthum immer mehr aus-
gebreitet und die Sehnsucht der Abendländer dazu angeregt, einen eigenen
Handelsweg dahin zu suchen. In Folge dessen wurde das Cap der guten
Hoffnung, Amerika etc. entdeckt, und Europäer setzten sich immer mehr in
den Besitz des Theiles der Erde, den man noch heute mit dem Namen I. be-
legt. Diese Mengung der verschiedeüsten Völkerstämme mit den Indern, und
dann die vielfachen Kenntnisse des Hervorragendsten anderer Culturkreise,
konnte nicht ohne Einfluss auf die Musik der Inder bleiben. Zwar hielt dies
conservative Volk mit grösster Zähigkeit an den nach ihrem Glauben be-
wahrten Lehren der Kunst fest, erzählte immerfort die Wundergeschichten
derselben weiter und suchte die durch Tradition erhalten gebliebenen Melodien
zu pflegen; jedoch der ursprüngliche Geist derselben war sehr umgewandelt,
und manche theoretische Lehre wie manches Tonwerkzeug aus der Fremde
hat seit langer Zeit in I. eine neue Heimath gefunden. Ob die jetzige musi-
kalische Kunst der Inder mit der antiken derselben auch nur eine entfernte
Aehnlichkeit besitzt, oder ob dies Volk durch spätere Speculationen seiner
Bramineu, die beeinflusst wurden durch Mittheilungen über die Kunst in an-
deren Musikkreisen, erst eine eigenartige Kunst erhalten hat, wird wohl für
immer ein unlösbares Bäthsel bleiben, trotzdem ältere und weniger alte Werke
I.s uns über die Musik eigens aufzuklären sich bemühen. Die bekannteren
von diesen Werken, meist musikalisch-theoretischen Inhalts, sind: Eaga-Derpan,
Spiegel der Tonleitern; Sunjit-Derpau, Spiegel der Melodien; Bagarnave, See
25*
388 Indien.
der Affekte; Sabhavinoda, die Ergötzuug der Gesellschaften; Ragavibhoda (ver-
fasst von Soma), Lehre von den Tonleitern; die Bücher Narayan; Damodora;
Ratnacara; Sangita-narayana; Pariataka u, A. Am bemerkeuswerthesten unter
diesen "Werken ist die Ragavibhoda von Soma, die zwar alt, doch neueren
Datums ist als die häufig darin erwähnte Ratnacara des Sarnga-Deva. "Will.
Jones in seinem "Werke »lieber die Musik der Inder«, übersetzt von Dalberg,
berichtet S. 19 über den Inhalt des "Werkes: »Das ganze Buch (selbst die
Melodien, welche mit Buchstaben ausgedrückt sind und das fünfte und letzte
Capitel ausmachen, nicht ausgenommen) ist in der melodischen Versart Arya
geschrieben, das erste, dritte und vierte Capitel erklärt die Theorie der Töne,
ihre Eintheilung und Folge, die "V^eränderungen der Scalen durch die Tempe-
ratur nebst einer Noraenclatur von Tonarten nach einem eigenen System. Das
zweite Capitel enthält eine ausführliche Beschreibung der verschiedenen Vina's
(s. d.) und Lyren, nebst Melodien für dieselben; dieses Buch allein würde mich,
wäre ich Herr meiner Zeit, aufgemuntert haben, mit Hülfe europäischer Ton-
künstler und eines indischen Virtuosen auf der Vina (was den praktischen
Theil betrifft) eine Abhandlung über das ganze Musiksystem der Hindu's zu
schreiben.« lieber die indischen "Werke im Allgemeinen äussert sich derselbe
Autor in ebendem "Werke S. 7: »Die meisten indischen Bücher, die von Musik
handeln, bestehen aus drei Theilen: Gana, Vadya, Nritya, d. i. Gesang, Saiten-
spiel und Tanzkunst; der erste Theil umfasst die poetische Rhythmik, der
zweite: alles, was auf Instrumentalmusik Bezug hat, der dritte die theatralische
Vorstellung.«
Aus dem Inhalt aller indischen Schriften über Musik ergiebt sich etwa
Folgendes als die Grundzüge derselben. Das Tonroich, Mahaswaragrama
(s. d.), kann durch die Meuschenstimme vollständig dargestellt werden, drei
Octaven, Swaragrama (s. d.), deren Umfang wir ungefähr wie beifolgt:
-^^ — ——r\ - 1 aufzeichnen würden. Die Octave ist das grössere Ton-
maass. Als kleineres dienen sieben Klänge in ungleicher Entfernung von ein-
ander in der Octave, was für das ganze Tonreich 21 ergiebt. Diese Klänge
entsprechen beinahe unseren diatonischen Klängen der A-dur\eiier und führen
nach Nymphen, Swaras, besondere Namen: Sfirdja (s. d.) = ^; Richulba
(s. d.) = II; gandhora (s. d.) = Cis; madhyäma (s. d.) = d; panchama (s, d.)
= e] dhaiwäta (s. d.) =ßs und nichada (s. d.) = gis. Bei Benennung der
Töne im Gebrauch wendet man nur die ersten Sylben (wie Guido von Arezzo
die ersten Sylben der Strophe aus dem Hymnus an St. Johannes gebraucht)
an: sa, ri, ga, ma, pa, dka und ni. Das kleinste musikalische Intervall, das
nur in der Theorie Anwendung findet, ist etwas grösser, als ein Viertelton
unseres Systems sein würde. Die Inder theilen nämlich die ganze Octave in 22
gleiche Theile, Sruti (s. d.) genannt, welche bei ihnen ebenfalls besondere
Namen haben. Diese Namen finden sich in einigen Werken von einander etwas
abweichend vor, was man glaubt durch die an verschiedenen Orten I.s geschrie-
beneu Schriften erklären zu müssen. So findet man in der Sangitä Damodara
folgende Namen: Butra (s. d.), Kumoduty (s. d.), Mundrika (s. d.), Schun-
dovuty (s.d.), Dujavuty (s.d.), Runjumy (s.d.), Ruktika (s.d.), Sivy
(s.d.), Krodhy (s.d.), Bujira (s.d.), Prusaruny ('s. d.), Prity (s.d.),
Marjuny (s.d.), Ksjuty (s.d.), Rikta (s.d.), Sidpuny (s.d.), ülapuny
(s.d.), Mundaty (s.d.), Rohiny (s.d.), Rummaja (s.d.), Uggra (s.d.)
und Jubhünka (s. d.), wohingegen die Sangita Ratnakura sie: Tibra (s, d,),
Kümüdvati (s. d.), Munda, (s. d.), Schandorya (s. d.), Dayuvati (s. d.),
Renjani (s. d.), Retika (s. d.), Rudri (s. d.), Krodha (s. d.), Rajika (s. d.),
Prasarani (s. d.), Priti (s. d.), Marjani (s. d.), Zirti (b. d.), Rakta (s. d.),
Dipari (s. d,), Alapiui (s. d.), Madanti (s. d.), Rühini (s. d.), Ramya (s. d.),
TIpta (s. d.) und Kabiri (s. d.) nennt. "Von diesen Srutis bilden vier einen
Indien.
389
grossen Ganzton, drei einen kleinen Ganzton und zwei das unserm Halbton
entsprechende Intervall, welches auch stets an derselben Stelle, wo bei uns der
Halbton ist, erscheint. Eine unmittelbare Folge von Srutis kommt in Melodien
nicht vor. Diese Intervalle werden nur benutzt, um die Siebentonfolge der
Octave an einzelnen Stellen
Sa
Ma
22
Jubhünka
Uggra
Rummaja
Rohiny
Mundaty
Ulapuny
Sidpuny
21
20
19
- 18
17
16
- - - 15
ßikta
14
Ksjuty
Marjuny
Prity
Prusaruny
Bujira
Krodhy
Sivy
Ruktika
Runjumy
l)ujavuty
Schundovuty
Mundrika
Kumoduty
Butra
13
12
11
10
8
6
a
gis
fis
-f
dis
zu verändern und dadurch
Grundklänge für andere Ton-
arten zu schaffen. Uebersicht-
lich möge diese Intervalle und
die danach zu bestimmenden Ni -
Klänge der indischen Ton-
leiter nebenstehende Tabelle
vorführen.
Diese feste Bestimmung
der sieben Töne in der Oc-
tave ist nicht der antiken Dha-
Lehre entkeimt. Ebenso wahr-
scheinlich ist die Theorie,
welche drei Gattungen von
Tonleitern indischer Tonarten
unterscheidet, auch erst in
späterer Zeit aufgestellt. Die
erste Gattung, gewiss die
älteste, entspricht in gewisser Fa •
Beziehung den abendländi-
schen alten Kirchentonarten,
indem jeder der sieben Haupt-
töne in der Octave als Grund-
ton einer Tonart angesehen
wurde und darnach sich dann
die Intervalle jeder Tonart
in anderer Grössenfolge er-
gaben. Diese Tonarten wer-
den in der im Sanscrit ge-
schriebenen Sangita Narayäna
mit folgenden Namen bezeich- Ga -
net: Die mit sa anfangende
Tonart heisst daselbst Va-
santi; die zweite mit ri be-
ginnende: Asaveri; die dritte
Desachi; die vierte Todi;
die fünfte Saindhävi; die Hi -
sechste Mägha und die sie-
bente Desi oder auch Car-
nati. — Die zweite Gattung
der indischen Tonarten zeigt
eine bedeutende theoretische
Spekulation in Bezug auf die
genaue Tonhöhe der einzelnen
Intervalle der Scalen. Diese Sa •
besteht nämlich aus allen sol-
chen Tonfolgen, die zwar auch siebgn Stufen in der Octave haben, jedoch
einzelne um ein oder zwei Sruti erhöhte oder erniedrigte Intervalle besitzen.
Diese theoretisch festgestellte Alteration (s. d.) ist jedoch nicht immerfort,
selbst in derselben Tonart, dieselbe, sondern sie erscheint oft nur in der auf-
steigenden Tonfolge, während sie in der fallenden wegbleiben muss; ja selbst
cts
H
ais
390
ludieu.
darf diese Alteration nach Ermessen des Ausführenden um ein Weniges mehr
oder minder, als es die Theorie vorschreibt, geschehen. In der ersten Ton-
gattung behält jeder Ton seinen einmal geführten Namen, er mag erste, zweite
u. s. w. Stufe der Tonart sein oder nicht; in der zweiten hingegen, wo man
dieselben Sylben ebenfalls anwendet, erhält stets die erste Stufe der Scala die
Benennung sa, die zweite heisst stets ri u. s. f., gleichviel ob der Klang alte-
rirt oder ursprünglich ist. Diese Tongattung, in der man sechs Haupttonarten
annimmt, hat in diesen drei TJnterabtheilungen nach der Ordnung der Inter-
valle ihrer G-rösse nach; so lehrt die Sangita Darpaua. In der ersten TJnter-
abtheilung, Schanja-grama genannt, ist die erste Stufe von der zweiten: vier,
die zweite von der dritten : drei, die dritte von der vierten : zwei, die vierte von
der fünften: vier, die fünfte von der sechsten ebenfalls: vier, die sechste von
der siebenten: drei, und die siebente von der achten: zwei Sruti entfernt. In
der zweiten Unterabtheilung, Madhyama-gnlma geheissen, zeigt das erste
Intervall vier, das zweite drei, das dritte zwei, das vierte vier, das fünfte drei,
das sechste vier und das siebente zwei Sruti. Und in der dritten Unterab-
theilung, Gandhara-gräma, besitzt das erste Intei-vall vier, das zweite zwei,
das dritte drei, das vierte vier, das fünfte zwei, das sechste vier und das
siebente drei Sruti. In jeder Scala zeigt sich stets von der siebenten zur
achten Stufe ein unserem Semitoiiium mocli (s. d.) ähnlich wirkendes Intervall,
dessen Wirkung, wie oben angedeutet, gemäss dem Gefühl des Sängers noch
zu schärfen erlaubt ist, und somit bei jedem Abendländer unmittelbar den Ein-
druck wie eine heimische J>wrtonleiter hervorbringt. Die ursprünglicheren
sechs Haupttonarten dieser Gattung führen die Namen. Bhairavi (s. d.),
Bengali (s. d.), Ramaneri (s. d.), Nettä (s. d.), Taccä (s. d.) und Desacri
(s. d.). Die Höhe der Intervalle dieser Tonarten können wir mit unserer
Notenschrift nur mittelst kleiner Hülfszeichen ausdrücken. Wenn wir jede
Erhöhung um ein Sruti von unserem Tone verschieden durch ein über der
Note angebrachtes Kreuz, +, und jede ebensolche Erniedrigung durch eine
ebenso gestellte Null, 0, anzeigen, so würden die Scalen in folgender Art auf-
zuzeichnen sein:
Bhairavi.
m
sa ri ga ma pa dha ni
) 0 + +
::«=
sa
sa ri ga ma pa dha ni sa
Bengali.
m
-s — <=^
o «=--
Ramaneri.
sa ri ga ma pa dha ni sa
:^ -r^^
-s — «-
l^- Q
Nettä.
i
sa ri ga ma pa dha ni sa
0 + + +
Z^ \,^^~^
:ö^=^i^
sa ri ga ma pa dha ni sa
Taccä.
-,-~ ^
Indien.
391
+
ri ga ma pa dha ni
+ 0 +
sa
Desacri.
Die dritte Gattung der indischen Tonarten zeigt Tonauslassungen und hat
somit immer weniger als sieben Klänge in der Octave; entweder fünf oder
sechs. Sie ist somit der chinesischen Volkstonleiter ähnlich, unterscheidet sich
jedoch von derselben dadurch, dass nicht in allen dieselben Stufen ausgelassen
werden; nach der Auslassung und sonstigen Tonvei'änderungen unterscheidet
man in dieser Gattung die Arten. Unter diesen Tonarten begegnet man solchen,
die nur Tonauslassungen zeigen, sonst aber einzig Naturtöne verwertheu, wie
die Hindola (s. d.) genannte:
ma
X dha ni
sa
X
ma
_ca —
1
Das liegende Kreuz steht für den ausgelassenen Ton. Dann besitzen die
Inder solche Tonfolgen, die ausser den Tonauslassuugen alterirte Intervalle
zeigen, wie die Dipaca genannte:
ri X ma pa dha ni
0 +
sa
n
IS3-
I
Von allen diesen Tonarten ist die bizarreste zu nennen Mellari (s. d.):
X
dha X
0
sa
ri
0
ma pa dha
raan
:^
Es würde vergebene Mühe sein, den Nachweis führen zu wollen, dass diese
oft sehr verwickelt und nur mittelst sehr phantastischer Auffassung zu erklä-
renden Tonarten der Inder consequent durchgeführten Grundgedanken ihre
Entstehung zu verdanken haben. Ambros sagt in seiner »Geschichte der
Musik« Thl. I. S. 51 sehr richtig: In der Möglichkeit der tausendfachen Ton-
combinationen verliert sich der überschwängliche Sinn des Orientalen, und ohne
das Zufällige von dem "Wesentlichen unterscheiden zu können, unfähig, aus
den concreten Erscheinungen einzelner von einander verschiedener Kunstgebilde
das ihnen gemeinsam zu Grunde liegende allgemeine Gesetz herauszufinden,
stellt er ein wunderliches, zum Theil sich selbst widersprechendes Tonsystem
und eine Unzahl von Tonarten zusammen. Aus den Büchern Soma und Na-
rayan ist nach John's Bemei-kung zu entnehmen, »dass fast jedes Königreich,
ja jede Provinz in Hindostan ihren eigenen Styl von Melodien habe , und die-
selben, was Namen, Zahl und Zusammensetzung der Tonarten betrifft, sehr
von einander abgehen.« Da der Ton »Ansa«, d, i. der in der Melodie zumeist
berührte, als Grundton, Tonika, angesehen wird, und in dieser oder jener Me-
lodie zufällig einzelne Töne der Scala gar nicht augewendet erscheinen, so lässt
sich die seltsame Fassung der indischen Tonarten, wenn sie aus solchen Me-
lodien abstrahirt worden sind, allenfalls erklären. Zwei Melodien haben z. B.
dieselbe Ansa, aber in jeder derselben sind andere Töne der Scala unbenutzt,
oder sie sind aus denselben Tönen zusammengesetzt, aber jede hat eine andere
Ansa, d. h. einen anderen hauptsächlich angeschlagenen Ton, Macht man nun
diese Zufälligkeiten zu wesentlichen, tonartenbegründenden Unterschieden, und
ordnet diese disponibeln Töne nach der Analogie der natürlichen Scala, so
392 Indien.
liegt schon hierin die Möglichkeit zu zahlreichen Tonarten. So kann es ge-
schehen, dass zehn verschiedene Melodien, die wir z, B, alle als C-dur oder als
A-moll aussiJrechen würden, nach hindostanischer Auffassung zehn verschiedenen
Tonarten angehören können. Dazu kommt aber noch, dass in jeder dieser
Tonarten gewisse Töne ihre feste Stimmung und unveränderte Gestalt haben,
ähnlich den sogenannten festen Tönen des griechischen Tetrachordsystems,
während andere durch Modificirung in der Stimmung ei'höht oder erniedrigt,
oder durch Triller oder Gruppettos colorirt werden dürfen, gewissermaassen den
in ihrer Tonhöhe veränderlichen beweglichen Tönen im griechischen Tetrachord
ähnliche, oder der Unterscheidung zwischen- einfachen und colorirten Tönen,
welche in Gottfried's von Strassburg »Tristan« angedeutet wird, wo der Held
die Harfe »in festen Grund- und raschen "Wechselnoten« schlägt.
Zu welcher ungeheuren Zahl von Tonarten eine solche Zusamraenstel-
lungsart von Tönen zu führen vermag, wird Jeder leicht einsehen und wird
es ebenso erklärlich finden, dass man zum praktischen Gebrauch aus dieser
Unzahl selbst in I. eine Auslese traf. Das Buch Ragavibhada erkennt iem-
gemäss an, dass durch Temperaturveränderungen 960 Tonarten zu erhalten
möglich seien, ja dass diese Zahl durch Gesangsmanieren etc. »wie die Wellen
im See« vermehrt werden könnten, dass aber nur 36 davon als wirklich gebräuch-
lich anzusehen seien. Um nun die indische Lehre über die 36 als gebrauchsfähig
erachteten Tonarten kennen zu lernen^ nur wenige Worte. Die indische Götter-
lehre nennt sechs Söhne als von Brama und Saraswati gezeugt, ßaga's (s. d.),
welche als Genien der herrschendsten Leidenschaften verehrt werden. Die
Tonarten, durch welche man diese Leidenschaften glaubt darstellen zu können,
haben von den Indern eben diese Namen der Raga's erhalten: Bhairava,
Sriraga, Malava, Hindola, Dipaca und Megha. Jeder Haupttonart sind
fünf andere Tonarten untergeordnet. Diese haben Namen von Nymphen, Ra-
gina's (s. d.) genannt, die man als Trägerinnen der nächstbedeutendsten
Leidenschaften betrachtet; ßagina ist auch der Gesammtname für diese Ton-
arten. Dieselben hier aufzuzeichnen, unterlassen wir und verweisen auf John's
schon öfter erwähnte Schrift, in der dieselben von S. 45 bis 56 namentlich
aufgeführt und in unserer Tonschrift notirt sind. Von diesen 36 Tonarten
sind in der That nur 23 in Gebrauch, Man sieht aus Vorangehendem, wie
die Inder die Zusammenstellung ihrer Tonarten nur nach ihrem Gefühl aus-
führten und jede physikalische Regel nur als nebenbei bestimmend anzogen,
während im Leben stark hervortretende Momente von ihnen wie von anderen
Culturvölkern ausser der mythologischen Auffassung bei Erklärung der Ton-
arten auch vielfach Anwendung fanden. So erklärte man die Raga's auch als
Vertreter der sechs Jahresabschnitte in L; die sieben vorher angeführten Ton-
arten, welche unseren Kircheutonarten ähnlich, hatten astronomische Bedeutung:
die sieben Planeten, Wochentage etc., zu denen sich fünf andere als Vertreter
der Tageszeiten : Morgen, Mittag, Abend, Vor- und Nachmittag gesellten. Letz-
teres das System Pavan's genannt (s. W. Jones' »Musik der Inder« S. 30 und
31). Noch vielfach andere Erklärungen der Tonarten machen sich bei ein-
zelnen Stämmen I.s breit, die klar darzulegen nicht möglich sind, und deren
Kenntniss dem Abendländer eher eine Unklarheit über die Musiktheorie der
Inder verschafft als eine Gewissheit.
Wenden wir uns nun zu dem zweiten Elemente der Werke der Tonkunst,
dem Rhythmus, so finden wir denselben seit frühester Zeit in I. gepflegt.
Die innige A''erbindung des Wortes mit dem Tone bedingte dies und führte
hier nicht zu einer scharfbestimmten Abwechselung kurzer und langer Sylben
in gleicher Zahl, sondern der lebhafte Sinn und die leicht erregbare Natur
des Hindus trieb ihn zu einer eigenthümlichen Ausbildung der poetischen Form.
Die indischen Poeten fühlten sich veranlasst, eine grössere Zahl verschieden
geordneter Zeittheile als nothwendig zu einer abgeschlossenen Form zu er-
achten. Die kleinste abgeschlossene Form bestand aus zwei oder drei Zeit-
Indien. 393
theileu, welche Formen dann in oft vielen Folgen und Meugungen ein grosses
Ganzes bildeten. Die kleinsten Zeittheile führte mau einestheils in strengster
Gleichheit, wie in unseren Tonstücken geschieht, aus, anderntheils überliess
man die Dauer jedes Zeittheils, die oft unter sich sehr verschieden, doch stets
iii einem Verhältniss stehend, ausfielen, zu bestimmen dem Sänger. In solchen
Gesängen ist der bei uns gekannte Rhythmus sehr schwer zu erkennen, und
kann deshalb derselbe nur annähernd abendländisch notirt werden. Will.
Hamilt. Bird, der lange Zeit in Indien lebte und sich mit besonderer Vorliebe
diesen Theil der indischen Kunst zu studiren befleissigte, sagt über diese
Rhythmik: »Der Herausgeber (Bird) hat sich genau durch Originalcompo-
sitionen unterrichtet, obgleich es demselben viel Mühe machte, den Rhythmus
in einer bestimmten Form zu geben, da derselbe in der indischen Musik oft
unvollständig angewandt wird.« An einer anderen Stelle desselben Werkes
yiThe Oriental Miscellany heing a collection of ihe most favourite airs of Hindostanv.
(Calcutta, 1789) lässt er sich über denselben Gegenstand folgendermaassen aus:
»Die ßagiua's sind so von allen musikalischen Gedanken entblöst und jeder
Art Regelmässigkeit , dass es unmöglich ist, von ihnen eine ausführbare Form
zu überliefern, wie sie von indischen Sängern vorgetragen werden. Diese Sänge
scheinen Erzeugnisse von durch Worte exaltirten Menschen zu sein, welchen
sie Worte beigefügt, die ihnen Phantasie und Leidenschaft vorschrieben.«
Ein anderer Forscher in diesem Bereich, Ch. Hörn, in seinem Werke
yilndian melodiesn. (London, 1813) sagt, »dass die indischen Melodien sehr
extravagirend und häufig sehr wenig im Takt sich bewegten, so dass es ohne
grosse Arbeit und viele Ausdauer unmöglich wäre, den Rhythmus derselben
und die TJebereinstimmung der Mannigfaltigkeiten ihrer Gedanken zu notireu.
Der grösste Theil der entdeckten Melodien sei sehr unregelmässig und confus
für uns und untermischt mit der Tonart sehr fremde Passagen, so dass es
scheine, als ob eine durchaus unerfahrene Hand dieselben aufgezeichnet habe.«
Diese Betrachtungen sind Ende vorigen und Anfangs dieses Jahrhunderts an-
gestellt über Melodien, die durch Tradition sich erhalten haben sollen. Dies
lässt voraussetzen , dass bei denselben , wie bei allen noch später entdeckten,
sich nicht allein arabische und persische Einflüsse an der jetzigen Gestaltung
bedeutend bemerkbar machen müssen, sondern dass selbst sogar schon die
abendländische Kunst zuweilen Theil an den Umwandlungen der Melodie ge-
nommen hat, besonders in Bezug auf praktische Veränderung der kleineren
Intervallunterschiede. Die ältesten Gesänge I.s enthalten die Vedas. Die
Hymnen dieser heiligen Bücher sind dem Untergänge durch ihre Abfassung
in Versen entgangen, welche gesungen wurden, wie von allen alten Culturvölkern
Aehnliches berichtet wird. Nun sind zwar die eifrigsten Nachforschungen der
gelehrten Gesellschaften I.s zur Wied^rentdeckung der Melodien ohne Resultat
geblieben, doch ist es nicht weniger interessant und wohl von Wichtigkeit in
Bezug auf die einstmalige Melodie, den musikalischen Rhythmus dieser Hymnen
kennen zu lei'nen. Zwei Gelehrte Deutschlands, Theod. Benfey und Max Müller,
haben auf diesem Felde Bedeutendes geleistet, und aus den Forschungen der-
selben hat Fetis in seiner y>Sist. de musiquev. Tome II. p. 233 bis 244 eine
sehr zu empfehlende Zusammenstellung gemacht, die jedem Wissbegierigen zum
Studium zu empfehlen sein dürfte.
Was nun die Produkte der indischen Musikelemente , die Melodien, an-
betrifft, so mag die Kenntnissnahme einiger als Beleg dafür dienen, wie sehr
die ausgesprochene Behauptung, dass diese Melodien durch fremde Einflüsse
sehr geändert sein müssen, sowie dass trotzdem nicht zu verkennen ist, dass
dieselben noch viel Eigenartiges besitzen. Das Eigenartige würde gewiss noch
mehr auffallen, wenn diese Melodien uns von indischen Musikern vorgetragen,
da dann ausser dem freieren Rhythmus gewiss kleine Verschiedenheiten der
Intervalle von den abendländisch aufgezeichneten sich kund geben würden.
394
Indien.
Rektah.
1. Andante.
rall.
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a tempo.
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2. Rasch.
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3. Sehr rasch.
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Frülilingslied auf Krischna.
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Sehr langsam.
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Gio - te la - gre - he
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aankien me - ra kal - nä partnes
Geschwinder.
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^gE^^äHETzi
a - ppenä pia - che de - che-ne, ka - ro - ne
;4*^-:ArrTr±|
ba-nde
Sehr langsam,
Sehr rasch.
_^^:
piit - che do - o
— »
3=i
E^fEfeE^öröEE
f u - me - re au - sser laaghe ret
gio-sa pa-
Aeusserst schnell.
PPiif^üÜiü^^i^
S.=-i_^-^
::t^:
Wie anfangs.
pi - a kar - te soor sab
sa - ki - a - na mel - kar huo - ra kel-ly
Sehr leise.
:SS:
^m
_N-
§E^Ö=jS
=1-
-1_z::zlr4 ~±zi:tsz -dpi^l j
ho - rra
ho - rra
hü - o - ra
tu-me-ra au-sser la-gher at.
Indien. 395
Was nun den Bau der alten Melodien selbst und deren Tonalität anbe-
trifft, so unterscheidet sich besonders letztere durchaus von der im Abendlande
so genannten melodischen Eigenheit. Die Hindu's selbst sprechen von drei
Klängen bei den Melodien, die das Wesen derselben genau bestimmen: die
Graha, Nyasa und Ansa. In der Sangita Narayan heisst es über deren
Wesenheit: »Grraha steht im Anfange des Gesanges, aber Nyasa am Ende.
Die Ansa giebt der Melodie ihre Eigenschaft, sie wird am meisten gebraucht,
und wie einem Herrscher dienen ihr die übrigen Töne.« Und in einem Ge-
dicht, das unter dem Namen »Magha« bekannt ist, heisst es: »Yor dem er-
habenen, im Kriege rüstigen Helden stehen die anderen Könige unterwürfig
da, wie vor der Ansa die anderen Töne.« Auch einen unserem Leitton ent-
sprechenden Klang kannten die Alten in ihren Tonarten, den sie Yadi nannten.
»Dieser Ton kündigte die Eaga an und stellte dieselbe fest; aus ihr entspringen
Graha und Nyasa.« Ausserdem hatten die Inder für gewisse oft wiederkehrende
Tonfiguren bestimmte Namen, die auch in der Tonuotirung ihre Anwendung
fanden: Istaud, langsam, Ro, schnell, Jumbaum, Triller, Kashedz, ge-
zogen, Tip und Kopauli, in der Octave u. a.
Aehnlich der Tonalität und der tonlichen Ausschmückung der indischen
Melodien eigenthümlich ist auch der Bau derselben. Die Zeitwerthe sind meist
symmetrisch geordnet, in zwei oder drei Gruppen. Die correspondirendeu
Glieder dieser Gruppen sind von gleichem Werthe, und häufig übernehmen
thematisch gleiche oder ähnliche Motive die Einführung der sich gleichenden
Glieder. TJebrigens herrschte auch in I. schon in der Urzeit, wie in allen
asiatischen Culturkreisen, ein fester Klang. Der von uns ^ genannte Klang
scheint, wie überall, so auch in I. dieser feste Klang gewesen zu sein und
weisen darauf wohl die Benennung desselben durch Swara (s.d.), d.h. Ton,
als auch die Thatsachen hin, dass die meisten Instrumentstimmungen A oder
eine Octave davon als Fundamentalton besitzen. Wie oben schon bemerkt,
sind diese Melodien durch Tradition erhalten, obgleich man schon in frühester
Zeit in I, eine Notirung der Melodien kannte. Man kann zwar nicht ent-
scheiden, ob hier oder in Aegypten zuerst das Aufzeichnen von Tongängen
erfunden worden ist; doch so viel scheint sicher zu sein, dass an beiden Cultur-
stätten selbstständig diese Aufzeichnungsweise erfunden worden ist, trotzdem
das Princip, nach dem dasselbe geschah, dasselbe. In I. geschah die Notirung
durch Buchstaben des Sanskritalphabets und gewisse dazu gestellte Nebenzeichen
schon in grauester Vorzeit. Dies beweisen einige in dieser Weise vorhandene
Aufzeichnungen in der ßagavibodha. Die sieben Sanskritbuchstaben, deren
Namen noch heute die Töne tragen, dienten als Tonzeichen:
sa ri ga ma pa dha ni sa
p
j=fc
1
Das höhere sa wird bezeichnet, wie man sieht, durch einen über dem
Buchstaben befindlichen Bogen, der im Sanskrit »über« bedeutet. Diese Auf-
zeichnungsweise ist jedoch in verschiedenen Werken noch verschieden oder
unvollständig angewandt. Ausser dieser Unsicherheit in der Aufzeichnung der
Töne wird dieselbe noch dadurch vermehrt, dass wir nicht wissen, ob dieselbe
Aufzeichnungsweise für alle Stimmgattungen stattfand, oder ob die verschie-
denen Octaven durch besondere Zeichen: \j, ~n oder o- angedeutet wurden,
die in der Sanskritschrift »darunter« bezeichnen. Folgen wir den Auslassungen
W. Jones' in seinem Werke S. 73 u. flg. bezüglich der Tonbeuennung, so
scheint es gewiss, dass dieselben Tounamen sich in allen Octaven wiederholten,
und dass man dem entsprechend stets dieselben Zeichen, vielleicht mit kleinen
396 ludlea.
Nebenzeichen, für die Klänge setzte, welche Nebenzeichen uns jedoch bis jetzt
nur theilweise erklärbar sind. In solcher Art von Tonaufzeichuung konnte
man sich wohl in früher Zeit leicht zurechtfinden, da die orientalischen Sänger
noch heute nicht viel über eine Octavc verwerthen und auch die Instrumente
nur ein Tonreich von solchem Umfange besitzen. Die Verhältnisse der an-
gewandten Töne verschiedener Instrumente, d. h. welcher Octave sie angehörten,
zog man in der Praxis wie Theorie wahrscheinlich nicht in Betracht. Die
einzigen wirklich antiken Monumente altindischer Musik, die W. Jones aus
Abschriften genommen, sind nur zwei Arien aus Soma's Ragavibodha. Das
Original dieses Werkes aufzufinden, kann bei der wechselvollen Temperatur
I.s und dem daselbst so überreichen Vorhandensein kleiner. Alles zerstörender
Insekten wohl nicht mehr gehofft werden. Ob diese Abschriften nun correkt
oder nicht, lässt sich ebenfalls nicht nachweisen. Bemerkenswerth für uns ist
aus denselben nur, dass in diesen sich auch bei einzelnen Notenzeichen An-
hängsel der erwähnten Art vorfinden, die nicht den oben erwähnten gleich
sind und deren Bedeutung bis heute Geheimniss ist.
Ferner kennt man keine Zeichen, wodurch eine Erhöhung oder Erniedri-
gung eines Klanges oder gewisse Tonarten vorgeschrieben wurden. Nur Zeichen,
welche die Dauer eines Klanges anzeigen, kennt man. Diese Zeichen reichen
bis zu den bei uns durch ^^ bezeichneten in gerader und bis durch J. in un-
gerader Theilung, und werden die Zeichen der geraden Theilung in den Ar-
tikeln Tscharuna (s. d.) = unserer er, Tschokila-tal (s. d.) = ^, Ektali
= J und Tschaltza (s. d.) = / geboten. Das unserem J entsprechende Zei-
chen, wie dessen Name, ist unbekannt. Ebenso sind die Namen der dreitheiligen
Zeiten, deren Zeichen jedoch theilweise entdeckt sind, unbekannt. Unsere
"Werthzeichen o- giebt man durch 2.; die Hälfte davon ^'. durch |l, und das
punktirte Viertel j. durch ^. Jeden Periodenschluss zeigt das Abbild einer
Lotosblume an. Pausenzeichen kennt man bisher nicht. Aus diesen Zeit-
werthen haben die Hindu's eine grosse Zahl regelmässig sich wiederholender
Rhythmen gebildet, die sie durch Zusammenstellung der Zeitwerthzeichen aus-
drücken und haben diesen besondere Namen verliehen. Ueber dieselben, wie
über deren Andeutung belehren die Artikel: Icht (s. d.), Udekschan (s. d.),
Srikyrti (s. d.), Karna (s. d.), Budramali (s. d.), Lulit (s. d.), Matscha-
rund (s.d.), Tamod (s.d.), Hans (s.d.), Jesric (s.d.), Khut (s.d.),
Tschandra (s.d.), Sankh (s.d.), Idwan (s.d.), Ray-Heko (s.d.) und
Branmahue.
Ausser diesen regelmässig gebildeten Rhythmen hat sich auch eine Anzahl
unregelmässig zusammengestellter Zeiten bei den Indern als oft in der Praxis
wiederkehrend eingebürgert, welche man ebenfalls durch eigene Zeichen und
mit eigenen Namen belegt hat. Ueber die uns bekannten: Tschokila (s. d.),
Rayvidyadhur (s. d.), Diepardhur, Sum (s. d.), Nundau (s. d.), Mü-
titscha (s. d.), Bamatitscha, Kundschandtkal (s. d.), Prutap schikhur
(s.d.), Tyhumpa (s. d.), Leela(s.d.), Ragpradhun (s. d.), U entartschriru
(s. d.), und Bilokit handeln die besondern Artikel. — Wieder lehrt Alles über
die antike indische Musik Bekannte, wie fast jede Kunde über die Kunst in
einem der alten Musikkreise: dass entweder in frühester Zeit schon eine sehr
ausgebildete Theorie der Musik die Praxis bestimmte, oder dass man in
späteren Zeiten einzelnen scharfsinnigen Annahmen Einzelner viel weiter-
tragendere Wirkungen zumuthete, als sie jemals besessen haben, so dass stets
eine Bewunderung der altehrwürdigen Kunst platzgreifen musste, wie der Ge-
danke, dass dieselbe jetzt noch auszuüben Jedem unmöglich. Nur wenige alte
Gesänge oder gar keine sind gewöhnlich die einzigen Monumente, die uns als
Belege dienen für die spärlichen erhaltenen Kunstregeln, deren allgemeinere
frühere Anerkennung oft sehr fraglich ist, und aus denen wir uns bemühen
Indien. 397
ein System zusammenzustellen. Indien besitzt, wie schon erwähnt, zwei antike
Gesänge, die von W, Jones entdeckt sind, und deren erste Aufzeichnung
früher als 1400 Jahre vor Christi Geburt angenommen wird, die der Ragavi-
bodha des Soma. Diese Gesänge, in der früheren Notation vorhanden, in der
europäischen Tonaufzeichnungsweise wieder zu geben, ist bisher jedoch wahr-
scheinlich nur annäherungsweise gelungen, denn die TJebertragung derselben
ist ja nach den Anschauungen der Gelehrten verschieden ausgefallen. "Wir
verweisen nur auf die beiden bekanntesten Uebertragungen derselben in
W. Jones' „Musik der Inder", Beilage Seite 1, und Fetis' Sist. de Musique
Tom. II. pag. 252 bis 258.
Mehr jedoch als durch diese Monumente und einzelne theoretische "Werke
uns von der altindischen Musik erhalten ist, finden wir gewiss in den noch
gebräuchlichen Hymnen und sonstigen Gesängen, da im Orient die Ueber-
lieferung von Yersen, Sprüchen und Tongängen Jahrhunderte, ja Jahrtausende
lang in einer dem Abendländer durchaus unbekannten Genauigkeit stattfindet.
Diese Gewissenhaftigkeit in der TJeberlieferung wie die politischen Ereignisse
haben den heutigen Hindus jede Notation von Melodien wohl als überflüssig
erscheinen lassen, so dass nirgend in I. ein System der Tonaufzeichnung
bekannt ist. — Solcher durch Tradition erhaltener Melodien giebt es nun in I.
sehr viele, und man bemüht sich, dieselben in besondere Klassen einzutheilen.
Die mythische Auflassung der Tonarten ist das Vorbild, nachdem auch diese
Klassification stattfindet, und man nennt, derselben entsprechend, die vorzüg-
lichsten Melodien E,aga's (s. d.) und die minder vorzüglichen ßagina's (s. d.).
Jede dieser Hauptabtheilungen wird wieder in verschiedener Weise in Unter-
klassen getheilt, die dann wieder sehr viele Arten zeigen. Die einen stellen
als Unterabtheilungen der Raga's zwei auf: Mahasudh (s. d.) und Sudh
(s. d.) genannt. Erstere Klasse, ungefähr unsern älteren Kirchentonarten
gleiche Klänge zeigend, hatte in den Scalen sieben Töne, die nicht alterirt
sind, nur die Folge der Intervalle (Grösse dex'selben) unterscheidet die Arten
von einander. Die zweite Klasse hat in der zu ihnen verwandten Scala alte-
rirte Klänge, oder Tonauslassungen oder Beides. Die ßagina's fallen bei dieser
Eintheilung in das Bereich der Sudh und werden Sokirua (s.d.) benannt. Eine
andere Abtheilungsart ist die in Sampurna's (s. d,), Melodien, deren Scala
vollständig aus sieben Klängen besteht; Khädu's (s. d.), deren Tonleiter nur
sechs Klänge hat; und Udu's (s. d.), ßaga's, die nur fünf Töne in der Octave
verwerthen. Siehe in Bezug auf Vorangegangenes die Sängita narayäua.
Eine noch andere, natürliche Eintheilungsart der Haga's und Ragina's ist
die in einfache und zusammengesetzte. Die einfachen, denen man ein sehr
hohes Alter zuschreibt, bewegen sich in den festen Grundtönen in einfachster
Art. Die Namen: Camhra, Sarung., Guipi, Nut, Mular, Guori und
Turi, führen ßaga's dieser Art, die wenigstens einen um ein Sruti erhöhten
Ton besitzen. Von den einfachen Haginas, deren Scala fünf oder sechs Klänge
haben, kennt man die: Descar, Biblas, Lülit, E-ewa, Bilawal, Mega,
Sorath, Dhunasri, Gura, Sriraga, Diepaga, Kafi und Kidara be-
nannten. Mehr modern werden erachtet die zusammengesetzten Raga's, deren
man 153 Arten rechnet; die Namen derselben bietet uns Willard in seinem
Werke y>A Treatise on the Music of Sindoostanv. etc. (Calcutta, 1834) pag. 68
bis 62. Unglücklicher Weise kennen wir nur aus theoretischen Werken und
durch Ueberlieferung diese Namen und leider keine Beispiele zu diesen. Nur
eine Ragina dieser Art will Bird entdeckt haben, die unter dem Namen »Mun
Schuma« (»die Nacht ist gekommen«) allgemeiner bekannt ist. Dieselbe hat
durch Gh. Horn's Werk y>Indian Melodies« (London, 1813) den Weg ins
Abendland gefunden:
398
lud
len.
Selir langsam und schwei-müthig.
r
T-:^*^
SEE!EES±^^
w
'ff
^^i=^i
^^=^—:
^^^
ft^*^
4t
^
:&:
-5=5-
^^
^=ggg^
rall.
Erstes Zeitmaass.
U^
Noch sei hier angeführt, dass Willard in seinem oben angeführten Werke
pag. 87 sagt, dass ehemals in I. sieben Sangarten, ßaga's und Ragina's, ge-
pflegt wurden und uns als deren Namen folgende überliefert: Gith, Tuk,
Schhud, Prubund, Dharu. Dhua und Mun, für deren Alter er anführt,
dass die AVorte zu denselben im Sanskrit seien. — Durch die langjährige
Fremdherrschaft in I., besonders der Araber und später der Europäer, ist
der Zustand der Musik ein wesentlich anderer geworden , wie in frühern Jahren.
Die meisten Reisenden der letzten Jahrzehnte versichern, dass Säntjer wie In-
strumentisten I.'s in den verschiedenen Provinzen ihre Kunstproductionen in
durchaus verschiedener Intonation ausführten; diese Verschiedenheiten jedoch
auf irgend eine Tonart der Urschriften, Rugavibodha, Sängita Narayana oder
Sängita Damödara nicht zurückzuführen seien. Auch die Zahl der Musiker
in L, welche von sich behaupten, dass sie die altindische Kunst nach der
Tradition pflegen, nimmt immer mehr ab. Noch nach der Mitte des 18. Jahr-
hunderts, gegen 1770, nennt W. Bird den berühmten Sänger Dillsock, die
Sängerin Schanam, den Vinavirtuosen Jiwan Schah und die Sänger Sudarung,
Nur Khan, Jani, Gholam Rusul, Scharket, Chore, den Erfinder der Tuppa's
(s. d.) u, A. ; während Willard gegen 1830 nur des in Benares sehr geschätzten
Musikers Hussein Sulamoth Oly Khan erwähnt, der eine Theorie der alten
Kunst geschrieben hat, die sich jedoch durchaus nicht mit der damals herr-
schenden Musik in Einklang bringen Hess. Sicher ist, dass je nach dem Orte,
dem man die Lehre der Kunst entnimmt, dieselbe sich anders ergiebt und sich
je nachdem auch die verschiedenen Anschauungen über die Tonalität der mo-
dernen indischen Gesänge gestalten. Beweis dafür ist, dass oft Gesänge, von
denen man behauptet, sie seien durch Tradition erhalten, in von einander sehr
verschiedenen Lesarten, je nach der Gegend, der sie die Sammler entnahmen,
von diesen überliefert worden sind.
Selbst die antiken Gesangformen sind in der Neuzeit modernen gewichen,
welche meist aus der Fremde eingeführt sind. Die Rektah's z. ß. sind
persischen, die Tuppah's mongolischen und die Teräna's arabischen Ursprungs.
Ausser diesen allgemein verbreitet findet man in den einzelnen Provinzen
Formen, die mehr local bekannt, was schon der dazu gebräuchliche Text, eine
Mundart, andeutet. Einige Namen solcher Gesänge mögen hierzu angeführt
werden: Dhurpad, Kheal, Thumries, Huti oder Hori, Bichnupud,
Kurka, Stuti, Sohla, Palma, Zikri, Dadra und Wukta. Selbst
Gesänge mit arabischer Poesie und Blelodie sind über ganz I. verbreitet und
in Gebrauch, wie die Mulud genannten religiösen Hymnen zum Lobe Gottes
und seines Propheten Mahomed, und die Kulbaua's, deren Texte Erzählungen
aus «Tausend und Eine Nacht» bieten. Man sieht aus dem Mitgetheilton, wie
Indien. 399
mit dem allmähligen Veröden des Bramahnentliums die altindische Kunst immer
mehr der Sage verfällt, und dass der Einfluss der Fremdherrschaft sich in I.
schon vielfach breit gemacht hat, indem jede längere Zeit andauernde Unter-
jochung des Landes Kunsterzeugnisse der zeitweisen Herrscher acclimatisirte.
In ailerneuester Zeit hat die abendländische Kunst fast überall dem fernen
stammverwandten Volke die eigene Kunst immer mehr entfremdet und wird
mit der Zeit wohl auch hier sich allgemeiner Anerkennung erx'ingen, so dass
nur wenige urwüchsige Reste der altindischen Musik derselben einige Eigen-
thümlichkeiten beimischen werden. — Diese Wandlungen in der Kunst zeigen
uns am deutlichsten deren Träger: die Instrumente. Ausser den wenigen, der
frühesten Culturperiode I.s entstammenden, finden wir noch fast allen näher
gelegeneu Musikkreisen entlehnte Tonwerkzeuge in Gebrauch, die nur wenig
landeseigenthümlich umgeformt sind.
Die Inder selbst theilen ihre Instrumente, Tura genannt, in vier Klassen.
Die erste Klasse, Tut benannt, begreift alle Tonwerkzeuge, die mit Metall-
oder Darmsaiten bezogen sind, in sich; die zweite, Bitut geheissen, alle
Schlaginstrumente mit Membranen; die dritte, welche den Namen Grhuza führt,
alle Schlaginstrumente, die zu zweien gebraucht wurden; und die vierte,
Sanghuo betitelt, alle Blasinstrumente. Die Vereinigung mehrerer Instru-
mente nannte man Turyoga. Von der ersten Klasse, den Saiteninstru-
menten, ist das altehrwürdigste Musikinstrument I.s die Vina (s. d.), ein
von dem Volke noch heute so geschätztes Tonwerkzeug wie von dem alten
Chinesen das Tsche (s. d.), von dem Aegypter und Assyrer die Harfe (s. d.),
von dem Griechen die Lyra (s. d.) war und von dem Abendländer das Piano
(s. d.) ist. Ein Sohn Brahma's und der Saraswati, Näreda oder Närada, hat
dieselbe erfunden, wie die Sage berichtet. Die Ragavibodha widmet ein ganzes
Capitel der Beschreibung dieses Tonwerkzeugs und kennt schon mehrere Arten,
so wie verschiedene Spielweisen derselben. Die Ausschmückung der Vina war
und ist noch heute eine prächtige im orientalischen Geschmack. Bambusse
und Kürbisse derselben werden reich mit Blumen und vergoldetem Laubwerk
ausgeschmückt.
Das Tonreich der Vina umfasst zwei Octaven, von A bis a\ welches
darzustellen entweder sieben oder drei Saiten obliegt; erstere findet man in
Bengalen, letztere in Delhi in Gebrauch. Den Ton entlockt der Spieler der
Saite mittelst eines Piektrums (s. d.). Man findet in I. noch eine andere
Art der Vina vor, die Vina von Benares oder Bin genannt wird, die einen
Schallkasten ähnlich dem der Laute (s. d.) hat, und einen Bezug von zwölf
Saiten führt. Diese ist die modernste Gestaltung der Vina und besitzt chro-
matisch alle Klänge innerhalb beider Octaven. Ferner ist unter dem Namen
Tamburah oder Tanburah (s. d.) seit alten Zeiten her, trotzdem dieser
Name arabischen Ursprungs, in I. gekannt. Dies Instrument ist den persischen
und arabischen gleichen Namens ähnlich gebaut, nur ursprünglicher und be-
sitzt drei Saiten in der Stimmung a e^ o\ Eine grössere Art dieser Instru-
mente führt vier Saiten in der Stimmung A d a e^, deren tiefste aus Därmen
und deren drei höhere aus Stahl gefertigt sind. Als der Vina entstammend ist
die Tumurah (s. d.) zu nennen, welche vorzüglich in den Provinzen von
Delhi gepflegt wird. Dies Tonwerkzeug führt dreizehn Saiten, die ebenfalls
gerissen werden. Dann findet man noch von dieser Gattung der Instrumente
die Chikara, ebenfalls der Vina entstammt, welche einen Bezug von nur zwei
Saiten hat. Eine andere fast gleich dieser gebaute Chikara, welche vier Saiten
besitzt, ist in Madras heimisch. Dieser entlockt man die Klänge mittelst
Keissen der Saiten oder durch Streichen mit einem Bogen. Dies Tonwerkzeug
nimmt somit eine Mittelstellung zwischen den Reiss- und Streichinstrumenten
ein. Von Beissiustrumenten findet man ausser den angeführten noch die Sitar,
welche ein Mongole in Delhi, Umir Khosro, erfunden haben soll. Man nimmt
an, dass dies ungefähr im 15. Jahrhundert unserer Zeitrechnung geschah.
400 Indien.
Dieses Instrument erscheint in den verschiedenen Provinzen in verschie-
dener Form, trotzdem es dieselbe Benennung trägt. Endlich mag hier noch
eines Reissinstrumentes Erwähnung geschehen, das man nach Willard's Mitthei-
luug nur in der Stadt Kampur im Königreich Delhi antrifft. Dasselbe scheint
seine ursprüngliche Art der Behandlung gewechselt zu haben. Der Bezug,
Darmsaiten theilweise, wie der Bau des Schallkastens, deuten auf eine Behand-
lung der Saiten mittelst eines Bogens hin, während in der That jetzt nur
durch Reissen die Saiten tönend erregt werden. Der Name dieses Tonwerkzeugs,
Rabab, scheint arabischen Ursprungs zu sein. Eine Harfe kannte man im
eigentlichen I, ebenso wenig in alter wie in ueuei'er Zeit. — Neben diesen
Reissinstrumenten sind auch viele Bogeninstrumente in 1. heimisch, ja nach
allem bisherigen Wissen muss man annehmen, dass I. diese Instrumentgattung
selbst erst entdeckte, und zwar lange vor unserer Zeitrechnung. Die einfachste
Grestaltung dieser Tonwerkzeuge bietet der zweisaitige Ravanastron (s. d.),
der vorzüglich von den Pandarons, herumziehenden Bettelmönchen, gespielt
wird. Aehnlich diesem ist die Rovana (s. d.) und wird, wie jenes Tonwerk-
zeug, nur von Musikern niedrigen Ranges gepflegt. Einer sjjätern Zeit ver-
dankt das Omerti (s. d.) genannte Streichinstrument sein Dasein. Noch
später, wahrscheinlich aus dem arabischen Musikkreise umgeformt zurückge-
wandert, ungefähr im 11. Jahrhundert unserer Zeitrechnung erfunden, ist die
Sorah, und deren Vervollkommnung, das Sarungi, Saringe oder Sarangi
zu nennende Bogeninstrument, welches in zwei Formen, eins mit acht, das
andere mit fünfzehn Saiten, gepflegt wird. Fast bizarre Formen zeigt das
Kunjerry oder Kunjerre genannte Streichinstrument, welches in Nepal und
Madras häufig gebaut wird. Ebenso reichhaltig an Arten wie die Saiteninstru-
mente sind fast auch die Blasinstruiiieute.
Von Holzblasinstrumenten besitzen die Inder Schnabel-, Blatt- und
Sackflöten, doch keine Querflöten. Ersterer Art sind Krischnaflöte , Ban-
suli oder Banse geheissen, die Bilancojel oder Villaucoyel genannte und
das Flageolet, Alghosah benannt. Die älteste der Blattflöten führt den Namen
Otu und eine kleinere Nagassaran, Letztere ist bei einigen religiösen
Ceremonien in Gebrauch. Moderner und von grösserer Ausdehnung sind die
Sunnaji und Moska genannten Flöten dieser Art. Von Sackflöten, denen
man ein hohes Alter zuschreibt, so dass man fast gezwungen ist, I. auch als
die Heimath dieser Ton Werkzeuge anzusehen, kennt man zwei Arten: Turti
oder Turri und Zitty benannt. Weniger reich au Arten sind die Metall-
blasinstrumente, Ein kleines Hörn, Tutari benannt, ist vorzüglich in
Bengalen zu Hause; ebenda und in Nepal nennt man ein etwas anders gestal-
tetes Hörn ßherubnathi; und ausser diesen findet man noch ein grosses
prächtig ornamentii'tes Hörn häufig bei festlichen Aufzügen und gewissen reli-
giösen Ceremonien augewandt, Nursingh genannt. Der Trompeten haben die
Inder drei Arten: die grösste, Buri, ist in Madras zu Hause, die nächstgrösste
in Bengalen, Bhere genannt, und die kleinere Art heisst Combu. Ausser diesen
aus einem Stück gefertigten Trompeten giebt es auch deren, die aus mehreren
Theilen zusammengesetzt sind, welche man alle mit dem Namen Phunga be-
legt. Die grösste dieser Art, Ramsinga genannt, hat eine Länge von
2 Meter und wird aus dünnem Kupfer gefertigt. Ambros in seiner Musik-
geschichte nennt diese Posaune Tare und sagt, dieselbe habe einen dumpfen
und klagenden Ton und würde bei Todtenfeiern geblasen.
Dann mag schliesslich hier noch bemerkt werden, dass Crawford in seinen
mSketches, relating to the history and manners qf the Uindoosa, 1792, 2, Band
Seite 94, mittheilt, dass in den Küstenstrichen I.s noch die alterthümliche
Muscheltrompete, Zankha, angewendet werde und die Gebirgsbewohner krumme
Hörner in primitivster Bauart besässen. Endlich ist hier noch ein Blasinstru-
ment, Tumeri(s, d.) geheissen, zu nennen, das Manchem als I. eigenthümlich
erscheinen mag. Förster ffiebt in seinen »Denkmalen« Band 5 Seite 2 Be-
Indien. 401
Schreibung und Abbildung desselben. Wahrscheinlich ist dasselbe jedoch dem
chinesischen Typus nachgeahmt und dem indischen Bedürfnisse angemessen,
primitiver gestaltet.
Betrachten wir nun noch die Sclilagiustrumente I.s, so bemerken wir bei
denselben nicht allein eine Reichhaltigkeit der Arten, wie in keinem andern
Musikkreise, sondern auch eine durchaus I. eigene Gattung dieser Tonwerk-
zeuge: solche, welche abgestimmte Metall- oder Holzstäbe oder aus Glockengut
kesselartig geformtes tonzeugendes Material führen. Nur China kannte im
Alterthume etwas Aehnliches, das King (s. d.), mit abgestimmten Metallglocken
oder Steinen. Wenn die Idee dieser Instrumentgattung somit an beiden
Culturstätten seit früher Zeit bei Erfindung der Tonwerkzeuge sich Geltung
verschaffte, so gebührt I. die Anerkennung, dass es diese Gattung der Schlag-
instrumente am meisten ausbildete und bis in die Neuzeit hin mit besonderer
Vorliebe pflegte, so dass man selbst im Abendlande sich hieran für künftig
ein Muster nehmen könnte, um die Becken unserm Tonsystem entsprechend
verwerthen zu lernen. Auf die abendländische Umformung des Triangels ist
wahrscheinlich die Kenntniss dieser indischen Instrumentgattung nicht ohne
Einwirkung gewesen. Von dieser Instrumentgattung ist das Kinnery, in der
Provinz Madras am häufigsten vorkommend, besonders seiner äussern Ausstat-
tung halber zu vermerken, dem sich die verschiedenen Garn bang (s. d.)-
Arten würdig anreihen. Ausser diesen Schlaginstrumenten findet sich in I. ein
grosser Ueberfluss an Lärminstrumenten." Jede Provinz gestaltet und benennt
die nur in derselben gepflegte Specialform, und finden wir aus dem Grunde
einen noch grössern ßeichthum an Namen als an wirklich unterschiedlichen
Tonwerkzeugen der Art. Die bekannteren Namen sind, für Cymbalen: Talan
(s. d.), Kintal (s. d.); für Crotalen: Tal (s. d.), Gopi-jantar (s.d.); und
für Trommeln: Matalan (s. d.), Khunirse (s. d.), Taska (s. d.), Dhole,
Puckhaway (s. d.), TJdukai (s.d.), Naguar (s.d.), Tamtam (s.d.), Dole
(s. d,). Der Glocken in jeder Grösse bedient man sich in I. seit den frühesten
Zeiten als Lärminstrumente, doch niemals abgestimmt, wie in China. Dann
müssen wir der I. entstammenden Gong (s. d.) hier erwähnen, die in gleicher
Art wie in China überall in Gebrauch sind, und deren grösste Art den Namen
Kansi (s. d.) hat. — Diese grosse Verschiedenheit in den Erfindungen der
Tonwerkzeuge wie die in den angeführten theoretischen Lehren der Kunst und
deren Erläuterungen documentirt eine phantastische Begabung der Inder, wie
man sie wohl bei keinem andern Volke der Erde wahrnimmt. Dem entsprechend
ist auch die Anwendung der Kunst in diesem Lande. Männer wie Frauen
bedürfen, um einen übernommenen Kunsttheil zu erlernen, angestrengter Studien,
gleichviel, ob sie ihre Thätigkeit dem Cultus oder dem gewöhnlichen Leben
widmen wollen. Bei dem grössten Theil der religiösen Ceremonien in den
Pagoden ist Musik ein wesentlicher Bestandtheil. Gesang, Gäna, und Instru-
mentalmusik, Vadya, ist durch den Ritus fest geregelt, und in jeder Pagode
findet man meist andere Regeln und andere Gesänge.
In den meisten Pagoden ist eine gewisse Zahl Tänzerinnen, Devadhäzis,
acht oder weniger, fest angestellt, die eigens für den religiösen Gebrauch erzogen
werden; der Tanz, Nritya, ist nämlich der Tonkunst beigeordnet. Die Studien
derselben sind sehr anstrengend und ermüdend, und gehen nach aufgezeichneten
Gesetzen, die ein stattliches Volumen bilden, vor sich. Mit dem zwanzigsten
Lebensjahre wird die Devadhäzis aus dem Pagodendienst entlassen und kehrt
dann als Bajadere ins Leben zurück. Einige jedoch bleiben freiwillig im Dienst
des Cultus als dem Gotte der Pagode geweiht; diese werden Concubinen der Prie-
ster, verweilen zeitlebens in der Pagode und ihre Kinder sind geborne Mu-
siker. Sonnerat in seiner » Voyage aux Indesa T. I. p. 102 liefert die Beschrei-
bung einer grösseren religiösen Ceremonie. Blasinstrumente und eine grosse
Zahl von Trommeln bieten den tonlichen Theil derselben nebst den Ritual-
gesängen, zu welchen die Tänzerinnen zeitweise pantomimische Ausführungen
Musikal. ConTers.-Lezikon. V. -"
402 Indifferente — Indigitamenta.
machen. Tänzer wie Sänger geben abwechselnd ihre Kunstausführnngen , und
dies lehrt, wie noch andere Andeutungen, dass in I. auch schon in sehr frühen
Zeiten der Wechselgesang ausgeübt wurde, der im semitischen Musikkreise so
vorherrschend gewesen ist. Der Leiter solcher Musik, Natuza geheissen,
führt eine an beiden Seiten mit einem Membran bespannte Trommel, die
mittelst eines Bandes getragen, quer vor dessen Leib befindlich ist, und die
er zweckdienlich auf beiden Fellen mit den Händen traktirt. — Im gewöhnlichen
Leben kam und kommt noch heute fast keine Festlichkeit vor, an der nicht
Gesang, Spiel und Tanz einen hervorragenden Theil nehmen. Jeder Tages-
wie Jahreszeit sind besondere Hymnen gewidmet, und Reiche wie Fürsten
haben fest angestellte Hofmusiker. Am beachtenswerthesten aber ist das Musik-
drama der Inder, wie es diese in den Urzeiten schon nach denselben Grund-
gesetzen schufen, um welche wir uns in allerneuester Zeit wieder bemühen.
Bharata, ein Halbgott, der Erfinder zweier Tonarten, war auch der Erfinder
der Nataks (s. d.), der Musikdramen. Er selbst, auch Muni genannt, erzählen
die Inder, fasste mehrere Schauspiele in eine Sammlung von Sutra zusammen
und stellte sie vor den Göttern selbst dar, deren Vorschriften aus den Veden
von Brahma selbst zusammengestellt und ihm mitgetheilt worden sind.
Dies erste Musikdrama behandelte aus der Geschichte Vischnu's die
Gattinwahl der Lakschmi; die Gandharven und Apsarasen waren die ersten
Darsteller. Das Musikdrama hat im Laufe der Zeit bei den Indern eine immer
steigende Ausbildung erhalten, so dass man jetzt mehrere Arten desselben
unterscheidet. Natyasäraka ist der Name eines Lustspiels in einem Akt,
worin vorzüglich Gesang und Tanz enthalten ist; Prasthana, ein Lustspiel
der ebenaugeführten Art in zwei Akten, das Erlebnisse niederer Kreise zum
Gegenstande hat. Bhana nennen die Inder einen Monolog in einem Akt, dem
Musik und Tanz vorangeht und folgt. Uttathya heisst ein Schauspiel, das
einen mythologischen Stoff in einem Akte behandelt und dessen Dialoge mit
Gesängen untermischt sind. Srigaditam nennen die Inder eine Handlung
in einem Akt, in der die Glücksgöttin Sri die Hauptperson ist; ein Theil
des Textes wird gesprochen, ein anderer gesungen. Hallisä heisst eine Unter-
haltung in einem Akt, die ganz aus Gesang und Tanz zusammengesetzt ist
und in der nur ein Mann und acht oder zehn Frauen handelnd auftreten.
Ausser diesen kleinen Dramen besitzen die Inder auch fünf, selbst sicbenaktige
Schauspiele, die theilweise in Sanskrit, theilweise in Pracrit geschrieben sind;
letzterwähnte Theile sind zuweilen rhythmisch gefasst und werden dann durch
Solo oder Chöre melodisch ausgeführt, dem dann wohl ein Nachspiel durch
Instrumente folgt. Wir erwähnen als derartiges bekannteres Drama das »Vir-
cama undUrwasi« betitelte, dessen Dichtung Kaiida sa, der etwa ums Jahr
50 V. Chr. gelebt haben soll, zugeschrieben wird. — Ueber die phantastische
Ausbildung der indischen Musik in der neueren Zeit findet man noch in dem
Artikel Java (s. d.) einige beachtenswerthe Einzelheiten, so wie über die aller-
neuesten Umwandlungen der heimischen Kunst manches noch der Artikel Ost-
indien (s. d.) bietet. C Billert.
Indifferente oder indifferentemente (italien.), Vortragsbezeichnung in
der Bedeutung gleichgültig, wird auch durch con indifferenza wieder-
gegeben.
Indigritamenta (latein.), ein in der Musik der alten Römer vorkommender
Kunstbegriff, dessen eigentliche Bedeutung mit Sicherheit nicht mehr festzu-
stellen ist. Einige Ausleger sind der Ansicht, man habe damit diejenigen
Lieder bezeichnet, die angefüllt gewesen seien von Namen der römischen Gott-
heiten, andere meinen, es seien Lieder zu Ehren der Halbgötter gewesen. Er-
stere stützen ihre Behauptung durch die etymologische Bedeutung des Wortes
I., welches im gewöhnlichen Leben der Ausdruck für Namensverzeichniss, Re-
gister war. Letztere durch die Bedeutung de* Stammwortes indigetare, welches
anrufen, zu Gott beten heiest.
In distanza — Ingegneri. 403
In distanza oder in lontananza (italien.), d. i. in oder aus der Ent-
fernung, kommt als Vorschrift vor, wenn eine Stimme, räumlich entfernt von
den übrigen, hervorklingen soll.
Indrayagra nennen die Inder einen 44 sylbigen Rhythmus, der sich
3
.^^_._U_.J
wie folgt: G— ^— e— i-^— »-p — ^n^~'r^r~r2^P'~"r~M^"~r"i ^^^^-'^^l ^u wieder-
holen, gestaltet. Mehr siehe in dem Artikel Indische Musik. 0.
Infautas, Fernando de las, spanischer Theologe, Musikgelehrter und
Contrapunktist, lebte als Priester in der letzten Hälfte des 16. Jahrhunderts
zu Cordova. Ausser vielen theologischen , gab er auch musikalische Schriften
heraus, von welchen letzteren noch folgende Titel bekannt geblieben sind:
y>Plura modulationum genera, quae vulgo contrapuncta appellantur, super ecccelso
Gregoriani ca)itu<i (Venedig, 1570) und y>Sacrarttm varii styli cantionum tituli
Spiritus sancti Hb. 1 ei 2 cum 5 vocibusa (Venedig, 1580). Vgl. Antonii hihi,
liispan.
Inferien (latein.: inferiae) hiessen bei den alten Römern die Todtenopfer,
welche unter feierlichen Gesängen den unterirdischen Gottheiten für die Seelen
der Verstorbenen gebracht wurden. Etwas Aehnliches der christlichen Kirche
sind die Exequien (s.d.).
Inflbulation (aus dem Latein.; griech.: Ankteriasmos) nennt man ein chi-
rurgisches Verfahren, mittelst dessen die Geschlechtstheile zur Vollziehung der
Begattung oder zu unnatürlichen Ausschweifungen vorübergehend untauglich
gemacht werden. Man kennt verschiedene Arten dieses Verfahrens, welches
meist beim männlichen Geschlechte, zuweilen aber auch beim Xveiblichen an-
gewendet wurde, und eine davon bestand in einer unnatürlichen Unterbindung
der genannten Theile bei Knaben, um der Mutation (s. d.) ihrer hohen
Stimme vorzubeugen. Die Anwendung der betreffenden Operation stammt aus
dem frühesten Alterthum und wahrscheinlich aus Asien, von wo aus sie zu den
Griechen und durch diese zu den Römern gelangte, bei denen ihr vorzüglich
Sänger und Schauspieler unterworfen wurden, deren Talente man dadurch,
dass ihnen Ausschweifungen unmöglich gemacht wurden, sicherer zu bewahren
glaubte. Die I. der Römer wird schon von Celsus beschrieben und von Juvenal
und Martial als gewöhnliches Vorkommniss erwähnt. Der Kirchengesang, wel-
cher der Knaben- als Ersatz der verpönten Frauenstimmen nicht entbehren
konnte, forderte geradezu die Anwendung der I. oder der Castration (s. Ca-
strat), von welcher Unsitte seit Einführung der Oper auch das Theater Vor-
theil zog. Erst in neuester Zeit ist das eine wie das andere Verfahren als
unnatürlich und grausam im Abendlande allgemein ausser Gebrauch gekommen,
obwohl noch 1827 eine Schrift von Weinhold allen Ernstes die I. als Mittel
gegen die Uebervölkerung Mitteleuropas empfahl.
lufinitns Canon (latein.), der unendliche Kanon (s. Kanon).
luflatilia sc. instrumenta (latein.) war bei den alten Musikscliriftstellern die
generelle Bezeichnung der Blasinstrumente (s. d.).
lufrabass, der 5 metrige Subbass (s.d.) im Pedal der Orgel.
Inganno, eigentlich Gadenza d^inganno (Italien.), der betrügerische
Schluss, der Trugschluss (s. d. und Cadenz).
Ingegneri, Angelo, italienischer Dichter, geboren um 1545 zu Venedig,
verfasste und veröffentlichte die Schrift y>Della poesia rappresentativa e del modo
di rappresentare le favole scenichea (Ferrara, 1598; Neue Aufl. Venedig, 1738),
welche für die Kenntniss der damaligen, nachgehends Opern und Oratorien ge-
nannten scenischen Spiele von Wichtigkeit ist.
Ingegneri, Marco Antonio, oder Ingigneri, latinisirt Ingenierius
oder Ingignerius, einer der berühmtesten italienischen Kirchencomponisten
der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, geboren um 1545 zu Pordenone im
venetianischen Friaul (Caffi hält ihn für einen Venetianer, Fetis für einen Cre-
moneser), war Kapellmeister an der Kathedralkirche zu Cremona. Von seinen
26*
404 Ingegneri — Inspiration.
Arbeiten können als gedruckt angegeben werden: Misse Üb. 1 e 2 (Venedig);
»JResponsoria hehdomadae sanctaa (ebendas.); »Oantiones sacrae 5 voc.« (Venedig,
1576); Madrigali a 4 voci, verschiedene Bücher (Venedig, 1578, 1580 und 1592).
Aus einem bisher noch von keinem Wörterbuche angeführten Buche mit fünf-
stimmigeu Madrigalen, betitelt: ^^Marci Antonii Ingignerii Pordenoni secundus
liher Madrigaliicm quinque vocumv. (Venedig, 1567 [1576?]), geht der bis jetzt
zweifelhaft gebliebene Geburtsort dieses Meisters deutlich hervor. Auch mehr-
chörige Kirchenstücke hat I. bereits componirt, wie ein Buch Motetten von
ihm zu 16 Stimmen (Venedig, 1589) beweist. Einige von den angeführten
"Werken befinden sich auf der Bibliothek zu München.
Ingeg-neri, Pater Tommaso Antonio, italienischer Franciscauermönch und
Kircheucomponist, geboren in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu Bo-
logna, veröffentlichte 1719 von seiner Composition: y>Salmi vespertini di tatto
Vanno a due coria.
luglot, William, berühmter Organist Englands, geboren 1554, war an
der Kathedralkirche zu Norwich angestellt und starb in dieser Stellung am
29, Decbr. 1621.
Ingrain, französischer Orgelvirtuose und Componist für sein Instrument,
fungirte um 1753 als Organist an der Stephanskirche zu Paris und hat als
gediegen gerühmte Orgelfugen herausgegeben.
Inhalt, im Gegensatz zum Aeusserlichen, also zu Form und Umfang ge-
nommen, ist der Begriff alles dessen, was ein Kunstwerk wirklich in sich fasst
oder hält. Der I. eines Tonstückes ist kein gleichgültiger, sich von selbst er-
gebender Gegenstand, vielmehr hat der Tondichter darauf zu achten, dass er
neben der schönen Form auch einen gediegenen, bedeutsamen I. entwickelt.
Die Bevorzugung des letzteren, meist auf Kosten der ersteren, hat die moderne
sogenannte Programmmusik (s. d.) ins Leben gerufen.
Inno (Italien.), der Lobgesang, die Hymne (s. Hymnos).
Innoceutamente oder innocente (Italien.), Vortragsbezeichnung in der
Bedeutung unschuldig, mit natürlichem, ungekünsteltem Ausdruck. Als Ueber-
schrift eines Tonsatzes zeigt dieses Wort zugleich eine massig langsame Be-
wegung an. Gleichbedeutend mit i. ist con innocenza.
Ino, weibl. ina, italienische Verkleinerungssylbe, bezeichnet den geringeren
Umfang, die enger begrenzte Form von dem, was das Stammwort bedeutet,
z. B. Sonatina, abgeleitet von Sonata, Concertino von Concerto, Andantino von
Andante u. v. a.
In partito (italien.), in Partitur (s.d.); daher Oanone in partito, der
offene Kanon (s. Kanon).
Inquieto (Italien.), Vortragsbezeichnung in der Bedeutung unruhig, wo-
für man auch gleichbedeutend con inquietudine vorschreiben kann.
Insangnine, Giacomo, italienischer Opern- und Kircheucomponist, nach
seinem Geburtsorte auch Monopoli genannt, ist 1744 zu Monopol! geboren
und trat seit etwa 1770 nach und nach mit ungefähr 20 Opern auf, von
denen die bekanntesten und am beifälligsten aufgeführten sind: nMedontea,
yiDidone«, y>Adriano in Siriaa, y>Arianna e Teseoi, y>Tito nelle Gallie«. und nCalipsot.
Sein bestes Kirchenstück soll der 71. Psalm auf die italienischen Worte Maffei's
für drei Stimmen und Orchester sein. I. starb 1796 zu Neapel.
Insensibile oder insensibilmente (Italien.), Vortragsbezeichnung in der
Bedeutung unmerklich, allmälig.
Inspiration (aus dem Latein.) oder Theopneustie (aus dem Griech.)
nennt man einerseits eine unmittelbare oder übernatürliche Mittheilung eines
höheren oder des höchsten Wesens an die Menschen durch den Anhauch seines
Geistes, andererseits den Zustand Derjenigen, welche unter dem direkten, be-
geisternden Einflüsse des göttlichen Geistes wirken. Es war eine Vorstellung
des ganzen heidnischen und jüdischen Alterthums, dass Weise und Künstler
aller Art, überhaupt alle wahrhaft grosse Männer mit der Gottheit im Verkehr
Instante — Institut de France. 405
und unter ihrem begeisternden Einflüsse ständen, und dass nur von Gott selbst
Gelehrte von ihm und göttlichen Dingen Kunde geben, durch ihre erhabenen,
die Bewunderung wach rufenden Werke Zeugniss von ihm ablegen könnten.
Daher haben denn auch alle Religionsstifter beansprucht, dass sie für un-
mittelbar von Gott gelehrt gehalten würden, während man die erhabenen Ideen der
Dichter und Tousetzer als vom Himmel selbst geoffenbarte zu allen Zeiten
annahm. Eine heilige geistige TJeberwältigung schrieben die alten Völker ihren
Sehern, Sängern und Propheten zu, und die Kirche bezeichnete den Kanon
der Bibel als unmittelbar von Gott eingegeben, so dass die heiligen Menschen
Gottes so und nicht anders geredet haben, getrieben vom heiligen Geiste. Be-
reits im 2. Jahrhundert n. Chr. wird der heilige Geist von A.thenagoras mit
einem Flötenbläser verglichen, so dass er also der Verfasser der heiligen Schrift
war, die einzelnen Verfasser selbst aber nur als Instrumente erscheinen. Voll-
ständig bildeten, je länger, je mehr, die ferneren christlichen Theologen die
Inspirationstheorie aus. Im musikalischen Sprachgebrauche versteht man unter
I. die Kundgebung von erhabenen und erhebenden Melodien und Harmonien,
die man geneigt sein darf als eine fortgehende überirdische Eingebung zu be-
trachten, da sie weitab von dem Bekannten, Gewohnten liegen und das Un-
begreifliche in neuer Gestalt offenbaren.
Instante oder instantemente (Italien.), Vortragsbezeichnung in der Be-
deutung inständig, dringend, wofür man auch gleichbedeutend con in-
st an za vorschreiben kann.
Institut (aus dem Latein.) nennt man im Allgemeinen jede zu bestimmten
Zwecken und Bestrebungen zusammengetretene und durch feste Normen zu-
sammengehaltene Gesellschaft von Gleichgesinnten, z. B. einen Theaterverband,
eine Musikgesellschaft, einen Singverein u. s. w., dann aber vorzugsweise eine
von Privatpersonen und für gewisse Corporationen errichtete Erziehungs- oder
Unterrichtsanstalt, in welcher Kinder und junge Leute gegen Vergütung oder
auf öffentliche Kosten verpflegt, erzogen und unterrichtet werden. Dieselben
sollen die Vorzüge des öffentlichen, auf einen bestimmten Zweck gerichteten
Unterrichts mit den Vortheilen der häuslichen Erziehung vereinigen. In dieser
Art ist der Ausdruck I. ein moderner Begriff. Denn im Alterthum, wo die
Erziehung einen ganz anderen Charakter hatte als gegenwärtig, kannte man
solche nicht. Ebenso wenig können die Kloster-, Stifts- und andere Schulen
des Mittelalters als Institute im neueren Sinne angesehen werden, wenn sie
auch schon lediglich den Bemühungen von Privaten und Corporationen ihre
Entstehung verdankten. Erst nach der Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden,
hervorgegangen aus Locke's und Bousseau's Ideen einer naturgemässen Er-
ziehung, eigentliche Bildungsinstitute im Gegensatz gegen die in äusserlichem
Formalismus mehr oder weniger untergegangenen öffentlichen Schulen. In den
bezüglichen Specialartikeln dieses Werkes sind die verschiedenartigen, für die
Musik in Betracht kommenden I.e nach Orgfanisation und Geschichte ausführ-
lieber behandelt, und man sehe deshalb die Artikel Akademie, Conserva-
torium, Maitrise, Musikvereine, Singschulen u. s. w. nach.
Institut de France (französ.), d. i. Institut von Frankreich. Das Bedürfniss
wissenschaftlicher und künstlerischer Vereinigung und geistigen Zusammen-
wirkens rief zur Zeit der Wiederbelebung der Künste und Wissenschaften,
wie in anderen Hauptstädten Europa's, so auch in Paris verschiedene Akade-
mien ins Leben, welche nach italienischen Mustern literarische Centralpunkte
bildeten. Die meisten derselben, wie z. B. der poetische Verein des Sieben-
gestirns, 1570 bis 1591, hatten nur eine kurze Dauer, bis unter Richelieu's
Schutze eine Privatgesellschaft, welche 1625 im Hause Valentin Conrart's, von
Chapelain und anderen mittelmässigen Dichtern gebildet war, sich 1635 zur
Staatsanstalt umgestaltete und am 10. Juli 1637 als Academie frangaise ihre
ersten öffentlichen Sitzungen hielt. Neben dieser besonders zur Pflege und
Ausbildung der französischen Sprache bestimmten Akademie bildeten sich im
406 Instrument.
Laufe der Zeit in Paris selbstständig noch mehrere andere, welche ebenfalls
staatliche Sanction erhielten, so, unmittelbar auf Anregung Königs Ludwig XIV.,
der in diesen Vereinigungen ein vorzügliches Werkzeug sah, auf den Geschmack
der Nation bestimmend eiuzuwii'ken , 1663 die Academie des inscriptions, ent-
sprechend dem Geschmack an Devisen, Inschriften und Medaillen, welcher im
17. Jahrhundert herrschte, ferner die Academie des sciences, 1666 von Colbert
gestiftet, welche durch wissenschaftliche Bedeutung und Wirksamkeit noch
gegenwärtig die erste der Welt ist, und die Academie d'arcJdfecture. Alle diese
Akademien wurden durch ein Edict des Nationalconvents vom 8. Aug. 1793
unterdrückt; aber schon am 25. Octbr. 1795 beschloss das Directorium der
französischen Republik, einen National -Gelehrtenverein ins Leben zu rufen,
dessen Aufgabe die Pflege der schönen Künste und Wissenschaften sein sollte.
Diese Anstalt erhielt den officiellen Namen Institut national, war in drei
Klassen (die dritte umfasste die schönen Künste) getheilt, deren jede wieder
in mehrere Sectionen zerfiel, und bestand aus einer Anzahl in Paris wohnender
Mitglieder (memhres residanfs) und einer gleichen Anzahl Assocics in den ver-
schiedenen Departements der Republik; auch sollte ausserdem jede Klasse sich
acht auswärtige Fachnotabilitäten zugesellen können. Die Zahl der wirklichen
Mitglieder war ohne die Associes auf 144 bestimmt.
Um diese nicht ganz bequeme Organisation zu verbessern, Hess Napoleon
Bonaparte, der, selbst Mitglied des I., diese Ehre so hoch schätzte, dass er
während des ägyptischen Feldzuges seinem Titel als Obergeneral stets den
eines Mitglieds des I. vorsetzte, im J. 1802 eine Commission bilden, auf deren
Gutachten hin das I. eine neue Einrichtung und vier Klassen erhielt; die
vierte, 20 Mitglieder, acht fremde Associes und 36 Correspondenten zählend,
war ausschliesslich für die schönen Künste bestimmt. Die Maassregeln der
Restauration trafen auch das I., welches seit Anfang des J. 1814 den Namen
I. imperial erhalten hatte. Ludwig XVIII. liielt nämlich für gut, die vorge-
fundene Einrichtung insofeim zu modificiren, dass der Name I. nur der Ge-
sammtheit der Akademie verbleiben, jede Klasse für sich aber wieder den
Namen Akademie annehmen sollte. So entstanden denn durch die Ordonnanz
vom 21. März 1816: 1) die Academie fran{'aise, 2) die Academie des inscrip-
tions et helles -lettres , 3) die Academie des sciences und 4) die Academie des
heaux-arts. Das I. selbst wurde unter die besondere Protection des Königs
gestellt. Die Julirevolution im J. 1830 hat im I. keine andere Veränderung
hervorgebracht, als dass die an das Staatsruder gekommenen Doctrinaires die
Stiftung einer fünften Klasse, Academie des sciences morales et politiques ge-
nannt, bewirkt haben, welche durch Decret vom 26. Octbr. 1832 entstand und
30 Mitglieder zählt. Die ferneren Staatsumwälzungen von 1848, 1851 und
1871 haben auf die Organisation und AVirksamkeit des I. wesentlich verändernd
nicht eingewii'kt, und dasselbe behauptet noch heute die li ervorragende, glän-
zende Stellung, welche es, aufs Reichste ausgestattet, von jeher eingenommen.
Was die dem I. angehörende Academie des heaux-aris anbetrifft, durch welche
speciell auch die Musik in Frankreich eine ausgezeichnete Pflege und För-
derung erfährt, so findet man das Nähere in dem Artikel Akademie.
Instrument (griech.: organon, latein.: instrumentum , ital.: stromento) wird
im Gebiete der Musik jeder Mechanismus, jede Vorrichtung genannt, durch
welche Töne hervorgebracht werden. Im weiteren Sinne würde daher auch
die Kehle des Menschen den I.en beigezählt werden müssen. Allein der
Sprachgebrauch schliesst dieselbe davon aus: man spricht von Vocal- im Gegen-
satze zur Instrumental -Musik, und Niemandem fällt es ein, den wunderbaren
Mechanismus, dem die menschliche Stimme entströmt, unter die I.e einzureihen.
Wenn wir das Merkmal des musikalischen I.es in der Erzeugung von Tönen
finden, so ist hierdurch vom Begriffe desselben von selbst auch jeder Mecha-
nismus ausgeschlossen, welcher es nicht weiter bringt als zur Erzeugung eines
blossen Schalles. Streng genommen trifft dieser Ausschluss die Mehrheit
Instrument. 407
der zu allen Zeiten und bei allen Völkern üblich gewesenen Schlag-, Kling-
und Klapper -I.e, welche mit geringer Ausnahme blosses »G-eräusch« hervor-
bringen, deren Schall sich selten zum Tone veredelt, deren schwächerer oder
lauterer Klang immer nur eine sinnliche Wirkung äussern kann und, sofern
sie höheren Zwecken dienen sollen, sich auf blosse Verstärkung und schärfere
Markirung der Rhythmen beschränken muss.
An dieser ihrer Stellung kann der Umstand nichts ändern, dass solche
Schallwerkzeuge das Erste gewesen sind, womit im sogenannten Naturzustande
der Völker alle Instrumental -Musik angefangen hat: sie sind doch eigentlich
nur der rohe Untergrund, die Vorbereitung dazu gewesen. Der Kang dieser
I.e wird aber im Wesentlichen auch durch die Erfahrung nicht erhöht, dass
sie im Stadium höchster — wirklicher oder vermeintlicher — Cultur-Ent-
wickelung, nachdem jenes der Classicität unbestritten erreicht worden, von ge-
feierten Tonsetzern mehr oder minder häufig in Anwendung gebracht werden;
denn auch diese können im Grunde damit nichts Anderes als vermehrten
Lärm und schärferes Hervortreten einzelner Takttheile erzielen. Allein
eben diese thatsächliche Uebung, wenn sie gleich dem Ideale tonkünstle-
rischen Schaffens ziemlich fern liegen dürfte, zwingt uns zur Nachsicht, so
dass wir keinen Anstand nehmen, auch sie in den Kreis unserer Besprechung
zu ziehen.
Charakteristisch ist es, wie verwerfend einzelne Theoretiker von diesen
Schallwerkzeugen gedacht haben, — so insbesondere Sebastian Vir düng aus
dem Anfange des 16. Jahrhunderts, der seinem Unwillen über die »Heerpaucken,
Trummein und klein Peucklin« in den Worten Luft macht: »Diese Baucken
alle, seind, wie sie wollen, die machen viel onruwe erbarn, frummen alten Leuten,
den siechen und kranken, den andächtigen in den clöstern, die zu lesen, zu
studieren und zu beeten haben. Und ich glaub und halt es für war, der
Teufel hab sie erdacht und gemacht; dann kain holtsäligkeit noch guts daran
ist, sondern ein verdempfung und ein niedertruckung aller süssen Melodeyen
und der ganzen musica. Darumb ich wohl geachten kann, dass daz tympanum
vil ein ander ding muss gewesen sein, das man zu dem Dienst Gottes gebraucht
hat, dann yetz unser Baucken gemacht werden und das wir ohn billig den
Namen der teufelischen Instrument zu geben, das nit wirdig ist zu der musica
zu brauchen noch vil mynder zuzulassen , derselben Kunst ein I. zu sein ....
Dann wann das Klopfen oder Boltern musica sollt sein, so müssten die Binder
oder Küffer auch musici sein, — das ist aber alles nichts.«
Wie der Schall im Allgemeinen entstehe und durch welche besondere
Vorgänge das Dasein eines Tones bedingt sei, haben wir — unbeschadet
näherer Erörterung in den einschlägigen Artikeln unseres Lexikons — als
bekannt vorausgesetzt. Keinem Gebürdeten wird es heutzutage verborgen sein,
dass es Luft- Schwingungen — Wellen — sind, welchen wir die Erzeugung
eines Schalles verdanken, — dass diese Schallwellen sich gleichmässig nach
allen Seiten fortpflanzen , dass diese Fortpflanzung aber nicht nur durch das
Medium der Luft, sondern auch, und zwar mit viel grösserer Geschwindigkeit,
durch feste Körper stattfindet. Es ist in dieser Beziehung nachgewiesen, dass
die Geschwindigkeit des Schalles, der sich in der Luft 1050 Fuss in der
Sekunde weiter bewegt, für Zinn das Siebenfache beträgt, in Eisen, Stahl,
Glas, Silber, Messing und Nussbaumholz lO^s-, in Kupfer 12-, in Ebenholz
14^/5- und im Tannenholze sogar 18 mal so gross als in der Luft ist. Diese
Verhältnisse sind begreiflicher Weise sehr wichtig für den Bau der Ton-
werkzeuge geworden. Weil das Tannenholz vorzugsweise zur Aufnahme von
Schall -Schwingungen geeignet ist, so werden daraus die Saiten-I.e und die-
jenigen I.entheile, welche durch eigenes Mitschwingen wirken müssen, gemacht,
während Flöten, Clarinetten u. s. w., deren Körper nicht zu schwingen brauchen,
aus dem trägern Ebenholze, Buchsbaumholz, Elfenbein u. s. w. gefertigt werden.
Nachdem wir nun in Vorstehendem den Begriff des musikalischen I.es
408 Instrument.
festzustellen versucht und die für den I.enbau entscheidenden physi-
kalischen Haupt-Momente angedeutet haben, so gehen wir zur
I. Eiutheilung der I.e über. Hierfür kann maassgebend sein: 1. die
Beantwortung der Frage, wie die verschiedenen I.e als Mittel sich
verhalten zu den Zwecken der Tonkunst. "Wenn das Wesen der Ton-
kunst Darstellung des Schönen in Tönen, ihr Inhalt und ihre Aufgabe daher
das musikalisch Schöne ist, so wissen wir auf der anderen Seite, dass sie die
in jedem concreten Tonbilde zur Ersclieiuung kommenden Töne entweder
nur in einer Reihenfolge — einen nach dem anderen — erklingen lässt,
was wir Melodie nennen, oder dass uns aneinander gereihte Accorde, be-
ziehungsweise gleichzeitig neben einander geführte Melodien entgegentreten,
worin das Wesen der Harmonie besteht; das Eine wie das Andere ist aber
rhythmisch geordnet, in Takte eingetheilt, und je nach dem Willen des Ton-
setzers können auch einzelne Takttheile noch zu besonderer Hervorhebung mar-
kirt werden. Nun giebt es unter den uns bekannten I.en bekanntlich solche,
die gleichzeitig nur einen Ton von sich geben. AVas auf ihnen gespielt
werden kann, ist immer nur eine Melodie, — eine Beihenfolge einzelner Töne.
Diese I.e nennen wir, früheren Vorgängen folgend, monodische, einstimmige,
melodische. Dahin gehören die sämmtlichen Blas -I.e des Orchesters, sowie
die Bogen -I.e desselben. Man kann auf den letzteren wohl Accorde spielen,
Doppelgriffe und mehrstimmige Sätze zum Besten geben; allein dieses har-
monische Spiel ist von vornherein schon durch die Vierzahl der Saiten be-
schränkt: mehr als vier Töne gleichzeitig werden wir der Violine und dem
Violoncello nicht zu entlocken vermögen und die volle, höchste AVirkung dieser
herrlichen I.e wird sich vorzugsweise doch nur im einstimmigen Spiele ent-
falten können.
Man pflegt zwischen den einzelnen melodischen I.en auch ein gewisses
Rangverhältniss festzustellen. Die Norm hierfür ist uns in der mensch-
lichen Stimme gegeben. Diese ist unbestritten der erste und ursprüngliche musi-
kalische Tonapparat; im unmittelbaren Ergüsse des Gefühls in Melodie kann sie
von keinem künstlichen Klangwerkzeuge übertrofFen werden, und es ist deshalb
mit Recht gesagt worden, dass diejenigen I.e, welche in Ansehung der Dauer,
der Biegsamkeit und Gesangfülle des Klanges ihr am nächsten kommen, stets
einen hohen und den höchsten Rang da einnehmen, wo es zunächst auf melo-
dischen Ausdruck ankommt. Die Befähigung hierzu ist in erster Reihe durch
den Besitz einer vollständigen chromatischen Tonleiter von möglichst gi-ossem
Umfange, durch einheitliche Klangfarbe, durch vollen, sonoren Ton und durch
die Möglichkeit bedingt, diesen von der leisesten, kaum hörbaren Bebung zur
höchsten Klangstärke des I.s anschwellen zu lassen. Jenen hohen und höchsten
Rang — wer möchte ihn der Violine, dem Violoncello, der Clarinette und
Oboe, ja nach Umständen dem Fagott absprechen?! Aber auch die anderen
Orchester-Genossen sind »nicht zu verachtenct. Wer ist nicht schon in tiefstem
Herzensgrunde bewegt worden von dem wunderbaren Gesänge des Horns, mag
es melodieführend sich von einer Begleitung anderer I.e tragen oder seine edeln
Klänge in mehrstimmigem Hornsatze vernehmen lassen ! Die Erinnerung an
die Introduction der Freischütz- Ouvertüre von C. M. v. Weber dürfte zur Be-
stätigung genügen. Aehnliches gilt von der Trompete und den Bass-I.en der
sogenannten Blechmusik. Wie wirkungsvoll sind sie alle von unseren grossen
Meistern behandelt worden! Man denke an J. S. Bach, Händel, Gluck, Haydn,
Mozart und Beethoven und, was die Werke der beiden Letzteren betrifft, spe-
ciell au »Don Juan« und das Finale der Beethoven'schen (7-?noZ/- Symphonie.
Als harmonische, polyphone I.e kommen die Orgel, das Ciavier, die
clavierähnlichen I.e, die Harfe, Laute, Guitarre, Theorbe, Zither u. s. w. in
Betracht. Den ersten Rang behauptet hier unstreitig die Orgel. Ihre Be-
stimmung ist es, musikalische Ideen zum vollständigsten und höchsten Ausdrucke
zu bringen und, da sie zu diesem Zwecke das allein bewirken soll, wozu ausser-
Instrument. ^Q9
dem die verschiedensten I.e sich vereinigen, so beruht auch ihre Construktion
auf dem Gresammt-Resultate der Erfahrungen, welche vereinzelt bei vielen an-
deren gemacht worden sind. Ihr Mangel ist, dass ihre Klangstärke von jeder
Nüancirung des Tasten- Anschlages unabhängig ist; der sogenannte »gefühl-
volle« Vortrag ist auf ihr nicht möglich. Darin ist ihr das Ciavier überlegen,
welches wieder gegen sie durch seinen kurzen, rasch verklingenden Ton zurück-
steht, der in noch höherem Grade — unbeschadet ihrer sonstigen ergreifenden
Klangfülle — bei der Harfe stattfindet, die Tonwirkung der übrigen harmo-
nischen I.e aber, deren Saiten gerissen oder geschnellt werden, zu einem kalten
Klimpern abschwächt. Begleitung des Gresanges und Ausfüllung der Harmonie
neben anderen I.en wird im Wesentlichen der Beruf der letzteren bleiben.
Von den Schlag-I.en ist hier die Pauke zu nennen, welche in ihrer jetzigen
Gestalt im Orchester nicht vermisst werden kann, zu rechter Zeit, wie die
grossen Meister diese zu wählen verstanden, auch die rechte Wirkung nicht
verfehlt und das Anathem, welches vor drei Jahrhunderten Virdung gegen sie
geschleudert, nicht mehr verdient.
Die Werthschätzung der einzelnen I.e überhaupt richtet sich endlich auch
nach dem Orte, wo damit musicirt wird. Was kann Herz und Sinn des echten
Musikers gründlicher erfreuen und durchwärmen, als in traulicher Stube das
Streich- Quartett, und wie jämmerlich klingt es im Freien, während umgekehrt
die Trompeten-Fanfare, deren helles Schmettern im Freien uns kräftigend und
ermuthigend bewegt — uns in Verzweiflung brächte, wollte sie sich in die
Quartett - Stube verirren. Mit Recht wird eben so für die Kirche die sanfte
Oboe der schärfer klingenden Clarinette vorgezogen, welche freilich bei der
Seltenheit guter Oboisten ihren Platz noch lange behaupten wird. — Für Ein-
theilung der I.e ist weiter maassgebend: 2. die Construction derselben,
ihr Klangmaterial und die Art der Klang-Erzeugung. In diesen
Beziehungen unterscheiden wir:
A. Blas- I.e (latein. : Inßatilia, griech.: Pneumafica, französ. : instriimenfs
ä vent, ital.: stromenti da ßato, da ventoi). Unter diesen versteht man diejenigen
I.e, bei welchen die in der Röhre derselben enthaltene Luftsäule der eigent-
liche klingende Körper ist. Im Wesen bestehen sie daher alle aus einer hohlen
Röhre und ihr Tönen wird dadurch verursacht, dass die in der letzteren be-
findliche Luftsäule durch einen von aussen eindringenden Luftstrahl in Vibration
gesetzt wird. Hier kommt nun Verschiedenes in Betracht: a. die Art der
Einführung des tonerzeugenden Luftstrahles in die Röhre. Sie
geschieht aa. ohne Mundstück und zwar a. durch den Anprall, den die
Luftsäule im Innern des Rohres an den entgegenstehenden Kanten erleidet,
wenn wir mit dem Munde durch das sogenannte Mundloch Luft in dasselbe
einblasen, — bei der Flöte; ^l bei der Orgelpfeife — entweder durch
eine einfache Oeffnung in den unteren Theil, den sogenannten Puss der Flöte,
— bei welcher Construction ein Theil der eingeblasenen Luft durch den Auf-
schnitt entweicht und der Rest die im Körper der Pfeife enthaltene Luftsäule
zur Schwingung bringt, oder dadurch, dass die in das Mundstück der Pfeife
eingesetzte Metallzunge mittelst des durch den Stiefel und das Mundstück ein-
gedrungenen Luftstrahles in Vibration geräth; bb. durch ein Mundstück.
Dieses kann sein «. ein Röhrchen , welches aus zwei beim Anblasen in Oscil-
lation gerathenden Rohrblättchen besteht (doppeltes Rohrblatt-Mundstück).
Ein solches haben Oboe und Fagott, [i. Eine Kapsel mit eingeschlossenem
Mundloch, wie bei der alten Schalmey. y. Ein Mundstück mit fester Ober-
lippe und einfachem Rohrblatt, Schnabel genannt, — bei der Familie der
Clarinette. 8, Ein kessel- oder trichterartig auagetieftes Metallstück, Kessel
genannt, bei den sogenannten Blech-I.en, — endlich e. ein gedrehtes Röhr-
chen beim Serpent, der Zinke u. s.w.
b. Als ein Gemeinschaftliches aller Blas-I.e in Ansehung der
Ton -Er Zeugung rauss hervorgehoben werden, dass die Schwingungen der in
410 Instrument.
den E-öhren enthaltenen tönenden Luftsäule langsamer oder schneller sind, je
nachdem die Eöhre, beziehungsweise deren Luftsäule — vom Mundstücke bis
zum Schalltrichter oder irgend einem anderen Ausströraungspunkte gerechnet
— lang oder kurz ist. Dieser Umstand bestimmt die Höhe oder Tiefe des
Tones: die längere Röhre — Luftsäule — erzeugt den tieferen Ton, die an
sich kürzere oder künstlich verkürzte den höheren. Hiernach kann das Princip
der sämmtlichen ßlas-l.e auf oine einfache und gerade cylindrische Röhre zurück-
bezogen werden, in welcher die Luft wellenartig abwechselnd verdichtet und
verdünnt wird. Schon sehr früh wurde aber von der Erfahrung Gebrauch
gemacht, dass die in einer geschlossenen Pfeife schwingende Luftsäule dann
sich verkürzt, wenn man ihr Gelegenheit verschafft, mit der äusseren Luft sich
zu verbinden, nach aussen zu entweichen, bevor sie den Boden der Pfeife ei--
reicht. Diese künstliche Verkürzung wird durch Tonlöcher bewirkt. Werden
diese einzeln geöffnet, so geben sie verschiedene Töne und diese entsprechen
in ihrer Höhe oder Tiefe offenen Pfeifen, welche so lange sind als die
Entfernung des offenen Endes von dem eben geöffneten Tonlocho beträgt.
Es ergiebt sich also eine weitere Unterscheidung der Blas-I.e ba. in solche,
welche aus einer einfachen Röhre ohne Tonloch bestehen, welche daher
auch nur einen einzigen Ton von sich geben und bei welchen die Tonverschiedenheit
entweder durch verschiedenes Anblasen, also durch Verschiedenheit der Lippen-
schwingungen, wie beim Naturhorn und der Trompete, — oder unter Beihülfe
von Zügen und Ventilen, wie bei der Posaune und den verschiedenen Ventil-
Blech -I.en hervorgebracht wird; bb. in Blas-I.e mit Tonlöchern, welche
letztere offen oder mit Klappen gedeckt sein können. Dieser Gruppe gehören
die sämmtlichen Holzblas -I.e an. Die höheren Octaven entstehen bei ihnen
durch Ueberblasen.
c. Die Verschiedenheit des Materials, aus welchem die Blas-Le ge-
fertigt sein können, ist vox'stehend bereits angedeutet. Welche aus Holz, welche
aus Metall construirt sind, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Das ver-
schiedene Material bewirkt erfahrungsgemäss auch verschiedene Klangfarben,
und es gilt dies nicht nur für die Verschiedenheit des Materials im Allgemeinen,
sondern auch für die Härte und "Weichheit des Holzes und Metalles, wie für
die Beschaffenheit der inneren Oberflächen der Röhren: je nachdem diese mehr
oder weniger glatt ist, wird der Klang sich heller oder rauher dem Rohr ent-
winden, d. Die Gestalt — Form • — der Blas-I.e ist gleichfalls verscliieden.
Sie sind gerade geformt, im Winkel zusammengesetzt (gekröpft), einfach, dop-
pelt, bei Blech- F.cu mehrfach im Cirkel gewunden oder in anderen Formen
durch einander geschlungen. Die Mehrzahl der Orchester -Blas-I.e erweitert
sich an ihrer IMündung zu einem Schallbecher (Stürze), der namentlich bei
den Blech-I.en breit ausladet, ein wesentlich resonnanzgebender Theil ist und
auf die Klangfarbe wirkt. Auf die letztere, keineswegs auf die Tonhöhe, hat
auch die grössere oder geringere Weite der Röhre (Durchmesser oder Mensur)
Einfluss , so dass z. B. der Ton einer Trompete mit erweiterten Röhren voller
wird, dafür aber das Helle und Durchdringende des ursprüngliclien Metalltones
einbüsst. Die Orgelpfeifen sind, was ihre Form betrifft, entweder cylindriscli
(prismatisch) oder nach der Mündung conisch (kegelförmig) sich erweiternd
oder oben enger als am Aufschnitte. An ihrer Mündung sind sie ganz offen
oder ganz gedeckt oder halb offen (halbgedeckt), e. Einige wenige Blas-I.e,
Orgel, Regal, Positiv und Physharmonika werden mittelst einer Claviatur
gespielt. Die Töne der Phybharmonika werden zwar nicht in Röhren, sondern
durch frei schwingende Zungen erzeugt; diese werden aber gleichwohl durch
einen Luftstrom intonirt und so hat man das I. mit Recht den Blas -I.en
beigezählt.
B. Saiten-T.e (latein.: instrumenta enehorda, ßdirinia, ital.: stromenti da
eorde \^per la tensione] , französ.: instruments ä cordcs). Ihr Wesentliches im
Gegensatze zu den Blas-I.en besteht darin, dass bei ihnen nicht eine Luftsäule
Instrument. 411
als klingender Körper in Betracht kommt, sondern dass Darm- oder Metall-
saiten durch Schlagen, Streichen oder Reissen in Schwingungen versetzt werden
und diese Schwingungen der umgebenden Luft mittheilen. Der ßesonnanzkörper
der I.e dient zur Verstärkung des Klanges, der ausserdem kaum hörbar wäre.
Die Eintheilungsgründe liegen hier am Tage und können kaum umgangen
werden. Sie finden sich a. in der Art der Tonbestimmung. Wir haben
aa. Saiten-I.e mit Griffbrett. Der Spieler bestimmt auf diesen den Ton da-
durch , dass er die Saite mit einem Finger fest auf das Griffbrett drückt und
so einen dem gewünschten Ton entsprechenden Theil derselben abgrenzt.
Dieser Gruppe gehören Violine, Laute, Guitarre, Zither u. s. w. an. Das
angegebene Verfahren gründet sich auf die Wahrnehmung, dass eine Saite um
so rascher vibrirt, je kürzer sie gemacht wird. Wenn sie, mit ihrer ganzen
Länge schwingend, 40 Schwingungen macht, so wird sie 80 in derselben Zeit
vollziehen, wenn ihr schwingender Theil um die Hälfte verkürzt ist und
viermal so viel, wenn die letztere noch einmal gleichheitlich getheilt wird.
Und aus dem Umstände, dass die Schwingungszahl einer Saite im umgekehrten
Verhältnisse zu ihrer Länge steht, ergiebt sich, dass durch Aufsetzen der Finger
auf die Saite beim Spiele der Bogen-I.e eine Reihe von Tönen mit allen denk-
baren Mittelstufen hervorgebracht werden kann. Die leere Saite giebt den
Grundton, durch Aufsetzen des Fingers näher dem Stege tritt Verkürzung,
durch sein Zurückgehen nach der Schnecke Verlängerung der schwingenden
Saite ein. ab. Be' Saiten-I.en ohne Griffbrett werden die Saiten nur mit
ihrem Grundton benutzt, sie schwingen stets mit ihrer ganzen Länge. Dahin
gehören: Pianoforte, Harfe, Hackebrett u. s. w.
b. In der Art, wie die Saiten in Schwingung versetzt werden.
Dies geschieht ba. durch Streichen mit einem Bogen bei den Bogen-
oder Streich-I.en (ital.: stromenti d^arco). Dahin gehören alle Arten der Geige,
sowie die mit Streichmechanismus und Claviatur versehenen Bogenüügel und
Geigenclaviere. Die gespannte Saite wird durch den mit Harz bestrichenen
Bogen aus ihrer Ruhelage gezogen. Indem sie dahin zurückgehen will, erfasst
der Bogen sie aufs Neue und nimmt sie fort, bis sie wieder zurückschnellt.
Jeder Hin- und Rückgang, deren sie unzählige in der Sekunde ausführt, erregt
eine neu sich fortpflanzende Luftwelle, die in Verbindung mit den vorausge-
gangenen W^ellen den Ton erzeugt, bb. Durch Reissen oder Schnellen
mit den Fingern oder einem Piektrum — bei Harfe, Laute und den
Zitherarten. Auch der jetzt verschollene bekielte Flügel wurde auf diese Weise
intonirt. bc. Durch Schlagen mit einem festen Körper — die soge-
nannten krustischen Saiten-I.e. Dies kann geschehen mittelst der Taugenten
eines Hammerwerkes, wie liei den clavierartigen I.en, oder durch Klöppel,
welche beim Hackebrett und Pantaleqn mit freier Hand geführt werden. Die
Construction der ersteren bedarf ausführlicher Erörterung, die letzteren sind
ausser Gebrauch gekommen, — ihre längere Besprechung wäre daher werthlos.
bd. Durch einen natürlichen oder künstlichen Luftstrom wird die Aeols-
harfe, das Animochorde, in Oscillation versetzt. Endlich be. gleichzeitig durch
Bogen- und Hammerwerk wurde das Bogen- Hammerciavier zum Klingen
gebracht.
C. Schlag-, Kling- und Klapper- I.e (latein. : instrumenta pereussa,
■pulsatilia, ital.: stromenti per la percussione \da percossa], französ.: instruments
ä percussion). Aus der Bezeichnung dieser schon im Eingange kurz gewür-
digten Klangwerkzeuge ergiebt sich von selbst, welche damit gemeint sind.
Triangel, Holzharmouika, Platten, Becken, Glocken von Glas und Metall, Trom-
meln, Tambourins, Pauken, Sistren, Schellenstäbe, Castagnetten u. dergl. sind
dieser Klasse beizuzählen. Wie sie in klingende Bewegung versetzt werden,
ist bekannt. Die Pauken haben bestimmbare Töne, die Glas -Glocken- und
Holzspiele sogar vollständige Tonleitern, welche die Ausführung von Melodien
und Accorden möglich machen. Alle anderen bringen nur unbestimmte Schalle
412 Instrument.
von verschiedenem Charakter, d. h. dröhnende, klappernde, klirrende u. s. w.
Schalle zu Tag, eignen sich daher nur zu rhythmischer Verwendung.
D. Andere, zur Einreihung in die bisher behandelten Gat-
tungen nicht geeignete I.e. Wir begreifen hierunter diejenigen, welche
von denselben in der Art ihrer Klangerzeugung abweichen, wenn auch ihre
Klangkörper wesentlich nicht davon verschieden sind. Ihre Töne werden an
Scheiben, Glocken, Cylindern oder Köhren nicht durch Blasen oder Schlagen,
sondern durch einfache Friktion , Streichen mit benetztem Finger oder einem
dessen Stelle vertretenden Mechanismus hervorgerufen. Die Harmonika, das
Euphon und der Glasc) linder gehören hieher. Für die eigentliche Tonkunst
sind sie niemals von Bedeutung gewesen, — die beiden letzteren sogar vergessen.
Was II. die Geschichte der I.e betrifft, so ist eine die Gesammtheit
der letzteren umfassende genaue Darstellung noch nicht erschienen, wenn auch
in verschiedenen Älonographien einzelne Gattungen und Arten eingehend be-
handelt sind und in den Werken über Geschichte der Tonkunst, speciell in
der trefflichen »Geschichte der Musik« von Aug. Wilh. Ambros, eine Menge
der werthvollsten Details niedergelegt ist. Es ist mit Recht hervorgehoben
worden, welch wichtigen, für den Denker wie für den Fachmann gleichmässig
interessanten Beitrag zur Geschichte der Entwickelung des menschlichen Geistes
eine solche Darstellung liefern müsste, — um so wichtiger und merkwürdiger,
als die erste Erfindung, die allmälige Ausbildung und die in unseren Tagen
in der Hauptsache wohl erreichte Vervollkommnung der Tonwerkzeuge mit
physischen Bedürfnissen des Menschen gar nichts zu thun haben und im Gegen-
theile einem Gebiet angehören, welches ausschliessend der Entfaltung inneren
Lebens und dem Streben nach immer mannichfacherem Ausdrucke der Be-
wegungen des Gemüthes dient. Allein ein solches Werk setzt die Ueberwin-
dung zahlreicher, mitunter kaum zu bewältigender Hindernisse voraus, Es
fehlt in erster Reihe fast in jeder Richtung an ganz bestimmten, zu-
treffenden Nachrichten. Die Musiker aller Zeiten waren nur in seltenen
Fällen auch Schriftsteller. Sie waren zufrieden, ihrer I.e mächtig zu werden,
sie zum Preise der Gottheit, zum Vergnügen der Menschen, wie zur eigenen
Lust und zu eigenem Gewinne gut zu spielen; sie zu beschreiben, über deren
Erfinder zu berichten und zu erzählen, wie die verschiedenen Tonwerkzeuge
von einem Volke zum anderen sich verbreiteten, wie und auf welchen Anlass
hin sie allmälig verändert, verbessert oder vernachlässigt wurden, — das Alles
natürlich mit stetem Hinblick auf die Fortschritte der Tonkunst selbst — , das
konnte ihre Sache nicht sein. Diejenigen Autoren aber, welche über Musik
schrieben, geben regelmässig auch nur dürftige Nachrichten über die I.e ihrer
Zeit; sie befassen sich in der Hauptsache fast ausschliessend mit Fragen, welche
dem Gebiete des Tonsatzes und seiner Technik angehören, und nur nebenher
erlangen wir Aufschluss über das eine oder andere I.
Ein weiterer Uebelstaud ergiebt sich aus der Bezeichnung der ein-
zelnen so überaus zahlreichen Tonwerkzeuge. Das Verzeichniss, das
wir unten beifügen , kann Staunen über den Reichthum desfallsiger Erfindung
erwecken. Gar viele von den Namen gehören aber wohl demselben I. an,
welches bei oft geringfügiger Formveränderung auch andere Benennung erhielt,
wogegen dann manch anderer Name Verschiedenes bezeichnen mag. Eine Haupt-
quelle für die I.en-Geschichte wird immer in den Bauwerken, Sculpturen
und Malereien der verschiedenen Völker und Zeiten zu suchen sein.
In Festzügen, in mythologischen und anderen Darstellungen u. s. w. finden wir
die ältesten Formen der Saiten-, wie der Blas- und Schlag -I.e, wie uns bei
Beschauung späterer Bildwerke Abänderungen jener ursprünglichen oder
minder entwickelten Formen nicht entgehen können. Eine Detaillirung des
gegebenen historischen Materials wäre niclit am Platze. Die kurze Hervor-
hebung einiger weniger Momente kann aber nicht umgangen werden. Dahin
gehört Folgendes:
Instrument. 413
A. Zuvörderst die Walirnehmung, wie die dem Menschen angeborene
Anlage zur Tonkunst sich bei allen Völkern ohne Ausnahme schon
in der Periode des niedrigsten Culturzustandes äussert und zwar
gleichmässig äussert, d. h. durch Benutzung der gleichen Mittel und — bei
Vermehrung und Vervollkommnung der letzteren — mit Einhaltung desselben
Entwickelungsganges. Die Schlag- und Kling-I.e machen überall den Anfang,
ihnen folgen in rohester Gestaltung Flöte, Hörn und Trompete, denen sich
erst später als ein Merkmal des höheren Bildungsgrades die Saiten-I.e, zuerst
natürlich Harfen und Lyren anschliessen, Zufall und Bedürfniss veranlassen
fortschreitende Veränderung der I.e, deren viele nach und nach vernachlässigt
und aufgegeben, andere aber nach mehrfach versuchter Umgestaltung in die
einfachsten Formen gebracht werden, so dass schliesslich die Zahl der den
höheren Zwecken der Tonkunst dienstbaren I.e — Zeuge dessen ist unser
heutiges Orchester — auf ein verhältnissmässig geringstes Maass zurückgeführt
ist. Jenes Bedürfniss hat sich selbstverständlich aus den Intentionen der Ton-
dichter ergeben, welchen umgekehrt die verbesserten I.e Gelegenheit zu immer
freierer Durchführung ihrer Ideen darboten.
B. Die Anfänge der Instrumental-Musik, daher die ersten I.e, sind in
den Ländern zu suchen, von welchen alle Cultur ausging, — also bei den
Culturvölkern Asiens und in Aegypten. Allen voran tritt uns China
entgegen, an welches, chinesischen Einflüssen unterworfen, diese aber selbst-
ständig verarbeitend — Japan sich anreiht. Im Laufe vieler Jahrhunderte
haben sich die I.e dieser Reiche so viel wie gar nicht verändert, in der Gegen-
wart spiegelt sich die ganze Vergangenheit, Von einer Musik, durch welche
Gefühle, Gemüthsbewegungen zum Ausdrucke gebracht werden, ist hier nicht
die Rede. Dagegen spricht schon die grosse Zahl der Lärm- I.e. Welchen
"Werth man aber von jeher auf die Musik gelegt, dies beweist nicht nur die
meisterhafte, kunstreiche und mit Anwendung edlen Metalles ausgeführte Arbeit,
welche man an den I.en dieser Länder zu bewundern hat, sondern auch der
Umstand, dass Anwendung und Behandlung einzelner I.e sogar durch Gesetz
und obrigkeitliche Ueberwachung geregelt sind. Höchst werthvolle, zierlich
und wirklich geschmackvoll gearbeitete Exemplare namentlich japanesischer I.e
enthält das ethnographische Museum in München. In Indien, dem Lande
überschwän glicher Phantasie, nahm die Entwickelung der Musik einen anderen
Gang. Der Drang nach zarterem und wechselvollerem Ausdrucke des bewegten
Gemüthes beseelte den Hindu wohl schon in frühester Zeit und ihm ist wohl
die Entstehung der vielen Blas- und I.e, deren Klangfarbe nothwendig sehr
verschieden sein muss, zu verdanken. In Folge Eindringens des Islams haben
arabische Einflüsse den ursprünglichen Zustand wohl vielfach alterirt. Die
Musik des Islam mit ihren I.en fand ihre Vertretung und Verbreitung durch
das hochbegabte, phantasiereiche und ritterliche Volk der Araber. Von ihnen
hat Europa in den Kreuzzügen seine Kriegsmusik geholt; das Zamr (oder die
Zurna) ist die Mutter unserer Oboe und im Rebab lag der Keim unserer
Geigen-I.e.
Ueber die I.e des alten Aegyptens geben Abbildungen auf Gräbern
reichen Aufschluss. Sie begründen die Vermuthung, dass dort bei religiösen
Feierlichkeiten auch polyphones I.enspiel ohne Gesang schon frühzeitig üblich
war. Die Harfe, welche auf einigen Bildwerken in prachtvoller Ausstat-
tung sich darstellt (s. Aegyptische Musik), scheint besonders bevorzugt
gewesen zu sein. Uebrigens kam bei allen diesen Völkern und ebenso bei
den übrigen semitischen Völkern Asiens — die Hebräer mit eingerechnet —
die Musik noch immer nicht als selbstständige, ihren Zweck in sich tragende
Kunst zur Geltung; es wurde bei ihnen musicirt zur Erreichung ausser der
Musik liegender Zwecke, — wie zur Erhöhung einer Festesfreude, zur Be-
gleitung feierlicher religiöser Akte u. dergl. In den Rang einer den übrigen
Künsten ebenbürtigen Kunst trat sie erst bei den Griechen, und diese Auf-
414 lustrument.
fassung machte sich sofort auch im Bau und in der successiven Verbesserung
der griechischen I.e geltend.
Das I.en-Iuventar des griechischen Orchesters erscheint, wie Ambros sich
ausdrückt, einfach und dürftig gegen den bunten Reichthum des ägyptischen
oder hebräischen Orchesters; aber es ist diese Dürftigkeit nur eine scheinbare
und nur ein Beweis des echt künstlerischen Maasses, das die Griechen in allen
Dingen beobachteten. Lyra und Flöte waren es ausschliessend , welche der
höheren Musik dienen durften , und andere Klangwerkzeuge waren zur Be-
gleitung des deklamatorischen Gesanges, in welchem der Schwerpunkt der grie-
chischen Tonkunst lag, nicht nöthig. Die verschiedenen Formen jener I.e,
selbst zu Kunstgebilden gestaltet, sind uns in den antiken Bildwerken über-
liefert. Erst der späten griechischen Zeit, dem 2. Jahrhundert, gehört die
Erfindung der Orgel an, welche jedoch bei den Alten zu höherer Verwendung
nicht gelangte. Die Römer hatten Musik und I.e Etruskern und Griechen
zu verdanken; für Erfindung oder wesentliche Fortbildung fehlte ihnen Anlage
und Neigung. Zu eigentlicher Blüthe und wundersamer Entwickelung schritt
die Tonkunst in ihrem ganzen Umfange erst in der christlichen Zeit vor.
Dieser Periode gehört auch die selbstständige Ausbildung der Instrumental-
musik an, deren stets gesteigerte Cultur in der Gegenwart wohl ihren Gipfel-
punkt haben dürfte. Wie die verschiedenen Tonwerkzeuge bis zu ihrer der-
maligen Gestalt und Wirkung herangebildet wurden, dies zu zeigen, überschritte
den für dies Werk vorgeschriebenen Raum und ist bereits auch bei Besprechung
der einzelnen I.e mehr oder weniger gewürdigt worden.
Verzeichniss der musikalischen I.e der Culturvölker von der ältesten Zeit
bis in das 19. Jahrhundert.
A. China, a. Blas-Instrumente. 1. Yo, Flöte mit 3, später 6 Seiten-
löcheru, der Länge nach zu blasen. 2. Tsche, Flöte mit dem Mundloch in
der Mitte und drei Tonlöchern an jeder Seite desselben; die beiden Enden
sind geschlossen. 3. Siao, Panspfeife aus 16 Bambusröhren. 4. Hiüen_, uralt-
ehrwürdiges I. , hat die Form eines Gänseeies, ist aus Thon gebrannt, oben
ofi'en, mit drei Tonlöchern an der Vorderseite, mit zwei solchen an der Rück-
seite versehen, lässt die fünf Töne der alten chinesischen Scala hören. 5. Cheng
oder Tseheng, ein Mittelding zwischen einer Panspfeife und einer kleinen
Orgel, zugleich Normal- und Stimmungs-I. für alle anderen. 6. Koan, eine
Art Oboe mit einem Rohrblatte, b. Saiten-Instrumente. 1. Che (Tsche,
d. h. »wunderbar«), ein tafelförmiges Psalter, 2,8 Meter laug, ursprünglich mit
50, später mit 25 Saiten bezogen. 2. Kin, mit flachem Boden und gewölbter
Decke, hat 25 Saiten aus gedrehter Seide. Als Erfinder beider gilt Fo-hi.
c. Schlag-, Kling- und Klapper-Instrumente. 1. Ou, Tiger mit ge-
kerbtem Rücken, hölzernes Rassel -Werkzeug. 2. Kou, Trommel von meist
riesiger Grösse. 3. Po-fu, Handtrommel. 4. King, verfertigt aus klingenden,
reihenweise aufgehängten Steinen, die mit Klöppeln angeschlagen werden.
5. Pang-hiang, aus Holzplatten. 6. Tschou, ein Rasselkasten. 7. Tsohoung-
tou, Klapper aus 12 Brettchen. 8. Tsang-Kou, ganz kleine Trommel in Ge-
stalt einer Sanduhr. 9. Verschiedene Glockenspiele.
B. Japan, a. Blas-Instrumente. 1. Tseheng, kleines tragbares Orgel-
werk, dem chinesischen Tseheng gleichend, davon nur durch das kurze starke
Mundstück verschieden. In koraitischer Mundart heisst es Saing-Hwang.
2. Flöten verschiedener Art aus Holz und Bambus, Lang- und Querflöten,
theils mit vier, theils mit sieben Tonlöchern. Der koraitische Name ist Tjö.
3. Trompetenartige Oboe mit weit geöff'netem Schallbecher, sieben Tonlöchern
und einem Mundstück aus Rohr. 4. Rauh tönende Trompete, wozu eine mit
kurzem Mundstücke versehene Seemuschel dient, b. Saiten -Instrumente.
1. Koto, identisch mit dem chinesischen Kin, jedoch ärmer an Saiten und
roher in der Form. Man unterscheidet die Arten Kin-Koto und Jamato-Koto,
deren erstes 13 Saiten und einen gewölbten Schallboden hat, das letztere aber
Instrument. 415
sich auf ein mit sechs Saiten bezogenes Brett beschränkt. 2. Samisen, eine
Art Laute, dreisaitig, mit einem spatelartigen Piektrum gespielt. 3. Kokiu,
dem vorigen ähnlich, dessen Saiten durch einen Rosshaarbogen intonirt werden.
4. Biwa, viersaitig, einer halbirten Feige oder Birne ähnlich geformt. Die
drei zuletzt genannten dienen vorzugsweise zur Begleitung des Gesanges,
c. Schlag-, Kling- und Klapper-Instrumente der verschiedensten Art
und Form, als Trommeln auf Grestellen wie zum Umhängen, Tambourins,
cylinderförmige Pauken, Lärmbecken und Metallteller an Gerüsten aufgehängt,
Handlärmbecken, grosse Glocken, ein Instrument in Gestalt eines angeketteten
Seefisches u. s. w.
C, Indien, a. Blas-Instrumente. 1. Basaree, die sogenannte Flöte
Krishnas, eine Schnabelflöte mit sieben Tonlöchern, stammt aus der ältesten
Zeit Hindostans. 2. Tumeri, Doppelflöte, deren Röhren aus einem hohlen
Kürbis oder einer Cuddo-Nuss hervorragen. 3. Suling und 4. Garinding,
auf Java übliche Flötenarten, die letztere ^/t Fuss lang aus Bambus mit Zungen-
mundstück. 5. Tare, Posaune von dumpfem, klagendem Tone, bei Trauer-
feierlichkeiten angewendet. 6. Buri, 7. Tutare und 8. Combou, Arten von
Kriegstrorapeten. 9. Qankha, alterthümliche Muscheltrompete, in den Küsten-
strichen, endlich 10. gekrümmte Hörner, bei den Gebirgsbewohnern im Ge-
brauche. 11. Wagassaran, 12. Karna, 13. Otou, 14. Bilan und 15. Cojel,
zur Begleitung von Gesang und Tanz dienende Flötenarten. 16. Turti, schal-
meienartig. 17. Matalan und 18. Tal, gleichfalls Flöten, die letztere wegen
ihres hellen Tones zur Markirung des Taktes dienend, b. Saiten-Instru-
mente. 1. Vina, der Guitarre oder Laute ähnlich, sinnreich ausgebildet, mit
sieben Saiten. 2. Serinda, dreisaitige Geige mit einem seltsam geformten
Schallkasten. 3. Ravanastron, zweisaitige Violine. 4. Magoudi, eine Art
Guitarre. 5. Rebab (Java), Bogen-I. mit zwei Saiten. 6. Patola, birmanische
dreisaitige Guitarre mit einem Schallkasten in Eidechsen- oder Alligatorsform.
7. Takkag, siamesisch, entspricht der birmanischen Patola. 8. Galempung
(Java), dem chinesischen Kin ähnlich, mit 10 bis 15 Saiten bespannt,
c. Schlag-, Kling- und Klapper-Instrumente. 1. Udukai, Trommel
zum Tempeldienste. 2. Naguar, hölzerne Pauke. 3. Tamtam, flache, und
4. Dole, längliche Trommel. 5. Talan, Schallbecken. 6. Gong, grosser Metall-
kessel, der frei aufgehängt und mit einem Klöppel oder Hammer angeschlagen
wird. 7. Kumpul, grosse Metallplatte. 8. Gender, bestehend aus eilf auf
Schnüren aufgezogenen Metallplatten, umfasst eine Tonreihe von zwei Octaven.
9. Garabang, 16 Holz- oder Metallplatten, die nach der Scala gestimmt und
mit zwei Klöppeln geschlagen werden. 10. Gambang - Kayu , 18 Holzplatten
mit dem Umfang von drei Octaven und einer grossen Terz. 11. Saron,
12. Damong und 13. Selantam, ähnliche Schlag-I.e.
D. Arabien, a. Blas-Instrumente. 1. Zamr oder Zurna, Oboenart
mit zehn Tonlöchern. 2. Erakich, dem vorigen ähnlich, aber mehr clarinetten-
artig. 3. Nay, berühmte Flöte, der Länge nach geblasen, in verschiedener
Grösse und nach dieser verschieden bezeichnet, als Flöte der Bettler, Derwische,
Musikanten u. s. w. 4. Nay-Daud, Davids-Flöte, eine Art der vorigen.
5. Chabbabeh oder Suffarah, Schnabelflöte. 6. Nefyr, Trompete mit gedrehtem
Rohre, Schallbecher und Mundstück, wesentlich der europäischen gleichend.
7. Argul, Doppelflöte. 8. Sumara, desgl. 9. Bok, eine Art Oboe. 10. Ar-
ganun, eine Sackpfeife. 11. Viererlei Hörner, deren einfachste Art Pai-sutur
heisst und wozu auch Ssur, die sogenannte Gerichtsposaune, zu rechnen ist.
b. Saiten-Instrumente. 1. L'eud oder El'eud (»das Holz«), die arabische
Laute. 2. Tanbur, guitarrenähnlich , mit langem dünnen Halse und kreis-
rundem oder ovalem Körper, 3. Kanun, eine Art Hackebrett, mit 75 Draht-
saiten bezogen, deren je drei in demselben Ton gestimmt sind. 4. Santur oder
Santir, dem vorigen ähnlich. 5. Rebab, kleine Geige mit einer oder zwei
Saiten: im ersteren Falle y>rebab eck chaern, Rebab des Dichters, im zweiten
416 Instrument.
•nrehah el mofjliannivi, Rebab des Sängers, genannt, dient ausschliesslich zui* Be-
gleitung des Gesanges oder der Recitation. Vorläufer unserer Violine. 6. Ke-
mangeh a guz, Bogen-I. mit zwei Rosshaarsaiten. 7. Kemangeh farkh oder
soghiar, der vorigen ähnlich. 8. Marraba, einsaitig, dient zugleich als Geige
und Trommel c. Schlag-, Kling- und Klapper-Instrumente. 1. Na-
karieh, Kesselpauke. 2. Darbxikah (Durbekke), kleine Handpauke, o. Doeff,
kleine Handtrommel. 4. Kas, grosse Schallbecken. 5. Cymbeln von Metall
in kleiner Form, welche gleich Castagnetten an den Fingern befestigt und zur
Begleitung des Tanzes an einander geschlagen werden.
E. Aegypten. a. Blas-Instrumente. 1. Mam oder Mem, Langflöte.
2. Setai, Schrägflöte. 3. Argul, Doppelflöte. 4. Giglaros (Niglaros), eine kleine
Flötenart. b. Saiten-Instrumente. 1. Tebuni, Harfe, im Verlaufe der
Zeit zu schönster Form ausgebildet. 2. Nabla, Guitarre, Maudoline oder Laute,
mit zwei bis drei Saiten bezogen. 3. Lyra, mit einem Bezüge von 3, 4, 5 bis
zu 8 und 9 Saiten. 4. Eine trianguläre Harfe. 5. Eine fünfsaitige Laute mit
vorgebogenem Halse, c. Schlag-, Kling- und Klapper-Instrumente.
1. Leichtgekrümmte Klapperhölzer. 2. Handpaukeu. 3. Das Sistrum. 4. Ka-
baro, kleine Trommel. 5. Nogareet, eine Art Kesselpauke.
F. Asiatische, insbesondere semitische Völker, und zwar I. Assy-
rien, Babylon, Persien und Medien, Phönicier, Syrer und Phryger.
a. Blas-Instrumente. 1. Sumphoneia (sympJioneia) , eine Art Sackpfeife.
2. Medische Hirtenflöte. 3. Abobas, 4. Elymas, phrygische Flöte. 5. Lyra
der Lydier, siebensaitig, mit der griechischen Pektis identisch, unter welchem
Namen das I. auf die Griechen überging, b. Saiten-Instrumente. 1. Lyren
und Harfen der Assyrer, den ägyptischen ähnlich (s. Assyrische Musik).
2. Sambuka (Sambyke), babylonische Harfe oder Zither. 3. Kinnor, phöni-
cische dreieckige Harfe, c. Schlag-, Kling- und Klapper-Instrumente.
Pauken und Cymbeln.
IL Hebräer, a. Blas-Instrumente. 1. Chalil, kleine, und 2. Ne-
kabhim, grössere Flöte. 3. Maschrokita, Doppelflöte, vielleicht auch eine Art
Panspfeife. 4. Magrepha — oder Ugab — nach den Talmudisten eine Art
von Orgel; nach Anderen nur eine Pauke von sehr starkem Klang. 5. Ch.a-
zozra oder Asosra, gerade Trompete aus Holz, Kupfer und Silber. 6. Schofar,
stark gekrümmtes Hörn. 7. Keren, Hörn von geringerer Biegung. 8. Abub
oder Abhub, Zinken. 9. Die Sackpfeife (sumphoneia) der Babylouier. b. Saiten-
Instrumente. 1. Harfe, mit dem phönicischen "Worte Kinnor bezeichnet,
daher ziemlich identisch mit dem gleichnamigen I. der Phönicier. 2. Hasur,
die Zither. 3. Nebel, Nablum, Psalter, wohl einerlei mit dem arabischen Kanun.
4. Minnim, angeblich eine kleine, mit dem Bogen gespielte Geige. 5. Scha-
lischim, dreisaitiges L, über dessen Spielart nichts Zuverlässiges vorliegt.
6. Machol, Art Guitarre oder Viole, was aber theilweise wieder bestritten
ist. Endlich 7. Asor oder Nebel -Nassor, mit zehn Saiten bespanntes und
mit einer Feder gespieltes Psalter, c. Schlag-, Klingel- und Klapper-
Instrumente. 1. Toph, Handpaukeu, I.e des Jungfrauen-Chores. 2. Maanim,
wahrscheinlich ein Klingel-I. 3. Meziloth und 4. Tseltselim, Glocken- und
Schellen -Werkzeuge. 5. Verschiedene grössere Pauken und Cymbeln, unter
welch letzteren man sich halbkugelförmige Becken zu denken hat.
G. Griechen und Lateiner. a. Blas-Instrumente. aa. Aulos,
Tibia, Flöte, unterschieden nach ihren Arten : 1. Monaulos, einfache, 2. Di-
aulos, Doppelflöte. 3. Dorisehe, lydisehe, phrygische Flöte nach den Län-
dern, wo sie gebraucht wurden, oder den Tonarten, für welche sie gestimmt
waren. 4. Je nach ihrer Aehnlichkeit mit der Klangfarbe der MenBchcnstimmc
— Jungfrauen-, Knaben-, Männerflöte. 5. Querflöte — Plagiaulos.
ab. Pfeifen, Schalmeyen: 6. Syrinx, Fistula, Calamos, die Rohrpfeife.
7. Syringa Panos, Sieben- oder Panspfeife. 8. Bombyx, Schalmey. ac. Zin-
ken und Trompeten: 9. Keras, Hörn, Zinkenart. 10. Salpinx, Tuba,
Instrument. 417
Bueeina, auch Lituus, Trompeten - Arten. Davon gab es wieder argivische
(gerade), ägyptisclie (krumme), celtisclie Carnyx, mediscLe, paplilagonische, tyr-
rheiiische, diese wohl identisch mit einer gleichnamigen Flöte. 11. Hydraulos,
Organon hydraulicon, AVasser- Orgel, damals lediglich dem Luxus der Grossen,
keineswegs dem Cultus dienend, b. Saiten- Instrumente. 1. Lyra, das
griechische Haupt-I. in verschiedener Form, Grösse und Besaitung als Pektis,
Magadis, Simmikon, Trigonou, Phorminx u. s. w., das Monochord ohne Zweifel
identisch mit der Magadis. 2. Kithara, Zither. 3. Psalterion. 4. Epigonion,
epigonium. 5. Nabla, ähnlich dem hebräischen I. dieses Namens. 6. Chelys,
Laute. 7. Bartoiton, wahrscheinlich einerlei mit der Sambuca. c. Schlag-,
Kling- und Klapper-Instrumente. 1. Tympanon, tympanum, Pauke.
2. Tympanion (-ium), kleine Pauke. 3. Kymbalum, Cymbel, — becken- und
castagnettenartig. 4. Krotalon, crotalum, Klapper-I. 5. Acetatoulnm (Oxi-
haphon musiken) oder armonion. 6, Sistrum — tintinabulum.
H. ßussland. a, Blas-Instrumente. 1. Walinka oder Walnika,
Dudelsack, 2. Dutka oder Schweran. b. Saiten-Instrumente. 1. Bala-
laika, Lautenart. 2. Guddok, dreisaitige Violine. 3. Gussei, Gusli, Zither-
Art. 4. Pandure, Laute. 5. Rilek, Kilch, E.ilok, Belka, — Bauernleier,
c. Schlag-, Kling- und Klapper-Instrumente. 1. Trommel. 2. Tor-
ropil, Brummeisen.
I. Türkei. Ausser den arabischen Instrumenten: a. Blas-In-
strumente. 1. Samara, Doppelflöte mit ungleich langen Röhren. 2. Samara
el Kurbe, Art Sackpfeife. 3. Salamanie, Flöte. 4. Surme, Oboe. 5. Trom-
pete, ähnlich unseren alten langen, gleichfalls surme genannt, 6. Meskal.
b. Saiten-Instrumente. 1. Tambura, Icitali, zweisaitig. 2. Sewuri, mit
fünf, 3. Baglama, mit drei Metallsaiten. 4. Sine-Keman, Bogen -I., eine Art
von Viole d^amour mit Eesonnanz- Saiten. 5. Ajahli-Keman. 6. Kussir.
c. Schlag-, Kling- und Klapper-Instrumente. 1. Tabbel, grosse Trom-
mel. 2. DofF, Döff, Handpauke.
K. Instrumente der europäisch-abendländischen Völker und
zwar: I. Alte, welche vor 1700 oder kurz nachher erfunden und
gebraucht, jetzt aber — mit einigen Ausnahmen — ganz abgekommen
oder wesentlich verbessert und umgestaltet sind, a. Blas-Instru-
mente. aa. Mit dem Munde angeblasen: 1. Block-, Bloch-, Plock-Plöte
in acht Grössen als Grossbass-, Bassflöte, Basset-, Tenor-, Alt-, (zwei) Discant-
flöte, klein »Exilent«. 2. Flute-ä-bec, ßüte douce, Art der vorigen. 3. Dolz-
oder deutsche Flöte. 4. Traversa, Querflöte alter Art in vier Grössen, als
Bass-, Tenor-, Alt- und Discantflöte. 5. Schweitzerpfeiff, eine Querflöte.
6. Bamentien-Sehwegel, Schwiegel, in zwei Grössen, als Bass- und Discant-
pfeife. 7. Calandrone, eine Flöte der italienischen Nation, 8. Cornetto,
Zinken -Cornon, Cornetto torto , grosser Zink. Chor- und klein Discant- Zink.
Gerader Zink mit Mundstück. Stiller Zink — cornetto mutto. 9. Schalmey
(Pifi"aro, Gingrina), in zwei Grössen, als Discant und klein Exilent. 10. Oboe,
Ob. da caecia (englisches Hörn), in vervollkommneter Gestalt. Oboe d'amore,
ausser Gebrauch, 11. Corneamuse, Sackpfeife in fünf Grössen, zwei für Bass,
zwei für Tenor, Alt und Gant, 12. Dolciano, Doloe suono, Fagotto, in
vier Grössen, als Doppel- oder Quintfagott, Gross- oder Quartfagott, Chorist-
fagott, Corthol- oder Doppelcartholfagott, Fagotto piccolo oder Singel-Corth.
13. Sordoni, Sordunen, in fünf Grössen, als Grossbass, Bass, Tenor, Alt und Dis-
cant, Kort-I. 14. Doppiani, Bassauelli in drei Grössen, Bass, Tenor und
Alt, Cant. 15. Krummliorn, Cornamuto torto, Storto, in fünf Grössen, Gross-
bass, Bass -Chorist, Tenor und Alt, Cant, klein Exilent. 16. Raketto,
Kacket, Ranket, in vier Grössen, als Grossbass, Bass, Tenor und Alt, Cant.
17. Sekryari, in vier Grössen, Bass, Tenor, Alt, Discant. 18. Bombarden,
Pommern, Bombyces in vier Grössen, als Grossbass, Bass, Basset oder Nicolo,
Kleiu-Alt. 19. Cornamusa, Sackpfeife, musetta in fünf Arten, Gross-Bock,
MusikaJ. Coavers. -Lexikon. V. 27
418 Instrument.
Bock, Schaperpfeiff, Hummelchen, Dudey. Eine weitere Art führt den Namen
y>Loure<i. 20. Jäger -Trummet. 21. Feld - Trummet. 22. Gerade hölzerne
Trompete. 23. Jägerhorn, corno da caccia. 24. Türmerhorn. 25. Clareta.
26. Busaun, Posaune iu vier Grössen. 27. Chorns. 2b. Frestele, Fretiau
(der Menestrier's des 12. und 13. Jahrhunderts), ab. Mit Blasbälgen an-
geblasen und mittelst Claviatur intonirt: 1. Organum hydraulicum,
AVasserorgel bis 800. 2. Organum pneumaticum, Windorgel, nach alter Art
Mixturorgel mit ungetheiltem Hiutersatze bis Ende des 14. oder Anfang des
15. Jahrhunderts. 3. Regal, Bibel- Regal. 4. Positiv.
b. Saiten-Instrumente, ba. Mit dem Finger gerissen: 1. Mono-
chordum, Magas, Eiusaiter. 2. Harpe, Gigue, Rote, drei harfen-, lauten- und
zitherartiire I.e der französischen Meuestriers im 12. und 13. Jahrhundert.
3. Psalterium, Psalter von verschiedener Gestalt und Saitenzahl. 4. Arpa,
Harfe. Einfache, irländische; Doppelharfe. 5. Consonante, Harfe. 6. Laute,
Liuto, CJielys, Testudo, Oud, von verschiedener Saitenzahl. Testudo theorbata,
eine Laute mit langem Theorbeukragen — mit Abzügen. Archileuto, Gross-
bass-Laute. 7. Quinterna, 8. Pandora, Baudoer, 9. Pandurina, Pandürcheu,
10. Caliehon, 11. Angelique, verschiedene Lauten-Arten. 12. Theorba, lange
romanische, auch paduanische Citharonne. 13. Apollon, Theorben-Art.
14. Cithara, Cetera, Zither. Französische. Gemeine italienische. Altitalieuischc,
Deutsche (öithara tedesca). Fünfchörige. Sechschörige, grosse und kleine,
Zwölfchörige. Klein »englisch Zitterlein«, Guitarrc. 15. Penorcon und 16. Or-
pheoi'eon, Zitherarten. 17. Turlurette und 18. Cheorette, Guitarrenarten.
19. Colascione. 20. Calissoneini. 21. Scheitholt. 22. Armonie, bei den
Menestrier's im 12. Jahrhundert, bb. Mit Hämmern geschlagen: 1. Hacke-
brett, deutsches, Psalter, Cymbal. 2. Pantaleon. 3. Alto Basso. bc. Mit
Claviatur: 1. Clavicordium , Ciavier, 2,5-, auch 1,25 metrig (Octav-I.leln),
zuweilen mit unterschiedeneu Semitouien (efic?!^). 2. Spinetta, Esyinetie, Spi-
nett, auch »I.« in specie; bei den Niederländern Virginal genannt. 3. Clavi-
cembalum, Cembalo, Glavessin, Glavecin, Flügel, bekielter Flügel (instrumcntum
pennatum), mit Docken- und Kabenkielen. 4. Clavicytherium , Ciavierharfe,
aufrechtstehend. 5. Cembalo onnlcordo oder Proteus, und 6. Clavicembalo
universale seu perfectum, beide mit unterschiedenen Semitonien. 7. Arci-
cembalo. 8. Pentecontaeordon. 9. Arpieord. 10. Clavi Organum, Saiten-
mit Flötenwerk verbunden. 11. Nürnbergisch Geigen- oder Gambenwerk von
Hans Heyden. 12. Ciavier- Gambe. 13. Bauernleyer, lyra tedesca, Vielte.
bd. Bogen-Instrumente: 1. Crwth, Ghrtidh, cruit, engl.: crowd, Rotta oder
Botte, ein den keltischen Volksstämmen eigenthümliches Geigen-I., später auch
fldula, vidula, Vioel, Fiedel genannt, — die Vorläuferin der heutigen Viola
und Violine. 2. Rebec, Rebeb, Erb. 3. Rebeccino, Viola piccola, Discant-
geige, Violine. 4. Poschetto, kleine Posche, Taschengeige, Brettung, Klein
»Exilent«. 5. Viola da Braccio, Armgeige, Gi'oss-Quintbass, Bass, Tenorgeige,
— die heutige Viola. 6. Viola da Gamba, Grossbass, sechssaitiger Kleinbass,
Tenor, Alt, Discant. 7. Viola bastarda. 8. Lira da gamba. 9. Lira da
braccio. 10. Lirone perfetto, Arce violira, Arce viola telire. 11. Gross-
Contrabass - Geige , fünfsaitig. 12. Altobasso. 13. Accordo. 14. Lira bar-
berina, amphlcordam. 15. Deutscher Bass. 16. Baryton, Viola di bordune.
17. Viola di spalla. 18. Viola d'amore, Viole d'amour, Liebesgeige, mit Re-
sonnanz- Drahtsaiten. 19. English Violet, Art der vorigen. 20. Tromba
marina, Meertrompete, Trompetengeige. 21. Schlüssel-Fiedel, be. Mittelst
eines natürlichen Luftstromes intonirt. 1. Die Aeolsharfe.
c. Schlag-, Kling- und Klapperins.trumente. 1. Campana, Glocke.
2. Organe di campane, Glockenspiel mit Claviatur. 3. Verrillon, Glasspiel.
4. Strohfiedel, Holzharmonika, Claquebois. 5. Acetabulxun. 6. Adufe.
7. Altambor, spanische Pauke. 8. Anacara, Heerpauke. 9. Grosse Soldaten-
Trommel. 10. Bedon de Biscaye, Tambour bas<£ue, Tambourin, Schellen- oder
Instrumenta — Instrumenta cruomena. 419
Handpauke. 11. Ringelpauke. 12. Tintinnabulum, Crepitaculum. 13. Sur-
dastrum. 14. Mohrenpäuklein, eine Art Tambourin. 15. Triangolo, Triangel.
16. Rappel. 17. Cymbeln, Schellen, Castagnetten und andere dergleichen
Kling-I.e. 18. Chifonie, Ghyfoine^ Art von Pauke tei den Menestrier's des
12. und 13. Jahrhunderts.
II. Im 18. Jahrhundert erfundene, theils ausser Gebrauch ge-
kommene, theils noch jetzt benützte Instrumente, a. Blas-Iustru-
mente. 1. Clarinette, 1700. 2. Clarinettenbass, 1793. 3. Oboe da caccia,
corno inylese, englisches Hörn. 4. Amorsehall, 1760. 5. Inventionshorn.
6. Basshorn. 7. Tuba hercotectoniea, Umwandlung des russischen Jagdhorns
in Hörner verschiedener Dimension — zur russischen Jagdmusik. 8. Or-
chestrion, mit Blasbälgen. 9. Melodica, mit Blasbalg und Claviatur. 10. Apollo-
Lyra, jjsalmo-melodicon, 1828.
b. Saiten-Instrumente, ba. Bogen-Instrumente. 1. Viola pom-
posa (J. S. Bach). 2. Violoncello, zur Vervollkommnung gebracht durch
Tardieu aus Tarascon. bb. Mit Claviatur, 1. Animocorde, Anemochord,
die Saiten durch künstlichen Luftstrom zum Klingen gebracht. 2. ApoUonion,
1800. 3. Bogenflügel verschiedener Art und Construction. 4. Bogen-Hammer-
elavier. 5. Lauten-Clavicymbel. 6. Theorbenflügel. 7. Cembal d'amour.
8. Clavecin royal. 9. Orphica. 10. Clavecin electrique. 11. Clavecin
harmonienx. 12. Clavecin harmonique, Orcbesti-ine, 1801. 13. Clavecin
acoustique. 14. Clavecin ä peau de büffle. 15. Melodien. 16. Tangenten-
fllügel. 17. Fortepiano, Pianoforte, Hammerciavier und Forthien. 18. Saiten-
harmonika. 19. Glas -Cord. 20. Vis-a-vis, Doppelflügel. 21. Teliochord.
22. Dittanaklasis , Dittaleoclange. 23. Xaenorphica, 1801. 24. Crescendo.
25. Royal-Crescendo. 26. Coelestine. 27. Hierochord. bc. Von gemisch -
tem Traktamente. 1. Harmonicello. 2. Pianoforte-Guitarre. 3. Polychord.
4. Bissex. 5. Pedalharfe. 6. Lyra-Guitarre. 7. Guitarre d'amour. 8. Gui-
tarren-Cello. 9. Bogen-Guitarre (Birnbach). 10. Triphon.
c. Verschiedene andere Instrumente. 1. Harmonika und Har-
monikon. 2. Glasstab-Harmonika (Glasplättchen mit Hämmern geschlagen).
3. Glasspiel. 4. Clavicylinder. 5. Euphon. 6. Nagel-Clavier. 7. Melodiken.
8. Nagelgeige, Eisenvioline, Nagelharmonika. 9. Meteorologische Harmonika,
eine Art Aeolsharfe. 10. Metall - Orgel. 11. Aeoline. 12, Aeolodion.
13. Aeolodikon, ein der späteren Physharmonika ähnliches I. 14. Clavecin
oculaire, Farben-Clavier.
III. Die Orchester-Instrumente der Jetztzeit mit Eiuschluss
der Militärmusik. — Blas-Instrumente, und zwar aa. Holz-Blas-In-
strumente. 1. Flöte. 2, Altüöte. 3, Piccolo (beim Militär in Es). 4. Oboe.
5. Englisches Hörn in/. 6. Clarinetten in A, B, C, D und Es. 7. Bass-
Clarinette in B und A. 8. Bassethorn. 9. Fagott und 10. Contra-Fagott.
bb. Metall-Blas-Instrumente. «. Hörner: 1. Waldhorn in allen Stim-
mungen. 2. Flügelhom in B und C. 3. Althorn in D und E. 4. Tenor-
horn in B und A, sämmtlich mit Ventilen, p'. Trompeten: 1. Cornets ä
pistons in A und C, letzteres die sogenannte Hoch-C-Trompete. 2. Trompeten
in O, D, E und Es, auch / und (j. 3. Bass - Trompete — Tief B oder C.
y. Bass-Instrumente: 1. Alt-Posaune in E und E. 2. Tenor - Posaune
(beide mit Zügen oder in B und H [Ventil]). 3. Bass-Posaune, auch Quart-
bass-Posaune in E oder E. 4, Contrabass- Posaune, bis jetzt nur von Rieh.
Wagner angewendet. 5. Baryten, hoher Bass. 6. Bombardon, tiefer Bass,
in E. 7. Tenor-Tuba, 8. Bass-Tuba, in verschiedener Stimmung, E oder Es.
9. Euphonien. C. Vanderome.
lustrnmenta (latein.; ital.: stromenti; französ.: Instruments), die Instru-
mente. Daher:
lustrnineuta cruouieua (latein.-griech. ; französ.: Instruments ä hatterie), die
krustischen oder Claviatur- Saiteninstrumente.
27*
420 Instrumenta empnensta — Instrumentalmusik.
Instrumeuta empuensta oder pneumatica (latein. -griech.; lateiu.: instru-
menta inflatilia ; ital.: stromenti per fiato oder da vento; französ. : Instruments
ä vent), die Blasinstrumente.
Instrumenta enchorda oder fidiciiiia (latein.; ital.: stromenti da corde;
französ.: instruments ä cordes), die Saiteninstrumente.
[ustrnnieuta peunata (latein.), die bekielten Instrumente (der alte Flügel).
Instrumenta percussa oder puls aiili a (latein.; ital.: stromenti da percossa
oder per la percussionc; französ.: instruments ä percussion)^ die Schlagin-
strumente.
Instruments a archet (französ.; ital.: stromenti d^areo), die Bogcniu-
strumente.
Instrumentalmusik (ital.: musica stromentale; französ.: musique instrumen-
tale) lieisst alle lediglich durch Instrumente ausgeführte Musik im Gegensatz
zur Vocalmusik (s. d.), deren Darstellungsmittel die menschliche Stimme ist.
Ursprünglich Sclavin, dann Freundin und Vertraute der letzteren, ist die I.
in neuerer und neuester Zeit zu einer Selbstständigkeit gelangt, dass sie völlig
unabhängig von ihr aufzutreten vermag und in dieser Art sogar die Neben-
bezeichnung reine oder absolute Musik davongetragen hat, ja, dass sie die
einstige Herrin als blosse Gehülfin sich öfters zugesellt, z. B. in Beethoven's
Sinfonie mit Chören, in Mendelssohn's Lobgesang u. s. w. Man hat dies viel-
fach einen Missgriff genannt, jedoch mit Unrecht. Nicht die Sache, sondern
nur ihr Missbrauch, der freilich nicht ausblieb, ist verwerflich. Gleiches gilt
von der sogenannten malerischen oder nachahmenden Musik und von den in
der Gegenwai't immerfort in Anspruch genommenen Massenwirkungen. Bei
letzteren geht der Einzelcharakter der Touwerkzeuge in ihrer vereinigten
Klangmasse unter, während jene gerade die verschiedeneu Klangfärbungen der
einzelneu Instrumente zu allerlei sinnlichen Nachahmungen von Naturklängen
und dei'gleichen benutzt. Bleibt dieselbe dabei im Bereich des Anmuthigen
und Heitern , so ist nichts dagegen einzuwenden ; will sie aber durch Donner
und Kriegslärm, durch klingenden Sonnenschein, oder durch in Tönen darge-
stellte Seelenzustände, z. B. eines Verbrechers vor der Hinrichtung, wirklicli
rühren oder erschüttern, so ist dies eine Verirrung.
Was endlich jene Form der I. anlangt, die mau brillante, Bravour- oder
Virtuosenmusik nennt, bei der es in erster Linie mit auf Darlegung der Ge-
schicklichkeit des Vortragenden abgesehen ist, so ist wohl zu unterscheiden,
ob dies des Componisten höchster oder gar einziger Zweck war, oder ob er
nur zu Erreichung künstlerischer Tendenzen jedes dem Instrument innewohnende
Wirkungsmittel aufbietet. In beiden Fällen wird freilich zum Vortrag des
Stücks vollständige Beherrschung des Instruments, also Virtuosität erfordert,
dennoch ist zwischen beiden Arten von Stücken ein gleicher Unterschied, wie
zwischen einem Meister und eiuem Virtuosen. Die ausgebildetste Form dieser
Gattung ist das Concert (s. d.), das aber in neuerer Zeit immer mehr durch
die grosse Phantasie verdrängt zu werden bedroht ist, die, alle höheren Ten-
denzen offen ablehnend, blos den niederen egoistischen Zwecken des Virtuosen
zu fröhnen bestimmt erscheint. Die bedeutendsten Gattungen und Formen der
I. überhaupt sind das Concert, die Sonate, das Duo oder Duett, Trio,
Quatuor oder Quartett, Quintuor oder Quintett u. s. w., die Ouvertüre,
die Suite und die Sinfonie (s. d. einzelnen Artikel), welchen letzteren drei
das ganze Gebiet aller zur Zeit üblichen und vorhandenen Instrumente zu
Gebot steht. Dass einige von diesen Gattungsnamen auch für A'^ocaltonstücke
gebraucht werden, z. B. Duett, Quartett, Quintett u. s. w., sei an dieser Stelle
nur beiläufig bemerkt. Die I., vor Allem ihr Gipfelpunkt, die Sinfonie, ist
in Bildung und Wesen deutsch und Seb. Bach, Haydn, Mozart, Beethoven,
Fr. Schubert, C. M. v. Weber, Spohr, Mendelssohn, Schumann u. A. sind
ihre bedeutendsten Pfleger und Förderer (s. Deutsche Musik). Die Bestre-
bungen des Fran/.oseu Berlioz und des germanisirten Ungarn Fr. Liszt sind,
Instrumentalmusik. 421
wie eigenartig und bemerken swertli immer, docli in ihrem Einfluss noch zwei-
felhaft. In Bezug auf Instrumentalspiel haben sich namentlich Frankreich,
Deutschland und neuerdings Belgien und auch Russland fruchtbar gezeigt.
Italien hat von Zeit zu Zeit bedeutende Virtuosen, namentlich Geiger, wie
Tartini, Corelli, Viotti, Pagauini, Bazzini, Sivori, die Schwestern Milanollo U.A.,
Pianisten wie Fumagalli, Clarinettisten wie Cavallini, Contrabassisten wie Bot-
tesini u. s. w. hervorgebracht, sich aber im Ganzen genommen bisher wenig an
den Fortschritten der I. betheiligt. /
Die Geschichte der I. betreffend, kommen folgende 'Grundzüge in Betracht.
In den ältesten Zeiten und bei allen Völkern war Poesie und Musik, oder
Gesang und Instrumentalbegleitung stets unzertrennlich vereinigt. Die erste
Spur ihrer Trennung findet man in der Musikgeschichte ungefähr 430 v. Chr.,
wo in der zweiten Pythiade der altgriechische Flötenspieler Sakadas aus Argos
zum ersten Male ohne Gesang als Solist auf seinem Instrument auftrat und
den musikalischen Preis gewann. Bald darauf, um 400 v. Chr., spielte Agelaus
aus Tegea die Kithara, ohne dazu zu singen, und dass von den alten Schrift-
stellern ausdrücklich davon Notiz genommen wird, liefert den Beweis, dass dies
in jenen Tagen für eine unerhörte Neuerung galt. Mit der Ausbildung der
Musik überhaupt, sowie mit der Erfindung neuer und verbesserter Instrumente,
die ihre Virtuosen fanden, gewann dieser Zweig der Tonkunst dann auch mit
jedem Jahrhundert an Bedeutsamkeit, Schönheit und "Wohlklang. Dennoch
gehören diese langen Zeiträume, das Alterthum und das ganze Mittelalter hin-
durch mehr oder weniger zur Vorgeschichte der I., und die eigentliche Ge-
schichte derselben beginnt erst mit dem Momente, wo sie als Instrumental-
Ensemblemusik auftritt, was mit dem Eintritt der Oper in das Kunstgebiet der
Fall ist. Der mehrstimmige Gesang, die Erfindung des späteren Mittelalters,
musste erst bis auf einen gewissen Grad der Vollkommenheit gelangt sein, ehe
man daran denken konnte den tönenden Mund der Instrumente als Nachahmung
desselben zu benutzen. Man musste gewisse Instrumente aufstellen oder neu
schaffen, eigens dazu bestimmt, die vier Menschenstimmen darzustellen, und die
Behandlung derselben musste dann naturgemäss conform der Gesang- Stimmen-
führung sein.
Mit Erreichung dieses Punktes und mit Verwirklichung dieser Absicht
beginnt denn auch der Eintritt der I. in das Reich der wahren und wirklichen
Kunst. Aus der unterwürfigen Dienerin des Gesanges ensteht nun erst eine
gleichberechtigte Herrin, welche im weiteren Verlaufe sogar die Oberherrschaft
anstrebt. Den ein- und mehrstimmigen Gesängen der ersten Opern schlössen
sich freilich die Instrumente nur gelegentlich und ohne irgend welche Selbst-
ständigkeit an. "Waren die Gesangsstimmen auch nach bestimmten Eegeln zu-
sammengefügt und Hessen sie sogar das contrapunctische Geschick der Compo-
nisten bewundern, so zeigten die begleitenden Instrumente noch lange bedauerns-
werthes Ungeschick und Dürftigkeit der Behandlung. Das mit der Singstimme
gehende Instrument und der Bass, welcher nur bei lebhaften Accenten mit
dem Gesänge harmonische Zusammenklänge bildete, bei den nicht betonten
Stellen aber ruhig liegen blieb, waren die einzigen instrumentalen Bestandtheile,
die sich aber sehr bald, schon um das J. 1600, dahin erweiterten, dass man
die Tragödien auf der Scene gemäss damaliger Auffassung der Ueberlieferungen
des classischen Alterthums, welchem man nachstrebte, »zu Flöten und Saiten«
singen Hess. So wenigstens war die instrumentale Begleitung in Peri's Opern
beschaffen. Einen Schritt weiter ging Caccini, welcher sich über das Accom-
pagnement seiner Euridice folgendermassen äussert: »Es stützt sich die Har-
monie der in vorliegender »Euridice« Recitirenden auf einen continuirlichen
Bass, bei dem ich die Quarten, Sexten, Septimen, sowie die nothwendigeren
grossen und kleinen Terzen bezeichnet habe, indem ich sonst die Anwendung
der Mittelstimmen an gehöriger SteHe dem Urtheil und der Kunst des Spie-
lenden überlasse. Die Bassnoten habe ich einige Male gebunden, damit nicht
422 Instrumentalmusik.
beim Durcbgehen der vielen Dissonanzen, die dabei vorkommen, die Saite
wieder angeschlagen und das Gehör beleidigt werde.«
Bei so zarten Scrupeln konnte natürlich von instrumentaler Abwechselung
und Mannichfaltigkeit nicht die Rede sein. Jedoch lässt sich schon bald ein
weiterer Fortschritt der Instrumental-Ensemblemusik an einer Oper »Dafne«
von Gagliano constatiren. lieber diese existirt ein 1608 zu Florenz in Folio
gedruckter Bericht, in welchem es in dieser Beziehung folgendermassen heisst:
»Vor Allem gebe man darauf Acht, dass die Instrumente, welche die einzelnen
Stimmen begleiten sollen, an einem Orte aufgestellt wei'den, von dem sie den
Recitirenden ins Gesicht sehen können, damit sie, besser sich vernehmend,
zusammen fortschreiten; man sorge dafür, dass die Harmonie weder zu stark,
noch zu schwach sei, sondern so, dass sie den Gesang leite, ohne das Ver-
ständniss der Worte zu hindern; die Art zu spielen sei ohne Ausschmückungen
mit Rücksicht darauf, nicht die gesungene Consonanz anzugeben, sondern die-
jenigen, welche geeignet sind, jene zu unterstützen, indem man ununterbrochen
eine lebendige Harmonie unterhält. Vor dem Herunterlassen (Wir würden
sagen: vor dem Aufziehen) des Vorhangs ertöne, um die Zuschauer aufmerk-
sam zu machen, eine Sinfonie von verschiedenen Instrumenten, die zur Beglei-
tung der Chöre und zum Spielen der Ritornelle gebraucht werden. Nach
fünfzehn oder zwanzig Taktschlägen trete der Prolog (in der Dafne: der Dichter
Ovid) auf in einem dem Klange der Sinfonie angepassten Schritt, nicht mit
Künstelei, als ob er tanzte, sondern mit Würde, der Art, dass die Schritte
von der Musik nicht abweichen; ist er an die Stelle gelangt, wo es ihm ange-
messen scheint zu beginnen, so fange er, ohne sich zu besinnen, an zu singen.
Nach dem ersten Verse erhole er sich, indem er drei oder vier Schritte geht,
je nach der Dauer des Ritornells, jedoch stets taktmässig.« Und weiterhin
heisst es: »Zu Apoll's Worten muss ein vollerer Klang als gewöhnlich aus-
gehen. Daher mögen sich vier Violinspieler au einen der nächsten Ausgänge
der Scene begeben, wo sie von den Zuhörern nicht erblickt werden, sie selbst
aber den Apollo sehen können, und je nachdem er den Bogen auf die Lyra
setzt, spielen sie die drei vorgeschriebenen Noten, indem sie darauf achten, die
Bogenstriche gleichmässig zu ziehen, damit es nur ein Bogen zu sein scheine.
Diese Täuschung, nur Sachverständigen bemerkbar, gewährt ein nicht geringes
Vergnügen.«
E, 0. Lindner, welcher aus dem eben angegebenen Buche in seiner Schrift
»Zur Tonkunst« Seite 21 — 29 einen grösseren Auszug giebt, bemerkt speciell
hierzu: »Eine Stelle könnte jedoch eine falsche Vorstellung erwecken: jene, wo
von der ausserordentlichen Verwendung der vier Violinspieler die Rede ist.
Man könnte daraus auf eine wesentliche, selbstständige Betheiligung des
Orchesters schliessen. Dies wäre aber diirchaus irrthümlich. Die Mitwirkung
der vier Violen bei dem Angeben dreier sehr einfacher in Noten ausgeschriebener
Accorde ist vielmehr das einzig selbstständig Instrumentale, was in jener Com-
position der Dafne zu finden ist. Dieselbe gleicht im TTebrigen vollständig den
Partituren Peri's und Caccini's; bei diesen aber hatte es mit der Instrumental-
begleitung eine eigene Bewandtniss. Allerdings wirkten schon bei der Aus-
führung der Euridice eine Menge Instrumente, namentlich Violen und das da-
malige Clavicembalo*), mit, doch ist für diese keine eigentliche Partie notirt.
Ausser den mehrstimmigen Chören, deren einzelne Stimmen gleichzeitig auf
Instrumenten gespielt wurden , zeigen die gedruckten Partituren , mit Ausnahme
einer einzigen Stelle bei Peri, wo der Gesang eines Hirten durch das sehr
einfache Zwischenspiel eines Triflauto begleitet wird, lediglich die einzige Sing-
*) Jedoch will Doni (vol. 2 pag. 108) vom Clavicerabalo nichts wissen. Man be-
hauptete, dasselbe sei zur Harmonie nöthig, aber es könne sich nicht, gleich den Saiten-
instruraenlcn, mit der Singstimme vermischen und werde in der Entfemunpf schlecht
fjehört. Die Lichter darauf mit dem aufgelegten Buche passten nicht zur Pracht des
Theaters u. s. w.
Instrumentalmusik. 423
stimme mit einem dazu gehörigen, oft sehr schwerfälligen Bass, über welchen
sich generalbassmässig einzelne Zahlen notirt finden. Die mitwirkenden Instru-
mentalisten füllten demnach die angezeigten Accorde nach Belieben aus, und
diese gaben lediglich eine harmonische Unterstützung der gesungenen Ober-
stimme ab. TJeberdies war die ganze Mitwirkung der Instrumentalisten ledig-
lich für die darstellenden Sänger, nicht aber für die Zuhörer berechnet. Diese
sahen von dem hinter der Scene befindlichen Orchester Nichts und sollten so-
gar die Begleitung so wenig als möglich hören. Nur vor dem Anfang des
Stückes wurden einige Tacte für die Zuhörer gespielt, nicht etwa als eine
wirkliche Ouvertüre, diese war nach dem damaligen Zustande der I. schon an
und für sich nicht denkbar, sondern um darauf aufmerksam zu machen, dass
der Vorhang bald herabgehen (wir würden sagen: aufgehen) werde.«
Dies war der ärmliche Zustand der I. zu Anfange des 17. Jahrhunderts.
Wie anders stellte er sich hundert Jahre später bereits dar! Schon Monteverde,
gestorben 1643, bezeichnet einen grossen Fortschritt, indem er ein bestimmtes
Orchester einführte , nämlich : Clavicembalo , Flöten- und Rohrwerke und die
verschiedenen Saiteninstrumente damaliger Zeit, eingeschlossen sogar die Doppel-
harfe. Seine begleitende Bassstimme hat nicht, wie bei Peri, nur den Zweck,
zu einer nothdürftigen Unterlage für den Sänger zu dienen, sondern sie nimmt
in ihren Bewegungen Theil an der musikalischen Darstellung selbst. Monte-
verde scheut sich nicht, wenn der Sänger etwas recht Herbes ausdrücken soll,
der Bassstimme dabei so stark dissonirende Töne zu geben, dass er geradezu
"Widerlichklingendes hören lässt. Sein eben charakterisirtes reiches Orchester
benutzte er theils zu bestimmt vorgeschriebener Begleitung des Oesauges, theils
gab er demselben bereits selbstständige Zwischenspiele, theils suchte er die
Klangfarbe der verschiedenen Instrumente bei einzelnen Scenen zur Charak-
teristik der Stimmung zu benutzen. So erklingen Rohrinstrumente zu der
anfänglichen Weigerung des Charon, dem Orpheus den Eintritt in den Hades
zu gestatten. Da beginnt Orpheus mit der Begleitung eines Flötenwerks und
der grossen Zither; sein Gresang wird durch verschiedene instrumentale Zwischen-
spiele unterbrochen, zu denen erst zwei Violinen, dann zwei Cornets, dann die
Doppelharfe gebraucht sind; beim letzten Vers greifen drei Violinen und der
Bass schon während des Gesanges ein, und bei ihren leise gezogenen Tönen
sinkt Charon in den Schlaf.
So ist ersichtlich, dass Monteverde es ist, welcher bereits alle Elemente
gefunden und niedergelegt hat, deren allmählige Ausbildung die Folgezeit zeigt.
Monteverde's Ruhm durchlief ganz Italien, und er wurde in der seltensten
Weise ausgezeichnet. Sein Schüler Cavalli setzte das begonnene Werk fort
und hat das wesentliche Verdienst, das Orchester bereits systematisirt zu haben.
Bei ihm wurde die Toccata- Ouvertüre und das Ballet ein obligater Bestandtheil
der Oper. Dieselbe verpflanzte sich nun nach Frankreich, dann nach Deutsch-
land und erfuhr dort, und nicht mehr in ihrem Geburtslande, ihre fernere
Ausbildung, vorzüglich was den instrumentalen Theil anbelangt. In Deutsch-
land namentlich war die I. bereits auf eine gewisse Höhe gelangt. Prätorius,
der im 16. Jahrb. lebte, führt in seinem Werke die verschiedensten und selt-
samsten Instrumente auf; über ihre Ensembleverwendung bleiben wir jedoch
im Unklaren und vermuthen nur, dass sie zu festlichen Spielen und zum Tanz
generell, also Saiten- und Holzinstrumente für sich, nicht vermischt, verwendet
wurden. Eine Gattung der I. stand aber bereits damals in Bliithe und ver-
pflanzte sich von dem Hofe des deutschen Kaisers (vielleicht Karl's V.) über
alle Höfe der damaligen civilisirten Welt.
Dies war die vierstimmige Trompetenmusik, welche bis in unser Jahr-
hundert hinein ihren ursprünglichen aristokratischen und vornehmen Charakter
behauptete, da sie nur im Gefolge der Fürsten, Generale und Edeln des Reichs
Vorgeschriebenermassen auftreten durfte. Wir finden dieselbe, wie gesagt, bei
allen Nationen, am längsten ihrer ursprünglichen Bestimmung getreu bei den
424 Instrumentalmusik.
nordischen: den Deutschen, Russen und Engländern. Die Mischung dieser
stolzen, wahrhaft pomphaften Musik bestand aus Trompeten, Pauken und
Trommeln, welche beim öfiFentHchen Auftreten der Fürsten, ihren Aufzügen,
bei Trinksprüchen der hohen Herrschaften in Form von schmetternden In-
traden und Fanfaren aufzutreten hatte. Der sogenannte Tusch ist echt deutsch;
er bestand darin, dass unter dem "Wirbel der Schlaginstrumente jeder Tompeter
beliebig darauf losschmetterte, bis sich Alle schliesslich in der Dominant-
hai'monie vereinigten. Die Melodien und Harmonien dieser »Trompeterstücklein«
verblieben traditionell bei den verschiedenen Höfen und wiirden sorgsam gelehrt
nnd bewahrt. Die Trompeter selbst nahmen unter den Musikern eine Art
Ehrenstellung ein und bildeten eine besondere, mit gewissen Vorrechten aus-
gezeichnete Zunft, Sie hatten eine strenge, schwierige und langwierige Schule
durchzumachen; es ist aber auch erstaunlich, ja, geradezu unerklärlich, was sie
auf ihrem Naturinstrumente zu leisten im Stande waren, und viele Trompeten-
concerte älterer Zeit gelten heute sogar als unlösbare Probleme.
Mit dem Fürsten gelangte die Trompetenmusik auch ins Feldlager und
wurde dazu verwendet, den Muth der Truppen zu erwecken und anzufeuern
und sie für die Strapazen langer Züge tauglich zu machen , wodurch natur-
gemäss eine neue musikalische Form, »der Marsch«, entstand, dessen rhythmische
Bewegung mit der Gaugart der Marschirenden sich identificirte. Die Geschichte
des Marsches ist bis auf die Zeit des ,30jährigen Krieges zurückzuführen und
so weit hinauf reicht auch die Literatur für dieses Genre. TJm noch mehr
durchzudringen , traten später Hörner und Posaunen zu dem Trompeten-En-
semble, noch später die Holzinstrumente, und die auf diese Weise scharf ab-
gegrenzte Militärmusik gelangte in den Heeren des ersten Napoleon zu hoher
Blüthe, wie denn überhaupt auch die Militärmusik ihre Glanzepoche zur Zeit
Beethoven's, kurz vor Einführung der Yentilinstrumente, feierte. Seit zwei
Decennien jedoch liegt dieselbe im Argen, da man in ihren Kreis ganz willkür-
lich die verschiedensten TonkÖrper gepfropft hat, ähnlich wie die alten Italiener
in ihre Opernorchester, ohne Bücksicht auf Symmetrie zwischen Melodie und
Harmonie, welche beide von einem ganzen Haufen lärmender Schlaginstrumente
übertönt werden. Das mag echte Janitscharenmusik sein, aber dem gebildeten
Ohr ist sie fürchterlich, ganz abgesehen von der rohen Polka-Marsch-Litera-
tur, die man cultivirt. Am reinsten hat sich. Dank den Bemühungen Wiep-
recht's als Organisator derselben, das Trompetenquartett in der preussischen
Cavalleriemusik erhalten, welche in ihrer Besetzung sogar musterhaft dasteht.
Nach dieser durch die chronologische Folge gebotenen Abschweifung kehren
wir wieder zu der durch die Oper veranlassten Bildung des Orchesters zurück.
— Man kann das Produkt der Oper eine italienische Erfindung nennen, mit
demselben Rechte, wie man in Kunst und Wissenschaft die Hervorbringung
von etwas noch nicht Dagewesenem Erfindung nennt. Als solche fand sie auch
im Auslande Beifall und Nachahmung, zuerst in Deutschland, dessen grosse
Meister ja zum Häufigsten aus der italienischen Schule hervorgegangen sind.
So entstand denn schon 1627 die erste deutsche Oper, nach Zuschnitt und
Vorbild der italienischen, nämlich »Dafne« von Heinrich Schütz, deren Text
von dem deutschen Dichter Martin Opitz war und welche bei einem Hoffest
in Torgau aufgeführt wurde. Dieser Versuch blieb aber bis auf Theile und
Keiser in Hamburg hin, also 70 Jahre hindurch, vereinzelt; die italienischen
Operncomponißten behielten bis dahin und noch weit länger hinaus das Heft
in den Händen. Interessant für unseren Zweck ist nur, dass Heinrich Schütz
bereits eine Art Instrumental-Sinfonie oder Toccata (wir würden sagen Ouver-
türe) zu dieser Oper geschrieben und ebenso mehrere dieser ähnliche Sinfonien
einfachsten Charakters hinterlassen hat, dazu bestimmt, die Festlichkeiten am
chursächsischen Hofe angenehm einzuleiten. — Eine festere Position nahm die
italienische Oper in Frankreich, wo sie durch LuUy und dessen Textdichter
Quinauld sofort nationalisirt und in einer Weise organisirt wurde, welche bis
Instrumentalmusik. 425
auf Gluck und auch noch für diesen selbst mustergiltig war. — Lully war,
und dies ist wesentlich für die I. überhaujit, nicht als Yocal-, sondern als
Instrumental-Componißt an die Oper getreten, denn er hatte über 20 Jahre
hindurch vorher für die Kapelle König Ludwig's XIV. ausschliesslich Sinfonien
(in diesem Sinne Eröffnungsstücke), Märsche, Tänze (er ist der Vater der
Menuett) und andere Instrumentalstücke, sowie auch Ballette geschrieben.
Kein "Wunder, dass er den instrumentalen Theil seicer Opern, deren er seit
1672 einige zwanzig schrieb, begünstigte und sie mit Sinfonien, längeren B,i-
tornellen und Balletstücken ausstattete. "Was diese Sinfonien, hervorgegangen
aus der italienischen Opern-Toccata, betrifft, so gestaltete er sie in zwei (Grave
und Ällegrö), auch drei (Ällegro, Grave, Allegro) Sätze, und diese Formirung
erhielt sich bis auf Händel. Aus dem reichen Orchester, welches Lully zu
Gebote stand und in seiner Fülle incummodiren musste, hebt sich schon ganz
entschieden das Streichquartett als Basis für die Instrumentation hervor;
Blechinstrumente erscheinen dagegen noch nicht als orchesterfähig.
Es ist einleuchtend, dass bereits das damalige Opernorchester gute, theo-
retisch gebildete Musiker verlangte, welche als Generalbassspieler tüchtig und
auch geschickt waren, für die Mängel der Composition verbessernd einzutreten.
Dadurch hob sich auch die technische Fertigkeit, und es traten, und wiederum
zuerst in Italien, jene grossen Virtuosen auf, welche als berühmte Spieler und
Componisten für ihr Instrument noch heute bewundert werden. Durch sie
entstand das Concert, welches im Bau und seiner Entwickelung mit der Sonate
gleichen Schritt hielt. Die Sonate unterscheidet sich in ihren Anfängen in
nichts von der Suite, insofern als sie eine Zusammenstellung mehrei-er im
Tempo verschiedener Sätze ist, und erst im 18. Jahrhundert wurde durch die
grossen Meister dieserForm der Unterschied festsgestellt, dass die Sonate trotz
der verschiedenen Sätze ein einheitliches organisches Ganze bilden musste,
während die Suite eine Aneinanderreihung verschiedener Tanzarten, mit einer
Ouvertüre an der Spitze, blieb und in allen ihren Theilen das Vorherrschen
einer Tonart zeigte. Als erst die Form feststand, Hess die Erfindsamkeit in
ihrer Verwendung auch nicht lange auf sich warten. Der concertirende Solist
bedurfte eines Begleiters, um zum "Wenigsten den Bass anzugeben, wo nicht
die Harmonie auszufüllen, und die Folge davon war jene Unzahl von Instru-
raentalduetten, welche die alte Literatur aufweist. Diese erweiterten sich natur-
gemäss schon sehr bald zu Quartetten, Quintetten, Sextuors u. s. w., und in
diesen Formen entwickelte sich, je nach der Absicht und nach der Bedeutsam-
keit der Componisten, die üppigste und interessanteste Polyphonie durch die
Freiheit, welche man den einzelnen Stimmen gab.
Das Streichquartett, als instrumentales Abbild der vier menschlichen
Stimmen, wurde nun die unerschütterliche Grundlage des mächtig emporblühen-
den Orchesters, für welches man jetzt" Sinfonien oder Ouvertüren schrieb, und
wenn auch die herbeigezogenen Flöten, Oboen und Fagotts, abgesehen von den
ausser Gebrauch gekommenen Holzblase-Instrumenten , in der Regel nur ver-
stärkend, also nicht obligat verwendet wurden, so war doch schnell und glän-
zend die Grundlage gewonnen, auf welcher der deutsche Genius das mächtige
Gebäude eines stolzen und bewundernswerthen Kunstwerks aufführte. Als
merkwürdig erscheint aus dieser thatenreichen Zeit (Ende des 17. Jahrhunderts),
dass wir unter dem Namen des älteren Buononcini, ausser einigen Duetti da
Camera, op. 8, bereits 1685 eine Reihe von Sinfonien für fünf, sechs, sieben
tmd acht Instrumente, mit zwei Trompeten, welche obligat sind, falls die Vio-
linen fehlen, finden. Die ewig denkwürdigen Namen aber für die erste Form
der Sinfonie sind Alessandro Scarlatti, Buononcini und Sammartini, für das
Concert: Corelli, Tartini, und Domenico Scarlatti, für das Quartett: Corelli,
Geminiani und Vivaldi die echtesten Bahnbrecher einer schönen Zukunfts-
musik. Obwohl von den Genannten A. Scarlatti als grosser Reformator der
Musik jeden Genres, wie ihn Kiesewetter nennt, den grössten Ruhm erlangt
426 lustrumcutalmusik,
hat, so möchte doch das Hauptgewicht in instrumentaler Beziehung auf die
erfolgreiche Thätigkeit Corelli's zu legen sein. Corelli, ebenso unvergleichlich
als Violinspieler wie als Componist, wirkte lange genug auch als Dirigent,
um nicht in jeder Hinsicht befähigt zu sein, für den Fortschritt der Kammer-
musik und der Sinfonie tonangebend zu werden. Er strahlt weniger durch
Reinheit der Harmonie und Eeichthum selbstständiger Combinationen, aber durch
originelle Erfindung, Mannigfaltigkeit und Abwechselung der Cantilene und
grossartige Breite, wie sie kaum ein anderer Componist bis lange nach ihm
erreichte. Noch heute gehört das Studium seiner Werke zu den fruchtbrin-
gendsten, und selbst das Publikum hört die wieder bekannt gewordenen der-
selben sehr gern.
Auf diesen Punkt angekommen, könnten wir das für die Entwickelung der
Kunst unermesslich anregend gewordene Italien verlassen, da es in der Folge-
zeit für das von uns abgesteckte Instrumentalgebiet nicht weiter epochemachend
gewesen ist, wollten wir nicht gleich hier eines grossen italienischen Compo-
nisten erwähnen, der leider verschollener ist, als er es verdient, und für dessen
Name und Bestrebungen nur der Platz neben Haydn und Mozart ein würdiger
ist, nämlich Ludwig Boccherini. Dieser Meister ist im Jahre 1730 in Florenz
geboren, fand also bei seinem Auftreten den Kammer- und Orchesterstyl, auf
welche beide er sich ausschliesslich legte, bereits in den Stadien der höheren
Entwickelung. Grleichwöhl versagte er sich selbst die Leetüre der Werke seiner
Zeitgenossen, um nichts von seiner Origiualität einzubüssen. Er schrieb eine
Unzahl majestätischer Quartette, kostbarer Quintette und beachtenswerther
Sinfonien und documentirte in allen seinen Schöpfungen Genialität und ein
eminentes Talent. Was Cimarosa für die Vocal- , das war sein Landsmann
Boccherini für die I. In seinen Werken paart sich Frische und köstliche Ein-
fachheit mit Gedankentiefe und musterhafter Behandlung der Stimmen. Dabei
tragen sie den Stempel der Originalität und sind so selbstständig individuell,
dass man vermeinen möchte, ihr Autor habe keine andere Musik gekannt, als
nur die seinige. Er ist der Johann Sebastian Bach der Kammermusik;
Führung, Plan, Modulation und melodische Ideen sind durchaus eigenthümlich
und Muster von Anmuth, Empfindung und rieschmack. Die Art, wie er das
Interesse durch unerwartete Episoden aufrecht zu erhalten weiss, überrascht
selbst die mit seiner Musik Vertrautesten, und er ruft mit Phrasen einfachsten
Charakters stets den eindringlichsten Effekt hervor. Seine Gedanken sind, wie
die seines Nebenbuhlers und Zeitgenossen Haydn, immer anmuthig, oft melan-
cholisch, haben aber stets, wie jene, den unwiderstehlichen Reiz der Naivetät.
Wenn Italien unter den Virtuosen die ausgezeichnetsten Geiger geboren hat,
wie Tartini, Corelli, Viotti, Paganini u. s. w., so hat es in Boccherini einen
Violoncellisten ersten Ranges hervorgebracht, welcher auch treffliche Concerte
für sein Instrument hinterlassen hat, die sich die modernen Concertspieler
nicht entgehen lassen sollten.
Schon frühzeitig kam in Deutschland das Interesse für Kammermusik
gleichfalls in Schwung, und hier waren es Kuhnau, Kobrich, Agrel, Janitsch,
Radegger und Camerloer, welche je nach ihrem Talent, auf diesem Gebiet
Werke schufen und sich Anerkennung und einen Namen verschafften. Weiter-
hin vergrösserten Graft, Kurtzinger, Telemann, Schwindel, Mislivecek, Treski,
Knecht, Wagenseil, Stamitz und Wanhal die sinfonische Armee und variirtcn
sie, aber ihre Versuche erscheinen jetzt schüchtern, unselbßtständig, ja zum
Theil ungeschickt. Es fehlte eben der Impuls eines genialen, tonangebenden
Mannes. Dieser aber Hess gar nicht lange auf sich warten, ja, er war schon
da, obwohl seine Einwirkungen erst später beginnen: der gewaltige Johann
Sebastian Bach. Er, der unendlich reiche Meister, anerkannt, obwohl nicht
genügend gewürdigt von seiner Mitwelt, angestaunt und bewundert von der
Nachwelt, hat bereits so bemerkenswerthe und abwechselnde Instrumentaleffecte
geschaffen, dass man kaum begreifen kann, wie dieser Mann, welcher die
Instrumentalmusik. 427
längste Zeit seines Lebens in unbedeutenden Städten verbrachte, wo er fast
keine Gelegenheit hatte, Instrumente und Orchester zu studiren, Alles so
genau kennen konnte, dass er seine Zeit einen mächtigen Schritt vorwärts
brachte. Bei Bach herrscht durchweg eine durchgreifende correcte Harmonie,
und er packt stets seine Hörer durch Energie und unerwartete Züge. Bei ihm
zuerst unter den deutschen Meistern befindet sich das Ciavier in Verbindung
mit Streichinstrumenten als Duo, Trio, Ciavierquartett u. s. w. Seine Kinder
pflanzten verschiedentlich diese Gattungen in seiner Weise fort, und auch
Händel glänzt im Fach der Ciavier- und Orchestermusik, wenn auch einem
Bach gegenüber nur als Kunststern zweiter Grösse.
Die von den Vorigen geschaffenen instrumentalen Mittel und Werke fand
Gluck vor, als er an die Reformation der Oper ging. Er wandte seine Auf-
merksamkeit zunächst auf die Ouvertüre, in welcher Form die Franzosen seit
Lully bereits recht Bedeutendes geschaffen hatten, was selbst der strenge Mat-
theson in seinem neueröffneten Orchester anerkennt. Gluck zuerst setzte die
Ouvertüre in wirkliche organische Beziehung zu dem Folgenden, ein Muster.
dem Mozart in jeder Beziehung folgte. Den höchsten Punkt, auch in dieser
Gattung, erreichte endlich der gewaltige Beethoven. Dadurch, dass Gluck die
einzelnen Instrumente individualisirte, wurde seine Instrumentation wahr und
ergreifend. Verschiedene der damals gebräuchlichen Instrumente, wie die
Theorbe, entfernte er aus dem Orchester, andere, wie die Posaunen, führte er
ein und verwendete sie. Mit welchen Factoren man überhaupt damals rechnete,
das zeigt ein Blick auf die durch ihr Ensemble unter Hasse's Leitung be-
rühmte kurfürstl. Kapelle in Dresden, welche, nach Fürstenau, im J. 1733
zählte: acht erste und sieben zweite Violinen, vier Bratschen, drei Violoncelli,
drei Bässe, zwei Flöten, fünf Oboen, fünf Fagotts, zwei Waldhörner, zwei Trom-
peten und Pauken.
Hinter so reichen Ausdrucksmitteln witterte der Meister Piccini bereits
den Verfall, und es ist interessant, von heute aus wieder einmal auf seine Kunst-
ansichten in Bezug auf Orchesterensemble zu blicken. Ginguene hat sie auf-
bewahrt in seinen r>Notices sur la vie de JPiccinia (Paris, an IX). »Piccini's
Kunstgrundsätze, berichtet Ginguene, waren streng, obgleich er mehr als irgend
ein anderer gleichzeitiger Tondichter dazu beigetragen hatte, dieselben zu er-
weitern und ihnen Biegsamkeit zu verleihen. So reich er nöthigenfalls das
Orchester ausstatten konnte, missbilligte er doch den Luxus von Harmonie,
den man gegenwärtig darin verschwendet. Er wünschte stets der Singstimme
die Oberherrschaft bewahrt zu sehen, er wünschte, dass die figurirten Dessins
der Instrumente nur den Zweck hätten, das zum Ausdruck zu bringen, was
die Worte, die Handlungen der Personen oder der Oi't der Scene anzeigen,
die Singstimme aber nicht wiedergeben kann. Figurirte Begleitungen, ohne
Nothwendigkeit, ohne Object, wie sie die berühmtesten Componisten in Italien
anwendeten, schienen ihm nur sinnwidrig und Missbrauch der Kunst. Er
billigte durchaus nicht jene obstinaten Begleitungsformen, die Jomclli zuerst
in die Mode brachte und die sich einförmig fast durch ein ganzes Stück hin-
durcherstrecken, wo doch die Worte Nuancen der Empfindung oder Ideen dar-
bieten, die in der Musik ihren Ausdruck verlangten. Massen verschiedener
Instrumente, unaufhörliche Orchestereffecte , unaufhörliche Harmoniehäufungen
und eine unausgesetzte Schönthuerei mit Dissonanzen, wie sie in Frankreich
Mode geworden, waren für ihn ein wahrer Gräuel. Alles, was in die Harmonie
eingehen kann, sagte er, hat man bald gelernt; nicht darin liegt die Schwierig-
keit, etwas hineinzusetzeu , sondern zu wissen, was man lunwegnehmen soll.
Die vier Bogeninstrumente, welche die Grundlage des Orchesters bilden, sind
für jeden Ausdruck fast gleichmässig geeignet. Nicht ebenso verhält es sich
mit den Blas- und Schlaginstrumenten. Die Oboe hat einen von der Clarinette
ganz verschiedenen Ausdruck, und die letztere unterscheidet sich ihrerseits sehr
wesentlich von der Flöte. Die Hörner wechseln darin je nach dem Ton, in
428 Instrumeutalmusik.
welchem man sie anwendet; das Fagott wird traurig und melancholisch, sobald
es nicht mit dem Bass zusammen geht. Die Posaunen sind nur zum Ausdruck
des Düstern geeignet, die Trompete nur für das Kriegerische und Eclatante;
die betäubende Pauke ist ganz militärisch, und sobald ich sie höre, erwarte ich
ein Reiterregiment vorbeiziehen zu sehen. Reservirte man jedes dieser Instru-
mente zu dem Gebrauch, für welchen die Natur selbst es bestimmt hat, so
würde man verschiedene Wirkungen hervorbringen, man würde Alles darzu-
stellen vermögen und Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit in sein Gemälde
bringen. Aber man spendet Alles mit vollen Händen, Alles auf einmal und
ohne Aufhören, Man blasirt, man verhärtet das Ohr, man stellt nichts mehr
für das Herz, für den Geist dar, zu welchem das Ohr der Weg ist. Ich möchte
doch wohl wissen, was man thun wird, um es wieder ins Leben zu rufen, wenn,
was sicherlich geschehen dürfte, man diesen Lärm satt haben, und welche neue
Teufelei man aufbringen wird. Vielleicht möchte man dann zur wahren Natur
zurückkehren und zu den ächten Mitteln der Kunst, aber Sie wissen, wie es
dem durch starke Getränke abgestumpften Gaumen ergeht; überdies kann man
sich innerhalb weniger Monate Alles das in den Kopf setzen, was man wissen
muss, um die Effecte auf diese Art zu übertreiben, aber nur langsam und durch
Studien lernt man wahre Efi"ecte hervorbringen. Wie sollte man also in der
Wahl zweifelhaft sein?«
Soweit Piccini, der in Bezug hierauf und auf das, was er weiterhin über
Modulationen sagt, eher heute gesprochen haben könnte, als vor hundert Jahren,
wo wir die Kunst noch nicht in ihrer vollen Blüthe sehen, welche erst noch
zu gewärtigen war. Aber über Verfall der Musik wurde ja schon stets ge-
klagt, selbst wo sie noch in ihren Anfängen lag, und das zwar selbst von
Männern, welche für sie von Bedeutung waren. Interessant aber ist es immerhin,
so gediegene Kunstanschauungen und Grundsätze aus ihrem Munde zu ver-
nehmen , die für alle Zeiten passen und nie von irgend einer Seite ernstlich
zu bestreiten sind. Dieselben können wenigstens immer wieder als AVarnungs-
tafeln aufgestellt werden, die doch dann und wann einen Einzelnen von Thor-
heiten zurückhalten und deren unausgesetzte Erneuerung nicht sowohl zur Ver-
besserung der Welt, welche ihres ruhigen Laufes weiter schreitet, als vielmehr
zur Verhütung einer gänzlichen sittlichen und künstlerischen Verkommenheit
von Nöthen ist.
Man kann die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, besonders die Zeit nach
dem siebenjährigen Kriege, das musikalische Zeitalter nennen, denn es ist
staunenswerth, welche Massen damals producirt und reproducirt wurden. Jedes
Dorfcantorlein hielt sich berufen, die musikalische Literatur mit seinen Werken
zu bereichern, so dass gerade die Zopfzeit in der Musikgeschichte den Namen
des Zeitalters der Philistrosität vei'dient. Dass dieses rührige, aber einseitige
Streben auch seine guten Früchte hatte, ist nicht zu verkennen. AVo sich vier
musikalische Büi-ger fanden, traten sie zum Quartett zusammen und wurden
die Pfleger der ächten Hausmusik; die Fürsten hegten mit besonders ange-
stellten Kammermusikern die Orchester-Kammermusik, während die Vornehmen
sich wenigstens eine Harmoniekapelle, bestehend aus Flöten, Oboen, Hörnern
und Fagotts, zu halten suchten, um bei Tafel und Gesellschaft doch etwas
Apartes zu zeigen. Das Volk nannte diese Art Harmoniemusik wegen des
Vorwaltens des grunzenden Fagotts die »Schweinchenmusik« und wir finden
dieselbe verewigt in Mozart's »Don Juan«, wo im zweiten Finale in der er-
wähnten Besetzung sich Don Juan's Hauskapelle producirt.*) An allen denk-
baren Arten von I. reich war jene Zeit. Es gab Quartette und Quintette von
*) Diese Art der Harmoniemusik, verstärkt durch Trompeten, Posaunen und Schlag-
werk, hat sich, nicht blos in der Militärmusik, bis in die Gegenwart erhalten. Die
Stadtmusiker in den Provinzialstädten formiren jeden Au<?enbHek aus dem Streich- ein
Blasorchester und geben mit solchem ihre «.rartenconcerte, oder begleiten die Aufzüge der
Bürgerschaft.
Instrumentalmusik. ^09
Streichinstrumenten, von Blasinstrumenten, welche Mischung durch Krommer
und Pleyel sehr beliebt wurde und endlich alle möglichen Verbindungen vom
Ciavier mit Streich- oder Blasinstrumenten. An seltsamen Ausschreitungen
fehlte es auch nicht, und so finden wir damals Flöten-, späterhin auch Clari-
netten- Quartette, Fagott- Trios u. s. w. Aber so quantitativ reich diese Epoche
an allen musikalischen Produkten war, so qualitativ arm und gehaltlos war sie
auf der anderen Seite, Da war es wieder ein genialer Mann, welcher das Ge-
biet mit universeller Begabung und mächtigem Geschick betrat und die Welt
über alle die Hindernisse hob, vor denen sie, unfähig weiter zu kommen, stand.
Es war dies Joseph Haydn, der ächte und wirkliche Vater der Sinfonie und
der Kammermusik, wie wir sie jetzt gemessen.
Dieses eminente Genie ist aus der Bach'schen Schule hervorgegangen, wie
er selbst stets dankbar anerkannte. Denn er formte seine Erstlingswerke nach
den Sonaten von Phil. Eman. Bach und bewirkte es, dass die Sonate das Ur-
bild für jede grosse Form der Orchester-, Kammer- und Ciaviermusik wurde.
Erst wenn eine andere, jetzt noch nicht erkennbare Form den Typus für diese
Gattung abgeben wird, kann von einer neuen Phase der I. die Kede sein. Haydn
hat in dieser Weise 118 Sinfonien, 83 Streichquartette, 31 Ciaviertrios und
8 Duos geschafi'en und ist als zweiter Schöpfer dieser Gattungen bis jetzt das
Muster geblieben, dem man im Wesentlichen folgt. Alles Vorangegangene
dieser Kategorie ist dadurch in seinem Werthe so reducirt worden, dass es
nur noch historisches Interesse beanspruchen kann. Auch ohne seinen grossen
musikalischen Geist wäre Haydn durch diese That zum musikalischen Refor-
mator geworden. Er wurde aber nicht das allein, sondern auch der Beherrscher
des musikalischen Zeitgeschmacks, weil seine schöpferische Kraft in Erfindung,
Mannigfaltigkeit und Ausführung wahrhaft unerschöpflich erscheint. In jedem
Werke zeigt er sich neu und eigenthümlich , überraschend und befriedigend;
die ästhetischen Grenzen der Kunst sind bewundernswerth eingehalten, und
innerhalb derselben bewegt er sich mit technischer Gewandtheit, Freiheit, An-
muth, Humor, kindlicher Naivetät und Schönheit. Mozart setzte das von Haydn
begonnene Werk fort und führte es in seinen einzelnen Theilen noch höherer
Vollkommenheit zu. Was ein Genie begonnen, konnte nur ein noch höherer
Geist entwickeln. Kein Künstler hat sich eine so allumfassende Wirkung auf
Menschen jedes Alters und jeder Bildungsstufe, kein Künstler auch einen so
gewaltigen Einfluss auf die Kunst des Auslandes errungen. In einer Periode
der Entwickelung des deutschen Geistes lebend, die vorzugsweise ein Gefühls-
leben führte, hat er in der Tonkunst das Herz emancipirt und mit Haydn
im Bunde, dem hohen Ernst, der Strenge und der Erhabenheit der vergangenen
Zeit gegenüber, die vollendete musikalische Schönheit zur Erscheinung gebracht.
Obwohl in der Musik lebend und webend, ist er ein Wunderbild für alle Künste;
er zeigt sich als einer der reichbegabtesten und eigenthümlichsten Geistei-,
welche je gelebt, voll unerschöpflicher Fülle und Kraft der Empfindung und
voll unvergleichlicher Gewalt in der Handhabung der Ausdrucksmittel.
Und nun den beiden vorangegangenen Heroen gegenüber, oder vielmehr
im Anschluss Beethoven! Sein Wirken und Schafi'en wurzelt zu sehr in der
I., als dass nicht gerade diese durch seinen mächtigen Geist der für uns höchst-
denkbaren Vollkommenheit hätte zugeführt werden müssen. Direkt aus der
Haydn-Mozart'scheu Schule hervorgegangen, hat Beethoven die von diesen auf-
gestellten Formen noch erweitert und allmählig den Inhalt aus dem Bereich
des blossen Tonspiels in das der Ideenwelt hinübergeführt, grossartige instru-
mentale Charaktergemälde von erschütternder und zugleich erhebender Wirkung
geschaffen, und damit, sowie durch die Erhabenheit und Originalität seiner
immer auf das Grösste und Edelste gerichteten Gedanken, die Tiefe und Gross-
artigkeit in deren Ausgestaltung, worin er einzig neben J. S. Bach dasteht,
und durch die Schönheit seiner Instrumentation selbst seine grossen Vorgänger
weit übertrofi'en. Seine Ideen, reich und überraschend, entwickeln sich in
430 Instrumental-Musikdirektor — Instrumentiren.
logischer Cousequeuz und grossartiger Steigerung und stellen von der Sonate
an bis hinauf zur Sinfonie einen Seelenprocess dar, wie ihn sonst nur das ge-
waltigste Drama vorführt. Eine grössere Höhe der Entwickelung der I. ist
von unserem Standpunkte aus noch nicht abzusehen, und die direkt au Beet-
hoven anknüpfenden Künstler, wie Ries, Schubert, Mendelssohn, Schumann,
Brahms, Berlioz, Gade, Ulrich, B,ubinstein, Liszt, Raff, Bruch u. s. w. , können
nur als Epigonen augesehen wei'den, ebenso wie die der Haydn - Mozart'schen
Schule verwandteren Geister von Romberg, Spohr, Neukomm, Eesca, Kalliwoda
und Ouslow. — Beethoven hinterliess auf instrumentalem Gebiete neun Sin-
fonien, ein Tongemälde (Schlacht bei Vittoria), ein Ballet, acht Ouvertüren,
ein Violin-, ein Triple- und fünf Pianoforte-Concerte, sechszehn Streichquartette,
vier Streichquintette, ein Sextett, ein Septett (im Styl der alten Cassation ver-
wandt), acht Ciaviertrios, über dreissig Ciavier-, zehn Yioliu-, fünf Viuloncell-
Sonaten, eine für Hörn, sowie zahlreiche Claviercompositionen jeden Charakters.
Dieser reiche Schatz hat befruchtend auf die Produktion der Folgezeit ein-
gewirkt und wird über uns hinaus weiter wirken, so lange der Inhalt unserer
I. der von dem Triumvirat unserer Classiker vorgeschriebene sein wird. Ob
aber auf diesem Gebiete neue Formen, ein neuer Inhalt, oder beide noch denkbar
sind, wer möchte das mit Bestimmtheit behaupten? Deshalb kann man auf die
I. als auf eine gewissermaassen abgeschlossene Kunstperiode zurückblicken.
Sie bezeichnet einen Weg, welcher von rohen dürftigen Anfängen, oft aufge-
halten und seitwärts geführt, mit Alles ebnender Energie nach einem mächtigen
Gipfel strebte und denselben in einer überraschend kurzen Zeit erreichte.
Instrumeutal- Musikdirektor, andere Bezeichnung für den Direktor der
Instrumentalmusik, wurde früher auch in grossen Kapellen mit Chor der
Anführer der Instrumentalisten, der jetzt gewöhnlich Concertmeister lieisst,
genannt.
lustruiucntalsatz nennt man ein nur von Instrumenten ausgeführtes Ton-
stück, aber auch eine in der Vocalmusik eingeschobene Stelle für Instrumente
ohne Gesang.
Instrumeutatiou, s. Instrumentiren.
lustrnmeutenbauer oder Instrumentenmacher nennt man denjenigen
Künstler, der sich mit Verfertigung besonders musikalischer Instrumente befasst.
Ausser praktischen Kenntnissen vom Tischlerhaudwerk muss derselbe etwas
Musik verstehen und ein fein gebildetes Gehör besitzen.
lustrumeuteukamiaer ist die Benennung von Sammlungen verschiedener,
namentlich alter Instrumente, sobald denselben, wie man es an Höfen, in Kirchen,
Kuustcabinetten u. s. w. antrifft, ein besonderer Raum zuertheilt ist.
lustrumeutireu (davon abgeleitet das Substantiv gleicher Bedeutung: lu-
strumentir ung oder Instrumentation) heisst: ein Musikstück für mehrei'c
Instrumente ausführbar darstellen, gleichviel ob dasselbe ursprünglich darauf
berechnet war, oder ob die Composition erst später in solcher Weise einge-
richtet wird (arrangiren, Arrangement). Ungebräuchlich ist dagegen der
Ausdruck »i.« in Bezug auf ein einzelnes Instrument; man sagt also nicht von
einer Ciaviersonate, dass sie gut instrumentirt sei, wenn sie wirklich clavier-
geraäss erscheint. Selbst für eine Combination gleichartiger Tonwerkzeuge,
wie z. B. im Streichquartett, würde die Anwendung jenes Wortes befremdend
sein, weil man vorzugsweise unter Instrumentation: die Kunst der Mischung,
Behandlung und Anordnung verschiedener Instrumente begreift. — Da die
Vocalmusik viel früher ausgebildet war als die Instrumentalmusik, so fand letz-
tere bei ihrem selbstständigeu Auftreten und nachdem sie sich von ihrer bis
dahin den Gesang nur unterstützenden oder verstärkenden Manier losgesagt,
einen für melodische und harmonische Wendungen bereits günstigen Boden vor;
sie hätte deshalb rascher vorschreiten können als jene, wenn sie nicht wieder
von anderen Factoren abhängig geblieben und in ihrer Entwickelung zurück-
gehalten wäre. Was einzelne Instrumente, auch in ihrer Mehrheit zusammen-
Instrumentireu. 431
wirkend, scliou seit den frühesten Zeiten geleistet haben (im Tempeldienst der
Hebräer, in Chören und Tänzen der Grriechen u, s. w.), das möge unter den
betreffenden Artikeln dieses Werkes nachgelesen werden. Mit einer »Banda«
von Flötenspielern zogen die Athener in den Kampf, — über die Instrumen-
tation dieser Auletenmusik wissen wir aber genau so viel, als über die Har-
moniefolge der Posaunenaccorde, welche die Mauern von Jericho wankend
machten; ja selbst aus den 15 ersten Jahrhunderten n. Chr. besitzen wir kaum
sichere Andeutungen über die jedenfalls untergeordnete Stellung, in der sich
die damalige Instrumentalmusik befand. Was in derselben geschaffen worden
ist, müssen wir aus überkommenen, zum Theil nicht immer vollständig erhal-
tenen Stimmbüchern, oder aus den sogenannten Tabulatureu beurtheilen, in
deren Entzifferung aber auch die gelehrtesten Interpreten oftmals von einander
abweichen.
Um nun diejenigen zu befriedigen, welche sich über das Ungewisse Ge-
wissheit schaffen wollen, verweisen wir auf die Artikel: Instrumentalmusik,
Partitur, Tabulatur, und in der ausführlichsten Weise auf Kiesewetter's
»Greschichte der abendländischen Musik«. An dieser Stelle können wir uns
dagegen nur auf allgemeine Andeutungen, eigentlich nur auf Aphorismen be-
schränken; denn das I. gehört zu den wenigen seltneren Künsten, die sich lernen
aber nicht lehren lassen. Es ist möglich, dass Jemand aus dem vorliegenden
oder aus einem ähnlichen Werke die Geschicklichkeit erlangt, Eugen zu schreiben,
ohne jemals eine Musterfuge gesehen oder gehört zu haben; es ist möglich,
dass ihm ebendaselbst die Regeln für den doppelten Contrapunkt so eindring-
lich vorgetragen wurden, dass er fehlerfreie grössere Sätze in dieser schwie-
rigen Weise zu construiren vermag; aber es ist unmöglich, für die Instrumen-
tation Vorschriften zu ertheilen , welche das Studium und die Analyse guter
Partituren überflüssig machen oder ersetzen könnten. Sogar die besten seither
erschienenen Werke, die unseren in Rede stehenden Artikel behandeln (unter
den Deutschen Marx und Rcissmann), fördern nur eine genauei-e Kenntniss
der einzelnen Instrumente, die sich obenein in ihrer Leistungsfähigkeit von
Jahr zu Jahr verändern, weil erweitern. Man lerne aus jenen umfassenden
Büchern, was zur Zeit ihres Erscheinens für die einzelnen Instrumente prac-
ticabel war; dann wende man sich jedoch ohne Zögern an das Studium und
die Analyse grösserer Partituren. Nachstehend sei der Gang bezeichnet, wel-
chen der Schüler hierbei befolgen dürfte.
Sobald also gewisse Präliminarien als Grundbedingungen erfüllt sind, d. h.
sobald Jemand mit den Hegeln musikalischer Setzkunst vertraut geworden und
die Fertigkeit erlangte, Partituren zu lesen und zu spielen , gleicherweise aber
auch schon aus einem der darauf bezüglichen Lehrbücher den Umfang und die
Behandlung jedes Instruments zu beurtheilen gelernt hat, — dann nehme er
beispielsweise eine der älteren Sinfonien von Beethoven vor und suche die-
selbe möglichst in succum et sangidnem übergehen zu lassen. Demnächst werden
auf vollständigem Partiturpapier die Blasinstrumente copirt; die gedruckte
Partitur wird wieder bei Seite gelegt, und nun ist die Aufgabe: nach Anleitung
(mit Hülfe) eines Ciavierauszugs die vier resp. fünf offen gebliebenen Systeme
des eigenen Mauuscripts durch das Saitenquartett auszufüllen und hinterher
mit dem Original zu vergleichen. Nach dieser ersten Procedur wird eine zweite
zwar in ähnlicher, jedoch schwierigerer Art vorgenommen, nämlich die Copiatur
des Quartetts (Violine 1 und 2, Viola, Violoncello, Coutrabasso), darauf nach
dem Clavierauszuge die Ausfüllung der Blasinstrumente, und zuletzt deren aber-
maliger Vergleich mit dem Original. Endlich wird die ganze Partitur nur mit
Hülfe des vorliegenden Ciavierauszugs nochmals niedei'geschrieben und zum
Schluss die vergleichende Anatomie zwischen Original und eigener dritter
Arbeit gewissenhaft betrieben. AVer nun die Mühe nicht scheut, auch noch
einige neuere Orchesterwerke ebenso zu reproduciren , der möge überzeugt sein,
dass er dadurch weit mehr erlangt haben werde, als nur die Sicherheit, nichts
432 Instrumeutiren.
Inpracticables hinzuschreiben; nicht allein, dass er keinen Verstoss mehr gegen
die Regeln machen wird, welche die Lehrbücher der Instrumentation mit ihrem
»bis hierher und nicht weiter« ertheileii konnten, sondern er ist selbstständiger
Herr über das Orchester geworden, und darf diesem Körper neue Aufgaben
zumuthen, ohne dessen Kräfte zu überspannen. Um auch für die sogenannte
»Harmoniect (nur Blasinstrumente verschiedener Grattung) sachgemäss arbeiten
zu können, stelle mau dieselben Uebungen an mit einem in solcher Weise
componirten Original (z.B. Ouvertüre von Mendelssohn op. 101 oder eine
der grossen Militärmusiken von dem verdienstvollen AViep recht), wobei zuerst
die Holzblasinstrumente copirt und später die Blechinstrumente ohne vor-
liegendes Original hinzugesetzt werden, darauf in umgekehrter Ordnung, zuletzt
u. s. w. u. s. w. wie es bereits oben angegeben ist. Kaum uöthig scheint noch
besonders hervorzuheben, dass auch hier dem alten Spruche ytviva vox doceU
recht eindringlich Folge zu leisten ist, durch oftmaliges Anhören bedeutender
Orchesterwerke, und wo möglich mit deren Partitur in der Hand; der junge
Gompouist gewinnt dadurch die Fähigkeit, seine musikalischen Ideen im Grossen
und Granzen sogleich orchestermässig zu empfangen, nicht aber seine Composition
erst hinterdrein wie ein fremdes AVerk instrumeutiren zu müssen.
Ein Zurückgehen noch vor Beethoven, um in die Geheimnisse der In-
strumentation einzudringen — selbst wenn es Haydn oder Mozart wäre —
ist kaum anzurathen, weil der gegenwärtige Standpunkt des Orchesters gegen
die frühere Zeit so hoch gerückt ist, dass der damalige für unseren Zweck nur
noch historisches Interesse behält. Freilich heisst es, »in der Beschränkung
zeigt sich erst der Meister«, und doppelt willkommen wird uns immer der-
jenige sein, welcher schon durch geringe Mittel bedeutende Wirkung zu erzielen
vermag; aber andererseits vergesse man auch nicht, dass die grossen Effecte,
welche die älteren Meister noch heutigen Tages hervorbringen , wahrlich nicht
in der Instrumentation, sondern in der Composition liegen. Und wenn es schon
seine Schwierigkeiten hat, dass die Jetztzeit eine Oper schaffe von der Bedeu-
tung des »Don Juan«, so ist es geradehin undenkbar, dass eine solche — stände
ihr Erscheinen wirklich in Aussicht — mit der damaligen Instrumentirung
aufträte. Vollständig nutzlos würde aber für denjenigen, der i. lernen will, ein
zu diesem Zweck unternommenes Studium der Partituren von Seb. Bach und
Händel sein, zweier Meister, welche in der Kirche die Orgel, im Coucertsaal
das Ciavier oder die Orgel benutzten, um ihre lückenhaften Partituren aus-
zufüllen, ohne uns Andeutungen zu hinterlassen, in welcher Weise sie dies
selber thaten, so dass wir also darauf hingewiesen sind, die Completirung des
Torso in seinem das Werk durchhauchenden Geiste zu unternehmen und durch-
zuführen. Mozart war daher im vollen Hechte, als er den »Messias« mit
Blasinstrumenten schmückte, und er hätte an vielen Stellen noch manches hin-
zusetzen können, ohne sich gegen das Original zu versündigen.
So ist es auch eine Beleidigung für J. S. Bach, wenn man ihm zutrauen
wollte, er habe seitenlange Musikstücke nur mit Accompagnement eines Basses
(dann und wann auch eines höheren Soloinstruments) vortragen lassen; der
alte Thomanercantor hat ganz gewiss auf Cembalo oder Organo gehörig nach-
geholfen. Eine solche Nachhülfe Hess ihm mit Fug und Recht in neuester
Zeit Robert Franz angedeihen, und es ist eine geschmacklose Pietät, bei
Aufführung dieser alten, uns unvollständig überlieferten Werke an dem y>litera
scripta manetn festzuhalten, und darüber zu vergessen, dass jene literae zum
Theil Hieroglyphen sind, welche ihrer zeitgemässen Entzifferung harren. Un-
recht ist es dagegen, ältere Compositionen durch neuere Instrumentirung heben
zu wollen. So fest wir auch davon überzeugt sind, dass die fünfte und neunte
Sinfonie — wie überhaupt sämmtliche Grossthaten des Unerreichten — in
ganz anderem Gewände erscheinen würden, wenn Beethoven schon das er-
weiterte Gebiet verschiedener damals noch höchst beschränkter Instrumente
gekannt hätte, so müssen wir uns doch entschieden gegen das Verfahren er-
Instrumento a carapanella — Tntavolare. 433
klären, welches sich ein berühmter Componist in Bezug auf oben genannte
"Werke erlaubt hat, selbst zugegeben, dass der Autor dieselben in unseren Tagen
kaum anders instrumentirt haben würde, als jetzt sein jüngerer Collaborator
gethan. Denn jedes Kunstwerk trägt den Stempel seiner Zeit (der Zeit seines
Entstehens) an sich, und es dieses Zeichens berauben, heisst: ihm das Zeitliche
abstreifen wollen, ohne ihm Ewiges verleihen zu können. Oder wer hinderte
dann nach etwa 50 Jahren abermals einen geschickten Operateur und Restau-
rateur, die ganze Partitur wieder nach den jüngsten Erweiterungen des Instru-
mentenbaues umzumodeln? der Kühnheit gar nicht zu gedenken, mit welcher
jetzt schon sogar einzelne Figuren, in Folge verbesserter Instrumentation, ab-
geändert worden sind. Nein! das eigenthümliche Gewand muss dem "Werke der
Tonkunst, ebenso wie dem der Malerei oder Sculptur, erhalten bleibendes
gehört zum Charakter der Periode, in welcher das "Werk entstanden ist und
darf ihm also nicht entzogen werden.
"Unzweifelhaft gilt die Instrumentation für Musik dasselbe, wie das Colorit
für Malerei, in welcher ein blendender Farbenglanz oft das Dürftige der Er-
findung, oder das Mangelhafte der Gruppirung, den Nichteingeweihten sogar
die unrichtige Zeichnung vergessen macht; und es fehlt gerade in neuester
Zeit nicht an Beispielen, dass selbst hervorragende Tonkünstler ihren mitunter
ganz trivialen Eingebungen durch prachtvolle mise en scene eine höhere Gel-
tung beizubringen wussten. Wie gefährlich nun auch die Geschicklichkeit des
I.s als ein willkommenes Surrogat für Reichthum an Gedanken werden kann,
so unerlässlich ist sie doch jedem Componisteu, da es andererseits oft genug
vorkommt, dass wirklich interessante Motive den beabsichtigten Effect nicht
machen, weil sie in einem zwar practicabeln aber doch nur schablonenhaften Or-
chestriren spurlos untergehen mussten. Und hier dürfen wir unverhohlen be-
kennen, dass durch Richard "Wagner, wenn er weiter kein anderes Verdienst
hätte, in der Behandlung der Instrumentalmassen ein bedeutsamer Umschwung
herbeigeführt wurde. "Wie, oft er auch darin die Grenzen der Schönheit über-
schreitet, so hat sein Beispiel (nach dem Vorgänge des bahnbrechenden Hector
Berlioz) doch nicht anders als fruchtbringend selbst auf ältere Kunstgenossen
gewirkt, und das Studium seiner Partituren kann allen jüngeren Musikern —
wenn sie bereits festen Grund gelegt haben — dringend empfohlen
werden. Mögen sie sich hüten vor den Excessen eines ausgetüftelten Raffine-
ments (es ist hier immer nur von Instrumentation, nicht von Composition die
Rede), aber möge ihnen das viele überraschend Neue und Schöne auch Anlass
zum Nachdenken und zur Nacheiferung werden. Dem Saiten quartett die Füh-
rung des ganzen Baues übertragen, um dasselbe die Bläser gruppiren, keinem
von allen dabei Beschäftigten eine Rolle zuweisen, die seiner Natur widerstrebt
.... solche höchst billige Art, mit den Instrumenten umzugehen, ist allmälig
Gemeingut unserer (der Musiker) Nation worden, und wir müssten diese Fähig-
keit eigentlich nur noch zu den handwerksmässigen, nicht mehr zu den künst-
lerischen Eigenschaften zählen. Folgt man aber aufmerksam dem Fortschritt
der Instrumentalmusik (s.d.) von den Uranfängen italienischer Kammer-
cautaten bis zu den letzten Errungenschaften deutscher Meistersinger, so wird
man sich jener Ansicht kaum verschliessen, die wir schon oben in dem Satze
aussprachen: I. gehört zu den seltneren Künsten, die sich lernen aber nicht
lehren lassen. Das Combinationsvermögen, gestützt auf technische Studien und
erweitert durch feinen Geschmack, lässt sich nicht eintrichtern wie die festge-
stellten Regeln irgend welcher der Tonwissenschaft zugehörigen Disciplin.
H. D.
lustrumeuto a campauella oder Stromento a campanella (ital.) , das
Glockenspiel.
lutavolare (latein.), ursprünglich in der Bedeutung, in die Tabulatur
bringen, später in Partitur setzen oder absetzen, wie der Kunstausdruck
lautet (s. Tabulatur).
Musikal. Convers.-Tiexikou. V. 28
434 Integer valor notarum — Interpunction.
luteger valor notarum (latein.) war in der Meusuralmusik die Bezeich-
nung für die eigentliche Zeitdauer der Noten unter dem gewöhnlichen Takt-
zeicheu, von welcher in der Äugmcntatio und Dimmutio abgewichen wurde (s.
Mensuralnotenschrift).
lutendaut de musiqiie (frauzös.; ital,: Intendente), der Intendant oder Ober-
aufseher der Musik, heisst Derjenige, welcher bei Hofbühnen, Hof kapeilen
\\. s. w. die oberste Verwaltung führt und die Verbindung zwischen dem be-
treffenden Institute und dem Herrscher vermittelt. Seiner Stellung nach gehört er
zu den höheren Hofchargen, weshalb bisher auch in der Regel ein Hofcavalier
mit diesem Amte betraut wurde. In Frankreich ist im Laufe der Zeit die
Bezeichnung I. auf jeden ersten Vorsteher, Direktor einer Kapelle, Musikdirektor
u. s. w. übergegangen.
Intei'ludium (latein.), das Zwischenspiel (s, d.), besonders bei Chorälen.
lutermedium (latein.) oAev Intermezzo (ital ; französ.: intermede oder farce),
zu deutsch Zwischenspiel, nennt man zunächst jedes Tonstück, welches zur
Ausfüllung einer langen Pause in einem grösseren oder zwischen zwei kleineren
Schauspielen dient (s. Entr'act). Sodann und hauptsächlich bezeichnet es
eine kleine dramatische Darstellung, am häufigsten in Form eines Singspiels,
welches, ohne grosse Ansprüche zu machen, den Zuschauer und Zuhörer humo-
ristisch unterhalten soll und häufig als Lückenbüsser zur Ausfüllung des Theater-
abends gebraucht, oder auch von reisenden Sängern angewendet wird, um sich
dem Publikum im dramatischen Gesang vortheilhaft, und zwar ohne viel Vor-
bereitungen mit grösserem Bühnenpersonal, zu zeigen. Das I. ist keine Er-
findung der neueren Italiener, die es allerdings besonders pflegten und aus-
bildeten; denn schon die Alten kannten gewisse kurze, abgerissene, locker an-
einandergeknüpfte Darstellungen, durch welche sie den Uebergang von einem
Stücke zu dem anderen machten und zugleich längere Zwischenräume der Zeit
ausfüllten. Das I., wie es jetzt vorkommt, ist vorzüglich eine kleine komische
Oper, in welcher eine, höchstens zwei Personen auftreten, hin und wieder auch
noch eine stumme Person betheiligt ist, und die weder mit dem vorhergehenden,
noch mit dem nachfolgenden Stücke in irgend einer Verbindung steht. Da
die Kritik an diese Art Erzeugnisse, weil sie durch die geringe Anzahl Per-
sonen sehr beschränkt sind, keine strengen Anforderungen zu machen scheint,
so fühlt man sich von denselben hinlänglich befriedigt, wenn sie sich nur durch
Laune und komische Kraft auszeichnen, ohne es gerade mit dem inneren Zu-
sammenhange der eng begrenzten Handlung sehr genau zu nehmen. Die ersten
Intermezzi der Italiener sollen in Madrigalen bestanden haben, welche zwischen
den Aufzügen abgesungen wurden und auf das Stück Beziehung hatten , aber
bald von ihrer ersten Bestimmung sich entfernend, zu selbstständigen, durch
P. F. Valentini (um 1650 lebend) sogar seriösen Stücken geworden sein. Als
eines der ältesten und schiinsten Intermezzi gilt Bardi's y>Il eomhattimento
d'ÄpolUne col serpente« , von dem Sänger Caccini in Musik gesetzt, und 1590
aufgeführt. Auch in den älteren französischen Opern kommen Intermezzi unter
dem Namen Rondeaux oder Sarabanden vor, um mittelst derselben den Sängern
Zeit zur Erholung, dem Publikum Abwechselung zu verschaffen. Die von
.Jacques Offenbach 1856 für das kleine Theater der HoKffes parisiens in Paris
geschaffenen kleinen Singstücke (»Die beiden Blinden«, »Die beiden Fischer«
u. s. w.), sowie die zu gleicher Zeit von dem französischen Sänger Levassor
auf Reisen auch in Deutschland vorgeführten Soloscenen sind im Grunde nichts
anderes als französische Intermezzi im italienischen Sinne des Wortes, nur dass
die bezeichnende echte, unverwüstliche Komik darin schon vielfach in niedrige
Posseureisserei ausartete.
Interpunction (aus dem Latein.) nennt man die gesetzmässige Anwendung
gewisser Scl'riftzeichen (Punkt, Kolon, Komma, Fragezeichen u. s. w.), durcli
welche die Verbindung und Trennung Dessen, was in einer Rede, dem Sinne
nach, zusammengehört oder getrennt werden muss, und die Hebung und Senkung
InterrogativTis sc. acceutus — Intervallenlehre. 435
der Stimme angedeutet werden, so dass sie in ersterer Hinsicht der logischen
Deutlichkeit, in der anderen der Vollkommenheit des mündlichen Vortrags
dienen. Die Morgenländer kennen nur Tonzeichen, aber keine eigentlichen
I.szeichen; die Römer hatten zwar den Namen L, verbanden aber damit, ebenso
wie die Griechen , einen blos oratorischen oder declamatorischen Begriff und
deuteten sie schriftlich oft gar nicht, oder höchstens durch einen Punkt am
Ende des Satzes oder durch neue Linienanfänge an. Die neuere, grösstentheils
grammatische I. ist angeblich eine Erfindung des alexandrinischen Grammatikers
Aristophanes, aber erst seit Ende des 15. Jahrhunderts bediente man sich der-
selben, gemäss dem Beispiele der gelehrten venetianischen Buchdrucker Ma-
nucci, die als Schöpfer der gegenwärtigen I.smethode anzusehen sind, nach
festeren Begeln. Auf diese Regeln hat der Vocalcomponist der Bestimmtheit
und Deutlichkeit, ja der Richtigkeit seiner Tonverbindungen wegen genau zu
achten, und mit Recht werden jetzt mehr wie früher Fahrlässigkeiten in dieser
Beziehung scharf gerügt. Musikalisch gut declamirte Gesangstücke werden
auch die I. gehörig berücksichtigt haben, widrigenfalls sich den Sängern ein
Feld eröffnet, da nachzuhelfen, wo der Componist gefehlt haben sollte. Wie
vortrefflich auch die Parenthese musikalisch wiedergegeben werden kann, davon
giebt die Tonphrase zu den Worten »Dräuend wohl dem Mörder« in der
grossen Arie des Max in C, M. v. Weber's »Freischütz« Beweis.
Interrogatiyus sc. accentns (latein.), s. Accentus ecclesiasticus.
luterrotto (ital.), Vortragsbezeichnung in der Bedeutung unterbrochen,
abgebrochen.
Interrnption (französ.; ital.: interruzione) , die Unterbrechung, das plötz-
liche Abbrechen z. B. einer Stimme, welche einen bestimmten Tongang be-
gonnen hatte und die Beendigung desselben einer anderen Stimme überlässt.
Intervall (vom latein. intervallum — der Raum zwischen den Pallisaden;
daher auch »Zwischenraum«, »Entfernung«, »Raum«). In der Musik ist der
Begriff I. in dreierlei Auffassung gebräuchlich. 1. Die erstere Auffassung er-
giebt sich aus folgenden Definitionen: »Die Vergleichung zweyer Töne, in An-
sehung ihrer Grösse, oder die Vergleichung einer Stufe der Tonleiter mit einer
anderen, in Betracht ihrer Entfernung, nennt man ein I.« (H. Chr. Koch, »Ver-
such einer Anleit. zur Comp.«, 1782, I. S. 40). — »Jeder (höhere) Ton, welcher
mit einem tieferen verglichen wird, oder wie Sulzer schreibt: ,das Verhältniss
zweyer Töne in Absicht ihrer Höhe', heisst ein I., weil beyde Töne in einer
gewissen Weite von einander entfernt sind. Noch Andere sagen: ,Der Raum
oder die Entfernung von einem Tone zum anderen'; desgleichen: ,Die Be-
stimmung eines Tones nach seinem Abstände vom Grundtone* u. dergl, m.
Auch übersetzen Einige das Wort I. durch Ton- oder Stimmweite« (D. G. Türk,
»Ciavierschule«, 1789, S. 53). »I. ist dea' Raum zwischen zwey Tönen von ver-
schiedener Grösse, oder die Vergleichung einer Stufe der Tonleiter mit einer
anderen in Betracht ihrer Entfernung« (H. Chr. Koch, »Musik. Lexicon«, 1802,
S. 796). »Das Verhältniss von zwei nicht völlig gleich hohen Tönen, der
Unterschied der Höhe eines Tones gegen die Tonhöhe eines anderen, die Ent-
fernung von einem höheren zu einem tieferen, heisst I., d. h. Zwischenraum,
Tonunterschied, Tonentfernung.« — 2. Nach einer zweiten Auffassung versteht
man unter I, jeden zweistimmigen Zusammenklang ganz im Allgemeinen. —
3. Endlich heisst (in unrichtiger Weise) auch jeder Ton eines Zusammenklanges
als solcher ein I. — Weiteres über Benennung, Eintheilung und Behandlung
der I.e findet sich unter Intervallonlehre. 0. T.
InterTallenberechuung', s. Intervallenlehre und Kanonik.
lutervallenlehre. Sie war Jahrhunderte lang der wichtigste Theil der
musikalischen Wissenschaft, zugleich aber auch eine Hauptplage der Musik-
treibenden, und noch heut zu Tage bildet sie die unentbehrliche Grundlage,
gleichzeitig aber auch, so leicht die Sache an sich ist, die unverständlichste
und unverstandenste Parthie in den meisten Lehrbüchern der Harmonie. Dieser
28*
436 Intervalleulelire.
Lehre vor alleu Diugen und den mit ihr verknüpften mathematischen Berech-
nungen und metaphysischen Speculationen ist es zuzuschreiben, wenn die Theorie
der Musik zeitweilig einen ungemessenen Ruf der Wissenschaftlichkeit erhielt,
zeitweilig aber aucli als müssige Speculation angesehen werden konnte, der jede
praktische Bedeutung, ja jede Bedeutung überhaupt abzusprechen sei. In
welchen Irrthümern diese Wissenschaft Jahrhunderte hindurch befangen war,
ist schon unter »Consonanz«, » Harmonielehre« und an anderen Orten
angedeutet; hier ist daher nur noch zu betrachten, inwiefern die I. zu den
verschiedenen Zeiten für die Praxis von Bedeutung war, event. was sie au
praktisch verwerthbaren Resultaten fand oder gefunden zu haben meinte. *
Schon bei den altgriechischen und lateinischen Musikschriftsteilern gilt die
I. für einen wichtigen Theil des theoretischen Unterrichts (s. Griechische
IMusik). Die Kenntniss der Intervalle und die Eintheilung der letzteren bot
wenig Schwierigkeiten*), da man nur 14 verschiedene einfache Intervalle an-
nahm, und unsere Eintheilung in grosse, kleine, verminderte und übermässige
Intervalle ganz unbekannt war. Das Nothwendige hierüber findet man unter
Consonanz und Griechische Musik, Viel complicirter dagegen war die
mathematische Berechnung der Intervalle, da man hierbei nach den verschie-
denen Klanggeschlechtern und deren Gattungen verschiedene Wege einschlagen
musste. »So wie es die Musici heutiges Tages machen, dass sie für die zwölf
halben Töne ihrer Octave alle Tage eine neue Art von Temperatur zum Vor-
schein bringen: so machten es die Alten in Ansehung der Berechnung der
vier Töne ihrer Tetrachorde; und um eine Art der Berechnung von der an-
deren zu unterschtiden, theilten sie ihre Ivlanggeschlechter in verschiedene
Gattungen, und bezeichneten selbige mit gewissen Nahmen, die sie theils von
der Art der Berechnung selber, theils von der, dieser Berechnung zugeeigneten
Kraft entlehnten« (Marpurg, a. a. 0. S. 144).
Pythagoras, der älteste griechische Theoretiker, von dem derartige Be-
rechnungen durch lateinische Schriftsteller aufbewahrt sind, war mit den rich-
tigen Verhältnissen der Saitenlängen für einzelne Intervalle bekannt; gleich-
wohl ist er hinter die wahren natürlichen Verhältnisse der anderen Intervalle
nicht gekommen. »Das Ohr musste sich bei ihm nach den Zahlen richten,
und, weil er sich, dem Vorurtheile der Alten für den Quoteruionem (die heilige
Vierzahl) zu Folge, vorgenommen hatte, alle einfache Rationen, die diesen Um-
fang überschritten, für dissonirend zu erkennen: so hatten die Zahlen 5:4:0
folglich das Unglück, von der Anzahl seiner Consonanzen ausgeschlossen zu
werden. Man weiss aus dem Plutarch, dass der Quoternio bei den Griechen
in solchem Ansehen stand, dass man gar bei demselben zu schwören pflegte«
(a. a. 0. S. 147). Pythagoras nahm bekanntlich die Dififerenz zwischen der
Quinte {Diapente, mit dem Verhältniss der Saitenlängen 3 : 2) und der Quarte
{Diatessaron = 4:3) als Ganzton {Tonus = 9 : 8, da '^ js : ^ji = */9, s. Subtraction
der Intervalle) an. Zwei solche Ganztöne (c : d = d :8 und d: e = d :8) bil-
deten seine grosse Terz (Ditonus = c:e = 81:64, da 7» X 7^ = "^/ai , s. Ad-
dition der Intervalle), — und die Difi'erenz zwischen diesem Intervall und
der Quarte (4:3) wiederum war sein Halbton (Uemito/iium = e :f = 25Q:24:S,
da 7* : ^V^i = '"7"6, s. Subtraction der Intervalle), Wie man sieht,
verwendete Pythagoras nur Quinten und Octaven (die Quarte ist ja nur eiue
umgekehrte Quinte), und aus den Artikeln Intervall, Tonsystem u. s. f.
ist bekannt, dass dann alle seine grossen Terzen um das syntonische Komma
(81 : 80) zu gross sein mussten. »Eine solche, um das syntonische Comma 81 : 80
zu starke grosse Terz konnte freilich auf dem Monochord nicht angenehm ins
*) „Wir bemerken nur, dass, da wu- uicht alleiu mehrere geschickte Töne zur Musik
haben, als die Alten, sondern zugleich die Verhältnisse der Intervallen, Dank sei es dem
Zarlino, Jjesser kennen, als jene sie gekannt haben, unsere heutige Lehre hievon von weit
grösserem Umfange, als bei ihnen ist" (Fr. W. Marpurg, „Kritische Einleitung in die Ge-
schichte und Lehrsätze der alten und neuen Musik", J'erJin, 1759, S. 97).
Intervallenlehre. 437
Grehör fallen, wenn gleich die grosse Terz in der Praxi, wo die Sänger und
Spieler solche in ihrem natürlichen Verhältnisse nahmen, das Ohr nicht be-
leidigte. Pythagoras aber urtheilte von der grossen Terz nach der aus seinem
Monochord ihr gegebenen Ration« (a. a. 0.). "Wenn die grossen Terzen falsch
waren, so mussten natürlich auch die kleinen Terzen und die grossen und
kleinen Sexten falsch werden. Die grossen Terzen und die grossen Sexten
sind nämlich immer um dasselbe Intervall zu gross, um welches die kleinen
Terzen und die kleinen Sexten zu klein sind. »Man hätte denken sollen,
dasB, als die pythagorische Secte von dem Aristoxenus verdrungeu, und die
Arithmetik auf ihrem Throne erschüttert ward, die Terzen und Sexten ein
sanfter Schicksal hätten erfahren müssen. Aber Aristoxenus, der auf das Gehör
pochte, hatte gleichwohl noch nicht Grehör genug, diesen Intervallen Recht
wiederfahren zu lassen. Wenn er gleich in seinem chromatisch -toniäischen
Geschlecht den Ohren eine kleine Terz in der Ration 6:5 vorstellte: so kam
ihm, weil er seiner Abweichung von den Pythagoräern ungeachtet, noch an
den vier ersteren Zahlen hängen blieb, diese 6:5 gleichwohl noch nicht con-
sonirend vor; und übrigens brachte er, in verschiedenen Eintheilungen der
Klanggeschlechte, noch schlechtere Rationen für die Terzen und Sexten zum
Vorschein, als sie jemahls Pythagoras gehabt hatte.« »Derjenige, unter dessen
Händen die Klanggeschlechte eine bessere Form zu allererst bekamen , war
Didymus, und Ptolomäus folgte seinen Spuren. Beyde brachten die Ration
5:4 für die grosse Terz in ihr diatonisch -syntonisches Klanggeschlecht. Sie
bedienten sich dabey zu gleicher Zeit der Ration 6 : 5 für die kleine Terz ;
aber sowohl dem einen als dem andern, fehlte es entweder an Herz, oder an
Gehör, diese Intervalle in dem besagten Verhalte für consonirend zu erkennen.
Sie Hessen es immer bei der alten Meinung bewenden; ihr Zirkel maass gut;
aber ihr Ohr hörte falsch« (a. a. 0. S. 147 ff.).
Die Berechnungen des Pythagoras, wie sie durch Aristides Quintilianus
mitgetheilt werden, beziehen sich nur auf das diatonische Klanggeschlecht
(s. Klanggeschlecht). Schon vor der Zeit des Aristoxenus aber wurden
das chromatische und das enharmonische Geschlecht mit in Rechnung gezogen.
Die Berechnungen des Aristoxenus, denen sich auch Aristides Quintilianus und
Euklides anschlössen, schlugen einen ganz anderen Weg ein. »Diese Har-
moniker theilen den ganzen Ton in zwölf Theile; und nehmen den halben Ton
zu sechs Zwölftheilen an. Ein Drittheilton bekömmt vier Zwölftheile, und
ein Viertheilton drei Zwölftheile. Ein ganzes Tetrachord wird also in dreissig
Theile unterschieden« (a. a. 0. S. 150). Sie erhielten in den verschiedenen
Klanggeschlechtern noch verschiedene Gattungen, so z, B. zwei diatonische mit
den Eintheilungen:
a. 7i2 + V12 + ^Vi2 = 'A Ton + 74 Ton + l'/* Ton;
j. 6/1, _1_ "/12 + ^7i2 = 72 Ton + 1 Ton + 1 Ton.
lieber das erstere urtheilt Marpurg: »Das war ein sehr ungeschicktes
Klanggeschlecht«; das zweite liegt zwischen der richtigen natürlichen Stimmung
(s. Ton System) und unserer gleichschwebend-temperirten Stimmung, hat aber
keineswegs die praktischen Vorzüge der letzteren Temperatur. »Zwischen den
Zeiten des Aristoxenus und des Ptolomäus blühten Archytas, Gaudentius und
Didymus. Archytas wechselte die Ration 9:8 mit 8:7 ab, und brachte da-
durch eine grosse Terz in der Ration 9 : 7 zum Vorschein. Gaudentius behielte
die pythagorischen Verhältnisse für die beyden Terzen, nahm aber annoch den
halben Ton 2187:2048 zu Hülfe, um vermittelst desselben sein chromatisches
Geschlecht zu bilden. Didymus wechselte zu allererst die Ration 9 : 8 mit der
von 10:9 für die zween auf einander folgenden ganzen Töne ab, und brachte
dadurch die wahre Ration der grossen Terz 5 : 4 zum Vorschein. Ptolomäus
behielte die didymischen Rationen bey, und that nichts anderes, als dass er
selbige in seinem syntonisch-diatonischen System versetzte, und wo jener 10 : 9
gebraucht hatte, die Ration 9:8 anbrachte. Aber keiner von allen diesen
438
Intervalleulehre.
erkannte die Terzen und Sexten für Consonanzen« (a. a. 0. S. 154). Es folgen
nun die Berechnungen, und zwar aus Raumersparuißs nur für das diatonisch-
syntonische Klanggeschlecht.
Länge der Saiten :
Namen der Töne.
a.
b.
c.
d.
bei Pythat^oras.
bei Archytas.
bei Didymus.
bei Ptolomäus.
«1
2304
63
36
36
ff'
2592
707/8
4OV2
40
/i
2916
81
45
45
el
3072
84
48
48
rfi
3456
941/2
54
531/3
ci
3888
108
60
60
h
4096
112
64
644/5
a
4608
126
72
72
ff
5184
1413/4
81
80
/
5832
162
90
90 '::^
e
6144
168
96
96
d
6912
189
108
106%
c
7776
216
120
120
H
8192
224
128
129%
Ä
9216
252
144
144
Die verschiedenen Intervalle erhalten dadurch folgende Verhältnisse der
Saitenlängen:
Verhältniss der Saitenlängen:
Art der Intervalle.
a.
b.
c.
d.
bei Pythagoras.
bei Archytas.
bei Didymus.
bei Ptolomäus.
A. Halbtöne (kleine
Secunden) -.
S : C
256 : 243
28 : 27
16 : 15
27 : 25
e :f
)J
99
J>
16 : 15
B. (Janztöne (grosse
Secunden) :
A : H
9 : 8
9 : 8
9 : 8
10 : 9
C : d
>>
8 : 7
10 : 9
9 : 8
d : e
i>
9 : 8
9 : 8
10 : 9
f --ff
if
8 : 7
10 : 9
9 : 8
ff ■■ «
J5
9 : 8
9 : 8
10 : 9
C. Kleine Terzen:
A : C
32 : 27
7 : 6
6 : 5
6 : 5
S : d
J-J
32 : 27
32 : 27
99
d :f
»
7 : 6
6 : 5
32 : 27
e : rf
32 : 27
32 : 27
6 : 5
D. Grosse Terzen:
C : e
81 : 64
9 : 7
5 : 4
5 : 4
f : a
>J
>>
99
99
E. Qnarten:
A : d
4 : 3
4 : 3
4 : 3
27 : 20
H : e
99
»
99
4 : 3
C :f
»9
»>
>>
99
d : g
>l
»
99
9}
e : a
99
>>
>J
9t
ff • ^'
99
21 : 16
27 : 20
3>
Intervallenlehre, 439
Für die übrigen Intervalle ist die Augalje überflüssig, da man sie als
Umkehruugen der gegebenen Intervalle ansehen kann, und daher nur in dem
Verhältnisse des umzukehrenden Intervalls vor der Umkehrung desselben die
erste Zahl zu halbiren oder die zweite Zahl zu verdoppeln hat. So ist das
Verhältniss der Quinte (als umgekehrte Quarte) = 3 : 2 oder 6:4, da */2 : 3
= 2:3 und 4 : (3 X 2) = 4 : 6 ist, und diese Verhältnisse umgekehrt =3:2 oder
= 6:4 ergeben. lieber die Bedeutung, welche diese Berechnungen für die
Praxis gehabt haben, lässt sich Marpurg a. a. 0. (S. 144 ff.) — und wie ich
meine, mit vollem Rechte — wie folgt aus: »So wenig die Sänger ein Mono-
chord in ihrer Kahle hatten, so wenig hatten die Theoretiker eins in ihren
Ohren. Man schrieb und rechnete, und die Praktiker thaten, was sie konnten.
Ich erstrecke das Können auf alles, was der Natur der menschlichen Stimme
möglich ist, und supponire also den vortrefflichsten Sänger. Man bildete sich
ein zu hören, was man nicht hörte, und jeder fand ein Vergnügen in der Ein-
bildung. Es ist einem geübten Sänger gar nicht unmöglich, zwischen dem
Intervalle eines halben Tones einen mittlem Ton anzugeben. Wir haben auf
unsern Theatern alle Tage die Probe davon. Aber um wie viel differirt dieser
mittlere Ton von dem untern oder obern Ende des halben Tons? Welches
Ohr ist im Stande, diese Grösse ohne Vergleichung mit einem Monochorde
zu bestimmen, oder welche Stimme hat diese Grösse dergestalt in ihrer Gewalt,
dass sie solche niemahls verfehlt, und weder unten noch oben überschreitet?
Lasst uns ehrlich seyn, und der menschlichen Natur nichts über ihre Kräfte
zueignen. Nach allem diesen sind die verschiedenen Berechnungen der ver-
schiedenen alten Klanggeschlechte nur eine blosse Grille der Theoretiker ge-
wesen , die man nicht eiumahl zur Wirklichkeit zu bringen , gesucht hat.
Ich nehme meinen Beweiss daher, weil sie für diese verschiedenen Eintheilungen
der Geschlechte keine besondere Noten haben. Bei keinem Scribenten findet
man andere Noten, als für eine einzige Art vom diatonischen, chromatischen
oder enharmonischen Klanggeschlecht.«
Die antike I. behielt, soweit es sich um den mathematischen Theil der-
selben handelt, bis ins 16. Jahrhundert hinein ihre Geltung. »Auf eben die
Art« (lässt sich Marpurg a. a. 0. S. 143 ff. vernehmen), »als Gaudentius von
der grossen Terz und vom Tritonus spricht, welches letztere Intervall aber er
hätte weglassen können, spricht annoch vor etwanu zweyhundert Jahren der
berühmte Faber Stapulensis von den beyden Terzen, wenn er schreibt: dass,
wenn selbige gleich das Gehör ungemein vergnügen, solche dennoch desswegen
für keine Consonanzen zu halten sind. Ja unter den praktischen Tonkünstlern
hat sich keiner vor dem Orlandus Lassus , die Terz zu Anfang oder Schluss
eines Stückes zu gebrauchen, unterstanden. Derjenige, der zwar nicht zuerst
eingesehen, dass die Terzen und Sexten zu den Consonanzen gehören, doch
solches zuerst öffentlich gelehrt hat,^ ist Glareanus« (Dodek. Libr. I. p. 26).
»Bey dem allen scheint die wahre Kation der Terzen und Sexten dem Glarean
noch nicht bekannt gewesen zu seyn. Wenigstens hat er keine damit über-
einstimmende Berechnung seiner Lehre beygefüget, und hat also dem Zarlino
die Ehre aufbehalten, die wahren natürlichen Verhältnisse der Töne zu ent-
wickeln.« In Beziehung auf den von Marpurg zuerst genannten Schriftsteller
äussert sich Ambros (»Gesch. der Mus.« III. S. 155): »Ein anderer, etwas
älterer französischer Musikschriftsteller, Jacobus Faber Stapulensis (eigentlich
Jacques Lefebre aus Etaples bei Amiens), stürzte sich in seinen 1496 zu
Paris erschienenen «.Elementa musicaliau. (1510, 1552 neu unter dem Titel
nWusica demonstrataa) kopfüber in ganz abstrakte antike Theorieen und Inter-
vallenrechnercien.« »Es ist zu verwundern« (fährt Marpurg a. a. 0. S. 163
fort), »dass der grosse Reformator der Tonkunst, der berühmte Guido Aretinus,
da er die Tetrachorde abschaffe, nicht auch zugleich die Berechnungen der
Töne zu verbessern suchte. Doch es lasset sich nicht alles mit einmahl unter-
nehmen. Er that was ihm zu seiner Zeit möglich war.« »Guido Aretinus
440 Intervallenlehre.
begnügte sich, nach Art der Alten seine Töne zu berechnen, wenn er sie gleich
schon anders zu brauchen wusste.« Marpurg bringt nun eine von Guido in
seinem y)Introduct.a aufgestellte »Gamme«, die sich in nichts von den altgrie-
chischeu Tonleiterberechnungen unterscheidet.
Erst Ende des 15. Jahrhunderts begann man, die Nothwendigkeit einer
Aenderung in der Berechnung einzusehen, ohne indessen diese Aenderung wirk-
lich zu erreichen. »Mit Gafor (sein Hauptwerk, die y> Practica musicaea, erschien
zuerst 1496 und erlebte bis 1512 noch sechs Auflagen) beginnt eine tiefer
eingehende und untersuchende Musiktheorie, er ist der Vorläufer des Zarlino;
von ausgebreitetem "Wissen und mit den Schriften der griechischen Tonlehrer
vertraut, soweit dies damals möglich war, sucht er in seinen Werken die Theorie
der Alten mit der neueren Tonwissenschaft und Compositionspraxis in Bezie-
hung und, soweit thunlich, in Einklang zu bringen.« »Ein Zeitgenosse des
Gafor ist der Spanier Bartolomeo Ramo de Pareja, geboren um 1440 zu Baeza
in Andalusien, Schüler des Johann von Mons, Lehrer der Musik erst zu Toledo,
nachher zu Bologna. Ein von ihm verfasster y>Tractatus de Musical erschien
zu Bologna im J. 1482. Nach Burney soll Bartolomeo zuerst die Nothwendig-
keit einer Temperatur der Töne für den praktischen Gebrauch erkannt und,
wiewohl nicht ohne "Widerspruch zu finden, behauptet haben« (A. v. Dommer,
»Handbuch der Musikgesch.« S. 110). In Beziehung auf den letztgenannten
Schriftsteller, den er Bartolomeo de Bamis-Pareja nennt, theilt Ambros (a. a. 0.
III. S. 166 jßP.) mit: »Zwei Punkte waren es, in denen der ausgezeichnete Mann
einen über die Schranken seiner Zeit dringenden Blick bewies — und gerade
um dieser zwei Punkte willen wurde er mit erbittertem Hasse verfolgt. Er
war der erste, der sich für eine Temperirung der Töne aussprach; er war es
ferner, der zuerst statt der Hexachorde das Octavensystem als das einzig wahre
eingeführt wissen wollte. Seine Auseinandersetzungen darüber hat er in seinem
»De musica tractatusv. (Bologna, 1482) niedergelegt. Er will das Komma mit
dem Verhältnisse 80:81 als ein beirrendes Element beseitigen und geht in
einer Art Dilemma auf den Gegenstand los. Entweder, sagt er, empfinden
wir das Komma, oder wir empfinden es nicht. Ist ersteres der Fall, so muss
man es auf alle Intervalle vertheilen und so verschwinden machen; emj)finden
wir es nicht, so braucht man es nicht erst zu beseitigen. Auf keinen Fall
gehört ein solches Scheinwesen in die Theorie, und es ist übel gethan, es hier
eine so grosse und störende Rolle spielen zu lassen«. »Das Unternehmen Bar-
tolomeo's erschien den Zeitgenossen als ein Attentat, und Nicolaus Burcius
trat noch in demselben Jahre mit einem Büchlein hervor: ,Vertheidigung
Guido's gegen einen gewissen Spanier, den Fälscher der Wahrheit', wo, wie
man sieht, das Schimpfen schon auf dem Titelblatte anfängt und im Texte mit
Nachdruck fortgesetzt wird: Dieser Unverschämte, ruft Burci aus, dieser spa-
nische Dickkopf, dieser Frevler erfrecht sich gegen Guido, der allen Philosophen
an Heiligkeit und Gelehrsamkeit vorangeht, mit seinen einfältigen Possen ver-
leumderisch und ränkevoll aufzutreten; ja nicht gegen Guido allein, denn er
schmäht, zerreisst und fällt mit seinem Hundegebelle auch alle jene an, die
Guido's Lehren folgen.« Es entwickelte sich hieraus eine Jahrzehnte wäh-
rende heftige literarische Fehde, in welche auch Gafor gezogen wurde, der
lebhafte Einsprache gegen die von Bartolomeo vorgeschlagene Ausgleichung that
und später in der maasslosesten Weise gegen einen Schüler Bartolomeo's vor-
ging (-njpologia Franchini Gafurii adversus Joannem Spatarinm et compUces
musicos JBononietises«, Turin, 1520).
Zu einer wirklichen Aenderung gelangte man erst durch Zarlino. »Die
meisten diatonischen und chromatischen Berechnungen . die wir angeführt
haben, sind bis zur Zeit des berühmten Zarlino bei den Theoretikern Mode
geblieben. Dieser Fürst der neueren Musik, wie ihn Brossard nennet, nahm
sich vor, die Theorie zu verbessern, und er hat diese Verbesserung mit all-
gemeinem Beyfalle zu Stande gebracht. Er legte die guten Berechnungen des
Infcervalleulehre, 44J
Didyraus und Ptolomäus zu Grrunde, bauete hierauf, und gieng weiter. Seinen
Lehrsätzen haben wir es zu verdanken, dass wir die wahren natüi'lichen Ver-
hältnisse der Intervalle kennen, und wissen, dass die Terzen und Sexten unter
die Consonanzen gehören. Er verwandelte den Quaternionem des Pythagoras
1. 2. 3. 4, in den Senionem 1. 2. 3. 4. 5. 6, und vereinigte dadurch Zirkel
und Gehör; ein Ruhm, wornach Ptolomäus strebte, den er aber nicht so glücklich
gewesen ist, zu erhalten.« »Man würde aber ohne den Zarlino nicht so weit
in der Musik gekommen sein, als geschehen ist; und Neidhardt, dem die itzigen
Zeiten die gleichschwebende Temperatur schuldig sind, würde solche schlecht
berechnet haben, wenn er nicht zuvor die wahren natürlichen Tonverhältnisse
gekannt hätte. Auf was für eine Art Zarlino das didymische und ptolomäische
System verglichen, wird man aus folgenden Vorstellungen sehen:
e : d, d : e, e : f, f : g, g : a, a : h, h : c\
9, 9:8, 9:8, 16:15.
8, 10:9, 10:9, 27:25.
8, 10:9, 9:8, 16:15.
Didymus: 10:9, 9:8, 16:15, 10;
Ptolomäus: 9:8, 10:9, 16:15, 9
Zarlino: 9:8, 10:9, 16:15, 9
Diejenigen, die bishero den Didymus für den Urheber des letzten Klang-
geschlechts gehalten haben, können sich itzo eines andern belehren, und ver-
sichert sein, dass Printz Recht; Neidhardt aber Unrecht hat« (Marpurg, a. a. 0.
ö. 164 ff.). Die von Zarlino aufgestellte Scala hat alle Quinten, Terzen und
deren Umkehrungen richtig, bis auf die Quinte «?.•« = 40: 27 und die Terz
^.•/= 32:27, nebst deren Umkehrungen. Die Töne und Intervalle dieser
Scala entsprechen, wie man unter Tonartleiter und Tonsystem nachlesen
mag, genau denjenigen Verhältnissen, in welchen die Töne jeder Durtonartleiter
des natürlichen Systems unter einander stehen müssen, und die für die Theorie
die einzig niaassgebenden sind; in der Praxis aber, und besonders für Tasten-
instrumente, ist diese Stimmung vollkommen unbrauchbar (s. Tonsystem und
Temperatur). Zarlino stellte seine Scala aber auch nur für das diatonische
Geschlecht auf; er selbst und andere mit ihm erkannten schon damals, dass
für die Einrichtung der Tasteninstrumente eine Temperatur nothwendig sei:
»So ist die Scala Syntona auch nicht desswegen erfunden, dass, wann sie mit
den andern Scalis, alss Chromatica, und Enharmonica würde zusammen gesetzet,
man einen Hauffen Subsemitonia wolte zusammen bringen, nein, dieses ist auch
schon längst versuchet, und verworffen, wie in des Zarlini -a Supplementisa zu
lesen : Dann , da er gesehen , dass es sich in pi'axi nehmlich in denen Conse-
cutionibus nicht practiciren Hesse, approbirete er die Temperatur in so viel
mehr. So hat auch der berühmte Vincentius Galiläi, welcher im vorigen Seculo
geschrieben, gemerket, dass man mit den Subseraitoniis nicht ausskommen
konnte, darum hat er sehr grossen Fleiss auf die Temperatur gewendet, welchen
Keplerus insonderheit lobet« (Andr. Werckmeister, -nSypomnemata musica oder
Musicalisches Memorial«, 1697, S. 25).
Ueber den Weg. der zunächst eingeschlagen wurde, berichtet Werckmeister
(a. a. 0. S. 21 ff.): »Es hat zwar der Ptolomäus die Tertien und Sexten in
reinen proportionibus gehabt, wie aus seinen tetrachordis erhellet, aber er hat
doch dieselben vor keine reine Consonantien erkennen wollen. Nachgehends
sind sie wieder auf unreine Tertien gefallen weil da auch die Quinten alle rein
worden, die da kein völlig Comma in der Schwebung ertragen können, wie im
Nothfall die Tertien. Dieses hat nun biss zum Ende des vorigen Seculi ge-
wehret, da Bartholom. Ramus, dem gefolget Zarlinus, eine neue Scalam, welche
Scala Syntona genennet wird, erfunden, worin denen Tertien und Sexten ihre
rechtmässigen Proportioncs zugeeignet werden, da die Ordnung der Propor-
tional - Zahlen 1. 2. 3. 4. 5. 6 biss 8 ganz richtig, und alle Consonantien da-
rinnen enthalten so, dass nunmehro alles, was etwa von den Musicis möchte
erfunden werden, durch die Lehre der Proportionen examiniren, und unter-
suchen könne, ob es mit der Natur und Vernunfftgründen möge übereinkommen.«
442 Intervallenlelire.
»Es haben auch die alten Musici sich sehr bekümmert um die Eiuthcihmgen
der Töne oder wie sie die Scalas möchten einrichten , und hat fast ein jeder
Philosophus und Musicus seine eigene Abtheilung gehabt, daher kommen die
vielfältigen tetrachorda: Auss diesen sind endlich drey genera Musica her-
kommen, alss das Diatouicum, Chromaticum und Enharmonicum; In diesen
dreyen generibus sind sie doch nicht einig worden, denn einer hat so gewolt,
der andere anders, sonderlich ist das Semitonium 15:16 in dem Genere En-
harmonico und Franchino so vielfältig getheilet, dass man bei dem Zarlino
allein bey die acht Species findet: Einer hat dieses Semitonium in zwei dia-
schismata 30:31, 31:32 getheilet, der andere hat es wieder in diesin majorem
et minorem 125:128 und 24:25. Die übrigen haben wieder sonderliche Mei-
nungen gehabet. Also ist es auch in den andern generibus ergangen: hiermit
haben sie sich lange Zeit gequälet, sind daher bewogen worden, alle drey genera
zusammen zu setzen, da sie dann in die 16. Claves in einer Octave bekommen,
nachdem sie aber gemercket dass man keine beständige reine harmoniam in den
Consecutionibus erlangen können, sind sie auf die Temperaturen bedacht ge-
wesen, und finde bey dem Zarlino fürnehmlich drey Temperameata, doch nur
was das genus Diatonicum anbelanget: Da man nun in diesem genere alle
Tertien rein haben können indem Quinten nur Y* commatis geschwebet, so
hat man auch damals kein ander genus annehmen wollen, alss das Diatonicum.«
»Da aber die Natur ein mehres gesuchet, hat man das genus chromaticum
darzu nehmen müssen, und die kleinen Semitonia mit eingemischet: Es ist aber
hiermit noch nicht gut gewesen, diese semitonia haben nothwendig mit den
genere diatonico müssen temperiret werden, damit auch diese Scala mixta hat
können brauchbar gemachet werden, wie nun die Scala diatonica Syntona alle
Tertien in der Temperatur hat rein haben können, und alle Quinten '/* commat.
schweben müssen, also ist ein Irrthum daher entstanden bey einigen, die da
meinen, es könnten alle Tertien in der Scala temperata diatonico - chromatico
Enharmonica rein sein.«
Wie falsch dieser Weg ist, das weist Werckmeister an einem anderen
Orte (»Musikalische Temperatur«, 1691, S. 1 und 53) ausführlich nach, und
er kommt (a. a. 0. S. 56) zu folgendem Schlüsse: »Es scheinet dieser Process
in den ersten acht Octaven als vom O g. g d. D A. A e. E H. S ßs. Fis eis.
Cis Gis sehr favorabel, und konte wohl angehen, aber so man weiter gehet
gis dis. Bis B. B f. F c, so werden erstlich die absurditäten im Ciavier ofi'en-
bahr. Oder wenn man das Genus diatonicum also temperiren will, durch einen
Abschnitt eines Viertels vom commate in jeder quinta, so gehet es auch wohl
an , denn alle Tertien bleiben rein , als F c. c g. g d. D A. A e. Wie kann
man aber ausskommen mit denen andern clavibus? wo bleiben denn Cis. Dis.
Fis. Gis. 5?« Werckmeister selbst ist darüber, worauf es ankommt, vollständig
klar. »Dass aber die Temperatur, da alle Quinten ^i comma unter sich
schweben sollen, ein gantz ungereimt und falscli Ding ist, kann noch zum
TJeberfluss aus dem sogenannten circulo quintaruin erwiesen werden: Denn
wenn wir durch alle quinten hindurch gehen, wie folgend soll angezeiget wer-
den, bleibet eine proportion, die den terminum, woraus der Anfang der quinten
gemachet worden, gar ein klein wenig mehr als ein comma*) überschreitet,
und selbes subtile intervallum erhöhet. Da hingegen in besagter falschen
Temperatur 12 Vierthel, das ist 3 commate herunter getrieben worden, so alle
quinten '/* comma schweben sollen: Wie nun durch den Umgang der reinen
quinten, der letzte clavis den Punkt, woraus der Anfang gemachet worden, ein
wenig über ein comma übersteiget, und hingegen durch den Umgang der durch
ein Vierthel comm. herunter gelassenen quinten, 12 Vierthel comm. herunter
kommen, also ist durch die Vernunft leicht abzunehmen, dass noch 8 Vierthel
*) Nämlich um das Intervall 73 : 74 oder ein ditonisches oder pythagoräisches
Komma.
Intervallenlehre. 443
comm. weiter herunter von dem Anfaugs-Punkte geschritten worden, und dass
in einer richtigen Temperatur nur vier Vierthel in etlichen quinten herunter
schweben müssen, wenn der Punkt, woraus wir gegangen, wieder erlanget
werden soll. Es können auch diese vier Vierthel und die kleine differens in
andere Theile getheilet werden, weil die Temperaturen auf unterschiedliche
"Weise können angestellet werden. Die Schwebung kann aber nicht weiter
• herunter kommen, als der excessus in den Zirckel der reinen quinten es er-
fordert: Allhier wird auch die kleine differens in die commata eingetheilet, weil
sie der Sensus nicht begreifen kann« (Werckmeister, Temp. S. 64). Trotz
dieser Klarheit gelangte Werckmeister nicht auf die gleichschwebende Tem-
peratur, sondern schlägt ungleichschwebende Temperaturen vor. »Also müssen
nur etliche Quinten in der rechten Temperatur hernieder gelassen werden, denn
wie viel die vollkommenen reinen Quinten über die Octav gestiegen, so viel
und nicht mehr muss wieder ersetzet werden, damit die Octave mit der Wurtzel,
worinn wir den Anfang gemachet, möge rein bleiben« (a. a. 0.).
Der erste, welcher darauf kam, die gleichschwebende Temperatur für die
Praxis zu empfehlen, war Job. Georg Neidhardt (s. Temperatur). »Wir
wissen aber nunmehro, G-ott Lob ! dass man, nach Maassgebung der zwölff chro-
matischen Klang, mit zwölffteln vom commate, und mit keiner andern Einthei-
lung, zu verfahren habe, wenn ein gutes und leidliches Temperament soll ge-
troffen werden. Welches wir, der Erfindung nach, dem Herrn Neidhard zu
danken haben. Mich soll verlangen, wer es dereinst in allen Stücken ad Praxin
bringen wird« (Mattheson, »Exemplarische Organistenprobe«, 1719, S. 253).
Mattheson hält übrigens nicht sonderlich viel von den Bestrebungen zur Her-
stellung einer guten Temperatur. »Nur bloss die Claviere und Harffen allein,
als abgetheilte und abgemessene Spiel -Zeuge, sind dieser Schwierigkeit unter-
worffen, dass man bey ihrer Stimmung seine Zuflucht zur Temperatur nehmen
muss, wovon in vielen Büchern ein solches Wesen gemacht wird , als ob der
gantzen Welt Wolfahrt am einzigen Ciavier läge. Denn die menschlichen
Stimmen, die geblasene, gestrichene etc. brauchen dieses Flickwerks so wenig,
dass sie durch den Athem, oder auch durch die Finger und andere natürliche
Hülffs-Mittel, ohne den geringsten künstlichen Circkel- Stich, das rechte Pleckgen
treffen können« (Mattheson, »Vollkommner Capellmeister«, 1739). »Und wenn
die Temperatur-Kunst auch bey allen Instrumenten nöthig oder nützlich wäre,
so machte doch ihre richtige Stimmung ebenso wenig eine Musik aus , als ein
feingedeckter Tisch ohne Speisen eine Mahlzeit sein kann« (a. a. 0. S. 465).
Es ist bekannt, dass die Neidhardt'sche Idee nicht gleich allgemeinen An-
klang fand. Mattheson fragt (»Exempl. Organistenprobe«, Einleitung S. 99):
»Wo ist denn diese gewünschte, gleich schwebende Temperatur? Ich habe sie
noch nirgend, als in des Herrn Neidhardts Buche angetroffen.« »Und ob ich
gleich jene, oder eine reinere Temperaturam , auf alle Art und Weise billige,
verlange und zu befördern suche, so ist sie doch, so viel ich weiss, nie recht
ad Praxin gebracht. So lange aber, biss solches geschiebet, muss man gleich-
wohl seine Eintheilung nach der gewöhnlichen und gebräuchlichen Fabrique
machen, und wai'ten, dass dereinst eine neuere und reinere eingeführet werde,
denn das sind keine Sachen, die etwan von einem oder andern Wohlgesinnten,
oder von einer überzeugenden Schrift, sondern von viel tausend Menschen, die
ihre Hand -Arbeit darnach einrichten müssen, depentirt. Und die lassen sich
so leicht von einem Privato nichts , das ihnen neu scheinet , vorschreiben , ob
es gleich noch so vernünfftig seyn möchte.« Und Mattheson hat noch lange
Recht behalten. Durfte doch Chr. Gottlieb Schröter noch 1747 behaupten,
die Neidhardt'sche Temperatur sei nicht gleichschwebend, was G. Andr. Sorge
(»Gründliche Untersuchung«, 1754) erst noch glaubte widerlegen zu müssen.
Es ist für uns jetzt sehr leicht einzusehen, dass die Zarlino'sche Scala, indem
man dieselbe von den verschiedensten Tönen aus bildet, auf das natürliche
Tonsystem führt, das Moritz Hauptmann theilweise neu entdeckte und andere
444 lutervallenlehrp.
Theoretiker vervollkommneten, und das für die Theorie das einzig maassgebende
sein kann. Ebenso wenig Schwierigkelten macht es uns, zu erkennen, dass die
gleichschwebende Temperatur die richtigste und consequenteste, für die Praxis
aber unbedingt nothwendige Vereinfachung dieses Tonsystems ergiebt. Gleich-
wohl sind noch bis weit in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein viel-
fache Versuche gemacht worden, die gestellte Aufgabe in anderem Sinne zu
lösen (s. Tonsystem und Temperatur); ja noch heutigen Tages beruhigt
man sich nicht. Will doch Mor. Hauptmann (»Die Natur der Harmonik«) die
gleichschwebende Temperatur als »Nothlüge« verbannt sehen, und Helmholtz
(»Lehre von den Tonempfindungen«) versucht, eine praktisch anwendbare
Scala für das natürliche Tonsystem zu erfinden. Andere meinen gar, auf die
ungleichschwebcndcn Temperaturen , ja selbst bis auf Pytliagoras zurückgehen
zu müssen. So bestimmt die königl. Akad. der Künste zu Berlin in einem Er-
lasse (Stiehl, »Certralblatt«, 1871, Märzheft), dass in dem Unterrichte der Semi-
naristen die Zarlino'sche Stimmung zu Grunde zu legen sei; so stützt E. Nau-
mann (»Bestimmung der Tonverhältnisse«, Leipzig, 1858) seine Berechnungen
auf das Pythagoräische Tonsystem, und bei A. v. Doramer (»Handbuch der
Musikgesch.«, S. 462) findet sich folgende Auslassung: »Die gleichschwebende
Temjieratur machte als die praktisch dienlichste immer allgemeiner sich geltend,
wiewohl noch heutigen Tages die Theoretiker das in der Natur begründete
Pythagoräische Reine-Quint-Sj^stem zur Grundlage ihrer Berechnungen nehmen,
sowie auch Sänger und Spieler auf Instrumenten mit bestimmbarer Tonhöhe
ihm unwillkürlich folgen.« Was haben da die Bemühungen der de Ramis,
Salinas, Zarlino, Werckmeister , Neidhardt, Schröter, Sorge u. s. f. u. s. f.
genützt?
Ganz andere Fortschritte über die alten Griechen hinaus sind dagegen
nach anderen Seiten in der I. gemacht worden. Diese Fortschritte sind
namentlich der Entwickelung der mehrstimmigen Musik zu danken, welche be-
kanntlich ihren nachweisbaren Ursprung in dem Organum und der Dia-
phonie (s. d.) des Hucbald und Guido von Arezzo hatte. Hucbald und Guido
waren freilich noch immer Anhänger der griechischen Theorie; gleichwohl sind
sie die Ursache dazu, dass sich die Tonkünstler der späteren Zeit von der
griechischen Musiklehre, oder doch wenigstens von einzelnen nachtheiligen Lehr-
sätzen derselben, emancipirten. »Der mehrstimmige Gesang wurde zum Kunst-
bedürfniss , aber ihm gegenüber sah man sich von der griechischen Tradition
völlig im Stich gelassen, daher, und zwar zum Heil der Sache, auf eigene Ver-
suche hingewiesen. Mit Hucbald's Organum und Guido's Diaphonien allein
mochte man sich nicht mehr begnügen; wenn sie auch fortgeübt wurden, so
begann doch die Ahnung eines Besseren aufzugehen. Man kam allmälig dahin,
den Pythagoräischen Satz, dass in der Musik nicht dem Gehör sondern der
Berechnung und Messung das endgültige Richterarat zustände, nicht mehr als
eine unumstössliche Ofi'enbarung anzusehen. Schon Guido hatte vom Boethius
respectwidrig gesprochen und gemeint, er sei wohl für den Philosophen gut,
für den Sänger aber eigentlich unbi'auchbar. Daher experimentirte man auf
eigene Hand und auf gut Glück, und mögen, wie denn kaum anders denkbar,
die Resultate vorläufig auch nur einem noch ganz in der Kindheit liegenden
Gehöre einige Befriedigung zu gewähren vermocht haben, so war doch der
nunmehr eintretende Zustand, seiner Verworrenheit ungeachtet, wenigstens in
sofern gesunder, als die Praxis nicht mehr von Theoremen, welche selbst auf
schwachen Füssen einherwankten, sich gängeln Hess, sondern vielmehr der Theorie
frisch und muthig voraufzugehen begann und nicht mehr von der griechischen
Speculation allein, welche zwar als System ganz stattlich sich ausnahm, schliess-
lich aber nur grosse Rechenexemiiel und keine Musik ergab, sich abhängig
machte« (A. v, Dommer, »Handbuch der Musikgesch.«, S. 56).
Die in Folge jener Emancipation von der griechischen Theorie gemachten
Fortschritte in der Lehre müssen sich im 12. Jahrhundert vollzogen haben;
Intel vallenlehre. 445
»denn schon vom Anfange des folgenden 13. Jahrhunderts sind uns Schriften
überliefert, welche die abgehandelten Gegenstände bereits in einer so geordneten
Weise vortragen, dass man nicht anders kann als annehmen, einer so syste-
matischen Darstellung sei schon eine längere praktische Uebung voraufge-
gangeu, das was die Schriften erklären, sei nur ein Extract aus in der Praxis
längst gang und gäbe ö-ewordenem« (Dommer, a. a. 0. S. 57), TJebrigens sind
ja neuerdings durch Coussemacker's Forschungen die Namen verschiedener Ton-
lehrer bekannt geworden, die sich schon im 12. Jahrhundert mit der Mensural-
musik beschäftigten. Aus den Diaphonien hatte sich nach und nach eine andere
Art mehrstimmigen Gesanges entwickelt, der sogenannte Discantus oder
Dechant (s. d,). In ihm, so barbarisch er auch im Anfange noch sein mochte,
traten doch die Stimmen schon selbstständiger einander gegenüber, und die
Beobachtungen, welche das Gehör beim Discautisiren ganz unwillkürlich an-
stellen musste, führten zu einer besseren Kenntniss von der Natur der Intervalle,
und somit zu verschiedenen Berichtigungen in der I. selbst.
Diese Fortschritte gingen nach den neuesten Forschungen zunächst von
Paris aus. »Wie Paris mit seiner weitberühmten Universität als der erste und
wahre Sitz der Wissenschaft galt, zu dem die Schüler aus allen Landen her-
beiströmten, hatte auch die Musik, welche als schöne Kunst kaum, als Wissen-
schaft und Gottesdienst desto entschiedener gewürdigt wurde, an dieser Hoch-
schule der Welt ihre, zum Theil sehr angesehene und berühmte Lehrer, wie
unter Andern, lange vor Jean de Muris, jenen ersten oder älteren Frauco,
auch Franco von Paris genannt (Franco primus, Franco Parisiensis) , dessen
Unterscheidung von dem jüngeren Franco, dem Franco von Cöln (Franco de
Colonia), mit dem er das Verdienst gemein hat einer der epochemachenden
Meister der Mensurallehre zu sein, erst in neuester Zeit (dem »trefflichen
Coussemacker«) zweifellos gelungen ist. — Warum war nun gerade Frankreich
berufen? Weil die Musik wesentlich als Wissenschaft galt, der Centralsitz
wissenschaftlichen Lebens aber die Pariser Universität war. Aber die Musik
konnte trotz des Gelehrtentalars , den man ihr umhing, doch nicht ganz ver-
gessen, dass sie eigentlich eine Kunst sei, die geübt sein will. Den Theo-
retikern der Pariser Schule schlössen sich zahlreiche Praktiker an, oder viel-
mehr die gelehrten Theoretiker waren meist zugleich auch wohlgeübte Prak-
tiker.« »Auch die improvisirenden Dechanteurs mögen sich oft in der ausge-
arbeiteten Composition versucht haben.« »Die constructive Technik dieser
Tonsätze entspricht den Lehren vom Diskantus, wie sie in den gleichzeitigen
Traktaten vorgetragen werden. Es ist das System der Gegenbewegung mit
zusammentreffenden vollkommenen Consonanzen.« »Diese Art von Composition
war weit mehr, was das Wort im buchstäblichen Sinne sagt, ein blosses Zu-
sammensetzen, eine Art rein mechanischer Operation als wirkliche Erfindung.«
Die Lehren von der Mensur und vom Diskantus »wurden immer kürzer zu-
sammengefasst.« »Eine ganze Reihe von Namen jener Epoche ist an das Licht
hervorgetreten: Dank sei es einem neuestens von Coussemacker veröffentlichten
Traktate de mensuris et discantu im britischen Museum, der, zu Ende des
13. Jahrhunderts geschrieben, offenbar von einem wohlunterrichteten Verfasser
herrührt. Hier treffen wir die Namen von Meistern, die theilweise ins 12. Jahr-
hundert zurückreichen.« »Endlich traten die beiden Franco reformatorisch auf
und änderten mannigfach die bisherigen Regeln. Franco von Cöln hat, wie
wir sehen, ganz Recht, wenn er in einigen allgemeinen Worten darauf hin-
deutet, dass vor ihm viele die Mensuralmusik gepflegt haben, und er ist nicht
bloB Ueberlieferer einer überkommenen Kunstpraxis, sondern hat Verdienste um
die Neugestaltung derselben« (s. Ambros, »Gesch. d. Mus.« III. S. 17 ff.).
Franco's »Musica et ars cantus mensurahilisu. — (bei Gerbert »Script.« III.
abgedruckt) — beschäftigt sich auch mit der Intervallenordnung. Ueber die
Art, wie er die Intervalle eintheilte, findet man Mittheilung unter Consonanz
(II. S. 561). Seine Auseinandersetzungen beziehen sich auf den notirten
416 Intervallenlelire.
Discantus und nicht auf den blos extempoiirten; sie sind aber in Beziehung
auf den Gebrauch der Intervalle in der Harmonie völlig dunkel und unver-
ständlich. Eine ganz wesentliche Fortbildung der I. findet man bei zwei »fast
gleichzeitig zu Ende des 13. und Anfang des 14. Jahrhunderts lebenden Ton-
lehrern«. »Der eine ist Marchettus de Padua, von welchem zwei bei G-erbert
abgedruckte Schriften auf uns gekommen sind.« »Der zweite und noch wich-
tigere ist Johannes de Muris um 1330, Doctor der Sorbonne zu Paris, von
umfänglichem Wissen in der PhilosojDhie, Mathematik und Musik. Die von
ihm und Marchettus aufgestellten Regeln für den harmonischen Gebrauch der
Intervalle beweisen, dass das Gefühl für natürliche gesangmässige Fortschrei-
tung der Stimmen und Reinheit der Zusammenklänge bereits sehr merklich
sich verfeinert hatte, und dass man schon zur Erkenntniss des Wesens der-
Con- und Dissonanz gelangt war. Ein Discantus, fordert Joh. de Muris, soll
stets mit einer vollkommenen Consonanz anheben und schliessen; die Dissonanz
kommt zwar noch nicht gebunden, sondern nur im Durchgange vor, doch soll
sie immer in eine Consonanz sich auflösen, nicht Dissonanz auf Dissonanz
folgen. Ferner soll n Parallelen vollkommener Consonanzen — also des Unisono,
der Octav und Quint (die Quart erwähnt er hier merkwürdiger Weise gar
nicht) — soweit irgend möglich vermieden werden, und die Gegenbewegung
der Stimmen wird als die beste empfohlen. Alles Regeln, welche, wie auch die
meisten der von Joh. de Muris aufgestellten Harmoniefortschreitungen, bis auf
den heutigen Tag ihre Geltung im Contrapunkt behauptet haben« (Domraer,
a. a. 0. S. 63), und die deshalb »contrapunktische Regeln« heissen. Dem Joh.
de Muris wird auch zugeschrieben, für den mehrstimmigen Satz den Ausdruck
Contrapunkt (s.d.) zuerst gebraucht zu haben.
Ein höchst bedeutender Nachfolger dieser beiden war Ugolino de Orvieto
(Ugolinus TJrbevetanus) , der etwa um 1400 gelebt hat. »Er behandelt den
planen und den figurirten Gesang, den Contrapunkt, die Mensural- und die
Propoi'tionenlehre in sehr umfangreich angelegten Abhandlungen.« »Zum
Schlüsse, im 4. Buche, verläuft sich das Werk freilich in weitläufige und für
die Musik wenig oder gar nicht fruchtbringende Untersuchungen über die Pro-
portionenlehre. Die Regeln vom Contrapunkt werden auch weitläufig und
casuistisch (wiewohl bei weitem noch nicht so entwickelt wie bei Tinctoris)
in lateinischen Gedächtnissversen vorgetragen; es sind im Grunde genommen
geklärte Dechantirregeln , das System der Gegenbewegung herrscht vor, die
Schritte selbst sind so tadellos und rein als man nur wünschen mag. A])er
von der eigentlichen Dissonanz und ihrer richtigen Verwerthung weiss Ugolino
noch nicht das Mindeste, für ihn sind Terzen unvollkommene Consonanzen
oder Dissonanzen« (Ambros, a. a. 0. ITI. 147 ff.).
Yon nun an beschäftigten sich die Lehrer und Theoretiker besonders mit
der Lehre von den Kirchentonarten (s. d.). Im genauen Zusammenhang
hiermit stand die Lehre über den Gebrauch der zufälligen Erhöhungen und
Vertiefungen (der Accidentalen). Aus dieser Lehre aber wiederum gewann
man neue Regeln über die Benutzung der Intervalle. Wollte man nämlich die
Diatonik consequent festhalten, so machten sich oft übelklingende Tonfolgeu
und unleidliche Zusammenklänge fühlbar. Forschte man nach, so fand man
als Ursache immer das »;«i contra /a«, d.h. das Zusammentreffen des unteren
Tones (h) des einen Halbtonschrittes einer Tonleiter (h — c) mit dem oberen
Tone (f) des anderen Halbtonschrittes (e—f) derselben Scala. »Zunächst
spukt dieser .Musikteufel' im Zusammenklänge des Tritonus und in dessen
IJmkehrung, dem Semidiapente, ferner in der unvollkommenen Octav (Ottava
Imperfetta); man griff, um ihn zu bannen und die , Himmelsharmonie mi—fa^
erklingen zu machen , nach dem '7 rotundwn. Die Theorie griff das Wahrge-
nommene ganz abstract auf, und mancher ältere Lehrer stellte die ,Vollendung'
der unvollkommenen Intervalle als ausnahmsloses Gebot hin (so Burtius, »Miisic.
opusculuma). Die Praxis unterschied aber sehr richtig, dass, insbesondere in
latervallenlehre. 447
den Mittelstimmen, Triton und Semidiapente nictts Anstössiges habe, und
wendete die verminderte Quinte im Sinne der Quinte des Dreiklanges der
siebenten Stufe der Durscala oder der zweiten und fünften der Mollscala (sel-
tener als Dominante septime) an.« »Bei den Theoretikern kam der Triton in
den schlimmsten Verruf: ,er ist', sagt Tinctoris, ,ein so feindseliges Intervall,
dass er nicht allein das Ohr beleidigt, sondern auch ohne Zwischentöne äusserst
schwer zu treffen ist', und Aron nennt den Triton ebenfalls hart und äusserst
schwer und nur in stufenweiser Fortschreitung anwendbar« (Ambros, a. a, 0.
III. S. 100 ff.). Auch die Anwendung des Halbtonschrittes in der Cadenz
YII — VIII führte man auf die Vermeidung des «we contra /«« zurück, und
kam somit zu Regeln über die Cadenzbildung, welche von den Praktikern
schon längst unwillkürlich befolgt, aber erst von Zarlino als allgemeines Gesetz
ausgesprochen wurden.
Grleichzeitig gestaltete sich nach und nach die Lehre vom Contrapunkt
»in mannichfaltiger Ausbildung zu einem umfangreichen Ganzen«. »Die drei
Bücher vom Contrapunkt von Tinctoris, die er 1477 zu Neapel schrieb, nehmen
schon einen ganz anderen Standpunkt ein, als die alten Dechantirtractate.«
Das wesentlichste in dieser Lehre bildet die Kenntniss der Consonanzen und
Dissonanzen und die gesetzmässigen Verbindungen derselben. »Die Consonanzen,
sagt Tinctoris, sind das Wesentliche, die Dissonanzen das zuweilen Erlaubte.
Die an sich widrige Wirkung der letzteren wird durch die Schnelligkeit, mit
der sie vorüber eilen, unmerklich gemacht. Keine Dissonanz darf die Dauer
eines Taktes haben, geschweige denn die Dauer einer Brevis. Jede Dissonanz
muss so eingereiht werden, dass sie, auf- oder absteigend, immer nach einer
ihr zunächst gelegenen Consonanz angebracht werde, die Secunde nach dem
Einklänge oder der Terz u. s. w. Eben so soll von der Dissonanz stufenweise
zur nächsten Consonanz fortgeschritten werden, nur in sehr seltenen Fällen
darf die Fortschreitung in die Terz geschehen. Neben dem schnellen Durch-
gange ist auch die Syncopirung geeignet, die Einführung einer Dissonanz zu
vermitteln. Die Dissonanz darf als solche gar nicht merkbar werden, sonst
verdirbt sie den Gesang.« »Unter den Consonanzen ist, nächst der Octave, die
Quinte das vollkommenste Intervall.« »In jener älteren Musik eröffnet sehr
oft der Zusammenklang von Grundton und Quinte ein Tonstück, doch tritt
dann alsbald die Terz hinzu und rundet und füllt das Tongebilde. Die
Cadenz wird im Verlaufe des Tonstückes selten terzenlos gebildet, desto öfter
der letzte Schluss. Der Grund dieser Eigenthümlichkeit lag in der , General-
regel', welche Tinctoris den übrigen voranstellt: Jeder Contrapunkt müsse
mit einer vollkommenen Consonanz beginnen und enden'. Kömmt in einem
Schlussaccorde die Terz vor, so soll sie gross, nicht klein sein.« »Dass Quint-
und Octavpai-allelen nach wie vor verpönt blieben, versteht sich von selbst;
wiewohl es noch zu Tinctoris Zeiten Lehrer gab , die dergleichen , wenigstens
mit Einschränkungen, erlauben wollten.« »Die Zeit der Quintenangst und
Quinten sucherei kam weit später.« »Verdeckte Quinten gelten vollends nicht
für fehlerhaft, sogar im zweistimmigen Satze werden sie ungescheut angewendet.«
»Octavenparallelen werden mit Hecht weit strenger gemieden; die wenigen
Stellen, wo sie vorkommen, dürfen weniger als Licenzen denn als Fehler gelten«
(Ambros, a. a. 0. IIL S. 111—116).
Diesen Fortschritt verdankt die Theorie vorzugsweise dem Umstände, dass
die Theoretiker, »statt sich in das Dunkel tiefsinniger Speculationen zu hüllen,
ihre Lehre sich der lebendigen Kunst zuwenden und über das durch die fort-
gesetzte Kunstübung bereits thatsächlich Gewonnene Rechnung legen« Hessen.
Die Praktiker aber Hessen sich eben nur durch ihre eigenen Beobachtungen
leiten. »Die fortgesetzte Uebung in den Sängerschulen, den Sängerchören
half einen reichen Schatz von Beobachtungen und Erfahrungen gewinnen, auf
welche die speculirende Theorie hinter ihrer Studirlampe nimmer gerathen
konnte. Was wohl zusammenklinge, was dem gebildeten Tonsinn erfreulich
448 lütervalleulelire.
oder widrig sei, lernte sich aus dem unmittelbar erhaltenen Eindruck unver-
gleichlich besser als aus den Pythagoräisch-Boethischen Rationen.« »Die glän-
zenden Leistungen der Componisten konnten nicht verfehlen die Aufmerksamkeit
der Theoretiker, der Schriftsteller und Lehrer zu erregen, welche hier freilich
Dinge fanden, von denen sich ihre Gelehrsamkeit nichts hatte träumen lassen.«
Die Theoretiker jener Zeit, vor allen Tiuctoris, verloren sich nicht in antiki-
sirende Forschungen. »Zu ästhetisiren ist Tinctoris Sache durchaus nicht, er
suchte vor Allem die constructiveu Gesetze: ist nur erst der Körper der
Musik tadellos gesund, wird sich auch der gesunde Geist einfinden« (Ambros,
a. a. 0. IIL 141 ff.).
Eine andere Richtung stellte sich zur Zeit des berühmten Franchinus
Gafor (1451 — 1522) ein, der »so ziemlich als das Haupt der italienischen
Musikgelehrten um 150U gelten darf.« Es fingen, »wie es im Zeitalter des
Humanismus nicht anders sein konnte, die von den Niederländern glücklich
gebannten Gespenster des Boethius, Aristoxenus u. s. w. wieder an beträchtlich
zu spuken.« Gafor selbst beschäftigte sich sehr mit der antiken Musiklehrc,
und »was er aus seinen griechischen Traktaten gelernt, das lehrt er sofort mit
einer Freude, die wirklich etwas Naives hat, in seinem Traktat De harmonia
musicorum instrumentorum. Nicht nur gegen Tinctoris, auch gegen Gafors
eigene Schriften aus der Zeit, bevor er von dem griechischen Baum der Er-
keuutniss gegessen , ist dieses Buch ein schlimmer Bückschritt in unfruchtbare
Antiquitäten und trübe Phantastik.« »Das einzige Diffinitorium terminorum
musicorum von Tinktoris mit seiner praktischen Brauchbarkeit weht diese schwere
Gelehrsamkeit wie Spreu in alle Winde.« Gleichzeitige Theoretiker waren
Pietro Aron, Adam von Fulda, Sebastian Virduug, Martin Agricola, Lucas
Lossius, Jacobus Faber Stapulensis, Steffano Yaneo, Andreas Ornitoparchus
u. A. Ihre Lehre ist im wesentlichen diejenige des Tinctoris, wenn auch bis-
weilen kürzer und klarer zusammengefasst.
AVeit über Gafor's Standpunkt erhob sich der Schweizer Heinrich Loritz
(Loritus) von Glarus, genannt Glareauus (geboren 1488) in seinem »Dodeka-
chordon« (Basel, 1547), freilich hauptsächlich nur insofern, als es sich um die
Lehre von den Tonarten handelte. In Beziehung auf die I. suchte er so viel
als möglich zwischen den neueren Lehren und den altgriecnischen eine Ver-
einigung zu erzielen. Einen ähnlichen Staudpunkt nehmen die gleichzeitigen
Schriftsteller ein (Hermann Finck, Sebald Heyden, Gregor Faber u. A.). »Dass
auch sie vor Allem die Belehrung in den antiken Autoren suchten, lag im
Geiste ihrer Zeit, glaubte man doch dort Belehrung für Alles und Jedes
suchen zu müssen.«
Die neu erwachte Begeisterung für die antike Kunst und Wissen-
schaft war es, die einen Fortschritt in Beziehung auf Berechnung und An-
wendung der Intervalle u. s. f. verhinderte. Erst Zarlino gelang es, über
Tinctoris hinaus zu kommen, indem er, sowohl in der Berechnung, wie in der
Theorie überhaupt, die Terzen und Sexten in ihre Rechte als Consouauzeu
einsetzte (s. S. 439 u. 441). »Wie aiher die tiefste Speculation, wenn sie einmal
von bestimmten, für unverrückbar gehaltenen Voraussetzungen ausging, zu-
weilen dij einfachsten klar vor Augen liegenden Wahrheiten übei'sah, beweist
unter andern der Umstund, dass die lutervallberechnung, die jedes Intervall
abstract und an und für sich auffasste, die Erkenutniss einer ganz einfach auf-
liegenden Sache verhinderte, die Erkeuntniss der Intervallumkehrung, kraft
deren die Terz zur Sexte, die Quart zur Quinte wird u. s. w. Bei Tinctoris,
Gafor u. B. w. findet sich darüber auch nicht die leiseste Andeutung.« »Ebenso
findet sich von unserer auf Accordbildung beruhenden Harmonielehre bei den
Theoretikern eigentlich gar keine Spur.« »Es waren aber wiederum die prak-
tischen Tousetzer, welche die hierher gehörigen Gesetze durch den natürlichen
Schick und Takt beobachteten, und weil das Ohr endlich ein unbestechlicher
Richter blieb. Aus einer einzigen Motette eines der grossen Meister hätte
lutervallenlehre. 449
die Musiklehre ganz neue und wunderbare Dinge lernen können, hätte sie nur
dafür Augen gehabt« (Ambros, a. a. 0. S. 163). So nachtheilig die antiki-
sirende Kichtung der damaligen Zeit für die Theorie der Musik war, so nütz-
lich sollte sie für die Praxis der Tonkunst werden. Führte sie doch auf die
Erfindung des einstimmigen Gesanges (s. ßecitativ, Gralileo u. s. f.). Aber
auch der Theorie hat sie, freilich nur indirekt, genützt, indem jene Erfindung
wiederum auf die Anwendung des sogenannten Generalbasses führte.
Noch wichtiger fast als für den Contrapunkt war die Lehre von der Be-
handlung der Intervalle in der Composition für die zu Anfang des 17. Jahr-
hunderts sich entwickelnde Generalbasslehre (s. d.). Sie wird daher auch
von dieser Zeit ab mit einer Gründlichkeit und Ausführlichkeit behandelt, die
nichts zu wünschen übrig lässt. So umfasst Wolfgang Casp. Printz' Werk
über die Behandlung der Consonanzeu über 300 Druckseiten. Dieses "Werk
ist etwas eingehender zu betrachten, weil es die zu seiner Zeit gültigen Lehren
übersichtlich zusammenfasst und auf allgemeine Principien zurückzuführen sucht.
Sein Titel lautet: y>Exercitationes Musicae theoreüco-practicae curiosae de Con-
cordantiis singulis, d. i. Musikalische Wissenschaft und Kunstübungen von jed-
weden Concordantien« (Dresden, 1689). Das Titelkupfer zeigt auf der einen
Seite Pythagoras, auf der anderen Zarlino; der erstere trägt eine Tafel mit
den Zahlen 1. 2. 3. 4, der andere dagegen eine solche mit den Zahlen 1. 2.
3. 4. 5. 6. 8. (s. S. 441). Das Werk zerfällt in einen allgemeiueren Theil
(»Prodromus«) und in acht »Kuustübungen«, von denen sich jede mit einem
besonderen Intervall (Prime, Octave, Quinte etc.) und dessen Behandlung be-
fasst. Der Prodromus bringt nun zunächst eine Auseinandersetzung über die
verschiedenen Arten von Verhältnissen (»Proportionen«), in denen die verschie-
denen Intervalle hinsichtlich der Saitenlängen ihrer Töne stehen können. Diese
Verhältnisse werden zunächst eingetheilt in aequale (1:1, 3:3 u. s. f.) und in-
aequale (4:3, 7:4 u. s. f.). Die inaequalen zerfallen dann wieder in »grosse«
und »kleine«, für auf- und abwärts zu messende Intervalle. Jede dieser Arten
wird dann wieder in fünf TJnterabtheilungen gebracht, je nachdem die kleinere
Zahl in der grösseren nur einmal mit Best, oder mehrmals mit oder ohne Best
enthalten ist (a. 2:3, Z-. 3 : 5, c. 3 : 9, d. 3:7, e. 3 : 11).
Dann führt er (S. 8) die verschiedenen Gesichtspunkte an, welche man
bei der Fortschreitung von und zu den Consonanzen zu beachten hat: »Wir
müssen aber für allen Dingen betrachten, was in Progressu, oder Transitu Con-
cordantiarum in acht zu nehmen sey. Denn ohne dieses wird ein Musikus
Poetikus nichts fruchtbarliches ausrichten. Derselben Sache nun, so in Tran-
situm Concordantiarum in acht zu nehmen seyn, seyn fünferley: 1, .Proportio
Goncordantiae mutandae, oder derjenigen Concordanz, so fort gehet, und ver-
ändert wird. 2. Proportio Concor dantiaa, in welche jene gehet. 3. Motus oder
die Bewegung der Stimmen. 4. Die Intervalle, durch welche die Stimmen in
die folgende Concordanz gehen, und 5. Relatio Ohliq_ua, erstlich des Obersten
Soni der ersten Concordanz gegen dem Untersten der andern Concordanz; zum
andern des untersten Soni der ersten gegen dem obersten Sonum der andern
Concordanz.«
Es werden nun eine Anzahl allgemeiner Principien (nPrincipia cognoscendiv.
oder T>Axiomata<s) aufgestellt, von denen dann später besondere Lehrsätze
(»Theoremataa) abgeleitet werden. Als »erstes und vornehmstes« Priucip gilt
folgender Satz: »Weil Musicae Figur alis Pinis internus eine liebliche Harmonia
ist, so ist alles, was solche Lieblichkeit aufheben, oder verhindern kan, ver-
werfilich: Hergegen ist alles anzunehmen, was solche Lieblichkeit reverä ver-
ursachet, und befördert.« Dann folgen als weitere Axiomata folgende Sätze:
2. »Ein jeglicher Gegenwurflf des Sinnes (ohjectam sensus) so von dem Sinn
leichtlich percipiret, und vernommen, und von dem Verstände vermittelst des
Sinnes erkennet wird ist demselben augenehm.« 3. »Unter denen Objectis der
Sinne ist nicht dasjenige dem Gemüthe am angenehmsten, welches von dem
Muaikal. Convers.-Lexikou. V. 29
450
Intervallenlehre.
sensu, oder Sinn sehr leicht, auch nicht dasjenige, welches sehr schwerlich,
sondern dasjenige, welches nicht so leicht, dass es die natürliche Begierde,
mit welcher die Sinne auf ihre Objecta fallen, gantz nicht erfülle, noch auch
so beschwerlich, dass es den Sinn ermüde, percipiret, und vernommen wird.«
4. »Je leichter die Erkenntniss geschieht, je mehr vergnüget und beruhiget sie
den Sinn.« 5. »Hergegen je schwerlicher etwas erkennet wird, je weniger ver-
gnüget und beruhiget es den Sinn.« 6. »Sobald der Sinn vergnüget ist, ver-
langet er etwas anders, oder ist begierig der Veränderung.« 7. »Daher ist eine
gute Varietät in der Musik so wohl, als in andern Dingen, sonderlich in acht
zu nehmen: Angesehen alle gute Veränderung ergötzet, und belustiget.« 8. »Die
Natur strebet allezeit nach der Vollkommenheit, und delectiret sich darinnen.«
9. »Die Natur hat Beliebung successive, und per Gradüs fortzugehen.« 10. »Daher
ist alle gar zu grosse und gehlinge Veränderung verdriesslich.« 11. »Was
schwerlich von dem Verstände vermittelst des Sinnes erkennet wird, macht das
Gemüth traurig.« 12. »So diese Beschwerlichkeit gar zu gross, verursacht es
Verdruss.« 13. »Was in der Musik eine grössere Lieblichkeit erwecket, das
ist zierlicher: Angesehen die musikalische Zierlichkeit in der Lieblichkeit be-
stehet.« 14. »Was der Ordnung der Natur gemäss ist, ist annehmlicher, als
was der Ordnung der Natur nicht gemäss ist.«
Aus diesen Principien werden nun folgende Lehrsätze (Theoremata) ent-
wickelt: 1. r>Froporüo Aequalitatis ist am allerleichtesten erkändlich.« 2. »Je
mehr Froportio Inaequalitatis der Proportioni Aequalitatis sich nähert, je leichter
ist sie zu erkennen, und je weiter sie von derselben abweichet, je schwerer ist
selbige zu erkennen.« 3. »Alle Concordantien seyn lieblich, und dem Gehör
angenehm.« 4. »Die Perfecten Concordantien vergnügen das Gehör, und be-
ruhigen dasselbe.« 5. »Unter denen Perfecten Concordantien geben Unisonus,
und Octava die meiste Vergnügung.« 6. »Die Quinta vergnüget nicht allein
das Gehör; sondern ist auch die aller angenehmste Concordanz.« 7. »Die Im-
perfecten Concordantien vergnügen, und beruhigen das Gehör nicht.« 8. »Der
Anfang eines Musikalischen Stückes, oder Gesangos wird besser mit einer voll-
kommenen Concordanz gemacht, als mit einer Unvollkommenen.« 9. »Das Ende
einer guten Harmoniae, wofern man dieselbe nicht aus gewissen Ursachen ex
abrupto endiget, soll allezeit mit denen Perfecten Concordantien gemacht werden.«
10. »Jegliche Concordanz kan in alle Concordantien gehen, wenn in solchen
transita keine Ungeschicklichkeit mit unterläufft.« 11. »Die Concordantias Per-
fectas soll man nicht allein gebrauchen, sondern auch die Imperfecteu mit
untermengen.« 12. »Wenn man von einer unvollkommenen Consonanz zu einer
vollkommenen gehen will, gehet man zierlicher in die nähere als in die abge-
legenere.« 13. »Wenn man von einer Perfecten Concordanz zu einer Imper-
fecteu gehen will, so liegt nichts daran, in welche Imperfecta man kommet.«
14. »Zween Unisoni, zwo Octaven und zwo Quinten sollen nicht unmittelbar
auffeinander folgen.« 15. y>Motus ObUquus ist der leichteste.« 16. «Motus Bcctus
ist der beschwerlichste.« 17. y>Motus Contrarius ist der angenehmste.« 18. »Wenn
man von einer Concordanz in die andere gehet, geschieht es am leichtesten
Motu Obliquo, und am zierUchsten Motu Contrario: wofern nur sonsten keine
Ungeschicklichkeit mit unterläufft.« 19. »Wenn man von einer Concordanz in
die andere gehet, geschieht solches am zierlichsten per Gradus Generis Diatomci.<.^
20 »Die kleinesten Gradus Generis Diatonici machen mehr Annehmhchkeit,
wenn sie sich in der Oberen Stimme befinden, als wenn sie in der untern seyn.«
21. »Weil man in beyden Stimmen nicht bWqzqü per Gradus gehen kan, so
werden in einer springende Intervalle zugelassen.« 22. »Die Sprünge werden
zierlicher gebraucht in der untern Stimme als in der Obern.« 23. »Man kann
bissweilen anstatt der Graduum auch per Tertias fortgehen.« 24. »Wenn be>'de
Stimmen in Transitu durch grössere Sprünge gehen, wird dadurch die Har-
monia ungeschickt und unangenehm.« 25. »Durch Intervalla, so in beschwer-
lichen und ä Froportione Aequalitatis ziemlich, doch nicht gar zu ferne abge-
Intervallenlehro. 451
legen en Proportionibus bestehen, kan man allein in traurigen Affectihus ex-
primendis gehen.« 26. y>Belatio Ohliqua ist in Transitu Ooncordantiarum wohl
in acht zu nehmen. Denn wenn sie gut ist, gibt sie einen guten Effectum
und macht den Transitum lieblich; hergegen wenn sie nicht gut ist, kann sie
die Lieblichkeit verderben. Sie ist entweder Relatio Sarmonica (wenn die
beyden Soni beyder Stimmen, so einander Creutzweise gegen über stehen, con-
cordiren), oder Belatio Non-harmonica (wenn dieselben beiden Soni mit einander
dissoniren).« 27. »Helatio ObUqua Sarmonica kan allezeit passiren.« 28. r>Ite-
latio Non-harmonica, wenn die einander creutzweiss gegen überstehenden Soni
Gradus Diatonicos, oder deren Octaven machen, ist anzunehmen, und passiret
allezeit.« 29. »Wenn in Relatione Obliqua die einander creutzweiss gegenüber-
stehende 8oni in distortis, ineptis und ä Froportione Aequalitatis gar zu weit
abgelegen Proportionibus bestehen, machen sie einen Verdruss, und verderben
die Harmoniam.« 30. »Wenn in Belatione Obliqua die beyden einander creutz-
weiss gegenüber stehende Soni zwar in beschwerlichen, und ä Proportione Aequa-
litatis ziemlich, doch nicht allzusehr entfernten Proportionibus bescehen, machen
sie die Harmoniam traurig, und ist eine solche Belatio Non-harmonica in trau-
rigen Affectibus wohl zu gebrauchen, wird auch deswegen Tolerabilis genennet.«
31. »Von denen dreyen Perfectesten Concordantien in eine von den dreyen
Perfectesten Concordantien diversae speciei gehet man, wenn alle beyde Stimmen
sich bewegen, allein Motu Contrario, nicht Becto.a 32. »Von denen Concordantiis
Imperfectis, und der Tertia Majore gehet man in die drey Perfectissimas Motu
Contrario, nicht Becto.a 33. »Von allen Concordantien kan man in alle Con-
cordantias kommen Motu Obliquo, wofern nur das Intervallum, wodurch die be-
wegende Stimme gehet, gut ist.« 34. »Von einer der dreyen Perfectesten Con-
cordantien kan man in Tertiam Majorem, und in eine Imperfecte Concordanz
gehen Motu Becto und contrario.<s. 35. »Von der Tertia Majore, und einer Im-
perfecten Concordanz kan man in Concordantiam Imperfectam gehen sowohl
Motu Becto, als Contrario, wenn nur in acht genommen wird, was in acht zu
nehmen ist.«
Dass Printz die Absicht hatte, die damals anerkannten Lehren der I. zu-
sammen zu stellen, spricht er direkt aus: »Dieses seyn diejenigen Theoremata,
welche einem Melopoetae zu wissen nöthig seyn, wenn er eine Harmoniam
setzen, und Ursachen seines Satzes geben will.« »Hieraus siebet der günstige
Leser, dass man die Regulas Componendi gar kurtz fassen kan. Denn in
diesen 35 Theorematibus seyn nicht allein alle solche Regulae, sondern auch
deren ßationes begriffen.« Freilich fügt er noch bei: »Wiewohl noch etwas
mehr dazu gehöret« (a. a. 0. S. 24).
In den hierauf folgenden acht »Kunstübungen« betrachtet Printz die ein-
zelnen consonirenden Intervalle für sich, ^und zwar immer nach zwei Seiten hin.
»Ich will aber so wohl an dem Unisono, als auch künfftig, geliebts Gott, an
denen andern Concordantiis, zweyerley zu betrachten für mich nehmen: Erstlich,
was ad Theoriam; und dann fürs andere, was ad Praxin gehöret.« Im ersten
Theile jeder Kunstübung giebt er nun die einschlagenden Definitionen und die
theoretischen Betrachtungen über das Wesen des betreffenden Intervalls, und
zwar nach einander vom Einklänge, von der Octave, von der Quinte, von der
grossen Terz, von der Quarte, von der kleineu Terz, von der grossen Sexte
und von der kleinen Sexte. Im zweiten Theile jeder »Kunstübung« folgen
dann erst die allgemeinen Regeln vom Gebrauche des betreffenden Intervalls,
und endlich Mittheilungen darüber, nach welchen Intervallen das betreffende
Intervall unter den verschiedenen Bedingungen fortschreiten kann. Ueber den
Einklang stellt er folgende allgemeine Regeln auf: 1. »Die Unisoni sollen in
wenigstimmigen Cantionibus nicht offt gesetzt werden.« 2. »Der Unisonus wird
gar zierlich gesetzt im Anfang, wenn eine Stimme allein anfanget, und die
andere nach einer kleinen Pause mit einfällt.« 3. »Das Gehör soll am aller-
meisten vergnüget werden am Ende des Stückes, welches besser durch die
2y*
452 lutervallenlehre.
Octav, als durch die Quint: am besten aber durch den TJnisonura geschehen
kann.« 4. »Zweeu oder mehr Unisoni können continuiren, wenn beyde Stimmen
auf demselben Tone bleiben, doch dass diese Continuatio nicht allzulange währe,
oder in allzugrossen Noten bestehe.« 5. »Zween oder mehr Unisoni können
nicht continuiren in Motu, wenn beide Stimmen sich bewegen in Cantionibus
von wenig Stimmen.« 6. »Bei Progressum oder Transitum in alias Concor-
dantias, wie uemlich der Unisonus in andere Concordanticn sich verändere oder
fortgehe, ist am ersten zu wissen, dass Unisonus motu ohliqtio in alle Conso-
nantias gehen könne.« 7. »In motu recto hat man erstlich in acht zu nehmen,
ob wenig Stimmen, oder viel vorhanden seyn. Seyn viel Stimmen, und alle
Triatis harmonicae partes vorhanden, und genugsam augiret, so hat man etwas
mehr Freyheit, als in wenig Stimmen, weil die Vielheit der Concordautien den
Übeln Transitum Unisoni leichtlich verdecket. Seyn aber wenig Stimmen, so
muss der Transitus Unisoni auch zierlicher seyn, weil sonst das Gehör den
schlimmen Transitum gar zu leicht apprehendirt, und also pertubirt und ver-
driesslich gemacht wird. Eben dieses muss auch observiret werden, in denen
beyden äussersten Stimmen vollstimmigcr Stücke, item in der obersten Vocal-
Stimme und Fundament: Angesehen dieselben am leichtesten ins Gehöre fallen.
Dei-gleichen ist auch in allen andern Concordantien in acht zu nehmen.« »Fürs
andere soll man sehen, ob beyde Stimmen mit einander auf oder absteigen.«
Es folgt nun eine Aufzählung der Intervalle, zu denen der Einklang unter den
verschiedensten Bedingungen fortschreiten darf.
In ähnlich ausführlicher Weise werden dann die anderen consonanten In-
tervalle behandelt. Wer mit der Sache bekannt ist, der erkennt aus den aufge-
führten Principien, Theoremen und Regeln, dass die gesammte Generalbasslehre
über diesen Standpunkt nicht hinaus gekommen ist, ja dass noch heute viele
Theoretiker nicht mehr und nicht besser Begründetes zu geben vermögen.
Dass ihre Regeln nicht für alle Zeiten Gültigkeit haben konnten, war übrigens
den alten Meistern nicht unbekannt. Wcrckmeister schreibt (»Sarmonologia
Musica oder Kurtze Anleitung zur Musikalischen Composition«, 1702) hierüber
in der mystischen Weise seiner Zeit: »Dass aber das Untere von dem Obern
regieret werde (nach dem bekannten Verse: Astra recjuat homines, sed Christus
temperat astra) und wie? ist schon längst von vielen Philosophis erwiesen
worden.« »Wenn nun tlas Unterste von dem Obern regieret wird, so er-
scheinet hieraus, weil auch der Mensch von den Astris seine Bewegung hat,
dass dahero immer die neuen Manieren in der Musik erfunden werden. Denn
wie die Constellationes nicht eine Zeit wie die andere fallen, sondern immer
eine Aenderung darinnen ist: also werden die Menschen oder Künstler nach
solchen Constellationibus getrieben, wodurch die neuen inventiouis an den Tag
kommen.« Und Mattheson (»Vollkommner Capellraeistei'«, P. S.) entschuldigt
sich folgendermaassen: »Warum ich aber die überraüssige Septime es — Jis', und
die verkleinerte None eis — des^ weder in dem Verzeichniss der Dissonantien,
noch ihren Gebrauch angeführt habe, kömmt daher, weil solcher Gebrauch mir
annoch zu geringe scheinet.« »Erfalire ich dereinst, dass sie sich bessern, und
mehr Nutzen schaffen, so sollen sie auch Sitz und Stimme mit haben. Wer
inzwischen weis und wol überlegt, dass sich die Tlieilung der Klänge ins un-
endliche erstrecket, und dass doch zuletzt all unser Wissen auch in diesem Stück
unvollkommen ist, der wird sich desto leichter handeln lassen.«
Sehr erschwert wurde die Kenntniss der verschiedenen Intei'valle und die
Behandlung derselben dadurch, dass man, noch im Anschlüsse an das alte be-
schränkte Tonsystem, die Intervalle nicht nach ihrer Notirung, sondern nach
»ihrer eigentlichen Maasse und Proportion« beurtheilte, und z. B. as — dis^ eine
Quinte nannte. Mattheson (»Exemplarische Organistenprobe«, 1719, Einleitung
S. 55 und 85 ff.) führt folgende Intervalle als gebräuchlich auf: »Gleichwie es
zweyerley hemitonia und zweyerley Ummata (oder überhaupt viererley Jiemifonia)
nach itziger Stimmung in der Welt gibt, also auch dreyerley Totti majores
Intervalleulelire. 453
(die aä Mementa besondei'S gehören), viererley Tertiae minores, zweyerley Tertiae
majores; fünferley Quarten, fünferley Quinten; zweyei'ley Sextae minores, vie-
rerley Sextae majores; viererley Septimae minores, und endlich viererley Septimae
majores in heutiger Scala diatono-cltromatica zu finden sind. "Welches vielleicht
eine Doctrina Intervallorum ist, die manchem noch wohl nie im Sinn gekommen,
und etwas neu scheinen wird, ob sie gleich so alt ist, als die selbststäudige
Natur.« »Es sind die bekannten acht Genera Intervallorum (1) Hemitonium
(2) Tonus (3) Tertia (4) Quarta (5) Quinta (6) Sexta (7) Septima (8) Octava;
deren vielleicht nicht so bekannte 39 Species hier folgen:
1. Hemitonium minus. 24 : 25 = C; Ow, D : Dis, G-.Gis, B : H.
' 2. „ „ , commate abundans l. Limma minus. 128 : 135
= F: Fis.
I. <! 3. „ majus. Ib : IG = Dis : F, F : F, Fis : G, Gis -. A, H:G.
4. „ „ , commate abundans l. Limma majus. 2b •.21= Gis :D,
A:B.
5. Tonus minor. 9:10 = D : F, Fis : Gis, G : A, B : c, H: eis.
jj I 6. Tonus major. 8 : 9 = C- D, Cis : Bis, F: Fis, F: G, A : H.
I. Tonus major cum diaschismate. 22b '. 2hG = Dis : F.
8. Tonus major cum diesi. 125 : 144 = (ris; jB.
9. Tertia minor, diesi et commate deficiens. 108 : 125 = ^;ciV.
10. Tertia minor, diesi deficiens, 64 : 75 = G : Dis, F : Gis.
II. Tertia minor, commate deficiens. 27 : 32 = i> ; -F, Fis : A.
III. <! 12. Tertia minor. 5:6 = Gis ■ F, Dis : Fis, F : G, G : B, Gis : H, A : c, R: d.
13. Tertia major. Aib^G.F, D : Fis, F:Gis, F.-A, G:H,A:cis, B.d,
S: dis.
14. Tertia major diesi abundans. 25:32 = Gis : F, Dis : G, Fis : B, Gis : c.
Ebenso wird in der Aufzählung der Quarten, Quinten u. s. f. fortgefahren.
Eine andere Eintheilung findet sich bei J. Dav. Heinichen (»Der Geueral-
bass in der Composition«, 1728). Er führt auf: drei Secunden, zwei Tertien,
drei Quarten, drei Quinten, drei Sexten und drei Septimen. Octave und Prime
sind ihm keine Intervalle und bleiben unveränderlich. »Denn die Octava de-
ficiens und superflua, welche man etwan auf das Pappier hinmahlen kan, seynd
pure Non-Fntia, die sich weder in Saltu einer einzelnen Stimme, noch in Gon-
centu einer völligen Harmonie gebrauchen lassen; und wenn die Alten sonst
zu sagen pflegten! Mi contra fa, est Diabolus in Musica, so könnte man mit
besserem Rechte sagen: Octava deficiens et superflua, sunt duo Diaboli in Musicd.a
In Beziehung auf die Benennung der Intervalle fällt er schliesslich in denselben
Irrthum, wie Mattheson. Nachdem er die einzelnen namhaft gemachten Inter-
valle in einem Schema von dem Tone c aus alle richtig dargestellt hat, fährt
er (a. a. 0. S. 103) fort: »Wenn wir obiges Schema nach unseru 12 Chroma-
tischen Clavibus examiniren, so finden sich gewisse lutervalla von gleichen
Nahmen und Distanz, welche doch oben vor gantz von einander unterschiedene
Intervalla angegeben und beschrieben worden. Es kommen darinnen sechs
considerable Casus vor. Denn: 1. Machen in besagtem Schemate die 2 Chro-
matische Claves c : dis, sowohl die Secundam superflnam, als die Tertiam minorem
aus. 2. Geben allda c—e sowohl die Tertiam majorem als die Quartam imper-
fectam an« u. s. f.
Bei dieser Lasfe der Sache war J. Ad. Scheibe in der Vori-ede zu seinem
Werkchen über die Intervalle (»Eine Abhandlung von den musikalischen Inter-
vallen und Geschlechten«, 1739) ganz im Rechte, wenn er sich folgcndermaassen
auslässt: »Die allgemeine Beschaffenheit und Eintheilung der Intervallen, nach
der man sie insgemein und nach der eingeführten G-ewohnheit betrachtet und
deutlich zu machen suchet, schien mir bey weitem noch nicht dasjenige zu
454 Intervallenlehre.
sein, was sie doch seyn sollte. Sie schien mir viel zu unvollkommen, und gar ^
nicht vollstiinclig genug, die ganze Materie von den Intervallen gründlich und
ordentlich zu erkennen und einzusehen.« — »Ich entschloss mich also nach- j
zuforschen, ob ich wohl an einem Orte oder hey einem musikalischen Scribenten |
diessfalls eine nähere Entdeckung machen, und etwas gründlichers, als der all-
gemeine Schlendrian enthielte, antreffen könnte. Ich schlug verschiedene Scri-
benten nach. Sie stimmten aber fast alle mit einander überein. Sehr wenige
hatten die gewöhnlichen Grenzen überstiegen. Auch diejenigen, welche sich
Mühe gegeben hatten, durch ihre Untersuchungen viele mathematische Schwierig- 1
keiten zu entwickeln, oder auch wirklich einige neue practische Umstände von
den Intervallen selbst zu entdecken und zu erläutern, hatten doch nur das
wenigste berühret. Die meisten hatten sogar der ganzen Materie nur mit
wenigem gedacht. Von einigen waren endlich auch diejenigen Intervallen, welche
doch wirklich schön sind, wenn sie an ihrem rechten Orte stehen, und sonst ver-
nünftig angewendet werden, auf das heftigste verachtet, als die gröbste Ketzerey
verworfen, und aus der Musik verbannet worden.« »Das Nachforschen in den
musikalischen Scribenten hatte mich in der Wahrheit einiger Grundsätze, die
ich bey einem System der Intervallen für nöthig hielte, befestiget; theils weil
ich gefunden hatte, dass einer einer Sache wiedersprach', welche ein anderer
vertheidigte, theils auch, weil die meisten überhaupt in einigen Meynungen, die
sie von gewissen Intervallen hatten, nicht nur nicht überein stimmten, sondern
auch bald mehr oder weniger Intervallen angaben. Meine angenommene Grund-
sätze aber wurden noch mehr durch ein emsiges Durchblättern der Partituren
erfahrner Meister und Componisten bekräftiget. Ich fand sehr oft das Gegen-
theil derjenigen Meynungen, welche einige Scribenten auf das eifrigste be-
hauptet hatten. Ich fand gewisse musikalische Sätze von so genannten un-
brauchbaren, abgeschmackten und ketzerischen Intervallen, dass ich sehr oft
lachen musste, wenn ich die Schönheit, den Nachdruck und die Vortreflichkeit
dieser Sätze gegen die verworrenen und schreckhaften Abschilderungen meiner
Scribenten hielt.«
In Beziehung auf Benennung und Unterscheidung betrat Scheibe unstreitig
den richtigen Weg. »Es ist ausser Zweifel, dass, wenn man einen Thon, der
auf verschiedene Art bezeichnet oder in Noten ausgedrucket ist, gegen einen
andern Thon betrachtet, auch nach der Verschiedenheit der Stellung des ersten
jedesmal ein neues Intervall entstehet, welches nach seinen Abtheilungen und
Stuffen der ganzen, halben und verkleinerten halben Thöne, von den vorher-
gehenden allerdings unterschieden ist. Wenn nun diese Abtheilungen der Inter-
vallen, nemlich die ganzen, halben und verkleinerten halben Thöne auch die
eigentliche Grosse und Weite eines Intervalls zu erkennen geben, (wie solches
eine unumstößliche Wahrheit ist,) nach der verschiedenen Vorzeichnung aber
sich jedesmal verändern, und also zugleich ein neues oder ein anderes Intervall
anzeigen; so folget auch allerdings, dass diese veränderte Stellung der Noten
auch wirklich den Thon höher oder tiefer machen muBs. Durch die gewöhn-
lichen Namen der Thöne« (Scheibe bezieht sich hier auf das geltende Ton-
system, in welchem man kein Des, Ges, Ais, JEis u. s. f. hatte) »lässt sich zwar
solche Veränderung des Klanges nicht bemerken, allein dieser Umstand wieder-
spricht doch der Sache nicht, weil nicht allezeit der Name, sondern meisten-
theils die blosse Stellung, der Note ihren gehörigen Klang giebt« (a. a. 0.
S. 28 ff.). Scheibe will also, ganz richtig, die Intervalle nur nach der Ent-
fernung ihrer Noten auf dem Liniensysteme unterschieden und benannt wissen.
Mattheson erkennt (im P. S. zu seinem »Vollk. Capellmeister«) dieses
Princip als richtig an und belobt die Scheibe'sche Abhandlung deswegen. »Es
ist das vollständigste System, das man annoch in blossen Noten aufweisen kann«,
sagt er {;m angeführten Orte. In Beziehung auf die berechtigte Benennung
der Intervalle lässt er sich wie folgt aus: »Vor 20 Jahren wies ich zum
erstenmal, fast am Ende der Organistenprobe, wie zwey [?[> vor einer Note zu
Intervallenlehre.
455
gebrauchen, welctes damals noch kein Mensch gewaget hatte. Mit zwey Kreutzen
war es nur gantz sparsam geschehen. Ich wäre auch gern zu dreyen bbt' ge-
schritten, weil ich wusste, dass es dereinst zur ordentlichen Vorstellung aller
Intervallen in Noten nöthig seyn würde: wie ich mich denn hin und wieder
über den Abgang deutlicher Zeichen schon zu der Zeit beklagte. Ich besorgte
aber, es mögte zu viel Aufsicht geben, und den meisten fürchterlich vorkommen.
Wollte man doch aus dem kleinen Anfange lauter Grillen machen. Dem un-
geachtet wäre gleichwohl sothane Verzeichnung, meines wenigen Erachtens
etwas leidlicher anzustellen, wenns nur durchgehends angenommen würde.«
Indessen ist Scheibe doch in einige Irrthümer gerathen, die seinem Systeme
zum Nachtheile gereichten und es viel umständlicher machten, als nothwendig
war. Zunächst ist er im Irrthume, wenn er meint, die Materie endgültig ven-
tilirt zu haben. Er hat, und zwar absichtlich, von der Eintheilung der Inter-
valle in Consonanzen und Dissonanzen nur ganz kurz, von der Fortschreitung
von und zu den Intervallen gar nicht Notiz genommen, weil er »allhier keine
Compositionsregeln geben will«, und er gesteht in sofern eine Einschränkung
zu. In Beziehung auf die Zahl der von ihm als möglich aufgestellten Intervalle
aber glaubt er auf Unfehlbarkeit Anspruch machen zu dürfen. »Ich war endlich
so glücklich, dass ich entdeckte, wie viel, und welche Intervallen möglich und
wirklich vorhanden seyn müssten; dass ich sie in eine wohl und richtig anein-
anderhängende Ordnung oder Reyhe brachte; dass ich sie nach gewissen Ab-
theilungen und Eintheilungen unterscheiden; und dass ich endlich alles erklären
und entwickeln konnte, was mir etwa dabey zu bemerken vorkommen möchte«
(Scheibe, a. a. 0,, Vorrede). Dass mit folgenden (a) von ihm aufgeführten Inter-
vallen noch nicht alle Möglichkeiten erschöpft sind, wird uns jetzt auf den
ersten Blick klar.
Primen.
Secunden.
Terzen.
Quarten.
=|:
=!===!-
ife=
^■
f
Quinten.
Sexten.
^-^^^^-^'
z^^Öfeöitt^itN
=■&
tizrtt-t
Sej3timen.
^gi^O-fe^-; Is^-"
nt
=1=5^-
ii^äf^]^^
Octaven. Nonen.
:&
Ein zweiter Fehler war es, dass er alle Intervalle ohne Unterschied aus
»ganzen, halben und verkleinerten halben Tönen« zusammensetzen wollte, und
nicht von den Intervallen der diatonischen Scala (den »natürlichen Intervallen«)
ausging, um alles auf diese zurück zu führen. Endlich war er auch in der
Benennung der Intervalle nicht consequent genug. G-leichwohl war sein System,
wie auch in maassgebenden Kreisen anerkannt wurde, doch ein bedeutender
Fortschritt über die Ansichten seiner Zeit hinaus.
Wie uneinig die verschiedenen Theoretiker über die Zahl der möglichen
Intervalle waren, geht aus einer Anmerkung in G. Andr. Sorge's »Vorgemach
der musikalischen Composition« (1745 — 47) hervor. »Die verkleinert- und ver-
grösserten Intervallen bekommen von dem Herrn P. Spiess in seinem ^»Tractata
musico compositorio-practico« solche Nahmen, die mich bei dessen neulicher Durch-
lesung zum herzlichen Lachen gebracht haben, und ich kan nicht vorbey einige
davon beyzufügen. Pag. 86 genannten Buchs sagt er: Herr Mattheson bringe
456
IntervallenleKre.
in seinem vollkommenen Capellmeister ausser der verkleinerten und übermässigen
Secunde dergleichen Kessler-Gesindel, Bastarten etc. noch mehr auf die Bahn,
bekantlich die übermässige Quint, Sext und Septime, it. die verkleinerte und
vergrösserte Octaven, NB. die verkleinerte None. Weiterhin sagt er: Es stehe
die edle, reine musikalische Harmonie in Gefahr, durch dergleichen Intervallen
in einen grausamen Barbarismum und höllisches Chaos zu degeneriren. Und
es solte ihm wahrhaftig nicht schwer seyn, bey manch heutigen Theatralisten
in einer eintzigen Opere, so viel dergleichen infame Zigeuner -Pursch auszu-
finden, dass man gantze Regimenter damit könne aufrichten, und ins Feld
stellen. Er weite alle dergleichen vortrefifliche Vermessenheiten, erbärmliche
Schönheiten, amdros dulcedines (bittere Süssigkeiten) und Jiorendas suavitates
(schreckhaffte Lieblichkeiten) hiermit auf die schönste Manier abgefertiget haben,
und wenigstens aus den Kirchensachen, und sonderlich Contrapunct (Herr Di-
rektor Telemann , mercken Sie sichs) exterminirt wissen. "Wer jedoch sein
Stück Brod und sein Glück durch dergleichen Erbarmnüsswürdige Ohren-
Kützeleyen besser zu finden vermeyne, der möge nach seinem Gefallen hand-
thiei*en. Jetziger Zeit sey alles erlaubt, je höllischer es klinge, je seltsamer,
angenehmer und künstlicher die Musik angerühmet werde. Die Welt wolle
betrogen seyn, daher werde sie billig betrogen. Das Fegefeuer ist also zu gut
vor diese Bursche; wenn es dem Herrn P. nachgehet, so werden sie ohne alle
Gnade zur Höllen verwiesen werden. Inzwischen ist es wahr. Dergleichen
Pursche wollen behutsam gebraucht seyn, verdienen aber solche schimpfliche
Nahmen wohl nicht. Man bringe doch einmahl dem Herrn P. ein Ständgen,
worunter fein viele solche Zigeuner -Pursche seyn, vielleicht wird er noch in
grössern Eyfer gebracht, und es fallen ihm alsdann noch mehrere dergleichen
schöne Prädicata ein! Was wird der Herr P. zu meinem Vorgemach sagen?
Da wird es was zu exorciren geben« (a. a. 0. S. 373).
Dass man in der That bisweilen etwas weit ging, beweist das folgende von
Sorge gegebene Telemann'sche Sätzchen.
r
w
auf dass wir klug
wer -den, dass wir
klug
tJt
^^^
<>o-
^^=^
^
'^^^^-
auf dass wir
i=S
r=
klug
wer-den, dass wir
^^
^
J-
klug
wer
den.
_ÄO_
wer-
S^=fe
den.
ir=t
Noch uneiniger waren diese Theoretiker in Beziehung auf die Art und
Weise der Anwendung der verschiedenen Intervalle, bei der Unterscheidung
derselben in Consonanzen und Dissonanzen und in ähnlichen Fragen. Sind
doch über den leidigen Streit, ob die Quarte eine Consonanz oder eine Disso-
nanz sei, noch im vorigen Jahrhundert ganze weitläufige Abhandlungen (s. Mat-
theson, »Orchester« III., Sorge, »Vorgemach« III. etc.) geschrieben worden.
Wurden doch von verschiedenen Theoretikern sogar alle verminderten und über-
mässigen Octaven, Quinten, Terzen und Sexten (s. Mattheson, »VoUk. Capellm.«
S. 253) mit zu den Consonanzen gezählt. Bekannt ist ferner der müssige
Streit darüber, ob die verschiedenen Primen, die man fälschlicher Weise alle
" Intervallenlelire. 457
»Einklänge« naunte, Intervalle seien oder nicht (s. Mattheson, »Vollk. Capellm.«
im P. S., Printz, nTlxeTcitationesv- I. u. s. f.).
Aucli in der Lehre von der Melodie bildete im vorigen Jahrhundert die
I. eine allzu hervorragende und dabei zu einseitige Rolle. "Wie man bei Be-
trachtung von Zusammenklängen übersah, dass jeder Ton nicht blos zu seinem
Basstone, sondern auch zu jedem anderen Tone des betreffenden Zusammen-
klanges, ja zu jedem Tone der ganzen Tonverbindung in Beziehung stehen
müsse, so vergass man bei Betrachtung von Tonfolgen, dass in einer melodischen
"Wendung nicht blos die direkt einander folgenden Töne, sondern alle Töne
unter einander, eine Einheit bilden müssen. Man bezeichnete dabei-, bei Auf-
stellung von Regeln für die Fortschreitung innerhalb einer Melodie, Schritte
in diesen oder jenen Intervallen ganz allgemein als erlaubt oder als verboten,
ohne sich die melodische "Wendung, in welcher sie vorkamen, im Ganzen an-
zusehen; es ist daher nicht zu verwundern, wenn sich in dieser Beziehung bei
den verschiedenen Theoretikern die grössten "Widersprüche nachweisen lassen.
— Ja selbst bei Betrachtung des Inhalts einer Melodie glaubte man, jeder Art
von Intervallen ganz im Allgemeinen einen bestimmten Charakter zusprechen
zu dürfen; dass man hierbei fast zu noch spasshafteren Resultaten gelangte,
als später bei Charakterisirung der Tonarten (s.d.), versteht sich von
selbst. Als ein Beispiel möge hier die Kirnberger'sche Auffassung angeführt
werden, wie sie sich in seiner »Kunst des reinen Satzes« II. 1. (1776) S. 103 ff.
findet: »Jedes Intervall hat gleichsam seinen eigenen Ausdruck, der aber durch
die Harmonie, und durch die verschiedene Art ihrer Anbringung sehr abge-
ändert oder ganz verloren gehen kann. Demohngeachtet, wenn man blos auf
die Fortschreitungen einer Melodie ohne Rücksicht auf die übrigen Neben-
umstände sieht, so lassen sich die Intervallen ohngefähr also charakterisiren:
Im Steigen.
Die übermässige Prime, ängstlich. Die kleine Secunde traurig; die grosse
angenehm auch pathetisch; die übermässige schmachtend. Die kleine Terz,
traurig, wehmüthig; die grosse vergnügt. Die verminderte Quarte, wehmüthig,
klagend; die kleine fröhlich; die grosse traurig; die übermässige oder ber Triton
heftig. Die kleine Quinte weichlich; die falsche anmuthig, bittend; die voll-
kommene frölich, muthig; die übermässige ängstlich. Die kleine Sext weh-
müthig, bittend, schmeichelnd; die grosse lustig, auffahrend, heftig; die über-
mässige kömmt in der Melodie nicht vor. Die verminderte Septime schmerz-
haft; die kleine zärtlich, traurig, auch unentschlossen; die grosse heftig, wüthend,
im Ausdruck der "Verzweiflung. Die Octave frölich, muthig, aufmunternd.
Im Fallen.
Die übermässige Prime äusserst 4;raurig. Die kleine Secunde angenehm;
die grosse ernsthaft, beruhigend ; die übermässige klagend, zärtlich, schmeichelnd.
Die verminderte Terz sehr wehmüthig, zärtlich; die kleine gelassen, massig
vergnügt; die grosse pathetisch, auch melancholisch. Die verminderte Quarte
wehmüthig, ängstlich; die kleine gelassen, zufrieden; die grosse sehr nieder-
geschlagen; die übermässige oder der Tritonus sinkend traurig. Die kleine
Quint zärtlich traurig; die falsche bittend; die vollkommene zufrieden, beruhi-
gend; die übermässige schreckhaft (kömmt nur im Bass vor). Die kleine Sexte
niedergeschlagen; die grosse etwas schreckhaft; die übermässige kömmt in der
Melodie nicht vor. Die verminderte Septime wehklagend; die kleine etwas
fürchterlich; die grosse schrecklich fürchterlich. Die Octave sehr beruhigend.«
"Wie unzureichend übrigens, sowohl nach ihrer Consequenz wie nach ihrer
Vollständigkeit, diejenige Auffassung ist, welche in der Harmonie und Melodie
nur von Intervallen und Intervallverbindungen spricht, wurde schon an ver-
schiedenen Orten (s. Consonanz, Harmonielehre) angedeutet. Grleichwohl
haben viele Theoretiker diese Auffassung auch heute noch nicht aufgegeben.
Den älteren Schriftstellern konnte man aus ihrem Irrthume keinen Vorwurf
458 Intervallenlehre.
machen ; nach den Fortschritten aber, welche seit Rameau in der Harmonielehre
gemacht worden sind, sollte man ein Festhalten au jenen veralteten Anschau-
ungen kaum noch für möglich halten. Aber selbst in Beziehung auf Benen-
nung, Eintheilung und Unterscheidung der Intervalle sind viele neuere Theo-
retiker über Scheibe noch nicht hinaus gekommen, so unglaublich dies erscheint.
So construirt A. B. Marx alle seine Intervalle aus Ganz- und Halbtönen und
muthet den Schülern zu, behufs Bildung der verschiedenen Intervalle die Zahl
dieser Ganz- und Halbtöne für jedes Intervall auswendig zu lernen; so kennen
Marx und andere »grosse«, »kleine«, »verminderte« und »übermässige« Primen,
Quarten, Quinten und Octaven, — und selbst E. Fr. Richter construirt und
benennt zwar alle Intervalle in consequenter Weise, aber bei Bildung der ver-
minderten Intervalle fordert er eine Erhöhung des tieferen Tones und wirft
somit alle Consequenz bei Seite. Bei einer solchen Unordnung und Unklarheit
ist es nicht zu verwundern, wenn die I. noch heute die Qual aller derer bildet,
die sich mit der Theorie der Musik befassen wollen, und zwar muss dieses
um so mehr der Fall sein, als nach den meisten Lehrbüchern die genaue Be-
kanntschaft mit den verschiedensten Intervallen die unbedingte Voraussetzung
resp. Vorbereitung bildet, — und demnach stets zu Anfang und bei noch
gering entwickelter Auffassungskraft der Schüler gelehrt werden muss. Unter
Harmonielehre habe ich schon nachgewiesen, wie sich ein Weg einschlagen
lässt, auf welchem zunächst nur eine ganz allgemeine Unterscheidung der Inter-
valle und die genauere Bekanntschaft mit nur drei (Grund-) Intervallen (reine
Octave, reine Quinte und grosse Terz) erforderlich ist, und auf dem sich
dann die genauere Unterscheidung bei Besprechung der Tonleiter sehr leicht
lehren lässt.
Sehr leicht verständlich ist die I. bei consequenter Behandlung nämlich
für denjenigen, welchem das Wesen und die Einrichtung der Tonarten und
der Tonartleitern bekannt ist; denn der einzig richtige Weg der speciellen
Unterscheidung ist es, wenn man auf die sogenannten »natürlichen« Intervalle
zurückgeht, d. h. auf die Intervalle, wie sie zwischen dem Grundtone jeder
Durtonartleiter und deren einzelnen Stufen entstehen. Eine mechanische Er-
leichterung ei'giebt sich allenfalls noch daraus, dass sich die Töne jeder Dur-
tonartleiter in eine Quintenreihe bringen lassen, dass man also, um irgend ein
natürliches Intervall zu erkennen, vom Ausgangstone nur reine Quinten abzu-
messen braucht, was vielleicht noch ein etwas leichteres Verfahren ist, als die
mechanische Bildung resp. das Auswendiglernen der verschiedenen Durton-
artlejtern.
Im Allgemeinen unterscheidet und benennt man die Intervalle zunächst
nur nach der Zahl der Noteustufen, um welche die Zeichen für ihre Töne auf
dem Liniensysteme von einander entfernt sind. Man erhält demnach, unter
Anwendung der lateinischen Ordnungszahlen, folgende Intervalle:
I. Primen (Erste), wenn die zweite Note auf derselben Stufe steht wie
die Note des Ausgangstones.
II. Secunden (Zweite), wenn die zweite Note auf der zweiten Stufe über oder
unter der ersten steht.
Dem entsprechend entstehen:
III. Terzen, IV. Quarten, V. Quinten, VI. Sexten, VIL Septimen, VIIL Oc-
taven, IX. Nonen, X. Decimen, XI. Undecimen, XII. Duodecimen, XIII. Terz-
decimen, XIV. Quartdecimen und XV. Quintdecimen , wenn die zweite Note
auf der 3., 4., 5., 6., 7., 8., 9., 10., 11., 12., 13., 14. oder 15. Stufe über oder
unter der ersten steht.
Meist zählt man nur bis zur Octave und beginnt, diese als Ausgangston
ansehend, wieder von Neuem. Dann wird die None oder Neunte zur Secunde,
die Decime (Zehnte) zur Terz, die Undecime (Elfte) zur Quarte, die Duo-
decime (Zwölfte) zur Quint, die Terzdecime (Dreizehnte) zur Sext, die Quart-
Intervallenlehre. 459
decime (Vierzehnte) zur Septime und die Quintdecime (Fünfzelinte) zur Octave.
Weiter als zur Quintdecime oder zweiten Octave wird fast nie gezählt.
Ein Intervall, dessen zweiter Ton gerade so viel Notenstufen über oder
unter dem Ausgangstone liegt, als sein Name angiebt, heisst ein einfaches
Intervall. Liegt der zweite Ton aber eine oder mehrere Octaven höher oder
tiefer, als der Name des Intervalls vermuthen liess, so heisst das Intervall ein
»doppeltes«, »dreifaches« u. s. f. So finden sich bei a einfache, bei h doppelte,
bei c dreifache Terzen. — Macht man ein einfaches Intervall zu einem mehr-
fachen, so wird das Intervall »erweitert«; wird dagegen ein mehrfaches Intervall
in ein einfaches verwandelt, so heisst dieses das betreffende Intervall »ver-
engern«.
c.
a.
lmT\H
if^=jjs^z:lfl25^
::J=4
In der Regel werden die Intervalle nur aufwärts gemessen; steht bei dem
Intervallnamen daher keine abändernde Bestimmung, so ist stets von einem
aufwärts gemessenen Intervall die Rede. Will man ein abwärts gemessenes
Intervall bezeichnen , so setzt man dem Intervallnamen die Silbe »Unter« vor.
Eine »Unterterz« ist also eine abwärts gemessene Terz; in ihr ist der höhere
Ton der Ausgangston.
Die Notenschrift ist zunächst nur im Stande, durch Stellung der Noten
die Stammtöne (s. d,), also nur die Töne der diatonischen Scala vom Tone c,
anzugeben, Sie hat aber ausserdem zur Bezeichnung der Tonhöhe noch die
sogenannten Versetzungszeichen (s. d.); mit Hülfe dieser Zeichen kann die
Höhe eines Tones verändert werden, ohne dass das Notenzeichen selbst auf
eine höhere oder tiefere Stufe gestellt zu werden braucht. Auf derselben Stufe
des Liniensystems kann man also verschieden hohe Töne notiren. Bei unserer
bisherigen Unterscheidung der Intex'valle ist dieser Umstand noch nicht be-
achtet worden. Es muss demnach Primen, Secunden, Terzen u. s. f. von ver-
schiedener Grösse geben. Um diese verschiedenen Arten der einzelnen Inter-
valle zu bezeichnen, gebraucht man die Beiwörter: »rein«, »gross«, »klein« u. s. f.
Man muss aber dann von jeder Intervallgattung die Grösse der einen Art
genau kennen. Aus diesem Grunde führt man jedes aufwärts gemessene Intervall
auf dasjenige Intervall zurück, welches die entsprechende Stufe der Durtonart-
leiter des Ausgangstones mit dem letzteren bildet. Diese Intervalle heissen
»natürliche« Intervalle. Ein Intervall ist demnach ein natürliches, wenn der
höhere Ton des Intervalls in der Durtonartleiter des tieferen Tones vorkommt.
So sind c—g, l—f^, as — es^ natürliche Quinten, c — ä, & — a*, as—g^ natürliche
Septimen, denn der höhere Ton jedes Intervalls (g, f^, es^, h, a^ resp. g^)
kommt in der Durtonartleiter des entsprechenden tieferen Tones (c, h resp. as)
vor. — Alle anderen Intervalle heissen dann »abgeleitete« oder auch »chro-
matische«.
Die natürlichen Intervalle heissen nun theils »rein«, theils »gross«. »Rein«
heissen alle diejenigen consonirenden Intervalle, deren Töne keine chromatische
Veränderung zulassen, ohne dass den Intervallen ihr consonirendes Wesen ge-
raubt würde. Es sind dieses nur folgende natürliche Intervalle:
Prime, Quarte, Quinte und Octave
und deren Erweiterungen.
Alle anderen natürlichen Intervalle, also:
Secunden, Terzen, Sexten, Septimen, Nonen etc.
heissen »gross«. Demnach ist eis — eis eine reine Prime, cis — dis eine grosse
Secunde> eis— eis eine grosse Terz, cis—fis eine reine Quarte, cis—gis eine
460 Iiitervallenlelue.
reine Quinte, cis — ais eine grosse Sexte, eis — Ms eine grosse Septime, cis—cis^
eine reine Octave, cis—dis^ eine grosse None u. s. f.
Durch chromatische Veränderung des höheren Intervalltones kann man
nun diesen dem Ausgaugstone um einen oder mehrere halbe Tonstufen ferner
oder näher rücken, also das betreffende Intervall um ebensoviel vergrössern oder
verkleinern. Ein Intervall, welches einen Halbton grösser ist als ein reines
oder ein grosses, heisst ein übermässiges Intervall. So ist cis—ßsis eine »über-
mässige« Quarte, cis — aisis eine »übermässige« Sexte, denn die Quarte sowohl
als die Sexte ist um einen Halbton grösser als das entsprechende natürliche
(reine oder grosse) Intervall.
Verengert man ein grosses Intervall um einen Halbton, so entsteht ein
»kleines« Intervall. So ist cis — a eine kleine Sexte, weil sie einen Halbton
kleiner ist als die grosse Sexte eis— als.
Ein Intervall, welches einen Halbton kleiner ist als ein reines oder ein
kleines, heisst ein »vermindertes« Intervall. So ist cis—g eine verminderte
Quinte, und cis — as eine verminderte Sexte, weil jedes Intervall um einen
Halbton kleiner ist als das betreffende reine (cis — gis) oder kleine (cis—a) In-
tervall. (Die von den reinen Intervallen abgeleiteten verminderten nennt man
auch wohl »falsch«.)
Erweitert man ein übermässiges Intervall noch um einen Halbton, so ent-
steht ein »doppelt übermässiges«; und ebenso entsteht durch weitere Ver-
engerung eines verminderten Intervalls ein »doppelt vermindertes«.
So entstehen also die doppelt übermässigen Intervalle durch Erweiterung
der übermässigen, die übermässigen durch Erweitei'ung der grossen oder reinen,
die kleinen durch Verengerung der grossen, die verminderten durch Verenge-
rung der reinen und kleinen und die doppelt verminderten durch Verengerung
der verminderten Intervalle, wie es das folgende Schema angiebt:
doppelt übermässige
I
übermässige
reine — (natürliche) — grosse
I
kleine
verminderte
1
doppelt verminderte.
Hat man nun ein Intervall zu bestimmen, so geht man auf das betreffende
natürliche zurück. Wäre das Intervall gis—f^ zu bestimmen, so hat man, da
dasselbe eine Septime ist, die natürliche Septime gis—ßsis^ aufzusuchen. Die-
selbe heisst gross; demnach ist gis—ßs^ eine kleine, und gis—f^ eine vermin-
derte Septime. Soll man die übermässige Quinte von dis aufsuchen, so bildet
man erst die natürliche (reine) Quinte dis — ais, und erhöht dann das ais um
einen Halbton; somit heisst die betreffende übermässige Quinte dis — aisis.
Um diese Bestimmungen schnell treffen zu können, muss man natürlich
in der Herstellung sämmtlicher Durtonartleitern möglichste Gewandtheit haben.
Bequemer ist es daher vielleicht, die natürlichen Intervalle durch reine Quinten
zu bestimmen. So ist die grosse Secunde durch zwei, die grosse Terz durch
vier Quinten aufwärts, die reine Quarte durch eine Quinte abwärts, die reine
Quinte durch eine, die grosse Sexte durch drei und die grosse Septime durch
fünf reine Quinten aufwärts zu finden. Die grosse Sexte von deses ist demnach
hh, denn die dritte Quinte von deses aufwärts (deses :asas, asas-.eses, eses:bb)
ist eben hb.
Einzelne Theoretiker theilen die Intervalle auch ein in »Stammintervalle«
Intervallenlehre. 46 1
und in »abstammende Intervalle«, indem sie die letzteren durch »IJmkehrung«
aus den ersteren entstehen lassen. Die TJmkehrung der Intervalle ist besonders
für den Contrapunkt (s. d.) von Wichtigkeit; dort ist von Umkehrungeu die
Rede, bei denen der eine Ton eines Intervalls um 8, 9, 10, 11 und 12 Noten-
stufen versetzt wird. Hier dagegen heisst ein Intervall umkehren nur, den
tiefereu Ton desselben eine Octave höher, oder den höheren eine Octave tiefer
setzen, so dass der tiefere Ton zum höheren, und der höhere zum tieferen wird.
Dadurch entsteht natürlich ein anderes Intervall; es können aber nur Intervalle
umgekehrt werden, die nicht grösser als eine Octave sind. Man erkennt diese
Umwandlung, wenn man die Zahlen 1 — 8 in entgegengesetzter Ordnung unter
einander schreibt:
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
8. 7. 6. 5. 4. 3. 2. 1,
oder wenn man die betreffende lutervallzahl von der Zahl 9 abzieht. So giebt
durch die Umkehrung die Prime eine Octave, die Terz eine Sexte, die Quinte
eine Quarte, die Septime eine Secunde und umgekehrt. Manche Theoretiker
nennen nun Prime, Terz, Quinte und Septime »Stammintervalle«, Secunde,
Quarte, Sexte und Octave dagegen »abstammende«.
Bei diesem Verfahren der Umkehrung ist noch folgendes zu merken:
1, Reine Intervalle ergeben bei der Umkehrung wieder reine. Die reine Quinte
c—g ergiebt die reine Quarte g — c^. 2. Die grossen Intervalle ergeben kleine,
und umgekehrt entstehen aus den kleinen wieder grosse. So wird die grosse
Terz c — e zur kleinen Sexte <? — c\ die kleine Terz c — es zur grossen Sexte
es — c^. 3. Aus übermässigen Intervallen entstehen verminderte, und aus ver-
minderten entstehen übermässige. Die übermässige Quinte c—gis ergiebt die
verminderte Quarte gis — c^, die verminderte Quinte c—ges dagegen die über-
mässige Quarte ges — c^.
Ueber die Eintheilung der Intervalle in »consonirende« und »dissonirende«
findet man Mittheilungen unter Consonanz.
Alle in der Musik gebräuchlichen Intervalle lassen sich, wie unter Har-
monielehre mitgetheilt ist, von drei einfachen und feststehenden Intervallen
ableiten; es sind dieses dieselben drei Intervalle, welche schon seit langer Zeit
zur Herstellung von Ton Systemen (s. d.) verwendet wurden: die reine Octave,
die reine Quinte und die grosse Terz. Ich nenne diese Intervalle daher
»Grrundintervalle«, während alle anderen Intervalle als von ihnen abgeleitet an-
gesehen werden.
Neben den bisher unterschiedenen und benannten Intervallen giebt es noch
gewisse kleinere Intervalle, die nur bei der Yergleichung der gebräuchlichen
Intervalle zum Vorscheine kommen. Die wichtigsten dieser kleinen Intervalle
sind: der grosse und der kleine Ganz ton (s. d.), der grosse und der kleine
Halbton (s. Halber Ton), das ditonische oder Pythagoräische und das syn-
tonische oder Didymäische Komma (s. Komma), das grosse und das kleine
Limma (s. d.), die Diesis (s. d.), das Diaschisma (s. d.) und das Schisma
(s d.). Andere finden sich noch unter Kanonik erwähnt.
Bekanntlich kann man die Tonhöhe eines Klanges genau bestimmen, wenn
man entweder die Dauer der einzelnen Schwingung (s. Schwingungsdauer)
angiebt, oder bestimmt, wie viel Schwingungen der klangerzeugende Körper in
einer bestimmten Zeit macht (s. Schwingungszahl). Dadurch wird es nun
möglich, das Verhältniss der Tonhöhe, in welchem die beiden Töne eines Inter-
valls stehen, genau darzustellen; man hat nur anzugeben: entweder das Ver-
hältniss der Schwingungsdauer, oder das Verhältniss der Schwingungszahlen.
Da sowohl die Dauer der einzelnen Schwingungen wie auch die Schwingungs-
zahl sich ändert, sobald die Länge des tönenden Körpers (bei sonst gleichen
Bedingungen) verändert wird, so kann man das Tonhöhenverhältniss eines
Intervalls endlich auch noch durch das Verhältniss der Saitenlängen ausdrücken.
Die alten Theoretiker benutzten nur diese Saiteulängenverhältnisse bei ihren
462 Intimo — Intonation.
Bestimmungen über die Grösse der Intervalle. In neuerer Zeit dagegen bezieht
man sich in der Regel auf die Schwingungszahlen, weil mau dadurch gerade
Verhältnisse erhält.
Auch bei Anwendung der Schwingungszahlen lassen sich nun die Ver-
hältnisse noch verschiedenartig darstellen. Zunächst kann man sie für beide
Töne des betreffenden Intervalls angeben. So sagt man, die Töne der aufwärts
gemessenen grossen Terz verhalten sich wie 4:5, d.h. der höhere Ton macht
jedesmal 5 Schwingungen, während der tiefere nur 4 Schwingungen macht.
Dann kann man nur die Schwingungszahl des einen Tones als Bruchzahl geben,
indem man die Schwingungszahl des anderen Tones gleich 1 setzt. So ist die
Schwingungszahl der aufwärts gemessenen grossen Terz = ^/a, da das Ver-
hältniss der beiden Töne dieses Intervalls = 4 : 5 = ''/4 : ^/4 = 1 : ^/4 ist. Endlicli
kann man das Verhältniss auch ausdrücken durch die Logarithmen der Ver-
hältnisszahleu. Näheres findet sich unter Kanonik.
Das Verhältniss der Tonhöhe kann nun bei demselben Intervall noch ver-
schieden sein, je nach dem Tonsysteme, welches man zu Grunde legt, und nach
dem Verfahren, welches man bei Herstellung des betreffenden Intervalls an-
gewendet hat. Hauptsächlich zu unterscheiden sind hierbei »reine« und »tem-
perirte Intervalle«, »rein« hier nur in dem Sinne von »genau richtig« ge-
nommen (s. Kanonik, Temperatur, Tonsystem, Reine Intervalle,
Temperirte Intervalle).
Wie man die Touhöhenverhältnisse der einzelnen Intervalle durch Zahlen
genau angeben kann, so ist es auch möglich, mit den verschiedenen Intervallen
verschiedene Operationen vorzunehmen. So kann man Intervalle addiren, sub-
trahiren oder vergleichen, multipliciren und dividiren oder theilen; man kann
Töne zwischen zwei Intervalltöne einschieben oder intercaliren u. s. f. Ein-
gehenderes hierüber findet man unter Akustik, Kanonik, Theilung der
Verhältnisse, Vergleichung der Verhältnisse und in den Special-
artikeln: Addition, Division u. s. f. 0. Tiersch.
Intimo (italien.), Vortragsbezeichnuug in der Bedeutung innerlich, innig,
herzlich, mit dem Superlativ intimissimo, innigst, auf das Herzlichste.
Intonare (latein.) oder intoniren heiest im Allgemeinen den Ton angeben,
anstimmen, was durch Gesaugstimmen oder Instrumente geschehen kann (s. An-
geben [einen Ton] und Akkordiren). In der Kircheusprache versteht man
darunter das Voransingen des Anfangs eines Psalms, Choi'als, einer Antiphone
u. s, w., welches Amt dem Cantor oder dem Celebranten obliegt; dafür findet
sich auch der Ausdruck antipJioJiam imponere. In der Fachsprache der Orgel-
bauer endlich heisst intoniren: die Ox'gelpfeifen zur kunst- und regelrechten
Ansprache bringen und den verschiedenen Pfeifen einer Stimme einen gleich
starken Ton geben.
lutouation heisst im Allgemeinen die Art und Weise, wie der Ton oder
richtiger der Klang durch die Menscheustimme oder durch Instrumente erzeugt
wird, nicht minder die Fähigkeit dazu. Die beiden Hauptbedingungen einer
guten I. sind vollkommene Reinheit in Bezug auf Tonhöhe und Klangschönheit.
Eine kunstgerechte und aller Abstufungen fähige I. ist der erste und wichtigste
Theil alier Schule in Gesang und Instrumentspiel. Im Instrumentbau ist die
I. namentlich bei den Ciavierinstrumenten und der Orgel von der grössten
Bedeutung. Bei den ersteren wird sie hauptsächlich durch die Belederung,
d. h. den Ueberzug der Hammerköpfe mit Wildleder, und durch den Fallwinkel
der Hämmer, bei der letzteren durch Beschaffenheit des Labiums der Pfeifen
und durch die Stärke und Masse des Windzuflusses bedingt. Bei den Blas-
und Streichinstrumenten, sowie im Gesang ist die I. weit mehr von der Fähig-
keit und Geschicklichkeit des Vortragenden abhängig, und in Beziehung auf
den Gesang, die menschliche Stimme, wird der Ausdruck auch hauptsächlich
gebraucht. Ein grosser und wesentlicher Theil des Eindrucks, den eine Musik
auf den Zuhörer maclit, hängt von einer reinen und richtigen I. ab, und es
Intonireiseu — Introduction. 463
ist höchst peinlich, einen Chor zu hören, in welchem eine oder die andere
Stimme gegen die übrigen unklar, schwankend, etwas zu tief oder zu hoch
singt, d. h. detonirt, ebenso wenn die Solostimme sich in gleichem Verhält-
nisse dem Orchester gegenüber befindet. Um dies zu verhüten und eine reine
I., einen stimmunghaltenden Gesang zu erzielen, bedarf es neben einem einiger-
maassen guten Grehöre fleissiger Bildung und TJebung der Stimmorgane, un-
ausgesetzter Aufmerksamkeit auf die übrigen Vocal- oder Instrumentalstimmeu,
rechtzeitigen Athemholens und Maasshaltens im Singen. Am ehesten kommt
Detonation zum Vorschein, wenn die Stimmorgane durch grosse und lang-
andauernde Anstrengung ermüdet sind; nur Ruhe kann unter solchen Umständen
zu reiner I, wieder befähigen. Bei Instrumenten bedient man sich statt des
Wortes I. lieber des Ausdrucks Ansprache (s. d.), ebenso in Beziehung auf
die Zusammenstimmung eines Instruments oder eines Tones mit einem anderen
richtiger des Wortes Accordiren (s. d. und den Artikel Angeben). — End-
lich belegt man mit dem Ausdruck I. auch noch die kurze Phrase eines kirch-
lichen Gesanges, welche der Gelebrant oder Cantor vorzusingen hat, worauf
der ganze Chor singend fortfährt, z. B. die Melodien y>Gloria in excelsis deou,
nöredo in unum deuma, y>Asperges mea u. dergl. , wie sie in den Mess- und
ßitualbüchern der katholischen Kirche enthalten sind.
Intonireiseu, auch Intonations- oder Intonirblech genannt, ist ein
Instrument aus starkem Eisenblech oder geschmiedetem Eisen, bis zu 0,20 Meter
lang, an einem Ende dünn und schmal, fast spitz auslaufend, am anderen Ende
flach, gerade abgeschnitten und fast wie ein Meissel gestaltet. Es dient zum
Stimmen der Orgelpfeifen.
Intoniren, s. Intonare und Intonation.
Intrade (ital.: Intrada oder Entrada) nennt man einen aus vollständiger
Instrumentalmusik bestehenden kurzen, meist feierlichen Satz, der einem grös-
seren Tonstücke als Einleitung dient. Ursprünglich bestand die I. aus einem
von keiner bestimmten Melodie abhängigen Durcheinanderblasen eines Trompeter-
corps, das am Ende in ein sanftes Aushalten des Dominantaccords auslief und
in dem Hauptaccord schloss (s. auch Tusch). Nach und nach wurde diese I.
künstlerisch behandelt; den Trompeten und den an dieselben gebundenen Pauken
wurden andere Instrumente hinzugefügt, und so entstand unmittelbar aus der
I. die Ouvertüre (s. d.). Uebrigens ist die ursprüngliche I. nicht mit der
Fanfare (s. d.) zu verwechseln, mit der sie erst neuerdings identisch wurde.
Intrepido (ital.) und davon abgeleitet das Adverbium intrepidamente
ist die gebräuchliche Vortragsbezeichnung in der Bedeutung unerschrocken,
beherzt.
Introduction (latein.: Introductio ; ital.: Introduzione), d. i, Einführung, Ein-
leitung, nennt man einen kurzen, m^ist pathetisch oder wenigstens ruhig ge-
haltenen Satz, der einem Hauptsätze, auf welchen er vorbereitet, z. B. einem
Rondo, Walzer, Concert- oder Sinfonie -Satze, einer Ouvertüre, Fuge, einem
Gesangstücke u. s. w. vorangeht. Vom Vorspiel oder Präludium (s.d.)
unterscheidet sich die I. dadurch, dass sie keine abgeschlossene Form hat,
während jenes ein in sich völlig abgerundetes Stück ist. — In der Oper heisst
I. das erste Musikstück (die erste Nummer) unmittelbar nach der Ouvertüre
(s. d.). Bei sogenannten grossen (heroischen oder tragischen) Opern ist die I.
herkömmlich ein grosser Chor mit eingemischten Solostellen, auch bisweilen
eine fortlaufende Scene. Komische Opern und Singspiele dagegen entbehren
häufig einer derartigen I., indem sie nach der Ouvertüre mit einem Liede,
Duett, Terzett u. s. w. oder auch sogar ohne Musik gleich mit dem Dialog be-
ginnen. Es kommt auch vor, dass die Ouvertüre ohne Abschluss in die I.
übergeht, wie z. B. in Gluck's »Iphigenia in Tauris«, in Mozart's »Idomeneo«,
»Entführung aus dem Serail«, »Don Juan«, in Meyerbeer's »Robert der Teufel«,
»Hugenotten« u. s. w. Mustergültig für die Oper ist die französische, in sich
abgeschlossene und abgerundete Form der I. geworden, welche mit einem Chor
464 Introitus — Inversion.
beginnt, der rondoartig im Verlaufe der Entwickelung wiederkehrt und diese
Nummer auch beendet, wodurch dieselbe einen mit dem ausgeführten Finale
(s. d.) verwandten Charakter erhält. Das moderne Musikdrama, welches ab-
geschlossene Musikstücke überhaupt verwirft, hat auch den Namen und Be-
griff der I. abgestreift.
Introitus (latein.; ital,: ititroito; franz.: introit) d. i. Eingang, Einleitung,
also dem Wortlaut nach dasselbe was Introduction (s. d.). Jedoch hat der
Ausdruck eine mehr kirchenmusikalische Bedeutung angenommen und bei-
behalten. In der katholischen Liturgie heisst nämlich I. jene Antiphone, welche
vom Chor gesungen wurde, während der Celebrant bei feierlichen Messen aus
der Sacristei ins Presbyteriura einti-at und zum Altar schritt. In der ambro-
sianischen Liturgie ist diese Antiphone Ingressa genannt, was mit I. identisch
ist. Die Einführung des I. überhaupt wird dem Papst Cölestin I. (gestorben
432) zugeschrieben, jedoch weiss man erst mit Bestimmtheit, dass Papst Gregor T.
die Einrichtung traf, dass vor und nach dem Psalme ein aus letzterem genom-
mener Vers (Antiphone) gesungen werde, und dass er zugleich einen bestimmten
Vers für jeden Tag und für jedes Fest festgestellt habe. Seit dem 8. Jahr-
hundert, wenn nicht früher, wurde es Gebrauch, statt eines ganzen Psalms
zwischen die Antiphone nur einen einzigen Vei'S desselben mit der Doxologio
rtGloria patrie ete.<s. zu singen. Die Antiphone wurde anfänglich dem betreffenden
Psalm entnommen, jedoch begnügte man sich später, irgend eine passende Bibel-
stelle zu benutzen; einige I., wie y>Salve sancta parensti. (von Sedulius) und
y^Gaudeamus omnes in domifioa gehören auch nicht einmal der Bibel an. — In
den alten Missalen findet sich der I. noch nicht, wohl aber in den Gradual-
oder Gesangbüchern. Erst seit dem 14. Jahrhundert spricht der Celebrant
den I. still mit. Im 11. Jahrhundert fing man in Frankreich und in Klöstern
an, den I, an hohen Festtagen zu paraphrasiren, d. h. durch Einschiebsel (s.
Tropen) auszudehnen. Meist begnügte man sich aber damit, die Antiphone
zwischen dem Verso und der Doxologie zu wiederholen. In dem römischen
Missale ist jetzt für jede Messe ein bestimmter I. vorgeschrieben; nur am
Charsonnabende und in der Pfingstvigilie fehlt er aus äusseren Rücksichten. Der
I. eröffnet immer die besondere, durch die kirchliche Zeit, ein bestimmtes Fest
u. s. w. niotivirte Feier, auf deren Gegenstand er hinweist. Er ist ein Wechsel-
gesang, der nach alter Uebung, je nach der Wichtigkeit des betreffenden Festes
von einem, von zwei, ja sogar von vier Cantoren intonirt, sodann vom ganzen
Chor bis zum Psalmenverse zu Ende gesungen wird, worauf der oder die Can-
toren die erste Hälfte des Psalmenverses allein als Solo vortragen, welchen der
Gesamratchor mit der zweiten Hälfte respondirt. Ebenso geschieht es bei der
Doxologie y>Gloria patriea. Endlich intoniren die Cantoren in bezeichneter
Ordnung nochmals den Anfang des I., und der Chor singt denselben zu Ende.
Die Melodien des I. sind sehr fasslich, der Tonumfang nicht zu weit; die Ton-
arten halten sich streng an die Kirchentonarten. — Nach den Anfangsworten
des I. werden auch eigens einige Sonntage genannt, z. B. der Sonntag (do-
minica) Esto mihi, der Sonntag Lätare, der Sonntag Exaudi u. a. m.
luta» canei-e (latein.), d. i. innerlich, inwendig, in sich hinein singen oder
spielen, eine vereinzelt vorko'mraende Bezeichnung fehlerhaften Vortrags, wenn
ein Sänger seine Töne gleichsam verschluckt und ein Instrumentalist mehr für
sich als für die Zuhörer spielt.
Invention (aus dem Latein.) war bei J. S. Bach und den gleichzeitigen
Componisten der Name kleiner Tonstücke, welche einen Einfall, eine nioraentann
Empfindung zum Ausdruck brachten. In dieser Art entspricht die I, derjenigen
Musikgattung, welche man heutzutage Impromptu (s. d.) nennt.
Inventionshorn, s. Hörn.
luTOutiousinstrumeute, s. Hörn und Trompete.
Inveiitionstrompete, s. Hörn und Trompete.
Inversion oder Evolution (latein.: inversio oAcv evoluHo) ^.\.\lvnk^\\\'wr\g,
Invetriatur — Joachim. 465
ein der Rethorik entlehnter Ausdruck, ist im musikalisclien Sprachgebrauch
die Versetzung der Stimmen im doppelten Contrapunkt (s. Um kehrung),
dann auch die Verkehrung der Notenfolge eines musikalischen Satzes, die Imi-
tation (s. Nachahmung). Die I, erhält das Eigenschaftswort simplex (ein-
fache, gemeine Umkehrung), wenn sie ohne genaueste Beibehaltung der Inter-
valle die aufsteigenden Noten abwärts- und die herabsteigenden Noten auf-
wärtssteigend setzt, die nähere Bezeichnung striata (genaue, strenge Umkehrung)
dagegen, wenn bei diesem Verfahren genau aus ganzen Tönen wieder ganze,
aus halben Tönen wieder halbe u. s. w. werden. — Mit dem Ausdruck I. be-
zeichnet man auch bei öesangscompositionen die willküi'liche Versetzung ein-
zelner Textworte sowohl, als auch die Wiederholung derselben. Die "Wieder-
holung gebraucht man, um Hauptgedanken und Worte besonders herauszu-
heben; sie ist oft lediglich durch den Gang der Melodie gefordert, während
die Wortumstellung häufig durch den Rhythmus hervorgerufen und gerecht-
fertigt wird.
Invetriatur (aus dem Latein.) heisst im Allgemeinen der glasartige Leim,
mit dem die Orgelbauer zum Schutz vor Winddurchzug und Wurmfrass die
Windlade und hölzernen Pfeifen anstreichen, im Besonderen aber jene vom
Orgelbauer Casparini erfundene Masse, mit welcher derselbe die hölzernen
Pfeifen seiner Werke, so der Görlitzer Orgel, innen und aussen bestrich und
ihnen dadurch nicht nur den erwähnten Schutz, sondern auch eine auf ihren
Ton günstig wirkende Glasur verlieh. Leider ist diese letztere Mischung Ge-
heimniss des Erfinders geblieben und mit dem Tode desselben ausgestorben.
luvitatorium (latein.) heisst in der römisch-katholischen Kirche ein Vers,
welcher am Anfange der Matutin abwechselnd mit je zwei Versen des 94. Psalms
» Venite, exultemus dominov. gesungen oder gebetet wird. Jedes Fest und jedes
Ofiicium vom Tag hat sein besonderes I., dessen Schlussworte dann gewöhnlich
•nVenite, adoremusv. sind. Die Anordnung dieses Einleitungsspruchs oder Ge-
sanges reicht hoch in das Alterthum hinauf, und Papst Gregor I. traf damit
im Wesentlichen die Einrichtung, wie sie das römische Brevier noch gegen-
wärtig aufweist. Auch das Todtenofficium hat sein I., nicht aber nach rö-
mischem Ritus das Officium vom Feste Epijjlianiae und das der drei letzten
Tage in der Charwoche; als Grund hierfür gilt, dass das Epiphanienfest älter
ist als die Einführung des I., so dass man den uralten Ritus conserviren zu
müssen glaubte, und die Chartage andererseits freudige Zurufe von selbst ver-
böten. Der Invitatorienvers bewegt sich stets in einer erhaben gehaltenen
Melodie, und auch der Psalm hat seinen eigenthümlichen Gesang. Ein oder
zwei Cantoren beginnen den Vers, welchen der Chor repetirt; dann führt der
Cantor den Psalm singend fort, nach dessen Abschnitten der Chor immer wieder
mit dem ganzen oder der zweiten Hälfte des Verses antwortet. Am Schluss
sinsft der Cantor nochmals den Vers zur Hälfte und der Chor vollendet ihn.
O
In den Gradualbüchern und Antiphonarien finden sich die Invitatorien (Psalm
Venite, adoremus) nach den acht Kirchentönen geordnet. In den alten Ritualien
ist vorgeschrieben, das I. an einigen Festtagen mit besonderer Feierlichkeit
abzusingen: » Z7i! sex cantent tres primos versus submissa voce, et alios tres alii
sex alta vocea, was darauf hinzudeuten scheint, dass der Beisatz z. B. nüegetn
confessorum, venite, adoremusu. noch nicht im Gebrauch war und erst späteren
Ursprungs ist.
Invocavit (latein.), s, Sonntag.
Joachim oder Giovacchino, latinisirt Joachimus, italienischer Cister-
ziensermönch und Abt des von ihm gegründeten Klosters Flora, war um 1150
in Calabrien geboren und stand besonders bei dem römisch -deutschen Kaiser
Heinrich VI., der ihn als Prophet verehrte, in grossem Ansehen. J. starb im
J. 1202. Von seinen Schriften ist von musikalischer Bedeutung: -aFsalterium
decem cJiordarv/m, lihris III, in quihus de summa trinitate eiusque distinetione,
de numero psalmorum et eorum arcanis ac viysticis sensihus, de psalmodia, de
Musikal. Convers.-Lexikon. V. 30
466 Joachim.
modo et usu psallendi simul et psallenliuma (Venedig, 1519; audere Ausgabe
Venedig, 1527).
Joacliiin, genannt Joachim von Magdeburg, deutacher Tonsetzer, lebte
in der zweiten Hälite des 16. Jahrhunderts und war, wie es scheint, Cantor
in Thüringen. Von seiner Couiposition sind geistliche und tröstliche Gesänge
zu vier Stimmen (Erfurt, 1572) auf die Nachwelt gekommen.
Joachiui, Joseph, der grösste Violinvirtuose neuester Zeit und zugleich
ein keuntnissreicher Tonkünstler und Dirigent, wurde am 15. Juli 1831 zu
Kittsee, einem Marktflecken bei Pressburg in Ungarn, geboren und zeigte so
früh Spuren einer aussergewöhnlichen Befähigung für die Musik und namentlich
für die Violine, dass sich seine Eltern entschlossen, den Knaben, so jung der-
selbe noch war, auf das Conservatorium zu Wien zu bringen. Dort wur
Joseph Böhm sein Speciallehrer im Violinspiel; dieser erklärte ihn schon
1843 für völlig ausgebildet und widersetzte sich auch nicht, als im Herbst
desselben Jahres J. die Gelegenheit geboten wurde, im Gewandhause zu Leipzig
die Feuerprobe seines Talents zu bestehen. Als Probestück für seine Leistungs-
fähigkeit diente dem zwölfjährigen Knaben in jenem siebenten Abouucment-
coneert des Gewandhauses die »Othello-Fantasie« von Ernst, und sein Auftreten
war von einem ganz ausserordentlichen Erfolg begleitet; denn das Publikum
geizte nicht mit Beifallsbezeigungen, und die Kritik fand in dem jungen Vir-
tuosen eine höchst interessante Erscheinung nicht nur in Rücksicht auf das
ausgezeichnete Talent, das sich in seinen Leistungen aussprach, sondern auch
der trefflichen Schule und Bildung wegen, von denen sein Spiel unverkennbar
Zeugniss gab, ebenso wie sie es dem Lehrer zur besonderen Ehre anrechnete,
ein schönes Talent so geleitet und frühzeitig schon so weit gebracht zu haben,
dass baldige Erreichung hoher Meisterschaft kaum bezweifelt werden könne.
Auf eine solche Aufnahme in der maassgebenden Musikstadt hin entschlossen
sich J.'s in Pesth lebende Eltern, den Knaben seinem in Leipzig wohnhaften
Oheim, einem Kaufmann, anzuvertrauen. Ernst um die Kunst war es J. auch
fernerhin, und seine weiteren Studien auf der Violine überwachte und leitete
von da an Ferd. David, während ihm Moritz Hauptmann Unterweisung in den
höheren musiktheoretischen Fächern ertheilte. Aber auch andere in Leipzig
lebende Musikgrössen , wie ßob. und Clara Schumann, Gade, Ferd. Hiller,
interessirten sich in hohem Grade für den nicht blos nach virtuoser Seite hin
aufstrebenden, talentvollen Künstler, und besonders war es Mendelssohn, welcher
ihn liebgewonnen hatte. Dieser nahm ihn 1845 mit nach England zur Season,
und J. wurde in London, das ihn auch weiterhin bei jedem seiner häufigen
Besuche mit Ehren und Gold überhäufte, mit Bewunderung aufgenommen.
Im fünften der dortigen Philharmonischen Concerte spielte er zum ersten Male
öflfentlich das Concert von Beethoven, das Werk, durch dessen unvergleichlichen
Vortrag er seitdem Tauseude entzückte und in dessen Wiedergabe, was seelibche
Auffassung betrifift, er noch immer ohne gleichberechtigten Nebenbuhler dasteht.
In London gab er aber auch gleichzeitig Proben seiner eminenten Befähigung
zum Quartettspiel und glänzte als Interpret Bach'scher Musik. Am 4. Decbr.
1845 trat er im Leipziger Gewandhause bereits mit einer eigenen grösseren
Composition, einem Adagio und Rondo für Violine und Orchester, mit glück-
lichem Erfolge auf. Er verweilte auch ferner noch einige Jahre in Leipzig,
wo man ihn durch Anstellung als Lehrer am Conservatorium und als Mitglied
des Concert- und Theaterorchesters zu fesseln suchte, bis ihn 1850 Franz Liszt
vermochte, nach Weimar als Concertmeister überzusiedeln.
Der für Musiker su übei'aus anregende Umgang Liszt's war auch für J.'s
künstlerische Weiterentwickelung von entschiedenstem Einflüsse, aber auch seine
Selbstständigkeit entwickelte sich in Weimar freier; er bewies dies durch seinen
We^fgang, als ihm die durch unbedingte Partheinahme für die Wagner'sche
Musikrichtuug getrübten dortigen musikalischen Verhältnisse nicht mehr zu-
sagen konnten. Eine glänzende Stellung eröffnete sich ihm alsbald 1854 in
Joachim. 4ß7
Hannover. Nicht nur, daes eigens für ihn die Stelle eines köuigl. Concerfc-
direktors geschaffen wurde, sondern er erfreute sich auch im höchsten Maasse
der Gunst des Königs, und es wurden ihm die ausgedehntesten Ferien con-
tractlich zugesichert, die er auch fleissig zu Triumphreisen durch fast ganz
Europa benutzte. Seine dienstliche Thätigkeit in Hannover fand 1866 nach
Besitznahme dieses Landes durch Preussen ihren Abschluss. Er siedelte, ohne
seine Concertreisen, besonders nach England, zu vernachlässigen, nach Berlin
über, wo sich ihm 1869 durch Berufung in den Senat der königl. Akademie
der Künste, unter Verleihung des Titels eines königl. Pi'ofessors, und bald
darauf durch die ehrenvolle Anstellung als Direktor der neu gegründeten köuigl,
akademischen Hochschule der Musik ein ungeahnt fruchtbringendes Feld der
Thätigkeit eröffnete. Von kleinlichem Neide vielfach angefochten, hat er auch
in diesem Amte als Lehrer seines Instruments sowie als Schöpfer und fein-
sinniger Leiter eines Orchesters und Chors unbeirrt bewiesen, mit welchem
ausserordentlichen Q-eschick er für die hohen Zwecke seiner von ihm heilig
gehaltenen Kunst segensreich zu wirken weiss. Auch als Dirigent grosser
Musikfeste ist er seitdem häufig berufen worden, und 1875 fungirte er inner-
halb weniger Wochen höchst ehrenvoll auf dem Niederrheinischen Musikfeste
zu Düsseldorf und auf dem ersten Schleswig-Holstein'schen Musikfest zu Kiel
in dieser Eigenschaft.
J. hat dem Publikum und der musikalischen Presse mit seinen häufigen,
auch jetzt noch nicht eingestellten Triumphzügen durch die eurojDäischen Con-
certsäle vielfachste Gelegenheit zur Beurtheilung seiner Künstlerindividualität
gegeben, und diese ist in ausgedehntestem Maasse wahrgenommen und aner-
kannt worden, da sich Niemand dem bestrickenden, acht künstlerischen Eindruck
zu entziehen vermag, den J.'s Violinspiel durch unfehlbare Technik der Finger
und des Bogens, durch feinstes Verständniss aller Musikgattungen und den
denkbar vollendetsten Vortrag hervorbringt. J. hat aber auch, was die meisten
Virtuosen der Gegenwart nicht besitzen, seinen eigenen Styl. Ein Violin-
concert von Viotti, Rode oder Spohr z. B., welches von Anderen gespielt, wenig
Interesse mehr erregen würde, wird durch seine Vortragsweise, welche selbst
unbedeutendere Compositionen über ihren eigentlichen Werth hinaufhebt, zum
Hochgenuss; wirklich musikalisch werthlose Stücke spielt er nur äusserst
selten. Als Interpret gediegener Musik für sein Instrument von Seb. Bach
an bis Mendelssohn wird er im Einzelnen kaum von einem, im Ganzen von
keinem anderen Virtuosen erreicht und noch lange jedem deutschen Violin-
spieler als verkörpertes Ideal acht künstlerischen Strcbens erscheinen. Kein
grosser Componist hat bis jetzt gelebt, welcher nicht auch ein Instrument ge-
spielt hätte. Umgekehrt ist wohl auch anzunehmen, dass jeder wahrhaft be-
deutende Virtuose durch den immerwährenden geistigen Verkehr mit den grossen
Meistern der Tonkunst von edlem Schaffenstrieb erfüllt sein müsse. J. hat
bewiesen, dass er neben vortrefflichen Compositionen, unter denen sein edles,
frisches und charakteristisches »Concei't in ungarischer Weise« obenan steht, auch
geistvolle, wohl componirte Orchesterwerke zu schreiben versteht. Bei seiner,
nur die classische Reinheit der Tonkunst im Auge behaltenden Richtung ist
in Lehre und Composition seine Abneigung gegen die neueste Musikrichtung
erklärlich.
Vermählt ist J. seit dem 10. Juni 1863 mit Amalie J., geborene Weiss,
welche er als ausgezeichnete Altsängerin der Hofbühne zu Hannover kennen
lernte. Ihre ausserordentliche stimmliche Begabung hat auch nach ihrem Rück-
tritt vom Theater nicht verfehlt, geschätzt und hochgepriesen zu werden, ja
sie verkörpert gegenwärtig im Gesang vollständig und in glücklichster Ergän-
zung denselben Styl, welchen ihr Gatte so mustergültig repräsentirt. Als
Lieder- und Oratorien sängerin gilt sie daher für unübertrefflich und ist für
die Solostimme in grossen Concertwerken eine weithin und vorzugsweise be-
rufene künstlerische Kraft von hoher Bedeutung.
30*
468 Joan — Jobel.
Joan, einer der ersten italienischen Geigenmacher, der noch vor Araati
gelebt haben soll, über den aber sonst nichts bekannt geblieben ist. Sein
Name findet sich vereinzelt in alte italienische Violinen geklebt,
Joanelli) Pietro, ein italienischer Contrapunktist des 16. Jahrhunderts,
geboren zu Grandino bei Bergamo, veröffentlichte eine Sammlung Motetten
unter dem Titel »I^ovi atque catholici thesauri musici Ubri quinque etc. 8, 7, 6
5 ac 4 vocuma (Venedig, 1568). Die Proske'sche Bibliothek besitzt von diesem
seltenen "Werke, welches wegen der überaus grossen Reichhaltigkeit und der
darin vertretenen alten Tonsetzer besonders kostbar ist, ein vollständiges und
prachtvolles Exemplar.
Joauelli, Ruggiero, s. Giovanelli.
Joauiui, genannt J. del Violoncello, einer der vorzüglichsten italienischen
Violoncello virtuosen seiner Zeit und zugleich gediegener Tonsetzer, war um
die Mitte des 18. Jahrhunderts, ungefähr bis 1760, päpstlicher Kapellmeister
an der Peterskirche zu Rom. Er schrieb für Violoncello sowie für andere
Instrumente, und einige Ciaviersachen von ihm waren auch in Deutschland
bekannt. Im Uebrigen hat er auch mehrere Kirchencompositionen verfasst.
Joannes, s. Johannes.
Joaö (Juan oder Johann) IV., König von Portugal seit 1640, portu-
giesischer Tonsetzer und der einzige gekrönte Schriftsteller, den die musikalische
Literatur aufzuweisen hat. Als Herzog von Braganza 1604 geboren, lebte er
bis in sein 36. Jahr hinein in Zurückgezogenheit den Wissenschaften und
Künsten, besonders der Musik. Nur mit Mühe war er zu überreden, als recht-
mässiger Kronerbe den portugiesischen Thron zu besteigen, als die Portugiesen
1640 das langjährige spanische Joch endlich abgeschüttelt hatten. Obwohl
in einen hartnäckigen Krieg mit den Spaniern verwickelt, Hess er sich dennoch
nicht seinen Studien entziehen und schrieb sogar gerade damals mehrere Musik-
tractate, componirte fleissig und stellte seine Instrumentalübungen vor die
Regierungsgeschäfte. Eine reiche Bibliothek von Werken der Componisten
aller Nationen von der Mitte des 15. Jahrhunderts an bis auf seine Zeit, die
er mit grossem Aufwand zusammenbringen Hess, traf das Unglück, beim Erd-
beben zu Lissabon im J. 1756 mit zu Grunde zu gehen. Von J.'s schrift-
stellerischen Arbeiten können genannt werden: -aDefensa de la musica moderna
contra la errada opinion del ohispo Cirilo Franco« (wahrscheinlich 1649 er-
schienen), worin der königliche Schriftsteller die Musik seiner Zeit gegen die
Vorwürfe des ausschliesslich die alte Musik hoch haltenden Bischofs Cirilo
Franco von Loreto vertheidigt; dann eine anonym herausgegebene Dissertation,
betitelt: r>Respuestas d las dudas que se pusieron ä la misa „Panis que7fi ego
dabo" de Palestrinaa. Nicht herausgekommen von ihm sind: »Concordaticia de
la musica y pasos de la colleccionada de los majores profesores de arte« und
»Principios de la musica, que Jiicieron sus primeros autores y p)^ogresos que tuvov.
Wahrscheinlich sind auch diese beiden Schriften, sowie einige seiner Manuscript
srebliebenen Motetten ebenfalls durch das oben erwähnte Erdbeben vernichtet
worden. Dagegen sind zwei andere seiner Motetten nach seinem Tode im
Druck erschienen (Lissabon, 1674). J. selbst starb am 6. Novbr. 1656.
Joao Vaz Barradas Muitopam e Morato, s. Vaz-Barradas.
Jobel (b3i">) nannten die alten Hebräer eins ihrer häufig angewandten
Metallblasinstrumente; schon in den fünf Büchern Mosis findet man dasselbe
erwähnt. Es tritt diese Benennung oft verbunden mit dem Instrumentnamen
Schofar (s.d.) auf, welchen Namen eine Trompete hatte, und bezeichnete
dann, dass selbige aus einem Widder- oder Kuhhorn gefertigt war. Die Be-
deutung dieses adjektivischen Zusatzes von J. haben mehrere Sprachgelehrtc
etwas verschieden gedeutet. Gesenius sagt in seinem deutsch-hebräischen Wörter-
buche, dass dies Wort ungefähr in der Bedeutung dem deutschen Worte »Jubel«
gleich komme. Pfeiffer erklärt es ähnlich, indem er nachweist, dass die Wurzel
des arabischen Wortes J. ausser Fest und Freude auch Jubeljahr bedeute,
Jobinus — Johann Georg II. 4ß9
und dass die Hebräer an ihren höchsten Freudenfesten sich deshalb des
Schofar-J. bedienten. Auch ist mit Gewissheit anzunehmen, dass die so be-
rühmt gewordenen Trompeten, welche den Einsturz der Mauei-n Jericho's be-
wirkten, diese Jubeltrompeten waren, und es wahrscheinlich das einzige Blech«
blasinstrument der Hebräer war, welches während des Gottesdienstes gebraucht
wurde. 0.
Jobiuns, Bernhard, Lautenist und Componist für sein Instrument, lebte
in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, wahrscheinlich zu Strassburg.
Man kennt von ihm: »Bernhardi Jobini teutsche Tabulatur auff die Lauten,
darinn viel artliche Fanteseyen, Teutsche, Frantzösische und Italianische Lieder,
lateinische Muteten mit 4 vnd 5 Stimmen zusammengetragen« (Strassburg,
1572) und »Sixti Kergelii frantzösische und italianische Lieder, Muteten u. s. w.«
(Strassburg, 1580).
Jocoletj Claudius, ein sonst unbekannter Componist zu Anfang des 17.
Jahrhunderts, von dem im Druck erschienen sind: »Allerley Art Frantzö-
sischer, Teutscher, Hispanischer vnd Welscher Täntze, mit 5 vnd 6 Stimmen ge-
setzt vnd theils zusammengelesen« (Jena, 1622). Vgl. JDraudii »Bibl. dass. germ.i
Jocosuä (latein.), Titel- und auch Vortragsbezeichnung in der Bedeutung
scherzhaft, lustig.
Jodeln, eine den Gebirgsbewohnern, besonders denen der Alpen eigenthüm-
liche Gesangsart. Sie besteht darin, dass der Sänger nach einer eigenen Arti-
culation schnell aus der Bruststimme in die höheren Töne des Falsets über-
schlägt, wobei das scharfe Hervortreten der contrastirenden Klangfarben beider
Stimmregister einen seltsamen Eindruck hervorruft, so dass selbst die heitersten
Lieder dieser Art den Zuhörer oft wehmüthig stimmen können. Häufig dienen
diese textlosen Modulationen, Jodler genannt, als Endrefrain oder Endritornelle
für jede Strophe äusserst naiver National-Alpenlieder.
Jodocus Pratensis oder J. de (a) Prato, s. Josquin.
Jöcher, Christian Gottlieb,, deutscher Gelehrter, geboren am 20. Juli
1694 zu Leipzig, studirte anfangs Medicin, habilitirte sich 1714 durch die Ab-
handlung y>De viribus musices in corpore Tiumanoi. (Leipzig, 1714), ging aber
hierauf zur Theologie über. Im J. 1730 erhielt er eine philosophische Pro-
fessur in der philosophischen Facultät zu Leipzig, wurde 1732 Professor der
Geschichte, 1742 Universitätsbibliothekar und starb am 10. Mai 1758. Sein
»Allgemeines Gelehrten -Lexicon« (4 Bde., Leipzig, 1750 — 51) enthält u. A.
eine Menge musikalischer Schriftsteller, sowie auch viele Componisten. Es
wurde von Adelung bis zum Buchstaben J (2 Bde., Leipzig, 1784 — 87) und
von Botermund bis »Bin« (Bd. 1 — 6, Abth. 3, Bremen, 1810 — 22) ergänzt.
Seine übrigen Schriften gehören nicht hierher und sind fast vergessen.
Johann ist der Name 23 römischer^ Päpste, von denen drei auch für die
Musik von einiger "Wichtigkeit sind. Es sind dies: Johann XX., von 1024
bis 1033 regierend, derjenige Papst, welcher den Guido von Arezzo aus
dem Kloster zu sich berief, um sich von demselben seine neue Gesangmethode
erklären zu lassen und nach ihr singen zu lernen; Johann XXL, geboren
zu Lissabon, 1276 zum Papst erwählt, aber schon 1277 von einer einfallenden
Decke erschlagen, hat ausser Briefen, philosophischen und medicinischen
Schriften auch ein r>Musica« betiteltes Sendschreiben an den englischen Bischof
Fulgentius hinterlassen; Johann XXIL, geboren 1244 zu Cahors und ur-
sprünglich Jacob von Ossa oder Ense geheissen, wurde 1316 zum Nachfolger
des Papstes Clemens V. erwählt und starb nach einer sehr bewegten Regierung,
über 90 Jahre alt, am 2. Decbr. 1334 in Rom. Auch er soll einen Tractat
y>De Musicav. verfasst haben.
Johann IV., s. Joao.
Johann Georg II., Kurfürst von Sachsen, 1656 bis 1680, geboren am
31. Mai 1613, wurde von früh auf in der Musik gebildet und brachte es
dahin, dass er viele Kirchenmusiken componirte, darunter den 117. Psalm
470 Johann — Johannes Mantuanus.
y>Laudate domimim omnes gentesn. Seine Musik- und Prachtliebe verschlang
Summen, die das vom dreissigjährigen Kriege her erschöpfte Land kaum zu
erschwingen vermochte. Er starb zu Fi'eiberg, wohin er sich der Pest wegen
begeben hatte, am 22. Aug. 1680.
Johann (Jean), Herzog von Braine, genannt Mauclerc, war der
Sohn Robert's II., Grafen von Dreux, und gehörte zu den französischen Dich-
tern und Componisten des 1.3. Jahrhunderts. Er starb im J. 1239. Drei
Gesänge, von ihm gedichtet und in Musik gesetzt, bewahrt die Nationalbibliothek
in Paris auf.
Johann Ernst, Prinz von Sachsen-Weimar, war einer der fertigsten Yiolin-
und Ciavierspieler seiner Zeit. Geboren am 29. Decbr. 1696, erhielt er schon
früh musikalischen Unterricht, zuerst auf der Violine und zwar durch seinen
Kammerdiener Gregor Christoph Eylenstein. Ein neunmouatlicher Unterricht
bei dem Lexicographeu Walther genügte, um den talentvollen Prinzen zu be-
fähigen, 19 namhafte Werke für die von ihm behandelten Instrumente zu
componiren, von denen aber nur sechs Clavierconcerte im Druck erschienen
sind. Auf einer Studienreise begriffen, starb er leider schon am 1. Aug. 1715
zu Frankfurt a. M.
Johann Cotto, s. Cottonius.
Johannes, Musiker des 7. Jahrhunderts, führte den Titel eines Archi-
cantors, war um 670 Präcentor an der Peterskirche zu Rom und schrieb einen
Tractat, betitelt: t>De modulandi ac legendi ritua.
Johannes, Aegidius, s. Aegidius.
Johannes Cäsar Angnstanns, um 621 lebend, wird zu den ältesten Kirchen-
tonsetzern gerechnet.
Johannes Chrysorrhoas aus Damask, deshalb gewöhnlich Joannes Da-
mascenus genannt, der Verfasser des dogmatischen Hauptlehrbuchs für die
moi'genländische Kirche, geboren um 700, stand als Schatzmeister in Diensten
des Khalifen und hiess als solcher AI Mansur. Im J. 730 wurde er Mönch
im Kloster Saba bei Jerusalem und starb um 760. Während seiner Zurück-
gezogenheit von der Welt verfasste er u. A. seine berühmte »Auseinandersetzung
des orthodoxen Glaubensa und betrieb unter Leitung des Bischofs Kosmas
auch eingehend Musik. Er soll bequemere Notenzeichen erfunden, viele Kirchcn-
melodien erfunden haben und deshalb von seinen Zeitgenossen il/i/lcüöos,' (Cantor)
genannt worden sein. Für sein Ansehen überhaupt spricht schon, dass er selbst
in der römischen Kirche heilig gesprochen wurde, und dass er noch gegen-
wärtig in der griechischen Kirche als Glaubensnorm gilt. Einen ihm zuge-
schriebenen musikalischen Tractat, welcher eine Belehrung über die in den
griechischen Kirchengesangbüchern üblichen Tonzeichen, deren Anwendung u. s. w.
enthält, hat Fürstabt Gerbert im zweiten Bande seines Wei'ks »Z)e cantu et
musica sacraa facsimilirt mitgetheilt.
Johannes Langns, Mönch zu St. Gallen und ein als vortrefiBich gerühmter
Musiker des 10. Jahrhunderte, versah mehrere von seinen Klosterbrüdern ver-
fasste Prosen und Sequenzen mit ausgezeichneten Melodien.
Johannes de Muris, s. Muris.
Johannes Mantnanns oder Johann von Mantua, einer der hervor-
ragendsten Musikgelehrten des 14. Jahrhunderts, aus Namur gebürtig, wo er
seine Ausbildung im Gelang erhielt. Theologische Wissenschaften studirte er
in Italien, aber unter Vittorino Feltri gleichzeitig auch Musik. Hierauf trat
er in ein Karthäuserkloster zu Mantua, in Folge dessen er auch den Beinamen
»Mantuanus öarthausiusv. erhielt, und wurde der Verfasser der berühmten musi-
kalischen Abhandlung •»Lihellus musicalis de ritu canendi etc.«. (1380), in wel-
cher er den Choralgesang, Monochord, die Consonanzeu, alten Tonziichcn,
Kirchentonarten, Consonanzen, Solmisation und den Contrapunkt wissenschaftlich
behandelt. Exemplare dieses Tractate im Manuscript besitzt das britische
Museum und die vaticanische Bibliothek.
Johannes Paduanus — Jotn. 4YJ
Johannes Paduanns, italienischer Gelehrter des 16. Jahrhunderts, hat ausser
anderen AVerken auch •»Institutiones musicae<i (Verona, 1578) hinterlassen.
Johannes Pediasinius, ein Eechtsgelehrter und Mathematiker aus Bulgarien,
lebte um 1300 und soll einen Tractat über musikalische "Wissenschaft verfasst
haben. Vgl. Hawkins, Greschichte Bd. II. S. 42.
Johannes Presbyter, ein Priester dos 11. Jahrhunderts, schrieb eine latei-
nische Abhandlung -»de mtisica antiqua et novav, deren Manuscript im Kloster
Monte Cassino aufbewahrt wird.
Johannes Salesberiensis, einer der gelehrtesten Theologen des 12. Jahr-
hunderts, geboren um 1110 zu Salisbury, wurde zu Paris Doctor der geist-
lichen Facultät und mit Robert von Gloucester Erzieher des nachmaligen
Königs Heinrich II. von England. Im J. 1176 wurde er zum Bischof von
Chartres ernannt und starb als solcher am 24. Octbr. 1182. Unter seinen
Werken gehört hierher: y>Folycraticum, seu de nugis curialium et vestigiis 2:>^ilo-
sophorum Uhr. 8« (gedruckt 1513), weil es im 6. Kapitel des ersten Buchs
y>de musica et instrumentis et modis et fructu eoruma handelt.
Johannes Scotus, gelehrter englischer Mönch des 9. Jahrhunderts, war
Lehrer an der Musikschule zu Oxford. — Ebendaselbst soll ein anderer J„
mit dem Beinamen Monachus Menevensis, als Lector der Musik und
Arithmetik gewirkt haben,
Johannes Tanetos oder Thanatensis, gelehrter englischer Benedictiner-
mönch, geboren auf der Insel Thanes in Kent, wurde um 1330 Präcentor zu
Canterbury und zeichnete sich durch sein musikalisches Talent so aus, dass
man ihn den zweiten Amphion nannte. Er verfasste eine Abhandlung nde
ojficiis cantuariensihus eeclesiae«.
Johannes yon Bargnnd, Lehrer des Dorainicanermönchs Hieronyraus von
Mähren, lebte um 1200 und wird musikalisch erwähnt, weil er eine Tabelle
über die Geltung der Mensuralnoten aufstellte, welcher er den Namen narbor«
(Baum) ertheilte.
Johannes Ton Clere, Musiker aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts,
war aus Cleve gebürtig und in der Kapelle des Kaisers Maximilian I. ange-
stellt. Von seinen Compositionen werden zwei Bücher Motetten genannt.
Johannes TOn Fnlda, gelehrter deutscher Mönch, ein Schüler des Rhabanus
Maurus, lebte gegen Ende des 9. Jahrhunderts und soll besonders als Dichter
und Tonkünstler ausgezeichnet gewesen sein. Nach Gerbert's Behauptung war
J. der Erste, der in Deutschland Kirchengesänge (varia modulatione, wie es
heisst) in Musik setzte.
Johannes yon Neuville, altfranzösischer Dichter und Musiker, geboren auf
der Burg Neuville in der Champagne, lebte um 1193 und componirte selbst-
gedichtete Gesänge. Im Manuscripte befinden sich noch 19 derselben in der
Nationalbibliothek zu Paris.
John, Karl Wilhelm, vorzüglicher deutscher Pianist und eleganter Com-
ponist für sein Instrument, geboren am 9. Jan. 1821 zu Berlin, erhielt, da er
frühzeitig die besten musikalischen Anlagen zeigte, Ciavierunterricht beim
königl. Kammermusiker Moos, wozu sich später theoretische Lectionen bei
Rungenhagen gesellten. Als Knabe schon erregte er in verschiedenen Concerten
Aufsehen, und einige gleichzeitig erschienene Compositionen für Pianoforte von
ihm blieben nicht unbeachtet. In Folge dessen erschlossen sich ihm auf Meyer-
beers Empfehlung 1845 die Ausländern fast unzugänglichen Pforten des Con-
servatoriums zu Paris, und J. wurde Halevy's Compositionsschüler, während er
in Privatstunden bei Kalkbrenner, Prudent und Thalberg das höhere Clavier-
spiel mit dem grössten Erfolge studirte. Mit warmen Worten wies damals
Ed. Monnais in der Bevue et Gazette musicale auf J.'s ausserordentliche Vir-
tuosität hin, die als Specialität einen wunderbar bestrickenden, harfenartigen
Anschlag aufwies; leider aber vermochte J. , gleich Chopin und Henselt, die
Scheu vor öffentlichem Auftreten niemals zu überwinden. Dagegen sind einige
472 Johnson — Jomelli.
30 zum Theil beliebte Saloncorapositionen von ihm im Druck erschienen. Im
J. 1863 nahm J, wieder seinen bleibenden Wohnsitz in Berlin, wo er in un-
abhängiger Stellung zurückgezogen der Kunst lebte. Plötzlich und unerwartet
starb er am 4. Septbr. 1875 zu Berlin.
Johuson ist der Name einiger englischer Tonkünstler, von denen zu nennen
sind: 1) Bartholomäus J., der sich im 18. Jahrhundert auf dem Violoncello
auszeichnete. Er erreichte ein ausserordentlich hohes Alter, denn am 3. Octbr.
1810 feierte man zu Scarborough durch eine Festlichkeit seinen hundertjährigen
Geburtstag, bei welcher Gelegenheit er noch in einer selbstcomponirten Menuett
mitwirkte. — 2) Edward J., lebte, als Componist bekannt, zu Anfang des
17. Jahrhunderts in London. Einige fünfstimmige Gesänge von ihm enthält
das Sammelwerk »TriumpJi of Oriana« (London, 1601). — 3) Heinrich
Philipp J., früh nach Schweden gekommen, tritt zuerst 1753 und zwar als
Hofmusicus in Stockholm hervor, wurde 1755 als Organist an der Clara-Kirche
und 1763 als Hofkapellmeister angestellt. In den Jahren 1774 und 1775
wurden in Stockholm Opern von ihm, nämlich »Egle« und »Neptun und Am-
phitrite« aufgeführt. Zu Hülpher's historischen Abhandlungen über Musik hat
er die Vorrede sowie eine kurze Beschreibung der Orgeln verfasst. Ebenso
hat er Orgelfugen componirt und veröfiFentlicht. — 4) Robert J. , eigentlich
Geistlicher, wird um 1500 als Kammer -Kirchencomponist gerühmt und zwar,
wie Burney behauptet, der auch einen fünfstimmigen Gesang und eine Alle-
mande von ihm mittheilt, wegen seiner geschickten Behandlung von Fugen-
themas und Imitationen.
Jolage, Charles Alexandre, französischer Orgel- und Ciavierspieler,
war 1753 als Organist bei den petits Peres zu Paris angestellt und veröffent-
lichte Ciaviersuiten seiner Composition.
Joly, französischer Violinist und Componist für sein Instrument, lebte als
Musikalienhändler zu Paris, woselbst er 1819 starb. Von seinen Compositionen
sind Duos, Variationen, Contretänze u. s. w. für Violine im Druck erschienen,
ebenso eine Guitarren- und eine Flötenschule, sowie Stücke für diese In-
strumente.
Jomard, Edmond FranQois, berühmter französischer Geograph und Ar-
chäolog, ein gründlicher Erforscher und Kenner der ägyptischen Alterthümer,
geboren am 21. Novbr. 1777 zu Versailles, machte seine wissenschaftlichen
Studien zu Paris und nahm 1798 mit anderen Gelehrten an der Expedition
Napoleon's nach Aegj'pten Theil. Im J. 1802 nach Frankreich zurückgekehrt,
verbreitete sich in Folge seiner Veröffentlichungen sein Ruf über die ganze
civilisirte Welt, und sein Einüuss auf Alles, was Afrika betraf, wurde immer
bedeutender. Er starb 1847 als Oberbibliothekar der königl. Bibliothek zu
Paris. In musikalischer Hinsicht ist er ausserdem zu nennen wegen seiner
Abhandlung über das Leben und die Werke G. L. B. Wilhem's.
Jomelli, Nicolö, einer der berühmtesten italienischen Componisten der
neapolitanischen Schule, geboren am 17. April 1714 zu Aversa in Unteritalien,
erhielt seinen ersten Gesang- und Ciavierunterricht von Mozillo, einem Cano-
nicus in seiner Vaterstadt, und studirte von seinem 16. Jahre an zu Neapel,
zuerst auf dem Conservatorium dei poveri di Giesü Cristo, dann auf dem della
pieta dei Turchini, wo Meister wie Porta, Mancini, Feo und Leo seine Lehrer
waren. Nachdem er sich ohne allen Erfolg mit dem Satze von Balletten be-
schäftigt hatte, glückte es ihm besser mit einigen Cantaten, und der strenge
Leo selbst prophezeite ihm eine grossartige Zukunft. Seine erste komische
Oper fUerrore amorosoa (1737) aber, die er pseudonym unter dem Namen
Valentine aufführen Hess, fand so grossen Beifall, dass J. sich angefeuert
fühlte, auf diesem Wege weiter zu gehen. Noch grösseres Glück machte seine
nächste für das Teatro Fiorentino geschriebene ernste Oper y)Odoardo<i (1738),
der noch einige andere folgten, welche 1740 seine Berufung nach Rom ver-
anlassten. Durch die dort geschriebenen Opern nRicimero, re de Gotia., Ȁstia'
Jomelli. 473
nattew, y>T/igenia(i und itOajo Marioa gewann er die Römer völlig für sich und
fand in dem Cardinal York einen einflussreichen Protektor. Jedoch ging er
schon 1741 nach Bologna, wo er neben seiner fortgesetzten "Wirksamkeit für
die Bühne (die Oper »Ezio«) die Rathschläge und Belehrungen des gelehrten
Padre Martini in Bezug auf den Kirchenstyl nicht unbenutzt Hess. J. kehrte
hierauf wieder nach Rom, sodann nach Neapel zurück und wurde durch seine
im Carlo-Theater gegebene Oper y^Uumenea auch hier Gegenstand der Bewun-
derung, nicht minder in Venedig, wo er y>Merope« compouirte und aufführte.
In letzterer Stadt trat er zuerst mit Kirchencompositionen hervor, von welchen
ein achtstimmiges y>Laudate<i mit Recht für ein Meisterwerk gilt; auch soll er
damals eine Zeit lang als Lehrer an einem der Conservatorien Venedigs ge-
wirkt haben. Im J. 1747 war J. wieder in Rom und fand durch die ge-
priesene Oper »Artaserse« den alten enthusiastischen Beifall. Gleichzeitig er-
stand ihm aber in dem jungen Portugiesen Terradellas ein nur zu glücklicher
Nebenbuhler. Es bildeten sich Partheien und beim nächsten Carneval unterlag
J. in der That seinem Gegner, dessen Oper einen beispiellosen Erfolg hatte,
während die seinige durchfiel. Die Parthei des Portugiesen triumphirte und
liess sogar eine Denkmünze schlagen, welche ihren Meister auf einem von J.
gezogenen Triumphwagen zeigte. Bald darauf fand man Terradellas, von Dolch-
stichen durchbohrt, in der Tiber, und J. sah sich der Theilnahme an diesem
Morde beschuldigt. Kaum zu bezweifeln ist es, dass die meisten Umstände
dieser vielfach und umständlich erzählten Geschichte dem Bereiche der Fabel
angehören, um so mehr, als J. 1749 die Anstellung als päpstlicher Kapell-
meister erhielt. Als solcher fungirte er bis 1754, folgte aber dann einem Rufe
des Herzogs Karl von "Würtemberg nach Stuttgart, wo er bis, 1768 als Ober-
Kapellmeister einflussreich thätig war. Er erhob das Stuttgarter Hoforchestcr
auf die Stufe der Mustergültigkeit, schrieb gegen 20 grössere und kleinere
Opern, wie y>Demetrio«, y^Penelopeu, r>JEnea nel Lazioa, y>Il re pastorea, y>Äles-
sandro nelV Indien, r>Demofoonte<s. u. s. w., ferner Kirchenmusiken und viele
Gesangsätze und erfreute sich der schmeichelhaftesten Auszeichnungen. Im
J. 1783 sollten auf herzogl. Befehl alle seine in Stuttgart componirten Opern
auf Subscription veröffentlicht werden, zu welchem Unternehmen es jedoch nicht
kam. Der Theaterbrand in Stuttgart, 1802, vernichtete sie sogar mit verein-
zelten Ausnahmen, wie ^'Fetonten, sämmtlich.
J. war nach Auflösung des ihm unterstellten Orchesters 1768 nach Italien
zurückgekehrt und hatte ein Landgut in der Nähe seines Geburtsortes Aversa
erworben. Der König von Portugal, Johann V., lud ihn zwar ein, an seinen
Hof zu kommen, jedoch lehnte J. diesen Ruf ab und beschäftigte sich in der
Zurückgezogenheit noch weiter mit Operncomposition. Da aber seine für Rom
gesetzte Oper ■nAchille in Sch'oa, gleich noch einer anderen keinen Beifall
erntete, vielleicht gerade, weil J. in Deutschland mehr deutsches "Wesen, be-
sonders in Bezug auf bedeutsame Harmonie, in sich aufgenommen hatte, als
seine sinnlich lebendigen Landsleute zu ertragen vermochten , so wendete er
sich noch einmal nach Neapel, wo es ihm aber mit seiner y>Ißgenia in Aulidea
nicht besser erging. Der Verlust seiner ehemaligen Popularität bekümmerte
ihn so, dass er sich 1773 einen Schlagfluss zuzog, von dem er sich jedoch
wieder erholte. Er schrieb noch eine Cantate zur Geburtsfeier eines neapoli-
tanischen Prinzen und ein bewundernswerth schönes zweichöriges Miserere mit
Orchesterbegleitung, nach dessen Vollendung er am 28. Aug. 1774 stai'b. —
Seine Opern mit ihren edlen , einschmeichelnden und geistreichen Melodien
galten lauge Zeit hindurch als Muster, und er war in denselben seineu ita-
lienischen Zeitgenossen auch in Hinsicht auf regere, wirksamere Instrumentation,
lebhaftere dynamische Schattirung des Ausdrucks u. s. w. in der That weit
voraus. Als unübertrefläich wurden besonders seine Arien gerühmt, welche
jedoch, da sie den Styl seiner Zeit nicht überragten, jetzt so gut wie vergessen
sind. Für die Kirche arbeitete er gegen 40 "Werke, darunter ausser den ßchon
474 Jonas — Jones.
oben angeführten, ein berühmtes Benedictus, ein Requiem und ein Passions-
oratorium. Trotz hervorragender, kunstvoller Schönheiten, vielem Würdigen
und Edlen stehen diese geistlichen hinter seinen weltlichen Compositionen
zurück, da er nur zu häufig hierbei den brillanten Concertstyl vorwalten Hess
und die Singstimmen zu Läufen und Bravourpassagen benutzte. In ruhigeren
Formen ergeht sich das schon genannte Requiem in Es-dur, welches ursprüng-
lich nur für Gesang und Streichquartett gesetzt ist. Die Bibliothek des
Königs von Sachsen besitzt im Manuscript die Opern r>Armida ahhandonataa
und y>Didonea, die Cantate i>La partenzai, 65 Arien, Duette u. s. w., die kaiserl.
Hofbibliothek in Wien die dreiaktige Oper »Catone in Utica« (1749) und
einen bemerkenswerthen Schatz von J.'s geistlichen Compositionen. — Burney,
der J. auf seinen Reisen sah , fand sein Gesicht demjenigen Händel's ähnlich,
ihn selbst aber viel gefälliger und höflicher als Händel.
Jonas, Emile, talentvoller französischer Componist, geboren am 5. März
1827 zu Paris, trat 1841 in das dortige Conservatorium, wo Lecouppey und
Carafa seine Hauptlehrer waren. Seine ersten Compositionen, Ciaviersachen
und Romanzen, wurden von der Kritik und dem Publikum sehr günstig aut-
genommen und seine kleinen Opern »ie duel de Benjamin« (1855), y>La parade«
(1856), ToLe roi hoiU (1857), y>Les jyefits prodigesa (1857) u. s. w., im Theater
der Bouffes parisiens gegeben , fanden hervorragenden Beifall. Ausserdem hat
er 1854 eine Sammlung hebräischer gottesdienstlicher Gesänge, die 24 von ihm
componirte Nummern enthält, veröffentlicht. Als ganz vorzüglich aber werden
seine zahlreichen Compositionen für Militärmusik gerühmt. J. lebt in Paris
als Professor am Conservatorium und Musikdirektor der Synagoge des portu-
giesischen Ritus.
Jonas, Karl, deutscher Tonkünstler, geboren um 1770 zu Berlin, erhielt,
unterstützt von der Prinzessin Amalie von Preussen , eine pute Schulbildung
und gründliche Unterweisung im Clavierspiel und in der Composition durch
Fasch. Nachmals nahm sich seiner der König Friedrich Wilhelm II. an und
Hess ihn auf die Universität nach Halle gehen. Als Ciavierspieler und Com-
ponist von Ciavier- und Gesangsachen schon von Berlin her rühmlich bekannt,
setzte er bei Türk seine musikalischen Studien fort und Hess 1793 eine Ariette
mit 15 Variationen für Ciavier, die er dem Könige widmete, erscheinen. Später
veröfi'entlichte er noch in Tilsit eine Sammlung von Liedern und Gesängen;
im Uebrigen hat man jedoch nichts weiter von ihm gehört.
Joneck, Michael, rühmlich bekannter Ciavierbauer, geboren am 14. Mai
1748 zu Würzburg, erlernte die Elemente des Clavierspiels im dortigen Ober-
zeller-Klostcr, wo er erzogen wurde. Er wandte sicli bei einem Instrumenten-
macher ceiner Geburtsstadt dem Ciavierbau zu, den er nachmals selbstständig
betrieb, so dass er um 1770 schon an 200 Claviere verfertigt hatte, die zu
den besseren gezählt wurden. Später warf er sich mehr auf die Fortepiano-
Baukunst und verfertii?te u. A. einige Flügel mit Flötenwerk. — Sein Sohn
und Schüler, Joseph J. , der auch bei Walther in Wien längere Zeit gear-
beitet hatte, übernahm 1807 die väterliche Fabrik, deren Flügel und Forte-
pianos auch unter seiner Leitung noch lange sehr geschätzt und gesucht waren.
Jones, Edward, trefflicher englischer Harfenspieler und gelehrter Forscher
und Sammler auf dem Gebiete der Nationalmusik von Wales, stammte aus
einer sehr musikalischen Familie und wurde 1752 auf einer Farm (Henblas
genannt) in der Gi'afschaft Merionetsh geboren. Von seinem Vater frühzeitig
im Harfenspiel unterrichtet, entwickele er als geborenes Musiktalent sehr s^phnell
eine bedeutende Meisterschaft auf der wallisischen Harfe, welche ihm ermög-
lichte, sich schon in jugendHchem Alter einen ausgebreiteten Ruf in dem ganzen
Lande zu erwerben. Im Anfang der 1780er Jahre ging J. nach London, wo
es ihm gelang, sich zu einem der geschätztesten und rresuchtcsten Lehrer
eniporzuscbwingen und in die Kreise der hohen Aristokratie gezogen zu werden.
Im J. 1788 ernannte ihn der Prinz von Wales, spätere König Georg IV., zu
Jones. 475
seinem »Hofbarden«. J.'s Hauptverdienst besteht jedenfalls in der Herausgabe
des gelehrten, für die Geschichte der walliser Nationalmusik überaus wichtigen
Sammelwerks yBelicks of the welsli hards etc.n , von welchem 1789 der erste
Band, 1820 der zweite und die erste Hälfte des dritten Bandes in London
erschienen ist. Es war ihm leider nicht vergönnt, dieses umfangreiche und
interessante Werk, die Frucht vierzigjähriger eingehender Forschungen, zu
Ende zu bringen, da ein Herzschlag ihn plötzlich zu London, im April 1824,
dahinraffte. Fr.
Jones, Griffith, englischer Literator, lebte zu Anfang des 19. Jahrhun-
derts zu London und war einer der Mitarbeiter an der y>Encyelopaedia Lon-
dinensisa, die u. A. einen Artikel von ihm, die Musikgeschichte behandelnd,
enthält. Derselbe erschien später selbstständig unter dem Titel y>A history
of the origin, progress of theoretical and practical music« (London, 1819) und
deutsch übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Mosel unter dem Titel
»Geschichte der Tonkunst« (Wien, 1821).
Jones, John, englischer Tonkünstler der letzten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts, war 1784 einer der Unterdirektoren bei der grossen Gedächtnissfeier
Händel's. In Preston's Catalog von 1797 finden sich unter seinem Namen
sechs Ciaviertrios verzeichnet, die wahrscheinlich ihn zum Componisten haben.
Jones, Philipp, englischer Ciavierbauer, lebte um 1700 zu London und
genoss eines in England weitverbreiteten Rufes.
Jones, Bobert, berühmter englischer Lautenvirtuose und Compouist für
sein Instrument, lebte zu Anfang des 17. Jahrhunderts zu London. Man
kennt noch von ihm ausser einzelnen Stücken, die sich in dem Sammelwerk
-»Triumph of Orianav. (London, 1601) und in der y>Musica antiqum von Smith
befinden: vier Bücher zwei- bis vierstimmiger Gesänge mit Lauten- oder
Gambenbegleitung nebst Lautenstücken, betitelt »^ musical dreamv. (London,
1609), sowie fünf Bücher Gesänge mit Lauten- oder Bassbegleitung, betitelt
y>The muse^s garden of delight etc.«. (London, 1611).
Jones, William, ist der Name von drei um die Tonkunst verdienten
Engländern. Der älteste derselben, geistlichen Standes, geboren 1726 in
Northumberland und gestorben am 7. Febr. 1800 zu London, war ein tüchtiger
Literator und Musikdilettant. Er schrieb u. A.: y>Physiologieal dlsqidsitions or
discourses on the natural philosophy of the elemenfs, on matter, on motion, an fire,
011 air, on sound and music etc.a (London, 1771; 2. Aufl. 1781). Ein anderer,
ebenfalls Geistlicher, geboren um 1740 in der Grafschaft SufFolk und gestorben
1798 zu London, schrieb viele Kirchensachen, sowie das theoretische Werk
nA treatise on the art of music etc.«. (Colchester, 1784; 2. Aufl. mit verän-
dertem Titel, London, 1786). Der dritte und berühmteste zählt zu den grössten
(3rientalisten. Geboren am 28. Septbr. 1746 zu London, lebte er lange als
vielbeschäftigter Rechtsgelehrter in seiner Vaterstadt, immer eifrig mit dem
Studium der morgenländischen Literatur beschäftigt. Seinen Lieblingswunsch,
den Orient zu bereisen, berücksichtigend, sowie besonders seiner gründlichen
Kenntniss der arabischen, persischen, chinesischen, indischen, portugiesischen
und spanischen Sprache wegen ernannte ihn die englische Regierung 1783 zum
Oberrichter in Kalkutta und erhob ihn zugleich in den Ritterstand. Als solcher
starb er daselbst am 27. April 1794. Wichtig für die Musik wurde seine
Abhandlung über die Tonarten der Inder (^on the musical modes of the Ilindusa),
zuerst erschienen im dritten Bande der nÄsiatic researchesa der von ihm 1784
gegründeten Asiatischen Gesellschaft in Kalkutta, und auch in der vollstän-
digen Ausgabe seiner Schriften (6 Bde., London, 1799) befindlich. Es ist
dies diejenige Schrift, auf die in dem Artikel »Indien« dieses AVerks öfter ver-
wiesen ist, da sie das Beste enthält, was wir über das Tonsystem der Inder
besitzen. Job. Friedr. H. v. Dalberg hat dieselbe 1792 ins Deutsche übersetzt
und unter dem Titel »lieber die Musik der Inder. Eine Abhandlung des Sir
William Jones, übersetzt, mit erläuternden Anmerkungen und Zusätzen be-<
476 Jongleurs.
gleitet« (Erfurt, 1802) herausgegeben. Auch in den von J. für die Asiatische
Gesellschaft herausgegebenen r>Asiatic miscellanya (3 Bde., Kalkutta, 1785 bis
1788) befindet sich vieles für die indische Musikgeschichte Wichtige. In einem
r>Essay on the arts<i, enthalten in den nPoems consisting cMeßy of translations
from the asiatic languagea (London, 1773, und deutsch, Altenburg, 1774), leitet
er die Wirkung der Musik nicht aus ihrer Kraft, Sitten nachzuahmen, sondern
aus dem Mitgefühl her.
Joiig'leurs (französ., von dem raittellatcin. joculator, provengal.: joglar, jog-
lador, altfranzös.: jouglere oder jougleor) hiessen bei den Provengalen und Nord-
franzosen die Spielleute von Profession, zum Unterschiede von den gelehrten
und höfischen Kunstdichtern, den Trobadors (s. d.) und Trouveres (s. d.)
im engeren Sinne. Diese letzteren hatten meist J. in ihren Diensten, um ihre
Lieder vorzutragen und zugleich auf einem Instrumente zu begleiten; denn
höfische Kunstdichter sangen wohl mitunter selbst ihre Lieder, hielten es aber
für unanständig, sich zugleich auch auf einem Instrumente dazu zu begleiten.
Auch die Könige, die grossen und kleinen Herren hielten an ihren Höfen
solche Spielleute, die, wenn sie zugleich selbst Dichter waren, mit Rücksicht
auf ihr Verhältniss als dienende Hofkünstler in Nordfrankreich Menestrels,
in England Minstrels hiessen. Endlich gab es auch ganz herrenlose J., fah-
rende Sänger, die sich nicht blos an den Höfen und in den Burgen in adlicher
Gesellschaft, sondern auch auf Märkten und in Schenken unter dem Volke
herumtrieben, wie die Tahoureurs, d.i. Trommler, die Bänkelsänger der Dorf-
scheuken, das letzte Glied dieser Sänger- und Musikantenschaar. So trieben
die J., ausser ihrer ursprünglichen Beschäftigung als Spielleute, auch das Ge-
werbe von Erzählern oder Vorträgern blos gesagter Gedichte und hiessen als
solche Fableors oder Contaires, ja sie waren auch oft zugleich Seiltänzer,
Taschenspieler und Gaukler, wie es in der ursprünglichen Bedeutung des
Stammwortes jocus, jocularis, joculator angezeigt wird, führten weibliche Kunst-
genossinnen (Jongleresses) und abgerichtete Thiere mit sich und gaben über-
haupt gymnastisch -mimische Vorstellungen, sogar schon eine Art dramatisch
dargestellter komischer Scenen oder Zänkereien, Witz- und Bäth sei spiele (Jong-
leries oder Biotes)] auch Hessen sie sich als Liebesboten und Gelegenheits-
macher gebrauchen.
Dadurch und durch ihre eigene, meist unordentliche Lebensweise zogen
sie sich häufig den Kirchenbann und Landesverweisung zu und sanken so sehr
in der öflfentlichen Achtung, dass der Name Jongleur endlich gleichbedeutend
mit Possenreisser, Lügner und Betrüger wurde, während sie in früherer Zeit
geehrt, reich beschenkt und sogar mit Grundbesitz belehnt waren. Jedoch
hielten die Höfe noch lange eigene .Tongleursbanden, die dann gewöhnlich unter
einem sogenannten Boi des menestrels, Direktor oder Kapellmeister, standen,
und in den Städten bildeten die Spielleute eine besondere Zunft (Corporation
des menetriers) , die durch Ordnungen geregelt war. In Paris hatte diese Ge-
nossenschaft ihren Hauptsitz, wohnte in der Bue des Jongleurs, nachmals St.
Julien des menetriers, beisammen und stand zwar nicht im Rufe der besten
Sitte, übte aber gleichwohl auf die Kunstbildung der niedrigen Volksklassen
einen wesentlichen Einfluss aus. Die Zahl der Instrumente, deren sich die J.
bedienten, war bedeutend. Als das wichtigste galt d'e mit dem Bogen behan-
delte Viole; auch Harfe und Zither war bei ihnen sehr beliebt. Eine An-
schauung von der Gestalt dieser Instrumente, sowie überhaupt von dem Auf-
zug eines J. geben die Abbildungen in der »Cäcilia« Bd. 7 S. 50. Guiraut
von Calanson nennt noch andere Instrumente, deren Bedeutung zum Theil sich
nicht genau feststellen lässt, als Trommeln, Castagnetten, Symphonie, Mandure,
Monochord, Rote mit 17 Saiten, Geige, Psalterien, Sackpfeife, Leyer und
Pauke; er macht zugleich dem J, zur Pflicht, wenigstens neun Instrumente
zu verstehen. Bertrand de Born gedenkt auch der Hörner, Trompeten und
Posaunen dieser Spielleute.
Ionische Tonart — Jordan. 477
In den Anweisungen am Schlüsse altfranzösischer Trobadorpoesien ertheilt
häufig der Dichter seinem dienenden J. auch Vorschriften in Bezug auf den
musikalischen Vortrag des Gedichts. Dieser pflegte das Lied nämlich mündlich
zu empfangen und aus dem Gedächtniss vorzutragen, wiewohl der Verfasser es
meist aufzeichnete oder aufzeichnen Hess. In den Anweisungen bezüglich der
poetischen Erzählungen, welche die J. vortragen mussten und deren eine un-
glaubliche Menge im Lande verbreitet war, wird ihnen ein grosses Verzeichniss
von solchen Erzählungen vorgerechnet, die sie innehaben mussten, — "Was
man gegenwärtig J. nennt, Tausendkünstler, Meister in allen Uebungen der
Körpergewandtheit und Aequilibristik, bezeichnete man damals mit dem Aus-
druck batelors oder hateleurs. Mit der Entstehung dieser Bedeutung des Wortes
(schon mit dem Ende des 13. Jahrhunderts) hörte aber auch alles musikalische
Interesse der J, auf, die seitdem darauf verzichteten, eine besondere Genossen-
schaft zu bilden und sich von Nordfrankreich aus nach und nach über die
ganze Erde zerstreuten. Die ursprünglichen J. erhielten sich jedoch noch
lange Zeit unter dem Namen Menetriers oder Troubadours, den sie seit-
dem endgültig annahmen. Vgl. das y^Fahliau des deux Troveors ribausa, heraus-
gegeben von Robert (Paris, 1834); Bernhard, »Becherches sur VMstoire de la
Corporation des menetriers de la ville de Parism in der Zeitschrift »BibliotJieqiie
de l'ecole des cliartes« (Bd. 3 bis 5) und den Aufsatz von Böttiger in der
Abendzeitung 1820, No. 117 ff,, und 1823, No. 229 ff.
Ionische Tonart oder kurzweg ionisch (latein.: Modus ionicus), eine und
zwar die sechste Octavgattung der altgriechischen Musik, welche auch iastisch
genannt wurde und folgendermaassen aufgebaut war: gahcdefg. Seit
der alexandrinischen Zeit führte die ionische allgemeiner die Benennung hypo-
phrygische Tonart (s. Griechische Musik). — In der christlich - mittel-
alterlichen Tonkunst ist der Modus ionicus aus der ersten Gattung der Quinte
(Ift — Sol) und der ersten Gattung der Quarte (Ut—Fa) zusammengesetzt. Die
erste Gestalt desselben, wo die Quarte auf dem höchsten Klange des Intervalls
Quinte hinzugefügt wird, heisst vorzugsweise J/bt?MS ionicus oder auch Ionicus
authentus (contentus). Derselbe ist in der ersten Octavengattung enthalten,
deren Umfang er häufig am oberen Ende bis zur Terz überschreitet. Ge-
wöhnlich wird er der fünfte Ton genannt und nach Sethus Calvisius meist zu
lockeren und ausgelassenen Weisen benutzt. Daher behauptet, fährt Calvisius
fort, dieser Modus durch ganz Europa beim Tanzen fast immer die Herrschaft,
die Tuben stehen in der Stimmung dieses Modus, und die Soldaten werden
durch Tonweisen, welche sich in demselben bewegen, bei Beginn des Treffens
zur Tapferkeit entflammt. Dennoch wendet man ihn häufig bei frommen Ge-
sängen an, und zwar ist er recht passend zu freudigeren Affekten, welche, wie
die folgenden Beispiele zeigen, Anmuth, gepaart mit Würde, ausdrücken sollen.
Im regulären System besteht dieser Modus aus folgenden Klängen: c d efg a h c*.
Harmonische Beispiele aus den Kirchengesängen sind: »Gott, der Vater, wohn'
uns bei«; »Herr Jesu Christ war Mensch und Gott«, wo jedoch das Ende nicht
regulär ist. Im transponirten System weist dieser Modus die folgenden
Klangstufen ani: f g a b c^ d^ e' f^ und als Beispiele sind anzuführen: »Ein'
feste Burg ist unser Gott«, »Ein neues Lied wir heben an« (wo aber das Ende
abweicht), »Es ist das Heil uns kommen her«, »Jesaia, dem Propheten das
geschah«, »Vom Himmel hoch da komm' ich her«, »Wer nicht mit den Gott-
losen geht zu Rath«, »Wo Gott zum Haus nicht giebt sein' Gunst«. Die
ionische Tonart der mittelalterlichen Kunst, in deren Scala, wie ersichtlich,
die beiden halben Töne zwischen der dritten und vierten und zwischen der
siebenten und achten Klangstufe befindlich sind, entspricht in Folge dessen
unserer modernen Durtonart am meisten und ist Typus derselben geworden.
Jordan, gerühmter englischer Orgelbauer, lebte um 1740 und hatte in
478 Jordan — Josquin Desprez.
jener Zeit fast alle Kirchenwerke des Königreichs herzustellen, bis ihn Snetzler
mehr und mehr verdrängte. — Eine Mrs. J. blühte als beliebte Sängerin um
1796 zu London.
Jordan, Hieronymus, deutscher Gelehrter, geboren zu Anfang des 17.
Jahrhunderts in Braunschweig, war Professor der Physik in Göttingen und
veröfifentlichte u. A. ein Werk »IIsq] jnv v]£tov<i, in dessen 66. Capitel er ^n/e
i'i mnsicae in morbis divinis occasione Saidi et ^lisaci«. handelt.
Jortin, John, englischer Gelehrter, geboren am 23. Octbr. 1698 zu St.
Giles in der Grafschaft Middlesex, war Vicar von Kensington und starb als
solcher im J. 1770. In seinem f>Letter concerning the music etc.v^ behandelt er
vorzugsweise die altgriechische Musik.
Joseph, Georg (von Hoffraann in seinem Werke »Die Tonkünstler Schle-
siens« Josephi genannt), einer der vorzüglichsten deutschen Coniponisten
geistlicher Lieder, war um die Mitte des 17. Jahrhunderts Kapellmeister des
Fürstbischofs von Breslau. Er gab eine sehr gerühmte Sammlung unter dem
Titel »Heilige Seelenlust, oder geistliche Hirtenlieder der in ihrem Jesu ver-
liebten Psyche« (Breslau, 1668; 2. Aufl. 1697) heraus. Mehi'ere von seinen
Melodien sollen noch heute in der Oberlausitz im Munde des Volks leben.
Joseph, Pater, Klostername eines Sohnes des Kapellmeisters Schmittbauer,
lebte um 1790 als Mönch zu Gegenbach in Schwaben und wurde als tüchtiger
Componist gerühmt.
Josephson, Jacob Axel, vortrefflicher schwedischer Componist, dessen
Werke auch nach Deutschland gedrungen sind. Geboren am 27. März 1818
zu Stockholm, machte er seine höheren musikalischen Studien auf dem Cou-
servatorium zu Leipzig und wurde 1848 als Universitäts- Musikdirektor in
Upsala angestellt. Als solcher machte er sich um das Musikleben dieser Stadt
ausserordentlich verdient, so dass Upsala es ihm zu danken hat, wenn es jetzt
zu den wenigen Städten zählt, auf die sich das Kunstleben in Schweden con-
centrirt. J. steht daselbst dem grossen Studentengesangverein, der Studenten-
kapelle und dem Philharmonischen Verein vor, mit welchen Instituten er jahr-
aus, jahrein bemerkeuswerthe Aufführungen veranstaltet. Seine Componisten-
thätigkeit beschränkt sich im Wesentlichen auf Gesangswerke, deren er in
grosser und kleiner Form eine bedeutende Anzahl gesch.nffen hat, und von
denen viele in Schweden zur Beliebtheit gelangt sind.
Josephus, griechischer Hymuendichter, lebte um 850 n. Chr. in Konstanti-
nopel und hat gegen 40 geistliche Lieder für die morgenländische Kirche ver-
fasst, deren Tonweisen ihm ebenfalls zugeschrieben werden. — Ein älterer
Zeitgenosse von ihm gleichen Namens, mit dem Beinamen Studitax, war zu
Anfang des 9. Jahrhunderts Erzbischof zu Thessalonich und wird als sehr er-
fahrener Musiker gerühmt.
Josquiu Desprez oder des Pres, latinisirt Jodocus Pratensis oder
a Prato, italienisirt Giosquino del Prato, zuweilen auch Jossien oder
Jusquin genannt, vielleicht der grösste, jedenfalls der bewundertste Contra-
punktist der vorpalestrina'schen Zeit und der merkwürdigste Schüler Ocken-
heira's, war weder zu Cambray geboren, noch aus dem Hennegau gebürtig,
sondern ein Picarde und um 1440 zu Vermand bei St. Quentin geboren.
Gegenüber seiner Berühmtheit, den trotzdem sehr unzuverlässigen Nachrichten
über sein Geburts- und Todesjahr, sowie über seine Herkunft, stritten sich
Niederländer, Deutsche, Franzosen und Italiener um die Ehre, ihn den Ihrigen
nennen zu dürfen. Für welchen Landsmann man Alles diesen grossen Meister
hielt, der jetzt unangefochten als Niederländer gelten darf, und wie man ver-
schiedentlich aus Sagen und Verrauthungen seine Lebensgescbichte construirte,
das kann aus Gerber's neuem »Lexicon der Tonkünstler« (Leipzig, 1812) und
Fetis' y>Bio(jraphie universellea zur Genüge ersehen werden. Als wahrscheinlich
darf gelten, dass Josquin (welchen Namen Fetis für den Vornamen, aus dem
flamändischen .lossekin zusammengezogen, hält) in seiner Jugend als Sänger-
Josselin — Joubert. 479
knabe an das Collegiatstift in St. Quentin kam, und dass er nach seinem
Stimmeuwechsel in die Musikscliule Ockenheim's ging, um den Contrapunkt zu
etudiren (um 1455), worauf er wieder nach St. Quentin zurückkehrte und so
lange als Lehrer dort blieb, bis er unter Papst Sixtus IV. (1471 bis 1484
regierend) einen Ruf an die sixtinische Kapelle erhielt, um den Italienern die
neue Kunst zu lehren, dem er folgte. In Rom entfaltete er so eminente Ta-
lente, dass Eaini in seinem Werke über Palestrina von ihm sagt: »Er war in
kui-zer Zeit das Ideal von ganz Europa geworden .... Seine Compositioneu
verdrängten in den Capellen bald Alles, was vor ihm da wara. Von Rom
nach langjährigem Aufenthalte (während welchem er nach Eetis auch bei dem
Herzog Hercules I. von Ferrara in Diensten gestanden haben soll) begab sich
J. nach Cambray und wurde vom König Ludwig XII. von Frankreich (jedoch
nicht vor 1498) zum ersten Sänger an seiner Kapelle berufen. Er starb als
Domprobst des Capitels von Conde am 27. Aug. 1521. Dass er nicht schon
1501 gestorben sein kann, wie Ferne behauptet, beweist der Umstand, dass
sein Lehrer Ockenheim 1512 noch lebte und J. eine Nänie auf ihn in Musik
setzte, die I'orkel unter dem Titel »La dejjloration de Jolian OcJcenheim ä cinq
partiesd mittheilt. Ob J. wirklich in den Diensten Ludwig's XII. gestanden
habe und nicht vielmehr in denen des römisch-deutschen Kaisers Maximilian I.,
dessen Kapellmeister er auch von Lucas Lossius genannt wird, ist einiger-
maassen zweifelhaft. Uebrigens liest man auch auf einigen seiner Werke den
letzteren Titel, namentlich auf einem 1520 zu Augsburg mit in Holz geschnit-
tenen Formen gedruckten Motettenwerke. Wenn übrigens unter den italienischen
Liedercomponisten ein Josquin (Giosquino) d'Ascanio mit J. Desprez
identificirt wird, so widerlegen die leichtfertigen Arbeiten des ersteren, wahr-
scheinlich eines Pseudonymus, leicht diese Annahme; des letzteren contrapunk-
tische Sätze waren stets Meisterstücke und als Muster anerkannt. J. hatte
bis zu seinem Ende viele Schüler, wie Mouton, Arcadelt, Gombert, Heinr. Isaac
u. s. w. , und hinterliess zahlreiche Compositionen, die den damaligen Flor der
niederländischen Schule bekunden. Forkel, Burney, Hawkins und nach ihnen
Kiesewetter bringen mancherlei Compositionen von ilim, und Gerber, noch mehr
Fetis liefern das bis jetzt vollständigste Verzeichniss seiner gedruckten und im
Manuscript vorhandenen Werke. Diese bestehen in Messen, Motetten, Psalmen
und sonstigen Kirchengesängeu. Viele seiner Manuscripte besitzt die päpstliche
Kapelle, z. B. mehr als 20 Messen und eine Menge Motetten. Die Proske'sche
Bibliothek bewahrt von ihm neun Messen und viele Motetten, Psalme (darunter
den 24 stimmigen y>Qui hahitat in adjuiorioit), sowie die Codices, aus denen Proske
eigenhändig diese Compositionen in Partitur brachte.
Josseliu; N., französischer Kirchencomponist der zweiten Hälfte des 17.
Jahrhunderts, war Musikmeister des .lesuitenstifts in der Jacobstrasse zu
Paris und liess 1682 ein Te deum seiner Composition aufführen, welches sehr
gelobt wurde.
Jossieu, s. Jos quin.
Jota arragrouesa nannten die Spanier zu Ende des 17. Jahrhunderts einen
nationalen Tanz, welcher von drei Personen ausgeführt wurde. Während des
Tanzes sangen die Ausführenden Lieder, die gewöhnlich aus H-moll oder G-dur
gingen. Dies ist ziemlich Alles, was man über diesen Tanz weiss, der sich
übrigens im Bühnenballet bis auf die neueste Zeit erhalten hat. 0.
Joubert, geachteter französischer Componist, war in der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts Organist an der Kathedrale zu Nantes und brachte 1776
im Conceri spirituel zu Paris sein Oratorium »ia ruine de Jerusalem ou le
triomphe du chrktianismevi , 1778 dagegen in Nantes seine Operette »La force
de rhabitude« zur Aufführung. Im J. 1793 war er noch am Leben. — Glei-
chen Namens kennt man einen französischen Violinisten, der um 1690 im
Oi-chester der Grossen Oper zu Paris angestellt war und für einen der besten
Schüler LuUy's galt.
480 Joubert de la Salette — Jouy.
Jonbert de la Salette, s. La Salette.
Jouglet, ein Sänger und Spielmann, lebte um die Mitte des 14. Jahr-
hunderts und stand in Diensten des Kaisers Conrad IV. Vorzüglich soll
er sich durch sein Spiel auf der Vielle und durch seine Liedercompositionen
ausgezeichnet haben.
Joang:, Matthew, englischer Physiker des 18. Jahrhunderts, lebte zu
London und gab daselbst heraus: y>An enquiry into the principal phaenomena
of Sounds and musical strin(js<.i. — Bekannter ist sein Landsmann ^Villiam J.,
ein Musiker, der um 1650 in den Diensten des Erzherzogs Ferdinand Karl
von Oesterreich stand und von seiner Composition Sonaten und Canzonen
für 3, 4 und 5 Instrumente (1653), sowie gleichzeitig nBalletti a trev. (slro-
menti) veröflfentlicht hat.
Jourdan, Jean Baptiste, französischer Schriftsteller, geboren am 20.
Decbr. 1711 zu Marseille und gestorben am 7. Jan. 1793 zu Paris, nahm an
der Polemik der Anhänger der italienischen gegen die französische Musik in
drei 1753 zu Paris erschienenen Schriften Theil.
Journet, Francisque, berühmte französische Opernsängerin, geboren um
1680 zu. Lyon und dort auch künstlerisch ausgebildet, glänzte zu Anfang des
18. Jahrhunderts als Primadonna der Grossen Oper zu Paris. Im J. 1720
mit einem ansehnlichen Ruhegehalte entlassen, starb sie bereits 1722 zu Paris.
Ihre Stimme wird als selten schön, ihre Erscheinung als edel, ihre Darstellung
als trefflich und ihr Vortrag als so ergreifend und rührend geschildert, dass
sie, namentlich in zärtlichen Rollen, stets den tiefsten Eindruck hervorrief.
Jonsse, J., französischer Tonkünstler, geboren 1760 zu Orleans, siedelte
1789 nach London über, wo er als stark beschäftigter Musiklehrer wirkte und
verschiedene didaktisch- theoretische Werke, nämlich Schulen für Ciavier,
Violine, Gesang, Generalbass u. s. w. herausgab. Er starb am 19. Jan. 1837
zu London.
Jouve, Elzear Marie, geschickter französischer Componist, geboren am
12. Febr. 1805 zu Apt im Departement Vaucluse, erhielt daselbst seine musi-
kalische Elementarbildung und trat später in das Conservatorium zu Paris, wo
Berten in der Composition und Fetis im Contrapunkt seine Lehrer wurden.
Als reif endlich entlassen, wurde er als Orchesterchef des Theaters nach Strass-
burg berufen und liess dort 1827 die Oper »ie dissipateur Sans aryeJiU und
1829 eine Messe auflFühren, welche ihm Beifall eintrugen. Ein Jahr später
ging er gleichfalls als Theaterkapellmeister nach Carpentras, von dort nach
Avignon und liess sich endlich bleibend in Apt nieder, woselbst er Musik-
unterricht ertheilte. Ausser der erwähnten Messe, die im Druck erschien, hat
er noch andere Kirchenstücke und für das Strassburger Theater die Musik
zu dem Drama »Ze seigneur et Vintendanta geschrieben. — Sein Zeit- und
Namensgenosse ist Esprit Gustave J., gleich bedeutend als Archäologe,
Componist und musikalischer Schriftsteller. Derselbe, geboren am 1. Juni 1805
zu Buis im Departement Dröme, wurde Priester und erhielt 1839 ein Canonicat
an der Kathedralkirche in Valence. Ausser vielen anderen AVerken hat er,
speciell die Tonkunst berührend, veröffentlicht: y>Etude historique et philosophique
siir les i)ri7icipales ecoles de composition musicale en Europe de 1350 ä la pre-
miere moitie du XVII. siecle<i (ßeunes, 1855); n Philosophie du chantv. (ebendas.,
1855); riDictionnaire d'esthetique chretienne, ou theorie du beau dans Vart etc.a
(Paris, 1856); »Lettres sur le mouvement liturgique romain en France durant
le XIX. sieclea (Paris, 1858). Von seinen Compositionen können einige drei-
stimmige Messen mit Orchester und Orgel genannt werden.
Jony, Victor Joseph Etienne de, geistvoller französischer Bühnen-
dichter der classischen Schule, geboren 1769 in dem Flecken Jouy unweit
Versailles, in welcher letzteren Stadt er seine wissenschaftlichen Studien machte.
Er widmete sich dem Militärdienst und brachte es bis zum Chef des General-
stabs der pariser Armee (1794), worauf er seinen Abschied nahm, um sich
Jovaiielli - Irato.
481
ausschliesslich mit der Literatur zu beschäftigen. Im J. 1815 wurde er Mit-
glied der französischen Akademie. Unter seinen dramatischen Leistungen fanden
seine Operndichtungen eine besonders günstige Aufnahme; dies gilt vorzüglich
von y)La vestalea (1807) und »Ferdinand Cortez« (1809 mit Esraenard ge-
schrieben), die beide von Spoutini componirt wurden, obwohl die erstere eigens
für Boieldieu bestimmt war, ferner von »Les hayaderesa (1810), componirt von
Catel, y>Les amazones ou la fondation de Tkebes« (1812), componirt von Mehul,
y)Les Ähencerragestf. (1813), componirt von Cherubini, und y>Guülaume Telia
(1829 mit Bis geschrieben), componirt von Rossini. Eine Gresammtausgabe der
Schriften J.'s erschien in 27 Bänden (Paris, 1823 bis 1828).
Jovauelli, s. Giovanelli.
Jozzi, Giuseppe, italienischer Sänger und fertiger Ciavier spiel er, über-
haupt ein guter Musiker, geboren um 1720, war schon früh entmannt und ge-
sanglich ausgebildet worden. Im J. 1746 war er in London, wo er u. A. in
Gluck's Oper »Xa caduta c/e' gigantia. auftrat. Jedoch nicht sowohl als Sänger,
wie vielmehr als Ciavierspieler machte er Aufsehen. Er hatte Alberti's be-
rühmte Sonaten mitgebracht und Hess sie als seine eigenen Compositionen
drucken, musste es aber erleben, dass dieser Betrug entdeckt und seine bis-
herige glänzende Stellung in Folge davon unhaltbar wurde. J. wandte sich
nach Holland und nahm um 1760 seinen bleibenden Wohnsitz in Amsterdam,
wo er öesangunterricht ertheilte. Auch dort Hess er 1761 ein Heft Ciavier-
sonaten erscheinen, die aber allem Vermuthen nach wieder nicht von ihm, son-
dern ebenfalls von A.lberti waren. Sein Todesjahr ist unbekannt, fällt aber
wahrscheinlich in die 1770 er Jahre.
Iperen, Josua van, holländischer Geistlicher, war zuerst Prediger zu
Veere in Holland, wurde um 1770 als Seelsorger in Batavia angestellt, woselbst
er zugleich das Secretariat der gelehrten Gesellschaft versah, und starb 1780
zu Batavia. Er verfasste und veröffentlichte folgende, das musikalische In-
teresse angehende Schriften: »Von den Wechselgesängen der Heiden und Juden«
(1774); yiKirlcelyTce Historie van Jiet Fsahn Gezang der Ghristenen van de
dagen der Apostelen tot op onzen tege?nvoordigen tyd etca (2 Bde., Amsterdam,
1777, 1778).
Irak heisst eine Tonart in der persischen Musik, deren Grundklänge un-
gefähr den Tönen
:s: t^"'^
-1^
unserer Scala entsprechen. Wie man sieht, ist diese Tonfolge neunstufig in
der Octave. Der siebente uud achte Ton werden jedoch nicht in unserem
chromatischen Geiste in einer Melodie angewandt, sondern es gilt die Regel,
dass, erhebt sich die Melodie nur bis zur siebenten Stufe, im Niedergange
stets die Septime (s.d.)
^E^
=3-=
^-=^
::t=:1:
l
genommen werden muss; geht die Tonweise jedoch bis zur neunten Stufe
(unserer Octave), so fordert das Gesetz, im Niedergange unsere Siebente
(s. d.), d. i. die achte Stufe der persischen Scala L, zu setzen:
^^^^~
i1=l=
0.
Irato (ital.), Vortragsbezeichnung in der Bedeutung zornig, heftig erregt,
wofür auch con ira stehen kann.
MiiRÜ'nl. Oonvers. -Lexikon. ,V.
.31
482 Irgang — Irland,
Irgaug, David, einer der geschicktesten deutschen Orgel- und Ciavier-
spieler des 18. Jahrhunderts, geboren am 4. Decbr. 1707 zu Rottenburg an
der Oder, bereitete sich auf der Schule zu Lauban für die Theologie vor und
versah sjDäter die Stelle eines Privatlehrers zu Märzdorf. Besonders waren
sein fertiges Spiel und sein Musikunterricht geschätzt. Wirklicher Schullehrer
wurde er erst 1742 und ein Jahr später Cantor und Organist in Kaiserswaldau,
wo er am 22. April 1776 starb.
Irgang, Wilhelm, deutscher Gesangcomponist und musikalischer Pädagog,
geboren am 23. Febr. 1836 zu Hirschberg in Schlesien, besuchte 1855 das
Schullehrer -Seminar zu Alt -Döbern, ging aber dann, von dem Wunsche er-
griflFen, sicli gänzlich der Musik zu widmen, nach Berlin, wo er Aufnahme im
königl. Institute für Kirchenmusik fand und Schüler A. W. Bach's und GrelUs
wurde. Um 1860 erhielt er einen Buf an die Lehranstalt von Procksch in
Prag, dem er folgte, worauf er in Görlitz 1863 selbstständig eine Musikschule
begründete, die bald gut besucht war. Als Pianoforte-, Gesang- und theore-
tischer Lehrer war I. ausgezeichnet und sehr geschätzt. Veröffentlicht hat er
didactische Ciavierstücke und Lieder, sowie einen treflflichen »Leitfaden der
allgemeinen Musiklehre für Musikinstitute, Seminare und zum Selbstunterricht«
(Görlitz, 1865; 3. Aufl. 1867).
Irhove, Wilhelm, holländischer Theologe, war zuerst Prediger zu Eden
in der Provinz Geldern, dann seit 1737 Professor an der Universität zu Utrecht
und starb daselbst im J. 1761. Er schrieb u. A. eine grössere Abhandlung,
betitelt: i>Ooniectanea philologico-critico-theologica in psalmorum titulos etc.a {Lug-
duni Batav., 1728), in welcher er Untersuchungen über die in den Psalmen-
überschriftcn angezogeneu zweifelhaften Ausdrücke, wie »Neginoth«, »Hanne-
chiloth«, »Hascheminith«, »Schiggajon« u. s. w. anstellt.
Irland. Irische Musik. Die irische Insel, von den Iren Er in genannt,
dies grüne Eiland im atlantischen Ocean, besitzt bis heute noch musikalische
Kuustschöpfungen eigenthümlichor Art, die, sich von denen der übrigen abend-
ländischen Musik durchaus unterscheidend, nur als letzte Ausläufer einer sehr
frühen Cultur anzusehen sind. Das Volk der Iren, welches in jüngster Zeit
so vielfach allgemeiner die Aufmei'ksamkeit auf sich gelenkt hat, ist ein Zweig
der grossen Völkerfamilie, welche wir gewöhnlich unter dem Namen Kelten
(s. d.) zusammenfassen. Die Sage berichtet von dieser Völkerfamilie, wie der
entsprechende Artikel nachweist, dass sie diesseits der grossen Tiefebene Asiens,
Medien, sich wahrscheinlich von den dort weilenden Ariern in sehr früher Zeit
abzweigte und kühn zum fernen Westen wanderte, bis das Meer ein »Halt«
gebot. Der Wanderdrang dieses Volkes jedoch war auch hier noch nicht ge-
stillt, sondern es trieb nun Zweige desselben einentheils südlich und zurück
bis nahe der Urheimath, wie die Iberer in Spanien und die Galater in Klein-
asien als äusserste Theile bekunden; anderntheils breitete es sich über den
Kanal hin über I., England und Schottland aus. In Schottland, in viele ein-
zelne Stämme zerfallen, welche, durch hohe Gebirge getrennt, dauernd gefesselt
blieben, haben sich Stammeseigenthümlichkeiten, wie die überbrachte musikalisclio
Kunst u. A., noch bis in die neuere Zeit hin bewahrt, während in I. man wohl
die alte Kunst zu bewahren strebte, diese jedoch viel weniger von anderwei-
tigen Einflüssen frei zu halten vermochte. Die Absonderung dieses Stammtheils
der Kelten, der Iren, ist nach der der Kelten von den Ariern erst sehr neueren
Datums. Man nimmt an, dass ungefähr 600 v. Chr. die Kelten von I. Besitz
nahmen und sich ein Theil derselben, später Iren genaimt, dort dauernd an-
siedelte. Geschichtlich spricht erst Julius Agricola, welcher in Britannien von
einem irischen Häuptling über das Innere I.s Kunde erhielt, über dies Eiland,
82 n. Chr., und weiterhin versuchten die Römer auch dies Land ihrer Herr-
schaft zu unterwerfen. Dies gelang ihnen jedoch nicht, und wissen wir nur
ferner, dass im 3. Jahrhundert n. Chr. I. in fünf Reiclie getheilt war, die von
eingebornen Herrschern regiert wurden. Im 4. Jahrhundert bemächtigte sich
Irland. . 433
wieder so sehr der Geist der Unruhe der Iren, dass sich Glieder derselben
als Seeräuber unter dem Namen Picten den nahen Küstenländern, besonders
England, furchtbar machten. Erst der Apostel Patrik, 430, führte durch Be-
kehrung der Iren zum Christenthume dieselben zu milderen Sitten, und es
wandte sich nun die Urkraft dieses Menschenstammes mehr friedlichen An-
strengungen zu, die das Land zu einer staatlichen Blüthe brachten, welche im
9. Jahrhundert in Europa vielfach die Aufmerksamkeit auf dasselbe zog. Da-
rauf war bis zu Ende des 10. Jahrhunderts I. und Schottland ein Reich, das
erst durch König Malcolm II. getrennt wurde. Ersteres wurde bis ins 12. Jahr-
hundert hin bald mehr, bald weniger der Gegenstand angelsächsischer Erobe-
rungssucht, bis es endlich gänzlich unter englische Botmässigkeit gerieth, die
durch eine Bulle des Papstes Hadrian II. im J. 1156 selbst eine kirchliche
Sanktion erhielt.
Die Iren wurden von den Eroberern anhaltend sehr hart behandelt. Dies
Joch, welches den freiheitliebenden, kräftigen Bewohnern der Insel je länger
je mehr lästiger wurde, nahm immer mehr das Denken der Geistesstärkeren
in politischer und socialer Beziehung in Anspruch und trieb die grosse Menge
entweder zur Auswanderung oder zum stumpfen Dulden. "Was Wunder, dass
unter solchen Umständen sich auch nur noch Rudera einer einst selbstständigen
Musik zu erhalten vermochten; denn unter diesen Schicksalen war eine Er-
haltung der alten irischen Kunst ebensowenig eine Möglichkeit, als eine durch
den abendländischen Kunstgeist modificirte Umwandlung derselben, die von
achtenswerther geistiger Eigenthümlichkeit Zeugniss gab. Nach heutigem
Wissen aber, wie es näher der Artikel Kelten ergiebt, muss eben das unter
diesem Namen in Europa bekannte halbhistorische Culturvolk in sehr früher
Zeit von dem Mutterstamm der Arier sich getrennt und in starrer Weise durch
seine Priester oder Druiden die musikalische Kunst der grauen Vorzeit in der
Trennung besondei's treu gepflegt haben. Dafür zeugt das Tonmaterial, welches
sie einzig in der Kunst verwertheten , nämlich die in ihren Klängen unver-
änderliche fünfstufige Tonleiter in der Octave. Ob die Alten diese Scala aus
dem Grunde adoptirten, dass kleinere Intervalle als unsere heutigen Ganztöne
von der Menge nicht präcise wiedergegeben werden konnten, oder weil man
im Calcül der Quinten aus anderen Ursachen nicht über den fünften Schritt
für die allgemeine Anwendung hinauszugehen für gut erachtete, hat man bis
jetzt noch nicht ergründet. So viel weiss mau jedoch sicher, dass bei den
Ariern wie bei den Mongolen und Semiten in allerfrühester Zeit ebenfalls nur
fünf Klänge in der Octave Verwerthung fanden, obgleich die Weisen dieser
Völker meist mehr als diese Töne genau zu bestimmen vermochten, diese jedoch
wohl als Standesgeheimniss betrachteten oder als Material für wissenschaftliche
oder symbolische Combinationen.
Der Väter höhere Wissenschaft in der Musik ferner zu pflegen und fort-
zubilden — vielleicht war sie den Scheidenden selbst ganz unbekannt — ver-
mochten wohl selbst die Weisesten des wilden, das unwirthsame Europa käm-
pfend mit den früheren Bewohnern bis an die äusserste Grenze durchziehenden
Volkes der Kelten nicht, indem sie an der Fortpflanzung der schon vorhan-
denen Kunstwerke, welche, dem Urgeist entsprechend, vielfach mystisch auf-
gefasst wurden, genug zu thun hatten. Nehmen wir nun an, dass diese älteste
Kunst, deren Erhaltung besonders dem eigenen Tonwerkzeuge, der Harfe (s.
Irländische Harfe), mit zuzuschreiben ist, in dem grösseren Keltenreiche
sich sehr lange in steriler Form fortgepflanzt habe, ja dass selbst das vereinte
Reich der Iren und Schotten noch diese Kunst übte, so ist wohl als gewiss
anzunehmen, dass dieselbe in einem Conserviren der ursprünglichen Hülle be-
stand, welcher der Geist des Lebens längst entwichen war, und dass ferner
vielleicht schon einige Klangfreuden, den Fluren Assyriens (s. Assyrische
Musik) entsprosst, den Tonschöpfungen beigemischt waren. Ferner ist zu
beachten, dass bei den kleineren Stämmen diese alte Kunst, selbst wenn das
31*
484 Irländische Harfe.
Tonmaterial unverändert blieb, doch durch stärkere oder weniger starke Be-
rührung mit der sich entwickelnden abendländischen Musik bceiuflusst werden
musste, wie dass sie, da sie ihrer conservativsten Pfleger, der Priester und der
Religion, beraubt, sich je nach eigener socialer wie geistiger Entwickelung des
Yolkszweiges umgestalten musste. AVenn nun die Iren in frühester Zeit die
überkommenen Muster mit grösster Gewissenhaftigkeit den kommenden Ge-
schlechtern auch überlieferten und darnach selbst wohl auch neue Schöpfungen
versuchten, so musste dies in dem gedrückten .Jahrtausend immer mehr mit
dem nationalen Tonwerkzeug selbst verloren gehen. Nur noch das Skelett der
irischen Tonschöiifungen, die füufstufige Tonleiter in der Octave, unseren Inter-
vallverhältnissen der Töne c d e g a c^ entsprechend, an der dies Volk mit
Zähigkeit festhielt, zeugt von einer verschwundenen Pracht und Herrlichkeit
der Kunst bei ihnen, die bei dem Bruderstamm, den Schotten, so angewendet
wurde, dass sie bis heute zu Melodien gebraucht wird, die im abendländischen
Musikkreise oft inniges Vergnügen zu bereiten vermögen.
Die Auslassungen eines Schriftstellers des 12. Jahrhunderts, Gii'aldus
Cambrensis, über die damalige irische Musik, vielleicht des Einzigen der Art
und Frühesten nach der staatlichen Glanzperiode der Iren, mögen hier eine
Stelle finden, um vielleicht einigen Anhalt zu ferneren Betraclitungen zu ge-
währen. Derselbe berichtet, dass die Musik der Iren sanft und rein gewesen
sei, sich nur in vier, höchstens fünf Klängen bewegt habe, und Anfangs- und
Endton der Melodien stets sehr ins Gehör fallend gewesen sei. Als Haupt-
tonwerkzeuge der Iren nennt er die Harfe und Trommel. Diese Angaben
scheinen zu ergeben, dass die Iren die Urmelodien in der Form treuer bewahrt
haben als beispielsweise die Schotten, welche durch die Eigenheiten ihres neuen
Heimathlandes zu Klangfreuden jedenfalls geneigter werden mussten (Echo etc.);
dass aber der philosophische Tongeist, den noch heute Chinesen und Japaner
theilweise pflegen und der der eigentliche Kern der frühesten Musik gewesen
zu sein scheint, ihnen gänzlich fremd geworden, nur in einem mehr dumpfen
Wiegen in wenig Klängen seine Fortsetzung oder Fortbildung erfuhr. Solche
Melodien mussten dem abendländischen Musikgeiste als Erzeugnisse stumpf-
sinniger Tonbehandlung erscheinen, da derselbe durchaus kein Verständniss
für die Entstehung solcher Kunstblüthen zu erhalten sich bemühte. Diese
Eigenheit, die man nun, dem Zeitgeist nachgebend, über mehr als fünf Töne
ausgedehnt hat, klebt noch heute an den acht irischen Melodien, und werden
diese deshalb von den Engländern mit Spott und Hohn begrüsst. Ja, man
geht noch weiter und ahmt dieselben selbst nach, indem man deren Armseligkeit
in der Tonabwechselung vergrössert und ihnen selbst in nationalen englischen
Opern eine Stelle giebt, aber nur, wenn man eine komische Figur auftreten
lässt und durch deren im abendländischen Geschmack einfältigen Gesang grosse
Heiterkeit erregen will. Nach diesen Betrachtungen die Aeusserung D. T. Cam-
pell's erwägend, »dass die altschottische und theilweise auch die neuschottische
Musik nur eine Nachahmung der irischen sei«, muss man derselben wohl ein-
räumen, dass sie den Nagel auf den Kopf trifft, wenn auch nicht in der Weise,
wie es heute oft verstanden wird und vielleicht vom Schriftsteller selbst ge-
meint war. Die Neuzeit, welche alle Stammeseigenheiten entweder der All-
gemeinheit oder der Vergessenheit überliefert, hat letzteres selbst mit der
irischen Musik gethan, so dass im praktischen Gebrauch in I. nur die abend-
ländische ist und der Irish song ins Altcrthumskabinet wanderte. C. B.
Irländiscbo Harfe, die. Indem wir in Bezug auf dies Tonwerkzeug im allge-
meinen auf den Artikel Harfe (s. d.) in diesem Werke verweisen, und zwar
speciell auf die Auslassungen darüber S. .523 und 524 des vierten Bandes,
haben wir dem nur noch hinzuzufügen, dass dies hier hauptsächlich beschriebene
Musikinstrument, wie die beiden dort erwähnten noch erhaltenen derartigen
Instrumente darthun, aus der letzten Periode der Existenz der i. H. stammen,
wo schon der Geist des Abendlandes seinen Einfluss auf den Bau derselben
Inner — Isaak. ^gg
ausgeübt hatte. Die ältesten i.n H.n waren gewiss viel einfacher, da sie dann,
wie aus dem Artikel Irland (s. d.) ersichtlich, schon ihrem Zwecke zu ge-
nügen vermochten. Da den Iren dies Tonwerkzeug von den Kelten überliefert
war, und diese dasselbe, wenn sie es auf ihren weiten Wanderungen nur zeit-
weise gebrauchend, in Stand halten wollten, dasselbe gewiss in Bezug auf Bau
und Bezug nur in einfachster Art führten, wird solches auch gewiss nicht sehr
verschieden gewesen sein, besonders was den Bezug anbelangt. Dieser hat
gewiss bis über die Blüthezeit des selbstständigen Ireureiches höchstens nur
aus fünf Metallsaiten bestanden, selbst wenn man in Bezug auf den Bau sich
die kostbarste ornamentale Ausschmückung erlaubte. 2.
Inner, Wilhelm Heinrich, deutscher musikalischer Pädagog, geboren
am 26. März 1803 zu Berlin, besuchte das königl. Institut für Kirchenmusik
daselbst, wo er den Unterricht A. W. Bach's, Beruh. Klein's und Ed. Grell's
erhielt. Im J. 1829 bezog er das Schullehrerseminar zu Bunzlau, kelirte aber
ein Jahr später nach Berlin zurück und wirkte als Musiklehrer, bis er 1835
als Hauptlehrer der Dreifaltigkeitsschule angestellt wurde. Später leitete er
den Knabenchor der Dreifaltigkeitskii'che und wurde auch Glesanglehrer an der
königstädtischen Realschule. Als Herausgeber und Mitarbeiter verschiedener
Sammlungen von Schul- und Volksliedern hat er sich verdient gemacht und
hat ausserdem noch eine »Kleine Gresangschule für Schulen« (Berlin, 1844)
veröffentlicht.
Irmisch, Gottlieb Wilhelm, deutscher Schulmann, geboren am 30.
Septbr. 1732 zu Plauen, war seit 1759 Rector der Schule daselbst. Er ist
der TJebersetzer der von Hasse componirten Metastasio'schen Cantate »Die
Tugenden unter dem Kreuze Jesu« (Plauen, 1765).
Irregulärer Darchgang-, s. Durchgang und Wechselnoten.
Irreguläre Fuge, s. Kanon und Fuge.
Irressoluto (ital.), Vortragsbestimmung in der Bedeutung unentschlossen,
schwankend, sowohl im Ausdruck wie in der Bewegung.
Irrig, Sebastien, Tonkünstler deutscher Herkunft, lebte um die Mitte
des 18. Jahrhunderts in Paris und gab daselbst 1756 von seiner Composition
12 Sonaten für Ciavier heraus.
Is, Anhängesylbe zur Bezeichnung der durch ein Kreuz (^) um einen
halben Ton erhöhten Note oder Tonstufe. Das durch ein Kreuz erhöhte c
erhält demnach den Namen eis, d heisst dis, e — eis u. s. w. Als doppelte Er-
höhung, angezeigt durch ein sogenanntes Doppelkreuz (X), bedient man sich
der Sylben isis (also cisis, disis u. s.w.). S, auch Erhöhung.
Isaak, Heinrich, genannt Isaak von Prag, für welchen Beinamen noch
kein stichhaltiger Grund bekannt, einer der ältesten und berühmtesten deutschen
Contrapunktisten des 15. Jahrhunderts, stammte wahrscheinlicli aus Böhmen
und war ein Zeitgenosse und, wie man annimmt, auch Schüler des Josquin
Desprez, mit dem er erwiesenermaassen in Italien, namentlich am Hofe Lo-
renzo's des Prächtigen zu Florenz freundschaftlich verkehrte. Er hat auch
mehrere Lieder dieses Fürsten dreistimmig in Musik gesetzt, besonders so-
genannte »Canti carnascialescMv., wie sie bei Maskenprocessionen gesungen
wurden und als leichte, gefällige Musikgattung von Neapel aus damals in Auf-
nahme gekommen war. Viel bedeutsamer aber ist I. durch seine überaus zahl-
reichen Kirchencompositionen, denen Glarean eine besondere Kraft und Er-
habenheit nachrühmt, sowie einen Harmonienreich thum, wie er damals nicht
mehr zu finden war. Proben seiner Composition bieten Hawkin's, Burney's
und Forkel's Geschichtswerke. Er muss sich übrigens lange in Italien auf-
gehalten haben, vielleicht sogar fest angestellt gewesen sein, und nach Quadrio
ist er 1475 in der That zum Kapellmeister der Kirche San Giovanni in Florenz
ernannt worden. Bei den Italienern hiess er gewöhnlich liÄrngo Tedesco«, was
wahrscheinlich mit Heinrich (Enrico) der Deutsche identisch ist. Sein Ruhm
verbreitete sich auch in Deutschland, so dass Kaiser Maximilian I. ihn zu
486 Lächak — Isfahau.
seinem Kapellmeister ernannte. Von seinen gewiss zahlreichen Schülern ist
nur der von Luther so hoch verehrte Ludwig Senfel namhaft zu machen. I.'s
Todesjahr ist, wie die meisten übrigen Daten aus seinem Leben, unbekannt,
jedoch dürfte es in das 16. Jahrhundert fallen. Von seinen "Werken finden
sich, ausser den von Glareau mitgetheilten , auf der Bibliothek zu München
fünf Messen in Manuscript; sodann in der Sammlung von Petrucci -uMissae
diversorum auctoruma (Venedig, 1503 bis 1519) weitere fünf Messen; in dessen
Motettensammluug (Venedig, 1505) drei Motetten; in Pentinger's JiLiber selec-
tarum cantionum etc.a (Augsburg, 1520) fünf Motetten; ferner zehn mehrstim-
mige Lieder in der von Joh. Ott herausgegebenen Sammlung »Hundert und
fünfzehn guter newer Liedlein u. s.w.« (Nürnberg, 1544), darunter das Lied
»Es hat ein Bauer ein Töchterlein«, welches auch Forkel (»Musikgeschichte« IL
S. 676 ff.) mittheilt. Die Proske'sche Bibliothek endlich besitzt ausser anderem
von ihm, noch sein wichtiges Werk nOhoralis Oonstantini a 4 «oc.« (3 Thle.,
Nürnberg, 1555). Von I. componirt ist auch das weltliche Lied »Inspruck,
ich muss dich lassen«, nach der man später (etwa seit 1539) den Choral »0
Welt, ich muss dich lassen« sang, welche Weise seit 1653 auf »O Welt, sieh'
hier dein Leben« und »Nun ruhen alle Wälder« übertragen worden und noch
gegenwärtig im kirchlichen Gebrauch ist.
Ischak, persischer Name einer Tonart des dortigen Musikkreises, deren
Tonleiter durch unsere Noten schwer wiedergegeben werden kann (s. Per-
sische Musik). Ungefähr werden die Klänge durch folgende Noten dargestellt:
ä
:^==^
m
Das durchstrichene J7 soll andeuten, dass eine Erniedrigung von weniger 'als
einem Halbton stattfindet, und der liegende zweimal durchkreuzte Strich, dass
eine Erhöhung mehr als ein Halbton gefordert wird. Letztere Klänge sind
die charakteristischen der Tonart I. und halten diese die persischen Musiker für
besonders befähigt, leidenschaftliche Gefühle darzustellen, weshalb sie diese
Tonart zu Liebesgesäugen als vorzugsweise geeignet erachten. Diese Tonart
zeichnet sonst noch die reine Quarte aus. 0.
Isfahan ist der Name einer persischen neunstufigen Tonart, deren Grund-
töne ungefähr unseren Klängen
m
t^
^t^
entsprechen. Die charakteristischsten Töne dieser Tonart sind die Terz und
Sexte. Die siebente und achte Stufe werden niemals in der Folge gebraucht,
sondern durch den Melodiegang ist bestimmt, welcher vpn beiden Klängen
genommen werden muss. In absteigender Melodie
:i==t
-j^^.
=^=4:
'^-A
wird der Klang, welcher einen Ganzton unter der Octave liegt, gesetzt; bei
aufsteigender Tonfolge :
-1t:
^4=~
&
-r
^nÄi
jedoch muss man den Ton, der einen Halbton unter der Octave liegt, nehmen.
Die arabische gleichnamige Tonart unterscheidet sich von der persischen nur
dadurch, dass die dritte und sechste Stufe nicht um einen Halbton, sondern
Isham — Isola.
487
blos um einen Drittelton höher sind als unsere diatonischen Klänge der G-dur-
tonleiter, 0.
Isliam, John, begabter englischer Kirchencomponist, dessen Blüthezeit in
die ersten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts fällt, wurde mit Crolt und W. Morley
zusammen Baccalaureus der Musik und 1711 des Ersteren Nachfolger im
Organistenamt an der St. Annenkirche in London. Ebenfalls als Oro'anist
wirkte er seit 1718 an der St. Andreaskirche, und endlich bis zu seinem Toie
im Juni 1726, an der Margarethenkirche daselbst. Er schrieb eine grosse
Zahl sehr schätzbarer "Werke für die Kirche, von denen aber die wenigsten
zur Herausgabe gelangt sind.
Isidorus Hispalensis, Bischof von Sevilla (Hispalis), ein um die spanische
Kirche sehr verdienter und für die Musik bedeutsamer Geistlicher, geboren
um 570 zu Carthagena in Murcia, gestorben am 4. April 636, lieferte in seinen
liOriginum seu etymologiarum lihri XXv- (Augsburg, 1472 und nachher häufig
gedruckt) eine Art Encyclopädie, in der die ersten neun Capitel des dritten
Buchs ausschliesslich von der Musik handeln, die nach den griechischen Theo-
remen vorgetragen wird. Es ist darin schon die Bede von der Harmonie, und
zwar von der Symphonia als einer Harmonie der Consonanzen und von der
Diaphonia als einer Harmonie der Dissonanzen. Mehr über den Inhalt dieses
Traktats findet man in Forkel's Literatur. Gerbert führt denselben in seinen
•»Script. ecclesM I. pag. 19 ff. unter dem verdunkelnden Titel nSententiae de
musicaa auf.
Isis, die am höchsten und meisten verehrte Göttin der alten Aegypter,
galt denselben auch als die Erfinderin mehrerer musikalischer Instrumente,
z. B. des Sistrums, sowie vieler heiliger Melodien und Weisen.
Iske, Rudolph, deutscher Orgelbauer, geboren 1809 zu Halle a. S., er-
richtete eine eigene geschätzte Werkstätte zu Sprottau.
Ismard, französischer Mönch des 18. Jahrhunderts, lebte zu Toulouse
und beschäftigte sich mit Glück und Erfolg mit dem Orgelbau. Mehrere
schöne Werke in und um Toulouse legen für seine Kunstfertigkeit rühmliches
Zeugniss ab.
Isuieuias, berühmter altgriechischer Flöteubläser aus Theben, lebte während
und nach der Zeit des Perikles und war ein Schüler des Antigenidas. Er
erwarb sich durch seine Kunst ein grosses Vermögen, so dass er in Korinth
für eine ihm zusagende Elöte drei griechische Talente (mehrere hundert Thaler)
verausgaben konnte. Seltsame Anecdoten aus seinem Künstlerleben erzählen
Aulus Gellius, Lucian und Boethius, ein Beweis, dass sein Ruf noch nach
Jahrhunderten fortwirkte. Beim Unterricht soll er seinen Schülern gewöhnlich
einen guten und einen schlechten Flötenbläser vorgestellt und dabei nur be-
merkt haben: so müsse man es machen und so nicht.
Isuardi, Paolo, unrichtig auch Tsinardi geschrieben, berühmter italieni-
scher Dichter und Componist, geboren in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu
Ferrara, war Mönch im Kloster Monte- Cassino , dann Superior dieses Klosters
und Kapellmeister an der Kathedrale zu Ferrara. Er starb, 60 Jahre alt.
Messen, Motetten, Psalme, Magnificats, Falsibordoni u. s. w. von ihm sind in
der Zeit von 1561 bis 1594 zu Venedig im Druck erschienen. Gerber schreibt,
I. sei in seiner Jugend Opernsänger gewesen; ein Irrthum , denn damals gab
es weder Opern noch Opernbühnen.
Iso, ein Componist unbekannter, wahrscheinlich italienischer Herkunft,
lebte um die Mitte des 18. Jahrhunderts zu Paris nnl brachte 1759 eine Oper
seiner Composition: t>Phaethon et Zefnidea, daselbst auf die Bühne.
Isola, Gaetano, italienischer Operncomponist, geboren 1761 zu Genua,
machte, frühzeitig mit seinem Vater nach Sicilien gekommen, wissenschaftliche
und musikalische Studien zu Palermo. Er schrieb viel für die Bühnen Italiens,
so 1791 für Turin die Oper »La conquista del velo d'oroii. Dagegen ist von
seinen Kirchen- und Kammercompositionen Nichts weiter bekannt geworden
4S8 IsoTL — Isouard.
oder im Druck erschienen. Seit 1812, wo er an der Oper zu Genua als Ac-
compagnateur angestellt war, fehlen die Nachrichten üher ihn.
Ison (griech.) war die Bezeichnung für den einfachen Rhythmus der Griechen.
Er bestand aus zwei Theilen, deren jeder bis zu acht Zeiten enthielt. — I. ist
auch der Name für ein in der griechisch-katholischen Kirche gebräuchliches
Tonzeichen C^» » das dem demotischen Schriftzeichen der alten Aegypter ^^
seine Entstehung verdankt; es steht für unser E^no^-: d. h. für den Stimm
ton (s. d.) im griechisch-katholischen Kirchengesange, dessen Höhe jedoch bisher
nicht unveränderlich festgestellt worden ist. Als Erfinder dieses Zeichens gilt
Johannes Chrysorrhoas (s. d.). 0.
Isonard, Nieolo, auch Nicolö de Malte oder kurzweg Nicolö ge-
nannt, einer der beliebtesten dramatischen Componisten Frankreichs, wurde
1775 auf Malta geboren, wo sein Vater, ein Franzose, Kämmerer des Gross-
meisters war, und sollte nach dem "Willen desselben in Paris sich zum Seedienst
vorbereiten. Schon war er in die Marine aufgenommen, als der Ausbruch der
Eevolution ihn 1790 nach Malta zurückzukehren bewog. Von seinem Vater
nunmehr für den Handel bestimmt, musste er in ein Handlungshaus seiner
Geburtsstadt treten. Jedoch beschäftigte er sich zugleich, einer unüberwind-
lichen Neigung folgend, mit der Tonkunst und studirte zuerst bei einem ge-
Avissen Vella Harmonielehre, sodann bei Azopardi, Kapellmeister des Maltheser-
ordens, den Coutrapunkt. Als Commis fungirte er weiterhin in einem Bankhause
zu Palermo, wo er Amendola's, und zu Neapel, wo er Guglielmi's Unterwei-
sungen bezüglich des musikalischen Satzes eifrig einholte. Um sich ganz der
Musik hingeben zu können, verliess er 1795 heimlich seine Stellung und begab
sich, eine Opernpartitur und andere Arbeiten mit sich führend, nach Florenz.
Seine Erstlingsoper, »Äwiso ai maritatia, erschien daselbst auch bald mit glück-
lichem Erfolg, der durch denjenigen der zweiten, in Livorno gegebenen Oper,
•aArtasersevi , noch übertroffen wurde. Der Grossmeister des Maltheserordens,
Herr v. Rohan, berief ihn in Folge dessen nach Malta zurück, decorirte ihn
mit dem Maltheserkreuz und verlieh ihm die Organisten-, weiterhin die Kapell-
meisterstelle beim Orden. Nach Aufhebung des Ordens lebte I. als Privat-
mann zu La Valette und schrieb für das dortige Theater unter dem Namen
Nicolö Opern, wie -nltinaldo d^Asti«, iiUimprovisata in campagna«, r>Il tonnelierc<i,
y)Il harhiere di Sevic/liaa, deren Textbücher meist französischen Ursprungs waren.
Erst in Paris, wohin ihn nach der Uebergabe von Malta an die Engländer
der General Vaubois 1799 als Privatsekretär mitnahm, und wo er sich freund-
schaftlich mit Rud. Kreutzer und, zum späteren grossen Vorthcil des Theaters
Feydeau, mit dem dramatischen Dichter Etienne (s. d.) verband, trat er
zuerst unter dem Namen Isouard auf.
Dennoch gelang es ihm anfangs kaum, von sich reden zu machen. "Weder
seine erste französische Oper »ie tonnelier». (1799), noch die folgende »La
statue ou la femme avarea, ebenso wenig die mit Kreutzer compouirteu r>Fla-
minius ä C'orinthea, »ie petit page ou la prison d^etata, »ie baiser et la quit-
tancea, an welcher letzteren sich ausser Kreutzer noch Mehul und Boieldieu
mitarbeitend betheiligten, wie eine Cantate auf den Frieden von Amiens drangen
durch. Erst mit den Opern »Michel Ängei (1802), welche deutsch auch in
Berlin 1805 beifällig gegeben wurde, »Les confidencesv., »Le medecin turca
(1803), r>Leonce ou le ßls adoptifa und »L'intrigue au.r fenetresa (1805), in
denen man eine glückliche Vereinigung der Compositionsart Paisiello's, Mon-
signy's und Gretry's zu entdecken glaubte, brach er das Eis, und von 1805
bis 1811 sah er sich zum fast unbestrittenen Alleinherrscher der Pariser
Opera comique erhoben. Besonders war es 1810 »Oendrillonv (Aschenbrödel),
die einen beispiellosen Erfolg auf allen Opernbühnen Europas hatte, in Paris
allein mehr als hundertmal hinter einander gegeben wurde und auf I.'s Antheil
Israeliten — Isthmische Spiele. 4g9
fast 100,000 Francs einbrachte. Die Rückkehr Boieldien's aus ßussland im
J. 1811 brachte I, einen gefährlichen Kivalen, und es entstanden Partheien,
die für den einen oder den anderen Meister eintraten und sich gegenseitig
bekämpften. I. aber nahm, um diesem Gegner die Spitze zu bieten, mehr wie
je zuvor alle Kraft zusammen und lieferte mit r> Jeannot et Colina, besonders
aber mit y>Joconde<.( (1814) seine werthvollsten Opernpartituren. Die in der
That höchst reiz- und wirkungsvolle »Jocondea erneuerte und befestigte allent-
halben seinen grossen Ruhm und brachte ihm von Neuem die höchste Ehre
und bedeutende Summen ein. Seitdem aber stellte er mehr und mehr seine
Thätigkeit für die Bühne ein und ergab sich, Lebemann wie er immer gewesen
war, den aufreibenden Freuden des Daseins völlig; der vorzeitige Tod, am
23. März 1818, war die Folge seiner Lebensweise. Die Aufführung seiner
letzten Oper nAladin ou la lampe merveilleusea, die von Kennern als seine cor-
recteste bezeichnet wird, erlebte er nicht; Beuincori legte die letzte Hand
an dieselbe, starb aber auch schon sechs Wochen vor deren Erscheinen in der
Opera comique.
I.'s musikalisches Talent war ein sehr bedeutendes; in seinen stets flies-
senden und lieblichen Melodien sprach sich eine reiche Erfindungskraft aus.
Seine Tonbilder bekunden eine blühende Phantasie, und, getragen von feinem
Geschmack und einem nicht ungewöhnlichen Wissen, gelang es ihm in Paris,
die italienische mit der französischen Richtung so geschickt zu verschmelzen,
dass er der Allerweltsliebling werden musste, der er noch lange nach seinem
Tode unbeeinschränkt war. Auch im Privatleben zeichnete er sich durch
Wohlwollen und Freundlichkeit aus, und im Umgang war er sanft und ge-
fällig. Seine noch nicht angeführten Opern sind: aus der Periode bis 1805:
r>Fanchette(s. und ^Tjimprom'ptu de cainpagne<i (Umarbeitung der älteren yL^mpro-
visata in camp ag na«); bis 1811: y>La ruse inutlle«, nTdalaa, -nCimarosavi, » Z7rt jour
ä Paris« y y>LHntrigue au seraih, »Le hillet de loterie« (unter dem Titel »Das
Loterieloos« auch in Deutschland sehr lange beliebt), »Les rendez-vous hour-
geois« (»Das Stelldichein oder Alle fürchten sich«); bis zu seinem Tode: i>Lully
et Quinault«, y>Le prince de Gatane«, y>Les deux maris« und nL'une pour
l'autre«. Ausserdem hat er noch beliebte Romanzen und als Organist und Ka-
pellmeister in Malta Kirchenwerke, Kammercantaten, Duette, Canzonetten u. s. w.
geschrieben,
Israeliten, s. Hebräer.
Istesso (ital.) , der-, dasselbe, kommt in Verbindung mit tempo, also
ytL'istesso tempo«, d. i. dasselbe Zeitmaass (wie vorher), als musikalische Vor-
schrift vor.
Isthmische Spiele (latein.: J?^7«?n?a)-hiessen die in altgriechischer Zeit auf
der Landenge (dem Isthmus) bei Korinth abgehaltenen Wettkämpfe. Hier
stand, nahe einem Fichtenhaine, ein dem Poseidon oder Neptun geweihter
prachtvoller Tempel, reich ausgestattet mit Kunstwerken aus Gold oder Elfenbein.
Nicht weit von diesem Tempel sah man ein Theater und ein Stadium aus
weissen Steinen, wo anfangs jedes dritte, später jedes fünfte Jahr zur Herbst-
zeit die isthmischen Spiele ausserordentlich glänzend gefeiert worden. Uralten
Ursprungs, waren diese Spiele von Theseus dem Meergott zu Ehren erneuert
worden, daher auch die Gesandten der Athener immer den Ehrensitz daselbst
einnahmen. Wie bei den zu Olympia gefeierten Spielen, waren gymnische
Kämpfe und Wettrennen zu Ross und Wagen angeordnet, ausserdem aber auch
wie bei den Pythischen Spielen (s. d.) Cither- und Flötenspiel, mit Gesang
begleitet, später sogar dramatische Darstellungen. Ganz Griechenland, mit
Ausschluss der Eleer, nahm an diesem Nationalfest Antheil. Die Sieger, mit
deren Statuen die eine Seite des Neptuntempels geziert wurde, erhielten einen
Kranz aus Fichtenzweigen. Vgl. Krause, »Die Pythien, Nemecn und Isthmien«
(Leipzig, 1841).
490 Italien.
Itiilieu. Italieuische Musik. Nur zu leicht ist mau geneigt, die Leistungen
und die Leistungsfähigkeit der verschiedenen Nationen auf dem Gebiete der
Kunst zu überschätzen oder zu unterschätzen, je nach dem Vorherrschen einer
allgemeinen, der nationalen Anlage entsprechenden oder nicht entsprechenden
Geschmacksrichtung. In den Epochen genialen Aufschwungs, neuer künstle-
rischer Ideen und naiver Begeisterung wird ein mühelos aus sich heraus
schaffender Yolksgeist die Führung in künstlerischen Dingen übernehmen; er
wird sie aber einem anderen abtreten müssen, sobald sich in der Kunst nach
jenem Aufschwung das ßedüi-fniss geltend macht, die gewonnene Anregung
durch ernstes Denken und zähen Flelss zu dauerndem Besitze zu gestalten.
So sehen wir auch Italien im Verlaufe seiner Entwickelungsgeschichte bald an der
Spitze der Kunstbewegung, bald zu Gunsten des einen oder des anderen Volkes
in den Hintergrund treten; aber selbst wo dies letztere der Fall ist, wie z. B.
am Ausgange des Mittelalters und bis zu einem gewissen Grade auch in der
Gegenwart, hat dies Volk in seinem künstlerischen Schaffen, speciell in seiner
Musik, die nationalen Vorzüge und Eigenthümlichkeiten besser als irgend ein
anderes zu bewahren gewusst, und verdient daher nicht nur wegen seiner
grossen Vergangenheit, sondern auch in Hinblick auf seine Zukunft die regste
Theilnahme der musikalischen Welt, wie sehr auch immer die Zeloten einer
bestimmten, in neuester Zeit vorherrschenden Musikrichtung gegen die musi-
kalische Bedeutung Italiens eifern mögen.
Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal der italienischen Musik vor der
anderer Nationen ist das Vorherrschen des melodischen und rhythmischen Ele-
mentes über dem harmonischen, sowie die dadurch bedingte Bevorzugung der
Gesangsmusik vor der Instrumentalmusik. Der Grund hierfür ist theils in
der melodischen Beschaffenheit der italienischen Sprache zu suchen , theils in
den klimatischen Verhältnissen, welche einerseits dem Körper, also auch den
Stimmorganen, die Möglichkeit einer freieren Entwickelung gewähren, anderer-
seits den Geist für die verhältnissmässig trockene Arbeit der harmonischen
Toncombinationen untauglich oder doch mindestens ungeneigt machen. Der fol-
gende kurze Ueberblick der Musikgeschichte Italiens wird diese Andeutungen mo-
tiviren und vervollständigen, zugleich aber beweisen, wie die Italiener auch noch
in manchen anderen unwesentlichen Punkten als die weitaus bevorzugten Erben
des antiken Geistes zu betrachten sind. — Noch bevor von einem Italien im ge-
schichtlichen Sinne gesprochen werden kann, bevor noch die Völkerwanderung
an Stelle des abgelebten Bömerreiches ein durch nordische (gothische, longo-
bardische) Elemente verjüngtes Volk der Apenninenhalbinsel zugeführt hatte,
machen sich an verschiedenen Punkten des Landes die Symptome einer neuen
musikalischen Aera bemerkbar. Schon im 4. Jahrhundert unternimmt es der
im J. 333 n. Chr. , dem Jahre der Erhebung des Christenthums zur Staats-
religion, geborene Kirchenvater Ambro sius, die bis dahin herrschende grie-
chische Gesangsweise für die christliche Kirche, zunächst für seine Gemeinde
in Mailand umzuarbeiten, d. h. die beim Verfall des Heidenthums eingedrun-
genen theatralischen und chromatischen Elemente auszustossen und die antiken
Melodien und Tonarten in ein System zu bringen ; ist nun gleich von diesem
sogenannten Ambrosianischen Gesang, nachdem derselbe zwei Jahrhunderte
später in dem Gregorianischen aufging, keine Spur mehr vorhanden, ist über
jenen aus den Zeugnissen der Schriftsteller nur so viel bekannt, dass er sich
von dem letzteren durch ein Ueberwiegen des metrischen Elementes auszeich-
nete, so erscheint darum die musikalische That des Ambrosius nicht minder
wichtig, und das Factum, dass auf dem Boden Italiens die griechische Musik zu
neuer Wirksamkeit erweckt wurde, nicht minder bedeutungsvoll.
Aber auch in der weltlichen Musik scheint Italien schon in jener Zeit eine
tonangebende Stellung gegenüber den Nachbarnationen eingenommen zu haben;
denn sicher war es keine dem noch fortvegetirenden Alterthum dargebrachte
Huldigung, sondern die Achtung vor einer auf italienischem Boden neuerwach-
Italien. 4g j
seuen Cultur, wenn der erste christliche König der Franzosen, Chlodwig, im
Jahre seiner Bekehrung zum Christenthum (496) sich an den Gothenköni»
Theodorich in Ravenna wendete mit der Bitte, ihm einen Kitliarödeu zu
senden, der befähigt sei, die Kunst des Gesanges zur Cither in seinem Lande
zu reformiren. Mit der Erfüllung dieses Gesuches wurde Boetius beauftraget,
damals Minister des Theodorich und bekanntlich der letzte in der langen
Reihe der heidnischen Philosophen; mit ihm fiel auch die letzte Schranke für
die Yerbreitung des Christenthums und die Erweiterung der päpstlichen Macht,
und die Vertreter der letzteren sind es, in welchen sich nunmehr das musi-
kalische Streben Italiens auf Jahrhunderte hinaus personificirt.
Der Papst Sylvester, der von 314 bis 335 den heiligen Stuhl inne
hatte, wird als Gründer der ersten Schule bezeichnet, in welcher nicht blos
die Sänger für eine gewisse Kirche, sondern auch für mehrere nach einer über-
einstimmenden Methode erzogen wurden. In gleicher Weise wirkte auch unter
seinen Nachfolgern Hilarius (461 — 468) und ganz besonders erfolgreich
Gregor der Grosse (590 — 604), dessen musikalisches System wie auch die
von ihm für den Gottesdienst ausgewählten antiken Melodien bekanntlich von
der römisch-katholischen Kirche bis heute unverändert beibehalten sind. Von
jetzt an äussern sich die musikalischen Beziehungen Italiens zum übrigen Europa
— so weit dies überhaupt der Civilisation zugänglich war — nicht mehr nur
in isolirten Thatsachen, sondern sie befestigen sich in stetiger Progression und
systematischer "Weise. Pipin wendet sich von Frankreich aus wiederholt an
den Papst um Hülfe in der musikalischen Noth seines Landes, dessen damals
noch wenig verfeinerte Bewohner stets wieder in die alte nationale Gesangs-
weise zui*ückzufallen drohten, auch nachdem dort schon längst der Gregori-
anische Gesang eingeführt war; Karl der Grosse, selbst ein Kenner und
aufrichtiger Freund der Musik, sendete seine eigenen Geistlichen nach Rom,
um dort den echten römischen Gesang zu erlernen, und Hess dann durch sie
die in den grösseren Städten seines Reiches vorhandenen Antiphonarien den
authentischen TJeberlieferungen gemäss verbessern; auch stiftete er Gesangs-
schulen u. a, in Soissons nnd Metz, von denen besonders die letztere so be-
rühmt wurde, dass der dortige Gesang, bekannt unter dem Namen eantus
Metensis, dem römischen fast gleich gestellt wurde.
Bis in den hohen Norden reichte um diese Zeit der musikalische Ein-
fluss Italiens; König Alfred, der am Ende des 9. Jahrhunderts über Eng-
land herrschte, wirkte für sein Land in ähnlicher "Weise wie Karl der
Grosse in Deutschland und Frankreich, und da er ebenfalls in der Verbrei-
tung des römischen Kirchengesanges einen mächtigen Hebel der Sittlichkeit
und der Cultur erkannte, so errichtete er im J. 886 in Oxford einen Lehr-
stuhl für Musik, wo dieselbe sowohl praktisch als theoretisch behandelt wurde,
selbstverständlich nach römischen Grundsätzen, wenn auch der erste dort
angestellte Lehrer ein Gallier war. Gleichzeitig entstanden auf Roms Ge-
heiss in Deutschland die berühmten Klöster von Fulda, Hirschau, Corvey
an der "Weser, St. Emmeran in Regensburg, deren Namen in der Musik-
geschichte einen zu guten Klang haben, um irgend welchen Zweifel an dem
musikalischen Einfluss Italiens auch auf diese Gegenden aufkommen zu lassen.
Sogar in die unwegsamen Thäler der Schweiz drangen die musikalischen Send-
boten Roms: Petrus und Romanus, zwei von Karl dem Grossen nach Metz
berufene römische Sänger, kamen auf ihrem Zuge über die Alpen nach dem
jüngst gestifteten Kloster St. Gallen, mit zwei authentischen Abschriften des
Gregorianischen Antiphonars versehen. Nachdem aber der Letztgenannte auf
der Reise erkrankt war und zu seiner Genesung längere Zeit dort verweilt
hatte, erhielt er vom Kaiser die "Weisung, sich auch noch ferner dem Kloster
zu widmen und die Mönche im Gesang zu unterrichten. Zugleich kam das
eine Exemplar des Antiphonars in den Besitz des Klosters St. Gallen '(wo es
noch heute den kostbarsten Schatz der Bibliothek bildet) und in Folge dieser
492 Italiüu.
UmstäuJe erblühte dort die Musik iu so selbststäudiger "Weise, nahm eiue so
eigcnthümliche, fast nationale Richtung, dass ihr Zusammenhang mit Italien bald
völlig verschwand, weshalb auch ihrer an diesem Orte nur andeutungsweise
erwähnt werden kann.*)
Sei es nun, dass Italien in dem Bestreben, seinen Einfluss möglichst weit zu
verbreiten, die heimischen Angelegenheiten vernachlässigte, oder dass die der
Geistescultur ungünstigen socialen und politischen Zustände den Fortschritt
der Künste unmöglich machten — genug, die Geschichte meldet aus den
nächsten Jahrhunderten nichts von einer Weiterentwickelung der Musik iu Italien ;
um so mehr aber von den Gewaltthaten und Kämpfen, die den Boden der für
die Kunst gleichsam prädestinirten Halbinsel beunruhigten; Kämpfe der deut-
schen Kaiser gegen die römische Hierarchie, der feudalen Barone, sowie selbst
der Bürger unter einander, ein Kampf aller gegen alle, bei welchem es nicht
zu verwundern ist, dass die Musen erschreckt flohen und iu den damals noch
verhältnissmässig sicheren Klöstern der Nachbarländer ein nothdürftiges Obdach
suchten. Kaum aber hatten sich die Wirren einigermaassen beruhigt, kaum
war das gefürchtete Jahr 1000, in welchem man allgemein den prophezeiten
Weltuntergang erwartete, glücklich vorüber gegangen, so begannen auch die
künstlerischen und wissenschaftlichen Triebe in dem schwergeprüften Lande
sich aufs neue zu regen; und gerade zu dieser Zeit erscheint in Italien eine der
achtungswerthesten und liebenswürdigsten Persönlichkeiten, welche die ge-
sammte Musikgeschichte aufzuweisen hat: Guido von Arezzo. Auf diesen
als Künstler und Menschenfreund gleich bedeutenden Mann kann Italien mit Recht
stolz sein, da er nicht allein als musikalischer Schriftsteller alle seine Vor-
gänger an Originalität der Gedanken und Kraft des Ausdruckes um ein Be-
deutendes überragte — wie dies besonders in seinem Hauptwerke, dem Mi-
crologus, ersichtlich — sondern auch der Erste war, der eine auf praktische
Erfahrung basirte Methode des Gesaugunterrichts erfunden und zur Geltung
gebracht hat; endlich, was in Anbetracht der Zeitverhältnisse noch schwerer
wiegt, sich gedrängt fühlte, seine Erfahrungen und Errungenschaften auch
weiteren Kreisen als denen seiner Amtsbrüder zugänglich zu machen; uner-
müdlich zog er von Ort zu Ort, um seine Unterrichtsmethode — vermittelst
welcher man, wie die Zeitgenossen berichten, in wenigen Monaten das lernte,
wozu vor ihm eine Reihe von Jahren nöthig gewesen war — Fachleuten und
Laien, ganz besonders aber den Kindern zur Kenntniss zu bringen.
Ob unter den »entfernten Grenzen«, die er erreicht zu haben in einem
Briefe an seinen Freund Michael im Kloster Pomposa berichtet, die Grenzen
Italiens zu verstehen sind, oder ob er gar bis Bremen gekommen ist, wie der dor-
tige Canonicus Adam im J. 1067 schreibt, dies ist noch nicht genügend auf-
geklärt; sicher aber war seine Berühmtheit schon zu seinen Lebzeiten eiue
ausserordentliche, wie u. a. die Auszeichnung beweist, mit der er vom Papst
Johann XIX., der zwischen 1024 und 1033 regierte, empfangen wurde. Noch
dankbarer hat sich gegen Guido die Nachwelt erwiesen, indem sie nicht nur
seine wirklichen Verdienste anerkannte, sondern auch alle möglichen vor ihm
und nach ihm gemachten musikalischen Erfindungen und Neuerungen auf seine
Rechnung brachte — ein Irrthum, welcher erst durch die gründlichen For-
schungen der Musikhistoriker des vorigen Jahrhunderts beseitigt wurde. Italien
selbst aber hat noch in unseren Tagen bewiesen, dass das Andenkon an einen
seiner genialsten und besten Söhne auch im Laufe so vieler Jahrhunderte nicht
hat verdunkelt werden können, indem es dem Guido in seiner Vaterstadt Arezzo
ein würdiges Denkmal setzte.
Die Behauptung dürfte kaum gewagt erscheinen, dass Guido's populari-
sirende Thätigkeit einen treibenden Eiufluss auf jene Bewegung der Geister
in Italien hatte, welche ein Jahrhundert nach ihm, um 1130, in der Errichtung
*) Näheres bei Schu biger, „Die Säugerschule St. Gallens" (1858).
Italien. 493
der ersten Universitäten (Salerno und Bologna) gipfelte. Allerdings war es
Zeit, dass in Italien sichere Pflegestätteu für Wissenschaft und Kunst entstanden
— bekanntlich bildete die Musik eine der Hauptdisciplinen an den Universi-
täten des Mittelalters — denn aufs Neue drohte der ruhigen Entwickelung
des Landes eine schwere Gefahr: die Uebersiedelung des päpstlichen Stuhles,
des Mittelpunktes, wenn nicht der materiellen, so doch jedenfalls der weistio-en
Bestrebungen der Halbinsel, nach Avignon im J. 1305, und sein Aufenthalt
daselbst bis 1376 brachte es mit sich, dass Italien wiederum dem kaum überwun-
denen Zustande der Anarchie und der Barbarei anheimfiel, dass die in einer
verhältnissmässig glücklichen Zeit gepflanzten Keime künstlerischer Entwickelung
vorläufig nicht zur Blüthe gelangen konnten; so mindestens, was die bildenden
Künste und die Musik betrifi't; die Dichtkunst aber feierte eben damals ihre
glänzende Wiederauferstehung in Dante Alighieri (gestorben 1321), dessen
»göttliche Komödie« eine neue Epoche der Poesie, im weiteren Sinne auch der
Philosophie bezeichnet und bei den engen Beziehungen ihres Autors zum Alter-
thum als die erste That der Renaissance gelten kann, jener gewaltigen gei-
stigen Revolution, die in ihrem späteren Verlaufe auch den übrigen Künsten,
zuerst den bildenden, dann den musischen neue Lebenselemente zuführen sollte.
Wenn nun aber auch mit der Verlegung der päpstlichen Residenz nach Avignon
ein bedenklicher Stillstand in der Entwickelung der italienischen Musik eintritt,
ein Zustand des Abwartens, der auch dann noch lange nicht sein Ende er-
reichte, nachdem der päpstliche Stuhl glanzvoller als zuvor wiederum in Rem
errichtet war, so war der musikalische Fortschritt überhaupt doch keineswegs
unterbrochen, vielmehr trat die Musik am Hofe der Päpste in Avignon in ein
neues Stadium ihrer Ausbildung; gerade hier konnte jene Seite der Tonkunst
zur Entwickelung gelangen, für welche der italienische Boden und Volkscha-
rakter nicht die nothwendigen Bedingungen bot: Die Kunst des mehr-
stimmigen Gresanges.
In den Niederlanden, genauer im Norden des heutigen Frankreichs, in dem
flandrischen Kloster St. Amand, hatte der Mönch Hucbald schon vor den
Zeiten Guido's den ersten Versuch einer Theorie der mehrstimmigen Musik
unternommen, und dass dieser Versuch nicht — wie neuere Schriftsteller be-
hauptet haben — als das Resultat einer Gelehrtengrübelei anzusehen ist, dass
vielmehr die mehrstimmige Musik bei den nordischen Völkern schon lange vor
Hucbald bekannt war und praktisch ausgeübt worden ist, dies würde durch die
Beschafi'enheit der dort gefundenen Musikinstrumente zur Genüge bewiesen
sein, selbst wenn man den Erfahr uugssatz läugnen wollte, dass einer jeden
Theorie eine Praxis vorangegangen sein muss. In den Jahrhunderten aber,
die zwischen Hucbald und dem Aufenthalt der Päpste in Avignon verflossen
waren, hatte der mehrstimmige Gesang in Frankreich eine solche Bedeutung
gewonnen, dass er nunmehr auch in" die Kirche, zunächst zweistimmig (als
Discantus oder Dechant, Gegenstimme zu den Gregorianischen Melodien), Ein-
gang zu finden wusste. Bei der Ausbildung, welche er jetzt im Anschluss an
die für den gottesdienstlichen Gebrauch geregelte Gesangsweise fand, waren
indessen nur Franzosen und Niederländer betheiligt, wie auch dem Norden
allein die Ehre gebührt, das Dauerverhältniss der Töne geregelt zu haben:
das System der sogenannten Mensuralmusik, d. h. einer Musik in Tönen
von bestimmt abgemessenem Zeitwerth, wurde duroh Franco von Cöln Ende
des 12. und Anfang des 13. Jahrhunderts zuerst wissenschaftlich bearbeitet;
wenn demnach auch dieser wichtige Abschnitt der Musikgeschichte in einer
Darstellung der italienischen Musik nur nebensächlich erwähnt werden kann,
so darf dagegen der musikalische Einfluss Italiens auf die Weiterentwickeluug des
mehrstimmigen Gesanges von dem Zeitpunkt der Rückkehr der Päpste nach
Rom an nicht verkannt werden. Allerdings waren es auch jetzt ölusiker aller
Nationalitäten, mit alleiniger Ausnahme der Italiener, welche, nachdem sie der
päpstlichen Kapelle von Avignon aus gefolgt waren, in Rom den musikalischen
494 Italien.
Fortschritt vertraten, Franzosen, Deutsche, Spanier und vor allem Niedei^läuder;
doch ist es unzweifelhaft, dass der heitere Himmel und die sie umgebende
Natur ihres Adoptiv- Vaterlandes, nicht minder auch die dortigen Volksgesaugs-
weisen, die selbstverständlich auch in den trübsten Zeiten nicht hatten verloron
gehen können, das künstlerische Schaffen dieser Fremden wesentlich bestimmt
haben werden — wie sich, um dies beiläufig zu bemerken, eine ähnliche Wand-
lung in den Werken der niederländischen, nach Italien übergesiedelten und dort
heimisch gewordenen Maler des 17. Jahrhunderts zeigt.
Weit über ein Jahrhundert dauert diese musikalische Suprematie der
Fremden in Italien, dessen eigne Bewohner weder Neigung noch Fähigkeit zeigen,
bei der schwierigen Arbeit der Ausbildung des polyphonen Stils mit Hand
anzulegen; auch der später im Madrigal zu den schönsten Kunstgebilden sich
gestaltende A^olksgesang vermochte in j mer Zeit noch keine künstlerische Form
zu gewinnen, und unter den in Italien wirkenden Musiktheoretikern finden sich
nur zwei italienische Namen, Marchettus von Padua und Frauchinus
Gafor, ersterer berühmt durch seine im Anfang des 14, Jahrhunderts er-
schienenen Schriften über den Cantus lüanus und den Meusuralgesang, letzterer,
Lehrer an der Musikschule des Herzogs Ludovico Sforza zu Mailand, durch
seine, Ende des 15. Jahrhunderts erschienene, von der Mensur und dem Contra-
punkt handelnde y^ Practica musicaev. Erst nachdem die combinatorische Satz-
kuust der Niederländer zur Zeit des Josquin des Pres ihre höchste Vollkom-
menheit erreicht hatte, nachdem man die Fähigkeit gewonnen hatte, die
widerstrebendsten Tonreihen mit Leichtigkeit zu einem künstlerischen Ganzen zu
verschmelzen, erst dann treten die Italiener wieder auf dem musikalischen Schau-
platz hervor, als der erste von Bedeutung der noch zu Josquin's Zeit (um
1514) wirkende Costanzo Festa; und mit dem letzten grossen Niederländer,
mit Orlandus Lassus, ersteht derjenige italienische Meister, dem es beschieden
war, nicht nur alle seine Vorgänger in der Kunst der Toncorabinationen zu
übertreffen, sondern die Musik auch von allen den Auswüchsen und Zuthaten
zu befreien, sie in derjenigen Reinheit und ernsten Schönheit wieder herzu-
stellen, welche ihr bei dem einseitigen Cultus der contrapunktischen Formen
seitens der Niederländer theilweise vei'loren gegangen waren: Griovanni Pierluigi,
nach seiner Geburtsstadt Palest rina genannt.
Zwei wichtige Thatsaclien waren es, die bei dem Aufschwung des geistigen
Lebens in Italien, und der Musik nicht weniger als der übrigen Künste, während
des 16. Jahrhunderts in erster Linie mitwirkten; zuerst das Wiedererwachen
des Geschmackes für die Alterthumswissenschaft, verbunden mit dem Studium
der antiken Kunstwerke, welche massenhaft auf italienischem Boden vorhanden
waren, jedoch bis dahin eine verhältuissmässig nur geringe Beachtung auch bei
den Jüngern der Kunst gefunden hatten; sodann die durch Luther's Refor-
mation bewirkte geistige Vertiefung, deren Rückschlag auf die Bekenner der
katholischen Kirche unausbleiblich war und selbst die genussfreudige Bevöl-
kerung Italiens zu einer ernsteren Lebensauffassung als der des damaligen Katholi-
cismus drängen musste. Diese Vertiefung aber gereichte ganz besonders der
Musik zum Vortheil, zunächst der kirchlichen, mittelbar aber auch der welt-
lichen, und wenn in Bezug auf die erstgenannte Ursache des Aufschwunges
der Musiker gegen den bildenden Künstler im Nachtheil stand, weil ihm beim
Mangel einer musikalischen Antike die unmittelbare Berührung mit dem Alter-
thum versagt war, so musste ihm die kirchliche Neugestaltung der Welt, die
Verpflichtung, durch eine Veredelung seiner Kunst zur Beruhigung und Rei-
nigung der Gemüther beizutragen, ein ebenso mächtiger Antrieb zum Schaffen
werden. Palestrina aber, der, am Wendepunkt zweier Epochen stehend, alle
Errungenschaften der älteren in sich vereinte und zugleich dem grossen Geist
der neuen gerecht zu werden wusste, der unter dem Einfluss seiner Zeit und
seiner Umgebung die Schönheit des Altertlmms ahnungsvoll erfasste und sie
auch ohne eine direkte sinnliche Vermittelung in seiner Musik widerzuspiegolu
Italien. 495
vermochte, ihm gebührt die Bezeichnung eines classischen Componisten und
zwar des ersten classischen Componisten, und seine Werke werden, wie die der
Bildner des alten Griechenlands, allen späteren Generationen als Muster der
Schönheit und Stilreinheit gelten können.
Neben der Vertiefung der Musik ist auch ihre Ausbreitung ein kenn-
zeichnendes Merkmal der italienischen Culturbewegung des 16. Jahrhunderts.
Eom allein vermag die Menge des musikalischen Talentes nicht mehr zu fassen :
neue musikalische Centren entstehen in Venedig, Florenz und anderen Städten,
jede die Musik in einer eigenthümlichen Richtung ausbildend. In Venedig
hatte Adrian "Willaert, nächst Josquin der bedeutendste unter den niederlän-
dischen Meistern, schon im Anfange des Jahrhunderts eine Schule gegründet,
die durch Ausbildung eines glänzenden Stils vermittelst grösserer und man-
nigfach getheilter Vocalmassen zu der strengen römischen Weise in Gegensatz
trat, und der Ausdruck wurde für den vorwiegend dem Prächtigen zuneigenden
Geschmack der damals auf dem Höhepunkt der Macht und des Reichthums
angelangten Beherrscherin der Adria. Noch reicher gestalteten sich die musi-
kalischen Formen und Mittel unter seinen Nachfolgern Andreas und dessen
Nefifen Giovanni Gabrieli, welche sich ein weiteres Verdienst dadurch er-
warben, dass sie die Instrumentalmusik zu einer selbstständigen Gattung aus-
bildeten, während dieselbe bis zu ihrer Zeit vom Gesänge abhängig gewesen
war. Beide Meister waren selbst bedeutende Virtuosen auf der Orgel, dem
damals noch allein künstlerisch behandelten Instrumente, und als solche wie
als Componisten weit über ihr Vaterland hinaus berühmt, wie denn auch die
hervorragendsten deutschen Componisten jener Zeit die Wanderung nach Venedig
nicht scheuten, um ihres Unterrichts theilhaftig zu werden: Hans Leo Hasler
und Heinrich Schütz, ersterer ein Schüler des Andreas, letzterer des Giovanni
Gabrieli. Auf dem Gebiete der musikalischen Theorie ist Venedig nicht
minder rühmlich vertreten durch Gioseffo Zarlino, den Nachfolger Willaert's
als Kapellmeister an der Marcuskirche; die von ihm durch eine Vergleichung
der antiken Scalen des Didymus und Ptolemaeus gewonnene Intervallenbestim-
mung und das auf sie basirte »reine diatonische System« wurden für die Ton-
satzkunst in der Folge von der höchsten Wichtigkeit, weil durch sie jeder
Zweifel an der consonirenden Eigenschaft der Terz und der Sexte beseitigt
und diese beiden Intervalle nun endgültig unter die Consonanzen aufgenommen
wurden. Endlich fand noch neben der strengen Kunstmusik das Volkslied
seitens der genannten venetianischen Toukünstler eine liabevolle Pflege; das
Madrigal, eine durch Jahrhunderte in ganz Europa beliebte Gattung mehr-
stimmiger Gesänge auf weltliche Texte, die Frottola (eine Art Gassenhauer),
die Ballata (Tanzlied), die Barcajuola (Schifferlied) konnten sich auf venetia-
nischem Boden um so freier entwickeln, als das dortige buntbewegte Leben
es der Phantasie an Anregung nicht fehlen Hess und die materielle Richtung
der Handelsstadt eine einseitige Strenge auch in der Kunst ausschliessen
musste. Und wie die Produktion dieser Gesänge eine massenhafte war, so
wurde es auch ihre Verbreitung, nachdem Ottavio Petrucci, nach seiner
Geburtsstadt im damaligen Kirchenstaat »Ja Fossombrone« genannt, die Erfin-
dung gemacht hatte, Musiknoten mit beweglichen Metalltypen zu drucken und
seine erste Werkstatt im J. 1502 in Venedig eröffnet hatte.
Weniger fruchtbar, jedoch ernster und für die Zukunft noch bedeutungs-
voller waren die musikalischen Bestrebungen, deren Mittelpunkt gegen das
Ende des 16. Jahrhunderts Florenz bildete. Hier, und zwar in dem Kreise von
Akademikern, die sich im Hause des kunstsinnigen Giovanni Bardi, Grafen
von Vernio, regelmässig versammelten, um ihre Gedanken über wissenschaftliche
und künstlerische Probleme auszutauschen, sollten die mit der Wiedergeburt
des Alterthums gewonnenen neuen Anschauungen auch auf dem Gebiete der
Musik ihre Verwerthung finden. Die von einem der Mitglieder der Came-
rata (wie sich dieser Verein von Künstlern und Gelehrten nannte), Vincenzo
496 Italien,
Galilei, dem Vater des bekannten Astronomen Galileo Galilei, in einem
römischen Kloster aufgefundenen antiken Melodien erweckten das allgemeine
Verlangen, an die Stelle der bis dabin allein herrschenden mehrstimmigen
Musik eine Tonspraclie zu setzen, welche, wenn auch nur annälierungsweiso,
die von den altgriechischen Autoren beschriebenen Wunderwirkungen der an-
tiken Musik erneuere. Galilei selbst machte den ersten Versuch, indem er
Stücke aus den Klageliedern des Jei'emias und die Scene des Ilgolino aus
Dante's göttlicher Komödie für eine Siugstimme componirte, und nach der
Meinung seiner Gesinnungsgenossen, denen er sie vortrug, indem er sich selbst
auf der Viola begleitete, war er auf diesem "Wege dem von ihnen erstrebten
Ziele um ein Bedeutendes näher gekommen. Jedenfalls war die Erfindung
der Monodie, des Einzelgesangs mit Begleitung, ein musikalischer Fortschritt
von höchster Wichtigkeit und musste unmittelbar zur modernen Oper hinüber-
leiten. Zunächst empfing die neue Gesangsweise ihre künstlerische Weihe durch
den römischen Sänger Giulio Caccini, der nach dem Muster der Galilei'-
schen Versuche eine Anzahl von Monodien componirte und sie unter dem Tilel
•oNuove musichev- herausgab; einen zweiten nicht minder wichtigen Schritt zur
Verwirklichung des Ideals der Florentiner Alterthumslreunde that Jacopo
Peri durch die Erfindung des ßecitativstils, damals Stile rappresentativo
genannt, und als die Frucht dieser Bestrebungen entstand als erste moderne
Oper die Tragedia per musica -nl^uridicea, gedichtet von Ottavio Kinne ein i,
einem eifrigen Förderer der neuen Musikrichtung, coraponirt von Peri, zum
ersten Male aufgeführt im J. 1600 in Florenz zur Feier der Vermählung
Heinrich's IV. von Frankreich mit Maria von Medicis, und zwar mit so ein-
stimmigem Beifall, dass die Alterthumsfreunde ihre Aufgabe, den musikalisch-
dramatischen Stil der Alten wieder aufzufinden, als gelöst betrachteten.
Mochten sie nun den Werth ihrer Entdeckung überschätzen oder nicht —
denn es fehlte ja an jedem Anhaltepuukt zur Vergleichung — jedenfalls ver-
dient die Genialität, mit welcher sie das ihnen vorschwebende Ziel verfolgt
und einen festen Boden für die Neugestaltung der Musik gewonnen haben, auf-
richtige Bewunderung. »Unsere abendländische Musik wäre«, so äussert sich
Chrysander*) in Bezug auf die Entstehung der modernen Oper, »ohne den
griechisclieu Untergrund so bald nicht das geworden, was sie geworden ist,
und die italienischen Akademiker waren keine Thoi'en , dass sie auch an der
Vervollkommnung der Tonkunst so unablässig mit griechischen Quellen ar-
beiteten. Dinge, die in jedem anderen Lande von vornherein unmöglich ge-
wesen oder bald lächerlich geworden wären, vermochten sie mit Grazie und mit
Erfolg durchzuführen, so vollständig und so sicher hatten sie sich in das Ge-
werke der Alten, in die Formen vollendet schöner Kunst eingelebt; Unter-
nehmungen selbst, die ojBfenbar auf irrthümlichem Grunde ruhten, schlugen zum
Guten aus. Wo bei uns oder in England oder Frankreich wäre es möglich
gewesen, mit den Handhaben und Voraussetzungen, mit denen es die Italiener be-
werkstelligten, die zwei Grundformen der Tonkunst ins Leben zu rufen, Oper
und Oratorium? Wir wissen, dass ihre Voraussetzungen, soweit sie das Ein-
zelne betrafen, durchaus unbeweisbar waren, da man unter der griechischen
Bühnenmusik nichts finden wird, was der in ihrer Nachbildung entstandenen
italienischen zum Muster dienen könnte; und Widersprüche solcher Art, ob
klar erkannt oder nicht, würden besonders einen germanischen Geist mit
lastender Schwere niedergehalten und zu jeder zuversichtlichen That unfähig
gemacht haben : während die Florenzer Akademie auf den Wolken ihrer Ein-
bildung wie auf einer gebahnten Strasse wandelnd erreichte, was sie sich vor-
gesetzt hatte. Die Italiener blickten in das Alterthum als Künstler, nicht als
ruhige Forscher; und woran ein Historiker wohl zuletzt gedacht haben würde,
das war ihnen das Nächstliegende, das Einzige, was Werth für sie hatte. Sie
*) Chrysander, „G. F. Händel" I. S. 154.
Italien.
497
hingen au der TJeberzeugung, so müsse die Kunst von der Bühne zum Volke
wirken, wie es bei den Griechen war; diese unläugbare. aber von ihnen zuerst
und allein erkannte Wahrheit wussten sie mit einem Eifer und einem so rich-
tigen Takt auszulegen, dass trotz aller antiquarischen Irrthüraer das Rechte ge-
deihen konnte. Aber nur die Italiener konnten es durchführen. Das Gefühl für
künstlerische Formen war bei ihnen in einem Grade ausgebildet und in einer
so ursprünglichen Frische vorhanden, dass man geneigt sein muss, es mehr
noch ihrem angeborenen Schönheitssinne zuzuschreiben , als der Jahrhunderte
langen Cultur, Dabei vermochten sie sich in den merkwürdigsten Gegensätzen
zu bewegen, ohne zu ermatten oder sich so bald zu erschöpfen. Wer sollte
denken, dasselbe Volk, welches so eben erst in den Kirchenchören und in dem
vollstimmigen weltlichen Gesänge, im Madrigal, das Höchste geleistet hatte,
könne berufen sein, unmittelbar darauf das AUereinfachste gleichsam neu zu
schaffen, das Recitativ, den Sologesang und die Kunst des Gesanges? Alles
Neue in dieser Hinsicht haben wir ihnen fast allein zu danken; kaum waren
die anderen Nationen daran gegangen, sich das Gewonnene, vertiefend oder ver-
flachend, anzueignen, als die Italiener sie schon wieder mit Neubildungen über-
raschten. Und so ging es fort, bis endlich auch dieses Volk an seine gesetzte
Grenze kam.« Vergegenwärtigt man sich den gewaltigen Umschwung, den die
Befreiung des gesungenen Wortes vom contrapunktischen Zwange — das eigent-
liche nächstliegende Ziel der Florentiner Reform — für die Auffassung der
Musik überhaupt zur Folge haben musste; erwägt man die unermessliche Be-
reicherung der musikalischen Darstellungsmittel als unausbleibliche Consequenz
des engen Anschlusses der Musik an die Poesie, und zwar an eine Poesie,
welche weit eindringlicher als die kirchlichen Texte und die Verse des Madrigals
die menschlichen Empfindungen und Leidenschaften zu malen die Aufgabe hatte,
so wird man zugeben, dass die That der Florentiner Akademiker in der Musik-
geschichte Italiens einzig und als Höhepunkt dasteht und das ihnen in Obigem
gespendete Lob keinerlei Einschränkung bedarf. Was aber die eben dort er-
wähnten Grenzen des schöpferischen Künstlergeistes betrifft, so waren dieselben
für Italien noch lange nicht erreicht. Zunächst galt es, den gewonnenen Be-
sitz zu befestigen und nach allen Seiten hin abzurunden, und nun ist es noch
einmal Venedig, welches sich an die Spitze der musikalischen Bewegung stellt,
indem es gleichsam die Consequenzen zieht, die sich aus der Erfindung der
Florentiner ergeben mussten. Hatten diese sich einer antiken Einfachheit be-
fleissigt, welche z. B. die Musik des Peri zur Muridice fast dürftig erscheinen
lässt, so entfesselt Claudio Monteverde, von 1613 — 1643 Kapellmeister an
der Marcuskirche in Venedig, alle Elemente des Ausdrucks, die bis dahin in
der Tonsprache geschlummert hatten, und macht sie dem Drama dienstbar; mit
richtigem Blicke hatte er in der Dissonanz das wirksamste Mittel zur Dar-
stellung leidenschaftlich erregter Zustände erkannt, und er bediente sich des-
selben mit einer Fi*eiheit, welche ihn mit der damaligen Theorie nicht selten
in Conflict brachte und ihm die heftigsten Angriffe von Seiten seiner Kunst-
genossen zuzog. Ein weiteres Mittel zur Verstärkung des musikalischen Aus-
druckes bot ihm das Orchester, dessen Leistungsfähigkeit er dadurch in be-
merkenswerther Weise erhöhte, dass er die einzelnen Instrumente, je nach ihrer
Individualität und Klangfarbe, zur Verdeutlichung des auf der Bühne Gesun-
genen und Dargestellten verwendete.
Dem Einflüsse Monteverde's endlich ist es zu danken, wenn die Oper, die
anfangs nur zur Verschönerung der Hoffestlichkeiten und zur Zerstreuung
fürstlicher Ki-eise gedient hatte, bald auch dem grossen Publikum zugänglich
gemacht wurde: im J. 1637 fand im Theater Sa7i Cassiano zu Venedig die
erste öffentliche Opernvorstellung statt, und wie folgenreich dieses Beispiel
war, erhellt aus den Thatsachen, dass im Laufe der nächsten hundert Jahre
nicht weniger als fünfzehn andere Opernhäuser in Venedig entstanden, auf
denen zusammen vierhundert verschiedene Opern zur Aufführung gelangten,
Musikal. Convers. -Lexikon. V. 32
498 Italien.
Die weitere Folge der "Wiedergeburt des musikalischen Dramas war die, dass
sich das musikalische Ansehen Italiens im Auslande zu einer ähnlichen Höhe wie
im Mittelalter erhob. Deutschland nimmt so lebhaften Antheil an der neuen
Erfindung, dass es ungeachtet seiner Kriegsnoth schon im J. 1627 den ersten
Versuch machte, die Oper bei sich einzubürgern, und zwar mit der Dafne
des ßinuccini, von Martin Opitz ins Deutsche übersetzt, von H. Schütz mit
neuer Musik vorsehen, aufgeführt bei einem Feste am Hofe des Churfürsten
Johann Georg I, in Torgau. In Frankreich wurde etwas später (1645) die
italienische Oper durch den Cardinal Mazarin eingeführt, und als sich auf
Anregung des Gastspiels der von ihm nach Paris berufenen Operntruppe das
Verlangen nach einer nationalen Oper immer stärker geltend machte, da war
es wiederum ein Italiener, Giovanni Battista Lulli aus Florenz, der diesen
Bestrebungen den richtigen Weg wies und durch seine Musik den musikalischen
Neigungen und Bedürfnissen der Franzosen so zu entsprechen wusste, dass er
mit Recht als der Begründer der französischen sogenannten Grossen Oper und
des ihr eigenthümlichen Stils anzusehen ist.
Wie reiche Resultate die Auffindung des dramatischen Musikstils nach
dieaer Richtung auch im Gefolge hatte, so waren es doch nicht die einzigen:
auch die Kirche war der unausgesetzten Mehrstimmigkeit müde geworden und
begann mit Eifer, die neue Musikgattung für ihre Zwecke zu benutzen. Lu-
dovico Viadana, zuletzt in Mantua wirksam, wo er 1644 noch lebte, war
der erste, welcher die Monodie in den Kirchengesang einführte und zu diesem
Zwecke Stücke für eine und mehrere Solostimmen mit einem Orgelbass setzte,
die er Goncerli di cliiesa, geistliche Concerte nannte. Seinen Bass nannte er
basso coniinuo, weil derselbe den Singstimmen ohne Unterbrechung folgte,
auch hassus generalis, weil er bei einstimmigen Gesängen die gesammte Har-
monie zu Gehör zu bringen hatte, welche letztere Benennung zu dem Irr-
thum Anlass gegeben hat, Viadana für den Erfinder des später sogenannten
»Generalbasses« oder beziflfertcn Basses zu halten. Neben ihm ist zu nennen
Emilio del Cavaliere als Componist des ersten geistlich-allegorischen Musik-
drama yyLa rappresentazione di anima e di corpov. im Stil des Peri, welches Werk
auf einer Bühne im Oratorio des römischen Klosters Santa Maria in Vallicella im
.1. 1600 zuerst aufgeführt wurde. Dei'artige MusikaufiFührungen in den Bet-
sälen (Oratorien) der Klöster waren übrigens in Italien ziemlich allgemein, beson-
ders nachdem der durch seine Originalität berühmt gewordene römische Priester
Filippo Neri*) dieselben mit Hülfe des ihm befreundeten Palestrina für seine
Gemeinde förmlich organisirt hatte; sie waren es auch, denen die in späteren
Zeiten so herrlich erblühende Kunstgattung, das Oratorium, nicht nur seinen
Namen, sondern auch seine Entstehung verdanken sollte. Die letzte Ausbildung
dieser Gattung musste nun Italien allerdings seinen immer stärker werdenden
deutschen Rivalen überlassen; ein wichtiger Schritt dazu aber wurde noch
in Italien gethan durch Giacomo Carissimi, um die Mitte des 17. Jahr-
hunderts Kapellmeister an der Apollinariskirche in Rom. Dieser bildete nicht
nur die schon vor ihm bekannt gewesene Cantate zu einer Art dramatischen
Scene mit Recitativen , Ariosen und Ensemblesätzen aus, in welcher Form sie
Kammercantate, cantata di camera, genannt wurde und dem Oratorium nahe
verwandt war, sondern er hat auch selbst eine Anzahl Oratorien geschrieben,
in deren Musik die für diese Kunstform wesentlichen Bedingungen, dramatisches
Leben und ununterbrochene Einheit des Stils, erfüllt sind.
Wohl sollte man vermuthen, dass nach Bewältigung so gewaltiger Auf-
gaben im Inneren und bei der mittlerweile begonnenen Thätigkeit nach Aussen
eine Epoche des Stillstandes in der Entwickelung der italienischen Musik ein-
treten müsse; und doch sollte dieselbe noch einen Aufschwung nehmen, nocli
eine Blüthezeit erleben, die keiner der früheren an Bedeutsamkeit nachsteht.
*) Geschildert u. a. in Gcelhe's „Ttalicuischer Reise" IT. S. 180,
Italien. 499
Diesmal war der Schauplatz Neapel, wo sich im Anfang des 18. Jahrhunderts
unter Führung von Alessandro Scarlatti eine Schule bildete, deren Stil
man zum Unterschied von dem »erhabenen« der römischen Schule den »schönen«
nannte. Schon früher hatte Neapel gelegentlich die Aufmerksamkeit der musi-
kalischen Welt erregt; hier war es, wo um die Mitte des 15. Jahrhunderts
der Niederländer Tinctoris als Leiter der von Ferdinand I. gestifteten Musik-
schule gewirkt und seine berühmten musik-theoretischen Werke herausgegeben
hatte; hier entstanden ein Jahrhundert später die gepriesenen Madrigale des
Fürsten von Venosa, Carlo Gresualdo, eines so eifrigen Beschützers der
Musik, dass er selbst einen kleinen Hofstaat von Componisten, Sängern und In-
strumentalisten bei sich unterhielt; an der ernsteren musikalischen Arbeit Ita-
liens hatte sich freilich Neapel bis dahin nicht betheiligt. Nunmehr aber nahm es
einen gewaltigen Aufschwung und es kamen die reichen künstlerischen Anlagen,
welche die griechische Colonie von ihren Urvätern ererbt, auch auf dem Gebiete
der Musik zur Entfaltung; der heitere Himmel Neapels, die Anmuth seiner Be-
wohner, sein bewegtes öffentliches Leben, sie bilden die Grruudeigenschaften
der Werke der neapolitanischen Schule, ohne dass es ihnen deshalb an Tiefe
der Empfindung und Gediegenheit mangelte. Daneben entwickelte sich in Neapel
die Kunst des Gesanges und des Instrumentenspiels in glänzendster Weise:
A. Scarlatti, der Vater dieser Schule, war nicht nur einer der genialsten und
fruchtbarsten Componisten aller Zeiten, sondern auch ausgezeichneter Sänger,
Ciavierspieler und Orchesterdirigent, und gab als Lehrer von halb Europa den
mächtigsten Impuls nach allen den genannten Richtungen hin. Den Höhepunkt
ihrer Leistungsfähigkeit erreichte die neapolitanische Schule um Mitte des
Jahrhunderts unter Francesco Durante und Leonardo Leo, beide Schüler
des A. Scarlatti und dessen Nachfolger im Amte des Kapellmeisters am Con-
servatorio San Onofrio. Aber noch bis zum Ende des Jahrhunderts wusste
sich Neapel seine Stellung als musikalische Grossmacht in Europa zu erhalten,
wie u. a. die Berufung Piccini's, eines Schülers des Durante, nach Paris be-
weist, wo er zum Führer der italienischen Parthei im Kampfe gegen die
deutsche unter dem Ritter von Gluck ausersehen war; ferner die Beliebtheit
des Sacchini, der in derselben Stadt nach Piccini als Componist an der
Grossen Oper wirkte, des Paesiello, dessen Opern in Petersburg, wo er als
Kapellmeister angestellt war, und in Wien nicht minder gern gehört wurden
als in seinem Vaterlande. Am bekanntesten aber unter den Vertretern der
jüngeren neapolitanischen Schule ist Giovanni Battista Pergolese ge-
worden, sowohl durch seine komischen Opern, deren eine i>La serva padrona<i
sich noch bis heute auf den Repertoiren italienischer und französischer Opern-
bühnen erhalten hat, als auch durch sein Stabat mater für zwei Frauenstimmen
mit Violinen und Bass. In Bezug auf letzteres Werk ist freilich zu bemerken,
dass es den Anforderungen an einen strengen Kirchenstil in keiner Weise ent-
spricht, wie denn überhaupt im ganzen Verlaufe der neapolitanischen Epoche
die Kirchenmusik mehr und mehr vom dramatischen Stil beherrscht wird, bis
schliesslich jeder Unterschied der beiden Musikgattungen verschwindet. We-
niger weltlich, doch ebenfalls durch dramatische Einflüsse ihrem Wesen ent-
fremdet erscheint die Kirchenmusik der im Anfang des 18. Jahrhunderts blü-
henden jüngeren venetianischen Schule des Legren zi. Die Werke ihrer
hervorragendsten Künstler Lotti, Caldara und Marcello stehen zwar an
Ernst und innerem Gehalte weit über der Kirchenmusik des Pergolese, anderer-
seits aber durch ihren , mit einer acht kirchlichen Stimmung unvereinbaren
Farbenreichthum und leidenschaftlichen Ausdruck ebenso weit unter denen des
Palestrinastils, dessen erhabene Einfachheit jene Meister vergebens durch Auf-
wendung aller modernen Kunstmittel zu ersetzen versuchten.
Die Vernachlässigung der Kirchen- und der Kammermusik auf Kosten
der dramatischen, genauer der theatralischen, ist eines der Symptome des Ver-
falls der italienischen Tonkunst im 18. Jahrhundert; ein zweites Symptom ist
32*
500 Italien.
die Ausbildung der Virtuosität seitens der ausübenden Künstler, der Sänger
sowohl wie der Instrumentalisten. Denn wie gediegen auch die Studien nach
dieser Richtung in jedem einzelnen Zweige betrieben wurden, so konnte es
doch nicht ausbleiben, dass die Aufmerksamkeit des Publikums sich von dem
musikalischen Kunstwerk ab- und den Leistungen der einzelnen Ausführenden
mehr und mehr zuwendete. Besonders wurde dies Unwesen befördert durch
die künstlichen Sopranisten (Castraten), welche in der ersten Hälfte des IH,
Jahrhunderts die Operubühnen nicht allein Italiens, sondern des ganzen Europa
unumschränkt beherrschten. »Die Macht, welche damals eine biegsame Kehle
über das Theateriiublikum ausübte, war unglaublich; die glücklichen Besitzer
einer solchen kehrten mit goldener Beute beladen von ihren Triumphzügen
durch das ganze musikalische Europa zurück; Faxünelli lebte zu Bologna in
Pracht und Luxus, Caffarelli kaufte ein Herzogthum , Hess sich seinen Gesang
in den Kirchen und Klöstern aber nach wie vor bezahlen. Das Wohlgefallen
an rein kunstmässigem Gesänge war so hoch gestiegen, dass man über eine
schöne Castratenstimme und glänzende Virtuosität alles andere vergass; die
Gier des Volkes nach diesen süssen schmelzenden Tönen war zu gross, um
irgend welchem Abscheu gegen das Mittel zu ihrer Gewinnung Raum zu geben
— „Benedetto il coltello!'' rief vielmehr der begeisterte Musikenthusiast, und in
italienischen Städten gab es Buden mit der verlockenden Inschrift „Qui sl
casira ad un prezzo raffponevole". Die Musik wurde grossentheils nach der
Veranlassung beurtheilt, welche sie dem Sänger zur Entfaltung seiner Kunst-
fertigkeit darbot; es kam mehr darauf an, dass gut, als dass etwas Gutes ge-
sungen wurde. In der grossen Arie war es Stil, dass der Sänger die Melodien,
so oft sie wiederkehrten, mit immer neuen Coloraturen und Ausschmückungen
vortragen , ausserdem für das Dacapo noch immer andere Wendungen und
Manieren vorräthig haben musste; der Componist ersickte unter dem Wust
von äusserlichem Tongekräusel und sank zum blossen Handlanger des Sängers
herab.*) Bei alledem wäre es unrichtig, die Namen der Männer mit Still-
schweigen zu übergehen , welche sich um die Ausbildung des Kunstgesanges
besonders verdient gemacht haben; es sind dies in erster Reihe Francesco
Antonio Pistocchi, der um 1700 in Bologna eine Gesangsschule errichtete,
sowie sein Schüler Bernacchi, unter welchem sich dieselbe zu glänzender
Berühmtheit erhob und eine Menge von Sängern und Sängerinnen ersten
Ranges in die Welt hinaussenden konnte. In Bezug auf Bologna sei hier
gleich bemerkt, dass es seine musikalisch-pädagogischen Fähigkeiten auch noch
in anderer Weise bekundete; durch Giovanni Maria Bononcini, den Vater
des durch seinen Wettstreit mit Händel in London bekannten Componisten
Giovanni Bononcini, wurde hier (gegen Ende des 17. Jahrhunderts) die Theorie
des modernen Contrapunktes und der Fuge zuerst ausgearbeitet, und die Ge-
sclilchte der Musik fand in dem Franciscaner Giambattista Martini (ge-
wöhnlich Padre Martini genannt), der von 1725 an als Kapellmeister
seiner Ordenskirche daselbst wirkte, einen des alten Rufes der Gelehrtenstadt
würdigen Vertreter.
Für die Ausbildung des Violinspiels kommen hauptsächlich zwei italienische
Meister in Betracht: Arcangelo Corelli, der sowohl als Componist für sein In-
strument wie auch als Virtuose in Paris, in Deutschland und endlich bis zu seinem
Tode (1713) in Rom den grössten Erfolg hatte und der Stifter einer ebenso
glänzenden als gediegenen Schule wurde; sodann Giuseppe Tartini, von
1728 au das Haupt einer Violinschule in Padua, deren Zöglinge seinen Ruhm
über ganz Europa verbreiteten. Tartini erweiterte die Technik des Violinspiels
durch wichtige Verbesserungen des Instruments, und erwarb sich durch seine
theoretischen und akustischen Arbeiten ein weiteres Verdienst; seine Compo-
sitiouen aber haben in ihrer rührenden und edlen Einfachheit zur Hebung dos
*) A. von Dommer, „Handbuch der Musikgeschichte" S. 436.
Italien. 501
Geschmackes aufs erfolgreichste gewirkt und von ihrem "Werthe bis zum heutigen
Tage nichts eingebüsst. Das Ciavierspiel dankt seine Vervollkommnung
und seine im Laufe des 18. Jahrhunderts sich immer mehr erweiternde Herr-
schaft grösstentheils dem Sohne des Stifters der neapolitanischen Schule, dem
Domenico Scarlatti, der, wenn auch seinem Vater an Universalität der
musikalischen Begabung nachstehend, diesen doch als Clavierspieler und Clavier-
componist um ein Bedeutendes überragt. In seinen Werken erscheint auch
zuerst der homophone Ciaviersatz und beginnt die moderne Ciaviersonate sich
zu entwickeln, wobei jedoch nicht unerwähnt bleiben darf, dass schon ein Jahr-
hundert vor Domenico Scarlatti die ersten Schritte nach dieser Richtung in
Italien gethan wurden, und zwar durch den 1591 geborenen römischen Organisten
Grirolamo Frescobaldi und seinen Schüler Bernardo Pasquini, welchen
die Ehre gebührt, einen den Claviaturinstrumenten eigenthümlichen Stil ge-
funden und durch ihm entsprechende Kunstformen (z. B. die Toccata) zum
Ausdruck gebracht zu haben. — Beide Zweige der Instrumentalmusik, das
Violin- wie das Ciavierspiel, mussten sich in Italien um so glänzender entwickeln,
als ebenfalls hier die Kunst des Instrumentenbaues eine hohe Vollendung er-
langte und durch die wichtigsten Erfindungen bereichert wurde. Die Kunst
des Geigenbaues hat ihren Hauptsitz in Cremona, wo im Laufe des 17. Jahr-
hunderts die verschiedenen Glieder der Familie Amati und im Anfang des
18. Antonio Stradivari dieselbe auf eine solche Hohe brachten, dass ihre
Instrumente, wie bekannt, noch heute als unübertroffene Kiinstwerke gelten.
Für das Ciavierspiel war nicht weniger fördernd die Erfindung der Hammer-
mechanik im Anfang des 18. Jahrhunderts durch den Paduaner Bartoloraeo
Cristofali; denn während bei den älteren Claviaturinstrumenten, dem Clavi-
chord und dem Clavicymbel, die Saiten durch einen Metallstift oder einen
Rabenfederkiel gerissen wurden und daher nur in einem einzigen Stärkegrad
erklingen konnten, so wurde es mittelst des, die Saite von unten anschlagenden
Hammers möglich, die Tonstärke zu modificiren, je nachdem man die Taste
leise oder stark anschlug — woher denn auch das neue Instrument den Namen
»Leise-stark« (ital. Pianoforte) erhielt.
So gelangen wir bis zur neuesten Zeit, bis zu unserem Jahrhundert, in
welchem die musikalische Bedeutung Italiens zwar erheblich vermindert erscheint,
keineswegs aber gänzlich aufgehoben ist. Wie im 14. und 15. Jahrhundert, zur
Zeit der Alleinherrschaft des polyphonen Stils, so zeigt Italien auch neuerdings,
nachdem durch die deutschen Meister Bach und Händel, Haydn , Mozart und
Beethoven jener Stil wiederum zur Herrschaft gelangt ist, die Neigung, sich
auf die Pflege seiner natürlichen Anlagen zu beschränken, und durch seine
Leistungen auf dem ihm eigenthümlichen Gebiete, der melodiösen, insbesondere
der Opernmusik, hat es nicht aufgehört^ die Theilnahme der musikalischen Welt
wach zu halten; doch hat der durch die neapolitanische Schule in Aufnahme
gekommene Cultus der sinnlichen Schönheit und der Anmuth bei den italie-
nischen Opei-ncomponisten des 19. Jahrhunderts zur süsslichen Sentimentalität
und zur Verflachung geführt, wie dies in den Werken eines Rossini, eines
Bellini und Donizetti neben aller ihnen eigenen Genialität nur zu deutlich
zum Vorschein kommt. Als würdige Nachkommen der grossen italienischen
Meister sind aus unserem Jahrhundert nur Cherub in i und Spontini zu
nennen, und wenn auch beide die Anregung zu ihrem Schafi'en vorwiegend vom
Auslande erhalten haben — bei Cherubini ist der Eiufluss Haydn's, hei Spontini
der Gluck's unverkennbar — wenn auch beide ihre Wirksamkeit im Auslande
fanden, der erstere in Paris, der letztere ebenfalls dort und in Berlin, so kann
dies doch ihren und ihres Vaterlandes musikalischen Ruhm nicht schmälern.
Für das letztere, für das italienische Publikum sclieint mit Anfang des 19.
Jahrhunderts allerdings ein Zustand der Erschöpfung eingetreten zu sein, der
die Entwickelung einer ernsten Kunstrichtung unmöglich machte; die Kirchen-
und Kammermusik gelangt, bei der ausschliesslichen Liebhaberei der Musik-
502 Italien.
freunde für leichtfassliche Opernrausik, kaum mehr dazu, ein Lebenszeichen
von sich zu geben; und wie die musikalische Produktion, so sinkt auch die
Kunst der Reproduktion: wenngleich in den ersten Jahrzehnten unseres Jahr-
hunderts die Traditionen des edeln italienischen Kunstgesanges noch fortwirkten
und eine grosse Anzahl gefeierter Künstler die noch immer bestehende Supre-
matie Italiens auf dem genannten Gebiete beweist, so ist doch auch diese in
neuerer Zeit aufgehoben, denn das Sängerpersonal der sogenannten Italienischen
Opern in Paris, London, Petersburg rekrutirt sich gegenwärtig grösstentheils
aus Künstlern, die weder in Italien geboren sind, noch dort ihre Ausbildung er-
halten haben, und dei'en Heimath, trotz ihrer häufig italianisirten Namen, in
Frankreich, Deutschland, Belgien, Spanien etc. zu suchen ist. Noch grösserer
Mangel ist an Instrumental -Virtuosen: mit Ausnahme der meteorartigen Er-
scheinung Paganini's, der für die Technik des Violinspiels allerdings epoche-
machend war, zeigt sich auch auf diesem Gebiete in der neueren Musikge-
schichte Italiens nichts von Bedeutung; und, was wohl hiermit in Wechselwir-
kung steht, die Kunst des Instrumentenbaues ist aus den Händen der Italiener
ganz und gar an Deutschland, Prankreich und England übergegangen.
Bietet demnach das heutige musikalische Italien einen weit weniger erfreulichen
Anblick als das früherer Jahrhunderte, so lässt sich doch nicht verkennen, dass
seit den letzten Decennien ein hoffnungverheissender Umschwung wie im poli-
tischen so auch im künstlerischen Leben der Nation eingetreten ist. Auf dem
Felde der noch immer mit entschiedener Vorliebe gepflegten dramatischen
Musik*) herrscht gegenwärtig ein Künstler, welcher seinen letzten Vorgängern
an Begabung nicht nachsteht, sie dagegen als musikalischer Charakter weit
überragt: Giuseppe Verdi. In der Mehrzahl der Opern dieses Meisters
tritt das Streben deutlich hervor, der neueren, seit 1848 zum Ausdruck ge-
kommenen Geistes- und Geschmacksrichtung Rechnung zu tragen; er scheint
von der Ueberzeugung durchdrungen, dass das heutige Publikum einer anderen,
kräftigeren musikalischen Nahrung bedarf, als das der zwanziger und dreissiger
Jahre, welches, erschöpft durch die Napoleonischen Kriege und entnervt durch
die ihnen folgende Reactionsperiode, zu jeder ernsteren Geistesarbeit unfähig,
sich dem Zauberer Rossini in die Arme warf und in seinen süss -tändelnden
Melodien, denen das "Wort nur als Substrat diente, die Trostlosigkeit der Zeit
zu vergessen, sich zu berauschen suchte. Demgemäss hat Verdi es unter-
nommen, das charakteristische Element der Musik, welches durch seine letzten
Vorgänger mehr und mehr vernachlässigt war, in seinen Opern aufs Neue
zu voller Geltung zu bringen und so seinem Stoffe und den Textesworten
die Bedeutung wiederzugeben, die ihnen im musikalischen Drama gebührt,
die sie jedoch vor ihm gänzlich verloren hatten. Sein Contrapunkt und seine
Instrumentirung zeigen zwar, an den Werken der deutschen Meister gemessen,
häufig eine gewisse TJnbeholfenheit, doch mangelt es ihnen niemals an Leben
und Bewegung, und einsetzt er durch Schönheit und Innigkeit der Melodie,
sowie durch seine mit höchstem künstlerischen Geschick angelegten Ensembles,
was ihm etwa nach jener Richtung hin fehlt. Auch die von ihm zur Com-
position gewählten Stoffe bekunden durchweg, dass es ihm darum zu thun ist,
seinem Volke mehr als einen oberflächlichen Sinnengenuss zu bieten, es viel-
mehr nach Kräften über das Alltägliche zu erheben. Mit Recht kann daher
Verdi's Wirksamkeit eine reformatorische genannt werden, und, lässt man die
dem deutschen Ohre ungewohnt, ja manchmal trivial klingende Einfachheit seiner
Melodien und Rhythmen als berechtigte Eigeuthümlichkeit der italienischen
Musik gelten; erwägt man ferner, dass es weder eine Oberflächlichkeit noch
psychologische Unwahrheit ist, wenn Verdi bisweilen in hochtragischen Stellen
*) In Italien kommt, wie der französische Statistiker .Tulien Stader ausgerechnet hat,
a>if 70,000 Einwohner, in Frankreich auf 110,000 Einwohner, in Russland auf 1,360,000
Einwohner je ein Theater.
Italien. 503
das hellste Dur und die lebhaftesten Rhythmen anwendet — denn die musi-
kalischen Mittel zum Ausdruck der Gefühle der Lust, des Schmerzes, der Be-
geisterung sind bei den verschiedenen Völkern keineswegs immer dieselben,
wie es z. B. die JlfoZ^ -Volksweisen der Slaven. die tanzähnlichen National-
hymnen der romanischen Nationen beweisen — so darf ihm in der italienischen
Musikgeschichte eine Stellung eingeräumt werden analog der, welche Eichard
Wagner in der deutschen einnimmt.*) Wie um diesen bei uns, so hat sich
auch um Verdi eine Anzahl jüngerer Kräfte gruppirt, unter denen Ponchielli,
Gomes, Gobatti und Marchetti bisher den meisten Erfolg mit ihren Opern
gehabt haben. Ueberhaupt zeichnet sich Italien auch in der Gegenwart durch
seine Produktivität an Opern vor allen anderen Ländern aus, und dem dortigen
Publikum ist nachzurühmen, dass es den Novitäten auf diesem Gebiete im
Allgemeinen mehr Theilnahme entgegenbringt, als es anderswo der Fall ist.
Doch darf dabei freilich nicht verschwiegen werden, dass diese Theilnahme
sofort erkaltet, wenn es dem Componisten und dessen Interpreten nicht gelingt,
unmittelbar auf das Gemüth der Hörer zu wirken. Besonders strenge, ja un-
barmherzig geht das italienische Opernpublikum mit den Sängern und Sänge-
rinnen zu Gericht, wenn dieselben durch Mängel der Tonbildung und Aus-
sprache des Textes oder durch unschöne Bewegungen die Kritik herausfordern;
Fehler dieser Art pflegen in Italien einen wahren Sturm des Unwillens hervorzu-
rufen , der selbst zur zeitweiligen Unterbrechung der Vorstellung führen kann,
den aber der Sänger durch eine einzige wohlgelungene Phrase zu beschwich-
tigen und in sein Gegentheil zu verwandeln im Stande ist. Eine derartige
musikalische Lynch- Justiz, so peinlich sie auch für den von ihr GetroflPenen
sein mag, hat doch ohne Frage auch eine gute Seite, und dürfte, in anderen
Ländern eingeführt, sich als ein wirksames Mittel gegen die dort häufig gras-
sirenden Vortragsunarten so vieler Bühnenkünstler erweisen.
Weit weniger Lebhaftigkeit und Abwechselung zeigt sich im heutigen Italien
auf dem Felde der Kirchen- und der Kammermusik, wenngleich auch hier die
letzten fünfundzwanzig Jahre einen nicht zu verkennenden Fortschritt gebracht
haben. Während jedoch das Interesse für die Oper in den kleinsten Städten der
Halbinsel zum Ausdruck kommt und Nahrung findet, so werden jene nur in
den grössten Centren und auch dort nur verhältuissmässig dürftig gepflegt.
Insbesondere ist die Kirchenmusik so zu sagen auf den Aussterbe-Etat gesetzt,
und selbst in Rom, der jahrhundertelangen Pflanzstätte dieser wichtigsten aller
Musikgattuugen, will es dem als Historiker wie als Kirchencomponist verdienst-
vollen Kapellmeister der Peterskirche, Salvatore Meluzzi, nicht gelingen,
die Gleichgültigkeit der Geistlichen gegen die Musik zu überwinden und ihr
einen wichtigeren Platz im Gottesdienst zu erringen , ihr annähernd zu der
Stellung wieder zu verhelfen, die sie in früheren Zeiten einnahm. — Um die
Hebung der symphonischen und Kammermusik haben sich die Städte Florenz
und Mailand neuerdings in nennenswerther Weise bemüht; in ersterer Stadt
findet auf Veranlassung des dortigen Kunstmäcen Abramo Base vi, bekannt
auch über Italien hinaus durch seine Schriften iihilosophischen und musikalischen
Inhalts, sowie als Besitzer einer wichtigen musikalischen Bibliothek, ein jähr-
liches Preisausschreiben für Streichquartette statt; doch war das Resultat dieses
Unternehmens insofern ein für Italien ungünstiges, als während einer Reihe von
*) Es braucht kaum darauf hingewiesen zu werden, dass bei diesem Vergleiche nur
ein kleiner Theil der Wirksamkeit R. Wagner's in Betracht kommt. Die Wiedergeburt
des antiken Musikdramas, welche Wagner nicht nur als Musiker, sondern auch als Dichter
und philosophischer Schriftsteller anstrebt, ist — mögen sich nun seine Pläne in ihrem
ganzen Umfange oder nur theilweise verwirklichen — ohne Fi*age ein deutsches Werk,
an dessen Gelingen die übrigen Nationen wohl Antheil nehmen, aber nicht mitgearbeitet
haben. Immerhin aber darf Verdi das Verdienst in Anspruch nehmen, auch seinerseits
dem Zeitgeist Rechnung getragen und, soweit es die nationalen Verhältnisse erlaubten,
sich am Kampfe gegen die Herrschaft der Routine und der Schablone auf dem Gebiete
der Oper wirkungsvoll betheiligt zu haben.
504 Italien.
Jahren der Preis stets an Ausländer vertheilt werden musste, was endlich den
Ausschluss derselben von der Bewerbung zur Folge hatte. Ausserdem hat
sich eine dortige Quartettgesellschaft die Aufgabe gestellt, das Publikum mit
allen bedeutenden Erscheinungen auf dem Felde der Kauimerrausik bekannt zu
machen und verfügt zu diesem Zwecke über virtuose Kräfte ersten Ranges.
Das Gleiche gilt von der Quartettgesellschaft in Mailand, welche durch die
gelegentliche Mitwirkung der um das dortige Conservatorium der Musik grup-
pirten lehrenden und lernenden Künstler bei den von ihr veranstalteten Auf-
führungen vor jener noch im Yortheil ist und neben ihren Kammermusiksoireen
auch Orchesterconcerte veranstaltet.
Das eben erwähnte Conservatorium aber, weitaus die bedeutendste unter
den zahlreichen Schulen Italiens, dürfte mehr als alles andere zur Hoffnung einer
baldigen Regeneration der italienischen Musikzustände berechtigen, nachdem es
unter der Leitung von Alberto Mazzucato, der dieselbe in den sechsziger
Jahren übernahm, einen hohen Aufschwung genommen hat, und unter seine
Lehrer Künstler zählt wie Bazzini — der nach seinen glänzenden europäischen
Erfolgen als Violinvirtuose und Componist für dies Instrument sich in neuerer
Zeit ausschliesslich der Kammermusik und dem Unterricht in der Composition
gewidmet hat — wie Sgambati, einen der gediegensten Pianisten aus der
Liszt'schen Schule, und Andere. Der Besitz dieses Institutes wäre schon
allein genügend, Mailand zur musikalischen Hauptstadt Italiens zu macheu, doch
treten noch eine Reihe von Umständen hinzu, um ihre Hegemonie zu sichern.
Vor allem die materiellen Verhältnisse, die es ihr, als der weitaus wohlhabendsten
Stadt des Reiches, möglich machen, der Kunst diejenigen Opfer zu bringen,
welcher dieselbe zu ihrer vollen Blüthe nun einmal nicht entbehren kann; ferner
der kritische Geist ihrer Bevölkerung, jene nüchterne Verständigkeit, welche
der Norden vor dem Süden voraus hat, und die auch in anderen Ländern
dem erstereu zur geistigen Herrschaft über die südlichen, wenn auch mit einer
reicheren Phantasie begabten Brüder verhelfen hat. So konnte denn auch der
Musikalienhandel und Verlag hier eine Bedeutung gewinnen, welche die Con-
currenz der übrigen Städte der Halbinsel beinahe unmöglich macht; besonders
sind es zwei Häuser, welche an Thätigkeit den renommirtesten im Auslände
nicht nachstehen: Ricordi und Lucca, das eine vorwiegend die italienische
Musik vertretend (darunter auch die von Verdi) , das andere die ausländische
(z. B. die Opern von R. "Wagner, die Kammer- und Orchestermusik der neu-
deutschen Schule etc.). Im Verlage des Hauses Ricordi erscheint auch die
bedeutendste Musikzeitung Italiens, die Gazzetta musicale, welche sich aufs Vor-
theilhafteste von der Unzahl kleiner, in Mailand selbst, sowie in anderen ita-
lienischen Städten erscheinenden Theater- und Musikzeitungen abhebt und an
Gediegenheit der grösseren Artikel sowie Eleganz der Ausstattung selbst von
den Pariser Musikzeitungen nicht übertroffen wird. Was die typographischen
Leistungen dieser beiden Geschäfte betrifft, so stehen auch sie durchaus auf
der Höhe der Zeit und konnten z. B. auf der Wiener Ausstellung von 1873
mit Recht die Aufmei'ksamkeit der Kenner erregen; in dieser Beziehung aber
muss noch einmal an Florenz erinnert und auf die von der dortigen Quartett-
gesellschaft veranstalteten Taschenausgaben der P.irtituren classisclier Meister
hingewiesen werden, deren eleganter und deutlicher Stich noch nirgendwo über-
troffen ist. Der Verleger derselben, G. G. Guidi, zählt überdies als Besitzer
eines werthvollen Lagers alter Musik und als Herausgeber der, wenn auch
nicht der Form, so doch dem Inhalt nach der Gazzetta musicale gleichstehenden
Musikzeitung Boccherini zu den hervorragenden Persönlichkeiten des musika-
lischen Florenz.
Schliesslich seien noch drei Städte genannt, welche, obschon mit gerin-
gerem Erfolg als Mailand und Florenz, danach streben, den beschränkten Kreis
des nationalen Musiktreibens zu durchbrechen, und deshalb zur Mitwirkung
an der musikalischen Wiedersreburt Italiens ebenfalls berufen scheinen. In Rom
Italienische Quinte — Itard. 505
versammelt der treffliche Violinist Pinelli eine Anzahl von Freunden der
classischen Kammermusik zu regelmässigen Quartettabenden, an welchen neben
den "Werken Haydu's, Mozart's und Beethoven's auch die der jüngeren deutscheu
Componisten zur Aufführung kommen; ferner hat die dortige »musikalische
Gresell Schaft« durch die von ihr veranstaltete höchst erfolgreiche Aufführung
von Spontini's »Vestalin« (1875) sich ein Verdienst erworben, welches um so
schwerer wiegt, als diese Oper dem italienischen Publikum völlig unbekannt
war, und selbst der Name des Componisten, obwohl einer der besten des musi-
kalischen Italiens, dort in Vergessenheit zu gerathen drohte. In Neapel wirkt,
unbeirrt durch das Operntreiben der genusssüchtigen Grossstadt — es kommen
beispielsweise von 31 in der ersten Hälfte des Jahres 1875 in Italien aufge-
führten Opernnovitäten elf allein auf Neapel — ein Verein von jüngeren Leuten
für Verbreitung der deutschen Musik, besonders B. Wagner's, dessen Cantate
»Das Liebesmahl der Apostel« dort schon vor Jahren zur öffentlichen Auffüh-
rung gelangt ist.
Mehr aber als diese beiden Städte zeigt sich seines alten Kahmes würdig
Bologna; wie die ehi'würdige Universitätsstadt von jeher die Tendenz hatte,
durch ernstes Studium die Erfindungen und Errungenschaften auch auf musi-
kalischem Gebiete zu vertiefen und zu befestigen, so übertrifft sie auch heute
an Gründlichkeit ihres musikalischen Strebens alle übrigen Städte Italiens. Das
Lyceum von Bologna, gegenwärtig unter der Leitung des Kapellmeisters an
der Kirche S. Petronio, Gaetano Gaspari, eines der gediegensten Kirchen-
componisten und Musikhistoriker des Landes, gilt nächst dem Mailander Con-
serviitorium und dem Florentiner ^ylstituto mitsicaled mit Recht als die beste musi-
kalische Erziehungsanstalt Italiens. Die Leistungen des Bologneser Orchesters
stehen weit über denjenigen anderer selbst grösserer italienischer Städte und
zeichnen sich durch eine Klangschönheit, Präcision und Feinheit des Vortrags
aus, welche man in den Concerten der Pariser Conservatoire-Gesellschaft kaum
übertroffen findet. Das Publikum Bolognas endlich hat bei Gelegenheit der
in den letzten Jahren stattgefundenen Aufführungen der Opern von R. Wagner
für dessen dem italienischen Ohre natürlicher Weise vielfach widerstrebende
Musik einen Grad von Verständniss und Pietät beAviesen, der ihm zur grossen
Ehre gereicht und seiner Bildungsfiihigkeit das glänzendste Zeugniss ausstellt.
Bekannt ist ferner, mit welcher Einsicht und Sorgfalt der 1873 verstorbene
Kapellmeister Mariani das Studium dieser Opern geleitet hat, und wie die
Stadt Bologna den fremden Componisten dui'ch Verleihung des Ehrenbürger-
rechtes auszeichnete. Wenn nun auch dieser Beweis der Theilnahme Italiens für
die deutsche Kunst vorläufig noch isolirt geblieben ist, so kann er doch als
ein Prognosticon für die guten musikalischen Beziehungen zwischen Italien und
Deutschland im Allgemeinen aufgefasst^werden, Beziehungen, welche der Kunst-
prodiiktion beider Länder nur zum Vortheil gereichen können; und je mehr
sich in Deutschland die Erkenntniss Bahn brechen wird, dass die italienische
Musik auch in ihrer jetzigen Beschaffenheit Elemente enthält, welche von der
deutschen nicht ungestraft verkannt oder vernachlässigt werden dürfen, desto
mehr wird man sich in unseren musikalischen Kreisen veranlasst fühlen, die
damals für Bologna erwachte Sympathie mehr und mehr dem ganzen Italien
zuzuwenden. W. Langhaus.
Italienische Quinte, s. Rohr flöte.
Italienisches Notenpapier nennt man vorzugsweise das in die Quere oder
Breite gelegte Papier (s. Notenpapier).
Italienische Tabulatnr, s. Tabulatur.
Itard, J. E. M, C. , französischer Ohrenarzt, geboren 1775 in der Pro-
vence, war als Arzt am königl. Institut für Taubstumme in Paris angestellt
und hat in einem grösseren Werke sowie in mehreren kleinen Schriften die
Krankheiten des Ohres und der Gehörwcrkzenge einer genauen, nicht er-
folglos gebliebenen Untersuchung unterzogen. I. starb am 5. Juli 1838 zu Passy.
5U6 Ite, missa est — Jue.
Ite, missa ost. (latein.), Schlussformel beim Gottesdienst der römisch-katho-
lischen Kirche, mit welcher der Diaconus am Ende der Liturgie die versam-
melte Gemeinde entlässt.
Ithomäeu waren jährlich wiederkehrende Feste der Messenier, gefeiert zu
Ehren des Zeus, welcher, dem griechischen Mythus zufolge, auf dem Berge
Ithome, dem jetzigen Monte Vulcano, von Nymphen erzogen worden war. An
dieser Stelle erhob sich ein ihm geweihter Tempel unfern der gleichnamigen
befestigten messenischeu Hauptstadt Ithome, in und vor welchem das erwähnte
Landesfest, bei dem musikalische Wettstreite einen Haupttheil der Feier aus-
machten, abgehalten wurde.
Ithymbos (griech.), ein von Hymnengesang begleiteter Tanz der alten
Griechen, welcher zu Ehren des Bacchos aufgeführt wurde.
Juan IV., s. Joao IV.
Juan Iledoudo ist der Name eines spanischen Tanzes des 16. Jahrhunderts,
Man weiss nichts über denselben, als dass er freiere Bewegungen und üppigere
Stellungen darbot, wie man bisher zu schauen gewohnt war. AVährend des
Tanzes sangen die Tänzer und Zuschauer kleine Liedercheu. 0.
Jubal, der Sohn Lamech's, war nach den Ueberlieferungcn der Bibel
(1. Mos. 4, 21) der Erfinder von Saiten- und Blasinstrumenten und zugleich
der erste Musiker. Er lebte in der vorsündfluthlichen Zeit. Seinen Namen
führt auch eine Orgelstimme von 1,25 Meter und halb so gross (s. Orgel).
Jubelhorn, s. Buglehorn und Klappenhorn.
Jubhüuka ist der indische Name für die 21. Sruti (s. d.), der Mittelklang
zwischen Ni (s. d.) und Sa (s. d.), der ungefähr einem gleich weit zwischen a
und as gelegenen Tone unserer Scala entsprechen würde. 0.
Jubilate (latein.), d. i. Freut euch, jubelt (s. Sonntag).
Jubiloso, falsch orthographisch für giuhiloso (s. d.).
Jnbilns oder Juhilatio (latein.) heissen in der römisch-katholischen
Kirchensprache die melodischen Anhängsel, welche an das AUeluja des Gra-
duale (s. d.) sich anschliessen und über dem letzten a des Alleluja oft in sehr
ausgedehnter Weise gesungen werden. Man nannte sie früher auch Neuma.
Schon der alte Kirchenvater Augustinus erwähnt solcher Jubilen, die besonders
bei den Gesängen der Hirten und Krieger im Gebrauch waren und in Er-
gehungen der Singstimme ohne Textworte bestanden. Die Jubilen auf das
Alleluja nannte man im Mittelalter Sequentiae, welchen letzteren man später
sogar Worte unterlegte; man erweiterte diese hierauf zu ganzen hymnenartigen
Dichtungen, welche den besonderen Namen Sequenzen oder Prosen er-
hielten (s. Sequenz).
Juden, s. Hebräer.
Judenköuig', Hans, deutscher Musiker, der zu Anfang des 16. Jahrhun-
derts zu Wien lebte, verfasste eine »Unterweisung, die Laute und Geige spielen
zu lernen« (Wien, 1523), jedenfalls eines der ältesten gedruckten Lehrbücher
dieser Art.
Judica (latein.), d. i. Richte, urtheile (s. Sonntag).
Judice, Cesare de, musikkundiger italienischer Rechtsgelehrter, geboren
am 28. Jan. 1607 zu Palermo, trieb neben den Wissenschaften auch eingehend
das Studium der musikalischen Composition. Im J. 1632 ward er Doctor der
Rechte und 1650 Generalvisitator im Val di noto seiner Vaterstadt, in welchem
Amt er am 13. Septbr. 1680 starb. Componirt hat er zwei-, drei- und vierstimmige
concertirende Madrigale (Messina, 1628), sowie Motetten (Palermo, 1635) und
ein Requiem zur Leichenfeier König Philipp's IV. (1666), welches aufgeführt
wurde, aber, obwohl das beste seiner Werke, nicht im Druck erschienen ist.
Den pathetischen Styl soll er darin geschickt und erfolgreich entwickelt haben.
Jue, Edouard, französischer Tonkünstler und Musikpädagog, geboren
1794 zu Paris, trat mit vierzehn Jahren in das dortige Conservatoiium, wo
die Violine sein Hauptinstrument war. Nach seinem Abgänge von der Anstalt,
Jürgensen — Julien. 507
im J. 1811, richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Methode, die Musik
durch den Meloplasten (s. d.) zu erlernen und sah darin einen Weg, sich
eine sorgenfreie Zukunft zu schaffen. Er wurde nun ein gelehriger Schüler
Galin's, der ihn bald als Hauptlehrer seines Instituts verwenden konnte. Nach
dem Tode seines Lehrers setzte J. dessen Methode weiter fort und hatte stets
zahlreiche Schüler. Er erfand auch eine besondere Notation, die er an Stelle
der Galin'schen Ziffern setzte und die »mouogammische Notation« nannte.
Unablässig war er auf Verbesserungen seines Systems bedacht und veröffent-
lichte mehrere Schriften über dasselbe. Im J. 1827 war er in London, um
daselbst die Methode des Meloplasten und die monogammische Notation ein-
zuführen. Er hatte aber in England so gex'ingen Erfolg mit seinen Bemü-
hungen, dass er wieder nach Paris zurückkehrte. Jedoch auch dort hat ihn
sein System nicht überlebt.
Jürgensen, Johann Christoph, guter deutscher Ciavierspieler und in-
telligenter Ciavierbauer, geboren um 1754 zu Schleswig, lernte in seiner Jugend
das Bäckerhandwerk. Er soll schon dreissig Jahre alt und Bäckermeister ge-
wesen sein, als er um 1780 plötzlich sein Handwerk aufgab und eine Instru-
mentenfabrik anlegte, befähigt dazu durch ein eifriges Studium des Claviers,
welchem er sich in seinen Freistunden hingegeben hatte. Nicht allein , dass
vortreffliche Claviere aus seiner AVerkstätte hervorgingen, sondern er erfand
auch das sogenannte Glavecin royal mit zwölf Veränderungen. Für seine den-
kende Beschäftigung mit der Kunst legt auch ein Aufsatz von ihm über In-
strumentenbau in der Leipziger allgemeinen musikalischen Zeitung Jahrg. 1803
S. 699 ff. Zeugniss ab. Er starb um 1815 in seiner Vaterstadt Schleswig,
welche er niemals verlassen zu haben scheint.
Jnhorünot ist der Name eines alten finnischen Gesanges elegischen Cha-
rakters, der vor der Einführung der Mühlen in diesem Lande von den Frauen
beim Zerreiben des Korns gesungen wurde. Derselbe hat sich bis heute dort
erhalten und wird mit der Kantele (s, d,) begleitet. 0,
.Tnillet, französischer Opernsänger, geboren 1755 zu Paris, war seit 1801
am Theater Feydeau daselbst angestellt und gehörte zu den Lieblingen des
Publikums, trotzdem seine Stimme und Schule nicht genügen konnten. Da-
gegen war sein ausgezeichnetes Spiel der Schwerpunkt seiner Leistungen, Er
starb, vom Schlage getroffen, am 30. Mai 1825 zu Paris.
Jnipin nennen die Chinesen das siebente Lü (s. d.) ihres Tonreiches,
welcher Ton ungefähr unserem h entspricht (s. Chinesische Musik).
Jula, eine Quint-Orgelstimrae in der Grösse von 2 bis 2,5 Meter, deren
Pfeifen spitz zulaufen, weshalb diese Stimme auch Spitzpfeife oder Spitz-
flöte genannt wurde.
Jnlaqninte, s. Jula. -
Jnliani, s. Giuliani.
Juliane, s. Giuliano.
Jnlien, ein seit 300 Jahren ziemlich häufig vorkommender Name von fran-
zösischen und belgischen Musikern. Die bekanntesten derselben sind: 1) G.
Julien, welcher im 17. Jahrhundert lebte und Organist am Dom zu Chartres
war. Er hat ein Buch Orgelstücke für die acht Kirchentöne componirt und
in Paris erscheinen lassen. — 2) Guillaume J., genannt Navoigille, ge-
boren 1745 zu Givet, ein vorzüglicher Violinvirtuose und Dirigent, der eine
Schule für Violinisten in Paris gründete und längere Zeit hindurch die Con-
certe der Loge olympique daselbst leitete, für welche Haydn eigens sechs Sin-
fonien schrieb. Später war J. Mitglied der Kapelle Louis Bonaparte's, Königs
von Holland, kehrte aber schon 1810 nach Paris zurück und starb daselbst
in ärmlichen Verhältnissen im J. 1811. Lange galt er irrthümlicher Weise
als der Componist der »Marseillaise«. — 3) Henri de Saint- J., ein talent-
voller Dilettant, geboren am 6. Jan. 1801 zu Mannheim,"' gestorben als ba-
discher Kriegsrath am 13. Novbr. 1844 in Karlsruhe, hat vierstimmige Männer-
508 Julien.
gesänge, sowie Lieder für eine Siugstimrae mit Piaaoforte componirt. — 4)
Louis Antoine J., der bemerkenswertheste dieses Namens, s. den folgenden
Artikel. — 5) Nicolas J., um 1780 als Violoncellist im Orchester der Ita-
lienischen Oper zu Paris angestellt, gab daselbst von seiner Composition Arietten
für zwei Violoncelli heraus. — 6) Paul J., ein ausgezeichneter, zu den höchsten
Hoffnungen berechtigender Violinvirtuose, geboren am 12. Febr. 1841 zu Brest,
erhielt seine höhere musikalische Ausbildung auf dem Conservatorium zu Paris
und erregte als jugendlicher Concertspieler grosses Aufsehen. In den Jahren
1853 bis 1857 bereiste er überaus erfolgreich Amerika, worauf er sich mit
bereits angegriffener Gresundheit wieder in Frankreich hören Hess. Leider
starb er schon am 7. März 1860 zu Paris. — 7) Pierre J., der älteste dieses
Namens, geboren in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu Carpentras, ist
der A'^erfasser einer Singschule, welche unter dem Titel »ie vrai chemin j)0U7'
apprendre a chanter toute sorte de musiquea (1570) erschienen ist.
Jaliea, Louis Antoine, häufiger, aber unrichtig Jullien geschrieben,
ein rastlos industrieller, jedoch sehr begabter und kenntnissreicher französischer
Componist, Dirigent und musikalischer Unternehmer, wurde am 23. April 1812
zu Sisteron im Departement der Nieder-Alpen geboren. Sein Vater, ein Regi-
mentsmusiker, unterrichtete ihn auf der Flöte und auf anderen Blasinstrumenten.
AVie ein Kind des Regiments in der Kaserne erzogen, begann J. seine Musiker-
laufbahn als Piccolflötenbläser im Musikcorps, dem sein Vater angehörte. Ein
und zwanzig Jahre war er alt, als er im Octbr. 1833 im Pariser Conserva-
torium Aufnahme fand, wo er bei Lecarpentier Ciavierspiel, bei Halevy Com-
position studirte und bei Cherubini mit dem Contrapunkt begann. Statt der
ihm aufgegebenen Arbeiten im strengen Satz, gefiel es ihm, dem letzteren aller-
hand Walzer, Galoppaden und Contretänze vorzulegen, wodurch er den ge-
strengen Direktor so erregte, dass derselbe endlich 1836 J.'s Ausschluss aus
der Anstalt beantragte und durchsetzte. J. verständigte sich nun mit dem Be-
sitzer des Jardin turc, der ihn als Dirigent von sogenannten Ball-Concerten an-
stellte, die ihrer marktschreierischen aber originellen Programme wegen unge-
heures Aufsehen machten und allabendlich ein zahlreiches Publikum anlockten.
J. entwickelte damals, und in immer gesteigerter Weise im Verlaufe seiner wei-
teren Dirigenten- und Componistenthätigkeit, einen Reichthura an genialen,
extravaganten und auf das grosse Publikum berechneten Einfällen, der bewun-
dernswerth genannt werden muss; im Grunde aber war er hinreichend Künstler,
um das Schöne, das er oft genug den Massen gegenüber verläugnen musste,
zu schätzen und hoch zu halten.
Seinen reichen Einnahmen gegenüber kannte aber auch seine Verschwen-
dung keine Grenzen, und schon 1838 sah er sich auf dem Punkte, wegen
seiner ungeheuren Schulden eingekerkert zu werden. Diesem Ungemach entzog
er sich durch seine Flucht nach London, wo er seine Concertunternohmungen
sofort wieder aufnahm und in wahrhaft tollkühner Art mit wechselndem Glück
betrieb. Jedenfalls hat er eine Popularität ohne Gleichen in England ei'langt,
die sich auf seine Hunderte von Potpourris, Quadrillen, Walzer, Polkas, Mär-
schen übertrug, welche in ihrer Gestalt, ihrem Titel oder dem beigegebenen
Programm immer etwas Absonderliches zur Schau trugen. Er schuf die so-
genannten »Promenadenconcerte«, deren Eintrittspreis nur einen Scliilling be-
trug, wofür ein nummerrciches Programm abgespielt und jedem Besucher er-
läuternde und belehrende Schriften zugegeben wurden. Ebenso hielt er ein
sehr starkes, brillant bezahltes und sorgfältig eingeübtes Orchester, dessen Zu-
sammenspiel den höchsten Genuss bot, und wusste die berühmtesten Virtuosen
wie Sivori, Vieuxtemps, Sainton, Camilla Pleyel u. s. w. zur Mitwirkung in seinen
Concerten heranzuziehen. In der Direktion, in der Entwickelung instrumentaler
Feinheiten und in der Zusammenhaltung der grössten Massen zeigte J. ein
aussergewöhuliches Geschick und wusste durch sein Organisationstalent die Eng-
länder jahrelang und auf einer überseeischen Kuustreise 1853 bis 1854 auch
Jullien — Jumilhac. 509
die Nordamerikaner zu enthusiasmiren wie kaum jemals einer. Im J. 1846
errichtete J. in London eine Musikhandlung, die mit dem Verkauf seiner Tänze
glänzende Geschäfte machte; ein Jahr später übernahm er auch das Drurylane-
Theater. und in Folge dessen fasste er den Entschluss, auch als Operncomponist
berühmt zu werden. Er begab sich zum Zweck der Erlernung der technischen
Fertigkeit hierzu zu Fetis nach Brüssel und hatte in wenigen Unterrichts-
stunden das Nöthige erlernt. Alsbald begann er die Composition der fünf-
aktigen grossen Oper fPietro il grandev., welche aber bei ihrer Aufführung zu
London im J. 1852 durchfiel. Das Theaterunternehmen überhaupt hatte J.
über 16,000 Pfd. SterL gekostet, und er sah sich genöthigt, dieses aufzulösen
und seine Musikhandlung zu verkaufen. Mit verdoppelter Hast und gestei-
gertem Raffinement warf er sich auf die Organisation von Concerten und Bällen
in Surrey- Garden, allein der Reiz der Neuheit und sein ehemaliges Glück
waren dahin, und er wurde von englischen, belgischen und französischen
Gläubigern hartnäckig verfolgt. Er verliess London, wurde aber in Paris fest-
genommen. Nach monatelanger Haft befreit, versuchte er noch einmal, seine
Verluste durch neue Anstrengungen zu decken, allein vergeblich. Im Febr.
1860 von einer Geisteskrankheit ergriffen, endete das Leben dieses intelligenten,
merkwürdigen Mannes, dem die Welt zu eng zu sein schien, in einer Irren-
anstalt zu London am 14. März 1860. — Sein Sohn, Adolphe J.. ein guter
Musiker, suchte in die Fusstapfen seines Vaters zu treten und veranstaltete
mit bescheidenerem Aufwand und ohne den Humbug seines Vaters seit ISö."?
Populär- und Promenadenconcerte in London, ohne dass es ihm gelang, zu
irgend welcher grösseren Bedeutung als Dirigent oder Componist zu gelangen.
So viel bekannt, siedelte er um 1868 nach Paris über, wo er gegenwärtig als
einer der angeseheneren Musikkritiker wirkt.
Jullieu, Marcel Bernard, französischer Grammatiker der altclassischen
Sprachen und Schriftsteller, geboren am 2. Febr. 1798 zu Paris, entwickelte
in einem seiner grossen philologischen Werke auch geistvolle und bemerkens-
werthe Untersuchungen über die Musik der alten Griechen.
Inlos, d. i. die Garbe, oder üemetriulos nannten die alten Griechen
einen Lobgesang, den die Schnitter zu Ehren der Göttin Demeter (latein.:
Geres) zu singen pflegten.
Juineutier, Bernard, gerühmter französischer Componist von Kirchen-
werken, geboren am 24. März 1749 zu Leves bei Chartres, war von seineu
Eltern für den geistlichen Stand bestimmt und in das geistliche Seminar seiner
Vaterstadt gebracht, setzte es aber durch, dass er sich der Musik widmen
durfte, welche er hierauf bei Delalande, Kapellmeister der dortigen Kathedrale,
eifrig studirte. Schon 1773 wurde er als Hauptlehrer der Maitrise in St. Male
angestellt, worauf er 1776 als Musikmeister an die Kirche von Coutances und
Ende desselben J. als Kapellmeister an das königl. Capitel von St. Quentin kam,
welches Amt er bis zu seinem Tode, am 17. Decbr. 1829, inne hatte. Er
schrieb viele Kirchensachen, die sehr gerühmt werden, drei Sinfonien, eine
Oper y^Ohloris et Meclom und eine Abhandlung über den Kirchengesang, die
aber nicht im Druck erschienen sind und handschriftlich sich in der öffentlichen
Bibliothek zu St. Quentin befinden.
Jumilhac, Pierre Benoit de, musikgelehrter französischer Benedictiner-
mönch aus der Congregation St. Maur, war 1611 im Schlosse St. Jean de
Ligoure bei Limoges geboren. Nach Vollendung theologisch -philosophischer
Studien trat er 1629 in das Benedictinerstift St. Rerai in Rheims. Von seinen
Oberen nach Rom geschickt, benutzte er seinen kurzen Aufenthalt daselbst mit
dazu, unter dem Beistande der gelehrtesten Männer sich gründlich mit der
kirchlichen Liturgie bekannt zu machen, worauf er nach seiner Rückkehr das
r>Ceremoniale monasücumt.i verbesserte und herausgab. Noch grösseres Verdienst
erwarb er sich durch die Abfassung eines in Frankreich weit verbreiteten und
noch neuerdings in Paris neu aufgelegten Choralgesangbuchs, betitelt »ia science
510 Jung — Juugferuregal.
et la pratique du plain-chanf etc. etc. par itn religieux Benedictin de la congre-
gation de St. Maura (Paris, 1673). In diesem Werke fasst er in acht Haupt-
stücken mit je mehreren Unterabtheilungen alles zusammen, was nur irgend
auf die Theorie und Praxis des Choralgesanges der römisch-katholischen Kirche
Bezug hat. Da der Titel seinen Namen nicht nennt, so wollten Einige den
Pater Jacob de Clerc als Verfasser aufstellen, was aber Martenne, auf persön-
liche Bekanntschaft mit J. gestützt, in seiner r>Histoire de la congregation de
St. Maura gründlich widerlegt hat. J. bekleidete übrigens mehrere höhere
Aemter seines Ordens; 1654 wurde er zum Generalvisitator der Provinz Tou-
louse und bald darauf zum Assistenten des Q-enerals der Congregation ernannt.
Im J. 1660 begann er zu kränkeln, erholte sich jedoch wieder, bis ihn anfangs
1682 eine neue Krankheit befiel, der er am 21. April 1682 im Kloster S. (Jer-
main des Pres erlag.
Jnug, Franz Wilhelm, deutscher Gelehrter, geboren am 5. Decbr. 1758
zu Hanau, lebte um 1786 als Lehrer und Erzieher in seiner Vaterstadt. Er
ist der Verfasser eines Aufsatzes in der musikalischen Monatsschrift S. 61, be-
titelt: »Etwas über musikalische Poesie«, den Gerber »sehr interessant« nennt.
— Ein Cantor in Charlottenburg, ebenfalls J. geheissen, veröffentlichte in der
Zeitschrift »Eutonia« vom J. 1830 eine Kritik über die neuen Choralmelodien.
Jung, Joachim (nicht Junge), einer der scharfsinnigsten deutschen Ge-
lehrten des 17. Jahrhunderts, den Leibnitz einem Galilei und Kopernikus zur
Seite stellt, war am 22. Octbr. 1587 zu Lübeck geboren, widmete sich zunächst
der Mathematik und wurde 1609 Professor in Giessen. Von 1614 an aber
begann er Medicin zu studiren und promovirte 1618 zu Padua. Im J. 1624
wurde er wieder mathematischer Professor in Rostock und 1629 Rector am
Johanneum zu Hamburg, wo er am 23. Septbr. 1657 starb. Er hat nichts
drucken lassen, und was von seinen wissenschaftlichen Arbeiten nach seinem
Tode herauskam, ist lediglich nach Abschriften seiner Dictate von Joh. Vaget
herausgegeben, unter diesen eine »Harmonia theoretica« (Hamburg, 1678).
Jaugbaner, Ferdinand Cölestin, deutscher Kirchencomponist, geboren
am 6. Juli 1747 zu Grattersdorf in Niederbaiern, widmete sich frühzeitig, von
edlen Gönnern unterstützt, neben den Wissenschaften auch der Musik. Seine
musikalischen Talente hauptsächlich erleichterten ihm die Aufnahme in das
nahe gelegene Benedictinerstift Niederaltaich, wo er auch seine ersten glück-
lichen Versuche in der Kirchencomposition machte. Nach der Säcularisation
des Stifts kam er als Professor an das Gymnasium zu Amberg und war auch
dort für die Musik sehr thätig. Seit 1811 Pfarrer zu Grossmehring bei
Ingolstadt, starb er um 1818. Von ihm: Messen und andere Kirchenstücke,
Kirchenlieder und Choräle, viele deutsche Lieder mit Pianofortebegleitung
u. s. w.
Jnug:e, Christoph, deutscher Orgelbauer des 17. Jahrhunderts, kam 1675
aus der Lausitz nach Sondershausen, wo er die Orgel in der Trinitatiskirche
mit 31 klingenden Stimmen, 2 Manualen, Pedal und vortrefflich gearbeiteten
Springladen errichtete, die hinsichtlich ihrer Kraft zu den merkwürdigsten Bau-
werken dieser Art zählt. Von dort wendete sich .1. nach Weimar und baute
1680 die 25 stimmige Orgel in der Stadtkirche St. Peter-Paul, die aber nicht
so glücklich ausfiel. Er begann hierauf die vorzügliche Orgel im Dom zu
Erfurt, vor deren gänzlicher Vollendung er aber im J. 1683 starb. Auch
dies Werk hat Springladen, weshalb es Adlung in seiner -oMusica meehanica<t
ein »rares Werk« nennt.
Jungrert, -lacobina, geborene Bezin, eine vortreffliche Gesangsdilettantin
zu Augsburg, ausgebildet vom dortigen Musikdirektor Seyfert, die in den
Concerten ihrer Vaterstadt zwischen 1770 und 1780 wegen ihrer Stimme und
Schule Aufsehen erregte. Vgl. Stetten, »Kunstgeschichte« S. 550.
Jungfernorgel, s. Regal.
Jnngfernreiral, auch Geigenregal und Singendregal genannt, ein
Jungfrauenstimme — Junker. 511
offenes Rohrwerk in der Orgel, das für gewöhnlich im Manual vorkommt, von
2,5 und 1,25 Meter, bei dem das Mundstück die Tongrösse angiebt. Es findet
sich mitunter aber auch den Pedalstimmen zugefügt und heisst dann Jung-
fernregalbass.
Jungfrauenstimme, s. Alamoth.
Juiig-hans, J. A., deutscher Claviercomponist des 18. Jahrhunderts, war
um 1745 Organist zu Arnstadt in Thüringen und soll mehrere gute, aber un-
gedruckt gebliebene Claviercompositionen geliefert haben. — Ein Pianist und
Musiklehrer, C. Gr. Junghans, um 1850 in Wien lebend, veröffentlichte viele
Tänze seiner Composition, sowie eine Pianoforteschule.
Jungmanu, Albert, guter Pianist und eleganter Claviercomponist, geboren
am 14. Novbr. 1824 zu Langensalza, widmete sich neben der Musik dem
Musikaliengeschäft, beidem bei Cr. W. Körner in Erfurt. Im J. 1853 trat er
als Gehülfe in das grosse Mueikgeschäft von C. A. Spina in Wien, dessen Gle-
schäftsführer er sehr bald wurde. Nebenbei ertheilte er auch Pianoforteunter-
richt und diente seinem Greschäfte durch zahlreiche Gelegenheilscompositionen
und Arrangements. Seine Salonstücke wurden ihrer leichten, eleganten Factur
wegen bald überaus beliebt und vom Publikum wie von den deutschen Ver-
legern stark begehrt. Lange Reihen davon sind in Wien, Leipzig, Offenbach
und an anderen Verlagsorten erschienen.
Jungmann, Louis, vortrefläicher deutscher Pianist und Instruraentalcom-
ponist, geboren 1832 zu Weimar, besuchte das Lehrerseminar seiner Vaterstadt,
wo er Gelegenheit hatte, das höhere Ciavierspiel bei Fr. Liszt, Musiktheorie
und Orgel bei Töpfer zu studiren. Hierauf ertheilte er selbst Pianoforte-
unterricht und ist in Weimar seiner Virtuosität und seines Lehrtalents wegen
sehr geschätzt. Seit 1869 ist er auch als Lehrer der Musik am grossherzogl.
Sophieninstitut angestellt. Von seinen Compositiouen sind nur kleinere Ar-
beiten, als Pianofortestücke und Lieder erschienen; jedoch hat er auch Or-
chesterwerke, Trios u. s. w. verfasst.
Jnugnickel, Johann, hervorragender deutscher Orgelcomponist, geboren
1676 zu Frankfurt, gab Fugen seiner Composition heraus, die noch jetzt von
den Orgelspielern sehr geschätzt werden.
Jungwirth, Anton, deutscher Kirchencomponist, geboren am 17. Jan. 1756
zu München, wirkte seit 1796 als Chordirektor an der Peterskirche seiner
Vaterstadt. Seine Arbeiten waren in den Gotteshäusern Baierns sehr ge-
schätzt, und diese und jene wird noch jetzt Sonn- oder Festtags dort aus-
geführt.
Jnuius, Adrian, niederländischer Arzt, Philosoph und Dichter, geboren
am 1. Juli 1512 zu Hörn in Holland, ist der Verfasser eines sogenannten
»Nomenciator«, in dem u. A. auch unter dem Titel r>Musica instrumenta eoque
spectanfiaa musikalische Fachausdrücke erklärt werden. J. starb im J. 1575.
Junker, Karl Ludwig, hochgebildeter deutscher Geistlicher, Componist
und Musikschriftsteller, geboren um 1740 zu Oehringen, trieb in seiner Jugend
neben den schönen Wissenschaften mit Vorliebe und Eifer Musik. Nach voll-
endeten TJniversitätsstudien wirkte er als Hofmeister in der Schweiz. Hier
schrieb er ein biographisches Werk, betitelt «Zwanzig Componisten« (Bern,
1778; 2, Aufl. unter dem Titel »Portefeuille für Musikliebhaber«, Leipzig, 1792).
Im J. 1778 kam J. als Lehrer der Philosophie an das Gymnasium zu Heides-
heim in der Grafschaft Leiningen, wo er das ästhetisch interessante Werk
»Die Tonkunst« und »Betrachtungen über Malerei, Ton- und Bildhauerkunst«
veröffentlichte (1779), und 1779 als Hofkaplan nach Kirchberg. In dieser
Zeit gab er heraus: »Einige der vornehmsten Pflichten eines Kapellmeisters oder
Musikdirektors« (Wintcrthur, 1782); »lieber den Werth der Tonkunst« (1786);
endlich viele Aufsätze in Meusel's »Miscellaneen«, in dessen »Museum für
Künstler«, in der musikalischen Realzeitung und vielen anderen Zeitschriften.
Au{;h componirte er viel für Ciavier, das er fertig spielte, darunter einige
512 Jupiu — Justiaian I.
Concerte mit Orchesterbegleitung. Als Pfarrer 1789 nach Dettingeu ira Holien-
lohe'schen berufen, schrieb er das Melodram nöenoveva im Thurm« (Speier,
1790). Von dort wurde er 1793 an die Kirche zu Landsiedel bei Kirchberg
versetzt und componirte »Die Nacht von Zacliariä, als musikalische Deolaraation
für's Ciavier mit willkührlicher Begleitung einer Violine und eines Basses«
(Darinstadt, 1794), sowie ein Clavierconcert, das als op. 2 erschien. Im J. 1795
endlich wurde er als Pfarrer in ßupertshofen bei Kirchberg angestellt, wo er
am 30. Mai 1797 starb. — Der geistvolle, ästhetisch gebildete, fein und tief
empfindende Mann gilt auch für den Verfasser der unter den Namen Alethi-
nopel (1782), Kosmopolis (1783) und Preiburg (1784) herausgekommenen
musikalischen Almanache. Seinen musikalischen Bildungsgang hat er selbst im
»Württerabergischen Repertorium der Literatur« von 1783 (Stück 3) mitgetheilt.
Jnpiii, Charles Frangois, einer der vorzüglichsten französischen Violin-
virtuosen, geboren am 30. Novbr. 1805 zu Chambery' in Savoyen, kam in
früher Jugend mit seinen Eltern nach Turin und erhielt daselbst Violinunter-
richt von Montlcelli, dann von Griorgis, Orchestermitglied des Teatro Carignano.
Sein erstes öffentliches Auftreten ira J. 1817 erregte ein solches Aufsehen, dass
sich sein Vater bewogen fand, den Sohn dem berühmten Baillot in Paris an-
zuvertrauen, woselbst derselbe zugleich in das Conservatorium trat und 1823
den ersten Violinpreis davontrug. Alsbald darnach erhielt J. die Stelle als Soln-
geiger im Orchester des Odeon-Theater, die er nach 18 Monaten aufgab, um
Kunstreisen anzutreten. Von Turin aus folgte er einem Ruf als Orchesterchef
lind Violinlehrer nach Strassburg und blieb daselbst bis 1835, worauf er nach
Paris zurückkehrte und das Amt eines zweiten Orchesterchefs an der Opera
comique annahm. Als solcher starb er schon ira Sommer 1839. — Sein Spiel
galt als solide und dennoch überaus glänzend. Componirt hat er ein Violin-
concert, ein Trio für Pianoforte, Violine und Violoncello, eine Fantasie für
Pianoforte und Violine, Violinvariationen u. s. w.
Jusdorff, deutscher Flöteuvirtuose und Componist für sein Instrument,
lebte um 1800 zu Göttiugen. Von seiner Compositiou kennt man Variationen
für Flöte und kleines Orchester, die 1799 und 1801 bei Andre in Offenbach
erschienen sind.
Jussov, Johann Andreas, deutscher musikkundiger Theologe, geboren
um 1690 zu Gröttingen, studii-te in Helmstildt und vertheidigte daselbst nach
Vollendung seiner Studien seine Dissertation »Z>e canforihus ecclesiae veteris
et novi testamentiv. (Helmstädt, 1708). Näheres findet man in Gerber's »Lexicon
der Tonkünstler« von 1812.
Just, Johann August, vortrefflicher Ciaviervirtuose, Violinist und Com-
ponist, geboren um 1760 zu Groningen, studirte den strengen Satz bei Kiin-
berger in Berlin und später freie Coraposition bei Schwindele ira Haag. Um
1780 ward er Hofmusicus des Erbstatthalters im Haag, Prinzen von Oranicn,
und lebte dann auch lange Zeit in London, wo er Ciaviersonaten seiner Com-
position und eine Ciavierschule veröffentlichte und zu Anfang des 19. Jahr-
hunderts starb. In Holland galt er als einer der fertigsten Ciavierspieler seiner
Zeit, und seine Trios, Duos, Sonaten, Divertissements, sowie die Opern ^Le
marchand de Smyrnea und »Xe pagev. waren beliebt.
Justesse (französ.), Richtigkeit, Reinheit. Man spricht von J. de la voix,
d. i. Reinheit der Stimme, sowie nicht minder von J. de Voreille, d. i. gutes
musikalisches Ohr.
Justinian I., genannt der Grosse, Kaiser des byzantinischen Reichs von
527 bis 565, geboren 483 in Thrazien, besass neben seinen Regententugendrn
und Untugenden viel Sinn für Kunst und Wissenschaft, namentlich für Musik,
die er auch praktisch ausgeübt haben soll. Das Tropariuni oder die Hymne
von der Gottheit Christi, wie sie jetzt noch in vielen griechischen Kirchen ge-
sungen wird, soll von ihm componirt worden sein J. starb am 14. Novbi\ 565
zn Konstantinopel.
Justmius ä Despoüs — Kabath. 5I3
Justiuius ä Despons, deutscher Klostergeistliclier, war von 1711 bis 1723
Carmelitermönch und Organist zu Würzburg und hat herausgegeben: ein Lehr-
buch des Orgelspiels unter dem Titel -oChirologia organico-musica oder musi-
kalische Handbeschreibung, d. i. die ßeguln und Exempeln des Manuals oder
der Orgelkunst u. s. w.« (Nürnberg, 1711); ferner »Musikalische Arbeit und
Kurtzweil, d. i. kurtze und gute Regeln der Componir- und Schlagekunst, ä 4
U.S.W.« (Augsburg und Dillingen, 1723). Unter den zahlreichen Notenbei-
spielen beider Werke sind auch mehrere längere Compositionen von ihm ent-
halten; die Mehrzahl seiner musikalischen Arbeiten, die er seit 18 Jahren ge-
schrieben hatte, wurde ihm aber, wie er in der Vorrede zu ersterem Buche
klagt, auf einer Eeise an der italienischen Grenze geraubt.
Juvigny, französischer Musiker der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts,
lebte am königl, Hofe zu Paris und soll der Erfinder des Flageolets gewesen
sein. Dies Instrument erschien zum ersten Male , und zwar von ihm gespielt,
in dem berühmten y>BaUet de la reinen, welches 1581 aufgeführt wurde.
Ivery, John, englischer Tonkünstler, wirkte als Musiklehrer zu Northaw
in der Grafschaft Hertford in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und
hat einen Band von ihm gesammelter alter Kirchengesänge (London, 1773)
herausgegeben.
Ives, Simon, englischer Gesangscomponist, geboren in der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts, war Cantor an der Paulskirche zu London und hat zahl-
reiche Songs componirt. Er starb hochbetagt im J. 1662 zu London.
Ivo, musikgelehrter Abt zu Clugny, soll einen Tractat, betitelt: y>Historia
(musicae) figuralisa, verfasst haben, welcher sich nach älteren Berichten hand-
schriftlich in der Klosterbibliothek zu St. Gallen befinden soll. — Ebenfalls
unter dem Namen I. kommt in Jacob Paix' Orgeltabulaturbuch (Lauingen,
1583) das Lied vor: »Der Liendel alle tag«. Dieser Componist und jener
Musikschriftsteller dürften aber schwerlich ein und dieselbe Person sein.
K.
(Die unter K vermissten Artikel suche man unter C auf.)
Kaa, Ignaz, holländischer Componist des 18. Jahrhunderts, lebte bis
1780 im Haag und wurde von dort aus als Dom-Kapellmeister nach Köln be-
rufen, welches Amt er noch 1792 inne hatte. Von seinen Compositionen
sind Sinfonien, Streichquartette, Duos und Ciaviertrios im Haag im Druck
erschienen.
Kabaro ist der Name einer kleinen, in Aegypten und Abyssinien noch
jetzt vielfach gebräuchlichen Trommel, die sich nach unten zu etwas verengt
und mit der blossen Hand geschlagen wird. Es ist dasselbe Instrument, wel-
ches anderwärts in Asien und Afrika unter dem Namen Hatamo auftritt und
von dem K. durchaus nicht, wie man öfter annahm, verschieden.
Kal)ath, Johann, musikkundiger deutscher Schulmann, geboren 1775 in
Oppeln, besuchte das Gymnasium seiner Vaterstadt, dann die Universität Breslau,
wo er Theologie studirte und war hierauf als Professor an den Gymnasien zu
Oppeln und Breslau, sowie in letzterer Stadt als Regens chori des Convicts
angestellt. Im J. 1818 als Direktor des Gymnasiums nach Glatz berufen und
1827 zum königl. Schulrath in Breslau ernannt, starb er daselbst am 12. Decbi-.
1828. Nicht blos Musikfreund, sondern fertiger Clavierspieler und guter Sänger,
hat er in seinen Stellungen einen fördernden musikalischen Einfluss auf die
ganze Provinz Schlesien ausgeübt und in diesem Sinn auch zwei Schriften:
»Ueber den Gesangsunterricht auf gelehrten Schulen« (Glatz, 1819) und y^Än-
Musikal. Convers.-Lexikon. V. 33
514
Kaczkowsky — Käferle.
notationes ad aliquot Quintiliani locos ad docendi arfem sjpectantes« (Breslau, 1824)
herausgegeben.
Kaczkowsky, Joseph, rühmlich bekannter Violinvirtuose und Componist
für sein Instrument, geboren in der zweiten Hälfte des 18. Jahrbundeits zu
Tabor in Böhmen, hat sich auf Kunstreisen in Deutschland einen bedeutenden
Namen gemacht. Seine Compositionen , bestehend in Concerten, Duos, Varia-
tionen u. s. w. für Violine, wurden von den bedeutendsten Verlegern ver-
öffentlicht,
Eadelbach, Karl Grottlob, geachteter deutscher Componist, geboren 1761
zu Rudolstadt in Schlesien, wirkte von 1785 an bis zu seinem Tode, am 16.
Novbr. 1829, als Cantor zu Bolkenhain. Vortreffliche Orgelstücke und die
Cantate »Lobe den Herrn« bekunden sein hervorragendes compositorisches Ge-
schick und Talent.
Kadenz, s. Cadenz.
Kadlecek, L. H., Violinist und Musikpädagog, geboren um 1820 zu Soutlc
bei Kuttenberg in Böhmen, wurde durch fleissige Uebung auf der Geige zum
Selbststudium theoretischer Werke und Partituren veranlasst und genoss nur
einige Zeit geregelten Unterricht im Contrapunkt zu Prag. Gegenwärtig ist
er Musiklehrer an mehreren Schulen und Anstalten zu Leitmeritz, Choradjunkt
an der Decanalkirche und Chormeister des Musikvereins daselbst. Er hat sich
auch als Componist ziemlich glücklich versucht, aber nur Etüden sowie eine
Schule für Violine veröffentlicht.
Kadma, 5?^"p, heisst ein Zeichen V der hebräischen Notation (sonst auch
Accent), welches über der ersten oder der dritten Wortsylbe gesetzt sich vor-
findet und das die orientalischen Juden als für die Tonfigur p
m
stehend erachten. Nach Kircher bedeutet es die Tonphrase
Nach Nathan kommt dieser Accent mit einem anderen, Veazla oder Veasla ge-
nannten, stets vereint vor und wäre die musikalische Bedeutung desselben:
Andere behaupten, die Tonphrase letzterer Art wäre
aufzuzeichnen.
0.
Käberle, vorzüglicher deutscher Oboebläser des 18. Jahrhunderts, war um
1740 ßathsmann in Beuthen an der Oder und hat sich auch als Componist
für sein Instrument ausgezeichnet.
Käferle, Karl Heinrich, blinder deutscher Ciavierbauer, geboren im
Mai 1768 zu Waiblingen im Herzogthum Würtemberg, hatte durch einen un-
glückliclien Zufall und eine ungeschickte ärztliclie Operation schon sehr früh-
zeitig sein Augenlicht verloren, beschäftigte sich aber gleichwohl mit Vorliebe
mit der Schnitzerei von allerlei Hausgeräthen , die sogar Absatz bei den Be-
wohnern von Hoheneck fanden, in welches bei Ludwigsburg gelegene Dorf er
17S0 mit seinem Vater, einem Müller, gezogen war. Nach und nach wandte
er sich mit gleichem angeborenen Geschick mechanischen Arbeiten zu und
unternahm es sogar, die Bälge der Dorf- Kirchenorgel zu rejiariren. Hierauf
wandte er sich der Musik zu und erlernte mit erstaunlicher Geschwindigkeit
beim Schulmeister das Ciavierspiel. Ein Pantalon, das er in Ludwigsburg
hörte, vermehrte seine Liebe zur Tonkunst. Er liess das Instrument ausein-
ander nehmen, betastete es genau und fing mit bestem Gelingen an, selbst ein
solches zu bauen. Dies geschah im J. 1790. Später bildete er in derselben
Art einen Tangentenflügel von Späth nach, und da er für beide Instrumente
einen ansehnlichen Preis erhielt, so stand sein Entschluss fest, Ciavierbauer zu
werden. Er erfand zu diesem Ende zweckmässige Werkzeuge und begründete
Käfer stein — Kässmayel*. 5^5
iu Ludwigsburg 1797 eine "Werkstätte, deren Fabrikate bald Ruf erlangten
und zu den besseren Deutschlands gerechnet wurden. Seine Muster waren
die damals berühmten Stein'schen Fortepianos. K. starb am 28. Febr. 1834
zu Ludwigsburg. — Sein Sohn, Ferdinand K., geboren im Octbr. 1801,
welcher schon 1827 die Fabrik seines Vaters übernommen hatte, führte dieselbe
seitdem mit Geschick und Umsicht weiter.
Käfersteiu, s. Kef er stein.
Kahler, Moritz Friedrich August, geschickter deutscher Gomponist,
geboren am 20. Juli 1781 zu Sommerfeld in Schlesien, wo sein Vater Stadt-
physicus war, begann früh mit Ciavierspielen, bis er als Gymnasiast zu Sorau
beim Organisten Erselius einen guten Unterricht, zugleich auch im Orgelspiel,
erhielt. Beim dortigen Stadtmusicus Thiele übte er sich seit 1798 auch auf
der Violine und stellte seine ersten Compositionsversuche an. "Weiterstrebend
begab er sich 1802 zu dem rühmlichst bekannten Violoncellisten Schönebeck
in Lübben und studirte auch bei diesem. Im Herbst desselben Jahres hatte
er Gelegenheit, einen Verwandten in Kopenhagen zu besuchen und nahm da-
selbst noch Unterricht auf der Violine beim Concertmeister Schall, sowie in
der Composition beim Kapellmeister Kunzen. Im J. 1804 nach Schlesien zu-
rückgekehrt, wurde K. als Musikdirektor der Privatkapelle des Grafen von
Dohna in Mallmütz bei Sprottau angestellt. Von dort aus begab er sich 1809
nach Breslau, wo er drei Jahre ohne Amt lebte, bis er 1812 als Schullehrer
und Organist nach Peterswaldau bei Reichenbach ging. Im Herbst 1815 folgte
er einem Rufe als Musikdirektor au das Pädagogium und Seminar in Züllichau.
Dort errichtete er einen Singechor, dirigirte die wöchentlichen "Winterconcerte
und ertheilte neben den Musikstunden an seineu Instituten noch Privatunter-
richt. Im besten Sinne kunstfördernd thätig, starb er 1834 in Züllichau.
Seine Compositionen bestehen in geistlichen und weltlichen Liedern, Cantaten,
Motetten und anderen Kirchenstücken, Concerten und Sonaten für Ciavier,
einem Violinconcert, Duos für Viola und Violoncello, Orgelpräludien u. s. w.
Auf didaktischem Gebiete veröffentlichte er noch: »Die Anfangsgründe der Musik,
für angehende Musikschüler zur häuslichen Wiederholung« (Züllichau, 1826).
Kämme nennen die Orgelbauer diejenigen hölzernen, mit Einschnitten ver-
sehenen Leisten oder Bretter, in welchen die Abstracten laufen, damit diese
nicht schlottern oder hängen bleiben und das sogenannte Heulen (s. d.) der
Orgel hervorrufen.
Kämpfer, Joseph, vortrefflicher und berühmter Conti'abassist des 18. Jahr-
hunderts, geboren in Ungarn, war anfangs österreichischer Offizier, dessen Stand-
quartier in Croatien lag. Unter dürftiger Anleitung erlernte er dort den
Contrabass, auf dem er es durch beharrliches Selbststudium zu ausnehmender
Fertigkeit brachte. Sein Erfolg in "Wien, wo er sich darauf öffentlich hören
Hess, war höchst bedeutend, und er trat in die Kapelle des Fürsten von Eszter-
hazy. Kunstreisen, 1775 durch Deutschland nach Russland und 1783 nach
London, machten ihn zum Gegenstand allgemeiner Bewunderung. Seitdem aber
sind keine Nachrichten mehr über ihn vorhanden.
Käuorphica, s. Xänorphica.
Käsermanu, Nicolaus, deutscher Componist, war um die Wendezeit des
18. und 19. Jahrhunderts Musiklehrer und Stadtcantor in Bern und hat in
der Zeit von 1797 bis 1804 drei Ciaviersonaten, sowie drei- und vierstimmig
gesetzte, mit Ciavierbegleitung und einem Generalbass versehene Melodien zu
Geliert's geistlichen Oden und Liedern in Augsburg und in Bern veröffentlicht.
Kässmayer, Moritz, talentvoller, geschickter Componist und guter Violi-
nist, geboren 1831 zu Wien, machte, nachdem er schon vorher sich mit Violin-
spiel beschäftigt hatte, seine Studien auf dem Wiener Conservatorium , wo er
die Musiktheorie und Composition bei Sechter und Preyer betrieb. Später
gab er Musikunterricht, leitete mehrere Vereine und trat als Violinist in das
kaiserl. Hofopernorchester, in welchem letzteren er zum Ballet -Musikdirektor
33*
516 Kastclien — Kaffka.
aufstieg. Als solcher ist er neben Franz Doppler noch gegenwärtig in voller
Thätigkeit. Seine Compositioneii sind ziemlicli zahlreich und bestehen in Or-
chester- und Kammenuusikwerkou, Messen und kleinereu Kirchenstücken, eiu-
uud melustimmigiu Gesängen und Liedern. Sein bedeutendes Talent und seine
tüchtige Durchbildung wirken besonders überzeugend auf derb und fein ko-
mischem Gebiete, da ein gesunder musikalischer Humor ihm eigenthümlich ist.
In dieser Beziehung sind viele seiner Gesänge für Mänuerchor Musterstücke
und auf dem Felde der Kammermusik seine vier Streichquartette, sowie seine
»Volksweisen und Lieder für das Streichquartett humoristisch und contra-
punktisch bearbeitet« (6 Hefte, op. 14 bis IG, 27, 29) und seine »Musikalische
Mesalliancen« für Streichquartett mit Pianoforte zu vier Händen (4 Hefte, op. 22)
sehr bemerkenswerth, nicht minder seine komische Oper »Das Landhaus zu
Meudon« (1869), welche bei ihren Aufführungen in Wien und Prag grossen
Beifall fand.
Kästehon ist die technische Bezeichnung für den Theil des Bassethorns,
in welchem die Bohrung der Köhre dreifach wird (s. Basset hörn).
Kästuer, Abraham, deutscher ßechtsgelehrter, wirkte als Professor seiner
Facultät in Leipzig. Er verfasste eine Dissertation, betitelt: ^De juris consulto
musicOK (Leipzig, 1740). — Von grösserer musikalischer Bedeutung ist sein
als Dichter bekannter Sohn, Abraham Gotthelf K. , Professor der Mathe-
matik und Physik zu Göttiugen und grossbritanuischor sowie braunschweigisch-
lüneburgischer Hofrath. Derselbe, geboren am 27. Septbr. 1719 zu Leipzig,
hat eingehende Versuche über die Geschwindigkeit des Schalles angestellt und
dieselben in den Göttingischen gelehrten Anzeigen von 1778 und 1791 ver-
öffentlicht. Ausserdem hat er einen Auszug mit Anmerkungen aus einem eng-
lischen AVerke des Brocklesby (London, 1740) verfasst, den er unter dem Titel
»Betrachtungen über die alte und neue Musik, mit derselben Anwendung zur
Heilung der Krankheiten u. s. w.« in Marpurg's kritische Beiträge (Bd. 2
S. 16 ff.) rücken Hess. Dieser auch als Epigrammatiker und Satyriker be-
rühmte Gelehrte starb am 20. Juni 1800 zu Göttingen.
Kaü'ka, Joseph, richtiger Kawka geschrieben, Violinvirtuose von Ruf,
geboren um 1730 in Böhmen, gehörte seit 1743 ununterbrochen der fürstl. Thuru
und Taxis'schen Kapelle in Kegeusburg au und starb als Mitglied derselben
im J. 1796. — Seine beiden Söhne und Schüler haben sich auf verschiedenen
Musikgebieten ausgezeichnet. 1) AVilhelm K., der ältere, übertraf seinen
Vater in der Virtuosität und galt als einer der fertigsten Concert- und Or-
chesterspieler seiner Zeit. Er war schon 1788 Mitglied der Kapelle in Regeus-
burg, deren Concertmeister er 1806 wurde. Er componirte nicht nur für sein
Instrument, sondern schrieb auch Messen, die durch Abschriften in ganz Baiern
verbreitet waren. — 2) Johann Christoph K., nach eigener Angabe 1759
in Regensburg geboren, erhielt neben der väterlichen Unterweisung noch Musik-
unterricht von dem berühmten Riepel. Bereits gleichfalls Violinist der fürstl.
Kapelle in Regensburg, ging er zur Oper und zum Schauspiel über und trat
1778 bei Döbbelin in Berlin und später bei "Wäser in Breslau auf. Auch als
gewandter, auf allen Feldern erfahrener Componist zeigte er sich. Denn er
schrieb Sinfonien und andere Instrumentalstücke, die Oratorien »Der Tod Lud-
wig's XVI.« und »Jesus leidend uud sterbend«, ferner Messen, ein Requiem
und Vespern, das Melodram »Rosamunde« und verschiedene Balletmusiken, vor
Allem aber die Opern »Das Milchmädchen«, »Lucas uud Hannchen«, »Die Zi-
geuner«, »Der Apfeldieb«, »Antonius und lOeopatra«, »Das wüthende Heer«,
»So prellt man Füchse«, »Das Fest der Brennen«, »Bitten uud Erhörung«
(Ciavierauszug gedruckt 1784), »Die Feier der Gnade des Königs«, »Der blinde
Ehemann« und »Der Talisman«. Die Kritik bezeichnete diese Opern als Com-
pilationen Gluck'scher, Naumann'scher und Schuster'scher Motive. Erst um
1800 verliess K. Breslau und ging an das Hoftheater in Dessau. Dort setzte
er u. A. sein schon früher begonnenes periodisches Werk »Musikalischer Beytrag
Kafka — Kahnt.
517
für Liebhaber des deutschen Singspiels beym Claviero (2 Hefte, Breslau, 1783)
fort. Im J. 1803 siedelte K; nach Riga über, gründete eine Buchhandlung
und trat nur noch zuweilen in Concerten und zwar als Violinist auf.
Kafka, Johann Nepomuk, Pianist und Saloncomponist, geboren am
17. Mai 1819 zu Neustadt an der Mettau in Böhmen, studirte in Wien 1840
die Rechtswissenschaften, wandte sich aber dann ausschliesslich der Musik zu
und hatte mit seinen kleinen, der Mode huldigenden Claviercompositionen in
Dilettantenkreisen grossen Erfolg. Allgemeiner bekannt in Deutschland wurde
sein Name durch ein Salonstück, »Erinnerung an Steinbach«, dem er eine sehr
lange Reihe ähnlicher Produkte folgen Hess, die in Wien, Leipzig u. s. w. er-
schienen sind.
Kahl, kenntnissreicher und gediegener deutscher Tonkünstler, war bis 1828,
wo er starb, Cantor an der Maria-Magdalenenkirche zu Breslau. Man schätzte
ihn besonders wegen seiner grossen Aufführungen, durch die er Breslau in der
Reihe der tonangebenden Musikstädte erhielt. — Sein Sohn, Schüler und
Amtsnachfolger, Theodor K., war ebenfalls ein tüchtiger Dirigent, der vor
seiner Anstellung an der Kirche den akademischen Musikverein in Breslau
mit grosser Umsicht geleitet hatte. Sein Orgelspiel soll das seines Vaters an
künstlerischer Vollendunir nicht erreicht haben.
Kahl, Gotthard Wilhelm, deutscher Orgelvirtuose, geboren 1762 zu
Conradswaldau in Schlesien, wo sein Vater Cantor war. Seine musikalischen
Studien vollendete er in Halle bei Türk, worauf er sich privatisirend in Hirsch-
berg aufhielt, bis er nach dem Tode seines Schwiegervaters Grottlob Kuhn
dessen Stelle als Organist an der Kreuzkirche daselbst erhielt. Er starb 1824
mit dem Rufe eines fleissigen und tüchtigen Musikers. Von seinen Compo-
sitionen kennt man sechs leichte Ciaviersonaten (Leipzig, 1796).
Kahl, Heinrich, kenntnissreicher deutscher Tonkünstler, geboren am
31. Jan. 1840 zu München, wirkte zuerst als Sologeiger in Wiesbaden, dann
bis 1872 mit Auszeichnung als Kapellmeister in Riga, Stettin, Aachen und
wurde hierauf als Chordirektor an die königl. Oper zu Berlin gezogen, welches
Amt er gleichfalls so umsichtig und geschickt verwaltet, dass er 1874 den
Titel eines königl. Musikdirektors erhielt.
Kahle, Karl Hermann Traugott, deutscher Pianist und Orgelspieler,
geboren 1806 zu Dessau, wirkte daselbst als Musiklehrer, bis er 1831 in eine
Organistenstelle nach Königsberg berufen wurde, die er annahm. Er ist der
Verfasser einer kurzen Harmonielehre für Orgelspieler.
Kahle, August (Karl Timotheus), deutscher musikkundiger Gelehrter,
geboren am 5. März 1807 zu Breslau, studirte in Berlin die Rechte und ar-
beitete hierauf bis 1833 als Referendar beim Gerichte seiner Vaterstadt. Da
erwachte die Liebe zur Philosophie in ihm; er wurde nach erforderlicher Vor-
bereitung Privatdocent und später Professor dieser Eacultät an der Universität
zu Breslau. Mit Musik hatte er sich von jeher mit Vorliebe und Erfolg be-
schäftigt und Ciavierspiel bei Hauck und Compositionslehre bei Berner studirt.
Ausser Artikeln für die »Cäcilia«, »Leipziger allgemeine musikalische Zeitung«
und andere Pachblätter schrieb und veröffentlichte er: »Blätter aus der Brief-
tasche eines Musikers« (Breslau, 1832) und »Tonleben« (1838), welche Schriften
Novellen und Aufsätze vermischten musikalischen Inhalts enthalten. Auch
Compositionen von ihm, besonders Lieder, sind bekannt geworden. K. starb
am 29. März 1864 zu Breslau.
Kahnt, C. F., Firma einer geachteten deutschen Musikalienverlagshandlung
in Leipzig, welche daselbst seit dem 2. Octbr. 1851 besteht. Begründet wurde
dieses Geschäft von Christian Friedrich K., geboren am 10. Mai 1823, der
u. A. auch den Verlag der von Roh. Schumann 1834 gegründeten und von
Fr. Brendel weiter geführten »Neuen Zeitschrift für Musik« übernahm. Seit
Novbr. 1868 ist K. zugleich Redacteur genannter Zeitschrift, wie er denn
zuvor schon die Zeitschrift »Symphonia, Fliegende Blätter für Musiker und
518 Kahrel — Kaiserly Krikuhr.
Musikfreunde« (6 Jabrg., 1863 — 1868) sehr umsichtig redigirt und heraus-
gegeben hatte. Als Musikalienverleger hat K. namentlich das Verdienst, junge
Talente durch Herausgabe ihrer "Werke wesentlich gefördert zu haben. Auch
ist er Direktorialmitglied des Allgemeinen Deutschen Musikvereins seit dessen
Gründung und in Folge dessen, noch mehr aber durch die vielseitigen Bezie-
hungen in seinem Geschäftsberufe, eine in der ganzen Kunstwelt bekannte und
geachtete Persönlichkeit.
Kahrel, Hermann Friedrich, deutscher Gelehrter, geboren 1719 zu
Detmold, war Professor der Philosophie in Marburg und behandelt in einem
seiner "Werke, betitelt »Denckkunst oder Grundriss der "Weltweisheit« (Herborn,
1755), in einem grösseren Abschnitte auch »die Tonkunst oder Musik«.
Kall) Joseph, vorzüglicher "Waldhornist, geboren am 11. März 1795 zu
Gottesgab in Böhmen als der Sohn des dortigen Cantors und Schullehrers
Jacob K., der ihn schon fi-ühzeitig auf der Orgel und anderen Instrumenten
unterrichtete. Im J. 1813 wurde K. Zögling des Conservatoriums in Prag
und erhielt das Waldhorn als sein Hauptinstrument zugewiesen. Nach voll-
endeten Studien nahm er 1819 die erste Hornistcnstelle im Theaterorchester
zu Pesth an, die er 1825 mit derjenigen am Hofoperntheater in "Wien ver-
tauschte. Als erster Hornist fungirte er auch seit 1826 am ständischen Theater
in Prag, wo er bald darauf zugleich das Lehramt für Trompete und Posaune
am Conservatorium übernahm. Neben seinen Berufsgeschäften hat er der Ver-
besserung der chromatischen Trompete und Zugposaune seine Thätigkeit ge-
widmet. Für erstere erfand er eine Vorrichtung mit Hebeln statt der Klappen,
welche die Behandlung dieses Instruments erleichterte und die reine Stimmung
befestigte; der letzteren gab er eine ganz neue Structur, durch welche eine
leichtere Erlernung ermöglicht war.
Eainz, Marianne, vortrefflich gebildete deutsche Sängerin, geboren um
1800 in "Wien, erhielt dort eine gediegene künstlerische Erziehung, Nach
ihren erfolgreichen ersten Debüts im J. 1817 erwarb sie sich 1819 auf einer
Kunstreise allerwärts grossen Beifall. Ein Aufenthalt in Italien von 1821 bis
1825, wo sie, besonders in Florenz und Mailand, mit nicht geringerem Glück
auftrat, war für ihre weitere gesangliche Vervollkommnung sehr förderlich.
Bis 1828 sang sie unter Huldigungen wieder an den ersten deutschen Bühnen,
so in Kassel, Hannover, Stuttgart u. s. w. ; seitdem nahmen ihre Stimmmittel
merklich ab, die übrigens von jeher weniger schön als vorzüglich geschult ge-
wesen waren. — Eine sehr geschätzte dramatische Sängerin gleichen Namens,
Frau K.-Prause, wirkt gegenwärtig am Hoftheater zu Dresden unter dem
Titel einer königl. Kammersänorerin.
Kaiser oder Kayser, P. L., Componist und gewandter Ciavierspieler, ge-
boren 1756 zu Frankfurt a. M., lebte zu Winterthur in der Schweiz. Man
kennt von ihm zahlreiche Lieder und Gesänge, sowie Ciaviersonaten mit und
ohne Begleitung anderer Instrumente, in denen die Nachahmung Gluck's un-
verkennbar ist. K 's Verehrung für Gluck bekundet auch eine Abhandlung
»Empfindungen eines Jüngers in der Kunst vor dem Bilde des Ritters Christoph
von Gluck«, die er für den Deutschen Merkur (1776) verfasst hat. — Ein
Namen-^genosse von ihm, Pater Jistrid K. , war um 1750 Mönch in einem
schwäbischen Kloster und galt für einen der besseren Kirchencomponisten seiner
Zeit. Messen von ihm sind in Augsburg herausgekommen. — Eine Sängerin,
Madame K., endlich war um 1783 in München, später in Preesburg angestellt
und wurde in ihrem Fache sehr gerühmt.
Kaiserly Krikuhr, berühmter armenischer Sänger, lebte um die "Wende
des 18. und 19. Jahrhunderts und, wie es scheint, in Konstantinopel. Er ver-
fasste ein Werk über armenische Kirchenmusik, betitelt »Nuwakarann« (Kon-
stantinopel, 1794). Denselben Gegenstand behandelt das anonym erschienene
Buch »Acrkarann« (Konstantinopel, 1803), welches ihm ebenfalls zugeschrieben
wird. Dagegen kann das »von den heiligen Vätern verfasste« armenische
Kaizer — Kalergy. 519
Gesangbuch nicht von ihm herrühren, da es schon 1742 in Konstantinopel
erschienen ist.
Kaizer, Orgelbauer zu Ijrulich in Böhmen, lebte um 1780 und ist be-
kannt geblieben durch seine Werke in der ehemaligen Servitenkirche zu
Konoged und zu Dauba im Bunzlauer Kreise. Das erstere besass 18 Stimmen
mit Principal 2,5 Meter.
Kakophoiiie (griech.: 'Aaaorpwvia) , der Missklang, der Misslaut der Töne,
ist der Gegensatz von Euphonie (s. d.).
Kalamaika, ein ungarischer Nationaltanz im Zweivierteltakt mit zwei Re-
prisen zu vier Takten von leidenschaftlich bewegtem Charakter.
Kalb, Orgel- und Instrumentenbauer in Prag von E,uf und Bedeutung,
starb daselbst hochbetagt am 27. Octbr. 1813.
KalMtz, Karl, verdienstvoller deutscher Musikpädagoge, geboren zu Gross-
neuhausen in Thüringen um 1800 als der Sohn eines Lehrers. Auf dem
Lyceum zu Buttstädt, dann zu Weimar, wurde K. gleichfalls dem Lehrerberufe
zugeführt, und Musik bildete einen Hauptgegenstand seiner Yoriiebe und seines
Studiums. Wohl vorbereitet, wurde er 1824 als Cantor in Buttstädt und 1827
als Lehrer der Bürgerschule zu Jena angestellt und führte den Gesangunter-
richt als Lehrgegeustand ein. Von 1828 bis 1831 leitete er auch den von ihm
begründeten bürgerlichen Gesangverein in Jena, dessen Direktion hierauf der
Cantor Kemmlein übernahm. Seit 1829 wirkte K. zugleich als Herausgeber
des «Archiv für Kirchenmusik«, welchem er werthvolle Beiträge zuführte.
Ebenso veröffentlichte er eine praktische Singschule und mehrere Hefte kleiner
, Uebungsstücke für Pianoforte. — Sein Bruder, Karl August K., geboren
1802 und durch Töpfer in Weimar musikalisch ausgebildet, wurde 1826 Cantor
in Dornburg an der Saale, folgte aber 1832 einem Rufe nach Odessa, wo er
Anstellung als Vorsteher der kaiserlichen Musikanstalt erhielt.
Kalcber, Johann Nepomuk, ausgezeichneter deutscher Orgel- und Cla-
vierspieler, sowie gediegener Componist und Musiklehrer, geboren 1766 in
Freising, wurde daselbst vom Hoforganisten Berger im Ciavier- und Orgelspiel
unterrichtet, worauf er seit 1790 bei Grätz in München seine musikalische
Ausbildung vollendete. Auf Grätz's Empfehlung hin wurde er 1798 als Hof-
organist zu München angestellt. Zu seinen Schülern gesellte sicli damals der
dreizehnjährige Karl Maria von Weber, der ihm das zweite Werk seiner im
Druck erschienenen Werke, nämlich »Sechs Variationen für's Ciavier oder
Piano -Forte über ein Original- Thema« (1800) v/idmete. In dem Vorwort zu
dieser, übrigens von dem jugendlichen Verfasser auch eigenhändig lithcgraphirten
Composition sagt derselbe: »Ihnen! verehrungswürdiger Mann! Ihnen und Ihrer
grossen Kunst habe ich die Erweiterung meines kleinen Talents einzig und
wahrhaft zu danken, und nehme mir -daher die Freyheit, dieses kleine Werk
von meiner Arbeit Ihnen zu widmen. Nehmen Sie es gütig auf, mit der
wahren Versicherung, dass ich Ihre grosse Leitung niemals vergessen, und ewig
mit wahrer Achtung, Liebe und Verehrung seyn, und bleiben werde Ihr wahrer
Freund und Diener Carl Maria von Weber.« Vgl. F. W. Jahns, »Karl Maria
von Weber in seinen Werken u. s. w.« (Berlin, 1871). — Von K. selbst kennt
man Ciavier- Concerte und Sonaten, Sinfonien und Messen, Lieder und Gesänge.
Sein Orgelspiel soll in Bezug auf Kraft und Reinheit unvergleichlich gewesen
sein. Er starb im J. 1826 in München.
Kaldenbach, Christoph, Dichter und Sänger der von Eccard gegründeten
preussischen Tonschule, geboren 1613 in Schwiebus, war Prorector an der
Altstädt'schen Schule in Königsberg, kam 1636 als Professor der Poesie und
Beredtsamkeit nach Tübingen und starb daselbst 1698. Sein Freund Heinrich
Albert hat mehrere Gedichte von ihm in Musik gesetzt, wie »Magdalena, die
Sünderin, zu den Füssen Jesu« u. s. w.
Kalergy, Marie, geborene Gräfin Nesselrode, eine vorzügliche russische
Pianistin, geboren 1824 in St. Petersburg, erlangte als Ciavierschülerin von
520 Kalick — Kalkbrenner.
Fr. Liszt einen hohen Grad von Virtuosität. Zum zweiten Male verheirathet
mit dem Polizeiminister von Muchanow, lebte sie meistentheils in Warschau,
wo sie auch 1874 starb. Sie gehörte zu den erklärten Enthusiastinnen für
die neudeutsche Musikrichtung, und sie ist es auch, welcher Rieh. Wagner
seine unangenehmes Aufsehen erregende Schrift »Das Judenthum in der Musik«
gewidmet hat.
Kalick, ein sonst unbekannter Tonkünstler, wahrscheinlich Flötist, der zu
Ausgang des 18. Jahrhunderts in Wien gelebt zu haben pcheint. Von seiner
Coniposition führt Träg's Musikcatalog auf: eine Cassazione für vier Flöten
und sechs Terzetti für drei Flöten.
KalidäsnH, berühmter altindischer Sänger und zugleich der ausgezeichnetste
unter den Kunstdichtern seines Vaterlandes, soll gegen Ende des 1. Jahrhun-
derts V. Chr. am Hofe des Königs Vikramaditja gelebt haben. Mit seinem
Schauspiel »Sakuntala« hat er sich den grössten Dichtern aller Zeiten angereiht.
Ausser diesem Meisterwei'ke besitzen wir noch zwei andere Schauspiele von
ihm, reich an lyrischen Schönheiten, ferner zwei epische und mehrere lyrische
Dichtungen. Auch wird ihm eine Bearbeitung der Sage von Nal und Da-
mayanti zugeschrieben, unter dem Titel »Nalodaya«, wie überhaupt seinem be-
rühmten Namen in späterer Zeit viele Dichtungen untergeschoben worden sind.
Kaikar, Heinrich, genannt Henricus Calcarensis, gelehrter deutscher
Geistlicher, geboren 1368 zu Cleve, wurde zu Paris Doctor der Theologie,
dann Canonicus zu Kaiserswerth und Köln, endlich Prior und Visitator des
Carthäuserordens , in welchen Würden er 1448 hochbetagt starb. Er ist der
Verfasser eines r)Oantuagium de musica«.
Kalkbrenner, Christian, vielseitiger deutscher Tonkünstler und Musik-*
schriitsteller, geboren am 22. Septbr. 1755 zu Münden in Hessen -Kassel, zog
in frühester Jugend mit seinem Vater, Michael K., der in Kassel Stadt-
musicus geworden war, in die hessische Hauptstadt. Fünfzehn Jahre war K,
alt, als er anfing, Ciavier zu lernen, auf welchem Instrumente ihn später der
Hof- und Stadtorganist Becker unterrichtete, während Karl Rodewald sein
Lehrer im Violinspiel war. Daneben wirkte er als Chorsänger bei der dama-
ligen französischen Oper in Kassel, wodurch er Gelegenheit erhielt, dramatische
Partituren zu studircn. Der neue Intendant, Marquis de Luchet, untersagte
ihm jedoch aus unbekannten Gründen 1775 die Benutzung dieser Partituren
und entliess ihn sogar bald darauf seines Theaterdienstes. Schon 1777 aber,
als er dem Landgrafen eine Sinfonie seiner Composition überreichte , musste
er auf dessen Befehl wieder aufgenommen werden. Rüstig weiter arbeitend,
veröffentlichte K. Ciavier sonaten, Lieder u. s. w. Mit einer vierstimmigen Messe
seiner Composition wollte er sich vom Landgrafen Urlaub und Stipendium zu
einer zweijährigen Studienreise nach Frankreich und Italien erwirken; seine
Neider aber wussten diesen Plan durch Unterdrückung dieses Werkes zu ver-
eiteln, worauf K. dasselbe an die philharmonische Akademie nach Bologna
schickte, welche ihn unter schmeichelhaften Worten der Anerkennung zu ihrem
Ehrenmitglied ernannte. Im J. 1785 wurde die Kapelle in Kassel aufgelöst,
und K. war unschlüssig, was er beginnen sollte, bis ihn die Königin von
Preussen 1788 als Kapellmeister nach Berlin berief, aus deren Dienst er 1790
in gleicher Eigenschaft in die Kapelle des Prinzen Heinrich von Preussen in
Rheiusberg trat. Dort componirte er die französischen Opern »ia veuve de
MalabarK, yyDemocriteu, r>Z.a femme et le secreUi, »Lanassan u. s. w. , sowie viele
verschiedenartige Ciaviersachen. Von 1796 bis 1797 lebte er in Neapel, dann
in Paris, wo er 1799 Anstellung als Chordirektor und Gesanglehrer der Grossen
Oper erhielt und am 10. Aug. 1806 starb. Seine in Paris geschriebenen und
aufgeführten grösseren Werke sind: die Oper r>Oli/mpie«, eine dramatische Scene
»Pygmalion« und eine Scene aus Ossian's Gedichten; seine nachgelassene Oper
»Oenone« wurde bald nach seinem Tode ohne grösseren Erfolg gegeben. Seine
Compositionen überhaupt haben, abgesehen von ihrer fliessenden, gefälligen
Kalkbrenner.
521
Melodik, keinerlei Bedeutung und sind daher sammt und sondei's in Vergessen-
heit gelangt. Schriftstellerisch lieferte er einen oberflächlich zusammencompi-
lirten »Abriss der Geschichte der Tonkunst, zum Vergnügen der Liebhaber der
Musik« (Berlin, 1792); eine nSistoire de la musiqtietn (2 Bde., Paris, 1802;
neue Aufl. in einem Bde., Paris, 1822), nicht minder werthlos; und eine
»Theorie der Tonsetzkunst« (l. Thl, Berlin, 1789). Endlich übersetzte er eine
Harmonie- und Compositionslehre von Xaver Bichter, Kapellmeister am Strass-
burger Münster, ins Französische unter dem Titel: -nTraite iVharmonie et de
composition par JFr. Xavier Richter^ revti, corrige, augmente et publie etc.<.i (Paris,
1804). Fetis bezeichnete auch dies Werk als Verballhornung des Richter'schen
Originals, dessen Manuscript er besass. Auch als Harmonicaspieler hat sich
K. bekannt gemacht.
Kiilkbrenuer, Friedrich (Wilhelm Michael), Sohn des Vorhergehen-
den, einer der grossen Meister des modernen Ciavierspiels und gewandter,
fruchtbarer Componist, wurde 1788 unfern Berlin (auf der Reise von Kassel dorthin)
geboren. Seine musikalische Ausbildung erhielt er von seinem Vater, seit 1796
in Neapel und seit 1798 im Conservatorium zu Paris, in welchem letzteren
ihn Louis Adam im Clavierspiel und Catel in der Harmonielehre unterrichteten.
Mit dem doppelten Preise 1802 gekrönt, verliess er das Conservatorium und
gab seine ersten Compositionen heraus. Im J. 1803 besuchte er Deutschland
und trat u. A. in Wien und Berlin öffentlich mit Beifall auf. Clementi, den
er auf dieser Beise traf, begeisterte ihn und regte ihn, nach Paris zurück-
gekehrt, zu beharrlichen Uebungen au. Unausgesetzt und mit gesteigertem
Erfolge trat er seitdem dort als Concertspieler und als Componist auf. Ein-
flussreich auf sein übriges Künstlerleben war sein Aufenthalt in Wien 1803
auch dadurch gewesen, dass er auf Haydn's Empfehlung, der ihn väterlich auf-
genommen, den Unterricht Albrechtsberger's im Contrapuukt genossen, sowie
ferner, dass er Hummel persönlicli kennen gelernt hatte. Im J. 1814 begab
sich K. nach London, wo er sich ganz dem Einflüsse der Clementi'schen Schule
hingab und sein Talent freier entwickeln konnte, so dass er als Ciaviervirtuose
und Lehrer sich grossen Ruf und ein bedeutendes Vermögen erwarb. Bis
1823 währte dieser Aufenthalt, nur unterbrochen durch ein alljährliches Ver-
weilen auf seinem französischen Landgute Rambouillet. Im letztgenannten
Jahre begab er sich, zugleich mit Moscheies, von Neuem auf den Continent,
wo er namentlich in Wien und Berlin Triumphe feierte. Logier's Methode
interessirte ihn damals lebhaft, und er stand auch lange Zeit mit Logier selbst
in Verbindung. Im J. 1824 war K. wieder in Paris und betheiligte sich als
Geschäftstheilnehmer an der Pleyel'schen Pianofortefabrik, welche durch seinen
Einfluss einen mächtigen Aufschwung nahm und im Flügel- wie im Pianinobau
(seit 1842) nicht überflügelt wurde. -Seinen Ruhm in Deutschland frischte K.
durch Concertreisen 1833 und 1834 wieder auf und Hess sich 1836 in Belgien
mit gleichfalls ausserordentlichstem Erfolge hören. Seitdem beschränkte er sich
als Virtuose und berühmter Lehrer auf Paris, bis er am 10. Juni 1849 in
dem benachbarten Enghieu eines der ersten Opfer der Cholera wurde, in
dem Augenblicke, als er sich anschickte, eine Erholungsreise nach Ischia an-
zutreten.
K.'s Spiel war von der vollendetsten Ausbildung, eine Verschmelzung der
grossen breiten Spielweise der Clementi'schen mit der leichten, anmuthig glän-
zenden der Hummel'schen Schule, aus welcher Vereinigung sein eigener trefi'-
licher und entzückender Vortrag hervorging. Ebenso wie durch vorzügliche
Ausübung nützte er der Kunst durch gediegene Lehre, die er durch Einrich-
tung eines dreijährigen cursorischen Privatunterrichts für talentvolle Schüler
fruchtbringend fortpflanzte. Als seine ausgezeichnetsten und begabtesten Zög-
linge sind zu nennen: Camille Pleyel, Kathinka von Diez, Stamaty und Karl
Wilh. John. Auch hat er die musikalischen Studien der Herzogin Helene
von Orleans geleitet. Unter seinen Claviercompositionen, die einer grösseren
522 Kalkus — Kalliope.
Vertiefung entbehren, findet sich gleichwohl manches Gehaltvollere, ja Gediegene,
so seine vier Concerte, besonders das in D-moll, sein Concert für zwei Piano-
fortes in G-diir, das Septuor op. 15, das Sextuor op. 58, das Quintett op. 81,
die Sonaten op. 4, 13, 35 und 42, die Phantasie »ie reve«, die Rondos y>Gage
d^amitiea und y>Les charmes de Berlin« u. s. w. Neben diesen ist freilich auch
eine überwiegende Zahl von seichten Modeartikeln zu verzeichnen. Rühmliche
Auszeichnung verdient seine grosse Pianoforteschule mit vortrefflichen Etüden.
K. führte übrigens, seinem Vermögen entsj^recheud, ein fürstliches Haus, dem
er mit grosser Eitelkeit zwar, aber mit noch grösserer Liebenswürdigkeit vor-
stand, und besass, bei angeborener edler Form und Haltung, im Umgang die
Leichtigkeit und Gewandtheit, die sich nur im häufigen Verkehr mit der ge-
bildeten Aristokratie erwerben lassen. Wer vertrauensvoll zu ihm ging, war
mit oder ohne Empfehlung gütig aufgenommen, ein Fremder mit um so grösserer
Freundlichkeit, ein Deutscher vollends mit Freude und Liebe. — Aus der Ehe
mit der Tochter des Generals d'Estaing, Grossnichte des berühmten gleich-
namigen Admirals, hinterliess er einen Sohn, Arthur K., auf den das Talent
des Vaters überging. Als Pianist geachtet und in unabhängiger Stellung,
starb derselbe im Januar 1868 zu Paris. Seinen Namen hat er dadurch ver-
ewigt, dass er der vom Baron von Taylor gegründeten Gesellschaft der Musiker
testamentarisch ein Legat von 120,000 Frcs. vermachte.
Kalkns, Joseph, beliebter Tanzcomponist, geboren in der letzten Hälfte
des 18. Jahrhunderts zu Böhmisch -Brod, nahm seinen Wolmsitz in Wien
und erlangte durch seine Tanzweisen, besonders Ländler, von dort aus einen
verbreiteten Ruf.
Kallans, Ferdinand, Sänger, Componist und Gesanglehrer, geboren um
die Mitte des 18. Jahrhunderts in Böhmen, wirkte 1788 als Tenorsäuger in
der Kapelle des Fürst -Bischofs von Passau. Er lebte noch 1812, und zwar
als Gesanglehrer in Prag. Als Compositionen von ihm kennt man katholische
Kirchenlieder.
Kallenbach, Georg Ernst Gottlieb, fleissiger und gefälliger Gesangs-
componist aus der Wendezeit des 18. und 19. Jahrhunderts, war Organist an
der helligen Geistkirche zu Magdeburg. Namentlich waren seine Lieder heitern
und scherzhaften Inhalts in damaliger Zeit sehr beliebt. Alle seine bis 1796
componirten Gesänge vereinigte er in einer Sammlung unter dem Titel »Oden
und Lieder zum Singen beym Ciavier für ungeübte und geübtere Sänger und
Spieler« (Magdeburg, 1796). Weiterhin Hess er noch erscheinen: »Zwerchfell-
erschütterungen und Lieder der Freude« (Halle, 1800) und »Frohe Lieder zur
Unterhaltung« (Ebendas.). Auch viele Ciavierstücke schrieb er, sogar auch
Opern, wie »Das Schattenspiel an der Wand« und eine andere, deren Titel
verschollen ist, sowie das Intermezzo »Ehestandsscenen«, die jedoch von zweifel-
haftem Werth sein dürften. Auch ein Choralbuch mit Melodien seines Vaters,
Christian Ernst K. (gestorben 1777 als Cantor in Potsdam), hat er heraus-
gegeben. K. selbst starb 1832 in Magdeburg.
Kallenberg, Wilhelm, deutscher Gesangcomponist, war seit 1831 als
Cantor in Erfurt angestellt und hat von seiner Composition Gesänge für eine
Stimme mit Pianofortebegleitung, sowie Kirchengesänge, ebenfalls für eine Sing-
stimme, veröffentlicht.
Kallinikos (griech.), d. i. mit schönem Siege, derjenige, welcher einen schönen
Sieg davongetragen hat, war der Name eines Singtanzes der alten Griechen,
den man zu Ehren des Herkules aufführte.
Kalliope (griech.), d. i. die Schönstimmige, die vorzüglichste der neun
Musen (s. d.), war die Vorsteherin des epischen Gesanges, bei Dichtern aber
auch bisweilen jeder anderen Dichtung. Von Oiagros, König in Thracien,
wurde sie, wie die Mythe erzählt, Mutter des Orpheus und Linos, von Strymon
des Rhesos, von Apollon des lalemos und Hymenäos, von Achelous der
Kalliwoda — Kambra. 503
Sirenen (s. d.). Auf antiken und den der Antike nachgebildeten Denkmälern
erscheint sie mit "Wachstafeln und dem Stylos oder Schreib griffel.
Kalliwoda, Johann Wenzel, ein ausgezeichneter Violinist und talent-
voller, gewandter Componist, wurde am 21. März 1800 zu Prag geboren und
in dem dortigen Conservatoi'ium von 1810 bis 1816 ausgebildet. Hierauf war
er Mitglied des Theaterorchesters in Prag bis 1822, wo er seine erste erfolg-
reiche Concertreise durch Süddeutschland unternahm. In München lernte ihn
der kunstsinnige Fürst von Fürstenberg kennen und ernannte ihn zu seinem
Kapellmeister in Donaueschingen, welchem Amte K., einige Kunstreisen, na-
mentlich nach Leipzig, abgerechnet, ununterbrochen bis zu seiner Pensionirung
im J. 1853 mit Fleiss und Pflichteifer vorstand. Hierauf lebte er, vom öffent-
lichen Schauplatz zurückgezogen, in Karlsruhe, wo er am 3. Decbr, 1866 starb.
Sein Yiolinspiel war mehr gemüthlich und anmuthig, als grossartig und glän-
zend. Dasselbe gilt von seinen dahin einschlagenden Compositionen, Violin-
und Ciaviersachen aller Art, sowie Liedern und Gesängen, die seit 1825 in
grosser Anzahl erschienen. Weit höher steht er als Orchestercomponist, und
seine sechs Sinfonien, deren erste (in F-moU) 1826 erschien, gehören zu dem
Tüchtigsten und Beachtenswerthesten, was die nachbeethoven'sche Zeit auf
diesem Felde hervorgebracht hat; allerdings in absteigender Folge, da sein
Talent einen erhöhten Aufschwung nach dem ersten überaus glücklichen An-
laufe nicht genommen hat. Der fortwährende Aufenthalt in seiner kleinen
Residenz, der Mangel genügender Anregung von aussen her und die Absper-
rung von den musikalischen Strömungen der gleichzeitigen Periode schadeten
seinem Schaffen, das immer mehr der Schablone verfiel, empfindlich. Hervor-
gehoben zu werden verdienen noch seine Concertouverturen, die allerdings mehr
für augenblickliche Bedürfnisse berechnet zu sein scheinen, allein den Zweck
angenehmer, nicht gerade oberflächlicher Unterhaltung bis auf den heutigen
Tag sehr gut ausfüllen. Sonst hat er noch Concerte für verschiedene Instru-
mente und sogar einige Opern, wie »Christine«, Text von Keller, »Bianca«
U.S.W, geschrieben, die aber kaum mehr als dem Namen nach bekannt ge-
worden sind. — Sein Sohn, Wilhelm K., geboren am 19. Juli 1827 zu
Donaueschingen, erhielt eine vortreffliche pianistische Ausbildung und kam 1847
in das Conservatorium zu Leipzig, wo er u. A. Mendelssohn bis zu dessen Tode
1847 zum Lehrer hatte. Im J. 1849 wurde er als Musikdirektor an die katho-
lische Kirche zu Karlsruhe berufen, und seine Tüchtigkeit als Orchesterdirigent
veranlasste später seine Anstellung als Hofkapellmeister am grossherzogl. Theater
daselbst. Ausserdem dirigirte er den dortigen philharmonischen Verein und
die Sinfonieconcerte des Hoforchesters; endlich ertheilte er einen gediegenen
Pianoforteunterricht. Kränklichkeit nöthigte ihn schon 1875, seine Pensionirung
nachzusuchen, die ihm auch unter ehrenvoller Anerkennung seiner guten Dienste
gewährt wurde. An seine Stelle als erster Hofkapellmeister trat Otto Dessoff
aus Wien. K. hat ziemlich viel componirt, aber nur eine Sinfonie, eine Ouver-
türe, Ciavierstücke und Lieder veröffentlicht. Sein Musikstyl lässt unschwer
erkennen, dass er sich ganz und gar Mendelssohn zum Vorbild genommen hat.
Eallmns oder Kalmus, s. Calmus.
Kaiwitz, s. Calvisius.
Kamal Eddin Abnlphadhi Giafar, der Sohn des Thalah Aladphari,
arabischer philosophischer und musikalischer Schriftsteller, lebte um die Wende
des 13, und 14. Jahrhunderts und hinterliess u. A. im Manuscript ein »Opws
quadripartitum de spectaculis et musices usu etc.v. (1301), worin er diejenigen
eingehend widerlegt, welche die Musikübuug als gemeinschädlich verbieten.
Kambra, deutscher Musikgelehrter, Clavierspieler und Componist zu Ende
des 18. Jahrhunderts, scheint aus Sachsen gebürtig gewesen zu sein und lebte,
nachdem er grosse Reisen durch Ostasien unternommen hatte, um 1796 in
London. Als musikalische Früchte seiner Streifzüge veröffentlichte er: ein
chinesisches Blumenlied, in unsere abendländische Notenschrift übertragen und
524 Kambuugkayu — Kannner.
mit einem Vorwort über Cliiiiesisclie Musik versehen (abgedruckt Im neuen
deutschen Merkur von 1796, Stück 1 No. 4); ferner: »2 original chinese songs
„Mao - Lee - Ghwa et Higlio-IIighau^^ for the Fortepianovi (London, 1800). Von
seinen eigenen Compositionen kennt man als in London erschienen: Sonaten
op. 1, 2 und 13, Rondos und Variationen, säramtlich für Ciavier.
Kambung kayn nennen die Insulaner im chinesisch -indischen Musikkreise
ein dem G am bang (s. d.) ähnlich gebautes Schlaginstrument, dessen tönende
Körper trockenes HoJz sind. 2.
Kameradschaft hiess vornämlich die Innung der deutschen Feldtrompeter
und Heerpauker, eine Institution des späteren Mittelalters, die sich bis tief
in die neuere Zeit hinein erhielt. Die Mitglieder dieser Innung nannten sich
vorzugsweise Kameraden. Nur diejenigen Musiker wurden zur K. gerechnet,
welche die Trompeter- und Paukerkunst zunftmässig bei einem zünftigen, d. h.
zu dem Vei'bande gehörigen Trompeter und Pauker erlernt hatten. Die K. be-
sass umfangreiche, vom Kaiser und den deutschen Landes fürsten wiederholt
bestätigte und erweiterte Statuten mit Gerechtsamen, die sie vor allen anderen
Instrumentalmusikern sehr bevorzugten. Das auf zwei Reichstagen zu Regens-
burg, 1623 und 1630, vom Kaiser Ferdinand IL erneuerte Privilegium der K.
findet man in seinem Wortlaut in der »Deutschen Musikerzeitung« Jahrg. 1874
No. 26 und 27 abgedruckt.
Kamieusky, Matthias, polnischer Operncomponist ungarischer Herkunft,
geboren am 13. Octbr. 1734 zu Oedenburg in Ungarn, trat als Jüngling in die
Kapelle des Grafen Hentzel daselbst und begab sich hierauf nach Wien, wo
er eingehende Compositionsstudien machte. Endlich Hess er sich bleibend in
Warschau nieder und componirte dort die Oper »Das Glück im Unglück«, welche,
1778 aufgeführt, einen beispiellosen Enthusiasmus hervorrief und K. als den
Schöpfer der ersten polnischen Nationaloper erscheinen Hess. Seine weiteren
Opern: »Sophie oder die Liebschaft auf dem Lande«, »Die tugendhafte Einfalt«,
»Der Ball auf dem Lande«, »Die Nachtigall« und »Die Uebergabe« befestigten
seinen grossen Ruf. Ausserdem hat er auch Kirchensachen und Polonaisen
geschrieben. Gestorben ist er hochbetagt am 25. Jan. 1821 zu Warschau.
Kamile ist der Name eines der grossen Tonzeichen in der griechisch-
katholischen Kirche, dessen Zeichen L\ dem fast gleichen demotischen Schrift-
zeichen der alten Aegypter nachgebildet ist und für die Tonphrase -/rt— J'
gesetzt wird. 0.
Kamm oder Rechen, s. Kämme.
Kammel, Anton, bedeutender Violinvirtuose der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhunderts, war aus der Grafschaft Waldstein in Böhmen gebürtig. Der
kunstsinnige Graf von Waldstein Hess ihn, als er ein hervorragendes Talent
in ihm entdeckte, zur höhereu Ausbildung nach Italien und speciell zu Tartini
nach Padua gehen, dessen Unterricht K. eine Zeit lang geuoss. Nach Prag
zurückgekehrt, erregte sein Spiel und besonders sein Adagiovortrag allgemeine
Bewunderung. Durch Deutschland reiste hierauf K. nach London, wo er an-
fangs nicht sonderlich gefiel, dann aber, als er sich in den Geschmack der
Engländer zu finden wusste, um so mehr Beifall fand. Er wurde Mitglied
der königl. Kammermusik, verheirathete sich sehr reich und starb um 1788
zu London. Ebendaselbst erschienen auch von ihm einige zwanzig Werke, be-
stehend aus Sinfonien, Messen, Streichquartetten, Violin -Trios und Duetten,
Concerten für Violine und anderen Instrumentalsachen, die sich durch an-
genehme und fliessende Cantilene auszeichnen.
Kammer, abgeleitet von dem griechischen Kamara, d. i. bedeckter Wagen,
hiess bei den fränkischen Königen das abgesonderte Gemach, worin sie ihr
Privateigenthum bewahrten. Daher bezeichnet das Wort K. die Privatbeschäf-
tigungen im Gegensatz von dem Hof- oder öflfentlichen Leben des Fürsten.
Kammercomponist — Kammermusik. 525
Als die Fürsten und Grossen begannen, ihre eigenen kleinen Kapellen zu
halten, mussten dieselben in den G-emächern des Schlosses ihre AufiFührungen
veranstalten, zu denen Niemand ohne Erlaubuiss Zutritt hatte. Der Name
K, wurde seitdem als Beiname auf die dort ausgeführte Musik und die die-
selbe singenden oder spielenden Musiker übertragen und blieb als Ehrentitel
noch bestehen, als die veränderten Verhältnisse der Neuzeit längst schon den
eigentlichen Sinn dieser Bezeichnung nicht mehr rechtfertigten (s. Kammer-
musik, Kammermusicus, Kammersänger und Kammervirtuose). —
In der Fachsprache der Orgelbauer ist K. dasselbe wie Cancelle (s.d.).
Kaiuuiercompouist hiess ehemals derjenige Tonkünstler, welcher bei fürst-
lichen Personen eigens dazu angestellt war, um Tonstücke für die Aufführungen
in den Privatgemächern der Herrschaft zu schreiben. Gleichbedeutend mit K,,
wird jetzt häufiger der Titel »Hofcomponist« verliehen.
Kainmerconcert, s. Concert.
Kamnierflöte, s. Kammerregister.
Kammerg-edackt, s. Gedackt.
Kammerkoppel hiess in früherer Zeit ein jetzt nicht mehr vorkommendes
Mauubrium, durch dessen Anzug die ganze Tastatur der Orgel so verändert
wurde, dass die Kammerregister zur Yei'wendung gelangten und die Orgel selbst
im Kammerton, d. h. um einen ganzen Ton tiefer als gewöhnlich erklang,
Kammerlander, Karl, tüchtiger deutscher Orgelspieler und trefflicher Com-
ponist, geboren am 27. April 1828 zu Weissenhorn in Schwaben, trieb schon
im Elternhause und seit 1840 als Schüler des Stephansgymnasiums zu Augs-
burg eifrig Musik, so dass er neben den Schulstudien sechs Jahre hindurch
die Organistenstelle an der Kirche St, Stephan zu versehen im Stande war.
Bis Terzia vorgerückt, vermochte er seine Neigung nicht länger hinzuhalten
und wandte sich ausschliesslich der Tonkunst zu. Zu diesem Zwecke nahm
er gründlichen Unterricht bei dem Augsburger Domorganisten C, Kempter.
Gleichzeitig studirte er die besten Partituren kirchlicher und weltlicher Musik
und nahm an allen Aufführungen in der Stadt lebhaftesten Antheih Damals
versah er das Organistenamt an der Studienkirche zu Augsburg, Die Aner-
kennung, welche seine eigenen Compositionen von Seiten des Kapellmeisters
K. L. Drobisch fanden, ermuthigte ihn, für den Chor von St. Stephan mehrere
Psalmen, Gradualien und einige Vocalmessen mit Orgelbegleituug zu schreiben.
Im J. 1853 wurde er zum Chordirigenten an der Pfarrkirche St. Max, 1867
als solcher an St. Moritz ernannt. Ausserdem giebt er Unterricht im Piano-
forte, Gesang und in der Composition. Von seinen Compositionen sind, als
im Druck erschienen, gute Kirchen- und Orgelsachen, unter denen der 13. Psalm
mit vollem Orchester noch besonders hervorzuheben ist, sowie 32 Lieder
und Balladen, 21 Gesänge für Männejt'chor und solche für gemischten Chor
zu nennen.
Kammerloher, unrichtige Schreibweise für Camerloher (s, d.).
Kammermusik (ital.: Musica da camera; französ.: Muslque de chamlre).
Durch den verschiedenen Gebrauch, den man bei Verbreitung und Verallge-
meinerung der Musik in der neueren Zeit davon machte, entwickelte sich auch
ganz von selbst eine Verschiedenheit des Styls, welche aber nicht als eine
strenge Grenzscheidung angesehen werden darf. Von der Kirchenmusik, als
der ältesten und bereits zu einem gewissen Höhepunkte gelangten Gattung,
sonderte sich allmälig zuerst der Theaterstyl ab, wie denn mit Erweiterung
der Kunst nach allen Seiten hin auch nach und nach das lebhafte Verlangen
sich einstellte, nicht ausschliesslich religiöse, wie sie jene sich zur Aufgabe ge-
stellt hat, sondern auch bloss moralische Empfindungen, welche diese zu erregen
vorzugsweise bestimmt zu sein scheint, durch sie ausgedrückt und in den
Menschen lebendig gemacht zu wissen. Beide Musikgattungen indessen, die
Kirchenmusik nicht weniger wie die Theatermusik, wendeten sich von jeher,
wie auch noch heutzutage und in alle Zukunft hinaus, an die grösstmögliche
526 Kammermusiker — Kammersänger.
Oeffentliclikeit und lassen in mehr als einer Beziehung auch gar keine andere
Anwendung zu. Der Privatgebrauch der Musik musste daher nothgedrungen
noch eine dritte Gattung ins Leben rufen: die Kammermusik, so genannt,
weil ehedem nur die Fürsten und Grossen an ihren Höfen und in ihren Hof-
gemächern (Kammern) durch ihre Kammercomponisten , Kammermusiker und
Kammersänger sich 'mit Musik unterhalten Hessen (s. Kammer). Der Kammer-
styl bildete gewissermaasseu einen Yereinigungs- oder Vermittelungspunkt
zwischen dem Kirchen- und Theaterstyl, von beiden sich etwas aneignend, das
wiederum ein besonderes charakteristisches Ganzes gestaltet. Gegenwärtig bei
allgemeinster Verbreitung der Musik will der Name K. allerdings durchaus
nicht mehr passen und wird nur noch von der Pietät vor dem Altherkömm-
lichen conservirt; viel richtiger Hesse sich, wenn man unter K. im weiteren
Sinne die weder kirchliche noch theatralische Musik versteht, unterscheiden:
Concertmusik, die auch im grösseren Haume und öffentlich ausgeführt wird,
Kammermusik, für Zimmer und Privatcirkel, ohne voUes Orchester, sondern
nur für einige Stimmen oder Instrumente, und endlich Volksmusik, welche
auch die Tänze und Volkslieder in sich schliesseu würde. Die Eigenthümlich-
keit des Kammerstyls beruht darauf, dass er, nicht für das grosse Publikum,
sondern für Liebhaber und für Kenner gleichermaassen bestimmt und auf einen
kleinen Raum berechnet, feiner ausgebildet, schwieriger, auch künstlicher sich
darstellt, weil im kleineren Räume Manches sich genauer hören und unter-
scheiden lässt, was im grösseren Räume verschwindet, und weil die Componisten
bei ihren Zuhörern mehr Fertigkeit und Uebung im Hören voraussetzen durften.
Ein K.stück soll daher ein Kunstprodukt im höchsten Sinne des Wortes sein;
der Satz muss mehr zergliedert, die Melodie feiner nüancirt, die Ausarbeitung
sorgfältiger erscheinen, als in den Werken der anderen Gattungen. Der Kam-
merstyl erfordert die grösste Correctheit und Eleganz und die tiefste Kenntniss
des reinen Satzes, weil bei dieser Gattung der Musik, die vorzugsweise vor
Kennern und bei schwacher Besetzung vorgetragen wird, Härten und Satzfehler
leicht bemerkt werden. Die grossen Meister der Musik, auf welchen Gebieten
ihrer Kunst sie auch immer vorzugsweise thätig waren, haben sich zu eigener
Genugthuung immer bemüht, auch der keuschen Muse der K. ihre Huldigung
durch fein gestaltete Werke dieser Art dai'z üb ringen; auffallende Ausnahmen
bilden nur Gluck, Meyerbeer und Rieh. Wagner, die ihre Thätigkeit aus-
schliesslich dem dramatischen Musikstyle zuwendeten. Im weiteren Sinne ge-
hören zu dem Kammerstyle: Sinfonien und Concertouverturen, Instrumental-
concerte, Concertarien (Concertmusik); ferner Sonaten, sowie Duos, Trios
(Terzette) , Quartette u. s, w. bis hinauf zum Octett und Nonctt für Instru-
mente und Stimmen, endlich Solos, Variationen, Nocturnes, Serenaden für
Streich- oder für Blasinstrumente (K. im engeren Sinne). — Das zur spe-
ciellen Geschichte der K. Gehörige lese man in dem Artikel Instrumental-
musik nach.
Kammermusiker heissen im Allgemeinen die in einem fürstlichen Orchester,
in einer Hofkapelle angestellten Musiker, welche ihren Gehalt aus der Privat-
kasse ihres Dienstgebers empfangen. In Kapellen, wo es zwei Kategorien
von Musikern, K. und Hofmusiker giebt, ist der Titel K. der höhere und
wird durch eine gewisse Dienstzeit erlangt oder als Auszeichnung besonders
verliehen.
Kammerreg-ister. Bei den im Chorton (s. d.) stehenden Orgeln waren
bisweilen mehrere Stimmen in den Kammerton gestimmt, damit der Organist,
ohne zu transponiren , die vocalen und besonders die instrumentalen Kirchen-
musiken begleiten konnte. Diese Stimmen hiessen K. (s. auch Gedackt).
Kammersänger ist das Prädikat jedes im Dienste eines Hofes stehenden
Sängers, der in der Hofkirche oder im Hoftheater und im Hofconcerte zu
singen hat. Die Kategorie der Hofkirchen- oder Hofopernsänger ist die den
K.n untergeordnete. Oft ist der Titel K. nichts als eine fürstliche Gunst-
Kamin erstimme — Kanal. 52 t
bezeugung, mit der keinerlei Pflichten des betreffenden Künstlers, wohl aber
mitunter ein Ehrengehalt verbunden ist.
Eammerstimme, s. Gredackt.
Kammerstyl, s. Kammermusik und Styl.
Kammerton oder Kapellton, s. zunächst Chorton. Seit der Mitte des
18. Jahrhunderts war der K., d. h. die gewöhnliche Stimmung der zur Kammer-
musik erforderlichen Instrumente (jetzt aber die allgemein als alleinige Norm
übliche Instrumentenstimmung), die mit den damaligen Blasinstrumenten gleich
hochstehende Stimmung, welche immer einen ganzen Ton tiefer war als der
Chorton, der der Ton der älteren Orgeln zu sein pflegt. Man ging bei dieser
Feststellung von der Ansicht aus, dass die Kammermusik wegen des beschränkten
Locals nicht so scharf und durchdringend zu sein brauche, als die Stimmung
der Orgel, die einen weit grösseren Raum auszufüllen habe. Gewöhnlich musste
man daher bei einer Kirchenmusik die Orgelstimme um einen Ton tiefer spielen,
als die begleitende Instrumentalmusik. Erst neuerdings wurden auch die Orgeln
durchgehends im K. gestimmt. Dieser letztere kam übrigens im Laufe der
Zeit dem alten Chorton immer näher. Die Gründe, welche dies Hinaufschrauben
in die Höhe veranlassten, war die Rücksicht auf den Glanz und die Kräftigkeit
der Streichinstrumente, die je höher gestimmt, um so durchgreifender erklangen.
Endlich kam es dahin, dass die K.stimmung an verschiedenen Orten erheblich
differirte, so dass, während Scheible den K. zu 400 Schwingungen in der Se-
kunde auf a} annahm, um 1850 in der Italienischen Oper 424, in der Grossen
Oper zu Paris 431, in der Berliner Hofoper sogar 437 Schwingungen auf a}
kamen, abgesehen davon, dass fast jedes Orchester einen eigenen K. hatte, der
innerhalb dieser Gränzen höher oder tiefer stand. Dem tiefgefühlten Bedürfniss
nach einem einheitlichen K., der mit Rücksicht auf die Sänger nicht zu hoch
gesetzt war, kam zunächst nach Anhörung einer ad hoc berufenen Versammlung
von Akustikern und Musiknotabilitäten die französische Regierung entgegen,
indem sie in Frankreich eine allgemeine Normalstimmung aufstellte und ein-
führte, welche nach und nach auch von den meisten grossen Orchestern des
Auslandes, namentlich Deutschlands, adoptirt wurde, allein noch immer leider
weit davon entfernt ist, allgemein angenommen zu sein (s. A). Früher gab es
neben dem K.- und Chorton noch einen dritten Stimmton, Cornetton (s.d.)
genannt.
Kammervirtuose ist wie Kammersänger in der Regel nichts, als ein aus-
zeichnender Titel, den Fürsten hervorragenden Concertspielern als Zeichen be-
sonderer Anerkennung verleihen.
Kampnk oder Ketut ist der Name eines Schlaginstruments im indo-
chinesischen Musikkreise, dessen tonerzeugender Theil aus derselben Metall-
mischung wie der Gong (s. d.) gefertigt ist. Dieser Theil hat die Form
einer kleinen Schüssel mit Deckel und wird derselbe in einem Holzgestell ge-
führt. Tönend erregt man denselben durch einen belederten Klöpfel. Ein
Sortiment solcher Schüsseln wendet man wie den Gambang (s. d.) im En-
semble an. 2.
Kanal, "Wind röhr oder Schlauchrohr, letzteres eine veraltete Benen-
nung, ist die in jeder Orgel befindliche, aus Brettern mit Leim und hölzernen
Nägeln winddicht zusammengesetzte, länglich viereckige Röhre, durch welche
der Wind aus den Bälgen in die Windladen der Orgel geleitet wird. Es giebt
Haupt- und Nebenkanäle, und die Weite derselben hängt von dem grösseren
oder geringeren Quantum des Windes ab, welches der betreffende K. aufzu-
nehmen bestimmt ist; je grösser die Anzahl der vorhandenen Stimmen einer
Orgel und je ausgedehnter ihre Dimensionen, um so mehr Wind ist für die
verschiedenen Kanäle erforderlich. Von den Arten der Kanäle sind zu nennen:
1) Der Hauptkanal, welcher ungetheilt oder getheilt sein kann (s. Haupt-
kanal und Getheilt). 2) Die Nebenkanäle, welche den Wind erst aus
dem Hauptkanal erhalten und ihn den Windladen zuführen. Jede Orgelab-
528 Kanalschnauzen — Kanejlii.
theilung bedarf wenigstens eines Nebenlcanals, nacli Umständen, die von der
Grösse derselben abhängig sind, aucb deren zwei und melir; in diesen befindet
sieb das zu jeder Abtbeilung gehörende Sperrventil, der Tremulant und auf
ihnen die sogenannte Schwebung oder der Bock. 3) Die Kniestücke, s.
Glebrochener (gekröpfter) Kanal. — "Winddichtigkeit ist ein Haupterforderniss
aller Kanäle, weshalb sie von innen nicht nur mit heissem Leim und Bolus
zu mehreren Malen sorgfältig ausgestrichen sein, sondern die Verbindungen des
Hauptkanals mit den Nebenkanälen, sowie diese unter sich und mit den Knie-
stücken auch doppelt und glatt beledert werden müssen.
Kautilschuau/en nennt man die Schlünde an den Windkanälen der Orgel,
welche dazu bestimmt sind, den Wind aus den Bälgen aufzunehmen.
Kanalventil, s. Contraventil.
Kaucka, Joseph von, ein musikkundiger Dilettant, war zu Ende des 18.
und anfangs des 19. Jahrhunderts Landesadvocat in Prag und als fertiger
Clavierspieler wie als geschmackvoller Componist rühmlich daselbst bekannt.
Tänze für Orchester von ihm, sowie Variationen für Pianoforte und andere
für Violine und Viola sind 1796 im Druck erschienen. Hochgestellt wurde
auch eine Cantate, die er zum Jubiläum des Grafen von Spork in Musik ge-
setzt hatte.
Eaudele, ein finnisches Saiteninstrument von der ungefähren Grösse einer
Violine, das mit den Fingern gespielt und von den Eingeborenen besonders
beim Vortrag ihrer Zaubersprüche und Zauberlieder gebraucht wurde. Einer
altfinnischen Sage nach war das Instrument von dem vornehmsten Landesgott,
Wäinämöin, erfunden und der Nation geschenkt worden. Da es aber kein
Mensch zu behandeln vermochte, so stieg er selbst hernieder, sang und spielte
darauf, dass die Thiere des Waldes, die Vögel und Fische dieser Musik
lauschten und ihm selbst vor Rührung die Thränen wie Perlen auf das Ge-
wand fielen,
Eaudler, Franz Sales, deutscher Musikgelehrter, geboren am 23, Aug.
1792 zu Kloster-Neuburg in Unterösterreich, war der Sohn eines Lehrers, der
ihn 1802 als Sängerknabe in den kaiserl. Convict zu Wien brachte. Dort
wurde K. zugleich für die Universitätsstudien vorbereitet und kämpfte sich als
Student durch Unterrichtsertheilung mühsam durch das Leben, bis er 1815
beim Hofkriegsrath angestellt wurde. Seiner Sprachkenntnisse wegen ward
er 1817 nach Venedig und 1821 zur kaiserl. Armee nach Neapel versetzt.
Als Feldkriegsconcipist 1826 wieder nach Wien zurückberufen, starb er am
26. Septbr. 1831 in dem nahe gelegenen Kurort Baden an der Cholera.
Seinen zehnjährigen Aufenthalt in Italien hatte er zu gründlichen Forschungen
über italienische Musik benutzt; die Ai'chive und Bibliotheken zu Venedig,
Mailand, Bologna, Rom, Neapel u. s. w. hatte er sich zugänglich gemacht und
mit scharf kritischem Auge die dort aufbewahrten Schätze einer eingehenden
Untersuchung unterzogen, um ein möglichst vollständiges Bild von der Glanz-
zeit italienischer Kunst und ihrem Verhältniss zur Gegenwart zu erlangen.
Abhandlungen in den verschiedenen musikalischen Zeitschriften gaben von den
so gewonnenen Erfahrungen Kunde, aber die Gesammtresultate zu ordnen und
zu ergänzen stand er gerade im Begriff, als ihn leider der Tod ereilte. Sonst
hat man noch von ihm zwei grössere Werke: nCenni storico - crUici intorno
alla vitä cd alle opere del celebre compositore G. Ad. Sasse, detto il Sassone<f.
(Venedig, 1820; 2. Aufl. Neapel, 1820) und «Ueber das Leben und die Werke
Palcstrina's, nachgelassenes Werk, mit Vorrede und Anmerkungen versehen
von R. G. Kiesewetter (Leipzig, 1834), In diesen Arbeiten, sowie in seinen
zerstreuten musikalischen Aufsätzen in der Wiener musikalischen Zeitung be-
thätigt sich K, als ein vielseitig gebildeter, mit theoretischen und praktischen
Musikkenntnissen reich ausgerüsteter Gelehrter, dessen frühen Tod die Kunst-
geschichte zu beklagen hat.
Kanejlii, ums Jahr 1680 n. Chr. Kaiser von China, hat sich nicht allein
Kanne — Kanon. 529
durch Studium der alten Schriften über Musik und durch eigene Composition
vieler Melodien bei seinem Volke ein bleibendes Gredächtniss erworben, sondern
auch durch noch vorhandene Schöpfungen zur Verbreitung und Hebung der
vaterländischen Kunst beigetragen. Die hervorragendste derselben war die
Akademie der Musik, der er seinen drittgeborenen Sohn als Präsidenten vor-
setzte, und eine nicht minder erwähnenswerthe: dass er das Buch »Die wahre
Lehre des Ly-lü« in vier Büchern schreiben liess, dem ein fünftes Buch an-
gehängt war, welches von der europäischen Musik handelte. f
Eanue, Friedrich August, talentvoller deutscher Dichter und Componist,
geboren am 8. März 1778 zu Delitzsch in Sachsen, studirte anfangs die Kechte
in Leipzig und AVittenberg, wandte sich aber dann ausschliesslich der schönen
Literatur, der Aesthetik und besonders der Tonkunst zu. Um sein Leben zu
fristen, wurde er Sekretär eines anhält -dessau'schen Prinzen, ging aber nach
Verlauf eines Jahres nach Dresden, wo er Compositionsstudien beim Cantor
Weinlig oblag und eine von ihm gedichtete und componirte Cantate »An die
Tonkunst« mit grossem Beifall öffentlich aufführte. Im J. 1801 begab er sich
nach Leipzig und veröffentlichte daselbst viele seiner Gesänge, besonders Bal-
laden. Um 1806 finden wir ihn in AVien im Palaste des Fürsten von Lob-
kowitz, welcher für ihn grossmüthig sorgte. K. dichtete und componirte nun
seine erste Oper: »Orpheus« und sah dieselbe bei ihrer Aufführung in "Wien,
im J. 1807, höchst beifällig aufgenommen. Eine zweite Oper, »Fernando und
Miranda« (1808), befestigte seinen Ruf und veranlasste 1809 seine Berufung
als Kapellmeister des Theaters in Pressburg. Diese gute Stellung verliess er
aber bald wieder, wie noch so manche andere, in die er durch einflussreiche
Empfehlung rückte, und kehrte immer wieder nach Wien zurück, schrieb Con-
cert- und Theaterkritiken und redigirte die letzten Jahrgänge der "Wiener
musikalischen Zeitung. Immer mehr herunterkommend, ergab er sich noch
mehr wie bisher einem ungeregelten Leben und musste, um auch dieses be-
streiten zu können, zuletzt sein schönes Talent um wenige Groschen für Ge-
legenheitsgedichte preisgeben. Endlich unterlag er, jeden ärztlichen Beistand
verschmähend, den Folgen seiner Ausschweifungen. K. starb am 16. Decbr.
1833 in AVien. — Ausser den schon genannten, hat er noch folgende, meist
auch selbstgedichtete Opern, Singspiele und Dramen in Musik gesetzt: »Die
Elfenkönigin«, »Die Belagerten«, »Deutscher Sinn«, »Sappho«, »Die eiserne
Jungfrau«, »Lindana«, »Malwina«, »Schloss Theben«, »Der Untergang des Feen-
reichs« und »Die Zauberschminke«; sodann viele Lieder, Balladen, Cantaten,
eine Messe, Sinfonien, Streichquartette u. s. w., von denen auch manches, da es
gedruckt erschien, bekannt geblieben ist.
Kanueg-iesser, Justus Jacob, häufig aber unrichtig Kanne ngiess er ge-
schrieben, geschickter deutscher A^iolini&t und Componist für sein Instrument, ge-
boren 1732 in Hannover, war um 1755 als Kammermusicus beim Prinzen von
AVürtemberg in Berlin angestellt und wurde 1786 in die königl. Kapelle daselbst
gezogen. Auch als einsichtsvoller Gesanglehrer war er dort sehr geschätzt.
Als königl. Kammermusiker 1798 pensionirt, starb er am 15. Febr. 1805 zu
Berlin. Sein Spiel und seine A^iolincompositionen hatten den vollen Beifall
der Kenner seiner Zeit; die letzteren sind aber ungedruckt geblieben und ver-
loren gegangen. Dagegen hat man noch von ihm in Berlin erschienene Duette
für zwei Sopranstimmen und einige Romanzen.
Kanon {y.avMi) war der griechische Name für das Griffbrett (s. d.) der
Kitharainstrumente (s.d.). »Auch hiess K. der Theil des anthiphonischen
Monochordes, welcher zwischen den beiden festen Stegen liegt. Hiernach, sagt
Porphyrios (p. 207) und nicht nach dem K. der Kithara, wären die Pytha-
goräer Kanoniker genannt worden« (v, Drieberg, »AVörterbuch der griechischen
Musik«, Berlin, 1835, S. 65). »Das authiphonische Monochord diente niemals
zum Spiel, sondern blos zur Feststellung der Verhältnisse der Symphonien,
indem darauf die Klänge der Intervalle zusammen angeschlagen werden können.«
Musikal. Couvera.-LeidLkoii. V. 34
530 ' Kanonik.
»Der Obertlieil dieses Monochords zwischen den festen Stegen führt den Namen
K. Dieser K., oder harmonisches Richtscheit, wurde schon vom Instrumenten-
macher mit der grössten Genauigkeit in diejenigen Theile zerlegt, welche die
Symphonien erfordern; dies nannten die Pythagoräer (Aristid. p. 117): die
Theilung des K.s (s. Kanonik). Die Theilung der Saite geschah erst durch
den beweglichen Steg. Sollte nämlich das Monochord (s. d.) gebraucht wer-
den, so wurde der bewegliche Steg auf diejenigen Stellen des K.s liingesclioben,
welche als die Sitze der Symphonien bezeichnet waren, dann die beiden Theile
der Saite zusammen angeschlagen, und die Reinheit des Intervalls mit dem
Gehör beurtheilt« (v. Drieberg, a. a. 0. S. 11 und 12). Dagegen erklärt D. G.
Türk (»Anleitung zu Temperaturberechnuugeu«, Halle und Leipzig, 18U6, S.34):
»Das Monochord ist ein, nicht zum Spielen, sondern bloss zum Ausmessen der
Tonverhältnisse bestimmtes Instrument.« »Vermittelst eines dazu gehörigen
sogenannten Läufers oder beweglichen Steges, welcher unter die Saiten auf die
jedesmal dazu erforderliche Stelle gesetzt wird, kann man die Intervalle nach
der Länge der Saiten ausmessen. Dieser Bestimmung gemäss wird ein solches
Instrument, oder wie Andere wollen, nur die darauf gezogene Saite, auch wohl
blos der zum Abmessen bestimmte Raum, welcher sich zwischen den beydeu
äussersten festen Stegen (Sätteln, Erhöhungen") befindet, ein K. genannt. 0. T.
Kauouik (xavovmf), Theilung des Kanons (s. Kanon), bezeichnete bei den
Griechen die mathematische Klang- und Intervallenlehi'e. »In so fern die mathe-
matische Klanglehre oder die sogenannte K. sich blos auf Tonberechnungen
einschränkt, ist sie eine Wissenschaft, welche durch verschiedene Rechnungs-
arten das Verhältniss der Töne zu einander finden lehrt, Nächstdem bestimmt
auch die mathematische Klanglehre, in Verbindung mit der Akustik, durch
Ausmessungen die erforderliche Grösse und Figur der musikalischen Instru-
mente und ihrer einzelnen Theile. Kürzer sagen daher Andere: ,Die K. ist
die Eintheilungslehre der Klänge nach ihrem äusseren Maasse und Verhält-
nisse.' Der mathematischen Klanglehre pflegt man die physikalische, oder der
K. die Akustik entgegen zu setzen. Diese letztere untersucht, wie ein Klang,
vorzüglich aber ein für die Musik brauchbarer Ton erzeugt wird; wodurch die
Verschiedenheit der Töne entsteht; wie sich der Ton fortpflanzt u. s. w.«
(D. G. Türk, »Anleitung zu Temperaturberechnungen«, S. 1). — Jetzt fasst
man den Begriff Akustik weiter, K. dagegen enger, so dass die letztere nur
einen Tbeil der mathematischen Akustik ausmacht. Nach dieser Auffassung
hat es die K. nur damit zu thun , die Tonhöhe (absolute oder relative) der
Bestandtheile von Zusammenklängen, Tonleitern, Tonsystemen und Tempera-
turen zu berechnen. In diesem Sinne ist der Begriff K. auch hier gefasst,
und man findet daher alles andere, was früher noch mit zur K. gerechnet
wurde, bereits unter »Akustik« und in den specielleren Artikeln über akustische
Fragen mitgetheilt.
Die K. in diesem engeren Sinne wird von einigen Schriftstellern bezeichnet
als arithmetischer Theil der theoretischen Musik, als harmonikale oder musi-
kalische Rechenkunst, als Rationalrechnung, als Touberechnung u. dgl. m.
lieber die Bedeutung dieser Wissenschaft lässt sich H. Chr. Koch (»Musik.
Lexikon«, Fraukf., 1802, S. 297 ff.) wie folgt aus: »Einen langen Raum der
Vorzeit hindurch, bis gegen das Ende des ersten Viertels des verwichenen
Jahrhunderts, wurde sie als die Hauptwissenschaft der ganzen Tonkunst be-
trachtet. So gewiss sie dieses auch nicht sein kann, so wii'd man sich doch
über den ihr beygelegten Vorzug nicht wundern, wenn man bedenkt, dass nur
durch dies- Wissenschaft das ehemals noch sehr unvollkommene Tonsystem
berichtigt werden konnte, und dass sie das einzige Hülfsmittel war, wodurch
alle in der Musik zu gebrauchenden Töne in eine völlig zusammenhängende
Ordnung, und in ein für unser Ohr brauchbares Verhältniss gebracht werden
mussten; — ein Gegenstand, welchen ins reine zu bringen, der menschliche
Geist viele Jahrhunderte hindurch sich vergebens angestrengt hatte.« »Kurz,
ICanonik. 53 1
ehedem glaubte man, der ganze "Wertli der Tonkunst beruhe einzig und allein
auf richtigen und unter einander in Verbindung gebrachten Tonverhältnissen,
die doch nur erst das Material zur Erreichung des Endzweckes der Kunst
ausmachen; und daher kam es, dass man der K. einen zu hohen Werth bey-
legte. Allein man hat schon mehrmals bemerkt, dass, was ehedem hierbey zu
viel geschah, anjetzt zu wenig geschieht, und dass man diese AVissenschaft,
woraus sich nicht allein mancher Gregenstand, die harmonische Verbindung der
Töne betreffend, erklären lässt, sondern die insbesondere auch bey der Kennt-
niss und Beurtheilung des Baues der musikalischen Instrumente von grossem
Nutzen ist, ganz vernachlässigt, und als unbrauchbare und nur pedantischen
Köpfen eigene Grrillen, verachtet.« Auch D. Gr. Türk (a. a 0., Vorerinnerung
S. IV.) klagt: »Uebrigens will ich zwar gern zugeben, dass unsere Vorfahren
dem arithmetischen Theile der IMusik einen allzu hohen Werth beylegten; allein
dessen ungeachtet sollte der Theoretiker auch in dieser Wissenschaft nicht
ganz ein Fremdling seyn, weil sich daraus unstreitig viel wirklich Nützliches
erklären lässt. Sehr wahr schreibt der verdienstvolle Forkel in der Einleitung
zur allgemeinen Geschichte der Musik, S. .30: ,Es war eine Zeit, in welcher
die ganze musikalische Theorie bloss in Rechnungen bestand etc.' Weiter
unten setzt er hinzu: ,Doch diese Zeiten sind vorüber, und was ehedem zu.
viel geschah, geschieht nun vielleicht zu wenig.' — Möchte doch das gegen-
wärtige Lehrbuch zur Verbreitung dieser, jetzt so selten gewordenen, Kennt-
nisse etwas beytragen!« — Und noch ist es in Musikerkreisen nicht anders ge-
worden, trotz der bedeutenden Fortschritte, v<relche die Akustik in den letzten
Jahrzehnten gemacht hat, und trotz der grossen Bedeutung, welche der An-
wendung der Mathematik auf die Physik jetzt allgemein zugestanden wird.
Hielt doch ein königl. Professor der Musik noch im vorigen Jahre (s. »Berliner
Musikzeitung«, Jahrg. 1874, S. 109) die Anfangsgründe dieser Wissenschaft,
wie ich sie in meinem »Elementarbuche der musikal, Harmonie- und Modu-
lationslehre« (Berlin, Roh. Oppenheim, 1874) mitgetlieilt habe, für ein »seiten-
langes Schwelgen in Integral- und Differenzialrechnungencf.
Den G-rund zu dieser Wissenschaft hat bekanntlich Pythagoras gelegt.
Joh. Georg Neidliardt macht hierüber folgende Mittheilungen: »Ob zwar die
Menschen der ersten Welt schon ihr Divertissement in der Englischen Kunst,
der Musique, gesucht haben, so ist es dem ungeacht eine ziemliche Zeit vor
menschlichen Augen verborgen geblieben, dass die musikalischen Thone mit
gewissen proportionibus so erstaunens-wiirdig verknüpfet sind. Denn es hat
allererst Pythagoras die Ehre, dass ihm die Erfindung dieses übermenschlichen
Geheimnisses von allen Federn zugeschrieben wird: wiewohl sie wegen einiger
kleinen Umstände manchmal unter einander dissoniren. Unter den ältesten
verdient des Nicomachii, eines Pythagorischen Musici, die vornehmste Stelle,
welche sich folgenderraassen davon verlauten lässt: .Als Pythagoras einst den
Gedanken nachhieng, ob man nicht dem Gehöre etwan mit einem gewissen und
unbetrüglichen Mittel könte zu statten kommen, desgleichen das Gesichte an
dem Cirkel, Lineal, oder auch an dem Diopter, das Gefühle aber an der Wage
oder Mass hat, und bey einer Schmiede-Werckstatt vorüber spazierte, so hörte
er durch eine göttliche Schickung die eisernen Hämmer auf dem Ambosse
arbeiten, und vollkommen accordirende Thone unter einander von sich geben;
nur zwey ausgenommen. Er vernahm aber darunter die Consonantien, Octave.
Quinte und Quarte, und merckte, dass zwar der Thon, welcher sich zwischen
der Quarte und Quinte hören Hess, an und für sich selbst dissonirte, sonsten
aber in Ansehung des tiefsten wohl ausfüllete. Er machte sich derhalben, da
ihn gleichsam Gott seines Wunsches gewähret hatte, in die Werckstatt freudig
hinein, und befand nach unterschiedlichen Experimenten, dass der Unterschied
der Thone von dem Gewichte der Hämmer, nicht aber von der Stärcke der
Arbeiter, oder von der Figur der Hämmer, oder von der Verkehrung des ge-
schmiedeten Eisens herrührte. Damit gab er auf die Schwere accurat achtung,
34*
532 Kanonik.
und nachdem er eben dergleichen Gewichte abgewogen, so gieng er mit sich
selbst zu rathe, und hieng 4 Seyten gleicher Materie, Lauge, Dicke und
Schwere an einen Baicken, welcher bei einem Mauer -Winckel quer über ein-
gemacht war (damit auch dadurch der Accuratesse des Experiments nichts ab-
gienge, oder ein Argwohn auf die Baicken fiele, als hätte einer was besonders
vor dem andern, wenn sie verwechselt würden) und band jedweder ein Gewicht
unten an. Nachdem er also die Länge der Seyten gantz und gar gleich ge-
macht, und darnach immer zwey und zwey zusammen angeschlagen hatte, so
fand er die vorgedachten Consonantien, nachdem er eine gegen die andere
hielt. Denn er erfuhr, dass die schwerste mit der leichtesten eine Octave
ausmachte. Jene aber war von 12 gewissen Pfunden; diese von 6. Und also
eignete er der Consonantie, der Octave, rationem dujdam zu, welche auch die
Gewichte ausmachten. "Weiter erfuhr er, dass die schwerste zu der leichtesten
ohne eine, welche 8 Pfund hatte, eine Quinte kluuge: Daher er dieser rationem
sesquiaUeram zueignete, in welcher auch die Gewichte stunden. Noch weiter
erfuhr er, dass diese schwerste mit derjenigen, die ihr am nächsten, und dem
Gewichte nach kleiner als sie, aber grösser als die übrigen war, und 9 Pfund
hatte, eine Quarte von sich gab, wie die Gewichte beschaffen waren; diese aber
befand er in ratione sesquiterlia, da sie sonsten mit der leichtesten in ratione
sesquialtera war: Denn 9 verhält sich zu 6 also: gleich wie die leichteste ohne
eine, von 8 Pfunden, zu der von 6 in ratione sesquiterfia, zu der aber von 12
in sesquialtera war. Was also zwischen der Quinte uud Quarte war, das heist,
dasjenige, umb wie viel die Quinte grösser als die Quarte ist, das wurde gewiss
gemacht, es sei in ratione sesquioctava wie 9 zu 8. — p. 10. seqq. (Edition.
Meibom.).* So weitläufftig aber als Nicomachus von diesem Handel schreibet,
so kurtz ist er, wenn er es beschreiben sol, wie Pythagoras mit den gefundenen
Proportionibus auf dem Monochorde lambgegangen sey. Jedoch trifft man es
bey Gaudentio an. Dieser gedenckt, er habe erstlich die Linie des Mono-
chordi in 12 Theile getheilet, uud darnach den Steg auf die Punkte 6. 8. 9.
gesetzt, ein intervallum nach dem andern laut der gefundeneu jproportionmn
zu hören.
12. 9. 8. 6^ 6 8 9 12.
c. f. g. X I 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1—1 1
Darnach habe er auch ein intervallum nach dem andern in radice aufgetragen,
das ist, die Linie allezeit in die Theile des grössern termini getheilet, und den
Steg auf den Punkt des kleinen gesetzt,
12-6 =2 — 1. Octava
q _ ^ > = 3 — 2. Quinta
Q _ /, [ = 4 — 3. Quarta
9-8 Tonus.
1. 2. 2. 3. 3. 4.
8. 9.
Li beyderley Schematibus geben die Theile des grössern termini den tieffen,
und die Theile des kleinern den hohen clavem. Vide Gaudentium p. 12. seq.
(Edition. Meibom.). Boethius macht den Schmid noch umb einen Knecht oder
Jungen ansehnlicher, und giebt vor, sie hätten eins ä quinque gehämmert; der
fünffte aber habe eine falsette von sich gegeben, und sich also der Mühe nicht
verlohnet. Music. Lib. I. Cap. 10. 11. Und von diesem schreiben es die
Kanonik. 533
Jüngern Auetores m eisten theils aus.« In Beziehung auf das mitgetheilte Ex'
periment des Pythagoras bemerkt Neidhardt (a. a. 0. S. 14) ganz richtig:
»Wenn sicbs nur bey dem Haupt-Wercke nicht auch an etwas stiesse. Denn
es geben die Seyten die besagten Thone nimmermehr von sich, man mag sie
mit denselben Gewichten beschweren wie man wil: welches der berühmte Mathe-
matikus Galilaeus ä Galil. zu erst wil angemercket haben. Es ist auch nach
der Hand die Regel auff kommen, dass in solchen Fällen die Proportion des
Gewichts müsse dupliciret werden. Und dieses trifft ein. Viel. Kirclieri Musurg.
Lib. VI. Cap. 2. Prmzii I^xercitat. Mtcsicae.« »Es nimmt mich nur AVunder,
dass sich nicht zum wenigsten ein Aristoxeneer (welche Leute alle Intervalle
nach dem blossen Gehöre einrichteten, und also abgesagte Feinde der Pytha-
goreer waren) die Mühe gegeben hat, das Experiment nachzumachen: weil er
eine ziemliche Gelegenheit gefunden hätte, seine Feinde bey ihrer Lehre umb
etwas zu prostituiren. Es ist ohne dem ein Ding, welches mit schlechten Un-
kosten kan untersucht werden.«
Die Anhänger der harmonischen Grundsätze des Pythagoras hiessen bei
den Griechen Pythagoräer. »Diese Grundsätze betreflFen vornehmlich die Lehre
vom Klange und die Grössenbestimmung der Intervalle. Vom Klange giebt
es, den Pythagoräern zufolge, zwei Erklärungen, eine wissenschaftliche und eine
physikalische. In wissenschaftlicher Hinsicht sagen sie (Nicom. p. 7): der
Klang sei die Tonhöhe eines musikalischen Lautes ohne Breite. In physi-
kalischer Hinsicht aber sagen sie (Porph. p. 192): der Klang sei eine gewisse
Erschütterung der Luft; denn die Saite klinge nicht selbst, sondern sie sei
nur der Gegenstand, wodurch der Luft eine solche Bewegung mitgetheilt werde,
die wir, mit dem Gehör wahrnehmend, einen Klang nennen. Die Höhe und
Tiefe eines Klanges hat, derselben Lehre zufolge, ihren Grund in der grösseren
oder geringern Anzahl von Lufterscheinungen.« »Ferner verhalten sich, nach
ihrer Behauptung, die Luftschwingungen der höheren und tieferen Klänge um-
gekehrt zu einander, wie die Theile der klingenden Körper, durch welche die
Klänge hervorgebracht werden. Dieser Hypothese suchten sie durch praktische
Versuche einen Grad von Gewissheit zu geben. Nach Porphyrios (p. 293)
nehmen einige vier Blattflöten von gleicher Hölung, deren Länge nach den
Verhältnissen der Symphonien eingerichtet war, und die, zwei und zwei an-
geblasen, die drei Symphonien (Octave, Quinte und Quarte) angaben. Andre
nehmen nur zwei Blattflöten« u, s. f. (v. Drieberg, »Wörterbuch der griech.
Mus.« S. 128). »So haben die Pythagoräer ihre Untersuchungen fast ins
Unendliche vervielfältigt« (v. Drieberg, »Die mathemat. Intervallenlehre der
Griechen«, Berlin, 1818, S. 8). »Endlich theilte man auch eine gespannte
Saite, vermittelst eines verschiebbaren Steges, in die den Symphonien zukom-
menden Abtheilungen« (s. Kanon). »Dieses Verfahren wurde allen andern
vorgezogen, und das dazu gebrauchte Instrument ein Monochord*) (s. d.)
genannt« (v. Drieberg, »Wörterbuch«, S. 129). Nach der Benutzung dieses
Instruments nannte man die Pythagoräer auch »Kanoniker« (s. d. u. Kan on).
Um die Verhältnisse der Consonanzen zu entdecken, schoben sie den be-
weglichen Steg, bei fortwährendem Anschlagen beider Theile der Saite, von
einem Ende des Kanons nach dem andern zu. Fanden sie nun eine Consonanz,
so massen sie die Grösse beider Theile mit dem Zirkel nach. Sie fanden auf
diese Weise die Saitenlängen für die Quarte, Quinte und Octave ganz richtig
= */4, ^jä und ^2. »Hiermit hörte der Gebrauch des Monochords auf, indem
vermöge der symphonischen Verhältnisse (nämlich jener drei Consonanzen) die
Verhältnisse der Diaphonien (d. h. aller anderen Intervalle) durch Schlüsse
gefunden werden« (v. Drieberg, »Wörterbuch«, S. 12). Zu welchen Resultaten
*) Sie beschränkten sich aber nicht gänzlich auf dieses Instrument. Marpurg nennt
und beschreibt („Kritische Einleitung in die Gesch. und Lehrsätze der alten und neuen
Muaik", Berlin, 1759, S. 116) noch das Helikon (s. d.) als zu gleichem Zwecke gebraucht.
534 Kanonik,
die Pytbagoräer unter Benutzung der gefundenen Verhältnisse bei Berechnung
ihrer Tongeschlechte, Tonsysteme u. s. f. kamen, findet man unter »Inter-
vallenlehre«, »Harmonielehre« u. s. f. Dort werden auch Mittheilungen
über die weitere geschichtliche Entwickelung der lutcrvalleuberechnung gegeben.
Es bleibt demnach hier nur noch das zu untersuchen, was man heut zu Tace
zur K. rechnet.
Die Tonhöhe eines Klanges ändert sich bekanntlich, bei sonst gleichblei-
benden Bedingungen, in gesetzmässiger "Weise:
I. mit der Länge der Schallwellen (s. d.);
IL mit der Stärke oder Dicke der Tonquelle, d. h. des klingenden Kör-
pers (s. Akustik);
III. bei Saiten u. dgl. mit dem Gewicht, welches die Spannung (s. d.)
hervorbringt;
IV. mit der Länge der Tonquelle (s. Akustik);
V. mit der Dauer der einzelnen Schwingung (s. Schwingungsdauer);
VI. mit der Schwingungszahl (s.d.).
Es lässt sich daher die Tonhöhe eines Klanges auf sehr verschiedene AVeisc
bestimmen. Ebenso könnte man, bei der Bestimmung von Tonhöhen von einem
gegebenen Tone aus, sehr verschiedene "Wege einschlagen, sobald man nur \
einmal die betreffenden Gesetze kennt; man könnte nämlich das Verhältniss
der Tonhöhe der verglichenen Klänge angeben, indem man bestimmt, in wel-
chem Verhältnisse sich eine der genannten Bedingungen verändert, während
alle andern Bedingungen sich gleichbleiben. — Die Länge der Klangwellen
benutzt man nun nur zur ganz allgemeinen "Unterscheidung der Octavlage
(s. Achtfüssig etc.). Bei Bestimmung nach der Stärke oder Dicke des
klingenden Körpers resp. nach dem Gewichte der Spannung ergeben sich nicht
einfache Verhältnisse, sondern quadratische, d. h. die Tonhöhe wächst nur, wie
die Quadratwurzel der Dicke des klingenden Körpers abnimmt, resp. wie die
Quadratwurzel des Spannungsgewichts zunimmt. Somit bleiben als einfache
Bestimmungen der Tonhöhe nur diejenigen, welche sich auf die Länge des
klingenden Körpers, auf die Schwingungsdauer oder auf die Schwingungszahl
stützen. Die Bestimmungen nach Saitenlängen oder nach der Schwingungsdauer ,
ergeben stets verkehrte Verhältnisse, da die Tonhöhe in demselben Verhältnisse
wächst, in welchem Saitenlänge oder Schwiugungsdauer kleiner werden. Am ein-
fachsten und anschaulichsten ist es demnach, sich bei Bestimmung der Ton-
höhe auf die Schwingungszahl zu stützen, denn mit ihr steht die Tonhöhe im
geraden Verhältnisse (s. Akustik).
Bei Bestimmung der Tonhöhe nach der Schwingungszahl lassen sich nun
wiederum verschiedene Wege einschlagen. So könnte man, um mehrere Töne
nach ihrer Tonhöhe zu bestimmen, angeben, wie viel Schwingungen jeder ein-
zelne Ton in einer Zeitsecunde macht. Hier hätte man die Tonhöhe durch
Angabe der sogenannten absoluten Schwingungszahlen bestimmt; dabei wäre
jede weitere Berechnung überflüssig, denn bei Berechnungen sind ja unbekannte
Grössen zu suchen. Man bestimmt daher die Tonhöhe gewisser Klänge von
einem als bekannt angenommenen Tone aus, indem man angiebt, in welchen
Verhältnissen die Schwingungszahlen der gesuchten Töne zu der Schwingungs-
zahl des bekannten Tones stehen. Demnach kann man die Tonhöhe des einen
Tones in einem Intervall bestimmen, indem man angiebt, wie sich die Schwing-
ungszahl dieses Tones zur Schwingungszahl des andern Intervalltones verhält,
und somit lässt sich jedes Intervall durch ein Zahlenverhältniss ausdrücken.
In früherer Zeit glaubte man, dass von der Art dieses Zahlenverhältnisses der
Charakter des Intervalls abhinge; man betrachtete daher diese Verhältnisse,
die man y^Rationesv., fälschlicher Weise auch wohl ■f>Froportiones<s. (s. D. G. Türk,
a. a. 0. S. 27 Anm.) nannte, genauer, und unterschied sie, je nachdem die
kleinere Zahl in der grösseren mit oder ohne Rest ein- oder mehrere mal ent-
Kanonik. 535
halten war, sogar durcli besondere Namen (s. Verhältniss), bei welcber Unter-
scheidung man sich indessen nur auf die Saitenlängen stützte.
Nun lässt sich die Schwingungszahl eines Klanges, zurückgeführt auf die
Schwingungszahl eines anderen Klanges, also das Verhältniss des betreffenden
Intervalls, auf mehrfache "Weise ausdrücken, und zwar wie folgt:
I. Mau giebt das wirkliche Zahlenverhältuiss an, in welchem die Schwinwungs-
zahlen beider Intervalltöue stehen. So ist das Verhältniss der steigenden reinen
Quint =2:3, da immer 3 Schwingungen des höheren Tones auf je 2 Schwing-
ungen des tieferen Tones kommen. Da nun ein geometrisches Verhältniss
nicht verändert wird, wenn man beide Glieder desselben mit derselben Zahl
multiplicirt oder dividirt, so kann man ein solches Verhältniss beliebig in
grösseren oder kleineren Zahlen ausdrücken (erweitern oder heben). So ist
2 : 3 = 1 : V2 = Vl- : ^4 = Ve : Vs = ^/a : 72 == 4 : 6 = 6 : 9 = 180 : 270 etc.
II. Man kann das Verhältniss des Intervalls in Bruchform darstellen, indem
man die Schwingungszahl des zu bestimmenden Tones durch dio Schwingungs-
zahl des Ausgangstones dividirt. So ist die Verhältnisszahl der steigenden
reinen Quint (2:3) = ^(2 , der fallenden reinen Quint (3 : 2) dagegen = ^js.
Auch Brüche lassen sich erweiteim und heben, ohne ihren Werth zu ändern.
III. Es kann der Logarithmus der Verhältnisszahl als Logarithmus (= Zoy.)
des Intervalls gesetzt werden. So ist der Logarithmus der steigenden reinen
Quinte (^ji) — log. 3 — log. 2. Hierbei kann man sowohl die gewöhnlichen
Brigg'schen Logarithmen, als auch die Logarithmen jedes anderen Systems
verwenden. Oft benutzt man die Logarithmen des Systems der Zahl 2; da
das Verhältniss der reinen Octave = 1 : 2 ist, so erkennt man bei Benutzung
dieser Logarithmen an den Kennziffern gleich die Erweiterung oder Verenge-
rung (s. d.) eines Intervalls.
Zur Bestimmung der Tonhöhe eines Klanges mittelst Verbindung mehrerer
Intervalle lassen sich nun wiederum verschiedene V/ege einschlagen; diese ver-
schiedenen Wege sind die verschiedenen Operationen oder Rechnungsarten
in der K.
A. »Die Addition der Tonverhältnisse ist eine Rechnungsart, vermittelst
welcher aus zwey oder mehreren gegebenen Tonverhältnissen eins gefunden
wird, das in Absicht au.f die Grösse den gegebenen kleineren zusammenge-
nommen gleich ist« (D. G. Türk, a. a. 0. S. 72), Intervalle addiren heisst dem-
nach, von einem Tone aus die Tonhöhe eines anderen Tones dadurch be-
stimmen, dass man nach diesem anderen Tone zu zwei oder mehr Intervalle
nach derselben Seite hin abmisst. So findet man den Ton h von c aus, indem
man steigende reine Quinte (7'0 "^^^ steigende grosse Terz C/*) addirt. Man
muss bei dieser Rechnungsart die Verhältnisszahlen multipliciren oder die Lo-
garithmen addiren,
log, c:h = log. Quint + log. Terz = (log. 3 — log. 2) + (log. 5 — log. 4).
Eingehenderes findet mau unter Addition.
B. »Die Subtraction der Tonverhältuisse besteht darin, dass man von
einem gegebenen Intervalle ein anderes abzieht, und dadurch ein drittes findet,
um welches die beyden Intervalle von einander verschieden sind« (D. G. Türk,
a, a. 0. S. 103). Bei dieser Rechnungsart ist die Vcriiältnisszahl des grösseren
Intervalls durch die Verhältnisszahl des abzuziehenden kleineren Intervalls zu
dividiren, event. ist der Logarithmus des abzuziehenden Intervalls von dem
Logai'ithmus des grösseren zu subtrahiren. So ist Quinte (^/a) — Quarte (^/s)
= ^/2 : ^/s = "'/s = Ganzton, resp. log. Quinte — log. Quarte = (log. 3 — log. 2)
— (log 4 — log. 3) = log. Ganzton (Näheres unter Subtraction).
C. »Die Comparation (Aequiparation) oder Vergleichung der Tonver-
hältnisse ist eine Rechnungsart, vermittelst welcher man findet: 1. ob zwey
536 Kanonik.
oder mehrere Verhältnisse eine Grösse haben, oder nicht; 2. welches davon das
grössere oder das kleinere ist, und um wie viel sie von einander verschieden
sind. Sie schliesst sich also gleichsam an die Subtraction an, und kann in
gewisser Rücksicht, wenigstens zum Theil, als die Fortsetzung derselben be-
trachtet werden. Bey Tonberechnuugen dient die Comparation hauptsächlich
dazu, dass man durch sie erfährt, wie viel einem zu grossen Intervalle abge-
zogen, oder einem zu kleinen zugesetzt werden muss, wenn es das ihm zu-
kommende reine Yerhältniss bekommen soll. In so fern ist daher diese Rech-
nungsart unter andei'n vorzüglich bey der Prüfung einer Temperatur (s. d.)
von entschiedenem Nutzen« (D. Gr. Türk, a. a. 0. S. 141). Man hat bei diesem
Verfahren nur die Brüche, welche das Verhältniss der zu vergleichenden Inter-
valle angeben, gleichnamig zia machen tind dann die gefundenen Zähler mit
einander zu vergleichen (s. Vergleichung der Verhältnisse).
D. Die eigentliche Multiplication der Intervalle ist nur eine fortge-
setzte Addition, und wird daher vielfach auch zur Addition gerechnet. Ein
Intervall wird multiplicirt, wenn man dasselbe mehrfach nach derselben Seite
zu abmessen, also wiederholt zu sich selbst addiren soll. Man hat dann die
Verhältnisszahl des betreffenden Intervalls in die so vielte Potenz zu erheben,
als die Zahl angiebt, mit welcher man multipliciren soll; oder, was dasselbe
ist, den Logarithmus des Intervalls mit derselben Zahl zu multipliciren. So
., , „ ..,^ , . ... . n • . ''3^ f^y 3'^ 531441
ist das Zwoliiache der steigenden reinen (Quinte
,2 7 V2y 2'* 524288'
und der Logarithmus dieses Intervalls = 12. {log. 3 — log. 2) = 12.log. 3 — 12
.log. 2 = log. 531441 - log. 524288.
E. »Intervalle copuliren oder mit einander verbinden heisst: Zwey oder
mehrere Verhältnisse so zusammenhängen oder an einander reihen, dass das
jedesmalige zweyte Glied des vorhergehenden Verhältnisses auch zugleich zum
ersten Gliede des darauf folgenden Verhältnisses wird. Diese Rechnungsart
hat man zwar in verschiedenen, besonders älteren, Schriften auch die musi-
kalische oder harmonische Multiplication genannt; allein dies abgerechnet, dass
die Copulation der Intervalle oder der Tonverhältnisse nicht immer vermittelst
der Multiplication ihrer Glieder geschieht, entspricht auch die erwähnte Be-
nennung dem Erfolge dieser Rechnungsart keinesweges; weil nämlich die da-
durch au einander gereihten Verhältnisse selbst nicht vervielfältigt werden,
sondern gemeiniglich (wiewohl auch nicht immer) nur erweitert, oder in grös-
seren Zahlen zum Vorschein kommen« (D. G. Türk, a. a. 0. S. 159). Im Moll-
dreiklange c : es : g : c^ finden sich folgende Intervalle
c : es = "/s, es :g = ^/i, g : c^ = ^/s.
Sollen diese copulirt werden, so muss man jeden der Brüche erweitern mit dem
Zähler jedes vorhergehenden und mit dem Nenner jedes folgenden Bruches.
Somit erhält man die Brüche
6.4.3 5.6.3 ,4.6.5 , 72 90 ^120
und -— :: — - also „„ , -=-r und
5.4.3'4.6.3 3.6.5 60' 72 90
Man kann demnach setzen
c:es:g:c^ = 60:72:90:120,
oder gehoben
= 10:12:15:20.
(Näheres unter Verbindung der Verhältnisse).
F. »Die Theilung (Mediation) der Tonverhältnisse ist eine Rechnungsart,
vermittelst welcher man ein gegebenes grösseres Intervall in zwey, oder auch
in mehrere kleinere, die zusammengenommen dem grössern gleich sind, unter-
scheidet, oder gleichsam zerfallet« (D. G. Türk, a. a. 0. S. 191). Man unter-
scheidet drei Arten der Theilung: die arithmetische, die harmonische und die
Kanoniker. 537
preometrische. Für die beiden ersten Arten verwendet man auch (nach dem
Vorgange von Ebrard, »System der musik. Akustik«, Erlangen, 1866) den
Ausdruck: »Interkalation«, weil es hierbei nur darauf ankommt, zwischen die
beiden Töne eines Intervalls einen oder mehrere Töne so einziischalten (zu
interkaliren), dass durch diese Interkalation das grössere Intervall in mehrere
kleinere zerlegt wird, die zusammengenommen dem grossen gleich sind. Es
kommt dabei also nur darauf an, die Yerhältnisszahl des betreffenden Intervalls
in Fakloren zu zerlegen. Das könnte auf sehr verschiedene Weise geschehen.
Da es aber darauf ankommt, dass die Faktoren sich in möglichst kleinen
Zahlen darstellen lassen, so hat man nach folgenden Formeln zu interkaliren.
w + 1 2.W + 1 2.« + 2 3.W + 1 3. «4-2 3 . n -\- S
I.
II.
n 2 .n ' 2 . n + 1 3.w 3.« + l'3.« + 2'
n 2 .n 2.«+l 3.« 3.«4-13.w + 2
w + 1 2.n + \'2,n-\-2 3.w + l'3.«+2'3.w + 3'
So Hesse sich die steigende reine Octave I —- resp. die fallende reine Octave 1 —
wie folgt theilen:
I 1-1
'•12
4 4 5
' "3 " "3 • 4 •
6
n- ^ = 1
2 3
3 _ 3 4
■ T ~ 4' • 5" ■
5 __
"6 ~
8
12
6
• 8 ~
15
20 •
12
15 '
10
■ 12'
d. h. die steigende Octave c : c^ in die Intervalle
c : g : c^ = 2:3:4 resp. c ./.• a ; c^ = 3 : 4 : 5 : 6,
die fallende Octave c : ö dagegen in die Intervalle
c ; Z; C = 12 : 8 : 6 resp. c : G : Es . O = 20:\h:\2'.10.
Das erstere Verfahren hiess früher die »harmonische«, das zweite dagegen
die »arithmetische Theilung« (s d, und unter Theilung der Verhält-
nisse). - — Die dritte Art der Theilung ist nun die eigentliche Division.
Von einer wirklichen »Division« eines Intervalls ist aber nur die Rede, wenn
durch dieses Verfahren ein grösseres Intervall in eine Anzahl gleicher Theile
zerlegt wird. Soll dieses geschehen, so muss man ein Verfahren anwenden,
Y/elches dem bei der eigentlichen Intervallmultiplication verwendeten gerade
entgegengesetzt ist. Man muss demnach aus der Verhältnisszahl des zu thei-
lenden Intervalls die .r'« "Wurzel ausziehen, resp. den Logarithmus durch x divi-
diren, wenn x die Zahl der Theile ist, in welche ein Intervall zerlegt werden
/74
soll. Demnach ist der zwölfte Theib des steigenden ditonischen Komma l — —
12 12
V74 l/'74 . 886
/73
loa. 74 log. 73 , _,, ., , ^ ,..,, . . .
= — ^ — ^ — (s. Theilung der Verhältnisse).
12 12 ^ ^ ^
Die Verhältnisszahlen derjenigen einfacheren Intervalle, welche man bei
diesen Berechnungen zu Grunde legt, sind natürlich nur durch Beobachtung
zu gewinnen; sie sind also Resultate der musikalischen Akustik. Mau kann
jetzt bei diesen Beobachtungen verschiedene "Wege einschlagen, und auf einigen
dieser "Wege ist es möglich, die Schwingungszahlen selbst direct durch die Er-
fahrung zu gewinnen (s. Akustik). 0. Tiersch.
Kanoniker (latein. Canonici) war der Beiname der Pythagoräer gegenüber
den Anhängern des Aristoxenus (»Harmoniker«, s. d.), weil sie ihrer Theorie
j2 = circ, -^^^ resp. ist der Logarithmus dieses Intervalls
538 Kanon und Fuge.
die Theilung des Kanons (s. d. und Kanonik) zu Grunde legten (»PorpJiirii
in harmonica Flolemaei commentariusa, Ausgabe von Wallis': Oper, mathem. vol.
tert. Oxon 1690, p. 207). 0. T.
Kauou und Tug-e sind diejenigen polyphonen Formen, in welchen die the-
matische Einheit mehr oder weniger streng festgehalten wird, so zwar, dass
im Kanon diese Einheit eine absolute, ausschliessliche ist, während die Fuge
in der Einheit (besser Einheitlichkeit) grosse und zahlreiche Freiheiten ge-
stattet. Ein Bild möge das Gleichartige uud Unterscheidende beider Formen
veranschaulichen. Man denke sich einen geistvollen Ausspruch, der eine Er-
kenntuiss- Summe vorstellt, durch einen Kalligrajjhen Zeile um Zeile in gleichen
oder verschiedenen Schriftarten mehrere Male schön aufgeschrieben. Daneben
lege man einen Vortrag über jenen Ausspruch, in welchem dieser selbst ebenso
oft, wie in der kalligraphischen Arbeit, wörtlich citirt erscheint. AVie der Aus-
spruch die Wissenschaftlichkeit seines Autors, so bezeugt das Thema für Kanon
und Fuge die Kunst des Componisten. Wie der Kalligraph weder den Inhalt
uocli die Form des Ausspruchs zu verbessern vermag, so erscheint auch im
Thema des Kanon dieser selbst in nuce. Wie andererseits der Vortrag im
Stande ist, durch Ausführung, Weiterführuug uud Abrundung des Hauptge-
dankens diesen zu vertiefen, in seiner Eichtigkeit und Schönheit darzustellen
etc., so giebt die Fuge dem Componisten Gelegenheit, die einzelnen Schönheiten
des Thema in Eezug auf Melodie und Bhythmus durch Gegenstellung von
Füllstimmen etc. bei freiem Walten seiner Erfindungskraft zu Gehör zu bringen.
Aus diesem Vergleich ist die Vorstellung vom ästhetischen AVerthe beider
Formen leicht zu gewinnen. Der Kanon stellt dar, wie eine neue Idee zuerst
in einem Menschen erwacht und von ihm ausgesprochen wird, wie sie dann
Andere zum Nachdenken anregt, während der Erste sogleich Consequenzen zieht,
die dadurch als folgerichtig erwiesen werden, dass sie mit dem Ausdruck des
ursprünglichen Gedankens, den nun der Andere vorträgt, harmoniren. Aber
wie im Leben die völlige Uebereinstimmung, der genaue Anschluss eines Geistes
an das AVerk des andern selten ist und bald auch ermüden würde, so wird
gelegentlich an rechter Stelle der Kanon vortrefflich wirken, aber nur von
kurzer Dauer sein und der individuellen Freiheit wieder Spielraum gewähren
müssen. Diesem Gesetz des Gebundeuseins au die Gedankeneinheit ist auch
die Fuge unterworfen. Auch in ihr ist Alles AViederholung, verschiedene
Gegenüberstellung derselben Gedanken, aber sie will nicht Idee und Empfindung
eines Einzelnen, sondern einer jNIasse darstellen. Die AViederholung in immer
gesteigerter AVeise, das beharrliche Festhalten und strenge Durcharbeiten des
Gedankens macht den Eindruck des Bedeutenden, des Ernsten und Feierlichen.
Die rechte Form für Darstellung des Gesammtgefühls ist nun die Fuge wohl,
aber den ganzen weiten Umkreis menschlicher Stimmungen und Erregungen
umspannt sie nicht. Der Verzicht auf das Individuelle implicirt zugleich den
Verzicht auf leichte und freie Beweglichkeit; für das Heitere insbesondere
mangelt es ihr au melodischem Fluss. Trotzdem giebt es Vieles, was nur die
Fuge aussprechen kann, und sie wird nicht veralten, so lange die Musik nicht
aufhört, mit massenbewegenden Empfindungen sich zu befassen.
Kanon, dem Griechischen entnommen, bedeutet ursprünglich Regel, Richt-
schnur. Diese Bedeutung passt auf die musikalische Form insofern, als das
Thema (Froposta) die Richtschnur für eine oder mehrere nachahmende Stimmen
abgiebt. Wir unterscheiden:
1. in Bezug auf Anzahl der Stimmen: den zweistimmigen, dreistim-
migen etc. Kanon;
2. in Bezug auf die Anzahl der Themen (Proposten): einfacher Kanon,
Doppelkanon;
3. in Bezug auf die Notenwerthe in Froposta und Risposta (Nachahmung) :
Kanon in einfacher Bewegung, in einfacher, doppelter etc.
Vergrösserung oder Verkleinerung;
Kanon und Fusce.
539
4. in Bezug auf die Intervalle, in welchen Proposta und Risposta stehen;
Kanon in der Prime, Secunde etc., und bei mehrstimmigen: Kanon
in gleichen oder ungleichen Intervallen;
5. in Bezug auf die Richtung der Bewegung: Kanon in gerader, Gegen-,
krebsgängiger und krebsgängig- verkehrter Bewegung;
6. in Bezug auf das Ende: endlicher oder unendlicher Kanon;
7. in Bezug auf die Notirung: offener oder geschlossener und Räthsel-
Kanon.
Der zweistimmige Kanon als einfacher Kanon in gerader Bewegung
(Canon simplex per motum rectum) beantwortet die Proposta Note für Note,
Intervall für Intervall. Seine Herstellung bietet die relativ wenigsten Schwierig-
keiten, wenn die Risposta in der Prime oder Octave eintritt, weil dann die
Tonart nicht verlassen zu werden braucht, z. B.:
Soll die Risposta in der Quinte oder Quarte eintreten, so wird die
Ausweichung in die nächstverwandte Tonart nöthig, z. B.:
iß
■r^-^-«^
-ö-
i±EE
-5=1-
it:
ÖEE
^^S
etc.
-ö-
Ein strenger Kanon in der Secunde führt auf Querstände, Dishar-
monien (s. d.) etc., z. B.:
und damit auf die Nothwendigkeit, von der absoluten Strenge etwas nach-
zugeben und, soweit die Intervalle (Secunde, Septime) dadurch nicht in ihren
Namen, abgesehen von gross oder klein, berührt werden, die Versetzungs-
zeichen (% \> und ij) beliebig zuzusetzen und wegzulassen, also etwa so:
:tE^
— «-> ä f^ — P^
:t;^
:t=t
ä3E
:|=1=P
^
*— ^
Die Risposta dieses letzteren Beispiels bringt durch einen freigebildeten
Takt den Kanon zum Abschluss. Ein solcher Kanon heisst ein endlicher
(ital.: Canone finito). Passt der Wiedereintritt der Proposta zum Schluss der
Risposta, so ist der Kanon ein unendlicher (ital.: Canone infinito). — Durch
Verbindung der beiden kanonischen Stimmen mit einer freien Eüllstimme
540
Kanon und Fuge.
geschieht der kanonischen Kunst kein Abbruch, wie das oben citirte Beispiel
von J. S. Bach beweist:
C
'■im^m^
■^far-rd^-pfß
3^
Als besonders künstliche Kanons gelten der Kanon in der Ver-
grösser ung (Latein.: Canon j-)^'^ augmentatio^iein) , in welchem die Risposta in
doppelten, dreifachen etc. Notenwerthen auftritt, und der Kanon in der Ver-
kleinerung (latcin.: Canon per diminuHonem), in welchem mit verkleinerten
"Werthen contrapunktirt wird. Im Kanon in der Gegenbewegung (latein. :
Canon per motum contrarium) werden aufwärtsgehende Motive durch abwärts-
gehende contrapunktirt und umgekehrt. Da nun
!— E
-•-Pt-
z\r±--
in der Gegenbewegung ^^ — | — ^
_J>. ^ —
-f \— 1 — ^f — • — 1 —
X^X ^ 3S^ ^
lautet, so ergiebt sich ein
Einsatz der Risposta in Terz oder Decime, weshalb diese Form strenger
Gegenbewegung früher Fuga in decima genannt wurde.
Der rück- oder krebsgängige Kanon (\^i. Canon cancrizans) als stren-
ger Kanon ist nur ein contrapunktischer Kraftmesser, als freie Imitation aber
kann er in allen Compositionsgattungen gebraucht werden (vergl. Mozart, Sin-
fonie C-dur, Schlussfuge). Man lese, um die Gattung zu verstehen, im folgenden
Beispiele die Oberstimme vorwärts und die Unterstimrae rückwärts.
Die übrigen kanonischen Gebilde sind zumeist nur Ausführungen der oben
beschriebenen. Ihr Verständniss und ihre Composition bedürfen eingehender
Studien in den betreflPenden Lehrbüchern.
Fuge kommt von dem lat. Fuga Flucht, fugare fliehen (nicht von »fügen«;
Vischer gebraucht den syntactischen Terminus »Satzgefüge«), weil in dem Ton-
ßtück dieser Gattung ein Vorangehen und Nachfolgen mehrerer Stimmen in
ununterbrochenem Wettlauf nach einem gemeinsamen Ziele, ein eifriger "Wett-
kampf um die gleiche Aneignung einer gemeinsamen Idee stattfindet, das Thema
selbst gewisßermassen immer auf der Flucht ist. — Die Alten nannten auch
den Kanon Fuga und zwar r>Fuga in conseguenzav. oder nFuga legatav.; die Fuge
in unserem Sinne nannten sie »Fuga periodicaa. Diese beruht zwar auch auf
Kanon und Fuge.
541
der Imitation (s. Nachalimung), aber es wird in ihr nicht fortwährend und
nicht Alles nachgeahmt. Yon dieser periodischen Fuge soll hier die llede sein.
Unter Fuge versteht man ein zwei- oder mehrstimmiges Musikstück,
welchem, wenn die Fuge eine einfache ist, ein einziges melodisches Thema,
wenn sie Doppel- oder mehrfache Fuge ist, zwei oder mehr Themata zu
Grunde liegen. Die Durcharbeitung des Thema kann streng und frei sein.
Im ersten Fall erscheint nur das Thema, natürlich in allen Arten der Nach-
ahmung, ganz oder theilweise. Die Fuge heisst dann strenge Fuge (Ftiga
ohligata), im Italienischen Bicereare oder Bicercata. Im andern Fall kommen
Zwischensätze zur Verwendung, welche mit dem Hauptsatz nur entfernte (z. B.
rhythmische) Verwandtschaft haben. Diese Fuge heisst freie Fuge (fuga
lihera oder sciolta).
Das Thema ist natürlich die Hauptsache. Die Fuge beginnt damit. Es
ist der Führer (lat. diix) derselben. Die erste Beantwortung des Themas heisst
Gefährte (lat. comes). Das AViedererscheinen des Themas im Verlaufe der
Fuge heisst Wiederschlag, lat. repercmsio. Die Vermittelung der ver-
schiedenen ßeperkussionen in der freien Fuge heisst Zwischensatz (ital. diver-
timento della fuga). Da nun gleich zur ersten Antwort {comes) in der Stimme,
welche das Thema zuerst brachte, contrapunktirt wird, — da ferner solche
Contrapunkte auch gegen das Thema der Zwischensätze vorkommen, so ergeben
sich als Haupttheile der Fuge: 1. Thema {dux , Führer, Suhject, proposta),
2. Antwort (comes, Gefährte, risposta), 3. Gegensatz (Contrapunkt), 4. Wieder-
Bchlag (repercussio) und 5. Zwischen- oder Verbindungssatz.
1. Das Thema muss in melodischer Beziehung charakteristisch sein, so dass
es sich dem Gehör leicht einprägt. Pater Martini unterscheidet in seinem
y>Saggio fontamentale pratico di öontrapunto<s. mit ßücksicht auf Kürze, Prägnanz
und Tonalität der Thematen drei Arten derselben:
a. Das Soggetio, kurz, rhythmisch, dieselbe Tonart, z. B.
ö
msi
-^-
-^-
-^-
-F •-= •-
etc.
b. Das Aftacco, kurz, besonders prägnant, wenige Noten, z. B.
=^#fe
3^g-=^g:
--U-
c. Das Ändamento, länger fortgeführt, die nächstverwandten Tonarten be-
rührend, z. B.
etc. (Beispiele von J. S. Bach).
2. Die Antwort nennt man das Thema in der zweiten Stimme, also die
erste Nachahmung. Diese findet stets nur in der Oberquinte oder Unterquarte
statt. Sie muss mit dem Thema in genauer harmonischer Beziehung stehen,
darf jedoch in drei- und vierstimmigen Fugen zur Vermeidung von Monotonie
gegen das Ende hin moduliren. Bisweilen markirt man die Modulation zuerst
im Contrapunkt, z. B.
542
Kanon und Fuge.
i
\
foti2=r=:7
:g^^Eö:
::t::
-•-g-
=1=öi
35EE^=
&l:l2z=ti=:t;;t=:t:
:}:=
=3^
tf:r^ti:
ä:
-^-
=^^1
E^E^
In dreistimmigen Fugen bringt die dritte Stimme wieder das Thema und
in vierstimmigen die vierte Stimme Avieder die Antwort. Verschiedenheiten finden
sich hinsichtlich des Eintritts derselben, welcher am Ende des Thema, vor
völligem Abschluss desselben und nach einer dem Thema angefügten,
kurzen überleitenden Figur erfolgen kann. Der Theil der Fuge, in welchem
alle Stimmen zum ersten Male mit Thema und Autwort eintreten, also der
Abschnitt bis zur Beendigung des Thema in der zuletzt einti'etenden Stimme,
wird »Exposition der Fuge« genannt*).
3. Der Contrapunkt ist diejenige Stimme, welche im Anfange der Fuge
gegen die Antwort (in seltenen Füllen, wenn z. B. zur Vocalfuge Instrumente
gesetzt sind, schon gegen das Thema) und im weiteren Verlauf der Fuge gegen
Thema und Antwort gesetzt wird. Das Thema darf durch ihn in keiner Weise
verdunkelt werden, er ist nur dessen Folie. Auch ist nicht nöthig, dass der
erste Contrapuukt im Laufe der Fuge zum Thema immer beibehalten werde,
4. AVieder schlag (t'epercussio) heisst das "Wiederkehren des Thema im
weiteren Verlaufe der Fuge nach geschlossener Exposition. Die verschiedenen
Modificationen des Wiedersclilags (durch Vergrösserung, Verkleinerung, Gegen-
beweguög etc.) bilden eine Hauptzierde der Fuge. Besonders wirksam ist die
kanonische Behandlung des Thema, welche in der deutschen Kunstsprache
»Engführungtf, in der italienischen riSfretta« genannt wird.
Als Beispiele von Fugen mit vielen Engführungen mögen folgende Engen
aiis dem ersten Theile des wohltemperirten Claviers von Bach gelten:
.5.
Der Zwischen- oder Verbindungssatz hat den Zweck, die ver-
schiedenen Beperkussionen mit einander zu verbinden und die Modulation der
Fuge zu vollziehen. Da in der Fuge aber bei den verschiedenartigsten Ver-
ünderungen des Hauptgedankens die grösste Einheit herrschen muss, so sind
die Zwischensätze am zweckmässigsten aus Motiven des Thema oder des ersten
Contrapunktes zu entwickeln. Dies geschieht in manchen Fugen (Bach: wohl-
temp.' Clav. Fugen in C-moll und Es-diir, Beethoven: Trio in B, Op. 97, wo
das Motiv
des Thema im ersten Satz für den zweiten
Satz die verschiedensten Nachahmungen hervorlockt) so gelstreich, dass das
Hauptintei'esse derselben gerade auf den Zwischensätzen beruht.
Es bleibt nun noch übrig vom Orgelp\inkt (s. d.) zu reden, der ge-
wöhnlich am Schlüsse der drei- und mehrstimmigen Fugen angebracht wird.
Er ist ein von der tiefsten Stimme ausgehaltener Ton (Dominante oder Tonika),
über welchem die interessanteste Engführung oder auch eine recht schöne und
mannich faltige Ausarbeitung thematischer Motive sich bewegt. Er ist eine
würdige Krone für das "Werk und ein guter Gipfelpunkt ivtx die Steigerung,
welche die Fuge vom Anfang bis zum Ende darstellen soll. Liegt der Orgel-
punkt auf der Dominante, so erscheint er vor der Schlusscad.enz der Fuge, als
*) Die Umkehrung der Exposition, in welcher diejenige Stimme, Avelche antangs das
Thema hatte, nun die Antwort hat, und umgekehrt, folgt in der italienischen Schule
nach einem klciueu Zwischensatz der Exposition selbst und wird „Iii]volio della fuga"
genannt.
Kant — Kao-ku. 543
eine Verzögerung derselben; liegt er auf der Tonika, so i&t er ein Anhang
nach der Sclilusscadenz, mit welchem die Fuge verhallt. — Der Doppelfuge
liegen zwei Themen zu Grunde. Sie ist doppelter Art. In der einen werden
die zwei Themen getrennt eingeführt; in der andern gemeinschaftlich. Die
gemeinschaftliche Anlage beider Themen im (doppelten) Contrapunkt ist für
beide Arten Bedingung. Solleu die Themen getrennt erscheinen, so kommt
zuerst die vollständige Exposition eines derselben, wie in der einfachen Fuge;
dann nach einem Zwischensatz kommt die Exposition des zweiten Thema. Ist
diese vorüber, so treten beide Themen zusammen auf. — Die zweite Art der
Doppelfuge, in welcher beide Themen von vornherein zusammen eingeführt
werden, ist eigentlich nur die letzte Hälfte einer Doppelfuge der ersten Art.
Die getrennten Expositionen fallen weg. Allerdings tritt an ihre Stelle eine
Exposition beider Themen zugleich, in welcher jedes derselben als Thema und
Antwort sein Recht verlangt. Die Doppell'uge bietet sonach ein viel reicheres
Material und mehr Abwechselung als die einfache Fuge, sie ist auch weniger
streng in der Form; aber gerade in der Mannichfaltigkeit liegt auch eine
Gefahr für die Einheitlichkeit. Diese Gefahr wächst mit der Anzahl der
Themen. Th. Krause.
Kant, Immanuel, einer der grössten und einflussreichsten Philosophen
aller Zeiten, geboren am 22. April 1724 zu Königsberg in Preussen, studirte
daselbst zuerst Theologie, wandte sich aber bald der Mathematik, den Natur-
wissenschaften und der Philosophie zu. Nachdem er sich 1755 habilitirt hatte,
hielt er Vorlesungen über Logik, Metaphysik und Mathematik. Aber erst 1770
erhielt er die ordentliche Professur in diesen Disciplincn, Er starb unver-
heirathet am 12. Febr. 1804 zu Königsberg. Von seinen zahlreichen Werken
gehört hierher die »Kritik der Urtheilskraft« (1788), da er in den Paragraphen
13, 14, 16, 51 bis 54 auch über Musik scharfsinnige Betrachtungen anstellt.
Kautuu, ein arabischer Philosoph und Schriftsteller des 13. Jahrhunderts,
geboren zu Hilleh, unfern der Ruinen von Babylon, verfasste eine Abhandlung
über den nationalen musikalischen Rhythmus.
Eauuu oder Qänon, s. Canun.
Kanzelle, s. Cancelle.
Kanzler, der, einer der zwölf ältesten deutschen Minnesänger des 13. Jahr-
hunderts, der sich selbst Herr Kanzeler nennt und als einen armen von
Land zu Land fahrenden Sänger bezeichnet. Nach alten Traditionen soll er
aus Steyermark gebürtig gewesen sein, die Sprache seiner Dichtungen weist
aber auf die Schweiz. Er gehört zq den vielseitigsten Dichtern seiner Zeit,
wie er sowohl in seinen Stoffen, als auch in der Form seiner Gesänge zeigt,
in denen man neben einfachen und leicht sich bewegenden Tönen auch künst-
licher zusammengesetzte antrifft, welche letztere er übrigens mit grosser Ge-
wandtheit behandelt, so dass der Gedanke trotz des kunsti*eichen Strophenbaues
doch zum vollkommenen Ausdruck gelangt.
Kanzler, Josephine, hervorragende deutsche Ciavierspielerin und erfah-
rene Componistin, geboren 1780 zu Markt- Tölz, verheirathete sich nachmals
mit dem berühmten Oboevirtuosen Fladt, Sie war nicht nur eine ausge-
zeichnete Künstlerin auf ihrem Instrumente, sondern besass auch umfassende
Kenntnisse der Theorie und der Literatur der Musik. Von ihren Compo-
sitionen sind im Druck erschienen: Ciaviersonaten, zwei Quatuors für Ciavier,
Violine, Viola und Violoncello, sowie einige Lieder.
Kao-ku oder Yn-ku hiess bei den alten Chinesen die von der Dynastie
Schang, 1756 v. Chr., eingeführte Trommel, besser Pauke genannt, welche diese
befahl, künftig bei den Ceremonien den Kung (s. d.) vertretend, anzuwenden.
Diese Pauke hatte einen einem länglichen Fasse ähnlichen, aus Thon gebrannten
Sarg (s.d.) mit wenigen Verzierungen, der von einem durch denselben gehen-
den viereckigen Balken getragen wurde ; statt der Fassboden waren die Felle
in gleicher Stimmung eingefügt. Von der früher geführten Tsu-ku (a. d.)
544 Kapellane — Kapelle,
untersclaied sich die K. daduicli, dass der letzterwähnte Balken in die Erde
geführt wurde, während er bei der Tsu-ku in einem kreuzartigen hölzernen
Fusse endigte. Auiiot giebt in seinem Werke ^Memoire sur la musique des
CJmioisa eine Abbildung dieses Tonwerkzeugs. Mehr über die Gattung dieser
chinesischen Musikinstrumente findet man in dem Artikel Ku (s. d.) dieses
Werkes. 2.
Kapellane hiessen in altkirchlicher Zeit sowohl die den Gottesdienst ab-
haltenden Priester, wie die Kirchensänger. Später verblieb dieser Name jedoch
ausschliesslich den ersteren, während die letzteren Kapellisten genannt wurden.
Kapelldiener ist die Bezeichnung desjenigen Beamten einer Musikkapelle,
welcher die gewöhnlichen Haudleistuugen auszuführen hat, also den Orchester-
raum in Ordnung erhalten, die Noten auf- und weglegen, die Lichter anzünden,
die Instrumente bringen und wegstellen und die Bestellungen zu amtlichen
Verrichtungen an die Kapellraitglieder ausrichten muss.
Kapelle (Italien.: cappella; französ.: chapelle) heisst ursprünglich jedes
kleine, entweder selbstständige, z. B. auf einem Kirchhofe ausserhalb der Stadt,
oder in einer Kirche, in einem Privathause u. s. w. angebrachte Gebäude ohne
Taufstein für gewisse gottesdienstliche Handlungen. Da in diesen kirchlichen
Kapellen auch bisweilen geistliche Musiken aufgeführt wurden, so belegte man
mit diesem Namen zunächst, und zwar schon sehr früh im christlichen Mittel-
alter, auch die Gesammtheit der dieselben ausführenden Musiker und Sänger
und dann überhaupt die Musiker, welche vornehme Personen, sei es für ihren
Gottesdienst, sei es für ihr Kammerconcert oder für beide Zwecke, dienstlich
beschäftigten. Sind demnach die Kirchen-K.n die ältesten, so blieben später die
weltlichen Privat-K.n der Zahl und der Bedeutung nach nicht im Rückstand,
und besonders im 18. Jahrhundert, als die Instrumentalmusik einen ihrer Höhe-
•punkte erreicht hatte^ gab es in Deutschland, vorzüglich in Oesterreich, kaum
einen begüterten Grossen, der sich nicht des eigenen Vergnügens oder des
äu.sseren Glanzes wegen eine grössere oder kleinere Musik-K. in seinem Hause
hielt. Die Musik selbst stand damals fast ganz und gar in den Fesseln des
Dienstes und erhielt Luft und Leben von der Grossmuth der Vornehmen.
Als sie aber ihren Einfluss verallgemeinerte, als seit Beginn des 19. Jahrhun-
derts immer mehr ein grosses Publikum der ihre Richtung bestimmende Faktor
wurde, da schwanden die zahlreichen gräflichen iind fürstlichen K.n, haupt-
sächlich die kleinen, eine nach der anderen dahin, und es blieben nur noch
diejenigen der regierenden Fürsten übrig, deren Thätigkeit aber nicht aus-
schliesslich dem Hofe, sondern auch dem Publikum der betreffenden Residenzen
zu Gute kam. Gegenwärtig ist es ein vereinzelter Fall, dass sich ein reicher
Privatmann den Luxus einer K. gestatten kann, wie z. B. der kunstsinnige
russische Baron von Derwies, welcher in Lugano ein eigenes Orchester von
50 Musikern unter der Direktion des Kapellmeisters Karl Müller- Berghaus
auf seine Kosten unterhält. An katholischen Höfen umfasst die K. die ange-
stellten Solo- und Chorkirchensänger und das Instrumentalorchester, welches
letztere auch die Musik im Hoftheater versieht, ausgenommen in Wien, wo es
eine kaiserl. Hof-K. für den Hofkirchendienst und ein besonderes Hofopern-
theater-Orchester (107 Mitglieder) giebt. Die königl. (Instrumental -)K. in
Berlin unterhält 97 Mitglieder, welche den Titel Kammermusiker führen, zwei
Concertmeister, einen Balletdirigenten und zwei Kapellmeister. Die schwächste
Besetzung einer K. kann nicht weniger als vier Spieler für die erste und zweite
Violine, zwei für die Viola, vier für die Violoncellos und Bässe und zwei für
jedes Blasinstrument in sich fassen; denn die Geigeninstrumente müssen, wenn
sie gegen einfach besetzte Blasinstrumente die gehörige Wirkung hervorbringen
sollen, mehrfach besetzt sein. Die Miniatur-K. in Sigmaringen bestand gleichwohl
1873 noch aus sieben Musikern (Ciavier mit Instrumental- Sextett) unter einem
fürstl. Kapellmeister, ist aber 1874 auf die doppelte Zahl gebracht worden.
Neuerdings hat man den Namen K. auf jedes Instrumentalorchester und jedes
Kapellknaben — Kaps. 545
Militärmusikcorps aiisgedelint, ja selbst den Orchesterraum in den Theatern
und Concertsälen so geheissen, obwohl die altgriechische Benennung «Orchester«
auch für den Standort der Musiker bei Aufführungen der richtigere ist.
Kapellknabeu heissen diejenigen Chorschüler, welche bei Kirchenmusiken
im Discant und Alt mitsingen, besonders in Hofkirchen, wo die Gesänge von
wirklichen Kapellen begleitet werden. Gewöhnlich erhalten die K. ausser Ge-
sangunterweisung auch einen allgemeinen musikalischen Unterricht und werden
meist auch für ihre Dienstleistungen bezahlt oder geniessen gewisse Vergün-
stigungen, als freien Schulbesuch u. dergl.
Kapellmeister (ital.: maestro cli cappella; französ.: maUre de chapelle) heisst
der einer Musikkapelle als Direktor vorgesetzte Toukünstler. An Höfen be-
kleidet dieses Amt derjenige, welcher für befähigt erachtet wird, die aufzufüh-
renden Werke auszuwählen, einzustudiren und deren Ausführung zu leiten.
Vom K, darf man verlangen, dass er ausser der umfassendsten Harmonie-
kenntniss auch jedes einzelne Orchesterinstrument wenigstens theoretisch kennt
und in den Stimmen vorkommende Fehler anzugeben und zu verbessern weiss.
Fernere Erfordernisse sind ein feines Gehör und guter Geschmack, der im
Stande ist, den in einer Composition liegenden sinnvollen Ausdruck zu ent-
wickeln und vollkommen zur Darstellung bringen zu lassen. Vgl. Mattheson,
»Der vollkommene Kapellmeister« (Hamburg, 1739) und K. L. Junker, »Einige
der vornehmsten Pflichten eines Kapellmeisters oder Musikdirektors« (Winter-
thur, 1782).
Kapellnmsicus oder Kapellist heisst im Allgemeinen jedes Mitglied einer
Musikkapelle, Als auszeichnender Titel jedoch ist den Musikern einer Hof-
kapelle meist der Name Hofmusiker oder Kammermusiker beigelegt worden.
Kapler, Karl Benjamin, tüchtiger deutscher Tonkünstler, geboren am
9. Aug. 1801 zu Voigtsdorf bei Hirschberg in Schlesien, war seit 1829 Cautor
in Steinau und hat, ausser einem Choralbuch für Steinau, von seiner Com-
position den 18, Psalm und die Cantate »Preis ihm« herausgegeben.
Kapp, Christian, deutscher Gelehrter, war Professor der Philosophie zu
Erlangen und veröffentlichte 1837 ein Buch über Italien, in welchem er auch
die italienische Musik behandelt. — Von mehr Bedeutung für die Musik ist
F. Karl K., ein fertiger Ciavier- und Orgelspieler, sowie tüchtiger Componist.
Geboren 1772 zu Schwansee in Thüringen als der Sohn eines Schullehrers,
bildete er sich als Gymnasiast und Chorschüler in Erfurt (seit 1780) beim
Musikdirektor "Weimar und bei dem damals berühmten Clavierspieler Hässler
musikalisch aus. Um 1795 erhielt er die Stelle eines Organisten an der luthe-
rischen Hauptkirche zu Preussisch -Minden und veröffentlichte als solcher von
seiner Composition zwei- und vierhändige Ciavierstücke, besonders Sonaten,
Orgelsachen, Quartette für Ciavier und Streichinstrumente u. s. w.
Kappe, s, Hut und Gedackt, Dieser Ausdruck wird auch für die an
den sich öffnenden Enden der Balgplatten einer Orgel befindliche Belederung,
welche die Ecken der Hinter- und Seitenfalten bedeckt, gebraucht,
Kappeier, N., deutscher Tonkünstler, war um 1650 Mitschüler Froh-
berger's bei Frescobaldi in Rom. Später, zur evangelischen Kirche überge-
gangen, bekleidete er das Amt eines Hoforganisten der verwittweten Landgräfin
von Hessen-Darmstadt zu Husum, — Ein Flötist und Guitarrespieler, Johann
Nepomuk K,, welcher zu Anfang des 19, Jahrhunderts lebte, hat viele Com-
positionen für diese Instrumente und für Violine veröffentlicht.
Kaps, Ernst (Karl Wilhelm), einer der bedeutendsten und intelligen-
testen Pianofortebauer der Gegenwart, wurde am 6. Decbr. 1826 zu Döbeln
im Königreich Sachsen geboren. Sein Vater, bei welchem er das Tischler-
handwerk gründlich erlernte, hatte ihm eine treffliche Erziehung angedeihen
lassen, bei der auch die musikalische Ausbildung nicht versäumt worden war.
Eine Reise nach Kopenhagen war maassgebend für den ferneren Beruf des
jungen K, Denn dort begann er in der Fabrik von Petersen sich dem Cla-
Miisikal. Couvers.-Lbxikon. V, 35
54G Kapsberger — Kai'ausehek.
vierl)au zu widmen, ging darauf nach Stockholm und dann nach Paris, wo er
in den Kunstwerkstätteu von Herz, Pleyel und Erard seine Kenntnisse be-
deutend erweiterte. Hierauf arbeitete er in Marseille bei Boisselot, in Neapel,
Kom und Turin, später in Madrid bei Larou, Lissabon und London und kehrte
endlich, an Erfahrungen reich , nach Paris zurück. Jetzt durfte er es wagen,
in seinem Vaterlande sein aussergewöhnliches Wissen und Talent zur Geltung
zu bringen, und die künigl. sächsiche Regierung bot ihm 1859 bereitwilligst
die Mittel, um in Dresden eine Fabrik zu errichten. Besonders legte sich K.
auf den Flügelbau, worin er von vornherein so Ausgezeichnetes leistete, dass
er schon 1862 auf der Londoner Weltausstellung den zweiten Preis davontrug.
Von der Idee beseelt, dem unbequem gi'ossen Flügel, unbeschadet seiner Klang-
fülle und Tonschönheit, die kleinste Form zu geben, scheute er nicht die kost-
spieligsten Versuche, bis es ihm endlich 1868 gelang, den ersten Miniatur-
flügel herzustellen, der die Concurrenz mit jedem grösseren wohl aushielt. Der
Bau dieser Art von Instrumenten wurde nun eine Special itilt der K.'schen
Fabrik; das eigeuthümliche Verfahren aber bei der Construction und Bear-
beitung des Resonanzbodens, hauptsächlich aber bei der Verdichtung und Er-
härtung der weichen Fasern des Holzes, wodurch eben die Grösse und Schön-
heit des Tones erzielt wird, ist zur Zeit noch Geheimniss des Erfinders. Seit
dieser Zeit hob sich das K.'sche Geschäft sehr schnell, einestheils durch die
Vervollkommnung der Instrumente, anderntheils durch die Solidität derselben
und durch die Reellität der Geschäftspraxis überhaupt. Im ,1. 1871 errichtete
K. ein umfangreiches Fabrikgebäude in einer Vorstadt Dresdens, sah sich aber
schon ein Jahr später geuöthigt, noch ein zweites zu schaffen. Das Gesammt-
etablissement beschäftigt jetzt an 300 Ai'beiter, versendet wöchentlich durch-
schnittlich 15 Flügel nach allen Ei'dtheilen und hat 340 bis 350 Instrumente
stets gleichzeitig in Arbeit. Die rastlose und erfolgreiche Thätigkeit K.'s für
die Hebung des Pianofortebaues hat auch ehrenvolle äussere Auszeichnungen
erfahren durch erste Preise von verschiedenen Ausstellungen, durch Anerken-
nungszeugnisse der berühmtesten Pianisten und durch Verleihung des königl.
sächsischen Albrechtsordeus. Auch K. dient der aufstrebenden jüngeren Gont--
ration zum schönen Beispiel dafür, wie sich ein unbemittelter Mann aus ein-
fachen Verhältnissen durch die Kraft seines Willens, durch Fleiss und Betrieb-
samkeit bis zur höchsten Höhe seiner Kunst emporzuschwingen vermag.
Kapsberger, Johann Hieronymus, Virtuose und Verbesserer der Theorbe,
sowie fruchtbarer Componist, war ein Deutscher von Geburt, lebte und wirkte
aber von etwa 1600 bis 1633 in Rom, bewundert als Vielschreiber in allen
Stylarten und gefeiert als Lehrer und Spieler der Theorbe, welches Instrument
er auch durch Bereicherung und Verbesserung der Tabulatur zu einer un-
geheuren Verbreitung brachte. Dem Pater Kircher half er beim Sammeln des
Materials zur »Musurgia« (2 Bde., Rom, 1650), weshalb ihn dieser wohl auch
fast maasslos lobt und selbst viele Compositionsproben K.'s mittheilt. In
diesem Werke ist übrigens von K. als einem noch Lebenden die Rede. Da-
gegen schildert ihn Doni in seinem liDialogus de praestantia musicae veteris«.
lib. 1 pag. 98 als einen eitlen, hochmüthigen Gecken. Von seinen zahlreichen
Compositionen, die Gerber und Fetis nach den Titeln aufführen, dürften die
vielen Arie passeggiate a voce sole mit Theorbenbegleitung zum mindesten ein
historisches Interesse beanspruchen.
Karaklausitliyron (griech.) nannten die alten Griechen eine Nachtmusik,
die der Geliebte der Geliebten brachte. In dieser Art dürfte das K. völlig
dem modernen Stündchen oder der Serenade entsprechen.
Karanscheli, nach Anderen Karasek, ein ausgezeichneter Violoncellist
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, gestorben 1789, war von etwa 1750
bis 1760 als Kammermusiker in der fürstl. Thurn und Taxis'schen Kapelle in
Regensburg angestellt, die er aber aus religiöser Schwärmerei verliess, um
den Rest seines Lebens als Mönch eines Karmeliterklosters zu verbringen.
Karelin — Karl der Grosse. 547
Von seinen Compositionen sind Sachen für Violoncello, ausserdem aber auch
Sinfonien, Stücke für Fagott u. s. w. im Manuscript vortheilhaft bekannt ge-
worden.
Kareliu, Sila Dementiewitsch, russischer Tonkünstler, war 1796 als
Direktor der als ausgezeichnet anerkannten Jagdmusik des Kammerherrn Wad-
kowskoi in St. Petersburg angestellt. Weitere Nachrichten über ihn fehlen.
Karg-el, Sixtus, hervorragender deutscher Lautenvirtuose und Componist,
welcher in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Mainz lebte, wo er
herausgab: y>Carmina italica, gallica et germanica ludenda cytliarau.; -uNova et
elegantissima italica et gallica carmina pro testudinea (Mainz, 1569); -DRenovata
cythara, hoc est novi et commodissimi exercendae cytJtarae modi, constantes can-
tionihiis musicis etc. ad tabulaturam commimem redactis etc.a (Mainz, 1569;
Augsburg, 1575). Letzteres Werk zählt ohne Zweifel zu den ältesten vor-
handen gebliebenen Guitarreschulen (vgl. Draudius, J3ibl. class.).
Karger, Friedrich Wilhelm Aloys, talentvoller Orgelspieler und Com-
ponist, geboren 1796 zu Schreckendorf bei Landeck in Schlesien, zeichnete
sich mit acht Jahren, von seinem Vater, einem Schullehrer, unterrichtet, auf
der Orgel und Violine so aus, dass man ihn zu höherer Ausbildung nach
Breslau schickte, wo er zunächst Discantist an der Domkirche wurde. Unab-
lässig suchte er sich dort durch Frivatstudium der Werke Mozart's, Albrechts-
berger's und Knecht's zu vervollkommnen, und bald fand auch er mit seinen
Erstlingswerken Beifall und Anerkennung. Von 1815 bis 1817 besuchte er
das Schullehrer- Seminar zu Schlegel und trat dann eine musikalische Reise
nach Wien, Prag und Dresden an. Im J. 1818 erhielt er die Stelle als Or-
ganist an der katholischen Pfarrkirche zu Neisse. Von seinen Compositionen,
bestehend in vielen Messen und sonstigen Kirchenstücken, Cantaten und Ge-
sängen, Ouvertüren, einem Violinconcert, die von Kennern gelobt wurden, ist
leider nichts zur Veröffentlichung gelangt.
Karl der Grosse, König der Franken seit 768, römischer Kaiser von 800
bis 814, geboren am 2. April 742, wahrscheinlich zu Aachen, war der Sohn
Pipin des Kleinen und Enkel Karl Martell's. In seinem zwölften Jahre schon
von Papst Stephau IL mit seinem Bruder Karlmann zum künftigen König
gesalbt, trat er mit diesem nach Pipin's Tode 768 die Regierung des Fi-anken-
reichs an, die er seit Karlmann's Tode, 771, allein führte. Was K, als einer
der grössten Kriegshelden aller Zeiten gethan, wie er mit unermüdlicher, selbst
das Kleinste nicht unbeachtender Thätigkeit für die rechtliche Ordnung und
für das Gedeihen äusserer Wohlfahrt wie geistiger Bildung in seinem grossen
Reiche gesorgt hat, gehört, auch wenn es nicht allbekannt wäre, nicht hierher.
Der Wissenschaft und Kunst war er selbst eifrig zugethan, und wie sehr er
dem Gesang huldigte, zeigt seine Anordnung, die alten deutschen Heldenlieder
zu sammeln, zu welchem Zweck er den hochbeftihigten Eginhard an sich zog.
Als Pflanzstätten der Bildung der Geistlichkeit und des Volks wurden bei den
Kathedralen und Klöstei'n im ganzen Lande, sowie auch bei Hofe Schulen an-
gelegt, in denen auch der Gesang gepflegt werden musste, für welchen K. auch
noch eigene Anstalten zu Metz und zu Soissons gründete. Aus Italien und
Griechenland liess er geschickte und gelehrte Männer kommen, welche einträg-
liche Bisthümer und Pfründen erhielten, damit sie den Schulen überall auf-
helfen sollten. Ebenso erbat er sich vom Papst Hadrian I. und erhielt einige
italienische Sänger, die den Gesang nach römischer Art einrichten und ver-
bessern mussten. Einer derselben, Theodorus, wurde an der Schule zu Metz,
ein anderer, Benedictus, an der zu Soissons angestellt, und ein dritter, Ro-
manus, soll die Singschule in St. Gallen eingerichtet und eine Abschrift des
gregorianischen Antiphonars an den Stufen des dortigen Klosteraltars nieder-
gelegt haben. K. selbst beschloss sein thaten- und segensreiches Leben zu
Aachen am 28. Jan. 814. Die dank])are Pietät hat ihm die Composition der
35*
548 I^^arl V. — Karl Eugen.
alten Kirchenhymne » Veni, creator Spiritusn (g a g f g c de) zugeschrieben,
welche noch heute auch in der evangelischen Kirche mit dem Text »Komm',
Gott Schöpfer, heil'ger Greista gesungen wird.
Karl V., deutscher Kaiser von 1519 bis 1558, unter dem Namen Carlos I.
seit 1516 König von Spanien, geboren am 24. Febr. 1500 zu Gent, war, trotz
seines durch Kriege und durch die ßeligionswirren von früh an in Anspruch
genommenen Lebens, den Wissenschaften und der ernsten Kunst treu ergeben,
was er dadurch bewies, dass er freiwillig 1555 auf die Regierung Spaniens
und 1556 auf die des deutschen Reichs verzichtete und sich in ein Kloster
bei Placencia in Estremadura zurückzog. Dort verlebte er seine letzten Tage
in frommer Eeligionsübung und mit mechanischen Künsten und Handarbeiten
beschäftigt, bis er am 21. Septbi'. 1558 starb. Von seiner Belesenheit in der
musikalischen Jjiteratur, seinem feinen Gehör und seiner Musikbildung, die ihn
jeden Fehler der Kirchensänger bemerken und corrigiren Hessen, spricht sein
Biograph Prudencio de Sandoval und nach diesem Burney mit Bewunderung,
und führen eine Reihe von Vorfällen an, bei denen dies zu Tage trat. K.
war überhaupt ein Mann von edlem Betragen und feinen Sitten, ernst, kalt
und consequent in Ausführung seiner weitgehenden Plane, also wohl befähigt,
auch die Tonkunst zu beschützen und fördei'n zu helfen.
Karl VI., deutscher Kaiser von 1711 bis 1740, der Letzte des Habs-
burg'schen Mannsstarames, zweiter Sohn des musikkundigen Kaisers Leopold I.
und Nachfolger seines nicht minder kunstfreundlichen Bruders, des Kaisers
Joseph I., war am 1. Oct!)r. 1685 geboren und starb nach einer bewegten
Regierung am 20. Octbr. 1740. Selbst fertiger Ciavierspieler und mit musik-
theoretischen Kenntnissen begabt, so dass er sich nicht ohne Glück in der
Composition von Ciaviersachen und von Kanons , die er sehr liebto , versuchen
konnte, benutzte er jede Gelegenheit, um die Tonkunst an seinem Hofe im
vollen Prunk auftreten zu lassen. Er unterhielt ein vorzügliches Orchester
und eine kostspielige italienische Oper, bei deren Aufführungen er häufig selbst
am Ciavier mitwirkte, und in seinen Diensten standen als Kapellmeister U.A.
die berühmten Kunstlehrer Caldara und Fux. Des Letzteren Musterlehrbuch
y>Gradus ad JParnassmn (?/c.« hat er 1725 auf seine Kosten herstellen und ver-
öffentlichen lassen. Die österreichischen Staaten, die er bei seinem Regierungs-
antritt in vollem Glanz gefunden hatte, hinterliess er freilich in finanzieller
Zerrüttung, da er durch seinen übermässigen Aufwand, durch hohe Besoldung
der Hofbeamten u. dergl. alle vorhandenen Geldmittel völlig erschöpfte.
Karl Eueren, Herzog von Würtemberg von 17.'>7 bis 1793, geboren am
11. Febr. 1728, folgte bereits 1737 unter Vormundschaft seinem Vater in der
Regierung, bis er im 16. Jahre vom Kaiser Karl VII. für volljährig erklärt
wurde. Er war ein Fürst von grossen Geistesanlagen und, selbst fertiger Cla-
vierspieler, für die Musik und deren pomphaftes Auftreten entflammt. Aber
im (ersten Feuer der Jugend richtete er seine Kraft fast nur auf sinnlichen
Genuss. Die Summen, welche er für Oper, Bälle, Jagden, Reisen und an seine
Maitressen verschwendete, brachten sein Land an den Abgrund, und der schänd-
liche Diensthandel, den er, um sich neue Hülfscjuellen zu verschaffen, einführte,
zur Verzweiflung. Italienisciie Musiker und Sänger wurden unter den glän-
zendsten Bedingungen herangezogen, ein Jomelli, Ferrari, Nardini, Lolli, Aprile
und Masi angestellt, für Decorationen und Ballet, welchem letzteren Noverre
und die beiden Vestris ihr Talent widmen mussten, Unsummen, gleichviel,
woher genommen, ausgegeben, und dies in einer Zeit, wo man fast üljerall in
Deutschland derartigen Luxus auf das Aeusserste einschränkte oder ganz ab-
schaffte. Die Landstände sahen sich endlich genöthigt, beim Kaiser und den
protestantischen Mächten Schutz und Hülfe zu suchen, und scliliesslich brachte
der prenssische Hof 1770 einen Vergleich zwischen dem Herzog und den Ständen
zu Stande. Von dieser Zeit an suchte K. in der That durch weise Beschrän-
kung seines Aufwandes und durcli nützliche Einrichtungen die dem Lande
Karl — Karne pharah. 549
geschlagenen tiefen Wunden zu heilen. Auch Kunst und "Wissenschaft erfuhren
eine geordnete Pflege und Förderung, und Stuttgart wurde der Sitz der treff-
lichsten deutschen Künstler. Er errichtete in der militärischen Akademie zu
Stuttgart eine öffentliche Musikschule, aus der eine Reihe der ausgezeiclmetsten
Componisten, Virtuosen und Sänger, aber auch hochgeschätzte Gelehrte aller
wissenschaftlichen Fächer hervorgingen, so dass Kaiser Joseph II. diesem, die
Karlsschule genannten Institute 1781 das Privilegium einer Hochschule oder
Universität ertheilte. Schon 1768 hatte der Herzog begonnen, arme Laudes-
kinder auf sein Lustschloss Solitude zu ziehen, wo sie, je nach ihrem Talent,
gründlich unterrichtet wurden, die Musikbegabten in der Tonkunst und allen
Schulfächern, wofür sie sich verpflichten mussten, ihre Kräfte dereinst der Hof-
kapelle und dem Theater in Stuttgart zu widmen. Dies Institut wurde dann
der Karlsschule einverleibt, und nach wenigen Jahren hatte K. die Genug-
thuung, ein Theater und Orchester zu besitzen, das fast nur aus ehemaligen
Zöglingen dieser Schule bestand und, unter Zumsteeg's Musikdirektion, seine
Leistungen mit jedem anderen Theater und Orchester Deutschlands messen
konnte. Von seinem Volke hochgeehrt, verlebte der Herzog in philosophischer
Ruhe die letzten Jahre seines Lebens auf dem Lustschlosse Hohenheim und
starb am 24. Octbr. 1793.
Karl, Bernhard Peter, deutscher Geistlicher, geboren 1671 zu Osna-
brück, studirte zu Rostock und wurde 1698 in seiner Vaterstadt Prediger,
dieses Amtes aber 1702 wegen angeblicher Irrlehren entsetzt. Nachdem er
hierauf privatisirt hatte, wurde er zu Essen, darauf zu Eggelingen Predigei",
wo er am 9. Juli 1723 starb. Von seinen Schriften gehört hierher: nDe Ger-
mania, artihus litcrisque nulli secundav^ (Rostock, 1698).
Karl, Johann Gottlieb, deutscher Tonkünstler, geboren am 14. Juli
1780 zu Greibig, wirkte als Organist in Döbeln und gab 1830 eine Anleitung
zum Ciavierspielen heraus.
Kai'iia nennen die Inder eines ihrer regelmässigen Rhythmuszeichen 0 0 0 0,
welches durch Noten: G— ,• — ,• — P — f — wiederzugeben wäre. — Auch ist K.
der Name einer indischen Flöte, welche zu den Tänzen der Bajaderen ge-
blasen wird. 0.
Karuati, die Benennung einer der Nymphen, welche kleine Leidenschaften
versinnbildlichen, ist in der indischen Musik der Name einer Ragini (s. d.),
die der Raga (s. d.) Dipaca (s. d.) untergeordnet ist und die folgende
Klänge in ihren Melodien verwerthet:
sa X^ ga ma pa X ni
T
Ferner ist noch mitzutheilen, dass man in der in Sanscrit geschriebenen Stln-
gita Narayäna eine unseren Kirch entonarten (s. d.) gleiche Touartenauf-
stellung der alten Inder findet und in derselben für eine den Namen K. Diese
Tonart, für gewöhnlich Desi (s. d.) genannt, fing an und endigte mit dem
siebenten Scalaton ni (s. d.) und besass alle Tonstufen. 0.
Karneia oder Karnia (griech.), auch germanisirt Kameen genannt, hiess
ein neuntägiges Fest der alten Lacedämonier, das um die 25. Olympiade dem
Apollon zu Ehren festgesetzt, in Sparta abgehalten und durch Stieropfer und
kriegerische Siugtänze gefeiert wurde. Terpander aus Lesbos war der Erste,
der in den damit verbundenen musikalischen Wettstreiten den Preis errang.
Karue pharah, tTpL 3"1p, heisst beistehendes hebräisches Notationszeichen
^ (Accent), welches von den orientalischen Israeliten als Aufzeiclinung folgen-
550
Karow.
der Tonphrase:
^
— I-
-a — a-
J^ilz^:
3?^
EEtg^^ES
-ps-
angesehen wird. Kircher
wie Guarin geben diesem Accent eine hiervon sehr abweichende Deutung,
indem sie behaupten, die Ausführung der K. der europäischen Juden aufge-
zeichnet zu haben ;
— — e — fi=> — s — — - — ^ — tj — I
-TT. -^
es~~
Noch anders
giebt Bartolocci in seiner y>BibliotJieca magna ralhinicaa p. 4 fol. 440 diese, wie
sie die italienischen Hebräer in Gebrauch haben: E^f|— ^-p:
■i
und bemerkt in demselben Wei'ke fol. 439, dass die spanischen Juden die K.
noch anders: -^F^«^-— ^— |f — ^~*f — F~"|] darstellen, während er ebenda foL 429
bemerkt, dass sonst die Kircher'sche Angabe die richtige, Nathan, der uns
die Ueberlieferung, oder die als solche betrachtete, der englischen Juden auf-
gezeichnet hat, giebt als K. folgende Melodie:
Man ersieht aus dieser vielfach anders gestalteten Melodie, von der jeder Volks-
zweig bekauptet, dass dieselbe uralt und ihm durch Ueberlieferung geworden
sei, dass nach der Zerstreuung des Volkes der Hebräer wohl schwerlich noch
irgendwo eine sich rein erhalten habende Melodie aus der Blütliezeit sich vor-
finden wird, wie näher in dem Artikel Hebräische Musik (s. d.) be-
leuchtet worden ist. 0.
Karow, Karl, verdienstvoller Förderer des deutschen Schul- und Volks-
gesanges, geboren am 15. Novbr. 1790 zu Alt- Stettin, erhielt durch seinen
Vater, einen Kaufmann, eine tüchtige Schulbildung, zu der sich ziemlich spät
etwas Violinspiel gesellte. Achtzehn Jahre alt, begann er beim Musikdirektor
Haak auch Ciavier- und Orgelspiel, sowie Harmonielehre zu treiben. In diese
Zeit fallen auch seine ersten Compositionsversuche (Ciaviersonaten, Lieder
u. s. w.). Seine weiteren Studien unterbrachen die deutschen Freiheitskriege,
die er als freiwilliger Jäger des Regiments Colberg mitmachte. Nach abge-
schlossenem Frieden begab sich K, nach Berlin, wo er von Ludw. Berger noch
einigen Unterricht auf dem Pianoforte und von Zelter in der Composition er-
hielt. Im J. 1818 wurde er als Oberlehrer der Musik an das Schullehrer-
Seminar in Bunzlau berufen und wirkte in dieser Stellung höchst ehrenvoll.
Die von ihm herausgegebenen ein- und mehrstimmigen Lieder zeichnen sich
durch praktische Brauchbarkeit aus; ausserdem hat man von ihm einen »Leit-
faden zum praktisch-methodischen Unterricht im Gesänge, vornehmlich in Volks-
schulen« u. s. w. Sehr tüchtig und verdienstvoll sind auch seine 172 Orgel-
vorspiele. Er starb am 20. Decbr. 1863 zu Bunzlau.
Verzeichniss
der im fünften Bande enthaltenen Artikel.
Harmonielehre Seite 1.
Harmoniemotiv 16.
Harmouiemiisik 17.
Harmonieprineip 19.
Harmonieschluss s. Har-
monische Cadenz 20.
Harmouieschritt 20.
Harmoniespiel s. Flageolct
21.
Harmoniesprung s. Har-
moniecnsprung 21.
Harmoniesj-stem oder Sy-
stem der Harmonie 21.
Harmonieverbindung 53.
Harmonie versehiebungeu
53.
Harmoniewechsel 51'.
Harmoniflüte 51.
Harmonik 54.
Harmonik s. Flageolettöne
55.
Harmonika s.Harmonica 55.
Harnionlker s. Harmonici
55.
Harmoniphon 55.
Harmonisch 55.
Harmonische Addition s.
Addition 55.
Harmonische Anlage 55.
Harmonische Ausweichung
55.
Harmonisehe Begleitung s.
Begleitung 55.
Harmonische Bewegung 55.
Harmonische Brechung 55.
Harmonische Cadenz 56.
Harmonisehe Dissonanzen
s. Consonanz und Disso-
nanz 56.
Harmonische Fortschrei-
tung 56.
Harmonische Grundlage 56.
Harmonische Härten 56.
Harmonische Hand S.Guido
von Arezzo 56.
Harmonische Mehrdeutig-
keit 56.
Harmonische Modulation
56.
Harmonische Molltonleiter
56.
Harmonische Multiplica-
tion 57.
Harmonische Nebennoten
57.
Harmonische Obertöne s.
Obertöne, Partialtöueund
Akustik 58.
Harmonische Progression
58.
Harmonische Proportion
58.
HarmonischerDreiklaug 58.
Harmonische Ecehnuiips-
aitcn 5a.
Harmonische Reihe s. Har-
monisehe Sequenz Seite
5S.
Harmonischer Gehalt 58.
Harmonische Rückung s.
Harmonie Verschiebung
58.
Harmonische Sequenz 58.
Harmonisches Intervall 59.
Harmonische Subtraktion
59.
Harmonische Theilung der
Intervalle s. Kanonikuud
Theilung der Intervalle
59.
Harmonische Theilung der
Verhältnisse 59.
Harmonisehe Tonleiter 60.
HarmonischeTrausposition
der Verhältnisse s. Trans-
position 60.
Harmonische Verbindung
der Verhältnisse s. A'cr-
bindung 00.
Harmonische Vergleichung
60.
Harmonische Verwandt-
schaft der Klänge 61.
Harmonische Zergliede-
rung 63.
Harmonium 63.
Harmonisiren 07.
Harmonisirung 67.
Harmonius 67.
Harmonometer 67.
Harnisch, Johann Jacob 67.
Harnisch, Otto Siegfried 07.
Harold 67.
Harold 67.
Harpa s. Harfe 68.
Harpe, la 68.
Harpe, la 68.
Harpeggiatur s. Arpeggio
68.
Harper, Thoraas 68.
Harper, Thomas 68.
Harper, Charles 68.
Harper, Edmund 68.
Harpic-hord s. Arpichord 68.
Harpinella 68.
Harpsichord 68.
Harrcr, Gottlob 68.
Harriers-Wippern, Louise s.
Wipperu 69.
Harries, Heinrieh 69.
Harrington 69.
Harrington, John 69.
Harrington, Dr. John of
Bath 6!).
Harrington 09.
Harris 69.
Harris, llenatus 69.
Harris, John 69.
Harris, Augiistus 69.
Harris, Jacob 09.
Harris, Joseph Seite 70.
Harris, Joseph Johann 70.
Harris, JosepÜ Macdonald
70.
Harrison, John 70.
Harrison, Robert 70.
Harrison, William 70.
Harrys, Georg 70.
Harsch, Graf von 70.
Harsley, William 70.
Harson, Johann Samuel 70.
Hart 70.
Hart, James 71.
Hart, Philipp 71.
Hart, Joseph 71.
Hartig 71.
Hartig, Graf Franz von 71.
Hartig.Graf Ludwig von 72.
Hartig, Franz Chiistian 72.
Hartig, Johanna 72.
Hartkäs, Fr. Wilhelm 72,
Hartknoch, Karl Eduard 72.
llartmann von Aue 72.
Hartmann von Aue, Chri-
stoph Heinrieh 73.
Hartmann, Franz 73.
Hartmann, Friedrieh 73.
Hartmann, Heinrich 73.
Hartmann, Heinrich August
Ferdinand 73.
Hartmann, Johann 74.
Hartmann, August Wilhelm
74.
Hartmann, Johann Peter
Emil 74.
Hartmann, Johann Gott-
fried Henning 75.
Hartmanu, Johann Samuel
76.
Hartmann, Karoline 76.
Hartmann, Matthias 76. •
Hartmann, Michael 76.
Hartmann, Simon 76.
Hartog, Eduard de 76.
Hartong 76.
Härtung s. Müller-Hartung
77.
Härtung, A. L. 77.
Härtung, H. A. 77.
Härtung, Carl August 77.
Härtung, Johann Michael
77.
Härtung, Michael 77.
Hartverniiuderter Drei-
klaug 77.
Hartwig, Karl 77.
Hasäus, Jacob s. Hase 77.
Haschka, Lorenz Leopold
77.
Hase, Georg 77.
Hase, Jacob 78.
Hase, Julie 78.
Hase, Wolfgaug 78.
Hasenbalg, Johann Fried-
rich 78.
Hasenbalg, Caroline Seite
78.
Hasenbalg, Hermine 78.
Hasenknopft", Sebastian 78.
Haserodt 78.
Haserodt, Johann Andreas
78.
Hasert, Johann 78.
Hasert, Rudolph 79.
Ilasius, Johann Matthias 80.
Hasler, Dominicus 80.
Hasler, Isaac 80.
Hasler, Johann Leonhard
80.
Hasler, Hans Leo von 80.
Hasler, Jacob 81.
Hasler, Caspar 81.
Haslinger 81.
Haslinger, Tobias 81.
Haslinger, Karl 81.
Haslinger, Josephine 82.
Hasse 82.
Hasse, Johann Adolph 82.
Hasse, Franz Xaver 82.
Hasse, Gustav 82.
Hasse, Nicolaus 82.
Hasse, Peter 82.
Hasse, Johann Adolph 82.
Hasselbeck 90.
Hasselt, Anna Marie Wil-
helmine 90.
Hassler s. Hasler 90.
Hassloch, Christiane Mag-
dalene Elisabeth 90.
Hassloch 90.
Hasse 90.
Hatamo s. Kabaro 91.
Hattasch, Disma 91.
Hattasch, Anna Francisca
91.
Hattasch, Heinrich Chri-
stoph 91.
Hatter, Wilhelm Ferdinand
91.
Hatton, J. L. 91.
Hatzfeld 91.
Hatzfeld, August von 91.
Hatzfeld, Hugo von 91.
Hatzfeld, Grään von 91.
Haube s. Hut 91.
Hauch s. Vocal 91.
Hauch, Adam Wilhelm von
91.
Hauch, Johann Carsten von
91.
Hauck s.Hauguud Hauk91.
Hauck 91.
Hauck, Karl 91.
Hauck, Wenzislaus 92.
Haudeek, Karl 92.
Haudeek, Joscjib 92.
Haudimont, Abbö Etienne
Pierre, Meunier d' 92.
Haudimont, Joseph, Meu-
nier d' 92.
552
Verzeiclmiss der im iünften Bande enthaltenen Artikel.
Haudonvillc, Adrieu Henri
Seite 92.
Haue 93.
Haueisen, W. N. 93.
Haueiseu, F. Karl 93.
Hauer, Ernst 93.
Hauer, llcrrmaim 93.
Hauer, Karl 93.
HaulV, Johann Christian 91.
Hauir, Wilhelm Gottlieb 91.
Ilaup, Friedrich 91.
Haufr, Virgilius 94.
Hauk, Minnie 94.
Uaumann, Theodor 95.
llaun, Johann Ernst Chri-
stian 96.
Haupt 96.
Haupt, Karl August 96.
Haupt, I,eopold 96.
Haupt, Jloritz 96.
Hauptabsatz s. Absatz 96.
Hauptaccent 96.
Hauptaocord oder Haupt-
harmonieu 97.
Hauptcadeuz s. Cadenz 97.
Uauptcanal 97.
llauptolavier.llauptnianual
oder llaupttastatur 97.
Hauptdreiklänge s. Haupt-
aofordc 98.
Hauptformen 98.
Hauptfortsohreitungen 98.
Hauptgedanken 98.
Hauptgesang s. Hauptme-
lodie 98.
Hauptgrade d. Tempo s.
Tempo 98.
llauptintervalle 98.
Hauptladc oderHauptwind-
lade 98.
Hauptlagen s. l.agen 98.
Hauptleiter oder llaupt-
tonleiter s. Normalleiicr
oder Stammtonleiter 98.
Hauptmann, Lorenz 98.
Hauptmann, Moritz 99.
Hauptmann, .Johann Gott-
lob 99.
Hauptmann, Louise Salomc
99.
Hauptmann, SuseUe 100.
Hauptnianual s. Hauptcia-
vier 101.
Hauptmelodic 101.
Hauptmotiv 101.
Hauptner, Tui.skon 101.
Hauptnoten 102.
Hauptpartie 102.
Hauptprineipal 102.
Hauptprobe s. Generalprobe
und Probe 102.
Hauptregister s. Grund-
stimmen 102.
Hauptsänger 102.
Hauptsatz s. Thema 102.
Hauptsehluss s. Finalca
dcnz 102.
HauptHeptimc 103.
Hauptseptimcnaecord 103.
Hauptseptimenliarmonic
103.
Hauptsperrventil 103.
Ilauptstimme, Hauptnielo-
die oder Hauptgesang
105.
llauplstinimgattung oder
Ilauptstimme 109.
Hauptstück, Hauptsatz oder
Haupttheil 109.
Hauptstufen 109.
Haupttacttheil s. Haupt-
theil 109.
Haupttactzeit s. Hauptthcil
109.
Haupttastatur s. Hauptcla-
vier 109.
Haupttheil 109.
Hauptthenia, Hauptsubjcctj
oder Hauptsatz Seite 109
Hauptton 109.
Haupttonart 110.
Hauptventil s. Orgel 110.
Hauptventilfeder lio.
Haupt ventilöllnung 110.
Hauiitwcllenbrett 110.
Hauptwerk 110,
Hauptwindlade s. Haupt'
lade 110.
Hauptzeit oder Haujittact
zeit s. Hauptthcil 110.
Haus, Doris 110.
Hauschild, Ernst 111.
Hauschka, Vincenz 111.
Hausdörfer 111.
Hausdörfer 111.
Hause, Weneislaus 111.
Hausen s. Friedrich von
Hausen 111.
Hausen, .Tohann 111.
Hausen, Wilhelm 112.
Hauser, Franz 112.
Hauser, Joseph 114.
Hauser, Moritz 114.
Hauser,Michael(Miska) 114.
Häuser, Nathalio 115.
Hauser, Uricl 115.
Hausius, Carl Gottlob 115.
llauska s. Hauschka 115.
Hausmann, Hauslcute 115.
Hausmann 115.
Hausmann, Valentin 115.
Hausmann, Valentin 115.
Hausmann, Valentin 115.
Hausmann, Valentin 115.
Hausmann, Valentin Bar-
tholomiius 116.
Hausorgel s. Zimmerorgel
116.
Hausso 116.
Hautbois s. Oboe 116.
Hautboist 116.
Hautbois d'amour 116.
Ifaut-dessus 116.
Haut-dessus oder Premier-
dcssus 116.
Ilaut-contre 116.
Haut-Fcuille, Jean de 110.
llaut-taille 116.
Ilautcterre s.lIotteterrcllO.
Ilautin odcrHoniltin,Picrvc
116.
Hautmann 117.
llauuil, Adrian oderAntoinc
de 117.
Havcmann, Johann 117.
llavinga oder Havingha,
Gerhard 117.
Hawdon 117.
Hawcs, William 117.
Hawi 117.
Hawkins, Sir John 117.
Hawksbee, Francis 118.
llayden, George 118.
Haydenstam, von 118.
Haydn oder Hayden s. Hcy-
dcn 118.
Haydn, Joseph 118.
Haydn, Michael 134.
Hayes, William 136.
Haycs, Philipp 130.
Haym 136.
Haym, Johann 136.
Havm oder Haim s. Aimo
136.
Hayn.FriedrichGoltlob 136
Hayne s. Heyne 137.
Hayne oder Heine, Gottlob
137.
Haynil, Eaudouiu 137.
H-dur 137.
Hcad, Francis A. 138.
Heather s. Hcvther 139.
Hebden, John 138.
Hcbelius, Samuel 139.
Hcbcn8treit,PantaleonSeite
139.
Hebenstreit, Sophie Wil-
helmine 139.
Hebenstreit 139.
Heberic, A. 139.
H^bert-Turbry s.Turbryl39.
Hebräer 139.
Hecht, Eduard 168.
Heck 168.
Heekel, Johann Christian
168.
Heekel, Johann Chr. 168. \
Heekel, Karl Ferdinand lG9.i
Heekel, Emil 169. !
Heekel, Wohlfen 169,
Heekenauer, Johann 169.
Hecker, A. J. 169.
Hcckcr, Justus Friedrich
Karl 169.
Heckmann, (ieorg Julius
Robert 109.
Heckmann, Marie 170.
Hec(iuct, Charles Joseph
Gustave 170.
Hcdcricus oder Helperieus
170.
Hedjaz s. Hogaz 170.
lledluf, Heinricli Gottfried
170.
Hedwig, Johann Tiuca 170.
Hddouin, Pierre 170.
Hedicomos 171.
Heegman, Alphons 171.
Heeren, Arnold Hermann
Ludwig 171.
Hcorhorn 171.
Hecringen, Ernst von 171.
Heermanu, Hugo 171.
lleeriiauken 172.
Heerpauker 172.
Heertrommel 172.
Hecrwagcn, Friedr. Ferd.
Traugott 172.
Hellclracycr s. Höffelmayer
173.
llegar, Friedrich 173.
Hogar, Emil 173.
Heibergcr, Joseph 173.
Heidegger, Johann Hein
rieh 173.
Heiden, Sebastian s.IIeyden
173.
Hcidenreieh, David Elias
173.
Heidenreieh, Friedrich 173.
Heidenreich, Georg Chri-
stoph 173.
Heidenreich, Karl Heinrieh
173.
Heidfeld, Johann 174.
Heigeudorf, Karoline von
s. Jagemann 174.
Heiland 174.
Heilig s. Sanetus 174.
Heiliger 174.
Hcilniann, Joseph 174.
Heilmann, M. 174.
llcimbrodt, Johann Seba-
stian 174.
Heindl 174.
Heine s. Heyne 174.
Hcineeke, Johann Emanuel
174.
Heinefelter 174.
Heinefetter, Sabine 174.
Heinefetter, Kathinka 175.
Heinefetter, Clara 175.
Heinefetter, Eva 17,5.
Heinefetter, Fatime 175.
Heinefetter, Nanettc 175.
Heinefetter, Sophie 175.
Heineckc, Karl 175.
Heineken, Nicolas 175.
Heinemann, Tilarcus 175.
Heinemann, Jenny 175.
Hciuemeycr, Christian 175
Heineraeycr, Ernst Wilhelm
Seite 175.
Heinert, C. A. 176.
Heinichen, Johann David
176.
Heinicke, Christoph 176.
Heinlein, Paul 176.
Heinrich VI. 177.
Heinrieh I. 177.
Heinrich III. 177.
Heinrich VI 11. 177.
Heinrich IV. 177.
Heinrich von Linouwc 177.
Heinvieh von Meisseu s.
Frauenlob 177.
Heinrich vonMorungcnl77.
Heinrich von Miiglin 178.
Heinrich von Ofterdingen
178.
Heinrieh von der Rücke 178.
Heinrich von Veldeck 178.
Heinrich, Johann Gottfried
178.
Heinrich, Wilhelm 178.
Heinrichs, Anton Philipp
178.
Heinrichs, JohannChristian
179.
Heinrici s. Ilcnrici 179.
Heinroth, Christoph Gott-
lieb 179.
Heinroth, Gottlieb 179.
Heinroth, Johann August
Günther 179.
Heinroth, Francisea 180.
Heins, J. J. 180.
Heinsc, Johann Jacob Wil-
helm ISO.
Heinsen,*Johann 180.
Hcinsius, Clara 180.
Heinsius, Ernst 180.
Heinsius, Martin 180.
Hcintz, Albert 180.
Hcintz, Wolfgang 181.
lleintzelmann, Johann 181.
Heinz, August llumbert 181.
Heinzc s. Häntze 181.
Heinze, Gustav 181.
Heinze, Gustav Moritz 181.
Heinze, Sara 181.
Heinze, GustavAdolph 181.
Heinze, Ferdinand 181.
Heinze-Berg, Henriette 182.
Heinschkel, Johann Jacob
183.
Heiser, August 183.
Heiser, Wilhelm 183.
Heiserkeit 183.
lleisius, Kaspar 184.
Heissler, Karl 184.
'Jelbig, Gottfried 184.
llelbig. Gottlob 181.
Held, August 184.
Held, Bruno 184.
Held, Johann Thcobald 184.
Held, Jacob 184.
Heldcr, Bartholomäus 184.
Helder, Johann 181.
Heldius, Jcremias 185.
HMe, Georges de la 185.
Helene Paulowna 185.
Helfer, Charles d' 185.
Helfer, Friedrich August
185.
Helia, Camillo 185.
Helia, Vittorio di 185.
Helicon 185.
Hell 186.
Hellbacb, Johann Andreas
186.
Hellcbrand, Johann 186.
Heller, Ferdinand 186.
Heller, Stephen 186.
Hellingk, Lupus 188.
Hellingwarf, Peter 188.
llellmanu, Johann Adam
Maximilian 188.
Verzeichniss der im fünften Bande enthalteneu Artikel.
553
Hellmesberger Seite 1S8. !
Hellmesberger, Georg 188.
Hellmesberger, Georg 188.
Hellmich, Karl 189.
Hellmich, Wilhelm 189.
Hellmuth, Friedrich 189.
Hellmuth, Karl 189.
Hellmuth, Franziska Jo-
sephs 189.
Uellpfeife 100.
Hcllwaag, Christoph Fried-
rich 190.
Hellwig, (Karl Friedrieh)
Ludwig 190.
Helmböcker, Cornelius 190.
Helmbold, Ludwig 190.
Hclmbrccht, Christian
Friedrich Frauz 190.
llehner, Karl H'l.
Heimholt/,, Karl 191.
Hclmholtz,Hermann(Ludw.
Ferd.) 191.
Hehnond, Christian Gott-
fried 193.
llclinoiit, Adricn Joseph
van 192.
Heiner, Johann 192.
llelpcricus s. Hedericus 192.
Helt, Hcintz 192.
Helwig, Johann Friedrich
192.
Helwig, Joseph 192.
Heriiberger, Johann August
192.
Hcmesius, Nathan 192.
Hemidiapeute 192.
Hcmiolie 192.
Hemitonium 193.
Hemmel, Siegismund 193.
Hemmerlein, Johann Nico-
laus 193.
Hemmerlein, Joseph 193.
Hemniis, Franz 193.
Hemmkeile, Hemmklütze
193.
Hemmstifte s. Hemmkeile
19-1,
Hempel, Georg Chribtoph
194.
Hempel, Kail Wilhelm 194.
Hempsou 194.
Hendekasyllaben 19-4.
Henfling, Konrad 191.
Henkel 194.
Henkel, Georg Andreas 195
Henkel, Heinrich 195.
Henneberg, Johann Baptist
195.
Henner, Freiherr von 19ß.
Hennes, (Go8win)Aloysl96.
Hennes, Theresc 196.
Hennig, Christian Friedrich
196.
Hennig, Karl 196.
Hennig, Karl 196.
Hennig, Rudolph 196.
Hcnnigk, Heinrich Julius
197.
Henning, Christian 197.
Henning, Karl 197.
Henning, KarlWilhelm 197.
Henning, Herrmann 197.
Henning, Albert 197.
Henning 198.
Henning, Wilhelm 198.
Henningsen, Magnus Peter
198.
Henningsen, Joachim 198.
Henri, Paul Emil 198.
Henrici, Heinrich 198.
Henricus s. Heinrich 198.
Hcnrion, Paul 198.
Henry, P.onaveuture 198.
Henry, Buonaventure 198.
Henschel, Georg 198.
Henschcl, Johann Abraham
199.
Hensel, Fanny s. Mendels-
sohn-Bartboldy Seite 199.
Hensel, Gottlob 199.
Hensel, Johann Daniel 199.
Heuselt, Adolph 199.
Henstridge, Daniel 201.
Hentschel, Ernst Julius 201.
Hentschel, Franz 201.
Hentschel, Theodor 201.
Henyk 202.
Hepp, Sixtus 202.
Heptachordum 202.
Herabstrich odcrlleruntcr-
strich 202.
Heraklides 203.
Herault, Jean Louis 203.
Herault, Palmyre 203.
Ilerbain, Chevalier d' 203.
llerbart, Johann Friedrich
203.
Herbeck, Johann 204.
Herbenus, Matthäus 205.
Herberth, Robert 205.
Herbin, Chevalier d' s. Her-
bain 205.
Herbin, Auguste Fran(,'ois
Jullien 205.
Herbing, August Bernhard
Valentin 205.
Herbinius, Johann 205.
Herbinus, Johann 205.
Herbst 205.
Herbst, Heinrich 205.
Herbst, Johann Gottfried
206.
Herbst, JohannAndreas 206.
Herbst, Johann Friedrich
Wilhelm 206.
Herbst, Michael 206.
Herder, Johann Gottfried
von 206.
Herdliska, Henri 207.
Heredia, Piedro 207.
Heremita s. Eremita 207.
Herfurth, Rudolph 207.
Herigerus 207.
Hering, Alexander 207.
Hering, Karl (Friedrich
August) 208.
Hering, Karl Gottlieb 208
Hering, Karl Eduard 209.
Häritier, Jean 1' 209.
Hermann 209.
Hermann 209.
Hermann, Johann 210.
Hermann, Christian Gott-
fried 210.
Hermann, Constanz 210.
Hermann, Friedrich 210.
Hermann, Jacob 210.
Hermann, Johann David
210.
Hermann, Johann Gott-
fried Jacob 211.
Hermann, Nicolas 211.
Hermann der Damen 211.
Hermes s. Mercurius 211.
Hermes, Hermann Daniel
211.
Hermes, Johann Thimo-
theus 211.
Hermstedt, Johann Simon
211.
Hero 212.
Hero, Hippolyt 212.
Heroide 212.
Heroique 212.
Herold, Franz Joseph 212.
Hörold, Louis Joseph Fer-
dinand 212.
Heroux, Frauz 214.
Heroux, Karl August 214.
Herpol, Hom. 214.
Herr, Johann Georg 214.
Herrmann, Christian Gott-
helf 214.
Herrmann, Heinrich 214.
Herrraaun, Wilhelm
214.
Herrmanu, Gottfried 214.
Herrmaun, Karl 214.
Herrraann, Karl Friedrich
215.
Hersehcl.FricdrichWilhclm
215.
Herschel,FriedrichWilhclm
216.
Herschel, Jacob 216.
Herschel, Alexander 216.
Herschel, Karoline 216.
Herstell, Karl 216.
Herstell, Adolph 216.
Herstrich 217.
Hertel, Johann Christian
217.
Hertel, JohanuWilhelm 218,
Hertel, Karl 218.
Hertel, Peter Ludwig 218.
Hertel, Mathäus 218.
Hertel, Christian 218.
Hertenstein, Dietrich Danio
219.
Herthcr, F. 219.
Hertwig, Marie s.Hcckmanii
219.
Hertz, Michael 219.
Hertzberg, Rudolph von
219.
Herunterstrich s. Herab-
strioh 219.
Hervö 219.
Hervelois, Caix de 219.
Herz, H. 219.
Herz, Heinrich (Henri) 220.
Herz, Jacques Simon 220.
Herzberg, Anton 220.
Herzberg,Martin Jacob 221.
Herzberg, Wilhelm 221.
Herzberg, August 221.
Her"og, Johann Georg 221.
Herzogenberg, Heinrich
von 222.
Hes 222.
Hesdin, Pierre 222.
Hesedschi 222.
Hesletine, James 222.
Hesliug, Quirinus 222.
Hespel, Homer 223.
Hess 222.
Hess, Hans Heinrich 222.
Hess, Joachim 222.
Hess, Michael 223.
Hesse von Strassburg 222.
Hesse 223.
Hesse, Adolph (Friedrich)
223.
Hesse, Friedrich 223.
Hesse, Ernst Christian 223
Hesse, Johanna Elisabeth
224.
Hesse, ChristianLndwig 224.
Hesse, (Friedrich Wilhelm)
Julius 224.
Hesse, Johann Georg Chri-
stian 224.
Hesse, Johann Wilhelm 224.
Hesse, Johann Heinrich 225.
Hesse, JohannLeouhard225.
Hessel 225.
Hesselbarth, Heinrich 225.
Hessmann, Franz 225.
Hesyehastisch 225.
Heterogen und homogen
235.
Heteron parakalisma 225.
Heteros Exo 226.
Hetsch, (Karl Friedrich)
Ludwig 226.
Hettisoh, Johann 226.
Heu, Johann Jacob 226.
Heucheraer, Jolianncs 236.
Heudier, Antoine Fram^ois
237.
Heugel, Henri 227.
Seite! Heugel, Louis Seite 227.
Heugcl, Johann 227.
Heuleu 227.
Heum3nn,ChristophAugU8t
228.
Heurteur, Guillaumele 228.
Heuschkcl, Johann Peter
228.
Heusslcr, Johann 228.
Heuze, Jacques 228.
Ueuzü, Anna 328.
Hewitt, John H. 229.
Hewitt, Dr. D. C. 229.
Hexachordum 229.
Hexameron 229.
Hexameter 229.
Hexapsalmus oder Hexa-
psalmum 330.
Hcxarmonisch 230.
Hey, Ludwig 230.
Heyda, Joseph 230.
Heyden, Sobald 230.
Heyden, Johann 230.
Heydenhammer 331.
Heydenreich s. Heidenreich
231.
Heylaraus, Peter 231.
Heyne, Christian Gottlieb
231.
Heyne, Friedrich 331.
Heyne, F^elicitas Agnesia
231.
Heynitz, Johann Gottfried
231.
Heyse, Anton Gottlieb 231.
Heyther, William 231.
Heywood 231.
Hez^dsel 231.
Hialemos 231.
Hiatus 232.
Hien, Ludwig Christian 232.
Hientseh, Johann Gottfried
232.
Hientseh, Karl Ferdinand
233.
Hieraulen 233.
Hierax 233.'
Hierling, Andreas 233.
Hierochord 233.
Hieronymus Rhodius 234.
Hieronymus, Sophrouius
Eusebius 234.
Hieronymus deMoravia 234.
Hierophon s. Hieraulen 234.
Hierotheus 234.
Hifthorn oder Hüfthorn
234.
Higgajon 234.
Higius s. Mullinger Higius
235.
Hijaja der Heilige 235.
Hildebraud-Romberg s.
Romberg 235.
Hildebrand, Balthasar 235.
Hildebrand, Christian 235.
llildebrand, Philipp 235.
Hildebraud, Zacharias 235.
Hildebrand, Johann Gott-
fried 235..
Hildebrandslied 235.
Hildebrandt 236.
Hildebrandt, Michael Chri-
stoph 236.
Hill 236.
Hill, Frederick 236.
Hill, Joseph 236.
Hill, John 2.36.
Hill, Karl 236.
Hillebrand 236.
Hillcpraudt, Franz 237.
Hiller, Ferdinand 237.
Hiller, Johann Adam 339.
Hiller, Friedrich Adam 241.
llillraer, Friedrich 241.
Ilillmer, Joseph 241.
Hillmer, Gottlob Friedrich
241.
554
Verzeichniss der im fünften Bande enthaltenen Artikel,
Hilton, John Seite 241.
Hiltou, Walther 242.
Himmel, FriedrichHeinrich
242.
Himmelbauer, Wenzel 242.
Himmelfahrt 242.
Hinaufstrich 243.
Hindle, Johann 24a.
Hindle, Andreas 243.
Hindola 243.
Hinestrosa, Luis Venegas
de 243.
Hingston, John 244.
Hinkcl, Franz 244.
Hinnburg, Wilhelm 244.
Hinner 244.
Hinrichs, Johann Christian
8. Heinrich 244.
Hinrichs, Johann Peter 244.
Hinrichs, Franz 244.
Hiusch, Albert Anton 244.
Hinsoh, Ewald 244.
Hinstrich 244.
Hinterarm 244.
Hinterbalgfalte 244.
Hinterbalgfaltenspähne245.
Hinteroberbass 245.
Hinteroberbassfaltcn-
spähne s. Hinterbcilgfal-
tenspähne 245.
Hintersatz 245.
Hinterspähnc s.Hinterbalg-
faltenspähne 245.
Hinteruuterbass 245.
Hinterunterbalgfalten-
spähne s. Hinterbalgfal-
tenspähne 245.
Hinterwellenarm s. Hinter-
arm 246.
Hintze, Jacob 245.
Hinze, Joseph Simon s.
Häntz 245.
Hippasos 215.
Hippias 245.
Hippokrene 245.
Hippolythus, Blasius 345.
Hippothoros 245.
Hire, Philippe de la 246.
Hirsch, Andreas 240.
Hirsch, liCopold 24(1.
Hirsch, Kudolph (Johann)
246.
Hirschau 246.
Hirschbach, Hermann 247.
Hirschfeld 247.
Hirschfcld, Christian Cay
Lorenz 247.
Hirschfeld, Michael 247.
Hirschflechsen s. Flechsen
247.
Hirtenliedcr 247.
Hirtenpfeifc s. Panpfeifc
oder Schalmey 24S.
His 248.
Hisis 248.
Histiäus 248.
Hita, Don Antonio Rodri-
guez de 248.
Hitzelbergcr 248.
Hitzelberger, Sabine 248.
Hitzelbergcr, Kunigundc
249.
Hitzelberger, Johanna 249.
Hitzelberger, Regina 249.
Hitzenauer, Christoph 249.
Hitzler, Daniel 249.
Hiüen 249.
Hiücn-ku 250.
H-moll 250.
Hnilicka, Aloys 251.
Ho 251.
Hoai-Nan-Tsee 252.
Hoang 252.
Hoang-ho 252.
Hoang-ti 252.
Hoang-tschung 252.
Hobbs 262.
Hobein, Johann Friedrich
Seite 252.
Hoboe s. Oboe 253.
Hobrecht, Jacob 253.
Ilocetus Oiler Ochctus 263.
Hoch, Höhe 253.
Hochamt s. Messe 254.
Hochbruckcr auch Hoch-
pruggcr 254.
Hochbrucker, Simon 254.
Hochbrucker,P.Cölestin254.
Hochbruckcr, Cln-istian254.
Ilochreitcr, Johann lial-
thasar 254.
Hochstetter, A. L. 254.
llochstetter, Eniilic 254.
Hocker,JohannLudwig254.
llocmelle, Pierre Edmond
254.
Hodermann, G. C. 264.
Hodges, Edward 254.
Höckh, Karl 255.
llüfel, Johann 255.
Höfer 255.
Höfl'elmayer, Thadäus 255.
Höfl'clraayer, Maria 255.
Höff'elmayer, Joseph Anton
255.
Hötfer, Johann August 255.
Höffler, Konrad 255.
Höllerer, Franz Xaver 255.
Hölling, Johann Konrad
Stephan 255.
Höllmayer, Franz 255.
Höllmayer, Anton 255.
Höltzlin, Joseph 256.
Hölzel, Gustav 256.
Hölzernes Gelächter 256.
Hone, Samuel 256.
Ilönicke, Johann Friedrich
256.
Höpner, Christian Gottlob
256.
Höpner, Stephan 256.
Höppner, Karl Magnus 256.
Hoepuck 256.
Hörbedcr, Franz 257.
Höre, Johann Gottfried 257.
Hörger 257.
llörnigk, Louis 257.
Hörnlein 257.
Hörorgan s. Ohr 257.
Hössler 257.
Hötzl 257.
Hötzl, Ludwig 257.
Höveln, Konrad von 257.
Hofconccrt s. Conccrt 257.
Hofer, von 257.
Hofer, Andreas 257.
Holl'er, Madame s. Weber
(Joscpha) 257.
Hoflkuntz, Aurora 257.
llofl'mann 257.
llofTniann, H. N. 257.
HolVmann, (icorg 257.
HolVinann, Ignaz 257.
llotVmann, Joseph 258.
Ilotl'mann, C. G. 258.
HotVmann, Christian s.Hof-
maun 258.
Holl'mann, Ernst Theodor
Amadeus 258.
Hotfmann, Encharius 259.
Ilotl'mann, Franz 259.
Holl'mann, Karl Julius
Adolph Hugo 2.59.
Hofl'maun, August 260.
Holl'mann, Friedrich 260.
Hoö'raann, Friedrich Ale
.\ander 260.
Holl'mann, Friedrich Beue
dict 260. ]
Hotl'mann, Gerhard 260.
Hofl'mann, Gustav, gen.Gra-i
bcn-Hofl'mann s. d. 261.
Hoffmann, Heinrich Antom
261. I
Hofrmann.PhilippKarlSeitel Hollander, Hermann Seite
261. 273.
Hoffmann, Heinrich August j Hollander, Johann oder Jo-
Heinrich Theo-
Johann
Johann
Georg
Chri-
Leon-
261
Hoffraann
dor 262.
Holl'mann, Joachim 262.
HoMniann, Johann 262.
Iloffmann, Job. 262.
Hoffraann, Johann 262.
Hotl'mann, Katharina 262.
Hoffmann, Johann Georg
263.
Hoffmann,
263.
Hoffmann,
stoph 263.
Hofl'mann, Johann
hard 203.
Hoü'mann, KarlJohann 263.
Holl'mann, Leopold s. Hof-
mann 263.
Hotl'mann, Ludwig 263.
Hotl'mann, Martin 264.
Hofl'mann, Johann Christian
204.
Hoffmann, Richard 264.
Hoffmann, Sophie 264.
HoH'mayer 264.
Hoffmeister, Franz Anton
264.
Hof haimcr, Paul 265.
Hofmann 205.
Hofmann, Auguste 265.
Hofmann, Christian 265.
Hofraann, Heinrich 260
hann von Holland 273.
Hollander, Sebastian oder
Holoandcr 273.
Hollandre, Charles Felicien
d' 273.
Ilollandrc, Jean d' 273.
Hollbeck, Severin 273.
Hollbusch, Johann Seba-
stian 273.
Hollmann, Madame s. Crux
273.
Holluba oderHoluba.Franz
273.
Holluba oder Iloluba, Wen-
zel 273.
Holly, Franz Andreas 273.
Holmes 273.
Holmes, .\l(red 273.
Holmes, Edward 274.
Holmes, John 274.
Holms, Georges 274.
Ilolowin, Georg 274.
Holstein, Franz von 274.
Uoltei, Karl von 275.
Holtei, Julie von s. Holz-
becher 275.
Holten, Karl von 275.
Iloltheuser, Johann
275.
Holtzmann 276.
lloltzner, .\nton 276.
IHoluba s. Holluba 276.
Holz 276.
; on
Ilofmann, Johann Christian Holz, Karl 277.
266.
Hofraann, Karl Eduard 266.
Hofraann, Leopold 267.
Ilofmann, Melchior 267.
Hofmeister, Friedrich 267.
Hofmeister,Dr.Wilh.Friedr.
Benedict 267.
Hofmeister, Rcinhold 267.
Hofstctter, P. Romanus 267.
Hogarth, George 267.
Hogaz 267.
Hohenthal, Elise Gräfin von
268.
Ilohenfels, Burkhard von
s. Burkhard 268.
Hohenzollcrn-Hechingen s.
Friedrich Wilhelm Con-
stantin, Fürst vonHohcn-
zollcrn-Hcchingcn 268.
Hohe Stimmen 268.
Hohlfeld, Johann 268.
Hohlflöte 209.
Hohhiuinte oder Quintflöt
269.
Ilohlschellc s. Quintatön
269.
Hohmann, Christian Hein-
rich 200.
Hohnstock, Karl 270.
Hohnstook, Adele 270,
Hoinrich, Adam Sigismund
270.
Hol, Riehard 270.
Holbach, l'anl Heinrich
Dietrich, Baron von 270.
Ilolbein, Franz Ignaz von
270.
Holberg, Ludwig 271.
Holcombc, Heinrich 271.
Holden, John 271.
Holder, JoscphWilliam271.
Holder, William 271.
Hole, John s. Hoyle 271.
Holfeldt 2/1.
Holländer, Alexis 271.
Holländer, Anna 272.
Holland s. Niederlande 272.
Holland, Constantin 272.
Holland, Johann David 272.
Hollander, Christian 272.
Holzapfel, Johann Gottlob
277.
Holzhauer, Ignaz 278.
Hol/.beclicr,Karl David 279.
Holzbechcr, Julie 279.
Holzblasinstrumente 279.
Holzbogen, Joseph 280.
Holzer, Johann 280.
Holzflöte oder Uolzpfcife
280.
Holzharmonica s. Harmo-
nica 280.
Holzhäuser, Heinrich 280.
Holzheu 280.
Holzinger, P. Bencdictus
280.
Holzmann, Anton 280.
Holzmann, Daniel 280.
llolzmiller, Eduard 280.
Holzmiller, Betty 280.
Holzner, Anton s. Holtzner
281.
Holzprincipal 281.
Holzsaiten 281.
Homannodcrllohmann 281.
Hcimati, Tiimma.so 281.
nürnberger, Paul 281.
Home, Sir Everard 281.
Homer 281.
Homcriden 281.
Homet, Abbe 282.
Homcy er, Joseph Maria 282.
Homilius, Gottfried August
282.
Hommcl, Karl Ferdinand
282.
Hommerte 282.
Homogen s. Heterogen 282.
Homoioptoton und Homoi-
oteleuton 282.
Homophonie 283.
Homophoner Styi 283.
Homophone Schreibweise
283.
Homophonus 285.
Honauer, Lorenz 285.
Houdt, Ghearkin d' 285.
Honorio, Rnmoaldo 285.
Hooghe, Dick van der 285.
Hook, James 285.
Verzeichniss der im fünften Bande enthaltenen Artikel.
555
Hook, Robert Seite 285.
Hooper, Edmund 2S5.
Hoonibeck, Cornelis 286.
Hopfe, (Heinrich) Julius
286.
Hopffer, (Ludwig) Bernhard
286.
Hopft'er, Emil Heinrich 287.
Hopfgarten, Ludwig Ferdi-
nand von 287.
Hopkins, Edward John 287.
Hopkinsen, Francis 287.
Hoplit 287.
Hoppe, Adam 287.
Hoppe.Johann Gottlieb 288.
Hoppe, Wilhelm 288.
Hoppenstedt, August Lud-
wig 288.
Hopper, Karl 288.
Hopser oder Hops-Anglaise
288.
Horae eanonicae 288.
Horae reguläres 288.
Horae ofticii divini 288.
Horae majores 288.
Horae minores 288.
Horäk, Wenzel Emanuel
288.
Hern 239.
Hörn 303.
Hörn, August 303.
Hörn, Ferdinand 303.
Hörn, Franz Christoph 303.
Hörn, Gottfried Joseph 304.
Hörn, Johann Gottlob 301.
Hörn, Heinrich 304.
Hörn, Johann Kaspar 304.
Hörn, Karl Friedrich 304.
Hörn, Karl Eduard 305.
Hornbässlein 305.
Hornbugle s. Jäger- und
Signalhorn 305.
Homburg, Johann 305.
Hornemann, Johann Ole
Emil 305.
Horner, Thomas 305.
Hornist 305.
Hornmusik 305.
Hornpipe oder Hornpfeifc
305.
Hornquinteu 306.
Hornsordin 306.
Hornstein, P. Hieronymus
306.
Hornstein, Kobert von 306.
Hornwerk 306.
Horr, Peter 306.
Horsley, William 306.
Horsley, Charles Edward
307.
Horstig, Karl Gottlob 307.
Hortense Eugenie de Beau-
harnais 307.
Horwitz, Leopold OT?.
Horzalka, Johann 307.
Horzizky, Franciscus 307.
Horzizky.JohannAlexander
Louis 307.
Hosa, Georg 307.
Hosa, Thomas 307.
Hose s. Büchse 308.
Hosianna 308.
Hospinian, Rudolph 308.
Hossa, Franz 308.
Hosseyny 308.
Hoste, Spirito 1' 308.
Hostie 308.
Ho-Süy 308.
Hot, Peter de 309.
Hotar's 309.
Hothby, John 309.
Hoti oder Hori 309.
Hottemaun 309.
Hottoterre, Henri 309.
Hotteterre, Niclas 309.
Hotteterre, Louis 309.
Hottinet s. Barra 309.
Hottinger, Johann Heinrieh
Seite 309.
Hottinger, Johann Jacob
309.
Houang-Tschin-Tsehouang
oder Hoang - Tschin-
Tschuang 309.
Houdemann s. Hudemann
309.
Houtermann, Marcus 309.
Hoven s. Vesque von Pütt-
lingen 310.
Hoven, Joachim van der
310.
Howard, Lady 310.
Howard, Samuel 310.
Howes, William 310.
Howgill, William 310.
Hoyer s. L'Hoyfcr 310.
Hoylan, John 310.
Hoyle, John 310.
Hoyle, Edmund 310.
Hoyoul oder Hoioul, Bal-
duin 310.
H-quadrat s. B 310.
Hrabanek, Franz 311.
Krabe, Joseph 311.
Hradetzky, Friedrich 311.
Hrazek, Peter Irenäus 311.
Hrotswitha 311.
Huber, Madame s. Will-
mann 311.
Huber, Felix 311.
Huber, Franz Xaver 311.
Huber, Johann Nepomuk
311.
Huber, Joseph 312.
Huber, Ludwig 312.
Huber, Taddäus 312.
Hubert, Anton 312.
Hubert, Christian Gottlob
312.
Huberty, Antonie Cäcilie s.
Saint-Huberty 313.
Hubmeyer, Hippolvtus 313.
Hucbald (Hugbald, Ubal-
dus) 313.
Hucke, Georg s. Hück 319.
Hudmann, Friedrich Lud-
wig 319.
Hudler, Anton 319.
Hudson, George 319.
Hue, Balthasar de 319.
Hüara-piiara 319.
Hüankar 319.
Hüayllaca 319.
Hüber, Wendeliu 320.
Hüblor, Karoline Elisabeth
320.
Hübner, Johann Christian
320.
Hübner, Joseph 320.
Hübsch, Johann Jiaptist
320.
Hübsch, JohaunGcorg Gott
helf 320.
Hück, Georg 320.
Hüffer, Franz 320.
Hüfthorn s. Hifthorn 321.
Hülfsaccorde, Hülfsharmo
nien 321.
Hülfsbalg s. Balg und Cres
cendozug 321.
Hülfsgewicht 321.
Hülfsuoten, Hülfstöne 321
Hülfsstimmen 322.
Hüllmandel, Nicolaus Jo
seph 322.
Hüllmandel, Rudolph 322.
Hüllwock, Ferdinand 322.
Hüli'hers, Abraham Abra
hamson 323.
Hülse 323.
Hülsen, Botho von 323.
Hülsen, Helene von 323.
Hülshoflf, Max Freiherr von
Droste 323.
Hülskamp, GustavHeinrich
(Henry) Seite 323.
Hümmelcheu oder Hummel
324.
Hunten, Franz 324.
Hunten, Wilhelm 324.
Hunten, Peter Ernst 324.
Huerga, Cyprianus de la
324.
Hürt, Theobald 324
Huet, Pierre Daniel 324.
Hütteubrenner,Anselm 325.
Hütter, Johann Gottfried
326.
Hüttner, Johann Baptist
326.
Hugard, Pierre 326.
Hugenius s. Huyghens 326.
Hugo II. Graf von Montfort
326.
Hugo von Salza 326.
Hugolinus, Vineentius s.
Ugolini 326.
Hugot, A.326.
Hugot der Aeltere 326.
Hugen^t, Jacques 327.
Huitaces de Beaulieu s.
Beaulieu 327.
Hulskamp s. Hülskamp 327.
Hülst, Felix van s. Vauhulst
327.
Human 327.
Humangedakt oder Lieb
lichgedakt 327.
Humanus s. Hartong 327.
Hume, Tobias 327.
Hummel s. Hümmelchen
327.
Hummel, Christian Gottlieb
Emanuel 327.
Hummel, Georg Peter 327.
Hummel, Matthäus 327.
Hummel, Johann Friedrich
327.
Hummel, Friedrich 327.
Hummel, Tobias 327.
Hummel, Johannjulius 328
Hummel, Johann Bernhard
328. ■
Hummel, Johann Nepomuk
328.
Hummel, Eduard 329.
Humor 330.
Humphrey, Pelham 330.
Hungarn, Gottfried 331.
Hunger, ChristophFriedrich
331.
Hunger, Gottlieb Gottwart
331.
Hungersberg, Felix 331.
Ilunn, Joseph 331.
Hunnis, William 331.
Hunnius, Christian 331.
Hunnius, FriedrichWilhclm
331.
Hunolt, Christian Friedrich
331.
Hunoit, Georg 331.
Hunt, Arabella 331.
Hunt, Thomas 332.
Hunt, Karl 332.
Hupfeld, Bernhard 332.
Hurka, Friedrich Franz 332.
Hurlebusch, Heinrich Lo
renz 332.
Hurlebusch, Konrad Fried
rieh 333.
Hurtado, Tomas 333.
Hus-Desforges,Pierre Louis
333.
Hustache, Claude Theodor
334.
Hut 334.
Huth, Louis 331.
Hutschenruyter, Wilhelm
334.
Huttari, Jacob 334.
Huyghens, Constantin Seite
334.
Huyghens, Christian 334.
Huzler, Johann Adam 335.
Huzler, Johann Sigmund
335.
Huzler, Johann Ludwig 335.
Huzler, Karl 335.
Hyaeinthia oder Hyancin-
thien 335.
Hyagnis 335.
Hycaert s. Ycaert 335.
Hyde 335.
Hydraulos 335.
Hye, Madame de la 335.
Hyller, Martin 335.
Hymäos 336.
Hymber, Werner 336.
Hymen oderHymenäos 336.
Hymnerophon 336.
Hymni saliares 336.
Hymnologie 336.
Hymnos 336.
Hymnos angelicus oder
evangelicus 340.
Hymnos trinitatis 340.
Hymnos triumphalis 310.
Hymnos glorificationis 340.
Hymni epistolici 340.
Hymni evangelici 340.
Hypate 340.
Hypate hypaton 340.
Hypate meson 340.
Hypatoides 340.
Hypaton 310.
Hypaton diatonos 340.
Hyper 340.
Hyper 310.
Hyperäolisch 341.
Hyperbolaeou 341.
Hyperbolaeon diatonos 341.
Hyperbolisch 341.
Hyperdiapason 341.
Hyperdiazeuxis 341.
Hyperditonos s. Hyper 341.
Hyperdorisch oder mixo-
lydisch 311.
Hyperionisch 311.
Hyperlydisch 311.
Hypermeter 341.
Hypermixolydiseh 341.
Hyperphrygisch 311.
Hypo 341.
Hypoaeolisch 342.
Hypodiapason, Hypodia-
pente s. Hypo 342.
Hypodiazeuxis 342.
Hypodorisch 312.
Hypoiastisch oder Hypo-
ionisch 342.
Hypokritika 343.
Hypolydisch 343.
Hypomixolydiseh 343.
Hypophrygisch 313.
Hypoproslambanomenos
344.
Hyporchemata 344.
Hypo syuaphe 311.
Hypotas 311.
Hypsil 344.
Hyrtl, Jacob 344.
I. J.
1345.
Jacchini, Giuseppe 345.
lacehus 345.
Jachet oder Jaquet 345.
Jachimek, Franz 345.
Jachmann- Waguer s. Wag-
ner 315.
Jackson, Edward K. 315.
Jackson, William 315.
Jackson, William John 346.
Jacob I. 316.
Jacob 346.
Jacob, Benjamin 347.
556
Verzeichniss der im fünften Bande enthaltenen Artikel.
Jacob, Kricdrifl» August
liClioriH'lit Seile 317.
Jacob, (iüiitlicr 3-17.
JacobcUi, Giovanni Itat-
tista 3-47.
Jacobcllo 3t7.
Jacobetti, Pictro 347.
Jacobi 347.
Jacobi, Adam Fricdricli
Ernst 317.
Jacobi, Christian Gottliilf
347.
Jacobi, Frieilricli Wilhelm
348.
Jacobi, Johann Chrislian
348.
Jacol)i, Karl 348.
Jacobi, Konrad 348.
Jacobi, Michael 348.
Jacobi, Tobias 348.
Jacobitus, Petrus Amicus
8. Jacobetti 348.
Jacopo von Bologna 349.
Jacoponc oder Jacopo Be-
nedctto( Jacobus de Bene-
dictis) 349.
Jaeotin 349.
Jacotot, Joseph 349.
Jacqmiu, Franfois3i9.
Jactjmin, Jean Baptiste
Franijois 349.
Jaciiuart, Jean 350.
Jacques 350.
Jacquin 350.
Jaequot, Charles Jean Bap-
tiste 350.
Jadassohn, Salomon 350.
Jadin 350.
Jadin, (Jcorge 350.
Jadin, Jeau 350.
Jadin, Louis Eraanuel 350.
Jadin, Hyacinthe 351.
Jadin, (ieorge 351.
Jäger 351.
Jäger, Johannes 351.
Jäger, Johann Zacharias
Leopold 351.
Jäger, Ernst 351.
Jäger, Franz 351.
Jäger, Konrads. Geiger 352.
Jägertrumraet, Jägertrom-
met oder Jägerhorn 352.
Jahns, Friedrich Wilhelm
352.
Jaell, Alfred 354.
Jaell geb. Trautmann 354.
Jaeschke, Hermann Gustav
355.
JatTi^ Moritz 355.
Jagati 355.
Jagdhorn 356.
Jagemann, Christian Joseiih
356.
Jagemann, Karoline 356.
Jahn, Otto 356.
Jaina 358.
Jaladbiimala 358.
Jaleo de Xeres 358.
Jalousiesehweller 358.
Jamard 358.
Jaraata-Koto oder Jamata-
Kollo 358.
Jambe- de -Fcr, Philibcrt
358.
lambikon 359.
lamblichus 359.
lambos 359.
James, John 359.
James, William N. 359.
Jan, David 3.59.
Jan, Martin 359.
Janacconi, Giuseppe 359.
Janatka, Johann Nepomuk
360.
Jancourt, Lonis Marie
Eugene 360.
Jancqnin b. Janncijuin 360.
Jani, Johann Seite 361.
Janiewicz oder Yaniewicz
361.
Janina, Olga von 361.
Janitscli, Anton 361.
Janitsch, Joliann Göttlich
361.
Janitseharen-Musik oder
Türkische Musik 361.
Janitscharon-Tronimcl 363.
Janitzck, Johann, eigcntl.
Janetzek 363.
Janke, (iu.-ttav 364.
Jannequin, Cli^nient 304.
Janowka, Thomas Balthasar
364.
Jansa, Leopold 364.
Jansen, Gustav 365.
Jansen, Gustav F. 365.
Jansen, Johann Anton
Friedricli 305.
Jansen, Johann Heinrich
Friedrich Ludwig 3(i6.
Jansen, Cornelius 366.
Jansennc, Louis 366.
Janson, Jean Baptiste AimO
.Toscph 366.
Janson, Louis Auguste Jo-
seph 366.
Janssen, C(5sar 366.
Janssen, N. A. 366.
Janssens, .leau Franfois
• Joseph 366.
Janus s. Jan 367.
Japan 367.
Japart, Jean 369.
Japha, Georg Joseph 369.
Japha, Louise s. Langhans
369.
Japona 369.
Japsen, Paul 369.
Jacquard 369.
Jarabe 369.
Jardini, Madame 369.
Jarmusiewicz, Johann 369.
Jaruowich oder Jarnowieki
s. Gioruovichi 370.
Jaspar, Andrt; 370.
Jaspis, Gottfried 370.
lastiseh 370.
Jauch, Johann Nepomuk
370.
Jaugtzer 370.
Jauncr-Krall s. Krall 370.
Java 370.
Javault, Iiouis 371.
Javurek, Joseph 371.
Javurek, Vineentius 371.
Jay 371.
Jay, Dr. John 371.
Ibach371.
Ibach, Adolph 371.
Ibach, C. Rudolph :i71.
Ibach, Gustav Adolph 371.
Ibach, Richard 372.
Ibach, Rudolph 372.
Ibykus 372.
Icht 372.
Ideal 372.
Idee s. Gedanke 373.
Idwan 373.
Idylle 373.
Jean 373.
Jeannon 373.
Jeannotus s. Xanotti 373.
Jean-Pierre, .lean Nicolas
373.
Jeep, Johann 373.
Jefl'rys, Matthäus 374.
Jelensperger, Daniel 374.
Jelieh, Vincenz 374.
Jelinck, Franz Xaver 374.
Jeliotto, Pierre 374.
Jendritza 375.
Jenger, Johann Baptist 375.
Jcnicke, Johann 375.
Jenisch, Paul 375.
Jenkins Seite 375.
Jenkins, John 375.
Jenneijuin s. Janne(|uin 375.
Jennewitz s. .laniewicz 375.
Jensen, Adolph 375.
Jensen, Gustav 376.
Jepp s. .loep 37(i.
.Terach ben .lomo 376.
Jercniiadcn s. Lamentatio-
nen 376.
Jeröme de Moravic s. Ilie-
ronynius de Moravia 376.
Jeroniino, Pater Francisco
de 370.
Jcsir 376.
Jesrie 376.
Jesser 376.
Jester, Ernst Friedrich 377.
Jesus 377.
.Tesus, Antonio de 377.
.Icsus, Bernardiiio de 377.
Jesus, Don Carlos de 377.
Jesus, Gabriel de 377.
Jethib oder Jathib 377.
Jetze, Paul 377.
Jeu 377.
Jeu ä bouche 377.
Jeu de buftle oder Jeu ä
poau de buflle 377.
Jeu de vieles 378.
Jeüruk-semasi 378.
Jeu grand 378.
Jeune, Claude le s. Lejeune
378.
Jeves, Simon 378.
Jewit, Randal oder Ran-
dolph 378.
Jey-tsu 378.
Ignanimus, Angelus 378.
Ignatius der Heilige 378.
Iken, Konrad 379.
11 370.
II tempo crescendo 379.
Ildefonso 379.
Ilgen, Karl David 379.
llias s. Homer 379.
Ilinsky, Graf Johann Sta-
nislaus 379.
Illgner, Johann Christian
379.
Illusion 379.
Imagination 380.
Imbault 380.
Imbcrt de Sens 380.
Imbcrt de Francia 380.
Imbcrt de Laphcleque 380
Imbimbo, Emanuele 380.
Imbroglio 380.
hnhotf, Johann Sigmund
Georg 381.
Imitatio, Imitation oder
Imitazionc 3sl.
Imitatio aeijualis motus381 .
Imitatio cancrizans oder re-
trograda 381.
Imitatio cancrizans (in)
miitu contrario 381.
Imitatio cauonica oder to
talis oder legata 381.
Imitatio homopliona oder
in unisono 381.
Imitatio inae(iualis motus
381.
Imitatio in beptaehordo
superiori oder inferiori
3S1.
Imitatio in hexaehordo su-
periori oder inferiori 381.
Imitatio in hypcrditono
oder hypoditono 38).
Imitatio in hypcrdiapason
oder hypodiapason 381.
Imitatio in hypcrdiapente
oder hypodiaj^ente 381.
Imitatio in hyperdiatessa-
ron oder hypodiatessa-
ron 381.
Imitatio (in) motu contra-
rio s. 1. per motum con-
trariuni Seite 381.
Imitatio in secunda superi-
ori oder inferiori 381.
Imitatio interrujita 381.
Imitatio in unisono s. I.
homopliona 381.
Imitatio inverlibilis 381.
Imitatio libera odersimplex
381.
Imitatio ligata 381.
Imitatio partialis oder pe-
riodiea 381.
Imitatii) per augraentatio-
nem 381.
Imitatio per diminutionem
382.
Imitatio periodica s. I. par-
tialis 382.
Imitatio ]icr motum eon-
trarium oder in motu
contrario 382.
Imitatio per motum con-
trarium stricte reversum
382.
Imitatio per motum retro-
gadum s. I. cancrizans
382.
Imitatio per arsin et thesiu
382.
Imitatio simplex s. I. libera
382.
Imitation s. Imitatio 382.
Imitation en retrogradant
s. Imitatio cancrizans 382.
Imitation par mouvement
eontraire oder I. renver-
s(5e s. Imitatio per motum
contrarium 382.
Imitation simple s. Imitatio
libera 382.
Imitatione oder Imitazionc
8. Imitatio 382.
Imitatione alla riversa s.
Imitatio per motum con-
trarium 382.
Imitatione al contrario ri-
verso 8. Imitatio per mo-
tum contrarium stricte
reversum 382.
Imitatione eoncherizantc
oder concherizata s. Imi-
tatio cancrizans 382.
Imitatione legata s. Imitatio
ligata 382.
Imitatione per movimenti
contrarii oder Im. riversa
8. Imitatio per motum
contrarium 382.
Immerwährender oder un-
endlicher Kanon 8. Kanon
382.
Immlei382.
Immler, Johann Wilhelm
382.
Immutabilis sc. accentus s.
Accentus ecelesiasticus
382.
Immyns, John 382.
Impazientcmente oder im-
pazienle 382.
Imperfect 382.
Imperfectio oder Imperfec-
tion 382.
Imperioso 383.
Impetuoso oder Impetuosa-
mente 383.
Imponcnte 383.
Impresario 383.
Impromptu 383.
Improvisatoren 383.
Imi)rovisiren 383.
Iraprovisirmaschine oder
Phantasirmasehine 384.
Incalzando 3H4.
Ineantare 384.
Verzeichniss der im fünften Bande enthaltenen Artikel.
557
Incarnatus est Seite 384.
Inoledon, Charles 384.
lu corpo 384.
ludeciso 384.
Iudex 384.
India, Sigismoudo d' s. Si-
gismondo 384.
Indien. Indische Musik
384.
Indifferente oder indiffe-
rentemeute 403.
Indigitamente 402.
In distauza oder in louta-
nanza 403.
Indravagra 403.
Infantas, Fernando de las
403.
Inferien 403.
lufibulation 403.
lufinitus Cauon s Kanon
403.
Intlatilia sc. instrumenta
403.
Infrabass 403.
Inganno, eigentl. Cadenza
d'inganno 403.
Ingegueri, Angelo 403.
Ingegneri, Marco Antonio
oder Ingigneri 403.
Ingegneri, Pater Tommaso
Antonio 404.
Inglot, William 404.
Ingrain 404.
Inhalt 404.
Inno 404.
Inuocentamente oder inno-
cente 404.
luo, weibl. ina 404.
In partito 404.
Inquieto 404.
Insanguine, Giacomo 404.
Insensibile oder insensibil
mente 404.
Inspiration 404.
Instante oder instantemeute
405.
Institut 405.
Institut de France 405.
Instrument 406.
Instrumenta 419.
Instrumenta cruomena 419.
Instrumenta empneusta od.
pueumatica 420.
Instrumenta enchorda oder
tidicinia 420.
Instrumenta pennata 420.
Instrumenta percussa oder
pulsatilia 420.
Instruments ä archet 420.
Instrumentalmusik 420.
Instrumental - Musikdirek-
tor 430.
Instrumentalsatz 430.
Instrumentation s. Instru-
mentiren 430.
Instrumeutenbauer oder
Instrumentenmaeher 430.
Instrumentenkammer 430.
Instrumentiren 430.
Instrumente a campanella
oder Stromento a campa-
nella 433.
Intavolare 433.
Integer valor notarum
434.
Intendant de musique
434.
Interludium 434.
Intermedium oder Inter-
mezzo 434.
Interpunction 434.
luterrogativus sc. accentus
s.Äccentus ecclesiasticus
43c.
luterrotto 435.
Interruption 435.
Intervall 435.
Intervallenberechnung s.
Intervallenlehre und Ka-
nonik Seite 435.
Intervallenlehre 435.
Intimo 462.
Intonare oder intoniren
462.
Intonation 462.
Intonireisen, auch Into-
nations- oder lutonir-
blech 463.
Intoniren s. Intonare und
Intonation 463.
Intrade 463.
Intrepido, intrepidaraente
463.
Introduetion 463.
Introitus 464.
lutus canere 464.
Invention 464.
Inveutionshoru s. Hörn
464.
luventionsinstrumente s.
Hörn und Trompete 464.
Inventioustrompete s. Horu
und Trompete 464.
Inversion oder Evolution
464.
Invetriatur 465.
Invitatorium 46.5.
Invocavit s. Sonntag 465.
Joachim oder Giovaechino
465.
Joachim, gen. Joachim von
Magdeburg 466.
Joachim, Joseph 466.
Joachim, Amalie geb. Weiss
467.
Joan 468.
Joanelli, Pietro 468.
Joanelli, Ruggiero s. Gio
vanelli 468.
Joanini, gen. J. del Violou
cello 468.
Joannes s. Johannes 468.
Joao (Juan oder Johann)
IV. 468.
Joao Vaz Barradas Muito-
pam e Morato s. Vaz-Bar
radas 468.
Jobel 468.
Jobinus, Bernhard 469.
Jocolet, Claudius 469.
Jocosus 469.
Jodeln 469.
Jodoeus Pratensis oder J.
de (a) Prato s. Josquin
469.
Jöcher, Christian Gottlieb
469.
Johann 469.
Johann XX. 469.
Johann XXI. 469. .
Johann XXII. 469.
Johann IV. s. Joao 469.
Johann Georg II. 469.
Johann (Jean), Herzog von
Braine 470.
Johann Ernst, Prinz von
Sachsen-Weimar 470.
Johann Cotto s. Cottonius
470.
Johannes 470.
Johannes Aegidius s. Aegi-
dius 470.
Johannes Cäsar August anus
470.
Johannes Chrysorrhoas
470.
Johannes Langus 470.
Johannes de Muris s. Muris
470.
Johannes Mantuanus oder
Johannes von Mautiia
470.
Johannes Paduanus 471.
Johannes Pediasimus 471.
Presbyter Seite
Salisberiensis
Jobannes
471.
Johannes
471.
Johannes Scotus 471
Johannes Tanetos oder
Thanatensis 471.
Johannes vönEurgund 471
Johannes von Cleve 471.
Johannes von Fulda 471.
Johannes von Neuville 471.
John, Karl Wilhelm 471
Johnson 472.
Johnson, Bartholomäus
472.
Johnson, Edward 472.
Johnson, Heinrieh Philipp
472.
Johnson, Robert 472.
Jolage, Charles Alexandre
472.
Joly 472.
Jomard, Edmond Franfois
472.
Jomelli, Nicolö 472.
Jonas, Emile 474.
Jonas, Karl 474.
Jon eck, Michael 474.
Jones, Edward 474.
Jones, Griffith 475.
Jones, John 475.
Jones, Philipp 475.
Jones, Robert 475.
Jones, William 475.
Jongleurs 476.
Ionische Tonart 477.
Jordan 477.
Jordan, Hieronymus 478.
Jortin, John 478.
Joseph, Georg oder Josephi
478.
Joseph, Pater 478.
Josephson, Jacob Axel 478.
Josephus 478.
Josephus Studitax 478.
Josquin Desprez oder des
Pres 478.
Josquin (Giosquino) d'As-
canio 479.
Josselin, N. 479.
Jossieu s. Josquin 479.
Jota arragonesa 479.
Joubert 479.
Joubert de la Salette s. La
Salette 480.
Jouglet 480.
Joung, Matthew 480.
Joung, William 480 .
Jourdan, JeanBaptiste 480.
Journet, Francisque 480.
Jousse, J. 480.
Jouve, Elzear Marie 480.
.Touve, Esprit Gustave 480.
Jouy.Victor Joseph Etieune
480. j
Jovanelli s. Giovanelli 481.1
Jozzi, Giuseppe 481. j
Iperen, Josua van 481. |
Irak 481.
Irato 481.
Irgang, David 482.
Irgang, AVilhelm 482.
Irhove, Wilhelm 482.
Irland. Irische Musik 482.
Irländische Harfe 484.
Irmer, Wilhelm Heinrich
485.
Irmisch, Gottlieb Wilhelm
485.
Irregulärer Durchgang s.
Durchgang und Wechsel-
noten 485.
Irreguläre Fuge s. Kanon
und Fuge 485.
Irressolnto 485.
Irrig, Sebastian 485.
Is-isis 485.
Isaak, Heinrich, gen. I. von
Prag Seite 485.
Ischak 486.
Isfahan 486.
Isham, John 497.
Isidorus Hispalensis 487.
Isis 487.
Iske, Rudolph 487.
Ismard 487.
Ismenias 487.
Isnardi, Paolo, unricht.Isi-
nardi 487.
Iso 487.
Isola, Gaetano 487.
Ison 488.
Isouard, Nicolö 488.
Israeliten s. Hebräer 489.
Istesso 489.
Isthmische Spiele 489.
Italien. Italienische Musik
490.
Italienische Quinte s. Rohr-
flöte 505.
Italienisches Notenpapier
505.
Italienische Tabulatur s.
Tabulatur 505.
Itard, J. E. M. C. 505.
Ite, missa est 506.
Ithomäen 506.
Ithyrabos 506.
Juan IV. s. Joao IV. 506.
Juan Redondo 506.
Jubal 506.
Jubelhorn s. Buglehorn und
Klappeuhorn 506.
Jubhünka 506.
Jubilate 506.
Jubiloso 506.
Jubilus oder Jubilatio 506.
Juden s. Hebräer 506.
Judenkönig, Hans 506.
Judica 506.
Judice, Cesare de 506.
Jue, Edouard 506.
Jürgensen, Johann Chri-
stoph 507.
Juhorünot 507.
Juillet 507.
Juipin 507.
Jula 507.
Julaquinte s. Jula 507.
Juliani s. Giuliaui 507.
Juliano s. Giuliano 507.
Julien 507.
Julien, G. 507.
Julien, Guillaume, gen. Na-
voigille 507.
Julien, Henri de Saint 507.
Julien, Louis Antoine 508.
Julien, Nicolas 508.
Julien, Paul 508.
Julien, Pierre 508.
Julien, Louis Antoine, un-
richt. Jullien 508.
Julien, Adolphe 509.
Jullien, Marcel Bernard 509.
lulos 509.
Jumentier, Bernard 509.
Jumilhae, Pierre Benoit de
509.
Jung, Franz Wilhelm 510,
Jung 510.
Jung, Joachim, nicht Junge
510.
Jungbauer, i'erdtnaud Cö-
Icstin 510.
Junge, Christoph 510.
Jungert, Jacobiua geb. Be-
zin 510.
Jungfernorgel s. Regal 510.
Jungfernregal, auch Geigen-
regal und Siugendregal
510.
Jnngfrauenstimme s. Ala-
moth 511.
Junghans, J. A. 511.
558
Verzeichniss der im fünften Baude enthaltenen Artikel.
Junghans, C. G. Seite 611.
Jungmann, Albert 511.
Jungmann, I.ouis 511.
Jungnickel, Johann 511.
Jungwirth, Anton 511.
Junius, Adrian 511.
Junker, Karl Ludwig 511.
Jupin, Charles Kran^ois
512.
Jusdorff 512.
JussOT, Johann Andreas
512.
Just, Johann August 612.
Justesse 512.
Justinian I., gen. der Grosse
512.
Justinius 'a Despons 513.
Juvigny 513.
Ivery, John 513.
Ives, Simon 513.
Ivo613.
Ivo 513.
K.
Kaa, Ignaz 513.
Kaharo 513.
Kabath, Johann 513.
Kaczkovvsky, Joseph 514.
Kadelbach, Karl Gottlob
514.
Kadenz s. Cadenz 514.
Kadlecek, L, H. 514.
Kadma 514.
Käberle 514.
Käferle, Karl Heinrich 511,
Käferle, Ferdinand 515.
Käferstein s. Keferstein 515,
Kahler, Moritz Friedrich
August 515.
Kämme 515.
Kämpfer, Joseph 515.
Känorphica s. Xänorphica
515.
Küsermann, Nicolaus 515
Kässmayer, Moritz 515.
Kästehen 516.
Kästner, Abraham 516.
Kästner, Abraham Gotthclf
516.
KafTka, Joseph, richtiger
Kawka Seite Slü.
Kaft'ka, Wilhelm 516.
Kaffka, Johann Christoph
516.
Kafka, Joh. Nepomuk 617.
Kahl 517.
Kahl, Theodor 517.
Kahl, Gotthard Wilhelm
517.
Kahl, Heinrich 517.
Kahle, Karl Hermann Trau-
gott 517.
Kalile, August (Karl Timo-
theus) .517.
Kahnt, C. F. 517.
Kahrel, Hermann Friedrich
618.
Kall, Joseph 518.
Kainz, Marianne 518.
Kaini-Prause, Frau 518.
Kaiser oder Kayser, P. L.
518.
Kaiser, Pater Jistrid 518.
Kaiser, Madame 518.
Kaiserly Krikuhr 518.
Kaizer 519.
Kakophonie 519.
Kalamaika 519.
Kalb 519.
Kaibit/., Karl 519.
Kalbitz, Karl August 519.
Kalcher, Johann Nepomuk
519.
Kaldenbach, Christoph 519.
Kalergy, Marie, geb. Grälin
Nesselrode 519.
Kalick 520.
Kalidasas 520.
Kaikar, Heinrich, gen. Hen-
ricus Calcarensis 520.
Kalkbreuner, Christian 520.
Kalkbrenner, Friedrich
(Wilhelm Michael) 521.
Kalkbrenner, Arthur 522.
Kalkua, Joseph 522.
Kailaus, Ferdinand 522.
Kallenbach, Georg Ernst
Gottlieb 522.
Kallenbcrg, Wilhelm 522.
Kallinikos 522.
Kalliopc Seite 522.
Kalliwoda, Johann Wenzel
523.
Kalliwoda, Wilhelm 523.
Kalimus oder Kalmus s.
Calmus 523.
Kaiwitz s. Calvisius 523.
Kamal Fddin Abulphadlii
Giafar 523.
Kambra üTS.
Kambung kayii 524. j
Kamcra(is(Oiaft 521.
Kamiensky, Matthias 524,
Kaiiiilc 524.
Kamm oder Rechen
Kämme 524,
Kammcl, Anton 524. j
Kammer 52 t.
Kammercomponist 525.
Kammerconeert s. Concert
525.
Kammerflöte s. Kammer-
register 525.
Kammergedackt s. Gcdackt
525.
Kammerkoppel 525.
Ivammcrlander, Karl 525.
Kammerloher s.Camerloher
525.
Kammermusik 525.
Kammermusiker 526.
Kammerregister 526.
Kammersänger 526.
Kammerstimme s. Gedacktj
527. !
Kammerstyl s. Kammer-
musik und Styl 527.
Kammerton oder Kapellton
527.
Kammervirtuose 527.
Kampuk oder Ketut 527.
Kanal, Windrohr oder
Schlauchrolir 527.
Kanalschnauzeu 528.
Kanalventil s. Contraventil
528.
Kaucka, Joseph von 528.
Kandele 528.
Kandier, Franz Sales 628.
Kang-hi 528.
Kanne,FriedrichAugust529.
Kanuegiesser, Justus Jacob
Seite 529.
Kanon 529.
Kanonik 530.
Kanoniker 537.
Kanon und Fuge 538.
Kant, Immanuel 543.
Kantun 543.
Kanun oder Qünon s. Canun
643.
Kanzellc s. Cancelle 643.
Kanzler, der 543.
Kauzler, Josephine 543.
Kao-ku oder Yn-ku 513.
Kapellane 544.
Kapelldiener 544.
Kapelle 544.
Kapellknaben 545.
Kapellmeister 545.
Kapellmusicus oder Kapel-
list 545.
Kapler, Karl Benjamin 545.
Kapp, Christian 515.
Kapp, F. Karl 545.
Koppe, s. Hut und Gedackt
546.
Kappeier, N. 545.
Kappeler.Johann Nepomuk
546.
Kaps, Ernst (Karl Wilhelm)
545.
Kapsberger, Johann Hie-
ronymus 54G.
Karaklausithyron 546.
Karauschek 546.
Karclin, Sila Dementie-
witsch 547.
Kargel, Sixtus 547.
Karger, Friedrieh Wilhelm
Aloys 547
Karl der Grosse 547.
Karl V. 548.
Karl VI. 548.
Karl Eugen 548.
Karl, Bernhard Peter 549.
Karl, Johann Gottlieb 549.
Karna 549.
Karnati 549.
Karneia oder Karnia 549.
Käme pbarah 549.
Karow, Karl 550,
r)ruck von Motzger & Wittig in Leipzig.
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