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Full text of "Musikalisches Conversations-Lexikon. Eine Encyklopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften. Für gebildete aller Stände"

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CONVEESATKWS-LEXIKON, 

Eine  Encyklopädie 

der 

gesammten  musikalischen  Wissenschaften. 

Für  Gebildete  jüler  Stände, 

unter  Mitwirkung 
der 

titcmui|ificii  Soiiiiuillion  ilcs  ßcvfiiier  loiifciuififcrDcreiiis, 


sowie 


der  Herren  Muslkdir.  C.  Billert,    Gustos  A.  Dörtfel,  Kapellmeister  Prof.  Dorn, 

Prof  G.  Elidel,  Direktor  Gevaert,  L.  Hartmami,  Dr.  F.  Hufler  Prof.  h.  W. 
Jähils,  Dr.  W.  Langlians,  Professor  E  Mach,  Prf/-%^^-  l  YmZ' 
Dr   Oscar  Paul,  Dr.  A.  Reissmann,  Prof.  E.  F.  Richter   Prof.  W.H.KicUl, 

Musikdirektor  Dr.  W.   Rust,   fteh.   Rath   Schlecht,   0.   TlCrSCh,   Direktor 

L.  Wandelt,  Dr.  H.  Zopft'  u.  s.  w.,  u.  s  w. 


bearbeitet  und  herausgegeben 


von 


Hermaim  Mendel. 


Fünfter  Band. 


BERLIN, 

Verlag  von  Robert  Oppenheim. 
1875. 


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Harmonielelire.  1 

Harmouielehre  (Schluss  des  in  Band  lY,  begonnenen  Art.).  Helmholtz 
ist  indessen  weit  davon  entfernt,  hiermit  Alles  erklären  zu  wollen.  Er  spricht 
es  im  Gegentheil  am  Schlüsse  seines  "Werkes  bestimmt  aus,  in  der  Aesthetik 
der  Musik  nicht  weiter  vorschreiten  und  nicht  zur  Lehre  vom  Rhythmus,  von 
den  Compositionsformen ,  von  den  Mitteln  des  musikalischen  Ausdruckes  über- 
gehen zu  wollen.  Er  fährt  (S.  560)  fort:  »In  allen  diesen  Gebieten  werden 
die  Eigenthümlichkeiten  der  sinnlichen  Empfindung  noch  hin  und  wieder  einen 
Einfluss  haben,  aber  doch  wohl  nur  in  sehr  untergeordneter  Weise.  Die  eigent- 
liche Schwierigkeit  wird  in  der  Verwickelung  der  psychischen  Motive  liegen, 
die  sich  hier  geltend  machen.  Freilich  beginnt  auch  hier  erst  der  interessan- 
tere Theil  der  musikalischen  Aesthetik  —  handelt  es  sich  doch  darum,  schliess- 
lich die  Wunder  der  grossen  KuDstwerke  zu  erklären,  die  Aeusserungen  und 
Bewegungen  der  verschiedenen  Seelenstimmungen  kennen  zu  lernen.  So 
lockend  aber  auch  das  Ziel  sein  möge,  ziehe  ich  es  doch  vor,  diese  Unter- 
suchungen, in  denen  ich  mich  zu  sehr  als  Dilettant  fühlen  würde.  Anderen  zu 
überlassen,  und  selbst  auf  dem  Boden  der  Naturforschung,  an  den  ich  gewöhnt 
bin,  stehen  zu  bleiben.« 

So  überlässt  der  jetzt  fast  allein  massgebende  Vertreter  der  physikalisch- 
physiologischen Seite  der  Musikwissenschaft  diese  eine  Aufgabe  der  H.  den 
Philosophen  und  speciell  den  Aesthetikern.  Ganz  ähnlich  machen  es  in  dieser 
Beziehung  die  neueren  Lehrbücher  der  Harmonie,  sowohl  die  für  die  Praxis 
bestimmten,  als  auch  die  rein  wissenschaftlichen.  Auch  sie  stellen  weitere  For- 
schungen nach  den  letzten  Gründen  in  Beziehung  auf  das  Wesen  der  Tonkunst 
und  auf  ihre  Wirkungen  nicht  an.  Was  aber  in  dieser  Frage  von  hervor- 
ragenden productiven  Künstlern  in  Wort  und  Schrift  bekannt  geworden  ist, 
trägt  viel  zu  sehr  den  Charakter  des  Unwissenschaftlichen,  als  dass  es  für  die 
Eutwickelung  der  H.  nach  dieser  Seite  von  Vortheil  sein  könnte.  —  Es  wäre 
demnach  jetzt  nachzuweisen,  wie  Philosophen  und  Aesthetiker  ihre  Aufgabe 
gegenüber  dem  besprochenen  Problem  zu  lösen  versucht  haben.  Dieser  Nach- 
weis gehört  aber  nicht  mehr  zur  H.;  ich  muss  es  daher  dem  Leser  überlassen, 
sich  durch  das  Studium  der  Philosophie  und  Aesthetik  hierüber  Aufschluss 
zu  verschaflPen.  Zur  vorläufigen  Orientiruug  sind  übrigens  die  Geschichten 
der  Aesthetik  von  R.   Zimmermann,  H.  Lotze  u.  A.  zu  empfehlen. 

So  wenig  die  eigentlichen  Fachschriften  sich  in  neuerer  Zeit  mit  der 
Frage  nach  der  eigentlichen  Aufgabe  der  Musik  im  Allgemeinen  befassen, 
ebenso  wenig  geben  sie  Anweisung,  wenn  es  sich  darum  handelt,  welche  Mittel 
der  Schüler  zur  Erreichung  eines  bestimmten  musikalischen  Zweckes  anzuwenden 
habe;  und  doch  ist  dieses  ja  nur  die  eine  Seite  der  H.,  nämlich  der  Nachweis 
darüber,  wie  und  zu  welchen  Zwecken  das  harmonische  Material  zu  verwenden 
sei.  Zu  dieser  Beschränkung  ist  aber  die  Berechtigung  unumwunden  zuzuge- 
stehen gegenüber  der  Unlösbarkeit  der  gestellten  Aufgabe.  »Solche  Lehren  fruchtbar 
darzustellen,  dazu  gehörten  einmal  die  vollendetsten  praktischen  Künstler,  die 
fähig  und  bereit  wären,  die  verschiedensten  Tonspiele  und  Mienenspiele  der 
Natur  in  jedem  Augenblicke  abzulauschen  und  so  rasch  wie  charakteristisch 
in  Noten  zu  fixiren,  weil  nur  durch  Darlegung  zahlloser  Beispiele  zu  einer 
solchen  Lehre  überhaupt  der  Grund  zu  legen  wäre.  Die  Künstler  aber,  die 
dies  Talent  besässen,  würden  es  nie  an  so  zerstreute  und  zugleich  so  pedan- 
tische Studien  vergeuden  wollen;  sie  würden  die  Schüler  lieber  an  ihr  Beispiel 
als  an  irgend  eine  Lehre  verweisen.  Zu  solch  einer  Lehre  gehörten  nicht 
allein  soLche  praktische  Künstlernaturen,  sondern  auch  Männer,  die  mit  der 
vollkommensten  wissenschaftlichen  Kenntniss  der  Technik  ihrer  Künste  zugleich 
die  allgemeinste  Bildung  und  die  ausgebreitetste  weltmännische  Menschenkunde 
verbänden.  Diese  letzteren  Eigenschaften  pflegt  das  künstlerische  wie  das  ge- 
sellige Genie  auf  ganz  instinktivem  Wege  zu  erwerben;  für  den  Kunstlehrer, 
den  wir  suchen,  würde  noch  erfordert  werden,  dass  er  zu  allen  den  angeführten 
Besitzen    auch    noch    die    Gabe    hinzufüge,     sich     von    Allem     die    bewussteste 

Muaikal.  Con^js^Lexikon.     V.  1 

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REß^RQ^O^ 


2  Harmonielehre. 

Kechenschaft  zu  geben  und  wieder  die  Errungenschaften  seines  seltenen  Geistes 
in  das  Bewusstsein  Anderer  klar  und  deutlich  übertragen  zu  können.  Mit 
keinen  geringeren  Begabungen  als  diesen  scheint  der  Preis  einer  solchen  Kunst- 
lehre zu  erjagen.  A\  äre  nun  aber  diese  kaum  denkbare  Vereinigung  all  dieser 
Eigenschaften  in  Einer  Persönlichkeit  gegeben,  so  begännen  dann  erst  die 
gegenständlichen  Schwierigkeiten  der  Aufgabe,  die  geradezu  an  das  Unmög- 
liche gi'enzen.« 

»Man  mag  die  allgemeine  Natur  der  (Icfühle  und  Leidenschaften  von 
Grund  aus  kennen,  man  mag  ihre  Arten  und  Grade  in  die  schärfsten  sche- 
matischen Gruppen  geordnet  haben,  mau  mag  die  Rhythmen,  die  Grundtöne, 
die  Accente  und  alles,  was  die  Elemente  ihrer  Natursprachc  ausmacht,  aus- 
wendig wissen:  es  giebt  nicht  eine  Gemiithsbewegung,  wie  bestimmt  und  stark 
sie  geartet  sei,  die  sich  selbst  in  Einem  und  demselben  Menschen  einmal  wie 
das  anderemal  äusserte,  für  die  es  also  einen  gemeingültigen  künstlerischen 
Ausdruck  gäbe.  In  der  reichen  Mannichfaltigkeit  des  Lebens  wechselt  unter 
den  Einwirkungen  der  vielgestaltigsten  Verhältnisse,  unter  der  Zumischung  der 
verschiedenartigsten  begleitenden  Leidenschaften  Vorstellungen  und  Einbildungen 
ihre  Weise,  ihre  Stärke,  ihre  Färbung  in  jedem  Momente  einer  jeden  Lage 
eines  jeden  Menschen,  so  dass  der  Tonkünstler,  der  irgend  eine  Gemüthsbe- 
wegung  darstellen  soll,  immer  zugleich  die  Zeit  zu  beachten  hat  in  der,  und 
den  Ort  an  dem,  und  den  Gegenstand  um  den,  und  die  Person  in  welcher 
der  Affect  in  Bewegung  kommt.« 

»Blickt  man  von  den  so  beweglichen  Gegenständen  der  musikalischen  Nach- 
ahmung zu  den  Mitteln  und  Wegen  der  Nachahmung  herüber,  so  zerbröckelt 
hier  das  Material,  wo  man  anfasst,  in  einer  ähnlichen  AVeise,  ohne  feste  An- 
haltspunkte zu  gewähren.  Man  hat  die  Tonarten  nach  ihrem  seelischen  Aus- 
druck zu  charakterisiren  versucht,  und  nichts  Burleskeres  kann  man  zusammen- 
stellen, als  die  grell  widersprechenden  Ergebnisse,  zu  denen  man  da  und  dort 
gelangte.  So  hat  man  auch  über  die  psychische  Bedeutung  der  Intervalle  phi- 
losophirt;  allein  von  jedem  einzelnen  der  auffallenderen  Uebergänge  würde  sich 
nachweisen  lassen,  dass  man  ihn  bald  zu  sinnlich  malerischen,  bald  zu  blos 
emphatischen,  bald  zu  geistig  charakteristischen  Zwecken,  und  zwar  zu  den 
allerverschiedensten,  verwenden,  ja  dass  der  Sänger  dabei  durch  gut  oder  schlecht 
angebrachtes  TJeberschleifen  die  Absicht  des  Setzers  einmal  trefflich  verdeut- 
lichen, das  anderemal  gäuzlich  zerstören  könne.  Hier  ist  Alles  Zwei-  und 
Vieldeutigkeit  und  erhält  seine  Bestimmtheit  erst  durch  die  Innern  und  äussern 
Beziehungen  und  Verbände  zu  dem  Umgebenden,  genau  wie  in  dem  gegen- 
ständlichen Theile  der  künstlerischen  Aufgabe,  in  den  Regionen  der  Gefühle. 
In  so  verwickelten  Aufgaben  nun  wird  sich  der  Künstler,  den  man  sie  im 
einzelnen  erst  lehren  sollte,  niemals  zurechtfinden;  der  die  Schule  der  musi- 
kalischen Technik  durchgemacht  hat  und  die  Anlage  zu  einer  instinktiven 
Erkeuntniss  des  Welt-  und  Menschentreibens  in  sich  trägt,  wird  sie  fast  ohne 
jede  Anweisung  lösen«   (Gervinus,  »Händel  und   Shakcsp.«,   S.  205). 

Erkennt  man  die  Ausscheidung  der  erwähnten  Momente  aus  der  H.  als 
berechtigt  an,  so  ist  das  harmonische  Material  immer  noch  nach  verschiedenen 
Richtungen  hin  wissenschaftlich  zu  untersuchen.  Zunächst  sind  Untersuchungen 
physikalisch-physiologischer  Natur  möglich,  d.  h.  Untersucliungen  von  Erschei- 
nungen, welche  bei  Entstehung  von  Klängen,  Klangverhältnissen  und  Zusam- 
menklängen entstehen  in  den  klingenden  Körpern  und  Organen,  in  der  Um- 
gebung derselben,  wie  in  unserem  Gehörorgane  und  den  damit  zusammen- 
hängenden Nerven-  und  Gehirnsubstanzen.  Diese  Aufgabe  ist  als  ein  besonderer 
Theil  der  Musikwissenschaft  von  der  H.  getrennt  und  wird  in  der  Regel  als 
Akustik  (s.  d.)  bezeichnet,  über  die  schon  abgehandelt  worden  ist. 

Die  eigentliche  H.  hat  die  Resultate  jener  Forschungen  nur  insoweit  in 
Rechnung  zu  ziehen ,  soweit  dieselben  zum  eingehenden  Verständnisse  alles 
dessen  nothwendig  sind,  was  Musikern  und  Dilettanten  bei  ihrer  Beschäftigung 


Harmonielehre,  3 

mit  Musik  hinsichtlich  des  harmonischen  Materials  entgegentritt;  es  sind  dieses 
namentlich  die  Lehren  von  den  Schwingungszahlen  und  den  Schwingungsver- 
hältnissen, von  den  Partial-  oder  Aliquottönen,  von  den  bei  Zusammenklängen 
entstehenden  Schwebungen  und  Combinationstönen  (s.d.  und  unter  »Aku- 
stik«) und  Aehnliches.  —  Lange  Zeit  glaubte  man,  mit  Hülfe  der  Schwing- 
ungsverhältnisse oder,  was  schliesslich  dasselbe  ist,  der  Saitenlängen  Alles 
erklären  zu  können;  jene  Berechnungen  haben  sich  daher  im  Laufe  der  Jahr- 
hunderte zu  einer  besonderen  Wissenschaft  herausgebildet,  über  welche  unter 
Kanonik  das  Nähere  zu  finden  ist.  In  die  eigentliche  H.  gehört  hiervon  nur 
dasjenige,  was  nothwendig  und  erforderlich  ist  zur  Ableitung  der  grundlegenden 
Principien  und  zur  Erlangung  eines  eingehenden  Verständnisses  in  Betreif  der 
Construction  von  Tonsystemen.  Ausserdem  behält  die  H.  aber  noch  folgende 
Aufgaben:  L  hat  sie  nachzuweisen,  wie  das  harmonische  Material  sich  in  der 
Praxis  nach  und  nach  entwickelt  hat;  II.  hat  sie  sich  mit  Aufsuchung  und 
Betrachtung  der  einzelnen  harmonischen  Elemente  zu  befassen. 

Die  erste  Aufgabe  führt  zu  einer  »Greschichte  der  Harmonie«,  die, 
so  wichtig  sie  ist,  hier  nicht  gegeben  werden  kann.  Es  ist  daher  hier  nur 
anzudeuten,  wie  die  H.  in  den  verschiedenen  Epochen  sich  mit  der  zweiten 
Aufgabe  abgefunden  hat,  eventuell  ob  sie  hierbei  das  Richtige  getroffen  oder 
sich  geirrt  hat,  um  dann  schliesslich  aus  den  gewonnenen  Grundlagen  heraus 
eine  TJebersicht  über  das  Gesammtgebiet  der  H.  nach  dem  jetzigen  Stand- 
punkte der  Wissenschaft  geben  zu  können. 

Die  Griechen  sowohl  wie  alle  anderen  Völker  des  Alterthums  kennen  eine 
Harmonie  in  dem  Sinne  des  gleichzeitigen  Erklingens  mehrerer  nebeneinander 
hergehender,  melodisch  verschiedener  Stimmen  gar  nicht;  ihr  Gesang  war  nur 
einstimmig  und  höchstens  durch  die-  Octave  verdoppelt.  Die  antike  H.  hatte 
sich  daher  auch  nur  um  das  zu  kümmern,  was  zu  einer  wohlgeordneten  Melodie 
gehört.  So  beschäftigen  sich  die  griechischen  Theoretiker  auch  nur  damit,  was 
sich  auf  die  Tonordnung  der  Melodie,  ihre  Tonart,  Modulation,  .  ihr  Klang- 
geschlecht und  dergl.  bezieht.  Welches  nun  diese  ihre  Lehren  sind,  das  findet 
man  in  den  Artikeln:  Griechische  Musik,  Klanggeschlecht,  Tetra- 
chor d,  Chromatisch,  Diatonisch,  Enharmonisch  u.  s.  f.  angegeben. 
Zu  erwähnen  bleibt  nur,  dass  sich  unter  den  Tonlehrern  zwei  Secten  bildeten, 
»von  denen  die  ältere  den  Lehren  des  Pythagoras,  die  jüngere  denen  des  Ari- 
stoxenus  folgte.  Pythagoras  und  seine  Anhänger  verwarfen  in  Sachen  der 
Tonbestimmung  das  Urtheil  des  Gehörs  und  erkannten  nur  der  Messung  am 
Monochord  und  der  Rechnung  das  Schiedsrichteramt  zu.  Die  Zahlen  waren 
ihnen  eine  Regel,  ein  Kanon  für  die  Tonbestimmung,  daher  sie  Kanoniker 
genannt  wurden.  Im  Gegensatze  zu  dieser  Zahlentheorie  des  Pythagoras  be- 
hauptete etwa  200  Jahre  nach  ihm,  Aristoxenus,  das  Gehör  sei  der  alleinige 
Richter  in  Sachen  der  Intervallenbestimmung,  und  dasjenige  Verhältniss,  in 
welchem  die  Töne  vom  Gehör  vernommen  würden,  sei  allein  massgebend.  Seine 
Schule  nannte  man  die  Harmoniker.«  (A.  v.  Dommer,  »Handbuch  der  Musik- 
geschichte«  S.  19.) 

Die  von  Pythagoras  für  die  diatonische  Scala  und  für  das  Tonsystem  auf- 
gestellten Zahlenverhältnisse  galten  bei  den  Tonlehrern  des  ganzen  Mittelalters 
bis  zu  Zarlino  (1519 — 1590,  s.  Tonsystem).  Auch  viele  andere  Lehren  der 
griechischen  Theoretiker  behielten  so  lange  Gültigkeit.  Die  Veranlassung  hierzu 
gab  besonders  Boethius  mit  seinen  Büchern  »Je  musicav.  »Boethius  selbst  er- 
scheint in  seiner  Schrift  vorzugsweise  als  gelehrter  Redactor  der  musikalischen 
Theorien  und  Sätze  eines  Pythagoras,  Aristoxenus,  Nikomachos,  Ptolemäos 
u.  A.,  aul  welche  er  sich  auch  ausdrücklich  beruft.«  »Sein  tief  gelehrtes  aber  schwer- 
verständliches Werk  blieb  für  das  Mittelalter  eine  Art  Fundamentalcodex  der 
Musik.  Denn  es  war  jener  Periode  ein  Bedürfniss,  für  jedes  Wissen,  für  jede 
Speculatiou  ein  gegebenes,  von  nicht  anzutastender  Autorität  hingestelltes 
Fundament  zu  haben,  an  das  die  Forschung  erklärend,  ausdeutend,  weiterstrebend 


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4  Harmonielehre, 

ihre  Lehren  knüpfte,  durch  das  gegebene  Fundament  aber  eben  verhindert  war, 
voraussetzuugslos  auf  die  let/teu  Gründe  der  Sache  zurückzugehen.  Ja,  sie 
hätte  es  für  Frevel  gehalten,  irgend  einen  Lehrsatz  jener  Autorität  anzutasten, 
kaum  wagte  sie  eine  prüfende  Untersuchung.  Wie  die  Scholastik  auf  die 
Kirchenlehre  ein  unendlich  künstliches  Gebäude  aufthürmte,  so  fand  der  Musik- 
gelehrte an  Buethius  einen  festen  Anhaltspunkt.« 

Boethius  hatte  die  Tendenz,  »keineswegs  ein  musikalisches  Lehrbuch,  son- 
dern vielmehr  eine  philosophische  Phänomenologie  der  Musik  zu  bringen.  Er 
will  die  Gründe  der  musikalischen  Erscheinungen  begreifen  lehren,  und  zwar 
zunächst  die  physikalischen  und  mathematischen  Momente  derselben,  Dass  die 
Musikforscher  des  Mittelalters  (mit  Ausnahme  des  durch  und  durch  praktischen 
Guido  von  Arezzo)  solches  nicht  einsahen  und  die  Begriffe  philosophischer  und 
praktischer  Musiklehre  foi'twäiirend  verwirrten  und  durcheinander  warfen,  war 
vielleicht  der  schlimmste  Schade,  den  ihr  Studium  des  Boethius  vorschuldete.« 
(A.  W.  Ambros,  »Geschichte  der  Musik«,  Bd.  II.  S.  39  ff.) 

Indem  ich  mich  diesem  Urtheile  vollständig  anschliesse,  glaube  ich  zugleich 
das  Unzulängliche  in  der  Begründung  der  Lehre  bis  weit  über  die  Blüthezeit 
des  Contrapunktes  hinaus  angedeutet  zu  haben.  AVas  nun  die  Sätze  der  H. 
selbst  betrifft,  so  nahm  man  zu  den  verschiedenen  Zeiten  von  den  durch 
Boethius  mitgeth eilten  altgriechischen  Lehren,  was  man  gerade  für  nothwendig 
hielt,  und  suchte  aus  ihnen  zu  entwickeln,  was  etAva  nicht  vorhanden  war.  So 
nahm  man  in  der  Epoche  der  einstimmigen  Musik  auch  in  der  nachchristlichen 
Zeit  (bis  etwa  lOOü  n.  Chr.)  die  Lehren  von  den  Octavengattungen  und  dei'gl., 
so  weit  man  sie  verstand  und  für  erforderlich  hielt,  herüber  und  entwickelte 
aus  ihnen,  was  zur  Erklärung  der  sogenannten  Kirchentonarten  und  ihrer  Ein- 
richtung erforderlich  war.  Die  Kirche  ertheilte  sodann  den  gewonnenen  Lehren 
gleichsam  ihre  Sauction  und  erhob  sie  dadurch  zu  Dogmen,  deren  Nichtbe- 
achtung geradezu  für  sündhaft  galt.  Näheres  über  diese  Lehren  findet  man 
unter  Kirchenton. 

Bei  den  ersten  Versuchen  in  der  Mehrstimmigkeit  musste  schon  weiter  ge- 
gangen werden  (s.  Dia  p  ho  nie,  Organum,  Discantus),  obwohl  man  die 
Grundlagen  noch  vollständig  festhielt.  Sobald  nun  aber  die  Praxis  zum  Ge- 
brauche einer  wirklichen  Mehrstimmigkeit  gelangte,  Hessen  die  griechischen 
Lehren  gänzlich  im  Stiche,  und  man  sah  sich  auf  rein  empirische  Versuche 
angewiesen,  aus  denen  dann  wieder  schliesslich  rein  für  die  Praxis  berechnete 
Regeln  extrahirt  wurden.  Man  findet  dieselben  augegeben  in  dem  Artikel: 
Strenger  Satz;  gewöhnlich  bezeichnet  mau  sie  mit  dem  Namen:  contra- 
punktisehe  Regeln,  weil  sie  bei  den  Uebungen  im  einfachen  Contrapunkt  ein- 
geprägt wurden.  Versuchte  man  aber  eine  Begründung  jener  Regeln,  so  bezog 
man  sich,  so  gut  oder  übel  dieses  eben  gehen  wollte,  auf  die  altgiiechischen 
]jehren.  Eine  eigentliche  Accordenlehre  in  unserem  Sinne  giebt  es  eigentlich 
erst  seit  J.  P.  Rameau  (1722).  Denn  selbst  bei  Anwendung  des  sogenannten 
Generalbasses  (s.  d.)  hielt  man  zunächst  noch  die  coiitrapunktische  Auf- 
fassung fest,  die  einen  mehrstimmigen  Satz  rein  melodisch  entstehen  lässt. 
Dies  erkennt  man  in  allen  Lehrbüchern  der  damaligen  Zeit;  so  z.  B.  bei  A. 
Werckmeister  (>■> Hypomnemala  musica  oder  Musikal.  Memorial«  —  Quedlinbui'g, 
1697  —  und  y>IIarmonolor/ia  musica  oder  Kurtze  Anleitung  zur  Composition« 
—  Franclcfurt  und  Leipzig,  1702),  bei  Dav.  Heinchen  (»Der  Generall)ass  in 
der  Cumposition«,  Dresden,  1728),  ja  selbst  noch  bei  J.  JMattheson  (»Grosse 
Generalbassschule«,  Hamburg,  1731  und  »Kleine  Generalbassschule«,  Hamburg, 
1735).     Ein  eigentliches  Harmoniesystem   stellte  eben  zuerst  Rameau   auf. 

In  welcher  Weise  sich  von  da  ab  die  Wissenschaft  entwickelte,  ist  des 
Näheren  in  den  Artikeln  Consonanz  und  Dissonanz,  H  armoniesystera 
u.  s.  f.  nachgewiesen.  Ohne  weiteren  Beweis  wird  aber  zugestanden  werden, 
dass  von  Wissenschaftlichkeit  in  der  H.  nur  die  Rede  sein  kann,  wenn  wenig- 
stens versucht  wird,  alle  Einzelnheiten  auf  allgemeine  Principien  zurückzuführen, 


Harmonielehre,  5 

um  daBn  aus  diesen  heraus  die  einzelnen  Fälle  erklären  und  begründen  zu 
können.  Wie  weit  man  aber  selbst  in  neuerer  Zeit  noch  von  wirklicher  Wissen- 
schaftlichkeit entfernt  war,  beweist  ein  Einblick  in  die  Schriften  J.  Ph.  Kirn- 
bergers,  der  bis  zum  heutigen  Tage  noch  als  hervorragende  Autorität  gilt,  und 
über  dessen  »Die  wahren  Grundsätze  zum  Gebrauche  der  Harmonie«  (Berlin 
und  Königsberg,  1773)  sich  z.  B.  der  sachkundige  J.  N.  Porkel  in  seiner  1792 
erschienenen  »Allgemeinen  Litteratur  der  Musik«  (S,  347)  wie  folgt  ausspricht: 
»Ist  das  vollkommenste  System  der  Harmonie,  nach  welchem  sich  die  allerver- 
wickeltsten  Sätze  der  tiefsinnigsten  Harmoniker  erklären  und  auf  ihre  einfachen 
Grundquellen  zurückführen  lassen.« 

Kirnberger  nimmt  nun,  ohne  auch  nur  die  Frage  nach  den  Gründen  hierzu 
aufzuwex'fen ,  zwei  Arten  von  Grundaccorden  an,  Dreiklänge  und  Septimen- 
accorde.  Er  construirt  dann  alle  möglichen  Grundaccorde  auf  folgende  Weise 
(»Kunst  des  reinen  Satzes  in  der  Musik«,  Berlin  und  Königsberg,  1774,  I. 
S.  33):  »Wenn  man  also  gar  alle  in  unserem  heutigen  System  liegenden  Ac- 
corde  will  kennen  lernen,  so  darf  man  nur  auf  folgende  Weise  verfahren:  1) 
Sucht  man  alle  darin  liegenden  Dreiklänge  auf  und  nimmt  deren  Verwechse- 
lungen. Dadurch  erhält  man  alle  consonirenden  Accorde.  2)  Setzt  man  zu 
jeder  Art  des  Dreiklanges  die  Septime  hinzu  und  nimmt  auch  davon  alle  Ver- 
wechselungen. Dadurch  bekommt  man  alle  dissonirenden  Accorde.«  Er  geht 
dabei  von  der  Einrichtung  der  Dui'-  und  Molltonartleiter  aus,  fragt  aber  keines- 
wegs, warum  diese  gerade  so  und  nicht  anders  eingerichtet  sind;  ja  er  gründet 
seine  Schlüsse  auf  eine  geradezu  unwahre  Voraussetzung,  indem  er  die  abstei- 
gende Form  der  sogenannten  melodischen  oder  alten  Molltonleiter  als  die  eigent- 
liche Grundform  annimmt  (s.  Molltonleiter  und  Tonart).  Er  gelangt  dann 
ferner  zu  dem  gleichfalls  unwahren  Schlüsse,  dass  der  verminderte  Dreiklang 
(h — d" — -f)  ein  consonirender  Accord  sei;  dann  entwickelt  er  aus  der  G-dur- 
und  ^-OTO^Ztonleiter  ohne  Weiteres  den  Accord  h — dis' — f — a,  lediglich,  weil 
er  ihn  braucht.  Endlich  aber  sind  seine  Begründungen  meist  vollkommen  un- 
stichhaltig, weil  er  in  ihnen  von  Voraussetzungen  ausgeht,  die  selbst  erst  der 
Begründung  bedürfen.  Man  lese  nur  einmal  die  Beweise  in  den  Anmerkungen 
auf  S.  6  und  7  der  »Wahren  Grundsätze«.  Wie  unzulänglich  gleichwohl  Kirn- 
berger's  Harmoniesystem  in  Beziehung  auf  seinen  Umfang  noch  ist,  wird  unter 
Harmoniesystem  näher  angedeutet  werden. 

Noch  weniger  als  Kirnberger  dürfen  Marpurg  und  Albrechtsberger,  die 
mit  Kirnberger  immer  gleichzeitig  genannt  werden ,  Anspruch  auf  Consequenz 
und  Vollständigkeit  machen.  Der  erste  Theoretiker,  welcher  diese  Unzuläng- 
lichkeit erkannte  und  bis  zur  Evidenz  nachwies,  war  Gottfr.  Weber  (»Versuch 
einer  geordneten  Theorie  der  Tonsetzkunst«).  Derselbe  will  aber,  weil  ihm 
die  vorhandenen  Erklärungen  und  Begründungen  nicht  genügen,  von  solchen 
Erklärungen  und  Begründungen  überhaupt  nichts  wissen.  »Ich  für  meinen 
Theil«,  sagt  er  S.  XXIV  seiner  »Allgemeinen  Musiklehre«  (3.  Aufl.,  1831), 
»mag  lieber  auf  den  nichtigen  Glanz  einer  am  Ende  doch  unzureichenden 
Gründlichkeit,  und  insbesondere  auf  den  Schein  mathematischer  Behandlung 
geradezu  verzichten.« 

Die  Lehrer  der  Harmonie  sind  nun ,  mit  Ausnahme  von  M.  Hauptmann 
und  seinen  Anhängern  etwa,  bis  heute  über  diesen  Standpunkt  noch  nicht 
hinausgekommen.  Die  klarsten  Köpfe  unter  ihnen  stellen  sich  auf  den  Stand- 
punkt G.  Weber's.  So  klagt  der  Verfasser  eines  der  besten  derartigen  Werke 
neuester  Zeit  (E.  Fi*.  Richter,  »Lehrbuch  der  Harmonie«)  über  die  jetzige 
Jugend,  »die  gern  Alles  so  klar  haben  möchte,  dass  kein  Zweifel  möglich  sei«. 
Die  unklareren  Köpfe  dagegen  begnügen  sich  noch  heute  mit  der  bei  Kirn- 
berger kritisirten  Erklärungs-  und  Begründungsweise.  Die  Behauptung,  dass 
man  über  Kirnberger  resp.  über  G.  Weber  nicht  hinausgekommen  sei,  gilt  mit 
der  gegebenen  Einschränkung  für  die  Chorführer  der  theoretischen  Literatur 
neuerer  Zeit  (Job.  Andre,   Marx,  Dehn,    Lobe,  Richter  und  Weitzmann),  wie 


g  Harmonielehre. 

für  die  ganze  Schaar  ihrer  Nachbeter  und  Nachtreter.  IM.  Hauptmann  ging, 
wie  bereits  angedeutet,  einestheils  zu  weit,  anderntheils  abor  ist  sein  System 
nicht  umfangreich  genug,  um  den  Fortschritten  der  Praxis  in  neuerer  Zeit  ge- 
recht werden  zu  können.  Nachweis  hierüber  bringt  der  Artikel  Harmonie- 
system. —  Zum  Beweise  dafür,  dass  trotz  der  Behau])tung  Gr.  AVeber's  eine 
wissenschaftliche  Behandlung  des  Gegenstandes  möglich  ist,  folgt  zum  Schluss 
noch   eine  ITebersicht  darüber,  wie  der  Verfasser  die  ganze  Sache  auftasst. 

Bei  diesen  Auseinandersetzungen,    welche    zugleich    eine   kurze  Uebersicht 
alles  dessen   geben,  was  gebildete  IMusiker  und  Dilettanten  über  den  fraglichen 
Gegenstand  wissen  müssen,  folge  ich  meinem  »Elementarbuch  der  musikalischen 
Harmonie-  und  Modulationslehre«   (Berlin,    R.  Oppenheim,    1874).     Die  That- 
sache,    dass   jedes   Tonstück    für    den  Hörer   nach  Inhalt  und  Form  ein   Stück 
Aussenwelt  ist,  und  dass  wir  zur  Wahrnehmung  dieser  Aussonwelt  nur  durch 
Vermittclung  der  sinnlichen  Empfindung  gelangen    können,    die    wiederum  nur 
durch  Bewegungen  der  Materie  entsteht,    lehrt,    wie    ein  musikalisches  Kunst- 
werk auf  seinem  Wege  aus  der  Seele  des  Componisten  bis  zur  ßeceptionskraft 
des  Hörers  umgesetzt  werden    muss   in    eine   Summe  von  Bewegungen  der  Ma- 
terie.    Die  Bewegungen,    in  welche  musikalische   Gedanken    bei  ihrer  Versinn- 
lichung  umgesetzt  werden,  heissen  Klangbewegungen,  und  die  durch  sie  hervor- 
gerufenen AVahrnehmungen    nennt    man    Klänge.     Aus    einer   Betrachtung    der 
klangerzeugenden  Bewegungen  und  aus  der  Einrichtung  des  die  AYahrnehmung 
solcher  Bewegungen  vermittelnden   Gehörorgans  ergiebt  sich ,   dass  Klänge  nur 
nach  vier  verschiedenen  Eigenschaften  unterschieden,  verglichen  und  zusammen- 
gefasst  werden  können:  nach   Tonhöhe,    Dauer,    Stärke    und  Klangfarbe.     Auf 
der  Unterscheidung,  Yergleichung  und  Zusammenfassung  der  einzelnen  Klänge, 
in  welche  der  Componist  seine  musikalischen  Gedanken  umzusetzen  hat,  beruht 
aber  die  musikalische  Auffassung.     Aus  dem   Umstände,   dass  man  Klänge,  in- 
sofern sie  nach  ihrer  Höhe  unterschieden  werden.    Töne  nennt,    und    dass  die 
Zahl  der  verschiedenen   Töne  eine  unbegrenzte  ist,    erklären  sich  die  Begriffe: 
Tonreich    als    die  Gesammtheit    aller  Töne,    Tonsystem    als    eine    nach  be- 
stimmten Principien  getroffene  Auswahl  von  Tönen,  und  Tonleiter  (s.  d.)  als 
eine  nach  der  Höhe  geordnete  Aneinanderreihung  der  Töne    eines   Tonsystems. 
Die  Erkenntniss  der  Nothwendigkeit  einer  Bezeichnung  der  einzelnen  Töne 
für  die  theoretische  Unterscheidung  führt  dann  auf  die  Bezeichnung  der  Töne 
nach   den   Stufenzahlcn   einer  bestimmten   Tonleiter    (erste,  zweite,  dritte   Stufe 
etc.  rcsp.  Prime,   Secunde,   Terz  u.  s.  w.)^  durch  Buchstabennamen   (Staramtöne 
und  abgeleitete  Töne)  und  durch  die  Notenschrift  (Liniensystem,  Notenzeichen, 
Schlüssel  und  Versetzungszeichen).     Hieran    knüpft    sich    dann  wieder    die  Er- 
klärung der  Begriffe:    diatonisch,    chromatisch  und  enharmonisch,    die  Mitthei- 
lung   einzelner    von   den  Akustikeru    geraachter  Beobachtungen    über    die   Ton- 
höhe (absolute  Schwingungszahlen  der  vernehmbaren,  der  musikalisch  verwerth- 
baren   Töne  und  der  Gabeltöne),  sowie  die  Erklärung  der  Begriffe:  Kammerton 
und  Chorton   (s.  Akustik    und    die    betreffenden   Specialartikel).     Au   die  Er- 
klärung des  Begriffes  Intervall  (s.  d.)  reiht  sich   dann  die  Benennung  der  Inter- 
valle nach  der  Zahl  der  Notenstufen  (Prime,  Secunde,  Terz  u.  s.  f.  [s.d.]) 
und    die  Belehrung    über    die    durch    blosse   Octavversetzung    entstehende  Um- 
kehrung,   Erweiterung  und  Verengerung    der  Intervalle   (s.  d.),    natürlich    nur 
insofern,    als    es    sich    um    die  blosse  allgemeine  Unterscheidung  der  Intervalle 
handelt.     Hier  ti^eten  nun  die  ersten  praktischen  Hebungen  auf.     Genauer  be- 
trachtet werden  dann  zunächst  nur  diejenigen  drei  bestimmten  und  feststehenden 
Intervalle,  aus  denen  alle  in  gebräuchlichen  Ton  Systemen  vorkommenden  Inter- 
valle sich   ableiten  lassen:    reine  Octave,    reine  Quinte    und   grosse   Terz.     Bei 
der  praktischen  Uebung,    reine  Quinten    und    grosse  Terzen    aufwärts  und  ab- 
wärts von  gegebenen   Tönen  aus  zu  bilden,  knüpfe  ich  an  die  Einrichtung  der 
Claviatur  unserer  Pianoforte  und  Oi'geln    an,    indem    ich    zunächst    die   Tasten 
zwischen  den  Tönen    dieser  Intervalle    abzählen    lasse.     Diese  Uebung,    welche 


Harmonielehre.  7 

die  Grundlage  für  die  gesammten  praktischen  Fertigkeiten  in  der  H.  bildet, 
muss  bis  zur  vollständigen  Geläufigkeit  in  der  Bildung  jeuer  drei  Intervalle 
fortgeführt  werdeu.  An  die  Mittheilung  der  durch  Akustiker  festgestellten 
Verhältnisse  der  Schwingungszahlen  jener  drei  Intervalle  (1:2,  2:3,  4:5) 
schliesst  sich  dann  eine  einfache  Belehrung  über  die  bei  Intervallberechnungen 
möglichen  Operationen  (Addition,  Subtraction,  Multiplikation,  Division  und 
Interkalation  von  Intervallen  (s.  »Kanonik«)  und  über  die  Herstellung  und 
Berechnung  verschiedener  Ton  Systeme  (s.  d.).  Diese  Betrachtungen  führen 
dann  zu  der  Ueberzeugung,  dass  unsere  jetzige  gleichschwebende  Temperatur 
(a.  d.)  mit  zwölfstufigem  Tonsysteme  für  die  praktische  Anwendung  die  em- 
pfehlenswertheste  ist,  da  sie  die  möglichst  vollkommene  Vereinigung  zweier 
sich  ausschliessender  Bedingungen  ergiebt,  nämlich:  a.  möglichste  Reinheit 
aller  Intervalle  und  möglichste  Consequenz  in  der  Orthographie  (s.  d.)  für  alle 
Tonarten;  —  h.  grösstmögliche  Einfachheit  der  für  das  System  erforderlichen 
Mechanik  der  Instrumente.  Die  allgemeine  Einleitung  schliesst  dann  ab  mit 
einer  allgemeinen  Betrachtung  der  drei  andern  Eigenschaften  eines  Klanges, 
der  Dauer  und  Stärke  (Notengattungen,  Taktzeichen,  Taktstriche,  Tempowörter, 
Betonung)  und  der  Klangfarbe  (Partial-  oder  Aliquottöne  u.  s.  f.,  s.  d.  und 
»Akustik«). 

Da  nun  ein  Musikstück  nur  als  eine  einheitlich  zusammengesetzte  Wahr- 
nehmung auf  uns  wirkt,  das  Vereinen  der  Wahrnehmungen  und  der  mit  ihnen 
verbundenen  Vorstellungen  bei  der  musikalischen  Auffassung  wie  bei  der  musi- 
kalischen Composition  aber  ein  zeitliches  Aneinanderfügen  ist,  so  ergiebt  sich 
das  musikalische  Gehör  als  »diejenige  Fähigkeit  unserer  Seele,  mittels  deren 
dieselbe  den  Zusammenhang  zwischen  den  einzelnen  einander  folgenden  Wahr- 
nehmungen und  Vorstellungen  erkennt,  welche  beim  Anhören  eines  Tonsatzes 
in  uns  hervorgerufen  werden.«  Insofern  unsere  Seele  die  zwischen  den  ein- 
zelnen Klängen  eines  Tonstückes  bestehenden  Beziehungen  hinsichtlich  ihrer 
vier  Eigenschaften  wahrnimmt,  insofern  sind  diese  Klänge  miteinander  verwandt. 
Die  H.  hat  nun  nachzuweisen,  wie  das  musikalische  Gehör  dazu  kommt,  Klänge 
in  Beziehung  auf  ihre  Tonhöhe  als  verwandt  zu  erkennen.  Sie  lehrt,  dass 
unsere  Seele  bestimmte  einfache  und  feststehende  Maasse  haben  muss.  Es  sind 
dieses  zunächst  die  drei  einfachen  (Grund-)  Intervalle:  reine  Octave,  reine 
Quinte  und  grosse  Terz.  Sind  diese  drei  Intervalle  bei  der  Auffassung  einer 
Tonverwandtschaft  wirklich  abzumessen,  so  ist  die  Verwandtschaft  eine  har- 
monische. Zwei  Töne  haben  aber  auch  dadurch  eine  gewisse  Aehnlichkeit, 
dass  sie  nahe  beieinander  liegen.  Bei  der  Aufeinanderfolge  von  harmonisch 
verwandten  Tönen  treten  als  engste  Schritte  die  Schritte  in  Halb-  und  Ganz- 
tönen sehr  häufig  auf;  diese  Schritte  müssen  sich  bei  häufigem  Anhören  von 
Musik  so  fest  einprägen,  dass  sie  endlich  selbst  wieder  dazu  dienen  können, 
eine  Verwandtschaft  zwischen  zwei  Tönen  erkennen  zu  lassen,  selbst  wenn  eine 
harmonische  Verwandtschaft  zwischen  diesen  Tönen  nicht  vorhanden  ist.  Hieraus 
ergeben  sich  nun  als  Grundlage  für  die  ganze  H,  die  folgenden  beiden  ein- 
fachen Sätze:  »I.  Töne  sind  harmonisch  verwandt,  wenn  zwischen  ihnen  die 
drei  Grundintervalle  abgemessen  werden  können.  II.  Töne  sind  durch  Nach- 
barschaft in  der  Tonhöhe  verwandt,  wenn  sie  nur  einen  Halbton  oder  höchstens 
einen  Ganzton  von  einander  entfernt  sind.«  Die  Erkenntniss  der  Verwandt- 
schaft erfolgt  in  beiden  Fällen  unbewusst,  d.  h.  ohne  dass  jedes  einzelne  dieser 
Intervalle  als  solches  zur  bewussten  Erkenntniss  gelangt.  Es  ist  daher  ein 
Irrthum,  dem  ich  leider  in  meinem  1868  veröffentlichten  grösseren  Werke 
(»System  und  Methode  der  Harmonielehre«)  noch  nicht  bestimmt  widersprochen 
habe,  wenn  man  behauptet,  die  musikalische  Auffassung  beruhe  auf  Verstandes- 
combinationen,  die  Wirkung  der  Musik  bestehe  in  einem  von  der  Seele  mit 
Bewusstsein  angestellten  Zählen.  —  Aus  dem  Begriffe  der  harmonischen  Ver- 
wandtschaft ei'giebt  sich  dann  ohne  Weiteres  der  Begriff:  Accord  oder  Harmonie 
als  eine  Zusammenfassung    von    mindestens    drei  wesentlich  verschiedenen  aber 


8 


llarniouielehre. 


harmouisch  verwandten  Tönen.  Zunächst  wird  nun  die  Benennung  aller  mög- 
lichen Zusammenklänge  (Dreiklaug,  Septimenaccord,  Nonenaccord  und  deren 
TJmkehrungeu)  ganz  im  Allgemeinen  erklärt  und  geübt;  dann  erst  folgt  eine 
nähere  Betrachtung  der  Accorde  mit  Beziehung  auf  die  gegebene  Definition, 
Zur  Bestimmung  der  harmonischen  Vei'wandtschaft  zwischen  wesentlich  ver- 
schiedenen Tönen  können  nur  reine  Quinten  und  grosse  Terzen  verwendet  wer- 
den, da  die  Töne  der  reinen  Octave  nicht  wesentlich  verschieden  sind.  Jedes 
dieser  Intervalle  kann  von  einem  Tone  aus  nur  nach  zwei  verschiedeneu  Seiten 
gemessen  werden,  aufwärts  oder  abwärts.  Hieraus  ergiebt  sich  der  Unterschied 
zwischen  Consonanz  und  Dissonanz,  sowie  der  Grund,  weshalb  es  nur  zweierlei 
consonirende  Grrundaccorde  (Dur-  und  Molldreiklang)  geben  kann.  Näheres 
findet  mau  unter  Consonanz  und  Dissonanz  (Bd.  II.  S.  572  fi".).  Hieran 
schliesst  sich  die  praktische  TJebung  in  der  Bildung  der  Dur-  und  Molldrei- 
klänge durch  Abmessen  von  Quint  und  Terz,  und  der  Umkehrung  dieser  Accorde 
mit  Hülfe  der  Octavversetzung  ihrer  Töne.  Ferner  folgt  die  Bezeicl)nung  dieser 
Accorde  in  der  Greneralbassschrift  und  eine  allgemeine  Betrachtung  über  den  von 
entstehenden  Combinationstönen  und  Schwebungen  abhängigen  »physischen 
Klang«  der  Accorde  (s.d.).  "Werden  die  Töne  eines  Accordcs  nicht  gleichzeitig 
angeschlagen,  so  gelangt  man  zu  der  harmonischen  Verwandtschaft  zwischen  den 
Tönen  einer  Melodie.  Diese  Verwandtschaft  ist  entweder  eine  direkte,  wenn 
beide  Töne  demselben  Grundintervalle  angehören  (a),  oder  eine  indirekte,  wenn 
beide  Töne  mit  demselben  dritten  Tone*)  oder  doch  mit  zwei  unter  sich  ver- 
wandten Tönen  harmonisch  verwandt  sind  (b).  Dabei  kann  die  harmonische 
Verwandtschaft  zwischen  den  Tönen  eines  und  desselben  Schrittes  unter  ver- 
schiedenen Bedingungen  (voraufgehende  Tonverbindungen,  etwaige  Begleitung 
u.  dergl.)  eine  sehr  verschiedenartige  sein  (c).  Sind  keine  derartigen  Beding- 
ungen vorhanden,  so  stützt  sich  das  Ohr  auf  die  nächstliegende  und  einfachste 
Vermittelung  (»Trägheitsgesetz«,  s,  d.). 


a. 


b. 


i^ 


-^  \k=i 


i^zn:^. 


4=lt:^r 


i^i 


r. 


Aus  der  Thatsache,  dass  eine  Reihe  von  Tönen,  welche  mit  demselben 
Tone  oder  mit  harmonisch  verwandten  Tönen  harmonisch  verwandt  sind,  ionisch 
eine  Eiidieit  bilden,  erklärt  sich  die  Entstehung  der  sogenannten  altgälischen 
Tonart  (a) ,  sowie  der  Begrifi":  Tonart  (s.  d.)  und  die  Begründung  dafür,  dass 
es  nur  zwei  Geschlechter  unter  den  Tonarten  geben  kann  (Dur  und  Moll). 
Hierauf  sind  die  wesentlichen  Töne  in  der  Tonart  durch  Abmessen  von  Quinten 
und  Terzen  aufzusuchen  (/;);  ferner  erklären  sich  die  Begrifi'e:  diatonische  und 
cliromatische  Töne,  die  Entstehung  der  wesentlichen  Vorzeichnung  (s.  d.)  bei 
verschiedenen   Tonarten,  sowie  die  Ausdrücke:  Normaltonarten,  Paralleltonarteu, 


*)  Diese  vermittelnden  Töne    sind    in    den    folgenden  Beispielen    durch  Viertelnoten 
ansredeutet. 


Harmonielehre.  9 

enharmonisch- verschiedene  Tonarten  u.  dergl.  Als  praktische  Uebungen  er- 
scheinen hier:  das  Aufsuchen  der  wesentlichen  Töne  jeder  Tonart  und  das 
Setzen  der  wesentlichen  Vorzeichnung. 


Es  folgen  dann  Betrachtungen  über  die  Anfänge,  Schlüsse  (s.  Cadenz) 
und  über  die  übrigen  Schritte  innerhalb  einer  melodischen  Darstellung  der 
Tonart  in  ihren  wesentlichen  Tönen  (s.  Fortschreitung),  woraus  sich  wie- 
derum die  Tonartleiter  als  eine  besondere  Form  melodischer  Darstellung  der 
Tonart  ergiebt  (a).  Praktisch  geübt  werden  die  Anfänge  und  Schlüsse  inner- 
halb der  verschiedenen  Tonarten,  sowie  die  Herstellung  der  verschiedensten 
Tonartleitern.  An  die  Kenntniss  der  Durtonartleiter  schliesst  sich  dann  die 
nähere  Unterscheidung  der  Intervalle  als  natürliche  (grosse  oder  reine)  und 
chromatische  (kleine,  verminderte,  übermässige  u.  s.  f.),  sowie  die  Uebung  im 
Umkehren  derselben  (s.  lutervallenlehre  und  die  specielleu  Artikel:  Gross, 
Rein  u.  s.  f.). 


a. 


=ä=^ 


-CS- 


=|F 


-4==z^ 


ä: 


-!=^ 


T     T     r     r 


-c^- 


I 


-Ö- 


-?= — ^ 


.0-     -m-  I     «— «j      4— 


-e- 


--^- 


*=|r 


r — r — r-^ ^ 

Die  Zuziehung  der  Verwandtschaft  durch  Nachbarschaft  in  der  Tonhöhe 
(s.  d.)  lehrt  nun  einerseits  einzelne  dieser  wesentlichen  Töne  unter  Bedingungen 
als  blose  (diatonische)  Durchgänge,  Neben-,  Hülfs-  und  Zwischentöne  (s.  d.) 
betrachten,  andererseits  erkennt  man  hieraus,  unter  welchen  Bedingungen  und 
in  welcher  Weise  chromatische  Durchgangs- ,  Neben-,  Hülfs-  und  Zwischentöne 
zwischen  den  Tönen  eines  gebrochenen  Accordes  oder  einer  melodischen  Tonart- 
dai-stellung  erscJieinen  können.  Hieran  knüpft  sich  dann  die  Belehrung  über 
Entstehung  und  Einrichtung  der  sogenaiinten  Manieren,  insofern  dieselben  durch 
Zuziehung  von  Nachbartönen  entstehen,  und  über  Bildung  und  Veränderung 
von  Motiven  der  Tonfolge  (steigend,  fallend  etc.).  Praktisch  geübt  wird  das 
letztere  in  harmonisch  figurirten  Accorden  und  anderen  der  Tonart  eigenen 
melodischen  Wendungen  mit  und  ohne  Zuziehung  von  blos  durch  Nachbarschaft 
verwandten  Tönen.  —  Die  Wirkung  von  Tonverbindungen  hängt  nun  in  vielen 
Fällen  (bei  Tonschlüssen,  bei  Harmonieschritten  u.  s.  f.)  besonders  von  der 
rhythmischen  Stellung  der  verbundenen  Theile  ab ;  ausserdem  ist  aber  für  die 
praktischen  Uebungen  die  Kenntniss  der  rhythmischen  Gliederung  eines  Ton- 
stückes wenigstens  in  ihren  Elementen  wünschenswerth.  Es  folgen  daher  jetzt 
einige  Mittheilungen  aus  der  Rhythmik,  obwohl  diese  Lehre  zur  eigentlichen 
H.  nicht  gehört.  Entsprechend  einer  schon  durch  Aristoxenus  festgestellten 
Definition    des    Begriffes   Rhythmus    wird    mit  Benutzung    der  Zwei-    und    der 


10 


Harmonielehre. 


Dreitheiligkeit  (als  der  beiden  Grundverliältnissc)  das  Nothwendigste  über 
Metrum,  Takt,  rhythmische  Motive,  Glieder,  Sätze,  Periodeu,  Modelle  und  Se- 
quenzen mitgetheilt.  Praktisch  geübt  werden  die  Bildung  und  Veränderung 
iliythmischer  Blotive,  die  Herstellung  von  rhythmischen  Gliedern,  Sätzen,  Pe- 
rioden und  kurzen  Melodien  zu  Liedern  innerhalb  harmonisch  figurirter  Accorde 
und  melodischer  TonartdarstcUuiigen.  Die  Kenutniss  der  melodischen  Tonart- 
darstellungen (Modulationsmittel)  führt  dann  ohne  Weiteres  zur  Belehrung  über 
die  melodische  Modulation,  über  die  melodische  Verwandtschaft  der  Tonarten, 
über  die  sogenannten  Kirchentonarten  (s.  d.)  als  besonderer  und  fest- 
stehender Arten  melodischer  Ausweichung,  Die  zuletzt  angegebenen  praktischen 
ITebuugen  werden  nun  durch  Zuziehung  des  neuen  Stoffes  erweitert.  .  Hiermit 
ißt  für  die  H.  die  Melodik,  soweit  diese  nicht  die  harmonische  und  die  stim- 
mige Brechung  (s.  d.)  zuzuzielien  hat,  erledigt. 

Hierauf  folgt  die  Lehre  vom  Stimmenwesen  (Stimme,  Einstimmigkeit, 
Mehrstimmigkeit,  wirkliche  Stimme,  Oberstimme,  Unterstimme,  Aussenstimme, 
Mittelstimme,  erste  Stimme  u.  s.  f.,  Sopran,  Alt  u.  s.  w.,  Stimmschritt,  me- 
lodische Bewegung,  Verdoppelung  und  Auslassung  von  Accordtönen,  Octav-, 
Quint-  und  Terzlage,  enge  und  weite  Harmonie),  ferner  Regeln  über  den  (phy- 
sischen) Wohlklang  der  Accorde  und  von  der  harmonischen  Brechung  oder 
Figuration  der  Accorde.  Die  letztere  wird  praktisch  geübt,  und  sie  führt  durch 
Zuziehung  der  (angekreuzten)  Durchgangs-,  Neben-,  Hülfs-  und  Zwischentöne 
zur  Erklärung  von  Fällen  wie  bei  a,  mit  Benutzung  verschiedener  rhythmischer 
Motive  in  den  verschiedenen  Stimmen  zur  Herstellung  der  AVcndungen  bei  h. 
Hieran  schliesst  sich  die  Belehrung  über  die  absoluten  (steigend,  fallend  u.  b.  w.) 
und  die  relativen  (Gegenbewegung,  Seitenbewegung  u.  s.  f.)  Bewegungen  der 
Stimmen,  über  die  ersten  Stimmführungsregelii  (gegen  Octaven-  und  Quinten- 
parallelen und  gegen  gleichzeitige  Sprünge  in  gleichem  oder  annähernd  gleichem 
Abstände  der  Stimmen,  über  die  Vermeidung  des  Einklanges  auf  guter  Takt- 
zeit) und  über  die  Eintheilung  der  Octaven-  und  Quintenparallelen  (offene  und 
verdeckte).     Näheres  findet  man  in  den  Specialartikeln. 


(Jos.   Haydn.) 

t    t     t     t 


ai=li^^^=E^Ö 


t        t  t        t  t 


(Fr.  Chopin.) 

t     tt 


:|T^^:^ 


^^if^ 


dim. 
rall. 


^m. 


E$ 


tt- 


Ped.     8va- 


(Rieh.    Wagner.) 
t       t 


'"^^^^= 


^ 


£=£f 


Adagio. 


M=#!ä^ 


ipt* 


(Jos.   Ilaydn.) 


i3?r^^^^ 


Bei  der  Verwandtschaft  zwischen  Accordcn  werden    zunächst  nur  die  con- 
sonirenden  Accorde  beachtet.     Auch  hier    erkennt  das   Ohr  die  Verwandtschaft 


Harmonielehre. 


11 


nur  durch  Abmessen  der  drei  Grundintervalle  [a).  Im  Allgemeinen  ist  die 
Verwandtschaft  um  so  schwerer  zu  erkennen,  je  mehr  Intervalle  abzumessen 
sind.  Jedoch  können  auch  hier  verschiedene  Umstände  verändernd  einwirken. 
So  kann  z.  B,  die  Nachbarschaft  einzelner  Töne  zweier  Accorde  die  beiden 
Accorde  inniger  verbinden;  dagegen  kann  ein  Harmonieschritt  durch  Entstehen 
einer  harmonischen  Brechung,  oder  durch  Heraushören  verschiedener  melodischer 
Vermittelungen  mehrerer  Stimmen  unangenehm  und  unverständlich  werden. 
Dies  führt  nun  auf  verschiedene  Stimmführungsregeln.  Hierher  gehören  unter 
anderen  die  besondere  Beachtung  der  Bassstimme,  die  Hegeln  gegen  parallele 
Sprünge,  gegen  Quinten-  und  Quartenparallelen  und  gegen  Schritte  in  gleich- 
artigen Terzen  und  Sexten,  die  Aufzählung  der  Bedingungen,  unter  welchen 
Sprünge  in  einer  einzelnen  Stimme  gestattet  sind,  die  Regeln,  welche  das  Fest- 
halten des  gemeinschaftlichen  Tones,  das  Ergreifen  der  Nachbartöne  und  die 
Vollständigkeit  und  den  Wohlklang  der  verbundenen  Accorde  betreffen  u.  s.  f. 
Werden  die  verbundenen  Accorde  beide  gebi'ochen,  so  entsteht  oft  eine  so- 
genannte stimmige  Brechung,  die  sich  ganz  wesentlich  von  der  blosen  harmo- 
nischen (gemeinen)  Brechung  unterscheidet.  Bei  der  stimmigen  Brechung  ent- 
stehen noch  mancherlei  verschiedene  verdeckte  Octaven-  und  Quintenparallelen 
(Brechungsoctaven  und  Brechungsquinten,  Accentoctaven  u.  s.  f.).  Näheres 
findet  sich  unter  Stimmführung  und  in  den  Artikeln:  Fortschreitung,  harmo- 
nische Brechung,  stimmige  Brechung,  Octavenparallelen  u.  s.  f. 


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Auch  in  Beziehung  auf  Accordverbindungen  ist  das  Wesen  der  Tonart 
(s.  d.)  von  grosser  Wichtigkeit.  Soll  sich  eine  Harmoniefolge  innerhalb  einer 
und  derselben  Tonart  bewegen,  so  müssen  auch  in  ihr  alle  vermittelnden  Inter- 
valle von  den  Tönen  des  tonischen  Dreiklanges  aus  abzumessen  sein.  »Zu 
einer  Tonart  gehören  alle  diejenigen  Accorde,  deren  gegenseitige  harmonische 
Verwandtschaft  sich  an  den  Tönen  des  tonischen  Dreiklanges  vermitteln  lässt.« 
Es  ergeben  sich  für  C-dur  und  A-moll  zunächst  folgende  consonireude  Accorde. 
(Siehe  auch   Consonanz  und  Dissonanz  vind  Tonart.) 


C-dur. 


A-moll. 


Die  Verbindung  des  tonischen  Dreiklanges  mit  jedem  dieser  Accorde  ver- 
mittelt sich  unter  allen  Bedingungen  innerhalb  der  betreffenden  Tonart,  wenn 
es  das  Beharrungsvermögen  des  musikalischen  G-ehörs  zulässt  (s.  S.  8) ;  diese 
Schritte  sind  deshalb  auch  die  am  häufigsten  gebrauchten,  z.  B. 

A.  in   Dur:    I  +  V,  I  +  IV,  I  +   m,  I  +  vi; 

B.  in  Moll:  I  -f-  V,  I   +  IV,  I  +  III,  I  +  VI; 
und  deren  Umkehrungen.     Aber  auch  folgende  Schritte: 

A.  in  Dur:    vi    +   iii,  vi  +  IV,  V  +  iii,  IV  +  V,  V  -f  vi,  iii  +   IV; 

B.  in  Moll:   VI  +  III,  VI  +  IV,  V  -f  III,  iv  +  V,  V  +  VI,  III  +  iv; 


12 


Harmonielehre. 


und  deren  Umkehrungen  lassen  sich  unter  Bedingungen  in  der  betreflfenden 
Tonart  vermitteln,  und  sie  sind  deshalb  anwendbar.  (Weiteres  sehe  man  nach 
in  »Fortschreitung«,  »Harmonieschritt«  und  »Tonart«.)  Es  treten  aber  auch  hier 
schon  sehr  fern  verwandte  Accorde  zusammen  (z.  B.  die  Accorde  zweier  neben- 
einander liegender  Stufen  (in  +  IV  in  Dur  u.  s.  f.).  Diese  so  schwer  ver- 
ständlichen Schritte  müssen,  wenn  sie  auftreten,  durch  Benutzung  der  Ver- 
wandtschaft durch  Nachbarschaft  in  der  Tonhöhe  möglichst  gemildert  werden. 
Nun  treten  bei  ihnen  meist  offenbare  Quintenparallelen,  Schritte  in  gleichartigen 
Terzen  und  Sexten,  unliarmonische  Querstäude  u,  dergl,  auf,  die  bei  Benutzung 
der  Verwandtschaft  durch  Nachbarschaft  in  der  Tonhöhe  verschwinden.  Dieses 
veranlasst  eine  genauere  Betrachtung  jener  Fehler  und  eine  eingehendere  AVür- 
digung  der  gegen  sie  gerichteten  Regeln  (s.  die  betreffenden  Artikel).  Prak- 
tisch geübt  werden  alle  angegebenen  Schritte  mit  besonderer  Beachtung  der 
einschlagenden  Regeln  und  G-esetze.  —  Auch  bei  Accoi'dverbindungen  können 
nicht  -  accordliche  Durchgangs-,  Neben-,  Hülfs-  und  Zwischentöne  eingefügt 
werden.  Hieraus  erklären  sich  dann  leicht  Wendungen  wie  die  bei  a.  Es 
können  aber  hier  ausserdem  noch  andere  Abweichungen  eintreten.  So  kann 
man  einen  Ton  des  ersten  Accordes  noch  zum  zweiten  erklingen  lassen  (Vor- 
halte bilden,  s,  d.),  man  kann  einen  Ton  des  zweiten  Accordes  schon  zum 
ersten  anschlagen  (Vorausnahmen  eintreten  lassen ,  s.  d.) ;  ferner  kann  man 
Accordtöne  zu  einer  ganzen  Reihe  von  Accorden  festhalten  (s.  Orgelpunkt 
und  Liegende  Stimmen);  mau  kann  endlich  eigentliche  Haupttöne  als  bloso 
Nebentöne  anwenden,  während  blose  Nebentöne  zu  Haupttönen  werden  können 
(s.  Durchgang  u.  s.  f.).  Auf  diese  Weise  wird  die  Mannigfaltigkeit  ganz 
unberechenbar,  und  die  Erklärung  der  Wendungen  bei  h  bietet  keine  Schwierig- 
keiten mehr,  wenn  man  sich  gewöhnt,  alles  Unwesentliche  auszuscheiden  und 
auf  die  einfachste  harmonische  Grrundlage  zurückzugehen.  Schliesst  man  hieran 
nun  noch  die  Lehre  von  den  harmonischen  Cadeuzen  (s,  Cadenz)  und  von 
der  harmonischen  Modulation  (s.  d.),  stets  mit  praktischen  Uebungen  verbunden, 
so  ist  der  Schüler  befähigt,  die  allermannigfaltigsten  Tonsätze  zu  bilden  und 
theoretisch  zu  erklären,  soweit  es  sich  nur  um  Verbindung  consonirender 
Accorde  und  um  Anwendung  vorbereiteter  und  durcligehender  Disstmanzen 
handelt.  Aber  selbst  die  Anwendung  der  verschiedensten  dissonirenden  Accorde, 
wie  dieselbe  gewöhnlich  gelehrt  wird,  ist  hier  bereits  mit  eingeschlossen.  Um 
dieses  durcli  die  Praxis  zu  beweisen,  gebe  icli  unter  c  einige  ganz  selbstständig 
gemaclite  und  noch  uncorrigirte  Arbeiten  zweier  bis  hierlier  geführter  Schü- 
lerinnen.*) Das  zuletzt  aufgeführte  Lied  gebe  ich  aus  Raumersparniss  nach 
dem  ersten  Entwürfe. 


(Rieh.  Waijner,  ^^Lohengrinv..) 


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*)  Diese  jungen  Damen  (im  Alter  von  J6 — 17  .Jahren)  sind  Dilettanten  mit  mittel- 
mässiger  IJegalJung  imtl  nicht  bedeutender  Fertigkeit  im  Claviersjtiel;  dieselben  genossen, 
ohne  die  geringsten  Vorkenntnisse,  aber  mit  grossem  Euer  und  l'^leisse,  bis  dahin  wenig 
mehr  als  ein  Jahr  lang  (mit  wöchentlich  einer  Stunde)  meinen  Unterricht  im  Neuen 
Musikinstitut  von  A.  Werkenthin. 


Harmonielehre. 


13 


(Sei.  Bach.) 


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14 


Harmonielehre. 


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.*•-*-•{••£-     -•-    -•-     -•-  -•-        -•-         -•- 

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T— p-  *-  p— •  -h»  zizffid»: 


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Doch  heimlich  Thi'änen     drin -gen; 


da    wird  das  Herz  mir     frei. 


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Wollte  man  sich  mit  dem  begnügen,  was  die  jetzige  H.  allenfalls  noch 
lehi'en  konnte,  so  dürften  sich  hier  gleich  die  Uebiingen  in  der  Composition 
event.  im  strengen  Satze  und  im  Contrapunkte  anschliessen.  Meine  Absicht 
war  aber,  auch  in  den  Fällen  Aufklärung  zu  schaffen,  in  denen  die  alte  Lehre 
rathlos  Halt  machen  musste;  und  diese  Erklärungen  ergeben  sich  auf  ganz  die- 
selbe einfache  und  consequente  Weise,  wie  alles  Bisherige.  Die  dissouirenden 
Accorde,  ihre  Vorbereitung  und  Auflösung,  ihre  Behandlung  innerhalb  der 
Tonart  und  dergl.  werden  wie  bei  den  consonanten  Accorden  aus  den  S.  7 
mitgetheilten  zwei  (die  Grundlage  der  ganzen  H.  Hldenden)  einfachen  Sätzen 
abgeleitet,  und  in  dem  Kapitel  über  alterirte  und  übervollständige 
Accorde  finden  viele  als  »harmonische  Ungeheuerlichkeiten  der  Zukunfts- 
musiker« verschrieene  Zusammenklänge  auf  dieselbe  Weise  ihre  Erklärung. 
Eingehenderes  findet  man  unter  Consonanz  und  Dissonanz,  Tonart, 
Orthographie,  TJebervollständige  Accorde.  —  Hierauf  folgt  unter  dem 
Titel:  »von  den  zufälligen  Dissonanzen«  eine  genauere  Betrachtung  der  im 
Allgemeinen  schon  bekannten:  Durchgänge,  Wechselnoten,  Neben-,  Hülfs-  und 
Zwischentönc,  der  Vorhalte,  Vorausnahmen,  ßückungen  und  nachschlagenden 
Töne,  der  Durchgangsaccorde  bei  wirklicher  Mehrstimmigkeit,  sowie  der  Orgel- 
punkte und  der  liegenden  Stimmen.  Das  Betreffende  hierüber  bringen  die  ge- 
nannten Artikel  (s.  auch  Consonanz  und  Dissonanz,  Tonart,  Nachbar- 
töne, Wirkliche  Mehrstimmigkeit).  —  Eine  kurze  Belehrung  über  die 
Stylarten,  eine  gedrängte  TJebersicht  der  Regeln  des  strengen  Satzes  und  einige 
praktische  Winke  bilden  den  Schluss  des  ganzen,  noch  nicht  11  Bogen  starken 
Buches.  Ich  denke,  dass  man  nun,  nachdem  der  Schüler  Sätze  wie  die  fol- 
genden (a)  erklären  kann,  mit  gutem  Grewissen  zu  den  praktischen  Uebungen 
im  Contrapunkte  oder  in  der  Composition  fortschreiten  darf,  eventuell,  sobald 
es  sich  nur  um  die  Ausbildung  von  Dilettanten  handelt,  eine  Belehrung  über 
die  verschiedenen  musikalischen  Formen  anschliessen  kann. 


Harmonielehre. 


15 


a.       (Jos.  Haydn.) 


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(Seh.  Bach.) 


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(Beethoven.) 


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Hiermit  ist,  so  hoffe  ich,  die  Aufgabe  als  lösbar  nachgewiesen,  welche  der 
H,  gestellt  werden  musste,  wenigstens  sicher  so  weit,  als  es  sich  um  ihre  prak- 
tische Verwerthung  beim  Musikunterricht  handelt.  lieber  Einrichtung  und 
Werth  der  verschiedenen  Harmoniesysteme  wird  der  betreffende  Artikel  Auf- 
schluss  geben.  —  Es  ist  daher  hier  nur  noch  eine  kurze  Uebersicht  über  die 
einschlagende  Literatur  (praktische  Lehrbücher  u.  dergl.)  zu  geben.  Die  her- 
vorragendsten älteren  Schriftsteller,  deren  einschlagende  Werke  ja  zum  Theil 
bereits  angezeigt  sind,  sollen  hier  nur  in  annähernd  chronologischer  Ordnung- 
kurz  namhaft  gemacht  werden;  es  sind  folgende:  J.  R.  Ahle,  J.  Gr.  Ahle,  W. 
C.  Printz,  A.  Werckmeister,  Fr.  E.  Niedt,  Joh.  Dav.  Heinchen,  Job.  Mattheson, 
J.  A.  Scheibe,  Gr.  A.  Sorge,  J.  Ph.  Rameau,  J.  d'Alembert,  Gr.  Tartini,  J.  Riepel, 
Ph.  E.  Bach,  Er.  W.  Marpurg,  J.  Ph.  Kirnberger,  H.  Chr.  Koch,  Albrechts- 
berger,  J.  H.  Knecht,  A.  Andre,  Vogler,  Türk,  G.  Weber,  Gr.  Schilling,  A.  B. 
Marx,  Gl-.  W.  Eink.  Von  praktischen  Lehrbüchern  aus  neuerer  und  neuester 
Zeit,  die  irgend  welche  Bedeutung  haben,  sind  noch  zu  nennen:  S.  W.  Dehn, 
»theoretisch-praktische  Harmonielehre«  (2.  Aufl.,  Berlin  1860),  L.  E.  Gebhardi, 
»Generalbassschule«  (3.  Aufl.,  Brieg  1866),  M.  Hauptmann,  »die  Lehre  von 
der  Harmonika  (Leipzig  1868),  Dr.  F.  P.  Graf  Laurencin,  »die  Harmonik  der 
Neuzeit   erläutert«  (Leipzig  1861),    J.  C.  Lobe,    »vereinfachte   Harmonielehre« 


16 


Harmoniemotiv. 


(Leipzig  1861)^  J.  Gr.  Meister,  »vollständige  Harmonie-  und  Generalbasslehre« 
(2.  Aufl.,  Weimar  1852),  E.  F.  Richter,  »die  Elementarkenntnisse  zur  Hax-- 
monielehre  und  zur  Musik  überhaupt«  (Leipzig  1852)  und  »Lehrbuch  der 
Harmonie«  (8.  Aufl.,  Leipzig  1870),  A.  Reichel's  »Harmonielehre  mit  besonderer 
Kücksicht  auf  das  Wesen  der  Con-  und  Dissonanzen  der  Tonart«  (Dresden 
1862),  Fr.  W.  Schütze,  »praktische  Harmonielehre«  (3.  Aufl.,  Leipzig  1865), 
Fr.  Silcher,  »Harmonie-  und  Compositionslehre«  (2.  Aufl.,  Tübingen  1859), 
C.  F.  Weitzmann ,  »die  neue  Harmonielehre  im  Streit  mit  der  alten«  (Leipzig 
1861)  und  »Harmoniesystem«  (Leipzig  1860).  Die  Zahl  unbedeutenderer  Leit- 
fäden u.  s.  f.  ist  eine  noch  viel  grössere;  ihre  Aufführung  darf  unterbleiben. 

Otto  Tiersch. 
UarmoiiieinotiT.  Wie  man  durch  Zusammenfassung  von  mehreren  Tönen 
Motive  der  Tonfolge  (s.  d.)  bildet,  um  durch  Wiederholung  und  Verknüpfung 
derselben  allerlei  melodische  Wendungen  entstehen  zu  lassen,  so  stellt  man  aus 
zwei  oder  drei  Accorden  H.e  her,  durch  deren  Wiederholung  und  Verbindung 
allerlei  harmonische  Wendungen  hervorgebracht  werden.  Solche  H.e  können 
entstehen  aus  einem  und  demselben  Accorde,  wenn  man  dessen  verschiedene 
Lagen  (s.  d.)  oder  Umkehr ungon  (s.  d.)  ohne  und  mit  Zuziehung  von 
Neben-,  Hülfs-,  Durchgangs-  und  Zwischentönen  u.  dergl.  mit  einander  ver- 
bindet (a),  oder  aus  einer  Verbindung  verschiedener  Accorde  (b).  Besteht  das 
H.  aus  verschiedenen  Accorden,  so  müssen  diese  nahe  verwandt  sein,  weil  eine 
AViederholung  eines  Har  m  onioschrittes  (s.  d.),  dessen  Bestandtheile  nur 
fern  verwandt  sind;  unverständlich  werden  muss.  In  der  ßegel  bestellen  die 
H.e  auch  in  der  That  aus  der  Verbindung  der  nächstverwandten  Accorde,  d.  h. 
aus  der  Verbindung  des  tonischen  Dreiklanges  mit  den  Dreiklängen  der  Ober- 
oder der  Unterdominante  resp.  mit  dem  Hauptseptimenaccordc  oder  einem  andern 
Accorde  der  Dominantdissonanz  (den  verminderten  Dreiklängen  der  2.  resp.  der 
7.  Stufe,  dem  Septimenaccorde  der  7.  Stufe  u.  s.  f.,  s.  Consonanz  und  Dis- 
sonanz). Wird  ein  und  dasselbe  H.  mehrmals  nach  einander  wiederholt,  so 
entsteht  ein  sogenannter  Harmoniegang  (s.  d.)  und  unter  Bedingungen  eine 
harmonische   Sequenz  (s.  d.). 


a.     (BeetJwven,  op.  10.  3.) 


(Berfhoven,  op.  22.) 


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h.     (BeefJi.,  0^.22.) 


(Beethoven,  op.  13.) 


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(Beeflwven,  op.  10.  3.) 


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0.  Tiersch. 


Harmoniemusik.  1 7 

Harmouiemnsik,  mitunter  kui'zweg  Harmonie,  nennt  man  eine  nur  mit 
Blasinstrumenten  (sowohl  Holz-  als  Blechinstrumenten)  besetzte  Instrumen- 
talmusik (s.  Orchester).  Wann  diese  Bezeichnung  zuerst  in  Grebrauch  ge- 
kommen ist,  lässt  sich  mit  Bestimmtheit  nicht  mehr  nachweisen.  Wahrschein- 
lich ist  nur,  dass  dieselbe  erst  im  18.  Jahrhundert  sich  Bahn  brach,  nachdem 
die  Vereinigung  von  Holz-  und  Blechinstrumenten  zu  Kunstzwecken  sich  über- 
haupt erst  allgemeiner  verbreitet  hatte.  Man  fühlte  sich,  wie  es  scheint,  an- 
geregt, durch  sie  auszudrücken,  dass  man  in  solcher  Musik  mehr  Harmonie, 
d.  h.  Grleichartigkeit  der  Tonkraft  der  einzelnen  Tonwerkzeuge  und  der  instru- 
mentalen Klangfarben  fand,  als  in  der  durch  die  gewöhnlichen  Orchester,  be- 
stehend aus  Streich-  und  Blasinstrumenten,  ausgeführten.  Diese  Anregung 
wiederum  entsprang  wohl  der  Erfahrung,  dass,  wenn  man  Tonstücke  im  Freien 
durch  Streich-  und  Blasinstrumente  ausführte,  die  Hörer,  je  weiter  sie  sich 
von  der  Tonquelle  entfernten,  das  Tongebäude  immer  mehr  skelettartig  wahr- 
nahmen. Die  leitenden  Tougänge,  Melodien,  sowie  die  Harmonie,  meist  durch 
Streichinstrumente  gegeben,  verschwinden  nämlich  oft  schon  gänzlich,  wenn 
durch  Blasinstrumente  gegebene  Melodien  und  Harmonien  immer  noch  deutlich 
zu  Gehör  gelangen.  Das  Tonstärkenverhältniss  beider  Instrumentgattungen 
nimmt  also  in  ungleicher  Weise  allmälig  ab.  Diese  ungleiche  Tonabnahme  ist 
im  geschlossenen  Räume  von  gar  keiner  Bedeutung,  indem  im  gewöhnlichen 
Orchester  dort  die  Streichinstrumente  nach  Bedürfniss  vielfach  besetzt  und 
dazu  gewöhnlich  ein-,  höchstens  zweifache  Blasinstrumente  massig  in  der  Kraft 
verwendet  werden,  damit  eine  überall  einheitliche  Klangwirkung  stattfindet. 
Musste  man  da  nicht  schon  frühzeitig  einer  Instrumentzusammenstellung,  die 
solchen  Uebelstand  nicht  hatte,  im  Freien  den  Vorzug  geben?  —  Hierzu  ge- 
sellte sich  noch  das  Empfehlenswerthe,  dass  die  Witterungsverhältnisse  der 
guten  Ausführung  von  H.  fast  gar  nicht  störend  in  den  Weg  traten,  während 
von  Streich-  und  Blasinstrumenten  zu  gebende  Musik  oft  durch  solche  ganz 
verhindert  wurde;  auch  die  Tonwerkzeuge  selbst  litten  durch  solche  nicht. 
Alle  diese  Vorzüge  der  H.  lernten  zuerst  die  fahrenden  Leute  kennen, 
welche  für  billigste  Entschädigung  die  musikalischen  Volksbedürfnisse  befrie- 
digten und  ebenso  die  Musikbanden  der  ersten  stehenden  Kriegerhaufen. 

lieber  die  Zeit,  wann  diese  Entdeckung  noch  nicht  allgemeiner  in  Ge- 
brauch war,  belehrt  indirekt  ein  Wandgemälde  im  Nürnberger  Bathhause  aus 
dem  J.  1521.  Man  sieht  auf  demselben  in  Händen  gebildeter  Musiker  bei 
einem  festlichen  Aufzuge  nur  Lauten,  Harfen  und  Streichinstrumente  in 
grösserer  Anzahl,  Bläser  vereinzelt.  Näheres  findet  man  in  dem  Werke  »Kunst 
und  Leben  der  Vorzeit«  von  A.  v.  Eye  (Nürnberg,  1855).  Die  Künstler  und 
bessern  Stände  nahmen  hiernach  in  jener  Zeit  noch  keine  Notiz  bei  Musiken 
im  Freien  von  dem  schon  eingebürgerten  Treiben  der  fahrenden  Leute.  Das 
sich  Geltendmachen  der  Blasmusik  bei  den  Kriegermusikchören  fällt  sogar  noch 
etwas  später.  Dr.  Kastner  in  seinem  y>Manuel  general  de  Musique  militairev. 
p.  100 — 104  berichtet,  dass  der  Prinz  Conde  1647  bei  der  Belagerung  von 
Lerida  noch  ein  Streichinstrumentorchester  zur  Anfeuerung  seiner  Krieger  an- 
wendete, und  dass  es  in  jener  Zeit  Sitte  war,  dass  die  Grossen  ihre  Haus- 
kapellen mit  ins  Feld  nahmen.  Bald  nachher  finden  wir  diese  Sitte  nicht 
mehr.  Bei  der  geringen  Stärke  der  jedesmal  thätigen  Heerestheile  in  jener 
Zeit  scheint  die  Verwendung  einer  geringen  Tonkraft  genügt  zu  haben,  welche 
jedoch  beim  Wachsen  der  Heerestheile  und  der  Königsgewalt  bald  nicht  mehr 
ausreichte  und  auch  als  nicht  praktisch  erachtet  wurde. 

Im  Volks-  wie  'Kriegerleben  tritt  also  ziemlich  gleichzeitig  ein  Aufkeimen 
dieser  neuen  Musikart,  der  Harmoniemusik,  hervor,  und  aus  diesen  Keimen 
erwachsen  Früchte  für  die  Kunst,  denen  bis  heute  noch  allgemein  hohe  An- 
erkennung gezollt  wird.  —  Im  Bürgerkreise,  wo  man  zuerst  gewiss  nur 
Schöpfungen  für  Streichorchester  durch  H.  nachzuahmen  sich  bemühte,  fand 
man  bald  die  meisten  Tänze,    eigens    dafür  gesetzt,    in  kleinster  Besetzung  in 

Musikal.   Convers.-Lexikou.     V.  * 


18  Harmoniemusik. 

Gebrauch,  aus  denen  sich  die  Suite  und  die  sogenannten  Parthien  bald 
entwickelten;  die  Krieger  schufen  den  Marsch  als  Kunstform  und  Hessen  sich 
angelegen  sein,  ihre  Corps  nach  Kräften  stark  besetzt  zu  führen.  In  Bezug 
auf  die  Ausbildung  der  H.  bis  jetzt  sind  somit  überhaupt  zwei  Gesichtspunkte 
stark  in  die  Augen  springend:  die  Fortbildung  des  Musikkörpers  und  die  Aus- 
bildung der  Tonstücke  selbst  für  diesen  Körper  im  Bürger-  und  Kriegerleben. 
Im  Bürgerleben  ist  bei  H.  die  Zahl  der  Tonwerkzeuge  in  früherer  Zeit  stets 
nur  eine  geringe  gewesen;  nothdürftig  suchten  die  fahrenden  Leute  nur  den 
melodischen  und  harmonischen  Anforderungen  des  Volkes  zu  genügen.  In  der 
Kunst  ist  diese  Besetzungsart  auch  später  sogar  nicht  vermehrt  worden.  Man 
legte  nur  auf  Verbesserung  der  Instrumente  selbst  eine  besondere  Sorgfalt 
und  traf  zu  Kunstleistungen  eine  entsprechend  erachtete  Auswahl  aus  den- 
selben. Auch  in  neuester  Zeit  hat  sich  hierin  keine  Aenderung  gezeigt,  d.  h. 
bei  H.en,  die  von  Bürgern  bei  Volksbelustigungen  im  Freien  ausgeführt  wer- 
den, wenn  man  eben  die  verbesserten  Tonwerkzeuge  nicht  als  solche  betrachten 
will.  Alle  Volksbedürfnisse,  die  grössere  Musikcorps  wünschenswerth  machen, 
als  Festaufzüge  im  Freien,  werden  jedoch  fast  durchgängig  von  dem  andern 
H.zweige,  von  der  Militärmusik  zufrieden  gestellt. 

"Was  hingegen  die  Ausbildung  der  durch  H.  zu  gebenden  Kunstwerke 
im  Bürgerleben  anbelangt,  so  weiss  man,  dass  bald  eine  Entwickelung  derselben 
stattfand,  die  nicht  allein  zu  eigens  zu  praktischen  Zwecken  gesetzten  Ton- 
stücken führte,  sondern  auch  zu  solchen,  die  künstlerische  Erbauung  zum 
Hauptgrund  hatten  und  meistens  nur  für  hervorragendere  Solospieler  geschrieben 
wurden.  Dadurch  erwarb  sich  die  H.  keinen  kleinen  Verdienstantheil  an  der 
Ausbildung  unserer  heutigen  vollkommensten  instrumentalen  Kunstform,  der 
Sinfonie.  Ausser  dieser  Antheilnahme  an  der  Ausbildung  der  modernen 
Sinfoniefoi'm  hat  die  H.  auch  in  neuester  Zeit  zu  Tonschöpfungen  für  Blas- 
instrumente mit  Pianoforte  Veranlassung  gegeben,  von  denen  nur  Hummel's 
Septuor  und  Beethoven's  Op.  16  als  weltbekannte,  hochgeschätzte  Juwelen  der 
Kunst  aufgeführt  seien.  Die  Werke  letzterer  Art  versiegten  jedoch  in  aller- 
jüngster  Zeit  fast  gänzlich,  da  die  Tonsetzer  sich  dem  Denken  in  diesem  Kunst- 
felde entfremdeten,  und  machten  Arrangements  für  kleinbesetzte  H.  Platz,  die 
von  weniger  hervorragenden  Tonsetzern,  nur  um  Geld  zu  erwerben,  gemacht 
und  öffentlich  feilgeboten  werden;  es  sind  dies  moderne  Tonwerke,  die  wieder 
den  frühesten  der  H.  entsprechen.  Ganz  vereinzelt,  durch  die  Ausbildung  und 
Verbreitung  des  H.körpers  beim  Militär  wohl  hauptsächlich  veranlasst,  steht 
die  Bemühung  Mendelssohn's,  ein  Tonwerk,  in  Gestaltung  einer  in  der  Or- 
chestermusik gepflegten  Kunstform  gleich,  für  H.  zu  schreiben,  nämlich  die 
Ouvertüre  Op.  24.  Kunstgeschichtlich  ist  dies  "Werk  als  Beleg  für  die  Fort- 
bildung der  Kunst  durch  die  H.  nicht  von  Bedeutung.  Es  beweist  nur,  was 
später  berührt  wird,  dass  wirkliche  Künstler  sich  um  Schaffung  einer  selbst- 
ständigen Literatur  für  jenen  Tonkörper  wohl  bemüht  haben,  jedoch  keine 
Anerkennung  fanden.  Man  denke  nur  au  Gossec  (s.  d.)  und  dessen  kaum 
noch  beachteten  Verdienste  um  die  H.  In  den  bewegten  Zeiten  der  ersten 
französischen  Revolution  spielten  die  grossen  Volksfeste  ihre  Rolle,  und  diese 
forderten  vocale  und  instrumentale  Tonwerke  für  Massen  im  Freien.  Diesem 
bisher  nicht  gekannten  Bedürfnisse  genügte  damals  Gossec  in  einer  Weise,  die, 
wäre  dieselbe  weiter  gepflegt  worden,  die  militärische  H.  zu  einer  künstlerischen 
Höhe  geführt  hätte. 

Was  nun  speciell  die  Militär -H.,  zuvörderst  deren  Besetzung,  anbelangt, 
so  sehen  wir  zuerst  eine  Vergrössei'ung  der  Corps  langsali  aber  stetig  statt- 
finden. Später,  bei  der  Vergrösserung  der  Menschenmassen,  für  die  solche 
Corps  bestimmt  waren,  gab  man  scharf  klingenden  Blasinstrumenten  jeder  Art 
den  Vorzug  und  suchte  diese  möglichst  zu  vervollkommnen  und  massiger  mit 
allen  möglichen  andern  zusammenwirken  zu  lassen.  Man  machte  zu  dem  Zwecke 
selbst  neue  Erfindungen,  um  dem  für  geschlossene  Räume  organisch  construirten 


Harmonieprincip.  -  -. 

Orchester  äliuliche  Toukörper  schaffen   zu  könnpn       T. i 

unserer  abendländischen  Musik   ganz   fremden  Elemente'  d«  S  °M         T^'"  ^'' 
aus  der  sogenannten  JanitschareLusik    in  den  Kre  s  Lr  H    au'^"? ""''''''' 
Raubte    durch  diese  dem  Ehythmischen  der  KriegsZsieSe  Trosse  Be^eir 
rang  geben  zu  können      Die  grösste   rationelle  Ausbildung   erJekhten  dUH 

txr ::  h  7'%:  ^.::^  t'd  l  ^-f-™«^'  -  «g'n°eri:hfet- 

Jahrhunderts    zu    Paris    zramtenglete"  CommLor'z^f  FeSeT    'T 

dem  Europas  pflegte,  so  winzig  ergiebt  sich  das  Verdienst  <Use     Kolosse  I' 
die  Kunstentw.ckelung      Die    specielle  Aufgabe,    welche    denselben    zu  erfüHeu 

Äes't '^un^or^ 'Dirl^he  thHtt""\  ^"t  ''^l  ^-"-"-^  "^^ 
st  aber  auch  alks  Schöpferische  dieses  Mnsikfeldes  zu  Ende,  denn  die  w3 

vTeichTuurd^irK""''«"  ''""'l  """    ^"»^  -°"    "-'"    aU  le  allSt" 
verseicntung  dieser  Kunstform  anschauen,    denn    als    eine  Yerbessernn<r      d1 

»  Marschen  verwandten  Melodien  nämlich,'  in  frühester  Ze  t  krieger     h  mäch«. 

«  kend,    nahmen    m    neuer  Zeit,    wo    der  Geschwindmarsch  Vorzug  weTse    zur 

«Itung  gelangte,  eine  immer  leichtere  Gestaltung  an,  die  in  neuester  ZeTt  vi 

C„"d  1^"?""^'^"^'^^°  °f*8^^  "-•>'  -  unte'rscheWenir  So  besteht 
Cang^entevon^Ttch^-  T  ^'"''''«" /"  ^us  Märschen,  Potpourris  und 
i^rrangements  von   lonschopfungen    aus    der  Orchester-  und   der  ClaviermiiR,-t 

^^Xl^J:^  rvo:ter:tnT  Ä-iH?5 

W  nur  als  ein  geduldeter  Körper  noch  zu  betrachten    ist     dessen    gerint 
"^rvt^S^f^SJ:^   -^^^^-^  ^^^-^^^   für   seinen  S 

en  !!T'?''^""^'^-     ^.'^  '^^"^  ^"^^^  ^°^  Zusammenklängen  muss  *zwi;chen 
en  verbundenen  Harmomen  zunächst   eine   harmonische   Verwandtlchaf t 

Ln  V        •       "^  T'  ^-  ^-  '^^^^^^^  ^^^  Tönen  des  einen  und  des  folgenden 
pcordes    müssen    die    drei  Grundintervalle    (reine  Octave,    reine   Qu  nt!    und 

ZZn:to:r!rr  ^-tl  'r^^-^    ^^^^^^^^    ^^^^   Wi  VerblnTung  ge- 
rochener Accorde.     Nun  wird  aber  die  Verwandtschaft  zwischen  zwei  Acc^rden 
.durch  eine  innigere,    dass    die    einzelnen  Stimmen    stufenweise    fortschreiten 
eil  dann   die  Verwandtschaft    durch  Nachbarschaft    in    der    TonhTh  d) 

^h  zugezogen  wii-d.  Ausserdem  können  auch  noch  allerhand  DurhSng^ 
kd  aUein  d?')!'".?  Zwischen  öne  eingefügt  werden,  deren  Erscheinen  Lzig 
£Len  lä.«f  '^  Nachbarschaft^  in  der  Tonhöhe,  also  melodisch  sich  recht? 
f-tigen  lasst.     Ferner    lassen    sich  durch   blose  rhythmische  Veränderungen  in 

KurZaurr'  ^-^-Jr\?"^^^'"^^^^"  ^^^^^^P-^^^^  Hegende  Stllmen^ 
lorJialte    Voi  ausnahmen,  nachschlagende  harmonische  Töne  u.  dergl.)  bei  einer 

xchÄh Im  "^f 'f  -^.'^^  ^^^^  ^'^^  ^^'^^  -°  Zusalinklängen 
ekhe  nti  ."f  h  S\eichze,t.ge  Erklingen   mehrerer  Melodien  entstehen, 

eiche  nur  auf  hervorragenden  Takttheilen  harmonisch  zusammentreffen.     Jeder 
.ei  R^hT^'  ^%'^''  ''^'  Verbindung  gebrochener  Accorde    ist    al  0    nach 
ei  Richtungen    hm    zu  betrachten,    nämlich    I.  ob  die  verbundenen  Accorde 
rmomsch  verwandt    sind,   II.  ob  die   einzelnen   Stimmen    möglichst    flie  sende 
.d  zusammenhängende  Melodien  bilden.     Diese  beiden  ßücksichtnalen  un  er 


Harmoniescbluss  -  HarmoniescliTitt. 

,    ..  .  /      1     A    -R  Mnvv^  als  »Harmonie-«  und  »Melodieprincip«. 

scheidet  man  (nach  A.  B- ^a  x)  ^^^^'^J^  besonders  hervortreten,  bald 

Von  diesen  kann  bald  das  eine,   bald  ^as  anaere  harmonischen 

können  beide  gleichzeitig  sich  ff  ^^  ^  f^^,,,f;\,iTp  WchtU  der  ver- 
oder  gemeinen  Brechung  (^•^^;)^f^^V^^f  Brechungen  (s.  d.)  treten  beide 
bundenen  Accorde  zurück,  /^^/^^^^^"^'f^^^^  "Weniger  bemerklich,  auf.  In  ver- 
Princlpe  gleich-^^^^' /^^\^,f 'g^^^^'   in  Lrcforden  u.  s.  f.)  kommt  es  auf 

ihnen  herrscht  also  das  melodische  Pnncip  vor.  0.  Tieisch. 

F    „  .  und  vonalen  durch  Nebeu-,  Hülfs-  uud  ^wischentöue  u_   dergL^  e„  - 
Srndeu  ZusammeukKugeu,    a„    sich    herechU^e    -»J^^  ^ ,«;'' ^ue  ein 

?-^i:j^rrdrÄ  =  ;:^c  -r  x_ae  „aaeu 

kann      Es  würden  dieses  von  dem  Tone  C  aus  folgende  sein: 


a.    Dreiklänge 


6.    Septimenaccorde. 


^^^mf:^%m^^: 


Nonenaccorde, 


ailais 


z|^! 


■^^m^ 


^■ 


»f-=* 


man  s  ch  indessen  auf  jene  18  btammaccoiae,    bu  gi         _        „^    iq  v  19  —  ^KV 

Xebend  temperirten   zwölfstufigen  Tonsysteme    noch    ^.«^^^^l.^/  \^  "  ^  ',? 

dem  Klange    nach    verschiedene    «tammaccorde.     Das  wurde    (2   G^^^^^^^ 

oder  46445  verschiedene  möglichere  ergeben;  denn  X'^'\^'^Xä:TZZvl 

:ich  Jeder  dieser  216  Accorde    ^ -gend    einer  TJmk^^^^^^^^^ 

Accorde  verbinden  lassen.     Es    ^o-en    -^b  ^ 

vielerlei  Ursachen  gemildert  werden.     So  w  ikt  ^mji.   o        ^ 

viel  milder,    als  bei  schneller,    weil  dem   Ohre  mehr  Zeit  "^^^^^t '    ^;L«' 

Tonischen  Beziehungen   klar  zu  machen      Es    können    I^Ttte  ^^önn"     in   s" 

bleiben,    welche  die  Verbindung    vermitteln;    oder    die  «^h^f «  ^^^"^  ^^i^^, 

der    gute  Eluss    der    einzelnen   Stimmen,    H^ntstehun^        rr.-u«    nnd  Zwischen- 
wendLg  von  Durchgängen  -^I^echselnoten,   Neb^^^^^ 

tönen,  von  Vorhalten,  Vorausnahmen  u.  s.  f.).     Blog  ich  f^^^  ^  ^  ^f     °    { 

also    ;ile   jene  Schritte.     Aber  wenn    wir    uns    ^^^^''^^''^tJ^^^^ 
die  Zahl  von  6888  H.en    beschranken  wollten,  .^;J^l^^!^;;*^f^  ^^^,  mechanisch 
noch  immer  unentwirrbar,  sobald  man  mit  der  alteren  iheone  nui 


Harmoniespiel  —  Harmoniesystem.  21 

ordnend  vorgehen  will.  Die  Zurückführung  auf  jene  einfachen  Principien  der 
Tonverwandtschaft,  welche  sich  in  dem  Artikel  Harmonielehre  und  ander- 
wärts angegeben  finden,  vereinfacht  jedoch  die  Sache  ganz  enorm;  denn  aus 
jenen  Principien  heraus  lässt  sich  jede  einzelne  jener  Fortschreitungen  auf  das 
leichteste  erklären ,  und  da  sich  die  einzelnen  Schritte  hinsichtlich  der  Ver- 
ständlichkeit der  bloseu  harmonischen  Verwandtschaft  zwischen  den  verbundenen 
Accorden  leicht  anordnen  lassen,  so  kann  die  Theorie  bei  weiterer  Entwickelung 
der  Praxis  in  Beziehung  auf  den  Gebrauch  fernverwandter  H.e  leicht  folgen, 
ohne  ihre  Grundprincipien  aufgeben  zu  müssen.  Bis  jetzt  hat  sich  die  Praxis 
hinsichtlich  der  Schritte  von  und  zu  dissonirenden  Accorden,  soweit  diese 
Schritte  sich  lediglich  auf  die  harmonische  Tonverwandtschaft  (s.  d.)  grün- 
den, mit  den  leichtest  verständlichen  H.en  begnügt;  angegeben  finden  sich  die- 
selben unter  Auflösung,  Consonanz  und  Dissonanz  und  Vorberei- 
tung. Die  Anordnung  der  Schritte  zwischen  consonirenden  Accorden  ist  unter 
Fortschreitung  aufzusuchen.  Alle  übrigen  bis  jetzt  verwendeten  Schritte 
erklären  sich  aus  diesen  heraus  durch  Anwendung  von  Vorhalten,  Vorausnahmen, 
nachschlagenden  Tönen,  Orgelpunkten,  liegenden  Stimmen  und  wirklicher  Mehr- 
stimmigkeit, oder  durch  Zuziehung  der  Verwandtschaft  durch  Nachbarschaft 
in  der  Tonhöhe.  Das  Nähere  hierüber  findet  sich  in  den  betreffenden  ge- 
nannten Artikeln  und  unter  Durchgang,  Hülfs-  und  Nebenton,  Zwi- 
schenton, Wechseluote,  übervollständige  Accorde,  zugefügte  Töne. 

0.  Tiersch. 

Harmoniespiel  (französ,:  jeu  de  harmonie),  s.  Flageolet. 

Harmoniesprung',  s.  Harmonieensprung. 

Harmoniesystem  oder  System  der  Harmonie.  »Unter  einem  Systeme 
der  Harmonie,«  sagt  Forkel  (»Allgemeine  Litteratur  der  Musik«,  Leipzig  1792, 
S.  343),  »versteht  man  eine  solche  Verbindung  und  Ordnung  aller  musikalischen 
Intervallen  und  Accorde,  dass  man  dadurch  in  den  Stand  gesetzt  wird,  von  der 
Abstammung  und  Brauchbarkeit  eines  jeden  derselben  Red'  und  Antwort  zu 
geben.  Rousseau  nennt  es  eine  Sammlung  von  Regeln  der  Harmonie,  die 
aus  einigen  allgemeinen  Principien  gezogen  sind;  es  ist  aber  weit  weniger  eine 
Sammlung  von  Regeln  der  Harmonie,  als  vielmehr  ein  Stammbaum  aller  ein- 
zelnen Glieder  der  ganzen  Tonfamilie ,  die  sämmtlich  nur  von  einigen  wenigen 
Grundtönen  erzeugt  werden.  Ist  nun  ein  solches  System  der  Harmonie  richtig, 
das  heisst:  ist  es  auf  ein  wahres  allgemeines  Principium  erbaut,  so  muss  kein 
einzelner  Ton  im  Zusammenhange  einer  Melodie,  und  kein  Accord  in  der  Har- 
monie vorhanden  sein,  oder  aufgenommen  werden,  dessen  Natur,  Wesen  und 
Behandlung  nicht  durch  seine  Abstammung  von  einem  gewissen  Gruudaccorde 
erklärt  und  bestimmt  werden  kann.  Ohne  die  Kenntniss  eines  solchen  Systems 
geht  der  Componist  im  Gebrauche  und"  in  der  Behandlung  manches  Intervalls 
und  manches  Accordes  ebenso  unsicher,  als  der  Sprachforscher  bei  solchen 
Wörtern,  zu  welchen  er  kein  Stammwort,  folglich  weder  die  Abstammung,  noch 
den  wahren  Grund  der  demselben  beigelegten  Bedeutung  zu  finden  weiss.  Man 
sieht  hieraus,  dass  ein  System  der  Harmonie,  genau  genommen,  nichts  anderes 
ist,  als  eine  Art  von  musikalisch- etymologischem  Index,  woraus  man  den  Ur- 
sprung, Zusammenhang  und  die  Bildung  der  Intervallen  und  Accorde  er- 
kennen kann.« 

Neben  einer  ziemlich  treffenden  Erklärung  des  Begriffes  H.  und  einem 
hinreichenden  Maassstabe  zur  Beurtheilung  der  Richtigkeit  eines  Systems,  ent- 
halten diese  Auslassungen  auch  den  Beweis  für  den  praktischen  Werth  syste- 
matischer Darstellung  des  Gesammtgebietes  der  Harmonielehre.  Ueber  ähn- 
liche praktische  Vorzüge  der  systematischen  Lehrweise  spricht  sich  A.  B.  Marx 
(»Lehrb.  der  Comp.«  I.  S.  506  ff.)  wie  folgt  aus:  »Das  Verfahren  des  Lehrers 
hat  dreifache  Wichtigkeit.  Zunächst  für  den  Fortschritt  des  Schülers;  es  ist 
natürlich  nichts  weniger  als  gleichgültig,  wie  schnell,  leicht  und  sicher  der 
Fortschritt  geschehe.     Dann  für  die  geistige  Entwickelung;  jenachdem  sich  eine 


22  Harraoniesystem. 

Lehre  an  den  Verstand  oder  das  nachdenkenlose  Gedächtniss  wendet,  wird  sie 
eine  oder  die  andere  Richtung  der  Greisteskraft  hervorrufen.  Endlich  für  die 
Sache;  eine  Lehre,  die  den  Lehrstoff  blos  äussei'lich  aufrafft,  statt  ihn  vernunft- 
gemäss  zu  entwickeln,  entfremdet  sich  und  den  Schüler  dem  Stoffe  selber  und 
fasst  ihn  unlebendig  und  falsch  auf.«  Wenn  es  etwa  noch  nöthig  gewesen  wäre, 
hiermit  die  Bedeutung  der  Systematisirung  der  Harmonielehre  für  die  Ton- 
kunst selbst  nachzuweisen,  so  bedarf  es  andererseits  wohl  keines  Wortes,  um 
den  Werth  der  Versuche  zur  Systematisirung  für  die  Wissenschaft  im  All- 
gemeinen darzulegen.  Man  muss  es  daher  mit  A.  B.  Marx  allerdings  wunder- 
lich finden,  »wie  neuere  Lehrer  Angesichts  der  systematischen  Entwickelung 
der  Accorde  bei  ihrer  alten  Weise  beharren  können,  statt  sich  dem  Fortschritte 
anzuschliessen.  —  oder,  wenn  er  irrig  sein  sollte,  ihn  zu  beleuchten  und  zu 
berichtigen. tt  (A.  a.  0.)  Das  Verfahren,  die  Harmonien,  welche  man  vorfindet, 
mechanisch  »nebeneinander  und  gleichzeitig  miteinander  aufzustellen«,  ist  daher 
entschieden  zu  verurtheilen.  »Man  geht  dabei  von  der  Tonleiter  aus,  stellt 
zuerst  auf  den  Stufen  der  Z)?<rtonleiter  alle  aus  ihr  zu  bildenden  Dreiklänge 
(a),  dann  alle  Septimenaccorde  (b),  ferner  (jedenfalls  ist  es,  das  Princip  einmal 


f 


zugestanden,  folgerichtig)  auch  auf  den  Stufen  der  IfoUioiileiieT  alle  Dreiklänge 
und  Septimenaccorde,  sogar  alle  Nonenaccorde  nebeneinander,  die  sich  aus  den 
Tönen  der  Tonleiter  herauszählen  lassen.«  »So  überliefert  man  dem  Schüler 
die  Harmonie  massenweis'  und  reichlich  und  unerschrocken.  Selbst  wenn  man 
an  der  Möglichkeit  einer  systematischen  Entwickelung  zu  verzweifeln  TJrsach' 
hätte,  wäre  das  Verfahren  doch  aus  methodischen  Gründen  nicht  zu  billigen. 
Die  richtige  Methode  einer  auf  Anwendung  und  Ausübung  hinarbeitenden 
Lehre  fordert,  dass  man  den  Stoff  theile  und  in  jedem  Momente  der  Unter- 
weisung nur  so  viel  überliefere,  als  eben  jetzt  zur  Anwendung  kommen  kann. 
Also  schon  aus  diesem  —  wenngleich  nur  äusserlichen  ■ —  Grunde  müsste  der 
Stoff  getheilt,  es  müsste  das  Leichtere  oder  Näherliegende,  das  zunächst  oder 
zumeist  Brauchbare  und  Nothwendige  hervorgesucht  werden.«  (A.  B.  Marx, 
a.  a.  0.)  Aber  erst  durch  eine  Lehrart,  die  sich  »als  wirkliches  System  hin- 
stellen darf  und  auf  einem  tieferen  Grunde  ruht,  als  auf  der  blos  äusserlichen 
Berechnung  der  Lehrklugheit  oder  Methode«,  ist  auch  die  treffendste  Methode 
erlangbar. 

Es  bleiben  nun  die  einzelnen  Versuche  zur  systematischen  Entwickelung 
der  Harmonie  noch  zu  besprechen  und  zu  beurtheilen.  Dieselben  gliedern  sich 
nach  ihrem  Zwecke  in  zwei  verschiedene  Klassen.  Die  eine  Parthei  unter  den 
systematisirenden  Schriftstellern  bezweckt  mit  ihrem  Voi'gehen  weiter  nichts, 
als  den  Lehrstoff  dem  Schüler  möglichst  leicht  zugänglich  und  behaltbar  zu 
machen;  ihr  Zweck  ist  also  ein  methodischer,  und  die  Princij^ien,  welche  sie 
bei  Anordnung  ihres  Systems  befolgen,  liegen  eigentlich  ausserhalb  der  Sache. 
Deshalb  haften  diese  Systematiker  in  der  Regel  auch  an  blosen  Aeusserlich- 
keiten;  eine  wissenschaftliche  Bedeutung  ist  ihren  Versuchen  daher  nicht  zu- 
zuschreiben, wohl  aber  der  Werth  derselben  für  die  praktische  ITnterweisung 
nicht  zu  unterschätzen.  Der  erwähnenswertheste  Vertreter  dieser  Richtung  im 
vorigen  Jahrhundert  war  Job.  Phil.  Kirnberger,  dessen  »Kunst  des  reinen 
Satzes  in  der  Musik«  (Berlin,  1771 — 79)  und  »Die  wahren  Grundsätze  zum 
Gebrauche  der  Harmonie«  (1773)  besonders  zu  erwähnen  sind.  Kirnberger 
nimmt  zwei  Grundaccorde  an:  L  den  consonirenden  Dreiklang,  der  gross  (a), 
klein  (h)  oder  vermindert  (c)  ist;  und  II.  den  dissonirenden  wesentlichen  Sep- 
timenaccord,  der  viererlei  Zusammensetzung  fähig  ist:   entweder  besteht  er  aus 


Harmoniesystem. 


23 


der  kleinen  Septime  mit  der  reinen  Quinte  und  grossen  (d)  oder  kleinen  (e) 
Terz;  oder  mit  der  falschen  Quinte  und  kleinen  Terz  (/);  oder  aus  der  grossen 
Septime  mit  der  reinen  Quinte  und  grossen  Terz  (g). 


a. 

h. 

c. 

d. 

e. 

/. 

9- 

-<^f — S— 

Si— 

— §~ 

— g— 

— g— 

» 
o 

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Aus  diesen  Accorden  leitet  er  alle  anderen  Accorde  her.  lieber  dieses 
System  äussert  sich  Forkel  (»Allgem.  Litteratur  der  Musik«)  wie  folgt:  »Ist 
das  vollkommenste  System  der  Harmonie,  nach  welchem  sich  die  allerver- 
wickeltsten  Sätze  der  tiefsinnigsten  Harmoniker  erklären  und  auf  ihre  einfachen 
Grundquellen  zurückführen  lassen.«  »Zur  richtigen  TJebersicht  des  ganzen  Zu- 
sammenhanges der  Harmonie  ist  diese  Schrift  die  vorzüglichste,  die  wir  besitzen.« 
Vom  jetzigen  Standpunkte  aus  ist  aber  dagegen  zu  erwidern,  dass  von  einer 
Zurückführung  auf  die  »Grundquellen«  nicht  die  Rede  sein  kann,  da  die  An- 
nahme der  obigen  Grundaccorde  doch  eine  ganz  beliebige  und  durch  nichts 
gerechtfertigte  ist.  Wie  unzureichend  aber  das  Kirnberger'sche  H.  hinsichtlich 
seines  Umfanges  ist,  das  hat  schon  Gottfr.  Weber  nachgewiesen,  der  in  ver- 
schiedenen Anmerkungen  seines  »Versuchs  einer  geordneten  Theorie  der  Ton- 
setzkunst« eine  ziemlich  vernichtende  Kritik  gegen  dasselbe  geübt  hat  (s.  Con- 
sonanz  und  Dissonanz  und  Harmonielehre).  Dem  TJrtheile  Forkel's 
kann  also  selbst  in  Beziehung  auf  die  praktische  Bedeutung  jenes  Systems 
nicht  mehr  zugestimmt  werden.  Wie  äusserlich  übrigens  Kirnberger  der  ganzen 
Sache  gegenüber  steht,  zeigt  sich  ausser  an  vielen  anderen  Stellen  namentlich 
auch  da  recht  deutlich,  wo  er  den  übermässigen  Terzquartsextaccord  bei  a  ab- 
leitet von  dem  Terzquartsextaccorde  bei  b  (s.  Kirnberger,  »Die  wahren  Grund- 
sätze«, S.  30). 


Zugestehen  muss  man  allerdings,  dass  unter  allen  Systematikern  seiner 
Hichtung  Kirnberger  am  consequentesten  verfährt,  obwohl  er  von  den  Beding- 
ungen, welche  Porkel  von  einem  richtigen  Systeme  erfüllt  sehen  will,  gar  nichts 
zu  wissen  scheint.  Wenigstens  werden  sich  folgende  Auslassungen  nur  im 
letzteren  Sinne  auslegen  lassen:  »Wenn  diese  Vorhalte  aber  in  unseren  neuen 
Compositionen  ohne  alle  Vorbereitung  gesetzt  und  als  ein  Hauptaccord  behan- 
delt werden,  auf  folgende  Art  (ß)  etc.,  so  mögen  die  Herren  es  selbst  verant- 
worten. Wir  können  von  der  Schreibart  der  unharmonischen  Ausländer  und 
derer,  die  sich  nach  ihnen  gebildet  haben,  nicht  Eed  und  Antwort  geben« 
(a.  a.  0.  S.  33  ff.). 


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Vor  Gottfr.  Weber  trat  übrigens  schon  Marpurg  sehr  entschieden  gegen 
manche  Annahmen  Kirnberger's  auf,  und  S.  W.  Dehn  (»Theor.- praktische 
Harmonielehre«  S.  83)  sagt  in  dieser  Beziehung:  »Ganz  gewiss  ist  es,  dass 
Kirnberger's  »Kunst  des  reinen  Satzes«  bei  weitem  nicht  den  ausgebreiteten 
Ruf,  der  ihm  noch  hier  und  da  in  unserer  Zeit  zugeschrieben  wird,  erhalten 
hätte,  wenn  man  es  nur  mit  eben  so  viel  Scharfsinn  hätte  kritisch  ansehen 
wollen,  als  es  Marpurg  in  manchen   seiner  Schriften  (z.  B,  in  einem  Anhange 


24  Harmoniesystem. 

zum  »Versuch  über  die  musikalische  Temperatur«,  Breshiu,  1776)  gethan  hat.« 
Indessen  ist  gerade  manches  von  dem,  was  Marpurg  als  unstatthaft  hinstellt, 
Kirnberger  als  Verdienst  anzurechnen,  so  z.  B.  die  Lehre  von  den  Vorhalten, 
nach  welcher  verschiedene  dissonirende  Zusammenklänge  als  durch  blose  zu- 
fällige Dissonanzen  entstanden  gedacht  und  »sogar  zwei  verschiedene  Arten 
der  Entstehung  eines  und  desselben  Accordes  demonstrirt  werden«.  —  Das 
von  Forkel  besonders  belobte  Werk  ist  übrigens  nicht  von  Kirnberger  selbst, 
sondern  mit  Bewilligung  Kirnberger's  von  dessen  Schüler  J.  A.  P.  Schulz  be- 
arbeitet und  unter  Kirnberger's  Namen  herausgegeben.  (S.  AUgeni.  Leipz. 
Musik-Zeitung,  Jahrgang  II.  S.  278.)  —  Ein,  nach  dem  Titel  (t>Si/steme  dliar- 
monie  etahli  sur  la  'pre]^aTation,  resolution  et  Ivjature  des  Dissonancesa)  zu 
schliessen,  dem  Kirnberger'schen  ganz  ähnliches  H.  von  dem  französischen  Abbe 
Nicolas  Roze  (geb.  zu  Bourgneuf  1745)  theilt  de  la  Borde  im  3.  Bande  seines 
y>Ussai  sur  la  Musiquea,  S.  476 — 483,  mit  (Dehn,  a.  a.  0.  S,  83).  —  Fr. 
W.  Marpurg  selbst,  »der  Vertheidiger,  Verbesserer  und  Verbreiter«  des  später 
zu  erwähnenden  Rameau'schen  H.'s,  stellte  in  seinem  »Handbuche  bei  dem 
Greneralbasse  und  der  Komposition  mit  2 — 8  Stimmen«  (Berlin,  1755 — 58) 
ein  aus  Rameau'schen  und  eigenen  Grundsätzen  vermischtes  System  auf.  Das- 
selbe giebt  den  eigentlichen  Hauptvorzug  des  Rameau'schen  Systems,  die  Ab- 
leitung aus  einem  einheitlichen  Principe,  im  "Wesentlichen  wieder  auf,  ohne 
indessen  zu  wirklicher  Vollständigkeit  gelangen  zu  können.  —  J.  G-.  Albrechts- 
berger,  der  besonders  durch  seine  Schüler  (L  v.  Beethoven,  Job.  Gänsbacher, 
Nep.  Hummel,  Mich.  Umlauf,  Jos.  Weigel  u.  A.)  bedeutenden  Ruf  als  Theore- 
tiker erlaugt  hat,  hat  ein  eigentliches  H.  gar  nicht  aufgestellt.  Seinem  Systeme 
liegen,  wie  auch  in  bald  mehr,  bald  weniger  hervortretender  Weise  allen  gleich- 
zeitig und  vielen  später  erschienenen  Harmonielehren,  die  von  Rameau  aufge- 
stellten Principien  zu  Grunde. 

Einer  der  bedeutendsten  Theoretiker  unseres  Jahrhunderts  war  Gottfr. 
Weber.  Von  eigentlich  wissenschaftlicher  Behandlung  der  Theorie  der  Ton- 
setzkunst will  derselbe  nichts  wissen;  darum  weist  er  z.  B.  die  harmonische 
Akustik  und  namentlich  die  mathematische  Intervallenlehre  sogar  als  Theil,  noch 
mehr  aber  als  Grundlage  der  Tonsetzlehre,  aus  seinem  Lehrgebäude  (»Versuch 
einer  geordneten  Theorie  der  Tonsetzkunst«,  B.  I — IV,  3.  Aufl.,  1831)  heraus. 
Er  rechtfertigt  sich  hierüber  (»Allgemeine  Musiklehre«,  3.  Aufl.,  1831,  S.  XX.) 
wie  folgt:  »Es  meinen  ja  die  meisten  Tonsetzlehrer,  die  Theorie  der  Tonsetz- 
kunst müsse  nothwendig  auf  die  harmonische  Akustik  gegründet  werden,  und 
fangen  deshalb  ihre  Lehrbücher  mit  arithmetischen  und  algebraischen  Exem- 
peln  an!  Allein  mich  dünkt  dieses,  um  es  beim  rechten  Namen  zu  nennen, 
nichts  anderes  als  leere  Schwindelei  und  unzeitige  Gelehrsamkeitskrämerei, 
d.  h.  Pedanterei.  Denn  man  kann  der  gründlichste  Tonsetzer,  der  grösste 
Contrapunktist,  man  kann  Mozart  und  Haydn,  Bach  und  Palestrina  sein,  ohne 
zu  wissen,  dass  sich  ein  Ton  zu  seiner  Quinte  wie  2  zu  3  verhält;  und  es  ist, 
meiner  innigen  TJeberzeugung  nach,  ein  recht  unverständiger  Missgriff'  der 
Tonsetzlehrer,  wenn  sie,  in  die  Lehre  der  Tonsetzkunst,  solche  Demonstrationen 
durch  Brüche,  Potenzen,  Wurzeln  und  Aequationen,  und  andere  Rechnungs- 
exempel  einmischen,  von  welchen  beim  Vortrage  der  Theorie  der  Tonsetzkunst 
auszugehen,  mir  grade  so  vorkommt,  als  wollte  einer  den  Unterricht  in  der 
Malerei  mit  der  Theorie  von  Licht  und  Farben,  von  graden  und  krummen 
Linien  anfangen,  den  Musik-Unterricht  mit  dem  Studium  der  Harmonie,  und 
den  Sprach -Unterricht  mit  der  Philosophie  der  Sprache,  oder  einem  Kinde 
Sätze  aus  der  Grammatik  demonstrircn,  um  es  Papa  und  Mama  sagen  zu 
lehren.«  Weber  hat  in  sofern  Recht,  als  nicht  Alles  in  der  Harmonie  und 
Modulation  von  der  Akustik  abzuleiten  ist,  wie  viele  Theoretiker  angenommen 
zu  haben  scheinen;  ich  stimme  ihm  auch  zu,  wenn  er  meint,  die  praktische 
Compositionslehre  könne  die  Kenntniss  jener  Lehren  entbehren.  Wenn  er 
aber  selbst  von  der  »Theorie«  der  Tonkunst  solches  fordert,  so  ist  er  entschieden 


Harmoniesystem.  25 

im  Irrthume.  Theorie  ist  eine  "Wissenschaft  und  keine  Kunst.  Einzelnes  aus 
der  Theorie  der  Musik  (z.  B.  die  Construction  von  Tonsystemen  u.  dergl.)  ist 
absolut  unverständlich  ohne  gewisse  Kenntnisse  aus  der  Akustik;  und  wer  nicht 
Alles  kennt,  was  die  Wissenschaft  über  seine  Kunst  gefunden  hat,  der  mag 
ein  sehr  guter  Kunsthandwerker  sein,  ein  wirklich  durchgebildeter  Künstler 
ist  er  nicht.  Papa-  und  Mamasagenlernen  gehört  gar  nicht  zur  Theorie  der 
Sprache,  und  das  angezogene  Beispiel  hinkt  also  gewaltig;  dagegen  ist  aber 
eine  Theorie  der  Sprache  ohne  Grrammatik  und  Philosophie  der  Sprache  eben 
keine  Theorie.  Ein  Musiker  muss  aber  die  Theorie  seiner  Kunst  kennen.  In 
diesem  Punkte  weiche  ich  daher  ganz  entschieden  von  Gottfr.  Weber  ab  und 
stimme  dem  bereits  angezogenen  Ausspruche  (s.  Grammatik)  des  alten  Werck- 
meister  bei:  »Ich  halte  einen  Strohschneider  und  Besenbinder,  der  da  rationes 
über  seine  Handthierung  vorzubringen  weiss,  viel  klüger,  als  einen  solchen 
unbesonnenen  Musicaster,  der  nur  nach  seinem  Gänse -Gehirn  hinsetzet,  was 
seiner  Phantasterey  gut  deucht«  etc.  —  Gottfr.  Weber  hat  sich  zu  seiner  An- 
sicht wohl  besonders  durch  die  damalige  Unzulänglichkeit  und  gleichwohl 
ziemlich  anspruchsvolle  Ueberhebung  der  Akustik  verleiten  lassen;  er  ist  ein 
viel  zu  gediegener  Forscher,  als  dass  er  einer  absichtlichen  Ungründlichkeit 
das  Wort  reden  könnte.  Zudem  hatte  er  in  seinem  genannten  Werke  mehr 
die  praktische  Ausbildung  von  Componisten  im  Auge,  als  eigentlich  theoretische 
Unterweisung  in  der  Musikwissenschaft;  die  Entstehung  jener  irrigen  Ansicht 
ist  also  erklärlich  und  entschuldbar  genug.  Schlimmer  und  schädlicher  ist  es  aber, 
dass  die  Weber'sche  Ansicht  unter  den  späteren  Musiktheoretikern,  theils  um 
ihrer  Bequemlichkeit  willen ,  theils  auch  aus  gewissen  Principien ,  verschiedene 
Anhänger  und  Förderer  gefunden  hat.  Ich  nenne  hier  zunächst  zwei  noch  zu 
erwähnende  Schriftsteller:  S.  W.  Dehn,  der  Weber's  Ausspruch  geradezu  citirt, 
und  E.  Fr.  Richter,  der  nur  insofern  eine  ähnliche  Ansicht  hat,  als  er  meint, 
es  seien  nicht  alle  Erscheinungen,  Gesetze  und  Regeln  in  Beziehung  auf  Ton- 
verbindungen wissenschaftlich  zu  erklären,  weil  die  musikalische  Kunst,,  wie  sie 
sich  in  der  Neuzeit  gestaltet  habe,  eine  künstlich  entwickelte,  die  Tonsprache 
überhaupt  etwas  conventioneil  gebildetes  sei.  Bei  Dehn  sprechen  ähnliche 
Gründe  mit,  wie  bei  Weber;  Pichter's  Ansicht  aber  wird  später  noch  näher  zu 
berühren  sein. 

Andere  Theoretiker,  namentlich  aber  viele  praktische  Musiker,  sind  nun 
noch  viel  weiter  gegangen  als  Weber,  indem  sie  der  Wissenschaft  überhaupt 
jede  Bedeutung  für  die  Tonkunst  selbst  absprechen  zu  müssen  glaubten.  So 
unterrichtet  man  in  der  Composition  lediglich  zu  dem  Zwecke,  um  die  Schüler 
im  mechanischen  Gebrauche  einzelner  Accorde  und  Accordverbindungen  abzu- 
richten. Für  Ciavierspieler,  Sänger  u.  s.  f.  hält  man  sogar  die  Kenntniss  der 
Harmonie-  und  Modulationslehre  und  der  Lehre  über  Herstellung  der  verschie- 
denen Kunstformen  für  vollkommen  überflüssig,  und  dressirt  sie  lediglich  darin, 
einzelne  Tonsätze  nach  dem  Muster  ihrer  Lehrer  mechanisch  hörbar  zu  machen. 
Man  wird  daher  bald  dahin  kommen,  auch  die  Leierkasteubauer,  wenigstens 
aber  die  Verfertiger  von  grösseren  mechanischen  Musikwerken  zu  den  Ton- 
künstlei-n  zu  zählen;  denn  auch  diese  machen  Tonstücke  hörbar,  —  imd  ob 
dieses  nun  durch  Walzen  und  Stifte,  oder  durch  Kehle  und  Finger  geschieht, 
ist  im  Wesentlichen  ja  dasselbe.  Dahin  freilich  würden  Richter,  Dehn  und 
Gottfr.  Weber  niemals  gefolgt  sein;  aber  wohl  ist  dieser  abschüssige  Weg  schon 
mit  der  Zustimmung  zu  der  nur  beziehungsweise  richtigen  Behauptung  G. 
Webers  betreten.  —  Die  zu  seiner  Zeit  gültigen  Anschauungen  hat  G.  Weber 
allerdings  in  vollkommen  vernichtender  Weise  kritisirt.  Nach  ihm  erscheint 
die  damalige  »ganze  mathematische  Behandlung  der  Tonsatzlehre  an  sich  selbst, 
bei  unbefangener  Betrachtung,  doch  nur  als  Täuschung.«  »Ohne  dieses  Letz- 
tere,« fährt  er  fort,  »hier  ausführlich  darthun  zu  wollen,  begnüge  ich  mich,  nur 
auf  Bin  Beispiel  hinzuweisen,  auf  die  sogenannte  Schöpfung  der  Leiter,  und 
Construction    der    Tonstufen    aus    den    Aliquoten    der    Saitenlängen,    und    den 


26  Harmoniesystem. 

Aliquottönen  der  Blasinstrumente,  oder  was  dasselbe  ist,  aus  den,  der  natür- 
lichen Zahlenreibe  1,  2,  3  u.  s.  w.  entsprechenden  Schwingungsverhältnissen, 
mit  welchem  Allem  die  Theoretiker  die  Tonsatzlehre,  rechter  Gründlichkeit 
halber,  oder  auch  wohl  erudüionis  et  decori  gratia,  nothwendig  anheben  zu 
müssen  glauben,  indess  doch  grade  hier  die  Unzulänglichkeit  der  Rechen- 
operation recht  augenscheinlich  ist.  Die  C-dur\ii\iQv  soll  aus  den  Aliquoten 
einer  C- Saite,  oder  aus  den  natürlichen  Tönen  einer  C- Trompete,  geschöpft 
werden,  und  beide  geben  doch,  sowie  auch  die  Zahlenverliältnisse,  1:2,  2:3, 
u.  s.  w. ,  nicht  nur  weder  ein  reines  a,  noch  ein  leidliches/",  sondern  auch 
statt  des  der  Leiter  eigenen  Tones  //,  das  leiterfremde  h,  oder  eigentlich  einen  Ton, 
der  in  unser  Tonsystem  gar  nicht  passt,  oder  aber,  wenn  man  ihn  als  h  be- 
trachtet und  gebraucht,  die  herausgebrachte  Tonreihe  eher  zur  Tonleiter  von 
F  stempelt,  so  dass  die  sogenannte  (7- Trompete  gewissermassen  eher  eine  _F- 
Trompete  heissen  könnte;  obgleich  auch  dieses  wieder  nicht  so  recht  eigentlich 
passen  will,  weil  in  der  Trompete  der  Ton  f  ebenfalls  nicht  rein  zu  finden  ist, 
sondern  nur  ein  heilloses  Mittelding  zwischen  f  und  fis,  sowie  auch  kein  reines 
a\  —  Jenen  TJebelstand  fühlend,  haben  Mehre,  z.  B.  de  Momigny  und  später 
Schicht  versucht,  die  harte  Tonleiter  aus  den  harmonischen  Tönen  der  Domi- 
nante herzuleiten,  welches  zwar  etwas  besser  gelingt,  wobei  aber  die  Töne  _/", 
1)  und  a  immer  wieder  falsch  bleiben.  —  Allein  was  hülfe  es  auch,  wenn  man 
solcher  Gestalt  die  harte  Tonleiter  sich  aus  der  Natur  entwickeln  sähe,  indess 
die  weiche  ja  doch  immer  durch  willkürliche  Versetzung  der  Terzen,  oder  durch 
sonst  willkürliche  Unterstellungen,  gemacht  werden,  und  also  doch  immer  als 
Artefact,  als  etwas  Willkürliches,  als  ein  Gebilde  des  Menschenwitzes,  erscheinen 
müsste?  —  Denn  man  sehe  z.  B.,  wie  Rameau,  d'Alembert,  Marpurg  u,  A.  sich 
plagen,  winden  und  drehen,  um  die  Entstehung  eines  weichen  tonischen  Drei- 
klanges herauszudrechseln.  Die  Natur  selbst  —  so  lehren  sie  —  lässt  uns, 
in  den  Querschwingungen  einer  C-Saite,  die  Töne  c—g-—c'—e'—g'  (ausserdem 
aber  auch  noch  viele  andere!  —  und  in  den  Erzitterungen  anderer  Körper 
wieder  ganz  verschiedene  Töne!)  mithören.« 

»Es  ist  uns  also  ein  harter  Dreiklang  von  der  Natur  selbst  gegeben,  indem 
sie  uns,  zugleich  mit  dem  Grundtone  einer  querschwingenden  Saite,  auch  seine 
grosse  Terz  und  Quinte  von  selbst  hören  lässt.  Ein  weicher  Dreiklang,  so 
fahren  sie  fort,  ist  nun  freilich  nirgend  eben  so  gegeben,  indem  weder  eine  Saite, 
noch  irgend  ein  anderer  Körper,  zugleich  neben  seinem  Grundtone,  auch  dessen 
kleine  Terz,  als  Beiton  von  selber  mithören  lässt:  allein  wenn  wir  uns  die 
kleine  Freiheit  nehmen,  den  Accord  0—e—g  in  C—es—g  zu  verwandeln,  so 
ist  dies  es  zwar  kein  natürlicher  Beiton  von  C  (also  von  der  Natur  nicht  als 
Terz  von  c  angedeutet):  aber  g  ist  doch  ein  Beiton  einer  ^s- Saite;  und 
darum  (!!!),  weil  die  Quinte  von  C  zugleich  auch  grosse  Terz  von  es  ist,  und 
beim  Anschlagen  einer  G^-Saite,  sowohl  eine  C-Saite,  als  auch  eine  J^s-Saite  ein 
g  mit  erzittern  lässt,  —  darum  ist  der  Zusammenklang  von  C—es—g  gerade 
so  gut,  wie  von  der  Natur  selbst  gegeben.  Das  ist  ja  handgreiflich!  —  Der 
harte  Dreiklang  ist  darum  natürlich,  weil  die  beiden  höheren  Töne  Aliquoten 
des  Grundtones  sind,  der  weiche  Dreiklang  aber  darum,  weil,  umgekehrt,  seine 
Quinte  eine  Aliquote  eines  jeden  der  beiden  tieferen  (nämlich  Quinte  von  C 
und  Terz  von  Fs)  ist.  Letzteres  ist  eben  nur  grade  das  Umgekehrte  vom 
Natürlichen,  und  folglich  ja  ebenfalls  ganz  natürlich.  —  Der  harte  Dreiklang 
ist,  von  der  Natur  selbst,  dadurch  gegeben,  dass  eine  und  dieselbe  Saite 
wirklich  einen  solchen  Zusammenklang  hören  lässt:  Aber  auch  der  weiche  ist 
als  von  der  Natur  selbst  gegeben  anzusehen,  denn  zwar  lässt  eine  C-Saite  kein 
-EJs  mit  erklingen:  aber  eine  -EJs-Saite  lässt,  unter  vielen  anderen  Tönen,  doch 
auch  ein  G  (als  Terz!)  hören,  und  folglich  (?)  ist  der  Zusammenklang  C—es—g 
als  von  der  Natur  selbst  gegeben  nicht  zu  verkennen.  —  Hat  man  auf  solche, 
oder  ähnliche,  schlussgerechte  Weise,  einmal  einen  harten  und  einen  weichen 
Dreiklang  errungen,    so    ist  nichts  leichter,    als,    zu  jedem  derselben  auch  eine 


Harmoniesystem.  27 

passende  Tonleiter  zu  finden.  Man  darf  nur  mit  einem  harten  Dreiklange 
auch  noch  die  harten  Dreiklänge  seiner  Quinte  und  seiner  Quarte  verbinden 
(und  zwar  darum  gerade  diese  und  nur  diese,  weil  —  sie  sich  am  besten  dazu 
schicken  — ),  so  hat  man  ja  ordentlich  unmittelbar  aus  der  Hand  der  Natur 
eine  Z'z^rtonleiter  empfangen,  und  ebenso  eine  J/bZZtonleiter ,  wenn  man,  mit 
einem  weichen  Dreiklange,  den  weichen  auf  seiner  Quarte,  und  bald  den  weichen, 
(denn  so  wird  gelehrt),  bald  den  harten,  auf  seiner  Quinte,  in  Verbindung 
setzt.  —  Solche,  und  ähnliche,  theils  ganz  unpassende,  theils  sonst  willkürliche 
Hypothesen  an  die  Spitze  stellend,  wagt  man  denn,  ein  Lehrgebäude  zur  Schau 
zu  stellen,  welches,  mit  dem  Scheine  mathematischer  Begründung  prangend, 
grade  um  so  gefährlicher  ist,  je  mehr  man  sich  bestrebt,  ihm  den  Anstrich 
systematischer  Ableitung  und  untrüglicher  Folgerung  zu  geben,  wie  unsere 
Kunstlehrer  so  gerne  thun.« 

Ich  habe  diese  Auslassungen  so  ausführlich  gegeben,  weil  sie  mich  für  die 
Folge  der  Kritik  der  damals  gebräuchlichen  —  mid  mancher  neueren  —  H.e 
überheben.  —  "Weber  selbst,  wenn  er  auch  die  Lehren  der  Theorie  in  geord- 
neter Weise  vorführt,  verschmäht  es  natürlich,  ein  eigenes  H.  aufzustellen;  er 
lässt  sich  bei  Anordnung  seines  Lehrplanes  nur  von  äusseren  Rücksichten  leiten. 
Dass  dieses  wirklich  der  Fall  ist,  erkennt  man  aus  folgenden  Auslassungen. 
»Die  Tonkunstgelehrten  sind  über  die  Zahl  ihrer  Grundharmonien  eben  so 
uneinig,  wie  z.  B.  die  Botaniker  über  die  ihrer  Klassen,  oder  die  Grammatiker 
über  unsere  Deklinationen.  Man  disputirt,  polemisirt,  und  zankt  sich  auch 
wohl  darüber,  wie  viele  Grundharmonien  es  gebe;  —  ein  Streit,  welcher  mir 
ungefähr  eben  so  bodenlos  vorkommt,  wie  der,  wie  viele  gener a  plantarum  es 
in  der  Natur  gebe,  indess  die  Natur  selbst  zuverlässig  von  all  den,  vom 
Menschenwitz  ersonnenen  generibus  nichts  weiss.  Hier  kann  die  Frage  nicht 
sein,  wie  viel  genera  es  eigentlich  gebe,  sondern  nur:  in  wie  viele  sich  die 
Gattungen  am  füglichsten  ordnen  lassen,  damit  man,  unter  möglichst  wenige 
Hauptklassen,  möglichst  viele  Gattungen  von  möglichst  vielen  gemeinschaftlichen 
Merkmalen  bringe.  Es  sind  ja  alles  nur  verschiedene  Arten,  sich  die  Sache 
vorzustellen.  Ich  wenigstens  will  mit  Niemand  streiten,  der  von  mehreren 
Grundharmonien  ausgeht  als  ich,  oder  von  wenigem  auszugehen  vermag. 
A-priorische  Demonstration  kann  wohl  hier  gar  nicht  eintreten.  Die  Aufgabe 
ist  nur,  eine  Eintheilung  zu  finden,  welche  die  möglichste  Folgerechtheit  der 
aufzustellenden  Lehre  begünstigt.  Man  verlange  daher  keinen  E/echtfertigungs- 
grund  von  vorn  herein,  warum  ich  nun  grade  sieben  Grundharmonien  aufi'ühre, 
und  warum  nicht  auch  einen  sogenannten  übermässigen,  einen  hartverminderten, 
weichverminderten ,  oder  gar  doppeltverminderten  Dreiklang  u.  s.  f.,  —  warum 
hier  nichts  von  all  diesen  schönen  Sachen?  —  Einmal  schon  darum,  weil,  wie 
der  Verfolg  zeigen  wird,  meine  sieben- Grundharmonien  vollkommen  hinreichen, 
um  alle  in  unserer  Musik  vorkommenden  Tonverbindungen  daraus  zu  erklären, 
und  es  wenigstens  besser  ist,  mit  "Wenigem  auszulangen,  als  mit  Vielem.  Fürs 
Andere  weil  die  Zurückführung  aller  möglichen  Harmonien  auf  diese  sieben 
Grundharmonien,  der  Folgerichtigkeit  der  zu  gebenden  Theoreme  am  günstigsten 
ist.«  (»Versuch  einer  geordn.  Theorie«,  I.  S.  205.)  Hieraus  ist  wohl  ersicht- 
lich, dass  es  Weber  nur  auf  eine  Bekanntmachung  mit  den  in  der  Musik  vor- 
kommenden Accorden,  nicht  aber  auf  eine  Erklärung  und  Begründung  derselben 
ankommt.  Es  ist  daher  auch  nur  consequent,  wenn  er  in  den  Fällen,  in  denen 
seine  Grundharmonien  nicht  ausreichen,  beliebig  andere  Eintheilungs-  und  TJnter- 
scheidungsgründe  zuzieht.     Als  Grundharmonien  stellt  er  folgende  Accorde  auf: 

a.  Dreiklänge.  h.  Septimeaaccorde. 


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28  Harmoniesystem. 

Dass  er  aber  mit  diesen  Grundhai*monien  nicht  ausreicht,  sieht  er  selbst 
ein.  »Es  kommen  aber  in  unserer  Musik  auch  häufig  Zusammenklänge  solcher 
Töne  vor,  welche  sich  in  keiner  der  oben  aufgezählten  Grrundharmonien  also 
beisammen  finden,  unter  welchen  sich  mithin  allemal  wenigstens  ein  Ton  be- 
findet, welcher  nicht  zur  Grundharmonie  gehört,  der  Harmonie  fremd,  harmonie- 
fremd ist.«  (Weber,  a.  a.  0.  I.  S.  236.)  Viele  dieser  Fälle  lassen  sich  nun 
nicht,  wie  Weber  selbst  erkennt,  durch  Eintreten  bioser  zufälliger  Dissonanzen 
erklären.  Er  nimmt  daher  des  Weiteren  noch  eine  selbständige  None  an,  durch 
welche  »einer  Harmonie  gleichsam  noch  ein  Bestandtheil  mehr,  ohne  Weiteres, 
beigefügt  werden  kann«  und  »die  nicht  an  die  Bedingungen  von  Durchgangs- 
und Vorhaltsnoten  gebunden,  nicht  einzig  als  Nebenton  eines  zunächst  neben 
ihr  liegenden  harmonischen  Intervalls,  sondern  von  all  diesen  unabhängig  vor- 
kommen kann«  (a.  a.  0.  S.  2.37  und  252).  Ferner  nimmt  er  seine  Zufluclit 
zu  der  hier  wiederholt  verurtheilten  Tlieorie  von  der  »Umgestaltung  einer  Har- 
monie durch  willkürliche  (oder  zufällige)  Erhöhung  oder  Erniedrigung  eines 
Intervalls«.  Dass  Weber  mit  diesen  Mitteln  unter  Zuziehung  von  Durch- 
gängen, Vorhalten  u.  dergl.  so  ziemlich  ausreicht,  ist  klar;  eben  so  klar  aber 
ist  auch,  dass  hierbei  von  einer  systematischen  Behandlungsweise  auch  nicht 
die  Spur  vorhanden  ist. 

Was  nun  der  von  Weber  vertretene  Standpunkt  (s.  S.  27)  im  Allgemeinen 
anlangt,  so  ist  sein  Vergleich  der  Harmonien  mit  Naturgegenständen  —  ein 
Vergleich,  dem  man  übrigens  auch  bei  anderen  Theoretikern  wieder  begegnet 
—  vollkommen  unzutreffend.  Accorde  und  Tonverbindungen  überhaupt  sind 
eben  keine  Naturprodukte,  sondern  entstehen  erst  durch  die  Beziehungen,  in 
welche  der  menschliche  Geist  die  einzelnen  Klänge  zu  einander  versetzt;  es 
muss  dalier  eben  derselbe  Geist  wohl  die  Principien  auffinden  können,  nach 
welchen  er  bei  jenen  Beziehungen  verfährt.  Demnach  ist  eine  »a-priorische  De- 
monstration« hier  keineswegs  ausgeschlossen,  wie  Weber  und  mit  ihm  auch 
S.  W.  Dehn,  E.  Fr.  Richter  und  Andere  positiv  behaupten. 

Ein  Zeitgenosse  G.  Weber's,  A.  Andre,  nimmt  im  Allgemeinen  eine  ähn- 
liche Stellung  ein,  wie  Weber  selbst;  —  auch  er  unterscheidet  lediglich  nach 
Gesichtspunkten,  die  ausserhalb  der  Sache  selbst  liegen,  wird  in  sich  selbst 
aber  über  diese  Thatsache  nicht  ganz  so  klar,  wie  G.  Weber.  Er  meint  (A. 
Andre,  »Lehrbuch  der  Tonsetzkunst«,  Offenbach  1832,  I.  S.  47),  den  Dreiklung, 
Sejjtimen-,  Septnonen-,  Ilndecimen-  und  Terzdecimenaccord  könne  man  in  ihrer 
ursprünglichen  Gestalt  Stammaccorde  nennen.  »Indessen«,  fährt  er  fort,  »scheint 
es,  dass  nur  der  ursprüngliche  harte  Dreiklang  diese  Auszeichnung  mit  Recht 
verdient.«  Weiterhin  nimmt  er  gleichwohl  den  einen  Septimenaccord  (c  —  e  —  g  —  V) 
als  Stammaccord  an  und  giebt  folgende  TJebersicht.  »Sämmtliche  Accorde 
möchten  sich  daher  in  nachstehend  bemerkte  neun  Klassen  eintheilen  lassen. 
1.  Stammaccorde:  a.  der  harte  Dreiklang  als  Hauptstammaccord  aller  übrigen; 
h.  der  erwähnte  Septimenaccord  als  anzunehmender  Stammaccord  der  dissoni- 
renden  Accorde.  2.  Abgeleitete  Accorde:  a.  die  zwei  Verwecliselungen  des 
harten  Dreiklanges;  h.  die  drei  Verwechselungen  des  erwähnten  Septimen- 
accordos.  3.  Nachgebildete  Accorde:  a.  alle  nachgebildeten  Dreiklänge  {c  —  es—g, 
eis — e—g,  c  —  e—gis  u.  s.  f.)  sammt  ihren  Verwechselungen;  h.  alle  nachgebil- 
deten Septimenaccorde  (c  —  es  —  g  —  h,  e  —  e—g  —  h  u.  s.  f.)  sammt  ihrer  Ver- 
wechselung. 4.  ITneigentliche  Stammaccorde:  a.  der  Septnonenaccord  mit  der 
kleinen  Septime  und  grossen  None;  h.  der  Undecimenacoord  mit  der  kleinen 
Septime,  grossen  None  und  reinen  Undecime;  c.  der  Terzdecimenaccord  mit  der 
kleinen  Septime,  grossen  None,  reinen  Undecime  und  grossen  Terzdecime. 
5.  Retardationsaccorde,  welche  durch  die  Zurückhaltung  (Retardation)  stufen- 
weise fortschreitender  Intervalle  gebildet  werden.  6.  Präsonanzaccorde,  worunter 
in  gegenwärtigem  Lehrbuche  diejenigen  Retardationsaccorde  verstanden  werden, 
welche  dissonirender  Natur  sind,  und  ihrer  Fasslichkeit  wegen  frei  (ohne  Bin- 
dung der  retardirten  Intervalle)   eintreten  können.     7.  Durchgehende  Accorde: 


Harmoniesystem.  20 

a.  solche,  bei  welchen  ein  einzelner  durchgehender  Ton  eine  Veränderung  der 
Harmonie  fühlbar  werden  lässt;  h.  solche,  bei  denen  dieses  durch  zwei  und 
mehr  durchgehende  Töne  erzeugt  wird;  c.  solche,  welche  sich  beim  Orgelpunkte 
bilden,  8.  Chromatische  Accorde,  nämlich  solche,  welche  sich  durch  eine  chro- 
matische Veränderung  dieser  oder  jener  Tonstufe  der  unter  No.  1,  2  und  3 
angeführten  Accorde  bilden,  und  endlich  9.  Enharmonische  Accorde,  nämlich 
solche,  welche  eine  enharmonische  (mehrdeutige)  Behandlung  dieses  oder  jenes 
ihrer  Intervalle  gestatten  und  auch  erhalten.« 

Gegenüber  diesem  zusammengesetzten  Apparate,  der  gleichwohl  noch  man- 
ches »Scheint  mir«  und  vielfache  Inconsequenzen  nothwendig  macht,  muss  man 
allerdings  Weber  Recht  geben,  dass  es  »besser  ist  mit  Wenigem  auszulangen, 
als  mit  Vielem«.  Andre  bildet  nun  nach  dieser  IJebersicht  seine  Accorde  aus 
der  Dur-  und  JfbZ^tonleiter.  ^Hierbei  nimmt  er  die  letztere  in  auf-  und  ab- 
steigender Form  der  sogenannten  alten  oder  melodischen  JfbWtonleiter  als 
Grundlage  an,  muss  aber  gleichwohl  auch  noch  die  »zufällige  Erhöhung  und 
Vertiefung«  der  Töne  zu  Hülfe  nehmen,  um  das,  was  in  der  Praxis  vorkommt, 
in  sein  System  zwängen  zu  können.  —  Somit  ist  auch  Andre  der  Versuch 
einer  systematischen  Darstellung  der  Harmonielehre  auch  nicht  im  entferntesten 
gelungen.  —  Einer  der  namhaftesten  späteren  Theoretiker,  S.  W.  Dehn,  geht 
gleich  direct  von  dem  Begriffe  Tonart  aus,  den  er  in  folgender  Weise  definirt. 
»Tonart  ist  der  Inbegriff  von  acht  Tönen,  deren  jeder  einzelne  zu  einem  be- 
stimmten Ton,  Haupt-  oder  Grundton,  in  einem  einmal  als  Norm  angenommenen 
Verhältniss  der  Entfernung  steht.«  »Das  angedeutete  Verhältniss  der  acht 
Töne  zeigt  sich  in  der  heutigen  Tonkunst  in  zwei  verschiedenen  Arten,  deren 
eine  wir  die  Z)Mrtonart,  die  andere  die  JfoZZtonart  nennen.«  (»Theoret. -prak- 
tische Harmonielehre«  S.  54.)  Nach  einer  Erklärung  und  Begründung  für  die 
Entstehung  gerade  dieser  Gebilde  zu  fragen,  hält  er  nicht  für  nothwendig; 
sein  Staudpunkt  ist  also  der  bei  Weber  und  Andre  kritisirte.  Neu  ist  bei 
ihm,  dass  er,  wie  später  auch  sein  Schüler  A.  ßeichel  (»Harmonielehre  mit 
besonderer  Kücksicht  auf  das  Wesen  der  Con-  und  Dissonanzen  der  Tönarten«, 
Dresden  18G2),  den  einzelnen  Stufen  der  Tonartleitern  die  Eigenschaften  des 
Consonirens  (Prime,  Terz,  Quinte,  Sexte  und  Octave)  und  des  Dissonirens 
(Secunde,  Quarte,  Septime  und  allen  chromatischen  Tönen)  zuerkennt  (s.  »Con- 
sonanzen  der  Tonart«).  Dem  entsprechend  sind  bei  ihm  auch  die  Accorde 
f—a  —  c'  und  g^—h  —  d'  resp.  f—as  —  c'  und  (j  —  li  —  d'  in  C-dur  resp.  G-moll 
dissonant  und  bedürfen  einer  bestimmten  Fortschreitung  (Auflösung) ,  —  eine 
Behauptung,  die  Dehn  vergeblich  durch  Berufung  auf  die  Praxis  zu  beweisen 
sucht.  Ein  Fortschritt  würde  mit  Annahme  dieser  Principien  nach  keiner  Seite 
hin  angebahnt  werden;  die  consequente  Dui-chführung  dieses  Gedankens  würde 
im  Gegentheil  die  erlaubten  Fortschreitungen  in  einer  Weise  beschränken, 
welche  weder  die  gute  Praxis  noch  auth  die  Theorie  des  letzten  Jahrhunderts 
als  gerechtfertigt  erscheinen  lässt.  Im  Uebrigen  müssen  Dehn  und  Reichel 
ihren  eigenen  Annahmen  an  vielen  Stellen  untreu  werden;  das  tritt  besonders 
klar  zu  Tage  in  den  Abschnitten  über  die  Cadenzen,  die  Trugfortschreitungen 
u.  dergl. 

Was  nun  die  Construction  des  H.'s  selbst  betrifft,  so  weicht  A.  Reichel, 
dessen  Harmonielehre  in  fasslicherer  und  einfacherer  Weise  eingestandenermassen 
nur  die  Theorie  Dehn's  und  B.  Klein's  geben  will,  von  Dehn  nur  wenig  ab. 
Ich  gebe  daher  die  Uebersicht  über  dieses  System  im  engsten  Anschlüsse  an 
Dehn  wie  folgt.  »Der  Ausdruck  Accord  bezeichnet  in  der  Musik  den  gleich- 
zeitigen Zusammenklang  von  zwei  oder  mehreren  generell  verschiedeneu  Inter- 
vallen, denen  allen  ein  und  derselbe  Ton  als  Basis,  oder  als  tiefster  Ton  zum 
Grunde  liegt«  (Dehn,  a.  a.  0.  S.  79  ff.).  »Alle  in  der  Musik  gebräuchlichen 
Accorde,  die  nach  der  Anzahl  ihrer  verschiedenen  Töne  entweder  Dreiklänge, 
Vierklänge,  Fünf  klänge  oder  Sechsklänge  genannt  werden,  sind  entweder 
1.  leitereigeue ,    oder    2.  leiterfremde    Accorde,     Leitereigene  Accorde   sind  alle 


80  Harmoniesystem. 

diejenigen,  die  aus  Tönen  bestehen,  welche  der  Tonleiter  einer  Tonart  eigen- 
thümlich  sind.  Leiterfremde  Accorde  werden  hingegen  diejenigen  genannt,  die 
aus  Tönen  verschiedener  Tonarten  zusammengesetzt  sind;  sie  entstehen  meistens 
durch  Vorhalte,  oder  Vorausnahmen,  oder  durch  melodisch  durchgehende  Noten, 
also  durch  Willkür  in  der  praktischen  Behandlung  einer  Folge  mehrerer  Accorde. 
Die  leitereigenen  Accorde  sind  entweder  a.  Ötammaccorde  (auch  Grrundaccorde 
genannt),  oder  h.  solche,  die  durch  Umkehrung  der  Stammaccorde  entstehen 
und  Umkehrungen  genannt  werden,  oder  endlich  c.  Accorde,  die  durch  Vor- 
ausnahmen, Vorhalte  oder  melodisch  durgehende  Noten  entstehen,  Stamm- 
accorde sind  diejenigen,  deren  Töne,  wenn  sie  nach  der  Tonfolge  der  Tonleiter 
geordnet  werden,  terzenweise  über  einander  liegen.«  »Weil  die  terzenweise 
Zusammenfügung  der  Töne  zu  einem  Accord,  und  die  Umkehrung  der  Inter- 
valle (wenn  auch  letztere  nicht  in  ihrem  ganzen  Umfange)  in  der  Natur  der 
Töne  begründet  liegen,  so  können  die  Stammaccorde  und  deren  Umkehrungen 
natürliche  oder  regelmässige,  hingegen  alle  solche  Accorde,  die  durch  willkür- 
liche Vorausnahmen  u.  dergl.  entstehen,  künstliche  oder  willkürliche  Accorde 
genannt  werden.  Die  Stammaccorde  und  ihre  Umkehrungen  sind  in  Bezug 
auf  die  Tonart,  zu  welcher  sie  gehören:  a.  vollkommene  oder  unvollkommene 
Accorde;  h.  Haupt-  oder  Nebenaccorde.  Vollkommene  Accorde  sind  diejenigen 
Dreiklänge,  welche  nur  aus  Consonanzen  der  Tonart  bestehen.  Unvollkommene 
Accorde  hingegen  alle  übrigen  Dreiklänge  und  andere  Accorde,  welche  ent- 
weder nur  aus  Dissonanzen  der  Tonart  oder  aus  Consonanzen  und  Dissonanzen 
dex'selben  zusammengesetzt  sind,  oder  denen  doch  ein  nur  aus  Dissonanzen  der 
Tonart  bestehender  Dreiklang  zum  Grunde  liegt.  Die  vollkommenen  und  die 
unvollkommenen  Accorde  sind  entweder  a.  Hauptaccorde  oder  h.  Nebenaccorde. 
Hauptaccorde  sind  solche,  denen  entweder  der  vollkommene  Dreiklang  auf  dem 
Grundton  der  Tonart,  oder  der  unvollkommene  Dreiklang  auf  dem  Leitton  der- 
selben zum  Grunde  liegt.  Alle  übrigen  tonischen  Stammaccorde  und  ihre 
Umkehrungen  sind  Nebenaccorde.  Ausser  den  bezeichneten  Stammaccorden  und 
ihren  Umkehrungen  sind  zu  den  Hauptaccorden  einer  Tonart  noch  diejenigen 
Fünf-  und  Sechsklänge  zu  rechnen,  welchen,  wenn  sie  gleich  keine  Stammaccorde 
sind,  der  unvollkommene  Dreiklang  auf  dem  Leitton  der  Tonart  zum  Grunde 
liegt  {g  —  h  —  d'—f — a,  g  —  li  —  d—f—as,  c—g  —  h  —  d—f  u.  s.  f,).  Alle  unvoll- 
kommenen Hauptaccorde  sind  in  der  Praxis  einer  bestimmten  Behandlung 
unterworfen,  in  Folge  welcher  sie  nothwendig  einen  anderen  Accord  nach  sich 
ziehen.  Diese  bedingte  Folge  eines  anderen  Accordes  wird  Auflösung  ge- 
nannt, wenn  der  dem  unvollkommenen  Accorde  unmittelbar  folgende  ein  voll- 
kommener Accord  ist,  der  mit  jenem  zu  einer  und  derselben  Tonart  gehört. 
Alle  unvollkommenen  Nebenaccorde  werden  wie  unvollkommene  Hauptaccorde 
behandelt.« 

»Zur  systematischen  Construction  sämmtlicher  Hauptaccorde  einer  Tonart 
bedarf  es  solcher  einfachen  Accorde,  die,  selbst  Hauptaccorde,  allen  übrigen 
complicirteren  zum  Grunde  liegen  und  deshalb  als  Elemente  derselben  betrachtet 
werden  können.  Der  nach  Anzahl  seiner  Töne  einfachste  Accord  ist  ein  Drei- 
klang, der  aus  zwei  generell  verschiedenen  Intervallen  eines  beiden  gemein- 
schaftlichen Basstones  besteht.  Derjenige  Dreiklaug,  welcher  in  den  natürlichen 
Eigenschaften  eines  Tones  begründet  ist,  besteht,  wenn  man  die  verschiedenen 
Töne  nach  dem  musikalischen  Alphabet  ordnet,  aus  einem  Basston,  dessen  Terz 
und  Quinte.  Es  stellen  sich  nämlich,  abgesehen  von  noch  anderen  mitklingenden 
Tönen,  die  zunächst  erklingenden  Töne  einer  in  hörbare  Schwingungen  ge- 
brachten Saite,  wenn  man  diese  z.  B.  in  C  stimmt,  in  folgenden  Verhältnissen  dar: 

Q—c—g  —  c'-e\ 
Wenn  man  von  diesem  Zusammenklange  die  verschiedenen  Verdoppelungen  des 
tiefsten  Tones  weglässt  und  die  übrig  bleibenden  Töne  nach  der  Folge  ordnet, 
wie  sie  in  der  diatonischen  Folge  der  Töne  der  Tonart  G-dicr  vorkommen,   so 
erhält  man  folgenden  Dreiklang«: 


Harmoniesystem.  31 


»Diese  terzenweise  Verbindung  mehrerer  Töne  zu  einem  Accord  ist  ein 
aus  der  physikalischen  Klanglehre  entlehnter  Grundsatz,  der  hinreicht,  alle 
übrigen  Hauptstammaccorde  systematisch  zu  entwickeln.«  In  dieser  Art  logischer 
Schlüsse  (man  erinnere  sich  an  die  Weber 'sehen  Auslassungen  auf  S.  26)  ent- 
wickelt nun  Dehn  aus  dem  gefundenen  Princip  der  terzenweisen  Anordnung 
heraus  die  einzelnen  Dreiklänge  für  Dur  und  Moll.  Dieselben  unterscheiden 
sich  danach,  ob  ihre  Bestandtheile  Consonanzen  oder  Dissonanzen  der  Tonart 
sind.  Der  Accord  der  1.  und  6.  Stufe  besteht  in  Dior  und  Moll  aus  lauter 
Consonanzen  (c  —  e — g  und  a  —  c'  —  e  resp.  c  —  es—g  und  as  —  c'  —  es'),  der  Accord 
der  7.  Stufe  dagegen  aus  lauter  Dissonanzen  der  Tonart  (Ji  —  d'—f);  in  den 
übrigen  Dreiklängen  sind  Consonanzen  und  Dissonanzen  gemischt.  »Nachdem 
bisher  die  Verschiedenheit  der  Dreiklänge  gezeigt  worden  ist«,  fährt  Dehn 
(S.  93)  fort,  »kommt  es  nun  noch  darauf  an,  zu  bestimmen,  welche  Dreiklänge 
und  nach  welchem  Grundsatze  diese  als  Elemente  der  übrigen  zur  Tonart  ge- 
hörenden Hauptaccorde  angenommen  wei"den  können.«  Diese  Bestimmung  trifft 
Dehn  nun  nach  folgender  Schlussfolgerung:  »Mit  dem  Ausdrucke  Element  wird 
derjenige  Dreiklang  bezeichnet,  der  nur  aus  gleichartigen  Stoffen  der  Tonart, 
d.  h.  entweder  nur  aus  Consonanzen,  oder  nur  aus  Dissonanzen  derselben  be- 
steht, und  zugleich  die  Tonart,  zu  welcher  er  gehört,  entweder  unmittelbar 
oder  mittelbar  zu  erkennen  giebt,  also  Hauptaccord  derselben  ist.«  Nachdem 
er  nun  gefunden,  dass  die  Dreiklänge  der  1.  und  6.  Stufe  nur  aus  Conso- 
nanzen zusammengesetzt  sind,  der  Dreiklang  der  7.  Stufe  dagegen  nur  aus 
Dissonanzen  der  Tonart  besteht,  der  Dreiklang  der  6.  Stufe  aber  die  betref- 
tende  Tonart  »weder  unmittelbar  noch  mittelbar  zu  erkennen  giebt«,  gelangt  er 
ohne  Weiteres  zu  folgendem  Grundsatze:  »Es  sind  also  nur  2  leitereigene  Drei- 
klänge der  Tonart  als  Elemente  aller  übrigen  Hauptaccorde  derselben  anzu- 
nehmen: I.  der  Dreiklang  auf  dem  Grundton  der  Tonart;  II.  der  Dreiklang 
auf  dem  Leitton  der  Tonart.«  Er  braucht  nun  blos  oben  oder  unten  in  »terzen- 
weiser Anordnung«  neue  Töne  »anzufügen«,  um  ziemlich  alle  in  einer  Tonart 
gebräuchlichen  Dissonanzen  zu  construiren.  Dadurch,  dass  in  den  Accorden 
g-h-d' -f  -  a',  1i  —  ä'  —f  -a',g-h-d' -f  - as' ,  h-d' -f  - as'  und  d—f-  as' 
der  Ton  a  resp.  as  nach  Dehn's  und  ßeichel's  Annahme  ein  consonirender  Ton 
ist,  werden  die  gezogenen  Kreise,  wie  es  scheint,  auch  nicht  im  gei'ingsten  ge- 
stört; auch  nicht  durch  gewisse  andere  Abweichungen.  Solche  Dinge  sind 
eben  als  »Ausnahmen  von  der  Regel  zu  betrachten«.  Gleichwohl  muss  Dehn 
auch  noch  von  dem  beliebten  Mittel  Gebrauch  machen,  gewisse  Töne  einer  Har- 
monie »zufällig  chromatisch  zu  verändern«;  so  bei  Construction  des  übermässigen 
Sextaccordes  (S,  110)  und  an  andern  "Stellen.  Bei  Dehn  und  Reichel  finden 
wir  also  die  Schwächen  der  Auffassung,  die  Gottfr.  Weber  so  energisch  kenn- 
zeichnet, in  der  naivsten  Verbindung  mit  den  an  Weber's  eigener  Anschauung 
nachgewiesenen  Irrthümern. 

Nicht  viel  besser  steht  es  um  die  Systeme  von  Marx,  G.  Schilling  und 
Logier,  obwohl  sich  die  beiden  ersten  Forscher  auf  die  Wissenschaftlichkeit 
und  Gründlichkeit  derselben  gegenüber  anderen  Versuchen  nicht  wenig  zu 
Gute  thun.  Dr.  G.  Schilling  (»Polyphonomos,  oder  die  Kunst,  in  36  Lectionen 
sich  eine  vollständige  Kenntniss  der  musikalischen  Harmonie  zu  erwerben«, 
Stuttgart  1842)  sagt  in  der  Vorrede  über  sein  System,  es  sei  entstanden  aus 
dem  Bestreben,  »ein  Mittel  aufzufinden,  durch  welches  das  ganze  grosse  weite 
Lehrgebäude  der  musikalischen  Harmonie  auf  die  einfachsten,  weil  natürlichsten 
Principien  zurückgeführt  werden  könnte«.  Er  giebt  zu,  dass  Logier  ihm  den 
ersten  Weg  gezeigt  habe,  und  dass  der  aufmerksame  Beobachter  auch  viel 
Aehnlichkeit  zwischen  seiner  und  Logier's  Darstellungswe'ise  finden  werde. 
»Wir  haben,«  fährt  er  fort,  »ein  und  denselben  Standpunkt,    von  welchem  wir 


32  Harmoniesyatem. 

ausgehen,  der  indessen  auch  vor  uns  schon  von  andern  Lehrern  der  musika- 
lischen Harmonie  betreten  und  angenommen  wurde:  allein  während  Logier, 
abgesehen  von  seiner  offenbaren  mancherlei  Ideen-Confusion,  mit  allen  unseren 
Vorgängern  die  verschiedenen  Lehrsätze  der  Harmonie  in  dieses  eine  Grund- 
princip,  welches  ist  das  des  Mitklangs  mehrerer  Töne  in  einem,  hineinzutragen 
sich  bemüht,  folgere  ich  dieselben  aus  demselben  heraus,  und  entwickele  so  von 
der  Wurzel  an  gleichsam,  zu  welcher  die  Natur  selbst  den  Samen  legte,  auch 
nur  an  der  Hand  der  Natur  wieder  langsam  den  Baum  von  Stamm  zu  Zweig 
und  von  Zweig  zu  Ast  bis  endlich  zur  Krone.«  »Insofern  meine  Anschauung 
von  dem  Wendepunkte  der  Natur  und  Kunst  selbst  aus  gleichsam  geschieht, 
scheint  sie  mir  auch  die  einzig  richtige  und  jedenfalls  untrügliche  und  klarere 
zu  sein ,  weil  in  der  Natur  selbst  Alles  wahr  und  klar  ist  und  sein  muss.« 
»So  gründet  sich  der  AVerth  und  Vorzug,  den  ich  diesem  meinem  Lehrbuche 
der  musikalischen  Harmonie  vor  jedem  andern  Werke  seiner  Art  glaube  bei- 
legen zu  dürfen,  neben  der  möglichsten  Klarheit  und  Popularität  der  Dar- 
stellung vorzüglich  noch  auf  die  äusserste  Einfachheit  in  der,  auf  ein  rein 
akustisches,  also  Naturgesetz  sich  basirenden  systematischen  Zusammenstellung 
der  Sachen,  ohne  der  möglichst  weiten  Ausdehnung  und  grössten  Vollständig- 
keit der  Lehre  an  und  für  sich  auch  nur  das  Mindeste  dabei  zu  vergeben.« 
Sehen  wir  uns  nun,  die  Popularität  der  Darstellung  und  manchen  andern 
Vorzug  nicht  bestreitend,  jene  »Entwickelung  aus  der  Wurzel,  zu  welcher  die 
Natur  selbst  den  Samen  legte«,  an,  so  können  wir  dem  Selbstlobe  des  Ver- 
fassers durchaus  nicht  zustimmen;  im  Gregentheil  werden  wir  unwillküi'lich  an 
die  allerstärksten  Ausdrücke  und  Verurtheilungen  Gr.  Weber's  erinnert  werden. 
Schilling  macht  seinen  Schülern  Mittheilung  über  die  Erscheinung  der  Aliquot- 
oder Partialtöne,  »jene  allerdings  an  sich  unerklärbare,  wundersame,  aber  nichts 
destoweniger  richtige  und  ebenfalls  ganz  einfache  Naturerscheinung«,  aus  wel- 
cher sich  einfach  und  leicht  »die  ganze  lange  Reihe,  das  unermesslich  grosse 
und  vielverzweigte  Grebäude  der  harmonischen  Toncombination,  wie  aus  einem 
unerschöpflichen  Quell,  einer  geheimnissvollen  Zauberurne  gleichsam,  nach  und 
nach  entwickelt«. 

»Seine  Schüler  müssten«,  meint  er,  »bei  Betrachtung  dieser  Erscheinung 
ein  wenn  auch  nur  noch  dunkles  Gefühl  erhalten  von  der  ausserordentlichen 
Einfachheit  des  Principien,  auf  welchen  unsere  ganze  weitschichtige  Lehre  von 
den  Accorden  etc.  beruht,  und  wie  in  der  That  durch  die  Natur  selbst  gleichsam 
geboten  ist,  was  die  stolze  Sophisterei  bis  jetzt  für  ein  Wunderwerk  mühseliger 
Speculation  angesehen  wissen  wollte  und  selbst  auch  ansah.«  »Das  Erste,  was 
Ihnen  dabei  auffallen  muss,  ist  das  octaven-  und  quinten weise  Verhältniss  der 
zunächst  in  dem  Gruudton  enthaltenen  Töne.  Nun  ist  die  Octave  aber  nichts 
anderes  als  die  Wiederholung  der  Prime  in  erhöhter  Potenz;  die  Quinte  also 
der  nächst  vorherrschende  Ton  in  der  harmonischen  Ton«  oder  Klangreihe  eines 
angenommenen  Grundtones,  und  somit  naturrechtlich  die  Dominante.  Der 
zweite  Ton,  welcher  ausser  der  Octave  und  der  mit  dieser  am  meisten  conso- 
nirenden,  weil  ihr  zunächst  liegenden,  Quinte  zum  Vorschein  kommt,  ist  die 
Terz:  bedürfen  Sie  eines  noch  weiteren  Grundes,  warum  der  sogenannte  Drei- 
klang aus  Tei'z,  Quinte  und  Octave  bestehen  muss,  und  dieser  Accord  die  be- 
friedigendste, die  consoiiireudste  Harmonie  bildet?«  Es  ist  wohl  überflüssig, 
noch  die  Ableitung  des  Hauptseptimenaccordes  aus  dem  Blitklange  der  natür- 
lichen Septime,  die  Ableitung  der  stufenweisen  Fortschreituiig  aus  dem  Mit- 
klange des  9.  Partialtones  u.  dergl.  mitzutheilen,  um  die  Grundlage  des  Schil- 
ling'schen  Systems  zu  prüfen.  —  AVas  nun  die  Zuläuglichkeit  des  Systems 
betrifft,  so  muss  auch  Schilling  wieder  seine  Zuflucht  nehmen  zu  der  Theorie 
von  der  »zufälligen  Erhöhung  und  Erniedrigung«  (a.  a.  0.  S.  388  und  ander- 
wärts) einzelner  Töne  eines  Accoixles.     Wo  bleibt  da  die  gerühmte  Einheit? 

Aehnlich  ist  es  mit  dem  Marx'scheu  H.  Auch  er  glaubt  in  dem  Phänomen 
der   Partialtöne    den    Schlüssel    zu  Allem    gefunden    zu    haben.     »Es    ist    nicht 


1 


Harmoniesystem.  33 

Willkür  oder  eine  zufällige  und  unaufgeklärte  Wahrnehmung  unseres  Sinnes,« 
—  lehrt  er  in  seiner  »Allgem.  Musiklehre«  S.  215,  —  »dass  wir  unsere  Har- 
monie eben  auf  den  Terzenbau  gründen,  sondern  es  ist  wissenschaftlich  erwiesen, 
welche  Töne  in  den  nächsten  Verhältnissen  zu  einander  stehen.«  »Las st  man 
nun  (bei  C,  c,  g,  c%  e',  g',  V)  die  drei  überzähligen  Vortöne  weg  und  fasst  diese 
Toureiheu  da  zusammen,  wo  sie  am  engsten  aneinander  liegen,  so  erhält  man 
einen  Terzenbau,  und  zwar  die  beiden  Hauptaccorde  c  —  e—g  und  c  —  e—g  —  h, 
aus  denen  und  nach  denen  alle  übrigen  Accorde  gebildet  werden.  Die  Ent- 
wickelung  aus  jenem  einen,  oder  (wenn  man  will)  aus  diesen  zwei  Stamm- 
accorden  ist  in  folgerechter  Vernünftigkeit  in  der  Kunst  selber  vorhanden.« 
Diese  wissenschaftliche  Begründung  entspricht,  wie  jeder  erkennt,  ganz  der 
Art,  wie  sie  Weber  schildert  und  vei'urtheilt ;  auffallender  indessen  sind  noch 
viele  andere  Stellen,  »Die  natürlichste  Grundlage  für  Tonfolgen«,  führt  Marx 
(»Lehrb.  der  mus.  Comp.«  S.  22)  aus,  »ist  die  Reihe  der  sieben  Tonstufen, 
da  sie  ja  die  Grundlage  unseres  ganzen  Tonsystems  sind.«  Zur  Begründung 
dieses  »Grundsatzes«  verweist  er  auf  die  »Allgem.  Musiki.«  S.  12;  dort  findet 
sich  nun  folgendes  Einschlagende:  »Das  Tonsystem  enthält  also  alle  in  der 
Musik  zur  Anwendung  kommenden  Töne.  Dieser  Töne  sind  über  Hundert. 
Es  würde  beschwerlich  sein,  wollte  man  für  jeden  einen  besonderen  Namen 
festsetzen.  Man  hat  also  Anlass  genommen,  alle  Töne  unter  sieben  Inbegriffe 
zu  bringen,  die  Tonstufen  heissen.«  »Diese  Töne  heissen  bekanntlich  (fährt 
die  Compositionslehre  fort):  C  D  E  F  G  A  S  und  bilden  die  normale  Dur- 
tonleiter,  oder  die  Tonleiter  von  C-dur.  So  ist  also  die  Z>Mrtonleiter  erste 
Grundlage  für  die  zu  bildenden  Tonfolgen.«  Die  Gründe  scheinen  Marx  hier 
einmal  doch  nicht  ganz  stichhaltig  gewesen  zu  sein,  denn  er  tröstet  uns:  »Die 
triftigem  Gründe  dieser  Wahl  werden  sich  späterhin  (bei  der  Erörterung  der 
JfoZZtonleiter  und  anderwärts)  von  selbst  ergeben.«  Sieht  man  nun  zunächst 
an  der  ersten  Stelle  nach,  so  findet  man  folgende  Auslassungen:  »Die  Durion- 
leiter  haben  wir  harmonisch  gerechtfertigt.  Ihr  tonischer  Dreiklang  war  ein 
grosser  Dreiklang,  auch  Z^wrdreiklang  genannt.  Auch  auf  ihrer  Ober-  und 
Unter  dominante  hatten  wir  grosse  Dreiklänge  gefunden,  und  in  den  Tönen 
dieser  drei  Dreiklänge  {G—e—g,  g  —  h  —  d'  und  f—a  —  c')  war  die  vollständige 
Z^wrtonleiter  enthalten.  Uebrigens  haben  wir  schon  unter  den  Harmonien  der 
Dwrtonleiter  kleine  Dreiklänge  gefunden.  AVir  sollten  daher  annehmen:  wie 
die  DjM'tonleiter  auf  der  Tonika,  Ober-  und  TJnterdominante  Z>«wdreiklänge 
hat,  so  müsse  die  J/öZZtonleiter  auf  denselben  Punkten  JfoZZdreiklänge  (kleine 
Dreiklänge)  haben.  Allein  dann  würde  die  JifoZ/tonart  desjenigen  Accordes 
verlustig  gehen,  den  wir  zu  Ganzschlüssen  und  sonst  vielfältig  für  so  gut  als 
unentbehrlich  halten  müssen.«  »Folglich«  u.  s.  w.  Eben  so  unumstösslich  ist 
der  Beweis,  dass  in:  »Huhe  —  Bewegung  —  Huhe«  sich  »das  Grundgesetz 
aller  musikalischen   Gestaltung  ausspricht«   (S.  23). 

Um  ferner  einen  zur  Tonart  gehörigen  Dorainantseptimenaccord  zu  erhalten, 
lässt  Marx  den  siebenten  Partialton  des  C-Klanges  (&)  ganz  unberücksichtigt  und 
bildet  einfach  aus  dem  C,  9.  und  11.  Partialton  {g'  —  d'^—f^)  eine  zweite  »har- 
monische Masse«,  obgleich  er  weiss,  dass  f'  gar  nicht  f'  ist,  sondern  ein  Ton 
zwischen  f^  und  fis^  (a.  a.  0.  S.  57).  Denselben  Fehler  macht  er  bei  dem 
Nachweise  der  Auflösung  des  Dominantaccordes  (S.  89),  in  welcher  Auflösung 
er  »das  Grundgesetz  für  die  ganze  Harmonik«  erkennt,  »zu  dem  alle  ferneren 
Gesetze  nur  Folgerungen  und  Zusätze  sind«.  Weiter  entwickelt  dann  Marx 
(S.  96)  den  ilToZMreiklang  in  folgender  Weise:  »Vergleichen  wir  die  neuen 
(ilfoZMreiklänge)  mit  den  alten  (jDi«rdreiklängen):  so  finden  wir  zwar,  dass  sie 
ebenfalls  Dreiklänge,  —  aber,  dass  sie  in  ihrem  Inhalt,  in  ihren  Intervallen 
jenen  keineswegs  ganz  gleich  sind.«  »Allein  auch  die  kleine  Terz  ist  in  der 
S.  57  gerechtfertigten  ersten  harmonischen  Masse  enthalten,  und  so  recht- 
fertigen sich  auch  die  neuen  (Moll-)  Accorde.«  Andere  (leitereigene  wie  leiter- 
fremde) Accorde  entwickelt  Marx  nun  aus  den  gefundenen,  indem  er  bald  Töne 

Musikal.  Convers.-Lexikou.    V.  3 


34  Harmonicsystem. 

zusetzt  (Nonenaccorde  u.  dergl.),  bald  Töne  weglässt  (verminderter  Dreiklang), 
bald  das  geistreiche  und  allerneueste  Mittel  der  »zufälligen  Erhöhung  und 
Vertiefung«  anwendet.  Neben  dieser  »Wissenschaftlichkeit«  nehmen  sich  nun 
folgende  Auslassungen  allerdings  sonderbar  aus:  »Gottfr.  Weber  unter  andern 
stellt  eine  Reihe  Accorde  mechanisch  aneinander,  wie  sie  sich  zufällig  in  der 
Tonleiter  neben  einander  finden,  und  muss  sich,  nun  er  die  natürliche  und 
wissenschaftliche  Grundlage  verloren,  freilich  in  hundert  einander  zweifelhaft 
machende  abweichende  Bedenken  und  Betraclitungen  verlieren,  während  — 
wenn  man  an  dem  wesentlichen  Hergang  der  Sache  festhält  —  ein  einziger 
Grundsatz  für  die  ganze  Harmonik  genügt«  (Allgem.  Musiklelire  S.  216).  — 
Jedenfalls  muss  das  uniDartheiische  Urtheil  hier  sehr  zu  Gunsten  G.  Weber's 
ausfallen.  — 

J.  G.  Lobe,  dessen  »Lehrbuch  der  musikalischen  Composition«  (Leipzig, 
1866)  neben  dem  von  A.  B.  Marx  augenblicklich  wolil  am  verbreitetsten  ist, 
hat  gar  nicht  die  Absicht,  ein  eigenes  H.  aufzustellen.  »Hinsichtlich  des  hier 
zu  Grunde  gelegten  H.'s  ist  manches  aus  früheren  Lehrbüchern  beibehalten 
worden,  was  Neuere  besser  erkläi't  zu  haben  glauben.  Manches  dagegen  auch 
abweichend  von  den  bisherigen  Annahmen  behandelt  worden.  Ich  lege,  im 
Ganzen  genommen,  auf  die  eine  oder  andere  Erklärungsweise  wenig  Gewicht. 
Nach  allen  sind  grosse  Meister  gezogen  worden.  Auch  hat  man  bis  jetzt  noch 
nicht  vermocht,  ein  vollkommen  consequentes  System  aufzustellen;  welches  man 
wählen  möge,  Inconsequenzen  hat  jedes«  (a.  a.  0.,  I.,  S.  XIII  der  Einleit.). 
—  Auch  Fl.  Geyer  (»Musik.  Compositionslehre«,  I.,  2.  Auil.  1874)  hat  kein 
eigenes  H. ;  er  schliesst  sich,  was  er  freilich  nirgends  direkt  zugesteht,  eng  an 
A.  B.  Marx  mit  seinen  beiden  »harmonischen  Massen«  au.  —  0.  F.  Weitzmann 
dagegen  macht  bestimmten  Anspruch  darauf,  ein  neues  H.  aufgestellt  zu  haben 
(»Harmoniesystem«,  Leipzig  1860,  Kahnt).  Nach  meiner  Ueberzeugung  hält 
das  genannte  Wei'kchen  gar  nicht,  was  es  in  seinem  Titel  verspricht.  Nach- 
dem auf  zwei  Seiten  die  Entstehung  und  Berechtigung  unserer  gleichschwe- 
benden Temperatur  besprochen  ist,  fährt  der  Verfasser  fort:  »Consonanzen 
nennen  wir  diejenigen  Zusammenklänge,  welche,  wenn  sie  ohne  Verbindung 
mit  anderen  Harmonien  erscheinen,  dem  Gehör  das  Gefühl  der  Selbstständigkeit 
und  der  Ruhe  gewähren,  im  Gegensatze  zu  den  unselbstständigen  Dissonanzen, 
welchen  das  Streben  innewohnt,  in  eine  Consonanz  überzugehen  oder  sich  in 
eine  solche  aufzulösen.  Folgt  aber  statt  der  erwarteten  Auflösung  der  Disso- 
nanz eine  neue  Dissonanz,  so  entsteht  eine  Trugfortschreitung.«  »Der  grosse 
(Dur-)  Dreiklang,  und  ebenso  der  kleine  (Moll-)  Dreiklang,  enthält  bei  Ver- 
doppelung seiner  Töne  in  höheren  Octavcn  alle  Consonanzen,  und  mit  den 
letztgenannten  Accorden,  welche  auch  in  der  Terzsext-  und  Quartsextlagc 
ihre  consonirende  Natur  noch  bewahren,  ist  das  Feld  der  Consonanzen  für 
immer  abgegrenzt  und  abgeschlossen.  Alle  übrigen  Zusammenklänge  aber  hat 
das  Ohr  von  jeher  als  Dissonanzen  aufgefasst,  und  deren  Anzahl  hat  sich  bis 
auf  die  heutige  Zeit  immer  mehr  und  mehr  vergrössert.  Unsere  weitere  Auf- 
gabe wird  es  also  vorzüglich  sein,  die  Berechtigung  der  bisher  noch  nicht  er- 
klärten Dissonanzen  darzuthun  und  deren  natürliche  Grenzen  festzustellen.« 

Besser  entspi'icht  daher  dem  Inhalte  des  Werkcliens  sein  zweiter  Titel: 
»Erklärende  Erläuterung  und  musikalisch  theoretische  Begründung  der  durch 
die  neuesten  Kunstschöpfungen  bewirkten  Umgestaltung  und  Weiterbildung 
der  Harmonik«,  obgleich  auch  hierin  die  »theoretische  Begründung«  vieles  zu 
wünschen  übrig  lässt.  Dass  AVeitzmann  ein  eigentliches  System  gar  nicht  her- 
stellen wollte,  bestätigt  er  des  Weiteren  durch  folgende  Auslassungen:  »Die 
bisher  betrachteten  consonirenden  Accorde  und  deren  natürlichste  Fortschrei- 
tungen gehören  der  classischen  sowohl  wie  der  romantischen  Tonkunst,  der 
Vocal-  und  der  Instrumentalmusik  an;  unserer  Aufgabe  gemäss  hatten  wir 
deshalb  nicht  nöthig,  eine  ausführliche  Begründung  der  dahin  gehörenden  Ge- 
setze   zu    geben«    (S.   15).     Was    nun    die  Beantwortung    der    weiteren  Fragen 


Harmoniesystem.  35 

selbst  betrifift,  so  weicht  "Weitzmann  von  dem  "VVege,  den  die  bis  jetzt  namhaft 
gemachten  Systematiker  eingeschlagen  haben,  nicht  wesentlich  ab.  Neu  und 
anerkennenswerth  ist  es,  wenn  Weitzmann  die  Verwandtschaftsgrade  der  Ton- 
arten nicht  allein  abhängig  gemacht  sehen  will  von  der  Anzahl  der  Töne,  in 
welchen  sich  die  Tonartleitern  von  einander  unterscheiden.  »Nicht  die  äussere 
Aehnlichkeit  der  Stammtöne,  sondern  die  Verbindungen  des  Hauptaccordes 
werden  uns  also  sichere  Anhaltpunkte  gewähren,  gleichzeitig  auch  die  näheren 
und  entfernteren  Verwandten  der  Tonart  zu  erforschen«  (S.  16).  Nicht  neu 
aber  ist  die  Art  und  Weise,  wie  er  die  Verwandtschaft  zwischen  Accorden 
nachweist  als  abhängig  von  der  Anzahl  der  gemeinschaftlichen  Töne.  Darnach 
würden  der  0-dur-  und  der  i)-moWdreiklang  in  ö-dur  eine  Verwandtschaft  gar 
nicht  haben;  sie  wären,  wie  Weitzmann  sich  ausdrückt,  unverbunden.  Um  in- 
dessen eine  Verwandtschaft  zwischen  solchen  Accorden  nachweisen  zu  können, 
muss  die  noch  weniger  neue  und  dabei  unhaltbare  Behauptung  herhalten: 
Accorde  sind  verwandt,  wenn  sie  in  verwandten  Tonarten  vorkommen.  Auf 
diese  Weise  gelangt  Weitzmann  dann  allerdings  zu  folgender  Schlussfolgerung: 
»Die  neuere  Harmonielehre  kann  demnach  mit  ßecht  den  Satz  aufstellen :  Einem 
consonirenden  Accorde  kann  jeder  andere  consonirende  Accord  folgen«  (S.  19), 
Noch  auffallender  ist  die  Schlussfolgerung  bei  der  Behandlung  der  Dissonanzen. 
»Das  Vorrecht,  frei  und  ungebunden  aufzutreten«,  sagt  Weitzmann  S.  35, 
»räumte  man  bisher  nur  denjenigen  Septimenaccorden  ein,  in  denen  ein  oder 
zwei  verminderte  Dreiklänge  enthalten  waren,  wie  in  g  —  h—d—f,  li  —  d—f—a 
oder  li  —  d—f—as.v.  «Die  neuere  Tonkunst  aber«,  fährt  er  fort,  »lässt  auch  die 
schärfste  Dissonanz  frei  auftreten,  wenn  es  durch  den  Charakter  des  Tonstückes 
bedingt  wird,  und  wenn  dieselbe  eine  regelmässige  Auflösung  oder  Trugfort- 
sclireituug  nimmt.«  Und  diese  Behauptung  glaubt  er  durch  folgende  Sätze 
begründen  zu  können:  »Denn  eine  B.ede  darf  mit  einer  Frage  beginnen,  wenn 
nur  die  Antwort  darauf  erfolgt,  und  die  Mathematik  darf  den  combinirtesten 
Lehrsatz  aufstellen,  wenn  sie  nur  den  Beweis  zu  liefern  im  Stande  ist.  Sollte 
also  ein  Tonstück  nicht  mit  einem  Septimenaccorde,  in  welchem  die  herbsten 
Dissonanzen,  eine  übermässige  Quinte  und  eine  grosse  Septime,  zugleich  ent- 
halten sind,  beginnen  können  ?«  »Ja,  sollte  die  Dissonanz  nicht  zuweilen,  gleich 
den  so  eben  aufgestellten  Fragen,  die  Antwort  schuldig  bleiben  können,  wenn 
dieselbe  nur  in  dem  Folgenden  verdeckt  enthalten  ist?«  Die  Schlussfolgerungen 
sind,  wie  man  sieht,  in  Weitzmann's  H.  sehr  wenig  wissenschaftlich  und  conse- 
quent.  Ein  Verdienst  ist  dem  Werkchen  jedoch  nicht  abzusprechen;  es  hat 
zuerst  den  Nachweis  geführt,  dass  die  alte  Lehre  der  neueren  Musik  gegenüber 
unhaltbar  geworden  war^  —  und  um  dieses  Verdienstes  willen  hat  es  auch  mit 
Recht  seiner  Zeit  Anerkennung  gefunden  bei  allen  denen,  welche  der  neueren 
Musik  ihre  Existenzberechtigung  zugestehen.*) 

Auf  anderem  Standpunkte  gegenüber  der  neueren  Entwickelung  der  Ton- 
kunst steht  A.  Reissmann  (»Lehrbuch  der  musikalischen  Composition«,  Berlin 
1866,  J.  Guttentag).     Er  muss  allerdings    folgendes    zugestehen:    »Neben  einer 


*)  Dass  ich  mit  meinem  Urtheile  über  Weitzmann's  Harmoniesystem  gerade  bei 
denjenigen  am  wenigsten  Anklang  finden  werde,  welche  mir  in  Beziehung  auf  die  Unzu- 
länglichkeit aller  anderen  Harmoniesysteme  wohl  am  meisten  zustimmen,  ist  mir  nicht 
unbekannt.  Gleichwohl  habe  ich  es  nicht  unterlassen  wollen,  gerade  das  Weitzmann'sche 
System  ausführlich  zu  prüfen.  Es  haben  sich  selbst  namhafte  Vertreter  der  ofriciellen 
musikalischen  Kritik  nicht  gescheut,  ihnen  zusagende  Erscheinungen  über  Gebühr  zu 
loben  und  die  Schäden  derselben  zu  verdecken,  dagegen  alles  das,  was  mit  ihren  vor- 
gefassten  Meinungen  diftcrirt,  herunterzuziehen  oder  todtzuschweigen.  Habe  ich  doch 
aus  eigener  Erfahrung  Versuche  der  letzteren  Art  in  Beziehung  auf  einzelne  officielle  Ver- 
treter der  Kritik  an  Tageszeitungen  und  an  anderen  Blättern  2u  constatiren  gehabt.  Kein 
Wunder  also,  wenn  das  Publikum  ziemlich  misstrauisch  ist  und  man  leicht  in  den  Verdacht 
kommen  kann,  ähnliche  Falschmünzergedanken  zu  hegen.  So  ist  mir  z.  B.  von  keineswegs 
böswiUiger  Seite  her  die  Vertretung  einer  Consequenz  meines  Systems  als  blosse  Parthei- 
taktik ausgelegt  worden.  Einem  ähnlichen  Verdachte  nun  musste  ich  gerade  in  Beziehung 
auf  Weitzmann's  Harmoniesystem  am  entschiedensten  entgegentreten. 

3* 


36  Harmoniesystem. 

Reihe  berühmter  und  zum  Theil  vorti'efflicher  Lehrbücher  der  musikalischen 
Composition  sind  (in  den  letzten  Jahrzehnten)  sogenannte  Kunstwerke  ange- 
staunt und  mit  enthusiastischem  Beifall  begrüsst  worden,  die  all'  und  jeder 
Lehre  sich  entziehen,  allen  bisher  mit  grossem  Scharfsinn  entwickelten  Systemen 
und  Theorien  offenbar  Hohn  sprechen«  (I.  S.  I).  Er  erklärt  sich  aber  diese 
Thatsaclie  hauptsächlich  daraus,  dass  er  die  Production  unserer  Tage  ohne 
Einschränkung  für  »plan-  und  ziellos«  (S.  IV),  für  »eitles  Spiel  mit  Klang- 
effecten«  und  für  »Ungeheuerlichkeiten  einer  verwilderten  Phantasie  oder  des 
intentionenreichen  Ungeschicks«  (S.  VI)  halten  zu  müssen  glaubt,  wenn  er  auch 
eingesteht,  dass  die  Compositionslehre  selbst  auch  einen  Theil  der  Schuld  trage. 
Ein  von  A.  Sörgel  verfasster  und  unterschriebener  Artikel  der  »Vossischen 
Zeitung«  verkündigte  kurze  Zeit  nach  dem  Erscheinen  des  genannten  AVerkes, 
dass  der  Verfasser  ein  ganz  neues  musikalisches  Princip  aufgefunden  habe,  das 
Priucip  des  Halbtones.  In  Beziehung  hierauf  findet  sich  nun  a.  a.  0  S.  3 
Folgendes:  »Die  diatonische  Tonleiter  zeigt  zugleich  das  Hauptprincip  der  musi- 
kalischen Gestaltung.  Wie  die  künstlerische  Form  überhaupt,  so  erfordern  auch 
die  verschiedenen  Musikformen,  dass  die  einzelnen  Glieder  derselben  nicht  nur 
ebenmässig  herausgebildet,  sondern  zugleich  aufeinander  bezogen  werden.  Denn 
nur  in  der  Gegenwirkung  der  einzelnen  Tlieile  aufeinander  entsteht  die  schöne, 
die  künstlerische  Form.  Dies  Grundprincip  finden  wir  schon  in  der  diatonischen 
Tonleiter  gestaltend  wirksam.  Sie  bewegt  sich  in  Ganz-  und  Halbtönen  und 
ordnet  diese  so,  dass  sie  selbst  in  zwei  gleichmässig  gebildeten  Hälften  (c  —  c/—e—y 
und  g  —  a  —  h  —  c)  sich  darstellt.  Das  eigentlich  Abschliessende  der  Gestaltung 
der  diatonischen  Tonleiter  bildet  der  Halbton.«  Es  ist  mir  beim  besten  Willen 
nicht  möglich  gewesen,  hierin  eine  weltbewegende  neue  Entdeckung  zu  ent- 
decken, Reissmann  muss  auch  schon  S.  4  zugestehen,  »dass  Jahrhunderte 
hindurch  die  Musikpraxis«  diesem  Principe  nicht  entsprach,  und  S.  9  hat  er 
selbst  »sein  ursprünglich  gestaltendes  Princip  fast  ganz  verloren«.  Was  nun 
sein  H.  selbst  betrifft,  so  schliesst  er  sich  bald  an  dieses,  bald  an  jenes  vor- 
handene System  an.  So  finden  sich  S.  13  (Dominantgesetz),  S.  16  (harmo- 
nische Massen)  und  anderwärts  Anklänge  an  Marx;  bei  der  Behandlung  der 
Begriffe  Consonanz  und  Dissonanz  (S.  41)  stützt  er  sich  auf  Helmholtz;  die 
Construction  und  Charakterisirung  des  Dur-  und  JfoZZdreiklanges  (S.  138)  er- 
innert an  M.  Hauptmann  u.  s.  f.  Von  einem  selbstständigen  H.  ist  also  nicht 
die  Rede,  denn  die  Septimen-  und  Nonenaccorde  entwickelt  Beissmann  wieder 
ganz  in  alter  Weise  durch  »terzeuweise  Anordnung«  (s.  S.  34). 

Sehr  gross  ist  die  Zahl  der  Schriftsteller,  welche  der  Harmonielehre 
öffentlich  nur  dadurch  näher  getreten  sind,  dass  sie  sich  berufen  fühlten  zur 
Abfassung  von  »kurzgefassten  Harmonielehren«,  »kleinen  und  leichtfasslichen 
Harmonielehren«,  »leichtfasslichen  Harmonie-  und  Generalbasslehren«,  »Hand- 
büchern für  Schullehrer  und  Seminaristen«  u.  dergl.  Die  grosse  Mehrzahl 
dieser  Schriftsteller  ist  sich  über  die  eigentliche  Aufgabe  der  Harmonielehre 
kaum  klar  geworden;  ja  vielen  von  ihnen  ist  nicht  einmal  die  Beherrschung 
der  rein  mechanischen  lutei'vallenlehre  gelungen.  Unter  allen  derartigen  Werken 
neuerer  Zeit  —  (ältere  verschwinden  in  der  Regel  mit  dem  Aufhören  der 
amtlichen  Thätigkeit  ihrer  Verfasser  spurlos)  —  zeichnet  sich  vortheilhaft  aus: 
E.  Fr.  Richter's  »Lehrbuch  der  Harmonie«  (Leipzig,  1.  Aufl.  l.sr)3,  8.  Aufl.  1870). 
Der  Verfasser  steht,  wie  schon  erwähnt,  auf  einem  ähnlichen  Standpunkte  in 
Beziehung  auf  die  H.e  wie  G.  Weber.  Ueber  seine  Ziele  spricht  er  sich  in 
dem  Vorwort  wie  folgt  aus:  »Das  Buch  enthält  keine  wissenschaftlich -theore- 
tische Abhandlung  über  Harmonik,  sondern  ist,  wenn  es  sich  auch  insoweit  wie 
jede  Harmonielehre  auf  eine  feste  Grundlage  stützt,  nur  dem  praktischen  Zwecke 
gewidmet,  der  auf  abstrakt-wissenschaftlichem  Wege  bei  jetzt  vorhandenen  spär- 
lichen Mitteln  sehr  schwer  zu  erreichen  sein  dürfte.  Man  hat  zwar  von  jeher 
gern  nacli  mathematischer  Bestimmtheit  der  musikalischen  Regeln  gefragt,  und 
besonders  ist  die  Jugend,  die,  oppositionell  dem  Autoritätsglauben  gesinnt,  gern 


Harmoniesystem.  37 

Alles  so  klar  haben  möchte,  dass  keiu  Zweifel  möglich  sei;«  »und  es  ist  nicht 
zu  läugnen,  dass  sich  in  dieser  Beziehung  eine  Lücke  in  der  musikalischen 
Literatur  findet,  die  auszufüllen  noch  Niemandem  vollständig  gelungen  ist. 
Alle  Versuche  der  Art  sind  bis  jetzt  nicht  im  Stande  gewesen,  ein  wirklich 
haltbares  wissenschaftlich-musikalisches  System,  nach  welchem  durch  ein  Grund- 
princip  alle  Erscheinungen  im  musikalischen  Gebiete  als  stets  nothwendige 
Folgerungen  sich  dargestellt  finden ,  zu  schaffen.«  Richter  zweifelt  zwar  nicht 
wie  AVeber  an  der  Möglichkeit  eines  solchen  Systems,  ja  er  weist  geradezu  auf 
das  gleichzeitig  mit  dem  seinigen  erschienene  Hauptmann'sche  Werk  (»Natur 
der  Harmonik«)  als  auf  ein  solches  hin,  »welches  im  Stande  sein  dürfte,  eine 
fühlbare  Lücke  auszufüllen«;  aber  er  verzichtet  wie  "Weber  freiwillig  auf  eine 
systematische  Grundlage.  Das  tritt  besonders  auch  dadurch  klar  zu  Tage,  dass 
er  z.  B.  auf  übermässige  Terzen,  Septimen  und  Nonen  (S.  3),  auf  verminderte 
Secunden,  Sexten  und  Nonen  (S.  4),  auf  den  Septimenaccord  der  ersten  Stufe 
in  Moll  (a  —  c  —  e—gis,  s.  S.  83)  u.  dergl.  verzichtet,  ohne  auch  nur  einen 
einzigen  Grund  dafür  anzugeben. 

Mit  E.  Fr.  Richter  darf  die  Reihe  der  selbstständigen  Forscher  auf  dem 
Gebiete  der  praktischen  Harmonielehre  geschlossen  werden.  Fasst  man  nun 
das  Urtheil  über  die  bis  jetzt  besprochenen  Versuche  zusammen,  so  ergiebt 
sich  folgende  Sentenz:  Diese  lediglich  für  die  Praxis  construirten  H.e  ent- 
behren sämmtlich  der  wissenschaftlichen  Consequenz,  mögen  nun  die  Verfasser 
der  genannten  Werke  diese  Consequenz  absichtlich  vernachlässigen,  oder  mögen 
sie  in  Folge  eigener  Unklarheit  die  wissenschaftliche  Schlussfolgeruug  durch 
Trugschlüsse  und  Phrasen  ersetzen. 

Die  Zahl  derjenigen  H.e,  die  den  wissenschaftlichen  Boden  nicht  ohne 
Weiteres  verlassen,  ist  bei  Weitem  kleiner.  Der  Erste,  welcher  ein  solches 
H.  aufzustellen  suchte,  war  J.  Ph.  Rameau  (1683  — 1764).  Er  war  überhaupt 
der  Erste,  welcher  ein  H.  construirte.  Schon  vor  ihm  war  es  allerdings  ver- 
sucht worden.  Regeln  über  die  Bildung  von  mehr  als  zweistimmigen  Zusammen- 
klängen aufzustellen,  so  z.  B.  durch  G.  Zarlino  (j>Istitutioni  liarmoniclie».^  Venedig 
1558,  62  und  73),  Steffano  Vanneo  (j>Becanetuvi  de  Musica  aureaa,  Rom  1533) 
und  Andere.  Ebenso  war  die  TJmkehrung  der  Intervalle  im  Contrapunkte 
lange  bekannt.  Aber  ei'st  Rameau  leitete  die  Lehren  über  Verbindung  von 
Tönen  zu  Intervallen  und  Accorden  von  einem  einzigen  Grundsatze  ab  und  »wandte 
das  Wesen  der  TJmkehrung  auf  ganze  Accorde  an,  indem  er  aus  wenigen  Haupt- 
oder Stammaccorden  andere  ableitete«.  »Er  fand  in  der  vor  seiner  Zeit 
üblichen  Lehre  der  Harmonie  keinen  eigentlichen  Zusammenhang,  mancherlei 
willkürliche  Annahmen,  die  sich  nicht  selten  einander  widersprachen,  und  ver- 
suchte daher  ein  allgemeines  Princip  als  Basis  des  ganzen  H.s  aufzustellen.« 
»Die  Grundlage  des  Rameau'schen  Systems,  d.  h.  die  terzen weise  Verbindung 
der  Töne  zu  Accorden  und  die  Umkdirung  mancher  Accorde,  sind  in  den 
später  von  andern  Theoretikern  aufgestellten  H.en  immer  wieder  aufgenommen 
und  werden  noch  beibehalten«  (S.  W.  Dehn,  a.  a.  0.  S.  81  ff.).  Die  Bedeu- 
tung des  Rameau'schen  H.s  ist  demnach  wohl  über  jeden  Zweifel  erhaben. 
Er  veröffentlichte  seine  Ideen  zuerst  1722  unter  dem  Titel:  r>TraiU  de  Vhar- 
moniev.  (Paris,  1722);  diesem  ersten  Werke  Hess  er  noch  eine  ganze  Reihe 
anderer  Arbeiten  folgen.  »Dunkelheiten  im  Ausdrucke«,  sagt  E.  L.  Gerber 
(»Lexikon  der  Tonkünstler«,  Leipzig  1792),  »und  ein  gewisser  Mangel  an 
Methode,  welches  zusammen  genommen  gemacht  hat,  dass  diese  Werke  vielen 
unverständlich  geblieben  sind;  bewog  den  Herrn  d'Alembert,  einen  kurzen 
und  fasslichen  Auszug  von  ^llen  Sätzen  und  Regeln  dieser  sämmtlichen  Werke 
in  seinen  yJElemens  de  musique  tJieorique  et  pratique'i,  zu  geben:  von  welchem 
Werke  uns  nachmals  Herr  Marpurg  eine  deutsche  TJebersetzung  geschenkt  hat« 
(»Herrn  d'Alembert's  Systematische  Einleitung  in  die  musik.  Setzkunst  nach 
den  Lehrsätzen  des  Herrn  Rameau«,  Leipzig  1757).  »Die  Franzosen  glauben 
allgemein«,   erzählt  J.  N.  Forkel  (»Allgemeine  Litteratur  der  Musik«   S.  344), 


38  Harmoniesystem. 

»D'Alembert  habe  durch  sein  AVerk  die  Theorie  der  Harmonie  des  Rameau 
erst  recht  verständlich  und  l^rauchbar  gemacht.  Demohngeachtet  hat  sich  ßa- 
meau  zehn  Jahre  später  sehr  über  ihn  beklagt,  und  ihn  beschuldigt,  er  habe 
ihn  blos  kritisiren  wollen.«  Rameau's  System  wurde  von  vielen  Seiten  an- 
gefochten, von  andern  aber  vertheidigt.  Was  nun  die  Bedeutung  dieses  Systems 
betrifft,  so  versteht  sich  wohl  von  selbst,  dass  das  Urtheil  seiner  Bearbeiter 
ein  möglichst  günstiges  sein  muss.  Grleichwohl  müssen  schon  diese  mancherlei 
Schwächen  eingestehen.  So  erklärt  d'Alembert  in  seinem  Vorbericht:  »Man 
erwarte  aber  nicht,  hier  alle  Regeln  der  musikalischen  Setzkunst  zu  finden, 
insbesondere  die  Regeln  der  vielstimmigen  Musik,  die,  weil  sie  weniger  strenge 
sind,  fürnehmlich  durch  die  Uebung,  durch  Nachahmung  guter  Muster,  durch 
Beyhülfe  eines  mündlichen  Unterrichts,  etc.  erlernt  werden.«  Nach  Marpurg's 
Urtheil  sind  »die  Erfahrungen  und  Grundsätze,  worauf  nach  dem  Herrn  Rameau 
der  Herr  d'Alembert  sein  System  erbauet,  wider  alle  vernünftige  Einwendungen 
noch  nicht  gesichert«,  und  es  »bleibt  das  theoretische  System  des  Herrn  Rameau 
nur  so  lange  das  wahrscheinlichste,  bis  uns  jemand  ein  besseres  liefert,  und 
die  praktischen  Lehrsätze  daraus  herleitet.« 

Die  Grundlage  des  Rameau'schen  Systems  bilden  folgende  Erfahrungen: 
1.  Jeder  Klang  (C)  enthält  unter  seinen  Partialtönen  (s.  d.)  neben  anderen 
Tönen  auch  die  Oberoctave  seiner  Quinte  (y)  und  die  zweifache  Oberoctave 
seiner  grossen  Terz  (e'),  und  wenn  man  den  Grundton  anschlägt,  so  erklingen 
die  auf  jene  Töne  gestimmten  Saiten  mit.  2.  Wenn  man  einen  Ton  (c') 
anschlägt,  so  werden  die  Saiten  der  unteren  Octave  seiner  Unterquinte  (F) 
und  der  zweifachen  Unteroctave  seiner  grossen  Unterterz  (Äsi)  theilweise  mit 
erzittern.  3.  »Es  ist  niemand,  der  die  Aehnlichkeit  zwischen  einem  Tone  und 
seiner  Ober-  oder  Unteroctave  nicht  wahrnehmen  sollte.  Diese  beiden  Töne 
vermischen  sich  beinahe  ganz  und  gar  im  Gehöre,  wenn  man  sie  zusammen 
anschlägt«  (a.  a.  0.  S.  9,  10  und  13).  Hieraus  entwickelt  nun  Rameau  den 
7)Mrdreiklaug  c—e—g  (eigentlich  0—g  —  e')  iiud  den  JfbWdreiklang  y  —  as  —  c' 
(eigentlich  Asi—J? — c')  als  die  vollkommensten  Accorde,  von  denen  der  erste 
»ein  Werk  der  Natur  ist«,  während  der  andere  »nicht  so  unmittelbar  und  gerade 
von  der  Natur  ertheilet  ist«  (S.  16).  »Weil  mit  dem  Tone  c  die  Oberduo- 
decime  g  (eigentlich  g')  mit  erklinget  und  die  Unterduodecime/"  (eigentlich  Fi) 
mit  erzittert«,  fährt  d'Alembert  fort,  »so  können  wir  einen  aus  dem  Tone  c 
und  seinen  beiden  Duodecimen  bestehenden  Gesang  formiren,  oder  welches 
vermöge  der  dritten  Erfahrung  einerley  ist,  wir  können  diesen  Gesang  aus  der 
Ober-  und  Unterquinte  des  Tones  c  zusammensetzen.  Hieraus  entstehet  fol- 
gender in  Quinten  fortgehender  Gesang /'—c—y,  welchen  ich  den  Grundbass 
von  c  in  Quintenfolge  nenne.  Wir  werden  in  der  Folge  sehen,  dass  es  Grund- 
bässe in  Terzenfortschreitungen  gicbt,  welche  von  den  beiden  zweifachen  Octaven 
der  grossen  Terzen  entstehen,  von  welchen  die  obere  (e^)  mit  dem  Huupttone 
erklingt,  die  untere  {Äs\i)  aber  erzittert«  (S.  17).  Hieraus  nun  wird  sowohl 
die  Construction  der  Tonart,  wie  die  Accordverwandtschaft  abgeleitet.  Die 
Art  und  Weise  jener  Begründung  ist  schon  durch  die  Auslassungen  G.  AVeber's 
(s.  S.  25)  kritisirt.  Ich  beschränke  mich  deshalb  hier  auf  einige  Einwen- 
dungen ,  welche  das  System  selbst  betreffen.  Zunächst  ist  es  inconsequent, 
dass  Rameau    die  Dur-  und  ü/bZZtonartleiter    aus    folgenden  Grundbässen    ent- 

C-Dur:     c,  g,  c,  /,  c,  g,  d,  g,  c. 
A-Moll :  e,  "a,  e,  a,  d,  a,  d. 

Hiermit  geht  die  Einheit  des  Tonartwesens  gänzlich  verloren;  ausserdem 
müssen  in  der  (7-(7z«'tonartleiter  zwei  verschiedene  a  angenommen  werden,  — 
und  ähnlich  ist  es  in  3foll  (s.  Tonart).  Ferner  sollen  nach  der  Theorie 
vom  Grundbasse  Harmoniefolgen  wie  die  bei  a,  die  doch  sehr  häufig  auftreten, 
nicht  gestattet  sein.  Hiergegen  macht  übrigens  schon  Marpurg  seine  Be- 
denken geltend. 


Harmoniesystem.  39 


a. 


-4 


-5}- 


-ö- 


I  I 

-C^ e^- 


-3 


Nocli  bedenklicher  wird  aber  das  Rameau'sche  Princip  bei  Construction 
der  Dissonanzen.  An  die  Thatsache,  dass  der  Grundbass  c.cj  in  G-dur  und 
in  G-dur,  der  Grundbass  c\f  in  G-dur  und  in  ^-dur  möglieb  ist,  werden  fol- 
gende Sclilussfolgerungen  angeknüpft:  »Wenn  man  also  von  c  z\x  f  oder  g  in 
einem  Grundbasse  fortgeht,  so  weiss  man  noch  nicht  bis  dahin,  in  was  für 
einem  Tone  man  ist.  Es  wäre  gleichwohl  ein  Vortheil,  solches  zu  wissen,  und 
ein  gewisses  Mittel  den  Stammton  von  seinen  Quinten  unterscheiden  zu  können. 
Man  wird  zu  diesem  Yortheile  gelangen,  wenn  man  die  Töne  g  und  f  in  einer 
Harmonie  zusammenbringet,  das  ist,  wenn  man  zu  der  Harmonie  von  der 
Quinte  g,  nämlich  zu  g  —  Ji  —  d  die  zweite  Quinte/  auf  diese  Weise  hinzuthut 
q  —  h  —  d—f.«.  »Lasst  uns  itzo  sehen,  was  wir  zu  der  Harmonie  von  der  Unter- 
quinte des  Stammtones,  nämlich  zw  f—a  —  c  hinzufügen  werden,  um  solche  von 
der  Harmonie  des  Stammtones  zu  unterscheiden.  Man  sollte  anfänglich  glauben, 
dass  man  die  zweite  Quinte,  nämlich  g  derselben  zusetzen  müsste.«  »Aber  diese 
Einführung  des  g  in  den  Accord /— a  — c  würde  zwo  Secunden  hinter  einander 
verursachen,  nämlich/-—^  und  g  —  a,  und  die  Vereinigung  dieser  Dissonanzen 
würde  dem  Gehöre  zu  viuangenehm  seyn;  eine  Ungleichheit,  die  man  vermeiden 
muss«  (S.  46).  »Wir  werden  aus  dieser  Ursache,  anstatt  des  g,  die  Quinte 
davon,  nämlich  d  nehmen,  welches  der  Ton  ist,  der  am  meisten  damit  überein- 
stimmet, uud  wir  bekommen  alsdann  den  Accord  f—a  —  c  —  d  zur  Harmonie 
für  /.«  Dass  diese  Schlussfolgerungen  ziemlich  bedenklich  sind,  wird  man  ein- 
sehen; wenigstens  ist  das  Princip,  dass  die  Accorde  als  von  der  Natur  gegebene 
Zusammenklänge  zu  betrachten  sind,  hier  vollständig  aufgegeben.  Noch  in- 
consequenter  ist  die  Entwickelung  eines  Accordes,  »welchem  die  vorhergehenden 
Regeln  den  Eingang  in  die  Harmonie  bald  zu  versagen  scheinen«,  nämlich  des 
Septimenaccordes  c  —  e—g  —  h.  »Wenn  man  dem  Accorde  c  —  e—g  eine  Sep- 
time hinzusetzen  will,  um  c  in  eine  Dominante  zu  verändern:  so  kann  man 
vorher  gelehrtermassen  nichts  anderes  als  h  hinzufügen,  und  in  diesem  Falle 
würde  der  Accord  von  der  tonischen  Dominante  in  dem  Tone  ,/  sein  c  —  e—g  —  h, 
sowie  die  Töne  g  —  li  —  d—f  den  Accord  von  der  tonischen  Dominante  in  dem 
Tone  c  ausmachen.  Wenn  man  aber  den  Eindruck  des  Tones  c  in  der  Har- 
monie erhalten  will,  so  verändert  man  dieses  h  alsdann  in  h,  und  folglich  den 
Accord  c  —  e—g  —  h  in  c  —  e—g  — ha  (S.  54).  Hier  hat  man  die  famose  Theorie 
von  der  zufälligen  Erhöhung  und  Vertiefung  der  Töne  einer  Harmonie  in  nuce. 
Der  Hauptfehler  des  Systems  beruht  >  aber  in  seiner  Unzulänglichkeit  gegen- 
über der  Praxis  schon  der  damaligen  Zeit;  diese  Unzulänglichkeit  ist  bei-eits 
erwähnt  worden,  aber  sie  wird  auch  durch  die  Annahme  von  »Freiheiten,  deren 
man  sich  selten  bedienen  muss«  (S.  100),  direkt  zugegeben.  Gleichwohl  ist 
das,  was  Rameau  ohne  jegliche  Vorarbeit  erreicht  hat,  eine  bewundernswerthe 
Leistung,  und  es  wird  sich  zeigen,  dass  seine  Auffassungen  noch  in  neuester 
Zeit  mit  nur  sehr  geringen  Abweichungen  wiederkehren. 

»Während  gleichzeitig  mit  Marpurg  und  Kirnberger,  sowohl  in  Frankreich 
als  in  Deutschland  manche  andere  Harmonielehren  erschienen,  denen,  wie  auch 
noch  den  neueren  und  neuesten,  die  Eameau'schen  Principien  bald  mehr,  bald 
weniger  zum  Grunde  liegen,  stellte  in  Italien  der  als  Violinspieler  berühmte 
Giuseppe  Tartini,  geb.  zu  Pirano  1692,  gest.  1770  in  Padua,  ein  System  der 
Harmonie  auf,  welchem  er  aber  nicht  nur  die  von  Rameau  als  natürliche  Grund- 
lage der  Harmonie  angenommene  Sympathie  der  Töne,  sondern  noch  ein  musi- 
kalisches Phänomen  zum  Grunde  legte,  welches  er  zuerst  entdeckt  haben  will« 
(Dehn,    a.  a.  0.    S.  83).     Es    war    dieses    die    Entstehung    der    sogenannten 


40 


Harmoniesystem. 


Differenztöne  (s,  d.  und  Akustik)  ersten  Grades.  Von  Tartini  werden 
für  die  verschiedenen  Intervalle  folgende  als  Viertelnoten  notirte  DifFerenztöne 
angegeben,  die  aber  zum  Theil  nicht  die  richtige  Höhe  haben  (vgl.  Helmholtz, 
»Tonempfindungen«,  S.  228  ff.). 


( 

I 


f)      ,       grosse    kleine    sjrosser     Ideiner     s^rosser      kleiner      grosse    kleine    p.  •   , 
Vjuarte,     ^^^.^^     ^^^^^    Ganzton,  Ganzton,  Halbton,  Halbton,     Sexte,    Sexte,     '''Jui^te. 


r    r 


-öös=: 


nrc^: 


~^^^ 


^^ 


ii^l 


t:=:^1; 


^m^ 


Tartini  veröflfentlichte  und  vertheidigte  sein  System  durch  folgende  Werke: 
■nTrattato  di  Musica,  secondo  la  vera  scienza  dclV  armoniaa.  (Padua,  1754),  »i)e 
Principii  delV  Ärmonia  musicale,  contenuta  ncl  diatonico  Geilere,  Dlasertazione« 
(Padua,  1767)  und  -»^Hisposta  alla  CriUca  del  di  lui  Trattato  di  Musica  di  21. 
Serre  di  Ginevraa  (Venedig,  1767).  Ein  Auszug  der  Haujitsätze  dieses  H.'s 
findet  sich  im  zweiten  Jahrgange  von  J,  A.  Hiller,  »"Wöchentliche  Nachrichten 
und  Anmerkungen  die  Musik  betreffend«  (Leipzig,  1767).  Die  Urtheile  über 
dieses  System  sind  meist  wenig  günstig.  Bei  Gerber  (»Lexic.  der  Tonk,«, 
Leipzig,  1792)  heisst  es  (IL  S.  622)  über  Tartini:  »Auch  als  Theoretiker  hat 
er  seinen  AVerth,  welcher  sich  auf  seine  grossen  Kenntnisse  und  Erfahrungen 
in  der  Kunst  gründet,  Dass  er  seine  Sätze  in  so  mancherley  mathematische 
und  algebraische  Dunkelheiten  eingehüllt  hat,  soll  nach  dem  P.  Colombo  daher 
kommen,  weil  er  ein  schlechter  Rechenmeister  und  noch  schlechterer  Mathe- 
matiker war,  und  sich  deswegen  bei  seinen  musikalischen  Rechnungen  eine  ganz 
eigene  Verfahrungsart  ausgedacht  hatte,  die  ihm  durch  die  TJebung  eben  so 
leicht  geworden  war,  als  sie  andern  unverständlich  blieb.  Auch  konnten  viel- 
leicht neue  und  unbekannte  Ideen  nicht  auf  gewöhnliche  Weise  dargestellt 
werden.  Burney  erklärt  sich  hierüber  mit  dem  Socrates  also:  „Was  ich  ver- 
stehe, ist  vortrefflich,  und  deswegen  bin  ich  geneigt  zu  glauben ,  dass  das,  was 
ich  nicht  verstehe,  ebenfalls  vortrefflich  ist."«  Forkel  (»Allgem.  Litteratur  der 
Mus.«,  S.  346)  meint:  »In  Italien  ist  es  fast  ausschliessend  bewundert  worden, 
in  Frankreich  nur  zum  Theil,  und  in  Deutschland  fast  gar  nicht.«  Dehn 
(a.  a.  0.  S.  85)  sagt:  »Der  Vorwurf  (sich  allzuweit  mit  der  mathematischen 
Klanglehre  oder  speculativen  Theorie  eingelassen  zu  haben)  trifi't  ganz  beson- 
ders Tartini's  H,,  welches  durch  ganz  eigenthümlichc  Rechnungsarten  und  durch 
allerlei  mystische  Beziehungen  der  Accorde,  an  vielen  Stellen  ganz  und  gar 
unverständlich  bleibt.  Aus  diesem  Grunde  hat  es  auch  keine  Aufnahme  ge- 
funden, weder  in  Deutschland  und  Frankreich,  noch  in  Italien,  wenn  es  gleich 
nach  seiner  Erscheinung  die  Federn  der  gelehrtesten  Theoretiker  beschäftigte.« 
A.  V.  Dommer  (»Handb.  der  Musikgesch.«,  Leipzig  1868,  S,  458)  urtheilt  über 
das  Bestreben  Tartini's,  das  Entstehen  der  Differenztöne  zur  Systemconstruction 
zu  verwerthen,  wie  folgt:  »Doch  ist  diese  Erscheinung  für  den  betreffenden 
Zweck  ungeeignet,  es  kam  nichts  dabei  heraus,  Tartini  war  auch  ein  besserer 
Musiker  als  Rechenmeister.«  Eine  eingehende  Beurtheilung  des  Tartini'schen 
H.'s  findet  sich  bei  J.  A.  Scheibe,  »lieber  die  musikalische  Composition.« 
Erster  Theil  (Leipzig,  177.3).  Scheibe's  Endurtheil  ist  (S.  579)  folgendes: 
»Aus  der  Nachricht,  die  der  Pat.  Colombo  dem  Herrn  Burney,  den  Tartini 
betreffend,  ertheilet,  sollte  man  fast  auf  den  Gedanken  kommen,  dass  Tartini 
entweder  wenig  oder  nichts  von  der  Theorie  gewusst,  und  sich  also  nur  das 
Ansehen  gegeben,  etwas  zu  wissen,  auch  sich  diesfalls  zur  Ausführung  seines 
Traktats  der  Feder  des  P.  Colombo  bedienet  hat,  oder  dass  er,  weil  der  Letztere 
bekennet,  Tartini  habe  nicht  einmal  die  gemeine  Rechenkunst  verstanden,  seine 


Harmoniesystem.  41 

wahre  Meynung  von  der  Zahlentheorie  mit  gutem  Vorbedacht  in  ein  mathe- 
matisches Gewebe  verhüllt,  damit  er  sich  in  keine  Streitigkeiten  verwickeln, 
und  sich  den  Ruhm  eines  grossen  Theoretikers  auch  nach  seinem  Tode  er- 
halten mögte.« 

Dieselben  Principien  nun,  von  welchen  Rameau  und  Tartini  ausgingen, 
verwendet  noch  die  heutige  Naturwissenschaft  zur  Erklärung  der  Gesetze  der 
Harmonie.  Von  allen  hierher  gehörigen  H.en  sind  heute  nur  noch  allgemein 
anerkannt  das  von  H.  Helmholtz,  niedergelegt  in  dessen  »Lehre  von  den  Ton- 
empfindungen« (3.  Aufl.,  Braunschweig  1870),  und  allenfalls  noch  das  v.  Oet- 
tingen'sche  (»Harmoniesystem  in  dualer  Entwickelung«,  Dorpat  und  Leipzig 
1866),  welches  letztere  nur  eine  Erweiterung  und  consequentere  Durchführung 
des  Helmholtz'schen  Systems  sein  will.  So  weit  es  sich  um  die  Erklärung 
des  Con-  und  Dissonirens  handelt,  habe  ich  mich  über  die  Grundprincipien 
beider  Systeme  schon  in  dem  betreffenden  Artikel  ausgesprochen.  Hier  handelt 
es  sich  nur  um  die  Beurtheilung  der  Principien,  so  weit  sie  zur  Herstellung 
eines  H.'s  verwerthet  werden,  und  um  die  Betrachtung  dieses  H.'s  selbst.  Hin- 
sichtlich seiner  Stellung  gegenüber  den  Versuchen  Eameau's  und  Tartini's 
äussert  sich  Helmholtz  (a.  a.  0.  S.  352)  wie  folgt:  »In  der  Mitte  des  vorigen 
Jahrhunderts,  wo  man  unter  den  Uebeln  eines  verkünstelten  gesellschaftlichen 
Zustandes  schwer  zu  leiden  anfing,  mochte  es  genügen,  eine  Sache  als  natürlich 
darzustellen,  um  dadurch  auch  zu  beweisen,  dass  sie  schön  und  wünschenswerth 
sei,  und  auch  gegenwärtig  werden  wir  nicht  läugnen  wollen,  dass  bei  der  grossen 
Vollendung  und  Zweckmässigkeit  sämmtlicher  organischer  Einrichtungen  des 
menschlichen  Körpers  der  Nachweis  solcher  in  der  Natur  gegebenen  Verhält- 
nisse, wie  sie  Bameau  zwischen  den  Tönen  des  Dwraccordes  aufgefunden  hatte, 
alle  Beachtung  verdient,  wenigstens  als  Anhaltspunkt  für  die  weitere  Forschung. 
Und  in  der  That  hatte  auch  Bameau,  wie  wir  jetzt  übersehen  können,  voll- 
kommen richtig  vermuthet,  dass  von  dieser  Thatsache  aus  die  Lehre  von  der 
Harmonie  zu  begründen  sei.  Aber  abgemacht  war  es  damit  freilich  nicht. 
Denn  in  der  Natur  kommt  Schönes  und  Hässliches,  Heilsames  und  Schädliches 
vor.  Der  blose  Nachweis,  dass  etwas  natürlich  sei,  genügt  also  noch  nicht,  es 
ästhetisch  zu  rechtfertigen.  Ausserdem  hätte  Eameau  bei  geschlagenen  Stäben, 
Glocken,  Membranen ,  angeblasenen  Hohlräumen  noch  mancherlei  andere  ganz 
dissonente  Accorde  hören  können,  als  bei  den  Saiten-  und  übrigen  Musik- 
instrumenten. Solche  Accorde  würde  man  doch  auch  für  natürlich  erklären 
müssen.  Zweitens  ist  auch  die  Aehnlichkeit  der  Octave  mit  ihrem  Grundton, 
auf  welche  Rameau  sich  stützt,  ein  musikalisches  Phänomen,  welches  eben  so 
gut  der  Erklärung  bedarf,  wie  das  Phänomen  der   Consonanz.« 

Diese  Einwürfe  sind  sehr  beachtenswerth  und  richtig.  Sonderbar  ist  nur, 
dass  Helmholtz  selbst  gleichwohl  das  Vorkommen  der  harmonischen  Obertöne 
in  den  Klängen  der  Saiten  zur  Grundlage  für  die  Beurtheilung  der  Consonanz 
und  Dissonanz,  ja  für  die  Tonverv^andtschaft  und  damit  für  sein  ganzes  System 
macht.  Dadurch  müsste  ja  die  "Wirkung  eines  und  desselben  Zusammenklanges 
und  die  Verwandtschaft  zwischen  Klängen  eine  wesentlich  andere  werden  je 
nach  der  Zahl  und  Art  der  Obertöne,  die  in  dem  Klange  des  verwendeten  In- 
struments enthalten  sind,  und  nach  dem  Tonsysteme,  nach  welchem  das  be- 
treffende Instrument  abgestimmt  ist,  —  und  dem  widerspricht  doch  die  Erfah- 
rung geradezu.  Das  letztere  will  Helmholtz  freilich  nicht  zugeben,  obwohl  er 
z.  B.  in  Beziehung  auf  den  übermässigen  Dreiklang  (S.  324)  folgendes  zu- 
gestehen muss:  »Auf  dem  Claviere  sieht  es  so  aus,  als  wenn  dieser  Accord, 
den  man  für  den  Zweck  der  praktischen  Ausführung  nach  Belieben  C—E—jis 
oder  G—  JS—  Gis  schreiben  könnte,  consonant  sein  müsste,  denn  jeder  Ton  des- 
selben bildet  mit  jedem  andern  ein  Intervall,  welches  auf  dem  Claviere  als 
consonant  betrachtet  wird,  und  doch  ist  dieser  Accord  eine  der  herbsten  Disso- 
nanzen, worüber  alle  Musiker  einig  sind,  und  wovon  man  sich  jeden  Augen- 
blick    überzeugen     kann.«      Zur    Erklärung     dieser    Erscheinung    sollen     dann 


42 


Harmoniesystem. 


folgende  Auslassungen  dienen:  »Auf  einem  nach  reinen  Intei'vallen  gestimmten 
Instrumente  giebt  sich  freilich  gleich  das  Intervall  E — Äs  als  entschieden 
dissonant  zu  erkennen.  Es  ist  dieser  Accord  ein  hübsches  Beispiel  dafür,  wie 
doch  auch  selbst  in  der  ungenauen  Stimmung  des  Claviers  der  ursprüngliche 
Sinn  der  Intervalle  sich  geltend  macht,  und  das  Urtheil  des  Ohres  bestimmt.« 
Es  ist  jedenfalls  nicht  ganz  klar,  wie  Helmholtz  hiermit  eine  Erklärung  und 
Begründung  gegeben  zu  haben  vermeint,  um  so  mehr,  als  diese  Erklärung 
vorkommt  in  einem  Gebiete,  wo  nach  Helmholtz's  eigener  Auslassung  (S.  357) 
»mechanische  Nothwendigkeit  herrscht  und  alle  Willkür  ausgeschlossen  ist,  wo 
man  also  auch  von  der  "Wissenschaft  verlangen  kann,  dass  sie  feste  Gesetze  der 
Eisch einungen  aufstelle,  und  einen  strengen  Zusammenhang  zwischen  Ursache 
und  Wirkung    streng    nachweise.«     Wie    stimmt   jenes  »hübsche  Beispiel«    zum 


folgenden  das  Gegen theil  beweisenden   Schritte? 


(Rieh.  Wagner.) 


Uebrigens  weiss  Helmholtz  recht  gut,  dass  zur  Erklärung  und  Begründung 
musikalischer  Regeln  die  i-ein  physikalisch -physiologischen  Betrachtungen  nicht 
ausreichen;  er  hätte  es  nur  auch  in  Beziehung  auf  den  Unterschied  zwischen 
Consonanz  und  Dissonanz  und  auf  die  Ton-  und  Accordverwandtschaft  noch 
mehr  betonen  sollen,  dass  auch  hier  psychologische  Motive  viel  vorherrschender 
sind  als  die  blosen  physischen  und  physiologischen  Gründe.  Zur  Erklärung 
des  verschiedenen  physischen  Charakters  der  verschiedenen  coiisonirenden  und 
dissonirendeu  Zusammenklänge  reicht  ja  die  Helmholtz'sche  Theorie  von  der 
AVirkung  der  Schwebungen  und  der  Combiuationstöne  allerdings  aus,  nicht  aber 
auch  zur  Aufklärung  über  die  verschiedenartige  Wirkung  jener  Zusammen- 
klänge überhaupt,  wie  es  nach  Helmholtz's  Auslassungen  scheinen  könnte.  Iij 
Beziehung  auf  diese  andere  Stellung  der  Sache  gegenüber,  sobald  das  eigentlich 
musikalische  Gebiet  betreten  ist,  finden  sich  bei  Helmholtz  (S.  o58)  folgende 
Erklärungen:  »Indem  wir  in  dieser  dritten  Abtheilung  unsere  Untersuchungen 
hauptsächlich  der  Musik  zuwenden,  und  zur  Begründung  der  elementaren  Re- 
geln der  musikalischen  Composition  übergehen  wollen,  betreten  wir  einen  andern 
Boden,  der  nicht  mehr  rein  naturwissenschaftlich  ist,  wenn  auch  die  von  uns 
gewonnene  Einsicht  in  das  AVesen  des  Hörens  hier  noch  mannigfache  Anwen- 
dung finden  wird.  AVir  schreiten  hier  zu  einer  Aufgabe,  die  ihrem  Wesen  nach 
in  das  Gebiet  der  Aesthetik  gehört.  Wenn  wir  bisher  in  der  Lehre  von  den 
Consonanzen  von  Angenehm  und  Unangenehm  gesprochen  haben,  so  handelte 
es  sich  nur  um  den  unmittelbaren  sinnlichen  Eindruck  des  isolirten  Zusammen- 
hanges auf  das  Ohr,  ohne  alle  Rücksicht  auf  künstlerische  Gegensätze  und 
Ausdrucksmittel,  nur  um  sinnliches  Wohlgefallen,  nicht  um  ästhetische  Schön- 
heit. Beide  sind  streng  zu  trennen,  wenn  auch  das  erstere  ein  wichtiges  Mittel 
ist,  um  die  Zwecke  der  letzteren  zu  erreichen.  Die  geänderte  Natur  der  fortan 
zu  behandelnden  Gegenstände  verräth  sich  schon  durch  ein  ganz  äusserliches 
Kennzeichen,  nämlich  dadurch,  dass  wir  fast  bei  jedem  einzelnen  derselben  auf 
historische  und  nationale  Geschraacksvcrschiedenheiten  stossen.«  Das  Folgende 
aber  zeigt  dann,  daf>s  Helmholtz  den  Boden  der  Naturwissenschaft  doch  nicht 
genügend  aufzugeben  AVillens  ist.  Nachdem  er  constatirt  hat,  dass  nur  die 
Thatsache,  ob  ein  Zusammenklang  mehr  oder  weniger  rauh  ist  als  ein  anderer, 


Harmoniesystem.  43 

von  der  anatomischen  Structur  des  Ohres  abhängt,  fährt  er  fort:  »Wie  viel 
Rauhigkeit  aber  der  Hörer  als  Mittel  musikalischen  Ausdrucks  zu  ertra^-en 
geneigt  ist,  hängt  von  Geschmack  und  Grewöhnung  ab.«  Also  nur  der  Grad 
der  Con-  oder  Dissonanz  ist  von  psychologischen  Motiven  abhängig,  und  nur 
in  sofern  ist  die  Grenze  zwischen  Consonanzen  und  Dissonanzen  als  veränderlich 
anzunehmen  und  konnten  die  »Tonleitern,  Tonarten  und  deren  Modulationen 
einen  mannigfachen  "Wechsel«  durchmachen;  zur  Erklärung  der  Sache  selbst 
genügen  die  physikalisch-physiologischen  Bedingungen, 

Helmholtz  entwickelt  nun  ganz  consequent  erst  die  melodische  Verwandt- 
schaft zwischen  Klängen.  Nachdem  er  an  analogen  Fällen  aus  andern  Gebieten 
der  sinnlichen  "Wahrnehmung  nachgewiesen  hat,  dass  wegen  des  Messens  der 
Aenderung  in  der  Tonhöhe  kein  continuirlicher  TJ ebergang,  sondern  nur  stufen- 
weiser Fortschritt  in  der  Melodie  stattfinden  kann,  fährt  er  (S.  391)  fort: 
»Fragen  wir  nun ,  welcher  Grund  kann  da  sein ,  wenn  wir  von  einem  gewissen 
Anfaugstone  ausgehen,  den  Schritt  nach  irgend  einem  bestimmten  anderen 
Tone  zu  bevorzugen  vor  den  Schritten  nach  seinen  Nachbartönen?  Wir  erin- 
nern uns  dabei,  dass  schon  beim  Zusammenklang  je  zweier  Töne  ein  solches 
Verhältniss  von  uns  bemerkt  worden  ist.  Es  ei'gab  sich  dort,  dass  gewisse 
besondere  Tonintervalle,  nämlich  die  Consonanzen,  sich  im  Zusammenklange 
vor  allen  von  ihnen  auch  nur  wenig  verschiedenen  Intervallen  durch  den  Mangel 
der  Schwebungen  auszeichneten.  Einige  dieser  Intervalle,  die  Octave,  die 
Quinte  und  Quarte,  finden  wir  nun  in  allen  bekannten  Tonleitern  \vieder.« 
Nachdem  er  nun  die  Ansicht  der  neueren  Theoretiker,  dass  die  Tonleiter  ent- 
standen sei  durch  Auflösung  der  Grundaccorde  der  Tonart,  widerlegt  hat,  fährt 
er  fort:  »Die  angeführte  Ansicht  und  Hypothese  der  Musiker  kann  in  etwas 
abgeänderter  Fassung  einen  Sinn  erhalten,  wenn  wir  nämlich  annehmen,  dass 
dieselben  physikalischen  und  physiologischen  Beziehungen  der  Klänge,  welche 
sich  bei  den  Zusammenklängen  geltend  machen  (das  Zusammenfallen  der  Par- 
tial-  und  Differenztöne),  und  die  Grösse  der  consonanten  Intervalle  bestimmen, 
auch  in  der  Construction  der  Tonleiter,  wenn  auch  unter  abgeänderten  Be- 
dingungen, wirksam  sein  können.« 

Helmholtz  entwickelt  dann  daraus,  dass  man  in  der  reinen  Octave  und 
Duodecime  einen  Theil  der  Partialtöne  des  Grundklanges  höre,  und  aus  dem 
Zusammenfallen  von  Partialtönen  beim  Erklingen  der  reinen  Octave  und  Quinte, 
diese  Intervalle  als  die  nächsterkeunbaren  Beziehungen  von  Klängen.  Ganz 
ähnlich  ist  es  mit  der  TJmkehrung  der  Quinte,  der  reinen  Quarte.  Auch  bei 
der  grossen  Terz  und  deren  Umkehrung,  der  kleinen  Sexte,  fallen  Obertöne 
zusammen.  »Indessen  je  schwächer  die  übereinstimmenden  Obertöne  werden, 
desto  schwerer  wird  es  natürlich,  die  dadurch  gegebene  Beziehung  der  Töne 
zu  empfinden,  besonders  weil  diese  Ueberein Stimmung  beim  gewöhnlichen  unbe- 
fangenen Hören  zwar  empfunden  werden  kann,  aber  nicht  als  solche  zur  be- 
wussten  Wahrnehmung  kommt.«  —  Möglich  ist  es,  dass  die  Verwandtschaft 
zwischen  den  Tönen  der  genannten  Intervalle  hiermit  wii'klich  ihrem  Wesen 
nach  begründet  und  erklärt  ist;  indessen  macheu  sich  doch  noch  verschiedene 
Bedenken  hiergegen  geltend.  In  unserer  temperirten  Stimmung  fallen  die  be- 
treffenden Obertöne  bei  Quinten  und  Terzen  keineswegs  genau  zusammen,  — 
und  noch  weniger  gilt  dieses  bei  etwaiger  unreiner  Ausführung  von  Musik- 
stücken, —  und  gleichwohl  wird  auch  hier  die  Verwandtschaft  erkannt.  Und 
selbst  bei  Stimmung  in  richtigen  Quinten  und  Terzen  würde  dieses  Princip 
für  Erklärung  der  Verwandtschaft  der  natürlichen  Septimen  und  Nonen ,  die 
Helmholtz  bei  Construction  des  Dominantseptimenaccordes  und  des  hieraus  ent- 
standenen Nonenaccordes  mit  verwerthet,  aus  denselben  Gründen  unzureichend 
sein.  Zudem  würden  ja  selbst  bei  psychologischer  Erklärung,  nach  welcher  die 
Verwandtschaft  durch  die  Erkenntniss  der  einfachsten  Schwingungsverhältnisse 
entsteht,  die  Obertöne  zusammenfallen,  nur  weil  sie  durch  einfachste  Theilung 
des  klingenden  Körpers  entstehen,  —  also  rein  zufällig.     Die  Thatsache,  dass  die 


44 


Hiirraouiesystem. 


Verwandtschaft  zwischen  den  Tönen  jener  Intei'valle  ara  leichtesten  erkennbar 
ist,  kann  aber  nicht  bestritten  werden;  es  mag  daher  die  Helmholtz'sche  Er- 
kiärungsweise,  die  trotz  der  Einwendungen  manches  für  sich  hat,  so  lange 
Geltung  haben,  bis  uns  Physiologie  oder  Psychologie  —  denn  einer  oder  beiden 
"Wissenschaften  fällt  die  Aufgabe  bestimmt  zu  —  eine  stichhaltigere  zu  bieten 
im  Stande  sind.  Helmholtz  geht  aber  noch  weiter.  Die  nach  seinem  Principe 
schwerer  erkennbare  Verwandtschaft  bei  Terzen  und  Sexten  vei-anlasst  ihn  zu 
behaupten,  »dass  die  Verwandtschaft  der  Octave,  der  Quinte  und  auch  wohl  die 
der  Quarte  zu  ihrem  Grundtone  im  melodischen  Fortschritte  von  allen  musi- 
cirenden  Völkern  leicht  und  sicher  bemerkt  wurde,  die  Verwandtschaft  der 
Terzen  und  Sexten  aber  viel  schwerer,  und  dass  die  letzteren  Intervalle  zu 
sicherer  und  bestimmter  Anerkennung  erst  durch  die  harmonische  Musik  ge- 
langten« (S.  396).  Er  benutzt  daher  zur  Construction  der  alten  Tonleitern 
nur  Octave,  Quinte  und  Quarte,  oder  eigentlich  nur  Octave  und  Quinte.  Haupt- 
veranlassung hierzu  sind  ihm  allerdings  historische  Gründe,  nämlich  die  theo- 
retische Construction  der  Tonsysteme  mit  fünf  Stufen  in  der  Octave,  und  ferner 
die  Thatsache,  dass  die  Verwandtschaft  der  in  den  Melodien  verwertheten  Töne, 
sobald  man  dieselben  in  Leiterform  bringt,  auf  diese  Weise  ziemlich  einfach 
nachzuweisen  ist.  Das  erste  widerlegt  sich  durch  die  eben  so  sichere  Thatsache, 
dass  die  Theoretiker  bei  Systemconstruction  die  Terzen  auch  bis  in  die  neueste 
Zeit  hinein  unbeachtet  gelassen  haben.  In  Beziehung  auf  das  zweite  muss 
erinnert  werden,  dass  die  Verwandtschaft  zwischen  den  Tönen  einer  Melodie 
von  etwas  ganz  anderem  abhängt,  als  von  den  in  ihr  vorkommenden  Tönen 
und  davon,  welcher  dieser  Töne  zufällig  die  Grenze  nach  unten  bestimmt.  Die 
Verwandtschaft  der  Töne  einer  Melodie  ist  oft  eine  ganz  andere,  als  die  Ver- 
wandtschaft der  Töne  derjenigen  Tonleiter,  auf  welcher  die  Melodie  zufällig 
beruht.  Die  Verschiedenheiten  der  folgenden  Liedanfänge,  denen  allen  die  Leiter 
d—f—g  —  a  —  h  —  d'  oder  nach  Helmholtz's  Construction  die  des  Tonsystems 
h—f—g  —  d—a  zu  Grunde  liegt,  werden  dieses  ohne  weiteres  beweisen. 


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^- 


=t=:4: 


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In  Beziehung  auf  die  griechische  Musik  ist  es  also  sehr  misslich,  Schlüsse 
zu  ziehen,  da  von  ihr  fast  nur  die  Construction  der  Leitern  bekannt  ist.  Was 
aber  die  Musik  anderer  alter  Völker  betrifft,  so  sprechen  die  von  Helmholtz 
mitgetheilten  Beispiele  keineswegs  für  seine  Behauptung,  dass  z.  B.  bei  dem 
Schritte  einer  grossen  Terz  die  Quintverwandtschaft  vierten  Grades  der  näheren 
Terzverwandtschaft  vorzuziehen  sei.  TJeberhaupt  fasst  Helmholtz  den  Begriff 
»Tonai't«  oder  »Tongeschlecht«  nach  meiner  TJeberzeugung  zu  allgemein.  Von 
einer  solchen  Einheit  kann  doch  nur  die  Rede  sein,  wenn  sich  die  Gesammtheit 
der  Töne  auf  eine  bestimmte  Einheit  bezieht,  sei  diese  Einheit  nun  nur  ein 
einziger  Ton,  oder  seien  es  zwei  oder  mehr  einheitlich  verwandte  Töne,  d.  h. 
also  die  Töne  einer  Octave,  einer  Quinte  oder  einer  Terz  resp.  eines  conso- 
nirenden  Accordes.  Im  letzteren  Falle  entsteht  nach  meiner  Auffassung  unsere 
heutige  Tonart,  während  bei  den  alten   Tonarten    sich  alle   Töne  entweder  nur 


H  ar  moniesystem . 


45 


auf  einen  Ton,  oder  doch  nur  auf  zwei  einheitlich  verwandte  Töne  zu  beziehen 
brauchten.  Wollte  man  alle  möglichen  Beziehungen,  in  denen  die  Töne  einer 
diatonischen  Leiter  verbunden  werden  können,  als  Tonarten  auffassen,  so  müsste 
man  unzählige  Tongeschlechter  annehmen;  denn  noch  heute  treten  die  Töne 
einer  Leiter  alle  Augenblicke  in  Verhilltnissen  auf,  die  ein  Verlassen  derjenigen 
Tonart  bedingen,  in  deren  Leiter  sich  die  Melodien  bewegen.  Nach  meiner 
Annahme  giebt  es  nur  die  alten,  nach  unserer  heutigen  Anschauung  unvoll- 
kommenen Tonarten  und  unser  Dur  und  Moll.  Die  ersteren  ordnen  sich, 
sobald  sie  wirklich  nur  eine  Tonart  darstellen,  bald  unserem  Dur,  bald  unserem 
Moll  unter.  Alle  Tonfolgen,  bei  denen  dieses  nicht  der  Fall  ist,  also  auch 
Melodien,  bei  denen  die  Verwandtschaft  von  mehr  als  drei  Quintenschritten 
abhängig  ist,  sind  keine  Tonarten,  sondern  Tonartverbindungen,  deren  Zahl 
eben  unbegrenzt  ist  und  die  von  Helmholtz  entwickelte  Anzahl  von  Touge- 
schlechtern  bei  weitem  übersteigt.  Dass  wir  übrigens  unvollständige  Tonarten 
noch  heute  haben,  mögen  die  folgenden  Melodien  beweisen,  während  Tonart- 
verbindungen, wie  sie  sich  in  verschiedenen  sogenannten  alten  Tonar-ten  finden, 
in  den  vorher  gegebenen  Beispielen  aufgetreten  sind.  Den  beiden  folgenden 
Melodien  liegen  die  Leitern 

c  —  d—e—g  —  h  —  c  resp.  c  —  d—es—f—g—li  —  c 
zu  Grunde,    und    die    auftretenden   Töne    sind  die  nächsten  Verwandten  von  g 
resp.  von  c  und  g. 

(C-dur.) 


3^=^i=i|=3^iyEiE3Eg 


[^ 


^ 


ZiZZZ4- 


^s,f=i 


m 


w 


-^^- 


^^^^^^i 


Somit  ist  es  nicht  noth wendig,  den  alten  Völkern  andere  Grundprincipien 
in  Beziehung  auf  Erkenntniss  der  Tonverwandtschaft  zuzuschreiben  als  uns. 
Der  Helmholtz'sche  Grundsatz  auf  S.  358  seines  Werkes  über  die  Tonverwandt- 
schaft bedarf  also  einer  Abänderung.  Er  lautet:  »Das  System  der  Tonleitern, 
der  Tonarten  und  deren  Harmoniegewebe  beruht  nicht  auf  unveränderlichen 
Naturgesetzen,  sondern  ist  die  Consequenz  ästhetischer  Principien,  die  mit  fort- 
schreitender Entwickelung  der  Menschheit  einem  Wechsel  unterworfen  gewesen 
sind  und  ferner  noch  sein  werden.«  Nach,  meiner  Auffassung  würde  dafür  zu 
setzen  sein:  »Die  Erkenntniss  der  Tonverwandtschaft  beruht  auf  unabänderlichen 
Naturgesetzen.  Die  Bedingungen  aber,  unter  denen  diese  Gesetze  in  den  ein- 
zelnen Fällen  wirken,  sind  abhängig  nicht  blos  von  ästhetischen,  sondern  oft 
auch  von  rein  mechanischen  Principien,  die  einer  Veränderung  unterworfen 
waren  und  sein  werden.«  Die  Frage,  ob  wirklich  auch  rein  mechanische  Be- 
dingungen verändernd  einwirken  können,  wird  bejaht  durch  Anführung  der 
Thatsache,  dass  die  Modulation  zur  Blüthezeit  des  Contrapunktes  wesentlich 
beeinflusst  wurde:  1.  von  den  als  Dogmen  gültigen  Eegeln  des  strengen  Satzes, 
2.  von  den  damals  herrschenden  Ansichten  über  die  Kirchentöne,  3.  von  der 
Einrichtung     des     damals    gebräuchlichen     (unvollständigen     reinen     Quinten-) 

Tonsystems: 

es  —  h^f—c  —  g—d—a—e  —  li—fis  —  cis—gis. 

In  Beziehung  auf  die  melodische  Tonverwandtschaft  erscheint  also  das 
Helmholtz'sche  H.  —  abgesehen  von  seiner  Unzulänglichkeit  —  als  nicht  con- 


46  Harmoniesystem, 

sequent  genug.  Die  consouirenclen  Accorde  construirt  Helraholtz  aus  den  nach 
seiner  Auffassung  wegen  mangelnder  Schwebungen  consonir enden  Intervallen. 
Er  gelangt  zur  Herstellung  der  Dur-  und  Jl/bZZdreiklänge  in  den  verschiedenen 
Umkehruugen,  und  zwar  auf  Grund  folgender  Definition:  »Damit  ein  Accord 
consonant  sein  könne,  ist  zunächst  klar,  dass  jeder  Ton  desselben  mit  jedem 
anderen  Tone  consonant  sein  müsse«  (S.  320),  d.  h.  nur  wenig  Schwebungen 
ergeben  dürfe.  Wie  sich  diese  Definition  hinsichtlich  des  übermässigen  Drei- 
klanges bei  temperirter  Stimmung  als  unzureichend  erweist,  wurde  schon  be- 
rührt. Die  consöuirenden  Accorde  selbst  betrachtet  dann  Helmholtz  als  Ver- 
treter gewisser  Grrundklänge ;  er  steht  also  hierin  Rameau  mit  seinem  Funda- 
mentalbasse sehr  nahe.  Der  C-c?<«*dreiklaug  ist  in  allen  seinen  Lagen  Vertreter 
des  Klanges  C;  der  (7-woZZdreiklaug  in  der  Stammform  ist  ein  durch  den  Ton 
es  (für  e)  »etwas  veränderter  oder  getrübter«  C-Klang;  der  C'-wioZZsextaccord 
dagegen  erscheint  bald  als  getrübter  6-Klang,  bald  auch  als  veränderter  Es- 
Klang.  Mit  demselben  Rechte  Hessen  sich  auch  der  übermässige  Dreiklang 
c  —  e  —  (jis,  der  Septimenaccord  c  —  e—g  —  h  und  die  Nonenaccorde  c  —  e—g  —  b  —  d 
und  c—e — g  —  h  —  des  als  »getrübte  0-Klänge«  auffassen,  und  thatsächlich  thut 
Hclmlioltz  dies  auch  in  Beziehung  auf  die  letzteren  Accorde.  Dass  diese  An- 
schauungen nicht  gerade  geeignet  sind,  besondere  Klarheit  über  die  Accordlehre 
zu  verbreiten,  bedarf  wohl  keines  Beweises. 

Die  Verwandtschaft  zwischen  consonirenden  Accorden  bestimmt  Helmholtz 
durch  folgende  Sätze:  »Direkt  verwandt  nenne  ich  zwei  Accorde,  welche  einen 
oder  mehrere  Töne  gemein  haben.  Im  zweiten  Grade  verwandt  sind  Accorde, 
welche  beide  mit  demselben  consonanten  Accorde  direkt  verwandt  sind.  Wenn 
zwei  Töne  zweier  Accorde  identisch  sind,  ist  ihre  Verwandtschaft  eine  engere, 
als  wenn  nur  ein  Ton  es  ist«  (S.  454).  In  Beziehung  auf  die  Verwandtschaft 
ersten  Grades  behält  also  Helmholtz  die  alte  Ansicht  einfach  bei.  Bei  Ver- 
wandten im  zweiten  Grade  aber  muss  sich  nach  dieser  Ansicht  der  Hörer  einen 
ausgelassenen  Accord  dazwischen  denken,  zwischen  y—o  —  c  und  g  —  h — d  also 
z.  B.  den  Accord  c  —  e—g.  Warum  aber  soll  dem  Ohre  zugemuthet  werden, 
sich  einen  ganzen  Accord  zu  denken,  da  es  ja  von  dem  vorhandenen  c  aus 
durch  eine  einzige  Quinte  den  Ton  g,  und  von  hier  aus  leicht  die  anderen  Töne 
finden  kann.  Dabei  ist  diese  Annahme  immerhin  noch  so  unzureichend,  dass 
Helmholtz  z.  B.  schon  in  Beziehung  auf  Palestrina,  Gabrieli,  Monteverde  und 
andere  Componisten  erklären  muss:  »Es  fehlt  bei  den  genannten  Meistern  noch 
fast  jede  Rücksicht  auf  die  Verwandtschaft  der  einander  folgenden  Accorde 
unter  sich.  Diese  folgen  einander  oft  in  ganz  unzusammenhängenden  Sprüngen« 
(S.  4.54).  Bei  Construction  der  dissonirenden  Accorde  stimmt  Helmholtz  ziemlich 
genau  mit  M.  Hauptmann  überein;  dieser  Tlieil  seines  H.'s  bedarf  also  hier 
keiner  näheren  Betrachtung. 

Weiter  entwickelt  wurde  das  Helmholtz'sche  System  nach  gewissen  Seiten 
hin  durch  A.  v.  Oettingen  (»Harmoniesystem  in  dualer  Entwickelung«).  Wenn 
V.  Oettingen  auch  in  verchiedenen  Punkten  von  Helmholtz  abweicht,  so  siimnit 
er  doch  in  Bezieliung  auf  den  Standpunkt,  von  dem  er  ausgeht,  ziemlich  genau 
mit  ihm  überein.  Helmholtz  hat  die  Erweiterungen  v.  Oettingen's  auch  ge- 
wissermaassen  angenommen,  indem  er  in  der  dritten  Auflage  seines  AVerkes 
wiederholt  anerkemiend  auf  das  v.  Oettingon'sche  AV^erk  hinweist;  v.  Oettingen 
selbst  kennzeichnet  seinen  Standpunkt  auf  folgende  Weise:  »Im  Anschluss  an 
die  Theorie  der  Klanganalyse  und  an  die  Funktionen  des  menschlichen  Gehör- 
organes  entwickelt  Helmholtz  eine  Theorie  der  Dissonanz.  Dieser  Thcil  der 
Untersuchung  hat  besonders  für  die  Instrumentationslehre  hohen  Werth,  und 
scheint  das  Fundament  der  Aesthetik  zu  bilden  bestimmt.  Aber  auch  die 
Harmonielehre  ist  wesentlich  gefördert.  In  dem  Princip  der  Verwandtschaft 
der  Klänge,  und  in  der  Anschauung,  die  Accorde  als  A^ertreter  von  Klängen 
anzusehen,  d.  h.  im  Princip  der  Klangvertretung,  —  da  liegt  die  geeignete 
Grundlage    für    eine    rationelle  Theorie  der  Musik«   (S.   2).     Bei  den  JfoZMrei- 


Harmoniesystem.  47 

klängen  stimmt  v.  Oettingen  allerdings  der  Helmholtz'sclien  Auffassung  in  Be- 
ziehung auf  diese  Ansicht  nicht  zu.  »Eine  derartige  negative  Begründung  der 
J/oZ^harmonie  kann  unmöglich  befriedigend  das  Verständniss  dieses  Accordes 
ausdrücken.  Dem  Intervall  c  —  g  könnte  auf  diese  Weise  jeder  beliebige  andere 
Ton  (etwa  dis)  als  »störendes  Element«  beigesellt  werden«  (S.  44).  Auch  in 
Beziehung  auf  den  Wohlklang  der  Intervalle  fand  v.  Oettingen,  »dass  als  Grund- 
lage für  die  Theorie  Helmholtz's  Erörterungen  nicht  ausreichen  können«  (S.  5). 
»Angeregt  durch  ein  eingehendes  Studium  des  Helmholtz'schen  Werkes,  ent- 
deckte ich  neue  Gesichtspunkte,  die  eine  weitergreifende  Speculation  zu  ge- 
statten schienen.  Die  Theorie  der  Dissonanz,  wie  Helmholtz  sie  entwickelt, 
schien  wie  vorhin  schon  angedeutet,  mehr  als  Grundlage  für  eine  Instrumen- 
tationslehre, als  für  den  allgemeinen,  von  jeglicher  Klangfarbe  unabhängigen 
und  ganz  bestimmten  Begriff  der  Dissonanz  in  der  Harmonielehre  geeignet. 
In  dem  Princip  der  Vei'wandtschaft  der  Klänge  gelang  es  mir,  ein,  zwar  von 
Helmholtz  wohl  bemerktes,  aber  nicht  conseq^uent  verfolgtes  Moment  zu  finden. 
Und  von  hier  aus  erschloss  sich  auch  für  das  andere  Princip,  für  das  der 
Klangvertretung,  ein  neuer  Standpunkt,  von  welchem  aus  der  Bau  der  Ton- 
systeme, die  Verwandtschaft  der  Tonarten,  und  die  Theorie  der  Dissonanz  und 
ihrer  Auflösung  einer  neuen  Bearbeitung    unterzogen  werden    konnten«  (S.  4). 

Die  Klangverwandtschaft  entwickelt  v.  Oettingen  nun  in  folgender  Weise: 
»Wir  kennen  c  —  e  —  rj  als  Bestandtheile  des  O-Klanges,  denn  wenn  letzterer  er- 
tönt, werden  allemal,  wenn  ein  an  Obertönen  reicher  Klang  unser  OJir  afficirt, 
alle  die  demselben  entsprechenden  Fasern  unseres  Gehörorganes  in  Schwin- 
gungen versetzt.  Dadurch  sind  wir  im  Stande,  umgekehrt,  wenn  mehrere  Töne 
erklingen,  zu  unterscheiden,  ob  und  welchem  Grundklange  sie  angehören.  Letz- 
teres Moment,  und  das  ist  hier  zu  beachten,  beruht  auf  einer  psychologischen 
Thätigkeit,  »der  Erinnerung«.  Ohne  Hinzuziehung  dieser  wäre  in  der  That 
jede  Erklärung  fruchtlos,  —  Nun  aber  kann  nicht  geläugnet  werden,  dass  wir 
die  Intervalle  erkennen,  auch  wenn  ganz  obertonlose  Klänge  angegeben  werden, 
und  noch  mehr:  Wir  sind  im  Stande,  Töne  und  Melodien  zu  denken,  ohne 
dass  irgend  ein  Theil  des  Gehörorganes  durch  äussere  physikalische  Erregungs- 
mittel afiicirt  werde,  und  wir  können  uns  Töne  in  reiner  und  solche  in  unreiner 
Stimmung  vorstellen.  Das  Princip  der  Verwandtschaft  der  Klänge  müssen  wir 
anerkennen  in  der  Art,  wie  es  Helmholtz  dargethan,  aber  es  gewinnt  eine 
tiefere  Bedeutung,  wenn  wir  es  als  Grundlage  einer  nunmehr  verständlichen 
psychologischen  Thätigkeit  erfassen.«  »Was  den  Grad  der  Verwandtschaft  der 
Klänge  anbetrifft,  so  glaube  ich,  dass  derselbe  nicht  von  der  Klangfarbe 
der  einzelnen  Instrumente  abhängig  sein  kann.«  »Oder  wollte  man  behaupten, 
dass  für  die  Clarinette  und  für  gedeckte  Pfeifen,  die  bekanntlich  nur  ungerade 
Obertöne  haben,  eine  näliere  Verwandtschaft  zwischen  Grundton  und  Duodecime 
besteht,  als  zwischen  Grundton  und  Octave?  Bei  Orgelpfeifen,  die  merklich 
von  der  reinen  Stimmung  abweichende  Octavenobertöne  haben,  werden  wir 
ebenso  wenig  diesen  verstimmten  Tönen  einen  nahen  Verwandtschaftsgrad  ein- 
räumen wollen.  Diese  Beispiele  deuten  darauf  hin,  dass  wir  dem  Princip  der 
Verwandtschaft  der  Klänge,  auf  Grund  reiner  Obertöne,  eine  tiefere  psycho- 
logische Bedeutung  zuerkennen  müssen«  (S.  41  ff.).  »Wenn  ein  Ton  bald  nach 
seinem  Verschwinden  von  Neuem  erklingt,  so  erkennt  man  ihn  als  denselben 
wieder.  Wird  statt  eines  einfachen  Tones  ein  Klang  vernommen,  so  ist  jeder 
Partialton  des  Klanges  nachher  ein  im  Gedächtniss  vorhandener  Ton.  Ver- 
wandt werden  endlich  je  zwei  Klänge  sein,  die  gemeinsame  Partialtöne  be- 
sitzen.« Der  erste  Theil  der  Helmholtz'schen  Definition  der  Klangverwandtschaft 
(s.  S.  43)  wird  deshalb  in  folgender  Weise  geändert:  »Verwandt  im  ersten 
Grade  nennen  wir  Klänge,  welche  entweder  Partialtöne  eines  und  desselben 
Grundtones  sind,  oder  zwei  gleiche  Partialtöne  haben.« 

Der  Verwandtschaftsgrad  zweier  Töne  ist  nach  beiden  Richtungen  ein  und 
derselbe.     »Das  Intervall  e— y  =  5:G  kann  beispielsweise  als  fünfter  und  sechster 


48  Harmoniesystera. 

Partialton  des  Gruudtoncs  Ci  =  l  angesehen  werden,  und  ebenso  ist  der  gemein- 
schaftliche Oberton  7i'^  =  36  der  sechste  Partialton  von  e  und  der  fünfte  von  y.a 
'  »Bei  Octave,  Quinte,  grosser  Terz,  grosser  Sexte,  grosser  Septime  und  vielen 
anderen  Intervallen  stimmt  der  Grundton  mit  dem  tiefereu  Intervalltone,  der 
gemeinschaftliche  Oberton  mit  dem  höheren  Intervalltone  überein.  Bei  Quarte, 
kleiner  Sexte,  grossem  Halbton  \\.  s.  w.  ist  es  umgekehrt.  Bei  kleiner  Terz 
und  grosser  Sexte  und  den  Umkehrungen  und  Erweiterungen  beider  ergänzt 
der  Grrundton  das  Intervall  zum  Z>«rdreiklange,  der  gemeinschaftliche  Oberton 
dagegen  zum  ilToZZdreiklange.«  »In  ähnlicher  A¥eise  könnte  leicht  weiter  unter- 
sucht werden,  welche  Beziehungen  zwischen  Grundton  resp.  gemeinschaftlichem 
Oberton  und  den  gegebenen  Intervalltönen  bestehen  für  andere  Intervalle.  Allein 
weder  für  praktische  noch  für  theoretische  Gesichtspunkte  würde  ein  erheblicher 
Vortlieil  aus  der  Untersuchung  der  weiter  liegenden  Gebilde  erwachsen«  (S.  52). 
Der  Abschluss  ist  also  rein  willkürlich.  Den  Verwandtschaftsgrad  kann  v.  Oet- 
tingen  daher  auch  nur  »im  allgemeinen«  bestimmen  »durch  diejenigen  Ordnungs- 
zahlen der  Partialtöue  eines  gegebenen  Intervalls,  welche  den  gemeinschaftlichen 
Oberton  bilden,  oder  durch  diejenigen  Oi'dnungszahlen,  welche  dem  Intervall 
in  Beziehung  auf  den  Grundklang  zukommen«.  Er  muss  aber  sofort  auch  zu- 
gestehen, dasB  hiermit  ein  eigentliches  Maass  für  die  Verwandtschaft  noch  nicht 
gegeben  ist.  »Das  Moment  der  Uebereinstimmung  des  Grundtones  und  des 
gemeinschaftlichen  Obertones  mit  den  Intervallbestandtheilen  allein  kann  hier 
nicht  entscheiden.  Denn  eine  solche  findet  selbst  bei  sehr  engen  Intervallen 
statt  wie  z.  B.  bei  15:16  =  Ä:e  oder  125 :  128=^is:  as.«  Er  erklärt  auch  das 
Auffinden  eines  Maasses  für  »sehr  schwer«.  Freilicli  versucht  er  ein  solches 
aufzustellen;  diese  Speculation  erscheint  ihm  aber  selbst  als  »noch  zu  wenig 
begründet,  und  in  gewissem  Sinne  zu  vage,  um  befriedigen  zu  können«.  Es 
ist  also  liiermit  nicht  viel  erreicht.  Zudem  lassen  sich  gegen  diese  Ansicht 
dieselben  Einwürfe  machen,  die  v.  Oettingen  selbst  Helmholtz  gegenüber  con- 
statirt  (s.  S.  47).  Denn  wenn  das  Ohr  einen  falschen  Oberton  hört,  so  kann 
unmöglich  »die  Erinnerung«  den  richtigen  festhalten. 

Hinsichtlich  der  consonirenden  Accorde  findet  v.  Oettingen  folgendes:  Bei 
Z>wrdreiklängen  {e  —  e  —  fj)  treffen  die  Grundtöne  ((7i)  der  beiden  verbundenen 
Terzen  {c—e  und  e  —  cj)  zusammen,  während  die  gemeinschaftlichen  Obertöne 
derselben  (e^  und  li?')  nicht  zusammen ti'efFen.  Bei  den  il/b/Zdreiklängen  [c—es—g) 
dagegen  haben  die  beiden  Intervalle  (c  —  es  und  es~g)  zwar  einen  gemeinschaft- 
lichen Oberton  (^^) ,  aber  ihre  Gi^undtöne  (^AsTi  und  Tlsi)  difi'eriren.  Hiermit 
glaubt  nun  v.  Oettingen  die  Hauptmann'sche  Ansicht,  dass  der  J/oZZdreiklang 
der  Gegensatz  des  Dwrdreiklanges  sei,  auf  naturwissenscliaftliche  Grundlagen 
zurückgeführt  zu  haben.  Ich  kann  dem  nicht  beistimmen.  Diese  Erscheinung 
muss  sich  nach  der  Hauptmann'schen  Construction  der  Dreiklänge  aus  Quint 
und  Terz,  weil  auf  rein  mathematischer  Basis  beruhend,  ganz  von  selbst  er- 
geben; sie  kann  daher  gar  nichts  beweisen.  Es  Hesse  sich  dasselbe  aber  ausser- 
dem auch  für  Septimenaccorde  und  verschiedene  andere  Zusammenklänge  nach- 
weisen. Noch  klarer  tritt  die  Unhaltbarkeit  des  v.  Oettingen'schen  H.'s  bei 
folgender  Construction  der  Tonsysteme,  Tonarten  und  Tonleitern  auf:  »Jeder 
Zweiklang  für  sich  ist  zweideutig.  Ohne  Hinzunahme  von  Terzen  ist  daher 
ein  System  nicht  denkbar.«  Die  Verbindung  der  Töne_/— e— y,  in  welcher  c 
das  Centrum  wäre,  »kann  den  Namen  eines  Systems  noch  nicht  beanspruchen, 
weil  in  derselben  noch  kein  Dreiklang  möglich.«  »Versuchen  wir  statt  der 
Töne  y,  c,  g  deren  Klänge  zu  einem  System  aufzubauen ,  so  können  wir  zwei 
verschiedene  "Wege  einschlagen: 

f—a~c,  c  —  e-g,  g  —  h—d 

h — des — y,  f — as  —  c,  c  —  es —g.a 
»Die  ersten  drei  Di-eiklänge  sind  aufsteigend,  die  letzteren  absteigend  ge- 


und 


Harmoniesystera . 


49 


bildet.     Stellen  wir  die  Bestandtheile    je    dreiei'  Dreiklänge    nach  der  Tonhöhe 
zusammen,  so  erhalten  wir  folgende  zwei  diatonische  Tonleitern: 

c  —  d  —  e  — f—g  —a  —  li  —  c 
c  —  des  —  es  — f—  g  —  as  —  h  —  e. 

Die  erste  ist  die  jD«rtonleiter,  die  in  entsprechender  Weise  von  jeher  dar- 
gestellt worden,  die  zweite  dagegen  ist  die  dorische  Tonleiter  der  Griechen 
(phrygische  Kirchentonart).  Keine  der  beiden  Leitern  ist  symmetrisch  in  sich 
gestaltet,  wohl  aber  ist  die  zweite  der  vollkommene  Gregensatz  der  ersten« 
(S.  63  ff.). 

Man  sieht,  auch  v.  Oettingen  ist  der  Ansicht,  dass  die  melodische  Ver- 
wandtschaft abhängig  sei  von  der  Leiter,  in  welcher  sich  eine  Melodie  bewegt; 
ja  er  nimmt  sogar  an,  die  Verwandtschaft  sei  in  der  Leiter  und  in  der  Melodie 
dieselbe,  wie  bei  Verbindung  der  aus  den  Leitertönen  gebildeten  Accorde.  Wie 
irrig  diese  Anschauung  ist,  habe  ich  schon  S.  44  Helmholtz  gegenüber  nach- 
zuweisen versucht.  Bei  v.  Oettingen  kommt  aber  noch  hinzu,  dass  derselbe 
unser  Moll  als  reines  System  gar  nicht  anerkennen  will;  dem  widerspricht  aber 
die  Praxis  unserer  Componisten,  die  Ansicht  aller  Theoretiker,  wie  auch  die 
TJeberzeugung  derjenigen,  welche  sich  sehr  eingehend  mit  dem  Studium  des 
Volksgesanges  beschäftigt  haben.  Freilich  sucht  v.  Oettingen  seine  Anschau- 
ungen gerade  als  mit  der  Praxis  übereinstimmend  zu  begründen.  Er  ist  liierbei 
aber  nicht  sehr  glücklich.  In  Beziehung  auf  die  als  Beispiele  citirten  Volks- 
melodien brauche  ich  nur  an  die  S.  44  beigebrachten  Thatsachen  zu  erinnern. 
Mit  seinen  anderen  Belägen  ist  es  noch  misslicher.  Wenn  er  folgende  Har- 
monisirung  (a)  für  entsprechend  der  dorischen  Melodie  hält,  so  ist  die  «Ehr- 
würdigkeit des  dorischen  Geschlechts«,  von  der  er  spricht,  jedenfalls  sehr  frag- 
lich. Wie  er  aber  aus  der  Bassmelodie  der  «Egmontouverture«  (h)  einen  Beleg 
für  die  Natürlichkeit  und  Gebräuchlichkeit  des  dorischen  Geschlechts  entwickeln 
will,  ist  gänzlich  unerfindlich.  Der  erste  Theil  ist  der  C-woZWreiklang  mit  dem 
melodisch  eingefügten  Nebentoue  as  zu  ^;  der  zweite  Theil  dagegen  ist  ja  nichts 
anderes  als  der  Dominantseptimenaccord  g  —  h  —  d—f  mit  dem  Nebentone' a*  zu  g. 
Wenn  hier  nicht  die  C-OToWtonart  markirt  sein  soll,  so  ist  sie  es  nirgends;  ich 
wüsste  wenigstens  kaum  ein  überzeugenderes  Beispiel  für  dieselbe  anzuführen. 
Wie  V.  Oettingen  dazu  kommt,  hier  eine  Aehnlichkeit  mit  der  ganz  unmelo- 
dischen  Tonfolge  bei  c  zu  entdecken,  ist  mir  ganz  unbegreiflich. 


pfE^E*=EEl 


;ÜEi 


^^iSi«^^^ 


•^ 


Die  Ansichten,  welche  in  dem  v.  Oettingen'schen  Werke  über  die  Ver- 
wandtschaft der  Accorde  und  über  die  Dissonanzbildung  entwickelt  sind,  über- 
gehe ich  hier;  man  findet  sie   schon  in  diesem  AVerke  unter  Consonnnz  und 


Dissonanz  und  Fortschr oitung  kritisirt. 

Musikal,    Convers.-Loxikon.     V. 


50  Harraoniesystem. 

F.  W.  Opelt  (»Allgemeine  Theorie  der  Musik  auf  den  Rhythmus  der 
Klaugwellenpulse  gegründet«,  Leipzig  1852)  steht  nur  in  soweit  auf  natur- 
wissenschaftlichem Boden,  als  er  von  den  Schwingungszahlen  und  deren  Ver- 
hältnissen ausgeht.  Uehrigens  ist  Opelt's  Theorie  nur  eine  etwas  modificirte 
Form  der  Theorie  des  berühmten  Mathematikers  L.  Euler  (»Tentamen  novae 
theoriae  Musicaea,  Petropoli  1739).  Nach  dieser  Theorie  gefällt  »Ordnung 
unserer  Seele  besser  als  Unordnung,  und  so  gefällt  uns  auch  eine  Vei'bindung 
von  Tönen,  wenn  wir  in  ihren  Schwinguugszahlen  leicht  eine  Ordnung  ent- 
decken können.«  lieber  den  Charakter  der  Schwingungsrhythmen  behauptet 
Opelt  folgendes:  Rhythmen  der  Zahl  2  und  deren  Vielfache  haben  einen  ruhigen 
Charakter,  Rhythmen  der  Zahl  3  einen  lebendigen,  bei  5  ist  der  Charakter  zur 
Aufregung  hinneigend,  bei  7  völlig  aufregend  und  bei  11,  13  und  17  störend. 
Helmholtz  spricht  sich  über  diese  Theorie  wie  folgt  aus:  »Euler  hat  diese 
Untersuchungen  nicht  nur  auf  einzelne  Consonanzen  und  Accorde,  sondern  auch 
auf  Folgen  von  solchen,  auf  die  Construction  der  Tonleitern,  die  Modulationen 
angewendet,  und  es  kommen  viele  überraschende  Specialitäten  vollkommen 
richtig  heraus.  Aber  abgesehen  davon,  dass  das  Euler'schc  System  die  Er- 
klärung der  Thatsache  schuldig  bleibt,  warum  eine  schwach  verstimmte  Con- 
sonanz  nahezu  ebenso  gut  klingt,  wie  eine  reine,  und  besser  als  eine  stärker 
verstimmte,  während  doch  die  Zahlen  Verhältnisse  gerade  für  eine  schwach- 
verstimmte Consonanz  in  der  Regel  am  meisten  complicirt  sein  werden,  so  liegt 
die  Hauptschwierigkeit  der  Euler'schen  Ansicht  darin,  dass  gar  nicht  gesagt 
wird,  wie  es  die  Seele  denn  mache,  dass  sie  die  Zahlenvcrhältnisse  je  zwei 
zusammenklingender  Töne  wahrnehme.  "Wir  müssen  bedenken,  dass  der  natür- 
liche Mensch  sich  kaum  klar  macht,  dass  der  Ton  auf  Schwingungen  beruhe. 
Dafür  ferner,  dass  die  Schwingungszahlen  verschieden  sind,  bei  hohen  Tönen 
grösser  als  bei  tiefen,  und  dass  sie  bei  bestimmten  Intervallen  bestimmte  Ver- 
hältnisse haben,  fehlt  den  unmittelbaren  bewussten  sinnlichen  Wahrnehmungen 
jedes  Hülfsmittel  der  Erkenntniss«  (Helmholtz,  a.  a.  0.  S.  350).  Diese  Ein- 
würfe gelten  genau  in  derselben  Fassung  auch  Opelt  gegenüber.  Dazu  kommt, 
dass  bei  Opelt  und  Euler  die  Dissonanz  etwas  ganz  zufällig  Störendes  ist,  das 
System   selbst  auf  Zulänglichkeit  aber  durchaus  keinen  Anspruch  machen  kann. 

Auf  rein  psj^chologischer  Grundlage  beruhen  die  H.e  von  0.  Kraushaar 
(»Der  accordliche  Gegensatz  und  die  Begründung  der  Scala«,  Cassel)  und  M. 
Hauptmann  (»Die  Natur  der  Harmonik  und  Metrik«,  Leipzig  1853).  Ueber 
die  Kraushaar'sclie  Schrift  berichtet  M.  Hauptmann  in  der  Vorrede  seines 
"Werkes:  »Der  Verfasser  dieser  Schrift,  Herr  Otto  Kraushaar,  bekennt  in  einer 
Zuschrift,  mit  welcher  er  das  AVerkchen  mir  übersendet,  dass  die  darin  dar- 
gelegte Theorie  aus  Grundbestimmungen  entwickelt  sei,  die  er  von  mir  zuerst 
ausgesprochen  gehört  habe.  Möchte  er  diess  in  der  Schrift  selbst  mit  einigen 
Worten  erwähnt  haben.  Jetzt  kann  es  sonderbar  scheinen,  dass  zwei  Autoren 
in  etwas  Neuausgesprochenem  sich  so  auffallend  mit  gleichen  Gedanken  be- 
gegnen, wie  es  in  einigen  Punkten  von  Kraushaar's  Schrift  und  der  gegen- 
wärtigen zu  finden  ist:  namentlich  in  der  Erklärung  des  J/bZZdreiklanges ,  in 
der  Nachweisuug  eines  positiven  und  negativen  Verhaltens  von  akustischen 
Bestimmungen  überhaupt;  und  ebenso  in  manchen  Aeusserlichkeiten,  wie  die 
Bezeichnung  der  Accorde  und  des  Systems  der  Tonart«  (S,  VII).  Hierzu  "be- 
merkt V.  Oettingen  (a.  a.  0.  S.  47):  »Obgleich  sehr  kurz,  so  ist  doch  Kraus- 
haar's Darstellung  in  einigen  Punkten  consequenter ,  als  die  Hauptmann's. 
Was  aber  die  negativen  Eigenschaften  und  die  Klangbedeutung  der  ilfoZZdrei- 
klänge  betrifft,  dürfte  unzweifelhaft  die  Priorität  Hauptmann,  wenn  nicht  etwa 
Rameau  gebühren.«  Seine  Absichten  deutet  0.  Kraushaar  wie  folgt  an:  »Den 
accordlichen  Gegensatz  gründe  ich  auf  den  Gegensatz  der  Töne,  von  welchen 
aus  die  Accordbildung  erfolgt,  und  den  Gegensatz  der  Töne  oder  den  soge- 
nannten tonischen  Gegensatz  auf  den  der  Grössen-  und  Schwingungsverhältnisse 
der  Körper,  deren  Vibrationen   den  Impuls  zur  Tonerzeugung  geben.     Dadurch 


Harmoniesystem.  51 

gewinne  ich  einen  festen  Anhaltspunkt  zwischen  dem  Hörbaren  und  Sichtbaren, 
somit  zwischen  der  Musik  und  der  Aussenwelt  überhaupt.«  Die  letzte  Be- 
hauptung ist  freilich  leider  ein  sehr  gewagter  Trugschluss,  da  weder  die  Grössen- 
noch  die  Schwingungsverhältnisse  der  tönenden  Körper  sichtbar  sind.  »Ich 
leite«,  fährt  Kraushaar  fort,  »den  denkenden  Kunstfreund,  indem  ich  meine  Be- 
trachtungen von  Zusammenklängen  ausgehen  lasse,  die  ihrer  Wirkung  nach 
bekannt  sind,  zu  deren  Grrundbestandtheilen  und  von  da  weiter  fort  zum  tönen- 
den Princip.  Von  diesem  aus  gelange  ich  zu  einer  nicht  nur  neuen,  sondern 
auch  philosophisch  festeren  Bestimmung  der  musikalischen  Grundaccorde ,  als 
diejenige  ist,  welche  man  bis  jetzt  gewonnen  hat.  In  Folge  dessen  gelange 
ich  zur  Entwickelung  des  accordlichen  Gregensatzes  und  mit  Hülfe  dieser  neuen 
Lehre  zur  Begründung  der  Scala,  als  der  einstimmigen  Darstellung  der  Ver- 
bindung der  zunächst  auf  einander  bezüglichen  entgegengesetzten  Accorde«  (S.  4). 
Man  erkennt  leicht,  dass  Kraushaar  zu  denjenigen  gehört,  denen  die  melodische 
Verwandtschaft  einzig  und  allein  abhängig  erscheint  von  den  Tönen,  welche 
eine  Melodie  berührt.  Dass  dieses  eine  sehr  einseitige  Auffassung  ist,  wurde 
schon  S.  44  dargelegt.  Noch  weniger  Zustimmung  verdient  aber  die  Art  und 
"Weise,  wie  Ki-aushaar  S.  15  ff.  die  Systeme  der  Tonarten  entwickelt.  Er  stellt 
die  Töne  auf,  deren  Schwingungszahlen  entsprechen  würden  den  ganzen  Zahlen 
von  1  bis  32  resp.  den  Brüchen  von  ^i  bis  ^/si.  Durch  Ausscheidung  der 
»gleichnamigen  oder  Octavtöne«   erhält  er  die  Reihen 

1,  3,  5,  7,  9,  11,  13 
und  j 

Hieraus   construirt  er  die   Tonreihen 

c — g  —  e  —  b — d  —  f—a  und  c—J" — as  —  d — h—g—es, 
ohne  zu  bedenken,  dass  die  Töne  vom  jedesmaligen  vierten  Tone  ab  in  keinem 
einzigen  Tonsysterae  vorkommen.  Er  muss  ülnügens  selbst  folgendes  eingestehen: 
»Mit  der  Darstellung  der  vorstehenden  entgegengesetzten  Tonreihen  wäre 
übrigens  für  musikalische  Betrachtungen  im  Grunde  auch  nichts  gewonnen.« 
Gleichwohl  behauptet  er  kurz  nachher:  »Bei  alle  dem  bleibt  die  übrige  Ent- 
wickelung der  entgegengesetzten  Tonreihen  von  grosser  "Wichtigkeit,  weil  die 
auf  den  Grund  derselben  zu  stützende  Darstellung  des  tonischen  Gegensatzes 
nicht  an  den  unerfassbaren  "Umfang  von  Tönen  gebunden  ist«  (S.  24);  und  in 
der  That  baut  er  auf  jener  kritisirten  Grundlage  weiter.  Ich  gehe  deshalb 
sofort  zu  M.  Hauptmann  über,  was  ich  wohl  um  so  sicherer  thun  kann,  als 
viele  Einzelheiten  der  Kraushaar'schen  Theorie,  wie  schon  erwähnt,  bei  M. 
Hauptmann  wiederkehren.  Uebrigens  hat  Kraushaar  seine  im  Vorworte  aus- 
gesprochene Absicht,  in  einem  grösseren  Werke  seine  neue  Lehre  umfangreicher 
und  vollständiger  darstellen  zu  wollen,  so  viel  mir  bekannt,  bis  jetzt  noch  nicht 
ausgeführt. 

Moritz  Hauptmann's  Werke  ist  von  verschiedenen  Seiten  zum  Vorwurfe 
gemacht  worden ,  »dass  die  der  Hegel'schen  Dialektik  entsprechende  Termino- 
logie dieses  Buches  dasselbe  einem  grösseren  Leserkreise  unzugänglich  gemacht 
habe«.  C.  E.  Naumann  (»Ueber  die  verschiedenen  Bestimmungen  der  Tonver- 
hältnisse«, Leipzig  1858,  S.  43)  urtheilt  in  folgender  Weise:  »Was  die  an  die 
Spitze  der  Hauptmann'schen  Lehre  gestellten,  der  Hegel'schen  Denkweise  ent- 
sprechenden philosophischen  Begriffe  anlangt,  so  scheint  es  uns,  als  erschwerten 
sie  nur  den  Zugang  zu  dem  hier  so  reichlich  fliessenden  Quell  musikalisch- 
theoretischer Belehrung.  Für  Denjenigen,  welclier  sich  mit  der  Lehre  Hegel's 
von  der  Bewegung  der  Begriffe  durch  die  drei  Momente  des  ununterschiedenen 
mit  sich  Eins-seius,  des  von  sich  Verschieden- seins  und  der.  Beides  in  sich 
verbunden  enthaltenden  höheren  Einheit  niclit  befreunden  kann,  ist  es  daher 
mindestens  nothwendig,  für  jene  philosophischen  Begriffe  analoge,  die  gewöhn- 
liche Logik  nicht  übersteigende  Gedanken  zu  substituiren.«  Helmholtz  und 
andere     stimmen     diesem    TJrtheile    bei.      Was    die    Verbreitungsfähigkeit     des 


52  Harmoniesystem. 

Hauptmann'schen  "Werkes  betrifft,  so  glaube  ich  im  Gegensatze  zu  obiger  An- 
nalime,  —  und  ich  scheue  mich  nicht,  es  hier  zu  bekennen,  —  dass  gerade 
die  Unverstäudlichkeit  dem  Hauptmann'schen  Werke  viele  Bewunderer  erwoi'ben 
hat,  Bewunderer  freilich,  an  denen  Hauptmann  selbst  wohl  kaum  etwas  gelegen 
haben  wird.  Die  Thatsachcn  selbst  sprechen  für  meine  Ansicht,  Den  von 
Naumann  ausgesprochenen  AVunsch  hat  M.  Hauptmann  selbst  verwirklicht 
(»Die  Lehre  von  der  Harmonik.  Nachgelassenes  Werk,  herausgegeben  von 
Dr.  Ose.  Paul«,  Leipzig  1868);  die  Vereinfachung  der  Hauptmann'schen  Lehre 
hat  aber  eher  ernüchternd  gewirkt,  als  neue  Anhänger  gewonnen.  Die  Be- 
deutung des  Hauptmann'schen  Werkes  wird  indessen  hierdurch  keineswegs 
geschmälert. 

Mit  der  Annahme  von  nur  drei  direkt  verständlichen  und  unveränderlichen 
Intervallen  (reine  Octave,  reine  Quinte  und  grosse  Terz)  betrat  Hauptmann 
unstreitig  den  richtigen  Weg.  Auch  bei  Construction  der  consonirenden  Drei- 
klänge durch  Auf-  und  Abwärtsmessen  von  Terz  und  Quint,  und  theilweise 
auch  noch  in  Beziehung  auf  die  Entstehung  der  dissonirenden  Accorde  muss 
man  Hauptmann  zustimmen.  Schade  nur,  dass  er  sich  theils  durch  seine  Be- 
geisterung für  die  Hegel'sche  Pbilosophie,  theils  auch  durch  die  in  Folge  einer 
Nichtberücksichtigung  verändernder  Bedingungen  entstandene  Unzulänglichkeit 
seines  Systems  veranlassen  liess,  für  jene  Intervalle  philosophische  Begriffe  ein- 
zuführen und  sie  »in  ihrer  ganz  allgemeinen  Wesenheit  und  nicht  blos  als 
Tonintervalle  gefasst  haben«  zu  wollen.  Durch  diese  Ansicht  wird  er  verleitet 
zu  unzulänglicher,  einseitiger  und  dabei  unrichtiger  Construction  der  Tonarten 
und  der  Modulationen  und  zu  incousequenten  Anschauungen  bezüglich  der 
Accordverbindungen.  Unzulänglich  und  einseitig  z.  B.  scheint  es  mir,  wie  schon 
S.  44  nachgewiesen  wurde,  die  Tonart  aus  einer  Verbindung  von  Accorden 
herstellen  zu  wollen.  Geradezu  unrichtig  aber  ist  es,  wenn  Hauptmann  die 
J/oZZtouartleiter  wie  bei  a,  construirt  (s.  »Die  Lehre  von  der  Harmonik«  S.  28), 
wo  durch  die  Verwandtschaft  mit  den  Tönen  g  —  c  —  d—f  die  tonartliche  Ein- 
heit gänzlich  zerstört  wird.  Ganz  dasselbe  gilt  in  Beziehung  auf  Hauptmann's 
Annahme  einer  MoUdurtonnri  (h,   S.   29). 


a. 


|^^S£gEiE5=4f^;=fe=P?^E^JE^E3i:^| 


-• ti— :-5 — ^— =— !r^ • ä — —m — "^ — «3 — =— tr 

III  III 

Hinsichtlich  der  Harmonieschritte  vermag  Hauptmann  eine  Verwandtschaft 
nur  nachzuweisen,  wenn  gemeinschaftliche  Töne  vorhanden  sind.  »Ohne  einen, 
zwei  auf  einander  folgenden  Accorden  gemeinschaftlichen,  vorhandenen  oder 
hinzugedachten  Ton  ist  eine  verständlich  fortschreitende  Dreiklangsfolge  nicht 
möglich«  (a.  a.  0.  S.  40).  »In  der  Accordverbindung  liegt  zwischen  dem  C-dur- 
und  ö-t?M?'dreiklange  der  jE'-woZZdreiklang,  zwischen  dem  F-dur-  und  C-durArei- 
klange  der  ^^-?noZMreiklang.  Diese  Zwischenaccorde  werden  bei  harmonischer 
Vermitteluug  nicht  übersprungen,  und  können  nicht  umgangen  werden,  sie  liegen 
am  Wege.  Es  sind  Stationen,  bei  denen  im  Schnellzuge  nicht  angehalten  wird.« 
Die  meisten  Fortschreitungen  sind  also  nach  Hauptmann's  Ansicht  erst  durch 
das  Einschieben  ausgelassener  Accorde  erklärlich,  —  was  jedenfalls  eine  In- 
consequenz  des  ganzen  Systems  zur  Folge  haben  musste  (s.  auch  Fortschrei- 
tung). Hauptmann  selbst  erkennt  in  Rücksicht  auf  diese  seine  Ansicht  von 
der  Accordverwandtschaft  folgendes  an:  »Mit  solcher  formalen  Selbstbestimmung, 
die    eine  Folge    von  Accorden    nur    allein    in    gebundener    Nothwendigkeit    er- 


Harmonieverbilldung  —  Harmonieverscliiebungeu.  53 

wachsen,  ja  wie  eine  mineralische  Krystallisation  anschiessen  lässt,  ohne  alle 
Freiheit  und  "Wahl,  würde  allerdings  für  die  musikalische  Composition  ein  sehr 
beschränkendes  Material  geboten  sein.  Ihre  Productionen  würden  in  diesen" 
Fesseln  den  egyptischen  Sculjituren  gleichen  müssen,  deren  Verhältnisse  in  so 
strenger  Bestimmtheit  vorgeschrieben  waren,  dass  zwei  Statuen  gleicher  Höhe, 
von  verschiedenen  Bildhauern  gefertigt,  auch  in  allen  Theilen  genau  dieselben 
werden  mussten«  (»Natur  der  Harmonik«,  S,  73).  Dieses  Zugeständniss  führt 
ihn  aber  nicht,  wie  es  consequenter  Weise  doch  sein  müsste,  auf  die  Unzuläng- 
lichkeit seiner  Hypothese,  sondern  er  glaubt  sich  damit  helfen  zu  können,  dass 
er  dem  musikalischen  Organismus  »auch  eine  freiere,  ja  die  freieste  Bewegung 
seiner  Glieder  innerhalb  der  G-esetzmässigkeit«  zugesteht.  Untersucht  man  nun 
die  Zulänglichkeit  des  Hauptmann'schen  H.'s  der  Praxis  gegenüber,  so  ergiebt 
sich  folgendes:  Hauptmann  kann  unser  gleichschwebendcs  Tousystem,  das  für 
die  Praxis  der  letzten  zwei  Jahrhunderte,  und  hoffentlich  auch  für  immer,  allein 
maassgebend  ist,  nur  »als  Nothlüge«  anerkennen,  während  er  selbst  dafür  ein 
Tonsystem  giebt,  das  seiner  Unvollständigkeit  wegen  nur  ein  unvollkommenes 
Surrogat  bietet.  Dass  aber  das  Hauptmann'sche  H.  zur  Erklärung  und  Be- 
gründung dessen  nicht  ausreicht,  was  die  moderne  Tonkunfet  an  harmonischen 
Mitteln  verwendet,  dafür  spricht  M.  Hauptmanu's  bekannte  absprechende  Stel- 
lung gegenüber  den  Fortschritten  der  modernen  Composition  (s.  auch  Ton- 
system). 

Alle  bis  jetzt  besprochenen  H.e  beruhen  also  entweder  auf  unhaltbaren 
Voraussetzungen,  oder  sie  entbehren  der  vollständigen  wissenschaftlichen  Con- 
sequenz;  nebenbei  aber  sind  die  meisten  von  ihnen,  auch  schon  bei  einer  Be- 
schränkung auf  die  Compositionen  unserer  anerkannten  classischen  Meister, 
vollkommen  unzulänglich.  Gleichwohl  hält  man  sich  nicht  selten  für  berechtigt, 
auf  Grund  des  einen  oder  des  anderen  dieser  Systeme  in  den  Werken  neuerer 
Meister  »harmonische  Ungeheueidichkeiten« ,  »Missklänge«  u.  dergl.  wittern  zu 
dürfen;  ja  man  hat  es  gewagt,  gegenüber  von  Versuchen  neuer  Systemconstruc- 
tionen  öffentlich  zu  sprechen  von  dem  »Wüste  in  den  Köpfen  derjenigen,  welche 
ähnlich  den  alten  Scholastikern  neue  Theoreme  ersinnen,  um  die  harmonischen 
Ungeheuerlichkeiten  der  Zukunftsmusiker  zu  rechtfertigen«.  Glücklicherweise 
gehen  diese  Aeusserungen  allerdings  meistens  aus  von  solchen,  denen,  wie  ihre 
eigenen  Compositionsversuche  zur  Evidenz  erweisen,  die  einfachsten  Elemente 
der  Harmonielehre  unbekannt  sind;  solche  Verdächtigungen  und  Entstellungen 
können  daher  jedenfalls  auch  keinen  Forscher  auf  der  betretenen  Bahn  irre 
machen.  Meinen  eigenen  Versuch  (»System  und  Methode  der  Harmonielehre«, 
Leipzig  1868),  ein  consequentes  und  auch  für  die  neuesten  Erweiterungen  auf 
dem  Gebiete  der  Harmonie  zulängliches  System  zu  construiren,  brauche  ich 
schliesslich  nur  hindeutungsweise  zu  berühren.  Zur  Kritik  dieses  Systems 
genügt  ja  die  Kenutniss  derjenigen  Artikel  dieses  Werkes,  in  denen  die  Grund- 
züge desselben  niedergelegt  sind.  Otto  Tiersch. 

Harmonieverbiudung:  (Verbindung  der  Harmonieen,  Verbindung 
der  Accorde)  wird  gebraucht:  bald  für  Harmonieschritt  (s.  d.),  bald  für 
Harmoniefolge  (s.  d.),  bald  bezeichnet  man  mit  diesem  Ausdrucke  auch  die 
Art  und  Weise,  wie  zwei  aufeinander  folgende  Accorde  mit  einander  verbunden 
sind  (durch   gemeinschaftliche  Töne  etc.,  s.  Harmonische  Fortschreitung). 

0.  T. 

Harmoaieverschiebuügeu  entstehen  durch  diejenigen  Harmonieschritte,  in 
denen  der  Eintritt  des  neuen  Accordes  auf  einem  anderen  Takttheile  stattfindet, 
als  zu  erwarten  war.  Wann  von  einer  solchen  gesprochen  werden  kann,  hängt 
davon  ab,  auf  welchen  rhythmischen  Stellen  eines  Tonstückes  vorzugsweise  der 
Harmouiewechsel  stattfindet.  Wird  jeder  Accord  in  der  Regel  über  einen  ganzen 
Takt  ausgehalten,  so  kann  schon  der  Eintritt  einer  neuen  Harmonie  innerhalb 
eines  Taktes,  —  also  selbst  auf  guter  Taktzeit,  —  als  H.  erscheinen;  in  der 
Begel  spricht  man   von  einer  solchen    aber    nur    dann,    wenn    der  Eintritt  des 


54 


Hannoniewechsel  —  Harmonik. 


neuen  Accordes  auf  unbetonten  Taktth eilen  stattfindet,  und  die  ergrififeneu 
Accorde  über  die  gute  Taktzeit  hinaus  ausgehalten  werden  (a).  Im  dreitheiligeu 
Takte  indessen  erscheint  auch  der  Eintritt  auf  dem  zweiten  Takttlieile  bei  Aus- 
haltuug  über  den  dritten  Takttheil  hinaus  als  H.  (h).  Die  Wirkung  der  H. 
ist  ähnlich  deijenigen,  welche  innerhalb  einer  Melodie  durch  die  sogenannten 
rhythmischen  Rückungen  (s.  d.)  erzielt  wird;  über  diese  spricht  sich  G. 
Weber  (»Allgem.  Musiki.«  §,  XCV.)  wie  folgt  aus:  »Allerdings  findet  unser 
Gefühl  in  solcher  Benachdruckung  und  Belastung  der  innerlich  leichteren  Zeit, 
etwas  gleichsam  Verschobenes  und  Widerhaariges,  etwas  aus  der  Ordnung  des 
gewöhnlichen  Geleises  Gerücktes,  eine  Verzerrung  der  gewöhnlichen  rhythmischen 
Symmetrie;  allein  diese  eigene  Art  der  Empfindung  lässt  sich  zuweilen,  am 
rechten   Orte  und  mit  Umsicht  angebracht,  ganz  vortheilhaft  benutzen.« 


u.     (Roh.  Schumann.) 


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(Beethoven.) 

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0. 


(s. 


llarinouie Wechsel  findet    statt    bei   jedem    Eintritte    eines    neuen  Accordes 
Harmonieschritt). 
Harmoniflfite  (französ.)  ist  der  Name  eines  aus  der  Artenfluth  harmonium- 
artiger  Touwerkzeuge  der  Neuzeit,    die    mehr    durch    ihre  Namen  und  äussere 
Gestaltung  als  durch  innere  Eigenthümlichkeiten  sich  von  einander  unterscheiden, 
hervorragenden  Instrumentes  französischen  Ursprunges.     Alle  diese  Arten   sind 

beschriebenen  Umkreise  bekannt,  wie  der  Verfertiger  der- 

im   Stande    ist.     Die  H.    ist    nach    der  Anzeige 

des  Musikinstrumentenfabrikanten  Matth.  Bauer 

No.  26,  Jahrg.   1874),    ein  kleines 


eng 


so  lange  und  im 

selben  für    sie    zu  interessiren 

eines    der    deutschen  Erbauer, 

in  Wien  (in  der  deutschen  Musikerzeitung 


Harmonium   (s.  d.)  mit  oder  ohne  starke  Register,  das   3,  S'/z  oder  4  Octaven 
Umfang  besitzt.  0. 

Harmonik  (die  Lehre  von  der  Harmonie)  erklärt  H.  Ch.  Koch  («Musi- 
kalisches Lexicon«,  Frankfurt  a.  M.  1802)  wie  folgt:  »H.  war  bei  den  Griechen 
diejenige  Wissenschaft,  die  wir  heut  zu  Tage  die  musikalische  Grammatik  nennen. 
Sie  rechneten  dahin:  1.  die  Kenntniss  der  Töne  überhaupt,  2.  die  Intervallen, 
3.  die  Systeme  und  Klanggeschlechter  und  4.  die  Tonarten  und  Octaveugat- 
tungen.  Einige  griechische  Theoristen  rechnen  hierzu  noch  die  Melopöie  (die 
unserer  Composition  entspricht),  von  anderen  aber  wird  sie  von  der  H.  getrennt 
und  zu  der  eigentlichen  Setzkunst  gerechnet,  die  bei  den  Griechen  aus  der  Melo- 
pöie, Rhythmopöie  und  Poetik  bestand.«  Gathy  (»Musik.  Conversations-Lexikon«) 
bemerkt  in  dieser  Beziehung  weniger  zutreffend:  »Die  Griechen  verstanden 
darunter  die  mathematische  Untersuchung    der  Klänge    und    der  musikalischen 


Harmonik  —  Harmonische  Brechung.  55 

Köi'per.«  In  der  heutigen  Musikwissenschaft  ist  der  Ausdruck  H.  gleichbe- 
deutend mit  dem  Begriffe:  »Lehre  von  der  Harmonie«  gebräuchlich,  wobei  der 
Ausdruck  »Harmonie«  bald  im  engsten,  bald  im  weitesten  Sinne  gefasst  wird 
(s.  Harmonie  und  Harmonielehre).  0.  T. 

Harmonik,  s.  Plageolettöne. 

Harmonika,  s.  Harmonica. 

Harmouiker,  s.  Harmonici. 

Harmouiphon,  ein  1837  von  dem  Instrumentenmacher  J.  P.  Panis  in  Paris 
erfundenes  Blaseinstrument  mit  Claviatur,  dazu  bestimmt,  die  schwierig  zu  behan- 
delnde Oboe  und  das  Bassethorn  zu  ersetzen.  Dieses  Instrument  erregte  anfangs 
einiges  Aufsehen  in  Frankreich,  gehört  aber  schon  jetzt  zu  den  in  dieser  Art 
wieder  fallen  gelassenen  Erfindungen.  Es  konnte  vermittelst  des  Mundes  oder 
eines  Blasebalges  zur  Ansprache  gebracht  werden,  während  die  Finger  sich  auf 
dem  der  Pianoforteclaviatur  ähnlich  construirten  Tastenzeuge  bewegten.  Der 
Ansatz  bot  keine  Schwierigkeiten,  der  Ton  war  dem  der  Oboe  zum  Vei-wechseln 
ilhnlicli,  und  zweistimmige  Tonsätze  konnten  mit  Leichtigkeit  ausgeführt  werden. 
In  dieser  Art  wenigstens  sprachen  sich  französische  Zeitungen  über  das  ver- 
schollene H.  aus. 

Harmonisch  ist  alles,  was  sich  auf  die  Harmonie  (s.  d.),  diesen  Begriff 
im  verschiedensten  Sinne  genommen,  bezieht.  "Welche  Bedeutungen  dieser  Aus- 
druck in  der  Musikwissenschaft  haben  kann,  ist  aus  den  folgenden  Zusammen- 
setzungen ersichtlich. 

Harmonische  Addition,  s.  Addition. 

Harmonische  Anlage  eines  Tonsatzes  ist  die  Art  und  Weise,  wie  der 
Tonsatz  hinsichtlich  der  in  ihm  verwendeten  Accorde  und  Accordverbindungen 
eingerichtet  ist. 

Harmonische  Ausweichung  ist  die  harmonische  Modulation  (s.  d.  und 
Ausweichung)  aus  einer  Tonart  in  eine  andere,  d.  h.  also  die  mit  Hülfe  von 
Harmonien  oder  Accorden  hergestellte  Verbindung  zweier  harmonisch  charak- 
terisirter   Tonarten   (s.  Modulation,   Tonart  u.  s.  f.). 

Harmonische  Begleitung,  s.  Begleitung. 

Harmonische  Bewegung  ist  die  Art  und  Weise,  wie  die  einzelnen  Stimmen 
bei  einer  Accordverbindung  von  einem  Tone  des  ersten  zu  einem  Tone  des 
zweiten  Accordes  fortschreiten  (s.  Fortschreitung).  Die  einzelnen  Arten 
der  harmonischen  B.  findet  man  in   dem  Artikel:  Bewegung  angegeben. 

Harmonische  (oder  gemeine)  Brechung.  Die  Töne  eines  Accordes  ver- 
lieren ihre  harmonischen  Beziehungen  zu  einander  auch  dann  noch  nicht,  wenn 
sie  nicht  gleichzeitig,  sondern  nach  einander  angeschlagen  werden,  wenn  also 
der  Accord  gebrochen  wird  (s.  Arpeggio,  Figuration  und  Grebrochene 
Accorde).  Wenn  sämmtliche  Accorde  einer  Harmoniefolge  gebrochen  werden,  ein 
mehrstimmiger  Satz  also  durch  eine  ^-eringere  Stimmenzahl  oder  durch  eine 
einzige  Stimme  dargestellt  wird,  so  können  zwei  verschiedene  Fälle  eintreten. 
Erscheint  diejenige  Stimme,  welche  die  betreffende  Harmoniefolge  darzustellen 
hat,  dabei  so  geführt,  dass  sie  zwar  die  Harmonien  andeutet,  indem  sie  deren 
Bestandtheile  durchläuft,  dass  aber  ihr  Gesang  doch  nur  als  eine  einzige  Me- 
lodie sich  geltend  macht  (d),  so  spricht  man  von  bioser  harmonischer  oder  ge- 
meiner Brechung.  In  diesem  Falle  ist  auf  die  Verbindung  zwischen  den  ge- 
brochenen Accorden  viel  weniger  zu  achten,  als  darauf,  dass  der  Schwung  der 
Melodie  nicht  gestört  werde,  dass  also  die  melodische  Verwandtschaft  zwischen 
den  einander  folgenden  Tönen  eine  leicht  erkennbare  und  besonders  dem  Ton- 
artwesen entsprechende  ist.  In  dem  zweiten  Falle ,  wo  man  nämlich  die  Fort- 
schreitung der  einzelneu  Stimmen  der  aufgelösten  Accordfolge  gleichsam  noch 
heraushört,  wo  also  eine  einzige  Stimme  gewissermaassen  mehrere  selbstständige 
Stimmen  vorstellt  ('S),  spricht  man  von  stimmiger  Brechung  (s.  d.). 


56 


Harmonische  Cadenz  —  Harmonische  Molltouartleiter. 


a.     (Beethoven.) 


-K-^JTTI 


• 1 Li^iBL^Mab 


^^  ,  ^  >- 


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b. 


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S^eEE 


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Harmouische  Cadenz  heisst  jeder  Schluss,  der  aus  einer  Accordverbinduug 
bestellt  (s.   Cadenz). 

Harmouische  Dissonanzen,  s.  Consonanz  und  Dissonanz. 

Harmonische  Fortschreituug'  ist  die  Bewegung  von  einem  Accorde  zu  dem 
andern  (s.  Fortschreitung,  Harmoniefolge  und  Harmoniescliritt), 

Harmonische  Grmndlag'e  ist  die  (meistens  sehr  einfache)  Harmoniefolge, 
aus  welcher  ein  Tonstück  durch  Einfügung  von  zufälligen  Dissonanzen  (s,  d.) 
u.  dergl.  hervorgegangen  ist  (s.  Harmonische    Zergliederung). 

Harmonische  Härten  entstehen,  wenn  einander  folgende  Accorde  in  keine 
gute  Verbindung  mit  einander  gesetzt  worden  sind.  Näheres  hierüber  ist  noch 
unter  Hart  zu  finden. 

Harmonische  Hand,  s.  Guido  von  Arezzo. 

Harmonische  Mehrdeutigkeit.  Es  kann  im  harmonischen  Gewebe  der  eine 
oder  der  andere  Zusammenklang  nicht  selten  in  verschiedenen  Fällen  verschie- 
denartig aufgefasst  werden,  indem  er  sich  entweder  von  mehreren  Grundhar- 
monien gleichzeitig  ableiten  lässt,  oder  aber  als  durch  zufällige  Dissonanzen 
entstanden  dargestellt  werden  kann.  Ebenso  kann  jeder  einzelne  Ton  eines 
solchen  Zusammenklanges  verschiedentlich  aufgefasst  werden.  Diese  Möglichkeit, 
sich  ein  und  denselben  Ton  oder  Zusammenklang  auf  verschiedene  "Weise  er- 
klären zu  können,  heisst  Mehrdeutigkeit  (s.  d.).  Sind  die  betreffenden 
Klänge  in  den  verschiedenen  Fällen  der  Erklärung  nur  der  Tonhöhe  nach 
gleich,  in  der  Notirung  aber^  verschieden,  so  ist  eine  en harmonische  Mehr- 
deutigkeit (s.  d.)  vorhanden.  Sind  die  betreffenden  Klänge  aber  in  den 
verschiedenen  Fällen  auch  in  der  Notirung  gleich,  so  heisst  die  Mehrdeutigkeit 
eine  einfach  harmonische.  Die  Töne  des  Accordes  li—d'—f  können  betrachtet 
werden  als  Bestandtheile  von  li  —  d'  — /' ,  g  —  h'  —  d'  — /",  gis  —  li  —  d'  —f.,  h  —  d—f—  as, 
h~  d—f—a  u.  s.  f.;  der  Dreiklang  c  —  e—g  ferner  kann  auftreten  als  tonischer 
Dreiklang  in  0-dur ,  als  Dominantdreiklang  in  F-dur,  als  Unterdominantdrei- 
klang in  G-dur,  als  Mediantendreiklang  in  Ä-moll,  als  ITntermediantendreiklang 
in  E-moll  u.  s.  f.  Beide  Zusammenklänge  sind  demnach  harmonisch  mehr- 
deutig, lieber  den  Werth  der  harmonischen  M.  gilt  dasselbe,  was  von  G. 
AVeber  am  Schlüsse  des  Artikels  enharmouische  Mehrdeutigkeit  (s.  d.) 
angeführt  worden  ist.     Näheres  sehe  man  noch  unter  Mehrdeutigkeit  nach. 

Harmonische  Modulation.  Unter  Modulation  (s.  d.)  versteht  man  be- 
kanntlich die  »Art  und  Weise,  wie  das  Ohr  in  eine  Tonart  eingestimmt,  in 
derselben  erhalten  oder  in  eine  neue  Tonart  umgestimmt  wird«.  Wird  dieses 
Einstimmen,  Erhalten  und  Umstimmen  durch  Accordverbindungen  erreicht,  so 
entsteht  eine  harmonische  M.  Näheres  über  dieselbe  und  über  ihre  verschie- 
denen Arten  bringt  der  Artikel  Modulation. 

Harmonische  MoHtonartleiter.  Die  JlToZZtonartleiter  (s.  d.)  wird  von 
verschiedenen  Theoretikern  in  verschiedener  Gestalt  dargestellt.  Diejenige  Form, 
welche  auf-  und  abwärts  gleich  (mit  kleiner  Sexte  und  erhöhter  Septime)  er- 
scheint (a),  heisst  die  harmonische  M.,  weil  man  sie  meist  aus  den  drei  Haupt- 
accorden  (h)  der  J/oZZtonart  (s.  d.)  entwickelt;  sie  wird  auch  wohl  als 
neuere  ^IToZZtonart  leiter  bezeichnet.  Ueber  ihre  Berechtigung,  ihre  Con- 
ßtruction,    sowie   über    die  Entstehung  und  Berechtigung   der  zweiten  Art  (c), 


Harmonische  Multiplication  —  Hafmouische  Nebenuoten. 


57 


der  sogenannten  melodischen  oder  alten  Molli  nleiter  (s.  d.),  lese  man 
die  Artikel:  Ji'o^Ztona.rt,  Jfo^Ztonartleiter,  Tonart  und  Tonartleiter 
nach;  auch  unter  Harmouiesystera  findet  sich  man  lies  hierher  gehörige. 


A-moll. 

^ — =5 — ;=; 

f=- =3 

'—'     er 

P=fe4^; 


*=t 


,+     + 


:t= 


1=1=1- 


■tz 


:t 


:t= 


-\r- 


0.  T. 

Harmouische  Multiplication  nannten  die  Alten  eine  der  harmonischen 
Rechnungsarten  (s.  d.),  die  in  neuerer  Zeit  nicht  mehr  in  Anwendung  ge- 
bracht wird,  da  sie,  nur  zu  wiederholten  Verbindungen  derselben  Verhältnisse 
anwendbar,  durch  die  Addition  (s.  d.)  gänzlich  verdrängt  ist.  Die  harmo- 
nische M.  bestand  darin,  dass  mau  die  Grlieder  des  gegebenen  Verhältnisses 
quadrirte  und  das  Produkt  beider  Grlieder  in  die  Mitte  setzte.  AVenn  z.  B,  das 
Verhältniss  3  :  2  gegeben,  so  ist  3X3  =  9,  2x2  =  4,  und  3X2  =  6;  folglich 
das  Facit  9:6:4,  welche  Ausfühx'ung  man  in  folgendem  Ansätze  wohl  am 
kürzesten  angedeutet  sieht: 

3  :  2 

9:6:4 

Jede  fortgesetzte  progressionengebende  harmouische  M.  würde  folgendermaasseu 

anzusetzen  und  auszuführen  sein: 

9:6  ,  6:4 

giebt 


81 

:  54  :  36 

UHU. 

36 

:  24 

16 

9 

:  6  9  :  6 

1  1 

:  36 

6 

:  4  6 

4 

81  :  54 

:  24  : 

16 

3:23 

1    1 1 

:  2  3 

1  1 

2  3  : 

i  I 

2 

2. 

Harmouische  Nebeuuoteu  oder  harmonische  Nebentöue.  Wie  man  eine 
Accordfolge  durch  harmonische  Brechung  (s.  d.)  in  eine  Melodie  um- 
wandeln kann,  so  kann  man  umgekehrt  auch  jede  einfache  Melodie  ausschmücken, 
indem  man  einzelne  Töne  ihrer  harmonischen  Begleitung  zuzieht.  Diese  zur 
Melodie  gezogenen  Töne  heissen  harmonische  N.;  dieselben  spielen  bei  Aus- 
schmückung von  Melodien,  namentlich  für  Instrumentalstimmen,  eine  sehr  wich- 
tige Bolle.  Durch  sie  wird  es  möglich,  .von  einer  einzigen  Stimme  eine  Melodie 
mit  ihrer  ganzen  harmonischen  Begleitung  darstellen  zu  lassen,  was  namentlich 
bei  Sachen  für  concertirende  Soloinstrumente  oft  erforderlich  ist.  So  bildet 
Fr.  Chopin  aus  dem  einfachen  Gesang  bei  a  durch  Zuziehung  von  harmonischen 
und  anderen  Nebennoten  den  reichen  Satz  bei  h,  in  welchem  die  harmonischen 
Nebentöne  der  Melodie  durch  Kreuze,  die  anderen  Neben-  und  Durchgangstöne 
dagegen  durch   Sternchen  ausgezeichnet  sind. 


0.  T. 


58  Hannouische  Obertöiic  —  Harmonische  Sequenz. 

Harnionisclie  Obertöne,  s.  Obertöne,  Paitialtöue  und  Akustik. 

Harmonische  Progression  nennt  man  jede  mehrfach  harmonisch  getheilte 
Proportion.  Die  kürzeste  Weise,  eine  harmonische  P.  zu  erhalten,  ist;  man 
addirt  die  Diffei-enz  zweier  gegebener  Zahlen  zur  ersten  oder  grössten  derselben 
und  dividirt  mit  der  gefundenen  Summe  das  Produkt  beider  Zahlen.  Also  erste 
und  zweite  Operation.      Tlieilung  der  gegebenen  Proportion   2:1. 

i7    T\-rc  II     a  2x1  =  2  ;  2.  3  =  "/3   giebt  die  Proportion:  2  :  1  :  Vs 

/i    Differenz;   '/s    öumme;  '  /     o  i  / 

oder    in    reinen  Zahlen    ausgedrückt:    6:3:2.     Dritte    Operation,     Man    theilt 

die  letzte  Proportion:  3  :  2. 

3  3 

2/     T^cc  I/O  3X2  =  6:6.4  =  l'/a     giebt    die    Progression: 

/i   Differenz;  74  Summe;  '  /       o  r. 

6:3:2:  1^2  oder  in  reinen  Zahlen:  12  :  G  :  4  :  3.  In  gleicher  Weise  ope- 
rirend  schaffen  sich  Progressionen  mit  beliebiger  Anzahl  von  Gliedern.  Aus- 
führlicheres über  die  harmonische  Proportion  und  Progression  bietet  Marpurg 
in  seinen  Anfangsgründen   des  Progressionscalcüls.  2. 

Harmouisclie  Proportion  nennt  man  jeden  Zahlenausdruck,  der  aus  der 
harmonischen  Theilung  eines  Verhältnisses  (s.  d.)  entstanden  ist.  Jede  har- 
monische P.  kennzeichnet  sich  daran,  dass  bei  derselben  die  Differenz  des 
grössten  und  mittleren  Gliedes  gegen  die  Differenz  des  mittelsten  und  kleinsten 
sich  stets  wie  die  des  grössten  zum  kleinsten  verhält.  Man  sehe  die  harmo- 
nische Proportion  6:4:3. 

6  :  4 

—  4:3         6:3 

2:1   =  2T1*  „ 

Harnioüischer  Dreiklanj^'  (lateiu.:  Trias  harmonica)  war  der  frühere  Name 
für  den  cousonirenden  (Dur-  und  Moll-)  Dreiklang.  Einzelne  ältere  Theoretiker 
nennen,  aber  nicht  mit  Recht,  auch  diejenigen  dissonirenden  Dreikläiige  so,  die 
sie  als  Grundaccorde  glauben  annehmen  zu  müssen.  So  findet  sich  bei  J.  A. 
Sclieibe  (»Ueler  die  musikalische  Composition«,  I.  Theil,  S.  72)  folgende  De- 
finition: »Dor  harmonische  Dreiklang  ist  eine  dreistimmige  Grundharmonie  und 
besteht  aus  einem  angenommenen  Grundtone,  dessen  Terz  und  dessen  Quinte. 
Es  giebt  eigentliche,  vollkommene  oder  consonirende,  und  uneigentliche,  ano- 
maliHche  oder  dissonirende  harmonische  Dreiklänge.«  0.   T. 

Harmonische  Rechnung-sarten  heissen  alle  arithmetischen  Hülfsmittol  der 
Kanonik  (s.  d.),  welche  angewandt  werden,  um  sowohl  Klänge  der  harmo- 
nischen Tonleiter  (s.  d.) ,  als  auch  ideale  Töne  in  Zahlen  ausdrücken  zu 
können.  Da  es  mehrere  arithmetische  Wege  nach  diesem  Ziele  hin  giebt,  so 
unterscheidet  man  diese  als  besondere  Theile  dieser  Wissenschaft  und  spricht 
dem  entsprechend  von  einer  harmonischen  Transposition  oder  Ver- 
setzung der  Verhältnisse;  einer  harmonischen  Addition;  einer  har- 
monischen Subtraktion;  einer  harmonischeu  Vergleichung  der  Ver- 
hältnisse; einer  harmonischeu  Theilung  der  Verh  äl  tnisse;  einer  har- 
monischen Progression  und  einer  harmonischen  A'^erl)indung  der 
Verhältnisse.  lieber  das  Wesen  aller  dieser  einzelnen  harmonischen  K.  unter- 
richten die   Specialarlikel  dieses  Werkes.  2. 

Harmonische  Reihe,  s.  Harmonische  Sequenz. 

Harmonisclicr  Gehalt  eines  Tonsatzes.  Mit  diesem  Ausdrucke  bezeichnet 
man  die  Summe  der  in  einem  Tonstücke  verwendeten  Accorde,  Accordverbin- 
dungen  und  Modulationen,  sowie  die  Art  und  AVeise,  wie  dieselben  benutzt 
worden  sind. 

Harmonische   lliickuns",  s.  Harmonieverschiebungen. 

Harmonische  Setinenz  oder  harmonische  Reihe  ist  »eine  fortgesetzte 
Reihe  gleicher  Harmonieschritte«  (Gottl'r,  Weber,  »Versuch«,  II.,  §.  239).  Unter 
Harmoniegang  (s.  d.)  wurde  schon  mitgetheilt,   dass    die   harmonischen  S.en 


Harmouisclios  Intervall  —  Harmonisclie  Theilung  der  Verhältnisse. 


59 


entstellen,  wenn  man  dasselbe  Harmoniemotiv  (s.  d.)  mehrmals  in  conse- 
quenter  Weise  wiederholt  (a).  Die  zu  wiederholende  Gruppe  besteht  in  der 
Regel  nur  aus  zwei  Accorden;  sie  kann  aber  auch  grösseren  Umfang  haben. 
Die  Aehnlichkeit  zwischen  den  einzelnen  Motivwiederholungeu,  die  Symmetrie 
in  der  Sequenz,  hängt  ab:  1.  von  der  Gleichartigkeit  der  Schritte  in  der  Bass- 
stimme (daher  Quiutensequenzen,  Quartensequenzen  etc.),  2.  von  der  Aehnlich- 
keit der  Schritte  in  den  übrigen  Stimmen,  3.  davon,  dass  alle  gleichliegenden 
Accorde  gleichartig  (lauter  7)i<rdreiklänge  u.  dergl.)  sind,  4,  davon,  dass  alle 
Accorde  in  gleichartiger  Umkehrung  und  Lage  erscheinen,  5.  von  der  Gleich- 
artigkeit in  der  rhythmischen  Stellung.    Näheres  findet  sich  noch  unter  Sequenz. 


0.  T. 


Harmouisclies  Intervall.  Ein  Intervall  wird  harmonisch  genannt,  wenn 
seine  Tonglieder  gleichzeitig  als  Zusammenklang,  melodisch  hingegen,  wenn 
sie  im  Nebeneinander  als  Melodie  erscheinen. 

Harmonisclie  Subti-aktion  nennt  man  diejenige  der  harmonischen  Rech- 
nungsarten (s.  d.),  welche  zur  Auffindung  zweier  Zahlen  führt,  deren  Ver- 
hältniss  die  DiflFerenz  von  zwei  gegebenen  Verhältnissen  haben.  Die  Ausfüh- 
rung fordert  eine  kreuzweise  Multiplication ,  wie  die  Division  der  Brüche. 
Sucht  man  z.  B.  die  Differenz  zwischen  2 :  1  und  4:3,  so  findet  man  diese  in 
folgender  Art: 


2vl 
4A3 


6:4  =  3:2  2. 

Harmouische  Theiluug-  der  Intervalle,  s.  Kanon ik  und  Theilung  der 
Intervalle. 

Harmonisclie  Tlieilnng-  der  Verhältnisse  nennt  man  diejenige  der  harmo- 
nischen Rechnungsarten  (s.  d.),  welche  man  anwendet,  um  aus  einem 
grösseren  Verhältnisse  zwei,  drei  oder  mehr  kleinere  zu  schafi'en,  die  zusammen 
dem  grösseren  gleich  sind.  Diese  Aufgabe  ist  durchaus  gleich  mit  der:  eine, 
zwei  oder  mehr  Mittelproportionalen  zu  zwei  Zahlen  zu  suchen,  und  kanu  in 
dreifacher  Weise  gelöst  werden,  wonach  man  auch,  Boetius  folgend,  drei:  arith- 
metische (ß.  d.),  geometrische  (s.  d.)  und  harmonische  Theilungen  der 
Verhältnisse  unterscheidet.  Die  Eigenheiten  des  Produkts  jeder  dieser  Rech- 
nungsarten zeigt  am  klarsten  deren  Unterschied.  Die  arithmetische  Thei- 
lung der  Verhältnisse  bringt  ungleiche  geometrische  Verhältnisse  hervor, 
in  welchen  die  Difi"erenzen  der  Glieder  gleich  sind;  die  geometrische  Thei- 
lung der  Verhältnisse  ergiebt  gleiche  geometrische  Rationen,  deren  Glieder 
ungleiche  Differenzen  haben;    und  die    harmonische  Theilung  erzeugt    un- 


60  Harmonische  Tonleiter    -  Harmonische  Vergleichung  der  Verhältnisse. 

gleiche  geometrische  Verhältnisse  mit  ungleichen  DiflFereuzen  der  Grlieder. 
Bei  letzter  Theilungsart  nun  ist  das  Rechnungsverfahren  folgendes:  Man  sub- 
trahirt  das  kleinere  Grlied  des  Verhältnisses  vom  grösseren ,  multiplicirt  den 
Rest  mit  dem  kleineren  Gliede,  dividirt  die  erhaltene  Grösse  durch  die  Summe 
der  beiden  gegebenen  Glieder  und  addirt  zu  dem  Quotienten  das  kleinere  Glied, 
Letztere  Summe  ist  das  gesuchte  Mittelglied.  Sucht  man  z.  B.  das  Mittelglied 
des  Verhältnisses   2:1,    so  ergiebt    sich   dasselbe  wie    folgt:    1   von   2  bleibt  1; 

1X1  =  1;    2  +  1  =  3;   3  in  1  giebt  Vs;    1  +  73  =  173; 2:173:1.     Da   die 

mittlere  Zahl  dieser  Proportion  eine  gemischte  ist,  so  muss  man  alle  Propor- 
tionsglicder  mit  dem  Nenner  des  Bruches  multiplicix'en,  um  dieselbe  in  reinen 
Zahlen  zu  erhalten.  Ob  die  harmonische  Theilung  das  rechte  Resultat  gegeben 
hat,  lehrt  die  Untersuchung  der  Richtigkeit  der  harmonischen  Proportion 
(s.  d.).  Diese  Rechnungsart  wird  in  der  Kunst  in  jüngster  Zeit  nur  bei  der 
Octave  2:1;  der  Quinte  3:2;  der  grossen  Terz  5:4  und  bei  der  kleinen  Sexte 
8  :  5  angewendet,  da  alle  anderen  Intervalltheilungen  unharmonische  Proportionen 
ergeben  würden.  2. 

Harinouische  Tonleiter  nennt  man  eine  Reihenfolge  von  Tönen  in  einer 
Octave,  deren  Klänge  man  durch  die  einfachste  Theilung  einer  Saite  feststellt. 
Diese  Klänge  sind  einzeln  zum  Grundton  im  vollkommensten,  harmonischsten 
Verhältniss.  Nimmt  man  jedoch  irgend  einen  anderen  Klang  dieser  Tonleiter 
als  Grundton  an  und  versucht  gleiche  Intervalle  zu  demselben,  so  wirken  diese 
Zusammenklänge  oft  durchaus  von  ersteren  verschieden,  unharmonisch.  Dies 
beruht  auf  der  Verschiedenheit  der  Verhältnisse  der  Saitenlängen,  welche  diese 
Klänge  erzeugen.  Letztere  sind  in  ihrem  Verhältnisse  durchaus  nicht  ersteren 
gleich.  Deutlicher  als  die  Anschauung  der  Saitenverhältnisse  machen  uns 
Zahlen,  welche  diese  Verhältnisse  darstellen,  diese  Unterschiede.  Die  Artikel 
über  die  harmonischen  Rechnungsarten  (s.  d.),  welche  in  Zahlen  diese 
Verhältnisse  geben,  bieten  das  Nothwendige  in  dieser  Beziehung,  weshalb  auf 
diese  verwiesen  sei.  Hier  sei  nur  noch  erwähnt,  dass  nach  vielfachen  Versuchen 
endlich  sich  ergab:  dass  zur  möglichst  besten  Harmonie  zu  jedem  Tonleiter- 
klange nur  die  Töne  der  temperirten  Scala  (s.  d.)  geeignet  erscheinen. 
Schon  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  führte  man  dies  Wissen  praktisch 
ein,  und  ist  Seb.  Bach's  »wohltemperirtes  Ciavier«  wohl  als  erster  derartiger 
Markstein  in  der  abendländischen  Kunst  zu  verzeichnen.  Später,  selbst  in 
neuester  Zeit,  wie  Helmholtz's  »Plan  für  rein  gestimmte  Instrumente  mit  einem 
Manual«  in  seiner  »Lehre  von  den  Tonempfindungen«  S.  598  beweist,  tauchte 
der  Gedanke  immer  wieder  auf,  eine  harmonische  T.  zu  schaffen,  die  für  jeden 
Stufenton  uns  vollkommene  Consonanzen  (s.  d.)  zu  Gebote  stellt.  In 
wie  weit  dies  möglich  ist,  wird  die  Zukunft  lehren.  Alle  Tonwerke  jedoch, 
die  durch  Instrumente  dargestellt  werden,  welche  nur  einen  Klang  nach  dem 
anderen  zu  geben  vermögen,  und  deren  Klänge  in  Minimas  flexibel  sind,  werden 
annäliernd  stets  durch  Klänge  der  harmonischen  T.  vorgeführt,  welche  Eigen- 
heiten der  abendländischen  Musik  in  den  Artikeln:  A,  Ais,  As,  B  etc.  und 
A-dur  etc.  in  ausführlicherer  Weise  erörtert  sind.  Alles  dies  lehrt,  dass  eine 
vollkommene  harmonische  T.  das  ideale  Material  der  abendländischen  Tonkunst 
in  sich  schliesst,  jedoch  bis  heute  es  in  der  Praxis  noch  nicht  möglich  geworden 
ist,  dies  Material  zur  Darstellung  von   Tonstücken  rein  anzuwenden.  2. 

Harinouische  Transposition  der  Verhältnisse,  s.  Trans position. 

Harmonische  Verbind» ns,»-  der  Verhältnisse,  s.  Verbindung. 

Harmonische  Vergleichnng-  der  Verhältnisse.  Wie  man  durch  die  har- 
monische Subtraktion  erfährt,  um  wie  viel  zwei  Verhältnisse  von  einander 
unterschieden  sind,  jedoch  nicht,  welches  von  beiden  das  grössere  ist,  so  belehrt 
uns  die  h.  V.  der  V.  ausser  über  die  Differenz  derselben  zugleich  über  das 
Grössenverhältniss  beider  zu  einander.  Betrachtungen  über  Verhältnisse 
grösserer  Ungleichheit  (s.  d.)  lehren,  dass  von  Proportionen  mit  gloicheni 
Vordersatz  dasjenige  Verhältniss  das  grössere  ist,  welches  den  kleinsten  Hinter- 


Harmonische  Verwandtschaft  der  Klänge.  ß\ 

satz  aufzuweisen  hat;  so  z.  B.  ist  6:3  grösser  als  6:4.  Um  nun  diese  Ver- 
gleichung  ausführen  zu  können,  bedient  man  sich  der  Rechnungsart,  welche 
man  zur  Erhaltung  gleicher  Nenner  für  verschiedene  Brüche  in  Anwendung 
bringt.  Man  setzt  beide  Proportionen  in  Bruchform  nebeneinander  und  zwar 
stets  die  grösseren  Zahlen  nach  oben  stellend,  da  wir  mit  Rationen  grösserer 
Ungleichheit  rechnen.  Dann  multiplicirt  man  die  Zähler  unter  sich  und  findet 
dadurch  den  Hauptzähler  der  beiden  noch  zu  suchenden  Nenner;  und  endlich 
multiplicirt  man  beide  E-ationsglieder  kreuzweise,  um  die  gesuchten  Nenner  zu 
erhalten.  Letztere  stellen  die  Differenz  der  Verhältnisse  dar  und  zeigen  zu- 
gleich das  grösste  beider  Verhältnisse  dadurch  an,  dass  selbiges  den  kleinsten 
Nenner  besitzt,     Beispiel: 

Hiernach  stellt  45:36  =  5:4  das  grösste  Intervall,  die  Terz,  und  45:40  =  9:8 
das  kleinste,  den  grossen  Ganzton  dar.  Zu  bemerken  ist  hier  noch,  dass,  wenn 
man  mit  Verhältnissen  kleinerer  Ungleichheit  rechnet,  alles  dasjenige,  was  in 
Vorangegangenem  vom  Zähler  gesagt  ist,  dort  auf  den  Nenner  Anwendung 
findet.  2. 

Harmonische  Verwamltsehaft  der  Kläng-e.  Nach  den  Auseinandersetzungen 
auf  S.  6  des  Artikels  Harmonielehre  sind  Klänge  nur  in  sofern  mit  einander 
verwandt,  als  es  unserer  Seele  gelingt,  die  Beziehungen  zwischen  ihnen  zu  er- 
kennen, in  welchen  sie  hinsichtlich  ihrer  verschiedenen  Eigenschaften  zu  ein- 
ander stehen  (s.  Verwandtschaft  der  Klänge).  In  wie  verschiedener  Weise 
die  verschiedenen  Schriftsteller  die  Verwandtschaft  hinsichtlich  der  Tonliöhe  zu 
erklären  versucht  haben,  ist  in  dem  Artikel  Harmoniesystem  nachgewiesen 
worden.  Hier  habe  ich  daher  nur  noch  meine  Anschauung  von  der  Sache 
darzulegen,  da  nur  nach  meiner  Theorie  die  harmonische  Verwandtschaft 
als  eine  besondere  Art  der  Ton  höhen  verwand  tschaft  (s.  d.)  betrachtet 
wird.  Nach  meiner  Auffassung  erkennt  unser  Ohr  eine  Verwandtschaft  in  der 
Tonhöhe  zwischen  Klängen  nur  dann,  wenn  1.  zwischen  den  Klängen  die  Grund- 
intervalle (reine  Octaven,  reine  Quinten  und  grosse  Terzen)  einzeln  oder  in 
verschiedenartigen  Verbindungen  abgemessen  werden  können,  oder  2.  die  Klänge 
nicht  weiter  als  einen  Halbton  oder  höchstens  einen  Ganzton  von  einander 
entfernt  sind.  Die  letztere  Art  der  Tonverwandtschaft  nenne  ich  (nach  Helm- 
holtz)  die  »Verwandtschaft  durch  Nachbarschaft  in  der  Tonhöhe«  (s.  Nach- 
barschaft und  Verwandtschaft).  Die  erstere  Art  der  Tonhöhenverwandt- 
schaft bezeichne  ich  als  »harmonische  Verwandtschaft  der  Klänge«.  "Wie  unsere 
Seele  dazu  kommt,  das  einzelne  Grundintervall  aufzufassen,  das  nachzuweisen 
überlasse  ich  der  Physiologie  und  Psychologie;  als  die  einfachsten  und  leichtest 
fassbaren  werden  ja  die  drei  genannten  Intervalle  von  allen  Forschern  zugegeben. 
Dass  aber  unsere  Seele  bei  Auffassung  von  Verhältnissen  und  Beziehungen 
sich  mit  möglichst  einfachen  Mitteln  begnügt,  ist  ein  allgemein  anerkannter 
Grundsatz  der  Psychologie.  Die  Hypothese  nun ,  aus  welcher  ich  die  har- 
monische Verwandtschaft  der  Klänge  entwickele,  stimmt  mit  diesem  Grundsatze 
genau  übereiu;  sie  lautet:  »Töne  sind  harmonisch  verwandt,  wenn  zwischen 
ihnen  die  Grundintervalle  abgemessen  werden  können.«  Liesse  sich  nun  aus 
dieser  Hypothese,  —  mit  Zuziehung  natürlich  der  zweiten  Art  der  Tonver- 
wandtschaft, die  an  anderer  Stelle  zu  erklären  und  zu  begründen  ist,  —  ein 
vollkommen  consequentes  und  vollständig  umfassendes  Harmoniesystem  con- 
struiren,  so  würde  jene  Hypothese  so  fest  gegründet  sein,  wie  es  überhaupt 
irgend  eine  Hypothese  auf  irgend  einem  Gebiete  des  menschlichen  Wissens  sein 
kann.  Ob  mir  dieses  zu  erreichen  gelungen  ist,  mag  man  an  den  einzelnen 
theoretischen  Artikeln  (Harmonielehre  u.  s.  f.)  dieses  Werkes  prüfen.  Hin- 
sichtlich der  harmonischen  Verwandtschaft  aber  sollen  hier  einzelne  Andeu- 
tungen folgen. 

Die  harmonische  Verwandtschaft   zwischen  zwei  einander  folgenden  Tönen 


62 


Harmonische  Verwandtschaft  der  Klänge. 


ist  entweder  eine  direkte,  oder  eine  indirekte.  Direkt  ist  sie,  wenn  beide  Töne 
Bestandthcile  eines  und  desselben  Grundintervalls  sind  (a);  indirekt  dagegen 
sind  zwei  Töne  harmonisch  verwandt,  wenn  sie  beide  mit  einem  dritten'  Tone 
oder  mit  zwei  direkt  verwandten  Tönen  direkt  oder  mittelbar  verwandt  sind  (b). 
Die  mittelbare  Verwandtschaft  »zwischen  den  Tönen  eines  und  desselben 
Schrittes  kann  eine  sehr  verschiedenartige  sein,  da  sie  sich  auf  sehr  verschieden- 
artige Vermittelungen  gründen  kann.  So  kann  die  Verwandtschaft  zwischen 
den  beiden  nur  mittelbar  verwandten  Tönen  c'  und  d'  vermittelt  werden  au 
einem  von  den  drei  Tönen  f,  g  und  a,  —  deren  jeder  mit  jedem  der  beiden 
Töne  des  Schrittes  verwandt  ist,  —  oder  an  den  unter  sich  verwandten  Tönen 
c  und  cj,  a  und  e,  f  und  a  u.  s.  f.«  Die  vermittelnden  Töne  sind  in  den  fol- 
genden Beispielen  durcli  Viertelnoten  angegeben;  von  ihrer  Octavlage  kann 
abgesehen  werden,  da  die  Octavc  nachweisbar  nur  eine  Wiederholung  ihres 
Grundtones  ist.  »Auf  welche  Vermittelung  sich  die  Verwandtschaft  in  jedem 
einzelnen  Falle  gründet,  das  hängt  theils  von  den  voraufgehenden  Tonverbin- 
dungen, theils  von  der  etwaigen  Begleitung  ab«,  nämlich  davon,  welcher  der 
vermittelnden  Töne  bereits  besonders  hervortretend  im  Ohre  liegt.  »Geht  nichts 
voraus  und  ist  auch  keine  Begleitung  vorhanden,  so  stützt  sich  das  Ohr  stets 
auf  die  nächstliegende  und  einfachste  Vermittelung,  weil  diese  auch  immer  die 
am  leichtesten  fassbare  und  verständlichste  ist.  Hier  ist  es  die  am  Tone  (j 
erfolgende,  da  c'  sowohl  als  d'  mit  g  direkt  verwandt  ist«  (s.  des  Verf.  »Ele- 
mentarbuch« S.   31  ff.). 


iiiiliäiilpl^^pi 


I    U.S.  I. 


Pll^^l 


u.  s. 


Erklingen  drei  oder  mehr  wesentlich  —  d.  h.  dem  Namen  nach  —  ver- 
schiedene aber  harmonisch  verwandte  Töne  zu  gleicher  Zeit,  so  entsteht  eine 
Harmonie  oder  ein  Accord;  jeder  andere  Zusammenklang  ist  entweder  eine 
zufällige  Dissonanz  oder  eine  Discordanz.  lieber  die  Bildung  der  Accorde  und 
über  die  verschiedenen  Arten  derselben  findet  man  Näheres  unter  Consonanz 
und  Dissonanz.  —  Aufeinanderfolgende  Accorde  sind  harmonisch  verwandt, 
wenn  die  Töne  des  zweiten  Accordes  von  den  Tönen  des  ersten  Accordes  aus 
durch  die  Grundintervalle  sich  bestimmen  lassen  (s.  Fortsehreitung,  Auf- 
lösung, Vorbereitung  etc.).  —  Sind  in  einer  Tonfolge  oder  in  einer  Har- 
monieverbindung alle  bei  Erkenntniss  der  harmonischen  Verwandtschaft  abzu- 
messenden Grund  Intervalle  von  den  Tönen  eines  und  desselben  consonirenden 
Dreiklanges  abzumessen,  so  entsteht  eine  Einheit,  welche  wir  Tonart  (s.  d.) 
nennen.  Werden  die  Töne  einer  Tonart  ihrer  Höhe  nach  so  geordnet,  dass 
die  Vermittelung  der  einzelnen  Schritte  an  den  Tönen  des  tonischen  Drei- 
klanges erfolgt,  so  entsteht  die  Tonartleitcr  (s.  d.);  ist  die  Anordnung  eine 
solche,  dass  die  vermittelnden  Intervalle  von  anderen  Tönen  abzumessen  sind, 
so  entstehen  Tonleitern  mit  anderem  Charakter  (Kirchentöne,  griechische 
Tonarten    [s.  d.  und    Tonart]).     Gewisse    abschliessende   Schritte    innerhalb 


Harmonische  Zergliederung  —  Harmonium. 


63 


einer  Tonart  heissen  Cadenzen  (s.  d.).  "Werden  mehrere  Tonartdarstellungen 
verbunden,  so  entsteht  eine  Ausweichung  (s.  d.  und  Modulation).  —  So 
ergiebt  sich  alles,  was  sich  auf  die  harmonische  Verwandtschaft  gründet,  in  der 
consequentesten  "Weise.  Zieht  man  nun  noch  das  Moment  der  rhythmischen 
Verschiedenheit  in  den  einzelnen  Stimmen  und  die  Verwandtschaft  durch  Nach- 
barschaft in  der  Tonhöhe  zu,  so  umfasst  das  System  alle  Einzelnheiten,  von 
den  einfachsten  Weisen  der  Volksmelodien  ältester  und  neuerer  Zeit,  bis  zu  den 
complicirtesten  melodischen  Wendungen  und  den  bestverleumdeten  »harmonischen 
Ungeheuerlichkeiten  der  Zukunftsmusiker«,  eine  Vollständigkeit,  die  wohl  noch 
kein  System  erreicht  hat. 

Harmonische  Zergliederung.  Um  die  einfachste  harmonische  Grund- 
lage (s,  d.)  eines  Tonsatzes  kennen  zu  lernen,  um  also  nur  das  auszuscheiden, 
was  auf  der  harmonischen  Verwandtschaft  (s.  d.)  der  Töne  beruht,  muss 
man  alle  durch  andere  Bedingungen  entstandenen  zufälligen  Zuthaten  entfernen. 
Hierhin  gehören  alle  rhythmisch  zu  begründenden  ^Veränderungen ,  als  Vor- 
halte, Vorausnahmen  etc.,  —  sowie  alle  durch  die  zweite  Art  der  Ton- 
verwandtschaft eingeführten  D  urchgänge,  Neben-,  Hülfs-  und  Zwischen- 
töne (s.  die  einzelnen  Artikel  und  Zufällige  Dissonanzen).  Dieses  Ver- 
fahren nennt  man  die  »harmonische  Zergliederung«  eines  Tonstückes.  So 
wird  durch  die  Zergliederung  des  Bach'schen  Sätzchens  bei  a  die  harmonische 
Grundlage  bei  h  gefunden. 


a.    (Seh.  Bach.) 


Otto   Tiersch. 


Harmouium  (latein.)  ist  ein  Tasteninstrument,  welches,  zuweilen  mit  zwei 
Manualen  und  Pedal  gebaut,  als  Abart  der  im  J.  1821  von  A.  Häckel  zu 
Wien  erfundenen  Phy  sharmonica  (s.  d.) ,  erst  seit  1853  bekannt  ist.  Wer 
der  Erfinder  desselben ,  ist  bis  jetzt  unbekannt.  Wahrscheinlich  haben  Viele, 
Instrumentbauer  wie  Musikliebhaber,  sich  in  diese  Ehre  zu  tlieilen.  Die  Töne 
beider  Instrumente,  der  Physharmonica  und  des  H.'s,  entstehen,  indem  Zungen 
tönend  erregt  werden  und  zwar  durch  dichtere  als  die  atmosphärische  Luft. 
Diese  Tonzeugung  ist  eine  etwas  schwerfällige  bei  der  Physliarmonica,  jedoch 
eine  durchaus  präcise  bei  dem  H.  und  beruht  hierin  hauptsächlich  der  Unter- 
schied beider  Instrumentarten.  Seinen  Grund  hat  diese  verschiedene  Präcision 
bei  der  Tonangabe  darin,  dass  bei  der  Physharmonica  nur  der  Luftstrom  die 
Vibration  der  Zunge  bewirkt,  während  beim  H.  durch  die  sogenannte  Per- 
cussion  (s.  d.)  die  Zungenvibration  augenblicklich  erzeugt  wird  gemäss  dem 
Luftstrom,  dessen  stete  Fortdauer  dem  Ermessen  des  Spielers  als  Auf- 
gabe zufällt.  Ausser  dieser  Tonzeugungsverschiedenheit  ist  dem  H.  noch  eigen, 
dass  es  mehrere  Zungenreihen,   Spiele  genannt,  für  die  gleichen  Töne  besitzt, 


64  Ilarmouivim. 

(leren  Zungea,  verschieden  gestaltet,  verschiedene  Klangarten  geben,  während 
die  Physharmonica  eigentlich  nur  eine  Reihe  Zungen  aufweisen  darf.  Auch 
die  Stellung  der  Zungen  zur  "Windlade  bietet  einen  Unterschied  zwischen  H. 
und  Physharmonica.  Bei  ersterem  befinden  sich  die  Zungen  innerhalb,  bei 
letzterer  ausserhalb  der  Wiudladc.  Dies  Instrument,  welches  an  Schönheit 
und  Kraft  des  Klanges  kleineren  Orgelwerken  ähnelt,  hat  vor  denselben  den 
Vorzug,  dass  es  eines  viel  geringeren  Raumes  bedarf  und  leicht  von  einem 
Orte  zum  andern  gebracht  werden  kann,  ohne  dadurch  auch  nur  im  geringsten 
zu  leiden.  Man  findet  deshalb  dasselbe  in  Öesangzirkeln,  kleinen  Kirchen  u.  s.  w. 
sehr  häufig  in  Gebrauch,  und  von  vielen  Instrumentbauern  wird  dasselbe  aus- 
schliesslich gefertigt,  die  denn  auch,  je  nach  ihrem  Talente,  sich  noch  immer 
dessen  Fortbildung  angelegen  sein  lassen.  Die  bekanntesten  H.fabriken  sind 
die  von  P.  Schiedmayer  in  Stuttgart  und  P.  Tilz  in  Wien,  denen  sich  in 
neuester  Zeit  E.  P.  Needham  in  New -York  zugesellt  hat.  Die  Luft,  welche 
zur  Tonbildung  beim  H.  gebraucht  wird,  wird  durch  ein  Gebläse  demselben 
zugeführt  und  zweckentsprechend  verdichtet.  Das  Gebläse  ist  dem  der  Orgel 
nicht  unähnlich  eingerichtet  und  findet  fast  immer  in  dem  Instrumentspieler 
selbst  zugleich  seinen  Behandler  oder  Balgtreter;  selten  wird  dasselbe  bei 
grösseren  H.'s  mittelst  einer  Kurbel  oder  eines  eigens  construirten  Hebelwei-ks 
von  einem  besonders  damit  Beauftragten  behandelt.  Das  Gebläse  nimmt  ge- 
wöhnlich die  untere  Hälfte  des  mehr  niedrigen  als  breiten,  äusserlich  spindartig 
gestalteten  Instrumentkastens  für  sich  in  Anspruch  und  besteht  aus  zwei  neben- 
einanderliegenden gleichgrossen  Schöpfbälgen  und  einem  darüber  befindlichen 
sogenannten  Reservebalg.  Die  Schöpfbälge  werden  von  dem  Spieler  mittelst 
Trittbretter,  welche  Hebel  zur  Hebung  der  unteren,  beweglichen,  mit  inneren 
Ventilen  versehenen  Balgplatten  in  Bewegung  setzen,  von  den  Füssen  ab- 
wechselnd regiert.  Beim  Senken  der  unteren  Schöpfbalgplatten  ergeben  sich 
die  Ventile  als  Saugventile.  Die  Oberplatten  der  Schöpfbälge  werden  durch 
ein  Brett  gebildet,  das  die  ganze  Breite  des  Instruments  über  denselben  ein- 
nimmt ,  und  das  zugleich  das  obere  Brett  des  Reservebalges ,  der  ebenfalls  ein 
Faltenbalg  ist,  bildet.  Jeder  Schöpf  balg  entleert  sich  seines  Windvorraths 
nach  oben  durch  einen  Canal,  der  in  der  Windlade  endet. 

Nach  der  Entleerung  des  entsprechenden  Schöpfbalges  schliesst  ein  in 
dem  Canal  befindliches  Ventil  denselben,  damit  die  in  die  Windlade  getriebene 
Luft  nicht  auf  dem  gekommenen  Wege  entweiche,  sondern  in  den  Reservebalg 
gehe.  Unterhalb  der  beweglichen  unteren  Pla,tt6  des  Reservebalges  befinden 
sich  mehrere  nach  oben  wirkende  gewundene  Strebefedern.  Die  durch  den 
Canal  in  den  Reservebalg  getriebene  Luft  bewirkt,  je  nachdem  die  Strebefedern 
es  gestatten,  die  Senkung  der  unteren  Platte  des  Reservebalges,  welche  Sen- 
kung durch  die  je  nach  dem  Federdruck  sich  verdichtende  Luft  bewirkt  wird. 
Damit  dieser  Druck  bei  etwaigem  Nichtverbrauch  der  in  dem  Reservebalg  ge- 
schöpften Luft  diesen  nicht  zu  sprengen  vermag,  sind  ein  oder  mehrere  Sicher- 
heitsventile angebracht.  Des  leichteren  Verständnisses  halber  seien  gleich  hier 
noch  zwei  Einrichtungen  des  H.'s  beschrieben,  die  im  Gebläse  iliren  Sitz  haben 
und  durch  Züge,  ähnlich  den  Registern  (s.  d.)  der  Orgel,  in  Thätigkeit  ge- 
setzt werden,  die  Expression  und  Tremblant  oder  Tremolo  genannten; 
sie  gehören  beim  H.  zu  den  Hülfszügen.  Expression,  zu  deutsch  »Ausdruck«, 
ist  ein  Zug,  in  dem  hauptsächlich  jener  grosse  Vorzug  des  H.'s  vor  der  Orgel 
seine  Begründung  hat,  den  Ton  nach  dem  Gefühle  des  Tonzeugers  an-  und 
abschwellen  zu  lassen.  Wird  ohne  Exjjression  zu  ziehen  gespielt,  so  befinden 
sich  alle  drei  Bälge  in  Thätigkeit.  Die  Schöpfbälge  führen  ununterbrochen 
dem  Reservebalg  neue  Luft  zu,  der  Federdruck  bestimmt  die  Dichtigkeit  der- 
selben und  zugleich  die  Dichtigkeit,  in  welcher  dieselbe  durch  den  Reservebalg 
zurück  in  die  Windkammern  getrieben  wird,  itm  zu  steter  Anwendung  bereit 
zu  sein.  Der  Druck  dieser  Luft  ist  ein  stets  ganz  gleichmässiger,  und  derselbe 
erleidet    durch    etwaige  Ungleichheiten    des    Balgtreters  wenig    oder    gar    keine 


Harmonium.  ß5 

Veränderung,  besonders  wenn  der  Reservebalg  gross  gebaut  ist.  Daher  kann, 
besonders  bei  grösseren  Instrumenten  mit  schwacher  ßegistrirung,  wobei  also 
der  Windvorrath  immer  bedeutend  bleibt,  selbst  der  ungeschickteste  Neuling 
spielen,  ohne  dass  irgend  ein  Stossen  im  Tone  oder  etwa  plötzlicher  Wind- 
mangel  einträte.  Der  Reservebalg  gleicht  Alles  aus,  der  Ton  ist  plan  wie  der 
Orgelton.  Nur  bei  starker  ßegistrirung,  also  bei  grösserem  Windverbrauch, 
lässt  auch  der  Reservebalg  einige  Nüancirung  der  Tonstärke  durch  An-  und 
Abschwellen  zu.  In  hohem  Grade  wird  aber  eine  solche  ebenso  für  das  ganze 
Werk,  wie  für  jede  Stimme  durch  Ziehen  des  Expressionszuges  ermöglicht. 
Dieser  setzt  den  Reservebalg  ausser  Thätigkeit  durch  Verschluss  desselben. 
Die  Luft  wird  nun  unmittelbar  durch  die  Schöpfbälge  in  die  Windkammern  zu 
den  Zungen  getiüeben  und  deren  Dichtigkeit,  bestimmt  durch  die  Schnelligkeit 
der  Zuführung,  hängt  ganz  von  dem  Willen  des  Spielers  ab;  jede  Art  der 
Tonmodification  ist  somit  abhängig  von  der  Art,  wie  er  das  Fussbrett  behandelt. 
Es  treten  dadurch  also  Schwierigkeiten  in  der  Tonbehandlung  beim  H.  ein, 
dass  man  den  Expressionszug  anwendet,  die  bei  stärkerer  Registrirung  wachsen, 
indem  der  Reservebalg  nicht  mehr  ausgleichend  zu  wirken  vermag.  Diese 
Schwierigkeiten  stufenweise  zu  überwinden,  ist  eine  der  Hauptaufgaben  des 
angehenden  H.spielers.  Der  zweite  der  erwähnten  Züge,  Tremblant  oder  Tre- 
molo geheissen,  bewirkt  eine  bebende  Tongebung.  Der  Zug  macht  die  Ver- 
werthung  einer  Vorrichtung  in  dem  Grebläse  möglich,  die  eine  periodische  Unter- 
brechung des  tonzeugenden  Luftstromes  bezweckt.  Diese  Bebung  lässt  sich, 
wie  Viele  behaupten,  schöner  mit  dem  Fusse  allein  beim  Treten  des  Brettes 
ausführen,  und  findet  hauptsächlich  bei  den  Oboe  und  Fagott  genannten  Spielen 
Anwendung. 

Zu  den  sonst  noch  dem  H.  eigenen  Hülfszügen  sind  zu  rechnen  die 
Fortezüge,  Sourdine,  Melodie,  Grrand  Jeu,  Manual-  und  Pedal- 
koppel. Die  Fortezüge,  für  jede  Manualhälfte  einer,  heben  hölzerne  be- 
filzte Decken,  die  zur  Dämpfung  des  Tones  über  Schalllöchern  liegen,,  in  die 
Höhe,  und  erlauben  somit  dem  Klange  unbehinderte  Fortpflanzung.  Wenn  man 
stets  allen  Registerzügen  des  H.  über  dem  Manuale  eine  Stelle  anweist,  so  hat 
man  diesen  zuweilen  unterhalb  vom  Manuale  einem  Hebel,  der  mittelst  des 
Knies  behandelt  wird,  überwiesen.  Sourdine,  Dämpfer,  ist  ein  in  zweifacher 
Art  construirter  Hülfszug.  Entweder  bewirken  hölzerne  befilzte  Decken  die 
Dämpfung  oder  die  Oefinung  einer  besonderen  Wiudkanimer,  aus  der  spär- 
licherer Windzufluss  eine  schwächere  Tonbildung  hervorruft.  Statt  der  Be- 
nennung Sourdine  findet  man  auch  zuweilen  Celeste.  Melodie  ist  ein  erst 
ganz  neuerdings  eingeführtes  Hülfsregister,  das  bewirkt,  dass  von  h  aufwärts 
nur  der  oberste  der  gleichzeitig  gegriffenen  Töne,  also  die  Melodie,  doppelt 
erklingt,  während  alle  übrigen  Töne,  diß  Begleitung  also,  einfach  gehört  werden. 
G-rand  Jeu,  grosses  Spiel,  so  viel  bedeutend  wie  volles  Werk,  ist  ein  Hülfs- 
zug, der  die  plötzliche  Oeffnung  aller  Spiele  bewirkt.  Für  gewölmlich  befindet 
derselbe  sich  oberhalb  des  Manuals  angebracht,  seltener  als  Knieregister.  Bei 
H.'s  mit  zwei  Manualen,  die  in  neuester  Zeit  gar  nicht  mehr  zu  den  Selten- 
heiten gehören,  findet  man  auch  den  Hülfszug  Manualkoppel  angebracht, 
mittelst  welches  die  Tasten  des  tiefer  liegenden  Hauptmanuals  die  des  Ober- 
manuals herabziehen.  Ueber  Einrichtung  derselben,  sowie  die  der  Pedal - 
koppel,  welche  bezweckt,  dass  beim  Niedertreten  einer  Pedaltaste  zugleich  die 
entsprechende  Taste  des  Hauptmanuals  herabgezogen  wird,  sehe  man  im  Artikel 
Koppel  das  Nähere. 

Noch  als  Hülfszug  könnten  wir  den  Perkussion  genannten  anführen. 
Dieser  Zug  stellt  einen  Mechanismus  mit  der  Tastatur  in  Verbindung,  der  die 
schnellste  und  präciseste  Touangabe,  selbst  ein  Staccato  zu  geben ,  ermöglicht. 
Der  Mechanismus  besteht  aus  Hämmerchen,  die  an  die  Zungen  schlagen  und 
diese  augenblicklich  in  Vibration  versetzen,  welche  Vibration  durch  den  gleich- 
zeitig   hinzuströmenden   Wind    in    Stetigkeit    erhalten    wird.     Diese    Mechanik 

Musikal.  Convers. -Lexikon.     V.  5 


66  Harmonium. 

kann  für  jedes  Spiel  angefertigt  wei'den,  Gewöhnlicli  findet  man  sie  jedoch 
nur  bei  vicrspieligen  einfach  und  bei  sechs-  und  achtspieligeu  zweifach.  Schliess- 
lich sei  noch  des  Proion gements  erwähnt,  das  gewöhnlich  noch  Abarten 
mit  der  Nebeubezeichnung  donx  und  forte  mit  sich  führt.  Diese  Benennung 
führt  eine  Vorrichtung,  welche  bewirkt,  dass  ein  angeschlagener  Ton  auch 
dann  noch  und  zwar  beliebig  lange  fortklingt,  wenn  selbst  der  Finger  längst 
von  der  Taste  entfernt  ist.  Regiert  wird  diese  Yorrichtung  durch  zwei  bis 
vier  Kniehebel,  von  denen  die  innerhalb  befindlichen  von  aussen  nach  innen 
und  die  äusseren  umgekehrt  gedrückt  werden.  Je  nachdem  diese  Vorrichtung 
auf  alle,  wenigere  oder  ein  Spiel  wirkt,  ist  ihre  Benennung,  wie  oben  angedeutet, 
verschieden.  Die  Wirkungen,  welche  durch  diese  Vorrichtung  erreicht  werden, 
sind  ähnlich  denen,  welche  das  von  Zachariae  erfundene  Kunstpedal  (s.  d.) 
für  Piano's  hervorbringt,  doch  durch  die  dem  H.  eigene  stete  Tonfortbildung 
wirksamer  als  die  jenes  Pedals. 

Wenden  wir  uns  nun  zur  Beschreibung  der  eigentlichen  Tonzeuger  des 
H.'s,  so  können  wir  nur  berichten,  dass  dies  einzig  messingene  Zungen  ohne 
Ansatzröhren  sind,  die  durch  Stösse  strömender  Luft  in  tönende  Vibration 
versetzt  werden.  Die  durch  die  Zungenvibration  geregelten  Luftstösse  gegen 
die  ruhige  Luft  jenseits  der  Zungen  wirkend,  sind  die  Quelle  des  starken,  durch 
seine  Schönlieit  so  beliebt  gewordenen  H.tones.  Die  verschiedenartige  Gestal- 
tung der  Zunge,  besonders  in  Bezug  auf  ihre  Dicke  an  dem  zumeist  scliwin- 
genden  Ende,  gestattet  beinahe  das  ganze  in  der  Kunst  angewandte  Tonreich 
mittelst  kleiner  Zungen  zu  geben.  Ebenso  führte  die  Entdeckung,  dass  Zungen 
durch  mannigfache  Formenänderung  in  den  Dimensionen  Register  von  ganz 
verschiedenem  Klangcharakter  gaben,  bald  zur  Einführung  der  verschiedenen 
Spiele  beim  H.  Die  Namen  und  Bezeichnung  dieser  Spiele,  welche  man  auch 
wohl  klingende  Register  nennt:  Oor  10°^;  Dolce  2,5'";  Aeoline  5'";  Voix  Celeste 
2,b'^\  Hauthois  2,5™;  Fifre  Ißh"^;  ClarineU  b'"";  Fliite  2,5"^;  Oor  anglais  2,5"'; 
Bordun  h^;  Clairon  1,25'";  Basson  2,5"^  und  Bomharde  10'"  zeugen  für  das, 
was  die  Fertiger  zu  erreichen  strebten  und  welche  Theile  des  Tonreiches  durcli 
die  bezeichneten  Spiele  vertreten  sind.  Der  Zugang  der  tonzeugeiiden  Luft 
zu  jedem  Spiele  wird  durch  einen  über  dem  Manuale  befindlichen  Knopf,  Zug, 
Register  oder  Manubrium  genannt,  bewirkt.  Gezogen  öffnet  solcher  Knopf 
durch  Hebel  die  Wiudkammer  des  entsprechenden  Spiels  und  bringt  die  Tastatur 
mit  den  die  Zungeulochdeckel  bewegenden  Hebeln  in  Zusammenhang;  abgestosseu 
schliesst  er  die  AVindkammer  und  hebt  die  Verbindung  des  Regierwerkes  dieses 
Spieles  mit  der  Tastatur  auf. 

Noch  mag  hier  über  die  klingenden  Register  des  H.'s  gesagt  werden,  dass 
keins  der  klingenden  Register  für  den  ganzen  Manualumfang  bestimmt  ist,  son- 
dern immer  nur  für  die  Hälfte;  bei  den  fünfoctavigen  Instrumenten  im  Bass 
gewöhnlich  von  der  Taste  für  G  bis  zum  e' ,  also  29  Töne,  und  im  Discant 
oder  Sopran  von  f^  bis  c*,  also  32  Klänge.  Diese  Halbirung  jedes  Spiels  hat 
ihren  Grund  in  einer  gewissen  Nothwendigkeit.  Jedes  einzelne  Register  ahmt 
nämlich  die  Klangfarbe  desjenigen  Instruments  nach,  dessen  Namen  es  trägt. 
Nur  für  zwei  Register  der  Neuzeit,  ein  Pedal-  und  ein  Manualregister  aus- 
genommen, finden  wir  Benennungen  von  Blasinstrumenten,  weil  Streichinstru- 
mente sich  wohl  durch  Pfeifen,  nicht  aber  durch  Zungen  nacliahmen  lassen,  wie 
die  Orgel  beweist.  Kein  Blasinstrument  hat  jedoch  den  Ambitus  (s.  d.)  von 
fünf  Octaven,  keins  reicht  also  für  die  ganze  Mauualausdehnung  aus:  deshalb 
muss  stets  ein  das  höhere  Tonreich  vertretendes  Instrument  von  möglichst 
ähnlicher  Klangfarbe  die  Tonreihe  dort  fortsetzen,  wo  die  tiefere  endet.  Damit 
nun  der  Spieler  die  gleichfarbigen  Tonreihen  so  schnell  als  möglich  zu  erkennen 
vermag,  bezeichnet  man  die  beiden  sich  ergänzenden  Register  gewöhnlich  mit 
der  gleichen  Ziffer,  welche  unter  dessen  Eigennamen  gesetzt  wird.  Wie  wir 
gesehen  haben,  übertrifft  die  Registerzahl  eines  H.'s  die  einer  kleinen  Orgel 
weit;    ebenso  ist  auch   der   Tonumfang    desselben    schon    grösser    als    der    einer 


Harmonisiren  —  Harold.  ß7 

solchen,  und  beide  Vorzüge  des  H.'s  scheinen  noch  nicht  ganz  abgeschlossene 
Entwickelungszustände  desselben  zu  sein.  Dass  dies,  besonders  das  den  Ton- 
umfang Betreffende,  wirklich  der  Fall  ist,  wird  Jedem  einleuchten,  wenn  er 
beachtet,  dass,  obgleich  das  Manual  ungefähr  nur  fünf  Octaven  zeigt,  durch  die 
Verwerthung  der  verschieden  hohen  Zungenreihen  (10'",  5™  und  1,25°^)  jedoch 
der  Ambitus  sich  bis  auf  sieben  Octaven  stellt,  welcher  Umfang  nur  von  den 
grössten  Orgeln  übertroffen  wird.  Wir  sehen  hieraus,  dass  das  H.  bis  heute 
noch  nicht  bis  an  den  Höhepunkt  seiner  Entwickelung  gelangt  ist,  wohin  jedoch 
das  noch  immer  wachsende  Interesse  für  dasselbe  zu  treiben  scheint.  Wir  finden 
das  H.  nicht  allein  zur  Gesangbegleitung  gern  gesehen,  sondern  besonders  wird 
dasselbe  schön  gefunden,  wenn  es,  schwach  und  entsprechend  registrirt,  mit 
Violine  oder  Flöte  zusammenspielt.  Selbst  mit  einem  Ciavier  gemeinsam  bietet 
dasselbe  überraschende  Wirkungen.  Am  meisten  jedoch,  selbst  in  ganzer  Kraft, 
kann  es  sich  im  Zusammenspiel  mit  einem  Streichquartett  oder  kleinen  Or- 
chester entfalten,  wo  es  dann  als  Surrogat  für  die  Blasinstrumente  eintritt.     B. 

Uariuouisireu  heisst,  eine  Melodie  mit  einer  harmonischen  Begleitung 
versehen. 

Harmonisirung  ist  die  harmonische  Begleitung  einer  Melodie  (s.  Har- 
monie). 

Harmonius,  Sohn  des  berühmten  Ketzers  Bardesanes,  lebte  im  2.  Jahr- 
hundert n.  Chr.  und  schuf  viele  Melodien  zu  geistlichen  Liedern.  Um  die  Lehre 
seines  Vaters  zu  verbreiten,  setzte  er  zu  dessen  Oden  und  Gesängen  Melodien, 
die  sehr  gefielen  und  ihm  viele  Anhänger  zuführten.  Um  die  schönen  Gesänge 
zu  erhalten,  suchte  Ephaem  dieselben  der  rechtgläubigen  Kirche  zuzuwenden, 
indem  er  zu  denselben  neue  Texte  dichtete  und  befahl,  diese  von  der  Gemeine 
singen  zu  lassen.  f 

Harmonometer  (aus  dem  Griech.),  d.  i.  Harmoniemesser,  nennt  man 
jedes  akustische  Instrument  oder  mechanische  Werkzeug,  durch  welches  das 
mathematische  Verhältniss  der  Töne  zu  einander  (die  Summe  der  Schwingungen 
des  tonerregenden  oder  tönenden  Körpers)  ermittelt  und  festgestellt  werden 
kann.  Die  Schwingungen,  die  sich  zu  einem  musikalisch  verwendbaren  Tone 
gestalten,  gehen  nämlich  viel  zu  schnell  vorüber,  als  dass  sie  das  Auge  zählen, 
das  Ohr  mathematisch  unterscheiden  könnte.  Das  älteste  zuverlässige  Hülfs- 
mittel,  diesen  Mangel  aufzuheben  und  die  Schallwellen  zu  berechnen,  war  das 
Monochord  (s.  d.).  Die  neueren  und  neuesten  besseren  Instrumente  dieser 
Art  findet  man   in  dem  Artikel  Akustik  angeführt. 

Harnisch,  Johann  Jacob,  ein  deutscher  Kirchencomponist  aus  der  Mitte 
des  17.  Jahrhunderts,  welcher  seiner  Zeit  in  gutem  Ruf  gestanden  haben  muss, 
von  dessen  äusserem  Leben  Näheres  aber  bis  jetzt  nicht  ermittelt  ist.  Mehrere 
Motetten,  Psalme,  Concerte  für  vier  bis  sechs  Stimmen  von  ihm,  zusammen 
mit  Compositionen  anderer  Zeitgenossen,  erschienen  unter  dem  Titel  y^Calllope' 
mixtaa.  (Worms,  1652). 

Harnisch,  Otto  Siegfried,  gelehrter  deutscher  Tonkünstler,  war  um  1588 
Cantor  am  Domstift  St,  Blasius  zu  Braunschweig,  dann  von  1603  bis  1621 
Cantor  am  Pädagogium  zu  Göttingea  und  endlich  Kapellmeister  zu  Celle,  als 
welcher  er  um  1630  starb.  Von  seinen  zahlreichen,  aus  Kirchenmusiken,  geist- 
lichen und  weltlichen  Liedern  bestehenden  Compositionen  ist  eine  Anzahl  er- 
halten geblieben,  so  die  lange  beliebt  gewesenen  «Neuen  lustigen  deutschen 
Liedlein«  (Helmstädt,  1588  und  1591;  Hamburg,  1591  und  1651;  Nürnberg, 
1604).  Als  das  bedeutendste  seiner  theoretischen  Werke  gilt  die  y>Artls  musicae 
delineation  (Frankfurt,  1608). 

Harold,  Organist  und  Kirchencomponist  zu  Wien,  lebte  ums  Jahr  1796, 
wie  die  damaligen  Wiener  Jahrbücher  der  Tonkunst  anführen.  Er  wird  be- 
sonders seiner  vorzüglichen  Fugen  wegen  gerühmt.  —  Ein  anderer  Musiker 
H.,  der  als  tüchtiger  Ciaviermeister  geachtet  war,  lebte  gleichzeitig  in  Wien  als 
Messner  im   neuen   Schottenfelde.  t 


68  Harpa  —  Harrer. 

Harpa  (latein.),  Arpa  (ital.),  Harpe  (frauzös.)  oder  Harp  (engl.),  der 
fremdlündisclio  Name  für  Harfe  (s.  d.). 

Harpe,  la,  französischer  Musikschriftsteller  zu  Paris,  ist  der  Verfasser  einer 
Schrift  über  Gluck's  Oper  »Ipliigenia  in  Aulis«.  —  Eine  englische  Sängerin 
in  London,  Miss  H.,  wird  um   1784  von  Burney  u.  A.  auszeichnend  erwähnt. 

Harpeg'g'iatur,  Harpeggio,  Harpe ggiren,  corrumpirte  deutsche  Formen 
für  Arpeggiatur,  Arpeggio,  Arpeggiren  (s.  Arpeggio). 

Harper,  Thomas,  vorzüglicher  englischer  Trompetenvirtuose,  geboren  1788 
zu  AVorcester,  kam  in  einem  Alter  von  zehn  Jahren  nach  London  und  studirte 
dort  unter  Elvey's  Anleitung  Musik.  Eine  lange  Zeit  fungirte  er  nach  er- 
folgter praktischer  Ausbildung  als  Hornist  und  Trompeter  bei  einem  englischen 
Regimente,  sodann  bei  mehreren  kleinen  Theatern,  bis  er  endlich  in  die  seiner 
Künstlerschaft  entsprechendere  Stelle  im  Orchester  des  Drurylane-Theaters,  der 
italienischen  Oper  und  der  Philharmunischen  Coucerte  kam,  von  welcher  aus 
sein  Ruf  sich  weithin  verbreitete.  Er  starb  am  20.  Jan.  1853  zu  London. 
Auch  seine  Söhne  zeichneten  sich  als  Musiker  vortlieilhalt  aus:  Thomas  H. 
als  Virtuose  auf  dem  Instrumente  seines  Vaters  und  Charles  H.  auf  dem 
Hörne,  während  Edmund  H. ,  welcher  sich  als  Musiklehrer  in  Irland  nieder- 
liess,  ein  trefflicher  Pianist  war  und  auch  Einiges  componirt  hat. 

Harpichord,  identisch  mit  Arpichord  (s,  d.). 

Harpiuella  (latein.)  oder  Arpinella  (ital.)  ist  der  Name  einer  kleinen 
Harfenart  in  Lyraform,  die  den  Schallkasten  zwischen  zwei  Saitenparthien  auf- 
wärts gestellt  führt.  Sie  ist  somit  der  Spitzharfe  (s.  d.)  ähnlich  und  von 
dieser  nur  durch  die  äussere  mehr  romantische  Form  unterschieden.  Wie  jene 
hat  auch  die  H.  die  Basssaiten  auf  der  linken  und  die  Discantsaiten  auf  der 
rechten  Seite  des  Schallkastens,  wenn  das  Instrument  von  dem  Spieler  behan- 
delt wird,  und  werden  diese  Saitenparthien  jede  mit  der  ihr  zugewandten  Hand 
gerissen.  Im  Basse  bietet  diese  Harfenart  die  diatonischen  Klänge  von  C  bis 
ö\  und  im  Discant  die  Töne  von  c'  bis  (f.  Sechs  Töne,  die  von  c'  bis  a\ 
befinden  sich  somit  doppelt  im  Bezüge  der  H.,  nämlich  auf  jeder  Seite  des 
Schallkastens  einmal,  und  diese  werden  von  dem  Spieler,  so  gilt  die  Hegel, 
stets  dort,  wo  sie  ihm  am  bequemsten  greifbar  sind,  erzeugt.  Die  Stimmung 
der  H.  ist  in  Es-dur  und  führt  dieselbe,  um  auch  in  andere  Tonarten  modu- 
liren  zu  können,  sieben  Winkel  (s.  d.  oder  s.  Harfe).  Dies  zum  Gebrauche 
in  unserer  Kunst  wohlausgestattete  Tonwerkzeug  ist  in  neuerer  Zeit  in  Concerten 
gar  nicht  mehr  anzutreffen,  und  selbst  aus  dem  Privatgebrauch  scheint  es  auch 
schon  gänzlich  entschwunden  zu  sein,  obgleich  es  zu  Kammermusiken  und  zur 
Begleitung  des  Gesanges  sich  vorzüglich  eignen  soll.  Da  die  H.  nur  0,75'" 
hoch  und  höchstens  0,4'"  breit  gebaut  wird,  leicht  tragbar  ist  und  im  Preise 
sich  viel  billiger  als  die  Harfe  stellt,  so  ist  diese  Erscheinung  wohl  weniger 
durch  die  Instrumentseigenthümlichkeiten  erklärbar,  als  durch  die  menschliche 
Schwäche,  dem  beliebtesten  Instrumente  sich  womöglich  ganz  zuzuwenden.      0. 

Harpsichord  oder  Harpsicord,  sonst  Harpsicon  (engl.)  ist  der  in 
Grossbritannien  gebräuchliche  allgemeine  Name  für  Ciavier  oder  Flügel. 

Harrer,  Gottlob,  deutscher  Contrapunktist  und  Kirchencomponist,  hatte 
seine  gelehrten  musikalischen  Studien  in  Italien  gemacht  und  wurde  in  der 
ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  als  Musikdirektor  in  Leipzig  angestellt. 
Als  sich  Friedrich  der  Grosse  1745  in  Leipzig  vorübergehend  aufhielt,  zeichnete 
er  H.  durch  Aufmerksamkeiten  aus  und  liess  sich  von  ihm  täglich  auf  dem 
Flügel  accompagniren.  Auf  einem  Badebesuche  starb  H.  1764  zu  Karlsbad. 
Gedruckt  ist  von  seinen  A¥erken  das  Wenigste.  Jedoch  kennt  man  von  ihm 
viele  Kircheusachen  (Oratorien:  »Der  Tod  Abcl's«,  riGioas  re  di  Giudav.,  drei 
Passions- Oratorien),  ferner  Sinfonien,  Concerte  für  verschiedene  Instrumente, 
Flötenduos,  Ciaviersonaten  u.  s.  w.  Ausserdem  hinterliess  er  auch  eine  theo- 
retische Schrift,  betitelt:  y>8pecimen  contrapuncti  in  octava  efiam  in  decima  con- 
verti/iilis.a 


Harriers-Wipperu  —  Harris.  69 

Harriers-Wippern,  Louise,    s.  AVippern, 

Harries,  Heinrich,  Dichter,  Musikschriftsteller  und  Componist,  geboren 
1762  zu  Flensburg,  starb  als  Pastor  zu  Brügge  in  Holstein  am  28.  Septbr.  1802. 
Einige  seiner  Gedichte  setzte  Hanke  (s.  d.)  in  Musik.  Von  seinen  Schriften 
sind  musikalisch  bemerkenswerth:  »lieber  Musik,  ihre  "Wirkung  und  Auwendunff« 
und  ein  Aufsatz  im  Flensburger  "Wochenblatt  für  Jedermann  (1793,  S.  85  flF.). 
Die  von  H.  noch  bekannten  Compositionen  sind  »Der  Mai«,  ein  Hirtengesang 
von  Eammler  (Altena,  1793),  und  »Melodien  zu  mehreren  Liedern  von  Mat- 
thison«,  nur  als  Manuscript  verbreitet.  Mehr  über  H,  ist  in  Meusel's  gelehrt. 
Deutschland  zu  finden.  -j- 

Harring-tou,  Name  mehrerer  englischer  Künstler  und  Gelehrten,  die  sich 
auf  musikalischem  Gebiete  hervorgethan  haben.  Ein  gewisser  H.,  dessen  Vor- 
name unbekannt  und  der  in  Sicilien  geboren  war,  glänzte  in  den  Jahren  1793 
und  1794  zu  London  als  vorzüglicher  Oboebläser  in  den  dortigen  grossen  Sa- 
lomon'schen  Concerten.  Er  war  ein  Schüler  Lebrun 's  und  suchte  stets  darin 
eine  hohe  Ehre,  hervorzuheben,  dass  er  seine  ganze  Kunstbildung  Deutschland 
zu  verdanken  habe.  —  John  H.  hiess  ein  Schüler  von  Tallis,  der  ums  J.  1514 
in  Diensten  des  Königs  Heinrich  VIIL  von  England  stand.  Seine  Hymne 
y>The  Blaclce  Sauntus,  or  MonJces  Hymn  to  Saunte  Sutane, v.  ein  Canon  in  suh- 
diatesseron  et  diapason  a  3,  den  Hawkins  in  seiner  Hist.  of  Music  Vol.  V  p.  437 
mittheilt,  pflegte  der  König  selbst  gern  zu  singen.  —  Ein  Dr.  John  H.  of 
Bath,  Herausgeber  der  Nugae  antiquae,  hat  in  diesem  Werke  sich  als  einen 
vorzüglichen  Musikkenner  legitimirt,  indem  er  in  demselben  einen  1696  an 
Isaak  Newton  gerichteten  Brief  abdrvickt,  der  die  47.  Proportion  im  ersten 
Buche  des  Euclides,  von  den  Con-  und  Dissonanzen  handelnd,  auf  eine  neue 
und  leichtere  Art  erklärt.  Hawkins  giebt  in  seiner  Hist.-  of  Musi'c  Vol.  III 
p.  141  flP.  diesen  Brief  ganz  wieder.  Nach  Burney's  Mittheilung  soll  H.  auch 
der  Componist  mehrerer  Catches  gewesen  sein.  —  Endlich  ist  noch  ein  H.  zu 
nennen,  der  ums  J.  1800  zu  London  als  Instrumentalist  wirkte;  von  demselben 
sind  nur  drei  Theile  englischer  Gesänge,  bei  Broderip  erschienen,  bekannt 
geworden.  f 

Harris,  Name  einer  Familie  berühmter  englischer  Orgelbauer,  deren  Stamm- 
vater, dessen  Vorname  nicht  bekannt  ist,  um  1650  aus  Frankreich  einwanderte 
und  die  mit  der  berühmten  Orgelbauerfamilie  Smith  zu  Ende  des  17.  und  im 
Anfange  des  18.  Jahrhunderts  in  ihrer  Kunst  in  England  um  den  Preis  rang. 
Vorzüglich  that  sich  der  Sohn  des  Stammvaters,  Benatus  H.,  gestorben  1724 
oder  1725,  hervor,  der  sich  in  seinem  Alter  nach  Bristol  zurückgezogen 
und  sein  Geschäft  seinem  Sohn  John  H.  übergeben  hatte,  der  den  alten 
Familienruhm  aufrecht  erhielt.  Vgl.  Hawkins,  Hist.  of  Music  Vol.  IV  p.  353 
bis  356.  ,  t 

Harris,  Augustus,  englischer  musikalischer  Schriftsteller,  geboren  am 
12.  Juni  1826  in  Neapel,  trat  schon  früh  erfolgreich  als  Schauspieler  in  Italien 
und  England  auf  und  machte  sich  als  dramaturgischer  Schriftsteller,  der  die 
Feder  mit  Leichtigkeit  führte,  vortheilhaft  bemerkbar.  Diesem  Umstände  und 
seinen  musikalischen  Kenntnissen  verdankte  er  es,  dass  er  schon  1846  als 
Chef-Begisseur  der  königl.  italienischen  Oper  am  Coventgarden- Theater  zu 
London  angestellt  wurde,  in  welcher  Eigenschaft  er  zahlreiche  französische 
Operntextbücher  aus  dem  Französischen  für  die  italienische  Bühne  übersetzte. 
Seiner  Erfahrung  und  Geschicklichkeit  in  allen  Theaterangelegenheiten  wegen 
hoch  geachtet,  starb  er  in  Folge  einer  innerlichen  Entzündung  am  19.  April 
1873  zu  London. 

Harris,  Jacob,  englischer  Gelehrter,  geboren  1709  zu  Salisbury,  hat  u.  A. 
eine  die  Musik  betreffende  Abhandlung  geschrieben,  die  auch  eine  deutsche 
Uebersetzung  (Halle,  1780)  erlebte.  Der  deutsche  Titel  dieser  Schrift  ist: 
»Abhandlung  über  Kunst,  Musik,  Dichtkunst  und  Glückseligkeit.«  H.  selbst 
starb  am  21.  Decbr.  1780  in  Salisbury  als  Secretair  der  Königin.  f 


70  Harris  -  Hart. 

Harris,  Joseph,  englischer  Kirchencomponist,  der  als  Nachahmer  des 
Händerschen  Styls  erscheint,  war  anfangs  Organist  in  Birmingham,  zuletzt  in 
Liverpool,  wo  er  1814  starb. 

Harris,  Joseph  Johann,  englischer  Kirchencomponist,  war  als  Organist 
in  Southwark  angestellt  und  veröflfentlichte:  »A  selection  qf  j^salms  and  hymn- 
tunes,  adapted  to  the  psalms  and  liymnes  used  in  ihe  church  of  St.  Olaf,  South- 
Toarl-«  (London,  1827). 

Harris,  Joseph  Macdonald,  fruchtbarer  und  beliebter  englischer  Com- 
ponist,  lebte  zu  Anfange  des  19.  Jahrhunderts  als  geschätzter  Pianoforte-  und 
Gesanglehrer  zu  London. 

Harrison,  John,  englischer  Mathematiker,  der  Erfinder  der  Seeuhren, 
stellte  auch  zuerst  eine,  wenn  auch  nur  kurze  mathematische  Berechnung  der 
Tonverhältnisse,  vermittelst  eines  von  ihm  erfundenen  Monochords  auf.  Ge- 
boren 1693  zu  Foulby  in  der  Grafschaft  York,  lernte  er  bei  seinem  Vater  als 
Zimmermann,  Hess  sich  aber  schon  1726,  wo  er  einen  neuen  Pendel  erfand, 
durch  sein  mechanisches  Genie  auf  wissenschaftliche  Bahnen  führen.  Er  starb 
am  24.  März  1776. 

Harrison,  Robert,  Ijerühmter  englischer  Concertsänger,  geboren  um  1760 
zu  London,  glänzte  von  1784  bis  1793  in  den  Concerten  London's,  besonders 
in  den  Salomon'schen  als  ausgezeichneter  Tenor.  Auch  als  Gesangscomponist 
hat  er  sich  in  seiner  Zeit  einigermassen  bekannt  gemacht.  Er  starb  im  J.  1812. 
—  Ein  ebenfalls  vorzüglicher  Tenor  neuester  Zeit,  William  H.,  starb  am 
11.  Novbr.  1868  zu  London. 

Harrys,  Georg,  deutscher  Schriftsteller,  geboren  1781  zu  Hannover,  war 
der  Begleiter  und  Geschäftsführer  Paganini's  auf  dessen  Kunstreisen  durch 
Deutschland  und  gab  endlich  ein  darauf  bezügliches  Reisebuch  heraus,  welches 
den  Titel  führte:  »Paganini  in  seinem  Reisewagen  und  Zimmer,  in  seinen  red- 
seligen  Stunden,  in  gesellschaftlichen  Zirkeln  und  seinen   Concerten.« 

Harsch,  Graf  yon,  deutscher  Musikliebhaber,  der  um  1785  als  kaiserl. 
österreichischer  Feldzeugmeister  starb,  war  ein  leidenschaftlicher  Flötenspieler 
und  Beförderer  der  Musik.  Auf  seinen  Gütern  wie  in  Wien  hielt  er  Abends 
von  6  bis  9  Uhr  täglich  Vocal-  und  Instrumentalconcerte  ab,  die  seine  24  Mann 
starke  Hauskapelle  ausführte  und  zu  denen  jeder  fremde  Virtuose  geladen 
wurde.  f 

Harsley,  William,  englischer  Kirchencomponist,  geboren  am  15.  Novbr. 
1774  in  London,  erwuchs  unter  einem  höchst  nothdürftigen  Schulunterrichte, 
sodass  er  erst  etwa  1790  dazu  kam,  Musik  treiben  zu  können.  Aber  erst 
noch  sieben  Jahre  später  gelang  es  ihm  zu  ernsteren  und  tieferen  Studien  in 
dieser  Kunst  vordringen  zu  können  und  zwar  mit  solchem  Erfolge,  dass  er 
schon  1800  zu  Oxford  Baccalaureus  der  Musik  wurde.  Von  da  an  veröffent- 
lichte er  Motetten,  Kanons  und  Glees  seiner  Composition  und  machte  sich  auch 
als  Orgelspieler  so  vortheilhaft  bekannt,  dass  er  1803  die  Stelle  eines  Orga- 
nisten an  der  Waisenkapelle  erhielt,  welche  er  aber  1812  mit  derjenigen  an 
der  Belgrave- Kapelle  vertauschte. 

Uarson,  Johann  Samuel,  vortrefflicher  deutscher  Orgelspieler  und  ein 
vielseitig  wissenschaftlich  gebildeter  Künstler,  starb  im  März  1792  in  noch 
jungen  Jahren  als  Organist  an  der  Marienkirche  zu  Berlin,  welches  Amt  er 
seit  1780  inne  gehabt  hatte.  Er  galt  für  einen  der  besten  Schüler  Kirnber- 
ger's,  der,  wie  der  Necrolog  in  der  Berliner  musikalischen  Zeitung  sagt,  in 
Rücksicht  auf  den  Fundamentalbass  im  Choral,  der  Erfindung  eigener  Fugen 
und  Execution  der  Seh.  Bach'schen  Werke  auf  der  Orgel  seines  Gleichen 
suchte.  —  In  Kühnau's  Choralbuche  findet  sich  von  H.'s  Composition  der 
Choral  No.  68:  »Gott  ist  mein  Lied.« 

Hart  ist  zunächst  gebräuchlich  als  TJebersetzung  für  Dur  (s.  d.).  Dann 
aber  bezeichnet  es  in  IMusikstückan  auch  »den  Mangel  an  ästhetischer  Voll- 
kommenheit.«    »Im    letzten  Falle    versteht    man    unter    h.  das   Gcgentheil    von 


Hart  —  Hartig.  71 

dem  Sanften  und  Fliessenden.  Ein  Tonstück  äussert  Härte,  wenn  die  Melodie 
durch  übermässige  oder  andere  unsangbare  Intervallen  fortschreitet,  wenn  die 
Modulation  zu  plötzlich  in  entfernte  Tonarten  tritt,  wenn  die  Folge  der  ein- 
zelnen melodischen  Theile  erzwungen  ist,  wenn  die  Accorde  in  keiner  guten 
Verbindung  unter  einander  stehen  etc.«  (H.  Ch.  Koch,  »Musik.  Lexicon«).  Fasst 
man  den  Begriff  h.  so  weit,  so  bezeichnet  er  in  verschiedenen  Epochen  sehr 
Verschiedenes.  Was  ehemals  als  »allzu  hart«  geradezu  verboten  war,  daran 
nehmen  heutzutage  nur  noch  die  pedantischsten  Alterthümler  Anstoss;  dagegen 
erklärt  vielleicht  mancher  nur  an  moderne  Musik  gewöhnte  Hörer  —  eben  so 
einseitig  —  die  harmonischen  Fortschreitungen  eines  Palestrina  oder  Orlandus 
Lassus  für  »hart«.  So  findet  man  bei  A.  Gathy  (»Musik.  Conversations-Lexi- 
con«)  folgende  Behauptung,  die  heute  gewiss  ziemlich  sonderbar  klingt.  Der 
Tonsetzer  wird  zur  Anwendung  von  Härten  gelangen,  »wenn  er  im  Ausdrucke 
der  Empfindung  des  (ruten  zu  viel  thut,  was  dann  nicht  selten  mit  dem  Schwül- 
stigen zusammenfällt,  wie  es  z.  B.  zuweilen  in  Fr.  Schubert's  Compositionen 
der  Fall  ist.«  —  In  diesem  weiten  Sinne  kann  von  einem  Verbote  melodischer, 
harmonischer  und  modulatorischer  Härten  (s.  d.)  um  so  weniger  die  Bede  sein, 
als  einmal  die  musikalischen  Ausdrucksmittel  nicht  immer  zu  allen  Zeiten  für 
dieselben  Zwecke  dieselben  bleiben  können ,  als  dann  die  Art  des  Ausdruckes 
ebenso  wie  der  Grad  der  Empfindung  bei  verschiedenen  Componisten  verschie- 
denartig sein  kann,  als  ferner  die  verschiedenartige  Ausführung  derselben  Stelle 
und  verschiedene  andere  Bedingungen  dieselbe  Wendung  bald  mehr  bald  minder 
hart  erscheinen  lassen,  und  als  endlich  das  Harte  selbst,  den  Begriff  so  all- 
gemein gefasst,  mit  Hecht  am  rechten  Orte  als  Ausdrucksmittel  verwerthet 
werden  darf.  Zu  meiden  sind  nur  Härten,  die  entweder  durch  logisch  unrich- 
tige melodische,  hai'monische  und  modulatorische  Fortschreitungen  entstehen, 
oder  aber  hervorgebracht  werden  durch  Anwendung  von  herben  melodischen, 
harmonischen  und  modulatorischen  Wendungen  an  Stellen,  an  denen  diese  Wen- 
dungen gänzlich  unmotivirt  erscheinen  müssen.  0.  T. 

Hart,  James,  englischer  Tonkünstler,  der  im  Anfange  des  18.  Jahrhun- 
derts zu  London  in  Diensten  der  königlichen  und  Marienkapelle  wirkte.  — 
Sein  Sohn,  Philipp  H.,  geboren  um  1670,  war  Organist  an  der  Andreas-  und 
Michaels -Kirche  in  London  und  starb  1750  in  hohem  Alter.  Er  huldigte 
durchaus  dem  alten  Musikstyle  und  hatte  somit  anfangs  eine  ausgebreitete  An- 
hängerschaft, die  sich  jedoch  mit  jedem  Jahre  verringerte.  Von  seinen  Com- 
positionen sind  nur  zwei,  soviel  bekannt,  besonders  gedruckt  worden:  eine 
Sammlung  von  Fugen  für  die  Orgel  und  1728  das  Morgenlied  aus  Milton's 
verlornem  Paradiese,  beide  zvi  London.  Andere  Arbeiten  von  ihm  befinden 
sich  in  einigen  Kirchenmusik-Sammlungen  damaliger  Zeit.  t 

Hart,  Joseph,  trefflicher  englischer  Pianist  und  Orgelspieler^  geboren  1794 
zu  London,  wurde  als  Chorknabe  in  die  St.  Paulskirche  gebracht  und  erhielt 
dort  Musikunterricht  bei  Säle,  Erst  zehn  Jahre  alt,  vermochte  er  schon  dem 
Organisten  Atwood  Adjunctendienste  zu  leisten  und  vervollkommnete  sich 
später  immer  mehr  im  Orgelspiel  bei  Wesley  und  Cook,  im  Clavierspiel  bei 
J.  B.  Gramer.  Nachdem  er  an  mehreren  Orten  der  Grafschaft  Essex  und 
Middlessex  als  Organist  fungirt  hatte,  kehrte  er  1815  nach  London  zurück 
und  beschränkte  sich  vorläufig  auf  Ertheilung  von  Musikunterricht.  Dann 
wurde  er  Chordirektor  bei  der  englischen  Oper  und  schrieb  als  solcher  eine 
Oper  »Der  Vampyr«  und  mehrere  Farcen.  Er  hat  auch  einen  »Abriss  der 
Harmonie-  und  Compositionslehre«  (London,   1825)  veröffentlicht. 

Hartig",  ein  kunstliebendes  und  kunstpflegendes  Grafengeschlecht  zu  Prag, 
das  in  dieser  Eigenschaft  schon  1715  hervortritt.  Der  damalige  Graf  war,  Avie 
Stölzel  und  Quantz  bestätigen,  ein  vorzüglicher  Ciavierspieler  und  sammelte 
von  weit  und  breit  her  die  neuesten  Compositionen,  welche  er  dann  mit  einem 
ausgewählten  Orchester  aufführen  Hess.  —  In  derselben  Art,  als  Pianisten  und 
Förderer  der  Tonkunst  zeichneten    sich    um   1796   daselbst    die  Grafen  Franz 


72  Hartig  —  Hartniaim. 

und  Ludwig  H.  aus,  von  denen  der  erstere  auch  Recitative  und  Arien,  sowie 
Duette  componirt  liat. 

Hartig,  Franz  Christian,  deutscher  Tonkünstler  und  Tenorsänger,  ge- 
boren am  31.  Jan.  1750  zu  Heldenberg  in  der  Wetterau,  erhielt  seine  wissen- 
schaftliche Ausbildung,  mit  der  auch  Musik  verbunden  war,  im  Kloster  zu 
Helmstadt,  aus  welchem  er  zu  einem  fünfjährigen  Cursus  nach  dem  Seminar 
zu  Mannheim  abging.  Er  war  hierauf  zwei  Jahre  lang  Musikdirektor  in  Op- 
penheim und  kam  dann  nach  Mainz,  wo  ihn  der  Theaterdirektor  Marchand 
überredete,  Bühnensänger  zu  werden.  Als  solcher  ersang  sich  H.  in  Mannheim 
die  Gunst  des  Kurfürsten  Karl  Theodor,  der  1771  seine  schöne  Tenorstimme 
bei  E,aflf  weiter  ausbilden  Hess.  Als  kurfürstl.  Hofsänger  und  erster  Tenorist 
der  italienischen  Oper  siedelte  H.  mit  seinem  Souverän  von  Mannheim  nach 
München  über  und  war  daselbst  bis  zum  Tode  Karl  Theodor's,  1799,  thätig, 
worauf  er  sich  nach  Mainz  zurückzog,  wo  er  1812  noch  lebte.  —  Auch  seine 
Tochter,  Johanna  H.,  nachherige  Madame  Koch,  geboren  am  14.  März  1779 
zu  München,  war  eine  treffliche  Sängerin,  die  schon  1794  in  München  debütirte, 
vier  Jahre  hindurch  in  Stuttgart  sang  und  1799  in  Mannheim  engagirt  war, 
wo  sie  den  Schauspieler  Karl  Koch  heirathete  und  bald  darnach  der  Bühne 
gänzlich   entsagte. 

HartkJis,  Friedrich  Wilhelm,  Organist  und  Componist,  geboren  am 
10.  März  1805  zu  Bennungen  in  Thüringen,  wo  sein  Vater  Organist  war, 
bezog  das  Lyceum  in  Frankenhausen  und  nahm  daselbst  beim  Organisten 
Weisseuborn  musikalischen  Unterricht.  Von  seinem  21.  Jahre  an  besuchte  er 
das  königl.  Institut  für  Kirchenmusik  in  Berlin  und  vervollkommnete  sich  zu- 
gleich bei  Kelz  im  Violoncellospiel.  Hierauf  fungirte  er  als  Gresanglehrer  an 
verschiedenen  Schulen  Berlins  und  wurde  1835  Organist  an  der  Pauls-  und  1839 
an  der  Elisabethkirche.  Verschiedene  Compositionen  für  Schul-  und  Kirchen- 
chöre, sowie  für  Orgel  bezeichnen  seine  noch  jetzt  fortwährende  Thätigkeit. 

Hartknoch,  Karl  Eduard,  Ciavierspieler  und  Componist,  geboren  um 
1775  zu  Riga,  war  ein  Clavierschüler  Hummel's  in  Weimar  und  lebte  als  ge- 
schätzter Musiklehrer  in  St.  Petersburg,  dann  in  Moskau.  In  letzterer  Stadt 
starb  er  im  J.  1834.  Von  seiner  Composition  sind  Nocturnes,  Walzer  und 
Variationen  für  Pianoforte  im  Druck  erschienen. 

Hartmaou  von  Aue,  einer  der  talentvollsten,  gelehrtesten  und  ausgezeich- 
netsten deutschen  Minnesänger,  stammt  wahrscheinlich  aus  dem  Oeschlechte 
der  Herren  von  Wesperspül,  einem  Schlosse  in  Thurgau,  welches  dem  Kloster 
Reichenau  im  Bodensee  dienstpflichtig  war  und  das  noch  jetzt  im  Munde  des 
Volkes  schlechtweg  die  »Aue«  genannt  wird.  H.  selbst  sagt  von  sich,  dass  er 
»Dienstmann  war  zu  Aue«.  Geboren  war  H.  in  der  letzten  Hälfte  des  12. 
Jahrhunderts  und  hat  seine  gelehrte  Bildung  wahrscheinlich  im  Kloster  Reichenau 
erhalten.  Nachdem  er  seinen  Lehnsherrn  verloren,  dessen  Tod  er  in  seinen 
Gesängen  mehrfach  beklagt,  scheint  er  sich  in  Franken  aufgehalten  zu  haben, 
von  wo  er,  auf  das  Aufgebot  Kaiser  Heinrich's  VI.  hin,  1195  ins  heilige  Land 
zog.  Von  dort  zurückgekehrt,  wird  er  von  Wolfram  von  Eschenbach  im  »Par- 
cival«,  also  nach  1201,  als  ein  noch  lebender  Dichter  bezeichnet.  Er  scheint 
in  der  That  erst  zwischen  1210  und  1220  gestorben  zu  sein.  AVir  besitzen 
von  H.  nächst  zarten,  anmuthigen  Minne-  und  Kreuzliedern  zwei  Büchlein  oder 
Briefe  und  vier  grössere  erzählende  Gedichte.  Die  Formvollendung,  mannig- 
faltige Gestaltung,  reiche  wohllautende  Sprache  und  vollklingenden  Reime  hat 
er  mit  anderen  berühmtesten  Dichtern  aus  der  Blüthezeit  der  höfischen  Poesie 
zwar  gemein,  aber  an  Kernhaftigkeit  der  Gesinnung  und  Objectivität  der  Auf- 
fassung überragt  er  sie  alle,  ebenso  wie  er  dadurch  ausgezeichnet  ist,  dass  er 
sich  von  der  gesuchten  Erapfindelei  der  übrigen  Minnesänger  frei  erhalten  hat 
und  in   seinen  Poesien   das  phantastische  Element   beinahe    ganz   zurückdrängt. 

Hartinanii,  Christian  Karl,  einer  der  vorzüglichsten  deutschen  Flöten- 
virtuosen des   18.  Jahrhunderts,    geboren    um   1750  zu  Altenburg,    glänzte  auf 


Hartmiian.  73 

seinem  Instrumente  in  seiner  Heimath  und  auf  Kunstreisen,  so  1786  in  Ham- 
burg und  später  in  E-ussland,  wo  er  eine  Stelle  als  Musikdirektor  annahm. 
Im  J.  1790  war  er  in  Erlangen,  von  wo  aus  er  nach  Paris  ging.  Auch  dort 
gefeiert,  wurde  er  im  J.  III  der  Republik  zum  Professor  am  Conservatorium 
ernannt  und  bekleidete  daneben  bis  zu  seinem  Tode,  um  1804,  die  Stellung 
als  Flötist  im  Orchester  der  Grossen  Oper.  Als  Componist  hat  er  sich  durch 
Concerte,  Duos,  Variationen  und  Fantasien  für  Flöte  bekannt  gemacht.  —  Sein 
Zeitgenosse  und  thüringer  Landsmann,  Christoph  Heinrich  H.,  geboren 
um  1750  zu  Rudisleben  bei  Arnstadt,  componirte  Ciavier-  und  Duo -Sonaten, 
ITebungsstücke ,  Lieder,  sowie  eine  zweiaktige  Oper,  »Das  Zauberschloss«,  und 
starb  als   Organist  zu  Eimbeck  um   1826. 

Hartmann,  Franz,  tüchtiger  deutscher  Violinist  und  Componist  für  sein 
Instrument,  geboren  1807  zu  Coblenz,  zeichnete  sich  als  Virtuose  auf  Kunst- 
reisen und  auf  den  itheinischen  Musikfesten  vielfach  aus  und  wurde  Concert- 
meister  des  Theater-  und  Concertorchesters  in  Köln,  als  welcher  er  im 
J.  1857  starb. 

Hartinaun,  Friedrich,  vortrefflicher  deutscher  Vocalcomponist  und  Diri- 
gent, geboren  um  1805  im  Reussischen,  war  lange  Jahre  hindurch  Musikdirektor 
des  durch  seine  Kunstleistungen  weithin  berühmten  Männergesangvereines  zu 
Neuss  am  Rhein  und  componirte  in  dieser  Eigenschaft  zahlreiche  Kircheu- 
musikwerke  und  Chorgesänge.  —  Sein  geist-  und  talentvoller  Sohn,  Ludwig 
H.,  zählt  zu  den  besten  musikalischen  Feuilletonisten  Norddeutschlands  und 
zu  den  feurigsten  Vorkämpfern  der  durch  Liszt  und  "Wagner  angebahnten 
neuesten  Richtung  in  der  Musik.  Greboren  1836  zu  Neuss,  erhielt  er  von 
seinem  Vater  seine  erste  musikalische  Erziehung  im  Ciavierspiel  und  der  Har- 
monielehre und  bildete  sich  in  Leipzig  allseitig  aus,  in  künstlerischer  Beziehung 
am  dortigen  Conservatorium,  wo  Moscheies  und  Hauptmann  in  der  Praxis  und 
Theorie  der  Tonkunst  seine  Hauptlehrer  waren.  Durch  das  Studium  Wagner'- 
scher  Musik,  dem  er  sich  privatim  hingab,  entflammt,  begab  er  sich  an  den 
Musenhof  Franz  Liszt's  in  Weimar,  zu  dessen  Coryphäen  er  in  den  Jahren 
1856  und  1857  zählte.  Von  Liszt  selbst  pianistisch  bis  zur  Vollkommenheit 
ausgebildet,  trat  er  1859  zu  Dresden  in  einem  Concerte  der  Schröder-Devrient 
mit  grossem  Erfolge  auf.  Er  fixirte  sich  hierauf  in  der  sächsischen  Hauptstadt 
und  entfaltete  eine  rege  Thätigkeit  als  Pianist,  Componist  und  Musikschrift- 
steller in  der  in  Weimar  angenommenen  Richtung,  der  er  in  Dresden  uner- 
müdlich Bahn  zu  brechen  suchte.  Einestheils  ermuntert,  anderentheils  bitter 
bekämpft,  nahm  er  bald  eine  exclusive,  aber  geachtete  unabhängige  Stellung 
ein,  die  er  noch  gegenwärtig  mit  Umsicht  behauptet.  Durch  den  Verkehr  mit 
der  Schröder-Devrient  angeregt,  schrieb  und  veröfi'entlichte  er  eine  Reihe  von 
Liederheften,  ausserdem  aber  auch  Clayiercompositionen,  welche  sich  weithin 
bekannt  machten,  und  denen  zum  Mindesten  distinguirte  Erfindung  und  geist- 
reiche Reflexion  nachzurühmen  ist;  im  Manuscript  vollendete  er  eine  Oper, 
»König  Helge«,  deren  Textbuch  er  ebenfalls  selbst  verfasst  hatte.  Als  Kritiker 
und  langjähriger  Redacteur  des  Feuilletons  der  Constitutionellen  Zeitung  hat 
er  sein  Ansehen  im  lokalen  Umkreise  gesichert,  als  geschätzter  Mitarbeiter  an 
Fachzeitschriften  (»Tonhalle«,  »Musikal.  Wochenblatt«  u.  s.  w.)  aber  durch  seine 
schlagenden,  gedankenreichen  Aufsätze  auch  nach  auswärts  einen  schriftstelle- 
rischen Namen   von  bestem  Klange  sich  erworben. 

Hartmanu,  Heinrich,  deutscher  Kirchencomponist,  geboren  in  der  zweiten 
Hälfte  des  16.  Jahrhunderts,  wurde  1608  Cantor  zu  Coburg  und  starb  daselbst 
1616.  Man  kennt  von  ihm:  r>Confortativac  sacrae  symplioniacaev^  für  5,  6,  8  und 
mehr  Stimmen  (Coburg,  1612)  und  einen  zweiten  Theil  hierzu  (Erfurt,  1617).     f 

tlartmauu,  Heinrich  August  Ferdinand,  deutscher  Tonkünstler,  ge- 
boren um  1770  zu  Hamburg,  Hess  sich  als  Violinist  ia  Russland  nieder  und 
war  um  1800  Musikdirektor  am  französischen  Theater  zu  St.  Petersburg.  Er 
schrieb  Solostücke  für  Violine. 


74  Hartmann. 

Hartmnnn,  Johann,  geschickter  deutscher  Violinist  und  Componist,  ge- 
boren um  1735  in  Schlesien,  war  1754  Violinist  in  der  fürstbischöfl.  Kapelle 
zu  Breslau  und  um  1760  Concertmeister  am  Hofe  zu  Rudolstadt.  Von  dort 
aus  trat  er  in  die  Dienste  des  Herzogs  von  Ploeu  und  kam  mit  seinem  Sou- 
verän 1768  nach  Kopenhagen,  wo  er  ausserordentlich  zahlreiche  "Werke  für  die 
Kirche  und  das  Theater  schrieb,  die  in  der  dänischen  Musikerwelt  eines  aus- 
gezeichneten Rufes  sich  erfreuten,  beim  Brande  des  Schlosses  Christiansborg 
aber  sämmtlich  verloren  gingen.  Die  Oper  H.'s,  »Balder's  Död«  (Baldur's 
Tod),  nannte  man  im  grossen  Style,  an  Gluck  mahnend,  geschrieben  und  in 
einer  anderen,  »Der  Fischer«  betitelt,  kam  zuerst  das  bald  darauf  in  den  Volks- 
mund übergegangene  und  dänischer  Nation  algesang  gewordene  Lied  »Kong 
Christian  stod  ved  hojen  Mast«  (Held  Christian  stand  am  hohen  Mast)  vor. 
H.  war  ein  Anhänger  der  alten  Richtung  in  der  Musik,  die  er  bis  Gluck  und 
Händel  ausdehnte,  wollte  aber  selbst  Haydn  und  Mozart  nicht  mehr  gelten 
lassen.     Er  starb  im  J.   1791   zu  Kopenhagen.  — 

Sein  Sohn  August  Wilhelm  H.,  geboren  um  1775  zu  Kopenhagen,  er- 
hielt seine  Ausbildung  im  Violinspiel  vom  Vater,  trieb  aber  auch  eifrig  Clavier- 
und  Orgelspiel,  so  dass  er,  nachdem  er  schon  früh  in  die  königl.  Kapelle  ge- 
treten war,  um  1800  bereits  auch  Organist  an  der  Garnisonkirche  zu  Kopen- 
hagen wurde,  welches  Amt  er  hochbetagt  noch  im  J.  1850  inne  hatte.  Er 
hatte  ein  nicht  geringes  Compositioustalent,  hielt  aber  seine  Tonschöpfungen 
streng  und  bescheiden  zurück.  Aus  seiner  Ehe  mit  Christiane  "Wittendorf, 
einer  Tochter  des  Organisten  in  Fredensborg,  entsprang  am  14.  Mai  1805 
Johann  Peter  Emil  H. ,  welcher  gegenwärtig  zu  den  gefeiertsten  Musikern 
und  Componisten  Dänemarks  zählt.  Dieser  zeigte  früh  schon  grosse  Lust  zur 
Musik  und  lernte  beim  Vater  Ciavier-  und  Violinspiel.  Sein  höchster  "Wunsch 
war,  es  einmal  bis  zum  Kapellmusiker  zu  bringen,  allein  der  verständige  Vater, 
welcher  wusste,  dass  dies  gerade  kein  Glück  war,  hielt  ihn  zum  Studiren  au. 
AVeyse  hörte  den  jungen  H.  auf  Ciavier  und  Orgel  phantasiren,  sah  seine  Com- 
positionen  und  setzte  es  durch,  dass  derselbe  sich  mehr  wie  vorher  mit  der 
Tonkunst  beschäftigen  durfte.  Nun  hatte  H.  auf  einmal  einen  treuen  und  tief 
erfahrenen  Freund,  dem  er  jeden  seiner  Compositionsversuche  zeigte  und  von 
dem  er  die  besten  Lehren  und  Rathschläge  empfing.  Um  jene  Zeit  kam  eine 
ganz  neue  Strömung  in  die  dänische  Musikwelt,  indem  der  treffliche  Gesang- 
lehrer Siboni  die  italienischen  Tonschöpfungen,  welche  so  schön  und  einschmei- 
chelnd für  die  Menschenstimme  liegen,  in  Kopenhagen  einführte  und  zur 
Geltung  brachte.  Dieser  musikalische  Geschmack  war  gänzlich  gegen  Weyse's 
Natur  und  Anschauungen  und  fand  in  ihm  einen  erbitterten  Gegnei*.  H.,  sein., 
begabtester  Schüler,  musste  die  Ansichten  des  Musikveteranen  durch  "Wort  und 
Schrift  unterstützen  und  that  es  fi^eudig  und  gern.  Gleichzeitig  bestand  er  1827 
und  1828  die  juridischen  Examina  mit  höchster  Auszeichnung.  Einestheils  trat 
H.  nun  in  den  Staatsdienst,  andercntheils  unterstützte  er  den  Vater  in  seiner 
Organistenstellung  an  der  Garnisonkirche  und  wurde  zugleich  auch  Lehrer  an 
dem  Conservatorium  der  Musik  zu  Kopenhagen,  dessen  Direktor  Siboni  war. 
Die  beiden  Gegner  lernten  sich  so  kennen,  schätzen  und  schlössen  sich  auf- 
richtig aneinander  an,  was  nicht  verhinderte,  dass  H.  "Weyse's  musikgelehrten 
Rathschlägen  und  Winken  nach  wie  vor  folgte. 

H.  entfaltete,  nachdem  seine  äussere  Stellung  gesichert  war,  eine  Aufsehen 
machende  Tliätigkeit  als  Componist,  indem  er  mit  immer  fruchtbarem  Schöpfer- 
verniögen  aus  der  Tiefe  seiner  reichen  und  rausiktheoretisch  gefestigten  Phan- 
tasie zahlreiche  Schätze  hervorförderte,  die  zwar  von  sehr  ungleichem  Werthe 
sind ,  aber  doch  mehr  oder  weniger  das  ächte  Gepräge  der  Schönheit  und  des 
hoben  Talentes  aufweisen.  "Was  zunächst  seine  Bethätigung  auf  musikalisch- 
dramatiscliem  Gebiete  betrifft,  so  ist  H.  von  den  dänischen  Componisten  viel- 
leicht derjenige,  welcher  die  meisten  Bedingungen  in  sich  vereinigt,  um  eine 
wirkungsvolle  und  lebenskräftige  dramatische  Musik    zu    schaffen,    was  ja   doch 


Hartmaun.  75 

immer  als  die  höchste  Aufgabe  der  Kunst  angesehen  wird.  Dass  dies  nur 
innerhalb  verhältnissmässig  enger  Grenzen  geschehen,  ist  lediglich  dem  ganzen 
Entwickelungsgange  und  der  Geschmacksrichtung  der  modernen,  auf  das  Rea- 
listische gerichteten  Zeit  zuzuschreiben.  Der  Drang  und  die  Fähigkeit  der 
Componisten,  wirklich  dramatische  Musik  zu  schreiben,  muss  unter  diesen  Um- 
ständen von  dem  Theater  in  den  Concertsaal  und  zur  Cantate  gedrängt  werden, 
die  durch  die  dem  ersten  Drittheil  des  19.  Jahrhunderts  noch  unbekannten 
Musik-  und  Gesangvereine  fürsorglich  gepflegt  wird.  Haben  sich  doch  diese 
künstlerischen  Kräfte  bereits  auch  einen  bedeutenden  Theil  von  dem  Stoffe 
angeeignet,  der  früher  ausschliesslich  dem  Theater  zufiel,  so  dass  die  Concert- 
säle  in  Wirklichkeit  Zufluchtsstätten  für  einen  grossen  Theil  der  älteren  drama- 
tischen Musik  sind,  welche  ihr  Heimathsrecht  auf  der  Bühne  eingebüsst  Laben. 
Der  Grund,  dass  H.  als  vorzüglich  beanlagter  dramatischer  Componist  im  besten 
Sinne  des  "Wortes  nicht  eine  grosse  Reihe  von  Musikdramen  geschafi"en  hat, 
muss  in  dem  Mangel  an  entsprechenden  Stoffen,  ein  Mangel,  der  allenthalben 
besteht,  gesucht  werden.  Seine  erste  vieraktige  Zauberoper  »Ravnen«  oder 
»Broderpröven«  (Der  Rabe  oder  die  Bruderprobe),  Text  von  H.  C.  Andersen, 
wurde  zuerst  am  29.  Octbr.  1832  in  Kopenhagen  aufgeführt  und  noch  1865 
gegeben.  Aber  nur  die  Musik  war  es,  welche  die  wärmste  Anerkennung,  be- 
sonders .von  Seiten  der  Kenner  fand.  Es  folgte  am  23.  April  1835  die  Oper 
»Die  Corsaren«,  Text  von  H.  Hertz,  die  binnen  Jahresfrist  vom  Repertoire 
wieder  verschwand,  und  am  12.  Mai  1846  das  dramatische  Singspiel  »Liden 
Kirsten«  (Die  kleine  Christine)  mit  Text  von  H.  C.  Andersen,  eines  der  an- 
muthigsten  Werke  national-dänischer  Musik.  Der  warme,  sinnige  Volkston  ist 
darin  mit  grosser  Genialität  getroffen  und  durchgeführt;  Natürlichkeit  und  aus- 
drucksvolle dramatische  Charakteristik  treten  in  jeder  Nummer  anziehend  hervor, 
und  die  Instrumentation  bekundet  einen  ausgezeichneten  Griff  in  die  schönsten 
Wirkungen  des  Orchesters. 

Auf  Marschner's  Anregung  hin,  der  im  Frühjahre  1836  H.  in  Kopenhagen 
kennen  und  schätzen  lernte,  unternahm  der  Letztere  eine  Reise  durch  Deutsch- 
land, Fnmkreich  und  die  Schweiz,  welche  ihn  in  die  interessantesten  künst- 
lerischen Verbindungen  brachte,  u.  A.  mit  Spohr,  mit  dessen  romantisch-elegischer 
Richtung  H.  sehr  sympathisirte.  Als  Zeichen  der  Erkenntlichkeit  für  herzlich- 
liebevolle Aufnahme  widmete  H.  dem  deutschen  Meister  seine  erste  Sinfonie 
(op.  17  in  G-moU),  welche  auch  in  Kassel  mit  grösstem  Beifalle  aufgeführt 
wurde.  Für  das  Theater  lieferte  H.  noch  zahlreiche  Compositionen  zu  den 
Dramen  Oehlenschläger's,  Heiberg's,  Andersen's  und  zu  den  classischen  Ballets 
Bournonville's.  Hier  hat  H.  einen  reichen,  anderwärts  noch  nicht  einmal  ge- 
hobenen Schatz  von  nordischen  Tönen  niedergelegt.  Sein  letztes  und  vielleicht 
vollendetstes  Werk  dieser  Art  ist  »Völvens  Spaadom«,  welches  zuerst  im  April 
1872  von  den  lundensischen  und  kopenhagener  Studenten  mit  Begeisterung 
aufgeführt  wurde.  Aber  auch  auf  dem  Gebiete  der  weltlichen  Cantate,  der 
lyrischen  Gesangs-  und  der  Pianofortemusik  hat  sich  H.  fruchtbar  und  bemer- 
kenswerth  ausgezeichnet.  Dort  sind  es  Gelegenheitscompositionen  bei  feierlichen 
und  festlichen  Vorkommnissen  am  dänischen  Königshofe,  hier  ein  reicher  Schatz 
von  Liedern,  welche  in  die  Augen  fallen.  Von  den  letzteren  sind  auszeichnend 
zu  nennen:  die  neun  Lieder  unter  dem  Titel  »Salomon  und  Sulamith«  und  die 
sechs  Lieder  zu  Winther's  Gedicht  »Hjortens  Fingt«,  ferner  die  in  den  Volks- 
mund übergegangenen  vierstimmigen  Gesänge  »Flyv,  Fügl,  flyv«  (Fliege,  Vogel, 
flieg'),  »Snart  er  Natten  svuuden«  (Bald  ist  die  Nacht  entschwunden)  und 
»Slummrer  södt  i  Slesvigs  Jord«  (Schlumm're  süss  in  Schleswigs  Erde).  Von 
H.'s  Pianofortestücken  dürften  die  »Novelletten« ,  »sechs  Charakterstücke«, 
rtSis  JStudes  insiructivesis.  und  »Phantasiestücke«  die  bekanntesten  und  vorzüg- 
lichsten sein. 

HartmnuD,  Johann    Gottfried    Henning,    geschickter    deutscher    Ton- 
künstler und  Dirigent,    geboren  am  28.  Mai  1779  zu  Hamburg,    wurde  schon 


76  Hartmann  —  Hartong. 

frühzeitig  von  seinem  Vater,  dem  Rathsmusiker  Johann  Samuel  H.,  im  Singen, 
Ciavier-  und  Violinspiel  unterrichtet.  Im  Generalbass  und  in  der  Composition 
wurde  später  Schwencke  sein  Lehrer.  Als  Violinist  trat  er  um  1795  in  das 
Orchester  der  damals  in  Hamburg  domicilirten  französischen  Oper,  genoss  noch 
den  Unterricht  von  Andreas  Romberg  und  folgte  1799  einem  Rufe  in  das 
Orchester  des  französischen  Theaters  in  St.  Petersburg.  Bald  darauf  wurde  er 
Dirigent  der  deutschen  Oper,  als  welclier  er  1806  Gesangs-  und  Orchesterkräfte 
im  Auslande  zusammenstellte.  Im  J.  1821  wurde  er  wegen  Differenzen  mit 
dem  Intendanten  der  kaiserl.  Orchestermusik  pensionirt,  aber  schon  1822  als 
kaiserl.  Kapellmeister  wieder  angestellt.  Nachdem  er  noch  1826  seine  Vater- 
stadt wiedergesehen  hatte,  reiste  er  ein  Jahr  später  auf  Kosten  des  Kaisers 
nach  Italien,  zog  sich  aber  auf  der  Rückreise  durch  den  Umsturz  seines  Wagens 
unfern  Krakau  eine  gefährliche  Erkältung  zu,  so  dass  er  nur  mit  Mühe  St. 
Petersburg  wieder  erreichte.  Dort  dirigirte  er  zwar  noch  zwei  Mal,  sank  aber 
dann,  völlig  erschöpft,  auf  das  Krankenlager  und  starb  am  6.  März  1828,  als 
Künstler  wie  als  Mensch  den  vorzüglichsten  Ruf  hinterlassend. 

Hai'tmann,  Karoline,  vortreffliche  deutsche  Pianistin,  geboren  1808  zu 
Münster  bei  Colmar,  war  die  Tochter  eines  begüterten  Fabrikbesitzers  und 
erreichte  1833  in  Paris  unter  Chopin's  und  Liszt's  Anleitung,  sowie  durch 
angestrengtes  Selbststudium  den  höchsten  Grad  pianistischer  Virtuosität.  Den 
Anstrengungen  moderner  Kunstanforderungen  aber  körperlich  nicht  gewachsen, 
verfiel  sie  in  eine  Brustkrankheit  und  starb  schon  am  30.  Juli  1834  zu  Münster, 
wohin   sie  in  dem  letzten   Stadium  ihrer  Krankheit  zurückgekehrt  war. 

Hnrtiiiaun,  Matthias,  ein  tüchtiger  deutscher  Orgelbauer,  der  im  Anfange 
des  18.  Jahrhunderts  in  der  Altstadt  von  Magdeburg  seine  Werkstatt  hatte. 
Das  35 stimmige  Orgelwerk  zu  Wanzleben  mit  drei  Manualen,  Pedal  und  fünf 
Bälgen  baute  H.  im  J.  1712,  wie  Adlung  in  seiner  Music.  meclianic.  I.  S.  281 
berichtet.  f 

Hartnianu,  Michael,  deutscher  Musiker  des  17.  Jahrhunderts,  war  an- 
fangs Hofmusicus  in  Kassel,  wurde  aber  daselbst  nach  Cornetto's  Tode,  also 
nach  1650,  als  landgräfl.  hessischer  Kapellmeister  angestellt  und  starb  als 
solcher  um   1670.     Näheres  ist  von  ihm  nicht  bekannt  geblieben. 

Hartinauu,  Simon,  ein  tüchtiger  Harfenist  deutscher  Abkunft,  der  um 
1770  in  Paris,  später  in  Lyon  lebte,  gab  ums  J.  1777  zu  Lyon  von  seiner 
Composition  heraus:  drei  Divertissements  für  Harfe  und  Violine  und  eine  So- 
nate für  zwei  Harfen.  f 

Hartog,  Eduard  de,  hervorragender,  in  unabhängigen  Verhältnissen  le- 
bender holländischer  Musikdilettant,  geboren  1826  zu  Amsterdarn,  hatte  im 
Ciavierspiel  und  in  der  Composition  eine  Reihe  ausgezeichneter  Lehrer,  nämlich 
Theod,  Döhler,  Mad,  Dulcken,  Hoch,  Orchestermitglied  des  deutschen  Theaters 
in  Amsterdam,  Bertelsmann,  Elwart,  Litolff  und  Aug.  Heinze.  Im  J.  1852 
nahm  H.  seinen  bleibenden  Wohnsitz  in  Paris,  nachdem  ihn  schon  vorher  seine 
musikalischen  Studien  wiederholt  dorthin  oeführt  hatten.  Dort  erwarb  er  sich 
einen  bedeutenden  Ruf  als  Pianist,  sowie  als  Componist,  der  auf  fast  allen  Ge- 
bieten der  Tonkunst  mit  Erfolg  thätig  war  und  häufig  von  sich  hören  Hess. 
Von  seinen,  Talent,  Feinsinnigkeit  und  Intelligenz  bekundenden  Arbeiten  ver- 
öffentlichte er  durch  den  Druck:  Streichquartette,  eine  Ouvertüre  zu  Em. 
Augier's  Drama  »Portia«,  Chorsachen  mit  Orchesterbegleitung,  ein-  und  mehr- 
stimmige Lieder  und  Gesänge,  Claviercompositionen  und  Violinstücke.  Durch 
Aufführungen  in  Paris  wurden  ausserdem  noch  von  ihm  bekannt  viele  Kamraer- 
musikwerke,  Kirchensachen,  Orchesterstücke,  Chöre,  Arien  u.  s.  w.  Unauf- 
geführt  und  im  Manuscript  bewalirt  H.  endlich  noch  die  Opern  »Lorenzo 
Aldini«  und  »Xe  mariage  de  Lopeti. 

Hartonio:,  ein  schwäbischer  Prediger,  soll  nach  Hiller's  Angabe  der  Ver- 
fasser des  1749  zu  Nürnberg  unter  dem  Titel:    »P.  O.  Kumani  Musicus    theo- 


Härtung  —  Hase.  77 

retico-practicustn  herausgekommenen  systematischen  Werkchens  gewesen  sein, 
welches  Hiller  wie  Adlung  zum   Gebrauche  sehr  empfohlen  haben.  f 

Härtung-,  s,  MüUer-Hartung. 

Härtung,  A.  L.,  Ende  des  18.  Jahrhunderts  Violinist  in  der  herzogl.  Ka- 
pelle zu  Braunschweig,  um  1794  auch  Musikalienhändler  daselbst,  veröffent- 
lichte als  op.  1  vier  Bücher  Violinduos  seiner  Composition  in  Frankfurt  und 
Amsterdam. 

Härtung-,  H.  A.,  Ciavierspieler  und  Musikdilettant  in  Leipzig,  gab,  wahr- 
scheinlich in  seinen  Studienjahren,  bei  Breitkopf  »Vermischte  musikalische  Auf- 
sätze fiir's  Klavier«  erster  und  zweiter  Theil  (Leipzig,  1792),  y>So)iate  ä  4  mainsca 
No.  1  (1793),  »Leichte  musikalische  Sätze  für  ungeübtere  und  mittlere  Klavier- 
spieler«, 1.  Quartal  (1794)  und  »Musikalische  Skizzen«,  erstes  Bäudchen  (1794) 
heraus.     Später  ist  von  H.  nichts  weiter  bekannt  geworden.  t 

Hai'tuug-,  Karl  August,  deutscher  Orgelvirtuose  und  Componist,  war  zu 
Ende  des  18.  Jahrhunderts  Organist  an  der  reformirten  Kirche  zu  Braun- 
schweig und  componirte  zahlreiche  Lieder  und  Gesänge  mit  Ciavierbegleitung, 
sowie  auch  Orgelstücke,  welche  letztere  aber  zu  allermeist  ungedruckt  ge- 
blieben sind. 

Härtung-,  Johann  Michael,  einer  der  berühmtesten  deutschen  Orgel- 
bauer des  18.  Jahrhunderts,  lebte  auf  dem  Schlosse  Vippach  bei  Erfurt  und 
baute  in  mehreren  Kirchen  Thüringens  vorzügliche  grosse  Werke,  Er  starb 
um  1780. 

Härtung-,  Michael,  deutscher  Lautenmacher,  lebte  in  den  ersten  Jahr- 
zehnten des  17.  Jahrhunderts  zu  Padua,  von  wo  aus  seine  Instrumente,  die 
lange  Zeit  hindurch  überaus  geschätzt  waren  und  sehr  hoch  im  Preise  standen, 
sich  über  ganz  Europa  verbreiteten.  Sein  Lehrmeister  war  gleichfalls  ein 
Künstler  deutscher  Abkunft,  nämlich  der  in  Venedig  ansässig  gewesene  Leon- 
hard   Tieffenbrucker  der  jüngere  gewesen. 

Hartverminderter  Dreiklaug  ist  nach  einigen  Theoretikern  der  Dreiklang 
auf  der  zweiten  Stufe  der  MoUtona^vt,  bestehend  aus  Grundton,  erhöhter  kleiner 

Mit  hinzugefügter  Sep- 


Terz  und  kleiner   Quinte,    also  in  A-moll. 
time  und  in  der  zweiten  Umkehrung  entsteht  aus  ihm  der  häufig  in  Anwendun 

Der  h.  D. 


gebrachte  Terz- Quarten- Accord  mit  übermässiger  Sexte:   q 

ist  ebenso  wie  der  doppeltvermiuderte  nur  ein  uneigentlicher  Dreiklang, 
und  beide  sind  überhaupt  nur  zur  Erklärung  des  übermässigen  Sext- 
accordes  aufgestellt  worden. 

Hartwig-,  Karl,  Organist  und  Musikdirektor  zu  Zittau,  hat  sich  um  1760 
als  fruchtbarer  und  beliebter  Componist  hervorgethan.  Von  seinen  Werken 
sind  erhalten  geblieben:  ein  deutsches  Magnificat,  siebzehn  Ouvertüren,  sieben 
Concerte  (sechs  für  Flöte  und  eins  für  Violine)  und  ein  Quartett  mit  obligatem 
Fagott,  sämmtlich  im  Manuscript.  Gedruckt  scheint  überhaupt  von  seinen 
vielen   Compositionen  keine  einzige  zu  sein.  t 

Hasans,  Jacob,  s    Hase. 

Haschka,  Lorenz  Leopold,  musikkundiger  deutscher  Gelehrter,  geboren 
zu  Wien  am  1.  Septbr.  1749,  lebte  in  späteren  Jahren  daselbst  als  Exjesuit 
und  machte  sich  besonders  als  Dichter  und  Schriftsteller  einen  Namen.  Ein 
Gedicht  von  ihm,  welches  er  1775  zu  Wien  erscheinen  Hess,  feiert  den  B,itter 
Gluck  bei  seiner  Rückkunft  aus  Frankreich,  Bemerkenswerther  wäre  ein 
Ciaviertrio,  als  dessen  Componist  H,  auf  dem  Titel  angeführt  und  welches 
ebenfalls  um  diese  Zeit  in  Wien  gestochen  worden  ist,  wenn  es  zweifellos 
feststünde,  dass  der  Componist  desselben  und  der  hier  Genannte  dieselbe 
Person  ist,  t 

Hase,  Georg,    deutscher  Musiker,    geboren   in   der  zweiten   Hälfte  des   16. 


78  Hase  —  Hasert. 

Jahrhunderts  zu  Nürnberg,  woselbst  er  auch  gelebt  zu  haben  und  gestorben 
zu  sein  scheint,  veröffentlichte  laut  der  Bibl.  class.  germ.  des  Draudius  »Newe 
Täntz  mit  schönen   Texten  zu  vier   Stimmen«  (Nürnberg,  1610). 

Hase,  Jacob,  latinisirt  Ha  saus,  deutscher  Gelehrter,  geboren  1694  zu 
Bremen,  schrieb  u.  A.  eine  nDisjyuia/io  de  inscrlplione  I'salmi  vigesimi  secundU^ 
worin  er  zu  beweisen  sucht,  dass  daselbst  ein  musikalisches  Instrument  ange- 
zeigt werde.  Diese  Disputation  findet  man  in  Ugolini  Thes.  ant.  sacr.  T.  XXXII 
p.  207 — 230.  H.  selbst  starb  als  Professor  am  Gymnasium  zu  Bremen  bereits 
am  17.  Juni  1723.  t 

Hase,  Julie,  talentreiche  deutsche  Sängerin  und  an  der  Hofoper  in  Dresden 
engagirt,  geboren  um  1800,  war,  wo  sie  sich  in  Deutschland  hören  Hess,  be- 
sonders als  Zerline,  Pamina,  Myrrha  etc.,  ungemein  beliebt  und  wusste  in  der 
That  ihren  Gesang  durch  Naivetät  und  Innigkeit  anziehend  zu  beleben.  Leider 
starb  sie  sclion,  ohne  ein  höheres  Ziel  erreicht  zu  haben,  am  30.  Juli  1826, 
nachdem  sie  1824  ihrer  Körperleiden  wegen  der  Bühne  hatte  entsagen  müssen. 

Hase,  Wolfgang,  deutscher  Tonkünstler  und  Theologe,  geboren  zu 
Quedlinburg  ums  Jahr  1600,  in  den  Mannesjahren,  1636,  Cantor  an  der 
Stiftsschule  Sanct  Alexandri  zu  Eimbeck  und  gestorben  als  Pfarrer  zu  Negen- 
born  im  Amte  Salzderhelden,  gab  als  Cantor  heraus:  »Gründliche  Einführung 
in  die  edle  Musik  oder  Singkunst«  (Osterode,  1643).  Eine  zweite  von  ihm 
vermehrte  und  verbesserte  Auflage  dieses  Werkes  erschien  zu  Goslar  im 
J.  1657.  t 

Uaseubalgr,  Johann  Friedrich,  trefflicher  ausübender  Tonkünstler  und 
Componist,  geboren  1771  zu  Werna  in  der  Grafschaft  Hohenheim,  erhielt  seine 
erste  musikalische  Bildung  von  seinem  Vater,  eine  gute  wissenschaftliche  Er- 
ziehung aber  auf  mehreren  öffentlichen  Sclmlen.  Im  J.  1807  wurde  er  Musik- 
direktor am  Martineum  zu  Braunschweig  und  1828  am  vereinigten  Gesammt- 
gymnasium  daselbst.  Ausserdem  gründete  er  die  noch  bestehende  Braun- 
schweiger Singakademie,  welche  er  zwölf  Jahre  hindurch  mit  grosser  Umsicht 
leitete  und  war  aiich  sonst  als  Musiklehrer  erfolgreich  thätig.  In  seiner  Jugend 
hatte  er  sich  lange  mit  der  Harfe  beschäftigt,  die  er  aber  mit  Beginn  seiner 
Lehrerlaufbahn  liegen  Hess.  Er  starb  am  28.  Juli  1859  zu  Braunschweig. 
Componirt  hat  er  Kirchen-  und  Schulgcsänge,  Sonaten  für  Harfe  und  Violine, 
Fantasien  und  Variationen  für  Harfe  u.  s.  w.  —  Seine  beiden  Töchter,  Caro- 
line und  Herrn  ine  H.,  bildete  er  musikalisch  vortrefflich  aus,  so  dass  sie 
sich  um  1825  eines  guten  Rufes  erfreuten,  die  Erstere,  nachmals  an  den  Hofrath 
Prof.  Marx  in  Braunschweig  verheirathet,  als  Pianistin,  die  Andere  als 
Harfenspielerin. 

Hasenliuopü",  Sebastian,  deutscher  Contrapunktist  des  16.  Jahrhunderts, 
aus  Salzburg  gebürtig,  hat  sein  Andenken  durch  Motetten  für  5,  6,  8  und 
mehr  Stimmen  (München,  1588)  erhalten.  Die  königl.  München  er  Bibliothek 
besitzt  ein  Exemplar  derselben.     Vgl.  Draudii  Jiibl.  class.  p.   1618.  f 

Haserodt,  Musikdirektor  und  Organist  zu  Eschwege,  war  der  Oheim  des 
bekannteren  Johann  Andreas  H.,  geboren  am  12.  Febr.  1694  zu  Schlottheim 
in  Thüringen,  dessen  Vater  früh  starb.  Er  nahm  sich  seines  Neffen  sehr  warm 
an,  adoptirte  ihn  und  unterrichtete  ihn,  so  weit  er  vermochte,  selbst,  besonders 
in  der  Musik.  Im  J.  1714  schickte  er  denselben  auf  die  Universität  zu  Jena, 
wo  dieser  jedoch  nur  1'/«  Jahr  verweilte,  indem  der  Oheim  starb  und  er  zu  dessen 
Nachfolger  im  Berufe  erwählt  wurde.  Er  führte  sich  durch  Aufführung  einer 
selbstcomponirten  Kirchenmusik  ins  Amt  ein.  Vgl.  Hiller's  Nachrichten  im 
dritten  Bande.  f 

Hasert,  Johann,  deutscher  Trorapetenvirtuose  und  Instrumentbauer,  ge- 
boren zu  Bercka,  voi-mals  Haynich  in  Thüringen,  am  1.  April  1680,  zeigte  von 
Jugend  auf  viel  Talent  zur  Musik  und  zur  Schnitzkunst.  Erstere  erwählte 
er  zum  Beruf  und  erlernte  1699  die  Trompeterkunst.  Er  begab  sich  1701  in 
Kriegsdienste  und  maclite  neun  Feldzüge  in  Brabant  mit.    In  den  Wintermonaten 


Hasert.  79 

studirte  er  fleissig  in  der  Kunst  weiter.  Im  J.  1709  wurde  er  Hoftrompeter 
zu  Eisenacli  und  verweilte  dort  bis  zu  seinem  bald  nach  1732  erfolgten  Tode. 
In  seinen  letzten  Lebensjahren  verwerthete  H.  auch  noch  seine  mechanische 
Anlage,  indem  er  sehr  gute  Violinen,  Violdigamben ,  Violoncelle  und  Claviere 
kleinster  Form  fertigte  und  eine  Instrumentbauwerkstatt  bleibend  errichtete,   f 

Hasert,  Rudolph,  vorzüglicher  deutscher  Pianofortevirtuose,  geboren  am 
4.  Febr.  1826  zu  Greifswald,  war  der  Sohn  eines  dortigen  theologischen  Pro- 
fessors und  erhielt  bei  frühzeitig  sich  geltend  machendem  Musiktalente  den 
ersten  guten  Ciavierunterricht.  Dem  AVillen  seines  Vaters  gemäss  durfte  er 
sich  zwar  mit  der  Musik  beschäftigen  und  auf  sich  einwirken  lassen ,  was  die 
Greburtsstadt  an  künstlerischen  Genüssen  bot,  allein  als  Lebeusberuf  sollte  er 
das  Studium  der  Theologie  erwählen  und  trat  in  Folge  dessen,  nach  Durch- 
laufung des  Gymnasiums,  zu  Greifswald  in  das  erste  TJniversitätssemester  ein. 
Zur  Fortsetzung  der  gottesgelehrten  Studien  begab  er  sich  1847  nach  Halle, 
wo  er  bei  Hob.  Franz  die  ersehnte  musikalische  Nahrung  in  Hülle  und  Fülle 
fand.  Er  erklärte  dem  Vater  nun  seinen  Entschluss,  sich  ausschliesslich  der 
Tonkunst  zu  widmen  und  ging  nach  Berlin,  wo  er  von  1848  bis  1850  bei 
Theod.  Kullak  das  höhere  Pianofortespiel  und  bei  S.  W.  Dehn  Composition 
und  Contrapunkt  mit  hingebendem  Eifer  studirte.  Die  unausgesetzt  betriebenen 
technischen  Uebungen  brachten  aber  ein  Fingerleiden  zu  Wege,  das  ihn  auf 
nicht  zu  bestimmende  Zeit  der  musikalischen  Ausübung  entzog  und  endlich 
veranlasste,  wieder  zur  Universität  zurückzukehren. 

In  Greifs vvald  beendete  er  nach  Jahresfrist  das  Studium  der  Theologie 
durch  das  übliche  Examen  und  unternahm  zunächst  eine  Vergnügungsreise 
nach  Stockholm.  Dieser  Ausflug  wurde  aber  zu  einer  Kunstreise.  Denn  in 
der  schwedischen  Hauptstadt  und  in  durchaus  künstlerischer  Umgebung  er- 
wachte seine  Leidenschaft  für  die  Musik  aufs  Neue,  und  er  Hess  sich  leicht 
bestimmen,  in  einem  Concerte  der  Sängerin  Henriette  Nissen  als  Pianist  mit- 
wirkend aufzutreten.  Mit  Vortrag  von  Liszt's  Sonnambula-Fantasie  erzielte  er 
einen  glänzenden  Erfolg,  durch  den  angefeuert,  er  concerdrend  Gothenburg, 
Christiania  und  Kopenhagen  besuchte.  In  letzterer  Stadt  war  seine  Aufnahme 
eine  warm  entgegenkommende;  er  wurde  daselbst  auch  zu  den  Hofconcerten 
gezogen  und  erhielt  den  Titel  eines  dänischen  Hofpianisten.  Im  J.  1855  Hess 
sich  H.  ebenfalls  erfolgreich  in  Paris  hören  und  begab  sich  hierauf,  einen  treff- 
lichen Virtuosenruf  vorausschickend,  wieder  nach  Deutschland.  Weimar  übte 
auch  auf  ihn  zunächst  seinen  magnetischen  Einfluss  aus,  und  dort  fand  er  bei 
Liszt  ein  warmes  Entgegenkommen  und  einen  anregenden  Umgang.  Missliche 
Geldverhältnisse  aber  gestatteten  nicht,  seinen  Aufenthalt  allzu  lange  auszu- 
dehnen, und  er  kehrte  in  seine  Heimath  zurück,  von  welcher  aus  er  nochmals 
Dänemark,  sodann  Hamburg  und  1860  Berlin  besuchte.  In  letzterer  Stadt 
veranstaltete  er  drei  Concerte,  deren  künstlerisches  Resultat  nicht  befriedigen- 
der sein  konnte  und  H.  bewog,  sich  gänzlich  in  Berlin  niederzulassen.  Von 
1861  bis  1869  wirkte  er  daselbst  als  Musiklehrer  und  Componist,  freilich  aber 
in  so  stiller  und  bescheidener  Weise,  dass  er  der  sich  hervordrängenden  Con- 
currenz  fast  immer  das  Feld  räumen  musste.  Ueberwiegend  sah  er  sich  auf 
Anfertigung  von  Ciavierarrangements  und  Transscriptionen  angewiesen,  die  er 
zum  grossen  Theil  pseudonym  herausgab.  Von  seinen  eigenen  Compositionen 
für  Pianoforte,  sowie  für  eine  Singstimme  ist  im  Laufe  der  Zeit  nur  der  ge- 
ringste Theil  erschienen.  Unter  denselben  ragt  eine  Etüde  für  die  linke  Hand 
als  ein  in  ihrer  Art  unübertreffliches  Uebungsstück  hervor,  wie  denn  überhaupt 
H.'s  Fertigkeit  mit  dieser  Hand  auf  einer  wahrhaft  fabelhaften  Höhe  steht. 
Von  wohlmeinenden  Freunden  berathen,  gab  H.  1870  der  ausübenden  Ton- 
kunst, die  ihn  nicht  sorgenfrei  hinzustellen  vermochte,  Valet  und  nahm  eine 
Predigerstelle  an  der  Strafanstalt  zu  Straussberg  an,  von  wo  aus  er  1872  in 
gleicher  Eigenschaft  an  die  evangelische  Kirche  zu  Rathenow  versetzt  wurde. 
In  eifriger  Amtsthätigkeit  betreibt  er  hier  die  Musik,    in   der  er  bis  zu  einem 


gQ  Hasius  —  llasier. 

der  höchsten  Gipfelpunkte  vorgedrungen  ist,  lediglich  zu  eigenem  Genüsse  und 
zu  eigener  Erbauung. 

Uasius,  Johann  Matthias,  deutscher  Gelehrter,  war  zuletzt  Professor 
der  Mathematik  in  Wittenberg  und  hat  als  Magister  und  Assessor  der  philo- 
sophischen Fakultät  zu  Leipzig  eine  »Dissertalio  de  Tuhis  stentorcisv.  (Leipzig, 
1719)  herausgegeben.  t 

Hasler,  Dominicus,  Mönch  und  Organist  in  der  Abtei  Lucelle,  vielleicht 
ein  Sprosse  der  berühmten  hier  folgenden  Musikerfamilie  dieses  Namens,  ver- 
öffentlichte y^Vl  Sonates  pour  VOrguev.  (Nürnberg,   1750).  f 

Hasler,  Isaac,  der  Vater  dreier  berühmter  deutscher  Musiker,  deren 
ältester  einer  der  grossen  Altmeister  des  Orgelspiels  und  der  evangelischen 
Kirchenmusik  ist,  war  um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  Musiker  in  Joachims- 
thal, zog  aber  dann  nach  Nürnberg,  wo  ihm  seine  Söhne  geboren  wurden, 
deren  ersten  musikalischen  Unterricht  er  selbst  übernahm.  —  Von  diesen  giug 
der  älteste,  Johann  Leonhard  H.  (gewöhnlich  von  seinem  Aufenthalte  in 
Oesterreich  her  Hans  Leo  von  H.  genannt),  geboren  1564  zu  Nürnberg, 
nachdem  er  der  väterlichen  Unterweisung  entwachsen  war,  1584  nach  A^enedig, 
wo  er  im  Contrapunkt  und  in  der  Composition  ein  Schüler  des  berühmten 
Andrea  Gabrieli  wurde,  mit  dessen  Neffen,  seinem  Mitschüler,  er  innige  Freund- 
schaft schloss.  Nach  einjährigem  Aufenthalte  in  dieser  strengsten  und  ge- 
diegensten Schule  damaliger  Zeit,  wurde  er  auf  der  Rückreise  in  die  Heimath, 
wahrscheinlich  auf  direkte  angelegentliche  Empfehlung  Gabrieli's  hin,  1585  in 
dem  berühmten  Fugger'schen  Hause  in  Augsburg,  dessen  Majorat  Octavianus  II. 
führte,  als  Organist  angestellt.  In  dieser  Stellung  componirte  und  veröffent- 
lichte er  seine  gefeierten  vierstimmigen  Cauzonetteu  und  fünf-  bis  achtstim- 
migen geistlichen  Festgesänge  (28  lateinische  Motetten),  seine  Madrigale,  Messen 
u.  s.  w. ,  welche  die  damalige  Welt  in  ihrer  mit  Gediegenheit  gepaarten  An- 
muth  wahrhaft  überraschten  und  sämmtlich  wiederholte  Auflagen  erfuhren. 
Kurz  vor  seinem  Weggange  aus  dem  Fugger'schen  Hause  Hess  er  seine  gleich- 
falls unerhörtes  Aufsehen  machenden  y^öantiones  novae  ad  modum  italicum  oder 
Newe  teutsche  Gesänge  zu  4,  5,  6  vnd  8  Stimmen«  (Nürnberg,  1597)  er- 
scheinen. Als  Hofmusicus  trat  H.  1601  in  die  Kapelle  des  Kaisers  Rudolph  II. 
zu  Wien,  und  hier  soll  er  seiner  grossen  Kunstmeisterschaft  wegen  durch 
kaiserliches  Decret  in  den  Adelstand  erhoben  worden  sein,  eine  Thatsache, 
welche  jedoch  noch  nicht  unanfechtbar  erwiesen  ist.  Während  seines  Aufent- 
haltes in  Wien  schrieb  er  fortgesetzt  zahlreiche  mehrstimmige  deutsche  Gesänge, 
aber  auch  Ballette,  Gagliarden,  Intraden  u.  s.  w.  für  Instrumente.  Im  J.  1608 
zogen  ilm  die  Kurfürsten  von  Sachsen,  Christoph  IL  und  Johann  Georg,  als 
Hoforganisten  nach  Dresden,  und  namentlich  schätzte  ihn  der  Letztere  so  hoch, 
dass  er  ihn  fast  niemals  aus  seiner  Nähe  liess.  Mit  diesem  Fürsten  machte 
H.  auch  1612  die  Reise  nach  Frankfurt  a.  M.,  wo  ihn  aber  am  8.  Juni  des- 
selben Jahres  der  Tod  ereilte,  welcher  einem  schon  lange  mit  sich  herum- 
getragenen schwindsüchtigen  Leiden  ein  Ende  machte.  H.'s  Bedeutung  als  der 
grösste  Orgelspieler  seiner  Zeit  wird  noch  von  seiner  epochemachenden  Stellung 
in  der  Kunstgeschichte  als  Meister  des  geistlichen  und  weltlichen  Liedes  über- 
boten. Als  solcher  gebührt  ihm  auch  das  Verdienst,  von  der  Wende  des  16. 
und  17.  Jahrhunderts  etwa  an,  den  Grund  zu  den  nachmaligen  leichter  fass- 
lichen und  angenehmeren  Melodien  der  Lieder  in  der  evangelischen  Kirche 
gelegt  zu  haben,  weshalb  seine  zahlreichen  dahin  gehörenden  Werke,  die  meisten- 
theils  zuerst  in  Nürnberg  erschienen,  nachher  aber  allenthalben  neu  aufgelegt 
wurden,  einen  unzerstörbaren  historischen  Werth  besitzen,  wie  denn  überliaupt 
alle  seine  Arbeiten  das  Zeichen  der  Classicität  jener  alten  Zeit  an  der  Stirn 
tragen.  JNIehrere  seiner  Choralmelodien  befinden  sich  u.  A.  auch  in  dem  zu 
Strassburg  erschienenen  Hizler'schen  Choralbuche.  Eine  der  schönsten  ist  die 
mit  den  Worten  nHerzlich  thut  mich  verlangen«  (oder  »Befiehl  du  deine  Wege« 
u.  s.  w.)  beginnende,    wclrl.c  ursprünglich   auf  den   Text  des  weltlichen  Liedes 


Haslinger.  Q\ 

»Mein  G'müth  ist  mir  verwirrt«  (»Lustgarten  deutscher  Gresänge«,  Nürnberg, 
1601)  componirt  war.  Nach  Tucher  ist  sie  wahrscheinUch  aus  dem  Görlitzer 
Gresangbuche  von  1613  zuerst  in  den  kirchlichen  Grebrauch  gekommen.  Eine 
katholische  Autorität  (Proske)  sagt  besonders  schwerwiegend  über  den  evan- 
gelischen H. :  »Die  Schreibart  dieses  Meisters  im  Figuralsatze  vereinigt  in  sich 
das  Höchste  und  Schönste,  was  deutsche  und  italienische  Kunst  jener  Zeit  zu 
leisten  vei'mochte.  Bei  reichster  Gedankenfülle  sehen  wir  ihn  immer  klar,  be- 
stimmt und  fest;  innerlich  gehaltvoll,  schwunghaft  und  wirksam  nach  aussen, 
besonders  im  mehrchörigen  Satze.  Neuere  Bahnen  betrat  er  vorsichtiger  als 
der  jüngere  Gabrieli;  er  hielt  zwischen  diesem  und  dem  gemeinsamen  grossen 
Lehrer  Andrea  Gabrieli  die  Mitte.  Ein  edler  Wetteifer  dieser  jungen  Künstler 
unter  sich  ist  jedoch  nicht  zu  verkennen;  den  sichersten  Beweis  davon  liefert 
eine  Sammlung  der  grossartigsten  Musiksätze,  welche  nach  dem  Tode  dieser 
Meister  erschien  (die  unter  Gabrieli  namhaft  gemachten  yyJReliquiae«) ,  deren 
Kunstgehalt  zu  solcher  Höhe  gesteigert  ist,  dass  mau  vor  Staunen  und  Be- 
wunderung nicht  zu  entscheiden  vermag,  welchem  von  Beiden  der  Preis 
gebührt.«  — 

Der  jüngere  Bruder  Johann  Leonhard's,  Jacob  H.,  geboren  1566,  starb 
zu  Hechingen  als  Organist  des  Grafen  von  Hohenzollern.  Auch  er  gehörte 
zu  den  berühmtesten  Orgelvirtuosen  seiner  Zeit  und  hat  sich  als  Componist 
zahlreicher  Messen,  Magnificats,  Psalme  u.  s.  w.,  die  von  1601  bis  1608  zu 
Nürnberg  erschienen,  hervorragend  ausgezeichnet.  Unter  diesen  wird  der  von 
ihm  componirte  51.  Psalm  für  acht  Stimmen  besonders  hoch  geschätzt.  —  Der 
jüngste  der  Brüder,  Kaspar  H. ,  stand  als  Meister  der  Praxis  und  Theorie 
dem  ältesten  am  nächsten.  Geboren  um  1570,  wurde  er  1587  Organist  in 
seiner  Vaterstadt  Nürnberg  und  blieb  in  diesem  Amte  bis  zu  seinem  Tode 
im  J.  1618.  Mit  seinem  Bruder  Johann  Leonhard  als  dem  40.  gehörte  er 
als  der  fünfte  zu  den  53  Sachverständigen,  welche  1596  das  Orgelwerk  zu 
Grüningen  bei  Halberstadt  untersuchen  und  abnehmen  mussten.  Aber  auch 
als  Ciavierspieler  hat  er  sich  einen  Namen  in  damaliger  Zeit  erworben.  Ai'- 
beiten  von  ihm  finden  sich  in  der  Sammlung  riSymjjhoniae  sacrae  von  4,  5  bis 
16  Stimmen«  (1.  Theil,  Nürnberg,  1598;  2.  Theil  ebendas.  1600),  welche  auch 
Werke  anderer  zeitgenössischer  Componisten  enthält.  Von  diesen  y>8ymj)}wniae 
sacrae«.  giebt  übrigens  Clessius  noch  eine  ausdrücklich  unter  H.'s  Namen  eben- 
falls  1598   zu  Nürnberg  erschienene  Ausgabe. 

Haslinger,  die  Firma  einer  .der  bedeutendsten  Musikverlagsgeschäfte 
Deutschlands,  welche  ihren  Sitz  in  Wien  hat  und  deren  Inhaber  sich  durch 
musikalische  Intelligenz  ganz  besonders  hervorthaten.  Gründer  derselben  ist 
Tobias  H.,  geboren  am  1.  März  1787  zu  Zell  in  Oberösterreich.  Derselbe 
war  anfangs  Geschäftstheilnehmer  dei-  Musikalienhandlung  von  S.  A.  Steiner 
und  Compagnie,  deren  alleiniger  Inhaber  er  1826  wurde,  von  welcher  Zeit  an 
er  dieselbe  unter  eigenem  Namen  fortführte.  Mit  den  Musikkoryphäen  seiner 
Periode,  wie  Beethoven,  Fr.  Schubert,  Fr.  Lachner,  Lindpaintner  u.  v.  A.  stand 
er  nicht  allein  im  geschäftlichen,  sondern  auch  im  freundschaftlichsten  Ver- 
kehre, und  die  Namen  sowie  die  Werke  derselben  waren  es  denn  auch  haupt- 
sächlich, welche  seinen  Verlag  in  Flor  brachten.  Er  starb  am  18.  Juni  1842 
zu  Wien.  —  Sein  Sohn  und  Geschäftsnachfolger,  Karl  H. ,  hat  sich  zugleich 
auch  als  ausübender  und  schaffender  Tonkünstler  ausgezeichnet.  Geboren  am 
11.  Juni  1816  zu  Wien,  erhielt  derselbe  eine  sorgfältige  wissenschaftliche  und 
künstlerische  Ausbildung.  Sein  laugjähriger  Lehrer  im  Piauofortespiel  war 
Karl  Czerny,  in  der  Composition  der  Ritter  von  Seyfried,  und  durch  diesen 
Unterricht  gestählt,  legte  er  schon  in  den  1830er  Jahren  glänzende  Proben 
seiner  musikalischen  Tüchtigkeit  ab.  Bis  zu  seinem  Tode,  welcher  am  26. 
Decbr.  1868  zu  Wien  erfolgte,  beförderte  er  über  100  von  Werken  verschie- 
denster Gattung  seiner  Composition  in  den  Di-uck,  vergrösserte  aber  auch 
ausserdem  seinen  blühenden  Verlag  in  kunstwürdiger  Art.     Um   die  Musik  zu 

Musikal.    Couvers. -Lexikon.     V.  6 


82  Hasse. 

heben,  veranstaltete  er  mit  reichen  Mitteln  unausgesetzt,  theils  in  seinem  Hause, 
theils  in  den  grossen  Sälen  Wiens  Mittags-  und  Abendconcerte,  in  welchen  er 
unter  Herbeiziehung  von  einheimischen  und  fremden  Kunstnotabilitäten  wenig 
bekannte  ältere  gediegene,  sowie  neue,  der  empfehlenden  Einführung  bedürftige 
Tonschöpfungeu  vorführte.  In  Ansehung  aller  dieser  und  anderer  einschlä- 
giger Verdienste  wurden  ihm  zahlreiche  Auszeichnungen  vom  Kaiserhofe ,  von 
Vereinen  und  Musikgesellschaften  zu  Theil,  Von  seinen  eigenen  Arbeiten  sind 
zu  nennen:  die  Oper  »Wanda«,  die  Cantate  »die  Grlocke«,  Text  von  Schiller, 
die  Sinfonie •  Cantate  »Napoleon«,  Quartette,  Trios,  Claviersolosachen,  Lieder 
u.  s.  w.  Auch  seine  geistlichen  Compositionen  sind  anzuführen;  diese  und  jene 
Messe  von  ihm  wird  noch  dann  und  wann  beim  Gottesdienste  in  den  Kirchen 
Wiens  aufgeführt.  In  Bezug  auf  das  Arrangement  für  industrielle  Verlags- 
zwecke entfaltete  er  gleichfalls  eine  immerhin  anzuerkennende  Thätigkeit,  indem 
er,  fremde  Hülfe  verschmähend,  meist  selbst  die  ei'forderliclien  Potpourris, 
Trausscriptionen  und  Ciavierbearbeitungen  (darunter  alle  bei  ihm  erschienenen 
Strauss'schen  Orchestertänze  und  Märsche)  setzte.  Sein  sehr  umfangreich  ge- 
wordenes Verlags-  und  Sortimentsgeschäft  am  Graben  zu  Wien  führt  noch 
gegenwärtig  seine  Wittwe,  Josephine  H.,  unter  der  bisherigen  Firma  »Karl 
Haslinger,  quondam   Tobias«  fort. 

Hasse,  der  Name  mehrerer  deutschen  Tonkünstler  und  Instrumentenmacher, 
unter  denen  der  zuletzt  zu  erwähnende  Johann  Adolph  H.  diesen  Namen 
zu  hohem  Glänze  und  unvergänglichem  Ruhme  erhoben  hat.  Zunächst  sind 
die  beiden  H. ,  Vater  und  Sohn,  zu  erwähnen,  deren  Vornamen  nicht  bekannt 
geblieben  sind,  die  aber  als  bedeutende  Instrumentenmacher  bis  in  die  letzten 
Jahrzehnte  des  18.  Jahrhunderts  hinein  in  Hamburg  wirkten  und  sich  durch 
Fabrikation  von  vorzüglichen  Flügeln  und  Ciavieren  einen  weithin  gehenden 
Ruf  erworben  haben.  Um  1773  war  allem  Anscheine  nach  keiner  von  Beiden 
mehr  am  Leben.  —  Ein  anderer  H.  mit  unbekanntem  Vornamen  starb  170.3 
als  Domorganist  zu  ÄTagdeburg.  —  Die  Reihe  der  bekannteren  Träger  dieses 
Namens  eröffnet:  1)  Franz  Xaver  H. ,  in  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahr- 
hunderts Musikdirektor  des  Bischofs  von  Basel,  welcher  1751  zu  Augsburg 
von  seiner  Composition  sechs  Trios  für  Streichinstrumente  als  op.  2  veröffent- 
lichte. —  Es  folgen:  2)  Gustav  H.,  hervon-agender  Liedercomponist  der 
Gegenwart,  geboren  um  1838  zu  Halle  a.  S.  In  seiner  Vaterstadt  sowie  in 
Leipzig  studirte  er  Clavierspiel,  Clarinette  und  Theorie,  war  in  mehreren  Or- 
chestern und  Hess  sich  etwa  1868  in  Berlin  als  Musiklelirer  nieder.  Von  dort 
aus  veröffentlichte  er  eine  Anzahl  von  Liedgesängen,  welche  von  einem  be- 
deutenden lyrischen  Talente,  von  feinem  Geschmacke  und  einer  sinnigen  Auf- 
fassung Zeugniss  ablegen,  so  dass  die  Acten  über  diesen  jungen  Componisten 
voraussichtlich  noch  lange  nicht  geschlossen  sind.  —  3)  Nicolaus  H.,  Ton- 
künstler des  17.  Jahrhunderts,  welcher  um  1650  an  der  Marienkirche  zu 
Rostock  als  Organist  angestellt  wax'.  Von  seinen  schöpferischen  Arbeiten  hat 
derselbe  mehrere  durch  den  Druck  veröffentlicht.  Folgende  derselben  führt 
E.  L.  Gerber  in  seinem  Tonkünstlerlexicon  vom  J.  1812  an:  y>Deliciae  Mu- 
sicaea,  Allemanden,  Couranten  und  Sarabanden  auf  2  oder  4  Violinen,  Violon, 
Clavicymbel  oder  Tiorbe  zu  musiciren  (Rostock,  1656);  »Musikalische  Erqvick- 
stunden«,  in  Allemanden  u.  s.  w.  auf  2  Violinen,  Violadagamba,  1  A^iolon, 
Clavicymbel  oder  Tiorbe  (Ebendas.,  1658);  y>Appendix  etlicher  Allemanden, 
Couranten  etc.«  so  Sirassburgische  Studiosi  an  Rostockische  Studiosos  über- 
sendet gehabt  (Rostock,  1658);  und  »Melodien  zu  Dr.  Heinrich  MüUer's  himm- 
lischen Liebesflammen«  in  zehn  geistlichen  Liedern.  Letztere  sind  in  Müller's 
Betrachtungen  von  geistlichen  Liedern  (Nürnberg,  1728)  enthalten.  Der  Zeit- 
genossen TJrtheil  über  H.'s  Compositionen  war  lobend,  wie  Wetzel's  Auslassungen 
darüber  bestätigen.  —  4)  Peter  H.  lebte  um  1700  als  Organist  der  Kirche 
und   Scbullehrer  zu  Bergedorf  bei  Hamburg  und  war  der  Vater  von 

Hasse,  Johann    Adolph,    dem    berühmtesten    und    in    fast    ganz  Europa 


Hasse,  83 

gefeiertsten  Operncomponisten  der  vormozart'schen  Musikepoche.  Geboren  am 
25.  März  1699  zu  Bergedorf,  erhielt  er  von  seinem  Vater  den  ersten  Unter- 
richt in  der  Kunst.  Um  seine  Studien  fortzusetzen,  ging  er  in  die  benach- 
barte grosse  Hansestadt,  welche  zu  jener  Zeit  gerade  der  Mittelpunkt  bedeu- 
tender musikalischer  Bestrebungen  war.  Grlückliche  Anlagen,  ein  angenehmes 
Aeussere  und  eine  schöne  Tenorstimme  erwarben  ihm  die  Theilnahme  eines 
einflussreichen  Schriftstellers,  Ulrich  König,  der  ihn  dem  Direktor  der  ersten 
stehenden  deutschen  Oper  Hamburgs,  dem  berühmten  Reinh.  Keiser,  empfahl. 
In  den  Opern  des  Letztgenannten  erschien  H.  zum  ersten  Male  als  Sänger  auf 
der  Bühne.  Ueberhaupt  hat  Keiser  den  grössten  Einfluss  auf  die  allseitige 
Entwickelung  der  Fähigkeiten  des  jungen  H.  im  Gesänge,  Ciavierspiel  und 
Tonsatz  gehabt,  wie  es  H.  denn  an  vielfacher  Anregung  in  Hamburg  überhaupt 
nicht  fehlte.  Der  Erfolg  seines  ersten  und  ferneren  Auftretens  und  einige 
talentvolle  Compositionsversuche  verschafften  ihm  bald  eine  neue  Empfehlung 
König's  und  zwar  an  den  Hof  von  Braunschweig,  wo  H.  1722  eintraf  und 
zuerst  als  Opernsänger  auftrat.  Ein  Jahr  später,  1723,  Hess  er  schon  seine 
erste  Oper  »Antigonus«  dort  aufführen.  Dieses  Werk,  welches  einige  sehr  an- 
sprechende Sätze  enthielt  und  überaus  beifällig  aufgenommen  wui'de,  Hess  gleich- 
zeitig wahrnehmen,  was  dem  jungen  Künstler  noch  Alles  an  einer  guten  theo- 
retischen Ausbildung  fehlte,  und  der  Herzog  von  Braiinschweig  entschloss  sich 
daher,  ihn  zur  Vollendung  seiner  Musikstudien  nach  Italien  gehen  zu  lassen. 
Im  J.  1724  kam  H.  in  Neapel  an  und  begab  sich  für  den  Anfang  unter  die 
Leitung  Porpora's,  dessen  Charakter  und  Rathschläge  ihm  aber  nicht  sugesagt 
zu  haben  scheinen. 

Da  H.  ein  fertiger  Ciavierspieler  war,  so  wurde  er  in  der  feinen  Gesell- 
schaft sehr  gern  gesehen  und  hatte  dadurch  Gelegenheit,  vor  dem  alten  Ales- 
sandro  Scarlatti  zu  spielen,  der  ihn  lieb  gewann  und  bald  ihm  eine  fast  väter- 
liche Zuneigung  schenkte.  Von  den  E,athschlägen  und  dem  Schutze  Scarlatti's 
seit  1725  unterstützt,  hatte  H.  das  Glück,  einen  reichen  Kaufherrn  kennen  zu 
lernen,  welcher  von  ihm  eine  zweistimmige  Serenade  für  ein  Familienfest  ver- 
langte. Dies  Musikstück  wurde  später  öffentlich  und  zwar  von  dem  berühmten 
Farinelli  und  der  Tesi  vorgetragen,  und  der  Ei'folg  dieser  Leistung  H.'s  war 
so  gross  in  Neapel,  dass  der  junge  und  liebenswürdige  deutsche  Künstler  (ü 
caro  Sassone,  wie  ihn  die  Schönen  Neapels  schon  nannten,  welcher  Beiname 
ihm  auch  für  die  Zukunft  verblieb)  die  Aufforderung  erhielt,  für  das  grosse 
königl.  Theater  eine  Oper  zu  componiren.  Es  war  dies  »Sesostrate«,  welches 
Werk  im  Mai  1726  gegeben  wurde  und  bald  den  Namen  des  jungen  Meisters 
durch  ganz  Italien  verbreitete.  Er  selbst  aber  ging  1727  nach  Venedig,  wohin 
ihn  sein  guter  Stern  und  der  Glanz  einer  Stadt  riefen,  die  nicht  ihres  Gleichen 
in  der  Welt  hat.  Er  war  28  Jahre  alt,  in  der  Vollkraft  des  Lebens  und  in 
der  ersten  Entfaltung  seines  Ruhmes  begriffen,  was  der  jugendlichen  Zuversicht 
ein  so  unendliches  Wachsthum  verleiht.  Er  wurde  von  dem  hohen  vene- 
tianischen  Adel  mit  grosser  Auszeichnung  empfangen  und  in  ihre  Paläste  und 
Clubs  eingeführt. 

Im  Theater  und  in  der  Kirche  bewundert,  von  der  grossen  Welt  ausge- 
zeichnet, zu  deren  Unterhaltung  er  durch  seine  herrliche  Stimme  und  sein 
Talent  als  Clavierspieler  das  Beste  beitrug,  wurde  er  schnell  der  Held  des 
Tages.  Die  Damen  bekränzten  ihn  mit  Blumen,  die  geschäftigen  Abbates  aus 
der  eleganten  Sphäre  verfolgten  ihn  mit  ihren  Sonetten,  sogar  die  Gondelfahrer 
begleiteten  ihn  mit  dem  lärmenden  Zurufe:  »Es  lebe  der  geliebte  Sachse!«  Er 
wurde  noch  1727  zum  Professor  und  Kapellmeister  an  einer  der  vier  Musik- 
schulen Venedigs,  am  Conservatorio  degV  Incurabili,  ernannt,  für  welche  er  ein 
Miserere  für  zwei  Sopran-,  zwei  Altstimmen  und  Streichquartett  componirte, 
das  seinen  Ruf  behauptete,  in  der  Folge  alljährlich  am  Charfreitage  in  Venedig 
aufgeführt  wurde  und  über  welches  sich  der  Padre  Martini,  der  sich  auf  der- 
gleichen verstand,  wie  kaum  ein  Anderer,  mit  Entzücken  äusserte.     Nach  einer 

6* 


84  Hasse. 

kurzen  Heise  nach  Neapel,  1728,  wohin  er  ging,,  um  eine  neue  Oper,  •nAttalo, 
re  di  Bitinian,  aufführen  zu  lassen,  welche  seine  früheren  glänzenden  Erfolge 
nur  bestätigte,  kehrte  er  nach  Venedig  zurück,  wo  ihn  eines  der  glücklichsten 
und  beneidetsten  Ereignisse  seines  Lebens  erwartete. 

Es  lebte  zu  jener  Zeit,  vom  Theater  in  London  gekommen,  in  dieser 
Wunderstadt  eine  junge,  schöne  Frau  von  bezauberndem  Geiste,  eine  jener 
Königinnen  der  Kunst  und  der  Phantasie,  wie  sie  einzig  Italien  hervorbringen 
kann.  Faustina  Bordoni,  die  hier  Gemeinte,  1700  zu  Venedig  von  wohl- 
habenden und  angesehenen  Eltern  geboren,  ward  schon  in  früher  Jugend  für 
die  dramatische  Laufbahn  bestimmt.  Kenntnissreich,  lebhaft  und  von  Ehrgeiz 
erfüllt,  studirte  sie  mit  Eifer  die  Gnindsätze  des  Gesanges  und  der  Musik 
überhaupt  unter  der  Leitung  des  vortrefflichen  Francesco  Gasparini,  welcher 
auch  der  Lehrer  Marcello's  und  Direktor  des  Conservatoriums  della  pietä  war. 
Die  seltenen  Anlagen  Faustina's,  ihre  reizende  Persönlichkeit  und  die  Pracht 
ihres  schönen  Organes  zogen  die  Aufmerksamkeit  des  grossen  und  vornehmen 
Benedetto  Marcello,  des  Componisten  der  bewunderungswürdigen  und  allbe- 
kannten Psalmen,  auf  sich,  und  er  zog  Faustina  in  seinen  Palast,  in  welchem 
er  eine  Art  Akademie  gebildet  hatte,  die  allen  berühmten  Musikern ,  Dichtern 
und  Schöngeistern  Venedigs  zum  Sammelplatz  diente.  Marcello  selbst,  als 
eifriger  Verehrer  von  Kunst  und  Wissenschaft,  fand  seine  Freude  daran,  die 
lernbegierige  Jugend  mit  seiner  Börse  und  seinem  Unterrichte  zu  unterstützen. 
Er  gab  der  i-eizenden  Faustina  Lectionen,  lehrte  sie  richtig  athmen,  den  Ton 
einsetzen  und  das  Recitativ  vortragen,  welches  in  der  guten  altitalienischen 
Schule  für  den  wichtigsten  Theil  der  Gesangskunst  galt.  Marcello  arbeitete 
damals  gerade  an  seinen  Psalmen,  deren  Text  in  italienischen  Vei'sen  ihm  sein 
Freund  Girolamo  lieferte,  ein  Edelmann ,  der  sich  ebenfalls  nicht  blos  mit  den 
Vorzügen  begnügte,  die  ihm  seine  Abstammung  verliehen. 

Sechszehn  Jahre  alt,  trat  Faustina  in  Venedig  in  »Ariodante«  auf,  der 
Oper  eines  unbedeutenden  Componisten,  Polarolo.  Vor  diesem  Volke  von 
Künstlern,  welches  so  gut  verstand,  den  Ernst  der  Politik  mit  den  Zerstreu- 
ungen eines  heiteren  Daseins,  die  Sorgen  des  Kaufmannes  mit  der  Lebenslust 
des  Edelmannes  zu  vereinigen,  war  der  Erfolg  der  jungen  Künstlerin  ein  glän- 
zender. Dennoch,  sei  es,  dass  Faustina  selbst  mit  sich  unzufrieden  war,  sei 
es,  dass  ihr  Marcello  zu  verstehen  gab,  wie  viel  ihr  noch  fehle,  um  das  Ziel 
zu  erreichen,  das  er  ihrem  Ehrgeize  gezeigt,  genug,  sie  verschwand  plötzlich 
vom  Schauplatze  und  hielt  sich  einige  Zeit  ganz  zurückgezogen,  um  ihre  schwie- 
rigsten Parthien,  mit  denen  sie  später  die  Welt  entzückte,  aufs  Sorgfältigste 
zu  studiren.  Ein  Jahr  später,  1717,  trat  sie  wieder  und  mit  grösserer  Sicherheit 
auf.  Sie  feierte  den  vollständigsten  Triumph,  indem  sie  alle  Herzen  bezauberte. 
Bald  darnach  nach  Florenz  berufen,  ist  für  den  unerhörten  Jubel,  den  sie 
erregte,  ein  unzweifelhaftes  Zeugniss  geblieben,  nämlich  eine  Denkmünze,  welche 
man  ihr  zu  Ehren  prägte.  Auch  in  Neapel  wollte  man  ein  so  himmlisches 
Wesen  bewundern.  Im  J,  1722  erschien  Faustina  doi't  zum  ersten  Male  in 
der  Oper  »Bajazet«  von  Leo,  und  errang  einen  vollständigen  Erfolg.  Ihr  Ruf 
war  bereits  über  die  Gränzen  Italiens  hinausgedrungen,  und  Faustiua  wurde 
am  Theater  zu  Wien  mit  einem  jährlichen  Gehalte  von  15,000  Guhlen  ange- 
stellt. Sie  erschien  gegen  Ende  1724  am  Hofe  Kaiser  Karl's  VI.,  des  Vaters 
von  Maria  Theresia,  des  Mitbewerbers  um  die  spanische  Erbfolge  und  des  viel- 
leicht leidenschaftlichsten  Musikliebhabers  seiner  Zeit,  der  selbst  ausgezeichnet 
Ciavier  spielte  und  Opern  componirte,  welche  die  Mitglieder  seiner  Familie 
und  die  Grossen  seines  Reiches  aufführen  mussten.  Sein  Hof  wimmelte  daher 
auch  von  Musikern  und  Virtuosen,  die  ihm  ungeheure  Summen  kosteten. 
Faustina  wurde  von  ihnen  gut  empfangen  und  erwarli  sich  bald  den  Beifall 
auch  der  pedantischsten  und  peinlichsten  Kunstrichter,  zu  denen  der  alte  Ka- 
pellmeister Fux  gehörte. 

Es    scheint   jedoch,    dass    sich    auch   Gegner    dieses    prachtvollen   Talentes 


Hasse.  g5 

erhoben.  Die  Eugherzigkeit  des  alten  Wiens  fand  bald  einige  Vertreter,  die 
sich  an  dem  Anblicke  erbosten,  wie  diese  holden  Sirenen  Italiens,  ganz  aus 
Liebreiz  gewoben,  die  Gunst  des  Hofes  in  Beschlag  nahmen  und  in  den  Herzen 
der  Jugend  sträfliche  Wünsche  erregten.  Eaustina  kümmerte  sich  wenig  um 
diese  grämlichen  Philosophen  und  zerstreute  durch  einen  einzigen  Ton  alle 
Wolken,  mit  denen  man  ihren  Ruhm  verdunkeln  und  ihre  Allgewalt  schwächen 
wollte.  Sie  war  zwei  Jahre  lang  am  österreichischen  Hofe,  als  Händel,  welcher 
auf  Reisen  war,  um  Sänger  zu  suchen,  die  ihn  in  seinem  Kampfe  mit  den 
Gegnern  seines  Genies  unterstützen  konnten,  nach  Wien  kam,  sie  hörte  und 
sofort  für  sein  Theater  in  London  für  2000  Pfd.  Sterl.  gewann.  Faustina  kam 
1726  in  England  an,  wo  sie  die  Cuzzoni  fand,  welche  dort  seit  drei  Jahren 
über  die  Herzen  aller  drei  Königreiche  herrschte  und  sich  ihre  Eroberung 
nicht  leichten  Kaufes  entreissen  Hess. 

Diese  beiden  berühmten  und  durchaus  ebenbürtigen  Künstlerinnen  hatten 
schon  einmal  in  Venedig,  im  J.  1717,  ihre  Kräfte  an  einander  gemessen,  wo 
sie  zusammen  in  einer  Oper  Gasparini's,  y>La  manoa,  sangen.  Jede  von  ihnen 
war  zwar  mit  eigenthümlichen  Vorzügen  begabt,  die  sich  noch  mehr  durch 
ihren  glücklichen  Gegensatz  hervorhoben,  den  beide  Frauen  bildeten,  wenn  sie 
neben  einander  erschienen.  Das  Publikum  aber,  von  dem  interessanten  Wett- 
eifer Beider  angezogen ,  reizte  sie  nur  zu  um  so  lebhafteren  Anstrengungen, 
durch  deren  Erfolge  die  grosse  Welt  in  zwei  Lager  gespalten  ward.  Es  war 
dies  der  erste  jener  grossen  Kämpfe,  zu  denen  England  seit  Anfang  des  18. 
Jahrhunderts  bis  auf  die  allerneueste  Zeit  den  Schauplatz  abgab.  In  einer 
Oper  Händel's,  »Alessandro«,  sang  Faustina  zum  ersten  Male  in  London. 
Neben  ihr  waren  die  Cuzzoni  und  der  Sopranist  Senesino  beschäftigt,  Alle  mit 
Aufgaben  versehen,  die  ihrem  Talente  vom  Componisten  vortrefflich  angepasst 
waren.  Die  Cuzzoni  sang  die  erste  Arie,  y>Dolce  amor  sorrisea ,  welche  höchst 
anmuthig  war;  dann  folgte  eine  Arie  der  Faustina:  y^LusingJie  piu  caran,  von 
einem  etwas  kräftigeren  Charakter  und  so  frischer  Melodie,  dass  dieselbe  bald 
populär  wurde.  Nachdem  so  Jede  einzeln  sich  versucht  hatte,  sangen  Beide 
als  Clorinde  und  Herminia  ein  Duett  zusammen,  worin  Händel  mit  vielem  Takte 
die  Eigenliebe  beider  Rivalinnen  berücksichtigt  hatte.  Der  Eindruck  dieser 
Nummer  war  unbeschreiblich  wunderbar.  Im  dritten  Akte  sang  die  Cuzzoni 
noch:  »Älla  sua  gabhia  d''oro<s.  und  triumphirte  vollständig  damit.  Später  sangen 
beide  Künstlerinnen  nochmals  zusammen  in  der  letzten  Oper  Händel's,  »Othon«, 
in  welcher  die  Cuzzoni  eine  Arie  zum  Entzücken  vortrug.  Dann  aber  musste 
man  die  Beiden  getrennt  von  einander  halten,  denn  der  Krieg  zwischen  ihnen 
war  erklärt,  und  es  misslang  selbst  Händel,  trotz  seiner  Willensfestigkeit  und 
der  herben  Strenge  seines  Wesens,  diese  beiden  entgegengesetzten  Noten  der 
Tonleiter  der  Leidenschaft  mit  einander  in  Einklang  zu  bringen.  Die  Zer- 
würfnisse künstlerischer  Eifersucht  gingen  so  weit,  dass  ein  englischer  Verfechter 
der  Faustina  sich  mit  einem  französischen  Prinzen  des  Hauses  Orleans,  der 
ein  Verehrer  der  Cuzzoni  war,  duellirte  und  Sieger  blieb.  Die  Cuzzoni  musste 
in  der  That  vorläufig  England  verlassen,  wo  sich  ihre  Nebenbuhlerin  als 
Herrin  des  Kampfplatzes  behauptete.  Hochgefeiert  und  mit  Ehren  und  Gold 
beladen,  kehrte  endlich  Ende  des  Jahres  1728  auch  Faustina  nach  Venedig 
zurück  und  lebte  dort  längere  Zeit  zurückgezogen^  aber  von  Anbetern  umgeben 
und  eine  feenhafte  Pracht  um  sich  verbreitend.  Da  sie  der  Ruhe  bedürftig 
war,  so  sang  sie  nur  in  befreundeten  Häusei'n  vor  einem  ausgewählten  Zu- 
hörerkreise, aber  auch  blos,  wenn  sich  ihr  Meister  Benedetto  Marcello  da- 
selbst befand. 

In  dieser  Zeit  fühlte  sich  Faustina  von  dem  Aufsehen  belästigt,  welches 
der  ihr  noch  unbekannte  junge  H.,  schon  berühmt  durch  seine  Leistungen  und 
seine  liebenswürdige  Persönlichkeit,  in  Venedig  machte.  Sie  hatte  es  entschieden 
abgelehnt,  ihn  zu  sehen,  aus  Eigensinn  vielleicht,  oder  aus  Verdruss,  dass  sie 
ihn  noch  nicht  unter  den  Höflingen  bemei'kte,  die  ihre  Zurückffezoffenheit  be- 


86  Hasse. 

lebten.  Eines  Tages  willigte  sie  endlich  nicht  ohne  Sträuhcn  ein,  sich  in  eine 
Gesellschaft  zu  begeben,  wo  der  caro  Sassone  ebenfalls  erscheinen  sollte.  Dieser, 
höchst  anspruchslos  in  seinem  Auftreten,  blieb  einen  Theil  des  Abends  unbe- 
achtet in  einer  Ecke,  bis  man  ihn  endlich  ersuchte,  ein  Stück  seiner  Compo- 
sition  zu  singen.  Er  wählte  eine  jener  gefühlvollen  Arien,  die  er  gar  trefflich 
zu  componiren  verstand,  und  spielte  dann  noch  mit  grosser  Vollendung  eine 
der  schwierigen  Sonaten  von  Scarlatti.  Ohne  Faustina  gesehen  zu  haben,  die 
hinter  seinem  Rücken  ihm  mit  steigendem  Entzücken  zuhörte,  gingen  Beide 
auseinander.  Aber  das  leicht  entzündbare  Herz  der  italienischen  Künstlerin 
hatte  Feuer  gefangen;  nicht  gewöhnt,  sich  einen  Wunsch  zu  versagen,  zog  sie 
H.  in  ihre  Nähe,  und  kurze  Zeit  nach  dieser  glücklichen  Begegnung  folgte  die 
Aufsehen  machende  Vermählung  Beider.  H.  brachte  seiner  Gattin  als  »Morgen- 
gabe« eine  schöne  Parthie  in  der  ersten  Oper,  welche  er  für  sie  schrieb,  »Da- 
lisa«,  die  1730  in  Venedig  zur  Aufführung  gelangte.  Er  schrieb  für  seine 
geliebte  Venetianerin  noch  eine  zweite  Oper,  eine  seiner  besten  Partituren: 
»Artaserse«,  welche  im  Theater  des  heiligen  Johannes  Chrysostomus  mit  grossem 
Erfolge  gegeben  wurde. 

Damals  traf  ihn  ein  glänzender  Ruf  als  Ober-Kapellmeister  an  den  königl. 
polnischen  und  kurfürstl.  sächsischen  Hof  in  Dresden,  und  er  begab  sich  mit 
seiner  Faustina,  die  gleichzeitig  als  Primadonna  der  dortigen  italienischen  Oper 
engagirt  worden  war  (Beide  mit  12,000  Thalern  Grehalt),  nach  Deutschland 
zurück.  Wahrscheinlich  hielten  sie  sich  in  München  auf  der  Durchreise  auf 
und  Faustina  Hess  sich  auch  hören,  denn  ein  Schöngeist  des  bairischen  Hofes 
widmete  ihr  ein  lateinisches  Gedicht,  von  dem  einige  Verse  das  Talent  der 
reizenden  Sängerin  sehr  richtig  als  ein  Herz  und  Gemüth  bewegendes  charak- 
terisiren.  An  dem  Hofe  des  prunkvollen,  galanten  Kurfürsten  August  II., 
welcher  der  Mittelpunkt  von  Intriguen  und  Verführungen  aller  Art  war,  traf 
H.  mit  seiner  schönen  Faustina  1731  ein.  Beide  waren  noch  jung,  beide  ge- 
feiert und  anerkannt  Meister  in  der  Kunst  des  Gefallens.  Die  erste  Oper, 
welche  H.  für  das  Dresdener  Theater  schrieb  und  mit  reichen  Gesang-  und 
Orchesterkräften  aufführte,  war  y^Älessandro  nelV  Indien,  die  als  eines  seinei- 
Meisterwerke  betrachtet  wurde.  Faustina  war  bewundernswürdig  darin  und 
verdiente  den  Beifall  der  strengsten  Kunstrichter.  Alle  Opern,  welche  H. 
während  der  dreissig  Jahre  componirte,  die  er  am  sächsischen  Hofe  zubrachte, 
waren  darauf  berechnet,  den  Ruhm  der  schönen  Venetianerin,  die  ihm  unauf- 
hörlich als  seine  wirkliche  Muse  vorschwebte,  zu  verherrlichen.  Aber  schon 
die  ebengenannte  Oper  brachte  den  feurig  liebenden  Gatten  um  den  Alleinbesitz 
seiner  angebeteten  Frau.  Denn  gar  zu  glanzvoll  zudringlich  hatte  er  die  Vor- 
züge derselben  in  das  schönste  Licht  zu  stellen  sich  bemüht,  als  dass  nicht 
der  leidenschaftliche  Kurfürst  für  die  in  jeder  Beziehung  reizende  Sängerin 
hätte  glühen  sollen. 

Dem  Gatten  wurde  demnach  deutlich  aber  entschieden  unter  den  Fuss 
fresreben,  er  möge  zum  Besten  der  Kunst  und  seines  Talentes  abermals  eine 
Reise  nach  Italien  unternehmen.  Tiefen  Kummer  im  Herzen,  aber  sich  ins 
Unvermeidliche  fügend,  verliess  er  1733  Dresden  für  einige  Zeit,  seine  allzu 
verführerische  Faustina  zurücklassend,  wie  es  befohlen.  Ihr  Bild  aber  trug  er 
im  Innersten  seiner  Seele  mit  sich  hinweg  und  durchwanderte  das  Land  seiner 
ersten  Triumphe,  besuchte  abermals  die  Städte  Venedig,  Mailand,  Neapel,  indem 
er  Opern  schrieb,  die  überall  mit  demselben  Beifallssturm  aufgenommen  wur- 
den, deren  Erfolge  aber  sein  Lebensglück  nicht  mehr  ausmachten.  In  Dresden 
1)efand  sich  der  Gegenstand  aller  seiner  Gedanken;  dahin  eilte  er  bis  1740 
immer  wieder,  von  Hoifnung  und  Besorgniss  erfüllt,  zurück  und  wurde,  kaum 
angelangt,  von  höchster  Seite  her  wieder  gehen  gehcissen.  H.  war  in  dieser 
Periode,  1733,  von  Italien  aus  auch  nach  England  berufen  worden,  um  den  er- 
bitterten Kampf,  dessen  Schauplatz  London  geblieben  war,  mit  fortsetzen  zu 
helfen.     Als  man  ihm  diesen  Vorschlag  machte,  rief  er  mit  einer  seines  Talentes 


Hasse.  87 

würdigen  Bescheidenheit  aus:  »Ist  denn  Händel  todt?«  Ei-  konnte  sich  nicht 
denken,  dass  ein  Land,  welches  ein  so  grosses  Genie  wie  Händel  zu  besitzen 
das  Griück  hatte,  sich  an  andere  Componisten  wenden  konnte.  Obwohl  mit  der 
grössten  Auszeichnung  behandelt,  verweilte  er  nur  kurze  Zeit  in  London,  kaum 
länger,  als  um  die  Inscenesetzung  seines  »Artaserse«  zu  leiten,  um  nicht  mit 
dem  überragenden  Meister  in  Nebenbuhlerschaft  zu  treten. 

Im  "Winter  von  1739  auf  1740  war  H.  in  Venedig,  und  diesmal  war  seine 
geliebte  Gattin  bei  ihm.  Mit  ihr  kehrte  er  hierauf  nach  Dresden  zurück,  wo- 
selbst nun  Faustina  ihren  noch  immer  fast  unbeschränkten  Einfluss  zu  Gunsten 
ihi-es  Mannes  und  seiner  Stellung  geltend  machte.  Dennoch  hatte  H.  in  stark 
befestigter  musikalischer  Souveränetät  noch  immer  mit  AViderwärtigkeiten  zu 
kämpfen,  deren  Hauptgegenstand  der  alte  Porpora,  sein  erster  italienischer 
Lehrer,  war,  den  sich  die  Erbprinzessin  von  Sachsen,  eine  Erzherzogin  von 
Oesteri-eich,  zum  Gesangslehrer  ei-koren  hatte.  Seit  ihrer  Begegnung  in  Neapel 
widmeten  sich  diese  gefeierten  Musiker  einen  gründlichen  Hass,  den  die  Zeit 
keineswegs  gemildert  hatte.  Die  gnädige  Aufnahme,  welche  Porpora  gefunden 
hatte,  und  sein  Einfluss  auf  die  Erbprinzessin,  welche  sehr  geschmackvoll  sang, 
waren  H.  ein  Dorn  im  Auge,  und  als  nun  gar  Porpora's  jugendliche,  bei  Hofe 
und  in  der  Stadt  gefeierte  Schülerin  Regina  Mingotti  den  Glanz  seiner  über 
Alles  geliebten  Faustina  zu  verdunkeln  anfing,  da  hätte  H.  nicht  Ober-Kapell- 
meister sein  müssen,  um  seine  Autorität  nicht  zur  kleinlichsten  Intrigue  aus- 
zunützen, der  zunächst  die  junge  Künstlerin  weichen  musste. 

Nach  dem  Tode  August's  IL  befestigte  H.  seine  Macht  wesentlich.  Denn 
August  III.  war  ein  ebenfalls  prachtliebender  Fürst,  ein  grosser  Jäger  und 
erklärter  Verehrer  der  italienischen  Musik,  welcher  sich  sein  ganzes  Leben 
hindurch  von  seinem  allmächtigen  Minister,  dem  Grafen  Brühl,  beherrschen 
liess.  Unter  seiner  kraftlosen  Regierung,  wo  Feste,  Schauspiele,  Kunstschau- 
stellungen und  Vergnügungen  jeder  Art  den  Geist  des  Königs  in  Beschlag 
nahmen  und  die  Einkünfte  des  Landes  verschlangen,  trat  der  siebenjährige 
Krieg  ein,  welcher  Sachsen  vollends  zerrüttete  und  seine  Unabhängigkeit  auf 
das  Spiel  setzte.  Friedrich  der  Grosse  fiel  im  Ganzen  zwei  Mal  mit  bewaff- 
neter Hand  in  Dresden  ein,  zuerst  1745  nach  der  Schlacht  bei  Kesselsdorf. 
Er  wohnte  noch  an  demselben  Abende  der  italienischen  Oper  bei,  wo  man 
»Arminio«  von  H.  gab,  und  der  kunstverständige  preussische  König  wurde 
durch  Faustina's  Leistung  und  das  vortreffliche  Hofopernorchester  in  Erstaunen 
gesetzt.  Während  seines  damaligen  neuntägigen  Aufenthaltes  wurde  H.  jeden 
Abend  zu  dem  gekrönten  Kunstfreunde  beschieden,  um  ihm  auf  dem  Flügel 
zu  accompagniren ,  und  als  der  König  abreiste,  drückte  er  ihm  seine  Zufrie- 
denheit durch  Ueberreichung  eines  Diamantringes  aus,  während  dem  Orchester 
eine  Summe  von  1000  Thalern  überwiesen  wurde,  die  H.  vertheilen  musste. 
Im  J.  1760  kam  Friedrich  abermals,  aber  minder  leicht  nach  Dresden,  Er 
beschoss  die  Stadt  mit  Kanonen,  und  während  des  Bombardements,  von  dem 
die  Geschichte  eine  traurige  Erinnerung  aufbewahrt,  musste  H.  seine  schöne 
Bibliothek  und  einen  Theil  seiner  Manuscripte  verbrennen  sehen,  welche  er  zu 
einer  vollständigen  Herausgabe  seiner  Werke  geordnet  hatte,  die  auf  Kosten 
seines  Landesherrn  geschehen  sollte.  Andere  Unfälle  waren  vorhergegangen. 
So  litt  H.  seit  1755  an  einer  anhaltenden  Heiserkeit,  die  ihm  seine  schöne 
Tenorstimme  für  immer  geraubt  und  seine  Sprache  allmälig  so  leise  gemacht 
hatte,  dass  man  zuletzt  Mühe  hatte,  ihn  zu  verstehen. 

Aber  die  Belagerung  Dresdens  hatte  noch  härtere  Folgen  für  H.,  als  den 
Verlust  seiner  Werke.  August  III.  nämlich  empfand  endlich  das  Bedüi-fniss, 
seine  total  zeiTÜtteten  Geldverhältnisse  einigermaassen  zu  ordnen;  er  enthob 
u.  A.  1763  das  Ehepaar  H.  seiner  Functionen  und  belohnte  ihre  jahrelangen 
Dienste  dui'ch  eine  bedeutende  Pension.  H.,  der  aus  dem  ihm  lieb  gewordenen 
Wirkungskreise  ungern  geschieden  war,  ging  bald  darauf  mit  seiner  Familie 
nach  Wien,    wo    er    für  den   Carneval    und  zu  Hoffesten  bis   1766  ausser  sechs 


88  ^  Hasse. 

Opern  noch  viclu  Kammerinusikwerke  scliriel).  Tni  .T.  1769  eomponirte  er  das 
von  seinen  meisten  übrigen  Werken  abweichende  Intermezzo  y>Piramo  e  Tisha. 
Zwei  Jahre  später  begab  er  sich  nach  Maihmd,  wo  er  seine  letzte  Oper,  tiRuij- 
gieroa,  für  die  Hochzeit  des  Erzherzogs  Ferdinand  schuf  und  dann,  auf  Wunsch 
Faustina's,  nach  Venedig.  Auch  hier  eomponirte  der  greise,  von  der  Gicht 
schwer  geplagte  Meister  noch  Manches  von  Bedeutung.  Namentlich  sandte  er 
durch  den  Kapellmeister  Schnstcr  eine  vierstimmige  Messe  und  das  vielgenannte 
E,cquicm  nach  Dresden,  das  er  übi-igcns  nicht  für  sein  Begräbniss,  sondern  für 
die  Obsequien  August's  III.  gesetzt  hatte.  Als  seine  allerletzte  Composition 
wird  ein  Te  deum  bezeichnet,  welches  er  um  1780  schrieb  und  welches  bei 
Anwesenheit  des  Papstes  in  Venedig  aufgeführt  wurde.  H.  starb  am  23.  Decbr. 
178.3  zw  Venedig  an  der  Gicht;  seine  gefeierte  Gattin,  deren  Todesjahr  und 
Todestag  sich  in  Dunkel  hüllt,  war  ihm  jedenfalls  schon  vorauf  gegangen. 
Franz  Sal.  Kandier  hat  mit  vieler  Mühe  1820  H.'s  vcifallene  letzte  Ruhestätte 
in  der  Kirche  von  Santa  Marcuola  aufgefunden  und  auf  derselben  ein  Denkmal 
von  weissen   Marmor  errichten  lassen. 

Die  drei  Kinder  des  hochberühmten  Paares,  ein  Sohn  und  zwei  Töchter, 
hatten  die  Anmuth  ihrer  Mutter  nicht  geerbt.  H.  war  gross,  stark  gebaut  und 
hatte  ein  sehr  schönes  Gesicht;  auf  seiner  grossen,  gewölbten  Stirn,  welche  an 
seinen  Bildern  hervorsticht,  sprach  sich  die  Geradheit  seiner  Seele  und  die 
Anmuth  seiner  die  Zeitgenossen  erquickenden  Melodien  aus.  Er  war  aller- 
dings auch  nicht  ohne  Charakterschwächen,  und  sein  Benehmen  gegen  Porpoi'a, 
dessen  Alter  er  verbitterte,  kann  man  weder  gutheissen  noch  entschuldigen.  — 
Faustina's  Persönlichkeit  vereinigte  alle  Vorzüge  Italiens.  Sie  war  von  kleiner, 
ebenmässiger  Gestalt,  und  in  ihrem  strahlenden  Antlitze  glänzten  zwei  schöne, 
schwarze,  schelmische  Augen.  Ihr  edel  geschnittener  Mund  Hess  fast  ununter- 
brochen zwei  Reihen  kleiner,  feiner  Zähne  sehen,  die  ein  schönes  Lächeln  ver- 
breiteten. Wohl  erzogen  und  gut  unterrichtet,  mit  lebhafter  Einbildungskraft 
begabt,  war  Faustina  eine  Frau,  die  alle  Grazie  einer  venetiauischen  Edeldarae 
besass.  Ihre  Mezzo-Sopranstimme  hatte  den  grossen  Umfang  von  beinahe  zwei 
Octaven,  und  diese  lauge,  schöne  Stufenleiter  silberreiner  Töne  war  von  wunder- 
barer Biegsamkeit,  Da  sie  vortrefflich  musikalisch  gebildet,  mit  dem  seltensten 
dramatischen  Bewusstsein  ausgestattet  war,  wendete  sie  mit  grösster  Leichtigkeit 
die  verwickeltsten  Verzierungen  an.  Alle  Wunder  der  Vocalisation,  die  ein- 
fache und  chromatische  Tonleiter ,  die  Triller  und  melodischen  Funken  ihres 
anmuthig  bewegten  Geistes  strömten  aus  ihrem  Munde.  Ihre  Intonation  war 
nie  unsicher,  ihre  sanfte,  durchdringende,  mehr  helle  als  starke  Stimme  führte, 
ohne  zu  straucheln,  die  kühnsten  Schwierigkeiten  aus.  Faustina  berührte  in 
ihrem  Gesänge  die  Leidenschaft,  ohne  sie  vollständig  auszudrücken;  sie  streifte 
blos  die  Oberfläche  der  Tiefen,  ohne  hinabzutauchen,  und  führte  dafür  in  der 
reizendsten  Weise  tausend  tändelnde  Spiele  aus.  Ihre  Aussprache  war  voll- 
endet. Alle  Zeitgenossen  der  seltenen  Frau  stimmen  darin  überein,  dass  sie 
die  Eigenschaft  besass,  welche  die  Italiener  mit  y>il  canto  (jranitov  bezeichnen; 
d.  h.  eine  Gesangweise,  die  pcrlenartig  fliesst,  süss  und  durclidringend  ein 
glückliches  Gemisch  von  Anmuth  und  Kraft,  Schatten  und  Licht,  Heiterkeit 
und  Ernst  bietet.  Alle  Kunstrichter:  Mancini,  Burney,  Hawkins,  Schubart, 
Quantz  u.  s.  w.,  welche  diese  zehnte  Muse  Italiens  gehört,  sind  einig  in  ihrem 
TJrtheile  über  Faustina.  Grossmüthig,  phantastisch,  von  Gei.st  und  miithwilliger 
Heiterkeit  erfüllt,  hatte  sie  überdies  einen  jener  tausendfarbig  schillernden 
Charaktere,  der  seltensten  Gegensätze  voll.  Ihre  Unterhaltung  war  ein  flackern- 
des Feuer  von  merkwürdigen  Anekdoten,  eine  lebendige  Geschichte  der  da- 
maligen iVFusik.  Selbst  als  72  jährige  Frau  hatte  sie  nichts  von  der  Heiterkeit, 
dem  Witz  und  der  Lebhaftigkeit  ihrer  Jugend  eingebüsst.  Zwei  authentische 
Bilder  giebt  es  von  ihr;  das  eine,  in  London  gefertigt,  stellt  sie  im  vollen 
Glänze  der  Jugend  dar,  das  andere,  ein  Pastellgemälde  von  Rosalba,  befindet 
sich  in  der  Dresdener  Gallerie. 


Hasse.  .  89 

Zu  Anfange  des  18.  Jahrhunderts,  einige  Jahre  vor  Grluck,  geboren  und 
kein  Originalgenie,  hat  H.  nicht  die  kräftige  Leidenschaft  des  Letzteren,  auch 
nicht  die  markig  deutschen  Eigenschaften  seiner  Zeitgenossen  Keiser,  Händel 
\x\\d  Seb.  Bach;  er  Hess  sich  vielmehr  gänzlich  von  der  melodischen  Kunst 
NeaiJels  und  Venedigs  berauschen  und  hinreissen,  wurde  den  Kunstgesetzen 
se'ner  nordischen  Heimath  untreu.  Kein  Wunder,  denn  von  den  Frauen  ver- 
wöhnt, bewundert  und  gefeiert  von  dem  naiven  Volke  Italiens,  welches  noch 
den  leicht  entzündbaren  und  lärmenden  Enthusiasmus  seiner  Heldenzeit  be- 
wahrte, —  so  ward  H.  von  seinem  ersten  selbststäudigen  Auftreten  an  mit 
Blumen  gekrönt  und  als  Kind  Hesperiens  betrachtet.  Seine  zahlreichen  Opern, 
von  denen  nur  eine  einzige  deutschen  Text  hat,  gleichen  säramtlich,  was  die 
Vertheilung  und  den  Zuschnitt  der  Musiknummern  betrifft,  den  Opern  von 
Vinci,  Porpora,  Leo,  Pergolese  und  den  übrigen  Meistern  der  damaligen  ita- 
lienischen Schule.  Es  ist  eine  Reihenfolge  von  Arien,  alle  auf  dieselbe  Art 
gebildet,  mit  ein  oder  zwei  Duetten,  selten  ein  Terzett  und  einigen  sehr  ein- 
fachen Chören  versehen.  Seine  Listrumentation  beschränkt  sich  im  Allgemeinen 
auf  das  Bogenquartett,  von  einigen  Seufzern  der  Oboe,  der  Flöte  und  des 
Fagotts  begleitet.  In  pathetische  Scenen  Hess  er  das  Hörn  und  zuweilen  auch 
die   Trompete  hineinklingen. 

Dies  sind  die  Farben,    aus    denen   H.'s  Orchester    bestand;    es    war  weder 
mannigfaltiger,    noch  hatte  es  mehr  Fülle  als   dasjenige  Händel's.     Aber  durch 
die  Anmuth    und  Zartheit    der  Melodien,    durch    die    dem   Zeitgeschmacke  an- 
gepasste  Schönheit  der  Arien  und  Duette,    geeignet,  das  Talent  damaliger  Ge- 
sangskünstler  hervorzuheben,    hat    sich  H.  seinen  Ruhm  erworben;    er  war  ein 
Instinktmusiker,    der  mit  Leichtigkeit  nnd  Gewandtheit  die    glücklichen,    trotz 
vieler  Verbrämungen  einfachen   und  sangbar  charakteristischen  Gesänge  nieder- 
schrieb,   wie  sie  ihm  sein   Herz  eingab.     Daher  waren    seine   Opern  und  selbst 
seine  kaum  mehr  ernsthaften  Kirchenmusiken  von  den   Sopranisten  und  Sänge- 
rinnen der  Mode  überaus  gesucht.      Seine  klaren,  wohlthuenden  Weisen,  welche 
die  Freuden  und  Leiden  der  Liebe  zierlich  malen,  haben  Europa  entzückt,  und 
zehn  Jahre    hindurch    erheiterte    der    berühmte.  Farinelli    den    schwermüthigen 
König  Philipp  V.  von   Spanien,    indem    er    ihm  allabendlich  einige  Arien  H.'s 
vorti-ug.     Durch  die  Lieblichkeit  und  den  milden  Charakter  seiner  Musik,  deren 
rhythmische    Uebersichtlichkeit     und    FassHchkeit    und    durch    die    Einfachheit 
seiner  Formen  gehört  H.,  wie  schon  erwähnt,  der  italienischen  Schule  der  ersten 
Hälfte  des   18.  Jahrhunderts  an,    deren   Schwächen  und  reizende  Eigenschaften 
er  besitzt;    für    die  letzteren  war  sogar    ein   Seb.  Bach    zugänglich,    der    nicht 
selten  nach  Dresden  reiste,  um  H.'s  Musik  in  der  dort  durch  den  Meister  selbst 
gepflegten  Vollkommenheit  zu  hören.     H.'s   Gesang   beschwichtigte  die  Leiden- 
schaften viel  mehr,    als    dass    er  sie  heraufbeschwor.     Wäre  dies  ebenfalls   der 
Fall    gewesen,    hätte    er    auch    eine    tiefere    Durchdringung    des  Harmonischen 
offenbart  und  nicht  rein  schablonenmässig  gearbeitet,  so  würde  sich  sein  Einfluss 
bei    Weitem    länger    gehalten    haben.      So    aber    musste     sein     liebenswürdiges 
Talent    den    später    auftretenden  Grossmeistern    der  Bühne,    Gluck    mit  seiner 
Tiefe  und  Mozart  mit  seiner  gediegenen  urbanen  Universalität,  gegenüber  als- 
bald in  tiefen  Schatten  treten,   und  der  Einfluss  desselben  war  nicht  dazu  an- 
cethan,    seine  Person    zu    überleben.     Als    er    sich   1771   im  Greisenalter  noch 
nach  Mailand  begab,    um    seine    letzte   Oper  zu    componiren,    traf    er    avif  den 
jungen,    damals  vierzehnjährigen  Mozart,    welcher    dort  gleichzeitig  mit  seinem 
ersten    musikalisch  dramatischen  Versuche,   y>Mitridafe,  re  di  Poiitea,  debütirte. 
n.,    als   er  das  Lallen  dieser  göttlichen  Muse  hörte,    brach    tief  bewegt  in  die 
denkwürdigen  Worte  aus,    die  zu  einer  in  Erfüllung  gegangenen  Prophezeiung 
geworden  sind:  »Dies  Kind  wird  uns  Alle  vergessen  machen!« 

H.'s  Compositionen  sind  an  Zahl  so  enorm,  dass  sie  schwerlich  vollständig 
zu  catalogisiren  sind;  kannte  er  zuletzt  sie  doch  nicht  einmal  mehr  alle.  Seine 
Opern  übersteigen  die  Ziffer  hundert  und  eeiner  Oratorien,  Messen,   Cantaten, 


90  Hasselhetk  —  Hasso. 

Instrumental-Concert-  und  Kammersätze  ist  Legion;  jedoch  ist  dieser  Nachlass 
mehr  umfangreich  als  mannigfaltig.  Ausser  vielen  Textbüchern  des  Apostolo 
Zcno  hat  er  die  sämmtlichen  dramatischen  "Werke  Metastasio's ,  ausgenommen 
den  i-iTemistoclev ,  in  Musik  gesetzt,  und  zu  den  meisten  Stücken  des  grossen 
italienischen  Dichters  hat  er  nicht  blos  eine,  sondern  zwei,  drei  bis  vier  Parti- 
turen geliefert.  Das  war  ja  auch  die  Methode,  nach  welcher  alle  italienischen 
Componisteu  jener  Musikepoche  von  Pergolese  bis  Paisiello  verfuhren.  Ein 
annähernd  vollständiges  Verzcichuiss  aller  dieser  Werke  bieten  Gerber  und 
Fetis  in  ihren  Wörterbüchern;  wir  dürfen  uns  die  seitenlange  Aufzählung  der 
längst  verschollenen  Titel  und  Namen  deshalb  ersjjaren.  Den  reichsten  Manu- 
scriptenschatz  dieses  Meisters  bewahrt  die  königl.  Bibliothek  in  Dresden;  aber 
auch  in  allen  grösseren  deutschen  Bibliotheken  Deutschlands  ist  sein  Name  mehr 
oder  minder  stark  vertreten,  besonders  in  der  k.  k.  Hof  bibliothek  in  Wien,  die 
an  Handschriften  besitzt:  Ein  vierstimmiges  y>Miserere(i,  ^^Conßtehora,  y>Kyrie  und 
Gloriavi  und  »Te  deum«,  sämmtlich  mit  Instrumentalbegleitung,  ferner  eine  »Can- 
tate  für  Sopran«,  vier  y>Salve  re(ji)ia<.<.,  ein  ^•'Regina  coeliv,  Litaneien  (.36  Blätter) 
und  drei  Arien.  Karl  von  Bruyck  begleitet  die  Aufzählung  dieser  Werke  mit 
der  kritischen  Randglosse:  »Alle  diese  Arbeiten  enthalten  mehr  oder  minder 
viel  des  Trefflichen  und  Interessanten.  Auszunehmen  wäi'en  die  ganz  manie- 
i'irten  y>Salve  regina<i  und  die  Litaneien,  abgesehen  von  dem  musikalisch  inter- 
essanten y>Agnios  deiv.a 

H.asselbeck,  deutscher  Violinist,  der  zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts  lebte 
und  in  des  Herrn  von  Kees  grosser  Akademie  zu  Wien  als  Führer  der  zweiten 
Geigen  namhaft  gemacht  wird,  Hess  »zwölf  deutsche  Tänze  für  Ciavier«  drucken, 
die  1796  Im  kaiserl.  grossen  Redoutensaale  ausgeführt  wurden.  Vgl.  die  Wiener 
Jahrb.  der  Tonkunst  vom  J.   1796.  t 

Hassclt,  Anna  Marie  Wilhelmine,  vortreffliche  deutsche  Sängerin, 
nachgehends  unter  dem  Namen  H.- Barth  rühmlichst  bekannt,  wurde  am 
1.5.  Juli  1813  zu  Amsterdam  geboren,  erhielt  aber  ihre  Erziehung  und  ihi'en 
ersten  musikalischen  Unterricht  von  ihrem  zehnten  Jahre  an  bis  1828  in 
Frankfurt  a,  M.  und  OfiFenbach.  Im  letzteren  Jahre  begab  sich  ihr  Oheim  mit 
ihr  nach  Karlsruhe,  wo  Jos.  Fischer  ihre  Gesangstudien  leitete,  die  sie  1830 
bei  Pietro  Romani  in  Florenz  vollendete.  Im  Carneval  1831  bereits  debütirte 
sie  im  Communaltheater  zu  Triest  als  Ezilda  in  Pacini's  r>GU  Arahi  nelle  Gallien 
so  erfolgreich,  dass  sie  als  Primadonna  für  die  Saison  engagirt  wurde.  Sie  trat 
hierauf  noch  auf  anderen  Theatern  Italiens  sehr  beifällig  auf,  in  Vicenza  auch 
in  einer  Serie  von  Concerten  mit  Hubini.  Nachdem  sie  während  des  Carnevals 
von  1833  im  Carlo  Felice-Theater  zu  Genua  gesungen,  reiste  sie  nach  München, 
trat  dort  im  Concert,  hierauf  als  Imogene  in  Bellini's  »Pirat«  auf  und  wurde 
in  Folge  des  glänzenden  Ausfalles  ihrer  Leistungen  bei  der  Hofoper  engagirt. 
Im  Sommer  1838  gastirte  sie  in  Wien  und  wurde  für  das  k.  k.  Hofopern- 
theater am  Kärnthnerthore  gewonnen,  dem  sie  von  1839  an  bis  zu  ihrer  Pen- 
sionirung  als  hervorragende,  zuverlässige  künstlerische  Kraft  angehörte.  In 
Rollen  wie  Norma,  Donna  Anna,  Jessonda  u.  s.  w.  hat  sie  seltene  Triumphe 
gefeiert. 

Hassler,  s.  Hasler. 

Hassloch,  Christiane  Magdalene  Elisabeth,  geborene  Keilholtz, 
gute  deutsche  Sängerin,  geboren  1764  zu  Pirna,  betrat  15  Jahre  alt  zu  Mann- 
heim die  Bühne.  Von  1795  bis  1798  sang  sie  im  deutschen  Theater  zu 
Amsterdam,  wurde  dann  zu  Kassel  engagirt,  wo  sie  den  Sänger  Hassloch 
heirathete,  und  war  bis  1804  der  Liebling  jeuer  Hofbühne.  Hierauf  verliess 
sie  Kassel  und  verschwand  mit  diesem  Schritte  gänzlich  vom  öffentlichen 
Schauplatze. 

Hasso,  deutscher  Orgelbauer  der  letzten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts,  ge- 
bürtig aus  Gudenberg.  der  nebst  Cranz  1499  die  Blasius-Orgel  zu  Braunschweig 
baute,  wie  Praetorius  in   seiner  Syntagm.  p.   112  berichtet.  f 


Hatatno  —  Hauck,  91 

Hatamo   (arab.),  s.  Kabaro. 

Hattascli,  Disma,  einer  der  vorzüglichsten  denischen  Violinspieler  des 
18.  Jahrhunderts,  geboren  zu  Hohemaut  in  Böhmen  im  J.  1725,  trat  1751,  als 
vorzüglicher  Virtuose  bereits  anei'kannt,  in  herzogl,  gothaische  Dienste,  aus 
welchen  am  13.  Octbr.  1777  ihn  der  Tod  abrief.  Auch  als  Componist  hat 
sich  H.  versucht,  wie  die  von  ihm  hinterlassenen  Manuscriple  von  zwei  Sin- 
fonien und  sechs  Violinsolos  beweisen.  —  Seine  Gattin,  Anna  Pranzisca  H., 
geborene  Ben  da,  Schwester  der  berühmten  Musiker  dieses  Namens,  war  seit 
1751  Kammersängerin  in  Gotha  und  setzte  besonders  durch  ihre  vollendete 
Coloratur  alle  Hörer  in  Erstaunen.  Sie  starb  1780.  —  Heinrich  Christoph 
H. ,  vielleicht  ein  Bruder  des  Vorigen,  geboren  1739,  war  Schauspieler  am 
Theater  zu  Hamburg,  hat  sich  jedoch  durch  Composition  verschiedener  Ope- 
retten auch  als  Tonkünstler  einen  Namen  gemacht.  Man  kennt  von  ihm:  »Der 
Barbier  von  Bagdad«,  »Der  ehrliche  Schweizer«  und  »Helva  und  Zcline«,  die 
sämmtlich  in  den  beiden  letzten  Jahrzehnten  des  18.  Jahrhunderts  öifenilich 
aufgeführt  wurden.  Einzelne  Nummern  daraus,  sowie  von  einzelnen  Stücken 
Arrangements  wurden  um  1796  in  Hamburg  gedruckt.  t 

Hatter,  "Wilhelm  Ferdinand,  irrthümlich  in  einigen  Wörterbüchern  für 
Halter  (s.  d.)  aufgeführt. 

Hattou,  J.  L.,  englischer  Componist,  geboren  um  1814,  der  seine  höhere 
musikalische  Bildung  in  Deutschland  empfing,  einige  Zeit  lang  in  Wien  lebte 
und  endlich  seinen  bleibenden  Aufenthalt  in  London  nahm.  Eine  Oper  von 
ihm,  »Pascal  Bruno«,  ist  nicht  ohne  Beifall   1844  in  Wien   aufgeführt  worden. 

Hatzfeld,  ein  aus  Oberhessen  entsprossenes  und  nach  seiner  Stammburg 
an  der  Edder  benanntes  altes  Dynastengeschlecht,  von  dessen  Abkömmlingen 
sich  einige  durch  musikalische  Tüchtigkeit  hervorgethan  haben,  so:  August 
von  H.,  einer  der  fertigsten  deutschen  Violinspieler  des  18.  Jahrhunderts, 
welcher  sich  im  engeren  freundschaftlichen  Verkehr  mit  dem  berühmten  Vachou 
in  Paris  und  mit  Mozart  auch  sonst  musikalisch  tüchtig  ausgebildet  hatte.  Er 
war  Domherr  zu  Eichstädt  und  hielt  sich  die  meiste  Zeit  am  kurfürstl.  Hofe 
zu  Mainz  auf.  Im  Quartettspiel,  das  er  eifrig  betrieb,  gehörte  er  zu  den 
Koryphäen  seiner  Zeit.  Erst  31  Jahre  alt,  starb  er  im  Januar  1787.  —  Sein 
jüngerer  Bruder,  Hugo  von  H.,  war  in  der  Wende  des  18.  und  19.  Jahr- 
hunderts kurfürstl.  Mainz'scher  Gesandter  in  Berlin  und  mit  einer  sehr  schönen 
Tenorstimme,  sowie  mit  gediegenen  musikalischen  Kenntnissen  begabt,  wie 
Reichardt,  der  ausserdem  seinen  Gesangsvortrag  rühmt,  warm  anerkennt.  Im 
J.  1807  sind  in  Berlin  sechs  Romanzen  seiner  Composition  erschienen.  —  Eine 
gleichzeitig  lebende  Gräfin  von  H.  hielt  sich  1783  in  Bonn,  später  in  Wien 
auf  und  galt  in  beiden  Städten  als  eine  der  bedeutendsten  Sängerinnen  und 
Ciavierspielerinnen. 

Haube,  s.  Hut. 

Hauch,  s.  Vocal. 

Hauch,  Adam  Wilhelm,  von,  dänischer  Gelehrter,  ist  der  Verfasser  eines 
von  selbstständiger,  scharfer  Beobachtungsgabe  zeugenden  Werkes,  welches 
über  die  harmonischen  Schwingungen  handelt,  die  Transversalen  genannt 
werden,  sowie  über  den  Ton,  welchen  dieselben  hervorbringen  (Kopenhagen, 
1794).  — Sein  Sohn,  Johann  Carsten  von  H.,  geboren  1791  zu  Prederiks- 
hald,  einer  der  vorzüglichsten  dramatischen,  epischen  und  erzählenden  Schrift- 
steller Dänemarks,  war  nicht  minder  als  genialer  Naturforscher  ausgezeichnet, 
in  welcher  letzteren  Eigenschaft  er  denn  auch  als  Professor  der  Physik  au  der 
Akademie  zu  Soröe  thätig  war. 

Hauck,  s.  auch  Haug  und  Hauk. 

Hauck,  ein  um  1740  zu  Gaildorf  angestellter  gräfl.  limburgischer  Cantor 
und  Organist,  der,  wie  Meyer  in  der  Vorrede  seines  Musiksaales  aussagt,  einer 
der  trefl9ichsten   Tonsetzer  seiner  Zeit  gewesen  sein  soll.  f 

Hauck,  Karl,    ein  guter  Violinist  zu  Berlin,    der  auf  seinem  Instrumente 


UL*  Ilauck  —  Haue. 

vom  königl,  preussischen  Kammermusiker  C.  Hertel,  später  vom  Concertmeister 
Moser  ausgebildet,  zuerst  1817  sich  erfolgreich  öffentlich  hören  liess.  Im 
J.  1821  trat  er  als  Kammermusiker  und  erster  Violinist  in  die  königl,  Kapelle 
zu  Berlin,  welchem  Institute  er  activ  über  45  Jahre  lang  angehörte. 

Hauck,  Wenzislaus,  ausgezeichneter  deutscher  Pianist  und  hervorragend 
begabter  Componist  für  sein  Instrument,  wurde  am  27.  Febr.  1801  (nicht 
28,  Febr.)  zu  Habelschwerdt  in  der  Grafschaft  Grlatz  geboren,  erhielt  durch  den 
dortigen  Organisten  Deutsch  den  ersten  Unterricht  im  Ciavierspiel,  Gesang 
und  den  Anfangsgründen  der  Generalbasslehre  und  übte  sich  fleissig  auf  der 
Violine  und  mehreren  Blaseinstrumenten.  In  seinem  13.  Jahre  versah  er  be- 
reits den  Schulgehülfendienst  in  einem  Dorfe  unweit  Habelschwerdt.  Vier 
Jahre  später  begab  er  sich  als  Schreiber  eines  Oberamtraanns  nach  Breslau, 
wo  er,  von  Heinr.  Birnbach  unentgeltlich  iinterrichtet,  die  Aufmerksamkeit  des 
Kapellmeisters  Schnabel  erregte,  der  ihn  in  einem  von  ihm  veranstalteten  Con- 
certe  auftreten  liess  und  ihn  ermunterte,  bei  der  Musik  berufsmässig  zu  ver- 
harren. Von  1825  an  war  daraufhin  H.  ein  treuer  Schüler  von  J.  N.  Hummel 
in  Weimar  und  kehrte  erst  1827  nach  Breslau  zurück,  wo  er  sich  mit  ausser- 
gewöhnlichem  Erfolge  hören  liess  und  bald  darauf  eine  Aufsehen  machende 
Kunstreise  durch  Ober- Schlesien,  Galizien,  Krakau  und  Ungarn  antrat.  Im 
J.  1828  liess  er  sich  in  Berlin  nieder  und  wirkte  daselbst  mit  dem  grössten 
Beifall  als  Musiklehrer  und  Concertspieler ;  auch  erlangte  er  in  den  angesehen- 
sten Häusern ,  so  beim  Fürsten  Badziwill  u.  s.  w.  Zutritt  und  wurde  zum 
Lehrer  der  königl.  Prinzessinnen  Wilhelm,  nachmaligen  Kaiserin  Augusta,  Karl 
und  Albrecht  erwählt.  Leider  aber  setzte  seine  schwache  Gesundheit  seinem 
Leben  ein  allzu  frühes  Ziel,  denn  er  starb  schon  am  29.  Novbr.  1834,  kaum 
heimgekehrt  von  einer  Kunstreise  aus  Wien,  plötzlich  an  einer  Lungenlähmung 
und  hinzugetretenem  Blutstui'ze  zu  Berlin,  nachdem  er  noch  wenige  Tage  zuvor 
ein  Concert  gegeben  iind  wegen  des  der  Grossfüi'stin  Marie  von  Russland  er- 
theilten  Unterrichts  einen  kostbaren  Diamantring  erhalten  hatte.  —  Seine  im 
Druck  erschienenen  Compositionen  bestehen  in  einer  Sonate  (op.  1),  Rondos, 
Variationen  und  Divertissements  für  Pianoforte;  ausserdem  hinterliess  er  Ouver- 
türen, Lieder  und  Gesänge,  Balletsätze  u.  s.  w.  im  Manuscript.  Eine  ehren- 
volle monographische  Skizze  widmete  ihm  die  Roh,  Schumann'schc  »Neue 
Zeitschrift  für  Musik«  in  ihrem   Jahrg.  von   1835. 

Ilandeck,  Karl,  voi'züglicher  deutscher  Hornvirtuose,  war  seit  1748  erster 
Waldhornist  in  der  königl,  polnischen  Kapelle  zu  Dresden;  ihm  als  zweiter 
zur  Seite  stand  Anton  Hampel  (s,  d.).  Später  nahm  sein  Sohn,  Joseph 
H. ,  geboren  1762  in  Böhmen,  die  Stelle  des  Vaters  nicht  minder  ehrenvoll 
und  als  Künstler  wie  Mensch  geachtet,  ein.  Im  J,  1826  pensionirt,  starb  der- 
selbe am   10.  Octbr.  1832   zu  Dresden.  f 

Haiidiinont,  Abbe  Etienne  Pierre,  Meunier  d',  hervorragender  fran- 
zösischer Kirchencomponist,  geboren  1730  zu  Bourgogue,  wurde  in  seinem 
24.  Jahre  Musikmeister  an  der  Kirche  zu  Chalons,  von  wo  er  nach  Paris 
ging  und  noch  eifrig  Composition  studirte.  Im  J.  1764  wurde  er  Kapell- 
meister an  der  Kirche  der  Saints  Innocents  zu  Paris  und  zehn  Jahre  später 
an  St.  Germain  l'Auxerrois,  in  welchen  Stellungen  er  zahlreiche  Kirchenwerke 
grösseren  wie  kleineren  Umfanges  componirte  und  aufführte.  Er  starb  zu  Paris 
zu  Anfange  des  19.  Jahrhunderts.  —  Ein  anderer  Meunier  d'H. ,  mit  Vor- 
namen Joseph  und  gleichfalls  Abbe,  geboren  1751  zu  Paris,  war  1788  gleich- 
falls an  der  Kirche  der  Saints  Innocents  angestellt  und  war  zwar  ein  angenehmer 
Violinist,  als   Componist  aber  von  untergeordneter  Bedeutung. 

Haudouville,  Adricn  Henri,  französischer  Componist  aus  Ronen,  lebte 
um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  zu  Paris. 

Haue  hiess  in  der  Kunstsprache  der  alten  deutschen  Trompeterzunft  eine 
eigenthümliche  Art  des  Zungenschlages  (s.  d.),  die  bei  Feldstücken  als  be- 
sondere Kunst  nur  von  Eingeweihten  gegeben  werden  konnte.     Mit  der  Zunft 


Haueisen  —  Hauer.  93 

selbst  ist  dieser  Fachausdruck,  sowie  die  H.  selbst  ganz  ausser  Gebrauch  ge- 
kommen und  vergessen.  Nur  ein  Werk,  Altenburg's  »heroisch  -  musikalische 
Trompeter-  und  Paukerkunst«,  giebt  noch  nähere  Auskunft  über  dies  Zunft- 
geheimniss,  weshalb  seine  Auslassungen  hier  folgen  mögen.  »Die  H.«,  berichtet 
er,  »ist  von  verschiedener,  eigentlich  aber  nur  von  zweierlei  Art.  Die  erste 
kann  man  die  überschlagende  heissen,  weil  sich  bei  ihrer  Ausführung  allemal 
zwei  gewisse  Töne  gleichsam  überschlagen.  Die  zweite  nennt  man  die  schwe- 
bende, weil  der  Ton,  auf  welchem  man  sie  anwendet,  mit  einer  Schwebung 
oder  Bebung,  bald  stark,  bald  schwach,  auch  bald  crescendo,  bald  decrescendo, 
angegeben  wird.  Bei  jeder  Art  von  H.  aber  werden  von  dem  Trompeter  die 
Sylben  to-ho  in  das  Mundstück  kurz  ausgesprochen  oder  eigentlich  nur  mit 
der  Zunge  und  einem  Hauch  ausgestossen.  Bei  der  ersten  Art  wird  der 
zweite  überschlagende  Ton,  der  immer  das  nächst  unter  dem  zuerst  angegebenen 
Tone  liegende  Intervall  von  dem  Dreiklange  des  Grrundtones  der  Trompete  ist, 
z.  B.  bei  einer  .EJ^-Trompete  5,  wenn  zuei'st  es  angegeben,  oder  es,  wenn  zuerst 
g  angeblasen  wurde,  nur  ganz  kurz  gehört,  der  erste  Ton  darnach  aber  noch 
einmal  stark  angegeben  und  etwas  länger  ausgehalten.  Ferner  ist  noch  zu  er- 
innei'n,  dass  die  H.  immer  nur  am  Ende  eines  Feld-  oder  Tafelstücks,  keines- 
wegs aber,  oder  doch  nur  höchst  selten,  in  der  Mitte  oder  beim  Prinzipal 
angewendet  wird.«  0 

Haueisen,  W.  N.,  deutscher  Tonkünstler,  geboren  zu  Gehren  bei  Arnstadt 
um  1744,  war  Organist  zu  Frankfurt  a.  M.  und  hat  sich  daselbst  durch  Heraus- 
gabe einiger  Compositionen,  sowie  durch  G-ründung  eines  Musikverlags  einen 
Namen  gemacht.  —  Ein  gewisser  F.  Karl  H.  machte  sich  1831  durch  Ver- 
öffentlichung einiger  Ciavierrondos  bekannt.  t 

Hauer,  Ernst,  Cantor  zu  Dardesheim  bei  Halberstadt,  etwa  von  1810 
bis  1828,  und  seitdem  bis  1840  Musiklehrer  an  der  Bürgei-schule  zu  Halber- 
stadt ,  veröffentlichte  acht  Lieder  und  ein  Singebuch  für  Schulen.  —  Sein 
ältester  Sohn,  Hermann  H.,  geboren  am  18.  Aug.  1812  zu  Dardesheim,  übte 
sich  schon  früh  als  Altist  des  Choi-es  im  Dome  zu  Halberstadt  im  Gesänge, 
von  seinem  zehnten  Jahre  an  auch  im  Orgelspiele.  Mit  zwölf  Jahren  gab  er 
bereits  selbst  Musikunterricht  und  erwarb  sich  dadurch  die  Mittel,  um  beim 
Organisten  Liebau  in  Quedlinburg,  zu  dem  er  fleissig  hinüber  wanderte.  Unter- 
weisungen empfangen  zu  können.  Der  Eintritt  H.'s  in  das  Schullehrer-Seminar 
unterbrach  diesen  lehrreichen  Vei'kehr,  jedoch  nahm  er  nun  Violinunterricht 
beim  Stabstrompeter  Soussmann  und  spielte  fleissig  Ciavier.  Nach  absolvirtem 
Seminarcursus  ging  H.  um  1832  nach  Berlin,  wo  er  bei  Rungenhagen,  Marx, 
Dehn,  A.  W.  Bach  in  verschiedenen  Zweigen  der  Tonkunst  höhere  Studien 
machte  und  wurde  1845  Organist  an  der  damals  neu  erbauten  Jacobikirche 
daselbst,  welche  Stelle  er  noch  gegenwärtig  inne  hat.  Gleichzeitig  hat  er  sich 
durch  seinen  Gesangunterricht  in  verschiedeneu  Volksschulen  sehr  verdient 
gemacht.  Auf  diesem  Berufsfelde  gründete  er  1844  einen  Gesangverein  für 
Handwerker,  der  lange  Zeit  hindurch  ehrenvoll  bestand.  Nach  Eingehen  des- 
selben errichtete  er  einen  neuen  Verein,  den  er  trefflich  eingeübt  hält  und  mit 
dem  er  noch  jetzt  von  Zeit  zu  Zeit  öffentliche  Kircheuaufführungen  veran- 
staltet. Wegen  seiner  Verdienste  als  Musiklehrer  und  Componist  wurde  er 
1870  zum  königl.  Musikdirektor  ernannt.  Veröffentlicht  hat  er  von  seinen 
zahlreichen  Compositionen  Kirchenstücke,  eine  Cantate,  ein-  und  mehrstimmige 
Lieder  und  Gesänge,  sowie  von  seinen  übrigen  Arbeiten  eine  »Praktische  Ge- 
sanglehre für  Schulen  und  Chöre«  (1.  Tbl.  Berlin,  1856)  und  die  Schrift 
»Praktische  Bemerkungen  zu  der  Schrift  des  Hrn.  Geh.  B,aths  Schede  über 
die  Gesangsnoth  in  der  evangelischen  Kirche«  (Berlin,  1853).  —  Sein  jüngerer 
Bruder,  Karl  H. ,  geboren  um  1824  zu  Halberstadt,  empfing  seine  höhere 
musikalische  Ausbildung  in  Berlin  als  Schüler  des  königl.  Kirchenmusik- Institutes 
und  der  Akademie  der  Künste.  Als  Musiklehrer  thätig,  erhielt  er  1862  die 
Organistenstelle     au    der    St.    Marcuskirche     und    wurde    Gesanglehrer    au    der 


94  Hauff—  Haulc, 

Stralauer  Realschule  zu  Berlin.  Er  ist  ebenfalls  ein  trefflich  gebildeter  Com- 
ponist  und  hat  ein-  und  mehrstimmige  G-esänge  geistlichen  und  weltlichen 
Styls  veröffentlicht,  ausserdem  aber  auch  Aufsätze  und  Kritiken  für  die  »Neue 
Berliner  Musikzeitung«  geschrieben. 

HauiF,  Johann  Christian,  gründlicher  deutscher  Musiktheoretiker  und 
Componist,  geboren  am  8.  Septbr.  1811  zu  Frankfurt  a.  M.,  woselbst  er  auch 
seine  musikalische  Ausbildung  von  den  besten  Lehrern  empfangen  hat.  Unab- 
lässig im  Lehrfache  thätig,  ist  er  seit  Begründung  der  Frankfurter  Musikschule 
Direktionsmitglied  und  Lehrer  der  Theorie  an  derselben.  Er  componirte  Sin- 
fonien, Quartette,  Ciaviertrios,  Motetten  u.  s.  w.  und  veröffentlichte  als  Frucht 
seiner  reichen  musikalischen  Erfahrungen  eine  gediegene  »Theorie  der  Ton- 
setzkunst« in  fünf  Bänden  (1.  Bd.  2  Thle.,  Frankfurt  a.  M.,  1863.  64,  enth.: 
Harmonielehre,  nebst  einer  ausführlichen  Erläuterung  über  die  Entstehung  und 
Entwickeluug  der  alten  Tonarten;  2.  Bd.  2  Thle.,  Frankfurt,  1867.  68,  enth.: 
das  Studium  des  einfachen  Contrapunktes,  der  Nachahmung  und  des  figurirten 
Chorales;  3.  Bd.,  Frankfurt,  1869  u.  s.  w.,  u.  s.  w.). 

Hauff,  Wilhelm  Gott  lieb,  deutscher  Componist,  geboren  zu  G-otha  und 
nachmals  Feldcantor  bei  den  gothaischen  Regimentern  in  holländischen  Diensten, 
hat  sechs  Sinfonien  (Paris,  1774),  6  Sextuors,  en  harmonie  concertante  für 
blasende  Instrumente  (ebendas.,  1776)  und  drei  Ciaviertrios  (Brüssel,  1777) 
von   seiner  Composition  veröffentlicht.  f 

Hang',  Friedrich,  Hofinstrumentenmacher  zu  Stuttgart  um  1791,  hat  sich 
durch  Fertigung  guter  Pantalons,  Fortepianos  und  Flügel  einen  Ruf  erworben. 
Vgl.  Musikal.  Zeitung  des  J.  1791  S.  176.  t 

Uaug-,  Virgilius,  deutscher  Tonkünstler  aus  der  Mitte  des  16.  Jahr- 
hunderts, lebte  als  Cantor  oder  Schullehrer  zu  Breslau  und  hat  sich  durch  die 
Herausgabe  von  y^Eroternata  musicae  praeticae  ad  captum  pw^rifcw  formatan 
(Breslau,  1541)  um  die  Jugend  seiner  Zeit  verdient  gemacht.  Auch  soll  sein 
Name  als  Componist  verschiedener  Kirchenmelodien  in  Hans  AValter's  und 
anderen  Caiitionalen  vorkommen.  "f 

Hauk,  Minnie,  eine  der  ersten  deutschen  Gesangsgrössen  der  Gegenwart, 
wurde  am  16.  Novbr.  1852  zu  New-Yoi'k  geboren.  Ihr  Vater  war  ein  in 
Amei'ika  1848  eingewanderter  deutscher  Gelehrter,  ihre  Mutter  Amerikanerin. 
Schon  im  Alter  von  acht  Jahren  machte  sich  Minnie  H.  in  der  Hauptkirche 
ihrer  Geburtsstadt,  als  Sängerin  Aufsehen  erregend,  bemerkbar,  zog  aber  mit 
den  Eltern  in  eine  Farm  nach  Kansas,  von  da  nach  New -Orleans,  wo  sie  bei 
einem  französischen  Sänger  den  ersten  geregelten  Unterricht  erhielt.  Dreizehn 
Jahre  alt,  sang  sie  in  einem  patriotischen  Wohlthätigkeitsconcerte  auf  der 
Oj)ernbühne  letzterer  Stadt  die  Auftrittsarie  der  Norma,  sowie  eine  Arie  aus 
Auber's  >5Krondiamanten«  und  wurde  von  Blumen  und  Huldigungen  überschüttet. 
Im  J.  1866  siedelte  die  Familie  wieder  nach  New- York  über,  und  dort  leitete 
ein  italienischer  Gesanglehrer,  Errani,  höchst  erfolgreich  die  höhere  gesangliche 
Ausbildung  Minnie's.  Ein  Bewunderer  ihres  Talentes,  der  reiche  Amerikaner 
L.  Jerome,  errichtete  in  seinem  Hause  in  New -York  eigens  eine  Bühne,  auf 
welcher  sie  als  »Linda«  u.  s.  w.  ihre  ersten  dramatischen  Versuche  mit  über- 
raschendem Erfolge  machte,  so  dass  sie  der  Direktor  Maretzek  unter  glänzenden 
Bedingungen  für  die  Musikakademie  zu  New -York  engagirte.  Sie  debütirte 
1868  als  »Nachtwandlerin«  und  war  von  diesem  Momente  au  die  gefeiertste 
Sängerin  der  amerikanischen  Metropole  und  bald  auch  durch  GastsjDiele  in 
Boston,  Philadelphia,  Chicago,  Baltimore,  Cincinnati,  Washington,  des  ganzen 
amerikanischen  Continents.  Ihr  Repertoir  umfasste  damals  die  Opern  Lucia, 
Don  Pasquale,  Dou  Juan,  Romeo  und  Julia,  Crispino  e  la  comare,  Barbier 
und  Fra  Diavolo.  Der  Ruf  des  neu  aufgegangenen  Gesangssternes  drang  über 
den  Ocean,  und  sie  wurde  1869  für  die  Saison  in  London  engagirt,  welches 
Engagement  sie  nach  einem  Studienausflug  nach  Italien  antrat.  Ausser  in  ihren 
älteren   Partliien  feierte    sie    als  Zerline,    Cherubin  und  Margarethe   Triumphe 


Haumann.  95 


seltenster  Art.  Die  gleiche  enthusiastische  Anerkennung  fand  sie  in  demselben 
Jahre  in  der  italienischen  Oper  des  Direktors  Bagier  zu  Paris.  Hierauf  unter- 
nahm sie  mit  Sivori  eine  Concertreise  durch  Holland  und  endlich  ein  Gast- 
spiel in  Moskau,  überall  die  durch  ihren  Zeitungsruhm  hochgespannten  Er- 
wartungen übertreffend,  das  Publikum  entzückend  und  durch  ihre  reizende 
äussere  Erscheinung  fesselnd.  Im  Juni  1870  gastirte  sie  in  Wien,  wo  sie  sich 
ihre  ersten  deutschen  Beifallskränze  holte.  Selten  ist  dort  eine  fremde 
Sängerin  mit  wärmerer  SymjDathie  begrüsst  worden.  Das  Aufsehen,  welches 
sie  in  Wien  erregte,  die  Aufnahme,  welche  nicht  glänzender  sein  konnte,  und 
der  Ausbruch  des  deutsch -französischen  Krieges  bewogen  Minnie  H.,  einen 
dreijährigen  Contrakt  mit  der  k.  k.  Hofoper  abzuschliessen,  und  sie  blieb  der 
gefeierte  Liebling  der  Wiener,  auch  als  sie  1873  die  Stellung  an  der  Hof- 
bühne mit  derjenigen  der  Primadonna  an  der  neu  errichteten  »Komischen  Oper« 
in  Wien  vertauschte.  Als  sie  noch  in  demselben  Jahre,  durch  Intriguen  ver- 
anlasst, letzteres  Institut  verliess,  erlosch  der   Stern  desselben. 

Minnie  H.  gastirte  hierauf  mit  den  seltensten  Erfolgen  an  deutsch-öster- 
reichischen und  deutsch-russischen  Bühnen,  1874  längere  Zeit  in  Pesth,  von 
wo  sie  im  Novbr.  desselben  Jahres  zum  ersten  Male  zu  Gastspielen  nach 
Norddeutschland  abging,  an  die  ihr  Aufsteigen  zum  höchsten  Gipfel  des  Ruhmes 
zu  knüpfen  sein  dürfte.  Sie  sang  bis  zu  Ende  des  Jahres  an  der  königi.  Oper 
zu  Berlin  (episodisch  auch  in  Braunschweig)  Mignon,  Zerline  (Don  Juan), 
Rosine  und  Margarethe  und  brachte  durch  ihre  jugendfrische,  vorzüglich  ge- 
bildete Stimme  frisches  Blut  in  den  welk  gewordenen  Körper  dieses  Institutes, 
in  dem  sich  die  Clique  ihr  Nest  gebaut  und  ausser  den  Wagner'schen  Opern 
das  gesammte  Bepertoir  mit  Beschlag  belegen,  keine  neue  Kraft,  viel  weniger 
eine  überragende  Grösse  aufkommen  lassen  wollte.  Wenn  die  königi.  Verwal- 
tung die  künstlerische  Seite  ihrer  Mission  herauszukehren  weiss,  so  wird  sie 
den  gerechten  Wünschen  des  kunstgebildeten  Publikums  Rechnung  tragen  und 
die  auch  in  Berlin  hochgefeierte  Sängerin  für  die  deutsche  Hauptstadt  ge- 
winnen; die  alten  abgehetzten  Paradepferde  sind  bis  zur  Monotonie  vorgeritten. 
—  Minnie  H.  beherrscht  das  Soubretten-  und .  Coloraturfach  der  Oper  in  un- 
vergleichlicher Souveränetät,  hat  aber  auch  auf  dramatischem  Gebiete  hervor- 
ragende Proben  der  Tüchtigkeit  abgelegt.  Von  allen  Sängerinnen  der  Gegen- 
wart hat  sie  den  weitaus  grössten  Rollenkreis  inne  und  singt  deutsch,  italienisch, 
französisch,  englisch  und  ungarisch  mit  gleicher  Vollendung  und  einschmei- 
chelnder Grazie,  Ihr  Gesangstalent  unterstützen  ein  gewandtes,  empfundenes 
und  lebendiges  Spiel  und  eine  blendende  Erscheinung. 

Hanmauu,  Theodor,  Violinvirtuose  der  belgisch  -  französischen  Schule, 
geboren  am  3.  Juli  1808  zu  Gent  von  israelitischen  Eltern,  bereitete  sich, 
dem  Wunsche  der  letzteren  gemäss,  auf  dem  Athenäum  zu  Brüssel  und  der 
Universität  zu  Löwen  zum  Rechtsstudium  vor.  Je  lässiger  er  die  aufgedrängten 
Studien  betrieb,  um  so  eifriger  ging  er  den  Musikstudien  nach,  besonders 
nachdem  er  durch  Snell,  Violinist  am  Theater  zu  Brüssel,  im  Violinspiel  ziemlich 
weit  gebracht  worden  war.  Beharrliches  Selbststudium  förderte  ihn  weiter, 
und  plötzlich  verliess  er  die  Universität  und  spielte  im  Opernorchester  zu 
Brüssel  als  Volontair  am  ersten  Geigenpulte  mit.  Im  J.  1827  unternahm  er 
eine  Concertreise  nach  Paris  und  London  und  gefiel  in  ersterer  Stadt  sehr, 
in  letzterer  fast  gar  nicht.  Muthlos  kehrte  er  in  seine  Heimath  zurück,  voll- 
endete das  Rechtsstudium  und  absolvirte  das  Doctorexamen.  Eine  feste  An- 
stellung verscherzte  er,  da  er  sich  wieder  mit  ungestümem  Eifer  auf  die  Ver- 
vollkommnung seines  Violinspiels  warf.  Er  erschien  1832  wieder  in  Paris, 
wo  er  Furore  machte  und  besuchte  hierauf,  von.  grossem  Erfolge  begleitet, 
Südfrankreich,  Norddeutschland  und  Russland.  Im  J.  1837  war  er  wieder  in 
Paris,  verschwindet  aber  von  dieser  Zeit  an  gänzlich  von  der  Oeffentlichkeit. 
Sein  Ton  wird  als  wohlklingend,  sein  Spiel  überhaupt  als  fertig  und  elegant 
gerühmt,    wenn    ihn    nicht,    wie    häufig,    nervöse  Aufregung    und    Unruhe    be- 


9(>  Kaun  —  llauptaccent. 

herrschten,  die  seine  Leistungen  sehr  ungleich  machten.  Für  sein  Instrument 
hat  er  Fantasien,  Rondos,  Variationen  u.  s.  w.  geschrieben,  welche  jedoch  als 
Mittelgut  zu  bezeichnen  sind, 

Hann,  Johann  Ernst  Christian,  deutscher  Gelehrter  und  Musikkenner, 
geboren  zu  Gräfentonna  am  21.  Juni  1748  und  gestorben  1801  als  Stiftspre- 
diger, Landschulen -Inspektor  und  Direktor  des  Schullehrerseminars  zu  Gotha, 
hat  sich  durch  einen  Abschnitt  seines  Schulsystems  in  Bezug  auf  die  Lehre 
des  Orgelspielens  in  Serainarien  in  seiner  Zeit  verdient  gemacht.  Dieser  Ab- 
schnitt ist  unter  dem  Titel:  »Anweisung  zu  den  Anfangsgründen  der  Musik 
überhaupt  und  denen  des  Claviers  insonderheit«,  als  das  34.  Kapitel  aus  Herrn 
Haun's  Methodus  (Erfurt,   1801),  besonders  erschienen.  f 

Uanpt,  wahrscheinlich  ein  Musiker  von  deutscher  Abstammung  und  zu 
Paris  als  Hornist  wirkend,  gab  daselbst  mit  Punto  gemeinschaftlich  jene  be- 
rühmte y>M('thode  pour  apfrendre  les  elemens  des  1   et  2   Oorsa  heraus.        f 

Haupt,  (Karl)  August,  einer  der  ausgezeichnetsten  Orgelvirtuosen  der 
Gegenwart,  geboren  am  25.  Aug.  1810  zu  Cunau  in  Schlesien,  besuchte  von 
1824  bis  1827  das  Gymnasium  zu  Sorau  und  begab  sich  hierauf  nach  Berlin, 
wo  A.  W.  Bach  im  Orgelspiele,  Beruh.  Klein  und  nach  dessen  Tode  S.  W. 
Dehn  seine  Lehrer  wurden.  Sein  erstes  öffentliches  Auftreten  1831  als  Orgel- 
virtuose machte  bereits  Aufsehen,  und  er  wurde  1832  als  Organist  an  der 
französischen  Klosterkirche,  1835  an  der  Elisabethkirche,  1839  an  der  zu  St. 
Nicolai  und  1849,  nach  dem  Tode  seines  genialen  Freundes  Thiele,  an  der 
Parochialkirche  (an  letzterer  zugleich  als  Glockenist)  zu  Berlin  angestellt. 
Das  zuletzt  erwähnte  Amt  bekleidet  er  noch  gegenwärtig  mit  grosser  Auszeich- 
nung. Im  J.  1838  reiste  er,  um  sich  weiter  auszubilden,  zu  Friedr.  und  Job. 
Schneider,  bei  welchen  Meistern  er  sich  besonders  in  der  Improvisation  vervoll- 
kommnete. Durch  zalilreiche  Concerte  verbreitete  sich  sein  Buhm  als  unver- 
gleichlicher Virtuose  und  Kenner  der  Orgel,  und  von  weit  und  breit  her  kamen 
Notabilitäten  seines  Instrumentes,  um  seine  Rathschläge,  ja  sogar  noch  seinen 
Unterricht  zu  erbitten.  So  wurde  ihm  u.  A.  1854  der  ehrenvolle  Auftrag 
zuertheilt,  die  Ausarbeitung  der  Disposition  für  die  Riesenorgel  im  Krystall- 
palast  zu  London  auszuführen.  Erst  in  den  1860er  Jahren  aber  wurde  sein 
sebnlichsler  AVunsch  erfüllt,  seine  reichen  Kenntnisse  als  öffentlicher  Lehrer 
auf  eine  spätere  Generation  übertragen  zu  dürfen,  indem  er  Anstellung  am 
königl.  Kirchenmusik-Institute  fand.  Nach  A.  W.  Bach's  Tode  wurde  er  zum 
interimistischen  Direktor  und  1870  endlich  zum  wirklichen  Direktor  dieser 
Anstalt  und  zugleich  zum  Professor  der  Musik  ernannt.  Von  seinen  zahlreichen 
Compositionen  sind  diejenigen  für  Orgel  leider  Manuscript  geblieben  und  nur 
ein-  und  mehrstimmige  Lieder  theils  selbststäudig,  theils  in  zahlreichen  fremden 
Sammlungen  im  Druck  erschienen.  Endlich  hat  er  noch  ein  Choralbuch 
(Berlin,  1869)  herausgegeben,  welches  in  der  einschlägigen  Literatur  einen 
hohen  Rang  behauptet. 

Haupt,  Leopold,  deutscher  Theologe  und  Musikkenner,  bis  zur  Mitte 
des  19.  Jahrhunderts  Archidiaconus  an  der  Peter-  und  Paulskirche  zu  Görlitz, 
hat  veröffentlicht  »A'olkslieder  der  Wenden«  (Grimma,  1841)  und  »Sechs  alt- 
testamentliche  Psalmen  mit  ihren  aus  den  Accenten  entzifferten   Singweiseno. 

Haupt,  Moritz,  deutscher  Violinist  und  Coraponist ,  war  seit  1834 
im  Orchester  des  Stadttheators  zu  Frankfurt  a.  M.  angestellt  und  hat  um 
1840  einige  Siufonien  und  andere  grössere  Werke  seiner  Composition  auf- 
führen lassen. 

Hauptabsatz,  s.  Absatz. 

Hauptaccent,  s.  Accent,  Metrum,  Rhythmus,  Takt,  Thesis.  Als 
Ergänzung  des  Artikels  Accent  mögen  hier  noch  einige  Schriften  genannt 
werden,  die  über  diesen  Begriff,  soweit  derselbe  für  Musiker  von  Bedeutung 
ist,  Aufklärung  geben:  1)  Job.  Mattheson,  »Der  vollkommene  Kaj^ellmeister« 
(Hamburg,  Christian  Herold,   1739),   S.   112  ff.  und   S.   174   ff.  —   2)   Heinrich 


Hauptaccorde  —  Hauptciavier.  97 

Chr.  Koch,  »Versuch  einer  Anleitung  zur  Composition«  (Rudolstadt  und  Leipzig, 
1782),  IL  Thl.  S.  270  flf.  und  IIL  Thl.  S.  13  ff.  —  3)  Joh.  Aug.  Apel, 
»Metrik«  (Leipzig,  1814).  —  4)  »Leipziger  musikalische  Zeitung«,  Jahrg.  1830, 
Spalte  805  ff.  : —  5)  Moritz  Hauptmann,  »Die  Natur  der  Harmonik  und  Metrik« 
(IL  Aufl.,  Leipzig,  1874).  —  6)  E.ud.  "Westphal,  »Elemente  des  musikalischen 
Rhythmus«  (Jena,  1872),  L  Thl.  S.   16  ff.  0.  T. 

Hauptaccorde  oder  Hanptharmonien.  Aeltere  Theoretiker  gebrauchen  diesen 
Ausdruck  gewöhnlich  zur  Bezeichnung  der  Dur-  und  JfoZZdreiklänge,  mitunter 
aber  auch  gleichbedeutend  mit  Grundharmonien;  im  letzteren  Falle  bezeichnen 
sie  damit  diejenigen  Grund-  oder  Urformen  der  Accorde,  nach  deren  Muster 
andere  Accorde  gebildet  werden.  Als  solche  H.  gelten:  der  Dreiklang  (a)  und 
der   Septimenaccord  (h)  in  unbestimmter  Notation  bei  terzenweiser  Anordnung. 

a.  -8-  h.  E§E 

Gewöhnlich  gebraucht  man  den  Ausdruck  H.  aber  in  Rücksicht  auf  die  Be- 
deutung gewisser  Accorde  innerhalb  einer  Tonart  (s.  d.);  die  H.  sind  in 
diesem  Sinne  die  wichtigsten  Accorde  einer  Tonart,  d.  h.  diejenigen  Harmonien, 
die  in  der  Tonart  am  häufigsten  auftreten,  und  deren  Verbindung  am  besten 
geeignet  ist,  das  Ohr  in  die  betreffende  Tonart  einzustimmen.  In  der  Regel 
zählt  man  hierzu  die  Dreiklänge  der  ersten,  vierten  und  fünften  Stufe  (a)  und 
den  Dominantseptimenaccord  (h)]  alle  anderen  in  der  Tonart  möglichen  Accorde 
heissen  dann  Nebenaccorde  (s.  d.). 

C-dur.  A-moll. 

a.  h.  a.  h. 


_CL 


^=g=^llE|«^ 


Bei  einigen  Theoretikern  wird  der  Ausdruck  H.  auch  im  engeren  Sinne  nur 
zur  Bezeichnung  des  Accordes  der  ersten  Stufe  (oder  des  tonischen  Drei- 
klanges, s.  d.)  verwerthet.  0.   T, 

Hanptcadeuz,  auch  Finalcadenz  (s.  d.  und  Cadenz). 

Hanptcanal  nennt  man  in  der  Orgel  die  Windröhre,  in  welche  durch  die 
mit  ihr  eng  verbundenen  Balgschnauzen  der  "Wind  unmittelbar  aus  den  Schöpf- 
bälgen strömt,  und  von  dem  aus  derselbe  dann  erst  in  die  Nebencanäle  ge- 
trieben wird.  Der  H.  ist  stets  vierkantig  gebaut  und  sind  die  Kanten  des- 
selben sorgfältig  durch  Leim  und  Belederung  winddicht  gemacht.  Die  Grösse 
und  "Weite  des  H.  richtet  sich  streng  nach  der  Grösse  des  Orgelwerkes,  zu 
dem  er  verwandt  werden  soll,  und  sind  über  diese  Dimensionen  von  den  ver- 
schiedenen Meistern  feste  Regeln  aufgestellt.  Man  findet  diese  Regeln  in 
Töpfer's  »Orgelbaukunst«  §.  103  S:  100  ff.,  sowie  in  J.  S.  Hallen's  »Kunst 
des  Orgelbaues«  (6.  Band  der  »Werkstätte  der  Künste«)  S.  310  ff.,  auf  welche 
Werke  verwiesen  sei.  Je  nach  dem  Gutheissen  des  Orgelbauers  fertigt  derselbe 
den  H,  einer  Orgel  ungetheilt  oder  getheilt  an,  um  dadurch  die  Windvertheilung 
in  angemessenster  Weise  zu  befördern.  Der  H.  birgt  in  seinem  Räume  noch 
verschiedene  andere  Orgeltheile.  Von  diesen  mag  zuerst  das  Contraventil 
(s.  d.)  vermerkt  werden,  das  dem  Winde  den  Rückgang  nach  den  Schöpfbälgen 
abschneidet,  und  dann  das  Haupt-Sperrventil  (s.  d.),  das  den  Wind  vom 
Werke  abschneidet,  sowie  dessen  Zugang  zu  demselben  beherrscht.  Schliesslich 
ist  noch  zu  bemerken,  dass  der  Zug  Evacuant  (s.  d.)  oder  Windablasser 
und  der  Gazeschweller  (s.  d.),  sowie  die  Windwaage  (s.  d.)  in  dem  H. 
ihre  Stelle  finden.  2. 

Hauptciavier,  Hauptmanual  oder  Haupttastatur  nennt  man  bei  einer  Orgel, 
welche  mehrere  Manuale  hat,  dasjenige,  welches  direkt  die  meisten  und  grössten 
klingenden  Stimmen  beherrscht.  Bei  zwei  Manualen  ist  es  stets  das  untere; 
sind  drei   Claviere  vorhanden,    so  ist  gewöhnlich   das  mittlere  das  H.,    seltener 

Musikal.  Convers.-Lexikou.     V.  7 


98  Hauptdreildänge  --  Hauptmann. 

das  untere.  Wahrscheinlich  giebt  man  der  Anordnung,  das  H.  bei  drei  Ma- 
nualen in  die  Mitte  zu  bauen,  um  deswegen  den  Vorzug,  weil  dann  die  Kop- 
pelung der  verschiedenen  Manuale  leichter  zu  construiren  ist.  2. 

Haupldreikläug-e,  s.  Hauptaccorde. 

Hauptformell  der  Tonstücke.  Die  Zahl  der  Formen,  in  denen  Tonstücke 
erscheinen  können,  könnte  eben  so  gross  sein,  wie  die  Zahl  der  Tonstücke  selbst. 
Es  stimmen  aber  eine  ganze  Anzahl  einzelner  Tonstücke  in  gewissen  wesent- 
lichen Zügen  überein.  »Der  Inbegriff  nun  der  Grundzüge,  in  denen  eine 
Masse  einzelner  Kunstwerke  übereinstimmt,  heisst  Kunstform.  Es  ist  klar, 
dass  es  solcher  Kunstformen  mehrere  oder  viele  geben  kann;  ja,  wer  die  Un- 
ermesslichkeit  und  TJnbegränztheit  des  geistigen  Lebens  kennt  und  seine  Thä- 
tigkeit  beobachtet,  wird  schon  voraussetzen,  dass  die  Zahl  der  Kunstformen 
nicht  zu  begränzen  ist,  dass  immer  neue  erfunden  werden  können«  (A.  B.  Marx, 
»Lehrb.  der  Comp.«  II.  S.  5).  Es  giebt  aber  gewisse  Grundformen,  von  denen 
alle  anderen  Formen  sich  ableiten,  oder  aus  denen  und  den  abgeleiteten  Formen 
sie  sich  zusammensetzen  lassen.  Diese  Grundformen  heissen  die  H.  Die  Zahl 
und  Art  dieser  H.  ist  übrigens  zu  verschiedenen  Zeiten  und  bei  den  verschie- 
denen Theoretikern  durchaus  nicht  gleich  geblieben.  Näheres  hierüber  findet 
man  unter  Kunstformen. 

Hauptfortschreitungren  eines  Accordes  sind  diejenigen  Harmonieschritte, 
welche  von  dem  betreffenden  Accorde  aus  die  natürlichsten  sind  (s.  Fort- 
schreitung, Cadenz  und  Auflösung). 

Hauptgedaukeii  sind  die  bedeutungsvollsten  und  hervortretendsten  Gedanken 
innerhalb  eines  Tonsatzes   (s.  Gedanke). 

Hauptg-esang-,  s.  Hauptmelodie. 

Haiiptgrade  des  Tempo,  s.   Tempo  und  Tempo  Wörter. 

Hauptiutervalle  sind  diejenigen  Töne  eines  Accordes,  welche  zur  Chai'ak- 
terisirung  des  betreffenden  Accordes  erforderlich  sind;  im  Dreiklange  sind  es 
Grundton  und  Terz,  im   Semptimenaccorde  die   Septime  u.  s.  f.  (s.  Intervall). 

—  Einzelne  Theoretiker  verstehen  unter  H.n  auch  diejenigen  Intervalle,  von 
denen  andere  Intervalle  durch  Umkehrung  u.  dergl.  abgeleitet  werden;  so  ist 
die  Terz  das  Hauptintervall  zur  Sexte  u.  s.  f.  Nach  meinem  Systeme  werden 
bekanntlich  alle  harmonischen  Intervalle  abgeleitet  von  drei  Intervallen :  reine 
Octave,  reine  Quinte  und  grosse  Terz;  diese  drei  Intervalle  würden  demnach 
die  H.  sein.     Ich  gebrauche  für  dieselben  indessen  den  Namen  Grundintervalle. 

—  Endlich  werden  mit  diesem  Ausdrucke  auch  wohl  die  natürlichen  Inter- 
valle (s.  d.)  bezeichnet.  0.  T. 

Hauptlade  oder  Hauptwindlade  der  Orgel  nennt  man  diejenige  Wind- 
lade,  welche  auf  sich  die  grössten  und  meisten  Principalstimmen  stehen  hat. 
Man  baut  die  H.  bei  grossen  AVerken  stets  mit  zwei  Windeinfällen,  damit  dem 
starken  Windverbrauch  volle  Genüge  werden  hann  und  nicht  ein  Schluchzen 
des  Tones  einzutreten  vermag.  lieber  den  Bau  der  H.  berichtet  der  Artikel 
Windlade  (s.  d.).  2. 

Hauptlag-en,  s.  Lagen. 

Hanptleiter  oder  Haupttonleiter,  s.  Normalleiter  und  Stamm- 
tonleiter. 

Hauptmaoii,  Lorenz,  trefflicher  deutscher  Orgelspieler,  Kirchencomponist 
und  Gesanglehrer,  geboren  am  lö.  Jan.  1802  zu  Grafensulz  in  Niederösterreich, 
leistete  schon  in  seinem  zwölften  Jahre  Bedeutendes  im  Orgelsi^iel.  Bis  zum 
24.  Lebensjahre  war  er  Lehrer  in  seinem  Geburtsorte,  begab  sich  1826  nach 
Wien,  wo  er  die  Organistenstelle  am  Theresianum  und  an  der  Paulanerkirche 
erhielt,  studirte  unter  Seyfried  eingehend  die  Composition  und  wurde  spiltei'^ 
gleichzeitig  einen  gründlichen  Gesangunterricht  ertheilend,  Chordirektor  an 
der  Augustiner-Pfarrkirche  der  Vorstadt  Landstrasse.  Er  starb  in  sehr  geach- 
teter Stellung  am  25.  Mai  1870  zu  Wien.  Componirt  hat  er  Messen,  Gradu- 
alien  und   andere   Kirchensachen,    die    noch     immer    sehr    geschätzt  sind,    sowie 


Hauptmann.  99 

Ciaviersonaten,  Violin-  und  Orgelstücke,  gute  Solfeggien,  instructive  Singduette 
u.  s.  w.     Ein   Theil  dieser  Werke  ist  in   AVien  auch  im  Druck  erschienen. 

Hauptmann,  Moritz,  hochbedeutender  Musiktheoretiker,  voi^züglicher  Ton- 
setzer und  Contrapunktist ,  wurde  am  13.  Octbr.  1792  zu  Dresden  geboren, 
wo  sein  Vater,  Johann  Gottlob  H.,  als  Hofbauconducteur,  später  als  Ober- 
landbaumeister  angestellt  war.  Er  verlebte  seine  früheste  Kindheit  ohne  wesent- 
liche Störungen,  erhielt  sehr  bald  einen  vom  Vater  überwachten  Unterricht  in 
den  alten  Sprachen,  in  der  Mathematik  und  im  Zeichnen,  erlernte  von  seiner 
Mutter,  Louise  Salome  H.,  geborene  Saxe  aus  Genf,  spielend  das  Fran- 
zösische und  gewöhnte  seine  Zunge  im  Umgange  mit  italienischen  Musikern 
am  Hofe  Dresdens  mit  grosser  Leichtigkeit  an  die  Aussprache  italienischer 
Wörter.  In  seinem  achten  Jahre  begann  der  Violinunterricht  bei  Scholz,  und 
die  Fortschritte  in  diesem  Zweige  der  Tonkunst  waren  so  bedeutend,  dass  er 
mit  dem  berühmten  Pianisten  Franz  Ignaz  Lauska  schon  im  J.  1806  schwierige 
Sonaten  vom  Blatt  weg  spielen  konnte.  Im  J.  1808  von  Grosse  im  General- 
bass  und  Ciavierspiel  unterrichtet,  machte  er  in  diesem  Jahre  wiederholte  Com- 
positionsversuche,  setzte  im  folgenden  Jahre  die  contrapunktischen  Studien  fort 
und  erhielt  gegen  Ende  jenes  Jahres  den  Hofkapellmeister  Morlacchi  zum 
Lehrer  in  der  Composition. 

Die  Neigung  H.'s  zur  Tonkunst  trat  in  seinem  19.  Jahre  so  entschieden 
hervor,  dass  der  Vater  dem  Willen  des  Sohnes,  Musiker  zu  werden,  kein  Hin- 
derniss  in  den  Weg  legte,  trotzdem  er  denselben  durch  die  sorgfältigste  Er- 
ziehung in  der  Mathematik,  im  Zeichnen  und  in  den  classischen  Wissenschaften 
zum  Baufache  hatte  vorbereiten  lassen.  Behufs  höherer  musikalischer  Aus- 
bildung ging  der  Jüngling  1811  nach  Gotha  zu  dem  in  dieser  Stadt  damals 
als  Concertmeister  fungirenden  Louis  Spohr,  machte  unter  dessen  Leitung 
eifrige  Studien  im  Violiuspiel  und  in  der  praktischen  Composition,  erzielte 
durch  dieselben  die  besten  Resultate,  von  denen  besonders  ein  Violinconcert, 
eine  Ouvertüre,  mehrere  Messensätze  und  Lieder  hervorzuheben  sind,  und  schloss 
sich  als  jüngerer  Freund  diesem  seinem  Lehrer  aufs  Innigste  an.  Im  J,  1812 
kehrte  er  nach  Dresden  zurück,  erhielt  daselbst  in  der  Hofkapelle  eine  Stelle 
als  Violinspieler,  nahm  jedoch  bald  wieder  seinen  Abschied,  machte  Kunstreisen 
nach  Wien  und  Prag,  wurde  1815  Musiklehrer  im  Hause  des  Fürsten  Repuin 
in  der  Absicht,  mit  dessen  Familie  später  nach  Italien  zu  gehen,  und  nahm 
dann,  als  sich  durch  die  Ernennung  dieses  Fürsten  zum  Gouverneur  von  Klein- 
russland das  italienische  Reiseprojekt  zerschlagen  hatte,  vom  J.  1815  ab  seinen 
Aufenthalt  zuerst  in  Petersburg,  dann  in  Moskau  und  zuletzt  in  Pultava,  wo 
er  bis  zum  J.   1820  als  Lehrer  der  hohen  Familie  thätig  war. 

In  letzterer  Stadt,  wo  er  wenig  äussere  Anregung  zur  Tonkunst  fand,  pflegte 
er  wieder  die  mathematischen  und  naturwissenschaftlichen  Studien,  leistete  sogar 
als  Architekt  und  Feldmesser  häufig  den  wirksamsten  Beistand  und  legte  durch 
seine  Vertiefung  in  die  Akustik  und  Theorie  der  Musik  den  Grund  zu  seiner 
späteren  Bedeutung  als  musikwissenschaftlicher  Denker.  In  der  Composition 
war  er  ebenfalls,  hauptsächlich  in  den  letzten  Jahren  seines  russischen  Aufent- 
halts, thätig.  Eine  ganze  Reihe  seiner  Arbeiten ,  von  denen  später  viele  im 
Druck  erschienen  sind,  datiren  aus  dieser  Zeit;  es  sind  darunter  viele  deutsche 
und  italienische  Gesänge,  die  Violinduetten  op.  2,  auch  eine  grosse  tragische 
Oper  »Mathilde«.  Im  J.  1820  kehrte  der  Künstler  nach  Dresden  zurück  und 
lebte  hier  zwei  Jahre  als  Privatmann.  Portwährend  im  freundschaftlichen  Brief- 
wechsel mit  Spohr  in  Kassel  stehend,  gestalteten  sich  endlich  die  Verhältnisse 
der  Art,  dass  H.  1822  nach  Kassel  als  Violinspieler  in  die  HofkaiJelle  berufen 
wurde,  wo  ihm  Spohr  auch  Schüler  zuwies,  welche  sich  in  der  Theorie  und 
Composition  ausbilden  wollten,  z.  B.  Ferd.  David,  Curschmann,  Norbert  Burg- 
müller, Grenzebach,  Kiel  etc.,  und  Spohr  bekennt  in  seiner  Biographie,  dass 
H.  vorzügliches  Geschick  dazu  entwickelt  habe.  Seine  Compositionsthätigkeit 
entfaltete  sich   hier  in   huliem   Grade;  Motetten,  Messen,  Cantaten ,  Lieder  con- 


lüO  Hauptmann 

cipirte  hier  der  Meister  und  erlebte  mehrere  mit  Erfolg  gekrönte  Aufführungen 
seiner  Oper  »Mathilde«;  auch  beschäftigte  er  sich  eingehend  mit  musikwissen- 
schaftlichen Arbeiten  und  unternahm,  theils  zur  Bereicherung  seiner  Kenntnisse, 
theils  zur  Erholung  Reisen  nach   Italien  und  Frankreich. 

Seit  dem  27.  Novbr.  1841  mit  der  Tochter  des  Akademiedirektors  Hummel 
in  Kassel  vermählt,  machte  er  mit  seiner  Gattin  Susette,  deren  künstlerische 
Ausbildung  als  Malerin  und  Sängerin  das  poetische  Gremüth  des  Meisters  so 
oft  zum  Schaffen  begeisterte,  im  Sommer  1842  eine  Reise  nach  Paris,  von 
welcher  er  bald  zurückkehrte  und  dann  der  an  ihn  ergangeneu  Berufung  zum 
Cantor  und  Musikdirektor  an  der  Thomasschule  zu  Leipzig  Folge  leistete. 
Nach  einem  für  Spohr  besonders  schmerzlichen  Abschied  trat  er  am  12.  Septbr. 
1842  das  Cantorat  an,  wurde  zugleich  Lehrer  am  Consei'vatorium  der  Musik, 
erhob  sich  durch  seine  wissenschaftliche  und  künstlerische  Thätigkeit  zu  dem 
grössten  Theoretiker  des  19.  Jahrhunderts  empor  und  erwarb  sich  als  einer 
der  edelsten  Menschen  die  höchste  Liebe  und  Achtung  der  ihm  Näherstehenden. 
Vom  bayerischen,  hannoverschen  und  sächsischen  Hofe  durch  Ritterorden  aus- 
gezeichnet, von  der  Universität  Göttingen  zum  Ehrendoctor  promovirt,  von  der 
philosophischen  Facultät  der  Universität  in  Leipzig  bei  mehreren  Gelegenheiten 
als  Examinator  zugezogen,  und  von  verschiedenen  bedeutenden  Gesellschaften 
zum  Ehrenmitgliede  ernannt,  beschloss  der  Meister  sein  edles,  reiches  Leben 
am  3.  Jan.  1868  und  ward  am  6.  Jan.,  nachdem  Pastor  Valentiner  und  Pro- 
fessor Eckstein  dem  verehrten  Todten  in  der  Thomasschule  herrliche  Worte 
der  Liebe  und  des  Dankes  gewidmet  hatten,  mit  den  höchsten  Ehrenbezeugungen, 
welche  an  den  Tod  Mendelssohn's,  des  ihm  lange  vorangegangenen  Freundes, 
erinnerten,  zur  Erde  bestattet.  Seine  treue  Gattin,  die  mit  ihrem  tiefen  Geiste 
und  Herzen  die  verwandte  Seele  des  edeln  Mannes  so  ganz  verstand,  und  seine 
drei  trefflichen  Kinder  beweinten  den  unersetzlichen  Verlust;  aber  nicht  allein 
seine  Familie,  sondern  ganz  Leipzig  trauerte  um  den  Dahingeschiedenen,  welcher 
den  durch  die  bedeutenden  Cantoren  Calvisius,  Bach,  A.  Hiller  etc.  geschaf- 
fenen Ruhm  der  ehrwürdigen  Thomasschule  zu  erhalten  und  noch  höher  zu 
führen  wusste. 

Dass  »die  Melodie  des  polyphonen  Satzes  eine  gebundene,  nicht  auf  einer 
basirenden  Harmonie  allein  ruhende,  sondern  durch  andere  Melodien,  die  gleich- 
berechtigt sich  mit  ihr  bewegen  sollen,  mitbestimmte«  ist,  wurde  in  der  neueren 
Zeit  von  keinem  mehr  zur  Geltung  gebracht,  als  von  Moritz  H.  Durch  das 
Studium  der  Italiener,  S.  Bach's,  Händel's  und  anderer  Tonschöpfer,  sowie 
durch  fortwährendes  Denken  zum  vollendetsten  technischen  Ausdruck  befähigt, 
konnte  er  die  Gefühle  seines  Innern  in  klarster  Gestaltung  äusserlich  fassen 
und  fixiren,  so  dass  die  Nachwelt  an  seinen  "Werken  einen  Schatz  reiner  Freude, 
tiefer  Erbauung  und  reicher  Belehrung  ererbt  hat.  In  seinen  zwei-,  drei-  und 
vierstimmigen  Gesängen  spiegelt  sich  seine  ganze  reine  Seele  wieder,  und  wie  hinter 
ihm  im  wesenlosen  Scheine  jeder  gewöhnliche  Gedanke  lag,  so  finden  wir  auch  in 
seinen  Compositionen  stets  den  reinsten  Satz,  die  wahrste  Empfindung.  Auf 
der  Höhe  der  Kunst  stehend,  strebte  er  stets  darnach,  nicht  für  den  Künstler 
und  Kunstkenner  allein,  sondern  für  die  Menschen  zu  schreiben,  daher  auch 
sein  eigener  Ausspruch  im  Allgemeinen  sein  ganzes  Schaffen  charakterisirt: 
»Das  Höchste  der  Kunst  ist  überall  nicht  für  den  Künstler  und  Kunstkenner 
ausschliesslich  da,  sondern  für  den  Menschen.«  Man  betrachte  nur  sein  op.  46, 
in  dem  er  so  fröhlich  und  glücklich  die  Natur  besingt,  wo  er  bei  aller  contra- 
punktischen  Kunst  die  schönste  Einfachheit  bewahrte  und  den  zweistimmigen 
Satz  in  einer  "Weise  verwendet,  die  jedem  Kenner  Bewunderung  abnöthigen 
muss.  Fast  noch  höher  stehen  die  zwölf  dreistimmigen  Canons,  op.  50,  in 
denen  der  Meister  zeigte,  wie  auch  in  der  strengen  Form  die  volle  Entwicke- 
lung  des  melodischen  Elements  möglich  ist.  Unter  der  Menge  vierstimmiger 
Gesänge  heben  wir  nur  op.  32  hervor,  nicht,  als  ob  die  anderen  "Werke  diesem 
nachständen,    da  H.  jeden   Stoff,    welchen  er  componirte,   mit  Meisterschaft  be- 


Hauptmanual  —  Hauptner.  101 

wältigte,  sondern  hauptsächlich  aus  dem  Grunde,  weil  die  in  diesem  Hefte  ent- 
haltenen Lieder  am  populärsten  geworden  sind. 

"Wenn  der  musikalisch  Empfängliche  Erbauung  sucht,  so  mache  er  sich 
mit  den  kirchlichen  Tonstücken  H.'s  bekannt,  von  denen  die  beiden  Messen, 
die  eine  a  capella,  die  andere  mit  Instrumentalbegleitung  componirt,  als  die 
umfangreichsten  Werke  dieser  B-ichtuug  in  seinem  Schaffen  bezeichnet  werden 
müssen.  Eine  höhere  Vollendung  des  Tonsatzes  hat  kein  Componist  des  19. 
Jahrhunderts  offenbart,  als  wie  man  ihn  in  diesen  Meisterwerken  angewendet 
findet,  gleichwie  auch  Niemand  leugnen  dürfte,  dass  H.  in  seinen  theoretischen 
Schriften  einen  Schatz  der  Belehrung  niederlegte,  um  den  ihn  alle  Musik- 
gelehrten  beneiden  können.  Die  tiefe,  umfassende  Kritik  über  Werke  von 
Seb.  Bach  und  Klengel,  die  aus  Bach's  Kunst  der  Fuge  gewonnenen  klaren 
Dispositionen,  die  akustisch  und  theoretisch  gleich  werthvollen  Abhandlungen 
in  Chrysander's  »Jahrbüchern  für  musikalische  Wissenschaft«,  die  Regeln  zur 
Beantwortung  des  Fugenthemas  in  den  Wiener  Recensionen,  endlich  die  wahrhaft 
grossartigen  Entwickelungen  in  seinem  umfangreichsten  Werke:  »Die  Natur 
der  Harmonik  und  der  Metrik«  (Leipzig,  1853)  zeigen  einen  Geist,  auf  den 
die  ganze  Welt  der  Töne  stolz  sein  muss.  Indem  er  hier  die  Erfahrungen 
eines  ganzen  Künstlerlebens  in  Erwägung  zog,  vermochte  er  den  von  ihm  er- 
gründeten Gesetzen  des  Tonsystems  in  seiner  harmonischen  und  metrischen 
Gestaltung  einen  philosophischen  Ausdruck  zu  geben ,  dessen  Logik  für  alle 
Zeiten  als  Muster  für  theoretische  Analysen  gelten  wird.  Von  dem  Elemen- 
tarsatze ausgehend:  »Jede  verständige  Formation  beruht  von  Hause  aus  auf 
einem  gegebeneu  Gegensatze;  dieser  ist  das  Element  derselben.  In  der  Sprache 
ist  es  die  Silbe,  die  aus  Vocal  und  Consonant  zusammengesetzt  ist,  in  der 
Musik  das  Intervall  aus  dem  einen  und  anderen  Tone ,  in  der  Architektonik 
ist  es  die  Verticale  und  Horizontale«,  hiervon  ausgehend  und  diesen  Elemen- 
tarsatz gewissermaassen  in  höhere  Potenzen  erhebend,  war  es  ihm  möglich,  das 
ffanze  Gebäude  seiner  Harmonik  und  Metrik  zu  errichten  und  dabei  stets  mit 
klarem  Bewusstsein  die  Vermittlung  der  Gegensätze  durchzuführen.  Wie  er 
im  Leben  bald  den  tiefen  Ernst  für  die  heilige  Sache  offenbarte,  bald  den 
feinen  Humor  in  gesellig  heiterer  Umgebung  hervorsprudeln  Hess,  und  so 
häufig  im  Process  des  künstlerischen  Schaffens  diese  Gegensätze  seiner  edeln 
Natur  zu  vermitteln  wusste,  so  gelang  es  ihm  auch,  historisch  und  ästhetisch, 
theoretisch  und  praktisch  die  ganze  Summe  des  accordlichen  und  rhythmischen 
Gegensatzes  zu  entwickeln  und  die  Geschichte  der  Theorie  in  glänzendster 
Weise  zu  begrenzen.  0.  P. 

Hanptmannal,  s.  Hauptciavier. 

Hauptmelodie,  s.  Hauptstimme  und  Melodie,  ist  derjenige  Gesang, 
welcher  in  einem  homophon  mehrstimmigen  Satze  von  der  einen  oder  von  allen 
Hauptstimmen  nacheinander  voi'getfagen  wird.  —  Mitunter  fasst  man  diesen 
Begriff  auch  gleichbedeutend  mit  Hauptstimme  selbst. 

Hauptmotiv  ist  dasjenige  Motiv  (s.  d.),  welches  innerhalb  eines  Tonsatzes 
in  der  Hegel  zuerst  auftritt  und  im  Verlaufe  des  ganzen  Stückes  am  häufigsten 
wiederholt  wird.  So  ist  das  Beispiel  bei  a  das  H.  des  ersten  Satzes  von  Beet- 
hoven'ß  (7-7woZZ-Symphonie  (s.  auch   Thematische  Arbeit). 

a. 


0.  T. 

Hauptuer,  Thuiskon,  deutscher  Gesanglehrer  und  gefälliger  Vocalcom- 
ponist,  geboren  um  1825  zu  Berlin,  war  zu  seiner  höheren  musikalischen  Aus- 
bildung Schüler  der  königl.  Akademie  der  Künste  und  wurde  1847  durch  eine 
Prämie  ausgezeichnet.  Von  1850  an  fungirte  er  als  Orchesterdirigent,  zunächst 
des  Vorstädtischen  Theaters,    welches  er  1852  mit  dem  Königsstädter  Theater 


102  Hauptnoten  —  Hauptschluss. 

vertauschte.  In  dieHer  Zeit  schwang  er  sich  zu  einem  der  beliebtesten  Local- 
coraponisten  des  Tages  empor,  indem  er  für  die  genannten  Bühnen,  sowie  für 
das  Friedrich- Wilhelmstädtische  Theater  in  Berlin  viele  Gesangpossen,  Lieder- 
spiele u.  dergl.  componirte,  welche  zum  Theil  das  Eintagsleben  überdauerten. 
Im  J.  1854  begab  sich  H.  nach  Paris,  wo  er  vier  Jahre  lang  im  Conserva- 
torium,  sowie  in  der  Duprez'schen  Gesangsschule  die  besten  Methoden  der 
Stimmbildung  studirte.  Nach  Berlin  1858  zurückgekehrt,  war  er  als  Gesang- 
lehrer, sowie  journalistisch  als  Referent  für  die  »Neue  Berliner  Musikzeitung« 
thätig  und  veröffentlichte  die  Frucht  seines  Studienaufenthaltes  in  Paris,  eine 
grosse  deutsche  Gesangsschule  (Berlin,  1861).  Im  J.  1863  wurde  er  als  Go- 
sanglehrer  an  die  Musikschule  nach  Basel  berufen,  in  welcher  Stellung  er  bis 
1869  verblieb.  Hierauf  nahm  er  seinen  Aufenthalt  in  Potsdam  und  wirkt  da- 
selbst, ohne  in  die  öffentlichen  Musikzuständc  mit  einzugreifen,  durch  Ertheilung 
von  Privat-Gesangunterricht. 

Haiiptnoten  ist  in  mehrfachem  Sinne  gebräuchlich.  1.  Zunächst  bezeichnet 
man  damit  diejenigen  Töne,  welche  zur  harmonischen  Grundlage  (s.  d.) 
eines  Tonstückes  gehören,  also  wirkliche  Accordtöne  sind;  ihnen  gegenüber 
stehen  dann  die  Nebennoten  (s.  d.),  welche  durch  Anwendung  von  zufälligen 
Dissonanzen  (s.  d.)  entstehen.  —  2.  In  einem  wesentlich  anderen  Sinne 
spricht  man  von  H.  in  Rücksicht  auf  die  rhythmische  Stellung  der  Töne;  in  dieser 
Beziehung  versteht  man  darunter  alle  diejenigen  Töne,  welche  den  gramma- 
tischen Accent  (s.  d.)  bekommen,  ganz  abgesehen  davon,  ob  sie  zu  der  zu 
Grunde  liegenden  Harmonie  gehören  oder  nicht  (s.  auch  Anschlagende 
Noten).  — •  Unter  H.  versteht  man  3.  bei  den  Verzierungen  (s.  d.)  die- 
jenigen Noten,  über  welchen  das  Zeichen  einer  besonderen  Spielmanier  (Doppel- 
schlag, Triller  u.  s.  w.)  steht.  Die  H.  bezeichnen  also  immer  denjenigen  Ton, 
welcher  durch  Zuziehung  seiner  Hülfstöne  oder  Nebentöne  verziert  wird.  Bei 
den  folgenden  Verzierungen  bei  a  ist  also  das  c"  die  Hauptnote,  d"  und  lif 
dagegen  sind  die  Hülfsnoten.  Einzelne  Theoretiker  nennen  endlich  4.  aucli 
wohl  den  Gruiidton  der  Tonart  (die  Tonika)  so,  und  gebrauchen  demnach 
Hauptnote  gleichbedeutend  mit  Hauptton   (s.   d.). 


Hauptpartie  ist  der  wichtigste  Theil  oder  die  wichtigste  Stimme  in  einem 
grösseren   Tonsatze.  0.  T. 

Hauptprincipal  nennt  man  die  2,5  metrige  Principalstimme  eines  Manuals, 
selbst  wenn  neben  derselben  noch  eine  5  metrige  in  demselben  vorhanden  ist. 
Grund  hierfür  ist  wahrscheinlich  die  Menschen  stimme,  deren  Töne  das  Manual 
wiederzugeben  zur  Aufgabe  hat,  und  deshalb  wird  wohl  auch  das  Principal, 
welches  dies  vermag,  als  H.  dieses  Theils  des  Tonreichs  der  Orgel  angesehen. 
Die  Bezeichnung  der  5  metrigen  Principalstimme  im  Pedal  als  H.  daselbst 
hat  ebenfalls  hierin  seine  Begründung,  da  man  die  Töne,  welche  das  Pedal 
geben  soll,  als  eine  Octave  unter  denen  der  Menschenstimme  stehend,  normal 
erachtet  und  somit  alle  5  metrigen  Klänge  als  Grundklänge  des  Pedals 
anschaut.  2. 

Hauptprobe,  s,  Generalprobe  und  Probe. 

Hauptreg-ister,  s.  Grundstimmen. 

Hauptsäuger  (ital.:  Primo  2(07no)  und  Hauji tsängerin  (ital.:  Primadonna) 
nennt  man  diejenigen  Gesangskünstler,  welche  Heldenrollen  oder  Haupt- 
parthien  in  grösseren  Vocalwerken  (Oper,  Oratorium,  Cantate  u,  s.  w.)  aus- 
zuführen haben. 

Haui>tsatz,  s.  Thema. 

Hauptschluss,  s.  Finalcadenz. 


Hauptseptime  ~  Hauptsperrventile.  103 

Hauptseptime  ist  die  Septime  des  Hauptseptimenaccordes.  Einzelne  Theo- 
retiker nennen  aber  auch  jede  andere  kleine   Septime  H. 

Hauptseptimeuaccord,  Hauptsej)timenharmonie  oder  Dominantsep- 
timenaccord  ist  der  Septimenaccord  (s.d.),  welcher  auf  der  fünften  Stufe 
(Dominante)  jeder  Dur-  und  jeder  J/bZZtonart  steht;  in  G-dur  und  C-moll  also 
der  Accord  g—h-d'—f.  0.   T. 

Hauptsperrventile  nennt  man  in  der  Fachsprache  der  Orgelbaukunst  be- 
lederte Holzklötzchen,  welchen  für  gewöhnlich  die  Cancellenaufschnitte  luftdicht 
zu  decken  obliegt;  ihre  eigentliche  Aufgabe  jedoch  ist,  beim  Orgelspiele  nach 
dem  Ermessen  des  Spielers  dem  Winde  den  Zugang  zu  den  Pfeifen  zu  eröffnen 
und  dadurch  deren  Erklingen  zu  bewirken.  Ausser  dieser  Benennung  führt 
man  noch  viele  andere  für  diese  Orgeltheile,  wie  Springventile,  weil  diese 
Ventile  vermittelst  der  unter  ihnen  befindlichen  Federn  stets  in  die  Ruhelage 
zurückspringen;  Spielventile,  da  sie  eben  beim  Sf)ielen  der  Orgel  beson- 
ders hervorzuhebenden  Autheil  nehmen;  Windladen-  oder  Windkasten- 
ventile, von  älteren  Autoren  auch  Laden-  oder  Windladenklappen  ge- 
nannt, wodurch  man  hauptsächlich  den  Ort,  wo  diese  Ventile  in  der  Orgel 
gebaut  werden,  bezeichnen  wollte,  oder  auch  schlechtweg  nur  Klappen  oder 
Windklappen.  In  lateinischen  Fachwerken  findet  man  für  die  H,  die  Be- 
nennung: Paraglossae.  Die  Zahl  der  H.  in  einem  Werke  ist  so  gross  als 
die  Zahl  der  Claviaturtasten  desselben.  Ihrer  Struktur  nach  sind  die  Kern- 
stücke der  H.  längliche,  viereckige,  hölzerne  Klötzchen,  deren  Länge  und  Breite 
nach  diesen  Ausdehnungen  der  durch  sie  zu  deckenden  Cancellenöffnungen  be- 
stimmt wird.  Gefertigt  werden  diese  Klötzchen  aus  trockenem,  so  weiss  als 
möglich  scheinendem,  geradfaserigem  Eichen-  oder  Weissbuchenholz,  da  fettes, 
sehr  hartes  und  braunes  sich  leichter  zu  werfen  pflegt.  Alle  Klötzchen  er- 
halten einerlei  Grestalt  nach  einer  hölzernen  Patrone  und  werden  bis  etwa  zur 
Hälfte  ihrer  Dicke  der  Quere  nach  mit  einer  feinen  Säge  zwei  oder  drei  Mal 
eingeschnitten ,  um  dadurch  deren  Werfen  beim  Eintrocknen  zu  verhindern. 
Noch  ist  über  die  Gestaltung  der  Klötzchen  zu  bemerken ,  dass  man  sie  von 
beiden  Seiten  der  Länge  nach  abhobelt,  d.  h.  an  der  der  Cancellenöffnung  ab- 
gewandten Seite,  und  zwar  so  viel,  dass  ihr  Rücken  in  der  Mitte  nur  die  Dicke 
von  höchstens  4  Mm.  zeigt,  damit  sie  vermöge  dieser  Zuspitzung  den  auf  sie 
drückenden  Wind  leichter  zu  durchschneiden  vermögen.  Noch  wäre  über  die 
je  nach  Erfordei'uiss  verschiedenen  Ausdehnungen  dieser  Klötzchen  zu  berichten, 
indem  nämlich  von  deren  verhältnissentsprechender  Grösse  und  Bauart  sehr 
viel  abhängt.  Diese  Ausdehnungen  sind  jedoch  nicht  fest  anzugeben,  weil  die- 
selben von  den  in  dieser  Beziehung  gemachten  Erfahrungen  der  Orgelbauer 
abhängig  sind.  Um  jedoch  annähernd  hierin  etwas  zu  bieten,  seien  hier  die 
nach  einer  Orgel  genommenen  Maasse  mitgetheilt,  deren  Pfeifen  prompt  und 
kräftig  ansprachen,  und  deren  Spielart  hinsichtlich  ihrer  Flachheit  und  Leich- 
tigkeit zu  den  vorzüglichsten  gehört.  Zugleich  fügen  wir  der  tabellarischen 
Aufzeichnung  der  Ausdehnungen  der  H.  den  weitesten  Abstand  derselben  bei 
deren   Oefifnung  bei. 

Die  Ausdehnungen  der  H.  waren  Die  OefFnung 

in  d.  Länge  beim  C:  43  Cm.,  in  d.  Breite  58,8  Cm.  u.  in  d.  Dicke  24     Mm.      15     Mm. 

-     c:    33  Cm.,   -    -        -      43     Cm.  -   -    -        -      21,8  Mm.      10,9  Mm. 

-  -         -  -     c*:27Cm.,  -    -        -      39     Cm.  -   -    -        -      19,6  Mm.        9,8  Mm. 

-  -         -  -     c^25Cm.,  -    -        -      31,4  Cm.   -   -    -        -      17,4  Mm.        8,7  Mm. 

-  -         -  ■      c^24Cm.,  -    -        -       27,4  Cm.  -   -    -        -      15     Mm.        7,5  Mm. 

Ist  nun  die  Fertigung  dieser  Klötzchen  auch  noch  so  genau,  so  wird 
dennoch  ein  winddichter  Verschluss  der  Cancellenöffnungen  durch  sie  schwer 
zu  ermöglichen  sein,  obgleich  sie  nach  jeder  Seite  um  2  Mm.  die  Cancellen- 
öfi'nungen  überragen,  weshalb  man  dieselben  an  der  der  Cancellenöffnung  zu- 
gewandten Seite  beledert.  Als  hierzu  am  tauglichsten  hat  sich  wollreiches 
weissgares    Scbafleder    ergeben.     Vor    etwa    zweihundert  Jahren ,    so    bericlitet 


104  Hauptsperrventile. 

Adlung  in  seiner  y>Mus.  mecli.v.  S.  32,  wurde  hierzu  Tuch  angewandt.  Im 
Anfange  des  19.  Jahrhunderts  erst  nahm  man  weissgares  Schafleder,  später, 
in  den  1830er  Jahren,  auch  häufig  rohgares.  In  neuester  Zeit  jedoch  findet 
man  nur  das  weissgare  in  Anwendung  und  muss  sich  somit  dies  im  Laufe  der 
Zeit  als  das  am  meisten  hierzu  geeignete  Material  herausgestellt  haben.  Man 
wählt  zu  diesem  Zwecke  Felle  aus,  die  überall  in  gleicher  Entfernung  vom 
Rücken  gleiche  Dicke  des  Leders  zeigen  und  sich  nicht  in  zwei  Schichten  auf- 
lockern. Die  lange  Lederwolle  wird  sorgfältig  mit  dem  Sand-  oder  Glashobel 
kurz  abgeschabt,  um  sicher  zu  sein,  dass  keine  freien  Fasern  sich  in  der  "Wolle 
befinden,  die  sonst  leicht,  ein  Spielwerk  des  Windes,  Störungen  bei  der  Ton- 
zeugung verursachen  könnten,  und  die  glatte  Seite  beschabt  man  zweckent- 
sprechend, damit  beim  Aufleimen  des  Leders  sich  die  Endstellen  nicht  leicht 
lösen.  Die  genauere  Ausführung  der  Belederung  findet  man  in  J.  S.  Hallen's 
»Kunst  des  Orgelbaues«  S.  66  ff.,  worauf  an  dieser  Stelle  verwiesen  sei.  Im 
Allgemeinen  ist  hierüber  nur  hei-vorzuheben ,  dass  die  H.  stets  an  ihrem 
Kopf,  Kopfende,  Klapjienkopf  oder  H.kopf  genannten  Theile,  d.  i.  der, 
wo  das  Ventil  beim  Gebrauche  sich  öffnet,  das  dünnere  dem  Rücken  abge- 
wandte Felltheil,  das  Schwanzende,  der  entgegengesetzte  Theil  des  H.'s,  hin- 
gegen das  dickere,  dem  Rücken  nähere  Leder  zeigt.  Das  Schwanzende  macht 
sich  nach  der  Belederung  des  H.'s  auch  noch  dadurch  kenntlich,  dass  an  dem- 
selben das  Leder  über  das  Holz  hinaus  eine  2,6  Cm.  lange  Fortsetzung  hat. 
Die  Lederfortsetzung,  schlechtweg  Schanz  genannt,  leimt  man  bei  der  Ein- 
setzung der  H.  an  den  Windladenboden,  dass  er  eine  Art  Garnier  bildet,  das 
dem  Ventil  eine  freie  auf-  und  abwärtsgehende  Bewegung  gestattet.  Statt 
dieses  Ledergarniers  erfand  der  Orgelbauer  Volkland  in  Erfurt  um  die  Mitte 
des  18.  Jahrhunderts  eine  andere  Einrichtung  hierfür,  nämlich:  er  Hess  den 
Schwanz  der  H.  ganz  weg.  Dafür  kantete  er  die  Seite  des  Schwanzendes  von 
oben  nach  unten  scharf  ab  und  lehnte  diese  Kante  an  eine  schmale  Leiste, 
wo  dann  das  Ventil  seinem  Schwänze  zu  vermöije  eines  Einschnittes  auf  einem 
starken  Draht  von  Messing  läuft.  Diese  Einrichtung  ist  deswegen  zu  em- 
pfehlen, weil  diese  Ventile  leicht  herausgenommen  und  wieder  eingesetzt 
werden  können. 

Alle  H.  würden  nun,  nur  an  diesem  Schwanzende  in  beschriebener  Art 
eingeleimt  oder  anders  construirt,  hängend  sich  in  der  Windlade  befinden,  wenn 
nicht  unter  den  Ventilen  angebrachte  Federn,  Spielventilfedern  genannt, 
dieselben  fest  gegen  die  Cancellenöffnung  pressten.  Die  Sperrventilfeder  ist 
ein  ungeglühter  Messingdraht,  der,  in  zwei  gleiche  Theile  getheilt,  in  der 
Mitte  auf  einer  dazu  erfundenen  Maschine,  Federbrett,  in  Ringe  gewunden 
ist.  Der  eine  Schenkel  dieser  Feder  steckt  fest  im  Kopfe  des  H.'s,  ungefähr 
2,6  Cm.  vom  Ende;  der  andere  in  dem  Windladenboden.  Das  Gewinde  ist 
dem  Schwanzende  zugewandt.  Damit  nun  im  Gebrauch  die  Feder  nicht  wankt, 
sondern  stets  unter  der  Mitte  des  Ventils  sich  bewegt,  ist  dasselbe  von  vorn 
nach  hinten  tief  eingekerbt.  In  diese  Kerbe  ist,  wie  oben  angegeben,  das 
Ende  der  Feder  fest  in  das  Ventil  eingeschlagen.  Der  andere  Schenkel  wird 
gewöhnlich  durch  den  Einschnitt  der  Leiste  des  Kamms,  der  dem  Windkasten 
entlang  angebracht  ist,  in  seiner  Bewegung  regulirt.  Um  zu  verhindern,  dass 
die  Ventile  selbst  nicht  zur  Seite  abweichen  können,  sind  oberwärts  im  Deckel 
der  Lade  Drahtstifte  eingeschlagen,  die  den  Ventilen  ihre  Bewegungsbahnen 
vorschreiben.  Diese  Stifte  dürfen  jedoch  nicht  zu  kurz  sein,  sonst  kann  es 
sich  leicht  ereignen,  dass  das  Ventil,  wenn  es  niedergezogen  ist,  sich  auf  die- 
selben setzt  und  nicht  wieder  zurückspringen  kann;  ein  immerwährendes  Er- 
klingen des  Tones  würde  die  Folge  sein.  Zuweilen  fehlen  diese  Leitestifte, 
auch  wohl  Ventilleiter,  Ventildrähte  oder  Klappenleiter  genannt,  und  findet 
man  zu  demselben  Zwecke  an  den  Köpfen  der  H.  längliche  Oesen  angebracht, 
durch  welche  die  Leitestifte  gehen.  Wie  wir  sahen,  werden  die  H.  stete  hori- 
zontal unterhalb  an  den  Windladen deckel  angebracht;    in    früherer  Zeit  jedoch 


Hauptstimme.  105 

hat  man  auch  versucht,  dieselben  perpendiculair  zu  stellen.  Die  hierbei  zu- 
sammengesetztere Mechanik  zum  Aufziehen  derselben  aber,  sowie  die  fast  gar 
nicht  bemerkbaren  Vorzüge  dieser  Herstellung  hat  diese  ganz  ausser  Gebrauch 
gebracht.  Betrachten  wir  nun  noch  den  Zusammenhang  des  H.'s,  dessen  Be- 
schaffenheit wir  in  Vorangehendem  genau  bis  auf  eine  am  E-ücktheile  desselben 
unweit  der  Kerbe  befindlichen  Drahtöse  beschrieben  haben,  mit  der  Tastatur, 
so  ergiebt  sich  derselbe  etwa  folgendermaassen.  In  die  letzterwähnte  Oese,  die 
in  der  Mitte  oder  etwas  näher  dem  Schwanzende,  je  nachdem  die  Oeffnung 
des  H.'s  grösser  oder  kleiner  gewünscht  wird,  angebracht  ist,  fasst  mittelst  einer 
anderen  Oese  ein  Draht,  der  Pulpetendraht,  welcher  durch  den  Boden  der 
"Windlade  geht.  Dieser  steht  mit  dem  Abstrakten  und  dieser  mit  dem  Clavis 
in  Verbindung.  Beim  Niederdrücken  einer  Taste  öffnet  der  durch  sie  bewegte 
Pulpetendraht  die  entsprechende  Cancelle,  indem  er  das  H.  aus  seiner  Ruhlage 
herabzieht.  Lässt  man  die  Taste  los,  so  wirkt  die  Spielventilfeder  wieder  frei 
auf  das  H.  und  drückt  es  fest  auf  die  Cancellenöffnung.  Man  hat  auch  schon 
mehr  als  ein  H.  geglaubt  zu  einer  Pfeife  bauen  zu  müssen.  Schon  in  alten 
Zeiten  waren  Orgelbauer  besorgt,  dass  die  grossen  Pfeifen  nicht  genug  Wind 
durch  ein  H.  erhielten,  um  den  Ton  voll  und  ruhig  zu  geben;  sie  ertheilten 
deshalb  jeder  der  grössten  Orgelpfeifen  zwei  H.  Diese  Einrichtung  aber  musste, 
da  jedenfalls  zwei  Ventile  aufzuziehen  mehr  Kraftaufwand  fordert  als  eins,  eine 
Ungleichheit  in  der  Spielart  ergeben,  weshalb  man,  später  dies  einsehend,  diese 
Einrichtung  auch  wieder  einstellte.  In  neuerer  Zeit  wurde  jedoch  dieser  Ge- 
danke noch  einmal  angeregt  und  sogar  noch  erweitert.  Der  Orgelmeister  Prof. 
J.  G.  Töpfer  zu  Weimar  empfiehlt  in  seiner  Orgelbaukunst  vom  J.  1833  S.  126 
statt  einer  Cancelle  von  grösserer  Ausdehnung  lieber  deren  vier  oder  noch 
mehrere  zu  bauen,  weil  dadurch  die  Spielart  der  Orgel  leichter  werde,  und 
sucht  dies  mathematisch  zu  beweisen.  Schon  Schilling  in  seinem  Tonkünstler- 
lexikon aber  stellt  diesem  mathematischen  Beweise  für  die  Sache  einen  ebenso 
mathematischen  gegen  dieselbe  entgegen,  und  die  Praxis  hat  bis  heute  letzteren 
Beweis  als  den  wirklich  richtigen  anerkannt.  32. 

Hauptstiiuine,  Hauptmelodie  oder  Hauptgesang  wird  bald  in  engerem,  bald 
in  weiterem  Sinne  angewendet.  »Im  weiteren  Sinne  des  Wortes  versteht  man 
darunter  jede  Stimme,  die  durch  das  ganze  Tonstück  hindurch  mit  ihrer  eigenen, 
und  von  den  übrigen  Stimmen  verschiedenen  Melodie  in  die  Harmonie  des 
Ganzen  einstimmt.  So  viel  also  ein  Tonstück  Stimmen  enthält,  deren  jede 
ihre  eigene  und  besondere  Melodie  hat,  ebensoviel  H.n  sind  in  demselben  vor- 
handen. Von  den  H.n  unterscheidet  man  die  Neben-  oder  Füllstimmen,  welche 
entweder  nur  durch  Verdoppelung  der  schon  in  den  H.n  vorhandenen  Töne 
die  Harmonie  ausfüllen,  oder  vermittelst  welcher  diese  oder  jene  H.  im  Ein- 
klänge oder  in  der  Octave  verstärkt  wird«  (H.  Ch.  Koch,  »Musik.  Lexikon«, 
Artikel:  Hauptstimme).  In  diesem  weitesten  Sinne  sollte  man  indessen  die 
"Wörter  »Haupt-  und  Nebenstimme«  nicht  anwenden;  zur  Bezeichnung  des  hier 
gemachten  Unterschiedes  eignen  sich  die  Ausdrücke :  reale  oder  wirkliche  Stimme, 
resp.  Füll  stimme  (s.  d.)  viel  bessei-. 

In  einem  etwas  engeren  Sinne  verwendet  Gottfr.  Weber  den  Ausdruck  H. 
»In  Ansehung  der  grösseren  oder  geringeren  Wichtigkeit  einer  Stimme,  im 
Vergleiche  gegen  andere,  unterscheidet  man  Haupt-  und  Nebenstimmen.  AVenn, 
unter  den  mehreren  Stimmen,  Gesängen  oder  Melodien,  aus  welchen  ein  Satz 
besteht,  eine  oder  mehrere  aus  irgend  einem  Grunde,  sich  vor  den  übrigen  vor- 
züglich auszeichnen,  vor  den  anderen  hervortreten,  und  dadurch  die  Aufmerk- 
samkeit des  Gehörs  vorzüglich  auf  sich  ziehen,  so  legt  man  einer  solchen  den 
Titel  Hauptstimme,  Hauptmelodie,  Hauptgesang,  bei,  und  nennt  in  deren  Gegen- 
satze die  übrigen:  Nebenstimmen,  begleitende,  oder  Begleitungsstimmen.  Oft 
nennt  man  die  Hauptmelodie  oder  den  Hauptgesang  auch  kurzweg:  den  Ge- 
sang, oder:  die  Melodie,  die  Neben-  oder  begleitenden  Stimmen  aber:  die  Be- 
gleitung.«    »Man  kann  im  Allgemeinen  sagen,  dass  die  beiden  äusseren  Stimmen 


106 


Hauptstimrae. 


mehr  und  bestimmter  ins  Grehör  fallen,  als  eine  Mittelstimme;  und  zwar  vor- 
züglich die  Oberstimme.  Die  äusseren  sind  darum  schon  als  solche  immer  ge- 
wissermaassen  als  H.ii  zu  betrachten.«  »Manche  Schriftsteller  pflegen  die  Bass- 
stimme auch  Grrundstimme  zu  nennen;  diese  Benennung  ist  aber  ungeeignet.« 
»Der  ganze  Unterschied  zwischen  Haupt-  und  Nebeustimmen  ist  übi-igens  an 
sich  selber,  wie  man  sieht,  nur  relativ,  und  bald  sehr  merklich,  bald  auch 
wieder  so  gering,  dass  er  beinahe  verschwindet,  und  dass  zuweilen  gleichsam 
alle  Stimmen  in  gleichem,  oder  fast  gleichem  Grade  H.n  sind,  wie  z.  B.  bei  a, 
wo  jede  der  vier  Stimmen  ihren  eigenen,  für  sich  selbst  sprechenden  Gesang 
hat«  (Gottfr.  Weber,  »Versuch«,  I.  S.  154  fi".). 


Z::^^^- 


^F^F=r=f=r*^^^^ 


•_r_^.. 


•    ■ — I-  -y—\—\ — * -! — 


-n-f-^r"- — r-f^=^/ 


:::*: 


lieber  die  Behandlung  der  H.n  dieser  Art  spricht  sich  G.  Weber  wie 
folgt  aus:  »Eben  darum,  weil  die  H.n  vorzüglich  ins  Gehör  fallen,  verdienen 
sie  auch,  dass  man  sie  am  sorgfältigsten  ausbildet,  und  die  Gesetze  der  guten 
Stimmführung  darin  am  gewissenhaftesten ,  und  strenger  beobachtet  als  in  den 
Nebenstimmen,  in  welchen  letzteren,  aus  entgegengesetztem  Grunde,  kleine  Ab- 
weichungen von  der  regelrechten  Reinheit  dem  Gehöre  weniger  aufi'allen,  und 
deshalb  eher  verzeihlich  sind,  als  in  den  H.n,  Ebenfalls  wegen  dieses  bestimm- 
teren Hervortretens  der  H.n  vor  den  minder  bemerkt  werdenden  Nebenstimmen, 
und  wegen  des  Zurücktretens  dieser  Letzteren  hinter  die  Ersteren,  ist  es  denn 
auch  nöthig,  dafür  besorgt  zu  sein,  dass  die  H.n  schon  unter  sich  allein,  und 
auch  abgesehen  von  den  Nebenstimmen,  einen  guten  Satz  bilden,  so  dass  der 
Satz  auch  dann  noch  gut  sein  würde,  wenn  die  Begleitung  etwa  gar  weg 
bliebe.  Ich  will  dies  durch  ein  Beispiel  erläutern.  Wenn  man  in  folgendem 
Satze  (a)  die  beiden  oberen  Stimmen  allein,  und  ohne  die  übrigen,  spielt,  so 
klingt  solcher  zweistimmige  Satz,  wie  jeder  leicht  bemerkt,  sehr  unbefrie- 
digend« (wegen  der  fehlerhaften  Auslassung,  s.  d.).  »Wollte  man  nun  die 
erwähnten  beiden  Tonreihen  allein  von  zwei  vorzüglich  ins  Gehör  fallenden 
Stimmen  vortragen  lassen,  z.  B.  von  zwei  Singstimmeu,  die  unteren  aber  blos 
einem  begleitenden  Instrumente  in  den  Mund  legen ,  so  würde  dies  keineswegs 
befriedigen«  (a.  a.  0.  §§.  9 — 10). 


Endlich  wird  der  Ausdruck  H.  aber  auch  in  einem  noch  engeren  Sinne 
angewendet.  So  erklärt  H.  Ch.  Koch  (»Versuch  einer  Anleitung'  zur  Compo- 
sition«,  II.  S.  4  ff.):  »So  viel  Stimmen  in  einem  Tonstücke  vorhanden  sind, 
eben  so  viel  verschiedene  Melodien  enthält  ein  solches  Tonstück.  Auch  die 
sogenannten  Füllstimmen  sind  hiervon  nicht  ausgeschlossen,  so  lange  sie  nämlich 
mit  anderen  Stimmen  nicht  im  Einklänge  oder  der  Octave  fortgehen.  Ob  nun 
gleich  die  Hauptzüge  dieser  Stimmen    in    der   Seele  des   schaffenden   Tonsetzers 


Hauptstimme. 


107 


zusammen  als  ein  einziges  Bild  entstehen  müssen,  wenn  die  eigentliche  Absicht 
der  Kunst  erreicht  werden  soll,  so  sind  dennoch  diese  Stimmen  nicht  von  einer 
und  eben  derselben  Beschaffenheit,  entstehen  nicht  aus  einer  und  derselben 
Absicht,  Eine  derselben  enthält  oft  gleichsam  den  Umriss  des  Gremäldes,  den 
bestimmten  Inhalt  des  Ideals  des  Tonsetzers,  diese  pflegt  man  die  H.  zu  nennen. 
Eine  andere  dient  ihm  zum  Grunde  des  harmonischen  Grewebes,  womit  dieses 
Bild  ausgemalet  wird,  diese  nennt  man  die  Grundstimme.  Wieder  andere  sind 
dazu  vorhanden,  die  Draperie,  die  Auszierung  und  Vervollkommnung  zu  be- 
wirken, und  diese  werden  mit  den  Namen  der  Mittel-,  Füll-  und  Nebenstimmen 
beiieichnet.«  In  dem  »Musik.  Lexikon«  desselben  Schriftstellers  finden  sich 
bei  dem  bereits  im  Eingange  angezogenen  Artikel  noch  folgende  Erklärungen. 
»Im  engeren  Sinne  des  "Wortes  versteht  man  unter  einer  H.  eine  solche, 
durch  welche  die  Empfindung  besonders  ausgedrückt  wird,  die  bei  einem  Ton- 
stücke zu  Grunde  liegt,  und  welcher  die  übrigen  vorhandenen  Stimmen  blos 
zur  Begleitung  und  Unterstützung  dienen.  In  dieser  Bedeutung  behauptet 
z.  B.  in  einer  Arie  blos  die  Singstimme,  oder  in  einem  Concerte  blos  die  con- 
certirende  Stimme  den  Charakter  der  H.  Bei  solchen  Tonstücken  sind,  so 
lange  der  Vortrag  der  H.  dauert,  alle  übrigen  Stimmen  blos  begleitende 
Stimmen,  das  ist,  sie  sind  nur  deswegen  vorhanden,  um  der  H.  theils  durch 
die  Harmonie,  theils  auch  durch  ihre  metrischen  Bewegungen  mehr  Deutlichkeit 
und  Bestimmtheit  zu  geben.«  —  In  ähnlichem  Sinne  fasst  A.  B.  Marx  den 
Begriff  H.  »In  der  homophonen  Schreibart  sind  zweierlei  Stimmen  zu  unter- 
scheiden: die  H.,  welche  den  wesentlichen  Inhalt  vorzutragen  hat  und  den  An- 
sprüchen an  kuustgemässe  Melodie  entsprechen  soll,  und  die  Nebenstimmen, 
welche  nur  um  der  H.  willen  da  sind,  —  nicht  eignen  selbstständigen  Inhalt 
haben,  sondern   den  der  H.  bestärken   oder  hervorheben   sollen.     Hier 


Andante. 


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sehen  wir  ein  homophones  Sätzchen  vor  uns.  Die  Oberstimme  zeigt  eine  be- 
stimmt geformte  und  in  sofern  befriedigende  Melodie,  —  gleichviel  wie  gering 
ihre  künstlerische  Bedeutung  sein  mag.  Die  vier  anderen  Toureihen  haben 
offenbar  nur  den  Zweck,  die  H.  mit  Harmonie  und  gleichmässig  bewegtem 
Rhythmus  zu  unterstützen;  keine  dieser  Notenreihen  könnte  für  sich  als  Melodie 
gelten,  oder  wohl  gar  der  Oberstimme  den  Rang  als  H.  streitig  machen.  In 
der  Regel  ist  die  Oberstimme  H. ;  sie  ist  wegen  ihrer  Lage  und  der  beweg- 
licheren und  eindringlicheren  Natur  der  höheren  Töne  am  geeignetsten  dazu. 
Allein  es  kann  auch  jede  andere  Stimme,  z.  B.  der  Bass  (ö),  oder  der  Tenor, 
oder  der  Alt  sein.  Oder  es  kann  eine  Stimme  um  die  andere  als  H.  auftreten; 
z.  B.  das  obige  Sätzchen  erst  in  seiner  Weise  aufgeführt  werden,  also  mit  der 
Oberstimme  als  H. ;  dann  könnte  Bass  (wie  unten  bei  a)  oder  Tenor  die  Haupt- 
melodie wiederholen  und  die  Oberstimme  an  der  Begleitung  theilnehmen;  — 
oder  es  könnten  in  ein  und  demselben  Satze  (wie  unten  bei  V)  die  Stimmen 
in  der  Hauptmelodie  sich  ablösen,  es  könnte  erst  der  Tenor,  dann  der 
Discant  u.  s.  f.  H.  sein.«  Die  durch  diesen  Wechsel  hervorgebrachte  Mannig- 
faltigkeit findet  namentlich  in  der  Kammermusik  (s.  d.)  häufige  Verwerthung; 
sie  dient  dazu,  die  homophone  Schreibweise  mehr  zu  beleben,  ja  sie  der  Poly- 
phonie  näher  zu  bringen.  Fasst  man  in  einem  homophon  mehrstimmigen  Satze 
zusammen,  was  die  sich  ablösenden  H.n  nach  einander  vortragen,  so  erhält  man 
die  Hauptmelodie  (s.  d.)  des  Satzes. 


108 


Hauptstimme, 


»Vergleichen  wir  die  letzten  Beispiele  (a  und  h)  mit  dem  vorhei'gehenden, 
so  sehen  wir,  dass  die  Nebenstimmen  auch  mannigfaltigeren  und  anziehenderen 
Inhalt  übernehmen,  dass  jede  von  ihnen  ihren  eigenen  Weg  gehen,  oder  auch 
eine  sich  besonders  hervorthun  kann.  In  den  vorstehenden  Fällen  wird  man 
demungeachtet  nicht  zweifelhaft  sein,  welches  die  H.  ist«  (Marx,  »Allgera. 
Musiki. a  S.  263  fif.).  Es  können  jedoch,  auch  wenn  man  den  Begriff  H.  in 
diesem  engsten  Sinne  fasst,  in  einem  Tonstück  gleichzeitig  mehrere  H.n  auf- 
treten. »In  Tonstücken,  in  welchen  immer  nur  eine  solche  H.  vorhanden  ist, 
kann  der  Tonsetzer  die  vorhandene  Empfindung  immer  nur  so  ausdrücken,  wie 
sie  sich  bei  einem  Menschen  nach  seiner  besonderen  oder  individuellen  Art 
äussert.  Die  Tonkunst  besitzt  aber  auch  das  Vermögen,  die  individuellen  Em- 
pfindungsarten mehrerer  Menschen,  die  sich  zugleich  äussern,  auszudrücken. 
Soll  dieses  geschehen  können,  so  müssen  mehr  Stimmen  vorhanden  sein,  die 
den  Charakter  als  H.n  behaupten,  oder  die  sich  durch  ihre  hervorstechenden 
Darstellungen  der  verschiedenen  Modificationen  der  Empfindung  auszeichnen« 
(Koch,  »Lexikon«).  »Ist  ein  Satz  oder  eine  ganze  Composition  so  beschaffen, 
dass  nicht  eine  Stimme  H.  ist  und  die  anderen  Nebenstimmen,  sondern  dass 
alle  Stimmen  wesentlichen  Inhalt,  gleichmässigen  Antheil  am  Ganzen,  so  viel 
wie  möglich  jede  die  Eigenschaften  kunstgemässer  Melodie  hat,  so  ist  die  eigent- 
liche Mehrstimmigkeit  vorhanden.«     »Das  Sätzchen 


ist  so  abgefasst,  dass  man  keine  Stimme  ohne  die  andere  irgend  als  befrie- 
digend, keine  als  H.  ansehen  kann;  jede  der  beiden  Stimmen  strebt  nach  mög- 
lichster Vollkommenheit  in  melodischer  Beziehung,  jede  unterstützt,  ergänzt  die 
andere  und  wird  von  ihr  unterstützt,  jede  hat  gleich  wesentlichen  Antheil  am 
Ganzen:  Jede  ist  H.«  (Marx,  a.  a.  0.  S.  264).  Man  erkennt,  dass  bei  dieser 
engeren  Fassung  des  Begriffes  H.  der  Unterschied  zwischen  Homophonie 
und  Polyphon ie  (s.  d.)  lediglich  davon  abhängt,  ob  an  jeder  Stelle  eines 
Tonsatzes  sich  immer  nur  eine,  oder  ob  sich  gleichzeitig  mehrere  Stimmen  als 
H.n  geltend  machen.  —  Der  Ausdruck  H.  erleidet  also  bei  verschiedenen 
Theoretikern  verschiedenartige  Anwendung,  und  man  hat  sich  daher  immer  erst 


Hauptstimmgattungen  —  Hauptton.  109 

ZU  überzeugen,    in    welchem  Sinne    er    zu    nehmen    ist.  —  Näheres  findet  sich 
übrigens    noch    unter    Stimme,    Mehrstimmigkeit,    Contrapunkt  u.  s.  f. 

0.  Tiersch. 

Hauptstimiu^attun^eu  oder  auch  Hauptstimmen  der  Composition 
heissen  bei  einzelnen  Theoretikern  die  vier  Klassen  der  Singstimmen  (Bass, 
Tenor,  Alt  und  Sopran).  —  S.  Marpurg,  »Abhandlung  von  der  Fuge«  (Leipzig, 
1806)  I.  S.  1  ff. 

Hauptstück,  Hauptsatz  oder  Haupttheil  bezeichnet  in  einem  mehrtheiligen 
Tonstücke  (Menuett,  Walzer,  Marsch  u.  s.  f.)  den  ersten  Theil,  während  man 
die  übrigen   Theile   (die  Trios)  Nebenstücke  nennt. 

Hanptstufeu,  Grundstufen,  Normalstnfeu  oder  Stammtöne  sind  bei  unserer 
Tonbenennung  diejenigen  Stufen  des  Tonsystems,  von  deren  Namen  die  Namen 
der  übrigen  Stufen  durch  Anhängung  der  Erhöhungs-  und  Erniedrigungssilben 
(is  und  es)  abgeleitet  werden,  also  diejenigen  Töne,  welche  in  der  Notenschrift 
ohne  Grebrauch  von  Versetzungszeichen  dargestellt  werden  können  (c,  d,  e, 
f,  g,  a,  h). 

Haupttacttheil,  s.  Haupttheil. 

Haupttactzeit,  s.  Haupttheil. 

Haupttastatur,  s.  Hauptciavier. 

Haupttheil  wird  von  einigen  Theoretikern  (z.  B.  auch  von  Marx)  bisweilen 
in  dem  Sinne  von  Haupt  stück  (s.  d.)  angewendet.  —  Am  häufigsten  und 
am  richtigsten  gebraucht  man  diesen  Ausdruck  jedoch  bei  der  Unterscheidung 
der  Tacttheile  (s.d.)  nach  dem  Grade  ihrer  Betonung  (s.  Accent),  H.  be- 
zeichnet dann  immer  die  schwerste  Tactzeit,  ist  also  gleichbedeutend  mit  Haupt- 
tacttheil, Haupttactzeit  oder  Hauptzeit.  Den  stärksten  Accent  bekommt  be- 
kanntlich beim  natürlichen  Tactgewicht  (s.  d.)  stets  jede  erste  Note  nach 
dem  Tactstriche,  und  dieses  gilt  sowohl  in  den  einfachen  wie  in  den  zusammen- 
gesetzten Tactordnungen.  H.  ist  also  immer  der  erste  Tacttheil.  In  den  ein- 
fachen Tactordnungen  stehen  ausser  ihm  in  jedem  Tacte  nur  noch  Nebentheile. 
In  den  zusammengesetzten  Tactordnungen  dagegen  finden  sich  in  jedem  Tacte 
noch  solche  Theile,  die  in  der  einfachen  Tactordnung,  aus  welcher  die  betref- 
fende zusammengesetzte  entstanden  ist,  Haupttheile  waren;  diese  heissen  dann 
gewesene  Haupttheile,  In  der  viertheiligen  Tactordnung  ist  z.  B.  der 
dritte,  in  der  sechstheiligen  der  vierte,  in  der  neuntheiligen  der  vierte  und  der 
siebente  und  in  der  zwölftheiligen  der  vierte,  siebente  und  zehnte  Tacttheil 
ein  gewesener  H. 

Hauptthema,  Hauptsnbject  oder  auch  wohl  Hauptsatz  heisst  das  erste 
Thema  (s.  d.)  einer  mehrfachen  Fuge  (Doppelfuge,  Tripelfuge  u,  s.  f.,  s. 
Kanon  und  Fuge),  während  man  z.  B.  das  zweite  Thema  einer  Doppelfuge 
(das  Contrathema  oder  Contrasubje  et,  s.  d.)  Nebenthema  nennt.  Weiteres 
findet  sich  unter   Thema. 

Hauptton  wird  in  verschiedenem  Sinne  gebraucht.  Bei  einzelnen  Theo- 
retikern (z.  B.  bei  Seim.  Bagge,  »Lehrbuch  der  Tonkunst«,  Leipzig,  1873)  ist 
H.  fälschlicherweise  gleichbedeutend  mit  Haupt  stufe  oder  Stammton  (s.  d.). 
—  Andere  Schriftsteller  (z.  B.  Ed.  Bernsdorf,  »Neues  Universal- Lexikon  der 
Tonkunst«)  fassen  diesen  Begriff  ebenso  unrichtig  auf,  indem  sie  ihn  als  über- 
einstimmend mit  Hauptnote  (s.  d.)  nehmen.  —  Ebenfalls  unzutreffend  ist  die 
Anwendung  des  Wortes  H.  für  Haupttonart  (s.  d.),  wie  sich  dieses  z.  B.  bei 
J.  C.  Lobe  und  A.  B.  Marx  findet.  —  Viel  richtiger  ist  die  Anwendung  dieses 
Ausdruckes  bei  Gottfr.  Weber;  bei  ihm  ist  H.  gleichbedeutend  mit  Grundton 
der  Tonart,  Tonica  (s.  d.),  tonische  Note,  erste  Note,  erste  Stufe,  Prime, 
Finalnote,  Finalsaite,  Principalnote  und  Hauptnote  (Weber,  »Versuch«,  II.  S.  1  ff.). 
Noch  zutreffender  ist  aber  die  Anwendung  bei  H.  Ch.  Koch  (»Musik.  Lexikon«. 
In  seinem  »Versuch  einer  Anleitung«  bezeichnet  Koch  freilich  —  I.  S.  28  — 
ganz  unrichtig  die  Ober-  und  die  Unterdominante  als  H.e).  »H.  ist  derjenige 
Ton,    dessen    harte    oder  weiche  Tonleiter    bei    einem   Tonstücke    zum  Grunde 


110  Haupttonart  —  Haus. 

gelegt  worden  ist.«  »Mit  dem  Worte  Tonica  dagegen  bezeichnet  man  den 
Gruudton  derjenigen  Tonart,  in  welcher  sich  die  Modulation  aufhält.  Der  H. 
eines  Tonstückes,  das  ist,  der  Gruudton  derjenigen  Tonart,  in  welcher  es  gesetzt 
ist,  bleibt  unveränderlich;  wenn  man  daher,  sobald  die  Modulation  in  eine  ver- 
wandte Tonart  übergehet,  von  dem  Grundtone  derselben  sprechen  wollte,  so 
müsste  mau  sagen,  der  Grundton  der  Tonart  der  Quinte,  oder  der  Grundton 
der  Tonart  der  Sexte  u.  s.  w.  Statt  dieser  Weitläufigkeit  sagt  man  lieber  die 
Tonica.  Die  Tonica  ist  demnach  von  dem  H.  eines  Tonstückes  darin  unter- 
schieden, dass  sie  bei  dem  Uebergange  in  eine  andere  Tonart  ihren  Platz  ver- 
ändert, da  hingegen  der  H.  eines  Tonstückes  durch  das  ganze  Toustück  hin- 
durch ebenderselbe  bleibt«   (Koch,  a.  a.   0.). 

Haupttouart.  Tonsätze,  die  für  sich  einheitliche  Ganze  bilden,  beginnen 
und  schliessen  in  der  Regel  in  derselben  Tonart,  und  diese  Tonart  wird  auch 
im  Verlaufe  eines  Stückes  selbst  vorzugsweise  benutzt.  Diese  Tonart,  »auf 
welche  sich  alles,  was  die  Modulation  betrift't,  bezieht,  in  welcher  der  Satz  nicht 
allein  angefangen  und  geschlossen  wird,  sondern  die  sich  auch  immer  von  neuem 
hören  lassen  muss,  nachdem  der  Satz  in  eine  andere  Tonart  (Nebentonart, 
s.  d.)  geleitet  worden  ist«,  heisst  die  H.  des  Tonstückes.  Eingehenderes  findet 
man   unter  Modulation  und  Modulationsordnung.  0.   T. 

Hauptventil,  in  der  Orgel  das  Cancellcnventil   (s.  Orgel). 

Hauptveutilfeder,  Spielventil-,  Klappen-  auch  Schlagfeder,  nennt 
man  eine  Feder,  welche  die  Ruhelage  eines  Hauptsperrventils  (s.  d.)  be- 
wirkt. Diese  Federn  werden  aus  gehärtetem,  starkem  Messingdraht  gefertigt. 
Die  Form  derselben  wird  gebildet  durch  ein  Federauge,  d.  i.  ein  Rundgewinde 
des  Drahtes,  das  in  zwei  Schenkel  von  13  bis  15  Cm.  Länge  ausläuft,  deren 
Enden  etwa  0,7  Cm.  lang,  rechtwinklich  abgebogen  und  scharf  zugespitzt  sind. 
Diese  Enden,  Federfüsse  oder  kurzweg  Füsse  genannt,  werden  zweckent- 
sprechend, wie  in  dem  Artikel  Hauptsperrventile  näher  angegeben  ist,  in  die 
Windlade  und  das  Hauptsperrventil  eingeschlagen.  Die  Federaugen,  gebildet 
durch  den  l*/2  oder  2^/2  rund  gewundenen  Federdraht  (je  nachdem  man  mehr 
Federkraft  oder  mehr  Dauer  der  Feder  zu  erzielen  beabsichtigt),  werden  auf 
dem  Federbrett,  einer  eigens  hierzu  erfundenen  Maschine,  gemacht.  Federn 
von  gleicher  Construktion  finden  in  der  Orgel  noch  unter  den  Pedaltasten 
Verwendung  und  erhalten  dort  gemäss  ihrem  Gebrauch  den  Namen:  Pedal - 
tastenfedern  (s.  d.).  32. 

HauptveutilöH'uuug-  oder  Windklappenöffnung  nennt  man  den  Raum 
zwischen  dem  Hauptsperrventilkopfe  und  der  Windladendecke.  Es  ist  nämlich 
von  Wesentlichkeit,  dass  diese  Oeftuung  so  gross  ist,  dass  sofort  so  viel  Wind 
durch  die  Cancellenöfi'nung  strömen  kann,  als  erforderlich  ist,  die  über  derselben 
stehende  Pfeife  kräftig  und  prompt  ertönen  zu  lassen.  Die  Grösse  der  H. 
genau  festzustellen,  ist  bisher  nicht  möglich  gewesen,  jedoch  sind  in  der  Tabelle 
des  Artikels  Hauptsperrventile  Maasse  dieser  Art  einer  guten  Orgel  ange- 
geben, auf  welche  hier  verwiesen   sei.  32. 

Haui>twellenl)rett  nennt  man  ein  über  oder  unter  einer  Tastatur  befind- 
liches Wellenbrett  (s.d.),  das  mit  dieser  in  unmittelbax'em  festen  Zusammen- 
hange steht,  und  dessen  Wellen  die  Bewegung  der  Tasten  auf  Wellen  anderer 
Bretter,  also   erst  mittelbar  an  die  Bestimmung,  übertragen.  0. 

Hauptwerk  heisst  im  Allgemeinen  jede  grosse  und  schöne  Orgel,  die  man 
als  meisterhaft  gearbeitet  ansieht,  im  engereu  Sinne  jedoch  die  Abtheilung  einer 
grösseren  Orgel,  welche  die  grössten,  meisten  und  stärksten  Stimmen  aufweist. 
Gewöhnlich  wird  diese  Abtheilung  mittelst  nur  einer  Tastatur  behandelt, 
welche  man  dann  dem  entsprechend  Hauptmanual  oder  Hauptciavier 
(s.  d.)  nennt.  0. 

Hauptwiudlade,  s.  Hauptlade. 

Uauptzeit  oder  Haupttactzcit,   s.  Haupttheil,  Accent  und   Tact. 

Haus,  Doris,    vortreffliche  deutsche   Sängerin,  geboren  am    13.   Mai   1807 


Hauschild  —  Hausen.  Hl 

zu  Mainz,  war  die  Tocliter  eines  wohlhabenden  Rheinbrückenmeisters,  der  seine 
Kinder  trefflich  erziehen  Hess.  Im  Ciavierspiel  und  Gesang  erhielt  Doris  von 
ihrem  neunten  Jahre  an  bei  dem  damals  geschätzten  Kapellsänger  Heidelofi 
Unterricht,  den  sie  später  als  Schülerin  einer  Erziehungsanstalt  zu  Köln  bei 
einem  Herrn  von  Zenz  fortsetzte.  Erst  der  rasch  hinter  einander  erfolgende 
Tod  ihrer  Eltern  aber  realisirte  ihren  Wunsch,  sich  ganz  der  Kunst  widmen 
zu  dürfen,  in  der  ihr  Vormund,  ein  Verwandter  in  Castel  bei  Mainz,  sie  nun 
völlig  ausbilden  Hess.  Sie  debütirte  1825  zu  Mainz  mit  bestem  Erfolge  und 
wurde  noch  in  demselben  Jahre  in  Frankfurt  a.  M.  engagirt,  wo  sie  bald  der 
Liebling  des  Publikums  war.  Auf  einer  Gastspielreise  1829  nach  Karlsruhe 
und  Stuttgart,  wurde  sie  in  letzterer  Stadt  für  das  Hoftheater  gewonnen,  dem 
sie  als  fleissiges  und  beliebtes  Mitglied,  nachmals  auch  zur  königlichen  Kammer- 
sängerin erhoben,  bis  zu  ihrer  Pensionirung  angehörte.  Im  J.  1834  besuchte 
sie  als  Gast  auch  Norddeutschland  und  wurde  in  Rollen  wie  Donna  Anna, 
Fidelio,  Desdemona  u.  s.  w.  ausgezeichnet.  Sie  starb  am  11.  Januar  1870  zu 
Stuttgart. 

Hauschild,  Ernst,  deutscher  Musikgelehrter  und  verdienstvoller  Förderer 
der  Tonkunst  in  der  Schweiz,  wurde  1816  zu  Altenburg  geboren  und  studirte 
neben  der  Musik  Philologie,  in  welcher  Wissenschaft  er  den  Doctorgrad  erwarb. 
Von  1849  an  bis  zu  seinem  Tode,  am  29.  Juli  1872,  fungirte  er  als  Docent 
der  Musik  an  der  Universität  zu  Basel  und  widmete  nebenbei  seine  Zeit  der 
Hebung  des  höheren  Kunstlebens  in  Basel,  sowie  des  schweizerischen  Volks- 
gesanges. Er  ist  der  Verfasser  folgender  Schriften:  »Abriss  der  tonsprachlichen 
Zeichenlehre.  Für  höhere  Volksschulen«  (Mühlhausen  i.  Eis.,  1849);  »Blicke 
in  die  Geschichte  der  neueren  Tonkunst,  eine  akademische  Antritts-Vorlesung« 
(Basel,  1849);  »Ueber  den  sogenannten  rhythmischen  Choral,  ein  Vortrag  in 
der  Baseler  Predigergesellschafta  (Basel,  1854);  »Tonsprachliche  Zeichenlehre, 
Elementar-Theorie  der  Tonkunst«   (Basel,   1862). 

Hauschka,  Vincenz,  vortrefflicher  Violoncellist,  geboren  am  21.  Jan.  1766 
zu  Mies  in  Böhmen,  wurde  als  achtjähriger  Knabe,  nachdem  er  den  ersten 
Musikunterricht  von  seinem  Vater,  einem  Schullehrer,  empfangen  hatte,  Chor- 
sänger am  Dom  zu  Prag.  Gleichzeitig  erlernte  er  bei  Seeger  die  Elemente 
des  Generalbasses  und  bei  Christ  Violoncellospiel.  Als  Violoncellist  kam  er 
auch  später  in  die  Hauskapelle  des  Grafen  Joseph  von  Thun  in  Prag,  nach 
dessen  Tode,  1788,  H.  eine  erfolgbelohnte  Kunstreise  durch  Deutschland  machte. 
Endlich  Hess  er  sich  in  Wien  nieder  und  wurde  daselbst  1793  Rechnungsrath 
bei  der  k.  k.  Familiengüter- Verwaltung.  Bei  der  Gründung  der  Gesellschaft 
der  Musikfreunde  und  bei  der  Errichtung  des  Conservatoriums  war  er  einer 
der  thätigsten  und  geschätztesten  Förderer.  Er  starb  im  J.  1833  zu  Wien 
und  hinterliess  zahlreiche  Compositionen.  Gedruckt  von  denselben  sind  nur 
sechs   Sonaten  für  Violoncello,  Lieder  und  Canons. 

Hansdörfer,  deutscher  Orgelbauer,  der  ums  J.  1750  zu  Tübingen  lebte, 
machte  sich  durch  Erfindung  einer  neuen  Basslade  bekannt.  Zu  Esslingen, 
wo  er  ein  schönes  Werk  baute,  soll  er  zuerst  diese  seine  Erfindung  angewandt 
haben,  welche  später  von  A.  Stein  verbessert  worden  ist.  Vgl.  Hiller's  Nach- 
richten, Thl.  I.  p.  87.  —  Ein  anderer  H.,  ums  J.  1794  Orgel-  und  Instrument- 
bauer zu  Schwarzenberg,  hat  in  seiner  Gegend  mehrere  achtenswerthe  Werke 
gefertigt.  f 

Hause,  Wencislaus,  hervorragender  Virtuose  auf  dem  Contrabass,  ge- 
boren gegen  Ende  des  18.  Jahrhunderts  in  Böhmen,  war  anfangs  Violinist, 
warf  sich  aber  in  seinen  Mannesjahren  auf  den  Contrabass  und  wurde  Professor 
dieses  Instrumentes  am  Conservatorium  zu  Prag.  Etüden  von  ihm  und  seine 
Schule  für  Contrabass  gehören  zu  dem  Besten  in  diesem  Literaturzweige.  Als 
Jüngling  hat  er  in  Dresden  auch  Violinsachen  veröffentlicht. 

Hausen,  s.  Friedrich  von  Hausen. 

Hansen,   Johann,  deutscher  Harfenvirtuose  und  Verbesserer  seines  Instru- 


112  Hausen  —  Häuser. 

mentes,  geboren  im  März  1698  zu  Grrossen- Mehlen  im  Schwarzburg'schen ,  wo 
sein  Vater  Cantor  und  seines  Sohnes  erster  Lehrer  in  der  Musik  war.  Um 
die  Rechte  zu  studiren ,  besuchte  H.  das  Gymnasium  zu  Mühlhausen  und  die 
Universität  zu  Jena.  In  letzterer  Stadt  dirigirte  er  zwei  Jahre  hindurch  das 
musikalische  Collegium  und  gab  endlich  die  wissenschaftliche  Laufbahn  ganz 
auf.  Er  wandte  sich  1729  nach  "Weimar  und  wurde  alsbald  seines  vortreff- 
lichen Harfenspiels  wegen  herzogl.  Kammermusiker.  Als  solcher  starb  er  aber 
schon  am  5.  Decbr.  1733,  nachdem  er  kurz  vorher  die  Construktion  einer 
Harfe  in  Angriff  genommen,  auf  welcher  man  auch  ohne  die  sogenannten  Halb- 
töne in  allen   Tonarten  accompagniren  könne. 

Hausen,  Wilhelm,  deutscher  musikkundiger  Theologe,  geboren  zu  Dil- 
lingen, hat  als  Exjesuit  bis  zum  J.  1789  hin  mehrere  Erbauungsschriften 
herausgegeben,  worunter  eine:  »Der  singende  Christ,  d.  i.  Geist-  und  lehrreiche 
Gesänge  mit  Melodien«  betitelt  (Dillingen,  1763),  ihres  musikalischen  Inhalts 
wegen  bemerkenswerth  ist.  f 

Hauser,  Franz,  ausgezeichneter  dramatischer  Sänger,  Gesanglehrer  und 
gediegener  Musikkenner,  wurde  am  12.  Jan.  1794  als  der  Sohn  eines  soge- 
nannten Preisassenbauern  zu  Krasowitz  bei  Prag  geboren.  Ob  seiner  unge- 
wöhnlichen Anlagen  schickten  ihn  die  Eltern  mit  neun  Jahren  nach  Prag,  wo 
er  die  Gymnasialstudien  vollendete,  einen  Versuch  mit  der  Jurisprudenz  machte 
und  dann  die  Medicin  zu  studiren  begann.  Bei  der  ersten  Operation,  welcher  er 
auf  der  Klinik  beiwohnte,  wurde  H.  ohnmächtig,  und  so  entschied  dieser  Vor- 
fall (ähnlich  wie  bei  Berlioz)  wahrscheinlich  seinen  Entschluss ,  sich  gänzlich 
seiner  Lieblingskunst,  der  Musik,  zu  widmen.  Durch  den  Tod  seines  Vaters 
sah  der  junge  H.  sich  bald  auf  seine  eigene  Kraft  angewiesen  und  erwarb 
durch  Stundengeben  mühsam  seinen  Unterhalt.  Oefter  erzählte  er  in  späteren 
Jahren,  wie  damals  im  strengen  Winter  ein  blauer  Frack  und  Nankinghosen 
seine  einzige  Kleidung  waren  und  wie  er  sich  glücklich  schätzte,  in  der  ge- 
heizten Stube  eines  Collegen  arbeiten  zu  dürfen.  Bei  dem  damals  berühmten 
Componisten  Tomaschek  studirte  H.  den  Contrapunkt  und  die  Composition. 
Durch  den  Kapellmeister  Triebensee  wurde  er  veranlasst,  sich  ganz  dem  Ge- 
sang zu  widmen,  und  betrat  1817  zum  ersten  Male  als  Sarastro  die  Prager 
Bühne,  welcher  er  durch  die  folgenden  vier  Jahre  als  erster  Bass  und  Bai'iton 
angehörte.  Von  da  wurde  er  durch  Spohr  nach  Kassel,  hierauf  (1825)  von 
C.  M.  v.  Weber  nach  Dresden  berufen.  Ein  Jahr  später  gab  er  in  Berlin  Gast- 
rollen als  »Figaro«  (Barbier),  »Tristan«,  »Lysiart«  und  »Don  Juan«.  Im  J.  1828 
hörte  ihn  in  Frankfurt  Franz  Lachner  und  engagirte  ihn  für  das  Kärntnerthor- 
Theater  in  Wien,  wo  H.  nicht  nur  in  der  deutschen,  sondern  auch  in  der 
damals  so  berühmten  italienischen  Oper  eine  erste  Stelle  einnahm.  Im  Früh- 
jahr 1832  gehörte  er  zu  der  auserwählten  Sängergesellschaft  (Schröder-Devrient, 
Haizinger  etc.),  welche  die  ersten  deutschen  Opernvorstellungen  in  London 
gab.  Nach  einem  halbjährigen  Aufenthalt  in  England  wirkte  er  kurze  Zeit 
am  Leipziger  Stadttheater  (unter  Ringelhardt's  Direktion),  wurde  1835  nach 
erfolgreichem  Gastspiele  von  Spontini  für  die  Berliner  Hofoper  engagirt  und 
debütirte  als  »Telasco«  im  »Cortez«.  Im  J.  1836  verliess  er  Berlin  wieder  und 
ging  zunächst  zum  Breslauer  Stadttheater. 

Als  Sänger  zeichnete  ihn  Schönheit  der  Stimme,  Einfachheit  und  Innigkeit 
des  Vortrages  und  vollendete  Technik  aus.  Sein  Rollenfach  kann  man  nach 
dem  damaligen  Repertoire  das  des  Basso  cantante  nennen.  H.'s  Figaro,  Lysiart, 
Rocco,  Faust,  Barbier  von  Sevilla,  Jacob,  Micheli,  Bertram,  Cinna,  Teil  galten 
für  Musterrollen.  Er  hatte  eine  so  ungewöhnlich  ausgebildete  Coloratur,  dass 
er  sich  oft  mit  der  Sonntag  neckte  und  in  italienischen  Opern  mit  ihr  in 
Variationen  wetteiferte.  Nach  mehrmonatlichem  Aufenthalte  in  Paris  und  einer 
Reise  durch  ganz  Italien  kehrte  H.  im  Winter  1838  nach  AVien  zurück,  wo 
er  als  Gesantflehrer  wirkte.  Im  J.  184G  wurde  er  von  König  Ludwig  T.  nach 
München  berufen,  um  daselbst  das  Conservatorium  für  Musik  einzurichten,  dem 


Hauser.  113 

er  bis  zum  Herbste  1864,  also  durch  nahezu  zwei  Decennien,  als  Direktor 
vorstand.  Um  die  Organisirung  dieser  Anstalt,  insbesondere  um  das  Aufblühen 
der  Gesangskunst  daselbst  hat  H.  grosse  Verdienste.  Als  vortrefflicher  Sänger, 
durchgebildeter  Musiker  und  Mann  von  Geist  war  H.  ein  Gesanglehrer  wie 
wenige.  Er  hat  seine  reichen  Erfahrungen  und  Beobachtungen  auf  diesem 
Gebiete  in  seiner  »Gesanglehre  für  Lehrende  und  Lernende«  (Leipzig,  bei  Breit- 
kopf und  Härtel,  1866)  veröffentlicht,  einem  überaus  lehrreichen,  fasslich  und 
anziehend  geschriebenen  Buche.  Sein  Hauptaugenmerk  beim  Unterricht  war 
auf  Stimmbildung  und  musikalisches  Verständniss  gerichtet.  Mechanisches  Ab- 
richten war  ihm  verhasst,  aber  er  wusste  seinen  Schülern  ein  so  anschauliches 
Bild  von  dem  Gesangorgan  und  dessen  Functionen  zu  geben,  dass  sie  alle,  wie 
einer  seiner  Schüler  sich  ausdrückt,  »Stimmen  bekamen«.  Viele  namhafte 
Sänger  verdanken  H.  ihre  Ausbildung,  wie  die  gefeierte  Henriette  Sontag,  der 
treffliche  Bariton  Joseph  Hauser  in  Karlsruhe,  der  Kammersänger  von  Milde 
in  Weimar,  die  Hofopernsängerin  Vogl  in  München  u.  v.  A. 

Neben  der  Führung  der  Direktorial- Geschäfte,  wozu  ihn  seine  universelle 
Bildung  besonders  befähigte,  so  dass  er  in  jedem  speciellen  Unterrichtsfach  die 
eingehendste  Controle  auszuüben  vermochte,  befasste  sich  H.  nicht  nur  mit  der 
Unterweisung  im  Solo-  und  Chorgesang,  sondern  häufig  noch  mit  dem  Ele- 
mentar-Unterricht,  indem  er  an  der  Ueberzeugung  festhielt,  durch  eine  falsche 
Grundlage  könne  das  schönste  Talent  verloren  gehen.  Nur  die  klare,  fesselnde 
Unterrichtsmethode  H.'s  ermöglichte  es,  dass  die  schwierigsten  contrapunktischen 
Chorsätze  von  Seb.  Bach  in  den  Ensemble -Uebungen  der  Gesangsklasse  mit 
solcher  Präcision  ausgeführt  wurden,  wie  es  im  Münchener  Conservatorium  der 
Fall  war.  Durch  sein  Selbstbewusstsein,  seine  mitunter  vielleicht  derbe  und 
unbequeme  Geradheit,  die  zu  keiner  seinen  üeberzeugungen  widersprechenden 
Concession  sich  hergab,  hatte  sich  H.  in  München  viele  Feinde  gemacht.  Ob 
ausser  den  künstlerischen  und  religiösen  Gegnerschaften,  denn  H.  gehörte  der 
streng  katholischen  Richtung  an,  auch  noch  andere  mitspielten,  ist  nicht  klar 
geworden,  wie  denn  überhaupt  vielleicht  die  feinsten  Maschen  des  Netzes  ver- 
borgen blieben,  das  schliesslich  H.  über  den  Kopf  gezogen  wurde.  Thatsache 
ist,  dass  H.,  zwar  siebzigjährig,  aber  noch  in  erstaunlicher  geistiger  wie  körper- 
licher Rüstigkeit,  1864  pensionirt  wurde. 

Eine  Denkschrift  an  den  Unterrichtsminister,  die  H.  aus  Anlass  des  Ge- 
rüchtes von  seiner  bevorstehenden  Pensionirung  verfasste,  giebt  Zeugniss  von 
seiner  Freimüthigkeit  und  ungeschwächten  geistigen  Energie.  Er  bekämpft 
darin  zunächst  das  bald  nach  dem  Thronwechsel  aufgetauchte  ßeformproject, 
das  Conservatorium  dem  Ressort  des  Unterrichtsministers  zu  entziehen,  um  es 
der  Hofmusik  -  Intendanz  unterzuordnen.  »Es  wäre  schwierig  zu  entdecken,« 
schreibt  H.,  »was  ein  Institut,  das  seinem  inneren  Wesen  nach  pädagogischer 
Natur  ist,  mit  einer  Hofcharge  gemein  haben  und  woher  diese  das  Kriterium 
für  die  Beurtheilung  der  Lehrer  und  Schüler  entnehmen  sollte.  Hinter  diesem 
Project  steckt  nichts  Anderes  als  die  Absicht,  dass  das  königl.  Conservatorium 
im  Interesse  des  Theaters  da  sein  solle,  d.  h.  dass  dieses  über  die  Verwendung 
der  Zöglinge  nach  seinem  Bedürfniss  verfügen,  diese  an  Concert- Aufführungen 
u.  dergl.  sich  obligatorisch  zu  betheiligen  hätten,  wobei  natürlich  die  Theater- 
Direktion  mit  den  Begabteren  nach  Gutdünken  und  Theater- Bedürfnissen  ex- 
perimentiren  dürfte,  und  zwar  auf  Staatskosten.«  Dieser  Ansicht,  fährt  H.  fort, 
können  nur  diejenigen  beipflichten,  welche  das  Wesen  des  Theaters  gar  nicht 
kennen.  Bei  der  Gründung  des  Münchener  Conservatoriums  sei  eine  allgemeine 
Bildungsanstalt  beabsichtigt  gewesen,  analog  der  Bestimmung  anderer  Bildungs- 
anstalten, wie  die  Akademie  der  bildenden  Künste,  das  Gymnasium,  die  Uni- 
versität, und  keineswegs  eine  blosse  »Theater-Chorschule«.  Auch  was  H.  weiter 
über  die  Eigenschaften  eines  Direktors,  über  Zweck  und  Aufgabe  der  Conser- 
vatorien  etc.  ausführt,  enthält  goldene  Wahrheiten. 

Dass    in    den  Jahren    nach    H.'s  Pensionirung    der  Gesangsunterricht    und 

Musikal.    Convers.-Lexikon.     V.  8 


114  Hauser. 

dessen  Resultate  am  Münchener  Conservatorium  ein  rapides  Sinken  wahrnehmen 
Hessen,  wird  kaum  von  Jemandem  bestritten.  H.  machte  sich  auch  besonders 
verdient  um  die  Kenntniss  und  Verbreitung  classischer  Musik,  insbesondere 
Bach'scher  Werke,  und  zwar  zu  einer  Zeit,  da  das  Verständniss  für  diesen 
Meister  in  der  musikalischen  Welt  fast  noch  nicht  existirte  und  die  Pflege 
desselben  nur  höchst  vereinzelt  war.  Schon  zu  Anfang  der  1820er  Jahre 
sammelte  er  aufs  eifrigste  alle  Bach'schen  Werke,  deren  er  habhaft  werden 
konnte  und  unternahm  sogar  Reisen,  um  alte  Drucke  und  Abschriften  sich  zu 
verschaffen.  Im  J.  1833  erwarb  er  in  Leij)zig  die  bedeutende  Pölchau-Schicht'- 
sche  Sammlung  Bach'scher  Autographe.  Die  Benützung  dieser  Schätze  ge- 
stattete er  mit  grosser  Liberalität,  wie  denn  z.  B.  Jos.  Fischhof  in  AVien  seine 
renommirte  Bach- Sammlung  durch  Abschrift  des  grössten  Theiles  der  H.'schen 
Collektion  zu  Stande  brachte.  H.  hinterliess  eine  komplete  Sammlung  aller 
existirenden  Bach'schen  Werke,  zu  welchen  er  einen  vollständigen  thematischen 
Catalog  verfasst  hat,  mit  Angabe  der  Besitzer  der  Autographe,  der  Abschriften, 
Original-Ausgaben  etc.  An  diesem  Cataloge  hat  H.  beinahe  50  Jahre  gearbeitet 
und  die  Herausgabe  desselben  seinem  Sohne  testamentarisch  aufgetragen. 

Nicht  nur  in  der  Musik,  sondern  auch  in  der  Literatur  verfolgte  er  eine 
ernste  Richtung  und  studirte  mit  Vorliebe  philosophische  Schriften.  Er  las 
die  alten  Classiker  in  der  Ursprache.  Nebst  einer  bedeutenden  Musikalien- 
und  Büchersammlung  hinterliess  H.  auch  eine  schöne  Sammlung  von  Bildern 
und  Radirungen  alter  Meister,  für  welche  er  grosses  Verständniss  Ijesass.  Ein 
Mann  von  so  echter,  allgemeiner  Bildung,  dabei  von  so  jugendlich  frischem 
Geist,  so  kräftigem,  wohlwollendem  Gemüth  musste  wohl  die  Besten  seiner  Zeit 
gewinnen  und  fesseln.  Mit  den  Gebrüdern  Grimm,  mit  Tieck,  Dr.  Carus,  Pro- 
fessor Purkynje,  den  Componisten  Spohr,  C.  M.  v.  Weber,  Mendelssohn,  Schelble, 
Hauptmann,  mit  Otto  Jahn,  mit  Seydelmann,  Jenny  Lind  und  anderen  gei- 
stigen Notabilitäten  stand  er  in  freundschaftlichem,  persönlichem  und  brieflichem 
Verkehr.  Er  hatte  das  Glück,  bis  zu  seiner  letzten  Stunde  geistig  frisch  und 
thätig  zu  bleiben,  unberührt  von  den  Gebrechen  des  Alters.  In  Folge  seiner 
Pensionirung  war  er  1865  von  München  nach  Karlsruhe  gezogen.  Nach  dem 
Tode  seiner  vorti'efilichen  Gattin  (1867)  aber  übersiedelte  er  nach  Freiburg 
im  Breisgau,  weil  sein  lebhaftes  Bedürfniss  nach  wissenschaftlicher  Nahrung 
und  Anregung  ihn  nach  einer  Universitätsstadt  trieb.  Dort  starb  er  am 
14.  Aug.  1870  ohne  vorhergegangene  Krankheit  fast  plötzlich  an  einem  Hirn- 
schlage im  77,  Lebensjahre.  Ed.  Hanslick. 

Hanser,  Joseph,  der  jüngere  Sohn  des  Vorhergehenden,  geboren  um  1833, 
wurde  von  seinem  vortrefflichen  Vater  zu  einem  vorzüglichen  Baritonsänger 
ausgebildet,  der  nach  mehreren  erfolgreichen  Gastspielreisen  als  Hofopernsänger 
in  Karlsruhe  engagirt  und  später  zum  grossherzogl.  Kammersänger  ernannt 
wurde.  Als  solcher  ist  er  noch  gegenwärtig  eine  gediegene  Stütze  des  dortigen 
Opernrepertoires.  —  Sein  älterer  Bruder,  Moritz  H.,  geboren  1826  zu  Bei'lin, 
hatte  seine  Elementar -Musikerziehung  von  dem  Vater  und  seine  höhere  musi- 
kalische Ausbildung  auf  dem  Conservatorium  zu  Leipzig  unter  den  Augen 
Mendelssohn's  und  Hauptmann's  erhalten.  Sein  Talent  und  sein  Streben  waren 
ein  bedeutendes,  vielversprechendes,  wie  er  in  seiner  ersten  und  einzigen  Stel- 
lung als  Musikdirektor  am  Stadttheater  zu  Königsberg  i.  Pr.  zu  bethätigen 
begann.  Dort  starb  er  aber  leider  schon  am  31.  Mai  1857,  als  Liedercom- 
ponist  bereits  vortheilhaft  bekannt,  und  eine  vollendete  Oper,  »Der  Erbe  von 
Hoheneck«,   Text  von  Ed.  Devrient,  hinterlassend. 

Hauser,  Michael  (Miska),  hervorragender  Violinvirtuose  der  neuesten 
Zeit,  geboren  1822  zu  Pressburg  in  Ungarn,  erhielt  daselbst  auch  mit  acht 
Jahren  seinen  ersten  Unterricht  auf  der  Violine  durch  Jos.  Matulai  und  wurde 
1835  Zögling  des  Conservatoriums  zu  Wien,  an  welchem  Böhm  und  Mayseder 
seine  Violinstudien  leiteten.  Im  J.  1839  begann  er  ein  musikalisches  Touristen- 
leben   und    zwar    zunächst    mit  Concertreisen    in    Deutschland,    besuchte    1842 


Hauser  —  Hausmann.  115 

Norddeutschland,  Dänemark,  Schweden,  Norwegen,  Finnland  und  Russland;  von 
1851  ab  England,  Nord-  und  Südamerika,  Westindien,  Californien,  die  Südsee- 
inseln und  Australien  und  kehrte  1858  über  Indien  und  Aegypten  nach  Europa 
zurück,  worauf  er  sich  auch  in  Italien,  in  Paris  und  in  Berlin  (1864)  mit 
grösstem  Beifall  hören  Hess.  Seine  Erlebnisse  und  Erfolge  auf  der  Weltum- 
segelung hat  er  in  seinem  »Wanderbuch  eines  österreichischen  Virtuosen,  Briefe 
aus  Californien,  Südamerika  und  Australien«  (2  Bde.,  Leipzig,  1858  und  1859) 
ausführlich  mitgetheilt.  In  seiner  Heimath  erholte  er  sich  in  Zurückgezogenheit 
von  den  Strapazen  aller  dieser  Reisen  und  erschien  nur  selten  noch,  zuletzt 
1874  in  Köln  in  der  Virtuosenarena.  Als  brillanter,  technisch  fertiger  Geiger 
wurde  er  zwar  noch  immer  anerkannt,  war  aber  in  jeder  Beziehung  sonst  von 
anderen  Rivalen  weit  überholt  worden.  Auch  seine  Compositionen  für  Violine, 
angefüllt  mit  technischen  Kunststückchen,  sind  für  die  gegenwärtige  Generation 
abgethan;  nur  einige  seiner  Lieder  ohne  Worte  für  Violine  und  Arrangements 
von    Schubert'schen    Liedern    werden    von  Dilettanten    noch    gern    gespielt. 

Häuser,  Nathalie,  Pianistin, geb.  14.  Juli  1857  in Pesth,  war  eine  Schülerin 
ihres  Vaters,  des  Sängers  und  Musiklehrers  Jos.  H.  Von  Liszt  1870  in  die 
Oeffentlichkeit  eingeführt,  erhielt  sie  ein  Staatsstipeudium.  Sie  concertirte  1873 
in  Süddeutschland,  der  Schweiz,  1874  in  Paris,  London,  am  Rhein  und  trat  im 
Jan.  1875  in  Berlin  auf. 

Hanser,  TJriel,  gelehrter  deutscher  Theologe,  geboren  zu  Waldsee  in 
Vorderösterreich  am  26.  Mai  1702,  lebte  später  als  Franziskaner  zu  Innsbruck 
und  veröffentlichte  eine:  alnstruetio  fundamentalis  cantus  choralis  ad  usum  re- 
form, prov,  Tirol.  D.  Leojwldi  ord.  frat.  min.  accommodatav.  (Augsburg,  1765). 
Vgl.  Meusel's  gelehrtes  Deutschland.  t 

Hausius,  Carl  Gottlob,  Musikdilettant,  geboren  am  31.  März  1755  zu 
Frendiswalde  in  Kursachsen,  gab  bis  zum  J.  1794  hin:  »Gesänge  am  Ciavier« 
(Leipzig,  1784);  »Frohe  und  gesellige  Lieder«  (ebendas.,  1794)  und  ausserdem 
verschiedene  Gedichte  mit  Melodien  in  den  Taschenbüchern  zum  geselligen 
Vergnügen  von  1791  und  1792,  heraus.  t 

Hanska,  s.  Hauschka. 

Haasmann,  Hauslente  hiessen  ehemals  ziemlich  allgemein  der  Stadtpfeifer 
oder  Stadtmusicus  mit  seinen  Gehülfen  und  Lehrlingen.  Er  war  der  Haus- 
mann, sein  Musikcorps  die  Hausleute  (s.  Stadtmusicus). 

Hansmann,  eine  deutsche  Tonkünstlerfamilie,  die  in  ihren  Sprossen  über 
200  Jahre  hindurch  in  Ansehen  stand.  Der  Stammvater  derselben,  Valentin 
H.,  geboren  1484  zu  Nürnberg,  war  ein  Freund  und  Altei-sgenosse  Mart. 
Luther's  und  des  berühmten  Kapellmeisters  Joh.  Walther,  ausserdem  häufig 
des  Letzteren  Reisegefährte.  Von  H.  kennt  und  singt  man  noch  die  Melodie 
zu  dem  »der  grosse  Glaube«  genannten  Choral  »Wir  glauben  All'  an  einen 
Gott«,  gesetzt  um  1520.  —  Von  seinen  Abkömmlingen  sind  hier  zu  nennen: 
1)  Sein  Sohn  Valentin  H.,  der  gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts  Rathsherr 
und  Organist  zu  Gerbstädt  war.  Er  componirte  viele  Arien,  mehrstimmige 
Lieder  und  andere  Gesänge,  Intraden,  Paduanen,  Gagliarden,  auch  Canzonetten, 
Madrigale  u.  s.  w.,  die  einzeln  und  in  Sammlungen  unter  allerlei  Titeln  er- 
schienen. Gerber  und  Fetis  liefern  in  ihren  Wörterbüchern  das  umfangreiche 
Verzeichniss  davon,  dem  noch  hinzuzufügen  wäre:  »Newe  liebliche  Melodeyen 
mit  4  Stimmen,  so  auch  zum  Tantz  einestheils  mit  Texten,  anderentheils  ohne 
Text  gesetzt,  zu  gebrauchen«  (Nürnberg,  1598).  Vielleicht  ist  No.  7  des  Ver- 
zeichnisses bei  Gei'ber  und  No.  8  bei  Fetis  eine  spätere  Ausgabe  dieses  Werkes. 
—  Sein  Sohn,  ebenfalls  2)  Valentin  H.  geheissen,  war  Organist  zu  Löbejün 
und  wurde  von  seinen  Zeitgenossen  als  solcher  gerühmt,  noch  mehr  aber  dessen 
Sohn,  wiederum  mit  Namen  3)  Valentin  H.  Dieser,  geboren  um  1655  zu 
Löbejün,  war  ein  Zögling  der  Thomasschule  in  Leipzig  und  als  solcher  Musik- 
schüler von  Knüpfer  und  Fabricius.  Während  seines  nachherigen  Aufenthaltes 
auf  der  Akademie  in  Erfurt,  lebte  er  ein  volles  Jahr  als  Gefangener  in  einem 

8* 


116  Hausorgel  —  Hautin. 

Kloster,  in  das  ihn  Unbedaclitsamkeit  geführt  hatte.  Durch  List  befreit,  wandte 
er  sich  zur  Fortsetzung  seiner  Studien  nach  Tübingen,  von  wo  aus  er  in  die 
herzogl.  Kapelle  zu  Stuttgart  gezogen  wurde,  welche  damals  Capricornus  leitete. 
Im  J.  1689  war  er  in  Halle,  wo  der  Kurfürst  von  Braudenbui-g  gerade  die 
Huldigung  empfing,  und  Hess  sich  am  Hofe  als  Ciaviervirtuose  und  als  Sänger 
hören,  worauf  ihn  der  Fürst  von  Anhalt -Köthen  als  Musikdirektor  mit  nach 
Köthen  nahm.  Bald  darauf  aber  ging  H.  als  Organist  nach  Aisleben,  und  von 
dort  zog  er  sich  in  seine  Geburtsstadt  Löbejün  zurück,  die  er  nicht  wieder 
verlassen  zu  haben  scheint.  Gerber  schreibt  ihm  eine  ungedruckt  gebliebene 
Abhandlung:  »Quaesfiones,  an  sex  vel  Septem  sint  voces?v.  zu.  —  Sein  Sohn 
4)  Valentin  Bartholomäus  H.  wurde  1678  zu  Löbejün  geboren  und  von 
dem  Vater  so  erfolgreich  in  der  Musik  unterrichtet,  dass  er  1689  bei  den  Hof- 
festen in  Halle  Kammerduette  mit  demselben  singen  konnte  und  von  dem  Fürsten 
von  Köthen  als  Hofmusicus  engagirt  wurde.  Mit  seinem  Vater  verliess  auch 
er  Köthen  bald  wieder  und  trieb  bei  seinem  Grossvater  in  Löbejün  und  von 
1691  an  bei  seinem  Vetter  Edling  in  Lauchstädt  noch  eingehend  Singen, 
Orgelspiel  und  Composition.  Im  J.  1694  soll  er  zum  Schultheiss  in  Schaf- 
städt  ernannt  und  nach  Halle  behufs  Aneignung  der  erfordei'licheu  wissen- 
schaftlichen Ausbildung  für  dieses  Amt  geschickt  worden  sein.  Er  besuchte 
fleissig  die  benachbarten  kleinen  Fürstenhöfe,  compouirte  Verschiedenes  für 
dieselben,  und  führte  seine  Werke  zugleich  selbst  auf.  Schon  1696  wurde  er 
für  solche  Dienste  durch  den  fürstl.  Kapellmeister  Stock  sogar  eigens  nach 
Sondershausen  gerufen.  Dann  bekleidete  er  auch  einmal  das  Hof-  und  Orga- 
nistenamt zu  Merseburg  und  nach  Zachau's  Tode  zwei  Mal  eine  Organisten- 
stelle in  Halle.  Bei  Probespielen  in  Berlin  und  Magdeburg  dagegen  fiel  er 
total  durch.  Endlich  wurde  er  Organist  und  1717  sogar  Bürgermeister  in 
Schafstädt,  in  welcher  Stellung  er  auch  gestorben  sein  mag.  In  Mattheson's 
»Ehrenpforte«  rühmt  er  sich,  der  Lehrer  von  30  Organisten  und  Verfasser 
von  folgenden  (übrigens  ungedruckt  und  unbekannt  gebliebenen)  vier  theo- 
retischen Abhandlungen  gewesen  zu  sein:  »Leichte  Anweisung  zur  Composition«; 
»Orgelprobe«;  »Beschreibung  von  den  drei  Generibus  und  Eintheilung  der 
Temperatur«;  »Z)e  proportionibus  musicis  und  von  den  Radical- Zahlen  der  Con- 
und  Dissonanzen«. 

Hausorgel,  s.  Zimmerorgel. 

Hausse  (französ.),  der  Frosch   (s.  d.)  am   Bogen   der   Streichinstrumente. 

Hautbois  (französ.),  die  Oboe  (s.  d.). 

Uautboist  oder  Hob o ist  (aus  dem  Französ.)  wird  im  Allgemeinen  der 
in   dem  Musikcorps  eines  Infanterieregiments  dienende  Musiker  genannt. 

Hautbois  (I'.aiuour  (französ.;  ital.:  Oboe  d^amore),  eine  besondere  Art  der 
Oboe  (s.  d.),  welche  jetzt  laugst  veraltet  ist. 

Haut-dessus  (französ.),  der  hohe  Sopran. 

Haut-dessHS  oder  Premier-dessus  (französ.),  der  hohe  Discant. 

Haute-coutre  (französ.)  nennt  man  zunächst  die  Altstimme,  hin  und  wieder 
auch  den  hohen  Tenor,  so  geheissen  als  höhere  Gegenstimme  des  in  alten 
Vocalwerken  die  Hauptmelodie  führenden  Tenors  (s.  Alt,  Gontr^ Alio).  Auch 
eine  der  im  17.  Jahrhundert  gebräuchlichen  drei  Arten  der  Violen  hiess  H. 
(s.  Viola). 

Haute-Feuille,  Jean  de,  französischer  Gelehrter,  geboren  am  20.  März 
1647  und  gestorben  als  Abbe  in  Diensten  der  Herzogin  von  Bouillon  zu 
Orleans,  seiner  Geburtsstadt,  am  18.  Octbr.  1724,  hat  nebst  anderen  Büchern 
eine  akustische  Preisschrift  verfasst.  Dieselbe  führt  den  Titel:  ^^ Dissertation 
sur  la  cause  de  VEchov.   (Bordeaux,   1718).  t 

Haute  taille  (französ.),  der  hohe  Tenor  (s.  Tenor).  Auch  eine  der  im  17. 
Jahrhundert  gebräuchlichen  drei  Arten  der  Violinen  wurde  H.  genannt  (s.  V  i  o  1  i  n  e). 

Hauleterre,  s.  Hotteterre. 

Hauliu  oder  Houiliiu,  Pierre,  französischer  (iraveur  des  16.  Jahrhunderts, 


\ 


Hautmann  —  Hawkins,  J17 

aus  La  Rochelle  gebürtig,    soll    die    ersten  musikalischen   Zeichen,    deren    man 
sich  in  Frankreich  bedient  hat,  gestochen  haben. 

Hautmann,  vorzüglicher  Lautenvirtuose  und  Violinist  deutscher  Abkunft, 
lebte  im  ersten  Viertel  des  18.  Jahrhunderts  als  gefeierter  Künstler  und  auch 
in  Werken   der  Maler  und  Dichter  seiner  Zeit  verherrlicht,  zu  Paris. 

Hannil,  Adrian  oder  Antoine  de,  auch  Hauville  geschrieben,  fran- 
zösischer Contrapunktist  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts,  ist  durch 
seine  y^Lyre  öhrestienne  ä  4  voixa  (Lyon,  1566)  bekannt  geblieben.  Eine  vier- 
stimmige Messe  von  ihm  findet  sich  in  der  Messensammlung  Giulio  Bona- 
gionta's  (Mailand,  1588).     Vgl.  Draudii  Bihl.  Exot,  und  Verdier  Bibl.         f 

Havemann,  Johann,  deutscher  Tonkünstler,  war  um  die  Mitte  des  17. 
Jahrhunderts  Musikdirektor  an  der  Dreifaltigkeitskirche  und  Cantor  am 
Joachimthal'schen  Gymnasium  zu  Berlin  und  gab  als  solcher  »dreiesig  latei- 
nische Concerte  berühmter  Italiener  für  1,  2  bis  7  Stimmen«  als  ersten  Theil 
(Berlin  und  Jena,  1659)  heraus.     Mehr  von  ihm  ist  nicht  bekannt.  f 

Having'a  oder  Havinglia,  Gerhard,  trefflicher  holländischer  Musiker,  war 
in  den  ersten  Jahrzehnten  des  18.  Jahrhunderts  Organist  und  Componist  zu 
Alkmaar  in  Nordholland  und  veröffentlichte  1726  zu  Amsterdam  Ciaviersuiten 
seiner  Composition,  sowie  1727  ebendaselbst  eine  Abhandlung  über  den  Ursprung 
der  Orgeln.  Ferner  hat  er  auch  David  Keller's  »Tractat  vom  Generalbass« 
ins  Holländische  übersetzt. 

Hawdon,  englischer  Tonkünstler,  wirkte  zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts 
zu  London  als  Organist  und  veröffentlichte  y>Dicets  for  tke  Pf.  ä  4  «i.«  (Lon- 
don, 1795);  »TT  Ooneertos  for  the  Pfv  (ebendas.);  y>Sonata,  la  Ch.asse,for  the 
Pf.i(  und  »  VI  Voluntaries  for  the  Organa,  als  op.  4  (ebendas.).  Vgl.  Preston's 
C  atalog.  f 

Hawes,  William,  wohlerfahrener  englischer  Tonkünstler,  geboren  1785 
zu  London,  kam  179.3  als  Chorknabe  in  die  königl.  Kapelle  und  wurde  musi- 
kalisch besonders  von  Thomas  Ayrton  unterrichtet.  Nach  Verlust  seiner 
Knabenstimme  trat  er  1802  als  Violinist  in  das  Orchester  des  Coventgarden- 
Theaters  und  wirkte  später  auch  in  den  philharmonischen  Concerten  und  in 
anderen  Concertvereinen  mit.  Nachdem  er  in  mehreren  Kirchenchören  Londons 
thätig  gewesen,  ward  er  1814  Lehrer  der  Chorknaben  an  der  Paulskirche  und 
drei  Jahre  darauf  an  der  königl.  Kapelle.  In  dieser  Stellung  vereinigte  er 
sich  mit  J.  Welsh  zur  Etablirung  einer  grossen  Musikalienhandlung  und  leistete 
der  Verbreitung  der  deutschen  Musik,  die  er  sehr  verehrte,  grossen  Vorschub. 
Er  war  es  auch,  der  als  Mitglied  der  Theaterdirektion  mit  begeisterter  Aus- 
dauer für  die  Aufführung  von  Weber's  »Freischütz«  eintrat,  der  endlich  am 
.3.  Juli  1824  zuerst  in  London  in  Scene  ging  und  dessen  Einbürgerung  in 
England  nur  H.  zu  danken  ist.  H.  starb  am  18.  Febr.  1846  zu  London. 
Componirt  hat  er  besonders  viele  Gesänge,  namentlich  sogenannte  Glees.  Ausser- 
dem hat  er  auch  eine  neue  Ausgabe  von  Thomas  Morley's  Madrigalensammlung 
y>The  Triumph  of  Orianav  veranstaltet. 

Hawi  ist  die  Benennung  eines  Zeitmaasses  in  der  persisch -türkischen 
Musik,  das  in  seiner  kleinsten  Unterabtheilung  zwei  Viertel  führt,  welche  im 
Tempo  des  Ällegro  moderato  sich  bewegen  müssen.  Der  ganze  H.  besteht  aus 
32  solcher  Unterabtheilungen  in  unmittelbarer  Folge.  0. 

Hawkins,  Sir  John,  berühmter  englischer  Musikhistoriker,  geboren  1719 
zu  London  als  Sohn  eines  Architekten,  war  ebenfalls  für  das  Baufach  be- 
stimmt, ging  aber  zum  Eechtsstudium  über  und  wurde  ein  tüchtiger  Advocat. 
Sein  lebhaftes  Interesse  für  Literatur  und  Musik  fand  im  Umgange  mit  Sa- 
muel Johnson  und  Dr.  Pepusch  erwünschte  Nahrung,  von  der  er  noch  zehrte, 
als  ihn  1761  das  Amt  eines  Friedensrichters  in  die  Grafschaft  Middlessex 
führte.  Seine  Uneigennützigkeit  machte  ihn  dort  vortheilhaft  bekannt,  und 
als  er  1768  und  1769  bei  Unterdrückung  der  Revolten  zu  Brentford  und 
Moorfields  sehr  wirksam  eingriff,    wurde    er  1772  vom  Könige  zum  Ritter  er- 


118  Havvksbee  —  Haydn. 

hoben.  Eine  reiche  Heirath  1753  und  eine  ebensolche  Erbschaft  1759  setzten 
ihn  in  den  Stand,  den  Bücher-  und  Manuscriptenschatz  des  Dr.  Pepusch  zu 
erwerben  und  seine  Lieblingsidee  auszuführen,  nämlich  eine  Greschichte  der 
Musik  zu  schreiben,  die  ihn  übrigens  noch  16  Jahre  angestrengter  Arbeit 
kostete ,  bis  sie  unter  dem  Titel  y>Ilistory  of  tlie  science  and  practice  of  musia 
(5  Bde.,  London,  1776)  glänzend  ausgestattet  erschien.  In  demselben  Jahre 
erschien  auch  der  erste  Band  von  Burney's  Musikgeschichte  und  schädigte  den 
Eindruck  des  H.'schen  AVerkes,  da  alle  Welt  ohne  Weiteres  dem  des  schon 
längst  anerkannten  Musikgelehrten  den  Vorzug  gab.  Erst  im  Laufe  der  Zeit 
schwand  dieses  Vorurtheil  und  man  sah  ein,  dass  der  überwiegend  citirende  und 
referirende  als  selbst  urtheilende  H.  sehr  wohl  neben  Burney  bestehen  konnte. 
H.'s  Arbeit  giebt  überhaupt  weitaus  nur  werthvolle,  unverarbeitete  Materialien 
zu  einer  G-eschichte  der  Musik,  während  die  Burney's  mehr  Geschichte  selber 
ist.  Uebrigens  zeichnet  sich  die  erstere  durch  die  Anführung  von  Texten  aus 
einer  Masse  von  äusserst  selten  gewordenen  Büchern  und  durch  die  Mitthei- 
lung von  Compositionen,  die  sonst  schwerlich  jemals  wieder  an  das  Tageslicht 
gekommen  wären,  vortheilhaft  aus.  Der  wichtigste  und  schätzbarste  Theil  des 
H.'schen  Werkes  ist  der  fünfte  Band,  der  von  den  ersten  Concerten  und  musi- 
kalischen Versammlungen  in  England  und  von  der  Einführung  und  Ausbrei- 
tung der  Oper  daselbst  handelt,  zugleich  aber  auch  Biographien  der  bedeuten- 
deren damaligen  Künstler  und  Compositionsproben  enthält.  In  dem  »  Universal 
magazine  of  hnowledge  and  'pleasufev.,  Jahrg.  1777,  befindet  sich  noch  von  H. 
eine  Abhandlung,  betitelt  »TÄe  general  hisfory  and  pecidiar  character  of  ilie 
ivorks  of  Ärcangelo  GoreUia,  eine  weitere  Ausführung  dessen,  was  in  der  Musik- 
geschichte über  diesen  Gegenstand  gesagt  ist.  H.  selbst  starb  am  21.  Mai  1798, 
nachdem  er  acht  Tage  vorher  vom   Schlage  getroffen  worden  war. 

Hawksbee,  Francis,  englischer  Physiker,  geboren  im  17.  Jahrhundert, 
veröffentlichte  mehrere  die  Fortpflanzung  des  Tones  behandelnde  Aufsätze, 
deren  Titel  in  Gerber's  Tonkünstlerlexikon  vom  J.  1812  aufgezeichnet  sind,     f 

Haydeu,  George,  englischer  Tonkünstler,  war  im  Anfange  des  18.  Jahr- 
hunderts Organist  an  der  Maria-Magdalenenkirchc  zu  Bermondsey  und  veröf- 
fentlichte ausser  kleineren  Gesangstücken  im  J.  1723  drei  Cantaten  seiner 
Composition.  Mehr  über  H.  berichtet  Hawkins  in  seiner  Hist.  of  music  Vol. 
V.  p.  179.  t 

Haydeustamm,  vou,  vornehmer  Musikdilettant,  war  schwedischer  Gesandter 
in  Constantinopel  und  führte  1786  daselbst  eine  von  ihm  componirte  italienische 
Oper  auf. 

Haydn  oder  Hayden  (Haiden),  s.  auch  Hey  den. 

Haydn,  Joseph,  der  Vater  der  neuei-en  Instrumentalmusik,  der  Altmeister 
der  claesischen  Periode  der  Tonkunst,  stammt  aller  AVahrscheinlichkeit  nach 
von  einer  böhmischen  Tonkünstlerfamilie  Moldauteyn's  her.  Dieselbe  war  jeden- 
falls schon  geraume  Zeit  vor  Joseph's  Geburt  nach  Rohrau,  einem  dicht  an 
der  ungarischen  Grenze  in  Niederösterreich  gelegenen  Marktflecken,  der  dem 
Grafen  Harrach  als  Fideicommiss  und  Majorat  gehörte,  übergesiedelt.  Die 
Familie  schrieb  sich  ursprünglich  Haiden,  wie  sich  aus  einem  Extract  des 
Grundbuches  der  Grafschaft  Bohrau  über  die  Behausung  von  Mathias  Haiden, 
Joseph's  Vater,  ergiebt.  Erst  unser  Meister  änderte  die  Schreibweise  in  die 
jetzt  übliche  Haydn  um.  Mathias  Haydn  war  AVagenbauer  von  Profession 
und  hatte  auf  der  Wanderschaft  durch  das  deutsche  Reich  in  Frankfurt  a.  M. 
ein  wenig  die  Harfe  spielen  gelernt.  Nach  Bohrau  zurückgekehrt,  hatte  er 
sich  dort  im  J.  1728  mit  Anna  Maria  Koller,  einer  Tochter  des  Rohrauer 
Marktrichters,  verheirathet.  Beide  Eheleute,  mit  hübschen  Stimmen  begabt, 
ergötzten  sich  an  Festtagen  daran,  lustige  Lieder  zu  singen  und  zu  begleiten. 
Die  Ehe  war  mit  neun  Kindern  gesegnet,  sechs  Söhnen  und  drei  Töchtern. 
Von  den  sechs  Söhnen  starben  drei  in  frühester  Jugend,  die  anderen  drei, 
Joseph,    Michael  (s.  d.)  und  Johann  haben  sich  mehr  oder  weniger   einen 


Haydn.  119 

Namen  in  iler  Kuustwelt  gemacht.  Am  wenigsten  bekannt  von  diesen  ist  der 
jüngste,  Jobann  Haydn,  geboren  in  Robrau  am  23.  Decbr.  1743.  Wie  seine 
beiden  älteren  Brüder,  kam  auch  er  behufs  des  musikalischen  Studiums  als 
Chorknabe  in  das  Kapellhaus  zu  St.  Stephan  in  Wien,  woselbst  ihn  noch 
Joseph  selbst  unterrichtet  haben  soll.  In  späteren  Jahren  gab  er  Musikunter- 
richt und  erhielt  endlich,  wohl  nur  auf  Joseph's  mächtige  Fürsprache  hin, 
eine  Stelle  als  Hofsänger  in  der  fürstl.  Eszterhazy'schen  Kapelle,  als  welcher 
er  am  20.  Mai  1805  starb. 

Joseph  Haydn  nun,  der  älteste  von  allen,  war  in  Rohrau  am  31.  März 
1732  geboren  und  wurde    nach  damaligem  katholischen  Brauche  am    folgenden 
Tage,  den  1.  April,  getauft.     Aus  diesem  Umstände    erklärt    sich    die  vielfach 
irrige  Annahme,  dass  H.  am  1.  April  geboren  sei,  wie  auch  das  Protocoll  der 
Pfarre   B;ohrau  angiebt,  womit  aber,  wie  aus  Obigem  ersichtlich,    der  Tauftag 
gemeint  ist.     Als  er  etwa  das  vierte  Jahr  zurückgelegt  hatte,  nahm  er  bereits 
an  den  Gesangübungen    seiner    Eltern  Theil.     Er    bediente    sich    dabei    zweier 
hölzerner  Stäbchen,  wovon  ihm  das  eine  als  Yioline  galt,  die  er  mit  dem  andern 
strich,    als  ob  er  Geige  spielte.     Er    entwickelte    dabei    ein    so  richtiges  Tact- 
gefühl,  dass,   als  einmal  im  J.  1737  der  im  Nachbarstädtchen  Haimburg  woh- 
nende Schulrector  Frank,  ein  entfernter  Verwandter  der  Familie,  besuchsweise 
nach   Rohrau  kam,    dieser  sofort  den  Eltern  den  Vorschlag  machte,  den   Sohn 
zur  Musik  ausbilden  zu  lassen  und  ihn  zunächst  nach  Haimburg  in  die  Schule 
zu  schicken.     Da   der  alte  H.  seinen  Sohn   dem  Priesterstande  widmen  wollte, 
so  war  ihm  dieses  Anerbieten  ganz  erwünscht.     Und  so  kam  denn  Joseph  1738 
nach  Haimburg  unter  die  Obhut  des  Schulrectors  Frank,  der   ihm  Unterricht 
in   den  Elementargegenständen  und  in  der  Musik  ertheilte.     Er  lernte  hier  fast 
alle  Instrumente  kennen  und  einige  Sogar  spielen,  u.  a.  auch  die  Pauken,  deren 
er  zwei  zufällig  im  Hause  des  Schulmeisters  entdeckt  hatte.     Pasch  machte  er 
sich  in  der  Stille  daran  und  übte  sich   mit    aller  Kraft    im  Schlagen,    so  dass 
er  schliesslich  sogar  eine  Art  Liedchen  hervorbrachte.     Auch  im  Singen  wurde 
Joseph,  da  er  eine  angenehme  Stimme  besass,  etwas  ausgebildet  und  sollte  ihm 
dies  bald  zur  grossen  Empfehlung  gereichen,   da   er  hierdurch  dem  Dechanten 
von  Haimburg  bekannt  wurde.     Der  Dechant  stand  in  enger  Freundschaft  mit 
dem  k.  k.  Hofkapellmeister  Peuter  in  Wien,  und  als  dieser  einmal  nach  Haim- 
burg kam,  um  sechs  jüngere  Chorknaben  für  seine  Kapelle  zu  St.  Stephan  zu 
suchen,  empfahl  ihm  der  Dechant  sofort  den  jungen  Joseph  H. ,  und  auch  der 
Schulrector  Frank  wusste  nur  Gutes  über  Joseph's  Stimme  zu  sagen.     Nachdem 
H.  einige  Proben  seines  Talentes  zur  grössten  Zufriedenheit  Peuter's  abgelegt 
hatte,    zögerte    dieser    nicht    lange,    ihn    als   Chorknaben  am   St.   Stephanschor 
aufzunehmen.     Doch  musste  Joseph    noch    bis    nach    vollendetem  achten  Jahre 
in  Haimburg    bleiben    und    fleissig    die    Tonleiter    üben.     Inzwischen    besprach 
Reuter  die  Angelegenheit  mit  JoseplVs  Vater  und  sagte  diesem  zu,  dass  er  für 
das  Fortkommen  seines  Sohnes  sorgen  wolle. 

Im  Laufe  des  J.  1740  verliess  denn  Joseph  H.  nach  beinahe  dreijährigem 
Aufenthalte  Haimburg  und  siedelte  nach  Wien  über,  um  beinahe  zehn  Jahre 
lang  die  Pflichten  eines  Chorknaben  zu  erfüllen.  Auch  hier  erhielt  er,  wie 
in  Haimburg,  nothdiü-ftigen  Unterricht  in  den  verschiedenen  Fächern  des  Wissens. 
Das  Hauptgewicht  wurde  avif  die  praktische  Musik  gelegt  und  er  empfing  dem- 
nach im  Singen  die  gründlichste  Anleitung;  als  seine  beiden  Hauptlehrer  sind 
zu  nennen  der  Chorist  Gegenbauer  und  der  Tenorist  Finsterbusch.  In  der 
Theorie  erhielt  er  im  Ganzen  nur  zwei  Lectionen  von  Reuter.  Was  Joseph 
daher  an  musikalischen  Kenntnissen  weiter  lernen  wollte,  dazu  musste  er  selbst 
Hand  anlegen,  und  er  that  dies  auch  mit  grossem  Eifer  trotz  der  vielen  Ent- 
behrungen, an  die  sich  sein  Magen  gewöhnen  musste.  Wenn  seine  Kameraden 
spielten,  so  hat  er  später  selber  erzählt,  nahm  er  sein  Clavierl  unter  den  Arm 
und  ging  damit  auf  den  Boden,  um  hier  ungestörter  üben  zu  können.  Auch 
im  Componiren  versuchte  er  sich  schon;   so    componirte   er  im  Alter  von  zehn 


120  Haydn. 

.TalirPn  eiiio  vierstimmige  Mei?se   mit  16   Orchesterstimraen ,   die    er   erst   später 
im    holieii  Alter    aufiPand.     Selbst    aii    8-,    12-    und   16  stimmige  Compositionen 
machte  er  sich  ganz  dreist,  indem  er  meinte,  es  sei  Alles  recht,  wenn  nur  das 
Papier    recht    voll    sei.     Bei    der  Composition    eines    12 stimmigen  Salve  regina 
überraschte  ihn  einst  Reuter  und  tadelte  ihn  dnrob,  indem  er  1)cmerkte,  ob  er 
denn   nicht  mit  zwei  Stimmen    genug    habe    und    erst    den  zweistimmigen   Satz 
lernen   wolle.     Indess  war  Reuter    doch    über    den  Fleiss    und    die  Leistungen 
Joseph's  so  erfreut,    dass    er  sich  einst  dem  Vater    gegenüber    erbot,    für    alle 
seine  Söhne  sorgen  zu  wollen.     In  Folge  dessen    schickte  der   alte  Mathias  H. 
auch  seine  beiden  anderen   Söhne,  Michael  und  Johann,  in  das  Kapellhaus  zu 
St.    Stephan.      Als    Michael    in    den    Chor    aufgenommen    wurde    (1745),    war 
Joseph    bereits    fünf    Jahre    darin    und    erhielt    den  Auftrag,    seinen    jüngeren 
Bruder  in  den  Elementen  der  Musik  zu  unterrichten,  was  ihm  jedenfalls  grosse 
Freude  bereitete.     Als  sein  jüngster  Bruder  Johann  eintrat,  war  Joseph  schon 
längere  Zeit  nicht  mehr  Chorknabe.     Bereits  in  der  letzten  Zeit  seines  Aufent- 
haltes nämlich  wurde  Joseph's   Stimme,  den  Eintritt  der  Mutationsperiode  an- 
kündend ,    sichtlich    schlechter.      Sehr    schwankend  sind  die  Angaben  über  den 
Zeitpunkt  des  Austrittes    aus    dem  Kapellhause.     Die    meisten   Quellen    führen 
das   16.  Jahr,    Carpani    das   19.  Jahr  an;    H.  selbst    giebt   in  einem  Briefe  an 
ein  Mädchen  an,    dass    er    bis  in  das  18.  Jahr  seines  Alters   Sopran  gesungen 
habe.     Danach  würde  sein  Austritt  etwa  in  der  zweiten  Hälfte  des  J,  1749   oder 
Anfang  1750  erfolgt  sein.     Auch  ein  anderer  Vorfall  führt  als  frühesten  Termin 
auf  das  Jahr   1749.     Bei    den    öffentlichen  Musikaufführungen    pflegte    nämlich 
Joseph  immer  die   Solls  zu  singen,   so  auch  bei  der  alljährlich  am   14.  Novbr. 
(den   Vigilien    des    St.    Leopoldstages)    wiederkehrenden    kirchlichen    Feier    zu 
Kloster  Neuburg.     Am   14.  Novbr.  1748    sang    nun    zum    ersten  Male  Michael 
H.  die  Solls,  da  die  Kaiserin  Maria  Theresia  sich  bei  Reuter  darüber  beklagt 
hatte,  dass  Joseph  ja  nicht  mehr  singen  könne.     Nicht  lange  darauf  wird  also 
wohl  sein  Austritt  erfolgt  sein. 

Die  Eltern  hatten  Joseph,  wie  oben  erwähnt,  zum  geistlichen  Stande  be- 
stimmt, doch  der  Sohn  widersetzte  sich  dem  auf  das  Entschiedenste.«  Dagegen 
unternahm  er  gleich  nach  seinem  Austritt  eine  "Wallfahrt  nach  Mariazell,  einem 
Marktflecken  in  Steiermark.  Von  dem  dortigen  Regens  chori  mit  der  Bitte, 
im  Chor  mitsingen  zu  dürfen,  zurückgewiesen,  griff  er  zur  List,  indem  er  am 
folgenden  Tage  dem  Knaben,  der  das  Altsolo  zu  singen  hatte,  an  der  betref- 
fenden Stelle  das  Blatt  plötzlich  wegriss  und  zu  allgemeiner  Zufriedenheit  mit- 
sang. Der  Chorregent  war  darüber  so  erfreut,  dass  er  sofort  bei  der  Geist- 
lichkeit eine  CoUecte  vei'anstalten  Hess,  die  16  Culden  einbrachte  und  die  er 
H.  überreichte.  Auch  lud  er  denselben  bei  sich  zur  Tafel,  welche  Einladung 
acht  Tage  lang  dauerte.  Nach  Ablauf  der  Zeit  kehrte  H.,  allerdings  nur  mit 
sehr  geringen  Mitteln  ausgestattet,  nach  Wien  zurück  und  miethete  sich  zu- 
nächst ein  armseliges  Dachstübchen  ohne  Ofen  und  kaum  gegen  Regen  und 
Schnee  geschützt,  in  dem  am  Kohlmarkt  belegenen  Michaeierhause  No.  1220. 
Seinen  Unterhalt  erwarb  er  sich  vorerst  durch  ziemlich  schlecht  bezahlten 
Musikunterricht  (er  erhielt  monatlich  2  Gulden)  und  durch  Mitwirken  im  Or- 
chester bei  Tanzmusiken.  Im  J.  1751  wurde  er  von  dem  in  demselben  Hause 
wohnenden  berühmten  Dichter  Metastasio  als  Ciavier-  und  Gesanglehrer  für 
ein  siebenjähriges  Mädchen,  die  Tochter  seines  Freundes  Martinez,  die  bei  ihm 
in  Pension  war,  angenommen  und  erhielt  durch  drei  Jahre  freie  Beköstigung. 
Bei  Metastasio  lernte  H.  auch  den  berühmten  italienischen  Gesanglehrer  Por- 
pora  kennen.  Derselbe  unterrichtete  die  Geliebte  des  venetianischen  Gesandten 
in  "Wien,  Correr,  im  Gesänge  und  übertrug  H.  das  Amt  der  Begleitung  auf 
dem  Ciavier.  Die  Sommermonate  verbrachte  Correr  mit  seiner  Geliebten  im 
Bade  Mannersdorf  bei  Brück.  Porpora  und  H.  mussten  mitgehen  und  H. 
verrichtete  sogar  drei  Monate  hindurch  Bedientendienste  bei  Porpora,  wofür 
er  monatlich  6  Ducaten  und  die  Kost  an  Correr's  Officiantentafel  erhielt.     So 


Haydn.  121 

drückend  diese  Stellung  auch  für  H.  war,  so  profitirte  er  doch  sehr  viel  durch 
den  dreijährigen  Umgang  mit  Metastasio  und  Porpora,  materiell  sowohl  wie 
geistig;  denn  er  lernte  hier  zugleich  die  italienische  Sprache  und  die  italienische 
Gesangs-  und  Compositionsmethode  auf  das  Gründlichste  kennen. 

In  dieser  Zeit  entstanden  denn  auch  seine  ersten  kleineren  Ciaviersonaten, 
Trios  und  Serenaten.  Letztere  wurden  öfters  des  Abends  von  H.  und  seinen 
musikalischen  Genossen  in  den  Strassen  Wiens  executirt,  und  lernte  er  bei 
dieser  Gelegenheit  den  Schauspieler  Kurz,  genannt  Bernardone,  vom  Kärnth- 
nerthortheater  kennen ,  dessen  Frau  er  einmal  ein  solches  Ständchen  gebracht 
hatte.  Auf  dessen  Aufforderung  hin  schrieb  er  im  J.  1753,  im  Alter  von 
21  Jahren,  seine  erste  Oper:  »Der  krumme  Teufel«,  wofür  er  25  Ducaten  er- 
hielt. Die  Oper  wurde  nur  drei  Mal  aufgeführt  und  dann  wegen  der  darin 
enthaltenen  Satyre  auf  den  hinkenden  Theaterdirektor  Affligio  verboten.  So 
stiegen  H.'s  Einkünfte  denn  mehr  und  mehr;  auch  für  seine  Lectionen  erhielt 
er  allmählich  5  Gulden  monatlich,  und  er  konnte  sich  somit,  nachdem  die  drei 
Jahre  des  Unterrichts  bei  Frl.  Martinez  vorüber  waren  (1754),  ein  besseres 
Quartier  auf  der  Seilerstatt  miethen.  Andererseits  suchte  er  sich  auch  gute 
theoretische  "Werke  zu  verschaffen  und  kaufte  sich  zuerst  Ph.  Em.  Bach's 
Schriften,  die  er  eifrigst  studirte,  später  Mattheson's  »Vollkommenen  Kapell- 
meister« und  Fux'  fiGradus  ad  Parnassumv.  In  dieser  Periode  wurde  H.  bei 
den  barmherzigen  Brüdern  in  der  Leopoldstadt  als  Vorspieler  für  jährlich 
60  Gulden  angestellt;  des  Sonn-  und  Feiertags  spielte  er  um  10  Uhr  die 
Orgel  in  der  Kapelle  des  Grafen  Haugwitz  und  um  11  Uhr  sang  er  in  der 
Stephanskirche  die  Messe  mit.  Jede  Function  beim  Gottesdienste  wurde  ihm 
mit  17  Kreuzern  bezahlt.  Daraals  wird  es  wohl  auch  gewesen  sein,  dass  Joseph 
seinen  jüngsten  Bruder  Johann  unterrichtete,  der  seit  1752  als  Chorschüler 
bei   St.   Stephan  eingetreten  war. 

Während  er  auf  der  Seilerstatt  schon  eine  geraume  Zeit  wohnte,  traf  ihn 
das  bedauerliche  Unglück,  dass  ihm  alle  seine  Habseligkeiten  gestohlen  wurden. 
Auf  diese  Nachricht  hin  kam  der  Vater  selbst  nach  Wien  und  gab  dem  Sohne 
wenigstens  ein  17-Kreuzerstück.  Durch  die  Freigebigkeit  seiner  Freunde  sah 
er  seinen  Verlust  bald  wieder  ersetzt,  und  er  erholte  sich  leicht  durch  einen 
zweimonatlichen  unentgeltlichen  Aufenthalt  bei  einem  Baron  Fürnberg,  dessen 
Bekanntschaft  er  wahrscheinlich  auch  bei  jenen  Strassenmusiken,  die  ja  Hoch 
und  Niedrig  galten,  gemacht  hatte.  Baron  Fürnberg  hatte  einige  Meilen  von 
Wien  in  Weinzierl  eine  Besitzung  und  veranstaltete  hier  öfters  kleine  Musiken, 
namentlich  Quartette,  wozu  er  sich  ausser  seinem  Pfarrer  und  Verwalter  auch 
H.  und  Albrechtsberger,  einen  Bruder  des  bekannten  Contrapunktisten,  einlud. 
Auf  diese  Weise  entstand  schon  um  die  J.  1753/54  das  erste  Quartett  in  B 
von  Joseph  H.,  welches  sich  so  allgemeinen  Beifalls  zu  erfreuen  hatte,  dass  er 
für  denselben  Kreis  nach  und  nach  Tnehrere  Quartette  lieferte.  Waren  so  die 
bisherigen  Bekanntschaften  sämmtlich  von  grossem  Glücke  für  H.'s  Fortkommen 
gewesen  (die  des  Baron  Fürnberg  wurde  es  noch  mehr  weiterhin),  so  hatte  er 
um  dieselbe  Zeit  auch  einen  Friseur  Keller  kennen  gelernt,  der  in  Bezug  auf 
den  Hauptschritt  seines  Lebens  einen  unheilvollen  Einfluss  ausüben  sollte. 
Die  Bekanntschaft  war  wohl  dadurch  entstanden,  dass  Keller  den  jungen  H. 
öfters  in  der  Stephanskirche  gehört  hatte  und  Gefallen  an  ihm  fand.  Er  fragte 
ihn  daher  einmal,  ob  er  wohl  geneigt  sei,  eine  seiner  beiden  Töchter  in  der 
Musik  zu  unterrichten ,  auf  welches  Anerbieten  H.  bereitwilligst  einging.  Er 
ei'hielt  dafür  die  Kost  im  Hause,  und  als  Keller  von  dem  Unglück  hörte,  das 
H.  betroffen,  so  säumte  er  nicht,  ihm  auch  anderweite  Unterstützung  angedeihen 
zu  lassen:  ja  er  beredete  ihn  endlich,  doch  das  unsichere  Quartier  auf  der 
Seilerstatt  zu  verlassen  und  in  sein  Haus  auf  der  Landstrasse  zu  ziehen,  wo 
er  freie  Wohnung  erhielt.  H.  nahm  diese  ihm  erzeigte  Wohlthat  dankend  an, 
hielt  sich  aber  dafür  der  Familie  Keller  verpflichtet.  Nun  traf  es  sich,  dass 
er  durch  fortgesetzten  Unterricht  und  Umgang  die  eine  Tochter  Kcller's  mehr 


1^2  Haydn. 

und  mehr  liebgewonnen  hatte,  und  er  l)eschloss,  dieselbe,  wenn  er  erst  ein 
festes  Einkommen  haben  würde,  zu  heirathen.  Doch  der  Tod  raffte  sie  früh- 
zeitig hinweg,  und  nun  trieb  ihn  sein  Pflichtgefühl  gegen  die  Familie  dazu, 
das  Versprechen  einzugehen,  dei*maleinst  die  andere  Tochter  zu  ehelichen,  eine 
Wahl,  die  wohl  nicht  unglücklicher  ausfallen  konnte.  H.  blieb  bei  dem 
Friseur  Keller  auf  der  Landstrasse  bis  zum  J,  1758  oder  1759  wohnen. 

Um  diese  Zeit  erhielt  er  dui'ch  die  Empfehlung  des  Baron  Fürnberg  eine 
Anstellung  als  Musikdirektor  bei  dem  böhmischen  Grafen  IMorzin  mit  einem 
jährlichen  Gehalte  von  200  Gulden,  freier  Wohnung  und  Kost.  Obgleich 
sämmtlicbe  beim  Grafen  angestellte  Musiker  unverheirathet  sein  mussten,  so 
heirathete  H.  dessenungeachtet  noch  im  J.  1759  obengenannte  Tochter  des 
Friseurs  und  glückte  es  ihm  auch,  sein  eheliches  Yerhältniss  geheim  zu  halten. 
Seine  Ehe  war  indess  keine  glückliche ,  da  seine  Frau  herrschsüchtig  und  bis 
zum  Ilebermaasse  bigott,  ausserdem  überhaupt  von  unfreundlichem,  liebelosem 
Wesen  war.  Den  Winter  über  residirte  Graf  Morzin  in  Wien,  den  Sommer 
verbrachte  er  auf  seinem  Gute  bei  Pilsen,  und  so  verlebte  H.  hier  glückliche 
und  vergnügte  Tage.  Im  .T.  1760  componirte  er  für  das  Morzin'sche  Orchester 
seine  erste  Symphonie  in  D.  Als  dieselbe  aufgeführt  wurde,  war  zufällig  auch 
der  mit  dem  Grafen  Moi'zin  befreundete  Fürst  Paul  Anton  Eszterhazy,  ein 
grosser  Musikfreund,  anwesend.  Die  Symphonie  gefiel  ihm  selir  gut,  und  da 
er  gleichfalls  eine  Musikkapelle  unterhielt,  so  gedachte  er  H.  als  Vicekapell- 
meister  in  seine  Dienste  zu  nehmen.  Erleichtert  wurde  ihm  dies  Vorhaben 
durch  den  Entschluss  des  Grafen  Morzin,  der  Schulden  halber  seine  Kapelle 
auflösen  musste.  Indess  vergingen  Monate,  H.  war  schon  einige  Zeit  stel- 
lungslos und  harrte  mit  Sehnsucht  der  Aufforderung  des  Fürsten,  der,  wie  es 
schien,  sein  Versprechen  ganz  und  gar  vergessen  hatte.  Einer  aus  des  Fürsten 
Kapelle,  mit  Namen  Friedberg,  der  zugleich  Freund  und  Verehrer  H.'s  war, 
war  nicht  minder  unglücklich  darüber  als  H.  selbst,  und  er  bewog  diesen  daher, 
eine  neue  Symphonie  zu  schreiben,  die  am  50.  Geburtstage  des  Fürsten,  den 
22.  April  1761,  in  Eisenstadt  aufgeführt  werden  sollte.  Die  Aufführung  ge- 
laug zur  vollsten  Zufriedenheit,  der  Fürst  erinnerte  sich  bald  seines  Verspre- 
chens, und  schon  am  1.  Mai  war  Joseph  H.  definitiv  als  Vicekapellmeister 
unter  der  Direktion  des  Oberkapellmeisters  Gregoiüus  Werner  angestellt.  Erst 
neuerdings  ist  das  Anstellungsdecret  aufgefunden  und  im  J.  1868  in  den  »Sig- 
nalen« zum  ersten  Male  veröffentlicht  worden.  Bis  dahin  findet  man  in  allen 
Quellen  das  J.  1760  und  als  Tag  der  Anstellung  den  19.  März  angegeben; 
worauf  sich  diese  Angabe  gründete,  ist  schwer  zu  ermitteln. 

Das  Decret  besagt  nun  an  erster  Stelle,  dass,  da  der  bisherige  Kapell- 
meister Gregorius  Werner  seines  hohen  Alters  wegen  seinem  Dienste  nicht 
mehr  in  vollem  Maasse  nachzukommen  im  Stande  sei,  Joseph  H.  ihm  als  Vice- 
kapellmeister beigegeben  werden  solle,  als  welcher  er  bei  den  Chormusiken  dem 
ersteren,  der  den  Titel  Oberkapellmeister  erhielt,  noch  subordinirt  war,  bei 
allen  anderen  INTusikeu  indess  vollkommen  selbstständige  Anordnungen  zu 
treffen  hatte.  Im  Uebrigen  gewährt  das  Decret  in  seiner  Urform  einen  gründ- 
lichen Einblick  in  die  Hausordnung  fürstl.  Kapellen  damaliger  Zeit,  indem 
darin  vor  Allem  H.  ans  Herz  gelegt  wird,  dass  er  sich  als  ehrliebender  Haus- 
offizier stets  nüchtern  aufzuführen  wissen  werde  und  nichts  an  seiner  Kleidung, 
selbst  bis  auf  Zopf  und  Haarbeutel,  vernachlässigen  dürfe.  Man  verlangte  viel 
von  H.;  er  sollte  Dirigent  und  Componist,  Schiedsrichter,  Aufseher  und  In- 
structor  zugleich  sein;  auch  erwartete  man  von  seinem  Eifer,  dass  er  die  Ka- 
pelle auf  eine  Höhe  bringen  werde,  die  ihm  zur  Ehre  gereiche.  Nun,  diese 
Erwartung  bat  H.  in  glänzendem  Maasse  erfüllt  (vgl.  den  Art.  Eszterhazy). 
Sein  Gehalt  betrug  anfänglich  ausser  bedeutenden  Naturalemolumenten  jährlich 
400  Gulden.  Dasselbe  wurde  später  vom  Fürsten  Nicolaus  Joseph,  nachdem 
H.  zum  Hauptkapellmeister  befördert  worden,  auf  700  und  endlich  auf  1000 
Gulden  erhöht.     Fürst  Paul  Anton  lebte  nur  noch  ein  Jahr;  er  starb  im  J.  1762. 


Haydn.  123 

Im  Auftrage  dieses  Fürsten  hatte  H.  die  vier  Tageszeiten  in  Form  von  Quar- 
tetten componirt,  ein  Werk,  das  indess  sehr  wenig  bekannt  geworden  ist.  Die 
Hauptzeit  seines  Schafifens  waren  die  28  Jahre  der  Regierung  des  Fürsten 
Nicolaus  Joseph,  der,  wie  in  dem  Art.  Eszterhazy  des  Näheren  ausgeführt  ist, 
ein  wahrer  Maecen  der  Musik  war.  H.'s  Vater  erlebte  noch  die  Freude,  seinen 
Sohn  als  Beamten  in  der  fürstlichen  Uniform  zu  sehen;  derselbe  starb  im 
J.  1763,  während  seine  Mutter  bereits   1754  das  Zeitliche  gesegnet  hatte. 

Das  äussere  Leben  H.'s  verlief  ziemlich  glatt  in  diesem  Zeiträume.  Den 
grössten  Theil  des  Jahres  verbrachte  er  mit  dem  Fürsten  in  dessen  neuem 
Lustschlosse  Eszterhaz,  oder,  wie  H.  meist  schreibt,  Estoras,  dessen  Bau  1769 
fertig  geworden  war.  Der  gewöhnliche  "Wiuteraufenthalt  war  Eisenstadt,  wo 
H.  ein  eigenes  kleines  Haus  besass,  das  zwei  Mal  ein  Raub  der  Flammen  ward, 
jedoch  jedesmal  ihm  vom  Fürsten  neu  aufgebaut  wurde.  Doch  wir  finden  H. 
auch  im  Winter  in  Eszterhaz,  und  kurze  Zeit  verweilte  er  Geschäfte  halber 
selbst  in  Wien.  Um  das  J.  1770  erkrankte  er  heftig  au  einem  hitzigen  Fieber, 
das  ihn  längere  Zeit  arbeitsunfähig  machte.  Ln  Uebrigen  war  H.  bis  in  sein 
hohes  Alter  von  ziemlich  kernfester  Gesundheit.  Seine  Lieblingserholungen  in 
Ungarn  waren  die  Jagd  und  der  Fischfang,  denen  er  fleissig  oblag.  In  ge- 
schäftlicher Beziehung  unterhielt  er  einen  regen  Briefverkehr  vor  allem  mit 
Breitkopf  und  Härtel  in  Leipzig  seit  den  siebenziger  Jahren ,  mit  Artaria  in 
Wien  und  mit  dem  Instrumentenmacher  und  Musikalienverleger  W.  Forster  in 
London  seit  1780  resp.  1781.  Letztere  beide  Correspondenzen  sind  zum  grössten 
Theile  veröffentlicht,  die  mit  Artaria  in  Nohl's  »Musikerbriefen«,  die  Forster'- 
sche  in  Sandys'  y>lIistory  of  the  violina.  Die  sehr  umfangreiche  Correspondenz 
mit  Breitkopf  und  Härtel  ist  bisher  noch  ungedruckt.  Alle  diese  Briefe  geben 
den  genauesten  Aufschluss  über  die  Entstehung  der  meisten  Compositionen 
H.'s  aus  dieser  Zeit,  bestehend  in  zahlreichen  Symphonien,  Q.uartetten,  Trios, 
Sonaten  u.  s.  w.,  die  H.  je  nach  Bedarf  für  das  fürstl.  Orchester  schrieb  und 
die  nach  und  nach  auch  durch  den  Stich  im  Publikum  allgemein  bekannt 
wurden.  So  erschienen  die  ersten  Quartette  im  J.  1764,  die  ersten  Symphonien 
1766  in  Paris. 

Weniger  bekannt  geworden  sind  H.'s  Opern,  deren  Originale  sich  grössten- 
theils  noch  im  Eisenstädter  Archiv  befinden.  Selbst  damals  drangen  dieselben 
kaum  über  die  Grenzen  Ungarns,  und  sie  waren  ja  auch  nur  auf  die  primitiven 
Einrichtungen  im  Marionettentheater  zu  Eisenstadt,  später  zu  Eszterhaz,  das 
Fürst  Nicolaus  Joseph  von  seinem  Bruder  überkommen,  berechnet.  Schon  1762 
componirte  H.  die  erste  vierstimmige  Oper,  y>Äcide  e  Galateav,  die  am  11.  Jan. 
1763  zu  Ehren  der  Vermählving  des  Grafen  Anton  Eszterhazy  mit  der  Gräfin 
Erdödy  in  Eisenstadt  aufgeführt  wurde.  Von  da  an  brachte  fast  jedes  Jahr 
eine  neue  Oper,  anfänglich  meist  deutsche  Marionettenopern  und  italienische 
Opere  huffe  und  Burlette,  denen  nicht  selten  sogar  der  Hof  beiwohnte,  so  dass 
H.  den  Auftrag  erhielt,  auch  für  das  Hoftheater  in  Wien  eine  Oper  zu  schreiben. 
Er  componirte  zu  dem  Zwecke  das  Dramma  (jiocoso:  »ia  vera  costanzaK,  dessen 
Aufi'ührung  in  Wien  jedoch  durch  niedrige  Cabalen  hintertrieben  wurde.  Im 
J.  1779  wurde  dasselbe  in  Eszterhaz  aufgeführt  und  Kaiser  Joseph  II.  befand 
sich  selber  unter  den  Zuhörern.  Mittlerweile  hatte  der  Fürst  ein  neues  Opern- 
haus bauen  lassen,  zu  dessen  Einweihung  H.  Anfang  1780  die  Oper  »Za /e- 
deltä  premiatav  schrieb.  In  der  Folge  componirte  H.  auch  einige  italienische 
Opere  serie,  so  1782,  wie  aus  einem  Brief  an  Artaria  vom  August  jenes  Jahres 
hervorgeht,  zu  Ehren  der  Anwesenheit  eines  russischen  Grossfürsten  und  seiner 
Gemahlin  eine  welsche  Oper,  die  nicht  näher  bezeichnet  ist,  wahrscheinlich 
»Orlando  Palatinov^  oder  nAlessandro  il  (jrandeM,  und  im  Sommer  1783  die 
vArmida«.  Letztere  wurde,  wie  H.  selbst  an  Artaria  berichtet,  am  29.  Febr. 
1784  bereits  zum  zweiten  Male  mit  dem  grössten  Beifall  aufgeführt. 

Ausser  den  Opern  hatte  H.  auch  ziemlich  viel  Kirchenmusik  zu  sclu'eiben, 
Messen,    Stahat  mater  etc.;    desgleichen    componirte    er    eine  Anzahl    weltlicher 


124  Haydn. 

Cantaten,  Lieder  und  Arien.  Im  J,  1774  schuf  er  sein  erstes  weniger  bekannt 
gewordenes  Oratorium:  »/Z  ritorno  di  Tobiaa ,  hauptsächlich  zu  dem  Zwecke, 
um  die  Bestrebungen  der  in  Wien  bestehenden  Tonkünstlerwittwcu-  und  Waisen- 
gesellschaft, als  deren  Mitglied  er  aufgenommen  zu  werden  wünschte,  zu  unter- 
stützen. Er  erbot  sich,  auch  fernerhin  seine  Werke  zur  Aufführung  lierzu- 
leihen,  ohne  zu  ahnen,  wie  schnöde  dieses  Anerbieten  genilssbraucht  werden 
würde.  Statutenmässig  hatte  er  nämlich  im  Falle  der  Aufnahme  ausser  den 
laufenden  Beiträgen  ein  Antrittsgeld  von  .300  Gulden  zu  zahlen,  da  er  nicht 
in  Wien  wohnte.  Man  wollte  ihm  dasselbe  in  Folge  obigen  Anerbietens  er- 
lassen, verlangte  aber,  dass  er  einen  Revers  darüber  ausstellen  sollte,  je  nach 
Begehren  Compositionen  zu  liefern;  dessen  weigerte  sich  nun  H.  ganz  ent- 
schieden in  offener  Sitzung  in  Gregenwart  des  Kapellmeisters  v.  Bonno,  eines 
HeiTU  V.  Sterzer  u.  a.,  da  ihm  seine  Dienstpflichten  gegen  den  Fürsten  Eszter- 
hazy  nicht  die  nöthige  Zeit  dazu  Hessen;  er  könne  sich  nur  zur  Lieferung  von 
Compositionen  verpflichten,  soweit  es  Zeit  und  Umstände  erlaubten.  Darauf- 
hin erfolgte  denn  auch  die  Aufnahme  und  TT.  bezahlte  die  Einlage  mit  368 
Ciulden  10  Kreuzern.  Ti'otzdem  verlangte  nun  die  Gesellschaft  laut  Beschluss 
der  Sitzung  vom  10.  Novbr.  1778  noch  nachträglich  uiiter  Androhung  der 
AnnuUirung  seiner  Aufnahme  von  H.  die  Unterschrift  jenes  erst  begehrten 
Reverses,  nachdem  dieselbe  schon  einige  Zeit  von  H.'s  Werken  Nutzen  gezogen 
hatte,  und  richtete  am  18.  Jan,  1779  ein  dahin  lautendes  Schreiben  an  H. 
Indess  dieser  antwortete  ziemlich  gereizt  am  4.  Febr.,  indem  er  den  wahren 
Sachverhalt  darlegte  und  seine  bezahlte  Einlage  zurückforderte.  Die  Gesell- 
schaft zahlte  ihm  sein  Geld  denn  auch  zurück,  und  seine  Aufnahme  war  somit 
annuUirt.  Nichtsdestoweniger  erbot  sich  H.,  auch  ferner  neue  Werke  von  •  sich 
unentgeltlich  herzuleihen.  Im  .1.  1781  wurde  er  von  Neuem  von  der  Gesell- 
schaft um  Herleihung  seines  Tobias  mit  Aenderungen  und  Kürzungen  ersucht. 
H.  war  nicht  abgeneigt,  sich  diese  Mühe  zu  nehmen,  wenn  man  ihm  Benefiz- 
billete  oder  eine  andere  Bonification  bewillige.  Darauf  aber  ging  die  Gesell- 
schaft nicht  ein  und  beschloss  in  der  Sitzung  vom  25.  Octbr.  1781,  ein  anderes 
Oratorium  zu  wählen. 

Später  freilich  erhielt  H,  für  die  ihm  widerfahrene  Unbill  glänzende  Ge- 
nugthuuiig.  Von  anderer  Seite  empfing  H.  schon  jetzt  Beweise  der  grössten 
Anerkennung.  So  ernannte  ihn  die  Akademie  der  Philharmoniker  zu  Modena 
1780  zu  ihrem  Ehrenmitgliede,  und  H.  componirte  aus  Dankbarkeit  dafür  die 
vierstimmige  Cantate  nLHsola  disahitatav,  die  1785  von  der  Akademie  aufgeführt 
wurde.  Im  .1.  1784  sandte  ihm  Prinz  Heinrich  von  Preussen  für  sechs  dem- 
selben gewidmete  Quartette  eine  goldene  Medaille  mit  seinem  Portrait,  1787 
König  Friedrich  Wilhelm  II.  als  Anerkennung  für  seine  Compositionen  (er 
hatte  eben  eine  Cantate  »Deutschlands  Klage  über  den  Tod  Friedrich  des 
Grossen«  geschrieben)  einen  prächtigen  Diamantring.  Noch  einer  Composition 
aus  dieser  Zeit  ist  zu  gedenken.  Im  J.  1785  erhielt  H.  nämlich  aus  Cadix 
den  Auftrag,  zu  den  sieben  Worten  Christi  am  Kreuze  eine  Instrumentalmusik 
zu  setzen,  die  in  den  Pausen  zwischen  den  einzelnen  Worten,  während  der 
Bischof  am  Hochaltar  kniete,  executirt  wurde.  H.  entledigte  sich  seines  Auf- 
trages mit  der  ihm  eigenen  Gewissenhaftigkeit  und  verarbeitete  sie  später  noch 
zu  Quartetten,  in  welcher  Form  sie  am  bekanntesten  geworden  sind.  In  spä- 
teren Jahren  schrieb  ein  Passauer  Domherr  einen  deutschen  Text  dazu. 
In  den  letzten  Lebensjahren  des  Fürsten  Nicolaus  Joseph  war  H.  auch 
mit  des  Fürsten  Leibarzt,  einem  Dr.  v.  Genzinger  näher  bekannt  geworden, 
dessen  Gast  er,  so  oft  er  in  Wien  war,  jeden  Sonntag  IMittag  sein  musste. 
Er  lernte  dabei  des  Arztes  Gemahlin  Marianne  kennen,  die  grosse  Liehe  zur 
Musik  hatte,  und  auch  ihrerseits  sich  sehr  zu  H.  hingezogen  fühlte.  Es  ent- 
spann sich  daraus  in  der  Folge  ein  reger  Briefverkehr,  der  von  Mitte  1789 
bis  Ende  1792  dauerte  und  namentlich  über  die  erste  Londoner  Reise  vielfache 
Aufschlüsse  giebt. 


Haydn.  125 

Wir  gelangen  nämlich  nunmelir  an  einen  der  wichtigsten  Lebensabschnitte 
des  Meisters.  Wiederholt  war  H,  schon  von  seinen  Freunden  aufgefordert 
worden,  Kunstreisen  nach  Italien  und  Frankreich  zu  unternehmen;  doch  konnte 
er  es  nie  über  sich  gewinnen,  seinen  Fürsten  zu  verlassen.  Im  Laufe  der 
achtziger  Jahre  mehrten  sich  die  Einladungen  aus  England.  H.'s  Compositiouen 
waren  in  London  schon  in  den  sechsziger  und  siebenziger  Jahren  bekannt  ge- 
worden; fast  in  allen  Concertunternehmungen  jener  Jahre  erschien  H.'s  Name 
an  der  Spitze.  Im  J.  1783  bildete  sich  unter  dem  Protectorate  des  Lord 
Abingdon  eine  neue  Gesellschaft  unter  dem  Namen  der  »Professional- Coucerte«. 
Sie  trat  schon  bald  nach  ihrer  Gründung  in  Correspondenz  mit  H.,  um  diesen 
zur  Reise  nach  London  zu  bewegen,  doch  anfangs  vergeblich.  Wie  indess  aus 
einem  Briefe  vom  8.  April  1787  in  der  oben  erwähnten  Forster'schen  Corre- 
spondenz hervorgeht,  hatte  doch  H.  die  ernstliche  Absicht,  Ende  1787  London 
zu  besuchen,  ja  Forster  hatte  ihm  schon  für  diesen  Fall  eine  Wohnung  offerirt; 
noch  im  Juni  spricht  er  wiederholt  die  Hoffnung  aus.  Porster  im  kommenden 
Winter  zu  sehen.  Da  aber  von  Gramer,  dem  Leiter  der  Professional- Concerte, 
keine  Antwort  eintraf,  so  zerschlug  sich  die  Reise  und  H.  schien  nicht  übel 
Lust  zu  haben,  den  Winter  in  Neapel  zuzubringen.  Doch  auch  hieraus  wurde 
schliesslich  nichts.  Dagegen  erhielt  H.  vom  König  von  Neapel  den  Auftrag, 
mehrere  Compositionen  für  ihn  zu  liefern,  und  er  musste  demselben  ausserdem 
fest  versprechen,  nach  Neapel  zu  kommen. 

Was  nun  der  Gesellschaft  der  Professional -Concerte  nicht  gelungen  war, 
das  sollte  nur  wenige  Jahre  später  einem  deutschen  Violinisten  aus  Bonn,  Jo- 
hann Peter  Salomon,  glücken.  Salomon  war  in  den  siebenziger  Jahren  Concert- 
meister  bei  dem  Prinzen  Heinrich  von  Preussen  gewesen  und  trat  schon  da- 
mals eifrig  für  H.'s  Compositionen  ein.  Im  J.  1786  siedelte  er  nach  London 
über  und  gedachte  hier  mit  den  Professional-Concerten  in  Concurrenz  zu  treten. 
Kaum  hatte  er  auch  von  dem  Scheitern  der  Unterhandlungen  dieser  Gesell- 
schaft mit  H,  gehört,  als  er  im  J.  1788  selber  in  Correspondenz  mit  diesem 
trat,  um  ihn  für  sein  neues  Unternehmen  zu  gewinnen.  Doch  auch  ihm  wurde 
es  nicht  leicht,  denn  H.  verhielt  sich  auch  jetzt  wieder  von  neuem  ablehnend. 
Erst  1790  trat  der  entscheidende  Wendepunkt  ein.  Am  28.  Septbr.  dieses 
Jahres  starb  nämlich  Fürst  Nicolaus  Joseph  Eszterhazy,  und  sein  Sohn  und 
Nachfolger,  Paul  Anton,  der  wenig  Interesse  für  Musik  hatte,  löste  die  Kapelle 
bald  nach  dem  Tode  des  Vaters  auf.  Fürst  Nicolaus  Joseph  hatte  H.  in 
seinem  Testament  eine  lebenslängliche  Pension  von  1000  Gulden  ausgesetzt; 
Paul  Anton  gewährte  ihm  noch  eine  Zulage  von  400  Gulden.  War  auch  die 
Kapelle  aufgelöst,  so  behielt  doch  H.  den  Titel  Kapellmeister  bei  und  hatte 
eine  ruhigere  Stellung  dabei,  als  früher.  Er  verkaufte  sofort  sein  kleines  Haus 
in  Eisenstadt  für  1500  Gulden  und  siedelte  noch  im  Herbst  1790  nach  Wien 
über,  wo  er  sich  im  Hause  seines  Freundes  Hamberger  auf  der  Wasserkunst- 
bastei No.   1196  eine  Wohnung  miethete. 

Hier  war  es,  wo  eines  Abends  gegen  Ende  November  jener  obengenannte 
Salomon*in  H.'s  Zimmer  trat,  um  persönlich  das  zu  erwirken,  was  ihm  schriftlich 
nicht  gelungen  war.  Salomon  war  nämlich  auf  einer  Kunstreise  durch  Italien 
und  Deutschland  begriffen,  um  Musikkräfte  für  sein  neues  Unternehmen  zu 
gewinnen,  als  er  von  dem  Tode  des  Fürsten  Eszterhazy  hörte  und  nun  sofort 
beschloss,  nach  Wien  zu  eilen,  um  H.  womöglich  gleich  mitzunehmen.  H.  machte 
zwar  noch  einige  Schwierigkeiten,  vor  Allem  wegen  seines  Fürsten,  doch  dieser 
gewährte  ihm  bereitwilligst  Urlaub  und  so  wurde  denn  der  Accord  zwischen 
Salomon  und  H.  unter  folgenden  Bedingungen  geschlossen:  H.  musste  sechs 
neue  Symphonien  componiren  und  dieselben  persönlich  dirigiren;  dafür  erhielt 
er  300  £,  ferner  200  £  für  das  Verlagsrecht  und  endlich  noch  ein  garantirtes 
Benefizconcert  zu  200  £.  H.  beging  die  Vorsicht,  sich  von  Salomon  die 
Summe  von  ca.  5000  Gulden  in  englischem  Gelde  vorschiessen  zu  lassen  und 
dieselbe  theils  bei  seinem  Fürsten,  theils  bei  dem  Bankhause  des   Grafen  Fries 


126  Haydn. 

in  "Wien  zu  cleponiren,  um  gegen  alle  Eventualitäten  gesichert  zu  sein.  "Was 
H.  sonst  an  Werth-  und  Staatspapieren  besass,  übergab  er  der  Frau  v.  Gen- 
zinger  zur  Aufbewahrung,  da  er  dieselben  dem  Leichtsinn  seiner  Frau  nicht 
anvertrauen  wollte.  An  baarem  Gelde  besass  er  ausser  jenen  oben  erwähnten 
150U  Gulden  noch  500  Grulden,  die  er  sich  in  der  Zeit  gespart  hatte;  doch 
schienen  ihm  die  2000  Gulden  noch  nicht  genug,  und  er  lieh  sich  von  seinem 
Fürsten  noch  450  Gulden  zur  Reise,  die  er  indess  noch  im  ersten  Jahre  seiner 
Anwesenheit  in  London  abzahlte.  Rechnet  man  die  1400  Gulden  jährlicher 
Pension  hinzu,  so  war  H.  gegen  alle  Fährlichkeiten ,  die  ihm  etwa  zustossen 
konnten,  gedeckt.  Kurz  vor  seiner  Abreise  hatte  er  sich  noch  einiger  einge- 
gangener Verpflichtungen  zu  entledigen.  "Wie  oben  erwähnt,  hatte  König 
Ferdinand  von  Neapel  mehrere  Compositionen  bei  ihm  bestellt;  nun  traf  es 
sich,  dass  der  König  in  dieser  Zeit  gerade  in  Wien  anwesend  war,  und  H. 
überreichte  demselben  in  einer  besonderen  Audienz  am  13.  Decbr.  seine  Ar- 
beiten. Als  dieser  aber  nun  hörte,  dass  H.  schon  in  zwei  Tagen  nach  London 
abzureisen  gedenke,  war  er  höchst  unwillig  darüber  und  erinnerte  H.  neuerdings 
an  sein  Versprechen,  nach  Neapel  zu  kommen,  was  dieser  denn  auch  nach  der 
Rückkehr  aus  England  zusagte. 

Die  Abreise  H.'s  und  Salomon's  aus  Wien  ex'folgte  nunmehr  am  15.  Decbr. 
Abends;  die  Reise  ging  über  München,  wo  H,  die  persönliche  Bekanntschaft 
des  Concertmeisters  Canuabich  machte,  alsdann  den  Main  und  Rhein  abwärts 
nach  Bonn.  Hier  trafen  sie  am  25.  Decbr.,  dem  ersten  Weihnachtsfeiertage, 
ein  und  beschlossen,  auch  den  zweiten  Feiertag  daselbst  zu  verweilen.  H.  be- 
suchte an  diesem  Tage  mit  Salomon  die  Messe  und  lernte  nach  Beendigung 
derselben  den  Kurfürsten  Maximilian  Franz  von  Köln,  der  hier  residirte  und 
eine  treffliche  Hof  kapeile  hielt,  näher  kennen;  derselbe  verfehlte  nicht,  auch 
seine  Musiker  mit  H.  bekannt  zu  machen.  Von  Bonn  ging  alsdann  die  Weiter- 
reise über  Brüssel,  wo  der  Aufenthalt  nur  eine  Stunde  währte,  nach  Calais, 
woselbst  die  Reisenden  bei  schon  länger  anhaltendem  Regen  am  31.  Decbr. 
Abends  anlangten.  Am  folgenden  Tage,  dem  Neujahrstage,  früh  um  ^/iS  Uhr 
bestiegen  dieselben  das  Schifl"  und  fuhren  bei  ziemlich  widrigem  Winde  nach 
Dover  über,  wo  die  Ankunft  erst  um  5  Uhr  Nachmittags  erfolgte.  In  London 
trafen  H.  und  Salomon  endlich  am  2.  Jan.  1791  glücklich  und  wohlbelialten 
ein,  und  H.  brachte  die  ei'ste  Nacht  bei  dem  Musikalienverleger  Bland  in 
No.  45  Holborn  vis-a-vis  Chancery  Laue  in  der  City  zu.  Erst  am  folgenden 
Tage  bezog  er  die  für  ihn  gemiethete  Wohnung  in  No.  18  Great  Pulteney  street 
in  dem  Hause  eines  italienischen  Kochs,  der  zugleich  für  H.'s  leibliche  Bedürf- 
nisse sorgte. 

Salomon  wohnte  in  demselben  Hause,  und  beide  pflegten  gewöhnlich 
zusammen  zu  speisen,  wenn  H.  nicht  Einladungen  folgen  musste,  die  in  der 
ersten  Zeit  ziemlich  häufig  vorkamen;  er  erwehrte  sich  indess  ihrer  sehr 
bald,  um  Herr  seiner  Zeit  zu  bleiben  und  seinen  eingegangenen  Verpflichtungen 
nachkommen  zu  können.  Auch  wurde  seine  Zeit  im  Anfang  durch  Besuche 
und  Gegenbesuche  sehr  in  Anspruch  genommen,  und  es  war  für  ihn  von  be- 
sonderem Interesse,  mit  hervorragenden  Persönlichkeiten  des  damaligen  London 
näher  bekannt  zu  werden,  Zu  ihnen  gehörte  vor  Allem  Dr.  Burney,  mit  dem 
er  schon  seit  Jahren  in  Briefwechsel  gestanden  und  der  auch  seine  Ankunft 
in  London  mit  einem  schwungvollen  Gedichte:  yy  Verses  on  tke  arrival  in  JEng- 
land  of  the  great  Musieian  Haydn  January  1791«  gefeiert  hatte.  H.  versäumte 
es  daher  nicht,  alsbald  mit  Salomon  nach  Chelsea  hinauszufahren,  wo  Burney 
als  Organist  von  Chelsea  College  wohnte.  Von  anderen  Persönlichkeiten,  die 
alle  H.  ihre  Hochachtung  zu  bezeigen  kamen  und  die  er  zum  Theil  schon  von 
Wien  her  kannte,  sind  zu  nennen:  Giornovicchi,  Dussek,  Clementi,  Storace, 
Kelly,  Attwood,  Baumgarten,  Cramer,  Crosdill,  Cervetto  und  endlich  Allen 
voran  Gyrowetz,  mit  dem  H.  ein  enges  Freundschaftsband  verknüpfte,  so  dass 
dieser  glücklich  war,  in  der  fremden  grossen   Stadt    einen  Bekannten  gefunden 


Haydn.  127 

zu  haben,  auf  dessen  Freundschaft  und  Aufrichtigkeit  er  in  allen  Fällen 
rechnen  konnte. 

Schon  am  15.  Januar  brachten  die  Zeitungen  die  Ankündigung  von  zwölf 
Salomon-Concerten,  deren  Subscriptionspreis  auf  fünf  Guiueen  festgesetzt  war. 
Das  erste  Concert  sollte  am  Freitag  den  11.  Febr.  stattfinden;  in  Folge  ver- 
schiedener Hindernisse  musste  dasselbe  indess  mehrfach  autgeschoben  werden 
und  fand  endlich  am  11.  März  statt.  Hierdurch  hatten  die  Professional,  die 
von  Anfang  an  als  Feinde  Salomon's  und  H.'s  auftraten,  einen  grossen  Vor- 
sprung. Ihr  erstes  Concert  fand  bereits  am  7.  Febr.  statt  und  konnten  sie 
nicht  umhin,  eine  Symphonie,  sowie  ein  Quartett  von  H.  in  ihr  Programm 
aufzunehmen,  über  deren  Ausführung,  vor  Allem  der  Symphonie,  sich  H.  selbst 
sehr  beifällig  äusserte.  Mittlerweile  und  noch  vor  Beginn  der  Salomou-Concerte 
hatte  H.  vielfach  andere  Concerte  besucht,  in  denen  theilweise  Compositionen 
von  ihm  aufgeführt  wurden;  auch  einem  Hof  balle,  der  am  18.  Jan.  zur  Ge- 
burtstagsfeier der  Königin  stattfand,  und  einem  Hofconcerte  in  Carlton  House, 
dem  Palais  des  Prinzen  von  Wales,  am  folgenden  Tage,  wohnte  H.  bei.  Die 
einzelnen  Erlebnisse  H.'s  in  London  behandelt  eingehend  Pohl's  treffliches  Buch 
über  H.'s  beide  Besuche  in  London,  auf  das  an  dieser  Stelle  verwiesen  sei.  Der 
Erfolg  des  ersten  Salomou-Concertes  am  11.  März  war  glänzend  und  sicherte 
das  ganze  Unternehmen;  noch  glänzender  fiel  das  zweite  Concert  am  18.  März 
aus,  indem  die  im  ersten  Concert  aufgefühx'te  neue  Symphonie  in  D-dur  (No.  2 
der  Sammlung)  auf  besonderes  Verlangen  repetirt  wurde;  desgleichen  die  sämmt- 
lichen  übrigen  Concerte,  in  denen  H.'s  Name  ausser  den  Symphonien  wieder- 
holt mit  einem  Quartett,  einem  Concertino  und  einer  Cantate  erscheint.  Das 
zwölfte  und  letzte  Concert  fand  am  3.  Juni  statt.  Inzwischen  hatte  H.  sein 
Benefizconcert,  das  ursprünglich  auf  den  7.  April  angesagt  war,  am  16.  Mai 
gegeben  und  brachte  ihm  dasselbe  eine  Einnahme  von  350  £. 

Beim  Abschlüsse  des  Contracts  hatte  sich  H.  auch  verpflichtet,  eine  Oper 
zu  schreiben,  und  es  zeigte  sich  hierbei  später,  wie  gut  es  war,  dass  er  seine 
Forderungen  im  Vorhinein  gedeckt  hatte.  An  Stelle  des  1789  abgebrannten 
Opernhauses  wurde  nämlich  schon  im  folgenden  Jahre  eine  neue  Oper  gebaut, 
deren  Unternehmer  Gallini  war;  1791  sollte  dieselbe  eingeweiht  werden  und 
H.  schrieb  zu  dem  Zw-ecke  den  y>Orfeo  e  ]^uriclice<i.  Indess  man  hatte  versäumt, 
zeitig  genug  die  Erlaubniss  des  Königs  und  des  Parlaments  einzuholen,  und 
so  wurde  die  Benutzung  des  Gebäudes  zur  Oj)er  gänzlich  untersagt.  H.'s  Orfeo 
kam  demgemäss  gar  nicht  zur  Aufführung  und  blieb  auch  unvollendet.  Als 
Ersatz  sandte  H.  später  seine  »Armida«  ein,  von  der  sich  das  Autograph  in 
der  Bibliothek  der  Sacrecl  Jiarmonic  Society  zu  London  befindet.  An  Stelle  der 
verunglückten  Oper  war  es  nun  Gallini  wenigstens  gelungen,  den  Saal  zu 
Abendunterhaltungeu  bewilligt  zu  erhalten.  In  diesen  Concerten,  die  wöchent- 
lich zwei  Mal  stattfanden  und  vom  26.  März  bis  zum  9.  Juli  dauerten,  wurden 
zuweilen  Symphonien,  vor  Allem  aber  Cantaten  und  andere  Gesangstücke  von 
H.  zur  Aufführung  gebracht. 

Am  23.,  26.  und  28.  Mai  und  1.  Juni  fand  die  letzte  im  vorigen  Jahr- 
hundert abgehaltene  grossartige  Händelfeier  in  der  altehrwürdigen  Westminster- 
abtei  statt,  und  H.  war  es  vergönnt,  Zeuge  derselben  zu  sein.  Händel's  Musik 
wirkte  gewaltig  ergreifend  auf  H.,  der  sie  hier  zum  ersten  Male  in  ihrer  vollen 
Pracht  entfalten  hörte.  Am  6.,  7.  und  8.  Juli  folgte  sodann  die  sogenannte 
Oxfordfeierlichkeit.  Um  die  Doctorwürde  in  der  Musik  zu  erlangen,  waren 
nicht  gerade  aussergewöhnliche  Kenntnisse  erforderlich;  was  aber  nicht  fehlen 
durfte,  war  eine  bei  dieser  Gelegenheit  zu  erlegende  Summe  von  100  Guineen. 
H.  wäre  wohl  schwerlich  je  auf  den  Gedanken  gekommen,  seine  Kunstgenossen 
durch  diese  Wüi'de  überragen  zu  wollen;  allein  sein  Freund  Dr.  Burney  that 
alles  Mögliche,  um  seinen  Liebling  auch  in  dieser  Weise  verherrlicht  zu  sehen. 
H.  hat  selbst  die  Feierlichkeiten  in  einem  leider  verloren  gegangenen  Briefe 
an  Marianne  v.  Genziuger  beschrieben.     Es  fand  an    allen  drei  Tagen   Concert 


128  Haydn. 

statt,  am  zweiten  Tage  wurde  die  von  H.  eigens  für  diese  Feier  bestimmte 
Symphonie  in  G  (später  unter  dem  Namen  Oxfordsymphonie  bekannt)  aufge- 
führt; der  eigentliche  öffentliche  Actus  fand  am  8.  Juli  Vormittags  statt,  und 
da  für  Ehrengrade  keine  Diplome  ausgefertigt  werden,  so  wurde  H.'s  Ernen- 
nung nur  einfach  im  Register  der  Universität  als  ein  Act  of  convocation  be- 
zeichnet. Aus  Artigkeit  sandte  H.  später  der  Universität  einen  sogenannten 
Canon  cancrizans  a  tre  auf  die  Worte:  »T/^y  voice,  o  Harmony ,  is  divine«. 
Von  Oxford  zurückgekehrt,  hielt  sich  H.  nicht  mehr  lange  in  London  auf; 
er  war  froh,  eine  Zeitlang  das  Landleben  gemessen  zu  können  und  folgte, 
wahrscheinlich  schon  Ende  Juli,  bereitwilligst  der  Einladung  des  Banquier 
Brassy,  doch  einige  Wochen  auf  seinem  etwa  zwölf  Meilen  von  London  ent- 
fernten Gute  das  erquickende  Stillleben  eines  englischen  Landaufenthalts  kennen 
zu  lernen. 

H.  verweilte  hier  beinahe  zwei  Monate.  Unterdessen  langte  ganz  uner- 
wartet ein  Schreiben  seines  Fürsten  bei  ihm  an,  der  ihn  nach  Hause  zu- 
rückberief, um  für  bevorstehende  Festlichkeiten  zu  Eszterhaz  eine  Oper  zu 
schreiben.  H.  konnte  jedoch  der  Aufforderung  nicht  Folge  leisten,  da  er  schon 
durch  erneuerte  Contracte  noch  für  den  nächsten  Winter  an  London  gebunden 
war.  Die  Contracte  waren  unter  denselben  Bedingungen  abgeschlossen  worden ; 
nur  für  das  Verlagsrecht  der  sechs  Symphonien  zahlte  Salomon  die  erhöhte 
Summe  von  300  £.  Bereits  am  16.  Aug.  zeigte  Salomon  im  Morning  chronicle 
auf  das  Bestimmteste  an,  dass  die  Concerte  nach  demselben  Plan,  wie  im  ver- 
flossenen Winter,  wieder  stattfinden  würden.  H.  ging  demgemäss,  als  er  gegen 
Ende  Septbr.  nach  London  zurückkehrte,  ziemlich  bewegten  Tagen  entgegen. 
Dazu  kam  noch  ein  anderer  Umstand.  Die  Unternehmer  der  Professional- 
Concerte  nämlich,  die  mit  Neid  auf  den  grossen  Erfolg  der  Salomon -Concerte 
herabgesehen  hatten,  machten  jetzt  mehrere  vergebliche  Versuche,  H.  auf  ihre 
Seite  zu  bringen.  Doch  das  gelang  ihnen  nicht,  indem  H.  standhaft  seinen 
gegen  Salomon  eingegangenen  Verpflichtungen  treu  blieb.  Nun  griffen  sie  zu 
einem  anderen  Mittel  und  traten  mit  Ignaz  Pleyel,  einem  Schüler  H.'s,  in  Ver- 
bindung, um  dadui'ch  Meister  und  Schüler  zu  verfeinden.  Auch  Zeitungsartikel 
niussten  dazu  dienen,  H.  allerwärts  zu  verläuniden ;  selbst  in  Wien  hatte  man 
sich  bemüht,  sein  Thun  und  Treiben  und  vor  Allem  sein  Ausbleiben  zu  ver- 
dächtigen. Pleyel,  der  natürlich  nicht  wusste,  zu  welchen  Intriguen  er  miss- 
braucht wurde,  sagte  zu  und  traf  am  Ende  des  Jahres  in  London  ein. 

Mittlerweile  hatte  H.  noch  im  Spätherbste  manche  Festlichkeiten  durch- 
zumachen, so  u.  a.  das  bekannte  Lord  Mayorsfest  am  5.  Novbr.  und  das  darauf 
folgende  Farewell-Dinner  in  Mansion  House  am  9.  Novbr.,  zu  welchen  beiden 
er  geladen  war.  Grleich  danach  ist,  H.  wieder  auf  das  Land  gereist,  um  auf 
etwa  14  Tage  der  Einladung  eines  Lords,  der  100  Meilen  von  London  ein 
Grut  besass,  zu  folgen.  Dies  war  indess  noch  nicht  der  letzte  Landaufenthalt 
in  diesem  Jahre.  Am  24.  Novbr.  nämlich  folgte  er  einer  wiederholten  Auf- 
forderung des  Prinzen  von  Wales,  seinen  Bruder,  den  Herzog  von  York,  auf 
seinem  Schlosse  Oatland,  ungefähr  21  Meilen  von  London  entfernt,  zu  besuchen. 
Er  blieb  zwei  Tage  da  und  wurde  mit  vielen  Ehrenbezeugungen  überhäuft. 
Am  30.  Novbr.  reiste  er  bereits  wieder  auf  drei  Tage  zu  einem  Sir  Patrik 
Blake  auf  das  Land,  Doch  schien  das  fortwährende  Hin-  und  Herreisen  bei 
dem  englisclien  Herbstnebel  nicht  günstig  aiif  seine  Gesundheit  zu  wirken;  er 
hatte  sich  einen  ziemlich  starken  Rheumatismus  zugezogen.  Indess  war  er 
bereits  am  14.  Decbr.  so  weit  hergestellt,  dass  er  einem  ihm  zu  Ehren  veran- 
stalteten Gastmahle  bei  dem  Parlamentsrathe  Mr.  Shaw  beiwohnen  konnte.  Mr. 
Shaw  Hess  es  sich  angelegen  sein,  H.  durch  ganz  besondere  Auszeichnungen 
seine  Verehrung  zu  bezeigen.  Die  Weihnachtsfeiertage  und  den  Sylvesterabeud 
brachte  H.  vergnügt  in  Gesellschaft  seines  Schülers  Pleyel  zu,  der  am  23.  Decbr. 
in  London  angekommen  war.  In  vollster  Freundschaft  gingen  Beide  dem  be- 
vorstehenden Kampfe  entgegen,  der  anders  enden   sollte,  als   die  Professional  es 


Hayda.  129 

sich  geträumt  hatten.  Leider  liefen  diese  doch  wieder  den  Salomon-Concerten 
den  Vorrang  ab.  Am  13.  Febr.  1792  war  das  erste  Professional-Coucert  und 
glänzte  H.'s  Name  als  Zeichen  der  Aufmerksamkeit  an  der  Spitze,  wie  er  denn 
auch  in  den  übrigen  Concerten  nicht  fehlte.  Das  erste  der  zwölf  Salomon- 
Concerte  fand  am  17.  Febr.  statt.  Ausser  den  neu  componirten  Symphonien 
wurden  auch  einige  ältere,  fertige  Arbeiten  H.'s,  die  er  sich  von  Wien  aus 
schicken  Hess  und  die  zum  Theil  für  London  noch  neu  waren,  aufgeführt. 
Unter  den  neuei'en  Compositionen  ragt  namentlich  die  bekannte,  im  sechsten 
Concert  am  23.  März  aufgeführte  Symphonie  mit  dem  Paukenschlage  hervor. 
Im  zweiten  Concert  wurde  der  Chor:  der  Sturm  mit  Quartettsolo  und  Or- 
chesterbegleitung, den  H.  als  ersten  Versuch  über  englische  Textworte  com- 
ponirt  hatte,  aufgeführt  und  fand  grossen  Beifall.  Sein  Benefizconcert  gab  H. 
diesmal  am  3.  Mai  und  am  21.  Mai  folgte  Salomon's  alljährliches  Benefiz  nach. 
Die  letzten  Salomon-Concerte,  in  denen  fast  regelmässig  die  berühmte  Sängerin 
Mad.  Mara  sang,  hatten  so  viel  Zuspruch,  dass  sich  Salomon  veranlasst  fand, 
noch  ein  Extraconcert  zu  geben.  Zuerst  für  den  26.  Mai  angesagt,  fand  das- 
selbe am  6.  Juni  statt,  und  so  endete  die  Saison  wiederum  gegen  Erwarten 
der  Professionalisten  mit  dem  grössten  Erfolge.  Im  Laufe  des  Mai  und  Juni 
wohnte  H. ,    wie    das    Jahr    zuvor,    verschiedenen  Privatconcerten    bei    und    am 

14.  Juni  war  er  zum  Könige  nach  Windsor  geladen,  von  wo  er  noch  an  dem- 
selben  Tage    das  Pferderennen    zu  Ascot    besuchte;    am    folgenden    Tage,    den 

15.  Juni,  war  er  bei  dem  berühmten  Astronomen  "William  Herschel  auf  dessen 
Laudgute   Slough  bei  Windsor  zum  Besuch. 

Trotzdem  nun  H.'s  Zeit  in  dieser  Weise  theils  durch  die  Arbeiten  für 
die  Salomon-Concerte,  theils  durch  lästige  Einladungen  vollauf  in  Anspruch 
genommen  war,  fand  er  doch  noch  Müsse  und  Grelegenheit  für  kleinere  Arbeiten, 
die  er  mehr  zu  seiner  Erholung  schrieb.  So  bearbeitete  er  für  einen  eng- 
lischen Musikalienhändler  Napier,  der  sich  in  den  misslichsten  Vermögensum- 
ständen befand,  eine  Anzahl  schottischer  Lieder,  die  so  reissenden  Absatz  fan- 
den, dass  Napier  sein  Glück  damit  machte.  Er  zahlte  H.  nachträglich  50 
Guineen  für  die  erste  Sammlung  und  konnte  diese  Summe  für  die  zweite 
Sammlung  sogar  verdoppeln.  Auch  für  Thompson  in  Edinburgh  bearbeitete 
H.  dann  in  ähnlicher  Weise  schottische,  wallisische  und  irische  Melodien.  Selbst 
als  Ciavierlehrer  aufzutreten  erlaubte  ihm  seine  Zeit  noch  und  führt  dieser 
Umstand  dazu,  noch  kurz  einer  zarten  Angelegenheit  zu  gedenken.  Eine  ge- 
wisse Mrs.  Schroeter  nämlich  nahm  ebenfalls  Unterricht  bei  H.,  um  sich  im 
Ciavierspiel  zu  vervollkommnen.  Sie  wurde  H.  mehr  und  mehr  mit  herzlicher 
Hochachtung  zugethan,  und  da  auch  dieser  ihre  aufrichtige  Hingebung  zu 
schätzen  wusste,  so  gestaltete  sich  bald  ein  inniges  Verhältniss,  welches  nur 
bedauern  lässt,  dass  es  nicht  zum  erwünschten  Ziele  führen  konnte.  H.  besass 
21  Briefe  von  ihr,  die  vom  8.  Febr.  Bis  zum  16.  Juni  1792  reichen  und  einen 
stetig  zunehmenden  Wärmegrad  der  zärtlichsten  Zuneigung  zeigen;  von  H. 
selbst  haben  wir  leider  keine  Zeüe. 

Mittlerweile  rückte  nun  auch  die  Zeit  der  endlichen  Abreise  heran.  Daran 
gemahnte  ihn  vor  Allem  ein  Brief  seiner  Frau ,  die  ihm  schrieb ,  sie  hätte  ein 
schönes  Häuschen  in  der  Kl.  Steingasse  No.  73  gesehen,  das  für  einen  billigen 
Preis  zu  kaufen  sei;  er  möge  ihr  doch  2000  Gulden  übersenden,  um  dasselbe 
zu  kaufen.  Doch  H.  schickte  klugerweise  das  Geld  nicht,  sondern  kam  selbst 
bald  nach  Wien.  Der  Tag  seiner  Abreise  von  London  ist  nicht  bekannt,  jeden- 
falls Anfang  Juli.  Seine  ursprüngliche  Absicht  war,  über  Paris  zurückzureisen, 
doch  gab  er  dieselbe  wieder  auf  und  erwartete  noch  eine  Ordre  von  seinem 
Fürsten,  ob  er  nach  Frankfurt  a.  M.  zur  Krönung  Kaiser  Franz  IL  am  14. 
Juli  kommen  sollte.  Andernfalls  wollte  er  über  Holland  nach  Berlin  zum 
König  von  Preussen  und  von  da  über  Leipzig,  Dresden  und  Prag  nach  Wien 
zurückkehren.  Welche  Tour  er  nun  in  der  That  eingeschlagen  haben  mag, 
darüber  sind  wir  nicht  unterrichtet,  indessen  hat  er  wohl  seinen  Plan  nochmals 

Musikal.  Couverä.-Le&ikou.    v.  9 


130  Haydn. 

geändert,  da  von  einer  Anwesenheit  in  Berlin  nichts  weiter  bekannt  geworden 
ist.  Fest  steht  nui',  dass  er,  wie  auf  der  Hinreise,  so  auch  auf  der  Rückreise 
Bonn  berührte.  Das  kurfürstl.  Orchester  gab  ihm  ein  Frühstück,  und  der 
junge  Beethoven  legte  ihm  bei  dieser  Gelegenheit  eine  Cantate  vor,  die  er  auf 
den  Tod  Leopold  II.  componirt  hatte  und  die  H.'s  Beifall  fand. 

Wahrscheinlich  wurden  jetzt  auch  zum  Theil  die  Verabredungen  getroffen, 
unter  denen  H.  zum  Lehrer  Beethoven's  erwählt  wurde.  Da  der  Kurfürst, 
dessen  Zustimmung  unbedingt  nothwendig  war,  zur  Krönung  des  Kaisers  in 
Frankfurt  verweilte,  so  konnte  H.  nicht,  wie  er  vielleicht  gewünscht,  den  jungen 
Beethoven  gleich  mitnehmen.  H.  reiste  bald  wieder  von  Bonn  ab  und  traf  in 
AVien  noch  Ende  Juli  oder  Anfang  August  ein.  Beethoven  s  Abreise  verzögerte 
sich  noch  einige  Monate;  erst  im  November  reiste  derselbe  nach  "Wien,  um 
H.'s  Schüler  zu  werden.  Der  Unterricht  begann  alsbald  und  dauerte  bis  gegen 
Ende  des  J.  1793;  Beethoven  machte  schnell  grosse  Fortschritte,  worüber  H. 
mehrfach  günstige  Berichte  nach  Bonn  sandte.  Im  Juni  1793  ging  Beethoven 
mit  H.  nach  Eisenstadt  und  hatte  dieser  auch  die  Absicht,  ihn  auf  seiner  zweiten 
Reise  nach  England  mitzunehmen;  aus  welchen  Gründen  dieser  Plan  später 
aufgegeben  wurde,  darüber  sind  nur  Vermuthungen  erlaubt.  Am  wahrschein- 
lichsten ist  folgende.  Die  Beziehungen  zwischen  H.  und  Beethoven  blieben 
nämlich  nicht  lange  wirklich  herzliche,  nur  verstand  es  Beethoven,  seine  Un- 
zufriedenheit zu  verbergen.  Doch  gelegentlich  äusserte  er  sich  wohl  dahin, 
dass  H.  es  nicht  gut  mit  ihm  meine,  und  er  nahm  sich  deshalb  noch  im  Laufe 
des  J.  1793  einen  zweiten  Lehrer  in  dem  Componisten  Schenk.  Alles  dies 
mochte  H.  schliesslich  zu  Ohren  gekommen  sein  und  erklärt  wohl  hinreichend 
seine  baldige  Abreise  ohne  die  Gesellschaft  Beethoven's. 

Aus  seinem  Aufenthalte  in  Wien  ist  sonst  wenig  zu  berichten.  Im  Winter 
1793  dirigirte  er  in  der  Akademie  der  oben  genannten  Tonkünstlerwittwen- 
und  Waisengesellschaft  seine  sechs  Londoner  Symphonien  und  erntete  damit 
grossen  Beifall.  Auch  wurde  ihm  in  demselben  Jahre  eine  angenehme  Ueber- 
raschung  zu  Theil,  indem  ihm  Graf  Carl  Leonhard  von  Harrach  in  seinem 
Geburtsorte  Rohrau  in  dem  gräflichen  Parke  ein  Monument  errichten  Hess, 
eine  viereckige  Säule  mit  mehreren  Inschriften,  deren  Spitze  eine  etwa  15  Zoll 
hohe  Büste  H.'s  aus  Gyps  zierte.  Mittlerweile  hatte  sich  H.  das  Häuschen  in 
der  Vorstadt  Gumpendorf,  Kl.  Steingasse  No.  73,  besehen,  von  dem  ihm  seine 
Frau  geschrieben.  Ihm  gefiel  die  einsame,  stille  Lage  des  mit  einem  kleinen 
Gärtchen  versehenen  Hauses,  und  so  kaufte  er  dasselbe.  Da  es  aber  ohne 
Stockwerk  war,  Hess  H.  das  Haus  während  seiner  zweiten  Reise  nach  England 
vollständig  ausbauen.  Zu  dieser  zweiten  Reise  hatte  sich  H.  schon  bei  seiner 
ersten  Anwesenheit  verbindlich  gemacht  und  mit  Salomon  einen  neuen  Contract 
geschlossen,  nach  welchem  er  sechs  neue  Symphonien  schreiben  musste.  Aiisser- 
dem  hatte  er  auch  in  England  Verbindungen  mit  Verlegern  geschlossen ,  die 
seine  nochmalige  Anwesenheit  dort  erheischten.  Fürst  Paul  Anton  ertheilte 
zwar  nur  zögernd  seine  Erlaubniss,  musste  aber  schliesslicli  obigen  Umständen 
Rechnung  tragen,  und  so  reiste  denn  H.  am  19.  Jan.  1794  von  Wien  ab,  dies- 
mal über  Wiesbaden  nach  London,  woselbst  er  glücklich  am  4.  Febr.  anlangte. 
H.  bezog  nicht  seine  frühere  Wohnung)  sondern  eine  freundlicher  gelegene 
No.  1  Bury  street  St.  James's,  die  er  wohl  der  Aufmerksamkeit  seiner  Freundin 
Mrs.   Schroeter  zu  verdanken  hatte. 

Salomon  hatte  das  erste  Concert  bereits  auf  den  3.  Febr.  angesetzt,  musste 
dasselbe  aber  wegen  der  verspäteten  Ankunft  H.'s  auf  den  10.  Febr.  verschieben. 
Die  Concerte  fanden  dies  Jahr  au  den  Montag  Abenden  statt,  da  die  Profes- 
sional ihr  Ende  erreicht  hatten,  und  H.'s  Name  blieb  demgemäss  bei  seinem 
zweiten  Aufenthalte  auch  unangetastet  von  Neidern.  Wie  in  den  Vorjahren, 
brachten  die  Concerte  wiederum  theils  schon  ältere,  theils  neu  für  diese  Saison 
componirte  Symphonien.  Unter  letzteren  ragt  diesmal  besonders  die  Militär- 
Symphonie  hervor,  die  in  diesem  wie  im  folgenden  Jahre  mehrmals  wiederholt 


Haydn.  131 

werden  musste.  Im  zehnten  und  elften  Concert  kam  auch  ein  Quintett  von 
H.  für  zwei  Violinen,  zwei  Viola  und  Cello  zur  Aufführung.  Dasselbe  erschien 
später  im  J.  1799  als  op,  88  in  "Wien  bei  Joseph  Eder  und  widerlegt  am 
schlagendsten  die  landläufige  Annahme,  H.  habe  überhaupt  keine  Quintette  ge- 
schrieben. Sein  Benefizconcert  gab  H,  diesmal  am  2.  Mai,  Salomon  das  seinige 
am  28.  Mai.  Mittlerweile  war  zu  Hause  in  Eszterhaz  eine  grosse  Veränderung 
vor  sich  gegangen.  Kurz  nach  seiner  Ankunft  in  London  erhielt  nämlich  H. 
die  Nachricht  vom  Tode  des  Fürsten  Paul  Anton,  der  drei  Tage  nach  seiner 
Abreise,  am  22.  Jan.,  gestorben  war.  Sein  Nachfolger,  Fürst  Nicolaus,  der, 
wie  sein  Grrossvater,  ein  eifriger  Förderer  der  Musik  war,  wenn  auch  in  etwas 
anderer  Art  (vgl.  den  Art.  Eszterhazy),  säumte  nicht,  die  ganze  Kapelle,  mit 
H.  an  der  Spitze,  wiederherzustellen.  Auf  einer  Reise  durch  Italien  begriffen, 
benachrichtigte  denn  auch  Fürst  Nicolaus  im  Laufe  des  Sommers  von  Neapel 
aus  H.  von  seinem  Plane.  Höchst  erfreut  über  diese  Nachricht,  schlug  H. 
sofort  ein,  und  versprach,  nach  Erfüllung  seiner  eingegangenen  Verpflichtungen 
sich  wieder,  wie  früher,  ganz  dem  Dienste  seines  Fürsten  zu  widmen.  In  den 
Sommer-  und  Herbstmonaten  machte  H.  verschiedene  Ausflüge  auf  das  Land, 
meist  in  Begleitung  englischer  Kunstgrössen,  so  im  August  nach  der  Abtei 
Waverley,  im  September  nach  dem  Badeorte  Bath,  im  November  nach  Taplow 
und  Preston. 

So  kam  denn  allmählig  wieder  der  Winter  heran  und  mit  ihm  die  letzte 
englische  Saison  H.'s.  Die  Salomon -Concerte  fanden  laut  einer  Ankündigung 
vom  16.  Jan.  1795  in  diesem  Jahre  nicht  statt,  dagegen  war  ein  neues  Concert- 
unternehmen  an  der  Oper  in  Aussicht  gestellt,  in  welches  nunmehr  H.  mit 
denselben  Bedingungen,  wie  unter  Salomon,  eintrat.  Salomon  selbst  hatte  den 
Plan,  eine  Nationalschule  für  Musik  zu  errichten.  Die  neuen  Opemconcerte 
im  grossen  Concertsaale  des  Kingstheaters  nahmen  am  2.  Febr.  ihren  Anfang 
und  wurden  alle  14  Tage  an  den  Montag  Abenden  abgehalten.  Auch  hier 
kamen  theils  ältere,  theils  eigens  dafür  componirte  Symphonien  von  H.  zur 
Aufführung,  und  die  angekündigten  neun  Concerte  hatten  einen  solchen  Erfolg 
gehabt,  dass  noch  zwei  weitere  Concerte  am  21.  Mai  und  1.  Juni  gegeben 
wurden.  In  der  Fastenzeit  wurden  in  demselben  Saale  an  sechs  Freitagabenden 
Concerte  mit  vorwiegend  Icirchlicher  Musik  abgehalten,  doch  eröffnete  auch  hier 
den  zweiten  Theil  eine  Symphonie  von  H.  Jene  Montagabend- Concerte  wurden 
auch  noch  im  J.  1796  fortgesetzt,  und  trat  ihnen  alsdann  Salomon  in  der  Art 
bei,  dass  er  die  Benutzung  der  für  ihn  von  H.  componirten  Symphonien  ge- 
stattete. Eine  grosse  Verehrung  genoss  H.,  wie  schon  aus  seinem  ersten  Aufent- 
halte hervorging,  bei  Hofe,  und  wurde  er  fast  zu  allen  Concerten  in  diesem 
Winter  geladen.  Namentlich  der  Prinz  von  Wales  gab  in  seinem  Palais  Carlton 
House  im  Granzen  26  Concerte  und  B.  dirigirte  sie  sämmtlich.  In  allen  diesen 
Hofconcerten  kamen  selbstverständlich  H.'sche  Compositionen  zur  Aufführung, 
und  H.  selbst  musste  u.  a.  in  dem  Concerte  bei  dem  Herzog  von  York  am 
1.  Febr.,  sowie  in  dem  Concerte  bei  der  Königin  in  Buckinghamhouse  einige 
seiner  deutschen  Lieder  singen. 

Wie  in  den  Vorjahren,  so  wohnte  H.  auch  dies  Jahr  verschiedenen  Privat- 
concerten  bei,  in  denen  neue  Compositionen  von  ihm  aufgeführt  wurden.  Sein 
letztes  Benefizconcert  in  London  gab  er  am  4.  Mai  im  Haymarkettheater,  und 
gelangte  hier  u.  a.,  wie  er  selber  näher  angiebt,  seine  zwölfte  und  letzte  eng- 
lische Symphonie  in  D  zur  Aufführung.  Das  Concert  brachte  ihm  eine  Ein- 
nahme von  4000  G-ulden.  H.  verlebte  noch  einige  stille  Monate  in  London 
und  fasste  bereits  damals  den  Plan,  ein  Oratorium  zu  schreiben.  Lord  Abingdon, 
der  ihn  vor  Allem  dazu  überredete,  empfahl  ihm  Nedham's  englische  TJeber- 
setzung  von  Seldom's  Mare  clausum,  und  H.  begann  die  Arbeit.  Er  mochte 
sich  aber  doch  zu  einem  so  ausgedehnten  Werke  der  englischen  Sprache  nicht 
mächtig  genug  fühlen,  und  so  blieb  es  bei  der  Composition  einer  kurzen,  ein- 
fachen Arie  für  Bass  und  einem  grösseren   Chor  für  vier  Singstimmen.     Diese 

9* 


132  Haydn. 

Composition  ist  gänzlich  uubekaunt  geblieben  und  gelaugte  das  Mauuscript, 
voUstäudig  in  H.'s  eigener  Handschrift,  durch  Lord  Abiugdon  iu  den  Besitz 
des  Flötisten  Monzaui,  der  es  dem  British  Museum  zum  Geschenk  machte,  wo 
es  noch  gegenwärtig  aufbewahrt  ist.  Am  15.  Aug.  trat  nun  H.  seine  Rück- 
reise au.  Seinen  Weg  nalim  er  diesmal  über  Hamburg,  wo  er  Ph.  Em.  I>ach 
kennen  lernen  wollte,  der  indess  schon  todt  war,  und  Dresden  nach  Wien,  wo 
er  wohlbehalten  Ende  August  eintraf. 

Sein  zweimaliger  Aufenthalt  in  England  hatte  ihm  ausser  einer  Fülle  von 
Auszeichnungen  und  dem  vollauf  geernteten  Ruhme  einen  pecuniäreii  Rein- 
gewinn von  24,000  Gulden  eingebracht,  so  dass  er  dem  Alter  mit  sorgenfreiem 
Blicke  entgegensehen  konnte.  Als  neu  bestätigter  Kapellmeister  des  Fürsten 
Nicolaus,  als  welcher  er  jetzt  nur  seine  eigenen  neuen  Compositionen  in  Eisen- 
stadt zu  leiten  hatte,  bezog  er  au  Pension  und  Gehalt  ausser  dem  gewöhidichen 
Deputat  ein  festes  jährliches  Einkommen  von  2300  Gulden.  Ausserdem  genoss 
er  das  Vergnügen,  ein  eigenes  Haus  mit  einem  kleineu  Gärtchen  zu  besitzen, 
das  indess,  wie  es  schien,  bei  seiner  Rückkehr  noch  nicht  fertig  ausgebaut  war 
(uach  anderen  Nachrichten  kaufte  er  es  jetzt  überhaupt  erst);  denn  er  miethete 
sich  zunächst  eine  Wohnung  am  Neuen  Markt  im  Hoföbstlerischen  Hause,  wie 
aus  einer  gleich  zu  erwähnenden  Concertanzeige  hervorgeht.  Am  18.  Decbr. 
1795  gab  nämlich  H.  in  dem  kleinen  Redoutensaale  eine  musikalische  Akademie, 
in  welcher  drei  seiner  Londoner  Symphonien  aufgeführt  werdeu  sollten.  Die 
Eintrittskarten  dazu  waren  in  seiner  obengenannten  Wohnung  zu  haben.  Auch 
am  8.  Jan.  1796  dirigirte  H,  in  demselben  Saale  ein  Concert  der  Sängerin  Sgra.  Bolla 
und  führte  darin  mehrere  neue  Compositionen  von  sich  aul.  In  den  späteren 
Jahren  finden  wir  noch  mehrfach  H.  in  Wiener  Wohlthätigkeitsconcerten  seine 
Werke  leiten,  so  1801  zum  Besten  der  Verwundeten  von  Hohenlindeu.  Die 
Revolutionsaera,  die  damals  Europa  durchzog,  hatte  ihre  Schatten  auch  bis 
nach  Ocsterreich  geworfen;  die  französischen  Jacobiner  schmeichelten  sich  mit 
der  Hoffnung,  auch  unter  den  Wienern  Anhänger  und  Theilnehmer  ihrer  An- 
schläge zu  finden.  Aus  diesem  Anlasse  entstammten  im  J.  1790  die  schänd- 
lichen Jacobiner- Verfolgungen  und  Hinrichtungen  in  Oesterreich  und  Ungarn. 
Dies  gab  dem  Grafen  Saurau,  späteren  k.  k.  Oberstkanzler,  die  Anregung,  auf 
die  Dichtung  und  Composition  einer  österreichischen  Volkshymne  hinzuwirken, 
und  er  veranlasste  den  Dichter  Haschka,  den  Text  zu  liefern.  In  Betreff  der 
Composition  trat  er  mit  H.  iu  Verbindung,  und  so  entstand  im  Januar  1797 
die  berühmte  Nationalhymne:  »Gott  erhalte  Franz  den  Kaiser«.  Am  28.  Jan. 
erhielt  die  Composition  das  Imprimatur  von  des  Grafen  Saurau  eigener  Hand, 
und  am  12.  Febr.  wurde  das  Lied  zu  des  Kaisers  Geburtstage  in  allen  Theatern 
Oesterreichs  mit  dem  grössten  Enthusiasmus  aufgeführt.  Dasselbe  Jahr  brachte 
H.  auch  die  glänzendste  Genugthuung  für  früher  erlittene  Unbill.  Die  Tou- 
künstlerwittvven-  und  Waisengesellschaft  gab  nämlich  einem  Antrage  ihres  Se- 
cretärs  Wrauitzky  auf  unentgeltliche  Aufnalime  H.'s  jetzt  Folge,  und  in  der 
feierlichen  Sitzung  am  11.  Decbr.  1797,  in  der  Graf  Küfstein,  der  Protektor 
der  Gesellschaft,  persönlich  den  Vorsitz  übernahm,  wurde  H.  nach  einer  vom 
Secretär  gehaltenen  Anrede  zum  Assessor'  senior  ausgerufen.  Noch  heute  be- 
steht diese  Gesellschaft  in  Wien  fort  und  hat  später  den  Namen:  »Pensions- 
verein Haydn«  angenommen. 

Mittlerweile  hatte  H.  sein  eigenes  Häuschen  bezogen  und  dasselbe  wurde 
nun  die  Geburtsstätte  der  beiden  Oratorien,  die  seinen  Ruhm  durch  die  ganze 
Welt  getragen  haben.  Die  erste  Anregung  zur  Composition  der  »Schöpfung« 
ging  von  England  aus.  Wie  oben  erwähnt,  hatte  H.  iu  London  ein  Oratorium 
zu  componiren  angefangen,  wegen  mangelnder  Kenntuiss  der  englischen  Sj) räche 
indess  den  Plan  wieder  aufgegeben.  Dasselbe  Bedenken  machte  er  geltend,  als 
auch  Salomon,  durch  die  grossen  Erfolge  H.'s  ermuthigt,  diesen  zur  Compo- 
sition eines  Oratoriums  aufforderte  und  ihm  den  bereits  fertigen  Text  seines 
Freundes  Lidley   brachte.     H.  nahm  jedoch  den   Text  mit  nach  AVien,    und  da 


Haydn,  133 

man  ihm  auch  hier  keine  Ruhe  liess,  so  zeigte  er  den  mitgebrachten  Text  dem 
Freiherrn  v.  Swieten,  der  ihn  vor  Allen  zur  Composition  aufgemuntert;  der- 
selbe erbot  sich  nun,  eine  freie  deutsche  TJebersetzung  zu  liefern,  und  so  ent- 
stand der  Text  der  »Schöpfung«  in  der  GestaH,  wie  wir  ihn  noch  heute  be- 
sitzen. H.  begann  die  Composition  im  J.  1797  und  im  April  1798  war  sie 
bereits  fertig.  Er  schwankte  längere  Zeit,  ob  er  das  Oratorium  zuerst  in 
London  oder  in  Wien  sollte  aufführen  lassen.  Salomon,  der  von  der  deutschen 
Bearbeitung  des  Lidley'schen  Textes  gehört  hatte,  drohte  H.  mit  einem  Process 
wegen  gesetzwidriger  Benutzung  desselben;  doch  nahmen  beide  Theile  die  Sache 
nicht  gar  so  ernst  und  einigten  sich  wieder  in  Güte.  Salomon  ersuchte  H. 
dringend,  ihm  ein  Exemplar  der  Partitur  zu  schicken,  und  dieser  that  es  denn 
auch  bereitwilligst.  Inzwischen  waren  zehn  Männer  aus  dem  kunstsinnigen 
österreichischen  Adel  zusammengetreten  und  hatten  die  erste  Aufführung  der 
»Schöpfung«  in  Wien  gesichert.  Sie  zahlten  H.  ein  Honorar  von  700  Ducaten 
für  die  Originalpartitur,  bestritten  sämmtliche  Kosten  der  Aufführung,  sandten 
ihm  die  ganze  Einnahme  (4088  Gruldcn  30  Kreuzer)  als  Geschenk  und  über- 
liessen  ihm  die  Partitur  zum  Verkauf  an  einen  Verleger.  So  fand  denn  die 
erste  Aufführung  der  »Schöpfung«  im  Schwarzenberg  Palais  am  19.  Jan.  1799 
statt;  am  19.  März  wurde  dieselbe  zu  H.'s  Benefiz  wiederholt.  Im  folgenden 
Jahre  1800  sollten  auch  London  und  Paris  die  erste  Aufführung  dieses  Werkes 
erleben,  jenes  am  28.  März,  dieses  am  24.  Decbr.,  und  an  beiden  Orten  fand 
es,  ebenso  wie  in  Wien,  den  grössten  Beifall.  H.  erzielte  schliesslich  eine  Ge- 
saramteinnahme  von  etwa  12,000  Gulden.  Ermuthigt  durch  den  ungemeinen 
Beifall,  den  das  Werk  fand,  arbeitete  Erhr.  v.  Swieten  noch  einen  zweiten  eng- 
lischen Text,  nämlich  James  Thomson's  Lehrgedicht  yySeasons«,  zu  einer  Art 
Oratorium  um  und  veranlasste  H.,  auch  dieses  zu  componiren.  So  entstanden 
im  J.  1800  »die  Jahreszeiten«,  die  durch  die  Frische  der  Composition  und 
durch  die  charakteristischen  Nachahmungen  aus  dem  Naturleben  ganz  denselben 
Erfolg  errangen,  wie  die  »Schöpfung«.  Auch  hier  trat  der  österreichische 
Adel  zusammen  und  erwirkte  das  Recht  der  ersten  Aufführungen ,  die  wie- 
derum im  Schwarzenberg  Palais  am  24.  und  27.  April  und  am  1.  Mai  1801 
stattfanden. 

Kurze  Zeit    nach   Beendigung    des    letzten  Werkes    befiel  H.    ein    heftiges 
Kopffieber,  wohl  eine  Folge  der  Anstrengungen,  die  durch  die  Composition  der 
beiden  Oratorien  entstanden  waren,  und  nahmen  überhaupt  seit  1802  in  Folge 
der  Erschütterung  seines  Nervensystems  seine  Kräfte  allmählig  ab.     Das  Jahr 
1803  brachte  seine  letzten    beiden   Compositionen,    das    letzte  (83)    unvollendet 
gebliebene    Quartett    und     eine    Ciaviersonate    für    die    Gemahlin    des    General 
Moreau.     In  den  letzten  Jahren    mehrten  sich  in  Gestalt  von  Diplomen,    Me- 
daillen   u.    s.   w.    Ehrenbezeigungen    über    Ehrenbezeigungen    von    überall    her. 
Auch    durch    das  AYohlwollen    seiner  Fürstin    erhielt  H.    laut    dem  Briefe    des 
Fürsten  vom   26.  Novbr.  1806  in  Folge  der  zunehmenden  Theuerung  noch  eine 
jährliche  Zubusse    von   600  Gulden,    die    er    indess    nicht    mehr    lange    genoss. 
Denn  mehr  und  mehr    schwanden    seine  Kräfte    sichtlich,    und    namentlich  der 
Tod    seiner    beiden  Brüder  Johann    und  Michael,    1805  und  1806,    hatte    ihn 
tief  erschüttert.     Da  erhellte    noch    einmal    ein  Lichtblick    sein  Alter;    es  war 
ihm    beschieden,    seine    eigene  Apotheose    zu    feiern.     Am   27.  März  1808  gab 
man    in    der  Aula    des  TJniversitätsgebäudes    seine  »Schöpfung«  und  wurde  H. 
bei  seinem  Eintritte  mit  Trompeten-  und  Paukenschall  begrüsst,  wie  überhaupt 
durch  Gedichte    und  Beifallsbezeigungen    auf    das    grossartigste    gefeiert.     Der 
Empfang  und  die  ganze  Anffülirung  erschütterten  ihn  indess    derraaassen ,   dass 
er  sich  schon    nach    dem   Schlüsse    des    ersten   Theiles    musste    aus    dem   Saale 
forttragen  lassen,  und  es  war  dies  das  letzte  Mal,  dass  er  in  öffentlicher  Ver- 
sammlung erschien.     Das  Kriegsjahr   1809  rieb  seine  Kräfte  vollends  auf,  das 
Einrücken  der  französischen  Armee    in  Wien  wirkte    nachtheilig    auf  sein   Ge- 
müth,  und  ein  paar  Kanonenschüsse  am   10.  Mai   bracliten  ihn  zur  Ohnmacht. 


1 34  Haydn. 

Er  spielte  noch  mehrmals  sein  Kaiserlied,  und  am  31.  Mai  Morgens  beschloss 
Joseph  H.  sauft  sein  thaten-  und  ruhmreiches  Leben.  Im  J.  1820  erfolgte 
die  TJeberführung  seiner  Leiche  nach  Eisenstadt  und  fand  die  feierliche  Bei- 
setzung hier  am  7.  Novbr.  statt;  das  Grabdenkmal,  das  ihm  Fürst  Nicolaus 
setzen  Hess,  war  ziemlich  ärmlich.  H.'s  Frau,  die  geträumt  hatte,  in  dem  ge- 
kauften Häuschen  ihren  "SVittwensitz  aufzuschlagen,  war  bereits  im  J.  1800  in 
Baden  gestoi-ben,  wo  sie  schon  längere  Zeit  getrennt  von  ihrem  Manne  gelebt 
hatte.  —  Eine  genaue  Aufzählung  und  eingehendere  Würdigung  der  H.'schen 
Compositionen  würde  die  Grenzen  dieses  Werkes  nur  noch  mehr  überschreiten 
und  sei  deshalb  in  Bezug  auf  den  Catalog  seiner  Werke  auf  Gerber's  »Neues 
Tonkünstlerlexikon«  und  Fetis'  »Biographie  des  musiciensa  verwiesen.  Der 
Ruhm  Joseph  H.'s,  Vater  der  neueren  Instrumentalmusik  zu  sein,  ist  so  be- 
gründet, dass  darüber  wohl  keine  Worte  weiter  zu  verlieren  sind.  Möge  sein 
Andenken  stets  in  Ehren  gehalten  werden  und  hoffen  wir,  dass  Deutschland 
endlich  recht  bald  mit  der  leider  noch  immer  felilenden  ausführlichen  Biographie 
dieses  Meisters  beschenkt  werde.  P.  Jaerschkerski. 

Haydu,  Michael,    der   jüngere  Bruder   des  Vorigen,    war    in  ßohrau  am 
14.  Septbr.  1737   geboren  und  erhielt  die  ersten  Anleitungen  zur  Musik  durch 
die  Hebungen   seiner  Eltern,  an  denen  er  sich  ebenso,  wie  vorlier  sein  Bruder 
Joseph,    betheiligte.     Im   J.   1745  wurde    er    als  Chorknabe  in  das  Kapellhaus 
zu   St.   Stephan  aufgenommen  und,  wie  schon  im  Leben  Joseph's  berichtet  ist, 
unterrichtete  ihn  dieser    in  den  Elementen  der  Musik.     Michael  zeichnete  sich 
durch   seine  reine   Sopranstimme  und  besonders  durch  den  weiten  Umfang  der- 
selben  (drei   Octaveu)  vor  allen   Chorknaben  vortheilhaft  aus.     Als  seines  Bru- 
ders Joseph  Stimme  schon  anfing  zu  mutiren,  wurden  ihm  bei  kirchlichen  Festen 
die  Solls  übertragen,    und    er  erregte  namentlich  am  14.  Novbr.  1748  an  den 
Vigilien    des    St.  Leopoldfestes    durch    den   Vortrag    eines    Salve    rejina    einen 
solchen  Beifall   von   Seiten  des  Kaisers  und  der  Kaiserin,    dass    er  von  beiden 
ein  Geschenk    von   je  12  Ducaten    erhielt.     Von  Reuter    lernte  Michael    nicht 
mehr,  wie  die  elementarsten  Kenntnisse  der  Musik;    alles  weitere  verdankte  er 
seinem  eigenen   Talente    und    seinem  Fleisse.     Auf    der  Orgel    hatte    er  es  vor 
Allem  bald  zu  solcher  Fertigkeit  gebracht,    dass    er    öfters  für  den  Organisten 
bei    St,  Stephan    eintrat.     Durch    die  Werke    Bach's,    Graun's,    Händel's    und 
Hasse's,  die  er  sich  zu  verschaffen  suchte,    bildete  er  sich  nicht  nur  zu  einem 
trefflichen  Violinspieler    aus,    sondern    er    lernte    auch    die  Natur  aller  übrigen 
Instrumente  kennen.     Wie    sein  Bruder  Joseph,    versuchte    er    sich    schon    als 
Sängerknabe    in   Compositionen;    ja    er    errichtete    unter    seinen    CoUegen    eine 
kleine  musikalische  Genossenschaft,    deren  Vorsitz  er  führte  und  in  welcher  er 
streng  alle  Plagiate    überwachte.     In  Bezug    auf    die  wissenschaftliche  Bildung 
ragte  er  allen  seinen  Kunstgenossen  voran;  er  eignete  sich  eine  gediegene  clas- 
sische  Bildung  an,  die  classische  Literatur  war  ihm  nicht  fremd,  und  er  machte 
grosse  Fortschritte  in  der  lateinischen  Sprache.     Ferner  trieb  Michael  mit  Vor- 
liebe Geschichte  und  Geographie,  und  erstere  war  noch  im  vorgerückten  Alter 
seine  Lieblingsbeschäftigung,  so  dass  er  sich  mit  der  Zeit  eine  eigene  Bücher- 
sammlung angelegt  hatte. 

Um  1754/1755  trat  Michael  wegen  Mutation  seiner  Stimme  aus  dem  Ka- 
pellhause aus,  und  Reuter  versprach  ihm  alle  Unterstützung  angedeihen  zu 
lassen.  Indess  dies  Versprechen  ist  wohl  niemals  in  Erfüllung  gegangen,  und 
Michael  war  nun  ganz  sich  selbst  überlassen.  Er  lebte  in  der  ersten  Zeit,  wie 
sein  Bruder  Joseph,  vom  Unterrichtertheileu.  Im  J.  1757,  im  Alter  von  20 
.Fahren,  wurde  er  als  Kapellmeister  des  Bischofs  nach  Groswardein  in  Ungarn 
berufen  und  blieb  hier  bei  ziemlich  magerer  Besoldung  fünf  Jahre.  Seine 
Compositionen,  die  sich  grossen  Beifalls  erfreuten,  erwarben  ihm  einen  Ruf 
nach  Salzburg.  Der  Neffe  des  damaligen  Fürst -Erzbischofs  empfahl  Michael 
seinem  Oheim,  und  er  wurde  von  diesem  im  J.  1762  als  Orchesterdirektor  mit 
300  Gulden   Gehalt  und  freier  Tafel  angestellt.     Später   erhielt    er  vom   Staate 


Haydn.  135 

den  Titel  als  Concertmeister  und  Domorganist  nebst  400  Gulden  jährlicher 
Besoldung;  bei  dem  Regierungsantritte  des  Kurfürsten  und  Erzherzogs  Ferdinand 
von  Oesterreich  wurde  ihm  dieselbe  auf  600  Gulden  erhöht. 

Schon  im  ersten  Jahre    seiner  Anstellung    verheirathete    sich  Michael  mit 
der  eben  aus  Italien  zurückgekehrten  Tochter  des  Salzburger  Domkapellmeisters 
Lipp,  welche  sich  durch  ihre  prachtvolle  Stimme  und  durch  ihren  schönen  Vor- 
trag im  Gesang,  den  Michael  noch  mehr  ausbildete,  die  Stelle  einer  Hofsängerin 
erwarb.     Aus  dieser  Ehe  wurde  ihm    eine    einzige   Tochter    geboren,    die    aber 
bereits  im  Alter  von  drei  Jahren  starb,  und  wirkte  dieser  Todesfall  sehr  nach- 
theilig auf  Michael's  Gemüthsstimmung  ein.     Im  Uebrigen  war   im  Gegensatze 
zu  seinem  Bruder  seine  Ehe  eine  glückliche,    wie  wohl  aus  den  »an  seine  von 
ihm    vorzüglich    geschätzte  Gattin«    gerichteten  Liedern    hervorgeht.     Wir    be- 
sitzen von  ihm  gegen   .50  solcher  vierstimmigen  Lieder,  die  damals  ungemeinen 
Beifall    fanden    und    viel    gesungen   wurden.     Die   Geburtsstätte    derselben  war 
das  Pfarrhaus   zu  Armsdorf,    dessen  Bewohner  Pfarrer   Rettensteiner  Michael's 
intimster    Busenfreund    war.     Die    Hauptcompositionen    Michael  H.'s    umfassen 
Kirchennmsik,    so    namentlich   Offertorien,  Messen,  Gradualien.     Letztere  com- 
ponirte  er  im  besonderen  Auftrage  des  Erzbischofs  Hieronymus  von   Colloredo, 
der  die  Symphonien,    welche    bisher  während    des  Hochamtes  zwischen  Epistel 
und  Evangelium  abgeleiert  worden  waren,  gern  verbannt  wissen  wollte.     Michael 
nahm  den   Text  dazu  aus  dem  Graduale  im  römischen  Missale,   bearbeitete  ihn 
für  die  gewöhnlichen  vier   Singstimmen,   zwei  Violinen  und  die  Orgel,   und  so 
entstand  das  erste  Graduale  am  24.  Decbr.  1783;  in  seinem  Nachlass  haben  sich 
nicht  weniger  als  114  Gradualien  vorgefunden.     Von  den  20  Messen,   die  wir 
von  ihm  besitzen,  componirte  er  zwei  im  Auftrage  der  Kaiserin  in  den  Jahren 
1801   und  1803,  und  eine  grosse  Messe  von  zwei  Chören  für  den  Madrider  Hof. 
Dies  waren  auch  fast  die  einzigen  Werke,  für  die  er  eine,  und  zwar  wahrhaft 
königliche,  Bezahlung  erhielt    und    annahm;    die   Gradualien  trugen  ihm  nichts 
ein,  und  überhaupt  war  Michael  entschieden  gegen  jedwede  Verbreitung  seiner 
Werke  durch  Stich  und  Druck.     Von  der  Breitkopf  und  Härtel'schen  Verlags- 
handlung in  Leipzig  wurden  ernsthafte  Versuche  gemacht  zur  Herausgabe  seiner 
Werke;    anfangs  bewilligte  er  zwar  diesen   Schritt,    doch    zuletzt  gab  er  nichts 
mehr  her   von    seinen   Compositionen.     Desto    mehr  waren    gewinnsüchtige  Co- 
pisten  darauf  bedacht,  Abschriften  seiner  Werke  weit  und  breit  herumzusenden. 
So  kam  es,  dass  nur  wenige  seiner  Werke  im  Druck  erschienen  sind;  die  voll- 
ständige Sammlung  seiner  Compositionen ,    unter   denen    sich  auch  weniger  be- 
kannt gewordene  Symphonien,    Serenaden,   Quintette  etc.  befinden,    besitzt  das 
St.  Petersstift  zu  Salzburg. 

Michael  H.  erhielt  mehrfach  ehrenvolle  Anträge  nach  ausserhalb  zur  Ver- 
besserung seiner  Stellitng,  allein  er  vermochte  sich  von  Salzburg  und  seinem 
geliebten  Pfarrer  Rettensteiner  nicht  zu  trennen,  so  drückend  auch  oft  seine 
Lage  sein  mochte.  Im  .L  1801  reiste  er  in  Begleitung  seines  Pfarrers  nach 
Wien,  um  der  Kaiserin  die  von  ihr  bestellte  erste  Messe  persönlich  zu  über- 
reichen und  bei  der  Aufführung  zu  dirigiren,  und  auch  in  den  nächsten  Jahren 
kam  er  öfters  nach  Wien;  aber  vergebens  waren  die  Anstrengungen  seiner 
Freunde,  ihn  in  Wien  festzuhalten.  Ebenso  lehnte  er  im  J.  1803  das  An- 
erbieten seines  Bruders  Joseph  ab,  ihm  die  Kapellmeisterstelle  beim  Fürsten 
Eszterhazy  zu  verschaffen;  ohne  die  Emoliimente  hätte  das  Gehalt  mehr  als  das 
Doppelte  dessen,  was  er  in  Salzburg  bezog,  ausgemacht,  und  dazu  kamen  gerade 
damals  recht  unerquickliche  Verhältnisse,  die  ihn  um  so  mehr  hätten  zur  An- 
nahme dieser  Stellung  antreiben  müssen.  Doch  trotz  alledem  kehrte  er  von 
einem  Aufenthalte  za  Wien  stets  vergnügt  und  heiteren  Sinnes  nach  Salzburg 
zurück  und  tröstete  sich  immer  mit  einigen  ihm  versprochenen  Verbesserungen 
seines  Schicksals,  die  aber  nie  in  Erfüllung  gingen.  Sein  geringes  Einkommen 
suchte  er  lieber  durch  unermüdetes  Unterrichtgeben  im  Generalbass  bei  Privat- 
schülern und  im  Kapellhause    und    mit    dem  Spiele    auf  der  mit  keinem  Pedal 


136  Hayes  -  Hayn. 

versplienen  Orgel  in  der  heil.  Dreifaltigkeitskirche  in  etwas  zu  vermehren.  Im 
J.  1801  traf  ihn  noch  das  Unglück,  beim  Eindringen  des  Feindes  in  Salzburg 
von  französischen  Husaren,  die  ihm  das  Seitengewehr  an  die  Brust  setzten, 
geplündert  zu  werden;  sie  nahmen  ihm  seine  beste  Habe,  die  er  besass,  und 
seinen  vorausempfangenen  dreimonatlichen  Gehalt  weg.  Der  Verlust  wurde  ihm 
grösstentheils  durch  seine  Freunde  wieder  ersetzt,  auch  sein  Bruder  Joseph 
unterstützte  ihn  vielfach  und  machte  ihn  in  seinem  Testamente  zum  Universal- 
erben. Doch  diese  Absicht  vereitelte  Michael's  frühzeitiger  Tod.  Zu  seinem 
tiefsten  Leidwesen  war  nämlich  im  Novbr.  180.3  sein  intimster  Freund,  der 
Pfarrer  Rettensteiner,  nach  Seewalchen  in  Oberösterreich  versetzt  worden  und 
Michael  fing  seit  dieser  Zeit  an  zu  kränkeln.  Noch  im  J.  1804  entledigte  er 
sich  mehrerer  Aufträge  der  königl.  Akademie  der  Tonkunst  in  Stockholm,  zu 
deren  Mitglied  er  ernannt  worden  war,  und  im  J.  1805  componirte  er  noch 
eine  Messe  für  die  Kapellknaben ,  deren  er  mehrere  geschrieben  hatte,  wohl 
seine  letzte  Arbeit.  Im  Juni  1806  besuchte  Pfarrer  Betten steiner  den  immer 
kränker  und  kränker  werdenden  Michael  zum  letzten  Male  in  Salzburg.  Er 
starb  am  10.  Aug.  1806  im  Alter  von  69  Jahren.  Seine  Wittwe  erhielt  für 
das  von  ihm  an  den  kaiserl.  Hof  geschickte  Iteqidem  600  Gulden  als  Honorar 
ausgezahlt  und  Fürst  Nicolaus  Eszterhazy  belohnte  dieselbe  für  die  Partituren, 
die  sie  an  ihn  gesandt  hatte,  mit  einer  lebenslänglichen  Pension.  Durch  die 
Bemühungen  seines  Freundes  Rettensteiner  wurde  Michael  in  der  Peterskirche 
zu  Salzburg,  wo  er  begraben  lag,  ein  Grabdenkmal  gesetzt.  —  Michael  H.'s 
Name  ist  weniger  berühmt  geworden ,  als  der  seines  Bruders  Joseph ,  doch 
zeigen  seine  Kirchencompositionen,  die  Hauptwerke  seines  Lebens,  die  ganze 
Tiefe  seiner  religiösen  Empfindungen.  Ihnen  weihte  er  fast  ausschliesslich  sein 
schöpferisches  Talent;  seine  Instrumental-Compositionen  besitzen  nicht  den  glei- 
chen "Werth,  woran  wohl  zumeist  der  Mangel  an  äusserer  Anregung  Schuld 
sein  mag.  F.  J. 

Hayes,  "William,  englischer  Musikgelehrter  und  Coraponist,  geboren  1708 
zu  Hanbury,  wurde  in  ganz  jungen  Jahren  bereits  als  Organist  in  Shrewsbury 
angestellt,  fungirte  später  in  gleicher  Eigenschaft  an  mehreren  Colleges  und 
Kirchen  zu  Oxford,  wie  er  denn  auch  an  dieser  Universität  im  Laufe  der  Zeit 
Doctor  der  Musik  (1749)  und  Professor  wurde.  Er  starb  im  .T.  1779  und 
lünterliess  zahlreiche  Anthems  und  Kirchenstücke  im  Mauuscript.  Im  Druck 
erschienen  sind  von  ihm  übei'haupt  nur  Lieder  und  Gesänge,  sowie  eine  Schrift, 
betitelt:  -aUemarls  on  Ävisoii's  essai/  on  musical  expressioni  (London,  175.3)  und 
•nAnecdotes  of  the  five  music-meetings  at  CTitirch-Langtontn  (London,  1768).  — 
Sein  Sohn,  Philipp  H.,  geboren  1739  zu  Oxford,  veröffentlichte  als  königl. 
Kammermusiker  zu  London  1768  sechs  Clavierconcerte.  Ferner  betheiligte  er 
sich  an  den  in  den  1780er  Jahren  daselbst  erschienenen  Sammlungen  von  Ge- 
sängen für  drei  und  vier  Stimmen.  Im  J.  1777  war  er  zu  Oxford  zum  Doctor 
der  Musik  ernannt  worden  und  erhielt  nach  dem  Tode  seines  Vaters  die  Pro- 
fessorstelle an  der  Universität.  Gestorben  ist  er  zu  London,  wohin  er  sich  zu 
einer  musikalischen  Aufführung  begeben  hatte,  am  27.  März  1707  auf  dem 
Kirchwege.  Er  galt  für  einen  der  corpulentesten  Männer  in  ganz  England, 
nicht  minder  als  über  die  Maassen  eingebildet  auf  sich  und  neidisch  auf  jeden 
anderen  Künstler.  Kirchencompositionen  verschiedener  Art  von  ihm  sind  Ma- 
uuscript geblieben. 

Haym,  deutscher  Componist,  lebte  um  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts 
und  war  zuletzt  Kapellmeister  des  Herzogs  von  Neuburg.  Er  hat  sechs  Messen 
seiner  Compositiou  veröffentlicht.  —  Ein  älterer  Namensverwandter  von  ihm, 
.Johann  H.,  scheint  in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  .Tahrhunderts  in  Augsburg 
gelebt  zu  haben ,  da  dort  eine  von  ihm  herausgegebene  Litaneiensammlung  er- 
schienen ist. 

Haym  oder  Haim,  Nicolo  Francesco,  s.  Aimo. 

Hayn,  Friedrich   Gottlob,  deutscher  Claviercomponist,  geboren  1771   zu 


Hayne  —  H-dur.  137 

Presden,  war  Organist  in  AViirzen  nnd  hat  sich  duroh  folgende  Compositionen 
bekannt  gemacht:  «Petites  pieces  pour  le  Clav.a  (Leipzig,  1797);  y>VIII  Variaz. 
für  Ciavier  über:  Freut  euch  des  Lebens«  (Dresden,  1797);  »Anleitung,  An- 
gloisen  mit  Würfeln  zu  componiren«   (Dresden,  1798).  f 

Hayne,  s.  auch  Heyne. 

Hayne  oder  Heine,  Gottlob,  deutscher  Tonkünstler,  geboren  1684  zu 
Berlin,  ward  um  1708  als  Violoncellist  bei  der  Kapelle  Friedrich's  L  mit  300 
Thalern  Grehalt  angestellt.  Beim  Thronwechsel  wurde  mit  der  ganzen  Kapelle 
auch  H.  entlassen,  erhielt  aber  bald  darauf  als  Entschädigung  die  Stelle  eines 
Domorganisten  und  Schullehrers.  Als  solcher  errichtete  er  um  1720  im  Dom- 
Schulhause  den  ersten  Gresangverein  in  Berlin,  an  dessen  Hebungen  ausser  den 
Domschüleru  auch  andere  Musikfreunde  Theil  nahmen.  König  Friedrich  Wil- 
helm I.,  der  diesen  Gesang  einst  beim  Vorbeireiten  mit  Wohlgefallen  hörte, 
ernannte  darauf  hin  H,  zum  Musiklehrer  des  Kronprinzen  (Friedrich  II.). 
Dieser  Umstand  hob  jenen  kleinen  Verein  und  erwarb  H.  die  fortdauernde 
(rnade  seines  hohen  Schülers,  der  dessen  musikalische  Angebinde  nicht  nur 
wohlwollend  aufnahm,  sondern  auch  gern  durchspielte.  Selbst  Quantz  durfte 
keine  Ausstellungen  gegen  diese  wohlgemeinten  Kunstgeschenke  erheben.  H. 
scheint  1758  gestorben  zu  sein,  da  sein  Name  in  dem  Berliner  Adresskalender 
jenes  Jahres  zum  letzten  Male  angegeben  ist. 

Haynil,  Baudouin,  französischer  Geistlicher  und  Kirchencomponist,  lebte 
in  der  letzten  Hälfte  des  1(5.  Jahrhunderts  und  war  Musikdirektor  an  der 
Kirche  Saint-Nicolas  des  Champs  zu  Paris.  Er  hat  viele  Motetten  componirt 
und  einige  davon  auch  veröffentlicht. 

H-dur  (ital.:  Si  maggiore,  französ.:  8i  majeur,  engl.:  B  major)  nennt  man 
diejenige  der  24  Tonarten  der  modernen  abendländischen  Musik,  deren  Tonleiter 
nach  der  Dv/rregel  gebildet  ist  und  den  h  genannten  Klang  unserer  C-dursGa\&. 
zum  Grundtone  hat.  Durch  diese  Regel  tritt  die  Nothwendigkeit  einer  Er- 
höhung der  in  C-dur:  c,  d,  f,  g  und  a  genannten  Klänge  um  einen  Halbton 
(s.  d.)  ein,  und  wird  deren  Name  hierdurch  (s.  Erhöhungssylbe)  zu  eis,  dis,  ßs, 
gis  und  ais,  wodurch  sich  für  die  Folge  der  Tonleiter  von  H-dur  folgende 
Namen  ergeben:  7?,  eis,  dis,  e,  ßs,  gis,  ais  und  h.  Diese  Klänge  werden  in  der 
sogenannten  eingestrichenen  Octave  durch  folgende  Zahl  von  Körperschwing- 
ungen in  der  Secunde  erzeugt,  wenn  man  das  kleine  h  als  durch  243,75 
Schwingungen  gebildet  annimmt: 

Ä'         durch    487,5     Schwingungen, 

ais'  -         451,36  -  , 

gis'  -         406,12  -  , 

fls'  •         361,11  -  , 

e'  -         325,0 

dis'  -         304,46  -  , 

eis'  -         270,66  -  , 

h  -         243,75 

Es  ist  überflüssig,  an  dieser  Stelle  auf  die  Verschiebbarkeit  der  namhaft 
gemachten  Klänge,  je  nachdem  sie,  in  dieser  Tonart  oder  in  einer  anderen 
liegend,  als  Klänge  eines  Tonstückes  in  H-dur  vorkommen,  näher  einzugehen, 
da  in  den  Artikeln  Ais,  G-dur  u.  a.  darüber  weitläufig  abgehandelt  worden 
ist.  Dagegen  sei  ein  einschlägiger,  bereits  in  dem  Artikel  F-dur  berührter 
Gegenstand  auch  hier  ins  Auge  gefasst.  Die  in  gewöhnlichen  Männer-  und 
Frauenstimmen  sich  deckenden  Klänge  scheinen  durch  ihre  mathematisch  ab- 
gewägten, instinktiv  klar  und  sofort  unserem  Erkennungsvermögen  fassbaren 
Verhältnisse  der  Schwingungen  eines  tonangebenden  Körpers  den  unserem  Ge- 
hörssinn höchsten  Genuss  zu  bereiten.  Der  an  der  unteren  Grenze  dieser 
Region  liegende  Grundton  dieser  Tonart,  wie  die  beinahe  an  der  oberen  befindlichen 
Klänge  der  Quarte  und  Quinte  von  S-dur  geben  den  sogenannten  festen 
Klängen   (s.d.)  eine  Unwandelbarkeit  und  Reinheit,  wie  fast  in  keiner  anderen 


138  Head  -  Hebden. 

möglicli  ist,  welclier  sich  die  Stimmiiug  der  Terz  in  gleich  erfreulicher  "Weise 
zugesellt.  Diese  Genauigkeit  in  den  Klängen  der  Ivlangquinte  von  IL-äur, 
welcher  Genauigkeit  sich  auch  alle  Wiederholungen  derselben  in  höherer  und 
tieferer  Octave  erfreuen,  giebt  dieser  Tonart  die  Macht,  die  Gefühlsnerven  stets 
in  der  ungeändertsten  Weise  wieder  berühren  zu  können,  wohingegen  die  Töne 
der  Oberquarte  von  H-diir  diese  Macht  nur  in  geringerem  Maasse  besitzen. 
Diese  Eigenheit  der  Grundkläiige  von  lE-dur ,  welcher  die  Wissenschaft  in  di- 
rekter Weise  bisher  noch  gar  nicht  näher  getreten  ist,  hat  früher  auf  eine 
ästhetische  Erklärungsweise  des  Charakters  auch  dieser  Tonart  geführt,  die 
noch  heute,  da  eben  kein  wissenschaftlicher  Ersatz  dafür  vorlianden,  Vielen  von 
Werth  erscheint.  Besonders  finden  poetische  Gemüther  für  derlei  Erklärungen 
sich  sehr  eingenommen,  und  da  Componistcn  meist  zu  solchen  zählen,  und 
dadurch  sich  in  ihrem  Schaffen  zuweilen  und  zwar  nicht  zu  Ungunsten  ihrer 
Schöpfungen  mitbestimmen  lassen,  so  sei  auch  hier  die  ästhetische  Erklärung 
von  Jl-dur,  wie  sie  in  der  Blüthezeit  dieser  Anschauungen,  in  der  ersten  Hälfte 
des  19.  Jahrhunderts,  ausgebildet  gelehrt  wurde,  aufgezeichnet.  Der  Vater 
dieser  Anschauungen,  oder  wenigstens  der,  welcher  zuerst  solche  in  abgeschlos- 
sener Form  darstellte,  Schubart,  sagt  in  seinen  »Ideen  zu  einer  Aestheiik  der 
Tonkunst«,  1806  von  seinem  Sohne  herausgegeben,  p.  .377  ff.:  y>I[-dur  ist  stark 
gefärbt,  wilde  Leidenschaften  ankündigend,  aus  den  grellsten  Farben  zusammen- 
gesetzt. Zorn,  Wuth,  Eifersucht,  Raserei,  Verzweiflung  und  jede  Last  des  Her- 
zens liegt  in  seinem  Gebiete.«  J.  J.  Wagner  später  äussert  sich  in  einem  Ar- 
tikel der  »Leipziger  musikalischen  Zeitung«  von  1823  p.  717  in  ähnlicher 
Weise,  wie  Schubart,  und  schliesst  seine  Auslassungen  mit  folgenden  merk- 
würdigen Versen: 

Murmelthiere,  Bärentreiber, 
Dudelsack,  Zigeunerweiber, 

Und  Hanswurstens  fetter  Scherz, 
Dann  die  heiligen  drei  König' 
'  (Trinken  viel  und  zahlen  wenig). 

Die  erfreuen  jedes  Herz. 
Kreuzerpfeifen  vmd  Schallmeyen 
Rufen  Mädels  in  die  Reihen, 

Und  es  wirbelt  sich  der  Tanz. 
Kirmes  ist  noch  nicht  zu  Ende ; 
Klatschet  jubelnd  in  die  Hände, 

Und  verdienet  euch  den  Kranz! 

Diesen  Schluss  der  Abhandlung  Wagner's  nennt  Schilling  in  seinem  »Uni- 
versallexikon der  Tonkunst«  (1836),  Artikel  K-dur ^  zwar  den  grössten  Miss- 
griff bei  der  Erklärung,  fährt  jedoch  in  nicht  sehr  unähnlicher  Weise  fort: 
Stark  gefärbt  allerdings  erscheinen  die  Klänge  von  H-dur,  wilde  Leidenschaften 
ankündigend,  aus  den  grellsten  Farben  zusammengesetzt.  Mit  E-dur  ist  jene 
Tonart  gewissermassen  zu  vergleichen,  dem  lichten  Feuerfai'b  und  dem  bren- 
nenden Gelb;  aber  es  ist  Zorn,  AVuth,  Eifersucht,  Raserei,  Verzweiflung  und 
jede  Last  des  Herzens,  was  aus  ihren  Klängen  spricht,  und  nicht  eine  leicht- 
fertige, ungezügelte  Kirmeslust,  die  wie  ein  wilder  Regenstrom  den  Schlamm 
des  Gemeinen  fortspühlt.  Wie  wenig  hat  sich  demnach  die  Erklärungsweise 
des  Charakters  der  Tonart  Il-dur  in  der  Zeit  von  30  Jahren  verändert!  — 
Hoffentlich  werden  die  in  neuester  Zeit  von  mehreren  Seiten  aus  unternom- 
menen Versuche,  die  Eigenheiten  der  verschiedenen  Tonarten  wissenschaftlich 
zu  erklären,  im  Interesse  der  Musikwissenschaft  allen  ferneren  willkürlichen 
Auslegungen   einen  Damm  entgegen   setzen.  B. 

Head,  Francis  A. ,  englischer  Tonkünstler,  war  um  1810  Organist  zu 
Ashfield  und  sammelte  die  verschiedenen  Compositionen  der  biblischen  Psalme, 
die  er  mit  anderen  geistlichen   Gesängen  (London,  1840)  herausgab. 

Heather,  s.  Heyther. 

Hebden,  John,    berühmter    englischer  Tonkünstler    und  Violoncellist    des 


Hehelius  —  Hebräer.  139 

18.  Jahrhunderts,  der  besonders  in  den  grossen  Concerien  damaliger  Zeit  zu 
London  als   Solospieler  Furore  machte. 

Hebelius,  Samuel,  latinisirt  aus  Hebel,  deutscher  Gelehrter  des  16. 
Jahrhunderts,  welcher  nach  des  Draudius  Aufzeichnung  herausgegeben  hat: 
y>Evangelia  dominicalia  per  totum  annum  ad  Germanicas  cantionum  forrmilasn 
(Görlitz,  1571). 

Hebenstreit,  Pantaleon,  der  Erfinder  des  nach  seinem  Namen  »Pantaleon« 
oder  »Pantalon«  genannten  Instrumentes,  war  zugleich  einer  der  grössten  Vio- 
linspieler seiner  Zeit.  Geboren  1667  zu  Eisleben,  erlernte  er,  da  er  schon  früh 
Talent  bekundete.  Tanzen,  Violinspielen  u.  s.  w.,  und  Hess  sich  im  letzten 
Jahrzehnt  des  18.  Jahrhunderts  in  Leipzig  als  Tanzmeister  nieder.  Jedoch 
musste  er  Schulden  halber  diese  Stadt  nach  einigen  Jahren  verlassen  und  hielt 
sich  im  Geheimen  bei  einem  ihm  von  der  Schule  her  bekannten  Landprediger 
im  Merseburg'schen  auf.  Dort,  in  unfreiwilliger  Müsse,  verbesserte  er  das 
Hackebrett,  welches  in  der  Dorfschenke  zur  Tanzmusik  gebraucht  wurde,  so 
wesentlich,  dass  er  mit  Recht  der  Erfinder  eines  neuen  Instrumentes  genannt 
Averden  konnte  (s.  Pantaleon),  Nachdem  er  sich  auf  demselben  eingeübt 
hatte,  reiste  er  1705  an  den  Hof  Ludwig's  XIV.  und  erregte  in  Versailles 
und  Paris  das  grösste  Aufsehen.  Vom  Könige  von  Frankreich  reich  beschenkt, 
kehrte  er  nach  Deutschland  zurück  und  fand  1706  eine  feste  Anstellung  als 
Kapelldirektor  und  Hoftanzmeister  in  Eisenach.  Sein  Violinspiel  rühmt  Tele- 
mann,  der  zwei  Jahre  später  ebendaselbst  Concertmeister  wurde,  sehr  und  fügt 
hinzu,  dass  es  ihm  grosse  Mühe  gekostet  habe,  sich  einem  solchen  Virtuosen 
gegenüber  zu  behaupten.  H.  räumte  ihm  aber  noch  in  demselben  Jahre  das 
Feld  und  ging  zu  Concerten  nach  Wien,  wo  er  vom  Kaiser  in  der  schmeichel- 
haftesten Art  ausgezeichnet  wurde.  Ende  des  J.  1708  trat  er  als  Kammer- 
musiker in  kurfürstl,  sächsische  Dienste  und  scheint  seitdem  Dresden,  wo  er 
auch  evangelischer  Hof  kapelldirektor  wurde  und  den  Titel  eines  geheimen  Käm- 
merers erhielt,  dauernd  nicht  mehr  verlassen  zu  haben.  Dort  starb  er  am 
15,  Novbr.  1750.  Seine  vornehmsten  Schüler  auf  dem  Pantaleon  waren  Binder, 
Gumpenhuber  und  Gebel,  welche  das  Instrument  noch  auf  die  folgende  Gene- 
ration brachten,  die  es  aber  dann  nicht  weiter  cultivirte.  Der  um  1789  zu 
Ludwigslust  verstorbene  Kammermusiker  Noelli,  Pantaleonist  des  Herzogs  von 
Mecklenburg  -  Schwerin ,  gilt  als  der  letzte  Virtuose  desselben;  mit  ihm  ver- 
schwand dasselbe  in  der  That  aus  der  Oeffentlichkeit.  —  Eine  Componistin, 
Sophie  Wilhelmine  H,,  in  der  zweiten  Hälfte  des  18,  Jahrhunderts  lebend, 
hat  Oden  und  patriotische  Dichtungen  von  Gleim,  Gotter,  Voss  u.  A,  in  Musik 
gesetzt  und  veröfi"entlicht,  —  Ein  Musikdirektor  des  Leopoldstädtischen  Theaters 
in  Wien,  Namens  H.,  geboren  um  1812,  hat  sich  durch  Composition  von  Ouver- 
türen, Operetten  und  Possen,  welche  er  für  diese  Bühne  schrieb,  vorübergehend 
einen  Namen  gemacht. 

Heberle,  A,,  ein  süddeutscher  Componist  des  18.  Jahrhunderts,  war  durch 
zahlreiche  Concerte,  Allemanden,  Suiten,  Sonaten,  Duos  für  verschiedene  In- 
strumente in  seiner  Zeit  sehr  bekannt  und  beliebt, 

Hebert-Turbry,  s,  Turbry. 

Hebräer.  Hebräische  Musik.  Den  Namen  H.  d^^iny  führte  die  Völker- 
familie, welche,  nach  ihrem  Stammvater  Israel  auch  Israeliten  genannt,  in  den 
Zeiten  von  ungefähr  1700  v.  Chr.  bis  70  n,  Chr,  das  Land  Canaan  bewohnte 
und  dort  zeitweise  einen  mächtigen  Staat  bildete.  Der  Name  H.  unterscheidet 
sich  von  der  Bezeichnung  Israeliten  so,  dass  letzterer  der  patronymische,  genea- 
logische war,  welchen  das  Volk  selbst  sich  beizulegen  pflegte,  ersterer  der,  unter 
welchem  es  bei  den  Ausländern  bekannt  war,  weshalb  es  im  alten  Testamente 
fast  nur  im  Gegensatze  gegen  andere  Völker  (1.  Mose  40,  15;  43,  32)  und 
wenn  Nichtisraeliten  redend  eingeführt  werden,  vorkommt  (1,  Mose  39,  14,  17; 
41,  12  u,  m.),  dagegen  bei  den  Griechen  und  Römern  allein  gebräuchlich  ist. 
S,    Pausanias,    Josephus    und    Tacitus,     Er  ist    eigentlich  appellativ  und 


140  Hobräev. 

bedeutet:  Jenseitige,  Leute  aus  dem  jenseitigen  Lande,  von  1'2V  jenseitiges 
Land,  insbesondere  Land  jenseits  des  Euphrat,  und  der  Ableitungssylbe  "^ — . 
Wahrscheinlich  wurde  er  den  unter  Abraham  aus  den  Gegenden  im  Osten  des 
Euphrat  ins  Land  Canaan  eingewanderten  Stämmen  (1.  Mose  14,  13)  von  den 
Canaanitern  beigelegt;  wiewohl  die  hebräischen  Grenealogen  ihn  patronymisch 
durch   Söhne  des  Eber  (1.  Mose  10,  21;  4.  Mose  24,  24)  auffassen. 

lieber  die  ITrheimath  der  Semiten  überhaupt,  welcher  Völkergruppe  die 
H.  angehören,  ist  nichts  Sicheres  bekannt,  doch  haben  die  neuesten  Forschungen 
etwa  Folgendes  über  den  Ursitz  derselben  und  deren  Wanderung  bis  zur  meso- 
potharaischen  Ebene  ergeben.  Man  hat  sicli  durch  IMancherlei  gedrungen  ge- 
fühlt, die  unermessliche  Hochebene  Turans  zwischen  Oxus  und  Jaxartes  als 
Ursitz  der  Stammväter  der  Semiten  wie  Arier  anzunehmen.  Dort,  westwärts 
von  den  schneebedeckten  Abhängen  des  hoch  über  die  Wolken  ragenden  Bo- 
lortag  und  der  gewaltigen  Erdanschwellung  von  Pamir  sassen  wahrscheinlich 
die  Urseniiten  in  naher  Berührung  mit  den  Stammvätern  der  Arier.  Ursachen, 
die  wir  nicht  mehr  zu  erkennen  vermögen ,  drängten  mit  unabweislicher  Noth- 
wendigkeit  zur  Auswanderung.  Da  grosse  Menschenmassen  in  solchem  Falle 
gerade  wie  die  Gewässer  in  den  natürlichen  Senkungen  des  Bodens  sich  fort- 
bewegen, so  richtete  sich  der  Strom  der  auswandernden  Menschenfluth,  der 
gegen  Osten  durch  unwegsame  Gebirgsketten  und  wasserlose  Strecken  gehemmt 
war,  gegen  AVesten,  folgte  vermuthlich  dem  Laufe  der  grossen  Wasseradern, 
besonders  dem  Oxus,  und  führte  am  Südrande  des  kaspischen  Meeres  herum 
immer  weiter  gegen  Südwesten.  Durch  einen  der  Pässe  der  Elburzkette  drnng 
man  in  die  medische  Gebirgslandschaft  ein,  und  von  da  musste  von  selbst  der 
Abfluss  der  immer  mehr  und  mehr  sich  aufstauenden  IMassen  in  das  tiefe 
Becken  der  assyrisch-raesopothamischen  Niederung  erfolgen,  welcher  wahrschein- 
lich durch  die  alte  Einbx'uchstelle  aller  Volksströme  von  und  nach  Medien, 
durch  die  Felsenschlucht  von  Holwun ,  erfolgte,  welche  die  Zagroskette  hier 
durchklüftet.  Einmal  im  Tieflande  angekommen,  sammelten  sich  die  aufeinander 
folgenden  Menschenwellen,  bedeckten  in  immer  grösserem  Umkreise  das  ganze 
Gel)iet  und  erlangten  allmählig  durch  stärkere  Spannung  genügende  Ausdeh- 
nungskraft, um  auch  die  westlichen  und  südwestlichen  Nachbarländer,  Syrien 
und  Arabien,  zu  besetzen  und  zu  colonisiren. 

Ueber  die  culturhistorischen  Verdienste  der  H.  der  Nachwelt  einigermaassen 
zusammenhängende  sichere  Kunde  zu  geben,  blieb  fast  gar  nichts  ausser  der 
heiligen  Schrift,  der  Bibel.  Das  Land  Canaan,  deren  Volkssitz,  in  dem  einst 
»Milch  und  Honig  flössen«,  wie  damalige  Schriftsteller  sich  ausdrückten,  ist 
gegenwärtig  fast  eine  Wüste.  Keine  Monumentsruine  berichtet  über  die  ver- 
gangene Pracht  und  Herrlichkeit,  und  nur  wenige  Bewohner  verbringen  jetzt 
hier  ihr  Leben  in  Nichtsthun  und  Armuth ,  wo  zur  Zeit  der  Herrschaft  der 
H.  die  regste  Thätigkeit  einer  fast  übergrossen  Bevölkerung  sich  kundgab,  und 
die  Reichthümer  der  AVeit  von  Hand  zu  Hand  wanderten.  Und  die  Nach- 
kommen der  einstigen  Inhaber  Canaan's,  welche  dieser  Erdscholle  mittelst 
Thätigkeit  und  Geisteskraft  damals  und  Jahrtausende  nachher  Weltruf  erwarben, 
leben  jetzt  zerstreut  über  den  ganzen  Erdball,  überall  körperlich  leicht  kennt- 
lich, ohne  jegliches  politische  Band,  und  sprechen  die  verschiedensten  Sprachen. 
Das  Einzige,  was  die  H.  ausser  ihrer  Körpcrbildung  und  ihrer  fast  keinem 
anderen  Erdbewohner  innewohnenden  Anlage,  der  weltlichen  Schlauheit,  aus 
ihrer  Blüthezeit  bisher  bewahrten,  ist:  starres  Festbalten  an  die  alten  theo- 
kratischcn  Lehren  und  dürftige  Kenntniss  der  früheren  Muttersprache.  Die 
Art  der  AVahrung  beider  Güter  jedoch  hat  auch  mit  der  Zeit,  je  nach  dem 
Aufejithaltsort  der  Nachkommen,  sich  sehr  verändert.  Aber  auch  dieser  Starr- 
sinn, bisher  durch  den  den  H.  gewordenen  politischen  Druck  mehr  gefördert 
als  getödtet,  scheint  allmählig  an  der  Sonne  der  Freiheit  zu  schmelzen  und 
nur  ein  Verlangen  und  Streben  nach  dem  erhabenst,  glänzendst  und  gross- 
artigst   Scheinenden    zurückgelassen    zu    haben,    das    auch  wohl   bald  den  Um- 


Hebräer.  141 

ständeu  nach  vom  Zeitgeiste  verniclitet  werden  wird.  Alles,  was  durch  diesen 
Starrsinn  uns  somit  noch  erhalten  zu  sein  scheint,  muss  vom  Ursprünglichen 
sehr  verschieden,  wenn  nicht  gar  gänzlich  anders  geartet  sein.  Und  wenn  dies 
jetzt  wirklich  noch  nicht  der  Fall  ist,  so  wird  dies  doch  bald  der  Fall  sein 
müssen,  indem  darin  jetzt  in  einem  Jahrzehnt  Veränderungen,  die  früher  Jahr- 
hunderte forderten,  vorgehen.  Was  lassen  sich  für  Bausteine  unter  solchen 
Umständen  für  eine  Musikg-eschiclite  der  H.  aus  der  Tradition  erhoffen? 

Fast  überall  muss  der  Forscher  auf  schon  verschobenen  Unterlagen  umher- 
tappeu  und  sieht  sich  oft  zu  Conjectureu  gezwungen,  will  er  eine  Gesammt- 
darstelluug  geben:  die  die  verschiedensten  Anschauungen  aus  einem  Gesichts- 
punkte beleuchten.  Die  natürliche  Folge  von  Conjecturen  aber  ist,  dass  Jeder 
in  glücklicher  Stunde  einzelnen  Wahrheiten  wohl  nahe  kommt,  im  grossen 
Ganzen  jedoch  stets,  durch  seine  Zeitbrille  die  feststehenden  Eiuzelnheiten  be- 
trachtend, mehr  oder  weniger  verschobene  Anschauungspunkte  wählt,  von  wo 
aus  er  die  umhüllte  Wahrheit  betrachtet.  Und  dennoch  ist  es  fast  jedem  ge- 
bildeten Christen  beinahe  ein  Bedürfniss,  sich  eine  Meinung  über  die  Musik 
der  H.  zu  schaffen,  da  diese  Musik  mehr  oder  weniger  als  Hauptwurzel  der  in 
der  Praxis  der  heutigen  abendländischen  Kunst  heimischen  anzusehen  ist.  Die 
innige  Vereinigung  derselben  als  Kunst  mit  der  Religion  bei  den  H.n  ergiebt 
dies  fast  von  selbst,  indem  man  gewiss  in  der  ersten  christlichen  Zeit  in  un- 
serem Gottesdienste  meist  überall  die  hebräischen  Gesänge  zum  Vorbilde  nahm. 
Wir  wollen  deshalb  in  unserem  streng  geschichtlichen  Bericht  so  viel  als  mög- 
lich die  feststehenden  Thatsachen  wie  die  Meinungen  genau  zu  kennzeichnen 
uns  bemühen,  damit  Jedem  ein  Selbsturtheil  zu  fällen  leichter  werde,  und  wir 
empfehlen  ausserdem,  folgende  feststehende  Thatsachen  bei  den  Betrachtungen 
in  Miterwägung  zu  ziehen. 

Die  plötzliche  Zerstörung  des  Tempels  zu  Jerusalem,  des  Mittelpunktes 
des  Lebens  der  H.,  sowie  die  Zerstreuung  des  Volkes  in  alle  Welt,  machte  die 
genaue  Kenntniss  der  Sprache  der  H.,  schon  vorher  wankend,  sehr  schwierig; 
gewisse  Ausdrücke  der  Bibel  wurden  vielfach  verschieden  gedeutet.  Die  be- 
rühmtesten älteren  Kirchenväter,  Origines,  Basilius  der  Grosse,  der  heilige 
Chrysostomus  u.  A.  konnten  sich  über  diese  Materie  ebensowenig  einigen,  als 
schon  die  Siebeuzig,  277  v.  Chr.,  es  bei  der  Uebersetzung  des  alten  Testaments 
ins  Griechische  vermocht  hatten.  Besonders  tritt  dies  in  den  Ueberschriften 
der  Psalme  und  in  diesen  selbst,  wo  musikalischer  Instrumente  Erwähnung 
geschieht,  zum  Nachtheil  einer  Geschichte  der  Musik  der  H.  hervor.  Man  sehe 
in  Bezug  hierauf  nur  Burney's  y>IIist.  of  Musm  VoL  I.  p.  232  nach,  welche 
nicht  weniger  als  sechs  von  einander  abweichende  Uebersetzungen  einiger  Verse 
des  150.  Psalms  anführt.  In  Forkel's  »Geschichte  der  Musik«,  Thl.  I.,  S.  129 
findet  man  einen  getreuen  Abdruck  dieser  Stelle.  Sodann  die  Unkenntuiss  der 
Bedeutung  der  hebräischen  Accente  in  Bezug  auf  die  Musik,  welche  Bedeutung 
nur  von  Wenigen  angezweifelt  wird.  Nicht  einmal  das  Alter  dieser  Zeichen 
kann  mit  Sicherheit  nachgewiesen  werden.  Einige  behaupten,  dass  der  Ge- 
brauch derselben  aus  Mose's  Zeiten  stamme,  andere,  dass  sie  erst  nach  der 
babylonischen  Gefangenschaft,  530  v.  Chr.,  eingeführt  seien,  und  noch  andere, 
sie  seien  noch  viel  früheren  Ursprungs. 

Wenn  somit  die  aus  der  hebräischen  Urquelle,  der  Bibel,  geschöpften 
Nachrichten  manchmal  verschiedene  Deutungen  zulassen,  so  sind  uns  durch  die 
neuesten  Forschungen  doch  Kenntnisse  erwachsen,  welche  diese  Deutungen  liin 
und  wieder  näher  zu  bestimmen  vermögen.  Diese  Kenntnisse  sind  Funden  in 
den  Ruinen  Assyriens  (s.  Assyrische  Musik)  und  Aegyptens  (s.  Aegyp- 
tische  Musik)  zu  danken.  Die  politische  Lage  des  Landes  Cauaan  zwischen 
den  genannten  beiden  Culturstaaten  und  die  Beachtung  der  Wanderung  der 
H.  vor  der  Besitznahme  ihres  Landes  lassen  über  die  wahrscheinliche  Beschaf- 
fenheit ihrer  Musik  manche  berechtigte  Vermuthuug  zu.  Die  Wiege  dieses 
Volkes  stand,  wie  die  Bibel  berichtet,  am  Eupbrat,  wo  ein  ausgebildetes  Musik- 


142  Hebräer. 

leben  stattfand,  das  fast  nur  von  Männern,  und  zwar  oft  von  solchen  aus  den 
höchsten  Ständen,  ausgeübt  wurde.  In  dem  Eutwickelungsleben  des  hebräischen 
Volkes,  zur  Zeit  als  es  erst  gastweise  und  dann  im  dienenden  Verhältniss  in 
Aegypten  war,  lässt  eich  annehmen,  dass  die  dortige  Musik,  deren  Träger  im 
Leben  fast  nur  Frauen  waren,  auf  ihre  aus  Assyrien  bewahrten  Kunstreste 
stark  einwirkte.  Dieser  Lebensschule  gemäss  müssen  sich  denn  auch  in  der 
Glanzperiode  der  H.  deren  Kunstleistungen  ausgebildet  haben.  In  dieser  Glanz- 
j)eriode  war  die  Musik  bei  den  H.n  ein  Hauptfaktor  ihrer  G-ottesverehrung, 
und  indem  dieser  sich  dem  dem  Volke  innewohnenden  Verlangen  und  seinen 
gemachten  Erlebnissen  entsprechend  gestaltete:  stets  das  Glänzendste,  Erha- 
benste und  Grossartigste  zu  bieten,  erwarb  sie  sich  einen  Ruf  in  den  Blüthe- 
zeiten  des  Staates,  der  nicht  allein  noch  bis  heute  andauert,  sondern  der  durch 
sein  Alter  immer  mehr  mährchenhafte  Gestalt  angenommen  hat.  Folgt  man 
nun  der  von  den  Urvätern  der  H.  selbst  zusammengestellten  Geschichte  in  der 
Bibel,  so  ist  von  der  jetzt  vorhandenen  Fassung  zu  bemerken,  dass  dieselbe, 
ehe  sie  durch  Schriftzeichen  fixirt  worden  ist,  Jahrhunderte,  vielleicht  Jahr- 
tausende hindurch  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  stückweise  überliefert  wui'de, 
wie  noch  heute  in  Arabien  geschichtliche  Mittheilungen. 

Diese  Wortüberlieferungen,  denn  so  muss  man  dieselben  nennen,  da  stets 
nicht  der  Geist,  sondern  die  Fassung  bis  zum  Titelchen  wiederzugeben  Pflicht 
war,  ist  deswegen  besonders  zu  beachten,  weil  sie  im  Zusammenhange  mit 
dem  Ton  im  ganzen  Alterthume  gebräuchlich  war,  und  in  diesem  Zusammen- 
hange einzig  unveränderbare  Begriffe  zu  kennzeichnen  vermochte.  Die  kleinste 
"Wortänderung  bedingte  eine  entsprechende  Ton-  und  Sinnänderung.  Letztere 
war  von  solcher  Bedeutung,  dass  ein  mit  einem  bestimmten  Tone  gesprochenes 
"Wort  z.  B.  »Stein«  bedeutete,  während  dasselbe  "Wort,  mit  einem  anderen  Tone 
gegeben ,  dem  Begriffe  »Wasser«  entsprach.  Dies  beweist  die  noch  heute  in 
der  hohen  Staatssprache  zu  Japan  und  China,  wenn  auch  vielleicht  schon  ver- 
stümmelt, vorhandene  Verbindung  des  Tones  mit  dem  Worte,  welche  im  hohen 
Alterthume  an  allen  Culturstätten  gepflegt  worden  zu  sein  scheint.  Dies  musi- 
kalische Moment  bedingt,  wie  in  dem  Artikel  Chinesische  Musik  (s.  d.)  zu 
sehen,  eine  Ausbildung  der  Musik  als  Kunst,  welcher  Ausbildung  dort  auch 
in  der  "Urgeschichte,  wohl  nur,  da  selbige  seit  frühester  Zeit  aufgezeichnet 
worden  ist,  volle  Gerechtigkeit  widerfahren.  Die  H.  hingegen,  obgleich  sie,  wie 
meist  alle  Culturvölker ,  ihre  "Urgeschichte  bis  zur  Erschaffung  der  Welt  und 
des  ersten  Menschenpaares  zurückführen,  scheinen  diesem  Culturtheile,  der 
Musik,  nicht  jene  der  Geschichte  dienende  Bedeutung  beigemessen  zu  haben, 
wie  die  Chinesen  und  andere  alte  Völker,  sondern  dieselbe  mit  der  Zeit  für 
werthlos  erachtet  zu  haben,  indem  sie  nur  das  Materielle  der  Vergangenheit, 
besonders  die  Folge  der  Stammväter,  als  wichtig  für  die  Nachkommen  be- 
trachteten. Andererseits  mag  auch  der  Grund  solcher  Erzählungsweise  der 
langen  Vorzeit  bis  auf  den  als  Stammvater  der  H.  genannten  Abram  in  der 
Bibel  ohne  musikalische  Berichte  darin  liegen,  dass  von  den  Erzvätern  die 
Musik  wohl  noch  praktisch,  ohne  theoretisch  erkannt  zu  sein,  geübt  worden 
ist.  Die  noch  heute  in  Japan  und  China  bei  den  höchsten  Staatsaktionen  ge- 
bräuchliche Redeweise  mag  einem  Stadium  mittlerer  Abnahme  dieser  Kunst 
gleichen. 

Dass  diese  Vorzeit  vorhanden  gewesen  ist,  scheint  die  1.  Mose  4,  21  dem 
Jubal  zugeschriebene  Erfindung  der  Saiten-  und  Blasinstrumente  zu  beweisen. 
Solche  Erfindung  setzt  das  Vorhandensein  eines  Musiksystems  und  einer  nach 
Gesetzen  erstrebten  Tondarstellung  mittelst  Werkzeuge  voraus.  Eine  Erwäh- 
nung von  Pauken  oder  Trommeln  allein  würde  zu  dieser  Folgerung  nicht  be- 
rechtigen, wohl  aber  eine  Erwähnung  obiger  Tonwerkzeuge  ohne  die  der  Pauken 
oder  Trommeln.  Wenn  in  Fetis'  lilllst.  d.  musique«  Tom.  I.  p,  .371  zu  lesen, 
dass  Tubalkain,  der  Stiefbruder  Jubal's,  der  Erfinder  erzener  Schlaginstrumente 
gewesen    sei,    so    beruht    dies    auf   irrthümlicher  Uebersetzung    der    Bibelstelle 


Hebräer,  143 

1,  Mose  4,  22,  oder  wenigstens  auf  einer  sehr  freien  Lesart  dieser  Stelle;  be- 
rechtigter scheint  die  Erklärung  derselben  von  Dr.  J.  L.  Saalschütz  in  seiner 
»Geschichte  und  Würdigung  der  Musik  bei  den  Hebräern«,  S.  3,  zu  sein: 
"Wenn  nun  auch  die  klingenden  (metallenen)  Schlaginstrumente,  die  Sistern, 
Becken  und  Pauken  erst  später  erfunden  wurden,  so  war  doch  der  erste  Schritt 
schon  gethan,  und  der  zweite  konnte  wenigstens  nicht  lange  ausbleiben,  da 
gleichzeitig  mit  der  Erfindung  der  Instrumentalmusik  auch  die  gemacht  wurde, 
Metall  zu  formen,  welche,  wie  oben  erwähnt,  dem  Stiefbruder  des  Musikers 
zugeschrieben  wird.  Die  Erfindung  Jubais  fand  nach  der  Bibel  vor  der  2987 
V.  Chr.  stattgefundenen  grossen  Fluth  statt,  welche  nach  der  hebräischen  Ur- 
kunde das  Menschengeschlecht  bis  auf  Noah  und  seine  Söhne  vernichtete.  Auch 
andere  Völker  des  hohen  Alterthums,  so  die  Chinesen,  berichten  über  eine 
solche  Fluth,  welche  das  Greschlecht  theilweise  vernichtete,  doch  noch  immer 
viele  Greschlechter,  das  Volk,  übrig  liess.  Die  Zeitangaben  über  diese  Fluth. 
bei  den  H.n  und  den  Chinesen  sind  fast  coincident.  Angeführt  mag  hier  noch 
werden,  dass  Josephus,  ein  Zeitgenosse  Christi,  in  seiner  »Jüdischen  Geschichte« 
zu  Ende  des  vierten  Capitels  zweier  Säulen  erwähnt,  die  vor  dieser  Fluth, 
unmittelbar  nach  Adam's  Tode  und  dessen  Prophezeiung  über  den  Untergang 
des  grössten  Theils  der  Menschen,  in  Syrien  errichtet  worden  sein  sollen ,  um 
die  bis  dahin  gemachten  hervorragenden  Erfindungen  nachkommenden  Ge- 
schlechtern zu  erhalten,  weil  in  mittelalterlichen  Schriften  oft  berichtet  wird, 
die  Säulen  hätten  nur  die  Musik  Betreffendes  nachgewiesen. 

Unter  den  vielen  dieser  Schriftsteller  seien  nur  angeführt:  Gervasius  Til- 
beriensis,  1170—1230  n.  Chr.,  und  Adam  de  Fulda,  1430—1470  n.  Chr., 
welche  dasselbe  ohne  Quellenangabe  behaupten.  Josephus  jedoch  weiss  hierüber 
sonst  nichts,  wohl  aber  berichtet  er:  die  Säulen  hätten  noch  zu  seiner  Zeit 
gestanden.  Alle  diese  Berichte  über  Musik  entsprechen  denen  anderer  Cultur- 
völker  aus  der  Zeit  der  Halbgötter,  tragen  aber,  wahrscheinlich  des  Glaubens 
der  H.  an  Einen  Gott  wegen,  eine  durchaus  mehr  menschliche  Gewandung. 
Die  Gleichheit  haben  sie  jedoch  mit  den  sonstigen  der  Urvölker,  dass  sie  That- 
sachen  bieten,  die  die  Musik  als  Kunst  in  jenen  Tagen  vermuthen  lassen, 
wenn  selbige  auch  der  unseren  viel  unähnlicher  gewesen  sein  muss,  als  z.  B. 
die  des  heutigen  Orients.  Krass  tritt  dies  hervor,  wenn  wir  diese  Berichte 
mit  denen  der  Chinesen  vergleichen,  die  die  gelehrtesten  Calcüle  über  die  Musik 
zu  jeder  späteren  Zeit  als  der  Urzeit  nur  als  schwache  Versuche  ansehen,  jene 
Kunst  wieder  zu  ergründen.  Jedenfalls  muss  die  grosse  Fluth  im  Flachlande 
Mesopothamien  viel  verderbenbringender  dem  Menschengeschlecht  gewesen  sein, 
als  im  gebirgigen  China,  und  die  diese  Katastrophe  Ueberlebenden  konnten 
nicht  Bewahrer  aller  vorher  bekannten  Kunsttheile  sein,  weshalb  mehr  und 
weniger  eine  neue  Erfindung  derselben  nothwendig  war,  die  jedoch  erst  bei 
einer  in  grösseren  Gesellschaften  lebenden  Bevölkerung  möglich  war,  wo  nicht 
mehr  Jeder  alle  Kraft  gebrauchte,  die  Mittel  zum  Leben  der  Erde  abzuringen, 
sondern  Zeit  zu  Mittheilungen  und  Betrachtungen  behielt,  wie  er  durch  ge- 
machte Erfindungen  das  Dasein  angenehmer  zu  gestalten  vermöchte.  Geschicht- 
lich nennt  man  diese  Zeit  wohl  den  Anfang  der  geschichtlichen  Zeit.  In 
diese  trat  das  Volk  zwischen  dem  Euphrat  und  Tigris  erst  zur  Zeit  Abram's, 
des   Stammvaters  der  H.,  2000  v.  Chr. 

Die  Staatenbildung  in  diesen  Gegenden,  welche  wahrscheinlich  den  freier 
denkenden  Nomadenfürsten  Abram  aus  seinem  Vaterlande  trieb  und  seinen 
gleichgesinnten  zahlreichen  Nachkommen  ein  Wanderleben  von  einem  halben 
Jahrtausend,  bis  Moses,  1500  v.  Chr.,  in  Palästina,  Aegypten  und  Arabien 
führen  hiess,  lässt  eigene  Erfindungen  in  der  Kunst  kaum  denken,  wohl  aber 
lässt  sich  vermuthen,  dass  man  die  dem  eigenen  Leben  zusagenden  Kunstge- 
bräuche anderer  Völker  je  nach  dem  eigenen  Wohlleben  nachzuahmen  sich  be- 
mühte. Dieser  Auffassung  gemäss  erscheint  die  zweite  Erwähnung  der  Musik 
in  der  Bibel:    1.  Mose  31,  26 — 27.     Laban,   ein    Enkel  des  Bruders  Abram's, 


144  Hebräer. 

ia  Assyrien  wohnhaft,  der  ums  J.  1739  v.  Chr.  lebte,  sagt  zu  seinem  heimlich 
entflohenen  Schwager  Jakob,  Isaac's  Sohn,  als  er  ihn  auf  der  Flucht  nach  Pa- 
lästina eingeholt  hatte:  »Wanini  bist  Du  heimlich  geflohen?  Ich  hätte  Dich 
begleitet  mit  Singen,  Pauken  und  Harfen!«  Wem  tritt  bei  diesen  Worten 
nicht  gleich  ein  Bild  der  Reliefs,  welche,  in  neuester  Zeit  aus  den  Trümmern 
Kuijundschik's  und  andern  Orten  des  alten  Assyriens  erstanden,  über  die  Musik 
jeuer  Tage  berichten,  vor  die  Augen?  Neben  einer  starken  melodieführenden 
Instrumentenmasse,  welche  weithin  Chöre  zu  leiten  vermochten,  werden  hier 
zuerst  die  schallverstärkenden  und  die  Hauptbetonuugen  der  Wörter  unter- 
stützenden Schlaginstrumente  als  längst  im  allgemeinen  Grebrauch  befindliche 
erwähnt.  Wenn  ein  kleiner  Nomadenfürst,  wie  Laban,  diese  Art  des  Geleits 
als  selbstverständlich  bezeichnet,  so  ist  obige  Yermuthung  wohl  nicht  gewagt 
zu  nennen  und  lässt  zugleich  ahnen,  dass  die  Musik  der  Assyrer,  mehr  im 
Besitze  des  Volks  und  der  in  demselben  im  Wohlstaude  Lebenden  ein  Luxus- 
artikel, sich  es  zur  höchsten  Mitaufgabe  stellte,  dem  Zeitgeiste  zusagende  Klang- 
freuden jeder  Art  neben  der  auf  das  Fest  bezüglichen  musikalischen  Wort- 
illustration  zu  bereiten.  Vgl.  hiermit  das  im  Artikel  Assyrische  Musik  S. 
326  bis  330  im  ersten  Theil  dieses  Werkes  Gesagte. 

Mehr  aber  noch  als  die  eben  erwähnte  Bibelstelle  schildert  diese  Eigen- 
heit, welche  damals  in  der  Musik  aller  Semiten  sich  eingebürgert  zu  haben 
scheint,  ein  späterer  Zeitgenosse  Laban's,  der  wahrscheinlich  in  Arabien  hei- 
mische Hiob  (Hiob  21,  12),  als  er  die  Sitten  der  Gottlosen  beschreibt:  »Sie 
jauchzen  mit  Pauken  und  Harfen  (Zithern)  und  sind  fröhlich  mit  Pfeifen.« 
Diese  wenigen  Nachrichten  der  Bibel  über  Musik  aus  der  Zeit  des  Nomaden- 
lebens der  H.  legt  klar  dar,  dass  dieses  noch  gegenwärtig  so  conservative  Volk 
auch  während  seiner  wachsenden  politischen  Bedeutung  stets  den  assyrischen 
Geist  der  Kunst  in  seiner  Musik  sich  anzueignen  suchte  und  zwar  denselben 
in  seiner  seichteren  Gestalt.  In  der  auf  dieser  folgenden  demokratischen 
Herrscherzeit,  von  Moses  bis  Saul,  1500  bis  1100  v.  Chr.,  hingegen  scheinen 
die  H.  in  eigener,  gewähltei'er  Weise  diese  Musik  ausgebildet  oder  den  staat- 
lichen Normen  des  Heimathlandes  ihren  Verhältnissen  entsprechend,  nachgebildet 
zu  haben.  Moses,  der  von  ägyptischen  Priestern  in  der  Landesweisheit  er- 
zogene H. ,  welcher  sich  trotz  dieser  Erziehung  dennoch  zu  seinen  Stammes- 
genossen innig  hingezogen  fühlte  und  deren  Befreiung  aus  Jahrhunderte  langer 
Knechtschaft,  sowie  deren  sittliche  Hebung  sich  zur  Lebensaufgabe  machte  und 
durchführte,  lernte,  selbst  sehr  musikbegabt,  gewiss  auch  die  Musik  der  Aegypter. 
Diese  Kunst,  wahrscheinlich  von  der  assyrischen  dadurch  unterschieden,  dass 
die  Kenntniss  der  Octave,  in  Assyrien  bei  den  Priestern  mit  fünf,  beim  Volke 
mit  sieben  Klängen  Gemeingut,  in  Aegypten  nur  Geheimbesitzthum  der  höchsten 
Priesterklasse  war,  die  dieselbe  vielfach  zerlegte  und  nur  die  Tetrachorde  als 
vom  Volke  erkenn-  und  ausfülirbar  erachteten:  pflegte  Moses  in  seinem  Volke 
in  den  ihnen  bekannten  Elementen  und  Hess  alle  Calcüle  der  ägyptischen 
Priester,  schon  um  deswillen,  weil  in  seinem  Volke  keine  diese  einmal  zu  be- 
greifen vermögenden  Glieder  vorhanden  waren,  wahrscheinlich  ganz  ausser  Acht. 
Die  bei  den  Griechen  Päane  (s.  d.)  genannten  Hymnen,  in  ihrer  ägyptischen 
Urform  gewiss  sehr  einfach,  jedoch  aus  tetrachordischen  Intervallen  gefügt,  von 
welchen  einige  in  den  ägyptischen  Aufenthaltsox'ten  der  H.  den  Gliedern  des 
damaligen  Volkes  von  Kindesbeinen  her  bekannt,  obgleich  die  eigene,  wenn 
auch  verwilderte  Gotteslehre  sie  vom  Singen  derselben  fernhielt,  wollte  Moses, 
der  Reformator  seines  durch  Frohndienste  der  einstigen  eigen  zu  nennenden 
Kunst  entfremdeten  Volkes,  im  ursprünglichen  Geiste  durch  Vorbilder,  nicht 
durch  Lehre  wieder  erwecken,  ohne  jedoch  Geeigneterscheinendes  aus  Aegypten 
c/anz  von  der  Hand  zu  weisen. 

Für  die  Annahme,  dass  solche  ägyptischen  Gesänge  dem  Volke  wohl  be- 
kannt waren,  spricht  die  Auslassung  2.  Mose  32,  18  über  die  Art  der  An- 
betung   eines    goldenen  Kalbes;    wahrscheinlich    eines    dem  Apis    der  Aegypter 


Hebräer.  145 

nachgebildeten  Götzenbildes.  Die  erste  Probe  einer  musikalisch-reformatorischen 
Bemühung  Mose's,  an  der  die  Schwester  Aaron's  Theil  nahm,  findet  sich  in 
der  Bibel  2.  Mose  15  aufgezeichnet.  Es  ist  ein  Lob-  und  Triumphlied  nach 
der  wunderbar  durch  Untergang  des  die  H.  verfolgenden  pharaonischen  Heeres 
im  rothen  Meere  vollendeten  Befreiung  von  jeglicher  ägyptischen  Herrschaft  auf 
der  fast  unbewohnten  Landenge  Suez  gesungen,  AVir  finden  hier  ein  Loblied 
von  dem  Höchsten  des  Volkes  vorgetragen,  ähnlich  wie  es  in  Assyrien  Sitte 
war,  während  von  Aegypten  aus  auf  alle  umwohnenden  Völker  die  Anschauung 
übergegangen  war,  dass  Musik  nur  von  Frauen  oder  »losen  Leuten«  ausgeführt 
werden  dürfe,  wie  die  Bibelstelle  2.  Samuelis  6,  16  zu  beweisen  scheint.  Die 
Ausführung  des  Lobliedes  unterstützte  die  Schwester  des  späteren  Hohen- 
priesters der  H.  durch  einen  mit  einer  Handpauke  ausgeführten  Tanz,  dem  alle 
Weiber,  wie  es  heisst,  mit  Pauken  am  Reigen  folgten.  Wahrscheinlich  war  letztere 
Lobpreisungsart,  besonders  von  Frauen  dargestellt,  mehr  ägyptischer  Natur. 
Auch  der  Saug  Mose's,  in  der  ersten  Freiheitszeit  nach  dem  Erlebniss  der 
ersten  grossen  Gefahr  ausgeführt,  mag  noch  in  der  Melodie  ein  der  höheren 
Priesterkaste  Aegypteu's  theilweise  entlehnter  gewesen  sein,  denn  wer  vermag 
sofort  in  der  Extase  seine  Dank-  und  Lobpreisung  in  Worte  nach  einem  noch 
erst  zu  erstrebenden  Ideale  zu  fassen  und  mit  Tönen  vereint  vorzutragen? 

Mag  dem  nun  sein,  wie  ihm  wolle,  so  viel  ist  gewiss,  wie  zu  Laban's 
Zeiten  Gesang  und  Pauken  als  neue  Momente  der  musikalischen  Kunst  ge- 
nannt werden,  geschieht  hier  zum  ersten  Male  des  Tanzes  Erwähnung.  Will 
man  sich  annähernd  über  die  Art  dieses'  Tanzes  eine  Vorstellung  machen,  so 
scheint  es  geboten,  denselben  als  eine  mehr  pantomimenartige  Darstellung  zu 
den  gesungenen  Worten  aufzufassen,  ähnlich  wie  in  dem  Artikel  chinesische 
Musik  (s.  d.)  schon  die  Verbindung  beider  Künste,  der  Ton-  und  Tanzkunst, 
in  frühester  Zeit  zur  dortigen  Vorelternverehrung  geschildert  wird.  Solche 
Schlüsse  vom  Aeussern  der  Musik  in  einem  asiatischen  antiken  Musikkreise 
auf  dasselbe  in  einem  andern  zu  ziehen,  dürfte  nicht  für  zu  gewagt  erachtet 
werden;  denn  man  lese  nur  die  Abhandlung  ȟber  den  Verkehr  in  der  antiken 
Welt«  (Ausland,  No.  10  des  Jahrg.  1874)  und  ähnlichen  Stoff  behandelnde 
neuere  Aufsätze  nach,  woraus  zu  ersehen,  dass  es  viel  merkwürdiger  sein  würde, 
wenn  eben  keine  Kunde  von  solchem  Aeusseres  Betreffenden  über  die  Landes- 
grenze eines  Culturstaates  gelangt  sein  sollte;  der  Geist,  aus  dem  dies  Aeussere 
entsprang,  mag  meist  Geheimniss  geblieben  sein,  doch  das  Schauliche  ver- 
lockte zum  Nachahmen  und  zu  Mittheilungeu  darüber.  Noch  mag  hier  an- 
geführt werden,  dass  erst  in  und  nach  dieser  Zeit  in  der  Bibel  der  Fertigung 
und  des  Gebrauchs  von  Metallblasinstrumenten  Erwähnung  geschieht  und  zwar 
4.  Mose  10,  2—10  der  Schatzotzroth ,  n^nSSn,  und  Josua  6,  5—13  der 
Schofar,  HDItJ,  worüber  später  Ausführlicheres  gesagt  werden  wird.  Nur  das 
mag  hier  gleich  noch  bemerkt  werden,  dass  es  von  den  silbernen  Trompeten, 
die  Moses  fertigen  Hess,  heisst:  dieselben  sollten  aus  reinem  Silber  getrieben 
(geschmiedet)  werden.  Im  hohen  Alterthum  fand  man  sonst  meist  gegossene 
Metallblasinstrumente  (s.  die  Artikel  Hörn  und  Blasinstrumente). 

Während  der  vierzigjährigen  Wanderung  der  H.  in  der  Wüste,  wo  Moses 
dem  kommenden  Geschlechte  erst  sociales  Beisammenlebcn  und  Sichbemühen 
lehrte,  waren  Kriegs-  und  Signalinstrumente  die  nothwendigsten  Tonwerkzeuge. 
Ein  wirkliches  Kunstleben  konnte  sich  erst  je  nach  der  sittlichen  Hebung  und 
Freiheit  des  Volkes  und  dem  ruhigeren  Leben  desselben  entfalten.  Ganz  der 
gewöhnlichen  Volksentwickelung  entsprechend  findet  man  bei  den  oft  im  Besitz 
ihrer  eben  errungenen  festen  Wohnplätze  gestörten  H.  ein  mehrseitiges  Auf- 
tauchen von  Siegesliedern,  wahrscheinlich  indem  man  das  des  Moses  zum  Vor- 
bild nahm,  als  einzige  Kunstbemühung  heimisch  werden.  Die  400  Jahre  nach 
Mose's  Tode,  die  sogenannte  Periode  der  Richter,  waren  die  Zeiten  der  Stärkung 
und  Concentrirung  der  volklichen  Kraft  bei  den  H.n,  in  denen  die  H.  bald  frei, 
bald  Sclaven  der  umwohnenden  Völker  waren.     Nach  jedem  erfochtenen  grossen 

Muaik.'il.  Couvürs.-Lexikou.     V.  It) 


1 46  Hebräer. 

Siege,  und  deren  waren  in  dieser  Zeit  gewiss  nicht  wenige,  versuchten  die 
Kunstbegabteren  der  Siegesfreude  in  Wort  und  Ton  einen  Ausdruck  zu  geben, 
der  nach  der  steigenden  Entwickelung  der  hebräisclien  Poesie  sich  auch  immer 
mehr  national  kunstmusikalisch  gestalten  musste.  In  der  Bibel  ist  von  der- 
artigen Kunsterzeugnissen,  Richter  5,  der  Lobgesang  der  Deborah  bewahrt. 
Man  vergleiche  über  denselben  Herder,  »vom  Geiste  der  hebräischen  Poesie«, 
Till.  2  S.  270.  Nichts  wird  übrigens  von  einem  mit  diesem  Gresange  verbunden 
gewesenen  Tanze  oder  Instrumentspiel  geschrieben.  Anders  ist  es  mit  dem 
Richter  11,  34  beschriebenen  Siegesreigen  der  Tochter  Jophtha's,  bei  dem  Adufe 
und  Reigen  genannt  werden.  Fast  lässt  sich  annehmen,  dass  bei  jedem  Sieges- 
oder Festgesange  denselben  führende  Tonwerkzeuge  wie  Tanz  Anwendung 
fanden  und  der  Bericht  stets  nur  gerade  des  am  meisten  Aufsehenerregenden 
gedenkt.  Als  gewiss  lässt  sich  dies  wenigstens  von  dem  Bericht  Richter  21,  21 
annehmen,  der  über  ein  Tanzfest  der  Jungfrauen  zu  Silo  erzählt  und  nichts 
von   einer  Musik  dazu  sagt. 

Ausser  den  Metallblasinstrumenten  und  der  Adufe,  welche  beide  eher  eine 
Verflachung  als  eine  Ausbildung  der  musikalischen  Kunst  documentiren ,  wird 
in  der  Bibel  bis  zur  Zeit  Saul's,  1120  v.  Chr.,  keiner  anderen  Tonwerkzeuge 
Erwähnung  gethan,  und  die  letztere  wird  hier  (1.  Samuelis  10,  5)  in  einer 
Art  berührt,  als  wäre  sie  durchaus  überall  in  der  Gesellschaft  der  sogenannten 
Prophetenschulen  selbstverständlich  bekannt.  Samuel  sagt,  nämlich  zu  Saul: 
»Darnach  wirst  Du  zum  Hügel  Gottes  kommen  und  einer  Schaar  Propheten 
begegnen,  die  von  der  Höhe  herabsteigen  mit  Harfe,  Adufe,  Flöte  und  Zither 
vor  sich  her  und  weissagen.«  lieber  das,  was  man  sich  hier  und  1.  Samuelis 
19,  19—20,  2.  Könige  2,  3— -15,  4,  34  und  22,  14  unter  Prophetenschaar  zu 
denken  habe,  giebt  Herder  in  Kürze  die  treffendste  Auskunft.  Sie  waren  nach 
ihm  »eine  Versammlung  junger  oder  erwachsener  Menschen,  die  sich  unter  Sa- 
muel's  Anweisung,  der  ein  Richter  und  Vater  des  Staates  war,  in  dem  übten, 
was  damals  zur  Nationalweisheit  gehörte.«  Wie  in  neuerer  Zeit  die  Universi- 
täten der  Sammelplatz  von  Weisen  sind,  denen  die  lernbegierige  Jugend  zueilt, 
um  sich  das  staatlich  zu  gewissen  Aemtern  geforderte  Wissen  zu  verschaffen, 
so  finden  wir  um  hervorragende  Männer  des  Alterthums  eine  Schaar  von  Jüng- 
lingen und  Männern  versammelt,  die  durch  täglichen  Umgang  mit  denselben 
sich  deren  Kenntnisse  und  Tugenden  anzueignen  suchten.  Seit  früher  Zeit 
schon  hatte  auch  bei  den  H.n  sich  diese  Erhaltungs-  und  Ausbreitungsart  er- 
rungener Weltweisheit  eingebürgert. 

Schon  Moses  bildete  Josua  in  dieser  Weise,  nach  2.  Mose  33,  11, 
seinen  .steten  Gesellschafter  zum  Feldherrn  (2.  Mose  17,  9  ff.),  sowie  nach 
4.  Mose  27,  18;  5.  Mose  34,  9  und  Jos.  1,  1 — 9  zum  Staatsmann  und 
Propheten  und  in  weniger  andauernder  Art  in  anderer  Beziehung  wahr- 
scheinlich auch  noch  Andere,  namentlich  Glieder  der  Familie  Aaron's.  In 
und  nach  Mose's  Zeiten,  wo  die  Ausübung  strenger  Zucht  in  Religion  und 
Führung  den  H.n  nothwendig,  war  die  Heranbildung  nur  weniger  zu  hervor- 
ragenden Aemtern  tüchtiger  Personen  möglich  und  erforderlich.  Die  Art  der 
Einführung  der  religiösen  Gesetze  durch  Moses,  welche  letztere  er  dem  aber- 
gläubischen Haufen,  damit  derselbe  eben  williger  den  Anordnungen  folgte,  als 
von  dem,  Andern  als  ihm  unnahbaren  Gotte  unmittelbar  angeordnet,  überant- 
wortete, sowie  die  Absonderung  eines  Theils  des  Volkes  unter  Bevorzugung 
desjenigen,  dem  die  Wahrung  des  Glaubens  an  Einen  Gott  und  dessen  Ver- 
ehrung in  von  ihm  festgestellter  Form  oblag,  verlieh  dem  Volke  eine  Adels- 
klasse, welcher  eine  gewisse  Weisheit  sich  anzueignen  Pflicht,  und  der  auch 
eine  Fortbildung  in  sich  leichter  möglich  war,  als  Gliedern  anderer  Stämme 
der  H.  Es  scheint  jedoch,  als  ob  in  der  Zeit,  nachdem  die  verschiedenen  Stämme 
der  H.  feste  Wohnsitze  im  Lande  Canaan  bezogen  hatten,  bei  den  Leviten,  die  von 
allen  fleischlichen  Sorgen  frei  waren,  sich  mehr  der  Trieb  für  eine  verknöcherte 
Erforschung  und  Erhaltung  der  Moses'schen  Religioiisanschauungen  breitmachte. 


Hebräer.  147 

als  eine  Sorge  für  eine  zeitliche  Fortbildung  derselben  und  der  damit  im  engen 
Zusammenhange  stehenden  Wissenschaften  und  Künste.  Auch  die  Theilung 
der  Gewalt  in  der  Herrschaft  über  die  H.,  welche  Moses  bei  Lebzeiten  ein- 
führte, indem  er  seinen  Bruder  Aaron  zum  Hohenpriester  ernannte  und  selbst 
die  weltliche  Führung  des  Volkes  handhabte,  —  zu  deren  Fortsetzung  er  Josua 
ausbildete,  trotzdem  er  die  Lehre  gab,  dass  nur  der  Hohepriester  im  Namen 
Gottes  das  Volk  regieren  sollte:  ergab  sich  im  Laufe  der  Zeit  als  sehr  nach- 
theilig für  die  politische  Entwickelung  des  Volkes. 

Wohl  mochte  Moses  der  Gedanke  voi-geschwebt  haben,  dass  ein  Herrscher- 
talent sich  von  selbst  Jedem  kenntlich  mache,  und,  da  die  Aufgabe  eines  sol- 
chen eine  durchaus  andere  sei,  als  die  eines  Priesters,  die  Wahl  eines  solchen 
zur  zeitweisen  Allgemeinführung  gesetzlich  nicht  beengt  werden  dürfe.  Leider 
zog  er  sein  Verhältniss  zu  Aaron,  wie  dessen  Stetigkeit,  nicht  in  Erwägung, 
als  er  die  Anordnung  5.  Mose  17,  9  ff.  traf.  Auch  das  sich  herausstellende 
Bedürfniss,  im  Bürgerleben  Männer  zu  besitzen,  die  die  Lehren  der  Staats- 
religion vollkommen  inne  hatten  und  nicht  dem  Stamme  Levi  entsprossen 
waren,  führte  allmählig  zu  dem  Hervortreten  weiser  Männer  —  von  denen  man 
zu  Friedenszeiten  in  Streitsachen  sich  ein  Urtheil  erbat  und  deren  Rath  man 
in  Zeiten  grosser  staatlicher  Gefahr  anrief  und  befolgte,  je  nach  ihrem  allge- 
mein erworbenen  Vertrauen  —  als  Lehrer,  die  um  sich  einen  Kreis  von  Nicht- 
leviten  zur  Ausbildung  sammelten,  und  Richter  genannt  wurden.  Der  Richter 
mag  es  in  jenen  Tagen  wohl  gleichzeitig  an  verschiedenen  Orten  viele  mit  und 
ohne  Schülerkreis  gegeben  haben,  von  denen  in  frühester  Zeit  die  Geschichte  nichts, 
später  jedoch  die  staatlichen  Grossthaten  und  die  Namen  Einzelner  anführt. 
Auch  hat  mit  der  sich  steigernden  Concentrirung  des  Staates  sich  die  Zahl 
der  Prophetenschulen  von  Bedeutung  wohl  gemehrt  und  in  denselben  sich  ein 
festes  Lehrsystem  eingebürgert.  In  der  Bibel  werden  solcher  Prophetenschulen 
als  zu  Najoth  in  Rama  (1.  Samuelis  19,  10  und  20),  zu  Bethel  (2.  Könige  2,  3), 
zu  Jericho  (2.  Könige  2,  5,  7  und  15),  zu  Gilgal  (2.  Könige  4,  38).  und  zu 
Jerusalem  (2.  Könige  22,  14  und  1.  Könige  10,  10)  bestehend  erwähnt.  Unsere 
Kenntniss  des  Lehrstoffes  auf  diesen  Schulen  ist  eine  sehr  lückenhafte;  nur  so 
viel  ist  gewiss,  dass  man  dort  neben  der  Auslegung  der  Thora  und  der  schon 
vorhandenen  prophetischen  Orakel,  auch  in  der  Fertigung  und  dem  Absingen 
religiöser  Lieder  unterrichtete.  Vielleicht  war  noch  in  jener  Zeit  traditionell 
etwas  aus  der  uralten,  Wort  und  Klang  sich  gegenseitig  bestimmenden  Kunst- 
weise erhalten,  die  man  in  den  Prophetenschulen  zeitgemäss  auszubilden  sich  be- 
mühte. In  diesen  Schulen,  deren  vollkommenste  Einrichtung  unter  Samuel,  1120 
V.  Chr.,  stattfand,  wurde  also  eine  nationale  Ausbildung  der  Theorie  der  musika- 
lischen Kunst  wahrscheinlich  mit  den  anderen  Lehrgegenständen  eng  verbunden 
und  die  höchste  Vollendung  solcher  erstrebt.  Wenn  also  irgendwo  eine  Aus- 
kunft über  das  den  H.n  Eigenthümliche  in  der  Musik  zu  erhoffen  ist,  so  wird 
dies  nur  mit  dem  genaueren  Wissen  über  die  Lehrweise  in  den  Propheten- 
schulen uns  werden  können.  Das  Königthum  in  Israel  zerstörte  diese  Schulen 
bald  gänzlich  und  pferchte  die  Kunst  wieder  in  die  Lebensthätigkeit  der  Le- 
viten ein,  indem  es  wohl  die  Früchte  der  Prophetenschulen  ihnen  mitüberant- 
wortete, jedoch  dem  verknöcherten  Kunstthum  derselben  kein  neues  Leben  zu 
verleihen  vermochte. 

Die  Musik  der  H.  bestand  wahrscheinlich,  wie  die  der  Assyrer,  theil- 
weise  in  einem  instinktiven  Zählen  von  Körperschwingungen,  das,  um  genau 
zu  geschehen,  nur  langanhaltende  Schöpfungen,  Töne,  zum  Beobachtungs- 
gegenstande gebrauchen  konnte,  deren  Feststellung  den  Tonwerkzeugen  oblag 
und  deren  Ausführung  eine  grössere  Sängerzahl  (Chor)  übernahm;  theil- 
weise  in  freien,  Tonfreuden  bereitenden  Klangfolgen,  deren  Hauptpunkte  nur 
instrumental  gegeben  wurden  und  werden  konnten  und  die  von  einer  Einzeln- 
stimme (Solo)  ausgeführt  wurden.  Die  Tonfeststellung  muss  jedenfalls  in  der 
Blüthezeit  der  H.  durch  das  damit  verbundene  Wort  sehr  beeinflusst  oder  gar 

10* 


1 48  Hebräer. 

fest  bestimmt  worden  sein,  denn  die  künstliche  Alpliabetisirung  mancher  Dich- 
tungen lässt  fast  keine  andere  Voraussetzung,  warum  dies  der  Fall  ist,  zu. 
Es  scheint  hier  also,  wie  in  China  in  den  Musikgelehrtenkreisen,  in  den  Pro- 
phetenschulen, wie  schon  erwähnt,  das  Bemühen  stattgefunden  zu  haben,  im 
altassyrischen  G-eiste  die  Tonkunst  zeitgemäss  auszubilden,  deren  sinnliche  Ge- 
staltung im  Mutterlande  nur  noch  die  Schaale,  jedoch  nichts  vom  Kerne  der 
Urkunstseele  bot,  und  die  den  H.n  zur  Verherrlichung  ihres  verehrten  Einen 
Gottes  als  einzig  anwendbar  schien.  Durch  das  instinktive  Zählen,  man  ver- 
zeihe den  prosaischen  Ausdruck,  doch  wir  wissen  keinen  anderen,  der  der  Wahr- 
heit näher  käme,  mussten  Musikbewanderte  jener  Tage  gewiss  ebenso  in  Bezug 
auf  Beobachtung  der  correcten  Intervalldarstellung,  wie  heutigen  Tages  Fugeu- 
liebhaber  durch  Verfolgung  der  Tonfadenverschlingungeu  interessirt  werden,  die 
die  Geistesthätigkeit  einzig  für  sich  in  Anspruch  nehmend,  also  allmälig  jeder 
anderen  Thätigkeit  abwendend,  deshalb  der  Musik  einen  gemüthberuhigenden 
Ruf  verleihen.  Das  das  Zählen  unterbrechend  stattfindende  Ergehen  in  freien, 
nur  in  Einzelnklängen  fixirten  Tongängen,  was  durch  das  Erfindungsverraögen 
und  den  schmelzend  gegebenen  Tonfluss  des  Erzeugers  noch  besonders  erfreute, 
ja  oft  selbst  zur  Bewunderung  hinzureissen  vermochte,  war  gewiss  nur  solcher 
Gemüthsberuhigung  förderlich.  Dieser  bei  den  H.n  jener  Zeit  wohl  vorzüglich 
geschätzten  Eigenschaft  der  Musik  hatte  es  der  von  Samuel  schon  als  hoch- 
begabt erkannte,  körperlich  unbedeutende  Hirtenknabe  des  Stammes  Juda, 
David,  zu  verdanken,  dass  Samuel  ihn  für  fähig  erklärte,  einst  Israel  zu  re- 
gieren und  ihn  zum  Gesellschafter  des  Königs  Saul  zu  machen  wusste,  dem  er 
durch  sein  hervorragendes  Harfenspiel  die  trüben  Stunden  verscheuchen  sollte. 
Wir  unterlassen,  Betrachtungen  über  die  Placirung  des  zukünftigen  Königs 
beim  gegenwärtigen  durch  den  eifrigen  Vertreter  der  Priesterkaste,  denn  dazu 
waren  die  Richter  geworden,  anzustellen,  fühlen  uns  aber  gedrungen,  in 
Kürze  die  Umwandlung  der  demokratischen  zu  einer  monarchischen  Herr- 
schaft in  Israel  zu  erzählen,  da  diese  auf  die  Kunst  von  bedeutendem  Einfluss 
sich  ergab. 

Die  H.  waren  nämlich  des  ewigen  Suchens  in  den  Zeiten  der  Gefahr  nach 
einem  weltlichen  Führer  müde  und  hatten  sich  durch  den  angesehensten  Richter, 
Samuel,  einen  König,  Saul,  erküren  lassen,  1100  v.  Chr.  Derselbe  war  aus 
dem  kleinsten  Stamme,  Benjamin,  erwählt,  und  wohl  kaum  ohne  die  Absicht, 
nicht  etwaigen  Eigenwillen  gegen  den  der  Priester  durch  zu  grossen  Anhang 
im  Volke  zu  unterstützen.  Dieser  König  lebte  noch  in  einfacher  Richterweise 
zu  Gilgal,  und  als  er  einmal  versuchte,  neben  der  übernommenen  Richtermacht 
auch  Priestergewalt  zu  üben  (1.  Samuelis  13),  verfiel  er  in  Zerwürfniss  mit 
seinem  Beschützer  und  dem  Clerus.  Die  Z'^rwürfnisse  mehrten  sich  mit  der 
Zeit  und  führten  zur  heimlichen  Königssalbung  David's  durch  Samuel,  dem 
allmächtigen  Richter,  als  Nachfolger  Saul's,  der  wohl  gehoflFt  hatte,  seinem  Sohne 
seine  Macht  zu  vererben.  AVahrscheinlich  gaben  Samuel  die  Erziehung  David's 
in  einer  Prophetenschule  und  dessen  religiöser  Sinn  das  Zutrauen,  dass  der- 
selbe niemals  gegen  der  Priester  Willen  zu  handeln  wagen  werde  und  dass 
sich  von  ihm,  zur  Ausführung  weltlicher  Handlungen  die  Unterstützung  des 
mächtigsten  Stammes  als  Brüder  hinter  sich,  eine  schnelle  und  dem  Volke 
wohlthätige  Gewaltführung  hoffen  Hess.  In  wie  weit  diese  Voraussetzungen 
Samuel's  sich  erfüllten,  mag  Jeder  aus  der  Weltgeschichte  ersehen;  hier  nur 
noch  die  die  Musikentwickelung  bei  den  H.n  angehenden  Grundzüge  der  mo- 
narcliischen  Zeit.  Nach  Saul's  Heimgang  unter  David's  Herrschaft  schon  wurde 
die  Richterwürde  in  ihrer  bisherigen  Stellung  bei  den  H.n  überflüssig,  die 
Prophetenschulen  verödeten  allmälig,,  indem  Alles  sich  um  den  weltlichen  Herr- 
scher, den  König,  schaarte,  als  er  die  letzte  Feste  der  Jebusiter,  Hebron 
(2.  Samuelis  .5,  6 — 7),  eingenommen  hatte  und  .Terusalem  zur  Hauptstadt  des 
Landes  erhob.  Die  Leviten  herrschten  ferner  zwar  nicht  mehr,  waren  jedoch 
der  geachtetste   Stand,  dem  abrr  der  Sohn  Juda's,  David,  Gesänge  in   neuester 


Hebräer.  149 

"Weise  schuf,  die  sie  nicht  allein  in  den  Ritus  aufnahmen,  sondern  auch,  durch 
die  Erblichwerdung  der  Davidischen  Herrschaft  gezwungen,  dem  A^olke  dauernd 
vorführten,  so  dass  dies  selbst  den  Werth  derselben  abzuwägen  im  Stande  war. 
Diese  neue  Kunstepoche ,  die  der  königlicheu  Herrschaft  in  Israel,  von  Saul 
bis  Zedekia,  1100  bis  600  v.  Chr.,  zeichnete  sich  in  erster  Zeit  durch  schnelle 
Entwickelung  der  hebräischen  Musik  bis  zum  höchsten  Glanzpunkte  hin  aus, 
welcher  Glanz  jedoch  bald  wieder  allmälig  sich  verringerte  und  welchen  man 
dann  nur  zeitweise  nach  dem  erhaltenen  Gesetz  und  der  Erinnerung  wieder 
herzurichten  bestrebt  war.  Die  Bibel  ist  besonders  reich  an  Mittheilungen  über 
die  Musik  in  dieser  Zeit. 

Der  geniale  David,  nachdem  er  durch  Harfenspiel  und  Gesang  (1.  Sa- 
muelis  16,  22)  sich  des  Königs  Gunst  erworben  hatte,  buhlte  auch  um  die  des 
Volkes,  und  dies  feierte  ihn  (1.  Samuelis  18,  6 — 7):  »Saul  hat  Tausend  ge- 
schlagen, doch  David  Zehntausend!«  durch  Gesang  und  Reigen  mehr  denn  den 
König  selbst.  Diese  Feier  David 's  giebt  uns  ein  Bild  von  der  Art  der  H., 
Jubelhymnen  in  Form  von  Doppelchören  auszuführen.  Gewiss  hatte  schon  seit 
der  "Wüstenwanderung  der  H.  (4.  Mose  21,  17)  solcher  "Wechselgesang  im 
frommen  "V^olksleben  sich  eingebürgert  und  vervollkommnet,  und  die  Vermuthung 
Forkel's  in  seiner  »Geschichte  der  Musik«,  Thl.  I.  S.  115,  dass  von  dieser 
Gewohnheit  wahrscheinlich  die  Art,  nach  welcher  wir  in  der  katholischen 
Kirche  oft  Psalme  und  Motetten  singen  hören,  sich  herschreibt,  scheint  nicht 
unberechtigt  zu  sein.  David,  nachdem  er  1058  v.  Chr.  selbst  zur  Regierung 
gekommen  war  und  dem  Yolke,  untei'stützt  von  seinem  Stamme,  eine  festere 
Gliederung  verlieh,  bevorzugte  dabei  nach  allen  Seiten  hin  besonders  den  Cultus 
der  H. ,  in  welchem  diese  sich  von  allen  Umwohnern  unterschieden,  indem  er 
demselben  einen  bis  dahin  in  Israel  nicht  gekannten  Musikpomp  beifügte.  Die 
Bundeslade  wurde  in  Stationen  von  der  Landesgrenze  in  die  von  ihm  erkorene 
Hauptstadt  des  Landes  gebracht,  und  er  selbst,  der  geliebte  König,  führte, 
tanzend  im  Reigen  vor  der  Lade  her  (2.  Samuelis  6,  14),  den  feierlichen  Zug. 
Diess  Schauliche  schon  wusste  David  dem  unendlich  Erhabenen,  dem  Volks- 
geiste angemessen  nicht  allein,  wie  eben  angedeutet,  bedeutender  auszuführen, 
als  es  bisher  je  wahrgenommen  war,  sondern  er  gab  auch  Gesetze,  wie  künftig 
zu  Jerusalem,  wo  ein  Tempel  prächtiger  als  der  Königspalast  für  die  Bundes- 
lade gebaut  werden  sollte,  eine  stete  musikalische  Verherrlichung  des  Aller- 
höchsten ausgeführt  werde,  zu  welcher  alle  Musikbegabten  Israels  unter  Leitung 
aus  dem  Stamme  Levi  erlesener  Männer  verpflichtet  wurden.  Nach  dem  Be- 
richte in  dem  15.,  16.  und  23.  Capitel  des  ersten  Buchs  der  Chronica  er- 
wählte David  Heman,  Assaph  und  Ethan  (später  Jedithun  genannt)  zu  Ober- 
leitern der  Cultusmusik  und  Schenanja  zum  Gesanglehrer.  Diese,  denen  ihre 
Kinder,  vier  und  zwanzig  an  der  Zahl,  zunächst  unterstellt  waren,  hatten  die 
Leitung  und  Ausbildung  von  viertausend  Musikern  zur  Lebensaufgabe  (l.  Chro- 
nica 23,  5).  Von  diesen  Viertausend  waren  nach  1.  Chronica  25,  7  zwei 
Hundert  und  acht  und  achtzig  Meister,  was  wohl  heissen  soll,  theoretisch  und 
praktisch  gebildete  Musiker.  Diese  Meister  waren  in  vier  und  zwanzig  Ord- 
nungen getheilt.  Jede  Ordnung  hatte  einen  der  Söhne  der  obengenannten 
Oberleiter  zum  Vorgesetzten. 

Solche  festen  Bestimmungen  über  Pflege  und  Pfleger  heimischer  Musik 
werden  wohl  an  allen  Culturstätten  des  Alterthums,  wo  die  Kunst  geachtet 
und  ein  Faktor  des  Gottesdienstes  war,  festgestellt  worden  sein;  uns  ist  jedoch 
nur  eine  andere  solche  bekannt.  Amiot  bringt  diese  in  seinem  Werke  »Me- 
moire sur  la  musique  des  Ckinoisa,  1779,  eine  TTebersetzung  aus  Li-koang-ti's 
Schriften:  nLes  Ojficiers  de  Musique  etoient  1)  deux  grands  Mandarins  de  Vordre 
du  milieu;  2)  quatre  maitres  de  Musique,  Mandarins  d^un  ordre  inferieur  ä 
oelui  de  deux  premiers;  3)  huit  docteurs  de  Musique  du  degre  superieur; 
4)  seize  docteurs  de  Musique  du,  degre  inferieur;  5)  liuit  Mandarins  subalternes 
du  titre  de  la  garde   de    la  Musique;    6)  huit  Musicographes ;    7)  huit  surnume- 


1 50  Hebräer. 

raires:  8)  quatre-vingts^  disciples.a  "Weiteres  über  die  Anordnungen  David's  in 
Bezug  auf  Musik  findet  man  im  Artikel  Leviten  in  diesem  Werke,  in  S.  v. 
Tils'  »Dicht-,  Sing-  und  Spielkunst  der  alten  H.«  und  in  der  Bibel.  Hier  nur 
noch  die  Bemerkung,  dass  die  schallendsten  Tonwerkzeuge,  die  Metallblasinstru- 
mente, in  dem  Gesetz  bei  den  H.n  den  gewissenhaftesten  Händen,  denen  der 
Priester,  anbefohlen  wurden.  Die  metalleneu,  beckenartigen  Schlaginstrumente 
scheinen  meist  nur  von  den  IVlusikleitern  geführt  worden  zu  sein,  um  die  decla- 
matorischen  Pulse  durch  deren  Anwendung  hervorzuheben,  wie  etwa  dies  die 
Chorführer  der  Griechen  durch  das  Stampfen  mit  ihren  mit  eisernen  Sohlen 
bewaffneten  Füssen  in  Bezu£f  auf  den  Rhythmus  thaten.  Nur  das  Rasseln  mit 
System  (s.  d.),  da  wohl  das  Brüllen  der  Opferthiere  durch  dasselbe  übertönt 
werden  sollte,  wurde  gewöhnlichen  Leviten  anvertraut. 

Wenn  in  der  Bildungszeit  dieser  Gesetze,  wie  aus  der  Stelle  2.  Samuelis 
6,  5  erhellt,  auch  noch  zuweilen  alle  bei  einem  Feste  gegenwilrtigen  Musik- 
begabteren an  den  Kunstausführungen  Theil  nahmen,  so  ist  dies  wohl  mit  der 
Zeit  mehr  und  mehr  verschwunden.  Auch  der  gänzliche  Ausschluss  von  Sänge- 
rinnen beim  wirklichen  Gottesdienste  scheint  um  diese  Zeit  erst  sich  heraus- 
gebildet zu  haben.  Nach  dem  Gesetz  hatten  somit  nur  bei  einem  gewöhnlichen 
Gottesdienste  die  Meister  einer  Ordnung,  11,  denen  nach  Ermessen  Schüler 
beigesellt  wurden ,  unter  dem  vorgesetzten  Leiter  die  Musik  auszuführen ;  an 
Festtagen  wurden  je  nach  Bedeutung  des  Festes  mehrere  oder  alle  Ordnungen 
und  deren  Beihelfer  unter  Leitung  der  angestellten  Leiter  derselben  vereinigt. 
Bei  grösseren  Räumlichkeiten  und  einem  ausgebreiteteren  Miisikwissen  gab  man 
vielleicht  bald  beim  gewöhnlichen  Gottesdienste  dem  Verlangen,  stets,  wenn  es 
die  Mittel  erlauben,  die  höchstmöglichste  Pracht  zu  entfalten,  dadurch  Genüge, 
dass  man  die  ausserordentlichen  Sänger  und  Instrumentisten ,  so  viel  als  es 
irgend  anging,  vermehrte.  Durch  eine  steigende  Coucentrirung  der  Musik  um 
die  Bundeslade  und  der  immerwährenden  volklichen  Kenntnissnahme  derselben 
muBste  bei  den  H.n  jede  Spur  einer  freien  weltlichen  Volksmusik,  wie  zur  Zeit 
des  Mittelalters  im  Abendlande,  verloren  gehen,  indem  die  geistliche  Musik  die 
etwa  vorhandene  weltliche  sich  einverleibte  oder  tödtete.  Weltliche  und  geist- 
liche Musik  unterschieden  sich  hier  vielleicht  bald  nur  durch  die  derselben  bei- 
gefügten Worte  und  dadurch,  dass  erstere  vorzüglich  von  Laien  und  Frauen, 
letztere  nur  von  Priestern  und  Leviten  ausgeführt  wurde.  Auch  der  Pflege 
der  weltlichen  Musik  scheint  David  in  späteren  Jahren  besondere  Aufmerksam- 
keit zugewandt  zu  haben,  wenn  vielleicht  auch  nur,  um  sich  neben  den  Ton- 
freuden an  dem  Anblick  der  Ausführenden,  schönen  Sängerinnen  u.  s.  w. ,  zu 
weiden.  Aus  der  Bibelstelle  2.  Samuelis  19,  35,  der  Antwort  des  hochbetagten 
Gileaditers  Berzelai  an  David,  als  dieser  ihn  an  seinen  Hof  ziehen  will:  »achtzig 
.Jahre  bin  ich  heut,  hal)en  denn  meine  Sinne  noch  Kraft,  das  Süsse  vom  Bittern 
zu  unterscheiden,  oder  kann  Speise  und  Trank  noch  deinen  Knecht  erlustigen, 
oder  kann  ich  noch  hören  den  Gesang  der  Sänger  und  Sängerinnen?« 
lässt  sich  nur  annehmen,  dass  hier  von  einer  Hof-  oder  Tafelmusik  die  Rede 
ist  und  nicht  von  einer  gottesdienstlichen  Feier.  Demgemäss  würde  sich  er- 
geben, dass  schon  David,  um  eine  seinem  Wissen  und  Geschmacke  entsprechende 
Musik  bei  Hofe  zu  haben,  hierzu  Sänger  u.  s.  w.,  wie  solche  beim  Gottesdienste 
thätig  waren,  fest  anstellte,  also  eine  Haus-  oder  Hofkapelle  gründete.  Siehe 
hierzu  1.  Chronica  25,  2. 

Was  hatte,  nach  dem  hier  nur  im  Auszuge  Mitgetheilten  zu  urtheilen, 
David  nicht  alles  für  die  Musik  der  H.  errungen,  und  dennoch  war  sein  Thun, 
trotzdem  es  schon  das  Staunen  der  Mitwelt  auf  sich  zog,  nur  die  Grundlage 
zu  dem,  was  unter  der  Regierung  seines  Sohnes  Salomo,  1001  v.  Chr.,  in 
dieser  Beziehung  geschah.  Dieser,  schon  als  Prinz  voll  höchster  Anlage  und 
Intelligenz,  welche  seines  Vaters  Macht  nicht  unbemerkt  sein  Hess,  liebte  und 
pflegte  als  König  alle  das  Leben  versüssende  Genüsse.  Wie  alle  orientalischen 
Herrscher  errichtete   er  sich  einen  Harem,  in  dem  sechszig  legitime  Frauen  und 


Hebräer.  \q\ 

achtzig  Coucubinen  Platz  fanden.  Bei  seinen  Festen  zierten  die  kostbarsten 
Leckereien  die  Tafeln,  und  wo  er  selbst  über  seinen  Haushalt  berichtet  (2.  Pre- 
diger Salomonis  2,  8 — 9),  sagt  er  über  Musik:  »Ich  schaflFte  mir  Sänger  und 
Sängerinnen  und  Wollust  der  Menschen,  allerlei  Saitenspiel;  und  nahm  zu 
über  alle,  die  vor  mir  in  Jerusalem  waren.«  Wir  finden  hier  den  Bestand 
einer  Hof  kapelle,  die  wir  schon  unter  David  als  wahrscheinlich  erachteten,  von 
Salomo  selbst  bezeugt.  Seine  direkte  Betheiligung  an  der  Kunstförderung, 
besonders  weltlicher  Natur,  beweisen  seine  Dichtungen,  die  noch  erhalten  ge- 
blieben sind.  Siehe  »Sprüche,  Prediger  und  Hohelied  Salomonis«  in  der  Bibel, 
Das  für  Musik  merkwürdigste  ist  das  »Hohelied«,  ein  als  Singspiel  verwerth- 
bares  dramatisches  Schäferspiel,  ähnlich  dem  indischen  Idyll  des  Jagadewa: 
»Gitagowinda«.  Palästrina's  Composition  desselben  für  Wechselchöre,  zwischen 
denen  Braut  und  Bräutigam  sehr  wohl  die  Scene  darstellen  könnten,  scheint 
diese  Anschauung,  als  schon  von  ihm  gebilligt,  zu  beweisen.  So  etwa  soll 
es  auch,  nehmen  Einige  an,  bei  der  Vermählung  Salomo's  mit  der  Tochter 
Pharao's  wirklich  von  der  Hauskapelle  dargestellt  worden  sein. 

Man  sieht  aus  dem  eben  Angeführten,  wie   Salomo  trotz  seiner  Herrscher- 
pflichten noch  Zeit  für  Selbstbetheiligung  an  der  Fortbildung  der  hebräischen 
weltlichen  Musik  zu   finden  wusste,    und    sich    um    dieselbe  wohl    nicht  gering 
anzuschlagende  Verdienste  erworben  hat,  da  anzunehmen  ist,  dass  er  ausser  den 
erhaltenen  Dichtungen    noch  manches  Andere    geschaffen    haben  wird.     Nähme 
man  auch    an,    dass  z.  B.  das  »Hohelied«    nur    eine  Nachahmung    eines  fremd- 
ländischen Kunstwerkes  war,    so  fiel  Salomo  doch  die  Verpflichtung  zu,   diese 
dem  hebräischen  Greiste  conform  zu  machen.     Wechselchöre  und  pantomimische 
Tänze  waren  national,  nur  ein  dramatisches  Schauspiel  verbot  das  Gesetz,  und 
somit    erheischte    eine  Dichtung,    wie    das  »Hohelied«   Salomonis,    eine    Belief- 
darstellung  einer  Figur  gleiche  cantatische  Tonfassung.     Wie  um  die  weltliche, 
so  hat   Salomo  auch  um  die  gottesdienstliche  Musik    seines  Volkes    sehr  grosse 
Verdienste.     Das  hervorragendste  letzterer  Art   ist  jedenfalls    das,    dass   er  die 
von  David  geplante  (1.  Chronica  17,   1)  würdige   Stätte  für  Musik,  den  Tempel, 
erbaute  und,    seiner    ausgebildeten  Prachtliebe  entsprechend,    die  Anordnungen 
seines  Vaters    in  Bezug    auf   die  Musik    beim  Gottesdienste    diesem  Prachtbau 
gemäss    erweiterte,     110,000    geschickte    phönizische    Arbeiter    waren    während 
etwa  dreier  Jahre  im  Libanon,  dem  Gebirge  im  Norden  Palästina's,  einzig  mit 
dem  Fällen  von  Cedern    und    deren,    wie    der    nothwendigen   Quadersteine   Zu- 
richtung zum  Tempelbau  beschäftigt.     Alle  von  David  gesammelten  Edelmetalle 
und  von  Salomo    durch    seine    nach   Ophir    und    anderen    fernen  Ländern    von 
Ezion   Geber    aus    geführten  Handelsunternehmungen    gehäuften  Kostbarkeiten, 
wie  Sandelholz,  Elfenbein,  Seide  u.  A.,  wurden  von  Salomo  einem  Baumeister 
des  König  Hiram  von  Tyrus  zu  diesem  Baue  zu  Gebote  gestellt,  und  von  den 
Händen  der  geschicktesten  phönizischfen  Künstler  geschah  die  Fertigung  sämmt- 
licher    Tempelgeräthe.      Eine    wahrhaft    verschwenderische    Freigebigkeit    muss 
dabei  in  jeder  Beziehung,    nach    den  auf  uns  gekommenen  Nachrichten  zu  ur- 
theilen,  stattgefunden  haben.     Josephus  berichtet  in  seiner  »Jüdischen  Historie« 
im  zweiten   Capitel  des  achten  Buches  darüber  Genaueres  und  sagt,  die  Musik 
näher    berührend:    »Der   Trompeten  und  Posaunen,    wie    sie  Moses  zu  machen 
befohlen  hatte,  waren  200,000.     Für  die  Leviten,    die  geistliche  Lieder  singen 
sollten,    Hess    er  20,000  Röcke    von    der    köstlichsten   Seide  fertigen.     Er  liess 
auch  40,000  Saiteninstrumente,  wie  Harfen  und  Psalter,  aus  köstlichem  Kupfer 

machen,     Salomo ,   und  hat  alle  solche   Geräthschaften  zu  den  andern 

Schätzen  des .  Tempels  gelegt,« 

Solche  Mittel  erlaubten  natürlich  eine  Grossthat  in  der  Musik,  wie  sie 
kaum  bisher  irgend  wo  stattgefunden  hatte,  zur  Einweihung  des  Tempels  aus- 
zuführen, von  der  die  Kunde  dui'ch  den  Mund  der  Erbauer,  Phönizier,  gewiss 
nicht  verkleinert,  in  alle  Welt  getragen  wurde.  In  der  Bibel  (2.  Chronica  5, 
12 — 13)  steht  darüber:    »Und  sämmtliche  levitische  Musiker,  Assaph,    Heman 


j^52  Hebräer. 

und  Jedithum,  mit  ihren  Söhnen  und  Brüdern,  in  Bysßus  gekleidet,  standen 
mit  Kastagnetten,  Harfen  und  Zithern  zur  Morgenseite  des  Altars;  und  mit 
ihnen  120  Priester,  welche  auf  Trompeten  bliesen.  Ganz  zugleich,  als  hörte 
man  die  Stimme  eines  Einzigen,  Hessen  sich  bei  dem  „Dank  und  Lob  dem 
Ewigen"  die  Trompetenbläser  und  Sänger  vernehmen.  Und  wie  sie  nun  das 
„Preiset  den  Ewigen,  er  ist  freundlich,  ewig  währet  seine  Güte"  anstimmten 
bei  dem  Schalle  der  Trommeten,  Meziloth  und  Sangwerkzeuge,  so  ward  der 
Tempel  von  der  Herrlichkeit  Gottes  erfüllt.«  Salomo's  Weltverkehr,  Pracht- 
entfaltung und  Denkweise,  ganz  gegen  die  Bestimmung  Mose's,  dass  die  H. 
in  klösterlicher  Abgeschlossenheit  leben,  jede  engere  Berührung  und  jede 
Vermischung  mit  andern  Völkern,  wie  es  noch  heute  die  Chinesen  thun,  meiden 
sollten,  hatte  die  Augen  aller  Herrscher,  erst  wohl  bewundernd,  doch  bald  be- 
neidend, auf  dies  Volk  gelenkt  und  in  demselben  selbst  eine  Denkfreiheit  er- 
zeugt, die  erst  zur  Theilung  und  dann  bald  zum  gänzlichen  Untergange  führte. 
Nach  Salomo's  Tode,  986  v.  Chr.,  tbeilte  sich  das  Reich  der  H.  in  die  beiden 
Eeiche  Juda  und  Israel.  Nur  der  Tempel,  in  welchem  an  hohen  Pesten  sich 
die  H.  beiderseits  einfanden,  verlieh  ihnen  noch  ein  gewisses  Gefühl  der  Zu- 
sammengehörigkeit, was  sich  je  nach  dem  Festhalten  an  oder  Abfall  vom 
Einen  Gott  moderirte.  Das  erstgenannte  Königreich  regierte  ein  Sohn  Sa- 
lomo's, Rehabeam,  das  andere  Jerobeam,  ein  Wahlkönig  aus  dem  Stamme 
Ephraim. 

Die  H.,  durch  diese  Theilung  politisch  sehr  geschwächt  und  in  der  Folge 
meist  von  schlechten  Königen  regiert,  konnten  bald  dem  Andränge  der  um- 
wohnenden Völker  nicht  einmal,  viel  weniger  dem  der  Weltreiche  Aegypteu 
und  Babylon,  zwischen  denen  sie  gerade  in  der  Mitte  lagen,  widerstehen. 
Zwar  machten  sich  wieder  in  diesen  Nothzeiten,  wie  früher  in  ähnlichen,  Kund- 
gebungen kühner  Männer,  Propheten,  zum  Wohle  Aller  rathend,  bemerkbar, 
doch  vermochten  sie  nur  wenige  Sonnenblicke  vor  der  gänzlichen  Finsterniss 
zu  erringen.  721  v.  Chr.  führte  Salmanassar  die  Israeliten  als  Gefangene  nach 
Assyrien,  und  607  Nebukadnezar  den  König  Joachim  mit  einem  Theil  des 
Stammes  Juda  nach  Babylon;  der  Pest  blieb  einem  tributpflichtigen  Herrscher 
unterstellt  im  Lande.  Bald  nachher  jedoch,  588  v.  Chr.,  lehnte  sich  der  Va- 
sallenkönig Zedekia  gegen  Babel  auf  und  wurde  bei  dessen  Bekämpfung  Jeru- 
salem erobert  und  der  Tempel  zerstört.  Die  Kostbarkeiten  wie  einen  Theil 
des  Volkes  führte  man  nach  Babylon,  der  andere  floh  nach  Aegypten.  Wie 
in  Zeiten,  wo  man  ein  Elend  erkennt,  stets  das  Gedächtniss  der  bessern,  ver- 
gangenen Tage  auftaucht,  so  sieht  man  auch  hin  und  wieder  in  dieser  Zeit 
Anstrengungen,  die  gesunkene  Tempelmusik  in  alter  Reinheit  und  Pracht 
wieder  herzustellen;  es  begann  hiermit  politisch,  wie  für  die  Musik,  bei  den 
H.n  die  Zeit  dei'  Auflösung'.  Die  Theilung  des  Reichs  der  H.  veran- 
lasste, dass  die  Einwirkung  der  Tempelmusik  auf  das  Volk  immer  geringer 
wurde  und  dass  die  Fortbildung  der  Kunst  wieder  mehr  den  Händen  des  Volks 
zufiel;  auch  die  Frauen  treten  immer  mehr  wieder  in  den  Vordergrund  der 
Musikausführenden.  Dies  führte  zu  wachsendem  Gebrauch  der  Musik  in  rein 
sinnlicher  Weise,  die  oft  von  den  Propheten  hart  getadelt  wird.  Arnos  spricht 
in  dieser  Weise  im  6.  Capitel  Vers  5:  »Dem  Mund  der  Harfe  entlocken  sie 
unwürdige  Töne.     Wie  David,    so  erdenken    auch    sie  sich  Instrumente«;    und 

Jeremias  sagt  Capitel  5  Vers  11 — 12:  »Wehe  denen, ,  die  bei  Zither, 

Harfe,  Adufe,  Flöte  und  Wein  ihre  Gelage  halten.«  Dass  immer  mehr  Frauen 
die  Ausführung  auch  guter  Musik  übernahmen,  scheinen  die  Bibelstellen  2.  Chro- 
nica 35,  25  und  Jeremias  9,  17  u.  a.  zu  beweisen,  was  zur  Folge  hatte,  dass 
in  der  Gefangenschaft  alle  Musikbegabteren  sich  zusammenthaten  (s.  Psalm  137), 
um  die  alte  Kunst  zu  pflegen  und  dass  dadurch  die  H.  bei  ihrer  Rückkehr  in 
die  Heimath,  nach  Nehemia's  7,  67  Bericht,  einen  Chor  von  245  Sänger  und 
Sängerinnen  besassen,  worunter  nur  148  Nachkommen  Assaph's  waren.  Zum 
zweiten    Male,    nachdem    537    v.   Chr.    der    Sammler    der    Schriften    des    Alten 


Hebräer.  153 

Testaments,  Esra,  die  H.  aus  Babylon  nach  Palästina  zurückgeführt  hatte 
(s.  Esi'a  1),  erhebt  sich  zu  Jerusalem  an  der  Stelle  des  alten  ein  neuer  Tempel 
(s.  Nehemia  2 — 4).  Man  suchte  dem  Cultus  und  der  Musik  in  diesem  eine 
dem  alten  Glänze  ähnliche  Pracht  zu  verleihen.  Die  Mittel  wie  der  Geist 
hierzu  jedoch  fehlten  imd  wurden  durch  eine  zweihundert  Jahre  andauernde 
Herrschaft  des  jedesmaligen  Hohenpriesters  nicht  geschaffen.  Auch  die  Volks- 
macht scheint  unter  dieser  Herrschaft  eher  ab-  als  zugenommen  zu  haben,  und 
der  spätere  häufige  Wechsel  letzterer  zehrte  immer  mehr  an  der  realen  Volks- 
kraft, die,  nur  durch  den  Tempel  gestärkt,  im  Ideale  immer  grössere  Dimen- 
sionen annahm,  322  v.  Chr.  wurde  Palästina  Provinz  des  Reiches  Alexander's 
des  Grossen;  nach  dessen  Tode,  320,  eignete  es  sich  dessen  ehemaliger  Statt- 
halter Aegyptens,  Ptolemäus,  an;  vom  J.  300  bis  279  v.  Chr.  war  es  Provinz 
des  syrischen  Königreiches;  von  279  bis  203  v.  Chr.  stand  es  wieder  unter 
ägyptischer  Herrschaft  und  dann  von  203  bis  169  v.  Chr.  wieder  unter  syrischer 
Botmässigkeit. 

Ein  stetes  Wanken  einer  Willkürherrschaft  mehrt  bei  den  Beherrschten 
die,  welche  sich  gegen  eine  solche  auflehnen,  und  führt  oft  zu  ganz  eigenthüm- 
lichen  Erscheinungen.  Besonders  scheint  in  dieser  Zeit  sich  bei  geistig  hervor- 
ragenderen H.n  vielfach  eine  sehr  grosse  Erbitterung  gegen  die  Unterdrückung 
des  Vaterlandes  ausgebildet  zu  haben,  die  bei  weniger  Thatkräftigen  im  Aus- 
wandern aus  der  Heimath  und  Zurückziehen  an  einsame  Orte,  um  sich  dort 
nur  religiösen  Gedanken  hinzugeben,  bei  anderen,  dem  Volke  die  eigene  That- 
kraft  zutrauenden  Männern  in  Gewaltthaten,  um  die  nationale  Selbstständigkeit 
zu  erreichen,  sich  kundgab.  Erstere  Ursachen  führten  zur  Bildung  vieler  reli- 
giöser Sekten,  von  denen  in  musikalischer  Beziehung  besonders  die  der  Thera- 
peuten (s.  d.)  von  Bedeutung  ist.  Dies  wai'en  nach  Aegypten  gewanderte  H., 
die  dort  bei  Alexandrien  am  See  Mareotis  ein  einsiedlerisches  Leben  führten. 
Erst  gegen  400  n.  Chr.  hörte  diese  Sekte  auf  zu  sein,  und  müssen  die  Glieder 
derselben  in  ihren  Gesängen,  da  sie  eben  ein  Band  zwischen  Juden-  und 
Christenthum  in  der  Zeit  bilden,  viel  von  alten  hebräischen  Gesängen,  wenig- 
stens deren  Sangart,  bewahrt  haben.  In  anderer  Weise  waren  die  Erfolge  der 
Makkabäer.  Diese  schafften  die  politische  Selbstständigkeit  von  169  bis  107 
V.  Chr.  und  eine  Herrschaft  der  Hohenpriester  bis  70  v.  Chr.,  worauf  wieder 
eine  Königsherrschaft  sich  ausbildete.  Zwistigkeiten  in  der  Königsfamilie 
gaben  den  Römern  schon  65  v.  Chr.  Veranlassung,  sich  in  die  Landesangelegen- 
heiteu  zu  mischen,  und  dies  führte  bald  zur  Besitznahme  des  Landes  durch 
diese;  die  Könige  wurden  hierauf  Statthalter  der  Römer.  Christi  Geburt. 
Eine  Darstellung  des  Geistes  und  der  politischen  Verhältnisse  um  diese  Zeit 
in  Palästina  findet  man  in  treuester  Weise  in  den  ersten  Capiteln  des  »Lebens 
Jesu«  von  Renan. 

Als  letzter  König  der  H,,  trotzdem  derselbe  nur  als  Speichellecker  der 
römischen  Kaiser  sich  bemerkbar  machte,  kann  Herodes  angesehen  werden,  nach 
dessen  Ableben,  gleich  nach  Christi  Geburt,  das  Reich  Juda  bald  zur  wirk- 
lichen römischen  Provinz  wurde.  Wie  Herodes  in  jeder  Beziehung  den  Römern 
Genehmes  nur  zu  fördern  suchte,  so  auch  findet  man  ihn  bemüht,  die  Musik 
betreffend  zu  handeln.  Die  römische  Anordnung:  Canaan  ist  Provinz  des 
Kaiserreichs!  gab  zu  immer  mehr  sich  häufenden  Auflehnungen  der  H.  Grund 
und  führte  zu  dem  für  sie  unglückseligen  Ziele,  dass  Titus  mit  einem  grossen 
Kriegsheere  gegen  Jerusalem  zog,  dasselbe  eroberte  und  den  Tempel  verbrannte. 
AVas  bei  dieser  Eroberung  Jerusalems  noch  verschont  geblieben  war,  fand  135 
n.  Chr.,  wo  eine  neue  Empörung  in  gleicher  Art  gedämpft  wurde,  seinen  Unter- 
gang. Die  fast  ein  Jahrtausend  das  Land  der  H.  durchfluthenden  Kriegsheere 
fremder  Völker,  sowie  die  Empörungen  im  Lande  hatten  nicht  allein  stets  die 
Thatkräftigen  des  Volkes  dem  Tode  geweiht  und  die  zuletzt  noch  darin  Woh- 
nenden in  alle  Winde  zerstreut,  sondern  auch  alle  Monumente,  die  noch  viel- 
leicht etwas  über  die  Musik  der  H.  zu  berichten  vermöchten,  vernichtet.     Was 


154  Hebräer. 

bisher  etwa  noch  geblieben ,  zerstörte  der  Fanatismus  der  Muhamedaner  und 
der  Kampf  der  Kreuzfahrer  mit  diesen.  Das  zerstreute  Volk  der  H.  suchte  in 
der  Fremde  gewiss  auch  die  alten  Gesänge  zu  wahren,  doch,  da  nichts  dieselben 
Fixirendes  vorhanden,  konnten  sie  dies  nur  nach  Maassgabe  ihres  Gedächtnisses 
unternehmen.  Dieser  Aufgabe  wiederum  vermochten  sich  nur  Einzelne  zu  unter- 
ziehen, und  deshalb  mussten  sehr  bald  so  verschiedene  Varianten  der  Original- 
melodien entstehen ,  dass  man  aus  denselben  nichts  mehr  vom  Original  zu  er- 
kennen vermochte,  indem  selbst  die  Elemente,  Grundtöne,  derselben  je  nach 
dem  neuen  Musikkreise,  in  dem  die  Varianten  foi'tlebten,  anders  wurden,  weil 
eben  die  Theorie  der  H.  ganz  verloren  gegangen  war.  Tn  den  Grossstaaten, 
wie  Spanien,  Polen  etc.,  welche  die  H.  duldeten,  nahmen  die  Varianten  wieder 
allgemein  anerkannte  Formen  an,  die  denn  auch  bald  in  abendländischer  Weise 
aufgezeichnet  wiu'den. 

Man  vergleiche    in    dieser  Beziehung  z.  B.  die  von  Forkel    in    seiner  Ge- 
schichte der  Musik  gegebenen  Melodien   zum   18.  Psalm  S.  163   mit  der   S.  165. 
Aus  dem  Vergleich  wird  leicht  ersichtlich  werden,  dass  beide  mit  der  TJrmelodie 
wohl  fast  nichts   Gemeinsames    haben    können.     Höchstens  wäre  zu  vei'muthen, 
dass  die    ägyptischen   Juden    noch    den  TJrgesängen  zunächstkommende  Weisen 
besitzen  könnten,  da  sie  etwa  200  v.  Chr.  in  grösserer  Zahl  ausgewandert,  in 
Heliopolis    sich    einen    Tempel    nach    dem    Muster    des    Salomonischen    gebaut 
hatten,  in  dem  sie  gewiss  auch  die  alten  religiösen  Melodien  in  treuester  Form 
in  Anwendung  zu  bringen  und  zu  erhalten  sich  bestrebt  hatten.     Diesem  Kreise 
entwuchsen  auch   die    einzigen    letzten    hebräischen   Schriftsteller,    welche    noch 
beinahe  aus    den    letzten  Zeiten    des    staatlichen  Bestandes  des  Reiches  der  H. 
einige  Kunde  übermitteln,  Josephus  und  Philo.     Es  folge  hier  die  Uebersetzung 
einer  solchen  Auslassung  aus  Philo's  ITeg^  ßlov  S^Ec>)Q7jTiy.ov,  ed.  Frankof.  p.  901  sq., 
da  sie  von  Einigen  als  Beleg  für  den  Innern  Zusammenhang  der  letzten  Tempcl- 
musik  in  Jerusalem  und  den  ersten  christlichen  Gesängen,  vielleicht  von  denen, 
die  Ambrosius    von  Mailand    zu    fixiren    suchte,    angesehen  werden.     Derselbe 
sagt  dort  von  dem   Gesangs  der  Therapeuten  zu  seiner  Zeit,  50  n.  Chr.:  »So- 
dann  (nach  gehaltenem  religiösen  Vortrage)    stehet  Einer  auf  und  singt  einen, 
an   Gott  gerichteten  Lobgesang;    entweder  einen,    den  er  selbst  neu  verfertigt, 
oder  einen  alten,  von   den  früheren  Dichtern;  denn  Maasse  und  Weisen  hinter- 
liessen    jene    Dichter     in     dreifüssigen    Versen,    bei    Dankfesten    zu    singen, 
in    Lobliedern,   bei    Trankopfern    und    vor    dem  Altar    und,    in    veränderter 
Versart,     von     Chören    vorzutragen,     sämmtlich     in     abwechselnden,     wohlge- 
messenen   Strophen.     Nach    diesem    thun    auch    Andere    desgleichen    nach    der 
Ordnung,    in    einer    gehörigen  Reihenfolge,    indem    alle    mit    vieler  Ruhe    auf- 
merksam zuhören,  ausser  am  Ende  beim   Schlussgebete,  wo  sämmtliche  Männer 
und    Frauen    ihre    Stimmen    erheben.«     Hierauf    wird    nun    ein    einfaches    und 
frommes  Mahl  gehalten.     »Sodann    stehen  Alle   zusammen    auf    und    es    bilden 
sich    zuerst    in    der    Mitte    des    Speisezimmers    zwei    Chöre,    einer    von    Män- 
nern,   der    andere  von  Frauen.     In    jedem  wird    das    geachtetste  und    des  Ge- 
sanges kundigste  Mitglied  zum  Führer  und  Vorsänger    erwählt.     Darauf  singen 
sie    auf   Gott    verfertigte  Hymnen    in    vielen    Versmaassen    und  Weisen,    bald 
mit  ganzem   Chore,    bald    in    harmonischen  Wechselgesängen.     Und  wenn    nun 
jeder  der  beiden  Chöre  allein  und  für  sich  seine  freudigen  Empfindungen  aus- 
gesprochen hat,    so    vermischen    sie  sich,    zusammen    einen    einzigen   Chor  bil- 
dend, als  Nachahmung  jenes,  am  rothcn  Meere  versammelten,  wo  sowohl  Fi'auen 
als  Männer,    von  gemeinsamer  Begeisterung  ergriffen,  einen  einzigen  Chor  bil- 
deten und   Gott,  ihrem  Retter,  Dankhymnen  sangen,  indem  Moses  den  Gesang 
der  Männer,    den  der  Frauen  Mirjam  leitete.     Diesem  vorzüglich  nachahmend, 
bildet    der   männliche    und  weibliche  Chor  der  Therapeuten,    indem    in  herüber 
und  hinüber  tönenden  Weisen,  sich  zu  dem  rauhen  Ton  der  Männer,  der  feine 
der  Frauen  mischt,  eine  harmonische  und  den  Regeln  der  Kunst  wirklich  ent- 
sprechende Symphonie.« 


Hebräer.  155 

Somit  hätten  wir  nun  durch  Mittheilung  der  die  Musik  betreffenden  Be- 
gebenheiten und  Verordnungen  bei  den  H.n  die  Materialien  zu  einem  Urtheile 
über  die  Musik  gegeben,  welchen  wir  nur  noch  in  Kürze  einige  Betrachtungen 
über  die  Instrumente  derselben  zufügen  wollen,  da  die  genaueren  Angaben  über 
dieselben  in  den  Specialartikeln  gegeben  werden.  Von  den  H.n  scheinen  keine 
Tonwerkzeuge  erfunden  zu  sein,  "Wenn  auch  von  David  dasselbe  in  dem  dritten 
Verse  des  im  hebräischen  Urtexte  zwar  nicht  vorhandenen,  aber  in  der  syrischen, 
arabischen,  äthiopischen  und  griechischen  TJebersetzung  sich  findenden  151. 
Psalme:  »Als  ich  die  Schafe  meines  Vaters  hütete,  machte  ich  mir  mit  meinen 
Händen  Pfeifen  und  mit  meinen  Fingern  fertigte  ich  mir  Zithern« ,  behauptet 
wird,  so  ist  doch  klar,  dass  der  Sänger  hiermit  wahrscheinlich  nur  seine  frühe 
Handgeschicklichkeit  und  die  Verwerthung  derselben  zu  Grünsten  seines  musi- 
kalischen Talentes  hat  documentiren  wollen.  Die  täglichen  Vorkommnisse  bei 
Kindern  auf  dem  Lande  und  bei  den  Viehhütern  in  Gebirgsgegenden:  erstere 
schnitzen  sich  im  Frühling  aus  jungen  Weidenzweigen  Pfeifen  und  letztere  aus 
Rinde  die  sogenannten  Alpenhörner  (s.  d.),  geben  gleich  zu  erachtende  Er- 
lebnisse an  die  Hand.  Auch  die  Stelle  Amos  6,  5,  deren  wortgetreue  TJeber- 
setzung vorher  gegeben  ist,  lässt  mehr  auf  ein  Wissen  vom  Hörensagen  schliessen, 
dem  man  in  sofern  nachgestrebt  zu  haben  glaubte,  als  man  kleine  Veränderungen 
an  wenig  bekannten  Tonwerkzeugen  vornahm  und  dieselben  als  im  Granzen 
neuex'funden  ausgab.  Es  würde  nur  die  Frage  zu  beantworten  sein:  woher 
hatten  denn  die  H.  die  grosse  Zahl  von  Tonwerkzeugen,  welche  man  in  der 
Bibel  aufgeführt  findet?  Grewiss  hatten  die  kleinen  zwischen  den  drei  grossen 
Culturreichen  Assyrien,  Phönizien  und  Aegypten  gelegenen  Staaten  je  nach 
ihrem  Bedürfniss,  ihrer  Lage  und  ihrem  Verkehr  aus  diesen  sich  Tonwerkzeuge 
angeeignet  und  die  H.  es  wie  diese  gemacht,  oder,  was  wahrscheinlicher,  dicht 
vor  ihrer  Blüthezeit  unter  Salomo  erst  solche  ihrem  Kunstgeschmacke  ent- 
sprechenden in  veränderter  Form  aus  den  Kleinstaaten  bezogen.  Letzteres  ist 
eben  um  des  Kunstsinnes  und  des  steten  Verkehrs  David's,  des  gefürchteten 
Nachbars,  halber  das  Wahrscheinlichere,  dem  sich  vielleicht  Mancher  durch 
Zusendung  eines  prächtigen  Instrumentes  angenehm  zu  machen  suchte.  Die 
kurzen  Wanderungen  der  Tonwerkzeuge  lassen  sich  heute  selbst  ahnungsweise 
nicht  mehr  erforschen ,  wenigstens  nach  bisherigem  Wissen ;  vielleicht  breitet 
die  vergleichende  Sprachforschung  darüber  noch  einst  Helle  aus.  Uns  fällt 
somit  nur  die  Aufgabe  zu,  die  möglichen  Beziehungen  dieser  Tonwerkzeuge  zu 
denen  der  nahe  gelegenen  grösseren   Culturkreise  zu  ergründen. 

Nehmen  wir  an,  wie  die  vorangegangenen  geschichtlichen  Mittheilungen 
fast  darthun,  dass  die  Semiten  zur  Zeit  der  Trennung  Abram's  von  ihnen 
schon  die  Musik  nur  in  der  Weise  trieben,  dass  sie  die  Früchte  einer  festen 
Theorie  derselben  volklich  zu  pflegen  vermochten,  das  Wissen  der  Theorie  aber 
nur  Wenigen  zu  eigen  war.  Was  konnte  von  alledem  der  einzelne  Nomaden- 
fürst Abram  für  seine  Nachkommen  mit  in  die  Fremde  nehmen,  als  höchstens 
wenige  Tonwerkzeuge,  deren  Behandlung  Knechtshände  in  Mussestunden  über- 
nahmen und  deren  Ausbesserung  oder  Nachbildung  nur  in  naturalistischer 
Weise  stattfinden  konnte,  da,  wie  die  Forschung  ergeben  hat,  die  Bildung  der 
H.  nicht  auf  Grund  der  ursemitischen  Cultur  fortbaute,  sondern  sich  erst  wieder 
kindlich  mit  dem  Volkwerden  entfaltete.  Finden  wir  doch  in  R.  Hassencang's 
»Ueber  die  Steinzeit  bei  den  Aegyptern,  Semiten  und  Indogermanen«  nach- 
gewiesen, dass  zur  Zeit  der  Richter,  1090  v.  Chr.,  im  Lande  Canaan  kein 
Schmied  wohnte,  um  wie  viel  weniger  wird  dort  ein  Instrumentenfertiger  zu 
finden  gewesen  sein !  Und  dennoch  ist  anzunehmen ,  dass  von  den  in  der 
Blüthezeit  cultivirten  Saiteninstrumenten  der  H.  wenigstens  eins  seit  sehr  langer 
Zeit  gepflegt  worden  ist.  Die  Harfe,  Kinnor  (s.  d.),  und  zwar  die  tragbare 
assyrische,  kann  sie  auf  ihren  Wanderzügeu  von  der  Urheimath  an  begleitet 
haben  und  selbst  durch  die  in  Aegypten  vielfach  anders  gestaltete  in  ihrer 
Form  zwar  beeinflusst,  doch  nicht  gänzlich  verdrängt  sein.     Ebenso  die  Pflock- 


156  Hebräer. 

flöte  und  Pauspfeife  (s,  Macbol  und  TJgab),  da  weniger  Kunst  zur  Fertigung 
dieser  Blasinstrumcute  erforderlich,  denen  sich  bald  die  Handpauke,  Adufe 
(s,  d,),  beigesellte.  Erst  mit  dem  Volkwerden  der  H.  finden  sich  durch  Moses 
die  Blechblasinstrumente  Schatzotzeroth  (s.  d.)  und  Schofar  (s.  d.)  ein- 
geführt, von  denen  wahrscheinlich,  dass  sie  von  Aegyptern  gefertigt  wurden; 
gewiss  ist  wenigstens,  wie  aufgefundene  hebräische  Münzen  mit  deren  Abbil- 
dung darthun,  dass  dieselben  nach  ägyptischen  Instrumenten  gebaut  worden 
sind.  Diese  angeführten  Tonwerkzeuge,  und  keine  andern,  findet  man  in  den 
fünf  Büchern  Mose  aufgezeichnet.  Erst  später  in  den  nächstfolgenden  Büchern 
der  Bibel  findet  man  noch:  den  Nebel  (s,  d.),  die  Ghithith  (s.  d.),  den 
Tseltselim  (s.  d.),  den  Asor  (s.  d.),  den  Jobel  (s.  d.),  den  Halil  (s.  d,), 
den  Karen  (s.  d.),  den  Schalischin  u.  A.  angeführt,  denen  sich  im  Buche 
Daniel  noch  die  Maschrokitha  (s.  d.),  Kitharos  (s.  d.),  Sabeka  (s.  d.) 
und  Psanterin  (s.  d.)  zugesellen. 

In  der  Entwickelung  der  hebräischen  Musik  sehen  wir  ferner,  dass  noch 
zu  David's  Zeiten  die  edleren  Tonwerkzeuge,  die  Saiteninstrumente,  höchstens 
mit  schwachtönenden  Schlaginstrumenten,  Handpauken,  in  Gemeinschaft  in  der 
religiösen  Musik  bevorzugt,  getrennt  von  den  Blechblasinstrumenten  und  Metall- 
schlagwerkzeugen, die  vielleicht,  hauptsächlich  Dirigirinstrumente,  noch  gar 
nicht  in  Gebrauch  kamen,  gebraucht  wurden,  während  Salomo  alle  Arten  Ton- 
werkzeuge, ihrem  Charakter  entsprechend,  bei  hohen  Cultusfesten  in  möglichst 
grossen  Massen  verwerthen  Hess.  Die  einzige  Abbildung  des  grösseren,  Schofar 
oder  Keren  (s.  d.)  zu  nennenden  hebi'äischen  Metallblasinstruments,  gewöhnlich 
durcli  Posaune  übersetzt,  findet  sich  im  Relief  des  Triumphbogens  des  Titus 
zu  Rom.  Dieselbe  hat  ein  ungebogenes  Rohr,  ist  dem  Schallloch  nahe  wenig 
konisch  erweitert  und  mit  einer  Stürze  versehen.  Dies  Instrument  ist  in  seiner 
Form  dem  Metallblasinstrument  auf  assyrischen  Bildwerken  älmlich,  nur  be- 
deutend grösser  und  ruht  auf  einem  eigens  dazu  gebauten  Gestelle.  Dies  lässt 
annehmen,  dass  nach  der  babylonischen  Gefangenschaft  die  assyrische  Form 
dieses  Tonwerkzeugs  bevorzugt  worden  ist,  und  nach  dem  Princip  der  H.,  das 
Ausserordentlichste  zu  Ehren  ihres  Gottes  zu  verwenden,  in  der  grössten  Aus- 
dehnung angefertigt  wurde,  so  dass  es  nothwendig  wurde,  dauernd  dem  Instru- 
mente ein  festes  Lager  zu  geben.  Eben  die  Grösse  dieses  Instruments,  in  der 
es  sich  in  seiner  Zeit  gewiss  von  allen  bei  andern  Völkern  vorhandenen  gleicher 
Art  unterschied,  veranlasste  wohl  nur  Titus,  es  bei  seinem  Triumpheinzuge  in 
Rom   seinen  Mitbürgern  als  schätzbare   Trophäe  vorzuführen. 

Betrachten  wir  nun  die  Gattungen  der  Tonwerkzeuge  der  H.  im  Ver- 
gleiche zu  den  unsrigen,  so  finden  wir  unter  den  Saiteninstrumenten  sich 
zwei  besonders  durch  Lage  des  Resonanzbodens  zu  den  Saiten  kenntlich 
machende:  die  Harfen,  solche,  wo  der  Sangboden  neben,  und  die  Zithern  und 
Kitharen,  solche,  wo  derselbe  unter  den  Saiten  befindlich  war;  letztere  noch 
mit  einem  Griffbrett.  Der  Ton  wurde  denselben  einerseits  durch  Reissen, 
andererseits  durch  Schlagen  der  Saiten  entlockt.  lieber  das  Vorhandensein 
eines  Bogeninstruments  bei  den  H.n  hat  man  lange  gestritten,  doch  neigen  sich 
die  Meinungen  der  Neuzeit  dahin,  dass  die  Annahme  eines  solchen  auf  einer 
falschen  IJebersetzung  des  Wortes  Minnim  (s.  d.)  beruhe,  was  überhaupt  nur 
»Saiten«  bedeute,  also  in  Bezug  auf  Tonwerkzeuge  als  Gattungsname,  wie  unsere 
Bezeichnung  »Saiteninstrumente«,  aufzufassen  sei.  Von  Blasinstrumenten 
waren  bei  den  H.n  die  bei  uns  gepflegten  Gattungen,  INTetall-  und  Holzblas- 
instrumente, stark  in  Gebrauch.  Erstere  wurden  nach  2.  Chroniker  5,  13  in 
der  Blüthezeit  der  hebräischen  Musik  selbst  melodieführend  in  Anwendung  ge- 
bracht. Mehr  als  jene  aber  dienten  zu  jener  Zeit  die  Holzblasinstrumente, 
die  Flöten,  zur  Leitung  der  Gesänge,  besonders  im  offenen  Räume  ausserhalb 
des  Tempels.  Die  Arten  dieser  Gattung  unterschieden  sich  besonders  durch 
die  Anblasungsart  derselben.  Man  hatte  Flöten,  ähnlich  den  unsrigen  ohne 
Tonlöcher,  in  den  Händen  niederer  Musiker  befindlich  (s.  Maschrokitha  oder 


Hebräer.  157 

Pansflöte),  gerade  und  wahrscheinlich  auch  Querflöten,  Halil,  Machol  etc., 
welche  wie  unsere  Oboen  mittelst  Blätter  intonirt  wurden,  und  die  Doppelflöte, 
Nebek  (s.  d.)  oder  Nechiloth  (s.  d.)  benannt,  doch  keine  unseren  Clarinetten 
ähnliche.  Dafür  aber  waren  die  von  uns  verworfenen  Pflockflöten  (s.  d.) 
in  mehrerlei  Grestalt  in  höchster  Blüthe.  Auch  der  jetzt  im  Abendlande  noch 
öfter  von  untergeordneten  Musikern  gehörte  Dudelsack,  Syphonia(s.  d.), 
war  schon  den  H.n  bekannt.  Schliesslich  mag  hier  noch  die  Magrepha  (s.  d.) 
erwähnt  werden,  die  im  Tempel  gestanden  haben  und  eine  Art  Orgelwerk  ge- 
wesen sein  soll.     Mehr  darüber  findet  man  im  entsprechenden  Artikel. 

Schlaginstrumente  finden  wir  bei  den  H.n  ebenfalls  in  zwei  Grattungen 
vertreten,  diejenigen,  wo  ein  Membran,  und  die,  wo  Metall  die  tönenden  Körper 
bilden.  Von  ersterer  Gattung  hatten  sie  nur  eine  Art,  die  Adufe,  welche  in 
Mose's  Zeiten,  der  ägyptischen  gleich,  eine  viereckige  Gestalt  hatte  und  erst 
später  durch  assyrischen  Einfluss  die  bekannte  runde  Form  erhielt.  Die  andere 
Gattung  bildeten  die  Tseltselim  und  Metsilo th  (grosse  und  kleine  Metall- 
becken), Schalischim  (die  ägyptische  Systre,  s.  d.)  und  Menana'im  (ein  mit 
Schellen  und  Glocken  wahrscheinlich  behangenes  Gestell)  genannten  Instrumente, 
deren  Eigenton  bei  einigen  sogar  mehr  in  Betracht  gezogen  worden  zu  sein  scheint, 
als  bei  uns  der  von  ähnlichen  Tonwerkzeugen,  z.  B.  der  Becken.  Ueber  die 
Zahl  der  bei  einem  Tempelfeste  in  der  Blüthezeit  der  H.  thätigen  Instrumente 
lässt  sich  Henr.  Horchius  in  seiner  Diss.  de  igne  sacro  (in  TJgolini  thes. 
Vol.  XXXII.  p.  118  fi".)  nach  Thalm.  in  tract.  Eracliin  und  andern  jüdischen 
Schriftstellern  folgendermaassen  aus:  Diö  Zahl  der  Nebel  darf  nicht  geringer 
denn  zwei  und  nicht  grösser  denn  sechs  sein;  der  Flöten  durften  nicht  weniger 
denn  zwei  und  nicht  mehr  denn  zwölf  geblasen  werden;  der  Trompeten  nicht 
unter  zwei,  sonst  so  viel  man  wollte;  der  Zithern  nicht  unter  neun,  sonst  auch 
so  viel  man  wollte.  Die  Zahl  der  Cymbeln,  Metallschlaginstrumente,  war  auf 
ein  einziges  beschränkt,  wie  früher  bemerkt,  als  Dirigirwerkzeug.  Ueber  die 
Aufstellung  der  Instrumentisten  und  sonstigen  Musiker  im  Tempel,  die  Auf- 
bewahrung der  Tonwerkzeuge  ebenda  etc.  findet  man  in  v.  Til's  »Dicht-,  Sing- 
und  Spielkuust  der  alten  H.«  sehr  Ausführliches  nebst  einer  dazu  gehörigen 
Abbildung,  und  sei  dies  Werk  zum  Nachlesen  empfohlen,  da  diesbezüglich  bis 
heute  noch  dieselben  Anschauungen  herrschend  sind. 

Die  von  mittelalterlichen  Schriftstellern  gepflegte  symbolische  Auffassung 
der  Töne  bei  den  H.n,  die  man  diesen,  weil  solche  bei  den  alten  Aegyptern, 
Chaldäern  und  Chinesen  vorhanden,  auch  zuzuschreiben  sich  berechtigt  hielt, 
zu  berichten,  dürfte  hier  in  engem  Rahmen  als  unwesentlich  in  Bezug  auf  die 
Kunst  bei  den  H.n  zu  betrachten  sein.  Verwiesen  sei  deshalb  nur  auf  die 
Werke  »i«  apoc.  cap.  de  Magia  naturali  et  Cahalaa  von  Picus  de  Mirandola  und 
y>de  Musiea  Hehraeor.  in  Comm.  in  Genes.a  von  Mar.  Mersenne ,  sowie  auf 
V.  Thymus'  »Symbolik  des  Alterthums«.  Ein  anderes  musikalisches  Argument 
der  Bibel:  die  Ueberschriften  der  Psalme,  jener  hebräischen  Tempel- 
hymnen der  Blüthezeit,  erscheint  jedoch  geboten,  in  Kürze  besprochen  zu 
werden.  Wir  finden  in  diesen  die  uns  bekannten  Instrumentnamen,  sowie 
andere,  welche  theilweise  wenigstens  als  solche  betrachtet  werden,  wie  Nechi- 
loth (Ps.  5),  Gitthit  (Ps.  8),  Schoschauim  (Ps.  45),  Alamoth  (Ps.  46), 
Machalat  (Ps.  53)  u.  A.  Diese  wahrscheinlichen  lustrumentnamen  sind  viel- 
leicht Varianten  von  bei  den  nächsten  Umwohnern  der  Israeliten  geschafi'enen, 
in  Canaan  eingeführten  Tonwerkzeugen,  die  in  ihrem  Tonreiche  sich  von  den 
allgemeiner  gekannten  durch  einen  beschränkteren  Umfang  oder  durch  eine 
wenigerstufige  Scala  unterschieden.  Auch  vielleicht  persönliche  Erfindungen, 
die  nach  dem  Verbesserer  benannt  wurden  (s.  Ps.  39  Jedithun),  waren  da- 
runter. Diese  Ueberschriften  hatten  wahrscheinlich  den  Zweck,  das  Touwerk- 
zeug  zu  bezeichnen,  was  am  geeignetsten  zur  Melodieführung  beim  Absingen 
dieses  Psalmes  wäre,  indem  es  gerade  den  Ambitus  (s.  d.)  und  die  Tonfolge 
besässe,  welche  hier  nothwendig.     In  andeier  Weise  sind  Ueberschinften ,   wie: 


158  Hebräer. 

Jonat  JElem  Rechohim  (Ps.  56),  »von  der  stummen  Taube  unter  den  Frem- 
den«, oder  Mutiahen  (Ps,  9),  von  Michaelis  in  seiner  Uebersetzung  der  Psalme 
S.  10  durch  »von  der  schönen  Jugend«  wiedergegeben,  aufzufassen.  Wie  noch 
heute  oft  bei  Gesäugen  oder  Festliedern  über  denselben  die  Anfangsstrophe 
eines  Liedes,  selbst  eines  Tanzes  etc.  steht,  dessen  Melodie  allgemeiner  bekannt 
ist,  so  nimmt  man  an,  verrathe  auch  eine  derartige  Ueberschrift,  dass  die 
nachfolgende  Hymne  nach  der  Melodie  einer  unter  jener  Bezeichnung  bekannten 
zu  singen  wäre. 

Noch  sind  zwei  sehr  häufig  in  den  Psalmen  vorkommende  Ausdrücke  hier 
zu  erwähnen,  indem  sie  eine  gewisse  Beziejiung  zur  Musik  haben  müssen,  ob- 
gleich diese  bisher  nur  theilweise  allgemeiner  in  gleicher  Art  angenommen  wird. 
Den  ersteren:  Sela  (s.  d.),  von  den  neueren  Juden  durch  »Lob«  übersetzt, 
finden  Viele  sich  gedrungen,  als  Wort  ohne  irgend  welchen  Eigenbegriff  auf- 
zufassen. Wie  Euouae  (s.  d.)  der  Yocalextrakt  aus  seculorum  amen,  so  nehmen 
diese  an,  sei  S-l-h  der  consonantische  Extrakt  einer  uns  unbekannten  hebräischen 
Phrase,  dem  man  sjjäter  eine  vocale  Einlage  verlieh.  lieber  die  Zeit  des  Ur- 
sprungs dieses  Wortes,  wie  über  dessen  Einführung  in  die  Psalmen,  welche 
Einführung  jedoch  erst  lange  nach  deren  Dichtung  mit  Grewissheit  anzunehmen, 
ist  nichts  bekannt.  Ausser  dieser  Bedeutungsannahme  herrschen  noch  viele 
sehr  verschiedene  Lesarten  über  die  dem  Worte  zugetheilte  Bedeutung  in  den 
Psalmen.  Einige  behaupten,  dass  man  dies  Wort  für  ein  solches  betrachten 
müsse,  das  den  Sänger  auf  eine  gewisse  Veränderung  aufmerksam  machen 
solle;  andere  sehen  es  für  ein  blosses  Füllwort  zur  musikalischen  Verwerthung, 
wie  etwa  die  Italiener  ihr  si,  an;  oder  für  eine  Pause,  für  eine  Aufforderung 
zu  höherer  Andacht,  für  Anzeigung  einer  Wiederholung,  für  Andeutung  einer 
Tonwandlung  u.  dgl.  m.  Keine  dieser  Ansichten  hat  bis  heute  sich  einer  all- 
gemeineren Anerkennung  zu  erfreuen.  Der  zweite  Ausdruck:  Lamnatzeach 
(s.  d.),  über  den  Einige,  wie  z.  B.  Calmet,  ganze  Dissertationen  schrieben,  ist 
in  neuerer  Zeit  allgemeiner  in  einer  Art  aufgefasst.  Derselbe  steht  im  Urtext 
fast  über  allen  Psalmen.  In  den  deutschen  Uebersetzungen  ist  derselbe  meist 
durch  »zum  Vorsingen«  oder  »zu  spielen«  wiedergegeben.  In  der  That  aber 
rauss  man  dies  Wort  dem  Stammwort  y>Mnatzeachvi,  »überwinden«,  entsprechend 
durch  »dem  Ueberwinder«  oder  dem  »Virtuosen«  übersetzen,  wonach  dann  z.  B. 
die  Ueberschrift  des  61.  Psalmes  heissen  müsste:  Ein  Psalm  David's  vom  ersten 
Vii'tuosen  auf  der  Neginoth  darzustellen.  Dies  soll  wohl  heissen,  dass  dieser 
Psalm  in  vollendetster  Art  auszuführen  dem  Vorsteher  der  die  Neginoth  füh- 
renden Ordnung  als  Pflicht  obläge. 

Hieran  anschliessend,  seien  nun  die  verschiedenen  Wege  angedeutet,  die 
man  betreten  hat,  um  dem  Geiste  der  hebräischen  Musik  und  deren  innerer 
Beschaffenheit  näher  zu  treten.  Ueber  die  Grrundeleme  nte  der  Musik  der 
H.,  deren  Fundamentalton  und  deren  Tonleiter  ist  bisher  fast  gar  nichts  Be- 
stimmtes bekannt.  Man  kann  mit  Gewissheit  nur  voraussetzen,  dass  die  H. 
das  Tonreich,  soweit  es  die  Männer-  und  Frauenstimme  besitzt,  in  Anwendung 
brachten,  obgleich  spätere  Cabalisten  die  Kenntniss  des  Tonreichs  bis  zur 
äusserst  denkbaren  Grenze  ihren  Musikgelehrten  zuschreiben.  Als  tiefsten 
Klang  dieses  Tonreiches  wird  der  unserem  F  entsprechende,  nach  Erwägung 
vielfacher  Andeutungen  hierüber  aus  der  antiken  Musik  überhaupt,  angenommen, 
der  bei  einigen  Culturvölkern,  den  Griechen  z.  B.,  durch  den  Anfangsbuchstaben 
des  Alphabets  bezeichnet  wurde.  Die  höhere  Octave  dieses  Klanges  wurde  in 
jener  Zeit  stets  als  Stimmton  betrachtet,  wie  heute  unser  a',  indem  man  den- 
selben als  Mittelklang  des  Tonreichs  —  der  Männerstimme  —  annahm,  und 
derselbe  verlor  selbst  bei  der  Erweiterung  des  Tonreichs  lange  diese  Nutz- 
anwendung nicht.  Spätere  Aufzeichnungen  hebräischer  Schriftsteller  schrieben, 
wie  gesagt,  ihrem  Volke  die  speculativsten  Calcüle  über  die  Anschauungen  des 
Tonreichs  wie  des  Stimmtons  zu.  So  sagt  Jezirah:  »In  diesen  Regionen  der 
undnlirten   Bewegungen  giebt  es  für   Ohr    und    Mund    keine  Töne  mehr;    nur 


Hebräer.  J  59 

der  Gedanke  vermag  es,  Töne  solcher  Lage  sich  vorzustellen  etc.«  Für  die 
Aufländung  des  Mitteltons  des  Tonreichs  findet  man  in  demselben  Buche  an- 
gegeben, dass  derselbe  durch  den  Gregenklang  zweier  sich  kreuzenden  Ton- 
reihen —  deren  imaginäre  Zeugertöne  den  Regionen  einer  jenseits  des  Be- 
reiches der  Klangerscheinungen  liegenden  Tiefe  und  einer  über  die  Grenze  der 
wirklichen  Klangphänomene  hinausreichenden  Höhe  —  erhalten  werde,  und  das 

Zeichen  T  T  T  denselben  versinnbildlicht  habe.  In  wie  weit  diese  und  ähnliche 
Berichte  späterer  hebräischer  Schriftsteller  aus  der  Tradition  geschöpft  oder 
Speculationen  phantastischer  Zeitgenossen,  als  schon  in  grauer  Vorzeit  vor- 
handene Theoreme  annehmend,  waren,  ist  bis  heute  nicht  mit  Gewissheit  fest- 
zustellen. Gewiss  ist,  dass  das  Toureich  der  H.  die  Klänge  der  Männer-  und 
rrauenstimme  in  sich  schloss;  dass  sie  ferner  dies  in  Octaven  theilten  und  jede 
Octave  wahrscheinlich  höchstens  sieben  oder  wenigstens  fünf  Stufen  zeigte, 
deren  Intervallverhältniss  möglicherweise  verschieden  wai". 

Ob  nun  diese  Elemente  der  Musik  der  H.  in  längerer  Andauer  (choral- 
artig), so  dass  sie  auch  getrennt  vom  Worte  gegeben  werden  konnten  und  dann 
nicht  allein  Tonfreuden  bereiteten,  sondern  auch  an  die  sonst  damit  verbun- 
denen Worte  erinnerten  und  den  Hörer  in  die  Gemüthsfreuden,  welche  die  Ver- 
einigung beider  bereiteten,  versetzte,  Verwerthung  fanden,  oder  ob  sie  nur  in 
kürzei'er  Weise,  wie  die  Worte  mit  Tönen  in  einer  Declamation,  ihrer  Höhe 
und  Tiefe  nach  unterscheidbar  gebraucht  wurden;  —  und  ob  ferner  die  Ton- 
gaben in  einem  strengen  wiederkehrenden  Rhythmus,  wie  wir  ihn  in  der  Neu- 
zeit nur  kenneu  (Folge  der  Zusammenklänge),  oder  einen  complicirteren ,  wie 
wir  ihn  in  der  indischen  Musik  (s.  d.)  ausgebildet  finden,  oder  gar  nur  in 
einer  Art  Zeitfolge,  welche  eine  gewisse  geforderte  Ordnung  verrieth  —  man 
könnte  dies  freien  Rhythmus  nennen  — ,  würde  zunächst  zu  erwägen  sein. 
Wo  uns  feste  Monumente  der  Art  aus  grauer  Vorzeit  blieben,  s.  chinesische 
Musik,  berichten  sie,  dass  beide  Arten  der  Tonverbindungen  mit  Worten  in 
der  Kunst  im  Gebrauch  waren.  Weshalb  sollten  die  H.,  wie  Forkel  in  seiner 
Geschichte  der  Musik  sich  zu  beweisen  bemüht,  nur  eine  Art  gepflegt  haben? 

Indem  man  nun  die  Verbindung  der  Töne  mit  den  Worten,  welche  bei 
den  H.n,  wie  wir  bestimmt  wissen,  bei  vielen  noch  in  der  Bibel  erhaltenen 
Dichtungen  stattfand,  zu  ergründen  suchte,  wandte  man  den  sogenannten  Ac- 
centen  der  H.  seine  besondere  Aufmerksamkeit  zu,  da  diese  der  Sage  nach 
mit  der  zu  den  Worten  gehörigen  Musik  in  engster  Beziehung  stehen  sollten. 
Diese  Accente  sind  kleine  Häkchen  und  Striche,  welche  theilweise  über,  theil- 
weise  unter  die  Schriftzeichen  gesetzt  wurden.  Kircher  giebt  in  seiner  Musurgia 
universalis  T.  I.  cap.  II.  §.  VI.  eine  Darstellung  derselben,  wo  er  sie  die  mo- 
derne Tonnotation  der  H.  nennt,  und  bald  darnach  findet  man  die  Tongänge 
daselbst  aufgezeichnet,  welche  in  seiner  Zeit  von  deutschen  und  italienischen 
Juden  vorgeblich  nach  diesen  Accenten  gesungen  wurden.  Andererseits  (vgl. 
Villoteau  y>de  Vetat  actuel  de  Vart  musical  en  Egyptea.,  2me  partie,  cliap.V,  art.  II) 
schreibt  man  den  Accenten  in  neuester  Zeit  selbst  ein  hohes  Alter  zu.  Man 
bewahrt  in  der  Altstadt  von  Kairo  in  Aegypten  in  der  Synagoge  Ben  Esra 
sofer,  der  des  Sohnes  Esra's  des  Schreibers,  eine  gerollte  Bibel,  die  im  alten 
Hebräisch  ohne  Vocale  geschrieben  ist,  welche  von  den  Juden  als  eigenhändig 
von  dem  Propheten  Esra  geschrieben  betrachtet  wird  und  Gegenstand  hoher 
Verehrung  ist.  Tag  und  Nacht  brennt  vor  dem  dieselbe  wahrenden  Schranke 
eine  Lampe,  und  Kranke  wallfahrten,  Heilung  von  einem  Gebete  vor  dem 
Schranke  oder  dem  Anblick  dieser  Bibel  hoffend,  aus  weiter  Ferne  herzu. 
Diese  Bibel  hat  in  allen  Büchern  die  sogenannten  tonischen  Accente,  d.  h.  die- 
jenigen, welche  man  als   Gesangsnoten  der  H.  betrachtet. 

Wie  man  bei  allen  orientalischen  Völkern  der  Neuzeit  nur  Tonphrasen, 
keine  Tonzeichen  findet,  so  nimmt  man  an,  dass  auch  die  Accente  seit  frühester 
Zeit    bestimmte    Toufolsfen   forderten.     Nach    der    Zerstöruncr    Jerusalems    und 


160  Hebräer, 

der  Zerstreuung  der  H.  zeigt  sich  der  musikalische  Grebrauch  der  tonischen 
Accente  in  allen  Synagogen  heimisch,  doch  die  ui-sprüngliche  Tondarstellung 
derselben  hat,  besonders  in  Europa,  erhebliche  Wandlungen  erlebt.  Dieselben 
Zeichen  finden  eine  durchaus  verschiedene  Art  der  Ausführung  bei  den  H.n 
der  verschiedenen  Grossstaaten.  Alle,  die  deutschen,  die  portugiesischen,  die 
polnischen,  die  spanischen,  die  italienischen,  wie  die  englischen  Juden,  haben 
fast  eine  durchaus  verschiedene  Sangweise  für  ein  und  denselben  Accent.  Alle 
jedoch  behaupten,  wie  wenigstens  F.  J.  Fetis  schreibt,  dass  die  reinste  und 
wenigst  veränderte  Sangweise  für  die  Accente  sich  bei  den  orientalischen  Juden, 
besonders  denen  in  Aegypten,  erhalten  habe.  Hierfür  soll  besonders  sprechen, 
dass  die  beiden  in  Aegypten  bestehenden  jüdischen  Sekten,  die  Rabbanaym 
und  Karaym.  welche  in  allen  Lehren  und  Grebräuchen  durchaus  von  einander 
unterschieden  sind,  dieselben  Gesänge  für  die  gleichen  tonischen  Zeichen  haben. 
Die  Auslassung  Fetis'  in  seiner  Histoire  generale  de  la  Musvpie  Tom.  I.  p.  444 : 
y^JEn  premier  lieu,  cette  tradition  est  plus  conforme  au  ijoüt  du  chant  oriental  que 
Celle  des  Israelites  europeens,  parce  qu^elle  n'a  pas  suhi  Vinßuence  d^une  musique 
etrangereti,  über  die  Reinheit  der  Tradition,  fordert  aber  zu  der  Erwägung 
heraus:  ob  der  jetzt  in  Aegypten  herrschende  arabische  oder  türkisch-arabische 
Musikgeist  den  Gesang  der  H.  daselbst  nicht  auch  beeinflusst  haben  sollte? 
Ferner  würde  wohl  noch  zu  bedenken  sein ,  ob  nicht  etwa  diese  Tonphrasen- 
zeichen mehr  den  Sologesang  bestimmend  gesetzt  worden  sind,  während  die 
chorisch  auszuführenden  Gesangweisen  durch  andere  Bedingungen  bestimmt 
oder  einzig  der  Tradition  anheimgestellt  wurden. 

"Was  nun  die  hier  in  Betracht  zu  ziehenden  Accente  selbst  anbetrifft,  so 
ist  deren  Zahl  nach  Uebereinstimmuug  mehrerer  Musikgelehrter  und  Philologen 
auf  25  zu  beschränken;  JPackta,  Munahh,  Zarka,  Segoal,  Schalscheleth , 
Thalslia,  Dargha,  Thehhir ,  Azla,  Gheresch,  Scheue  Gherischaim, 
Merka,  Jethih,  Kadma,  Thelisha  ghedola,  Käme  pharah,  Phazer  u 
I'hazer  Xaton,  Zakef-Katon,  Zakef-ghadol,  Rahia,  Athnahh,  Soph 
pasuk,  Legormi,  Jerach  hen  iomo  und  Maphach  genannt,  deren  Zeichen 
und  Sangweisen  in  den  besondern  Artikeln  gegeben  wird.  Die  Sangweisen 
derselben  wurden,  wie  dort  zu  ersehen,  von  Verschiedenen:  Kircher,  Bartolocci 
und  Pater  Guarin,  in  sich  unterscheidender  Art  gegeben,  denen  sich  in  neuerer 
Zeit  M.  Naumbourg,  erster  Amtsverwalter  der  Pariser  Synagoge,  beigesellte. 
Auch  des  Letzteren  Aufzeichnungen  der  durch  die  Accente  angedeuteten  Sang- 
weisen stimmen  nicht  mit  denen  der  früher  Erwähnten  überein.  Noch  ist  über 
diese  Tonphrasen  zu  bemerken,  dass  dieselben  in  ihren  Tonverhältnissen,  doch 
nicht  in  der  Tonhöhe ,  wie  sie  geschrieben  sind ,  zur  Ausführung  gelangen 
müssen.  lieber  die  Tonhöhe  bestimmt,  nach  allgemeiner  Annahme,  die  jedes- 
malige Tonart  des  Tonstückes.  Ein  Zeichen,  wodurch  die  H.  diese  anzeigten, 
ist  bisher  jedoch  nicht  bekannt  geworden.  Vielleicht  ist  dies  durch  die  uns 
noch  eben  oft  unverständlichen  TJeberschriften  der  Psalme  angedeutet,  indem 
die  Einzcltöne  der  Octave,  falls  ein  Blasinstrument  oder  ein  anderes  Tonwerk- 
zeug darin  genannt  ist,  durch  die  diesem  eigenen  Töne  bedingt  wurde.  Als 
Endresultat  obiger  Ergehungen  über  die  gebräuchlichen  Entzifferungen  der 
Accente  möchte  somit  zu  betrachten  sein:  dass  beide  Gattungen  von  Lesarten 
der  Sangweisen,  die  Orientale  wie  occidentale,  von  der  ursprünglichen  der  H. 
abweichen  müssen,  indem  noch  in  ersterer  die  landesüblich  herrschende  Ton- 
gattung: Moll  (s.  d.),  in  letzterer  die  im  Abendlaude  vorherrschende:  Dur 
(s.  d.)  überwiegend  ist.  Ferner  ist  zu  bemerken,  dass  es  sehr  schwer  oder  gar 
nicht  möglich  sein  muss,  einen  zusammenhängenden  Gesang  nach  den  Accenten 
allein  darzustellen,  da  uns  bisher  kein  einziger  bekannt,  der  nur  auf  diese 
fussend  niedergeschrieben  wurde.  Deshalb  haben  wohl  im  Laufe  der  Zeit 
Mehrere  versucht,  auf  anderem  Wege  den  alten  Gesang  der  H.  zu  entdecken. 
Der  Erste,  der  in  dieser  Weise  beachtenswerthe  Versuche  anstellte  und  uns 
Proben    seiner    Forschung    überantwortete,    war    ein    Prediger    zu  Waiblingen, 


Hebräer. 


Itil 


Namens  Speiclel.  In  seinem  Werke:  »Unverwerfliclie  Spuren  von  der  alten 
Davidischen  Sing-Kunst  etc.«  (Stuttgart,  1740),  giebt  er  ein  ausgebildetes  System, 
das  hier  in  Kürze  angedeutet  sei.  Speidel  beweist  im  ersten  Capitel  seines 
Werkchens,  dass  durch  Einführung  redender  Personen  in  den  Psalmen  ange- 
geben werde,  ob  eine  oder  mehrere  Personen  (Sopran,  Alt,  Tenor  und  Bass) 
solche  Stellen  zu  singen  hätten.  Im  zweiten  Capitel  führt  er  alle  Psalmstellen 
auf,  die  er  für  Belege  dieser  Deutung  ansieht.  Das  dritte  Capitel  weist  nacb, 
dass  die  H.  nur  fünf  Töne  in  der  Octave  gebrauchten  und  dieselben  durch 
ihre  Vocalzeichen  andeuteten.  Demnach  war  die  Tonleiter  der  alten  H.  nach 
seiner  Angabe: 

Ferner  suchte   Speidel  zu  beweisen,  dass 
**  bchureck;  Kybbutz.  Jie  Vocale  auch  zugleich  zur  Bezeichnung  der 

0  —  Cholem;  Kametz-chatuph.  Kürze  und  Länge  der  Töne  gedient  haben; 
*  Chirek.  (Je^.  lange  Vocal  habe  nämlich  eine  ganze  Note, 

^  Zeri;   Saegol.  flei-  kurze    eine  halbe,    und   der   kürzeste  eine 

"^  —  Kametz ;  Patach.  Viertelsnote  gegolten.    Der  Takt  ist  nach  dem 

u  —  Schureck;  Kybbutz.  fünften    Capitel    eine    Erfindung    der    neueren 

Cholem;   Kametz-chatuph.     Musiker.     Im  sechsten  Capitel  weist    er  nach, 

dass  die  Accente  in  den  Psalmen  nur  die 
Wiederholungen  andeuten.  Nach  diesen  Priu- 
cipien  übergiebt  Speidel  im  siebenten  Capitel 
seines  Werkchens  die  Musik  zum  46.  Psalm, 
Diese  Probe  bewegt  sich  wirklich  nur  in  der 
fünfstimmigen  Tonleiter,  hat  nur  dreierlei  Noten  in  Betreff  ihrer  Zeitdauer, 
und  bietet  Soli  und  Tutti  nach  den  verschiedenen  im  Text  angegebenen  Per- 
sonen;  Tutti  stets  im  Einklänge  oder  Octaven: 

Tuta.  Psalm  46. 

Discaut. 


i    —   Chirek. 

e   —  Zeri;   Saegol. 

a  —   Kametz;  Patach. 

welche   hier  abschriftlich  folgt. 


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E  -  Ig  -  liim    la  -  nu     ma  -  ma  -  cha-sae     va  -  hos ; 


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Es  -  ra  fe  -  za-zott, 


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Alt. 


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Musikal.    Convers. -Lexikon.     V. 


11 


162 


Hebräer. 


Discant-Solo. 


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Jae,jaehaemujachmeruh  me-maf:    jir  haschu  harim  be-ga  be-ga   a  -  fa  -  to  sae-la. 


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na-har,  pe-la-gaf,   jesam  mechu-ir    E-lo-lim;Keclosch,kedosch,mischkene    El-jon. 


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Tenor -Solo. 


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E  -  lo-him    be-kir-ba     bal     timmott:      ja    se  rae  ha  E  -  lo-him,       lif-not  bo-ker. 


Discaiit. 


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han  -  nu    Go-jim    nia-tii    mam-la-chott:       na-tan  be-ko-lo,  ta  -  miig    a  -  rez. 


Tutti. 


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ad  keze   ha-a-rez:  keschetjescbabber  sekizzetchanitt, a-galott,    a-galott,  jisrof   baesch. 


Bass-Solo. 

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Hebräer. 


163 


Tutti. 


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Jeho-va  Zepha-ott  jm-ma-nu: 


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II 


Trotz  Forkel's  Verwerfung  dieser  Entzifferung  altliebräischen  Gesanges, 
ohne  dass  derselbe  dabei  auf  die  Basirung  derselben,  sondern  mehr  auf  die 
Musik  selbst,  wie  sie  seinem  abendländischen  Geschmacke  zusagt,  gerade  das 
Hauptgewicht  legt,  können  wir  uns  nicht  erwehren,  dennoch  dieser  Musik  eher, 
wie  mancher  andern  weiter  unten  zu  erwähnenden,  das  Wort  zu  reden.  Was 
z.  B.  das  Unisono  des  Chores,  die  freie  dem  Wortlaute  entsprechende  Betonung, 
die  Tonfolge,  ja  selbst  die  fünfstufige  Scala  anbelangt,  so  zeigt  diese  Art  der 
althebräischen  Musikdarstelluug,  dass  sie  von  einer  sehr  sinnigen  Natur  erfasst 
wurde,  welcher  der  antike  Musikgeist  nicht  durchaus  fremd  war.  Würde  noch 
behaiiptet  sein,  dass  die  Soli  nur  in  den  Haupttönen  durch  die  Noten  fest- 
gestellt wären,  und  Tonfioskeln,  wie  sie  die  Kehlfertigkeit  und  der  Geschmack 
des  Darstellers  zu  bieten  vermochten,  gewohnheitsgemäss  dazwischen  einge- 
schaltet worden  seien:  so  würden  Kenner  der  antiken  Kunst  sich  vielleicht 
gedrungen  fühlen  zu  glauben,  dass  Speidel  seine  Weisheit  aus  Urquellen  ge- 
schöpft habe,  die  bisher  keiner  als  er  sah.  In  Bezug  auf  die  letzterwähnte 
Kunstart  der  H.  darf  man  wirklich  dies  glauben,  wenn  man  zwei  vorhandene 
Zeugnisse  jeuer  Zeit  in  Miterwägung  zieht.  In  dem  grössten ,  in  den  Trüm- 
mern von  Kuijundschik  gefundenen  Relief  bemerkt  man  eine  weibliche  Figur, 
die  die  Hand  an  den  Hals  legt.  Siehe  Bild  und  Auslassung  darüber  im  Ar- 
tikel Assyrische  Musik.  Eine  Stelle  des  Traktats  Joma  berichtet  ferner, 
wenn  wir  dessen  lateinische  Uebersetzung  von  Scheringliam  Cap.  3  Sect.  2  als 
leitend  annehmen ,  über  die  ehemalige  Sangweise  der  H.  von  einem  Leviten 
Hogrus,  der  seines  schönen  Gesanges  ^egen  berühmt  war:  »dass  er  den  Daumen 
in  den  Mund  gesteckt  ixnd  den  Finger  an  die  Nase  gehalten  habe,  wenn  er 
recht  schön,  künstlich  und  anmuthig  singen  wollte.«  Eine  Durchflechtung  der 
jetzt  als  menschlich  erachteten  Singkunst,  Bewegung  in  fest  angenommenen  Inter- 
vallen, mit  Nachahmungen  derjenigen  von  Singvögeln  (Nachtigall),  ist  vielleicht 
in  Babylon  und  den  verwandten  Musikkreisen  in  gewisser  Beziehung  das  Ideal 
der  höchsten  Kunst  gewesen. 

Mehr  als  Speidel  war  wohl  der  berühmte  Hebräist  Anton  bei  seinen  Ent- 
deckungsbemühungen der  althebräischen  Sangeskunst  von  dem  abendländischen 
Musikgeiste  durchdrungen.  Die  Resultate  seiner  Forschungen  findet  man  in 
seinem  Werke:  y>Salomonis  Carmen  melicum  quod  canticum  cantiorum  dicitur,  ad 
metrum  priscum  et  modos  musicos  revocare,  recensere  et  notis  criticis  aliisque  il- 
lustrare  incipita  (Yitebergae,  1793)  der  OefFentlichkeit  übergeben.  Anton  glaubte 
zu  beweisen,  dass  die  H. ,  gleich  den  Abendländern  seiner  Zeit,  schon  harmo- 
nisch gesungen  haben  und  nahm  an,  dass  die  Accente  die  Harmonie,  ob  solche 
zwei-   oder  dreistimmig    sei,    betreuende  Zeichen  wären.     Er    behauptete  z.  B., 

11* 


164 


Hebräer. 


dass  die  Dargha  die  Sexte  f—  d'  oder  die  Terz  d—f;  das  Segoal  die  Quinte 
g  —  d'  oder  die  Octavey  — ^';  das  Zakef-Katon  die  Sexte  h—g';  das  Zakef-ghadol 
die  Terz  a  —  e'  oder  die  Quinte  a  —  c'  u.  W.  darstellten.  Diese  Gesetze,  von 
Anton  auf  das  Hohelied  Salomonis  praktisch  angewandt,  führten  ihn  zur  Her- 
stellung ein-  und  zweistimmiger  Gesänge  mit  einem  besondern  Instrumental- 
basse und  Vorspielen.  Hier  folgt  eine  Probe  seiner  Entzifferung  der  Musik 
zu  den  ersten  Versen  des  ersten   Capitels  des  Hohenliedes: 


Vorspiel. 


Sulamita  mit  jungen  Landleuten. 
Sulaniita. 


Bass. 


-fk-\:-fL: 


Jischa- 


w    p 


:|=t/=tz^ 


ko-ni  minnes  chi-koth 


pi  -  hu ! 


3: 


kl      to- 


'c:^~~o 


-— g^ 


— ^_ 


-g^- 


-■A-=i= 


=1= 


-p=- 


=t^ 


-F2- 


-P 


rtn 


-gg- 


Scheraen  ru- 


rak    schä- 


me-cha!  AI 


ken 


la 


moth    a  -  he- 


t^^ 


^^^: 


^- 


^ö- 


-p^ 


=«^ 


:^EE^E^E 


bhu - cha 

=t:::i:=ij= 


Sulamita. 


Chor  der  Landleute. 


Chor. 


lae-lech 


¥ 


as^ 


-s>_» 


=t^ 


:s5= 


cha  -  da  -     rav!  Na 


3E 


=tM= 


Na- 


--B 


^-^EE^ 


^ 


gi-lah,  ve- 


ää=£ 


gi-lah,  ve- 


-^a- 


?:iE^ 


ms  -  me 


chabach, 


^^ 


-•^" 


ms  -  me 


«=« 


e— <3 


cha  bach, 


nrr 


Nas- 


^*N 


Nas- 


-^^F- 


:|=t 


ki-rah  do- 


ö--* 


ki-rah  do- 


:?si 


Hebräer. 


165 


Wir  überlassen  es  jedem  Musikkundigeren,  über  den  Satz,  die  Modulation 
etc.  des  vorangegangenen  Musikstückes,  wie  über  die  Möglichkeit  solcher  Ton- 
wendungen in  Salomonischer  Zeit  sich  seine  eigene  Meinung  zu  bilden  und 
wenden  uns  zu  den  noch  ferner  gemachten  und  bekannter  gewordenen  Ver- 
suchen der  Entzifferung  althebräischer  Musik.  —  Es  sei  demnach  auf  das 
AVerk:  »Physiologie  und  Musik  in  ihrer  Bedeutung  für  die  Grammatik,  beson- 
ders die  hebräische  etc.«  (Leipzig,  1868)  von  Franz  Dielitzsch  aufmerksam 
gemacht.  Derselbe  sagt  daselbst  S.  23:  »Die  hebräische  Grammatik  greift  in 
die  Musik  e'in,  wie  die  Grammatik  keiner  andern  Sprache«,  und  über  die 
Art,  wodurch  dies  geschieht,  ebenda  S.  23  und  24:  »Jeder  Yers  des  alttesta- 
mentlichen  Textes  bildet  eine  durch  Tonzeichen  geregelte,  aus  Vorder-  und 
Nachsatz  mit  ihren  Cadenzen  bestehende  musikalische  Periode.  Man  nennt 
diese  Tonzeichen  Accente«;  und  kommt  in  Folge  seiner  Forschungen  zu  dem 
Endschluss,  dass,  nach  den  vielfachen  "Wandlungen  der  durch  Accente  gebotenen 
Tongänge,  die  der  IJrmelodie  zunächstkommenden  Melodien  nicht  bei  den  H.n 
in  Europa,  sondern  bei  denen  des  Orients,  vorzüglich  bei  denen  in  Aegypten 
zu  suchen  wären,  alle  verschiedenen  beim  Gottesdienste  von  Juden  gebrauchten 
Lesarten  der  Accente  aber,  wie  man  aus  den  durch  sie  erzeugten  Gemüths- 
stimmungen  entnehmen  könne,  aus  der  alten  Darstellungsweise  entstanden  seien. 
In  Noten  finden  wir  keine   seiner  Forschungen  verkörpert  vor. 

Indem  wir  nun  diesen  verschiedenen  Entzifferungsarten  der  alten  hebräi- 
schen Musik  die  letztbekannte  derartige  anreihen,  wollen  wir,  um  dem  Leser 
recht  klar  die  Resultate  derselben  vorzuführen,  uns  bestreben,  meist  im  Geiste 
des  Forschers,  L.  Arends,  uns  auszudrücken.  Die  verschiedenen  Versuche, 
im  Anschluss  an  die  Recitation  der  Bibelverse  in  den  heutigen  Synagogen,  die 
wirkliche  Vocalmusik  der  alten  H.  lediglich  aus  den  Accenten  darzustellen, 
brachten  es  nie  zu  einer  Melodik,  welche  auch  nur  annäherungsweise  dem  Reiz 
und  der  Weihe  eines  gottgewidmeten  Gesanges  entsprechen,  welche  derselbe 
schon  bei  einer  fast  tausendjährigen  Musikpflege,  von  Moses  bis  etwa  zu  Jere- 
mias'  Zeiten,  geschweige  bei  dem  so  hervorragenden  Tonsinn  des  hebräischen 
Volkes  erhalten  musste,  soll  eben  nicht  ebenso  psychologischer  wie  geschicht- 
licher Widerspruch  hier  für  eine  zu  suchende  Thatsache  maassgebend  eintreten. 
Aus  '  diesem  Grunde  hatte  wohl  auch  Saalschütz  die  Herstellbarkeit  des  alt- 
hebräischen Gesanges  lediglich  auf  Grund  der  Accente  bezweifelt,  ohne  jedoch 
gerade  an  die  hier  zunächstliegenden  Momente  —  an  die  Laute,  die  Zeitmaass- 
verhältnisse der  Wortsylben  und  den  ganzen  natürlichen  Rhythmus  der  Sprache 
überhaupt  —  zu  denken,  welche  in  erster  Linie  für  die  betreffende  Frage  in 
Betracht  zu  ziehen  war.  Was  aber  jener  musikalischen  Behandlung  der  Psalmen 
und  Prophetengesänge  noch  ganz  besonders  den  Charakter  der  antiken  Ge- 
sangsart entzieht,  sind  einestheils  ebenso  ihre  melismatischen  Verzierungen,  wie 
andererseits  ihre  Einzwängung  in  eine  choralartige  Vortragsweise,  insofern 
erstere  gerade  während  der  künstlerischen  Blüthezeit  der  alten  Welt  von  der- 
selben überall  als  eine  unnatürliche  Abweichung  von  der  sprachlichen  Syllabik 
perhorrescirt  wurde,  letztere  aber  nicht  minder  im  Widerspruch  mit  der  ganzen 
Rhythmik  der  Sprache  stand,  die  gerade  im  Hebräischen  eine  so  ungemein 
reichhaltige  ist. 

Diese  und  ähnliche  Erwägungen,    zu    denen    namentlich  noch  weitgehende 


166 


Hebräer. 


Untersuchungen  über  die  schon  im  höchsten  Alterthum  gewürdigte  musikalische 
Bedeutung  der  ]jaute  gehörten  (man  denke  u.  A.  nur  an  die  heiligen  Singlaute 
der  Gnostiker  und  alten  Aegyptcr,  über  die  die  Kirchenväter  Irenäus  und 
Eusebius  berichten  und  die  mit  der  uralten  siebentönigen  Sphärenscala  [s.d.] 
in  der  innigsten  Beziehung  standen),  bestimmten  den  Privatgelehrten  L.  Arends 
(s.  d.)  in  Berlin ,  sich  die  Lösung  des  besagten  Problems  zu  einer  Hauptauf- 
gabe seines  kunst-  und  sprachwissenschaftlichen  Forschungseifers  zu  machen 
und  das  Resultat  seiner  Arbeiten  in  einer  Abhandlung:  »Uebcr  den  Sprach- 
gesang der  Vorzeit  und  die  Hcrstellbarkeit  der  althebräischen  Vocalmusik«, 
mit  entsprechenden  Musikbeilagcn  (Bei'lin,  1867),  darzulegen.  Ob  man  es  hier 
mit  Argumentationen,  die  mit  Nothwendigkeit  zu  sichern  Proben  einer  alt- 
hebräischen Melodik  führen,  oder  mit  einem  Spiel  von  Conjecturen  zu  thun 
hat,  das  könnte  selbst  in  einem  umfangreicheren  Artikel,  als  dieser  sein  darf, 
nicht  vollständig  befriedigend  erwogen  werden  können.  Sehen  wir  deshalb  das 
eigentliche  Hilfsmittel,  auf  Grund  dessen  jenes  Werk  die  Herstellbarkeit  der 
althebräisclien  Vocabnusik  behauptet,  und  einige  daraus  hervorgegangene  Proben 
dieses  Gesanges  näher  an,  und  zwar  stets  mit  Vergleichung  der  Laute  und 
Töne  nach  jenem  Mittel  der  Arends'schen  althebräischen  Laut-  und  Tonscala 
und  der  sprachlichen  und  musikalischen  Zeitmaasse  und  Rhythmen.  Die  von 
Arends  in  seinem  Werke   S.  78   gegebene  Laut-  und   Tonscala  ist  folgende: 


b-*-  r^ 


=\=i- 


-1 — \-- 


::==); 


p 


{•a)    T 

D 
TÖTÜ 

'S" 


n 


31« 


n 

n 


=r-^ 


E^^E^E^Ül 


1 

13 


b     :     D     n 

X  (S)      2 


Mit  Hilfe  dieser  Laut-  und  Tonscala  hat  Arends  mehrere  Melodien  des 
alten  Testaments  hei'gestellt  und  einige  derselben  seinem  Werkchen  angehängt. 
AVir  wählen  aus  diesen  Melodien,  um  den  Toncharakter  derselben  zu  zeigen, 
die  für  die  Worte  des  Psalms  137  Vers  1^ — 4:  »An  den  Wassern  Babylons 
Sassen  wir  und  weinten  etc.«  aus,  und  fügen  der  durch  diese  Entzifferung  alt- 
hebräischer Gesänge  erhaltenen  Melodie  die  zu  dem  gleichen  Texte  als  tradi- 
tionell betrachtete  nach  englischer  Bearbeitung,  sowie  den  Anfang  des  rhyth- 
mischen Chorals  hinzu,  es  Jedem  überlassend,  die  etwaige  Aehulichkeit  in 
diesen  dreien  selbst  zu  entdecken. 


V.  1. 


Arends'sche  Entzifferung. 


M^^kM&:^^ 


Yal  -  na -ha  -  roth 


ba  -  wäl      schäm      ja-scha-we-  nu       gam  •  ba  -  chi- 
.^  V.  2. 


f=-=^ 


ZM^^ 


nu      be-so-che-re  •  nu      eth  •  zi  -  jon. 


^fäS 


3^ 

Yal  -  ya-ra  -  wi  -  im 
o        V.  3. 


?^H£f 


^: 


be  -  tho- 


ß^ 


tz-i=P=S, 


^i^: 


a 


'^ 


-^— 


?i@|fel^t:^: 


t=^\i 


chach     ta  -  U  -  i 


nu 


no 


■    ro   -    the-e  ■  nu. 


Ki     schäm  5CÄe-e  -  lu- 


Hebräer. 


167 


'4^- 


[f: 


-=*=t=f: 


t±=J=tzi\= 


=3= 


:tr: 


p:~\r- 


:t:=t:= 


Ö!Egg 


?i!t       scÄo  -  ipe  e  -  WM        di  -  we-re     e  -  schi  -  ir 


tve  -  tho  -  la  -  le  -  e  -  nw 


i=t 


:i=5* 


-*^^'- 


:t: 


=t— 1:= 
si-me-chah      schi-i    -    rii 


la 


^^=t=^=^ 


-I — I — •- 


?IM 


mi-schi  -  ir 


ZI  -  jon. 


Y.  4. 


E-ecJi'    na- schi -ir       etil    schi-ir    Je   -  ho-wah      yal  ademath  ne  -  char. 


Traditionsmelodie  nach  englisclier  BearlDeitung. 


it-pi=jt 


ü — I ^ 


=4 


3iifa 


:(=*: 


Oh    weep     for    those  thatweepbyBa-bel'sstreamjWhosshrines  are     de-solate,  whose 


m 


->=ä-~-' 


^^•=t 


■•- — a- 


i5ES±*E| 


?t^T 


M--4: 


land      a     dream,     Weep    for  the  harp     of  Judah'sbrokenshell.      Mourn  where  their 


Godhathdwellthe     God  -  less       dwell!    And  where  shall      Is  -  rael    lave  her  bleeding 


i 


¥ 


:t 


:t: 


:t 


*=t= 


itrrt: 


^F: 


:f=^=t=^; 


feet?  And  when  shall     Zi-on's  songs  a  gainseemsweet?  And    Judah's  me  -  lo  -  dy  once 


-p — •- 


^ 


t: 


::-(=; 


I^^E: 


-^- 


:t^ 


"^^^^ 


'^ 


:t= 


-1=1 


more      re    -    joice      The  hearts  that    leap'd  be  -  fore    its  heav'nly      voice. 


Rhythmisclie  Choralmelodie  des  137.  Psalms. 


m=^ 


e 


-r:=t= 


-ö- 


::j: 


3^ 


Diese  Choralmelodie,  bypojoniscli,  plagaliscli,  erschien  zuerst  1525  im 
Strasßburger  Kirchenamt.  Sie  wird  gewöhnlich  als  Composition  des  Organisten 
und  Vikars  "Wolfgang  Dachstein  zu  Strassburg ,  der  1524  zur  evangelischen 
Lehre  übertrat,  betrachtet.  Die  Tonart  des  Chorals  spricht  jedoch  mehr  für 
eine  Verwerthung  einer  schon  vorhandenen  Tonweise,  als  für  eine  neue  Com- 
position Dachstein's.  —  Wenn  man  nach  diesen  Berichten  über  die  verschie- 
denen Entzifferungsversuche  althebräischer  Yocalmusik  die  Mittel  vergleicht, 
auf  die  gestützt  die  verschiedenen  Forscher  die  Versuche  anstellten,  so  findet 
man,    dass    sie    entweder  die  Buchstaben    als   Ton-  oder  die   Schriftzeichen  als 


168  Hecht  —  Heckel. 

Tonphrasenzeichen  ansehen  zu  müssen  glaubten.  Auch  der  Unpartheiischste 
wird  hiernach  annehmen  müssen,  dass  jedenfalls  eines  der  beiden  Mittel  oder 
beide  etwas  Kcelles  bergen ,  und  dass  neben  denselben  die  Ueberlieferung  in 
Tönen  selbst  vielleicht  in  der  Blüthezeit  der  hebräischen  Kunst  die  grösste 
Hauptrolle  spielte.  Mit  der  Zerstreuung  des  Volkes  in  alle  Welt  verlor  diese 
Tradition  ihre  verpüicliteten  Hüter,  die  Leviten,  und  wurde  von  dem  jeweiligen 
localen  Musikgeiste  beeinflusstes  Zufälligkeitsergebniss,  und  die  Deutung  der 
als  Notation  erachteten  Zeichen,  jener  todten  Zeugen  vergangener  Tage,  musste 
sich  immer  mehr  verdunkeln.  Ob  nun  nach  solchen  Schicksalen  der  hebräischen 
Kunst  je  es  möglicli  sein  wird,  diese  wieder  darzustellen,  oder  ob  dieselbe  gar 
schon  annähernd  dargestellt  worden  ist,  wird  wohl  für  immer  Geheimniss 
bleiben.  Die  Versuche  von  Fetis  in  seiner  »Hist.  de  la  musique»  T.  I.  p.  465  ff., 
die  Tonfolge  der  H.  durch  Reflexion  festzustellen,  wollen  wir  hier  nicht  weiter 
beleuchten  —  empfehlen  dieselbe  jedem  Wissbegierigen  jedoch  — ,  da  die 
Grundpunkte,  von  denen  jene  ausgehen,  nach  vielem  Vorhergesagten  we- 
nigstens eben  nicht  berechtigt  erscheinen  und  somit  zu  Endresultaten  führen 
müssen,  die  in  der  That  keine  Wahrscheinlichkeit  für  sich  besitzen.  Wie  das 
Volk  der  H.  in  alle  Welt  zerstreut  wurde,  so  zerfloss  auch  die  pompöse  Form 
der  hebräischen  Musik.  In  den  frühesten  Zeiten  der  Christenlieit  jedoch,  wo 
die  in  Höhlen  sich  sammelnden  Andächtigen  die  Stelle  der  Leviten,  ohne  es 
selbst  zu  wissen,  nach  ihrem  Vermögen  übernahmen,  diente  dem  Emporkeimen 
der  neuen  Gotteslehre  der  Geist  derselben  als  eine  in  Liebe  sich  beigesellende 
Magd,  die  dem  Nachkommen  die  erste  Nahrung  bot.  Die  Bemühungen  des 
heiligen  Ambrosius  (s.  d.)  scheinen  die  letzten  lebendigen  Ausflüsse  der  alt- 
hebräisclien  Vocalmusik  einer  fortgesetzten  Wandlung  zu  entziehen  gesucht  zu 
haben,  jedoch  der  Zeit  gemäss,  und  in  der  Zeit  ist  Nichts  beständig  unter  der 
Sonne,  als  der  Urgeist,  aus  dem  alles  Zeitliche  sicli  bildet.  Auch  in  dem  un- 
verfälschten Stamme  der  H.  scheint  ein  Urgeist  des  Empfindens  in  der  Musik 
sich  noch  bis  heute  bewahrt  zu  haben,  der  sich  durch  viele  Aeusserungeu  des- 
selben von  dem  anderer  Völker  unterscheidet,  trotzdem  nicht  abzuleugnen  ist, 
dass  die  H.  jedem  andern  Musikempfinden  eine  Einwirkung  auf  das  Ihrige  zu 
versagen  nicht  vermochten.  Dies  beweisen  die  Kunstheroen,  welche  in  jedem 
Musikkreise ,  wenn  wir  über  solche  in  neuester  Zeit  getreu  zu  berichten  ver- 
möchten ,  sich  aufweisen  lassen  würden.  Im  Abendlande  nennen  wir  nur  die 
Tonmeister  Meyerbeer,  Mendelssohn  und  Halevy  und  verweisen  ausserdem  auf 
die  Legion  von  verdienstvollen  Priestern  der  Kunst  aus  dem  Stamme  der  H., 
welche  alle  täglich  die  AVahrheit  der  Worte  »Die  Form  hat  man  zerbrochen, 
doch  der  Geist  lebt  in  uns  Allen  fort«   durch  ihre  Thaten  beweisen. 

C.  Billert. 
Hecht,  Eduard,  deutscher  Pianist,  geboren  1832  zu  Dürkheim,  erhielt 
seine  höhere  musikalische  Ausbildung  auf  der  Rheinischen  Musikschule  zu 
Köln  und  erwarb  sich  nachgehends  als  Concertspieler  einen  guten  Ruf.  Er 
lebt  in  seiner  Vaterstadt  als  Musiklelirer  und  hat  einige  Hefte  Ciavierstücke 
und  Lieder  seiner   Composition  veröffentlicht. 

Heck,  ein  in  England  lebender  Tonkünstler  von  wahrscheinlich  deutscher 
Abkunft,  veröffentlichte  in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  zu  London 
ein  Lehrbuch  des   Generalbasses. 

Heckel,  Johann  Christian,  ein  gerühmter  deutscher  C()ini)onist,  geboren 
am  15.  Aug.  1676  zu  Bischofswerda,  studirte  in  Leipzig  Theologie  und  Musik 
und  wurde  1699  Cantor  in  seiner  Vaterstadt,  von  wo  er  1713  in  gleicher 
Eigenschaft  nach  Pirna  berufen  wurde.  In  letzterer  Stadt  starb  er  1744. 
Walther  bezeichnet  ihn  als  einen  tüchtigen  Componisten;  gleichwohl  ist  kein 
Werk  von  ihm  auf  die  Nachwelt  gekommen.  Historische  Schriften  dagegen 
von  ihm  kennzeichnen  ihn  als  einen  wissenschaftlich  sehr  gebildeten  Mann.  — 
Den  gleichen  Namen,  Johann  Christian  H.,  führte  ein  musikkundiger  Theologe 
des    18.    Jahrhunderts,    der,    1747    zu    Augsburg    geboren,    seit    1780    dritter 


Heckel  —  Heckmann.  169 

Diaconus  an  der  Barfüsserkirche  daselbst  war  und  eine  Schrift:  »Beschreibung 
der  Steinischen  Melodica«  veröffentlichte. 

Heckel,  Karl  Ferdinand,  Begründer  einer  ziemlich  umfangreichen 
Kunst-,  Musikalien-  und  Instrumentenhandlung  in  Mannheim,  wurde  am  12.  Jan. 
1800  in  "Wien  geboren  und  erhielt  daselbst  eine  gute  musikalische  Ausbildung, 
besonders  auf  dem  Pianoforte,  die  ihn  befähigte,  Compositionen  zu  beurtheilen 
und  selbst  zu  schreiben.  Er  wandte  sich  jedoch  dem  musikalischen  Geschäfts- 
fache zu  vind  etablirte  1821  zu  Mannheim  die  noch  jetzt  unter  der  Firma 
C.  F.  Heckel  bestehende  Handlung.  Als  Leiter  derselben  hat  er  sich  besonders 
durch  Edirung  billiger  Ausgaben  classischer  Werke  (Mozart's  Opern  im  Clavier- 
auszuge  u.  s.  w.),  eines  Orgeljournals  und  der  preisgekrönten  Werke  des  Mann- 
heimer Musikvereins  einen  Namen  gemacht.  Auch  das  locale  Musikwesen  ver- 
dankte ihm  uneigennützige  Unterstützung  und  Förderung,  in  Folge  dessen  er 
Mitglied  des  Mannheimer  Hoftheatercomites  wurde.  Hochgeachtet  starb  er  im 
April  1870.  —  Sein  Sohn  und  Greschäftsnachfolger,  Emil  H.,  nimmt  in  Mann- 
heim dieselbe  hervorragende  Stellung  ein,  wie  sein  Vater,  ausserdem  hat  er 
sich  auf  dem  Partheigebiete  der  Musik  durch  rückhaltloses  Einstehen  für  die 
Tendenzen  Rieh.  Wagner's  einen  Namen  gemacht  und  ist  der  Gründer  des 
ersten  Richard  Wagner -Vereins  in  Deutschland,  ebenso  der  Unternehmer  der 
(übrigens  verunglückten)  Nationalsammlung  für  das  Bühnenfestspielhaus  zu 
Bayreuth. 

Heckel,  "Wohlfen,  deutscher  Lautenvirtuose,  lebte  um  die  Mitte  des  16. 
Jahrhunderts  zu  Strassburg  im  Elsass  und  veröffentlichte  eine  Sammlung  von 
Compositionen  für  sein  Instrument. 

Heckenauer,  Johann,  deutscher  Lautenvirtuose,  wird  um  das  Jahr  1700 
mit  Auszeichnung  erwähnt.  Näheres  über  seinen  Lebenslauf  ist  nicht  bekannt 
geblieben. 

Hecker,  A.  J.,  deutscher  Tonkünstler,  war  um  die  Wende  des  18.  und  19. 
Jahrhunderts  Cantor  in  Potsdam  und  veröffentlichte  als  solcher  eine  Schrift 
über  den   Gesang  in  Kirchen  und   Schulen. 

Hecker,  Justus  Friedrich  Karl,  ausgezeichneter  medicinischer  Histo- 
riker, Sohn  des  als  Arzt,  Lehrer  und  medicinischer  Schriftsteller  hochgeachteten 
August  Friedrich  H.,  wurde  am  5.  Jan.  1795  zu  Erfurt  geboren,  studirte 
die  Heilkunde  in  Berlin  und  wurde  daselbst  1817  Privatdocent,  1822  ausser- 
ordentlicher und  1834  ordentlicher  Professor  der  Universität,  sowie  auch  Mit- 
glied der  Ober-Examinationscommission.  Er  veröffentlichte  u.  A. :  »Die  Tauz- 
wuth,  eine  Volkskrankheit  im  Mittelalter«,  92  S.  und  4  Notentafeln  mit  Ta- 
i'antelmelodien  (Berlin,   1832;  italienisch  von  Fassetta:  Florenz,  1838). 

Heckmanu,  Georg  Julius  Robert,  vortrefflicher  Violinvirtviose  der 
Gegenwart,  wurde  am  3.  Novbr.  1848  zu  Mannheim  geboi'en.  Sein  Vater,  ein 
geachteter  Lehrer  und  zugleich  Dirigent  des  Mannheimer  Singvereins,  war  der 
Clavierlehrer  des  vorzüglich  beanlagten  Sohnes  und  verschaffte  ihm  bald  darauf 
auch  den  Violinunterricht  Jean  Becker's,  unter  dessen  Leitung,  sowie  unter 
derjenigen  Naret-Koning's  er  überraschende  Fortschritte  machte.  Kaum  14 
Jahre  alt,  wurde  er  in  Folge  dessen  Mitglied  der  Mannheimer  Hotkapelle  und 
genoss  hierauf  noch  die  Unterweisungen  des  Kapellmeisters  Vincenz  Lachner 
in  der  Compositionslehre  und  Max  Bruch's  im  Clavierspiel.  Vom  Grossherzoge 
von  Baden  unterstützt,  bezog  H.  im  Herbst  1865  das  Conservatorium  zu  Leipzig, 
wo  er  seine  Studien  unter  Ferd.  David,  Moritz  Hauptmann  u,  s.  w.  eifrig  fort- 
setzte, schon  im  zweiten  Studienjahre  prämiirt  und  bald  darauf  als  Concert- 
meister  der  Musikgesellschaft  »Euterpe«  in  Leipzig  angestellt  wurde.  Die 
freien  Sommermonate  verwandte  H.  zu  Studienreisen,  die  ihn  1869  nach  Paris, 
wo  er  bei  Alard  und  Leonard  die  Eigenthümlichkeiten  der  französisch -bel- 
gischen Geigerschule  kennen  lernte,  und  1870  nach  Berlin  zu  Joachim  führten. 
Er  machte  darauf  Concertreisen  und  erwarb  sich  Namen  und  Verdienst  durch 
den  Vortrag    der    neuesten    Violinwerke,    z.  B.  der    Concerte    von    Bruch    und 


170  Hecquet  —  Hedouin. 

Svendsen,  ausserdem  durch  Kammermusikauffülirungen,  die  er  mit  namhaften 
Künstlern  in  Norddeutschlaiid,  Wien  und  Holland  veranstaltete.  Seit  1872  in 
Köln  als  Concertmeister  und  Sologeiger  angestellt,  setzte  H.  dort  und  in  den 
benachbarten  rheinischen  Städten  seine  Thätigkeit  auf  dem  Felde  der  Kammer- 
musik erfolgreich  fort  und  erhielt  zahlreiche  Berufungen  zu  Solovorträgen, 
u.  A.  auch  nach  England.  H.'s  Spiel  zeichnet  sich  durch  Wärme  und  Fein- 
fühligkeit aus,  sein  Vortrag  zeugt  von  tiefem  Verständniss  und  liebevoller  An- 
eignung der  Eigenthümlichkeiten  des  vorliegenden  Werkes.  Die  Wirkung  auf 
den  Zuhörer  ist  daher  auch  stets  eine  anregende  und  wohlthuende.  —  H.'s 
Gattin,  Marie  H. ,  geborene  Hertwig,  eine  tüchtige  Pianistin,  ist  in  Greiz 
geboren  und  auf  dem  Conservutorium  zu  Leipzig  unter  Moscheies  und  Wenzel 
musikalisch  ausgebildet.  Im  Vereine  mit  H.  erwarb  sie  sich  schon  in  Leipzig 
durch  den  Vortrag  und  die  Verbreitung  weniger  bekannter  Werke  von  Brahms, 
Gernsheim  u.  A.  Verdienste  und  grosse  Anerkennung.  Seit  ihrer  Verheirathung, 
1873,  ist  sie  auch  in  den  rheinischen  Städten  eine  gern  gesehene  mitwirkende 
Künstlerin  in  den  Kammermusikaufführungen  ihres  Gatten.  Ihr  weicher,  klang- 
voller Anschlag,  verbunden  mit  feiner  musikalischer  Auffassung,  macht  sie  auch 
als   Solistin  zu  einer  hervorragenden  Erscheinung. 

Hecquet,  Charles  Joseph  Gustave,  französischer  Musikschriftsteller 
und  Componist,  geboren  am  22.  Aug.  1803  zu  Bordeaux,  studirte  die  Tonkunst 
in  Paris  und  trat  seit  1830  vielfach  als  Theaterfeuilletonist  und  später  als  Com- 
ponist von  Vaudevilles  und  Operetten  hervor.  Seine  bedeutendsten  Werke  in 
diesem  Fache  sind  die  komische  Oper  »ie  braeonnier«  (1847)  und  die  Operette 
y>Marinette  et  Gros-Menm  (1856).  Sein  Hauptverdienst  aber  erwarb  er  sich 
durch  gut  geschriebene  Kritiken  und  Referate  für  verschiedene  Zeitschriften, 
besonders  für  die  ^^ Illustration (i,  deren  Mitarbeiter  er  ununterbrochen  bis  in  die 
1860er  Jahre  war. 

Hedericus  oder  Helpericus,  ein  Mönch  zu  Hirschau  (um  894),  ist  der 
Verfasser  von  Musiktractaten,  aus  denen  Gerbert  in  seinen  »Script,  eccles.  mus.K 
II.  pag.  33  Einiges  wiedergegeben  hat,  und  soll  verschiedene  Gesänge  zu  Ehren 
der  Heiligen  theils  angeordnet,  theils  auch  selbst  vei'fasst  haben. 

Hedjaz,  s.  Hogaz. 

Hedlnf,  Heinrich  Gottfried,  deutscher  Theologe,  geboren  am  7.  März 
1748  zu  Görlitz,  gestorben  ebendaselbst  als  Diaconus  am  24.  Jan.  1785,  ist 
der  Verfasser  einer  Schrift  über  die  Kirchenmusik. 

Hedwig:,  Johann  Luca,  tüchtiger  Tonkünstler,  geboren  am  5.  Aug.  1802 
zu  Heldsdorf  bei  Kronstadt  in  Siebenbürgen,  war  der  Sohn  einfacher  sächsischer 
Landleute,  zeigte  aber  schon  früh  solche  Anlage  für  Musik,  dass  ihm  der  Orts- 
cantor Unterricht  im  Gesang  und  auf  der  Violine  gab,  den  H.  später  als  Gym- 
nasiast zu  Kronstadt  eifrig  fortsetzte.  Nach  höheren  musikalischen  Zielen 
strebend,  ging  H.  1819  nach  Wien,  wo  er  bei  Jo«.  Drechsler  und  J.  Blumen- 
thal Generalbass,  Contrapunkt  und  Compositionslehre  studirte.  Mit  Glück  trat 
er  hierauf  als  Componist  auf,  und  seine  Instrumentalsachen,  besonders  Ouver- 
türen, wurden  Repertoirestücke  der  AViener  Theater.  Grösseres  aber  leistete 
er  auf  dem  Gebiete  der  Cantate,  der  IMotette  und  des  Volksliedes.  Im  J.  1840 
wurde  er  als  Stadtcantor  und  Musikdirektor  der  evangelischen  Stadtkirche 
nach  Kronstadt  berufen  und  erwarb  sich  einen  Namen,  der  noch  jetzt  daselbst 
unvergessen  fortlebt.  Seine  Choräle,  »Wer  nur  den  lieben  Gott«,  »Lob,  Ehr' 
und  Preis«,  und  sein  siebenbürgisches  Volkslied,  Text  von  M.  Moltke,  drangen 
in  alle  Schichten  der  Bevölkerung.  Mit  der  Composition  eines  Oratoriums, 
»Der  Allmacht  Wunder« ,  und  eines  Cautatencyclus  für  das  ganze  Kirchenjahr 
beschäftigt,  ereilte  ihn  der  Tod  am  8.  Jan.  1849.  Von  seinen  Werken  er- 
schienen im  Druck:  Siebenbürgische  Volkslieder  für  Chor,  ein  Sopransolo  »Er- 
strahle, Licht«  und  eine  »Kronstädter  theoretisch-praktische  Gesauglehre«  (Kron- 
stadt,  1848),  welche  letztere  eine  unveränderte  zweite  Aufluge  erlebte. 

Hedouiu,  Pierre,  französischer  Musikschriftsteller  und  Componist,  geboren 


Hedikomos  —  Heermann.  171 

am  28.  Juli  1789  zu  Boulogne,  hat  eine  Opei',  sowie  Romanzen  und  Gesang- 
notturnos geschrieben. 

Hedikomos  (griech.)  ist  der  Name  eines  der  Singetänze  bei  den  alten 
Griechen. 

Heegmau,  Alphons,  französischer  Gelehrter,  geboren  1802  zu  Lille,  ver- 
fasste  und  veröffentlichte  ein  Werk,  betitelt:  fExamen  de  la  theorie  musicale 
des  Grecsvi. 

lieereu,  Arnold  Hermann  Ludwig,  einer  der  vorzüglichsten  deutschen 
Historiker,  geboren  am  25.  Octbr.  1760  zu  Arbergen  bei  Bremen,  erhielt  seine 
gelehrte  Bildung  auf  der  Domschule  zu  Bremen  und  der  Göttinger  Universität. 
Vom  Studium  der  Theologie  wandte  er  sich  zu  philologischen  und  historischen 
Studien  und  wurde  Privatdocent  an  der  Hochschule  zu  Göttingen.  Von  einer 
wissenschaftlichen  Reise  nach  Italien  1787  zurückgekehrt,  wurde  er  zum  ausser- 
ordentlichen, 1794  zum  ordentlichen  Professor  der  Philosophie  und  1801  zum 
ordentlichen  Professor  der  Geschichte,  nachher  zum  Hofrath  und  später  zum 
Geh.  Justizrath  ernannt.  Er  starb,  als  gelehrte  Autorität  hoch  angesehen,  am 
7.  März  1842  zu  Göttingen.  Von  seinen  zahlreichen  scharfsinnigen,  nach  Inhalt 
und  Form  classischen  Werken  gehört  hierher  eine  -nBissertalio  de  cliori  Grae- 
cormn  irajjici  natura  et  indole,  ratione  argumenti  hahita<i.  (Göttingen,  1785). 

Heerhoru,  ein  Blasinstrument  der  alten  Deutschen,  welches  das  Zeichen 
zum  Angriff'  gab   und  auch  während  der   Schlacht  geblasen  wurde. 

Heeriugeu,  Ernst  vou,  deutscher  Tonkünstler,  geboren  1810  im  Preussi- 
schen,  siedelte  1845  nach  New- York  über  und  ersann  daselbst  als  Musiklehrer 
ein  neues  Notensystem,  welches  die  Erlernung  der  Musik,  namentlich  des  Piano- 
fortes,  wesentlich  erleichtern  sollte  und  für  die  Vereinigten  Staaten  patentirt 
wurde.  In  einer  englischen  Schrift  setzte  er  1850  die  Vortheile  seines  Systems 
auseinander  und  erschien  Ende  1851  in  Norddeutschland,  um  für  dasselbe  da- 
selbst Propaganda  zu  machen.  Allenthalben  zurückgewiesen  und  heftig  be- 
kämpft, kehrte  er  tief  vergrämt  nach  Amerika  zurück  und  starb  am  24.  Decbr. 
1855  zu  Washington.  Eine  Beschreibung  seines  bald  darauf  verschollenen 
Systems  findet  man  in  der  Berliner  Musikzeitung  »Echo«  1851  No.  17.  H. 
schaffte  die  Vorzeichnung,  die  einfachen  und  doppelten  Kreuze  und  Bee  ab 
und  bezeichnete  zum  Ersatz  dafür  die  Untertasten  des  Claviers  mit  leeren  |  , 
die  Obertasten  mit  gefüllten  Köpfen  '  '  ^  u.  s.  w.  Den  Bass  schrieb  er  mit 
/-Schlüssel  auf  der  fünften  Linie,  wodurch  die  Noten  dieselben  Namen  wie  die 
des  Discants  erhalten.  Den  Werth  der  Noten  drückte  er  durch  grösseres  oder 
kleineres  Format  der  Notenköpfe  aus,  und  die  Linien  über  dem  üblichen  Noteu- 
system,  regelrecht  sonst  mittelst  Strichen  durch  Hals  oder  Kopf  bezeichnet, 
schrieb  er  ganz  aus,  wenn  über  die  Linien  hinausgegangen  werden  musste. 
Die  Stärkegrade  von  ppp  bis  fjf  sollten  durch  Ziffern  von  1  bis  9  ersetzt 
werden,  und  der  Takt  wurde  mit  Beseitigung  aller  Brüche  durch  Zahlen  an- 
gedeutet, welche  eben  so  viele  Schläge  bedeuteten.  Im  Druck  erschienen  sind, 
in  das  H.'sche  System  übertragen,  ein  Marsch  von  Molck  und  der  königl. 
preussische  Armeemarsch  Nr.  102,  componirt  von  der  Prinzessin  Augusta  von 
Preussen,  jetzigen  deutschen  Kaiserin  (Berlin,  Schlesinger'sche  Musikhandlg.), 
die  in  dieser  Ausgabe  als  Curiositäten  anzusehen  sind. 

Heermaim,  Hugo,  vortrefflicher  deutscher  Violinist,  geboren  am  3.  März 
1844  zu  Heilbroun,  widmete  sich  frühzeitig  dem  Violinspiel  und  bezog  zu  seiner 
höheren  musikalischen  Ausbildung  das  Conservatorium  zu  Brüssel,  wo  de  Beriot 
und  Fetis  seine  Hauptlehrer  waren.  Von  dort  begab  er  sich  nach  Paris,  wo 
er  sich  erfolgreich  hören  Hess  und  hietauf  mit  seiner  Schwester  Helene  H., 
einer  talentvollen  Harfenvirtuosin ,  auf  Kunstreisen  durch  Frankreich,  Belgien 
und  Deutschland.  Im  J.  1865  erhielt  und  nahm  er  einen  Ruf  als  Concert- 
meister  nach  Frankfurt  a.  M.  an  und  gründete  daselbst  einen  angesehenen 
Quartettverein,    der  überaus  verdienstlich    die  Pflege    der  Kammermusik  in  die 


172  Heerpjiuken  -—  Heerwagen. 

Hand  nahm  und  H.  einen  bedeutenden  Ruf  als  Quartettspieler  verschaffte.  Seit 
1871  ist  dieser  Quartettvereiu ,  bestehend  aus  den  Künstlern  H. ,  E.  Renner, 
E.  "Welcker  und  Valentin  Müller,  ein  integrirender  Theil  der  Frankfurter  Mu- 
seumsgesellschaft,  welche  mit  demselben  allwinterlich  zehn  Kammermusikabende 
veranstaltet.  H.  selbst  hat  Viotti'sche  Concerte  neu  herausgegeben  und  mit 
Cadenzen  versehen. 

Heerpaukeu  findet  man  zuweilen  noch  ein  Orgelregister  benannt,  das,  wenn 
man  es  aufzieht,  zwei  im  Prospect  befindliche  Engelfiguren  theilweise  in  Be- 
wegung setzt.  Dieselbon  haben  bewegliche  Arme  und  lialten  in  den  Händen 
Klöpfel,  welche  vor  denselben  befindliche  Pauken  traktiren.  Das  Einstossen 
des  Registers  hebt  die  Armbewegung  auf.  Dies  Register  wurde  als  eine  Ver- 
vollkommnung der  Heertroramel  (s.  d.)  angesehen  und  erfreute  sich,  jedoch 
nur  der  zierenden  Schaulichkeit  wegen,  bei  grossen  "Werken  längere  Zeit  hin- 
durch einer  steten  Beachtung.  —  Auch  eine  ältere,  sehr  grosse,  sonst  den 
unserigen  ganz  ähnliche  Art  Pauken  führte  den  Namen  H.'  Prätorius,  der  sie 
(Syntagma  II.  77)  beschreibt,  nennt  sie  »viigehewre  Rumpelfässer«.  2. 

Heerpaiiker  nannte  man  zur  Zeit  der  zünftigen  Trompeter  die  Pauken- 
schläger übcrliaupt,  die  ihrer  besondern  Tüchtigkeit  wegen  Thcilnehmer  der 
kaiserl.  Privilegien  waren.  Die  damals  geforderte  Kunsttüchtigkeit  der  H.  wird 
folgendermaasseu  beschrieben:  »Es  muss  aber  ein  H,  gute  Wissenschaft  von 
der  Musik  haben,  denn  ein  Musik -Stück  recht  zu  tractiren,  muss  er  gewisse 
Tact-Noten,  wie  auch  Pausen  vor  sich  im  Bass-Schlüssel  haben,  wie  auch  die 
Melodeyen  der  Aufzüge  oder  Trompeter  gleichsam  auswendig  wissen,  damit  er 
nicht  zu  bald,  oder  langsam  aufhöre,  und  muss  er  jederzeit  vor  der  Pinal- 
Cadenz  einen  guten  langen  "Wirbel  oder  Triller  formiren,  und  hernach,  wann 
die  Trompeter  alle  schon  aufgehöret,  erst  den  letzten,  und  zwar  starken  Streich 
auf  die  ins  c  gestimmte,  und  zur  rechten  Hand  ihm  stehende  Paucke  führen. 
"Will  man  aber  ein  Echo  darauf  tractiren,  so  schlage  man  nahe  \\m  den  Rand 
gegen  die  Schrauben  Circulweise  fein  sachte,  doch  geschwinde  herum,  darauf 
alsdann  wieder  straks  mit  starken  "Würbein  imd  Schlägen  in  die  Mitten ,  und 
mit  langsamen  starken  Streichen  stets  aufs  c,  doch  muss  der  Schlägel  in  der 
linken  Hand  fort  und  fort  behende  auf  dem  //  fortgehen,  und  solches  kommt 
recht  Heroisch  heraus,  sonderlich  wenn  es  zum  Final  kommet.  ]3amit  nun  die 
Schlägel  in  den  "Wirbeln  und  Schlägen  fein  von  einer  Paucke  auf  die  andere 
von  sich  Selbsten  sj)ringen  mögen,  so  stelle  man  beyde  Paucken  etwas  einwärts 
gegeneinander,  so  wird  solches  desto  füglicher  geschehen  können.  AVill  man 
aber  die  Heerpaucken,  gleich  wie  die  Trompeten  im  Schall  gedämpffet  haben, 
so  überdeckt  man  die  Felle  mit  wüllenen  Tuche,  da  sie  dann  gantz  duse 
gehen.«  2. 

Heertrommel,  auch  Härtrommel  geschrieben,  hiess  in  älteren  Orgeln  ein 
Register,  das  der  Bemühung  früherer  Orgelbauer,  alle  Klänge  zur  Verherr- 
lichung Gottes  in  dem  Kircheiiinstrumente  zu  Gebote  zu  haben,  seine  Entsteh- 
ung verdankt.  Man  beabsichtigte  durch  dies  Register,  wie  schon  der  Name 
andeutet,  den  Trommelklang  wiederzugeben,  dieses  durch  zwei  bis  vier  gewöhn- 
lich fünfmetrige  Pfeifen,  deren  Klänge  etwa  um  einen  Viertelton  von  einander 
verschieden  waren  und  welche  gleichzeitig  ertönten.  Das  Erklingen  der  Pfeifen 
bewirkte  man  durch  das  Ziehen  des  mit  H.  bezeichneten  Registers;  mit  dem 
Abstossen  des  Registers  hörte  der  Klang  auf.  Die  Tonwirkung  der  vier  Pfeifen, 
ein  starkes  Geräusch  mit  einem  etwas  hervorragenden  Klange,  war  somit  dem 
Schalle  einer  Trommel  in  der  That  nicht  unähnlich.  Dies  Register,  welches 
sich  eigentlich  nie  einer  rechten  Anerkennung  erfx-eute,  wurde  sjiäter  in  ge- 
läuterterer  Form  als  He  er  pauke  (s.  d.)  gebaut,  in  neuerer  Zeit  jedoch,  wo 
man  die  Principien  des  Orgelbaues  in  Bezug  auf  ihre  Disposition  änderte,  ist 
eins  wie  das  Andere  aus  der  Orgel  fast  gänzlich  verschwunden.  2. 

Heerwag'en,  Friedrich  Ferdinand  Traugott,  deutscher  Theologe,  ge- 
boren 1732  zu  Buttenheim    in  Franken    und    gestorben    am   10.  März  1812  als 


Heffelmeyer  —  Heidenreicli.  173 

Pfarrer  zu  Markt -TJehlfeld  bei  Erlangen,  verfasste  und  veröffentlichte  eine 
»Literaturgeschichte  der  evangelischen  Kirchenlieder  aus  der  alten,  mittleren 
und  neuen  Zeit«  (2  Bde.,  Neustadt  an  der  Aisch  und  Schweinfurt,  1792 — 1797; 
neue  Aufl.  Wien,  1802).  Ein  1799  durch  Prospekte  angekündigter  dritter  Band 
ist  nicht  erschienen. 

HelFelmeyei',  s.  Höffelmayer. 

Heg'ar,  Friedrich,  trefflicher  Violinist  und  verdienstvoller  Dirigent,  wurde 
am  11.  Octbr.  1841  in  Basel  geboren  und  erhielt  daselbst  seinen  ersten  Musik- 
unterricht. Im  J.  1857  vertauschte  er  das  Gymnasium  seiner  Vaterstadt  mit 
dem  Conservatorium  in  Leipzig,  auf  welchem  er  bis  Ostern  1860  seine  höheren 
musikalischen  Studien  betrieb.  Nach  seinem  Austritte  aus  dem  Institute  er- 
hielt er  die  Concertmeisterstelle  an  der  in  Warschau  concertirenden  Bilse'schen 
Kapelle,  widmete  aber  den  folgenden  Winter  seiner  weiteren  Ausbildung  in 
Leipzig.  Im  März  1861  besuchte  H.  Baden-Baden  und  Paris  und  erhielt  im 
Herbste  desselben  Jahres  durch  Stockhausen's  Empfehlung  die  Stelle  als  Musik- 
direktor zu  Gebweiler  im  Elsass.  Nach  zweijähriger  Thätigkeit  daselbst  siedelte 
er  nach  Zürich  über.  Dort,  zuerst  als  Concertmeister,  später  als  Kapellmeister 
beim  Theater  angestellt,  erhielt  er  1865  auch  die  Dii-ektion  der  Abonnements- 
concerte  der  allgemeinen  Musikgesellschaft  und  des  Gesangvereins  »gemischter 
Chor«.  In  diesen  Stellungen,  sowie  als  Dirigent  des  Concertorchesters  der 
Tonhalle  seit  1868  erwarb  er  sich  hervorragende  Verdienste  um  das  öffeutliclie 
Musikleben  in  Zürich.  —  Sein  jüngerer  Bruder,  Emil  H.,  geboren  am  3.  Jan. 
1843  in  Basel,  ist  ein  vortrefflicher  Violoncellist,  der  ebenfalls  seine  höheren 
musikalischen  Studien  auf  dem  Conservatorium  in  Leipzig  absolvirt  hat.  Im 
J.  1866  wurde  er  erster  Violoncellist  im  Gewandhaus-  und  Theaterorchester 
zu  Leipzig  und  bald  darauf  auch  Lehrer  seines  Instrumentes  am  dortigen  Con- 
servatorium. Gleichzeitig  ist  er  geschätztes  Mitglied  des  von  Perd.  David  be- 
gründeten Streichquartettvereins  am  Leipziger  Gewandhause,  welcher  letztere 
mit  mustergültigen  Kammermusik-Aufführungen  regelmässig  hervortritt. 

Heiberger,  Joseph,  deutscher  Tonkünstler  und  Componist,  lebte  1777 
zu  Bom  und  brachte  dort  in  jenem  Jahre  eine  von  ihm  componirte  italienische 
Oper  mit  grossem  Erfolge  zur  Aufführung. 

Heideg'g'er,  Johann  Heinrich,  schweizerischer  Theologe,  geboren  am 
1.  Juli  1633  zu  Bärenschweil  im  Canton  Zürich,  zuletzt  Doctor  und  Professor 
an  der  Züricher  Hochschule,  hat  mehrere  Werke  verfasst  und  veröffentlicht, 
in  denen  er  über  Erfindung,  Vortrefflichkeit  und  Missbrauch  der  Tonkunst, 
sowie  über  Musik  und  ihre  Wirkungen  handelt. 

Heiden,  Sebastian,  s.  Heyden. 

Heidenreich,  David  Elias,  deutscher  Dichter  aus  der  zweiten  Hälfte  des 
17.  Jahrhunderts,  war  Consistorialrath  und  Secretair  der  Pruchtbringenden 
Gesellschaft.  Er  ist  der  Verfasser  des  Operutextbuches  »Liebe  kröhnt  Ein- 
tracht«, das,  im  deutschen  Geschmacke  damaliger  Zeit  geschrieben,  ein  wahres 
dichterisches  Ungeheuer  und  platt  in  der  Darstellung  ist. 

Heidenreich,  Friedrich,  deutscher  Orgelbauer  um  1770,  gab  bei  Ge- 
legenheit einer  Orgeleinweihung  eine  kleine  Schrift  über  die  verschiedenen 
Töne  und  ihre  Verhältnisse,  die  beim  Anschlagen  einer  Orgeltaste  vernommen 
werden,  heraus.  —  Sein  Namens-  und  Zeitgenosse,  Georg  Christoph  H., 
war  Orgelbauer  und  Organist  zu  Tannstädt  in  Thüringen,  wo  er  1800  in 
einem  Alter  von  ungefähr  64  Jahren  starb.  Die  Orgelbaukunst  betrieb  er 
erst  seit  1770  und  hat  nach  dieser  Zeit  mehrere  gute  Werke  in  Thüringen 
aufgerichtet. 

Heidenreicli,  Karl  Heinrich,  auch  Heydenreich  geschrieben,  talent- 
voller Odendichter  und  scharfsinniger  Aesthetiker,  geboren  1764  zu  Stolpen, 
studirte  in  Leipzig  seit  1779  Philosophie  und  war  daselbst  von  1789  an  Uni- 
versitäts-Professor. Im  J.  1798  legte  er  Krankheits  halber  dies  Amt  nieder 
und  zog  nach  Burgwerden    bei  Weissenfeis,    wo    er    am   26.  April   1801   starb. 


174  Heidfeld  —  Heinefetter. 

Sein  »System  der  Aesthetik«  (Leipzig,  1790)  ist  auch  in  musikalischer  Hinsicht 
sehr  beachtenswerth.  In  demselben  suchte  H.  diese  Wissenschaft  nach  den 
Grundsätzen  der  kritischen  Philosophie  zu  entwickeln.  Freilich  gelang  es  ihm 
noch  nicht,  diesen  Gegenstand  befriedigend  im  Ganzen  abzuschliessen ,  aber 
geistvolle  Behandlung  des  Einzelneu  ist  ihm  nicht  abzusprechen.  Auch  in 
anderen  Schriften  und  Artikeln  behandelte  er  seine  Themen  im  Geiste  und 
Sinne  Kant's  mit  grosser  Selbstständigkeit  der  Forschung.  Besonders  nennens- 
werth  in  musikalischer  Beziehung  sind  noch  seine  Aufsätze  in  Fest's  »Beiträgen 
zur  Aufklärung  und  Beruhigung«  (Bd.  2,  Leipzig,  1790,  pag.  129  ff.  und 
pag.  24  ff.):  »lieber  den  Grundbegriff  der  schönen  Künste«  und  »Warum  ur- 
theilen  die  Neueren  so  zweideutig  über  die  Nützlichkeit  der  schönen  Künste 
für  den  Staat  und  die  Menschheit?«  H.  würde  überhaupt  der  Wissenschaft 
noch  weit  bedeutendere  Dienste  geleistet  haben,  wenn  nicht  Ausschweifungen 
und  eine  ungeregelte  Lebensweise  seinen  frühen   Tod  herbeigeführt  hätten. 

Heirtfeid,  Johann,  deutscher  Theologe,  geboren  im  Westphälischeu  in  der 
ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts,  war  Professor  zu  Herborn  und  hat  im 
kirchlichen   Sinne  auch  über  Musik  geschrieben. 

Heig'eurtorf,  Karoline  von,  s.  Jagemann. 

Heilanrt,  um  1800  Organist  am  Kloster  Isenhagen  unweit  Celle,  wurde 
zu  jener  Zeit  zu  den  vorzüglichsten  Virtuosen  seines  Instrumentes  gerechnet. 

Heiüg-,  s.  San  et  US. 

Heilig'or,  ausgezeichneter  deutscher  Tenorsänger,  war  im  Kirchenchore  zu 
Hamburg  angestellt  und  starb  daselbst  im  J.   1714. 

Hcilinann,  Joseph,  ein  tüchtiger  deutscher  Instrumentenbauer,  geboren 
1768  zu  Mainz,  war  der  Sohn  des  in  seiner  Zeit  rühmlichst  bekannten  kur- 
mainz'schen  Hof  -  Orgelbauers  und  Ciaviermachers  M.  Heilmann,  der  1798 
starb.  In  dem  letzteren  Jahre  verlegte  H.  die  vom  Vater  übernommene  Fabrik 
nach  Erfurt  und  starb  daselbst  im  J.  1803.  Er  soll  auch  als  Ciavierspieler 
nicht  unbedeutend  gewesen  sein. 

Heimbrortt,  Johann  Sebastian,  zu  Anfange  des  18.  Jahrhunderts  Or- 
ganist zu  Leipzig,  veröffentlichte  von  seinen  Compositionen:  »Die  durch  An- 
trieb des  heiligen  Geistes  hervorgebrachte  und  Gott  wohlgefällige  Seelenmusik« 
(Leipzig,  1715). 

Heindl,  ausgezeichneter  deutscher  Flöten  virtuose,  geboren  um  1820  im 
Oesterreichischen,  lebte  meist  in  AVien,  wo  er  in  Concerten  das  grösste  Auf- 
sehen erregte.  Leider  fand  er  ein  frühes  tragisches  Ende,  indem  er,  am 
13.  Aug.  1849  dem  Schützenfeste  in  Nürnberg  beiwohnend,  im  Wagen  durch 
einen  unvorsichtigen   Schützen  erschossen  wurde. 

Heine,   s.  Heyne. 

Heinecke,  .lohaun  Emanuel,  oder  Hei  nicke,  deutscher  Componist, 
war  Lector  und  Cantor  in  Dortmund  und  veröffentlichte  1758  sechs  Mourquis 
für  Ciavier. 

Heinefetter,  ein  gepriesenes  Sängerinnen -Schwesterkleeblatt,  von  dem  die 
älteste  und  berühmteste,  Sabine  H.,  den  deutschen  Namen  auch  im  Auslande 
ehrenvoll  vertrat.  Geboren  1805  zu  Mainz,  soll  Sabine,  wie  die  grosse  Mara, 
zuerst  als  herumziehende  Harfenistin  und  Sängerin  sich  und  ihre  arme  Familie 
kümmerlich  ernährt  haben,  bis  ein  Musikkenner  auf  ihre  schöne  Stimme  aufmerksam 
wurde  und  dieselbe  ausbilden  Hess.  Sie  debütirte  darauf  1824  in  Frankfurt 
a.  M.  und  kam  nach  Kassel,  wo  sich  Spohr  für  sie  interessirte  und  ihre  künst- 
lerische Fortbildung  betrieb.  Nachdem  sie  auch  in  Berlin  sehr  gefallen  hatte, 
erhielt  sie  in  Kassel  einen  lebenslänglichen  Contrakt,  den  sie  jedoch  aus  ge- 
ringfügiger Ursache  nicht  viel  später  brach,  indem  sie  heimlich  nach  Paris 
entwich.  Dort  machte  sie  bei  Tadolini  weitere  Gesangstudien  und  trat  zugleich 
in  der  italienischen  Oper  neben  der  Malibran  und  Sontag  beifällig  auf.  Nach 
Deutschland  1829  zurückgekehrt,  gelang  es  ihr  erst  in  AVien,  wo  sie  ein  Jahr 
lang    engagirt    war,    bedeutende  Erfolge    zu    erringen.      Sie    gastirte    noch    auf 


Heineke  —  Heinemeyer.  175 

mehreren  deutschen  Theatern  und  erschien  endlich  1832  in  Mailand  an  der 
Scala,  wo  man  ihr  huldigte  und  sie  glänzend  feierte,  nicht  minder  1833  in 
Berlin,  wo  sie  dem  königsstädtischen  Theater  zwei  Jahre  lang  angehörte  und 
als  Norma,  Romeo,  Straniera,  Anna  Bolena  u.  s.  w.  für  unübertroffen  dastehend 
galt.  Im  J.  1835  war  sie  in  Dresden  ein  halbes  Jahr  lang  engagirt,  1836 
trat  sie  wieder  in  Mailand  auf  iind  führte  hierauf  bis  1843,  wo  sie  in  fran- 
zösischen Provinzstädten  erschien,  ein  künstlei'isches  Wanderleben.  Damals 
heirathete  sie  den  Kaufmann  Marquet  in  Marseille  und  entsagte  der  Bühne. 
Von  einer  Geisteskrankheit  befallen,  wurde  sie  anfangs  1872  in  die  Heilanstalt 
zu  Illenau  gebracht,  wo  sie  am  18.  Novbr.  desselben  Jahres  starb.  In  ihrer 
Blüthezeit  mit  den  schönsten  Mitteln  ausgestattet  und  reich  begabt,  zeigte  sie 
auch  für  die  Darstellung  ein  scliönes  Talent.  Nur  irrte  sie  von  den  Grund- 
sätzen des  einfach  Schönen  häufig  ab  und  missbrauchte  ihre  trefflichen  Anlagen 
zu  künstlichen  Effekten,  die  als  Manier  erschienen.  —  Sie  war  die  Lehrerin 
ihrer  gleichfalls  berühmt  gewordenen,  ihr  im  Tode  vorangegangenen  Schwestern 
Kathinka  H.,  geboren  1820  und  1840  in  Paris,  1842  in  Brüssel  engagirt, 
und  Clara  H.  gewesen.  Die  letztere,  geboren  am  17.  Febr.  1816,  war  be- 
sonders in  Wien  gefeiert,  als  Madame  Stöckl-H.  aber  auch  auf  fast  allen 
grösseren  Opernbühnen  Deutschlands  rühmlichst  bekannt.  Sie  starb  am  24. 
Febr.  1857  im  Irrenbause  zu  Wien.  —  Den  Namen  H.  repräsentirten  auf 
deutschen  Theatern  zu  gleicher  Zeit  die  Sängerinnen  Eva  (1842  in  Breslau), 
Fatime  (1834  in  Wien),  Nanette  und  Sophie  (1833  in  Prag),  welche  in 
nächstem  Verwandtschaftsverhältniss  zu  der  zuerst  genannten  berühmten  Fa- 
milie gestanden  haben. 

Heineke,  Karl,  deutscher  Schulmann,  war  1808  Eector  in  Berlin  und 
veröffentlichte  von  seiner  Composition  Tänze  und  Variationen  für  Pianoforte 
unter  dem   Titel  »Alte  und  neue   Zeit«. 

Heinekeu,  Nicolas,  deutscher  Tonkünstler,  geboren  gegen  Ausgang  des 
18.  Jahrhunderts  im  Sächsischen,  lebte  als  Musiklehrer  in  London  und  machte 
sich  als  Componist  durch  acht  in  Musik  gesetzte  Psalme  (London,  1820)  vor- 
theilhaft  bekannt. 

Heiuemanu,  Marcus,  Musiklehrer  und  Componist  zu  Berlin,  war  von  1835 
bis  1846  als  guter  Tenorist  Mitglied  der  dortigen  Singakademie  und  veröffent- 
lichte als  op.  1  und  2  mehrere  Lieder  und  Gesänge.  ■ —  Zu  gleicher  Zeit 
machte  sich  eine  Sängerin  der  Singakademie,  Jenny  H.,  Schülerin  L.  Rell- 
stab's,  welche  gleichfalls  Lieder  und  Gesänge  ihrer  Composition  veröffentlicht 
hat,  ebendaselbst  bemerkbar. 

Heinemeyer,  Christian,  vortrefflicher  deutscher  Flötenvirtuose,  geboren 
1796  zu  Celle,  war  schon  als  Knabe  im  Orchester  thätig  und  trat  1820  in 
die  königl.  Kapelle  zu  Hannover.  Im  J.  1823  wurde  er  als  königl.  Kammer- 
musiker und  erster  Flötist  angestellt  und  feierte  1855  in  Erinnerung  an  sein 
erstes  öffentliches  Auftreten  sein  fünfzigjähriges  Jubiläum.  Auch  als  Concert- 
spieler  war  er  wegen  seiner  seltenen  Bravo ur  und  Fertigkeit  sehr  geschätzt 
und  wirkte  in  diesem  Fache  bis  1859,  in  welchem  Jahre  er  sein  letztes  öffent- 
liches Concert  veranstaltete.  Er  starb  am  6.  Decbr.  1872  zu  Hannover.  — 
Einen  noch  grösseren,  weiter  verbreiteten  Ruf  als  Flötist  erwarl)  sich  sein  Sohn 
Ernst  Wilhelm  H.,  der,  am  25.  Febr.  1827  in  Hannover  geboren,  schon 
frühzeitig  von  seinem  Vater  Unterricht  erhielt.  Seit  1845  wirkte  er  an  der 
Seite  des  Letzteren  in  der  königl.  Kapelle,  ging  jedoch  1847  als  erster  Flötist 
zur  kaiserl.  Kapelle  nach  St.  Petersburg  und  wurde  später  zugleich  Lehrer 
seines  Instrumentes  an  der  Theaterschule  daselbst.  Von  1859  an  lebte  er  mit 
russischer  Pension,  die  er  sich  durch  eine  zwölfjährige  Dienstzeit  erworben 
hatte,  wieder  in  seiner  Geburtsstadt  Hannover,  welche  er  aber,  unzufrieden  mit 
den  Ergebnissen  des  Krieges  von  1866,  der  sein  Vaterland  an  Preussen  brachte, 
wieder  verliess,  worauf  er  sich  nach  Wien  begab.  Ohne  öffentlich  aufzutreten, 
beharrte  er  dort  in  Zurückgezogenheit  bis  zu  seinem  Tode,  der  am  12.  Febr.  1869 


176  Heinert  —  Heiuleiu. 

erfolgte.  Seine  Compositionen  für  Flöte  sind  brillant  und  auf  den  höclisten 
Grad  teclmisclier  Ausbildung  effectvoU  berechnet,  entbehren  aber  der  künst- 
lerischen  Tiefe. 

Heinert,  C.  A.,  um  1722  Cautor  in  Minden,    verfasste  einen  Auszug  aus 
dem  Manuscripte  des  Regino   y>D('.  armonica  institutionev.. 

lleiiiicheii,  Johann    David,    gelehrter    deutscher   Tonkünstler    und    aus- 
gezeichneter Componist,  geboren  am   17.  April   1683  zu  Crössuln  bei  Weissen- 
fels,    war  der  Sohn  eines  Predigers  und  musste,    um    sich   zum  Rechtsstudium 
vorzubereiten,    die   Thomasschule    in  Leipzig  besuchen.     Dort  trieb  er  bei  den 
Cantoren   Schelle  und  Kuhnau  eifrig  Musik  und  besuchte  fleissig  die  von  Mel- 
chior Hoffmann  gegebenen  Opernvorstellungen.    Nach  Vollendung  seiner  Studien 
wurde  er  Advocat  in  Weissenfeis,  begab  sich  aber  nach  einigen  Jahren  wieder 
nach  Leipzig  und  von  dort  nach  Italien,  um  sein  Heil  als  Operncomponist  zu 
versuchen.     Von  den    einschlägigen  Arbeiten  fanden  nGalpurnia«.    und    »/  pazzi 
per  troppo  amore«.  in  Italien  Beifall  und  Beachtung.     In  Rom  traf  er  mit  dem 
Fürsten  von  Anhalt -Köthen    zusammen,    mit  dem  er  nach  Venedig  reiste,    wo 
sich    gerade    der  Kronprinz    von  Sachsen,    nachmalige    König  August  IL   auf- 
hielt,   welcher  an  H.'s  Cantaten  so  viel  Gefallen  fand,    dass  er  in  Erinnerung 
daran    den    Compouisten    1718    als    Kapellmeister    nach    Dresden    berief.      Ein 
Streit,    den  schon   1719    daselbst,    musikalischer  Anordnungen  wegen,    H.  mit 
dem    Castraten    Senesino    hatte,    veranlasste    die    Entlassung    der    italienischen 
Operngesellschaft  durch  den  König.     H.  blieb  an   der  Spitze   der  Kirchenmusik, 
für  die  er  fleissig  Messen  und  andere  AVerke  schrieb.     Gleichzeitig  arbeitete  er 
sein  Hauptwerk,    eine  schon  in  Leipzig  verfasste,    in  Hamburg   1711   als  »Neu 
erfundene    und    gründliche  Anweisung    zur    Erlernung    des    Generalbasses«    er- 
schienene  Generalbassschule  um  und  veröffentlichte  sie    unter  dem   Titel:    »Der 
Generalbass  in  der  Composition,  oder  neue  und  gründliche  Anweisung,  wie  ein 
Musikliebender  mit  besonderm  Vortheil    durch    die  Principia   der   Composition, 
nicht  allein  den  Generalbass    im  Kirchen-,    Kammer-  und   theatralischen  Stylo 
vollkommen  et  in  altiori  (jradn  erlernen,  sondern  zu  gleicher  Zeit  in  der  Com- 
position selbst  wichtige  Profectus  machen  könne.     Nebst  einer  Einleitung  oder 
musikalischen  Raisonnement    von    der  Musik    überhaupt    und  vielen    besoudern 
Materien    der  heutigen  Praxeos«   (Dresden,   1728).     In    diesem    höchst    schätz- 
baren, fast  1000  Seiten  starken  und  mit  sehr  vielen  Notenbeispielen  versehenen 
Lehrbuche  versäumt  H.  keine  Gelegenheit,  vor   der  übertriebenen  Anwendung 
contrapunktischer  Gelehrsamkeit  in  der  praktischen  Musik  zu  warnen,  ein  Rath, 
den   er  selbst  aber  nicht  eben  befolgte,  da  seine,  übrigens  sehr  selten  gewordenen 
Compositionen  überwiegend  gekünstelte  Gedankenarbeiten  sind.     Mit  dem  Plane 
beschäftigt,  eine  grosse  Messe  zu  schreiben,  in  welcher  alle  Arten  des  Contra- 
punkts Verwendung  finden    sollten,    ereilte    ihn  am  16.  Juli  1729  in  Dresden 
der  Tod.     Er  starb  an  der  Schwindsucht.     Von  seinen  Werken  findet  man  die 
Opern  »Flavio   Crispo«  und  »Mario«,    sowie    fünf  Serenaden,    57   Cantaten  und 
TafMmusiken  in  der  königl.  sächsischen  Bibliothek  zu  Dresden. 

Heiuickc,  Christoph,  deutscher  Ciaviervirtuose,  geboren  1717  zu  Engels- 
dorf bei  Leipzig,  war  1757  als  Cembalist  in  der  Kapelle  des  Fürsten  von 
Anhalt-Zerbst  angestellt. 

Hcinlein,  Paul,  vorzüglicher  deutscher  Ciavier-  und  Orgelspieler,  sowie 
gewandter  Componist,  ward  am  11.  April  1626  als  der  Sohn  des  berühmten 
Arztes  Sebastian  H.  zu  Nürnberg  geboren.  Seine  früh  sich  kundgebende 
Anlage  zm*  Musik  erhielt  durch  Unterricht  auf  Ciavier,  Orgel  und  mehreren 
anderen  Instrumenten  eine  feste  Basis,  und  1646  schickte  ihn  sein  Vater  be- 
hufs weiterer  künstlerischer  Ausbildung  nach  Linz  und  München,  ein  Jahr 
später  sogar  nach  Italien,  wo  H.  drei  Jahre  lang  bei  den  anerkanntesten 
Meistern  dem  Studium  der  Composition  ol)lag.  Nach  Nürnberg  zurückgekehrt, 
wurde  er  zuerst  als  Rathsmusicus,  1655  als  Organist  an  der  Egidienkirche, 
1656    als  Musikdirektor    an    der  Frauenkirche    und    endlich    1658    als    Haupt- 


Heinrich  VI.  —  Heinrich  von  Morungen.  177 

Organist  zu  St.  Sebaldus  angestellt.  In  dieser  Eigenschaft  starb  er  am  6.  Aug. 
1686,  hochgeschätzt  als  einer  der  besten  Virtuosen  seiner  Zeit.  Auch  als 
Componist  vieler  verschiedenartiger  Stücke  für  seine  Instrumente,  sowie  zahl- 
reicher Kirchenwerke  war  er  in  seiner  Zeit  berühmt.  Erhalten  geblieben  sind 
von  ihm  nur  zwei  Gelegenheitsarbeiten,  deren  volle  Titel  Gerber  in  seinem 
Tonkünstler-Lexicon  vom  J.   1812  aufführt. 

Heinrich  VI.,  römisch- deutscher  Kaiser  von  1190  bis  1197,  der  dritte  aus 
dem  Geschlechte  der  Hohenstaufen,  zählt  zu  den  bedeutendsten  deutschen  Minne- 
sängern. Im  J.  1165  geboren,  wurde  er  schon  1169  zum  römischen  König 
gekrönt,  folgte  1190  seinem  Vater  Friedrich  I.  in  der  Kaiserwürde  und  starb 
nach  einer  schrecken  vollen  Regierung,  vielleicht  durch  Vergiftung,  am  28.  Septbr. 
1197  zu  Messina.  Von  ihm  sind  die  Texte  zweier  Lieder  erhalten  geblieben, 
deren  zart  und  schön  ausgedrückte  Gedanken  um  so  mehr  zu  bewundern 
sind,  als  sie  mit  seinem  tyrannischen  und  blutdürstigen  Charakter  im  grellsten 
Widerspruche  stehen. 

Heinrich  I.,  im  15.  Jahrhundert,  und  Heinrich  III.,  von  1574  bis  1589 
König  von  Frankreich,  zeichneten  sich  in  der  praktischen  Musikübung  zu 
ihrer  Zeit  hervorragend  aus  und  verschmähten  es  nicht,  als  Säuger  auch  öffent- 
lich aufzutreten. 

Heinrich  VIII.,  König  von  England  und  Irland  von  1509  bis  1547,  be- 
stieg mit  18  Jahren,  tüchtig  au  Geist  und  Körper  ausgestattet  und  durch  eine 
wissenschaftliche  wie  künstlerische  Erziehung  wohl  vorbereitet,  den  Thron,  auf 
dem  er  sich  gleichwohl  als  Despot  so  furchtbar  machen  sollte.  Wie  der  ge- 
sinnuugsverwandte  Nero  trieb  er  sehr  eifrig,  ja  leidenschaftlich  Musik,  die 
freiUch  seine  Sitten  keineswegs  sänftigte;  er  sang,  spielte  die  Flöte  und  das 
Spinett  mit  hervorragender  Fertigkeit  und  componirte  auch  mit  vielem  Ge- 
schicke. In  Boyce's  Sammlung  alteuglischer  Kirchenmusik  befindet  sich  ein 
vierstimmiges  Anthem  von  ihm,  welches  mit  den  Worten  beginnt:  »O  Lord^ 
the  maker  of  all  thinffsa  und  im  zweiten  Bande  von  Hawkin's  »Geschichte  der 
Musik«  eine  dreistimmige  lateinische  Motette:  «Quam  pulchra  es«.  Auch  zwei 
vollständige  Messen  zum  Gebrauche  der  königl.  Kapelle  hat  er  componirt. 

Heinrich  IV.,  Herzog  von  Breslau,  deutscher  Minnesänger,  gelangte  1266, 
noch  minderjährig,  zur  Regierung  und  hatte  während  seines  Lebens  fast  un- 
ausgesetzt Fehden  mit  benachbarten  Fürsten  und  Zwistigkeiten  mit  der  Geist- 
lichkeit zu  bestehen.  Dennoch  begabte  er  viele  Stiftungen,  Kirchen,  Klöster 
und  erijaute  1288  die  Collegiatkirche  zum  Heiligen  Kreuz  in  Breslau,  welche 
noch  jetzt  eines  der  bedeutendsten  Bauwerke  der  Stadt  ist  und  in  der  er  auch 
begraben  liegt.  Im  J.  1289  zum  Herzoge  von  Krakau  erwählt,  starb  er  am 
23.  Juni  1290  auf  seiner  Burg  zu  Breslau,  ohne  sein  neues  Land  gesehen  zu 
haben.  H.  war  ein  ritterlicher  Held  und  vielseitig  gebildet,  sogar  gelehrt.  Ob- 
gleich polnischen  Stammes,  liebte  er  doch  deutsche  Bildung  und  Sprache,  ja 
dichtete  und  sang  in  der  letzteren.  Nur  zwei  seiner  Lieder  sind  auf  uns  ge- 
kommen; diese  bekunden  aber  sein  Talent  zur  Genüge  und  gehören  zu  den 
besten  und  sinnigsten  Erzeugnissen  der  höfischen  Kunst. 

Heinrich  von  Linouwe,  deutscher  Minnesäuger  aus  den  ersten  Jahrzehnten 
des  13.  Jahrhunderts,  von  dessen  Leben  und  Schaffen  nichts  bekannt  geblieben 
ist.  Dass  sein  Name  noch  erhalten  geblieben  ist,  verdanken  wir*  seinem  Zeit- 
genossen, dem  Epiker  Rudolph  von  Ems,  der  in  seinen  Gedichten  »Alexander« 
und  »Wilhelm  von   Orlenz«  H.'s  Erwähnung  thut. 

Heinrich  von  Meissen,  s.  Frauenlob. 

Heinrich  von  Morungen,  deutscher  Minnesänger,  lebte  Ende  des  12.  oder 
zu  Anfange  des  13.  Jahrhunderts  und  stammte  wahrscheinlich  aus  dem  säch- 
sischen (nicht  süddeutschen)  Geschlechte  der  Morungen,  welches  seine  Burg 
am  Flüsschen  Mor  bei  Göttingen  hatte.  Seine  Lieder  haben  in  Sprache  sowie 
Haltung  etwas  Alterthümliches ,  das  auf  die  Zeit  der  ersten  Entwickelung  der 
höfischen    Dichtung    hinweist.      Gleichwohl    zeichnen    sie    sich    durch    raschen, 

MusUsal.  Convers. -Lexikon.     V.  12 


178  Heinrich  von  Müglin  —  Heinrichs. 

lebendigen  Gang,    sowie   durch  grossen  Reichthum    an    wirkungsvollen  Bildern 
und  geistreichen  Wendungen   aus. 

Heinrich  von  Müg-liu,  oder  eigentlich  von  Mügeln,  denn  er  war  aus 
Mügeln  im  Meissen'schen  gehürtig,  soll  nach  der  TJeberlieferung  der  Meister- 
singer einer  der  vier  (oder  zwölf)  Erfinder  des  Meistergesanges  gewesen  sein ; 
auch  war  sein  »langer  Ton«  einer  von  den  vier  gekrönten  Tönen  des  meister- 
lichen Hortes.  Er  lebte  in  der  zweiten  Hälfte  des  14.  .Jahrhunderts  und  scheint 
sich  vorzüglich  in  Böhmen  und  Oesterreich  aufgehalten  zu  haben.  Die  von 
ihm  erhalten  gebliebenen  Lehr-  und  lyrischen  Gedichte  sind  zwar  überwiegend 
abenteuerlich -phantastisch  gehalten  und  historisch  merkwürdig,  sonst  aber  von 
keiner  künstlerischen  Bedeutung. 

Heinrich  von  Ofterdiiigeu,  deutscher  Minnesänger  zu  Anfange  des  13. 
Jahrhunderts,  der  an  den  Höfen  des  Herzogs  Leopold  von  Oesterreich  und 
des  Landgrafen  Hermann  von  Thüringen  sich  aufhielt  und  im  Leben  der  hei- 
ligen Elisabeth,  sowie  in  der  Sage  vom  »Singerkriege  auf  der  Wartburg«  eine 
Rolle  spielt.  Dichtungen  von  ihm  sind  nicht  vorhanden.  —  Ein  ungefährer 
Zeitgenosse  von  ihm  war  der  Minnesänger  Heinrich  von  Rücke,  welcher 
aber  nur  von  dem  Epiker  Heinrich  von  dem  Türlin  als  solcher  namhaft  ge- 
macht wird  und  sonst  verschollen  ist. 

Heinrich  von  Teldeck  (oder  von  Veldegge),  vielgepriesener  deutscher 
Minnesänger  vom  Niederrhein,  lebte  in  der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhun- 
derts an  verschiedenen  Höfen  (u.  A.  in  Cleve  und  in  Tliüringen)  und  ist  jeden- 
falls vor  Beginn  des  13,  Jahrhunderts  gestorben,  da  schon  Wolfram  von  Eschen- 
bach ihn  seinen  Meister  nennt  und  Gottfried  von  Strassburg  seinen  Tod  be- 
klagt. Er  darf  als  einer  der  ersten  deutschen  Kunstdichter  und  Mitbegründer 
des  Minnesanges  betrachtet  werden.  Die  lyrischen  Episoden  in  seinem  Haupt- 
werk »Eneit«  (Aeneide)  sind  vortrefflich,  voll  Lieblichkeit  der  Sprache  und 
Anmuth  der  Gedanken.  Sein  Bild,  sehr  sinnig  und  ansprechend  aufgefasst, 
befindet  sich  in   der  Manesse'schen   Liederhandschrift. 

Heinricli,  Johann  Gottfried,  deutscher  Tonkünstler,  geboren  um  1810 
zu  Schwiebus,  war  zuletzt  Organist  in  Züllichau.  Er  hat  Kirchen-  und  Schul- 
gesänge componirt  und  ausserdem  für  Seminaristen,  Lehrer,  Cantoren  und 
Organisten  folgende  Schriften  veröfi'entlicht:  »Der  accentuirend- rhythmische 
Choral«  (Glogau,  1861),  eine  Erörterung  der  Frage,  wie  sich  der  evangelische 
Choralgesang  in  seiner  wahren  Einfachheit  allgemein  durchführen  lässt,  und 
»Orgellehre.     Structur  und  Erhaltung  der  Orgel«   (Glogau,  1861). 

Heinrich,  Wilhelm,  deutscher  Tenorsänger,  geboren  1804  zu  Berlin,  war 
seit  seiner  Knabenzeit  Mitglied  des  königl.  Opernchors  daselbst  und  während 
seiner  Militär- Dienstzeit  (1823  bis  1826)  Dirigent  der  Liturgiesänger  seines 
Regiments.  Nachmals  wieder  Chorist  des  Hoftheaters,  wurde  er  1830  zum 
Solosänger  ernannt  und  war  in  zweiten  Tenorrollen  sehr  verwendbar.  Im 
J.  1853  wurde  er  ehrenvoll  pensionirt. 

Heinrichs,  Anton  Philipp,  ein  seltsames,  durch  absonderliche  Lebens- 
schicksale gegangenes  Musiktalent,  geboren  am  11.  März  1781  zu  Schönbüchel 
in  Böhmen,  erhielt  einigen  Claviei-  und  Violinunterricht,  wurde  aber  Kaufmann 
und  Fabrikbesitzer.  Der  Fall  seines  Hauses  zwang  ihn,  nach  Amerika  zu  gehen, 
und  er  liess  sich  in  Kentucky  nieder,  wo  er  eifrig  Musik  betrieb,  als  Naturalist 
componirte  und  seine  Arbeiten,  die  in  den  Vereinigten  Staaten  überraschend 
schnellen  Eingang  fanden,  drucken  liess.  Dadurch  angefeuert,  bestrebte  er 
sich,  die  Harmonie-  und  Compositionslehre  gründlicher  kennen  zu  lernen  und 
begab  sich  nach  London,  wo  er  auf  diesen  Zweck  hin  sein  kleines  Vermögen  opferte 
und  dahin  gekommen,  sieben  Jahre  lang  Violinist  in  einem  kleinen  Orchester 
war.  Auch  in  London  erschienen  nicht  wenige  seiner  Compositionen.  Mit 
einer  Sinfonie  reiste  er  1834  zur  Preisconcurrenz  nach  Wien,  bei  welcher  ihm 
jedoch  Franz  Lachner  den  Rang  ablief.  Nach  Amerika  zurückgekehrt,  liess 
er  sich  in  New- York  nieder  iind  spielte,  unter  dem  Namen  »der  Vater  Heinrich« 


Heinrichs  —  Heinrotli.  179 

bekannt,  eine  populäre  Figur.  Obwohl  er  in  allen  Gattungen  componirte,  ver- 
mochte er  nicht  mehr  durchzudringen.  Noch  einmal,  1857,  besuchte  er  Deutsch- 
land und  sein  engeres  Vaterland,  fand  aber  daselbst  keinen  Boden  für  seine 
künstlerischen  Bestrebungen  und  kehrte  1858  nach  New- York  zurück,  woselbst 
er  am   3.  Mai   1861   hochbetagt  starb. 

Heinrichs,  Johann    Christian,    geboren    um    1760    zu    Hamburg,    ver- 
öffentlichte eine  für  damalige  Zeit  interessante  Schrift  »über  Entstehung,  Fort- 
gang und  jetzige  Beschaffenheit  der  russischen   Jagdmusik«. 
Heinrici,  s.  Heurici. 

Heinroth,  Christoph  G-ottlieb,  tüchtiger  deutscher  Orgelspieler,  ein 
Schüler  des  berühmten  G.  Gr.  Schröter,  war  62  Jahre  hindurch  Organist  an 
der  Peterskirche  in  Nordhausen.  —  Sein  Sohn,  Gottlieb  H.,  studirte,  obwohl 
musikalisch  gut  ausgebildet,  in  Halle  Theologie  und  zeichnete  sich  auch 
späterhin  als  Sänger  und  Harfenspieler  aus.  Auch  hat  er  Mehreres,  besonders 
Trios  für  Harfe,  componirt. 

Heinroth,  Johann  August    Günther,  berühmter  musikalischer  Schrift- 
steller,   war    das    fünfte    und   jüngste  Kind    des    oben    genannten    Christoph 
Gottlieb    H.    und    zu  Nordhausen    am    19.  Juni  1780    geboren.     Musikalisch 
vorzüglich    beanlagt,    unterrichtete    ihn    sein    Vater    schon    sehr    frühzeitig    im 
Ciavierspiel  und  Generalbass,   und    mit    fürf  Jahren  sang  H.  die  Melodien  aus 
den  Hiller'schen   Operetten  nach,  während  er.  zwölf  Jahre  alt,  componirte  und 
Lieder    dichtete.     Nachdem    er    das   Gymnasium    seiner  Vaterstadt    durchlaufen 
hatte,  bezog  er   1798   die  Universität  Leipzig  und  zur  Vollendung  seiner  theo- 
logischen  Studien   1800  die  zu  Halle.     Der  Umgang,  dort  mit  Hiller,  hier  mit 
Türk  erhielt  ihn  bei  fleissiger  musikalischer  Uebung.     Bei  einem  musikliebenden 
Pfarrer  zu  Gittelde    am  Harz    erhielt  H.  hierauf    eine  Hauslehrerstelle,    die  er 
aber  zwei  Jahre  später  mit   einem  Posten  als  Lehrer  an  dem  neu  erstandenen 
Jacobson'schen  Institute  in  Seesen,  an  dessen  Organisation  er  kräftig  mitwirkte, 
wie  nicht  minder  für  die  Reform  des  jüdischen   Gottesdienstes  jener   Stadt,  für 
welchen  er  Lieder  dichtete,  Melodien  setzte  und  dieselben  mit  Orgelbegleitung 
versah.     Dasselbe  that  er  auch  für  die  israelitischen  Gemeinden  in  Kassel  und 
Bei'liu,  wohin  Jacobson  darauf  seine  Cultusreform  verpflanzte.     Mittlerweile  war 
H.  zum  Doctor  der  Philosophie    in  Helmstädt    promovirt    worden    und    erhielt 
1818  einen  Buf  als  Universitäts  -  Musikdirektor  nach  Göttingen  als  Nachfolger 
Forkel's.     In    dieser    schwierigen    Stellung    suchte    er    zunächst    das    ganz    ge- 
schwundene Interesse  für  die  neuere  Musik  zu  heben  und  errichtete  zu  diesem 
Zwecke  eine  akademische  Singakademie    und    einen    eigenen    öffentlichen  Lehr- 
stuhl für  den  wissenschaftlichen   Theil  der   Tonkunst,    führte  wieder    die  unter 
Forkel  eingegangenen  regelmässigen    akademischen   Concerte    ein    und  ertheilte 
jungen   Theologen  Unterricht  im  Kirchen-  und  Altargesange.     Um  sein  Wirken 
nicht  blos  zu  localisiren,  vielmehr  zu.  erweitern,  veröffentlichte  er  eine  »Volks- 
note oder  vereinfachte  Tonschrift«,  welches  Büchlein  in  allen  Elementarschulen 
Hannover's    Eingang    fand    und     die     unvollkommene    Zifferschrift    verdrängte. 
Dem  praktischen  Zwecke  desselben  reihte  er  an:  eine  »Gesangunterrichtsmethode 
für  höhere  und  niedere  Schulen«  und  eine  »Kurze  Anleitung,  die   Choräle  nach 
Noten  leichter  und  geschwinder  als    nach   Ziffern    singen    zu    lehren«,    welcher 
letzteren  er  zur  Vervollständigung  hierauf  auch  noch  »166  Choralmelodien  nach 
dem    im  Königreiche  Hannover    ziemlich    allgemein    eingeführten  Böttner'schen 
Choralbuche    in    leichte    Tonarten    transponirt«    und    »169   Choralmelodien    mit 
Harmonien  begleitet«  beigab.     Die    in    diesen   Schriften    niedergelegte  Methode 
wurde  auch  von  dem  Schullehrer -Seminar    zu  Hannover  adoptirt,    und  so  hat 
sich  H.  ein  fortdauerndes  Verdienst   um    den  allgemeinen   Gesangunterricht  so- 
wohl, als  um  den  öffentlichen  Kirchengesang  erworben.     Eine  »Kurze  Anleitung, 
das   Ciavierspielen  zu  lehren«    fand  nicht  minder  günstige  Aufnahme,   als  seine 
zahlreichen ,   meist    auf  das  Instructive    gerichteten  Compositionen  für  dies  In- 
strument und  seine  vielen  Lieder  und  Gesäuge,  deren  Texte  er  häufig  auch  ver- 

12* 


180  Heins  —  Heint«. 

fasst  hat  und  die  zum  Tbeil  in  den  Volksmuud  übergegangen  sind.  Seine 
schriftstellerische  Thätigkeit  war  ebenfalls  eine  bedeutende  und  hoch  anerkannte. 
Abgesehen  von  poetischen,  historischen,  geographischen  und  naturwissenschaft- 
lichen Werken  schrieb  und  veröffentlichte  er  in  Göttiugen  sein  Antrittspro- 
gramm »lieber  die  Vernachlässigung  des  Gesanges«,  ferner  »Musikalisches 
Hülfsbuch  für  Prediger,  Cantoren  und  Organisten«  (1833)  und  zahlreiche  Auf- 
sätze, Abhandlungen  und  Kritiken  iür  die  »Leipziger  allgem.  musikal.  Zeitung«, 
»Cäcilia«,  »Eutonia«  und  für  das  Schilling'sche  »TTnivcrsallexikon  der  Tonkunst«. 
Nach  einer  nach  allen  Seiten  hin  anregend  und  segensreich  entfalteten  AVirk- 
samkeit  starb  H.  am  2.  Juni  1846  zu  Göttingen.  —  Seine  Tochter,  Francisca 
H.,  machte  sich  als  Concertsängerin  mit  schöner,  sehr  umfangreicher  und  wohl- 
gebildeter  Stimme  im   engeren  Umkreise  vortheilhaft  bemerkbar. 

Heins,  J.  J.,  geboren  1810  zu  Schnega  bei  Ueltzen,  etablirte  1838  zu 
Hamburg  unter  der  Firma  Baum  garten  und  Heins  eine  Pianofortefabrik, 
die  er  durch  Betriebsamkeit  und  Intelligenz  zu  Ruf  und  Bedeutung  brachte, 
besonders  als  es  ihm  glückte,  durch  Erfindung  der  Construction  mit  über- 
liegenden Basssaiten  einen  neuen  wichtigen  Impuls  für  den  Ciavierbau  hervor- 
zubringen. 

Heinse,  Johann  Jacob  Wilhelm,  ein  genialer  deutscher  Dichter  und 
Schriftsteller,  dessen  Künstlerromane  wegen  der  eingeflochtenen  scharfsinnigen 
Kunsturtheile  unsere  Beachtung  verdienen.  Geboren  am  16.  Febr.  1749  zu 
Langen  wiesen  im  Sondershauseu'scheu,  wurde  er  nach  einem  bewegten  Jugend- 
leben 1787  Vorleser,  bald  darauf  Hofrath  und  Bibliothekar  des  Kurfürsten  von 
Mainz.  Während  der  Kriegszeiten  flüchtete  er  die  ihm  anvertraute  Bibliotliek 
nach  Aschaffenburg,  wo  er  bis  zu  seinem  Tode,  am  22.  Juni  1803,  verblieb. 
Sein  Roman  »Hildegard  von  Hohenthal«  (2  Bde.,  Berlin,  1796;  2.  Aufl.  3  Bde., 
ebendas.  1801;  neue  Ausg.,  Leipzig,  1838),  so  gemein  und  werthlos  die  Hand- 
lung ist,  bekundet  eine  glühende  Liebe  zur  Musik,  namentlich  zur  italienischen, 
und  im  didaktischen  Theile  eine  tüchtige  Kenntniss  musikalischer  Dinge, 
welche  über  die  Apotheose  der  nackten  Sinnlichkeit  liinwegsehen  lassen  muss. 
Es  ist  übrigens  offenbar,  dass  diese  Betrachtungen  über  die  Tonkunst  aus  hand- 
schi'iftlichen  Notizen,  die  H.  in  Italien  niedergeschrieben  hatte,  entstanden  sind; 
oft  hat  er  die  ursprüngliche  Fassung  derselben  nicht  einmal  überarbeitet,  son- 
dern ganz  so  mitgetlieilt,  wie  er  sie  zur  Zeit  hingeworfen  hatte,  um  seinem 
Gedächtnisse  zu  Hülfe  zu  kommen.  Daher  sind  sie  zwar  stets  geistreich ,  an- 
regend und  im  höchsten  Grade  bemerkenswerth,  aber  sie  verlieren  durch  die 
oft  rohe  Form  der  Darstellung,  noch  mehr  aber  durch  ihre  ungehörige  Ein- 
kleidung vielfach  an  Werth. 

Heinseu,  Johann,  geschätzter  deutscher  Organist,  der  als  solcher  zu  An- 
fange des  18.  Jahrhunderts  in  Breslau  angestellt  war.  In  dieser  Zcdt  gab  er 
auch  neu  variirte  Choralgesänge  für   Ciavier  heraus. 

Ucinsins,  Clara,  talentvolle  Gesangscomponistin,  geboren  1801  zu  Berlin, 
war  die  Tochter  des  1849  verstorbenen  Literaturhistorikers  und  Grammatikers 
Theodor  H.  Rungenhagen  unterrichtete  sie  in  der  musikalischen  Composition, 
und  schon  1819  liess  sie  ein  Heft  Balladen  und  Gesänge  erscheinen.  Sie 
verheirathete  sich  1822  mit  dem  Kaufmann  Junge,  starb  aber  schon  am  11.  März 
1823  zu  Berlin. 

Heiusius,  Ernst,  Organist  zu  Arnheim  in  Geldern  um  1760,  componirte 
Sinfonien  und  Violinconcerte.  —  Zu  Anfange  des  17.  Jahrhunderts  lebte  zu 
Frankfurt  a.  0.  der  Superintendent  Martin  H. ,  welcher  zugleich  ein  guter, 
eifriger   Säuger  und  ein  durchgebildeter  Musiker  war. 

Heintz,  Albert,  guter  Pianist  und  Orgelspieler,  geboren  um  1818  zu 
Berlin,  war  zuerst  Schüler  des  Organisten  C.  Rust  in  Berlin  und  machte  seine 
weiteren  Studien  im  königl.  Institute  für  Kirchenmusik.  Im  J.  1855  wurde 
er  Organist  an  der  neu  erbauten  Andreaskirche,  von  welcher  er  später  an  die 
Petrikirche  versetzt  wurde.    Gleichzeitig  wirkt  er  als  geschätzter  Pianofortelehrer. 


Heintü  —  Heiuze.  281 

Lieder  und  Ciavierstücke  seiner  Composition  sind  im  Druck  erschienen,  in 
neuester  Zeit  auch  »Aneinandergereihte  Perlen«  (Potpourris)  aus  R,  Wa^ner'- 
Bchen  Musikdramen. 

Heiutz,  Wolfgang,  auch  Heinz  geschrieben,  berühmter  deutscher  Com- 
ponist  und  vortrefflicher  Orgelspieler,  lebte  in  der  ersten  Hälfte  des  16,  Jahr- 
hunderts und  stand  um  1530  als  Organist  in  den  Diensten  des  Erzbischofs 
Albert  zu  Halle,  Das  von  Mich.  Vehe  herausgegebene  Gesangbuch  (Halle, 
1537)  enthält  Melodien  theils  von  ihm,  theils  von  seinem  Freunde  und  Collegeu 
Joh.  Hoffmann.  Der  noch  jetzt  gesungene  Choral  »Christ,  unser  Herr  zum 
Jordan  kam«  (cl  f  (j  a  g  c  h  a)  wird  ihm  irrthümlich  zugeschrieben ;  er  hat 
nur  einen  Tonsatz  über  die  ältere  Melodie  in  Ehaw's  Schulgesangbuch  von 
1544  geliefert.  Ausserdem  hat  H.  eine  Orgel-  und  Instrumenttabulatur  ver- 
öffentlicht. 

Heiutzeluiauu,  Johann,  musikkundiger  deutscher  Theologe,  geboren  am 
29.  Jan.  1626  zu  Breslau,  besuchte  das  Elisabeth -Gymnasium  daselbst  und 
später  die  Universität  Wittenberg.  Schon  1651  wurde  er  zum  E,ector  des 
Gymnasiums  zum  grauen  Kloster  in  Berlin  ernannt,  1658  zum  Diacon  an  der 
Nicolaikirche  daselbst  und  endlich  1660  zum  Superintendenten  in  Salzwedel, 
als  welcher  er   1687   starb.     Von  ihm:  y>Oratio  de  musica  colendaa  (Berlin,  1657). 

Heinz,  August  Humbert,  musikkundiger  Mediciner  aus  Schlesien,  lebte 
gegen  Ende  des  18.  Jahrhunderts  als  Arzt  zu  Waidenburg,  gründete  daselbst 
ein  Liebhabertheater  und  führte  auf  demselben  einige  Singspiele  eigener  Com- 
position mit  vielem  Beifall  auf. 

Heinze,  s.  Häntze. 

Heinze,  Gustav,  Firma  einer  deutschen  Musikverlagshandlung,  die  ihren 
Sitz  in  Leipzig  hat  und  1858  von  Gustav  Moritz  H.  gegründet  wurde. 
Dieser,  geboren  1834  zu  Bernburg,  zeichnet  sich  als  guter  Clavierspieler  und 
durch  ein  treffliches  Kunstwissen  aus,  wie  denn  auch  sein  Verlag  überwiegend 
aus  gediegenen  Werken  (Schumann'sche,  Berlioz'  gesammelte  Schriften  u.  s.  w.) 
zusammengesetzt  ist.  —  H.'s  Gattin,  Sara  H.,  geborene  Magnus ^  geboren  1839 
zu  Stockholm,  ist  eine  ausgezeichnete  Pianofortevirtuosin ,  welche  ihre  höhere 
Ausbildung  der  Schule  Theod.  Kullak's,  sowie  auch  Dreyschock  und  Fr.  Liszt  ver- 
dankt und  in  Concerten,  besonders  in  Norddeutschland  und  in  ihrem  Vater- 
lande, sich  einen  überaus  ehrenvollen  Ruf  erworben  hat.  Seit  ihrer  Verhei- 
rathung  wirkt  sie  in  Dresden  als  angesehene  Müsiklehrerin  und  Concertspielerin. 
Einige  Bearbeitungen  Bach'scher  und  Field'scher  Werke,  in  denen  sie  einen  feineu 
Geschmack  und  pädagogisches   Geschick  bekundet,  sind  im  Druck  erschienen. 

Heinze,  Gustav  Adolph,  verdienstvoller  deutscher  Componist  und  Ton- 
künstler in  Amsterdam,  geboren  den  1.  Octbr.  1820  zu  Leipzig,  war  der  Sohn 
des  vortrefflichen  Musikers  Ferdinand  H. .  welcher  dreissig  Jahre  hindurch 
ein  höchst  ehrenwerthes  Mitglied  des  Gewandhaus -Orchesters  zu  Leipzig  war 
und  im  Juli  1850  daselbst  starb.  Sowohl  unter  seines  Vaters  Leitung  auf 
dessen  Instrument,  der  Clarinette,  als  unter  der  W.  Haake's  auf  dem  Piano, 
entwickelten  sich  die  Anlagen  des  jungen  H.  so  schnell,  dass  man  ihm  schon 
mit  15  Jahren  eine  feste  Anstellung  bei  dem  Gewandhaus -Orchester  ertheilte. 
Den  ersten  Unterricht  in  der  Harmonielehre  erhielt  er  1834  von  dem  Orga- 
nisten Sieber,  der  jedoch  bald  abgebrochen  und  mit  gutem  Erfolge  von  E.  G. 
Müller  fortgesetzt  ward.  Leider  folgte  aber  Müller  nur  zu  bald  einem  Rufe 
nach  Altenburg.  Im  J.  1840  erhielt  H.  durch  Mendelssohn's  Einfluss  einen 
einjährigen  Urlaub,  welchen  er  zu  eingehenden  Studien  bei  dem  Kammermusicus 
Kotte  in  Dresden  benützte,  während  er  in  der  Composition  die  lehi-reichen 
Fingerzeige  des  Kapellmeisters  Reissiger  benutzte.  Kunstreisen  nach  Hannover, 
Kassel,  Hamburg  etc.  folgten  hierauf,  welche  ihm  u.  A.  auch  Marschner's  und 
Spohr's  Anerkennung  einbrachten.  Besonders  günstig  wirkte  Mendelssohn  auf 
H,,  welcher  ihm  wohlwollend  seine  Compositionen  durchsah,  so  den  ersten  Akt 


182  Heinze. 

der  Oper  »Loreley«,  au  welcher  H.  damals  arbeitete.  Doch  das  Orchesterfach 
genügte  dem  jungen,  höher  strebenden  Künstler  nicht;  er  legte  plötzlich  seine 
Stellung  am  Gewandhaus- Orchester  nieder  und  auch  zu  gleicher  Zeit  sein  In- 
strument, welches  er  sonderbarer  Weise  seitdem  nie  wieder  berührt  hat.  Im 
J.  1844  wirkte  H.  bereits  als  zweiter  Kapellmeister  am  Stadttheater  zu  Breslau. 
Unstreitig  übte  seine  Gattin,  eine  sehr  talentvolle  Künstlerin,  einen  grossen 
Einfluss  auf  seinen  Geist  und  sein  Schaffen  aus,  denn  sie  verstand  es,  seinem 
Streben  das  rechte  Ziel  zu  zeigen.  Im  Decbr.  1846  brachte  er  seine  erste 
dreiaktige  Oper  »Loreley«  in  Breslau  zur  Aufführung,  und  dieses  Erstlings- 
werk erfreute  sich  einer  ehrenvollen  Aufnahme  von  Seiten  der  Kritik  und  des 
Publikums.  Schon  1848  erschien  seine  zweite  Oper,  »Die  Ruine  von  Tharand«. 
Die  Texte  beider  Werke  waren  von  seiner  begabten  Gattin  verfasst.  Auch 
diese  Arbeit  erwarb  sich  einen  überaus  glücklichen  Erfolg.  Am  22.  Jan. 
1849  brachte  auch  Leipzig,  H.'s  Vaterstadt,  und  hierauf  Dresden  diese  Oper 
zur  Aufführung. 

Im  J,  1850  folgte  H.  einem  Rufe  als  Kapellmeister  der  deutschen 
Oper  nach  Amsterdam;  die  bald  darauf  erfolgende  Auflösung  des  Instituts 
führte  ihn  jedoch  in  das  Privatleben.  Erst  1853  erschien  er  wieder  in 
einer  öffentlichen  Stellung  und  zwar  als  Direktor  der  Liedertafel  »Euterpe«, 
welche  sich  unter  seiner  fast  20jährigen  Leitung  zu  einer  der  renommirtesten 
des  Landes  erhob.  Im  J.  1857  übernahm  er  auch  die  Direktion  der  philan- 
tropischen  Concerte  von  »Vincentius  von  Paulo« ,  dessen  Programme  nur  auf 
dem  oratorischen  Gebiete  sich  bewegen  und  für  deren  Ausführung  H.  die 
grösste  Sorgfalt  entwickelte,  so  dass  diese  Concerte,  getragen  von  einem  vor- 
trefflichen, oft  über  250  Sänger  zählenden  Chore,  zu  den  bedeutendsten  Kunst- 
produktiouen  Hollands  gehören.  Für  diesen  Verein  schrieb  H.  zwei  grosse 
oratorische  Werke:  »Die  Auferstehung«  und  yySancta  Caecilia«,  deren  erste  Auf- 
führungen am  4.  Febr.  1863  und  28.  Jan.  1870  stattfanden.  Zu  Beiden 
dichtete  wiederum  Frau  Henriette  Heinze-Berg  die  mustergültig  zu  nen- 
nenden Texte.  Diese  Werke  fanden  eine  fast  enthusiastische  Aufnahme,  haben 
sich  unglaublich  schnell  in  ganz  Holland  verbreitet  und  überall  dieselben  glän- 
zenden Erfolge  errungen.  Auch  in  Deutschland  wurden  sie  mit  grossem  Glück 
aufgeführt  in  Gotha,  Frankfurt,  Gladbach.  Im  J.  1860  übernahm  H.  die 
Leitung  des  Chores  in  der  französischen  Kirche  auf  vier  Jahre,  und  1862  er- 
richtete er  im  Auftrag  der  Maalschappy  tot  bevoi'derincj  der  Tonkunst  eine  Ge- 
sangschule, welche  sich  unter  seiner  9jährigen  Leitung  eines  so  glücklichen 
Erfolges  erfreute,  dass  sich  vier  Jahre  später  durch  Zuziehung  der  instrumen- 
talen Classen   die  jetzige  Musikschule  daraus  Ijildete. 

Für  die  lutherische  Kirche  errichtete  H.  1868  den  Kirchengesang- Verein 
«Excelsiora,  dessen  Hauptzweck  die  Veredelung  und  Verbreitung  des  protestan- 
tischen Kirchengesanges  a  capella  ist.  Die  Resultate  dieses  Vereines  sind 
bis  jetzt  übei'aus  günstig  zu  nennen.  Unter  den  140  Mitgliedern  von  er- 
probten musikalischen  Fähigkeiten  befinden  sich  viele  herrliche  Stimmen  (fast 
alle  Privatschüler  von  H.),  so  dass  die  Solisten  in  dem  Chor  selbst  gefunden 
werden.  Die  Thätigkeit  des  Vereins  besteht  aus  der  Mitwirkung  an  grossen 
Festtagen  und  drei  grossen  Concerten  jährlich  in  der  Kirche.  —  H.  hat  über 
50  AVerke  geschrieben,  von  denen  mehr  als  30  im  Druck  erschienen  sind.  Die 
hervorragendsten  ausser  seinen  beiden  Oratorien  sind  drei  Messen,  wovon  die 
zweite  alleiniges  Eigenthum  der  katholischen  Kirche  rtAd  majorem  dei  gloriamv. 
ist,  Cantaten,  Cantiken,  ein  Ciaviertrio,  viele  grössere  Stücke  für  Männerchor 
mit  und  ohne  Orchester,  Lieder  etc.,  sowie  eine  Gesangschule  für  Elementar- 
Untei'richt  in  holländischer  Sprache  (Amsterdam,  in  4.  Aufl.  erschienen).  Zu 
seinen  bekannt  gewordenen  Manuscripten  gehören  die  beiden  schon  genannten 
Opern,  drei  Concert- Ouvertüren,  Concertstücke  für  Harmonie-  und  Streich- 
orchester, verschiedene  grosse  Festeantaten  mit  holländischem  Text,  Lieder, 
Chöre  etc.     Rechnet  man  zu    dieser  vielseitigen   Thätigkeit  H.'s   grosse  Anzahl 


Heischkol  ~  Heiserkeit.  183 

Musikschüler,  die  sich  in  Amsterdam  auf  Hunderte  in  allen  Zweigen  der  Kunst 
erstrecken,  so  ist  ersichtlich,  dass  in  ihm  ein  reiches  Künstlerleben  vertreten 
ist.  Ausser  etwa  dem  im  Haag  verstorbenen  Lübeck  ist  aber  auch  niemals 
einem  deutschen  Künstler  eine  so  allgemeine  Popularität  in  den  Niederlanden 
zu  Theil  geworden,  wie  H.  Beinahe  alle  Kunstvereine  Hollands  zählen  ihn 
zu  ihrem  Ehreumitgliede  und  ausserdem  verlieh  ihm  der  König  von  Holland 
den  Orden  de  Eikenkroon,  sein  Landesherr,  der  König  von  Sachsen,  den  Al- 
brechtsorden und  der  kunstsinnige  Herzog  von  Coburg  den  Ernestinischen 
Hausorden. 

Heischkel,  Johann  Jacob,  deutscher  Lautenvirtuose,  war  seit  1671  in 
Berlin  als  kurfürstl.  brandenburg'scher  Kammermusiker  angestellt  und  hatte 
seiner  Kunstfertigkeit  wegen  einen  weit  verbreiteten  Ruf. 

Heiser,  August,  vorth  eilhaft  bekannter  deutscher  Messing  -  Blasinstru- 
mentenmacher, geboren  am  6.  Octbi'.  1801  zu  Berlin,  begründete  am  1.  Juli 
1826  zu  Potsdam  eine  eigene  Fabrik,  deren  trefflich  gearbeitete  Inventions-  und 
Ventilinstrumente  seineu  Namen  über  Europa  hinaus  bis  nach  Amerika  und 
Australien  trugen. 

Heiser,  Wilhelm,  populär  gewordener  deutscher  Liedercomponist,  geboren 
am  15.  April  1817  zu  Berlin,  zeigte  schon  früh  eine  schöne  Sopraustimme, 
die,  verbunden  mit  der  Sicherheit  im  TreflFen  der  schwierigsten  Intervalle,  Ver- 
anlassung gab,  dass  H.,  kaum  12  Jahre  alt,  als  Chorknabe  in  die  königl.  Oper, 
sowie  in  den  kleinen  Kapellenchor  des  Königs  Friedrich  Wilhelm  III.,  be- 
stehend aus  sechs  Knaben  und  sechs  Männern,  unter  Leitung  des  Prof  Zelter, 
Ed.  Grrell  und  des  Major  Einbeck,  aufgenommen  wurde.  Als  bei  dem  ersten 
Auftreten  von  Mantius,  am  22.  Aug.  1830  als  Tamino  in  der  »Zauberflöte«, 
der  Versuch  gemacht  wurde,  die  drei  Oenien  von  Knaben  singen  zu  lassen, 
wurde  H.  mit  der  Parthie  des  ersten  Knaben  betraut;  der  Versuch  selbst 
übrigens  gelaug  über  alle  Erwartung.  H,  widmete  sich  für  die  Folge  ganz 
der  Bühne  und  wurde  als  Sänger  bei  den  Hoftheatern  in  Schwerin  und  Son- 
dershausen angestellt,  beschloss  aber  diese  Laufbahn  und  widmete  sich  aus- 
schliesslich der  Composition  und  der  Ertheilung  von  Gresangunterricht  und 
zwar  nach  einander  in  Stralsund,  Berlin  und  Rostock.  Auf  Wieprecht's  Wunsch 
wurde  H.  1853  als  Musikmeister  des  Garde -Füsilier -Regiments  in  Berlin  an- 
gestellt, übernahm  auf  Vorschlag  Neithardt's  die  Leitung  des  Garnison-Kirchen- 
Chors  und  hat  sich  als  vortrefflicher  Dirigent  bewährt.  Nach  dem  Feldzuge 
von  1866  nahm  er  seinen  Abschied  und  widmete  sich  ausschliesslich  und  mit 
Erfolg  dem  Gesangunterricht.  Von  einigen  hundert  Liedern,  die  H.,  ausser 
einigen  Tänzen  und  Märschen  für  Ciavier,  bis  1875  veröffentlicht  hat,  sind 
sehr  viele  nicht  nur  in  Deutschland  überaus  beliebt  geworden,  sondern  auch, 
in  die  betreffenden  Landessprachen  übersetzt,  nach  Frankreich,  England,  Schweden 
gelangt,  so  besonders  »Das  Grab  auf  der  Haide«,  »Die  Thräue«,  »Zieht  im 
Herbst  die  Lerche  fort«  und  »Die  beiden  Grenadiere«.  Auch  ein  Liederspiel 
von  H.  wurde  in  Berlin  sehr  beifällig  gegeben. 

Heiserkeit  (latein.:  raucedo)  nennt  man  eine  gewisse  Unregelmässigkeit  der 
Stimme,  wodurch  diese  ihren  lauten,  reinen  und  metallischen  Klang  einbüsst 
und  statt  dessen  rauhe,  ungleichartige,  schnarrende  oder  auch  pfeifende  Töne 
hervorbringt.  Gleichzeitig  erscheint  der  Gebrauch  des  Organs  erschwert  und 
durch  Husten,  der  das  Hinderniss  hinwegzustossen  versucht,  unterbrochen. 
Die  nächste  Ursache  dieser  Unregelmässigkeit  liegt  in  einer  in  der  Kehlkopf- 
schleimhaut vorgegangenen  Veränderung  der  gewöhnlichen  Glätte  derselben. 
Nur  bei  fortdauernder  Vernachlässigung  oder  fortwirkenden  Schädlichkeiten  ist 
diese  Veränderung  geeignet,  einen  hohen  Grad  anzunehmen,  ja  bis  zur  Zer- 
störung der  afficirten  Haut  und  des  darunter  liegenden  Knorpels  zu  führen. 
In  selteneren  Fällen  rührt  die  H.  allein  von  Nervenverstimmung  her,  bei  wel- 
cher die  Stimmritze  krampfhaft  zusammengezogen  wird.  Die  H.  ist  im  All- 
gemeinen also  keine  selbstständige  Krankheit,  sondern  nur  ein  Krankheitszeichen, 


184  Heisius  —  Helder. 

welclies  je  nach  den  übrigen  begleitentlen  Umständen  mehr  oder  weniger  Wich- 
tigkeit hat.  Eine  leichte  Erkältung,  der  Genuss  erhitzender  geistiger  Getränke, 
eine  Anstrengung  der  Stimme  kann  H.  hervorrufen,  die  meist  durch  Ruhe  und 
Vermeidung  der  Schädlichkeiten  leicht  gehoben  wird,  mitunter  aber  auch  eine 
im  Körper  befindliche  Krankheitsanlage  dazu  bringt,  den  Kehlkopf  zum  Orte 
ihres  Ausbruches  zu  treffen  und  dann  nur  mit  Hebung  der  ganzen  Krankheit 
sich  verliert.  —  Auch  von  rauh  und  unrein,  pfeifend  oder  schnarrend  ertönen- 
den Zungenpfeifen  der   Orgel  sagt  man,  dass  sie  »heiser«  klingen. 

Heisius,  Kaspar,  latinisirt  aus  Heise,  ein  Contrapunktist  des  16.  Jahr- 
hunderts, der  mit  Auszeichnung  erwähnt  wird. 

Heissler,  Karl,  ein  vorzüglicher  Violinvirtuose  der  Gegenwart,  geboren 
am  18.  Jan.  1823  zu  Wien  und  daselbst  von  den  besten  Lehrei'n  auch  musi- 
kalisch allseitig  gebildet.  Er  ist  seit  1843  ein  hochgeschätztes  Mitglied  der 
k.  k.  Hof kapelle  und  zugleich  Professor  am  Conservatorium ,  sowie  Dirigent 
des  Orchestervereins  dn*  Gesellschaft  der  Musikfreunde  zu  Wien.  Wie  seine 
Lehrer  Jos.  Böhm,  Matth.  Durst  und  Georg  Hellmesberger  zeichnet  auch  er 
im   Solo-  und   Quartettspiel  sich  hoch  aus. 

Helbigr,  Gottfried,  Organist  und  rühmlichst  bekannter  deutscher  Instru- 
mentenmaclicr  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts,  welcher  in  Liegiiitz 
lebte,  wo  er  auch  am  1.  Jan.  1795  starb.  Seine  Claviere  mit  und  ohne  Flöten- 
register, sowie  auch  seine  Elügel  waren  gesuchte  und  geschätzte  Artikel.  — 
Nach  seinem  Tode  übernahm  und  führte  sein  Sohn  Gottlob  H.  die  Instru- 
mentenwerkstätte  fort. 

Held,  August,  deutscher  Musiklehrer  und  Componist,  geboren  um  1812 
zu  Magdeburg,  wirkte  daselbst  bis  vor  Kurzem.  Er  hat  Tänze  und  Aehn- 
liches  für  Pianoforte  veröffentlicht.  —  Ein  Tanzcomponist  aus  Baiern,  Bruno 
H,,  lebte  um  1815  zu  Mannheim,  und  ein  Gesangscomponist  und  Doctor  der 
Medicin,  Johann   Theobald  H.,  geboren  um   1760,  zu  Prag. 

Held,  Jacob,  hervorragender  deutscher  Violinist  und  Instrumcntalcom- 
ponist,  geboren  am  11.  Novbr.  1770  zu  Landshut,  war  der  Sohn  des  dortigen 
Cantors,  der  ihn  schon  als  siebenjährigen  Knaben  mit  einem  Violinconcert  von 
Stamitz  öffentlich  auftreten  Hess.  Als  Gymnasiast  zu  Landshut  trieb  H.  auch 
fleissig  Orgel-  und  Clavierspiel  und  wurde  bald  als  Organist  an  das  dortige 
Seminar  gezogen.  Als  Student  der  Philosophie  kam  er  1788  nach  München 
und  fand  in  dem  Gi'afen  von  Tauffkirchen  einen  Gönner,  der  ihn  durch  K.  v. 
Haraijeln  und  dann  durch  Friedr.  Eck  im  Violiuspiel  vollends  ausbilden  und 
von  Dauzi  in  der  Composition  unterrichten  Hess.  Als  Virtuose  besuchte  H. 
später  das  übrige  Deutschland,  die  Schweiz  und  Nordft-ankreich  und  Hess  sich 
auch  mit  seinem  elfjähiügen  Sohne  in  Doppelconcerten  hören.  Hierauf  scheint 
er  sich  auf  seinen  Dienst  als  Hofmusiker  und  Musiklehrer  in  München  be- 
schränkt zu  haben.  Comi^onix't  hat  er  Ouvertüren  für  Oi'chester,  Streichquar- 
tette, sowie   Concerte  und  Variationen  für  Violine. 

Hclder,  Bartholomäus,  latinisirt  Helderus,  geistlicher  Dichter  und 
Tonsetzer,  geboren  um  1585  zu  Gotha,  wo  sein  Vater,  Johann  H. ,  Super- 
intendent war.  Trotzdem  er  musikalische  und  wissenschaftliche,  besonders 
theologische  Studien  getrieben  hat,  war  seine  erste  Stellung  die  eines  Schul- 
diencrs  (Liidimoderntor)  zu  Friemar,  einem  Dorfe  bei  Gotha.  Seit  1616  Pfarrer 
in  Remstädt,  vier  Stunden  von  Gotha  gelegen,  starb  er  daselbst  am  28.  Octbr. 
1635  an  der  Pest.  Von  1614  bis  1621  veröffentlichte  er  an  musikalischen 
Werken:  ToCymbalum  Genethliacum,  d.  i.  Fünfzehn  Schöne,  Liebliche  vnd  An- 
muthigc  New- Jahres  und  Weihnacht- Gesänge  mit  4,  5  und  6  Stimmen«  (Er- 
furt, 1614);  -nCyynhalmn  DaviJicum,  d.  i.  Geystliche  Melodeyen  vnd  Gesänge 
mit  5,  6  und  8  Stimmen«  (Erfurt,  1620);  »Das  Vater  Unser,  nach  ihren  ge- 
wöhnlichen Melodien  in  Contrapuncto  colorato  mit  vier  Stimmen  gesetzet«  (Er- 
furt, 1621).  Ausserdem  befinden  sich  noch  54  Melodien  und  Tonsätze  von 
ihm    im   Gothaischen  Cantionale  sacrum    (3   Thle.,    Gotha,    1646,    1648,    1648; 


Heldius  —  Helikon.  185 

2.  Aufl.  1651,  1655,  1657).  lieber  H.'s  Dichtungen  findet  man  Näheres  in 
E.  E.  Koch's  »Geschichte  des  Kirchenlieds  und  Kirchengesangs«  3,  Bd.  3.  Aufl. 
(Stuttgart,  1867)   S.   114,  248.     Vgl.  auch  Wetzel's  Hymnopoegr.  I.  407. 

HeldiuSj  Jeremias,  latinisirt  aus  Held,  deutscher  Musikgelehrter  des 
17.  Jahrhunderts,  ist  der  Verfasser  eines  y>Sc]iema  melopoeticmnis. 

Hele,  Georges  de  la,  niederländischer  Contrapunktist,  geboren  in  der 
ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  zu  Hainaut,  war  Musikmeister  an  der  Ka- 
thedralkirche zu  Tournay  und  wurde  von  dort  aus  als  Kapellmeister  an  den 
Hof  des  Königs  Philipp  II.  nach  Madrid  berufen.  Sein  Todesjahr  ist  unbe- 
kannt. In  Antwerpen  erschienen  von  ihm  acht  Messen  für  5,  6  und  7 
Stimmen   (1578). 

Helene  Paulowna,  Grossfürstin  von  Russland,  eine  vorzügliche  Pianistin 
und  begeisterte  Freundin,  Kennerin  und  Förderin  der  Musik,  wurde  am  9.  Jan. 
1807  zu  Stuttgart  als  Prinzessin  von  Würtemberg  geboren  und  führte  bis  zu 
ihrer  Vermählung  mit  dem  Grossfürsten  Michael  von  Russland  (am  19.  Febr. 
1824)  die  Namen  Friederike  Charlotte  Marie.  Sie  wirkte  in  Russland 
höchst  segensreich  für  die  Hebung  und  Verbreitung  von  Kunst  und  Wissen- 
schaft und  war  u.  A.  die  Begründerin  und  Patronin  der  sehr  eiuflussreich  ge- 
wordenen Musikconservatorien  in  verschiedenen  Städten,  sowie  der  grossen 
Musikgesellschaften,  die  sich  über  den  ganzen  russischen  Staat  ausdehnen. 
Ausserdem  unterstützte  sie  mit  fürstlicher  Munificenz  talentvolle  Musiker  und 
beförderte  die  Herausgabe  wichtiger  Musikwerke  in  der  liberalsten  und  um- 
sichtigsten "Weise.  Ihr  Tod,  der  unerwartet  am  20.  Jan.  1873  in  St.  Peters- 
burg erfolgte,  traf  die  höheren  Kunstbestrebungen  im  russischen  Reiche  wie 
ein  unersetzlicher  Verlust. 

Helfer,  Charles  d',  französischer  Kirchencomponist  zu  Anfange  des  18. 
Jahrhunderts,  war  Canonicus  und  Lehrer  der  Kapellknaben  an  der  Kirche  zu 
Soissons  und  hat  Messen  und  Vespern  gesetzt,  die  sich  durch  schöne  und 
kunstvolle  Harmonie  auszeichnen  sollen.  —  Ein  deutscher  Componist  für  Orgel 
gleichen  Namens,  nämlich  Friedrich  August  H.,  geboren  am  2.  Aug.  1800 
zu  Weissenfeis,  war  als  Organist  in   Gera  angestellt. 

Helia,  Camillo  di,  italienischer  Contrapunktist  des  16.  Jahrhunderts  aus 
Bari,  schrieb  und  veröffentlichte  zweistimmige  Motetten.  —  Ein  Zeitgenosse, 
wahrscheinlich  auch  naher  Verwandter  von  ihm  war  der  gleichfalls  als  Contra- 
punktist genannte  Vittorio  di  H. 

Helikou  (griecb.)  ist  der  Name  eines  schon  von  Aristides  und  von  Ptole- 
maeus,  y>IIarmonicoruin(.<.  lib.  2  cap.  2,  erwähnten  und  genauer  beschriebenen  Ton- 
werkzeuges, das,  wie  das  Monochord  (s.  d.),  zur  Feststellung  der  richtigen 
Saitenverhältnisse  verschiedener  Intervalle  angewandt  wurde.  Dies  Tonwerkzeug 
bestand,  wenn  man  der  Beschreibung  des  Pater  Kircher  in  seiner  y>Musurgiav. 
lib.  IV.  pag.  189  folgt,  aus  einem  einfachen  Schallkasten,  dessen  Resonanzboden 
genau  quadratisch  gestaltet  war.  Zwei  gegenüberliegende  der  Quadratseiten 
des  Resonanzbodens  theiltc  man  in  vier  und  in  drei  gleiche  Theile.  Von  jedem 
Punkte  der  einen  zum  correspondirenden  der  andei'n  Parallelseite  des  Resonanz- 
bodens zog  man  eine  Saite  —  im  Ganzen  also  sieben,  die  dann  mit  der  unge- 
theilten  Resonanzbodenseite  gleichlaufend  gingen  —  und  stimmte  alle  diese 
Saiten  im  Einklang.  Ferner  zog  man  eine  Linie  von  der  einen  Ecke  der  einen 
ungetheilten  Quadratseite  zur  Mitte  der  andern.  Genau  in  dieser  Flucht  setzte 
man  bewegliche  Stege  (s.  d.)  unter  die  Saiten  und  erhielt  dann  durch  die 
verschiedenen  hierdurch  gebildeten  Saitentheile  verschiedene  Intervalle  in  höchster 
Reinheit.  Das  H.  gab  nach  dieser  Einrichtung  folgende  Tonverhältnisse:  den 
Einklang  (s.  d.)  durch  das  Verhältniss  1:1  dargestellt;  die  Octave  (s.  d.) 
=  2:1;  die  Doppeloctave  (s.  d.)  =4:1;  die  Quinte  (s.  d.)  =3:2;  die 
Zwölfte,  Duodecime  (s.  d.)  oder  Octave  der  Quinte  =3:1;  die  Quarte 
(s.  d.)  =4:3;  die  Eilfte,  Undecime  (s.  d.)  oder  Octave  der  Quarte  =8:3 
und  den  grossen    Ganzton    (s,  d.)    =9:8.     Da    das  H.    nicht    alle    Intervalle 


186  Hell  -  Heller. 

darstellte,  so  construirte  mau  sich  aucli.  wohl  In  früherer  Zeit  H.s  mit  mehr 
Saiten.  Vgl-  Kircher's  ^yMusurgiaa  I.  pag.  188  und  riCölius  Rhodiginusa,  Alle 
Tonwerkzeuge  jedoch,  die  auf  Grund  der  Theorie  des  H.s  construirt  wurden, 
genügten  niclit  für  jede  gewünschte  lutervalklarstellung.  Besonders  gahen  sie 
keine  sofort  klar  zu  erkennende  Uebersicht  der  geometrischen  Saitenverhält- 
nisse. Deshalb  sah  mau  bald  die  H.  genannten  Tonwerkzeuge  mehr  als  eine 
musikalische  Spielerei,  denn  als  zur  Bestimmung  der  Saiteulängen  der  ver- 
schiedenen Intervalle  dienliche  Tonwerkzeuge  an.  Jetzt  kennt  man  dieselben 
nur  noch,  wie  erwähnt,  nach  der  Beschreibung  in  älteren  musiktheoretischen 
Werken.  2. 

Hell  nennt  man  jeden  klaren  und  scharfen  Ton,  der  sowulil  in  weiterer 
Ferne  als  in  nächster  Nähe  dem  Ohre  angenehm  klingt  und  leicht  iu  Bezug 
auf  seine  Klanghöhe  erkennbar  ist.  Wahrscheinlich  ist  das  vorzüglich  nur  er- 
kennbare Erscheinen  des  Haupttones  ohne  Aliquottöne  (s.  d.)  in  höherer 
Intensität  die  Ursache  der  h.  genannten  Toneigenheit.  Weil  nun  diese  Ton- 
eigeuheit  bei  den  Klängen  der  offenen  Labialstimmen  der  Orgel  sich  am  meisten 
bemerkbar  macht,  so  könnte  man  dieselbe  wohl  auf  die  ganze  Gattung  dieser 
Register  anwenden,  wie  sie  in  früherer  Zeit  auf  einem  Register  insbesondere 
gebraucht  wurde   (s.  Hellpfeife).  2. 

Hcllbacb,  Johann  Andreas,  deutscher  Tonkünstler,  geboren  1665,  war 
Cantor  an  der  Hauptkirche  zu  Naumburg  und  Musikdirektor  an  den  Kirchen 
St.   Othomar  und   St.  Mauritius  daselbst. 

Hellebraud,  Johann,  Componist  und  Musiklehrer,  geboren  im  J.  1808 
in  Zdic  (Böhmen),  lernte  das  Pianofortespiel  bei  Habern  in  Prag,  und  als  er 
nach  Lemberg  kam,  auch  den  Generalbass  und  Contrapunkt  bei  Witte  iu  Lem- 
berg,  wo  er  später  zu  den  renommirtesten  und  gesuchtesten  Musiklehreru  ge- 
hörte. A'^on  seinen  zahlreichen  Compositionen,  die  sich  im  Manuscripte  bei 
seiner  Gattin  in  Lemberg  befinden,  ist  nur  eine  einzige  im  Druck  erschienen, 
nämlich  eine  Folka  hrillante,  die  er  auch  nur  auf  Anregung  Fr.  Liszt's,  des 
Dedicanten  derselben,  herausgab.  H.  starb  am  2.  Aug.  1861  in  Lemberg.  Er 
hat  den  Ruf  eines  bescheidenen  Künstlers  und  eines  ausgezeichneten  Musik- 
lehrers hinterlassen.  M — s. 

Heller,  Ferdinand,  deutscher  Tenorsänger  und  Componist,  war  um  1783 
zu  Bonn  in  der  kurfürstl.  kölnischen  Hofkapelie  angestellt,  zu  deren  vorzüg- 
lichsten Sängern  er  gerechnet  wurde. 

Heller,  Stephen,  vortrefflicher  Pianist,  aber  noch  ausgezeichneter  als 
geistvoller  Componist  für  sein  Instrument,  wurde  am  15.  Mai  1815  zu  Pesth 
von  ziemlich  bemittelten  Eltern  geboren.  Als  einziger  Sohn  erhielt  er  eine 
sorgsame  Erziehung,  mit  welcher  auch  Unterricht  im  Ciavierspiel  verbunden 
war.  Gegen  die  kaufmännischen  Studien,  für  die  er  bestimmt  war,  verrieth 
der  Knabe  bald  eine  unüberwindliche  Abneigung,  gefiel  sich  aber  dafür  um  so 
besser  in  seinen  musikalischen  Erholungsarbeiten  und  machte  so  grosse  und 
bedeutende  Fortschritte,  dass  er  sich  an  der  Seite  seines  Pianofortelehrers  F. 
Bräuer  in  einem  Doppelconcerte  von  Dussek  öffentlich  hören  lassen  konnte. 
In  Folge  dessen  fügte  sich  sein  Vater  der  Nothwendigkeit  und  schickte  den 
Sohn  zu  dessen  geistiger  wie  musikalischer  Ausbildung  nach  Wien.  Bei  dem 
vortrefflichen  Ciaviermeister  Ant,  Halm  daselbst  erhielt  H.  einen  gediegenen, 
rasch  fördernden  Musikunterricht,  so  dass  er  schon  nach  seinem  ersten  Con- 
certe  im  J,  1827  von  sich  reden  machte.  Nach  seiner  Vaterstadt  zurückgekehrt, 
gab  er  einige  ergiebige  Concerte,  da  seine  Mitbürger  sich  drängten  zu  hören, 
ob  aus  dem  verschlossenen,  unbeachtet  gebliebenen  Knaben  wirklich  ein  Künstler 
geworden  sei.  Bald  darauf  trat  H.  seine  erste  und  letzte  Kunstreise  durch 
Oberungarn  nach  Krakau,  Warschau  und  weiterhin  über  Breslau,  Leipzig, 
Braunschweig,  Hannover  nach  Hamburg  an.  Von  dort  ging  er  über  Frankfurt 
a.  M.  nach  Augsburg.  Ein  von  ihm  componirtes  Concert  mit  Orchesterbeglei- 
tung   war    damals    die    erste    grössere    Probe    seines    schaffenden    Talents.      In 


I 


HeUer.  187 

Augsburg  überfiel  ihn  eine  gefährliclie  Krankheit,  und  er  musste  seine  Concert- 
reise  untei'brechen.  Er  fand  in  einem  kunstliebenden  Hause  freundschaftliche 
Aufnahme  und  die  liebenswürdigste  Pflege.  Das  erfreulichste  Ergebuiss  dieses 
Aufenthalts  war  neben  der  allmälig  wiedergekehrten  Gesundheit  ein  inzwischen 
gewonnenes  wahres  Verständniss  der  Musik,  und  eine  erste  Liebe  legte  überdies 
den  Keim  zu  seinen  späteren  musikalischen  Dichtungen  in  sein  Gemüth.  Im 
freundschaftlichen  Umgange  mit  einem  hochintelligenten  Kunstkenner,  dem 
Grafen  Eugger,  sowie  mit  Chelard,  Drobisch  und  Stetten  bildete  sich  auch  sein 
Geist  schnell  aus,  und  der  Einfluss  jener  glücklichen  Zeit  äusserte  sich  deutlich 
in  seinen  damaligen  Compositionen  op.  7,  8  und  9,  welche  sich  so  vortheilhaft 
von  seinen  ersten  Versuchen  unterscheiden,  dass  sie  als  die  eigentlichen  Anfänge 
seines  künstlei'ischen   Schaffens  betrachtet  werden  müssen. 

H.  ging  erst  nach  mehrjährigem  Aufenthalte  in  Augsburg  zu  seinen  Eltern 
auf  Besuch,  kehrte  aber  schon  im  nächsten  Jahre  dahin  wieder  zurück.  Nach 
seinem  eigenen  Geständnisse  hat  er  in  Augsburg  mehr  Musik  gelesen  und  die 
ältere  wie  neuere  Musikliteratur  besser  kennen  gelernt,  als  dies  auf  irgend  einer 
Hochschule  hätte  der  Fall  sein  können.  Künstlerisch  gefestigt,  erwachte  die 
alte  Wanderlust  wieder  in  ihm,  und  er  begab  sich  1838  auf  den  Rath  seiner 
Freunde  nach  Paris.  Hier  fand  er  eine  ungeahnte  einflussvolle  Anregung  nach 
allen  Seiten  hin,  die  er  besonders  dazu  benutzte,  die  Lücken,  die  allzu  ein- 
seitiges Kunststudium  bei  ihm  gelassen  hatten,  nach  und  nach  zu  ergänzen; 
literarische  und  historische  Studien  füllten  in  erster  Linie  seine  Zeit  aus.  Der 
Umgang  mit  den  geistigen  Notabilitäten  der  französischen  Hauptstadt  ausserdem 
rückte  ihn  zwar  dem  Cultus  der  eleganten,  spirituellen  Manier  näher  als  jemals 
zuvor,  aber  er  vermochte  ihn  nicht  um  seinen  deutschen  Musikglauben  zu 
bringen,  dem  er  in  seiner  späteren  Richtung  stets  treu  blieb.  Die  Leiden  für 
sein  unabhängiges  Streben  im  Leben,  in  der  Kunst  und  im  Worte  blieben 
nicht  aus,  und  er  musste  diesem  Streben  manchen  materiellen  Vortheil  zum 
Opfer  bringen,  aber  niemals  hat  er  sich,  wie  seine  Compositionen  beweisen,  zu 
Modearbeiten  demüthigen  lassen.  So  musste  er  denn  anfangs  oft  Noth  leiden 
und  verschiedene  Leidenschaften  mit  ihren  Stürmen  von  Gemüth saufreguugen 
über  sich  ergehen  lassen,  ohne  dass  er  geistig  erschüttert  oder  gebeugt  worden 
wäre.  Alles,  was  manchen  Anderen  gebrochen  haben  würde,  diente  nur  zur 
Stählung  seines  Talents  und  seines  selbstständigen  Charakters,  und  die  ihm 
nicht  erspart  gebliebenen  geistigen  Kämpfe  und  Seelenleiden  fanden  einen  ver- 
edelten Abglanz  in  seinen  Tondichtungen,  die  für  den  Kenner,  überhaupt  für 
empfindende  Gemüther  um  so  mehr  Anziehungskraft  haben,  als  sich  in 
denselben  in  der  That  die  Geschichte  eines  edeln,  vielgeprüften  Lebens  ab- 
spielt. Er  ernährte  sich  in  den  ersten  Jahren  seines  Aiifenthaltes  in  Paris 
theils  von  Unterricht,  theils  von  seiner  Feder  durch  musikalische  Kritiken, 
die  so  fein  und  geistreich  geschrieben  waren,  dass  sie  nicht  geringes  Auf- 
sehen machten. 

H.  zog  es  vor,  seine  damaligen  Compositionen  in  der  Provinz  und  fast 
umsonst  herauszugeben,  um  nicht  durch  das  Betreten  der  Landstrasse  der 
ßoutine  seiner  Kunstreligion  untreu  zu  werden,  was  ihm  bei  den  Pariser  Ver- 
legern den  B,uf  eines  unpraktischen  Märtyrers  einbrachte.  Er  spielte  nur  noch 
in  den  intimen  Kreisen  Auserwählter,  die  ihn  hoch  verehrten,  von  denen  aus 
sich  aber  endlich  sein  Name  über  die  enge  Sphäre  hinaus  eine  sichere  Bahn 
brach.  Seinen  Humor  wie  seinen  Schmerz  tobte  er  in  den  anspruchslos  Etüden 
genannten  charakteristischen  Phantasiebildern  op.  16,  kleinen  gehaltvollen  Meister- 
stücken der  Clavierliteratur ,  aus.  Ein  so  ernstes,  beharrliches  Kunststreben 
musste  endlich  selbst  in  Paris  von  Erfolg  gekrönt  sein  und  dem  Manne,  der 
nur  geistreiche  und  gediegene  Werke  schuf,  auch  in  materieller  Beziehung  eine 
freundlichere  Stelle  sichern.  Von  etwa  1845  an  darf  sich  H.,  der  Paris  nur 
im  Sommer  mit  einem  Erholungsaufenthalte,  meist  in  der  Schweiz,  vertauscht 
hat,  den  Eingebungen  seiner  Phantasie    und    reichen  Laune   hingeben  und  hat 


188  Hellingk  —  Hellmesberger. 

niclits  mehr  vom  Unverständniss  zu  besorgen.  Seine  Werke  für  Pianoforte, 
mit  denen  er  oft  fast  zu  lange  pausirte,  wurden  in  der  ganzen  Mu^ikwelt  un- 
geduldig erwartet  und  mit  höchster  Freude  empfangen.  Er  wird  von  der 
Kritik  einstimmig  als  der  edelste  und  ursprünglichste  Pariser  Claviercomponist 
anerkannt,  und  selbst  das  Pariser  Conservatorium,  welches  ihm,  dem  Ausländer, 
vergeblich  ein  Professorenamt  anbot,  hat  die  meisten  seiner  Werke  in  seinen 
Unterrichtsstoff  gezogen.  —  H.  hat  bis  jetzt  140  Hefte  von  seinen  Corapositionen, 
bestehend  in  Sonaten,  Etüden,  Capricen,  Phantasien,  Imjjromptu's,  Charakter- 
stücken u.  dergl.,  veröffentlicht.  Was  diese  Werke  auszeichnet,  ist  eben, 
dass  sie  den  Eindruck  einer  inhaltreichen  Individualität  hervorrufen,  welche 
Form  und  Inhalt  in  den  wohlthuendsten  Einklang  zu  bringen  weiss  und 
deren  Melodie  und  Harmonie  stets  poetisch  berühren,  weil  sie  immer  eigen- 
thümlich  sind. 

Helliug-k,  Lupus,  ein  Contrapunktist  zu  Anfang  des  16.  Jahrhunderts, 
wird   als  ein   vorzüglicher  Meister  seiner  Zeit  gerühmt. 

Helliug'warr,  Peter,  niederländischer  Mathematiker,  lebte  zu  Anfange  des 
17.  Jahrhunderts  zu  Hoorn  und  lieferte  in  einer  Schrift  Berechnungen  über 
die  Weite  der  Töne,  Länge  der  Orgelpfeifen  u.  s.  w. 

Hellmann,  Johann  Adam  Maximilian,  deutscher  Tonkünstler,  war 
1727  Cembalist  der  kaiserl.  Hofkapelle  in  Wien,  von  wo  aus  er  nach  Italien 
ging  und  dort  u.  A.  das  Drama  »Abigail«  in  Musik  setzte. 

Helliiiesberg'er,  eine  um  das  Kunstleben  Wiens  hochverdiente  Musiker- 
familie, deren  ältestes  Haupt  Georg  H.  war.  Geboren  am  24.  April  1800  zu 
Wien,  erhielt  derselbe  von  seinem  Yater,  einem  gewesenen  Landschullehrer,  den 
ersten  Violinunterricht  und  brachte  es  bei  vorzüglichen  Anlagen  so  weit,  dass 
er  sich  als  achtjähriger  Knabe  schon  öffentlich  hören  lassen  konnte.  Mit  zehn 
Jahren  wurde  er  erster  Sopranist  der  kaiserl.  Hofkapelle  an  Stelle  des  so  eben 
ausgeschiedenen  Franz  Schubert.  Für  den  geistlichen  Stand  bestimmt,  durch- 
lief er  später  die  Klassen  des  Cisterzienserstifts  Heiligenkreuz  und  nahm  in 
Wien  die  theologischen  Studien  auf.  Allein  er  beschloss,  sich  ganz  der  Musik 
zu  widmen,  und  die  Gesellschaft  der  Musikfreunde  kam  seinen  Absichten  ent- 
gegen, indem  sie  ihn  von  Böhm  im  höheren  Violinspiel  und  von  Eman.  Förster 
in  der  Composition  unterrichten  liess.  Bald  wurde  er  als  Hülfslehrer  und 
weiterhin  als  ordentlicher  Professor  am  Conservatorium  zu  Wien  angestellt. 
Eine  lange  Reihe  vorzüglicher  Violinisten,  in  erster  Reihe  seine  beiden  Söhne 
Georg  und  Joseph,  bezeichnen  seine  ehrenvolle  Lehrthätigkeit.  Als  Schup- 
panzigh  1829  starb,  wurde  H.  zum  Orchesterdirektor  am  Hofoperntheater  er- 
nannt und  ein  Jahr  später  auch  in  der  Hofkapelle  angestellt.  Endlich  pen- 
sionirt,  lebte  er  in  Zurückgezogenheit,  bewahrte  aber  seine  Rüstigkeit  und 
Geistesfrische  bis  zu  seiner  letzten  Stunde.  Er  starb  am  16.  Aug.  1873  zu 
Neuwaldegg  bei  Wien.  Als  Solospieler  fertig  und  elegant,  hat  er  sich  auch 
als  Quartettspieler  einen  guten  Namen  erworben.  Von  seineu  Compositionen 
sind  Concerte,  Variationen,  ein  Streichquartett  u.  s.  w.  im  Druck  erschienen. 
—  Der  ältere  seiner  beiden  Söhne,  gleichfalls  Georg  H.  geheissen,  geboren 
1828  zu  AVien,  wurde  unter  väterlicher  Anleitung  ein  vortrefflicher  Violinist, 
der  1847  auf  Concertreisen  durch  Deutschland  und  England  grosse  Erfolge  er- 
rang und  1849  als  Concertmeister  der  königl.  Hofkapelle  in  Hannover  ange- 
stellt wurde.  Leider  starb  er  in  dieser  Stellung  schon  am  12.  Novbr.  1852, 
nachdem  er  eine  Oper,  »Die  Bürgschaft«,  vollendet  hatte.  —  Sein  Bruder, 
Joseph  H.,  geboren  zu  Wien  am  3.  Novbr.  1829,  ist  dasjenige  Glied  der 
Familie,  welches  dem  Namen  einen  hellleuchtenden  Glanz  verliehen  hat.  Früh- 
zeitig hatte  auch  er  vom  Vater  die  trefflichste  Ausbildung  erhalten ,  so  dass 
er  gleichfalls  an  der  Kunstreise  durch  Deutschland  im  J.  1847  Theil  nehmen 
konnte.  Schon  1850  wurde  er  Professor  des  Violinspiels  und  Direktor  des 
Wiener  Conservatoriums,  1860  Concertmeister  am  Hofoperntheater  und  1865 
als  Nachfolger  Mayseder's  erster  Violinist  der  kaiserl.  Hofkapelle,  eine  Ernen- 


Hellmich  —  Hellmuth.  189 

nung,  welche  um  so  mehr  Aufsehen  erregte,  als  man  fast  zum  ersten  Male  von 
dem  Principe  der  Anciennität  zu  Gunsten  wahrhaft  überlegener  Begabung  einer 
jüngeren  Kraft  abging.  H.'s  grösstes  Verdienst  um  Wien  aber  beruht  in  der 
festen  Begründung,  ja  Popularisiruug  der  edeln  aber  ernsten  Kunstgattung  des 
Streichquartetts.  Mit  den  von  ihm  in  Verbindung  mit  Durst,  Heissler  und 
Schlesinger  am  4.  Novbr.  1849  eröffneten  und  trotz  des  mehrmaligen  Personen- 
wechsels bis  auf  den  heutigen  Tag  fortgeführten  Quartettconcerten  ging  für  die 
Kammermusik  eine  neue  Aera  in  Wien  auf,  insofern,  als  es  H.  um  die  allmälige 
Veröffentlichung  unbekannter  oder  verschollener  Werke  dieser  Gattung  in  voll- 
endetster Art  zu  thun  war,  ein  Princip,  welches  er  später  auch  auf  Orchester- 
compositionen ausdehnte.  Als  Dirigent  weiss  er  das  ihm  unterstehende  jugend- 
liche Zöglingsorchester  des  Conservatoriums  zu  wahren  Glanzthaten  fortzureissen. 
Nicht  minder  verdienstvoll  wirkte  er  als  mehrjähriger  artistischer  Leiter  der 
grossen  Concerte  der  Gesellschaft  der  Musikfreunde.  In  anerkennenswerther 
Bescheidenheit  hat  H.  niemals  auf  einem  Felde  zu  glänzen  gesucht,  auf  dem 
ihm  hervorragende  Anlage  versagt  ist,  in  der  Composition;  er  hat  lediglich 
Instructives  veröffentlicht  und  einige  ältere,  von  ihm  zum  Theil  erst  wieder 
aufgefundene  Arbeiten  anderer  Meister  neu  herausgegeben.  Als  Violinist  und 
als  Lehrer  dieses  Instruments  jedoch  geniesst  H.  eines  wohlverdienten  aus- 
gezeichneten Rufs.  Eine  Menge  jugendlich  aufstrebender  Talente  wurde  von 
ihm  in  hingehendster  Art  herangebildet  und  grossgezogen,  unter  diesen  sein 
eigener  hochbegabter  Sohn,  geboren  1856,  der  seit  1872  an  seiner  Seite  in 
den  Quartettconcerten  tüchtig  mitwirkt.  Die  mannigfachen  musikalischen  Ver- 
dienste H.'s  wurden  wiederholt  gebührend  anerkannt,  von  der  Stadt  Wien 
durch  Verleihung  des  Ehrenbürgerrechts,  vom  Kaiser  von  Oesterreich  und 
anderen  Fürsten  durch  Orden,  wie  er  denn  auch  schon  1855  als  Jury-Präsident 
der  Pariser  Weltausstellung  die  Ehrenmedaille  und  das  französische  Ritterkreuz 
der  Ehrenlegion   erhalten  hatte. 

Hellmich,  Karl,  verdienstvoller  deutscher  Instrumentenmacher,  geboren 
am  20.  April  1818  zu  Potsdam,  fertigte  seit  1844  Streichinstrumente,  die  einen 
vorzüglichen  Ruf  haben,  und  brachte  bei  denselben  mit  Erfolg  seine  Erfindung 
an,  die  Balken  zu  fenstern,  um  dadurch  die  möglichst  freieste  Schwingung 
der  Saiten  zu  bewirken.  Im  J.  1851  übernahm  er  die  renommirte  Instru- 
mentenhandlung seines  Schwiegervaters  Karl  Grimm  in  Berlin  und  starb  da- 
selbst 1867. 

Helliuich,  Wilhelm,  vortrefflicher  deutscher  Violinist,  geboren  am  30.  Juni 
1839  zu  Berlin,  erhielt  seine  höhere  musikalische  Ausbildung  von  Ferd.  Laub 
und  ist  seit  dem  1.  Aug.  1868  als  erster  Violinist  der  königl.  preussischen 
Kapelle  angestellt.  An  der  Spitze  verschiedener  Unternehmungen  im  Interesse 
gediegener  Kammermusik  wirkt  er  ausserdem  sehr  verdienstvoll  in  Berlin. 

Hellmuth,  Friedrich,  guter  deutscher  Sänger  und  Componist,  geboren 
1744  zu  Wolfenbüttel,  verdankte  seiner  herrlichen  Knabenstimme  eine  gründ- 
liche Ausbildung  in  der  Musik.  Er  widmete  sich  der  Oper  und  dem  Schau- 
spiele und  übernahm  die  Direktion  des  markgräfl.  schwedt'schen  Theaters.  Als 
trefflicher  Tenorsänger  und  als  Schauspieler  war  er  1770  in  Weimar  und 
hierauf  in  Gotha  beliebt.  Von  letzterer  Stadt  aus  ging  er  als  Hofmusiker 
nach  Mainz,  wo  er  auch  als  Instrumentalcomponist  (u.  A.  drei  Sonaten  für 
Ciavier  mit  Begleitung  von  Violine  und  Violoncello)  Anerkennung  fand.  Er 
starb  zu  Anfange  des  19.  Jahrhunderts  in  Mainz.  —  Sein  Bruder,  Karl  H., 
war  ebenfalls  Hofmusiker  in  Mainz,  lebte  aber  seit  1801  zurückgezogen  in 
Erfurt,  wo  er  auch  um  1830  hochbetagt  gestorben  ist.  Er  war  der  Gatte  der 
berühmten  Sängerin  Franzisca  Josepha  H,,  geborene  Heist,  geboren  1746 
zu  Mainz,  die  zuerst  Sängerin  und  Schauspielerin  am  Seiler'schen  Theater  zu 
München,  um  1772,  in  welchem  Jahre  sie  sich  mit  H.  verheirathete,  als  Bra- 
voursängerin  in  Weimar  und  dann  in  Gotha  glänzte.  Hierauf  war  sie  kurfürstl. 
Kammersängerin  in  Mainz,  von  wo   aus  sie  1785  mit  ihrem  Gatten  Deutschland 


190  Hellpfeife  —  Helmbrecht. 

bereiste  und  mit  dem  grössten  Beifall  sich  u.  A.  in  Dresden  hören  Hess.  Sie 
wurde  noch  in  demselben  Jahre  für  das  raarkgräfl.  schwedt'sche  Theater  und 
1788  für  das  Nationaltheater  in  Berlin  engagirt,  1794  jedoch  verabschiedet. 
Ihre  Tochter  war  Marianne  Müller  (s.  d.)  und  ihre  Schülerin  die  berühmte 
Schick.  An  ihrer  sehr  umfangreichen  und  biegsamen  Stimme  setzte  die  Kritik 
nur  eine  gewisse   Schärfe  und  Schneidigkeit  aus. 

Hellpfeife  nennt  Prätorius  ein  2,5  metriges  offenes  Manualregister.  Wes- 
halb diese  Stimme  wohl  diesen  Namen  erhalten  hat,  ersieht  man  in  dem  Ar- 
tikel hell  (s.  d.),  ebenso  dass  man  besser  thäte,  diesen  Zusatznamen  einer 
Gattung  Orgelstimmen  zu  geben,  als  einer  einzelnen   Stimme.  2. 

Helhvaag-,  Christoph  Friedrich,  geboren  am  6.  März  1754  zu  Calw 
im  Herzogthum  Würtemberg,  war  bischöfl.  lübeck'scher  Hofrath  und  Leibarzt 
zu  Eutin  und  suchte  in  einer  gedruckten  Dissertation  den  Parallelismus  der 
Farben  des  Regenbogens  mit  den  Tönen  der  musikalischen  Octave  nach- 
zuweisen. 

Hellwig,  (Karl  Friedrich)  Ludwig,  königl.  preussischer  Musikdirektor 
und  Hofdomorganist  zw  Berlin,  wurde  am  23.  Juli  1773  zu  Cunersdorf  bei 
Wrietzen  geboren,  wo  sein  Vater  Prediger  war  und  den  Sohn  gleichfalls  zum 
geistlichen  Stande  erziehen  Hess,  Violin-  und  Ciavierspiel  trieb  H.  schon  in 
"Wrietzen  und  mehrere  aridere  Instrumente,  besonders  Orgel,  erlernte  er  fast 
ohne  Anweisung  als  Gymnasiast  zu  Berlin.  Nach  dem  Tode  seines  Vaters, 
1789,  trat  er  als  Theilhaber  in  eine  Farbenfabrik,  studirte  aber  nebenbei  noch 
eifrig  die  musikalische  Theorie  und  Composition  beim  Kammermusiker  A. 
Gürrlich,  beim  Kapellmeister  G.  A.  Schneider  und  bei  Zelter,  welcher  letztere 
ihn  1793  als  Tenorist  in  die  Singakademie  zog,  deren  Vicedirektor  F.  1803 
wurde.  Als  Zelter  18ii9  die  erste  Liedertafel  stiftete,  trat  H.  als  eines  der 
ersten  Mitglieder  bei  und  lieferte  derselben  im  Laufe  der  Zeit  25  Männerchor- 
compositiouen.  Im  J.  1812  gab  er  seine  Geschäftsverbindung  ganz  auf  und 
wurde  1813  Domorganist  und  Musiklehrer  am  Jnachimsthal'schen  Gymnasium, 
sowie  an  mehreren  anderen  öffentlichen  Anstalten.  Rastlos  musikalisch  wii'kend, 
starb  er  nach  kurzer  Krankheit  am  24.  Novbr.  1838  zu  Berlin.  Seine  theils 
durch  den  Druck,  theils  durch  locale  Aufführungen  bekannter  gewordenen 
Compositionen  sind  die  Opern  »Die  Bergknappen«,  Text  von  Th.  Körner  (1822 
im  Berliner  Hoftheater  gegeben)  und  »Don  Silvio«,  Text  von  Rosellen,  ferner 
Messen,  Motetten,  Psalme,  Kanons,  Choräle  und  viele  Gesänge  und  Lieder. 
Auch  Ciavierauszüge  zu  Händel'schen  Oratorien,  Gluck'schen  Opern  und  zur 
Johannespassion  von   J.  S.  Bach  hat  er  besorgt  und  herausgegeben. 

Helmboeker,  Cornelius,  bedeutender  niederländischer  Tonkünstler,  war 
um   1624  als  Organist  in  Haarlem  weithin  berühmt. 

Hclmbold,  Ludwig,  musikkundiger  deutscher  Theologe,  geboren  am 
21.  Jan.  1532  zu  Mühlhausen  in  Thüringen,  gestorben  ebendaselbst  als  Super- 
intendent im   J.  1598,  ist  als   Componist  geistlicher  Lieder  bemerkenswerth. 

Heliiibrecht,  Christian  Friedrich  Franz,  nach  seinem  Stiefvater,  einem 
Major,  auch  Wendt  genannt,  ein  blinder  Tonkünstler,  geboren  um  1765  zu 
Berlin,  verlor  früh  das  Augenlicht,  behielt  jedoch  bis  zu  seinem  25.  Jahre  noch 
einen  Schimmer.  Mehrere  Instrumente,  besonders  Harfe,  Ciavier  und  Orgel, 
lernte  er  fertig  spielen  und  wurde  1790  Organist  der  französischen  Kloster- 
kirche in  Berlin.  Als  solcher  führte  er  nicht  allein  alle  französischen  Kirchen- 
lieder und  Psalme,  sondern  auch  eine  Menge  grosser  Orgelstücke  von  Seb. 
Bach  und  Kirnberger  auswendig  aus.  Im  J.  1798  erfand  er  eine  türkische 
Janitscharenmusik,  bei  der  mittelst  eines  Triebwerks  alle  Feldmusik  durch  ihn 
allein  gespielt  ward.  Ebenso  erfand  er  eine  fühlbare  Notenschrift  für  Blinde, 
die  er  »Hakennoten«  nannte  und  welche  die  Leipziger  musikal.  Ztg.  vom 
J.  1804  S.  721  genauer  beschreibt.  H.  starb  um  1825  zu  Berlin.  Eine  Com- 
position von  ihm  für  Orgel  und  Ciavier,  betitelt:  »Das  Launenspiel«,  findet 
sich  in  J.  C.  AV.  Kühnau's  »Die  blinden   Touküustler«   (Berlin,   1810). 


Helmer  —  Helmholtz.  191 

Helmer,  Kai-l,  ein  vielseitiger  Musikbeflissener,  geboren  um  1740  zu 
Prag,  wurde  als  Lauten-  und  Instrumentenmacher,  Musikverleger  und  Virtuose 
auf  Laute  und  Mandoline  rühmlich  genannt. 

Helmholtz,  Karl,  deutscher  Gesangcomponist,  wirkte  von  1827  bis  1848 
in  Halle  als  Musiklehrer  und  hat  einstimmige  Lieder  mit  Ciavierbegleitung 
componirt,  sowie  den   24.  Psalm   in   Musik  gesetzt. 

Helmholtz,  Hermann  (Ludwig  Ferdinand),  berühmter  und  hochbe- 
deutender Physiker  und  Physiolog,  der  sich  auch  um  die  Musikwissenschaft 
unvergängliche  Verdienste  erworben  hat,  wurde  am  31.  Aug.  1821  zu  Potsdam 
geboren,  woselbst  sein  Vater  Gymnasiallehrer  war.  Er  studirte  1839  in  Berlin 
Medicin,  wurde  1842  Assistenzarzt  an  der  Charite,  1843  Militärarzt  in  Potsdam 
und  1848  Lehrer  der  Anatomie  an  der  Berliner  Akademie.  Ein  .Tahr  später 
folgte  er  einem  Rufe  als  Professor  der  Physiologie  nach  Königsberg  und  ging, 
bereits  als  physiologische  Autorität  gefeiert,  1855  an  die  Universität  zu  Heidel- 
berg, wo  er  auch  den  Charakter  eines  Geheimen  Rathes  verliehen  erhielt.  Seit 
1871  wirkt  er  wiederum  als  Professor  seines  Fachs  an  der  Universität  zu 
Berlin.  Auf  mannigfaltigen  Gebieten  hat  H.  der  Wissenschaft,  der  Kunst  und 
dem  Leben  wahrhaft  unschätzbare  Dienste  geleistet.  Seine  wichtigen  Ent- 
deckungen, welche  er  in  den  Büchern  vom  Augenspiegel  und  der  physiologischen 
Optik  und  in  dem  Werke  vom  »Gesetz  der  Erhaltung  und  Kraft«  niederlegte, 
können  hier  nur  vorübergehend  angedeutet  werden.  H.  ist  aber  auch  der  be- 
deutendste neuzeitige  Forscher  auf  dem  Gebiete  der  Akustik,  und  die  Resultate 
seiner  bezüglichen  Forschungen  und  Experimente  liegen  vor  in  dem  Werke 
>^Die  Lehre  von  den  Tonempfindungen  als  physiologische  Grundlage  für  die 
Theorie  der  Musik«  (1.  und  2.  Ausgabe,  Braunschweig,  1863  und  1865).  Hier 
bringt  er  Licht  in  die  dunkelsten  Parthien  der  Musikwissenschaft  und  löst 
auf  die  einfachste  Art  Räthsel,  vor  denen  die  Philosophen  und  Musiktheoretiker 
bisher  rathlos  gestanden  haben.  Die  Lehre  vom  Schalle,  welche  durch  sinn- 
reiche akustische  Experimente  schon  Chladni  festgestellt  und  ausgebildet  hat, 
diente  H.  zur  Grundlage,  und  indem  er  eine  physikalische,  physiologische  und 
psychologische  Akustik  unterschied,  fasste  er  diese  in  seiner  Lehre  von  den 
Gehörempfindungen  zu  einem  vernunftentsprechenden  Systeme  zusammen.  Nach 
seiner  Ansicht  haben  die  Gehörempfindungen  wie  die  Gesichtempfindungen 
einerlei  Ursprung:  in  den  Bewegungen  und  Schwingungen  elastischer  Körper, 
mögen  sie  nun  Farben  erzeugendes  Licht  oder  Klänge  sein,  deren  Wellen  an 
das  Ohr  und  durch  dieses  Instrument  an  die  betrefi"enden  Nerven  schlagen. 
Die  ganze  Wirkung  der  Musik  ist  demnach  auf  die  Correspondenz  unserer 
Nerventhätigkeit  mit  den  Bewegungen  ausser  uns  befindlicher  Körper  zurück- 
zuführen. Es  ist  in  physikalischer  Beziehung  gleichgültig,  ob  die  Schwingungen 
als  langsamere  mit  dem  Ohre  oder  als  raschere  mit  dem  Auge  wahrgenommen 
werden.  Die  Lichtwellen  wie  die  Tonwellen  erregen  unsere  Nerven  nach  dem- 
selben Gesetze  zur  Mitschwingung.  H.  beobachtete  nun  speciell  die  Vorgänge 
im  Ohr,  und  es  gelang  ihm  nachzuweisen,  wie  im  Ohr  der  Schall  bis  zu  den 
empfindenden  Nerven  hingeleitet  wird,  wie  die  verschiedenen  Erregungen  der 
Nerven  verschiedenen  Gehörempfindungen  entsprechen  und  darauf  die  Gesetze 
der  musikalischen  Kunst,  die  eigentlichen  Compositionsregeln  beruhen.  Der 
Musiker  giebt  allerdings  den  Tönen  eine  freie,  lediglich  aus  seiner  Subjectivität 
fliessende  Anordnung  und  Form,  aber  er  ist  an  das  physikalische  Gesetz  der 
melodischen  und  harmonischen  Verwandtschaft  der  Töne  gebunden,  welches 
sich  auch  in  seinen  Empfindungen  ausspricht.  Mittelst  eines  für  das  Ohr  con- 
struirten  Resonanzapparates  untersuchte  H.  die  Partialtöne  eines  Klanges,  die 
den  Grundton  begleitenden  harmonischen  Obertöne,  den  Einfluss  derselben  auf 
die  Klangfarben  der  Toninstrumente,  die  Klänge  der  Streichinstrumente,  der 
Flötenpfeifen,  Zungenpfeifen,  der  Vocale.  Er  forschte  den  Toncombinationen, 
Consonanzen  und  Dissonanzen  oder  Tonschwebungen  nach.  Die  Obertöne  sind 
die  harmonischen  Beigaben;  sie  verleihen   dem  Grundtone  Fülle  und  Charakter. 


192  Heimond  —  Hemiolie. 

Das  Gefühl  der  Melodie  beruht  weseutlich  auf  der  "Wahrnehmung  der  Harmonie, 
wobei  allerdings  die  Subjectivität,  die  Beschafl'enheit  der  Gehörwerkzeuge  und 
der  Empfiudungsnerven  eine  bedeutende  Rolle  sjjielt.  —  Ausserdem  hat  H.  in 
dem  oben  benannten  Werke  auch  der  Historik  der  Musikforschungeu  seit  Pytha- 
goras  und  Terpander  Darstellung  gegeben,  wie  er  überhaupt  bemüht  ist,  die 
Consequenzen  des  von  ihm  aufgestellten  wichtigen  Systems  nach  allen  Seiten 
hin  zu  tragen. 

Hclinond,  Christian  Gottfried,  deutscher  Virtuose  auf  dem  Glasspiele 
oder  Yerrillon  (s.  d.),  war  aus  Reiche  in  Schlesien  gebürtig,  wo  er  um  1690 
geboren  ist,  und  machte  um  1730  Aufsehen,  indem  er  auf  seinem  sehr  ein- 
fachen Instrumente  ganze  Solos  und  Concerte  mit  vollständiger  Begleitung 
vortrug. 

Helmont,  Adrieu  Joseph  van,  belgischer  Componist  und  Dirigent,  ge- 
hören am  14.  April  1747  zu  Brüssel,  kam  als  Chorknabe  in  die  Kapelle  des 
Statthalters  der  Niederlande  und  wurde  daselbst  auch  im  Violinspiel  und  in 
der  Cümposition  unterrichtet.  Nachmals  ging  er  als  Dirigent  an  das  Operii' 
theater  iti  Amsterdam,  nach  dessen  Brande  er  nach  Brüssel  zurückkehrte  und 
Amtsnachfolger  seines  A'^aters  als  Musikdirektor  an  der  Kirche  St.  Gudule 
wurde.  Er  starb  erst  am  28.  Decbr.  1830  und  hat  im  Manuscript  Kirchen- 
corapositionen  hinterlassen,  sowie  eine  Oper,  r>L^amant  le^ataire«,  die  seiner  Zeit 
zu  einer  einmaligen  Aufführung  gelangt  ist. 

Heiner,  Johann,  Organist  zu  Braunschweig,  war  einer  der  53  im  J.  1596 
zur  Prüfung  der  neuen  Schlosskirchenorgel  zu  Grüningen  bei  Halberstadt  be- 
rufenen Organisten  Deutschlands.  In  der  nach  dem  Alter  geordneten  Reihen- 
folge war  er  der  46.     Vgl.  Werkmeister's   Org.   Gruning.  rediv.  §.11.  f 

Helpericus,  s.  Hedericus. 

Hell,  Heintz,  einer  der  ältesten  deutschen  Lautenvirtuosen,  welche  die 
Musikgeschichte  neunt^  da  er  schon  um   1413   in   Nürnberg  wirkte, 

Helwig",  Johann  Friedrich,  Violagambist  der  kurfürstl.  Kapelle  zu 
Berlin  seit  dem  2.  Jan.  1654,  war  auf  Befehl  des  grossen  Kurfürsten  Friedrich 
AVillielm  in  der  Musik  ausgebildet  worden.  —  Genau  denselben  Namen 
trug  ein  fürstl.  sächsischer  Secretär  und  Kapelldirektor,  welcher  1729  in 
Eisenach  starb. 

Hehvig',  Joseph,  ein  Orgelbauer  aus  Grulich  in  Böhmen,  errichtete  u.  A. 
in   der  Maria  Lauretakirche  zu  Prag  im  J.   1734  ein  grosses   Orgelwerk. 

Hemberg'er,  Johann  August,  deutscher  Instrumentalcomponist,  welcher 
in  Paris  lebte  und  dort  wie  in  Lyon  1785  Concerte,  Quartette,  Trios  für 
Ciavier  und  für  Violine  veröflFentlicht  hat. 

Hemesiiis,  Nathan,  latinisirt  aus  Hernes,  ein  englischer  Musikgelehrter, 
hat  eine  polemische  Schrift  gegen  einen  gewissen  Tomb  veröffentlicht,  welche 
den  Titel  führt:  »De  musica  evangelica  seit  vindicatio  psalmodiae  contra 
Tomhuma. 

Hemidiapeuto  (griech.)  war  in  der  altgi'iechi sehen  Musik  die  Bezeichnung 
für  die  verminderte  Quinte,  also  für  h—fj  e—b  u.  s.  w.;  ebenso  Hemiditonos 
diejenige  für  die  kleine  Terz. 

Hemiolie  (aus  dem  Griech.)  findet  in  der  musikalischen  Fachsprache  durch 
Baini  in  seinem  "Werke  über  Palestrina  wiederum  Anwendung,  indem  derselbe 
als  Kennzeichen  der  der  zweiten  Epoche  angehörigen  Werke  dieses  Meisters 
anführt,  dass  darin  H.n  enthalten  seien,  grössere  und  kleinere;  letztere  seien 
durch  ganz  schwarze  Noten  dargestellt.  Die  Bedeutung  dieses  Fachausdrucks 
ist  uns  durchaus  unverständlich  und  glaubtauch  Kandier  (s.d.),  wie  derselbe 
in  der  Bearbeitung  des  angeführten  Werkes  S.  159  ausspricht,  dass  nur  eine 
Erklärung  Baini's  selbst  diese  klar  zu  machen  vermöchte.  Das  Wort  selbst, 
vom  griechischen  liAiohog  herkommend,  das  anderthalb  oder  noch  ein  halb  mal 
so  viel  bedeutet,  bietet  wenig  Anhalt  dazu,  seine  Bedeutung  als  Fachausdruck 
in  der  Musik  fest  zu  ergründen.    Es  lässt  sich  nur  vermuthen,  dass  das  Auftreten 


Hemitonium  —  Hemmkeile.  193 

eines  Tripeltaktes  —  der  also  anderthalb  solcher  Zeittheile  besitzen  musste, 
wie  ein  sonst  als  Ganzes  betrachteter  zweitheiliger  Takt  —  zuerst  eine  H. 
genannt  wurde,  und  bald  für  beide,  gerade  und  ungerade,  getheilte  Takte  der 
Gattungsname  H.  in  Gebrauch  kam.  Ferner  lässt  sich  vermuthen,  dass  die 
ambrosianische  Vermengung  gerader  und  ungerader  Rhythmen  seit  dem  10.  Jahr- 
hundert in  den  harmonisirten  Kunstwerken  auch  Eingang  fand,  und  dass 
Palestrina  in  der  zweiten  Epoche  seiner  Kunstschöpfungen  diese  rhythmische 
Bereicherung  als  kunsthebend  erachtete  und  pflegte.  Um  nun  die  verschiedenen 
H.n  zu  kennzeichnen,  so  scheint  Palestrina  die  Schreibweise  der  eigentlichen 
H.n  durch  schwarze  Noten  im  Gegensatze  zu  den  sonst  nur  gebräuchlichen 
weissen  eingeführt  zu  haben ,  um  den  Ausführenden  nicht  auf  den  Wertli  der 
Einheit,  sondern  nur  auf  die  Zahl  der  Einheiten  aufmerksam  zu  machen,  welche 
zu  einem  Ganzen  gehörten;  die  Einheit  hatte  stets  dieselbe  Zeitlänge.  TJm 
die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  findet  man  eine  ähnliche  Auffassung  über  die 
Bedeutung  des  Fachausdrucks  H,  »Hemiola  sind  im  Tripel- Takte  schwartz 
gemachte  Noten,  welche  die  lieben  Alten  aus  guter  Meinung,  den  Anfängern 
zum  besten  erfunden  haben,  damit  dieselben  bey  Erblickung  derselben  ein 
Notabene  und  Kennzeichen  hätten,  dass  solche  Noten  nach  dem  Takte  müssten 
syncopiret  und  getheilet  werden,  welches  aber  heut  zu  Tage  mehrentheils  ab- 
gekommen.« Dass  solche  Taktvermengungen  später  aus  der  eigentlichen  Kunst 
immer  mehr  verschwanden,  bewirkte  die  Entwickelung  derselben;  dass  sie  aber 
in  früheren  Zeiten  in  derselben  besondern  Werth  hatten,  verrathen  noch  heute 
uns  gebliebene  Beste  der  musikalischen  Vergangenheit,  von  denen  nur  einige 
rhythmische  Choräle,  der  "Wosnak  (s.  d.),  ein  böhmischer  Nationaltanz  und 
viele  Volkslieder  angeführt  seien.  S.  auch  Mensuralnotenschrift  und  den 
Artikel  Color.  2. 

Hemitonium  (latein.-griech.)  ist  der  antike  Name  für  Halbton.  Dem  ent- 
sprechend war  H.  majus  der  grosse  Halbton  oder  die  auf  zwei  Stufen  liegende 
kleine  Secunde,  z.  B.  e—f;  H.  minus,  die  auf  derselben  Stufe  liegende  über- 
mässige Prime,  z.  B.  c—cis. 

Hemmel,  Siegismund,  deutscher  Componist  des  16.  Jahrhunderts,  war 
um  1550  fürstl.  würtembergischer  Kapellmeister  in  Stuttgart  und  hat  »den 
ganzen  Psalter  David's  mit  vier  Stimmen«  herausgegeben, 

Heiumerleiu,  Johann  Nicolaus,  fürstbischöfl.  Kammermusicus  zu  Lem- 
berg,  veröfi"entlichte  1748  eine  Messe  seiner  Composition.  —  Bekannter  ist  der 
etwas  später  lebende  Joseph  H.,  der  als  fertiger  Clavierspieler  und  Componist 
gerühmt,  1780  als  Musiklehrer  in  Frankfurt  a.  M.  wirkte  und  1786  bei  einer 
Gräfin  von  Vorberg  angestellt  war.  Später  ging  er  nach  Paris  und  ist  daselbst 
um  1799  gestorben.  Von  seinen  Compositioneu  hat  er  veröffentlicht:  vier 
Clavierconcerte ,  sechs  Trios,  24  Sonaten  für  Ciavier  und  Violine,  sechs  vier- 
händige Ciavier- Sonaten  u.  s.  w. 

Hemmis,  Franz,  oder  Hemm  es,  deutscher  Ciavier  und  Orgelspieler,  war 
im  letzten  Viertel  des  18.  Jahrhunderts  Organist  in  Osnabrück  und  hat  Kirchen- 
melodien und  Ciavierstücke  seiner  Composition  herausgegeben. 

Hemmkeile,  Hemmklötze,  Registerzapfen  oder  Sperrzapfen  nennen  die 
Orgelbauer  hölzerne  Keile  oder  Klötze  von  2,6  Cm.  Länge,  1,3  Cm.  Breite 
und  1,6  Cm.  Dicke,  die  auf  der  Lade  mit  Stiften  befestigt  und  aufgeleimt  sind. 
Dieselben  befinden  sich  zu  Ende  der  Lade,  den  Parallelwippen  gerade  gegen- 
über, und  dienen  dazu,  den  Aufzug  der  Parallelen  genau  zu  bestimmen.  Um 
dies  zu  vermögen,  befindet  sich  in  der  Parallelenmitte,  von  dem  dem  Schlüssel 
derselben  entgegengesetzten  Ende  ab  bis  zur  als  nothwendig  erachteten  Stelle, 
eine  Binne,  die  genau  die  Ausdehnung  des  entsprechenden  Keiles  hat  und  eine 
leichte  und  correkte  Bewegung  der  Parallelen  gestattet.  Beim  Aufziehen  eines 
Registers  wird  durch  das  plötzliche  Aufhören  der  Rinne  die  "Weiterbewegung 
der  Parallele  verhindert.  Statt  der  Keile  findet  man  auch  von  einigen  Orgel- 
bauern starke  Stifte  aus  gehärtetem  Messingdraht  in  gleicher  Weise  zu  gleichem 

Musikal,    Convera.-Lexikon.    V.  1^ 


194  Hemmstifte  —  Henkel. 

Zwecke  angewandt,  welche  man  dann  wohl  He  mm  stifte  nennt.  Unter  allen 
Umständen  ist  eine  genaue  Arbeit  der  H.  und  der  Rinne  geboten.  Die 
Wirkung  der  H.  ist  dann  bei  einem  vollständigen  Aufziehen  eines  Registers 
folgende:  Die  übereinander  befindlichen  Löcher  in  der  Windlade  und  im 
Stocke  (s.  d.)  haben  zwischen  sich  die  gleich  grossen  Oeffnungen  der  Pa- 
rallelen. 2. 

Hemmstifte,  s.  Hemmkeile. 

Hempel,  Georg  Christoph,  Kammermusicus  und  Violinist  der  herzogl. 
Kapelle  zu  Grotha,  geboren  daselbst  1715,  componirte  Sinfonien,  Concerte  und 
Solos  für  die  Violine  und  starb  am  4.  Mai  1801  zu  Gotha.  —  Ein  Kirchen- 
componist  gleichen  Namens,  Karl  Wilhelm  H.,  geboren  1777  zu  Chelsea  bei 
London,  war  1804   Organist  an  der   St.  Marienkirche  zu   Truro. 

Hempsou,  eigentlich  Denis  a  Hampsy,  Zeit-  und  Kunstgenosse  des  be- 
rühmten Harfners  Carolan,  wurde  1695  zu  Craigmore  bei  Garvagh  in  der 
G-rafschaft  Londonderry  geboren,  woselbst  seine  Familie  bedeutende  Farmen 
und  Ländereien  besass.  Da  H.  schon  früh  sehr  gute  Anlagen  zeigte  und  durch 
die  Blattern  erblindet  war,  so  beschlossen  seine  Eltern,  ihm  eine  musikalische 
Ausbildung  geben  zu  lassen.  In  seinem  zwölften  Jahre  begann  er  demgemäss 
das  Studium  der  Harfe  unter  dem  berühmten  O'Cahan,  welchem  später  noch 
verschiedene  bedeutende  Lehrmeister  folgten,  und  achtzehn  Jahre  alt,  wurde  H. 
bereits  Harfenspieler  des  Kanzlers  Canning  zu  Garvagh,  bei  dem  er  jedoch 
nur  ein  halbes  Jahr  verblieb.  Nach  der  Sitte  seiner  Zeit  widmete  er  sich  dem 
Berufe  eines  Wanderlebens,  durchzog  ganz  Irland  und  Schottland  und  kehrte 
nach  zehnjähriger  Abwesenheit,  an  Ruhm  und  Ehren  reich,  in  seine  Heimath 
zurück.  Im  J.  1745  war  er  abermals  in  Schottland,  wo  er  u.  A.  die  Ehre 
erfuhr,  vor  dem  damaligen  Prätendenten  Karl  Stuart  im  Ediuburger  Schloss 
zu  spielen  und  von  diesem  ausgezeichnet  zu  werden.  Noch  in  seinem  97.  Jahre 
erschien  H.  auf  der  grossen  nationalen  Harfenversammlung,  welche  am  13.,  14. 
und  15.  Juli  1792  zu  Belfast  abgehalten  wurde,  und  erregte  dort  durch  seine 
eigenthümliche,  acht  nationale  und  traditionelle  Spielweise,  sowie  durch  sein 
staunenswerthes  Gedächtniss  im  Recitiren  alter  Volkslieder  das  grösste  Auf- 
sehen und  die  ungetheilteste  Anerkennung  aller  dort  versammelten  musi- 
kalischen Koi'yphäen.  H.  starb  1807  in  dem  ungewöhnlich  hohen  Alter  von 
112  Jahren  zu  Magilligan  (Derry)  und  hinterliess  eine  Tochter  und  zahl- 
reiche Enkel.  Fr. 

Heudekasyllaben  (aus  dem  Griech.),  nach  dem  altgriechischen  Dichter 
Phaläkos  auch  Phaläkische  Verse  genannt,  heissen  elfsylbige,  trochäisch- 
daktylische  Verse,  die  sich  besonders  für  kleine  poetische  Tändeleien  eignen 
und  unter  den  Römern  von  Catullus  und  Martialis  angewendet  wurden.  Das 
Schema  derselben  ist:   —  b:^  |  —  v^  >^  —  I  O  —  •^  —  C^. 

Henfliug,  Konrad,  deutscher  Mathematiker  zu  Anfang  des  18.  Jahrhun- 
derts, war  Hofrath  zu  Anspach  und  starb  daselbst  im  J.  1720.  Er  schrieb 
u.  A.  über  Intervalle  und  Temperatur  und  veröffentlichte  eine  Schrift  »De  novo 
systemate  musico.^i 

Henkel,  fruchtbarer  Componist  von  Orgel-  und  Kirchenwerken,  geboren 
am  18.  Juni  1780  zu  Fulda,  war  ein  Schüler  und  Freund  des  berühmten 
Organisten  Vierling,  der  die  Traditionen  Seb.  Bach's  auf  ihn  übertrug.  Schon 
früh  wirkte  H.  als  Kammermusicus  in  der  fürstbischöfl.  Kapelle  seiner  Vater- 
stadt und  wurde  1805  Musiklehrer  an  der  dortigen  Normalschule.  In  rastloser 
Thätigkeit  widmete  er  sich  seitdem  und  bis  ins  hohe  Alter  der  Heranbildung 
talentvoller  Schüler  und  der  Vollendung  eigener  Compositionen.  Schon  1801 
hatte  er  ein  Fuldaer  Choralbuch  herausgegeben,  welches  eine  einflussreiche  Um- 
wandlung des  Kirchengesanges  in  der  ganzen  Diöcese  zu  Wege  brachte  und 
1846  verbessert  neu  herausgegeben  wurde.  Für  das  Fuldaer  Gymnasium,  als 
dessen  Lehrer  er  von  1816  bis  1848  wirkte,  betheiligte  er  sich  an  der  Heraus- 
gabe von   drei   verschiedenen   Choralbüchern,  die  nicht  wenig  treffliche  Melodien 


Henneberg.  195 

von  ihm  selbst  enthalten.  Ferner  veröffentlichte  er  von  etwa  200  Compositionen : 
drei  Requien,  viele  Orgelstücke  und  Schulgesänge,  100  Versette,  Ciavierstücke, 
Duo -Sonaten,  vierhändige  Ciaviersachen,  Lieder  und  Gesänge  u.  s.  w.  Er 
starb  am  4.  März  1851  zu  Fulda.  —  Sein  ältester  Sohn,  Greorg  Andreas 
H.,  geboren  am  4.  Febr.  1805  zu  Fulda,  erhielt  vom  Vater  die  gediegenste 
musikalische  Anleitung  und  machte  schon  im  11.  Jahre  Compositionsversuche. 
Jedoch  für  das  B-echtsstudium  bestimmt,  bezog  er  1824  die  Universität  zu 
Marbui'g.  Zur  Musik  sich  zurückwendend,  suchte  er  eine  Lebensstellung  in 
diesem  Berufe  zu  gewinnen,  aber  vergebens,  denn  die  Julirevolution  vereitelte 
eine  ihm  bereits  zugesicherte  Anstellung  an  Choron's  Musikinstitut  in  Paris, 
und  confessionelle  Rücksichten  machten  eine  Berufung  als  Hoforgauist  in  Ko- 
burg  rückgängig.  H.  nahm,  nachdem  auch  einige  andere  derartige  "Versuche 
gescheitert  waren,  seine  juristischen  Studien  wieder  auf  und  absolvirte  nach 
zweijährigem  Studium  das  Examen.  Endlich  im  J.  1837  erhielt  er  die  ersehnte 
Anstellung  im  musikalischen  Fache  und  zwar  als  Lehrer  an  dem  neu  errichteten 
Schullehrer- Seminar  zu  Fulda.  Auch  seine  Compositionen,  die  selbst  Mendels- 
sohn's  Lob  erfuhren,  brachen  sich  nun  Bahn,  und  es  erschienen  im  Druck: 
eine  Ouvertüre  zu  "Wallenstein's  Lager,  eine  Sonate  für  Pianoforte  und  Violine, 
Männergesänge,  Ciavier-  und  Orgelstücke.  Sinfonien,  Messen,  Motetten,  Ouver- 
türen u.  V.  A.  von  ihm  ist  dagegen  nicht  gedruckt  in  die  Oeffentlichkeit  ge- 
langt. Für  einen  militärischen  Trauermarsch  erhielt  er  1848  vom  Kriegs- 
ministerium in  Paris  den  Preis.  Als  Musikdirektor  seines  Seminars  starb  er 
am  5.  April  1871  zu  Fulda.  ■ —  Sein  jüngerer  Bruder,  Heinrich  H.,  geboren 
am  14.  Febr.  1822  zu  Fulda,  war  gleichfalls  ein  Schüler  seines  Vaters,  dem 
er  im  Organistenamte  schon  früh  assistirte.  Zur  weiteren  Ausbildung,  beson- 
ders im  Pianofortespiel,  übergab  er  sich  1839  der  Unterweisung  Aloys  Schmitt's 
in  Frankfurt  a.  M.  und  studirte  zugleich  unter  Kessler  und  dem  Hofrath  Andre 
Theorie  und  Tonsatz.  Bei  dem  Letzteren,  dem  langjährigen  vertrauten  Freund 
seiner  Familie,  ordnete  er  damals  die  Mozart'schen  Handschriften  und  gab  das 
wichtige  »Thematische  Verzeichniss  der  Handschriften  Mozart'sa  heraus.  In 
seine  Vaterstadt  zurückgekehrt,  veranstg,ltete  er  Concerte,  gründete  zwei  Gesang- 
vereine und  leitete  ein  Jahr  hindurch  für  seinen  schwer  erkrankten  Bruder 
den  Musikunterricht  am  Schullehrer- Seminare.  Im  J.  1844  wurde  er  als 
Organist  an  die  Kirche  St.  Eustache  nach  Paris  berufen;  ein  Brand  der  Orgel 
daselbst  vereitelte  jedoch  den  Antritt  des  Engagements.  Von  1846  bis  1847 
lebte  H.  in  Leipzig,  das  für  ihn  musikalisch  sehr  anregend  war.  Das  Jahr 
1848  rief  ihn  wieder  in  die  Heimath,  von  der  aus  er  1849  seinen  Wohnsitz 
nach  Frankfurt  a.  M.  verlegte  und  sich  dauernd  dem  Lehrberufe  widmete. 
Hier  gründete  er  mit  mehreren  CoUegen  die  Frankfurter  Musikschule,  deren 
Vorstande  er  noch  gegenwärtig  angehört,  sowie  selbstständig  einen  Kirchen- 
Gesangverein,  den  er  lange  Jahre  hindurch  dirigirte.  Ausserdem  trat  er  mit 
grösstem  Erfolge  öffentlich  als  Pianist  auf  und  gab  und  giebt  noch  alljährlich 
stark  besuchte  Kammermusikconcerte  mit  ausgesprochen  classischen  Programmen. 
Seine  Compositionen  bestehen  in  Chorgesängen  und  Liedern,  welche  letzteren 
zum  Theil  sehr  beliebt  geworden  sind,  sowie  in  Salon-  und  Charakterstücken 
für  Pianoforte.  Ausserdem  gab  er  eine  gute  Clavierschule  und  Uebungs- 
stücke  heraus. 

Henneberg,  Johann  Baptist,  trefflicher  Orgel-  und  Ciavierspieler,  sowie 
geschickter  Dirigent,  geboren  am  6.  Decbr.  1768  zu  Wien  und  von  seinem 
Vater,  dem  Organisten  im  Schottenstift,  musikalisch  ausgebildet,  war  seit  1790 
Kapellmeister  am  Schikaneder'schen  Theater  und  später,  nachdem  er  einige 
Jahre  auf  dem  Lande  privatisirt  hatte,  Organist  und  Operndirigent  des  Fürsten 
Nicolaus  von  Eszterhazy.  Nach  Auflösung  der  fürstl.  Kapelle  ging  er  wieder 
nach  Wien,  erhielt  die  Ernennung  als  Chorregent  und  Kapellmeister  an  der 
Stadt-Pfarrkirche  und  1818,  als  Nachfolger  Seb.  Oehlinger's,  die  kaiserl.  Hof- 
organistenstelle.    Er  starb  am   27.   Novbr.   1822  in  Wien    und  hinterllcss  zalil- 

13* 


196  Henner  —  Hennig. 

reiche  Compositionen,  als  Singspiele,  Sinfonien,  Ouvertüren,  Cantaten,  Kirchen- 
sachen, Lieder,  Männerchöre,  Notturnos  für  Männerstimmen  allein  und  auch  mit 
concertirenden  Blasinstrumenten  u.  s.  w. 

Henner,  Freiherr  von,  ein  vorzüglicher  Musikdilettant,  der  um  1796  in 
Prag  als  k.  k.  Landesunterkämmerer  angestellt  war.  Er  spielte  in  hervor- 
ragender Tüchtigkeit  Violine  und  componirte  Sinfonien,  Quartette  u.  dergl, 

Ueunes,  (G-oswin)  Aloys,  deutscher  Masikpädagog  und  Componist,  ge- 
boren am  8.  Septbr.  1827  zu  Aachen  als  der  Sohn  eines  dortigen  Secretärs 
bei  der  Bürgermeisterei,  bekundete  schon  frühzeitig  bedeutende  musikalische 
Anlagen,  indem  er  durch  sich  selbst  Guitarre  und  Ciavier  spielen  lernte.  Da 
er  für  das  Studium  der  Theologie  bestimmt  war,  so  erhielt  er  auch  keinen 
nennenswerthen  Musikunterricht  weiter  und  durchlief  das  Aachener  Gymnasium. 
Als  Primaner  desselben,  in  seinem  16.  Jahre,  entschloss  er  sich,  zum  Postwesen 
überzugehen  und  versah  innerhalb  der  nächsten  sechs  Jahre  den  Speditions- 
dienst in  Herford,  Olpe,  Köln,  Duisburg,  Aachen,  Eupen,  Haynau,  Neisse  und 
Deutz.  Nachdem  er  in  Berlin  das  Staatsexamen  bestanden  und  der  einjährigen 
Militär  -  Dienstzeit  genügt  hatte,  folgte  er,  24  Jahre  alt,  seinem  Hange  zur 
Musik,  widmete  sich  zwei  Jahre  hindurch  den  künstlerischen  Studien  auf  dem 
Couservatorium  zu  Köln  und  begann  seine  neue  Laufbahn  als  Musiklehrer  in 
Creuznach,  die  er  in  Alzey,  wo  er  auch  Dirigent  des  Gesangvereins  wurde, 
und  in  Mainz  fortsetzte.  Im  J.  1863  liess  er  sich  mit  seiner  Familie  in  Wies- 
baden nieder  und  that  sich  dort,  wie  auch  schon  in  Mainz,  als  Componist  von 
Gesängen,  Liedern  und  Clavier-Saloustücken  hervor,  von  denen  gegen  100  Hefte 
im  -Druck  erschienen.  Sein  bedeutendstes,  mit  einem  anerkennungswerthen 
Fleiss  und  Eifer  betriebenes  Werk  sind  die  weitverbreiteten  instructiven  »Cla« 
vier-Unterrichtsbriefe«,  welche  einer  neuen  Methode  für  den  Elementar-TJnterricht 
Bahn  brachen  und,  so  vielfach  sie  auch  angefeindet  wurden,  zahlreiche  Auflagen 
erlebten  und  über  Deutschland  hinausdrangen.  Im  Intei'esse  dieses  Werks 
und  seiner  talentvollen  Tochter  und  Schülerin,  Therese  H.,  geboren  1861 
zu  Wiesbaden,  welche  als  kleine  Concertgeberin  und  Pianistin  Aufsehen  erregte, 
nahm  H.  1872  seinen  bleibenden  Aufenthalt  in  Berlin,  wo  er  gleichfalls  als 
Musiklehrer  wirkt. 

Heuuig,  Christian  Friedrich,  vortrefflicher  deutscher  Componist,  war 
in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  Kapellmeister  des  Fürsten  Franz 
Sulkowsky  in  Sorau.  Gedruckt  sind  von  seinen  Werken  einige  Ciavierstücke, 
Trios,  Quodlibets,  besonders  aber  Gesänge  für  Freimaurer  und  Lieder  mit 
Clavierbegleitung,  die  um  1780  ungemein  beliebt  und  verbreitet  waren.  Sonst 
kennt  man  noch  von  ihm  Sinfonien  und  andere  Orchesterstücke,  sowie  Streich- 
quartette u.  s.   w.,  welche   Sachkenntniss  und  Gediegenheit  bekunden. 

Heuni^,  Karl,  Organist  und  Componist  in  Berlin,  geboren  daselbst  am 
23.  April  1819,  wirkte,  seit  1847  angestellt  an  der  St.  Pauls-  und  seit  1851 
bis  zu  seinem  Tode,  am  18.  April  1873,  an  der  Sophienkirche.  Unter  seiner 
Direktion  standen  der  Männerchor  »Lyra«  und  der  Sophienkirchchor,  die  er 
auf  eine  hohe  Stufe  der  Leistungsfähigkeit  brachte  und  für  die  er  eine  grosse 
Anzahl  werthvoller  Chorgesänge  weltlichen  und  geistlichen  Inhalts  componirte. 
Dieser  Verdienste  wegen  wurde  er  1863  zum  königl.  Musikdirektor  ernannt. 
Seine  bedeutendsten  Werke  sind  die  Sinfoniecantate  »Die  Sternennacht«  (1854 
aufgeführt),  sowie  ein  Königspsalm  (1849)  und  ein  Friedenspsalm  (1854),  beide 
für  Soli,  Chor  und  Orchester;  ausserdem  Lieder  und  Claviercompositionen.  — 
Ein  Sohn  von  ihm,  gleichfalls  Karl  H.  geheissen,  wirkt  als  Organist,  Dirigent 
des  St.  Pauli -Kirchenchors  und  Vorsteher  eines  Musikinstituts  für  Pianoforte 
und  Gesang  sehr  verdienstvoll  und  einflussreich  in  Posen. 

Hennig,  Rudolph,  bedeutender  deutscher  Violoncellist,  geboren  1848  zu 
Güstrow  als  der  Sohn  des  dortigen  Musikdirektors,  machte  seine  höheren  musi- 
kalischen Studien  von  1862  bis  1864  auf  dem  Couservatorium  zu  Leipzig  und 
unternahm  1866  eine  Kunstreise  durch  die  Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika. 


Hennigk  —  Henning.  197 

Im  J.  1867  Hess  er  sich  in  New- York  nieder,  folgte  aber  schon  ein  Jahr  später 
einem  Kufe  an  das  Conservatorium  in  Philadelphia,  an  welchem  er  noch  gegen- 
wärtig als  Lehrer  seines  Instruments  erfolgreich  thätig  ist. 

Henuigk,  Heinrich  Julius,  deutscher  Componist  und  Musikschriftsteller, 
geboren  1786  zu  Dresden,  war  bis  zu  seinem  Tode  Organist  an  der  Johannis- 
kirche  daselbst  und  ist  ausser  mit  Compositionen  mit  zwei  musikhistorischen 
Büchern  in  die  Oeffentlichkeit  getreten. 

Henniugr,  Christian,  Cantor  zu  Neu-Ruppin,  veröffentlichte  von  seiner 
Composition  1670  eine  »Abendmusik  für  Discant  und  Bass«. 

Henning,  Karl,  begabter  deutscher  Tonkünstler  und  Verfasser  instructiver 
"Werke,  geboren  am  26.  Febr.  1807  zu  Halberstadt  in  dürftigen  Verhältnissen, 
sah  sich  frühzeitig  auf  Erwerb  durch  die  Musik  angewiesen  und  erlernte  in 
Folge  dessen  fast  alle  gangbaren  Orchesterinstrumente,  für  die  er  ohne  weitere 
Anleitung  componirte,  was  gerade  für  seinen  Bedarf  nöthig  war.  Mit  15  Jahren 
wurde  er  Bassethornbläser  im  Landwehrbataillon  und  später  Trompeter  im 
Kürassierregiment  zu  Halberstadt.  Damals  zeichnete  er  sich  auch  als  Klappen- 
hornist Aufsehen  machend  aus.  Zum  Stabstrompeter  des  achten  Kürassier- 
regiments ernannt,  blieb  er  in  dieser  Stellung  bis  1837,  worauf  er  als  Stadt- 
musikdirektor nach  Zeitz  ging,  dort  viele  Schüler  heranbildete  und  sehr  Ver- 
dienstliches mit  seinem  Orchester  leistete.  Er  starb  1866  zu  Zeitz.  Durch 
zwei  praktisch  eingerichtete  Violin-  und  eine  Violoncelloschule  nebst  vielen 
Uebungsstücken  für  beide  Instrumente  erwarb  er  sich  auch  nach  aussen 
hin  einen  guten  Ruf.  Ausser  diesen  Werken  veröffentlichte  er  noch  leicht 
spielbare  Compositionen  für  Violine  und  für  Violoncello  mit  Pianofortebe- 
gleitung und  für  zwei  Violinen,  die  sich  als  recht  brauchbar  für  Anfänger  er- 
wiesen haben. 

Henning,  Karl  Wilhelm,  guter  Violinist  und  Dirigent,  geboren  am  31. 
Jan.  1784  zu  Berlin,  erhielt  von  seinem  Vater,  einem  Regimentsmusiker,  den 
ersten  nothdürftigen  Musikunterricht,  der  ihn  befähigte,  in  Tabagien  und  Tanz- 
localen  kümmerlich  sein  Brod  zu  verdienen.  Durch  fleissiges  Selbststudium 
erwarb  er  sich  die  Gunst  Seidler's,  der  ihn  hierauf  unterwies  und  mit  den 
besten  musikalischen  Vorbildern  in  Verbindung  brachte.  Bald  konnte  er  als 
Violinist  in  das  Orchester  der  italienischen  Oper  treten,  bei  A.  Gürrlich  Com- 
positionslehre  studiren  und  1804  als  Violinspieler  mit  einem  selbstcomponirten 
Concertstück  unter  Beifall  öffentlich  auftreten.  Im  J.  1807  wurde  er  beim 
Orchester  des  königl.  Nationaltheaters  angestellt  und  1811  als  Kammermusiker 
der  Hofkapelle,  in  welcher  er  1822  den  Titel  eines  königl.  Concertmeisters  sich, 
erwarb.  Von  1823  bis  1826  versah  er  die  Musikdirektorstelle  am  neu  errich- 
teten königstädtischen  Theater,  trat  aber  dann  als  wirklicher  Concertmeister  in 
die  königl.  Kapelle  zurück.  Im  J,  1833  ward  er  bei  Errichtung  der  musi- 
kalischen Section  der  Akademie  der  Künste  zum  Mitglied  derselben  ernannt, 
erhielt  1836  den  Titel  königl,  Musikdirektor  und  wurde  von  Friedrich  Wil- 
helm IV.  1840  zum  königl.  Kapellmeister  erhoben,  sowie  bald  darauf  mit  dem 
Rothen  Adlerorden  decorirt.  Nach  fünfzigjähriger  Dienstzeit  wurde  er  1848 
ehrenvoll  pensionirt,  bewahrte  aber  sein  Interesse  für  die  Tonkunst  und  übte 
selbst  noch  täglich  auf  der  Violine.  Er  starb  im  April  1867  zu  Berlin.  Com- 
ponirt  hat  er  die  dreiaktige  komische  Oper  »Das  Rosenmädchen«  (1825  auf- 
geführt), Musiken  zu  30  Schauspielen,  Melodramen  und  zu  zwei  Ballets,  ferner 
Cantaten  und  Gesänge,  ein  Streichsextett,  Violinquartette,  Trios  und  Duette, 
endlich  Sonaten  und  Solostücke  für  Violine  und  für  Violoncello,  Als  Violin- 
lehrer hat  H,  eine  ganze  Reihe  von  königl,  Kammermusikern  ausgebildet.  — 
Sein  Bruder,  Albert  H,  geboren  1792  zu  Breslau  und  von  ihm  unterrichtet, 
war  ein  talentvoller  Geiger  und  Lehrer  seines  Instruments.  Seit  1811  Kammer- 
musicus  und  Violinist  der  königl,  Opernkapelle,  rückte  er  zum  Sinfoniedirigenten 
auf,  starb  aber  schon  1832  zu  Berlin.  Er  hinterliess  einen  Sohn,  Hermann 
H.,    geboren    um  1820    zu  Berlin,    den    sein  Oheim    Karl  Wilhelm  erzog  und 


198  Henning  —  Henschel. 

ausbildete,  so  dass  derselbe  1840  als  königl.  Kammermusiker  in  die  Hofkapelle 
eintreten  konnte,  in  welcher   Stellung  er  noch  gegenwärtig  thätig  ist. 

Heuniug',  Meister,  ausgezeichneter  und  berühmter  deutscher  Orgelbauer 
zur  Zeit  der  "Wende  des  16.  und  17.  Jahrhunderts,  war  anfänglich  Tischler  in 
Hildesheim.  Prätorius  rühmt  H.'s  Orgelwerke  in  dem  Stifte  St.  Blasius  zu 
Braunschweig  und  in  der  St.  Gotthardts- Kirche  zu  Hildesheim,  deren  Dispo- 
sitionen er  auch  mittheilt.  Gestützt  auf  denselben  Gewährsmann,  halten  Einige 
H.  für  den  Erfinder  der  jetzigen  Spahnbälge  in  der  Orgel. 

Henning,  "Wilhelm,  trefflicher  Violoncellist,  geboren  zu  Potsdam  um  1820, 
war  der  Sohn  des  dortigen,  1851  verstorbenen  Direktors  der  Musikschule  des 
Militär -"Waisenhauses.  Gründlich  auf  seinem  Instrumente  ausgebildet,  wurde 
er  1844  als  Kammermusiker  der  königl.  Opernkapelle  in  Berlin  angestellt, 
in  welcher  Stellung  er  noch  gegenwärtig  thätig  ist. 

Henningsen,  Magnus  Peter,  deutscher  Tonkünstler,  geboren  am  10. März 
1655  zu  Hannover,  war  der  Sohn  des  dortigen  Stadtlieutenants  Joachim  H., 
begann  in  Helmstedt  Universitätsstudien,  kam  aber  dann  als  Bassist  in  die 
Kapelle  des  Herzogs  Ferdinand  Albrecht  von  Braunschweig,  wurde  1680  als 
Cantor  nach  Königsberg  in  der  Neumark  und  1688,  nach  Klingenberg's  Tode, 
in  gleicher  Stellung  an  die  Marienkirche  in  Berlin  berufen.  Dort  starb  er 
im  Mai  1702.  Von  seinen  Compositionen  besitzt  die  Berliner  Singakademie 
eine  Motette,  »Der  Gerechte  wird  grünen«  in  Abschrift. 

Henri,  Paul  Emil,  musikkundiger  Theologe,  geboren  am  22.  März  1792 
zu  Potsdam,  war  während  seiner  Studienzeit  auf  der  Universität  zu  Berlin  von 
1809  bis  1813  Mitglied  der  dortigen  Singakademie,  wurde  1815  Prediger  des 
französischen  Waisenhauses  und  1826  Prediger  der  französischen  Kirche  da- 
selbst. Er  starb  am  24.  Novbr.  1853  zu  Berlin  und  hat  mehrere  Schriften 
zur  Geschichte  der  Berliner  Singakademie  (Berlin,  1852)  herausgegeben. 

Henrici,  Heinrich,  trefflicher  deutscher  Tonkünstler,  geboren  1835  zu 
Eberbach  am  Neckar,  besuchte  von  1854  bis  1857,  für  wissenschaftliche  Studien 
bestimmt,  die  Universität  zu  Heidelberg,  trieb  aber  zugleich  sehr  eifrig  Clavier- 
und  Orgelspiel,  sowie  Musiktheorie  und  Compositionslehre.  Von  1856  bis  1859 
führte  er  die  Direktion  des  Liederkranzes  zu  Heidelberg  und  hierauf  bis  1861 
die  des  gleichnamigen  Vereins  in  Karlsruhe.  Im  letzteren  Jahre  wurde  er 
Organist  der  evangelischen  Stadtkirche  in  Karlsruhe  und  übernahm  später  zu- 
gleich wieder  die  Leitung  des  Liederkranzes.  In  diesen  beiden  Stellungen, 
sowie  als  Musiklehrer  wirkt  er  auch  noch  gegenwärtig  sehr  erfolgreich.  Com- 
ponirt  hat  er  Orchester-  und  Chorwerke,  die  bei  ihrer  Aufführung  grossen 
Beifall  fanden. 

Henricns,  lateinisch  für  Heinrich  (s.  d.). 

Henriou,  Paul,  beliebter  französischer  Gesangscomponist,  geboren  am 
20.  Juli  1819  zu  Paris,  schrieb  eine  Unzahl  gefälliger  Romanzen,  von  denen 
nicht  wenige  allgemein  populär  wurden  und  weit  über  Frankreich  hinaus- 
gingen. Im  J.  1854  trat  er  auch  mit  einer  zweiaktigen  komischen  Oper  »  TJne 
rencontre  dans  le  Danuhea  hervor,  welche  in  Paris  gegeben  wurde  und  eine 
freundliche  Aufnahme  fand. 

Henry,  Bonaventure,  französischer  Violinvirtuose  und  Componist  für 
Bein  Instrument,  Hess  sich  1780  im  Goncert  spiritiiel  zu  Paris  hören  und  wurde 
als  erster  Violinist  im  Orchester  des  Theaters  Beaujolais  angestellt.  Er  zeich- 
nete sich  auch  als  Lehrer  und  Componist  aus  und  hat  ein  Violinconcert,  So- 
naten für  zwei  Violinen  und  Bass,  Variationen,  Uebungsstücke ,  Capricen  und 
eine  Schule  für  Violine  veröffentlicht.  Im  J.  1791  lebte  er  noch  in  Paris.  — 
Ein  guter  Clarinettist  gleichen  Namens,  der  auch  für  dieses  Instrument  com- 
ponirte,  lebte  um   1815  in  Paris. 

Henschel,  Georg,  einer  der  bedeutendsten  deutschen  Oratorien-  und  Lieder- 
sänger der  Gegenwart,  wie  überhaupt  ein  vorzüglicher,  vielseitig  gebildeter 
Tonkünstler,  wurde  am  18.  Febr.  1850  zu  Breslau  geboren   und  zeigte  bereits 


Henschel  —  Henselt.  199 

in  seinem  sechsten  Jahre  hervorragende  musikalische  Anlagen,  welche  durch 
L.  Wandelt,  später  durch  Julius  Schäflfer  die  erste  Ausbildung  erfuhren,  so 
dass  er  schon  1862  in  Berlin  öffentlich  als  Pianist  auftreten  konnte.  Im 
J.  1867  verliess  er  das  Breslauer  Gymnasium  und  studirte  auf  dem  Conser- 
vatorium  zu  Leipzig  bei  Richter,  Moscheies  und  Götze  ausschliesslich  Musik. 
Mit  dem  Abgange  des  Letzteren,  seines  Gesanglehrers,  verliess  auch  er  die 
Anstalt  und  begab  sich  1870  nach  Berlin,  wo  er  die  königl.  Hochschule  der 
Musik  besuchte  und  in  der  Composition  ein  Schüler  Friedr.  Kiel's,  im  Gesang 
der  Ad.  Schulze's  wurde.  Von  Berlin  aus  verbreitete  sich  sein  Sängerruf  auf 
Concertreisen  über  Deutschland,  Belgien  und  Holland,  und  auf  Musikfesten  wie 
bei  grossen  Aufführungen  weit  und  breit  ist  seine  Mitwirkung  gesucht.  Seine 
Vorzüge  im  Gesänge  sind  Wohllaut  der  umfangreichen  Baritonstimme,  vorzüg- 
liche Tonbildung  und  Aussprache,  namentlich  aber  acht  musikalische  Auffassung 
und  warme  Innerlichkeit.  Auch  als  Componist  ist  H.  thätig  und  mit  einer 
grossen  Anzahl  von  Liedern,  Clavier-Kanons  und  einer  kanonischen  Orchester- 
suite ehrenvoll  aufgetreten.  Ausserdem  hat  er  ein  Oratorium  und  eine  drei- 
aktige  Oper,  »Friedrich  der  Schöne«,  vollendet. 

Henschel,  Johann  Abraham,  geschickter  deutscher  Orgel-  und  Ciavier- 
spieler, geboren  am  19.  Septbr.  1721  zu  AVohlau,  wurde,  nachdem  er  die  latei- 
nische Schule  daselbst  durchlaufen  hatte,  1740  Lehrer  am  Kinderhospital  zu 
Breslau  und  17-12  Kirchensänger  an  Maria-Magdalena.  Von  1745  an  studirte 
er  in  Jena  Theologie  und  ei-hielt  1748  die  Stelle  des  Cantors  in  Wohlau,  17.53 
die  des  Rectors  zu  Neumarkt.  Letzteres  Amt  gab  er  1762  wieder  auf  und 
lebte  hierauf  in  Breslau  als  Privatlehrer,  bis  er  1773  Cantor  und  Schulcollege 
bei  St.  Bernhardin  wurde.  Als  solcher  starb  er  am  8.  Febr.  1791  und  hinter- 
liess  den  Namen  eines  tüchtigen,  erfahrenen  Musikers. 

Heusei,  Fanny,  s.  Mendelssohn-Bartholdy. 

Hensel,  Gottlob,  deutscher  Tonkünstler,  geboren  um  1765  in  Schlesien, 
war  Organist  an  der  Peter-Paulskirche  zu  Liegnitz  und  trat  als  Componist  mit 
Gesängen  und  Ciavierstücken  hervor. 

Hensel,  Johann  Daniel,  1757  zu  Goldberg  in  Schlesien  geboren,  studirte 
in  Königsberg  und  war  1786  Hofmeister  in  Halle,  wo  er  noch  beim  Musik- 
direktor Türk  Musik  studirte.  Dort  gab  er  1787  ein  Singspiel,  »Cyrus  und 
Cassandra«,  Text  von  Rammler,  heraus.  Im  J.  1794  errichtete  er  in  Hirsch- 
berg eine  Erziehungsanstalt,  in  der  auch  in  der  Musik  unterrichtet  wurde,  und 
veranstaltete  von  Zeit  zu  Zeit  Concerte.  Von  seinen  vielen  Compositionen 
sind  noch  zu  nennen:  die  Oper  »Daphncj«,  die  Operetten  »Die  Geisterbeschwö- 
rung« und  »Die  Geisterinsel«,  das  Oratorium  »Jesus«,  dessen  Text  er  gleichfalls 
verfasst  hat,  ferner  Cantaten,  eine  Clavierschule  (1799  und  1800)  und  »Vor- 
übung für  Clavierspieler«  (2  Hefte).  Die  Oberschlesische  Monatsschrift  von 
1789  Bd.  2  enthält  eine  Abhandlung  >on  ihm,  betitelt:  »Ueber  den  Zustand 
der  Musik  in   Schlesien«. 

Henselt,  Adolph,  einer  der  ausgezeiclmetsten  Pianisten  und  Claviercom- 
ponisten  der  Gegenwart,  wurde  am  12.  Mai  1814  zu  Schwabach  in  Baiern 
geboren,  wo  sein  Vater  Kattunfabrikant  war.  Mit  seinen  Eltern  zog  er  im 
dritten  Jahre  nach  München  und  erhielt  dort  Unterricht  im  Violinspiel.  Da 
ihm  aber  das  Pianoforte  mehr  zusagte,  so  vertauschte  er  die  Instrumente  und 
Hess  sich  vom  Correpetitor  Lasser  in  den  Elementen  des  Ciavierspiels  ausbilden. 
In  seinen  eifrigen  Bestrebungen  hatte  er  das  Glück,  von  einer  ausgezeichneten 
Künstlerin,  der  Geheimräthin  von  Fladt,  einer  ehemaligen  Mitschülerin  C.  M. 
von  Weber's  und  Meyerbeer's  beim  Abt  Vogler,  Unterricht  im  Ciavierspiel  und 
in  der  Harmonielehre  zu  erhalten  und  den  belehrenden  Umgang  Poissl's  zu 
geniessen.  Die  Erstere  wusste  sogar  den  König  Ludwig  I.  von  Baiern  für 
ihren  fleissigen  Schüler  zu  interessiren,  so  dass  derselbe,  17  Jahre  alt,  aus  der 
königl.  Privatkasse  die  Mittel  erhielt,  nach  Weimar  zu  J.  N.  Hummel  zu  gehen, 
um    sich    seiner    höchsten  Ausbildung    zuführen    zu    lassen.     Hier  studirte  nun 


200  Henselt, 

zwar  H.  mit  Eifer  die  "Werke  seines  neuen  Lehrers  und  componirte  unter 
Aufsicht  desselben  auch  selbst  ein  Clavierconcert ,  im  Uebrigen  vermochte  er 
es  aber  nicht,  sich  an  die  Spielmethode  Hummel's  zu  gewöhnen,  da  er  bereits 
einer  durchaus  eigenartigen  Richtung  huldigte,  und  er  kehrte  deshalb  nach 
acht  Monaten  ziemlich  unbefriedigt  nach  München  zurück.  Nach  kurzem 
Aufenthalte  daselbst  begab  er  sich  nach  Wien,  wo  er  zwei  Jahre  lang  bei 
Sechter  contrapunktische  Uebungen  betrieb  und  in  einsiedlerischer  Abgekehrtheit 
von  den  Zerstreuungen  und  Vergnügungen  der  Hauptstadt  mit  Energie  und 
unermüdeter  Zähigkeit  sich  seiner  Vervollkommnung  im  höheren  Ciavierspiele 
hingab.  Unter  dieser  aufreibenden  Beharrlichkeit  litt  endlich  seine  Gesundheit 
so  bedenklich,  dass  die  Aerzte  eine  Erholungsreise  anordneten,  die  H.  1836 
zunächst  nach  Karlsbad,  dann  nach  Berlin  führte.  Obwohl  dort  nur  in  Privat- 
kreisen auftretend,  erregte  die  eigenthümliche  und  in  ihrer  Art  wunderbar 
vollendete  Spielweise  des  jungen  Virtuosen  das  grösste  Aufsehen  und  fand  in 
dem  einflussreichen  Musikkritiker  Ludw.  Rellstab  einen  begeisterten  öffentlichen 
Anwalt,  der  ihn  dem  Publikum  als  den  grössten  Pianisten  seiner  Zeit  pries. 
Nicht  geringer  war  H.'s  Erfolg  in  Dresden,  Weimar  und  Jena,  in  welchen 
letzteren  beiden  Städten  er  einen  längeren  Erholungsaufenthalt  nahm.  Hierauf 
kehrte  er  über  Dresden  und  Leipzig  nach  Berlin  zurück  und  Hess  sich  in  diesen 
Städten,  sowie  in  Breslau,  wo  er  sich  1837  verheirathete,  zum  ersten  und  leider 
auch  zum  letzten  Male  von  einem  grösseren  deutschen  Publikum  in  Concerten 
bewundern.  Hohe  Empfehlungen  führten  ihn  1838  nach  St.  Petersburg  und 
in  die  vornehmsten  dortigen  Kreise,  welche  ihn  durch  Aemter  und  Ehrenstellen 
dauernd  an  die  russische  Hauptstadt  zu  fesseln  wussten.  Zum  Kammervir- 
tuosen der  Kaiserin  ernannt,  spielte  er  fast  nur  in  den  intimen  Kreisen  des 
Hofes  und  unterrichtete  die  kaiserlichen  Kinder;  eine  gleiche  Stellung  nahm 
er  beim  Prinzen  von  Oldenburg  ein.  Später  wurde  er  zum  Inspektor  des 
Musikunterrichts  der  sämmtlichen  weiblichen  Staats-Erziehungsanstalten  ernannt 
und  erhielt  von  seinem  Schüler,  dem  Kaiser  Alexander,  den  "Wladimirorden, 
mit  welchem  der  Adelstitel  verbunden  ist.  Bis  zum  Krimkriege  trat  er  hin 
und  wieder  in  St.  Petersburg  und  auch  in  anderen  Städten  des  russischen 
B-eiches  öffentlich  auf,  in  der  Hauptsache  aber  widmete  er  sich  nur  dem  Musik- 
unterricht und  der  Composition. 

Jährliche  Sommen-eisen  führten  ihn  auch  nach  Deutschland,  besonders 
nach  Berlin  und  Schlesien,  mehr  aber  zu  seiner  Erholung  als  zu  Kunstzwecken. 
Auf  diesen  Reisen  vertritt  er  eine  neue  Art  von  Virtuosität,  die  bescheidene 
Virtuosität,  die  nicht  als  solche  öffentlich  gelten  will,  die  still  kommt  und  still 
wieder  geht.  In  dem  Hause  eines  bevorzugten  Musikfreundes  oder  eines  Piano- 
fortefabrikanten versammelt  er  dann  eine  nur  wenige  Köpfe  zählende  Kunst- 
gemeinde und  spielt  einige  Stunden  hinter  einander  Werke  von  seinen  Lieb- 
lingsmeistern Beethoven,  C.  M.  von  Weber,  Hummel,  Moscheies,  Chopin,  Liszt 
und  von  eigener  Composition,  der  Menge  nach  genug  für  mehrere  Concerte, 
der  Ausdauer  nach  zu  viel  für  mehrere  andere  Virtuosen,  der  Schönheit  nach 
zu  wenig  für  sein  andächtiges  Auditorium.  Sein  Spiel  ist  im  höchsten  Grade 
fesselnd,  voller  Poesie,  charakteristischen  Lebens,  Intelligenz  und  umfasst  die 
Totalität  der  modernen  Technik  in  den  verschiedenartigen  Schattirungen:  er 
singt  am  Ciavier  wie  Thalberg,  dichtet  und  träumt  wie  Chopin,  schreitet  als 
ein  Hercules  einher  wie  Liszt,  stets  liebevoll  dem  Genius  hingegeben,  den  er  gerade 
darstellen  will.  Hätte  er  seine  Anspruchslosigkeit  und  seine  Scheu  vor  dem 
grossen  Concertsaale  abzulegen  vermocht,  so  würde  er  als  ein  im  seltensten 
Maasse  feiner,  kunstgereifter  und  gediegener  Pianist  Epoche  in  der  Musikwelt 
gemacht  und  Tausenden  von  Strebenden  zum  glänzenden  Beispiel  gedient  haben. 
Seine  Compositionen  sind  nicht  der  Zahl,  aber  ihrem  Kunstwerthe  nach  be- 
deutend. Sie  bestehen  in  Etüden,  welche  in  der  Ciavierliteratur  zu  den  besten 
vorhandenen  zählen,  in  einem  Concert,  einem  Duo  und  einem  Trio  von  hoher 
VortreflBichkeit    und   Schönheit,    in  Variationen,    glänzenden   Salonstücken    und 


Henstridge  —  Hentschel.  201 

einer  grösseren  Reihe  von  Tranescriptionen  und  Bearbeitungen  "Weber'scher, 
Beethoven'scher  und  Hummersclier  "Werke  für  ein  und  zwei  Pianofortes.  Den 
J.  B.  Cramer'sclien  Etüden  hat  er  durch  selbstständige,  geistvolle  Hinzufügung 
einer  zweiten  Ciavierstimme  einen  melodischen,  neuen  Reiz  verliehen.  Frische, 
eigenartige  Melodik,  warme  Empfindung  und  sorgsame  Arbeit  sind  die  Kenn- 
zeichen aller  Werke  H.'s,  denen  überdies  der  Adel  und  die  überzeugende,  hin- 
reissende Gewalt  der  reinsten  Gefühlssprache  eigen  ist. 

Henstridg-e,  Daniel,  berühmter  englischer  Kirchencomponist,  war  um  1710 
als  Organist  an  der  Kathedralkirche  zu  Canterbury  angestellt. 

Hentschel,  Ernst  Julius,  vortrefflicher  deutscher  Schul-  und  ]\Iusik- 
pädagog,  geboren  am  26.  Juli  1804  zu  Zudel  bei  Görlitz,  erhielt  den  ersten 
allgemeinen  Unterricht  von  seinem  Grossvater,  dem  Organisten  Hohberg  in 
Langenwaldau  bei  Liegnitz  und,  verbunden  mit  Ciavier-  und  Violinspiel,  nach 
dessen  Tode,  im  J.  1811,  vom  Organisten  Prüfer  daselbst.  Seine  weitere  Aus- 
bildung fand  er  seit  1815  in  der  Pensionsanstalt  des  Pfarrers  Balthasar  und 
von  1817  an  beim  Cantor  Speer  in  Kroitzsch  an  der  Katzbach.  Im  J.  1823 
ging  H.  auf  Staatskosten  nach  Berlin,  um  Logier's  neues  Musiksystem  an  Ort 
und  Stelle  zu  studiren,  und  wurde  1824  als  dritter  ordentlicher  Lehrer  an  das 
Seminar  nach  "Weissenfels  berufen,  an  dem  er  1826  in  die  zweite  Stelle  auf- 
rückte. Zugleich  übernahm  er  den  gesammten  Musikunterricht  und  widmete 
sich  demselben  dort  und  seit  1832  an  der  zum  Seminar  vorbereitenden  Prä- 
parandenanstalt  mit  einer  Hingebung  und  einem  Geschick,  welches  die  treff- 
lichsten Früchte  trug.  Vom  Staate  unterstützt,  hatte  er  im  Sommer  1830  eine 
pädagogische  Reise  nach  dem  Rhein  und  nach  Süddeutschland  unternommen, 
die  nicht  ohne  vortheilhaften  Einfluss  auf  sein  weiteres  verdienstvolles  Wirken 
blieb.  In  Wort,  Schrift  und  Composition  vertrat  er  unablässig  den  gediegenen 
Standpunkt  der  TJnterrichtsfrage,  wie  er  ihn  tagtäglich  praktisch  verwirklichte, 
und  eine  unabsehbare  Reihe  tüchtiger  Schüler  trug  seinen  Ruf  in  alle  Theile 
des  Landes.  Seine  Verdienste  wurden  durch  Verleihung  des  Titels  eines  königl. 
Musikdirektors  und  zweier  preussischer  Orden  auch  von  höchster  Seite  aner- 
kannt. In  voller  Rüstigkeit,  geehrt  und  geachtet,  ist  er  noch  gegenwärtig  in 
seinen  pädagogischen  Stellungen  zu  Weissenfeis  thätig.  Ausser  mehreren  weit 
verbreiteten  Elementar-Schulliederbüchern  (»Kinderharfe«,  »Liederhain«  u.  s.  w.) 
hat  er  ein  »Evangelisches  Choralbuch  mit  Zwischenspielen«  herausgegeben, 
welches  bis  zur  siebenten  Auflage  vorgeschritten  ist.  Die  von  ihm  begründete 
und  lange  Jahre  hindurch  redigirte  pädagogisch  -  musikalische  Monatsschrift 
»Euterpe«,  sowie  seine  zahlreichen  Abhandlungen  und  Aufsätze  über  musika- 
lische und  Schulgegenstände  in  verschiedenen  pädagogischen  Zeitschriften,  die 
stets  den  denkenden  Lehrer  kennzeichnen,  haben  auch  in  grösserem  Umkreise 
wesentlich  zur  Fortbildung  deutscher  Schullehrer  beigetragen. 

Hentsclielj  Franz,  deutscher  Componist  und  Dirigent,  geboren  am  6,Novbr. 
1814  zu  Berlin,  trat,  von  früh  auf  mit  Musik  beschäftigt,  1833  als  Accessist 
für  Flöte  und  Contrabass  in  die  königl.  Kapelle,  studirte  seit  1836  Contra- 
punkt bei  Grell  und  A.  W.  Bach  und  von  1838  bis  1841  Composition  bei 
A.  B.  Marx.  Im  J.  1843  ging  er  als  Musikdirektor  an  das  Stadttheater  zu 
Erfurt,  1845  in  gleicher  Eigenschaft  nach  Altenburg  und  kehrte  dann  nach 
Berlin  zurück,  wo  er  von  1848  bis  1851  die  musikalischen  Anfführungen  des 
Privattheaters  Urania  dirigirte  und  bis  in  die  Gegenwart  hinein  Musikunterricht 
ertheilte.  Er  componirte  eine  Oper,  »Die  Hexenreise«,  mehrere  Singspiele  und 
melodramatische  Musiken,  die  in  Erfurt  und  im  Königstädtischen  Theater  zu 
Berlin  aufgeführt  wurden,  ebenso  Märsche  und  andere  Stücke  für  Orchester 
und  für  Militärmusik;  ferner  Concerte  für  Flöte,  Oboe,  Clarinette  und  Hörn 
und  endlich  Verschiedenes  für  Ciavier  und  für  Gesang,  Eine  Ciavierschule  von 
ihm  ist  ebenfalls  noch  Manuscript. 

Hentschel,  Theodor,  hervorragender  deutscher  Componist  und  Dirigent, 
geboren    am    28.  März  1830    zu    Schirgiswalde    in    der    Oberlausitz,    war    von 


202  Henyk  —  Herabstrich. 

seinem  neunten  Jahre  an  Alt- Solosänger  an  der  Hofkirche  zu  Dresden  und 
besuchte  weiterhin  drei  Jahre  hindurch  das  Conservatorium  zu  Prag,  an  wel- 
chem Ciavierspiel  und  Gesang  seine  Hauptfächer  waren.  Hierauf  trat  er  wieder- 
holt als  Pianist  und  Componist  in  den  Euterpeconcerten  in  Leipzig  auf  und 
wurde  am  dortigen  Stadttheater,  nachdem  er  eine  Saison  hindurch  als  Opern- 
dirigent in  Halle  fungirt  hatte,  Musik-  und  Chordirektor.  Seine  Erstlingsoper, 
»Matrose  und  Sänger«,  bekundete  zwar  grosses  Talent,  fand  aber  nicht  den 
Beifall  des  Leipziger  Publikums  und  musste  zurückgelegt  werden.  Im  J.  1863 
folgte  H.  dem  Rufe  als  erster  Kapellmeister  an  das  Stadttheater  zu  Bremen, 
in  welcher  Stellung  er  noch  gegenwärtig  mit  Umsicht  und  Energie  thätig  ist. 
Eine  Zeitlang  (von  1867  bis  1872)  führte  er  auch  die  Mitdirektion  dieser 
Bühne.  Im  J.  1874  trat  er  wieder  mit  einer  Oper,  »Der  Königspage«,  hervor, 
welche  einen  sehr .  bedeutenden  localen  Erfolg  errang.  Ausserdem  hat  er 
Ouvertüren  und  sinfonische  Märsche  für  Orchester,  eine  Messe  für  Männerstimmen 
und  Ciavierstücke  componirt. 

Henyk,  einer  der  ausgezeichnetsten  Lautenisten  der  älteren  Zeit,  wurde  in 
der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  zu  Prag  geboren  und  unter  den  ersten 
Virtuosen  seiner  Zeit  genannt. 

Hepp,  Sixtus,  einer  der  vorzüglicheren  deutschen  Ciavier-  und  Orgel- 
spieler der  letzten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts,  war  am  12.  Novbr.  1732  zu 
Geisslingen  in  Würtemberg  geboren  und  hatte  bei  Jomelli  in  Ludwigsbui'g  die 
Composition  studirt.  Er  starb  1801  als  Organist  an  der  neuen  Kirche  zu 
Strassburg.  Von  seiner  Composition  sind  einige  Ciaviersonaten  im  Druck 
erschienen. 

Hept.achordum  (griech.-latein.,  ital. :  ettacorda),  d.  i,  Siebensaiter ,  ein  bis 
Ende  des  18.  Jahrhunderts  sehr  gebräuchlicher  Fachausdruck  in  der  Musik, 
der  auch  noch  beibehalten  worden  war,  als  man  schon  die  meisten  über  Musik 
abhandelnden  Werke  in  deutscher  Sprache  schrieb.  In  der  Blüthezeit  desselben 
hatte  man  für  diesen  Ausdruck  eine  zweifache  Auslegung.  Erstens  nannte  man 
ein  Intervall,  die  Septime  (s.  d.),  und  zweitens  die  diatonische  Folge  von 
sieben  Klängen,  sechs  Ganztöne  und  einen  Halbton,  H.  Der  Halbtou  befand 
sich  jedesmal  von  der  dritten  zur  vierten  Stufe,  und  es  würden  somit  die  jetzt 
c,  d,  e,  f,  g,  a  und  h  genannten  Töne  ein  solches  H.  sein.  Neben  diesem  H. 
bestand  auch  das  mit  zwei  Halbtönen,  den  ersten  zwischen  der  dritten  und 
vierten  und  den  zweiten  zwischen  der  sechsten  und  siebenten  Stufe.  Ersteres 
H.  würde  authentisch  (s.  d.)  und  letzteres  plagialisch  (s,  d.)  genannt 
werden  können.  Noch  düi'fte  hier  nebenbei  bemerkt  werden,  dass  einige  Musik- 
gelehrte das  H.  als  Tonmaass  der  Hebräer  annehmen,  aus  Avelchem  dann,  der 
angewandten  doppelten  Auffassungsweise  halber,  das  Hexachord  (s.  d.)  als 
nothwendiges  Tonmaass  im  Abendlande  entstanden  sei.  Dass  das  H.  mit  sechs 
ganzen  und  einem  halben  Ton  in  allen  Produkten  dasselbe  geben  muss,  wie 
die  moderne  Octave,  ist  wohl  Jedem  einleuchtend,  sowie,  dass  das  andere  H. 
zwei  ineinander  geschobene  Tetrachorde  (s.  d.)  sind,  und  die  erste  derartige 
abendländische  Auffassung  der  griechischen  ihre  Entstehung  verdankt.  2. 

Herabstrich  oder  Herunterstrich  nennt  man  bei  Bogeninstrumenten, 
die  beim  Spielen  wagerecht  gehalten  werden,  wie  Violine,  Viola  und  deren  Ab- 
arten, denjenigen  Bogenstrich,  bei  dem  der  Bogen  vom  Frosche  nach  der  Spitze 
zu  über  die  Saiten  geführt  wird.  An  und  für  sich  hat  dieser  Strich  mehr 
Kraft  als  der  in  entgegengesetzter  Richtung  geführte  Hinaufstrich ,  und  es  ist 
deshalb  Sache  der  Uebung  für  jeden  Spieler,  die  unbedingt  erforderliche  mög- 
lichst gleiche  Klangstärke  bei  beiden  Stricharten  sich  zu  eigen  zu  machen. 
Man  folgt  demnach  allerdings  einer  in  der  physischen  Anlage  begründeten 
Vorschrift,  wenn  man,  wie  dies  fast  selbstverständlich  geschieht,  die  accentuirten 
Noten  durch  H.,  die  accentlosen  durch  Hinaufstrich  ausführt,  jedoch  lässt  sich 
dies  keineswegs  zur  festen  Regel  erheben.  Nur  jedes  melodische  Glied,  welches 
vom  vorangehenden  durch  eine  Pause  getrennt  ist  und  im  Niederschlage  anhebt, 


Heraklides  —  Herbart.  203 

muss  mit  dem  H.  angefangen,  während  Auftaktnoten  von  Melodien  und  Melo- 
diengliedern stets  mit  dem  Hinaufsti'iche  gespielt  werden.  Die  moderne  Or- 
chesterdisciplin  hat  eine  genaue  TJebereinstimmung  der  Bogeninstrumentisten 
in  den  Streicharten  eingeführt,  welche  aber  mehr  aus  ästhetischen,  wie  aus 
praktischen  Rücksichten  geboten  erscheint.     S.  auch  Bogenstrich, 

Heraklides,  ein  altgriechischer  Philosoph  und  Geschichtschreiber  aus 
Heraklea  in  Pontus,  daher  Ponticus,  spottweise  aber  von  den  Alten  Pom- 
picus,  d.  i.  der  Prunkhafte,  genannt,  lebte  um  328  v.  Chr.,  hörte  den  Piaton, 
Speusippos  und  Aristoteles  und  soll  auch  über  Musik  geschrieben  haben. 
Wenigstens  werden  von  späteren  Schriftstellern  verschiedene  Titel  von  ein- 
schlägigen Werken   des  H.  citirt, 

Herault,  Jean  Louis,  französischer  Kirehencomponist ,  war  TJnterkapell- 
meister  des  Königs  Franz  I.  von  Frankreich  um  1545  und  hat  einige  Com- 
positionen  hinterlassen.  —  Eine  Musiklehrerin  gleichen  Namens,  Palmyre  II., 
geboren  1801  in  der  Touraine,  lebte  in  Paris,  wo  sie  sich  durch  Composition 
von  Ciavierstücken  grosse  Beliebtheit  bei  den  Dilettanten  erwarb. 

Herbain,  Chevalier  d',  auch  Herbin  geschrieben,  französischer  Opern- 
componist,  geboren  1734  in  Paris,  trat  mit  15  Jahren  in  den  Militärdienst 
und  wurde  ziemlich  schnell  Capitain.  Im  J.  1750  besuchte  er  Italien  und  Hess 
in  Rom  1751  ein  von  ihm  componirtes  Intermezzo  y>Il  gelosoi  aufführen,  wel- 
ches auch  in  Florenz  nicht  ohne  Erfolg  gegeben  wurde.  Er  garnisonirte  hierauf 
in  Corsica  und  schrieb  1753  zu  Bastia  die  Opern  »JZ  trionfo  del  cigliov.  und 
»Laviniaa.  Im  J.  1756  wieder  in  Paris,  trat  er  mit  der  einaktigen  Oper 
r>Celimenev.  und  später  mit  den  komischen  Opern  y>Les  äeux  talentsa  (1763)  und 
»Nanette  und  Lucas«  (1764)  auf.  Er  starb  1769  zu  Paris.  Auch  zwei  Can- 
taten  und  eine  Motette  y>Exultatev.  von  ihm  sind  bekannt  geworden. 

Herbart,  Johann  Friedrich,  einer  der  originellsten  Denker  der  neueren 
Zeit,  geboren  am  4.  Mai  1776  zu  Oldenburg  als  der  Sohn  eines  Justizraths, 
trieb  als  Gymnasiast  auch  eifrig  Clavierspiel.  Im  J.  1794  bezog  er  zu  philo- 
sophischen Studien  die  Universität  Jena,  wo  er  mit  Fichte  bekannt  wurde, 
dessen  Wissenschaftslehre  er  aber  alsbald  mit.  einer  seltenen  Unabhängigkeit 
der  eigenen  Prüfung  entgegentrat.  Nicht  anders  stellte  er  sich  den  Lehren 
Schelling's  und  Hegel's,  überhaupt  der  ganzen  sich  immer  weiter  verbreitenden 
Zeitphilosophie  gegenüber,  von  der  er  sich,  des  hingehendsten  Studiums  der 
altgriechischen  Philosophen  beflissen,  vollständig  emancipirte.  Im  J.  1797 
nahm  er  eine  Hauslehrerstelle  in  Bern  an,  habilitirte  sich  1802  in  Göttingen, 
wurde  1809  ordentlicher  Professor  der  Philosophie  und  Pädagogik  in  Königs- 
berg und  folgte  1833  einem  Rufe  zurück  nach  Göttingen,  wo  er  am  14.  Aug. 
1841  starb.  Die  Philosophie  H.'s  charakterisirt  im  Allgemeinen  der  Geist 
einer  strengen  Untersuchung  und  die  Zuversicht,  dass  sich  durch  die  in  dem 
Inhalt  der  Begriffe  selbst  liegende  Kothwendigkeit  eines  willkürlos  fortschrei- 
tenden Denkens  ein  festes,  unveränderliches,  zwar  einer  immer  fortschreitenden 
Entwickelung  fähiges,  aber  fortwährenden  Schwankungen  nicht  unterliegendes 
Wissen  erreichen  lasse.  Zu  diesem  Zwecke  war  er  zunächst  bemüht,  die  ver- 
schiedenen Richtungen  philosophischer  Untersuchungen,  deren  Gränzen  er  viel- 
fach inenander  gewirrt  fand,  wieder  zu  sondern,  die  ursprünglichen  Probleme, 
von  denen  sie  auslaufen,  genau  festzustellen  und  sie  nach  der  durch  die  Natur 
der  Sache  selbst  geforderten  Methode  zu  lösen.  In  dieser  Art  hat  er  auch 
der  Kunstästhetik  und  Philosophie  der  Tonkunst  ausgezeichnete,  nicht  unan- 
gefochten gebliebene,  aber  je  länger  je  mehr  anerkannte  Dienste  geleistet,  be- 
sonders in  seinen  »Psychologischen  Bemerkungen  zur  Tonlehre«  (Königsberg, 
1811),  im  neunten  Capitel  der  »Encyclopädie  der  Philosophie  aus  praktischen 
Gesichtspunkten«  (Halle,  1831,  2.  Aufl.  1841),  in  seinem  Hauptwerke  )5Psychologie, 
als  Wissenschaft  neu  gegründet  auf  Erfahrung,  Metaphysik  und  Mathematik« 
(2  Bde.,  Königsberg,  1824 — 1825)  und  in  den  »Physiologischen  Aphorismen«. 
Ausserdem  hat  er  einige   Sonaten  für  Pianoforte  componirt. 


204  Herbeok. 

Herbeck,  Johann,  vielseitig  ausgezeichneter  deutscher  Tonkünstler,  be- 
deutend als  Componist  und  hochverdient  als  Dirigent,  wurde  als  der  Sohn 
eines  armen  Handwerkers  am  25,  Decbr.  1831  zu  Wien  geboren.  Schon  in 
seinen  ersten  Kinderjahren  offenbarte  er  ein  so  ausgesprochen  musikalisches 
Talent,  dass  ihm  ungeachtet  der  dürftigen  Familienverhältnisse  eine  mehrmonat- 
liche Unterweisung  im  Gesang  zu  Theil  wurde.  Zehn  Jahre  alt,  wai'd  er  als 
Sängerknabe  in  das  Cistercienserstift  Heiligenkreuz  unweit  Wien  aufgenommen. 
Hier  war  es,  wo  seine  vorzügliche  Discantstimme  das  Interesse  mehrerer  Wiener 
Künstler,  wie  Georg  Hellmesberger  u.  A.,  auf  sich  zog,  so  dass  diese  den 
Stiftsvorsteher  bewogen,  den  Knaben  bei  Rotter  in  Wien  Harmonielehre  stu- 
diren  zu  lassen.  Dieser  Unterricht  dauerte  einige  Monate,  und  hiermit  war 
auch  Alles  erschöpft,  was  von  Seiten  Anderer  für  H.'s  musikalische  Ausbildung 
geschehen  ist.  Alles  Andere:  die  genaue  Kenntniss  des  Generalbasses  wie  der 
Corapositionslehre,  das  eindringliche  Verständniss  der  Technik  sämmtlicher 
Saiteninstrumente,  der  Orgel  und  des  Claviers  verdankt  H.  sich  selbst,  seinem 
unermüdeten,  ausharrenden  Fleisse.  Auch  die  für  jeden  Gebildeten  so  wichtige 
humanistische  Bildung  ward  nicht  vergessen.  In  Wien  durchlief  er  das  Gym- 
nasium und  widmete  sich  dann  den  rechtsgelehrten  Studien,  welche  er  aber  nur 
drei  Jahre  hindurch  fortsetzte,  um  sich  dann  mit  verdoppeltem  Eifer  der  Musik 
ausschliesslich  zuzuwenden. 

Easch  erklomm  er  seitdem  Stufe  um  Stufe  bis  zur  höchsten  gesellschaft- 
lichen ßanghöhe.  Im  J.  1852  wurde  er  Chordirektor  bei  den  Piaristen  in  der 
Josephstadt  zu  Wien,  1856  Chormeister  des  Wiener  Männergesangvereins  an 
Stegmayer's  Stelle,  1858  Diiügent  des  neu  gegründeten  Singvereins  und  Pro- 
fessor am  Conservatorium,  ein  Jahr  später  artistischer  Direktor  der  Gesellschaft 
der  Musikfreunde,  1863  Vice-Hofkapellmeister,  endlich  1866,  mit  Uebergehung 
des  Anciennitätsverhältnisses,  in  Berücksichtigung  seiner  überragenden  künst- 
lerischen Begabung,  erster  kaiserl.  Hofkapellmeister.  Endlich,  1871,  wurde  er 
sogar  als  Nachfolger  Dingelstedt's  zum  Direktor  der  kaiserl.  Hofoper  in  AVien 
ernannt,  und  seinem  Regimente  verdanken  das  Personal  und  das  Repertoire 
dieser  Kunstanstalt  die  wichtigsten  Verbesserungen  und  Bereicherungen,  so 
dass  in  dem  neuen  glänzenden  Hause,  welches  ihm  übergeben  wurde,  durch 
ihn  frisches  Blut  in  den  Opernkörper  geleitet  wurde,  der  durch  die  voran- 
gegangene kopflose  Wirthschaft  entsetzlich  gelitten  hatte.  H.'s  Verdienste  in 
dieser  Hinsicht  sind  noch  zu  neu,  als  dass  sie  jetzt  schon  genügend  gewürdigt 
werden  könnten;  im  Einstudiren  und  Leiten  der  von  ihm  gewählten  Opern, 
besonders  der  classischen  und  derer  Meyerbeer's  und  Wagner's,  weiss  man 
seinen  Besitz  allgemein  zu  schätzen.  In  Folge  seiner  letzten  Ernennung  hat 
H.  seine  Stelle  als  artistischer  Direktor  der  Gesellschaft  der  Musikfreunde 
aufgegeben,  wie  schon  vier  Jahre  vorher  die  als  Chormeister  des  Männergesang- 
vereins, welcher  letztere  ihm  seine  glänzendsten  Triumphe  verdankte.  Als  Chor- 
dirigent, besonders  in  der  Leitung  grosser  Massen,  zeigte  sich  H.  unüber- 
troffen und  wusste  die  feinsten  Nuancen,  die  schärfste  Sonderung  von  Licht  und 
Schatten  in  der  Darstellung  mit  der  grössten  Präcision  und  Schlagfertigkeit 
zu  vereinigen. 

Nachdem  er  seinen  Chor  allmälig  zu  den  grössten  Wirkungen  befähigt 
hatte,  unternahm  er  es,  eine  Reihe  der  erhabensten  musikalischen  Meisterwerke, 
besonders  auch  die  Franz  Schubert's,  wieder  an  das  Licht  zu  ziehen  und  durch 
treffliche  Darstellungen  zu  beleben.  In  dieser  Wirksamkeit  hat  er  sich  als 
Dirigent  des  Singvereins  und  der  Gesellschaftsconcerte  um  die  Musikverhält- 
nisse Wiens  ausserordentlich  verdient  gemacht.  Wenn  er  auf  diese  Weise  die 
beiden  genannten  Institute  von  Sieg  zu  Siege  führte,  so  vergass  er  auch  des 
ihm  unterstehenden  »Männergesangvereins«  nicht.  Er  that  vielmehr  das  Mög- 
lichste, um  diesen  Verein  aus  dem  Einerlei  der  gewöhnlichen  Liedertafelkost 
auf  eine  höhere  Stufe  künstlerischer  Aufgaben  zu  heben.  Indem  er  alljährlich 
wenigstens    eines    der    Concerte    des    Männergesangvereins    mit    Orchester    gab, 


Herbenus  —  Herbst.  205 

dehnte  er  das  musikalieche  Gebiet  desselben  wohltbätig  aus.  Als  glänzendste 
Concertthat  H.'s  stehen  die  grossen  Aufführungen  in  der  "Wiener  Reitschule 
Ende  1866  zum  Besten  der  im  österreichisch-preussischen  Kriege  Verwundeten 
da.  In  denselben  wirkten  sämmtliche  Chorvereine  Wiens  und  der  Umgebung 
(über  1600  Personen)  mit,  und  H.  leitete  diese  riesigen  Massen  mit  einer 
Sicherheit  und  Ruhe,  dass  ein  ähnliches  Zusammenwirken  selten  beobachtet 
wurde;  das  feinste,  kaum  vernehmbare  Pianissimo  kam  eben  so  zur  Geltung, 
wie  das  brausendste  Portissimo,  und  fast  alle  kleineren  Stücke  wurden  zur 
Wiederholung  verlangt.  —  Als  Componist  ist  H.,  wie  in  seinem  übrigen  musi- 
kalischen Wirken,  fast  ausschliesslich  Autodidakt.  Früh  schon  vollendete  er 
einige  kirchliche  Musikstücke,  die  indessen  noch  keinen  bestimmten  Charakter 
aussprechen;  dagegen  vervollkommnete  er  sich  mit  jedem  weiteren  Werke  und 
ist  endlich  mit  seiner  grossen  Messe  (1866),  die  offenbar  dem  eifrigen  Studium 
von  Beethoven's  Missa  solemnis  ihre  Entstehung  verdankt,  in  die  Reihe  der 
bedeutendsten  österreichischen  Tonsetzer  der  Gegenwart  getreten.  Ausserdem 
schrieb  er  mehrere  Ouvertüren ,  zwei  Sinfonien ,  von  welchen  die  zweite  in 
C-dur,  nicht  frei  von  TJebertreibungen  des  materiellen  Effekts,  wiederholt  mit 
grossem  Beifall  aufgeführt  wurde,  ferner  fünf  andere  Messen,  zwei  Streichquar- 
tette, Ciavierstücke  und  viele  Chorlieder,  unter  denen  besonders  »Der  Lanz- 
knecht« und  »Marschiren«  durch  ihr  kräftig  realistisches  Gepräge  stets  von  der 
grössten  Wirkung  sind.  Energie  und  Kraft,  Vermeidung  alles  Süsslichen  ist 
überhaupt  der  Charakterzug  aller  Compositionen  H.'s. 

Herbenus,  Matthäus,  niederländischer  Theologe  und  Schulmann,  geboren 
1451,  war  Rector  der  Schule  St,  Servatii  zu  Mastricht  und  verfasste  die  Schrift: 
y>De  natura  cantus  et  miraculis  vocisv. 

Herberth,  Robert,  deutscher  Kirchencomponist,  geboren  um  1770  zu 
Röttingen  in  Franken,  war  Professor  der  Theologie  und  geistlicher  Rath  zu 
Passau,  dann  zu  Salzburg  und  endlich  Beneficiat  zu  Oedheim  bei  Heilbronn. 
Er  hat  Messen,  Cantaten,  Variationen  u.  s.  w.  componirt  und  auch  einige  ge- 
lehrte Gelegenheitsschriften  verfasst. 

Herbin,  Chevalier  d',  s.  Herbain. 

Herbin,  Auguste  Frangois  Jullien,  französischer  Orientalist,  geboren 
am  17.  März  1783  zu  Paris,  stellte  hauptsächlich  über  die  Musik  der  Orien- 
talen Untersuchungen  an,  die  er  der  Oeffentlichkeit  übergab.  Er  starb  im 
blühendsten  Jugendalter  am  30.  Decbr.  1806  zu  Paris. 

Herbing',  August  Bernhard  Valentin,  einer  der  talentvollsten  und 
beachtenswerthesten  deutschen  Liedercomponisten  im  neckisch -heiteren  Genre, 
war  adjungirter  Organist  und  Vicarius  am  Dom  zu  Magdeburg  und  starb  da- 
selbst noch  jung  im  J.  1767.  Er  veröffentlichte  zuerst  30  Oden  unter  dem 
Titel  »Musikalische  Belustigungen«  (Leipzig,  1758)  und  später  in  Musik  ge- 
setzte »Fabeln  und  Erzählungen«.  Eine  eingehende  kritische  Würdigung  dieser 
originellen  Werke  nebst  Proben  aus  dem  ersteren  derselben,  von  dem  ein  zweiter 
Theil  1767  erschien,  enthält  E.  0.  Linduer's  »Geschichte  des  deutschen  Liedes 
im  18.  Jahrhundert«  (Leipzig,  1871)  S.  81  ff. 

Herbinins,  oder  Herbinus,  Johann,  musikkundiger  Theologe,  geboren 
um  1630,  war  Pastor  in  Graudenz  und  behandelte  in  seiner  kirchenhistorischen 
Schrift  »De  cryptis  Kyoviensibusa  auch  Gegenstände  der  alten  Kirchenmusik. 

Herbst,  deutsche  Sängerin,  eine  Schülerin  der  Frau  Benda,  war  1792 
herzogl.  mecklenburgische  und  später  fürstl,  dessau'sche  Hofsängerin.  Als  solche 
gastirte  sie  1809  am  königl.  Nationaltheater  zu  Berlin,  wurde  engagirt  und 
debütirte  am  31.  März  1810  als  Vitellia  in  Mozart's  »Titus«.  Sie  sang  u.  A. 
auch  die  Donna  Elvira  im  »Don  Juan«,  den  Cherubin  im  »Figaro«  und  die 
Myrrha  im  »Unterbrochenen  Opferfest«,  schied  aber  bereits  im  J.  1811  wieder 
aus,  weil  sich  gegen  ihre  Darstellung  der  jugendlichen  Emmeliue  in  der 
»Schweizerfamilie«  eine  bedeutende   Opposition  bemerkbar  machte. 

Herbst,  Heinrich,  deutscher  Orgelbauer,  lebte  zu  Anfang  des   18.  Jahr- 


206  Herbst  —  Herder. 

hunderts  zu  Magdeburg  und  errichtete  u.  A,  1718  das  bewunderte  Werk  in 
der  Stiftskirche  zu  Halberstadt  mit  74  Stimmen,  drei  Manualen,  zwei  Neben- 
clavieren,  Pedal  und  acht  Bälgen.  —  Sein  Sohn  und  Schüler,  Johann  Grott- 
fried  H.,  war  Orgelbauer  zu  Striegau,  nach  Anderen  zu  Petersdorf,  und  baute 
1749  die  Orgel  im  evangelischen  Bethause  zu  Striegau  mit  25  Stimmen,  und 
1755  die  des  evangelischen  Bethauses  zu  Neumarkt  mit  derselben  Anzahl  von 
Stimmen. 

Herbst,  Johann  Andreas,  deutscher  Musikgelehrter  und  Componist, 
geboren  1588  zu  Nürnberg  und  daselbst  auch  musikalisch  ausgebildet,  war  von 
1628  bis  1640  Kapellmeister  in  Frankfurt  a.  M. ,  folgte  dann  einem  gleichen 
Bufe  zurück  in  seine  Vaterstadt,  nahm  aber  schon  um  1650  sein  früheres  Amt 
in  Frankfurt  wieder  ein,  das  er  bis  zu  seinem  Tode,  um  1665,  verwaltete. 
Von  seinen  gelehrten  Werken  sind  bekannt  geblieben:  y>Miisica  practica  sive 
instructio  pro  symplwniacisv.  (Nürnberg,  1642,  und  ferner  Frankfurt,  1653  und 
1658),  enthaltend  eine  kurze  Anleitung  zum  Sing-  und  Instrumental-Unterricht 
nach  damaligen  Anforderungen ;  ferner  y^Musica  poetica  sive  compendium  melo' 
poeticuma  (Nürnberg,  1643),  eine  Harmonielehre;  endlich  r>Arte prattica  e poetica« 
(Frankfurt,  1653),  eine  aus  italienischen  Werken  gezogene  Lehre  vom  Contra- 
punkte. Von  seinen  Compositionen  kennt  man  mehrere  drei-  und  sechsstimmige 
geistliche  Gesänge  und  das  nTheatrum  amorisa,  fünf-  und  sechsstimmige  deutsche 
Gesänge  nach  Art  der  welschen  Madrigale. 

Herbst,  Johann  Friedrich  Wilhelm,  musikkundiger  deutscher  Theo- 
loge, geboren  am  1.  Novbr.  1743  zu  Petershagen,  war  Prediger  an  der  Marien- 
und  an  der  Heiligengeist -Kirche  zu  Berlin  und  starb  in  diesem  Amte  am 
5.  Novbr.  1807.  Er  ist  der  Verfasser  eines  Buches:  »lieber  die  Harfe,  nebst 
einer  Anleitung  sie  zu  lernen«. 

Herbst,  Michael,  vorzüglicher  deutscher  Hornvirtuose,  geboren  am  24. 
Septbr.  1778  zu  Wien,  erhielt  den  ersten  Unterricht  auf  seinem  Instrumente 
von  einem  gewissen  Faistenberger ,  verdankt  aber  seine  Meisterschaft  auf  dem- 
selben lediglich  dem  eigenen  Talente  und  Fleisse.  Anfänglich  in  der  Privat- 
kapelle des  Freiherrn  von  Braun  augestellt,  trat  er  1806  als  Solospieler  in 
das  Orchester  des  Theaters  an  der  Wien,  Hess  sich  häufig  in  Hof-  und  öflFent- 
lichen  Concerten  mit'  enthusiastischem  Beifall  hören  und  erhielt  bei  Errichtung 
des  Conservatoriums  der  Gesellschaft  der  Musikfreunde  die  Stelle  als  Professor 
seines  Instruments  daselbst.  Unter  seinen  zahlreichen  treflHichen  Schülern  haben 
sich  besonders  Bauchinger,  König,  Leeb,  Rust  und  Schmidt  ausgezeichnet.  H. 
starb  am  15.  Octbr.  1833  zu  Wien.  In  seinem  Nachlasse  befand  sich  neben 
Uebungsstücken  das  vollständig  ausgearbeitete  Manuscript  einer  grossen  Schule 
für  Hörn,  die  jedoch  auch   später  leider  nicht  im  Druck  erschienen  ist. 

Herder,  Johann  Gottfried  von,  einer  der  eigenthümlichsten,  umfas- 
sendsten und  geistreichsten  Schriftsteller  und  überhaupt  einer  der  edelsten 
Geister  deutscher  Nation,  wurde  am  25.  Aug.  1744  zu  Mehrungen  in  Ost- 
preussen  geboren,  wo  sein  Vater  Mädchenschullehrer  und  Cantor  war.  Nicht 
begünstigt  durch  Erziehung  und  äussere  Umstände,  entwickelten  sich  die  herr- 
lichen Geistes-  und  Herzensanlagen  des  jungen  H.  durch  eigene  Kraft.  Er 
studirte  in  Königsberg,  durch  Gönner  unterstützt,  Theologie  und  Philosophie 
und  war  daneben  Lehrer  am  Friedrichscollegium ,  dann  1765  Lehrer  au  der 
Domschule  zu  Riga  und  Prediger  daselbst.  Im  J.  1767  unternahm  er  eine 
grössere  Reise  bis  nach  Frankreich  hinein,  ward  ein  Jahr  später  Reiseprediger 
des  Prinzen  von  Holstein -Eutin,  1770  Hofprediger  und  Consistorialrath  in 
Bückebui'g  und  1775  zum  Professor  in  Göttingen  berufen,  aber  nicht  angestellt. 
Dafür  ging  er  als  Hofprediger,  General -Superintendent  und  Ober-Consistorial- 
rath  nach  Weimar  und  wurde  1801  in  den  Adelsstand  erhoben.  Er  starb  am 
18.  Decbr.  1803  zu  Weimar.  Als  reinster  Priester  der  Humanität  hat  der 
grosse  Mann  auch  die  Musik  in  den  Kreis  seiner  Forschungen  gezogen.  In 
den    fliegenden    Blättern    »Von    deutscher  Art    und    Kunst';  (Homburg,   1773) 


Herdliska  —  Hering.  207 

befindet  sich  neben  Groethe'scben  und  Möser'scben  Abhandlungen  auch  ein 
Aufsatz  von  H.,  »Ossian  und  die  Lieder  altei*  Völker«,  welcher  einen  bedeu- 
tenden Einfluss  auf  die  dem  Volksthümlichen  sich  zuwendende  Bewegung  in 
der  Kunst  ausübte.  Im  Zusammenhange  mit  den  hier  entwickelten  Ansichten 
gab  H.  später  seine  »Volkslieder«  (2  Thle.,  1778  und  1779;  neue  Ausg.  2  Bde., 
Leipzig,  1840)  heraus.  In  seinem  Werke  »Geist  der  hebräischen  Poesie« 
(Dessau,  1782;  3.  Aufl.  von  Justi,  2  Bde.,  Leipzig,  1825)  sind  die  Abhand- 
lungen »Von  der  Musik  der  Psalmen«,  »lieber  die  Musik  als  Gesang  aus  Asmus' 
sämmtliclien  Werken«  und  »lieber  die  Verbindung  der  Musik  und  des  Tanzes 
zum  Nationalgesang«  hervorzuheben.  In  der  Schrift  »Cäcilia«  (in  der  5.  Samm- 
lung seiner  zerstreuten  Blätter)  handelt  er  über  die  Beschaffenheit  der  heiligen 
Musik,  der  Hymnen  und  der  christlichen  Liturgie.  Auch  in  seinen  »Briefen 
zur  Befördei"ung  der  Humanität«  ist  häufig  von  diesen  Dingen  die  Rede.  In 
der  Zeitschrift  »Adrastea«  schreibt  er  in  der  9.  Nummer  des  vierten  Stücks 
(1801)  über  den  Tanz,  über  das  Melodram,  die  neueste  deutsche  Oper  und 
die  Wirkung  der  Musik  überhaupt  auf  Denkart  und  Sitten;  in  No.  5  des 
zweiten  Stücks  (1802)  nach  einer  Lebensbeschreibung  und  ästhetischen  Wür- 
digung Händel's,  über  das  Oratoi'ium  und  ebenfalls  über  die  Wirkung  der  Ton- 
kunst. Nicht  minder  wichtig  und  interessant  sind  für  den  denkenden  Musiker 
auch  seine  Abhandlungen  »Ueber  den  Ursprung  der  Sprache«,  seine  »Fragmente« 
(1767),  »Kritischen  Wälder«  (1769),  »Von  den  Ursachen  des  gesunkenen  Ge- 
schmacks« u.  s.  w.  Eine  Culturgeschichte  der  Musik  des  18.  Jahrhunderts, 
welche  er  1802  in  Aussicht  stellte,  konnte  er  leider  nicht  mehr  vollenden. 
Aber  auch  ohne  diese  hat  der  ganze  Culturzustand  Deutschlands  von  ihm 
einen  mächtigen,  weithin  sich  verbreitenden  Impuls  erhalten,  und  an  warmer, 
tiefer  Begeisterung  für  alles  Schöne,  acht  Menschliche,  Würdige,  Grosse  hat 
ihn  Keiner  überragt. 

Herdliska,  Henri,  genannt  Tourterelle,  französischer  Instrumentalcom- 
ponist,  geboren  1796  zu  Paris,  lebte  später  als  Ciavierlehrer  zu  Bordeaux,  wo 
er  im  Novbr.  1821  auch  starb.  Er  hat  Ciaviersachen  mit  Begleitung  verschie- 
dener Instrumente  componirt  und  veröfi'entlicht. 

Heredia,  Piedro,  auch  Herredia  geschrieben,  spanischer  Kirchencom- 
ponist  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts,  lebte  in  Italien  und  war  seit 
1630  Kapellmeister  an  der  St.  Peterskirche  zu  Bom.  Als  solcher  starb  er  im 
J.  1648.     S.  auch  Eredia. 

Heremita,  s.  Eremita. 

Herfurth,  Rudolph,  guter  deutscher  Violinist  und  Dirigent,  geboren  am 
9.  Febr.  1844  zu  Eisenberg  im  Altenburg'schen,  erhielt  von  seinem  Vater,  dem 
dortigen  Stadtmusikdirektor,  den  ersten  Musikunterricht.  Nach  Beendigung 
seiner  Schulzeit  sollte  H.  auf  das  Conservatorium  zu  Leipzig  gehen,  sah  sich 
aber,  da  gerade  sein  Vater  starb,  auf  sich  selbst  angewiesen  und  trat,  um  doch 
an  bester  Quelle  zu  studiren,  Ende  1860  als  erster  Violinist  in  eines  der 
Leipziger  Musikcorps.  Bald  darauf  begann  er  ein  Wanderleben,  welches  ihn 
als  Sologeiger  in  verschiedene  Orchester  Deutschlands  führte,  bis  er  im  Herbst 
1868  die  Musikdirektorstelle  in  Ereiburg  in  Baden  und  während  des  Sommers 
die  Leitung  der  Kurkapelle  in  Badenweiler  übernahm.  Seit  1871  ist  er  neben 
Weissheimer  Kapellmeister  der  Oper  am  kaiserl.  subventionirten  Theater  zu 
Strassburg  im  Elsass. 

Herigrerns,  genannt  Abbas  Laubiensis,  niederländischer  Geistlicher  und 
Tonsetzer,  gestorben  um  1010  im  Bisthum  Lüttich,  componirte  eine  Hymne 
y>Ave  perquam«  und  zwei  Antiphonien  auf  den  Apostel  Thomas:  »O  Thoma  di- 
d'i/mea  und  »O  Thoma  ajwstolev. 

Hering-,  Alexander,  deutscher  Orgel-  und  Ciavierspieler,  war  1669 
und  später  als  Organist  der  Kreuzkirche  zu  Dresden  angestellt,  in  welchem 
Amte  er  zu  den  ersten  Musiklehrern  des  berühmt  gewordeneu  Joh.  Kuhnau 
7ii,hlte. 


208  Hering. 

Hering,  Karl  (Friedrich  August),  geschickter  deutscher  Violinist  und 
fleissiger  Componist,  geboren  am  2.  Septbr.  1819  zu  Berlin,  erhielt  von  seinem 
Vater,  einem  Maler,  den  ersten  Musikunterricht,  den  er  aber  erst  als  Jüngling 
in  der  Möser'schen  Musikschule  bei  Hub.  Ries  fortsetzte.  Gleichzeitig  studirte 
er  dann  als  Schüler  der  Akademie  der  Künste  bei  ßungenhagen  die  Compo- 
sition.  Einer  noch  höheren  Ausbildung  beflissen,  ging  er  1840  zu  Lipinski 
nach  Dresden,  bei  dem  er  das  höhere  Violiuspiel,  und  dann  zu  Tomaschek  in 
Prag,  unter  dessen  Leitung  er  Ciavierspiel  und  Gesang  eifrig  studirte.  Hie- 
rauf Hess  er  sich  auf  Concertreisen  auch  in  Wien,  Olmütz,  Brunn,  Leipzig, 
Stettin  u.  s.  w.  mit  Beifall  als  Violinist  hören,  entsagte  aber  1844  dem  Vir- 
tuosenthum  und  kehrte  nach  Berlin  zurück,  wo  er  1846  zeitweilig  als  Accessist 
in  die  königl.  Kapelle  trat.  Er  gründete  1848  einen  »Sonatenverein«  behufs 
Pflege  der  Kammermusik,  der  bis  1851  bestand,  worauf  er  eine  Musikschule 
für  Violine,  Ciavier,  Gesang  und  Theorie  der  Musik  ins  Leben  rief,  welche 
er,  mittlerweile  zum  königl.  Musikdirektor  ernannt,  bis  1867  leitete.  Seine 
zahlreichen  Compositionen  bewegen  sich  in  allen  Gattungen  der  Musik  und 
bestehen  in  Sinfonien,  Ouvertüren,  Blasequintetten,  Streichquartetten,  Violin- 
und  Ciaviersachen,  zum  grossen  Theil  instructiver  Art,  ferner  in  Messen, 
Psalmen,  Gesängen  und  Liedern.  Sein  zum  Armeemarsch  (No.  146)  erhobener 
Wrangel- Marsch  ist  in  seltener  Art  populär  geworden.  Endlich  gab  er  auch 
eine  Elementar -Viplinschule  mit  beigefügten  Etüden,  sowie  die  didaktischen 
Schriften  »Methodischer  Leitfaden  für  Violin -Lehrer«  (Leipzig,  1857)  und 
»Ueber  Rud.  Kreutzer's  Etüden,  Anweisung  für  Violin-Lehrer«  (Leipzig,  1858) 
heraus. 

Hering,  Karl  Gottlieb,  ausgezeichneter  musikalischer  Pädagoge,  wurde 
(nach  seiner  eigenhändigen  Notiz)  am  25.  Octbr.  1766  zu  Schandau  in  Sachsen 
geboren.  Er  erhielt  seine  Bildung  in  der  Stadt-  und  später  in  der  Fürsten- 
schule zu  Meissen,  studirte  zu  Wittenberg  und  Leipzig,  war  in  letzterer  Stadt 
befreundet  mit  Weisse,  Müller,  Klodius  und  Hiller,  wurde  Hauslehrer  bei  Krug 
von  Nidda  in  Gatterstädt  bei  Querfurth,  dann  1794  Lehrer  und  einige  Jahre 
später  Conrector  und  Organist  zu  Oschatz,  1811  Oberlehrer  an  der  Stadtschule 
zu  Zittau  und  übernahm  später  in  dieser  Stadt  auch  den  Musikunterricht  am 
Seminare.  Er  starb  daselbst  am  4.  Jan.  1853.  —  Von  seinen  musikalischen 
Werken  sind  verschiedene  in  4.  bis  7.  Auflage  erschienen  und  weit  über  die 
Grenzen  Deutschlands  verbreitet,  indem  sie  in  Oesterreich,  England,  Spanien 
und  Nordamerika  Nachdruck  erlitten.  —  Was  seinen  Namen  in  der  Kunst- 
geschichte zu  einem  bleibenden  macht,  ist  der  Umstand,  dass  er  einer  der  ersten 
war,  der  den  Musikunterricht  pädagogisch  behandelte.  Er  legte  seine  An- 
schauungen und  Erfahrungen  in  folgenden  Werken  nieder:  1.  »Instructive  Va- 
riationen, ein  neues,  wenigstens  unbenutztes  Hülfsmittel  zur  leichtern  Erlernung 
des  Clavierspiels  und  zur  Selbstübung«  (1802);  2.  »Neue  praktische  Ciavier- 
schule für  Kinder  nach  einer  bisher  ungewöhnlichen  leichten  Methode«  (4  Bdchen. 
4.  1804 — 1807);  3.  »Neue  sehr  erleichterte  jiraktische  Generalbassschule  für 
junge  Musiker,  zugleich  als  ein  nöthiges  Hülfsmittel  für  diejenigen,  die  den 
Generalbass  ohne  mündlichen  Unterricht  in  kurzer  Zeit  erlernen  wollen«  (3  Bde. 
4.  1806);  4.  »Neue  praktische  Singschule  für  Kinder,  nach  einer  leichten 
Lehrart  bearbeitet«  (4  Bdchen.  4.  1807 — 1809);  5.  »Pi'ogressive  Variationen 
zu  einer  möglichst  leichten  Erlernung  des  Clavierspielens«  (4.  1808);  6.  »Prak- 
tische Violinschule  nach  einer  neuen  und  leichtern  Stufenfolge«  (4.  1810); 
7.  »Praktische  Präludirschule,  oder  Anweisung  in  der  Kunst,  Vorspiele  und 
Fantasien  selbst  zu  bilden«  (2  Thle.  4.  1812  u.  1814);  8.  »Kunst,  das  Pedal 
fertig  zu  spielen  und  ohne  mündlichen  Unterricht  zu  erlernen«  (gr.  4.  1816); 
9.  »Gesanglehre  für  Volksschulen«  (8.  1820);  10.  »Musikalisches  Volksschulen- 
gesangbuch« (2  Thle.  8.  1821  u.  1824)  und  11.  »Allgemeines  Choralbuch,  oder: 
Sammlung  der  in  den  evangelischen  Gemeinden  üblichen  Kirchenmelodien,  für 
den  Gesangunterricht  in   Schulen  geordnet«  etc.  (gr.  8.     1825).     Ausser  seinen 


Hering  —  Hermann.  209 

Unterrichtswerken  schrieb  er  auch  viele  Lieder  (mit  und  ohne  Begleitung)  für 
die  Jugend,  von  denen  mehrere  (so  z.  B.  »Horch,  wie  schallt's  dorteu  so  lieblich 
hervor«)  Volkslieder  geworden  sind,  Männerchöre  und  Anderes;  ferner  gründete 
er  1830  das  später  von  seinem  Sohne  in  etwas  veränderter  Form  fortgesetzte 
»Musikalische  Jugendblatt  füi-  Gesang,  Ciavier  und  Flöte«.  Weitere  Werke 
von  ihm  finden  sich  angezeigt  in  seiner  »Gresanglehre  für  Volksschulen«  (Leipzig, 
1820)  S.  XIV.  0.  T. 

Hering:,  Karl  Eduard,  der  Sohn  des  Vorigen,  ein  vielseitiger  Componist 
und  guter  Lehrer,  geboren  am  13.  Mai  1807  zu  Oschatz,  war  dort  und  während 
er  das  Gymnasium  zu  Zittau  besuchte  ein  Musikschüler  seines  Vaters.  Als 
Student  in  Leipzig  studirte  er  bei  Theod.  Weinlig  Contrapunkt  und  stand  im 
anregenden  Verkehr  mit  Aug.  Pohlenz,  Nachdem  er  mehrere  Jahre  hindurch 
in  Dresden  privatisirt  hatte,  wurde  er  1839  Organist  an  der  lutherischen 
Hauptkirche  und  Seminar-Musiklehrer  in  Bautzen.  Dort  hat  er  sich  auch  als 
Gründer  und  langjähriger  Dirigent  eines  Gesangvereins  sehr  verdient  gemacht. 
Als  Componist  im  grossen  Style  ist  er  aufs  Ehrenwertheste  zuerst  mit  einem 
Oratorium,  »Der  Erlöser«,  aufgeführt  1834  in  Leipzig  und  später  in  Bi-aun- 
schweig,  Prag,  Dx-esden,  und  mit  einer  Messe  in  B-dur,  1835  in  Prag  auf- 
geführt, hervorgetreten.  An  grossen  Werken  reihten  sich  im  Laufe  der  Zeit 
diesen  an:  die  Oratorien  »Die  heilige  Nacht«,  »David«,  »Salomo«,  »Christi  Leid 
und  Herrlichkeit«,  sowie  die  Opern  »Conradin,  der  letzte  Hohenstaufe«,  »Tor- 
denskjold«,  mehrere  Messen  und  Cantaten,  Hymnen,  Psalme  und  Balladen,  meist 
für  Männerchöre.  Im  Druck  erschienen  sind  jedoch  nur  kleinere  Arbeiten  von 
ihm,  als  Ciavierstücke  verschiedener  Art,  Lieder  und  Chorgesänge.  Ueberall 
bekundet  sich  der  durchbildete  Musiker,  welcher  die  Harmonie  und  den  reinen 
Satz  meisterhaft  handhabt.  Für  den  Unterricht  hat  H.  ausserdem  noch  ver- 
fasst  und  veröffentlicht:  »Singbüchlein  zur  Vorbereitung  auf  den  Choralgesang 
für  die  Unter-  und  Mittelklassen  der  Stadt-  und  Landschulen«  (Bautzen,  1846); 
»Buch  der  Harmonie.  Grundlage  für  Unterricht  und  Bildung  in  der  Musik« 
(1.  Abth.,  Löbau,  1861);  »Dreissig  Choralmelodien  mit  bezifferten  Bässen  und 
theoretischen  Anmerkunsen«. 

Heritier,  Jean  1',  französischer  Kirchencomponist,  welcher  in  der  ersten 
Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  lebte.  Von  seinen  Compositionen  sind  zwei  Mo- 
tetten in  die  Sammlung  von  Attaignant  (Paris,  1534)  aufgenommen;  eine  andere 
Motette  von  ihm  citirt  Pater  Aaron. 

Hermaiiu,  genannt  Hermannus  contractus,  d.  i.  der  Lahme,  weil  er 
durch  die  Gicht  so  gelähmt  war,  dass  er  ohne  Beihülfe  seine  Körperlage  nicht 
verändern  konnte,  war  einer  der  berühmtesten  Gelehrten  und  vorzüglichsten 
Geschichtschreiber,  sowie  der  tüchtigste  noch  bekannt  gebliebene  Tonsetzer  des 
11.  Jahrhunderts.  Geboren  am  18.  Juli  1013  aus  dem  Geschlechte  der  Grafen 
von  Vehringen  in  Schwaben,  kam  er  in  seinem  siebenten  Jahre  in  die  Kloster- 
schule zu  St.  Gallen,  wo  er  sich  früh  schon  in  den  mathematischen  Wissen- 
schaften, in  der  Astronomie,  Geometrie  und  besonders  auch  Musik  auszeichnete. 
Im  dreissigsten  Lebensjahre  trat  er  ganz  in  den  geistlichen  Stand  und  lebte 
seitdem  im  Kloster  Reichenau,  wo  er  trotz  seiner  Gebrechlichkeit  das  Lehramt 
verwaltete  und  der  Wissenschaft  wie  Kunst  oblag.  Von  seinen  schweren  körper- 
lichen Leiden  niedergedrückt,  starb  er  schon  in  seinem  41.  Jahre,  am  24.  Septbr. 
1054,  auf  dem  väterlichen  Gute  Aleshusen  (Alschhauseu)  bei  Biberach.  Neben 
seiner  vorzüglichen  Chronik  und  einigen  astronomischen  Schriften  schrieb  er 
auch  ein  Buch  »De  monochordoa  (s.  Gerbert,  Script,  eccles.  IL  p.  125).  Ferner 
dichtete  und  componirte  er  viele  Kirchengesänge,  namentlich  einige  Sequenzen 
oder  Prosen  von  grosser  Schönheit,  welche  Schubiger  in  sein  Werk  »Die 
Sängerschule  St.  Gallens«  (Einsiedeln,  1858)  aufgenommen  hat.  H.  wird  auch 
von  Einigen  für  den  Verfasser  der  Kirchengesänge  »Salve  reginav.  und  »Alma 
redemtorisa  gehalten. 

Hermauu,  deutscher  Kircheugesangscompouist,   geboren    um  die  Mitte  des 

Musikal.    Couverd.-Lexikou.    V.  14 


210  tiermaua. 

16.  Jahrhunderts  in  Franken,  war  Cantor  an  der  Landesschule  Pforta  in 
Thüringen  und  componirte  mehrere  Choralmelodien.  Er  starb  im  J.  1628.  — 
Ein  Zeitgenosse  von  ihm,  Johann  H.,  geboren  1585  zu  Räuden  bei  Liegnitz, 
starb  1647  als  Prediger  zu  Polnisch  Lissa  und  hat  eine  Sammlung  von  Ge- 
sängen eigener  Composition  herausgegeben. 

Hermann,  Christian  Grottfried,  deutscher  Kirchensänger  und  Com- 
ponist,  geboren  am  19.  Febr.  1753  zu  Breslau,  erhielt  auf  dem  Gymnasium 
St.  Maria  Magdalena  von  Ostermayer  Musikunterricht  und  sang  dann  fünf 
Jahre  lang,  zuletzt  als  Altist,  an  der  Elisabethkirche  seiner  Vaterstadt,  bis  er 
1772  als  wirklicher  Choralist,  1778  als  Subsignator  und  1784  als  Cantor  an 
dieser  Kirche  angestellt  wurde.  In  Anerkennung  seiner  mehr  als  fünfzigjäh- 
rigen treuen  Dienste  wurde  er  endlich  im  April  1828  mit  vollem  Gehalt  vom 
Magistrat  in  den  wohlverdienten  Ruhestand  versetzt.  Von  seinen  zu  den  ver- 
schiedensten Gelegenheiten  componirten  Arbeiten  ist  nichts  im  Druck  erschienen. 
Dagegen  hat  er  sich  um  Graun's  »Tod  Jesu«  durch  alljährlich  am  Charfreitage 
veranstaltete  Aufiführungen  grosse  Verdienste  erworben. 

Hermann,  Constanz,  vorzüglicher  Violinist  und  Componist  für  sein  In- 
strument, geboren  am  16.  Aug.  1823  zu  Douai,  wurde  auf  Concertreisen  in 
Frankreich  und  Belgien  hochgefeiert  und  bereicherte  die  Violinliteratur  mit 
guten  Compositionen  aller  Art. 

Hermauu,  Friedrich,  ausgezeichneter  deutscher  Violinvirtuose,  Componist 
und  Lehrer  seines  Instruments,  geboren  1828  zu  Frankfurt  a.  M.,  erhielt  den 
ersten  Musikunterricht  von  Bernh.  Mohr  und  besuchte  dann  von  1843  bis 
1846  das  Conservatorium  in  Leipzig,  wo  er  besonders  bei  Ferd.  David,  Men- 
delssohn und  Hauptmann  die  höheren  Studien  der  Tonkunst  betrieb.  Sofort 
nach  Beendigung  des  dreijährigen  Cursus  an  der  Anstalt  wurde  er  am  1.  Novbr. 
1846  als  erster  Bratschist  im  Leipziger  Gewandhaus-  und  Theaterorchester 
angestellt  und  bekleidet  diese  Stelle,  sowie  diejenige  eines  Violinlehrers  am 
Conservatorium  noch  gegenwärtig,  letztere  mit  besonders  glücklichem  Erfolge. 
Als  stylvoller,  geschickter  Componist  hat  er  sich  höchst  vortheilhaft  bekannt 
gemacht  durch  eine  1852  im  Leipziger  Gewandhause  mit  grossem  Beifall  auf- 
geführte Sinfonie,  durch  Capriccios  für  drei  Violinen,  Etüden  für  Violine,  ein 
Duo  für  Violine  und  Violoncello,  ein  Streichquartett  und  Anderes,  welches 
auch  im  Druck  erschienen  ist.  Ausserdem  hat  er  die  Orchesterbegleitung  der 
Viotti'schen  und  Kreutzer'schen  Violinconcerte  für  Pianoforte  arrangirt  und 
zahlreiche  treffliche  Bearbeitungen  von  Werken  classischer  Meister,  worunter 
auch  Uebertragungen  der  Sinfonien  von  Beethoven,  Mendelssohn  und  Schumann, 
geliefert.  Als  Bratschist  gehört  H.  entschieden  zu  den  allerersten  Virtuosen 
der  Gegenwart,  und  als  Quartettspieler  leistet  er  dem  Musikleben  in  Leipzig 
unschätzbare  Dienste. 

Hermann,  Jacob,  hervorragender  Mathematiker  und  Phj^siker,  geboren 
am  19.  Juli  1678  zu  Basel,  wurde  1713  Professor  zu  Padua,  hierauf  1719  zu 
Frankfurt  a.  0.,  1724  zu  St.  Petersburg  und  endlich  1731  in  seiner  Vater- 
stadt, wo  er  auch  am  11.  Juli  1733  starb.  In  Padua  verfasste  er  die  Schrift  y>De 
vibrationihus  chordarum  tensarum  disquisitiod  und  in  Frankfurt  das  gleichfalls 
für  die  Musik  wichtige  "Werk  »De  motu  chordarum,  quihus  instrumenta  musica  in- 
strui  solent,  atque  stahili  sonorum  mensuraa  (Exercit.  Francofort.  Tom.  I.  Sect.  II.). 

Hermann,  Johann  David,  vortrefflicher  Clavierspieler  und  Componist, 
geboren  um  1760  in  Deutschland,  kam  1785  nach  Paris  und  trat  dort  im 
Concert  spirituel  mit  grossem  Erfolge  auf.  Von  der  Königin  ]\[arie  Antoinette 
zum  Clavierlehrer  erwählt,  war  sein  Glück  im  TJnterrichtsfache  entschieden. 
Nach  Steibelt's  Erscheinen  1787  in  Paris  bildeten  sich  sogar  zwei  Partheien, 
von  denen  sich  die  eine  für  H.,  die  andere  für  den  neuen  Meister  erklärte. 
AVährend  der  Revolutionszeit  erwarb  sich  H.  durch  Speculation  beim  Verkauf 
der  Nationalgüter  beträchtliche  Summen  und  zog  sich  mit  denselben  in  das 
Privatleben  zurück.     Hochbetagt  lebte  er  noch  in  den   1830er  Jahren  in  Paris. 


Hermann  —  Hermstedt.  211 

Von  seinen  sehr  zahlreichen  Compositionen  sind  Concerte,  Sonaten,  Potpourris 
u.  dergl.  für  Ciavier  im  Druck  erschienen. 

Hermauiij  Johann  G-ottfried  Jacob,  einer  der  scharfsinnigsten  deut- 
schen Philologen  und  ausgezeichneter  Humanist,  geboren  am  28.  Novbr.  1772 
zu  Leipzig,  studirte,  bei  entschiedener  Neigung  für  die  altclassische  Literatur, 
dennoch  eingehend  die  Rechte,  wandte  sich  aber  dann,  seinen  glänzenden  Fähig- 
keiten entsprechender,  wieder  der  Philologie  zu,  wurde  1798  ausserordentlicher 
und  1803  ordentlicher  Professor  an  der  Universität  Leipzig,  an  welcher  er  als 
erste  Zierde  derselben  und  mit  allen  akademischen  Ehren  überhäuft  bis  zu 
seinem  Tode,  am  31.  Decbr.  1848,  segensreich  wirkte.  Yon  seinen  "Werken 
wirkten  auch  fruchtbringend  für  die  musikalische  Wissenschaft:  liElementa 
doctrinae  metricaed  (Leipzig,  1816)  und  sein  »Handbuch  der  Metrik«  (Leip- 
zig, 1799). 

Hermanu,  Nicolas,  deutscher  Kirchengesangscomponist,  war  um  die  Mitte 
des  16.  Jahrhunderts  Cantor  zu  Joachimsthal  in  Böhmen  und  auch  als  voi'- 
trefflicher  Dichter  in  seiner  und  für  alle  Zeit  hochgeschätzt.  Er  starb  hoch- 
betagt am  5.  Mai  1561.  Die  herzogl.  Bibliothek  in  Gotha  bewahi't  noch  vier 
verschiedene  Ausgaben  von  seinen  Gesängen,  von  denen  drei  nach  seinem  Tode 
veranstaltet  worden  sind.  Einige  noch  jetzt  gesungene  Choräle  sind  von  ihm 
zugleich  gedichtet  und  componirt,  wie  »Lobt  Gott,  ihr  Christen«  und  »Erschienen 
ist  der  herrliche  Tag«  (e  e  e  h  eis  d  h  a),  letzterer  von  H.  zu  dem  Texte 
»Am  Sabbathtag  Marien  drei«  gesetzt.  Die  ihm  vielfach  zugeschriebene  Me- 
lodie »Aus  meines  Herzens  Grunde«  steht  nicht  in  seinen  erhalten  gebliebenen 
"Werken,  kommt  vielmehr  zuerst  in  des  Barth.  Gesius  »Geistlichen  deutschen 
Liedern«  (1601)  vor. 

Hermann  der  Damen,  deutscher  fahrender  Sänger,  geboren  in  der  ersten 
Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  in  Norddeutschland,  hielt  sich  an  den  Höfen  seines 
G-eburtslandes ,  namentlich  bei  den  Grafen  von  Brandenburg,  Holstein  und 
Schleswig  auf.  Er  besingt  denn  auch  meistens  das  Lob  der  Fürsten  und 
Herren,  von  denen  er  damaliger  Zeitsitte  gemäss  Gaben  empfing;  das  merk- 
würdigste und  für  die  Literaturgeschichte  wichtigste  seiner  Gedichte  ist  das 
an  seinen  jüngeren  Zeitgenossen  Heinrich  Erauenlob  gerichtete,  dessen  Lehrer 
und  Meister  in  der  Kunst  überhaupt  er  nicht  unwahrscheinlich  gewesen  ist. 

Hermes,  griechischer  Name  für  Mercurius  (s.  d.). 

Hermes,  Hermann  Daniel,  deutscher  Theologe,  geboren  am  24.  Jan. 
1731  zu  Petznik  bei  Stargard  in  Hinterpommern,  war  Pastor  an  der  Maria- 
Magdalena-Kirche  zu  Breslau,  wo  er  am  12.  Novbr.  1807  starb.  Er  hat  Lieder 
mit  selbst  componirten  Melodien  herausgegeben.  —  Bedeutender  für  die  Musik 
war  sein  jüngerer  Bruder,  der  als  Schriftsteller  und  Dichter  bekannte  Johann 
Timotheus  H.,  geboren  in  Petznik  am  31.  Mai  1738  und  gestorben  am 
24.  Juli  1821  zu  Breslau  als  Superintendent,  Pastor  primarius  zu  St.  Elisa- 
beth und  erster  Professor  der  Theologie  an  der  Universität.  Mit  seinen  Ro- 
manen, namentlich  »Fanny  Wilkes«  (2  Bde.,  Leipzig,  1766;  3.  Aufl.  1781) 
und  »Sophiens  Reise  von  Memel  nach  Sachsen«  (5  Bde.,  Leipzig,  1770 — 1775; 
6  Bde.,  1778),  hat  er  Aufsehen  erregt  und  vielfach  genützt,  so  wenig  dieselben 
als  plumpe  Nachahmungen  englischer  "V^orbilder  auch  höheren  Kunstanforde- 
rungen genügen  konnten.  In  dieselben  flocht  er  zahlreiche  Lieder  nach  be- 
kannten Melodien  ein,  die  grossen  Beifall  fanden  und  eine  Zeit  lang  allgemein 
gesungen,  auch  von  J.  A.  Hiller  in  grosser  Anzahl  neu  componirt  wurden. 
H.'s  Haus  in  Breslau  war  übrigens  der  Sammelpunkt  für  Künstler  von  nah 
und  fern  und  wirkte  fördernd  auf  den  musikalischen  Geschmack  der  Stadt  ein. 
H.  ist  auch  der  Verfasser  zweier  musikalischer  Aufsätze:  »Noch  Etwas  über 
das  Ciavier«  und  »Nähere  Nachrichten,  Breslau'sche  Claviere  betrefi'end«  in  den 
Schlesischen  Provinzialblättern  Bd.  IL  S.  437  ff.  und  Bd.  IIL  S.  560  ff. 

Hermstedt,  Johann   Simon,  vorzüglicher  deutscher  Clai'inettvirtuose,  ge- 

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212  Hero  -  Hdrold. 

boren  am  29.  Decbr.  1778  zu  Langensalza,  erhielt  auf  dem  Militärknaben- 
Institute  zu  Annaberg  Unterricht  auf  fast  allen  Instrumenten  und  wurde  hierauf 
Lehrling  des  Stadtmusicus  Knoblauch  in  Waldheim,  später  beim  Stadtmusicus 
Bär  in  Coldiz.  Darnach  kam  er  als  erster  Clarinettist  in  ein  Regiments -Musik- 
corps zu  Langensalza,  das  zeitweilig  nach  Dresden  beordert  wurde,  wo  H.  zum 
ersten  Male  gute  Vorbilder  hörte  und  Unterricht  im  Violinspiel  und  General- 
bass  nahm.  Als  der  Fürst  von  Schwarzburg  1800  ein  eigenes  Militär-Musik- 
corps errichten  Hess,  kam  H.  als  erster  Clarinettist  nach  Sondershausen,  wurde 
später  Musikdirektor  desselben  und  endlich  fürstl.  Hofkapellmeister.  Als  solcher 
starb  er  am  10.  Aug.  1846  zu  Sondershausen.  Seinen  unvergleichlichen  Ton 
und  seine  eminente  Technik  verdankte  er  lediglich  der  aufmerksamen  Beobach- 
tung guter  Säuger  und  Violinvirtuosen.  So  wanderte  er  1808  hinüber  nach 
Gotha,  um  in  dieser  Weise  Spohr  zu  studiren,  der  ihn  kennen  lernte,  lieb 
gewann  und  eigens  für  ihn  ein  Clarinettenconcert  und  Variationen  schrieb. 
Mit  diesen  Compositionen  Hess  er  sich  1809  in  Leipzig  hören  und  wurde  dort, 
sowie  in  Dresden,  Prag  und  Berlin ,  besonders  auch ,  da  er  zuerst  sein  Instru- 
ment aus  allen  Tönen  blies,  für  den  ersten  Meister  der  Clarinette  erklärt. 
Auch  C.  M.  V.  Weber,  mit  dem  H.  1812  zuerst  zusammentraf  und  mit  dem 
er  1815  eines  seiner  Coucerte  in  Prag  gab,  hatte  die  Absicht,  eigens  ein  Concert 
für  ihn  zu  schreiben.  Die  letzte  Kunstreise  H.'s  fällt  in  das  Jahr  1832,  wo 
man  ihn  wieder  in  Leipzig  allgemein  bewunderte.  Componirt  hat  H.  nur 
einige  wenige  kleine  Stücke  für  sein  zwölf  Mann  starkes  Musikcorps,  sonst 
nichts,  wohl  aber  hat  er  vielerlei,  namentlich  Werke  von  Mozart  und  Haydn,  für 
Harmoniemusik  arrangirt. 

Hero,  aus  Alexaudria  gebürtig,  einer  der  vorzüglichsten  Mathematiker  und 
Mechaniker  des  Alterthums,  um  185  v.  Chr.  lebend,  verfasste  zwei  Bücher 
»Ueber  die  Verfertigung  der  Automaten«,  herausgegeben  von  Baldi  (Venedig, 
1601),  und  mehrere  andere,  theils  verloren  gegangene,  theils  nur  noch  in 
Bruchstücken  vorhandene  Schriften,  namentlich  eine  Beschreibung  der  Con- 
struktion  der  Wasserorgel  des  Ktesibius,  welche  letztere  deutsch  übersetzt  J.  C. 
Vollbeding  in  seiner  »Kurzgefassten  Geschichte  der  Orgel«  (Berlin,  1793) 
wiedergiebt. 

Hero,  Hippolyt,  vortrefflicher  französischer  Contrabassvirtuose,  geboren 
am  22.  März  1819  zu  Mons,  ist  Lehrer  seines  Instruments  an  der  Musikschule 
daselbst  und  hat  ein  gutes  Lehrbuch  für  dasselbe  veröffentlicht. 

Herolde  (französ.),  eine  Composition  im  grossartigen  Style,  ein  Heldenstück, 
dessen  Hauptcharakter  Erhabenheit  ist. 

Heroique  (französ.;  ital.:  eroico),  Vortragsbezeichnung  in  der  Bedeutung 
heroisch,  heldenmässig,  grossartig. 

Herold,  Franz  Joseph,  guter  Clavierspieler  und  gründlicher  Musiklehrer, 
geboren  am  16.  März  1755  zu  Soltz  im  Elsass  (nicht  1757  zu  Hamburg), 
kam  1781  nach  Paris,  wo  er  sich  bald  zu  den  geschätztesten  und  gesuchtesten 
Lehrern  seines  Instruments  emporschwang.  Als  solcher  starb  er  zu  Anfang 
des  J.  1806.  Von  seiner  Composition  erschienen  leichte  Ciavier- Sonaten,  So- 
naten für  Harfe  und  Sonaten  für  Ciavier  und  Violine. 

Herold,  Louis  Joseph  Ferdinand,  talentvoller  und  berühmter  fran- 
zösischer Operncomponist,  der  Sohn  des  Vorigen,  wurde  am  28.  Jan.  1791  zu 
Paris  geboren.  Unter  musikalisch  günstigen  Vei-hältnissen  wuchs  er  heran, 
sollte  sich  aber  dem  Wunsche  seines  Vaters  gemäss  wissenschaftlichen  Studien 
widmen.  Erst  der  Tod  des  Letzteren  änderte  des  Knaben  Lebensplan,  und 
H.  trat  1806  'in  das  Pariser  Conservatorium ,  wo  Louis  Adam  sein  Lehrer  im 
Clavierspiel  ward  und  ihn  so  weit  brachte,  dass  H.  1810  den  ersten  Preis  er- 
hielt, während  ihn  Catel  in  der  Harmonielehre  unterrichtete.  Im  J.  1811  be- 
gann er  bei  Mehul  die  höheren  Compositionsstudien,  und  schon  im  Aug.  1812 
errang  er  mit  der  Cantate  y>Madame  de  LavalUeret  den  grossen  Staatspreis, 
der  ihn  drei  Jahre  lang  zu  Studien    nach  Rom    führte.     Vor    seiner  Rückkehr 


Herold.  213 

über  "Wien  und  München  nach  Paris  ging  H.  von  Rom  aus  nach  Neapel  und 
brachte  dort  im  Teatro  del  Fondo  ziemlich  beifällig  seine  Erstlingsoper  »Za 
gioventu  di  Mirico  F«  zur  Aufführung.  In  Paris  führte  ihn  Boieldieu  auf  die 
Opernbühne,  indem  er  ihn  zur  Mitarbeit  an  seiner  Oper  yOIiarles  de  Francei 
veranlasste,  in  Folge  dessen  man  H.  selbstständig  das  Textbuch  zu  y>Les  rosieres« 
(Die  ßosenmädchen,  1816)  zur  Composition  für  die  Opera  comique  anvertraute. 
In  dieser  und  in  seiner  folgenden  Oper  »Z-a  clochettea  (Das  Zauberglöckchen 
1817)  trat  er  in  der  Schreibart  seines  Lehrers  und  Vorbilds  Mehul  so  fest 
und  sicher  auf,  dass  man  schon  deutlich  seine  dem  Gediegenen  zugewendete 
Richtung  erkennen  konnte.  Nur  galt  die  Mehul'sche  Manier  bereits  als  über- 
wundener Standpunkt.  Aus  Mangel  eines  Textbuches  schrieb  H.  hierauf  einige 
Pianofortecompositionen,  die  jedoch  kein  Glück  machten.  Erst  im  Octbr.  1818 
erschien  er  mit  der  dreiaktigen  Oper  y>Le  premier  venua  (Der  Erste,  der  Beste), 
die  ebenso  wie  die  folgende  »Zes  troqueurs<s.  (1819)  eine  laue  Aufnahme  fand. 
Die  letztere,  unter  dem  Namen  »Der  Tausch«  1820  in  Wien  und  1825  in 
Berlin  gegeben,  trug  wenigstens  den  Namen  ihres  Componisten  zum  ersten 
Male  über  den  Rhein.  Die  beiden  einaktigen  Opern  •aL'amour  platonique<.<.  und 
y>L^auteiir  mort  et  vivaiiU  (1820)  scheiterten  total  an  ihren  matten  Texten  und 
gingen  spurlos  vorüber. 

Entmuthigt  nahm  H,  wieder  die  Stelle  als  Accompagnateur  bei  der 
Opera  Italien  an,  die  er  bereits  im  ersten  Jahre  der  Direktion  der  Madame 
Catalani  bekleidet,  dann  aber  in  Erwartung  grösserer  künstlerischer  Er- 
folge aufgegeben  hatte.  Erst  1823  versuchte  er  sich  wieder  mit  der  ko- 
mischeu Oper  »Ze  muletiera  (Der  Maulthiertreiber) ,  deren  Musik  wenigstens 
die  Kritik  grosse  Anerkennung  angedeihen  Hess.  Bis  1826  folgten  nun  die 
Opern  y>Lasthenie<i,  y>  Vendome  en  Espagnev.  (mit  Auber  gemeinschaftlich  com- 
ponirt),  »Ze  roi  Renen  und  »Ze  liipi7i  hlanc«  (Das  weisse  Kaninchen),  in  denen 
sich  die  Einwirkungen  des  musikalischen  Tageshelden  Rossini  geltend  machten, 
die  aber  keinen  Beifall  zu  finden  vermochten.  Da  erschien  am  12.  Aug.  1826 
in  der  Opera  comique  »Marie«,  vielleicht  seine  beste  Partitur,  und  die  lange 
Enttäuschung  lohnte  der  erste  durchgreifende,  unbestrittene  Erfolg,  der  auch 
in  Deutschland  ein  lebhaftes  Echo  fand.  Leider  konnte  er  diese  für  seinen 
Ruhm  so  günstige  Zeit  nicht  zu  weiteren  grösseren  Arbeiten  benutzen.  Denn 
seit  1824  war  er  Chordirektor  bei  der  italienischen  und  seit  1827  Gesangschef 
bei  der  Grossen  Oper,  und  dieses  schwierige,  zeitraubende  Amt  Hess  ihm  bis 
1829  nur  eben  für  ihm  übertragene  Balletcompositionen  (yyÄstolphe  et  Jocondea, 
-nTherese  ou  la  somnambule«,  vLi/diea,  y>Gendrillon«  und  y>La  ßlle  mal  gardeev), 
sowie  für  die  Ouvertüre  und  sonstige  Musik  zu  dem  politischen  Gelegenheits- 
drama »Ze  dernier  jour  de  Missolomighia  einige  Müsse  übrig. 

Als  er  endlich  1829  mit  der  kleinen  Oper  y>LHllusion«  (Die  Täuschung) 
und  der  grösseren  y>jEmmelinev.  hervortrat,  begegnete  er  seinem  alten  Miss- 
geschicke; man  rühmte  reizende  Einzelnheiten  seiner  Musik,  die  Werke  selbst 
aber  fielen  beinahe  durch.  Das  letzte  Jahr  der  Bourbonenregierung  aber  brachte 
ihm  als  ehrendes  Zeichen  der  Anerkennung  wenigstens  das  Ritterkreuz  der 
Ehrenlegion.  Der  Grossen  Oper  widmete  H.  hierauf  das  vieraktige  Ballet  »Za 
helle  au  hois  dormanta,  und  mit  Carafa  zusammen  schrieb  er  1830  die  kleine 
Oper  yiL'auberge  d^Auraya.  Aber  erst  mit  der  Oper  »Zampa«  (1831)  erntete 
er  wieder  den  allgemeinsten,  lautesten  Beifall,  der  sich  auf  alle  Opernbühnen 
Europas  verpflanzte,  trotzdem  gerade  in  diesem  Werke  das  Verfehlte  dem  Ge- 
lungenen die  Wage  hält.  Fast  gleichzeitig  erschien  in  Paris  »Za  marquise  de 
Brinvilliersa,  gedichtet  von  Scribe  und  Castil-Blaze,  an  deren  Musik  ausser  H. 
noch  Auber,  Berton,  Boieldieu,  Cherubini,  Halevy  und  Paer  betheiligt  gewesen 
sind.  Allein  H.'s  Kraft  war  gebrochen,  seine  Gesundheit  durch  anstrengende 
Amtsgeschäfte  untergraben;  Ruhe  und  eine  Erholungsreise  wollte  er  sich, 
nachdem  er  so  eben  erst  mühsam  den  Ruhmestempel  erreicht  hatte,  nicht  ver- 
gönnen,  vielmehr  componirte  er,    seinem   Brustübel  schon  ganz  verfallen,  noch 


214  Heroux  —  Herrmann. 

seine  Meisterwerke  »Zo  medecine  sans  medecina  (Das  Heilmittel)  und  »Xe  pre 
aux  clercs«  (Der  Zweikampf),  erlebte  aber  den  glänzenden  Erfolg  des  letzteren 
nicht  mehr,  da  er  am  18.  Jan.  1833  zu  Paris  starb.  Seinen  Verlust  hielt  man 
noch  lange  nachher  in  Frankreich  für  unersetzlich,  um  so  mehr,  da  H.  auch 
als  edler,  wohlwollender  Mensch  gleich  gross  war  wie  als  Künstler.  Die  von 
ihm  begonnene  Oper  nLoudovica  wurde  von  Halevy  in  pietätvoller  Hingebung 
vollendet.  —  Ausser  den  oben  angeführten  musikalischen  Bühnenwerken  hat 
H.  noch  zwei  Sinfonien  und  drei  Quartette  (in  Rom)  und  59  "Werke  für  Piano- 
forte,  bestehend  in  drei  Concerten,  sechs  Sonaten,  Rondos,  zwölf  Fantasien 
u.  s.  w.  componirt,  die  jedoch  neben  jenen  Arbeiten  kaum  in  Betracht  kommen 
können.  H.'s  Musik  überhaupt  trägt  den  Stempel  der  neueren  französischen 
Opernschule;  einestheils  liebenswürdig  und  graziös,  lebhaft  und  pikant,  huldigt 
sie  dem  äusseren  G-lanz  und  blendenden  Schimmer,  ohne  jedoch  je  zu  lang- 
weilen. Angenehme  Motive,  wirksame  Harmonien  und  eine  geschickt  gehand- 
habte Instrumentation  vollenden  den  günstigen  Eindruck.  An  charakteristischer 
Kraft  fehlt  es  H.  noch  mehr  wie  seinem  Rivalen  Auber,  mit  dem  er  ausser- 
dem gemein  hat,  dass  er  seine  Einfälle  wohl  trefläich  zu  bearbeiten ,  aber  nicht 
wählerisch  genug  zu  sichten  weiss.  Aber  die  Kunst,  ohne  sich  vertiefen  zu 
müssen ,  angenehm  anregend  und  einschmeichelnd  zu  wirken ,  verstand  er  im 
hohen  Grade  und  benutzte  sie  mit  einer  Gewandtheit,  dass  er  manchen  ihm 
überlegenen  Componisten  seines  Landes  zuvorkam.  Zu  bedauern  ist,  dass  er 
so  oft  und  so  lange  seine  beste  musikalische  Kraft  matten  und  unlebensfähigen 
Textbüchern  zuwenden  musste. 

Heronx,  Franz,  guter  Ciavier-  und  Violinspieler,  war  zugleich  mit  seinem 
älteren  Bruder,  einem  tüchtigen  Flötisten,  bis  zu  Anfange  des  19,  Jahrhunderts 
im  Orchester  zu  Frankfurt  a.  M.  angestellt  und  hat  Ciavierstücke  componirt 
und  herausgegeben.  —  Sein  Sohn,  Karl  August  H.,  geboren  1786  und  ge- 
storben am  2.  Jan.  1842  zu  Frankfurt,  war  36  Jahre  lang  Vorspieler  an  den 
zweiten  Geigen  im  Orchester  ebendaselbst  und  wurde  als  tüchtiger  Musiker  und 
auch  als  guter  Componist  sehr  gerühmt. 

Herpol,  Hom.,  musikgelehrter  deutscher  Theologe,  lebte  um  die  Mitte 
des  16.  Jahrhunderts  als  Prediger  zu  Freiburg  im  Breisgau  und  galt  für  einen 
tüchtigen  Contrapunktisten,  der  mit  Vorliebe  complicirte  Fugen  schrieb. 

Herr,  Johann  Georg,  vorzüglicher  deutscher  Hornvirtuose,  geboren  in 
der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  zu  Gotha,  Hess  sich  1714  in  Hamburg 
öffentlich  hören  und  fand  die  höchste  Anerkennung. 

Herrmaun,  Christian  Gotthelf,  deutscher  Theologe  und  ästhetischer 
Schriftsteller,  geboren  1765  zu  Erfurt,  war  Superintendent  und  Professor  in 
seiner  Vaterstadt  und  starb  als  solcher  am  26.  Aug.  1823.  Seine  kunst- 
philosophischen Abhandlungen  und  Schriften  sind  für  den  Musikbeflissenen 
nicht  ohne  "Werth. 

Herrmaun,  Heinrich,  beliebter  norddeutscher  Tanzcomponist,  geboren 
am  22.  März  1827  zu  Frankfurt  a.  0.,  ist  seit  vielen  Jahren  am  Stadttheater 
daselbst  als  Musikdirektor  angestellt  und  hat  eine  Reihe  von  angenehm  in  das 
Ohr  fallenden  Tänzen  und  Märschen  veröffentlicht.  —  Ein  anderer,  älterer  Tanz- 
componist, Wilhelm  H.,  geboren  1807  zu  Trier,  lebte  1834  zu  Berlin  und 
besass  auch  als  Pianist  eine  nicht  ungewöhnliche  Fertigkeit. 

Herrmaun,  Gottfried,  vielseitig  gebildeter  deutscher  Tonkünstler  und 
Componist,  geboren  am  15.  Mai  1808  in  Sondershausen,  erhielt  seinen  treff- 
lichen ersten  Musikunterricht,  ebenso  wie  sein  jüngerer  Bruder  Karl  H.,  spä- 
terer fürstl.  schwarzburg'scher  Kammermusicus,  von  seinem  Vater,  einem  sehr 
tüchtigen  Musiker,  der  als  Solovioloncellist  in  der  fürstl.  Hofkapelle  angestellt, 
später  als  Stadtmusicus  nach  Nordhausen  ging  und  viele  gute  Zöglinge  bildete. 
Unter  solchen  musikalisch  günstigen  Verhältnissen  aufwachsend,  trat  H.  schon 
früh  als  Violinist,  Pianist  und  Quartettspieler  vortheilhaft  hervor  und  lieferte 
auch   schon    ziemlich    beachtenswerthe   Compositionsversuche.     Sechszehn  Jahre 


Herrmann  —  Herschel.  215 

alt,  nahm  ihn  Spohr  in  Kassel  in  seine  besondere  Obhut  und  ertheilte  ihm 
unentgeltlichen  Unterricht,  wofür  H.  des  Meisters  jüngster  Tochter  Clavier- 
lectionen  gab.  Auch  der  Unterweisung  Hauptmann's  in  der  Composition  hatte 
er  sich  zu  erfreuen.  Den  besonderen  Empfehlungen  Spohr's  verdankte  er  die 
Stelle  als  erster  Violinist  in  der  königl,  Kapelle  zu  Hannover  und  als  Musik- 
lehrer der  sämmtlichen  Kinder  des  Grafen  von  Platen-Hallermund,  Er  schloss 
sich  ausserdem  eng  dem  dortigen  Hoforganisten  und  ausgezeichneten  Pianisten 
Aloys  Schmitt  an  und  erreichte  auch  auf  dem  Pianoforte  eine  Vollkommenheit, 
die  ihn  beinahe  dies  Instrument  zu  erwählen  bestimmt  hätte.  Bald  nach  Schmitt 
kam  auch  H.  nach  Frankfurt  a.  M.  und  zwar  in  das  vom  Kapellmeister  Guhr 
trefflich  geführte  Theater-  und  Concertorchester.  Der  Umgang  daselbst  mit 
Ferd.  Ries,  Schnyder  von  Wartensee,  Schelble  u.  s.  w.  kam  H.  aufs  Beste  zu 
statten  und  regte  ihn  u.  A.  zur  Bildung  eines  Quartettvereins  an,  der  erfolg- 
belohnte öffentliche  Concerte  gab  und  sich  auch  auf  Kunstreisen  mit  grossem 
Beifall  hören  Hess.  Die  unruhigen  politischen  Zeiten  lösten  1831  endlich 
diesen  Verein,  dem  auch  H.'s  Bruder  Karl  als  Violoncellist  angehörte,  wieder 
auf  und  führten  den  einen  Quartettgenossen  hier-,  den  anderen  dorthin,  H. 
jedoch  als  städtischen  Musikdirektor  und  Organisten  der  St.  Marienkirche 
nach  Lübeck.  Dort  wirkte  er  musikalisch  aufs  "Wohlthätigste  auf  die  Musik- 
verhältnisse ein  und  begründete  u.  A.  1839  die  grossen  norddeutschen  Musik- 
feste, welche  abwechselnd  in  Lübeck,  Schwerin,  Rostock,  Hamburg  u.  s.  w.  ab- 
gehalten wurden.  Im  J.  1844  erhielt  H.  den  Ruf  als  fürstl.  Hofkapellmeister 
nach  Sondershausen,  dem  er  folgte;  ein  hoher  Aufschwung  dieses  Instituts 
datirt  von  der  achtjährigen  Thätigkeit  H.'s  auf  diesem  Posten  her.  Wieder- 
holte ehrenvolle  Anträge  aber  und  die  seinetwegen  verbesserte  Stellung  zogen 
ihn  1852  wieder  nach  Lübeck  zurück.  Dort  betheiligte  er  sich  um  1856  auch 
als  Mitdirektor  und  Dirigent  am  Stadttheater  und  führte  daselbst  mit  grossem 
Beifall  seine  Opern  r>Toussaint  de  V Ouvertura  und  »Barbarossa«  auf.  Von 
anderen  seiner  Opern  erschien  daselbst  in  jüngster  Zeit  noch  »Das  Johannis- 
feuer«,  während  »Die  Walpurgisnacht«  zur  Aufführung  vorbereitet  wird.  Auch 
sonst  ist  H.  als  Componist  nach  allen  Seiten  hin  sehr  productiv  gewesen;  er 
schrieb  Sinfonien,  Ouvertüren,  Concerte,  Octette,  Quartette,  Trios,  grössere  und 
kleinere  Gesaugssachen ,  von  denen  vieles  durch  den  Druck  und  durch  aus- 
wärtige Aufführungen  weithin  verbreitet  wurde.  Als  ausgezeichneter  Dirigent 
und  Leiter  von  grossen  Gesangvereinen  bekannt  und  bewährt,  nahm  H.  1869 
auch  die  Berufung  als  Direktor  des  Bachvereins  in  Hamburg  an,  die  er  jedoch 
der  mit  dem  wöchentlichen  Hin-  und  Herreisen  verbundenen  Strapazen  wegen 
schon  1870  wieder  aufgeben  musste.  Ueberhaupt  hat  sich  H.  als  Lehrer,  be- 
sonders auch  des  Gesanges,  vielseitig  mit  Glück  bewährt,  und  beschäftigt  ihn 
gegenwärtig  ausser  seinen  Töchtern,  von  welchen  die  Jüngste  gleichzeitig  ein 
hervorragendes  Harfentalent  besitzt,  die  weitere  Fortbildung  seiner  hochbegabten 
Nichte  Clara  H.  aus  Sondershausen,  welche  1874  das  Conservatorium  in 
Leipzig  sehr  ehrenvoll  absolvirt  hat.  Von  H.'s  regem  Eifer  und  seltener 
Rührigkeit  dürfte,  trotz  seines  vorgerückten  Alters,  noch  manche  schöne  That 
in   der  Kunst  zu  erwarten  stehen. 

Herrmauu,  Karl  Friedrich,  gründlicher  deutscher  Toukünstler,  geboren 
1786,  und  1848  als  Cantor  in  Greiz  noch  in  Thätigkeit,  gab  bis  1845  mehrere 
theoretisch-musikalische  Werke  heraus  und  ebenso  das  Hiller'sche  Choralbuch, 
welches  er  mit  Zwischenspielen  versehen  hatte. 

Herschel,  Friedrich  Wilhelm,  der  grosse  und  berühmte  Astronom,  war 
zugleich  ein  guter  Musiker,  der  sich  durch  die  Kunst  erst  seinen  Weg  zum 
Firmaraente  bahnen  musste.  Geboren  am  15.  Novbr.  1738  zu  Hannover  als 
der  Sohn  eines  Musikers,  Avurde  er  vom  Vater  zu  gleicher  Beschäftigung  an- 
gehalten, was  H.  jedoch  nicht  hinderte,  nebenbei  noch  Mathematik  und  Sprachen 
zu  treiben.  Im  14.  Jahre  trat  er  bei  einem  Regiment  als  Hautboist  ein  und 
ging   1757,    um   sich  in  der  Musik  besser  ausbilden  zu  können,    nach  London. 


216  Herschel  —  Herstell. 

Sein  fertiges  Ciavier-,  Orgel-  und  Harfenspiel  verhalf  itm  zu  Ruf  und  Pro- 
tection, und  der  Grraf  von  Darlington  stellte  ihn  als  Organisator  und  Lehrer 
eines  Miliz-Musikcorps  in  der  Grafschaft  Durham  an.  Als  dieses  eingeübt  war, 
liess  sich  H.  als  Musiklehrer  in  Leeds  nieder,  von  wo  er  1765  als  Organist 
nach  Halifax  kam,  welche  Stelle  er  ein  Jahr  später  mit  der  einträglicheren 
eines  Musikdirektors  in  Bath  vertauschte.  Hier  leitete  er  auch  Concerte  und 
gab  viele  Musiklectionen,  benutzte  aber  jeden  freien  Augenblick,  um  die  Mathe- 
matik in  ihrem  ganzen  Umfange  zu  studiren  und  astronomische  Werke  zu  lesen. 
Mit  selbstgefertigten  Telescopen  gelang  es  seitdem  H.,  Entdeckungen  an  Ent- 
deckungen zu  reihen,  die  ein  ungeheures  Aufsehen  in  der  gelehrten  Welt 
machten.  Nach  und  nach  liess  er  die  Musik  ganz  liegen  und  beschäftigte  sich 
ausschliesslich  mit  dem  Sternenhimmel  und  mit  den  Instrumenten,  ihn  so  genau 
wie  möglich  zu  erforschen.  Vom  König  Georg  in  eine  sorgenfreie  Lage  ver- 
setzt, bezog  er  das  Landgut  Slough  bei  Windsor,  auf  welchem  er,  von  Ehren- 
bezeugungen überhäuft,  am  25.  Aug.  1822  starb;  er  wurde  zu  TJxton  in  Berk- 
shire begraben.  Noch  1786  sollen  übrigens  nach  Petis  von  ihm  eine  acht- 
stimmige Sinfonie  und  Stücke  für  Harmoniemusik  in  England  herausgekommen 
sein.  Wahrscheinlich  aber  sind  diese  Compositionen  seinem  Bruder  Jacob 
H.  (s.  unten)  zuzuerkennen.  —  Der  einzige  Sohn  Friedrich  Wilhelm  H.'s, 
Sir  John  Erederick  William  H.,  geboren  1790  zu  Slough,  erhielt  seine 
wissenschaftliche  Bildung  auf  der  Universität  zu  Cambridge  und  setzte  die  von 
seinem  Vater  betriebenen  Forschungen  fort.  Nebenbei  beschäftigte  er  sich  mit 
Untersuchungen  über  physikalische  Gegenstände  und  hat  u.  A.  eine  »Abhand- 
lung über  die  Theorie  des  Tons«  geschrieben  und  veröffentlicht. 

Herschel,  Jacob,  Bruder  von  Friedrich  Wilhelm  H.,  geboren  1734 
zu  Hannover  (nach  Anderen  aber  und  wahrscheinlicher  erst  1740),  wurde  einer 
der  besten  deutschen  Violinisten  seiner  Zeit  und  soll  nach  Einigen  als  solcher 
zuerst  Hofmusicus  in  der  kurfürstl.  Kapelle  seiner  Vaterstadt,  nach  Anderen, 
nachdem  er  in  England  beim  Musikcorps  eines  Milizregiments  in  Diensten 
gestanden,  Violoncellist  (?)  in  Bath  gewesen  sein.  Im  J.  1771  (nach  Anderen 
1775)  ging  er  nach  Amsterdam  und  veröffentlichte  daselbst  von  seiner  Com- 
position  sechs  Quartette  für  Ciavier  und  Streichinstrumente.  Nach  der  Meinung 
Einiger  sei  er  erst  nach  dieser  Zeit  in  Hannover  angestellt  gewesen  und  dann 
(um  1786)  nach  London  gegangen,  wo  er  zwei  Sinfonien  und  Streichtrios  heraus- 
gegeben habe  und  1792  gestorben  sein  soll;  nach  Anderen  soll  er  im  letzge- 
nannten Jahre  vor  dem  Thore  Hannovers  ermordet  gefunden,  also  von  London 
bereits  wieder  zurückgekehrt  sein.  Es  ist  klar,  dass  diese  merkwürdige  bio- 
graphische Confusion  vielfach  auf  Verwechselungen  mit  seinen  Brüdern  beruht. 
Fest  steht,  dass  H.  in  Hannover  angestellt  gewesen  ist  und  zeitweilig  sich  in 
Amsterdam  und  vielleicht  wiederholt  (zuletzt  1786)  in  London  aufgehalten  hat. 

—  Sein  jüngerer  Bruder,  Alexander  H.,  geboren  um  1745  zu  Hannover, 
war  ein  ausgezeichneter  Violoncellist  und  als  solcher  ebenfalls  in  der  dortigen 
Hof  kapeile  angestellt.  Auch  als  Quartettspieler,  sowie  als  Lehrer  seines  In- 
struments war  er  hochgeachtet.  —  Die  Schwester  endlich,  Karoline  H.,  ge- 
boren 1750  zu  Hannover,  eine  gute  Harfenspielerin,  war  nebst  einem  vierten 
Bruder,  einem  Mechanicus,  die  unverdrossene  Gehülfin  des  Astronomen  H.  in 
England.  Als  solche  hat  sie  auch  mehrere  Kometen  entdeckt.  Sie  starb  am 
19.  Jan.  1848,  97'/«  Jahre  alt,  zu  Hannover. 

Herstell,  Karl,  rühmlichst  bekannter  deutscher  Orgel-,  Clavierspieler  und 
Componist,  geboren  1764  zu  Heisa,  einem  Dorfe  bei  Kassel,  war  bis  zu  seinem 
Tode;  im  J.  18.36,  Hoforganist  in  Kassel  und  hat  von  seiner  Composition 
Ciavier-,  Orgelstücke  und  für  den  Kasseler  Singchor  geschriebene  Motetten 
veröffentlicht.  Auch  ein  »Orgelwerk  für  Landorganistenct  und  eine  Abhandlung 
»Ueber  den   Gebrauch  der  Orgelstimmen«  von    ihm    sind  im  Druck  erschienen. 

—  Sein  Sohn,  Schüler  und  Amtsnachfolger,  Adolf  H. ,  geboren  zu  Kassel, 
wirkte    auch    zugleich    noch    als    Musiklehrer    am    Seminar     daselbst    und     hat 


Herstricli  —  Hertel.  217 

Kircten-  und  Scliulstücke  für  Gesang  mit  und  ohne  Begleitung,  ferner  Tänze 
und  Harfensachen  componirt. 

Herstrich  ist  dasselbe  bei  Bogeninstrumenten,  deren  Saiten  beim  Spiel 
senkrecht  stehen  (also  bei  Violoncello,  Grambe  und  Contrabass),  was  der  Her  ab- 
strich (s.  d.)  bei  wagerecht  behandelten  Streichinstrumenten.  Der  Bogen 
wird  beim  H.  mit  der  von  links  nach  rechts  sich  bewegenden  rechten  Hand 
gleichfalls  vom  Frosch  nach  der  Spitze  zu  über  die  Saiten  geführt,  nur  dass 
seine  Lage  hier  wagerecht,  beim  Herabstrich  aber  senkrecht  ist.  In  allem 
TJebrigen  gilt  vom  H.  dasselbe  wie  vom  Herabstrich  (s.  auch  Bogenstrich). 

Hertel,  Johann  Christian,  ausgezeichneter  deutscher  Gamben  virtuose 
und  fruchtbarer  Instrumentalcomponist,  geboren  1699  zu  Oettingen  in  Schwaben. 
Seine  Jugendzeit  verlebte  er  in  Merseburg,  wo  sein  Vater,  wie  vorher  in  Oet- 
tingen, Hofkapellmeister  war.  Da  H.  Theologie  studiren  sollte,  so  unterrichtete 
ihn  der  Vater  nur  nebenbei  im  Gesang  und  im  Gambenspiel;  Violin-  und 
Ciavierspiel  dagegen  wusste  der  talentvolle  Knabe  heimlich  zu  erlernen,  indem 
er  den  Hoforganisten  Kaufmann  oft  besuchte,  der  ihm  auch  die  Compositions- 
regeln  beibrachte.  Als  Hofkapellknabe  zeichnete  er  sich  damals  durch  einen 
gut  musikalischen  Vortrag  aus,  und  auch  in  Hofconcerten  auf  der  Gambe  wurde 
er  bereits  gern  gehört.  Im  J.  1716  ging  er  als  Theologe  nach  Halle  ab,  er- 
öffnete und  unterhielt  aber  von  dort  aus  eine  rege  Verbindung  mit  dem  be- 
rühmten Kuhnau  in  Leipzig.  Seinem  immer  dringender  werdenden  "Wunsche, 
sich  ganz  der  Musik  widmen  zu  dürfen,  widerstand  endlich  sein  Vater  auch 
nicht  länger,  als  er  zufällig  einmal  den  Sohn  in  überraschend  fertiger  und  ge- 
fühlvoller Art  eine  Corelli'sche  Violin- Sonate  spielen  hörte.  Auch  der  Herzog 
von  Merseburg  nahm  sich  H.'s  an  und  schickte  ihn  behufs  vollkommener  Aus- 
bildung, besonders  im  Gambenspiel,  zu  dem  gefeierten  Ernst  Christian  Hesse 
in  Darmstadt.  Dort  betrieb  H.  zugleich  bei  den  Kapellmeistern  Graupner, 
Grünewald  und  dem  Concertmeister  Simonetti  das  Studium  der  Composition 
und  der  verwandten  Musikfächer.  Im  J.  1718  berief  ihn  der  Herzog  von 
Merseburg  zurück,  veranlasste  ihn  aber  bald  darauf,  sich  auch  an  den  Höfen 
von  "Weissenfels ,  Cöthen,  Zerbst  und  Dresden  hören  zu  lassen.  In  Eisenach 
Hess  sich  H.  1719  als  erster  Violinist  der  Hof  kapeile  engagiren  und  begann 
Sinfonien,  Ouvertüren,  Quartette,  Sonaten,  Concerte  u,  s.  w.  zu  componiren, 
die  er  stets  dem  Kapellmeister  Stölzl  in  Gotha  zur  Beurtheilung  vorlegte.  Im 
Druck  erschienen  jedoch  nur  einige  Violin- Sonaten.  Von  Eisenach  aus  begab 
er  sich  1723  nach  Anspach,  1725  nach  Kassel  und  1726  nach  "Weimar,  überall 
Aufsehen  machend  durch  sein  vollendetes  Spiel.  Hierauf  besuchte  er  seinen 
alten  Vater  in  Merseburg  und  J.  S.  Bach  in  Leipzig,  worauf  er  nach  Dresden 
und  1727  nach  Holland  ging.  Kaum  in  Eisenach  wieder  eingetroffen,  liess 
ihn  der  Kronprinz  von  Preussen,  nachmalige  König  Friedrich  der  Grosse,  durch 
Graun  nach  Ruppin  einladen,  wo  H.  1732  sich  hören  liess.  Auf  der  Rückreise 
spielte  er  beim  Fürsten  Günther  in  Sondershausen,  der  ihn  aufforderte,  fleissig 
Compositionen  einzuschicken  und  jährlich  wenigstens  einmal  selbst  an  den  dortigen 
Hof  zu  kommen.  Nach  Birkenstock's  Tode  wurde  H.  in  Eisenach  zum  Concert- 
meister und  Direktor  der  fürstl.  Concert-  und  Kammermusik  ernannt.  Noch 
immer  folgte  er  den  zahlreichen  ehrenvollen  Einladungen  nach  auswärts,  liess 
sich  aber  nicht  bewegen,  Eisenach  dauernd  zu  verlassen.  Dies  geschah  erst 
1742,  als  sein  Herzog  starb  und  die  ganze  Kapelle  entlassen  wurde.  Auf  Em- 
pfehlung Franz  Benda's  kam  H.  alsbald  als  Concertmeister  an  den  Hof  von  Mecklen- 
burg-Strelitz.  Damals  liess  er  sich  nur  in  Schwerin  noch  hören,  da  ihn  der 
schwarze  Staar  befiel,  der  endlich  mangelhaft  operirt,  ihm  alle  weiteren  Unter- 
nehmungen verbot.  Dieser  Unglücksfall,  sowie  der  Umstand,  dass  1753  die 
Kapelle  aufgelöst  und  er  selbst  pensionirt  wurde,  versetzte  ihn  in  den  trau- 
rigsten Gemüthszustand,  dem  er  im  Octbr.  1754  erlag.  Auch  als  Componist 
war  H.  zu  seiner  Zeit  hoch  angesehen,  und  besonders  fanden  seine  concer- 
tirenden  Ouvertüren  und   Quartette    allgemeinen  Beifall,    ohne    dass    sie  jedoch 


218  Hertel. 

im  Druck  erschienen.  —  Sein  Sohn  und  Schüler,  Johann  Wilhelm  H.,  ge- 
boren am  9.  Octbr.  1727  zu  Eisenach,  hat  den  Vater  bis  zu  dessen  Tode  nicht 
verlassen.  Er  war  einer  der  vorzüglichsten  A-'^iolinisten  in  Benda'scher  Manier, 
nicht  minder  fertiger  Ciavierspieler  und  als  Componist  bedeutend  und  beliebt 
wie  sein  Vater.  Als  Hofcomponist  kam  er  1757  nach  Schwerin,  wo  er  später 
Kapellmeister  wurde.  Als  die  Kapelle  1770  an  den  Hof  von  Ludwigslust  kam, 
blieb  H.  bei  der  Prinzessin  Ulrike  in  Schwerin  als  deren  Hofrath  und  Privat- 
sekretär. In  dieser  Stellung  starb  er,  vom  Schlage  getroffen,  am  14.  Juni  1789. 
Er  hat  Sinfonien  und  Quartette,  Claviorsonaten  und  Concerte  geschrieben,  die 
für  tüchtige  Werke  galten.  Besonders  aber  war  er  als  Componist  von  Oden 
und  Liedern  allgemein  beliebt,  ohne  übrigens  als  solcher  irgendwie  bedeutend 
zu  sein.  Ausserdem  lieferte  er  zwei  Passionen  und  als  Hofrath  in  Schwerin 
sieben  geistliche  Singspiele,  deren  Titel  Gerber  in  seinem  Lexikon  aufführt. 
Auch  als  Schriftsteller  auf  musikalischem  Gebiete  hat  er  sich  bekannt  gemacht 
durch  eine  nicht  zu  Ende  gekommene  »Sammlung  musikalischer  Schriften« 
(Leipzig,  1757  und  1758),  enthaltend  kritische  Abhandlungen  und  Anmerkungen 
über  die  Oper  aus  dem  Italienischen  und  Französischen.  In  seinem  höheren 
Alter  wandte  er  sich  mit  Vorliebe  zur  Blumenzucht,  die  er  mit  solchem  Er- 
folge betrieb,  dass  er  sich  weithin  bei  den  Gärtnern  und  Blumenfreunden  vor- 
theilhaft  bekannt  machte. 

Hertel,  Karl,  guter  Violinist,  geboren  am  13.  März  1784  in  Berlin,  Hess  sich 
seit  1808  auf  seinem  Instrumente  mit  Beifall  öffentlich  hören  und  wurde  auch 
um  diese  Zeit  bereits  in  der  königl.  Kapelle  beschäftigt,  bis  er  1811  als  wirk- 
licher Kammermusiker  angestellt  wurde.  Diesem  Institute  gehörte  er,  zuletzt 
als  ältestes  Mitglied  desselben,  volle  50  Jahre  an,  worauf  er,  schon  1857  durch 
Verleihung  des  ßothen  Adlerordens  ausgezeichnet,  1862  ehrenvoll  pensionirt 
wurde.  Er  starb  zu  Berlin  am  16.  Novbr.  1868. —  Sein  Sohn,  Peter  Ludwig  H., 
geboren  am  21.  April  1817  zu  Berlin,  erwarb  sich  als  geschickter  Balletcom- 
ponist  einen  weitverbreiteten  Buf.  Den  ersten  Violiuunterricht  erhielt  derselbe 
von  seinem  Vater  und,  weiter  vorgerückt,  von  dem  vortrefflichen  Ed.  Bitz.  Im 
Ciavierspiel  unterrichtete  ihn  W.  Greulich  und  in  der  Composition  Jul.  Schneider 
und  A.  B.  Marx.  Mit  Sinfonien,  Ouvertüren,  Quartetten,  Tänzen  und  Ciavier- 
stücken trat  er  zuerst  hervor,  ohne  aber  eine  grössere  Aufmerksamkeit  zu  er- 
regen. Dies  gelang  ihm  erst,  als  ihm  der  königl.  Balletmeister  Ph.  Taglioni 
das  für  London  geschriebene,  von  Cesare  Pugni  in  Musik  gesetzte  Ballet  »Sa- 
tanella« in  umgearbeiteter  und  erweiterter  Gestalt  anvertraute,  um  die  neuen 
Nummern  zu  componiren.  Das  Werk  selbst,  im  April  1852  zum  ersten  Male 
aufgeführt ,  gewann  sich  in  seltener  Art  die  Gunst  des  Publikums  von  Berlin, 
später  von  Wien,  Mailand  u.  s.  w.  und  befindet  sich  noch  jetzt  auf  dem  Ballet- 
repertoire.  Alle  im  weiteren  Verlaufe  von  Taglioni  für  die  Berliner  Hofbühne 
gearbeiteten  Ballets  und  Tanzdivertissements  erhielt  seitdem  H.  zur  Com2)0- 
sition.  Es  sind  dies:  »Die  lustigen  Musketiere«  (1852),  »Alphea«  (1853), 
»Ballanda«  (1855),  »Morgano«  (1857),  »Flick  und  Flock«  (1858),  »Ellinor« 
(1861),  »Electra«  (1863),  »Sardanapal«  (1865),  »Fantasca«  (1867),  »Don  Parasoht 
(1869),  »Militaria«  (1871),  von  denen  viele  Tanznummern  ins  Volk  drangen 
und  populär  wurden.  Auch  mehrere  Claviercompositionen  von  H.  sind  während 
dieser  Zeit  erschienen.  H.  selbst  wurde  1858  zum  königl.  Hofcomponisten  und 
1860  zum  Dirigenten  der  königl.  Balletmusik  ernannt,  in  welchen  Funktionen 
er  noch  gegenwärtig  thätig   ist. 

Hertel,  Matthäus,  namhafter  deutscher  Organist  der  ersten  Hälfte  des 
17.  Jahrhunderts,  welcher  an  der  Kirche  zu  ZüUichau  angestellt  war.  Eine 
von  ihm  verfasste,  ihm  aber  entwendete  und  unter  fremdem  Namen  heraus- 
gekommene »Orgelprobe«  fand  in  damaliger  Zeit  grosse  Verbreitung.  —  Sein 
Sohn,  Christian  H.,  zählt  zu  den  berühmtesten  deutscheu  Orgelspielern  seines 
Jahrhunderts.  Er  fungirte  seit  etwa  1670  nach  einander  in  Sorau,  Lucken- 
walde und  Fürstenwalde  und  starb  in  der  letztgenannten  Stadt. 


Hertenstein  —  Herz.  219 

Hertenstein,  Dietrich  Daniel,  deutscher  Theologe,  geboren  um  1715 
zu  Ulm,  promovirte  an  der  Universität  zu  Jena  mit  der  Dissertation:  r>De 
Jiymnis  ecclesiae  apostoUcae«. 

Herther,  F.,  der  Componist  der  in  Leipzig  und  an  mehreren  anderen 
deutschen  Bühnen  sehr  beifällig  gegebenen  Oper  »Der  Abt  von  St,  Gallen«, 
nennt  sich  mit  seinem  eigentlichen  Namen  Hermann  Günther,  war  Arzt  in 
Leipzig  und  gehörte  zu  den  kunstgebildetsten  Dilettanten  dieser  Stadt. 

Hertwig,  Marie,  s.  Heckmann. 

Hertz,  Michael,  Ciaviervirtuose  und  Componist,  geboren  am  28.  Septbr. 
1844  zu  Warschau,  wo  sein  Vater  Präsident  des  k.  k.  Censur-Comites  war, 
erhielt  den  ersten  Musikunterricht  von  seiner  Mutter,  musste  aber,  nachdem 
er  das  Realgymnasium  durchlaufen  hatte,  in  die  königl.  Bank  von  Polen  ein- 
treten. Kaum  zwei  Jahre  daselbst,  wandte  er  sich  gegen  den  "Willen  seiner 
Eltern  gänzlich  zur  Musik  und  bezog  das  Conservatorium  zu  Leipzig,  wo  er 
bei  Plaidy,  Reinecke  und  Moscheies  eifrig  studirte.  Später  vollendete  er  bei 
H.  V.  Bülow  in  München  saine  Ciavierstudien,  Mit  Glück  trat  er  nun  als 
Pianist  in  seiner  Vaterstadt  auf  und  wurde  hierauf  als  Kapellmeister  der  pol- 
nischen Oper  in  "Warschau  engagirt,  welchem  Institut  er  zwei  Jahre  lang  an- 
gehörte. Im  J.  1872  kam  er  als  Lehrer  des  Clavierspiels  an  das  Stern'sche 
Conservatorium  in  Berlin,  dem  er  noch  gegenwärtig  angehört.  Mit  grossem 
Beifall  hat  er  sich  im  Januar  und  Februar  1875  auch  in  Berlin  als  Ciavier- 
virtuose in  Concerten  hören  lassen.  Componirt  hat  er  Ciavierwerke  und 
polnische  und  deutsche  Lieder,  von  denen  viele  im  Druck  erschienen  sind 
und  sich  einer  günstigen  Aufnahme  von  Seiten  der  musikalischen  Kritik  er- 
freuten, 

Hertzberg,  Rudolph  von,  vortrefflich  gebildeter  Tonkünstler  und  Dirigent, 
geboren  am  6.  Jan.  1818  zu  Berlin,  erhielt  schon  frühzeitig  Ciavierunterricht, 
weiterhin  auch  von  Kilitschgy  und  L.  Berger,  welcher  letztere  ihn  1832  er- 
folgreich der  OeflFentlichkeit  als  Pianist  vorführte.  Nach  Vollendung  seiner 
Studien  im  Contrapunkt  und  in  der  Composition  bei  S.  W,  Dehn,  besuchte 
H.  von  1836  bis  1838  Ober-  und  Unteritalien,  woselbst  ein  längerer  Aufent- 
halt in  Neapel,  Rom  und  Mailand  sehr  förderlich  für  sein  Kunstwissen  war. 
Nach  Berlin  zurückgekehrt,  widmete  er  sich  hauptsächlich  dem  musikalischen 
Lehrfache,  wurde  1847  zum  Gesanglehrer  beim  königl.  Domchor  berufen  und 
1858  zum  königl.  Musikdirektor  ernannt.  Als  Neithardt  1861  starb,  ward  H. 
als  Nachfolger  desselben  in  der  Oberleitung  des  königl.  Domchors  angestellt, 
und  er  erwarb  sich  in  dieser  Stellung  das  Verdienst,  den  berühmten  Chor 
unter  schwierigen  Umständen  und  mit  beschränkteren  Geldmitteln  auf  der  Höhe 
erhalten  zu  haben,  die  derselbe  unter  seinem  Vorgänger  erreicht  hatte.  Von 
der  Composition  hat  sich  H.,  sein  Talent  bescheiden  schätzend,  schon  lange 
zurückgezogen  und  sich  blos  an  dem  Sammelwerke  fMusica  sacrav.  betheiligt. 
Nur  zehn  "Werke  von  ihm,  bestehend  in  Liedern  mit  Clavierbegleitung  und 
Pianofortestücken,  sind  in  der  Zeit  von   1836  bis  1839  im  Druck  erschienen. 

Herunterstrich,  s,  Herabstrich. 

Herve,  Componist  zahlreicher  französischer  Operetten  und  Bouflfonerien, 
die  zum  Theil  mit  Beifall  aufgeführt  worden  sind,  lebt  in  Paris.  In  Deutsch- 
land ist  nur  seine  Burleske  »Doctor  Faust  junior«  durch  Aufführungen  in  Wien 
bekannter  geworden, 

Hervelois,  Caix  de,  französischer  Componist,  geboren  um  1670,  stand  als 
Musiker  in  Diensten  des  Herzogs  von  Orleans  und  hat  in  Amsterdam  zwei 
Bücher  y>Pieces  pour  la  Basse  de  Viole  avec  la  Basse  continuev.  veröffentlicht, 

Herz,  H.,  guter  Violinist,  geboren  um  1797  zu  Prenzlau,  kam  um  1821 
als  königl,  Kammermusiker  in  die  Opernkapelle  zu  Berlin,  die  er  jedoch  1827 
wieder  verliess,  um  in  die  Hofkapelle  im  Haag  zu  treten.  Später  ging  er 
nach   Sumatra    und  Java,    war    längere  Zeit  Officier  in  holländischen  Diensten 


220  Herz  —  Herzberg. 

und    dann    bei    der   Regierung    in    Java    als    höherer  Beamter    angestellt.     Im 
Besitz  einer  holländischen  Pension  kehrte  er  endlich  nach  Berlin  zurück. 

Herz,  Heinrich  (Henri),  ausserordentlich  beliebter  Claviercomponist 
und  fertiger  Pianist,  geboren  am  6.  Jan.  1806  zu  Wien,  erhielt  seinen  ersten 
Musikunterricht  bei  seinem  Vater  und  bei  dem  Organisten  Hunten  in  Coblenz. 
Acht  Jahre  alt,  Hess  er  sich  daselbst  bereits  öflfentlich  hören  und  fing  auch 
bereits  an  zu  componiren.  Von  Coblenz  aus  ging  er  mit  seinem  Vater  nach 
Paris,  wo  es  1816  demselben  gelang,  den  Sohn  in  das  Conservatorium  zu 
bringen,  in  welchem  auch  bereits  dessen  Bruder  (s.  unten)  ausgebildet  worden 
war,  H,  wurde  daselbst  der  Clavierklasse  Pradher's  zugewiesen  und  erhielt 
auch  nicht  lange  darauf  den  ersten  Preis.  In  der  Harmonie-  und  Corapo- 
sitionslehre  bei  Dourlen  machte  er  gleichfalls  rasche  Fortschritte,  so  dass  er 
schon  1818  ein  »Air  tyrolien  variea  und  ein  Tultondo  alla  Gosaccau.  seiner  Com- 
position  herausgeben  konnte,  welche  "Werke  auch  alsbald  ihre  Liebhaber  fanden. 
Seitdem  erhöhte  und  verbreitete  sich  sein  Ruf  als  Pianist  und  Componist  in 
rapider  Weise,  und  er  wurde  populär  wie  nur  Wenige,  Nachdem  er  viele 
Concerte  in  Paris  und  überhaupt  in  Frankreich  mit  seltenstem  Erfolge  gegeben 
hatte,  besuchte  er  1831  mit  Lafont  zusammen  Deutschland  und  allein  1834 
England,  wo  er  einen  solchen  Enthusiasmus  erregte,  dass  er  auch  später  öfter 
mit  Vorliebe  dahin  zurückkehrte.  Von  1846  bis  1847  concertirte  er  in  den 
Vereinigten  Staaten,  von  1849  bis  1850  in  Californien  und  Südamerika  und 
hat  1851  in  Paris  die  Erlebnisse  dieser  Reisen  niedergeschrieben  und  ver- 
öffentlicht. Seitdem  widmete  er  sich  wieder  anhaltender  dem  Ciavierunterricht 
auf  dem  Pariser  Conservatorium,  dessen  Professor  er  schon  1842  geworden  war. 
Er  trat  auch  noch  mitunter  öffentlich  auf,  aber  ohne  grössere  Erfolge  aufweisen 
zu  können,  da  ihn  die  neueren  Heroen  des  Ciavierspiels  lange  schon  weit  über- 
flügelt hatten;  eigentliche  Triumphe  erlebte  er  nur  noch  auf  einer  Concertreise 
durch  Spanien,  mit  welcher  er  seine  Virtuosenlaufbahn  beschloss.  In  Paris 
hatte  er  auch  eine  Ciavierfabrik  gegründet,  deren  Fabrikate,  Flügel  sowohl  als 
Pianinos,  sich  einen  Weltruf  erwarben;  in  derselben  befindet  sich  ein  500  Per- 
sonen fassender  Concertsaal,  welcher  zu  Aufführungen  vielfach  benutzt  wird. 
—  Von  den  zahlreichen  Compositionen  H.'s  behaupten  nur  die  Etüden  und 
die  für  Schulzwecke  geschriebenen  Werke  in  ihrer  auf  technische  Feistigkeit 
geschickt  gerichteten  Tendenz  noch  immer  einigen  Werth.  Diesen  zunächst 
zeichnen  sich  seine  Concerte  und  grösseren  Kammermusikwerke  durch  mehr 
Pleiss  und  Tiefe,  als  sie  ihm  sonst  eigen  ist,  aus.  Seine  Popularität  bei  den 
Dilettanten  aller  Länder  gewann  er  jedoch  durch  eine  Menge  von  Variationen, 
Rondos,  Fantasien,  Divertissements  u.  dergl.  leicht  wiegende,  seichte  Arbeiten, 
die  angenehm  ins  Ohr  fallen  und  in  einer  eigenthüralichen,  eleganten  und 
brillanten  Manier  geschrieben  sind.  Mit  denselben  begründete  er  eine  eigene 
Schule  des  Clavierspiels,  welche  der  mechanischen  Fertigkeit  einen  vergrösserten 
Spielraum  gewährte  und  damit  einen  glänzenden,  geschmackvollen  Vortrag  ver- 
band. Diese  Richtung  hielt  sich  in  der  Mode  des  Tages,  bis  ihr  die  gehalt- 
vollere eines  Chopin,  Liszt,  St.  Heller  u.  s.  w.  noch  bei  Lebzeiten  ihres  Be- 
gründers den  Garaus  bereitete.  —  Sein  älterer  Bruder,  Jacques  Simon  H., 
geboren  am  31.  Decbr.  1794  zu  Frankfurt  a.  M.,  hatte  ebenso  vom  Vater  seineu 
ersten  Musikunterricht  empfangen  und  besuchte  seit  1807  das  Pariser  Conser- 
vatorium, auf  welchem  er  gleichfalls  von  Pradher  seine  tüchtige  Ausbildung  als 
Pianist  erhielt.  Er  erwarb  sich  als  Concertspielcr  einen  bedeutenden  Ruf, 
wurde  aber  besonders  als  Ciavierlehrer  in  Paris  geschätzt  und  gesucht.  Auch 
er  hat  viele  grössere  und  kleinere  Ciavierwerke  geschrieben  und  veröffentlicht, 
die  sich  durch  eine  leichte,  elegante  Faktur  auszeichnen  und  zu  ihrer  Zeit  be- 
liebt waren. 

Herzberg-,  Anton,  geschickter  Pianist  und  Componist,  geboren  am  4.  Juni 
1825  zu  Tarnow  in  Galizien,  kam  behufs  seiner  musikalischen  Ausbildung 
jung  nach  Wien    und    Hess    sich    von   Bocklet  im   Ciavierspiel    und  von  Preyer 


Herzberg  —  Herzog.  221 

in  der  Harmonielehre  und  Composition  unterrichten.  Auf  erfolgreichen  Concert- 
reisen  besuchte  er  Ungarn,  Polen  und  Südrussland  und  Hess  sich  1866 
in  Moskau  nieder.  Im  J.  1868  trat  er  nochmals  in  deutschen  und  fran- 
zösischen Städten  auf  und  scheint  seitdem  sich  in  seine  ursprüngliche  Hei- 
math zurückgezogen  zu  haben.  Seine  im  Druck  erschienenen  Compositionen 
für  Pianoforte,  aus  etwa  80  Salonstücken  bestehend,  bekunden  Talent  und 
Gewandtheit. 

Herzberg,  Martin  Jacob,  vortreflSicher  deutscher  Fagottvirtuose,  war  in 
der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  in  der  Provinz  Preussen  geboren.  Um 
1766  erhielt  er  Anstellung  als  königl.  Kammermusiker  in  Berlin.  Die  Kenner 
rühmten  damals  seinen  vorzüglichen  Ton  und  seine  ausgezeichnete  Fertigkeit, 
sowie  die  ti-effliche  Behandlung,  die  er  seinem  Instrumente  angedeihen  Hess. 

Herzberg,  Wilhelm,  reichbegabter  und  vielversprechender  Tonkünstler, 
geboren  am  18.  Octbr.  1819  zu  Cüstrin,  wurde  durch  seinen  Vater,  einen  tüch- 
tigen Organisten,  zuerst  mit  der  Musik  bekannt  gemacht.  Nachdem  er  das 
Gymnasium  zu  Frankfurt  a.  0.  durchlaufen  hatte,  studirte  or  in  Berlin  acht 
Semester  hindurch  Theologie  und  besuchte  gleichzeitig  die  königl.  Akademie 
der  Künste,  an  der  Bach  und  Bungenhagen  seine  Musiklehrer  waren.  Seine 
Fortschritte  in  der  Tonkunst  waren  so  ausserordentliche,  dass  er  wiederholt 
die  silberne  Medaille,  sowie  andere  Auszeichnungen  davontrug.  Darauf  hin 
wandte  er  sich  ausschliesslich  der  Musik  zu,  und  die  königl.  Akademie  führte 
in  öffentlicher  Sitzung  1843  eine  Sinfonie  und  1844  ein  Streichquintett  und 
ein  grösseres  Opernfragment  von  ihm  auf.  Bereits  hatte  sein  Name  durch  im 
Druck  erschienene  Lieder  und  Gesänge,  durch  Sonaten  und  Charakterstücke 
für  Pianoforte,  sowie  durch  den  von  ihm  ertheilten  trefflichen  Ciavierunterricht 
einen  guten  Klang  erlangt,  als  er  während  eines  besuchsweisen  Aufenthalts  in 
seiner  Heimath  am  14.  Novbr.  1847  zu  Gorgast  bei  Cüstrin  allzufrüh  und  als 
ein  Opfer  sträflichen  Muthwillens  starb.  Man  hatte  nämlich  den  des  Beitens 
Unkundigen  beredet,  ein  Pferd  zu  besteigen  und  dasselbe  in  die  schnellste 
Gangart  gebracht,  um  sich  an  dem  Benehmen  des  Reiters  zu  ergötzen.  Ein 
jäher  Fall  auf  das  Pflaster  und  der  Tod  H.'s  war  die  Folge  dieses  Streichs. 
Im  Manuscript  hat  H.  eine  Oper,  »Die  Bergknappen«,  und  ein  Oratorium, 
»Tobias«,  ferner  Sinfonien,  Ciaviertrios,  Violinconcerte ,  Pianofortewerke  und 
Gesänge  aller  Art  hinterlassen.  Auch  schriftstellerisch  hatte  er  begonnen,  sich 
bemerkbar  zu  machen,  wie  drei  Aufsätze  von  ihm  in  der  »Neuen  Berliner 
Musikzeitung«  vom  J.  1847  (»Ueber  Beethoven's  Opferlied«,  »Das  deutsche 
Yolkslied  und  das  Waldhorn«  und  »Ueber  musikalische  Reminiscenzen«) 
darthun. 

Herzog,  August,  deutscher  Tanzcomponist  und  guter  Clarinettist,  geboren 
um  1815  zu  Hamburg,  hat  ausschliesslich  in  seiner  Vaterstadt,  ehemals  auch 
als  Dirigent  von  Unterhaltungsconcef ten ,  gewirkt.  Von  seinen  Tänzen  sind 
viele  weit  über  Hamburg  hinaus  beliebt  geworden  und  einige  Zeit  hindurch 
musikalische  Modeartikel  gewesen. 

Herzog,  Johann  Georg,  ausgezeichneter  deutscher  Orgelvirtuose,  Musik- 
theoretiker und  Componist,  geboren  am  6.  Septbr.  1822  zu  Schmolz  bei  Kro- 
nach in  Baiern,  wurde  daselbst  von  dem  Lehrer  Bodenschatz  und  von  1840 
an  auf  dem  Seminar  in  Altdorf  von  Herrling  in  der  Musik  unterrichtet.  Schon 
1842  wurde  er  als  Organist  der  evangelischen  Hof-  und  Stadtkirche  zu  Mün- 
chen und  1849  zugleich  als  Cantor  ebendaselbst  angestellt.  Ein  Jahr  später 
ward  er  auch  Professor  am  Münchener  Conservatorium.  Im  J.  1855  folgte  er 
einem  Rufe  als  Professor  der  Musik  an  der  Universität  Erlangen,  woselbst  er 
gegenwärtig  noch  wirkt  und  ausserdem  noch  als  Dirigent  der  Singakademie 
und  des  akademischen  Gottesdienstes  fungirt.  Als  Componist  gediegener  Orgel- 
werke grösseren  und  kleineren  Umfanges  hat  er  sich  einen  weitverbreiteten 
Ruf  erworben.  Sein  »Präludienbuch«  und  »Handbuch  für  Organisten«  haben 
bleibenden   Werth.     Auch    Chorgesänj^e    von    ihm    sind    im    Druck    erschieuen, 


222  Herzogenberg  —  Hesse  von  Strassburg. 

die  sich  durch  melodischen  und  harmonischen  Gehalt  vortheilhaft  hervorthun, 
H.  ist  ebenso  der  Verfasser  eines  vortrefflichen  Choralbuchs  und  einer  grossen 
Orgelschule. 

Herzogenberg,  Heinrich  TOn,  begabter  deutscher  Componist,  welcher 
seinen  Wohnsitz  bis  Mitte  1872  in  Graz  hatte  und  dann  nach  Leipzig  über- 
siedelte. Von  seinen  Compositionen  sind  Ciavierstücke  (auch  ein  Duo  für 
Pianoforte  und  Violoncello),  sowie  ein-  und  mehrstimmige  Lieder  und  Gesänge 
erschienen,  welche  in  die  Schumann -Brahms'sche  Richtung  schlagen.  Durch 
Aufführungen  in  Graz  sind  von  ihm  eine  Columbus-  und  Odysseus- Sinfonie, 
sowie  ein  »deutsches  Liederspiel«  bekannt  geworden,  welche  Werke  die  ehrende 
Anerkennung  der  Kritik  gefunden  haben. 

Hes  (ital.:  sihemolle;  französ.:  sibemol;  engl.:  b  ßat),  der  um  einen  halben 
Ton  erniedrigte  Ton  S,  welcher  häufiger  B  (s.  d.)  genannt  wird. 

Hesdiu,  Pierre,  französischer  Vocalcomponist,  war  um  1522  Canzlist  der 
Bruderschaft  vom  heiligen  Julian  zu  Paris  und  nach  der  Thronbesteigung 
Heinrich's  II.  von  Frankreich,  1547,  Sänger  in  der  königl.  Kapelle,  Er  hat 
zahlreiche  geistliche  und  weltliche  Gesänge  componirt,  die  sich  in  französischen, 
italienischen,  niederländischen  un4  deutschen  Sammelwerken  des  16.  Jahrhun- 
derts vorfinden. 

Hesedschi  nennen  die  Araber  in  ihrer  Musiklehre  die  Zeitmaasse,  welche 
in  geringerer  Zahl  als  bei  uns  (nur  vier),  unserem  sehr  langsam,  langsam, 
gehend  und  schnell  entsprechend,  angenommen  werden.  Diese  Zeitmaasse  sind 
jedoch  nicht  so  streng  von  einander  zu  unterscheiden,  da  in  der  arabischen 
Musik  auch  die  Gelehrten  nur  oft  auf  das  mehr  oder  weniger  langsame  der 
Bewegung  achten,  indem  bei  Gesangausführuugen  die  Zeitbestimmungen  ge- 
wöhnlich nach  der  Ueberlieferung  gegeben  werden.  Mehr  über  die  H.  findet 
man  in  dem  Werke:  nFarahensis  a^ud  Kosegartena  Tome  I.  fol.  131.         2. 

Hesletiue,  James,  englischer  Orgelvirtuose  und  fruchtbarer  Kirchencom- 
ponist,  lebte  iu  der  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  und  war  zuerst  Organist 
an  der  Hauptkirche  zu  Durham  und  später  an  der  St.  Katharinenkirche  zu 
London. 

Hesliug)  Quirinus,  deutscher  Kirchencomponist  zu  Ausgang  des  16.  Jahr- 
hunderts, war  aus  Kahla  in  Sachsen  gebürtig  und  hat  die  Psalme  Davids  in 
Musik  gesetzt.  Dieselben  erschienen  unter  dem  Titel:  y>Q,uirini  Heslingii  Oalensis 
•musica   Davidis  psalterii  totiusa   (Leipzig,  1592). 

Hespel,  Homer,  deutscher  Contrapunktist  des  16.  Jahrhunderts,  wahr- 
scheinlich identisch  mit  dem  Freiburger  Prediger  Herpol,  gab  heraus:  »No- 
vum  et  insigne  opus  musicum,  in  quo  textus  evangeliorum  5  vocihus  expH- 
muntum. 

Hess,  hervorragender  deutscher  Orgelbauer,  lebte  in  der  letzten  Hälfte  des 
18.  Jahrhunderts  zu  Ochsenhausen  in  Schwaben.  —  Sein  Zeit-  und  Standes- 
genosse,  Hans  Heinrich  H. ,  war  in  Gouda  (Holland)  ansässig  und  hat  von 
1760  bis  1774  mehrere  gute  Orgeln  in  niederländischen  Städten,  besonders  in 
Bodengraven,  Schoonhoven,  Utrecht,  Schiedam,  Dortrecht  und  Willemstadt  auf- 
gerichtet. —  Der  Bruder  dieses  Letzteren,  Joachim  H. ,  war  von  etwa  1770 
bis  1810  Organist  und  Componist  zu  Gouda  und  hat  in  der  Zeit  von  1774 
bis  1784  drei  kleine,  aber  von  Gründlichkeit  und  Sachkenntniss  zeugende 
Schriften  in  holländischer  Sprache  über  Orgelspiel,  Orgelregistrirung  und 
Orgeldisposition  herausgegeben,  deren  ausführliche  Titel  Gerber  und  Fetis 
anführen. 

Hess,  Michael,  deutscher  Componist  des  17.  Jahrhunderts,  hat  eine  acht- 
stimmige Messe  r>Quam  dilecta  etc.v  veröffentlicht. 

Hesse  von  Strassburg,  deutscher  Meistersinger  zu  Anfang  des  13.  Jahr- 
hunderts, von  dem  nichts  weiter  bekannt  geblieben  ist,  als  was  Rudolph  von 
Ems,  der  ihn  einen  Schreiber  in  Strassburg  nennt,  in  elf  Verszeilen  seines 
Epos  »Wilhelm  von  Orlenz«  über  ihn  raittheilt. 


Hesse.  223 

Hesse,  berülimter  thüringischer  Orgelbauer,  lebte  zu  Ende  des  18,  Jahr- 
hunderts in  Dachwig  bei  Erfurt  und  hat  u.  A.  1799  die  grosse  Orgel  in  der 
Michaelskirche  in  Erfurt  aufgerichtet. 

Hesse,  Adolph  (Friedrich),  einer  der  berühmtesten  deutschen  Orgel- 
virtuosen, vortrefflicher  Pianist  und  gediegener  Componist,  wurde  am  30.  Aug. 
1809  zu  Breslau  als  Sohn  des  Orgelbauers  Friedrich  H.  geboren.  Da  er 
schon  im  fünften  Jahre  nach  Oehör  alle  kleinen  Tonstücke,  die  ihm  vorgespielt 
wurden,  auf  dem  Ciavier  nachspielte,  so  erhielt  er  einen  guten  Musiklehi'er 
Namens  Speer,  und  da  er  überraschend  schnelle  Fortschritte  machte,  den  ge- 
diegenen Orgel-  und  Pianoforteunterricht  Friedr.  Wilh.  Berner's  und  des  Or- 
ganisten Ernst  Köhler,  die  er  Beide  schon  im  neunten  Jahre  im  Kirchendienste 
häufig  vertrat.  Damals,  im  J.  1818,  machte  er  mit  seinem  Vater  Kirchen- 
besuche in  sächsischen  Städten  und  gab  in  Bernburg,  dem  Geburtsorte  des 
Letzteren,  ein  Concert  als  Pianist.  Eifrig  weiterstudirend,  trat  er  endlich  1827 
in  einer  von  Berner  geleiteten  grossen  Aufi"ührung  als  Componist  mit  einer 
Ouvertüre  in  D-moll  und  als  Ciavierspieler  mit  Hummel's  S-tnoll-Concert  mit 
grossem  Beifall  in  Breslau  auf.  Dieser  Erfolg  seines  Schülers  war  Berner's 
letzte  Freude,  der  am  9.  Mai  desselben  Jahres  starb.  In  Folge  dessen  wurde 
H.  als  zweiter  Organist  an  der  St.  Elisabethkirche  angestellt  und  zeichnete  sich 
so  aus,  dass  er  vom  Breslauer  Magistrat  ein  ßeisestipendium  erhielt,  welches 
ihn  in  den  Stand  setzte,  Leipzig,  Kassel,  Hamburg  und  Berlin  zu  besuchen, 
wo  er  Aufsehen  erregende  Orgelconcerte  gab  und  zum  ersten  Male  seine  Com- 
positionen  für  dieses  Instrument  öffentlich  hören  Hess.  In  "Weimar  studirte  er 
noch  einige  Zeit  bei  Hummel,  in  Darmstadt  und  Kassel  pflegte  er  förderlichen 
Umgang  mit  Rinck  und  Spohr  und  componirte  unter  dem  Einflüsse  dieser 
Meister  als  bedeutend  zu  bezeichnende  Orgelwerke  und  zwei  Sinfonien.  Auf 
mehreren  ferneren  Reisen,  die  er  theils  auf  eigene,  theils  auf  Regierungskosten 
unternahm,  wuchs  sein  Ruf  höher  und  höher.  Mittlerweile  war  H.  1831  als 
erster  Organist  an  der  Hauptkirche  zu  St.  Bernhardin  in  Breslau  angestellt 
worden,  welches  Amt  er  bis  zu  seinem  Tode  verwaltete.  Im  J.  1844  nach 
Paris  eingeladen,  weihte  er  dort  die  grosse  Orgel  zu  St.  Eustache  ein,  und  die 
Revue  et  gazette  musicale  rühmte  ihm  nach:  »H.  spielt  allein  schon  mit  den 
Füssen  gewaltiger,  als  Andere  mit  ihren  Händen.«  Den  verlockenden  Aner- 
bietungen, in  Paris  zu  bleiben,  gab  H.  keine  Folge,  sondern  kehrte  nach 
Breslau  zurück,  um  jedoch  schon  1846  eine  neue  Reise  und  zwar  nach  Italien 
anzutreten.  Im  J.  1852  war  er  in  England,  wo  man  ihn  anstaunte  und  feierte, 
so  namentlich  im  Krystallpalaste  zu  London,  dessen  Riesenorgel  er  meisterhaft, 
in  blendender  Pracht  vorzuführen  wusste.  Auch  als  Pianist  wurde  er  vielfach 
ausgezeichnet.  Nach  Breslau  aber  pilgerten  Schüler  von  nah  und  fern,  denen 
er  ein  unvergleichlicher  Lehrer  war.  Im  Uebrigen  lebte  er  einfach  und  zurück- 
gezogen und  trat  persönlich  nur  als  Organist  und  als  Dirigent  der  Sinfonie- 
concerte  der  Breslauer  Theaterkapelle  in  die  Oeffentlichkeit.  Er  starb  am 
5.  Aug.  1863  in  Breslau.  Von  seinen  Compositionen,  denen  auch,  soweit  sie 
nicht  Orgelwerke,  die  vorzüglich  seine  Meisterschaft  bekunden,  sind,  Bedeutung 
nicht  abzusprechen  ist,  können  angeführt  werden:  ein  Oratorium  »Tobias«, 
mehrere  Cantaten,  Motetten,  ein  Psalm,  ein  Choralbuch  für  die  Provinz  Schlesien, 
sechs  Sinfonien,  vier  Ouvertüren,  ein  Streichquintett,  einige  Quartette,  ein 
Clavierconcert,  eine  vierhändige  Sonate  und  kleinere  Stücke  für  Pianoforte. 
Aufsätze  von  ihm  finden  sich  in  mehreren  musikalischen   Zeitschriften. 

Hesse,  Ernst  Christian,  einer  der  berühmtesten  deutschen  Violdagamben- 
Virtuosen,  geboren  am  14.  April  1676  zu  Grossen- Gottern  in  Thüringen,  machte 
seine  Studien,  zu  denen  auch  die  Anfangsgründe  der  Musik  gehörten,  zu 
Langensalza  und  Eisenach  und  trat  sodann,  zunächst  als  überzähliger  Canzlei- 
beamter,  in  hessen- darmstädtische  Dienste.  In  Giessen,  wohin  er  1694  dem 
Hofstaate  seines  Fürsten  folgte,  studirte  er  die  Rechte.  Im  J.  1698  durfte 
er    zur  A^ervollkommnung    iu    dem    schon    früher    erlernten    Garabeuspiel    nach 


224  Hesse. 

Paris  gehen  und  genoss  dort  drei  Jahre  lang  den  Unterricht  der  damals  be- 
rühmtesten Meister  dieses  Instruments,  des  Marin  Marais  und  Forqueray's. 
Nach  seiner  Rückkehr  erhielt  er  in  Darmstadt  den  nichtsbedeutenden  Titel 
eines  Hofkriegsraths.  Verschiedene  Jahre  hindurch  bereiste  er  hierauf  als 
Künstler  die  Hauptstädte  Europas,  sah  Holland,  England,  Italien,  das  übrige 
Deutschland,  sammelte  überall  Ehre  und  ßeichthümer  und  wurde  als  dir  vor- 
züglichste deutsche  Gambenvirtuose  gepriesen.  In  Wien  erhielt  er,  ausser 
anderen  glänzenden  Belohnungen,  des  Kaisers  kostbares  Bildniss  an  einer 
schweren  goldenen  Kette  zum  Ehrengeschenk.  Nach  Darmstadt  1708  zurück- 
gekehrt, verheirathete  er  sich  1713  mit  der  gefeierten  Johanna  Elisabeth 
Döbricht  (s.  weiter  unten)  und  trat  alsbald  darauf  die  ihm  in  Wien  ange- 
tragene Kapellmeisterstelle  an,  die  er  bis  1719  verwaltete.  In  diesem  Jahre 
ging  das  Künstlerpaar  zu  den  kurprinzlichen  Vermählungsfestlichkeiten  nach 
Dresden  ab,  bei  welcher  Gelegenheit  H.'s  Gattin  in  verschiedenen  italienischen 
und  deutschen  Opern  von  Lotti,  Heinichen  u.  A.,  er  selbst  aber  in  den  Hof- 
concerten  als  Componist  und  Virtuose  mit  seltenem  Erfolge  auftrat.  Reich 
beschenkt  begaben  sich  Beide  nach  Darmstadt  zurück,  wo  H.  ruhig  und  zu- 
frieden, einem  heiteren  Lebensgenüsse  huldigend,  erst  am  16.  Mai  1762  starb. 
An  Compositionen  hinterliess  er,  ausser  verschiedenen  Gesangssachen  für  die 
Kirche,  die  er  als  Kapellmeister  geschrieben  hatte,  eine  grosse  Menge  von 
Suiten,  Sonaten  und  Fugen  für  sein  Instrument,  welche  die  ganze  Stärke,  wie 
die  feurige  Phantasie  ihres  Componisten  kuudthun.  Als  Virtuose  soll  er  sich, 
ausser  durch  eine  eminente  Fertigkeit,  durch  die  Kunst  ausgezeichnet  haben, 
die  Klangfarbe  anderer  Instrumente,  der  Oboe,  des  Horns,  der  Violine,  täu- 
schend zu  copiren.  —  Seine  schon  erwähnte  Gattin,  Johanna  Elisabeth  H., 
geborene  Döbricht,  glänzte  bereits  1709  als  eine  der  vorzüglichsten  Opern- 
sängerinnen ihrer  Zeit  auf  dem  Theater  zu  Leipzig  neben  ihren  zwei  Schwestern, 
die  als  Ehefrauen  Ludwig  und  Simonetti  hiessen.  Als  Hofsängerin  in  Darm- 
stadt verheirathete  sie  sich  1713  mit  H.,  an  dessen  Seite  sie  darauf  ununter- 
brochen blieb  und  den  sie  auch  überlebte.  —  Der  Sohn  Beider,  Christian 
Ludwig  H.,  geboren  zu  Darmstadt,  bildete  sich  unter  väterlicher  Leitung 
ebenfalls  zum  Gambisten,  als  welcher  er  um  1754  als  Kammermusicus  in  der 
königl.  Kapelle  und  um  1766  in  der  des  Prinzen  von  Preussen  in  Berlin  an- 
gestellt war.  Er  ist  nicht  allein  einer  der  grössten  Virtuosen  seiner  Zeit,  son- 
dern auch  einer  der  letzten  Vertreter  seines  bald  darauf  in  Verschollenheit  ge- 
rathenen  Instruments  gewesen. 

Hesse,  (Friedrich  Wilhelm)  Julius,  vortrefflicher  Pianist  und  Musik- 
lehrer, geboren  am  2.  März  1825  zu  Hamburg,  wo  sein  Vater  Genremaler  und 
seine  Mutter  Bühnensängerin  war,  huldigte  von  früh  auf  der  musikalischen 
Uebung  und  kam  1838  nach  Berlin.  Dort  bildete  er  sich  bei  dem  Kammer- 
virtuosen F.  Wörlitzer,  später  bei  dem  Kammermusiker  Mohs  im  Ciavierspiel 
bis  zur  Künstlerschaft  aus  und  trat  seit  1842  häufig  als  Concertspieler  mit 
grossem  Beifall  öffentlich  auf.  Daneben  ertheilte  er  einen  guten  Unterricht 
und  gehöi't  noch  gegenwärtig  zu  den  vielbeschäftigten  Lehrern  seines  Instru- 
mentes. Ein  von  ihm  aufgestelltes  eigenartiges  System  für  den  Fingersatz  er- 
harrt noch  immer  die  Veröffentlichung  durch  den  Druck. 

Hesse,  Johann  Georg  Christian,  vorzüglicher  deutscher  Fagottvirtuose, 
geboren  1762  zu  Nordhausen,  war  als  Hofmusicus  in  der  fürstl.  bernburg'schen 
Kapelle  zu  Ballenstädt  angestellt.  Auf  Concertreisen  verbreitete  er  um  1800 
seinen  Ruf  über  Deutschland,  Holland,  England  und  Frankreich,  und  es  wurde 
anerkannt,  dass  seine  technische  Fertigkeit,  sein  geschmackvoller  Vortrag  und 
seine  Einsicht  in  die  musikalische  Kunst  übei'haupt  ihn  in  die  erste  Reihe 
seiner  CoUegen  stelle.  —  Sein  älterer  Brudei',  Johann  Wilhelm  H.,  geboren 
1760  zu  Nordhausen,  gestorben  1795  als  herzogl.  Kammermusiker  zu  Braun- 
schweig, war  ein  nicht  minder  ausgezeichneter  Meister  des  Fagotts.  Um  1780 
producirte  er  eine  Verbesserung    seines  Instruments,   darin  bestehend,    dass    er 


Hesse  —  Heteron  parakalisma.  225 

die  Klappenlage  veränderte  und  ein  Clarinettenmuudstück  zum  Anblasen  ver- 
wendete, wodurcli  der  Ton  und  die  Klangfarbe  des  Fagotts  überraschend  ver- 
schönert sein  sollten.  Der  Herzog  von  Braunschweig  war  auch  so  sehr  entzückt 
über  diese  Neuerung,  dass  er  H.  eine  Gehaltszulage  von  jährlich  100  Thalern 
bewilligte.  Es  spricht  aber  gegen  die  Zweckmässigkeit  der  H.'schen  Verän- 
derung, dass  kein  anderer  Fagottist,  selbst  sein  Bruder  Joh.  Georg  Christian 
nicht,  dieselbe  adoptirt  hat. 

Hesse,  Johann  Heinrich,  deutscher  Musiktheoretiker  und  Componist, 
war  um  1780  Hofcantor  und  Musikdirektor  zu  Eutin  und  componirte  24  geist- 
liche Oden.  Ausserdem  hat  er  eine  Generalbasslehre  verfasst  und  veröffentlicht. 
—  Sein  Zeitgenosse  war  Johann  Leonhard  H. ,  geboren  um  1735  zu  Star- 
gard  und  1754  als  Kammermusiker  und  Violinist  in  der  Opernkapelle  zu 
Berlin  angestellt.  Im  J.  1798  wurde  derselbe  peusionirt  und  starb  um  1805 
zu  Berlin. 

Hessel,  deutscher  Mechaniker,  lebte  zu  St.  Petersburg  und  dann  in  Berlin 
und  construirte  1785  eine  Harmonica  mit  einer  Tastatur,  welche  er  Clavier- 
harmonica  nannte.  TJm  das  Instrument  in  Aufnahme  und  zur  Verbreitung 
bringen  zu  helfen,  componirte  Mozart  einige  Piecen  für  dasselbe.  Auf  diesem 
Instrumente  Hess  sich  damals  der  Harmonicaspieler  Dussik  hören,  vermochte 
ihm  aber  keine  Anerkennung  zu  schaffen. 

Hesselbarth,  Heinrich,  deutscher  Tonkünstler  und  Dirigent,  geboren  1820 
zu  Potsdam,  studirte  in  Berlin  die  Theologie,  bevorzugte  aber  die  musikalische 
Uebung  und  wandte  sich  bald  gänzlich  der  Tonkunst  zu.  Er  fungirte  hierauf 
als  Operndirigent  an  den  städtischen  Bühnen  zu  Magdeburg,  Potsdam,  Stettin 
und  kam  1851  nach  Dessau,  wo  er  sich  eng  mit  Friedr.  Schneider  befreundete. 
Erst  nach  dem  Tode  desselben  und  nachdem  er  provisorisch  den  verstorbenen 
Meister  vertreten  hatte,  verliess  er  Dessau  wieder  und  folgte  einer  Berufung 
als  fürstl.  Hofkapellmeister  nach  Rudolstadt.  Dort  wirkt  er  noch  gegenwärtig, 
indem  er  das  fürstl.  Orchester  im  Theater  und  im  Concert  dirigirt,  sowie  den 
dortigen  Kirchengesaugverein  leitet. 

Hessmauu,  Franz,  deutscher  Violinvirtuose,  lebte  um  1770  in  Prag  und 
galt  damals  für  den  besten  Vertreter  seines  Instruments  im  ganzen  König- 
reich Böhmen. 

Hesychastisch  (von  dem  griech.  i^av^u^tir,  d.  i.  stillleben,  ruhig  sein)  hiess 
bei  den  Griechen  des  classischen  Alterthums  eine  der  drei  Arten,  in  welche 
die  Melopöie  bezüglich  ihres  Ausdruckscharakters  getheilt  wurde.  Während 
die  systaltische  Melopöie  den  Charakter  inniger,  zärtlicher,  und  die  diastaltische 
denjenigen  heiterer,  freudiger  Empfindungen  ausdrückte,  hielt  die  hesycha- 
s tische  die  Mitte  zwischen  beiden  und  trug  den  Ausdruck  sanfter  Bewegung 
und  ruhigen  Fortgangs  an  sich. 

Heterogen  und  homogeu  (aus  dem  Griech.),  d.  i.  verschiedenartig  und 
gleichartig,  haben  in  der  Musik  ihre  eigenthümliche  Bedeutung,  indem  man 
unter  homogenen  Tönen  solche  versteht,  welche  mit  der  Tonleiter  eines  an- 
genommenen Grundtons  näher  verwandt  und  verbunden  sind  als  andere,  nämlich 
die  hcteroeenen  Töne.  So  wird  z.  B.  der  Ton  Fis  mit  der  Durtonavt  von 
G  homogen,  dagegen  der  Ton  Ges  mit  derselben  heterogen  sein,  da  Ges  mit 
jener  Tonart  entferntere  Beziehungen  als  Fis  hat. 

Heteron  parakalisma  (griech.),  ^^'f*^,  ist  eine  Sypotas  (s.  d.),  die  aus  dem 
demotischen  Schriftzeichen  '2.^--'  der  alten  Aegypter  entstanden  ist.  Es  möge 
hier  ein  Beispiel  folgen,  worin  das  H.  nebst  andern  Notationszeichen,  wie  dessen 
Ausführung  in  unserer  Tonschrift,  wiedergegeben  ist: 


:      J-p^- 

1 — t~li 

— ö — ■ 

b— g   r  -H 

Muaikal.  Converä.-liexikon.     Y.  la 


226  Heteros  Ex6  —  Heuchemer. 

Heteros  Exö  (griech.),  (^^ t  ist  eine  Hypotas  (s,  d.)  der  griechisch-ka- 
tholischen Kirche,  die  wahrscheinlich  aus  einem  der  demotischen  Schriftzeichen 
der  alten  Aegypter  entstanden;  aus  welchem  ist  jedoch  bisher  nicht  nach- 
gewiesen. Ein  Beispiel,  in  dem  dies  Tonzeichen  angewandt  ist,  folgt  hier; 
darüber  ist  die  Notation  in  unserer  "Weise  gesetzt: 


[~T—\^ 

1 1^  1  1^       ^  1 

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--9^        I         ^  ^'  2. 

Iletscli,  (Karl  Friedrich)  Ludwig,  tüchtiger  Pianist  und  Violinist, 
bedeutender  Componist  und  Dirigent,  wurde  am  26.  April  1806  zu  Stuttgart 
geboren  als  der  Sohn  eines  Mitgliedes  der  dortigen  Hofkapelle.  Der  Concert- 
meister  Abeille  unterrichtete  ihn  im  Pianofortespiel,  und  sein  späterer  Musik- 
lehrer, als  der  Vater  1813  Stadtmusicus  in  Tübingen  geworden,  war  der  Or- 
ganist Weiss.  Aus  der  lateinischen  Schule  trat  H.  1820  in  das  theologische 
Seminar  in  Schönthal,  wo  er  auf  musikalisches  Selbststudium  angewiesen  war, 
und  erst  seitdem  er  1824  das  evangelisch -theologische  Stift  in  Tübingen  be- 
zogen hatte,  konnte  er  die  Lücken  seiner  Musikkenntniss  bei  guten  Lehrern 
mehr  und  mehr  ausfüllen.  Ohne  Vorwissen  seiner  Eltern,  die  von  einem  musi- 
kalischen Lebensberuf  nichts  wissen  wollten,  kehrte  er  1828  der  Theologie  den 
Kücken  und  begab  sich  1830  nach  Stuttgart,  wo  er  Musikunterricht  ertheilte, 
dann  auch  die  Direktion  des  Liederkranzes  und  eines  Liebhaberorchesters 
übernahm  und,  von  Lindpaintner  künstlerisch  berathen ,  eifrig  weiterführte. 
Eine  1833  am  Hoftheater  aufgeführte  zweiaktige  Oper  von  ihm,  »Ryno«,  hatte 
einen  so  freundlichen  Erfolg,  dass  der  König  von  Würtemberg  ihm  die  Mittel 
gewährte,  eine  musikalische  Studienreise  nach  Wien  zu  unternehmen,  von  der 
H.  erst  nach  einem  Jahre  zurückkehrte.  In  Stuttgart  traf  ihn  die  Berufung 
zum  akademischen  Musikdirektor  in  Heidelberg,  der  er  1835  folgte.  In  dieser 
Zeit  zeichnete  er  sich  als  Dirigent  sowohl,  wie  als  Componist  vortheilhaft  aus 
und  richtete  auch  im  übrigen  Deutschland  die  Blicke  auf  sich,  als  er  1840 
mit  dem  130.  Psalm  vom  Stuttgarter  Musikverein  und  1843  mit  einem  Duo 
für  Pianoforte  und  Violine  vom  Norddeutschen  Musikverein  mit  den  ausgesetzten 
Prämien  belohnt  wurde.  Schon  vorher  war  ihm  von  der  Heidelberger  Uni- 
versität die  Doctorwürde  ertheilt  worden.  Ein  grösserer  Wirkungskreis  aber 
eröffnete  sich  für  ihn  in  Mannheim,  wohin  er  1846,  zum  zweiten  Kapellmeister 
und  Chordirektor  des  Hoftheaters  ernannt,  abging.  Dort  übernahm  er  auch 
die  Leitung  der  Liedertafel,  die  er  zu  höheren  und  besseren  musikalischen 
Zwecken  führte.  In  beiden  Stellungen  verblieb  er  bis  zu  seiner  letzten  langen 
und  schweren  Krankheit,  welcher  er  am  28.  Juni  1872  in  Mannheim  erlag. 
• —  Von  H.'s  zahlreichen  Compositionen  sind  Sinfonien  und  Oratorien,  Clavier- 
und  Violinconcerte,  Divertissements  für  einzelne  Blaseinstrumente  und  Har- 
moniemusikstücke im  localen  Umkreise  vortheilhaft  bekannt,  andere  Ciavier- 
werke und  besonders  ein-  sowie  mehrstimmige  Lieder  und  Gesänge  auch  durch 
den  Druck  verbreitet  worden. 

Hettisch,  Johann,  guter  Violoncellist,  geboren  1748  zu  Liblin  in  Böhmen, 
galt  um  1772  bereits  als  der  beste  Virtuose  seines  Instruments  in  Prag, 
wurde  dann  aber  kaiserl.  Beamter  und  als  solcher  nach  Lemberg  versetzt. 
Dort  starb  er  im  J.  1793.  Er  hat  Concerte  und  Solos  für  Violoncello  com- 
pouirt. 

Hen,  Johann  Jacob,  vorzüglicher  deutscher  Hörn  virtuose,  geboren  1748 
zu  Arnstadt  in  Thüringen,  war  ein  Schüler  Punto's  und  wirkte  als  Mitglied 
der  herzogl.  Kapelle  in  Weimar. 

Heuchemer,  Johannes,  trefflich  gebildeter  deutscher  Tonkünstler,  geboren 
1826  zu  Vallendar  bei  Coblenz,  wo  sein  Vater  Organist  war.  Von  demselben 
schon    früh    musikalisch    unterrichtet,    setzte  H.  diese  Studien    als  Gymnasiast 


Heudier  —  Heulen.  227 

in  Coblenz  bei  Au  schütz  fort.  Um  1849  ging  er  als  Musikdirektor  nach 
Eupen  bei  Aachen  ab  und  von  da  1851  an  das  Conservatorium  zu  München, 
zuerst  als  Lehrer  an  der  Vorbereitungsklasse,  worauf  er  zum  Professor  des 
Ciavierspiels  an  der  Anstalt  selbst  ernannt  wurde.  Leider  starb  er  schon  am 
14.  Febr.  1858  zu  München  und  hinterliess  an  Compositionen  Ciavierstücke, 
Lieder  und  Gesänge,  die  eine  grosse  Begabung  erkennen  lassen. 

Heudier,  Antoine  Frangois,  guter  französischer  Violinist  und  gewandter 
Instrumentalcomponist,  geboren  1782  zu  Paris,  war  Orchesterchef  am  Theater 
zu  Versailles  und  hat  für  dasselbe  Melodramen  und  Ballets  in  Musik  gesetzt. 
Auch  Violinsachen,  unter  diesen  ein  Concert,  hat  er  componirt, 

Heugel,  Henri,  französischer  Musiklehrer,  Instrumenten-  und  Musikalien- 
händler in  Brest,  eignete  sich  die  Lehrmethode  Gallin's  an,  errichtete  auf 
Grund  dieses  Systems  ein  Musikinstitut  und  gab  ein  Lehrbuch  seiner  Xlnter- 
richtsprincipien  heraus.  Er  starb  um  das  J.  1840.  • —  Sein  Sohn,  Louis  H., 
errichtete  1831  in  Paris  ein  Musikaliengeschäft,  das  im  Laufe  der  Zeit  an 
Umfang  und  Bedeutung  in  dem  Maasse  zunahm,  dass  es  in  Frankreich  nur 
von  dem  weit  älteren  Musikverlage  von  Brandus  übertrofFen  wird.  Ausser  den 
classischen  Compositionen  von  Bach,  Händel,  Mozart,  Clementi  u.  s.  w.  in  vor- 
züglichen Ausgaben  hat  H.  fast  alle  "Werke  von  Gevaert,  F.  David,  Ch.  Gounod 
und  A.  Thomas  verlegt  und  grosses  Geschick  bewiesen,  nur  werthvolle  Arbeiten 
zu  erwerben.  Am  1.  Decbr.  1833  begründete  er  die  musikalische  Zeitung 
ytLe  Menestreh,  die  er  noch  gegenwärtig  mit  grosser  Umsicht  im  Interesse  der 
guten  Musik  und  unterstützt  von  den  namhaftesten  Musikgelehrten  Frankreichs 
und  Belgiens  redigirt. 

Heugel,  Johann,  ein  Contrapunktist  des  16.  Jahrhunderts,  war  von  etwa 
1560  bis  gegen  1580  Kapellmeister  des  Landgrafen  Philipp  des  Grossmüthigen 
von  Hessen.  Mehrstimmige  Gesangssätze  von  ihm  finden  sich  im  y>Concenfus« 
von  Salblinger  (1545)  und  in  noch  früheren  Sammelwerken,  so  in  denen  des 
Graphaeus  (1537),  Petrejus  (1538)  und  Kriesstein  (1540). 

Heulen  ist  ein  im  gewöhnlichen  Leben  sehr  häufig  gehörter  Ausdruck  für 
ein  Tönen,  welches  sich  dem  Ohre  in  einer  plötzlicheren  oder  langsameren  Art 
bemerkbar  macht,  in  der  höchsten  wie  geringsten  Kraft  mit  stetigem  nicht 
schroffen  Uebergange  aus  einer  Tonstärke  in  die  andere  variirt,  dabei  in  der 
Tonhöhe  stets  sich  verändert  und  zwar  durch  alle  physikalisch  fast  nur  mög- 
lichen Tonhöhen  unmittelbar  sich  bewegend.  Man  spricht  demgemäss  vom  H. 
des  Kindes,  des  "Windes  etc.  In  der  Kunst  selbst  hört  man  diesen  Ausdruck 
nur  zuweilen  für  ein  durchaus  unkünstlerisches  Singen,  besonders  für  ein 
schlechtes  Portamento  (s.  d.)  angewandt,  doch  stets  für  eine  fehlerhafte  Er- 
scheinung bei  der  Orgel.  "Wenn  nämlich  bei  der  Orgel  nach  dem  Aufziehen 
der  Eegister,  oder  schon  nach  der  Füllung  der  Bälge  mit  Wind  ein  Ton  stetig 
forterklingt,  so  sagt  man:  die  Orgel"  heule.  Man  kann  sich  leicht  vorstellen, 
welche  entsetzlichen  Missklänge  bei  der  Behandlung  eines  solchen  "Werkes  ent- 
stehen müssen,  und  es  seien  daher  die  gewöhnlichsten  Ursachen  dieses  Uebels 
hier  vermerkt.  1.  Ist  eine  Hauptventilfeder  (s.  d.)  so  schwach,  dass  sie 
das  Hauptsperrventil  (s.  d.)  nicht  luftdicht  gegen  den  Canzellenauf- 
schnitt  (s.  d.)  drückt,  so  dringt  der  Wind  in  die  Pfeife  und  dieselbe  ertönt 
immerfort.  2.  Hat  sich  irgend  ein  Körper  zwischen  Hauptventil  und  Canzellen- 
aufschnitt  festgesetzt,  so  hat  dies  dieselbe  Folge.  3.  Wenn  eine  Taste  durch 
Werfen  des  Holzes  oder  durch  Behinderung  in  nicht  normaler  Euhlage  ist,  so 
wird  dadurch  die  Canzellenöffuung  dem  Winde  zugänglich.  4.  Auch  aus 
feuchtem  Holze  gefertigte  Abstrakten  trocknen  oft  so  sehr  zusammen,  dass  sie 
das  Ventil  aufziehen.  5.  Wenn  das  S  in  der  Oese  sich  verschlingt  oder  sonst 
eine  Verbindung  der  Abstrakten  sich  verküi'zt.  6.  Wenn  man  während  des 
Orgelspiels  eine  Koppel  (s.  d.)  anzieht,  die  eigentlich  nur  angezogen  werden 
darf,  wenn  die  Tasten  in  der  Euhlage  sind,  oder  wenn  eine  Schiebekoppel 
(s.  d.)  nicht  gerade  angezogen  wird.     7.  Wenn  eine  Taste  zu  hoch  geschroben 

15* 


228  Heumiinu  —  Heuze. 

ist.  8.  "Wenn  ein  Hauptventil  sich  auf  einen  Leitestift  (s.  d.)  fängt  oder 
solcher  abgebrochen  ist  und  die  Bewegung  des  A'^entils  dadurch  unsicher  ist. 
9.  Zuweilen  kommt  es  selbst  vor,  dass:  wenn  sich  eine  Lederfaser  am  Spund 
des  Windkastens  (s.  d.)  löst,  die  ausserhalb  des  Windkastens  von  dem  aus 
der  Lade  zwischen  dieser  und  dem  Spund  oder  Vorreiber  strömenden  Winde 
so  hin  und  hergetrieben  wird,  dass  das  Leder  selbst  einen  Ton  erzeugt.  Ausser 
diesen  Ursachen  mag  es  noch  manche  andere  geben,  die  jedoch,  da  sie  sehr 
selten  vorkommen,  übergangen  werden  können.  Nur  darauf  sei  noch  aufmerksam 
gemacht,  dass  man,  bevor  man  eine  Abhülfe  des  H.'s  zu  bewerkstelligen  sucht, 
zuvörderst  die  Ursache  desselben  erst  genau  erforscht,  da  sonst  bei  dem  künst- 
lichen Bau  dieses  Instruments  leicht  statt  einer  Abhülfe  des  Uebels  dasselbe 
in  stärkerer  Art  erst  erzeugt  werden  könnte.  Am  besten  ist  es  schon,  falls 
man  nicht  ganz  sicher  in  seinem  Mittel  ist,  die  Abhülfe  einem  Orgelbauer  zu 
überlassen.  2. 

Heuiiiauu,  Christoph  August,  bekannter  deutscher  Literarhistoriker, 
geboren  am  3.  Aug.  1681  zu  Allstädt  im  Weimar'schen,  kam,  nachdem  er  seit 
1709  an  der  Schule  zu  Eisenach  gelehrt  hatte,  1717  als  Inspektor  an  das  Gym- 
nasium zu  Göttingen,  wo  er  wesentlich  zur  Verwandlung  desselben  in  eine 
Universität  l)eitrug,  an  welcher  er  1734  als  Professor  der  Literargeschichte, 
sowie  der  Theologie  angestellt  wurde  und  am  1.  Mai  1764  starb.  Unter  seinen 
Werken  befinden  sich  auch  einige  kleine  Schriften  über  Musik,  so  »über  das 
Sela  bei  den  Hebräern«,  »über  Weihnachtslieder«  u.  s.  w. 

Heurteur,  Guillaume  le,  französischer  Contrapunktist,  war  um  die  Mitte 
des  16.  Jahrhunderts  Canonicus  an  der  Kirche  St.  Martin  in  Tours  und  hat 
zahlreiche  Gesänge  componirt.  Im  J.  1545  und  1548  sind  dergleichen  kirch- 
lichen Inhalts  von  ihm  in  Paris  im  Druck  erschienen,  andere  finden  sich  in 
verschiedenen   Sammelwerken  damaliger   Zeit  vor. 

HeuscLkel,  Johann  Peter,  gründlich  gebildeter  deutscher  Tonkünstler, 
geboren  am  4.  Jan.  1773  zu  Harras  bei  Eisfeld,  wurde  1794  erster  Oboist  in 
der  Hofkapelle  zu  Hildburghausen  und  zugleich  Hoforganist  daselbst.  Im 
J.  1796  unterrichtete  er  Karl  Maria  v.  Weber  im  Clavierspiel,  und  derselbe 
bewahrte  diesem  seinem  »braven,  strengen  und  eifrigen«  Lehrer  ein  dankbares 
Andenken.  H.  schrieb  Harmoniemusikstücke,  Concerte  und  Variationen  für 
Oboe,  Sonaten  und  Variationen  für  Ciavier,  Lieder  und  Gesänge  u.  s.  w.,  von 
welchen  Werken  jedoch  ausser  iustructiven  Ciavierstücken  nur  sehr  wenig  im 
Druck  erschienen  ist.  Durch  Herausgabe  eines  Choralbuchs  zu  dem  Hildburg- 
hausen'scheu  Gesangbuch  (1808)  erwarb  er  sich  um  Stadt  und  Land  noch 
besondere  Verdienste,  da  mit  demselben  endlich  unter  den  vielen  überflüssigen 
Kirchenmelodien  aufgeräumt  wurde.  Als  1826  der  Hof  von  Hildburghausen 
nach  Altenburg  übersiedelte,  folgte  H.  einem  Rufe  nach  Wiesbaden ,  wo  er  in 
aller  Stille  noch  lange  als  Hoforgauist  und  Musiklehrer  wirkte.  Er  starb  im 
J.  1853  zu  Biebrich. 

Haussier,  Johann,  deutscher  Orgelbauer  des  16.  Jahrhunderts,  der  in 
München  lebte  und  in  Baiern  mehrere  gute  Kircheninstrumente  erbaut  hat. 

Heuze,  Jacques,  bedeutender  französischer  Violinvirtuose,  geboren  um 
1738  zu  Paris,  machte  sich  schon  früh  als  Concertspielcr  und  Anführer  der 
Violinen  im  Orchester  vortheilhaft  bekannt.  Um  1760  reiste  er  nach  St.  Peters- 
burg und  war  1764  während  der  Festlichkeiten  der  Kaiserkrönung  in  Frank- 
furt a.  M.,  von  wo  aus  er  einem  Rufe  als  Concertmeister  an  den  Hof  von 
Kassel  folgte.  Als  1786  der  Landgraf  starb  und  die  Kapelle  entlassen  wurde, 
begab  sich  H.  wieder  nach  Paris,  wo  er  in  den  1790er  Jahren  starb.  An 
seinem  Spiel  wurde  enorme  Fertigkeit  und  Feuer  gerühmt.  —  Seine  Gattin, 
Anna  H.,  geborene  Scali,  aus  Rom  (1752)  gebürtig,  war  als  italienische 
Opernsängerin  nach  Kassel  gekommen,  verlor  aber  dort  1785  ihre  Stimme. 
Nach  ihres  Mannes  Tode  lebte  sie  in  Paris  als  Gesauglehreriu  und  starb  da- 
selbst um  1810. 


Hewitt  —  Hexameter.  229 

Hewitt,  John  H.,  englisch- amerikanischer  Tonkünstler,  geboren  1801  zu 
New- York,  wendete  sich  vom  Studium  der  Eechte,  dem  er  sich  anfangs  hin- 
gegeben hatte,  ab  und  widmete  sich  der  Tonkunst.  Er  schrieb  u.  A.  Opern 
und  Oratorien,  unter  welchen  letzteren  »Jephta«  in  seinem  Vaterlande  beson- 
ders gelobt  wurde  und  machte  sich  auch  als  Balladencomponist  rühmlich  be- 
kannt. Seit  1845  lebte  er  in  Baltimore.  —  Ein  englischer  Musikgelehrter 
gleichen  Namens,  Dr.  D.  C.  Hewitt,  lebte  um  1815  zu  London  und  ver- 
öflfentlichte  damals  ein  Lehrbuch,  worin  er  eine  neue  Theorie  der  Melodie, 
Harmonie  und  Modulation  aufstellte. 

Hexachordum  (griech.-latein,;  ital.:  essacordo)^  d.  i.  Sechssaiter,  ein  nur  im 
Abendlande  seit  dem  11.  Jahrhundert  in  der  Musik  gebräuchlicher  Ausdruck, 
der  aus  den  griechischen  Wöi'tern:  f"|,  sechs,  und  x^Q^'h  Saite,  gebildet  worden 
ist,  diente  entweder  zur  Benennung  eines  Intervalls,  der  grossen  Sexte  (s.d.), 
oder  als  Name  für  die  sechsstufige  Tonleiter,  bestehend  aus  vier  Ganztönen 
und  einem  Halbton,  welcher  letztere  stets  zwischen  der  dritten  und  vierten 
Stufe  der  Scala  sich  befinden  musste.  Das  H.  soll  von  Guido  von  Arezzo 
(s.  d.)  als  Toumaass  eingeführt  worden  sein,  und  zwar  ungefähr  um  1000  n.  Chr. 
Dasselbe  muss  in  jener  Zeit  der  frühesten  Eutwickelung  der  im  Abendlande 
später  ausschliesslich  gebräuchlichen  Tongattungen  Dur  (s.  d.)  und  Moll 
(s.d.)  aus  den  0  ctavgattungen  (s.d.)  sich  bald  plagialisch  (s.  d.)  wirkend 
ergeben  haben.  Als  diese  "Wirkung  erkannt  wurde,  benannte  man  die  H.e  auf 
einigen  Tonstufen,  trotz  der  stets  gleichen  Bauweise,  mit  besondern  Namen, 
um  dadurch  die  Anwendung  des  :]  q^uadratum  oder  des  '?  rotundum  anzuzeigen. 
Man  unterschied  das  H.  durale  oder  durum:  g,  a,  h,  c,  d  und  e,  so  genannt, 
weil  das  if  quadratum  stillschweigend  darin  Platz  fand;  das  H.  mollare  oder 
molle:  f,  g,  a,  b,  c  und  t?,  so  geheissen,  weil  das  p  rotundum  oder  molle  dai-in 
heimisch;  und  das  H.  naturale  oder  jjennanens:  c,  d,  e,  f,  g  und  a,  weil  dies 
die  ursprünglichen  natürlichen  Klänge  desselben.  Um  diese  Unterschiede  stets 
klar  vor  Augen  zu  haben,  hatte  man  selbst  einen  Yers  in  Gebrauch: 

C  naturam  dat;  F,  t?  molle  tibi  signat. 
Gr  per  ij  durum  dicas  cantare  modernum. 

Die  als  Namen  für  die  Töne  des  H.'s  eingeführten  Sylben:  ut,  re,  mi,  fa,  sol 
und  la  statt  der  schon  gebräuchlichen  alphabetischen  Benennungen  derselben: 
e,  d,  e,  f,  g  und  a,  führten  zu  einer  Kunst  im  Gesauge,  der  Mutation  (s.  d.), 
die  so  lange  der  schnelleren  Eutwickelung  der  abendländischen  Musik  Fesseln 
anlegte,  dass  sie  erst  die  Solmisation  (s.  d.)  mit  ihren  Varianten  im  17. 
Jahrhundert  zu  sprengen  vermochte.  Den  letzten  gewuchtigen  Streich  gegen 
diese  Fessel  führte  Johann  Matthesou  in  seiner  Schrift:  »Das  beschützte  Or- 
chestre,  oder  desselben  zweite  Eröfi'nung,  worin  endlich  des  lange  verbannt  ge- 
wesenen ut  re  mi  fa  sol  la  todte  (nicht  tota)  musica  unter  ansehnlicher  Be- 
gleitung der  zwölf  griechischen  modorum,  als  ehrbarer  Verwandten  und  Trauer- 
leute, zu  Grabe  gebracht  und  mit  einem  Monument  zum  ewigen  Andenken 
beehrt  wird«  (Hamburg,  1717).  Seit  jener  Zeit  ist  das  H.  als  Toumaass  nur 
rein  geschichtlich  geworden.  Einzig  und  allein  die  syllabische  Tonbenennung, 
durch  dasselbe  hervorgerufen,  wird  noch  von  einigen  Gesanglehrerinnen  als 
besonders  nützlich,  um  die  gute  Aussprache  beim  Singen  zu  fördern,  gepflegt, 
doch  dürfte  auch  diese  letzte  Blüthe  des  veralteten  Tonmaasses,  des  H.'s,  sehr 
bald  den  '^eg  alles  L'dischen  wandeln.      S.  auch   Solmisation.  C.  B. 

Hexameron  (griech.),  eine  Zusammenstellung  von  sechs  Gedichten,  Ton- 
sätzen u.  s.  w. ,  war  eine  früher  oft  angewandte  Titelbeuennung  für  ein  Werk, 
welches  aus  sechs  verschiedenen  Stücken  bestand. 

Hexameter  (griech.),  eine  von  den  Griechen  im  hohen  Alterthuni  bereits 
erfundene  Versart,  wegen  der  frühesten  Anwendung  im  Heldengedichte  oder 
Epos  auch  die  heroische  oder  epische  genannt,  besteht,  wie  schon  der  Name 
andeutet,  aus  sechs  Füssen,  von  denen  die  vier  ersten  Daktylen  oder  Spondeen 


230  Hexapsalmus  —  Heyden. 

sind,  der  fünfte  in  der  Hegel  ein  Daktylus  (—^^)  und  nur  unter  gewissen 
Beschränkungen,  namentlich  wenn  ein  mehr  als  dreisylbiges  Wort  den  Aus- 
gang bildet,  ein  Spondeus   ( ),  der  sechste  endlich  ein  Spondeus  ( )   oder 

Trochäus  (— ^)  ist,  nach  folgendem  Schema: 


Diese  an  sich  ziemlich  zwanglose  Versart  verlangt  dennoch  für  die  Ausbildung 
des  rhythmischen  und  euphonischen  Verhältnisses  die  grösste  Sorgfalt  und  ist 
deshalb  einigen  besonderen  Regeln  unterworfen,  von  denen  diejenige  über  den 
Einschnitt  oder  Ruhepunkt  (s.  Cäsur)  ungefähr  in  der  Mitte  des  Verses  die 
wichtigste  ist.  Ausserdem  ist  eine  Abwechselung  der  Daktylen  mit  den  Spondeen 
in  den  einzelnen  Versen  wünschenswerth,  wenn  nicht  etwa  der  Dichter  durch 
blosse  Daktylen  oder  Spondeen  das  Rasche  oder  Langsame  der  Handlung 
selbst  bezeichnen  will.  Das  rhythmische  Element  des  H.'s  lässt  sich  in  dem 
Tanze  der  Alten  nachweisen,  der  erste  Gebrauch  desselben  in  den  griechischen 
Orakelsprüchen,  wie  denn  schon  Herodot  den  ältesten  auf  einem  Dreifuss  in 
einem  Apollotempel  bei  Theben  in  phönizischer  Sprache  entdeckt  haben  will. 
Unter  den  griechischen  Dichtern  findet  man  ihn  bei  Homer  schon  völlig  aus- 
gebildet, während  er  bei  den  Römern  zuerst  von  Ennius  statt  des  saturnischen 
Verses  eingeführt  wurde  und  in  seinen  Anfängen  rauh  und  unbeholfen  war. 
Mit  mehr  oder  weniger  Glück  haben  die  Dichter  von  allen  gebildeten  Nationen, 
wie  die  Deutschen  schon  im  14.  Jahrhundert,  die  Italiener  und  Eranzosen 
besonders  im   16.  Jahrhundert  th eilweise  den  H.  anzuwenden  gesucht. 

Hexapsalmus  oder  Hexapsaluium  (griech.  /^«i/'«P./*oc  oder  thiipuliiov)  nennt 
man  in  der  griechisch-katholischen  Kirche  sechs  Psalmen,  die  in  Erühmessen 
abgesungen  zu  werden  pflegen.  2. 

Hftxarmouisch  (aus  dem  Griech.)  nannten  nach  Rousseau  Dictionn.  die 
Griechen  des  Alterthums  einen  Nomos  oder  Gesang,  der  einen  weichlichen 
und  spielenden  Charakter  an  sich  trug. 

Hey,  Ludwig,  niederländischer  Orgelbauer,  hatte  seine  Werkstätte  um 
1770  in  Antwerpen  und  zeichnete  sich  daselbst  vor  seinen  übrigen  Fach- 
genossen aus. 

Heyda,  Joseph,  ein  tüchtiger  Orgel-  und  Ciavierspieler,  geboren  1740 
in  Wien,  wo  er  später  bis  etwa  1800  Organist  an  der  Kirche  St.  Michael 
war.  Um  1800  pensionirt,  starb  er,  66  Jahre  alt,  am  17.  März  1806  zu 
Wien. 

Heyden,  Sebald,  ausgezeichneter  deutscher  Gelehrter  und  Musiktheore- 
tiker, geboren  1498  zu  Nürnberg,  wurde  1519  Cantor  an  der  dortigen  Spital- 
schule, später  Rector  der  Schule  St.  Sebaldus  und  starb  am  9.  Juli  1561  zu 
Nürnberg.  Als  Componist  geistlicher  Gesänge  trat  er  weniger  hervor,  obgleich 
ihn  sein  Biograph  Zeltner  auch  als  solchen  preist,  denn  als  Tonlehrer.  Na- 
mentlich war  er  für  die  Mensuraltheorie  und  Taktlehre  damaliger  Zeit  von 
der  grössten  Wichtigkeit,  wie  folgende  seiner  Schriften  beweisen:  y>Musieae 
sticMosisv.  (Nürnberg,  1529),  welche  über  Ursprung  und  Nutzen  der  Musik, 
über  Scala,  Claves,  Pausen,  Töne  und  Takt  handelt,  und  »Z)e  arte  canendi  ac 
vero  signarum  in  cantihus  usu«  (Nürnberg,  1537;  3.  Aufl.  1540).  Auch  das 
erstgenannte  Buch  ist  nachmals  noch  öfter  unter  dem  Titel  nBudimenta  musi- 
cesv.  oder  y>Institutionesvi  gedruckt  worden.  —  Sein  Sohn,  Johann  H,,  geboren 
um  1540  zu  Nürnberg,  war  Organist  an  der  St.  Sebalduskirche  daselbst  und 
ebenfalls  ein  vorzüglicher  Musiker.  Berühmt  ist  derselbe  als  Erfinder  des  so- 
genannten Geigenwerks  oder  Geigen -Clavicymbels,  welches  er  in  der  Schrift 
r>Commentatio  de  musicali  instrumento,  reformato  a  Johanne  H.  seniorea  etc. 
(Nürnberg,  1605)  ausführlich  beschrieben  hat.  Auf  eine  fernere  Beschreibung 
dieses  Instruments  in  der  Schrift  »Musicale  instrumentum  reformatumn  (Nürn- 
berg, 1610)  erhielt  er  vom  deutschen  Kaiser  Rudolph  II.  ein  Privilegium  auf 
Verfertigung  und  Verkauf  desselben.     H.  starb  bald  darauf,  1613,  zu  Nürnberg. 


Heydenhammer — Hialemos.  231 

Heydenhammer,  deutscher  Componist  des  16.  Jahrhunderts,  von  dem  1548 
mehrere  weltliche  Lieder  zu  vier  Stimmen  gedruckt  erschienen  sind. 

Heydenreicli,  s.  Heidenreich. 

Heylanus,  Peter,  ein  Contrapunktist  des  16.  Jahrhunderts,  von  dessen 
"Werken  nur  noch  ein   Gesangssatz  zu  vier   Stimmen  übrig  geblieben  ist. 

Heyne,  Christian  Grottlieb,  einer  der  bedeutendsten  deutschen  Huma- 
nisten, der  um  Förderung  und  Verbreitung  der  Alterthumswissenschaften  die 
grössten  Verdienste  hat,  wurde  am  25.  Septbr.  1729  zu  Chemnitz  in  Sachsen 
unter  den  drückendsten  äusseren  Verhältnissen  geboren.  Nach  einem  bewegten 
Leben  wurde  er  1763  Professor  der  Beredtsamkeit  in  Göttingen  und  erhielt 
ein  Jahr  später  zugleich  die  Aufsicht  über  die  Universitätsbibliothek.  Mit 
dem  glänzendsten  Erfolge  wirkte  er  dort  bis  zu  seinem  Tode,  am  12.  Juli  1812, 
durch  Wort  und  Schrift  im  Interesse  der  altclassischen  Literatur  und  ei'läuterte 
in  vielen  Programmen,  Abhandlungen,  sowie  in  seinen  grösseren  Schriften 
und  Ausgaben  der  alten  Schriftsteller  auch  die  Kunst  und  das  Kunstwesen 
im  Alterthum. 

Heyne,  Friedrich,  vortrefflicher  deutscher  Flötenvirtuose,  der  um  die 
Wende  des  18.  und  19,  Jahrhunderts  herzogl.  raecklenburg'scher  Kammer- 
musiker war  und  sich  auch  auf  Concertreisen  in  Deutschland  einen  bedeutenden 
Namen  machte.  Er  schrieb  Concerte,  Duos  und  Solostücke  für  sein  Instrument, 
war  aber  noch  mehr  als  Componist  von  Arien,  Oden  und  Liedern  geschätzt. 
—  Seine  Gattin,  Felicitas  Agnesia  H.,  geborene  Ritz,  geboren  1756  zu 
Würzburg,  verheirathete  sich  als  berühmte  deutsche  Sängerin  zuerst  1774  mit 
Friedrich  Ludwig  Benda  in  Hamburg.  Als  sie  1783  Hofsängerin  in 
Schwerin  wurde,  Hess  sie  ihre  Ehe  trennen  und  verband  sich  bald  darauf  mit 
H.,  in  dessen  Begleitung  sie  mehrere  grössere  Reisen  unternahm,  die  dem  Paare 
grosse  Ehren  eintrugen.  Von  England  und  Irland  kehrte  sie  1791  nach  Lud- 
wigslust zurück  und  ist  seitdem  aus  der  Tagesgeschichte  verschwunden. 

Heynitz,  Johann  Gottfried,  geschickter  deutscher  Orgelbauer,  lebte  um 
die  Wende   des   18.  und   19.  Jahrhunderts  zu  Kuhna  in  der  Oberlausitz. 

Heyse,  Anton  Gottlieb,  deutscher  Harfenvirtuose  und  Componist  für 
dieses  Instrument,  lebte  zu  Ende  des  18.  und  Anfang  des  19.  Jahrhunderts 
zu  Halle  a.  S.  und  veröffentlichte  ausser  einer  »Anweisung  die  Harfe  zu 
spielen«  (Halle,  1814;  2.  Aufl.  1822):  sieben  Sonaten  in  drei  Heften  für  Harfe 
und  Flöte  und  eine  Serenade  für  Harfe  mit  zwei  Flöten,  zwei  Hörnern 
und  Bass. 

Heyther,  William,  auch  Heather  geschrieben,  englischer  Musikliebhaber, 
geboren  um  1570  zu  Harmondsworth  in  der  Grafschaft  Middlessex,  wurde  als 
Chorknabe  an  der  Magdalenenkirche  zu  Oxford  musikalisch  gebildet,  später 
Mitglied  der  königl.  Vocalkapelle  und  1622  zugleich  mit  Orlando  Gibbons 
Doctor  der  Musik  daselbst.  Im  J.  1627  stiftete  er,  angeregt  durch  Camden, 
der  eine  Professur  für  Geschichte  gründete,  einen  eigenen  musikalischen  Lehr- 
stuhl an  dieser  Universität,  den  er  mit  einem  bestimmten  Capitale  zur  Be- 
soldung eines  Lehrers  begabte.  Ausserdem  schenkte  er  dem  Institute  zu 
Unterrichtszwecken  mehrere  Instrumente  und  verschiedene  gedruckte  und 
geschriebene  Musikwerke.  Er  selbst  starb  kurz  darauf,  im  Juli  1627,  zu 
Oxford. 

Heywood,  englischer  Tonkünstler  und  Harfenist  des  16.  Jahrhunderts, 
aus  London  gebürtig,  spielte  der  Königin  Maria  auf  ihrem  Todtenbette  natio- 
nale Weisen  vor.     Er  starb  um   1575  zu  Mecheln. 

Hezedsel  ist  der  Name  eines  Zeitmaasses  im  persisch  -  türkischen  Musik- 
kreise, das  in  seiner  kleinsten  Unterabtheilung  zwei  Viertel  führt,  welche  im 
Tempo  Andante  grazioso  sich  bewegen  müssen;  der  ganze  H.  besteht  aus  fünf 
solcher  Unterabtheilungen  in  unmittelbarer  Folge.  0. 

Hialemos  (griech.)  ist  die  Benennung  einer  altgriechischen  Musikweise  (s. 
Nomos),  die  zu  Ehren  des  Musengottes  Apollon  angestimmt  wurde. 


232  Hiatus  —  Hientzsch. 

Uiatus  (latein.),  d.  i.  Spalt,  Oeffnung,  nenut  man  in  der  Dichtkunst  und 
Grammatik  das  Zusamraentreflfen  zweier  Vocale  an  dem  Ende  des  einen  und 
im  Anfangs  des  folgenden  "Wortes,  wodurch  bei  der  Aussprache  eine  dem 
Gähnen,  daher  der  Name,  ähnliche  Ocflfnuug  des  Mundes  entsteht.  Die  auf 
diese  Weise  erzeugte  Härte  ist  in  den  meisten  Sprachen  durch  die  sogenannten 
euphonischen  Buchstaben,  in  der  griechischen  durch  die  Krasis,  in  der  latei- 
nischen bei  der  Scansion  der  Verse  durch  die  Elision  vermieden  worden.  In 
der  Musik  richtet  sich  die  Behandlung  des  H,  nach  dem  Texte.  Ist  dieser 
Prosa,  so  wird  derselbe  häufig  nicht  weiter  beachtet;  man  singt  seine  beiden 
Vocale  auf  zwei  Noten.  Im  Verstexte  dagegen  muss  die  Elision  dem  Metrum 
entsprechend  erfolgen,  wenn  die  Längen  und  Kürzen  des  Verses  richtig  ein- 
gehalten werden.  So  würde  es  fehlerhaft  sein,  in  dem  Verse  r>che  da  me  ü 
pub^involara  zu  den  Vocalen  o  (trotz  des  Accents  in  der  ßede)  und  i  zwei 
Noten  zu  setzen,  sie  als  zwei  Kürzen  statt  als  eine  Länge  zu  behandeln,  weil 
die  Declamation  dadurch  an  Gewicht  verliert.  Es  muss  also  heissec  wie  unter 
b,  nicht  wie  unter  a: 


che     da     me  ti  puo   in-vo-lar?   che     da    me    tl  pu'iuvo  -  lar? 


Im  Deutschen  kommt  der  H.  zwar  auch  vor,  jedoch  findet  Elision  oder  Zu- 
sammenziehung der  Vocale,  wie  im  Lateinischen  und  Italienischen,  nur  sehr 
selten  statt,  da  nur  wenige  deutsche  Worte  mit  einem,  anderen  Vocale  als  mit 
e  endigen,  welches  entweder  ausgesprochen  oder  apostrophirt  wird.  Der  Ton- 
setzer, welcher  lateinische  oder  italienische  Verstexte  componirt,  muss  dera- 
gemäss,  um  keine  Verstösse  zu  begehen,  sich  mit  der  betreflPenden  Sprache  und 
Prosodie  bekannt  machen. 

Hien,  Ludwig  Christian,  deutscher  Clavierspieler,  war  um  1771  Kam- 
mervirtuose der  Herzogin  von  Würtemberg  in  Stuttgart  und  hat  von  seiner 
Composition  eine  Sonate  für  Ciavier  veröffentlicht. 

Hientzsch,  Johann  Gottfried,  vortrefläicher  deutscher  Schulmann,  Ton- 
künstler und  unermüdlicher  Musikschriftsteller,  geboren  am  6.  Aug.  1787  zu 
Mokrehna,  unweit  Torgau,  wurde  von  seinem  Schullehrer  Vieweg  in  den  Ele- 
menten des  Ciavierspiels  und  später  in  dem  Dorfe  Püchau  von  dem  Cantor 
Meissner  auch  im  Orgel-  und  Violinspiel  unterrichtet.  Da  er  Landschullehrer 
werden  sollte,  so  wurde  er  1803  auf  die  Thoraasschule  zu  Leipzig  gebracht, 
wo  er  auch  Gesang  übte  und  tüchtige  musikalische  Anregungen  in  der  Kirche 
und  in  der  Stadt  erhielt.  Zu  Ostern  1808  bezog  er  die  Leipziger  Universität 
und  nahm  zugleich  die  Hauslehrerstelle  bei  einem  Kaufmanne  an.  Um  die 
Lehrmethode  Pestalozzi's  kennen  zu  lernen,  begab  er  sich  1810  nach  der 
Schweiz  und  erhielt  auch  alsbald  in  Yverdun  den  Gesangunterricht  einer  Klasse 
übertragen,  bei  welcher  Thätigkeit  er  sich  zugleich  mit  Pfeiffer's  und  Nilgeli's 
auf  die  Musik  übertragenem  System  Pestalozzi's  vertraut  machte.  Im  Spät- 
sommer 1815  verliess  er  Yverdun  und  ging  über  Zürich,  wo  er  Xägeli's  Unter- 
richtsart und  Singakademie  kennen  lernte,  nach  München.  Dort  blieb  er  neun 
Monate,  während  welcher  Zeit  er  höhere  Musikstudien  bei  Gratz  machte  und 
mit  dem  Hoforganisten  Ett  freundschaftlich  verkehrte.  Auf  Empfehlung  des 
prcussischen  Gesandten  in  ^lünchen  hin  mit  einem  einjährigen  Riäsestipendiura 
versehen,  besuchte  H.  Biberach  und  daselbst  J.  H.  Knecht,  ferner  A.  E.  Müller 
in  Gotha,  den  Organisten  Jungnickel  in  Merseburg,  Naue  in  Halle  u.  s.  w. 
und  kam  Ende  Febr.  1817  nach  Berlin,  wo  er  noch  bei  Zelter  studirte  und 
noch  in  demselben  Jahre  eine  Anstellung  als  Seminar-Musiklehrer  in  Neuzelle 
erhielt.  In  diese  Zeit,  welche  durch  Reisen  nach  Potsdam  und  Berlin,  sowie 
nach  Breslau,  wo   er   Schnabel,  Berner  und   Cantor  Siegert  aufsuchte,  anregend 


Hieraulen  —  Hierochord.  233 

unterbrochen  war,  fällt  die  Herausgabe  seines  Sammelwerks  »Ä.lte  und  neue 
geistliche  Lieder,  Choräle  und  kleine  Motetten  von  den  vorzüglichsten  Meistern 
zum  Gebrauch  in  Kirchen  und  Schulen«  u.  s.  w.  (2  Hefte),  dem  dann  eine 
»Auswahl  der  bessern  deutschen  Volkslieder,  zunächst  für  Schulen  zwei-,  drei- 
und  vierstimmig  eingerichtet,  nebst  einem  Liederbiiche  für  Kinder«  u.  s.  w. 
und  später  auch  eine  »Sammlung  drei-  und  vierstimmiger  Gesänge,  Lieder, 
Motetten  und  Choräle  für  Männerstimmen  von  verschiedenen  Componisten« 
folgte.  Im  J.  1822  wurde  ihm  die  Direktorstelle  am  evangelischen  Schullehrer- 
Seminar  zu  Breslau  übertragen,  und  er  begann  nun,  nach  allen  Seiten  des 
Musiklebens  hin,  als  Lehrer,  Componist,  Dirigent  und  Schriftsteller,  hebend 
und  fördernd  zu  wirken.  Zugleich  regte  er  die  jährlichen  schlesischen  Musik- 
feste an,  begründete  die  Musikzeitschrift  »Eutonia«,  die  von  1828  bis  1837 
bestand,  und  veröffentlichte  noch  weitere  Sammlungen  von  mehrstimmigen  Ge- 
sängen, Motetten,  Chorälen  u.  s.  w.  Im  J.  1833  wurde  er  als  Direktor  des 
Schullehrer- Seminars  nach  Potsdam  versetzt  und  übernahm  1852  die  Oberleitunsr 
des  Blindeninstituts  zu  Berlin,  dort  wie  hier  durch  seine  schulgerechte  Methode 
sich  grosse  Verdienste  erwerbend.  Aus  dem  letztgenannten  Amte  schied  er 
am  1.  Octbr.  1854,  blieb  aber  auch  im  Privatleben  besonders  schriftstellerisch 
unausgesetzt  thätig  und  begründete  noch  am  1.  April  1856  die  Zeitschrift 
»Das  musikalische  Deutschland«,  von  der  ihm  aber  nur  zwei  Hefte  herauszu- 
geben verstattet  war,  da  er  am  7.  Juli  1856  zu  Berlin  an  einem  gastrischen 
Fieber  starb.  —  Sein  Sohn,  Karl  Ferdinand  H.,  ein  trefflich  gebildeter  Ton- 
künstler, widmete  sich  der  musikhändlerischen  Laufbahn  und  begründete  1856 
eine  Musikalienhandlung,  verbunden  mit  Musikverlag  in  Breslau ,  der  er  noch 
gegenwärtig  mit  grosser  Sachkenntniss  vorsteht. 

Hieraulen  (griech.:  leQavh'ig,  von  isqov,  Tempel,  und  alulog,  Flöte),  in  Merula 
De  sacerd,  p.  53  und  in  alten  Inschriften  »heilige  Pfeifer«  genannt,  hiessen 
bei  den  Alten  die  Bläser,  welche  ihre  Kunst  vorzüglich  während  des  Gottes- 
dienstes ausübten.  Von  den  H.  unterschieden  die  Griechen  und  Römer  die 
Hierophonen  oder  gottesdienstlichen  Sänger.  Beide  Musikerklassen  bildeten 
zusammen  eine  Gesellschaft,  die  alle  Jahre  zu  Rom  wie  zu  Athen  am  14.  Juni 
ein  Standesfest  feierten,  bei  dem  sie  ihre  Kunst  auf  offener  Strasse,  in  grossen 
Zügen  dahinziehend,  ausüben  durften  und  sich  allen,  auch  den  ausgelassensten 
Lebensfreuden,  ohne  dadurch  im  Rufe  zu  leiden,  hingeben  durften.  f 

Hierax,  ein  berühmter  Flötenspieler  des  alten  Griechenlands,  war  ein 
Schüler  des  Olympos  und  hinterliess  nach  seinem  frühen  Tode  einen  selbst 
erfundenen  Modus  (s.  d.),  welcher  der  hieracische  (Hieracius)  nach  ihm  ge- 
nannt wurde. 

Hierliug,  Andreas,  deutscher  Orgel-  und  Harmonicavirtuose,  geboren  um 
1760  zu  Gräfenrode  bei  Arnstadt  in  Thüringen,  befand  sich  seit  1796,  ohne 
Anstellung,  meist  auf  Reisen.  Noch  -1832  und  1833  Hess  er  sich  in  Süd- 
deutschlaud  öffentlich  hören.  Die  Harmonica's,  die  er  vorführte,  fertigte  er 
selbst  und  verkaufte  sie  dann  gelegentlich  wieder.  Auch  baute  er  sogenannte 
Aeolodikons,  die  er  ebenfalls  öffentlich  spielte.  Ueberhaupt  wurden  seine  Fa- 
brikate sehr  gerühmt. 

Hierochord  nannte  Schmidt,  Universitäts- Gesanglehrer  und  ordentlicher 
Lehrer  am  Gymnasium  zu  Greifswald,  ein  von  ihm  um  1830  construirtes  Ton- 
werkzeug, welches  er  zur  Leitung  eines  einstimmigen  Gesanges  als  besonders 
geeignet  ei'achtete.  Dasselbe  war  eigentlich  nichts  weiter,  als  ein  Monochord 
(s.  d.),  an  dem  die  Saite  durch  eine  Tastatur  behandelt  wurde.  Das  anhal- 
tende Erklingen  der  Saite  bewirkte  eine  Kurbel,  durch  welche  ein  mit  Kolo- 
phonium (s.  d.)  bestrichenes  Rad  bewegt  wurde,  das  unmittelbar  die  Saite 
berührte.  Die  Tasten  des  H,  waren  mit  Messingstiften  versehen,  die  beim 
Niederdi-uck  der  Taste  als  Tangenten  (s.  d.)  die  Saiten  verkürzten.  Die 
Claviatur,  welche  zwei  Octaven  hatte,  wurde  rxiit  der  linken  Hand  behandelt, 
während  die  rechte  die  Kurbel  drehte.     Das  Instrument  war  in   einem  Kasten 


234  Hieronymus  Rhodius  —  Higgajou. 

von  70  Cm.  Länge,  22  Cm.  Breite  und  20  Cm.  Hölie  befindlich.  Wie  diese 
Einrichtung  ergiebt,  war  es  unmöglich,  mehr  als  einen  Ton  auf  einmal  hei'vor- 
zubringen,  weshalb  es  sich  denn  auch  nur  zur  Leitung  des  Gesanges  in  Schulen 
und  in  kleineren  Kirchen  eignete.  Besonders  empfahl  die  Qualität  des  Tones 
dies  Instrument  dazu.  Der  Klang  desselben  nämlich  war  von  durchdringender 
Stärke,  ähnlich  dem  einer  Rohrstimme  der  Orgel.  Diese  Klangfülle,  wie  den 
Klangchai-akter  soll  das  H.  der  eigenthümlichen  Bauweise  des  Schallkastens 
zu  verdanken  gehabt  haben,  indem  in  demselben  sich  mehrere  Resonanzböden 
befanden.  TJeberhaupt  betrachtete  der  Erfinder  diesen  Theil  des  Listruments 
als  Geheimniss  und  ist  solches,  da  das  Tonwerkzeug  nicht  dauernd  sich  bc' 
hauptete,  auch  Geheimniss  geblieben.  Ein  anderer  Vorzug  dieses  Tonwerkzeugs 
war  noch  der,  dass  die  von  ihm  hervorgebrachten  Töne  stets  nur  in  dem  ihm 
eigenen  Verhältnisse  gegeben  werden  konnten,  was  ihm  den  Ruf  verschaffte, 
dass  es  unverstimmbar  sei,  Auf  der  Tastatur  befand  sich  übrigens  die  Buch- 
stabenbencnnung  der  Töne,  so  dass  auch  derjenige,  der  keine  Noten  kannte, 
wenn  er  die  Melodie,  welche  er  spielen  wollte,  in  Buchstaben  aufgezeichnet  vor 
sich  hatte,  dennoch  dieselbe  darstellen  konnte.  2. 

Hieronymus  Rhodius,  so  genannt  von  seiner  Geburtsstätte  Rhodus,  gehörte 
zu  den  altgriechischen  Peripatetikern  oder  Wanderlehrern  und  verfasste  eine 
Schrift  y>De  citharoedisa. 

Hieronymus,  Sophronius  Eusebius,  genannt  der  Heilige,  einer  der 
berühmtesten  Kirchenlehrer  von  mehr  feurig-phantastischem  als  philosophischem 
Geiste,  wurde  331,  nach  Anderen  342  zu  Stridon  in  Dalmatien  von  heidnischen 
Eltern  geboren.  Um  360  trat  er  zu  Rom  zum  Christenthum  über  und  starb 
nach  einem  wechselvollen  Leben  419  oder  420  in  dem  von  ihm  386  gegrün- 
deten Kloster  zu  Betlehem  in  Palästina.  Seine  Verdienste  um  die  Musik  sollen 
in  der  Erfindung  des  jetzigen  sogenannten  Mönchgesanges  und  dessen  Ein- 
führung als  liorae  canonicae  bestehen. 

Hieronymus  de  Moravia,  französischer  Dominicaner  der  zweiten  Hälfte 
des  13.  Jahrhunderts,  ist  einer  der  bekannt  gebliebenen  vier  Schriftsteller 
jener  Zeit,  welche  über  Mensuralmusik  geschrieben  haben.  Der  betreffende 
»Z)e  musicati  betitelte  Tractat  ist  zwar  nicht  herausgegeben  worden,  befindet 
sich  aber  in  einigen  Bibliotheken. 

Hierophon  (griech.),  s.  Hier'aulen. 

Hierotheus,  Bischof  im  Orient  um  350,  gilt  als  der  erste,  welcher  beson- 
dere Hj^mnen  für  die  griechisch-katholische  Kirche  verfertigte  und  einführte. 
Ein  Gleiches  für  die  lateinische  Kirche  geschah  zu  derselben  Zeit  durch  den 
Bischof  Hilarius  (s.  d.). 

Hifthorn,  Hiefhorn  oder  Hüfthorn,  ein  kleines  gerades,  aus  Büffel- 
oder grossen  Ochsenhörnern  gefertigtes  Jagdhorn  von  grellem ,  unangenehmem 
Klang,  welches  von  den  Jägern  in  festlicher  Kleidung  an  einem  breiten  Ban- 
delier  (Hiefriemen  oder  Hornfessel)  über  der  linken  Schulter  getragen  wird 
und  bei  Jagden  als  Signalinstrument  dient.  Es  ist  mit  einem  gedrechselten 
Mundstück  versehen  und  giebt  zwei  oder  drei  verschiedene  Töne  her,  Hiefe 
oder  Hifte  (Jagdrufe)  genannt,  welche  man  zu  verschiedenen  Kundgebungen 
der  Ereignisse  und  des  Commandos  in  lange,  kurze,  einfache  und  doppelte 
unterscheidet.  Der  sogenannte  Henneberg'sche  Hief  besteht  aus  drei  einfachen 
lang  gezogenen  Tönen.  Es  giebt  drei  Arten  von  H. :  Zinken  von  hohem, 
klaren,  Halbrüden  hörner  von  mittlerem  und  Rüdenhörner  von  tiefem, 
groben  Tone,  letztere  ausserdem  sehr  unbequem  zu  führen.  Die  um  das  H. 
gewundenen   Schnuren  heissen  in   der  Jägersprache  Hornsatz. 

Higgrajon  (hebr.:  'i^■'^^),  ist  wahrscheinlich  ein  auf  Musik  bezüglicher  he- 
bräischer Ausdruck.  Derselbe  findet  sich  im  9.  Psalm  Vers  17  und  im  92. 
Psalm  Vers  4.  A.  Pfeiffer  in  seinem  y>Tract.  de  Ncginotli  aliisqe  instrumenfis 
musicis  Hehraeoruma  p.  XVIL  behauptet  zwar,  dies  Wort  beziehe  sich  einzig 
auf  Poesie,    wozu    er   sich  durch  die  Septuaginta  berechtigt  hält,    die    dasselbe 


Higius  —  Hildebrandslied.  235 

stets  durch  cpdr'j  wiedergegeben  habe.  Hiergegen  steht  jedoch  die  Auslassung 
de  Wette's  in  seinem  »Commentar  über  die  Psalmen  in  Beziehung  auf  seine 
TJebersetzung  derselben«  (Heidelberg,  1823),  wo  er  in  der  Einleitung  S.  52 
behauptet,  dass  dies  Wort  »Gesang  mit  Harfenbegleitung«  bedeute.  Er  führt 
zur  Begründung  seiner  Meinung  daselbst  die  griechische  TJebersetzung  folgender 
beiden  Stellen  au:  nbo  1V^T\  übersetzt  durch  cpdij  diaifjäXnuTo^;  Soloinstrument, 
und  1i:in  "jT^i^n  "^by,  übersetzt  fitr  oidijg  iv  xi&dQu,  öesang  mit  Guitarren- 
begleitung. 2. 
Higins,  B.  Mulling  er -Higius. 

Hijaja  ist  ein  neuerer  Name  einer  der  vorzüglichsten  indischen  Tonarten, 
deren  Leiter  mit  keiner  der  älteren  indischen  Scalen  übereinstimmt.  Diese 
Benennung,  dem  persischen  Hedgaz  (s.  d.)  entstammend,  scheint  auch  für 
eine  H.  genannte  der  persischen  Tonfolge  ähnlich  gebildete  in  Indien  geblieben 
zu  sein.  2. 

Hilarius  der  Heilige,  Bischof  seiner  Vaterstadt  Pictavium  (Poitiers)  um 
die  Mitte  des  4.  Jahrhunderts  und  gestorben  am  13.  Jan.  368,  soll  der  Erste 
gewesen  sein,  welcher  Hymnen  für  den  gottesdieustlichen  Gebrauch  der  abend- 
ländischen Kirche  verfasste  und  einführte. 

Hildebraud-Komberg'j  s.  Romberg  (Bernhard). 

Hildebrand,  Balthasar,  deutscher  Orgelspieler  und  Dichter,  geboren  am 
22.  April  1610  zu  Jauer  in  Schlesien,  war  Schüler  des  berühmten  Organisten 
Ambr.  Profe  und  seit  1626  kaiserl.  öffentlicher  Notarius  an  der  Peter-Pauls- 
kirche in  Liegnitz,  als  welcher  er  am  22.  Decbr.  1657  starb.  Die  ehrenvollen 
Inschriften  auf  dem  ihm  gesetzten  Grabmonumente  findet  man  in  Hoffmann's 
»Tonkünstler  Schlesiens«. 

Hildebraud,  Christian,  deutscher  Tonkünstler,  geboren  in  der  zweiten 
Hälfte  des  16.  Jahrhunderts,  war  Musiker  in  Hamburg  und  hat  zwei  Bücher 
Paduanen  und  Gagliarden  seiner  Composition  herausgegeben. 

Hildebrand,  Philipp,  deutscher  Orgelbauer,  lebte  in  der  zweiten  Hälfte 
des  17.  Jahrhunderts  zu  Stadt  am  Hof  bei  Regensburg  und  errichtete  u.  A. 
1664  das  als  schön  gerühmte  Werk  in  der  Klosterkirche  zu  Gars,  das  nach- 
mals der   Oi'gelbaumeister  Ant.  Bair  in  München  restaurirte. 

Hildebrand,  Zacharias,  deutscher  Orgelbaumeister,  der  beste  Schüler 
Gottfr.  Silbermann's,  war  aus  Sachsen  gebürtig,  lebte  aber  ohne  festen  Aufent- 
haltsort in  Norddeutschland  und  starb  um  1760.  Er  baute  u.  A.  die  Orgel- 
werke in  der  katholischen  Schlosskirche  (um  1743)  und  in  der  Neustädter 
Kirche  zu  Dresden,  sowie  zu  St.  Wenzeslaus  in  Naumburg.  Nach  der  Angabe 
Job.  Seb.  Bach's  verfertigte  er  auch  ein  meisterhaftes  Lautenclavicymbel,  von 
welchem  Adlung  in  der  ^^Musica  mechanicaK  II.  S.  139  eine  nähei'e  Beschrei- 
bung giebt.  —  H.'s  Sohn  und  Schüler,  Johann  Gottfried  H.,  ist  der  Er- 
bauer der  grossen  berühmten  Orgel  von  60  Stimmen  in  der  Michaeliskirche 
zu  Hamburg  (um  1760),  die  seinen  Namen  mit  Ruhm  gekrönt  hat.  Vgl. 
Adlung's  y>Mus.  mecli.v.   I.   S.   241. 

Hildebrandslied  wird  das  älteste  Denkmal  deutscher  Poesie  genannt,  wel- 
ches nur  in  einer  einzigen,  leider  sehr  unvollständigen  Handschrift  des  8.  Jahr- 
hunderts erhalten  geblieben  ist.  Das  Lied  selbst  ist  ohne  Zweifel  viel  älter 
und  behandelt  in  alliterirenden  Versen  den  Zweikampf  des  aus  dem  Hunnen- 
lande zurückkehrenden  Hildebrand  mit  seinem  Sohne  Hathubrand,  der  sich  dem 
Eindringen  des  ihm  durch  eine  dreissigjährige  Abwesenheit  fremd  gewordenen 
Ritters  widersetzt.  Diese  sagenhafte  Begebenheit  gehört  zu  denen,  von  welchen 
das  deutsche  Volk  am  längsten  gesungen  hat.  Denn  eine  Handschrift  des  15. 
und  gedruckte  fliegende  Blätter  des  15.,  16.  und  17.  Jahrhunderts  haben  ein 
Volkslied  vom  alten  Hildebrand  erhalten,  das  im  Ganzen  denselben  Inhalt  hat; 
die  Eorm  desselben  zeigt  jedoch  auf  das  13.  Jahrhundert,  denn  es  ist  in  der 
Umgestaltung  der  Nibelungenstrophe  (dem  sogenannten  »Hildebrandston«)  ge- 
dichtet, welche  im   15.  Jahrhundert  ganz  ausser  Uebung  gekommen  war.     Der 


236  Hildebrandt  —  Hillebrand. 

Umstand,  dass  noch  nach  siehen  Jahrhunderten  alte  Mären  wiederktlircn,  die 
schon  längst  verschollen  zu  sein  schienen  und  die  jedenfalls  von  der  ritterlichen 
Poesie  unberührt  geblieben  waren,  ist  ein  schöner  Beweis,  wie  treu  das  deutsche 
Volk  an  seinen  Liedern  und  Sagen  hielt. 

Hildebrandt,  deutscher  Violinist,  lebte  in  der  Wendezeit  des  18.  und  19. 
Jahrhunderts  und  war  um  1815  als  königl.  Kammermusiker  zu  Berlin  ange- 
stellt. —  In  derselben  Zeit  lebte  als  Geigeninstrumentmacher  zu  Hambur<r 
Michael  Christoph  H.  Derselbe  war  ursprünglich  Formschneider  in  einer 
Hamburger  Kattunfabrik  gewesen.  Unter  seinen  Instrumenten  hatten  beson- 
ders die  Bratschen  und  Contrabässe  grossen  Ruf,  und  seine  Reparaturen  galten 
als  vortrefflich. 

Hill,  ausgezeichneter  englischer  Orgelbauer,  kurz  vor  1800  zu  London 
geboren,  erlerate  bei  seinem  Vater  seine  Kunst  und  hat  während  seines  langen 
Lebens  für  viele  Städte  des  Insclreichs  vorzügliche  Werke  geliefert,  welche 
mit  mancherlei  neuen  und  geistreich  erdachten  Erfindungen  und  Verbesserungen 
ausgestattet  sind.  Mendelssohn  schätzte  H.  sehr  hoch  und  hielt  die  von  ihm 
gebaute  grosse  Orgel  in  der  Peterskirche  zu  London  für  das  schönste  Instru- 
ment der  Welt.     H.  starb  im  hohen   Greisenalter  im  Jan.  1871   zu  London. 

Hill,  Frederick,  verdienstvoller  englischer  Pianist  und  Violinist,  geboren 
um  1760  zu  Louth  in  Lincoln,  wirkte  in  seinem  Mannesalter  als  Musiklehrer 
in  London.  —  Sein  Sohn  Joseph  H. ,  geboren  in  London,  war  als  Pianist, 
Harfenist  und  Orgelspieler,  sowie  als  Musiklehrer  gleichfalls  rühmlich  bekannt 
und  hat  für  diese  Instrumente  auch  mancherlei  componirt  und  veröffentlicht. 

Hill,  John,  vorzüglicher  englischer  Kirchencomponist,  geboren  1724  zu 
Rugby  in  Warwickshire,  in  welcher  Stadt  er  auch  seinen  bleibenden  Wohnsitz 
behielt  und  seine  Werke  schuf,  die  selbst  Händel  schätzte  und  als  Meister- 
arbeiten bezeichnete.  Noch  ein  .Jahr  vor  seinem  Tode,  der  am  19.  Jan.  1797 
erfolgte,  gab  er  eine  grosse  geistliche  Cantate,  »Der  erste  Sabbath«,  nach  Mil- 
ton's  verlorenem  Paradiese  heraus,  und  in  seinem  Nachlasse  fand  man  u.  A. 
noch  zwei  grosse  Anthems. 

Hill,  Karl,  ausgezeichneter  deutscher  Opern-  und  Concerisänger,  geboren 
um  1840  zu  Idstein  im  Nassau'schen,  war  der  Sohn  eines  Arztes  und  erhielt 
schon  früh  Ciavierunterricht,  den  er  als  Gymnasiast  in  Wiesbaden  eifrig  fort- 
setzte. Im  17.  Jahre  entwickelte  sich  seine  klangvolle  Baritonstimme,  deren 
Ausbildung  sich  der  herzogl.  Hofopernsänger  Jeshewiz  in  Wiesbaden  und 
weiterhin  der  Musikdirektor  Rühl  mit  dem  erfreulichsten  Erfolge  unterzogen. 
Zwar  war  H.  vom  Gymnasium  zum  Postfach  übergegangen,  sang  aber  unbe- 
schadet dessen  in  fast  allen  Städten  des  Rheinlandes,  sowie  in  Holland  bei 
Musikfesten,  in  Oratorien,  Concerten  und  erwarb  sich  einen  weitgehenden 
Sängerruf.  Als  1866  die  Thurn-  und  Taxis'sche  Post  an  Preussen  überging, 
beschloss  H.,  sich  ausschliesslich  der  Kunst  zu  widmen,  da  von  der  neuen 
Verwaltung  eine  ähnliche  Liberalität  in  Bezug  auf  Beurlaubungen  nicht  zu 
erwarten  war.  H.  sang  zuerst  am  Stadttheater  zu  Frankfurt  a.  M.  mit  grossem 
Erfolge,  wurde  aber  schon  1868  an  die  Hofbühne  zu  Schwerin  berufen,  deren 
bedeutendste  künstlerische  Kraft  in  Bass-  und  Baritonparthien  er  noch  jetzt 
ist.  Mit  Gehaltserhöhung  und  Pensionszusicherung  ist  er  mittlerweile  auch  zum 
grossherzogl.  Kammersänger  ernannt  worden.  Wiederholt  gastirto  er  in  Ham- 
burg, Lübeck,  Leipzig,  Frankfurt  a.  M. ,  AVien  u.  s.  w.  und  sang  bei  grossen 
Aufführungen  und  Musikfesten  in  noch  weit  mehr  Städten  mit  immer  gleichem 
grossen  Erfolge.  Als  seine  Haupt -Bühnenrollen  gelten  Jacob,  Hans  Helling, 
der  Jäger  (im  »Nachtlager  in  Granada«),  Hoel,  Don  Juan,  Leporello  und  Graf 
Almaviva  (im  »Figaro«). 

Hillebraud,  guter  deutscher  Basssänger,  war  erst  am  kaiserl.  Hofopern- 
theater zu  Wien  engagirt,  gastirte  1820  am  Hoftheater  zu  Berlin  als  Ober- 
priester (in  der  »Vestalin«),  Sarastro,  Durlinski  (in  »Lodoiska«) ,  Osmin  und 
Hess  sich  daselbst  zum  Verbleiben  gewinnen.     Mau   rühmte    damals   seine  um- 


Hillepraiidt  —  Hiller,  287 

fangreiclie,  kräftige  Bassstimme,  die  nur  in  der  Mittellage  zu  wünschen  übrio- 
Hess,  und  sein  vortheilliaftes  Aeusserc.  Im  J.  1824  folgte  er  einem  Rufe  an 
die  Hof  bühne  zu  Hannover,  gastirte  aber  1827  wiederum  sehr  beifällig  in  Berlin. 
Wahrscheinlich  ist  er  in  Hannover  bis  zu  seinem   Tode  verblieben. 

Hilleprandt,  Franz  Edler  von,  begeisterter  Musikfreund  und  Förderer 
der  Tonkunst,  war  Hof-  und  Geiichtsadvocat,  Präsident  der  Advocatenkammer, 
Secretär  des  Mozarteums,  Vorstand  der  Filiale  der  deutschen  Schillerstiftunö' 
u.  s.  w.  in  Salzburg,  Wo  es  Zwecke  der  Kunst  und  Humanität  zu  fördern 
galt,  da  stand  er  obenan  mit  E,ath  uud  That  und  stets  mit  bestem  Willen. 
Das  Verdienst,  in  dem  Mozarteum  (s.  d.)  ein  Pflanzstätte  classischer  Musik, 
eine  Bildungsanstalt,  die  der  Stadt  zur  Zierde  gereicht,  geschaffen  zu  haben, 
gebührt  fast  ausschliesslich  seinen  rastlosen  Mühen,  Hochverehrt  von  seinen 
Mitbürgern  und  von  allen  Künstlern,  die  jemals  in  Salzburg  geweilt  hatten, 
starb  er  am   17.   Septbr.   1871   in  hohem  Alter  an  einer  Herzlähmung. 

Hiller,  Ferdinand,  einer  der  hervorragenden  Meister  und  Lehrer  der 
Tonkunst,  wurde  am  24.  Octbr.  1811  zu  Frankfurt  a.  M,  als  der  Sohn  eines 
sehr  angesehenen  israelitischen  Kaufmanns  geboren.  Da  sich  frühzeitig  bei 
dem  Knaben  musikalische  Anlagen  zeigten,  so  erhielt  er  von  seinem  siebenten 
Jahre  an  Lectionen  bei  dem  Violinisten  Hofmann,  bald  darauf  den  Pianoforte- 
unterricht von  Aloys  Schmitt  und  endlich  theoretische  Unterweisung  bei  Voll- 
weiler. Wenngleich  ihm  der  Vater  die  wissenschaftliche  Studienlaufbahn  vor- 
geschrieben hatte ,  für  die  H.  gleichfalls  die  glänzendste  Begabung  bekundete, 
so  gab  er  doch  endlich  dem  glühenden  Wunsche  des  Knaben  und  dem  Eathe 
musikalischer  Autoritäten  nach,  dass  derselbe  sich  gänzlich  der  Kunst  widmen 
durfte.  Seit  seinem  zehnten  Jahre  componirte  H. ,  und  mit  diesen  Versuchen, 
sowie  durch  sein  Ciavierspiel  erregte  er  die  lebhafte  Theilnahme  von  Mendels- 
sohn, Moscheies,  Schelble  und  Schnyder  von  Wartensee,  die  ihn  immer  enger 
mit  der  Musik  verbanden.  Vierzehn  Jahre  alt,  wurde  H.  dem  vortrefflichen 
J.  N.  Hummel  in  Weimar  übergeben,  welcher  dem  Schaffensdrang  desselben 
keine  Fesseln  anlegte,  um  so  mehr,  als  er  seinen  Schüler  nur  pianistisch  aus- 
zubilden hatte.  Er  vermittelte  sogar  die  Aufführung  zweier  Ouvertüren  und 
der  Zwischenaktsmusik  zu  »Maria  Stuart«,  welche  H.  damals  vollendet  hatte, 
im  dortigen  Hoftheater.  Im  Frühjahr  1827  begleitete  H.,  der  in  Weimar  auch 
die  reichlich  gebotene  Gelegenheit  zur  Erreichung  einer  allgemeinen  Bildung 
trefflich  wahrgenommen  hatte,  so  dass  ihm  selbst  Goethe  ein  hohes  Interesse 
schenkte,  seinen  Lehrer  Hummel  auf  einer  Concertreise  nach  Wien,  wo  der 
junge  Künstler  Beethoven  kennen  lernte,  dessen  Persönlichkeit  einen  mächtigen 
Eindruck  bei  ihm  hinterliess.  Dort  veröffentlichte  er  auch  bei  Haslinger  sein 
op.  1,  ein  in  Weimar  geschriebenes  Ciavierquartett.  Nach  Frankfurt  a.  M. 
in  das  elterliche  Haus  zurückgekehrt,  trat  H.  als  Pianist  häufig  öffentlich  auf 
und  componirte  fleissig,  besondere  für  "den  Schelble'schen  Cäcilienverein,  dessen 
Accompagneur  am  Ciavier  er  geworden  war.  Im  J.  1829  begab  sich  H.  nach 
Paris  und  blieb  dort,  anfangs  an  dem  Choron'schen  Institute  als  Lehrer  der 
Harmonie  angestellt,  dann  privatisirend,  immerfort  aber  eifrig  studirend,  einige 
Reisen  nach  Deutschland  abgerechnet,  sieben  Jahre,  innerhalb  deren  er  überaus 
anregenden  vertrauten  Umgang  mit  Künstlergrössen  wie  Cherubini,  Meyerbeer, 
Rossini,  Berlioz,  Chopin,  Liszt,  Börne,  Heinr,  Heine  und  vielen  anderen  Aristo- 
kraten des  Geistes  pflegte,  in  deren  Kreis  er  als  ein  Ebenbürtiger  aufgenommen 
worden  war.  Er  trat  auch  häufig  öffentlich  als  Ciavierspieler  mit  dem  grössten 
Erfolge  hervor,  veranstaltete  1835  in  Verbindung  mit  Baillot  eine  Reihe  von 
Concerten  für  Kammermusik  und  führte  im  Conservatorium  Sinfonien  und 
andere  grosse  Werke  seiner  Composition  auf,  kurz,  erregte  ein  nachhaltiges 
Interesse  bei  den  Franzosen,  Von  den  damals  herausgegebenen  gediegenen 
Arbeiten  sind  besonders  sein  Clavierconcert  op.  5  und  seine  24  Etüden  op,  15 
mit  Auszeichnung  zu  nennen.  Im  J.  1836  kehrte  H.  nach  Frankfurt  zurück 
und  dirigirte  für  seinen  tödtlich  erkrankten  Freund  Schelble  den  Cäcilienverein. 


238  Hiller. 

Ein  Jahr  später  ging  er  nach  Italien  und  führte  in  Mailand,  wo  er  sich  zuerst 
aufhielt,  seine  Oper  »Romilda«,  Text  von  Kossi,  1838  auf,  welche  jedoch  durch- 
fiel. Für  diesen  Misserfolg  entschädigte  ihn  aber  reichlich  die  glänzende  Theil- 
nahme,  welche  unmittelbar  darauf  sein  Oratorium  »Die  Zerstörung  Jerusalems« 
zuerst  in  Leipzig,  dann  auch  in  den  verschiedensten  grösseren  Concertstädten 
Deutschlands  fand.  Den  "Winter  1839  auf  1840  verlebte  H.  im  Interesse  dieses 
AVerks  in  Leipzig,  kehrte  jedoch  1841  wieder  nach  Italien  zurück  und  trat  in 
Rom  in  einen  regen  Verkehr  mit  Baini,  dem  Direktor  der  päpstlichen  Kapelle, 
durch  den  er  die  vergrabenen  Schätze  der  altclassischen  Kirchenmusik  kennen 
lernte.  Im  J.  1842  war  er  wieder  in  Deutschland  und  wechselte  seinen  Aufent- 
haltsort zwischen  Frankfurt,  Leipzig,  dessen  Gewandhausconcerte  er  den  Winter 
von  1843  bis  1844  hindurch  dirigirte,  und  Dresden,  wo  er  Abonnementscon- 
certe  veranstaltete,  welche  auch  auswärts  die  Aufmerksamkeit  auf  sich  zogen. 
Die  ebendaselbst  von  ihm  compouirte  Oper  »Conradin«  wurde  zwar  am  Hof- 
theater aufgeführt,  verschwand  aber  alsbald  wieder. 

Ein  ehrenvoller  E-uf  führte  H.  1847  nach  Düsseldorf,  wo  er  bis  1849  die 
grossen  Aufführungen  leitete.  In  demselben  Jahre  wurde  ihm  die  Stelle  eines 
städtischen  Kapellmeisters  in  Köln  und  die  Organisation  und  Direktion  des 
dortigen  Conservatoriums  übertragen,  die  er  1850  antrat  und  in  welchen  Stel- 
lungen er  sich,  rastlos  thätig,  noch  gegenwärtig  befindet,  so  dass  er  zugleich 
mit  dem  ihm  anvertrauten  Institute  am  3.  April  1875  sein  eigenes  25jähriges 
Jubiläum  festlich  begehen  durfte.  Während  dieser  Zeit  war  er  drei  Mal  auf 
längere  Zeit  in  Paris,  zuerst  im  Winter  1851  bis  1852,  wo  er  die  dortige 
italienische  Oper  dirigirte,  sodann  1853  und  1855,  wo  er  mit  glänzendem  Er- 
folge als  Pianist  und  Instrumentalcomponist  auftrat.  Auch  später  hat  er  Köln 
häufig,  aber  immer  nur  auf  kürzere  Zeit,  behufs  Direktions-  und  Virtuosen- 
ausflügen nach  Berlin,  Dresden,  Frankfurt,  München,  Braunschweig,  Amsterdam 
und  besonders  England,  das  ihm  stets  die  ehrenvollste  Aufnahme  bereitete, 
verlassen.  Die  grossen  Rheinischen  Musikfeste  in  den  Pfingsttagen  von  1853, 
1855,  1858,  1859  u.  s.  w.  standen  ebenfalls  unter  seiner  Direktion.  Im  Uebrigen 
war  seine  Thätigkeit  in  Köln  selbst  und  ist  es  bis  zur  Stunde  eine  sehr  an- 
gespannte, aber  auch  für  die  musikalischen  Zustände  des  Rheinlandes  eine  sehr 
bedeutungsvolle.  Diese  Stadt  hat  es  fast  ausschliesslich  ihm  zu  danken,  dass 
sie  in  musikalischen  Dingen  mitgerechnet  wird.  Die  dortigen  grossen  Güi'ze- 
nichconcerte  haben  unter  seiner  Leitung,  durch  seine  gediegenen  Programme 
und  durch  sein  vortrefflich  eingeübtes  Orchester  im  Concertwesen  der  musi- 
kalischen Welt  eine  beachtenswerthe  Stellung  erlangt  und  sind  oft  genug  die 
Stütze  und  Grundsäule  für  hervorragende  Thaten  junger  Talente  gewesen. 

Als  Componist  ist  H.  sehr  fruchtbar  gewesen;  seine  neueste  grössere  Can- 
tate  »Mirjam's  Siegesgesang«  trägt  die  Opuszalil  151,  eine  Ziffer,  die  1875 
bereits  wieder  überstiegen  war  und  eine  bedeutende  Anzahl  umfangreicher 
Werke  einschliesst,  als  vier  deutsche  Opern  (»Ein  Traum  in  der  Christnacht«, 
1844,  »Conradin,  der  letzte  Hohenstaufe«,  1847,  »Die  Katakomben«  und  »Der 
Deserteur«,  1865),  zwei  Oratorien  (»Die  Zerstörung  Jerusalems«  und  »Saul«), 
mehrere  Cantaten  (y>Ver  sacruma,  »Loreley«,  »Mirjam's  Siegesgesang«,  »Die 
Nacht«,  »Pfingsten«,  »Aus  der  Edda«  u.  s.  w.),  Hymnen,  Psalme  und  andere 
Kirchenmusiken,  ferner  drei  Sinfonien,  sieben  Ouvertüren,  Quartette,  Trios, 
Duos,  Violinconcerte  und  meist  reizvolle  Pianofortesolos,  bestehend  in  Sonaten, 
Concerten,  Capriccios,  Rondos,  Charakterstücken,  Etüden,  Märschen  u.  s.  w., 
endlich  Chöre ,  ein-  und  mehrstimmige  Lieder  und  Gesäuge  aller  Art.  Diese 
grosse  Menge  Compositionen  ist  von  sehr  ungleichem  Werthe;  neben  Arbeiten 
voll  genialer  Inspiration  und  formaler  Vollendung  stehen  unvermittelt  andere, 
welche  dem  sorglosesten  Dahinwerfen  ihr  Dasein  verdanken.  Das  Gelungene 
von  dem  Missrathenen  zu  trennen,  streng  kritisch  zu  sichten  und  das  fertig 
Gewordene  sorgfältig  zu  feilen,  war  niemals  H.'s  Sache;  er  hätte  sonst  bei 
Beiner  Begabung,  Erfindung,  Phantasie  und  technischen  Meisterschaft  eine  ton- 


HUler.  239 

angebende  Stellung  in  ganz  Deutschland  einnehmen,  einem  Mendelssohn,  mit 
dem  ex'  so  manchen  verwandtschaftlichen  idealen  Zug  gemein  hat,  gleichkommen 
müssen.  Als  Pädagoge  hat  H.  eine  ganze  Reihe  berühmt  gewordener  Schüler 
herangebildet,  von  denen  Max  Bruch  und  Fr.  Grernsheim  unter  den  Ersten 
stehen  dürften.  Auf  diesem  Gebiete  seiner  Thätigkeit  veröffentlichte  er  ein 
Lehrbuch  mit  »Uebungeu  zum  Studium  der  Harmonie  und  des  Contrapunkts« 
(2.  Aufl.,  Köln,  1860).  Dies  leitet  auf  H.  den  musikalischen  Schriftsteller, 
der  durch  seine  ästhetisch -kritischen  Artikel  im  Feuilleton  der  »Kölnischen 
Zeitung«  zu  den  geistvollsten  und  berufensten  Musikern  gehört,  die  jemals  die 
Feder  geführt  haben,  um  sich  über  ihre  Kunst  vernehmen  zu  lassen.  Origi- 
nelles, Glänzendes  sticht  überall  hervor,  und  das  Bekannte,  Geläufigere  weiss 
er  mit  einer  Grazie  zu  sagen,  welche  unwiderstehlich  fesselt.  Während  nur 
zu  viele  Kunstschriftsteller  sich  bemühen,  den  Gedanken  zu  schminken,  versteht 
es  H. ,  vermöge  unvergleichlicher  stylistischer  Meisterschaft,  ihn  zu  vergolden. 
In  Buchform  erschienen  von  diesen  zerstreuten  Feuilletons:  »Die  Musik  und 
das  Publikum«  (Köln,  1864)  und  »Aus  dem  Tonleben  unserer  Zeit«  (2  Bde., 
Leipzig,  1867;  neue  Folge,  Leipzig,  1871). 

Hiller,  Johann  Adam,  eigentlich  Hüller  geheissen,  ein  als  Componist, 
Gesanglehrer  und  Musikschriftsteller  hochverdienter  deutscher  Tonkünstler, 
wurde  am  25.  Decbr.  1728  zu  Wendisch  -  Ossig  bei  Görlitz  als  der  Sohn  des 
dortigen  Dorfschulmeisters  geboren.  Früh  verwaist,  sah  er  sich  auf  Verwer- 
thung  seiner  schönen  Discantstimme  in  Singechören  angewiesen,  trieb  eifrig 
Ciavier-  und  Violinspiel  und  übte  sich  auf  allen  Instrumenten,  die  ihm  zu- 
gänglich waren.  Auf  dem  Gymnasium  in  Görlitz,  in  welcher  Stadt  ein  Golle- 
gium  musicum  errichtet  wurde,  und  auf  der  Kreuzschule  zu  Dresden  unter  Ho- 
milius,  der  ihn  im  ClaviersiDiel  und  Generalbass  unterrichtete  und  fleissig 
Hasse'sche  Opernpartituren  abschreiben  Hess,  legte  er  den  Grund  zu  seiner 
höheren  allgemeinen  wie  musikalischen  Bildung.  Seine  Armuth  zwang  ihn, 
durch  allerlei  Nebendienste  seinen  Unterhalt  zu  erwerben,  und  aus  dieser  Ur- 
sache auch  konnte  er  erst  1751  die  Univei'sität  Leipzig  beziehen,  um  die  Rechte 
zu  studiren.  Des  Broderwerbs  wegen  wirkte  er  in  den  Concerten,  wo  es  gerade 
nöthig  war,  bald  als  Contrabassist,  bald  als  Flötist  mit.  Hasse  und  Graun 
wai'en  seine  musikalischen  Ideale,  die  er  gründlich  studirte,  während  er  J.  S. 
Bach  und  auch  spätei-hin  Gluck  weniger  Geschmack  abgewinnen  konnte.  Auf 
Geliert's  Empfehlung  wurde  H.  1754  Hofmeister  des  jungen  Gi'afen  Brühl  in 
Dresden,  Sohnes  des  allmächtigen  sächsischen  Ministers,  mit  dem  er  1758  wieder 
die  Universität  zu  Leipzig  besuchte.  Damals  setzte  er  Geliert's  geistliche 
Lieder  und  andere  Gedichte  in  Musik,  wurde  aber  durch  Yerdüsterung  und 
Hypochondrie,  welche  ein  früher  Kampf  mit  Noth  und  Elend,  sowie  eine  finstere 
Auffassung  der  damaligen  Weltlage  bei  ihm  hervorgerufen  hatte,  von  belang- 
reicheren Ai-beiten  abgehalten.  Wie  um  sich  zu  zerstreuen ,  begann  er  im 
Octbr.  1759  mit  der  Begründung  einer  musikalischen  Wochenschrift  unter  dem 
Titel  »Wöchentlicher  musikalischer  Zeitvertreib«,  Gesangcompositionen  theils 
heiterer,  theils  ernster  Art,  meist  von  H.  selbst  verfasst,  und  kleinere  Instru- 
mentalstücke enthaltend.  Im  praktischen  Fache  war  damals  nichts  Aehnliches 
bekannt,  und  dies  Unternehmen  fand  daher  bald  Nachahmung. 

Im  J.  1760  legte  H.  seine  Hofmeisterstelle  nieder,  lehnte  sogar  einen  Ruf 
als  Professor  nach  St.  Petersburg  ab  und  lebte  privatisirend  in  Leipzig.  Das 
Leipziger  grosse  Concert,  dessen  Leitung  er  1763  übei'uahm  und  welches  ihm 
im  Wesentlichen  seine  Einrichtung  verdankt,  führte  ihn  wieder  mehr  in  die 
Oeffentlichkeit.  Hier  Hess  er  sich  die  Förderung  des  Gesanges  ganz  besonders 
angelegen  sein.  Zu  diesem  Zwecke  errichtete  er  1771  eine  unentgeltliche  Sing- 
schule für  Frauen  und  Knaben,  in  welcher  viele  treflBiche  Sängerinnen  von  ihm 
gebildet  wurden;  Corona  Schröter  und  Gertrud  Schmähling,  nachmalige  Mara, 
waren  schon  vorher  seine  Schülerinnen.  Bald  nach  dem  siebenjährigen  Kriege 
hatte   er    eine    andere  Wochenschrift:    »Wöchentliche  Nachrichten  und  Anmer- 


240  Hiiler. 

kungeu,  die  Musik  betreffend«  (17G6  bis  1770)  begonnen,  welche  wiederum 
Corapositionen,  unter  diesen  die  Aufsehen  machenden  Lieder  von  J.  Th.  Her- 
mes (s.  d.),  aber  auch  eine  Reihe  von  historischen,  kritischen,  theoretischen 
Mittheilungeu  u.  s.  w.,  ebenfalls  aus  H.'s  Teder,  brachte.  Auch  das  Leipziger 
Theater  gelangte  damals  unter  Koch  zur  Blüthe,  und  auf  dessen  Veranlassung 
dichtete  Felix  Weisse  deutsche  Operetten  nach  Art  der  in  Paris  sehr  beliebten 
französischen,  die  H.  für  eine  Truppe,  welche  höchstens  Lieder  singen  konnte, 
sehr  geschickt  in  Musik  setzte. 

So  erschienen  die  in  ganz  Deutschland  Epoche  machenden,  überaus  po- 
pulär gewordenen  Operetten:  »Die  verwandelten  Weiber«,  »Der  lustige  Schuster«, 
»Lottchen  am  Hofe«,  »Die  Liebe  auf  dem  Lande«  und  besonders  »Die  Jagd«, 
welche  letztere  noch  nach  hundert  Jahren  auf  der  Bühne  fortlebte.  Von  an- 
deren gefielen  noch:  »Der  Dorf  barbier«,  »Der  Erntekranz«,  »Die  Jubelhochzcit« 
und  »Das  Grab  des  Mufti«.  Nicht  minder  hielt  man  seine  zahlreiclien  kleinen 
Lieder  für  mustergültig,  und  in  der  That  bahnten  dieselben  für  ihre  Gattung 
einen  neuen,  besseren,  minder  zopfigen  Geschmack  an.  Mit  dem  sogenannten 
grossen  Concert,  dem  er  1775  mit  den  Knaben  und  Mädchen  seiner  Singschule 
einen  neuen  Aufschwung  verlieb,  konnte  er  1781  als  Direktor,  zum  ersten 
Male  in  seinem  Leben  mit  einem  kleinen  Jahrgehalt  bedaclit,  den  eben  fertig 
gewordenen  Concertsaal  im  Gewandhause  beziehen.  Ein  Jahr  später  reiste  er 
mit  seinen  Schülerinnen,  den  Schwestern  Podleski,  nach  Mitau,  organisirte  dort 
dem  Herzog  von  Kurland  eine  Kapelle  und  ei'hielt  eine  Jahrespension  von 
600  Thalern,  sowie  den  Kapellmeistertitel.  Auf  der  Rückreise  nach  Leipzig 
veranstaltete  H.  in  verschiedenen  Städten  Händel  -  Aufführungen ,  so  1786  in 
Berlin  den  »Messias«,  1787  in  Breslau,  wo  er  16  Concerte  ankündigte,  den 
»Judas  Maccabäus«,  dann  aber  auch  Haydn's  y>Stabat  matera^  und  Graun's  »Tod 
Jesu«,  in  welchen  Werken  seine  beiden  Töchter  als  Sängerinnen  mitwirkten. 
Als  Doles  1789  das  Cantorat  in  Leipzig  niederlegte,  wui'de  H.  sein  Nachfolger 
als  Cantor  und  Musikdirektor  der  Thomasschule  und  liess  sich  in  diesem  Amte, 
trotz  seiner  immer  stärker  wieder  überhand  nehmenden  Hypochondrie,  die 
Pflege  und  Verbesserung  des  Kirchengesanges  sehr  angelegen  sein,  ebenso  wie 
er  sich  jedes  einzelnen  Schülers,  in  dem  er  musikalisches  Talent  fand,  aufs 
Treueste  annahm. 

Seitdem  fanden  seine  Motetten  und  besonders  das  von  ihm  verfasste 
»Choralbuch«  (Leipzig,  1793;  Nachtrag  und  Anhang  dazu  ebendas.  1794  und 
1797),  mancher  Ausstellungen  ungeachtet,  die  man  nicht  mit  Unrecht  in  har- 
monischer Beziehung  an  demselben  machte,  eine  allgemeine  A^erbreitung.  Ob- 
wohl mit  Vorliebe  einem  Hasse,  Graun  und  Händel  ergeben,  deren  Werke  er 
bevorzugte,  verschluss  er  sich  dennoch  nicht  dem  neuen  Style  eines  Haydn 
und  Mozart.  Das  Uequiem  des  Letzteren  schrieb  er  sich  eigenhändig  ab  und 
setzte  auf  den  Titel:  f>Ojjus  summum  viri  siimmi  W.  Ä.  Mozartvi.  Nachdem  H. 
1801  mit  Belassung  seines  vollen  Gehaltes  und  freier  Wohnung  in  den  wohl- 
verdienten Ruhestand  versetzt  worden  war,  ergab  er  sich  gänzlich  seinem  un- 
heimlichen alten  Begleiter,  dem  Trübsinn,  und  starb  endlich  am  16.  Juni  1804 
an  gänzlicher  Entkräftung.  Die  dankbaren  Schülerinnen  Podleski  setzten  ihm 
1832  das  Denkmal,  welches  sich  vor  der  Thomasschule  in  Leipzig  befindet. 
H.'s  Bedeutung  als  Compouist  von  Liedern  und  Operetten  (vierzehn  an  der 
Zahl)  ist  weiter  oben  schon  gewürdigt  worden.  Seine  Instrumentalwerke  für 
Orchester  (darunter  30  Sinfonien) ,  Kammermusik  und  Ciavier  dagegen  haben 
der  Zeit  schon  längst  ihren  Ti'ibut  geopfert.  Unter  seinen  Kirchenwerken, 
bestehend  aus  Hymnen,  Psalmen,  Chöi-en  und  Arien,  Duetten,  Terzetten,  Can- 
taten,  Misereres,  Kyries,  Glorias  und  einer  Menge  Choralmelodien,  zeichnet  sich 
der  100.  Psalm  als  eigenthümlich  und  werthvoll  aus;  als  Sammelwerk  verdienen 
seine  sechs  Bände  Motetten  noch  jetzt  alle  Beachtung.  Schulwerke  von  ihm 
sind  eine  Violinschule  und  mehrere  Singmethoden,  von  denen  die  verdienstvolle 
»Anweisung  zum   Singen«    lange   Zeit    hindurch    mit  Recht    hochgeschätzt  und 


Hillmer  —  Hilton.  241 

viel  benutzt  wurde.  —  Sein  Sohn,  Friedrich  Adam  H.,  geboren  1768  in 
Leipzig,  lernte  beim  Vater  Gesang  und  Violinapiel  und  erwarb  sich  andere 
gediegene  Kunstkenntnisse.  Seit  1783  trat  er  vielfach  öffentlich  als  Sänger 
und  Violinist  in  seiner  Geburtsstadt  auf  und  ging  1789  als  Tenorist  zur  Tilly'- 
schen  Schauspielergesellschaft  nach  Rostock,  vertauschte  aber  schon  im  folgen- 
den Jahre  diese  Stelle  mit  der  eines  Musikdirektors  am  Theater  zu  Schwerin, 
wo  er  sich  zugleich  als  Violinist  sehr  auszeichnete,  bis  er  1796  in  derselben 
Eigenschaft  zum  neu  gegründeten  Nationaltheater  in  Altena  übertrat.  Im 
J.  1803  wurde  er  von  dort  als  Dirigent  an  das  Theater  zu  Königsberg  i.  Pr. 
berufen  und  erwarb  sich  daselbst  als  talentvoller  Künstler  und  biederer  Mensch 
die  grösste  Hochachtung.  Er  begann  1812  Vorlesungen  über  Musik  zu  halten, 
in  denen  er  neue  Ideen  zu  Tage  brachte  und  sich  als  trefflich  unterrichteter 
und  denkender  Tonkünstler  zeigte.  Kaum  hatte  er  aber  diesen  Kursus  beendet, 
als  er  auch  schon  am  23.  Novbr.  1812  starb.  Er  hat  vier  Operetten  (»Adel- 
stan  und  Röschen«,  »Das  Schmuckkästchen«,  »Die  drei  Sultane«  und  »Das 
Nixenreich«),  ein  Festspiel  (»Friedrich  von  Schiller's  Manen«),  Arien,  Gesänge 
und  Instrumentalstücke  zu  verschiedenen  Dramen,  Hymnen,  sechs  Streichquar- 
tette, Variationen  für  Violine,  eine  vierhändige  Ciaviersonate  u.  s.  w.  componirt, 
gemüthvolle,  wenn  auch  nicht  gerade  tiefe  Musik. 

Hillmer,  Friedrich,  denkender  deutscher  Tonkünstler  und  guter  Violinist, 
geboren  um  1762  zu  Berlin,  trat  1798  daselbst  mit  einem  von  ihm  erfundenen 
Instrumente,  welches  er  »Alldrey«  nannte,  öffentlich  als  Virtuose  auf.  Dies 
Instrument,  au  welchem  er,  laut  seiner  Aussage,  sechs  Jahre  lang  gearbeitet, 
war  14^/2  Zoll  lang  und  10  Zoll  breit,  hatte  zehn  Saiten,  von  denen  vier  be- 
sponnen  waren  und  wurde  mit  Bogen  und  Finger  gespielt.  Das  Griffbrett 
war  10  Zoll  lang,  3^2  Zoll  breit  und  konnte  durch  einen  Mechanismus  den 
Saiten  bald  näher,  bald  entfernter,  auch  nach  Erforderniss  höher  gebracht 
werden.  Ebenso  brachte  H.  beim  Polychord  eine  Verbesserung  an,  die  ihm 
nach  seiner  Anzeige  von  1818  durch  eine  besondere  Richtung  des  Steges  ge- 
lungen sein  sollte.  Auch  auf  diesem  Instrumente,  sowie  auf  einem  änderen, 
von  ihm  Violalin  genannt,  Hess  er  sich  in  Berlin  hören.  Endlich  führte  er 
1836  ein  ebenfalls  von  ihm  erfundenes  und  »Tibia«  genanntes  transportables 
Ciavier  von  fünf  Octaven  Umfang  vor.  Alle  diese  Instrumente  gehören  in  die 
Reihe  der  bald  wieder  verschollenen  Erfindungen.  H.  selbst  war  seit  1811 
königl.  Kammermusiker  und  Bratschist  der  Hofkapelle  zu  Berlin,  wurde  1831 
als  Correpetitor  derselben  pensionirt  und  starb  am  15.  Mai  1847.  —  Für  die 
von  ihm  erfundenen  Instrumente,  namentlich  für  Alldrey,  hat  er  auch  man- 
cherlei componirt.  —  Sein  Sohn,  Joseph  H.,  geboren  1824  zu  Berlin,  Hess 
sich  schon  1833  mit  Beifall  als  Violinist  hören  und  unternahm  später  auch 
mit  seinem  Vater  eine  grössere  Kunstreise.  Seinem  Instrumente,  sowie  dem 
Gesänge  widmete  er  eingehende  Studien,"  wurde  1850  als  königl.  Kammermusiker 
angestellt  und  wirkt  daneben  sehr  erfolgreich  als  Gesanglehrer,  welcher  auch 
der  Bühne  schon  manche  bewährte  künstlerische  Kraft  zugeführt  hat,  und  als 
Dirigent  des  Philharmonischen  Vereins  in  Berlin. 

Hillmer,  Gottlob  Friedrich,  trefflich  gebildeter  Dilettant  und  in  seiner 
Jugend  als  Sänger,  Ciavierspieler  und  Liedercomponist  sehr  geschätzt,  wurde 
am  21.  Febr.  1756  zu  Schmiedeberg  in  Schlesien  geboren.  Er  studirte  in 
Breslau  und  Halle,  wurde  später  Inspektor  und  Gesellschafter  des  Prinzen 
Eugen  von  "Würtemberg,  1791  Geheimer  Consistorialrath ,  1794  Mitglied  der 
geistlichen  Immediat-Examinationscommission  zu  Berlin  und  1798  in  den  Ruhe- 
stand versetzt.  Zu  Neusalz  in  Schlesien,  wo  er  seine  Pension  verzehrte,  starb 
er  am  4.  März  1835.  Seine  Oden  und  Lieder  erschienen  in  der  Zeit  von 
1781   bis   1787  und  fanden  weite  Verbreitung. 

Hilton,  John,  guter  englischer  Vocalcomponist,  war  in  der  ersten  Hälfte 
des  17.  Jahrhunderts  Baccalaureus  der  Musik  und  Organist  an  der  Marga- 
rethenkirche  zu  Westminster  in  London.     Er   starb    nach   1649  und   hat  geist- 

Musikal.  Convers.-Lexikon.    V.  16 

\ 


242  Himmel  —  Himmelfahrt. 

liehe  land  weltliche  ö-esänge  componirt,  die  Hawkins  zu  den  besseren  jener  Zeit 
rechnet.  —  Ein  Landsmann  und  Namensgenosse  von  ihm,  Walthei'  H.,  Car- 
thäusermönch  um  1430,  ist  der  Verfasser  eines  Tractats  »De  musica  eccle- 
siastican. 

Himmel)  Friedrich  Heinrich,  trefflicher  Clavierspieler  und  beliebter 
deutscher  Coraponist,  geboren  am  20,  Novbr.  1765  zu  Treuenbrietzen  in  der 
Provinz  Brandenburg  von  unbegüterten  Eltern,  studirte  in  Halle  Theologie 
und  hatte  sich  nach  Potsdam  b 'geben,  um  zum  Antritt  einer  Feldpredigerstelle 
das  Examen  zu  bestehen,  als  König  Friedrich  Wilhelm  II.  Gelegenheit  fand, 
sich  von  seiner  Fertigkeit  im  Clavierspiel  und  seinem  musikalischen  Talent 
überhaupt  zu  überzeugen,  worauf  er  ihn  durch  Aussetzung  eines  Jahrgehaltes 
in  den  Stand  setzte,  sich  ganz  der  Tonkunst  zu  widmen.  H.  ging  nun  zu- 
nächst nach  Dresden,  wo  er  unter  Naumann  Composition  und  Contrapunkt 
studirte,  und  nachdem  er  in  Berlin  1792  sein  Oratorium  y>Isaacco  figura  del 
redentorea,  Text  von  Metastasio,  zur  Aufführung  gebracht  liatte,  ernannte  ihn 
der  König  zum  Kamraercomponisten  und  liess  ihn  eine  Studienreise  nach  Italien 
antreten.  In  Venedig  erntete  H.  als  Operncomponist  mit  dem  Pastorale  »// 
primo  navi(jfatorei<  1794  reichen  Beifall,  nicht  minder  ein  Jahr  später  in  Neapel 
mit  yySemiramidea.  Nach  seiner  Rückkehr  wurde  er  1795  an  Reichardt's  Stelle 
königl.  Kapellmeister  in  Berlin  und  schrieb  nun  ununterbrochen  Cantaten  und 
dergl.  für  die  Hoffeste  und  Trauertage  des  preussischen  Königshauses.  Nach- 
dem er  zur  Huldigung  Friedrich  Wilhelm's  III.  ein  vierstimmiges  Te  deum 
mit  Orchester  componirt,  und  am  8.  Juli  1798  aufgeführt  hatte,  reiste  er 
nach  Stockholm  und  St,  Petersburg.  Für  den  russischen  Hof  schrieb  er 
1798  die  Oper  »Alessandro«,  welche  ihm  6000  Rubel  einbrachte,  verweilte  1799 
in  Riga  und  kehrte  über  Schweden  und  Dänemark  1800  nach  Berlin  zurück. 
Dort  brachte  er  1801  seine  dreiaktige  Oper  »Vasco  de  Gaman  im  Opernhause 
und  im  Nationaltheater  sein  Liederspiel  »Frohsinn  und  Schwärmerei«  zur  Aul- 
führung und  machte  dann  Kunstreisen  nach  Paris,  London  und  Wien.  Am 
16.  Mai  1804  erschien  in  Berlin  seine  dreiaktige  Operette  »Fanchon,  das  Leier- 
mädchen«, Text  von  Kotzebue,  die  in  ganz  Deutschland  einen  fabelhaften  Er- 
folg hatte.  Ihr  folgten  1806  »Die  Sylphen«,  eine  Zauberoper,  und  1811  das 
Singspiel  »Der  Kobold«,  zuerst  in  Wien,  wohin  H.  seine  letzte  Reise  unter- 
nommen hatte,  gegeben.  Er  starb  am  8.  Juni  1814  an  der  Wassersucht  zu 
Berlin.  Gerade  an  seinem  Todestage  wurde  »Fanchon«  aufgeführt.  —  H.  hat 
noch  eine  Menge  von  Liedern  und  Gesängen  componirt,  von  denen  nicht  wenige 
ausserordentlich  populär  geworden  sind,  so  besonders  »Es  kann  ja  nicht  immer 
so  bleiben« ,  »An,  Alexis  send'  ich  dich«  und  »Vater ,  ich  rufe  dich« ,  ferner 
mehrere  Clavierconcerte,  Kammermusiksachen  verschiedener  Art,  Kirchenstücke 
(darunter  besonders  das  »Vater  Unser»  von  Mahlmann  und  mehrere  Psalme) 
u.  s.  w.  Ein  vollständiges  Verzeichniss  findet  sich  in  Ledebur's  »Tonkünstler- 
Lexikon  Berlins«  (Berlin,  1860).  Einfache,  liebenswürdige,  sinnige  Melodik, 
aber  Mangel  an  Tiefe  der  Gedanken  und  an  Grösse  des  Styls  charakterisirt 
H.'s  Compositionsweise.  Beethoven  urtheilt  über  ihn:  »er  besitze  ein  ganz 
artiges  Talent,  weiter  aber  nichts«,  und  sein  Lehrer  Naumann  sagt:  »Hätte  er 
in  früheren  Jahren  strenger  gegen  sich  selbst  sein,  mehr  studiren,  mehr  Fleiss 
anwenden  mögen,  er  wäre  gewiss  einer  der  grössten  Meister  seiner  Zeit  ge- 
worden.« Als  Clavierspieler  hatte  H.  einen  sehr  angenehmen  Vortrag  und 
besonders  einen  reizenden  Anschlag. 

Himmelbauer,  Wenzel,  berühmter  Violoncellovirtuose  aus  Böhmen,  lebte 
1764  in  Prag,  dann,  in  der  Hof  kapeile  angestellt,  in  Wien,  wo  er  auch  als 
Gesanglehrer  grossen  Ruf  erlangte.  Sein  Spiel  wurde  als  kräftig  und  rein 
gerühmt  und  seine  Feitigkeit  im  Notenlesen  bewundert.  Gedruckt  sind  von 
seiner  Composition  Duos  für  Flöte  oder  Violine  und  Violoncello  (Lyon,  1776), 
andere  Duos  für  Violoncello  jedoch  Manuscript  geblieben. 

Himmelfahrt  bezeichnet   das   geheiranissvolle   Scheiden  Jesu  von    der  Erde 


Hinaufstrich  —  Hinestrosa.  243 

am  vierzigsten  Tage  nach  seiner  Auferstehung,  das  von  dem  Evangelisten  Lucas 
als  ein  sichtbares  Verschwinden  desselben  in  einer  Wolke  erzählt  wird.  Zum 
Andenken  daran  feiern  die  Christen  aller  Bekenntnisse  jährlich  am  Donnerstage 
in  der  fünften  Woche  nach  Ostern  als  ein  hohes  Fest  das  Himmelfahrts- 
fest (latein. :  Festum  ascensionis  domini).  In  der  römisch-katholischen  Kirche 
ging  früher  (und  jetzt  noch  in  Frankreich)  der  Messe  eine  feierliche  Pro- 
zession ausserhalb  des  Gotteshauses  voraus,  wobei  Reliquien  der  Heiligen  mit- 
getragen und  nebst  verschiedenen,  den  Evangelien  entnommenen  Responsorien 
oder  Antiphonen  auch  der  Preisgesang  des  Portunatus  r>Salve  festa  dies«  ab- 
gesungen wurde.  Die  Prozession  selbst  sollte  den  Gang  der  Apostel  zum  Oel- 
berg  darstellen,  von  dem  aus  Christus  sich  in  die  Wolken  erhoben  haben  soll. 
Ehemals  war  diesem  Tage  eine  eigene  Sequenz:  yyUea:  omnipotens  die  kodierna<(. 
zugetheilt.  An  manchen  Orten  hat  sich  eine  seltsame  bildliche  Darstellung  der 
H.  erhalten.  Vor  der  Vesper  begiebt  sich  der  Clerus  im  Festornate  in  die 
Mitte  der  Kirche ,  wo  eine  Bildsäule  Christi  auf  einem  kleinen  Altar  bereitet 
ist,  um  in  die  Höhe  gezogen  werden  zu  können.  Nach  dem  feierlich  durch 
den  Diakon  abgesungenen  Evangelium  stimmt  der  Celebrant  drei  Mal  mit 
immer  mehr  erhobener  Stimme  den  Vers  an:  »Äscendo  ad  |;a^re?»  meumn  und 
der  Chor  setzt  ihn  fort  mit:  riDeum  meum  et  deum  vestrum,  alleluja«.  Hierauf 
wird  die  Figur  in  die  Höhe  gezogen,  und  nach  dem  Verschwinden  derselben 
über  dem  Gewölbe  stimmt  der  Celebrant  die  Oration  an.  Nach  dem  festlich 
gesungenen   »Benedicamus  domino«  beginnt  sodann   die  Vesper. 

Hinaufstrich  oder  Aufstrich  (s.  d.)  bezeichnet  bei  Bogeninstrumenten, 
die  beim  Spiel  wagerecht  gehalten  werden,  als  Violine,  Bratsche,  Viole  d'amour 
u.  s.  w.,  die  Führung  des  Bogens  mit  aufwärts  und  von  rechts  nach  links  sich 
bewegendem  Arme,  so  dass  also  der  mit  der  Spitze  aufgesetzte  Bogen  nach 
dem  Frosche  zu  über  die  Saiten  sich  bewegt  (s,  Herabstri  ch). 

Hiudle,  Johann,  ausgezeichneter  deutscher  Contrabassvirtuose  und  Com- 
ponist  für  sein  Instrument,  geboren  am  10.  Febr.  1792  in  Wien  von  unbe- 
mittelten Eltern ,  lernte  in  einer  öffentlichen  Schule  Singen  und  Violoncello- 
spielen, was  ihn  befähigte,  als  Lehrling  eines  Geigenmachers  durch  rastlose 
Uebung  ohne  fremde  Anleitung  sich  auf  dem  Contrabass  einzuspielen  und  1817 
mit  einem  enormen  Erfolge  öffentlich  sich  hören  zu  lassen.  Ein  Jahr  später 
trat  er  in  das  Orchester  des  Theaters  an  der  Wien,  dem  er  an  zwanzig  Jahre 
lang  angehörte,  worauf  er  Orchestermitglied  des  kaiserl.  Hofburgtheaters  wurde. 
Im  J.  1821  besuchte  er  die  österreichischen  Provinzstädte  und  1827  Prag, 
Dresden,  Leipzig  und  Berlin,  wo  er  das  grösste  Aufsehen  erregte.  Seine 
Fertigkeit,  Reinheit  und  Feinheit  des  Spiels,  sowie  seine  Sicherheit  bei  An- 
wendung der  Flageolettöne  sollen  unvergleichlich  gewesen  sein.  Er  starb  am 
9.  Aug.  1862  in  Wien.  —  Sein  Sohn,  Andreas  H.,  machte  sich  seit  1836 
als  Pianist  und  trefflicher  Musiklehrer  in  Wien  bekannt. 

Hindola  ist  der  Name  einer  der  Töchter  des  Brahma  und  der  Saraswati, 
deren  Benennung  die  Inder  auch  einer  ihrer  Raga's  (s.  d.)  beigelegt  haben. 
Die  Tonfolge  der  H.  genannten  Raga,  eine  der  zwei,  welche  genau  durch  unsere 
Notenschrift  darstellbar  und  nicht  sieben  Stufen  in  der  Octave  besitzt,  ist  fol- 
gende, deren  indische  Tonbenennung  unter  der  Note  hier  beigefügt  ist: 


-^ — 


1 


ma,  dha,  ni,     sa,    ^a,    raa. 

0. 
Hinestrosa,  Luis  Venegas  de,  spanischer  Musikgelehrter  des  16.  Jahr- 
hunderts, ist  der  Verfasser  eines  Trautats  über  Notation  und  Tabulatur  für 
Laute,  Harfe  und  Viola,  über  Choral-  und  figurirten  Gesang,  sowie  über  den 
Contrapunkt,  betitelt:  nTratado  de  cifra  de  nueva  para  tecla,  arpa  y  vicjuela, 
de  canto  llano,  de  uryano  y  contrapuntov^  (Alcala,  1557). 

10* 


244  Hingston  —  Hinterbalgfalte. 

Hingstou,  John,  englischer  Organist  des  17.  Jahrhunderts,  ein  Schüler 
des  Orlando  Oibbons,  war  erst  bei  Karl  I.,  dann  bei  Oliver  Cromwell  ange- 
stellt, dessen  Kinder  er  auch  unterrichtete  und  in  dessen  Hause  er  Concerte 
gab.     Sein  berühmtester  Schüler  war  der  nachmalige  Dr.  Blow. 

Hinkel,  Franz,  trefflicher  deutscher  Violoncellist,  geboren  1804  zu  Alten- 
burg, wurde  1835  als  königl.  Kammermusiker  in  Berlin  angestellt  und  veran- 
staltete daselbst  1836  im  Verein  mit  Constantin  Decker  Concerte  für  Kammer- 
musik.    Er  starb  bereits  am  20.  April   1838  zu  Berlin. 

Hinubnrg,  AVilhelm,  deutscher  Musiker,  war  1535  Cantor  in  Jüterbock 
und  hat  eine  Auswahl  von  zwei-  und  dreistimmigen   Chorälen  veröflPentlicht. 

Hinner,  deutscher  Harfenvirtuose,  der  sich  um  1770  nach  Paris  begab 
und  dort  Aufsehen  machte.  G-eringen  Erfolg  dagegen  hatte  daselbst  seine 
Operette  t>La  fausse  delicatesse«,  die  er  1776  aufführen  Hess.  Bis  1781  war  er 
in  Diensten  der  Königin,  reiste  nach  London  und  lebte  dann  wieder  in  Paris, 
wo  er  noch  1805  sich  befand.  Er  veröffentlichte  von  seiner  Composition  So- 
naten, Variationen,  Duos  u.  s,  w,  für  Harfe. 

Hiurichs,  Johann  Christian,  s.  Heinrich. 

Hiurichs,  Johann  Peter,  deutscher  Instrumentenmacher  gegen  Ende  des 
18.  Jahrhunderts,  machte  sich  besonders  dadurch  vortheilhaft  bekannt,  dass  er 
mit  grossem  Geschick  die  guten  englischen  Flügel  nachahmte. 

Hiurichs,  Franz,  deutscher  Liedercomponist,  geboren  um  1830  zu 
Halle  a.  S.,  woselbst  er  auch  die  Rechte  studirte.  Der  vertraute  Umgang  mit 
Hob.  Franz,  der  zuerst  sein  Musiklehrer  war,  später  sein  Schwager  wurde, 
regte  ihn  zu  einer  Anzahl  sinniger  Compositionen  im  Liedfache  an,  welche  sich 
allerdings  von  der  Franz'schen  Compositionsweise  ganz  und  gar  beeinflusst 
zeigen,  aber  gebildete  Musikfreunde  interessiren  dürfen. 

Hiusch,  Albert  Anton,  deutscher  Orgelbauer  aus  Hamburg,  lebte  gegen 
die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  hin  in  Grroniugen  und  besass  in  den  Nieder- 
landen einen  bedeutenden  Buf  in  seinem  Fache.  Von  seinen  Arbeiten  rühmte 
man  besonders  die  Orgelwerke  in  der  lutherischen  Kirche  zu  Grroniugen  und 
in  der  reformirten  Kirche  zu  Midwolde,  sowie  die  Reparatur  des  berühmten 
Instruments  in  der  Martinskirche  zu  Groningen  (1740).  —  Ein  Orgelvirtuose, 
Ewald  H.,  aus  Danzig  gebürtig  und  von  Joh.  Jac.  Frohberger  unterrichtet, 
war  in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhundei'ts  als  Hoforganist  in  Kopenhagen 
angestellt  und  wurde  als  grosser  Meister  auf  seinem  Instrument  gerühmt. 

Hinstrich  nennt  man  bei  denjenigen  Saiteninstrumenten,  deren  Saiten  beim 
Spielen  senkrecht  laufen,  also  bei  Violoncello,  Violdigambe  und  Contrabass,  die 
dem  Hinaufstrich  (s.  d.)  der  wagerecht  gehaltenen  Bogeninstrumente  con- 
forme  Procedur  mit  dem  Bogen.  Der  letztere  wird  beim  H.  mit  der  von  rechts 
nach  links  sich  bewegenden  rechten  Hand  von  der  Spitze  nach  dem  Frosche 
zu  über  die  Saiten  geführt,  nur  dass  er  hier  eine  wagerechte,  beim  Hinauf- 
striche eine  mehr  senkrechte  Haltung  hat.  Näheres  über  beide  Stricharten  bietet 
der  Artikel  Herab  strich. 

Hinterarm.  In  der  Instrument-,  besonders  der  Orgelbaukuust  tritt  oft 
die  Anwendung  von  Druck-  oder  Winkelhebeln  ein.  An  jedem  solchen  Hebel, 
wie  jedes  Lehrbuch  der  Physik  klar  macht,  unterscheidet  man  zwei  Arme, 
nämlich  die  Theile  desselben,  welche  vom  Unterstützungspunkt  nach  verschie- 
dener Richtung  sich  von  einander  entfernen.  Der  Arm,  auf  den  die  Kraft 
wirkt,  wird  Vorder-,  der  demselben  abgewandte  der  Hinterarm  genannt. 
Dem  entsprechend  nennt  man  den  Theil  der  Balg  taste  (s.  d.)  bei  der  Orgel, 
auf  den  der  Balgtreter  (s.  d.)  sich  stellt,  den  Vorderarm,  und  den  anderen, 
vom  Ruhe-  oder  Unterstützungspunkte  derselben  bis  zum  Balgkopf  (s.  d.) 
den  H.  der  Taste,  wie  denn  auch  bei  der  Manualtaste  die  sogenannte  blinde 
Taste  der  H.  derselben  genannt  wird.  Ebenso  wendet  der  Orgelbauer  diesen 
Fachausdruck  in  Bezug  auf  Wellen-   und  Registerstangentheile  au.  0. 

Hinterbalgfalte,    schlechtweg    auch    Hinterfalte,    uennt    der    Orgelbauer 


Hinterbalgfaltenspäliue  —  Hippothoros.  245 

die  am   Scliwanzende  eines  Balges  befindliche,  aus  zwei  mit  Leder  verbundenen 
sogenannten   Späbnen  bestehende  Palte  desselben,  0. 

Hinterbalgfaltenspähne  oder  kurzweg  Hinterspähne  nennt  der  Orgel- 
bauer die  schmalen  Brettchen,  welche  zur  Fertigung  der  Hinterbalgfalte  noth- 
wendig  sind.  Man  unterscheidet  bei  diesen  noch  die  Hinterober-  und  Hin- 
terunterbalgfaltenspähne.  0. 

Hinteroberbass  nennt  Adlung  in  seiner  Mus.  mecJi.  org.  pag.  233  eine 
Abtheilung  der  Göi-litzer  Orgel,  und  zwar  die  hinter  der  Manuallade  des  Ober- 
claviers  befindliche  Pedalwindlade  nebst  Zubehör.  Sonst  ist  dieser  Fachausdruck 
nicht  in  Anwendung  gekommen.  0. 

Hinteroberbalgfaltenspähne,  s.  Hinterbalgfaltenspähne. 

Hintersatz  heisst  in  den  alten  Orgeln  das  vom  Principal  oder  Prästanten 
geschiedene  Pfeifenwerk,  welches  nicht  durch  Schleifen  in  verschiedene  Stimmen 
gesondert  war,  sondern  beim  Niederdruck  einer  Taste  stets  mixturartig  zu- 
sammen ansprach.  Der  Name  H.  i'ührt  daher,  weil  dieses  Pfeifenwerk  hinter 
den  Prästant,  die  vorn  im  Prospekt  aufgestellte  Hauptstimme,  gesetzt  wurde 
(s.  auch  Principal  und  Orgel). 

Hinterspähne,  s.  Hinterbalgfaltenspähne. 

Hinterunterbass  ist  in  Adlung's  Mus.  mech.  org.  pag.  233  der  Name  für 
eine  Abtheilung  der  Görlitzer  Orgel,  nämlich  der  hinter  der  Manuallade  des 
Untei'claviers  befindlichen  Pedalwindlade  nebst  Zubehör.  Sonst  ist  dieser  Fach- 
ausdruck nicht  wieder  vorgekommen.  0. 

Hinterunterbalgfaltenspähne,  s.  Hinterbalgfaltenspähne. 

Hinterwellenarm,  s.  Hinterarm. 

Hintze,  Jacob,  deutscher  Instrumentalmusiker  und  Gresangscomponist,  ge- 
boren 1622  zu  Bernau  unfern  Berlin,  war  um  1666  kurfürstl.  brandenburg'- 
scher  Hofmusicus  in  Berlin  und  zog  sich  später  in  seine  Grebui-tsstadt  zurück, 
in  welcher  er,  den  Euf  eines  vorzüglichen  Contrapunktisten  hinterlassend,  1695 
starb.  Er  besorgte  die  zwölfte  Ausgabe  von  Joh.  Crüger's  y>Fraxis.  ■pietatisu 
(Berlin,  1690)  und  hängte  derselben  65  »geistreiche  epistolische  Lieder«,  Me- 
lodien von  ihm  selbst  zu  Texten  von  Jos.  Hermann  an,  von  denen  jedoch  keine 
mehr  im  kirchlichen  Gebrauch  ist.  "Wohl  aber  sind  unter  den  Liedern,  durch 
welche  diese  Ausgabe  auf  1220  Nummern  gebracht  wurde,  sechszehn  andere 
ebenfalls  von  ihm,  von  denen  das  Lied  »Gieb  dich  zufrieden«,  Text  von  Paul 
Gerhardt,  und  »Alle  Menschen  müssen  sterben«,  Text  von  Albinus,  letzteres 
von  H.  componirt  oder  wenigstens  geändert,  noch  jetzt  gesungen   werden. 

Hinze,  Joseph    Simon,  s.  Häntz. 

Hippasos,  ein  pythagoräischer  Philosoph  und  Tonkünstler  des  alten  Grie- 
chenlands, geboren  in  Metapont,  nach  Anderen  in  Kroton,  soll  über  Musik 
geschrieben  haben  und  zuerst  die  Proportionen  der  Töne  aus  der  Langsamkeit 
und  Geschwindigkeit  der  schwingenden  Saite  berechnet  haben,  während  sein 
Lehrer  Pythagoras  dieselben  gemäss  der  Länge  und  Schwere  der  Saiten 
feststellte. 

F  Hippias,  altgriechischer  Sophist  aus  Elis,  um  400  v.  Chr.,  der  Zeitgenosse 
des  Socrates,  machte  sich  namentlich  durch  seine  übertriebene  Eitelkeit  und 
Prahlerei,  die  auch  Piaton  in  zwei  nach  ihm  benannten  Dialogen  geisselt,  im 
ganzen  Alterthum  bekannt.     Er  soll  auch  über  Musik  geschrieben  haben. 

Hippokrene  (griech.),  d.  i.  Eossquelle,  hiess  der  vom  Abhänge  des  Berges 
Helikon  in  Böotien  begeisterndes  "Wasser  sprudelnde  Quell,  weil  er  der  Sage 
nach  in  Folge  eines  Hufschlags  des  Pegasus  entstand.  Er  war  dem  Apollon 
und  den  Musen  heilig,  und  Alle,  die  aus  ihm  tranken,  fühlten  sich  zu  Gesang 
begeistert. 

Hippolythus,  Blas  ins,  gelehrter  Mönch  und  Tonkünstler  der  ersten  HäKte 
des  16.  Jahrhunderts,  welcher  von  1547  bis  1549  im  Kloster  ürspringen  in 
Schwaben  vierzig  Schülerinnen  Figuralmusik  lehrte.     Er  starb  im  J.  1549. 

Hippothoros  (griech.  mno^oQog,  d.  i.  Beschäler)  oder    Hipponomos    war 


246  Hire  —  Hirschau. 

bei  den  alten  Griechen  der  Name  einer  bestimmten  Melodie  (griech.  Nomos), 
welche  bei  der  Begattung  der  Pferde  gespielt  wurde,  um  den  Segen  der  Götter 
dem  Acte  zuzuwenden.  0. 

Uire,  Philippe  de  la,  vorzüglicher  französischer  Mathematiker,  geboren 
1638  zu  Paris,  war  Professor  und  Lehrer  am  königl.  Collegium  daselbst  und 
hat  in  seinem  mathematischen  Hauptwerke  auch  den  Touberechuungen  einen 
grösseren  Abschnitt  gewidmet. 

Hirsch,  Andreas,  ein  lutherischer  Geistlicher  der  zweiten  Hälfte  des  17. 
Jahrhunderts,  machte  sich  musikalisch  durch  einen  von  ihm  geliefei'ten  Abriss 
aus  der  zweibändigen  y>Musurgia  universalis^  des  berühmten  Jesuiten  Athanasius 
Kircher  bekannt. 

Hirsch,  Leopold,  guter  deutscher  Violinist  und  Instrumentalcomponist, 
war  bis  1790  Mitglied  der  unter  Jos.  Haydn's  Direktion  stehenden  fürstl. 
Eszterhazy'schen  Kapelle  zu  Eisenstadt  in  Ungarn  und  wurde  hierauf  im  Hof- 
theater-Orchester zu  Wien  angestellt.  Er  componirte  u.  A.  Violinduette,  eine 
Serenade  (Cassation)  für  zwei  Violinen,  Oboe  und  Violoncello,  Streichquartette, 
Variationen  für  Violine,  Duette  für  Violine  und  Violoncello,  für  zwei  Flöten 
u.  s.  w.     H.  war  1811   noch  am  Leben. 

Hirsch,  Rudolph  (Johann),  ein  bekannterer  deutscher  Dichter,  Lieder- 
componist  und  Schriftsteller,  geboren  am  1.  Febr.  1816  zu  Napagedl  im  Länd- 
chen der  Hannaken  in  Mähren,  war  der  Sohn  des  dortigen  Justizamtmanns 
und  zum  Juristen  bestimmt.  Er  absolvirte  in  Folge  dessen  das  Gymnasium 
zu  Olmütz,  dann  zu  Brunn,  trieb  nebenbei  eifrig  Clavierspiel  und  Generalbass 
und  bezog  die  Universität  zu  Wien,  wo  er  mit  dichterischen  Versuchen  aller 
Art  und  mit  der  ästhetisch  und  kritisch  unreifen  Schrift  »Gallerie  lebender 
Tondichter«  (Güns,  18.S6)  öffentlich  hervortrat.  Von  1839  bis  1840  practicirte 
H.  beim  Magistrat  zu  Brunn  und  übernahm  sodann  in  Leipzig  die  Redaction 
der  Zeitschrift  »Komet«,  welche  er  bis  Anfang  1843  fortführte.  Er  gründete 
hier  ferner  das  »Album  für  Gesang«,  eine  in  vier  Jahrgängen  erschienene 
Sammlung  von  Originalgesängen  deutscher  Componisten  und  veröffentlichte  an 
zwanzig  Hefte  Lieder,  Balladen  und  Romanzen  seiner  Composition,  die  er  zum 
Theil  auch  selbst  gedichtet  hatte.  Um  das  Mädchen  seiner  Wahl  heirathen 
zu  können,  musste  er  1843  wieder  in  den  österreichischen  Staatsdienst  zurück- 
treten. In  Triest  machte  er  1844  das  Staatsexamen,  wurde  dort  und  in  Istrien 
angestellt  und  1849  zum  Gubernialconcipisten  ernannt,  wonach  er  1850  als 
Bezirkscommissär  in  das  k.  k.  Ministerium  des  Innern  gezogen  wurde.  Seit 
1852  fungirte  er  in  der  Eigenschaft  eines  wirklichen  kaiserl.  Hofconcipisten 
und  Bibliothekars  der  obersten  Polizeibehörde  in  Wien  und  starb  daselbst  als 
kaiserl.  Hofsecretär  a.  D.  am  10.  März  1872  an  der  Herzbeutelwassersucht. 
Seine  Theilnahme  für  das  musikalische  Leben,  auch  als  er  mit  op.  31  sein 
Musikschaffen  abgeschlossen  hatte,  bekundete  er  als  Correspondent  mehrerer 
Musikzeitschriften,  besonders  der  »Neuen  Berliner  Musikzeitiing«  und  als  lang- 
jähriger Musikreferent  der  kaiserl.  Wiener  Zeitung,  in  welches  Amt  nach  seinem 
Tode  A.  W.  Ambros  eintrat.  Auch  eine  andere  Schrift  von  ihm,  betitelt 
»Mozart's  Schauspieldirektor«   (Leipzig,  1859),  ist  noch  zu  erwähnen. 

Hirschan,  ein  Fabrikdorf  im  Oberamte  Calw  des  würtemberg'schen  Schwarz- 
waldkreises, verdankt  seine  Entstehung  dem  ehemaligen  Kloster  gleichen  Namens, 
dessen  Ruinen  einen  nahen  Hügel  äusserst  malerisch  zieren.  Dieses  hochbe- 
rühmte Kloster,  lateinisch  monasterium  Hirsangiense  geheissen,  nach  der  Regel 
des  heil.  Benedict,  wurde  vom  Grafen  Erlafried  von  Calw  um  830  erbaut,  durch 
Hrabanus  Maurus,  damaligen  Abt  von  Fulda,  mit  15  Mönchen  bevölkert  und 
im  Septbr.  838  eingeweiht.  Wie  alle  Benedictinerklöster  zeichnete  sich  auch 
H.  sehr  bald  durch  wissenschaftliche  und  Kunst-,  besonders  musikalische  Bil- 
dung aus,  und  im  10.  Jahrhundert  hatte  die  dortige  Schule  einen  weit  ver- 
breiteten Ruf   erlangt.     Zur  Zeit    der  Reformation    säcularisirt,    wurde    es    im 


Hirschbach  —  Hirtenlieder.  247 

.T.   1692  durch  die  Franzosen    eingeäschert.     Vgl.  Christmann,  »Greschichte  des 
Klosters  H.«  (Tübingen,   1783). 

Hirschbach,  Hermann,  deutscher  Componist  und  gefürch teter  Musik- 
kritiker, geboren  zu  Berlin  am  29.  Febr.  1812,  erhielt  frühzeitig  Violin-  und 
später  bei  H.  Birnbacb  Compositionsunterricht.  Im  J.  1839  trat  er  zuerst 
als  Componist  öffentlich  auf  und  zwar  mit  Streich-Quartetten  über  die  Motive 
aus  Goethe's  »Faust«.  Ein  Jahr  später  folgten  Quintette  und  Septette  seiner 
Composition  und  hierauf  noch  viele  andere  Kammermusikwerke,  aber  auch  drei 
Sinfonien  und  fünf  Ouvertüren.  Er  liess  sich  später  in  Leipzig  nieder  und 
begründete  und  redigirte  daselbst  von  1843  bis  1845  ein  »Musikalisch-kritisches 
Repertorium«,  worin  er  eine  verstandesscharfe,  aber  auch  äusserst  schneidende 
Kritik  übte,  die  ihm  ringsum  zahlreiche  Feinde  schuf,  so  dass  H.  verbittert 
der  Musik  entsagte  und  sich  dem  kaufmännischen  Berufe  zuwandte.  Auch  der 
Neuen  Zeitschrift  für  Musik,  der  Novellenzeitung  und  vielen  anderen  Blättern 
liefei'te  er  damals  geistvolle  Artikel.  Im  Vorwort  zur  Partitur- Ausgabe  seiner 
Sinfonien  op.  46  und  47  (50  Werke  sind  überhaupt  von  ihm  erschienen)  sagt 
er,  sich  selbst  und  sein  künstlerisches  Streben  charakterisirend:  »Mein  Leit- 
stern vom  ersten  Augenblick  an,  wo  ich  ans  selbstständige  Schaffen  ging,  hiess 
Charakteristik.  In  bloss  kunstvoller  Entwickelung  die  Instrumentalmusik  weiter 
zu  bringen,  war  damals  (1836)  nicht  mehr  möglich.  Man  musste  sich  begnügen, 
die  polyphone  Schreibart  in  der  Kammermusik  da,  wo  sie  in  Anspruch  ge- 
nommen wurde,  auf  der  Höhe  zu  erhalten.  Aber  dadurch  war  nichts  verloren; 
neben  dem  unerschöpflichen  Gedankenreichthum  unserer  Kunst  blieb  die  schär- 
fere Ausprägung  und  grössere  Fassung  des  charakteristischen  Inhalts  übrig. 
Damit  hing  die  Ausweitung  und  vielfach  anderweitige  Handhabung  der  freien 
Formen  unvermeidlich  zusammen.  Schon  vor  24  Jahren  habe  ich  laut  den 
Grundsatz  bekannt:  Der  Inhalt  bestimmt  die  Form.  Immer  habe  ich  es 
für  frivol  gehalten,  den  Hörer  aus  einer  Stimmung  in  die  andere  zu  schleudern, 
so  dass  er  zuletzt  ganz  leer  ausgeht,  als  wenn  die  Kunst  bloss  ein  Spass  wäre. 
Nein,  eine  Stimmung,  auch  die  ernsteste,  wenn  nicht  der  Plan  es  anders  ver- 
langt, festzuhalten  und  zu  erschöpfen,  das  war  meine  Aufgabe,  eine  Aufgabe, 
wozu  es  allerdings,  ausser  den  thematischen  Hülfsmitteln,  einer  weitausholenden 
Erfindung  bedarf.« 

Hirschfeld,  ein  vorzüglicher  deutscher  Waldhorn  virtuose,  geboren  um  1775 
in  Spredau  bei  Cölleda  in  Thüringen,  erlernte  die  Musik  beim  Stadtmusicus 
in  Gera  und  übte  sich  besonders  auf  dem  Hörn ,  bis  er  es  zu  hervorragender 
Geschicklichkeit  auf  diesem  Instrumente  gebracht  hatte.  Eine  feste  Anstellung 
suchend,  ging  er  1800  nach  St.  Petersburg  und  dann  nach  Stockholm,  wo  er 
Mitglied  der  königl.  Kapelle  wurde.  Von  1795  bis  1825  galt  er  in  Bezug  auf 
schönen  Ton,  geschmackvollen  Vortrag  und  technische  Fertigkeit  für  einen 
Virtuosen  ersten  Ranges.     Noch  1830  ferhielt  er  in  Stockholm  glänzenden  Beifall. 

Hirschfeld,  Christian  Cay  Lorenz,  ein  besonders  um  die  Gartenbau- 
kunst ausgezeichnet  verdienter  Gelehrter,  geboren  am  16.  Febr.  1742  in  dem 
holstein'schen  Dorfe  Nüchel  bei  Eutin,  -gBstorben  am  20.  Febr.  1792  als  Etats- 
rath  und  ordentlicher  Professor  der  Philosophie  und  schönen  Wissenschaften 
zu  Kiel,  gehört  hierher,  da  er  auch  der  Verfasser  des  Werkes  »Plan  der  Ge- 
schichte der  Poesie,  Beredtsamkeit ,  Musik,  Malerei  und  Bildhauerkunst  unter 
den  Griechen«  ist. 

Hirschfeld,  Michael,  ein  deutscher  Orgelbaumeister  des  16.  Jahrhunderts, 
baute  zu  Breslau  ein  Werk  mit  33  klingenden   Stimmen. 

Hirschflechsen,  s.  Flechsen. 

Hirtenlieder  (franz.:  Airs  champetres  oder  Pastourelles)  sind  Gesänge, 
welche  die  ländlichen  Melodien  der  Hirten  nachahmen  und  oft  mit  Glück  in 
Opern,  Oratorien  und  Cantaten  eingeflochten  werden  (vgl.  das  Hirtenspiel  in 
Fr.  Liszl's  Oratorium  »Christus«  als  besonders  charakteristisch).  Ehemals  in 
der  an  Hirtengedichten  und  Idyllen  überreichen  sentimentalen  Epoche  der  Zgpf- 


248  Hirtenpfeife  —  Hitzelberger. 

zeit  waren  sie  an    der  Tagesordnung,    bis    eine    andere  Geschichtsperiode  zeit- 
gemässere  "Weisen  forderte, 

Hirtenpfeife,  s.  Panpfeife  und  Schalmey. 

His  (ital.:  si  diesis,  franz.:  si  diese,  engl.:  h  sharp)  ist  der  alphabetisch-sylla- 
bische  Tonname  für  das  um  einen  Halbton  erhöhte  h  unserer  modernen  abend- 
ländischen Scala.     In  der  den  Tasteninstrumenten  eigenen  temperirten  Tonfolgc 
entspricht  His    genau    dem    alphabetisch    c  genannten  Klange    und  wird  durch 
dieselbe   Taste,    wodurch    dieser  angegeben  wird,    hervorgebracht.     In   der  dia- 
tonischen Tonleiter  jedoch  ißt  His  die  übermäßsige  Septime  von  c,  durch  das 
Verhältniss    48  :  25  =  (8  :  5)  +  (6  :  5)    bestimmt,    welches  Verhältniss    durch    die 
harmonischen   Rechnungsarten,  Addition   etc.,  gefunden   wird.     Bei  allen   Ton- 
werkzeugen,   wo    die  Tonhöhe    zu    bestimmen  dem  Instrumentisten  anheimfällt, 
sowie  im  Gesänge,  ist  die  Verschiedenheit  der  Sis  und  c  zu  nennenden  Klänge 
bemerkbar    und   wird    aus    diesem   Grunde    auch  die  Rechtschreibung  derselben 
bei  Tonstücken  für  Instrumente,  deren  Ton  in  der  Tonhöhe  durch  ihre  Spieler 
veränderbai',  wie  für  Gesang,  durchaus  empfehlenswerth.     Man  vergleiche  z.  B. 
die  Saitenstellen  beim  Cello  oder  Contrebass,    wo    der  Spieler  His  greift,    mit 
der ,  wo  derselbe  e  abgränzt.     Man  wird    diese   Stellen  bedeutend  von  einander 
abweichend    finden.      Als    Fundamentalton    einer    Tonart    findet    man    His    im 
abendländischen  Musikkreise  nicht  vor,  wohl  aber  als  Leitton   (s.  d.)  in  Cis- 
dur  (s.d.)  und  Cis-moll  (s.d.).     In  letzterer  Eigenschaft  wird  die  diatonische 
Stimmung  des  His,  verschieden  von  c,  unserem  Musikempfinden  durchaus  ent- 
sprechend   gefordert,    wenn    es    irgend    möglich    ist.     Notirt  wird  der  His  ge- 
nannte Klang  mit  der  h   zu   nennenden  Note,    vor    die    das    gewöhnlich  Kreuz 
(ff)  genannte  Erhöhungszeichen  gesetzt  wird.  0. 

Hisis  ist  der  alphabetisch  -  syllabische  Tonname  für  das  um  zwei  Halbtöne 
erhöhte  h  unseres  Tonsystems.  Aufgezeichnet  wird  Hisis  durch  die  h  zu  nen- 
nende Note,  vor  die  ein  sogenanntes  Doppelkreuz  (s.  d.)  (X)  gesetzt  wird. 
Die  musikalische  Orthographie  fordert  die  Aufzeichnung  von  Hisis  noch  viel 
seltener,  als  die  von  His,  und  sei  hier  um  so  mehr  in  Bezug  auf  Hisis  auf 
den  Artikel  His  verwiesen,  als  die  Erweiterung  der  dort  angestellten  Betrach- 
tungen Jedem  leicht  fallen  wird.  Noch  sei  bemerkt,  dass  die  Benennung 
hishis  dieses  Klanges  eine  durchaus  falsche  ist,  da  die  Erhöhung  durch  einen 
Halbton  durch  Anhängung  der  Sylbe  is  (s.  d.)  an  den  alphabetischen  Ton- 
namen ausgedrückt  wird,  und  die  Erhöhung  um  zwei  Halbtöne  also  durch 
zweifache  Anhängung  dieser   Sylbe.  0. 

Histiäns,  altgriechischer  Lyraspieler,  welcher  aus  Kolophon  gebürtig 
war  und  der  Lyra  des  Hermes  oder  Mercur  die  zehnte  Saite  hinzugefügt 
haben  soll. 

Hita,  Don  Antonio  Rodriguez  de,  spanischer  Kirchencomponist,  lebte 
um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  und  war  Kapellmeister  an  der  Kathedrale 
zu  Palencia  im  Königreich  Leon.  Ausser  vielen  Kirchencom])ositionen  schrieb 
er  ein  Lehrbuch  der  Harmonie  und  Composition,  betitelt:  y>Metodo  hreve  y  fdcil 
de  estudiar  la  composicion  y  un  nuevo  modo  de  contrapunto  para  el  nuevo  estilov, 
und  dem  berühmten  Sänger  Carlo  Broschi  (Farinelli)  gewidmet.  Die  darin 
gelehrte  neue  Art  des  Contrapunkts  besteht  darin,  dass  H.  die  natürlichen 
Dissonanzen  ohne  Vorbereitung  zulässt. 

Hitzelberger,  ein  geschickter  deutscher  Flötenvirtuose,  war  1786  Kammer- 
musiker der  Kapelle  des  Bischofs  von  Würzburg.  —  Seine  Gattin,  Sabine 
H.,  deren  Familienname  nicht  bekannt  geblieben  ist,  war  am  12.  Novbr.  1755 
zu  Randersacker  geboren.  Im  TJrsulinerinnenkloster  zu  "Würzburg  erzogen, 
erregte  sie  schon  in  ihrem  zehnten  Jahre  als  Kirchensängeriü  durch  ihre 
herrliche  Sopranstimme  Aufsehen.  Später  liess  sie  der  Fürst  Adam  Friedrich 
zugleich  mit  der  als  Madame  Marx  gleichfalls  berühmt  gewordenen  Sängerin 
durch  Steffani,  den  er  eigens  nach  "Würzburg  gezogen  hatte,  gesanglich  aus- 
bilden und    sie    ausserdem    noch    im  Ciavierspiel    und    in  den  Sprachen  unter- 


Hitzenauer  —  Hiüen.  249 

richten.  Ihr  Eifer  und  ihr  Fleiss  in  Allem,  was  Kunst  betraf,  führte  zu  glän- 
zenden Erfolgen.  Der  Kurfürst  Maximilian  von  Köln,  der  sie  in  einem  Hof- 
concerte  in  Würzburg  hörte,  war  von  ihren  Leistungen  so  hingerissen,  dass  er 
sie  reich  beschenkte  und  sie  gern  gewonnen,  wenn  nicht  ein  bindender  Con- 
trakt  sie  als  Hofsängerin  an  jene  Stadt  gefesselt  hätte.  Im  .1.  1776  ward  sie 
nach  Paris  berufen ,  um  sechs  Monate  lang  in  den  Concerts  spirituels  und  des 
amateurs  zu  singen,  Yergebens  bot  ihr  der  König  von  Frankreich  den  Titel 
einer  Kammersängerin  mit  6000  Francs  Jahresgehalt  an ,  Propositionen ,  die 
ihr  ähnlich  auch  vom  Kurfürsten  von  Mainz  ebenfalls  umsonst  gemacht  wurden. 
Nur  ein  einziges  Mal  noch,  im  "Winter  1783,  Hess  sie  sich  bewegen,  "Würzburg 
auf  einige  Monate  zu  verlassen  und  in  Frankfurt  a.  M.  in  Concerten  zu  singen. 
In  Würzburg  aber  war  und  blieb  sie  hochgefeiert,  wie  es  sich  bei  ihrer  wunder- 
vollen, der  Flöte  ähnlichen  und  drei  Octaven  umfassenden  Stimme ,  ihrer  emi- 
nenten Coloraturfertigkeit  und  ihrem  tief  empfundenen  Vortrage  nicht  anders 
erwarten  Hess,  Im  vorgerückteren  Alter  widmete  sie  sich  der  Bildung  junger 
Gesangstalente,  Im  J.  1807  war  sie  noch  am  Leben.  Zu  ihren  vorzüglichsten 
Schülerinnen  gehören  u.  A.  ihre  vier  Töchter,  von  denen  die  beiden  älteren 
leider  allzu  früh  dahinstarben.  Die  älteste,  welche  eine  ausgezeichnete  Alt- 
stimme besass,  war  mehr  Pianistin  als  Sängerin,  widmete  sich  jedoch  nicht 
ausschliesslich  der  Kunst  und  starb  kurz  nach  ihrer  Verheirathung  mit  einem 
Hofmusicus  in  Würzburg.  Die  zweite,  Kunigunde  H.,  stand  der  Mutter  als 
Sängerin  sehr  nahe.  In  ihrem  Vortrage  lag  eine  mächtige  Leidenschaft  und 
ihre  Stimme,  umfangreich  wie  selten  eine,  hatte  einen  bezaubernden  Schmelz, 
so  dass  ihr  stets  stürmischer  Beifall  zu  Theil  wurde.  Jedoch  auch  sie  starb 
frühzeitig.  Die  dritte,  Johanna  H.,  geboren  1783  zu  Würzburg,  vs^ar  eine 
vorzügliche  Contr'altistin.  Im  J,  1800  ging  sie  mit  ihrer  jüngsten  Schwester 
Regina  (s.  weiter  unten)  nach  München,  wo  sie  Anstellung  als  Kammer- 
sängerin erhielt  und  sich  bald  darnach  mit  ihrem  Landsmann,  dem  Hörn-  und 
Violinvirtuosen  Bamberger,  Mitglied  der  Münchener  Kapelle,  verheirathete. 
Die  vierte  der  Schwestern  endlich,  Regina  H.,  geboren  1786  zu  Würzburg, 
wurde  zugleich  mit  ihrer  Schwester  bairische  Kammersängerin  und  vollendete 
ihre  Ausbildung  erst  in  München  unter  Winter,  Cannabich  und  Vogel.  Als 
Napoleon  sie  im  Don  Juan  daselbst  gehört  hatte,  suchte  er  sie  für  Paris  zu 
gewinnen;  sie  blieb  jedoch  in  München  und  verheirathete  sich  daselbst  1808 
mit  einem  königl.  Hofmusiker. 

Hitzenaner,  Christoph,  Cantor  zu  Lauingen  im  16.  Jahrhundert,  com- 
ponirte  geistliche  und  weltliche  Lieder  und  veröfifentlichte  eine  kleine  Schrift 
über  Composition  von  Gesängen. 

Hitzler,  Daniel,  erfahrener  und  gebildeter  deutscher  Musikgelehrter,  ge- 
boren 1576  zu  Haidenheim  im  Würtemberg'schen ,  war  nach  Vollendung  theo- 
logischer Studien  Prediger  an  verschiedenen  Orten,  dann  Pastor  und  Schul- 
inspektor zu  Linz,  später  Superintendent  zu  Kirchheim,  hierauf  General- Super- 
intendent und  endlich  Propst  und  Kirchenrath  zu  Stuttgart,  wo  er  am  4.  Septbr. 
1635  starb.  Der  Kirchengesang  verdankt  im  wesentliche  Verbesserungen.  In 
seiner  y>]i£nsica  novaa  schlägt  er  die  von  ihm  ersonnene  Bebisation  statt  der 
Solmisation  vor.  Ausserdem  veröffentlichte  er  noch  »Musikalisch  figurirte 
Melodien  der  Kirchengesänge,  Psalmen  und  geistlichen  Lieder«  (Stuttgart,  1634) 
und  noch  einige  dahin  gehörige  Werke,  die  als  Sammlungen  der  besten  Kirchen- 
melodien Musterwerke  für  die  Tonsetzer  seiner   Zeit  waren. 

Hiüen  ist  der  Name  eines  uralten  chinesischen  Blasinstruments  aus  ge- 
brannter Erde.  Wie  früher  die  Christen  zur  Ehre  Gottes  dem  Kircheninstru- 
mente, der  Orgel,  glaubten  Nachahmungen  alles  Hörbaren  einverleiben  zu 
müssen,  so  schufen  die  alten  Chinesen  aus  allen  von  ihnen  als  Grundstoffe  der 
Natur  erachteten  Materien  Tonwerkzeuge,  die  bei  der  Verehrung  des  höchsten 
Wesens  und  der  Voreltern  Anwendung  fanden.  Die  Erde,  eins  der  Haupt- 
weltelemente nach  ihrer  Ansicht,  bot  den  Grundstoff  zum  H.,  unji  sie  nannten 


250  Hiüeu-ku  —  H-moll. 

deshalb  dessen  Klang:  den  Ton  der  gebrannten  Erde.  Dies  Tonwerkzeug 
wurde  aus  Erde  so  geformt,  dass  es  aussen  die  Gestalt  der  Hälfte  eines  Gänse- 
uud  innen  die  eines  Hühnereies  hatte.  Diese  Gestult  hatte  symbolische  Be- 
gründung. In  der  Eispitze  war  das  Anblaseloch.  Auf  der  einen  Seite  hatte 
das  H.  drei  ein  Dreieck  bildende  Tonlöcher  und  auf  der  dieser  entgegengesetzten 
Seite  noch  zwei.  Diese  Tonlöcher  erlaubten  die  fünfstufige  chinesische  Ton- 
leiter und  durch  Ueberblasung  deren  Octave  darzustellen.  Der  Grundton  des 
H. ,  wie  aller  chinesischer  Tonwerkzeuge  war  der  Hoang-tschung  (s.  d.), 
etwa  unser  f.  Das  H.,  dessen  vollendetste  Darstellung  nach  chinesischen  Nach- 
richten schon  hundert  Jahre  vor  der  Regierung  Hoaug-ti's  (s.  d.) ,  2637  v. 
Chr.,  gesetzlich  festgestellt  gewesen  sein  soll,  bot  in  der  Behandlung  bedeutende 
Schwierigkeiten,  ward  aber  vielleicht  gerade  mit  aus  diesem  Grunde  sehr  hoch- 
geehrt. Später,  unter  der  Regierung  des  älteren  Tschu  oder  Tscheu,  1122 
V.  Chr.,  wurde  es,  so  berichten  die  Chinesen,  vervollkommnet.  Dies  soll  wolil 
heissen,  es  wurde  mit  der  siebenstufigen  Scala  versehen.  Man  kannte  von  da 
ab  zwei  Arten  H. ,  grosse  und  kleine,  mit  sechs  Tonlöchern.  Die  hier  ange- 
gebenen Jahreszahlen  sind  dem  Werke  Amiot's  »Memoire  sur  la  musique  des 
Chinoisv.  (1779)  entnommen.  Dies  "Werk  bietet  auch  Ausführlicheres  über  das 
H.,  wie  eine  Abbildung  desselben.  Noch  heute  hat  das  H.  seinen  Platz  in 
dieser  Form  im  chinesischen  Orchester  bei  hohen  religiösen  Festen.  Man  wird 
kaum  irren,  wenn  man  in  dem  Vorhandensein  eines  ähnlichen  Tonwerkzeuges 
an  einer  anderen  asiatischen  Culturstätte ,  Babylon,  auch  einen  Beweis  dafür 
findet,  dass  in  jener  grauen  Vorzeit  die  Kenntniss  hochgeachteter  Culturerzeug- 
nisse  schon  den  Weg  über  die  Grenzen  der  Heimath  fand.  Siehe  Abbildung 
und  Beschreibung  einer  aus  gebrannter  Erde  gefertigten  Flöte  in  dem  Artikel 
Babylonische   Musik   dieses  Werkes.  B. 

Hiüen-ku  ist  der  Name  einer  chinesischen  Pauke,  die  während  der  Regie- 
rungszeit des  Tscheu,  1122  v.  Chr.,  in  den  Ceremonien  zu  gebrauchen  staatlich 
geboten  war.  Dieselbe  hatte  einen  hölzernen  Trommelsarg,  der  dem  des  Tsu-ku 
(s.  d.)  ähnlich  war,  und  zwei  einander  entgegengesetzt  befindliche  Felle,  welche 
im  Hoang-tschung  (s.  d.) ,  unserm  y,  gestimmt  waren.  Form  und  Grösse 
des  Sarges  war  wie  die  eines  mittelgrossen  Fasses.  Ein  vierkantiger  Balken, 
der  in  ein  kx-euzförmiges  Fussgestell  eingefügt  war,  ging  durch  den  Sarg. 
Neben  dem  H.  hingen  an  dessen  Seiten  unmittelbar  zwei  kleine  Pauken  gegen 
Osten  und  Westen,  d.  h.  zur  Rechten  und  Linken  des  Schlägers.  Die  eine 
derselben  hiess  Scho-yng  (s.  d.)  und  die  andere  Eulh-ku  (s.  d.).  Amiot 
giebt  in  seinem  Werke:  r>Memoire  sur  la  musique  des  Ghinois«  eine  Abbildung 
dieses  Tonwerkzeugs.  0. 

H-moll  (ital.:  Si  minore,  franz.:  Si  mineur,  engl.:  B  minor)  heisst  die- 
jenige von  den  24  Tonarten  des  modernen  abendländischen  Tonsystems,  welche 
den  h  genannten  Klang  zum  Gruudton  hat,  worauf  nach  der  Norm  der  Moll- 
gattung:  ein  Ganzton,  ein  Halbton,  zwei  Ganztöne,  ein  Halbton  und  zwei  Ganz- 
töne, die  Einzelnklänge  dieser  Molhrt  gebaut  sich  folgen dermaassen  ergeben: 
h,  eis,  d,  e,  ßs,  g,  a  und  h.  Man  müsste  eigentlich  diese  Tonfolge  eine  Ueber- 
tragung  der  Octavgattung  (s.  d.)  von  a  auf  h  nennen,  da  sie  nur  den  Kern 
der  Töne  in  H-moll  bietet.  Die  moderne  Melodiegestaltung  nämlich  fordert 
unmittelbar  vor  dem  Schluss  einer  Melodie  die  Darstellung  der  abendländischen 
Diatonik,  d.  h.  die  Gabe  des  Halb-  und  Ganztones,  und  zwar  des  Ei-steren 
unter-  und  des  Letzteren  oberhalb  des  Schlusstons.  Wenn  dieser  Forderung 
nicht  direkt  in  der  Melodie  genügt  wird,  so  findet  sie  in  der  Harmonie  ihre 
Befriedigung.  Da  nun,  diesen  letzteren  Halbton,  der  Leitton  (s.  d.)  genannt, 
mitgerechnet,  in  der  JfoZZleiter  drei  Halbtöne  auftreten,  so  wird  dadurch  das 
vor  dem  letzten  Halbton  befindliche  Intervall  um  einen  Halbton  grösser,  also 
ein  und  einen  halben  Ganzton  gross;  eine  unserem  Tonsystem  durchaus  un- 
eigene Scalafortschreitung.  Um  diese  uneigene  Fortschreitung  zu  verhindern, 
findet  man  die  Klänge  in  der  Oberquart  jeder  J/oWtonleiter  oft  geändert,  und 


Hnilicka  —  Ho.  251 

zwar  stets  je  nach  dem  Empfinden  des  Tonsetzers  in  verschiedener  "Weise;  selbst 
durch  Aufstellung  von  mehr  als   sieben  Stufen  in   der  Leiter  (s.  A-moll).     Alle 
diese  Veränderungen  der  if-»JoZ^tonleiter,  welche  eine  Aenderung  der  oben  an- 
gegebenen  Töne  erfordern,  nennt  man  zufällige  Veränderungen,  und  finden  die- 
selben in  den  verschiedenen  Artikeln:    Modulation,    Molltonart,    Semito- 
nium    modi    etc.    ihre    rationelle  Erklärung.     Beachten  wir  die  Auslassungen 
der  Aesthetiker    in    früherer   Zeit    über    den  Charakter    von   H-moll,    so    sehen 
wir  bei  einem  der  hervorragendsten  derselben,  J.  J.  Wagner,  in  dessen  »Ideen 
über  Musik«,  Leipz.  allgem.  musikal.  Zeitung  des  J.   1823  No.  43,  diese  Ton- 
ai't  gar  nicht  erwähnt,  was  sich  andere,  wie   Schilling  in  seinem  musikalischen 
Lexikon,  durchaus  nicht  zu  erklären  vermögen.     In  Schubart's  »Ideen   zu  einer 
Aesthetik«  II.  Thl.  jedoch  findet  sich  über  S-moll  Ausführlicheres.     Da  H-moll 
Kreuztöne    hat,    sagt  Schubart,    so    gehört    es    zu    der  Gattung  von   Tonarten, 
welche  dazu  dient,  wilde  und  starke  Leidenschaften  auszudrücken.     Sie,  H-moll, 
als  Species,  berichtet  er  weiter,  ist  gleichsam  der   Ton  der  Geduld,  der  stillen 
Erwartung     seines    Schicksals,     und    der    Ergebung    in    die    göttliche    Fügung. 
Darum  ist  seine  Klage    so    sanft,    ohne   jemals    in    beleidigendes  Murren    oder 
Wimmern  auszubrechen.     Die  Applikatur  dieses  Tones  ist  in  allen  Instrumenten 
ziemlich  schwer;  darum  findet  man  auch  so  wenige  Stücke,  welche  ausdrücklich 
in  selbigem  gesetzt  sind.     Deshalb,    sagt    ein    anderer  Aesthetiker   jener  Tage, 
kennen  wir    auch    nichts  Ergreifenderes,    als    einen    frommen    Trauergesang    in 
S-moll,   das  in  eine  unbeschreibliche  Entzückung  versetzt  die  himmelwärts  ge- 
richtete Seele,    wenn    es    am    rechten   Orte    durch  die  Dominante^«  im   Trug- 
schlüsse   modulirt    nach    dem    sanft    beruhigenden    G-dur.      Besonders    nur    zu 
langsamen,  feierlichen,  sanften,  auch  ernsthaften  Tonstücken  möchten  wir  daher 
auch  diese  Tonart  angewendet  wissen.     Dies    ist    ungefähr    der  kürzeste  Inhalt 
aller  ästhetischen  Ergehungen  über  Il-moll,  welcher  Inhalt  in  sofern  noch  heute 
bei  vielen  Musikern  von  Bedeutung,  als  derselbe  durch  keine  wissenschaftliche 
Erklärung  der  Gefühlseindrücke   U-molVs  bis  heute    zu    ersetzen    versucht,    ge- 
schweige denn  erreicht  worden  ist,    und    manche  Tonsetzer  gerne  eine  Bestim- 
mung kennten,  die  bei  der  Wahl  der  Tonart,  in  welche  sie  ihre   Schöpfungen 
zu  notiren  hätten,    allgemeine  Anerkennung  hätte.     Würden    wir    unsern    der- 
artigen wissenschaftlichen  Versuchen,  welche  sich  auf  die  Art,  wie  die  Menschen- 
stimme die  festen   Töne  (s.  d.)   der  Tonart  giebt  und  in  welcher  Klangregion 
sich     diese    befinden ,    basiren    und    den    bei    den    andern    Specialartikeln    über 
Molltonarten  ausführlicher  angestellten  Erwägungen   hier  Folge  geben,  so  wären 
die  Hauptpunkte,  welche  die  Gefühlseindrücke  von  H-moll  bestimmen:  die  Quint- 
lage an  der  Grenze    der    höhern    Rruchlage    der   Stimme    und  die  Unsicherheit 
der  Terz ,    wie    der  Klänge    der  Oberquarte  dieser  Tonart.     Alle  Schlussfolge- 
rungen aus  diesen  Hauptpunkten   zu  ziehen,  darf  um   so  mehr  dem  Leser  selbst 
überlassen  werden ,    als    vorerwähnte  Muster    den   Gang    derselben    vollkommen 
klar  legen.  C.  B. 

Hnilicka,  Aloys,  tüchtiger  Organist  und  Kirchencomponist,  geboren  am 
21.  März  1826  zu  Wildenschwert  in  Böhmen,  erhielt  seine  erste  musikalische 
Ausbildung  im  Angustinerkloster  zu  Alt-Brünn,  wohin  er,  zehn  Jahre  alt,  als 
Discantist  kam.  Weiterhin  bildete  er  sich  im  Orgelspiel  und  in  der  Compo- 
sition  auf  der  Prager  Organistenschule  aus  und  wurde  1849  als  Organist  an 
der  Hauptkirche  in  seiner  Vaterstadt  angestellt.  Er  componirte  ein  Oratorium 
»Das  verlorene  Paradies«,  zehn  Messen,  drei  Requien,  viele  Psalmen,  Litaneien 
u.  s.  w.,  Werke,  die  sich  durch   Schwung  und  Innigkeit  auszeichnen   sollen. 

Ho  (chines.)  ist,  nach  Amiot's  Erklärung  in  dem  Kapitel  »Bildung  des 
chinesischen  Tonsystems«  des  Werkes  y>Memoire  sur  la  musique  des  Chinoisa, 
der  neue  Tonname  für  das  Hoang-tschung  (s.  d.)  genannte  Lü  (s.  d.),  dessen 

Notation  durch   folgendes  Schriftzeichen    stattfindet:   p,    wie  die  dort  gegebene 

Tabelle   zeigt.     Bei   jeder  Modulation    erhält    der    neue  Grundton    den  Namen 


252  Hoai-Nan-Tsee  -     Hobein. 

Ho.  Letzte  Regel  auf  die  von  Petis  in  seiner  Stilist,  de  la  musiquen  Tome  T. 
p.  59  vorgeführten  neuen  chinesischen  Tonnamen  angewandt,  die  in  Bezug  auf 
das  dort  folgende  Beispiel  chinesischen  Sanges  gegeben  sind,  führt  zu  deren 
richtigem  Verständniss.  0. 

Hoai-Nan-Tsee,  chinesischer  Musikgelehrter,  lebte  ungefähr  105  v.  Chr. 
und  ist  der  Verfasser  einer  Musiktheorie,  von  der  jedoch  nur  Fragmente  er- 
halten geblieben  sind,  aus  denen  Amiot  Einiges  mittheilt,  so  z.  B.  die  Auf- 
stellung der  Progression  1  (f),  3  (c),  9  (g),  27  (d),  81  (a)  als  Gruudtöne  der 
fünfstufigen  Tonleiter,  welche  letztere  von  f  aus  die  Tonfolge  f,  ff,  a,  c,  d 
giebt.  Innerhalb  dieser  Tonleiter  bewegen  sich  überhaupt  die  altchinesischen 
Volksmelodien. 

Hoang'  (chines.)  ist  der  Name  des  "Weibchens  jenes  Wundervogels  der  chi- 
nesischen Sage,  Pung-hoang,  welcher  Ling-lun  (s.  d.)  sechs  Töne  (die 
Ganztöne)  des  Tonreichs  angab,  denen  sie  die  andern  sechs  (die  Halbtöne) 
zufügte.  2. 

Hoang-ho  (chines.),  d.  i.  gelber  Fluss,  ist  der  Name  eines  grossen  etwa 
600  Meilen  langen  Stromes  in  China,  Die  Sage  berichtet,  dass  an  seinen 
Quellen  die  TJrheimath  der  Chinesen,  wie  deren  Musik  gewesen  (s.  Ling-lun). 
Hier  weisst  die  Sage  im  Westen,  was  die  Semiten  nach  Nordost  und  die  Arier 
nach   Osten  verlegten.  2. 

Hoang'-ti  (chines.),  d.  i.  erhabener  Gebieter,  ist  der  Name  des  chinesischen 
Herrschers,  welcher  die  Reihe  der  mythologischen  Kaiser  schliesst;  die  Regie- 
rung desselben  soll  nach  dem  Schuking  2637  v.  Chr.  geendet  haben.  Vgl. 
Gützlaff's  »Geschichte  des  chinesischen  Reiches«  S.  21  bis  23.  Derselbe  wird 
nicht  allein  als  mächtiger  Held  und  weiser  Vater  seines  Volkes  geschildert, 
der  sehr  viele  Erfindungen,  wie  die  Zahlen,  Maasse  und  Gewichte,  Bearbeitung 
der  Metalle  etc.  demselben  überantwortete ,  sondern  auch  als  Schöpfer  der 
Musik  in  höchster  Vollendung,  sowie  der  in  derselben  gebräuchlichen  Instru- 
mente angesehen.  Mit  der  Ausführung  seiner  Gedanken  in  Bezug  auf  Musik 
beauftragte  er  den  weisen  Ling-lun   (s.  d,).  2. 

Hoang-tschnng  (chines.),  d.  i.  gelbe  Glocke,  ist  der  Name  des  Fundamen- 
tallü's  im  chinesischen  Musikkreise.  Er  ist  der  Vater  und  Erzeuger  aller 
Klänge,  repräsentirt  den  Kaiser  und  muss  deshalb  in  höchster  Würde  erzeugt 
wei'den,  wenn  er  überhaupt  zu  Gehör  kommt.  In  der  chinesischen  Musik,  wo 
jeder  Klang  symbolische  Erklärung  findet,  ist  der  H.  dem  Monat  der  winter- 
lichen Sonnenwende,  unserm  December,  dem  in  chinesischer  Zeitrechnung  eilften, 
gewidmet.  Die  genaueste  Feststellung  des  H.,  der  ungefähr  unserm  F  entspricht, 
ist  seit  allerfrühester  Zeit  höchste  Aufgabe  der  Musikgelehrten  China's  ge- 
wesen und  sind,  denselben  überall  in  gleicher  Tonhöhe  zu  besitzen,  die  mannig- 
fachsten Erfindungen  von  Tonwerkzeugen  gemacht  worden.  Auch  ergaben  die 
verschiedenartigsten  Betrachtungen  über  den  H,  den  Chinesen  die  Urkeime  zu 
vielen  praktischen  Dingen.  So  z.  B.  führte  die  Ausmessung  der  Bambusröhre, 
welche  den  H.  erzeugten,  mittelst  Schukörnern  zu  den  landesüblichen  Längen-, 
Flächen-  und  Körpermaassen.  Dieser  Klang  wurde  nach  der  Sage  zuerst  dem 
Ling-lun  (s.  d.)  von  dem  Wundervogel  Fung-hoang  überantwortet,  und  fand 
jener  Gelehrte,  dass  derselbe  dem  Rauschen  der  Quelle  des  Hoang-ho  (s.  d.) 
und  dem  Sprechton  seiner  Stimme  gleich  war.  Ling-lun  überbrachte  dem  Kaiser 
Hoang-ti  (s,  d.)  die  Röhre,  welche  diesen  Klang  gab,  ihn  als  Fundamentalton 
der  chinesischen  Kunst  empfehlend,  und  seit  jener  Zeit  hat  man  denn  auch 
gesucht,  diesen  unwandelbar  im  ganzen  Reiche  zu  erhalten  und  jedem  Ton- 
werkzeug als  Hauptklang  einverleibt  (s.  Lü).  2. 

Hobbs,  englischer  Componist  zu  Ausgang  des  18.  Jahrhunderts,  veröffent- 
lichte 1795  mehrere  dreistimmige  Glee's  seiner  Composition. 

Hobein,  Johann  Friedrich,  deutscher  Tonkünstler,  war  Organist  an 
der  Frauenkirche  zu  Wolfenbüttel  und  starb  als  solcher  im  J.  1782.  Er  hat 
von  seiner  Composition  Ciavier- Sonaten  und  Lieder  veröffentlicht. 


Hoboe  —  Hoch.  253 

Hoboe  (franz.:  Shutbois),  s.  Oboe.  —  Hoboist,  s.  Hautboist  und 
Oboist. 

Hobrecht,  Jacob,  auch  Obrecht  geschrieben,  ein  Meister  aus  der  zweiten 
niederländischen  Schule,  geboren  um  1430,  war  um  1475  Kapellmeister  zu 
Utrecht,  in  welcher  Zeit  er  auch  den  nachmals  berühmten  Erasmus  als  Chor- 
schüler im  Singen  unterrichtete.  Von  1491  an  befand  sich  H.  in  Antwerpen 
und  starb  im  J.  1507.  Durch  seine  Compositionen,  denen  fast  durchgehends 
ein  Zug  strenger  Erhabenheit  eigen  ist,  erwarb  er  sich  die  höchste  Achtung 
seiner  Zeitgenossen  und  der  Nachwelt.  Ambros  sagt  von  ihm:  »Unter  den 
Meistern  vor  Josquin  ist  er  die  mächtigste  Erscheinung,  und  der  Tonsatz  bei 
ihm  schon  beträchtlich  entwickelter,  die  Harmonie  volltöniger,  als  bei  Okeghem, 
mit  dem  er  übrigens  alle  Eigenheiten  der  Schule,  alle  Feinheiten,  Spitzfindig- 
keiten und  Satzkünste  gemein  hat.«  Von  seinen  Arbeiten  hat  Petrucci  unter 
dem  Titel  y> Misse  Obrecht^  (Venedig,  1503)  fünf  Messen  gedruckt,  von  denen 
sich  ein  Exemplar  in  der  Bibliothek  zu  München  befindet.  Eine  andere  Messe 
»Si  dederoa  erschien  1508  in  Venedig  und  wird  von  Burney  als  vortreffliches 
contrapunktisches  Werk  bezeichnet;  noch  andere  stehen  in  Sammlungen  da- 
maliger Zeit.  Eine  Anzahl  bedeutender  Motetten  von  ihm  hat  Petrucci  in 
seine  grosse  Motettensammlung  aufgenommen;  einzelne  findet  man  auch  bei 
Glarean,  Rhau,  in  Walther's  Cantionale,  in  Forkel's  Greschichte  II.  S.  521 
u.  s.  w.  Ausserdem  kennt  man  noch  Lieder  (kleine  Motetten)  von  ihm  und 
eine  nPassio  domini  nostri  Jesu  Christi  secundum  Mafth.a  4  vocibus. 

Hocetus  oder  Ochetus,  Occheto,  Hocquetum,  französisch  -  lateinisches 
Wort,  wahrscheinlich  von  hoquet,  d.  i.  Schluchzen,  abgeleitet,  ist  der  im  späteren 
Mittelalter  gebräuchliche  Fachausdruck  für  eine  bei  den  alten  Sängern  sehr 
verbreitet  gewesene  Unsitte,  welche  darin  bestand,  in  der  Ueberschwänglichkeit 
der  Empfindung  die  Noten  nicht  gemäss  ihrem  Werthe  richtig  auszuhalten, 
sondern  willkürlich  kleine  Pausen  (ital.:  sospiri)  einzuschieben,  welche  mit  einem 
seufzenden  oder  schluchzenden  Athemzuge  hervorgestossen  wurden.  Diese  fehler- 
hafte Manier  behandelt  schon  Franco  von  Cöln  sehr  ausführlich  in  einem 
eigenen  Capitel  seiner  y^Musica  et  cantits  mensurabilisv.  (Grerbert,  Script,  eccl. 
III.  14  ff.)  und  sagt:  utOchetus  truncatio  est  cantus ,  rectis  omissisque  vocibus 
truncate  prolatusoi  etc.  Auch  Pseudo-Beta  (um  1260)  spricht  davon  und  Papst 
Johann  XXII.  macht  in  seiner  berühmten  Bulle  »Docta  sanctoruma  um  1320 
den  Anhängern  »der  neueren  Schule«  den  Vorwurf,  sie  hätten  den  Oantus 
ürmus  durch  Soceti  entstellt.  Bald  darnach  scheint  der  Spuk  ein  Ende  gehabt 
zu  haben,  denn  in  Tinctori's  y>DiJf.  terra,  mus.a,  dem  ältesten  musikalischen 
Wörterbuch  (um  1477),  kommt  der  Ausdruck  bereits  gar  nicht  mehr  vor  (s. 
auch  Gontrappunto  alla  mente). 

Hoch,  Höhe  (ital.:  alto,  franz.:  aigu)  ist  an  und  für  sich  ein  relativer 
Begriff,  ebenso  wie  der  Gregensatz,  die  Tiefe,  und  bezeichnet  im  Allgemeinen 
diejenigen  Tonempfindungen,  welche  durch  höhere  Grrade  von  Schwingungs- 
geschwindigkeit klangerzeugender  Körper  im  Gehör  erweckt  werden.  Ein  Ton 
ist  nur  hoch,  insofern  er  mit  einem  anderen,  dessen  Klangkörper  in  gleicher 
Zeiteinheit  eine  geringere  Anzahl  Schwingungen  zurücklegt,  absichtlich  oder 
unwillkürlich  verglichen  wird.  Der  höchste,  musikalisch  verwendbare  Ton  ist 
das  fünfgestrichene  c  mit  4224  Schwingungen  in  der  Secunde,  dessen  Tonhöhe 
mit  dem  menschlichen  Gehöre  noch  deutlich  sich  bestimmen  lässt,  während  die 
darüber  hinaus  bis  zu  dem  Punkte,  von  wo  ab  überhaupt  alle  Schallempfin- 
dungen aufhören,  befindlichen  Klänge  nicht  mehr  deutlich  als  Intervalle  unter- 
scheidbar, musikalisch  also  auch  nicht  zu  verwenden  sind.  Im  Besonderen 
bestimmt  man  die  Höhe  der  Töne  nach  dem  Tonumfang  des  Klangorgans, 
welches  man  gerade  ins  Auge  fasst.  So  ist  z.  B.  d^  für  die  Flöte,  Oboe  oder 
Sopranstimme  ein  sehr  tiefer  Ton,  während  er  auf  dem  Violoncello  in  die 
höhere,    in    der    menschlichen  Bassstimme    in    die    höchste  Lage  fällt.     Ebenso 


254  Hochamt  —  Hodges. 

ist  der  tiefste  Violintoa,  das  kleine  g,  für  den  Contrabass  höchste  Höhe  u.  s.  w. 
(s.  auch  Klang). 

Hochamt,  s.  Messe. 

Hochbrucker,  auch  Hochprugger  geschrieben,  geschickter  deutscher  Har- 
fenist und  Fabrikant  von  Bogeninstrumenten  zu  Donauwörth,  lebte  um  1700 
und  hielt  sich  auch  einige  Zeit  in  Augsburg  auf.  Er  ist  der  Ei-finder  der 
Pedalharfe,  die  er  um  1720  selbst  allgemeiner  bekannt  machte  (s.  Harfe). 
Sonst  weiss  man  von  ihm  nur  noch,  dass  er  1732,  als  Walther  sein  musi- 
kalisches Lexikon  schrieb,  noch  am  Leben  war.  —  Sein  Sohn,  Simon  H., 
geboren  1699  zu  Donauwörth,  war  ebenfalls  Virtuose  auf  der  Harfe,  namentlicl- 
auf  der  Pedalharfe  seines  Vaters,  mit  der  er  auf  Kunstreisen  ging.  Zu  Ende 
des  J.  1729  spielte  er  auch  vor  dem  kaiserl.  Hofe  zu  Wien,  der  sein  Talent 
sehr  bewunderte.     Mehr  über  ihn  ist  nicht  bekannt  geworden. 

Hochbrucker,  Pater  Cölestin,  ausgezeichneter  deutscher  Orgel-  und 
Harfenspieler,  nicht  minder  verdienstvoller  Componist,  wurde  am  10.  Jan.  1727 
zu  Tagmersheim  in  Baiern  geboren  und  war  ein  Bruderssohn  des  gleichnamigen 
Erfinders  der  Pedalharfe.  Sein  Vater,  ein  Schullehrer,  unterrichtete  ihn  in  den 
classisclien  Sprachen,  im  Gresang,  Orgel-  und  Harfenspiel.  H.  studirte  darauf 
zu  Neuburg  und  dann  zu  Freising,  wo  ihn  Camerloher  in  der  musikalischen 
Composition  unterwies.  Im  J.  1747  ti'at  er  in  das  Benedictinerkloster  Weihen- 
stephan und  empfing  1752  die  Pi'iesterweihen.  Unter  seinen  vielen  gediegenen 
Kirchencompositionen  aller  Art  ragt  ein  Oratorium  mit  schönen  Chören,  be- 
titelt: «Die  Juden  in  der  Gefangenschaft  zu  Manassa« ,  hervor.  H.  starb  im 
J.  1803.  —  Sein  jüngerer  Bruder,  Christian  H.,  geboren  am  17.  Mai  1733 
zu  Tagmersheim,  brachte  es  besonders  auf  der  Pedalharfe  zu  einer  ausserordent- 
lichen Greschicklichkeit.  Im  J.  1770  Hess  er  sich  in  Paris  als  Lehror  seines 
Instruments,  das  bereits  wesentlich  vervollkommnet  worden  war,  nieder  und 
fand  viele  Schüler,  Bewunderer  und  Nachahmer.  Bei  der  Königin  erhielt  er 
nach  Hinner's  Abgang  die  Stelle  eines  Lehrers  und  Kammervirtuosen.  Die 
französische  Revolution  trieb  H.  1792  nach  London,  wo  er  Corapositionen  von 
sich  herausgab.  Weitere  Nachrichten  über  ihn  fehlen.  Man  kennt  von  ihm 
drei  Hefte  Divertissements  und  andere  Stücke  für  Harfe,  15  Sonaten  und 
drei  Duette    desgleichen,    eine    Sammlung    von  Arietten    mit    Harfenbegleitung 

U.    8.    W. 

Hochreiter,  Johann  Balthasar,  deutscher  Kirchencomponist  aus  der 
Wendezeit  des  17.  und  18.  Jahrhunderts,  war  um  1706  Organist  zu  Bambacli 
in   Oberösterreich  und  hat  u.  A.  vierstimmige  Vespern  geschrieben. 

Hoclistetter,  A.  L.,  deutscher  Bühnensänger,  war  von  1829  bis  1840  an 
der  königl.  Oper  zu  Berlin  engagirt.  —  Seine  G-attin,  Emilie  H.,  geborene 
Benelli,  war  eine  Tochter  und  Schülerin  Antonio  Benelli's  (s.d.)  und  kam 
mit  diesem  1823  nach  Berlin.  Sie  wurde  1825  als  Gesauglehrerin  des  weib- 
lichen Chorpersonals  der  königl.  Oper  daselbst  angestellt  und  starb  am  4.  Dec])r. 
1851   zu  Berlin  im  46.  Lebensjahre. 

Hocker,  Joliann  Ludwig,  deutscher  Theologe,  geboren  1746  zu  Leu- 
tersheim,  war  Pfarrer  zu  Hailsbron  im  Anspach  sehen  und  starb  daselbst  am 
16.  April  1796.  Er  schrieb  u.  A.  über  die  Benutzung  mathematischer  Wissen- 
schaften für  Musik. 

Hocmellc,  Pierre  Edraond,  blinder  französischer  Tonkünstler  und  Com- 
ponist, geboren  am  18.  Septbr.  1824  zu  Paris,  erhielt  seine  musikalische 
Ausbildung  auf  dem  dortigen  Conservatorium.  Seit  1849  lebt  er  als  Organist 
zu  Roule. 

Hodermau,  G.  C. ,  Componist  und  Clavierlehrer  zu  Amsterdam  um  1792, 
ist  der  Verfasser  einer  Ciavierschule  und  componirte  Sinfonien,  Quintette,  Cla- 
vierconcerte,  Sonaten   u.  s.  w. 

Hodges,  Edward,  englischer  Tonkünstler,  geboren  1796  in  Bristol,  war 
daselbst  19  Jahre  lang  Organist,  erhielt  1825  von  der  Universität  zu  Cambridge 


HÖckh  —  Höllmayer.  255 

den  G-rad  eines  Doctors  der  Musik  und  folgte  endlich  einem  Rufe  nach  Amerika. 
Seit  1839  war  er  Organist  an  der  Trinity-Kirche  in  New- York  und  hat  sich 
um  die  Veredelung  des  künstlerischen  Geschmackes  in  der  Hauptstadt  der  Ver- 
einigten Staaten  wohlverdient  gemacht.  Er  schrieb  mehrere  Kirchencom- 
positionen,  kehrte  endlich  nach  England  zurück  und  starb  in  seiuer  Heimath 
im  J.  1867. 

Höckh,  Karl,  vortrefflicher  deutscher  Violinvirtuose,  geboren  am  22,  Jan. 
1707  zu  Ebersdorf  bei  Wien,  machte  vom  15.  Jahre  an  beim  Stadtmusicus  in 
Pruck  die  musikalische  Lehre  durch  und  war  dann  vier  Jahre  hindurch  in 
Ungarn  und  Siebenbürgen  Hautboist  im  österreichischen  Militärdienste.  Nacli 
Ablauf  dieser  Zeit  begab  er  sich  nach  Wien,  wo  er  Franz  Benda  kennen 
lernte,  der  ihn  mit  auf  seine  Reise  nach  Polen  nahm.  Beide  Künstler  wurden 
in  Warschau  vom  Starosten  Sukascheffsky  in  Dienste  genommen  und  zwar  H. 
für  das  Waldhorn,  das  er  ebenso  vorzüglich  blies  als  er  Violine  spielte.  Als 
Benda  1732  Warschau  verlassen  musste,  vergass  er  seines  Freundes  nicht  und 
verschaffte  demselben  die  Steile  eines  Concertmeisters  des  Fürsten  von  Anhalt- 
Zerbst.  Als  solcher  starb  H.  im  J.  1772  zu  Zerbst.  Wie  im  Violinspiel,  so 
ist  auch  in  seiner  Compositionsmanier  der  Einfluss  Benda's  auf  ihn  unverkenn- 
bar. Im  Druck  erschienen  von  ihm  sieben  Parthien  für  zwei  Violinen  und 
Bass  (Berlin,  1761);  handschriftlich  kennt  man  von  ihm  sechs  Sinfonien,  12 
Solos  für  Violine  und  18   Violinconcerte. 

Höfel,  Johann,  deutscher  Theologe  und  Jurist,  geboren  am  24.  Juni 
1600  zu  Uffenheim  in  Franken,  ist  der  Verfasser  einer  -»Musica  christiana  (1634), 
sowie  der  r>Novellae  sacrarum  cantionumai.  etc.  (1671). 

Höfer,  deutscher  Basssänger,  gastirte,  noch  jung  und  von  Pesth  kommend, 
1836  am  Königsstädtischen  Theater  in  Berlin  als  Graf  Waldburg  und  Orovist 
in  Bellini's  »Unbekannte«  und  »Norma«,  worauf  er  daselbst  engagirt  wurde. 
Im  J.  1838  ging  er  zum  Stadttheater  nach  Breslau  und  1841  zum  grossher- 
zogl,  Theater  nach  Weimar,  wo  er  bis  1855  als  Sänger,  seitdem  aber  und  noch 
gegenwärtig  (1875)   überwiegend  als  Schauspieler  thätig  ist. 

Höffelmayer,  Thadäus,  vorzüglicher  deutscher  Violinvirtuose,  geboren  um 
1750  zu  Rastatt,  war  seit  1775  in  der  churfürstl.  Hofkapelle  zu  Mainz  an- 
gestellt und  heirathete  daselbst  die  seit  etwa  1784  als  Maria  H.  berühmte 
Hofsängerin.  —  Sein  Bruder,  Joseph  Anton  H. ,  ebenfalls  aus  Rastatt  ge- 
bürtig, war  ein  ausgezeichneter  Virtuose  auf  dem  Violoncello  und  der  Pauke, 
der  sich  auf  weiten  Reisen  einen  grossen  Ruf  erwarb. 

Höfler,  Johann  August,  vorzüglicher  deutscher  Sänger  und  Schauspieler, 
geboren  1785  zu  Kloster  Au  im  bairischen  Innkreise,  glänzte  besonders  als 
Opernsänger  zu  Leipzig.  Noch  1830,  als  seine  Stimmmittel  schon  bedeutend 
abnahmen,  sang  und  spielte  er  in  Dessau  den  Masaniello  in  Auber's  »Stumme« 
in  fünf  auf  einander  folgenden  Vorstellungen,  vom  21.  bis  29.  April,  unter 
ausserordentlichem  Beifall.     Er  starb  im  J.  1835. 

Höff'ler,  Konrad,  deutscher  Virtuose  auf  der  Viola  da  Gamba,  geboren 
um  1650  zu  Nürnberg,  war  Kammermusicus  des  Herzogs  von  Sachsen-Weissen- 
fels  und  machte  sich  auch  als  Componist  durch  herausgegebene  12  Parthien 
für  Gambe   bekannt. 

HöUerer,  Franz  Xaver,  vortrefflicher  Violinist  und  geschickter  Compo- 
nist, geboren  um  1801  zu  Stuttgart,  war  erster  Violinist  der  dortigen  königl. 
Kapelle  und  schrieb  Ballets  für  die  Stuttgarter  Hofbühne,  ausserdem  auch 
Lieder  mit  Pianofortebegleitung. 

Hölling,  Johann  Konrad  Stephan,  deutscher  Theologe,  war  Prediger 
zu  Hildesheira  und  veröffentlichte  daselbst  eine  »Oratio  musica - ecclesiasficaa 
(Hildesheim,  1732). 

Höllmayer,  Franz,  gerühmter  deutscher  Fagottvirtuose,  geboren  am  22. 
März  1777  zu  Wien,  war  Hofmusiker  der  dortigen  kaiserl.  Kapelle.  Ausser- 
halb Wiens  scheint    er    nicht  aufgetreten  zu  sein.  —   Um  dieselbe  Zeit  wurde 


256  HöltzHn  -  Hoepuck. 

in  Wien  ein  Nainensverwaudter,  Anton  H.,  als  Componist  genannt,  von  welchem 
1798  daselbst  ländlerische   Tänze  und  Trios  erschienen. 

Höltzlin,  Joseph,  deutscher  Componist  der  zweiten  Hälfte  des  IG.  Jahr- 
hunderts, aus  Augsburg  gebürtig,  veröffentlichte  »Lustige  Lieder  sammt  an- 
nehmlichen  Hochzeitsgesängen«, 

Hölzel,  Gustav,  guter  deutscher  Baritonsänger  und  beliebter  Liedercom- 
ponist,  geboren  am  13.  Septbr.  1813  in  Pesth,  ward  bei  der  Hofoper  in  Wien  enga- 
girt,  trat  aber  1836  nach  beifälligem  Gastspiele  zum  Königsstädtischeu  Theater 
in  Berlin  über.  Ein  Jahr  später  kehrte  er  jedoch  bereits  wieder  an  die  Wiener 
Hofoper  zurück,  der  er  als  sehr  geschätztes  und  zuverlässiges  Mitglied  bis  1861 
angehörte,  wo  er  zum  allgemeinen  Bedauern  einer  tendenziös  veränderten  Text- 
stelle im  Liede  des  Bruders  Tuck  in  Marschner's  »Templer  und  Jüdin«  wegen 
seine  sofortige  Entlassung  erhielt.  In  Concerten  sang  er  nun  in  Paris,  Lon- 
don u.  s.w.,  1870  auch  in  Amerika,  trat  aber  1874  noch  einmal,  jedoch  nur 
ganz  kurze  Zeit,  in  der  Komischen  Oper  zu  Wien  auf.  Seitdem  privatisirt  er 
in  Wien.  Als  Componist  hat  er  einige  Ciavierstücke,  geistliche  Gesänge,  be- 
sonders aber  eine  sehr  beträchtliche  Anzahl  gemüthvoller  Lieder  geschrieben 
und  veröffentlicht,  welche  den  ungetheilten  Beifall  der  Dilettanten  und  eine 
weite  Verbreitung  gefunden  haben. 

Hölzerues  Gelächter  (latein.:  ligneum  psalterium,  franz.:  claquebois),  s. 
Strohfiedel. 

Hone,  Samuel,  guter  Fagottist,  geboren  am  31.  Jan.  1809  zu  Birnbaum 
in  der  Provinz  Posen,  wurde  1826  Hautboist  im  Kaiser  Alexander -B,egiment 
zu  Berlin,  1829  Accessist  der  königl.  Kapelle  ebendaselbst  und  1832  königl. 
Kammermusiker,  als  welcher  er  über  25  Jahre  lang  noch  thätig  war. 

Höuicke,  Johann  Friedrich,  tüchtiger  deutscher  Tonkünstler,  geboren 
1755,  war  lange  Zeit  hindurch  Musikdirektor  und  Correpetitor  am  Stadttheater 
zu  Hamburg  und  starb  daselbst  am  29.  Aug.  1809.  Als  Componist  ist  er  mit 
einer  Operette,   einer  Sinfonie,  Arien  und  Liedern  hervorgetreten. 

Höpner,  Christian  Gottlob,  trefflicher  deutscher  Orgelspieler,  Pianist 
und  Musiklehrer,  geboren  am  7.  Novbr.  1799  zu  Frankenberg  bei  Chemnitz, 
durfte,  da  sein  Vater,  ein  Weber,  durchaus  nichts  von  Musikübung  wissen 
wollte,  nur  heimlich  Ciavierspiel  betreiben  und  war,  14  Jahre  alt,  ohne  Vor- 
wissen desselben  bereits  ein  ziemlich  fertiger  Pianist.  Vom  17.  Jahre  übte  er 
in  gleicher  Weise  dadurch,  dass  er  sich,  in  der  Kirche  dem  Frühgottesdienste 
beiwohnend,  einschliessen  Hess,  auf  der  stummen  Claviatur  der  Orgel.  Als 
Webergeselle  endlich  ermöglichte  er  es,  dass  er  sich  frei  und  offen  eine  kleine 
Orgel  mit  sieben  Stimmen  und  Pedal  und  einige  musikalische  Lehrbücher  an- 
schaffen durfte.  Im  J.  1824  sah  Anacker  in  Freiberg  einige  von  H.'s  Com- 
positionsversuchen  und  munterte  denselben  zu  weiteren  Studien  auf.  Ein 
Gleiches  that  1827  Hummel.  H.  ging  darauf  hin  nach  Dresden  und  studirte 
vier  Jahre  lang  bei  Joh.  Schneider,  dessen  bester  Ciavier-  und  Orgelspieler 
einer  er  wurde.  Als  vorzüglicher  Musiklehrer  lebte  er  noch  1860  in  Dresden. 
Niir  kleinere  Pianoforte-  und  Orgelstücke  seiner  Composition  sind  im  Druck 
erschienen.  —  Ein  älterer  Namensverwandter  von  ihm,  Stephan  H. ,  aus 
Pentzlin  in  Mecklenburg  gebürtig,  war  1616  Cantor  zu  Frankfurt  a.  0.  und 
veröffentlichte  daselbst  deutsche  und  lateinische  Gesänge  seiner   Composition. 

Uöppner,  Karl  Magnus,  deutscher  Orgelvirtuose  und  Kirchencomponist, 
geboren  am  6.  Aug.  1837  in  Heida  bei  Riesa,  war  nach  einander  Schüler  von 
Friedr.  Wieck,  Charles  Mayer,  Julius  Otto  und  Joh.  Schneider.  Er  lebt  gegen- 
wärtig als  geschätzter  Musiklehrer  in  Dresden.  Als  Componist  ti'at  er  1864 
mit  einer  Ouvertüre  in  Dresden  mit  grossem  Beifall  auf.  Clavier-Sonaten  und 
grössere  Arbeiten  von  ihm  für  Ciavier  und  Orgel  sind  nur  im  Manuscript 
vorhanden. 

Hoepuck  nennen  die  Indier  eine  ihrer  uralten  Wundermelodien,  der  man 
nachsagt,    sie    besässe    die    traurige  Eigenheit,    dass    der    unvorsichtige   Sänger 


Hörbeder  —  Höffmann.  257 

derselben  sofort  nach  dem  Gesänge  sein  Leben  einbüsste.  Es  darf  jedoch  räthsel- 
haft  erscheinen,  dass,  da  eine  indische  Notirnng  derselben  wahrscheinlich  nie 
stattgefunden  hat,  diese  Melodie  den  Späterlebeuden  noch  bekannt  bleiben 
konnte.  0. 

Hörbeder,  Franz,  vortrefflicher  deutscher  Posaunist,  geboren  1799  in 
Wien,  war  in  seinen  Mannesjahren  Mitglied  der  kaiserl.  Hof  kapelle  seiner  Ge- 
burtsstadt. 

Höre,  Johann  Gottfried,  deutscher  Schulmann,  geboren  1704  zu 
Naumburg,  war  seit  1751  Rector  der  Landesschule  in  Meissen  und  starb  als 
solcher  am  8.  März  1771.  Yon  ihm  ein  Schulprogramm:  »Series  cantorum 
Afranoritma  etc. 

Hörger,  deutscher  Componist  und  Dirigent,  geboren  1804  zu  Bremen, 
war  1831  Musikdirektor  in  Cassel  und  später  Kapellmeister  am  Stadttheater 
zu  Düsseldorf.  Dort  brachte  er  auch  1838  eine  Oper  seiner  Composition, 
»Donna  Juana«,  ohne  grösseren  Erfolg  zur  Aufführung. 

Hörnigk,  Louis,   deutscher  Arzt  und  Musikkenner,  lebte  zu  Anfang  des 

17.  Jahrhunderts  in  Frankfurt  a.  M.  und  veröffentlichte  von  seiner  Composition 
ein  Werk,  betitelt:  ■uTriphyllum  symplioniarum  sacrarutna. 

Hörnleiu  findet  man  zuweilen  in  älteren  Orgeln  eine  0,6metrige  Stimme 
benannt,  die  dem   Gemshorn  (s.  d.)  oder  Nachthorn  (s.  d.)  ähnlich  klingt.     0. 

Hörorgau,  s.  Ohr. 

Hössler,  deutscher  Kii-chencomponist,  geboren  1806  zu  Altenburg,  war 
Cantor  in  seiner  Vaterstadt  und  durch  seine  Kirchencompositionen  im  localen 
Umkreise  vortheilhaft  bekannt.  Als  sein  bestes  Werk  galt  ein  »Vater  unser« 
für  zwei  Chöre. 

Hötzl,  Ludwig,  Kirchencomponist  der  letzten  Hälfte  des  17.  Jahrhun- 
derts, war  Canonicus  des  Benedictinerordens  und  gab  1688  Vespern  seiner 
Composition  heraus. 

Höveln,  Konrad  von,  deutscher  Gelehrter,  geboren  um  1630  unweit 
Hamburg,  ist  der  Verfasser  eines  »Entwurf  der  Ehren -Tanz-  und  Singschau- 
spiele«. 

Hofconcert,  s.  Concert  und  Kammermusik. 

Hofer,  von,    berühmter    deutscher    Lautenvirtuose    der    ersten    Hälfte    des 

18.  Jahrhunderts,  war  um  1738  Hofmusicus  des  Churfürsten  von  Mainz. 
Später  kam  er  an  den  Hof  Karl's  VI.  in  Wien,  wurde  Lehrer  der  kaiserl. 
Prinzessinnen  und  starb  um   1750. 

Hofer,  Andreas,  deutscher  Kirchencomponist  des  17.  Jahrhunderts,  war 
Vicekapellmeister  und  Chorregent  am  Dom  zu  Salzburg  und  veröffentlichte  eine 
Sammlung  von  Kirchenstücken  unter  dem  Titel:  nVer  sacrum  seu  ßores  musici 
5  vocihus  et  totidem  instrumentis  proclucendi  et  pro  offertoriis  potissimum  serva- 
turi  ad  occurrentes  per  annum  festivitates  cum  quibusdam  pro  communis  (Salz- 
burg, 1677). 

Hoffer,  Madame,  s,  unter  Weber  (Joseph a). 

Hofifkuutz,  Aurora,  gute  deutsche  Sängerin,  geboren  1818  zu  Danzig, 
ging  zu  ihrer  musikalischen  Ausbildung  nach  Berlin  und  war  von  1838  bis 
1846  ein  sehr  geschätztes  Mitglied  der  dortigen  Singakademie.  Im  J.  1840 
debütirte  sie  im  königl.  Opernhause  als  Agnes  von  Hohenstaufen,  wurde  enga- 
girt  und  gehörte  diesem  Theater  bis  1846  an,  wo  sie  einen  Fabrikanten 
Namens  Rothländer  heirathete  und  sich  gänzlich  in  das  Privatleben  zurückzog. 

Hoffiuauu,  deutscher  Orgelbauer,  lebte  um  1830  zu  Hamburg  und  ist  der 
Erfinder  eines  orgelähnlichen  Instruments,  welches  er  »Rigabellum«  nannte,  das 
aber  wenig  Beachtung  fand  und  bald  in  Verschollenheit  gerieth.  —  Ein  Sänger 
und  Schauspieler,  H.  N.  Hoffmann,  um  1797  am  Stadttheater  zu  Hamburg 
engagirt,  machte  sich  in  seiner  Zeit  zugleich  als  Componist  von  Gesängen  und 
Liedern  bekannt.  —  Von  einem  Georg  H.  existirt  gedruckt  ein  Concert  für 
zwei  Hörner  (1799),  von  einem  Ignaz  H.  aus  derselben  Zeit  eine  Sonate  für 

Muaikal.  Convers. -Lexikon.    V.  17 


258  HoÜmann. 

Violine  und  Bass  und  von  einem  Joseph  H.,  gleichfalls  damals  erschienen, 
ein  Nutturno  für  zwei  Violinen  und  Bass  und  ein  Trio  für  zwei  Violinen  und 
Violoncello.  —  Ein  C.  G.  Hoff  manu  endlich,  geboren  1803  in  Niederschlesien, 
Prediger  in  Freiburg  bei  Breslau,  ist  der  Verfasser  einer  Geschichte  der  Ge- 
sangvereine und  Musikfeste  Niederschlesiens. 

Hoiriiiauu,   Christian,  s.  Hofmann. 

tloilmauu,  Ernst  Theodor  Amadeus  (eigentlich  Ernst  Theodor 
Wilhelm),  einer  der  originellsten  deutschen  Tonkünstler  und  Schriftsteller, 
zugleich  tüchtiger  Jurist,  wurde  am  24.  Jan.  1776  zu  Königsberg  i.  Pr.  ge- 
boren, wo  sein  Vater  Justizcommissarius  und  Kriegsrath  war.  Ein  sehr  fähiger 
Kopf,  wie  H.  war,  machte  er  auch  in  der  Musik  bei  dem  Organisten  Podbielski 
rasche  Fortschritte.  In  Königsberg  studirte  er  die  Rechte  und  trieb  daneben 
eifrig  Clavierspiel ,  Gesang,  Composition,  Sprachen  und  Zeichuenkunst.  Nach 
abgelegtem  Examen  wurde  er  1795  Auscultator  in  Königsberg,  1796  bei  der 
Oberamtsregierung  zu  Glogau  angestellt  und  1798  als  Kammergerichts-Referen- 
darius  nach  Berlin  versetzt.  Im  J.  1801  kam  er  als  Regierungs-Assessor  nach 
Posen ,  ein  Jahr  später  wegen  einiger  von  ihm  gefertigter  Caricaturen  nach 
Plozk,  wo  er  u.  A.  die  Composition  der  Singspiele  »Der  Renegat«  und  »Fau- 
stinea  begann,  und  1804  als  Rath  nach  AVarschau,  wo  der  Einmarsch  der 
Franzosen  im  J.  1807  seine  Staatscarriere  jäh  unterbrach.  Ohne  Aussichten 
im  Vaterlande  und  ohne  Vermögen,  benutzte  er  seine  musikalischen  Kenntnisse 
als  Erwerbszweig  für  sich  und  seine  Familie  und  dirigirte  die  dortigen  Concerte. 
Gern  folgte  er  unter  diesen  Umständen  1808  einer  Einladung  des  Grafen  von 
Soden  nach  Bamberg  als  Musikdirektor  bei  dem  dort  neu  errichteten  Stadt- 
theater. Er  componirte  zum  Antritt  dieses  Amtes  im  J.  1809  die  vieraktige 
Oper  »Der  Trank  der  Unsterblichkeit«.  Als  aber  das  Theater  bald  geschlossen 
wurde,  gerieth  er  in  so  grosse  Noth,  dass  er,  um  essen  zu  können,  wie  er  selbst 
gesteht,  den  letzten  Rock  verkaufen  musste.  Ertheilung  von  Gesangunterricht 
und  Arbeiten  für  die  von  Rochlitz  redigirte  Leipziger  »Allgemeine  musikalische 
Zeitung«  mussten  ihm  dürftigen  Unterhalt  gewähren.  Seine  ersten  Artikel  für 
die  letztere  waren  die  merkwürdige  Charakterschilderung  »Johannes  Kreisler« 
(später  aufgenommen  in  H.'s  »Phantasiestücke  in  Callot's  Manier«  Bd.  I)  und 
»Ueber  Beethoven's  Instrumentalmusik«;  mit  ihnen  und  anderen  sollte  er  bald 
in  ganz  Deutschland  bekannt  werden.  Ausserdem  sang  er  in  den  herzogl. 
Concerten,  in  der  Kirche  in  Haydn'schen  Messen,  componirte  eifrig,  schrieb 
Theaterartikel  für  die  »Zeitung  für  die  elegante  Welt«,  zeichnete,  malte  und 
unterrichtete  auch  im  Clavierspiel.  Im  J.  1810  übernahm  Holbein  die  Leitung 
des  Bamberger  Theaters,  und  nun  fand  H.  als  Theatercomponist,  Decorateur, 
Maschinist,  Architekt  und  Direktionsgehülfe  eine  ihm  durchaus  zusagende  Be- 
schäftigung. Aber  schon  1812  entsagte  Holbein  dem  Theater  und  H.  verlor 
dadurch  sein  festes  Einkommen.  Er  hörte  jedoch  nicht  auf,  fleissig  zu  arbeiten, 
und  componirte  u.  A.  18.13  sein  Hauptwerk,  die  dreiaktige  romantische  Oper 
»Undine«,  deren  Text  Fouque  selbst  nach  seiner  bekannten  Erzählung  bear- 
beitet hatte. 

Mittlerweile  war  ihm  die  Musikdirektorstelle  bei  der  Jos.  Seconda'schen 
Schauspielergesellschaft  in  Dresden  angetragen  worden,  und  er  leitete  das  Or- 
chester dieser  abwechselnd  dort  und  in  Leipzig  spielenden  Truppe  bis  im 
Septbr.  1814,  wo  er  sich  mit  Aussichten  auf  eine  Staatsanstellung  wieder  nach 
Berlin  wandte.  Im  J.  1816  endlich  wurde  er  daselbst  vom  Justizministerium 
als  Rath  bei  dem  königl.  Kammergericht  angestellt  und  brachte  in  demselben 
Jahre  seine  »Undine«  auf  die  königl.  Bühne  zu  Berlin,  welche  einen  durch- 
schlagenden Erfolg  hatte,  so  dass  sie  in  Jahresfrist  14  Mal  wiederholt  wurde. 
Selbst  C.  M.  V.  Weber  beurtheilte  sie  in  einem  besonderen  Aufsatze  (Leipz. 
AUgem.  Musikztg.  1817  No.  12)  überaus  günstig  und  sagt.  Alles  zusammen- 
fassend: »Das  ganze  Werk  ist  eines  der  geistvollsten,  welches  uns  die  neuere 
Zeit    geschenkt     hat.«    —  Als    im    J.    1819    durch    B.  Klein,    L.  Berger    und 


Hoflmann.  259 

L.  Rellstab  die  jüngere  Liedertafel  in  Berlin  gegründet  wurde,  üess  sich  H. 
bald  darauf  in  dieselbe  aufnehmen  und  componirte  für  sie  mehrere  Gesänge, 
Leider  starb  der  geniale  Mann  schon  am  25.  Juni  1822  in  Folge  seines  un- 
regelmässigen Lebens  an  der  E-ückenmarkdarrsucht  nach  qualvollen  Leiden. 
Auf  seinem  Grabsteine  stehen  die  Worte:  ausgezeichnet  —  im  Amt  —  als 
Dichter  —  als  Tonkünstler  —  als  Maler.  In  Hitzig's  Werke  »Aus  H.'s  Leben 
und  Nachlass«  (2  Bde.,  Berlin,  1823)  findet  man  im  zweiten  Bande  S.  358  fiF. 
ein  Urtheil  über  H.  als  Musiker  von  A.  B.  Marx.  Seine  Compositionen,  be- 
stehend in  11  Opern,  Musiken  zu  Schauspielen,  einem  Ballet,  Kirchenwerken, 
Liedern  und  Gesängen,  einer  Sinfonie  und  anderer  Instrumentalmusik,  finden 
sich  mit  vollen  Titeln  verzeichnet  in  C.  v.  Ledebur's  »Tonkünstler -Lexikon 
Berlin'sa  (Berlin,  1860). 

Dass  H.  überhaupt  seltene  musikalische  Kenntnisse  besass  und  die  Ton- 
kunst mit  ungewöhnlicher  Tiefe  auflfasste,  zeigt  sich  auch  in  seinen  vortreflf- 
lichen  Dichtungen,  bestehend  in  Romanen  und  Erzählungen,  Novellen  und 
Märchen  von  hohem  Kunstwerthe,  in  denen  er  sich  oft  und  gern  mit  der  Musik 
und  musikalischen  Erscheinungen  beschäftigt.  Mit  einer  reichen  und  stets  ge- 
schäftigen Phantasie  begabt,  die  ihm  das  Reich  des  Wunderbaren  ebenso  le- 
bendig eröfi'nete,  als  das  der  Wirklichkeit,  mit  einem  unerschöpflichen  Humor 
und  einem  kaustischen  Witz  verband  er  eine  seltene  Klarheit  des  Geistes,  die 
wenigstens  ssinen  amtlichen  Arbeiten  nachgerühmt  wird,  und  war  ein  Meister 
der  Darstellung  und  einer  reichen,  lebendigen,  wohlgefügten  Sprache.  Ausser 
vielen  Beiträgen  für  literarische  Blätter  kommen  hier  in  Betracht  seine  schon 
erwähnten  »Phantasiestücke  in  Callot's  Manier«  (3  Thle.,  Bamberg,  1814), 
welche  der  ihm  geistesverwandte  Jean  Paul  mit  einem  empfehlenden  Vorworte 
begleitete.  Diese  enthalten  meist  Kunstnovellen,  welche,  wenn  auch  eine  und 
die  andere  in  das  Reich  der  Ahnungen  und  überreizten  Denk-  und  Empfin- 
dungsweise überschlägt,  wie  »Don  Juan«,  doch  die  Grenze  der  poetischen  Wahr- 
heit innehalten.  Wie  diese  Erzählung  das  Yerstäudniss  des  Mozart'schen 
Meisterwerks  eröffnet,  so  wird  im  »Ritter  Gluck«  die  Eigenthümlichkeit  dieses 
Meisters  in  lebendiger  Weise  dargestellt.  Das  zweite  Werk,  welches  hier  we- 
nigstens erwähnt  werden  muss,  sind  die  »Lebensansichten  des  Kater  Murr  nebst 
fragmentarischer  Biographie  des  Kapellmeisters  Johannes  Kreisler  in  zufälligen 
Maculaturblättern«  (2  Bde.,  Berlin,  1820  bis  1822),  an  deren  Vollendung  H. 
durch  den  Tod  gehindert  wurde.  Hier,  wie  in  seinen  zerstreuten  musikalischen 
Recensionen  schlug  er  allerdings  häufiger  jenen  überspannten,  excentrischen 
Ton  an,  der  seinen  vielen  Nachahmern  so  verderblich  geworden  ist  und  die 
musikalische  Kritik  der  Folgezeit  zum  Theil  in  blosse  somnambulistische  Ex- 
clamationen  aufgelöst  hat. 

Hoffmann,  Eucharius,  deutscher  Musikgelehrter  und  Componist,  geboren 
zu  Heldburg  in  Franken,  war  erst  Cantor,  dann,  um  1580,  Conrektor  zu  Stral- 
sund. Er  veröffentlichte  die  für  jene  Zeit  vortrefflichen  didaktischen  Werke 
y>Doctrina  de  tonis  seu  modis  musicisa  etc.  (Greifswald,  1582;  weitere  Aufl., 
Hamburg,  1584  und  1585)  und  »Musicae  pracücae  praecepta  ad  usuin  juventutisu 
(Greifswald,  1584;  Hamburg,  1585,  1588),  sowie  vierstimmige  geistliche  Lieder 
(Rostock,  1577).  Im  Uebrigen  componirte  er  noch  Psalme  und  einige  Hoch- 
zeitgesänge zur  Vermählung  des  Herzogs  von  Pommern. 

Hoffinauu,  Franz,  tüchtiger  deutscher  Musikpädagoge,  geboren  am  8.  Septbr. 
1767  zu  Leobschütz,  war  als  Gymnasiast  zugleich  Schüler  des  berühmten  Or- 
ganisten Kuchelmeister.  Er  widmete  sich  dem  Schulfache,  ward  Schulamts- 
gehülfe  zu  Katschir  und  1794  Cantor  und  Regenschori  an  der  katholischen 
Stadtpfarrkirche  zu  Ratibor,  wo  er  am  9.  Febr.  1823  starb.  —  Sein  Sohn, 
Karl  Julius  Adolph  Hugo  H.,  geboren  am  16.  Febr.  1801  zu  Ratibor, 
sang,  von  seinem  Vater  unterrichtet,  in  der  Kirche  als  Altist  und  machte  mit 
elf  Jahren  Compositionsversuche.  Im  J.  1815  nahm  ihn  das  Convictorium  zu 
Breslau  auf,   er  wurde  1819  Chorpräfekt   und   bezog  1821  die  Breslauer  Uni- 


260  Hoffmauu. 

veisitüt  als  Student  der  Philologie  und  Philosophie.  Musikalisch  sehr  fördei*- 
lich  war  ihm  damals  der  Umgang  mit  Berner  und   Schnahel,   der  ihn  anregte, 

1822  den    akademischen  Musikvereiu    zu    gründen.     Nach    einigen  Reisen  von 

1823  bis  1826,  erhielt  er  1827  die  Direktion  der  Kapelle  des  Grafen  von 
Reichenbach  zu  Leobschiitz.  Ein  Jahr  später  wurde  er  an  Franz  Luge's  Stelle 
als  llegenschori,  Musikdirektor  uud  Grymnasial-Musiklehrer  nach  Oppebi  berufen 
und  18.30  auch  zum  Chordirektor  an  der  katholischen  Hauptkirche  daselbst 
ernannt.  Sein  literarisches  Hauptwerk  sind  »Die  Tonkünstler  Schlesiens,  ein 
Betrag  zur  Kunstgeschichte  Schlesiens  von  960  bis  1830«  u.  s.  w.  (Breslau, 
1830),  ein  vortreffliches  Nachschlagebuch,  welches  einen  enormen  Sammelfleiss 
bekundet.  Ausser  vielen  Aufsätzen  für  schlesische  Zeitschriften,  besonders  für 
Hientzsch's  «Eutonia«,  verfasste  er  eine  »Literatur  der  Musik  des  18.  und  19. 
Jahrhunderts«,  eine  »Geschichte  der  Musik  bei  den  Provengalen,  Trouliadours 
und  Minnesängern«,  eine  »Geschichte  des  Meistergesangs«,  »Die  Musik  der 
Griechen  und  Römer«  uud  mehrere  Elementarwerke,  von  denen  »Die  Wissen- 
schaft des  Gesanges«  in  Gymnasien  und  höheren  Bürgei-schulen  als  Leitfaden 
eingeführt  ist.  Seine  Compositionen  bestehen  in  Liedern,  Chorälen  (für  das 
Oppeln'sche  christkatholische  Gesangbuch)  und  Gesängen,  in  Kircheusachen, 
Ciavierstücken,  vier  Polonaisen  für  Orchester,  Concerten  für  verschiedene  In- 
strumente, einigen  Operetten  u.  s.  w.  —  Sein  jüngerer  Bruder,  August  H., 
geboren  am  23,  Septbr.  1803  zu  Ratibor,  war  Cantor  zu  Hennersdorf  bei 
Laubau  in  Schlesien. 

HoiTinauu,  Friedrich,  vortrefHicher  Violinvirtuose  und  guter  Pianist,  ge- 
boren 1791  zu  Nowgorod,  trat  1808  in  das  Pariser  Conservatorium,  wo  Baillot 
sein  Hauptlehrer  war.  Im  J.  1811  wurde  er  erster  Violinist  im  Orchester  des 
Stadttheaters  zu  Frankfurt  a.  M.,  ging  1815  als  Musikdirektor  nach  Detmold, 
kehrte  aber  1820  in  seine  frühere  Stellung  nach  Frankfurt  zurück  und  ertheilte 
auch  Violin-  und  Ciavierunterricht.  Zu  seinen  Schülern  zählt  u.  A.  Ferd.  Hiller. 
H.  starb  am  6.  April  1863  zu  Frankfurt  a.  M. 

Hoffmauu,  Friedrich  Alexander,  vortrefflicher  deutscher  Tonkünstler 
der  neuesten  Zeit,  war  Domkapellmeister  und  Orchesterdirektor  des  Stadtthea- 
ters in   Graz  und  starb  daselbst  am  26.  Jan.   1871. 

HoffinauU)  Friedrich  Benedict,  dramatischer  und  lyrischer  Dichter, 
sowie  Musikschriftsteller,  geboren  am  11.  Juli  1760  zu  Nancy,  schrieb  viele 
Operntexte  für  zum  Theil  berühmte  Componisten  und  starb  am  25,  April  1808 
zu  Paris. 

Hoffmauu,  Gerhard,  deutscher  Mathematiker,  Architekt  und  Tonkünstler, 
geboren  am  11.  Novbr.  1690  zu  Rastenberg,  studirte  Mathematik  und  das 
Baufach  zu  Jena  und  wurde  1719  herzogl.  Bauverwalter  in  "Weimar.  Stets 
schon  der  Musikübung  beflissen,  übte  er  bei  dem  Kapellmeister  J.  W.  Dresen 
die  Musiktheorie  aufs  eingehendste  und  compouirtc  viele  geistliche  Cantaten 
und  andere  Kirchenstücke.  Aber  auch  andere  Resultate  wusste  er  als  aus- 
gezeichneter Mathematiker  für  die  praktische  Tonkunst  zu  erzielen.  Im  J.  1727 
verbesserte  er  sein  Lieblingsinstrument,  die  Flöte,  durch  ein  zweites  Ventil, 
welches  er  nicht  minder  vortheilhaft  weiterhin  auch  bei  der  Oboe  anbrachte. 
Ferner  erfand  er  einen  Zug  an  der  Violine,  mittelst  dessen  die  Stimmung  der- 
selben mit  der  linken  Hand  sofort  aus  dem  Chor-  in  den  Kammerton  und 
wieder  zurück  verändert  werden  konnte.  Ein  Jahr  später,  wo  er  auch  Käm- 
merer zu  Rastenberg  wurde ,  gab  er  eine  Berechnung  der  Temperatur  heraus, 
um  mit  derselben  die  Instrumente  leicht  stimmen  zu  können,  die  er  dann  1733, 
um  sie  auch  für  Orgeln  anwendbar  zu  machen,  verbesserte  und  erweiterte. 
Im  J.  1734  erfand  er  ein  besonderes  Saitenmaass,  nach  welchem  alle  Arten 
von  Saiten  schnell  ausgewählt  und  in  das  richtige  mathematische  Verhältniss 
zu  einander  gestellt  werden  konnten.  Zum  Büi'germeister  von  Rastenberg 
1736  erwählt,  blieb  H.  in  diesem  Amt  bis  zu  seinem  Tod,  der  sich  aber  nirgends 
angegeben  findet. 


Hoffmann.  261 

Hoffmauu,  Gustav,  genannt  Graben-Hoffmann  (s.  d.). 

Uoifmano,  Heinrich  Anton,  deutsclier  Violinvirtuose  und  Dirigent,  ge- 
boren am  24.  Juni  1770  zu  Mainz,  studirte  auf  der  Universität  daselbst  die 
Eecbte  und  Philosophie.  Beim  Ausbruch  des  Revolutionskriegs  starb  sein 
Vater,  und  er  sah  sich  in  schwerer  Zeit  auf  die  eigene  Erwerbsth'ätigkeit  an- 
gewiesen. Er  wählte,  da  er  fertiger  Violinist  war,  die  Musik  als  Lebensberuf, 
wurde  kurfürstl.  Kammermusiker  und  blieb  es  bis  zur  Belagerung  von  Mainz, 
die  ihn  zur  Auswanderung  trieb,  worauf  er  nach  Aschaffenburg  ging  und  von 
dort  aus  1799  eine  Violinistenstelle  am  Stadttheater  in  Frankfurt  a.  M.  an- 
nahm. Im  J.  1801  wurde  er  daselbst  Correpetitor,  später  Concertmeister,  1817 
Vice  -  Musikdirektor  und  1819  wirklicher  Musikdirektor  und  Mitdirektor  des 
Theaters.  Als  Guhr  1821  zum  Kapellmeister  berufen  wurde,  blieb  H.  Vice- 
Musikdirektor  und  erster  Violinist.  Er  liess  sich  1835  pensioniren  und  lebte 
bis  zu  seinem  Ende,  am  19.  Jan.  1842,  der  Composition.  Im  Druck  erschienen 
von  seinen  Werken  sechs  Streichquartette,  zwei  Violinconcerte,  ein  Concertante 
für  zwei  Violinen,  12  Lieder  mit  Clavierbegleitung  und  Duette  für  Violine  und 
Violoncello,  die  sämmtlich  ein  hervorragendes  Talent  verrathen.  —  Sein  Bruder, 
Philipp  Karl  H.,  geboren  am  5.  März  1769  in  Mainz,  war  ein  tüchtiger 
Pianist.  Anfangs  nur  Musikliebhaber,  widmete  er  sich  nach  dem  Tode  seines 
Vaters  der  Ertheilung  von  Unterricht  und  verliess  auch  zugleich  mit  seinem 
Bruder  die  Vaterstadt.  Er  wandte  sich  nach  Offenbach,  wo  er  Musiklehrer 
bei  dem  reichen  kunstsinnigen  Kaufmann  Bernard  und  in  dessen  Privatkapelle 
als  Bratschist  angestellt  wurde.  Nebenbei  trieb  er  eifrig  Naturwissenschaften 
und  gehörte  zu  den  Begründern  der  "Wetterau'schen  naturforschenden  Gesell- 
schaft. Auf  einer  Heise  nach  Amsterdam ,  später  nach  "Wien  erfuhr  er  als 
Künstler  und  wissenschaftlich  gebildeter  Mann  viele  Ehren,  Im  J.  1810  sie- 
delte er  nach  St.  Petersburg  über,  wo  er  sich  als  hochgeschätzter  Musiklehrer 
und  Concertspieler  Vermögen  und  eine  angesehene  Stellung  schuf,  so  dass  er  1820 
nach  Frankfurt  a.  M.  gehen  und  lediglich  seinen  künstlerischen  und  wissen- 
schaftlichen Neigungen  leben  konnte,  wiewohl  er  es  nicht  verschmähte,  mitunter 
noch  öffentlich  zu  spielen.  Man  rühmte  auch  damals  noch  die  Fertigkeit, 
Präcision  und  Nettigkeit  seines  Vortrags.  Von  der  Composition,  in  welcher 
er  sich  vormals  mit  Glück  versucht  hatte,  kam  er  je  länger  je  mehr  zurück. 
Erschienen  sind  von  seinen  Arbeiten:  Sonaten  für  Pianoforte  und  Violine, 
vierhändige  Variationen,  ferner  Rondos,  eine  Fantasie,  Variationen  u.  s.  w.  für 
Ciavier  und  Cadenzen  zu  sechs  Mozart'schen  Claviercoucerteu ,  deren  Adagios 
er  zugleich  ausschmückte. 

Hoffmauu,  Heinrich  August,  nach  seinem  Geburtsorte  H.  von  Fal- 
lersleben  genannt,  sehr  verdienter  deutscher  Sprachforscher  und  einer  unserer 
edelsten  und  gemüthvollsten  Liederdichter,  wurde  am  2.  April  1798  zu  Fallers- 
leben  im  Lüneburg'schen  geboren,  besuchte  das  Gymnasium  zu  Helmstedt  und 
das  Catharineum  zu  Braunschweig  und  bezog  1816  die  Universität  Göttingen, 
anfangs  Theologie,  dann  aber  dort,  sowie  1819  in  Bonn  eifrig  Philologie  stu- 
dirend.  Im  J,  1821  machte  er  im  Interesse  der  Sprachforschung  eine  Studien- 
reise nach  Belgien  und  Holland,  privatisirte  dann  in  Berlin  und  wurde  1823 
Custos  an  der  Universitätsbibliothek  zu  Breslau,  1830  ausserordentlicher  und 
1835  ordentlicher  Professor  der  deutschen  Sprache  und  Literatur  daselbst. 
"Wegen  der  in  seinen  »unpolitischen  Liedern«  (2  Bde.,  Hamburg,  1810.  1841) 
ausgesprochenen  Grundsätze  und  Tendenzen  erhielt  er  1843  seine  Entlassung 
ohne  Pension,  führte  darauf  ein  unstetes  "Wanderleben  und  verweilte  episodisch 
längere  Zeit  in  Berlin  und  "Weimar.  Endlich  wurde  er  als  fürstl.  Bibliothekar 
zu  Corvey  in  "Westphalen  angestellt  und  starb  als  solcher  am  19-  Jan.  1874. 
—  H.'s  grosse  und  vielseitige  Vei-dienste  als  Dichter  von  Liedern,  welche  für 
die  musikalische  Composition  vorzugsweise  geeignet  sind,  sowie  um  die  wissen- 
schaftliche Behandlung  der  deutschen  Sprache  und  Literatur  haben  hier  nicht 
Besprechung    zu    finden.     Erwähnt    seien    von    seinen  werthvollen  Arbeiten  als 


262  Hoffniann. 

in  die  Musik  einschlägig  nur  seiue  reichhaltige  »Geschichte  des  deutschen 
Kirchenliedes  bis  auf  Luther's  Zeit«  (Breslau,  1832;  2.  Aufl.,  Hannover,  1854), 
seine  »Schlesischen  Volkslieder  mit  Melodien«  (Leipzig,  1842),  seine  »Deutschen 
Gesellschaftslieder  des  16.  und  17.  Jahrhunderts«  (Leipzig,  1844)  und  seine 
»Kinderlieder«  (Leipzig,  1843;  nach  Original-  und  Volksweisen  herausgegeben 
von  L.  Erk,  Berlin,  1873).  Dass  ein  Dichter,  welcher  die  sanggerechte  Rede- 
form so  glücklich  traf,  zugleich  Tondichter  war,  wie  die  alten  Minne-  und 
Meistersinger,  erscheint  fast  natürlich.  Auch  in  dieser  Eigenschaft  fand  er  die 
richtige  Weise  und  viele  seiner  Melodien  sind,  ähnlich  wie  seine  Dichtungen, 
volksthüralich  geworden,  z.  B.  »Zwischen  Frankreich  und  dem  Böhmerwald«, 
»Uffem  Berg,  do  möchti  rueihe«,  »Des  Morgens  um  halbe  viere«,  »0  wie  ist  es 
kalt  geworden«,  »"Wer  singet  im  Walde«   (Herr  Ulrich)   u.  s.  w. 

HofTmann,  Heinrich  Theodor,  deutscher  Tonküustler,  geboren  am  12. 
März  1807  zu  Arnsdorf  bei  Schmiedeberg  in  Schlesien,  war  Cantor  und 
Organist  zu  Friedland  und  schrieb  einen  Leitfaden  für  den  ersten  Gesang- 
unterricht. 

HoiTmann,  Joachim,  deutscher  Componist  und  Musikgelehrter,  geboren 
1788  in  Niederösterreich,  war  seit  1815  in  Wien  als  Tonkünstier  vortheilhaft 
bekannt  und  hat  Sinfonien  und  Cantaten  componirt.  Ebenso  ist  er  der  Ver- 
fasser einer  Harmonielehre. 

Hoffmann,  Johann,  berühmter  Componist  und  Organist  des  16.  .Jahr- 
hunderts, stand  in  der  ersten  Hälfte  desselben  in  Diensten  des  Erzbischofs 
Albert  zu  Halle  a  S.,  wo  er  auch  zu  dem  Gesangbuche  von  Mich.  Vehe  mit 
W.  Heintz  Melodien  componirte.  —  Ein  Ende  des  18.  Jahrhunderts  leben- 
der Johann  H.  war  Virtuose  auf  der  Mandoline  und  gab  um  1799  zu  Wien 
Compositionen   für  Mandoline  mit  Begleitung  verschiedener  Instrumente  heraus. 

Uoffmaun,  Johann,  vortrefflicher  deutscher  Tenorsänger,  geboren  am 
22.  Mai  1805  zu  Wien,  wuchs  unter  günstigen  Verhältnissen  auf,  übte  mit 
Vorliebe  Musik  und  besuchte  die  Universität,  worauf  er  schon  1820  eine  An- 
stellung beim  Magistrat  in  Wien  erhielt.  Von  Kennern  auf  seine  schöne 
Stimme  aufmerksam  gemacht,  liess  er  dieselbe  von  Elsler,  später  von  Simoni 
ausbilden,  während  er  bei  Weigl  die  übrigen  Fächer  der  Musik  studirte.  Im 
J.  1826  debütirte  er  in  der  kaiserl.  Oper  am  Kärnthnerthor,  u.  A.  als  »Titus«, 
und  wurde  eugagirt.  Nach  der  Auflösung  der  Wiener  Hofoper  war  er  drei 
Jahre  hindurch  beim  Stadttheater  zu  Aachen,  ging  dann,  durch  die  Milder 
empfohlen,  zu  einem  Gastspiele  an  die  königl.  Oper  nach  Berlin  und  wurde 
1829  für  dieselbe  gewonnen.  Als  Antrittsrolle  sang  er  am  31.  Mai  1829  den 
Max  im  »Freischütz«,  welche  Parthie  er  an  dieser  Bühne  überhaupt  26  Mal 
ausführte.  Am  5.  Mai  1835  schied  H.  in  der  Rolle  des  Fra  Diavolo  von  Berlin 
und  folgte  einem  Kufe  nach  St.  Petersburg.  Von  dort  ging  er  1838  an  das 
Theater  in  Riga,  dessen  Direktion  er  ein  Jahr  später  als  Holtei's  Nachfolger 
übernahm.  Im  J.  1844  kehrte  er  nach  Deutschland  zurück,  war  von  1847 
bis  1852  Direktor  des  ständischen  Theaters  in  Prag  und  trat  1855  die  Direk- 
tion des  Josephstädter  Theaters  in  Wien  an.  Als  Säuger  war  er  sehr  brauch- 
bar und  überaus  bewandert,  jedoch  missfiel  in  Berlin  sein  süddeutscher  Dialekt 
beim  Singen.  —  Seiue  Gattin,  Katharina  H.,  geborene  Krainz,  genannt 
Greis,  geboren  am  24.  Febr.  1809  zu  Graz,  war  die  Tochter  eines  rühmlichst 
bekannten  Orgelbauers  daselbst.  Früh  schon  trat  sie,  da  sie  musikalische 
Anlagen  bekundete,  in  den  Theaterchor  und  begab  sich  zu  ihrer  weiteren  Aus- 
bildung nach  Wien  zu  Ciccimara.  Sie  debütirte  hierauf  1826  mit  Erfolg  in 
der  Oper  »Marie«  von  Herold  und  wurde  1828  in  Aachen  eugagirt.  Ein  gün- 
stig ausgefallenes  Gastspiel  am  Königsstädtischen  Theater  in  Berlin  führte 
1829  zu  ihrer  Anstellung  daselbst  und  nach  ihrer  Verheirathung  1830  zur 
Ernennung  als  königl.  Hofopernsängerin,  nachdem  sie  als  Elvira  in  Auber's 
»Stumme«  debütirt  hatte.  Ihrem  Gatten  folgte  sie  nach  St.  Petersburg  und 
Riga.     Sie  starb  am  4.  Decbr.  1857   zu  Frankfurt  a.  M. 


Hoffmann.  263 

Hoifiuauu,  Johann  Georg,  geschickter  deutscher  Orgelspieler  und  gründ- 
licher Musiktheoretiker,  geboren  am  24.  Octbr.  1700  in  einem  schlesischen 
Dorfe  bei  Niemptsch  als  der  Sohn  eines  armen  leibeigenen  AVebeis,  kam  1713 
bei  dem  Organisten  J.  H.  Quirl  zu  Niemptsch  in  eine  fünfjährige  Musiklehre 
und  lernte  daselbst  Gesang,  Ciavier-  und  Violinspiel,  Trompete,  Posaune  und 
etwas  Theorie.  Mit  fünf  Thalern  Ersparnissen  wanderte  er  1717  nach  Breslau 
und  wurde  Bedienter  des  jungen  Barons  von  Reichenbach,  dessen  Hofmeister 
der  nachmalige  Professor  Giersch,  H.  an  dem  Unterrichte  seines  Zöglings  im 
Italienischen  und  Französischen  Theil  nehmen  Hess.  Der  Musikdirektor  Wilisch 
der  sich  seiner  musikalisch  annahm,  empfahl  ihn  endlich  1720  für  die  Stelle 
eines  Unterorganisten  an  der  St.  Elisabethkirche  zu  Breslau.  Jetzt  studirte 
H.  mit  unermüdlichem  Fleisse  Alles,  was  zur  Musik  gehörte,  wurde  1725 
zweiter  Ciavierspieler  bei  der  italienischen  Oper  und  erhielt  1727,  als  der 
Kapellmeister  Treu  nach  Prag  abging,  sogar  die  Orchesterdirektion  derselben. 
Ein  Jahr  später  übernahm  er  die  Composition  der  Vesper- Musiken,  wurde  1737 
Organist  an  der  Kirche  St.  Barbara  und  1742  Oberorganist  an  der  Maria- 
Magdalenenkirche.  Als  solcher  starb  er,  hoch  angesehen  in  ganz  Schlesien,  im 
J.  1780  zu  Breslau.  Er  componirte  vier  vollständige  Jahrgänge  Can taten  und 
andere  Kirchengesänge  zum  gottesdienstlichen  Gebrauch  für  alle  Sonn-  und 
Festtage,  ferner  zwei  Passions -Oratorien,  gegen  400  Serenaden,  Coucerte, 
Gelegenheitswerke  u.  s.  w. ,  die  jetzt  freilich  ziemlich  steif  und  trocken  er- 
scheinen. 

Hoffmanu,  Johann  Georg,  deutscher  Orgelspieler  und  Componist  für 
sein  Instrument,  geboren  1738  zu  Schlawa  im  damaligen  Fürstenthum  Glogau, 
erhielt  von  seinem  Vater  Unterricht  im  Singen  und  auf  der  Orgel,  welchen 
Fertigkeiten  er  die  Stelle  als  Choralist  an  der  Elisabethkirche  in  Breslau  und 
eine  Freistelle  an  dem  dortigen  Gymnasium  verdankte.  Als  sein  Vater  1763 
starb,  wurde  er  Stadt-  und  Kirchenmusicus  zu  Schlawa  und  nach  dem  Brande 
dieses  Orts,  1765,  Organist  an  der  evangelischen  Kirche  zu  Niebusch  bei  Frei- 
stadt.    Als  solcher  starb  er  im  J.  1809.     Componirt  hat  er  Orgelstücke. 

Hoffmauu,  Johann  Christoph,  ausgezeichneter  deutscher  Dilettant,  lebte 
zu  Nürnberg  und  stand  daselbst  um  1686  wegen  seiner  musikalischen  Fertig- 
keiten in  besonderem  Ansehen. 

HofiFmanu,  Johann  Leonhard,  deutscher  Musikgelehrter,  geboren  in  der 
zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts,  gestorben  am  29.  Septbr.  1814  zu  Er- 
langen, ist  als  Verfasser  des  Buchs  »Versuch  einer  Geschichte  der  malerischen 
Harmonie  mit  Erläuterungen  aus  der  Tonkunst«  bekannt  geworden. 

HofTmanu,  Karl  Johann,  deutscher  Gelehrter,  geboren  1804  im  Mecklen- 
burg'schen,  studirte  in  Berlin  Philosophie  und  Geschichte  und  veröffentlichte 
die  Schrift:  »Beweis  und  Darstellung  des  ausgebildeten  musikalischen  Taktes 
der  alten  Griechen  aus  ihrer  eigenen  Musik.  Angehäugt:  Deutsche  Ueber- 
setzung  der  wichtigsten  griechischen  und  lateinischen  Beweisstellen  für  nicht 
in  den   alten   Sprachen  bewanderte  Musikfreunde«   (Berlin,   1832). 

Hoffmanu,  Leopold,  s.  Hofmann. 

Hoffmauu,  Ludwig,  geschickter  deutscher  Tonkünstler,  geboren  am  27. 
Octbr.  1830  zu  Berlin,  machte  von  1848  bis  1851  seine  musiktheoretischen 
Studien  auf  der  königl.  Akademie  der  Künste  daselbst  unter  A.  W.  Bach  und 
Ruugenhagen  und  erhielt  für  wohlgelungene  Arbeiten  die  grosse  silberne  Me- 
daille. Er  war  hierauf  seit  1853  mehrere  Jahre  hindurch  als  Kapellmeister 
an  verschiedenen  Stadttheatern  thätig  und  führte  als  solcher  1855  in  Stettin 
seine  zweiaktige  Oper  »Das  Wirthshaus  am  Kyffhäuser«  auf.  Im  J.  1858 
übernahm  er  die  Stelle  als  Dirigent  des  Musikvereins  und  der  Liedertafel  in 
Bielefeld,  leitete  die  grossen  Abonnementsconcerte  daselbst  mit  Auszeichnung 
und  wurde  1862  zum  königl.  Musikdirektor  ernannt.  Von  1864  bis  1868,  in 
welcher  Zeit  er  in  Dresden  lebte  und  den  dortigen  Neustädter  Gesangverein 
dirigirte,    trat  er  besonders  auch  als  Componist    hervor    vind  machte    ßich  vor- 


264  Hoftmann  —  Hoffmeister. 

züglich  durch  ein  Sextett  für  Blasinstrumente  und  ein  Streichquartett  in  D-dur 
rühmlichst  bekannt.  Im  letztgenannten  Jahre  siedelte  H.  nach  Berlin  über, 
wo  er,  als  Gesanglehrer  an  einer  höheren  Töchterschule,  sowie  am  Friedrich- 
Wilhelms  -  Gymnasium ,  als  Lehrer  der  musikalischen  Theorie  am  Schwantzer'- 
schen  Institute  und  von  Privatunterricht  stark  in  Anspruch  genommen,  gegen- 
wärtig überwiegend  pädagogisch  wirkt.  Seit  1870  wurde  er  auch  immer  von 
Neuem  zum  zweiten  Vorsitzenden  des  Berliner  Tonkünstlervereins  gewählt.  — 
H.'s  gedruckte  Compositionen  bestehen  in  trefflichen  Kammermusikwerken,  sehr 
sinnigen  ein-  und  mehrstimmigen  Gesängen  und  Ciaviersachen.  Im  Manuscript 
befinden  sich  viele  geistliche  Werke. 

Hofl'niauii,  Martin,  berühmter  Saiten-Instrumentcnmacher,  besonders  auch 
von  Lauten,  die  in  ganz  Deutschland  geschätzt  waren,  lebte  zu  Ende  des  17. 
und  im  ersten  Viertel  des  18.  Jahrhunderts  zu  Leipzig,  woselbst  er  1725  starb. 
—  Von  seinen  Söhnen  betrieb  der  ältere,  Johann  Christian  H.,  den 
Lautenbau  mit  Glück  weiter,  während  der  jüngere  Violinen  und  Gamben 
fertigte. 

Hon'mauu,  Richard,  vortrefilicher  Pianist  und  Componist  für  sein  In- 
strument, geboren  1828,  lebt  in  New-York  und  wird  dort  den  besten  Virtuosen 
zugezählt.     Er  hat  viel  im  modernen,  eleganten   Style  componirt. 

Holfmauu,  Sophie,  deutsche  Sängerin  und  Gesanglehrerin,  geboren  1803 
zu  Berlin,  ward  daselbst  im  Louisenstifte  erzogen  und  erhielt,  da  sie  Gesangs- 
talent zeigte,  mit  der  nachmaligen  Sängerin  Henriette  Carl  bei  der  königl. 
Sängerin  Schmalz  Unterricht.  Im  J.  1822  debütirte  sie  an  der  königl.  Oper 
und  wurde  engagirt.  Sie  sang  u.  A.  Aennchen  (Freiscliütz),  Tancred,  Zerline 
(Don  Juan),  Annius  (Titus),  Fatime  (Obcrou)  u.  s.  w.  Der  Wunsch,  die  Stufe 
der  Vollendung  als  Sängerin  zu  erreichen,  veranlasste  sie,  1831  ihr  Engage- 
ment aufzugeben  und  nach  Italien  zu  gehen,  wo  sie  unter  Francesco  Schira, 
weiterhin  unter  Eliodoro  Bianchi  studirte.  Sie  sang  hierauf  an  italienischen 
Bühnen  Mezzosopranparthien ,  die  ihre  Stimme  erheblich  schädigten,  so  dass 
sie  dem  Rathe  Pavesi's  folgte  und  ferner  nur  noch  in  Altrollen  auftrat.  Auf 
diesem  Gebiet  hatte  sie  1832  in  Venedig  und  Mailand  auch  bedeutenden  Er- 
folg, nicht  aber  in  Berlin,  wo  sie  1833  gastirte  und  nicht  wieder  engagirt 
wurde.  Sie  betrat  seitdem  nicht  mehr  die  Bühne  und  heirathete  den  Schau- 
spieler Alix,  von  dem  sie  sich  jedoch  bald  wieder  scheiden  Hess.  Seitdem 
widmete  sie  sich  der  Ertheilung  von  Gesangunterricht  und  starb  1852  an  einer 
Brustkraukheit  zu  Berlin. 

Hoffmayer,  deutscher  Tonkünstler,  lebte  zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts  in 
Wien.  Von  seiner  Composition  erschienen  1783  zu  Paris  sechs  Quartette  für 
Flöte,  Violine,  Viola  und  Bass. 

Hoffmeister,  Franz  Anton,  ehrenwerther  deutscher  Tonkünstler  und 
fruchtbarer  Componist,  geboren  1754  zu  Rothenburg  am  Neckar,  kam  mit 
vierzehn  Jahren  nach  Wien  und  studirte  dort  die  Rechte.  Die  Gelegenheit, 
viel  und  Gutes  zu  hören,  befestigte  seine  Neigung  zur  Musik  und  brachte  ihn 
nach  Vollendung  seiner  juristischen  Studien  zu  dem  Entschluss,  sich  ganz  der 
Tonkunst  zu  widmen,  welcher  er  seitdem  einen  bewunderungswürdigen  Fleiss 
und  Elfer  zuwandte.  Er  wurde  endlich  Kapellmeister  an  einer  der  Kirchen 
Wiens  und  gründete  eine  Buch-,  Kunst-  und  Musikalienhandlung  daselbst. 
Gegen  Ende  1798  machte  er  sich  von  Amt  und  Geschäft  frei  und  begab  sich 
auf  Reisen,  zunächst  nach  Pi*ag,  wo  er  u.  A.  sein  »Vater  unser«,  das  für  sein 
bestes  Werk  gilt,  im  Januar  1799  wiederholt  auö"ührte.  In  der  Aljsicht,  nach 
London  zu  gehen,  kam  er  in  Leipzig  an,  gefiel  sich  dort  aber  so,  dass  er  blieb 
und  gemeinschaftlich  mit  dem  Organisten  Kühnel  Ende  1800  das  berühmt  gewor- 
dene und  noch  jetzt  bestehende  Bureau  de  miisique  (s.  Peters)  errichtete. 
Obwohl  die  Geschäfte  von  Anfang  an  sehr  gut  gingen,  überliess  H.  doch  schon 
1805  seinen  Autheil  an  der  Handlung  seinem  Geschäftsgenossen  und  zog  sich 
nach  Wien  zurück,    wo    er    ausscbliesslich    der  Composition    lebte,    bis    er  am 


Hof  haimer  —  Hofmann.  265 

9.  Febr.  1812  den  ihn  schon  lange  peinigenden  asthmatisclien  Anfällen  erlag. 
—  H.  war  weder  ein  Mann  von  Genie,  noch  ein  tief  denkender  Tondichter, 
gleichwohl  war  sein  Styl  natürlich,  anmuthig,  brillant  und  leicht  eingänglich, 
so  dass  seine  Arbeiten  zahlreiche  Verehrer  fanden  und  eine  Zeit  lang  alle 
Kirchen  und  Concertsäle  erfüllten.  Seine  Fruchtbarkeit  in  allen  Musikgat- 
tungen und  für  fast  alle  Instrumente  gränzt  an  das  "Wunderbare,  denn  er  schrieb 
eine  Unmasse  von  Kirchenwerken,  neun  Opern  (darunter  der  überaus  beifällig 
aufgeführte  »Telemach«,  »Der  erste  Kuss«  u.  s.  w.) ,  mehrere  Sinfonien  und 
Concerte.  Dazu  kommen  allein  für  die  Flöte  156  Quartette,  96  Duette,  44 
Trios,  30  Concerte  und  18  Quintette,  für  Streichinstrumente  42  Quartette, 
18  Trios,  52  Duette,  für  die  verschiedensten  Soloinstrumente  Variationen  und 
Nocturnen,  endlich  andere  grössere  und  kleinere  Stücke  für  Orchester,  für  sechs- 
und  achtstimmige  Harmoniemusik  u..  s.  w.  Von  seinen  zuletzt  herausgekom- 
menen Arbeiten  wurden  besonders  die  Claviercompositionen  und  die  Maurer- 
lieder gut  aufgenommen.  Die  Partitur  seiner  Oper  »Telemach,  Prinz  von  Ithaka« 
befindet  sich  in  der  königl.  Bibliothek  zu  Dresden. 

Hofhaimer,  Paul  (oder  Johann  Paul),  grosser  deutscher  Orgelvirtuose 
und  der  gelehrteste  Componist  seiner  Zeit,  wurde  im  J.  1459  zu  Eadstadt  an 
der  Gränze  von  Steiermark  geboren.  Ohne  jemals  einen  Musiklehrer  gehabt 
zu  haben,  brachte  jpr  es  im  Orgelspiel  und  in  der  Composition  bis  zu  dem 
damals  höchst  erreichbaren  Grade.  Im  J.  1493  kam  er  als  Hofrausicus  und 
Organist  in  die  Dienste  Friedrich's  III.  in  Wien,  dem  Maximilian  I.  folgte, 
welcher  H.  besonders  hoch  schätzte  und  ihn  in  den  Adelsstand  erhob ,  worauf 
ihm  König  Ladislaus  von  Ungarn  1515  nach  einer  grossartigen  Aufführung 
im  Stephansdom  zu  Wien  den  Orden  vom  goldenen  Sporn  und  den  Rittei-- 
schlag  ertheilte.  Bald  darauf  zog  sich  H.  nach  Salzburg  zurück  und  starb 
daselbst  in  seinem  eigenen,  nach  ihm  benannten  Hause  im  J.  1537.  An  seinem 
Orgelspiel  wurde  die  grosse  Gewandtheit  auf  dem  Manual  wie  auf  dem  Pedal 
und  seine  Fertigkeit  in  der  Durchführung  auch  der  schwersten  Themata  ge- 
rühmt. Seine  compositorischen  Arbeiten  halten,  nach  dem  Zeugniss  des  Lus- 
cinius,  immer  die  wahre  Mittelstrasse,  sind  correkt  und  bei  aller  tiefen  Gründ- 
lichkeit dennoch  stets  gefällig,  blühend  und  grossartig  stylisirt.  Er  setzte  viele 
Kirchenstücke,  Choräle,  die  Oden  des  Horaz,  Lautenstücke,  drei-,  vier-  und 
fünfstimnüge  canonische  und  contrapunktische  Gesänge  u.  s.  w.,  von  welchen 
die  Wiener  Hofbibliothek  fünf  handschriftliche  Quartbände  besitzt.  Im  Uebrigen 
findet  sich  überaus  selten  von  ihm  etwas  vor.  Er  entwarf  auch  nach  eigenen 
Grundsätzen  feste  Regeln  für  die  Setzkunst.  Sein  Ruhm  drang  sogar  ins  Aus- 
land und  selbst  von  entfernten  Ländern  kamen  Viele  nach  Wien,  um  den  ausser- 
ordentlichen Meister  zu  hören  und  seinen  Unterricht  zu  geniessen.  Als  die 
bedeutendsten  seiner  Schüler  nennt  man:  Argentin  von  Bern,  Johann  Buschner 
aus  Constanz,  Johannes  Coloniensis  am  sächsischen  Hofe,  Conrad  aus  Speier, 
Johann  Kotter,   Schachingerus  von  Padua  und  Wolfgangus  aus  Wien. 

Hofmanu,  Orgel-  und  Instrumentenmacher  zu  Gotha,  erfand  1779  einen 
Doppelfiügel,  auf  welchem  auf  jeder  der  beiden  Seiten  sich  je  zwei  Claviere 
befanden,  so  dass  vier  Spieler  zugleich  auf  dem  Instrumente  spielen,  alle  vier 
Claviere  aber  auch  für  einen  Spieler  gekoppelt  werden  konnten.  Der  Herzog 
von  Sachsen-Gotha  erwarb  dies  Instrument,  welches  später  vielfach  nachge- 
ahmt wurde. 

Hofmaiin,  Auguste,  geborene  Gassner,  eine  vorzügliche  Pianistin,  ge- 
boren am  3.  Octbr.  1826  zu  Wien,  war  eine  Schülerin  Bocklet's  und  erwarb 
sich,  obwohl  sie  die  Musik  nicht  berufsmässig  trieb,  einen  ausgezeichneten 
Namen  im  lokalen  Umkreise.  Leider  starb  sie  schon  am  5.  März  1855 
zu  Wien. 

Hofmann,  Christian,  deutscher  Tonkünstler,  geboren  in  Guben  in  der 
zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts,  war  Cuntor  in  Crossen  und  gab  eine 
kurzgefasste  »Anweisung  zur  Singkunst«  heraus. 


266  Hofmann. 

Hofinann,  Heinrich,  talentvoller  und  hervorragender  Componist  der  Gegen- 
wart, geboren  am  13.  Jan.  1842  zu  Berlin,  wurde  mit  neun  Jahren  in  den 
königl.  Domchor  aufgenommen  und  machte  seine  höhex'en  musikalischen  Studien 
von  1857  an  im  Clavicrsjncl  bei  Th.  Kullak,  in  der  Compositiouslehre  bei 
S.  "W.  Dehn  und  E.  "Wüerst.  Hierauf  trat  er  häufig  als  Concertspieler  und 
1863  auch  in  einem  eigenen  Cuncerte  auf,  wirkte  hauptsächlich  als  Musiklehrer 
und  schrieb  zahlreiche  kleinere  Claviercompositionen.  Der  glückliche  Erfolg 
seiner  einaktigen  Oper  »Cartouche«,  1869  in  Berlin  und  dai-auf  in  vielen  an- 
deren deutscheu  Städten  sehr  erfolgreich  gegeben,  bestimmte  H.,  sich  aus- 
schliesslich der  Composition  zu  widmen ,  und  nun  entstand  seine  ungarische 
Suite  op.  16,  welche  von  allen  grösseren  Orchestern  unter  aussergewöhnlichem 
Beifall  ausgeführt  wurde  und  sogar  in  Amerika  eine  glänzende  Aufnahme  fand. 
Nicht  minder  bedeutend  war  der  Erfolg  seiner  Frithjof-Sinfouie,  op.  22,  ebenso 
in  den  Gesangvereinen  seines  geist-  und  humorsprühenden  Charapagnerliedes 
für  Männerchor  und  Orchester,  op.  17,  und  so  ist  es  erklärlich,  dass  gegen- 
wärtig die  Blicke  der  gesammten  deutschen  Musikwelt  mit  Spannung  auf  dieses 
mächtig  emporstrebende  künstlerische  Talent  gerichtet  sind,  nach  dessen  Ar- 
beiten die  angesehensten  Verlagsfirmen  fahnden.  Die  neueste  grosse  Compo- 
sition H.'s  ist  das  »Märchen  von  der  schönen  Melusine«,  Gedicht  von  W.  Oster- 
wald,  für  Soli,  Chor  und  Orchester,  op.  30.  Sonst  sind  „von  ihm  erschienen 
eine  Schauspielouvertüre,  ungarische  Tänze  und  Charakterstücke  für  Orchester, 
ein  Ciaviertrio,  Streichsextett,  mehr-  und  einstimmige  Gesänge,  zwei-  und  vier- 
händige Ciavierstücke  u.  s.  w.  In  allen  seinen  Werken  ist  H.  ersichtlich  be- 
strebt, unter  Wahrung  der  classischen  Form  einen  bedeutenden  Inhalt  zu  ent- 
wickeln, und  dies  erklärt  die  glänzende  Aufnahme  derselben. 

Hofmauu,  Johann  Christian,  vortrefilichor  Oboevirtuose,  geboren  1743 
zu  Rinteln,  war  Oboist  in  einem  Militär -Musikcorps  in  Kassel  und  kam  von 
dort  um  1766  nach  Weimar,  wo  er  ein  Schüler  des  berühmten  Barth  wurde 
und  dessen  INEanier  sich  aneignete.  Nach  seines  Lehrers  Abgange,  im  J.  1770, 
trat  H.  als  Kammermusicus  und  ei'ster  Oboist  in  dessen  Stelle.  Er  scheint 
Ende  des  18.  Jahrhunderts  gestorben  z'U  sein  und  hinterliess  den  Ruf  eines 
ausnehmend  fertigen  Bläsers. 

Hofmauu,  Karl  Eduard,  Musikpädagog  und  Componist,  geboren  1797 
zu  Dürrhennersdorf  bei  Löbau  in  der  Oberlausitz,  erhielt  seine  erste  musi- 
kalische Ausbildung  von  seinem  Vater  im  Orgel-  und  Pianofortespiel,  besuchte 
das  Lyceum  zu  Löbau  und  wurde  Chorpräfect  daselbst.  Im  J.  1813  kam  er 
nach  Prag  und  genoss  unentgeltlich  den  Unterricht  des  Altmeisters  W.  Toma- 
schek,  der  ihn  im  J.  1816  dem  Fürsten  Paar  zu  Wien  als  Musiklehrer  em- 
pfahl. Im  J.  1820  kehrte  H.  nach  Prag  zurück  und  wirkte  daselbst  als  gründ- 
licher Ciavierlehrer  bis  zu  seinem  Ende,  am  24.  Novbr.  1860.  Aus  seiner 
Schule  ist  eine  Reihe  vorzüglicher  Schüler,  von  denen  sich  einige  grossen  Ruf 
erworben,  hervorgegangen,  so  J.  Pischek  (auch  als  tüchtiger  Pianist  geschätzt), 
Ed.  Hanslik,  Jul.  Benoni,  Wilh.  B.  Mayer,  Jos.  Poliner,  dann  die  Damen  Mila 
Zadrobilek  aus  Heidelberg,  Marie  Pisarovic  u.  s.  w.  Als  er  in  Wien  verweilte, 
machte  er  sich  mit  L.  v.  Beethoven  bekannt  und  arrangirte  dessen  zweite  und 
dritte  Sinfonie  (erschienen  bei  Simrock  in  Bonn),  sodann  auch  dessen  fünfte 
Sinfonie  (bei  Breitkopf  und  Härtel)  zu  acht  Händen.  Diese  vortrefflichen 
Arrangements  erregten  selbst  die  Aufmerksamkeit  Mendelssohn's,  der  H.  zur 
vierhändigen  Bearbeitung  seines  »Elias«  vorschlug.  H.  lieferte  ausserdem  viele 
achtbändige  Ouvertüren-Arrangements,  z.  B.  Don  Juan,  Cosl  fan  tutte,  Fidelio, 
Oberen,  Lodoiska,  Meergeuse  von  Fr.  Skroup,  Ouvertüre  über  slavische  Me- 
lodien von  E.  Tittl,  einen  Ciavierauszug  des  Tomaschek'schen  Requiems  in  C-moll 
mit  Singstimmen;  dann  arrangirte  er  vierhändig  die  Tomaschek'schen  Ouvertüren 
in  ^s  und  zur  Oper  »Seraphine«.  Ausser  diesen  Arrangements  componirte  er 
mehrere  Liederhefte,  einen  Trauermarsch,  ein  Vater  unser  für  eine  Singstimmc 
mit   Orgelbegleitung    und    hinterliess    eine  »Vierhändige    Ciavierschule«.     Zahl- 


Hofniami  —  Hogaz.  267 

reiche  musikalische  Beiträge  von  ihm  enthält  die  Zeitschrift  »Hylos«.  Seine 
noch  jetzt  in  Prag  lebende  Wittwe  ist  im  Besitz  seiner  ungedruckt  gebliebenen 
Arbeiten.  M — s. 

Hofmaun,  Leopold  (nicht  Hoffmann),  deutscher  Tonkünstler  und  Com- 
ponist,  geboren  im  J.  1738  zu  "Wien,  erhielt  eine  vortreffliche  musikalische 
Ausbildung,  so  dass  er  schon  um  1760  einen  bedeutenden  Ruf,  besonders  als 
Instrumentalcomponist  besass.  Im  J.  1764  wurde  er  zum  Kapellmeister  der 
Metropolitankirche  St.  Stephan  und  zum  kaiserl.  Hofcomponisten  ernannt  und 
starb  als  solcher  am  17.  März  1793  zu  Wien.  Wie  der  ihm  im  Tode  voran- 
gegangene Mozart  ruht  er  auf  dem  St.  Marxer  Friedhof.  Von  H.'s  vielen 
Werken  sind  befremdlicher   Weise  nur  wenige  gedruckt. 

Hofiuaun,  Melchior,  deutscher  Compouist  und  geschickter  Dirigent,  ge- 
boren in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts,  war  als  Kapellknabe  in 
Dresden  unter  dem  Direktor  J.  C.  Schmid  erzogen  worden  und  wurde  1704 
als  Nachfolger  Telemann's  Musikdirektor  an  der  neuen  Kirche,  an  der  Thomas- 
schule, sowie  auch  an  der  Oper  zu  Leipzig.  Ort  und  Jahr  seiner  Geburt  wie 
seines  Todes  sind  unbekannt.  Das  öffentliche  Concert  und  die  Oper  in  Leipzig, 
für  die  er  auch  componirte,  gelangten  unter  seiner  Leitung  zu  Ruf  und  Ruhm. 
Im  J.  1710  reiste  er  nach  London  und  kehrte  erst  1712  nach  Leipzig  zurück. 
Von  seinen  Werken  kennt  man  nur  die  Titel  zweier  als  sehr  gefällig  gerühmten 
Opern,  »Acontius  und  Cidippe«  und  »Rhea  Sylvia«,  letztere  1720  auch  in 
Hamburg  aufgeführt;  Gerber  führt  noch  als  Manuscripte  ein  Kyrie  und  einen 
vollständigen  Jahrgang  von  Sonntags-  und  Festgesängen  an.  —  Ein  später 
lebender  Michael  H.  machte  sich  seit  1764  als  Sinfoniencomponist  bekannt. 

Hofmeister,  Friedrich,  angesehener  deutscher  Musikverleger,  geboren  im 
J.  1781 ,  begründete  am  19.  März  1807  zu  Leipzig  das  zu  Bedeutung  heran- 
gewachsene Musikaliengeschäft,  welches  noch  jetzt  seinen  Namen  trägt.  Er 
übertrug  1852  die  Fortführung  desselben  seinen  beiden  Söhnen,  von  denen  der 
ältere,  Adolph  H.,  der  verdienstvolle  Herausgeber  der  grossen  Handbücher 
der  musikalischen  Literatur,  die  ein  unentbehrliches  Nachschlagewerk  für  jeden 
Musikalienhändler  und  Kunstforscher  bilden,  am  26.  Mai  1870  in  Leipzig  starb. 
Der  jüngere  Bruder  desselben,  Professor  Dr.  Wilhelm  Friedrich  Benedict 
H.  in  Heidelberg,  ist  gegenwärtig  der  alleinige  Besitzer  der  Handlung. 

Hofmeister,  Reinhold,  Organist  in  Aschersleben,  war  einer  der  53  im 
J,  1596  zur  Prüfung  der  neuen  Schlossorgel  zu  Grüningen  bei  Halberstadt 
berufenen  Organisten  Deutschlands.  In  der  nach  dem  Alter  geordneten  Reihen- 
folge war  er  der  18.     Vgl.  Werkmeister's   Org.  Gruning.  recliv.  §.   11.  f 

Hofstetter,  Pater  Romanus,  deutscher  Gottesgelehrter  und  Instrumental- 
componist von  Ruf,  war  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  Geistlicher  im 
Kloster  Amorbach  bei  Miltenberg  und  starb  1785.  Seine  Ciavierquartette  und 
Ciaviertrios  waren   zu  ihrer  Zeit  weithin  bekannt  und  beliebt. 

Hogarth,  George,  englischer  Musikgelehi'ter ,  geboren  im  J.  1784  zu 
London,  war  Secretär  der  philharmonischen  Gesellschaft  daselbst  und  ist  der 
Verfasser  einer  werthvollen  Geschichte  der  Oper  in  Italien,  Frankreich,  Deutsch- 
land und  England,  die  unter  dem  Titel  »Wusical  hiography  and  criticism  et 
memoirs  of  tlie  operav  erschien  und  die  dramatische  Musik  von  ihren  Anfängen 
bis  zum  J.  1851  behandelt.  H.  starb  am  19.  Febr.  1870  zu  London.  Er 
war  der  Schwiegervater  des  berühmten  Charles  Dickens,  sowie  der  Schwager 
des  Dichters  George  Thompson  in  Edinburg,  dessen  schottische  Lieder  einst 
Beethoven  zusammenstellte  und  componirte. 

Hogaz,  der  Name  einer  der  fünf  Provinzen  Arabiens,  ist  in  der  Fach- 
sprache der  Musik  der  Perser  der  Name  einer  der  zwölf  Makamat's  (s.  d.); 
wahrscheinlich  wurde  in  jener  Provinz  diese  Tonart  erfunden  oder  zuerst  am 
meisten  gepflegt.  Die  Grundklänge  der  H.  genannten  Klangart  sind  ungefähr 
folgenden  unseres  Musiksystems  gleich: 


268  Hoheuthal  --  Hohlfeld. 

1        3       5        8      10     13      15      18 


:^t^=:2S- 


11 


Die  über  den  Noten  stehenden  Ziffern  geben  genau  die  wirkliche  Grosso  der 
Intervalle  nach  den  Grundregeln  der  persischen  Kunst:  die  Octave  wird  in  18 
gleiche,  kleinste  Intervalle  getheilt;  aus  einer  Anzahl  solcher  können  alle 
grösseren  Intervalle  nur  zusammengesetzt  sein.  Die  Klänge  der  oben  ange- 
gebenen Normalleiter  der  Makamat  H,  können  in  der  oberen  Quinte  in  vier- 
facher Weise  verändert  werden,  was  durch  die  Einschiebung  noch  eines  Grund- 
klanges gefordert  wird;  die  Töne  der  unteren  Quarte  sind  jedoch  feste.  Am 
klarsten  mag  dies  die  Aufzeichnung  der  Veränderungen  durch  Zahlen  in  oben 
angegebener  Bedeutung  darthun: 

I.  Veränderung:     1.     3.     5.     8.     10.     12.     14.     15.     18. 
IL  „  1.     3.     5.     8.     11.     13.     15.     17.     18. 

III.  „  1.     3.     5.     8.     10.     13.     15.     17.     18. 

IV.  „  1.     3.     5.     8.     10.     11.     14.     IG.     18. 

0. 

Hoheuthal,  Elise  Gräfin  von,  geborene  Ehrhardt,  deutsche  Sängerin 
von  l)edeutendera  Ruf,  geboren  1804  zu  Wien,  erhielt,  da  sie  mit  vortrefflichen 
Stimmmittelu  und  einem  anziehenden  Aeusseren  begabt  war,  ihre  musikalische 
Ausbildung  zu  Wien  und  wurde  am  dortigen  Hofoperntheater  engagirt.  Auf 
Gastspielreisen  besuchte  sie  Prag  und  Dresden  und  war  bis  zu  ihrer  Verhei- 
rathung  mit  dem  musikliebenden  Grafen  von  Hoheuthal,  im  J.  1828,  in 
Leipzig  engagirt.  Seitdem  ist  sie  nicht  mehr  öffentlich  aufgetreten.  Von 
ihrem  Gatten  brachte  die  »Leipz.  Allgem.  musikal.  Zeitung«  1831  mehrere 
historische  Artikel,  aus  Burney's  Reisebericht  gezogen,  und  1835  einen  Nekrolog 
auf  den   Sänger  Benincasa. 

Hoheufels,  Burkhard  von,  s.  Burkhard. 

Hohenzollern-Hechiugrcu,  s.  Friedrich  Wilhelm  Constantin,  Fürst 
von   Holienzollern-Hechingen. 

Hohe  Stiunueu  (in  der  Orgel)  sind  im  Allgemeinen  alle  Manualstimmcn 
unter  2,5  Meter  und  alle  Pedalstimmen  unter  5  Meter.  Denn  da  2,5  Meter 
für  jene  und  5  Meter  für  diese  die  rechte  Tonhöhe  haben,  so  sind  alle  an  der 
Zahl  kleineren   Stimmen  hohe  und  an  Zahl  grössere  tiefe  Stimmen. 

HohlleM,  Johann,  Mechanicus  zu  Berlin,  geboren  1711  zu  Hennersdorf 
in  Sachsen  und  gestorben  1771  in  Berlin,  war  in  jungen  Jahren  Posamentir- 
gehülfe  und  hielt  sich  als  solcher  schon  längere  Zeit  in  der  preussischen  Resi- 
denz auf,  ohne  allgemeiner  bekannt  zu  sein.  Geistige  Regsamkeit  jedoch  und 
ein  seltenes  Talent  zur  Mechanik,  welche  ihn  trieben,  seine  Fertigkeit  zu  ver- 
werthen,  machten  ihn  bekannter  und  führten  ihn  bei  der  Begründung  eines 
eigenen  Hausstandes  zu  einer  entsprechenden  Aenderung  seines  Berufs.  Diese 
Berufswahl  veranlasste  oder  wurde  veranlasst  durch  die  Bekanntschaft  H.'s  mit 
mehreren  Mitgliedern  der  Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin,  als  Eni  er 
(s.  d.)  und  Sulzer  (s.  d.),  die  ihm  sehr  zugethan  waren.  Sulzer  gab  sogar 
H.  einige  Zeit  freie  Wohnung  in  seinem  Hause.  Dies  lässt  vermuthen,  dass 
entweder  H.  sich  zu  besonderen  mechanischen  Ausführungen  diesem  Gelehrten 
ganz  zu  Diensten  stellte,  oder,  was  wahrscheinlicher  ist,  dass  der  Beruf  eines 
Mechanikers  H,  nicht  nährte  und  Sulzer  ihm  seiner  mechanischen  Strebsamkeit 
wegen  über  einige  drangvolle  Lebenstage  mit  hinweghalf.  Gleiche  Gründe 
wird  der  mehrjährige  Aufenthalt  H.'s  auf  dem  gräflich  Podewil'schen  Ritter- 
gute in  der  Nähe  Berlins  gehabt  haben,  welcher  mit  dem  Brande  desselben, 
1757,  endete.  Zwei  seiner  mechanischen  Construktioncn  haben  eine  Zeit  lang 
allgemeiner  in  Kreisen  von  Tonkünstlern  und  Laien  Beachtung  gefunden  und 
H.  eine  Stelle  in  der  Musikgeschichte  eingetragen.     Die  erste  war  die  Ferti- 


Hohlflöte  —  Hohmaun.  269 

gung  einer  Improvisirmascliine,  d.  h.  einer  Maschine,  welche  die  Töne, 
die  ein  Ciavierspieler  hervorbi'iugt,  sofort  notirt.  Ueber  die  Einrichtung 
derselben  unterrichtet  der  Specialartikel,  Ein  gewisser  Creed  zu  London  (1747) 
und  J.  F.  Unger  zu  Eimbeck  (1751)  hatten  über  eine  solche  Maschine  zwar 
geschrieben,  aber  keine  Ausführung  derselben  bewerkstelligt.  Durch  Euler  mit 
diesen  Beschreibungen  bekannt  geworden,  machte  H.  sich  sofort  an  die  Ferti- 
gung derselben  und  legte  sie  1752  der  Akademie  zur  Prüfung  vor.  Die 
Akademie  fand  sich  jedoch  nicht  veranlasst,  dieselbe  als  vollkommen  zu  er- 
achten, sondern  stellte  sie  H.  wieder  zurück  und  überantwortete  demselben 
dabei  25  Thaler  als  elirende  Anerkennung  seiner  Bestrebung.  Diese  Maschine, 
welche  H.  bis  an  sein  Lebensende  bewahrte ,  erwarb  nach  seinem  Tode  die 
Akademie  käuflich;  nach  einer  anderen  Nachricht  ist  sie  1757  mit  verbrannt. 
Die  zweite  allgemeiner  bekannt  gewordene  That  H.'s  war  die  Verbesserung  der 
Ciaviergambe,  welche  er  Bogenflügel  (s.  d.)  nannte.  Im  J.  1753  führte  er 
diese  Erfindung  bei  Hofe  der  Königin -Mutter  vor,  wobei  Phil.  Eman.  Bach 
das  Instrument  spielte.  In  Folge  dessen  erhielt  H.  später  vom  König 
Friedrich  II.  eine  Gnadenpension,  die  er  von  1765  au  bis  zu  seinem  Lebens- 
ende bezog.  t 

Hohlflöte,  auch  Hohlpipe  und  Tbun flöte,  nennt  man  eine  Manual- 
und  Labialstimme  der  Orgel,  welche  in  früherer  Zeit  meist  nur  1,25  metrig 
gebaut  wurde.  Deshalb  eutstaud  für  diese  Stimme,  wurde  sie  nur  0,6  metrig 
gefertigt,  der  Name  Kleinhohlflöte,  der  in  älteren  Schriften  oft  mit  Nacht- 
horn  und  Waldhorn  verwechselt  wurde.  In  neuerer  Zeit  wird  dieselbe  am 
häufigsten  1,25-  und  2,5  metrig  ausgeführt  und  trägt  dann  immer  den  Namen 
H.;  sehr  selten  findet  man  sie  5  metrig  im  Pedal,  wo  sie  dann  wohl  die  Be- 
nennung Gross-Hohl flöte  erhält.  Die  kleinste  Bauart  dieser  Orgelstimme 
fürs  Pedal,  0,6-  und  0,3  metrig,  trägt  den  Namen  Kleinflötbass.  Noch  ist 
in  Bezug  auf  die  Benennung  dieser  Stimme  hier  anzuführen,  dass  Biermann 
in  seinem  Werke  S.  5  für  dieselbe  die  Namen  Subbass  und  Thunbass, 
und  Prätorius  S.  132  Koppel  als  gebräuchlich  aufführt.  Auch  Füllstimraen 
(s,  d.)  von  dieser  Bauart  findet  man  mehrerlei  unter  besonderen  Namen  in 
Gebrauch.  So  heisst  dieselbe,  1,67  metrig  ausgeführt,  im  Manuale:  Hohl- 
quinte;  3,35 metrig  gebaut,  im  Pedal:  Gross-Hohlquinte;  und  0,4metrig 
gefertigt:  Quint-Flöte.  —  Alle  Variauten  der  H.  nun  erhalten  offene  Pfeifen 
mit  etwas  weiterer  Mensur  und  sind  deshalb  von  etwas  kürzerer  Bauart,  als 
die  der  gewöhnlichen  Prinzipalstimmen;  auch  am  Labium  (s.  d.)  erhalten  die 
Pfeifen  einen  engeren  Aufschnitt.  Derselbe  wird  nur  so  hoch  bemessen,  dass 
eben  keine  Schärfe  im  Klange  hervortritt.  Ursprünglich  baute  man  die  Pfeifen 
der  H.  cylindrisch.  TJm  jedoch  der  H.  den  charaktervollen  Ton  zu  verleihen, 
giebt  man  jetzt  oft  den  Pfeifen  dieser  Stimme  die  Form  der  Gemshornpfeifen, 
die  Schallröhre  nach  oben  hin  enger  verlaufen  lassend.  Die  Pfeifen  findet  man 
sowohl  aus  Holz  wie  auch  aus  Metall  gefertigt,  doch  ist  ersteres  das  geeignetste 
und  meist  angewandte  Material.  Zuweilen  suchen  auch  Orgelbauer  die  tieferen 
Töne  der  H.  mittelst  gedeckter  Pfeifen  hervorzubringen,  was  aber  durchaus 
zu  verwerfen  ist,  da  dadurch  ein  Theil  dieser  Orgelstimme  eine  diesem  Register 
fremde  Klangfarbe  erhalten  muss.  2. 

Holilquiute  oder  Quintflöt,  ist  in  Bauart  und  Klang  gleich  der  Hohl- 
flöte (s.  d.),  nur  dass  sie  als  Nebenstimme  zu  1,9  Meter,  0,9  Meter  und  0,45 
Meter  gebaut  wird. 

Hohlsclielle,  veralteter  Name  für  Quintatön  (s.  d.). 

Hohmaun,  Christian  Heinrich,  deutscher  musikalisch -pädagogischer 
Schriftsteller,  geboren  am  7.  März  1811  zu  Niederwern  bei  Schweinfurt,  erhielt 
Unterricht  auf  Ciavier  und  Orgel  theils  von  seinem  Vater,  einem  Schullehrer, 
theils  von  dem  Organisten  Stepf  in  Schweinfurt.  Auch  Violine  und  andere 
Orchesterinstrumente  spielte  er  schon  frühzeitig,  trieb  aber  mit  Vorliebe  theo- 
retische Musikstudien,     Nachdem    er    die    höhere  Bürgerschule    in  Schweinfurt 


270  Hohustock  —  Holbeiu 

durchlaufen  hatte,  bereitete  er  sich  für  das  Lehramt  vor,  wurde  sehr  jung  noch 
Hülfslehrer  zu  Reichenberg  bei  Würzburg  und  besuchte  von  1830  bis  1832 
das  Seminar  zu  Altdorf.  Im  J.  1833  übernahm  er  selbst  die  verschiedenen 
Zweige  des  Musikunterrichts  an  diesem  Seminare,  bis  er  1843  als  Musik-  und 
Rechenlehrer  an  das  neu  errichtete  Schullehrer-Seminar  in  Schwabach  versetzt 
wurde.  Seinen  Ruf  als  musikalischer  Schriftsteller  begründete  er  durch  seinen 
praktischen  Lehrgang  für  den  Gesangunterricht  in  Volksschulen,  sowie  durch 
seine  Violin-  und  Clavierschule ,  d«rei  "Werke,  die  den  gewiegten  Lehrer  ver- 
rathen  und  mehrfach  neu  aufgelegt  worden  sind.  Ganz  vorzüglich  ist  aber  sein 
»Lehrbuch  der  musikalischen  Composition,  nach  pädagogischen  Grundsätzen 
bearbeitet«  (2.  Aufl.,  Altdorf,  1849;  3.  Aufl.  in  2  Bdn.,  Altdorf,  1856  und  1857), 
welches  klares  Wissen  und  selbstständiges  Denken  bekundet  und  einen  neuen, 
eigenartigen  Lehrgang  einschlägt. 

Hohustock,  Karl,  trefilicher  Componist,  sowie  guter  Ciavier-  und  Violin- 
spieler, geboren  1828  in  Braunschweig,  stammt  aus  einer  sehr  musikalischen 
Familie  und  machte  schon  um  1846  grössere  Concertreisen.  Von  1848  bis 
1860  wirkte  er  in  Philadelphia  als  hochgeschätzter  Musiklehrer  und  erhielt  von 
der  dortigen  Universität  die  Doctorwürde.  Hierauf  kehrte  er  in  seine  Heimath 
zurück  und  lebte  privatisirend  in  Blaukenburg,  sodann  und  noch  gegenwärtig 
in  Braunschweig.  Er  schrieb  Sinfonien,  Ouvertüren,  Ciavier-  und  Violinconcerte, 
sowie  grössere  und  kleinere  Vocalwerke,  veröfi'entlichte  aber  nur  sehr  wenig, 
obwohl  seine  im  Druck  ei'schienene  Coucertouvertüre  und  Sonate  für  Pianoforte 
und  Violine  von  einem  aussergewöhnlichen  Compositionstalent  deutlich  Rechen- 
schaft ablegten.  —  Seine  Schwester,  Adele  H.,  war  eine  vorzügliche  Pia- 
nistin, die  in  Concerten  zu  Paris  und  Hamburg  1848  durch  ihr  Spiel  Auf- 
sehen machte. 

Heinrich,  Adam  Sigismund,  bedeutender  deutscher  Trompetenvirtuose, 
starb  um  1737  als  Stadttrompeter  zu  Breslau.  Er  war  auch  als  Componist 
zu  seiner  Zeit  rühmlich  bekannt. 

Hol,  Richard,  einer  der  hervorragendsten  holländischen  Componisten  der 
Gegenwart,  geboren  um  1840  zu  Utrecht,  ist  Dirigent  der  städtischen  Concerte 
seiner  Vaterstadt.  Durch  Sinfonien  und  andere  grosse  Orchesterwerke  (Ein- 
leitung zur  Legende  vom  fliegenden  Holländer,  »Erklärung«  u.  s.  w.),  sowie 
durch  Vocalcompositionen  hat  er  sich  auch  in  Deutschland  einen  geachteten 
Namen  erworben. 

Holbach,  Paul  Heinrich  Dietrich,  Baron  von,  geistvoller  materia- 
listischer Philosoph  und  Schriftsteller,  der  Sohn  eines  reichen  Emporkömmlings, 
geboren  um  1723  zu  Heideisheim  in  der  bairischen  Pfalz,  kam  in  früher 
Jugend  nach  Paris,  wo  er  bis  an  seinen  Tod,  am  21.  Juni  1789,  im  ange- 
nehmsten Lebensgenuss,  aber  ununterbrochen  arbeitsam,  lebte.  Unter  seinen 
Werken  befinden  sich  auch  zwei  musikalische  Streitschriften,  in  denen  er,  gleich 
J.  J.  Rousseau  und  Baron  Grimm,  im  Interesse  der  italienischen  die  franzö- 
sische Musikrichtung  bekämpft.  Es  sind  dies:  -oÄrret  rendu  ä  V ampldtheätre 
de  Vopera<i  (Paris,  1752)  und  »Lettre  ä  une  dame  sur  Vetat  present  de  Voperav. 
(Paris,  1752). 

Holbeiu,  Franz  Ignaz  von,  deutscher  Musiker,  Schauspieler,  Maler, 
Sprachmeister  und  dramatischer  Schriftsteller  von  ausgezeichnetem  Talent,  ge- 
boren 1779  zu  Zippersdorf  bei  Wien,  wurde  frühzeitig  bei  der  Lottodirektion 
in  Lemberg  angestellt,  folgte  aber  bald  seinem  Triebe  nach  Unabhängigkeit 
und  zog  unter  dem  Namen  Fontano  in  die  Welt.  Um  1797  lebte  er  als 
Musik-  und  Sprachlehrer  in  Berlin,  bis  er  1798  durch  Iffland  bei  dem  dortigen 
Theater  angestellt  wurde,  wo  er  besonders  als  Basssänger  gefiel.  Später  lebte 
er  als  Theaterdichter  in  Wien,  ging  dann  als  Sänger  und  Schauspieler  nach 
Regensburg  und  übernahm  endlich  nach  einander  die  Direktion  der  Bühnen 
von  Würzburg  und  Bamberg,  die  Regie  des  Theaters  in  Hannover  und  die 
Leitung  des  Theaters  in  Prag.     In  diesen  Stellungen  hatte  er  so  viel  Geschäfts- 


Holberg  —  Holländer.  271 

kenntniss  und  praktische  Einsicht  bewiesen,  dass  er  endlich  als  Direktor  des 
kaiserl.  Hofburgtheaters  nach  Wien  berufen  wurde.  Er  übernahm,  70  Jahre 
alt,  unter  schwierigen  Umständen  1849  sogar  noch  die  Direktion  des  dortigen 
Hofoperntheaters  und  starb  am  5.  Septbr.  1855.  Seine  Schrift  über  den 
Werth  musikalisch-theatralischer  Dichtungen  ist  auch  für  Tonkünstler  von  her- 
vorragendem Interesse. 

Holberg,  Ludwig,  Freiherr  von,  vortrefflicher  Violinvirtuose  und  gebil- 
deter Tonkünstler,  noch  bekannter  als  Schöpfer  der  neueren  dänischen  Lite- 
ratur, war  am  6.  Novbr.  1684  zu  Bergen  in  Norwegen  geboren,  studirte  in 
Kopenhagen  Theologie  und  wirkte  dann  als  Hauslehrer.  Durch  Sprachen-  und 
Musikunterricht  wusste  er  sich  so  viel  zu  erübrigen,  dass  er  nach  und  nach 
Holland,  Deutschland,  Frankreich  und  endlich  auch  England  besuchen  konnte, 
wo  überall  er  sich  auch  als  Violinspieler  mit  Beifall  hören  liess.  Seit  1718 
lebte  er  als  Professor  in  Kopenhagen  und  widmete  sich  dichterischen  und 
schriftstellerischen  Arbeiten,  die  ihm  wohlverdienten  Ruhm  und  Ehre  eintrugen 
und  mit  denen  er  sich  bleibende  Verdienste  um  die  dänische  Literatur  und 
Bühne  erworben  hat.  Im  J.  1747  in  den  Ereiherrnstand  erhoben,  starb  er 
am   27.  Jan.  1754  zu  Kopenhagen. 

Holcombe,  Heinrich,  englischer  Opernsänger  und  Vocalcomponist  des 
18.  Jahrhunderts,  wirkte  als  einer  der  Ersten  an  der  nationalen  Singbühne  zu 
London,  in  welcher  Stadt  er  im  J.  1756  gestorben  ist. 

Holden,  John,  britischer  Musikgelehrter,  gebürtig,  wie  es  scheint,  aus 
Schottland,  war  in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  Professor  an  der 
Universität  zu  Glasgow  und  veröffentlichte  die  bis  dahin  in  England  beste  und 
gründlichste  theoretische  Schrift,  betitelt:  y>Än  essay  toioards  a  rational  System 
of  musica  (Glasgow,  1770).  Dieselbe  behandelt  die  Elemente  der  praktischen 
Tonkunst  und  die  Theorie  der  Musikwissenschaft. 

Holder,  Joseph  "William,  guter  englischer  Orgel-  und  Ciavierspieler, 
sowie  Componist,  geboren  1765  zu  London,  war  Chorknabe  der  königl.  Kapelle 
und  machte  bei  seinem  Vater  tüchtige  musikalische  Studien,  Als  Organist 
fungirte  er  zuerst  an  der  Kirche  St.  George  the  martyr,  dann  in  einem  Orte 
der  Grafschaft  Suffolk,  nachdem  er  1792  Baccalaureus  der  Musik  in  Oxford 
geworden  war.  In  Essex  später  privatisirend ,  war  er  1824  noch  am  Leben. 
Er  hat  viele  Kirchenstücke,  Ciaviersachen  und  Gesänge  componirt. 

Holder,  "William,  gelehrter  englischer  Contrapunktist  und  Kirchencom- 
ponist,  geboren  1614  in  der  Grafschaft  Nottingham,  war  Doctor  der  Theologie, 
Canonicus  und  Subdiaconus  der  königl.  Kapelle,  der  sich  die  Verbesserung  des 
Kirchengesanges  in  seiner  Parochie  sehr  angelegen  sein  liess.  Er  starb  1697 
zu  London.  In  Tudway's  Collection  befinden  sich  vier  sehr  beachtenswerthe 
Anthems  von  ihm.  Burney  loht  seine  yyJElements  qf  speecha  (1669)  als  lehrreich 
für  Vocalcomponisten,  und  seine  r>Tredtise  of  the  natural  grounds  and  principles 
of  harmonyv.  (London,  1694;  weitere  Aufl.  1701  und  1734)  hatte  auch  einen 
bedeutenden  äusseren  Erfolg. 

Hole,  John,  s.  Hoyle. 

Holfeldt,  auch  mitunter  Hohlfeld  geschrieben,  ausgezeichneter  Contra- 
bassvirtuose, war  1738  in  der  Herrschaft  Schluckenow  in  Böhmen  geboren. 
Eür  den  Kaufmannsstand  bestimmt,  aber  in  seinen  Geschäften  nicht  vom  Glück 
begünstigt,  nahm  er  mit  dem  grössten  Eifer  die  Uebungen  auf  dem  Contrabass 
wieder  auf  und  reiste  1765  nach  Paris,  wo  er  im  Orchester  der  Grossen  Oper 
Anstellung  erhielt  und  sich  öfter  sehr  erfolgreich  als  Solist  hören  liess.  Im 
J.  1774  musste  er  nach  Böhmen  zurückkehren,  um  die  Handlungsgeschäfte  seines 
Vaters  zu  übernehmen.  Reichardt,  der  ihn  1775  ein  Concert  spielen  hörte, 
spricht  mit  Bewunderung  von  dieser  Leistung.  H.'s  Todesjahr  ist  nicht 
bekannt,  fällt  aber  wahrscheinlich  in  das  letzte  Jahrzehnt  des  18.  Jahr- 
hunderts. 

Holländer,  Alexis,    vortrefflicher  deutscher  Componist  und  Dirigent,    ge- 


272  Holland  —  Hollander. 

boren  am  25.  Febr.  1840  zu  Ratibor  in  Schlesien,  besuchte  das  St.  Elisabeths- 
gymnasium zu  Breslau  und  trieb  eifrig  Clavierspiel  bei  Karl  Schnabel  und  Ad. 
Hesse.  Als  Primaner  leitete  er  bereits  einen  aus  Schülern  besteheuden  Ge- 
sangverein. Von  1858  bis  1861  besuchte  er  als  Student  der  Philosophie  die 
Universität  zu  Berlin,  gleichzeitig  aber  auch  die  königl.  Akademie  der  Künste, 
an  der  er  unter  Grell  und  A.  W.  Bach  die  höhereu  Musikstudien  betrieb. 
Ausserdem  bildete  er  sich  noch  privatim  in  der  Compositiou  beim  königl.  Kam- 
mermusiker Böhmer  weiter  aus.  Seit  1861  wirkt  H.  als  Lehrer  der  Chorklasse 
und  des  Clavierspiels  an  der  Akademie  des  Professors  Th.  Kullak  und  dirigirt 
seit  1865  einen  Gesangverein  (von  1870  an  Cäcilienverein  genannt),  der  mit 
Consequenz  und  Erfolg  beflissen  ist,  vorzugsweise  in  Berlin  noch  unbekannte 
Werke  älterer  wie  neuerer  Meister  zu  Gehör  zu  bringen.  Die  Aufführungen 
von  Brahms'  »Deutschem  Requiem«  (1872)  und  Händel's  »Semele«  (1875)  ge- 
hören zu  den  Glanzthatcn  dieses  von  H.  vortrefflich  organisirten  Vereins.  Von 
H.'s  Compositionen  sind  Ciavierstücke,  sowie  ein-  und  mehrstimmige  Gesänge, 
welche  den  feinsinnigen,  intelligenten  Tondichter  bekunden,  im  Druck  erschienen. 
—  H.'s  Gattin,  Anna  H.,  geborene  Becky,  geboren  am  5.  Jan.  1840  zu 
Berlin,  ist  eine  geschätzte  Concertsän gerin  mit  sympathischen,  wohlgebildeteu 
Stimmmitteln,  die  auch  ausserhalb  iluer  Geburtsstadt  verdienten  Beifall  ge- 
funden hat.  Sie  ist  von  1855  bis  1858  auf  dem  Stern'schen  Conservatorium 
unter  Sabbath  und  Jul.  Stern  ausgebildet  worden  und  wirkt  gegenwärtig  als 
treffliche  Gesanglehrerin. 

Holland,  Holländische  Musik,  s.  Niederlande. 

Hoüaud,  Constantin,  deutscher  Tonküustler,  geboren  1798  in  Posen, 
studirte  um  1822  Theologie  in  Breslau  und  zeichnete  sich  gleichzeitig  als 
guter  Sänger  und  fertiger  Flötenbläser  aus.  Im  J.  1823  begann  er  sich  ganz 
der  Tonkunst  zu  widmen,  die  er  von  da  ab  eifrig  in  allen  ihren  Zweigen 
studirte.  Als  Musikdirektor  wurde  er  1829  am  Breslauer  Theater  angestellt, 
welche  Stellung  er  eine  Reihe  von  Jahren  umsichtig  bekleidete.  Von  seinen 
Compositionen  sind  nur  kleinere  Ciavierstücke  erschienen  und  ein  Vaudeville, 
»Nicolo  Pagauini«,  bekannter  geworden. 

Holland,  Johann  David,  beliebter  deutscher  Gesangscomponist,  geboren 
1746  bei  Herzberg  am  Harz,  war  Musikdirektor  an  der  Katharinenkirche  zu 
Hamburg.  Als  Componist  trat  er  um  1774  mit  kleinen  Ciavier-  und  Vocal- 
sachen  auf,  sodann  1780  mit  dem  in  Hamburg  sehr  beifällig  aufgeführten  Ora- 
torium »Die  Auferstehung  Christi«  und  1790  mit  einem  Entr'act  zu  dem 
Trauerspiel  »Hamlet«.  Sehr  verbreitet  waren  seine  Gesänge  mit  Ciavierbeglei- 
tung, von  denen  er  mehrere  Hefte  veröffentlicht  hat. 

HoUauder,  Christian,  ein  vorzüglicher  niederländischer  Contrapunktist 
des  16.  Jahrhunderts,  geboren  um  1520  in  Holland,  hiess  eigentlich  Christian 
Jans,  und  wurde  1549  zum  Kapellmeister  von  Sancta  Walburgis  in  Oudenarde 
ernannt.  Er  trat  um  1556  in  die  Dienste  des  deutsch -römischen  Kaisers 
Ferdinand  I.,  nach  dessen  Tode,  1564,  er  bei  Maximilian  II.  fungirte.  Schliess- 
lich war  er  als  Caplan  der  Hofkapelle  des  Herzogs  Wilhelm  V.  von  Baiern  in 
München  angestellt,  wo  er  um  1575  gestorben  zu  sein  scheint.  Er  componirte 
und  veröffentlichte  eine  bedeutende  Anzahl  vier-  bis  achtstimmiger  geistlicher 
und  weltlicher  Gesänge  (München,  1570),  sowie  eine  Reihe  deutscher  Lieder 
für  fünf  und  mehr  Stimmen  mit  Begleitung  verschiedener  Instrumente  (Mün- 
chen, 1575).  Ausserdem  gab  Joh.  Pichler  von  Schwandorf  eine  Sammlung 
dreistimmiger  Motetten  von  ihm  unter  dem  Titel  heraus:  y>Triciniormn,  quan- 
tum  vivae  vocis,  tum  omnis  generis  instrumentis  musicis  commodissime  applieari 
possunU  etc.  (München,  1573),  und  18  andere  Motetten  von  ihm  befinden  sich 
in  Joanelli's  fThesaurus  musicus«  (Venedig,  1568).  H.  war  ein  für  seine  Zeit 
ausgezeichneter  Tonsetzer,  der  einen  grösseren  Ruhm  verdient  hat,  als  er  ihm 
in  Wirklichkeit  zu  Theil  geworden  ist.  Sein  Styl  zeigt  eine  Reinheit  und 
dabei  Eleganz    der  Harmonie,    wie    sie    der    grössten    Meister    würdig    ist;    die 


Hollander  —  Holmes.  273 

Stimmenführung  ist  vorzüglich  und  seine  Musik  überhaupt  trägt  einen  ge- 
wissen rhythmischen  Charakter,  welcher  im  16.  Jahrhundert  kaum  sonst  noch 
anzutrefPen  ist. 

HoUander,  Hermann,  niederländischer  Tonsetzer  des  17.  Jahrhunderts, 
war  gegen  1650  Musikmeister  an  der  Collegiatkirehe  St.  Maria  in  Breda  und 
ist  durch  folgendes  Werk  bekannt  geblieben:  yyJuhilus  ßliorum  dei  ex  SS.  PP. 
suspiriis  musico  concentu  una,  duabus,  tribus,  quatuor  vocibus  decantandivi  (Ant- 
werpen,  1648). 

Hollander,  Johann,  oder  Johann  von  Holland,  niederländischer  Con- 
trapunktist  aus  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts,  von  dessen  Composition 
sich  vier-,  fünf-  und  sechsstimmige  Gesänge  in  den  Sammlungen  von  Tilman 
Susato  (1543  und  1544)  befinden. 

Hollander,  Sebastian,  oder  Holoander,  niederländischer  Contrapunktist, 
geboren  zu  Dortrecht  am  Ende  des  15.  Jahrhunderts,  war  Kapellmeister  des 
Herzogs  Wilhelm  I.  von  Baiern  und  Vorgänger  Orlando  Lasso's  in  diesem 
Amte. 

Hollandre,  Charles  Felicien  d',  niederländischer  Kirch encomponist,  ge- 
boren zu  Ende  des  17.  Jahrhunderts  in  der  Provinz  Hainaut,  war  Kapell- 
meister an  der  St.  Walpurgiskirche  zu  Oudenarde  in  Ostflandern  und  starb 
als  solcher  am  23.  April  1750.  Er  hat  Kirchencompositionen  im  würdigen, 
einfachen  Style  hinterlassen.  —  Sein  Landsmann  und  Namensverwandter,  Jean 
d'H,,  geboren  am  24.  Decbr.  1785  zu  Gent,  schrieb  Messen,  Stücke  für  Har- 
moniemusik und  Romanzen  und  starb  am  19.  Decbr.  1839  zu  Gent. 

HoUbek,  Severin,  deutscher  Orgelbauer  zu  Ende  des  17.  Jahrhunderts, 
war  aus  Zwickau  gebürtig  und  baute  u.  A.  1695  zu  Schneeberg  ein  Orgelwerk 
von  39  klingenden  Stimmen. 

Hollbusch,  Johann  Sebastian,  gründlicher  deutscher  Musiktheoretiker 
und  Componist,  der  Ende  des  18.  und  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  in  Mainz 
als  Musiklehrer  wirkte.  Man  hat  von  ihm  einige  Violincompositionen,  die  ihrer 
Zeit  für  gute  Unterrichtsstücke  galten,  sowie  ein  »Tonlehrsystem«,  das  in  Dialog- 
form abgefasst  ist. 

Hollmann,  Madame,  s.  Crux. 

Hollnba  oder  Holuba,  Franz  und  Wenzel,  zwei  Brüder  und  Waldhorn- 
virtuosen aus  Böhmen,  waren  1763  in  der  Hofkapelle  zu  Kassel  und  später 
im  Orchester  der  italienischen  Oper  zu  Paris  angestellt.  Dort  befanden  sie 
sich  noch  1788,  scheinen  aber  bald  darnach  nach  Deutschland  zurückgekehrt 
zu  sein.     Einige  damals  erschienene  Duos  für  Hörn  tragen  ihren  Namen. 

Holly,  Franz  Andreas,  beliebter  Bühnencomponist  sowie  guter  Clavier- 
und  Orgelspieler,  geboren  1747  in  Böhmisch-Luba,  studirte  im  Jesuitencollegium 
zu  Prag  und  trat  hierauf  als  Novize  zu  den  Franciscanern,  deren  Orden  er 
aber  vor  erlangter  Priesterweihe  wieder  vei'liess,  um  Musiker  zu  werden.  Zu- 
erst war  er  Orchesterdirigent  beim  Direktor  Brunian  in  Prag,  ging  dann  1769 
in  gleicher  Eigenschaft  an  das  Koch'sche  Theater  nach  Berlin  und  wurde  1775 
Musikdirektor  bei  der  Wäser'schen  Gesellschaft  in  Breslau.  Als  solcher  starb 
er  am  4.  Mai  1783.  Für  die  verschiedenen  Theater,  deren  Dirigent  er  ge- 
wesen, hat  er  15  meist  beifällig  aufgenommene  Singspiele,  einige  grosse  Ballets, 
Ouvertüren,  Entr'acte,  Chöre  und  Märsche  zu  Dramen  u.  s.  w.  componirt. 
Auch  mehrere  grössere  und  kleinere  Kirchenstücke  hat  er  hinterlassen.  Seine 
Oper,  »Der  Kaufmann  von  Smyrna«,  erschien  im  Clavierauszug  1775  zu 
Berlin. 

Holmes,  berühmter  englischer  Fagottvirtuose,  dessen  Name  besonders  in 
den  Salomon'schen  Coucerten  zu  London  um  1793  glänzte.  Auch  in  anderen 
Concerten  der  Folgezeit  wurde  er  stets  ehrenvoll  erwähnt.  Man  rühmte  be- 
sonders die  Leichtigkeit  und  Fertigkeit,  mit  der  er  sein  Instrument  rein  und 
wohlklingend  zu  behandeln  wusste. 

Holmes,  Alfred,    hervorragender    englischer    Componist    der     Gegenwart, 

Musikal,    Convers.-liexikon.     V.  18 


274  Holmes  —  Holstein. 

geboren  um  1840  zu  London,  hat  seine  musikalischen  Studien  theils  in  seiner 
Vaterstadt,  theils  in  Paris  und  auf  grösseren  Reisen  durch  Deutschland, 
Schweden  und  Russland  gemacht.  Vier  Sinfonien,  von  denen  besonders  die 
beiden  letzten,  »Johanna  d'Arc«  und  »Robin  Hood«  (1875),  gerühmt  werden, 
sowie  andere  grosse  Instrumental-  und  Vocalwei'ke  bezeichnen  bis  jetzt  sein 
auf  die  höchsten  Aufgaben  gerichtetes  Streben,  dem  in  Paris,  St.  Petersburg 
und  London  der  Beifall  der  Kenner  zu  Theil  wurde.  Er  lebt  gegenwärtig 
wieder  in  London. 

Holmes,  Edward,  vielseitiger  englischer  Tonkünstler,  geboren  1797  un- 
weit London,  bildete  sich  in  der  englischen  Metropole  tüchtig  aus  und  wurde 
ein  sehr  gesuchter  Musiklehrer.  Er  besuchte  1837  Deutschland  und  schilderte 
die  empfangenen  musikalischen  Eindrücke  in  dem  interessanten  Buche:  y>Bamhle 
among  the  miisicians  of  Germanyn  etc.  (London,  1838  und  in  weiteren  Aufl.). 
Von  1829  an  war  er  musikalischer  Mitarbeiter  an  dem  neu  gegründeten  Journal 
»Atlas«  und  veröffentlichte  weiterhin  eine  Biographie  Mozart's  nach  Nissen 
(London,  1845).  Im  .J.  1849  ging  er  nach  Amerika,  wo  er  als  Musiklehrer 
und  musikalischer  Schriftsteller  sehr  thätig  war  und  starb  am  28.  Aug.  1859. 

Holmes,  Jobn,  englischer  Kirchencomponist,  war  um  1600  Organist  zu 
Salisbury.  Gesänge  von  ihm  befinden  sich  in  dem  berühmten  Sammelwerke 
r>The  triumph  of  Orlanaa. 

Holius,  Greorges,  berühmter  englischer  Tonkünstler,  lebte  zu  Ende  des 
18.  Jahrhunderts  und  war  Organist  zu  Lincoln. 

Holowiu,  Greorg,  Herr  von  Comines  und  Holowin  in  Flandern,  Feldherr 
und  Diplomat  in  seinen  Blüthejahren ,  hat  auch  als  Schriftsteller  sich  hervor- 
gethan.  Unter  seinen  Büchern  befindet  sich  eines,  »De  musicaa  betitelt, 
das  nach  Walther's  Aussage  sehr  Verschiedenes  und  oft  Unerhörtes  bieten  soll. 
Nach  Swertii  Athen.  Belgic.  starb  H.  1537  an  der  Schwindsucht  und  liegt  im 
Schlosse  Holowin  begraben.  t 

Holstein,  Franz  vou,  hervorragender  deutscher  Componist  der  Gegenwart, 
geboren  am  16,  Febr.  1826  zu  Braunschweig,  war  der  Sohn  eines  höheren 
Militärs  und  ebenfalls  für  den  Kriegerstand  bestimmt.  Einiger  Ciavierunterricht, 
den  er  genoss,  und  der  Besuch  musikalischer  Aufführungen  weckten  in  ihm 
eine  leidenschaftliche  Liebe  zur  Tonkunst  und  eiferten  ihn  zu  naturalistischen 
Corapositionsvei  suchen  an.  In  seinem  15.  Jahre  musste  H.  in  das  Cadetten- 
haus  in  Braunschweig  treten,  wo  er  in  Rob.  Griepenkerl  einen  Lehrer  fand, 
der  den  musikalischen  Beruf  seines  Schülers  erkannte  und  demselben  bedeutende 
Förderung  angedeihen  Hess.  Während  H.  sich  zum  Officiersexamen  vorbereitete, 
arbeitete  er  zugleich  heimlich  an  einer  kleineu  zweiaktigen  Oper,  »Zwei  Nächte 
in  Venedig«,  die  er,  als  er  1845  zum  Lieutenant  ernannt  worden  war,  im 
Privatkreise  auflFührte.  Seitdem  nahm  er  geregelten  Unterricht  im  Ciavierspiel 
und  in  der  Compositionslehre  und  studirte  die  Opernpai-fituren  der  Meister, 
von  denen  besonders  Mej'erbeer  einen  enthusiastischen  Eindruck  in  ihm  hervor- 
rief. Nach  dem  Feldzuge  in  Schleswig-Holstein,  den  H.  mitgemacht  hatte,  be- 
gann er  in  Braunschweig  eine  grosse  fünfaktige  Oper,  deren  Textbuch  sich  an 
Scott'«  Roman  »Waverley«  anlehnte  und  die  er  1852  als  Adjutant  des  Land- 
wehrbataillons in  Seesen  vollendete.  Die  Ouvertüre  derselben  hatte  schon 
früher  die  Aufmerksamkeit  H.  Litolff's  erregt,  der  auch  die  ersten  kleinen 
Gesangssachen  H.'s  zum  Druck  beförderte.  Das  erbetene  Urtheil  M.  Haupt- 
mann's  in  Leipzig  über  die  genannte  Oper  fiel  so  günstig  aus,  dass  H. ,  trotz 
des  Widerstrebens  seines  Vaters,  seinen  Abschied  vom  Militär  nahm  und  1853 
nach  Leipzig  übersiedelte.  Neben  fleissigen  theoretischen  und  technischen 
Studien,  denen  er  im  dortigen  Conservatorium  und  unter  der  Privatleitung 
Hauptmann's  oblag,  componirte  er  einige  Kammermusikstücke,  viele  vierstimmige 
Gesänge,  sowie  eine  Conccrtouvertüre  »Loreley«.  Krankheit  nöthigte  ihn,  1854 
in  das  elterliche  Haus  in  Braunschweig  zurückzukehren,  aber  schon  1856  suchte 
er  das  künstlerisch    anregende  Leipzig  wieder    auf   und    füllte    bei  Hauptmann 


Holtei  —  Holtheuser.  275 

und  E-ietz  die  letzten  Lücken  seiner  musikalisclien  Bildung  aus.  Zugleicli 
schuf  er  eine  ßeihe  von  Orchester-  und  Kammermusikwerken,  Hierauf  be- 
suchte er  Süddeutschland  und  Italien,  wo  er  in  Rom  den  "Winter  1856 — 1857 
verlebte.  Seitdem  schrieb  er  auch  mehrere  grössere  und  kleinere  Kirchen- 
compositionen.  Im  J.  1858  verweilte  H.  in  Berlin,  ein  Jahr  später  in  Paris 
und  pflog  Umgang  mit  den  bedeutendsten  künstlerischen  Grössen.  Immer  aber 
kehrte  er  nach  Leipzig  zurück,  wo  er  seinen  häuslichen  Herd  begründet  hatte. 
Körperliche  Leiden  jedoch  wirkten  lähmend  auf  seine,  Productivität,  und  er 
musste  auf  ärztlichen  Bath  hin  sogar  seine  regelmässigen  Ciavierübungen  ein- 
stellen. Statt  dessen  hörte  er  Collegien  über  Aesthetik,  Geschichte,  Philosophie, 
und  mechanische  Arbeiten,  besonders  Zeichnen,  sowie  poetische  Beschäftigungen 
füllten  seine  Zeit  vollends  aus.  Schon  glaubte  man,  dass  er  das  Kunstgebiet, 
dem  er  seine  ganze  Existenz  geopfert  hatte,  für  immer  verlassen  habe.  Da 
erschien  er  1869  mit  der  von  ihm  gedichteten  und  componirten  Oper  »Der 
Haideschacht«  auf  der  Hofbühne'zu  Dresden  und  am  29.  Jan.  1870  in  Leipzig, 
und  dieses  feinsinnige  edle  Werk  fand  dort,  sowie  in  München,  Weimar,  Kassel, 
Köln  u.  s.  w,  einen  Beifall,  wie  er  lange  keiner  deutschen  Oper  zu  Theil  ge- 
worden war,  so  dass  es  noch  fortwährend  auf  dem  Rundgang  über  die  Bühnen 
begriffen  ist.  Nicht  minder  bedeutenden  Erfolg,  obwohl  weniger  Glück  hatte 
H.'s  feine  komische  Oper  »Der  Erbe  von  Morley«,  welche  1872  das  Stadttheater 
zu  Leipzig  zuerst  brachte,  und  ohne  Zweifel  stehen  von  H.  noch  hervorragende 
musikalisch- dramatische  Werke  zu  erwarten,  wenn  ihm  Gesundheit  und  Produc- 
tionslust  auch  ferner  zur  Seite  bleiben.  Denn  H.  charakterisirt  sich  als  ein 
begabter,  mit  vollem  Herzen  gebender  Componist,  welchem  nach  Seite  des  Ge- 
sanglichen wie  des  Instrumentalen  hin  eine  überraschend  gewandte  und  sichere 
Beherrschung  der  Mittel  eigen  ist. 

Holtei,  Karl  you,  dramatischer  und  lyrischer  deutscher  Dichter,  auch 
Gesangscomponist,  geboren  am  24.  Jan.  1798  zu  Breslau,  studirte  daselbst, 
wandte  sich  aber  plötzlich  der  Schauspielkunst  zu.  Später  wurde  er  in  Breslau 
als  Theatersecretär  und  Bühnendichter  angestellt,  ging  dann  nach  Bei-lin  und 
wurde  1825  beim  Königsstädter  Theater  daselbst  in  gleicher  Eigenschaft  en- 
gagirt.  Hier  verfasste  er  seine  mit  grösstem  Beifall  aufgenommenen  Lieder- 
spiele »Die  AViener  in  Berlin«  und  »Die  Bei'liner  in  Wien«,  sowie  die  Schau- 
spiele »Der  alte  Feldherr«  und  »Lenore«,  zu  denen  sämmtlich  er  die  Musik 
selbst  arrangirte.  Ausserdem  lieferte  er  dem  Componisten  Franz  Gläser  den 
Text  zu  dessen  beliebter  Oper  »Des  Adlers  Horst«.  Im  J.  1834  verliess  er 
Berlin  und  unternahm  mit  seiner  Gattin  Gastspielreisen,  Im  J.  1837  über- 
nahm er  als  Direktor  das  Theater  zu  Riga  und  1841  das  Stadttheater  zu 
Breslau,  von  wo  er  sich  als  Privatmann  nach  Graz  zurückzog  und  hochbetagt 
noch  lebt.  Als  Dichter  hat  er  das  Verdienst,  das  Vaudeville  in  Form  des 
deutschen  gemüthlichen  Liederspiels  m  Deutschland  eingebürgert  zu  haben. 
Yiele  seiner  Lieder,  von  denen  er  unter  dem  Titel  »Deutsche  Lieder«  (Schleu- 
singen, 1834;  2.  Aufl.  1836)  eine  Sammlung  herausgab,  sind  mit  Recht  po- 
pulär und  allgemein  beliebt.  Von  seinen  Compositionen  erschienen:  »Dichter 
und  Sänger,  Sammlung  deutscher  Lieder  mit  Pianoforte«  (Berlin,  1832)  und 
»Das  Vaterland  für  ,  eine  Singstimme  mit  Pianoforte«.  ■ —  Ueber  seine  zweite 
Gattin,  Julie    von  H.,  geborene  Holzbecher,  s.  den  Artikel  Holzbecher. 

Holten,  Karl  von,  vorzüglicher  deutscher  Pianist,  geboren  am  26,  Juli 
1836  zu  Hamburg,  genoss  zuerst  den  Musikunterricht  Jacques  Schmitt's,  dann 
Grädener's  in  seiner  Vaterstadt  und  vollendete  seine  Studien  von  1854  bis  1856 
im  Conservatorium  zu  Leipzig.  Seitdem  wirkt  er  in  Hamburg  als  sehr  ge- 
schätzter Concertspieler  und  Musiklehrer  und  hat  sich  in  ersterer  Eigenschaft 
sehr  erfolgreich  auch  in  Kiel,  Lübeck,  Berlin  u.  s.  w.  hören  lassen.  Von  seinen 
Compositionen  erschienen  Kammermusikwerke,  eine  Kindersinfonie,  Ciaviersachen 
und  Lieder  mit  Pianofortebegleitung, 

Holtheuser,  Johann   von,  Magister  und  Dichter,  geboren  zu  Anfang  des 

18* 


276 


Holtzmann  —  Holz. 


16.  Jahrhunderts  in  Hildburghausen,  woselbst  er  auch  lebte  und  wirkte,  ver- 
öflFentlichte  ein  Lobgedicht,  betitelt:  y>Encomium  musicae,  artis  antiquissimae  et 
divinae  carmine  ele(jiaco  scriptum^,  etc. 

Holtzmauu,  deutscher  Kirchencoraponist,  war  von  etwa  1770  an  zwanzig 
Jahre  hindurch  kurfürstl.  pfälzischer  Hofkapellmeister  in  Meersburg.  Er  war 
bereits  in  Verschollenheit  gerathen,  als  J.  B.  Hamma  1861  bei  Durchstöberung 
der  Kirchenschätze  in  Meersburg  und  der  dort  liegenden  Compositionen  H.'s 
die  Entdeckung  machte,  dass  das  Credo  der  vierten  Messe  von  H.  in  der  Me- 
lodie identisch  sei  mit  derjenigen  der  französischen  Marseillaise.  Diese  Musik- 
weise als  ursprünglich  deutsche  zu  reclamiren,  lohnt  aber  kaum  der  Mühe,  da 
sie  in  der  bekannten  rhythmischen  Fassung  acht  französisch  ist  und  bleibt. 

Holtzner,  Anton,  deutscher  Kirchencomponist  des  17.  Jahrhunderts,  hat 
Messen,  Motetten,  Maguificats  u.  s.  w.  seiner  Composition  hinterlassen. 

Holuba,  s    Holluba. 

Holz  der  verschiedensten  Art   hat    man  seit  den    ältesten   Zeiten    zur  Fer- 
tigung von  Touwerkzeugen  augewandt.     Instinktiv  wählte   man  von  den  Harten 
stets    die    die  Fortpflanzung    des   Schalles    fördern dsten  (Kiefern-  und   Tannen- 
holz) zu  Resonanzböden  und  die  härteren  anderweitig  zweckdienlichst,   so  dass 
wir,    wo    uns    genauere  Kunde    über  Beschaffenheit   und  Art    der  in  frühesten 
Zeiten  zu  den   Einzelntheilen  von  Instrumenten  angewandten  H.arten  wird,  oft 
staunen  müssen,    wie  die   Sinuigkeit    der  Alten  gleichen  Anforderungen  zu  ge- 
nügen verstand,  wie  in  der  Jetztzeit  die  Praxis  im  Bunde  mit  der  Wissenschaft. 
Das  H.  nämlich,  was  jetzt  zum  Instrumentbau  als  vorzüglichstes  erachtet  wird, 
muss  Gewächsen  entnommen   sein,  die  unter  bevorzugten  Gedeihensbedingungen 
emporwuchsen.      Bäume,    die    an     sonnigen,    nicht    sumpfigen   Orten  gewachsen 
sind  und  in  der  höchsten  Kraftfülle  zu  einer  Zeit  —  Herbst  oder  Winter  oder 
der  entsprechenden  Jahreszeit  — ,  wo   die  SaftcirUulation  im  Pflanzenreiche  eine 
geringere  oder  gänzlich  unterbrochene  ist,  gefällt  sind,  hält  man  allgemein  für 
zum    Instrumentbau    vorzüglich    brauchbares  H.    liefernd.     Das    H.    von    durch 
Windbruch    oder    Raupenfrass    geschädigten    Gewächsen,    sowie    wurmstichiges 
oder  zum  Theile  bläulich  aussehendes  gilt  für  durchaus  ungeeignet  zur  Fertigung 
von   Tonwerkzeugen.     Das    als    geeignet    erachtete  H.  wird  jedoch  nicht  sofort 
verwandt,  sondern  erst  jahrelang  an  trockenen,  schattigen  Orten,  wo  es  an  allen 
Seiten  dem  Luftzuge  zugänglich  ist,  aufbewahrt,  ehe  es  in  Gebrauch  genommen 
wird.     Diese  Aufbewahrung    bewirkt    die    Entfernung    fast   jeder    Feuchtigkeit 
aus  dem  organischen   Gewebe  des  H.es  und  giebt  dem  Molekülsystem   desselben 
die  die  Klangwirkung  förderndste  elastische  Eigenschaft,    welche    kein    anderes 
zum    Instrumentbau    verwandtes    Material    besitzt.     Die    elastische    Eigenschaft 
der  verschiedenen  H.arten,    so    hat  man  durch  die  Wissenschaft  gefunden,    ist 
nicht  allein  bei  den  verschiedenen   H.arten    an    und    für    sich  sehr  verschieden, 
sondern  auch  noch    bei    derselben  Art,   je    nachdem    die   Tonfortpflanzung    der 
Faser  entlang,    senkrecht    gegen  die  Jahresringe    oder  parallel  mit  den  Ringen 
geführt  wird,    wie    folgende  Tabelle,    Tyudall's  Werk  »Der  Schall«  S.  50  ent- 
nommen, ergiebt: 


Name  des  Holzes. 

Der  Faser 
entlang. 

Senkrecht 
gegen  die  Ringe. 

Parallel 
den  Ringen. 

Akazie 

Kiefer 

15467  M. 
15218    „ 
10965    „ 
12622    „ 
10900    „ 
13516    „ 
14639    „ 
15314    „ 
15306    „ 
16677    „ 
13472    „ 
14050    „ 

4840  M. 
4382    „ 
6028    „ 
5036    „ 
4611    „ 
4665    „ 
4916    „ 
4567    „ 
4491    „ 
5297    „ 
5047    „ 
4600    „ 

4436   M. 
2572    „ 

Birke 

Eiche 

Tanne    

4643    „ 
4229    „ 
2605    , 

Ulme 

3324    ., 

Sycamore    

ifsclie     

Erle 

Espe 

Ahorn 

Pappel 

3728    „ 
4142    „ 
3423    „ 
2987    „ 
3401    „ 
3444    „ 

Holz  —  Holzapfel.  277 

in  einer  Sekunde.  Noch  mag  hier  angeführt  werden,  dass  man  das  wohl  aus- 
getrocknete H.  gegen  Zerstörung  durch  Würmer  mittelst  eines  Anstrichs  zu 
schützen  sucht,  und  zwar  das  H,  der  Tannen,  was  zum  Bau  von  Orgelpfeifen 
benutzt  werden  soll,  durch  öfteres  Bestreichen  mit  einem  heissen  Absud  von 
einem  Theile  Wallnussblätter  und  drei  Theilen  Wermuth,  in  welchem  man  auf 
ein  Quart  3  Loth  Alaun  und  4  Loth  Kampfer  auflöst,  und  das  zu  Besonanz- 
böden  angewandte  durch  Ueberziehen  mit  einem  dünnen  Lack.  Wie  nun  die 
Kenntniss  bisheriger  Erfahrungen  und  die  Entdeckungen  der  Wissenschaft  in 
neuerer  Zeit  von  berühmten  Instrumentbauern  in  der  Praxis  benutzt  werden,  lehrt 
die  bekannte  Art,  wie  der  berühmte  deutsche  Geigenbauer  Jacob  Stainer 
oder  Steiner  (s.  d.)  sein  zu  verarbeitendes  H,  sich  selbst  suchte.  Er  reiste 
zu  dem  Ende  in  Grleirsch,  einer  Gegend  hinter  dem  Haller  Salzberge,  herum 
und  suchte  dort  an  sonnigen  Abhängen  gewachsene  Eichten  aus,  welche  er  zur 
Winterzeit  schlagen,  abschälen,  zu  Brettern  schneiden  Hess  und  erst  nach 
jahrelanger  Lagerung  verarbeitete.  Diesem  Berichte  fast  gleichlautend  ist  eine 
Erzählung  aus  grauester  Vorzeit.  Ling-lun  (s.  d.)  ging  auf  Kaiser  Hoang-ti's 
(s,  d.)  Befehl  in  die  im  nordwestlichen  China  gelegene  Provinz  Si-jung  und 
schnitt  behufs  zu  fertigender  Flöten  völlig  ausgewachsene  Bambusrohre  von 
den  sonnigen  Abhängen  der  Berge.  Die  gleichartige  Knotenbildung  dieser 
Rohre  blieb  nicht  ohne  Einfluss  auf  die  chinesische  Kunst.  Ferner  wird  in 
chinesischen  Schriften  berichtet,  dass  Fuhi  (s.  d.)  den  Körper  des  Scheng 
(s.  d.)  aus  dem  H.  des  Tung-mu,  einer  Tannenart,  fertigte,  und  der  Baum, 
dessen  H.  zu  Instrumenten  angewandt  werden  sollte,  an  südlichen  Bergabhäugen 
gewachsen  sein  musste.  Die  beiden  angeführten  geschichtlichen  Thatsachen, 
welche  klar  darlegen,  nach  welchen  Grundsätzen  sinnige  Fachmänner  in  neuester 
wie  ältester  Zeit  Bäume  auswählten,  aus  denen  sie  H.  zum  Bau  von  Tonwerk- 
zeugen gewannen,  zeigt  eine  Unveränderlichkeit  nach  Jahrtausenden,  wie  man 
wohl  nur  selten  begegnet.  Eine  gleiche,  wie  einzelne  Beispiele  lehren,  zeigt 
sich  fast  noch  heute  in  Bezug  auf  die  Anwendung  der  H.arten  zu  Einzeln- 
theilen  der  Instrumente.  Ob  letztere  durch  die  wissenschaftlich  festgestellte 
verschiedenartige  Fortpflanzung  des  Tones  mit  der  Zeit  moderirt  werden  wird, 
ist  noch  fraglich,  was  theilweise  wohl  seinen  Grund  mit  in  der  oft  geringen 
wissenschaftlichen  Bildung  der  Instrumentbauer  haben  mag.  Soviel  scheint 
jedoch  sicher  zu  sein,  dass  durch  die  bisherigen  wissenschaftlichen  Erforschungen 
schon  die  gewohnten  H.gebrauchsarten  oft  ohne  Nachtheil  verändert  werden 
könnten.  Was  noch  über  die  bisherige  H.gebrauchsart  zu  besonderen  Instru- 
menten zu  sagen  wäre,  ist  so  umfangreicher  und  unsystematischer  Natur,  dass 
es,  in  zusammenhängender  Weise  aufgestellt,  dem  Leser  keine  überschauliche 
Klarheit  der  gegenwärtig  herrschenden  Gebräuche  bieten  dürfte,  weshalb  wir 
bei  jedem  Tonwerkzeuge  insbesondere  über  die  H.art  berichten,  aus  welcher 
selbiges  gefertigt  wird  und  in  dieser  Beziehung  auf  die  Specialartikel  dieses 
Werkes  verweisen.  C.  B. 

Holz,  Karl,  begeisterter  Musikfreund  und  Förderer  der  Künstler,  zugleich 
ein  tüchtiger  Violinspieler,  geboren  1799  in  Wien,  war  niederösterreichisch- 
stäudischer  Beamter,  stand  aber  in  enger  Verbindung  mit  allen  hervorragenden 
Tonkünstlern  seiner  Vaterstadt,  besonders  mit  Beethoven,  der  ihn  vielfach 
freundschaftlichst  auszeichnete.  H.  war  auch  seit  1829  Direktor  der  vom  Chor- 
regenteu  Franz  Xaver  Gebauer  1819  gegründeten  Goncerts  spirituels  in  Wien, 
welche  noch  gegenwärtig  bestehen  und  die  er  während  seiner  langjährigen 
Leitung  auf  eine  achtungswerthe  Stufe  hob.  Insbesondere  verdankte  man  es 
ihm,  dass  Beethoven's  Werke  dem  Publikum  vorgeführt  und  dadurch  der  Ge- 
schmack an  classischen  Tonwerken  in  Wien  angeregt  wurde.  H.  war  allgemein 
um  so  höher  geschätzt  und  verehrt,  als  er  im  Leben  ein  ebenso  geist-  als  ge- 
müthvoller  jovialer  Mann  war,  welcher  wie  durch  seine  Kenntnisse,  so  durch 
seinen  Witz  zu  unterhalten  wusste.     Er  starb  am  9.  Novbr.  1858  zu  Wien. 

Holzapfel,  Johann  Gottlob,  musikkundiger  deutscher  Theologe,  geboren 


278  Holzbauer. 

am  1.  Mai  1739  zu  Odershausen  im  "Waldeck'schen  und  gestorben  als  Ober- 
pfarrer und  Inspektor  der  Kirchen  und  Schulen  der  Herrschaft  Schmalkalden 
am  21.  Juni  1804,  lieferte  in  der  Vorrede  zu  Vierling's  Choralbuch  viele  prak- 
tische Vorschläge  zur  Verbesserung  des  Kirchengesangs.  —  Sein  Zeit-  und 
Standesgeuosse,  Bruno  H.,  war  Subprior  im  Augustinerkloster  zu  Regens- 
burg  und  gab  um  1760  zu  Nürnberg  verschiedene  Ciaviersachen  seiner  Compo- 
sition  heraus. 

Holzbauer,  Ignaz,  gediegener  und  fruchtbarer  Componist  von  Opern, 
Kirchenmusiken,  Orchesterwerken,  geboren  1711  in  Wien,  war  der  Sohn  eines 
Lederhändlers,  der  ihn  für  die  ßechtsgelehrsamkeit  bestimmte.  Seine  Vorliebe 
für  die  Musik  zu  befriedigen,  schloss  er  sich  an  die  Chorknaben  des  St.  Ste- 
phansdomes an,  die  ihm  gegen  allerlei  kleine  Vergütungen  einige  Unterweisung 
im  Gesang,  Ciavier-,  Violin-  und  Violoncellospiel  ertheilten.  Die  Theorie  der 
Musik  studirte  er  heimlich  nach  dem  -oGradus  ad,  Parnasstima  von  Fux,  der 
ihn  auch  zu  Compositionsversuchen  anregte.  Um  nach  Italien  zu  kommen, 
trat  er  als  Secretär  in  die  Dienste  des  Fürsten  von  Thurn  und  Taxis,  mit 
dem  er  jedoch  nur  bis  Laibach  gelangte,  worauf  er  mit  einem  Wiener  Arzte 
die  Reise  nach  Venedig  fortsetzte.  Nach  sechs  Monaten  wurde  er  durch  ein 
Fieber  zur  Rückkehr  nach  Wien  gezwungen,  nach  dessen  Beseitigung  er  als 
Dirigent  der  italienischen  Oper  des  Grafen  Rottal  nach  Mähren  ging.  Mit 
seiner  jungen  Gattin  wurde  er  1745  am  Hoftheater  zu  Wien  angestellt,  er  als 
Musikdirektor,  sie  als  Sängerin.  Nach  einer  zweiten  italienischen  Reise  von 
1747  an,  folgte  er  im  August  1750  einem  Rufe  als  Hofkapellmeister  nach 
Stuttgart,  wo  er  ausschliesslich  für  die  Kirche  und  Kammer  compouirte,  u.  A. 
zwei  Oratorien  (nlsaccoa  und  »ia  Betulia  Uherata«),  21  Messen,  37  Motetten, 
Misereres  u.  s.  w.  Früher  componirte  Opern  und  Ballets  verwarf  er  nun  selbst 
und  gab  sie  nicht  zur  Aufführung  her.  Dagegen  schrieb  er  1753  für  das  neu 
erbaute  kurfürstl.  Theater  zu  Schwetzingen  die  pastorale  Oper  ytll  figlio  delle 
selve«,  die  einen  so  glänzenden  Erfolg  hatte,  dass  er  alsbald  als  Direktor  der 
Hofkapelle  nach  Mannheim  gezogen  wurde,  wo  er  sich  mit  der  Oper  rtlssipiled 
einführte,  der  er  mehrere  andere  italienische  Singspiele  folgen  Hess,  unter  diesen 
die  sehr  beifällig  aufgenommene  yylsola  disabitatan  und  den  -dDoti  Gliisciottov.. 
Im  J.  1756  unternahm  er  eine  dritte  Reise  nach  Italien,  deren  hauptsächlicher 
Zielpunkt  Rom  und  die  dortige  päpstliche  Kapelle  war.  Kaum  über  Wien 
nach  Mannheim  zurückgekehrt,  war  er  schon  1757  wieder  in  Turin,  wo  er, 
einem  Auftrage  folgend,  dem  dortigen  königl.  Theater  die  Oper  yyNitettid  lieferte, 
deren  grossartiger  Erfolg  ihm  von  Mailand  aus  das  Gesuch,  auch  für  dort  eine  neue 
Oper  zu  schreiben,  eintrug.  Vorerst  reiste  er  aber  über  Paris  nach  Mannheim 
zurück  und  traf  erst  1759  in  Mailand  mit  seinem  T>Älessandro  nelV  Indiev.  ein, 
welcher  für  eine  seiner  besten  dramatischen  Partituren  gilt  und  in  nicht  ganz 
zwei  Monaten  dreissig  Mal  hinter  einander  bei  stets  überfülltem  Hause  auf- 
geführt wurde.  Alle  weiteren,  sehr  zahlreichen  Aufträge  italienischer  Bühnen- 
direktionen lehnte  er  ab  und  begab  sich  wieder  nach  Mannheim,  wo  er  noch 
zahlreiche  Orchester-  und  Instruraentalwerke  componirte,  weiterhin  die  Opern 
•aippolito  e  Ärrieiav  (1768),  y>Ädriano  in  Siriaa  (1772)  und  hierauf  viele  Messen, 
Psalme,  Motetten  u,  dergl.,  sowie  die  Oratorien  »La  morte  di  Oesua,  »Z«  Giu- 
ditta<i  und  »JZ  giudizio  di  Salomonen.  Im  J.  1776  folgte  seine  erste  und  einzige 
deutsche  Oper  »Günther  von  Schwarzburga,  mit  prachtvoller  Ausstattung  häufig 
gegeben  und  in  Mannheim  beim  Verfasser  im  Druck  erschienen,  sodann  noch 
»Zfl!  clemenza  di  Titoa,  »ie  nozze  d^Arianna  e  di  Baccoa,  das  Melodram  »Der 
Tod  der  Dido«  und  endlich  1782  yiTancredia,  welche  letztere  Oper  er  für  das 
Münchener  Theater  schrieb,  aber  da  sein  Gehör  1781  sehr  schwach  geworden 
war,  nicht  mehr  hören  konnte.  Als  seine  letzte  vollendete  Arbeit  gilt  eine 
Messe  mit  deutschem  Text  vom  Kammerrath  Kohlenbrenner,  deren  künstle- 
rischer Werth  sehr  bedeutend  sein  soll.  H.  starb  an  einer  Brustentzündung 
am  7.  April  1783    zu  Mannheim.     Seine  Schaffensthätigkeit   war    bewunderns- 


Holzbecher  —  Holzblasinstrumente.  279 

werth,  und  auch  als  Lehrer  hat  er  vortrefflich  gewirkt.  Seine  "Werke  bestehen 
in  Oratorien,  26  vierstimmigen  Messen  mit  Orchester,  37  Motetten  und  anderen 
Kirchencompositionen,  ferner  in  einer  deutschen  und  zehn  italienischen  Opern, 
vielen  Schäfer-  und  Singspielen,  sowie  Ballets,  endlich  in  96  Sinfonien,  18 
Quartetten,  meist  für  Streichinstrumente,  und  13  Concerten  für  verschiedene 
Instrumente.  Hauptvorzug  derselben  ist  die  innigste  Verschmelzung  einer  aus- 
drucksvollen und  fliessenden  Melodie  mit  der  strengsten  harmonischen  Reinheit 
des  Satzes  und  der  trefflichsten  Behandlung  der  Singstimmen  wie  des  Orchesters, 
weshalb  er  auch  Bedeutenderes  im  dramatischen  wie  im  kirchlichen  Styl  leistete, 
obgleich  sich  Mozart  selbst  über  den  letzteren  sehr  günstig  äusserte.  In  den 
hinterlassenen  Papieren  H.'s  fand  sich  auch  seine  Selbstbiographie,  die  im  Oc- 
toberhefte  des  musikalischen  Correspondenten  von  1790,  S.  107  ff.,  abgedruckt 
ist.  H.  war  überhaupt  ein  gut  gebildeter  Mann,  der  sehr  gewandt  die  latei- 
nischen und  italienischen  Dichter  las  und  den  Horaz  fast  ganz  auswendig  wusste. 

Holzbecher,  Karl  David,  guter  deutscher  Tenorsänger,  geboren  1779  zu 
Berlin,  sang  schon  1794  kleinere  Opernparthien  im  Nationaltheater  daselbst 
und  wurde  nach  Mutation  seiner  Stimme  für  zweite  Tenorrollen  fest  engagirt. 
Bis  1825  gehörte  er  der  königl.  Oper  als  brauchbares  Mitglied  an,  wurde  dann 
pensionirt  und  starb  am  20.  Mai  1830  zu  Berlin.  —  Seine  Tochter,  Julie 
H.,  geboren  zu  Berlin  am  29.  Juli  1809,  war  seit  1824  als  Schauspielerin  und 
Opernsängerin  am  königsstädtischen  Theater  daselbst  angestellt,  verheirathete 
sich  1830  mit  K,  von  Holtei  (s.  d.)  und  verliess  mit  demselben  1834  Berlin. 
Sie  starb  in  Folge  zu  früher  Entbindung  am  10.  Jan.  1839  zu  Higa. 

Holzblasinstrumente  nennt  man  alle  Blasinstrumente,  deren  Klangröhren 
aus  Holz  gefertigt  sind.  Die  Tonzeugung  bei  diesen  Instrumenten  wird  ent- 
weder durch  eine  besondere  Art  der  Einhauchung  des  menschlichen  Athems, 
oder  durch  eine  künstlich  erzeugte  Luftströmung,  wie  bei  den  Orgelpfeifen, 
bewirkt.  Kein  Culturvolk  der  Erde  gab  es,  das  nicht  schon  in  frühester  Ent- 
wickelungszeit  Tonwerkzeuge  dieser  Gattung  kannte  und  je  nich  seinem  Bil- 
dungsfortschritt ausbildete.  Alles  üe  Heschichte  der  Blasinstrumente  (s.  d.) 
Betreffende  ist  in  dem  Hauptartikel  aufgezeichnet  und  hier  nur  wenig  die  H. 
allein  Berührendes  anzuführen;  ebenso  findet  sich  auch  alles  Akustische  der 
H.  in  dem  bezeichneten  Artikel  vor.  Bemerkenswerth  ist  sonst  nur,  dass  seit 
dem  16.  Jahrhundert  die  Gattung  der  H.  immer  mehr  Bedeutung  gewonnen 
und  jetzt  in  freien  Räumen  im  Bunde  mit  den  Blechblasinstrumenten  (s.  d.) 
fast  jede  andere  Gattung  von  Tonwerkzeugen  schon  verdrängt  hat.  Vorzüglich 
lassen  sich  hier  zwei  Arten,  Flöten  und  Blattflöten,  der  H.  unterscheiden. 
Erstere  werden  durch  den  freien  Luftstrom,  letztere  durch  einen  mittelst  eines 
Blattes  (s.  d.)  moderirten  Luftstrom  tönend  erregt.  Noch  könnte  man  eine 
Eintheiluug  nach  der  conischen  und  nichtconischen  Bohrungsweise  der  Schall- 
röhre bilden,  welche  Eintheilung  jedoch,  da  sie  nicht  augenblicklich  zu  erkennen, 
weniger  zu  empfehlen  ist.  "Wohl  aber  wäre  eine  Eintheilung  der  H.  mit  Blät- 
tern in  solche,  die  mittelst  zweier  Blätter,  wie  Oboe  (s,  d.) ,  Fagott  (s.  d.) 
u.  s.  w.,  und  solche,  die  mittelst  eines  Blattes,  wie  Clarinette  (s.  d.)  u.  a., 
intonirt  werden,  anwendbar.  "Was  nun  die  Klangweise  der  verschiedenen  Arten 
der  H.  anbetrifft,  so  zeigt  dieselbe  sich,  ähnlich  derjenigen  der  Blechblasiustrumente, 
weniger  von  einander  abweichend  als  die  der  Streichinstrumente.  Bei  letzteren, 
wohl  eine  Folge  des  weniger  mächtigen  Klanges  derselben,  hat  jede  Instru- 
mentart eine  leicht  erkennbare  besondere  Klangweise.  Bei  den  H.n  hingegen 
tritt  eine  solche  nur  leicht  erkenntlich  bei  den  Gattungen  zu  Tage,  und  man 
redet  dem  entsprechend  von  clarinett-,  oboe-  und  flötenartig  klingenden  H.n. 
Besonders  findet  dies  seine  Anwendung  bei  den  Klängen  der  Orgelpfeifen. 
Um  nun  diese  Klangunterschiede  in  der  vollendetsten  Art  bei  der  Orgel  zu 
geben,  befleissigt  man  sich  einer  sorgfältigen  Bauart  im  Allgemeinen  wie  im 
Speciellen  der  Orgelpfeifen.  Da  letztere  Bauart  in  den  einzelnen  Artikeln 
ausführlicher  berücksichtigt  wird,    so  ist  sie  hier  bei  Seite  zu  lassen  und  sind 


280  Holzbogen  —  Holzmiller. 

nur  die  Eigenheiten  der  allgemeinen  Bauweise  anzudeuten.  Zu  allen  wind- 
dichten Orgeltheilen  verwendet  man  kiehnene  Bretter,  wo  möglich  ohne  Aeste 
und  ohne  harzige  Theile.  Aeste,  wo  sie  vorhanden,  schneidet  man  aus  und 
füllt  das  Loch  mit  gesundem  Holze.  Diese  Holztheile  setzt  man  gleichfaserig 
laufend,  wenn  sie  mit  dem  im  Artikel  Holz  (s.  d.)  angegebenen  Absud  be- 
strichen worden  sind,  zusammen.  Pfeifen  aus  Holz  werden  nach  dem  gleichen 
Prinzip  gebaut,  doch  zu  denselben,  je  nach  der  gewünschten  Klangart,  ver- 
schiedene Holzarten  genommen.  Je  härter,  sagt  der  Orgelbauer,  die  Holzart 
ist,  je  kerniger  ist  der  Ton,  und  je  weicher,  um  so  zarteren  Klang  kann  man 
aus  derselben  erzielen.  Die  Pfeifen  einer  Orgel  müssen  im  Innern  immer  glatt 
gehobelt  sein,  und  werden,  wenn  ein  vorzüglich  kerniger  Ton  gewünscht  wird, 
mit  Leim  und  Bolus  glatt  verstrichen.  Durch  dies  Verstreichen  bewirkt  man 
ein  Verstopfen  der  Holzporen  und  giebt  den  Pfeifen  eine  bedeutendere  Oscil- 
lationskraft.  Von  diesen  Allgemeinbestimmungen  scheint  die  wichtigste:  dass 
zu  Toni'öhren  verwandtes  Holz  stets  der  Länge  nach  die  Faser  laufend  haben 
muss,  welche  Bestimmung  auch  bei  den  durch  Menschenhauch  intonirten  H.n 
gilt.     Alles  übrige  die  H.  Betreffende  sehe  man  in  den  Specialartikeln.       0. 

Holzbogen,  Joseph,  deutscher  Violinvirtuose  und  Instrumentalcomponist, 
war  bereits  Mitglied  der  Hofkapelle  zu  München  (um  die  Mitte  des  18.  Jahr- 
hunderts), als  er  1753  nach  Italien  reiste  und  bei  Tartini  seine  letzte  Aus- 
bildung im  Violinspiel  und  in  der  Compositiou  erhielt.  Er  kehrte  hierauf  in 
seine  frühere  Stellung  zurück  und  starb  1779  als  peusionirter  Kammermusicus 
zu  München.  Burney  gedenkt  seiner  in  seinem  musikalischen  Reisetagebuch 
mit  auszeichnendem  Lobe.  Obwohl  von  H.'s  Compositionen  nichts  gedruckt 
wurde,  kennt  man  sechs  Sinfonien,  sechs  Streichtrios,  ein  Trio  für  Oboe,  Fagott, 
Hörn  und  ein  solches  für  Violine,  Fagott  und  Bass  von  ihm. 

Holzer,  Johann,  Organist  in  Wien,  veröffentlichte  von  seiner  Composition 
1779  Lieder  mit  Clavierbegleitung  und  weiterhin  auch  Sonaten  für  Ciavier 
mit  Begleitung  verschiedener  Instrumente. 

Holzflöte  oder  Holzpfeife,  ein  sehr  selten  vorkommendes,  nur  aus  Holz 
gebautes  Flötenwerk  in  der  Orgel  von  2,5  Meter. 

Holzharmonica,  s.  Harmonie a. 

Holzhäuser,  Heinrich,  deutscher  Tonkünstler,  geboren  1675  in  Wien, 
war  daselbst  kaiserl.  Hof  kapellmeister,  sowie  Musikdirektor  der  Kaiserin  Eleonore 
und  starb  am  8.  März   1726  zu  Wien. 

Holzhen,  deutscher  Orgelbauer,  lebte  in  der  letzten  Hälfte  des  18.  Jahr- 
hunderts zu  Ottobeuren  in  Schwaben  und  hat  in  seiner  Gegend  viele  treffliche 
Kircheninstrumente  errichtet. 

Holziuger,  Pater  Benedictus,  deutscher  Kirchencomponist ,  aus  Aichach 
in  Baiern  gebürtig,  war  seit  1747  Benedictinermönch  und  hat  mehrere  Vespern 
geschrieben^  die  nicht  im  Druck  erschienen  sind.     Er  starb  im  J.  1805. 

'^"'^  Holzmann,  Anton,  Benedictinermönch  und  Kirchencomponist,  war  zu  An- 
fang des  17.  Jahrhunderts  Subprior  im  Marienkloster  zu  Schutter  im  Breisgau 
und  veröffentlichte  von  seinen  Compositionen  eine  Kirchenmusik. 

Holzmanu,  Daniel,  deutscher  Meistersinger  zu  Augsburg,  lebte  in  der 
zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  (1571). 

i  'Holzmiller,  Eduard,  trefflicher  deutscher  Tenorsänger  und  auch  Lieder- 
componist,  geboren  um  1806,  war  zuerst  in  Wien  engagirt,  von  wo  aus  er 
1830  in  Berlin  eintraf,  am  Königsstädtischen  Theater  als  G-eorge  Brown  in 
der  weissen  Dame  auftrat  und  für  diese  Bühne  gewonnen  wurde.  Im  J.  1836 
verliesB  er  Berlin,  nachdem  er  den  Almaviva  im  »Barbier«  als  Abschiedsrolle 
gesungen  hatte,  und  war  von  da  an  bis  1842  beim  königl.  Hoftheater  in  Han- 
nover engagirt.  Er  scheint  sich  hierauf  in  das  Privatleben  zurückgezogen  zu 
haben.  H.  besass  eine  schöne  Stimme  und  angenehmes  Aeussere,  jedoch  fehlte 
seinem  Vortrag  und  Spiel  seelische  Belebung.  Von  seiner  Composition  er- 
schienen in  Hannover  einige  Liederhefte.  —  Seine  Gattin,  Betty  H.,  geborene 


Holzner  —  Homeriden.  281 

Vio,  stammte  aus  Italien,  galt  als  eine  vorzügliche  Opernsängerin  und  war  an 
denselben  Bühnen  engagirt. 

Holzner,  Anton,  s.  Holtzner. 

Holzprincipal  nennt  man  eine  in  manchen  Orgelwerken  vorkommende 
Principalstimme ,  welche,  zu  2,5  oder  5  Meter  gebaut,  in  nur  schwach  er- 
tönenden Orgelabtheilungen,  etwa  in  einem  dritten  oder  vierten  Manuale 
oder  im  Pedale,  disponirt  ist  und  deren  Pfeifen  durchweg  aus  Holz  gefer- 
tigt sind.  0. 

Holzsaiten  sind  ein  Klangmaterial,  welches  sich  bei  einigen  Völkern  auf 
niedriger  Kunststufe  im  Gebrauch  befindet.  So  fertigen  in  Mittelamerika 
einige  Indianerstämme  ein  guitarrenartiges  Reissinstrument  an,  dessen  Bezug, 
aus  wenigen  Saiten  bestehend,  sie  aus  den  Fasern  einer  Palmenart  fertigen. 
Der  Ton  dieser  Saiten  soll,  wie  mehrere  Eeisende  versichern,  angenehm  und 
ziemlich  stark  tönend  sein.  0. 

Homann  oder  Höh  mann,  deutscher  Componist  der  Gegenwart,  geboren 
1811  in  Memel,  wirkte  in  seiner  Vaterstadt  als  Theaterkapellmeister  und  liess 
daselbst  u.  A.  seine  Opern  »Karl  XII.«  (1844)  und  »Die  Küsse«  (1846)  aufführen. 

Homati,  Tommaso,  italienischer  Tonsetzer  des  16.  oder  17.  Jahrhunderts, 
ist  nur  noch  dadurch  bekannt  geblieben,  dass  er  Messen  und  Psalme  seiner 
Composition  in  den  Druck  gegeben  hat. 

Homberg-er,  Paul,  tüchtiger  deutscher  Componist  und  Contrapunktist, 
geboren  um  1560,  war  Cantor  in  Regensburg  und  starb  als  solcher  daselbst 
am  19.  Novbr.  1634. 

Home,  Sir  Everard,  einer  der  ausgezeichnetsten  englischen  Physiologen 
und  Anatomen,  geboren  1756  zu  Edinburg,  wurde  Professor  der  Anatomie  und 
Chirurgie  am  königl.  Collegium  der  Wundärzte  zu  London,  dann  Präsident 
derselben,  endlich  1813  zum  Baronet  und  Leibarzt  des  Prinz-Regenten  erhoben 
und  starb  am  31.  Aug.  1832  zu  Chelsea.  Unter  seinen  "Werken  befinden  sich 
auch  gediegene   Schriften   über   den  Bau  des   Ohres  und   über  das   Trommelfell. 

Homer,  der  älteste  und  gefeiertste  Dichter-  und  Sängername  des  grie- 
chischen Alterthums,  der  Vater  der  epischen  Gesänge,  war,  der  gewöhnlichen 
Sage  nach,  ein  Sohn  des  Mäon,  daher  er  auch  der  Mäonide  genannt  wurde, 
und  stammt,  wie  sich  fast  mit  Bestimmtheit  nachweisen  lässt,  aus  Jonien  in 
Kleinasien  oder  aus  einer  der  nahegelegenen  Inseln,  etwa  Chios.  Sein  Ur- 
sprung und  sein  übriges  Leben  sind  in  Dunkel  gehüllt,  was  der  Sage  Ge- 
legenheit bot,  die  Fabel  ergänzend  hinzutreten  zu  lassen  und  ihm  Blindheit, 
grosse  Lehrer  und  weite  Reisen  beizulegen.  Ebenso  unsicher  ist  die  nähere 
Zeitbestimmung  seiner  Blüthe,  da  man  dieselbe  von  1105  v.  Chr.  abwärts  bis 
850  V.  Chr.  gerückt  hat.  Viele  Gelehrte  der  neueren  Zeit  haben  sogar  sein 
Vorhandensein  als  einzelnes  Individuunj  bezweifelt,  während  Andere  ihn,  worauf 
allerdings  die  Etymologie  seines  Namens  führt,  als  den  Zusammenfüger  schon 
vorhandener  Gesänge,  noch  Andere  endlich  vorsichtiger  als  den  Repräsentanten 
einer  ganzen  jonischen  Sängerschule  (s.  Homeriden)  betrachten.  Die  beiden 
Hauptgedichte,  die  wir  unter  seinem  Namen  besitzen,  sind  die  »Ilias«  und 
»Odyssee«,  deren  Stoff  dem  Sagenkreise  des  trojanischen  Kriegs  entlehnt  und 
so  glücklich  gewählt  und  behandelt  ist,  dass  jedes  ein  gefälliges  Ganze  bildet. 
Wie  hoch  man  diese  ächten  Nationalge  sänge  feierte,  dafür  ist  Beweis,  dass 
Pisistratus  und  die  Pisistratiden  in  Athen  eine  Sammlung  derselben  veranstal- 
teten und  verordneten,  dass  sie  jährlich  an  dem  Fest  der  Panathenäen  von  den 
Rhapsoden  (s.  d.)  öffentlich  vorgetragen  wurden.  Die  hohen  Vorzüge  der 
H.'schen  Gesänge  in  Bezug  auf  Inhalt,  Darstellung  und  Sprachform,  welche 
letztere  für  alle  späteren  Zeiten  als  Muster  galt,  sind  der  höchsten  Bewunderung 
werth  und  werden  immer  gepriesen  werden. 

Homeriden,  eigentlich  Abkömmlinge  des  Homer,  nannten  die  Alten  ur- 
sprünglich eine  auf  der  Insel  Chios  einheimische  Sängerfamilie,  welche  die 
Lieder  Homer's  durch  Ueberlieferung  fortpflanzte  oder  auch  in  gleichem  Geiste 


282  Homet  —  Homoioptoton. 

Gesänge  verfasste,  die  man  ebenfalls  mit  dem  allgemeinen  Namen  der  Home- 
rischen bezeichnete.  Später  verstand  man  darunter  überhaupt  Diejenigen, 
welche  Homer's  Gresänge  mit  Kunstfertigkeit  öffentlich  vortrugen,  was  aus- 
schliesslich die  Hhapsoden  (s.  d.)  thaten. 

Homet,  Abbe,  französischer  Tonsetzer,  war  zuerst,  um  1730,  Chorknabe 
der  Kathedrale  in  Chartres,  wurde  dann  Kirchensäuger  zu  Amieus  und  ei'hielt 
endlich  das  Amt  als  Musikmeister  an  der  Kirche  von  Notredame  zu  Paris,  in 
welcher  Stadt  er  1777  starb.  Motetten  von  ihm  befinden  sich  im  Manuscript  auf 
der  Pariser  Bibliothek  und  andere  Stücke  in  der  Maitrise  der  Notredamekirche. 

Homeyer,  Joseph  Maria,  deutscher  Orgelvirtuose  und  Componist,  ge- 
boren am  18.  Septbr.  1814  zu  Lüderode  am  Harz,  hat  durch  die  glänzende 
Behandlung  seines  Instruments  auf  Reisen  Aufsehen  gemacht  und  wurde  Ka- 
pellmeister des  Herzogs  von  Lucca.  Er  hat  Sinfonien,  Orgel-  und  kirchliche 
Vocalwerke  geschrieben  und  ein  verdienstvolles  Werk,  y>Gantus  Grec/oriamtsa,  verfasst. 

Homilius,  Grottfried  August,  einer  der  ausgezeichnetsten  Organisten 
-und  Kirch encomponisten  des  18.  Jahrhunderts,  geboren  am  2.  Febr.  1714  zu 
Rosenthal  an  der  sächsisch -böhmischen  Grenze,  wurde  1742  Organist  an  der 
Frauenkirche  zu  Dresden,  1755  Musikdirektor  an  den  drei  Hauptkirchen  und 
Cantor  an  der  Kreuzschule  daselbst,  welche  letztere  er  als  gründlicher,  treuer 
und  im  höchsten  Grade  gewissenhafter  Lehrer  zu  grosser  Blüthe  brachte.  Er 
starb  am  1.  Juni  1785  zu  Dresden.  Im  Orgelspiel  zeigte  er  E-eichthum  und 
Gedanken,  tiefe  Kenntniss  der  Harmonie,  ungemeine  Fertigkeit  und  zweck- 
mässige Wahl  im  Eegistriren.  Von  seineu  ausgezeichneten  Kirchencompositionen 
hat  er  nur  wenige  drucken  lassen;  erschienen  sind  von  diesen:  eine  Passions- 
cantate,  gedichtet  von  Buschmann  (1775),  eine  Weihnachtscantate,  betitelt  »Die 
Freude  der  Hirten  über  die  Geburt  Jesu«  (1777),  sechs  deutsche  Arien  im 
Clavierauszuge  für  Freunde  ernsthafter  Gesänge  (1786)  und  einige  Motetten 
in  der  von  seinem  Schüler  J.  A.  Hiller  herausgegebenen  Motettensammlung. 
Als  ManuBcripte  wurden  verbreitet:  mehrere  Passionen  und  drei  Cantaten,  32 
ein-  und  zweichörige  Motetten  mit  Solostimmen,  ein  Jahrgang  Kirchenmusiken 
auf  alle  Sonn-  und  Festtage,  ein  einstimmiges  Choralbuch  in  167  Chorälen, 
mehrere  vai'iirte  und  fugirte  Choräle  und  ein  Choralbuch,  das  bei  dem  Gottes- 
dienst in  Dresden  gebraucht  wird,  endlich  noch  sechs  Trios  für  die  Orgel 
u.  s.  w.  Seine  Motetten  sind  überwiegend  zu  den  Mustern  dieser  Gattung  zu 
rechnen,  seine  Chöre  erscheinen  höchst  kunstreich  und  tiefgedacht,  zugleich 
aber  auch  überaus  fliessend,  und  sein  Choralsatz  ist  edel,  würdevoll  und  gross. 
Auch  ein  Lehrbuch  des  Generalbasses  hat  er  verfasst.  Der  grösste  Theil  der 
Manuscripte  H.'s  befindet  sich  in  der  königl.  Bibliothek  zu  Berlin,  ein  anderer 
Theil  im  Archiv  des  Kreuzchors  zu  Dresden. 

Hommel,  Karl  Ferdinand,  berühmter  deutscher  Rechtslehrer ,  geboren 
am  6.  Jan.  1722  zu  Leipzig,  studirtc  anfangs  Medicin,  dann  die  Hechte,  ward 
1744  Doctor,  1750  ausserordentlicher,  1756  ordentlicher  Professor  der  Rechte, 
1763  Ordinarius  der  juristischen  Facultät  und  starb  in  hohem  Ansehen  am 
16.  Mai  1781  zu  Leipzig.  Unter  seinen  mannichfaltigen  akademischen  Schriften 
befindet  sich  eine,  welche  eine  Erklärung  des  goldenen  Horns  in  der  nordischen 
Mythologie  giebt. 

Hommertc,  englischer  Orgelvirtuose  der  letzten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts, 
war  als  königl.  Kammermusiker  in  London  angestellt  und  liess  sich  1786  auch 
auf  der  Orgel  der  St.  Michaeliskirche  in  Hamburg  hören.  Als  Componist  ist 
er  mit  mehreren  Ciaviersonaten  an  die  Oeffentlichkeit  getreten. 

Homogen,  s.  Heterogen. 

Homoioptoton  und  Homoioteleuton  (griech.),  aus  der  Rhetorik  in  die 
Musik  übergegangene  Ausdrücke,  sind  die  alten  Bezeichnimgen  für  die  General- 
pausen, und  zwar  ersterc  für  die  Generalpause,  die  nicht  bei  Gelegenheit 
eines  Tonschlusses  gemacht  wurde,  letztere  für  diejenige,  die  auf  einen  Ton- 
schluBS  folgte. 


Homophonie  —  Homophoner  StyL 


283 


Homophonie  (griech.,  d.  i.  Einklang)  nannten  die  Grriechen  jeden  Gesang, 
der  von  zwei  oder  mehreren  Stimmen  gleichzeitig  im  Einklänge  oder  in  Oc- 
taven  gesungen  wurde.  Jetzt  gebraucht  mau  dieses  Wort  in  einem  anderen 
Sinne,  und  zwar  —  im  Gegensatze  zu  Polyphonie  (s.  d,)  —  für  Tonsätze, 
die  nach  der  homophonen  Schreibweise  abgefasst  sind  (s.  den  folgenden  Artikel). 

Homophoueu  Styl,  homophone  Schreibweise  hat  ein  Tonsatz,  wenn  in  ihm 
gleichzeitig  immer  nur  eine  einzige  Stimme  die  Hauptmelodie  führt  oder  als 
Haupt  stimme  (s.  d.)  auftritt,  der  sich  alle  anderen  Stimmen  (die  Begleitungs- 
oder Nebenstimmen)  in  rhythmischer  und  harmonischer  Beziehung  unterordnen, 
mögen  nun  diese  letzteren  nur  einfach  die  begleitenden  Accorde  angeben  (wie 
bei  o),  oder  in  Gestalt  von  wirklichen  Melodien  erscheinen  (wie  bei  b).  Die 
Hauptmelodie  kann  dabei  nach  und  nach  von  allen  Stimmen  übernommen  wer- 
den, der  Satz  bleibt  dennoch  homophon.  —  Treten  dagegen  in  einem  Tonsatze 
immer  mehrere  Stimmen  gleichzeitig  als  Hauptstimmen  auf  (c),  so  heisßt  die 
Schreibweise  »polyphon«  (s.  d.).  —  Eine  bestimmte  Grenze  lässt  sich  zwischen 
der  homophonen  und  polyphonen  Schreibweise  gar  nicht  ziehen;  kann  sich  doch 
auch  jede  Nebenstimme  in  Gestaltung  und  Bedeutung  dem  Charakter  einer 
Hauptstimme  mehr  und  mehr  nähern.  —  "Wechseln  in  demselben  Tonstücke 
homophone  und  polyphone  Stellen  mit  einander  ab,  so  heisst  der  Styl  gemischt 
(s.  Styl).  —  Je  nach  der  angewandten  Schreibweise  theilt  man  auch  wohl 
die  Kunstformen  selbst  ein  in  homophone,  polyphone  und  gemischte  Formen 
(s.  Kunstform). 


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a.  (Beethoven,  Op.  59  No.  1.) 
(VioP.  II.  und  Viola.) 


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284 


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Die  homophone  Schreibweise  ist  erst  viel  später  zur  Uebung  gekommen, 
als  die  polyphone.  Die  ersten  Versuche  in  der  mehrstimmigen  Composition 
waren  darauf  gerichtet,  mehrere  selbstständige  Melodien  mit  einander  zu  ver- 
binden (s.  Diaphonie),  und  so  ist  auch  die  ganze  erste  Epoche  der  mehr- 
stimmigen Musik  (bis  1600)  lediglich   von   der  Polyphonie   beherrscht.     Selbst 


Homophonus  —  Hooper.  285 

als  man  darauf  verfiel,  eine  einzelne  Stimme  mit  Begleitung  von  Instrumenten 
singen  zu  lassen,  beschränkte  man  sicli  zunächst  darauf,  dass  man  in  polyphon 
gehaltenen  Tonsätzen  einfach  die  nicht  gesungenen  Stimmen  durch  Instrumente 
ausführen  Hess.  »Die  Harmonie  dieses  Musikstyls  ist  wesentlich  Polyphonie, 
welche,  anscheinend  zufällig,  aus  dem  Zusammentrefien  der  unter  sich  bestimmte 
consonirende  und  dissonirende  Intervalle  bildenden  Töne  mehrerer  gleichzeitig 
neben  einander  hingehender  Melodien  entsteht,  während  in  der  Homophonie, 
wie  sie  um  1600  entstand,  die  vereinzelte,  zur  Hauptsache  gewordene  Melodie  in 
der  sie  tragenden  Harmonie  (die  ursprünglich  nur  in  einem  bezifferten  Basse 
bestand)  nur  eine  Art  Commentar  erhielt,  in  welchem  die  harmonischen  Be- 
ziehungen der  Melodie  auf  die  einzelneu  Klangstufenaccorde  der  Scala,  aus 
welchen  sie  gebaut  ist,  dem  Hörer  klar  und  ausdrücklich  entgegengehalten 
werden«  (Ambros,  »Gesch.  der  Musik«,  Bd.  III.  S.  121).  Die  ersten  wirklich 
homophonen  Tonsätze  (für  die  Laute  u.  dergl.  Instrumente)  hatten  neben  der 
Melodie  nur  den  Bass  mit  wenigen  Ziffern,  »bis  später  diese  Begleitung  selbst 
wieder  durch  Figurirung  und  Paraphrasirung  ihres  einfachen  Harmoniegehaltes 
eine  gewisse  Selbstständigkeit  erhielt,  ohne  doch  aus  ihrer  Abhängigkeit  von 
der  Hauptmelodie  zu  treten:  denn  selbst  die  reichste,  orchestrirte  u.  s.  w.  Be- 
gleitung bleibt  ohne  die  Hauptstimme  lückenhaft  und  unbefriedigend«  (a.  a,  0.). 

0.  Tiersch. 

Homophonus  (griech.-latein.) ,  oder  unisonus,  aequisonus  (latein.),  der 
Einklang. 

Houaner,  Lorenz,  deutscher  Tonkünstler,  lebte  um  1770  in  Paris  und 
veröffentlichte  Ciaviersonaten  und   Quartette  seiner  Composition. 

Houdt,  Ghearkin  d',  belgischer  Tonsetzer  aus  der  ersten  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts,  ist  durch  Kirchengesänge  seiner  Composition  bekannt  ge- 
blieben. 

Honorio,  Eomoaldo,  italienischer  Camaldulensermönch  und  Componist, 
lebte  um  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  und  erfreute  sich  eines  bedeutenden 
musikalischen  Eufes.  In  der  Sammlung  des  Ambrosius  Profe  (Leipzig,  1641 
bis  1646)  befindet  sich  eine  Motette  von  ihm.  Sonst  führt  "Walther  von  ihm 
noch  vier-  bis  achtstimmige  Messen,  drei-  bis  fünfstimmige  Psalme,  vier-  bis 
achtstimmige  Litaneien  und  Concerte  für  eine  bis  vier  Stimmen  mit  dem  Basso 
continuo  für  Orgel  an. 

Hoo^he,  Diek  van  der,  niederländischer  Musikschriftsteller  aus  der  zweiten 
Hälfte  des  18.  Jahrhunderts,  gab  1769  in  holländischer  Sprache  »Elemente  der 
Vocalmusik«  heraus. 

Hook,  James,  fruchtbarer  englischer  Componist,  geboren  1746  zu  Nor- 
wich,  war  ein  Schüler  des  dortigen  Organisten  Garland.  Nach  Beendigung 
seiner  Studien  ging  er  nach  London,  wo  er  an  fünfzig  Jahre  hindurch  als 
Organist  fungirte.  Im  J.  1829  war  er  noch  am  Leben.  Er  hatte  den  Ruf 
eines  sehr  geschickten  Orgelspielers  und  fleissigen  Componisten.  In  letzterer 
Eigenschaft  kennt  man  von  ihm  gegen  140  Werke,  nämlich  ein  Oratorium 
y>The  ascensionv,  sieben  komische  Opern,  einen  Entr'act,  eine  Farce,  drei  Melo- 
dramen, sechs  Concerte  mit  Orchesterbegleitung,  30  Sonaten,  theils  für  Ciavier 
allein,  theils  mit  Begleitung  einer  Flöte  oder  Yioline,  viele  Duos  und  eine 
grosse  Zahl  von  Variationen  und  Divertissements  für  Ciavier,  zwei-  sowohl 
wie  vierhändig,  sodann  eine  Ciavierschule,  endlich  auch  mehr  als  2000  ein-, 
zwei-,  drei-  und  vierstimmige  Lieder  und  Gesänge  mit  Ciavierbegleitung,  welche 
in  verschiedenen  Sammlungen  erschienen. 

Hook,  Robert,  auch  Hooke  geschrieben,  berühmter  englischer  Mechaniker 
und  Mathematiker,  geboren  am  18.  Juli  1635  zu  Fresh water  auf  der  Insel 
Wight,  veröffentlichte  u.  A.  y>Observationes  in  Gl.  Fiolemaei  librum  harmoni- 
corumv.     Er  starb  am  3.  März  1703  zu  London. 

Hooper,  Edmund,  vortrefflicher  englischer  Orgelspieler  und  sehr  ge- 
schätzter Componist  der  Wendezeit   des  16.  und  17.  Jahrhunderts,   war  Orga- 


286  Hoornbeck  —  Hopffer. 

nist  an  der  königl.  Kapelle,  sowie  an  der  "Westminsterabtei  zu  London  und 
starb  daselbst  am  14.  Juli  1621.  Er  ist  einer  der  Verfasser  des  Psalmenwerks, 
welches  1594  zu  London  erschien;  Authems  von  ihm  befinden  sich  in  der 
Barnard'schen   Sammlung. 

Hoorubeck,  Cornelis,  niederländischer  Orgelbauer,  lebte  zu  Anfang  des 
18.  Jahrhunderts  und  baute  u,  A.  in  der  lutherischen  Kirche  zu  Amsterdam 
ein  vortreffliches  Werk  mit  37  klingenden   Stimmen. 

Hopfe,  (Heinrich)  Julius,  gründlicher  deutscher  Musiktheoretiker  und 
Componist,  geboren  am  18.  Jan.  1817  zu  Schloss  Heldrungen  in  Thüringen, 
wurde  von  seinem  Vater,  einem  Prediger,  für  die  Handlung  bestimmt  und  mit 
15  Jahren  in  ein  Geschäft  nach  Magdeburg  gebracht.  Nach  einem  Jahre 
jedoch  kam  er  auf  das  Gymnasium  zu  Eisleben,  um  Theologie  zu  studiren,  da 
sein  älterer  Bruder,  der  sich  zu  diesem  Berufe  vorbereiten  sollte,  inzwischen 
gestorben  war.  Dort  nahm  H.  auch  bei  dem  Seminarlehrer  Karnstedt  und 
nach  dessen  Tode  bei  dem  Organisten  Güuthersberg  musikalischen  Unterricht, 
fing  an,  Tänze  zu  componiren,  die  sehr  gefielen,  und  da  er  dieselben  viel  ge- 
spielt und  auch  gedruckt  sah,  so  brachte  er  deren  Zahl  nach  und  nach  bis 
auf  1200.  Im  J.  1840  bezog  H,  die  Universität  zu  Berlin  und  studirte  zu- 
gleich an  der  Akademie  der  Künste  bei  A.  W.  Bach  und  Rungeuhagcn  Musik. 
Nach  Vollendung  seiner  wissenschaftlichen  und  musikalischen  Studien  und 
nachdem  er  das  philosophische  Doctorexamen  bestanden  hatte,  Hess  er  sich  in 
Berlin  als  Lehrer  des  Clavierspiels  und  der  Harmonielehre  nieder  und  wirkte 
zugleich  als  Dirigent  von  Instrumcntalmusikvereinen.  Als  Componist  wurde 
er  im  localeu  Umkreise  durch  sein  Oratorium  »Die  Auferweckung  des  Lazarus« 
(1850),  durch  seine  Sinfonien  (neun  an  der  Zahl),  Ouvertüren  und  verschie- 
denartige Karamermusikwerke  achtungswerth  bekannt.  Im  Druck  erschienen 
sind  jedoch  nur  mehrere  Kirchencantaten ,  ein-  und  mehrstimmige  Lieder,  ein 
Streichquintett,  Trios,  zweihändige  und  vierhändige  Ciavierstücke.  Ausserdem 
hat  er  ein  Choralbuch  und  für  didaktische  Zwecke  zwei  Clavierschulen  und 
ein  systematisch  geordnetes  »Verzeichniss  classischer  und  vorzüglicher  Compo- 
sitionen  für  das  Pianoforte  zu  zwei  und  vier  Händen,  Duetten,  Trios,  Quartetten 
u.  s.  w.«  (Berlin,  1850)  veröffentlicht. 

Hopffer,  (Ludwig)  Bernhard,  vorzüglich  begabter  deutscher  Componist, 
geboren  am  7.  Aug.  1840  zu  Berlin,  erhielt  durch  seinen  Vater,  einen  wohl- 
habenden Juwelier,  eine  treffliche  wissenschaftliche  Erziehung,  zu  welcher  sich 
Violin-  und  Ciavierunterricht  ziemlich  früh  gesellten.  Mit  knabenhafter  Leiden- 
schaftlichkeit componirte  er  schon  als  Gymnasiast  schlecht  und  recht  Opern, 
deren  Texte  sein  älterer  Bruder  zusammengereimt  hatte.  Endlich,  1857,  begann 
er  das  eigentliche  Studium  der  Musik  in  der  Kullak'schen  »Neuen  Akademie 
für  Tonkunst«,  wo  Th.  Kullak  im  Ciavier-,  "Wohlers  und  Espenhahn  im  Violon- 
cellospiel, S.  "W.  Dehn  und  R.  Wüerst  in  der  Theorie  und  Composition  seine 
Lehrer  waren.  Als  er  dies  Institut  Ostern  1860  verliess,  wurden  eine  Ouver- 
türe und  eine  Sinfonie  von  ihm  als  Probearbeiten  dem  Publikum  vorgeführt 
und  von  demselben  sowie  von  der  Kritik  sehr  beifällig  aufgenommen.  Er  trat 
hierauf  nur  noch  mit  einigen  Orchesterwerken,  ausgeführt  in  den  Liebig'schen 
Sinfonieconcerten,  hervor,  erschien  aber  dann  auch  plötzlich  mit  einer  grossen 
Opernpartitur,  die,  warm  empfohlen,  Annahme  im  königl.  Opernhause  fand  und 
am  11.  April  1871  zum  ersten  Male  mit  ziemlich  bedeutendem  Erfolge  auf- 
geführt und  öfter  wiederholt  wurde.  Es  war  dies  »Frithjof«,  Text  von  Em. 
Hopffer  (s.  weiter  unten),  die  stichhaltige  Probe  einer  tüchtigen  künstlerischen 
Kraft  voll  gesunden  Sinnes  und  ernsten  Strebens.  Im  Auftrage  der  königl. 
General- Intendantur  schrieb  H.  hierauf  das  Festspiel  »Barbarossa«,  Dichtung 
von  Hein,  welches  zu  Ehren  der  aus  Frankreich  heimkehrenden  Truppen  auf- 
geführt wurde.  Leider  unterbrach  sein  Gesundheitszustand  die  weitere  Ver- 
folgung der  so  glücklich  betretenen  Bahn.  H.  musste  seit  Frühjahr  1872  einen 
Kuraufenthalt  in  Süddeutschland,  der  Schweiz  und  Italien  nehmen,  von  welchem 


Hopfgarten  —  Hoppe.  287 

er  1875  mit  einer  neuen,  mittlerweile  vollendeten  grossen  Oper  zurückzukehren 
gedenkt.  Von  seineu  Werken  sind  im  Druck  erschienen:  eine  Anzahl  Lieder 
und  Gesänge,  zwei  Violin- Sonaten,  ein  Streichquintett,  ein  Ciavierquartett, 
vierhändige  Märsche,  einige  Chorsachen  mit  Orchester,  die  Oper  »Frithjof«  und 
das  Festspiel  »Barbarossa«.  —  H.'s  älterer  Bruder,  Emil  Heinrich  H.,  ge- 
boren am  22.  Jan.  1838  zu  Berlin,  besuchte  nach  Absolvirung  des  französischen 
Gymnasiums  zuerst  das  Berliner  Conservatorium  von  A.  B.  Marx,  J.  Stern 
und  Th.  Kullak,  bezog  aber  bald  hierauf,  dem  letzteren  folgend,  die  »Neue 
Akademie  für  Tonkunst«  und  studirte  daselbst  bei  Kullak,  Ferd,  Laub  (Violine) 
und  S.  W.  Dehn.  Mit  besonderer  Vorliebe  jedoch  beschäftigte  er  sich  mit  Poesie 
und  dramatischer  Literatur  und  schrieb  für  seinen  Bruder  Bernhard  die  drei- 
aktige  komische  Oper  »Der  Student  von  Prag«  und  die  grosse  Oper  »Frithjof«, 
welche  letztere  ihn  rühmlichst  bekannt  machte.  Es  folgten  derselben  die  grossen 
Opern  »Hermione«,  von  M.  Bruch,  und  »Edda«,  von  Karl  Beinthaler  componirt 
und  mit  Erfolg  in  Berlin  und  Bremen  aufgeführt.  Eine  neue,  ebenfalls  für 
seinen  Bruder  geschriebene  Oper  ist  so  eben  (1875)  auch  in  der  Musik  voll- 
endet und  wird  jetzt  an  die  Bühnen  verschickt.  Seit  1872  lebt  Emil  H.  in 
Hamburg,  wo  er  beim  Hambui-gischen  Correspondenten  als  Theaterreferent  und 
ßedacteur  des  Feuilletons  angestellt  ist  und  durch  seine  sachkundigen,  ge- 
diegenen Kritiken,  namentlich  auch  über  die  Oper,  sich  eine  angesehene  Stellung 
erworben  hat. 

Hopfgarten,  Ludwig  Ferdinand  von,  deutscher  Jurist  und  Musikfreund, 
geboren  am  20.  Juli  1744  zu  Dresden,  war  1767  wirklicher  Appellationsrath 
daselbst  und  veröffentlichte  ein  scherzhaftes  Gedicht,  betitelt:  »Ursprung  der 
Musik  und  Dichtkunst«. 

Hopkins,  Edward  John,  hervorragender  englischer  Orgel  virtuose,  Musik- 
gelehrter und  Componist,  geboren  am  30.  Juni  1818  zu  London,  erhielt  vom 
achten  Jahre  an  seine  musikalische  Erziehung  als  Chorknabe  der  königl.  Ka- 
pelle, welchem  Institute  er  durch  sechs  Jahre  angehörte.  Schon  1833  ertheilte 
man  ihm  vor  vielen  Bewerbern  die  Organistenstelle  in  einer  Parochie  der 
Grafschaft  Surrey.  Hier  componirte  er  Antiphonien  und  andere  Kirchenstücke 
und  erwarb  einen  vom  Gresham-Collegium  ausgesetzten  Compositionspreis.  Bald 
darauf  wurde  er  auch  Mitarbeiter  der  musikalisch -antiquarischen  Gesellschaft 
in  London,  die  es  sich  zur  Aufgabe  gestellt  hatte,  die  "Werke  der  alten  Kirchen- 
componisten,  in  die  moderne  Notirungsart  übertragen,  herauszugeben.  Im 
J.  1843  wurde  H.  zum  Organisten  und  Kapellmeister  der  Tempelkirche  in 
London  ernannt,  und  in  dieser  Stellung  verfasste  er  das  hochwichtige,  überaus 
interessante  Werk  y>The  orgaii,  its  liistory  and  constructions«.  etc.  (London, 
1855),  in  welchem  auf  das  Gründlichste  die  Orgel,  ihr  Bau  und  ihi'e  Wirk- 
samkeit beschrieben  ist,  gefolgt  von  einer  Beschreibung  der  grössten  Kirchen- 
instrumente in  ganz  Europa,  vorzüglich  in  England,  und  vervollständigt 
durch  eine  Geschichte  der  Orgel,  welche  letztere  Edward  Rimbault  zum  Vei*- 
fasser  hat. 

Hopkinsen,  Francis,  englischer  Mechaniker,  lebte  zu  Paris  und  brachte 
daselbst  1788  eine  zweckmässigere  Bekielung  der  Claviere  in  Vorschlag,  welche 
die  Anerkennung  der  Instrumentenmacher  fand. 

Hoplit,  pseudonymer  Mitarbeiter  der  »Neuen  Zeitschrift  für  Musik«  in 
den  1850er  Jahren  (wahrscheinlich  Rieh.  Pohl),  dessen  Artikel  sich  durch 
rückhaltslose  Aggression  für  die  Tendenzen  der  neudeutschen  Musikrichtung 
auszeichnen,  verfasste  in  diesem  Sinne  auch  eine  grössere  Schrift,  betitelt:  «Das 
Karlsruher  Musikfest  im   October   1853«  (Leipzig,   1853). 

Hoppe,  Adam,  musikkundiger  Theologe,  geboren  in  der  ersten  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts  zu  Lemberg,  war  Prediger  zu  Teppliwada  im  schlesischen 
Fürstenthiim  Münster  und  veröffentlichte  1575  y>Cantiones  dierum  dominicalium 
et  festorum  annüi.  —  Sein  Namens-  und  Standesgenosse,  Thomas  H.,  geboren 
am  8.  Octbr.  1628  zu  Penseko,  war  Pastor  im  Greiffenberg'schen  und  compo- 


288  Hoppe  -  Horäk. 

nirte  als  solcher  ein  Psalmenwerk.     Derselbe  starb  als  Prediger  an  der  Marien- 
kirche zu  Colberg  am  2.  Jan.  1703. 

Hoppe,  Johann  Grottlieb,  deutscher  Tonkünstler  und  Musiklehrer,  ge- 
boren am  3.  April  1774  zu  Langhelwigsdorf  im  Kreise  Bolkenhain  -  Landshut, 
war  1796  Organist  und  Schullehrer  in  Grüuberg,  später  Cantor  in  Hirschberg 
und  begab  sich  als  solcher  nach  Berlin,  wo  er  Logier's  System  studirte.  Nach 
Hirschberg  zurückgekehrt,  errichtete  er  nach  den  neu  gewonnenen  Grrundsätzen 
ein  Musikinstitut.  Sonst  ist  H.  noch  durch  einige  Choralmelodien  auch  als 
Componist  bekannt  gewoi'den. 

Hoppe,  Wilhelm,  deutscher  Musikpädagog,  geboren  1797  in  Branden- 
burg, war  Musiklehrer  am  Seminar  zu  Königsberg  und  dann  zu  Insterburg. 
Er  veröffentlichte  1829  eine  Anweisung  zum  Gesangunterricht  in  Seminarien 
und  später  einen  »Leitfaden  zum  Gesangunterricht  in  Volksschulen«  mit  einer 
Singfibel  (Insterburg,  1852). 

Hoppeustedt,  August  Ludwig,  musikkundiger  deutscher  Theologe,  war 
um  1800  Superintendent  zu  Stolzenau  in  der  Grafschaft  Hoya  und  unternahm 
es  mit  Erfolg,  durch  Composition  und  Verbreitung  von  Liedern  für  niedere 
Schulen  die  Volksbildung  zu  heben.     Er  starb   1830,  77  Jahre  alt. 

Hopper,  Karl,  deutscher  Tonkünstler  und  Componist  der  ersten  Hallte 
des  17.  Jahrhunderts,  lebte  am  englischen  Hofe  zu  London.  Daselbst  wurde 
1636  eine  grössere  Composition  von  ihm,  betitelt:  »Die  Lustbarkeit  des  Königs«, 
aufgeführt. 

Hopser  oder  Hops-Anglaise,  ein  erst  unlängst  aus  der  Mode  gekom- 
mener, ursprünglich  englischer,  aber  auch  in  Deutschland  noch  in  den  ersten 
Jahrzehnten  des  19.  Jahrhunderts  sehr  beliebter  Gesellschaftstanz.  Er  war 
von  lebhaftem  Charakter  und  die  Musikweise  desselben,  nur  zwei  Reprisen  auf- 
weisend, stand  im  ^/i-Takt.  In  Walzerart  componirt  und  getanzt,  hiess  er 
Hops- Walzer.  In  beiden  Arten  wurden  die  Tanzschritte  nicht  geschleift, 
sondern  gehüpft,  daher  der  Name. 

Horae  canonicae,  horae  reguläres  oder  h.  officii  divini  (latein.),  d.  i. 
Dienststunden,  hiessen  bei  dem  römisch-katholischen  Clerus  die  täglichen  sieben 
bestimmten  Bet-  und  Singezeiten,  welche  die  Geistlichen  in  Klöstern,  Stifts- 
und Domkirchen,  vorschriftsmässigen  Anordnungen  (dem  Brevier)  entsprechend, 
inne  zu  halten  hatten.  Die  erste  Einrichtung  derselben  geht  bis  zum  Kirchen- 
lehrer Hieronymus  (s.  d.)  in  das  4.  Jahrhundert  hinauf,  der  auch  im  Auf- 
trag des  Papstes  Damasus  die  Psalme  in  sieben  Abschnitte,  nach  den  sieben 
Tagen  der  AVoche,  eintheilte,  so  dass  auf  jeden  Tag  eine  bestimmte  Anzahl 
von  Psalmen  fiel.  Diese  sieben  Stunden  oder  Tagzeiten  heissen:  1.  Matutin 
und  Laudes  (s.  d.);  2.  die  Prim  (s.  d.);  3.  die  Terz;  4.  die  Sext;  5.  die 
None;  6.  die  Vesper  (s.  d.);  7.  das  Completorium.  Die  Matutin  und  Laudes 
gehören  eigentlich  für  die  Nacht,  Vesper  und  Complet  für  den  Abend;  alle 
drei  werden  unter  dem  Namen  »officium  nocturnuma  begriffen;  die  übrigen  vier 
bilden  das  Tagesofiicium  oder  »officium  diurnuma.  Die  genannten  drei  Tagzeiten 
heissen  auch  die  grossen  Hören  (horae  majores),  die  anderen  vier  die  kleinen 
Hören  (horae  minores).  Papst  Gregor  der  Grosse  verordnete  für  die  einzelnen 
Stunden  als  Präfation  die  Anfangsworte  des  David'schen  Psalms:  y>Domine  ad 
adjuvandum  me  festina<i,  und  Urban  II.  bestimmte,  dass  in  diesen  Hören  auch 
noch  Gebete  an  die  heilige  Jungfrau  gerichtet  werden  sollten,  Gregor  VII. 
verkürzte  füi*  seinen  Hof  den  allmälig  zu  bedeutender  Länge  angewachsenen 
»Cursus«,  welches  verkürzte  Officium  den  Namen  i>Breviarium  curiae  romanaev. 
(Brevier)  erhielt  und  auch  vom  Weltclerus  und  allen  Orden,  mit  Ausnahme 
der  Benedictiuer,  angenommen  wurde. 

Uordk,  Wenzel  Emanuel,  vortrefflicher  Orgelspieler,  Musikgelehrter  und 
Componist,  geboren  am  1.  Jan.  1800  zu  Mscheuo- Lobes  in  Böhmen,  erhielt 
von  Jos.  Schubert  in  Mscheno  Musikunterricht  und  war  mit  zwölf  Jahren 
bereits  ein  ziemlich  fertiger  Orgelspieler.     Im  J.  1813  kam  er  nach  Prag  aufs 


Hörn.  289 

Grymnasium,  war  nebenbei  Sängerknabe  an  verschiedenen  Kirchen  und  machte 
hierauf  autodidaktisch  Theorie-  und  Compositionsstudien.  Erst  weit  später  ab- 
solvirte  er  bei  Tomaschek  einen  Cursus  in  der  Harmonielehre.  Etwa  1833 
erhielt  er  eine  Organistenstelle  an  der  Theiner  Pfarrkirche  zu  Prag,  kam  dann 
1836  als  Chorregent  an  die  Kirche  Maria  im  Schnee,  1853  in  gleicher  Eigen- 
schaft an  die  Adalbertskirche  und  endlich  wieder  an  die  Theinkirche.  Als 
Chorregent  derselben  starb  er  am  1.  Septbr.  1871.  In  Böhmen  gilt  er  für 
einen  der  gediegensten  und  zugleich  fruchtbarsten  Kirchencomponisten  der 
Neuzeit;  acht  Messen,  Gradualien  und  andere  geistliche  Werke,  sodann  melo- 
dienreiche und  charakteristische  Lieder  und  Chorgesänge,  sowie  eine  Gesang- 
schule  hat  er  veröffentlicht.  Ausserdem  ist  er  der  Verfasser  eines  Harmonie- 
systems, welches  unter  dem  Titel  »Die  Mehrdeutigkeit  der  Harmonien,  nach 
leicht  fasslichen,  aus  der  harmonischen  Progression  entlehnten  Grundsätzen« 
(Leipzig,  1846)  erschienen  ist. 

Hörn  (latein.:  cornu,  ital.:  corno,  französ.;  cor),  ist  ein  Tonwerkzeug,  wel- 
ches seit  den  ältesten  Zeiten  her  an  allen  Culturstätten  der  Erde  und  zwar 
aus  dem  verschiedensten  Material,  als  Hörn,  Holz,  Metall  etc.  gefertigt  worden 
ist.  Die  Nachrichten  über  die  Vervollkommnung  des  H.s  im  antiken  Zeitalter 
sind  selbst  in  Bezug  auf  dessen  Aeusseres  sehr  lückenhaft.  Diese  Lücken- 
haftigkeit hat  wohl  darin  ihren  Grund,  dass  man  dies  Musikinstrument  nicht 
in  die  Zahl  der  in  der  Kunst  gebräuchlichen  einreihte,  sondern  es  nur,  um 
weithin  vernehmbare  Bufe  oder  Befehle  zu  ertheilen,  anwandte  und  noch  dazu  für 
diesen  Zweck  bald  auf  weite  Entfernungen  hin  die  kürzere,  enge  Schallröhre, 
die  Trompete,  mehr  der  konisch  schnell  sich  erweiternden,  dem  H,,  vorzog. 
Muster  zum  H.  ist  ursprünglich  ersichtlich  das  Thierhorn,  dessen  Spitze  man 
bis  zur  natürlichen  Höhlung  des  dickeren  Theils  desselben  hin  durchbohrte, 
gewesen.  Aus  den  chinesischen,  assyrischen,  ägyptischen  und  allen  anderen 
orientalischen  Musikkreisen  her  ist  zu  uns  über  die  dortige  Kindheitsform  des 
H.s  nichts  gelaugt,  denn  die  Nachricht  chinesischer  Urkunden,  dass  ein  ge- 
wisser Ki-pe  zuerst  das  Thierhorn  als  Tonwerkzeug  angewandt  habe,  ist  zu 
dürftiger  Natur,  als  dass  sie  von  musikgeschichtlicher  Bedeutung  zu  erachten 
wäre,  da  sie  uns  selbst  ohne  Angabe  der  Zeit,  wann  dies  geschah,  übermittelt 
ist.  Begegnen  wir  hier  doch  auch  später  niemals  einem  ähnlichen  Tonwerk- 
zeug, sondern  nur  erst  in  neuerer  Zeit  findet  man  ein  aus  Holz  gefertigtes 
Instrument  mit  längerer  gerader  konisch  erweiterter  Schallröhre  im  kriegerischen 
Gebrauch,  das  als  eine  schon  ausgebildete  Form  des  H.s  anzusehen  ist.  Aehnlich 
erblicken  wir  auf  ägyptischen  Bildern  das  H.  nur  in  vollendeterer  Form,  aus 
Metall  mit  gerader  Schallröhre  gefertigt.  Bei  beiden  Culturvölkern  scheint 
eine  scharfe  Sonderung  zwischen  Trompete  und  H.  in  früher  Zeit  niemals 
stattgefunden  zu  haben.  Es  erscheint  am  vortheilhaftesten,  um  wenigstens  eine 
Hegel  zu  haben,  nach  der  in  der  Anschauung  über  diese  Blasinstrumente  des 
Alterthums  eine  Klarheit  zu  erzielen  möglich  ist,  alle  solche  Tonwerkzeuge 
mit  durchweg  konischer  Schallröhre  als  eine  Abart  des  H.s  anzusehen,  und 
alle  solche  Instrumente  mit  meist  gleichmässig  engerer  Röhre  zur  Trompeten- 
gattung zu  rechnen,  weshalb  diese  Kegel  hier  auch  zu  Grunde  gelegt  sein  soll. 
Die  Metallinstrumente  der  Aegypter  wurden,  was  bemerkenswerth  zu  sein  scheint, 
wenn  man  auf  die  Bibelstellen  4.  Mos.  10  v.  2  etc.  fussen  darf,  geschmiedet 
(s.  Hebräische  Musik).  Anders  als  bei  diesen  vorzüglich  Ackerbau  treiben- 
den Völkern,  die  ausserdem  wohl  nur  im  Kriege  H.er  führten,  dem  abend- 
ländischen H.  ähnlicher  und  mehr  in  die  Augen  fallend,  macht  sich  die  Aus- 
bildung der  Form  dieses  Blasinstruments  bei  den  Ariern  und  Semiten  bemei-kbar. 
Letztere  brauchten  es  theilweise  in  ähnlicher  Art  wie  die  Aegypter,  doch  in 
mehrerlei  Gestalt,  wie  die  Darstellungen  aus  Assyrien  lehren  (s.  Assyrische 
Musik).  Seltener  findet  man  auch  hier  noch  das  H.  in  seiner  Urgestalt  in 
Gebrauch,  um  beim  Cultus  oder  anderen  grössei'en  Versammlungen  den  Anfang 
wichtiger  Momente  allen  Anwesenden  anzuzeigen.     Die  Juden  gebrauchten  beim 

Musikal.  Convers.-Lexikou.    V.  l-d 


290  Hörn. 

Gottesdienste  im  Tempel  an  gewissen  Festtagen  Widderhörner.  Hier  mag  noch 
darauf  hingedeutet  werden,  dass  es  noch  nicht  festgestellt  ist,  ob  die  Ausbildung 
des  H.s  nicht  in  einer  ganz  eigenen  Form  durch  die  Semiten  stattgefunden 
hat.  Wir  verweisen  in  dieser  Beziehung  auf  die  weiterhin  gegebene  Abbildung 
mit  den  betreffenden  Erläuterungen. 

Am  meisten  gepflegt  und  in  der  Form  ausgebildet  aber  erscheint  das  H, 
bei  den  Ariern.  Das  indische,  Nur  sing  (s.  d.)  genannte  Tonwerkzeug,  das 
bei  feierlichen  Gelegenheiten  und  religiösen  Ceremonien  Anwendung  findet, 
zeigt  eine  grosse  Kunstsorgfalt  (s.  dessen  Bild  in  Fetis'  r>B.istoire  de  ?nusique<i 
Tome  II.  p.  304),  Eine  Indien  allein  eigenthümliche  Gestaltung  des  H.s  bietet 
das  ßamsinga  (s.  d.)  genannte  Tonwerkzeug.  Die  grösste  Aehnlichkeit  mit 
dem  indischen  Nursing  hatten  die  H.er  in  der  Blüthezeit  Etruriens,  1500  v. 
Chr.,  von  welchen  nach  alten  Monumenten  Abbildungen  in  eben  angegebenem 
Werke  Tome  III.  p.  458  und  459  zu  finden  sind.  Dieselbe  Form  behielt  das 
H.  bei  den  Römern,  nur  erhielt  es  bei  denselben  die  ausgebildete  Stürze  (s.  d.) 
und  einen  kunstvolleren  Zusatz  zu  bequemerer  Handhabung.  Noch  mögen  hier 
neben  dem  letztgenannten  Tonwerkzeug  der  Römer,  von  ihnen  Buccina  (s.  d.) 
genannt,  die  Buccina  marina  (s.  d.)  derselben,  sowie  die  in  Muschelform  in 
verschiedener  Grösse  gefertigte  Buccina  und  die  Ossea  tibia  (s.  d.)  erwähnt 
werden;  letztere  um  daran  die  ersten  Anfänge  der  Theilung  dieser  Instrument- 
gattung in  vei'schiedene  Arten  zu  documentireu.  Hierauf  Bezügliches  bietet 
Dr.  George  Kastner  in  seinem  y>Manuel  general  de  musique  militairea.  Ehe 
wir  diese  Theilung  andeuten  und  die  Ausbildung  des  H.  im  Abendlande  ver- 
folgen, müssen  wir  noch  den  Blick  auf  vorgeschichtliche  Spuren  des  H.s  im 
Norden  Europas  wenden.  Die  in  dem  Artikel  Blasinstrumente  (s.  d.)  ge- 
gebene Abbildung  des  Kiwikmonumentes  documentirt,  wie  ebenda  näher  erörtert 
ist,  den  wahrscheinlich  gewohnten  Gebrauch  zweier  unter  sich  verschieden  ge- 
formter H.er  bei  hohen  feierlichen  Gelegenheiten.  Das  erste  dieser  H.er  ist 
ähnlich  dem  Nursing  der  Inder  gebaut,  das  zweite  durchaus  anders.  Die  ebenda 
erwähnten  Funde  von  H.ern  in  Torfmooren,  welche  nach  bishei'igem  Wissen 
derselben  Zeit  entstammen,  dürften  über  die  zweite  Form  Aufhellung  geben. 
Diese  Tonwerkzeuge  scheinen  ursprünglich  den  Hörnern  der  Auerochsen  nach- 
gebildet worden  zu  sein  und  dann  allmälig  diese  Form,  vielleicht  durch  den 
Gebrauch  beeinflusst,  in  die  eines  S  verwandelt  zu  haben.  Alle  bisher  ge- 
fundenen H.er  aus  jener  Zeit  sind  aus  Bronze  gegossen  und  zeugen  in  allen 
Theilen  von  einem  hohen  technischen  Kunstbestreben.  Band  II.  S.  33  dieses 
Werkes  giebt  eine  Abbildung  eines  einem  Auerochsenhorn  nachgebauten  Ton- 
werkzeugs. Die  Bedeutung,  welche  möglicherweise  diese  Instrumente  auf  die 
Gestalt  des  abendländischen  H.s  gehabt  haben,  scheint  es  zu  gebieten,  dass 
Jedem  beide  damals  gebräuchlichen  H.formen  genauer  bekannt  sind.  Es  folge 
daher  hier  eine  Abbildung  des  schönsten  im  Kopenhagener  Museum  auf- 
bewahrten H.s  aus  jenen  Tagen,  welches  die  zweite  Art  klar  darstellt,  sowie 
eine  vergrösserte  Darstellung  mehrerer  Einzelnheiten  desselben.  Die  Orna- 
mentik, ebenso  die  Gestalt  desselben  lässt  nach  der  Fortschrittsweise  in  jener 
alten  Zeit  mindestens  auf  eine  vorangegangene,  nach  Jahrhunderten  zu  zählende 
Entwickelungsperiode  schliessen. 

Wie  das  Kiwikmonument  zeigt,  wurde  dies  H.  vom  Bläser  beim  Gebrauch 
in  der  Art  getragen,  dass  es  zwischen  dem  linken  Arm  und  dem  Körper  ein- 
geklemmt wurde,  so  dass  das  Schallende  desselben,  dem  Rücken  des  Hornisten 
folgend,  mit  seiner  Schallwindung  gegen  dessen  rechte  Lende  lehnte,  damit 
derselbe  mit  der  rechten  Hand  noch  bequem  den  Rand  des  Instruments  fassen 
konnte.  Eine  Feststellung  darüber,  ob  diese  H.er  im  Norden  Europas  selbst 
gefertigt  wurden  und  deren  Form  wie  Gebrauch  dort  erfunden  worden  ist,  oder 
üb  dieselben  nur  dahin  von  anderen  Culturstätten  eingeführt,  ist  bisher  nicht 
möglich  gewesen.  Einerseits  glaubt  man  annehmen  zu  müssen,  die  Phönizier, 
andererseits    die    Etrusker    seien    die    Fertiger    dieser    Tonwerkzeuge    gewesen, 


Hörn. 


291 


doch  ist  für  keine  dieser  Annahmen  ein  Beleg  vorhanden,  eben  so  wenig  als 
an  einer  der  beiden  Culturstätten  noch  sonst  wo  ein  ähnlich  gebautes  H.  bisher 
gefunden  worden.  Vgl.  hierzu  Nilsson's  »Das  Bronzealter«  (Hamburg,  1869); 
»Neue  Forschungen  über  die  Etrusker«  (Ausland  No.  29  Jahrg.  1874);  »Das 
alte  Etrurien«  (Europa  No.  41  im  Jahrg.  1874)  und  »Die  Fahrten  der  Phö- 
niker«  (Ausland  No.  1    Jahrg.  1875).     Sollte   diese  Feststellung   einstmals   ge- 


lingen, so  würde  dadurch  nicht  allein  ein  sicherer  Einblick  in  den  Zusammen- 
hang und  Verkehr  der  Bewohner  der  verschiedenen  Culturstätten  klar  werden, 
sondern  auch  die  so  vollendete  Fertigung  dieser  H.er  vielleicht  zu  noch  un- 
geahnten musikgesohichtlichen  Enthüllungen   den  Weg  erhellen. 

In  der  sich    entwickelnden    ritterlichen,    christlichen  Zeit  im  Abendlande, 
vom  8.  bis  11.  Jahrhundert,    zeigt  sich   in  Europa  das  H.  in   seiner  tirsprüng- 

19* 


292  Hörn. 

liebsten   Gestalt  im  Grebrauch  der  Bevorzugtesten  der  Gesellschaft.     Dem  "Wohl- 
stände entsprechend,    führte  man  dasselbe    aus  kostbarem  Material.     Besonders 
liebte  man  es  damals.  H.er  aus  dem   dem  Golde  als  gleich  werthvoll  erachteten 
Elfenbein  zu  besitzen.     Die  Aussenseite    dieser    meist    nur  0,35  Meter  langen, 
aus    den   Zähnen    junger  Elephanten    gefertigten  H.er    strotzt    gewöhnlich   von 
kunstreichem ,    Jagd-    oder    Kriegsscenen    darstellendem   Schnitzwerk.     Die  Art 
der  Arbeit    dieses   Scbnitzwerks    wie   die  Darstellung    desselben  weisen    auf   die 
Fertigung  dieser   H.er  in   Werkstätten    des   Orients  hin.     Das   Wissen,    wo  die 
Fertiguiigsorte  der  Elfenbeinhörner  waren,  und  das  Nichtwissen  über  die  Stätten, 
wo  die  nordischen  gegossenen  Bronzehörner  gebaut  sind,  möchte  bei  einer  aus- 
führlicheren   Geschichte    des    H.s    mehr    zu    erwägen    empfohlen    sein.      Solcher 
Elfenbeinhörner  giebt  es  im  Abendlande  noch  sehr  viele  in  Antiken  und  Kunst- 
sammlungen ,    wie    im  Privatbesitz.     In  der  Pfalzkapelle  Karls   des   Grossen  zu 
Aachen  z.  B.  fand  man   ein  Elfenbeinhorn,    welches    vom   Volksraunde  für  das- 
jenige   erklärt    wurde,    welches  Harun  al  Raschid    dem    fränkischen  Kaiser  als 
FreandscLaftssymbol    übersandt    habe.     Das  H.  ßoland's,    welches    dieser  Held 
zu  Roncevalles  in   Navarra  778  geblasen,  das  im  Kloster  Nonnenwerth  bei  ßo- 
landseck  später  aufbewahrt  und  von   dort  durch  Karl  IV.  weggenommen  worden 
sein    soll,    befindet    sich    im   Schatze    des   St.  Veitdomes    zu    Prag.     Auch    die 
kaiserl.   Schatzkammer  in  Wien  besitzt  ein  Prachtexemplar  dieser  Art  H.     Die 
Sage  geht,    dass    dasselbe    in  der  denkwürdigen  Hunnenschlacht  im  J.   955  im 
Lechfelde  von  deren  Heerführer  Lehel  geblasen    sei,    um  die   Seinen  zum  Ent- 
scheidungskampfe zu  entflammen,  der  ihm   den  Tod  brachte.     Keins  dieser  H.er 
hat  ein   Tonloch  aufzuweisen ,    auch    lässt   nichts  an   denselben  vermuthen ,  dass 
man    zur    Intonirung    derselben    sich    jemals    eines    Mundstücks    bedient    habe. 
Ferner  findet  man  auch  keins  derselben  mit  einer  Stürze  versehen. 

Die  H.er  überhaupt  fanden,  wie  angedeutet,  in  der  Kunst  jener  Zeit  keinen 
Platz,  weil  im   Cultus,    der  sich   Alles,  was  Musik  genannt  wurde,    angeeignet 
hatte,  nur  eine  Pflege  des  Gesanges  stattfand  und  dadurch  auch  erst  die  Basis 
zur  abendländischen  Kunst  gelegt  wurde.      Sie  hatten  daher  kirchlich  höchstens 
vor  Einführung    der  Glocken    zum    Zusammenrufen    der    Gemeindeglieder    eine 
Verwendung.     Nach  dem   11.  Jahrhundert  jedoch  bis  zum   17.  hin   scheinen  die 
»fahrenden  Leut«    sich    einer    mehrseitigen  Ausbildung    dieses  Instruments  be- 
fleissigt  zu  haben,  die  denn  auch  zu  häufigerer  Nachbildung  des  H.s  aus  Metall, 
Holz  etc.,  zur  Einrichtung  von  solchen  mit  Tonlöchern,  zum  Bau  von  Zinken 
(s.  d.),  Cornetten   (s.  d.),  zu  verschiedener  anderer  Gestaltung  desselben,  be- 
sonders nach  Erfindung  der  Harmonie  zu  sogenannten  Accorden  (s.d.),  sowie 
zur    Darstellung    des    Jagdhorns    (s.  d.),    Gorno    di    Oaccia    (s.  d.)    führte. 
Letzteres,  das  eigentliche  Mutterinstrument  unseres  im  Abendlaude  H.  genannten 
Ton  Werkzeugs,    erfreute    sich  im  Mittelalter  eines    hohen  Ansehens.      Trotzdem 
es  die  Kunst  aus  ihren  Hallen  verbannte,    schätzte  es  die  höhere   Gesellschaft. 
Wie  das  elfenbeinerne  Hifthorn    ein    nothwendiger   Theil  der  Ausrüstung  jedes 
Grossen  war,  so  kennzeichnete  das  Jagdliorn    die  liervorragenderen  Männer  in 
besonderer  Stellung.     Die  Helmschmucke  und  Wappen  mehrerer  vaterländischer 
Geschlechter    bestätigen    diese    Anschauung    und    geben    theilweise    selbst  Auf- 
schluss,    wenn    man  die  Zeit  der  Verleihung  der  Adelsdiplome  beachtet,    über 
die    stattgefundeue    veränderte    gesellschaftliche  Schätzung    und   Gestaltung    des 
Hift-   und  Jagdhorns.     H.er  z,  B.  finden  sich   in   den  Wappen  der  Geschlechter 
der  Herzöge  von  Würtemberg,  der  Grafen  von  Abensberg  und  von  Wartenberg, 
der  Edlen   Horneck    von    Hornberg  u.  A.     Die    H.er   der  Wappen   von  Abens- 
berg und  Hornberg    lassen   den   Schallbecher    deutlich    erkennen.     Das  Wappen 
der   Grafen  Wartenberg-Kolb,  im  J.  1169  erhoben,  zeigt  ein  völlig  kreisrund 
gewundenes  Jagdhorn.      Ob  nun  die  Windung  des  H.s  die  Buccina  bewirkte 
und  eine  Verlängerung  der  Schallröhre  den  vollen  Kreisa])schluss    forderte,   ist 
bisher    nirgend    in  Betracht    gezogen,    scheint   jedoch    in   einer  geschichtlichen 
Entwickelungsgeschichte  des  H.s  beinahe  nothwendig,  sowie  darüber  Gewissheit 


Hörn.  293 

zu  erlangen:  ob  die  Eömer  ihre  gebogene  Tonröhre  der  Buccina  gössen  oder 
schmiedeten;  die  Etrusker  scheinen  das  letztere  gethan  zu  haben.  Haben  die 
Römer  ihre  Schallröhren  geschmiedet,  so  würde  der  Weg  von  einer  bis  zu 
mehreren  kreisförmigen  Biegungen  einer  längeren  Schallröhre  gewiss  kein  so 
schwer  zu  beschreitender  gewesen  sein,  wenn  auch  die  Methode  des  ehemals 
und  später  von  einander  zu  verschieden,  als  dass  er  nicht  erst  allmälig  versucht 
und  geebnet  worden  wäre. 

Bisher  berichtete  man  in  der  Musikgeschichte,  daas  im  J.  1688  zu  Paris 
die  Erfindung  zuerst  gemacht  sei,  das  H.  kreisförmig  zu  biegen;  dies  soll  wohl 
heissen,  mehrfach  kreisrund  nebeneinanderliegend  gebogen.  "Wie  dies  geschah, 
lehrt  der  Artikel  Metall-  und  Blechinstrumente.  Neuere  Forschung  jedoch 
sieht  dies  für  einen  Irrthum  an,  der  aus  einer  Musikgeschichte  in  die  andere 
ohne  Prüfung  überging.  Besonders  schätzenswerth  in  dieser  Beziehung  er- 
scheinen die  angeführten  Gründe  des  königl.  sächsischen  Kammermusikers  und 
Musikschriftstellers  Julius  E,ühlmann  in  seiner  Abhandlung  »Das  "Waldhorn« 
(Neue  Zeitschrift  für  Musik,  Jahrg.  1870  und  1871).  »Die  Kunst,  Metall- 
röhren zu  winden,«  sagt  derselbe,  »kannte  man  schon  in  früherer  Zeit,  nicht 
nur  in  Asien,  sondern  auch  in  Europa.«  Selbst  wenn  der  vorerwähnte  Beweis 
(das  H.  in  dem  angeführten  "Wappen)  nicht  vorhanden  wäre,  so  hätte  man  ihn 
mindestens  in  Virdung's  y>Miisica<f  etc.  (1511)  oder  in  Prätorius'  ^Syntagmav- 
(1620)  unter  den  Abbildungen  der  Jagdhörner  finden  können.  Es  soll  hier 
nicht  auf  die  zahlreichen  Jagdbilder  von  "Wauvermann,  Teniers  und  andere 
niederländische  Bilder,  sondern  nur  auf  Mersenne's  »Harmonie  universelle 
(Paris,  1637),  Partie  second  de  Traite  des  i?isfruments ,  livre  cinquieme  p.  245, 
hingewiesen  werden,  da  in  diesem  "Werke  fünf  verschiedene  H.er  in  sehr  cor- 
rekter  Abbildung  in  Holzschnitt  ausgeführt  sind;  nämlich  drei  H.er  mit  nur  im 
Halbkreis  gebogener  Röhre,  ein  viertes  mit  einer  einmaligen  Kreiswindung  in 
der  Mitte,  die  aber  nicht  ganz  die  volle  Höhe  des  Zirkels  erreicht,  und  ein 
fünftes  H,,  welches  schneckenhausartig  die  Röhre  sieben  Mal  gewunden  hat. 
Diese  letztere  Form  ist  es,  die  sich  schon  bei  Yirdung  und  Prätorius  vorfindet, 
von  der  wir  aber  nicht  behaupten  können,  ob  sie  deutschen  oder  französischen 
Ursprungs  ist. 

Da  wir  der  Abbildung  des  Jägerhorns  zuerst,  wie  schon  erwähnt,  1511 
bei  Yirdung  und  nachmals  1637  in  Mersenne's  Buch  begegnen,  so  ist  ersicht- 
lich, dass  die  kreisrunde  Form  nicht  erst  im  J.  1688  in  Paris  erfunden  worden 
sein  kann,  sondern  schon  vor  dem  16.  Jahrhundert  in  Deutschland  auftritt 
und  sich  bis  in  das  17.  Jahrhundert  etc.  dort  wie  auch  in  Frankreich  erhalten 
hat.  In  Mersenne's  "Werk  findet  sich  auch  die  Länge  der  abgebildeten  H.er 
genauer  angegeben.  Das  kleinste  H.  hat  1  Meter,  das  mittlere  1,35  und  das 
grösste  2  Meter  Länge  gehabt.  Nach  ^dieser  Angabe  muss  auch  eine  dreifache 
Stimmung  dieser  H.er  vermuthet  werden,  da  nach  akustischen  Gresetzen  eine 
Metallröhre  von  1  Meter  Länge  gegen  eine  von  1,35  Meter  eine  wesentliche 
Verschiedenheit  des  Grundtones  wie  der  harmonischen  Obertöne  voraussetzt, 
auch  das  H.  von  2  Meter  Länge  genau  eine  Octave  tiefer  gestanden  haben 
muss,  als  das  von  1  Meter.  Soviel  ist  wenigstens  anzunehmen,  dass,  so  wie 
die  Grösse  verschieden,  auch  die  Stimmung  eine  difi'erirende  gewesen  ist.  Dass 
zur  Zeit  Mersenne's  die  vCors  de  chassea,  wie  er  sie  nennt,  schon  zu  mehr  als 
nur  Signalinstrumenten  benutzt  wurden,  ersieht  man  daraus,  dass  er  angiebt, 
dieselben  würden  zur  Unterhaltung  der  Herrschaften  in  einem  »Concert  ä  quatre». 
oder  auch  in  Vereinigung  mit  Hoboen  bei  Jagden  verwendet.  Demnach  müssen 
auf  diesen  H.ern  kleine  Jagdstücke  ausgeführt  worden  sein,  die  in  ihrer  Art 
schon  einen  musikalischen  Zweck,  wenn  auch  niederer   Gattung  erfüllten. 

Bis  zu  unserer  Zeit  haben  sich  leider  aus  dieser  frühesten  Epoche  des 
Tonsatzes  für  Waldhorn  keine  Beispiele  erhalten,  da  selbst  Mersenne,  der  sonst 
für  derartige  Monumente  in  seinem  Werke  gesorgt  hat,  in  diesem  Falle  keine 
Beispiele    liefert.     Sowohl    an    den    in    der  »Harmonie  universelle^   befindlichen 


294  Hörn. 

Abbildungen,  als  auch  an  den  in  den  vorher  erwähnten  Hornbildern  in  Wappen 
ist  ein  besonderes  Mundstück  deutlich  sichtbar,  welches  einen  ausgebogeneu 
Rand  und  die  Kesselform  hat,  womit  die  Tonangabe  in  ganz  gleicher  Weise 
ermöglicht  war,  wie  wir  solche  noch  jetzt  in  Gebx'auch  finden.  Somit  könnten 
wir  annehmen,  dass  im  Wesentlichen  schon  in  diesem  Instrumente  unser  mo- 
dernes Waldhorn  zu  sehen  wäre,  wenn  dem  nicht  einige  Bedenken,  das  wich- 
tigste ist  die  Länge  der  Tonröhre,  entgegenständen.  Ferner  wichtig  für  die 
Beschafifenheit  des  Jagdhorns  in  seiner  Ausbildungsperiode  ist  noch  ein  Holz- 
schnitt in  einem  1502  zu  Strassburg  erschienenen  Buche,  einer  mit  Holzschnitten 
versehenen  Ausgabe  von  » Virgils  Operati.  Man  sieht  auf  diesem  Holzschnitt 
einen  Trompeter  und  einen  Hornisten  dargestellt,  die  beide  ihren  Instrumenten 
heitere  Tonweisen  zu  entlocken  bestrebt  scheinen.  Dem  Hornisten  hängt  ein 
zirkelrundes  H.  um  den  Hals,  dasselbe  wird  von  demselben  in  der  Nähe  des 
Mundstücks  gefasst,  während  die  Rechte  dem  Instrument  tiefer  unten  als 
Stütze  dient.  Das  Instrument  hat  die  Gestalt  eines  modernen  H.s,  nur  trägt 
der  Spieler  es  so,  dass  dessen  ausgebogener  Schallbecher  sich  über  der  linken 
Schulter  nach  vorn  gerichtet  zeigt. 

Schliesslich  mag  hier  noch  eine  Sandsteinfigur,  welche  vor  dem  Jagdschlosse 
Moritzburg  bei  Dresden  befindlich,  Erwähnung  finden,  da  sie  beweist,  dass  auch 
in  Sachsen  vor  1688  zirkeiförmig  gebaute  Waldhörner  zu  den  allgemein  be- 
kannten Dingen  zu  zählen  waren,  denn  jene  Kunstfiguren  wurden  1670  auf- 
gestellt. Jäger,  die  hier  im  Costüm  jener  Zeit  dargestellt  sind,  tragen  über 
die  linke  Schulter  H.er,  die  sich  von  den  unsern  wenig  unterscheiden.  Selbst 
die  Länge  der  Tonröhre  derselben  ist  länger,  als  sie  nach  Mersenne's  Angabe 
sein  könnten,  schon  der  des  modernen  Waldhorns  annähernd  gleich.  Die  uns 
hier  vorgeführten  Veränderungen  dieses  Tonwerkzeugs,  welches  während  der 
Jagd  besonders  im  Walde  so  häufig  seine  Anwendung  fand,  hat  nach  dieser 
auch  selbstredend  seinen  Namen  Jagd-  oder  Waldhorn  erhalten  und  letzteren 
sogar  behalten,  als  es  selbst  die  Kunst  in  den  Kreis  ihrer  Mitwirkenden  auf- 
nahm. Nach  solcher  Ausbildung  des  Jagdhorns  lässt  sich  wohl  nicht  annehmen, 
dass  noch  von  einer  Erfindung  eines  solchen  die  Rede  sein  kann.  Dennoch 
berichtet  man  und  druckt  noch  immer,  dass  gegen  Ende  des  17.  Jahrhunderts 
in  Paris,  sowie  dass  1720  durch  den  Instrumentbauer  Wieszek  zu  Prag  das 
Waldhorn  erfunden  sei.  Vielleicht  wendete  man  an  beiden  Orten  der  Ferti- 
gung desselben  eine  ganz  besondere  Sorgfalt  zu  und  unterschieden  sich  die 
Fabrikate  aus  diesen  Städten  durch  eine  gewisse  Eleganz  und  kleine  Verän- 
derung der  Form  oder  Verlängerung  der  Tonröhre  von  den  bisher  gebräuch- 
lichen. Welcher  Art  jedoch  diese  Neuerung  war,  ist  der  Nachwelt  fremd  ge- 
blieben. An  Wahrscheinlichkeit  gewinnt  diese  Auffassung  noch  durch  folgende 
gewöhnlich  der  Pariser  Erfindung  des  Waldhorns  beigefügte  Erzählung  vom 
Grafen  Franz  Anton  von  Spörken  aus  Böhmen,  wenn  man  sich  den  Hergang 
der  Sache  etwas  anders  zurecht  legt.  Dieser  hohe  Herr  und  gewiss  auch  grosse 
Jagdliebhaber  besuchte  im  J.  1680  Paris  und  sah  daselbst  zum  ersten  Male 
vielleicht  das  Waldhorn  in  eleganter  Form  gebaut  in  Gesellschaftskreisen  in 
Gebrauch,  Er,  selbst  sehr  grosser  Musikkenner  und  wohl  auch  zu  Kunstver- 
suchen geneigt,  fand  sich  gedrungen,  diese  neue  Kunstschöpfung  für  sein  Haus 
zu  erwerben  und  Hess  deshalb  zwei  seiner  Bedienten  in  der  Kunst,  das  Wald- 
horn in  der  modernen  Weise  zu  behandeln,  in  Paris  unterrichten,  welche  Kunst 
diese  auch  sehr  bald  sich  aneigneten  und,  in  der  Heimath  dieselbe  ausübend, 
grosses  Aufsehen  erregten.  Die  Namen  dieser  beiden  Bedienten  sind  uns  leider 
nicht  erhalten.  Wohl  aber  wissen  wir,  dass  später  der  Graf  Spörken  noch 
einen  gewissen  Wenzel  Sweda,  der  zu  Lissa  geboren  war,  auf  seine  Kosten 
nach  Paris  sandte,  um  das  H.  blasen  zu  lernen,  und  dieser  bis  an  sein  Lebens- 
ende in  Diensten  des  Grafen  verblieb.  Diese  Erzählung  lässt  eher  vermuthen, 
dass  ein  Spiel  für  zwei  H.bläser  in  Paris  Mode  war  und  dasselbe  dem  Grafen 
sehr  gefiel,  so  dass,  nachdem  vielleicht  einer  der  Diener,  welche  diese  Spielart 


Hörn. 


295 


des  H.s  gelernt  hatten,  gestorben  war,  er  dafür  sich  Ersatz  schaffte,  als  dass 
es  sich  um  Einführung  eines  durchaus  neuen  Tonwerkzeugs  gehandelt  habe 
von  dem  man  bisher  keine  Kenntniss  hatte. 

In  Bezug  auf  die  allgemeinere  Anwendung  des  Waldhorns  ist  als  bestimmt 
anzunehmen,  dass  in  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  dasselbe  schon  in 
der  deutschen  Oper-  und  Kammermusik  häufiger  Anwendung  fand.  L.  v.  Köchel 
schreibt  in  seinem  "Werke  »Die  kaiserliche  Hofkapelle  in  Wien«  (1869)  S.  80 
dass  während  der  Zeit  von  1712  bis  1740  Wenzel  ßossi  und  Friedr.  Otto  als 
Jägerhornisten  mit  360  Fl.  Gehalt  bei  der  Oper  angestellt  wai'en.  Nach  der 
Zeit,  sagt  derselbe  Schriftsteller  in  demselben  Werke,  verschwindet  dasselbe  aus 
der  kaiserl.  Oper  und  taucht  erst  1787  als  Waldhorn  wieder  auf,  und  zwar 
wieder  zu  zweien.  Im  Orchester  scheint  das  H.  in  Wien  noch  früher  einge- 
führt worden  zu  sein,  denn  in  einer  Suite  für  Orchester  von  J.  J.  Fux, 
deren  Composition  zwischen  1707  bis  1709  fällt,  ist  das  Waldhorn  angewandt. 
Nach  Küchelbeck's  »Allerneuesten  Nachrichten  vom  kaiserlichen  Hof«  aus  dem 
J.  1732  war  ein  kaiserl.  Waldhornist  an  der  Oper  angestellt.  Nach  Moritz 
Fürstenau's  Werk  »Zur  G-eschichte  der  Musik  und  des  Theaters  am  Hofe  zu 
Dresden«,  Bd.  II.  S.  58,  wurden  dort  am  26.  Febr.  1711  zwei  Waldhornisten 
aus  Böhmen,  Joh.  Adalbert  Fischer  und  Franz  Adam  Samm,  jeder  mit  300  Tha- 
lern Gehalt  angestellt.  Auch  an  anderen  Orten  Deutschlands  waren  um  diese 
Zeit  die  H.er  schon  im  Kunstgebrauch.  Mattheson  schreibt  1713  aus  Hamburg: 
»dass  das  Corno  da  caccia  schon  sehr  en  vogue  gekommen;  die  brauchbarsten 
haben  F  als  Stimmung.  Sie  klingen  auch  dicker  und  füllen  besser  als  die 
übertäubenden  und  schreienden  Clarinen  (Trompeten),  weil  sie  um  eine  Quinte 
tiefer  stehen.«  Ferner  mag  hier  noch  angeführt  werden,  dass  Händel  in  seiner 
»Wasserfahrtmusik«  (1715)  und  Seb.  Bach  in  seinen  Cantaten,  den  Cöthener 
Concerten,  der  JT-wioZZ-Messe  etc.,  ein  und  zwei  Waldhörner  bald  als  Solo  bald 
als  Füllstimmen  anwendet.  Die  Annalen  der  Pariser  Oper  berichten,  dass  das 
Jagdhorn  zuerst  1759  in  den  Sybariten  von  Rameau  gebraucht  wurde,  nach- 
dem es  schon  1735  auf  der  Bühne  zu  Fanfaren  in  y>AcMUe  et  Deidamiea  von 
Campra  Anwendung  gefunden  hatte.  Die  Orchesterhörner  mit  der  Verbesserung 
von  Hampel  in  Dresden  wurden  1767  und  vier  Hörner  gleichzeitig  zum  ersten 
Male  in  der  Ouvertüre  zu  y>IIoratms  Coclesa  von  Mehul  gebraucht. 

Fest  dürfte  nach  allem  diesem  stehen,  dass  das  H.  im  weiteren  Sinne  sich 
seit  frühester  Zeit  stetig  im  Besitz  aller  Völker  der  Erde  befand.  Das  Einzige 
aber,  was  uns  die  Entwickelungsgeschichte  desselben  beweist,  ist,  dass,  wie 
vereinzelte  Lichtstellen  in  den  Jahrtausenden,  wo  dies  Tonwerkzeug  stets  nur 
wirthschaftlichen  Zwecken  diente,  darthun,  je  nach  den  herrschenden  Anschauungen 
es  blos  äusserlich  verschiedene  mehr  oder  weniger  künstlerische  Gestaltungen 
erhielt,  bis  es  im  Abendlande  zu  der  Form  gelangte,  in  welcher  dasselbe  in 
der  Reihe  der  Kunsttonwerkzeuge  eine  Stelle  einzunehmen  vermochte;  selbst 
gesteigerte  Ansprüche  haben  an  der  Grundform  nichts  geändert.  Dies  noch 
heute  im  Kunstgebrauch  zu  manchen  Leistungen  bevorzugte  H.  ist  ein  Blech- 
blasinstrument ohne  Tonlöcher,  das  aus  einer  zusammengelötheten  Messing-  oder 
Silberblechröhre  von  7,36  bis  11,33  Meter  Länge  in  gerader  Ausdehnung  be- 
steht, die  in  einer  weiten  Stürze  endigt.  Um  das  Instrument  dauerhaft  zu 
bauen  und  handlich  zu  haben,  hat  man  diese  Röhre  mehr-,  gewöhnlich  vierfach 
zirkelrund,  oder  auch  theilweise  anders  gewunden  und  diese  Windungen  so 
aneinander  gelöthet,  dass  sie  stets  in  gleicher  Lage  bleiben  müssen.  Angeblasen 
wird  dies  Tonwerkzeug  mittelst  eines  metallenen  Mundstücks  mit  konischem 
Kessel  und  schmalem  Rande.  Von  der  Trompete  unterscheidet  sich  das  H. 
ausser  der  zirkelrunden  Gestalt  und  dem  grösseren  tellerförmigen  Schalltrichter 
noch  durch  die  längere,  andersconstruirte  Schallröhre.  Die  Trompetenröhre 
ist  nämlich  vom  Mundstück  bis  zum  Schalltrichter  überall  gleich  eng,  während 
die  des  H.s  am  Mundstück  ungefähr  9,7  Millimeter  Durchmesser  hat  und  sich 
dann  stetig,  bis  kurz  vor  ihrem  Ende  zunehmend,  bis  zu  1,18  Centimeter  er- 


296  Hörn, 

weitert.  Dann  beginnt  der  Schalltrichter,  welcher  gewöhnlich  ungefähr  0,3  Meter 
Durchmesser  hat.  Die  längere  Schallröhre  und  die  konische  Bauart  der  Röhre 
bewirken,  dass  das  H.  um  eine  Octave  tiefer  als  die  Trompete  erklingt  und 
dasB  man  dessen  Tonreich  deshalb  5 metrig  nennt;  dies  soll  heissen,  das  tiefste 
G  eines  solchen  H.s  hat  dieselbe  Höhe  wie  eine  Orgelpfeife  von  5  Meter  Länge. 
Die  Handlichkeit  dieses  Tonwerkzeugs  scheint  es  gefordert  zu  haben,  dass  man 
die  Schallröhre  nicht  zu  lang  baue  und  wurde  deshalb  es  durchweg  gebräuchlich, 
die  H.er  allgemein  in  gleicher  Grösse  zu  fertigen;  man  baute  die  H.er  so, 
dass  der  Grrundton  derselben  dem  heutigen  F,  späteren  Es  entsprach.  Mit- 
wirkend hierzu  war  auch  wohl,  dass  man  sehr  früh  oft  mehr  als  ein  H.  gleich- 
zeitig gebrauchte,  z.  ß.  beim  Halali  (s.  d.),  und  durch  gleichen  Bau  der  H.er 
harmonische  Tougaben  derselben  sich  fast  von  selbst  ergaben. 

Dieser  gleichzeitige  Gebrauch  mehrerer  H.er  führte  zunächst  zu  dem  gleich- 
zeitigen Kunstgebrauch  von  zweien,  wie  die  Erzählung  vom  Grafen  Spörken 
zu  belegen  scheint.  Dieser  Kunstgebrauch  von  zwei  H.ern  allein  forderte  ge- 
wiss bald  eine  Notirung  der  Stücke  für  dieselben,  und  da  eine  solche  ohne 
Beachtung  der  eigentlichen  Klaughöhe  nur  verhältnissmässig  nothwendig  war, 
wählte  man  die  leichteste  Kunstnotiruug  in  C-dur.  Diese  früheste  Schreibweise, 
da  sie  der  Eigenheit  des  H.s  wegen  auch  ferner  zu  keinen  Uebelständen  Anlass 
gab,  hat  sich  bis  heute  erhalten,  wie  weiter  unten  ersichtlich  sein  wird.  Dies 
H.,  gewöhnlich  Naturwaldhorn  genannt,  besitzt  ein  theilweise  lückenhaftes 
Tonreich.  Durch  weniger  oder  mehr  starkes  Anblasen  und  verschiedenartigen 
Gebrauch  der  Lippen  und  des  Ansatzes  kann  man  auf  demselben  alle  soge- 
nannten Naturtöne,  welche  die  Tabelle  in  dem  Artikel  Aliquottöne  nach- 
weist, hervorbringen.  Die  am  leichtesten  auf  dem  H.  erzeug-  und  davon  künst- 
lerisch anwendbaren  sind: 


:4: 


ar-j^^g^gjgg^^^^^^ 


wenn  der  Grundton  des  H.s  G  ist;  je  nach  der  Tonhöhe  des  Grundtous  ändern 
sich  selbstredend  auch  die  Obertöne.  —  Da  bald  nach  Einführung  des  H.s 
dessen  Anwendung  in  der  Kunst  immer  häufiger  auch  mit  anderen  Tonwerk- 
zeugen gleichzeitig  versucht  wurde,  ergab  sich,  dass  das  Tonreich  desselben 
entweder  nicht  für  die  Ansprüche  ausreichte  oder  sich  theilweise  durchaus  nicht 
rein  darstellen  Hess,  trotzdem  man  zu  einem  Hülfsmittel,  dem  Stopfen  (s.  d.), 
seine  Zuflucht  nahm.  Vgl.  Mattheson's  »Kapellmeister«  (1739).  Man  baute, 
um  den  künstlerischen  Anforderungen  genügen  zu  können,  H.er  mit  verschie- 
denen Grundtönen,  d.  h.  von  verschiedener  Grösse.  Allgemeiner  fand  man  bald 
neben  F-  und  Es -'S..  B- ,  G-  und  tiefe  5 -H.er  im  Gebrauch.  —  Um  ferner 
kleine  Grundtonhöhenveränderungen  zu  bewirken,  die  im  Zusammenspiel  mit 
Rohrinstrumenten  sich  oft  als  durchaus  nothwendig  ergaben,  erfand  man  in 
Deutschland,  wie  aus  Virdung's  und  Prätorius'  Schriften  hervorgeht,  den  Stift 
(s.  d.),  einen  kleinen  Bogen  (s.  d.),  der  an  dem  Anblaseende  der  Schallröhre 
eingesteckt  wurde;  in  diesen  kam  dann  das  Mundstück.  Um  dies  zu  vermögen, 
muBste  das  Anblaseende  der  Schallröhre  gleich  etwas  weiter  gearbeitet  sein. 
Solche  Erweiterung  findet  sich  an  keinem  französischen  Waldhorn  aus  jener 
Zeit,  woraus  wohl  zu  folgern,  dass  sich  in  Frankreich  damals  noch  nicht  das 
Bedürfniss  für  so  weitgehende  Verbesserungen  des  Waldhorns  kund  gab.  Wenn 
diese  Erwägungen  zunächst  feststellen,  dass  in  Deutschland  allein  die  Ver- 
besserung des  Waldhorns  geschah,  so  ergicbt  die  Thatsache,  dass  1718  für 
Dresden  zwei  H.er  aus  Wien  angekauft  wurden,  sowie  verschiedene  andere 
Nachrichten:  dass  Wien  und  Prag  im  Bau  dieser  Tonwerkzeuge  am  weitesten 
vorgeschritten  waren.  Die  für  Dresden  gekauften  H.er  mit  zwei  silbernen 
Mundstücken  und  sechs  Stiften  kosteten  jedes  50  Thlr. 


Hörn.  297 

Die  in  Deutschland  immer  mehr  übel  empfundenen  Mängel  in  der  In- 
tonation, besonders  des  zweiten  Naturwaldhorns  im  Orchester,  sowie  die  Be- 
schwerlichkeit, bei  guten  Kunstleistungen  stets  mehrere  H.er  und  verschiedene 
Stifte  zur  Hand  haben  zu  müssen,  führte  1753  den  Secondohornisten  der  königl. 
polnischen  und  churfürstl.  sächsischen  Kapelle,  Anton  Joseph  Hampel,  zu  der 
Erfindung  der  Bogen  (s,  d.),  ßöhrenenden,  die  in  der  Mitte  der  Schallröhre 
eingeschoben  werden.  Durch  diese  Erfindung  wui'de  die  bisherige  Einrichtung, 
mehrere  H.er  und  Stifte  zu  führen,  überflüssig.  Noch  ist  zu  bemerken,  dass 
Hampel  der  Erfinder  der  Dämpfer  (s.  d.)  oder  Sordinen  (ausgehöhlte 
Hölzchen)  des  H.s  war.  Die  erste  Fertigstellung  eines  solchen  H.s,  Maschinen- 
oder Inventionshorn  genannt,  geschah  durch  den  Hofinstrumentenbauer  Job. 
Werner  zu  Dresden  nach  Hampels  Angaben  im  J.  1754.  Die  Maschine  oder 
Invention  des  H.s  besteht  aus  einer  bogen-  oder  kreisförmig  gestalteten  Röhre, 
deren  Enden  mit  dem  mittleren  Theil  der  Schallröhre  gleich  dick  sind,  die  in 
zwei  ofi'ene  Schallröhrenzapfen,  welche  bemerkbar  werden,  wenn  der  darin  ge- 
wöhnlich befindliche  Theil  der  Schallröhre  ausgezogen  ist,  eingeschoben  werden. 
Diese  Bohren,  Bogen  genannt,  schliessen  luftdicht  an  die  "Wände  der  Zapfen 
an.  Ein  mehr  oder  weniger  bewirktes  Heraufschieben  der  Bogen  auf  die  Zapfen 
ruft  sehr  geringe  Stimmdiflferenzen  hervor,  da  dadurch  die  Schallröhre  mehr  oder 
weniger  verlängert  wird;  es  macht  somit  die  Reinheit  des  Grundklanges  und 
der  Naturtöne  mehr  von  dem  Willen  des  Musikers  abhängig,  als  die  früher 
dazu  augewandten  Stifte.  Ferner  bewirken  die  weniger  gekrümmten  Bogen 
eine  leichtere  Bildung  der  Schallwellen,  als  die  kurzen  und  oft  häufig  gewun- 
denen Stifte  dies  zuliessen.  Ferner  ist  zu  bemerken,  dass  Werner  schon  die 
Zapfen  der  Schallröhre  in  einer  etwa  0,6  Meter  über  das  nothwendige  Maass 
hinausgehenden  Länge  und  etwas  nach  aussen  gerichteten  Stellung  fertigen 
Hess,  wodurch  die  Bogen,  ohne  die  Windung  der  Schallröhre  zu  berühren,  be- 
quem auf  die  Zapfen  ein-  und  ausgeschoben  werden  konnten. 

Obgleich  nun  dies  H.  in  vieler  Beziehung  das  frühere  Waldhorn  übertraf, 
so  wurden  doch  schon  zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts  durch  die  Anforderungen, 
welche  der  immer  wachsende  Orchestergebrauch,  an  dasselbe  stellte,  Mängel 
entdeckt,  welche  der  so  sehr  am  Alten  hängende  Musikschriftsteller  Fetis  in 
seinem  Aufsatze  y>Cor  simple  etc.«  aufzudecken  sich  bemühte.  Welcher  Art  diese 
Aussätze  waren,  darüber  mag  die  TJebersetzung  des  wesentlichen  Theils  der- 
selben von  Rühlmann  belehren,  »Vergebens  haben  Künstler  wie  Punto,  Lebrun, 
Fr.  Duvernoy  und  später  Gallay  die  Fehler  der  Stopftöne  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  verbessert,  doch  haben  sie  nicht  mehr  als  eine  Octave  oder  Decime 
ausgleichen  können  und  mussten  in  den  beschränkten  Grenzen  bleiben,  welche 
man  mit  dem  Namen  Gor  minte  bezeichnet,  d.  h.  welches  weder  hoch  noch  tief 
ist.  In  der  eingestrichenen  Octave  kann  man  nur  ein  abscheuliches  /  und  d 
haben,  das  kleine  h  ist  ziemlich  nichts,  ebenso  ist  es  in  derselben  Octave  mit 
a  und  as,  noch  weniger  ist  hier  ein/,  e,  es,  d  und  eis  möglich,  mit  einem 
Worte,  man  hat  keine  Basstöne.  In  Rücksicht  auf  die  Töne  der  zweiten  Hälfte 
der  eingestrichenen  und  die  volle  Reihe  der  zweigestrichenen  Octave,  welche 
talentvolle  Künstler  in  ihrer  künstlich  erzeugten  chromatischen  Tonleiter  ziem- 
lich gleichmässig  wiedergegeben  haben,  bleibt  es  doch  nur  eine  Ausnahme, 
denn  die  Egalität  existirt  nur  bis  zu  einem  gewissen  Grade  der  Kraft,  die 
höchstens  im  Solo  aber  nicht  im  Tutti  zu  erreichen  ist.  Diese  Töne  sind  selten 
mit  Energie  in  einem  Forte  angeblasen  worden.  Daher  kommt  es,  dass  in  den 
Partituren  von  Haydn,  Mozart  und  in  mehreren  Werken  von  Beethoven  die 
H.er  zum  Pausiren  verdammt  sind,  während  ihre  sonore  Kraft  oft  unentbehrlich 
zu  sein  scheint.  Man  konnte  nur  dieses  unangenehme  Hinderniss  vermeiden, 
indem  man  die  H.er  während  des  Musikstücks  in  einen  anderen  Ton  umstimmen 
Hess;  dies  war  jedoch  nur  durch  längeres  Pausiren  möglich;  oder  man  verwen- 
dete vier  H.er  in  verschiedenen  Stimmungen,  welche  aber  auch  nicht  für  alle 
Fälle  ausreichend  waren.     Was    geht    aus    alledem  hervor?     Dass  das  einfache 


298  Hörn. 

Natur-  und  Inventionshorn  ein  unvollkommenes  Instrument  ist.«  Diesen 
Uebeln  abzuhelfen,  bemühte  sich  in  sinniger  Weise  ein  Dilettant  in  London, 
Charles  Clagget.  Derselbe  liess  sich  zwei  H.er,  das  eine  in  Es,  das  andere  in 
jD  stimmend,  so  zusammenbauen,  dass  sie  beide  mittelst  eines  Mundstücks  an- 
geblasen werden  konnten.  Durch  eine  Klappe  wurde  die  nicht  anzublasende 
Röhre  geschlossen.  Noch  in  der  Jetztzeit  findet  man  eine  in  dieser  Art  con- 
struirte  Trompete,  welche  auf  der  Wiener  Weltausstellung  ausgestellt  und  mehr- 
fach patentirt  worden  ist,  in  der  Musikerzeitung  (s.  die  Beilage  der  No.  11 
des  J.  1875)  angepriesen.  Es  ergaben  sich  durch  diese  Verbindung  der  beiden 
H.er  in  der  vierten  Octave  folgende  Töne: 

8         9         10         11  12         13         14         15         16 

d     .     e     .    fis     .     gf     .     a      .     bf     .    c'f     .     eis'     .    J'     . 
dis    .    f     .      g     .     gis-\  .    ais    .     Äf    .    eis'    .      d'    .    dis' 

Man  sieht,  dass  durch  diese  H.construktion  nicht  allein  alle  chromatischen 
Klänge,  sondern  dass  einige  sogar  auf  zweifache  Weise  hervorzubringen  möglich 
war.  Von  diesen  Tönen  waren  aber  die  mit  einem  Kreuz  versehenen:  g,  gis, 
b,  h  und  c'  nicht  rein  und  mussten  durch  stärkeres  Anblasen  oder  Stopfen 
verbessert  werden.  Diese  Mängel  und  die  schwierigere  Behandlungsweise  obigen 
H.s  verhinderten  es,  dass  sich  dasselbe  einer  allgemeineren  Anerkennung  er- 
freute. Eine  andere  Verbesserung  des  H.s  bemühte  sich  ein  Deutscher  Namens 
Kölbel,  der  ums  J.  1760  in  Petersburg  lebte,  zu  machen,  die  sich  jedoch  auch 
keiner  grossen  Verbreitung  erfreute.  Derselbe  liess  an  verschiedenen  Stellen 
der  Schallröhre  Klappen  anbringen.  Dies  beeinträchtigte  jedoch  die  Intonation 
wie  den  Toncharakter  des  H.s  in  sehr  nachtheiliger  Weise.  Ferner  baute  der- 
selbe ein  H.,  auf  dessen  Stürze  ein  halbrunder  beweglicher  Deckel  war,  den 
der  Bläser  nach  Ermessen  leicht  zur  Deckung  der  Scliallröhre  behandeln  konnte. 
Dies  Instrument,  von  dem  Erbauer  Amorschall  (s.  d.)  genannt,  sollte  die 
chromatische  Tonreihe  leicht  und  gleichartiger  im  Klange  geben.  Von  den 
sonst  noch  in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  sich  um  Verbesserung 
des  H.s  verdient  gemacht  habenden  Männern  mögen  hier  noch  einige  angeführt 
werden,  da  über  sie  wenigstens  etwas  Näheres  bekannt  geblieben  ist.  Im  J. 
1781  construirte  Carl  Türrschmidt  ein  Inventionswaldhorn,  dessen  Schallröhre 
er  kreuzweise  legen  liess.  Er  behauptete,  dass  in  dieser  Röhrenconstruktion 
besser  die  Schallwellenbildung  stattfände,  und  dadurch  das  Blasen  des  Instru- 
ments sehr  erleichtert  würde.  Raoux,  Instrumentbauer  in  Paris,  fertigte  das 
erste  H.  aus  Silber.  Bergonzi  machte  zuerst  silberne  Klappen  und  Bini  baute 
das  erste  tiefe  5-H.  Jean  Brun,  geboren  1759,  Waldhornist  in  der  königl. 
Kapelle  zu  Berlin,  erfand  einen  Lack,  der,  bei  neuen  H.ern  inwendig  angewandt, 
dieselben  vor  Oxydirung  schützen,  alle  Unebenheiten  ausgleichen  und  einer  exakten 
Bildung  der  Tonwellen  förderlich  wirken  sollte. 

Von  weitgehendster  Tragweite  für  die  Ausbildung  des  H.es  ergab  sich 
die  1814  stattgehabte  Erfindung  der  Ventile  (s.  d.),  welche  ein  Waldhornist 
in  der  Kapelle  des  Fürsten  Pless  in  Schlesien,  Heinrich  Stölzel  mit  Namen, 
zuerst  construirte  und  am  Waldhorn  anbrachte ,  wonach  dies  Tonwerkzeug 
Ventilhorn  genannt  wurde.  Es  wird  übrigens  berichtet,  dass  Stölzel  nicht 
allein,  sondern  in  Gemeinschaft  mit  dem  Berghoboisten  Blühmel  nach  mannig- 
fachen Versuchen  diese  Verbesserung,  durch  Verlängerung  der  Tonröhre  den 
Klang  um  einen  halben ,  ganzen  oder  anderthalb  Töne  zu  vertiefen ,  entdeckte. 
Die  ersten  Nachrichten  über  diese  Erfindung  wurden  der  musikalischen  Welt 
1815  durch  den  Kapellmeister  Bierey  in  Breslau  und  1817  durch  Fr.  Schneider 
in  Leipzig  zu  Theil.  Beide  machten  in  der  »Allgem.  musikal.  Zeitunga  ihre 
Ansichten  darüber  bekannt.  Wahrscheinlich  durch  diese  VeröflFentlichungen 
mit  der  neuen  Erfindung  bekannt  geworden,  baute  1818  der  Instrumenten- 
bauer J.  B.  Dupont  in  Paris  ein  H.  mit  Ventilen,  welches  das  französische 
Ministerium    auf    fünf   Jahre    patentirte.     Auch    in    Deutschland    fanden    sich 


Hörn.  299 

Mehrere,  welche  die  Stölzel'sche  Erfindung  zu  verbessern  sich  bestrebten.  Als 
wesentlich  in  dieser  Weise  ist  die  Bemühung  des  Instrumentenbauers  Fr.  Sattler 
in  Leipzig  hervorzuheben.  Das  Stölzel'sche  H.  besass  nämlich  zwei  Büchsen- 
ventile  an  verschiedenen  Stellen  der  Tonröhre.  Sattler  jedoch  baute  ein  H. 
mit  drei  Büchsenventilen,  die  den  Stölzel'schen  ganz  gleich  construirt  waren. 
Diese  Ventile  waren  jedoch  so  an  der  Tonröhre  angebracht,  dass  die  Haltung 
des  H.s  beim  Blasen,  die  durch  die  Stölzel'sche  Bauart  in  anderer  "Weise  ge- 
fordert wurde,  in  gewohnter  Weise  geschehen  konnte.  Seiner  Zeit  mehr  Auf- 
sehen erregend,  weil  die  Presse  von  diesen  Verbesserungen  sehr  häufig  be- 
richtete, doch  weniger  musikhistorisch  bemerkenswerth,  hat  sich  mit  der  Zeit 
das  y>Gornet  ä  pisto7i<i  (s.  d.)  Meyfried's  in  Paris  und  das  »Cor  omnitoniquev 
von  Adolph  Sax  in  Brüssel  ergeben,  ersteres  ein  in  G-estalt  dem  alten  Posthorn 
fast  gleich  gebautes  Messingblasinstrument  mit  drei  Ventilen,  letzteres  dem 
deutschen  Ventilhorn  ähnlicher. 

Die  Bemühungen    deutscher    und    französischer  Instrumentbauer  in  Bezug 
auf  die  vorzüglichste  Fertigung  der  Ventile  führten   zu   drei  Aiten  derselben: 
Büchsenventilen    (s.   d.),    Hebel-,    Schub-    oder    Röhrenventilen    und 
Cylinder-  oder  Drehventilen,  deren  Unterschiede  in  dem  Artikel  Ventile 
(s.  d.)  ausführlicher  beschi'ieben  sind.     In  Frankreich  und  England  nennt  man 
die    ersten    beiden  Arten  -»pistonsa    oder    »«  clefsa,    wohingegen    die    dritte  Art 
meist  y>ä  cylindresa    und    nur    zuweilen  in  Oesterreich  »Eadelmaschine«  genannt 
wird.     Welche  Vorzüge    und    Nachtheile    die    besonderen    Ventilarten    in    ihrer 
Anwendung  beim  H.  haben,   ist   in    demselben  Artikel  eingehender  besprochen, 
sowie  die  Einwirkung  der    Touwechselmaschine  (s.  d.),  erfunden  von   Cer- 
veny  in  Königsgrätz,    auf  dieselben.     Trotzdem    nun    die  Ventile    zuerst    beim 
H.  Anwendung  fanden,  so  hat  es  doch  Jahrzehnte  gewährt,  ehe  diese  Erfindung 
allgemein  Einführung    fand.     Man    hat    diese    allgemeine  Einführung  wohl  vor- 
züglich der  Entwickelung  der  Militärmusik  zu  danken.     Die  grosse  Wichtigkeit 
der  Ventile  wurde  so  durch    die  Praxis    überall  erkannt,    und    schon  der  oben 
erwähnte  Musikschriftsteller  Fetis  giebt  in  dem  bezeichneten  Aufsatz  eine  noch 
heute  schätzbare  Zusammenstellung  derselben,    welche   hier   folgen  mag.     »Das 
Waldhorn,    dessen  Tonumfang    früher    nur  zwei  unvollständige  Octaven  in  der 
ein-  und  zweigestrichenen  Octave  besass    und    in    der  kleinen  Octave  blos  zwei 
Töne  hatte,  ist  durch  die  Erfindung  der  Ventile  zu    einem  Instrumente  umge- 
staltet  worden,    welches    eine    chromatische    Tonleiter    durch    mehrere  Octaven 
besitzt,  wie  alle  anderen.     Es  scheint  also,  dass  auf  die  Frage:  welches  Instru- 
ment soll    vorgezogen    werden,    das    einfache    oder    das  Ventilhorn?  —  es    nur 
eine  Antwort  geben    kann,    nämlich:    das  Ventilhorn.     Jedoch   sind  die  musi- 
kalischen Kreise  durchaus  noch  nicht    dahin    gelangt,    eine  vollständige  TJeber- 
einstimmung  über  diesen  Gegenstand  sich  anzueignen.     In  Frankreich  und  be- 
sonders auch  in  Paris    existirt    ein    ungünstiges  Vorurtheil  für  das  Ventilhorn, 
und  viele  der  Künstler  bleiben  hartnäckig  an  dem  alten  Instrumente  attachirt, 
unter  dem  Vorwande,    dass    durch  Anbringen    der  Ventile  das  H.  schwerfällig 
gemacht    und    die    natürliche   Schönheit    des  Tones    geschädigt    werde.     Dieses 
Vorurtheil  übt  selbst  seinen  Einfluss  auf  die  Componisten  aus,  welche  in  dieser 
Zeit,  wo  man  mit  Begierde  jede  Neuerung  aufsucht,  doch  die  alte  Behandlung 
in  der  Instrumentation  beibehalten,   und  welche,    wenn  sie  in  ihren  Partituren 
Ventilhörner  für  gewisse  Effekte  vorschreiben,  sich  derselben  nur  mit  Schüch- 
ternheit bedienen  und  die  grossen  Hülfsmittel  gar  nicht  zu  begreifen  scheinen. 
Ich  (Fetis)  habe  mir  vorgenommen,  diesen  Trrthum  aufzuklären,  um  dem  Gegen- 
stand Glauben   zu    verschafiFen,    indem    ich    beweisen  werde,    dass    es    eine  Art 
Barbarei  ist,   den   Gebrauch  eines  Instruments  ausschliesslich  zu  erhalten,  wel- 
ches die  meisten  der  Töne   in   der   gegenwärtigen  Musik  entbehrt.  —  Nur  das 
Ventilhorn  ist  ein  vollständiges  Instrument,  weil  es  in  seinem  ganzen  Umfange 
offene  und  natürliche  Töne  besitzt.     Es  hat  eine  Octave  im  Bass,  wo  auf  dem 
einfachen  H.  nur  zwei  Töne  vorhanden  waren;  ausserdem  hat  es  noch  mit  drei 


300  Hörn. 

Ventilen  vier  gute  Töne  in  der  grossen  Octave.  Mit  diesem  Instrumente  hat 
man  ein  ausgezeichnetes  H.  für  Bass  und  Alt,  welches  an  Sonorität  vorzüglich 
genannt  werden  kann.  Die  französischen  Künstler  machen  gegen  das  Ventil- 
horn  die  Einwendungen,  einerseits,  dass  der  silberne  Klang  des  einfachen  H.s 
verändert  werde,  andererseits,  dass  für  den  Ausdruck  gewisser  melancholischer 
Passagen  die  gestopften  Töne  nöthig  wären.  Sind  diese  Einwürfe  begründet? 
Nein,  Artöt,  Professor  am  Conservatorium  in  Brüssel,  welcher  den  schönsten 
Ton  hat,  den  man  auf  dem  einfachen  H.  hören  kann,  hat  nichts  von  dieser 
kostbaren  Eigenschaft  verloren,  als  er  das  Ventilhurn  adoptirte.  Andere  Künstler 
haben,  ich  gestehe  es,  auf  dem  Ventilhorn  einen  schwerfälligen,  spröden,  pelzigen 
Ton;  allein  es  ist  sehr  zweifelhaft,  ob  sie  auf  dem  einfachen  H.  einen  besseren 
haben  würden.  —  In  Hinsicht  auf  den  Ausdruck,  welchen  man  in  der  An- 
wendung der  gestopften  Töne  vermischt  mit  den  offenen  zu  finden  glaubt,  habe 
ich  nur  eine  einfache  Bemerkung  entgegenzustellen:  die  erste  Eigenschaft,  wel- 
che ein  Sänger  in  seiner  Kunst  erlangen  soll,  ist  die  Egalität,  die  Gleichartig- 
keit und  Sonorität  aller  Töne  in  seiner  Stimme.  Diese  Egalität,  diese  Gleich- 
artigkeit des  Klanges,  weit  entfernt,  ein  Hinderniss  im  Ausdruck  zu  sein,  ist 
im  Gegentheil  die  Eigenschaft,  welche  uns  angenehm  berührt  und  unwider- 
stehlich erregt.  Nun,  das  vollkommenste  Instrument  ist  doch  unstreitig  das- 
jenige, welches  der  menschlichen  Stimme  am  nächsten  kommt,  und  der  Künstler, 
welcher  gut  accentuirt,  ohne  der  Reinheit  des  Klanges  zu  schaden,  ist  ohne 
Zweifel  derjenige,  welcher  hierin  die  grösste  Vollendung  erlangt  hat.  Die 
Gleichmässigkeit  der  offenen  Töne  des  Ventilhorns  hat  also  eine  TJeberlegenheit 
von  grosser  Bedeutung  über  die  TJngleichmässigkeit  der  Töne  des  einfachen 
H.s,  sowohl  für  den  Ausdruck  zarter  Stellen,  als  auch  für  die  energische  Kraft. 
"Wenn  es  nun  für  die  Klangfarbe  gemischte  Effekte  giebt,  in  welchen  die  ge- 
stopften Töne  sehr  nützlich  sein  können,  wie  die  Sordinen  bei  den  Streich- 
instrumenten es  sind,  so  sind  doch  die  Ventile  am  Waldhorn  kein  Hinderniss, 
denn  man  kann  beim  Ventilhorn  ebenso  gut  Gebrauch  von  der  Hand  machen, 
als  wie  beim  einfachen  H.a 

Diese  Auslassungen  ergänzend,  mögen  noch  die  Bemerkungen  H.  Hübler's, 
ersten  Wnldhornisten  an  der  königl.  Kapelle  zu  Dresden,  hier  eine  Stelle  finden. 
»Jeder  gute  Waldhornist  wird  bei  der  Benutzung  des  Ventilhorns  auch  stets 
Gebrauch  von  der  im  Schallbecher  liegenden  rechten  Hand  machen,  wenn  er 
gestopfte  Töne  erzeugen  will.  Denn  gerade  durch  das  Studium  der  gestopften 
Töne  erzielt  man  einen  weichen  schönen  Ton.  Der  grosse  Vorzug  des  Ventil- 
horns besteht  nicht  allein  in  der  chromatischen  Tonleiter  mit  lauter  offenen 
Tönen,  sondern  auch  darin,  dass  man  mit  Hülfe  der  Ventile  eine  chromatische 
Tonleiter  gestopfter  Töne  hervorbringen  kann.  Namentlich  ist  letztere  Ton- 
reihe in  der  ein-  und  zweigestrichenen  Octave  mit  Effekt  zu  verwenden.  R. 
"Wagner  und  Fr.  Liszt  liefern  in  ihren  Werken  die  vollständigsten  Beweise 
dafür.«  —  Auch  in  Deutschland  ist  die  Ansicht  verbreitet,  dass  der  Klang  des 
einfachen  H.s  viel  schöner  sei,  als  der  des  Ventilhorns.  Diese  Meinung  beruht, 
wie  Fetis  richtig  bemerkt,  auf  Vorurtheil;  jedoch  muss  dabei  vorausgesetzt 
werden,  dass  der  Bläser  sein  Ventilhorn  eben  auch  als  einfaches  H.  behandelt, 
d.  h.  dass  er  die  rechte  Hand  während  des  Blasens  im  Schallbecher  liegen 
lässt.  Wenn  allerdings  der  Bläser  das  Ventilhorn  derartig  hält,  dass  die  rechte 
Hand  vollständig  ausserhalb  des  Bechers  kommt  —  wie  man  es  öfters  bei 
kleinen  Orchestern  in  der  Provinz,  auch  nicht  selten  bei  Militärkapellen  findet, 
dann  hat  in  Wahrheit  der  Ton  des  Ventilhorns  einen  harten,  ja  fast  gemeinen 
Klang.  In  diesem  Falle  hat  man  dann  nicht  Unrecht,  das  einfache  H.  dem 
Ventilhorn  vorzuziehen.  Bei  Waldhornbläsern,  welche  auf  den  Namen  von 
Künstlern  Anspruch  machen,  dürfte  eine  solche  fehlerhafte  Haltung  des  Instru- 
ments wohl  kaum  gefunden  werden,  und  so  kann  man  seine  Uebereinstimmung 
mit  dem  Ausspruch  von  Fetis  erklären.  Offen  auszusprechen  und  zu  behaupten 
ißt,  dass  es   ein  sehr  geübtes,  fein  musikalisches  Ohr  erfordert,  um  ganz  kleine 


Hörn.  301 

Differenzen  im  Tone  zwischen  dem  einfachen  und  dem  Yentilhorn  in  i''-Stim- 
mung  wahrzunehmen.  Unter  hundert  Fällen  dürften  neun  und  neunzig  vor- 
kommen, wo  dies  kaum  unterschieden  wird.  —  Von  Einfluss  auf  diese  Differenz 
ist  hauptsächlich  die  Bauart  und  die  Weite  der  Röhren.  Früher  hatte  das 
einfache  H.  viel  engere  Röhren,  wodurch  der  Ton  zwar  etwas  heller  im  Klange 
und  beim  Blasen  leichter  ansprechend  war,  aber  auch  viel  dünner  und  schnei- 
dender erschien.  Der  Charakter  des  Ventilhorns  ist  ein  sonorer,  gleichmässiger 
Klang,  der  hauptsächlich  maassgebend  ist,  um  ihm  den  Vorzug  zu  geben.  — 
Diese  Bemerkungen  noch  mehr  ergänzend,  ergeht  sich  Philipp  Dornaus,  Virtuose 
und  Componist  auf  dem  Waldhorn,  in  seinem  Aufsatze:  »Einige  Bemerkungen 
über  den  zweckmässigen  Gebrauch  des  Waldhorns  etc.«,  Leipz.  musikal.  Zeit- 
schrift, dritter  Jahrg.  S.  308,  ferner  die  Abhandlung  Heinrich  Gottwald's  im 
24.  Jahrg.  S.  125  bis  135  der  »Neuen  Zeitschrift  für  Musik«,  welche  Aufsätze 
nachzulesen  empfohlen  sei.  Das  jetzt  gebräuchliche  Ventil  -  Waldhorn  unter- 
scheidet sich  von  dem  oben  beschriebenen  in  keiner  Wesentlichkeit  und  wird 
auch  in  langer  Zeit  wohl  sich  keiner  zu  erfreuen  haben,  sondern  nach  jetzigem 
besten  Erkennen  kann  man  den  Ausbau  dieses  Tonwerkzeugs  als  abgeschlossen 
betrachten. 

Schliesslich  mag  hier  noch  einer  besonderen  H.art,  der  russischen  Jagd- 
hörner, Erwähnung  geschehen.  Dieselben  sind  geradeausgehend  gebaut,  unge- 
fähr wie  ein  Sprachrohr,  und  bringen  mit  Leichtigkeit  nur  einen  einzigen 
Ton  hervor.  Jeder  Bläser  hat  die  Aufgabe,  nur  den  Grundton  seiues  Instru- 
mentes anzugeben,  wenn  derselbe  in  einem  Tonstücke  gehört  werden  soll,  die 
andere  Zeit  jedoch  zu  pausiren,  Eiue  Ensemblemusik,  mit  solchen  Tonwerk- 
zeugen ausgeführt,  erfordert  grosse  Sorgfalt  und  Einübungszeit,  indem  oft  einige 
dreissig  Mann  Sinfonien,  Concerte,  Märsche,  Choräle,  kurz  alles  Mögliche  in 
solcher  Weise  ausführen.  Nur  der  hohe  Musiksinn,  der  im  niederen  Stande 
des  slavischen  Volkes  fast  Jedem  angeboren  ist,  und  die  Strenge,  mit  der  diese 
von  ihren  Vorgesetzten  behandelt  werden  konnten,  waren  im  Stande,  derartige 
Kunstleistungen  möglich  zu  machen.  Der  Erste,  welcher  die  russische'  Jagd- 
horn-Musik (1754)  ausführen  Hess  und  wahrscheinlich  auch  erfunden  hat,  war 
Marc  seh  (s.  d.),  ein  geborener  Böhme,  Tonkünstler  in  Petersburg,  in  Diensten 
des  damaligen  Oberjägermeisters  Naryschkin.  Um  noch  eine  in  den  vierziger 
Jahren  dieses  Jahrhunderts  epochemachende  Erscheinung  —  der  Waldhornist 
Vivier  nämlich  blies  nach  der  oberflächlichen  Auffassung,  ja  selbst  das  Urtheil 
von  Fachleuten  wurde  zuerst  irre  geführt,  mehrstimmig  —  zu  erklären,  müssen 
wir  hier  einige  Betrachtungen  über  die  Tonbildung  mit  dem  H.  anstellen:  die 
Lippen  des  H.bläsers  wirken  wie  gespannte  Membrane,  und  von  den  mehrfach 
in  die  Schallröhre  fliessenden  Schallstrahlen  multiplicirt,  von  der  Lippenspan- 
nung und  der  Stärke  des  Luftstromes  bedingt,  das  Schallrohr  den  eigenen 
Grundton  oder  einen  seiner  Aliquottöne.  Da  bei  dieser  Thätigkeit  nur  die 
Lippen  beschäftigt  sind,  so  vermag  der  Bläser  noch  mittelst  der  Stimmritze 
Töne  zu  bilden,  die  durch  die  Nase  einen  selbstständigen  Ausgang  erhalten 
können.  Diese  Töne  sind  nasal  und  meistentheils  nur  wenig  hörbar.  Stärker 
erklingen  hingegen  diese  Töne,  wenn  der  Bläser  sie  durch  die  Schallröhre  des 
H.s  ihren  Ausgang  finden  lässt,  indem  dann  das  H.  wie  ein  Sprachrohr  wirkt. 
Der  stärker  klingende  gesungene  und  der  durch  das  Blasen  geschaffene  Klang 
bewirken  die  Zeugung  eines  noch  gleichzeitig  vernehmbaren  Tones,  Summa- 
tionston  genannt.  Ueber  die  physikalischen  Gesetze,  nach  denen  dieser  Sum- 
mationston  sich  bildet,  findet  man  Belehrung  in  dem  Artikel  Akustik  (s.  d.) 
dieses  Werkes,  sowie  in  den  Werken  »Die  Lehre  von  den  Tonempfindungen«, 
S.   227  bis   236,  und  in  John   Tyndall's  »Der  Schall«,  S.  330,  339  ff. 

Betreffs  der  Notirung  für  das  H.  gesetzter  Tonstücke  hat  sich  seit  frü- 
hester Zeit  nichts  geändert.  Die  Normalstimmung  jedes  H.s  wird  als  in  C-dur 
angenommen  und  ergeben  sich  die  Klänge    desselben  je    nach    dem   von   C  ver- 


302 


Hörn. 


schiedenen   Grundton   und  zwar  um  eine  Octave  tiefer.     Folgende  Naturklänge 
eines  H.s  mööen  dies  veranschaulichen: 


Notirung     klingt  auf  dem  C-Horn  Z)-Horn 


■^^f=^ 


Us-TLorn 


if^ 


^-Horn  JP-Horn 


Ö-Horn 


-4s-B[orn 


■^E^b±==£-:i£S-  ■  =^ 


:^: 


^-Horn 


hoch  JB-Horu 


1^3 


3=^ 


P- 


^^^:^^ 


tief  -B-Horn 


In  Bezug  auf  den  Gebrauch  des  H.s  und  dessen  geschichtliche  gesteiger- 
tere Eutwickelung  findet  man  Eingehenderes  in  der  zweiten  Abtheilung  der 
oben  erwähnten  Abhandlung  »Das  Waldhorn«  von  Rühlmann  in  der  Neuen 
Zeitschrift  für  Musik,  Jahrg.  1871.  Hier  seien  nur  noch  die  Grundzüge  des 
jetzigen  Gebrauchs  dieses  Instruments  kurz  verzeichnet.  Je  nachdem  die  Stim- 
mung des  H.s,  je  nachdem  gebraucht  man  die  höheren  Klänge  desselben;  H.er 
in  hoher  Stimmung  werden  nicht  so  hoch  benutzt  als  tiefere.  Allgemein  ist  . 
die  Regel,  dass  man  z.  B.  die  G-,  As-,  Ä-  und  hohen  5 -H.er  nur  bis  e,  die  ; 
tieferen  Stimmungen:  F-,  E-,  Es-,  D-,  C-  und  tief  -B-H.er  jedoch  bis  g  notirt, 
gebraucht.  Von  diesen  Klängen  sind  stets  die  Naturtöne  die  am  häufigsten 
benutzten,  und  wählt  man  nach  der  Anwendung  dieser  denn  auch  die  Stimmung 
des  H.s.  Zu  den  gangbarsten  Tongängen,  wenn  sich  diese  Instrumente  selbst- 
ständig bemerkbar  machen  sollen,  gehören  nachfolgende: 


t^-M 


Neben  dieser  Gebrauchsweise  und  derjenigen ,  lange  anhaltende  Töne  zur 
Füllung  der  Harmonie  zu  geben,  findet  sich  die,  rhythmische  Marken  (das  so- 
genannte Pochen)  mit  demselben   Tone  auszuführen  oftmals,  wie 


E 


1    y 

Meist  sind  in  den  Orchestern  nur  zwei,  ein  sogenanntes  erstes  und  zweites 
H.  in  Anwendung,  aber  auch  vier  oder  sechs  thätig;  stets  sind  bei  grösserer  Zahl 
als  zwei  nur  zwei  gleicher  Stimmung.  Bios  in  Jäger-  und  Militärmusikcorps 
treten  die  H.er  massiger  auf,  weil  sie  dort  nicht  allein  den  eigentlichen  Ton- 
körper, sondern  auch  die  höhere  Tonregion  zu  geben  zur  Aufgabe  haben,  wo- 
hingegen im  gewöhnlichen  Orchester  die  H.er  hauptsächlich  nur  um  der  2,5- 
metrigen  Tonregion  die  gewünschte  Fülle  zu  verleihen,  dienen.  Alle  diese 
Regeln  beziehen  sich  auf  den  chorischen  Gebrauch  des  H.s.  Als  Soloinstru- 
ment, als  welches  es  in  den  verschiedensten  Zusammenstellungen  mit  Piano, 
Streichinstrumenten,  Gesang  u.  s.w.  vorkommt,  gelten  natürlich  diese  Regeln 
in  Bezug  auf  den   zu  verwerthenden  Umfang  als  Grundregeln.     Diese  unterliegen 


Hörn.  303 

jedoch  je  nach  der  G-eschicklichkeit  des  Spielers  vielfaclier  Aenderung.  —  Die 
Literatur  für  H.,  im  Ganzen  nicht  gross  zu  nennen,  hat  meist  der  Feder  her- 
vorragender Virtuosen  ihre  Entstehung  zu  danken;  doch  hat  die  Neuzeit  in 
diesem  Felde  fast  nichts  geboten,  während  Werke  aus  den  vorigen  Jahrzehnten 
noch  jetzt  vorhanden  und  gesucht  sind.  Als  besonders  bekannt  sind  die  Schulen 
von  Domnich,  Duvernoy  und  Punto  zu  nennen  und  darnach  diejenigen  von 
Kling,  Fröhlich,  Dauprat  u.  A.  Der  Virtuosen  auf  dem  H.  gab  es  sehr  viele, 
und  es  seien  hier  nur  genannt:  Agthe,  Bailly,  Bamberger,  Bauchingei-,  Beccaria, 
Belolli,  Bliesener,  Bode,  Buri,  Collin,  Dickhut,  Eisen',  Garcia,  Gügel,  Haase, 
Harmüller,  Hauser,  Herbst,  Holluba,  Hradetzky,  Hutzier,  Kohaut,  Kretschmer, 
Lanz,  Leander,  Lother,  Marquardt,  Mieksch,  Neumann,  Niesle,  Falsa,  Punto, 
Pfafie,  Polack,  Rausch,  Rothe,  Scharfenberg,  Schröder,  Schunke,  Seebach,  Yivier 
u.  A.  —  Auch  in  den  Orgeln  gab  es  eine  H.,  Zinke,  Cornet,  Cornetto 
oder  Waldhorn  benannte  Stimme.  Dies  in  neuester  Zeit  sehr  selten  gebaute 
2,5  metrige  Orgelregister,  einerlei  mit  Sesquialtera  (s.  d.) ,  ist  entweder  eine 
Zungen-  oder  eine  gemischte  Stimme.  Man  findet  sie  auch  zuweilen  in  anderen 
Maassen.  So  berichtet  Wolfram  in  seinem  Werke  »Anleitung  zur  Kenntniss 
der  Orgeln  etc.«  S.  210,  dass  es  2,5-  und  1,25  metrige,  H.  genannte  Orgel- 
register gebe,  und  Adlung  in  seiner  «musikalischen  Gelahrtheit«  giebt  sogar 
Nachricht  über  eine  im  Königsberger  Kneiphof  und  eine  zu  Mühlhausen  in 
Thüringen  befindliche  0,625  metrige  Stimme,  ebenfalls  H.  genannt.  Sollte  wirk- 
lich wieder  das  Bestreben  sich  Bahn  brechen,  ein  den  H.klang  vertretendes 
Orgelregister  zu  bauen,  so  würden  wohl  solche  Maasse,  wie  1,25  und  0,625 
Meter,  nicht  mehr  versucht  werden,  da  in  diese  Gegend  des  Tonreichs  die 
Klänge  des  H.  genannten  Tonwerkzeugs  gar  nicht  hineinragen,  und  man  doch 
nur  bezwecken  würde,  die  H.klänge  den  andern  der  Orgel  beizufügen.  — 
Noch  wäre  zu  bemerken,  dass  Prätorius  S.  186  einer  0,6  metrigen  Orgel- 
stimme, Hornbässlein  genannt,  erwähnt.  Wahrscheinlich  hatte  diese  Stimme 
den  Namen  »Bässlein«  nur  davon  erhalten,  dass  der  Orgelbauer  dieselbe  dem 
Pedal  einverleibt  hatte.  C.  B. 

Hörn,  deutscher  Violinvirtuose  und  Instrumentalcomponist,  war  um  1755 
Concertmeister  des  Grafen  Brühl  in  Dresden  und  hat  um  1760  Sinfonien, 
Violinconcerte  und  Parthien  seiner  Composition  herausgegeben. 

Hörn,  August,  geschickter  deutscher  Componist  und  Musiklehrer,  ge- 
boren am  1.  Septbr.  1825  zu  Freiberg  in  Sachsen,  war  1843  einer  der  ersten 
Schüler  des  neu  gegründeten  Conservatoriums  in  Leipzig,  machte  daselbst  den 
vorgeschriebenen  dreijährigen  Cursus  durch  und  lebt  seitdem,  abgerechnet  eine 
mehrjährige  Unterbrechung  von  1862  bis  1868,  die  er  in  Dresden  zubrachte, 
in  Leipzig.  Er  schrieb  Ouvertüren  für  Orchester,  Ciavierstücke  und  Gesänge, 
welche  Talent  und  eine  kunstfertige  Hand  bekunden.  Besonders  vortheilhaft 
bekannt  aber  machte  er  sich  durch  Arrangements  von  Orchesterwerken  oder 
Vocalcompositionen  mit  Orchesterbegleitung  für  Pianoforte  vierhändig  und  für 
zwei  Claviere.  Eine  einaktige  Oper  von  ihm,  »Die  Nachbarn«,  Text  von  Roh. 
Jonas,  fand  bei  ihrer  ersten  Aufführung  am  Stadttheater  in  Leipzig,  im  März 
1875,  vielen  Beifall. 

Hörn,  Ferdinand,  einer  der  grössten  deutschen  Harfenvirtuosen,  aus 
Breslau  gebürtig,  befand  sich  1786  zu  Berlin,  1787  zu  Hamburg,  1792  wieder 
in  Breslau,  1793  in  Leipzig  u.  s.  w.  und  führte  ein  unstetes  Leben,  da  er 
wegen  Schulden  sich  allenthalben  verfolgt  sah,  so  dass  er  häufig  seinen  Namen 
verändern  musste.  Seit  1813  hat  man  von  ihm,  der,  wo  er  sich  hören  Hess,  Alles 
entzückte  und  in  Staunen  versetzte,  nichts  mehr  gehört;  wahrscheinlich  ist  er 
in  selbstverschuldeter  Armuth  verkommen. 

Hörn,  Franz  Christoph,  deutscher  belletristischer  und  musikalischer 
Schriftsteller,  geboren  am  30.  Juli  1781  zu  Braunschweig,  besuchte  das  Catha- 
rineum  daselbst,  studirte  hierauf  die  Rechte  in  Jena,  in  Leipzig  Philosophie, 
Geschichte  und  Aesthetik,  wurde  1802  Doctor  der  Philosophie,  1803  als  Lehrer 


304  Hörn. 

an  das  Gryranasium  zum  grauen  Kloster  nach  Berlin  und  1805  in  gleicher 
Eigenschaft  an  das  Lyceum  nach  Bremen  berufen.  Sein  Gesundheitszustand 
nöthigte  ihn,  dem  Lehramt  zu  entsagen,  worauf  er  1809  nach  Berlin  zurück- 
kehrte, dort  als  Privatgelehrter  lebte  und  am  19.  Juli  1837  starb.  Schätzbare 
musikalische  Aufsätze  von  ihm  befinden  sich  in  der  »Leipz.  allgem.  musikal. 
Zeitung«  und  in  der  »Cäcilia«. 

Hörn,  Grottfried  Joseph,  geschickter  deutscher  Instrumentenmacher,  ge- 
boren 1739  zu  Nickern  bei  Dresden,  übernahm  als  gelernter  Müller  die  Mühle 
seines  Vaters.  Mit  gutem  Talent  für  Mechanik  begabt,  kaufte  er  das  Hand- 
werkszeug des  verstorbenen  Instrumentemuachers  Schwarz  und  brachte  1772 
ohne  Anweisung  ein  Ciavier  zu  Stande,  dem  bis  1796  gegen  500  andere  folgten, 
die  den  Werken  gelernter  Meister  nichts  nachgaben;  weniger  glückte  ihm  der 
Bau  von  Fortepianos  und  Orgeln,  den  er  ebenfalls  versuchte.  —  Noch  bedeu- 
tender als  Instrumentenmacher  war  sein  jüngerer  Bruder,  Johann  Gottlob 
H.,  geboren  1748  zu  Nickern,  welcher  von  1771  bis  1773,  nachdem  er  in 
Dresden  Tischler  gewesen,  bei  dem  berühmten  Stein  zu  Augsburg  gelernt 
hatte.  Von  Stein  kam  er  zu  Friederici  in  Gera  und  1779  etablirte  er  sich 
in  Dresden.  Gleich  sein  erstes  Ciavier,  welches  der  regierende  Graf  von  Reuss 
zu  Köstritz  kaufte,  fand  den  ungetheilten  Beifall  der  Kenner  und  begründete 
seinen  grossen  Ruf.  Bis  1796,  seinem  Todesjahre,  sind  an  1000  Instrumente 
aus  seiner  Fabrik  hervorgegangen,  die  sehr  gesuchte  Artikel  gewesen  sind. 
Nach  seinem  Tode  übernahm  einer  seiner  Gehülfen  Namens  Renzsch  das  rühm- 
lichst bekannte  Geschäft. 

Hörn,  Heinrich,  berühmter  Harfen  virtuose,  geboren  1789  zu  Paris  von 
deutschen  Eltern,  kam,  nachdem  er  daselbst  die  Elemente  der  Musik  erlernt 
hatte,  in  seinem  zehnten  Jahre  nach  London,  wo  er  sieben  Jahre  hindurch 
eifrig  das  Harfenspiel  studirte  und  1805  Concerte  veranstaltete.  Hierauf  Hess 
er  sich  von  dem  berühmten  Harfenisten  Jean  Elouis  vollends  ausbilden,  mit 
dem  er  durch  vier  Jahre  Concertreisen  durch  Schottland  und  Irland  unter- 
nahm. Nach  seiner  Rückkunft  in  England  Hess  er  sich  in  Bath  auf  einer 
Erard'schen  Harfe  mit  doppelter  Bewegung  (ä  double  mouvement)  hören,  welche 
damals  noch  so  gut  wie  unbekannt  war,  und  erregte  das  grösste  Aufsehen  und 
Bewunderung.  H.  Hess  sich  hierauf  als  Musiklehrer  in  London  nieder  und 
componirte  und  veröfifentlichte  15  Solos  und  Präludien,  sowie  viele  Rondos 
und  Variationen  für  Harfe.  Auch  eine  Schule  für  die  einfache  und  Doppel- 
harfe hat  er  herausgegeben. 

Horu,  Johann  Kaspar,  deutscher  Jurist  und  ausgezeichneter  Musik- 
dilettant, lebte  in  Dresden  und  gab  von  1664  bis  1681  zahlreiche  Instrumental- 
und  Vocalcompositionen  heraus,  die  sich  einer  grossen  Beliebtheit  erfreuten, 
z.  B.  das  nParergon  mitsicmna,  das  in  fünf  Theilen  zu  Leipzig  erschien  und  eine 
Menge  Sonaten,  Allemanden,  Ballette,  Sarabanden  u.  s.  w.  für  fünf  Instrumente 
(Violinen,  Violas  und  Basso  continuo)  enthielt;  andere  Sammlungen  derselben 
Art  von  ihm  erschienen  1677  in  Leipzig,  ferner  Arien  und  Canzouetten  für 
eine  bis  sechs  Stimmen  mit  Begleitung  von  fünf  Violinen  oder  Flöten  und 
einem  Contrabass,  endlich  geistliche  Melodien  für  Winter  und  Sommer  nach 
den  Evangelien  für  vier  Stimmen  mit  Violinen,  Violas  und  einem  Bass  u.  v.  a. 

Hörn,  Karl  Friedrich,  deutscher  Tonkünstler  und  Componist,  geboren 
am  13.  April  1762  zu  Nordhausen,  lernte  schon  früh  die  Elemente  der  Musik 
und  studirte  später  bei  dem  Organisten  Schröter  Composition  und  Contrapunkt. 
Mit  zwanzig  Jahren  kam  er  nach  London,  wo  sich  der  sächsische  Gesandte, 
Graf  Brühl,  erfolgreich  für  sein  Fortkommen  bemühte.  Bald  darauf  gab  H. 
seine  ersten  Ciaviersonaten  heraus,  die  ihn  vortheilhaft  bekannt  machten.  Auf 
Empfehlung  Clementi's  und  einiger  englischen  Adeligen  wurde  er  zum  Clavier- 
lehrer  der  köuigl.  Prinzen  als  Naclifolger  Christian  Bach's  ernannt  und  stand 
von  1789  an  ununterbrochen  im  Dienst  des  Hofes,  zumal  ihn  1823  Georg  IV. 
auch  als  Organist  seiner  Kapelle  anstellen  Hess,  welchen  Platz  er  bis  au   seinen 


Hornbässleln  ~  Hornquinten.  3Q5 

Tod,  am  3.  Aug.  1830,  inne  hatte.  Er  componiite  und  veröfiPentlichte  sechs 
Sonaten  für  Ciavier,  Yioline  und  ßass,  zwölf  andere  für  Ciavier  und  Flöte 
zwölf  Divertissements  für  Militärmusik,  zwölf  Variationenhefte  für  Pianoforte, 
Violine  und  Violoncello  und  eine  Generalbassschule.  —  Sein  Sohn,  Karl 
Eduard  H.,  geboren  1786  in  London,  war  ein  Schüler  seines  Vaters,  sowie 
im  14.  Jahre  des  Sängers  Rauzzini.  Darauf  debütirto  er  in  der  englischen 
Oper  als  Darsteller  und  wurde  ziemlich  gut  aufgenommen;  eine  Oper  dagegen, 
die  er  für  diese  Bühne  schrieb,  fiel  durch.  Besser  gefielen  andere  Stücke 
seiner  Composltion  und  seine  spätere  Oper  nThe  Bee-hivea,  welcher  er,  durch 
den  Erfolg  angeeifert,  nach  und  nach  vierzehn  andere  folgen  liess,  von  denen 
y>Lalla  Hoo/cha,  y>The  Wizard(.<.,  ^^Charles  iJie  Boldvi,  y>The  magic  bridea  u.  s.  w.  in 
London  und  auf  anderen  Theatern  sehr  beifällig  gegeben  wurden.  Nach  län- 
gerer Pause  erschien  er  1814  auch  wieder  als  Opernsänger  und  wurde  vom 
Publikum  gut  aufgenommen.  Später  ging  er  nach  den  Vereinigten  Staaten 
von  Nordamerika  und  starb  daselbst  im  J.  1849.  Ausser  Opern  hat  er  auch 
viele  englische  Gesänge  compouirt,  und  veröffentlichte  auch  eine  Sammlung 
von  indianischen  Melodien,  für  eine  oder  zwei  Stimmen  mit  Pianofortebeglei- 
tung gesetzt. 

Horubiissleia  ist  der  Name  eines  Pedalregisters  zu  0,6  Meter,  eine  Flöten* 
stimme,  die  auf  Hornart  intonirt.     Vgl.  Prätorius,  Syntagma  II.   186. 

Hornbugle  (engl.),  das  Jäger-  oder  Signalhorn  (s.  d.). 

Horuburg,  Johann,  Organist  zu  Brandenburg,  war  einer  der  ältesten  der 
im  J.  1596  zur  Abnahme  der  Schlosskirchenorgel  zu  Grüningen  bei  Halberstadt 
berufenen  53  Organisten ;  denn  in  der  nach  dem  Alter  geordneten  Heihenfolge 
war  er  der  sechste.     Vgl.  Werkmeister's  y>Org.  Gruning.  rediv.a  §.11.  f 

Hornemau,  Johann  Ole  Emil,  begabter  dänischer  Componist,  geboren 
1809  zu  Kopenhagen,  dessen  Lieder  und  Gesänge  in  ihrer  Heimath  im  hohen 
Grad  beliebt  und  populär  geworden  sind,  so  u.  A.  der  auch  im  Ausland  be- 
kannt gewesene  »Tappere  Landsoldat«,  welcher  im  Schleswig -holstein'schen 
Kriege  von  1864  eine  Polle  spielte  und  für  ein  dänisches  Nationallied  an- 
gesehen wurde.     H.  starb  am  29.  Mai  1870  zu  Kopenhagen. 

Horner,  Thomas,  deutscher  Musikgelehrter  des  16.  Jahrhunderts,  aus  Eger 
in  Böhmen  gebürtig,  lebte  in  Königsberg  und  ist  der  Verfasser  eines  Lehrbuchs, 
betitelt:  »De  ratione  componendi  cantusn  (Königsberg,   1546). 

Hornist,  andere  Bezeichnung  für  Hornbläser. 

Horumusik,  eine  in  neuerer  Zeit  vorzüglich  beim  Militär  und  zwar  bei 
den  Jägern ,  der  Artillerie  und  den  Füsiliercorps  üblich  gewordene  Art  der 
Bataillonsmusik  von  lauter  Blechinstrumenten,  namentlich  von  allen  Gattungen 
Hörnern,  in  mehreren  Tonarten  gestimmten  Trompeten  und  Posaunen  oder 
Tubas,  in  welchem  Ensemble  jedoch  die  Hörner  dominiren  müssen.  Bei  der 
jetzigen  Vollkommenheit  aller  dieser  Instrumente  ist  es  möglich  geworden,  nicht 
blos  Märsche,  sondern  auch  alle  Arten  von  Concertstücken  mit  der  H.  aus- 
zuführen. —  Eine  besondere  Art  der  H.  ist  die  russische  Hörn-  oder  Jagdhorn- 
musik, welche  auf  den  geradeausgeheuden,  ungefähr  wie  ein  Sprachrohr  gestal- 
teten russischen  Jagdhörnern,  deren  jedes  nur  einen  einzigen  Ton  angiebt, 
ausgeführt  wird.  Das  Nähere  über  diese  seltsame  Species  bietet  der  Artikel 
Russische   Musik. 

Hornpipe  oder  Hornpfeife,  der  Name  eines  besonders  in  Wales  ge- 
bräuchlichen Holzblasinstruments,  das  wie  eine  Pfeife  geschnitten  ist,  Griff- 
löcher und  ein  Hörn  an  jedem  Ende  hat;  das  eine  Hörn  dient  als  Mundstück, 
in  welches  die  Luft  eingeblasen  wird,  das  andere  bildet  die  Mündung,  aus 
welcher  die  Töne  hervortjehen.  Auch  der  nach  dieser  Pfeife  oder  nach  dem 
Dudelsack  mit  Hut  und  Stock  getanzte  englische  Nationaltanz  von  eigenthüm- 
licher  Melodie  heisst  Hornpipe  (französ.:  Matelotte).  Auf  der  Bühne  wird 
er  meist  im  Matrosencostume  ausgeführt.     S.  übrigens  auch  Anglaise. 

Hornyuinteu  ist  die  Bezeichnung    für    gewisse    verdeckte  Quinten,    welche 

Musikal.  Convers. -Lexikon.     V,  <-0 


306  Hornsordin  —  Horsley. 

entstehen,  wenn  von  zweien  Stimmen  die  obere  zwischen  der  Octave  und  De- 
cime  stufenweise  auf-  und  absteigt  und  dabei  von  der  unteren  mit  der  Terz, 
Quinte  und  Octave  des  Dreiklangs  secundirt  wird,  z.  B.: 


--h=i^t- 


-0- 
T' 


t 


Ausser  im  strengen  zweistimmigen  Yocalcontrapunkte  sind  diese  H.  jederzeit 
gestattet.  Ihren  Namen  haben  sie,  weil  sie  in  Hern-  und  Trompeten- 
bicinien  sehr  häufig  sind,  wie  denn  die  in  dem  obigen  Beispiel  gezeigte  Fort- 
schreitung eine  diesen  Instrumenten  besonders  eigenthümliche  und  geläufige 
Figur  ist. 

Hornsordin,  ein  mit  Tuch  überzogenes  Stückchen  Holz  oder  Pappe,  das 
mit  der  rechten  Hand  in  die  Stürze  des  Horns  geführt  wird,  um  erforderlichen 
Falls  den  Ton  zu  dämpfen,     S.  Hörn  und  Dämpfer. 

Hornstein,  Pater  Hieronymus,  deutscher  Geistlicher  und  Tonkünstler, 
geboren  1720  zu  Ochsenhausen,  war  Organist  im  Kloster  Ottobeuern  und  starb 
daselbst  1758.     Er  wird  als  Componist  eines  Miserere  genannt. 

Hornstein,  Robert  von,  begabter  und  trefiflicher  deutscher  Componist,  geb. 
1833  zu  Stuttgart,  machte  seine  höheren  musikalischen  Studien  um  1850  auf  dem 
Conservatorium  zu  Leipzig  und  lebte  hierauf  in  Süddeutschland  und  in  der 
Schweiz.  Im  J.  1873  wurde  er  als  Professor  beim  Conservatorium  in  München 
angestellt,  welche  Stellung  er  noch  gegenwärtig  einnimmt.  Von  seinen  Com- 
positiouen  sind  Clavierstücke  und  Lieder  mit  Piauofortebegleitung  erschienen, 
welche  den  phantasievollen  und  geschickten  Tondichter  verrathen.  Auch  in 
der  Operette  und  im  Ballet  hat  er  erfolgreich  gearbeitet.  Werke  dieser  Art 
sind  an  den  Ho'"theatern  zu  Stuttgart  und  München  sehr  beifällig  zur  Auf- 
führung gelangt. 

Hornwerk  ist  ein  Fachausdruck  älterer  Orgelbauer  für  eine  gemischte 
Stimme  mit  besonders  hervorstechender  grosser  Terz,  wahrscheinlich  eine  Art 
Cor  nett  (s.  d.).  —  Den  Namen  H.  führte  auch  eine  besondere  Art  selbst- 
ständiger orgelartiger  Pfeifenwerke,  wie  dergleichen  eines  auf  der  Höhe  des 
Schlosses  zu  Salzburg,  gegen  die  Stadt  zu  hervorragend,  sich  befand.  Es  be- 
stand aus  einer  grossen,  aus  Subbass  und  Principal,  Octav,  Quint  und  Super- 
octav  combinirten  Mixtur  und  wurde  durch  ein  Wiilzenwerk  getrieben.  Früher 
spielte  es  alle  Morgen  und  Abende,  seit  lange  und  bis  zuletzt  allerdings  nur 
ein  einziges  Stück,  bis  ihm  durch  Reparatur  noch  eilf  andere  Stücke  hinzu- 
gefügt worden  sind. 

Horr,  Peter,  vortreflflicher  Clavierspieler  und  Musikpädagog,  geboren  am 
13.  Juli  1800  zu  Kleinsteinheim  bei  Hanau,  wo  sein  Vater  Schullehrer  war, 
erhielt  seine  musikalische  Ausbildung  in  Hanau  und  später  unter  J.  Vollweiler 
in  Ofifenbach,  um  als  Musiklehrer  zu  wirken.  Er  siedelte  1828  nach  Frankfurt 
a.  M.  über  und  fand  dort  einen  bedeutenden  Wirkungskreis.  Für  den  Unter- 
richt componirte  und  veröffentlichte  er  sehr  brauchbare  instructive  Ciaviersachen, 
sowie  Sonatinen,  Variationen,  eine  vierhändige  Ciaviersonate  u.  s,  w.,  verfasste 
eine  praktische  Pianoforteschule,  welche  eine  weite  Verbreitung  fand,  und  arran- 
girte  zahlreiche  classische  Werke  in  sehr  geschickter  Art  vierhändig  für  das 
Ciavier,  so  besonders  die  Mozart'schen  Opern. 

Horsley,  William,  ausgezeichneter  englischer  Pianist,  Orgelspieler  und 
Componist,  geboren  am  15.  Novbr.  1774  zu  London,  wurde  zuerst  von  einem 
Deutschen  Namens  Schmidt  im  Clavierspiel  unterrichtet,  später  aber  durch  die 
drei  Brüder  Pring  im  Orgelspiel  und  in  der  Composition  auf  die  höchste  Stufe 
des  Erlernbaren  gebracht.  Als  Organist  wirkte  er  an  mehreren  Kapellen  und 
Kirchen  Londons,  machte  sich  jedoch  besonders  dadurch  verdient  um  das  öffent- 
liche Musikleben,   dass  er    im  Verein  mit  seinem  Schwiegervater  W.  J.  Calcott 


Horstig  —  Hosa.  307 

einen  Verein  gründete,  in  welchem  der  nationale  und  der  Kircbengesang  mit 
Ernst,  Eifer  und  weithin  leuchtenden  Erfolgen  gepflegt  wurde.  Besonders  für 
diesen  Verein  componirte  H.  eine  Menge  von  drei-  und  vierstimmigen  Glees, 
welche  in  ganz  England  bekannt  und  beliebt  wurden,  ferner  Antiphonen  für 
zwölf  reale  Stimmen,  zahlreiche  Canons  und  andere  Kirchenstücke,  ausserdem 
aber  auch  Instrumentalconcerte,  Trios,  Ciaviersachen  u.  s.  w.  Hochgeachtet  starb 
H.  am  12.  Juni  1858  zu  London.  —  Sein  Sohn,  Charles  Edward  H.,  ge- 
boren 1821  zu  London,  machte  seine  höheren  Musikstudien  unter  Mendelssohn's 
Leitung  in  Leipzig  und  kehrte  als  ein  tüchtiger  und  gewandter  Componist 
nach  London  zurück.  Von  seinen  grossen  Arbeiten  haben  die  Oratorien 
»David«  und  »Joseph«,  Sinfonien  und  Ciaviertrios  in  England  einen  bedeutenden 
Erfolg  gehabt. 

Horstig,  Karl  Gottlob,  geachteter  deutscher  Theologe  und  thätiger  För- 
derer  der  Musik,  geboren  am  3.  Juni  1763  zu  Rheinswalde  und  gestorben  am 
21.  Jan.  1835  als  Superintendent  und  Consistorialrath  zu  Bückeburg,  com- 
ponirte Kinderlieder  (Leipzig,  1798)  und  lieferte  von  1798  bis  1818  viele 
werthvolle  Aufsätze  und  Abhandlungen  in  die  Leipz.  allgem.  rausikal.  Zeitung, 
Cäcilia  und  Berliner  musikal.  Monatsschrift.  Ausserdem  verfasste  er  ein  Taschen- 
buch für  Sänger  und  Organisten,  ein  Choralbuch  in  Zifl'ern  (Minden,  1801), 
J.  Chr.  Fr.  Bach's  sowie  Fr.  Neubauer's  Biographien  im  6.  Jahrg.  von  Schlichte- 
groll's  Necrolog  u.  s.  w.  —  Seine  Gattin  war  die  ältere  Tochter  des  Majors 
Aubigny  von  Engelbronner  (s.  d.),  eine  geachtete  Sängerin,  welche  an 
H.'s  Kinderliedern  einigen  dichterischen  Antheil  hat. 

Hortense  Eugenie  de  Beauharuais,  die  Stieftochter  des  Kaisers  Napoleon  I. 
aus  dessen  erster  Ehe  mit  Josephine  von  Beauharnais,  war  eine  nicht  unbe- 
gabte Dilettantin.  Geboren  am  18.  April  1783  zu  Paris,  wurde  sie  durch  ihre 
Vermählung  mit  Louis  Napoleon  Königin  von  Holland  und  Mutter  Napoleons  IIL 
Sie  hat  Romanzen  componirt,  welche  der  Flötist  Drouet  in  kunstgerechte  Form 
bringen  musste,  unter  diesen  das  bekannter  gewordene  y>Partant  pour  la ßyrie<f.j 
welches  man  zur  Zeit  des  zweiten  Kaiserreichs  vergebens  zur  französischen 
Nationalhymne  emporzuschrauben  bemüht  war. 

Horwitz,  Leopold,  Claviercomponist,  Musiklehrer  und  Instrumenten- 
händler, geboren  1799  zu  Berlin,  Hess  sich  als  Pianist  daselbst  um  1823  öfter 
hören  und  schrieb  bis  1854  zahlreiche  Variationen,  Tänze  und  andere  Ciavier- 
stücke für  Dilettanten.  In  herabgekommenen,  dürftigen  Verhältnissen  starb  er 
1859  im  jüdischen  Krankenhause  zu  Berlin. 

Horzalka,  Johann,  bedeutender  Ciavierspieler  und  begabter  Componist, 
geboren  1778  zu  Triesch  in  Mähren,  empfing  seine  ersten  musikalischen  Kennt- 
nisse von  seinem  Vater,  einem  Organisten,  der  ihn  1799  zu  höherer  Ausbil- 
dung nach  "Wien  schickte.  Im  Ciavierspiel  erhielt  H.  dort  von  Moscheies 
freundliche  Rathschläge  und  studirte  zugleich  unter  Em.  Förster  eifrig  Har- 
monielehre und  Composition.  Als  Pianist  und  Componist  trat  er  hierauf  sehr 
glücklich  in  Wien  hervor.  Man  kennt  von  ihm  mehrere  Messen  und  andere 
Kirchenstücke,  Entr'acts,  Ouvertüren,  Ciavierstücke  und  Lieder,  die  grosses 
Geschick  und  viel  Talent  bekunden.  H.  starb  am  9.  Septbr.  1860  zu  Penzing 
bei  Wien. 

Horzizky,  Franciscus,  kunstgeübter  Dilettant,  geboren  um  1756,  war  in 
der  Zeit  von  1780  bis  1795  geheimer  Sekretär  des  Prinzen  Heinrich  von 
Preussen  in  Rheinsberg.  Er  componirte  14  französische  Opern,  deren  Texte 
meist  vom  Prinzen  Heinrich  verfasst  und  von  denen  auch  verschiedene  Ge- 
sangsnummern im  Druck  erschienen  sind.  H.  starb  am  25.  Octbr.  1805  zu 
Berlin.  —  Ein  anderer  H.,  nämlich  Johann  Alexander  Louis  H.,  geboren 
am  25.  Aug.  1798  zu  Berlin,  vermuthlich  ein  Sohn  des  Vorigen,  war  königl. 
Kammermusiker  und  Musiklehrer  daselbst  und  starb  am  19.  Octbr.  1829. 

Hosa,  Georg  und  Thomas,  zwei  Brüder,  beide  vorzügliche  Waldhornisten, 
geboren  zu  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  zu  Melnik  in  Böhmen,  erhielten  nach 

20* 


308  Hose  -  Ho-Süy. 

Aufsehen  erregenden  Kunstreisen  durch  Deutschland  in  Brüssel  beim  Prinzen 
Karl  von  Lothringen  eine  lebenslängliche  Anstellung  als  Hofmusiker.  Sie 
Hessen  sich  noch  vielfach  in  anderen  Ländern  öffentlich  hören,  wurden  all- 
gemein bewundert  und  brachten  es  zu  grossem  "Vermögen.  Georg  starb  um 
1766  zu  Brüssel  und  hat  nichts  componirt,  während  Thomas,  der  erst  am  17. 
März  1776  ebendaselbst  verschied,  Concerte  und  Duos  für  Hörn,  welche  er  zu 
eigenem  Gebrauch  geschrieben  hatte,  im  Manuscript  binterliess. 

Hose,  s.  B  üchse. 

Hosianna  (hebr.),  d.  i.  gieb  Heil!  gieb  Segen!  war  bei  den  Juden  ein 
ähnlicher  Ausbruch  der  Freude  wie  unser  Hoch!  und  der  "Willkommenruf  für 
Könige  oder  Helden  des  "Volks. 

Hospiuiau,  Rudolph,  schweizerischer  Theologe  und  Kirchenhistoriker, 
geboren  am  7.  Novbr.  1547  zu  Fehraltdorf  im  Canton  Zürich,  starb  am  11. 
März  1626  als  Archidiaconus  in  Zürich,  Er  hat  in  seinem  "Werke  »i)e  origine 
et  iwogressu  rituum  et  ceremoniarmn  ecclesiasticarumn  (Zürich,  1593)  über  Kir- 
chengesang und  Orgelwesen  geschrieben. 

Hossa,  Franz,  Violinvirtuose  aus  Böhmen  und  vorzüglicher  Bratschist, 
war  1792  beim  Concertorchester  in  Leipzig  und  später  in  "Wien  angestellt, 
wo  er  auch  gestorben  zu  sein  scheint. 

Hosseyuy  nannten  die  Muhammedaner  einen  Trauergesang  auf  den  Sohn 
Ali's,  Hosseyn,  der  im  61.  Jahre  der  Hedschra  ermordet  wurde.  Wahrscheinlich 
waren  die  Intervalle  dieses  Trauergesanges  einer  bisher  nicht  gebräuchlichen 
Tonfolge  entnommen  und  bildete  man  später  aus  diesen  Klängen  auch  andere 
Gesänge,  wodurch  diese  Tonfolge  mit  der  Zeit  als  eine  der  zwölf  den  Maka- 
mat's  (s.  d.)  dem  persischen  Musikkreise  eingereiht  wurde  und  zum  Andenken 
an  ihren  "Ursprung  den  Namen  H.  erhielt.  Die  Tonfolge  dieser  Tonart  wird 
annähernd  durch  unsere  Noten  folgendermaassen  dargestellt: 

1      3      5      8     10    12    15    18 


m 


r^s: 


Die  über  den  Noten  stehenden  Ziffern  stellen  genauer  die  Grösse  der  Inter- 
valle dar,  indem  sie  die  Zahl  der  kleineren  Intervalle,  von  denen  18  auf  eine 
Octave  gehen,  welche  das  gemeinte  grössere  bilden,  angeben.  In  der  arabischen 
Musik  gebraucht  man  den  Ausdruck  H.  in  zweifacher  Art.  Erstens  nennt 
man  so  den  unserm  c  entsprechenden  Klang,  welchen  man  auch  durch  die 
gelbe  Farbe  versinnbildlicht;  und  dann  giebt  man  ihn  einer  Tonfolge,  die  je- 
doch mit  der  persischen  gleichen  Namens  fast  gar  nichts  gemein  hat.  Die 
Tonfolge  ist  etwa  wie  folgt: 


* 


-O— ifä^- 


ü 


Das  hier  angewandte  Erhöhungszeichen  ij!  zeigt  an ,  dass  die  dritte  Viertelston- 
erhöhung stattfinden  soll,  indem  man  die  Erhöhungszeichen  in  folgender  Ord- 
nung annimmt:  ;;  erster,  ^  zweiter  und  f  dritter  Viertelston.  0. 

Hoste,  Spirito  1',  italienischer  Tonsetzer,  geboren  zu  Reggio  zu  An- 
fang des  16.  Jahrhundei-ts ,  veröffentlichte  fünf  Bücher  Madrigale  seiner  Com- 
position. 

Hostie,  französischer  Componist,  war  1788  Musiker  (Clarinettist)  des  Her- 
zogs von  Montmorency  in  Paris  und  machte  sich  durch  gut  geschriebene  Con- 
certe und  Duos  für  Clarinette  auch   in  Deutschland  vortheilhaft  bekannt. 

Ho-Siiy  ist  der  Name  eines  chinesischen  Musikgelehrten,  der  sich  weitläufig 
in  einem  Werke  darüber  ergeht,  dass  der  Pien-tsche  (s.  d.),  unser  e,  und 
der  Pien-kung  (s.  d.),  unser  h,  durchaus  unnütze  Klänge  in  der  chinesischen 


Hot  —  Houterman.  309 

Kunst  sind.  S.  Amiot,  ^Memoire  sur  la  musique  des  Chinois,  tant  anciens  que 
7nodernes<i,  III®  partie,  p.   161.  f 

Hot,  Peter  de,  ein  niederländischer  Contrapunktist  der  zweiten  Hälfte 
des  16.  Jahrhunderts,  von  dem  man  nicht  viel  mehr  noch  als  den  Namen  kennt. 

Hotar's  nennen  die  Indier  diejenigen  ihrer  Priester,  welche  die  Aufgabe 
haben,  heilige  Hymnen  bei  öffentlicher  Feier  zu  recitiren,  zum  Unterschiede 
von  den  Udgätar's,  Sängern  solcher  Hymnen.  Dies  Gebetsprechen  der  H.  ge- 
schieht nach  einem  streng  vorgeschriebenen  Rhythmus,  der  stets  bei  den  H.  sich 
correcter  kund  geben  muss  als  bei  den  Sängern.  f 

Hothby,  John,  latinisirt  Hothbus,  altenglischer  Carmelitermönch ,  ist 
der  Verfasser  zweier  Tractate  über  Musik,  von  denen  sich  der  eine,  unter  dem 
Titel  yllotliby,  Änglici,  proportiones  musicaea,  auf  der  Pariser  Bibliothek  und 
der  andere,  betitelt  »P.  Jo.  Hotliohi  Carmel.  de  proportionihus  et  canto  figurato, 
de  contrapuncto ,  de  monochordov.  j  auf  der  Bibliothek  zu  Ferrara  befindet.  Von 
dem  letzteren  hat  der  Pater  Martini  eine  Abschrift   für  sich  anfertigen  lassen. 

Hoti  oder  Hori  nennen  die  Indier  einen  als  uralt  geachteten  Gesang, 
welcher  die  Liebe  Krischna's  zum  Inhalt  hat.  Die  Melodie  zu  diesem  Gesänge 
hat  vier  Theile  von  durchaus  verschiedenem  Charakter.  F.  H.  von  Dahlberg 
hat  in  seinem  "Werke  »lieber  die  Musik  der  Inderct  auf  der  dritten  Notentafel 
diesen   Gesang  musikalisch  wiedergegeben.  t 

Hottemanu,  berühmter  Gambenvirtuose  des  17,  Jahrhunderts,  welcher  in 
Frankreich  geboren  war  und  daselbst  auch  lebte,  soll  um  1650  die  Theorbe 
erfunden  haben. 

Hotteterre,  Henri,  mitunter  auch  Hoteterre  und  Hauteterre  ge- 
schrieben, geschickter  französischer  Blaseinstrumentenmacher  am  königl.  Hofe 
zu  Paris,  starb  1683  zu  St.  Germain.  — Von  seinen  beiden  Söhnen  war  Niclas 
H. ,  gestorben  1695  zu  Paris,  Fagottist  der  königl.  Kapelle  und  hat  auch  für 
sein  Instrument  componirt,  während  Louis  H.,  genannt  le  Romain  (weil  er 
Rom  und  Italien  besucht  hatte),  zu  den  berühmtesten  Flötenvirtuosen  der 
"Wendezeit  des  17.  und  18.  Jahrhunderts  zählt.  Derselbe  war  ebenfalls  bei  der 
Kammermusik  des  Königs  von  Frankreich  angestellt  und  schrieb  ausser  zahl- 
reichen Stücken  für  sein  Instrument  eine  berühmte  Anweisung  zum  Flöten- 
und  Oboespiel,  welche  unter  dem  Titel  y>Principes  de  la  flute  traversiere  ou 
flute  d^Ällemagne,  de  la  flute  ä  hec  ou  flute  douce,  et  du  hauthois  etc.a  in  Paris 
erschien,  von  1699  bis  1741  vier  Auflagen  erlebte  und  auch  in  holländischer 
Uebersetzung  herauskam.  Als  Ei-gänzung  hierzu  vei'fasste  H.  das  "Werk  y>L^art 
de  preluder  sur  la  flute  traversiere ,  sur  la  flute  ä  hec,  sur  le  hauthois  etc.<f. 
(Paris,  1712).  Sein  letztes,  im  Druck  erschienenes  "Werk  war  eine  Methode 
für  die  Musette  (Paris,  1738). 

Hottinet,  s.  Barra. 

Hottinger,  Johann  Heinrich,  berühmter  Orientalist  des  17.  Jahrhun- 
derts, geboren  am  10.  März  1620  zu  Zürich,  studirte  zu  Genf,  besuchte  Frank- 
reich, Holland,  England  und  wurde  bereits  1642  Professor  in  seiner  Vaterstadt, 
von  wo  aus  er  durch  seine  zahlreichen  Schriften  die  ganze  gelehrte  "Welt  er- 
füllte. Von  musikalischem  "Werth  war  besonders  sein  "Werk  »De  augmentis 
musicae  saeculo  XI V  factisa.  Im  Begriff,  einem  wiederholten  Rufe  an  die  Uni- 
versität zu  Leyden  zu  folgen,  ertrank  er  1667  bei  der  Abreise  mit  dreien 
seiner  Kinder  in  der  Limmat,  indem  der  zu  stark  belastete  Kahn  umschlug. 
—  Sein  Urenkel,  Johann  Jacob  H.,  geboren  1750,  gestorben  als  Professor 
und  Chorherr  zu  Zürich  am  4.  Febr.  1819,  machte  sich  rühmlich  bekannt  als 
Philolog,  Aesthetiker  und  Literator. 

HoTiang--Tscliin-Tf!chonaug  oder  Hoang- Tschin-Tschuang,  lebte  zu 
Peking  um  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  und  schrieb  eine  umfassende  Ab- 
handlung über  die  chinesische  Harfe. 

Houdemaun,  s.  Hudemann. 

Houterman,  Marcus,  ausgezeichneter  niederländischer  Contrapunktist,  ge- 


310  Hoven  —  H-quadrat. 

boren  1537  zu  Brügge,  starb  am  5.  Juni  1577  zu  Rom.  "Weder  Notizen  über 
sein  äusseres  Leben,  noch  eines  seiner  Werke  sind  bis  jetzt  ermittelt  worden, 
was  um  so  mehr  zu  bedauern  ist,  als  die  Bezeichnung  r>musicus  sui  temporis  facile 
princepsa  auf  den  höchsten  Grad  der  Achtung  bei  seinen  Zeitgenossen,  zu  denen 
ein  Palestriua  zählte,  schliessen  lässt.  Dem  gegenüber  liegt  allerdings  die 
Vermuthung  nahe,  dass  H.  gar  nicht  schaffender,  sondei'n  nur  ausübender  Mu- 
siker gewesen  sei. 

Hoveu,  Pseudonym,  s.  Vesque  von  Püttlingen. 

Hoveu,  Joachim  van  der,  niederländischer  Lauten  virtuose  aus  Antwerpen 
zu  Ende  des  16.  und  zu  Anfang  des  17.  Jahrhunderts,  hatte  über  seine  Hei- 
math hinaus  auch  dadurch  einen  grossen  Ruf,  dass  er  Stücke  berühmter 
Meister  seiner  Zeit  für  die  Laute  einrichtete.  Bekannt  sind  von  letzteren: 
nCaniiones  selectae  ad  testudinis  usum  accommodataen  (Arnheim,  1600  und  in 
späteren  Aufl.). 

Howard,  Lady,  berühmte  englische  Sängerin  zu  London  um  1695,  war 
eine  Schülerin  Purcell's,  der  eine  Menge  von  Gesangscompositionen  eigens  für 
sie  geschrieben  hat,  die  sie  öffentlich  zum  Vortrag  brachte.  Ueberdies  war  sie 
die  Gattin  des  berühmten  Dichters  Dryden. 

Howard,  Samuel,  gelehrter  englischer  Tonsetzer,  Doctor  der  Musik,  war 
um  1718  in  London  geboren  und  wurde  von  1731  an  in  der  königl.  Kapelle 
daselbst  erzogen,  wo  Gates  sein  Hauptlehrer  war.  Er  componirte  ausschliesslich 
im  streng  englischen  Style,  dem  er  vor  allen  Compositionsweisen  den  Vorrang 
zuerkannte,  und  zwar  besonders  Ciavier -Sonaten  und  sehr  beliebt  gewordene 
Balladen,  welche  sich  durch  natürlichen,  fliessenden  Gesang  auszeichnen.  Einiges 
Andere  von  ihm  befindet  sich  in  Boyce's   Sammlung  ^^Gatliedral-Musicu. 

Howes,  William,  berühmter  englischer  Tonkünstler  des  17.  Jahrhunderts, 
geboren  in  der  Nähe  von  Worcester,  war  Sänger  der  königl.  Kapelle  in  Windsor, 
während  der  Revolution  um  1649  aber  an  der  Christkirche  zu  Oxford  an- 
gestellt. Nach  Cromwell's  Diktatur  kehrte  er  nach  Windsor  zurück  und  bezog 
so  lange  Soldatensold,  bis  Karl  IL  ihn  wieder  in  sein  ursprüngliches  Amt  ein- 
zusetzen im  Stande  war.  Als  Mitglied  der  königl.  Kapelle  starb  er  zu  London. 
Sein  Todesjahr  findet  sich  nirgends  notirt  und  Compositionen  von  ihm  sind 
nicht  erhalten  geblieben. 

Howgill,  William,  Organist  in  London  um  1810,  machte  sich  durch 
Orgelcompositionen  vortheilhaft  bekannt.  Er  ist  vielleicht  derselbe  H.  mit  un- 
bekanntem Vornamen,  von  dem  fünfzehn  Jahre  früher  in  London  einige  Ciavier- 
werke im  Druck  erschienen  sind. 

Hoyer,  s.  L'Hoyer. 

Hoylan,  John,  englischer  Orgelspieler  und  Componist,  geboren  1783  zu 
Sheffield,  wo  sein  Vater  Messerschmied  war,  genoss  in  der  Musik  den  Unter- 
richt des  Organisten  William  Mather,  dessen  Amtsnachfolger  er  auch  1808 
wurde.  Im  J.  1819  ging  er  als  Organist  nach  Louth  in  Liucolnshire.  Von 
ihm:  Anthems  und  andere  Kirchenstücke,  Gesänge,  Lieder  und  Claviercom- 
positionen. 

Hoyle,  John,  englischer  Musiklehrer,  gestorben  1797  zu  London,  ist  der 
Verfasser  eines  »DictioJiarimn  musicae,  heing  a  complete  dictionary  or  treasury 
of  music  etc.«  (London,  1770),  dessen  zweite  Auflage  den  Titel  führte:  »^ 
complete  dictionary  of  music ,  containing  a  füll  explaiiation ,  divested  of  technical 
phrases,  of  all  the  words  and  terms  english,  italian  etc.a  (London,  1790).  —  Ein 
anderer  englischer  Tonkünstler,  Edmund  H.,  vielleicht  der  Sohn  oder  Neffe 
des  Vorigen,  lebte  ebenfalls  in  London  und  ist  der  Verfasser  der  Schrift  >->A 
short  treatise  on  the  gamev.  (London,  1750). 

Hoyoul  oder  Hoioul,  Balduin,  belgischer  Contrapunktist  der  zweiten 
Hälfte  des  16.  Jahrhunderts,  hat  in  Nürnberg  1590  gedruckte  dreistimmige 
geistliche  Lieder  und  Psalme  componirt. 

H'Cluadrat,  s.  B. 


Hrabanek  —  Huber.  gjj 

Hrabanek,  Franz,  trefflicher  Basssänger,  geboren  1823,  war  seit  1855 
ein  sehr  beliebtes  und  verwendbares  Mitglied  der  k.  k.  Hofoper  zu  Wien  und 
starb  daselbst  in  Folge  eines  Schlaganfalls  am  19.  Octbr.  1870. 

Krabe,  Joseph,  ausgezeichneter  Contrabassvirtuose  und  vorzüglicher  Lehrer 
und  Componist  seines  Instruments,  geboren  1816  zu  Bubensch  bei  Prag,  be- 
suchte das  Prager  Conservatorium ,  wo  W.  Hause  sein  HauptleVrer  war,  und 
wurde  bereits  zwei  Jahre  nach  vollendeten  Studien,  im  J.  1845,  als  Professor 
an  demselben  Institute  angestellt.  Seine  treue,  umsichtige  Lehrthätigkeit  da- 
selbst bezeichnet  am  Besten  die  lange  Reihe  vorzüglicher  Schüler,  die  er  ge- 
bildet hat  und  von  denen  hier  Abert,  Moissl,  Storch,  Rambousek,  Laska,  Sladek 
und  Hraba  besonders  genannt  seien,  nicht  minder  seine  bewährten  Schulen  und 
Etüden  für  Contrabass.  Ausserdem  hat  er  für  dieses  Instrument  mit  Orchester- 
begleitung Concerte,  Variationen,  Divertissements,  Fantasien  u.  s.  w.  componirt, 
die  leider  ungedruckt  geblieben  sind.  H.  starb  inmitten  seiner  verdienstvollen 
Thätigkeit  am  19.  März  1870  zu  Prag.  Er  hat  sein  schwerfälliges  Instrument 
nicht  nur  aus  der  bisherigen  Einfachheit  und  Einförmigkeit  emporgebracht, 
sondern  er  hat  dasselbe  auch  zum  wahren  und  wirklichen  Soloinstrument  er- 
hoben, wie  aus  seinen  hinterlassenen  Compositionen  deutlich  ersichtlich  ist. 
Zu  diesem  Behufe  hat  er  zuerst  auch  den  Handschuh  bei  der  Behandlung 
dieses  Instruments  abgeschafft,  der  vielleicht  noch  lange  in  Gebrauch  geblieben 
wäre.  H.'s  Spiel  war  durch  "Wohlklang  und  seelenvollen  Vortrag  ein  im  höch- 
sten Grade  fesselndes  und  ergreifendes,  so  dass  er  auch  als  Virtuose  unüber- 
trofi'en  dastand.  —  Ein  Sohn  von  ihm,  den  er  gleichfalls  zum  vortrefflichen 
Contrabassisten  ausbildete,  lebt  und  wirkt  gegenwärtig  in  Russland. 

Hradetzky,  Friedrich,  vorzüglicher  "Waldhornvirtuose,  geboren  am  25. 
Jan.  1776  zu  Swietlau  in  Böhmen,  kam  noch  jung  nach  "Wien,  wo  er  bald  in 
das  Opernorchester  trat.  Später  wurde  er  k.  k.  Hof-  und  Kammermusicus 
und  zählte  zu  den  ausgezeichnetsten  Vertretern  seines  Instruments  in  damaliger 
Zeit.     Im  J.  1820  trat  er  in  den  Pensionsstand. 

Hrazek,  Peter  Irenäus,  Virtuose  auf  der  Viole  d'amour,  geboren  1725 
zu  Schan  in  Böhmen,  machte  grosse  Kunstreisen  und  veranstaltete  viele  Con- 
certe zum  Besten  des  Johannesordens.  Er  starb  am  13.  April  1777  zu  Ken- 
kers  in  Böhmen.     Für  sein  Instrument  hat  er  besonders  Sonaten  componirt. 

Hrotswitha,  minder  richtig  Hrosuita  oder  Roswitha  geschrieben,  die 
berühmte  Nonne  des  Benedictinerklosters  Gandersheim,  in  das  sie  958  getreten 
war,  ist  als  Dichterin  und  als  Quellenschriftstellerin  der  deutschen  Geschichte 
von  der  grössten  Wichtigkeit.  Ebenso  jedoch,  wie  es  unbegründet,  dass  sie 
einem  sächsischen  Adelsgeschlecht  entsprossen  sei  und  eigentlich  Helene  von 
Rossow  geheissen,  ebenso  unerwiesen  ist,  dass  sie  viel  für  die  Musik  gethan 
und  sogar  componirt  habe. 

Huber,  Madame,  s.  Will  mann. 

Huber,  Felix,  Dichter  und  Componist,  gestorben  zu  Bern  am  23.  Febr. 
1810,  machte  sich  durch  seine  schweizerischen  Lieder  und  Gesänge  bekannt 
und  beliebt.  Ausser  einigen  Lieder-sammlungen  eigener  Composition  veröffent- 
lichte er  eine  Sammlung  schweizerischer  Volkslieder,  die  mehrere  Auflagen 
erlebte. 

Huber,  Franz  Xaver,  deutscher  Dichter,  geboren  1760  zu  Manderfingen 
in  Oesterreich,  machte  sich  besonders  auf  dem  Gebiete  der  Singspiel-  und  Opern- 
dichtung einen  Namen.  Den  grössten  Beifall  erwarb  sich  seine  heroisch -ko- 
mische Oper  »Das  unterbrochene  Opferfest«  (Frankfurt  und  München,  1803), 
wovon  allerdings  der  grösste  Theil  der  Musik  P.  v.  Winter's  zuzuschreiben  ist. 
H.  starb   1804  in  Ulm. 

Hnber,  Johann  Nepomuk,  deutscher  Theologe,  geboren  am  13.  Mai 
1803  auf  der  Insel  Reichenau,  war  Prediger  in  Waltersweiler  bei  Offenburg 
und  hat  sich  musikalisch  bekannt  gemacht  durch  einen  Leitfaden  für  den  Cla- 
vierunterricht  und  für  den  Gesangunterricht,    sowie    durch    eine    neue,    in  der 


312  Huber  —  Hubert. 

»Leipziger  allgemeinen  musikalischen  Zeitung«  veröflfentliclite  Theorie  der  Bil- 
dung der  Accorde. 

Huber,  Joseph,  guter  Violinist  und  talentvoller,  eigenartiger  Componist, 
geboren  am  17.  April  1837  zu  Sigmaringen,  war  der  Sohn  eines  fürstl.  Be- 
amten, der  eifrig  Musik  trieb  und  den  Sohn  bei  Zeiten  ebenfalls  musikalisch 
unterrichten  Hess.  Mit  treflSichen  Vorkenntnissen  ausgerüstet,  trat  der  junge 
H.  1854  in  das  Conservatorium  zu  Berlin  und  studirte  bei  Leop.  Ganz  Violin- 
spiel, bei  A.  B.  Marx  Harmonie-  und  Compositionslehre.  Unbefriedigt  von 
dem  langsamen  Vorschreiten  im  Massenunterricht  und  angezogen  durch  die 
Bestrebungen  Liszt's,  suchte  er  Weimar  auf  und  Hess  sich  von  Edm.  Singer 
und  P.  Cornelius  weiter  ausbilden.  Begeistert  für  die  dort  eingesogenen  neuen 
Ideen  und  deren  Repräsentanten,  trat  er  drei  Jahre  später  als  Violinist  in  die 
Hofkapelle  des  Fürsten  von  Hechingen  zu  Löwenberg  in  Schlesien  und  com- 
ponirte  daselbst  zwei  sinfonische  Dichtungen,  Violinsachen,  Lieder  u.  s.  w.,  die 
an  Ort  und  Stelle  meist  auch  ausgeführt  wurden.  Bald  aber  genügte  H.  dieser 
eng  beschriebene  AVirkungskreis  nicht  mehr,  und  er  folgte  1864  einem  Bufe 
als  Concertmeister  der  »Euterpe«  nach  Leipzig,  wo  die  Bekanntschaft  mit  dem 
Dichter  Peter  Lohmann  ihn  zu  Kunstbestrebungen  neuer  Art  entflammte. 
Die  Musik  sollte  nach  seiner  hier  gewonnenen  Ansicht  ihre  Form,  als  aus  innerer 
Nothwendigkeit  hervorgehend,  in  jedem  gegebenen  Falle  erstehen  lassen,  nicht 
gehemmt  durch  unkünstlerische  Elemente,  nicht  beeinflusst  durch  Formbeding- 
ungen anderer  Künste.  Den  architektonischen  Formenzwang  möglichst  ab- 
schüttelnd, begann  er  die  Composition  der  Oper  »Die  Hose  von  Libanoncr, 
Text  von  P.  Lohmann,  deren  Partitur  1870  im  Druck  erschien  und  die  auch 
äusserlich  zum  mindesten  als  Curiosum  gelten  darf.  Grleichzeitig  machte  er 
auch  den  Versuch,  die  neue  Form  des  musikalischen  Dramas,  das  so  viele  Mo- 
tive, als  der  Dichter  Figui'en  auftreten  lässt,  um  aus  dem  Kampfe  derselben 
das  gültige  sieghaft  hervortreten  zu  lassen,  auf  das  Gebiet  der  absoluten  Musik 
zu  übertragen.  So  entstanden  zwei  Sinfonien,  die  beide  hier  und  dort  zur 
Aufführung  gelangt  sind.  Mittlerweile  war  H.  1865  als  Violinist  in  die  königl. 
Kapelle  zu  Stuttgart  getreten,  in  welcher  Stellung  er  noch  gegenwärtig  sich 
befindet.  In  neuerer  Zeit  hat  er  nach  dem  Princip  organischer  "Weiterbildung 
von  Melodieanfäugen,  ohne  wörtliche  Wiederholungen,  einige  Lieder  und  Instru- 
mental-Solostücke componirt  und  auch  seine  zweite  Oper  »Irene«,  Text  gleich- 
falls von  P.  Lohmann,  vollendet.  Unbekümmert  um  den  äusseren  Erfolg,  der 
ihm  bisher  noch  nicht  zu  Theil  geworden  ist,  sucht  H.  seine  Ideen  auszubauen 
und  immer  mehr  voll  und  ganz  zu  entfalten. 

Huber,  Ludwig,  berühmter  deutscher  Orgelvirtuose,  geboren  1763  zu 
Mundolsheim,  war  Organist  an  der  Moritzkirche  zu  Ingolstadt  und  ist  als  Com- 
ponist von   Opern  und  Kirchenwerken  aufgetreten. 

Huber,  Thaddäus,  deutscher  Instrumentalcomponist,  lebte  um  1780  zu 
Wien  und  hat  von  seiner  Composition  sechs  Streichquartette  veröffentlicht, 
welche  im  Haydn'schen   Style  geschrieben  sind. 

Hubert,  Anton,  italienisirt  Uberti,  genannt  Porporino,  weil  er  ein 
Schüler  des  berühmten  Porpora  gewesen  war,  gehörte  zu  den  ausgezeichnetsten 
Altisten-Castraten  des  18.  Jahrhunderts,  Von  deutschen  Eltern  1697  in  Ve- 
rona geboren  und  von  Porpora  musikalisch  ausgebildet,  kam  er  1741  als 
königl,  Kammersänger  nach  Berlin,  woselbst  er  bis  zu  seinem  Tode,  am  20. 
Jan.  1783,  verblieb.  Sein  Vortrag  des  Adagio  und  seine  Darstellungskunst 
wurden  als  mustergültig  gerühmt. 

Hubert,  Christian  Gottlob,  deutscher  Ciavier-  und  Orgelbauer,  geboren 
1714  zu  Fraustadt  in  Polen,  war  von  1740  an  im  Dienst  des  fürstl.  Hofes  zu 
Baireuth,  mit  dem  er  auch  1769  nach  Anspach  übersiedelte.  Seine  Instru- 
mente, namentlich  Fortepianos  und  Flügel,  waren  bis  nach  Frankreich  und 
England  hinein  gesucht.  Von  verschiedenen  mechanischen  Verbesserungen,  die 
ihm  zugeschrieben  werden,  kann  keine  mehr  namhaft  gemacht  werden. 


Huberty  -  Hucbald.  313 

Huberty,  Antonie  Cäcilie,  geborene  Clavel,  s.  Saint-Hiiberty. 
Hubmeyer,  Hippolylus,  deutscher  Theologe,  gestorben  am  9.  Decbr.  1637 
als  Superintendent  zu  Heldburg,   vertheidigte    mit    der  grössten  Hartnäckigkeit 
die  überkommenen   sechs  Aretinischen  Sylben    gegen    die    von  Calvisius  aufge- 
stellten sieben. 

Hucbald  (Hugbald,  Ubaldus),  Mönch  des  Klosters  St.  Amand  der 
Diöcese  Tournay  in  französisch  Flandern,  muss  um  das  Jahr  840  geboren  sein, 
wenn  nämlich  die  Angabe  seiner  Biographen  richtig  ist,  dass  er  im  J.  932 
im  Alter  von  90  Jahren  gestorben  ist.  Sein  Geburtsort  ist  unbekannt;  einige 
Autoren  nennen  ihn  einen  Franzosen,  doch  düi'fte  das  heutige  Belgien  ihn  mit 
gleichem  Hechte  zu  seinen  Söhnen  zählen.  Sicher  ist,  dass  er  seine  Studien 
im  Kloster  St.  Amand  unter  der  Leitung  seines  Oheims  Milo  machte.  Seine 
Fortschritte  in  den  Wissenschaften  waren  überi-aschend,  insbesondere  in  der 
Musikwissenschaft,  was  um  so  bemerkenswerther  ist,  als  dieses  Studium  zu 
seiner  Zeit  ein  sehr  verwickeltes  war,  in  Folge  der  Unklarheit,  die  seit  der 
Vermischung  der  altgriechischen  und  der  Gregorianischen  Tonarten  in  allen  vor 
dem  11.  Jahrhundert  entstandenen  Lehrbüchern  herrschte.  Bald  jedoch  hatte 
H.  seine  musikalischen  Kenntnisse  derart  erweitert,  dass  die  Eifersucht  seines 
Oheims  erregt  wurde:  bei  Gelegenheit  einer  von  H.  im  Alter  von  zwanzig 
Jahren  zum  Fest  des  h.  Andreas  componirten  Kirchenmusik,  durch  deren  Er- 
folg sich  Milo  verdunkelt  glaubte,  entstand  ein  Bruch  zwischen  ihnen,  in  Folge 
dessen  H.  aus  der  Schule  entfernt  wurde.  Gezwungen,  das  Kloster  St,  Amand 
zu  verlassen,  ging  H.  nach  Nevers,  wo  er  auf  eigene  Hand  eine  Schule  für 
Musik  und  andere  "Wissenschaften  eröffnete;  auch  verfasste  er  hier  eine  Lebens- 
beschreibung der  h.  Cilinia  und  componirte  Gesänge  zu  ihrer  Ehre.  Doch  war 
seines  Bleibens  auch  in  dieser  Stadt  nicht  lange;  sein  Wissensdurst  führte  ihn 
im  J.  860  nach  Saint -Germain  dAuxerre,  um  dort  den  Unterricht  Heiries, 
eines  der  gelehrtesten  Männer  jener  Zeit,  zu  geniessen.  Nach  einer  neuen 
Heihe  von  Studienjahren,  während  welcher  er  u,  A.  den  Remy  von  Auxerre 
(Remigius  Ältisiodorensis) ,  den  Commentator  des  Martianus  Gapella.,  zum  Mit- 
schüler hatte,  söhnte  er  sich  mit  seinem  Oheim  aus  und  kehrte  bald  darauf 
nach  St.  Amand  zurück,  als  gleichzeitiger  Ueberbringer  der  Gebeine  des  h. 
Cyrillus,  dessen  Lebensgeschichte  er  später  auch  verfasst  hat.  Nach  dem  Tode 
Milo's  im  J.  872  folgte  H.  demselben  in  der  Leitung  der  Klosterschule  von 
St.  Amand;  in  diese  Zeit  fällt  auch  die  Entstehung  einer  bizarren  Dichtung 
zum  Lobe  der  Kahlköpfe,  der  dem  König  Karl  dem  Kahlen  von  Frankreich 
gewidmeten  »Ae/jloga  de  Calvisv,  in  welcher  jedes  Wort  mit  einem  G  beginnt. 
Dies  merkwürdige  Beispiel  einer  noch  halb  barbarischen  Kunstübung  ist 
übrigens  im  Laufe  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  wieder  mehrfach  veröffent- 
licht ■vvoi'd.en. 

Nachdem  H.  seine  Schüler  genügend  ausgebildet  hatte,  um  ihn  in  der 
Schule  von  St.  Amand  zu  ersetzen,  begab  er  sich  um  883  nach  dem  Kloster 
St.  Bertin,  wo  er  auf  den  Wunsch  des  Abtes  B,adolph  die  Leitung  einer  ähn- 
lichen Schule  übernahm  und  binnen  Kurzem  seine  Verdienste  so  zur  Aner- 
kennung zu  bringen  wusste,  dass  ihm  der  Abt  beträchtliche  Ländereien  in  der 
Landschaft  Vermandois  (Grafschaft  Picardie)  zum  Geschenk  machte.  H.  jedoch, 
ausschliesslich  von  seinen  Studien  und  religiösen  Pflichten  erfüllt,  entsagte  als- 
bald dieser  Schenkung  zu  Gunsten  der  Mönche  von  St.  Bertin.  Um  893 
wurde  er  in  Gemeinschaft  mit  dem  schon  genannten  Remy  vci.  Auxerre  vom 
Erzbischof  Poulques  nach  Rheims  berufen,  um  dort  die  Wiederherstellung  der 
alten  Kirchenschulen  zu  übernehmen;  von  den  Hymnen,  die  er  während  seines 
Aufenthalts  in  Rheims  für  das  Fest  des  h.  Thierry  componirte ,  ist  nichts  auf 
unsere  Zeit  gekommen.  Nach  Foulques'  Tode  um  das  J.  900  kehrte  er  in 
das  Kloster  St.  Amand  zurück,  um  dasselbe  später  nicht  mehr  zu  verlassen, 
H.'s  bedeutendste  wissenschaftliche  Werke  —  unter  ihnen  eine  Reihe  musikalischer 
Lehrbücher  —  sind  hier    entstanden,    selbst    die    politischen  und  kriegerischen 


314  Hucbald. 

Wirren,  von  denen  Gallien  und  Belgien  ebendamals  heimgesucht  wurden,  ver- 
mochten nicht,  ihn  in  seiner  emsigen  Arbeit  zu  stören.  Er  starb  in  St.  Amand, 
nach  einigen  Chronisten  am  25.  Juni  930,  nach  anderen  am  21.  Octbr.  des- 
selben Jahres  oder  endlich  am  20.  Juni  932,  welches  letztere  Datum  die  grösste 
"Wahrscheinlichkeit  für  sich  hat,  da  H.'s  Todestag  mehrfach  als  ein  Sonntag 
bezeichnet  wird,  und  jener  20.  Juni  in  der  That  auf  einen  Sonntag  fiel.  Die 
Worte  des  Chronisten  Sigebert  (Gerbei-t,  scriptores  c.  107)  in  Bezug  auf  H.'s 
schöpferische  Thätigkeit  lauten:  »Seine  Meisterschaft  in  den  freien  Künsten 
war  eine  so  hervorragende,  dass  er  als  Philosophus  galt;  er  verfasste  die  Le- 
bensbeschreibungen vieler  Heiligen,  und  zu  ihren  Gesängen  setzte  er,  da  er  in 
der  musikalischen  Kunst  besonders  bewandert  war,  eine  saufte  und  regelrechte 
Melodie.«  Die  für  die  Folgezeit  wichtigsten  Arbeiten  H.'s,  die  musikalisch- 
theoretischen Schriften,  durch  welche  er  sich  einen  so  ehrenvollen  Platz  in  der 
Musikgeschichte  errungen  hat,  finden  sich  bei  Sigebert  nicht  erwähnt.  Ihre 
Anzahl  ist  nicht  mit  völliger  Sicherheit  zu  bestimmen,  da  H.'s  Manuscripte 
nicht  allein  seltener  sind,  als  die  der  anderen  Musikschriftsteller  des  Mittel- 
alters, sondern  auch  nur  theilweise  als  echt  gelten  können. 

Seine  vom  Fürst-Abt  Gerbert  in  dessen  y>Scriptores  ecdesiastici«  I.  S.  104 
bis  229  veröffentlichten  Werke  sind  folgende:  1)  Liher  Uhaldi  peritissimi 
musici  de  liarmonica  institutione;  dasselbe  ist  von  Gerbert  nach  einem 
Manuscript  der  Bibliothek  des  Strassburger  Franciskanerklosters  und  einem 
anderen  der  Bibliothek  von  Cesena  zusammengestellt,  handelt  hauptsächlich 
von  den  Neumen  der  Antiphonien  und  Besponsorien  und  ist  eine  Art  Com- 
mentar  einer  im  9.  Jahrhundert  von  Beginon,  Abt  von  Prüm,  unter  demselben 
Titel  herausgegebenen  Abhandlung.  Wie  Begiuo,  so  hält  auch  H.  streng  an 
dem  griechischen  System  fest,  doch  kann  diese  Unselbststäudigkeit  —  im  Ver- 
gleich zu  den  späteren  Werken  des  Autors  —  keineswegs  als  ein  Beweis  für 
die  Unechtheit  der  erwähnten  Schrift  gelten,  so  wenig  wie  das  Nichtvorhanden- 
sein der  sogleich  zu  erwähnenden  Notenschrift,  da  die  Erfindung  einer  solchen 
erst  dann  stattfinden  konnte,  nachdem  sich  die  Neumen-Notation  bei  längerem 
Gebrauche  als  ungenügend  erwiesen  hatte. 

2)  Älia  musica,  enthaltend  eine  Eeihe  kleinerer  Abhandlungen  über  die 
acht  Tonarten  des  römischen  Kirchen gesanges,  denen  H.  noch  vier  weitere, 
von  ihm  »Parapteres«  genannt,  hinzufügt,  für  die  Antiphonien  und  Pealmodien; 
über  die  Länge  der  Orgelpfeifen  und  die  Schwere  der  Cymbeln;  endlich  über 
die  fünf  (einfachen  und  zusammengesetzten)  Consonanzen  der  Griechen.  Alle 
diese  verschiedenen  Abhandlungen  sind  aus  Manuscripten  der  Bibliotheken  von 
Strassburg  und  von  Begensburg  (St.  Emmeran)  entnommen  und  auf  die,  am 
Schlüsse  des  letzteren  befindlichen  Worte  hin  r>explicit  musica  Ubaldia  dem  H. 
zugeschrieben  worden.  Unzweifelhaft  echt  indessen,  und  zugleich  das  wichtigste 
der  H.'schen  Werke  über  die  Theorie  der  Musik  ist: 

3)  Suchaldi  Monachi  Eliionensis  Musica  Unchiriadis.  Von  diesem 
Werke  befinden  sich  in  der  Pariser  Bibliothek  vier  Manuscripte  (No.  7202, 
7210,  7211  und  7212  in  folio),  das  erste  betitelt  y)Enchiridion  musicae,  authore 
ZTchubaldo,  Francigenae<.< ;  das  zweite  (unvollständige)  y>Liber  enchiriadis  de  Mu- 
sica, sive  theoria  musicae,  authore  anoyiymoa;  das  dritte  und  vierte  ebenfalls 
anonym  und  aus  dem  12.  Jahrhundert  stammend;  No.  7211  das  correcteste 
und  besterhaltene.  —  Dies  Werk  enthält  in  19  Capiteln  eine  vollständige  Ab- 
handlung der  Elemente  der  Musikwissenschaft  nach  griechischen  Principien, 
sowie  verschiedene  Anweisungen  zur  musikalischen  Notation,  Das  eine  System, 
ebenfalls  den  Griechen  folgend,  stellt  mit  Hülfe  von  acht  verschieden  gedrehten, 
dem  griechischen  Alphabet  entnommenen  Zeichen  den  Umfang  von  2*/»  Octave 
dar;  doch  ging  H.  dabei,  wie  es  scheint,  ganz  nach  Willkür  zu  »V^erke,  und 
indem  er  die  zwei  Reihen  der  griechischen  Notenzeichen,  deren  eine  die  Ge- 
sangs-, die  andere  die  Instrumentalnoten  enthielt,  vermischte,  geht  für  seine 
Notation  u.  a.  der  wichtige  Vortheil    der   altgriechischen  Notenschi'ift  verloren, 


Hucbald. 


315 


das  Limma  oder  den  diatonischen  Halbton  durch  dasselbe  Zeichen  (nur  in 
veränderter  Lage)  auszudrücken.  Von  Bedeutung  ist  sie  nur  als  Schlüssel  zum 
Verständniss  der  älteren  Neumenschrift  (von  Fetis  y^notation  saxonnev.  genannt), 
von  welcher  H.  ein  Beispiel  neben  der  von  ihm  vorgeschlagenen  und  genü- 
gend erläuterten  beigefügt  hat,  und  deren  Entzifferung  in  Folge  dessen 
wesentlich  erleichtert  ist.  Die  zweite,  in  der  ymusica  eiicTiiriadis^n  erwähnte, 
von  H.  Bellermann  in  der  Allgem.  musikal.  Ztg.  Jahrg.  1868  No.  37  ausführlich 
beschriebene  Notation  ist  die  Dasian- Notation,  so  genannt  nach  dem  griechi- 
schen Worte  Daseia  (seil.  Frosodia),  d.  h.  »mit  dem  Spiritus  asper  versehen«. 
Das  Zeichen  für  denselben  ist  bekanntlich,  wie  auch  das  für  den  Spiritus 
lenis,  aus  dem  Zeichen  H  hervorgegangen,  und  zwar  bezeichnete  die  linke 
Hälfte  jf-  den  Sp.  asper,  die  rechte  -^  den  Sp.  lenis.  Das  erste  dieser  beiden 
Zeichen  nun,  welches  schon  bei  Alypius  die  Reihe  der  Instrumentalnoten  in 
der  lydischen  Scala  beginnt  und  auch  für  H.'s  Notenreihe  den  Ausgangspunkt 
bildet,  wurde  von  ihm  benutzt,  um  die  Schlusstöne  (ßnales)  der  Kirchenton- 
arten folgendermaassen  festzustellen: 

D  erhält  als  primus  finalis  ein  Dasian   mit   einem    schrägen  S  am   oberen 


Ende: 

E  erhält    als    secundus  ßnalis    ein  Dasian    mit    abwärts    gekehrtem    c    am 

oberen  Ende:  j-  . 

F  erhält  als  tertius  finalis  ein  schrägstehendes  I. 

G  erhält  als  quartus  finalis  ein  Dasian    mit    einem    aufwärts    gekehrten  c 
o 
am   oberen  Ende:    Jr  . 

Diese  Zeichen  wiederholen  sich  vier  Mal,  entsprechend  der  mittelalterlichen 
Tetrachordeintheilung  in  Graves,  Fi?iales,  Superiores  und  Fxcellentes,  mit  Aus- 
nahme des  I,  welches  keiner  vierfachen  Lage  fähig  ist  und  daher  durch  andere 

Zeichen,  nämlich  N,  /l  und  X  ersetzt  werden  muss;  dazu  kommen  noch  zwei 
umgelegte  Zeichen  für  die  höchsten  Töne,  so  dass  die  ganze  Tonreihe  H.'s 
in  folgender  Gestalt  erscheint: 


uTttues 

rABC 


Flu  (lies 

DEFG 


SuTJCTiores 


CL 


1)      C     tl 


Eaccellcates 


e    f 


rta 


»ttT    »Tt) 


\  \     Cr. 


"Wie  indessen  jene  Tetrachordeintheilung  verschiedenartige  Quartengattungen 
ergiebt,  so  ist  auch  die  Gruppirung  von  vier  zu  vier  Noten  zwecklos  und  ver- 
wirrend, weil  man  unwillkürlich  bei  denselben  Zeichen  auch  die  gleichen  Ver- 
hältnisse erwartet;  auch  ist  es  ein  schon  von  dem  gelehrten,  im  J.  1054  ge- 
storbenen Benedictiner  Hermannus  Contractus  erwähnter  TJebelstand  dieser  No- 
tation, »dass  man  nicht  mit  der  Octave  (oder  dem  achten  Zeichen)  ein  dem 
ersten  entsprechendes  Zeichen  wieder  bekommt,  sondern  erst  mit  dem  neunten; 
mit  anderen  Worten,  dass  sich  die  gleichen  Zeichen  nicht  in  der  Octave,  son- 
dern in  der  None  wiederholen«.  Diese  beiden  Tonschriften  konüten  schon 
deshalb  keine  Verbreitung  finden,  weil  sie  mit  der  antiken,  sowie  mit  der  pri- 
mitiven Neumen- Notation  den  Maugel  gemein  hatten,  das  Steigen  und  Fallen 
der  Töne  nicht  zu  versinnlichen;  deshalb  empfiehlt  H.  später  noch  eine  dritte 
Notation:  er  zieht  Linien,  zwischen  welche  er  die  Textess}  ben  schichtet,  wobei 
die  Buchstaben  T  und  S  am  Rande  links  andeuten,  ob  von  einer  Linie  zur 
anderen  der  Schritt  eines  ganzen  oder  eines  halben  Tones  gemeint  sei,  und 
kurze  Diagonalstriche  das  Auge  von  einer  Linie  zur  anderen  leiten,  z.  B.: 


316 


Hucbald. 


* 

ttt 

* 

Ix  /      \                                lus\ 

D 

T 

Ec  \ 

3sYd\     1            in.  cjuo  \            o  /         no  \ 

S 

ce  \ 

/            Lp                                      do  /                             01l\ 

f 

ucre 

est 

T 

Dies  von  Ambros  (»Geschichte  der  Musik«  II.  S.  131)  mitgetheilte,  einem 
Codex  aus  dem  11.  Jahrhundert  entnommene  Beispiel  übersetzt  derselbe,  nach 
den  Andeutungen  der  alten  Schriftsteller  deldamirt,  folgenderweise  in  die  mo- 
derne Tonschrift: 


^^^r 


t= 


:t=t 


:r^: 


ENiSE 


-1^- 


it 


^SEf 


Ec  -  ce    ve  -  re    Is  -  ra  -  e  -  li  -  ta    in  quo    do  -  las     non    est. 

Im    folgenden,    ebenfalls  von  Ambros    mitgetheilten  Beispiel  verbindet  H. 
die  obige  Tonschrift  der  grösseren  Deutlichkeit  wegen  mit  der  Dasian-Notation : 


tI    A\\ 


T   I 


le\ 


TAX 


iTI,/ 


t\ 


I   f 

tT 


fi/\ 


tt 


^ 


In  modernen  Noten: 


AI  -  le 


lu 


a. 


"Wäre  H.  darauf  gekommen,  die  schon  zu  seiner  Zeit  als  Notenzeichen 
benutzten  Punkte  statt  der  Textessylben  den  Linien  einzufügen,  so  würde  sein 
System  ohne  Zweifel  die  Neumenschrift  bald  verdrängt  haben,  und  er  würde 
die  Ehre  eines  Erfinders  der  modernen  Tonschrift  beanspruchen  dürfen,  während 
dieselbe  in  der  That  dem  Guido  von  Arezzo  zukommt,  als  dem  Ersten,  welcher 
die  Linien  sowie  die   Spatien  in  der  angedeuteten  "Weise  benutzte. 

Den  wichtigsten  Theil  der  nmusica  encMriadisv  bildet  die  mit  dem  13.  Ca- 
pitel  bginnende  Lehre  von  der  Diaphonie  oder  dem  Organum,  womit  man 
zu  H.'s  Zeit  den  mehrstimmigen  Gesang  bezeichnete,  sobald  sich  derselbe  nicht 
allein  auf  den  Einklang  und  die  Octave  beschränkte.  Zwar  kommt  der  Name 
Organum  jeder  gleichzeitigen  Consonanzen-Fortschrcitung  zu;  da  jedoch  der 
Einklang  keine  wahre  Consouanz,  sondern  Identität  ist,  und  die  Octave  sich 
nur  wenig  von  ihm  unterscheidet,  so  wird  das  Organum  hauptsächlich  aus 
Quarten-  und  Quintenfortschreitungen  bestehen  müssen.  Neben  diesem  Parallel- 
Organum  bespricht  aber  H.  noch  ein  anderes,  das  im  Gegensatz  zu  jenem  so- 
genannte schweifende  Organum,  in  welchem  zwar  wieder  die  Quartparallelen 
vorherrschen,  jedoch  mit  Secunden  und  Terzen  und  Einklängen  untermischt. 
Dieses  Organum,  welches  bei  aller  Dürftigkeit  doch  die  Elemente  der  modernen 
Mehrstimmigkeit  enthält,  darf  nur  zweistimmig  angewendet  werden,  während 
man  das  Parallel- Organum  auch  in  der  Octave  verdoppeln,  und  so  gleichzeitig 
erklingende  Quinten-,  Quarten-  und  Octaven-Gänge  hören  lassen  kann;  dagegen 
gestattet  das  schweifende  Organum  dem  begleitenden  Sänger  die  Freiheit  des 
Improvisirens,  mit  der  alleinigen  Einschränkung,  niemals  zwei  Terzen  auf  ein- 
ander folgen  zu  lassen  und  stets  im  Einklang  den  Gesang  zu  beginnen  und 
zu  schliessen. 


Hucbald. 


317 


H.  kann  weder  als  der  Erfinder  des  Organums  gelten  —  denn  schon  zu 
Anfang  des  9.  Jahrhunderts  erwähnt  der  Philosoph  Scotus  Erigena  seiner  als 
einer  allgemein  bekannten  Sache*)  —  noch  konnten  seine  Theorien  auf  die 
musikalische  Praxis  einen  unmittelbar  befruchtenden  Einfluss  ausüben.  Den- 
noch ist  sein  Verdienst,  die  Regeln  der  mehrstimmigen  Musik  zum  ersten  Male 
ausführlich  dargelegt  zu  haben,  unbestreitbar;  und  wenn  neuerdings  Dr.  Oscar 
Paul  in  seiner  »Geschichte  des  Ciavierspiels«  (Leipzig,  1868)  die  Behauptung 
aufgestellt  hat,  das  H.'sche  Organum  sei  nicht  als  ein  Zusammenklingen,  son- 
dern als  ein  Nacheinander -Erklingen  zu  verstehen,  so  kann  man  ihm  nicht 
beipflichten,  denn  die  Grründe  für  jene  Behauptung  erweisen  sich  bei  genauer 
Untersuchung  als  völlig  unhaltbar.**)  Nach  ihm  hätten  alle  bisherigen  Erklärer 
des  H.  dessen  Ausdrücke  unrichtig  übersetzt;  ^^concentusa  bedeute  nicht  »har- 
monischen Zusammenklang«,  sondern  wie  das  griechische  y>rjQi.wgiJ.t'rot>»  eine 
melodische  Folge  —  worauf  ihm  zu  erwidern  ist,  dass  y>ijQi.iog^m>ov<f.  überhaupt 
alles  »Geordnete«  bedeutet,  ^concentusa  aber  vorzugsweise  ein  gleichzeitiges  Er- 
klingen, z.  B.  den  einstimmigen  Beifallsruf  des  Volkes  im  Theater  (PI.  Pau. 
2,  6  und  46,  2).  Das  Wort  y^responderea  übersetzt  Paul  beharrlich  mit  »ant- 
worten« —  im  Hinblick  auf  seine  der  modernen  Fugenlehre  entnommene  Hy- 
pothese —  während  es  doch  ebensowohl  »übereinstimmen«,  »passen«,  »ent- 
sprechen«, »sich  schicken«  heissen  kann;  das  Wort  yinvicemv.**'*')  bedeutet 
allerdings  »abwechselnd«,  aber  nicht  minder  »gegenseitig«,  und  das  Wort  y>jun- 
(jereoif)  berechtigt  durchaus  nicht  zu  der  Annahme,  dass  die  der  Hauptmelodie 
»beigefügten«  Stimmen  ihr  »der  Zeit  nach  gefolgt«  und  »später  wieder  von  ihr 
abgelöst«  seien.  Schliesslich  beruft  sich  Paul  auf  die  Guidonischen  Ausdrücke 
•apraecedentes  vocesv.  und  ^^subsequentes  vocesa;  er  übersieht,  dass  das  erstere 
dieser  beiden  Prädicate  im  vorliegenden  Falle  mit  »übertreffen«,  »den  Vorzug 
haben«  (s.  Plautus  -nvestrae  fortunae  meis  praecedunt«),  das  letztere  mit  »nach 
etwas  sich  richten«  (s.  Cicero  »Jios  motus  subseqin  dehet  gesttis«)  zu  übersetzen 
ist,tt)  uiid  indem  er  sich  an  die  wörtliche,  nächstliegende  Bedeutung  hält, 
folgert  er:  »Nachdem  die  Principalstimme  gesungen  war,  ertönte  antiphonisch 
das  Organum,  so  dass  also  von  Quinten-  und  Quartenparallelen  gar  keine 
Rede  ist«.  Auch  das  von  Kiesewetter  und  Ambros  beschriebene  sogenannte 
schweifende  Organum  soll  nach  Paul  nicht  gleichzeitig  mit  der  Hauptmelodie 
gesungen  worden  sein,  und  er  giebt  dafür  das  folgende  dem  18.  Capitel  des 
Guidonischen  Micrologus  entnommene  Beispiel: 

FFGGFFDEFEB       G 


Ip       si 


so 


G 


G      D       D       G       G 


U 
G 


G       G       G       G 


Hier  ist  das  Liegenbleiben  des  Organums  auf  demselben  Ton  durch  die 
Bemerkung  motivirt,  dass  »wenn  die  Principalstimme  im  Tonus  tritus  (F)  tiefere 
Töne  singt  als  diesen,  das  Organum  auf  eben  dem  Tonus  tritus  (d.  h.  seinem 
Piagaltone  G)  verweilen  muss«,  weil  die  Tonart  nicht  mehr  festzuhalten  wäre, 
wenn    es    ebenfalls    abwärts    ginge.      (y^Saepe    autem    cum    inferiores    trito    voces 


*)  Gerbert  „Scriptores"  I.  S.  21:  „Ut  enim  organicum  melos  ex  diversis  qualitatibus 
et  quantitatibus  conficitur,  dum  viritim  separatimque  sentiuntur  longa  a  se  discrepantibus, 
intensionis  et  remissionis  proportionibus  segregatae,  dum  vcro  sibi  iuvicem  coaptantur 
secundum  certas  rationabilesque  artis  musicae  regulas  per  singulo?  tropos  naturalem  quam- 
dam   dulcedinem  reddentibus."  —  De  divina  natura. 

**)  Siehe  Allgem.  musikal.  Ztg.  1870  No.  5  „Hucbald's  Organum"  von  E.  Krüger. 
***)  „Nunc  id,  quod  proprie  Sympboniae  dicuntur,  id  est,  qualiter  eaedem  voces  sese 
invicem  canendo  habeant  prosequamur." 

t)  „Symphonia  est  vocum  disparium  inter  se  junctarum  dulcis  coucentus." 

tt)  Beide  Ausdinicke  von  Guido  bei  seiner  Erklärung  der  Diaphonie  gebraucht. 


318  Hucbald. 

cantor  admiserit,  Organum  suspensum  tenemus  in  trito.a)*)  Gerade  dies  Beispiel 
aber  beweist,  dass  es  sich  beim  Organum  nur  um  gleichzeitiges  Erklingen 
handeln  kann;  denn  wie  sehr  auch  die  Begriffe  vom  musikalisch  Schönen  in 
den  verschiedenen  Zeiten  und  bei  den  verschiedenen  Völkern  von  einander 
abweichen,  so  würde  man  doch  das  Beispiel  eines  einstimmigen  unrhythmischen 
Gesanges  mit  unveränderter  Tonhöhe  in  der  gesammten  Musikgeschichte 
vergebens  suchen. 

Hätte  Herr  Paul  die  historische  Entwickelung  der  mehrstimmigen  Musik 
genugsam  im  Auge  gehabt,  so  würde  er  schwerlich  zu  obigem  Resultate  ge- 
kommen sein.  Er  selbst  erinnert  daran  (a.a.O.  S.  241),  dass  schon  die  Hebräer 
und  die  Griechen  den  antiphonischen  oder  Wechsel -Gesang  angewendet  haben 
—  die  letzteren  ohne  Zweifel  in  den  von  ihnen  als  Consonanzen  erkannten 
Quinten  und  Quarten;  hierüber  also  hätte  H.,  der  die  griechische  Musiktheorie 
hinlänglich  kannte  und  sie  zur  Basis  der  seinigen  gemacht  hat,  kein  Wort  zu 
verlieren  gebraucht:  Seine  musikalische  Aufgabe  war  es,  wie  überhaupt  die 
des  Mittelalters,  für  das  Zusammen-Erklingen  der  Intervalle  und  für  die  Ver- 
bindung dieser  Zusammenklänge  einen  theoretischen  Boden  zu  gewinnen,  und 
seine  Bestrebungen  mussten  ihren  naturgemässen  Ausgangspunkt  von  denjenigen 
Intervallen  nehmen,  die  schon  den  Griechen  als  Consonanzen  gegolten  hatten. 
Ob  die  parallelen  Quinten-  und  Quarten-Gänge  nur  als  eine  Speculationstheorie 
mittelalterlicher  Mönche,  wie  Kiesewetter  meint,  oder  ob  sie  nach  Ambros'  Ver- 
muthung  als  eine  täglich  geübte  Singeweise  anzusehen  sind**)  —  dies  kommt 
bei  der  vorliegenden  Frage  natürlich  nicht  in  Betracht,  wiewohl  letzteres  keines- 
wegs unwahrscheinlich  ist,  und  am  allerwenigsten  deshalb  geläugnet  werden 
kann,  weil  das  moderne  Ohr  jene  Parallelgänge  als  einen  Missklang  empfin- 
det.***) Nachgerade  hat  sich  wohl  die  Erkenntniss  Bahn  gebrochen,  dass  die 
sogenannten  unumstösslichen  Regeln  des  musikalischen  Geschmacks  vorwiegend 
auf  Gewohnheit  und  Uebereinkunft  beruhen,  und  mit  vollem  Rechte  behauptet 
Fetis  in  seinem  yResume  philosophiquen  (Biographie  des  musiciens,  erste  Aufl. 
S.  CLIX)  TÄpres  ce  que  j'ai  dit  des  penchans  de  divers  peuples  dans  la  musique, 
il  me  parait  demontre,  que  Veducation  de  Voreille  peut  developper  des  goüts  si 
diff'erents,  quHl  w'y  a  point  de  regle  generale  pouv  ses  impressionsa. 

In  Gerbert's  Sammlung  folgt  diesem  Werke  als  viertes  ein  Commentar  der 
y>E7ichiriadis(i  in  Gesprächsform,  und  als  fünftes  die  nOommemoratiof)  hrevis  de 
tonis  et  psalmis  modulandisu  (kurze  Abhandlung  über  den  Vortrag  der  Kirchen- 
töne und  Psalmen),  ein  für  die  Musikgeschichte  hochwichtiges  Document,  da 
es  Psalmen-Intonationen  enthält,  die  von  den  älteren  Traditionen  der  italieni- 
schen Kirche  abweichen.  —  Ein  von  H.  componirter  und  nach  seinem  System 
aufgeschriebener  Gesang  für  das  Fest  des  h.  Thierry  wird  von  späteren  Schrift- 
stellern erwähnt,  scheint  jedoch  verloren  gegangen  zu  sein.  —  Ausführlicheres 
über  H.  findet  sich  in  Coussemaker's  ^Memoire  sur  Huchaldvi  etc.  (Paris,  1841), 
wo  seine  Bedeutung  in  Folgendem  zusammengefaBst  ist:  H.'s  Theorie,  fast  ganz 
auf  das  griechische  Musiksystem  basirt,  konnte  nur  wenig  zum  Fortschritt  der 
Kunst  beitragen.  Anders  seine  praktischen  Lehren  und  Versuche,  unter  welchen 
die  auf  das  Organum  oder  die  Diaphonie  bezüglichen  obenan  stehen.  Er  ist 
es,  der  die  ersten  Regeln  und  die  ersten  Beispiele  für  die  Mischung  der  Töne 
im  gleichzeitigen  Erklingen  giebt,  und  sein  Name  wird  deshalb  mit  der  Ent- 
stehung der  Harmonie  aufs  engste  verbunden  bleiben,  wie    er  auch  mit  Recht 


*)  Siehe  Gerbert  „Scrlptores"  S._  22a. 
**)  „Dass  wirklich  und  wahrhaftig  in  solcher  Weise  gesungen  worden,  ist  wohl  zwei- 
fellos; der  eindringliche  Quintenklang  tönte   damals  den  Zuhörern  kräftig  anregend;    sie 
mochten  gerade  in  dem,    was  uns    heutzutage   un  rträglich    scheint,    einen    eigenen  Reiz 
finden"  (s.  Ambros,  Geschichte  der  Musik  II.  S.  141). 

***)  Siehe  E.  Krüger  „Hucbald's  Organum"  in  der  AUgem.  musikal.  Ztg.  1870  No.  5, 
t)  Fetis  hält    dies  für  einen  Copisten-Irrthum    und    glaubt  „commentatio"  lesen  zu 
müssen. 


Hucke  —  Hüayllaca.  gjg 

an  der  Spitze  der  langen  Reihe  von  Schriftstellern    steht,    die    sich  die  Erfor- 
schung und  Erweiterung  dieser  Wissenschaft  zum  Ziel  gesetzt  haben. 

W.  Langhans. 

Hucke,  Georg,  s.  Hück. 

Hudiuaun,  Friedrich  Ludwig,  deutscher  Dramendichter,  geboren  zu 
Anfang  des  18.  Jahrhunderts  zu  Hamburg,  wo  er  auch  als  Doctor  der  Rechts- 
gelehrsamkeit lebte,  trat  in  einem  »Bericht  von  den  Vorzügen  der  Oper  vor 
den  Tragödien«  (Hamburg,  1732)  eifrig  zu  Grünsten  der  Oper  gegen  Gottsched 
auf,  welchem  letzteren  er  sich  gleichwohl  später  ganz  anschloss  und  sogar  gegen 
den  »Messias«  von  Klopstock  (Rostock,  1754)  schrieb. 

Hudler,  Anton,  vorzüglicher  deutscher  Paukenvirtuose,  geboren  am  7. 
März  1784  zu  Zwettel  in  TJnterösterreich,  war  ein  Schüler  Anton  Edler's  in 
"Wien  und  wurde  1814  auch  dessen  Nachfolger  als  kaiserl.  Hofpauker.  Auch 
sein  von  ihm  ausgebildeter  Sohn  wurde  Mitglied  der  Hofkapelle  in  Wien  und 
erfand  oder  vervollkommnete  eine  zweckmässige  Vorrichtung,  um  mit  einem 
Zuge  sämmtliche  Schrauben  der  Pauke  anzuziehen  und  dadurch  das  Instru- 
ment sofort  rein  umzustimmen,  wodurch  zugleich  die  Felle  besser  conservirt 
wurden,  als  es  früher  der  Fall  war. 

Hudson,  George,  englischer  Tonkünstler,  lebte  um  die  Mitte  des  17. 
Jahrhunderts  zu  London  und  gehörte  zu  den  Componisten,  welche  an  der 
1656  auf  Schloss  Rutland  aufgeführten  Operette  »Die  Lustbarkeit  des  ersten 
Tages«  mitarbeiteten. 

Hue,  Balthasar  de,  niederländischer  Schriftsteller  des  17.  Jahrhunderts, 
von  dem  auch  eine  musikalische  Abhandlung:  tiMusae  musicaeque  encomiumo. 
(Amsterdam,   1680)   existirt. 

Hüara-püara  ist  der  heimische  Name  eines  unserer  P  ans  flöte  (s,  d.)  ähn- 
lichen mexikanischen  Tonwerkzeugs  mit  acht  Schallröhren,  das  schon  vor  der 
Eroberung  durch  die  Spanier  dort  sehr  verbreitet  gewesen  sein  muss  und  wahr- 
scheinlich bereits  denselben  Namen  führte.  Funde  in  den  Ruinen  von  Palanke, 
dem  tief  im  TJrwalde  aufgefundenen  Trümmerhaufen  einer  grossen  alten  Stadt, 
brachten  zwei  Exemplare  dieses  Instruments  zu  allgemeiner  Kenntniss,  Eins 
davon  mit  Schallröhren  aus  Schilfrohr  fand  durch  Alexander  von  Humboldt 
seinen  Weg  nach  Europa,  das  andere,  aus  Stein  gearbeitet,  nahm  der  fran- 
zösische General  Paroissien  an  sich;  beide  sollen  dieselben  Töne  geben.  Eine 
genauere  Beschreibung  des  von  Alex.  v.  Humboldt  mitgebrachten  H.  findet  man 
in  M.  Minutoli's  -DDescription  d^une  ancienne  ville  de  Guatemalav.  (Berlin,  1832, 
p.  53  et  pl.  XII  Fig.  1).  Ueber  das  Tonreich  der  H.  angestellte  Untersuch- 
ungen, welche  ergeben,  dass  die  Töne 


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hervorzubringen  auf  diesem  Instrument  möglich  war,  sobald,  was  eine  eigen- 
thümliche  Culturhöhe  beweist,  an  drei  Tonröhren  vorhandene  Tonlöcher  gedeckt 
wurden,  sind  in  Fetis'  y>llist.  de  la  musique«  T.  I.  p.  100  et  101  angestellt. 
In  wie  weit  diese  Betrachtungen  der  Wahrheit  nahe  kommen,  ist  schwer  zu 
entscheiden.  Ein  Exemplar  der  H.  findet  sich  übrigens  auch,  im  britischen 
Museum  zu  London.  2. 

HUankar  ist  der  mexikanische  Name  einer  alten  Trommelart  dieses  Cul- 
turvolkes.  Mehrere  Exemplare  derselben  sind  in  den  Museen  zu  Mexiko  und 
Lima  befindlich.  2. 

Hüayllaca  ist  der  mexikanische  Name  einer  in  Mexiko  bei  den  Indianern 
noch  heute  sehr  beliebten  grossen  Flöte,  die  aus  Schilfrohr  mit  sechs  Ton- 
löchern gefertigt  und  mittelst  eines  Mundstücks  zum  Tönen  gebracht  wird.  Die- 
selbe wurde  schon  von    den    alten  Mexikanern    gepflegt,    denn    in    den  Ruinen 


320  Hüber  —  Iliiller. 

von  Palanke  hat  man  dex-eu  mehrere  gefunden,  die  in  dem  Museum  zu  Mexiko 
aufbewahrt  werden.  2. 

Hüber,  "Wendelin,  Kirchencomponist  und  Organist  an  der  Dorotheen- 
kirche  zu  Wien  um  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts,  veröffentlichte  daselbst 
um   1650  Motetten  und  andere  geistliche  Gresänge  seiner   Compositiou. 

HUbler,  Karoline  Elisabeth,  geborene  Steinbrecher,  geboren  1733, 
war  eine  Sängerin  mit  schöner  Stimme  und  trefflicher  Darstelluugskuust.  Sie 
war  zuletzt  bei  der  Oper  in  St.  Petersburg  angestellt. 

Hnbner,  Johann  Christian,  Pianofortebauer  aus  Narwa,  lebte  zu  Ende 
des  18.  und  anfangs  des  19.  Jahrhunderts  zu  Moskau  und  erfand  daselbst  1801 
ein  Bogenclavier,  welches  er  Orchestrine  (s.  d.)  nannte. 

Hiibner,  Joseph,  deutscher  musikkundiger  Theologe,  ein  um  die  Reform 
der  katholischen  Kirchenmusik  sehr  verdienter  Mann,  wurde  am  31.  Aug.  1755 
zu  Kleppelsdorf  bei  Lähe  geboren  und  war  der  Sohn  eines  wohlhabenden 
Müllers,  der  den  Sohn  zwar  im  Singen  und  Ciavierspiel  unterrichten  Hess, 
jedoch  für  die  Kirche  bestimmte.  H.  besuchte  zu  diesem  Zweck  das  katholische 
Gymnasium  zu  Breslau,  bildete  sich  aber  zugleich  als  Discantist  der  Domkirche 
daselbst  musikalisch  weiter  aus  und  verwaltete  später  als  Student  der  Theologie 
und  Philosophie  zugleich  das  Amt  eines  Chorpräfecten  im  Convict.  Im  J.  1779 
wurde  er  katholischer  Prediger  zu  Brieg  und  begann  alsbald,  die  besseren  Cho- 
i'äle  auszuwählen  und  diese  seiner  Gemeinde  gut  und  würdig  singen  lehren  zu 
helfen.  Als  Professor  der  Philosophie  und  Prediger  an  der  Universitätskirche 
zu  Breslau  seit  1783  führte  er  eine  regelmässige  Kirchenmusik  ein,  derent- 
wegen Bekenner  aller  Confessionen  sonntäglich  das  Gotteshaus  füllten.  Mit 
immer  mehr  durchgreifender  Kraft  setzte  er  das  Werk  von  1798  an,  wo  er 
Pfarrer  und  Erzpriester  an  St.  Nicolai  zu  Breslau  wurde,  fort,  ersetzte  u.  A. 
die  dort  übliche  klägliche  Figuralmusik,  die  er  abschaffte,  durch  einen  erheben- 
den gemeinschaftlichen  deutschen  Gesang  und  dichtete  und  componirte  selbst 
viele  Sonntags-  und  Festgesänge,  die  auch  anderwärts  in  Schlesien  eingeführt 
wurden.  Auch  als  Oberconsistorialrath,  Assessor  der  königl,  Schuldeputation 
und  Domprediger  weiterhin  lebte  und  wirkte  er  begeistert  und  begeisternd  für 
die  so  glücklich  unternommene  Sache  und  hinterliess  ein  ihn  überlebendes 
ehrendes  Andenken  als  gründlicher  Verbesserer  der  gesammteu  katholischen 
Kirchenmusik  seiner  Provinz.  Im  J.  1803  noch  zum  Doctor  der  Theologie 
und  des  kanonischen  Rechts  ernannt,  starb  H.  1810  in  Breslau.  Er  hat  gleich- 
falls, wenn  auch  vielfach  nicht  unter  seinem  Namen,  zahlreiche  weltliche 
Lieder  und  Gesänge  gedichtet  und  componirt,  die  sehr  geschätzt  und  ver- 
breitet waren. 

Hübsch,  Johann  Baptist,  gern  gehörter  Bassbuffo,  geboren  1755  zu 
Jamnitz  in  Mähren,  betrat  erst  1782  zum  ersten  Male  das  Theater,  machte 
aber  seitdem  und  bis  zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts  auf  den  ersten  deutschen 
Bühnen  grosses  Aufsehen. 

Hübsch,  Johann  Georg  Gotthelf,  deutscher  Mathematiker,  geboren 
um  1690,  war  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  Lehrer  seiner  Wissenschaft 
in  Schulpfoi'ta  bei  Naumburg.  Er  starb  um  1773.  Walther  besass  handschrift- 
lich mehrere  musikalische  Abhandlungen  von  ihm,  und  auch  Gerber  erstand 
aus  H.'s  Hinterlassenschaft  31  solcher  Aufsätze  und  führt  sie  in  seinem  Ton- 
künstlerlexlkon  von  1812  auf,  die  sich  über  verschiedene  Gegenstände  der  Com- 
Position,  des  Instruraentenbaus  und  der  musikalischen  Kritik  verbreiten. 

Hück,  Georg,  auch  Hucke  geschrieben,  Contrapunktist  des  17.  Jahr- 
hunderts, lebte  und  war  wahrscheinlich  auch  gebürtig  im  Herzogthum  Preussen. 
Da  nichts  Gedrucktes  mehr  von  ihm  vorhanden ,  so  ist  man  lediglich  auf  die 
Glaubwürdigkeit  der  älteren  Angabe  augewiesen,  dass  er  zu  den  durch  gedruckte 
Werke  bekannt  gewesenen  Contrapunktisten  der  von  Eccard  gegründeten  preussi- 
schen   Tonschule  gehört  hat. 

HUffer,  Franz,    keuntnissreicher    und    geistvoller    deutscher   Musikschrift- 


Hüfthoru  —  Hülfsuoteu.  32  J^ 

steller,  geboren  um  1846  in  der  Rheinprovinz ,  machte  seit  1866  in  Berlin 
gründliche  wissenschaftliche,  besonders  philosophische  und  musikalische  Studien. 
Als  Mitarbeiter  betheiligte  er  sich  damals  an  der  »Allgemeinen  musikalischen 
Zeitung«  und  Hess  in  seinen  Aufsätzen  und  Correspondenzen  vorzüglich  eine 
hohe  Verehrung  für  E,ob.  Schumann  durchblicken.  Gleichzeitig  beschäftigte 
er  sich  aufs  Eingehendste  mit  den  altsprachlichen  Denkmälern  der  Proven§alen 
und  promovirte  1869  zum  Doctor  der  Philologie.  Ein  Jahr  später  siedelte  er 
nach  London  über  und  wurde  der  musikalische  Hauptmitarbeiter  der  dortigen 
Zeitschrift  »TÄe  Acadeiny<.<i,  sowie  Correspoudent  des  »Musikalischen  Wochen- 
blatts« in  Leipzig.  An  den  Bestrebungen  zu  Gunsten  Eich.  Wagner's  in  Eng- 
land nahm  er  regen  Antheil  und  ist  in  Eolge  dessen  zum  Vorstandsmitglied 
des  "Wagnervereins  in  London  gewählt  worden.  Um  das  Verständniss  der 
"Werke  dieses  Componisten,  sowie  derjenigen  der  neueren  Richtung  überhaupt 
im  Inselreiche  zu  verallgemeinern,  verfasste  er  eigens  eine  grössere  Schrift, 
welche  auch  deutsch  unter  dem  Titel  »Die  Poesie  in  der  Musik«  (Leipzig,  1875) 
erschien  und  von  Seiten  der  Kritik  sowohl  Lobpreisungen  wie  heftige  AngriflFe 
erfahren  hat.  Das  vorliegende  »Musikalische  Conversations-Lexikon«  verdankt 
der  Feder  H.'s  einige  Biographien  altfranzösischer  Trobadors  und  Trouveres. 

Hüfthorn,  s.  Hifthorn. 

Hiilfsaccorde,  Hülfsharmonieu.  »Unter  dieser  Benennung  ist  der  Haupt- 
septimen- oder  Dominantenaccord  aus  „Stöpel's  Harmonielehre"  in  andere  Werke 
übergegangen«  (behauptet  A.  Gathy,  »Musikal.  Convers.- Lexikon«  S.  220). 
»So  werden  in  einigen  Lehrbüchern  der  Harmonie  diejenigen  Accorde  genannt, 
die  aus  der  Umkehrung  des  verminderten  Septimenaccordes  (der  ebenfalls  als 
ein  solcher  tonischer  Hülfsaccord  betrachtet  wird)  zum  Vorscheine  kommen, 
und  die  vorzüglich  geschickt  sind,  vermittelst  der  enharmonischen  Verwechse- 
lung der  Töne  die  Modulation  aus  der  Haupttonart  in  entfernte  Tonarten  zu 
leiten,  oder  aus  solchen  entfernten  Tonarten  wieder  zurück  in  den  Hauptton 
zu  gehen«  (erklärt  dagegen  H.  Chr.  Koch,  »Musikal.  Lexikon«  S.  1555).  In 
keiner  dieser  Bedeutungen  ist  das  Wort  jetzt  noch  gebräuchlich,  und  überhaupt 
eignet  sich  dasselbe  auch  nur  zur  Bezeichnung  derjenigen  Zusammenklänge,  die 
durch  Anwendung  von  Hülfsnoten  (s.  den  Artikel  Hülfsnoten  etc.)  entstehen; 
in  diesem  Falle  gebrauchen  aber  die  Theoretiker  lieber  Ausdi'ücke  wie:  Durch- 
gehende Accorde  (s.d.),  Scheinaccorde,  Mischaccorde  u.  s.  f.  0.  T. 

HUlfsbalg,  s.  Balg  und  Crescendozug. 

Hülfsg-ewicht,  auch  Ausgleichungs-,  Compensations-  und  Mitge- 
wicht, in  früheren  Zeiten  öfter,  aber  unpassend,  Gegengewicht  genannt, 
ist  eine  ziehende  oder  drückende  Kraft,  die,  auf  den  hintei-en  Theil  eines 
Orgelbalges  wirkend,  dem  ausströmenden  Winde  gleiche  Kraft  giebt.  Die 
zweckmässigste  Art  derselben  ist  unstreitig  die  Strebefeder  von  Stahl 
oder  Holz. 

Hülfsuoteu,  Hülfstöue,  Nebentöne  oder  uneigentliche  Durchgänge 
sind  eine  besondere  Art  von  unharmonischen  Nebennoten  (s.  d.);  es  sind 
demnach  Töne,  welche  nicht  zu  den  wesentlichen  Bestandtheileu  einer  Melodie 
oder  eines  Accordes  resp.  einer  Accordverbindung  gehören,  sondern  nur  eine 
zufällige  Verzierung  oder  Ausschmückung  derselben  bilden.  In  dem  Artikel 
Durchgang  und  an  anderen  dort  (III.  S.  285)  genannten  Stellen  wurde 
bereits  nachgewiesen,  dass  alle  diese  Töne  ihr  Erscheinen  vorzugsweise  auf  die 
»Verwandtschaft  durch  Nachbarschaft  in  der  Tonhöhe«  (s,  d.)  gründen.  H. 
heissen  diese  Töne  dann,  wenn  sie  nur  zu  einem  einzigen  wesentlichen  Tone 
(ihrem  Haupt  tone,  s.  d.)  durch  Nachbarschaft  in  der  Tonhöhe  in  Beziehung 
stehen,  während  Durchgangs-  und  Zwischentöne  (s.  d.)  immer  mit  zwei 
wesentlichen  Tönen  verbunden  erscheinen.  »Beiläufig  erkennen  wir  hier,  dass 
die  bekannten  sogenannten  Manieren  (s.  d.):  Vorschlag,  Doppelvorschlag, 
Triller,  Doppelschlag  und  all'  ihre  Unterarten  nichts  sind,  als  einfache  oder 
gehäufte,    wiederholte  Hülfstöne.     Sie  sind    den   wesentlichen  Melodietönen  zu- 

MusU;al.  Convers. -Lexikon.     V.  21 


322  Hülfsstimmen  —  Hüllweck. 

gesetzt,  ei'sclieinen  in  sofern  als  Nebensache,  und  werden  daher  gewöhnlich  mit 
kleinerer  Schrift  notirt.  Allein  man  sieht  leicht  ein,  dass  sie  im  Sinne  eines 
Ton  Stückes  wesentlich  bedeutsam  sein  können,  —  und  nur  deswegen  dürfen  die 
anderen  Töne  wesentlich  genannt  werden,  weil  sie  zu  der  natürlichen  Grund- 
lage des  Ganzen,  der  Harmonie,  gehören;  daher  man  jene  Töne  ebenfalls  mit 
grösseren  Noten  aufgezeichnet  findet,  und  besonders  in  den  "Werken  neuerer 
Zeit,  wo  sie  mehr  mit  Bedeutung,  zu  bestimmtem  Zwecke,  gesetzt  werden, 
während  sie  in  älteren  "Werken  (namentlich  vor  C.  P.  E.  Bach  und  Jos.  Haydn) 
mehr  willkürlich,  als  »Agremens«,  als  beiläufige  Ausschmückungen,  erscheinen« 
(Marx,  »Compositionslehre«,  I.  299).  Die  H.  sind,  wie  die  Durchgänge,  dia- 
tonisch oder  chromatisch,  je  nachdem  sie  in  der  im  Ohre  liegenden  Tonart 
leitereigen  oder  leiterfremd  (s.  d.)  sind.  Die  diatonischen  H.  können  von 
ihrem  Haupttone  eine  ganze  Tonstufe  abstehen;  die  chromatischen  dagegen 
dürfen  von  ihm  nur  um  eine  Halbtonstufe  entfernt  sein.  Jeder  Hülls-  oder 
Nebenton  muss  aber  in  seinen  Hauptton  fortschreiten.  Solche  H.  kann  man 
zu  jedem  Tone  einer  Melodie  oder  eines  Accordes,  in  jeder  Stimme  und  auch 
in  mehreren  oder  allen  Stimmen  gleichzeitig  auftreten  lassen;  sie  können  auf 
leichter  oder  (als  "Wechselnoten,  s,  d.)  auf  schwerer  Taktzeit  erscheinen  und 
beliebig  längere  oder  kürzere  Dauer  haben;  sie  können  direkt  in  ihren  Haupt- 
ton fortschreiten  oder  (bei  Brechungen  u.  dergl.)  von  ihm  durch  eingeschobene 
Haupt-  oder  Nebentöne  getrennt  sein;  sie  können  in  wesentliche  Töne  umge- 
wandelt werden  u.  dergl.  mehr.  Hieraus  ergiebt  sich,  dass  durch  ihre  Anwen- 
dung die  allerverwickeltsten  Zusammenklänge  entstehen  können  (s.  Beisp.  II. 
S.  592  fi".,  III.  S.  290  und  an  anderen  Orten).  Diese  Zusammenklänge  könnte 
man  wohl  Hülfsaccorde  (s.  d.)  nennen;  man  zählt  sie  aber  zu  den  zufälligen 
Dissonanzen  und  bezeichnet  sie  als  durchgehende  Accorde,  Scheinaccorde,  Misch- 
accorde,  uneigentliche  Accorde  u.  s.  f.  —  Weiteres  findet  man  noch  unter  Con- 
sonanz  (II.  S.  592),  Nebentöne,  Tonverwandtschaft  und  an  anderen  dort  namhaft 
gemachten  Stellen  dieses  Werkes.  0.  Tiersch. 

Hülfsstiuimen  nennt  man  in  der  Fachsprache  des  Orgelbaues  diejenigen 
Manualstimmen,  welche  gradfüssig  kleiner  als  2,5  Meter,  und  im  Pedal  die- 
jenigen Stimmen,  welche  gradfüssig  kleiner  als  5  Meter  sind,  weil  dieselben 
in  Verbindung  mit  den  Quint-  und  Terzstimmen  den  Gruudton  verstärken,  ihn 
mehr  hervorheben. 

Hüllmandel,  Nicolaus  Joseph,  Ciaviervirtuose  und  Componist  für  sein 
Instrument,  geboren  1751  zu  Strassburg,  war  der  Neffe  des  berühmten  Hor- 
nisten Rudolph  und  Hess  sich  in  Hamburg  von  Phil.  Eman.  Bach  vollends 
musikalisch  ausbilden.  Im  J.  1775  besuchte  er  Mailand  und  das  übrige  Italien, 
ein  Jahr  später  Paris,  wo  er  sich  auf  dem  Ciavier  imd  der  Harmonica  hören 
und  als  Musiklehrer  der  feinen  Welt  fesseln  Hess.  Nach  einem  Ausfluge  nach 
London,  1787,  verheirathete  er  sich  mit  einer  reichen  Französin,  wurde  aber 
1790  durch  seine  Verbindungen  mit  dem  königl.  Hof  und  Adel  verdächtig  und 
musste  seiner  Sicherheit  wegen  nach  London  fliehen,  während  seine  Güter  ein- 
gezogen wurden.  Die  Existenzfrage  trieb  ihn  dort  wieder  zur  Ertheilung  von 
Unterricht  und  zur  Comijositiou,  und  selbst  als  er  vom  ersten  Consul  seine 
Güter  zurück  erhielt,  blieb  er  in  London,  zog  sich  aber  ganz  von  der  Oeffent- 
lichkeit  zurück  und  starb  1823.  Er  hat  Sonaten  für  Ciavier,  für  Ciavier  und 
Violine,  für  Ciavier,  A^ioline  und  Violoncello,  ferner  Variationen,  Divertissements 
u.  dergl.  compouirt  und  veröffentlicht. 

Hiillweck,  Ferdinand,  bedeutender  Violin-  und  vortrefflicher  Quartett- 
spieler, geboren  am  8.  Octbr.  1824  zu  Dessau,  erhielt  in  seiner  Vaterstadt  eine 
tüchtige  musikalische  Ausbildung,  namentlich  auch,  und  zwar  durch  Friedi-. 
Schneider,  in  der  Harmonielehre  und  Composition.  Schon  1844  wurde  er  als 
erster  Violinist  in  die  königl.  Kapelle  zu  Dresden  gezogen,  in  welcher  Stel- 
lung er  sich  noch  gegenwärtig  befindet.     Ausserdem  wirkt  er  als  Lehrer  seines 


Hülphers  —  Hülskamp.  323 

Instruments  am  Dresdener  Conservatorium  und  hat  Compositionen  veröffentlicht, 
von  denen  die  didactischen  Violinwerke  einen  hervorragenden  Werth  haben. 

Hülphers,  Abraham  Abrahamson,  war  um  1773  Musikdirektor  und 
Organist  zu  Westeräs  in  Schweden  und  veröffentlichte  eine  gründliche  Abhand- 
lung über  musikalische  Instrumente,  besonders  über  die   Orgel. 

Hülse,  in  der  Fachsprache  des  Orgelbaues  gleichbedeutend  mit  Büchse 
(s.  d.)   oder  Hose. 

Hülseu,  Botho  von,  General  -  Intendant  der  königl.  Theater  zu  Berlin, 
Hannover,  Kassel  und  "Wiesbaden,  am  10.  Decbr.  1815  zu  Berlin  geboren,  war, 
dem  Brauche  in  seiner  Familie  gemäss,  für  den  Soldatenstand  bestimmt.  Im 
Cadettencorps  für  diesen  Beruf  erzogen,  trat  er  in  das  Kaiser- Alexander-Gre- 
nadierregiment als  Officier  ein.  Seine  Mussestunden  füllte  er  mit  literarischer 
Thätigkeit  aus.  Schon  als  Knabe  hatte  er  eine  grosse  Vorliebe  für  das  Theater 
gezeigt,  die  sich  besonders  dadurch  kundgab,  dass  er  jede  Gelegenheit  benutzte, 
um  im  Familienkreise  dramatische  Aufführungen  zu  veranstalten,  bei  denen  er 
sich  als  talentvoller  Darsteller  erwies.  Im  Officiercorps  seines  Regiments  wusste 
er  die  Vorliebe  für  eben  solche  Veranstaltungen  zu  erwecken  und  erregte  da- 
durch sogar  das  Interesse  des  Königs  Friedrich  Wilhelm  IV.  Im  J.  1848 
machte  er  als  Kegiments-Adjutant  den  dänischen  Feldzug  mit  und  stand  ein 
Jahr  später  den  Aufständischen  in  Dresden  gegenüber.  Als  Fr.  von  Küstner 
1852  seinen  Abschied  als  Generalintendant  der  königl.  Schauspiele  in  Berlin 
nahm,  berief  der  König,  der  sich  bei  verschiedenen  Gelegenheiten  immer  mehr 
von  dem  dramatischen  und  Verwaltungstalent  des  Lieutenants  v.  H.  überzeugt 
hatte,  denselben  auf  den  erledigten  Posten.  Diese  unerwartete  Ernennung 
war  so  überraschend,  dass  sie  eine  gewaltige  Aufregung  hervorrief,  die  sich 
noch  steigerte,  als  H.  ein  strammes  soldatisches  Regiment  im  Theaterdienst  zu 
handhaben  begann.  Aller  Anfeindungen  ungeachtet,  behauptete  H.  dieses  Amt 
jedoch  mit  Erfolg  und  Geschick  und  hat  seinen  Kunstsinn,  seinen  Geschmack 
und  sein  grosses  administratives  Talent  im  glänzendsten  Lichte  gezeigt.  Von 
den  Gunstbezeugungen  zweier  Könige  überschüttet,  erweiterte  sich  seine  Macht- 
sphäre in  demselben  Maasse,  wie  der  Staat  Preussen  durch  seine  Annexionen. 
Wenn  auch  das  Schauspiel  unter  ihm  die  Bedeutung,  welche  ihm  früher  eigen 
war,  einbüsste  und  zurückkam,  so  verstand  er  es  doch  zu  allen  Zeiten,  in  der 
Oper  eine  Vereinigung  von  künstlerischen  Kräften  zu  Wege  zu  bringen,  die 
in  der  Gegenwart  beinahe  einzig  genannt  werden  kann.  Die  Novitäten  kamen 
langsam,  blieben  aber  doch  wenigstens  nicht  aus,  wurden  künstlerisch  meister- 
haft aufgeführt  und  mit  allem  erdenklichen  scenischeu  Pomp  geschmackvoll 
ausgestattet.  Auch  die  praktische  Verwaltung  ist  unter  H.  eine  musterhafte, 
und  der  finanzielle  Zustand  unter  keinem  seiner  Vorgänger  ein  so  blühender 
gewesen.  Durch  sein  ganzes  Vorgehen,  hat  sich  H.  ein  dauerndes  Denkmal  in 
der  Geschichte  der  deutschen  Oper  gesetzt,  welche  das  H.'sche  Regiment  zu 
ihren  Glanzperioden  rechnen  wird.  —  Vermählt  ist  H.  seit  1849  mit  Helene 
von  H.,  geborene  Gräfin  von  Häseler,  welche  als  lyrische  Dichterin  und 
belletristische  Schriftstellerin  auch  in  weiteren  Kreisen  vortheilhaft  bekannt 
geworden  ist. 

Hiilshofl",  Max  Freiherr  TOu  Droste,  kunsterfahrener  deutscher  Dilettant, 
geboren  um  1766  zu  Münster,  war  Dirigent  eines  Gesangvereins  in  seiner 
Vaterstadt  und  hat  viele  zu  seiner  Zeit  weithin  geschätzte  Compositionen  ge- 
schrieben, als:  Streichquartette,  Kirchenstücke,  Claviersacheu,  die  Opern  »Der 
Tod  des  Orpheus«,  »Bianca«,  »Der  Einzug«  u.  s.  w.  Ein  Tedeum  von  ihm  wurde 
1801  in  Münster  aufgeführt. 

Hüläkamp,  Gustav  Heinrich  (Henry),  einer  der  hervorragendsten 
deutschen  Instrumentenfabrikanten  der  Vereinigten  Staaten  von  Amerika,  ist 
aus  Westphalen  gebürtig  und  hat  besonders  den  Ciavierbau  in  den  bedeutendsten 
Werkstätten  Deutschlands,  Englands  und  Amerikas  gründlich  studirt.  Im 
J.   1850  gründete  er  zu   Troy  im   Staate  New -York    seine  eigene  Fabrik,    die 

21* 


324  Hiimmelchen  —  Huet. 


er  schnell  in  Flor  zu  bringen  wusste.  Das  grösste  Aufsehen  erregten  1857 
Beine  in  New-York  ausgestellten  sogenannten  symmetrischen  Flügel,  die  in  Folge 
dessen  eine  Preismedaille  erhielten.  Eine  gleiche  Auszeichnung  wurde  H.  auf 
der  Weltausstellung  zu  London  1862  zu  Theil,  wo  seine  Erfindungen  im  Fache 
des  Ciavier-  und  Violinbaues  einem  hervorragenden  Interesse  begegneten.  Seit 
1866  hat  H.  seine  Fabrik  nach  New-York  verlegt. 

UUmuielcheu  oder  Hummel,  ein  veraltetes  Orgelregister,  das  angezogen 
zwei  schwach  tönende  Zuugenpfeifen,  von  denen  die  eine  in  G,  die  andere  in 
l'  oder  G  gestimmt  war,  zur  Ansprache  brachte;  beide  tönten  so  lange  fort, 
bis  man  den  Zug  wieder  abstiess.  Ebenso  wird  die  fortklingende  Saite  der 
russischen  Balalaika  und  werden  die  beiden  fortklingenden  Saiten  der 
Baueruly ra  H.  genannt. 

Uüuteii,  Franz,  vortrefflicher  deutscher  Piaaiist  und  beliebter  Claviercom- 
ponist,  geboren  am  26.  Decbr.  1793  zu  Coblenz,  wo  sein  Vater,  Daniel  H., 
Organist  war.  Dieser  führte  denn  auch  den  Sohn  in  die  Elemente  der  Musik 
ein  und  lehrte  ihn,  obwohl  er  nicht  Musiker  werden  sollte,  Ciavier  und  Gui- 
tarre  spielen.  Mit  zehn  Jahren  fing  H.  an  zu  componiren,  mit  sechszehn  selbst 
Unterricht  zu  ertheilen,  und  1819,  von  Henri  Herz,  einem  ehemaligen  Schüler 
seines  Vaters,  dazu  ermuntert,  ging  er  nach  Paris  und  auf  das  Conservatorium. 
Dort  studirte  er  zwei  Jahre  lang  mit  gutem  Erfolge  bei  Pradher  Clavierspiel, 
bei  Keicha  Harmonielehre  und  bei  Cherubini  Contrapunkt.  Vergünstigungen 
und  Stipendien,  die  ihm  seine  Lehrer  gern  zuwenden  wollten,  wurden  ihm  als 
Ausländer  abgeschlagen,  und  er  sah  sich  genöthigt,  billigen  Ciavierunterricht 
zu  geben  und  Modemusik,  besonders  Variationen,  Divertissements,  Rondos  und 
Fantasien  für  Pianoforte  zu  zwei  und  vier  Händen  zu  schreiben.  Diese  leichte 
Waare  schlug  bei  Dilettanten  und  Schülern  durch,  und  von  der  Zeit  an  wurde 
sein  Unterricht  gut  honorirt  und  die  Verleger  in  Prankreich,  Deutschland  und 
England  zahlten  ihm  für  jede  gedruckte  Noteuseite  200  Francs.  In  wohl- 
habenden Umständen  kehrte  er  Ende  1837  nach  Coblenz  zurück,  wo  er  sich 
ein  Eesitzthum  erwarb  und  Jahrzehnte  hindurch  in  behaglichster  Art  dem 
Unterricht,  der  Composition  und  seiner  Familie  lebte  und  noch  gegenwärtig 
hochbetagt  weilt.  Seiner  Compositionen  sind  über  300  und  ihr  Kennzeichen 
ist,  dass  sie  leicht  hingeworfen,  melodisch  gehalten  sind  und  dem  Tages- 
geschmack huldigen,  übrigens  nicht  mehr  "Werth  beanspruchen,  als  ihnen  eigen 
ist.  Auch  viele  Etüden  und  eine  grössere,  sehr  verbreitete  Clavierschule  hat 
H.  veröffentlicht.  —  Zwei  jüngere  Brüder  von  ihm,  Wilhelm  H.  und  Peter 
Ernst  H.,  sind,  wenn  auch  mit  weit  gei'ingerem  äusseren  Erfolg,  in  seine 
Fusstapfen  getreten.  Wilhelm  wirkte  ununterbrochen  in  seiner  Vaterstadt 
Coblenz  als  Musiklehrer  und  Componist  für  Ciavierschüler,  während  Peter  Ernst, 
geboren  am  9.  Juli  1799  zu  Coblenz,  sich  in  gleicher  Eigenschaft  in  Duisburg 
niederliesB  und  ausser  zwei-  und  vierhändigen  Ciavierstücken  auch  Duos  für 
G-uitarre  und  Flöte,  sowie  Trios  für  Guitarre,  Flöte  und  Viola  schrieb. 

Huerga^  Cyprianus  de  la,  spanischer  Cisterziensermönch  und  Musik- 
gelehrter, gestorben  um  1560  im  Kloster  Alcala,  ist  der  Verfasser  einer  Ab- 
handlung über  hebräische  Musik. 

Hürt,  Theobald,  vorzüglicher  Fagottvirtuose,  geboren  1793,  war  Mitglied 
der  kaiserl.  Hofkapelle,  Solo -Fagottist  am  Hofoperntheater  und  Professor  am 
Conservatorium  zu  Wien  und  starb  daselbst  am  9.  März  1858. 

Uuet,  Pierre  Daniel,  ausgezeichneter  und  sehr  vielseitig,  auch  musi- 
kalisch gebildeter  französischer  Gelehrter  und  Dichter,  geboren  am  8.  Febr. 
1630  zu  Caen,  erhielt  seine  Bildung  durch  die  Jesuiten,  lebte  von  1652  an 
mehrere  Jahre  am  königl.  schwedischen  Hofe  und  wurde  später  zu  Paris  Lehrer 
des  Dauphin,  für  den  er  mit  Bossuet  die  berühmt  gewordenen  Ausgaben  der 
alten  Classiker  in  usum  delphini  (des  Dauphins)  besorgte.  Nachdem  er  1676 
die  geistlichen  Weihen  empfangen  hatte,  erhielt  er  nach  einander  die  Abteien 
und  Bisthiimer  Auuay,  Soisaous,  Avranches  und  Fonteuay  bei  Caen.     Um  ganz 


Hüttenbrenner.  325 

seinen  Studien  leben  zu  können,  entsagte  er  um  1700  der  Bischofswürde  und 
zog  sich  in  das  Professhaus  der  Jesuiten  zu  Paris  zurück,  wo  er  am  21.  Jan. 
1721  starb.  Seine  Untersuchungen  über  die  Musik  des  Alterthums  waren  für 
die  Weiterforschung  von  hervorragendem  Interesse. 

HUttenbrenner,  Anselm,  ein  durchgebildeter  deutscher  Tonkünstler  und 
Componist,  geboren  am  13.  Octbr.  1794  zu  Graz,  war  der  Sohn  eines  wohl- 
habenden Gutsbesitzers  und  erhielt  bei  sich  kund  gebenden  musikalischen  An- 
lagen schon  früh  beim  Domorganisten  Matthäus  Gell  Gesang-  und  Ciavier- 
unterricht. Schon  1802  konnte  er  sich  mit  einem  Mozart'schen  Clavierconcert 
in  Graz  öffentlich  hören  lassen  und  erntete  dort,  wie  bald  darauf  in  Triest  und 
Klagenfurt  mit  Compositionen  von  Mozart,  Beethoven,  Hummel  und  Bies  den 
lebhaftesten  Beifall.  Als  Gymnasiast  begann  er  1808  mit  Eifer  Generalbass- 
studien, trat  aber  1811  in  das  Cisterzienserstift  Bein  als  Novize,  um  sich, 
elterlichem  "Wunsche  entsprechend,  dem  geistlichen  Stande  zu  widmen.  Nur 
zwei  Jahre  jedoch  trug  er  das  Ordenskleid,  als  es  ihn  nach  Wien  trieb,  um 
dort  die  Bechte  zu  studiren.  Nach  Vollendung  dieses  Studiums  trat  er  in  die 
militärische  Gerichtspraxis  in  der  Absicht,  als  Auditeur  eine  Anstellung  zu 
suchen.  Bei  der  vielseitigen  musikalischen  Anregung,  die  ihm  Wien  bot,  konnte 
er  es  sich  nicht  versagen,  sich  wieder  mit  erhöhtem  Eifer  der  Musik  zuzuwen- 
den, und  so  studirte  er  bei  Salieri  fünf  Jahre  hindurch  die  Theorie  des  Ton- 
satzes und  pflegte  mit  hingebender  Liebe  den  vertrauten  Umgang  mit  Beethoven, 
Franz  Schubert,  Gyrowetz,  Sechter  und  Assmayer.  Seit  1816  trat  er  auch 
als  Pianist  und  Improvisator  erfolgreich  in  Wien  auf,  und  zu  gleicher  Zeit 
erschienen  seine  ersten  Compositionen  im  Druck.  Eine  Sinfonie  in  E-dur  von 
ihm  fand  1819  in  Graz  ehrenvolle  Aufnahme.  Aus  seinem  frisch  sich  aus- 
breitenden Kunstleben  riss  ihn  um  1820  der  Tod  seines  Vaters,  und  er  musste 
sich,  wiewohl  sehr  ungern,  entschliessen,  die  Verwaltung  der  von  demselben 
ihm  und  seinen  sechs  Geschwistern  als  Erbschaft  hinterlassenen  Güter  zu  über- 
nehmen. In  Graz  machte  er  sich  um  das  steiermärkische  Musikleben  hoch- 
verdient und  wurde  denn  auch  schon  1825  zum  Direktor  des  dortigen  Musik- 
vereins g.  wählt,  welcher  von  da  ab  seine  Gesangs-  und  Instrumentalschulen 
glänzend  erblühen  und  seine  Concerte  an  Wichtigkeit  gewinnen  sah.  Die  son- 
stigen Mussestunden  widmete  H.  der  Composition  und  musikkritischen  Be- 
richten für  verschiedene  Blätter.  Im  J.  1825  wui'de  sein  erstes  grosses,  dem 
Andenken  Salieri's  gewidmetes  Bequiem  aufgeführt,  welches  zur  Todtenfeier 
Beethoven's,  später  zu  derjenigen  des  Kaisers  Franz  I.  in  Graz,  sowie  zur  Er- 
innerung an  Fr.  Schubert  in  Wien  wiederholt  und  von  der  Kritik  den  aus- 
gezeichnetsten Kunstwerken  dieser  Gattung  zugezählt  wurde. 

Im  Laufe  der  Zeit  schrieb  H.  noch  zwei  andere  Bequien,  viele  Graduales, 
Motetten  und  Psalme.  Zu  Anfang  1827  überliess  er  seine  schon  1824  com- 
l)onirte  zweiaktige  komische  Oper  »Armella  oder  die  beiden  Vioeköniginnen« 
dem  Grazer  Theater  zur  Aufführung,  deren  Musik  glänzenden  Beifall  fand, 
deren  mangelhaftes  Textbuch  jedoch  ein  längeres  Bühnenleben  verhinderte. 
Nicht  anders  erging  es  seiner  Oper  »Lenore«,  die  1835  in  zwei  Akten  und 
1837  zu  dr<;i  Akten  erweitert,  öfter  aufgeführt  wurde  und  ihm  herzliche  Ova- 
tionen von  Seiten  seiner  Mitbürger  eintrug.  Bekannt  ist,  dass  Beethoven  in 
den  Armen  H.'s  verschieden  ist,  und  dass  H.  eine  lebenslängliche  heilige  Pietät 
für  den  Grossmeister  bewahrt  hat.  Die  vielfachen  Auszeichnungen,  die  ihm 
von  seiner  Vaterstadt,  von  Vereinen  und  Gesellschaften  weit  und  breit  zu  Theil 
wurden,  vermochten  jedoch  einer  mit  vorrückendem  Alter  sich  steigei-nden  Ver- 
bitterung H.'s  keinen  Einhalt  zu  thun.  Nachdem  er  seinen  Aufenthaltsort  in 
nächster  Nähe  von  Graz  mehrmals  gewechselt  hatte,  zog  er  um  1865  nach  dem 
Flocken  Ober-Andritz,  wo  seine  Söhne  und  Töchter  gemeinschaftlich  eine  länd- 
liche Besitzung  an  sich  gebracht  hatten,  und  lebte  in  grösster  Abgeschiedenheit 
lediglich  dem  Naturgenuss,  bis  ihn  ein  schmerzhaftes  Unterleibsleiden  befiel, 
dem  sich  ein  Kopftyphus  zugesellte,  welchen  Krankheiten  er  am  5.  Juni  1868 


826  Hütter  —  Hugot. 

erlag.  —  H.  gehörte  zu  den  tief  angelegten,  aber  wenig  verstandenen  Künstler- 
naturen, er  war  auch,  wie  Constantin  Wurzbach  in  seinem  biographischen 
Lexikon  sagt,  ein  schöpferisches  Talent  von  seltenem  E,eichthum.  Dies  be- 
zeugen H.'s  hiuterlassene  Werke,  von  denen  kaum  der  vierte  Theil  durch  öffent- 
liche Aufführung  oder  durch  Herausgabe  oder  durch  Abdruck  in  dem  von  ihm 
durch  zwei  Jahre  redigirten  »Musikalischen  Hellerraagazin«  bekannt  geworden 
sind.  Es  sind  dies:  vier  Opern,  zehn  Ouvertüren,  fünf  Sinfonien,  drei  Trauer- 
märsche, Sonaten,  sogenannte  Geisterscenen,  24  Clavierfugen,  zwei  Streichquar- 
tette, ein  Streichquintett,  viele  Stücke  für  Pianoforte  zwei-  und  vierliiindig; 
ferner  neun  Messen,  drei  Requien  und  andere  Kirchenmusik,  300  Männer- 
quartette und  Chöre,  über  200  Lieder  u.  s.  w.  Eine  warm  geschriebene 
nekrologische  Skizze  widmete  dem  Dahingeschiedenen  Karl  Gottfr.  Ritter 
v.  Leitner  unter  dem  Titel  »Anselm  Hüttenbrenner«  (Graz,  1868,  im  "Verlage 
des  Verf.). 

Hütter,  Johann  Gottfried,  deutscher  Tonkünstler,  geboren  am  14.  Febr. 
1742  zu  Brauuau  bei  Löwenberg  in  Schlesien,  erhielt  als  Dorfschüler  von  dem 
Cantor  Beyer  daselbst  den  ersten  musikalischen  Unterricht  und  war  später 
als  Gymnasiast  in  Hirschberg  zugleich  Präfekt  des  dortigen  Stadtsingechors. 
Von  1767  bis  zu  seinem  Tode,  um  1810,  wirkte  er  als  Cantor  und  Organist 
zu  Kunzendorf  bei  Löwenberg.  Von  seinen  Compositionen  ist  keine  gedruckt 
erschienen;  sein  Verdienst  gipfelt  jedoch  in  der  Begründung  eines  Orchesters 
und  in  Veranstaltung  von  Oratorieuconcerten,  Einrichtungen,  die  in  der  dortigen 
Gegend  bis  dahin  unbekannt  gewesen  waren. 

Hüttuer,  Johann  Baptist,  vorzüglicher  Violoncellovirtuose,  geboren  am 
1.  Jan.  1793  zu  Graz,  war  ein  Schüler  des  rühmlichst  bekannten  Violoncellisten 
J.  Zimmermann  und  wurde  selbst  erster  Violoncellist  am  Theater  zu  Pesth, 
zwei  Jahre  später  an  dem  zu  Lemberg.  Im  J,  1820  trat  er  eine  sehr  erfolg- 
reiche Concertreise  durch  Polen  und  Russland  an  und  ward  1822  als  Lehrer 
für  das  Conservatorium  und  als  Solospieler  für  das  ständische  Theater  in  Prag 
gewonnen.     In  diesen  Stellungen  starb  er  am  1.  März  1839  zz  Prag. 

Hiigard,  Pierre,  französischer  Kirchencomponist,  war  um  die  Mitte  des 
17.  Jahrhunderts  Lehrer  der  Chorschüler  an  der  Kathedralkirche  zu  Paris. 
Eine  Messe  seiner  Composition  ist  damals  im  Druck  erschienen. 

Hu^enius,  der  latinisirte  Gelehrtenname  für  Huyghens  (s.  d.). 

Hug-o  II.,  Graf  von  Montfort,  Herr  zu  Bregenz,  einer  der  letzten  deut- 
schen Minnesinger,  geboren  1357,  machte  1395  mit  dem  Dichter  Oswald  von 
Wolkenstein  eine  Wallfahrt  nach  Jerusalem,  die  an  Abenteuern  reich  war,  und 
starb  1423,  67  Jahre  alt.  So  sehr  seine  Gesänge  in  der  Form  gegen  die- 
jenigen älterer  adeliger  Dichter  zurückstehen,  wie  er  selbst  offen  anerkennt,  so 
gewinnen  sie  desto  mehr  durch  ihre  Frische  und  ungezwungene  Natürlichkeit. 
Wenn  auch  nicht  in  der  äusseren  Gestaltung,  so  Hess  er  doch  ersichtlich  in 
Inhalt  und  Anschauungsweise  die  alten  Minnesänger  auf  sich  wirken,  zugleich 
aber  auch  das  Volkslied,  so  dass  sich  in  seinen  Liedern  eine  merkwürdige, 
aber  nicht  unangenehme  Mischung  beider  Richtungen  kundgiebt,  H.  zählt 
übrigens  zu  den  Sängern,  welche  die  Musikweisen  zu  ihren  Dichtungen  nicht 
mehr  selbst  erfanden,  da  ihm  sein  getreuer  Knecht  Burk  Mangolt  in  Bregenz 
die  Melodien  zu  seinen  Minneliedem  und  Briefen  eigens  setzen  rausste. 

Hngro  von  Saiza,  deutscher  Minnesinger  _,  wahrscheinlich  zu  Ende  des  12. 
oder  zu  Anfang  des  13.  Jahrhunderts  lebend,  wird  von  dem  epischen  Dichter 
Heinrich  von  dem  Türlin  ehrenvoll  erwähnt  und  mit  anderen  Dichtern  seiner 
Zeit  besungen.  Sonst  ist  keine  biographische  Nachricht,  ,kein  Lied  von  ihm 
auf  die  Nachwelt  gekommen. 

Hngrolinns,  Vincentius,  latinisirt  aus  Vincenzo  TJgolini  (s.  d.). 

Hug'ot,  A.,  genannt  der  Jüngere,  ausgezeichneter  französischer  Flöten- 
virtuose, geboren  1761  zu  Paris,  wurde  1789,  als  Viotti  das  Orchester  der 
Pariser  italienischen  Oper  zusammenstellte,    als   erster  und  sein  älterer  Bruder 


Huguenet  —  Hummel.  327 

als  zweiter  Flötist  bei  demselben  angestellt.  Später  war  er  aucb  wie  viele 
andere  berühmte  Künstler  Musiker  in  der  Nationalgarde  und  ward  von  dort 
aus  als  Professor  seines  Instruments  an  das  Conservatorium  berufen.  Mit 
seinem  Bruder  zusammen  stand  er  seit  1796  auch  im  Orchester  des  Theaters 
Feydeau  und  wurde  in  den  Concerten  dieser  Bühne  als  der  vollendetste  Solo- 
spieler gefeiert,  den  Frankreich  jemals  aufzuweisen  gehabt  hatte.  Gerade  mit 
der  Bearbeitung  einer  Flötenschule  im  Auftrage  des  Direktoriums  des  Conser- 
vatoriums  beschäftigt,  verfiel  er  in  ein  Nervenfieber  und  stürzte  sich  am  18. 
Septbx'.  1803  in  einem  Anfalle  von  Raserei,  nachdem  er  sich  mehrere  Messer- 
stiche beigebracht  hatte,  aus  dem  Fenster  des  vierten  Stocks.  Zerschmettert 
und  entseelt  wtu-de  er  aufgehoben.  Die  Materialien  zu  der  Flötenschule  ordnete 
und  ergänzte  darnach  Job.  Georg  "Wunderlich  und  veröffentlichte  sie  unter 
seinem  und  H.'s  Namen,  ein  "Werk,  das  noch  gegenwärtig  stark  im  Gebrauch 
und  in  allen  Ländern  gedruckt  ist.  Auch  H.'s  Compositionen  waren  noch 
lange  Zeit  nach  seinem  Tode  sehr  geschätzt;  sie  bestehen  in  Concerten,  Varia- 
tionen und  Etüden  für  Flöte,  Sonaten  für  Flöte  und  Bass,  Flöten -Duos  und 
Trios  für  zwei  Flöten  und  Bass. 

Huguenet,  Jacques,  französischer  Tonkünstler  des  17.  Jahrhunderts,  war 
als  Violinist  in  der  königl.  Kapelle  zu  Paris  angestellt  und  hat  von  seiner 
Composition  Sonaten  für  Violine  und  Bass  veröffentlicht. 

Huitaces  de  Beaulien,  s.  Beaulieu. 

Hnlskamp,  s.  Hülskamp. 

Hnlst,  Felix  van,  s.  Vanhulst. 

Hnmau,  in  der  Fachsprache  des  Orgelwesens  gleichbedeutend  mit  lieblich. 

Hnmangedakt  oder  Lieblichgedakt  findet  man  zuweilen  ein  2,5  Meter 
gross  gebautes  Orgelregister  benannt,  das  sanft  und  lieblich  erklingt  (s.  Ge- 
dakt).  0. 

Hnuauns,  Pseudonym,  s.  Hartong. 

Hnme,  Tobias,  englischer  Ofl&cier  und  fertiger  Spieler  der  Violdigamba, 
lebte  um  1700  und  hat  Compositionen  für  sein  Instrument  herausgegeben. 

Hummel,  s,  Hümmelchen. 

Hummel,  Christian  Gottlieb  Emanuel,  guter  deutscher  Orgelspieler, 
war  in  Hildburghausen  angestellt,  wo  er  1799  starb.  Er  hinterliess  ein  "Werk, 
betitelt:  »Der  Musicus  oder  von  der  gründlichen  Erlernung  der  Musik«.  — 
Sein  Namensverwandter  war  Georg  Peter  H.,  um  die  Mitte  des  18.  Jahr- 
hunderts Mitglied  der  churfürstl.  sächsischen  Hofkapelle  in  Dresden  und  als 
Waldhornist  sehr  gerühmt.  —  Denselben  Namen  führte  endlich  noch  Mat- 
thäus H,,  welcher  um  1720  als  Lauten-  und  Geigenmacher  in  Nürnberg  thätig 
war.  —  Ausserdem  wird  noch  ein  vorzüglicher  Oboebläser,  Johann  Friedrich 
H.,  genannt,  der  um  1746  als  Kammervirtuose  im  Dienste  des  fürstl.  Hofes  zu 
Anspach  stand. 

Hummel,  Friedrich,  tüchtiger  deutscher  Clarinettvirtuose ,  geboren  am 
18.  Septbr.  1800  zu  Memmingen  bei  Augsburg,  erlernte  die  Musik  als  Lehr- 
ling beim  Augsburger  Stadtmusicus.  Im  J.  1819  trat  er  als  Hautboist  in  das 
Begiment  »König«  zu  München  und  hatte  das  Glück,  von  Bärmann  unter- 
richtet und  ausgebildet  zu  werden.  In  gleicher  "Weise  wie  seine  Fertigkeit, 
vergrösserte  sich  seitdem  sein  Ruf,  und  1833  wurde  er  als  Lehrer  der  Clari- 
nette  und  Flöte  in  den  Musikverein  der  "Universität  zu  Innsbruck  gezogen. 
Dort,  sowie  überhaupt  in  Tyrol  Hess  er  sich  mit  dem  grössten  Beifall  öffentlich 
hören  und  unternahm  auch  1836  eine  grössere  erfolgbelohnte  Kunstreise  über 
Salzburg  nach  Prag,  Zittau,  Leipzig,  Altenburg,  "Weimar  u.  s.  w.,  wo  überall 
sein  Talent  eine  ehrenvolle  Anerkennung  fand.  —  Sein  Bruder  Tobias  H., 
geboren  am  13.  Juni  1805  zu  Memmingen,  war  ein  Fagottschüler  Bomberg's 
und  diente  ebenfalls  als  Hautboist  in  dem  Regiment  »König«.  Er  verblieb  je- 
doch in  München  und  wurde  1835  in  der  königl.  Kapelle  angestellt.  Seine 
Fertigkeit  und  Vortragsmanier  galten  für  unübertrefläich. 


328  Hummel. 

Huiiiiiiel,  Johann  Julius,  einer  der  angesehensten  deutschen  Musikver- 
leger des  18.  Jahrhunderts,  geboren  1723  in  Berlin,  errichtete  in  seiner  Vater- 
stadt unter  der  Regierung  Friedrich's  des  Grossen  die  erste  grössere  Musi- 
kalienhandlung, mit  welcher  er  nach  und  nach  einen  Verlag  und  eine  Anstalt 
für  Notenstich  und  Druck  verband.  Er  war  u.  A.  der  erste  Herausgeber  meh- 
rerer Haydn'scher  Sinfonien,  die  in  einer  für  ihre  Zeit  Aufsehen  erregenden 
schönen  Ausgabe  erschienen.  Für  seine  Umsicht  und  Thätigkeit  war  H.  zum 
königl.  Comraerzienrath  ernannt  worden  und  starb  als  solcher  am  27.  Febr.  1798 
in  Berlin.  —  Sein  Sohn  und  Erbe,  Johann  Bernhard  H.,  geboren  um  1760 
zu  Berlin,  hatte  eine  vorzügliche  musikalische  Ausbildung  erhalten  und  leistete 
als  Clavierspicler  wie  nicht  minder  als  Componist  Hervorragendes.  Nach  beiden 
Seiten  hin  geschätzt,  lebte  er  um  1797  als  Musiklehrer  in  Warschau,  kehrte 
aber  nach  dem  Tode  seines  Vaters  zurück  nach  Berlin  und  führte  dessen  Ge- 
schäft, auf  Vergrösserung  und  gediegene  Erwerbungen  bedacht,  weiter.  Ob- 
wohl er  in  seiner  Stellung  und  mit  seinen  Kenntnissen  einen  wichtigen  Faktor 
im  öffentlichen  Kunstleben  Berlins  bildete,  konnte  er  als  Geschäftsmann  der 
praktischen  Ausübung  der  Musik  seitdem  nur  noch  wenig  Zeit  widmen.  Von 
seinen  Compositionen  sind  Sonaten  für  Ciavier  allein  und  für  Ciavier  und 
Violine,  Variationen,  Lieder  u.  s.  w.  im  Druck  erschienen. 

Hummel,  Johann  Nepomuk,  einer  der  ausgezeichnetsten,  berühmtesten 
Clavierspieler  und  vortrefflicher,  wohlbewanderter  Componist,  wurde  am  14. 
Novbr.  1778  zu  Presburg  geboren  und  erhielt  bei  sich  schon  früh  kund  geben- 
den ungewöhnlichen  Anlagen  den  ersten  musikalischen  Unterricht  durch  seinen 
Vater  Joseph  H.,  dem  Musikmeister  im  Militärstift  zu  Wartenberg,  wohin  die 
Familie  um  1780  versetzt  worden  war.  Singen  und  Clavierspiel  zog  der  kleine 
H.  bald  der  Uebung  im  Violinspiel,  zu  welcher  ihn  sein  Vater  anhielt,  vor. 
Als  letzterer  nach  Aufhebung  jener  Anstalt  1785  von  Schikaneder  als  Or- 
chesterdirektor nach  Wien  gezogen  wurde,  erregte  des  Knaben  Talent  und 
Fingerfertigkeit  Mozart's  Interesse  in  dem  Grade,  dass  er  denselben  unter  seine 
Leitung  und  sogar  in  sein  Haus  nahm.  Zwei  Jahre  lang  genoss  H.  diese 
beneidenswerthe  Schule  und  unternahm  hierauf  mit  seinem  Vater  von  1788 
bis  179.5  Kunstreisen  durch  Deutschland,  Dänemark,  England  und  Holland. 
Zum  Jüngling  gereift,  kehrte  er  endlich  nach  Wien  zurück  und  machte  nun 
unter  Albrechtsbergei'S  besonderer  Leitung  und  in  Salieri's  und  Haydn's  bil- 
dend(!m  Umgange  seine  fernere  Schule  im  strengen  Contrapunkt  sowohl  wie  in 
der  freien  Composition,  deren  Früchte  verschiedene  Ciavierwerke  und  Trios 
waren,  von  denen  jedoch  nur  die  Sonate  in  Es-dur  op.  13  und  die  Fantasie 
op.  18  einen  bereits  hervorstechenden  Kunstwerth  bekundeten,  während  die 
übrigen  Sonaten,  Rondos  und  ein  Concert  in  0-dur  sich  bald  überlebten.  '       ■ 

Als  Kapellmeister  trat  H.  1803  in  die  Dienste  des  Fürsten  Eszterhazy 
und  fand  als  solcher  Anlass,  sich  auch  in  der  kirchlichen  und  dramatischen 
Musik  zu  versuchen.  Seine  erste  Messe  (B-dur)  fand  den  vollen  Beifall  Haydn's, 
und  am  Hoftheater  in  Wien,  dem  der  Fürst  um  jene  Zeit  vorstand,  kamen 
auch  einige  dramatische  Compositionen  H.'s  zur  Auffuhrung.  Im  J.  1811  ver- 
liess  H.  den  fürstl.  Dienst  und  widmete  sich,  ohne  öffentlich  aufzutreten,  dem 
Musikunterricht  und  der  Composition.  Es  entstand  u.  A.  die  noch  jetzt  viel 
gespielte  nBella  capricciosau  und  das  grosse  Rondo  in  A-dur  mit  Orchester- 
begleitung, welches  einen  Wendepunkt  in  H.'s  Claviei-compositionsart  bezeichnet 
insofern,  als  es  einen  Uebergang  zu  seiner  späteren  brillanten  Setzweise  bildet, 
die  für  lange  Zeit  die  Hauptnorm  aller  Pianofortemusik  gebliel)en  ist.  —  Erst 
in  Stuttgart,  wohin  er  1816  als  Kapellmeister  berufen  wurde,  trat  er  auch 
wieder  zögernd  und  zagend  als  Clavierspieler  öffentlich  auf,  und  zwar  mit  einer 
das  allgemeinste  Staunen  erregenden  Meisterschaft  und  namentlich  einer  so 
vollendeten  Improvisationsgabe,  gleichviel  ob  in  freier,  gebundener  oder  fugirter 
Form ,  wie  sie  nach  allen  übereinstimmenden  Zeugnissen  wohl  kaum  jemals 
vorgekommen  ist.     Gleichen   Schritt  mit  seinem  grossartigen  Virtuosenruf  hielt 


Hummel.  329 

sein  ComponiBtenrulam,  den  er  mit  dem  Clavierconcert  in  A-moll  und  mit  dem 
herrlichen  Septett  unverlöschbar  begründete.  Im  J.  1820  ging  er  als  Kapell- 
meister nach  Weimar  und  i'eiste  1822  im  Grefolge  der  ihn  hochverehrenden 
Grossherzoijin  Maria  Paulowna  nach  Russland,  wo  er,  unmittelbar  beim  kaiserl. 
Hofe  und  dem  höchsten  Adel  eingeführt,  eine  Aufnahme  fand,  wie  sie  gross- 
artiger nicht  gedacht  und  auch  weder  vorher  noch  nachher  einem  Künstler  zu 
Theil  geworden  ist.  Auch  fernerhin  unternahm  er  grosse  Kunstreisen  und  er- 
füllte die  ganze  Musikwelt  mit  dem  Grlanz  seines  Namens  und  seiner  unver- 
gleichlichen Kunst. 

Schon  in  der  ersten  Zeit  seines  Aufenthalts  in  "Weimar  entstand  die  schöne 
Sonate  in  Fis-moll  (op.  81),  das  Concert  in  H-dur  (op.  89),  das  Quintett  in 
Es-dur  (op.  87),  die  Trios  in  E-  und  Es-dur  (op.  83  und  93),  die  vierhändige 
Sonate  in  Äs-dur  (op.  92)  und  die  zweihändige  in  D-dur  (op.  106),  das  Rondo 
in  B-dur  (op.  99)  u.  v.  a.,  lauter  Compositionen,  die  in  ihrer  Art  als  muster- 
gültig und  nachahmungswerth  gepriesen  wurden.  Im  J.  1825  concertirte  er 
in  Paris,  wo  er  zum  Ritter  der  Ehrenlegion  ernannt  wurde,  1826  in  Belgien 
und  Holland,  1827  in  Wien,  wo  er  auch  sein  herrliches  Concert  in  Äs-dur 
zum  ersten  Mal  hören  liess,  1828  in  Warschau  und  1829  abermals  in  Frank- 
reich und  feierte  überall  wahrhaft  unerhörte  Triumphe.  Ebenso  besuchte  er 
1830  und  1833  England  und  leitete  im  letzteren  Jahre  eine  Saison  hindurch 
die  Oper  in  London.  Von  da  an  begann  seine  Gesundheit  zu  wanken,  und 
er  musste  sich  im  Kapellmeisteramt  öfter  wie  je  vertreten  lassen,  sowie  den 
Musikunterricht,  dem  er  eifrig  und  erfolgreich  zu  jeder  Zeit  obgelegen  hatte 
(Ferd.  Hiller  und  Ad.  Henselt  waren  u.  A.  seine  Schüler),  auf  das  Aeusserste 
beschränken.  Statt  auf  Kunst-  begab  er  sich  nun  auf  Badereisen;  sie  halfen 
ihm  nur  zeitweilig  auf,  bis  er  der  Herzbeutelwassersucht  unterlag.  Er  starb 
am  17.  Octbr.  1837  zu  Weimar.  -  In  H.  erreichte  ein  Zweig  Seb.  Bach'scher 
Kunst,  der  aufgezogen  war  durch  Phil.  Eman.  Bach,  Clementi  und  .1.  B.  Gramer, 
und  zu  deren  Klarheit,  Correetlieit  und  harmonischen  Tüchtigkeit  der  un- 
mittelbar an  Mozart  und  Haydn  erwärmte  H.  das  regere  Gemüthsleben  der 
sogenannten  Wiener  Schule  brachte,  seinen  Höhepunkt  und  Abschluss.  Leiden- 
schaftlichkeit hat  H.  nie  entwickelt,  wohl  aber  Schönheit  und  ruhige  Klarheit 
der  Form,  die  immerhin  noch  als  der  bessere  Theil  der  Kunst  gelten  dürfen. 
Seine  Erfahrungen  und  Grundsätze  hat  er  in  einer  »grossen  Pianoforteschule« 
(Wien  bei  Haslinger)  und  in  Studienstücken  dargelegt,  die  freilich  erst  zu 
einer  Zeit  erschienen,  wo  bereits  eine  neue  Richtung  sich  gebieterisch  Bahn 
zu  brechen  begonnen  hatte,  und  die  nun  nicht  mehr  die  Bedeutung  erlangen 
konnten,  die  sie  früher  hätten  beanspruchen  können. 

H.'s  Compositionen  bestehen  ausser  in  Ciavierwerken  aller  Art  mit  und 
ohne  Begleitung,  zwei-  und  vierhändig,,  in  den  Cantaten  »Das  Lob  der  Freund- 
schaft« und  »Diana  ed  Endimionev,  sowie  in  mehreren  grossen  kirchlichen  und 
dramatischen  Werken.  Letztere,  die  Opern  »Z<?  vicende  d'amore«,  »Mathilde 
von  Guise«,  »Das  Haus  ist  zu  verkaufen«  (einaktig),  »Die  Rückfahrt  des  Kai- 
sers« (einaktig),  das  Feenspiel  »Die  Eselshaut«  und  die  Pantomimen  und  Bal- 
lets  »Der  Zaulaerring«,  »Der  Zauberkampf«,  y> Paris  et  Selenea,  »Das  belobte 
Gemälde«,  »Sappho  von  Mitylene«  waren  ohne  Erfolg,  wogegen  seine  beiden 
Messen  (op.  80  und  111),  welche  wohl  maassvoll  im  Satz  gehalten,  aber  zu 
lang  sind,  sodann  ein  Graduale  und  ein  Oflfertorium  (op  88  und  89),  welchen 
beiden  es  jedoch  an  kirchlichem  Charakter  gebricht,  sich  bis  jetzt  in  den  ka- 
tholischen Kirchen  Oesterreichs  gehalten  haben.  Seine  verdienstvollsten  Werke 
sind  seine  Sonate  in  Fis-moll,  seine  beiden  Concerte  in  A-moll  und  H-moll, 
das  Septett  und  einige  Trios,  da  sie  einen  bleibenden  Kunstwerth  in  sich 
tragen.  —  H.'s  Sohn,  Eduard  H.,  geboren  1814  zu  Wien,  erhielt  eine  aus- 
gezeichnete musikalische  Erziehung  und  würde  sich  als  Pianist  und  Componist 
auch  allgemeiner  bekannt  gemacht  haben,  wenn  der  Ruhm  seines  Vaters  ihm 
nicht    hemmend    entgegen    getreten    wäre.     Er    wirkte    als    Kapellmeister    an 


330  Humor  —  Humphrey. 

mehreren  bairischen  und  österreichischen  Bühnen,  so  1840  in  Augsburg,  bis 
1872  in  Troppau,  darauf  in  Brunn  und  seit  1874  an  der  Komischen  Oper 
in  Wien.     Er  lebt  gegenwärtig  wieder  in  Brunn. 

Huinor  (latein.)  wird  sowohl  in  physiologischer  wie  in  psychologischer  und 
in  ästhetischer  Bedeutung  gebraucht.  Das  lateinische  Wort  Jiumor  heisst  eigent- 
lich Feuchtigkeit;  die  jetzt  gangbare  Bedeutung  desselben  aber  ist  Laune  oder 
Aufgelegtsein.  Man  sieht  leicht,  dass  die  letztere  Bedeutung  die  psychologische, 
die  erstei'e  die  physiologische  ist,  und  dass  man  zvs^ischen  dem  Physiologischen 
und  dem  Psychologischen  irgend  einen  Zusammenhang  voraussetzte.  Zu  den 
ältesten  Versuchen,  ihn  durch  den  Einfluss  zu  erklären,  den  die  Feuchtigkeit 
oder  Trockenheit  auf  den  menschlichen  Körper  und  die  G-emüthsstimmung 
ausübt,  gehören  die  Systeme  der  griechischen  Aerzte  Hippokrates  und  Galenus. 
Vorzugsweise  von  den  Engländern  behauptet  man,  dass  sie  im  H.  sich  aus- 
zeichnen, und  wirklich  ist  vornehmlich  durch  englische  Schriftsteller  der  Aus- 
druck H.  in  Gebrauch  und  Umlauf  gekommen.  Lessing  aber  war  der  Erste, 
der  das  Wort  H.  durch  Laune  übersetzte;  jedoch  erklärte  er  nachher,  sehr  un- 
recht daran  gethan  zu  haben;  »denn«,  sagte  er,  »ich  glaube  es  unwidersprechlich 
beweisen  zu  können,  dass  Humor  und  Laune  ganz  verschiedene,  ja  in  gewissem 
Verstände  ganz  entgegengesetzte  Dinge  sind.  Laune  kann  zu  Humor  werden; 
aber  Humor  ist,  ausser  diesem  einzigen  Falle,  nie  Laune«.  Die  neuere  Aesthetik 
hat  den  Begriff  des  H.  in  kunstphilosophischer  Bedeutung  noch  genauer  zu 
fixiren  gesucht.  Darnach  bezeichnet  H.  nicht  blos  eine  zufällige  Form  der 
Darstellung,  sondern  einen  bestimmten  Typus  der  Welt-  und  Lebensanschau- 
ung, der  in  der  Darstellung  seinen  entsprechenden  Ausdruck  sucht.  Der  Hu- 
morist steht  zwischen  dem  Komiker  und  Satyriker,  nähert  sich  aber  mehr 
dem  reinen  Komiker  durch  seine  Disposition,  auch  da  noch  lächeln  und  scherzen 
zu  können,  wo  Andere  das  Gesicht  in  düstere  Falten  ziehen.  Es  giebt  für 
den  H.  keine  Thoren,  sondern  nur  Thorheit  und  eine  tolle  Welt.  Darum 
findet  er  Welt  und  Menschen  weder  lächerlich  noch  abscheulich,  sondern  be- 
dauernswerth,  woraus  sich  jene  milde  Empfindsamkeit  erklärt,  welche  den  Hu- 
moristen vor  Anderen  eigen  ist  und  durch  welche  seine  Stimmung  bald  zum 
Elegischen  herab-,  bald  bis  zum  Pathos  hinaufsteigt. 

Man  vergleiche  in  dieser  Beziehung  den  letzten  Satz  des  Beethoven'schen 
Septetts  mit  dem  hier  Gesagten.  Bemächtigt  sich  der  Gedanke  an  beide  zu- 
gleich der  Seele  des  schaffenden  Künstlers,  so  entsteht  jene  Ausgelassenheit, 
in  welcher  der  lebhafteste  Witz  sich  sarkastisch  in  wunderlichen  Combinationen 
entladet.  Ein  musikalisches  Beispiel  hierzu  bietet  das  Finale  der  siebenten 
(Ä-dur-)  Sinfonie  ebenfalls  von  Beethoven,  wie  denn  Beethoven  in  seinem  tragi- 
komischen Pathos  in  der  Musik  der  grÖsste,  ja  vielleicht  der  einzige  Humorist 
ist,  während  z.  B.  Haydn  vorwiegend  die  Laune  und  Ausgelassenheit  reprä- 
sentii't.  Jene  Stimmung  aber,  welche  den  H.  von  seiner  ei'habenen  Seite  zeigt, 
bei  der  von  Naivetät  keine  Rede  mehr  sein  kann,  und  um  welcher  erhabenen 
Seite  willen  Jean  Paul  das  Humoristische  das  »umgekehrt  Erhabene«  nennt, 
darf  gleichwohl  nicht  die  vorherrschende  sein ,  weil  er  sonst  nur  verwunden 
würde,  da  er  vielmehr  heilen  und  aus  der  Entzweiung  die  Harmonie  wieder- 
herstellen will,  wie  sich  eben  in  der  Tonkunst  nur  bei  Beethoven  bestimmt 
nachweisen  lässt.  Die  humoristische  Schönheit  übrigens  kann  kaum  eine 
andere  sein  als  eine  solche,  wobei  der  individuellen  Freiheit  ungleich  mehr 
Spielraum  verstattet  wird,  als  in  Werken  und  Tonsätzen  von  regelmässiger 
Schönheit. 

Humphrey,  Pelhara,  englischer  Contrapuuktist  und  Virtuose  auf  der  Laute, 
geboren  1647  zu  London,  gehörte  zu  den  ersten  Chorknaben,  welche  nach 
Wiedereinführung  der  Kirchenmusik  in  England  um  1660  dem  Kapellmeister 
Cook  untergeben  wurden.  Im  J.  1666  wurde  er,  da  er  seine  Stimme  verlor, 
Mitglied  der  königl.  Instrumentalkapelle  und  trat  seitdem  als  Componist  von 
Anthems  und  anderen  geistlichen  Gesängen  so  bedeutungsvoll   hervor,  dass  er 


Hungarn — Hunt.  331 

die  Eifersuclit  seines  Lehrers  erregte,  nach  dessen  Tode  1672  H.  in  der  That 
zum  Master  of  the  children  erwählt  wurde.  Jedoch  starb  er  schon  am  14.  Juli 
1674.  Vorzügliche  Compositionen  von  ihm  finden  sich  in  Boyce's  nöatheäral- 
Musica  vind  in  der  Sammlung  »TÄe  treasury  of  musicv.,  sowie  im  Anhang  zu 
Hawkin's  Geschichte  der  Musik. 

Hnug-arn,  Gottfried,  deutscher  Componist,  geboren  in  der  zweiten  Hälfte 
des  17.  Jahrhunderts  zu  Rochlitz,  war  Cantor  zu  Weissensee  und  hat  unter 
dem  Titel  »Musikalische  Kirchenlust«  u.  s.  w.  (Gotha,  1690)  geistliche  Lieder 
und  Gesänge  für  zwei  bis  fünf  Stimmen  veröffentlicht. 

Huug-er,  Christoph  Friedrich,  deutscher  Bogeninstrumentbauer  des 
18.  Jahrhunderts,  war  ein  Schüler  des  Geigenmachers  Jaug  in  Dresden  gewesen 
und  hatte  seine  "Werkstätte  in  Leipzig  errichtet,  von  wo  aus  der  Ruf  seiner 
vortrefflichen  Violoncello  und  Altviolen,  sowie  seiner  vorzüglichen  Reparaturen 
sich  weithin  verbreitete.  Dagegen  behaupteten  seine  Violinen  und  Contrabässe 
nicht  den  gleichen  Grad  der  Werthschätzung.  H.  starb  1787  zu  Leipzig  im 
69.  Lebensjahre. 

Hung-er,  Gottlieb  Gottwart,  deutscher  Tonkünstler,  geboren  um  1736 
zu  Dresden,  hatte  neben  seinen  juristischen  Studien  in  Leipzig  eifrig  Clavier- 
und  Flötenspiel  sowie  Composition  getrieben  und  es  zu  bemerkenswerther  Fer- 
tigkeit gebracht,  wie  er  denn  auch  als  Flötist  beim  grossen  Concert  in  Leipzig 
angestellt  war.  Im  J.  1768  wurde  er  Advocat  und  starb  1796  als  Accise- 
Inspektor  zu  Leipzig.  Man  kennt  von  seinen  Compositionen  "Weisse's  »Kinder- 
lieder« (Leipzig,  1772),  sowie  sechs  nach  seinem  Tode  erschienene  vierhändige 
Clavier-Polonaisen.  Andere  Ciaviersachen  von  ihm,  Gesänge  und  Gelegenheits- 
cantaten sind  Manuscript  geblieben. 

Huug-ersberg:,  Felix,  der  berühmteste  deutsche  Mandolinenspieler  zu  An- 
fang des  16.  Jahrhunderts,  stand  als  Officier  in  den  Diensten  des  Kaisers 
Karl  V.  und  wird  in  den  Reisebüchern  Albrecht  Dürer's  häufig  mit  Auszeich- 
nung erwähnt. 

Hnnn,  Joseph,  deutscher  Ciavierbauer  zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts, 
lebte  zu  Berlin  und  erhielt  für  ein  dem  König  Friedrich  Wilhelm  IL  gelie- 
fertes Fortepiano  den  Titel  eines  Hof-Clavierinstrumentenmachers,  mit  welchem 
von  1797  an  ein  Jahresgehalt  von  400  Thalern  verbunden  wurde.  Sonst 
waren  seine  Fabrikate  selbst  in  Berlin  nur  wenig  bekannt. 

Hunnis,  William,  englischer  Tonkünstler  und  Dichter  des  16.  Jahrhun- 
derts, übernahm  1566  unter  Eduard  VI.  die  Direktion  des  Instituts  der  Chor- 
knaben in  London  und  führte  dieselbe  bis  zu  seinem  Tode,  welcher  am  6.  Juni 
1597  erfolgte. 

Hnuuins,  Christi'an,  deutscher  Tonkünstler,  geboren  in  der  letzten  Hälfte 
des  16.  Jahrhunderts  zu  Herbsleben  -in  Thüringen,  war  zu  Anfang  des  fol- 
genden Jahrhunderts  Hoforganist  zu  Cronenburg  in  Dänemark  und  ist  als 
Componist  geistlicher  Gesänge  bekannt  geblieben.  —  Ein  Arzt  desselben  Na- 
mens, Friedrich  Wilhelm  H.,  lebte  zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts  zu  Weimar, 
woselbst  er  eine  medicinische  Schrift  veröffentlichte,  betitelt:  »Der  Arzt  für 
Schauspieler  und  Sänger«. 

Hiiuolt,  Christian  Friedrich,  ein  musikkundiger  deutscher  Jurist,  ge- 
boren 1680  zu  Wandersieben  bei  Arnstadt  in  Thüringen,  prakticirte  in  Ham- 
burg und  lebte  seit  1714  in  Halle.  Er  ist  der  Verfasser  einer  Schrift  über 
das  Orgelspiel. —  Sein  älterer  Zeitgenosse,  Georg  H.,  aus  Leisnig  in  Sachsen 
gebürtig,  war  Inspektor  zu  Tangermünde  in  der  Mark  Brandenburg,  wo  er 
am  3.  Mai  1687  starb.  Derselbe  hat  die  zehn  Gebote  und  die  drei  Artikel 
des  apostolischen  Glaubensbekenntnisses  in  Reime  gefasst  und  mit  Melodien 
versehen,  herausgegeben. 

Hunt,  Arabella,  berühmte  englische  Lautenvirtuosin  und  Sängerin  zu 
Ende  des  17.  Jahrhunderts,  war  die  Gesanglehrerin  der  Prinzessin  Anna  von 
Dänemark  und  der  Königin  Maria  und  starb  im  Decbr.  1705  zu  London.     Ihr 


332  Hunt  —  Hurlebusch. 

Haus  war  der  Sammelpunkt  der  englisclien  Schöngeister,  und  Blow  und  Purcell 
componirten  eigens  Lautenstücke  für  sie,  die  für  jeden  anderen  Virtuosen  un- 
ausführbar gewesen  sein  sollen.  Von  Congreve  wurde  in  einer  Ode  auch  ihre 
seltene  Schönheit  besungen.  —  In  derselben  Zeit,  um  1700,  lebte  ein  Com- 
ponist,  Thomas  H.,  ebenfalls  in  London,  von  dem  sich  einige  fünfstimmige 
Gesänge  in  dem   Sammelwerk  y>The  triumph  of  Orianaa  befinden. 

Hnnt,  Karl,  bedeutender  deutscher  Violinvirtuose  und  Componist,  geboren 
am  27.  Juli  1766  zu  Dresden,  erlernte  seit  1770  sein  Instrument  bei  seinem  Vater, 
dem  kurfürstl.  sächsischen  Kammermusicus  Franz  H.,  und  studirte  seit  1776 
Composition  bei  Seydelmann.  Am  10.  Aug.  1783  wurde  er  als  erster  Violinist 
der  Hofkapelle  in  Dresden  angestellt  und  schrieb  viele  Violinconcerte  (worunter 
auch  Doppelconcerte),  Streichquartette,  mehrere  Kirchen-  und  zehn  andere  Sin- 
fonien, über  50  Einlagestücke  in  Opern,  die  Operette  »Das  Denkmal  in  Ar- 
cadien«,  Lieder  und  Ciaviersachen,  was  Alles  von  einem  hervorragenden  Com- 
positionstalent  Zeugniss  ablegt. 

Hnpfeld,  Bernhard,  geschmackvoller  deutscher  Violinvirtuose  und  guter 
Musiklehrer,  geboren  am  24.  Febr.  1717  zu  Kassel,  machte  den  Anfang  im 
Violinspiel  als  Hof -Sängerknabe  (1729  bis  1733)  unter  Anleitung  Agrell's. 
Der  schwedische  Graf  von  Hörn  nahm  ihn  1734  mit  nach  Wien  und  Ungarn, 
von  wo  1736  zurückgekehrt,  H.  bei  Agrell  Composition  studirte.  Schon  1737 
stellte  ihn  der  Graf  von  Wittgenstein  als  Musikdirektor  an  und  1740  wurde 
er  Kapellmeister  des  österreichischen  Regiments  Waldeck.  Als  solcher  schrieb 
er  ungedruckt  gebliebene  Quartette,  Terzette,  Arien,  zwölfstimmige  Sinfonien 
u.  s.  w.  Mit  guter  Gelegenheit  reiste  er  1749  nach  Italien  und  studirte  unter 
Domenico  Ferrari  zu  Cremona  und  unter  Trauquillini  zu  Verona  das  höhere 
Violinspiel,  sowie  unter  Barba  die  Tonsetzkunst.  Zum  Direktor  der  fürstl. 
Waldeck'schen  Kapelle  in  Arolsen  1751  ernannt,  componirte  er  Violinsolos  und 
Trios,  Flötenconcerte,  Ciaviersonaten  und  sechs  Sinfonien,  die  im  Druck  er- 
schienen, ausserdem  noch  Vocalsachen.  Als  Concertmeister  war  er  1753  beim 
Grafen  von  Sayn-Wittgenstein-Berleburg  und  folgte  endlich  1775  einem  Hufe 
als  TJniversitäts- Musiklehrer  und  Concertmeister  nach  Marburg,  wo  er  1794 
starb.  Bis  zuletzt  war  er  als  Violinspieler  und  auch  als  Gesanglehrer  sehr 
geschätzt;  als  Componist  dagegen  verschwand  er  unter  der  Menge  hervor- 
ragender begabter  Zeitgenossen. 

Hnrka,  Friedrich  Franz,  einer  der  vorzüglichsten  Tenorsänger  des  18. 
Jahrhunderts,  auch  als  Liedercomponist,  Gesanglehrer  und  Violoncellist  überaus 
beliebt,  wurde  am  23.  Febr.  1762  zu  Merklin  iu  Böhmen  geboren  und  sang 
schon  früh  im  Chor  der  Kreuzherrenkirche  in  dem  benachbarten  Prag  als 
Altist,  während  ihm  Biaggio  Gesangunterricht  ertheilte.  Als  seine  Altstimme 
sich  in  einen  schönen  Tenor  verwandelt  hatte,  ging  er  1784  nach  Leipzig  auf 
die  von  Bondini  geleitete  Bühne.  Als  Kammersänger  kam  er  1788  nach  Schwedt, 
hierauf  nach  Dresden  und  1789  nach  Berlin,  wo  er  am  10.  Decbr.  1805  starb. 
In  Berlin  ist  er  seltener  in  der  Oper,  als  in  Concerten  aufgetreten,  wie  er  denn 
auch  dem  sogenannten  grossen  Concerte  im  Gasthof  zur  Stadt  Paris  als  Di- 
rektor vorstand.  Seine  Stimme,  an  und  für  sich  schon  durch  Klangschönheit 
berückend,  war  vorzüglich  geschult  und  im  Coloraturgesang  wie  in  der  Can- 
tilene  unvergleichlich.  Als  Componist  zahlreicher  Lieder  hatte  H.  ebenfalls 
bedeutenden  Ruf  und  grosse  Beliebtheit;  seine  Oper  »Das  wüthend.'  Heer« 
dagegen  hat  nur  einen  geringen  Erfolg  gehabt.  Ausserdem  hat  er  noch  eine 
Cantate  und  Kanons  geschrieben. 

Hnrlebasch,  Heinrich  Lorenz,  tüchtiger  deutscher  Orgelvirtuose,  ge- 
boren am  8.  Juli  1666  zu  Hannover,  studirte  Ciavier-  und  Orgelspiel  nach 
einander  unter  Kniller,  Coberg  und  Ehrenstein,  worauf  er  in  Braunschweig 
Organist  an  der  St.  Magnikirche,  dann  nach  Delphin  Strunck's  Tode  1694  an 
der  Martins-  und  Egidienkirche  und  endlich  an  der  Katharinenkirche  wurde. 
Seinem  Orgelspiel  soll  Fertigkeit  im  hohen  Grade    eigen    gewesen    sein,    Tiefe 


Hurtado  —  Hus-Deßforges.  333 

aber  gemangelt  liaben.  —  Sein  Sohn  und  Schüler,  Konrad  rriedrich  H., 
geboren  1696  zu  Braunscbweig,  empfing  seine  höhere  musikalische  Ausbildung 
seit  1714  in  Hamburg  und  zwei  Jahre  später  in  Wien.  Hier  fehlte  es  ihm 
nicht  an  tonkünstlerischer  Anregung,  und  noch  ehe  er  1718  seine  Kunstreise 
nach  Italien  antrat,  zählte  er  schon  zu  den  fertigsten  Clavierspielern  seiner 
Zeit,  Während  seines  an  Ehren  reichen  dreijährigen  Aufenthalts  jenseits  der 
Alpen  verfasste  er  u.  A.  eine  Abhandlung  über  die  Harmonie,  welche  er  aber 
erst  1726  in  Braunschweig  vollendete.  Von  Italien  aus  besuchte  er  1721  zu- 
nächst München,  wo  man  ihn  nach  mehreren  Concerten  am  Hofe  vergebens  zu 
fesseln  suchte,  dann  das  übrige  Deutschland.  In  Folge  seiner  Oper  nL'inno- 
cenza  difesav.  wurde  er  1722  als  Hofkapellmeister  und  Organist  nach  Stockholm 
berufen;  da  man  ihm  aber  die  letztere  Stelle  schliesslich  vorenthielt,  so  reiste 
er  1725,  nachdem  er  noch  die  Oper  y>Ärmenio<i.  vollendet  und  aufgeführt  hatte, 
nach  Braunschweig  zurück.  Ein  Jahr  später  folgte  er  einem  Rufe  nach  Bai- 
reuth,  sodann  nach  Dresden  als  Kapellmeister,  gefiel  sich  aber  in  beiden  Stel- 
lungen nicht  und  siedelte  1727  nach  Hamburg  über,  wo  er  als  Musiklehrer 
privatisirte  und  fleissig  componirte,  so  u.  A.  Cantaten  und  Festmusiken,  die 
Oper  y>Flavio  Cunibertoa,  zahlreiche  Gesänge,  aber  auch  viele  Instrumental- 
sachen, namentlich  für  Ciavier,  Orgel  u.  s.  w.  Eine  Stelle  als  Organist  der 
dortigen  St.  Petrikirche,  die  ihm  1735  winkte,  lehnte  er  ab,  da  er  weder  die 
gebräuchliche  Probe  spielen,  noch  die  Wahlherren  um  ihre  Stimme  besonders 
ansprechen  wollte.  Dagegen  nahm  er  um  1738  das  Organistenamt  an  der  refor- 
mirten  Kirche  in  Amsterdam  an.  Am  Leben  war  er  dort  noch  1762,  aber 
schwer  geplagt  vom  Chiragra,  so  dass  er  kein  Amt  mehr  versah.  Ein  Choral- 
buch und  mehrere  Claviercompositionen  sind  die  einzigen  Arbeiten  von  ihm, 
welche  in  Holland  erschienen.  H.  war  ein  zierlicher  Ciavier-  und  guter  Orgel- 
spieler, auch  als  Componist  nicht  ohne  Talent  und  Erfindung,  allein  sein  fah- 
riges, dennoch  mit  grossem  Selbstbewusstsein  gepaartes  Wesen  hat  ihn  nur 
ausnahmsweise  über  eine  beklagenswerth  oberflächliche  Behandlung  .  hinaus- 
kommen lassen. 

HartadO)  Tomas,  musikgelehrter  spanischer  Priester,  geboren  1589  zu 
Toledo,  verfasste  als  Canonicus  des  dortigen  Minoritenordens  die  Abhandlung: 
y>De  chori  ecclesiastici  antiqidtate^  necessitate  et  fructibus^.  Er  starb  als  Präpo- 
situs  seines  Ordens  1659  zu  Sevilla. 

Hus-Desforges,  Pierre  Louis,  einer  der  ausgezeichnetsten  französischen 
Violoncellovirtuosen  und  geschmackvoller  Componist  für  sein  Instrument,  ge- 
boren am  14.  März  1773  zu  Toulon,  war  von  mütterlicher  Seite  her  ein  Enkel 
des  berühmten  Violinisten  Jarnowich.  Mit  acht  Jahren  kam  er  als  Chorknabe 
an  die  Kathedrale  von  La  ßochelle  und  erhielt  einen  guten  musikalischen 
Unterricht.  Im  J.  1792  trat  er  als  Trpmpeter  in  ein  Jägerregiment  und  machte 
die  ersten  Bevolutionskriege  mit.  Vier  Jahre  später  nahm  er  eine  Violon- 
cellistenstelle im  Orchester  des  Theaters  zu  Lyon  an,  ging  aber  bald  darauf 
auf  das  eben  gegründete  Pariser  Couservatorium ,  wo  er  bei  Janson  dem  Ael- 
teren  die  höheren  Violoncellostudien  machte  und  gleichzeitig  im  Orchester  des 
Theätre  des  irotibadours  wirkte.  Ende  1800  reiste  er  als  Orchesterchef  einer 
französischen  Schauspielergesellschaft  mit  nach  St.  Petersburg,  wo  er  mehrere 
Jahre  verblieb.  Seit  1810  befand  er  sich  auf  Concertreisen  in  den  franzö- 
sischen Provinzen  und  nahm  1817  wieder  seinen  bleibenden  Aufenthalt  in 
Paris,  wo  er  als  erster  Violoncellist  in  das  Orchester  des  Theaters  der  Forte 
St.-Martin  trat.  Im  J.  1820  errichtete  er  in  Metz  eine  Musikschule,  die  jedoch 
nicht  prosperirte,  weshalb  er  bald  nach  Paris  zurückkehrte  und  dort  anfänglich 
privatisirte.  Endlich,  1828,  trat  er  als  Orchesterchef  zum  Theater  des  Gymnase 
dramatique,  legte  aber  diese  Stelle  nothgedrungen  schon  1829  wieder  nieder, 
da  mau  ihn  als  den  Direktionspflichten  nicht  gewachsen  erklärte.  Er  nahm 
hierauf  die  Stelle  eines  Musiklehrers  an  der  Schule  zu  Pont-le-Voy  bei  Blois 
an  und   starb  als  solcher  am  20.  Jan.  1838.     Seine  ehemals  in  Prankreich  sehr 


334  Hustache  —  Huygliens. 

beliebt  gewesenen  Compositionen  bestehen  in  Concerten,  Sonaten,  Variationen, 
Duos  für  Violoncello,  Streichtrios  iind  Quintetten,  sowie  einer  concertirenden 
Sinfonie  für  Violine  und  Violoncello.  Ebenso  ist  er  der  Verfasser  einer  Vio- 
loncelloschule. 

Hustache,  Claude  Theodor,  französischer  Tonkünstler  und  Componist, 
geboren  am  16.  Febr.  1821  zu  Gray,  studirte  Claviersjjiel  und  Compositiou 
auf  dem  Conservatorium  zu  Dijon,  in  welcher  Stadt  er  sich  auch  als  Musik- 
lehrer niederlies.  Er  hat  von  seiner  Composition  Pianofortesachen  und  Ro- 
manzen veröffentlicht. 

Hut  (latein.:  pilea)  nennt  man  den  beweglichen  Deckel  auf  dem  gedeckten 
zinnernen  Pfeifenwerke  der  Orgel  (s,  Orgel  und  Gedakt).  Statt  des  Aus- 
drucks H.  gebraucht  man  auch  die  Bezeichnungen  Büchse,  Haube,  Deckel, 
Deckung,  Kappe  oder  Stülpe.  Die  Benennungen  Kappe  oder  Büchse  sind  in 
der  Fachsprache  der  Orgelbauer  mehrdeutig;  die  übrigen  Nameii  aber  beziehen 
sich   nur  allein  auf  den  Körper. 

Huth,  Louis,  gewandter  deutscher  Tonkünstler,  geboren  um  1810  im 
Mecklenburg'scheu ,  lebte  anfangs  in  Berlin  als  Orchester- Violoncellist  und  seit 
1835  als  Musiklehrer.  Im  J.  1843  ging  er  als  fürstl.  Theaterkapellmeister 
nach  Sondershausen  ab,  übernahm  aber  schon  1845  das  Theater  in  Potsdam 
auf  eigene  Rechnung  und  führte  dasselbe  bis  1849,  wo  ihn  die  ungünstigen 
Zeitverhältnisse  zum  Rücktritt  nöthigten,  in  trefilicher  Art.  Er  lebte  hierauf, 
Musikunterricht  ertheilend,  in  Potsdam  und  Hannover,  später  in  London,  wo 
er  1859  starb.  H..  war  ein  begabter  Gesangs-,  besonders  Liedercomponist; 
sein  »Hindumädchen«  und  »Der  Reiter  und  sein  Liebchen«  waren  längere  Zeit 
hindurch  in  ganz  Deutschland  gesungene  Artikel.  An  grösseren  Werken  hat 
er  das  Ox'atorium  »Die  Apostel  am  Pfiugsttage«  und  die  Opern  »Golo  und 
Genoveva«  und  »Bellarosa«  geschrieben. 

Hutscheuruyter,  Wilhelm,  geschickter  holländischer  Tonkünstler,  geboren 
am  28.  Decbr.  1796  zu  Rotterdam,  erhielt  mit  sieben  Jahren  von  dem  Musik- 
meister Dahmen  Violinunterricht;  später  lernte  er  Waldhorn  und  Trompete 
und  wurde  als  junger  Mann  schon  im  Stadtorchester,  sowie  im  Musikcoi-ps  der 
Bürgergarde  zu  Rotterdam  angestellt,  in  welchen  Corporationen  er  1822  zum 
Kapellmeister  aufrückte.  Von  achtem  Kunsteifer  beseelt,  begründete  er  1826 
das  zu  grosser  Bedeutung  für  das  ganze  Land  herangewachsene  Conccrtinstitut 
y)Eriidifio  musicaa  und  erhielt  für  seine  Verdienste  im  Laufe  der  Zeit  viele 
Auszeichnungen,  u.  A.  1858  den  Orden  der  Eichenkrone.  Rotterdam  hat  der 
auch  als  Mensch  hochgeachtete  Künstler  niemals  bleibend  verlassen  und  widmet 
sich,  obgleich  hochbetagt,  auch  noch  gegenwärtig  der  Direktion  seiner  Militär- 
kapelle und  eines  Kirchenchors.  Für  die  erstere  hat  er  viele  Harmoniemusik- 
sachen theils  componirt,  theils  arrangirt,  dann  aber  auch  für  grosses  Orchester 
Sinfonien  und  Ouvertüren  geschrieben.  Ausserdem  zählen  eine  Oper  r>Le  roi 
de  Bohemen,  viele  grössere  und  kleinere  Kircheustücke,  mehrstimmige  Gesänge 
und  einstimmige  Lieder  zu  seinen  Compositionen.  Reiner  Satz  zeichnet  alle 
seine  Arbeiten  vortheilhaft  aus. 

Huttari,  Jacob,  vortrefflicher  Violinist  des  18.  Jahrhunderts,  geboren  zu 
Schüttenhofen  in  Böhmen,  wurde  zu  den  besten  Vertretern  seines  Instruments 
im  ganzen  Lande  gerechnet  und  starb  im  J.  1787  zu  Prag.  Auch  seine 
Compositionen  für  Violine  wurden  als  werthvoU  und  geschickt  gearbeitet 
gerühmt. 

Hnyghens,  Constantin,  berühmter  holländischer  Dichter  und  auch  in  der 
Musik  sehr  erfahren,  im  Haag  1596  geboren,  war  Rath  und  Secretär  des  Prinzen 
von  Oranien  und  starb  am  28.  März  1687.  Musikalisch  ist  er  durch  seine 
anonym  im  Druck  erschienene  Abliandlung  zur  Klarstellung  der  Frage,  ob 
Instrumente  in  der  Kirche  zu  dulden  seien  (Haag,  1641),  sowie  durch  seine 
Schrift  »Orgelgebrüyk  in  de  Kcrke  der  vereenigtc  Nederlande«  (Amsterdam, 
1660)  bemerkenswerth.  —   Sein    Sohn    war  jener  Christian    H.,  den  man  als 


Huzler  —  Hyller.  335 

einen  der  grössten  Forscher  und  Entdecker  auf  den  Gebieten  der  Mathematik, 
Physik  und  Astronomie  rühmt.  Geboren  am  14.  April  1629  im  Haag,  studirte 
derselbe  seit  1649  in  Leyden  und  gab  sich,  nachdem  er  grosse  Reisen  nach 
Dänemark,  Frankreich  und  England  gemacht  hatte,  in  seinem  Vaterlande  in 
grösster  Zurückgezogenheit  seinen  grossartiges  Aufsehen  erregenden  Forsch- 
ungen und  Entdeckungen  hin.  Er  starb  am  8.  Juli  1695  im  Haag  und  hinter- 
liess  u.  A.  auch  die  musikalisch  werthvoUe  Schrift  y>Novus  eyclus  harmonicus«, 
welche  sich  in  der  von  Gravesande  besorgten  Ausgabe  seiner  Werke  (4  Bde. 
Leyden,  1724;  Amsterdam,  1728)  befindet.  In  derselben  beweist  er  mit  vielem 
Scharfsinn,  warum  die   Quintenfortschreitungen  falsch  seien. 

Hnzler,  Johann  Adam,  ein  geschickter  deutscher  "Waldhornbläser,  war 
um  1770  Stadtmusicus  zu  Nürnberg  und  lebte  daselbst  noch  im  J.  1795. 
Seine  beiden  Söhne  bildete  er  selbst  zu  Meistern  auf  seinem  Instrumente  aus. 
—  Von  diesen  musste  der  ältere,  Johann  Sigmund  H.,  geboren  1772  zu 
Nürnberg,  schon  früh  an  der  Seite  seines  Vaters  im  Orchester  zu  Tanz  und 
Aufführungen  mitwirken.  Im  J.  1807  wui'de  er  in  der  neuen  königl.  west- 
phälischen  Kapelle  zu  Kassel  angestellt,  war  aber  nicht  lange  mehr  wirksam, 
da  er  schon  im  Sommer  1808  starb.  An  Corapositionen  hinterliess  er  einige 
Hornconcerte  und  Quartette,  eine  Cantate,  »Frühlingsweihe  der  Hirten«,  die 
grosse  Oper  »Samora«  und  die  dramatische  Idylle  »Die  Laube«.  —  Sein  jün- 
gerer Bruder,  Johann  Ludwig  H.,  geboren  1780  zu  Nürnberg,  war  ebenfalls 
lange  Zeit  hindurch  ein  tüchtiger  Waldhornist,  warf  sich  später  aber  mit  Vor- 
liebe auf  die  Oboe,  auf  welcher  er  sich  nicht  minder  ausgezeichnet  haben  soll. 
Er  scheint  übrigens  Nürnberg  nicht  verlassen  zu  haben  und  dort  auch  ge- 
storben zu  sein.  —  Ein  Sohn  Johann  Sigmund's,  nämlich  Karl  H.,  lebte 
nach  dem  Tode  seines  Vaters  als  Waldhornist  und  Violinist  zu  Königsberg  in 
Preussen,  wendete  sich  aber  um  1816  dem  Studium  der  Sprachen  und  Realien 
zu  und  starb   1835  als   Conrector  der  Bürgerschule  daselbst, 

Hyacintliia  oder  Hyacinthien  nannten  die  Griechen  das  dreitägige  Fest, 
welches,  am  längsten  Tage  des  Jahres  beginnend,  in  Sparta  und  zunächst  in 
Amyklä  dem  Liebling  des  Apollon,  Hyacinthus,  zu  Ehren  gefeiert  wurde.  Es 
wurde  durch  Absingung  von  Hymnen  mit  Begleitung  von  Flöten  oder  einigen 
Saiteninstrumenten,  sowie  durch  andere  festliche  Spiele  mit  grossem  Pomp  be- 
gangen und  erhielt  sich  noch  bis  in  die  römische  Kaiserzeit  hinein.  Eine  ein- 
gehende Beschreibung  der  H.  hat  Athenäus  geliefert. 

Hyagnis,  der  älteste  griechische  Flöten bläser,  Vater  des  unglücklichen 
Marsyas,  lebte  ungefähr  1500  v.  Chr.  Er  soll  die  Doppelflöte  erfunden  und 
die  bisherige  Flöte  und  das  Flötenspiel  wesentlich  verbessert  haben.  Plutarch 
behauptet  sogar,  dass  er  die  Kunst  des  Flötenspiels  überhaupt  erst  erfunden 
habe.  Auch  soll  er  der  Leyer  des  Hermes  (Mercurs)  die  sechste  Saite  hin- 
zugefügt haben.  Burmaun  in  der  Ausgabe  von  Ovid's  Metamorphosen  (lib.  IV. 
400)  will  ihn  Oeagnis  genannt  wissen,  steht  aber  mit  dieser  Behauptung  ver- 
einzelt da. 

Hycaert,  s.  Ycaert. 

Hyde,  englischer  Trompetenvirtuose,  galt  in  der  Wendezeit  des  18.  und 
19.  Jahrhunderts  für  den  grössten  Meister  seines  Instruments  im  ganzen 
Inselreich. 

Hydraulos  (griech.:  vÖQavlog),  d.  i.  Wasserflöte,  ist  die  griechische  Bezeich- 
nung der  hydraulischen   Orgel  oder  AVasserorgel  (s.  d.). 

Hye,  Madame  de  la,  französische  Componistin,  Lehrerin  des  Pianoforte- 
und  Orgelspiels,  eine  Grossnichte  J.  J.  Ronsseau's,  lebte  und  wirkte  zu  Paris, 
wo  sie  im  Novbr.  1838  starb.  Sie  hat  Messen  und  andere  geistliche  Stücke, 
sowie  Opern,  Ciavier-  und  Orgelsachen,  Romanzen  u.  s.  w.  componirt,  ausserdem 
über  Harmonie  und  Contrapunkt  und  eine  Clavierschule  geschrieben.  Die  letz- 
teren Wei-ke  sind  jedoch  Manuscript  geblieben. 

Hyller,  Martin,  musikkundiger  deutscher  Theologe,  geboren  am  28.  Septbr. 


336  Hymaeos  —  Hymnos. 

1575  zu  Striegau    in    Schlesien,    ist    der   Verfasser    eines  y>Eneo7nium  musicesa 
Er  starb  1651  als  Consistorialratli  zu  Oels. 

Hymaeos  (griech.),  dasselbe  was  Epimylion  (s.  d.),  nämlich  ein  Müllerlied. 

Hyiuber,  Werner,  Componist  und  guter  Violinist,  geboren  1734  zu  Jech- 
nitz  in  Böhmen,  trat  1755  in  den  Orden  der  barmherzigen  Brüder  und  war 
1796  Musikdirektor  im  böhmischen  Kloster  Kukusen.  Er  war  zu  seiner  Zeit 
vortheilhaft  als  Componist  von  Messen  und  anderen  Kirchenwerken,  sowie  von 
Sinfonien  und  Violiuconcerten  bekannt. 

Hymeu  oder  Hymenaeos  (griech.)  hiess  eigentlich  der  Hochzeitsgesang, 
den  die  Begleiter  der  Braut  oder  angestellte  Chöre  von  Knaben  und  Jung- 
frauen sangen,  wenn  diese  aus  dem  väterlichen  Hause  in  das  des  Bräutigams 
geführt  wurde,  dann  in  späterer  Zeit  erst  personificirt  der  Hochzeitsgott  selbst, 
der  als  geflügelter  bekränzter  Knabe  mit  einer  Brautfackel  und  einem  Schleier 
in  den  Händen  dargestellt  wird.  Gleichbedeutend  mit  dem  Hochzeitsgesang  H. 
ist  das  Epithalamion  (s.d.), 

Hymnerophon  (aus  dem  Griech.)  nannte  der  dänische  Mechaniker  Riffelsen 
zu  Kopenhagen  ein  von  ihm  im  J.  1812  erfundenes  akustisches  Instrument, 
das  eine  sehr  bedeutende  Variation  der  Chladni'schen  und  ihnen  ähnlicher  Er- 
findungen zu  sein  scheint.  Es  besteht  aus  grossen  Bleigabeln,  welche  durch 
Tangenten  in  Bewegung  gesetzt  werden  und  messingene  Scheiben  berühren, 
die  auf  einer  durch  ein  Schwungrad  in  Bewegung  gesetzten  Walze  befestigt 
sind  und  auf  diese  Weise  die  Töne  hervorbringen. 

Hymui  saliares  (latein.)  waren  die  aus  der  ältesten  Zeit  stammenden  Ge- 
sänge der  Römer,  welche  die  Salii  oder  Priester  des  Mars  absangen,  wenn  sie 
am  ersten  Tage  des  Maimonats  als  am  Feste  des  Kriegsgottes  mit  den  dem- 
selben geweihten  heiligen  Geräthschaften  tanzend  (latein.:  salire,  d.  i,  hüpfen) 
dui'ch  die  Strassen  der  Stadt  Rom  zogen. 

Hyuiuolog'le  (aus  dem  Griech.)  nennt  man  die  Kenntniss  der  Kirchenlieder 
und  Kirchenlieddichter,  welche  letztere  insbesondere  auch  Hymnologen  heissen 
(s.  Kirchenlied). 

Hymnos  (latein  :  hjmnus,  Italien.:  Inno)  oder  Hymne  nannten  die  Griechen 
von  Alters  her  einen  Preis-  oder  Lobgesang,  welcher  zu  Ehren  der  Götter 
oder  Heroen  bei  feierlichen  Opfern  und  Festen,  oft  mit  Begleitung  der  Instru- 
mentalmusik, bisweilen  auch  unter  feierlichen  Tänzen,  gesungen  wurde  und  nach 
den  Gottheiten  verschiedene  Namen  und  Charaktere,  z.B.  Dithyrambus  (s. 
d.),  Päan  (s.  d.)  u.  s.  w.  erhielt;  dann  aber  auch  überhaupt  jedes  Loblied  oder 
jede  Ode,  worin  ein  übersinnlicher  oder  vorzüglich  erhabener  Gegenstand  im  höheren 
Schwünge  der  Kunst  besungen  wird.  Der  Hymnengesang  ist  uralt  und  bei 
allen  Völkern,  die  eine  ausgebildetere  Gottesverehrung  hatten,  ein  integrirender 
Theil  derselben  gewesen.  Die  herrlichsten  Muster  dieser  Gattung  religiöser 
Poesie  liefern  die  Psalme  der  Hebräer,  da  sie  dem  morgenländischen  Charakter 
und  ihrer  Religion  zufolge  noch  feuriger  und  religiöser  als  die  Hymnen  der 
Griechen  sind.  Letztere  waren  früher  fast  ganz  episch,  wie  z.  B.  die  unter 
dem  Namen  des  Homer  bekannt  gebliebenen;  sie  erzählten  die  Mythen  der 
Götter  und  gaben  von  ihnen  wie  von  den  Thateu  der  Menschen  eine  anschau- 
liche Schilderung.  Die  späteren  griechischen  Hymnen,  wie  die  des  Pindar 
und  Kallimachus,  sind  schon  mehr  lyrischer  Art  (s.  Lyrik).  Die  christlichen 
Hymnen  sind  unmittelbar  aus  den  Psalmen  der  Hebräer  hervorgegangen,  welche 
letztere  die  erste  Kirche  zugleich  mit  aller  Pietät  conservirte.  Sie  sind 
grössttntheils  ganz  lyrisch  und  sprechen,  hervorgegangen  aus  dem  frommen 
Drange,  dem  Herrn  ein  neues  Lied  zu  singen,  das  Gefühl  des  Menschen  aus, 
der  sich  zu  dem  Unsichtbaren  erhebt.  In  dieser  Art  sind  sie  der  Ausdruck 
der  verschiedensten  Stimmungen  des  menschlichen  Herzens.  Der  Apostel 
Paulus  unterscheidet  schon  zwischen  Psalmen,  Lobgesäugen  (vfipoi)  und  geist- 
lichen Liedern,  und  die  Kirche  sauctionirte  dem  entsprechend  die  Psalme, 
Hymnen  und   Cantica  und  beechräukte    die    ersteren  auf  den  bekannten  Psalter 


Hymnos.  337 

David's,  bezeichnete  mit  Gantica  die  übrigen  psalmenartigen  G-esänge  der  Bibel 
(so  im  alten  Testament  z.  B.  das  Canticum  Moysis,  das  Ganticum  trimn  puero- 
rum,  das  G.  Mzechiae  u.  s.  w. ,  aus  dem  neuen  Testament  das  G.  riMagnificata, 
y^Benedictus«  und  'nNunc  dimittisa)  und  gab  nur  den  vom  apostolischen  Zeitalter 
an  neu  hinzugekommenen  Gesängen,  welche  mit  den  Bitten  Lobgesänge  ver- 
einigten, den  Namen  Hymnen.  In  der  morgenländischen  (griechischen)  Kirche 
wird  der  Bischof  Hierotheus  (s.  d.),  in  der  abendländischen  (lateinischen) 
der  heil.  Hilarius  von  Poitiers  (s.  d.)  als  der  erste  angenommen,  welche 
schon  im  4.  Jahrhundert  Hymnen  eigens  für  den  gottesdienstlichen  Gebrauch 
verfasst  haben.  Aber  erst  durch  den  heil.  Ambrosius,  der  theils  seibat  neue 
verfasste,  theils  schon  vorhandene  aufnahm,  wurden  sie  direkt  in  das  Officium, 
und  zwar  zunächst  der  mailändischen  Parochie,  eingeführt.  Das  Ansehen  des 
Ambrosius  als  Hymnendichter  war  so  gross,  dass  man  neben  den  von  ihm 
selbst  verfertigten  auch  die  hinsichtlich  des  Sylbenmaasses  ihnen  nachgebildeten 
Hymnen  anderer  geistlicher  Dichter  Ambrosianische  Hymnen  nannte  und  der 
Ausdruck  nAmbrosianusa  zuweilen  gleichbedeutend  mit  nHi/jnnus«.  gebraucht 
wurde.  Auch  das  berühmte  r>Te  deiim  laudamusa  heisst  y^ Hymnus  Ämhrosia7ius<s. 
(der  Ambrosianische  Lobgesang),  wiewohl  er  erweislich  nicht  von  Ambrosius 
verfasst  ist  (s.  Ambr osianischer  Lobgesang).  Der  Gebrauch  der  Hymnen 
in  der  f^  mischen  Kirche  wurde  durch  das  vierte  Concil  zu  Toledo  im  J.  633 
verordnet;  in  der  römischen  Lithurgie  kommen  sie  erst  im  10.  Jahrhundert 
vor,  und  in  den  deutschen  Kirchen  scheinen  sie  nicht  vor  Ende  des  13.  Jahr- 
hunderts gebräuchlich  gewesen  zu  sein.  Einige  Parochien,  z.  B.  die  von  Lyon, 
haben  bis  heutigen  Tages  den  Ausschluss  der  Hymnen  aus  dem  Officium  fest- 
gehalten. 

Die  römische  Kirche  hat  im  Tagesofficium  eben  so  viele  Hymnen,  als 
dieses  Hören  oder  Stunden  in  sich  fasst,  nämlich  sieben;  jedoch  ist  ihr  Platz  darin 
verschieden.  Im  Matutin  (s.  d.)  folgt  der  H.  alsbald  nach  dem  Invitatorium, 
in  den  Lau  des  (s.  d.),  in  der  Vesper  imd  Complet  nach  den  Psalmen,  wobei 
nur  eine  kurze  Lesung,  das  Capitel,  eingeschaltet  ist  (gemäss  der  Anordnung  (?) 
des  Apostels:  psalmi,  hymni,  cantica).  In  den  kleineren  Hören  hat  der  H. 
seinen  Plr  z  vor  den  Psalmen.  Ausser  dem  Officium  hat  man  noch  bei  anderen 
kirjhiich.  a  Handlungen  Hymnen  zu  singen,  z.B.  bei  der  Priesterweihe  (y>Veni, 
Creator  piritus«),  bei  der  Benediction  mit  dem  AUerheiligsten  (i>Pange  liiigum), 
bei  Prozessionen  u.  s.  w.  Durch  Hymnen  angesungen  wird  überhaupt  nicht 
allein  der  dreieinige  Gott,  sondern  auch  die  Jungfrau  Maria  und  alle  Heiligen 
einzeln  oder  insgesammt.  Ueber  die  Anwendung  der  Hymnen  für  jede  Festzeit 
vollinhaltlich,  oder  mit  weggelassenen  oder  veränderten  Schlussformeln,  mit 
Orgelbegleitung  oder  ohne  dieselbe  giebt  das  JDirectorium  chori  (s,  d.)  Auf- 
schluss.  Was  den  musikalischen  Theil  der  christlichen  Hymnen  betrifft,  so 
sollen  sie  Muster  des  Ausdrucks  frommer  Stimmung  in  Tönen  sein;  ihre  Me- 
lodie hält  gleichen  Schritt  mit  dem  erhabenen  Schwünge  der  Verse  und  dient 
nur  um  so  mehr  dazu,  das  Wort  zu  verklären.  Sie  werden  daher  meist  mit 
figurirter  Musik  gesungen,  denn  die  langsame  und  gleichförmig  fortschreitende, 
oft  auch  im  Singen  gedehnte  Melodie  des  Chorals  würde  den  feurigen  Flug  des 
H.  hemmen.  Die  älteren  Hymnen  haben  in  der  Regel  eine  Note  über  einer 
Sylbe,  nur  am  Ende  der  Textzeile  findet  sich  zuweilen  ein  Neuma  (s.  d.).  An 
der  Absingung  der  Hymnen  betheiligte  sich   stets  der  ganze   Chor. 

Die  vorzüglichsten  Hymnendichter  oder  Hymnologen  der  katholischen  Kirche 
von  den  ältesten  christlichen  Zeiten  an,  wo  mau  noch  in  Prosa  dichtete  und 
den  freien  Psalmbau  der  Hebräer  zum  Muster  nahm,  bis  zum  15.  Jahrhundert, 
wo  das  feste  Metrum  und  der  Strophenbau  der  Griechen  und  Römer,  ja  sogar 
der  Reim  längst  gültige  Regel  war,  sind  aus  dem  »Lexikon  der  kirchlichen 
Tonkunst,  herausgegeben  von  P.  Utto  Kornmüller«  (Brixen,  1868)  im  Folgenden 
zusammengestellt.  Die  Nachrichten  über  die  Gesänge  des  apostolischen  Zeit- 
alters, heisst  es  daselbst,  sind  dürftig;  es  ist  aber  schon  durch  mehrere  bekannte 

Muailral.  Conveis. -Lexikon.     V.  22 


338  Hymnos. 

Stellen  des  Apostels  Paulus  (Coloss.  3,  IG;  Ephe«.  5,  18;  1.  Cor.  14,  26) 
unzweifelhaft,  dass  ausser  den  alttestamentlichen  Gesängen  auch  von  Anfang 
an  neue  Lieder  in  den  christlichen  Versammlungen  gesungen  wurden.  Im 
2.  Jahrhundert  nennt  man  als  Hymnendichter  den  Märtyrer  Athenogenes  (ge- 
storben 169)  und  Clemens  von  Alexandria.  Im  3.  Jahrhundert  findet  sich 
bereits  ein  grosser  Reichthxim  an  H.,  uud  als  vorzüglicher  Dichter  derselben 
wird  der  ägyptische  Bischof  Nepos  gerühmt.  Mit  dem  4.  Jahrhundert  beginnt 
ein  mächtiger  Aufschwung  der  christlichen  Poesie,  veranlasst  durch  die  damals 
erfolgte  Befestigung  der  neuen  Lehre,  sowie  durch  die  Bestrebungen  der  Hä- 
retiker, die  gerade  durch  Gesänge  ihre  Dogmen  in  das  Volk  zu  bringen  suchten. 
Ihnen  stellte  sich  Chrysostomos  mit  Gesängen  orthodoxen  Inhalts  schroff  gegen- 
über. In  der  morgenländisclien  Kirche  zeichnete  sich  in  derselben  AVeise  be- 
sonders der  heil.  Ephraem  aus.  Bei  den  Griechen  ist  aber  bereits  ein  Verfall 
der  Hymnendichtung  bemerkbar,  obwohl  derselben  Gregor  von  Nazianz,  Synesios, 
Bischof  von  Ptolemais  (5.  Jahrhundert),  Andreas,  Erzblscliof  von  Kreta  (ge- 
storben 724),  Germanus,  Patriarch  von  Koustantinopel,  Johannes  Damascenus 
u.  V.  A.  ihre  Kräfte  widmen. 

Als  eigentlicher  Begründer  des  lateinischen  Hymnengesanges  ist  der  heil. 
Hilarius  (s.  d.),  gestorben  3G8,  zu  betrachten,  obwolil  die  ihm  zugeschriebene 
Sammlung  von  anderen  Verfassern  herrülirt.  Den  sogenannten  englischen 
Lobgesang  y>Gloria  in  excelsis«,  welcher  in  der  Messe  gesungen  wird,  übertrug 
er  aus  dem  Griechischen.  Dem  Papst  Damasus,  gestorben  384,  werden  auch 
zwei  Hymnen  zuerkannt:  y>Deus  sacrata  nominisa,  dem  heil.  Andreas,  und  «Mar' 
tyris  ecce  diesa,  der  heil.  Agatha  zu  Ehren  gedichtet.  Des  heil.  Ambrosius 
Bedeutung  für  den  Hymnengesang,  die  bis  in  die  Gegenwart  reicht,  ist  weiter 
oben  anerkannt.  Er  gilt  für  den  Dichter  und  Sänger  folgender  Loblieder: 
y>Aeterne  verum  conditora;  y>Äd  regias  agni  dajjcsa;  nAeterna  coeli  gloria«;  y>Äeterna 
Christi  munerav.;  y>Au7'ora  jam  spargit  polumv;  r> Aurora  coelum  purpuratu ;  t>Con- 
sors  paterni  luminisa;  y>Oreator  ahne  sideruma;  y>Deus  tuorum  milituma;  y>En 
clara  voce  redarguitv. ;  y>Ex  more  docti  mysticon;  yiHominis  superne  conditora; 
y>Jam  Christus  astra  ascenderatv. ;  y>Jam  lucis  orto  sideren;  y>Jam  soL  recedit  igneusa; 
■nJesu  Corona  celsiorfs.;  r>Jesu  corona  virginuma;  »Immense  coeli  conditorn;  nLucis 
Creator  optime«;  y^Magnae  deus  potentiaea;  -nNox  atra  rerum  contegiti;  y>Rerum 
Creator  omniuma;  y>Rex  sempiterne  coelitum«;  »Salutis  humanae  sator«;  »Somno 
refectis  artubus«;  »Splendor  paternae  gloriaea;  »Summae  parens  clementiaev. ; .  »Te 
lucis  ante  terminuma;  »Telluris  ahne  condifora;  y>Te  trinitatis  veritas« ;  »Verbum 
supernum  prodiens  e  patrisu  u.  s.  w.  Der  heil.  Augustin  ist  hier  zu  erwähnen, 
weil  er  zu  »Ad  perennis  vitae  fontemv.  den  Stoff  lieferte  (Medit.  S.  August. 
cap.  25),  der  später,  vielleicht  durch  Peter  Damiani,  verarbeitet  worden  ist. 
Sicherer  wird  ihm  das  JPraeconium  paschale  »Exultet  jam  angelicis  choris«  am 
Charsonnabend  zugeschrieben,  und  der  Osterhyninus  »Cum  rex  gloriaev.  ist  ganz 
aus  seinen  Schriften  entnommen.  Dem  5.  Jahrhundert  gehört  noch  ausserdem 
der  mit  Recht  gefeierte  Hymnolog  Aurelius  Prudentius  Clemens  aus  Saragossa 
in  Spanien  (gestorben  412)  an.  Aus  seiner  Sammlung  von  Liedern  auf  alle 
Tage  (Liber  cathemerinon)  und  aus  seinen  Gesängen  auf  die  heiligen  Märtyrer 
(Liber  perisfephanon)  hat  die  römisch  katholische  Kirche  ungefähr  14  Hymnen 
wohl  nicht  ohne  Abänderungen  aufgenommen,  z.B.  »Ales  diei  nuntiusa ;  »Lux 
ecce  surgit  aureav.;  »Salvete  flores  martyrumK ;  »O  sola  magna  urbiuma;  »Quicun- 
que  Christum  quaeritisu  u.  A.  Sein  Zeitgenosse  ist  der  wahrscheinlich  schot- 
tische Presbyter  Sedulius  (gestorben  430),  Verfasser  eines  grösseren  (Opus 
paschale)  und  zweier  kleineren  Gesänge,  von  welchen  einer  die  Geschichte  Jesu 
in  23  Strophen  erzählt,  deren  jede  mit  einem  anderen  Buchstaben  des  Alpha- 
bets beginnt.  Hieraus  sind  die  zwei  Hymnen  »A  solis  ortus  cardinea  und 
»Hostis  Herodes  impiea  für  Weihnachten  und  Epiphanias  entlehnt. 

Im  6.  Jahrhundert  ist  es  zunächst  Venantius  Fortunatus  aus  Oberitalien, 
gestorben  um  600   als  Bischof  von  Poitiers,   von   dessen  Hymnen   mehrere   die 


Hymnos.  339 

kirchliche  Sanction  erlangt  haben,  z.  B.  y>Pange  lingua  gloriosi  certaminisa; 
y>Vexilla  regis  prodeunta;  y> Salve  festa  dies«;  y)Qu,em  terra  pontus  sideraa;  ^^Ag- 
noscat  omne  saeculum«.  Vor  Allen  aber  glänzt  Papst  Gregor  I.,  der  Verbes- 
serer des  Gottesdienstes  und  Kirchengesanges  (regierte  von  591  bis  604),  auch 
als  Hymnendichter;  seine  bekanntesten  derartigen  Lieder  sind:  »Audi,  benigne 
conditora;  y>Scce  jam  noctis  tenuatiir  umbraa;  »Primo  dierum  omniumn ;  y>I^octe 
surgentes  vigilemus  omnesa;  -nltex  Öhriste  factor  omnium«;  »Te  lucis  ante  ter- 
minuma.  Der  Zeit  nach  zunächst  ist  Beda  venerabilis,  geboren  um  672  in 
England,  zu  nennen,  den  schon  AValafr.  Strabo  als  geistlichen  Liederdichter 
anführt.  Von  seinen  11  Hymnen  wurde  nur  der  mit  nHymimm  canamus  glo- 
riaeii  noch  im  14.  Jahrhundert  am  Himmelfahrtstage  gesungen.  Weiterhin  tritt 
als  berühmt  Paul  Winfried,  genannt  Paulus  Diaconus,  gestorben  um  800  als 
Mönch  des  Klosters  Monte  Cassino,  hervor.  Er  diclitete  mehrere  Hymnen, 
von  denen  diejenige  zu  Ehren  des  heil.  Johannes,  beginnend  »  Tft  queant  laxis«, 
wegen  der  von  Guido  von  Arezzo  daraus  entnommenen  Solmisationssylben  ut, 
re,  mi,  fa,  sol  und  la  zu  einer  besonderen  Bedeutung  gelangt  ist.  Dem  Kaiser 
Karl  dem  Grossen  wird  der  H.  »  Veni,  creator  spiritusi.  zugeschrieben ,  so  sehr 
die  Wahrscheinlichkeit  dagegen  spricht.  Zu  den  Hymnologen  des  9.  Jahr- 
hunderts zählen  ferner:  Alcuin  (gestorben  804),  Paulinus  von  Aquileja  (ge- 
storben 804),  Walafried  Strabo  von  Reichenau  (gestorben  849),  Tutilo  von 
St.  Gallen  (gestorben  880),  Hrabanus  Maurus  (gestorben  856),  welchem  letz- 
teren die  bekannten  Hymnen  nOhriste,  sanctorum  decus  angeloruma,  »Festum 
nunc  celehren,  r>Tibi,  Christe,  splendor  patrisvi  ihren  Ursprung  verdanken  sollen, 
und  endlich  Theodulphus,  Bischof  von  Orleans  (gestorben  821),  der  Verfasser 
des  am  Palmsonntage  gesungenen  »Gloria,  laus,  Jionor«. 

Im  10.  Jahrhundert  entwickelte  sich  eine  eigßnthümliche  Poesie  in  den 
Sequenzen  (s.d.)  oder  Prosen  (s.d.),  Ihr  Urheber  oder  zum  wenigsten  ihr 
Beförderer  ist  Notker  Balbulus  der  Aeltere,  Abt  von  St.  Gallen  (gestorben 
912).  Durch  geistliche  Dichtungen  zeichneten  sich  in  derselben  Periode  aus: 
Odo  ,  Abt  von  Clugny  (gestorben  942),  Hucbald,  Mönch  von  St.  Amand  (ge- 
storben 932),  Ekkehard  (gestorben  966)  und  Notker  der  Jüngere  (gestorben 
975),  beide  Mönche  von  St,  Gallen.  Im  11,  Jahrhundert  treten  hervor:  Robert, 
König  von  Frankreich  (gestorben  1031)  mit  der  Sequenz  » Veni,  sancte  Spi- 
ritus«, Hermannus  Contractus  mit  der  Sequenz  »Jve  praeclara  maris  Stella« 
und  den  Antiphonien  »Alma  redemtoris  mater«  und  »Salve  regina«,  sowie  Petrus 
Damiani,  Abt  von  Avellano  (gestorben  1072),  einer  der  fruchtbarsten  geist- 
lichen Dichter,  mit  der  Osterhymne  »Paschalis  festi  gaudium«  und  dem  Gesänge 
»Ad  perennis  vitae  fontem«,  aus  den  Schriften  des  heil.  Augustinus  bearbeitet. 
Es  folgen  nun  die  besten  Hymnologen,  nämlich:  der  heil.  Bernhard,  Abt  von 
Clairvaux  (gestorben  1153),  mit  »Jesit,  dulcis  memoria«,  sodann  der  Doctor  an- 
gelicus  genannte  heil.  Thomas  von  Aquino  (gestorben  1174)  mit  seinen  Altars- 
Sacramentgesängen  »Pange  lingua  gloriosi  corporis«,  »Lauda,  Sion«,  »Adoro  te 
devote«  und  »  Verbum  supernum  j)i'odiens«,  ferner  der  heil.  Bonaventura  aus  dem 
Eranciscanerorden  (gestorben  1274),  der  viele  geistliche  Sänger  bildete  und  wie 
der  heil,  Bernhard  besonders  die  Jungfrau  Maria  besaug,  und  endlich  Tliomas 
von  Celano  (um  1250),  Sänger  des  »Dies  irae«,  sowie  Jacoponus  (gestorben 
1306),  von  dem  das  »Stabat  mater«  herrührt.  —  Vom  15.  Jahrhundert  ab  ist 
die  lateinische  Hymnographie  (eine  andere  Hess  die  römisch  katholische  Kirche 
nicht  gelten)  so  gut  wie  abgeschlossen,  obwohl  einige  werthvolle  H.  auch  später 
noch  vorkommen.  Im  Allgemeinen  aber  verlieren  die  betreffenden  Dichtungen 
immer  mehr  den  Hymnencharakter  und  gehen  in  weichliche,  spielende,  gekün- 
stelte Cantionen  oder  Lieder  über.  Die  Zeit  war  eben  eine  andere,  uukirch- 
lichere  geworden,  und  die  Nachahmung  des  Altclassischen  war  nicht  geeignet, 
nach  dieser  Seite  hin  zu  reformiren.  Am  bekanntesten  sind  aus  späterer  Zeit 
die  Liebesseufzer  des  heil.  Ignatius  »O  deus,  ego  amo  te,  nam  prior«,  des  heil. 
Eranciscus  Xaverius  »O  deus,   ego  amo  te ,   nee  amo  fe,  nt  salres  me«,  des  heil. 


340  Hypate  —  Hyper, 

Aloysius  »O  Christe,  pendens  arbore«  und  der  Marienhymuus  des  heil.  Casimir 
y>Omne  die  die  Mariaei. 

Die  unzähligen  Hymnendichter  und  Hymnen  in  allen  Sprachen,  welche 
nicht  ins  kirchliche  Officium  gelangten,  können  hier  nicht  berücksichtigt  werden. 
Eine  Reform  des  Breviers  Hess  Papst  Pius  V.  vornehmen  und  auf  96  Nummern 
bringen,  wobei  er  die  sanctionirten  Hj'^mnen  in  ihrer  ältesten  Form,  oft  in  Prosa, 
beibehielt.  Damit  aber  wollte  sich  der  durch  die  Renaissance  der  classischen 
Studien  und  Wissenschaften  geweckte  Geist  nicht  begnügen.  Schon  Urban  VIII. 
ernannte  eine  Commissiou  von  drei  Jesuiten,  welche  die  alten  Hymnen  poe- 
tischer gestalten  sollten ,  jedoch  nicht  überall  fanden  die  also  verbesserten  Ge- 
sänge Aufnahme.  In  Frankreich  unternahm  man  im  18.  Jahrhundert  eine 
Umgestaltung  des  Breviers  auf  eigene  Hand,  indem  man  eine  grosse  Anzahl 
der  kirchlich  anerkannten  Hymnen  ausmerzte  und  durch  modernere  ersetzte. 
Als  hervorragende  Dichter  derselben  werden  genannt:  Jean  Baptiste  de  San- 
teul,  geboren  1630  zu  Paris  und  Canonicus  von  St.  Victor,  und  Charles  Coffin, 
geboren  1676  zu  Paris  und  Rector  der  Universität  daselbst,  welcher  1749 
starb.  Die  durch  Compositionen  der  grössten  Tonmeister  besonders  berühmt 
gewordenen  Hymnen  sind:  y>Salve  Reginas,  r>Ave  Maria«,  »0  salutaris  hostiav, 
»  Veni,  creatora,  -oLaudate,  pueri«,  i^Regina  coeli«,  y>Laudetur  Jesus  Chrisfusa  und 
das  aus  dem  15.  Jahrhundert  stammende  y^Ave  verum  corpusa  von  unbekanntem 
Dichter.  Das  ^Gloria  in  excelsisi  oder  die  grosse  Doxologie  hat  den  beson- 
deren Namen  H.  angelicus  oder  evangelicus;  das  sogenannte  Trisagiura,  in  der 
griechisclien  und  lateinischen  Kirche  am  Charfreitag  gebräuchlich,  heisst  auch 
H.  trinitatis ;  das  Sanctus  —  JET.  triumphalis ;  der  von  den  Kirchenvätern  den 
Psalmen  aufgedrängte  Vers  -nGloria  patri  et  ßlio«  (die  kleine  Doxologie)  —  H. 
glorißcationis ,  und  endlich  heissen  Hymni  ej)istolici  die  vor  der  Epistel  und 
Hymni  evangelici  die  nach  der  Epistel  angestimmten  Lobgesänge. 

Hypate  (griech.)  war  der  Name  des  tiefsten  Tons  in  den  beiden  tieferen 
Tetrachorden  des  sogenannten  vollkommenen  etc.  Tonsystems;  nämlich:  Hypate 
hypaton  (latein.  Principalis  principalium) ,  d.  i.  der  Ton  I£  im  Tetrachord 
Hypaton,  tiefster  Ton  des  Tetrachordsysteras;  Hypate  meson  (latein.  Princi- 
palis mediarum),  d.  i.  der   Ton  e  im   Tetrachord  Meson  (s.   Tetrachord), 

Hypatoides  (grii^ch.)  hiess  die  tragische  Stylart  der  altgriechisolien  Melo- 
pöie  (s.  d.),  welche  sich  nach  Gebrauch  und  Uebereinkunft  in  den  tieferen 
Tonlagen  bewegte,  um  dadurch  Ernst  und   Trauer  zum  Ausdruck  zu  bringen. 

Hypaton  (griech.)  ist  der  Name  des  untersten  (ersten)  Tetrachordes  des 
altgriechischen  Tonsystems  und  umfasste  die  Töne  H—e  (s.  Tetrachord). 
—  Hypaton  diatonos  war  eine  andere  Benennung  des  Tones  Lichanos  hy- 
paton, d.  i.  unser   Ton  d  (s.  Tetrachord). 

Hyper,  deutscher  Orgelbauer  aus  Sachsen,  wahrscheinlich  im  17.  Jahr- 
hundert lebend,  errichtete  in  der  Stadtkirche  zu  Pegau  ein  Werk  mit  30  klin- 
genden  Stimmen,  welches   1790  reparirt  wurde. 

Hyper  (griech.),  d.  i.  über,  darüber.  Die  Alten  setzten  diese  Präpo- 
sition behufs  bestimmter  Bezeichnung  den  Intervallnamen,  theils  auch  den  Namen 
der  Tonarten  vor,  bei  ersteren,  um  die  aufwärts  gezählten  Intervalle  oder  Ober- 
intervalle von  den  herunterwärts  gerechneten  oder  Unterintervallen  zu  unter- 
scheiden: z.  B.  Hyperdifonos,  Oberterz,  Hyperdiapason,  Oberoctave  u.  s.  w.  Dies 
geschieht  aber  nur  in  Fällen,  wo  es  ausdrücklich  darauf  ankommt,  das  Ober- 
von  dem  Unterintervall  zu  unterscheiden;  sonst  genügte  schon  einfach  Ditonos  und 
Diapason  ebenso,  wie  man  heutzutage  unter  Terz  und  Octave  stillschweigend  die 
Oberterz  und  Oberoctave  versteht  und  sie  nur  dann  ausdrücklich  derartig  be- 
zeichnet, wenn  man  möglicher  Weise  auch  das  gleichnamige  Unterintervall  an- 
nehmen könnte.  Für  H.  kommt  bei  Intervallnaraen  synonym  auch  die  Prä- 
position Epi  vor,  so  dass  also  z.  B.  Epidiapente  völlig  gleichbedeutend  mit 
Hj-perdiapente,  d.  i.  die  Oberquinte,  ist.  Den  Namen  der  Tonarten  vorge- 
setzt, bezeichnete  H. ,    dass    die  Stammtouart  um   eine  Quarte  höher  zu  trans- 


Hyperäoliscli   -  Hypo.  341 

poniren  sei;  die  dorische  Tonart  d—d^  hiess  also,  auf  g  —  g^  versetzt,  hyper- 
dorisch. 

Hyperäolisch  nannten  die  Griechen  die  14.  Transposition  der  Mollscala 
in  die  Octave  b  —  b"^,  also  nur  eine  um  eine  Octave  höhere  Wiederholung  von 
B  —  b^  hypojonisch   (s.   Tetrachord).     In  der   mittelalterlich  -  kirchlichen   Ton- 

kunst  bezeichnete  dieser  Name  die  Octavgattung  Ticdefgah  (authentisch) 
und  findet  sich  im  Glareanischen  System  zwar  aufgeführt,  aber  nicht  mitgezählt, 
weil  sie  nicht  im   Gebrauch  gewesen  (s.  Tonart). 

Hyperbolaeou  war  der  Name  des  fünften  und  höchsten  Tetrachords  (e^  —  a^) 
des  altgriechischen  Tonsystems  (s.  Tetrachord).  —  H.diatonos  dagegen 
war  eine  andere  Benennung  des   Tones   Paraneie  hyperbolaeon,  d.  i.  g"^. 

Hyperbolisch  (aus  dem  Griech.),  ein  aus  der  Rhetorik  in  die  Kunstsprache 
übergegangener  Ausdruck,  abgeleitet  von  Hyperböle,  d.  i.  Uebertreibung,  be- 
zeichnete bei  den  Griechen  alle  in  einem  übertriebenen,  schwülstigen  und  ge- 
suchten  Styl  verfassten  Dichtungen  und  Gesänge. 

Hyperdi.apason  (griech.),  die  Oberoctave  (s.  flyper). 

Hyperdiazeuxis  (griech.)  nannten  die  altgriechischen  Kunstlehrer  die  Tren- 
nung zweier  Teti'achorde  durch  das  Intervall  einer  Octave,  wie  eine  solche  bei 
den   Tetrachorden  Sgpaton  und   Hyperlolaeon  stattfindet  (s.  Tetrachord). 

Hyperdltouos   (griech.),  die  Oberterz  (s,  Hyper). 

Hyperdorisch    oder    mixolydisch     hiess    bei     den    Griechen     sowohl    die 

Octavgattung  h  c  d  e  f  g  a  h,  als  auch  als  Tonart  die  auf  (7— y'  trans- 
ponirte  Mollscala  (s.   Tetrachord). 

Hyperiouisch,  bei  den  Griechen  die  12.  Transposition  der  ^-wioZZ- Tonleiter 

auf  die   Octaven  g  —g  ,  wurde  auch  das  höhere  Mixolydisch  genannt. 

Hyperlydisch  hiess   bei  den  Gi'iechen    als    Octavgattung    unser  g  a  Ti  c 

d  e  f  g  (mit  der  hypophrygischen  oder  ionischen  zusammenfallend)  und  als 
Tonart  die  15,,  auf  h—h"^  transponirte  Molltonleiter,  welche  die  um  eine  Octave 
höhere  Wiederholung  von  S—l},  hypophrygisch  (oder  ionisch)  ist  und  erst 
in  späterer  Zeit  hinzugekommen  ist. 

Hypermeter  (griech.)  heisst  in  der  Metrik  ein  Vers  mit  einer  die  gesetz- 
mässige  Länge  überschreitenden  Schlusssylbe,  welche  mit  der  Anfangssylbe  des 
folgenden  Verses  zusammengelesen  oder  gesungen  wird,  wie  dies  namentlich  in 
den  iambischen,  trochäischen  und  daktylischen  Versen  der  altrömischen  Dichter 
der  Fall  ist,  wobei  eine  Elision   stattfindet. 

Hypermixolydisch  hiess  bei  den  Griechen  die  auf  a  —  a^  transponirte  Moll- 
scala (hyperphrygisch)   (s.   Tetrachord). 

Hyperphrygisch  nannten  die  Griechen  als  Octavgattung  ahcdefga, 
welche  mit  der  hypodorischen  (äolischen)  zusammenfiel  und  ebenfalls  die  13. 
Tonart  (auch  hypermixolydisch  geheissen),  nämlich  die  auf  a  —  a^  transponirte 
Molltonleiter,  eine  um  eine  Octave  höhere  Wiederholung  von  A— a}  (hypo- 
dorisch).    In  der  mittelalterlich-kirchlichen  Tonkunst  hiess  H.  die  Glareanische 

Octavgattung  fgahcdef  (plagalisch) ,  Nebenton  von  hcdefgah 
hyperäolisch  authentisch,  welche  aber  ebenso  wie  ihr  Hauptton  niemals  im 
kirchlichen   Gebrauch  gewesen  ist  (s.   Tonart). 

Hypo  (griech.),  d.i.  unter,  darunter.  Die  griechischen  und  mittelalter- 
lichen Kunstlehrer  setzten  diese  Präposition  den  Namen  der  abwärts  gerech- 
neten Intervalle  vor,  um  dieselben  von  den  aufwärts  gezählten  zu  unterscheiden, 
z.  B.  Sypoditonos,  Unterterz;  Hypodiatessaron,  TJnterquarte;  Hypodiapente,  Unter- 
quinte; Hypodiapason,  Unteroctave  u.  s.  w.  Speciell  die  Griechen  setzten 
H.  auch  den  Namen  der  lünf  Haupttonarten  vor,  um  damit  ihre  um  eine 
Quarte  tiefer  transponirten  Nebentonarten  zu  bezeichnen.  So  ist  6?—t?*  dorisch, 
aber  Ä  —  a>    hypodorisch.     Hierüber,    sowie    über    die  Anwendung    dieser  Prä- 


342  Hypoäolisch  —  Hypoionisch. 

Position  auf  die  2.,  5.  und  8.  Octavgattung  findet  man  Näheres  unter  Tetra- 
chord.  In  den  Kirchentönen  und  Tonarten  des  16.  Jahrhunderts  ist  H.  die 
Unterscheidungspartikel  der  plagalischen  Nebentöne  von  ihren  authentischen 
Haupttönen,  auf  deren  Unterquarte  ihr  Ambitus  (s.  d.)  beginnt.  Der  pla- 
galische  Nebenton  der  dorischen  Tonart  heisst  demnach  hypodorisch  (auch 
doriiis  remissus),  der  der  lydischen  desgleichen  liypolydisch  (lydius  remissus) 
U.S.W,   (s.   Tonart,  Authentisch,    Plagalisch). 

Hypoäoliscli  hiess  bei  den  Griechen  die  vierte  Transposition  der  A-moll- 
Tonleiter  auf  c  —  c"^,  ursprünglich  tieferes  Hypolydisch  genannt.  Die 
mittelalterlich -kirchliche  Tonkunst  bezeichnete  mit  H.  oder  aeolius  remissus, 
aeolius  plagalis  die  10.  Octavgattung  (des  Glareanischen  Systems),  die  Plagale 
von  äolisch  (s.d.),  nämlich  e  f  g  a  h  c^  d^  e\  Von  Choralmelodien  bis  um 
1600  stehen  ursprünglich  in  diesem  Ton:  »Allein  zu  dir,  Herr  Jesu  Christcf, 
»War'  Gott  nicht  mit  uns  diese  Zeit«,  »Wo  Gott  der  Herr  nicht  bei  uns 
hält«,  »Vater  unser,  der  du  bist«  und  »Kyrie  eleison«.  Im  transponirten  System 
hat  der  H.-Modus  der  christlichen  Zeit  die  Gestalt:  A  h  e  d  e  f  g  a.  Bei- 
spiele aus  den  Choralgesängen  hierfür  giebt  es  nicht.  Im  altchristlichen  System 
der  acht  Kirchentonarten  ist  er  gleich  seiner  authentischen  Tonart  noch  nicht 
vorhanden. 

Hypodiapasou,  Hypodiapeute,  Hypodiatessarou,  Hypoditouos,  s.  Hypo. 

Hypodiazeuxis  (griech.)  bezeichnete  in  der  Musik  der  Griechen  den  Zwischen- 
raum einer  Quinte,  die  sich  zwischen  zwei  Tetrachorden  befindet,  welche  durch 
ein  drittes  Tetrachord  von  einander  abgesondert  sind.  So  macht  der  tiefste 
Ton  des  Tetrachords  Meson  (Hypate  meson,  d.  i.  unser  e)  gegen  den  tiefsten 
Ton  des  Tetrachords  Diezeugmenon  (Paramesos,  d.  i.  unser  h)  das  Intervall 
einer  Quinte  aus,  während  beide  Tetrachorde  durch  das  dazwischen  liegende 
Tetrachord  Synemmenon  getrennt  sind. 

Meson.  Diezeugmenon. 


1      .n      7,      ^1     ,;i      gl 


f    g     a     h     c^     d^     h     c^     d' 


1 


J 


Synemmenon. 
Hypodorisch  hiess    bei    den  Griechen    als  Octavgattung    (auch   äolisch  ge- 
nannt)   die    Reihe  a  h  c^  d^   e^  f^  g^   a} ,    als  Tonart    dagegen    die    auf  A  —  a^ 
transponirte    Mollscala.     In    der    christlichen    Zeit    war    H.    als    Octavgattung 

a  h  c^  d^  e^  f^  g^  a}  plagalisch  und  führte  auch  den  Namen  Tonus  secundus, 
d,  i.  zweiter  Ton  oder  Flagis  proti.  In  den  Tonarten  des  16.  Jahrhunderts 
ist  der  Modus  hypodorius  oder  dorius  remissus,  dorius  plagalis  gleichfalls  der 
sogenannte    zweite    Ton.     Das    reguläre  System    zeigt    ihn    in    dieser    Gestalt: 

a  h  c^  d^  e^  f^  g^  a^ ,  das  transponirte  System  also:  d^  e* /^  g^  a^  6*  e^  d^. 
Bis  zum  16.  Jahrhundert  sind  nur  Choräle  im  letzteren  vorhanden  und  zwar: 
»Nun  kommt  der  Heiden  Heiland«,  »Helft  mir  Gottes  Güte  preisen«,  nPuer 
natus  in  BeÜehemi,  r>Surrexit  Christus  liodiev.,  »Christe,  der  du  bist  Tag  und 
Licht«,  »Kommt  her  zu  mir,  spricht  Gottes  Sohn«,  »Was  mein  Gott  will«, 
»Von  Gott  will  ich  nicht  lassen«,  »Hilf  Gott,  dass  mir  gelinge«.  Vgl.  Sethus 
Calvisius,  Exercit.  mus.  duae  etc.  I.  21. 

Hypoiastisch  oder 

Hypoionisch  nannten  die  Griechen  die  zweite  Transposition  der  A-moll- 
Scala  auf  die  Octaven  B  —  h^,  auch  tieferes  Hypophrygisch  geheissen  (s.  Te- 
trachord). Im  alten  Gregorianischen  System  der  acht  Töne  ist  der  h.  ge- 
nannte noch  nicht  vorhanden;  im  späteren  Glareanischen  System  ist  dieser 
Modus  dagegen  die  12.  Octavgattung,    Plagale    des  Haupttons    ionisch  (c  —  c^), 

die    im    regulären   System    von    dem  Klange  g  (also  g  a  h  c^  d^  e^  f^  g^),  im 

transponirten   aber  von  c  {?l\bo  c  d  e  f  g  a  h  c^)  beginnt   und  gewöhnlich  der 


Hypokritika  —  Hypophrygisck.  343 

ßechste  Ton  genannt  wird.  Nur  ein  Beispiel  aus  den  Kirchengesängen  bis 
1600  findet  sich  im  regulären  System  des  h.en  Modus  oder  ionicus  remissus 
(ionicus  plagalis),  nämlich  »Herzlich  lieb  hab'  ich  dich,  o  Herr«,  sehr  viele 
jedoch  im  transponirten  System,  als:  »Ein  Kindeleiu  so  löblich«,  »/n  dulci 
jubiloa,  »Komm,  heiliger  Geist,  Herre  Gott«,  »Nun  bitten  wir  den  heiligen  Geist«, 
»Allein  Gott  in  der  Höh'  sei  Ehr'«.  »Herr  Gott,  dich  loben  alle  wir«,  »Hilf 
Gott,  wie  geht  das  immer  zu«,  »Es  spricht  der  Unweisen  Mund  wohl«,  »In 
dich  hab'  ich  gehoffet,  Herr«,  »Nun  lob'  mein'  Seel'  den  Herrn«,  »An  Wasser- 
flüssen Babylons«,  »Nun  freut  euch,  hebe  Christen  gemein«,  »Herr  Christ,  der 
einig'  Gottes  Sohn«,  »Sie  ist  mir  lieb,  die  werthe  Magd«,  »0  Herre  Gott,  dein 
göttlich's  Wort«,  »Ich  dank'  dir,  lieber  Herre«,  »Nun  schlaf,  mein  liebes  Kin- 
delein«,  »Danket  dem  Herrn  heut  und  allezeit«,  »Nun  lasst  uns  Gott  den  Herrn«, 
»Ach,  wie  elend  ist  unser  Zeit«,  »Wenn  wir  in  höchsten  Nöthen  sein«,  »Wer 
Gott  vertraut,  hat  wohl  gebaut«,  »Wenn  mein  Stündlein  vorhanden  ist«,  »Es 
ist  gewisslich  an  der  Zeit«,  »0  Lamm  Gottes  unschuldig«;  y>Jam  moesta  quiesce 
querula«;  nDicimus  grates  tibi«.  Vgl.  Sethus  Calvisius,  Exercit.  mus.  duae 
etc.  (1600). 

Hypokritika  (griech.)  war  bei  den  alten  Griechen  die  Kunst  der  rhyth- 
mischen Bewegungen  und  ausdrucksvollen  Gebehrden  (OrcJiesis  oder  Orchestik), 
womit  der  Bühnendarsteller  seine  Reden  und  Gesänge  begleitete  und  eindring- 
licher gestaltete.  Declamation  und  Action  wurden  auch  abgesondert:  der  eine 
Schauspieler  declamirte  oder  saug,  und  ein  anderer,  der  aber  mit  ihm  eine  und 
dieselbe  Person  repräsentirte,  führte  die  Action  und  Mimik  dazu  aus.  Man 
findet  die  H.  auch  als  Wissenschaft  der  Handgebehrden  (Chironomie)  erklärt, 
jedoch  umfasst  sie  mehr  als  diese,  indem  sie  die  Stellungen  und  Bewegungen 
des  ganzen  Körpers,  überhaupt  alles,  was  zur  körperlichen  Action  gehört,  in 
sich  fasst.  Diese  Gebehrdenkunst  aber  war  bei  den  Alten  eine  ausgebildete 
Wissenschaft,  deren  Studium  Jeder,  der  öffentlich  auftrat,  aufs  Gewissenhafteste 
sich  angelegen  sein  Hess.  Den  Schauspielern  wurden  die  Gebehrden  vor- 
geschrieben und  von  ihnen,  ähnlich  wie  Dichtung  und  Gesang,  auswendig  ge- 
lernt. Nach  der  Eintheilung  der  Musik  durch  Aristides  Quintilianus  gehört 
die  H.  neben  der  organischen  (Instrumental-)  und  odischen  (Vocal-)  Musik  zu 
demjenigen  Theil  der  praktischen  Tonkunst,  der  die  Gegenstände,  welche  die 
Ausführung  und  Darstellung  betreffen,  umfasst. 

Hypolydisch  nannten   die  Griechen  als   Octavgattung  die  Reihe  f  q  a  h  c^ 

d^  e^  f^ ,  als  Tonart  die  auf  c  —c  transponirte  Mollscala  (s.  Tetrachord). 
Im  christlichen  Mittelalter  war  der  Modus  hypolydius  oder  lydius  remissus, 
lydius  plagalis ,  die  im  regulären  System  vom  Klang  c  (also  c  d  e  f  g  a  h  c^), 
im  transponirten  System  von  f  aus  gebildete  Reihe  (f  g  a  h  c^  d^  e^  f^). 
Von  Beispielen  aus  den  Choralgesängen  in  dieser  Tonart  war  bis  zum  J.  1600 
nur  ein  einziges  vorhanden,  nämlich  »^.r  legis  oiservantiaa  (im  Sysfema  trans- 
positum). 

Hypomixolydisch  ist  in  der  christlich-mittelalterlichen  Tonkunst  die  Octav- 
gattung  d^  e^  f^  g^  a^  h^  <?*  d'^    plagalisch,    Nebenton    von   G—g   mixolydisch 

authentisch  (s,  Tonart).  Der  Modus  hypomixolydius  oder  mixolydius  remissus, 
mixolydius  plagalis,  heisst  auch  der  achte  Ton  und  beginnt  im  regulären  System 
vom  Klange  d^,  im  transponirten  von  g  (also  g  a  b  c^  d^  e^  f^  g^)  aus.  Har- 
monische Beispiele  aus  den  Choralgesängen  bis  1600  finden  sich  nur  folgende 
im  regulären  System:  »Gelobet  seist  du,  Jesu  Christ«,  »Danksagen  wir  Alle«, 
y>Festum  nunc  celebre  magnaque  gaudia«,  »Dies  sind  die  heiligen  zehn  Gebot'«, 
»Gott  sei  gelobet  und  gebenedeit«. 

Hypophrygisch  hiess  bei  den  Griechen   als  Octavgattung   unser  g  a  h  c  d 

e  f  g  (auch  ionisch  genannt)  und  als  Tonart  die  auf  H—W  transponirte  Moll- 
scala   (s.   Tetrachord).     Im    christlichen    Mittelalter    war    der    Modus    hypo- 


344  Hjpoproslambanomenos  —  Hyrtl. 

phrygius  oder  phn/ffius  remissus,  phrygius  plagalis  Nebenton  von  e  —  e^  phrygisch 
authentisch  und  hiess  auch  der  vierte  Ton  (quartus  tonus  oder  plagis  deutet-)). 
Er  liegt  in  der  siebenten  Octavengattung,  welche  im  regulären  System  von 
h  quadratum  (unser  h),  also  h  c*  d^  e'  /'  g^  a^  h\  im  transponirten  aber  von 

e    aus    (e  f  g  a  h  c^  d^   e^)    geleitet    wird.     Folgende    der    Choralmelodien    bis 

zum  J.  1600  stehen  ursprünglich  in  der  h.en  Tonart  (Systema  regul.):  »Herr 
Gott,  dich  loben  wir«,  »Erbarm'  dich  mein,  o  Herre  Gott«,  »Die  Welt  ist  nichts 
zu  unser  Zeit«,  »Mitten  wir  im  Leben  sind«,  »Also  heilig  ist  der  Tag«;  (Sy- 
stema trannp.):  »Nun  lasst  uns  den  Leib  begraben«. 

Hypoproslainbanoiiienos  (griech.;  laiein.:  superassumtus  sc.  tonus)  bezeich- 
nete in  der  altgriechischen  Tonkunst  don  noch  unter  dem  Proslambanomenos 
des  griechischen  Tonumfangs  (unserem  heutigen  Ä)  befindlichen  Ton  G,  wel- 
cher auch  Epiproslambanomenos  genannt  wurde. 

Hyporchemata  (griech.)  war  bei  den  Griechen  des  classischen  Alterthums 
eine  bestimmte  Gattung  von  lyrischen  Dichtungen,  die  singend  vorgetragen  und 
von  Listrumenten  und  Tanz  begleitet  wurden.  Nach  dem  Zeugniss  des  Athe- 
näus  soll  das  Hyporchema  grosse  Aehnlichkeit  mit  einem  sonst  Kordax  ge- 
nannten komischen  griechischen  Tanze  gehabt  haben.  Dem  aber  widerspricht 
Menander's  Angabe,  welcher  behauptet,  die  H,  seien  gleichwie  die  Päane  dem 
Apollo  heilig  gewesen,  woraus  man  denn  bestimmt  auf  einen  viel  ernsteren 
Charakter  schliessen  müsste.  Ausgeführt  wurde  dieser  Singtanz  um  den  Altar 
herum,  sobald  das  heilige  Feuer  angezündet  war  und  das  Opfer  zu  verzehren 
anfing.  Vgl.  Marpurg,  »Krit.  Einleit.  in  die  Gesch.  und  Lehrs.  der  Musik« 
(1759)   S.  40  und  41. 

Hypo  syuaphe  (griech.)  bezeichnete  in  der  altgriechischen  Musik  die  Tren- 
nung zweier  Tetrachorde  durch  ein  drittes  dazwischen  gelegtes,  welches  aber 
mit  jedem  der  beiden  getrennten  Tetrachorde  ein  verbundenes  Tetrachord  aus- 
macht, wobei  die  gleichen  (d.  h.  die  ersten,  zweiten,  dritten,  vierten)  Töne  der 
getrennten  Tetrachorde  immer  eine  kleine  Septime  aus  einander  stehen.  Dieser 
Fall  findet  statt  bei  den  beiden  Tetrachorden  Hypatou  und  Synemmenon, 
welche  durch  das  Tetrachord  Meson  getrennt  sind,  während  dieses  letztere 
mit  jedem  jener  beiden  verbunden  ist: 

Hypaton.  Synemmenon. 


Sedefgahc^d^ 

]__., ( 

Meson. 


Hypotas  (griech.)  ist  der   Name    für   jedes  der  sogenannten  grossen  Nota- 
tionszeichen in   der  Musik  der  griechisch-katholischen  Kirche.  2. 

Hypsil  ist  in  der  griechisch-katholischen   Kirche  der  Name  für  das  durch 

X  dargestellte  Musikzeichen,   welches   für  die  Tonphrase   z^     ^^=^ — ^^|  gesetzt 


wird  und  in  dem  demotischen   Schriftzeichen   -1  der  alten  Aegypter  seinen  Ur- 
sprung haben  soll.  2. 

Hyrtl,  Jacob,  vorzüglicher  österreichischer  Oboevirtuose,  geboren  im 
J.  1769,  war  Anfangs  Mitglied  der  fürstl.  Eszterhazy'schen  Kapelle,  später 
erster  Oboist  am  Leopoldstädter  Theater  in  Wien,  woselbst  er  am  17.  April 
1852  starb. 


I  —  Jackson.  S4b 


I.  J. 

I,  der  neunte  Sprachlaut  des  deutschen  Alphabets,  ist  von  Kirnberger 
der  zwischen  der  übermässigen  Sexte  und  der  kleinen  Septime  liegenden  zu 
kleinen  natürlichen  Septime  7  : 4  beigelegt  worden.  Dieser  Theoretiker  unter- 
nahm es,  dieses  als  consonirend  erklärte  Intervall  in  die  praktische  Musik  ein- 
führen zu  wollen  und  einen  consonirenden  Vierklang  c  e  g  i  aufzustellen,  den 
auch  Fasch,  aber  ohne  weiteren  Erfolg,  für  nothwendig  erklärte  und  sich  des- 
selben bediente  (s.  Septime).     Als  Tonbeneunung  auf  dem  Notensystem  (der 

Tabulatur)  der  Lauteninstrumente  stellen  i  und  ii  die  Klänge  /'  und  h  (auf 
der  sogenannten  Clainsancksait)  vor. 

Jacchini,  Giuseppe,  berühmter  italienischer  Violoncellist,  war  zu  Anfang 
des  18.  Jahrhunderts  an  der  Kirche  San  Petronio  in  Bologna  als  Instrumen- 
talist angestellt  und  zugleich  auch  Ehrenmitglied  der  philharmonischen  Aka- 
demie jener  Stadt.  Er  hat  Instrumentalstücke  componirt,  unter  diesen  Concerti 
da  Camera  «  3  <s  4  stromenti  con    Violoncello  oblujato  (Bologna,   1701). 

Jacchus  (latein. ;  griech.:  lakchos),  ein  Beiname  des  Bacchos,  als  Sohn  der 
Demeter  und  des  Zeus,  war  anfänglich  auch  eine  Bezeichnung  des  Festgesanges, 
welcher  bei  Abholung  des  Bildes  dieses  Gottes  aus  dem  Kerameikos  zu  Athen 
nach  Eleusis  abgesungen  und  in  welchem  unter  feierlichen  Anrufungen  J.  ein- 
geladen wurde,  an   dem  Feste  Theil  zu  nehmen  und  es  anzuführen. 

Jachet  oder  Jaquet  und  Jacques  von  Mantua,  s.  Berchem. 

Jachimek,  Franz,  rühmlichst  bekannter  ungai-ischer  Pianist,  der  aufweiten 
Concertreisen  im  fünften  und  sechsten  Jahrzehnt  des  19.  Jahrhunderts  all- 
gemeine Anerkennung  sich  erwarb,  fand  sein  Ende  bei  einem  Schiffbruch 
zwischen  China  und  Japan  im  März  oder  April  1870,  nachdem  er  kurz  zuvor 
mit  grossem  Erfolg  einige  Concerte  in  Peking  gegeben  hatte. 

Jachmann-Wag-ner,  s.  Wagner. 

Jackson,  Edward  W.,  englischer  Musikfreund,  geboren  um  1805,  lebte 
als  Rentier  und  Friedensrichter  in  einer  Ortschaft  unweit  London.  Er  hatte 
in  seinem  12.  Jahre  Violinspiel  gelernt,  dasselbe  lange  mit  Eifer  betrieben, 
dann  aber  im  Drange  anderer  Geschäfte  bei  Seite  gelegt.  Als  er  dasselbe  im 
54.  Jahre  zu  TJnterhaltungs-  und  Erziehungszwecken  seiner  starken,  namentlich 
aus  Töchtern  bestehenden  Familie  wieder  aufnehmen  wollte,  machte  er  die 
"Wahrnehmung,  dass  Finger  und  Hand  ihm  schon  nach  wenigen  Minuten  er- 
lahmten. Um  der  Unbeweglichkeit  und  Schwäche  der  Finger-  und  Handgelenke, 
die  auch  Musiklernenden  oft  grosse,  die  Gesundheit  gefährdende  Anstrengungen 
bereiteten,  abzuhelfen,  verfiel  er  auf  eine  rationelle  gymnastische  Methode,  welche 
er  auf  einer  grösseren  Reise  nach  dem  Continent  um  1860  verschiedenen  Auto- 
ritäten des  Ciavier-  und  Violinspiels,  Musikpädagogen  und  Aerzten  vorlegte, 
deren  Beifall  und  Empfehlung  er  davontrug.  Er  veröffentlichte,  überall  dazu 
aufgemuntert,  seine  Beobachtungen  und  Erfahrungen  in  Form  eines  Lehrbuchs, 
welches  auch  deutsch  übersetzt  unter  dem  Titel  »Jackson's  Finger-  und  Hand- 
gelenk-Gymnastik zur  Ausbildung  und  Stärkung  der  Muskeln  für  musikalische 
Zwecke«   (Leipzig,   1867)  erschienen  ist. 

Jackson,  William,  vorzüglicher  englischer  Violinist  und  fruchtbarer  Com- 
ponist,  war  geboren  im  Mai  1730  zu  Exeter,  weshalb  er  auch  häufig  J.  von 
Exeter  genannt  wurde.  Bei  trefflichen  künstlerischen  Anlagen  studirte  er 
Violin-,  Ciavier-  und  Orgelspiel  sowie  Musiktheorie  in  seiner  Vaterstadt,  worauf 
er  im  18.  Jahre  nach  London  ging  und  sich  durch  Geminiani  und  durch  den 
Organisten  der  königl.  Kapelle,  Travers,  völlig  ausbilden  Hess.  Später  kehrte 
er  in  seine  Heimath  zurück,  wo  er  Musikunterricht  erth eilte  und  im  Juli  1803 


346  Jackson  —  Jacob. 

starb.  Als  Violinist  hatte  er  den  Ruf,  sich  Geminiaui's  Spielweise,  die  in 
England  lange  Zeit  für  die  vorzüglichste  galt,  vollständig  zu  eigen  gemacht 
zu  haben.  Als  Componist  ist  er  mit  den  Opern  y>The  lord  of  the  Manor«, 
»Metamorpkosesa,  mit  der  Musik  zu  dem  Drama  y>Li/cidas(.(,  ferner  mit  Kirchen- 
werken, Quartetten,  Ciavier-  und  Violin- Sonaten,  endlich  mit  Pastoralduetten, 
Canzonetten,  Songs,  Epigrams  u.  s.  w.  aufgetreten.  Auch  mit  Malerei  und 
Literatur  beschäftigte  er  sich  angelegentlich,  und  von  seinen  Schriften  sind 
hier  zu  nennen:  r>Thirty  letters  on  various  subjecfsa  (London,  1782),  worin  er 
auch  von  musikalischen  Gegenständen  handelt,  und  »Olservations  on  the  present 
State  of  music  in  Londons  (London,  1791).  Eine  ihm  von  Gerber  zugeschrie- 
bene Harmonielehre  ist  nicht  im  Druck  erschienen,  und  die  Schrift  r>Ä  preli- 
minaiy  discourse  to  a  scheine  demonstrating  the  perfection  and  harmony  of  soundsa 
rührt  von  einem  anderen  William  Jackson  her,  welcher  in  der  ersten  Hälfte 
des  18.  Jahrhunderts  Lehrer  der  Mathematik  in  London  war.  Diese  Schrift 
enthält  die  Beschreibung  und  Abbildung  einer  Maschine,  welche  die  Bezie- 
hungen zwischen  den  diatonischen,  chromatischen  und  enharmonischen  Tonver- 
hältnissen anschaulich  machen  soll.      Sie  erschien  bereits  im  J.  1726  zu  London. 

Jackson,  William  John,  talentvoller  englischer  Orgelspieler  und  Com- 
ponist, geboren  1813,  lebte  als  Organist  zu  Masham  und  hat  bedeutend  zu 
nennende  Compositionen  geliefert,  unter  denen  sich  besonders  zwei  Oratorien, 
»Jesaias«  und  »Die  Befreiung  Jerusalems«,  auszeichnen.  Er  starb  im  April  1866 
zu  Masham. 

Jacob  I.,  König  von  Schottland  von  1424  bis  1437,  geboren  1393  als 
der  Sohn  Robert's  III.,  verdankte  die  umfassende  Geistesbildung,  die  ihn  vor 
seinen  Zeitgenossen  auszeichnete,  einer  langen  Gefangenschaft  in  England. 
Sein  Vater  schickte  ihn  nämlich  1405,  um  ihn  den  Nachstellungen  seines 
Oheims,  des  nach  der  Krone  strebenden  Herzogs  von  Albany,  zu  entziehen, 
nach  Frankreich.  Das  Schiff  wurde  jedoch  an  die  englische  Küste  getrieben, 
und  Heinrich  IV.  hielt  es  für  gerathcn,  den  Prinzen  als  Unterpfand  eines  so 
eben  mit  Schottland  abgeschlossenen  Waffenstillstandes  festzuhalten.  Robert  III. 
überlebte  den  Verlust  seines  Sohnes  nicht,  und  der  zum  Reichsverweser  er- 
nannte Herzog  von  Albany  betrieb  keineswegs  die  Auslösung  des  Gefangenen. 
Erst  nach  Heiurich's  V.  Tode  verstanden  sich  die  Engländer  zur  Freilassung 
des  Prinzen  gegen  ein  Lösegeld  von  40,000  Pfd.  Sterl.,  und  dieser  wurde  nach 
erfolgter  Rückkehr  nach  Schottland,  im  März  1424,  als  König  anerkannt. 
Seine  Regierung  war  segensreich  für  das  in  tiefe  Verwilderung  gerathene  Volk; 
mit  Eifer  und  Besonnenheit  suchte  er  durch  eingreifende  Reformen  Bildung 
und  Gesittung  wieder  zu  heben.  Der  Adel  verschwor  sich  in  Folge  dessen 
gegen  des  Königs  Leben,  und  derselbe  wurde  in  der  Nacht  vom  20.  Febr.  1437 
ein  Opfer  dieser  Verschwörung.  Die  Zeitgenossen  rühmen  die  Bildung,  Ge- 
lehrsamkeit und  musikalische  Kunstfertigkeit  J.'s.  Er  war  Virtuose  auf  acht 
Instrumenten,  besonders  auf  der  Harfe,  und  soll,  wie  er  in  schottischer  und 
lateinischer  Sprache  höchst  anziehend  und  schwungvoll  dichtete,  auch  einer  der 
bedeutendsten  Componisten  seiner  Zeit  gewesen  sein.  Wenn  er  aber  wohl 
auch  kaum  der  Erfinder  der  ihm  zugeschriebenen  Nationalmelodien  Nieder- 
schottlands ist,  so  hat  er  doch  ohne  Zweifel  die  Kirchenmusik  der  Schotten 
verbessert  und  für  dieselbe  selbst  Gesänge  gedichtet  und  in  Musik  gesetzt. 
Dies  bestätigt  Alessandro  Tassoni,  der  in  seinen  nPensieri  diversii  (Venedig, 
1646)  sagt:  »Unter  den  neueren  Componisten  ist  König  Jacob  I.  von  Schott- 
land zu  merken,  welcher  nicht  nur  geistliche  Lieder  verfertigte  und  in  Musik 
setzte,  sondern  sogar  eine  neue  melancholische  und  klagende,  von  aller  anderen 
ganz  verschiedene  Musik  erfand.«  Von  einem  von  J.  verfassten,  1430  er- 
schienenen Musiktraktate  hat  sich  keine   Spur  entdecken  lassen. 

Jacob,  deutscher  Orgelbauer,  lebte  zu  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  und 
baute  1606  zu  Lübeck  ein  Kirchenwerk  von  30  klingenden  Stimmen.  — 
Gleichfalls    mit    unbekanntem  Vornamen    lebte    im    folgenden    Jahrhundert    ein 


Jacob  —  Jacobi.  347 

französischer  Violinvirtuose,  Scliüler  von  Gavinies,  zu  Paris.  Er  war  1765 
im  Orchester  der  grossen  Oper  angestellt,  starb  1772  und  hat  ausser  Yiolin- 
sachen  auch  Motetten  componirt.  Ebenso  veröffentlichte  er  ein  musikalisches 
Lehrbuch. 

Jacob,  Benjamin,  geachteter  englischer  Orgelvirtuose,  geboren  1778  zu 
London,  erhielt  den  ersten  Musikunterricht  von  seinem  Vater,  der  ihn  darauf 
als  Chorknabe  in  die  Portlandkapelle  bi'achte.  Um  1796  studirte  J.  bei  Arnold 
Harmonielehre  und  fungirte  nach  und  nach  als  Organist  an  verschiedenen 
Kirchen  Londons.  Von  1809  bis  1814  galt  er  nächst  Wesley  und  Dr.  Crotch 
für  den  besten  Orgelspieler  der  englischen  Metropole.  Er  hat  Orgelstücke, 
Gesänge  für  den  Gottesdienst,  weltliche  Songs  u.  s.  w.  componirt. 

Jacob,  Friedrich  August  Leberecht,  deutscher  Vocalcomponist  und 
Sänger,  geboren  am  25,  Juni  1803  zu  Kroitzsch  bei  Liegnitz,  erhielt  von 
seinem  Vater  und  dem  Cantor  Speer  den  ersten  Musikunterricht,  den  er  unter 
Hentschel,  nachmaligem  Seminardirektor  in  Weissenfeis,  fortsetzte.  Im  J.  1819 
bereits  wurde  J.  Hülfslehrer  zu  Herrndorf  bei  Glogau,  und  1820  trat  er  in 
das  Schullehrerseminar  zu  Bunzlau.  Seit  1824  war  er  Cantor,  Organist  und 
Lehrer  zu  Konradsdorf  bei  Liegnitz,  in  welcher  Stellung  er  sich  noch  in  den 
1850er  Jahren  befand.  Er  hat  Gesänge  für  Männerchor,  verschiedene  Samm- 
lungen von  Schulliedern  und  Anweisungen  zum  Singen  für  Volksschulen  heraus- 
gegeben, ebenso  auch  einigen  musikalischen  und  pädagogischen  Zeitschriften 
Aufsätze  seiner  Eeder  zugewendet. 

Jacob,  Günther,  geschätzter  deutscher  Kirchencomponist,  war  zu  An- 
fang des  18.  Jahrhunderts  Benedictinermöuch  im  St.  Nicolasstifte  zu  Prag. 
In  der  Zeit  von  1714  bis  1726  erschienen  von  ihm  in  Prag  Messen,  Vesper- 
psalmen,  ein   Te  deum  u.  s.  w. 

Jacobelli,  Giovanni  Battista,  Caplan  der  Königin  von  Polen,  veröffent- 
lichte von  seiner  Composition  1643  eiuen  Gesangskanon,  den  Gerber  als  »sonderbar 
in  der  Erfindung«  bezeichnet. 

Jacobello,  berühmter  altitalienischer  Orgelbauer  zu  Venedig,  lebte  um  die 
Mitte  des  14.  Jahrhunderts  und  ist  der  Baumeister  der  ersten  Orgel  in  der 
St.  Marcuskirche  daselbst. 

Jacobetti,  Pietro,  italienischer  Geistlicher  und  Kirchencomponist,  geboren 
unfern  Cremona  in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts,  war  Priester  zu 
Ripatransone  im  Kirchenstaat  und  ist  als  Componist  der  Werke:  y>Lamenta- 
tiones  cum  omnibus  resjjonsoriis  in  liehdomade  sancta  et  passionis  in  missis  do- 
minieae  Palmarum  et  Parasceve  quatuor  vocibus«.  und  nLiher  primus  mutetorum 
4,  5  et  6  voeibusu  (Venedig,  1589)  bekannt  geblieben. 

Jacobi,  deutscher  Lautenvirtuose  aus  Meissen,  lebte  zu  Anfang  des  18.  Jahr- 
hunderts und  war  in  jener  Zeit  besonders  durch  seine  Compositionen  für  dieses 
Instrument  weithin  rühmlichst  bekannt. 

Jacobi,  Adam  Friedrich  Ernst,  musikkundiger  deutscher  Theologe, 
geboren  am  27.  Octbr.  1733  zu  Ichtershausen  in  Thüringen,  starb  1807  als 
Consistorialrath  und  Pfarrer  zu  Cranichfeld  im  Herzogthum  Gotha.  Er  ist  der 
Verfasser  einer   Schrift  über  die  Glocken  und  Glockenspiele  Hollands. 

Jacobi,  Christian  Gotthilf,  vorzüglicher  deutscher  Orgel-  und  Ciavier- 
virtuose, geboren  am  26.  Jan.  1696  zu  Magdeburg,  erblindete  in  Folge  der 
Blattern,  was  ihn  jedoch  nicht  abhielt,  das  dortige  Gymnasium  zu  durchlaufen. 
Sein  vorzügliches  Gedächtniss,  wie  überhaupt  seine  glänzenden  Anlagen  be- 
wogen den  Organisten  Lipe,  ihm  von  1710  an  Musikunterricht  zu  ertheilen. 
Binnen  zwei  Jahren  vermochte  J.  alle  Choräle  auf  der  Orgel  zu  spielen  und 
rein  und  richtig  zu  präludiren.  In  Zeitz  seit  1712,  sowie  in  Leipzig  und 
Jena,  wo  er  philosophische  und  juristische  Vorlesungen  hörte,  setzte  .7.  das 
Musikstudium  eifrig  fort  und  machte  dann  mehrere  erfolgreiche  Kunstreisen 
als  Ciavier-  und  Orgelvirtuose  durch  Sachsen  und  Franken.  Zurückgekehrt, 
Btudirte  er  nach  Büchern,  die  er  sich  vorlesen  Hess,  Verskunst  und  Composition. 


348  Jacobi  —  Jacobitus. 

Im  J.  1720  ward  er  als  Organist  an  der  Peters-  und  1726  ebenso  an  der 
Katharinenkirche  in  Magdeburg  angestellt,  wo  er  um  1750  starb.  Von  seinen 
Compositiouen,  die  er  einem  anderen  Musiker  zu  dictiren  pflegte,  ist  keine  bis 
auf  die  Gegenwart  gekommen.  Als  Virtuose  soll  er  nacb  übereinstimmendem 
Zeugniss  seiner  Zeitgenossen  zu  den  ersten  Meistern  gehört  haben. 

Jacobi,  Friedrich  Wilhelm,  deutscher  Fabrikant  von  Blech-Blase- 
instrumenten,  geboren  1754  zu  Berlin  bei  Oschatz,  erlernte  seine  Kunst  bei 
dem  berühmten  Hörn-  und  Trompetenmacher  Leuthold.  Nach  überstandener 
siebenjähriger  Lehrzeit  blieb  er  auch  noch  als  Gehülfe  bei  seinem  Meister  und 
etablirte  sich  endlich  1788  selbstständig  in  Dresden.  Sein  Ruf  vergrössertc 
sich  überaus  schnell  und  seine  Instrumente  wurden  theuer  bezahlt.  Ein  von 
ihm  im  J.  1800  gebautes  silbernes  Hörn  soll  nach  Gerber's  Mittheilung  zu  den 
schönsten  Instrumenten  damaliger  Zeit  gehört  haben. 

Jacobi,  Johann  Christian,  l)edeutender  deutscher  Oboevirtuose,  geboren 
1719  zu  Tilse  in  Lithauen,  erhielt  den  Unterricht  auf  seinem  Instrument  zuerst 
von  seinem  Vater,  später  vom  Kammermusiker  Peter  Glösch  in  Berlin.  Als 
Kammermusiker  iind  erster  Oboist  der  Kapelle  des  Markgrafen  Karl  zu  Berlin 
wurde  er  1746  angestellt  und  verblieb  daselbst  bis  1768,  wo  er  zum  Direktor 
der  Hautboistenschule  in  Potsdam  ernannt  wixrde,  in  welcher  Stellung  er  am 
12.  Juli  1784  starb. 

Jacobi,  Karl,  deutscher  Fagottvirtuose  und  Componist  für  sein  Instru- 
ment, geboren  zu  Anfang  des  19.  Jahrhunderts,  war  viele  Jahre  hindurch 
Stadtmusikdirektor  zu  Göttingen  und  hat  zahlreiche  tüchtige  Orchestermusiker 
herangebildet. 

Jacobi,  Konrad,  vortretflicher  deutscher  Violinist,  geboren  1756  zu  Mainz 
als  der  Sohn  des  dortigen  Concertmeisters,  der  auch  sein  Lehrer  wurde.  Im 
J.  1782  wurde  J.  Correpetitor  bei  dem  Grossmann'schen  deutschen  Theater 
und  einige  Jahre  später  Musikdirektor  beim  Nationaltheater  in  Mainz  und 
Frankfurt.  Als  Musikdirektor  der  Hofkapelle  zu  Dessau  1802  angestellt,  starb 
er  am  11.  Juli  1811  daselbst  in  Folge  eines  Schlaganfalles.  Gerber,  der  ihn 
1785  hörte,  erklärte  ihn  für  einen  der  fertigsten  und  gefühlvollsten  Virtuosen 
sowie  tüchtigsten  Orchesteranführer  seiner  Zeit.  J.  hat  Concerte  und  andere 
Stücke  für  Violine  componirt,  die  er  mit  grossem  Beifall  öffentlich  vortrug, 
die  aber  nur  in  Abschriften  circulirten,  da  er  nichts  davon  drucken  Hess. 

Jacobi,  Michael,  deutscher  A^iolin-,  Lauten-  und  Flötenvirtuose  und  einer 
der  fruchtbarsten  und  beliebtesten  Liedercomponisten  des  17.  Jahrhunderts, 
wurde  zu  Anfang  desselben  in  der  Mark  Brandenburg  geboren  und  brachte 
seine  Jünglings-  und  Mannesjahre  auf  Reisen  durch  Deutschland,  Frankreich 
und  Italien  zu,  diente  auch  u.  A.  im  Heer  der  Republik  Venedig  in  deren 
Krieg  gegen  den  Papst.  Ueborall  wurde  seine  Virtuosität  mit  grossem  Lobe 
anerkannt.  Von  Kiel  aus  wurde  er  1651  als  Cantor  der  St.  Johannisschule 
nach  Lüneburg  berufen ,  und  hier  erwarb  er  sich  durch  seine  Gesangscompo- 
sitionen den  ehrenvollen  Beinamen  als  »Deutschlands  Amphion«.  Mehrere 
Liedersammlungen  von  ihm,  in  den  Jahren  1651  bis  1663  gedruckt,  führt 
Walther  und  nacb  ihm  Gei'ber  nach  den  Titeln  auf.  Besonders  zahlreich  sind 
die  Kirchenlieder  Job.  Rist's,  welche  J.  componirt  hat,  und  ausserdem  hat  er 
auch  ein  weltliches  Singspiel  dieses  Dichters,  »Das  friedejauchzende  Teutsch- 
land«, 1653  in  Musik  gesetzt.     J.  starb  um   1670  zu  Lüneburg. 

Jacobi,  Tobias,  deutscher  Vocalcomponist  aus  Hirschberg  in  Sclilesien, 
war  in  der  letzten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  Notar  und  Schullehrer  zu 
Seidenberg  in  der  Oberlausitz  und  hat  besonders  durch  seine  Motetten  Be- 
liebtheit und  Ruf  erlangt.  In  einer  Sammlung  von  vier  bis  zehn  Stimmen 
vereinigt,  erschienen  dieselben  1664  unter  dem  Titel  y>Scala  coeli  musicalis  et 
spiritualis«. 

Jacobitus,  Petrus  Araicus,  der  latinisirte  Name  für  Pietro  Jaco- 
betti  (s.  d.). 


Jacopo  von  Bologna  —  Jacqmin.  349 

Jacopo  vou  Bolog'ua,  berühmter  altitalienisclier  Componist,  lebte  zu  Ende 
des  14.  Jahrhunderts  und  war  ein  Zeitgenosse  Francesco  Landiuo's,  genannt 
il  cieco.  Ein  Manuscript  von  ihm,  enthaltend  zwei-  und  dreistimmige  C-iesänge 
in  der  Franco'schen  schwarzen  Notirung,  wird  in  der  Staatsbibliothek  zu  Paris 
aufbewahrt. 

Jacopone  oder  Jacopo  Benedetto,  latinisirt  Jacobus  de  Benedictis, 
hochberühmter  altitalienischer  Hymnendichter  des  13,  Jahrhunderts,  stammte 
aus  der  adligen  Familie  Benedetti  und  war  zu  Todi  im  Spoletanischen  ge- 
boren. Er  studirte  die.  Rechtsgelehrsamkeit  und  wurde  einer  der  angesehensten 
Advocaten  Roms.  Der  plötzliche  Tod  seiner  jungen  schönen  Frau,  welche  beim 
Einstux'z  eines  Saales  erschlagen  wurde,  erschütterte  ihn  so,  dass  er,  in  Lumpen 
gehüllt,  Italien  durchirrte,  endlich  dem  weltlichen  Leben  gänzlich  entsagte  und 
Franciscanermönch  wurde.  Seitdem  trat  er  als  Bussprediger  auf  und  hielt 
scharfe  Strafreden,  sogar  gegen  den  Papst  Bonlfacius  "VIIL,  welcher  ihn  dafür 
in  den  Kerker  setzen  Hess.  Erst  im  J.  1303  ward  er  wieder  frei,  begrub  sich 
darauf  in  die  klösterliche  Einsamkeit  und  starb  im  J.  1306.  Seine  ySymni 
et  prosae  sacraev.  sind  häufig  gedruckt  worden.  Unvergänglich  aber  bleibt 
sein  Name  durch  die  berühmte  Sequenz  nStabaf  mater<i,  welche  er  im  Ge- 
fängniss  gedichtet,  nach  Einigen  auch  mit  der  ursprünglichen  Melodie  versehen 
haben  soll. 

Jacotin,  Contrapunktist,  war  nach  neuesten  Forschungen  ein  Belgier  von 
Geburt  und  zwischen  1440  und  1450  geboren.  Er  ist  vielfach  mit  Jachet  oder 
Jacques  von  Mantua  (s.  B  er  ehern)  verwechselt  worden  und  hat  Messen,  Mo- 
tetten und  Chansons  componirt,  die  sich  in  verschiedenen  Sammelwerken  des 
16.  Jahrhunderts  befinden,  so  in  den  von  Petrucci  1519  veröffentlichten  »J/o- 
tetti  d^ella  coronav,  in  Salblinger's  •nCoyicentusa.  (1545)  und  in  den  von  Adrien 
le  Roy  und  von  Ballard  herausgegebenen  Collectionen  von  Chansons.  Sechs- 
stimmige  Messen  von  ihm,  die  1510  selbstständig  erschienen  sind,  hat  der  Abbate 
Santini  in  Rom   seiner  Sammlung  einverleibt. 

Jacotot,  Joseph,  französischer  Pädagoge,  bekannt  durch  seine  Methode 
des  Universalunterrichts,  wurde  am  4.  März  1770  zu  Paris  geboren  und  in  der 
Polytechnischen  Schule  daselbst  gebildet.  Anfangs  Advocat,  wurde  er  Pro- 
fessor der  Humanitätswissenschaften,  hierauf  Capitän  der  Artillerie,  später  Se- 
cretär  im  Kriegsministerium  und,  nachdem  er  einige  Zeit  Substitut  des  Direk- 
tors der  Polytechnischen  Schule  und  Professor  der  Mathematik  gewesen,  als 
Professor  der  französischen  Literatur  und  Sprache  nach  Löwen  berufen.  Hier 
führte  er  seit  1818  sein  System  des  Universalunterrichts  ins  Leben  ein,  nach- 
dem er  30  Jahre  lang  nach  der  alten,  ihm  verkehrt  erscheinenden  Methode 
unterrichtet  hatte.  Ausser  für  die  verschiedenen  Schullehrzweige  brachte  er 
dieses  System  auch  für  den  Musikunterricht  ziemlich  erfolgreich  in  Anwendung, 
indem  er  auch  hier  nicht  mit  den  sogenannten  Elementen,  also  mit  den  Noten, 
Schlüsseln  und  anderen  Zeichen  beginnen,  sondern  von  vornherein  versuchen 
Hess,  eine  bekannte  Volksweise  aufzusetzen  und  die  Bedeutung  der  dazu  er- 
forderlichen Zeichen  durch  selbstständige  Geistesthätigkeit  aufzufassen  und  zu 
erlernen. 

Jacqmin,  Frangois,  französischer  Hornvirtuoee,  geboren  am  28.  Juli 
1793  zu  Ronen,  kam,  nachdem  er  in  seiner  Vaterstadt  musikalisch  vorbereitet 
worden  war,  1814  auf  das  Pariser  Conservatorium,  woselbst  im  Hornblasen 
Dauprat  sein  Lehrer  wurde.  Seit  1819  war  J.  erster  Hornist  im  Orchester 
der  italienischen  Oper  und  seit  1826  in  dem  der  Opera  comique.  An  Compo- 
sitionen  hat  er  Duette  für  zwei  Hörner,  Fantasien  für  Hörn  und  Harfe,  Va- 
riationen für  Hörn  und  ausserdem  eine  Hornschule  veröfi"entlicht.  —  Sein 
Vetter,  Jean  Baptiste  Fran<;;ois  J.,  geboren  am  27.  Septbr.  1799  zu  Ronen, 
wurde  im  Pariser  Conservatorium  zum  geschickten  Harfenisten  ausgebildet  und 
fand  als  solcher  1826  Anstellung  im  Orchester  der  Opera  comique.  Er  starb 
1834  zu  Paris  und  hat  verschiedene  Harfenstücke  seiner  Composition  veröffenthcht. 


350  Jacquavt  —  Jadiu. 

Jacqiiart,   Jean,  französischer  Ciavierbauer,  lebte  iu  der  ersten  Hälfte  des 

17.  Jahrliuuderts  in  Paris.  Aus  seiner  AVerkstätte  gingen  Claviere  und  Spi- 
nette  hervor,  welche  in  damaliger  Zeit  in  hohem  Ansehen  standen  und  weithin 
gesuchte  Artikel  waren. 

JacqueS)  achtbarer   französischer  Musikliebhaber,    lebte    um  die  Mitte  des 

18.  Jahrhunderts  zu  Paris.  Von  seinen  Compositionen  wurde  eine  Motette  im 
Concert  spirituel  aufgeführt,  welche  die  Kenner  für  vortrefflich  in  Erfindung 
und  Arbeit  erklärten. 

Jacqnin,  französischer  Vocalcomponist  zu  Ausgang  des  17.  Jahrhunderts, 
ist  durch  eine  Messe,  sowie  durch  Airs  und  Chansons  seiner  Composition,  die 
er  im  Druck  erscheinen  Hess,  bekannt  geblieben. 

.lacquot,  Charles  Jean  Baptiste,  französischer  Musikschriftsteller  und 
Feuilletonist,  geboren  um  1821  zu  Mirecourt,  gab  u.  A.  unter  dem  Titel 
y>Les  contemporainsvi  biographische  Notizen  heraus,  die  sich  auch  mit  meh- 
reren berühmten  zeitgenössischen  Musikern  befassen.  Er  starb  1860  zu  St. 
Petersburg, 

Jadassohn,  Salomon,  gewandter,  vielseitiger  Componist  der  Gregenwart, 
geboren  am  15.  Septbr.  1831  zu  Breslau,  bildete  sich  musikalisch  daselbst 
unter  Hesse  im  Clavierspiel ,  Lüstuer  auf  der  Violine  und  Brosig  in  der  Har- 
monielehre. Zu  höherer  Ausbildung  in  diesen  Eächern  und  um  die  gesammte 
Tonkunst  zu  studiren,  trat  er  1848  in  das  Conservatorium  zu  Leipzig,  welches 
er  jedoch  schon  nach  einem  Jahre,  angezogen  durch  die  glänzende  Erscheinung 
Fr.  Liszt's  in  Weimar,  wieder  verliess.  Unter  der  Leitung  des  letzteren  brachte 
er  es  als  Pianist  bis  zum  Stadium  der  Virtuosität,  und  erfolgreich  Hess  er  sich 
ziemlich  häufig  öffentlich  hören.  Bald  aber  folgte  er  dem  Drange  nach  ge- 
diegenen Compositionsstudien  und  wurde  zu  diesem  Zwecke  ein  fieissiger 
Schüler  Moritz  Hauptmann's  in  Leipzig.  In  dieser  Stadt  fixirte  er  sich  1852 
als  Componist  und  Musiklehrer,  übernahm  1867  zugleich  auch  die  Funktionen 
eines  Dirigenten  des  Musikvereins  »Euterpe«,  die  er  bis  1869  ausübte,  und 
wurde  nach  auffälliger  Verzögerung  endlich  auch  in  das  Lehrercollegium  des 
Conservatoriums  gezogen,  dem  er  durch  die  Tüchtigkeit  seiner  Gesinnung  und 
seines  Strebens  Ehre  macht.  Er  unterrichtet  an  dem  genannten  Institut  in 
den  Fächern  Harmonielehre,  Contrapunkt,  Composition  und  Pianofortespiel. 
Seine  Compositionen  zeugen  von  Talent,  grossen  Kenntnissen  und  hervorragen- 
dem Geschick;  durch  frischen,  klaren  Gedankenfluss  und  glatte  Form  sind  die- 
selben wahrhaft  ausgezeichnet  zu  nennen.  Sie  bestehen  in  Sinfonien,  Sonaten, 
Stücken  in  kanonischer  Form  für  Orchester,  Trios,  Solo-  und  Duo- Sonaten, 
Charakterstücken  und  dergleichen  für  Pianoforte,  geistlichen  Gesängen  und 
Liedern. 

Jadiu,  eine  belgische  Musikerfamilie,  welche  nach  Frankreich  übersiedelte 
und  dort  zu  grossem  Ruf  gelangte.  Als  ältestes  Glied  wird  George  J.  ge- 
nannt, ein  tüchtiger  Fagottvirtuose,  welcher  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts 
in  der  Kapelle  Ludwig's  XV.  in  Versailles  angestellt  war.  —  Sein  Bruder, 
Jean  J.,  war  lange  Zeit  in  Brüssel  als  Musiklehrer  und  zugleich  als  Violinist 
im  Orchester  des  Erzherzogs-Statthalters  daselbst  thätig,  ging  dann  aber  eben- 
falls nach  Paris,  wo  er  Mitglied  der  königl.  Kapelle  wurde,  Ciavier-  und  Violin- 
unterricht ertheilte  und  kurz  vor  Ausbruch  der  französischen  Revolution  starb. 
Von  seinen  Söhnen  sind  zu  nennen:  1.  Louis  Emanuel  J.,  geboren  am 
21.  Septbr.  1768  zu  Versailles,  wurde,  von  seinem  Vater  musikalisch  unter- 
richtet, einer  der  fertigsten  Ciavierspieler  und  Violinisten  seiner  Zeit,  sowie 
sehr  beliebter  Componist.  Früh  schon  ward  er  als  Musikpage  in  der  Maitrise 
der  königl.  Kapelle  untergebracht,  und  widmete  sich,  nachdem  er  dieselbe  ver- 
lassen hatte,  unter  Anleitung  seines  Bruders  Hyacinthe  (s.  weiter  unten)  be- 
sonders noch  dem  höheren  Clavierspiel.  Als  zweiter  Cembalist  wurde  er  1789 
in  das  Orchester  des  neu  errichteten  Theätre  de  Monsieur  gezogen,  rückte  1791 
in  die  erste  Stelle    und    trat    ein  Jahr  später  aus  dem  Theaterverbande.     Für 


Jäger.  351 

das  Musikcorps  der  Pariser  Nationalgarde,  dessen  Mitglied  er  so  wie  viele 
andere  ausgezeichnete  Musiker  geworden  war,  schrieb  er  zahlreiche  Harmonie- 
stücke  und  componirte  Cantaten,  Lieder  und  Hymnen  für  die  damaligen  National- 
und  patriotischen  Feste.  Im  J.  1802  wurde  er  zum  Professor  am  Couserva- 
torium  und  1806  zugleich  zum  Orchesterchef  am  Theater  Moliere  ernannt. 
Seit  1814,  nach  Aufhebung  des  Conservatoriums,  fungirte  er  als  Grouverneur 
der  Musikpagen  bis  zum  J.  1830,  ausgezeichnet  1824  durch  den  Orden  der 
Ehrenlegion,  worauf  er  pensionirt  wurde.  Seitdem  lebte  er  meist  auf  dem 
Lande  bei  Montfort  l'Amaury  und  starb  um  1840.  Für  sein  grosses  Greschick 
in  der  Composition  zeugen  ausser  den  bereits  bezeichneten  Gelegenheitsarbeiten 
eine  fast  unübersehbare  Menge  von  Instrumentalstücken  aller  Art,  Gesängen 
und  Romanzen,  sowie  gegen  30  grössere  und  kleinere  zum  Theil  beliebt  ge- 
wesene, gefällige  Opern,  wie:  y>Amelie  de  Montfo^^ta,  r>Les  talismans«,  r>Mahomet  Il.a, 
»L'avare  punia,  y>Le  negociant  de  Boston^,  »La  supercherie  par  amoura,  -aLes 
hons  voisinsa,  r>Les  deuoc  lettresa  etc.  —  2.  Hyacinthe  J.,  geboren  1769  zu 
Versailles,  genoss  den  Ciavierunterricht  seines  Vaters,  darauf  den  Hüllmandel's 
und  wurde  bei  Errichtung  des  Pariser  Conservatoriums  zum  Professor  seines 
Instruments  ernannt.  Seine  Unterrichtsmethode  galt  als  vorzüglich  und  seine 
Instrumentalcompositionen,  bestehend  in  Clavierconcerten,  Sonaten  und  Legons, 
Trios,  Streichquartetten  u.  s.  w.,  wurden  sehr  geschätzt.  Leider  starb  er  schon 
1802  an  einem  Brustleideu  zu  Paris.  —  3.  George  J.,  geboren  1771  zu 
Versailles,  war  ein  Gesangsschüler  Richer's  und  lebte  bis  1817  als  Siuglehrer 
in  Paris.  Er  ist  der  Componist  zahlreicher  Romanzen  und  Chansons,  die  seinen 
Namen  auch  in  das  Ausland  trugen. 

Jäger,  eine  deutsche  Familie  von  vortrefflichen  Musikern,  deren  ältestes 
Glied,  Johannes  J.,  ein  Meister  des  Violoncellos  war.  Geboren  am  31.  Aug. 
1748  zu  Schlitz  in  der  Grafschaft  Görtz  in  Schlesien,  trat  er  in  seinen  Jüng- 
lingsjahren als  trefflicher  Waldhornist  in  holländische  Militärdienste  und  kam 
hierauf  an  den  herzogl.  Hof  zu  Stuttgart,  wo  er  sich  dem  Violoncello  widmete. 
Um  1776  wurde  er  als  Kammervirtuose  des  Markgrafen  von  Anspach-Bäyreuth 
angestellt  und  erhielt  später  den  Titel  eines  markgräfl.  Musikdirektors.  Seit 
1798  lebte  J.  privatisirend  und  sich  dem  Unterricht  seiner  beiden  Söhne  wid- 
mend, in  Breslau.  Diese  letzteren  sind:  1.  Johann  Zacharias  Leopold  J., 
geboren  1777  zu  Anspach  und  schon  in  seinem  neunten  Jahre  als  Violoncellist 
bewundert,  Hess  sich  1787  am  königl,  Hofe  zu  Berlin  hören  und  erhielt  von 
der  Königin  ein  jährliches  Stipendium  von  100  Thalern  bewilligt.  Nach  meh- 
reren Kunstreisen,  die  auch  später  fortgesetzt  wurden,  Hessen  sich  Vater  und 
Sohn  1798  in  Breslau  nieder,  wo  sie  als  Virtuosen  ersten  Ranges  und  als 
Lehrer  ihres  Instrumentes  hochgeschätzt  waren.  —  2.  Ernst  J.,  geboren  1800 
in  Breslau,  machte  als  zehnjähriger  Knabe  in  seiner  Geburtsstadt  sowie  auf 
Kunstreisen,  die  er  mit  dem  Vater  durch  Deutschland  und  Ungarn  unternahm, 
ausserordentliches  Aufsehen.  Ein  vorrübergehender  Unterricht  bei  Beruh.  Rom- 
berg bewirkte,  dass  er  bald  seinen  Vater  und  Bruder  in  der  Meisterschaft  auf 
dem  Violoncello  übertraf.  Mit  Beiden  lebte  er  in  behaglichen  Verhältnissen 
und  wie  diese  als  Concertspieler  sehr  gesucht,  in  Breslau  bis  1825,  in  welchem 
Jahre  er  einem  Rufe  als  Kammermusiker  und  Solo -Violoncellist  der  königl. 
Kapelle  nach  München  folgte. 

Jäger,  Franz,  ungemein  beliebter  deutscher  Tenorsänger,  geboren  1796 
zu  Wien,  wurde  als  ausserordentlich  stimmbegabt  erst,  als  er  bereits  Schul- 
lehrergehülfe  (nach  Anderen  Schuhmachergeselle)  war,  vom  Kapellmeister  Weigl 
entdeckt  und  dem  Gesangunterricht  sowie  der  Bühne  zugeführt.  Im  J.  1817 
debütirte  er  als  Ramiro  in  Isouard's  »Aschenbrödel«  im  Theater  an  der  Wien 
und  machte  1820  seine  ersten  erfolgreichen  Kunstausflüge.  Bis  1824  war  er 
der  bevorzugte  Lieblingssänger  der  Wiener,  worauf  er  sich  für  das  königs- 
städtische Theater  in  Berlin  gewinnen  Hess  und  hiermit  in  die  Glanzzeit  seiner 
Künstlerlaufbahn    trat.     Im  J.   1828    ging    er    nach    Stuttgart,    wo    er   jedoch 


352  Jäger  —  Jahns. 

nicht  sehr  gefiel,  so  dass  er  bald  den  Schauplatz  seiner  Triumphe,  Berlin, 
wieder  aufsuchte.  Dort  fand  man  aber  seine  Stimme  dem  Verfall  anheimge- 
fallen und  versagte  ihm  den  früheren  Beifall.  Auch  in  München  1831  wollte 
es  ihm  nicht  gelingen,  sich  die  Gunst  des  Publikums  zuzuwenden.  Gastreisen 
nach  österreichischen  Provinztheatern  und  nach  Wien,  wo  er  kaum  zum  Auf- 
treten gelangen  konnte,  brachten  ihm  ebenfalls  keinen  uennenswerthen  Erfolg. 
Eine  hartnäckig  auftretende  Heiserkeit  des  ermüdeten  Stimmorgans  setzte  diesen 
letzten  Versuchen  vollends  ein  Ziel,  und  er  musste  der  Bühne  gänzlich  ent- 
sagen. Er  nahm  1836  die  Stelle  als  Gesanglehrer  am  Hoftheater  in  Stuttgart 
an,  der  er  sich  mit  Eifer  widmete,  und  starb  daselbst  am  10.  Mai  1852.  Seine 
frühere  vortreffliche  Ausbildung  unter  "Weigl's  Aufsicht  befähigte  ihn,  auch 
als  Vocalcomponist  mit  sehr  sanggerecht  und  gemüthvoll  geschriebenen  Liedern 
aufzutreten,  von  denen  das  »Der  Traum  des  ersten  Kusses«  überschriebene  noch 
lange  nach  seinem  Tode  sich  der  Popularität  erfreute. 

Jäg-er,  Kon r ad,  s.  Geiger. 

Jägertruiumet,  Jägertrommet  oder  Jägerhorn  hiess  im  17.  Jahrhun- 
dert ein  kleines,  unserem  heutigen  Posthorn  nicht  unähnlich  gebautes  Hörn, 
welches  die  Jäger  führten.  Dasselbe  war  mit  dicht  kreisförmigen  Windungen 
gefertigt  und  hatte  kaum  die  Raumausdehnung  der  damals  gebräuchlichen 
Trompete,  weshalb  wohl  die  Benennung  J.  allgemein  gebräuchlich  wurde.  Eine 
Abbildung  davon  findet  sich  in  der  r,Syntagm.  mus.a  von  Prätorius  Tom.  II. 
auf  der  achten  Kupfertafel,  und  ist  diese  Darstellung  in  den  meisten  später 
erschienenen   musikhistorischen  Werken  genau  wiedergegeben.  0. 

Jahns,  Friedrich  Wilhelm,  königl.  preussischer  Musikdirektor  und 
Professor  in  Berlin,  wurde  am  2.  Jan.  1809  daselbst  geboren  und  von  sorg- 
samen Eltern  erzogen.  Schon  früh  wurde  sein  Talent  zur  Musik  erkannt  und 
durch  den  Unterricht  des  geschätzten  Pianisten  Charles  Detroit  genährt.  Seine 
schöne  Sopraustimme  und  seine  äussere  Erscheinung  interessirten  hervorragende 
Mitglieder  des  königl.  Theaters:  den  Baritonisten  H.  Blume  und  den  Schau- 
spieler Lemm;  sie  lenkten  die  Aufmerksamkeit  des  Intendanten  Grafen  Brühl 
auf  den  Knaben,  bestimmten  die  Eltern,  ihn  der  Bühne  zu  widmen,  und  bald 
wurde  J.  als  Sopran  in  den  Chor  der  königl.  Oper  eingestellt,  wirkte  bei  Auf- 
führung classischer  Werke  mit  und  trat  in  einigen  kleinen  Rollen  im  Schau- 
spiel auf.  Da  hierdurch  jedoch  sein  Schulbesuch  litt,  so  zogen  ihn  die  Eltern 
nach  etwa  einem  Jahre  von  dieser  direkten  Vorbildung  für  die  Bühne  zurück. 
Die  Fortccewährung  freien  Besuches  von  Theater  und  Concertsaal  Hess  aber 
auch  in  der  Folge  alle  bedeutenden  Werke  und  Meister  der  dramatischen  Kunst 
und  der  Musik  an  J.  vorübergehen.  Von  diesen  künstlerischen,  ihn  in  der 
Stille  fortbildenden  Erlebnissen  sollte  endlich  eines  entscheidend  auf  den  Knaben 
wirken:  die  Erstlingsaufführung  des  »Freischütz«  unter  C.  M.  v.  Weber's  eigener 
Leitung  (18.  Juni  1821).  Diese  riss  ihn  zum  Enthusiasmus  hin  und  ent- 
zündete in  ihm  jene  Liebe  zu  AVeber's  Muse,  welcher  J.  bis  ins  Alter  treu 
geblieben  ist.  Mit  nachhaltigem  Fleisse  hatte  er  sich  bisher  schon  dem  Stu- 
dium des  Ciavierspiels  hingegeben;  bald  empfing  er  auf  dem  Gymnasium  zum 
grauen  Kloster  auch  die  erste  gründliche  Unterweisung  im  Gesänge  durch 
Ed.  Grell. 

Indessen  hielten  seine  Gönner  die  Absicht,  J.  der  Bühne  zuzuführen,  fest, 
und  nach  seinem  Abgange  vom  Gymnasium  übernahmen,  hingebend  und  un- 
eigennützig, Leram  die  dramatische,  Stümer  die  gesangliche  Ausbildung  des 
Jünglings,  der  nun  eine  Reilie  von  Parthien  ernsten  Faches  auf  der  Privat- 
bühne »Urania«  gab,  die  damals  Vorzügliches  leistete.  Daneben  setzte  J.  seine 
musikalischen  Bestrebungen  fort,  geleitet  von  dem  königl.  Kammermusiker 
Louis  Horzizky,  Flötisten  und  Pianisten,  einem  tretfiichen  Schüler  Berger's  und 
Zelter's.  Dieser  feinsinnige  Künstler  und  geschickte  Componist  blieb  bis  zu 
seinem  allzu  frühen  Tode  J.'s  Lehrer  im  Clavierspiel  wie  Theorie.  Bald  unter- 
nahm   bei    ernstem  Weiterstudium    J.    selbstschöpferische  Versuche,    die  Aner- 


Jahns.  353 

kenriuiig  fanden;  seine  Bethätigung  als  Sänger  und  Pianist  öflfnete  ihm  zugleich 
einflussreiche  Kreise,  und  endlich  errang  er  mit  seinem  ersten  gestochenen 
Gesangwerke  einen  entschiedenen  Erfolg.  Dies  Ereigniss  brachte  in  J.  den 
schon  längst  emporgewachsenen  Entschluss,  die  theatralischen  Bestrebungen 
aufzugeben  und  die  musikalische  Laufbahn  zu  betreten,  zur  vollen  Reife.  Als 
Concertsänger  mit  Beifall  aufgenommen,  zählte  J.  bald  zu  den  gesuchten,  und 
in  nicht  langer  Zeit  zu  den  ersten  Gesanglehrern  Berlins.  Als  solcher  bis 
jetzt  noch  rüstig  wirkend,  hat  er  über  900  Schüler  und  Schülerinnen  privatim 
unterrichtet;  auch  Prinzessin  Louise  von  Preussen,  die  Tochter  des  Prinzen 
Karl,  zählte  dazu  von  1849  bis  1852;  zugleich  war  er  am  Hofe  dieses  Prinzen 
bis   1856  als  leitender  Musiker  und   Sänger  bei  Festlichkeiten  thätig. 

Im  Novbr.  1845  begründete  J.  einen  Gesangverein,  welchem  er  25  Jahre 
hindurch  bis  Decbr.  1870  als  Director  vorstand.  Der  »Jähns'sche  Gesang- 
verein« widmete  sich  in  seinem  fein  geschulten  gemischten  Chore  den  Werken 
der  besten  Meister  geistlicher  und  weltlicher  Musik.  Im  Hause  des  verewigten 
Schinkel  ins  Leben  getreten,  hatte  derselbe  das  Glück,  seine  Versammlungen 
und  Uebungen  fast  ausschliesslich  im  Laufe  seines  Bestehens  nach  und  nach 
in  den  schönen   Sälen   vier   verschiedener  königl.  Ministerien  halten  zu  dürfen. 

—  Neben  den  Erfolgen  seiner  Lehrer-  und  Dirigententhätigkeit  hat  J.  deren 
nicht  minder  als  Componist  aufzuweisen.  Im  Stich  erschienen  von  ihm  von 
1829  bis  jetzt  über  130  ein-  und  mehrstimmige  Gesänge  (darunter  mehrere 
Kirchensachen),  ferner  1834  ein  grosses  Trio  für  Piano,  Violine  und  Cello, 
ein  melodisch  und  harmonisch  frisches  und  glänzendes  Werk,  op.  10  (Berlin, 
Schlesingei'),  an  welchem  sich  1835  einer  der  seltenen  literarischen  einfachen 
Diebstähle  vollzog,  insofern  dasselbe  in  Paris,  gänzlich  unverändert  in  Partitur 
und  Stimmen,  unter  folgendem  Titel  herauskam:  »J^''  Trio  concertant  pour 
Piano,  Violon  et  Violoncello  dedie  ä  son  ami  Mr.  Henri  de  Limay  par  Charles 
Merzdj  op.  34.  Ferner  erschienen  von  J.:  »Grosse  Sonate«  für  Pianoforte  und 
Violine,  op.  32  (Meyerbeer  dedicirt;  Wien,  Haslinger);  »Grosses  Duo«  für 
Pianoforte  und  Cello,  op.  33  (ebendas,);  »4  Fieces  car acter istiques«.  für  Piano- 
forte, op.  29  (ebendas.);  »Heeres- Auszug  und  Heimkehr«,  zwei  deutsche  Fest- 
märsche für  Pianoforte  zu  vier  Händen  auf  das  Jahr  1871,  op.  49  und  50 
(Berlin,  Schlesinger)  und  andere  Pianofortewerke  kleineren  TJmfangs.  —  Un- 
gedruckt blieben  bis  jetzt  eine  namhafte  Anzahl  von  Gesängen  und  Pianoforte- 
Compositionen,   unter    denen    die    zu  vier  Händen  von  hervorragendem  Werthe 

—  alles  Arbeiten  hauptsächlich  aus  den  späteren  Jahren  bis  zur  Gegenwart 
und  Belege  einer  immer  frischen  Arbeitskraft  und  nie  erlöschender  Freude 
am  Schaffen. 

Eine  ausgezeichnete  Stelle  nimmt  J.  als  Arrangeur  ein;  er  bearbeitete 
als  solcher  u.  A.  Spontini's  »Borussia«  und  »Festmarsch«  für  Pianoforte  zu  vier 
Händen;  das  Bedeutendste  aber  in  dieser  Richtung  leistete  er  in  den  vierhän- 
digen Pianoforte- Arrangements  Web  er 'scher  Werke,  welche  in  ihm  ihren  ver- 
ständnissvollsten Interpreten  gefunden  haben.  Dahin  gehören  die  derartigen 
Bearbeitungen  der  vier  grossen  Pianoforte-Sonaten  op.  24,  39,  49  und  70;  des 
grossen  Trios  op.  63,  des  zweiten  grossen  Ciavier  -  Concerts  in  Ss,  der 
grossen  Messe  No.  I  in  ^.^',  wie  der  Ouvertüren  zu  »Freischütz«  und  »Preciosa«. 
Auch  ist  hier  seiner  kritischen  Neu-Ausgaben,  der  von  100  Weber'schen  Lie- 
dern und  der  neuen  vollständigen  Ciavierauszüge  von  »Oberon«  und  »Preciosa« 
(sämmtlich  Berlin,  Schlesinger)  zu  gedenken.  —  Dein  Meister  Weber  ist  denn 
auch  ganz  vorzugsweise  J.'s  schriftstellerische  Thätigkeit  gewidmet,  deren 
Hauptwerk  von  der  Kritik  des  In-  und  Auslandes  als  eine  musterhafte  Arbeit 
von  grossem  und  dauerndem  Werthe  einstimmig  anerkannt  wurde.  Es  ist  dies 
der  gegen  500  Seiten  starke  Band,  betitelt:  »C.  M,  von  Weber  in  seinen 
Werken.  Chronologisch -thematisches  Verzeichniss  seiner  sämmtlichen  Com- 
positionen  nebst  Angabe  der  unvollständigen,  verloren  gegangenen,  zweifelhaften 
und  untergeschobenen,    mit  Beschreibung    der  Autographen,  Angabe  der  Aus- 

Musikai.    Oouver.s.-Lexikou.    V.  *•' 


t 


354  *Taell. 

gaben  und  Arrangements,  kriüsclien,  kunstbistorischen  und  biographischen  An- 
merkungen, unter  Benutzung  von  Weber's  Briefen  und  Tagebüchern  und  einer 
Beigabe  von  Nachbildungen  seiner  Handschrift«  (Berlin,  1871).  Dieser  grossen 
Arbeit,  welcher  nur  etwa  Köchel's  »Mozart«  verglichen  werden  kann,  schloss 
sich  an:  »C.  M.  v.  Weber.  Eine  Lebensskizze  nach  authentischen  Quellen. 
Mit  einem  neuen  Bildnisse  AVeber's«  (Leipzig,  1873).  Bei  gedrängter  Kürze 
ist  diese  Biographie  wohl  das  Zuverlässigste,  was  in  so  engem  Rahmen  über 
den  Meister  erschienen.  Auch  eine  namhafte  Anzahl  einzelner  Aufsätze  hat 
J.  in  verschiedenen  Zeitschriften  veröffentlicht.  —  Von  Bedeutung  ist  die  musi- 
kalische Bibliothek  J.'s,  als  deren  seltenster  und  werthvollster  Schatz  eine 
Sammlung  von  nTVeberianuK  erscheint,  welche  gegen  35ÜÜ  Piecen  umfasst. 
Unter  den  Noteu-Autographen  Weber's  befinden  sich  darin  u.  A.  die  vollstän- 
digen Entwüi'fe  zu  »Euryanthe«  und  der  »Aufforderung  zum  Tanz«,  die  Lieder 
zu  »Leyer  und  Schwert«,  die  Messe  in  JSs  etc.;  ungedruckt:  ein  Concert  für 
Viola,  die  Theatermusiken  zu  »Yngurd«  und  E.  Gehe's  »Heinrich  IV.«,  mehrere 
früheste  Jugendarbeiten  Weber's  etc.;  dazu  kommen  gegen  300  eigenhändige 
Briefe  und  Schriftstücke  des  Meisters,  gegen  700  Briefe  desselben  in  Copie, 
dessen  sämmtliche  gedruckte  und  ungedruckte  Werke,  jene  in  der  ersten  und 
fast  allen  Ausgaben  und  Arrangements  des  In-  und  Auslandes,  diese  in  Copie; 
eine  ganze  Literatur  über  Weber  in  grösseren  Werken  und  kleineren  Einzel- 
schriften, eine  Sammlung  bildlicher  Darstellungen,  Weber  betreffend,  darunter 
allein  86  Bildnisse  desselben,  Reliquien,  Curiusen  u.  v.  A.  Diese  -nWeherianan 
sollen  nach  J.'s  Ableben  an  eine  öffentliche  Staatsbibliothek  übergehen,  — 
Aeusserliche  Anerkennungen,  die  J.  geworden,  sind:  1849  seine  Ernennung 
zum  königl.  Musikdirector,  1870  desgleichen  die  zum  k.  Professor;  ferner  1871 
die  Verleihung  des  Ritterkreuzes  des  k.  k.  österreichischen  Eranz-Josef-Ordens, 
des  Ritterkreuzes  1.  Klasse  des  grossherzogl.  badischen  Ordens  vom  Zähringer 
Löwen,  des  Ritterkreuzes  2.  Klasse  des  herzogl.  Sachsen-Ernestinischen  Haus- 
ordens, der  goldenen  Medaille  durch  den  König  Ludwig  IL  von  Baiern,  wie 
1846  einer  gleichen  durch  den  damaligen  Kronprinzen  Georg  von  Hannover. 
—  Ein  von  Stein  gezeichnetes,  von  C.  Fischer  lithographirtes  ähnliches  Bildniss 
von  J.   erschien   1854  in  Berlin,  Tx'autwein  (Bahn). 

Jaell,  Alfred,  voi-züglicher  Pianofortevirtuose,  geboren  am  5.  März  1832 
zu  Ti'iest,  wurde  von  seinem  Vater  anfangs  im  Violinspiel  unterrichtet,  ging 
aber  in  seinem  sechsten  Jahre  zum  Ciavier  über,  auf  dem  er  so  reissende  Fort- 
schritte machte,  dass  er  von  1843  an  als  angestauntes  AVunderkind  grosse 
Concertreisen  unternehmen  konnte.  Wien,  Mailand  und  das  südliche  Frank- 
reich waren  damals  die  Hauptstätten  seiner  Triumphe.  Ende  1845  begab  er 
sich  nach  Brüssel,  wo  er  zwei  Jahre  lang  blieb  und  nur  einige  Ausflüge  nach 
Holland  machte,  hierauf  1847  nach  Paris,  wo  man  ihm  als  Pianisten  huldigte. 
Er  blieb  dort  bis  zur  Februarrevolution  von  1848  und  trat  dann  eine  mehr- 
jährige Concertreise  nach  Amerika  an.  Im  J.  1854  durchflog  er  Deutschland, 
Polen  und  Russland  und  hielt  sich  in  Leipzig  und  Paris  länger  auf,  überall 
unverminderte  Triumphe  einerntend.  Vom  König  von  Hannover  wurde  er  zum 
Hofpianisten  ernannt  und  erfreute  sich  auch  zahlreicher  ajiderer  Auszeichnungen. 
Seit  1860  wechselte  er  seinen  Aufontlialt  zwischen  Holland  und  Paris  und  be- 
gleitete im  AVinter  1864  und  1865  die  Sängerin  Carlotta  Patti  als  Concert- 
genosse  durch  Deutschland,  ohne  jedoch  namhafte  Erfolge  aufweisen  zu  können,  , 
da  er  bereits  durch  geistvollere  Pianisten  in  den  Schatten  gestellt  war.  Nur 
in  Italien  und  Frankreich  begegnete  er  nach  wie  vor  der  alten  Anhänglichkeit,, 
und  er  gab  auch  während  und  nach  dem  französischen  Kriege  von  1870  seiner 
Sympathie  für  die  besiegte  Nation  unverhohlenen  Ausdruck.  Verheirathet  ist 
er  mit  der  vortreftlichen  Pianistin  Traut  mann,  mit  der  zusammen  er  häufig 
in  Paris  und  in  französischen  Badeorten  Concerte  giebt.  Sein  Spiel  ist  im 
höchsten  Grade  fertig  und  iraponirt  durch  Glanz,  aber  nicht  durch  Tiefe. 
Diesen  Eigenschaften  entsprechend    sind    auch    seine  Compositionen,    bestehend   ■ 


Jäschke  —  Jagati.  355 

in  Transscriptioneu,  Salonstücken,  Fantasien  über  Openimelodien  und  anderen 
schalen  Ciaviersachen.  Er  hat  es  in  Folge  seines  unausgesetzten  Touiisteulebeus 
auch  nicht  zu  einem  einzigen  gehaltvollen  grösseren  Werke  gebracht. 

Jäschke,  Hermann  Gustav,  tüchtiger  deutscher  Violinist,  geboren  am 
13.  Decbi'.  1818  zu  Breslau,  machte  sich  im  localeu  Umkreise  als  hervorragen- 
der Vertreter  seines  Instrumentes  rühmlich  bekannt.  An  die  grössere  Oeffent- 
lichkeit  trat  er  als  Componist  von   Ciavier-  und  Violinstücken. 

Jaffe,  Moritz,  guter  Violinist  und  talentvoller  Componist,  geboren  am 
3.  Jan.  1835  zu  Posen,  wurde  von  seinem  Vater,  der  Gutsbesitzer  war,  eben- 
falls für  die  Landwirthschaft  bestimmt  und  musste  die  Gymnasien  in  Posen, 
Bromberg  und  seit  1853  in  Berlin  besuchen.  Nachdem  er  in  der  Provinz 
einen  nothdürftigen  Musikunterricht  genossen  hatte,  wurde  er  in  Berlin  ein 
fleissiger  Violinschüler  von  H.  Ries  und  trat  in  die  königl.  Orchesterschule. 
Zugleich  begann  er  bei  C.  Böhmer  die  theoretischen  Curse.  Der  Abneigung 
seiner  Familie  gegen  musikalische  Studien  musste  er  endlich  nachgeben  und  in 
ein  Bankgeschäft  treten.  Dort  hielt  er  es  jedoch  nicht  lange  aus  und  begab 
sich  1858  heimlich  nach  Paris,  wo  er  bei  Maurin  und  bei  Massard  Violinspiel 
sowie  bei  Hauptner  Compositionslehre  studirte.  Nach  Berlin  zurückgeführt, 
musste  er  sich  wieder  der  industriellen  Thätigkeit  zuwenden,  Hess  sich  aber 
von  Ferd.  Laub  vollends  ausbilden;  öffentlich  aufzutreten  wurde  ihm  jedoch 
nicht  gestattet.  So  sehr  ihm  das  Glück  in  seinen  industriellen  Unternehmungen 
zur  Seite  stand,  so  wenig  befriedigt  fühlte  er  sich  von  der  Consequenz,  der 
Kunst  nur  als  Dilettant  nahe  stehen  zu  dürfen,  und  nachdem  er  sich  eifrig  den 
Studien  des  Contrapunktes  und  der  Instrumentation  unter  Leitung  B.  Wüerst's 
und  sodann  Ludw.  Bussler's  hingegeben  hatte,  entsagte  er  den  Handlungsge- 
schäften und  widmete  sich  in  gesicherten  Verhältnissen  seit  1870  ausschliesslich 
der  Musik.  Er  hat  bis  jetzt  zwei  Opern,  »Das  Käthchen  von  Heilbronn«,  auf- 
geführt in  Augsburg  und  Prag,  und  »Eckehard«,  componirt,  ausserdem  ein 
Streichquartett,  eine  Reverie  für  Violine,  mehrere  Preislieder  für  das  deutsche 
Liederbuch  u.  s.  w.  Bedeutend  ist  J.  als  Quartettgeiger;  als  solcher  weiss  er 
fast  sämmtliche  Quartette  von  Mozart,  Beethoven,  Mendelssohn,  Schubert  u.  s.  w. 
auswendig. 

Jagrati  nennen  die  Inder  einen  musikalischen  Rhythmus  der  Hymnen  der 
Veda's  (s.  d.).  Bis  heute  herrschen  über  diese  Rhythmen  im  Allgemeinen, 
wie  über  den  J.  genannten  noch  verschiedene  Anschauungen.  Benfey  behauptet, 
der  J.  bestehe  aus  vier  Abtbeilungen,  jede  aus  zwölf  Sylben  gebildet,  welche 
Sylben  zuweilen  je  sechs,  zuweilen  je  zwölf  eine  Strophe  ausmachen.  Jedes 
Glied    hat    iambisches     Metrum,   jedoch    die     Schwere    auf    dem     letzten    Theil 

s_ 

4 

steht.  In  gewissen  Hymnen  gestaltet  sich  der  J.  jedoch  so,  dass  auf  einen 
Spondeus  ein  lambus  folgt,  und  noch  andere  mehr  hiervon  abweichende  J. 
findet  man  im  modernen  Volksgesang,  wie: 


-1^— 


T 


,  wodurch  ein  regelmässiger  musikalischer  Rhythmus  ent- 


(i-R-^- 


s 


S       _  1^ 13 


r-[4'rr-\^^-rr-f4rrr[^rrf4-rrt 


etc. 


M.  Müller  theilt  alle  vedischen  Rhythmen  in  sieben  Klassen,  und  findet,  dass 
der  J.  aus  12  +  12+12  +  12  Sylben  im  rein  iambischen  Zeitmaass  besteht. 
Derselbe  giebt  als  Beispiel  folgende   Sätze; 

Ab  -  hi   tyam    meslam     pur-ra-ha         tamrig     miham  indram 

23* 


356 


Jacfdhorn  —  Jaha. 


gir  -  tlür    ma  -  da  -  ta      var  -  va 


T-rTi-r-r-rr-r 


j.  ^ 

ar  -  na 


-o- 


vam 


i-r' 


e 


-  J.  ^  S  ^  Z  ^  J.  ^  J.  ^  J.  ^  ± 

Yar  -  ya     hya  -  vo    na    vi     -     ka  ran  -  ti    mti  -  nus  -  kä     bhu  -  ee 

i  I  13  I  !  I 

-rrr-rrr-ri  r^rr-rTT-rtT-rTT  "r 


manihust    •    lain    abhi 


e-p 


vipram    ar  -  ka  -  ta 


4  I 


-nr-rr 


Gewissheit  über  die  J.  kann  erst  die  Zukunft  bieten  (s.  Indische  Musik).       0. 

Jag'dhoru  (ital.:  co7'no  da  caccia,  franz.:  cor  du  chasse)  oder  Waldhorn, 
s.  Hörn. 

Jag'cin.aun,  Christian  Joseph,  deutscher  Gelehrter,  geboren  1735  zu 
DingelstUdt  im  Eichsfeld,  wurde  nach  einem  wechselvollen  Mönchs-  und  Priester- 
leben 1773  Direktor  am  katholischen  Gymnasium  zu  Erfurt  und  1775  Privat- 
bibliothekar der  Herzogin  Amalie  von  Weimar.  Als  solcher  starb  er  am 
4.  Febr.  1804  zu  Weimar.  Der  »Deutsche  Merkur«  brachte  von  ihm  1796  einen 
Beitrog  zum  Leben  und  zur  AVürdigung  Sacchini's,  —  Seine  Tochter,  Karo- 
line J. ,  geboren  1778  zu  Weimar,  glänzt  unter  den  Sternen  der  deutschen 
Bühneugesang-  und  Schauspielkunst.  Durch  ihre  ausserordentliche  Schönheit 
und  ihr  sich  schon  früh  kund  gebendes  seltenes  Talent  nahm  sie  die  Herzogin 
Amalie  völlig  für  sich  ein ,  welche  sie  nach  Mannheim  sandte  und  durch  das 
Sängerpaar  Beck,  sowie  durch  Iffland  gi'ündlich  für  die  Bühne  ausbilden  Hess. 
Von  dort,  wo  sie  bereits  höchst  erfolgreich  aufgetreten  war,  zurückgekehrt,  de- 
bütirte  sie  am  19.  Febr.  1797  im  »Oberou«  von  Wranitzky  und  wurde  als 
Hofsängerin  am  weimar'schen  Theater  angestellt.  Durch  ihre  körperlichen 
Reize,  wie  durch  ihr  seelenvolles  Spiel,  ihren  unvergleichlichen  Vortrag  und 
ihre  im  Tragischen  ergreifende  Darstellung  riss  sie  Alles  zur  Bewunderung  hin  und 
einige  Ausflüge,  besonders  ein  Gastspiel  in  Berlin  im  J.  1801,  vermehrten  ihren 
Ruhm.  Selbst  Goethe  und  Schiller  huldigten  ihr,  und  der  Grossherzog  Karl 
August  buhlte  um  ihre  Liebe.  Erst  nach  langem  Widerstreben  ergab  sie  sich 
dem  Letzteren  und  wurde  unter  dem  Namen  Frau  von  Heigendorf  mit  dem 
Rittergut  Heigendorf  beschenkt.  Ihrem  seitdem  mächtigen  Einflüsse  soll  sogar 
Goethe  gewichen  sein,  indem  er,  um  ihr  gänzlich  das  Feld  zu  räumen,  1821 
von  der  Verwaltung  der  Bühne  zurücktrat,  auf  welche  sie  von  da  an  bis  zum 
Tode  des  Grossherzogs,  als  Künstlerin  noch  1822  bewundert,  den  grössten 
Einfluss  ausübte.  Hierauf  musste  sie,  gehasst  vom  Hofe  und  dem  Lande, 
Weimar  verlassen  und  ging  nach  Berlin,  wo  sie  mehrere  Jahre  zurückgezogen 
verlebte.  Seit  1830  jedoch  hielt  sie  sich  abwechselnd  auf  ihrem  Gute,  in 
Mannheim  und  anderen   deutschen   Städten  auf.     Sie  starb   1847  zu  Dresden. 

.Jalin,  Otto,  einer  der  berühmtesten  Philologen  und  Archäologen  Deutsch- 
lands, aber  auch  tüchtiger  Musiker,  mustergültiger  Kritiker  und  vorzüglicher 
musikalischer  Schriftsteller,  wurde  am  16.  Juni  1813  zu  Kiel  geboren.  Durch 
seinen  Vater,  welcher  Syndicus  war,  erhielt  J.  eine  vortrefiliche  Gymnasial- 
bildung, erst  in  seiner  Vaterstadt,  dann  zu  Schulpforta,  mit  welcher  eine  un- 
ausgesetzt eifrige  Beschäftigung  mit  Musik  verbunden  war.  Seine  Universitäts- 
studien begann  er  1831  zu  Kiel  unter  Nitzsch,  setzte  sie  zu  Leipzig  unter 
Hermann  fort  und  vollendete  sie  von  1833  an  unter  Lachmann  und  Böckh  zu 
Berlin.  Nachdem  er  1836  in  Kiel  promovirt  und  sich  einen  Winter  in  Kopen- 
hagen aufgehalten  hatte,  ging  er,  von  der  dänischen  Regierung  unterstützt, 
1837  nacli  Paris,  dann  nach  der  Schweiz  und  im  Herbst  1838  nach  Italien, 
wo  er  zu  Rom  eifrig  archäologischen   und  altmusikalisch cn   Forschungen  oblag. 


Jahn.  357 

Nach  seiner  Rückkehr  Ende  1839  habilitirte  er  sieb  in  Kiel,  wurde  aber  schon 
1842  als  ausserordentlicher  Professor  nach  Greifswald  berufen,  wo  er  1845  eine 
ordentliche  Professur  erhielt.  Zwei  Jahre  später  ward  er  in  gleicher  Eigen- 
schaft sowie  als  Direktor  des  archäologischen  Museums  in  Leipzig  angestellt, 
und  auch  hier  war  er  musikalisch  überaus  thätig.  Wegen  seiner  Theilnahme 
an  den  politischen  Bewegungen  der  Jahre  1848  und  1849  wurde  er  1851 
seines  Amtes  entsetzt  und  privatisirte  seitdem  in  Leipzig,  bis  er  Ostern  1855 
einem  ehrenvollen  Rufe  an  die  Universität  Bonn  Folge  leistete.  Sein  Wirkungs- 
kreis daselbst  war  ein  sehr  umfassender  und  sein  bewundernswerther  Privat- 
fleiss  erweiterte  denselben  zu  ausserordentlichem  Umfang.  Gerade  mit  der 
Herausgabe  von  Moritz  Hauptmann's  Briefen  beschäftigt,  ereilte  ihn  leider  zu 
früh  bei  einem  Besuche  in  Göttingen  am   9.   Septbr.   1869  der  Tod. 

J.  hat  sich  das  Heimath-  und  Büi'geri*echt  auf  drei  Gebieten  gewonnen, 
deren  jedes  die  volle  Zeit  und  Kraft  des  Einzelnen  sonst  zu  fordern  pflegt: 
auf  dem  der  classischen  Philologie  und  Archäohgie,  der  deutschen  Literatur, 
namentlich  der  mittelalterlichen,  endlich  der  Geschichte  der  Musik.  Sein  der 
letzteren  gewidmetes  Hauptwerk  ist  die  grosse  »W.  A.  Mozart«  betitelte  Bio- 
graphie (4  Bde.,  Leipzig,  1856  bis  1859;  zweite  umgearbeitete  Aufl.,  2  Bde., 
Leipzig,  1867).  Unermesslich  ist  die  Ausbeute  geduldiger,  liebevoller,  wissen- 
schaftlicher Arbeit,  die  hier  niedergelegt  worden.  Nicht  allein  in  dem  Reich- 
thum  und  der  Zuverlässigkeit  des  thatsächlichen  StofiPs,  wie  in  der  ruhigen 
Sicherheit  des  kritischen  und  ästhetischen  Urtheils  ist  diese  Lebensbeschreibung 
unübertroffen  und  für  alle  Zeiten  mustergültig,  sondern  auch  noch  durch  den 
wichtigsten  Vorzug,  der  sie  zu  einem  biographischen  Kunstwerk  stempelt. 
Während  sie  nämlich  das  Wesen  ihres  Helden  aus  dessen  innerster  Natur- 
anlage,  wie  aus  den  verschiedenen,  es  nährenden  und  kräftigenden  Bildungs- 
elementen organisch  sich  entwickeln  lässt,  während  sie  in  der  Mannigfaltigkeit 
des  Einzelnen  stets  die  Beziehungen  zum  Ganzen  gegenwärtig  hält,  entfaltet 
sie  ein  Schauspiel,  das  in  seiner  reinen  Harmonie,  durchsichtigen  Klarheit  und 
allseitigen  Folgerichtigkeit  kaum  minder  erhebend,  als  irgend  welche  unter  den 
Schöpfungen,  die  dem  hier  geschilderten  Leben  ihre  Entstehung  verdankten,  ist. 
Dabei  erscheint  der  Tondichter  Mozart  werdend  und  wachsend  stets  in  innigster 
Wechselwirkung  mit  den  Menschen  und  Dingen  um  ihn  her;  gleich  einem 
mächtigen  Stamm  mit  allen  Zweigen,  Blättern,  Blüthen  und  Früchten,  nicht 
minder  mit  dem  gesammten  Erdreich,  das  seine  Wurzeln  umklammern,  ist  hier 
die  Gestalt  des  Meisters  herausgehoben  aus  dem  Boden  der  Culturgeschichte. 
Der  grossen  Mozart-  sollte  eine  ähnliche  Beethoven-Biographie  folgen,  zu  der 
J.  bereits  eine  Fülle  unschätzbaren  Materials  mühsam  zusammengebracht  hatte. 
Er  sollte  seinen  Vorsatz  jedoch  unerfüllt  lassen  und  die  auf  diese  Arbeit  mit 
Recht  gesetzten  grossartigen  Erwartungen  durch  den   Tod  vereiteln. 

Seine  in  verschiedenen  Zeitschriften  zerstreuten  musikalisch -kritischen 
Artikel  gab  J.  unter  dem  Titel  »Gesammelte  Aufsätze  über  Musik«  (Leipzig, 
1866)  heraus.  Namentlich  mit  den  »Grenzboten«  hat  er  bis  zuletzt  in  lebhafter 
Verbindung  gestanden;  sie  verdanken  ihm  auf  musikalischem  Felde  zwei  geist- 
volle Berichte  über  die  beiden  grossen  niederrheinischen  Musikfeste  von  1855 
und  1856,  einen  an  kritischer  und  biographischer  Belehrung  reichen  Aufsatz 
über  die  Gesammtausgabe  der  Beethoven'schen  Werke,  endlich  die  geharnischten 
Artikel  über  Berlioz  und  Rieh.  Wagner.  Der  begeisterte  Bewunderer  und 
kundige  Ausleger  des  classischen  Alterthums,  dem  in  den  Schöpfungen  der 
Wiener  Tonschule  eine  ähnliche  Welt  der  Schönheit  aufleuchtete,  wie  sie  einst 
dem  antiken  Ideal  entblüht,  erblickte  in  den  Tonstürmen  der  jüngsten  roman- 
tischen Schule  nur  die  rohen  Ausbrüche  kunstfeindlicher  Willkür.  Endlich 
hat  J.  noch  eine  Schrift  »Ueber  Mendelssohn's  Paulus«  (Kiel,  1842)  und  einen 
durch  seine  kritische  Sorgfalt  musterhaften  Ciavierauszug  von  Beethoven's 
»Ijeonore«  (Leipzig,  1851)  verfasst.  Auch  als  Componist  von  Chor-  und  Solo- 
liedern,   denen  Weihe  und  Innigkeit  der  Stimmung,  Fluss  und  Adel  des  Aus- 


358  Jaina  —  Jambe-de-Fer. 

drucks  nachzurühmen  ist,  hat  er  sich  versucht.  Sinnige  Weisen  hat  er  endlich 
zu  einigen  Gedichten  aus  Klaus  Groth's  »Quickhorn«  gesetzt.  Eine  in  strengster 
philologischer  Zucht  geschulte  Kritik,  umfassendste  "Weite  des  allgemeinen 
geistigen  wie  des  künstlerischen  Gesichtskreises,  die  damit  zusammenhängende 
Besonnenheit,  Reife  und  Unbefangenheit  des  Urtheils,  die  innigste  Vertrautheit 
mit  der  geschichtlichen  Entwickelung  der  Musik,  das  klare  Bewusstsein  von 
ihrem  ästhetischen  und  nicht  minder  von  ihrem  ethischen  Beruf,  dazu  genaue 
Bekanntschaft  mit  ihrem  technischen  Werkzeug,  endlich  eine  selbst  unter  deut- 
schen Gelehrten  seltene  Arbeitskraft,  alle  diese  Eigenschaften  im  erhebenden 
Bunde  zeichneten  J.  aus  und  sichern  ihm  einen  der  allerersteu  Plätze  in  der 
musikalischen  Literaturgeschichte. 

Jaina  ist  der  Name  einer  Blattflötenart  aus  weichem  Schilfrohr,  welche 
bei  den  Indianern  im  westlichen  Südamerika,  wie  Tschudi  in  seinen  Reise- 
skizzen aus  Peru  (1846)  berichtet,  heimisch  ist.  Der  Ton  dieses  Instru- 
ments soll  auf  die  Indianer  schwermuthsvoll  wirken,  so  dass  derselbe  sie  aus 
dem  lärmendsten  Toben  sofort  zur  grössten  Ruhe  und  Andacht  umzustimmen 
vermochte.  0. 

Jaladhamala  heisst  in  der  indischen  Musik  ein  Rhythmus  aus  52  Sylben, 
welche  in  folgenden  Längen  gegeben  werden  müssen: 

^  r  I   ii    I    riiiiri    i    ii    r 

Er  wird  vier  Mal  wiederholt  und  vier  Glieder  sind  zuzusetzen  (s.  Indische 
Musik).  0. 

Jaleo  de  Xeres  (span.),  ein  in  Spanien  gebräuchlicher  Nationaltanz  von 
lebhaftem  Charakter.  Durch  die  moderne  Oper  und  das  Ballet  ist  er  all- 
gemeiner bekannt  geworden. 

Jalousieschweller  nannte  Grenie  eine  Vorrichtung  an  der  Orgel,  die  er 
1811  erfand  und  vermöge  welcher  er  den  Klang  mehrerer  Register  nach  Be- 
lieben zu-  und  abnehmen  lassen  konnte.  Er  baute  zu  dem  Ende  die  Register, 
welche  er  sich  in  dieser  Weise  zu  Gebote  stellen  wollte,  in  einen  festgeschlos- 
senen Kasten.  Die  eine  Wand  dieses  Kastens  bildeten  Jalousienläden,  welche 
von  dem  Spieler  nach  Belieben  geöffnet  und  geschlossen  werden  konnten,  so 
dass,  je  naclidem  der  Ton  der  Orgelpfeifen  freier  oder  behinderter  nach  Aussen 
gelangte,  sich  die  Kraft  desselben  kundgab.  Man  regiert  die  Jalousien  durch 
unter  dem  Orgelmanuale  angebrachte  Registerstangen,  welche  mit  dem  Knie 
behandelt  werden,  oder  durch  an  der  Seite  oberhalb  des  Pedals  befindliche 
Hebel,  die  mit  den  Füssen  niedergetreten  werden ;  beide  Registerzugarten  wer- 
den mittelst  einer  Feder  wieder  in  die  Ruhelage  getrieben  (s.  auch  Cres- 
cendo-  und  Decrescendozug).  •  2. 

Jamard,  fi'anzösischer  Geistlicher  und  Mathematiker,  geboren  1720  in 
der  Normandie,  war  Prior  in  Roquefort  und  veröffentlichte  Untersuchungen 
über  die  Theorie  der  Musik  nach  einem  Werke  Balliere's  über  denselben 
Gegenstand. 

Jamata-Koto  oder  Jamata-Kollo  nennen  die  Japanesen  ein  Saiteninstru- 
ment, das  dem  Kin  (s.  d.)  der  Chinesen  ähnlich,  doch  viel  roher  gebaut  ist. 
Dasselbe,  die  Harfe  des  gemeinen  Volkes,  besitzt  einen  Bezug  von  nur  sechs 
Saiten  und  diese  werden  mit  einem  Piektrum  behandelt.  0. 

Jambe-de-Fer,  Philibert,  französischer  Contrapunktist  des  16.  Jahrhun- 
dei'ts,  geboren  zu  Lyon  (nicht,  wie  vielfach  raitgetheilt,  zu  la  Fere),  bekannte 
sich  zur  calviuistischen  Religion  und  hat  in  Folge  dessen  die  Psalmbearbeitungen 
dieser  Kirche  in  Musik  gesetzt.  Er  scheint  auch  einige  Zeit  in  Poitiers  und 
Paris  gelebt  zu  haben,  dürfte  aber  in  Lyon,  vielleicht  sogar  als  ein  Opfer  der 
Bartholomäusnacht,  im  August  1.572.  gestorben  sein.  Seine  bekannt  gebliebenen 
AVerke  sind:  »Les  cent  psaumes  de  David  mis  en  fraiignis  jmr  Jean  Poictevin, 
ä  quatre  partiesi  (Poitiers,   1549;  spätere  Ausg.  1551   und  Paris,  1558);  »Les 


lambikon  —  Janacconi.  359 

vingt-deux  octonnaires  du  psalme  119  de  David,  traduits  par  J.  Poictevin,  mis 
en  musiqioe  ä  4  partiesv.  (Lyon,  1561);  »Zes  cent  et  cinquante  psaumes  de  David, 
mis  en  rimes  frangaises  par  Clement  3Iarot  et  Theodore  JBeze  ä  quatre  et  cinq 
partiesa  (Paris,   1561,  und  Lyon,  1564). 

lambikon  (griech.)  hiess  einer  der  fünf  Theile  der  den  Sieg  des  Apollon 
über  den  Drachen  Python  feiernden  Hymne,  mit  welcher  die  in  den  pythischen 
Spielen  zu  Delphi  um  den  musikalischen  Preis  wetteifernden  Sänger  sich  hören 
lassen  mussten. 

lamblichns,  ein  neuplatonischer  Philosoph  aus  Chalcis  in  Cölesjn-ien,  lebte 
im  4.  Jahrhundert  n.  Chr.  und  war  ein  Schüler  des  Porphyrius.  An  dem 
Kaiser  Julian  fand  er,  als  Vertheidiger  des  alten  Grötterglaubens ,  einen  be- 
geisterten Verehrer.  Von  seinen  vielen  Schriften,  von  denen  u.  A.  eine  Ab- 
handlung über  die  Musik  verloren  gegangen  zu  sein  scheint,  sind  ausser  einigen 
mathematischen  noch  übrig  ein  grösseres  Fragment  des  Lebens  des  Pythagoras 
und  eine  Ermahnung  zur  Philosophie,  beide  von  Kiessling  (Leipzig,  1813  und 
1815)  herausgegeben.  Das  Meiste,  was  von  der  Lehre  des  Pythagoras  über 
die  musikalischen  Propoi'tionen  noch  bekannt  geblieben  ist,  stammt  aus  dem 
zuerst  genannten  Bruchstück. 

lambos  (griech.;  latein.:  lamhus)  heisst  in  der  Metrik  theils  ein  aus  einer 
kurzen  und  langen  Sylbe  (^ —)  bestehender  Versfuss,  theils  überhaupt  ein  aus 
mehreren  solchen  Füsse  zusammengesetzter  Vers,  auch  der  iam bische  Vers 
genannt,  dessen  Erfindung  man  dem  altgriechischen  Dichter  und  Tonkünstler 
Archilochus  (s.  d.)  zuschreibt,  der  ihn  schon  völlig  ausgebildet  in  seinen 
Schmähgedichten  angewendet  hat  (s.  auch  Metrum). 

James,  John,  berühmter  englischer  Orgelvirtuose  und  Componist,  geboren 
gegen  Ende  des  17.  Jahrhunderts,  fungirte  an  mehreren  Kirchen  in  London 
als  stellvertretender  Organist,  wobei  er  sich  auf  jährlich  acht  Pfd.  Sterl.  stand. 
Gleichwohl  übertraf  er  hoch  alle  Organisten,  für  die  er  aushülfeweise  eintrat, 
und  seine  Kunst  zu  improvisiren  und  frei  zu  phantasiren  soll  anstaunenswerth 
gewesen  sein.  Zu  einer  festen  Anstellung  vermochte  er  leider  nicht  zu  ge- 
langen, da  er  zu  sehr  dem  Trünke  und  anderen  Ausschweifungen  ergeben  war. 
Er  starb  1745  zu  London  und  wurde  in  hervorragend  feierlicher  Weise  be- 
erdigt, da  zahlreiche  Musiker  sich  einfanden  und  eine  Trauerhymne  seiner 
Composition  ausführten.  Hinterlassen  hat  er  einige  Fantasien  und  Capriccios 
für  Orgel  im  grossen  Style  Händel's,  sowie  viele  Gesänge.  —  Ein  englischer 
Flötist  neuerer  Zeit,  William  N.  James,  ein  Schüler  Nicholson's,  hat  unter 
dem  bescheidenen  Titel  -»A  word  or  two  on  the  ßufe«  (London,  1826)  ein 
ziemlich  umfangreiches  Buch  veröffentlicht,  welches  auf  252  Seiten  die  tech- 
nischen, bei  der  Flöte  in  Betracht  kommenden  Gegenstände  behandelt  und 
biographische  Notizen  über  zahlreiche  Flötenvirtuosen  älterer  und  neuerer  Zeit 
giebt.  Eine  Uebersetzung  dieses  Buches  im  Auszuge  von  Karl  Grenser  befindet 
sich  im  Jahrg.  18.30  der  »Leipziger  allgem.  musikal.  Zeitung«. 

Jan,  latinisirt  Janus,  ist  der  Name  zweier  Componisten  des  17.  Jahr- 
hunderts. 1.  David  J. ,  ein  niederländischer  Touküustler,  veröffentlichte  die 
150  Psalme  David's,  nach  Melodien  der  reformirten  Kirche  für  vier  bis  acht 
Stimmen  gesetzt  (Arastex-dam,  1600).  —  2.  Martin  J.,  um  1650  Cantor  zu 
Sorau,  dann  Rector  zu  Sagan,  endlich  Prediger,  zuerst  in  Eckersdorf  bei  Sagan 
und  dann  im  Brieg'schen,  starb  daselbst  zwischen  1665  und  1670.  Sein 
Hauptwerk  ist  das  yyPassionale  melodicuma  (Görlitz,  1663),  wie  er  denn  über- 
haupt als  Componist  von  Choralweisen  bei  seinen  Zeitgenossen  vortheilhaft 
bekannt  gewesen  wai*. 

Janacconi,  Giuseppe,  auch  häufig  Jannaconi  und  Jannacconi  ge- 
schrieben, vortrefflicher  Kirchentonsetzer  der  neueren  römischen  Schule,  wurde 
1741  zu  Rom  geboren.  Sein  erster  Lehrer  im  Gesang,  Accompagnement  und 
den  Anfangsgründen  des  Contrapunktes  war  Soccorso  Riualdini,  Sänger  der 
päpstlichen  Kapelle,  worauf  J.  bei  Gaetano  Carpiui,  Kapellmeister  an  mehreren 


360  Janatka  —  Janequin. 

Kirclien  in  Rom,  seine  Studien  fortsetzte.  Vollkommen  ausgebildet,  wurde  er 
mit  Pasquale  Pisari  befreundet,  mit  dem  zusammen  er  einen  grossen  Theil  der 
"Werke  Palestrina's  in  Partitur  setzte,  bei  welcher  Arbeit  sich  J.  so  kenntniss- 
reich  und  geschickt  zeigte,  dass  Pisari  erkläi'te,  kein  Anderer  sei  so  würdig, 
die  Traditionen  der  altröraischen  Schule  weiter  zu  verpflanzen.  In  der  That 
errichtete  J.  auch  eine  Schule  für  Composition,  welcher  Italiener  und  Ausländer 
zueilten,  und  aus  der  urA.  Basili  und  Baini  hervorgegangen  sind.  Im  J.  1811 
wurde  J.  zum  Kapellmeister  des  Vaticans  und  der  St.  Peterskirche  ernannt, 
als  welcher  er  Nachfolger  Zingarelli's  war,  der  das  Direktorium  des  Conser- 
vatoriums  in  Neapel  übernommen  hatte,  und  starb  am  16.  März  1816,  nachdem 
er  einige  Tage  zuvor  auf  der  Strasse  von  einem  Schlaganfall  getroffen  worden 
war.  Er  war  ein  Meister  ersten  Ranges  im  strengen,  wie  im  sogenannten  or- 
ganischen und  instruraeutaleu  Style;  vorzüglich  aber  entwickelte  er  im  acht- 
und  16  stimmigen  Satze  eine  geniale  Kraft,  die  in  neuerer  Zeit  vergeblich  ihres 
Gleichen  suchen  möchte.  Man  hat  von  ihm  viele  Messen  zu  vier,  acht  und 
16  Stimmen,  theils  mit  Begleitung  der  Oi'gel,  theils  mit  Orchester,  ferner 
Psalme,  Motetten,  Magnificats,  Te  deums,  OfiFertorien,  Kanons  und  andere 
Kirchenstücke,  die  sich  theils  im  Besitz  von  Baini  und  Fetis  befanden,  theils 
in  der  Santini'schen  Sammlung  zu  Rom  und  in  der  Proske'schen  Bibliothek 
zu  Regensburg  aufbewahrt  werden.  Die  letztere  weist  von  ihm  auf:  mehrere 
vierstimmige  Motetten,  ein  Autograph  »Temcisti  manuma  für  drei  Stimmen 
mit  der  Jahreszahl  1794  und  einen  ebenfalls  von  seiner  Hand  sehr  zierlich 
geschriebeneu  Kanon. 

Jauatka,  Johann  Nepomuk,  ausgezeichneter  Waldhornvirtuose  und 
Lehrer  seines  Instruments,  geboren  am  29.  April  1800  zu  Trzeboratitz  in 
Böhmen,  genoss  den  ersten  musikalischen  Unterricht  von  seinem  Oheim  Joseph 
Zelenka,  dortigem  Scliullehrer  und  Organisten,  und  trat  1813  als  Zögling  in 
das  Conservatorium  zu  Prag,  wo  er  bis  1819,  eingehend  das  "Waldhorn  sowie 
Harmonielehre  und  Contrapunkt  studirend,  verblieb.  Im  J.  1822  wurde  er 
als  Hornist  an  das  Hofoperutheater  zu  Wien  gezogen,  dem  er  bis  zum  Schlüsse 
dieses  Theaters  1828  angehörte,  worauf  er  in  das  Orchester  des  Theaters  an 
der  Wien  trat,  1832  aber  einem  Rufe  als  Lehrer  für  AValdhorn  an  das  Con- 
servatorium zu  Prag  folgte.  Dort  wurde  er  zugleich  Oi'chestermitglied  des 
ständischen  Theaters  und  Direktor  der  Tonkünstler- Societät  für  Wittwen  und 
Waisen.  Seinem  Lehramt  widmet  er  sich  auch  noch  gegenwärtig,  obwohl 
hochbejahrt,  mit  grossem  Eifer;  von  seinen  Schülern  sind  vorzugsweise  zu 
nennen:  Heinr.  .Grottwald,  Alois  Taux,  Joh.  Lewy  und  Joh.  Koleschowsky. 
Besonderes  Verdienst  erwarb  sich  J.  durch  Abfassung  eines  gründlichen  theo- 
retischen und  praktischen  Uuterrichtsbuches  für  Waldhorn,  welches  mit  bestem 
Erfolge  in  der  Prager  Lehranstalt  zur  Anwendung  beim  Unterricht  ge- 
langt ist. 

Jancourt,  Louis  Marie  Eugene,  vorzüglicher  französischer  Fagottist 
und  Componist  für  sein  Instrument,  geboren  am  15.  Decbr.  1815  zu  Chateau 
Thierry,  kam,  musikalisch  bereits  trefflich  vorbereitet,  im  Decbr.  1834  auf  das 
Conservatorium  zu  Paris.  Schon  ein  Jahr  später  erhielt  er  daselbst  den  zweiten 
und  1836  den  ersten  Preis  in  der  Klasse  für  Fagott.  Von  1837  an  fungirte 
er  in  mehreren  Pariser  Theaterorchestern,  bis  er  als  erster  Fagottist  an  die 
dortige  italienische  Oper  kam.  Im  J.  1848  folgte  er  einem  Rufe  als  Professor 
seines  Instrumentes  an  das  Conservatorium  zu  Brüssel,  kehrte  jedoch  nach 
acht  Monaten  nach  Paris  zurück,  um  die  erste  Stelle  im  Orchester  des  Con- 
servatoriums  und  in  dem  der  Grossen  Oper  einzunehmen,  von  der  er  jedoch 
bald  darauf  zur  Komischen  Oper  überging.  Er  veröfiFentlichte  eine  vortreffliche 
theoretische  und  praktische  Pagottschule  in  drei  Thcilen  und  ebenso  von 
seiner  Composition  Duos,  Fantasien,  Variationen  und  andere  Stücke  für  das- 
selbe Instrument. 

Janeqnin,  s.  Jannequin. 


Jani  —  Janitscharen-Musik.  361 

Jani,  Johann,  guter  deutscher  Ciavierspieler  und  gewandter  Componist, 
geboren  um  die  Mitte  des  17.  Jahi-hunderts  zu  Göttingen,  empfing  seine  wissen- 
schaftliche und  musikalische  Ausbildung  auf  der  Martinsschule  in  Braunschweig. 
Im  Ciavier  unterrichtete  ihn  mit  glänzendem  Erfolge  Leyding,  und  als  sich  bei 
ihm  eine  schöne  Bassstimme  entwickelte,  wurde  er  zum  Präfect  des  Stadtsinge- 
chors ernannt  und  vielfach  auch  im  Theater  verwendet.  In  der  Composition 
unterrichtete  ihn  der  Kapellmeister  Theil,  der  sich  1686  einige  Zeit  lang  in 
Braunschweig  aufhielt.  Zu  theologischen  Studien  bezog  J.  die  Universität  in 
Helmstädt  und  siedelte  hierauf  als  Privatlehrer  für  Sprachen,  Realien  und 
Musik  nach  Hamburg  übei'.  Von  dort  erhielt  er  einen  Ruf  als  Hof-  und 
Stadtcantor  nach  Aurich,  dem  er  folgte,  wie  er  daselbst  auch  später  zum  Hof- 
organisten ernannt  wurde.  In  diesen  Stellungen  componirte  er  viele  Kirchen- 
musiken, sowie  für  seine  Gattin,  eine  gewesene  Bühuensängerin  in  Hamburg, 
Concertarien,  die  er  meist  selbst  dichtete  und  die  abschriftlich  vorhanden  ge- 
blieben sind.  Im  Druck  ist  keine  von  J.'s  Compositionen  erschienen.  Er  starb 
1728  zu  Aurich. 

Jauiewicz,  auch  Yaniewicz  geschrieben,  polnischer  Violinvirtuose,  ge- 
boren um  1750  zu  Wilna,  genoss  der  Protection  des  Königs  Stanislaus  zu 
Nancy  und  kam  um  1770  nach  Paris,  wo  er  seine  fünf  ersten  Violinconcerte 
veröffentlichte.  Hierauf  besuchte  er  Italien  und  concertirte  u.  A.  1786  in 
Mailand.  Von  dort  ging  er  nach  London  und  war  bis  zu  seinem  Tode  Diri- 
gent des  Orchesters  der  italienischen   Oper  daselbst. 

Jauina,  Olga  voü,  vorzügliche  Pianistin,  geboren  am  17.  Mai  1847  zu 
Lemberg,  empfing  die  höhere  Ausbildung  auf  ihrem  Instrumente  durch  Fr.  Liszt. 
Nach  Vollendung  ihrer  Studien  liess  sie  sich  in  Weimar,  Leipzig  und  "Wien 
mit  grossem  Beifall  hören  und  wurde  besonders  als  ausgezeichnete  Interpretin 
Chopin'scher  Werke  gerühmt.  Ihre  späteren  Kunstreisen,  1873  nach  Amerika, 
und  ihr  Auftreten  in  Paris,  im  Eebr.  1875,  tragen  ein  abenteuerliches  Gepräge, 
und  ein  von  ihr  verfasstes,  anrüchig  gewordenes  Buch  -»Souvenirs  d\in  cosaquea 
(Paris,  1874)  trug  mit  dazu  bei,  ihren  Künstlerruf  in  Verfall  zu  bringen. 

Janitsch,  Anton,  berühmter  Violinvirtuose  und  Componist,  geboren  1753 
in  der  Schweiz,  begann  im  vierten  Jahre  Violine  zu  spielen  und  eri'egte  als 
siebenjähriger  Knabe  bereits  das  Staunen  aller  Kenner.  Als  er  zwölf  Jahre 
alt  war,  schickte  ihn  sein  Vater  zu  Pugnani  nach  Turin,  der  ihn  in  zwei  Jahren 
zur  höchsten  Vollkommenheit  brachte.  Mit  2000  Gulden  Gehalt  wurde  J. 
bereits  1769  als  kurfürstl.  Concertmeister  zu  Trier  angestellt,  und  sein  Ruf 
als  Virtuose  und  Componist  begann  sich  über  ganz  Deutschland  zu  verbreiten, 
so  dass  ihn  der  Graf  von  Oettingen- Wallenstein  für  seinen  Hof  gewann.  Nicht 
lange  darauf  aber  ging  J.  als  Musikdirektor  an  das  Grossmann'sche  Theater 
nach  Hannover,  wo  er  bis  1794  verblieb.  Im  Begi'iff,  nach  England  zu  gehen, 
liess  er  sich  vom  Grafen  Burgsteinfurth  als  Kapellmeister  gewinnen  und  blieb 
nun  bei  demselben  bis  zu  seinem  Tode,  der  am  12.  März  1812  zu  Steinfurt 
erfolgte.  Von  seinen  allgemein  gerühmten  Compositionen  ist  nichts  im  Druck 
erschienen. 

Jauitsch,  Johann  Gottlieb,  vortrefflicher  Contrabassist,  geboren  am  19. 
Juni  1708  zu  Schweidnitz,  bildete  sich  als  Gymnasiast  zu  Breslau  und  als 
Student  der  Rechtsgelehrsamkeit  zu  Frankfurt  a.  0.  auch  musikalisch  tüchtig 
aus  und  wurde,  nachdem  er  Secretär  des  Kriegsministers  von  Happe  gewesen 
war,  1736  als  Kammermusiker  in  die  kronprinzl.  Kapelle  zu  Ruppin  und  Rheins- 
berg gezogen.  Mit  Friedrich  II.  ging  er  1740  nach  Berlin  und  führte  dort 
bis  zu  seinem  Tode  im  J.  1763  die  Oberleitung  der  Redoutenmusiken.  Er 
hat  im  Style  Graun's  Cantaten,  Trauermusiken,  Quartette,  Serenaden,  ein  Te 
deum  und  eine  Krönungsmusik  componirt. 

Janitscharen-Mnsik  oder  Türkische  Musik.  Den  ersten  Namen  erhielt 
diese  Musikart  im  Abendlande  nach  denen ,  welche  zuerst  diese  Musik  doi't  zu 
Gehör    brachten,    den    Janitscharen,    der    im    14.  Jahrhundert    organisirten 


362  Janitschareu-Musik. 

türkisclien  Miliz.  Jede  grössere  Coloniie  dieser  Krieger  hatte  ein  eigenes 
Musikcorps,  das,  indem  die  Jauitscharen  überall  Furcht  und  Schrecken  ver- 
breiteten, durch  Beine  diese  Thaten  begleitenden  wilden  und  seltsamen  Klänge 
die  Aufmerksamkeit  der  Abendländer  auf  sich  lenkte.  Türkische  Musik 
nannte  man  diese  Musikart  später  nach  dem  den  Orient  beherrschenden  Volke, 
unter  dessen  Fahnen  dieselbe  zuerst  in  fester  Form  bekannt  wurde,  den  Türken. 
Dies  Volk  drang  aus  seinen  Ursitzen ,  südlich  vom  Altai  in  Hochasien,  durch 
die  Steppen  Asiens  nach  Persien  und  errichtete  von  dort  aus  eine  über  die 
Fluren  Asiens,  Afrikas  und  Europas  sich  ausbreitende  Weltherrschaft  aus  den 
Trümmern  des  Kalifats  und  des  oströmischen  Kaiserreiches.  Erst  im  17.  Jahr- 
hundert jedoch  scheint  diese  Musikart  selbst  bei  den  Türken  als  Kriegsmusik 
bis  zu  einer  festen  Form  sich  entwickelt  zu  haben,  trotzdem  die  orientalische 
Krieersmusik  in  der  älteren  Zeit  meist  schon  ähnlicher  Art  war.  Im  Abend- 
lande  hört  man  ja  heute  noch  ähnliche  Musik,  wenn  man  den  sogenannten 
Tusch  (s.  d.)  mit  seinem  Tongewirr  noch  Musik  nennen  will.  Nach  den  frii- 
hesten  Mittheilungen  führte  das  Musikcorps  der  Jauitscharen  folgende  Instru- 
mente: a)  3  kleine  Oboen,  2  grössere  Oboen,  1  Querflöte,  alle  von  sehr  scharfem, 
durchdringenden  Schalle  in  Unisono-  oder  Octavenstimmung;  h)  1  grosse  Pauke, 
2  kleine  Pauken,  3  kleine  Trommeln,  1  grosse  Trommel,  die  bald  mit  Filz- 
ballen auf  dem  Fell ,  bald  mit  Metallstäben  (den  Kehrseiten  der  Schlägel)  auf 
dem  Holze  behandelt  wurden;  c)  2  Cymbeln,  jede  mit  zwei  kleinen  Cymbeln, 
Becken,  1   Cymbel  mit  zwei  grossen  Becken  und  2   Triangel. 

Das  Zusammenspiel  dieser  Tonwerkzeuge  war  derartig,  dass  jeder  Musiker 
das  ihm  anvertraute  Tonreich  in  kräftigster  Art  zu  verwerthen  suchte  und 
zwar  die  Blasinstrumente  in  schnellster  Abwechselung  der  ihnen  eigenen  Klänge 
der  arabischen  Tonleiter.  Die  tiefsten  Töne  in  diesem  Orchester  gaben  die 
geschlagenen  Felle  in  durchaus  unbestimmter  Höhe  und  durch  dies  Donner- 
getöse schmetterten  die  Cymbelschläge.  Auf  dem  düstern  Tonwirrwarr,  der  in 
solcher  Art  entstehen  musste,  gipfelten  in  fast  schwindelnder  Höhe  die  Metall- 
klänge der  Triangel  und  zwischen  beiden  Tonregionen  machten  sich,  gleich 
Fäd^n,  die  scharfen  Klänge  der  Oboen  und  Flöten  im  schnellsten  Auf-  und 
Niedergehen  und  in  ungebundenster  Rhythmik  geltend.  Dem  Zusammenspiel 
fehlte  nach  unseren  Begriffen  der  eigentliche  Körper,  und  dasselbe  musste  des 
vagen  Tonabstandes  der  Hauptmassen  halber,  sowie  der  gewaltigen  Wirkung 
der  gleichzeitig  erklingenden  unharmonischen  und  unserer  Kunst  oft  durchaus 
fremden  Klänge  wegen,  sinnverwirrend  auf  die  Hörer  wii-ken.  Wie  der  Chinese 
und  wahrscheinlich  auch  der  alte  Assyrer  und  Aegypter  durch  die  von  Ge- 
schlecht auf  Geschlecht  vererbte  Lehre  seiner  Hierophanten  jedem  Einzelton 
eine  besondere  Vorstellung  beizulegen  pflegte;  wie  ferner  bei  den  alten  Abyssi- 
niern  das  blosse  Erklingen  der  Posaune  das  kriegerische  Gefühl  eines  Mannes 
so  übermächtig  anregte,  dass  er  wie  ein  Wahnsinniger  um  sich  schlug;  ja  wie 
noch  heut  zu  Tage  der  Ton  der  Trommel  auf  die  Santals,  einen  Urstamm 
Indiens,  so  einzuwirken  vermochte,  dass  diese  nur  mit  Bogen  und  Pfeilen  be- 
waflFneten  Wilden  sich  sogar  den  Engländern  mit  Todesverachtung  entgegen- 
warfen, bis  der  Ton  ihrer  Trommel  nicht  mehr  ertönte:  so  hatte  auch  bei  den 
Türken  die  Janitscharenmusik  die  fast  schon  mit  der  Muttermilch  eingesogene 
Wirkung,  ein  Signal  zur  Auslassung  der  äussersten  bestialischen  Wuth  zu  sein, 
welche  den  Kämpfer  entweder  zum  Siege  oder  zum  Tode  zu  führen  hatte. 
Diese  Klänge  entströmten  stets  dem  Orte,  wo  der  Anführer  (Pascha)  sich  auf- 
hielt, der  zum  Zeichen  seines  Ranges  sowie  seines  Glaubens  in  seiner  Nähe 
eine  Stange  tragen  liöss,  deren  Spitze  ein  Halbmond  zierte  und  an  deren  Seiten 
BD  viel  Rossschweife  herabhingen,  als  ihm  sein  Rang  erlaubte. 

Es  ist  erklärlich,  dass  diese  sonderbaren,  wilden  Klänge  auch  den  Nach- 
ahmungseifer der  Abendländer  reizten  und  diese,  nachdem  sich  die  schäumenden 
Wogen  des  immer  weiter  drängenden  Islam  in  den  letzten  Ausläufen  bei  Zenta, 
1697,   gebrochen  hatten,    das  Gelüste  verspürten,    diese  Klänge,   durch    die  sie 


Janitschareu-Trommel  —  Janitzek.  363 

so  oft  in  Schrecken  versetzt  worden  waren,  ebenfalls  als  ein  Mittel  zur  Er- 
reichung sicherer  Siege  zu  besitzen.  Die  Türken,  nach  ihrer  Niederlage  ge- 
neigt, sich  die  Nachbarn  als  Freunde  zu  erhalten,  suchten  sich  denselben,  den 
Polen  und  0 esterreichern,  dadurch  angenehm  zu  machen,  dass  sie  ihnen 
Janitscharenmusikbanden  zum  Geschenk  machten.  August  II.,  König  von  Polen, 
jener  prachtliebende  Herrscher  (1699 — 1730),  zugleich  Kurfürst  von  Sachsen, 
Hess  zuerst  zu  Mühlberg  die  Deutschen  ein  solches  Musikcorps  hören.  Die 
Eussen  unter  Katharina  I.  (1725 — 1727)  bildeten  die  J.  nach,  die  jedoch  deren 
Nachfolgerin,  Elisabeth  (1730 — 1741),  nicht  treu  genug  erschien,  weshalb  sie 
den  Musikdirektor  Schirmfeil  nach  Constantinopel  sandte,  damit  er  an  Ort  und 
Stelle  von  der  Einrichtung  dieser  Corps  sich  einen  Begriff  verschaffte  und 
danach  die  russische  J.  reformirte.  In  Preussen  fand  sie  unter  Friedrich  I. 
(1701 — 1713)  Eingang  und  in  Frankreich  erst  in  den  Jahren  von  1770  bis 
1772;  jedoch  wandte  man  in  diesen  Reichen  sogleich  die  abendländischen  Eohr- 
instrumente  an. 

Bald  verloren  sich  im  Abendlande  die  selbstständigen  J.corps  gänzlich; 
man  fügte  nur  den  Musikcorps  des  Fussvolkes  den  Geräusche  gebenden  Theil 
der  J.  zu  und  nannte  sie  dann,  diese  Zufügung  als  etwas  unserem  Musikgeiste 
Fremdes  betrachtend,  meist  Türkische  Musik  (in  Italien  Bandd).  Ausser 
einzelnen  Instrumenten,  Trommeln,  Becken  und  Triangeln  der  J.,  haben  die 
Musikcorps  des  Fussvolkes  im  Abendlande  auch  noch  das  Standeszeichen  des 
orientalischen  Heerführers  sich  angeeignet,  das  zwar  in  den  verschiedenen  Län- 
dern vielfache  Modifikationen  erlitten  und  durch  Glockenbehang  beinahe  zu 
einem  Easselinstrument  umgewandelt  ist,  von  seinem  Ursprung  jedoch  fast 
überall  durch  einen  Halbmond  und  zwei  Eossschweife  noch  heute  Zeugniss 
ablegt.  Neuerdings  fängt  der  abendländische  Musikgeist  an,  diese  Kinder  der 
Wilduiss  nach  seinem  Sinne  noch  weiter  umzuformen.  Der  Triangel  ist  beinahe 
vergessen  und  wird  durch  die  Metallharmonika  ersetzt;  nur  Trommeln  und 
Becken  harren  noch  ihrer  Cultivirung.  "Wie  die  letztere  zu  erstreben  sein 
dürfte,  lehrt  ein  Aufsatz  im  »Musikalischen  "Wochenblatt«  Jahrg.  I.  No.  47: 
»Die  türkische  Musik  wie  sie  ist  und  rational-  sein  sollte«.  Selbst  im  Orient, 
wo  mit  dem  sich  immer  milder  gestaltenden  Kriegsgeiste  der  Janitscharen  auch 
deren  Musik  sich  dem  analog  entwickelte,  ist  mit  dem  Anfange  des  19.  Jahr- 
hunderts in  der  Besetzung  eine  Veränderung  eingetreten.  Verschiedene  Burnas 
(Oboen),  selbstverständlich  in  arabischer  Stimmung,  Kabazuruas  (scharfe  Trom- 
peten), Borns  (Becken),  Zitz  (kleine  Trommeln)  und  ein  Daul  oder  Kios 
(grosse  Trommel)  bildeten  das  Orchester;  Querflöten,  Triangel  und  Pauken 
waren  nur  höchst  selten  zu  finden.  Mit  der  Aufhebung  der  Janitscharen  selbst, 
1826,  ist  diese  Musik  im  Orient  vollends  im  Verschwinden  begriffen  und  wer- 
den dort  immer  mehr  die  Kriegermusikcorps  ganz  nach  abendländischem  Muster 
eingerichtet.  Der  Bruder  des  italienischen  Operncomponisten  Donizetti  wurde 
zu  dem  Ende  vom  Sultan  eigens  nach  Canstantinopel  berufen,  und  es  wird 
jetzt  dort,  wo  man  sonst  nur  J.  hörte,  mancher  abendländische  Marsch,  manche 
Opernarie  oder  Strauss'sche  Walzer  etc.  von  der  türkischen  Militärmusik  der 
Menge  vorgeführt.  .  B. 

Janitscharen-Trommel  ist  einer  der  mitunter  vorkommenden  Namen  für 
das  gewöhnlich  grosse  oder  türkische  Trommel  (s.  d.)  genannte  Schlag- 
instrument. 

Jauitzok,  Johann,  eigentlich  Janetzek  geheissen,  tüchtiger  Violinist, 
geboren  1768  zu  Koschentin  in  Obcrschlesien,  war  bereits  Leibjäger  des  Grafen 
Sobeck  daselbst,  als  er  bei  den  Musikern  der  Kapelle'  seines  kunstliebendeu 
Herrn  Gelegenheit  fand,  sich  musikalisch  auszubilden  und  mit  solchem  Talent 
und  Eifer  diese  Gelegenheit  ergriff,  dass  wir  ihn  schon  1794,  gerühmt  als  fer- 
tiger Spieler  seines  Instrumßnts  und  als  gewandter  Musikdirektor,  an  der 
Spitze  des  Orchesters  des  "Wäsei-'schen  Theaters  zu  Breslau  finden.  Zugleich 
leitete    er    das    sogenannte    Eichter'sche    Concert.      Am    Nervenfieber    starb    er 


364  Janke  —  Jansa. 

zu  Breslau  am  8.  April  1806.     Compositioneu  von  ihm  sind  weder  erschienen, 
noch  sonst  vorhanden. 

Jauke,  Gustav,  tüchtiger  Pianist  und  Violinist,  geboren  am  22.  Novbr. 
1838  zu  Berlin,  machte  seine  musikalischen  Studien  auf  dem  Stern'schen  Con^ 
servatorium  daselbst,  an  welchem  er  auch  seit  1861  als  Lehrer  des  Clavierspiels 
angestellt  ist.  In  den  Sinfonieconccrten  des  Direktors  Jul,  Stern  hat  er  sich 
1874  und  1875,  wie  als  trefflicher  Solospieler,  so  wiederholt  als  guter  Orchester- 
dirigent gezeigt.  Er  hat  Etüden  und  andere  Compositioneu  für  Pianoforte, 
Chorwei'ke  zum  Gebrauch  für  den  königl,  Domchor  in  Berlin  und  Lieder  für 
eine  Singstimme  geschrieben  und  veröffentlicht.  Ausserdem  übertrug  er  ver- 
schiedene classische  Werke  für  Orchester,  von  denen  die  siebensätzige  Serenade 
von  Beethoven  und  ein  »Moment  musicaU  von  Schubert  durch  Aufführungen 
allgemeiner  bekannt  wurden. 

Jauneqnin,  Clement,  auch  Janequin,  Janecquin,  Jannecquin  und 
Jennecquin  geschrieben,  ein  genialer  französischer  Contrapunktist  des  16. 
Jahrhunderts,  blühte  unter  der  Regierung  des  Königs  Franz  I.  und  später. 
Leider  ist  fast  so  viel  wie  nichts  von  seinem  äusseren  Leben  bekannt.  Er 
scheint  Kirchenkapellmeister  zu  Lyon  und  erst  Katholik,  dann  Calvinist  ge- 
wesen zu  sein;  denn  während  er  früher  Messen  und  Motetten  componirte,  setzte 
er  später  französische  Gesäuge  der  reformirten  Kirche  und  die  Psalme  Marot's 
in  Musik.  In  den  Archiven  der  päpstlichen  Kapelle  zu  Rom  befinden  sich 
von  ihm  im  Manuscript  einige  Messen  über  französische  Gesänge.  Im  Druck 
erschienen  sind  vierstimmige  Motetten  (Paris,  1533),  eine  Sammlung  franzö- 
sischer Chansons  (Paris,  1537),  vierstimmige  vOanzoni  francesU  (Venedig,  1538), 
sodann  aber  1544  zu  Lyon  seine  berühmten  und  eigenthümlichen  yyinventions 
musicalesa  für  vier  und  fünf  Stimmen,  vocale  Tongemälde,  welche  u.  A.  folgende 
descriptive  Titel  führen:  »ie  caqiiet  des  feinmesn,  »ie  chant  du  rossignola,  »ie 
cJiant  de  Valouettea:  »ia  chasse  au  cerfa.,  y>La  hataille  ou  defaite  des  Suisses  ä 
la  journee  de  Marignana  u.  s.  w.  Eine  fernere  Ausgabe  von  diesen  Kriegs-, 
Pastoral-  und  Jagdliedern  erschien,  von  ihm  selber  noch  durchgesehen  und  ver- 
bessert, unter  dem  Titel:  y>Verger  de  musique,  contenant ^^^arfie  des  plus  excellens 
laheurs  de  mattre  G.  Janneqmn  etc.«  (Paris,  1559).  Um  dieselbe  Zeit  erschienen 
seine  in  Musik  gesetzten  Sprüche  Salomo's  und  82  Psalme  David's.  Seine 
mehrstimmigen  Gesänge  verschiedener  Art  allein  umfassen  17  Bücher,  jedes  zu 
25  bis  30  Nummern,  und  einige  von  ihnen  sind  Muster  eines  seine  Zeit  über- 
ragenden Genies,  die  von  einer  Erfindung  und  Originalität  zeugen,  wie  sie  sich 
in  gleichem  Maasse  bei  keinem  Tonsetzer  des  16.  Jahrhunderts  nachweisen 
lassen.  TTebi'igeus  befinden  sich  auch  Arbeiten  von  J.  in  mehreren  Samm- 
lungen, die  von  1557  bis  1564  in  Paris  bei  Adrian  le  Roy  und  Rob.  Ballard 
im  Druck  erschienen,  und  auch  Jacques  Paix  hat  in  seiner  »Orgeltabulatur« 
(Lauingen,   1583)   einige   Stücke  von  ihm,  für  Orgel  arrangirt,  mitgetheilt. 

Jauowka,  Thomas  Balthasar,  gelehrter  Tonkünstler,  geboren  zu  Kut- 
tenberg in  Böhmen  um  1660,  war  Licentiat  der  Philosophie  und  Organist  zu 
Prag  und  ist  der  Verfasser  des  ersten  musikalischen  Wörterbuchs  der  neueren 
Zeit,  betitelt:  «Clai-is  ad  thesaurum  magnae  artis  musicae  etc.«  (Prag,  1701). 
Dies  Buch,  324  Seiten  stark,  sollte  laut  Vorwort  nur  die  Einleitung  zu  einem 
umfassenderen   Werke  sein,  welches  jedoch  nicht  erschienen  ist. 

Jansa,  Leopold,  verdienstvoller  Violinvirtuose  und  Componist,  geboren 
1797  zu  Wildenschwert  in  Böhmen  als  Sohn  eines  Tuchmacbers,  erlernte  bei 
dem  dortigen  Schulmeister  Jahada  die  Elemente  des  Singens,  Violin-,  Clavier- 
und  Orgelspiels.  Im  letzteren  vervollkommnete  er  sich  unter  seinem  Vetter, 
dem  Organisten  Zizius,  wie  er  es  auch  auf  der  Violine  als  Gymnasiast  durch 
fleissige  Hebung  zu  grosser  Fertigkeit  brachte.  Als  Student  der  Rechte  in 
Wien  seit  1817  Hess  er  sich  öfter  öffentlich  hören,  und  der  Beifall,  den  er 
erhielt,  befestigte  seinen  Entschluss,  sich  gänzlieh  der  Musik  zu  widmen,  be- 
sonders  da  sein  Landsmann,  der  Hoforganist  Worzischek,  ihm  hülfreiche  Hand 


Jansen.  365 

bot  und  ihn  dem  gelehrten  Eman.  Förster  zuführte,  bei  dem  J.  Generalbass- 
lehre  und  Tonsatz  zu  studiren  begann.  Als  Virtuose  wurde  er  bald  neben 
Mayseder  und  Böhm  gerühmt,  und  1823  ti'at  er  als  Kammermusiker  in  die 
Hauskapelle  des  Grafen  von  Brunswick.  Ein  Jahr  später  wurde  er  bereits 
mit  dem  Titel  eines  kaiserl.  Kammervirtuosen  in  die  Hofkapelle  gezogen,  und 
1834  erhielt  er  das  Amt  eines  Musikdirektors  und  Yiolinprofessors  am  TJni- 
versitätsconvict.  Schon  vorher,  nach  Schuppanzigh's  Tode,  hatte  er  es  unter- 
nommen, dessen  beliebte  Quartettunterhaltungen  zu  übernehmen,  und  er  führte 
dieselben  mit  wechselnden  Quartettgenossen  bis  1849  fort,  wo  Heissler,  Durst 
und  Schlesinger  an  seiner  Seite  spielten.  Diese  Quartettabende  waren  bis 
zuletzt  in  dem  überwiegend  frivolen  Musikleben  Wiens  ein  sicherer  Ort  wahrer 
und  würdiger  Kammermusik  und  übten  in  ihrer  pei-iodischen  Wiederkehr  einen 
bedeutenden  Einfluss  auf  die  musikalische  Bildung  der  österreichischen  Haupt- 
stadt aus.  Im  J.  1849  ging  J.  zu  Concerten  nach  London  und  liess  sich 
während  seines  Aufenthaltes  daselbst  gern  bereden,  auch  in  einem  Concert  zum 
Besten  der  in  Folge  der  Revolution  aus  Ungarn  Vertriebenen  mitzuwirken. 
Dieser  Akt  der  Humanität  zog  ihm  jedoch  von  Seiten  der  österi'eichischen 
Regierung  einen  Verbannungsbefehl  zu,  und  er  sah  sich  genöthigt  in  London 
zu  bleiben  und  als  Concertspieler  und  Musiklehrer  seine  Existenz  weiter  zu 
führen.  Erst  1867  wurde  er  amnestirt  und  kehrte  1868  nach  Wien  zurück, 
wo  ihn  das  Publikum  und  die  Kunstgenossen  ehrenvoll  empfingen.  Er  beschloss, 
den  Rest  seiner  Tage  in  Salzburg  zu  verleben,  suchte  aber  nach  kurzer  Ab- 
wesenheit Wien  wieder  auf  und  liess  sich  sogar  1872  noch  einmal  öffentlich 
hören.  Er  starb  am  25.  Jan,  1875,  Geschrieben  und  veröflfentlicht  hat  er 
Violinconcerte,  Streichquartette,  Streich trios  und  Duette,  sowie  auch  einige 
Kirchenstücke,  besonders  aber  zahlreiche  Fantasien,  Rondos,  Variationen,  Solo- 
stücke und  instruktive  Sachen  für  Violine,  die  sämmtlich  in  einem  gefälligen 
Style  gearbeitet  sind  und  noch  gegenwärtig  als  anregender  LTnterrichtsstofif  bei 
Lehrern  und  Schülern  zum  Theil  sehr  beliebt  sind, 

Janseu;  Gustav,  erfahrener  deutscher  Tonkünstler,  geboren  1817  zu 
Dortmund,  erhielt  den  ersten  Musikunterricht  von  seinem  Vater  und  trat  be- 
reits im  jugendlichen  Alter  als  Pianist  und  Flötist  mit  Beifall  öffentlich  auf. 
Später  (1840)  ging  er  nach  Berlin,  wo  er  Unterricht  zu  ertheilen  anfing,  Zu- 
tritt zu  dem  kunstsinnigen  Grafen  Westmoreland  erhielt  und,  mit  dessen  Em- 
pfehlungen ausgerüstet,  sich  als  Musiklehi'er  nach  London  begab.  Nach  einigen 
Jahren  kehrte  er  jedoch  nach  Berlin  zurück,  wo  er  auch  noch  gegenwärtig  in 
geachteter  Stellung  wirkt.  Von  ihm  erschien  1861  ein  bemerkenswerther  er- 
gänzender »Anhang  zu  Beethoven's  Clavier-Sonaten«  und  weiterhin  eine  Reihe 
von  Liedern  mit  Ciavierbegleitung,  unter  denen  das  Goethe -Album  in  sechs 
Heften  (Berlin,  1863)  hervorragt.  Diese  lyrischen  Spenden  J.'s  stehen  in 
einem  auffallenden  Gegensatz  zu  den  Erscheinungen  der  Gegenwart;  einfach, 
schmucklos  und  ungekünstelt,  weht  aus  ihnen  ein  naiver  Geist,  der  bis  auf  die 
Haydn'sche  Zeit  zurückweist. 

Jausen,  Gustav  F.,  vortrefflicher  Tonkünstler  und  Componist,  geboren 
am  15,  Decbr,  1831  zu  Jever  im  Königreich  Hannover,  erhielt  seine  höhere 
musikalische  Ausbildung  in  Leipzig,  wo  ihm  Coccius  Pianoforte-  und  Riccius 
theoretischen  Unterricht  ertheilte.  Er  begab  sich  hierauf  nach  Göttingen  als 
Musiklehrer  und  wurde  1855  als  Organist  nach  Verden  berufen.  Im  J.  1861 
ernannte  ihn  der  König  von  Hannover  zum  Musikdirektor.  Als  Ciavier-  und 
Gesangcomponist  hat  er  sich  einen  guten  Namen  erworben,  einen  noch  bedeu- 
tenderen jedoch  durch  Arrangements  verschiedener  Art  für  Pianoforte, 

Jansen,  Johann  Anton  Friedrich,  begabter  Componist,  Pianist  und 
Violinist,  von  dänischen  Eltern  in  Deutschland  geboren,  machte  seine  musi- 
kalischen Studien  in  Wien ,  ging  hierauf  als  Musiklehrer  nach  Venedig  und, 
da  es  ihm  hier  nicht  glückte,  1817  nach  Mailand,  wo  er  zugleich  Mancherlei 
für  Militärmusikcorps,  Pi'ivatpersonen  und  Verleger  componirte,  was,  soweit  es 


366  Jansen  —  Janssens, 

bekannt,  künstlerisch  gediegen  und  zugleich  brillant  in  der  technischen  Aus- 
führung ist.  Seiu  künstlerisches  Geschick  schützte  ihn  jedoch  nicht  vor  Notli 
und  Elend,  und  heruntergekommen  und  aufgerieben  starb  er  im  April  1827 
zu  Mailand.  YeröfiFentlicht  hat  er  Stücke  für  Blasinstrumente,  Sonaten  und 
Divertissements  für  Ciavier  und  Violine  (oder  Tlöte),  Sonaten,  Variationen, 
Kondos,  Polonaisen,  Uebungen  für  Ciavier  u.  s.  w.  —  Ein  Zeitgenosse  von  ihm 
war  Johann  Heinrich  Friedrich  Ludwig  J.,  geboren  am  31.  Mai  1785 
zu  Salstheynessum  bei  Hildesheim  und  gestorben  als  Cantor  zu  ßhede  in 
Westphalen  im  J.  18.32.  Er  hinterliess  im  Manuscript  ein  treflliches  Werk, 
betitelt  »Evangelische  Kirchengesangskunde«,  welches  nachmals,  von  H.  Gräfe 
herausgegeben  (Jena,  1838),  im  Druck  ei'schienen  ist. 

Jansen,  Cornelius,  latinisirt  Jansenius,  der  berühmte  niederländische 
Kirchenreformator,  dem  der  Jansenismus  seinen   Namen  verdankt,  geboren  am 

28.  Octbr.  1585  zu  Accoy  in  Holland,  war  von  1630  bis  1636  Professor  der 
Theologie  in  Löwen,  dann  Bischof  zu  Ypern  in  Flandern,  als  welcher  er  am 
6.  Mai  1638  an  der  Pest  starb.  In  seinem  Commentar  zum  Mosaischen  Pen- 
tateuch  hat  er  auch  über  Hebräische  Musik  geschrieben. 

J.ausenne,  Louis,  französischer  Tenorsänger,  geboren  zu  Anfang  des  19. 
Jahrhunderts  zu  Paris,  erfreute  sich  seiner  angenehmen,  wohlgebildeten  Stimme 
Avegen  grosser  Beliebtheit  in  lyrischen  Gesangsparthien.  Um  1842  zog  er  sich 
vom  Theater  zurück  und  lebte  als  Gesanglehrer  in  Paris.  Für  Unterrichts- 
zwecke veröffentliclite  er  Singübuugen  mit  Begleitung  des  Pianoforte,  welche 
eine  vortreffliche  Vorschule  zu  den  36   Vocalises  von  Bordogni  abgeben. 

.lansou,  Jean  Baptiste  Aime  Joseph,  genannt  J.  Vaine,  vortrefflicher 
französischer  Violoncellovirtuose,  geboren  1742  zu  Valenciennes,  genoss  den 
vorzüglichen  Unterricht  seines  Landsmanns  Berthaut.  Im  J.  1766  spielte  er 
mit  grossem  Beifall  im  Concert  spirituel  zu  Paris  und  begleitete  1767  den  Erb- 
prinzen von  Braunschweig  nach  Italien,  wo  er  als  Virtuose  Aufsehen  erregte. 
Von  Paris  aus,  wo  er  1771  wieder  concertirte,  machte  er  grosse  Kunstreisen 
nach  Deutschland,  Dänemark,  Schweden  und  Polen.  Im  J.  1789  Hess  er  sich 
bleibend  in  Paris  nieder  und  wurde  bei  Errichtung  des  Conservatoriums  zum 
Professor  an  demselben  ernannt.  Als  dieses  Institut  1802  eine  neue  Organi- 
sation erhielt,  verlor  er  sein  Amt,  und  aus  Gram  hierüber  starb  er  am  2.  Septbr. 
1803  zu  Paris.  Von  seinen  Compositionen  sind  Streichquartette,  Concerte  für 
Violoncello  und  Sonaten  für  Violoncello  und  Bass  erschienen.  —  Sein  Bruder, 
Louis  Auguste  Joseph  J.,  war  ebenfalls  ein  vorzüglicher  Violoncellist. 
Geboren  am  8.  Juli  1749  zu  Valenciennes,  wurde  er  von  seinem  Vater  und 
dann  von  seinem  Bruder  ausgebildet,  welchem  letzteren  er  an  Fertigkeit,  aber 
nicht  an  Schönheit  des  Tones  gleichkam.  Im  J.  1783  Hess  er  sich  in  Paris 
nieder  und  war  von  1789  bis  1815  Mitglied  des  Orchesters  der  Grossen  Oper 
daselbst.  Einige  Jahre  später  starb  er.  Von  seiner  Compositiou  sind  Streich- 
trios und   Sonaten  für  Violoncello  und  Bass  erschienen. 

.Tausseu,  Cesar,  vorzüglicher  Clarinettvirtuose,  geboren  am  11.  April  1781 
zu  Paris  und  auf  dem  dortigen  Conservatorium  ausgebildet,  brachte  einige 
wesentliche  Verbesserungen  an  der  Clarinette  an. 

Janssen,  N.  A.,  holländischer  Priester  und  gelehrter  Tonkünstler,  geboren 
zu  Ende  des  18.  Jahi-hundei-ts ,  war  lange  Zeit  Organist  in  Löwen  und  Ge- 
sanglehrer am  erzbischöfl.  Seminar  zu  Mecheln.  Ausser  mehreren  Kirchen- 
compositionen  veröffentlichte  er  das  wichtige  Werk  y>Les  vrais  principes  du 
chant  gregoriena  (Mecheln,  1845),  welches  deutsch  von  J.  C.  B.  Smeddinck 
unter  dem  Titel  »Wahre  Grundregeln  des  Gregorianischen  oder  Choralgesanges. 
Ein  archäologisch -liturgisches  Lehrbuch  des  Gregorianischen  Kirchengesanges« 
(Mainz,  1847)  erschienen  ist. 

Jaussens,  Jean    Frangois    Joseph,    belgischer  Componist,    geboren   am 

29.  Jan.   1801    zu  Antwerpen,    empfing    von    seinem  Vater,    Musikdirektor    an 
der  Karlskirche    daselbst,    und    später    von    de  Loeuw,    Kapellmeister    an    der 


Janus  —  Japan.  367 

Paulskirclie,  den  ersten  Musikunterriclit  und  liess  sich  hierauf  von  Lesueur  in 
Paris  weiter  ausbilden.  Nach  zweijähriger  Abwesenheit  kehrte  er  in  seine 
Vaterstadt  zurück,  wo  er  1821  seine  erste  vierstimmige  Messe  für  Chor  und 
Orchester  in  der  Karlskirche  sehr  erfolgreich  zur  Aufführung  brachte.  Im 
J.  1824  liess  er  seine  komische  Oper  »ie  pere  rivah  und  später  eine  andere 
y>La  jolie  ßaneeea  folgen.  Inzwischen  war  er  zur  Advocatur  übergegangen, 
wurde  aber  gleichwohl  1825  zum  Direktor  der  Harmoniegesellschaft  in  Ant- 
werpen ernannt.  Nach  einem  vorübergehenden  Aufenthalt  in  Yerviers  starb  er 
geisteskrank  zu  Antwerpen  am  3.  Febr.  1835.  Ausser  den  bezeichneten  Com- 
positionen  hat  er  Mess^,  Motetten,  Hymnen,  Psalme,  Cantaten,  Lieder  u.  s.  w., 
sowie  Sinfonien,  von  welchen  eine  descriptive,  betitelt:  »ie  lever  du  soleil«, 
hervorzuheben  ist,  componirt. 

Janus,  s,  Jan. 

Japau.  Dies  in  allerneuester  Zeit  sich  uns  nach  jeder  Seite  hin  immer 
mehr  erschliessende  Inselreich  Asiens  hat  in  Bezug  auf  Musik  viel  Besonderes 
aufzuweisen,  trotzdem  im  grossen  Granzen  wohl  anzunehmen  ist,  dass  von  China 
aus  seit  frühester  Zeit  alles  "Wissen  und  somit  auch  die  Musik  diesem  Volke 
überkommen  ist.  Die  Abzweigung  des  japanesischen  Volkes  von  den  Chinesen 
muss  in  sehr  früher  Zeit  geschehen  sein  und  zwar  mit  vielen  die  Bildung  con- 
servirenden  (Srliedern;  später  scheint  jedoch  kein  volklicher  Verkehr  Jahrhun- 
derte hindurch  stattgefunden  zu  haben.  Die  Weisen  Japans,  so  viel  uns  bis 
heute  bekannt,  was  aber  jetzt  täglich  sich  umgestalten  kann,  fanden  es  zweck- 
dienlich, auch  ihrem  Volke  eine  Urgeschiclite  bis  in  die  graueste  Vorzeit  zu 
geben,  jedoch  datirt  eine  wirklich  geschichtliche  Zeit  erst  nach  Christi  Geburt 
unserer  Zeitrechnung.  In  europäischen  Geschichtswei'ken  wird  nämlich  mit 
Bestimmtheit,  jedoch  ohne  Quellenangabe,  berichtet:  dass  Japan  57  n.  Chr., 
zwar  damals  schon  von  einem  König  beherrscht,  doch  noch  ein  durchaus  un- 
cultivirtes  Land,  Gresandte  mit  Greschenken  nach  China  schickte,  und  diese  chi- 
nesischen Ansiedlern  den  Weg  bahnten,  sowie  chinesisches  Wissen  und  chinesische 
Kunst  ins  Vaterland  einführten.  Die  uns  bekannte  Ausbildung  der  Japanesischen 
Musik  documentiit  jedoch  eine  viele  Jahrhunderte  früher  vorhandene  hohe 
Bildungsstufe  in  Japan,  die  der  damaligen  chinesischen  durchaus  gleich  war. 
Chinas  staatliche  Erschütterungen,  die  Vernichtungen  der  Dynastien  und  deren 
Kunst,  späteres  Streben,  dieselbe  wieder  zu  ergründen  und  einzuführen,  ver- 
änderten, wie  der  Artikel  China  in  diesem  Werke  nach^veist,  die  antike  Musik 
dort  gänzlich,  gaben  einem  neben  der  Kunst  sich  entwickelnden  Gefallen  an 
Klangfreuden  eigener  Art  Raum  und  hinterliessen  nur  ein  überschwängliches 
Lob  der  antiken  Kunst  neben  dem  Bekenntniss,  dass  diese  Kunst  Jedem  jetzt 
ein  mit  sieben  Siegeln  verschlossenes  Buch  sei,  das  zu  lesen  Niemandem  mehr 
möglich  wäre.  Japan  jedoch  hatte  weniger  derartig  auf  die  Kunst  einwirkende 
Staatsumwälzungen  zu  bestehen  und  giebt  deshalb  mehr  documentale  Anhalts- 
punkte, durch  welche  uns  ein  Licht  über  die  antike  Kunst  werden  kann.  «Es 
seien  hier  einige  Erlebnisse  der  Neuzeit  mitgetheilt  nach  Aussagen  von  hoch- 
gebildeten Japanern  über  ihre  Kunst,  wobei  jedoch  darauf  aufmerksam  gemacht 
sei,  dass  ein  wirkliches  Wissen  über  die  Musik  der  Japanesen  erst  dann  uns 
werden  wird,  wenn  ein  Gelehrter  dieses  Reiches,  bekannt  mit  der  abendlän- 
dischen Musik,  uns  darüber  belehrt. 

Von  einem  Musik  liebenden  und  treibenden  Japanesen  in  Berlin  wurde 
u.  A.  gesagt:  in  den  ersten  drei  Monaten  wäre  unsere  Musik  ihm  durchaus 
ungeniessbar  gewesen,  da  er  keine  Harmonie  gekannt  hätte  und  sich  bei  jedem 
Tone  etwas  Besonderes  zu  denken  gewohnt  gewesen  sei.  Diese  Auslassung 
näher  bestimmend,  darf  die  Aeusserung  eines  anderen  Japanesen  gelten,  der 
auf  die  Frage:  ob  ein  Gesang  zu  denselbpn  Worten  stets  derselbe  wäre  in 
Bezug  auf  Rhythmus  und  Tonhöhe,  so  dass  zwei,  hundert  Meilen  auseinander 
wohnende  Sänger  ihre  Kunst  nur  in  gleicher  Weise  auszuüben  vermöchten, 
mit  einem  entschiedenen  Ja  antwortete.     Ueter  die  in  Fetis'  i>I£ist.  de  musique«. 


368  Japaa. 

Tom.  I.  pag.  80  und  81  aufgezeichneten  Melodien  äusserte  derselbe:  diese  seien 
nicht  genau,  sie  seien  aus  dem  niedern  Volkskreise  und  das  Lied  besonders 
nur  ähnlich  einem  unzüchtigen  Mädchen.  Schliesslich  sei  noch  erwähnt,  dass 
die  Gesandtschaften  in  den  Audienzen  an  den  europäischen  Höfen  stets  bei 
diesem  Staatsakt  ihre  Rede  sangen.  Darnach  lässt  sich  annehmen,  dass  die 
Musikbegabten  höherer  Stände  noch  feste  Gesetze  ihrer  Kunst  haben  und  be- 
folgen. Aus  Allem  aber  geht  hervor,  dass  der  Geist  der  antiken  chinesischen 
Kunst,  gegenwärtig  in  China  selbst  in  der  Sprache  sehr  verwischt,  in  Japan 
noch  vollkommen  bekannt  ist  und  in  den  höchsten  Kreisen  sorgsam  gepflegt 
wird.  Manches  Interessante  über  die  moderne  japanesische  Musik  findet  man 
in  einem  Aufsatz  der  »Neuen  Zeitschrift  für  Musik«  Jahrg.  1875  No.  15  und 
16  nach  Mittheilungen  aus  Dr.  Müller's  Organ  der  deutschen  Gesellschaft  für 
Natur-  und  Völkerkunde  Ostasieus,  bearbeitet  von  B.  M.  Kapri.  Leider  jedoch 
bietet  auch  dieser  Aufsatz  nur  Stückwerk.  Es  lässt  sich  übrigens  nicht  leugnen, 
dass  jetzt  in  Japan  im  gewöhnlichen  Leben  die  innige  Verschmelzung  der 
Sprache  und  Musik  noch  mehr  als  in  China  verschwunden  ist. 

Diesem  Umstände,  wie  einer  späteren  lange  Zeit  hindurch  fast  gänzlichen 
Abgeschlossenheit  des  Verkehi's  mit  China,  verdankt  dies  Volk  seine  fast  nur 
ihm  eigenthümlich  erscheinenden  Tonwerkzeuge,  deren  Kenntniss  bisher  auch 
nur  sehr  lückenhaft  im  Abendlande  ist.  Zwar  sind  einige  japanesische  Instru- 
mente in  unseren  Kunstsammlungen,  in  Holland,  London  und  Paris;  auch  haben 
Privatleute,  wie  Adolph  Sax  in  Paris,  solche  im  Besitz;  ja  im  Abendlande 
selbst  reisten  schon  zuweilen  kleinere  japanesische  Musikergesellschaften  herum 
und  Hessen  sich  öffentlich  hören:  jedoch  haben  alle  diese  praktischen  Anschau- 
ungen noch  nichts  zu  einer  genaueren  Kenntniss  derselben  beigetragen.  Die 
kleinen  Kapellen  hatten  stets  w^enig  schallende  Instrumente,  wenn  man  die 
Schlaginstrumente  abrechnet,  und  scheinen  mehr  in  engeren  Räumen  in  ihrer 
Heimath  Verwendung  gefunden  zu  haben,  wo  man  mit  denselben  bekannte  Ge- 
sänge reproducirte  und  dadurch  auf  die  Landsleute  einen  Eindruck  zu  machen 
vermochte,  der  einem  solche  Melodien  Nichtkennenden  zu  schätzen  unmöglich 
ist.  Nicht  die  Tongänge  selbst,  sondern  die  daran  sich  knüpfenden  Erinner- 
ungen scheinen  dort  die  Tonfreuden  zu  bereiten.  —  Von  den  uns  bekannt 
gewordenen  japanesischen  Tonwerkzeugen  sind  anzuführen:  das  in  verschiedenen 
Grössen  vorkommende  Kollo  (s.  d.),  welches,  dem  chinesischen  Ke  (s.  d.) 
ähnelnd,  als  die  japanesische  Harfe  angesehen  werden  muss;  Ambros  in  seiner 
«Geschichte  der  Musik«  Thh  I.  S.  38  nennt  dieses  Tonwerkzeug  ohne  Quellen- 
angabe Koto  und  führt  drei  Arten  desselben  an,  dessen  vorzüglichste  eben 
den  Namen  Koto  (s.  d.)  führt;  die  beiden  anderen  Arten  haben  die  Namen 
Kin-Koto  (s.  d.)  und  Jamata-Koto  (s.  d.).  Guitarrartige  japanesische 
Instrumente  sind  die  Biwa,  deren  Schallkasten  einer  durchschnittenen  Birne 
gleich  gebaut  ist,  vier  Saiten  als  Bezug  hat,  sechs  Bunde  auf  dem  Halse  be- 
sitzt, einen  fast  rcchtwinklich  zurückgebogenen  AVirbelkasten  zeigt  und  im 
Resonanzboden  zwei  halbmondförmige  Schalllöcher  hat;  die  Kusse  (s.  d.)  und 
Samsim  (s.  d.).  Auch  ein  Bogeninstrument,  Kokin  (s.  d.)  genannt,  findet 
man  in  Gebrauch. 

Au  Blasinstrumenten  hat  man  ein  dem  chinesischen  Tscheng  (s.  d.) 
gleiches;  nur  hat  dasselbe  statt  des  Gänsehalses  ein  kurzes,  starkes  Mundstück; 
eine  Menge  Flöten  aus  Bambus ,  Lang-  wie  Querflöten  mit  vier  bis  sieben 
Tonlöchern;  ein  oboenartiges  Tonwerkzeug  von  kurzer  Bauart  und  Holzflöten 
ä  hec  von  zierlicher  Arbeit,  stellenweise  mit  Querbändern  oder  Zwirnumwicke- 
lungen, deren  Töne  jedoch  in  kleineren  Intervallen  als  unsere  Halbtöne  aus- 
einander liegen.  Als  trompetenartige  Blasinstrumente  wären  anzuführen  eine 
Ai't  Oboe  mit  Schallbecher  aus  Rohr  und  ein  aus  einer  Seemuschel  gefertigtes 
mit  einem  kurzen  röhreuartigen  Mundstück,  Von  eigenthümlichen  Schlag- 
instrumenten sind  besonders  hervorzuheben  ein  durchaus  eigenthümliches  Rassel- 
instrument,   das  zwei  Metallringe    führt,    die    mit    einem  Metallstab  geschlagen 


Japart  —  Jarmusiewicz.  369 

werden,  sowie  auch  eine  auf  einem  Gestell  fest  befindliche  Trommel.  Ausser 
diesen  Schlaginstrumenten  findet  man  fast  alle  ostasiatischen  Schlag-  und 
E,asselinstrumente  in  Japan  in  Gebrauch,  Schliesslich  mag  noch  bemerkt 
werden,  dass  in  den  Orchestei'n  oft  mehr  Frauen  als  Männer  oder  beide  in 
gleicher  Zahl  thätig  sind.  Siehe  hierzu  Siebold's  y>Nipjpon,  archief  voor  de  he- 
schrijving  van  Japans,  Tafel  I  bis  XII  Abth.  c.  Mehr  und  Genaueres  über 
die  Kunst  dieses  hochbegabten  und  fleissigen  Volkes  ist  bereits  von  der  nächsten 
Zukunft  zu  erhoffen.  B. 

Japart,  Jean,  belgischer  Tonsetzer  des  15.  Jahrhunderts,  lebte  in  Italien. 
Neuerdings  hat  man  in  einigen  alten  Sammlungen  mehrstimmige  Gesänge  von 
ihm  aufgefunden. 

Japha,  Georg  Joseph,  vortrefflicher  deutscher  Violinist,  geboren  1832 
zu  Königsberg,  besuchte,  tüchtig  vorbereitet,  von  1850  bis  1853  das  Conser- 
vatorium  in  Leipzig  und  wurde  Concertmeister  des  Theaters  und  der  Gürze- 
nichconcerte  zu  Köln.  Auch  als  Lehrer  seines  Instruments  am  Kölnischen 
Conservatorium,  als  Vorgeiger  bei  fast  allen  rheinischen  Musikfesten  und 
als  erster  Spieler  in  den  Quartettveranstaltungen  hat  er  sich  rühmlich  ausge- 
zeichnet. 

Japha,  Louise,  s.  Langhans. 

Japona  ist  der  Name  eines  spanischen  Tanzes,  der  im  16.  Jahrhundert 
erfunden  wurde  und  zu  der  Zahl  derjenigen  gehört,  welche  sich  durch  freiere 
Bewegung  und  üppige  Stellungen  hervorthaten ;  bei  der  grossen  Menge 
fanden  diese  Tänze,  und  somit  auch  die  J.,  vielen  Beifall,  so  dass  sie  bald 
die  älteren  sittsamen  ganz  in  Vergessenheit  brachten.  Von  der  Musik  zur  J. 
hat  sich  nichts  erhalten;  nur  weiss  man,  dass  Gesänge  den  Hauptbestandtheil 
derselben  ausmachten.  0. 

Japsen,  Paul,  geschickter  deutscher  Violinist,  geboren  am  9.  Septbr.  1843 
in  Berlin,  studirte  nach  guter  Vorbereitung  unter  Leitung  Ferd.  Laub's  das 
höhere  Violinspiel  und  unter  Friedr.  Kiel  Contrapunkt  und  Composition. 
Schon  früh  ein  besonderes  Interesse  für  den  Unterricht  hegend,  begann  er  bald, 
im  Interesse  desselben  schriftlich  zu  wirken.  Wie  denkend  er  in  diesem  Fache 
vorging,  bekunden  in  den  Jahrgängen  1870  und  1871  der  Berliner  Musik- 
zeitung »Echo«  und  der  »Deutschen  Musikerzeitung«  folgende  seiner  Aufsätze: 
»lieber  die  zu  frühe  Anwendung  des  vierten  Fingers  beim  Violinunterricht« ; 
»Von  der  Haltung  der  linken  Hand  bezüglich  des  Violinunterrichts«  und  »Von 
der  Bewegung  der  Finger  der  linken  Hand  in  Bezug  auf  den  Violinunterricht«. 
Am  1,  April  1872  wurde  J.  als  Kammermusiker  und  erster  Violinist  in  der 
königl.  Kapelle  in  Berlin  angestellt  und  ertheilt  daneben  auch  ferner  noch  einen 
guten  Musikunterricht. 

Jaqaard,  ausgezeichneter  französischer  Violoncellovirtuose,  geboren  um 
1830,  erhielt  seine  musikalische  Ausbildung  auf  dem  Pariser  Conservatorium, 
das  er,  mit  häufigen  Preisen  gekrönt,  verliess.  Als  Solo-  wie  als  Quartett- 
spieler wird  er  von  den  Franzosen  in  die  allererste  Heihe  des  Virtuosenthums 
gestellt. 

Jarabe  (span.)  ist  der  Name  eines  spanischen  Nationaltanzes,  welcher  aus 
zwei  Theilen  besteht,  von  denen  der  eine  von  Instrumenten  ausgeführt,  der 
andere  gesungen  wird. 

Jardini,  Madame,  berühmte  Sängerin,  Schwester  des  gefeierten  Tänzers 
Vestris,  hatte  ihre  Blüthezeit  zwischen  1760  und  1770,  während  welcher  sie 
bei  der  Grossen  Oper  zu  Paris  angestellt  war.  Mit  ihrem  Bruder  unter- 
nahm sie  1763  eine  Kunstreise  nach  Deutschland  und  sang  u.  A.  zu  Stutt- 
gart in  Jomelli's  »Egeria«.  Ihre  Hauptrollen  sollen  die  Heroinen  in  Gluck's 
Opern  gewesen  sein. 

Jarmusiewicz,  Johann,  polnischer  Tonkünstler,  gestorben  1844  zu  Za- 
CiJersk,  einem  Schlosse  in  Galizien,  veröffentlichte  eine  Abhandlung  über  Melodie 
und  Harmonie    nach    einem    eigenartigen,    neuen  Systeme  und  ausserdem  noch 

Musikal.  Convera.-Lexikon.    V.  24 


370  Jarnowich  —  Java. 

den  Gregorianischen  Gesang  in  moderner  Notation  mit  Begleitung  der  Orgel 
oder  des  Pianoforte. 

Jarnowich  oder  Jarnowicki,  s.  Giornovichi. 

Jaspar,  Andree,  vortrefflicher  belgischer  Violoncellist  und  Compouist, 
geboren  am  18.  Decbr.  1794  zu  Lüttich,  war  von  1840  bis  1856  Kapellmeister 
in  seiner  Vaterstadt  und  hat  grössere  und  kleinere  Kirchenwerke,  Sinfonien 
und  Violinsolis  componirt. 

Jaspis,  Gottfried,  deutscher  Gelehrter,  lebte  in  den  ersten  Jahrzehnten 
des  18.  Jahrhunderts  zu  Wittenberg  und  veröflfentlichte  eine  Schrift:  yyJDe 
tibicinihus  in  funere  adJnbltis,  ad  illustrandum  Matthaei  eap.  JX«  etc.  (Witten- 
berg, 1717). 

lastisch  (latein.:  lastius  modtis)  bezeichnet  dasselbe  wie  ionisch  oder 
ionicus  modus  (s.  d.).  Vgl.  Cassiodor's  »Instit.  mus.a  und  Gerbert's  Script.  I. 
17.  Dieser  Ausdruck  wurde  zuerst  von  Aristoxenus  für  die  gewöhnlich  ionisch 
genannte  altgriechische  Tonart  gebraucht.  In  Folge  dessen  ist  auch  Hypo- 
iastius  und  Syperiastius  dasselbe  wie  Hypo-  und  Hyp  er  ionicus  (s.  d.). 

Janch,  Johann  Nepomuk,  vortrefflicher  Pianist  und  Componist,  ge- 
boren am  25.  Jan.  1793  zu  Strassburg  im  Elsass,  war  ein  Compositionsschüler 
Spindler's  und  erhielt  1814  Anstellung  als  Musiklehrer  an  der  Normalschule 
seiner  Vaterstadt,  wo  er  auch  sonst  als  tüchtiger  Clavierlehrer  geschätzt 
war.  Compositionen  von  ihm,  als  Kirchenmusiken,  Orgelstücke,  Concerte,  So- 
naten, Fantasien,  Variationen  u.  s.  w.  sind  in  Paris  und  Strassburg  im  Druck 
erschienen. 

Jaugtzer,  deutscher  Oboevirtuose  und  Componist  für  sein  Instrument,  war 
um  1802  in  der  Kapelle  des  Bischofs  von  Würzburg  angestellt  und  hat  be- 
sonders Oboeconcerte  geschrieben. 

Jauner-Krall,  s.  Krall. 

Java,  diese  Perle  der  Sunda- Inseln  in  Ostindien,  hat  schon  in  sehr  früher 
Zeit  hin  einen  hervorragenden  Ruf  genossen,  und  es  suchten  viele  Indien-  und 
Chinamüde  dort  sich  eine  neue  Heimath,  der  sie  die  vatei'läudische  Bildung 
theilweise  überbrachten.  Diesem  Umstände  vorzüglich  verdankt  J.,  besonders 
was  Musik  anbelangt,  seine  indo  -  chinesische  Cultur,  die  sich  jedoch  überwie- 
gender chinesisch  einbürgerte,  wie  die  dort  gebräuchlichsten  Tonleitern  ergeben, 
und  die  in  üppigster  Form ,  der  leicht  auf  dieser  Insel  zu  erwerbenden  Wohl- 
habenheit halber,  sich  vorfindenden  Tonwerkzeuge  ofifenbaren.  Die  herrschenden 
Tonleitern  kennen  keine  Sruti's  (s.  d.),  sondern  fast  einzig  nur  die  fünf 
Stufen  der  chinesischen  Scala  und  sind  die  Melodien  diesem  Material  ent- 
sprechend. Die  prachtvoll  ausgestatteten  Musikinstrumente,  meist  den  modernen 
chinesischen  nachgebildet,  haben  in  dem  Galempung  (s.  d.),  der  javanischen 
Harfe,  ihre  höchste  Entfaltung,  dem  sich  der  Gen  der  (s.  d.)  und  die  Gam- 
bang-(s.  d.)arten  in  verschiedenartigster  Gestalt  anreihen,  nebst  allen  son- 
stigen ungestimmten  Schlaginstrumenten  des  neuchinesischen  Musikkreises,  unter 
denen  der  Gong  (s.  d.)  wie  Kumpul  (s.  d.)  nicht  fehlen.  Nach  dem  J.  1405, 
mit  der  Verbreitung  des  Islams  auf  J.,  trat  ein  Kampf  des  arabischen  Musik- 
systems mit  dem  zur  Zeit  herrschenden  ein.  In  diesem  Kampfe  hat  das  alte 
Musiksystem  fast  überall  seine  Herrschaft  behauptet.  Die  Tonwerkzeuge  der 
Araber  jedoch  haben  sich,  dem  entsprechend  modificirt,  neben  den  älteren  In- 
strumenten Eingang  verschafft.  Man  findet  seit  jener  Zeit  vielfach  die  zwei- 
saitige  Reh  ab  (s.  d.)  in  schönster  Ausstattung,  die  Guitarre  (s.  d.)  in  der 
Hand  der  hausirenden  Pontoo's,  Musiker  und  Sänger,  in  primitivster  Form, 
und  andere  dem  arabisch  -  persischen  Musikkreise  entstammende  Saiteninstru- 
mente in  J.  heimisch.  So  zahlreich  die  Zahl  der  Saiten-  und  Schlaginstru- 
mente in  diesem  Lande,  so  arm  an  Zahl  sind  die  Blasinstrumente.  Man  kennt 
hier  nur  eine  Form  der  Trompete  und  zwei  Flötenarten:  Suling  (s.d.)  und 
Garinding  (s.d.)  genannt.  Viele  dieser  Instrumente  werden  auf  J.  oft  gleich- 
zeitig verwerthet  und  geschieht  die  nationale  Anwendung    ungefähr    folgender- 


Javault  —  Ibach.  371 

weise:  Mit  gestimmten  Schlaginstrumenten,  Gamb angspiel  (s.  d.)  der  ver- 
schiedensten Art  nebst  allerlei  Saiteninstrumenten  führt  mau  eine  Melodie  aus, 
deren  Rhythmen  durch  ungestimmte  Schlaginstrumente  hervorgehoben  werden; 
die  stärksten  Zeittheile  des  oft  freien  Zeitmaasses  (s.  Indische  Musik)  her- 
vorzuheben, liegt  dem  Gong  und  Kumpul  ob.  —  Die  J.  umgebenden  Inseln 
werden  noch  heute  von  mehr  uncultivirten  Völkern  bewohnt,  deren  Musiksinn 
Befriedigung  in  einfachen  Klangfreuden  sucht,  welche  nichts  von  Kunst  ahnen 
lassen.  J.  ist  somit  nicht  allein  eine  Perle  der  dortigen  Inselwelt  in  Bezug 
auf  seine  wirthschaftlichen  Produktionen ,  sondern  auch  in  seinen  Cultur-  und 
Kunsterzeugnissen.  Zum  Nachlesen,  um  dadurch  Erlebnisse  auf  J.  Reisender 
kennen  zu  lernen,  besonders  Musik  betreffend,  empfehlen  sich  Stamford 
Raffles  ^^Sistory  of  Java<.(  (2  Bde.,  London,  1817)  und  Pfyffer's  »Skizzen  von 
der  Insel  J.«  B. 

Javanlt,  Louis,  französischer  Compouist  von  Harmoniemusiken,  war  zu  An- 
fang des  19.  Jahrhunderts   Souschef  im  Musikcorps  der  kaiserl.  Garde  zu  Paris. 

—  Sein  Sohn,  Louis  Marie  Charles  J.,  geboren  am  17.  Decbi\  1808  zu 
Paris,  wurde  auf  dem  dortigen  Conservatorium  zum  tüchtigen  Geiger  ausgebildet 
und  fuugirte  längere  Zeit  als  erster  Violinist  im   Orchester  der  Opera  comique. 

Javiirek,  Joseph,  Componist,  geboren  am  2.  Octbr.  1756  in  Benesov 
(Berauner  Kreis  in  Böhmen),  wo  sein  Vater  Lehrer  war.  Seine  literarische 
und  musikalische  Bildung  erhielt  er  im  Sazaver  Benedictinerkloster,  wo  sein 
Bruder  Chorregent  war.  Beide  Brüder  verliessen  aus  unbekannten  Gründen 
ihr  Vaterland  und  gingen  in  die  Fremde.  Joseph  J.  begab  sich  im  J.  1793 
nach  Polen,  wo  er  eine  Musiklehrerstelle  beim  Fürsten  Radziwil  annahm.  Im 
J.  1800  wurde  er  zum  Professor  am  Conservatorium  in  Warschau  und  später 
am  Alexanderinstitute  ernannt,  wo  er  sehr  erspriesslich  wirkte,  J.  starb  am 
22.  Juni  1846  und  hat  sich  um  die  Musik  zu  "Warschau  überhaupt  und  um 
die  Kirchenmusik  insbesondere  bedeutende  Verdienste  erworben.  In  seinem  im 
J.  1825  abgehaltenen  Concerte  in  Warschau  wirkte  auch  sein  Schüler  Friedrich 
Chopin  mit,  der  sich  durch  den  Vortrag  eines  Moscheles'schen  Concertes  in 
Fis-moll  und  einer  freien  Fantasie  auf  dem  Aeolopantalon  auszeichnete.  J. 
schrieb  viele  Compositionen,  die  aber  fast  alle  im  Manuscript  blieben.  —  Wie 
sein  Vater  und  Bruder,  war  auch  sein  Oheim,  der  Pater  Vincentius  J.,  ein 
tüchtiger  Tonkünstler.  Derselbe,  geboren  am  7.  Decbr.  1730  zu  Ledecz  bei 
Kuttenberg,  war  Dominicaner,  dirigirte  20  Jahre  lang  die  Choraufführungen 
in  seinem  Kloster  und  hat  Kirchenwerke  componirt.  M — s. 

Jay,  einer  der  berühmtesten  englischen  Bogeninstrumentenmacher  des  17. 
Jahrhunderts,    von    dem  aber  kaum  mehr  als  der  Name  bekannt  geblieben  ist. 

—  Bekannter  ist  Dr.  John  J.,  gleichfalls  ein  Engländer.  Derselbe  war  ein 
Violinschüler  von  Hindmarsh,  hatte  hierauf  Unterricht  bei  Francis  Philipps 
und  vollendete  seine  musikalische  Elrziehung  auf  dem  Continent.  Seit  1800 
wirkte  er  in  London  als  angesehener  Musiklehrer,  wurde  1809  Baccalaureus 
und  später  Doctor  der  Musik  zu  Oxford.  Um  1838  war  er  noch  am  Leben. 
Von  seiner  Composition  hat  er  eine  Ouvertüre  für  Orchester,  Sonaten  und 
Variationen  für  Ciavier,  englische  Lieder  und  Gesänge  u.  a.  veröffentlicht. 

Ibach,  Firma  mehrerer  seit  langer  Zeit  berühmten  Orgelbauanstalten  und 
Pianofortefabriken  zu  Bonn  und  zu  Barmen,  von  denen  zu  nennen  sind: 
1)  Adolph  I.  in  Bonn,  Orgelbauwerkstätte  und  Pianofortehandlung,  welche 
gute  Kirchen-  und  Hausorgeln  liefert.  2)  C.  Rudolph  I.,  gestorben  am  26. 
April  1863,  der  älteste  von  vier  Brüdern,  welche  sich  mit  grossem  Erfolge 
dem  lustrumenteubau  widmeten,  war  Thellhaber  der  Orgel-  und  Pianoforte- 
fabrik, welche  in  Barmen  unter  den  Firmen  Adolph  I.  vmd  Sohn,  Ad.  I. 
Söhne  und  Gebrüder  C.  Rudolph  und  Richard  I.  bestand.  3)  Gustav 
Adolph  I.,  Pianofortebauer  in  Barmen,  eröffnete  sein  Geschäft  am  1.  Juni 
1862,  nachdem  er  vorher  einer  der  Theilhaber  der  Firma  Adolph  I.  Söhne 
gewesen  war.     Er  liefert  Pianinos  und  Flügel  in  solider  Ausführung  und  aner- 


372  Ibykus  —  Ideal. 

kennenswerther  Güte.  4)  Richard  I.,  Orgelbauanstalt  in  Barmen,  gegründet 
1794  durch  Adolph  I.,  besteht  seit  dem  1.  Jan.  1869  unter  der  jetzigen  Firma 
und  zählt  zu  den  bedeutendsten  Werkstätten  dieser  Gattung  in  Deutschland, 
indem  sie  jährlich  sechs  bis  acht  Kircheninstrumente  liefert,  welche  zu  den 
bedeutendsten  "Wei'ken  der  Orgelbaukunst  gehören,  und  nach  Holland,  Belgien, 
Spanien,  Amerika  u.  s.  w.  exportirt.  5)  Rudolph  I.,  Inhaber  der  Firma 
Rud.  I.  und  Sohn  in  Barmen,  die  grösste  und  älteste  Pianofortefabrik  im 
westlichen  Deutschland,  gegründet  1794  durch  Adolph  I.,  bestand  darnach  als 
Orgel-  und  Pianofortefabrik  unter  den  weiter  oben  unter  2  genannten  Firmen 
und  seit  dem  1.  Jan.  1869  nur  als  Pianofortefabrik  unter  der  jetzigen  Firma. 
Die  Erzeugnisse  dieses  Etablissements  standen  von  jeher  in  einem  bedeutenden, 
wohlerworbenen  Ansehen;  Umfang  und  Ausdehnung  des  Ciavierbaues  daselbst 
begründete  aber  erst  der  gegenwärtige  Inhaber,  der  seinen  vorzüglich  gear- 
beiteten Instrumenten  in  kurzer  Zeit  einen  "Weltruf  zu  verschaffen  wusste.  Er 
liefert  jährlich  300  bis  400  Flügel  und  Pianinos,  welche  sich  neben  ihrer  über- 
aus soliden  Arbeit  durch  einen  mächtigen  und  doch  angenehmen  Klang  aus- 
zeichnen, weshalb  dieselben  auf  den  verschiedenen  Weltausstellungen  stets  prä- 
miirt  und  von  anerkannten  Musikautoritäten  als  zu  den  besten  Instrumenten 
der  Gegenwart  gehörend  empfohlen  worden  sind. 

Ibykus,  altgriechischer  Sänger  und  lyrischer  Dichter,  ein  Zeitgenosse  des 
Anakreon,  war  aus  Rhegium  in  TJnteritalien  gebürtig  und  kam  um  die  Mitte 
des  6.  Jahrhunderts  v.  Chr.  an  den  zur  Zeit  sehr  glänzenden  Hof  des  Ty- 
rannen Polykrates  von  Samos.  Später,  nachdem  er  mehrere  Reisen  unter- 
nommen hatte,  kehrte  er  in  seine  Vaterstadt  zurück,  wo  er  auch  gestorben  ist. 
Einer  schon  im  Alterthum  verbreiteten  Sage  nach,  die  auch  Schiller  in  seiner 
schönen  Ballade  »Die  Kraniche  des  I.«  behandelt  hat,  wurde  er  auf  einer  seiner 
Sängerfahrten  von  Räubern  überfallen  und  ermordet.  Seine  Drohung,  dass  die 
Kraniche,  welche  während  dieser  ruchlosen  That  in  der  Luft  vorbeizogen,  ihn 
einst  rächen  würden,  ging  zu  Korinth  in  Erfüllung.  Yon  I.  erwähnen  die 
Alten  sieben  vorhandene  Bücher  Gedichte  in  dorisch-äolischer  Mundart,  welche 
heroisch-erotischen  Inhalts  waren  und  sich  durch  Gluth  der  Phantasie  und 
Leidenschaft  auszeichneten,  wie  auch  die  noch  übrig  gebliebenen,  von  Schneidewin 
und  von  Bergk  gesammelten  und  herausgegebenen  Bruchstücke  derselben 
beweisen. 

Icht  ist  der  indische  Name  [eines  Notenwerthzeichens ,   durch  welches  man 

zwei  gleiche  Längen  im  */4-Takt  vermerkt,  also:  B— p— p—  0. 

Ideal  (vom  griech.  idsa)  im  weiteren  Sinne  des  Wortes  wird  dem  Realen 
entgegengesetzt  als  das  blos  Vorgestellte,  Gedachte,  im  Gegensatz  zu  dem 
Wirklichen,  ausserhalb  und  unabhängig  von  dem  Denken  Existirenden.  Im 
engeren  Sinne  versteht  man  unter  einem  I.  einen  als  wirklich  gedachten  Gegen- 
stand, der  einer  Idee,  einem  Vorbilde  oder  Musterbilde  vollkommen  entspreche. 
Wie  vielfach  daher  die  Gebiete  sind,  in  denen  der  Gedanke  des  Musterhaften, 
Vollkommenen  und  Vollendeten  eine  Bedeutung  hat,  so  vielfältig  ist  die  An- 
wendung des  Begriffs  I.,  daher  vorzüglich  sittliche  und  ästhetische  I.e;  dann 
im  Einzelnen  I.  der  Kunst,  I.  der  Wissenschaft,  I.  des  Weisen,  I.  der  Tugend, 
des  Staats,  der  Familie  u.  s.  w.  Der  Philosoph  Kant  spricht  sogar  von  einem 
theoretischen  I.  der  reinen  Vernunft;  ebenso  würde  ein  I.  der  Hässlichkeit, 
der  Bosheit  u.  s.  w.  gedacht  werden  können.  Insofern  man  versuchen  kann 
und  auf  dem  sittlichen  Gebiete  versuchen  soll,  das  Wirkliche  dem  I.  gemäss 
zu  bestimmen,  bedient  man  sich  des  Wortes  I.wohl  auch  da,  wo  ein  Wirk- 
liches der  Idee  in  hohem  Grade  zu  entsprechen  scheint,  so  namentlich  wiederum 
im  Gebiete  der  schönen  Künste.  Wo  sich  Ideen  nicht  anschaulich  darstellen 
lassen,  wie  eben  in  den  Künsten,  sondern  wo,  wie  in  der  Wissenschaft,  die 
Aufgabe  darin  besteht,  sie  durch  Begriffe  zu  bestimmen,  wird  das  Wort  Idee 
und  I,  oft  gleichbedeutend  gebraucht.     Jedes  von  der  Phantasie  des  Künstlers 


Idee  —  Jeep,  373 

entworfene,  von  dem  Darstellungsvermögen  ausgeführte  I.  wird  nie  ganz  erreicht 
werden  und  immer  nur  ein  mehr  oder  weniger  vollkommenes  Abbild  des  Ur- 
bildes bleiben;  gleichwohl  soll  ein  solches  I.  dem  Geiste  des  Künstlers  immer 
vorschweben,  damit  er  sich  immer  mehr  ihm  zu  nähern  suche,  und  ein  Künstler 
ist  deshalb  auch  um  so  grösser,  je  vollkommener  das  I.  ist,  das  er  sich  ent- 
wirft, je  feuriger  er  es  sich  in  seiner  Einbildungskraft  darzustellen  vermag,  und 
je  mehr  Kraft  er  in  sich  trägt,  sein  Werk  dem  vorschwebenden  I.  ähnlich  zu 
machen.  —  Idealisiren  heisst  ein  Wirkliches  nach  einer  Regel  der  Voll- 
kommenheit behandeln,  oder  anders  ausgedrückt,  dem  Stoffe  in  der  Darstellung 
die  Vollkommenheit  verleihen,  welche  das  Wirkliche  nicht  hat.  So  muss  alle 
Kunst  i. ,  indem  der  Künstler  nach  Idealen  arbeitet.  Im  Sprachgebrauch  des 
gewöhnlichen  Lebens  bezeichnet  man  durch  dieses  Wort  bisweilen  auch  die 
Täuschung,  welche  in  dem  Wirklichen  mehr  Vollkommenheit  zu  finden  glaubt, 
als  es  besitzt.  Der  Tondichter  idealisirt  mit  Glück,  wenn  es  ihm  gelingt,  durch 
seine  Musik  die  Seele  vom  Irdischen  abzuziehen  und  für  höhere  Regungen 
einzunehmen.  Psychologisch  genommen  richten  sich  überhaupt  die  Ideale  eines 
Menschen  nach  der  Höhe  seiner  geistigen  Ausbildung;  Jedem  wird  dasjenige 
ein  Ideal,  was  ihm  in  irgend  einer  Art  ein  Maass  der  Vollkommenheit  dar- 
bietet, daher  in  diesem  Sinne  die  ästhetischen  Ideale  (denn  das  Aesthetisch- 
Schöne  ist  gleichbedeutend  mit  dem  Idealisch- Schönen),  ebenso  wie  die  sitt- 
lichen, politischen,  religiösen  Ideale  nicht  nur  einzelner  Menschen,  sondern 
ganzer  Zeitalter  und  Völker  sehr  verschieden  sind. 

Idee,  s.  Gedanke. 

Idw.111  nennen  die  Inder  ein  Werthzeichen  ihrer  Notenschrift,  welches  die 
Gesangnoten  in  folgender  Länge  und  Betonung  wiedergiebt: 

^~r~rr\-r-\^  ^     o.  ^ 

Idylle  (griech.  stdvXhav),  d.  i.  ein  kleines  Bild,  nennt  man  eine  dem  ein- 
fachen, unverdorbenen  Landleben  entnommene  poetische  Schilderung,  deren 
Schauplatz  die  Natur  ist.  Ein  Tonstück,  das  solche  Schilderungen  musikalisch 
darzustellen  sucht,  wird  daher  gleichfalls  I.  genannt.  Vogelgesang,  Wellen- 
geplätscher,  Echoruf,  Schalmeien-  und  Hörnerklang,  Naturlaute  aller  Art  sind 
als  Darstellungsmittel  für  diese  Art  von  Schilderung  niemals  verschmäht 
worden  und  dürften  auch  kaum  zu  umgehen  sein,  wiewohl  deren  Anwen- 
dung meist  zu  einem  Realismus  verführt,  der  in  der  reinen  Kunst  nicht  statt- 
haft ist. 

Jean,  altfranzösischer  Contrapunktist ,  genannt  l'Orguenneur,  d.  i.  der  Or- 
ganist, welcher  Beiname  auf  seine  Hauptbeschäftigung  hinweist,  lebte  im  13. 
Jahrhundert.     Zwei  Gesänge  von  ihm  sind  der  Nachwelt  erhalten  geblieben. 

Jeanuou,  französischer  Musikgelehrter,  geboren  zu  Anfang  des  18.  Jahr- 
hunderts zu  Lyon,  hielt  in  der  Akademie  seiner  Vaterstadt  Vorlesungen  über 
die  Harmonie,  in  welchen  er  u.  A.  auch  bereits  eingehend  von  dem  Ton  handelte, 
welcher  durch  Reiben  an  einem  Glase  hervorgebracht  wird. 

Jeannotus,  s.  Zanotti. 

Jean-Pierre,  Jean  Nicolas,  französischer  Orgelbauer,  geboren  1811  zu 
Ventron,  war  anfangs  Uhrmacher  zu  Nampotelize,  ging  aber  später  zum  Orgel- 
baufach über  und  verfertigte  als  Autodidakt  mehrere  gute  Werke.  Er  erfand 
auch  einen  von  grossem  Scharfsinn  zeugenden  complicirten  Mechanismus  für  die 
Orgel,  welchem  er  den  Namen  i>Metroton(f.  beilegte, 

Jeep,  Johann,  auch  fälschlich  Jepp  geschrieben,  einer  der  ausgezeich- 
netsten deutschen  Vocalcomponisten  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts, 
geboren  um  1585  zu  Dransfeld  unfern  Göttingen,  hielt  sich  in  seinen  Blüthe- 
jahren  ausschliesslich  in  Baiern  und  Würtemberg  auf,  und  war  seit  etwa  1625 
gräfl,  hohenlohe'scher  Kapellmeister  zu  Weikersheim.  Gestorben  ist  er  um 
1650  zu  Ulm.  J,  war  ein  ebenso  sinniger  wie  geschickter  Tonsetzer,  und  es 
ist  lebhaft  zu  bedauern,   dass  von  seinem  äusseren  Leben  nicht  mehr  bekannt, 


374  Jeffrys  —  Jeliotte. 

von  seinen  interessanten  Arbeiten,  welche  zu  ihrer  Zeit  nach  Verdienst  hoch- 
geschätzt waren,  nicht  mehr  übrig  geblieben  ist.  Er  bewegte  sich  iu  den  alten 
Kirchentöneu  mit  einer  Sicherheit,  Feinheit  und  Anmuth,  die  vorthoilhaft  gegen 
den  gleichzeitig  üblichen  Formalismus  absticht.  Man  hat  von  ihm:  »Geistliche 
Psalme  und  Kirchengesänge  Dr.  Martin  Luther's  und  anderer  frommer  Christen, 
mit  vier  Stimmen,  dem  Choral  uach  componiret«  (Nürnberg,  1607);  »Schöne 
auserlesene  liebliche  Tricinia.  so  von  Laurentio  Medico  in  welscher  Sprache 
ausgegangen«  (Nürnberg,  1610  und  IGll);  »Studenten -Gärtleins  erster  Theil, 
newer  lustiger  weltlicher  Liedlein  mit  drei,  vier,  fünf  Stimmen  zu  siugeu  und 
zu  spielen«  (Nürnberg,  1607);  »Studenten -Öilrtleins  anderer  Theil  u.  s.  w.« 
(Nürnberg,  1609);  »Chi'istliches  Gesang -Büchleincf  (Ulm,  1618).  Wie  beliebt 
und  verbreitet  von  diesen  Werken  namentlich  das  » Studenten- Gärtlein«  gewesen 
sein  muss,  das  J.  laut  Titel  »allen  der  löblichen  Musik-Kunst  Liebhabern,  be- 
sonders aber  den  edlen  Studenten  vnd  züchtigen  Jungfrawen  zu  sondern  an- 
nemblichen  Ehren  vnd  Wohlgefallen«  gewidmet  hat,  davon  ist  Beweis,  dass 
dasselbe  in  der  Zeit  von  1607  bis  1621  sechs  Auflagen  erlebt  hat.  Dass  aber 
J.  selbst  noch  lange  nach  seinem  Tode  in  Ehren  stand,  bekundet  ein  von 
seinem  Landsmann  Ullrich  gestochenes  Portrait,  welches  nach  Gerber's  Angabe 
im  J.  1673  erschienen  sein  soll.  Man  wird  allerdings  kaum  fehl  gehen,  wenn 
man  diese  Angabc  als  einen  Druckfehler  und  1637  als  das  Erscheinungsjahr 
des  bezeichneten  Stiches  annimmt. 

Jeffrys,  Matthäus,  englischer  Tonkünstler,  der  zu  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts lebte,  Baccalaureus  der  Musik  der  Universität  Oxford  und  1593  Chor- 
sänger und  Kirchenvicar  zu  Wills  war. 

Jeleusperger,  Daniel,  gelehrter  Tonkünstler,  geboren  1797  unweit  Mühl- 
hausen am  ßhein ,  trieb  von  früh  auf  Musik  und  wurde  später  in  den  Noten- 
Steindruckereien  zu  Mainz  und  Offenbach  angestellt.  Als  eine  derartige  An- 
stalt auch  in  Paris  begründet  wurde,  zog  man  J.  mit  einigen  anderen  jungen 
Leuten  dorthin.  Dies  Unternehmen  jedoch  schlug  fehl,  und  J.  sah  sich,  um 
sein  Leben  zu  fristen,  darauf  angewiesen,  als  Ciavierstimmer  zu  fungiren.  Zu- 
gleich nahm  er  Unterricht  in  der  Harmonie-  und  Compositionslehre  bei  Reicha, 
der  ihn  so  liebgewann ,  dass  er  ihn  zum  Repetitor  seiner  Klasse  am  Pariser 
Conservatorium  bestimmte,  an  welcher  Anstalt  J.  später  als  Professor- Adjunct 
angestellt  wurde.  Die  Gesellschaft  der  Pariser  Componisten,  welche  1820  an- 
fing, ihre  Werke  selbst  herauszugeben,  ernannte  J.  zu  ihrem  Geschäftsführer, 
und  unter  seiner  Aegide  erschien  u.  A.  der  »Tratte  de  haute  c07nj}osition«  seines 
Lehrers  Reicha  und  die  »Methode  de  cor  alto  et  de  cor  hassen  von  Daupx-at. 
Er  selbst  begann  damals  und  veröffentlichte  später  sein  AVerk  »Lliormonie  au 
commencement  du  19.  siecle  et  methode  four  Vetudiera.  (Paris,  1830),  welches  in 
deutscher  Uebersetzung  von  Aug.  Häser  (Leipzig,  1833)  erschien.  Sonst  hat 
er  noch  die  Chorgesangs-Schule  von  A.  F.  Häser  und  die  Hummersche  Ciavier- 
schule ins  Fi'anzösische  übersetzt  und  herausgegeben.  Gestorben  ist  er  am 
30.  März  1831  zu  Mühlhausen. 

Jelich,  Vincenz,  Contrapunktist  des  17.  Jahrhunderts,  geboren  zu  St. 
Veit  am  Flaum,  ist  durch  Kircheugesänge  seiner  Composition  bekannt  ge- 
blieben. 

Jeliuek,  Franz  Xaver,  tüchtiger  Oboevirtuose  und  Componist,  geboren 
am  3.  Decbr.  1818  zu  Kaurins  in  Böhmen,  erhielt  seine  höhere  Ausbildung 
auf  dem  Conservatorium  zu  Prag  und  folgte  1841  einem  Rufe  nach  Salzburg, 
wo  er  als  Lehrer  seines  Instrumentes  und  als  Archivar  am  Mozarteum,  sowie 
auch  als  Lehrer  der  Composition  erfolgreich  wirkt.  Von  seinen  Compositionen 
sind  besonders  Kirchenmusikstücke  und  Männerchöre  von  Bedeutung. 

Jeliotte,  Pierre,  berülimter  französischer  Tenorsäuger  und  gewandter 
Componist,  geboren  1711  unfern  Toulouse,  erhielt  seinen  ersten  musikalischen 
Unterricht  als  Chorknabe  an  der  Maitrise  der  Kathedralkirche  daselbst.  Der 
Ruf  seiner  selten  schönen  und  hohen  Tenorstimme  drang  bis  zum  Prinzen  von 


Jendritza  —  Jensen.  375 

Carignan,  dem  General- In spector  der  Pariser  Grossen  Oper,  der  ihn  kommen, 
debütiren  liess  und  anstellte.  Er  sang  nun  von  1733  bis  1755  an  dieser 
Bühne  mit  grossartigem  Erfolge  und  starb  1782  zu  Paris.  Seine  sonstige 
musikalische  Vortrefilichkeit  beweist  ausser  vielen  Chansons,  die  Musik  zu 
dem  Ballet  »Zelisca«,  welche  er  1745  zur  Vermählungsfeier  des  Dauphins  com- 
ponirt  hat. 

Jendritza,  ein  um  die  Musik  verdienter  Schulmann,  geboren  am  27.  Jan. 
1783,  seit  1815  Rector  in  Namslau,  wirkte  in  seinem  Kreise  durch  Verbes- 
serung des  Schulgesanges  und  Hebung  der  Volksmusik  nachhaltig  im  Interesse 
der  künstlerischen  Bildung  seiner  Landsleute. 

Jenaer,  Johann  Baptist,  begeisterter  Musikfreund  und  guter  Pianist, 
geboren  am  23.  März  1792  (nicht  1797)  zu  Kirchhöfen  bei  Freiburg  im  Breis- 
gau, war  kaiserl.  Hofkriegsraths-Beamter  in  Wien  und  hat  sich  um  die  Gesell- 
schaft der  Musikfreunde  des  österreichischen  Kaiserstaats,  deren  langjähriger 
Canzleidirektor  er  war,  grosse  Verdienste  erworben.  Er  starb  am  30.  März 
1856  zu  Wien. 

Jenicke,  Johann,  deutscher  Componist  und  Dichter  des  17.  Jahrhunderts, 
lebte  zu  Magdeburg  und  liess  daselbst  im  J.  1667  vier  Ballets  und  Sarabanden 
seiner  Composition  im  Druck  erscheinen. 

Jenisch,  Paul,  niederländischer  Gelehrter  und  Tonkünstler,  geboren  am 
17.  Juni  1558  zu  Antwerpen,  starb  daselbst  hochbetagt  am  18.  Decbr.  1647. 
Mattheson  führt  ihn  im  »PZws  ultrai  als  Beispiel  an,  wie  heilsam  die  Musik- 
übung auf  die  von  Noth   and  Unglück  Verfolgten  wirken  könne. 

Jenkitts,  John,  einer  der  bedeutendsten  englischen  Viola  da  Gamba- Vir- 
tuosen und  Instrumentalcomponisten,  geboren  1592  zu  Maidstone  in  der  Graf- 
schaft Kent,  blühte  besonders  um  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts.  Vor  der 
englischen  Revolution  stand  er  in  Diensten  Karl's  I.,  nach  dessen  Sturze  er 
fortwährend  auf  Reisen  lebte,  bis  er  1671  zu  Kimberley  starb.  Der  Compo- 
sitioneu  J.'s  für  Viola  da  Gamba  sollen  Legion  gewesen  sein;  jedoch  ist  von 
ihnen  allen  Nichts  gedruckt  worden.  Nur  in  dem  Sammelwerk  für  Viola: 
yiSpeel- Tresor  van  200  de  nieawste  Ällemanden^  Gouranterij  Sarabanden  etc.n 
(Amsterdam,  1664)  befinden  sich  einige  Violastücke  von  J.,  und  auch  Burney 
theilt  ein  solches  im  dritten  Bande  seiner  Geschichte  mit.  Dagegen  veröfi'ent- 
lichte  J.  selbst:  nTheophila  or  Love^s  sacriföcea  (London,  1651),  ein  mehrstim- 
miger Gesang,  und  12  Sonaten  für  zwei  Violinen  und  Bass  (London,  1660; 
Amsterdam,  1664),  das  erste  bekannt  gewordene  Werk  in  England,  das  in 
italienischer  Manier  für  ein  Ensemble  von  Violinen  und  Bass  und  nicht  für 
Violen  oder  Lauten  geschrieben  war.  In  Smith's  y>Musica  antiqua«  befinden 
sich  auch  noch  einige  Arien  J.'s.  —  Ein  Jenkins,  dessen  Vorname  aber  nir- 
gends genannt  wird,  galt  um  1783  und  später  für  einen  der  grössten  Trom- 
petenvirtuosen Englands  und  trat  häufig  in  den  damals  zu  London  veranstal- 
teten grossen  Concerten  auf. 

Jenueqnin,  s.  Jannequin. 
Jennewitz,  s.  Janiewicz. 

Jensen,  Adolph,  phantasievoller  Componist  der  Gegenwart,  geboren  am 
12.  Jan.  1837  zu  Königsberg  in  Preussen,  bekundete  schon  früh  ein  hervor- 
ragendes Talent  für  die  Musik,  welches  sich  in  autodidaktischen  Kunst- 
studien  Raum  zu  schaffen  suchte,  bis  L.  Ehlert  und  Friedr.  Marpurg  ihm  einen 
geregelten  Unterricht  ertheilten.  Als  beide  Lehrer  im  Vei'laufe  von  zwei  Jahren 
Königsberg  verliessen,  war  J.  bereits  so  weit  gediehen,  dass  er  an  guten  Mustern 
seine  Studien  selbstständig  fortsetzen  und  mit  eigenen  Compositionen  sich  hervor- 
wagen konnte,  von  denen  Ouvertüren,  ein  Streichquartett,  Sonaten  und  andere 
Stücke  für  Ciavier,  besonders  aber  mehrere  Gesangswerke  zu  nennen  sind.  Die 
Sorge  für  eine  gesicherte  Existenz  führte  J.  1856  nach  Russland,  wo  er  sich 
ziemlicli  rasch  die  Mittel  erwarb,  mit  Hülfe  deren  er  in  persönlichen  Verkehr 
mit  Roh.  Schumann,    der    sein  enthusiastisch    verehrtes  Vorbild  geworden  war. 


376  Jepp  —  Jesser. 

treten  wollte.  Die  Katastrophe,  welche  in  demselben  Jahre  über  den  letzteren 
hereinbrach,  vereitelte  diesen  Herzenswunsch.  J.  kehrte  1857  nach  Deutschland 
zurück  und  nahm  zunächst  die  Stelle  als  Kapellmeister  am  Stadttheater  zu 
Posen  an,  welche  er  aber  nur  eine  Saison  hindurch  inne  hielt,  um  sich  dann 
nach  Kopenhagen  zu  begeben,  wo  ihn  N.  W,  Grade  durch  künstlerische  Rath- 
schläge  sehr  förderte.  Nach  einem  zweijährigen  Aufenthalte  in  der  dänischen 
Hauptstadt  siedelte  er  nach  seiner  Vaterstadt  Königsberg  über  und  schwang 
sich  dort  zu  den  geschätztesten  Musiklehrern  empor,  während  gleicherweise 
sein  Componistenruf  in  Folge  der  von  da  an  schneller  im  Druck  erscheinenden 
und  auf  einander  folgenden  sinnigen  Lieder  und  Ciavierstücke  sich  weiter  und 
weiter  verbreitete.  Zu  Anfang  des  .T.  1866  folgte  er  einem  Rufe  nach  Berlin 
als  Lehrer  der  Tausig'schen  Schule  für  Ciavierspiel  und  gehörte  diesem  Institute 
bis  Ende  1868  an,  worauf  er  sich  in  Dresden  und  1870  in  Graz  niederliess. 
Von  seinen  bekannt  gewordenen  Compositionen  werden  seine  Ciavier -Sonate 
op.  25,  das  geistliche  Orchesterstück  »Der  Gang  nach  Emmaus«,  der  Nonnen- 
gesang für  Frauenchor  mit  Harfe,  zwei  Hörnern  und  Pianofortebegleitung, 
ferner  die  Liedercyklen  »Dolorosa«  und  »Erotikon«,  endlich  seine  Liederhefte 
op.  4,  6,  22,  sowie  die  Pianofortestückc  op.  37,  38  und  42  dem  Gediegensten 
zugerechnet,  was  die  neuere  Musikliteratur  in  Deutschland  hervorgebracht  hat. 
—  Sein  Brudei-,  Gustav  J.,  ein  vortrefflicher  Violinist,  besuchte  1871  die  königl. 
musikalische  Hochschule  in  Berlin  und  wirkt  seit  1872  als  geschätzter  Lehrer  der 
Harmonieklasse  am  Conservatorium  zu  Köln.  Auch  von  ihm  sind  Lieder  und 
Pianofortecompositionen  im  Druck  erschienen,  und  eine  Concertouvertüre  seiner 
Composition,  welche  1875  in  einem  der  Gürzenichconcerte  zu  Köln  zum  ersten 
Male  zur  Aufführung  gelangte,  fand  ihres  Schwunges  und  ihrer  guten  Arbeit 
wegen  den  Beifall  der  Kenner  sowie  des  dortigen  Publikums. 

Jepp,  s.  Jeep. 

Jerach  beu  Jomo,  "QV  )^  rr^"^,  ist  der  Name  des  unter  den  letzten  Buch- 
staben gesetzten  hebräischen  Accentzeichens,  welches  die  orientalischen  Hebräer 


durch  folgenden   Tongang    -^— i»?-— *^^«^|— f -*-p pHl  geben;  Aehnlichkeit  mit 

dieser  Lesart  lässt  sich  in  der  deutschen  Auffassung  nicht  verkennen: 


-^ — ^- 


0. 

Jeremiaden,  s.  Lamentationen. 

Jeröme  de  Moravie,  Dominicaner  zu  Paris,  s.  Hieronymus  de  Mo- 
ravia. 

Jeroniino,  Pater  Francisco  de,  musikgelehrter  portugiesischer  Hierony- 
miter-Mönch,  geboren  1692  zu  Evora,  war  Kapellmeister  im  Kloster  zu  Belem 
und  componirte  viele  acht-  bis  16  stimmige  Responsorien,  achtstimmige  Messen, 
Te  deen,  Psalme,  Hymoen,  Vespern,  Motetten  u.  s.  w.,  von  denen  Einiges  in 
der  Bibliothek  zu  Lissabon  aufbewahrt  wird. 

Jesir  ist  nach  Naumburg's  Werk:  r>Cha7its  reli(jieux  des  Israelitesu.  u.  s.  w. 
(Paris,  1847)  der  Name  eines  dem  Jethib  (s.  d.)  gleichen  Accentzeichen  der 
Hebräer,    und  soll,   im  zweiten   Buche  Mose  voi'kommend,  stets  die   Tonphrase 


II 


anzeigen.  0. 


:  Z\s\h 


Jesrie  ist  ein  "Werthzeichen  in  der  indischen  Notation:  -3  J^iS  ^-c  das  durch 

3        -  I  '        I 

Noten  in  folgender  Art  gegeben  werden  muss:   9 — o   p   |~o— s— 1— e>^ 

Jesser,  gerühmter  Waldhornvirtuose  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhun- 
derts, war  aus  Böhmen  gebürtig,  befand  sich  1784  am  Cap  der  guten  Hoffnung 
und  scheint  auch  nicht  wieder  nach  Europa  zurückgekehrt  zu  sein. 


Jester  —  Jeu  de  büffle.  377 

Jester,  Ernst  Friedrich,  beliebter  deutscher  Operncomponist ,  geboren 
1745  zu  Königsberg,  war  seinem  Berufe  nach  königl.  preussischer  Forstbeamter 
und  hat  als  solcher  mehrere  Opern  componirt,  die  den  Beifall  seiner  Lands- 
leute fanden. 

Jesas,  Name  mehrerer  portugiesischer  Tonkünstler  geistlichen  Standes. 
Sie  sind  der  Reihe  nach:  1)  Antonio  de  J.,  aus  Lissabon  gebürtig,  war 
Mönch  und  von  1636  an  bis  zu  seinem  Tode,  am  15.  April  1682,  Professor 
der  Musik  an  der  Universität  zu  Coimbra.  Auf  der  Bibliothek  zu  Lissabon 
trifft  man  noch  Kirchencompositionen  von  ihm.  —  2)  Bernardino  de  J,, 
auch  Sena  genannt,  geboren  1599  zu  Lissabon,  trat  1615  zu  Viana  in  den 
Franciscauerorden,  in  welchem  er  Chorvicar,  später,  um  1659,  Definitor  wurde. 
Als  vorzüglicher  Sänger  und  Componist  war  er  auch  vom  König  Johann  lY. 
sehr  geschätzt.  Er  starb  am  10.  April  1669;  Kirchencompositionen  von  ihm 
bewahrt  die  dortige  Bibliothek.  —  3)  Don  Carlos  de  J. -Maria,  musika- 
lischer Schriftsteller,  geboren  1713  zu  Lissabon  und  gestorben  1747  als  Mönch 
zu  Coimbra,  veröffentlichte  eine  grössere  Abhandlung,  betitelt:  y>Arte  de  eanto 
chadv.  (Coimbra,  1741),  als  deren  Verfasser  er  sich  pseudonym.  Luiz  da  Maya 
Croecer  nennt,  welcher  Name  sich  anagrammatisch  auf  seinen  eigenen  zurück- 
führen lässt.  —  4)  Gabriel  de  J.,  ebenfalls  ein  Ordensgeistlicher  und  zwar 
seit  1676  zu  Alcobaga,  war  aus  Leiria  gebürtig  und  wird  als  Orgel-  und  Harfen- 
spieler, sowie  als  Componist  gerühmt.  Mit  besonderer  Auszeichnung  werden 
fünf  seiner  Motetten,  betitelt:  »Quinze  motetes  para  as  quinze  estagones  da  via 
sacjra  com  as  letras  da  escritura  sagradaii  etc.,  hervorgehoben.  Vgl.  Machado, 
Bihl.  lus.  in.  p.  314. 

Jethib  oder  Jathib,  l'^p*' ,  heisst  der  hebräische  Accent  A,  welcher  bei 
den  orientalischen  Israeliten  unter  den  ersten  Buchstaben  eines  "Wortes  gesetzt 
wird;    derselbe    zeigt    ihnen    an,    dass    der  .Sänger    drei  Töne  der  diatonischen 

Scala  fallend  in  folgenden  "Werthen  ausführen   soU:    -^^ — *^~'T~'^ — F — ?~^ i- 

Kircher  hat  das  J.  mit  der  Mercha  (s.  d.)  verwechselt  und  behauptet,  die- 
selbe fordere  eine  Wiederholung  desselben  Tones;  der  erste  kurz,  der  zweite 
lang.  Nathan  giebt  eine  der  ersten  Deutung  fast  entgegengesetzte  Erklärung, 
welche    nach    der    Lesart    der    ägyptischen    und    syrischen    Hebräer    aufgestellt 


sein  soll: 


Ganz    von    diesen  Deutungen    verschieden    ist    die 


Behauptung  des  berühmten  Hebräisten  Conrad  Gottlieb  Anton  in  seinem  Werke: 
ytSalomonis  Carmen  melicum  quod  canticum  canticorum  dicitur,  ad  metrum  priscum 
et  modos  musicos  revocare,  recensere  et  notis  criticis  aliisque  illustrare  incipitK 
(Wittenberg,  1793),  das  J.  zeige  an,  dass  zwei  Stimmen  die  Sexte  d—7i  gleich- 
zeitig singen  sollen.  Man  sieht  hieraus,  wie  unser  Wissen  über  die  hebräische 
Musik  beschaffen.     Im  TJebrigen  s.  Hebräische  Musik.  0. 

Jetze,  Paul,  deutscher  Tonkünstler,  lebte  als  Professor  der  Musik  und 
Cantor  um  1684  zu  Stettin.  Er  war  der  Letzte,  welcher  den  Amtstitel  »Pro- 
fessor der  Musik«  führte. 

Jeu  (französ.)  bezeichnet  im  Allgemeinen  jeden  Registerzug  an  der  Orgel. 
Im  Besonderen  ist  z.  B.  J.  d^anche  das  Schnarrwerk;  J,  dränge  oder  J.  Celeste 
die  Engelsstimme  (s.  Cölestinzug  und  Pedal);  J.  de  flütes  das  Flöten- 
register; J.  de  trompettes  das  Trompetenregister;  J.  de  voix  humaine  die 
Menschenstimme   (latein.:  vo:v  humana). 

Jeu  ä  Ibouche  ist  die  französische,  zuweilen  auch  früher  in  Deutschland 
angewandte  Benennung  der  Labial  stimmen  (s.  d.)   der  Orgel.  2. 

Jen  de  büffle  oder  Jeu  ä  peau  de  huffle  (französ.),  d.i.  Spiel  mit 
Büffelleder,  nannte  im  18.  Jahrhundert  Balbastre  einen  von  ihm  erfundenen 
Pianozug  am  Clavecin  (s.  d.)  oder  Pantalon  (s.  d.).  Die  Tangenten  (s.  d.) 
dieser  Tonwerkzeuge  waren  meist  aus  Metall,    seltener  aus  Holz  ohne  jegliche 


378  Jd  de  vieles  —  Ignatius  der  Heilige. 

Belederuug  und  gaben  deshalb  einen  etwas  scharfen  Klang,  der  viele  hohe 
Beitöne  zeigte.  Balbastre  baute  ausser  diesen  Tangenten  eine  vollständige 
Garnitur  mit  Büffelleder  überzogener  Hämmerchen  in  diesen  Instrumenten,  die 
mittelst  einer  Mechanik  statt  der  Tangenten  die  Saiten  schlagen  konnten. 
Dadurch  erhielt  er  einen  viel  weicheren  Klang,  der  fast  ohne  alle  höheren 
Beiklänge  war  und  zugleich  etwas  gedämpft  ertönte.  Da  die  Belederung  der 
Hämmerchen,  wie  erwähnt,  aus  Büffelleder  bestand,  gab  der  Erfinder  diesem 
Pianozug  den  ihm  eigenthümlichen  Namen.  —  Zu  gleichem  Zwecke  fast,  doch 
in  anderer  "NT^eise  bei  diesen  Instrumenten  gebrauchtes  Büffelleder  führte  zu 
einer  anderen  Anwendung  desselben  musikalischen  Fachausdrucks.  Um  nämlich 
in  späterer  Zeit  die  Klänge  eines  Pianos  in  leiserer  Art  hören  zu  lassen, 
brachte  man  in  demselben  eine  mit  Büffellederstreifen  versehene  Holzstauge  an, 
welche  Stange  mittelst  eines  Hebels  dicht  unter  die  Saiten  so  geschoben  werden 
konnte,  dass  die  Hämmerchen,  statt  unmittelbar  gegen  die  Saiten  zu  schlagen, 
die  Lederlappeii  gegen  die  Saiten  pressten  und  so  mittelbar  erst  dieselben 
tönend  erregten.  Dadurch  trat  sofort  bei  der  Tonerregung  auch  eine  leichte 
Hemmung  der  Vibration  der  Saite  ein  und  bewirkte  diese  einen  eigenthüm- 
lichen leisen  Klang.  Der  Hebel  wurde  entweder  mittelst  des  Knies  oder  eines 
besonderen  über  der  Claviatur  befindliclien  Hegisterzuges  regiert.  Später  suchte 
man  dieselbe  Wirkung  durch  Tuch-  statt  der  Büffellederstreifen  zu  erzielen, 
von  welcher  Art,  ein  Piano  hervorzubringen,  man  in  neuester  Zeit  jedoch 
gänzlich  abgekommen  ist.  2. 

Jeu  de  violes  (französ.),  ein  Satz  Geigen,  d.  h.  vier  bis  fünf  Geigen  von 
verschiedener  Grösse  für  die  verschiedenen  Stimmen  der  Musik, 

Jeürük-seinnsi  ist  eine  der  Bezeichnungen  in  der  persisch-türkischen  Musik, 
wodurch  man  das  Zeitmaass,  die  Bewegungsart  und  Zahl  der  Zeittheile  eines 
Hauptabschnittes  anzeigt.  J.  insbesondere  zeigt  an,  dass  stets  nur  ein  Glied 
dreiviertel   Takt  im  Allegrotempo  gegeben  wird.  0. 

Jeu  graud  (französ,),  d.  i.  grosses  Spiel  oder  volles  Werk,  heisst  ein  be- 
stimmtes Register  des  Harmoniums  (s.  d.).  Der  so  genannte  Zug  öffnet 
gleichzeitig  alle  klingenden  Stimmen  des  Instruments  und  gestattet  somit  die 
Yerwerthung  der  Klänge  desselben  in  der  grössten   Stärke.  2. 

Jeuue,  Claude  le,  s.  Lejeune. 

Jeves,  Simon,  englischer  Geistlicher  und  Yocalcomponist,  war  in  der 
ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  Vicar  an  der  Paulskirche  zu  London  und 
componirte  gemeinschaftlich  mit  Heinrich  Lawes  die  Arien  und  Gesänge,  welche 
vor  dem  König  Karl  I.  in  Whitehall  aufgeführt  wurden.  Er  starb  1662  zu 
London. 

Jewit,  Ran  dal  oder  Raudolph,  englischer  Tonkünstler  von  Ruf  und 
Schüler  von  Oi'laudo  Gibbons,  war  in  seinen  jüngeren  .Jahren  zu  Dublin  als 
Oi'ganist  angestellt,  verliess  aber  16.39  Irland,  um  nach  England  zu  gehen,  wo 
er  das  Organistenamt  zu  Winchester  annahm.  Kurze  Zeit  darauf  jedoch  starb 
er.     Hawkins  führt  ihn  auch  als  geschickten  Componisten  an. 

Jey-tsu  nennen  die  Chinesen  das  dritte  Lü  (s.  d,)  ihi'es  Tonsystems,  wel- 
cher Klang  ungefähr  unserem  y  gleich  ist.  0. 

Ignanimus,  Angelus,  italienischer  Dominicanermönch,  Componist  und 
musikalischer  Schriftsteller,  geboren  um  1500  zu  Altamura  in  Calabrien,  lebte 
und  wirkte  jedoch  in  Oberitalien  und  starb  1543  als  Kirchenkapellmeister  zu 
Venedig.  Dort  sind  auch  verschiedene  Sammlungen  Messen,  Motetten,  Vespern, 
Lamentationen  und  Madrigale  von  ihm  für  drei  bis  sechs  Stimmen  erschienen. 
Ein  Traktat  von  ihm,  »De  cantu,  ^lanoa,  soll  sich  handschx'iftlich  im  Kloster 
Altamura  befinden. 

Ignatius  der  Heilige,  Bischof  von  Antiochien  seit  49  n.  Chr.,  war  noch 
ein  Schüler  des  Apostels  Johannes  und  führte  den  Beinamen  Theophoros, 
d,  i.  der  »Gott«  oder,  nach  seiner  eigenen  Erklärung,  »Christum  im  Herzen 
trägt«.     Die  Legende  bezeichnet  ihn  als  jenes  Kind,  das  Jesus  seinen  Jüngern 


Ikeu  —  Illusion.  379 

als  Muster  hinstellte.  I.  sehnte  sich  nach  dem  Märtyrertode,  den  er  auch  fand, 
indem  er  unter  Kaiser  Trajan  zu  ßom  im  J.  107,  nach  Anderen  erst  116, 
vor  der  schaulustigen  Yolksmenge  im  Circus  von  Löwen  zerrissen  wurde.  Die 
katholische  Kirche  feiert  seinen  Gedenktag  am  1.  Februar.  Er  zuerst  soll  die 
Antiphonen  im  christlichen  Kirchengesang  aufgebracht  haben. 

IkeH,  Konrad,  deutscher  Theologe,  geboren  am  25.  Decbr.  1689  zu 
Bremen,  war  Professor  seiner  Pacultät,  sowie  erster  Prediger  an  der  Stephans- 
kirche daselbst,  und  hat  u.  A.  über  die  silbernen  Trompeten  der  alten  Hebräer 
geschrieben.     Er  starb  am  25.  Juni  1753. 

II,  der  männliche  Artikel  der  italienischen  Sprache,  sei  hier  besonders  in 
folgenden  Zusammensetzungen  erwähnt:  II  doppio  movimento  (französ.:  le 
double  mouvement),  d.  i.  die  doppelte  Bewegung  (s.  Doppio).  —  II  fine,  d.  i. 
das  Ende.  —  //  tempo  crescendo,  d.  i.  das  Zeitmaass  (Tempo)  zunehmend, 
eine  Vortragsbezeichnung  in  der  Bedeutung  im  wachsenden,  d.  h.  schneller  wer- 
denden Zeitmaasse.  Häufiger  werden  in  demselben  Sinne  die  Bezeichnungen 
accelerando  (s.  d.)  oder  stringendo  (s.  d.)  gebraucht. 

Ildefonso,  latinisirt  Ildephonsus,  spanischer  geistlicher  "Würdenträger, 
geboren  607  zu  Toledo,  starb  669  als  Erzbischof  daselbst  und  wird  unter  den 
Hymnologen  der  römisch-katholischen  Kirche  genannt.  Mehrere  Hymnen  zu 
Ehren  der  Jungfrau  Maria  und  einiger  Heiligen  soll  er  nicht  blos  gedichtet, 
sondern  auch  mit  Musikweisen  versehen  haben. 

U^eu,  Karl  David,  ausgezeichneter  deutscher  Schulmann,  geboren  am 
26.  Febr.  1763  zu  Burgholzhausen  unweit  Naumburg,  studirte  zu  Leipzig 
Theologie  und  Philologie  und  wurde  1790  ßector  der  Stadtschule  zu  Naum- 
burg, 1794  Professor  der  classischen  und  orientalischen  Literatur  an  der  Uni- 
versität zu  Jena  und  1802  Rector  der  Landesschule  zu  Pforta.  Im  J.  1830 
nahm  er  seine  Entlassung,  siedelte  nach  Berlin  über  und  starb  daselbst  am 
17.  Septbr.  1834.  Von  seinen  Schriften  ist  von  musikalischer  Bedeutung  die 
Abhandlung:  »Ohorus  graecus  tragicus  qualis  fuerit  et  quare  ejus  usus  hodie  re- 
vocari  nequeafa  (Leipzig,  1788). 

Ilias,  s.  Homer. 

Iliusky,  Graf  Johann  Stanislaus,  polnischer  Componist,  geboren  1795 
im  Schlosse  Romanow  in  Polen,  befleissigte  sich  in  Wien  unter  Leitung  Sa- 
lieri's  und  Kauer's  höherer  tonkünstlerischer  Studien  und  erwarb  sich  durch 
zahlreiche  Kirchenwerke  aller  Art  einen  guten  Ruf.  Im  üebrigen  aber  hat  er 
auch  Sinfonien  und  Ouvertüren,  Streichquartette,  Clavierconcerte  und  sehr  viele 
Lieder  mit  Pianofortebegleitung  componirt. 

Illgner,  Johann  Christian,  guter  deutscher  Orgelspieler,  geboren  am 
24.  Juni  1800  zu  Louisdorf  im  Freistädter  Kreise,  erhielt  1837  Anstellung 
als  Organist  der  Elftausend-Jungfrauenkirche  zu  Breslau. 

Illasion  (aus  dem  Latein.)  heisst  im  Gebiete  der  schönen  Künste  die 
grösstentheils  durch  Kunst  erzeugte  Täuschung,  vermöge  welcher  man  sich  der 
angenehmen  Einbildung  hingiebt,  als  wäre  das  Dargestellte  die  Sache  selbst. 
Es  kann  hier  jedoch  nur  von  einer  bewussten  Täuschung  die  Rede  sein,  welche 
uns  mit  denselben  oder  ähnlichen  Gefühlen,  Empfindungen  oder  Vorstellungen 
erfüllt,  wie  das  Wirkliche  selbst  uns  erscheinen  würde,  obschon  wir  wissen, 
dass  wir  es  nur  mit  einer  Nachbildung  des  Wirklichen  zu  thun  haben.  Sie 
ist  demnach  nur  dann  ästhetisch  und  damit  zugleich  berechtigt,  wenn  sie  als 
Mittel  dient,  das  Schöne  darzustellen  und  das  in  sich  Vollendete  zu  verkörpern. 
Wenn  sie  aber  die  Verwechselung  des  Scheinbaien  mit  dem  Wii'klichen  selbst 
oder  eine  blos  materielle  Wirkung  zur  Absicht  hat,  so  artet  sie  aus  einer 
ästhetischen,  sich  selbst  bewussten  Täuschung  in  einen  groben  Betrug  aus. 
Je  mehr  es  gelingt,  die  künstliche  Täuschung  durch  künstliche  Mittel  in  uns 
hervoi'zubringen,  in  desto  höherem  Grade  wird  sich  unser  ästhetisches  Gefühl 
befriedigt  fühlen.  Ein  Hauptgrund  dieses  Wohlgefallens  beruht  in  der  Mit- 
thätigkeit,    zu  welcher    sich    unsere  Phantasie    aufgefordert    fühlt,    wie    in    der 


380  Imagination  —  Imbroglio. 


o' 


AVahrnehmung,  welche  reiche  Mittel  der  Kunst  für  die  Nachahmung  des  Natur- 
wirklichen zu  Gebote  stehen.  Die  I.  hat  in  allen  Künsten  einen  grossen 
Spielraum,  und  wenn  man  lange  und  oft  behauptete,  dass  sie  sich  im  Gebiete 
der  Tonkunst  nur  in  den  ohnehin  verdächtigen  Tongemälden  äussere,  so  hat 
man  sie  in  einem  allzu  materiellen  und  beschränkten  Sinne  aufgefasst.  Man 
würde  sie  dann,  weiterschliesseud,  auch  der  Poesie  absprechen  und  sie  nur  in 
das  Gebiet  der  darstellenden  Kunst  und  der  bildenden  Künste  verweisen  müssen, 
bei  denen  sie  freilich  erkennbarer,  aber  nicht  so  intensiv  als  in  der  Tonkunst 
und  in  der  Poesie  sich  geltend  macht.  So  werden  z.  B.  die  Chöre,  Arien 
und  Recitative  in  einer  Oper  oder  einem  Oratorium  uns  um  so  mehr  aflSciren, 
je  mehr  sie  in  uns  die  I.  erwecken,  als  drücke  sich  in  ihnen  der  Empfiudungs- 
zustand,  dem  Text  entsprechend,  aufs  wahrste  und  lebendigste  aus.  Alle 
Künste  beruhen  am  letzten  Ende  auf  dem  schönen  Schein,  auf  der  I.,  die  jedoch 
nur  zum  geringsten  Theile  auf  der  durch  blos  materielle  und  körperlich  sicht- 
bare Kunstmittel  bewirkten   Sinnestäuschung   beruht. 

Imagination  (aus  dem  Latein,),  gleichbedeutend  mit  Einbildungs- 
kraft (s.  d.). 

Imbaalt,  französischer  Violinist,  Musiklehrer  und  Musikverleger  zu  Ende 
des  18.  Jahrhunderts  in  Paris,  gab  seit  etwa  1780  Werke  französischer  Com- 
pouisten  in  schön  gestochenen  Ausgaben  heraus,  über  welche  später  ein  jährlich 
erneuerter  Katalog  (derselbe  war  1792  sechs  Grossfolio-Blätter  stark)  erschien. 
Als  Virtuose  trat  I.  noch  1787  in  Paris  öffentlich  auf. 

Imbert,  französischer  Musikschriftsteller,  geboren  um  1750  zu  Sens,  wes- 
halb er  I.  de  Sens  genannt  wurde,  lebte  in  Paris  und  veröffentlichte  u.  A. 
eine  -»-^Methode  de  plain-chanU  etc.  (Paris,  1780).  Er  starb  im  Aug.  1790.  — 
Unter  dem  Namen  Imbert  de  Francia  verfasste  ein  französischer  Mönch 
des  13.  Jahrhunderts  einen  Musiktraktat,  der  sich  abschriftlich  in  der  Pariser 
Bibliothek  befindet.  —  Ein  Musikliebhaber  Imbert  de  Lapheleque  endlich, 
um  1830  zu  Paris  lebend,  veröffentlichte  daselbst  in  einer  Brochure  Notizen 
über  Paganini  und  in  einer  Zeitschrift  einen  Aufsatz  über  Rossini's  »Teil«. 

Imbimbo,  Emanuele,  italienischer  Musikgelehrter  und  Componist,  geboren 
1765  zu  Neapel,  erhielt  seine  tonkünstlerische  Bildung  auf  dem  Conservatorium 
San  Onofrio  seiner  Geburtsstadt  und  widmete  sich  nach  vollendeten  Studien 
dem  Unterrichte  im  Gesang  und  in  der  Harmonielehre,  zuerst  in  seinem  Vater- 
lande und  dann  in  Paris,  woselbst  er  sich  1808  niederliess.  Er  componirte 
und  veröffentlichte  italienische  Arietten,  einige  Kirchenstücke  und  eine  dra- 
matische Scene  »Zo  sjjettroa.  Seine  bedeutendsten  Arbeiten  aber  sind  die 
yPartimenti  ou  hasses  chijfrees  de  FenarolU  etc.  mit  einer  Fortsetzung  dazu  mit 
italienischem  und  französischem  Text,  sowie  die  pädagogische  Schrift  riObser- 
vations  sur  renseif/nement  mutuel  appUq^ue  ä  la  musique  et  sur  quelques  ahus 
introduits  dans  cet  art;  precedees  d^une  notice  sur  las  conservatoires  de  Naples«. 
(Paris,  1821). 

Imbroglio  (italien.;  französ. :  confusion) ,  d.  i.  Verwirrung,  Verwickelung, 
ist  eine  besondere,  irreguläre  Art  der  Accentuation,  bei  welcher  in  verschie- 
denen gleichzeitig  erklingenden  Stimmen  eines  Tonsatzes  die  accentuirten  und 
accentlosen  Takttheile  so  mit  einander  verwechselt,  in  einander  gewirrt  oder 
gegen  einander  geführt  werden,  dass  eine  Vermischung  der  geraden  und  un- 
geraden Taktart  hervorgerufen  wird,  ohne  dass  die  verschiedenen  Stimmen  in 
verschiedener  Taktart  notirt  sind.  So  kann  zu  einer  Stimme  im  ^/^-Takt  z.  B. 
eine  andere  treten,  die  durch  Einsatz  und  Bindungen  den  Eindruck  des  ■'/4-Takts 
erzeugt.  Beispiele  findet  man  im  Menuetto  des  Streichquartetts  Heft  16  No.  1 
(Leipziger  Ausgabe)  von  Haydn,  in  Beethoven's  Quartett  op.  59  No.  2  und 
dem  ersten  Allegro  von  dessen  Eroica- Sinfonie,  besonders  häufig  auch  in  den 
Mazurken  von  Chopin.  Auch  das  sogenannte  Contraterapo,  das  Tempo 
rubato  u.  s.  w.  (s.  d.)  gehört  hierher  und  wird  mitunter  in  demselben  Sinne 
wie  I.  gebraucht. 


Imhoff  —  Imitatio  per  augmentationem.  381 

Imhoff,  Johann  Sigmund  Gleorg  von,  vortrefflicher  deutscher  Ciavier- 
spieler und  Musikliebhaber,  geboren  am  23.  Octbr.  1745  zu  Nürnberg,  woselbst 
er  in  seinen  Mannesjahren  Stadtgerichts-Assessor  und  Burgamtmann  war.  Ein 
achtjähriger  Unterricht  bei  dem  Organisten  Siebenkäs  und  eine  grosse  Reise 
durch  Deutschland  im  J.  1767  hatten  seine  musikalischen  Talente  und  seinen 
Geschmack  aufs  Schönste  entwickelt,  und  die  persönliche  Bekanntschaft  sowie 
Correspondenz  mit  Eman.  Bach,  Naumann,  Hasse,  Gluck,  Jos.  Haydn,  Gass- 
mann, Reichardt,  der  Mara  u.  s.  w.  kam  hinzu,  um  ihn  in  der  Musik  und  ge- 
diegenen Musikübung  zu  festigen  und  zu  verfeinern.  Er  veranstaltete  in  seinem 
Hause  wöchentliche  Quartettauflführungen,  an  denen  die  bedeutendsten  in  Nürn- 
berg verweilenden  Künstler*,  wie  C.  Stamitz,  Punto,  Ramm,  Schwarz,  die  beiden 
Romberg,  Andre,  Chladni  u.  v.  A.  Theil  nahmen.  Im  J.  1812  dürfte  I.  noch 
am  Leben  gewesen  sein;  selbst  geschaffen  scheint  er  nichts  zu  haben. 

Imitatio  (latein.,  von  imitari  —  nachahmen,  nachmachen),  Imitation  (fran- 
zös.),  Imitatione  oder  Imitazione  (Italien.)  —  die  Imitation  oder  die  Nachah- 
mung (s.  d.). 

Imitatio  aeqnalis  motus  (latein.)  —  die  Nachahmung  in  gleicher  Bewegung 
(s.  hierüber  und  über  die  folgenden  Ausdrücke  den  Artikel  Nachahmung). 

Imitatio  cancrizaus  oder  retrograda  oder  per  motum  retrogradtom,  Imitazione 
eoncherizante  oder  concherizata  (Italien.),  Imitation  en  retrogradant  (französ.)  — 
die  rückgängige  oder  krebsgängige  Nachahmung. 

Imitatio  cancrizaus  (in)  motu  contrario  —  die  verkehrte  krebsgängige 
Nachahmung. 

Imitatio  canonica,  oder  totalis,  oder  legata  —  die  gebundene,  kanonische 
Nachahmung. 

Imitatio  homophona  oder  in  unisono  —  die  Nachahmung  im  Einklänge 
oder  in  der  reinen  Prime. 

Imitatio  inaeqnalis  motus  —  die  ungleiche  oder  verkehrte  Nachahmung; 
die  steigenden  Schritte  des  Themas  durch  fallende  oder  umgekehrt  beant- 
wortet. 

Imitatio  in  heptachordo  superiori  oder  inferiori  —  die  Nachahmung  in 
der  Ober-   oder  TJnterseptime. 

Imitatio  in  liexachordo  superiori  oder  inferiori  —  die  Nachahmung  in 
der  Ober-  oder  TJntersexte. 

Imitatio  in  hyperditono  oder  in  hypoditono  —  die  Nachahmung  in  der 
Ober-  oder  Unterterz. 

Imitatio  in  hyperdiapason  oder  liypodiapason  —  die  Nachahmung  in  der 
reinen  Ober-  oder  Unteroctave. 

Imitatio  in  hyperdiapeute  oder  hypodiapente  —  die  Nachahmung  in  der 
reinen   Ober-  oder  Unterquinte. 

Imitatio  in  hyperdiatessaron  oder  Jiypodiatessaron  —  die  Nachahmung  in 
der  reinen   Ober-  oder  Unterquarte, 

Imitatio  (in)  motu  contrario  (s.  Imitatio  per  motum  contrarium).  " 

Imitatio  in  secunda  superiori  oder  inferiori  —  die  Nachahmung  in  der 
Ober-  oder  Untersecunde. 

Imitatio  interrupta — unterbrochene  Nachahmung;  die  nachahmende  Stimme 
wird  durch  Pausen  unterbrochen. 

Imitatio  in  unisono  (s.  Imitatio  homophona). 

Imitatio  invertibilis  —  umkehrungsfähige  Nachahmung. 

Imitatio  libera  oder  simplex  (latein.),  Imitazione  sciolta  oder  semplice 
(Italien.),  Imitation  simple  (französ.)  —  die  freie,  ungebundene  Nachahmung. 

Imitatio  lig'ata  (latein.),  Imitazione  legata  (Italien.)  —  die  strenge,  gebun- 
dene oder  kanonische  Nachahmung. 

Imitatio  partialis  oder  periodica  —  die  theilweise,  periodische,  freie  Nach- 
ahmung; die  nachahmende  Stimme  beantwortet  nur  einen   Theil  des   Themas. 

Imitatio  per  au§:mentationem  —  die  Nachahmung  in  der  Vergrösserung. 


382  Imitatio  per  diminutionem  —  Imperfectio. 

Imitatio  per  «liiuiuntiouein  —  die  Nachahmung  in  der  Verkleinerung. 

Imitatio  periodica  —  die  periodische  Nachahmung  (s.  Im.  partialis). 

Imitatio  per  motnm  coutrariuin  oder  in  motu  contrario  (latein.),  Imitazione 
riversa,  alla  riversa  oder  per  m,ooimenti  contrarii  (italien.),  Imitation  renversee 
oder  par  mouvement  contraire  —  die  verkehrte  Nachahmung. 

Imitatio  per  motum  coutrarium  stricte  reversum  (latein.),  Imitazione  dl 
contrario  riverso  (italien.)  —  die  strenge  verkehrte  Nachahmung. 

Imitatio  per  motum  retrogradum  (s.  Im.  cancrizans). 

Imitatio  per  thesiii  et  arsiu  —  die  Nachahmung  auf  entgegengesetzten 
Takttheilen. 

Imitatio  simplex  (s.  Im.  libera). 

Imitation  (französ.,  s.  Imitatio), 

Imitation  en  retrog'radant  (s.  Imitatio  cancrizans). 

Imitation  par  mouvemeut  contraire  oder  Im.  renversee  (s.  Imitatio  per 
motum  contrarium). 

Imitation  simple  (s.  Imitatio  liherd). 

Imitatioue  oder  Imitazione  (italien.,  s.  Imitatio). 

Imitatioue  alla  riversa  (s.  Imitatio  per  motujn  contrarium). 

Imitatioue  al  contrario  riverso  (s.  Imitatio  per  motum  contrarium  stricte 
reversum). 

Imitatione  coucherizaute  oder  concherizata  (s,  Imitatio  cancrizans). 

Imitatioue  legrata  (s.  Imitatio  ligata). 

Imitatioue  per  movimeuti  coutrarii  oder  Im.  riversa  (s.  Imitatio  per  motum 
contrarium).  0.  T. 

Immerwährender  Kauou  oder  unendlicher  Kanon  (latein.:  Canon  per- 
petuus  oder  G.  inßnitus),  s.  Kanon. 

Immler,  vorzüglicher  deutscher  Violoncellist,  war  zu  Ende  des  18.  Jahr- 
hunderts Cantor  in  Coburg  und  hat  zahlreiche  Kirchenmusikwerke  componirt. 
—  Ein  Musiklehrer  in  der  Schweiz,  Johann  "Wilhelm  I.,  verfasste  und  ver- 
öffentlichte  1828  eine  »Anleitung  zum   Singen  für  Landschulen«. 

Immutabilis  sc.  accentus  (latein.),  s.  Äccentus  ecclesiasticus. 

Immyus,  John,  der  Stifter  der  Madrigal  Society  zu  London,  ein  be- 
geisterter Musikfreund  des  18.  Jahrhunderts,  hatte  in  seiner  Jugend  etwas 
Ciavier-,  Violin-,  Gamben-  und  Flötenspiel  erlernt,  musste  aber,  in  seinen  Ver- 
mögensumständen zurückgekommen,  Schreiberdienste  bei  einem  Advocateu 
nehmen.  Als  die  Äcademy  of  ancient  music  gegründet  wurde,  trat  er  als  Te- 
norist in  diese  Gesellschaft  und  wurde  dadurch  mit  Pepusch  bekannt,  der  ihn 
als  Copist  und  Gehülfe  an  sich  zog.  In  dieser  Stellung  lernte  er  die  alten 
Kunstwerke  genau  kennen  und  lieben,  so  dass  er  von  neuerer  Musik  nichts 
mehr  wissen  wollte.  In  Folge  dessen  stiftete  er  1741  die  Madrigal  Society, 
deren  Mitglieder,  meist  aus  Handwerkern  bestehend,  er  durch  Eifer  und  Fleiss 
dahin  zu  bringen  wusste,  dass  sie  jedes  englische  oder  italienische  vier-  oder 
fünfstimmige  Madrigal  vom  Blatt  zu  singen  vermochten.  I.  selbst  hatte  mit 
seiner  Familie  um  die  Existenz  zu  kiimpfen,  so  dass  sich  mitleidige  Freunde 
veranlasst  sahen,  ihm  im  späteren  Mannesalter  eine  Stelle  als  Lautenist  in  der 
königl.  Kapelle  zu  verschaffen,  die  ihm  wenigstens  40  Pfd.  Sterl.  jährlich 
sicherte.     Er  starb  am   15.  April   1764  zu  London.     Vgl.  Hawkins  V.  S.  349. 

Impazientemeute  oder  impaziente  (Italien.),  Vortragsbezeichnung  in  der 
Bedeutung  ungeduldig. 

Imperfect  (aus  dem  Latein,),  d.  i.  uiivoUlständig,  ein  auf  die  Mensur  des 
Taktes  bezüglicher  Kunstausdruck,  bezeichnete  das  zweitheilige  Maass  der 
vier  grösseren  Notengattungen  in  der  Mensuralmusik  (s.  Mensuralnoten- 
schrift). 

Imperfectio  (latein.)  oder  Imperfection  perfecter  Noten  nannten  die 
alten  Kunstlehrer  aus  dem  Zeitalter  der  Mensuralmusik  den  Abzug  des  dritten 
Theiles  von  dem  Werthe  einer  Note  (s.  Mensuralmusik). 


Imperioso  —  Improvisiren.  383 

Imperioso  (Italien.),  Vortragsbezeiclinung  in  der  Bedeutung  herrisch, 
gebieterisch. 

Iinpetnoso  oder  Impetuosamente,  dasselbe  wie  con  impeto  (s.  d.),  Yor- 
tragsbezeichnung  in  der  Bedeutung  stürmisch,  heftig,  ungestüm. 

Imponeute  (italien.),  Vortragsbezeichnung  in  der  Bedeutung  entschieden, 
kühn,  deutet  vorzugsweise  auf  ein  kräftiges  Abstossen  der  Accorde. 

Impresario  (italien.),  der  Operndirektor,  häufig  auch  der  Concer tunter- 
nehmer,  überhaupt  derjenige,  welcher  eine  Künstlei-gesellschaft ,  um  dieselbe 
öffentlich  auftreten  zu  lassen,  in  Engagement  genommen  hat. 

Impromptu  (französ.),  von  dem  latein.  in  promptu,  eigentlich  der  Stegreifs- 
einfall, der  Schnellgedanke,  wurde  in  neuerer  Zeit  als  die  Bezeichnung  einer 
Gattung  von  Tonstücken  gebraucht,  welche  den  Eindruck  hervorrufen,  als 
seien  sie  aus  dem  Stegreif  schnell  hingeworfen.  Besonders  in  der  Ciavier- 
literatur ist  dieser  Titel,  vorzüglich  durch  Chopin,  sehr  häufig  und  beliebt 
geworden. 

Improvisatoreu  (italien.:  improvisatori) ,  das  sind  Stegreifsdichter,  heissen 
in  Italien,  wo  sie  vorzugsweise  im  Abendlande  heimisch.  Dichter  und  Sänger, 
welche  aus  dem  Stegreife  (latein,:  es  improviso)  jedes  aufgegebene  oder  selbst- 
gewählte Thema  sogleich  dichterisch  ausführen  und  diese  Verse  entweder  decla- 
miren  oder  unter  Begleitung  der  Gruitarre  oder  Mandoline  im  Becitativstyle 
absingen.  Zuweilen  dialogisiren  auch  zwei  I.  über  einen  Gegenstand.  Bei 
Völkern  von  lebhafter  und  fruchtbarer  Phantasie  ist  die  Begabung,  ohne  alle 
Vorbereitung  zu  dichten  und  zu  singen,  angeregt  besonders  durch  Musik,  oft 
allgemein,  z,  B.  bei  vielen  Negerstämmen  und  unter  den  Arabern.  Eine  Idee 
von  den  Improvisationen  der  letzteren  geben  die  von  Bückert  frei  nachgebil- 
deten »Makamen«  des  Hariri.  "War,  wie  aus  mehreren  Stellen  der  Alten  zu 
schliessen,  Griechenland  die  Heimath  der  I.  des  Alterthums,  so  wurde  dies  für 
das  neuere  Europa,  Valencia  und  Minorca  ausgenommen,  vom  12.  Jahrhundert 
ab  ausschliessend  Italien,  wo  Petrarca  die  Sitte  der  improvisir enden  Dichter, 
den  Gesang  mit  einem  Lauteuinstrumente  zu  begleiten,  eingeführt  zu  haben 
scheint.  Damals  und  lange  noch  nachher  herrschte  selbst  an  den  Pürstenhöfen 
das  lebhafteste  Interesse  für  die  Kunst  der  I.  Lebhafte  Einbildungskraft, 
Formtalent  und  Gewalt  über  die  Sprache  und  den  dichterischen  Ausdruck  be- 
sitzen die  letzteren  mehr  oder  weniger  insgemein,  aber  von  höherem  künst- 
lerischem Werthe  kann  bei  solchen  Produkten  einer  momentan  erregten  Stim- 
mung für  gewöhnlich  wenigstens  nicht  die  Rede  sein.  Ohne  Zweifel  waren 
es  auch  mehr  nur  einzelne  geniale  Züge,  wodurch  diese  Stegreifdichter  und 
ihre  Augenblicksproduktionen  ausserhalb  Italien  einen  grossen  Huf  ei'langten, 
als  sie,  wenigstens  unter  den  gebildeten  Ständen,  in  Italien  selbst  gegenwärtig 
besitzen.  Meist  sind  sie  nur  noch  reine  Naturalisten,  Leute  aus  geringen  Volks- 
schichten, als  Pischer,  Gondoliere  u.^s.  w.  Auffallend  ist  es,  dass  die  meisten 
I.,  deren  Namen  die  Kunstgeschichte  bewahrt  hat,  in  Toscana  oder  Venedig, 
namentlich  in  Siena  und  Verona,  geboren  sind,  und  dass  dieses  Talent  sich  bis 
auf  den  heutigen  Tag  an  diesen  Orten  fortgepflanzt  hat. 

Improvisiren  nennt  man  in  der  Musik  insbesondere  die  von  Begabung 
zeugende  Pertigkeit,  über  ein  gegebenes  Thema  ohne  Vorbereitung  frei  zu 
phantasiren.  Die  musikalische  Improvisation  setzt ,  neben  der  Anleitung  dazu, 
tüchtige  Studien  und  völlig  freie  Handhabung  der  Mittel  des  kunstgerechten 
Ausdrucks,  der  Harmonie,  des  Contrapunkts,  Periodenbaues,  überhaupt  alles 
dessen,  was  zur  Composition  gehört,  voraus,  wenn  sie  mehr  als  nur  momentanen 
Werth  haben,  nicht  blos  ungeregelter,  augenblicklicher  Erguss  sein  soll.  Die 
orössten  Meister  wie  Seb.  Bach,  Händel,  Beethoven  haben  diese  Kunst  auf 
Orgel  und  Ciavier  mit  Vorliebe  gepflegt  und,  gemäss  dem  Hrtheile  aller  Zeit- 
genossen, in  einer  die  höchste  Bewunderung  erregenden  Vollendung;  in  neuerer 
und  neuester  Zeit  haben  sich  in  dieser  Weise  .J.  N.  Hummel,  Perd.  Hillei-, 
"W.  Taubert,    C.  Reinecke    u.  s.  w.    ganz    besonders    ausgezeichnet.      TJebrigens 


384  Improvisü'mascMne  —  Indien. 

soll  ein  jeder  Musiker  im  freien  Phantasiren  sich  üben,  aber  mit  strenger  Ein- 
haltung der  Gesetze  des  bestimmten  Ausdrucks  und  der  logischen  Entwickelung ; 
man  gewinnt  dadurch  bedeutend  an  Fertigkeit  im  schnellen  und  präcisen  Ge- 
stalten der  Gedanken,  ausserdem,  dass  dadurch  die  Erfindung  angeregt  wird 
und  mancher  gute,  der  Verwendung  und  Ausbildung  werthe  Einfall  zu  Tage 
kommt.  Daher  pflegen  auch  viele  Componisteu  ihre  Phantasie,  bevor  sie  an 
die  Arbeit  gehen,  durch  Improvisation  zu  beleben. 

Improvisirmaschiue  oder  Phantasirmaschine,  anderer  Name  für  Ex- 
temporirmaschine  oder  Melograph  (s.  d.). 

Iiicalzando  (italien.) ,  von  incalzare  d.  i.  nachsetzen ,  verfolgen ,  hat  als 
musikalische  Vortragsbezeichnung  die  Bedeutung  eindringlich  verfolgend,  etwas 
bewegter  (als  vorher). 

lucautare  (Italien.;  französ.:  enchanter),  einsingen  (s.  Stimmbildung). 

Incaruatus  est  (Latein.),  d.  h.  er  (Gott)  ist  Fleisch  geworden,  ein  Theil 
der  Messe  der  römisch-katholischen  Kirche  und  zwar  des  Credo  (s.  d.)  der- 
selben. 

lucledoii)  Charles,  englischer  Säuger  und  Liedercomponist,  geboren  1764 
in  der  Grafschaft  Cornwallis,  zeichnete  sich  besonders  durch  den  Vortrag  eng- 
lischer und  irischer  Volkslieder,  sowie  schottischer  Balladen  aus  und  setzte 
selbst  zahlreiche  Melodien  zu  lyrischen  Gedichten.  Er  starb  am  11.  Febr.  1826 
zu  Worcester. 

In  corpo  (Italien.),  das  Enthaltensein  verschiedener  Stimmen  in  einer  ein- 
zigen. Ganone  in  corpo,  der  geschlossene,  in  einer  Stimmzeile  notirte  Kanon 
(s.  Kanon). 

Indeciso  (Italien.),  Vortragsbezeichnung  in  der  Bedeutung  unentschie- 
den, unbestimmt. 

Index  (latein.),  der  Anzeiger,  das  Inhaltsverzeichniss ,  als  Kunstausdruck 
auch  mitunter  für  Gustos  (s.  d.)  gebraucht. 

India,  Sigismondo  d*,  s.  Sigismondo. 

Indien.  Indische  Musik.  Indier  oder  Inder  nennt  man  die  jetzigen  Be- 
wohner der  südöstlichen  Halbinsel  Asiens,  welche  sich  selbst  den  Namen  Hindu 
beilegen.  Die  natürlichen  Grenzen  ihres  Landes  sind  im  Westen  der  Indus, 
im  Norden  das  Himalajagebirge  und  im  Süden  und  Osten  der  indische  Oceau. 
Ausser  den  Indern  befinden  sich  in  diesem  gesegneten  Lande  auch  noch  viele 
andere  Volksstämme,  die  sich  jedoch  mehr  in  unwirthsamen  und  schwer  zu- 
gänglichen Gebirgsgegenden  aufhalten,  wie  die  Gonda's,  Bhilla's,  Kanda's,  Pa- 
haria's,  Kola's  u,  A.  Diese  mehr  der  Negerrace  ähnelnden  Völker  betrachtet 
man  als  die  Urbewohner  I.s,  da  keine  Sage  bei  ihnen  über  eine  Einwanderung 
vorhanden  ist,  während  die  Hindu's  selbst  über  ihre  Besitznahme  I.s  Nach- 
richten besitzen.  Von  den  der  Greschichte  I.s  vorangehenden  bekannten  Mo- 
menten seien  hier  zuerst  die  wissenschaftlich  als  wahrscheinlich  nachgewiesenen 
mitgetheilt  und  darnach  die  sagenhaften.  —  Zwischen  Persien  und  dem  Indus, 
südlich  von  Baktrien,  nimmt  man  die  Ursitze  eines  dort  zum  Volke  gewordenen 
Menschengeschlechts  an,  das  man  nach  seiner  Hautfarbe  die  »weisse  Race«,  und 
nach  dem  alten  Namen  dieses  Landes,  Arye,  Arier  nennt.  Dieser  Urstamm, 
die  Arier,  verliess  in  Massen  seine  Wiege  in  sehr  früher  Zeit,  entweder  in 
Folge  einer  Uebervölkerung  der  bewohnten  Fluren,  oder,  wie  Professor  Alb. 
Weber  in  Bei-liu  behaujitet,  weil  eine  Vei'schiedenheit  der  religiösen  Ansichten 
das  fernere  Beisammenwohnen  unmöglich  machte,  oder  aus  anderen  uns  un- 
bekannten Gründen.  Ein  Hauptstamm  der  Arier,  die  Perser,  von  dem  sich 
später  wahrscheinlich  die  meisten  jetzt  Europa  bewohnenden  Volksstämme  ab- 
zweigten oder  an  dem  sie  sich  vorbeibewegten,  zog  nach  AVesten;  der  andere, 
die  Inder,  ging  über  die  Ausläufer  des  Himalaja  und  den  Indus  und  machte 
jenseits  des  Indus  im  Pendschab  auf  lange  Zeit  Rast.  Für  diese  Wanderung 
und  den  angegebenen  Aufenthalt  der  Inder  im  Pendschab  in  vorhistorischer 
Zeit  zeugen  die  Hymnen  der  Rig-Veda    (s.d.),    des    ältesten    der  vier   litur- 


Indien.  385 

gischen  Bücher  der  Bramanen.  In  diesen  Hymnen  wird  des  Indus  als  Grenz- 
strom  gedacht  und  des  Ganges,  des  später  als  heilig  verehrten  Wassers,  mit 
keiner  Sylbe  erwähnt.  Dafür,  dass  alle  genannten  Völker  eine  gleiche  Ur- 
heimath  hatten,  spricht  aus  unserem  Wissen,  dass  die  alten  Baktrier  wie  die 
Perser  sich  selbst  auch  Arier  nannten;  dass  ferner  die  physiologischen  Typen 
der  heutigen  Hindu's  denen  der  Perser  etc.  durchaus  gleich  sind  und  dass  aus 
den  Sprachen  aller  dieser  Völker  eine  einstmalige  gemeinsame  Ursprache  sich 
nachweisen  lässt.  Noch  mag  hier  angeführt  werden,  dass  die  Inder  einen  Ge- 
sang Arya  heissen  und  die  Perser  so  eine  ihrer  Tonarten  nennen.  lieber  eine 
frühere  Raststelle  der  Hindu's  vor  dem  Aufenthalt  im  Pendschab  scheint  auch 
in  der  Rig-Veda  eine  Andeutung  enthalten  zu  sein.  In  der  grossen  Hymne 
von  Dirghatamas  lautet  nämlich  ein  Vers:  »Der  Himmel  ist  mein  Vater,  die 
grosse  Erde  habe  ich  zur  Mutter;  das  höchstgelegene  Vaterland  über  ihrer 
Oberfläche  ist  meine  Geburtsstätte.«  Woi'auf  Hesse  sich  diese  Auslassung  an- 
ders beziehen  als  auf  ein  längeres  Verweilen  im  Himalaja?  lieber  die  Zeit- 
dauer dieser  Wanderung  der  Hindu's  lassen  sich  ebenfalls  nur  Vermuthuugen 
aufstellen.  Die  Sprache,  in  der  die  Rig-Veda  geschrieben,  ist  nicht  sehr  unter- 
schieden vom  Sanscrit,  zwar  sehr  wortai'm  und  ungelenkig,  doch  gewiss  sehr 
abweichend  schon  von  der  Ursprache. 

Zu  solcher  sprachlichen  Umwandlung  gehören  Jahrhunderte,  ja  vielleicht 
Jahrtausende,  und  hat  man  deshalb  und  anderer  Gründe  halber  die  Zeit  des 
Aufenthalts  der  Hindu's  im  Pendschab  und  die  Abfassung  der  Hymnen  der 
Rig-Veda  1600  v.  Chr.  angenommen,  und  man  glaubt,  dass  die  Einwanderung 
nach  Indien  überhaupt  mindestens  2000  v.  Chr.  stattgefunden  habe.  Nachdem 
wahrscheinlich  die  Fluren  des  Pendschab  dem  sich  schnell  mehrenden  Geschlecht 
nicht  mehr  Ueberfluss  boten  und  dem  romantisch  ritterlichen  Thatendrange 
der  sich  allraälig  gebildet  habenden  Kriegerklasse  keinen  Spielraum  gewährten, 
da  erst  fand  die  Ausbreitung  bis  zum  Ganges  und  weiter  nach  Süden  hin  statt. 
Was  ist  natürlicher,  als  dass  mit  dieser  Ausbreitung  der  Hindu's  in  Indien 
die  Krieger  ein  Uebergewicht  über  alle  anderen  Stände  errangen!  Dies  Ueber- 
gewicht  jedoch,  in  Folge  des  Ueberflusses  allmälig  erschlaffend,  wurde  durch 
die  Anstrengungen  der  Priester,  welche  bei  dem  frommen  Sinne  des  Volkes 
im  Ruhezustande  fruchtbaren  Boden  fanden,  bald  nicht  allein  paralysirt,  son- 
dei-n  sogar  überflügelt  und  führte  wachsend  zur  baldigen  Herrschaft  der  Bra- 
minen.  Die  Braminen,  allein  noch  im  Besitz  der  alten  religiösen  Vorstellungen 
und  Gebräuche,  die  dem  Volke  im  Allgemeinen  bei  ihren  Erhaltungs-  und 
Eroberungsthaten  entschwunden  waren,  boten  dem  phantastischen  Sinne  des 
Volkes  überreich  eine  Beschäftigung  des  Geistes,  die  jetzt  im  Alltagsruheleben 
durchaus  weniger  Nahrung  fand.  Vorzüglich  für  uns  wichtig  ist,  dass  von 
denselben  dem  musiksinnigen  Volke  eine  Menge  eng  mit  dem  Cultus  verbun- 
dener Gesänge  überantwortet  wurde,  deren  Abfassung  sie  bis  in  die  graueste 
Vorzeit  setzten  und  oft  Göttern  zuschrieben.  Ja,  sie  fanden  es  sogar  geboten, 
neben  den  Schilderungen  der  Entstehung  der  Welt  und  der  Menschen,  welche 
denen  anderer  alter  asiatischer  Culturvölker,  wie  denen  der  Semiten,  Chaldäer 
etc.,  durchaus  nicht  unähnlich  sind,  der  Gattin  Brama's,  des  Urvaters  der  Welten, 
der  Saraswati,  der  aus  dessen  Haupte  Geborenen,  die  Pflege  und  den  Schutz 
der  Musik  zuzusprechen. 

Man  findet  durch  diese  Darstellung  nicht  allein  die  grosse  Wichtigkeit 
documentirt,  die  die  Braminen  seit  ihrer  Herrschaft  der  musikalischen  Kunst 
beilegten,  sondern  darf  hierin  auch  ein  Merkmal  sehen  dafür,  dass  in  der  Ur- 
heimath  der  Arier  schon  die  Musik  als  Kunst  geübt  worden  sein  muss.  Wäh- 
rend der  Wanderung  der  Hindu's  erbte  sich  diese  Kunst  jedoch  nur  theilweise 
fort,  indem  Einzelne  nach  ihrem  Bruchstückwissen  Gesänge  mittheilten,  worauf 
diese  den  Urschöpfungen  gewiss  schon  sehr  unähnlichen  später,  umschlungen 
von  blüthenreichen  Mythen,  dem  lebenden  Geschlecht  als  Muster  für  Neu- 
schöpfungen und  aufzustellende  Kunstregoln    dienten.     Man  sieht  hier  dieselbe 

Musikal.    Convers.-Lexikon,     V.  25 


386  Indieu. 

Erscheinung,  wie  an  anderen  altasiatischcu  Culturstütten,  dass  schon  die  graueste 
Vorzeit  die  Musik  als  Kunst  pflegte.  Spätere  sociale  Verhältnisse  jedoch  ver- 
wischten das  A¥issei!  über  die  uralte  Kunst,  und  es  blieben  ferner  nur  einige 
Sagen,  die  zuweilen  durch  wahrscheinlicli  jener  Urzeit  näher  gelegenen  Zeiten 
entsprossene  Monumente  vergewissert  erschienen.  Solche  Sagen  aber,  je  ferner 
sie  der  Urzeit  sich  breit  machten,  forderten  für  die  antike  Kunst  und  deren 
AVirkung  einen  Glauben,  welcher  in  neuester  Zeit  nicht  mehr  allgemeiner  An- 
erkennung sich  erfreut,  und  leider  Schlüsse  auf  die  Urquelle,  aus  welcher  sel- 
biger entsprang,  auch  nur  annäherungsweise  gestattet.  Mit  einiger  Sicherheit 
lässt  sich  nur  sehr  wenig  über  die  antike  Kunst  der  Hindu's  vermuthen,  und 
zwar  nach  dem  ältesten  musikalischen  Denkmal  derselben,  der  erwähnten  liig- 
Veda,  blos  über  die  in  der  Kunst  zumeist  augewandten  Elemente  derselben. 
Die  Hindu's  hatten  wahrscheinlich  seit  der  Urzeit  nur  die  siebenstufige  Ton- 
leiter in  der  Octave  in  Gebrauch ,  weil  fast  bei  allen  Ariern  in  frühester  wie 
späterer  Zeit  diese  allein  Anwendung  fand,  während  im  chinesischen  Musikkreise 
nur  die  Klänge  der  fünftönigen  Scala  zu  Melodien  gebraucht  wurden,  trotzdem 
man  die  sieben-  wie  zwölftönige  Leiter  gekannt  haben  soll. 

Wie  vielfach  in  überschwänglichster  Weise  wunderwirkend  man  viele  Me- 
lodien des  hohen  Alterthums  erachtete,  mögen  folgende  Sagen  beweisen.  Ge- 
wisse Melodien,  so  behauptet  man,  wirkten  auf  Menschen,  Thiere  und  die  un- 
belebte Natur  so,  dass  diese  sich  ganz  nach  dem  Willen  des  Sängers  bewegen 
mussten.  Andere  durfte  kein  Sterblicher  ausführen,  AvoUte  er  nicht  von  Flammen 
verzehrt  werden.  Dies  bewiess  die  Ausführung  dieses  Raga  (s.  d.)  durch  den 
berühmten  Sänger  Nack-Gobaul,  der  zur  Zeit  Akber's  lebte.  Trotzdem  der- 
selbe bis  zum  Halse  im  Flusse  Djumna  stand,  wurde  er  vom  Feuer  verzehrt, 
als  er,  dem  Befehle  des  Herrschers  gehorchend,  den  erwähnten  Raga  sang. 
Eine  andere  Melodie  konnte  Regen  hervorzaubern,  und  W.  Ouseley  in  seinem 
Werke  »Orient,  collecf.a  I.  p.  74  berichtet,  dass  erzählt  wird:  eine  Säugerin 
habe  mit  derselben  Bengalen  vor  Misswachs  und  Hunger  gerettet.  Wieder 
eine  andere  Melodie  sollte  Kraft  haben,  dass  die  Sonne  sich  verdunkelte  und 
der  Vortrag  derselben  durch  einen  Sänger  Akber's,  Mia-Tu-Sine,  bewirkte, 
dass  der  Palast  des  Herrschers  in  tiefste  Finsterniss  gehüllt  wurde.  —  Dass 
ferner  die  Musik  seit  der  frühesten  Zeit  bei  den  Indern  in  höchster  Achtung 
stand,  geht  daraus  hervor,  dass  die  ersten  Musiker  in  innigstem  Zusammen- 
hange mit  den  Göttern  geschildert  werden.  Brama,  nachdem  er  dreitausend 
Billionen  und  vierhundert  Millionen  Jahre  im  Brama -Ei  sich  befunden  und 
dann  durch  die  Kraft  seines  Gedankens  die  Hülle,  woraus  Himmel  und  Erde 
entstand,  zerrissen  hatte,  schuf  den  Mann.  Dieser  rief  dann  zehn  grosse  Weisen 
aus  dem  Nichts  hervor,  welche,  die  Schöpfung  erweiternd,  ausser  den  Himmel 
und  Erde  bevölkernden  Göttern,  die  Gandharven  (s.  Gandharvas)  und  Apsa- 
rasen  hervorbrachten.  Letztere  waren  jene  Musikerinnen  und  Tänzerinnen  des 
Indra,  die  oft  die  Verlockung  selbst  frommer  Büsser  und  Einsiedler  zur  Sünde 
übernahmen  und  dafür  dann  hart  gezüchtigt  wurden;  Wasischta  verwandelte 
die  Apsarase  Rambha  für  solche  That  in  Stein.  Beide  Geschlechter  ausfüh- 
render Musiker  befanden  sich  meist  bei  frohen  Feiern  in  Gesellschaft  der  Götter 
selbst  und,  so  steht  im  Pantscha-tantram  geschrieben:  »Nichts  giebt  es,  was 
in  der  Welt  selbst  Göttern  lieber  wäre  als  Gesang;  durch  den  Zauber  der 
Saiten  fing  Ravana  den   Siva  selbst.« 

Solche  und  ähnliche  Stellen  finden  sich  in  indischen  Werken  zu  hunderten, 
welche  beweisen,  wie  schon  in  frühester  Zeit  die  Musik  im  Leben  der  Inder 
eine  sehr  hervorragende  Rolle  spielte,  und  wie  von  jedem  Zweige  dieses  Volkes, 
deren  nicht  gerade  wenige  waren,  dieselbe  in  eigener  Weise  verherrlicht  und 
dargestellt  wurde.  Diese  Darstellungen  wurden  dann  mit  der  Zeit  Allgemeingut. 
Selbst  die  Musiktheoreme  wurden  theilweise  als  von  Göttern  selbst  aufgestellt 
gelehrt.  So  erzählt  man,  dass  die  Götter  Isvara  und  Banuman  jeder  eins 
der  vier  Haupttonsysteme  schufen,  und   die  beiden  anderen   von  den  Menschen 


Indien.  387 

Bharata-Muni,  dem  Erfinder  der  Dramen  mit  Musik  und  Tanz,  und  Calinath, 
einem  frommen  "Weisen,  zuerst  aufgestellt  wurden,  Nebentonarten  behauptete 
man  zur  Zeit  Krischna's  16,000  besessen  zu  haben,  welche  Zahl  dadurch  ent- 
stand, dass  jede  Gopi,  Nymphe,  sich  eine  besondere  Sangweise  schuf,  um  sich 
dadurch  die  Liebe  eines  als  Hirten  auf  Erden  weilenden  Grottes  zu  erringen. 
Noch  die  jetzt  gebräuchlichen  Benennungen  der  indischen  Tonarten  durch 
Namen  von  Nymphen,  wie  später  mitgetheilt  werden  wird,  beweist,  dass  trotz 
der  vielen  socialen  Einwirkungen,  welche  dem  so  romantischen  Menschenstamme 
der  Inder  zu  Theil  wurden,  von  demselben  noch  heute  die  Tradition  jener 
frühen  Auffassung  der  Kunst  bewahrt  wird.  Man  bringe  nur  in  Erwägung, 
wie  uach  wenigen  Jahrhunderten  volklicher  B-uhe  fortdauernd  andere  Völker 
die  Inder  beeiuflussten  und  wie  dadurch  deren  Seelenleben,  zu  welchem  doch 
unstreitig  auch  die  Musik  gezählt  werden  muss,  sich  modificiren  musste.  Assy- 
rische wie  persische  Heere  drangen  schon  ums  Jahr  1200  v.  Chr.,  so  berichten 
die  Sage  und  assyrische  Funde,  bis  ins  Herz  I.s  vor  und  behaupteten  oft 
längere  Zeit  ihre  Herrschaft  daselbst.  Dadurch  verbreiteten  sich  märchenhafte 
Nachrichten  über  I.  in  den  anderen  damaligen  Culturstaaten  Asiens  und  Afrikas, 
und  diese  führten  ums  Jahr  1000  v.  Chr.  zu  ausgebreiteten  Handelsverbin- 
dungen. Indier  besuchten  die  Häfen  des  persischen  und  rothen  Meeres,  und 
Araber  wie  Phönizier  dehnten  ihre  Seefahrten  bis  I.  aus,  über  deren  Endpunkte 
dieselben  jedoch  in  der  Heimath  aus  Klugheit  durchaus  unzuverlässige,  oft 
wunderreiche  Mittheilungen  machten.  Die  Feldzüge  des  Cyrus,  500  v.  Chr., 
und  die  darauf  folgenden  Alexander's  des  Grossen  machten  I.  bekannter  und 
brachten  die  ersten  sichereren  Nachrichten  über  dies  Wunderland  nach  Europa. 
In  I.  selbst  wurde  hierdurch  später  das  Verlangen  angeregt,  sich  mit  dem 
mächtigsten  Staate  des  Abendlandes,  dem  römischen,  zeitweise  in  Verbindung 
zu  setzen,  und  sehen  wir  in  Folge  dessen  öfter  Gesandtschaften  beim  Kaiser 
in  Bom  erscheinen,  um  theilweise  Schutz  gegen  die  Einfälle  des  griechisch- 
baktrischen  Beiches,  welches  bis  136  v.  Chr.  hin  demselben  seine  Macht  fühlbar 
machte,  und  anderer  wilder  Horden  Mittelasiens  zu  erflehen.  Dann  folgte  bis 
ins  6.  Jahrhundert  n.  Chr.  hin  eine  Herrschaft  eingeborener  Fürsten,  der 
endlich  die  bleibendere  Besitznahme  durch  Araber,  Perser  und  Mongolen,  fana- 
tisirter  Muhamedaner,  folgte. 

Mit  dieser  Besitznahme  beginnt  erst  die  eigentliche  historische  Zeit  I.s. 
Während  dieser  Zeit  hatte  sich  der  Euf  von  I.s  Beichthum  immer  mehr  aus- 
gebreitet und  die  Sehnsucht  der  Abendländer  dazu  angeregt,  einen  eigenen 
Handelsweg  dahin  zu  suchen.  In  Folge  dessen  wurde  das  Cap  der  guten 
Hoffnung,  Amerika  etc.  entdeckt,  und  Europäer  setzten  sich  immer  mehr  in 
den  Besitz  des  Theiles  der  Erde,  den  man  noch  heute  mit  dem  Namen  I.  be- 
legt. Diese  Mengung  der  verschiedeüsten  Völkerstämme  mit  den  Indern,  und 
dann  die  vielfachen  Kenntnisse  des  Hervorragendsten  anderer  Culturkreise, 
konnte  nicht  ohne  Einfluss  auf  die  Musik  der  Inder  bleiben.  Zwar  hielt  dies 
conservative  Volk  mit  grösster  Zähigkeit  an  den  nach  ihrem  Glauben  be- 
wahrten Lehren  der  Kunst  fest,  erzählte  immerfort  die  Wundergeschichten 
derselben  weiter  und  suchte  die  durch  Tradition  erhalten  gebliebenen  Melodien 
zu  pflegen;  jedoch  der  ursprüngliche  Geist  derselben  war  sehr  umgewandelt, 
und  manche  theoretische  Lehre  wie  manches  Tonwerkzeug  aus  der  Fremde 
hat  seit  langer  Zeit  in  I.  eine  neue  Heimath  gefunden.  Ob  die  jetzige  musi- 
kalische Kunst  der  Inder  mit  der  antiken  derselben  auch  nur  eine  entfernte 
Aehnlichkeit  besitzt,  oder  ob  dies  Volk  durch  spätere  Speculationen  seiner 
Bramineu,  die  beeinflusst  wurden  durch  Mittheilungen  über  die  Kunst  in  an- 
deren Musikkreisen,  erst  eine  eigenartige  Kunst  erhalten  hat,  wird  wohl  für 
immer  ein  unlösbares  Bäthsel  bleiben,  trotzdem  ältere  und  weniger  alte  Werke 
I.s  uns  über  die  Musik  eigens  aufzuklären  sich  bemühen.  Die  bekannteren 
von  diesen  Werken,  meist  musikalisch-theoretischen  Inhalts,  sind:  Eaga-Derpan, 
Spiegel  der  Tonleitern;   Sunjit-Derpau,  Spiegel  der  Melodien;  Bagarnave,  See 

25* 


388  Indien. 

der  Affekte;  Sabhavinoda,  die  Ergötzuug  der  Gesellschaften;  Ragavibhoda  (ver- 
fasst  von  Soma),  Lehre  von  den  Tonleitern;  die  Bücher  Narayan;  Damodora; 
Ratnacara;  Sangita-narayana;  Pariataka  u,  A.  Am  bemerkeuswerthesten  unter 
diesen  "Werken  ist  die  Ragavibhoda  von  Soma,  die  zwar  alt,  doch  neueren 
Datums  ist  als  die  häufig  darin  erwähnte  Ratnacara  des  Sarnga-Deva.  "Will. 
Jones  in  seinem  "Werke  »lieber  die  Musik  der  Inder«,  übersetzt  von  Dalberg, 
berichtet  S.  19  über  den  Inhalt  des  "Werkes:  »Das  ganze  Buch  (selbst  die 
Melodien,  welche  mit  Buchstaben  ausgedrückt  sind  und  das  fünfte  und  letzte 
Capitel  ausmachen,  nicht  ausgenommen)  ist  in  der  melodischen  Versart  Arya 
geschrieben,  das  erste,  dritte  und  vierte  Capitel  erklärt  die  Theorie  der  Töne, 
ihre  Eintheilung  und  Folge,  die  "V^eränderungen  der  Scalen  durch  die  Tempe- 
ratur nebst  einer  Noraenclatur  von  Tonarten  nach  einem  eigenen  System.  Das 
zweite  Capitel  enthält  eine  ausführliche  Beschreibung  der  verschiedenen  Vina's 
(s.  d.)  und  Lyren,  nebst  Melodien  für  dieselben;  dieses  Buch  allein  würde  mich, 
wäre  ich  Herr  meiner  Zeit,  aufgemuntert  haben,  mit  Hülfe  europäischer  Ton- 
künstler und  eines  indischen  Virtuosen  auf  der  Vina  (was  den  praktischen 
Theil  betrifft)  eine  Abhandlung  über  das  ganze  Musiksystem  der  Hindu's  zu 
schreiben.«  lieber  die  indischen  "Werke  im  Allgemeinen  äussert  sich  derselbe 
Autor  in  ebendem  "Werke  S.  7:  »Die  meisten  indischen  Bücher,  die  von  Musik 
handeln,  bestehen  aus  drei  Theilen:  Gana,  Vadya,  Nritya,  d.  i.  Gesang,  Saiten- 
spiel und  Tanzkunst;  der  erste  Theil  umfasst  die  poetische  Rhythmik,  der 
zweite:  alles,  was  auf  Instrumentalmusik  Bezug  hat,  der  dritte  die  theatralische 
Vorstellung.« 

Aus  dem  Inhalt  aller  indischen  Schriften  über  Musik  ergiebt  sich  etwa 
Folgendes  als  die  Grundzüge  derselben.  Das  Tonroich,  Mahaswaragrama 
(s.  d.),  kann  durch  die  Meuschenstimme  vollständig  dargestellt  werden,  drei 
Octaven,    Swaragrama    (s.  d.),    deren    Umfang    wir    ungefähr    wie    beifolgt: 


-^^ — ——r\  - 1  aufzeichnen    würden.     Die    Octave    ist    das    grössere    Ton- 


maass.  Als  kleineres  dienen  sieben  Klänge  in  ungleicher  Entfernung  von  ein- 
ander in  der  Octave,  was  für  das  ganze  Tonreich  21  ergiebt.  Diese  Klänge 
entsprechen  beinahe  unseren  diatonischen  Klängen  der  A-dur\eiier  und  führen 
nach  Nymphen,  Swaras,  besondere  Namen:  Sfirdja  (s.  d.)  =  ^;  Richulba 
(s.  d.)  =  II;  gandhora  (s.  d.)  =  Cis;  madhyäma  (s.  d.)  =  d;  panchama  (s,  d.) 
=  e]  dhaiwäta  (s.  d.)  =ßs  und  nichada  (s.  d.)  =  gis.  Bei  Benennung  der 
Töne  im  Gebrauch  wendet  man  nur  die  ersten  Sylben  (wie  Guido  von  Arezzo 
die  ersten  Sylben  der  Strophe  aus  dem  Hymnus  an  St.  Johannes  gebraucht) 
an:  sa,  ri,  ga,  ma,  pa,  dka  und  ni.  Das  kleinste  musikalische  Intervall,  das 
nur  in  der  Theorie  Anwendung  findet,  ist  etwas  grösser,  als  ein  Viertelton 
unseres  Systems  sein  würde.  Die  Inder  theilen  nämlich  die  ganze  Octave  in  22 
gleiche  Theile,  Sruti  (s.  d.)  genannt,  welche  bei  ihnen  ebenfalls  besondere 
Namen  haben.  Diese  Namen  finden  sich  in  einigen  Werken  von  einander  etwas 
abweichend  vor,  was  man  glaubt  durch  die  an  verschiedenen  Orten  I.s  geschrie- 
beneu Schriften  erklären  zu  müssen.  So  findet  man  in  der  Sangitä  Damodara 
folgende  Namen:  Butra  (s.  d.),  Kumoduty  (s.  d.),  Mundrika  (s.  d.),  Schun- 
dovuty  (s.d.),  Dujavuty  (s.d.),  Runjumy  (s.d.),  Ruktika  (s.d.),  Sivy 
(s.d.),  Krodhy  (s.d.),  Bujira  (s.d.),  Prusaruny  ('s.  d.),  Prity  (s.d.), 
Marjuny  (s.d.),  Ksjuty  (s.d.),  Rikta  (s.d.),  Sidpuny  (s.d.),  ülapuny 
(s.d.),  Mundaty  (s.d.),  Rohiny  (s.d.),  Rummaja  (s.d.),  Uggra  (s.d.) 
und  Jubhünka  (s.  d.),  wohingegen  die  Sangita  Ratnakura  sie:  Tibra  (s,  d,), 
Kümüdvati  (s.  d.),  Munda,  (s.  d.),  Schandorya  (s.  d.),  Dayuvati  (s.  d.), 
Renjani  (s.  d.),  Retika  (s.  d.),  Rudri  (s.  d.),  Krodha  (s.  d.),  Rajika  (s.  d.), 
Prasarani  (s.  d.),  Priti  (s.  d.),  Marjani  (s.  d.),  Zirti  (b.  d.),  Rakta  (s.  d.), 
Dipari  (s.  d,),  Alapiui  (s.  d.),  Madanti  (s.  d.),  Rühini  (s.  d.),  Ramya  (s.  d.), 
TIpta  (s.  d.)   und  Kabiri  (s.  d.)   nennt.     "Von    diesen   Srutis    bilden  vier  einen 


Indien. 


389 


grossen  Ganzton,  drei  einen  kleinen  Ganzton  und  zwei  das  unserm  Halbton 
entsprechende  Intervall,  welches  auch  stets  an  derselben  Stelle,  wo  bei  uns  der 
Halbton  ist,  erscheint.  Eine  unmittelbare  Folge  von  Srutis  kommt  in  Melodien 
nicht  vor.  Diese  Intervalle  werden  nur  benutzt,  um  die  Siebentonfolge  der 
Octave    an    einzelnen  Stellen 


Sa 


Ma 


22 


Jubhünka 

Uggra 

Rummaja 

Rohiny 

Mundaty 

Ulapuny 

Sidpuny 


21 


20 


19 


-    18 


17 


16 


-  -  -   15 


ßikta 


14 


Ksjuty 

Marjuny 

Prity 

Prusaruny 

Bujira 

Krodhy 

Sivy 

Ruktika 

Runjumy 

l)ujavuty 

Schundovuty 

Mundrika 

Kumoduty 

Butra 


13 


12 


11 


10 


8 


6 


a 


gis 


fis 


-f 


dis 


zu  verändern  und  dadurch 
Grundklänge  für  andere  Ton- 
arten zu  schaffen.  Uebersicht- 
lich  möge  diese  Intervalle  und 
die  danach  zu  bestimmenden  Ni  - 
Klänge  der  indischen  Ton- 
leiter nebenstehende  Tabelle 
vorführen. 

Diese  feste  Bestimmung 
der  sieben  Töne  in  der  Oc- 
tave ist  nicht  der  antiken  Dha- 
Lehre  entkeimt.  Ebenso  wahr- 
scheinlich ist  die  Theorie, 
welche  drei  Gattungen  von 
Tonleitern  indischer  Tonarten 
unterscheidet,  auch  erst  in 
späterer  Zeit  aufgestellt.  Die 
erste  Gattung,  gewiss  die 
älteste,  entspricht  in  gewisser  Fa  • 
Beziehung  den  abendländi- 
schen alten  Kirchentonarten, 
indem  jeder  der  sieben  Haupt- 
töne in  der  Octave  als  Grund- 
ton einer  Tonart  angesehen 
wurde  und  darnach  sich  dann 
die  Intervalle  jeder  Tonart 
in  anderer  Grössenfolge  er- 
gaben. Diese  Tonarten  wer- 
den in  der  im  Sanscrit  ge- 
schriebenen Sangita  Narayäna 
mit  folgenden  Namen  bezeich-  Ga  - 
net:  Die  mit  sa  anfangende 
Tonart  heisst  daselbst  Va- 
santi;  die  zweite  mit  ri  be- 
ginnende: Asaveri;  die  dritte 
Desachi;  die  vierte  Todi; 
die  fünfte  Saindhävi;  die  Hi  - 
sechste  Mägha  und  die  sie- 
bente Desi  oder  auch  Car- 
nati.  —  Die  zweite  Gattung 
der  indischen  Tonarten  zeigt 
eine  bedeutende  theoretische 
Spekulation  in  Bezug  auf  die 
genaue  Tonhöhe  der  einzelnen 
Intervalle  der  Scalen.  Diese  Sa  • 
besteht  nämlich  aus  allen  sol- 
chen Tonfolgen,  die  zwar  auch  siebgn  Stufen  in  der  Octave  haben,  jedoch 
einzelne  um  ein  oder  zwei  Sruti  erhöhte  oder  erniedrigte  Intervalle  besitzen. 
Diese  theoretisch  festgestellte  Alteration  (s.  d.)  ist  jedoch  nicht  immerfort, 
selbst  in  derselben  Tonart,  dieselbe,  sondern  sie  erscheint  oft  nur  in  der  auf- 
steigenden Tonfolge,   während   sie  in  der  fallenden  wegbleiben  muss;  ja   selbst 


cts 


H 


ais 


390 


ludieu. 


darf  diese  Alteration  nach  Ermessen  des  Ausführenden  um  ein  Weniges  mehr 
oder  minder,  als  es  die  Theorie  vorschreibt,  geschehen.  In  der  ersten  Ton- 
gattung behält  jeder  Ton  seinen  einmal  geführten  Namen,  er  mag  erste,  zweite 
u.  s.  w.  Stufe  der  Tonart  sein  oder  nicht;  in  der  zweiten  hingegen,  wo  man 
dieselben  Sylben  ebenfalls  anwendet,  erhält  stets  die  erste  Stufe  der  Scala  die 
Benennung  sa,  die  zweite  heisst  stets  ri  u.  s.  f.,  gleichviel  ob  der  Klang  alte- 
rirt  oder  ursprünglich  ist.  Diese  Tongattung,  in  der  man  sechs  Haupttonarten 
annimmt,  hat  in  diesen  drei  TJnterabtheilungen  nach  der  Ordnung  der  Inter- 
valle ihrer  G-rösse  nach;  so  lehrt  die  Sangita  Darpaua.  In  der  ersten  TJnter- 
abtheilung,  Schanja-grama  genannt,  ist  die  erste  Stufe  von  der  zweiten:  vier, 
die  zweite  von  der  dritten :  drei,  die  dritte  von  der  vierten :  zwei,  die  vierte  von 
der  fünften:  vier,  die  fünfte  von  der  sechsten  ebenfalls:  vier,  die  sechste  von 
der  siebenten:  drei,  und  die  siebente  von  der  achten:  zwei  Sruti  entfernt.  In 
der  zweiten  Unterabtheilung,  Madhyama-gnlma  geheissen,  zeigt  das  erste 
Intervall  vier,  das  zweite  drei,  das  dritte  zwei,  das  vierte  vier,  das  fünfte  drei, 
das  sechste  vier  und  das  siebente  zwei  Sruti.  Und  in  der  dritten  Unterab- 
theilung, Gandhara-gräma,  besitzt  das  erste  Intei-vall  vier,  das  zweite  zwei, 
das  dritte  drei,  das  vierte  vier,  das  fünfte  zwei,  das  sechste  vier  und  das 
siebente  drei  Sruti.  In  jeder  Scala  zeigt  sich  stets  von  der  siebenten  zur 
achten  Stufe  ein  unserem  Semitoiiium  mocli  (s.  d.)  ähnlich  wirkendes  Intervall, 
dessen  Wirkung,  wie  oben  angedeutet,  gemäss  dem  Gefühl  des  Sängers  noch 
zu  schärfen  erlaubt  ist,  und  somit  bei  jedem  Abendländer  unmittelbar  den  Ein- 
druck wie  eine  heimische  J>wrtonleiter  hervorbringt.  Die  ursprünglicheren 
sechs  Haupttonarten  dieser  Gattung  führen  die  Namen.  Bhairavi  (s.  d.), 
Bengali  (s.  d.),  Ramaneri  (s.  d.),  Nettä  (s.  d.),  Taccä  (s.  d.)  und  Desacri 
(s.  d.).  Die  Höhe  der  Intervalle  dieser  Tonarten  können  wir  mit  unserer 
Notenschrift  nur  mittelst  kleiner  Hülfszeichen  ausdrücken.  Wenn  wir  jede 
Erhöhung  um  ein  Sruti  von  unserem  Tone  verschieden  durch  ein  über  der 
Note  angebrachtes  Kreuz,  +,  und  jede  ebensolche  Erniedrigung  durch  eine 
ebenso  gestellte  Null,  0,  anzeigen,  so  würden  die  Scalen  in  folgender  Art  auf- 
zuzeichnen sein: 


Bhairavi. 


m 


sa        ri       ga       ma      pa      dha       ni 

)  0  +  + 


::«= 


sa 


sa        ri       ga      ma     pa     dha      ni        sa 


Bengali. 


m 


-s — <=^ 


o «=-- 


Ramaneri. 


sa        ri       ga      ma     pa      dha      ni       sa 


:^     -r^^ 


-s — «- 


l^-        Q 


Nettä. 


i 


sa        ri       ga       ma      pa      dha       ni        sa 

0  +  +  + 


Z^     \,^^~^ 


:ö^=^i^ 


sa        ri       ga      ma     pa      dha      ni       sa 


Taccä. 


-,-~ ^ 


Indien. 


391 


+ 


ri       ga      ma     pa      dha      ni 

+  0  + 


sa 


Desacri. 


Die  dritte  Gattung  der  indischen  Tonarten  zeigt  Tonauslassungen  und  hat 
somit  immer  weniger  als  sieben  Klänge  in  der  Octave;  entweder  fünf  oder 
sechs.  Sie  ist  somit  der  chinesischen  Volkstonleiter  ähnlich,  unterscheidet  sich 
jedoch  von  derselben  dadurch,  dass  nicht  in  allen  dieselben  Stufen  ausgelassen 
werden;  nach  der  Auslassung  und  sonstigen  Tonvei'änderungen  unterscheidet 
man  in  dieser  Gattung  die  Arten.  Unter  diesen  Tonarten  begegnet  man  solchen, 
die  nur  Tonauslassungen  zeigen,  sonst  aber  einzig  Naturtöne  verwertheu,  wie 
die  Hindola  (s.  d.)  genannte: 


ma 


X      dha      ni 


sa 


X 


ma 


_ca  — 


1 


Das  liegende  Kreuz  steht  für  den  ausgelassenen  Ton.  Dann  besitzen  die 
Inder  solche  Tonfolgen,  die  ausser  den  Tonauslassuugen  alterirte  Intervalle 
zeigen,  wie  die  Dipaca  genannte: 


ri       X       ma      pa      dha      ni 
0  + 


sa 


n 


IS3- 


I 


Von  allen  diesen  Tonarten  ist  die  bizarreste  zu  nennen  Mellari  (s.  d.): 

X 


dha      X 

0 


sa 


ri 

0 


ma      pa     dha 


raan 


:^ 


Es  würde  vergebene  Mühe  sein,  den  Nachweis  führen  zu  wollen,  dass  diese 
oft  sehr  verwickelt  und  nur  mittelst  sehr  phantastischer  Auffassung  zu  erklä- 
renden Tonarten  der  Inder  consequent  durchgeführten  Grundgedanken  ihre 
Entstehung  zu  verdanken  haben.  Ambros  sagt  in  seiner  »Geschichte  der 
Musik«  Thl.  I.  S.  51  sehr  richtig:  In  der  Möglichkeit  der  tausendfachen  Ton- 
combinationen  verliert  sich  der  überschwängliche  Sinn  des  Orientalen,  und  ohne 
das  Zufällige  von  dem  "Wesentlichen  unterscheiden  zu  können,  unfähig,  aus 
den  concreten  Erscheinungen  einzelner  von  einander  verschiedener  Kunstgebilde 
das  ihnen  gemeinsam  zu  Grunde  liegende  allgemeine  Gesetz  herauszufinden, 
stellt  er  ein  wunderliches,  zum  Theil  sich  selbst  widersprechendes  Tonsystem 
und  eine  Unzahl  von  Tonarten  zusammen.  Aus  den  Büchern  Soma  und  Na- 
rayan  ist  nach  John's  Bemei-kung  zu  entnehmen,  »dass  fast  jedes  Königreich, 
ja  jede  Provinz  in  Hindostan  ihren  eigenen  Styl  von  Melodien  habe ,  und  die- 
selben, was  Namen,  Zahl  und  Zusammensetzung  der  Tonarten  betrifft,  sehr 
von  einander  abgehen.«  Da  der  Ton  »Ansa«,  d,  i.  der  in  der  Melodie  zumeist 
berührte,  als  Grundton,  Tonika,  angesehen  wird,  und  in  dieser  oder  jener  Me- 
lodie zufällig  einzelne  Töne  der  Scala  gar  nicht  augewendet  erscheinen,  so  lässt 
sich  die  seltsame  Fassung  der  indischen  Tonarten,  wenn  sie  aus  solchen  Me- 
lodien abstrahirt  worden  sind,  allenfalls  erklären.  Zwei  Melodien  haben  z.  B. 
dieselbe  Ansa,  aber  in  jeder  derselben  sind  andere  Töne  der  Scala  unbenutzt, 
oder  sie  sind  aus  denselben  Tönen  zusammengesetzt,  aber  jede  hat  eine  andere 
Ansa,  d.  h.  einen  anderen  hauptsächlich  angeschlagenen  Ton,  Macht  man  nun 
diese  Zufälligkeiten  zu  wesentlichen,  tonartenbegründenden  Unterschieden,  und 
ordnet   diese    disponibeln  Töne    nach    der  Analogie    der    natürlichen  Scala,    so 


392  Indien. 

liegt  schon  hierin  die  Möglichkeit  zu  zahlreichen  Tonarten.  So  kann  es  ge- 
schehen, dass  zehn  verschiedene  Melodien,  die  wir  z,  B,  alle  als  C-dur  oder  als 
A-moll  aussiJrechen  würden,  nach  hindostanischer  Auffassung  zehn  verschiedenen 
Tonarten  angehören  können.  Dazu  kommt  aber  noch,  dass  in  jeder  dieser 
Tonarten  gewisse  Töne  ihre  feste  Stimmung  und  unveränderte  Gestalt  haben, 
ähnlich  den  sogenannten  festen  Tönen  des  griechischen  Tetrachordsystems, 
während  andere  durch  Modificirung  in  der  Stimmung  ei'höht  oder  erniedrigt, 
oder  durch  Triller  oder  Gruppettos  colorirt  werden  dürfen,  gewissermaassen  den 
in  ihrer  Tonhöhe  veränderlichen  beweglichen  Tönen  im  griechischen  Tetrachord 
ähnliche,  oder  der  Unterscheidung  zwischen-  einfachen  und  colorirten  Tönen, 
welche  in  Gottfried's  von  Strassburg  »Tristan«  angedeutet  wird,  wo  der  Held 
die  Harfe  »in  festen  Grund-  und  raschen  "Wechselnoten«  schlägt. 

Zu   welcher    ungeheuren  Zahl    von    Tonarten    eine    solche    Zusamraenstel- 
lungsart  von  Tönen  zu  führen  vermag,    wird  Jeder    leicht    einsehen    und  wird 
es  ebenso    erklärlich    finden,    dass    man    zum    praktischen  Gebrauch   aus  dieser 
Unzahl    selbst    in  I.  eine  Auslese    traf.     Das  Buch  Ragavibhada  erkennt   iem- 
gemäss    an,    dass    durch  Temperaturveränderungen    960  Tonarten    zu    erhalten 
möglich  seien,  ja  dass  diese  Zahl  durch  Gesangsmanieren  etc.  »wie  die  Wellen 
im  See«  vermehrt  werden  könnten,  dass  aber  nur  36  davon  als  wirklich  gebräuch- 
lich anzusehen  seien.    Um  nun  die  indische  Lehre  über  die  36  als  gebrauchsfähig 
erachteten  Tonarten  kennen  zu  lernen^  nur  wenige  Worte.     Die  indische  Götter- 
lehre nennt  sechs  Söhne  als  von  Brama  und  Saraswati  gezeugt,  ßaga's  (s.  d.), 
welche    als    Genien    der    herrschendsten    Leidenschaften    verehrt    werden.      Die 
Tonarten,  durch  welche  man  diese  Leidenschaften  glaubt  darstellen  zu  können, 
haben    von    den  Indern    eben    diese  Namen    der  Raga's    erhalten:    Bhairava, 
Sriraga,  Malava,  Hindola,  Dipaca  und  Megha.     Jeder  Haupttonart  sind 
fünf  andere  Tonarten  untergeordnet.     Diese  haben  Namen  von  Nymphen,  Ra- 
gina's    (s.  d.)    genannt,    die    man    als    Trägerinnen     der     nächstbedeutendsten 
Leidenschaften  betrachtet;    ßagina    ist    auch  der  Gesammtname  für  diese  Ton- 
arten.    Dieselben  hier  aufzuzeichnen,  unterlassen  wir  und  verweisen  auf  John's 
schon  öfter    erwähnte  Schrift,    in    der    dieselben  von   S.  45  bis  56    namentlich 
aufgeführt  und    in    unserer  Tonschrift    notirt    sind.     Von    diesen  36  Tonarten 
sind  in  der  That    nur  23  in  Gebrauch,     Man    sieht    aus  Vorangehendem,    wie 
die  Inder  die   Zusammenstellung  ihrer   Tonarten    nur    nach    ihrem   Gefühl  aus- 
führten und  jede  physikalische  Regel    nur    als    nebenbei    bestimmend    anzogen, 
während  im  Leben  stark  hervortretende  Momente   von    ihnen  wie  von  anderen 
Culturvölkern    ausser    der    mythologischen  Auffassung  bei  Erklärung  der   Ton- 
arten auch  vielfach  Anwendung  fanden.      So   erklärte  man  die  Raga's  auch  als 
Vertreter  der  sechs  Jahresabschnitte  in  L;  die  sieben  vorher  angeführten  Ton- 
arten, welche  unseren  Kircheutonarten  ähnlich,  hatten  astronomische  Bedeutung: 
die  sieben  Planeten,  Wochentage  etc.,  zu  denen  sich  fünf  andere  als  Vertreter 
der  Tageszeiten :  Morgen,  Mittag,  Abend,  Vor-  und  Nachmittag  gesellten.     Letz- 
teres das  System  Pavan's  genannt  (s.  W.  Jones'  »Musik  der  Inder«  S.  30  und 
31).     Noch  vielfach   andere  Erklärungen    der  Tonarten    machen    sich    bei    ein- 
zelnen  Stämmen  I.s  breit,    die  klar  darzulegen  nicht  möglich  sind,    und  deren 
Kenntniss  dem  Abendländer    eher    eine  Unklarheit    über  die  Musiktheorie  der 
Inder  verschafft  als  eine  Gewissheit. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  dem  zweiten  Elemente  der  Werke  der  Tonkunst, 
dem  Rhythmus,  so  finden  wir  denselben  seit  frühester  Zeit  in  I.  gepflegt. 
Die  innige  A''erbindung  des  Wortes  mit  dem  Tone  bedingte  dies  und  führte 
hier  nicht  zu  einer  scharfbestimmten  Abwechselung  kurzer  und  langer  Sylben 
in  gleicher  Zahl,  sondern  der  lebhafte  Sinn  und  die  leicht  erregbare  Natur 
des  Hindus  trieb  ihn  zu  einer  eigenthümlichen  Ausbildung  der  poetischen  Form. 
Die  indischen  Poeten  fühlten  sich  veranlasst,  eine  grössere  Zahl  verschieden 
geordneter  Zeittheile  als  nothwendig  zu  einer  abgeschlossenen  Form  zu  er- 
achten.    Die  kleinste  abgeschlossene  Form    bestand    aus    zwei    oder    drei  Zeit- 


Indien.  393 

theileu,  welche  Formen  dann  in  oft  vielen  Folgen  und  Meugungen  ein  grosses 
Ganzes  bildeten.  Die  kleinsten  Zeittheile  führte  mau  einestheils  in  strengster 
Gleichheit,  wie  in  unseren  Tonstücken  geschieht,  aus,  anderntheils  überliess 
man  die  Dauer  jedes  Zeittheils,  die  oft  unter  sich  sehr  verschieden,  doch  stets 
iii  einem  Verhältniss  stehend,  ausfielen,  zu  bestimmen  dem  Sänger.  In  solchen 
Gesängen  ist  der  bei  uns  gekannte  Rhythmus  sehr  schwer  zu  erkennen,  und 
kann  deshalb  derselbe  nur  annähernd  abendländisch  notirt  werden.  Will. 
Hamilt.  Bird,  der  lange  Zeit  in  Indien  lebte  und  sich  mit  besonderer  Vorliebe 
diesen  Theil  der  indischen  Kunst  zu  studiren  befleissigte,  sagt  über  diese 
Rhythmik:  »Der  Herausgeber  (Bird)  hat  sich  genau  durch  Originalcompo- 
sitionen unterrichtet,  obgleich  es  demselben  viel  Mühe  machte,  den  Rhythmus 
in  einer  bestimmten  Form  zu  geben,  da  derselbe  in  der  indischen  Musik  oft 
unvollständig  angewandt  wird.«  An  einer  anderen  Stelle  desselben  Werkes 
yiThe  Oriental  Miscellany  heing  a  collection  of  ihe  most  favourite  airs  of  Hindostanv. 
(Calcutta,  1789)  lässt  er  sich  über  denselben  Gegenstand  folgendermaassen  aus: 
»Die  ßagiua's  sind  so  von  allen  musikalischen  Gedanken  entblöst  und  jeder 
Art  Regelmässigkeit ,  dass  es  unmöglich  ist,  von  ihnen  eine  ausführbare  Form 
zu  überliefern,  wie  sie  von  indischen  Sängern  vorgetragen  werden.  Diese  Sänge 
scheinen  Erzeugnisse  von  durch  Worte  exaltirten  Menschen  zu  sein,  welchen 
sie  Worte  beigefügt,  die  ihnen  Phantasie  und  Leidenschaft  vorschrieben.« 

Ein  anderer  Forscher  in  diesem  Bereich,  Ch.  Hörn,  in  seinem  Werke 
yilndian  melodiesn.  (London,  1813)  sagt,  »dass  die  indischen  Melodien  sehr 
extravagirend  und  häufig  sehr  wenig  im  Takt  sich  bewegten,  so  dass  es  ohne 
grosse  Arbeit  und  viele  Ausdauer  unmöglich  wäre,  den  Rhythmus  derselben 
und  die  TJebereinstimmung  der  Mannigfaltigkeiten  ihrer  Gedanken  zu  notireu. 
Der  grösste  Theil  der  entdeckten  Melodien  sei  sehr  unregelmässig  und  confus 
für  uns  und  untermischt  mit  der  Tonart  sehr  fremde  Passagen,  so  dass  es 
scheine,  als  ob  eine  durchaus  unerfahrene  Hand  dieselben  aufgezeichnet  habe.« 
Diese  Betrachtungen  sind  Ende  vorigen  und  Anfangs  dieses  Jahrhunderts  an- 
gestellt über  Melodien,  die  durch  Tradition  sich  erhalten  haben  sollen.  Dies 
lässt  voraussetzen ,  dass  bei  denselben ,  wie  bei  allen  noch  später  entdeckten, 
sich  nicht  allein  arabische  und  persische  Einflüsse  an  der  jetzigen  Gestaltung 
bedeutend  bemerkbar  machen  müssen,  sondern  dass  selbst  sogar  schon  die 
abendländische  Kunst  zuweilen  Theil  an  den  Umwandlungen  der  Melodie  ge- 
nommen hat,  besonders  in  Bezug  auf  praktische  Veränderung  der  kleineren 
Intervallunterschiede.  Die  ältesten  Gesänge  I.s  enthalten  die  Vedas.  Die 
Hymnen  dieser  heiligen  Bücher  sind  dem  Untergänge  durch  ihre  Abfassung 
in  Versen  entgangen,  welche  gesungen  wurden,  wie  von  allen  alten  Culturvölkern 
Aehnliches  berichtet  wird.  Nun  sind  zwar  die  eifrigsten  Nachforschungen  der 
gelehrten  Gesellschaften  I.s  zur  Wied^rentdeckung  der  Melodien  ohne  Resultat 
geblieben,  doch  ist  es  nicht  weniger  interessant  und  wohl  von  Wichtigkeit  in 
Bezug  auf  die  einstmalige  Melodie,  den  musikalischen  Rhythmus  dieser  Hymnen 
kennen  zu  lei'nen.  Zwei  Gelehrte  Deutschlands,  Theod.  Benfey  und  Max  Müller, 
haben  auf  diesem  Felde  Bedeutendes  geleistet,  und  aus  den  Forschungen  der- 
selben hat  Fetis  in  seiner  y>Sist.  de  musiquev.  Tome  II.  p.  233  bis  244  eine 
sehr  zu  empfehlende  Zusammenstellung  gemacht,  die  jedem  Wissbegierigen  zum 
Studium  zu  empfehlen  sein  dürfte. 

Was  nun  die  Produkte  der  indischen  Musikelemente ,  die  Melodien,  an- 
betrifft, so  mag  die  Kenntnissnahme  einiger  als  Beleg  dafür  dienen,  wie  sehr 
die  ausgesprochene  Behauptung,  dass  diese  Melodien  durch  fremde  Einflüsse 
sehr  geändert  sein  müssen,  sowie  dass  trotzdem  nicht  zu  verkennen  ist,  dass 
dieselben  noch  viel  Eigenartiges  besitzen.  Das  Eigenartige  würde  gewiss  noch 
mehr  auffallen,  wenn  diese  Melodien  uns  von  indischen  Musikern  vorgetragen, 
da  dann  ausser  dem  freieren  Rhythmus  gewiss  kleine  Verschiedenheiten  der 
Intervalle  von  den  abendländisch  aufgezeichneten  sich  kund  geben  würden. 


394 


Indien. 


Rektah. 


1.      Andante. 


rall. 


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sehr  langsam. 


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2.      Rasch. 


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Rektah. 


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3.          Sehr  rasch. 
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Frülilingslied  auf  Krischna. 


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Sehr  langsam. 


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Gio  -  te       la  -  gre  -  he 


m=^^^^ 


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aankien    me  -  ra      kal  -  nä  partnes 
Geschwinder. 


bo 


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a  -  ppenä      pia  -  che       de  -  che-ne,  ka  -  ro  -  ne 


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ba-nde 


Sehr  langsam, 


Sehr  rasch. 


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piit  -  che  do  -  o 


— » 


3=i 


E^fEfeE^öröEE 


f  u  -  me  -  re      au  -  sser     laaghe    ret 


gio-sa    pa- 


Aeusserst  schnell. 


PPiif^üÜiü^^i^ 


S.=-i_^-^ 


::t^: 


Wie  anfangs. 


pi  -  a        kar  -  te       soor      sab 


sa  -  ki  -  a  -   na    mel  -  kar      huo  -  ra       kel-ly 
Sehr  leise. 


:SS: 


^m 


_N- 


§E^Ö=jS 


=1- 


-1_z::zlr4  ~±zi:tsz  -dpi^l  j 


ho  -  rra 


ho  -  rra 


hü  -  o    -    ra 


tu-me-ra      au-sser      la-gher     at. 


Indien.  395 

Was  nun  den  Bau  der  alten  Melodien  selbst  und  deren  Tonalität  anbe- 
trifft, so  unterscheidet  sich  besonders  letztere  durchaus  von  der  im  Abendlande 
so  genannten  melodischen  Eigenheit.  Die  Hindu's  selbst  sprechen  von  drei 
Klängen  bei  den  Melodien,  die  das  Wesen  derselben  genau  bestimmen:  die 
Graha,  Nyasa  und  Ansa.  In  der  Sangita  Narayan  heisst  es  über  deren 
Wesenheit:  »Grraha  steht  im  Anfange  des  Gesanges,  aber  Nyasa  am  Ende. 
Die  Ansa  giebt  der  Melodie  ihre  Eigenschaft,  sie  wird  am  meisten  gebraucht, 
und  wie  einem  Herrscher  dienen  ihr  die  übrigen  Töne.«  Und  in  einem  Ge- 
dicht, das  unter  dem  Namen  »Magha«  bekannt  ist,  heisst  es:  »Yor  dem  er- 
habenen, im  Kriege  rüstigen  Helden  stehen  die  anderen  Könige  unterwürfig 
da,  wie  vor  der  Ansa  die  anderen  Töne.«  Auch  einen  unserem  Leitton  ent- 
sprechenden Klang  kannten  die  Alten  in  ihren  Tonarten,  den  sie  Yadi  nannten. 
»Dieser  Ton  kündigte  die  Eaga  an  und  stellte  dieselbe  fest;  aus  ihr  entspringen 
Graha  und  Nyasa.«  Ausserdem  hatten  die  Inder  für  gewisse  oft  wiederkehrende 
Tonfiguren  bestimmte  Namen,  die  auch  in  der  Tonuotirung  ihre  Anwendung 
fanden:  Istaud,  langsam,  Ro,  schnell,  Jumbaum,  Triller,  Kashedz,  ge- 
zogen, Tip  und  Kopauli,  in  der  Octave  u.  a. 

Aehnlich  der  Tonalität  und  der  tonlichen  Ausschmückung  der  indischen 
Melodien  eigenthümlich  ist  auch  der  Bau  derselben.  Die  Zeitwerthe  sind  meist 
symmetrisch  geordnet,  in  zwei  oder  drei  Gruppen.  Die  correspondirendeu 
Glieder  dieser  Gruppen  sind  von  gleichem  Werthe,  und  häufig  übernehmen 
thematisch  gleiche  oder  ähnliche  Motive  die  Einführung  der  sich  gleichenden 
Glieder.  TJebrigens  herrschte  auch  in  I.  schon  in  der  Urzeit,  wie  in  allen 
asiatischen  Culturkreisen,  ein  fester  Klang.  Der  von  uns  ^  genannte  Klang 
scheint,  wie  überall,  so  auch  in  I.  dieser  feste  Klang  gewesen  zu  sein  und 
weisen  darauf  wohl  die  Benennung  desselben  durch  Swara  (s.d.),  d.h.  Ton, 
als  auch  die  Thatsachen  hin,  dass  die  meisten  Instrumentstimmungen  A  oder 
eine  Octave  davon  als  Fundamentalton  besitzen.  Wie  oben  schon  bemerkt, 
sind  diese  Melodien  durch  Tradition  erhalten,  obgleich  man  schon  in  frühester 
Zeit  in  I,  eine  Notirung  der  Melodien  kannte.  Man  kann  zwar  nicht  ent- 
scheiden, ob  hier  oder  in  Aegypten  zuerst  das  Aufzeichnen  von  Tongängen 
erfunden  worden  ist;  doch  so  viel  scheint  sicher  zu  sein,  dass  an  beiden  Cultur- 
stätten  selbstständig  diese  Aufzeichnungsweise  erfunden  worden  ist,  trotzdem 
das  Princip,  nach  dem  dasselbe  geschah,  dasselbe.  In  I.  geschah  die  Notirung 
durch  Buchstaben  des  Sanskritalphabets  und  gewisse  dazu  gestellte  Nebenzeichen 
schon  in  grauester  Vorzeit.  Dies  beweisen  einige  in  dieser  Weise  vorhandene 
Aufzeichnungen  in  der  ßagavibodha.  Die  sieben  Sanskritbuchstaben,  deren 
Namen  noch  heute  die  Töne  tragen,  dienten  als  Tonzeichen: 

sa      ri      ga    ma    pa   dha    ni      sa 


p 


j=fc 


1 


Das  höhere  sa  wird  bezeichnet,  wie  man  sieht,  durch  einen  über  dem 
Buchstaben  befindlichen  Bogen,  der  im  Sanskrit  »über«  bedeutet.  Diese  Auf- 
zeichnungsweise ist  jedoch  in  verschiedenen  Werken  noch  verschieden  oder 
unvollständig  angewandt.  Ausser  dieser  Unsicherheit  in  der  Aufzeichnung  der 
Töne  wird  dieselbe  noch  dadurch  vermehrt,  dass  wir  nicht  wissen,  ob  dieselbe 
Aufzeichnungsweise  für  alle  Stimmgattungen  stattfand,  oder  ob  die  verschie- 
denen Octaven  durch  besondere  Zeichen:  \j,  ~n  oder  o-  angedeutet  wurden, 
die  in  der  Sanskritschrift  »darunter«  bezeichnen.  Folgen  wir  den  Auslassungen 
W.  Jones'  in  seinem  Werke  S.  73  u.  flg.  bezüglich  der  Tonbeuennung,  so 
scheint  es  gewiss,  dass  dieselben  Tounamen  sich  in  allen  Octaven  wiederholten, 
und  dass  man  dem  entsprechend  stets  dieselben  Zeichen,  vielleicht  mit  kleinen 


396  ludlea. 

Nebenzeichen,  für  die  Klänge  setzte,  welche  Nebenzeichen  uns  jedoch  bis  jetzt 
nur  theilweise  erklärbar  sind.  In  solcher  Art  von  Tonaufzeichuung  konnte 
man  sich  wohl  in  früher  Zeit  leicht  zurechtfinden,  da  die  orientalischen  Sänger 
noch  heute  nicht  viel  über  eine  Octavc  verwerthen  und  auch  die  Instrumente 
nur  ein  Tonreich  von  solchem  Umfange  besitzen.  Die  Verhältnisse  der  an- 
gewandten Töne  verschiedener  Instrumente,  d.  h.  welcher  Octave  sie  angehörten, 
zog  man  in  der  Praxis  wie  Theorie  wahrscheinlich  nicht  in  Betracht.  Die 
einzigen  wirklich  antiken  Monumente  altindischer  Musik,  die  W.  Jones  aus 
Abschriften  genommen,  sind  nur  zwei  Arien  aus  Soma's  Ragavibodha.  Das 
Original  dieses  Werkes  aufzufinden,  kann  bei  der  wechselvollen  Temperatur 
I.s  und  dem  daselbst  so  überreichen  Vorhandensein  kleiner.  Alles  zerstörender 
Insekten  wohl  nicht  mehr  gehofft  werden.  Ob  diese  Abschriften  nun  correkt 
oder  nicht,  lässt  sich  ebenfalls  nicht  nachweisen.  Bemerkenswerth  für  uns  ist 
aus  denselben  nur,  dass  in  diesen  sich  auch  bei  einzelnen  Notenzeichen  An- 
hängsel der  erwähnten  Art  vorfinden,  die  nicht  den  oben  erwähnten  gleich 
sind  und  deren  Bedeutung  bis  heute   Geheimniss  ist. 

Ferner  kennt  man  keine  Zeichen,  wodurch  eine  Erhöhung  oder  Erniedri- 
gung eines  Klanges  oder  gewisse  Tonarten  vorgeschrieben  wurden.  Nur  Zeichen, 
welche  die  Dauer  eines  Klanges  anzeigen,  kennt  man.  Diese  Zeichen  reichen 
bis  zu  den  bei  uns  durch  ^^  bezeichneten  in  gerader  und  bis  durch  J.  in  un- 
gerader Theilung,  und  werden  die  Zeichen  der  geraden  Theilung  in  den  Ar- 
tikeln Tscharuna  (s.  d.)  =  unserer  er,  Tschokila-tal  (s.  d.)  =  ^,  Ektali 
=  J  und  Tschaltza  (s.  d.)  =  /  geboten.  Das  unserem  J  entsprechende  Zei- 
chen, wie  dessen  Name,  ist  unbekannt.  Ebenso  sind  die  Namen  der  dreitheiligen 
Zeiten,  deren  Zeichen  jedoch  theilweise  entdeckt  sind,  unbekannt.  Unsere 
"Werthzeichen  o-  giebt  man  durch  2.;  die  Hälfte  davon  ^'.  durch  |l,  und  das 
punktirte  Viertel  j.  durch  ^.  Jeden  Periodenschluss  zeigt  das  Abbild  einer 
Lotosblume  an.  Pausenzeichen  kennt  man  bisher  nicht.  Aus  diesen  Zeit- 
werthen  haben  die  Hindu's  eine  grosse  Zahl  regelmässig  sich  wiederholender 
Rhythmen  gebildet,  die  sie  durch  Zusammenstellung  der  Zeitwerthzeichen  aus- 
drücken und  haben  diesen  besondere  Namen  verliehen.  Ueber  dieselben,  wie 
über  deren  Andeutung  belehren  die  Artikel:  Icht  (s.  d.),  Udekschan  (s.  d.), 
Srikyrti  (s.  d.),  Karna  (s.  d.),  Budramali  (s.  d.),  Lulit  (s.  d.),  Matscha- 
rund  (s.d.),  Tamod  (s.d.),  Hans  (s.d.),  Jesric  (s.d.),  Khut  (s.d.), 
Tschandra  (s.d.),  Sankh  (s.d.),  Idwan  (s.d.),  Ray-Heko  (s.d.)  und 
Branmahue. 

Ausser  diesen  regelmässig  gebildeten  Rhythmen  hat  sich  auch  eine  Anzahl 
unregelmässig  zusammengestellter  Zeiten  bei  den  Indern  als  oft  in  der  Praxis 
wiederkehrend  eingebürgert,  welche  man  ebenfalls  durch  eigene  Zeichen  und 
mit  eigenen  Namen  belegt  hat.  Ueber  die  uns  bekannten:  Tschokila  (s.  d.), 
Rayvidyadhur  (s.  d.),  Diepardhur,  Sum  (s.  d.),  Nundau  (s.  d.),  Mü- 
titscha  (s.  d.),  Bamatitscha,  Kundschandtkal  (s.  d.),  Prutap  schikhur 
(s.d.),  Tyhumpa  (s.  d.),  Leela(s.d.),  Ragpradhun  (s.  d.),  U  entartschriru 
(s.  d.),  und  Bilokit  handeln  die  besondern  Artikel.  —  Wieder  lehrt  Alles  über 
die  antike  indische  Musik  Bekannte,  wie  fast  jede  Kunde  über  die  Kunst  in 
einem  der  alten  Musikkreise:  dass  entweder  in  frühester  Zeit  schon  eine  sehr 
ausgebildete  Theorie  der  Musik  die  Praxis  bestimmte,  oder  dass  man  in 
späteren  Zeiten  einzelnen  scharfsinnigen  Annahmen  Einzelner  viel  weiter- 
tragendere Wirkungen  zumuthete,  als  sie  jemals  besessen  haben,  so  dass  stets 
eine  Bewunderung  der  altehrwürdigen  Kunst  platzgreifen  musste,  wie  der  Ge- 
danke, dass  dieselbe  jetzt  noch  auszuüben  Jedem  unmöglich.  Nur  wenige  alte 
Gesänge  oder  gar  keine  sind  gewöhnlich  die  einzigen  Monumente,  die  uns  als 
Belege  dienen  für  die  spärlichen  erhaltenen  Kunstregeln,  deren  allgemeinere 
frühere   Anerkennung    oft   sehr   fraglich   ist,    und  aus  denen  wir  uns  bemühen 


Indien.  397 

ein  System  zusammenzustellen.  Indien  besitzt,  wie  schon  erwähnt,  zwei  antike 
Gesänge,  die  von  W,  Jones  entdeckt  sind,  und  deren  erste  Aufzeichnung 
früher  als  1400  Jahre  vor  Christi  Geburt  angenommen  wird,  die  der  Ragavi- 
bodha  des  Soma.  Diese  Gesänge,  in  der  früheren  Notation  vorhanden,  in  der 
europäischen  Tonaufzeichnungsweise  wieder  zu  geben,  ist  bisher  jedoch  wahr- 
scheinlich nur  annäherungsweise  gelungen,  denn  die  TJebertragung  derselben 
ist  ja  nach  den  Anschauungen  der  Gelehrten  verschieden  ausgefallen.  "Wir 
verweisen  nur  auf  die  beiden  bekanntesten  Uebertragungen  derselben  in 
W.  Jones'  „Musik  der  Inder",  Beilage  Seite  1,  und  Fetis'  Sist.  de  Musique 
Tom.  II.  pag.  252  bis  258. 

Mehr  jedoch  als  durch  diese  Monumente  und  einzelne  theoretische  "Werke 
uns    von    der   altindischen  Musik    erhalten  ist,    finden   wir  gewiss  in  den  noch 
gebräuchlichen    Hymnen    und    sonstigen   Gesängen,    da    im    Orient    die    Ueber- 
lieferung  von  Yersen,  Sprüchen  und  Tongängen  Jahrhunderte,  ja  Jahrtausende 
lang  in  einer  dem  Abendländer   durchaus  unbekannten   Genauigkeit  stattfindet. 
Diese  Gewissenhaftigkeit   in    der  TJeberlieferung   wie  die  politischen  Ereignisse 
haben  den  heutigen  Hindus  jede  Notation    von  Melodien   wohl   als  überflüssig 
erscheinen    lassen,    so    dass    nirgend    in    I.    ein    System    der    Tonaufzeichnung 
bekannt  ist.  —  Solcher  durch   Tradition  erhaltener  Melodien  giebt  es  nun  in  I. 
sehr  viele,  und  man  bemüht  sich,  dieselben  in  besondere  Klassen  einzutheilen. 
Die  mythische  Auflassung    der  Tonarten    ist  das  Vorbild,    nachdem  auch  diese 
Klassification  stattfindet,    und  man  nennt,   derselben  entsprechend,   die  vorzüg- 
lichsten Melodien  E,aga's  (s.  d.)  und  die  minder  vorzüglichen  ßagina's  (s.  d.). 
Jede  dieser  Hauptabtheilungen   wird  wieder   in  verschiedener  Weise  in  Unter- 
klassen   getheilt,    die   dann   wieder  sehr  viele  Arten  zeigen.     Die  einen  stellen 
als    Unterabtheilungen    der  Raga's    zwei    auf:     Mahasudh  (s.  d.)    und    Sudh 
(s.  d.)    genannt.      Erstere    Klasse,    ungefähr    unsern    älteren    Kirchentonarten 
gleiche  Klänge    zeigend,    hatte   in    den   Scalen    sieben   Töne,    die   nicht  alterirt 
sind,    nur  die  Folge  der  Intervalle   (Grösse  dex'selben)  unterscheidet  die  Arten 
von  einander.     Die  zweite  Klasse   hat  in  der  zu  ihnen  verwandten   Scala  alte- 
rirte  Klänge,  oder  Tonauslassungen  oder  Beides.    Die  ßagina's  fallen  bei  dieser 
Eintheilung  in  das  Bereich  der  Sudh  und  werden  Sokirua  (s.d.)  benannt.    Eine 
andere  Abtheilungsart   ist  die  in   Sampurna's  (s.  d,),  Melodien,    deren   Scala 
vollständig  aus  sieben  Klängen  besteht;    Khädu's  (s.  d.),    deren   Tonleiter  nur 
sechs  Klänge  hat;  und  Udu's  (s.  d.),  ßaga's,  die  nur  fünf  Töne  in  der  Octave 
verwerthen.     Siehe  in  Bezug  auf  Vorangegangenes  die  Sängita  narayäua. 

Eine  noch  andere,  natürliche  Eintheilungsart  der  Haga's  und  Ragina's  ist 
die  in  einfache  und  zusammengesetzte.  Die  einfachen,  denen  man  ein  sehr 
hohes  Alter  zuschreibt,  bewegen  sich  in  den  festen  Grundtönen  in  einfachster 
Art.  Die  Namen:  Camhra,  Sarung.,  Guipi,  Nut,  Mular,  Guori  und 
Turi,  führen  ßaga's  dieser  Art,  die  wenigstens  einen  um  ein  Sruti  erhöhten 
Ton  besitzen.  Von  den  einfachen  Haginas,  deren  Scala  fünf  oder  sechs  Klänge 
haben,  kennt  man  die:  Descar,  Biblas,  Lülit,  E-ewa,  Bilawal,  Mega, 
Sorath,  Dhunasri,  Gura,  Sriraga,  Diepaga,  Kafi  und  Kidara  be- 
nannten. Mehr  modern  werden  erachtet  die  zusammengesetzten  Raga's,  deren 
man  153  Arten  rechnet;  die  Namen  derselben  bietet  uns  Willard  in  seinem 
Werke  y>A  Treatise  on  the  Music  of  Sindoostanv.  etc.  (Calcutta,  1834)  pag.  68 
bis  62.  Unglücklicher  Weise  kennen  wir  nur  aus  theoretischen  Werken  und 
durch  Ueberlieferung  diese  Namen  und  leider  keine  Beispiele  zu  diesen.  Nur 
eine  Ragina  dieser  Art  will  Bird  entdeckt  haben,  die  unter  dem  Namen  »Mun 
Schuma«  (»die  Nacht  ist  gekommen«)  allgemeiner  bekannt  ist.  Dieselbe  hat 
durch  Gh.  Horn's  Werk  y>Indian  Melodies«  (London,  1813)  den  Weg  ins 
Abendland  gefunden: 


398 


lud 


len. 


Selir  langsam  und  schwei-müthig. 


r 


T-:^*^ 


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^^ 


^=ggg^ 


rall. 


Erstes  Zeitmaass. 


U^ 


Noch  sei  hier  angeführt,  dass  Willard  in  seinem  oben  angeführten  Werke 
pag.  87  sagt,  dass  ehemals  in  I.  sieben  Sangarten,  ßaga's  und  Ragina's,  ge- 
pflegt wurden  und  uns  als  deren  Namen  folgende  überliefert:  Gith,  Tuk, 
Schhud,  Prubund,  Dharu.  Dhua  und  Mun,  für  deren  Alter  er  anführt, 
dass  die  AVorte  zu  denselben  im  Sanskrit  seien.  —  Durch  die  langjährige 
Fremdherrschaft  in  I.,  besonders  der  Araber  und  später  der  Europäer,  ist 
der  Zustand  der  Musik  ein  wesentlich  anderer  geworden ,  wie  in  frühern  Jahren. 
Die  meisten  Reisenden  der  letzten  Jahrzehnte  versichern,  dass  Säntjer  wie  In- 
strumentisten  I.'s  in  den  verschiedenen  Provinzen  ihre  Kunstproductionen  in 
durchaus  verschiedener  Intonation  ausführten;  diese  Verschiedenheiten  jedoch 
auf  irgend  eine  Tonart  der  Urschriften,  Rugavibodha,  Sängita  Narayana  oder 
Sängita  Damödara  nicht  zurückzuführen  seien.  Auch  die  Zahl  der  Musiker 
in  L,  welche  von  sich  behaupten,  dass  sie  die  altindische  Kunst  nach  der 
Tradition  pflegen,  nimmt  immer  mehr  ab.  Noch  nach  der  Mitte  des  18.  Jahr- 
hunderts, gegen  1770,  nennt  W.  Bird  den  berühmten  Sänger  Dillsock,  die 
Sängerin  Schanam,  den  Vinavirtuosen  Jiwan  Schah  und  die  Sänger  Sudarung, 
Nur  Khan,  Jani,  Gholam  Rusul,  Scharket,  Chore,  den  Erfinder  der  Tuppa's 
(s.  d.)  u,  A. ;  während  Willard  gegen  1830  nur  des  in  Benares  sehr  geschätzten 
Musikers  Hussein  Sulamoth  Oly  Khan  erwähnt,  der  eine  Theorie  der  alten 
Kunst  geschrieben  hat,  die  sich  jedoch  durchaus  nicht  mit  der  damals  herr- 
schenden Musik  in  Einklang  bringen  Hess.  Sicher  ist,  dass  je  nach  dem  Orte, 
dem  man  die  Lehre  der  Kunst  entnimmt,  dieselbe  sich  anders  ergiebt  und  sich 
je  nachdem  auch  die  verschiedenen  Anschauungen  über  die  Tonalität  der  mo- 
dernen indischen  Gesänge  gestalten.  Beweis  dafür  ist,  dass  oft  Gesänge,  von 
denen  man  behauptet,  sie  seien  durch  Tradition  erhalten,  in  von  einander  sehr 
verschiedenen  Lesarten,  je  nach  der  Gegend,  der  sie  die  Sammler  entnahmen, 
von  diesen  überliefert  worden  sind. 

Selbst  die  antiken  Gesangformen  sind  in  der  Neuzeit  modernen  gewichen, 
welche  meist  aus  der  Fremde  eingeführt  sind.  Die  Rektah's  z.  ß.  sind 
persischen,  die  Tuppah's  mongolischen  und  die  Teräna's  arabischen  Ursprungs. 
Ausser  diesen  allgemein  verbreitet  findet  man  in  den  einzelnen  Provinzen 
Formen,  die  mehr  local  bekannt,  was  schon  der  dazu  gebräuchliche  Text,  eine 
Mundart,  andeutet.  Einige  Namen  solcher  Gesänge  mögen  hierzu  angeführt 
werden:  Dhurpad,  Kheal,  Thumries,  Huti  oder  Hori,  Bichnupud, 
Kurka,  Stuti,  Sohla,  Palma,  Zikri,  Dadra  und  Wukta.  Selbst 
Gesänge  mit  arabischer  Poesie  und  Blelodie  sind  über  ganz  I.  verbreitet  und 
in  Gebrauch,  wie  die  Mulud  genannten  religiösen  Hymnen  zum  Lobe  Gottes 
und  seines  Propheten  Mahomed,  und  die  Kulbaua's,  deren  Texte  Erzählungen 
aus  «Tausend  und  Eine  Nacht»  bieten.     Man  sieht  aus  dem  Mitgetheilton,  wie 


Indien.  399 

mit  dem  allmähligen  Veröden  des  Bramahnentliums  die  altindische  Kunst  immer 
mehr  der  Sage  verfällt,  und  dass  der  Einfluss  der  Fremdherrschaft  sich  in  I. 
schon  vielfach  breit  gemacht  hat,  indem  jede  längere  Zeit  andauernde  Unter- 
jochung des  Landes  Kunsterzeugnisse  der  zeitweisen  Herrscher  acclimatisirte. 
In  ailerneuester  Zeit  hat  die  abendländische  Kunst  fast  überall  dem  fernen 
stammverwandten  Volke  die  eigene  Kunst  immer  mehr  entfremdet  und  wird 
mit  der  Zeit  wohl  auch  hier  sich  allgemeiner  Anerkennung  erx'ingen,  so  dass 
nur  wenige  urwüchsige  Reste  der  altindischen  Musik  derselben  einige  Eigen- 
thümlichkeiten  beimischen  werden.  —  Diese  Wandlungen  in  der  Kunst  zeigen 
uns  am  deutlichsten  deren  Träger:  die  Instrumente.  Ausser  den  wenigen,  der 
frühesten  Culturperiode  I.s  entstammenden,  finden  wir  noch  fast  allen  näher 
gelegeneu  Musikkreisen  entlehnte  Tonwerkzeuge  in  Gebrauch,  die  nur  wenig 
landeseigenthümlich  umgeformt  sind. 

Die  Inder  selbst  theilen  ihre  Instrumente,  Tura  genannt,  in  vier  Klassen. 
Die  erste  Klasse,  Tut  benannt,  begreift  alle  Tonwerkzeuge,  die  mit  Metall- 
oder Darmsaiten  bezogen  sind,  in  sich;  die  zweite,  Bitut  geheissen,  alle 
Schlaginstrumente  mit  Membranen;  die  dritte,  welche  den  Namen  Grhuza  führt, 
alle  Schlaginstrumente,  die  zu  zweien  gebraucht  wurden;  und  die  vierte, 
Sanghuo  betitelt,  alle  Blasinstrumente.  Die  Vereinigung  mehrerer  Instru- 
mente nannte  man  Turyoga.  Von  der  ersten  Klasse,  den  Saiteninstru- 
menten, ist  das  altehrwürdigste  Musikinstrument  I.s  die  Vina  (s.  d.),  ein 
von  dem  Volke  noch  heute  so  geschätztes  Tonwerkzeug  wie  von  dem  alten 
Chinesen  das  Tsche  (s.  d.),  von  dem  Aegypter  und  Assyrer  die  Harfe  (s.  d.), 
von  dem  Griechen  die  Lyra  (s.  d.)  war  und  von  dem  Abendländer  das  Piano 
(s.  d.)  ist.  Ein  Sohn  Brahma's  und  der  Saraswati,  Näreda  oder  Närada,  hat 
dieselbe  erfunden,  wie  die  Sage  berichtet.  Die  Ragavibodha  widmet  ein  ganzes 
Capitel  der  Beschreibung  dieses  Tonwerkzeugs  und  kennt  schon  mehrere  Arten, 
so  wie  verschiedene  Spielweisen  derselben.  Die  Ausschmückung  der  Vina  war 
und  ist  noch  heute  eine  prächtige  im  orientalischen  Geschmack.  Bambusse 
und  Kürbisse  derselben  werden  reich  mit  Blumen  und  vergoldetem  Laubwerk 
ausgeschmückt. 

Das  Tonreich  der  Vina  umfasst  zwei  Octaven,  von  A  bis  a\  welches 
darzustellen  entweder  sieben  oder  drei  Saiten  obliegt;  erstere  findet  man  in 
Bengalen,  letztere  in  Delhi  in  Gebrauch.  Den  Ton  entlockt  der  Spieler  der 
Saite  mittelst  eines  Piektrums  (s.  d.).  Man  findet  in  I.  noch  eine  andere 
Art  der  Vina  vor,  die  Vina  von  Benares  oder  Bin  genannt  wird,  die  einen 
Schallkasten  ähnlich  dem  der  Laute  (s.  d.)  hat,  und  einen  Bezug  von  zwölf 
Saiten  führt.  Diese  ist  die  modernste  Gestaltung  der  Vina  und  besitzt  chro- 
matisch alle  Klänge  innerhalb  beider  Octaven.  Ferner  ist  unter  dem  Namen 
Tamburah  oder  Tanburah  (s.  d.)  seit  alten  Zeiten  her,  trotzdem  dieser 
Name  arabischen  Ursprungs,  in  I.  gekannt.  Dies  Instrument  ist  den  persischen 
und  arabischen  gleichen  Namens  ähnlich  gebaut,  nur  ursprünglicher  und  be- 
sitzt drei  Saiten  in  der  Stimmung  a  e^  o\  Eine  grössere  Art  dieser  Instru- 
mente führt  vier  Saiten  in  der  Stimmung  A  d  a  e^,  deren  tiefste  aus  Därmen 
und  deren  drei  höhere  aus  Stahl  gefertigt  sind.  Als  der  Vina  entstammend  ist 
die  Tumurah  (s.  d.)  zu  nennen,  welche  vorzüglich  in  den  Provinzen  von 
Delhi  gepflegt  wird.  Dies  Tonwerkzeug  führt  dreizehn  Saiten,  die  ebenfalls 
gerissen  werden.  Dann  findet  man  noch  von  dieser  Gattung  der  Instrumente 
die  Chikara,  ebenfalls  der  Vina  entstammt,  welche  einen  Bezug  von  nur  zwei 
Saiten  hat.  Eine  andere  fast  gleich  dieser  gebaute  Chikara,  welche  vier  Saiten 
besitzt,  ist  in  Madras  heimisch.  Dieser  entlockt  man  die  Klänge  mittelst 
Keissen  der  Saiten  oder  durch  Streichen  mit  einem  Bogen.  Dies  Tonwerkzeug 
nimmt  somit  eine  Mittelstellung  zwischen  den  Reiss-  und  Streichinstrumenten 
ein.  Von  Beissiustrumenten  findet  man  ausser  den  angeführten  noch  die  Sitar, 
welche  ein  Mongole  in  Delhi,  Umir  Khosro,  erfunden  haben  soll.  Man  nimmt 
an,  dass  dies  ungefähr  im  15.  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung  geschah. 


400  Indien. 

Dieses  Instrument  erscheint  in  den  verschiedenen  Provinzen  in  verschie- 
dener Form,  trotzdem  es  dieselbe  Benennung  trägt.  Endlich  mag  hier  noch 
eines  Reissinstrumentes  Erwähnung  geschehen,  das  man  nach  Willard's  Mitthei- 
luug  nur  in  der  Stadt  Kampur  im  Königreich  Delhi  antrifft.  Dasselbe  scheint 
seine  ursprüngliche  Art  der  Behandlung  gewechselt  zu  haben.  Der  Bezug, 
Darmsaiten  theilweise,  wie  der  Bau  des  Schallkastens,  deuten  auf  eine  Behand- 
lung der  Saiten  mittelst  eines  Bogens  hin,  während  in  der  That  jetzt  nur 
durch  Reissen  die  Saiten  tönend  erregt  werden.  Der  Name  dieses  Tonwerkzeugs, 
Rabab,  scheint  arabischen  Ursprungs  zu  sein.  Eine  Harfe  kannte  man  im 
eigentlichen  I,  ebenso  wenig  in  alter  wie  in  ueuei'er  Zeit.  —  Neben  diesen 
Reissinstrumenten  sind  auch  viele  Bogeninstrumente  in  1.  heimisch,  ja  nach 
allem  bisherigen  Wissen  muss  man  annehmen,  dass  I.  diese  Instrumentgattung 
selbst  erst  entdeckte,  und  zwar  lange  vor  unserer  Zeitrechnung.  Die  einfachste 
Grestaltung  dieser  Tonwerkzeuge  bietet  der  zweisaitige  Ravanastron  (s.  d.), 
der  vorzüglich  von  den  Pandarons,  herumziehenden  Bettelmönchen,  gespielt 
wird.  Aehnlich  diesem  ist  die  Rovana  (s.  d.)  und  wird,  wie  jenes  Tonwerk- 
zeug, nur  von  Musikern  niedrigen  Ranges  gepflegt.  Einer  sjjätern  Zeit  ver- 
dankt das  Omerti  (s.  d.)  genannte  Streichinstrument  sein  Dasein.  Noch 
später,  wahrscheinlich  aus  dem  arabischen  Musikkreise  umgeformt  zurückge- 
wandert, ungefähr  im  11.  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung  erfunden,  ist  die 
Sorah,  und  deren  Vervollkommnung,  das  Sarungi,  Saringe  oder  Sarangi 
zu  nennende  Bogeninstrument,  welches  in  zwei  Formen,  eins  mit  acht,  das 
andere  mit  fünfzehn  Saiten,  gepflegt  wird.  Fast  bizarre  Formen  zeigt  das 
Kunjerry  oder  Kunjerre  genannte  Streichinstrument,  welches  in  Nepal  und 
Madras  häufig  gebaut  wird.  Ebenso  reichhaltig  an  Arten  wie  die  Saiteninstru- 
mente sind  fast  auch  die  Blasinstruiiieute. 

Von  Holzblasinstrumenten  besitzen  die  Inder  Schnabel-,  Blatt-  und 
Sackflöten,  doch  keine  Querflöten.  Ersterer  Art  sind  Krischnaflöte ,  Ban- 
suli oder  Banse  geheissen,  die  Bilancojel  oder  Villaucoyel  genannte  und 
das  Flageolet,  Alghosah  benannt.  Die  älteste  der  Blattflöten  führt  den  Namen 
Otu  und  eine  kleinere  Nagassaran,  Letztere  ist  bei  einigen  religiösen 
Ceremonien  in  Gebrauch.  Moderner  und  von  grösserer  Ausdehnung  sind  die 
Sunnaji  und  Moska  genannten  Flöten  dieser  Art.  Von  Sackflöten,  denen 
man  ein  hohes  Alter  zuschreibt,  so  dass  man  fast  gezwungen  ist,  I.  auch  als 
die  Heimath  dieser  Ton  Werkzeuge  anzusehen,  kennt  man  zwei  Arten:  Turti 
oder  Turri  und  Zitty  benannt.  Weniger  reich  au  Arten  sind  die  Metall- 
blasinstrumente, Ein  kleines  Hörn,  Tutari  benannt,  ist  vorzüglich  in 
Bengalen  zu  Hause;  ebenda  und  in  Nepal  nennt  man  ein  etwas  anders  gestal- 
tetes Hörn  ßherubnathi;  und  ausser  diesen  findet  man  noch  ein  grosses 
prächtig  ornamentii'tes  Hörn  häufig  bei  festlichen  Aufzügen  und  gewissen  reli- 
giösen Ceremonien  augewandt,  Nursingh  genannt.  Der  Trompeten  haben  die 
Inder  drei  Arten:  die  grösste,  Buri,  ist  in  Madras  zu  Hause,  die  nächstgrösste 
in  Bengalen,  Bhere  genannt,  und  die  kleinere  Art  heisst  Combu.  Ausser  diesen 
aus  einem  Stück  gefertigten  Trompeten  giebt  es  auch  deren,  die  aus  mehreren 
Theilen  zusammengesetzt  sind,  welche  man  alle  mit  dem  Namen  Phunga  be- 
legt. Die  grösste  dieser  Art,  Ramsinga  genannt,  hat  eine  Länge  von 
2  Meter  und  wird  aus  dünnem  Kupfer  gefertigt.  Ambros  in  seiner  Musik- 
geschichte nennt  diese  Posaune  Tare  und  sagt,  dieselbe  habe  einen  dumpfen 
und  klagenden   Ton  und  würde  bei   Todtenfeiern  geblasen. 

Dann  mag  schliesslich  hier  noch  bemerkt  werden,  dass  Crawford  in  seinen 
mSketches,  relating  to  the  history  and  manners  qf  the  Uindoosa,  1792,  2,  Band 
Seite  94,  mittheilt,  dass  in  den  Küstenstrichen  I.s  noch  die  alterthümliche 
Muscheltrompete,  Zankha,  angewendet  werde  und  die  Gebirgsbewohner  krumme 
Hörner  in  primitivster  Bauart  besässen.  Endlich  ist  hier  noch  ein  Blasinstru- 
ment, Tumeri(s,  d.)  geheissen,  zu  nennen,  das  Manchem  als  I.  eigenthümlich 
erscheinen   mag.     Förster     ffiebt    in    seinen    »Denkmalen«    Band  5   Seite   2  Be- 


Indien.  401 

Schreibung  und  Abbildung  desselben.  Wahrscheinlich  ist  dasselbe  jedoch  dem 
chinesischen  Typus  nachgeahmt  und  dem  indischen  Bedürfnisse  angemessen, 
primitiver  gestaltet. 

Betrachten  wir  nun  noch  die  Sclilagiustrumente  I.s,  so  bemerken  wir  bei 
denselben  nicht  allein  eine  Reichhaltigkeit  der  Arten,  wie  in  keinem  andern 
Musikkreise,  sondern  auch  eine  durchaus  I.  eigene  Gattung  dieser  Tonwerk- 
zeuge: solche,  welche  abgestimmte  Metall-  oder  Holzstäbe  oder  aus  Glockengut 
kesselartig  geformtes  tonzeugendes  Material  führen.  Nur  China  kannte  im 
Alterthume  etwas  Aehnliches,  das  King  (s.  d.),  mit  abgestimmten  Metallglocken 
oder  Steinen.  Wenn  die  Idee  dieser  Instrumentgattung  somit  an  beiden 
Culturstätten  seit  früher  Zeit  bei  Erfindung  der  Tonwerkzeuge  sich  Geltung 
verschaffte,  so  gebührt  I.  die  Anerkennung,  dass  es  diese  Gattung  der  Schlag- 
instrumente am  meisten  ausbildete  und  bis  in  die  Neuzeit  hin  mit  besonderer 
Vorliebe  pflegte,  so  dass  man  selbst  im  Abendlande  sich  hieran  für  künftig 
ein  Muster  nehmen  könnte,  um  die  Becken  unserm  Tonsystem  entsprechend 
verwerthen  zu  lernen.  Auf  die  abendländische  Umformung  des  Triangels  ist 
wahrscheinlich  die  Kenntniss  dieser  indischen  Instrumentgattung  nicht  ohne 
Einwirkung  gewesen.  Von  dieser  Instrumentgattung  ist  das  Kinnery,  in  der 
Provinz  Madras  am  häufigsten  vorkommend,  besonders  seiner  äussern  Ausstat- 
tung halber  zu  vermerken,  dem  sich  die  verschiedenen  Garn  bang  (s.  d.)- 
Arten  würdig  anreihen.  Ausser  diesen  Schlaginstrumenten  findet  sich  in  I.  ein 
grosser  Ueberfluss  an  Lärminstrumenten."  Jede  Provinz  gestaltet  und  benennt 
die  nur  in  derselben  gepflegte  Specialform,  und  finden  wir  aus  dem  Grunde 
einen  noch  grössern  ßeichthum  an  Namen  als  an  wirklich  unterschiedlichen 
Tonwerkzeugen  der  Art.  Die  bekannteren  Namen  sind,  für  Cymbalen:  Talan 
(s.  d.),  Kintal  (s.  d.);  für  Crotalen:  Tal  (s.  d.),  Gopi-jantar  (s.d.);  und 
für  Trommeln:  Matalan  (s.  d.),  Khunirse  (s.  d.),  Taska  (s.  d.),  Dhole, 
Puckhaway  (s.  d.),  TJdukai  (s.d.),  Naguar  (s.d.),  Tamtam  (s.d.),  Dole 
(s.  d,).  Der  Glocken  in  jeder  Grösse  bedient  man  sich  in  I.  seit  den  frühesten 
Zeiten  als  Lärminstrumente,  doch  niemals  abgestimmt,  wie  in  China.  Dann 
müssen  wir  der  I.  entstammenden  Gong  (s.  d.)  hier  erwähnen,  die  in  gleicher 
Art  wie  in  China  überall  in  Gebrauch  sind,  und  deren  grösste  Art  den  Namen 
Kansi  (s.  d.)  hat.  —  Diese  grosse  Verschiedenheit  in  den  Erfindungen  der 
Tonwerkzeuge  wie  die  in  den  angeführten  theoretischen  Lehren  der  Kunst  und 
deren  Erläuterungen  documentirt  eine  phantastische  Begabung  der  Inder,  wie 
man  sie  wohl  bei  keinem  andern  Volke  der  Erde  wahrnimmt.  Dem  entsprechend 
ist  auch  die  Anwendung  der  Kunst  in  diesem  Lande.  Männer  wie  Frauen 
bedürfen,  um  einen  übernommenen  Kunsttheil  zu  erlernen,  angestrengter  Studien, 
gleichviel,  ob  sie  ihre  Thätigkeit  dem  Cultus  oder  dem  gewöhnlichen  Leben 
widmen  wollen.  Bei  dem  grössten  Theil  der  religiösen  Ceremonien  in  den 
Pagoden  ist  Musik  ein  wesentlicher  Bestandtheil.  Gesang,  Gäna,  und  Instru- 
mentalmusik, Vadya,  ist  durch  den  Ritus  fest  geregelt,  und  in  jeder  Pagode 
findet  man  meist  andere  Regeln  und  andere  Gesänge. 

In  den  meisten  Pagoden  ist  eine  gewisse  Zahl  Tänzerinnen,  Devadhäzis, 
acht  oder  weniger,  fest  angestellt,  die  eigens  für  den  religiösen  Gebrauch  erzogen 
werden;  der  Tanz,  Nritya,  ist  nämlich  der  Tonkunst  beigeordnet.  Die  Studien 
derselben  sind  sehr  anstrengend  und  ermüdend,  und  gehen  nach  aufgezeichneten 
Gesetzen,  die  ein  stattliches  Volumen  bilden,  vor  sich.  Mit  dem  zwanzigsten 
Lebensjahre  wird  die  Devadhäzis  aus  dem  Pagodendienst  entlassen  und  kehrt 
dann  als  Bajadere  ins  Leben  zurück.  Einige  jedoch  bleiben  freiwillig  im  Dienst 
des  Cultus  als  dem  Gotte  der  Pagode  geweiht;  diese  werden  Concubinen  der  Prie- 
ster, verweilen  zeitlebens  in  der  Pagode  und  ihre  Kinder  sind  geborne  Mu- 
siker. Sonnerat  in  seiner  »  Voyage  aux  Indesa  T.  I.  p.  102  liefert  die  Beschrei- 
bung einer  grösseren  religiösen  Ceremonie.  Blasinstrumente  und  eine  grosse 
Zahl  von  Trommeln  bieten  den  tonlichen  Theil  derselben  nebst  den  Ritual- 
gesängen,   zu    welchen  die  Tänzerinnen   zeitweise  pantomimische  Ausführungen 

Musikal.  ConTers.-Lezikon.     V.  -" 


402  Indifferente  —  Indigitamenta. 

machen.  Tänzer  wie  Sänger  geben  abwechselnd  ihre  Kunstausführnngen ,  und 
dies  lehrt,  wie  noch  andere  Andeutungen,  dass  in  I.  auch  schon  in  sehr  frühen 
Zeiten  der  Wechselgesang  ausgeübt  wurde,  der  im  semitischen  Musikkreise  so 
vorherrschend  gewesen  ist.  Der  Leiter  solcher  Musik,  Natuza  geheissen, 
führt  eine  an  beiden  Seiten  mit  einem  Membran  bespannte  Trommel,  die 
mittelst  eines  Bandes  getragen,  quer  vor  dessen  Leib  befindlich  ist,  und  die 
er  zweckdienlich  auf  beiden  Fellen  mit  den  Händen  traktirt.  —  Im  gewöhnlichen 
Leben  kam  und  kommt  noch  heute  fast  keine  Festlichkeit  vor,  an  der  nicht 
Gesang,  Spiel  und  Tanz  einen  hervorragenden  Theil  nehmen.  Jeder  Tages- 
wie  Jahreszeit  sind  besondere  Hymnen  gewidmet,  und  Reiche  wie  Fürsten 
haben  fest  angestellte  Hofmusiker.  Am  beachtenswerthesten  aber  ist  das  Musik- 
drama der  Inder,  wie  es  diese  in  den  Urzeiten  schon  nach  denselben  Grund- 
gesetzen schufen,  um  welche  wir  uns  in  allerneuester  Zeit  wieder  bemühen. 
Bharata,  ein  Halbgott,  der  Erfinder  zweier  Tonarten,  war  auch  der  Erfinder 
der  Nataks  (s.  d.),  der  Musikdramen.  Er  selbst,  auch  Muni  genannt,  erzählen 
die  Inder,  fasste  mehrere  Schauspiele  in  eine  Sammlung  von  Sutra  zusammen 
und  stellte  sie  vor  den  Göttern  selbst  dar,  deren  Vorschriften  aus  den  Veden 
von  Brahma  selbst  zusammengestellt  und  ihm  mitgetheilt  worden   sind. 

Dies  erste  Musikdrama  behandelte  aus  der  Geschichte  Vischnu's  die 
Gattinwahl  der  Lakschmi;  die  Gandharven  und  Apsarasen  waren  die  ersten 
Darsteller.  Das  Musikdrama  hat  im  Laufe  der  Zeit  bei  den  Indern  eine  immer 
steigende  Ausbildung  erhalten,  so  dass  man  jetzt  mehrere  Arten  desselben 
unterscheidet.  Natyasäraka  ist  der  Name  eines  Lustspiels  in  einem  Akt, 
worin  vorzüglich  Gesang  und  Tanz  enthalten  ist;  Prasthana,  ein  Lustspiel 
der  ebenaugeführten  Art  in  zwei  Akten,  das  Erlebnisse  niederer  Kreise  zum 
Gegenstande  hat.  Bhana  nennen  die  Inder  einen  Monolog  in  einem  Akt,  dem 
Musik  und  Tanz  vorangeht  und  folgt.  Uttathya  heisst  ein  Schauspiel,  das 
einen  mythologischen  Stoff  in  einem  Akte  behandelt  und  dessen  Dialoge  mit 
Gesängen  untermischt  sind.  Srigaditam  nennen  die  Inder  eine  Handlung 
in  einem  Akt,  in  der  die  Glücksgöttin  Sri  die  Hauptperson  ist;  ein  Theil 
des  Textes  wird  gesprochen,  ein  anderer  gesungen.  Hallisä  heisst  eine  Unter- 
haltung in  einem  Akt,  die  ganz  aus  Gesang  und  Tanz  zusammengesetzt  ist 
und  in  der  nur  ein  Mann  und  acht  oder  zehn  Frauen  handelnd  auftreten. 
Ausser  diesen  kleinen  Dramen  besitzen  die  Inder  auch  fünf,  selbst  sicbenaktige 
Schauspiele,  die  theilweise  in  Sanskrit,  theilweise  in  Pracrit  geschrieben  sind; 
letzterwähnte  Theile  sind  zuweilen  rhythmisch  gefasst  und  werden  dann  durch 
Solo  oder  Chöre  melodisch  ausgeführt,  dem  dann  wohl  ein  Nachspiel  durch 
Instrumente  folgt.  Wir  erwähnen  als  derartiges  bekannteres  Drama  das  »Vir- 
cama  undUrwasi«  betitelte,  dessen  Dichtung  Kaiida sa,  der  etwa  ums  Jahr 
50  V.  Chr.  gelebt  haben  soll,  zugeschrieben  wird.  —  Ueber  die  phantastische 
Ausbildung  der  indischen  Musik  in  der  neueren  Zeit  findet  man  noch  in  dem 
Artikel  Java  (s.  d.)  einige  beachtenswerthe  Einzelheiten,  so  wie  über  die  aller- 
neuesten  Umwandlungen  der  heimischen  Kunst  manches  noch  der  Artikel  Ost- 
indien (s.  d.)  bietet.  C  Billert. 

Indifferente  oder  indifferentemente  (italien.),  Vortragsbezeichnung  in 
der  Bedeutung  gleichgültig,  wird  auch  durch  con  indifferenza  wieder- 
gegeben. 

Indigritamenta  (latein.),  ein  in  der  Musik  der  alten  Römer  vorkommender 
Kunstbegriff,  dessen  eigentliche  Bedeutung  mit  Sicherheit  nicht  mehr  festzu- 
stellen ist.  Einige  Ausleger  sind  der  Ansicht,  man  habe  damit  diejenigen 
Lieder  bezeichnet,  die  angefüllt  gewesen  seien  von  Namen  der  römischen  Gott- 
heiten, andere  meinen,  es  seien  Lieder  zu  Ehren  der  Halbgötter  gewesen.  Er- 
stere  stützen  ihre  Behauptung  durch  die  etymologische  Bedeutung  des  Wortes 
I.,  welches  im  gewöhnlichen  Leben  der  Ausdruck  für  Namensverzeichniss,  Re- 
gister war.  Letztere  durch  die  Bedeutung  de*  Stammwortes  indigetare,  welches 
anrufen,  zu  Gott  beten  heiest. 


In  distanza  —  Ingegneri.  403 

In  distanza  oder  in  lontananza  (italien.),  d.  i.  in  oder  aus  der  Ent- 
fernung, kommt  als  Vorschrift  vor,  wenn  eine  Stimme,  räumlich  entfernt  von 
den   übrigen,  hervorklingen  soll. 

Indrayagra    nennen    die    Inder    einen    44  sylbigen    Rhythmus,    der    sich 


3 


.^^_._U_.J 


wie   folgt:  G— ^— e— i-^— »-p — ^n^~'r^r~r2^P'~"r~M^"~r"i  ^^^^-'^^l  ^u  wieder- 
holen, gestaltet.     Mehr  siehe  in  dem  Artikel  Indische  Musik.  0. 

Infautas,  Fernando  de  las,  spanischer  Theologe,  Musikgelehrter  und 
Contrapunktist,  lebte  als  Priester  in  der  letzten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts 
zu  Cordova.  Ausser  vielen  theologischen ,  gab  er  auch  musikalische  Schriften 
heraus,  von  welchen  letzteren  noch  folgende  Titel  bekannt  geblieben  sind: 
y>Plura  modulationum  genera,  quae  vulgo  contrapuncta  appellantur,  super  ecccelso 
Gregoriani  ca)itu<i  (Venedig,  1570)  und  y>Sacrarttm  varii  styli  cantionum  tituli 
Spiritus  sancti  Hb.  1  ei  2  cum  5  vocibusa  (Venedig,  1580).  Vgl.  Antonii  hihi, 
liispan. 

Inferien  (latein.:  inferiae)  hiessen  bei  den  alten  Römern  die  Todtenopfer, 
welche  unter  feierlichen  Gesängen  den  unterirdischen  Gottheiten  für  die  Seelen 
der  Verstorbenen  gebracht  wurden.  Etwas  Aehnliches  der  christlichen  Kirche 
sind  die  Exequien  (s.d.). 

Inflbulation  (aus  dem  Latein.;  griech.:  Ankteriasmos)  nennt  man  ein  chi- 
rurgisches Verfahren,  mittelst  dessen  die  Geschlechtstheile  zur  Vollziehung  der 
Begattung  oder  zu  unnatürlichen  Ausschweifungen  vorübergehend  untauglich 
gemacht  werden.  Man  kennt  verschiedene  Arten  dieses  Verfahrens,  welches 
meist  beim  männlichen  Geschlechte,  zuweilen  aber  auch  beim  Xveiblichen  an- 
gewendet wurde,  und  eine  davon  bestand  in  einer  unnatürlichen  Unterbindung 
der  genannten  Theile  bei  Knaben,  um  der  Mutation  (s.  d.)  ihrer  hohen 
Stimme  vorzubeugen.  Die  Anwendung  der  betreffenden  Operation  stammt  aus 
dem  frühesten  Alterthum  und  wahrscheinlich  aus  Asien,  von  wo  aus  sie  zu  den 
Griechen  und  durch  diese  zu  den  Römern  gelangte,  bei  denen  ihr  vorzüglich 
Sänger  und  Schauspieler  unterworfen  wurden,  deren  Talente  man  dadurch, 
dass  ihnen  Ausschweifungen  unmöglich  gemacht  wurden,  sicherer  zu  bewahren 
glaubte.  Die  I.  der  Römer  wird  schon  von  Celsus  beschrieben  und  von  Juvenal 
und  Martial  als  gewöhnliches  Vorkommniss  erwähnt.  Der  Kirchengesang,  wel- 
cher der  Knaben-  als  Ersatz  der  verpönten  Frauenstimmen  nicht  entbehren 
konnte,  forderte  geradezu  die  Anwendung  der  I.  oder  der  Castration  (s.  Ca- 
strat),  von  welcher  Unsitte  seit  Einführung  der  Oper  auch  das  Theater  Vor- 
theil  zog.  Erst  in  neuester  Zeit  ist  das  eine  wie  das  andere  Verfahren  als 
unnatürlich  und  grausam  im  Abendlande  allgemein  ausser  Gebrauch  gekommen, 
obwohl  noch  1827  eine  Schrift  von  Weinhold  allen  Ernstes  die  I.  als  Mittel 
gegen  die  Uebervölkerung  Mitteleuropas  empfahl. 

lufinitns  Canon  (latein.),  der  unendliche  Kanon  (s.  Kanon). 

luflatilia  sc.  instrumenta  (latein.)  war  bei  den  alten  Musikscliriftstellern  die 
generelle  Bezeichnung  der  Blasinstrumente  (s.  d.). 

lufrabass,  der  5  metrige  Subbass  (s.d.)  im  Pedal  der  Orgel. 

Inganno,  eigentlich  Gadenza  d^inganno  (Italien.),  der  betrügerische 
Schluss,  der  Trugschluss  (s.  d.  und  Cadenz). 

Ingegneri,  Angelo,  italienischer  Dichter,  geboren  um  1545  zu  Venedig, 
verfasste  und  veröffentlichte  die  Schrift  y>Della  poesia  rappresentativa  e  del  modo 
di  rappresentare  le  favole  scenichea  (Ferrara,  1598;  Neue  Aufl.  Venedig,  1738), 
welche  für  die  Kenntniss  der  damaligen,  nachgehends  Opern  und  Oratorien  ge- 
nannten scenischen   Spiele  von  Wichtigkeit  ist. 

Ingegneri,  Marco  Antonio,  oder  Ingigneri,  latinisirt  Ingenierius 
oder  Ingignerius,  einer  der  berühmtesten  italienischen  Kirchencomponisten 
der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts,  geboren  um  1545  zu  Pordenone  im 
venetianischen  Friaul  (Caffi  hält  ihn  für  einen  Venetianer,  Fetis  für  einen  Cre- 
moneser),  war  Kapellmeister  an  der  Kathedralkirche  zu  Cremona.     Von  seinen 

26* 


404  Ingegneri  —  Inspiration. 

Arbeiten  können  als  gedruckt  angegeben  werden:  Misse  Üb.  1  e  2  (Venedig); 
»JResponsoria  hehdomadae  sanctaa  (ebendas.);  »Oantiones  sacrae  5  voc.«  (Venedig, 
1576);  Madrigali  a  4  voci,  verschiedene  Bücher  (Venedig,  1578,  1580  und  1592). 
Aus  einem  bisher  noch  von  keinem  Wörterbuche  angeführten  Buche  mit  fünf- 
stimmigeu  Madrigalen,  betitelt:  ^^Marci  Antonii  Ingignerii  Pordenoni  secundus 
liher  Madrigaliicm  quinque  vocumv.  (Venedig,  1567  [1576?]),  geht  der  bis  jetzt 
zweifelhaft  gebliebene  Geburtsort  dieses  Meisters  deutlich  hervor.  Auch  mehr- 
chörige  Kirchenstücke  hat  I.  bereits  componirt,  wie  ein  Buch  Motetten  von 
ihm  zu  16  Stimmen  (Venedig,  1589)  beweist.  Einige  von  den  angeführten 
"Werken  befinden  sich  auf  der  Bibliothek  zu  München. 

Ingeg-neri,  Pater  Tommaso  Antonio,  italienischer  Franciscauermönch  und 
Kircheucomponist,  geboren  in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  zu  Bo- 
logna, veröffentlichte  1719  von  seiner  Composition:  y>Salmi  vespertini  di  tatto 
Vanno  a  due  coria. 

luglot,  William,  berühmter  Organist  Englands,  geboren  1554,  war  an 
der  Kathedralkirche  zu  Norwich  angestellt  und  starb  in  dieser  Stellung  am 
29,  Decbr.  1621. 

Ingrain,  französischer  Orgelvirtuose  und  Componist  für  sein  Instrument, 
fungirte  um  1753  als  Organist  an  der  Stephanskirche  zu  Paris  und  hat  als 
gediegen  gerühmte  Orgelfugen  herausgegeben. 

Inhalt,  im  Gegensatz  zum  Aeusserlichen,  also  zu  Form  und  Umfang  ge- 
nommen, ist  der  Begriff  alles  dessen,  was  ein  Kunstwerk  wirklich  in  sich  fasst 
oder  hält.  Der  I.  eines  Tonstückes  ist  kein  gleichgültiger,  sich  von  selbst  er- 
gebender Gegenstand,  vielmehr  hat  der  Tondichter  darauf  zu  achten,  dass  er 
neben  der  schönen  Form  auch  einen  gediegenen,  bedeutsamen  I.  entwickelt. 
Die  Bevorzugung  des  letzteren,  meist  auf  Kosten  der  ersteren,  hat  die  moderne 
sogenannte  Programmmusik  (s.  d.)  ins  Leben  gerufen. 

Inno  (Italien.),  der  Lobgesang,  die  Hymne  (s.  Hymnos). 
Innoceutamente  oder    innocente    (Italien.),    Vortragsbezeichnung    in    der 
Bedeutung  unschuldig,  mit  natürlichem,  ungekünsteltem  Ausdruck.  Als  Ueber- 
schrift  eines  Tonsatzes    zeigt    dieses  Wort    zugleich    eine    massig  langsame  Be- 
wegung an.     Gleichbedeutend  mit  i.  ist  con  innocenza. 

Ino,  weibl.  ina,  italienische  Verkleinerungssylbe,  bezeichnet  den  geringeren 
Umfang,  die  enger  begrenzte  Form  von  dem,  was  das  Stammwort  bedeutet, 
z.  B.  Sonatina,  abgeleitet  von  Sonata,  Concertino  von  Concerto,  Andantino  von 
Andante  u.  v.  a. 

In  partito  (italien.),  in  Partitur  (s.d.);  daher  Oanone  in  partito,  der 
offene  Kanon  (s.  Kanon). 

Inquieto  (Italien.),  Vortragsbezeichnung  in  der  Bedeutung  unruhig,  wo- 
für man  auch  gleichbedeutend  con  inquietudine  vorschreiben  kann. 

Insangnine,  Giacomo,  italienischer  Opern-  und  Kircheucomponist,  nach 
seinem  Geburtsorte  auch  Monopoli  genannt,  ist  1744  zu  Monopol!  geboren 
und  trat  seit  etwa  1770  nach  und  nach  mit  ungefähr  20  Opern  auf,  von 
denen  die  bekanntesten  und  am  beifälligsten  aufgeführten  sind:  nMedontea, 
yiDidone«,  y>Adriano  in  Siriaa,  y>Arianna  e  Teseoi,  y>Tito  nelle  Gallie«.  und  nCalipsot. 
Sein  bestes  Kirchenstück  soll  der  71.  Psalm  auf  die  italienischen  Worte  Maffei's 
für  drei  Stimmen  und  Orchester  sein.     I.  starb  1796  zu  Neapel. 

Insensibile  oder  insensibilmente  (Italien.),  Vortragsbezeichnung  in  der 
Bedeutung  unmerklich,  allmälig. 

Inspiration  (aus  dem  Latein.)  oder  Theopneustie  (aus  dem  Griech.) 
nennt  man  einerseits  eine  unmittelbare  oder  übernatürliche  Mittheilung  eines 
höheren  oder  des  höchsten  Wesens  an  die  Menschen  durch  den  Anhauch  seines 
Geistes,  andererseits  den  Zustand  Derjenigen,  welche  unter  dem  direkten,  be- 
geisternden Einflüsse  des  göttlichen  Geistes  wirken.  Es  war  eine  Vorstellung 
des  ganzen  heidnischen  und  jüdischen  Alterthums,  dass  Weise  und  Künstler 
aller  Art,  überhaupt  alle  wahrhaft  grosse  Männer  mit  der  Gottheit  im  Verkehr 


Instante  —  Institut  de  France.  405 

und  unter  ihrem  begeisternden  Einflüsse  ständen,  und  dass  nur  von  Gott  selbst 
Gelehrte  von  ihm  und  göttlichen  Dingen  Kunde  geben,  durch  ihre  erhabenen, 
die  Bewunderung  wach  rufenden  Werke  Zeugniss  von  ihm  ablegen  könnten. 
Daher  haben  denn  auch  alle  Religionsstifter  beansprucht,  dass  sie  für  un- 
mittelbar von  Gott  gelehrt  gehalten  würden,  während  man  die  erhabenen  Ideen  der 
Dichter  und  Tousetzer  als  vom  Himmel  selbst  geoffenbarte  zu  allen  Zeiten 
annahm.  Eine  heilige  geistige  TJeberwältigung  schrieben  die  alten  Völker  ihren 
Sehern,  Sängern  und  Propheten  zu,  und  die  Kirche  bezeichnete  den  Kanon 
der  Bibel  als  unmittelbar  von  Gott  eingegeben,  so  dass  die  heiligen  Menschen 
Gottes  so  und  nicht  anders  geredet  haben,  getrieben  vom  heiligen  Geiste.  Be- 
reits im  2.  Jahrhundert  n.  Chr.  wird  der  heilige  Geist  von  A.thenagoras  mit 
einem  Flötenbläser  verglichen,  so  dass  er  also  der  Verfasser  der  heiligen  Schrift 
war,  die  einzelnen  Verfasser  selbst  aber  nur  als  Instrumente  erscheinen.  Voll- 
ständig bildeten,  je  länger,  je  mehr,  die  ferneren  christlichen  Theologen  die 
Inspirationstheorie  aus.  Im  musikalischen  Sprachgebrauche  versteht  man  unter 
I.  die  Kundgebung  von  erhabenen  und  erhebenden  Melodien  und  Harmonien, 
die  man  geneigt  sein  darf  als  eine  fortgehende  überirdische  Eingebung  zu  be- 
trachten, da  sie  weitab  von  dem  Bekannten,  Gewohnten  liegen  und  das  Un- 
begreifliche in  neuer  Gestalt  offenbaren. 

Instante  oder  instantemente  (Italien.),  Vortragsbezeichnung  in  der  Be- 
deutung inständig,  dringend,  wofür  man  auch  gleichbedeutend  con  in- 
st an  za  vorschreiben  kann. 

Institut  (aus  dem  Latein.)  nennt  man  im  Allgemeinen  jede  zu  bestimmten 
Zwecken  und  Bestrebungen  zusammengetretene  und  durch  feste  Normen  zu- 
sammengehaltene Gesellschaft  von  Gleichgesinnten,  z.  B.  einen  Theaterverband, 
eine  Musikgesellschaft,  einen  Singverein  u.  s.  w.,  dann  aber  vorzugsweise  eine 
von  Privatpersonen  und  für  gewisse  Corporationen  errichtete  Erziehungs-  oder 
Unterrichtsanstalt,  in  welcher  Kinder  und  junge  Leute  gegen  Vergütung  oder 
auf  öffentliche  Kosten  verpflegt,  erzogen  und  unterrichtet  werden.  Dieselben 
sollen  die  Vorzüge  des  öffentlichen,  auf  einen  bestimmten  Zweck  gerichteten 
Unterrichts  mit  den  Vortheilen  der  häuslichen  Erziehung  vereinigen.  In  dieser 
Art  ist  der  Ausdruck  I.  ein  moderner  Begriff.  Denn  im  Alterthum,  wo  die 
Erziehung  einen  ganz  anderen  Charakter  hatte  als  gegenwärtig,  kannte  man 
solche  nicht.  Ebenso  wenig  können  die  Kloster-,  Stifts-  und  andere  Schulen 
des  Mittelalters  als  Institute  im  neueren  Sinne  angesehen  werden,  wenn  sie 
auch  schon  lediglich  den  Bemühungen  von  Privaten  und  Corporationen  ihre 
Entstehung  verdankten.  Erst  nach  der  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  entstanden, 
hervorgegangen  aus  Locke's  und  Bousseau's  Ideen  einer  naturgemässen  Er- 
ziehung, eigentliche  Bildungsinstitute  im  Gegensatz  gegen  die  in  äusserlichem 
Formalismus  mehr  oder  weniger  untergegangenen  öffentlichen  Schulen.  In  den 
bezüglichen  Specialartikeln  dieses  Werkes  sind  die  verschiedenartigen,  für  die 
Musik  in  Betracht  kommenden  I.e  nach  Orgfanisation  und  Geschichte  ausführ- 
lieber  behandelt,  und  man  sehe  deshalb  die  Artikel  Akademie,  Conserva- 
torium,  Maitrise,  Musikvereine,  Singschulen  u.  s.  w.  nach. 

Institut  de  France  (französ.),  d.  i.  Institut  von  Frankreich.  Das  Bedürfniss 
wissenschaftlicher  und  künstlerischer  Vereinigung  und  geistigen  Zusammen- 
wirkens rief  zur  Zeit  der  Wiederbelebung  der  Künste  und  Wissenschaften, 
wie  in  anderen  Hauptstädten  Europa's,  so  auch  in  Paris  verschiedene  Akade- 
mien ins  Leben,  welche  nach  italienischen  Mustern  literarische  Centralpunkte 
bildeten.  Die  meisten  derselben,  wie  z.  B.  der  poetische  Verein  des  Sieben- 
gestirns, 1570  bis  1591,  hatten  nur  eine  kurze  Dauer,  bis  unter  Richelieu's 
Schutze  eine  Privatgesellschaft,  welche  1625  im  Hause  Valentin  Conrart's,  von 
Chapelain  und  anderen  mittelmässigen  Dichtern  gebildet  war,  sich  1635  zur 
Staatsanstalt  umgestaltete  und  am  10.  Juli  1637  als  Academie  frangaise  ihre 
ersten  öffentlichen  Sitzungen  hielt.  Neben  dieser  besonders  zur  Pflege  und 
Ausbildung  der    französischen   Sprache    bestimmten  Akademie   bildeten  sich  im 


406  Instrument. 

Laufe  der  Zeit  in  Paris  selbstständig  noch  mehrere  andere,  welche  ebenfalls 
staatliche  Sanction  erhielten,  so,  unmittelbar  auf  Anregung  Königs  Ludwig  XIV., 
der  in  diesen  Vereinigungen  ein  vorzügliches  Werkzeug  sah,  auf  den  Geschmack 
der  Nation  bestimmend  eiuzuwii'ken ,  1663  die  Academie  des  inscriptions,  ent- 
sprechend dem  Geschmack  an  Devisen,  Inschriften  und  Medaillen,  welcher  im 
17.  Jahrhundert  herrschte,  ferner  die  Academie  des  sciences,  1666  von  Colbert 
gestiftet,  welche  durch  wissenschaftliche  Bedeutung  und  Wirksamkeit  noch 
gegenwärtig  die  erste  der  Welt  ist,  und  die  Academie  d'arcJdfecture.  Alle  diese 
Akademien  wurden  durch  ein  Edict  des  Nationalconvents  vom  8.  Aug.  1793 
unterdrückt;  aber  schon  am  25.  Octbr.  1795  beschloss  das  Directorium  der 
französischen  Republik,  einen  National -Gelehrtenverein  ins  Leben  zu  rufen, 
dessen  Aufgabe  die  Pflege  der  schönen  Künste  und  Wissenschaften  sein  sollte. 
Diese  Anstalt  erhielt  den  officiellen  Namen  Institut  national,  war  in  drei 
Klassen  (die  dritte  umfasste  die  schönen  Künste)  getheilt,  deren  jede  wieder 
in  mehrere  Sectionen  zerfiel,  und  bestand  aus  einer  Anzahl  in  Paris  wohnender 
Mitglieder  (memhres  residanfs)  und  einer  gleichen  Anzahl  Assocics  in  den  ver- 
schiedenen Departements  der  Republik;  auch  sollte  ausserdem  jede  Klasse  sich 
acht  auswärtige  Fachnotabilitäten  zugesellen  können.  Die  Zahl  der  wirklichen 
Mitglieder  war  ohne  die  Associes  auf  144  bestimmt. 

Um  diese  nicht  ganz  bequeme  Organisation  zu  verbessern,  Hess  Napoleon 
Bonaparte,  der,  selbst  Mitglied  des  I.,  diese  Ehre  so  hoch  schätzte,  dass  er 
während  des  ägyptischen  Feldzuges  seinem  Titel  als  Obergeneral  stets  den 
eines  Mitglieds  des  I.  vorsetzte,  im  J.  1802  eine  Commission  bilden,  auf  deren 
Gutachten  hin  das  I.  eine  neue  Einrichtung  und  vier  Klassen  erhielt;  die 
vierte,  20  Mitglieder,  acht  fremde  Associes  und  36  Correspondenten  zählend, 
war  ausschliesslich  für  die  schönen  Künste  bestimmt.  Die  Maassregeln  der 
Restauration  trafen  auch  das  I.,  welches  seit  Anfang  des  J.  1814  den  Namen 
I.  imperial  erhalten  hatte.  Ludwig  XVIII.  liielt  nämlich  für  gut,  die  vorge- 
fundene Einrichtung  insofeim  zu  modificiren,  dass  der  Name  I.  nur  der  Ge- 
sammtheit  der  Akademie  verbleiben,  jede  Klasse  für  sich  aber  wieder  den 
Namen  Akademie  annehmen  sollte.  So  entstanden  denn  durch  die  Ordonnanz 
vom  21.  März  1816:  1)  die  Academie  fran{'aise,  2)  die  Academie  des  inscrip- 
tions  et  helles -lettres ,  3)  die  Academie  des  sciences  und  4)  die  Academie  des 
heaux-arts.  Das  I.  selbst  wurde  unter  die  besondere  Protection  des  Königs 
gestellt.  Die  Julirevolution  im  J.  1830  hat  im  I.  keine  andere  Veränderung 
hervorgebracht,  als  dass  die  an  das  Staatsruder  gekommenen  Doctrinaires  die 
Stiftung  einer  fünften  Klasse,  Academie  des  sciences  morales  et  politiques  ge- 
nannt, bewirkt  haben,  welche  durch  Decret  vom  26.  Octbr.  1832  entstand  und 
30  Mitglieder  zählt.  Die  ferneren  Staatsumwälzungen  von  1848,  1851  und 
1871  haben  auf  die  Organisation  und  AVirksamkeit  des  I.  wesentlich  verändernd 
nicht  eingewii'kt,  und  dasselbe  behauptet  noch  heute  die  li ervorragende,  glän- 
zende Stellung,  welche  es,  aufs  Reichste  ausgestattet,  von  jeher  eingenommen. 
Was  die  dem  I.  angehörende  Academie  des  heaux-aris  anbetrifft,  durch  welche 
speciell  auch  die  Musik  in  Frankreich  eine  ausgezeichnete  Pflege  und  För- 
derung erfährt,  so  findet  man  das   Nähere  in  dem  Artikel  Akademie. 

Instrument  (griech.:  organon,  latein.:  instrumentum ,  ital.:  stromento)  wird 
im  Gebiete  der  Musik  jeder  Mechanismus,  jede  Vorrichtung  genannt,  durch 
welche  Töne  hervorgebracht  werden.  Im  weiteren  Sinne  würde  daher  auch 
die  Kehle  des  Menschen  den  I.en  beigezählt  werden  müssen.  Allein  der 
Sprachgebrauch  schliesst  dieselbe  davon  aus:  man  spricht  von  Vocal-  im  Gegen- 
satze zur  Instrumental -Musik,  und  Niemandem  fällt  es  ein,  den  wunderbaren 
Mechanismus,  dem  die  menschliche  Stimme  entströmt,  unter  die  I.e  einzureihen. 
Wenn  wir  das  Merkmal  des  musikalischen  I.es  in  der  Erzeugung  von  Tönen 
finden,  so  ist  hierdurch  vom  Begriffe  desselben  von  selbst  auch  jeder  Mecha- 
nismus ausgeschlossen,  welcher  es  nicht  weiter  bringt  als  zur  Erzeugung  eines 
blossen    Schalles.      Streng  genommen  trifft  dieser  Ausschluss  die  Mehrheit 


Instrument.  407 

der  zu  allen  Zeiten  und  bei  allen  Völkern  üblich  gewesenen  Schlag-,  Kling- 
und  Klapper -I.e,  welche  mit  geringer  Ausnahme  blosses  »G-eräusch«  hervor- 
bringen, deren  Schall  sich  selten  zum  Tone  veredelt,  deren  schwächerer  oder 
lauterer  Klang  immer  nur  eine  sinnliche  Wirkung  äussern  kann  und,  sofern 
sie  höheren  Zwecken  dienen  sollen,  sich  auf  blosse  Verstärkung  und  schärfere 
Markirung  der  Rhythmen  beschränken  muss. 

An  dieser  ihrer  Stellung  kann  der  Umstand  nichts  ändern,  dass  solche 
Schallwerkzeuge  das  Erste  gewesen  sind,  womit  im  sogenannten  Naturzustande 
der  Völker  alle  Instrumental -Musik  angefangen  hat:  sie  sind  doch  eigentlich 
nur  der  rohe  Untergrund,  die  Vorbereitung  dazu  gewesen.  Der  Kang  dieser 
I.e  wird  aber  im  Wesentlichen  auch  durch  die  Erfahrung  nicht  erhöht,  dass 
sie  im  Stadium  höchster  —  wirklicher  oder  vermeintlicher  —  Cultur-Ent- 
wickelung,  nachdem  jenes  der  Classicität  unbestritten  erreicht  worden,  von  ge- 
feierten Tonsetzern  mehr  oder  minder  häufig  in  Anwendung  gebracht  werden; 
denn  auch  diese  können  im  Grunde  damit  nichts  Anderes  als  vermehrten 
Lärm  und  schärferes  Hervortreten  einzelner  Takttheile  erzielen.  Allein 
eben  diese  thatsächliche  Uebung,  wenn  sie  gleich  dem  Ideale  tonkünstle- 
rischen Schaffens  ziemlich  fern  liegen  dürfte,  zwingt  uns  zur  Nachsicht,  so 
dass  wir  keinen  Anstand  nehmen,  auch  sie  in  den  Kreis  unserer  Besprechung 
zu  ziehen. 

Charakteristisch  ist  es,  wie  verwerfend  einzelne  Theoretiker  von  diesen 
Schallwerkzeugen  gedacht  haben,  —  so  insbesondere  Sebastian  Vir  düng  aus 
dem  Anfange  des  16.  Jahrhunderts,  der  seinem  Unwillen  über  die  »Heerpaucken, 
Trummein  und  klein  Peucklin«  in  den  Worten  Luft  macht:  »Diese  Baucken 
alle,  seind,  wie  sie  wollen,  die  machen  viel  onruwe  erbarn,  frummen  alten  Leuten, 
den  siechen  und  kranken,  den  andächtigen  in  den  clöstern,  die  zu  lesen,  zu 
studieren  und  zu  beeten  haben.  Und  ich  glaub  und  halt  es  für  war,  der 
Teufel  hab  sie  erdacht  und  gemacht;  dann  kain  holtsäligkeit  noch  guts  daran 
ist,  sondern  ein  verdempfung  und  ein  niedertruckung  aller  süssen  Melodeyen 
und  der  ganzen  musica.  Darumb  ich  wohl  geachten  kann,  dass  daz  tympanum 
vil  ein  ander  ding  muss  gewesen  sein,  das  man  zu  dem  Dienst  Gottes  gebraucht 
hat,  dann  yetz  unser  Baucken  gemacht  werden  und  das  wir  ohn  billig  den 
Namen  der  teufelischen  Instrument  zu  geben,  das  nit  wirdig  ist  zu  der  musica 
zu  brauchen  noch  vil  mynder  zuzulassen ,  derselben  Kunst  ein  I.  zu  sein  .... 
Dann  wann  das  Klopfen  oder  Boltern  musica  sollt  sein,  so  müssten  die  Binder 
oder  Küffer  auch  musici  sein,  —  das  ist  aber  alles  nichts.« 

Wie  der  Schall  im  Allgemeinen  entstehe  und  durch  welche  besondere 
Vorgänge  das  Dasein  eines  Tones  bedingt  sei,  haben  wir  —  unbeschadet 
näherer  Erörterung  in  den  einschlägigen  Artikeln  unseres  Lexikons  —  als 
bekannt  vorausgesetzt.  Keinem  Gebürdeten  wird  es  heutzutage  verborgen  sein, 
dass  es  Luft- Schwingungen  —  Wellen  —  sind,  welchen  wir  die  Erzeugung 
eines  Schalles  verdanken,  —  dass  diese  Schallwellen  sich  gleichmässig  nach 
allen  Seiten  fortpflanzen ,  dass  diese  Fortpflanzung  aber  nicht  nur  durch  das 
Medium  der  Luft,  sondern  auch,  und  zwar  mit  viel  grösserer  Geschwindigkeit, 
durch  feste  Körper  stattfindet.  Es  ist  in  dieser  Beziehung  nachgewiesen,  dass 
die  Geschwindigkeit  des  Schalles,  der  sich  in  der  Luft  1050  Fuss  in  der 
Sekunde  weiter  bewegt,  für  Zinn  das  Siebenfache  beträgt,  in  Eisen,  Stahl, 
Glas,  Silber,  Messing  und  Nussbaumholz  lO^s-,  in  Kupfer  12-,  in  Ebenholz 
14^/5-  und  im  Tannenholze  sogar  18 mal  so  gross  als  in  der  Luft  ist.  Diese 
Verhältnisse  sind  begreiflicher  Weise  sehr  wichtig  für  den  Bau  der  Ton- 
werkzeuge geworden.  Weil  das  Tannenholz  vorzugsweise  zur  Aufnahme  von 
Schall -Schwingungen  geeignet  ist,  so  werden  daraus  die  Saiten-I.e  und  die- 
jenigen I.entheile,  welche  durch  eigenes  Mitschwingen  wirken  müssen,  gemacht, 
während  Flöten,  Clarinetten  u.  s.  w.,  deren  Körper  nicht  zu  schwingen  brauchen, 
aus  dem  trägern  Ebenholze,  Buchsbaumholz,  Elfenbein  u.  s.  w.  gefertigt  werden. 
Nachdem  wir  nun  in  Vorstehendem   den    Begriff    des    musikalischen    I.es 


408  Instrument. 

festzustellen  versucht  und  die  für    den    I.enbau    entscheidenden    physi- 
kalischen Haupt-Momente  angedeutet  haben,  so  gehen  wir  zur 

I.  Eiutheilung  der  I.e  über.  Hierfür  kann  maassgebend  sein:  1.  die 
Beantwortung  der  Frage,  wie  die  verschiedenen  I.e  als  Mittel  sich 
verhalten  zu  den  Zwecken  der  Tonkunst.  "Wenn  das  Wesen  der  Ton- 
kunst Darstellung  des  Schönen  in  Tönen,  ihr  Inhalt  und  ihre  Aufgabe  daher 
das  musikalisch  Schöne  ist,  so  wissen  wir  auf  der  anderen  Seite,  dass  sie  die 
in  jedem  concreten  Tonbilde  zur  Ersclieiuung  kommenden  Töne  entweder 
nur  in  einer  Reihenfolge  —  einen  nach  dem  anderen  —  erklingen  lässt, 
was  wir  Melodie  nennen,  oder  dass  uns  aneinander  gereihte  Accorde,  be- 
ziehungsweise gleichzeitig  neben  einander  geführte  Melodien  entgegentreten, 
worin  das  Wesen  der  Harmonie  besteht;  das  Eine  wie  das  Andere  ist  aber 
rhythmisch  geordnet,  in  Takte  eingetheilt,  und  je  nach  dem  Willen  des  Ton- 
setzers können  auch  einzelne  Takttheile  noch  zu  besonderer  Hervorhebung  mar- 
kirt  werden.  Nun  giebt  es  unter  den  uns  bekannten  I.en  bekanntlich  solche, 
die  gleichzeitig  nur  einen  Ton  von  sich  geben.  AVas  auf  ihnen  gespielt 
werden  kann,  ist  immer  nur  eine  Melodie,  —  eine  Beihenfolge  einzelner  Töne. 
Diese  I.e  nennen  wir,  früheren  Vorgängen  folgend,  monodische,  einstimmige, 
melodische.  Dahin  gehören  die  sämmtlichen  Blas -I.e  des  Orchesters,  sowie 
die  Bogen -I.e  desselben.  Man  kann  auf  den  letzteren  wohl  Accorde  spielen, 
Doppelgriffe  und  mehrstimmige  Sätze  zum  Besten  geben;  allein  dieses  har- 
monische Spiel  ist  von  vornherein  schon  durch  die  Vierzahl  der  Saiten  be- 
schränkt: mehr  als  vier  Töne  gleichzeitig  werden  wir  der  Violine  und  dem 
Violoncello  nicht  zu  entlocken  vermögen  und  die  volle,  höchste  AVirkung  dieser 
herrlichen  I.e  wird  sich  vorzugsweise  doch  nur  im  einstimmigen  Spiele  ent- 
falten können. 

Man  pflegt  zwischen  den  einzelnen  melodischen  I.en  auch  ein  gewisses 
Rangverhältniss  festzustellen.  Die  Norm  hierfür  ist  uns  in  der  mensch- 
lichen Stimme  gegeben.  Diese  ist  unbestritten  der  erste  und  ursprüngliche  musi- 
kalische Tonapparat;  im  unmittelbaren  Ergüsse  des  Gefühls  in  Melodie  kann  sie 
von  keinem  künstlichen  Klangwerkzeuge  übertrofFen  werden,  und  es  ist  deshalb 
mit  Recht  gesagt  worden,  dass  diejenigen  I.e,  welche  in  Ansehung  der  Dauer, 
der  Biegsamkeit  und  Gesangfülle  des  Klanges  ihr  am  nächsten  kommen,  stets 
einen  hohen  und  den  höchsten  Rang  da  einnehmen,  wo  es  zunächst  auf  melo- 
dischen Ausdruck  ankommt.  Die  Befähigung  hierzu  ist  in  erster  Reihe  durch 
den  Besitz  einer  vollständigen  chromatischen  Tonleiter  von  möglichst  gi-ossem 
Umfange,  durch  einheitliche  Klangfarbe,  durch  vollen,  sonoren  Ton  und  durch 
die  Möglichkeit  bedingt,  diesen  von  der  leisesten,  kaum  hörbaren  Bebung  zur 
höchsten  Klangstärke  des  I.s  anschwellen  zu  lassen.  Jenen  hohen  und  höchsten 
Rang  —  wer  möchte  ihn  der  Violine,  dem  Violoncello,  der  Clarinette  und 
Oboe,  ja  nach  Umständen  dem  Fagott  absprechen?!  Aber  auch  die  anderen 
Orchester-Genossen  sind  »nicht  zu  verachtenct.  Wer  ist  nicht  schon  in  tiefstem 
Herzensgrunde  bewegt  worden  von  dem  wunderbaren  Gesänge  des  Horns,  mag 
es  melodieführend  sich  von  einer  Begleitung  anderer  I.e  tragen  oder  seine  edeln 
Klänge  in  mehrstimmigem  Hornsatze  vernehmen  lassen !  Die  Erinnerung  an 
die  Introduction  der  Freischütz- Ouvertüre  von  C.  M.  v.  Weber  dürfte  zur  Be- 
stätigung genügen.  Aehnliches  gilt  von  der  Trompete  und  den  Bass-I.en  der 
sogenannten  Blechmusik.  Wie  wirkungsvoll  sind  sie  alle  von  unseren  grossen 
Meistern  behandelt  worden!  Man  denke  an  J.  S.  Bach,  Händel,  Gluck,  Haydn, 
Mozart  und  Beethoven  und,  was  die  Werke  der  beiden  Letzteren  betrifft,  spe- 
ciell  au  »Don  Juan«  und  das  Finale  der   Beethoven'schen   (7-?noZ/- Symphonie. 

Als  harmonische,  polyphone  I.e  kommen  die  Orgel,  das  Ciavier,  die 
clavierähnlichen  I.e,  die  Harfe,  Laute,  Guitarre,  Theorbe,  Zither  u.  s.  w.  in 
Betracht.  Den  ersten  Rang  behauptet  hier  unstreitig  die  Orgel.  Ihre  Be- 
stimmung ist  es,  musikalische  Ideen  zum  vollständigsten  und  höchsten  Ausdrucke 
zu  bringen  und,  da  sie  zu  diesem  Zwecke  das  allein  bewirken  soll,  wozu  ausser- 


Instrument.  ^Q9 

dem  die  verschiedensten  I.e  sich  vereinigen,  so  beruht  auch  ihre  Construktion 
auf  dem  Gresammt-Resultate  der  Erfahrungen,  welche  vereinzelt  bei  vielen  an- 
deren gemacht  worden  sind.  Ihr  Mangel  ist,  dass  ihre  Klangstärke  von  jeder 
Nüancirung  des  Tasten- Anschlages  unabhängig  ist;  der  sogenannte  »gefühl- 
volle« Vortrag  ist  auf  ihr  nicht  möglich.  Darin  ist  ihr  das  Ciavier  überlegen, 
welches  wieder  gegen  sie  durch  seinen  kurzen,  rasch  verklingenden  Ton  zurück- 
steht, der  in  noch  höherem  Grade  —  unbeschadet  ihrer  sonstigen  ergreifenden 
Klangfülle  —  bei  der  Harfe  stattfindet,  die  Tonwirkung  der  übrigen  harmo- 
nischen I.e  aber,  deren  Saiten  gerissen  oder  geschnellt  werden,  zu  einem  kalten 
Klimpern  abschwächt.  Begleitung  des  Gresanges  und  Ausfüllung  der  Harmonie 
neben  anderen  I.en  wird  im  Wesentlichen  der  Beruf  der  letzteren  bleiben. 
Von  den  Schlag-I.en  ist  hier  die  Pauke  zu  nennen,  welche  in  ihrer  jetzigen 
Gestalt  im  Orchester  nicht  vermisst  werden  kann,  zu  rechter  Zeit,  wie  die 
grossen  Meister  diese  zu  wählen  verstanden,  auch  die  rechte  Wirkung  nicht 
verfehlt  und  das  Anathem,  welches  vor  drei  Jahrhunderten  Virdung  gegen  sie 
geschleudert,  nicht  mehr  verdient. 

Die  Werthschätzung  der  einzelnen  I.e  überhaupt  richtet  sich  endlich  auch 
nach  dem  Orte,  wo  damit  musicirt  wird.  Was  kann  Herz  und  Sinn  des  echten 
Musikers  gründlicher  erfreuen  und  durchwärmen,  als  in  traulicher  Stube  das 
Streich- Quartett,  und  wie  jämmerlich  klingt  es  im  Freien,  während  umgekehrt 
die  Trompeten-Fanfare,  deren  helles  Schmettern  im  Freien  uns  kräftigend  und 
ermuthigend  bewegt  —  uns  in  Verzweiflung  brächte,  wollte  sie  sich  in  die 
Quartett  -  Stube  verirren.  Mit  Recht  wird  eben  so  für  die  Kirche  die  sanfte 
Oboe  der  schärfer  klingenden  Clarinette  vorgezogen,  welche  freilich  bei  der 
Seltenheit  guter  Oboisten  ihren  Platz  noch  lange  behaupten  wird.  —  Für  Ein- 
theilung  der  I.e  ist  weiter  maassgebend:  2.  die  Construction  derselben, 
ihr  Klangmaterial  und  die  Art  der  Klang-Erzeugung.  In  diesen 
Beziehungen  unterscheiden  wir: 

A.  Blas- I.e  (latein. :  Inßatilia,  griech.:  Pneumafica,  französ. :  instriimenfs 
ä  vent,  ital.:  stromenti  da  ßato,  da  ventoi).  Unter  diesen  versteht  man  diejenigen 
I.e,  bei  welchen  die  in  der  Röhre  derselben  enthaltene  Luftsäule  der  eigent- 
liche klingende  Körper  ist.  Im  Wesen  bestehen  sie  daher  alle  aus  einer  hohlen 
Röhre  und  ihr  Tönen  wird  dadurch  verursacht,  dass  die  in  der  letzteren  be- 
findliche Luftsäule  durch  einen  von  aussen  eindringenden  Luftstrahl  in  Vibration 
gesetzt  wird.  Hier  kommt  nun  Verschiedenes  in  Betracht:  a.  die  Art  der 
Einführung  des  tonerzeugenden  Luftstrahles  in  die  Röhre.  Sie 
geschieht  aa.  ohne  Mundstück  und  zwar  a.  durch  den  Anprall,  den  die 
Luftsäule  im  Innern  des  Rohres  an  den  entgegenstehenden  Kanten  erleidet, 
wenn  wir  mit  dem  Munde  durch  das  sogenannte  Mundloch  Luft  in  dasselbe 
einblasen,  —  bei  der  Flöte;  ^l  bei  der  Orgelpfeife  —  entweder  durch 
eine  einfache  Oeffnung  in  den  unteren  Theil,  den  sogenannten  Puss  der  Flöte, 
—  bei  welcher  Construction  ein  Theil  der  eingeblasenen  Luft  durch  den  Auf- 
schnitt entweicht  und  der  Rest  die  im  Körper  der  Pfeife  enthaltene  Luftsäule 
zur  Schwingung  bringt,  oder  dadurch,  dass  die  in  das  Mundstück  der  Pfeife 
eingesetzte  Metallzunge  mittelst  des  durch  den  Stiefel  und  das  Mundstück  ein- 
gedrungenen Luftstrahles  in  Vibration  geräth;  bb.  durch  ein  Mundstück. 
Dieses  kann  sein  «.  ein  Röhrchen ,  welches  aus  zwei  beim  Anblasen  in  Oscil- 
lation  gerathenden  Rohrblättchen  besteht  (doppeltes  Rohrblatt-Mundstück). 
Ein  solches  haben  Oboe  und  Fagott,  [i.  Eine  Kapsel  mit  eingeschlossenem 
Mundloch,  wie  bei  der  alten  Schalmey.  y.  Ein  Mundstück  mit  fester  Ober- 
lippe und  einfachem  Rohrblatt,  Schnabel  genannt,  —  bei  der  Familie  der 
Clarinette.  8,  Ein  kessel-  oder  trichterartig  auagetieftes  Metallstück,  Kessel 
genannt,  bei  den  sogenannten  Blech-I.en,  —  endlich  e.  ein  gedrehtes  Röhr- 
chen beim  Serpent,  der  Zinke  u.  s.w. 

b.  Als  ein  Gemeinschaftliches  aller  Blas-I.e  in  Ansehung  der 
Ton -Er Zeugung  rauss  hervorgehoben  werden,  dass  die  Schwingungen   der  in 


410  Instrument. 

den  E-öhren  enthaltenen  tönenden  Luftsäule  langsamer  oder  schneller  sind,  je 
nachdem  die  Eöhre,  beziehungsweise  deren  Luftsäule  —  vom  Mundstücke  bis 
zum  Schalltrichter  oder  irgend  einem  anderen  Ausströraungspunkte  gerechnet 
—  lang  oder  kurz  ist.  Dieser  Umstand  bestimmt  die  Höhe  oder  Tiefe  des 
Tones:  die  längere  Röhre  —  Luftsäule  —  erzeugt  den  tieferen  Ton,  die  an 
sich  kürzere  oder  künstlich  verkürzte  den  höheren.  Hiernach  kann  das  Princip 
der  sämmtlichen  ßlas-l.e  auf  oine  einfache  und  gerade  cylindrische  Röhre  zurück- 
bezogen werden,  in  welcher  die  Luft  wellenartig  abwechselnd  verdichtet  und 
verdünnt  wird.  Schon  sehr  früh  wurde  aber  von  der  Erfahrung  Gebrauch 
gemacht,  dass  die  in  einer  geschlossenen  Pfeife  schwingende  Luftsäule  dann 
sich  verkürzt,  wenn  man  ihr  Gelegenheit  verschafft,  mit  der  äusseren  Luft  sich 
zu  verbinden,  nach  aussen  zu  entweichen,  bevor  sie  den  Boden  der  Pfeife  ei-- 
reicht.  Diese  künstliche  Verkürzung  wird  durch  Tonlöcher  bewirkt.  Werden 
diese  einzeln  geöffnet,  so  geben  sie  verschiedene  Töne  und  diese  entsprechen 
in  ihrer  Höhe  oder  Tiefe  offenen  Pfeifen,  welche  so  lange  sind  als  die 
Entfernung  des  offenen  Endes  von  dem  eben  geöffneten  Tonlocho  beträgt. 
Es  ergiebt  sich  also  eine  weitere  Unterscheidung  der  Blas-I.e  ba.  in  solche, 
welche  aus  einer  einfachen  Röhre  ohne  Tonloch  bestehen,  welche  daher 
auch  nur  einen  einzigen  Ton  von  sich  geben  und  bei  welchen  die  Tonverschiedenheit 
entweder  durch  verschiedenes  Anblasen,  also  durch  Verschiedenheit  der  Lippen- 
schwingungen, wie  beim  Naturhorn  und  der  Trompete,  —  oder  unter  Beihülfe 
von  Zügen  und  Ventilen,  wie  bei  der  Posaune  und  den  verschiedenen  Ventil- 
Blech -I.en  hervorgebracht  wird;  bb.  in  Blas-I.e  mit  Tonlöchern,  welche 
letztere  offen  oder  mit  Klappen  gedeckt  sein  können.  Dieser  Gruppe  gehören 
die  sämmtlichen  Holzblas -I.e  an.  Die  höheren  Octaven  entstehen  bei  ihnen 
durch  Ueberblasen. 

c.  Die  Verschiedenheit  des  Materials,  aus  welchem  die  Blas-Le  ge- 
fertigt sein  können,  ist  vox'stehend  bereits  angedeutet.  Welche  aus  Holz,  welche 
aus  Metall  construirt  sind,  darf  als  bekannt  vorausgesetzt  werden.  Das  ver- 
schiedene Material  bewirkt  erfahrungsgemäss  auch  verschiedene  Klangfarben, 
und  es  gilt  dies  nicht  nur  für  die  Verschiedenheit  des  Materials  im  Allgemeinen, 
sondern  auch  für  die  Härte  und  "Weichheit  des  Holzes  und  Metalles,  wie  für 
die  Beschaffenheit  der  inneren  Oberflächen  der  Röhren:  je  nachdem  diese  mehr 
oder  weniger  glatt  ist,  wird  der  Klang  sich  heller  oder  rauher  dem  Rohr  ent- 
winden, d.  Die  Gestalt  —  Form  • —  der  Blas-I.e  ist  gleichfalls  verscliieden. 
Sie  sind  gerade  geformt,  im  Winkel  zusammengesetzt  (gekröpft),  einfach,  dop- 
pelt, bei  Blech-  F.cu  mehrfach  im  Cirkel  gewunden  oder  in  anderen  Formen 
durch  einander  geschlungen.  Die  Mehrzahl  der  Orchester -Blas-I.e  erweitert 
sich  an  ihrer  IMündung  zu  einem  Schallbecher  (Stürze),  der  namentlich  bei 
den  Blech-I.en  breit  ausladet,  ein  wesentlich  resonnanzgebender  Theil  ist  und 
auf  die  Klangfarbe  wirkt.  Auf  die  letztere,  keineswegs  auf  die  Tonhöhe,  hat 
auch  die  grössere  oder  geringere  Weite  der  Röhre  (Durchmesser  oder  Mensur) 
Einfluss ,  so  dass  z.  B.  der  Ton  einer  Trompete  mit  erweiterten  Röhren  voller 
wird,  dafür  aber  das  Helle  und  Durchdringende  des  ursprüngliclien  Metalltones 
einbüsst.  Die  Orgelpfeifen  sind,  was  ihre  Form  betrifft,  entweder  cylindriscli 
(prismatisch)  oder  nach  der  Mündung  conisch  (kegelförmig)  sich  erweiternd 
oder  oben  enger  als  am  Aufschnitte.  An  ihrer  Mündung  sind  sie  ganz  offen 
oder  ganz  gedeckt  oder  halb  offen  (halbgedeckt),  e.  Einige  wenige  Blas-I.e, 
Orgel,  Regal,  Positiv  und  Physharmonika  werden  mittelst  einer  Claviatur 
gespielt.  Die  Töne  der  Phybharmonika  werden  zwar  nicht  in  Röhren,  sondern 
durch  frei  schwingende  Zungen  erzeugt;  diese  werden  aber  gleichwohl  durch 
einen  Luftstrom  intonirt  und  so  hat  man  das  I.  mit  Recht  den  Blas -I.en 
beigezählt. 

B.  Saiten-T.e  (latein.:  instrumenta  enehorda,  ßdirinia,  ital.:  stromenti  da 
eorde  \^per  la  tensione] ,  französ.:  instruments  ä  cordcs).  Ihr  Wesentliches  im 
Gegensatze  zu  den  Blas-I.en  besteht  darin,  dass  bei  ihnen  nicht  eine  Luftsäule 


Instrument.  411 

als  klingender  Körper  in  Betracht  kommt,  sondern  dass  Darm-  oder  Metall- 
saiten durch  Schlagen,  Streichen  oder  Reissen  in  Schwingungen  versetzt  werden 
und  diese  Schwingungen  der  umgebenden  Luft  mittheilen.  Der  ßesonnanzkörper 
der  I.e  dient  zur  Verstärkung  des  Klanges,  der  ausserdem  kaum  hörbar  wäre. 
Die  Eintheilungsgründe  liegen  hier  am  Tage  und  können  kaum  umgangen 
werden.  Sie  finden  sich  a.  in  der  Art  der  Tonbestimmung.  Wir  haben 
aa.  Saiten-I.e  mit  Griffbrett.  Der  Spieler  bestimmt  auf  diesen  den  Ton  da- 
durch ,  dass  er  die  Saite  mit  einem  Finger  fest  auf  das  Griffbrett  drückt  und 
so  einen  dem  gewünschten  Ton  entsprechenden  Theil  derselben  abgrenzt. 
Dieser  Gruppe  gehören  Violine,  Laute,  Guitarre,  Zither  u.  s.  w.  an.  Das 
angegebene  Verfahren  gründet  sich  auf  die  Wahrnehmung,  dass  eine  Saite  um 
so  rascher  vibrirt,  je  kürzer  sie  gemacht  wird.  Wenn  sie,  mit  ihrer  ganzen 
Länge  schwingend,  40  Schwingungen  macht,  so  wird  sie  80  in  derselben  Zeit 
vollziehen,  wenn  ihr  schwingender  Theil  um  die  Hälfte  verkürzt  ist  und 
viermal  so  viel,  wenn  die  letztere  noch  einmal  gleichheitlich  getheilt  wird. 
Und  aus  dem  Umstände,  dass  die  Schwingungszahl  einer  Saite  im  umgekehrten 
Verhältnisse  zu  ihrer  Länge  steht,  ergiebt  sich,  dass  durch  Aufsetzen  der  Finger 
auf  die  Saite  beim  Spiele  der  Bogen-I.e  eine  Reihe  von  Tönen  mit  allen  denk- 
baren Mittelstufen  hervorgebracht  werden  kann.  Die  leere  Saite  giebt  den 
Grundton,  durch  Aufsetzen  des  Fingers  näher  dem  Stege  tritt  Verkürzung, 
durch  sein  Zurückgehen  nach  der  Schnecke  Verlängerung  der  schwingenden 
Saite  ein.  ab.  Be'  Saiten-I.en  ohne  Griffbrett  werden  die  Saiten  nur  mit 
ihrem  Grundton  benutzt,  sie  schwingen  stets  mit  ihrer  ganzen  Länge.  Dahin 
gehören:  Pianoforte,  Harfe,  Hackebrett  u.  s.  w. 

b.  In  der  Art,  wie  die  Saiten  in  Schwingung  versetzt  werden. 
Dies  geschieht  ba.  durch  Streichen  mit  einem  Bogen  bei  den  Bogen- 
oder  Streich-I.en  (ital.:  stromenti  d^arco).  Dahin  gehören  alle  Arten  der  Geige, 
sowie  die  mit  Streichmechanismus  und  Claviatur  versehenen  Bogenüügel  und 
Geigenclaviere.  Die  gespannte  Saite  wird  durch  den  mit  Harz  bestrichenen 
Bogen  aus  ihrer  Ruhelage  gezogen.  Indem  sie  dahin  zurückgehen  will,  erfasst 
der  Bogen  sie  aufs  Neue  und  nimmt  sie  fort,  bis  sie  wieder  zurückschnellt. 
Jeder  Hin-  und  Rückgang,  deren  sie  unzählige  in  der  Sekunde  ausführt,  erregt 
eine  neu  sich  fortpflanzende  Luftwelle,  die  in  Verbindung  mit  den  vorausge- 
gangenen W^ellen  den  Ton  erzeugt,  bb.  Durch  Reissen  oder  Schnellen 
mit  den  Fingern  oder  einem  Piektrum  —  bei  Harfe,  Laute  und  den 
Zitherarten.  Auch  der  jetzt  verschollene  bekielte  Flügel  wurde  auf  diese  Weise 
intonirt.  bc.  Durch  Schlagen  mit  einem  festen  Körper  —  die  soge- 
nannten krustischen  Saiten-I.e.  Dies  kann  geschehen  mittelst  der  Taugenten 
eines  Hammerwerkes,  wie  liei  den  clavierartigen  I.en,  oder  durch  Klöppel, 
welche  beim  Hackebrett  und  Pantaleqn  mit  freier  Hand  geführt  werden.  Die 
Construction  der  ersteren  bedarf  ausführlicher  Erörterung,  die  letzteren  sind 
ausser  Gebrauch  gekommen,  —  ihre  längere  Besprechung  wäre  daher  werthlos. 
bd.  Durch  einen  natürlichen  oder  künstlichen  Luftstrom  wird  die  Aeols- 
harfe,  das  Animochorde,  in  Oscillation  versetzt.  Endlich  be.  gleichzeitig  durch 
Bogen-  und  Hammerwerk  wurde  das  Bogen- Hammerciavier  zum  Klingen 
gebracht. 

C.  Schlag-,  Kling-  und  Klapper- I.e  (latein. :  instrumenta  pereussa, 
■pulsatilia,  ital.:  stromenti  per  la  percussione  \da  percossa],  französ.:  instruments 
ä  percussion).  Aus  der  Bezeichnung  dieser  schon  im  Eingange  kurz  gewür- 
digten Klangwerkzeuge  ergiebt  sich  von  selbst,  welche  damit  gemeint  sind. 
Triangel,  Holzharmouika,  Platten,  Becken,  Glocken  von  Glas  und  Metall,  Trom- 
meln, Tambourins,  Pauken,  Sistren,  Schellenstäbe,  Castagnetten  u.  dergl.  sind 
dieser  Klasse  beizuzählen.  Wie  sie  in  klingende  Bewegung  versetzt  werden, 
ist  bekannt.  Die  Pauken  haben  bestimmbare  Töne,  die  Glas -Glocken-  und 
Holzspiele  sogar  vollständige  Tonleitern,  welche  die  Ausführung  von  Melodien 
und  Accorden  möglich  machen.     Alle  anderen  bringen  nur  unbestimmte  Schalle 


412  Instrument. 

von  verschiedenem  Charakter,    d.  h.  dröhnende,    klappernde,    klirrende  u.  s.  w. 
Schalle  zu   Tag,  eignen  sich  daher  nur  zu  rhythmischer  Verwendung. 

D.  Andere,  zur  Einreihung  in  die  bisher  behandelten  Gat- 
tungen nicht  geeignete  I.e.  Wir  begreifen  hierunter  diejenigen,  welche 
von  denselben  in  der  Art  ihrer  Klangerzeugung  abweichen,  wenn  auch  ihre 
Klangkörper  wesentlich  nicht  davon  verschieden  sind.  Ihre  Töne  werden  an 
Scheiben,  Glocken,  Cylindern  oder  Köhren  nicht  durch  Blasen  oder  Schlagen, 
sondern  durch  einfache  Friktion ,  Streichen  mit  benetztem  Finger  oder  einem 
dessen  Stelle  vertretenden  Mechanismus  hervorgerufen.  Die  Harmonika,  das 
Euphon  und  der  Glasc)  linder  gehören  hieher.  Für  die  eigentliche  Tonkunst 
sind  sie  niemals  von  Bedeutung  gewesen,  —  die  beiden   letzteren  sogar  vergessen. 

Was  II.  die  Geschichte  der  I.e  betrifft,  so  ist  eine  die  Gesammtheit 
der  letzteren  umfassende  genaue  Darstellung  noch  nicht  erschienen,  wenn  auch 
in  verschiedenen  Älonographien  einzelne  Gattungen  und  Arten  eingehend  be- 
handelt sind  und  in  den  Werken  über  Geschichte  der  Tonkunst,  speciell  in 
der  trefflichen  »Geschichte  der  Musik«  von  Aug.  Wilh.  Ambros,  eine  Menge 
der  werthvollsten  Details  niedergelegt  ist.  Es  ist  mit  Recht  hervorgehoben 
worden,  welch  wichtigen,  für  den  Denker  wie  für  den  Fachmann  gleichmässig 
interessanten  Beitrag  zur  Geschichte  der  Entwickelung  des  menschlichen  Geistes 
eine  solche  Darstellung  liefern  müsste,  —  um  so  wichtiger  und  merkwürdiger, 
als  die  erste  Erfindung,  die  allmälige  Ausbildung  und  die  in  unseren  Tagen 
in  der  Hauptsache  wohl  erreichte  Vervollkommnung  der  Tonwerkzeuge  mit 
physischen  Bedürfnissen  des  Menschen  gar  nichts  zu  thun  haben  und  im  Gegen- 
theile  einem  Gebiet  angehören,  welches  ausschliessend  der  Entfaltung  inneren 
Lebens  und  dem  Streben  nach  immer  mannichfacherem  Ausdrucke  der  Be- 
wegungen des  Gemüthes  dient.  Allein  ein  solches  Werk  setzt  die  Ueberwin- 
dung  zahlreicher,  mitunter  kaum  zu  bewältigender  Hindernisse  voraus,  Es 
fehlt  in  erster  Reihe  fast  in  jeder  Richtung  an  ganz  bestimmten,  zu- 
treffenden Nachrichten.  Die  Musiker  aller  Zeiten  waren  nur  in  seltenen 
Fällen  auch  Schriftsteller.  Sie  waren  zufrieden,  ihrer  I.e  mächtig  zu  werden, 
sie  zum  Preise  der  Gottheit,  zum  Vergnügen  der  Menschen,  wie  zur  eigenen 
Lust  und  zu  eigenem  Gewinne  gut  zu  spielen;  sie  zu  beschreiben,  über  deren 
Erfinder  zu  berichten  und  zu  erzählen,  wie  die  verschiedenen  Tonwerkzeuge 
von  einem  Volke  zum  anderen  sich  verbreiteten,  wie  und  auf  welchen  Anlass 
hin  sie  allmälig  verändert,  verbessert  oder  vernachlässigt  wurden,  —  das  Alles 
natürlich  mit  stetem  Hinblick  auf  die  Fortschritte  der  Tonkunst  selbst  — ,  das 
konnte  ihre  Sache  nicht  sein.  Diejenigen  Autoren  aber,  welche  über  Musik 
schrieben,  geben  regelmässig  auch  nur  dürftige  Nachrichten  über  die  I.e  ihrer 
Zeit;  sie  befassen  sich  in  der  Hauptsache  fast  ausschliessend  mit  Fragen,  welche 
dem  Gebiete  des  Tonsatzes  und  seiner  Technik  angehören,  und  nur  nebenher 
erlangen  wir  Aufschluss  über  das  eine  oder  andere  I. 

Ein  weiterer  Uebelstaud  ergiebt  sich  aus  der  Bezeichnung  der  ein- 
zelnen so  überaus  zahlreichen  Tonwerkzeuge.  Das  Verzeichniss,  das 
wir  unten  beifügen ,  kann  Staunen  über  den  Reichthum  desfallsiger  Erfindung 
erwecken.  Gar  viele  von  den  Namen  gehören  aber  wohl  demselben  I.  an, 
welches  bei  oft  geringfügiger  Formveränderung  auch  andere  Benennung  erhielt, 
wogegen  dann  manch  anderer  Name  Verschiedenes  bezeichnen  mag.  Eine  Haupt- 
quelle für  die  I.en-Geschichte  wird  immer  in  den  Bauwerken,  Sculpturen 
und  Malereien  der  verschiedenen  Völker  und  Zeiten  zu  suchen  sein. 
In  Festzügen,  in  mythologischen  und  anderen  Darstellungen  u.  s.  w.  finden  wir 
die  ältesten  Formen  der  Saiten-,  wie  der  Blas-  und  Schlag -I.e,  wie  uns  bei 
Beschauung  späterer  Bildwerke  Abänderungen  jener  ursprünglichen  oder 
minder  entwickelten  Formen  nicht  entgehen  können.  Eine  Detaillirung  des 
gegebenen  historischen  Materials  wäre  niclit  am  Platze.  Die  kurze  Hervor- 
hebung einiger  weniger  Momente  kann  aber  nicht  umgangen  werden.  Dahin 
gehört  Folgendes: 


Instrument.  413 

A.  Zuvörderst  die  Walirnehmung,  wie  die  dem  Menschen  angeborene 
Anlage  zur  Tonkunst  sich  bei  allen  Völkern  ohne  Ausnahme  schon 
in  der  Periode  des  niedrigsten  Culturzustandes  äussert  und  zwar 
gleichmässig  äussert,  d.  h.  durch  Benutzung  der  gleichen  Mittel  und  —  bei 
Vermehrung  und  Vervollkommnung  der  letzteren  —  mit  Einhaltung  desselben 
Entwickelungsganges.  Die  Schlag-  und  Kling-I.e  machen  überall  den  Anfang, 
ihnen  folgen  in  rohester  Gestaltung  Flöte,  Hörn  und  Trompete,  denen  sich 
erst  später  als  ein  Merkmal  des  höheren  Bildungsgrades  die  Saiten-I.e,  zuerst 
natürlich  Harfen  und  Lyren  anschliessen,  Zufall  und  Bedürfniss  veranlassen 
fortschreitende  Veränderung  der  I.e,  deren  viele  nach  und  nach  vernachlässigt 
und  aufgegeben,  andere  aber  nach  mehrfach  versuchter  Umgestaltung  in  die 
einfachsten  Formen  gebracht  werden,  so  dass  schliesslich  die  Zahl  der  den 
höheren  Zwecken  der  Tonkunst  dienstbaren  I.e  —  Zeuge  dessen  ist  unser 
heutiges  Orchester  —  auf  ein  verhältnissmässig  geringstes  Maass  zurückgeführt 
ist.  Jenes  Bedürfniss  hat  sich  selbstverständlich  aus  den  Intentionen  der  Ton- 
dichter ergeben,  welchen  umgekehrt  die  verbesserten  I.e  Gelegenheit  zu  immer 
freierer  Durchführung  ihrer  Ideen  darboten. 

B.  Die  Anfänge  der  Instrumental-Musik,  daher  die  ersten  I.e,  sind  in 
den  Ländern  zu  suchen,  von  welchen  alle  Cultur  ausging,  —  also  bei  den 
Culturvölkern  Asiens  und  in  Aegypten.  Allen  voran  tritt  uns  China 
entgegen,  an  welches,  chinesischen  Einflüssen  unterworfen,  diese  aber  selbst- 
ständig verarbeitend  —  Japan  sich  anreiht.  Im  Laufe  vieler  Jahrhunderte 
haben  sich  die  I.e  dieser  Reiche  so  viel  wie  gar  nicht  verändert,  in  der  Gegen- 
wart spiegelt  sich  die  ganze  Vergangenheit,  Von  einer  Musik,  durch  welche 
Gefühle,  Gemüthsbewegungen  zum  Ausdrucke  gebracht  werden,  ist  hier  nicht 
die  Rede.  Dagegen  spricht  schon  die  grosse  Zahl  der  Lärm- I.e.  Welchen 
"Werth  man  aber  von  jeher  auf  die  Musik  gelegt,  dies  beweist  nicht  nur  die 
meisterhafte,  kunstreiche  und  mit  Anwendung  edlen  Metalles  ausgeführte  Arbeit, 
welche  man  an  den  I.en  dieser  Länder  zu  bewundern  hat,  sondern  auch  der 
Umstand,  dass  Anwendung  und  Behandlung  einzelner  I.e  sogar  durch  Gesetz 
und  obrigkeitliche  Ueberwachung  geregelt  sind.  Höchst  werthvolle,  zierlich 
und  wirklich  geschmackvoll  gearbeitete  Exemplare  namentlich  japanesischer  I.e 
enthält  das  ethnographische  Museum  in  München.  In  Indien,  dem  Lande 
überschwän glicher  Phantasie,  nahm  die  Entwickelung  der  Musik  einen  anderen 
Gang.  Der  Drang  nach  zarterem  und  wechselvollerem  Ausdrucke  des  bewegten 
Gemüthes  beseelte  den  Hindu  wohl  schon  in  frühester  Zeit  und  ihm  ist  wohl 
die  Entstehung  der  vielen  Blas-  und  I.e,  deren  Klangfarbe  nothwendig  sehr 
verschieden  sein  muss,  zu  verdanken.  In  Folge  Eindringens  des  Islams  haben 
arabische  Einflüsse  den  ursprünglichen  Zustand  wohl  vielfach  alterirt.  Die 
Musik  des  Islam  mit  ihren  I.en  fand  ihre  Vertretung  und  Verbreitung  durch 
das  hochbegabte,  phantasiereiche  und  ritterliche  Volk  der  Araber.  Von  ihnen 
hat  Europa  in  den  Kreuzzügen  seine  Kriegsmusik  geholt;  das  Zamr  (oder  die 
Zurna)  ist  die  Mutter  unserer  Oboe  und  im  Rebab  lag  der  Keim  unserer 
Geigen-I.e. 

Ueber  die  I.e  des  alten  Aegyptens  geben  Abbildungen  auf  Gräbern 
reichen  Aufschluss.  Sie  begründen  die  Vermuthung,  dass  dort  bei  religiösen 
Feierlichkeiten  auch  polyphones  I.enspiel  ohne  Gesang  schon  frühzeitig  üblich 
war.  Die  Harfe,  welche  auf  einigen  Bildwerken  in  prachtvoller  Ausstat- 
tung sich  darstellt  (s.  Aegyptische  Musik),  scheint  besonders  bevorzugt 
gewesen  zu  sein.  Uebrigens  kam  bei  allen  diesen  Völkern  und  ebenso  bei 
den  übrigen  semitischen  Völkern  Asiens  —  die  Hebräer  mit  eingerechnet  — 
die  Musik  noch  immer  nicht  als  selbstständige,  ihren  Zweck  in  sich  tragende 
Kunst  zur  Geltung;  es  wurde  bei  ihnen  musicirt  zur  Erreichung  ausser  der 
Musik  liegender  Zwecke,  —  wie  zur  Erhöhung  einer  Festesfreude,  zur  Be- 
gleitung feierlicher  religiöser  Akte  u.  dergl.  In  den  Rang  einer  den  übrigen 
Künsten  ebenbürtigen  Kunst  trat  sie  erst  bei  den  Griechen,  und  diese  Auf- 


414  lustrument. 

fassung  machte  sich  sofort  auch  im  Bau  und  in  der  successiven  Verbesserung 
der  griechischen  I.e  geltend. 

Das  I.en-Iuventar  des  griechischen  Orchesters  erscheint,  wie  Ambros  sich 
ausdrückt,  einfach  und  dürftig  gegen  den  bunten  Reichthum  des  ägyptischen 
oder  hebräischen  Orchesters;  aber  es  ist  diese  Dürftigkeit  nur  eine  scheinbare 
und  nur  ein  Beweis  des  echt  künstlerischen  Maasses,  das  die  Griechen  in  allen 
Dingen  beobachteten.  Lyra  und  Flöte  waren  es  ausschliessend ,  welche  der 
höheren  Musik  dienen  durften ,  und  andere  Klangwerkzeuge  waren  zur  Be- 
gleitung des  deklamatorischen  Gesanges,  in  welchem  der  Schwerpunkt  der  grie- 
chischen Tonkunst  lag,  nicht  nöthig.  Die  verschiedenen  Formen  jener  I.e, 
selbst  zu  Kunstgebilden  gestaltet,  sind  uns  in  den  antiken  Bildwerken  über- 
liefert. Erst  der  späten  griechischen  Zeit,  dem  2.  Jahrhundert,  gehört  die 
Erfindung  der  Orgel  an,  welche  jedoch  bei  den  Alten  zu  höherer  Verwendung 
nicht  gelangte.  Die  Römer  hatten  Musik  und  I.e  Etruskern  und  Griechen 
zu  verdanken;  für  Erfindung  oder  wesentliche  Fortbildung  fehlte  ihnen  Anlage 
und  Neigung.  Zu  eigentlicher  Blüthe  und  wundersamer  Entwickelung  schritt 
die  Tonkunst  in  ihrem  ganzen  Umfange  erst  in  der  christlichen  Zeit  vor. 
Dieser  Periode  gehört  auch  die  selbstständige  Ausbildung  der  Instrumental- 
musik an,  deren  stets  gesteigerte  Cultur  in  der  Gegenwart  wohl  ihren  Gipfel- 
punkt haben  dürfte.  Wie  die  verschiedenen  Tonwerkzeuge  bis  zu  ihrer  der- 
maligen Gestalt  und  Wirkung  herangebildet  wurden,  dies  zu  zeigen,  überschritte 
den  für  dies  Werk  vorgeschriebenen  Raum  und  ist  bereits  auch  bei  Besprechung 
der  einzelnen  I.e  mehr  oder  weniger  gewürdigt  worden. 

Verzeichniss  der  musikalischen  I.e  der  Culturvölker  von  der  ältesten  Zeit 
bis  in  das  19.  Jahrhundert. 

A.  China,  a.  Blas-Instrumente.  1.  Yo,  Flöte  mit  3,  später  6  Seiten- 
löcheru,  der  Länge  nach  zu  blasen.  2.  Tsche,  Flöte  mit  dem  Mundloch  in 
der  Mitte  und  drei  Tonlöchern  an  jeder  Seite  desselben;  die  beiden  Enden 
sind  geschlossen.  3.  Siao,  Panspfeife  aus  16  Bambusröhren.  4.  Hiüen_,  uralt- 
ehrwürdiges I. ,  hat  die  Form  eines  Gänseeies,  ist  aus  Thon  gebrannt,  oben 
ofi'en,  mit  drei  Tonlöchern  an  der  Vorderseite,  mit  zwei  solchen  an  der  Rück- 
seite versehen,  lässt  die  fünf  Töne  der  alten  chinesischen  Scala  hören.  5.  Cheng 
oder  Tseheng,  ein  Mittelding  zwischen  einer  Panspfeife  und  einer  kleinen 
Orgel,  zugleich  Normal-  und  Stimmungs-I.  für  alle  anderen.  6.  Koan,  eine 
Art  Oboe  mit  einem  Rohrblatte,  b.  Saiten-Instrumente.  1.  Che  (Tsche, 
d.  h.  »wunderbar«),  ein  tafelförmiges  Psalter,  2,8  Meter  laug,  ursprünglich  mit 
50,  später  mit  25  Saiten  bezogen.  2.  Kin,  mit  flachem  Boden  und  gewölbter 
Decke,  hat  25  Saiten  aus  gedrehter  Seide.  Als  Erfinder  beider  gilt  Fo-hi. 
c.  Schlag-,  Kling-  und  Klapper-Instrumente.  1.  Ou,  Tiger  mit  ge- 
kerbtem Rücken,  hölzernes  Rassel -Werkzeug.  2.  Kou,  Trommel  von  meist 
riesiger  Grösse.  3.  Po-fu,  Handtrommel.  4.  King,  verfertigt  aus  klingenden, 
reihenweise  aufgehängten  Steinen,  die  mit  Klöppeln  angeschlagen  werden. 
5.  Pang-hiang,  aus  Holzplatten.  6.  Tschou,  ein  Rasselkasten.  7.  Tsohoung- 
tou,  Klapper  aus  12  Brettchen.  8.  Tsang-Kou,  ganz  kleine  Trommel  in  Ge- 
stalt einer   Sanduhr.     9.  Verschiedene  Glockenspiele. 

B.  Japan,  a.  Blas-Instrumente.  1.  Tseheng,  kleines  tragbares  Orgel- 
werk, dem  chinesischen  Tseheng  gleichend,  davon  nur  durch  das  kurze  starke 
Mundstück     verschieden.     In     koraitischer    Mundart     heisst    es    Saing-Hwang. 

2.  Flöten  verschiedener  Art  aus  Holz  und  Bambus,  Lang-  und  Querflöten, 
theils  mit  vier,  theils  mit  sieben   Tonlöchern.     Der   koraitische  Name  ist   Tjö. 

3.  Trompetenartige  Oboe  mit  weit  geöff'netem  Schallbecher,  sieben  Tonlöchern 
und  einem  Mundstück  aus  Rohr.  4.  Rauh  tönende  Trompete,  wozu  eine  mit 
kurzem  Mundstücke  versehene  Seemuschel  dient,  b.  Saiten -Instrumente. 
1.  Koto,  identisch  mit  dem  chinesischen  Kin,  jedoch  ärmer  an  Saiten  und 
roher  in  der  Form.  Man  unterscheidet  die  Arten  Kin-Koto  und  Jamato-Koto, 
deren  erstes  13  Saiten  und  einen  gewölbten  Schallboden  hat,  das  letztere  aber 


Instrument.  415 

sich  auf  ein  mit  sechs  Saiten  bezogenes  Brett  beschränkt.  2.  Samisen,  eine 
Art  Laute,  dreisaitig,  mit  einem  spatelartigen  Piektrum  gespielt.  3.  Kokiu, 
dem  vorigen  ähnlich,  dessen  Saiten  durch  einen  Rosshaarbogen  intonirt  werden. 
4.  Biwa,  viersaitig,  einer  halbirten  Feige  oder  Birne  ähnlich  geformt.  Die 
drei  zuletzt  genannten  dienen  vorzugsweise  zur  Begleitung  des  Gesanges, 
c.  Schlag-,  Kling-  und  Klapper-Instrumente  der  verschiedensten  Art 
und  Form,  als  Trommeln  auf  Grestellen  wie  zum  Umhängen,  Tambourins, 
cylinderförmige  Pauken,  Lärmbecken  und  Metallteller  an  Gerüsten  aufgehängt, 
Handlärmbecken,  grosse  Glocken,  ein  Instrument  in  Gestalt  eines  angeketteten 
Seefisches  u.  s.  w. 

C,  Indien,  a.  Blas-Instrumente.  1.  Basaree,  die  sogenannte  Flöte 
Krishnas,  eine  Schnabelflöte  mit  sieben  Tonlöchern,  stammt  aus  der  ältesten 
Zeit  Hindostans.  2.  Tumeri,  Doppelflöte,  deren  Röhren  aus  einem  hohlen 
Kürbis  oder  einer  Cuddo-Nuss  hervorragen.  3.  Suling  und  4.  Garinding, 
auf  Java  übliche  Flötenarten,  die  letztere  ^/t  Fuss  lang  aus  Bambus  mit  Zungen- 
mundstück. 5.  Tare,  Posaune  von  dumpfem,  klagendem  Tone,  bei  Trauer- 
feierlichkeiten angewendet.  6.  Buri,  7.  Tutare  und  8.  Combou,  Arten  von 
Kriegstrorapeten.  9.  Qankha,  alterthümliche  Muscheltrompete,  in  den  Küsten- 
strichen, endlich  10.  gekrümmte  Hörner,  bei  den  Gebirgsbewohnern  im  Ge- 
brauche. 11.  Wagassaran,  12.  Karna,  13.  Otou,  14.  Bilan  und  15.  Cojel, 
zur  Begleitung  von  Gesang  und  Tanz  dienende  Flötenarten.  16.  Turti,  schal- 
meienartig. 17.  Matalan  und  18.  Tal,  gleichfalls  Flöten,  die  letztere  wegen 
ihres  hellen  Tones  zur  Markirung  des  Taktes  dienend,  b.  Saiten-Instru- 
mente. 1.  Vina,  der  Guitarre  oder  Laute  ähnlich,  sinnreich  ausgebildet,  mit 
sieben  Saiten.  2.  Serinda,  dreisaitige  Geige  mit  einem  seltsam  geformten 
Schallkasten.  3.  Ravanastron,  zweisaitige  Violine.  4.  Magoudi,  eine  Art 
Guitarre.  5.  Rebab  (Java),  Bogen-I.  mit  zwei  Saiten.  6.  Patola,  birmanische 
dreisaitige  Guitarre  mit  einem  Schallkasten  in  Eidechsen-  oder  Alligatorsform. 
7.  Takkag,  siamesisch,  entspricht  der  birmanischen  Patola.  8.  Galempung 
(Java),  dem  chinesischen  Kin  ähnlich,  mit  10  bis  15  Saiten  bespannt, 
c.  Schlag-,  Kling-  und  Klapper-Instrumente.  1.  Udukai,  Trommel 
zum    Tempeldienste.     2.  Naguar,    hölzerne    Pauke.      3.  Tamtam,    flache,    und 

4.  Dole,  längliche  Trommel.  5.  Talan,  Schallbecken.  6.  Gong,  grosser  Metall- 
kessel, der  frei  aufgehängt  und  mit  einem  Klöppel  oder  Hammer  angeschlagen 
wird.  7.  Kumpul,  grosse  Metallplatte.  8.  Gender,  bestehend  aus  eilf  auf 
Schnüren  aufgezogenen  Metallplatten,  umfasst  eine  Tonreihe  von  zwei  Octaven. 
9.  Garabang,  16  Holz-  oder  Metallplatten,  die  nach  der  Scala  gestimmt  und 
mit  zwei  Klöppeln  geschlagen  werden.  10.  Gambang -  Kayu ,  18  Holzplatten 
mit  dem  Umfang  von  drei  Octaven  und  einer  grossen  Terz.  11.  Saron, 
12.  Damong  und  13.  Selantam,  ähnliche  Schlag-I.e. 

D.  Arabien,  a.  Blas-Instrumente.  1.  Zamr  oder  Zurna,  Oboenart 
mit  zehn  Tonlöchern.  2.  Erakich,  dem  vorigen  ähnlich,  aber  mehr  clarinetten- 
artig.  3.  Nay,  berühmte  Flöte,  der  Länge  nach  geblasen,  in  verschiedener 
Grösse  und  nach  dieser  verschieden  bezeichnet,  als  Flöte  der  Bettler,  Derwische, 
Musikanten    u.  s.  w.      4.  Nay-Daud,    Davids-Flöte,    eine    Art    der    vorigen. 

5.  Chabbabeh  oder  Suffarah,  Schnabelflöte.  6.  Nefyr,  Trompete  mit  gedrehtem 
Rohre,  Schallbecher  und  Mundstück,  wesentlich  der  europäischen  gleichend. 
7.  Argul,  Doppelflöte.  8.  Sumara,  desgl.  9.  Bok,  eine  Art  Oboe.  10.  Ar- 
ganun,  eine  Sackpfeife.  11.  Viererlei  Hörner,  deren  einfachste  Art  Pai-sutur 
heisst  und  wozu  auch  Ssur,  die  sogenannte  Gerichtsposaune,  zu  rechnen  ist. 
b.  Saiten-Instrumente.  1.  L'eud  oder  El'eud  (»das  Holz«),  die  arabische 
Laute.  2.  Tanbur,  guitarrenähnlich ,  mit  langem  dünnen  Halse  und  kreis- 
rundem oder  ovalem  Körper,  3.  Kanun,  eine  Art  Hackebrett,  mit  75  Draht- 
saiten bezogen,  deren  je  drei  in  demselben  Ton  gestimmt  sind.  4.  Santur  oder 
Santir,  dem  vorigen  ähnlich.  5.  Rebab,  kleine  Geige  mit  einer  oder  zwei 
Saiten:    im    ersteren  Falle  y>rebab  eck  chaern,   Rebab  des  Dichters,    im  zweiten 


416  Instrument. 

•nrehah  el  mofjliannivi,  Rebab  des  Sängers,  genannt,  dient  ausschliesslich  zui*  Be- 
gleitung des  Gesanges  oder  der  Recitation.  Vorläufer  unserer  Violine.  6.  Ke- 
mangeh  a  guz,  Bogen-I.  mit  zwei  Rosshaarsaiten.  7.  Kemangeh  farkh  oder 
soghiar,  der  vorigen  ähnlich.  8.  Marraba,  einsaitig,  dient  zugleich  als  Geige 
und  Trommel  c.  Schlag-,  Kling-  und  Klapper-Instrumente.  1.  Na- 
karieh,  Kesselpauke.  2.  Darbxikah  (Durbekke),  kleine  Handpauke,  o.  Doeff, 
kleine  Handtrommel.  4.  Kas,  grosse  Schallbecken.  5.  Cymbeln  von  Metall 
in  kleiner  Form,  welche  gleich  Castagnetten  an  den  Fingern  befestigt  und  zur 
Begleitung  des   Tanzes  an  einander  geschlagen  werden. 

E.  Aegypten.  a.  Blas-Instrumente.  1.  Mam  oder  Mem,  Langflöte. 
2.  Setai,  Schrägflöte.  3.  Argul,  Doppelflöte.  4.  Giglaros  (Niglaros),  eine  kleine 
Flötenart.  b.  Saiten-Instrumente.  1.  Tebuni,  Harfe,  im  Verlaufe  der 
Zeit  zu  schönster  Form  ausgebildet.  2.  Nabla,  Guitarre,  Maudoline  oder  Laute, 
mit  zwei  bis  drei  Saiten  bezogen.  3.  Lyra,  mit  einem  Bezüge  von  3,  4,  5  bis 
zu  8  und  9  Saiten.  4.  Eine  trianguläre  Harfe.  5.  Eine  fünfsaitige  Laute  mit 
vorgebogenem    Halse,     c.   Schlag-,    Kling-    und     Klapper-Instrumente. 

1.  Leichtgekrümmte  Klapperhölzer.  2.  Handpaukeu.  3.  Das  Sistrum.  4.  Ka- 
baro, kleine  Trommel.     5.  Nogareet,  eine  Art  Kesselpauke. 

F.  Asiatische,  insbesondere  semitische  Völker,  und  zwar  I.  Assy- 
rien, Babylon,  Persien  und  Medien,  Phönicier,  Syrer  und  Phryger. 
a.  Blas-Instrumente.      1.  Sumphoneia    (sympJioneia) ,    eine    Art    Sackpfeife. 

2.  Medische  Hirtenflöte.  3.  Abobas,  4.  Elymas,  phrygische  Flöte.  5.  Lyra 
der  Lydier,  siebensaitig,  mit  der  griechischen  Pektis  identisch,  unter  welchem 
Namen  das  I.  auf  die  Griechen  überging,  b.  Saiten-Instrumente.  1.  Lyren 
und  Harfen  der  Assyrer,  den  ägyptischen  ähnlich  (s.  Assyrische  Musik). 
2.  Sambuka  (Sambyke),  babylonische  Harfe  oder  Zither.  3.  Kinnor,  phöni- 
cische  dreieckige  Harfe,  c.  Schlag-,  Kling-  und  Klapper-Instrumente. 
Pauken  und  Cymbeln. 

IL  Hebräer,  a.  Blas-Instrumente.  1.  Chalil,  kleine,  und  2.  Ne- 
kabhim,  grössere  Flöte.  3.  Maschrokita,  Doppelflöte,  vielleicht  auch  eine  Art 
Panspfeife.  4.  Magrepha  —  oder  Ugab  —  nach  den  Talmudisten  eine  Art 
von  Orgel;  nach  Anderen  nur  eine  Pauke  von  sehr  starkem  Klang.  5.  Ch.a- 
zozra  oder  Asosra,  gerade  Trompete  aus  Holz,  Kupfer  und  Silber.  6.  Schofar, 
stark  gekrümmtes  Hörn.  7.  Keren,  Hörn  von  geringerer  Biegung.  8.  Abub 
oder  Abhub,  Zinken.  9.  Die  Sackpfeife  (sumphoneia)  der  Babylouier.  b.  Saiten- 
Instrumente.  1.  Harfe,  mit  dem  phönicischen  "Worte  Kinnor  bezeichnet, 
daher  ziemlich  identisch  mit  dem  gleichnamigen  I.  der  Phönicier.  2.  Hasur, 
die  Zither.  3.  Nebel,  Nablum,  Psalter,  wohl  einerlei  mit  dem  arabischen  Kanun. 
4.  Minnim,  angeblich  eine  kleine,  mit  dem  Bogen  gespielte  Geige.  5.  Scha- 
lischim,    dreisaitiges    L,    über    dessen    Spielart    nichts    Zuverlässiges    vorliegt. 

6.  Machol,  Art  Guitarre  oder  Viole,  was  aber  theilweise  wieder  bestritten 
ist.  Endlich  7.  Asor  oder  Nebel -Nassor,  mit  zehn  Saiten  bespanntes  und 
mit  einer  Feder  gespieltes  Psalter,  c.  Schlag-,  Klingel-  und  Klapper- 
Instrumente.  1.  Toph,  Handpaukeu,  I.e  des  Jungfrauen-Chores.  2.  Maanim, 
wahrscheinlich  ein  Klingel-I.  3.  Meziloth  und  4.  Tseltselim,  Glocken-  und 
Schellen -Werkzeuge.  5.  Verschiedene  grössere  Pauken  und  Cymbeln,  unter 
welch  letzteren  man  sich  halbkugelförmige  Becken  zu  denken  hat. 

G.  Griechen  und  Lateiner.  a.  Blas-Instrumente.  aa.  Aulos, 
Tibia,  Flöte,  unterschieden  nach  ihren  Arten :  1.  Monaulos,  einfache,  2.  Di- 
aulos,  Doppelflöte.  3.  Dorisehe,  lydisehe,  phrygische  Flöte  nach  den  Län- 
dern, wo  sie  gebraucht  wurden,  oder  den  Tonarten,  für  welche  sie  gestimmt 
waren.  4.  Je  nach  ihrer  Aehnlichkeit  mit  der  Klangfarbe  der  MenBchcnstimmc 
—  Jungfrauen-,  Knaben-,  Männerflöte.  5.  Querflöte  —  Plagiaulos. 
ab.  Pfeifen,    Schalmeyen:    6.  Syrinx,    Fistula,    Calamos,    die  Rohrpfeife. 

7.  Syringa  Panos,  Sieben-  oder  Panspfeife.  8.  Bombyx,  Schalmey.  ac.  Zin- 
ken   und    Trompeten:    9.  Keras,    Hörn,    Zinkenart.     10.  Salpinx,    Tuba, 


Instrument.  417 

Bueeina,  auch  Lituus,  Trompeten  -  Arten.  Davon  gab  es  wieder  argivische 
(gerade),  ägyptisclie  (krumme),  celtisclie  Carnyx,  mediscLe,  paplilagonische,  tyr- 
rheiiische,  diese  wohl  identisch  mit  einer  gleichnamigen  Flöte.  11.  Hydraulos, 
Organon  hydraulicon,  AVasser- Orgel,  damals  lediglich  dem  Luxus  der  Grossen, 
keineswegs  dem  Cultus  dienend,  b.  Saiten- Instrumente.  1.  Lyra,  das 
griechische  Haupt-I.  in  verschiedener  Form,  Grösse  und  Besaitung  als  Pektis, 
Magadis,  Simmikon,  Trigonou,  Phorminx  u.  s.  w.,  das  Monochord  ohne  Zweifel 
identisch  mit  der  Magadis.  2.  Kithara,  Zither.  3.  Psalterion.  4.  Epigonion, 
epigonium.  5.  Nabla,  ähnlich  dem  hebräischen  I.  dieses  Namens.  6.  Chelys, 
Laute.  7.  Bartoiton,  wahrscheinlich  einerlei  mit  der  Sambuca.  c.  Schlag-, 
Kling-  und  Klapper-Instrumente.  1.  Tympanon,  tympanum,  Pauke. 
2.  Tympanion  (-ium),  kleine  Pauke.  3.  Kymbalum,  Cymbel,  —  becken-  und 
castagnettenartig.  4.  Krotalon,  crotalum,  Klapper-I.  5.  Acetatoulnm  (Oxi- 
haphon  musiken)  oder  armonion.     6,  Sistrum  —   tintinabulum. 

H.  ßussland.  a,  Blas-Instrumente.  1.  Walinka  oder  Walnika, 
Dudelsack,  2.  Dutka  oder  Schweran.  b.  Saiten-Instrumente.  1.  Bala- 
laika, Lautenart.  2.  Guddok,  dreisaitige  Violine.  3.  Gussei,  Gusli,  Zither- 
Art.  4.  Pandure,  Laute.  5.  Rilek,  Kilch,  E.ilok,  Belka,  —  Bauernleier, 
c.  Schlag-,  Kling-  und  Klapper-Instrumente.  1.  Trommel.  2.  Tor- 
ropil,  Brummeisen. 

I.  Türkei.  Ausser  den  arabischen  Instrumenten:  a.  Blas-In- 
strumente. 1.  Samara,  Doppelflöte  mit  ungleich  langen  Röhren.  2.  Samara 
el  Kurbe,  Art  Sackpfeife.  3.  Salamanie,  Flöte.  4.  Surme,  Oboe.  5.  Trom- 
pete,   ähnlich    unseren    alten    langen,    gleichfalls  surme    genannt,     6.  Meskal. 

b.  Saiten-Instrumente.  1.  Tambura,  Icitali,  zweisaitig.  2.  Sewuri,  mit 
fünf,  3.  Baglama,  mit  drei  Metallsaiten.  4.  Sine-Keman,  Bogen -I.,  eine  Art 
von    Viole    d^amour   mit    Eesonnanz- Saiten.      5.    Ajahli-Keman.      6.    Kussir. 

c.  Schlag-,  Kling-  und  Klapper-Instrumente.  1.  Tabbel,  grosse  Trom- 
mel.    2.  DofF,  Döff,  Handpauke. 

K.  Instrumente  der  europäisch-abendländischen  Völker  und 
zwar:  I.  Alte,  welche  vor  1700  oder  kurz  nachher  erfunden  und 
gebraucht,  jetzt  aber  —  mit  einigen  Ausnahmen  —  ganz  abgekommen 
oder  wesentlich  verbessert  und  umgestaltet  sind,  a.  Blas-Instru- 
mente. aa.  Mit  dem  Munde  angeblasen:  1.  Block-,  Bloch-,  Plock-Plöte 
in  acht  Grössen  als  Grossbass-,  Bassflöte,  Basset-,  Tenor-,  Alt-,  (zwei)  Discant- 
flöte,  klein  »Exilent«.  2.  Flute-ä-bec,  ßüte  douce,  Art  der  vorigen.  3.  Dolz- 
oder  deutsche  Flöte.  4.  Traversa,  Querflöte  alter  Art  in  vier  Grössen,  als 
Bass-,  Tenor-,  Alt-  und  Discantflöte.  5.  Schweitzerpfeiff,  eine  Querflöte. 
6.  Bamentien-Sehwegel,  Schwiegel,  in  zwei  Grössen,  als  Bass-  und  Discant- 
pfeife.  7.  Calandrone,  eine  Flöte  der  italienischen  Nation,  8.  Cornetto, 
Zinken -Cornon,  Cornetto  torto ,  grosser  Zink.  Chor-  und  klein  Discant- Zink. 
Gerader  Zink  mit  Mundstück.  Stiller  Zink  —  cornetto  mutto.  9.  Schalmey 
(Pifi"aro,  Gingrina),  in  zwei  Grössen,  als  Discant  und  klein  Exilent.  10.  Oboe, 
Ob.  da  caecia  (englisches  Hörn),  in  vervollkommneter  Gestalt.  Oboe  d'amore, 
ausser  Gebrauch,  11.  Corneamuse,  Sackpfeife  in  fünf  Grössen,  zwei  für  Bass, 
zwei  für  Tenor,  Alt  und  Gant,  12.  Dolciano,  Doloe  suono,  Fagotto,  in 
vier  Grössen,  als  Doppel-  oder  Quintfagott,  Gross-  oder  Quartfagott,  Chorist- 
fagott, Corthol-  oder  Doppelcartholfagott,  Fagotto  piccolo  oder  Singel-Corth. 
13.  Sordoni,  Sordunen,  in  fünf  Grössen,  als  Grossbass,  Bass,  Tenor,  Alt  und  Dis- 
cant, Kort-I.  14.  Doppiani,  Bassauelli  in  drei  Grössen,  Bass,  Tenor  und 
Alt,  Cant.  15.  Krummliorn,  Cornamuto  torto,  Storto,  in  fünf  Grössen,  Gross- 
bass, Bass -Chorist,  Tenor  und  Alt,  Cant,  klein  Exilent.  16.  Raketto, 
Kacket,  Ranket,  in  vier  Grössen,  als  Grossbass,  Bass,  Tenor  und  Alt,  Cant. 
17.  Sekryari,  in  vier  Grössen,  Bass,  Tenor,  Alt,  Discant.  18.  Bombarden, 
Pommern,  Bombyces  in  vier  Grössen,  als  Grossbass,  Bass,  Basset  oder  Nicolo, 
Kleiu-Alt.     19.  Cornamusa,    Sackpfeife,    musetta  in  fünf  Arten,    Gross-Bock, 

MusikaJ.  Coavers. -Lexikon.    V.  27 


418  Instrument. 

Bock,  Schaperpfeiff,  Hummelchen,  Dudey.  Eine  weitere  Art  führt  den  Namen 
y>Loure<i.  20.  Jäger -Trummet.  21.  Feld  -  Trummet.  22.  Gerade  hölzerne 
Trompete.  23.  Jägerhorn,  corno  da  caccia.  24.  Türmerhorn.  25.  Clareta. 
26.  Busaun,  Posaune  iu  vier  Grössen.  27.  Chorns.  2b.  Frestele,  Fretiau 
(der  Menestrier's  des  12.  und  13.  Jahrhunderts),  ab.  Mit  Blasbälgen  an- 
geblasen und  mittelst  Claviatur  intonirt:  1.  Organum  hydraulicum, 
AVasserorgel  bis  800.  2.  Organum  pneumaticum,  Windorgel,  nach  alter  Art 
Mixturorgel  mit  ungetheiltem  Hiutersatze  bis  Ende  des  14.  oder  Anfang  des 
15.  Jahrhunderts.     3.  Regal,  Bibel- Regal.     4.  Positiv. 

b.  Saiten-Instrumente,  ba.  Mit  dem  Finger  gerissen:  1.  Mono- 
chordum,  Magas,  Eiusaiter.  2.  Harpe,  Gigue,  Rote,  drei  harfen-,  lauten-  und 
zitherartiire  I.e  der  französischen  Meuestriers  im  12.  und  13.  Jahrhundert. 
3.  Psalterium,  Psalter  von  verschiedener  Gestalt  und  Saitenzahl.  4.  Arpa, 
Harfe.  Einfache,  irländische;  Doppelharfe.  5.  Consonante,  Harfe.  6.  Laute, 
Liuto,  CJielys,  Testudo,  Oud,  von  verschiedener  Saitenzahl.  Testudo  theorbata, 
eine  Laute  mit  langem  Theorbeukragen  —  mit  Abzügen.  Archileuto,  Gross- 
bass-Laute.  7.  Quinterna,  8.  Pandora,  Baudoer,  9.  Pandurina,  Pandürcheu, 
10.  Caliehon,  11.  Angelique,  verschiedene  Lauten-Arten.  12.  Theorba,  lange 
romanische,  auch  paduanische  Citharonne.  13.  Apollon,  Theorben-Art. 
14.  Cithara,  Cetera,  Zither.  Französische.  Gemeine  italienische.  Altitalieuischc, 
Deutsche  (öithara  tedesca).  Fünfchörige.  Sechschörige,  grosse  und  kleine, 
Zwölfchörige.  Klein  »englisch  Zitterlein«,  Guitarrc.  15.  Penorcon  und  16.  Or- 
pheoi'eon,  Zitherarten.  17.  Turlurette  und  18.  Cheorette,  Guitarrenarten. 
19.  Colascione.  20.  Calissoneini.  21.  Scheitholt.  22.  Armonie,  bei  den 
Menestrier's  im  12.  Jahrhundert,  bb.  Mit  Hämmern  geschlagen:  1.  Hacke- 
brett, deutsches,  Psalter,  Cymbal.  2.  Pantaleon.  3.  Alto  Basso.  bc.  Mit 
Claviatur:  1.  Clavicordium ,  Ciavier,  2,5-,  auch  1,25  metrig  (Octav-I.leln), 
zuweilen  mit  unterschiedeneu  Semitouien  (efic?!^).  2.  Spinetta,  Esyinetie,  Spi- 
nett,  auch  »I.«  in  specie;  bei  den  Niederländern  Virginal  genannt.  3.  Clavi- 
cembalum,  Cembalo,  Glavessin,  Glavecin,  Flügel,  bekielter  Flügel  (instrumcntum 
pennatum),  mit  Docken-  und  Kabenkielen.  4.  Clavicytherium ,  Ciavierharfe, 
aufrechtstehend.  5.  Cembalo  onnlcordo  oder  Proteus,  und  6.  Clavicembalo 
universale  seu  perfectum,  beide  mit  unterschiedenen  Semitonien.  7.  Arci- 
cembalo.  8.  Pentecontaeordon.  9.  Arpieord.  10.  Clavi  Organum,  Saiten- 
mit  Flötenwerk  verbunden.  11.  Nürnbergisch  Geigen-  oder  Gambenwerk  von 
Hans  Heyden.  12.  Ciavier- Gambe.  13.  Bauernleyer,  lyra  tedesca,  Vielte. 
bd.  Bogen-Instrumente:  1.  Crwth,  Ghrtidh,  cruit,  engl.:  crowd,  Rotta  oder 
Botte,  ein  den  keltischen  Volksstämmen  eigenthümliches  Geigen-I.,  später  auch 
fldula,  vidula,  Vioel,  Fiedel  genannt,  —  die  Vorläuferin  der  heutigen  Viola 
und  Violine.  2.  Rebec,  Rebeb,  Erb.  3.  Rebeccino,  Viola  piccola,  Discant- 
geige,  Violine.  4.  Poschetto,  kleine  Posche,  Taschengeige,  Brettung,  Klein 
»Exilent«.  5.  Viola  da  Braccio,  Armgeige,  Gi'oss-Quintbass,  Bass,  Tenorgeige, 
—  die  heutige  Viola.  6.  Viola  da  Gamba,  Grossbass,  sechssaitiger  Kleinbass, 
Tenor,  Alt,  Discant.  7.  Viola  bastarda.  8.  Lira  da  gamba.  9.  Lira  da 
braccio.  10.  Lirone  perfetto,  Arce  violira,  Arce  viola  telire.  11.  Gross- 
Contrabass  -  Geige ,  fünfsaitig.  12.  Altobasso.  13.  Accordo.  14.  Lira  bar- 
berina,  amphlcordam.  15.  Deutscher  Bass.  16.  Baryton,  Viola  di  bordune. 
17.  Viola  di  spalla.  18.  Viola  d'amore,  Viole  d'amour,  Liebesgeige,  mit  Re- 
sonnanz- Drahtsaiten.  19.  English  Violet,  Art  der  vorigen.  20.  Tromba 
marina,  Meertrompete,  Trompetengeige.  21.  Schlüssel-Fiedel,  be.  Mittelst 
eines  natürlichen  Luftstromes  intonirt.      1.  Die  Aeolsharfe. 

c.  Schlag-,  Kling-  und  Klapperins.trumente.  1.  Campana,  Glocke. 
2.  Organe  di  campane,  Glockenspiel  mit  Claviatur.  3.  Verrillon,  Glasspiel. 
4.  Strohfiedel,  Holzharmonika,  Claquebois.  5.  Acetabulxun.  6.  Adufe. 
7.  Altambor,  spanische  Pauke.  8.  Anacara,  Heerpauke.  9.  Grosse  Soldaten- 
Trommel.      10.  Bedon  de  Biscaye,   Tambour  bas<£ue,  Tambourin,  Schellen-  oder 


Instrumenta  —  Instrumenta  cruomena.  419 

Handpauke.  11.  Ringelpauke.  12.  Tintinnabulum,  Crepitaculum.  13.  Sur- 
dastrum.  14.  Mohrenpäuklein,  eine  Art  Tambourin.  15.  Triangolo,  Triangel. 
16.  Rappel.  17.  Cymbeln,  Schellen,  Castagnetten  und  andere  dergleichen 
Kling-I.e.     18.  Chifonie,    Ghyfoine^  Art    von  Pauke  tei    den  Menestrier's  des 

12.  und   13.  Jahrhunderts. 

II.  Im  18.  Jahrhundert  erfundene,  theils  ausser  Gebrauch  ge- 
kommene, theils  noch  jetzt  benützte  Instrumente,  a.  Blas-Iustru- 
mente.  1.  Clarinette,  1700.  2.  Clarinettenbass,  1793.  3.  Oboe  da  caccia, 
corno  inylese,  englisches  Hörn.  4.  Amorsehall,  1760.  5.  Inventionshorn. 
6.  Basshorn.  7.  Tuba  hercotectoniea,  Umwandlung  des  russischen  Jagdhorns 
in  Hörner  verschiedener  Dimension  —  zur  russischen  Jagdmusik.  8.  Or- 
chestrion,  mit  Blasbälgen.  9.  Melodica,  mit  Blasbalg  und  Claviatur.  10.  Apollo- 
Lyra,  jjsalmo-melodicon,  1828. 

b.  Saiten-Instrumente,  ba.  Bogen-Instrumente.  1.  Viola  pom- 
posa  (J.  S.  Bach).  2.  Violoncello,  zur  Vervollkommnung  gebracht  durch 
Tardieu  aus  Tarascon.  bb.  Mit  Claviatur,  1.  Animocorde,  Anemochord, 
die  Saiten  durch  künstlichen  Luftstrom  zum  Klingen  gebracht.  2.  ApoUonion, 
1800.  3.  Bogenflügel  verschiedener  Art  und  Construction.  4.  Bogen-Hammer- 
elavier.  5.  Lauten-Clavicymbel.  6.  Theorbenflügel.  7.  Cembal  d'amour. 
8.  Clavecin  royal.  9.  Orphica.  10.  Clavecin  electrique.  11.  Clavecin 
harmonienx.  12.  Clavecin  harmonique,  Orcbesti-ine,  1801.  13.  Clavecin 
acoustique.  14.  Clavecin  ä  peau  de  büffle.  15.  Melodien.  16.  Tangenten- 
fllügel.  17.  Fortepiano,  Pianoforte,  Hammerciavier  und  Forthien.  18.  Saiten- 
harmonika. 19.  Glas -Cord.  20.  Vis-a-vis,  Doppelflügel.  21.  Teliochord. 
22.  Dittanaklasis ,  Dittaleoclange.  23.  Xaenorphica,  1801.  24.  Crescendo. 
25.  Royal-Crescendo.  26.  Coelestine.  27.  Hierochord.  bc.  Von  gemisch - 
tem  Traktamente.    1. Harmonicello.    2. Pianoforte-Guitarre.    3. Polychord. 

4.  Bissex.  5.  Pedalharfe.  6.  Lyra-Guitarre.  7.  Guitarre  d'amour.  8.  Gui- 
tarren-Cello.    9.  Bogen-Guitarre  (Birnbach).     10.  Triphon. 

c.  Verschiedene  andere  Instrumente.  1.  Harmonika  und  Har- 
monikon. 2.  Glasstab-Harmonika  (Glasplättchen  mit  Hämmern  geschlagen). 
3.  Glasspiel.    4.  Clavicylinder.    5.  Euphon.    6.  Nagel-Clavier.    7.  Melodiken. 

8.  Nagelgeige,  Eisenvioline,  Nagelharmonika.  9.  Meteorologische  Harmonika, 
eine    Art   Aeolsharfe.       10.    Metall  -  Orgel.       11.    Aeoline.       12,    Aeolodion. 

13.  Aeolodikon,  ein  der  späteren  Physharmonika  ähnliches  I.  14.  Clavecin 
oculaire,  Farben-Clavier. 

III.  Die  Orchester-Instrumente  der  Jetztzeit  mit  Eiuschluss 
der  Militärmusik.  —  Blas-Instrumente,  und  zwar  aa.  Holz-Blas-In- 
strumente.     1.  Flöte.     2,  Altüöte.     3,  Piccolo  (beim  Militär  in  Es).    4.  Oboe. 

5.  Englisches  Hörn  in/.  6.  Clarinetten  in  A,  B,  C,  D  und  Es.  7.  Bass- 
Clarinette  in  B  und  A.  8.  Bassethorn.  9.  Fagott  und  10.  Contra-Fagott. 
bb.  Metall-Blas-Instrumente.  «.  Hörner:  1.  Waldhorn  in  allen  Stim- 
mungen. 2.  Flügelhom  in  B  und  C.  3.  Althorn  in  D  und  E.  4.  Tenor- 
horn  in  B  und  A,  sämmtlich  mit  Ventilen,  p'.  Trompeten:  1.  Cornets  ä 
pistons  in  A  und  C,  letzteres  die  sogenannte  Hoch-C-Trompete.  2.  Trompeten 
in  O,  D,  E  und  Es,  auch  /  und  (j.  3.  Bass  -  Trompete  —  Tief  B  oder  C. 
y.  Bass-Instrumente:  1.  Alt-Posaune  in  E  und  E.  2.  Tenor  -  Posaune 
(beide  mit  Zügen  oder  in  B  und  H  [Ventil]).  3.  Bass-Posaune,  auch  Quart- 
bass-Posaune  in  E  oder  E.  4,  Contrabass- Posaune,  bis  jetzt  nur  von  Rieh. 
Wagner  angewendet.  5.  Baryten,  hoher  Bass.  6.  Bombardon,  tiefer  Bass, 
in  E.     7.  Tenor-Tuba,  8.  Bass-Tuba,  in  verschiedener  Stimmung,  E  oder  Es. 

9.  Euphonien.  C.  Vanderome. 

lustrnmenta  (latein.;  ital.:  stromenti;  französ.:  Instruments),  die  Instru- 
mente.    Daher: 

lustrnineuta  cruouieua  (latein.-griech. ;  französ.:  Instruments  ä  hatterie),  die 
krustischen  oder  Claviatur- Saiteninstrumente. 


27* 


420  Instrumenta  empnensta  —  Instrumentalmusik. 

Instrumeuta  empuensta  oder  pneumatica  (latein. -griech.;  lateiu.:  instru- 
menta inflatilia ;  ital.:  stromenti  per  fiato  oder  da  vento;  französ. :  Instruments 
ä  vent),  die  Blasinstrumente. 

Instrumenta  enchorda  oder  fidiciiiia  (latein.;  ital.:  stromenti  da  corde; 
französ.:  instruments  ä  cordes),  die   Saiteninstrumente. 

[ustrnnieuta  peunata  (latein.),  die  bekielten  Instrumente   (der  alte  Flügel). 

Instrumenta  percussa  oder  puls aiili a  (latein.;  ital.:  stromenti  da  percossa 
oder  per  la  percussionc;  französ.:  instruments  ä  percussion)^  die  Schlagin- 
strumente. 

Instruments  a  archet  (französ.;  ital.:  stromenti  d^areo),  die  Bogcniu- 
strumente. 

Instrumentalmusik  (ital.:  musica  stromentale;  französ.:  musique  instrumen- 
tale) lieisst  alle  lediglich  durch  Instrumente  ausgeführte  Musik  im  Gegensatz 
zur  Vocalmusik  (s.  d.),  deren  Darstellungsmittel  die  menschliche  Stimme  ist. 
Ursprünglich  Sclavin,  dann  Freundin  und  Vertraute  der  letzteren,  ist  die  I. 
in  neuerer  und  neuester  Zeit  zu  einer  Selbstständigkeit  gelangt,  dass  sie  völlig 
unabhängig  von  ihr  aufzutreten  vermag  und  in  dieser  Art  sogar  die  Neben- 
bezeichnung reine  oder  absolute  Musik  davongetragen  hat,  ja,  dass  sie  die 
einstige  Herrin  als  blosse  Gehülfin  sich  öfters  zugesellt,  z.  B.  in  Beethoven's 
Sinfonie  mit  Chören,  in  Mendelssohn's  Lobgesang  u.  s.  w.  Man  hat  dies  viel- 
fach einen  Missgriff  genannt,  jedoch  mit  Unrecht.  Nicht  die  Sache,  sondern 
nur  ihr  Missbrauch,  der  freilich  nicht  ausblieb,  ist  verwerflich.  Gleiches  gilt 
von  der  sogenannten  malerischen  oder  nachahmenden  Musik  und  von  den  in 
der  Gegenwai't  immerfort  in  Anspruch  genommenen  Massenwirkungen.  Bei 
letzteren  geht  der  Einzelcharakter  der  Touwerkzeuge  in  ihrer  vereinigten 
Klangmasse  unter,  während  jene  gerade  die  verschiedeneu  Klangfärbungen  der 
einzelneu  Instrumente  zu  allerlei  sinnlichen  Nachahmungen  von  Naturklängen 
und  dei'gleichen  benutzt.  Bleibt  dieselbe  dabei  im  Bereich  des  Anmuthigen 
und  Heitern ,  so  ist  nichts  dagegen  einzuwenden ;  will  sie  aber  durch  Donner 
und  Kriegslärm,  durch  klingenden  Sonnenschein,  oder  durch  in  Tönen  darge- 
stellte Seelenzustände,  z.  B.  eines  Verbrechers  vor  der  Hinrichtung,  wirklicli 
rühren   oder  erschüttern,    so  ist  dies  eine  Verirrung. 

Was  endlich  jene  Form  der  I.  anlangt,  die  mau  brillante,  Bravour-  oder 
Virtuosenmusik  nennt,  bei  der  es  in  erster  Linie  mit  auf  Darlegung  der  Ge- 
schicklichkeit des  Vortragenden  abgesehen  ist,  so  ist  wohl  zu  unterscheiden, 
ob  dies  des  Componisten  höchster  oder  gar  einziger  Zweck  war,  oder  ob  er 
nur  zu  Erreichung  künstlerischer  Tendenzen  jedes  dem  Instrument  innewohnende 
Wirkungsmittel  aufbietet.  In  beiden  Fällen  wird  freilich  zum  Vortrag  des 
Stücks  vollständige  Beherrschung  des  Instruments,  also  Virtuosität  erfordert, 
dennoch  ist  zwischen  beiden  Arten  von  Stücken  ein  gleicher  Unterschied,  wie 
zwischen  einem  Meister  und  eiuem  Virtuosen.  Die  ausgebildetste  Form  dieser 
Gattung  ist  das  Concert  (s.  d.),  das  aber  in  neuerer  Zeit  immer  mehr  durch 
die  grosse  Phantasie  verdrängt  zu  werden  bedroht  ist,  die,  alle  höheren  Ten- 
denzen offen  ablehnend,  blos  den  niederen  egoistischen  Zwecken  des  Virtuosen 
zu  fröhnen  bestimmt  erscheint.  Die  bedeutendsten  Gattungen  und  Formen  der 
I.  überhaupt  sind  das  Concert,  die  Sonate,  das  Duo  oder  Duett,  Trio, 
Quatuor  oder  Quartett,  Quintuor  oder  Quintett  u.  s.  w.,  die  Ouvertüre, 
die  Suite  und  die  Sinfonie  (s.  d.  einzelnen  Artikel),  welchen  letzteren  drei 
das  ganze  Gebiet  aller  zur  Zeit  üblichen  und  vorhandenen  Instrumente  zu 
Gebot  steht.  Dass  einige  von  diesen  Gattungsnamen  auch  für  A'^ocaltonstücke 
gebraucht  werden,  z.  B.  Duett,  Quartett,  Quintett  u.  s.  w.,  sei  an  dieser  Stelle 
nur  beiläufig  bemerkt.  Die  I.,  vor  Allem  ihr  Gipfelpunkt,  die  Sinfonie,  ist 
in  Bildung  und  Wesen  deutsch  und  Seb.  Bach,  Haydn,  Mozart,  Beethoven, 
Fr.  Schubert,  C.  M.  v.  Weber,  Spohr,  Mendelssohn,  Schumann  u.  A.  sind 
ihre  bedeutendsten  Pfleger  und  Förderer  (s.  Deutsche  Musik).  Die  Bestre- 
bungen des  Fran/.oseu    Berlioz    und  des   germanisirten  Ungarn    Fr.  Liszt  sind, 


Instrumentalmusik.  421 

wie  eigenartig  und  bemerken swertli  immer,  docli  in  ihrem  Einfluss  noch  zwei- 
felhaft. In  Bezug  auf  Instrumentalspiel  haben  sich  namentlich  Frankreich, 
Deutschland  und  neuerdings  Belgien  und  auch  Russland  fruchtbar  gezeigt. 
Italien  hat  von  Zeit  zu  Zeit  bedeutende  Virtuosen,  namentlich  Geiger,  wie 
Tartini,  Corelli,  Viotti,  Pagauini,  Bazzini,  Sivori,  die  Schwestern  Milanollo  U.A., 
Pianisten  wie  Fumagalli,  Clarinettisten  wie  Cavallini,  Contrabassisten  wie  Bot- 
tesini  u.  s.  w.  hervorgebracht,  sich  aber  im  Ganzen  genommen  bisher  wenig  an 
den  Fortschritten  der  I.  betheiligt.  / 

Die  Geschichte  der  I.  betreffend,  kommen  folgende 'Grundzüge  in  Betracht. 
In  den  ältesten  Zeiten  und  bei  allen  Völkern  war  Poesie  und  Musik,  oder 
Gesang  und  Instrumentalbegleitung  stets  unzertrennlich  vereinigt.  Die  erste 
Spur  ihrer  Trennung  findet  man  in  der  Musikgeschichte  ungefähr  430  v.  Chr., 
wo  in  der  zweiten  Pythiade  der  altgriechische  Flötenspieler  Sakadas  aus  Argos 
zum  ersten  Male  ohne  Gesang  als  Solist  auf  seinem  Instrument  auftrat  und 
den  musikalischen  Preis  gewann.  Bald  darauf,  um  400  v.  Chr.,  spielte  Agelaus 
aus  Tegea  die  Kithara,  ohne  dazu  zu  singen,  und  dass  von  den  alten  Schrift- 
stellern ausdrücklich  davon  Notiz  genommen  wird,  liefert  den  Beweis,  dass  dies 
in  jenen  Tagen  für  eine  unerhörte  Neuerung  galt.  Mit  der  Ausbildung  der 
Musik  überhaupt,  sowie  mit  der  Erfindung  neuer  und  verbesserter  Instrumente, 
die  ihre  Virtuosen  fanden,  gewann  dieser  Zweig  der  Tonkunst  dann  auch  mit 
jedem  Jahrhundert  an  Bedeutsamkeit,  Schönheit  und  "Wohlklang.  Dennoch 
gehören  diese  langen  Zeiträume,  das  Alterthum  und  das  ganze  Mittelalter  hin- 
durch mehr  oder  weniger  zur  Vorgeschichte  der  I.,  und  die  eigentliche  Ge- 
schichte derselben  beginnt  erst  mit  dem  Momente,  wo  sie  als  Instrumental- 
Ensemblemusik  auftritt,  was  mit  dem  Eintritt  der  Oper  in  das  Kunstgebiet  der 
Fall  ist.  Der  mehrstimmige  Gesang,  die  Erfindung  des  späteren  Mittelalters, 
musste  erst  bis  auf  einen  gewissen  Grad  der  Vollkommenheit  gelangt  sein,  ehe 
man  daran  denken  konnte  den  tönenden  Mund  der  Instrumente  als  Nachahmung 
desselben  zu  benutzen.  Man  musste  gewisse  Instrumente  aufstellen  oder  neu 
schaffen,  eigens  dazu  bestimmt,  die  vier  Menschenstimmen  darzustellen,  und  die 
Behandlung  derselben  musste  dann  naturgemäss  conform  der  Gesang- Stimmen- 
führung sein. 

Mit   Erreichung    dieses   Punktes    und    mit  Verwirklichung    dieser  Absicht 
beginnt  denn  auch  der  Eintritt  der  I.  in  das  Reich  der  wahren  und  wirklichen 
Kunst.     Aus  der   unterwürfigen    Dienerin    des    Gesanges   ensteht   nun  erst  eine 
gleichberechtigte  Herrin,  welche    im  weiteren  Verlaufe  sogar  die  Oberherrschaft 
anstrebt.     Den  ein-    und  mehrstimmigen  Gesängen    der  ersten   Opern  schlössen 
sich   freilich   die  Instrumente    nur  gelegentlich   und    ohne  irgend  welche   Selbst- 
ständigkeit an.     "Waren  die  Gesangsstimmen  auch  nach  bestimmten  Eegeln  zu- 
sammengefügt und  Hessen   sie  sogar  das  contrapunctische  Geschick  der  Compo- 
nisten  bewundern,  so  zeigten  die  begleitenden  Instrumente  noch  lange  bedauerns- 
werthes  Ungeschick  und  Dürftigkeit  der  Behandlung.     Das  mit  der  Singstimme 
gehende    Instrument    und    der    Bass,    welcher   nur   bei   lebhaften  Accenten    mit 
dem    Gesänge    harmonische    Zusammenklänge   bildete,    bei    den    nicht    betonten 
Stellen  aber  ruhig  liegen  blieb,  waren  die  einzigen  instrumentalen  Bestandtheile, 
die    sich   aber    sehr  bald,    schon  um  das  J.  1600,  dahin   erweiterten,    dass  man 
die  Tragödien  auf  der  Scene  gemäss  damaliger  Auffassung  der  Ueberlieferungen 
des  classischen  Alterthums,  welchem  man  nachstrebte,  »zu  Flöten  und  Saiten« 
singen  Hess.      So  wenigstens  war  die  instrumentale  Begleitung  in  Peri's  Opern 
beschaffen.     Einen   Schritt  weiter  ging  Caccini,   welcher  sich  über  das  Accom- 
pagnement  seiner  Euridice    folgendermassen  äussert:     »Es  stützt    sich  die  Har- 
monie   der    in    vorliegender    »Euridice«   Recitirenden    auf   einen  continuirlichen 
Bass,    bei    dem  ich  die   Quarten,   Sexten,   Septimen,    sowie  die  nothwendigeren 
grossen  und  kleinen   Terzen  bezeichnet  habe,   indem  ich  sonst  die  Anwendung 
der  Mittelstimmen    an    gehöriger   SteHe  dem  Urtheil   und  der  Kunst  des  Spie- 
lenden überlasse.     Die  Bassnoten  habe  ich  einige  Male  gebunden,  damit  nicht 


422  Instrumentalmusik. 

beim  Durcbgehen  der  vielen  Dissonanzen,  die  dabei  vorkommen,  die  Saite 
wieder  angeschlagen  und  das  Gehör  beleidigt  werde.« 

Bei  so  zarten  Scrupeln  konnte  natürlich  von  instrumentaler  Abwechselung 
und  Mannichfaltigkeit  nicht  die  Rede  sein.  Jedoch  lässt  sich  schon  bald  ein 
weiterer  Fortschritt  der  Instrumental-Ensemblemusik  an  einer  Oper  »Dafne« 
von  Gagliano  constatiren.  lieber  diese  existirt  ein  1608  zu  Florenz  in  Folio 
gedruckter  Bericht,  in  welchem  es  in  dieser  Beziehung  folgendermassen  heisst: 
»Vor  Allem  gebe  man  darauf  Acht,  dass  die  Instrumente,  welche  die  einzelnen 
Stimmen  begleiten  sollen,  an  einem  Orte  aufgestellt  wei'den,  von  dem  sie  den 
Recitirenden  ins  Gesicht  sehen  können,  damit  sie,  besser  sich  vernehmend, 
zusammen  fortschreiten;  man  sorge  dafür,  dass  die  Harmonie  weder  zu  stark, 
noch  zu  schwach  sei,  sondern  so,  dass  sie  den  Gesang  leite,  ohne  das  Ver- 
ständniss  der  Worte  zu  hindern;  die  Art  zu  spielen  sei  ohne  Ausschmückungen 
mit  Rücksicht  darauf,  nicht  die  gesungene  Consonanz  anzugeben,  sondern  die- 
jenigen, welche  geeignet  sind,  jene  zu  unterstützen,  indem  man  ununterbrochen 
eine  lebendige  Harmonie  unterhält.  Vor  dem  Herunterlassen  (Wir  würden 
sagen:  vor  dem  Aufziehen)  des  Vorhangs  ertöne,  um  die  Zuschauer  aufmerk- 
sam zu  machen,  eine  Sinfonie  von  verschiedenen  Instrumenten,  die  zur  Beglei- 
tung der  Chöre  und  zum  Spielen  der  Ritornelle  gebraucht  werden.  Nach 
fünfzehn  oder  zwanzig  Taktschlägen  trete  der  Prolog  (in  der  Dafne:  der  Dichter 
Ovid)  auf  in  einem  dem  Klange  der  Sinfonie  angepassten  Schritt,  nicht  mit 
Künstelei,  als  ob  er  tanzte,  sondern  mit  Würde,  der  Art,  dass  die  Schritte 
von  der  Musik  nicht  abweichen;  ist  er  an  die  Stelle  gelangt,  wo  es  ihm  ange- 
messen scheint  zu  beginnen,  so  fange  er,  ohne  sich  zu  besinnen,  an  zu  singen. 
Nach  dem  ersten  Verse  erhole  er  sich,  indem  er  drei  oder  vier  Schritte  geht, 
je  nach  der  Dauer  des  Ritornells,  jedoch  stets  taktmässig.«  Und  weiterhin 
heisst  es:  »Zu  Apoll's  Worten  muss  ein  vollerer  Klang  als  gewöhnlich  aus- 
gehen. Daher  mögen  sich  vier  Violinspieler  au  einen  der  nächsten  Ausgänge 
der  Scene  begeben,  wo  sie  von  den  Zuhörern  nicht  erblickt  werden,  sie  selbst 
aber  den  Apollo  sehen  können,  und  je  nachdem  er  den  Bogen  auf  die  Lyra 
setzt,  spielen  sie  die  drei  vorgeschriebenen  Noten,  indem  sie  darauf  achten,  die 
Bogenstriche  gleichmässig  zu  ziehen,  damit  es  nur  ein  Bogen  zu  sein  scheine. 
Diese  Täuschung,  nur  Sachverständigen  bemerkbar,  gewährt  ein  nicht  geringes 
Vergnügen.« 

E,  0.  Lindner,  welcher  aus  dem  eben  angegebenen  Buche  in  seiner  Schrift 
»Zur  Tonkunst«  Seite  21 — 29  einen  grösseren  Auszug  giebt,  bemerkt  speciell 
hierzu:  »Eine  Stelle  könnte  jedoch  eine  falsche  Vorstellung  erwecken:  jene,  wo 
von  der  ausserordentlichen  Verwendung  der  vier  Violinspieler  die  Rede  ist. 
Man  könnte  daraus  auf  eine  wesentliche,  selbstständige  Betheiligung  des 
Orchesters  schliessen.  Dies  wäre  aber  diirchaus  irrthümlich.  Die  Mitwirkung 
der  vier  Violen  bei  dem  Angeben  dreier  sehr  einfacher  in  Noten  ausgeschriebener 
Accorde  ist  vielmehr  das  einzig  selbstständig  Instrumentale,  was  in  jener  Com- 
position  der  Dafne  zu  finden  ist.  Dieselbe  gleicht  im  TTebrigen  vollständig  den 
Partituren  Peri's  und  Caccini's;  bei  diesen  aber  hatte  es  mit  der  Instrumental- 
begleitung eine  eigene  Bewandtniss.  Allerdings  wirkten  schon  bei  der  Aus- 
führung der  Euridice  eine  Menge  Instrumente,  namentlich  Violen  und  das  da- 
malige Clavicembalo*),  mit,  doch  ist  für  diese  keine  eigentliche  Partie  notirt. 
Ausser  den  mehrstimmigen  Chören,  deren  einzelne  Stimmen  gleichzeitig  auf 
Instrumenten  gespielt  wurden ,  zeigen  die  gedruckten  Partituren ,  mit  Ausnahme 
einer  einzigen  Stelle  bei  Peri,  wo  der  Gesang  eines  Hirten  durch  das  sehr 
einfache  Zwischenspiel  eines  Triflauto  begleitet  wird,  lediglich  die  einzige  Sing- 


*)  Jedoch  will  Doni  (vol.  2  pag.  108)  vom  Clavicerabalo  nichts  wissen.  Man  be- 
hauptete, dasselbe  sei  zur  Harmonie  nöthig,  aber  es  könne  sich  nicht,  gleich  den  Saiten- 
instruraenlcn,  mit  der  Singstimme  vermischen  und  werde  in  der  Entfemunpf  schlecht 
fjehört.  Die  Lichter  darauf  mit  dem  aufgelegten  Buche  passten  nicht  zur  Pracht  des 
Theaters  u.  s.  w. 


Instrumentalmusik.  423 

stimme  mit  einem  dazu  gehörigen,  oft  sehr  schwerfälligen  Bass,  über  welchen 
sich  generalbassmässig  einzelne  Zahlen  notirt  finden.  Die  mitwirkenden  Instru- 
mentalisten  füllten  demnach  die  angezeigten  Accorde  nach  Belieben  aus,  und 
diese  gaben  lediglich  eine  harmonische  Unterstützung  der  gesungenen  Ober- 
stimme ab.  TJeberdies  war  die  ganze  Mitwirkung  der  Instrumentalisten  ledig- 
lich für  die  darstellenden  Sänger,  nicht  aber  für  die  Zuhörer  berechnet.  Diese 
sahen  von  dem  hinter  der  Scene  befindlichen  Orchester  Nichts  und  sollten  so- 
gar die  Begleitung  so  wenig  als  möglich  hören.  Nur  vor  dem  Anfang  des 
Stückes  wurden  einige  Tacte  für  die  Zuhörer  gespielt,  nicht  etwa  als  eine 
wirkliche  Ouvertüre,  diese  war  nach  dem  damaligen  Zustande  der  I.  schon  an 
und  für  sich  nicht  denkbar,  sondern  um  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass 
der  Vorhang  bald  herabgehen  (wir  würden  sagen:  aufgehen)   werde.« 

Dies  war  der  ärmliche  Zustand  der  I.  zu  Anfange  des  17.  Jahrhunderts. 
Wie  anders  stellte  er  sich  hundert  Jahre  später  bereits  dar!  Schon  Monteverde, 
gestorben  1643,  bezeichnet  einen  grossen  Fortschritt,  indem  er  ein  bestimmtes 
Orchester  einführte ,  nämlich :  Clavicembalo ,  Flöten-  und  Rohrwerke  und  die 
verschiedenen  Saiteninstrumente  damaliger  Zeit,  eingeschlossen  sogar  die  Doppel- 
harfe. Seine  begleitende  Bassstimme  hat  nicht,  wie  bei  Peri,  nur  den  Zweck, 
zu  einer  nothdürftigen  Unterlage  für  den  Sänger  zu  dienen,  sondern  sie  nimmt 
in  ihren  Bewegungen  Theil  an  der  musikalischen  Darstellung  selbst.  Monte- 
verde scheut  sich  nicht,  wenn  der  Sänger  etwas  recht  Herbes  ausdrücken  soll, 
der  Bassstimme  dabei  so  stark  dissonirende  Töne  zu  geben,  dass  er  geradezu 
"Widerlichklingendes  hören  lässt.  Sein  eben  charakterisirtes  reiches  Orchester 
benutzte  er  theils  zu  bestimmt  vorgeschriebener  Begleitung  des  Oesauges,  theils 
gab  er  demselben  bereits  selbstständige  Zwischenspiele,  theils  suchte  er  die 
Klangfarbe  der  verschiedenen  Instrumente  bei  einzelnen  Scenen  zur  Charak- 
teristik der  Stimmung  zu  benutzen.  So  erklingen  Rohrinstrumente  zu  der 
anfänglichen  Weigerung  des  Charon,  dem  Orpheus  den  Eintritt  in  den  Hades 
zu  gestatten.  Da  beginnt  Orpheus  mit  der  Begleitung  eines  Flötenwerks  und 
der  grossen  Zither;  sein  Gresang  wird  durch  verschiedene  instrumentale  Zwischen- 
spiele unterbrochen,  zu  denen  erst  zwei  Violinen,  dann  zwei  Cornets,  dann  die 
Doppelharfe  gebraucht  sind;  beim  letzten  Vers  greifen  drei  Violinen  und  der 
Bass  schon  während  des  Gesanges  ein,  und  bei  ihren  leise  gezogenen  Tönen 
sinkt  Charon  in  den  Schlaf. 

So  ist  ersichtlich,  dass  Monteverde  es  ist,  welcher  bereits  alle  Elemente 
gefunden  und  niedergelegt  hat,  deren  allmählige  Ausbildung  die  Folgezeit  zeigt. 
Monteverde's  Ruhm  durchlief  ganz  Italien,  und  er  wurde  in  der  seltensten 
Weise  ausgezeichnet.  Sein  Schüler  Cavalli  setzte  das  begonnene  Werk  fort 
und  hat  das  wesentliche  Verdienst,  das  Orchester  bereits  systematisirt  zu  haben. 
Bei  ihm  wurde  die  Toccata- Ouvertüre  und  das  Ballet  ein  obligater  Bestandtheil 
der  Oper.  Dieselbe  verpflanzte  sich  nun  nach  Frankreich,  dann  nach  Deutsch- 
land und  erfuhr  dort,  und  nicht  mehr  in  ihrem  Geburtslande,  ihre  fernere 
Ausbildung,  vorzüglich  was  den  instrumentalen  Theil  anbelangt.  In  Deutsch- 
land namentlich  war  die  I.  bereits  auf  eine  gewisse  Höhe  gelangt.  Prätorius, 
der  im  16.  Jahrb.  lebte,  führt  in  seinem  Werke  die  verschiedensten  und  selt- 
samsten Instrumente  auf;  über  ihre  Ensembleverwendung  bleiben  wir  jedoch 
im  Unklaren  und  vermuthen  nur,  dass  sie  zu  festlichen  Spielen  und  zum  Tanz 
generell,  also  Saiten-  und  Holzinstrumente  für  sich,  nicht  vermischt,  verwendet 
wurden.  Eine  Gattung  der  I.  stand  aber  bereits  damals  in  Bliithe  und  ver- 
pflanzte sich  von  dem  Hofe  des  deutschen  Kaisers  (vielleicht  Karl's  V.)  über 
alle  Höfe  der  damaligen  civilisirten  Welt. 

Dies  war  die  vierstimmige  Trompetenmusik,  welche  bis  in  unser  Jahr- 
hundert hinein  ihren  ursprünglichen  aristokratischen  und  vornehmen  Charakter 
behauptete,  da  sie  nur  im  Gefolge  der  Fürsten,  Generale  und  Edeln  des  Reichs 
Vorgeschriebenermassen  auftreten  durfte.  Wir  finden  dieselbe,  wie  gesagt,  bei 
allen  Nationen,    am  längsten  ihrer  ursprünglichen  Bestimmung  getreu   bei  den 


424  Instrumentalmusik. 

nordischen:  den  Deutschen,  Russen  und  Engländern.  Die  Mischung  dieser 
stolzen,  wahrhaft  pomphaften  Musik  bestand  aus  Trompeten,  Pauken  und 
Trommeln,  welche  beim  öfiFentHchen  Auftreten  der  Fürsten,  ihren  Aufzügen, 
bei  Trinksprüchen  der  hohen  Herrschaften  in  Form  von  schmetternden  In- 
traden  und  Fanfaren  aufzutreten  hatte.  Der  sogenannte  Tusch  ist  echt  deutsch; 
er  bestand  darin,  dass  unter  dem  "Wirbel  der  Schlaginstrumente  jeder  Tompeter 
beliebig  darauf  losschmetterte,  bis  sich  Alle  schliesslich  in  der  Dominant- 
hai'monie  vereinigten.  Die  Melodien  und  Harmonien  dieser  »Trompeterstücklein« 
verblieben  traditionell  bei  den  verschiedenen  Höfen  und  wiirden  sorgsam  gelehrt 
nnd  bewahrt.  Die  Trompeter  selbst  nahmen  unter  den  Musikern  eine  Art 
Ehrenstellung  ein  und  bildeten  eine  besondere,  mit  gewissen  Vorrechten  aus- 
gezeichnete Zunft,  Sie  hatten  eine  strenge,  schwierige  und  langwierige  Schule 
durchzumachen;  es  ist  aber  auch  erstaunlich,  ja,  geradezu  unerklärlich,  was  sie 
auf  ihrem  Naturinstrumente  zu  leisten  im  Stande  waren,  und  viele  Trompeten- 
concerte  älterer  Zeit  gelten  heute  sogar  als  unlösbare  Probleme. 

Mit  dem  Fürsten  gelangte  die  Trompetenmusik  auch  ins  Feldlager  und 
wurde  dazu  verwendet,  den  Muth  der  Truppen  zu  erwecken  und  anzufeuern 
und  sie  für  die  Strapazen  langer  Züge  tauglich  zu  machen ,  wodurch  natur- 
gemäss  eine  neue  musikalische  Form,  »der  Marsch«,  entstand,  dessen  rhythmische 
Bewegung  mit  der  Gaugart  der  Marschirenden  sich  identificirte.  Die  Geschichte 
des  Marsches  ist  bis  auf  die  Zeit  des  ,30jährigen  Krieges  zurückzuführen  und 
so  weit  hinauf  reicht  auch  die  Literatur  für  dieses  Genre.  TJm  noch  mehr 
durchzudringen ,  traten  später  Hörner  und  Posaunen  zu  dem  Trompeten-En- 
semble, noch  später  die  Holzinstrumente,  und  die  auf  diese  Weise  scharf  ab- 
gegrenzte Militärmusik  gelangte  in  den  Heeren  des  ersten  Napoleon  zu  hoher 
Blüthe,  wie  denn  überhaupt  auch  die  Militärmusik  ihre  Glanzepoche  zur  Zeit 
Beethoven's,  kurz  vor  Einführung  der  Yentilinstrumente,  feierte.  Seit  zwei 
Decennien  jedoch  liegt  dieselbe  im  Argen,  da  man  in  ihren  Kreis  ganz  willkür- 
lich die  verschiedensten  TonkÖrper  gepfropft  hat,  ähnlich  wie  die  alten  Italiener 
in  ihre  Opernorchester,  ohne  Bücksicht  auf  Symmetrie  zwischen  Melodie  und 
Harmonie,  welche  beide  von  einem  ganzen  Haufen  lärmender  Schlaginstrumente 
übertönt  werden.  Das  mag  echte  Janitscharenmusik  sein,  aber  dem  gebildeten 
Ohr  ist  sie  fürchterlich,  ganz  abgesehen  von  der  rohen  Polka-Marsch-Litera- 
tur, die  man  cultivirt.  Am  reinsten  hat  sich.  Dank  den  Bemühungen  Wiep- 
recht's  als  Organisator  derselben,  das  Trompetenquartett  in  der  preussischen 
Cavalleriemusik   erhalten,    welche    in  ihrer  Besetzung  sogar  musterhaft  dasteht. 

Nach  dieser  durch  die  chronologische  Folge  gebotenen  Abschweifung  kehren 
wir  wieder  zu  der  durch  die  Oper  veranlassten  Bildung  des  Orchesters  zurück. 
—  Man  kann  das  Produkt  der  Oper  eine  italienische  Erfindung  nennen,  mit 
demselben  Rechte,  wie  man  in  Kunst  und  Wissenschaft  die  Hervorbringung 
von  etwas  noch  nicht  Dagewesenem  Erfindung  nennt.  Als  solche  fand  sie  auch 
im  Auslande  Beifall  und  Nachahmung,  zuerst  in  Deutschland,  dessen  grosse 
Meister  ja  zum  Häufigsten  aus  der  italienischen  Schule  hervorgegangen  sind. 
So  entstand  denn  schon  1627  die  erste  deutsche  Oper,  nach  Zuschnitt  und 
Vorbild  der  italienischen,  nämlich  »Dafne«  von  Heinrich  Schütz,  deren  Text 
von  dem  deutschen  Dichter  Martin  Opitz  war  und  welche  bei  einem  Hoffest 
in  Torgau  aufgeführt  wurde.  Dieser  Versuch  blieb  aber  bis  auf  Theile  und 
Keiser  in  Hamburg  hin,  also  70  Jahre  hindurch,  vereinzelt;  die  italienischen 
Operncomponißten  behielten  bis  dahin  und  noch  weit  länger  hinaus  das  Heft 
in  den  Händen.  Interessant  für  unseren  Zweck  ist  nur,  dass  Heinrich  Schütz 
bereits  eine  Art  Instrumental-Sinfonie  oder  Toccata  (wir  würden  sagen  Ouver- 
türe) zu  dieser  Oper  geschrieben  und  ebenso  mehrere  dieser  ähnliche  Sinfonien 
einfachsten  Charakters  hinterlassen  hat,  dazu  bestimmt,  die  Festlichkeiten  am 
chursächsischen  Hofe  angenehm  einzuleiten.  —  Eine  festere  Position  nahm  die 
italienische  Oper  in  Frankreich,  wo  sie  durch  LuUy  und  dessen  Textdichter 
Quinauld  sofort  nationalisirt   und  in  einer  Weise  organisirt  wurde,    welche  bis 


Instrumentalmusik.  425 

auf  Gluck  und  auch  noch  für  diesen  selbst  mustergiltig  war.  —  Lully  war, 
und  dies  ist  wesentlich  für  die  I.  überhaujit,  nicht  als  Yocal-,  sondern  als 
Instrumental-Componißt  an  die  Oper  getreten,  denn  er  hatte  über  20  Jahre 
hindurch  vorher  für  die  Kapelle  König  Ludwig's  XIV.  ausschliesslich  Sinfonien 
(in  diesem  Sinne  Eröffnungsstücke),  Märsche,  Tänze  (er  ist  der  Vater  der 
Menuett)  und  andere  Instrumentalstücke,  sowie  auch  Ballette  geschrieben. 
Kein  "Wunder,  dass  er  den  instrumentalen  Theil  seicer  Opern,  deren  er  seit 
1672  einige  zwanzig  schrieb,  begünstigte  und  sie  mit  Sinfonien,  längeren  B,i- 
tornellen  und  Balletstücken  ausstattete.  "Was  diese  Sinfonien,  hervorgegangen 
aus  der  italienischen  Opern-Toccata,  betrifft,  so  gestaltete  er  sie  in  zwei  (Grave 
und  Ällegrö),  auch  drei  (Ällegro,  Grave,  Allegro)  Sätze,  und  diese  Formirung 
erhielt  sich  bis  auf  Händel.  Aus  dem  reichen  Orchester,  welches  Lully  zu 
Gebote  stand  und  in  seiner  Fülle  incummodiren  musste,  hebt  sich  schon  ganz 
entschieden  das  Streichquartett  als  Basis  für  die  Instrumentation  hervor; 
Blechinstrumente    erscheinen  dagegen  noch  nicht  als  orchesterfähig. 

Es  ist  einleuchtend,  dass  bereits  das  damalige  Opernorchester  gute,  theo- 
retisch gebildete  Musiker  verlangte,  welche  als  Generalbassspieler  tüchtig  und 
auch  geschickt  waren,  für  die  Mängel  der  Composition  verbessernd  einzutreten. 
Dadurch  hob  sich  auch  die  technische  Fertigkeit,  und  es  traten,  und  wiederum 
zuerst  in  Italien,  jene  grossen  Virtuosen  auf,  welche  als  berühmte  Spieler  und 
Componisten  für  ihr  Instrument  noch  heute  bewundert  werden.  Durch  sie 
entstand  das  Concert,  welches  im  Bau  und  seiner  Entwickelung  mit  der  Sonate 
gleichen  Schritt  hielt.  Die  Sonate  unterscheidet  sich  in  ihren  Anfängen  in 
nichts  von  der  Suite,  insofern  als  sie  eine  Zusammenstellung  mehrei-er  im 
Tempo  verschiedener  Sätze  ist,  und  erst  im  18.  Jahrhundert  wurde  durch  die 
grossen  Meister  dieserForm  der  Unterschied  festsgestellt,  dass  die  Sonate  trotz 
der  verschiedenen  Sätze  ein  einheitliches  organisches  Ganze  bilden  musste, 
während  die  Suite  eine  Aneinanderreihung  verschiedener  Tanzarten,  mit  einer 
Ouvertüre  an  der  Spitze,  blieb  und  in  allen  ihren  Theilen  das  Vorherrschen 
einer  Tonart  zeigte.  Als  erst  die  Form  feststand,  Hess  die  Erfindsamkeit  in 
ihrer  Verwendung  auch  nicht  lange  auf  sich  warten.  Der  concertirende  Solist 
bedurfte  eines  Begleiters,  um  zum  "Wenigsten  den  Bass  anzugeben,  wo  nicht 
die  Harmonie  auszufüllen,  und  die  Folge  davon  war  jene  Unzahl  von  Instru- 
raentalduetten,  welche  die  alte  Literatur  aufweist.  Diese  erweiterten  sich  natur- 
gemäss  schon  sehr  bald  zu  Quartetten,  Quintetten,  Sextuors  u.  s.  w.,  und  in 
diesen  Formen  entwickelte  sich,  je  nach  der  Absicht  und  nach  der  Bedeutsam- 
keit der  Componisten,  die  üppigste  und  interessanteste  Polyphonie  durch  die 
Freiheit,  welche  man  den  einzelnen   Stimmen  gab. 

Das  Streichquartett,  als  instrumentales  Abbild  der  vier  menschlichen 
Stimmen,  wurde  nun  die  unerschütterliche  Grundlage  des  mächtig  emporblühen- 
den Orchesters,  für  welches  man  jetzt"  Sinfonien  oder  Ouvertüren  schrieb,  und 
wenn  auch  die  herbeigezogenen  Flöten,  Oboen  und  Fagotts,  abgesehen  von  den 
ausser  Gebrauch  gekommenen  Holzblase-Instrumenten ,  in  der  Regel  nur  ver- 
stärkend, also  nicht  obligat  verwendet  wurden,  so  war  doch  schnell  und  glän- 
zend die  Grundlage  gewonnen,  auf  welcher  der  deutsche  Genius  das  mächtige 
Gebäude  eines  stolzen  und  bewundernswerthen  Kunstwerks  aufführte.  Als 
merkwürdig  erscheint  aus  dieser  thatenreichen  Zeit  (Ende  des  17.  Jahrhunderts), 
dass  wir  unter  dem  Namen  des  älteren  Buononcini,  ausser  einigen  Duetti  da 
Camera,  op.  8,  bereits  1685  eine  Reihe  von  Sinfonien  für  fünf,  sechs,  sieben 
tmd  acht  Instrumente,  mit  zwei  Trompeten,  welche  obligat  sind,  falls  die  Vio- 
linen fehlen,  finden.  Die  ewig  denkwürdigen  Namen  aber  für  die  erste  Form 
der  Sinfonie  sind  Alessandro  Scarlatti,  Buononcini  und  Sammartini,  für  das 
Concert:  Corelli,  Tartini,  und  Domenico  Scarlatti,  für  das  Quartett:  Corelli, 
Geminiani  und  Vivaldi  die  echtesten  Bahnbrecher  einer  schönen  Zukunfts- 
musik. Obwohl  von  den  Genannten  A.  Scarlatti  als  grosser  Reformator  der 
Musik  jeden  Genres,    wie  ihn  Kiesewetter  nennt,   den   grössten   Ruhm   erlangt 


426  lustrumcutalmusik, 

hat,  so  möchte  doch  das  Hauptgewicht  in  instrumentaler  Beziehung  auf  die 
erfolgreiche  Thätigkeit  Corelli's  zu  legen  sein.  Corelli,  ebenso  unvergleichlich 
als  Violinspieler  wie  als  Componist,  wirkte  lange  genug  auch  als  Dirigent, 
um  nicht  in  jeder  Hinsicht  befähigt  zu  sein,  für  den  Fortschritt  der  Kammer- 
musik und  der  Sinfonie  tonangebend  zu  werden.  Er  strahlt  weniger  durch 
Reinheit  der  Harmonie  und  Eeichthum  selbstständiger  Combinationen,  aber  durch 
originelle  Erfindung,  Mannigfaltigkeit  und  Abwechselung  der  Cantilene  und 
grossartige  Breite,  wie  sie  kaum  ein  anderer  Componist  bis  lange  nach  ihm 
erreichte.  Noch  heute  gehört  das  Studium  seiner  Werke  zu  den  fruchtbrin- 
gendsten, und  selbst  das  Publikum  hört  die  wieder  bekannt  gewordenen  der- 
selben sehr  gern. 

Auf  diesen  Punkt  angekommen,  könnten  wir  das  für  die  Entwickelung  der 
Kunst  unermesslich  anregend  gewordene  Italien  verlassen,  da  es  in  der  Folge- 
zeit für  das  von  uns  abgesteckte  Instrumentalgebiet  nicht  weiter  epochemachend 
gewesen  ist,  wollten  wir  nicht  gleich  hier  eines  grossen  italienischen  Compo- 
nisten  erwähnen,  der  leider  verschollener  ist,  als  er  es  verdient,  und  für  dessen 
Name  und  Bestrebungen  nur  der  Platz  neben  Haydn  und  Mozart  ein  würdiger 
ist,  nämlich  Ludwig  Boccherini.  Dieser  Meister  ist  im  Jahre  1730  in  Florenz 
geboren,  fand  also  bei  seinem  Auftreten  den  Kammer-  und  Orchesterstyl,  auf 
welche  beide  er  sich  ausschliesslich  legte,  bereits  in  den  Stadien  der  höheren 
Entwickelung.  Grleichwöhl  versagte  er  sich  selbst  die  Leetüre  der  Werke  seiner 
Zeitgenossen,  um  nichts  von  seiner  Origiualität  einzubüssen.  Er  schrieb  eine 
Unzahl  majestätischer  Quartette,  kostbarer  Quintette  und  beachtenswerther 
Sinfonien  und  documentirte  in  allen  seinen  Schöpfungen  Genialität  und  ein 
eminentes  Talent.  Was  Cimarosa  für  die  Vocal- ,  das  war  sein  Landsmann 
Boccherini  für  die  I.  In  seinen  Werken  paart  sich  Frische  und  köstliche  Ein- 
fachheit mit  Gedankentiefe  und  musterhafter  Behandlung  der  Stimmen.  Dabei 
tragen  sie  den  Stempel  der  Originalität  und  sind  so  selbstständig  individuell, 
dass  man  vermeinen  möchte,  ihr  Autor  habe  keine  andere  Musik  gekannt,  als 
nur  die  seinige.  Er  ist  der  Johann  Sebastian  Bach  der  Kammermusik; 
Führung,  Plan,  Modulation  und  melodische  Ideen  sind  durchaus  eigenthümlich 
und  Muster  von  Anmuth,  Empfindung  und  rieschmack.  Die  Art,  wie  er  das 
Interesse  durch  unerwartete  Episoden  aufrecht  zu  erhalten  weiss,  überrascht 
selbst  die  mit  seiner  Musik  Vertrautesten,  und  er  ruft  mit  Phrasen  einfachsten 
Charakters  stets  den  eindringlichsten  Effekt  hervor.  Seine  Gedanken  sind,  wie 
die  seines  Nebenbuhlers  und  Zeitgenossen  Haydn,  immer  anmuthig,  oft  melan- 
cholisch, haben  aber  stets,  wie  jene,  den  unwiderstehlichen  Reiz  der  Naivetät. 
Wenn  Italien  unter  den  Virtuosen  die  ausgezeichnetsten  Geiger  geboren  hat, 
wie  Tartini,  Corelli,  Viotti,  Paganini  u.  s.  w.,  so  hat  es  in  Boccherini  einen 
Violoncellisten  ersten  Ranges  hervorgebracht,  welcher  auch  treffliche  Concerte 
für  sein  Instrument  hinterlassen  hat,  die  sich  die  modernen  Concertspieler 
nicht  entgehen  lassen  sollten. 

Schon  frühzeitig  kam  in  Deutschland  das  Interesse  für  Kammermusik 
gleichfalls  in  Schwung,  und  hier  waren  es  Kuhnau,  Kobrich,  Agrel,  Janitsch, 
Radegger  und  Camerloer,  welche  je  nach  ihrem  Talent,  auf  diesem  Gebiet 
Werke  schufen  und  sich  Anerkennung  und  einen  Namen  verschafften.  Weiter- 
hin vergrösserten  Graft,  Kurtzinger,  Telemann,  Schwindel,  Mislivecek,  Treski, 
Knecht,  Wagenseil,  Stamitz  und  Wanhal  die  sinfonische  Armee  und  variirtcn 
sie,  aber  ihre  Versuche  erscheinen  jetzt  schüchtern,  unselbßtständig,  ja  zum 
Theil  ungeschickt.  Es  fehlte  eben  der  Impuls  eines  genialen,  tonangebenden 
Mannes.  Dieser  aber  Hess  gar  nicht  lange  auf  sich  warten,  ja,  er  war  schon 
da,  obwohl  seine  Einwirkungen  erst  später  beginnen:  der  gewaltige  Johann 
Sebastian  Bach.  Er,  der  unendlich  reiche  Meister,  anerkannt,  obwohl  nicht 
genügend  gewürdigt  von  seiner  Mitwelt,  angestaunt  und  bewundert  von  der 
Nachwelt,  hat  bereits  so  bemerkenswerthe  und  abwechselnde  Instrumentaleffecte 
geschaffen,    dass    man    kaum    begreifen    kann,    wie    dieser   Mann,    welcher    die 


Instrumentalmusik.  427 

längste  Zeit  seines  Lebens  in  unbedeutenden  Städten  verbrachte,  wo  er  fast 
keine  Gelegenheit  hatte,  Instrumente  und  Orchester  zu  studiren,  Alles  so 
genau  kennen  konnte,  dass  er  seine  Zeit  einen  mächtigen  Schritt  vorwärts 
brachte.  Bei  Bach  herrscht  durchweg  eine  durchgreifende  correcte  Harmonie, 
und  er  packt  stets  seine  Hörer  durch  Energie  und  unerwartete  Züge.  Bei  ihm 
zuerst  unter  den  deutschen  Meistern  befindet  sich  das  Ciavier  in  Verbindung 
mit  Streichinstrumenten  als  Duo,  Trio,  Ciavierquartett  u.  s.  w.  Seine  Kinder 
pflanzten  verschiedentlich  diese  Gattungen  in  seiner  Weise  fort,  und  auch 
Händel  glänzt  im  Fach  der  Ciavier-  und  Orchestermusik,  wenn  auch  einem 
Bach  gegenüber  nur  als  Kunststern  zweiter  Grösse. 

Die  von  den  Vorigen  geschaffenen  instrumentalen  Mittel  und  Werke  fand 
Gluck  vor,  als  er  an  die  Reformation  der  Oper  ging.  Er  wandte  seine  Auf- 
merksamkeit zunächst  auf  die  Ouvertüre,  in  welcher  Form  die  Franzosen  seit 
Lully  bereits  recht  Bedeutendes  geschaffen  hatten,  was  selbst  der  strenge  Mat- 
theson  in  seinem  neueröffneten  Orchester  anerkennt.  Gluck  zuerst  setzte  die 
Ouvertüre  in  wirkliche  organische  Beziehung  zu  dem  Folgenden,  ein  Muster. 
dem  Mozart  in  jeder  Beziehung  folgte.  Den  höchsten  Punkt,  auch  in  dieser 
Gattung,  erreichte  endlich  der  gewaltige  Beethoven.  Dadurch,  dass  Gluck  die 
einzelnen  Instrumente  individualisirte,  wurde  seine  Instrumentation  wahr  und 
ergreifend.  Verschiedene  der  damals  gebräuchlichen  Instrumente,  wie  die 
Theorbe,  entfernte  er  aus  dem  Orchester,  andere,  wie  die  Posaunen,  führte  er 
ein  und  verwendete  sie.  Mit  welchen  Factoren  man  überhaupt  damals  rechnete, 
das  zeigt  ein  Blick  auf  die  durch  ihr  Ensemble  unter  Hasse's  Leitung  be- 
rühmte kurfürstl.  Kapelle  in  Dresden,  welche,  nach  Fürstenau,  im  J.  1733 
zählte:  acht  erste  und  sieben  zweite  Violinen,  vier  Bratschen,  drei  Violoncelli, 
drei  Bässe,  zwei  Flöten,  fünf  Oboen,  fünf  Fagotts,  zwei  Waldhörner,  zwei  Trom- 
peten und  Pauken. 

Hinter  so  reichen  Ausdrucksmitteln  witterte  der  Meister  Piccini  bereits 
den  Verfall,  und  es  ist  interessant,  von  heute  aus  wieder  einmal  auf  seine  Kunst- 
ansichten in  Bezug  auf  Orchesterensemble  zu  blicken.  Ginguene  hat  sie  auf- 
bewahrt in  seinen  r>Notices  sur  la  vie  de  JPiccinia  (Paris,  an  IX).  »Piccini's 
Kunstgrundsätze,  berichtet  Ginguene,  waren  streng,  obgleich  er  mehr  als  irgend 
ein  anderer  gleichzeitiger  Tondichter  dazu  beigetragen  hatte,  dieselben  zu  er- 
weitern und  ihnen  Biegsamkeit  zu  verleihen.  So  reich  er  nöthigenfalls  das 
Orchester  ausstatten  konnte,  missbilligte  er  doch  den  Luxus  von  Harmonie, 
den  man  gegenwärtig  darin  verschwendet.  Er  wünschte  stets  der  Singstimme 
die  Oberherrschaft  bewahrt  zu  sehen,  er  wünschte,  dass  die  figurirten  Dessins 
der  Instrumente  nur  den  Zweck  hätten,  das  zum  Ausdruck  zu  bringen,  was 
die  Worte,  die  Handlungen  der  Personen  oder  der  Oi't  der  Scene  anzeigen, 
die  Singstimme  aber  nicht  wiedergeben  kann.  Figurirte  Begleitungen,  ohne 
Nothwendigkeit,  ohne  Object,  wie  sie  die  berühmtesten  Componisten  in  Italien 
anwendeten,  schienen  ihm  nur  sinnwidrig  und  Missbrauch  der  Kunst.  Er 
billigte  durchaus  nicht  jene  obstinaten  Begleitungsformen,  die  Jomclli  zuerst 
in  die  Mode  brachte  und  die  sich  einförmig  fast  durch  ein  ganzes  Stück  hin- 
durcherstrecken, wo  doch  die  Worte  Nuancen  der  Empfindung  oder  Ideen  dar- 
bieten, die  in  der  Musik  ihren  Ausdruck  verlangten.  Massen  verschiedener 
Instrumente,  unaufhörliche  Orchestereffecte ,  unaufhörliche  Harmoniehäufungen 
und  eine  unausgesetzte  Schönthuerei  mit  Dissonanzen,  wie  sie  in  Frankreich 
Mode  geworden,  waren  für  ihn  ein  wahrer  Gräuel.  Alles,  was  in  die  Harmonie 
eingehen  kann,  sagte  er,  hat  man  bald  gelernt;  nicht  darin  liegt  die  Schwierig- 
keit, etwas  hineinzusetzeu ,  sondern  zu  wissen,  was  man  lunwegnehmen  soll. 
Die  vier  Bogeninstrumente,  welche  die  Grundlage  des  Orchesters  bilden,  sind 
für  jeden  Ausdruck  fast  gleichmässig  geeignet.  Nicht  ebenso  verhält  es  sich 
mit  den  Blas-  und  Schlaginstrumenten.  Die  Oboe  hat  einen  von  der  Clarinette 
ganz  verschiedenen  Ausdruck,  und  die  letztere  unterscheidet  sich  ihrerseits  sehr 
wesentlich  von  der  Flöte.     Die  Hörner  wechseln    darin   je  nach  dem  Ton,    in 


428  Instrumeutalmusik. 

welchem  man  sie  anwendet;  das  Fagott  wird  traurig  und  melancholisch,  sobald 
es  nicht  mit  dem  Bass  zusammen  geht.  Die  Posaunen  sind  nur  zum  Ausdruck 
des  Düstern  geeignet,  die  Trompete  nur  für  das  Kriegerische  und  Eclatante; 
die  betäubende  Pauke  ist  ganz  militärisch,  und  sobald  ich  sie  höre,  erwarte  ich 
ein  Reiterregiment  vorbeiziehen  zu  sehen.  Reservirte  man  jedes  dieser  Instru- 
mente zu  dem  Gebrauch,  für  welchen  die  Natur  selbst  es  bestimmt  hat,  so 
würde  man  verschiedene  Wirkungen  hervorbringen,  man  würde  Alles  darzu- 
stellen vermögen  und  Verschiedenheit  und  Mannigfaltigkeit  in  sein  Gemälde 
bringen.  Aber  man  spendet  Alles  mit  vollen  Händen,  Alles  auf  einmal  und 
ohne  Aufhören,  Man  blasirt,  man  verhärtet  das  Ohr,  man  stellt  nichts  mehr 
für  das  Herz,  für  den  Geist  dar,  zu  welchem  das  Ohr  der  Weg  ist.  Ich  möchte 
doch  wohl  wissen,  was  man  thun  wird,  um  es  wieder  ins  Leben  zu  rufen,  wenn, 
was  sicherlich  geschehen  dürfte,  man  diesen  Lärm  satt  haben,  und  welche  neue 
Teufelei  man  aufbringen  wird.  Vielleicht  möchte  man  dann  zur  wahren  Natur 
zurückkehren  und  zu  den  ächten  Mitteln  der  Kunst,  aber  Sie  wissen,  wie  es 
dem  durch  starke  Getränke  abgestumpften  Gaumen  ergeht;  überdies  kann  man 
sich  innerhalb  weniger  Monate  Alles  das  in  den  Kopf  setzen,  was  man  wissen 
muss,  um  die  Effecte  auf  diese  Art  zu  übertreiben,  aber  nur  langsam  und  durch 
Studien  lernt  man  wahre  Efi"ecte  hervorbringen.  Wie  sollte  man  also  in  der 
Wahl  zweifelhaft  sein?« 

Soweit  Piccini,  der  in  Bezug  hierauf  und  auf  das,  was  er  weiterhin  über 
Modulationen  sagt,  eher  heute  gesprochen  haben  könnte,  als  vor  hundert  Jahren, 
wo  wir  die  Kunst  noch  nicht  in  ihrer  vollen  Blüthe  sehen,  welche  erst  noch 
zu  gewärtigen  war.  Aber  über  Verfall  der  Musik  wurde  ja  schon  stets  ge- 
klagt, selbst  wo  sie  noch  in  ihren  Anfängen  lag,  und  das  zwar  selbst  von 
Männern,  welche  für  sie  von  Bedeutung  waren.  Interessant  aber  ist  es  immerhin, 
so  gediegene  Kunstanschauungen  und  Grundsätze  aus  ihrem  Munde  zu  ver- 
nehmen ,  die  für  alle  Zeiten  passen  und  nie  von  irgend  einer  Seite  ernstlich 
zu  bestreiten  sind.  Dieselben  können  wenigstens  immer  wieder  als  AVarnungs- 
tafeln  aufgestellt  werden,  die  doch  dann  und  wann  einen  Einzelnen  von  Thor- 
heiten  zurückhalten  und  deren  unausgesetzte  Erneuerung  nicht  sowohl  zur  Ver- 
besserung der  Welt,  welche  ihres  ruhigen  Laufes  weiter  schreitet,  als  vielmehr 
zur  Verhütung  einer  gänzlichen  sittlichen  und  künstlerischen  Verkommenheit 
von  Nöthen  ist. 

Man  kann  die  zweite  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts,  besonders  die  Zeit  nach 
dem  siebenjährigen  Kriege,  das  musikalische  Zeitalter  nennen,  denn  es  ist 
staunenswerth,  welche  Massen  damals  producirt  und  reproducirt  wurden.  Jedes 
Dorfcantorlein  hielt  sich  berufen,  die  musikalische  Literatur  mit  seinen  Werken 
zu  bereichern,  so  dass  gerade  die  Zopfzeit  in  der  Musikgeschichte  den  Namen 
des  Zeitalters  der  Philistrosität  vei'dient.  Dass  dieses  rührige,  aber  einseitige 
Streben  auch  seine  guten  Früchte  hatte,  ist  nicht  zu  verkennen.  AVo  sich  vier 
musikalische  Büi-ger  fanden,  traten  sie  zum  Quartett  zusammen  und  wurden 
die  Pfleger  der  ächten  Hausmusik;  die  Fürsten  hegten  mit  besonders  ange- 
stellten Kammermusikern  die  Orchester-Kammermusik,  während  die  Vornehmen 
sich  wenigstens  eine  Harmoniekapelle,  bestehend  aus  Flöten,  Oboen,  Hörnern 
und  Fagotts,  zu  halten  suchten,  um  bei  Tafel  und  Gesellschaft  doch  etwas 
Apartes  zu  zeigen.  Das  Volk  nannte  diese  Art  Harmoniemusik  wegen  des 
Vorwaltens  des  grunzenden  Fagotts  die  »Schweinchenmusik«  und  wir  finden 
dieselbe  verewigt  in  Mozart's  »Don  Juan«,  wo  im  zweiten  Finale  in  der  er- 
wähnten Besetzung  sich  Don  Juan's  Hauskapelle  producirt.*)  An  allen  denk- 
baren Arten  von  I.  reich  war  jene  Zeit.     Es  gab  Quartette  und  Quintette  von 


*)  Diese  Art  der  Harmoniemusik,  verstärkt  durch  Trompeten,  Posaunen  und  Schlag- 
werk, hat  sich,  nicht  blos  in  der  Militärmusik,  bis  in  die  Gegenwart  erhalten.  Die 
Stadtmusiker  in  den  Provinzialstädten  formiren  jeden  Au<?enbHek  aus  dem  Streich-  ein 
Blasorchester  und  geben  mit  solchem  ihre  «.rartenconcerte,  oder  begleiten  die  Aufzüge  der 
Bürgerschaft. 


Instrumentalmusik.  ^09 

Streichinstrumenten,  von  Blasinstrumenten,  welche  Mischung  durch  Krommer 
und  Pleyel  sehr  beliebt  wurde  und  endlich  alle  möglichen  Verbindungen  vom 
Ciavier  mit  Streich-  oder  Blasinstrumenten.  An  seltsamen  Ausschreitungen 
fehlte  es  auch  nicht,  und  so  finden  wir  damals  Flöten-,  späterhin  auch  Clari- 
netten- Quartette,  Fagott- Trios  u.  s.  w.  Aber  so  quantitativ  reich  diese  Epoche 
an  allen  musikalischen  Produkten  war,  so  qualitativ  arm  und  gehaltlos  war  sie 
auf  der  anderen  Seite,  Da  war  es  wieder  ein  genialer  Mann,  welcher  das  Ge- 
biet mit  universeller  Begabung  und  mächtigem  Geschick  betrat  und  die  Welt 
über  alle  die  Hindernisse  hob,  vor  denen  sie,  unfähig  weiter  zu  kommen,  stand. 
Es  war  dies  Joseph  Haydn,  der  ächte  und  wirkliche  Vater  der  Sinfonie  und 
der  Kammermusik,  wie  wir  sie  jetzt  gemessen. 

Dieses  eminente  Genie  ist  aus  der  Bach'schen  Schule  hervorgegangen,  wie 
er  selbst  stets  dankbar  anerkannte.     Denn  er  formte  seine  Erstlingswerke  nach 
den   Sonaten  von  Phil.  Eman.  Bach  und  bewirkte  es,  dass  die   Sonate  das  Ur- 
bild  für  jede   grosse  Form  der  Orchester-,  Kammer-  und  Ciaviermusik  wurde. 
Erst  wenn  eine  andere,  jetzt  noch  nicht  erkennbare  Form   den  Typus  für  diese 
Gattung  abgeben  wird,  kann  von  einer  neuen  Phase  der  I.  die  Kede  sein.    Haydn 
hat  in   dieser  Weise    118   Sinfonien,   83   Streichquartette,    31   Ciaviertrios  und 
8  Duos  geschafi'en  und  ist  als  zweiter   Schöpfer  dieser  Gattungen  bis  jetzt  das 
Muster    geblieben,    dem    man    im   Wesentlichen    folgt.      Alles   Vorangegangene 
dieser  Kategorie  ist  dadurch    in    seinem  Werthe    so    reducirt  worden,    dass  es 
nur  noch  historisches  Interesse  beanspruchen  kann.     Auch  ohne  seinen  grossen 
musikalischen   Geist  wäre  Haydn    durch    diese   That    zum    musikalischen  Refor- 
mator geworden.     Er  wurde  aber  nicht  das  allein,  sondern  auch  der  Beherrscher 
des  musikalischen  Zeitgeschmacks,  weil  seine  schöpferische  Kraft  in  Erfindung, 
Mannigfaltigkeit  und  Ausführung  wahrhaft  unerschöpflich  erscheint.     In  jedem 
Werke  zeigt  er  sich  neu  und    eigenthümlich ,    überraschend    und    befriedigend; 
die  ästhetischen   Grenzen    der  Kunst    sind    bewundernswerth    eingehalten,    und 
innerhalb   derselben  bewegt  er  sich  mit  technischer  Gewandtheit,  Freiheit,  An- 
muth,  Humor,  kindlicher  Naivetät  und  Schönheit.     Mozart  setzte  das  von  Haydn 
begonnene  Werk  fort  und  führte   es    in  seinen  einzelnen   Theilen  noch  höherer 
Vollkommenheit  zu.     Was  ein   Genie  begonnen,   konnte   nur   ein    noch  höherer 
Geist  entwickeln.     Kein  Künstler  hat  sich    eine  so  allumfassende  Wirkung  auf 
Menschen  jedes  Alters  und  jeder  Bildungsstufe,    kein  Künstler    auch    einen    so 
gewaltigen  Einfluss   auf  die  Kunst  des  Auslandes   errungen.     In   einer  Periode 
der  Entwickelung  des  deutschen  Geistes  lebend,    die  vorzugsweise  ein  Gefühls- 
leben führte,    hat    er  in   der  Tonkunst    das  Herz    emancipirt    und    mit  Haydn 
im  Bunde,  dem  hohen  Ernst,  der  Strenge  und  der  Erhabenheit  der  vergangenen 
Zeit  gegenüber,  die  vollendete  musikalische  Schönheit  zur  Erscheinung  gebracht. 
Obwohl  in  der  Musik  lebend  und  webend,  ist  er  ein  Wunderbild  für  alle  Künste; 
er    zeigt    sich    als    einer    der    reichbegabtesten    und    eigenthümlichsten   Geistei-, 
welche  je  gelebt,    voll  unerschöpflicher  Fülle    und  Kraft    der  Empfindung  und 
voll  unvergleichlicher  Gewalt  in  der  Handhabung  der  Ausdrucksmittel. 

Und  nun  den  beiden  vorangegangenen  Heroen  gegenüber,  oder  vielmehr 
im  Anschluss  Beethoven!  Sein  Wirken  und  Schafi'en  wurzelt  zu  sehr  in  der 
I.,  als  dass  nicht  gerade  diese  durch  seinen  mächtigen  Geist  der  für  uns  höchst- 
denkbaren Vollkommenheit  hätte  zugeführt  werden  müssen.  Direkt  aus  der 
Haydn-Mozart'scheu  Schule  hervorgegangen,  hat  Beethoven  die  von  diesen  auf- 
gestellten Formen  noch  erweitert  und  allmählig  den  Inhalt  aus  dem  Bereich 
des  blossen  Tonspiels  in  das  der  Ideenwelt  hinübergeführt,  grossartige  instru- 
mentale Charaktergemälde  von  erschütternder  und  zugleich  erhebender  Wirkung 
geschaffen,  und  damit,  sowie  durch  die  Erhabenheit  und  Originalität  seiner 
immer  auf  das  Grösste  und  Edelste  gerichteten  Gedanken,  die  Tiefe  und  Gross- 
artigkeit  in  deren  Ausgestaltung,  worin  er  einzig  neben  J.  S.  Bach  dasteht, 
und  durch  die  Schönheit  seiner  Instrumentation  selbst  seine  grossen  Vorgänger 
weit    übertrofi'en.     Seine    Ideen,    reich    und    überraschend,    entwickeln    sich    in 


430  Instrumental-Musikdirektor  —  Instrumentiren. 

logischer  Cousequeuz  und  grossartiger  Steigerung  und  stellen  von  der  Sonate 
an  bis  hinauf  zur  Sinfonie  einen  Seelenprocess  dar,  wie  ihn  sonst  nur  das  ge- 
waltigste Drama  vorführt.  Eine  grössere  Höhe  der  Entwickelung  der  I.  ist 
von  unserem  Standpunkte  aus  noch  nicht  abzusehen,  und  die  direkt  au  Beet- 
hoven anknüpfenden  Künstler,  wie  Ries,  Schubert,  Mendelssohn,  Schumann, 
Brahms,  Berlioz,  Gade,  Ulrich,  B,ubinstein,  Liszt,  Raff,  Bruch  u.  s.  w. ,  können 
nur  als  Epigonen  augesehen  wei'den,  ebenso  wie  die  der  Haydn  -  Mozart'schen 
Schule  verwandteren  Geister  von  Romberg,  Spohr,  Neukomm,  Eesca,  Kalliwoda 
und  Ouslow.  —  Beethoven  hinterliess  auf  instrumentalem  Gebiete  neun  Sin- 
fonien, ein  Tongemälde  (Schlacht  bei  Vittoria),  ein  Ballet,  acht  Ouvertüren, 
ein  Violin-,  ein  Triple-  und  fünf  Pianoforte-Concerte,  sechszehn  Streichquartette, 
vier  Streichquintette,  ein  Sextett,  ein  Septett  (im  Styl  der  alten  Cassation  ver- 
wandt), acht  Ciaviertrios,  über  dreissig  Ciavier-,  zehn  Yioliu-,  fünf  Viuloncell- 
Sonaten,  eine  für  Hörn,  sowie  zahlreiche  Claviercompositionen  jeden  Charakters. 
Dieser  reiche  Schatz  hat  befruchtend  auf  die  Produktion  der  Folgezeit  ein- 
gewirkt und  wird  über  uns  hinaus  weiter  wirken,  so  lange  der  Inhalt  unserer 
I.  der  von  dem  Triumvirat  unserer  Classiker  vorgeschriebene  sein  wird.  Ob 
aber  auf  diesem  Gebiete  neue  Formen,  ein  neuer  Inhalt,  oder  beide  noch  denkbar 
sind,  wer  möchte  das  mit  Bestimmtheit  behaupten?  Deshalb  kann  man  auf  die 
I.  als  auf  eine  gewissermaassen  abgeschlossene  Kunstperiode  zurückblicken. 
Sie  bezeichnet  einen  Weg,  welcher  von  rohen  dürftigen  Anfängen,  oft  aufge- 
halten und  seitwärts  geführt,  mit  Alles  ebnender  Energie  nach  einem  mächtigen 
Gipfel  strebte  und  denselben  in   einer  überraschend  kurzen  Zeit  erreichte. 

Instrumeutal- Musikdirektor,  andere  Bezeichnung  für  den  Direktor  der 
Instrumentalmusik,  wurde  früher  auch  in  grossen  Kapellen  mit  Chor  der 
Anführer  der  Instrumentalisten,  der  jetzt  gewöhnlich  Concertmeister  lieisst, 
genannt. 

lustruiucntalsatz  nennt  man  ein  nur  von  Instrumenten  ausgeführtes  Ton- 
stück, aber  auch  eine  in  der  Vocalmusik  eingeschobene  Stelle  für  Instrumente 
ohne  Gesang. 

Instrumeutatiou,  s.  Instrumentiren. 

lustrnmeutenbauer  oder  Instrumentenmacher  nennt  man  denjenigen 
Künstler,  der  sich  mit  Verfertigung  besonders  musikalischer  Instrumente  befasst. 
Ausser  praktischen  Kenntnissen  vom  Tischlerhaudwerk  muss  derselbe  etwas 
Musik  verstehen  und  ein  fein  gebildetes  Gehör  besitzen. 

lustrumeuteukamiaer  ist  die  Benennung  von  Sammlungen  verschiedener, 
namentlich  alter  Instrumente,  sobald  denselben,  wie  man  es  an  Höfen,  in  Kirchen, 
Kuustcabinetten  u.  s.  w.  antrifft,  ein  besonderer  Raum  zuertheilt  ist. 

lustrumeutireu  (davon  abgeleitet  das  Substantiv  gleicher  Bedeutung:  lu- 
strumentir ung  oder  Instrumentation)  heisst:  ein  Musikstück  für  mehrei'c 
Instrumente  ausführbar  darstellen,  gleichviel  ob  dasselbe  ursprünglich  darauf 
berechnet  war,  oder  ob  die  Composition  erst  später  in  solcher  Weise  einge- 
richtet wird  (arrangiren,  Arrangement).  Ungebräuchlich  ist  dagegen  der 
Ausdruck  »i.«  in  Bezug  auf  ein  einzelnes  Instrument;  man  sagt  also  nicht  von 
einer  Ciaviersonate,  dass  sie  gut  instrumentirt  sei,  wenn  sie  wirklich  clavier- 
geraäss  erscheint.  Selbst  für  eine  Combination  gleichartiger  Tonwerkzeuge, 
wie  z.  B.  im  Streichquartett,  würde  die  Anwendung  jenes  Wortes  befremdend 
sein,  weil  man  vorzugsweise  unter  Instrumentation:  die  Kunst  der  Mischung, 
Behandlung  und  Anordnung  verschiedener  Instrumente  begreift.  —  Da  die 
Vocalmusik  viel  früher  ausgebildet  war  als  die  Instrumentalmusik,  so  fand  letz- 
tere bei  ihrem  selbstständigeu  Auftreten  und  nachdem  sie  sich  von  ihrer  bis 
dahin  den  Gesang  nur  unterstützenden  oder  verstärkenden  Manier  losgesagt, 
einen  für  melodische  und  harmonische  Wendungen  bereits  günstigen  Boden  vor; 
sie  hätte  deshalb  rascher  vorschreiten  können  als  jene,  wenn  sie  nicht  wieder 
von  anderen  Factoren  abhängig  geblieben  und  in  ihrer  Entwickelung  zurück- 
gehalten wäre.     Was  einzelne  Instrumente,  auch   in  ihrer  Mehrheit  zusammen- 


Instrumentireu.  431 

wirkend,  scliou  seit  den  frühesten  Zeiten  geleistet  haben  (im  Tempeldienst  der 
Hebräer,  in  Chören  und  Tänzen  der  Grriechen  u,  s.  w.),  das  möge  unter  den 
betreffenden  Artikeln  dieses  Werkes  nachgelesen  werden.  Mit  einer  »Banda« 
von  Flötenspielern  zogen  die  Athener  in  den  Kampf,  —  über  die  Instrumen- 
tation dieser  Auletenmusik  wissen  wir  aber  genau  so  viel,  als  über  die  Har- 
moniefolge der  Posaunenaccorde,  welche  die  Mauern  von  Jericho  wankend 
machten;  ja  selbst  aus  den  15  ersten  Jahrhunderten  n.  Chr.  besitzen  wir  kaum 
sichere  Andeutungen  über  die  jedenfalls  untergeordnete  Stellung,  in  der  sich 
die  damalige  Instrumentalmusik  befand.  Was  in  derselben  geschaffen  worden 
ist,  müssen  wir  aus  überkommenen,  zum  Theil  nicht  immer  vollständig  erhal- 
tenen Stimmbüchern,  oder  aus  den  sogenannten  Tabulatureu  beurtheilen,  in 
deren  Entzifferung  aber  auch  die  gelehrtesten  Interpreten  oftmals  von  einander 
abweichen. 

Um  nun  diejenigen  zu  befriedigen,  welche  sich  über  das  Ungewisse  Ge- 
wissheit schaffen  wollen,  verweisen  wir  auf  die  Artikel:  Instrumentalmusik, 
Partitur,  Tabulatur,  und  in  der  ausführlichsten  Weise  auf  Kiesewetter's 
»Greschichte  der  abendländischen  Musik«.  An  dieser  Stelle  können  wir  uns 
dagegen  nur  auf  allgemeine  Andeutungen,  eigentlich  nur  auf  Aphorismen  be- 
schränken; denn  das  I.  gehört  zu  den  wenigen  seltneren  Künsten,  die  sich  lernen 
aber  nicht  lehren  lassen.  Es  ist  möglich,  dass  Jemand  aus  dem  vorliegenden 
oder  aus  einem  ähnlichen  Werke  die  Geschicklichkeit  erlangt,  Eugen  zu  schreiben, 
ohne  jemals  eine  Musterfuge  gesehen  oder  gehört  zu  haben;  es  ist  möglich, 
dass  ihm  ebendaselbst  die  Regeln  für  den  doppelten  Contrapunkt  so  eindring- 
lich vorgetragen  wurden,  dass  er  fehlerfreie  grössere  Sätze  in  dieser  schwie- 
rigen Weise  zu  construiren  vermag;  aber  es  ist  unmöglich,  für  die  Instrumen- 
tation Vorschriften  zu  ertheilen ,  welche  das  Studium  und  die  Analyse  guter 
Partituren  überflüssig  machen  oder  ersetzen  könnten.  Sogar  die  besten  seither 
erschienenen  Werke,  die  unseren  in  Rede  stehenden  Artikel  behandeln  (unter 
den  Deutschen  Marx  und  Rcissmann),  fördern  nur  eine  genauei-e  Kenntniss 
der  einzelnen  Instrumente,  die  sich  obenein  in  ihrer  Leistungsfähigkeit  von 
Jahr  zu  Jahr  verändern,  weil  erweitern.  Man  lerne  aus  jenen  umfassenden 
Büchern,  was  zur  Zeit  ihres  Erscheinens  für  die  einzelnen  Instrumente  prac- 
ticabel  war;  dann  wende  man  sich  jedoch  ohne  Zögern  an  das  Studium  und 
die  Analyse  grösserer  Partituren.  Nachstehend  sei  der  Gang  bezeichnet,  wel- 
chen der  Schüler  hierbei  befolgen  dürfte. 

Sobald  also  gewisse  Präliminarien  als  Grundbedingungen  erfüllt  sind,  d.  h. 
sobald  Jemand  mit  den  Hegeln  musikalischer  Setzkunst  vertraut  geworden  und 
die  Fertigkeit  erlangte,  Partituren  zu  lesen  und  zu  spielen ,  gleicherweise  aber 
auch  schon  aus  einem  der  darauf  bezüglichen  Lehrbücher  den  Umfang  und  die 
Behandlung  jedes  Instruments  zu  beurtheilen  gelernt  hat,  —  dann  nehme  er 
beispielsweise  eine  der  älteren  Sinfonien  von  Beethoven  vor  und  suche  die- 
selbe möglichst  in  succum  et  sangidnem  übergehen  zu  lassen.  Demnächst  werden 
auf  vollständigem  Partiturpapier  die  Blasinstrumente  copirt;  die  gedruckte 
Partitur  wird  wieder  bei  Seite  gelegt,  und  nun  ist  die  Aufgabe:  nach  Anleitung 
(mit  Hülfe)  eines  Ciavierauszugs  die  vier  resp.  fünf  offen  gebliebenen  Systeme 
des  eigenen  Mauuscripts  durch  das  Saitenquartett  auszufüllen  und  hinterher 
mit  dem  Original  zu  vergleichen.  Nach  dieser  ersten  Procedur  wird  eine  zweite 
zwar  in  ähnlicher,  jedoch  schwierigerer  Art  vorgenommen,  nämlich  die  Copiatur 
des  Quartetts  (Violine  1  und  2,  Viola,  Violoncello,  Coutrabasso),  darauf  nach 
dem  Clavierauszuge  die  Ausfüllung  der  Blasinstrumente,  und  zuletzt  deren  aber- 
maliger Vergleich  mit  dem  Original.  Endlich  wird  die  ganze  Partitur  nur  mit 
Hülfe  des  vorliegenden  Ciavierauszugs  nochmals  niedei'geschrieben  und  zum 
Schluss  die  vergleichende  Anatomie  zwischen  Original  und  eigener  dritter 
Arbeit  gewissenhaft  betrieben.  AVer  nun  die  Mühe  nicht  scheut,  auch  noch 
einige  neuere  Orchesterwerke  ebenso  zu  reproduciren ,  der  möge  überzeugt  sein, 
dass  er  dadurch  weit  mehr  erlangt  haben  werde,  als  nur  die   Sicherheit,  nichts 


432  Instrumeutiren. 

Inpracticables  hinzuschreiben;  nicht  allein,  dass  er  keinen  Verstoss  mehr  gegen 
die  Regeln  machen  wird,  welche  die  Lehrbücher  der  Instrumentation  mit  ihrem 
»bis  hierher  und  nicht  weiter«  ertheileii  konnten,  sondern  er  ist  selbstständiger 
Herr  über  das  Orchester  geworden,  und  darf  diesem  Körper  neue  Aufgaben 
zumuthen,  ohne  dessen  Kräfte  zu  überspannen.  Um  auch  für  die  sogenannte 
»Harmoniect  (nur  Blasinstrumente  verschiedener  Grattung)  sachgemäss  arbeiten 
zu  können,  stelle  mau  dieselben  Uebungen  an  mit  einem  in  solcher  Weise 
componirten  Original  (z.B.  Ouvertüre  von  Mendelssohn  op.  101  oder  eine 
der  grossen  Militärmusiken  von  dem  verdienstvollen  AViep recht),  wobei  zuerst 
die  Holzblasinstrumente  copirt  und  später  die  Blechinstrumente  ohne  vor- 
liegendes Original  hinzugesetzt  werden,  darauf  in  umgekehrter  Ordnung,  zuletzt 
u.  s.  w.  u.  s.  w.  wie  es  bereits  oben  angegeben  ist.  Kaum  uöthig  scheint  noch 
besonders  hervorzuheben,  dass  auch  hier  dem  alten  Spruche  ytviva  vox  doceU 
recht  eindringlich  Folge  zu  leisten  ist,  durch  oftmaliges  Anhören  bedeutender 
Orchesterwerke,  und  wo  möglich  mit  deren  Partitur  in  der  Hand;  der  junge 
Gompouist  gewinnt  dadurch  die  Fähigkeit,  seine  musikalischen  Ideen  im  Grossen 
und  Granzen  sogleich  orchestermässig  zu  empfangen,  nicht  aber  seine  Composition 
erst  hinterdrein  wie  ein  fremdes  AVerk  instrumeutiren  zu  müssen. 

Ein  Zurückgehen  noch  vor  Beethoven,  um  in  die  Geheimnisse  der  In- 
strumentation einzudringen  —  selbst  wenn  es  Haydn  oder  Mozart  wäre  — 
ist  kaum  anzurathen,  weil  der  gegenwärtige  Standpunkt  des  Orchesters  gegen 
die  frühere  Zeit  so  hoch  gerückt  ist,  dass  der  damalige  für  unseren  Zweck  nur 
noch  historisches  Interesse  behält.  Freilich  heisst  es,  »in  der  Beschränkung 
zeigt  sich  erst  der  Meister«,  und  doppelt  willkommen  wird  uns  immer  der- 
jenige sein,  welcher  schon  durch  geringe  Mittel  bedeutende  Wirkung  zu  erzielen 
vermag;  aber  andererseits  vergesse  man  auch  nicht,  dass  die  grossen  Effecte, 
welche  die  älteren  Meister  noch  heutigen  Tages  hervorbringen ,  wahrlich  nicht 
in  der  Instrumentation,  sondern  in  der  Composition  liegen.  Und  wenn  es  schon 
seine  Schwierigkeiten  hat,  dass  die  Jetztzeit  eine  Oper  schaffe  von  der  Bedeu- 
tung des  »Don  Juan«,  so  ist  es  geradehin  undenkbar,  dass  eine  solche  —  stände 
ihr  Erscheinen  wirklich  in  Aussicht  —  mit  der  damaligen  Instrumentirung 
aufträte.  Vollständig  nutzlos  würde  aber  für  denjenigen,  der  i.  lernen  will,  ein 
zu  diesem  Zweck  unternommenes  Studium  der  Partituren  von  Seb.  Bach  und 
Händel  sein,  zweier  Meister,  welche  in  der  Kirche  die  Orgel,  im  Coucertsaal 
das  Ciavier  oder  die  Orgel  benutzten,  um  ihre  lückenhaften  Partituren  aus- 
zufüllen, ohne  uns  Andeutungen  zu  hinterlassen,  in  welcher  Weise  sie  dies 
selber  thaten,  so  dass  wir  also  darauf  hingewiesen  sind,  die  Completirung  des 
Torso  in  seinem  das  Werk  durchhauchenden  Geiste  zu  unternehmen  und  durch- 
zuführen. Mozart  war  daher  im  vollen  Hechte,  als  er  den  »Messias«  mit 
Blasinstrumenten  schmückte,  und  er  hätte  an  vielen  Stellen  noch  manches  hin- 
zusetzen können,  ohne  sich  gegen  das   Original  zu  versündigen. 

So  ist  es  auch  eine  Beleidigung  für  J.  S.  Bach,  wenn  man  ihm  zutrauen 
wollte,  er  habe  seitenlange  Musikstücke  nur  mit  Accompagnement  eines  Basses 
(dann  und  wann  auch  eines  höheren  Soloinstruments)  vortragen  lassen;  der 
alte  Thomanercantor  hat  ganz  gewiss  auf  Cembalo  oder  Organo  gehörig  nach- 
geholfen. Eine  solche  Nachhülfe  Hess  ihm  mit  Fug  und  Recht  in  neuester 
Zeit  Robert  Franz  angedeihen,  und  es  ist  eine  geschmacklose  Pietät,  bei 
Aufführung  dieser  alten,  uns  unvollständig  überlieferten  Werke  an  dem  y>litera 
scripta  manetn  festzuhalten,  und  darüber  zu  vergessen,  dass  jene  literae  zum 
Theil  Hieroglyphen  sind,  welche  ihrer  zeitgemässen  Entzifferung  harren.  Un- 
recht ist  es  dagegen,  ältere  Compositionen  durch  neuere  Instrumentirung  heben 
zu  wollen.  So  fest  wir  auch  davon  überzeugt  sind,  dass  die  fünfte  und  neunte 
Sinfonie  —  wie  überhaupt  sämmtliche  Grossthaten  des  Unerreichten  —  in 
ganz  anderem  Gewände  erscheinen  würden,  wenn  Beethoven  schon  das  er- 
weiterte Gebiet  verschiedener  damals  noch  höchst  beschränkter  Instrumente 
gekannt  hätte,    so    müssen  wir    uns   doch    entschieden  gegen  das  Verfahren  er- 


Instrumento  a  carapanella  —  Tntavolare.  433 

klären,  welches  sich  ein  berühmter  Componist  in  Bezug  auf  oben  genannte 
"Werke  erlaubt  hat,  selbst  zugegeben,  dass  der  Autor  dieselben  in  unseren  Tagen 
kaum  anders  instrumentirt  haben  würde,  als  jetzt  sein  jüngerer  Collaborator 
gethan.  Denn  jedes  Kunstwerk  trägt  den  Stempel  seiner  Zeit  (der  Zeit  seines 
Entstehens)  an  sich,  und  es  dieses  Zeichens  berauben,  heisst:  ihm  das  Zeitliche 
abstreifen  wollen,  ohne  ihm  Ewiges  verleihen  zu  können.  Oder  wer  hinderte 
dann  nach  etwa  50  Jahren  abermals  einen  geschickten  Operateur  und  Restau- 
rateur,  die  ganze  Partitur  wieder  nach  den  jüngsten  Erweiterungen  des  Instru- 
mentenbaues umzumodeln?  der  Kühnheit  gar  nicht  zu  gedenken,  mit  welcher 
jetzt  schon  sogar  einzelne  Figuren,  in  Folge  verbesserter  Instrumentation,  ab- 
geändert worden  sind.  Nein!  das  eigenthümliche  Gewand  muss  dem  "Werke  der 
Tonkunst,  ebenso  wie  dem  der  Malerei  oder  Sculptur,  erhalten  bleibendes 
gehört  zum  Charakter  der  Periode,  in  welcher  das  "Werk  entstanden  ist  und 
darf  ihm  also  nicht  entzogen  werden. 

"Unzweifelhaft  gilt  die  Instrumentation  für  Musik  dasselbe,  wie  das  Colorit 
für  Malerei,  in  welcher  ein  blendender  Farbenglanz  oft  das  Dürftige  der  Er- 
findung, oder  das  Mangelhafte  der  Gruppirung,  den  Nichteingeweihten  sogar 
die  unrichtige  Zeichnung  vergessen  macht;  und  es  fehlt  gerade  in  neuester 
Zeit  nicht  an  Beispielen,  dass  selbst  hervorragende  Tonkünstler  ihren  mitunter 
ganz  trivialen  Eingebungen  durch  prachtvolle  mise  en  scene  eine  höhere  Gel- 
tung beizubringen  wussten.  Wie  gefährlich  nun  auch  die  Geschicklichkeit  des 
I.s  als  ein  willkommenes  Surrogat  für  Reichthum  an  Gedanken  werden  kann, 
so  unerlässlich  ist  sie  doch  jedem  Componisteu,  da  es  andererseits  oft  genug 
vorkommt,  dass  wirklich  interessante  Motive  den  beabsichtigten  Effect  nicht 
machen,  weil  sie  in  einem  zwar  practicabeln  aber  doch  nur  schablonenhaften  Or- 
chestriren  spurlos  untergehen  mussten.  Und  hier  dürfen  wir  unverhohlen  be- 
kennen, dass  durch  Richard  "Wagner,  wenn  er  weiter  kein  anderes  Verdienst 
hätte,  in  der  Behandlung  der  Instrumentalmassen  ein  bedeutsamer  Umschwung 
herbeigeführt  wurde.  "Wie,  oft  er  auch  darin  die  Grenzen  der  Schönheit  über- 
schreitet, so  hat  sein  Beispiel  (nach  dem  Vorgänge  des  bahnbrechenden  Hector 
Berlioz)  doch  nicht  anders  als  fruchtbringend  selbst  auf  ältere  Kunstgenossen 
gewirkt,  und  das  Studium  seiner  Partituren  kann  allen  jüngeren  Musikern  — 
wenn  sie  bereits  festen  Grund  gelegt  haben  —  dringend  empfohlen 
werden.  Mögen  sie  sich  hüten  vor  den  Excessen  eines  ausgetüftelten  Raffine- 
ments (es  ist  hier  immer  nur  von  Instrumentation,  nicht  von  Composition  die 
Rede),  aber  möge  ihnen  das  viele  überraschend  Neue  und  Schöne  auch  Anlass 
zum  Nachdenken  und  zur  Nacheiferung  werden.  Dem  Saiten quartett  die  Füh- 
rung des  ganzen  Baues  übertragen,  um  dasselbe  die  Bläser  gruppiren,  keinem 
von  allen  dabei  Beschäftigten  eine  Rolle  zuweisen,  die  seiner  Natur  widerstrebt 
....  solche  höchst  billige  Art,  mit  den  Instrumenten  umzugehen,  ist  allmälig 
Gemeingut  unserer  (der  Musiker)  Nation  worden,  und  wir  müssten  diese  Fähig- 
keit eigentlich  nur  noch  zu  den  handwerksmässigen,  nicht  mehr  zu  den  künst- 
lerischen Eigenschaften  zählen.  Folgt  man  aber  aufmerksam  dem  Fortschritt 
der  Instrumentalmusik  (s.d.)  von  den  Uranfängen  italienischer  Kammer- 
cautaten  bis  zu  den  letzten  Errungenschaften  deutscher  Meistersinger,  so  wird 
man  sich  jener  Ansicht  kaum  verschliessen,  die  wir  schon  oben  in  dem  Satze 
aussprachen:  I.  gehört  zu  den  seltneren  Künsten,  die  sich  lernen  aber  nicht 
lehren  lassen.  Das  Combinationsvermögen,  gestützt  auf  technische  Studien  und 
erweitert  durch  feinen  Geschmack,  lässt  sich  nicht  eintrichtern  wie  die  festge- 
stellten Regeln  irgend  welcher  der   Tonwissenschaft  zugehörigen  Disciplin. 

H.  D. 

lustrumeuto  a  campauella  oder  Stromento  a  campanella  (ital.) ,  das 
Glockenspiel. 

lutavolare  (latein.),  ursprünglich  in  der  Bedeutung,  in  die  Tabulatur 
bringen,  später  in  Partitur  setzen  oder  absetzen,  wie  der  Kunstausdruck 
lautet  (s.   Tabulatur). 

Musikal.    Convers.-Tiexikou.    V.  28 


434  Integer  valor  notarum  —  Interpunction. 

luteger  valor  notarum  (latein.)  war  in  der  Meusuralmusik  die  Bezeich- 
nung für  die  eigentliche  Zeitdauer  der  Noten  unter  dem  gewöhnlichen  Takt- 
zeicheu,  von  welcher  in  der  Äugmcntatio  und  Dimmutio  abgewichen  wurde  (s. 
Mensuralnotenschrift). 

lutendaut  de  musiqiie  (frauzös.;  ital,:  Intendente),  der  Intendant  oder  Ober- 
aufseher der  Musik,  heisst  Derjenige,  welcher  bei  Hofbühnen,  Hof  kapeilen 
\\.  s.  w.  die  oberste  Verwaltung  führt  und  die  Verbindung  zwischen  dem  be- 
treffenden Institute  und  dem  Herrscher  vermittelt.  Seiner  Stellung  nach  gehört  er 
zu  den  höheren  Hofchargen,  weshalb  bisher  auch  in  der  Regel  ein  Hofcavalier 
mit  diesem  Amte  betraut  wurde.  In  Frankreich  ist  im  Laufe  der  Zeit  die 
Bezeichnung  I.  auf  jeden  ersten  Vorsteher,  Direktor  einer  Kapelle,  Musikdirektor 
u.  s.  w.   übergegangen. 

Intei'ludium  (latein.),  das  Zwischenspiel  (s,  d.),  besonders  bei  Chorälen. 

lutermedium  (latein.)  oAev  Intermezzo  (ital  ;  französ.:  intermede  oder farce), 
zu  deutsch  Zwischenspiel,  nennt  man  zunächst  jedes  Tonstück,  welches  zur 
Ausfüllung  einer  langen  Pause  in  einem  grösseren  oder  zwischen  zwei  kleineren 
Schauspielen  dient  (s.  Entr'act).  Sodann  und  hauptsächlich  bezeichnet  es 
eine  kleine  dramatische  Darstellung,  am  häufigsten  in  Form  eines  Singspiels, 
welches,  ohne  grosse  Ansprüche  zu  machen,  den  Zuschauer  und  Zuhörer  humo- 
ristisch unterhalten  soll  und  häufig  als  Lückenbüsser  zur  Ausfüllung  des  Theater- 
abends gebraucht,  oder  auch  von  reisenden  Sängern  angewendet  wird,  um  sich 
dem  Publikum  im  dramatischen  Gesang  vortheilhaft,  und  zwar  ohne  viel  Vor- 
bereitungen mit  grösserem  Bühnenpersonal,  zu  zeigen.  Das  I.  ist  keine  Er- 
findung der  neueren  Italiener,  die  es  allerdings  besonders  pflegten  und  aus- 
bildeten; denn  schon  die  Alten  kannten  gewisse  kurze,  abgerissene,  locker  an- 
einandergeknüpfte  Darstellungen,  durch  welche  sie  den  Uebergang  von  einem 
Stücke  zu  dem  anderen  machten  und  zugleich  längere  Zwischenräume  der  Zeit 
ausfüllten.  Das  I.,  wie  es  jetzt  vorkommt,  ist  vorzüglich  eine  kleine  komische 
Oper,  in  welcher  eine,  höchstens  zwei  Personen  auftreten,  hin  und  wieder  auch 
noch  eine  stumme  Person  betheiligt  ist,  und  die  weder  mit  dem  vorhergehenden, 
noch  mit  dem  nachfolgenden  Stücke  in  irgend  einer  Verbindung  steht.  Da 
die  Kritik  an  diese  Art  Erzeugnisse,  weil  sie  durch  die  geringe  Anzahl  Per- 
sonen sehr  beschränkt  sind,  keine  strengen  Anforderungen  zu  machen  scheint, 
so  fühlt  man  sich  von  denselben  hinlänglich  befriedigt,  wenn  sie  sich  nur  durch 
Laune  und  komische  Kraft  auszeichnen,  ohne  es  gerade  mit  dem  inneren  Zu- 
sammenhange der  eng  begrenzten  Handlung  sehr  genau  zu  nehmen.  Die  ersten 
Intermezzi  der  Italiener  sollen  in  Madrigalen  bestanden  haben,  welche  zwischen 
den  Aufzügen  abgesungen  wurden  und  auf  das  Stück  Beziehung  hatten ,  aber 
bald  von  ihrer  ersten  Bestimmung  sich  entfernend,  zu  selbstständigen,  durch 
P.  F.  Valentini  (um  1650  lebend)  sogar  seriösen  Stücken  geworden  sein.  Als 
eines  der  ältesten  und  schiinsten  Intermezzi  gilt  Bardi's  y>Il  eomhattimento 
d'ÄpolUne  col  serpente« ,  von  dem  Sänger  Caccini  in  Musik  gesetzt,  und  1590 
aufgeführt.  Auch  in  den  älteren  französischen  Opern  kommen  Intermezzi  unter 
dem  Namen  Rondeaux  oder  Sarabanden  vor,  um  mittelst  derselben  den  Sängern 
Zeit  zur  Erholung,  dem  Publikum  Abwechselung  zu  verschaffen.  Die  von 
.Jacques  Offenbach  1856  für  das  kleine  Theater  der  HoKffes  parisiens  in  Paris 
geschaffenen  kleinen  Singstücke  (»Die  beiden  Blinden«,  »Die  beiden  Fischer« 
u.  s.  w.),  sowie  die  zu  gleicher  Zeit  von  dem  französischen  Sänger  Levassor 
auf  Reisen  auch  in  Deutschland  vorgeführten  Soloscenen  sind  im  Grunde  nichts 
anderes  als  französische  Intermezzi  im  italienischen  Sinne  des  Wortes,  nur  dass 
die  bezeichnende  echte,  unverwüstliche  Komik  darin  schon  vielfach  in  niedrige 
Posseureisserei  ausartete. 

Interpunction  (aus  dem  Latein.)  nennt  man  die  gesetzmässige  Anwendung 
gewisser  Scl'riftzeichen  (Punkt,  Kolon,  Komma,  Fragezeichen  u.  s.  w.),  durcli 
welche  die  Verbindung  und  Trennung  Dessen,  was  in  einer  Rede,  dem  Sinne 
nach,  zusammengehört  oder  getrennt  werden  muss,  und  die  Hebung  und  Senkung 


InterrogativTis  sc.  acceutus  —  Intervallenlehre.  435 

der  Stimme  angedeutet  werden,  so  dass  sie  in  ersterer  Hinsicht  der  logischen 
Deutlichkeit,  in  der  anderen  der  Vollkommenheit  des  mündlichen  Vortrags 
dienen.  Die  Morgenländer  kennen  nur  Tonzeichen,  aber  keine  eigentlichen 
I.szeichen;  die  Römer  hatten  zwar  den  Namen  L,  verbanden  aber  damit,  ebenso 
wie  die  Griechen ,  einen  blos  oratorischen  oder  declamatorischen  Begriff  und 
deuteten  sie  schriftlich  oft  gar  nicht,  oder  höchstens  durch  einen  Punkt  am 
Ende  des  Satzes  oder  durch  neue  Linienanfänge  an.  Die  neuere,  grösstentheils 
grammatische  I.  ist  angeblich  eine  Erfindung  des  alexandrinischen  Grammatikers 
Aristophanes,  aber  erst  seit  Ende  des  15.  Jahrhunderts  bediente  man  sich  der- 
selben, gemäss  dem  Beispiele  der  gelehrten  venetianischen  Buchdrucker  Ma- 
nucci,  die  als  Schöpfer  der  gegenwärtigen  I.smethode  anzusehen  sind,  nach 
festeren  Begeln.  Auf  diese  Regeln  hat  der  Vocalcomponist  der  Bestimmtheit 
und  Deutlichkeit,  ja  der  Richtigkeit  seiner  Tonverbindungen  wegen  genau  zu 
achten,  und  mit  Recht  werden  jetzt  mehr  wie  früher  Fahrlässigkeiten  in  dieser 
Beziehung  scharf  gerügt.  Musikalisch  gut  declamirte  Gesangstücke  werden 
auch  die  I.  gehörig  berücksichtigt  haben,  widrigenfalls  sich  den  Sängern  ein 
Feld  eröffnet,  da  nachzuhelfen,  wo  der  Componist  gefehlt  haben  sollte.  Wie 
vortrefflich  auch  die  Parenthese  musikalisch  wiedergegeben  werden  kann,  davon 
giebt  die  Tonphrase  zu  den  Worten  »Dräuend  wohl  dem  Mörder«  in  der 
grossen  Arie  des  Max  in  C,  M.  v.  Weber's  »Freischütz«  Beweis. 

Interrogatiyus  sc.  accentns  (latein.),  s.  Accentus   ecclesiasticus. 

luterrotto  (ital.),  Vortragsbezeichnung  in  der  Bedeutung  unterbrochen, 
abgebrochen. 

Interrnption  (französ.;  ital.:  interruzione) ,  die  Unterbrechung,  das  plötz- 
liche Abbrechen  z.  B.  einer  Stimme,  welche  einen  bestimmten  Tongang  be- 
gonnen hatte  und  die  Beendigung  desselben  einer  anderen  Stimme  überlässt. 

Intervall  (vom  latein.  intervallum  —  der  Raum  zwischen  den  Pallisaden; 
daher  auch  »Zwischenraum«,  »Entfernung«,  »Raum«).  In  der  Musik  ist  der 
Begriff  I.  in  dreierlei  Auffassung  gebräuchlich.  1.  Die  erstere  Auffassung  er- 
giebt  sich  aus  folgenden  Definitionen:  »Die  Vergleichung  zweyer  Töne,  in  An- 
sehung ihrer  Grösse,  oder  die  Vergleichung  einer  Stufe  der  Tonleiter  mit  einer 
anderen,  in  Betracht  ihrer  Entfernung,  nennt  man  ein  I.«  (H.  Chr.  Koch,  »Ver- 
such einer  Anleit.  zur  Comp.«,  1782,  I.  S.  40).  —  »Jeder  (höhere)  Ton,  welcher 
mit  einem  tieferen  verglichen  wird,  oder  wie  Sulzer  schreibt:  ,das  Verhältniss 
zweyer  Töne  in  Absicht  ihrer  Höhe',  heisst  ein  I.,  weil  beyde  Töne  in  einer 
gewissen  Weite  von  einander  entfernt  sind.  Noch  Andere  sagen:  ,Der  Raum 
oder  die  Entfernung  von  einem  Tone  zum  anderen';  desgleichen:  ,Die  Be- 
stimmung eines  Tones  nach  seinem  Abstände  vom  Grundtone*  u.  dergl,  m. 
Auch  übersetzen  Einige  das  Wort  I.  durch  Ton-  oder  Stimmweite«  (D.  G.  Türk, 
»Ciavierschule«,  1789,  S.  53).  »I.  ist  dea'  Raum  zwischen  zwey  Tönen  von  ver- 
schiedener Grösse,  oder  die  Vergleichung  einer  Stufe  der  Tonleiter  mit  einer 
anderen  in  Betracht  ihrer  Entfernung«  (H.  Chr.  Koch,  »Musik.  Lexicon«,  1802, 
S.  796).  »Das  Verhältniss  von  zwei  nicht  völlig  gleich  hohen  Tönen,  der 
Unterschied  der  Höhe  eines  Tones  gegen  die  Tonhöhe  eines  anderen,  die  Ent- 
fernung von  einem  höheren  zu  einem  tieferen,  heisst  I.,  d.  h.  Zwischenraum, 
Tonunterschied,  Tonentfernung.«  —  2.  Nach  einer  zweiten  Auffassung  versteht 
man  unter  I,  jeden  zweistimmigen  Zusammenklang  ganz  im  Allgemeinen.  — 
3.  Endlich  heisst  (in  unrichtiger  Weise)  auch  jeder  Ton  eines  Zusammenklanges 
als  solcher  ein  I.  —  Weiteres  über  Benennung,  Eintheilung  und  Behandlung 
der  I.e  findet  sich  unter  Intervallonlehre.  0.  T. 

InterTallenberechuung',  s.  Intervallenlehre  und  Kanonik. 

lutervallenlehre.  Sie  war  Jahrhunderte  lang  der  wichtigste  Theil  der 
musikalischen  Wissenschaft,  zugleich  aber  auch  eine  Hauptplage  der  Musik- 
treibenden, und  noch  heut  zu  Tage  bildet  sie  die  unentbehrliche  Grundlage, 
gleichzeitig  aber  auch,  so  leicht  die  Sache  an  sich  ist,  die  unverständlichste 
und  unverstandenste  Parthie  in  den  meisten  Lehrbüchern  der  Harmonie.     Dieser 

28* 


436  Intervalleulelire. 

Lehre  vor  alleu  Diugen  und  den  mit  ihr  verknüpften  mathematischen  Berech- 
nungen und  metaphysischen  Speculationen  ist  es  zuzuschreiben,  wenn  die  Theorie 
der  Musik  zeitweilig  einen  ungemessenen  Ruf  der  Wissenschaftlichkeit  erhielt, 
zeitweilig  aber  aucli  als  müssige  Speculation  angesehen  werden  konnte,  der  jede 
praktische  Bedeutung,  ja  jede  Bedeutung  überhaupt  abzusprechen  sei.  In 
welchen  Irrthümern  diese  Wissenschaft  Jahrhunderte  hindurch  befangen  war, 
ist  schon  unter  »Consonanz«,  » Harmonielehre«  und  an  anderen  Orten 
angedeutet;  hier  ist  daher  nur  noch  zu  betrachten,  inwiefern  die  I.  zu  den 
verschiedenen  Zeiten  für  die  Praxis  von  Bedeutung  war,  event.  was  sie  au 
praktisch  verwerthbaren  Resultaten  fand  oder  gefunden  zu  haben  meinte.  * 

Schon  bei  den  altgriechischen  und  lateinischen  Musikschriftsteilern  gilt  die 
I.  für  einen  wichtigen  Theil  des  theoretischen  Unterrichts  (s.  Griechische 
IMusik).  Die  Kenntniss  der  Intervalle  und  die  Eintheilung  der  letzteren  bot 
wenig  Schwierigkeiten*),  da  man  nur  14  verschiedene  einfache  Intervalle  an- 
nahm, und  unsere  Eintheilung  in  grosse,  kleine,  verminderte  und  übermässige 
Intervalle  ganz  unbekannt  war.  Das  Nothwendige  hierüber  findet  man  unter 
Consonanz  und  Griechische  Musik,  Viel  complicirter  dagegen  war  die 
mathematische  Berechnung  der  Intervalle,  da  man  hierbei  nach  den  verschie- 
denen Klanggeschlechtern  und  deren  Gattungen  verschiedene  Wege  einschlagen 
musste.  »So  wie  es  die  Musici  heutiges  Tages  machen,  dass  sie  für  die  zwölf 
halben  Töne  ihrer  Octave  alle  Tage  eine  neue  Art  von  Temperatur  zum  Vor- 
schein bringen:  so  machten  es  die  Alten  in  Ansehung  der  Berechnung  der 
vier  Töne  ihrer  Tetrachorde;  und  um  eine  Art  der  Berechnung  von  der  an- 
deren zu  unterschtiden,  theilten  sie  ihre  Ivlanggeschlechter  in  verschiedene 
Gattungen,  und  bezeichneten  selbige  mit  gewissen  Nahmen,  die  sie  theils  von 
der  Art  der  Berechnung  selber,  theils  von  der,  dieser  Berechnung  zugeeigneten 
Kraft  entlehnten«   (Marpurg,  a.  a.  0.  S.  144). 

Pythagoras,  der  älteste  griechische  Theoretiker,  von  dem  derartige  Be- 
rechnungen durch  lateinische  Schriftsteller  aufbewahrt  sind,  war  mit  den  rich- 
tigen Verhältnissen  der  Saitenlängen  für  einzelne  Intervalle  bekannt;  gleich- 
wohl ist  er  hinter  die  wahren  natürlichen  Verhältnisse  der  anderen  Intervalle 
nicht  gekommen.  »Das  Ohr  musste  sich  bei  ihm  nach  den  Zahlen  richten, 
und,  weil  er  sich,  dem  Vorurtheile  der  Alten  für  den  Quoteruionem  (die  heilige 
Vierzahl)  zu  Folge,  vorgenommen  hatte,  alle  einfache  Rationen,  die  diesen  Um- 
fang überschritten,  für  dissonirend  zu  erkennen:  so  hatten  die  Zahlen  5:4:0 
folglich  das  Unglück,  von  der  Anzahl  seiner  Consonanzen  ausgeschlossen  zu 
werden.  Man  weiss  aus  dem  Plutarch,  dass  der  Quoternio  bei  den  Griechen 
in  solchem  Ansehen  stand,  dass  man  gar  bei  demselben  zu  schwören  pflegte« 
(a.  a.  0.  S.  147).  Pythagoras  nahm  bekanntlich  die  Dififerenz  zwischen  der 
Quinte  {Diapente,  mit  dem  Verhältniss  der  Saitenlängen  3 :  2)  und  der  Quarte 
{Diatessaron  =  4:3)  als  Ganzton  {Tonus  =  9  : 8,  da  '^ js  :  ^ji  =  */9,  s.  Subtraction 
der  Intervalle)  an.  Zwei  solche  Ganztöne  (c  :  d  =  d  :8  und  d:  e  =  d  :8)  bil- 
deten seine  grosse  Terz  (Ditonus  =  c:e  =  81:64,  da  7»  X  7^  =  "^/ai ,  s.  Ad- 
dition der  Intervalle),  —  und  die  Difi'erenz  zwischen  diesem  Intervall  und 
der  Quarte  (4:3)  wiederum  war  sein  Halbton  (Uemito/iium  =  e  :f  =  25Q:24:S, 
da  7* :  ^V^i  =  '"7"6,  s.  Subtraction  der  Intervalle),  Wie  man  sieht, 
verwendete  Pythagoras  nur  Quinten  und  Octaven  (die  Quarte  ist  ja  nur  eiue 
umgekehrte  Quinte),  und  aus  den  Artikeln  Intervall,  Tonsystem  u.  s.  f. 
ist  bekannt,  dass  dann  alle  seine  grossen  Terzen  um  das  syntonische  Komma 
(81 :  80)  zu  gross  sein  mussten.  »Eine  solche,  um  das  syntonische  Comma  81  :  80 
zu  starke  grosse   Terz  konnte  freilich  auf  dem  Monochord  nicht  angenehm  ins 


*)  „Wir  bemerken  nur,  dass,  da  wu-  uicht  alleiu  mehrere  geschickte  Töne  zur  Musik 
haben,  als  die  Alten,  sondern  zugleich  die  Verhältnisse  der  Intervallen,  Dank  sei  es  dem 
Zarlino,  Jjesser  kennen,  als  jene  sie  gekannt  haben,  unsere  heutige  Lehre  hievon  von  weit 
grösserem  Umfange,  als  bei  ihnen  ist"  (Fr.  W.  Marpurg,  „Kritische  Einleitung  in  die  Ge- 
schichte und  Lehrsätze  der  alten  und  neuen  Musik",  J'erJin,  1759,  S.  97). 


Intervallenlehre.  437 

Grehör  fallen,  wenn  gleich  die  grosse  Terz  in  der  Praxi,  wo  die  Sänger  und 
Spieler  solche  in  ihrem  natürlichen  Verhältnisse  nahmen,  das  Ohr  nicht  be- 
leidigte. Pythagoras  aber  urtheilte  von  der  grossen  Terz  nach  der  aus  seinem 
Monochord  ihr  gegebenen  Ration«  (a.  a.  0.).  "Wenn  die  grossen  Terzen  falsch 
waren,  so  mussten  natürlich  auch  die  kleinen  Terzen  und  die  grossen  und 
kleinen  Sexten  falsch  werden.  Die  grossen  Terzen  und  die  grossen  Sexten 
sind  nämlich  immer  um  dasselbe  Intervall  zu  gross,  um  welches  die  kleinen 
Terzen  und  die  kleinen  Sexten  zu  klein  sind.  »Man  hätte  denken  sollen, 
dasB,  als  die  pythagorische  Secte  von  dem  Aristoxenus  verdrungeu,  und  die 
Arithmetik  auf  ihrem  Throne  erschüttert  ward,  die  Terzen  und  Sexten  ein 
sanfter  Schicksal  hätten  erfahren  müssen.  Aber  Aristoxenus,  der  auf  das  Gehör 
pochte,  hatte  gleichwohl  noch  nicht  Grehör  genug,  diesen  Intervallen  Recht 
wiederfahren  zu  lassen.  Wenn  er  gleich  in  seinem  chromatisch -toniäischen 
Geschlecht  den  Ohren  eine  kleine  Terz  in  der  Ration  6:5  vorstellte:  so  kam 
ihm,  weil  er  seiner  Abweichung  von  den  Pythagoräern  ungeachtet,  noch  an 
den  vier  ersteren  Zahlen  hängen  blieb,  diese  6:5  gleichwohl  noch  nicht  con- 
sonirend  vor;  und  übrigens  brachte  er,  in  verschiedenen  Eintheilungen  der 
Klanggeschlechte,  noch  schlechtere  Rationen  für  die  Terzen  und  Sexten  zum 
Vorschein,  als  sie  jemahls  Pythagoras  gehabt  hatte.«  »Derjenige,  unter  dessen 
Händen  die  Klanggeschlechte  eine  bessere  Form  zu  allererst  bekamen ,  war 
Didymus,  und  Ptolomäus  folgte  seinen  Spuren.  Beyde  brachten  die  Ration 
5:4  für  die  grosse  Terz  in  ihr  diatonisch -syntonisches  Klanggeschlecht.  Sie 
bedienten  sich  dabey  zu  gleicher  Zeit  der  Ration  6 : 5  für  die  kleine  Terz ; 
aber  sowohl  dem  einen  als  dem  andern,  fehlte  es  entweder  an  Herz,  oder  an 
Gehör,  diese  Intervalle  in  dem  besagten  Verhalte  für  consonirend  zu  erkennen. 
Sie  Hessen  es  immer  bei  der  alten  Meinung  bewenden;  ihr  Zirkel  maass  gut; 
aber  ihr   Ohr  hörte  falsch«   (a.  a.  0.  S.  147  ff.). 

Die  Berechnungen  des  Pythagoras,  wie  sie  durch  Aristides  Quintilianus 
mitgetheilt  werden,  beziehen  sich  nur  auf  das  diatonische  Klanggeschlecht 
(s.  Klanggeschlecht).  Schon  vor  der  Zeit  des  Aristoxenus  aber  wurden 
das  chromatische  und  das  enharmonische  Geschlecht  mit  in  Rechnung  gezogen. 
Die  Berechnungen  des  Aristoxenus,  denen  sich  auch  Aristides  Quintilianus  und 
Euklides  anschlössen,  schlugen  einen  ganz  anderen  Weg  ein.  »Diese  Har- 
moniker theilen  den  ganzen  Ton  in  zwölf  Theile;  und  nehmen  den  halben  Ton 
zu  sechs  Zwölftheilen  an.  Ein  Drittheilton  bekömmt  vier  Zwölftheile,  und 
ein  Viertheilton  drei  Zwölftheile.  Ein  ganzes  Tetrachord  wird  also  in  dreissig 
Theile  unterschieden«  (a.  a.  0.  S.  150).  Sie  erhielten  in  den  verschiedenen 
Klanggeschlechtern  noch  verschiedene  Gattungen,  so  z,  B.  zwei  diatonische  mit 
den  Eintheilungen: 

a.  7i2  +  V12  +  ^Vi2  =  'A   Ton  +  74   Ton  +  l'/*   Ton; 

j.  6/1,  _1_  "/12  +  ^7i2  =  72  Ton  +  1  Ton  +  1  Ton. 
lieber  das  erstere  urtheilt  Marpurg:  »Das  war  ein  sehr  ungeschicktes 
Klanggeschlecht«;  das  zweite  liegt  zwischen  der  richtigen  natürlichen  Stimmung 
(s.  Ton  System)  und  unserer  gleichschwebend-temperirten  Stimmung,  hat  aber 
keineswegs  die  praktischen  Vorzüge  der  letzteren  Temperatur.  »Zwischen  den 
Zeiten  des  Aristoxenus  und  des  Ptolomäus  blühten  Archytas,  Gaudentius  und 
Didymus.  Archytas  wechselte  die  Ration  9:8  mit  8:7  ab,  und  brachte  da- 
durch eine  grosse  Terz  in  der  Ration  9 :  7  zum  Vorschein.  Gaudentius  behielte 
die  pythagorischen  Verhältnisse  für  die  beyden  Terzen,  nahm  aber  annoch  den 
halben  Ton  2187:2048  zu  Hülfe,  um  vermittelst  desselben  sein  chromatisches 
Geschlecht  zu  bilden.  Didymus  wechselte  zu  allererst  die  Ration  9 : 8  mit  der 
von  10:9  für  die  zween  auf  einander  folgenden  ganzen  Töne  ab,  und  brachte 
dadurch  die  wahre  Ration  der  grossen  Terz  5 : 4  zum  Vorschein.  Ptolomäus 
behielte  die  didymischen  Rationen  bey,  und  that  nichts  anderes,  als  dass  er 
selbige  in  seinem  syntonisch-diatonischen  System  versetzte,  und  wo  jener  10 : 9 
gebraucht    hatte,    die    Ration    9:8    anbrachte.     Aber    keiner    von    allen    diesen 


438 


Intervalleulehre. 


erkannte  die  Terzen  und  Sexten  für  Consonanzen«  (a.  a.  0.  S.  154).  Es  folgen 
nun  die  Berechnungen,  und  zwar  aus  Raumersparuißs  nur  für  das  diatonisch- 
syntonische  Klanggeschlecht. 


Länge  der  Saiten : 

Namen  der  Töne. 

a. 

b. 

c. 

d. 

bei  Pythat^oras. 

bei  Archytas. 

bei  Didymus. 

bei  Ptolomäus. 

«1 

2304 

63 

36 

36 

ff' 

2592 

707/8 

4OV2 

40 

/i 

2916 

81 

45 

45 

el 

3072 

84 

48 

48 

rfi 

3456 

941/2 

54 

531/3 

ci 

3888 

108 

60 

60 

h 

4096 

112 

64 

644/5 

a 

4608 

126 

72 

72 

ff 

5184 

1413/4 

81 

80 

/ 

5832 

162 

90 

90 '::^ 

e 

6144 

168 

96 

96 

d 

6912 

189 

108 

106% 

c 

7776 

216 

120 

120 

H 

8192 

224 

128 

129% 

Ä 

9216 

252 

144 

144 

Die    verschiedenen  Intervalle    erhalten    dadurch    folgende  Verhältnisse  der 


Saitenlängen: 


Verhältniss  der  Saitenlängen: 

Art  der  Intervalle. 

a. 

b. 

c. 

d. 

bei  Pythagoras. 

bei  Archytas. 

bei  Didymus. 

bei  Ptolomäus. 

A.  Halbtöne   (kleine 

Secunden)  -. 

S  :   C 

256  :  243 

28  :  27 

16  :   15 

27  :  25 

e  :f 

)J 

99 

J> 

16  :   15 

B.  (Janztöne  (grosse 

Secunden) : 

A  :  H 

9    :    8 

9   :   8 

9  :   8 

10  :  9 

C  :  d 

>> 

8   :    7 

10   :   9 

9  :  8 

d  :  e 

i> 

9   :   8 

9  :  8 

10  :  9 

f  --ff 

if 

8  :  7 

10  :  9 

9  :  8 

ff  ■■  « 

J5 

9  :  8 

9  :  8 

10  :  9 

C.  Kleine  Terzen: 

A   :  C 

32  :  27 

7   :  6 

6  :  5 

6  :  5 

S  :  d 

J-J 

32   :  27 

32  :  27 

99 

d   :f 

» 

7  :  6 

6  :  5 

32  :  27 

e  :  rf 

32  :  27 

32  :  27 

6  :  5 

D.  Grosse  Terzen: 

C  :  e 

81   :  64 

9    :    7 

5  :  4 

5   :  4 

f  :  a 

>J 

>> 

99 

99 

E.  Qnarten: 

A   :  d 

4   :    3 

4  :   3 

4  :   3 

27  :  20 

H  :  e 

99 

» 

99 

4  :  3 

C   :f 

»9 

»> 

>> 

99 

d  :  g 

>l 

» 

99 

9} 

e  :  a 

99 

>> 

>J 

9t 

ff  •  ^' 

99 

21    :   16 

27   :   20 

3> 

Intervallenlehre,  439 

Für  die  übrigen  Intervalle  ist  die  Augalje  überflüssig,  da  man  sie  als 
Umkehruugen  der  gegebenen  Intervalle  ansehen  kann,  und  daher  nur  in  dem 
Verhältnisse  des  umzukehrenden  Intervalls  vor  der  Umkehrung  desselben  die 
erste  Zahl  zu  halbiren  oder  die  zweite  Zahl  zu  verdoppeln  hat.  So  ist  das 
Verhältniss  der  Quinte  (als  umgekehrte  Quarte)  =  3 :  2  oder  6:4,  da  */2  :  3 
=  2:3  und  4 :  (3  X  2)  =  4 :  6  ist,  und  diese  Verhältnisse  umgekehrt  =3:2  oder 
=  6:4  ergeben.  lieber  die  Bedeutung,  welche  diese  Berechnungen  für  die 
Praxis  gehabt  haben,  lässt  sich  Marpurg  a.  a.  0.  (S.  144  ff.)  —  und  wie  ich 
meine,  mit  vollem  Rechte  —  wie  folgt  aus:  »So  wenig  die  Sänger  ein  Mono- 
chord in  ihrer  Kahle  hatten,  so  wenig  hatten  die  Theoretiker  eins  in  ihren 
Ohren.  Man  schrieb  und  rechnete,  und  die  Praktiker  thaten,  was  sie  konnten. 
Ich  erstrecke  das  Können  auf  alles,  was  der  Natur  der  menschlichen  Stimme 
möglich  ist,  und  supponire  also  den  vortrefflichsten  Sänger.  Man  bildete  sich 
ein  zu  hören,  was  man  nicht  hörte,  und  jeder  fand  ein  Vergnügen  in  der  Ein- 
bildung. Es  ist  einem  geübten  Sänger  gar  nicht  unmöglich,  zwischen  dem 
Intervalle  eines  halben  Tones  einen  mittlem  Ton  anzugeben.  Wir  haben  auf 
unsern  Theatern  alle  Tage  die  Probe  davon.  Aber  um  wie  viel  differirt  dieser 
mittlere  Ton  von  dem  untern  oder  obern  Ende  des  halben  Tons?  Welches 
Ohr  ist  im  Stande,  diese  Grösse  ohne  Vergleichung  mit  einem  Monochorde 
zu  bestimmen,  oder  welche  Stimme  hat  diese  Grösse  dergestalt  in  ihrer  Gewalt, 
dass  sie  solche  niemahls  verfehlt,  und  weder  unten  noch  oben  überschreitet? 
Lasst  uns  ehrlich  seyn,  und  der  menschlichen  Natur  nichts  über  ihre  Kräfte 
zueignen.  Nach  allem  diesen  sind  die  verschiedenen  Berechnungen  der  ver- 
schiedenen alten  Klanggeschlechte  nur  eine  blosse  Grille  der  Theoretiker  ge- 
wesen ,  die  man  nicht  eiumahl  zur  Wirklichkeit  zu  bringen ,  gesucht  hat. 
Ich  nehme  meinen  Beweiss  daher,  weil  sie  für  diese  verschiedenen  Eintheilungen 
der  Geschlechte  keine  besondere  Noten  haben.  Bei  keinem  Scribenten  findet 
man  andere  Noten,  als  für  eine  einzige  Art  vom  diatonischen,  chromatischen 
oder  enharmonischen  Klanggeschlecht.« 

Die  antike  I.  behielt,  soweit  es  sich  um  den  mathematischen  Theil  der- 
selben handelt,  bis  ins  16.  Jahrhundert  hinein  ihre  Geltung.  »Auf  eben  die 
Art«  (lässt  sich  Marpurg  a.  a.  0.  S.  143  ff.  vernehmen),  »als  Gaudentius  von 
der  grossen  Terz  und  vom  Tritonus  spricht,  welches  letztere  Intervall  aber  er 
hätte  weglassen  können,  spricht  annoch  vor  etwanu  zweyhundert  Jahren  der 
berühmte  Faber  Stapulensis  von  den  beyden  Terzen,  wenn  er  schreibt:  dass, 
wenn  selbige  gleich  das  Gehör  ungemein  vergnügen,  solche  dennoch  desswegen 
für  keine  Consonanzen  zu  halten  sind.  Ja  unter  den  praktischen  Tonkünstlern 
hat  sich  keiner  vor  dem  Orlandus  Lassus ,  die  Terz  zu  Anfang  oder  Schluss 
eines  Stückes  zu  gebrauchen,  unterstanden.  Derjenige,  der  zwar  nicht  zuerst 
eingesehen,  dass  die  Terzen  und  Sexten  zu  den  Consonanzen  gehören,  doch 
solches  zuerst  öffentlich  gelehrt  hat,^  ist  Glareanus«  (Dodek.  Libr.  I.  p.  26). 
»Bey  dem  allen  scheint  die  wahre  Kation  der  Terzen  und  Sexten  dem  Glarean 
noch  nicht  bekannt  gewesen  zu  seyn.  Wenigstens  hat  er  keine  damit  über- 
einstimmende Berechnung  seiner  Lehre  beygefüget,  und  hat  also  dem  Zarlino 
die  Ehre  aufbehalten,  die  wahren  natürlichen  Verhältnisse  der  Töne  zu  ent- 
wickeln.« In  Beziehung  auf  den  von  Marpurg  zuerst  genannten  Schriftsteller 
äussert  sich  Ambros  (»Gesch.  der  Mus.«  III.  S.  155):  »Ein  anderer,  etwas 
älterer  französischer  Musikschriftsteller,  Jacobus  Faber  Stapulensis  (eigentlich 
Jacques  Lefebre  aus  Etaples  bei  Amiens),  stürzte  sich  in  seinen  1496  zu 
Paris  erschienenen  «.Elementa  musicaliau.  (1510,  1552  neu  unter  dem  Titel 
nWusica  demonstrataa)  kopfüber  in  ganz  abstrakte  antike  Theorieen  und  Inter- 
vallenrechnercien.«  »Es  ist  zu  verwundern«  (fährt  Marpurg  a.  a.  0.  S.  163 
fort),  »dass  der  grosse  Reformator  der  Tonkunst,  der  berühmte  Guido  Aretinus, 
da  er  die  Tetrachorde  abschaffe,  nicht  auch  zugleich  die  Berechnungen  der 
Töne  zu  verbessern  suchte.  Doch  es  lasset  sich  nicht  alles  mit  einmahl  unter- 
nehmen.    Er    that    was    ihm    zu    seiner  Zeit    möglich   war.«     »Guido  Aretinus 


440  Intervallenlehre. 

begnügte  sich,  nach  Art  der  Alten  seine  Töne  zu  berechnen,  wenn  er  sie  gleich 
schon  anders  zu  brauchen  wusste.«  Marpurg  bringt  nun  eine  von  Guido  in 
seinem  y)Introduct.a  aufgestellte  »Gamme«,  die  sich  in  nichts  von  den  altgrie- 
chischeu   Tonleiterberechnungen  unterscheidet. 

Erst  Ende   des   15.  Jahrhunderts    begann    man,    die  Nothwendigkeit    einer 
Aenderung  in  der  Berechnung  einzusehen,  ohne  indessen  diese  Aenderung  wirk- 
lich zu  erreichen.     »Mit  Gafor  (sein  Hauptwerk,  die  y> Practica  musicaea,  erschien 
zuerst  1496    und    erlebte    bis  1512  noch    sechs  Auflagen)    beginnt    eine    tiefer 
eingehende  und  untersuchende  Musiktheorie,    er  ist  der  Vorläufer  des  Zarlino; 
von  ausgebreitetem  "Wissen    und    mit  den   Schriften  der  griechischen   Tonlehrer 
vertraut,  soweit  dies  damals  möglich  war,  sucht  er  in  seinen  Werken  die  Theorie 
der  Alten  mit    der    neueren   Tonwissenschaft   und  Compositionspraxis  in  Bezie- 
hung und,    soweit    thunlich,    in  Einklang    zu    bringen.«     »Ein   Zeitgenosse  des 
Gafor  ist  der  Spanier  Bartolomeo  Ramo   de  Pareja,  geboren  um   1440  zu  Baeza 
in  Andalusien,  Schüler  des  Johann  von  Mons,  Lehrer  der  Musik  erst  zu  Toledo, 
nachher  zu  Bologna.     Ein  von    ihm    verfasster  y>Tractatus  de  Musical  erschien 
zu  Bologna  im  J.  1482.     Nach  Burney  soll  Bartolomeo  zuerst  die  Nothwendig- 
keit einer   Temperatur  der  Töne    für    den    praktischen   Gebrauch    erkannt  und, 
wiewohl  nicht  ohne  "Widerspruch  zu  finden,  behauptet  haben«  (A.  v.  Dommer, 
»Handbuch  der  Musikgesch.«   S.  110).     In    Beziehung    auf    den    letztgenannten 
Schriftsteller,  den   er  Bartolomeo  de  Bamis-Pareja  nennt,  theilt  Ambros  (a.  a.  0. 
III.   S.  166  jßP.)  mit:   »Zwei  Punkte  waren  es,  in  denen  der  ausgezeichnete  Mann 
einen  über  die  Schranken  seiner  Zeit  dringenden  Blick   bewies  —  und  gerade 
um   dieser  zwei  Punkte  willen  wurde    er    mit    erbittertem  Hasse    verfolgt.     Er 
war  der  erste,    der  sich  für  eine  Temperirung  der   Töne  aussprach;    er  war  es 
ferner,  der  zuerst  statt  der  Hexachorde  das  Octavensystem  als  das  einzig  wahre 
eingeführt  wissen  wollte.     Seine  Auseinandersetzungen  darüber  hat  er  in  seinem 
»De  musica  tractatusv.  (Bologna,  1482)  niedergelegt.     Er  will   das  Komma  mit 
dem  Verhältnisse  80:81   als    ein    beirrendes  Element    beseitigen    und    geht    in 
einer  Art  Dilemma  auf   den  Gegenstand    los.     Entweder,    sagt    er,    empfinden 
wir  das  Komma,  oder  wir  empfinden   es  nicht.     Ist  ersteres  der  Fall,  so  muss 
man  es  auf  alle  Intervalle  vertheilen  und  so  verschwinden    machen;    emj)finden 
wir  es  nicht,    so    braucht    man  es  nicht  erst    zu    beseitigen.     Auf   keinen  Fall 
gehört  ein  solches  Scheinwesen  in  die  Theorie,  und  es  ist  übel  gethan,  es  hier 
eine  so  grosse  und  störende  Rolle  spielen  zu  lassen«.     »Das  Unternehmen  Bar- 
tolomeo's    erschien    den    Zeitgenossen    als    ein  Attentat,    und  Nicolaus  Burcius 
trat    noch     in     demselben    Jahre    mit    einem    Büchlein    hervor:    ,Vertheidigung 
Guido's  gegen    einen  gewissen   Spanier,   den  Fälscher    der  Wahrheit',   wo,   wie 
man  sieht,  das  Schimpfen  schon  auf  dem  Titelblatte  anfängt  und  im  Texte  mit 
Nachdruck  fortgesetzt  wird:   Dieser  Unverschämte,  ruft  Burci  aus,  dieser  spa- 
nische Dickkopf,  dieser  Frevler  erfrecht  sich  gegen  Guido,  der  allen  Philosophen 
an   Heiligkeit  und  Gelehrsamkeit  vorangeht,  mit  seinen  einfältigen  Possen  ver- 
leumderisch und  ränkevoll    aufzutreten;    ja    nicht  gegen   Guido    allein,    denn  er 
schmäht,    zerreisst    und    fällt    mit  seinem  Hundegebelle  auch  alle  jene  an,    die 
Guido's    Lehren    folgen.«     Es    entwickelte    sich    hieraus    eine  Jahrzehnte    wäh- 
rende   heftige    literarische  Fehde,    in    welche    auch   Gafor    gezogen  wurde,    der 
lebhafte  Einsprache  gegen  die  von  Bartolomeo  vorgeschlagene  Ausgleichung  that 
und  später  in  der  maasslosesten  Weise  gegen   einen   Schüler  Bartolomeo's  vor- 
ging   (-njpologia    Franchini    Gafurii    adversus    Joannem    Spatarinm    et    compUces 
musicos  JBononietises«,  Turin,  1520). 

Zu  einer  wirklichen  Aenderung  gelangte  man  erst  durch  Zarlino.  »Die 
meisten  diatonischen  und  chromatischen  Berechnungen .  die  wir  angeführt 
haben,  sind  bis  zur  Zeit  des  berühmten  Zarlino  bei  den  Theoretikern  Mode 
geblieben.  Dieser  Fürst  der  neueren  Musik,  wie  ihn  Brossard  nennet,  nahm 
sich  vor,  die  Theorie  zu  verbessern,  und  er  hat  diese  Verbesserung  mit  all- 
gemeinem Beyfalle  zu  Stande  gebracht.     Er  legte  die  guten  Berechnungen  des 


Infcervalleulehre,  44J 

Didyraus  und  Ptolomäus  zu  Grrunde,  bauete  hierauf,  und  gieng  weiter.  Seinen 
Lehrsätzen  haben  wir  es  zu  verdanken,  dass  wir  die  wahren  natüi'lichen  Ver- 
hältnisse der  Intervalle  kennen,  und  wissen,  dass  die  Terzen  und  Sexten  unter 
die  Consonanzen  gehören.  Er  verwandelte  den  Quaternionem  des  Pythagoras 
1.  2.  3.  4,  in  den  Senionem  1.  2.  3.  4.  5.  6,  und  vereinigte  dadurch  Zirkel 
und  Gehör;  ein  Ruhm,  wornach  Ptolomäus  strebte,  den  er  aber  nicht  so  glücklich 
gewesen  ist,  zu  erhalten.«  »Man  würde  aber  ohne  den  Zarlino  nicht  so  weit 
in  der  Musik  gekommen  sein,  als  geschehen  ist;  und  Neidhardt,  dem  die  itzigen 
Zeiten  die  gleichschwebende  Temperatur  schuldig  sind,  würde  solche  schlecht 
berechnet  haben,  wenn  er  nicht  zuvor  die  wahren  natürlichen  Tonverhältnisse 
gekannt  hätte.  Auf  was  für  eine  Art  Zarlino  das  didymische  und  ptolomäische 
System  verglichen,  wird  man  aus  folgenden  Vorstellungen  sehen: 

e  :   d,   d  :   e,     e  :  f,   f  :  g,  g  :  a,  a  :   h,  h  :   c\ 


9,  9:8,  9:8,  16:15. 
8,  10:9,  10:9,  27:25. 
8,  10:9,     9:8,  16:15. 


Didymus:      10:9,     9:8,   16:15,  10; 
Ptolomäus:     9:8,  10:9,  16:15,     9 
Zarlino:  9:8,  10:9,  16:15,     9 

Diejenigen,  die  bishero  den  Didymus  für  den  Urheber  des  letzten  Klang- 
geschlechts gehalten  haben,  können  sich  itzo  eines  andern  belehren,  und  ver- 
sichert sein,  dass  Printz  Recht;  Neidhardt  aber  Unrecht  hat«  (Marpurg,  a.  a.  0. 
ö.  164  ff.).  Die  von  Zarlino  aufgestellte  Scala  hat  alle  Quinten,  Terzen  und 
deren  Umkehrungen  richtig,  bis  auf  die  Quinte  «?.•«  =  40: 27  und  die  Terz 
^.•/=  32:27,  nebst  deren  Umkehrungen.  Die  Töne  und  Intervalle  dieser 
Scala  entsprechen,  wie  man  unter  Tonartleiter  und  Tonsystem  nachlesen 
mag,  genau  denjenigen  Verhältnissen,  in  welchen  die  Töne  jeder  Durtonartleiter 
des  natürlichen  Systems  unter  einander  stehen  müssen,  und  die  für  die  Theorie 
die  einzig  niaassgebenden  sind;  in  der  Praxis  aber,  und  besonders  für  Tasten- 
instrumente, ist  diese  Stimmung  vollkommen  unbrauchbar  (s.  Tonsystem  und 
Temperatur).  Zarlino  stellte  seine  Scala  aber  auch  nur  für  das  diatonische 
Geschlecht  auf;  er  selbst  und  andere  mit  ihm  erkannten  schon  damals,  dass 
für  die  Einrichtung  der  Tasteninstrumente  eine  Temperatur  nothwendig  sei: 
»So  ist  die  Scala  Syntona  auch  nicht  desswegen  erfunden,  dass,  wann  sie  mit 
den  andern  Scalis,  alss  Chromatica,  und  Enharmonica  würde  zusammen  gesetzet, 
man  einen  Hauffen  Subsemitonia  wolte  zusammen  bringen,  nein,  dieses  ist  auch 
schon  längst  versuchet,  und  verworffen,  wie  in  des  Zarlini  -a Supplementisa  zu 
lesen :  Dann ,  da  er  gesehen ,  dass  es  sich  in  pi'axi  nehmlich  in  denen  Conse- 
cutionibus  nicht  practiciren  Hesse,  approbirete  er  die  Temperatur  in  so  viel 
mehr.  So  hat  auch  der  berühmte  Vincentius  Galiläi,  welcher  im  vorigen  Seculo 
geschrieben,  gemerket,  dass  man  mit  den  Subseraitoniis  nicht  ausskommen 
konnte,  darum  hat  er  sehr  grossen  Fleiss  auf  die  Temperatur  gewendet,  welchen 
Keplerus  insonderheit  lobet«  (Andr.  Werckmeister,  -nSypomnemata  musica  oder 
Musicalisches  Memorial«,   1697,  S.  25). 

Ueber  den  Weg.  der  zunächst  eingeschlagen  wurde,  berichtet  Werckmeister 
(a.  a.  0.  S.  21  ff.):  »Es  hat  zwar  der  Ptolomäus  die  Tertien  und  Sexten  in 
reinen  proportionibus  gehabt,  wie  aus  seinen  tetrachordis  erhellet,  aber  er  hat 
doch  dieselben  vor  keine  reine  Consonantien  erkennen  wollen.  Nachgehends 
sind  sie  wieder  auf  unreine  Tertien  gefallen  weil  da  auch  die  Quinten  alle  rein 
worden,  die  da  kein  völlig  Comma  in  der  Schwebung  ertragen  können,  wie  im 
Nothfall  die  Tertien.  Dieses  hat  nun  biss  zum  Ende  des  vorigen  Seculi  ge- 
wehret, da  Bartholom.  Ramus,  dem  gefolget  Zarlinus,  eine  neue  Scalam,  welche 
Scala  Syntona  genennet  wird,  erfunden,  worin  denen  Tertien  und  Sexten  ihre 
rechtmässigen  Proportioncs  zugeeignet  werden,  da  die  Ordnung  der  Propor- 
tional -  Zahlen  1.  2.  3.  4.  5.  6  biss  8  ganz  richtig,  und  alle  Consonantien  da- 
rinnen enthalten  so,  dass  nunmehro  alles,  was  etwa  von  den  Musicis  möchte 
erfunden  werden,  durch  die  Lehre  der  Proportionen  examiniren,  und  unter- 
suchen könne,  ob  es  mit  der  Natur  und  Vernunfftgründen  möge  übereinkommen.« 


442  Intervallenlelire. 

»Es  haben  auch  die  alten  Musici  sich  sehr  bekümmert  um  die  Eiuthcihmgen 
der  Töne  oder  wie  sie  die  Scalas  möchten  einrichten ,  und  hat  fast  ein  jeder 
Philosophus  und  Musicus  seine  eigene  Abtheilung  gehabt,  daher  kommen  die 
vielfältigen  tetrachorda:  Auss  diesen  sind  endlich  drey  genera  Musica  her- 
kommen, alss  das  Diatouicum,  Chromaticum  und  Enharmonicum;  In  diesen 
dreyen  generibus  sind  sie  doch  nicht  einig  worden,  denn  einer  hat  so  gewolt, 
der  andere  anders,  sonderlich  ist  das  Semitonium  15:16  in  dem  Genere  En- 
harmonico  und  Franchino  so  vielfältig  getheilet,  dass  man  bei  dem  Zarlino 
allein  bey  die  acht  Species  findet:  Einer  hat  dieses  Semitonium  in  zwei  dia- 
schismata  30:31,  31:32  getheilet,  der  andere  hat  es  wieder  in  diesin  majorem 
et  minorem  125:128  und  24:25.  Die  übrigen  haben  wieder  sonderliche  Mei- 
nungen gehabet.  Also  ist  es  auch  in  den  andern  generibus  ergangen:  hiermit 
haben  sie  sich  lange  Zeit  gequälet,  sind  daher  bewogen  worden,  alle  drey  genera 
zusammen  zu  setzen,  da  sie  dann  in  die  16.  Claves  in  einer  Octave  bekommen, 
nachdem  sie  aber  gemercket  dass  man  keine  beständige  reine  harmoniam  in  den 
Consecutionibus  erlangen  können,  sind  sie  auf  die  Temperaturen  bedacht  ge- 
wesen, und  finde  bey  dem  Zarlino  fürnehmlich  drey  Temperameata,  doch  nur 
was  das  genus  Diatonicum  anbelanget:  Da  man  nun  in  diesem  genere  alle 
Tertien  rein  haben  können  indem  Quinten  nur  Y*  commatis  geschwebet,  so 
hat  man  auch  damals  kein  ander  genus  annehmen  wollen,  alss  das  Diatonicum.« 
»Da  aber  die  Natur  ein  mehres  gesuchet,  hat  man  das  genus  chromaticum 
darzu  nehmen  müssen,  und  die  kleinen  Semitonia  mit  eingemischet:  Es  ist  aber 
hiermit  noch  nicht  gut  gewesen,  diese  semitonia  haben  nothwendig  mit  den 
genere  diatonico  müssen  temperiret  werden,  damit  auch  diese  Scala  mixta  hat 
können  brauchbar  gemachet  werden,  wie  nun  die  Scala  diatonica  Syntona  alle 
Tertien  in  der  Temperatur  hat  rein  haben  können,  und  alle  Quinten  '/*  commat. 
schweben  müssen,  also  ist  ein  Irrthum  daher  entstanden  bey  einigen,  die  da 
meinen,  es  könnten  alle  Tertien  in  der  Scala  temperata  diatonico  -  chromatico 
Enharmonica  rein  sein.« 

Wie  falsch  dieser  Weg  ist,  das  weist  Werckmeister  an  einem  anderen 
Orte  (»Musikalische  Temperatur«,  1691,  S.  1  und  53)  ausführlich  nach,  und 
er  kommt  (a.  a.  0.  S.  56)  zu  folgendem  Schlüsse:  »Es  scheinet  dieser  Process 
in  den  ersten  acht  Octaven  als  vom  O  g.  g  d.  D  A.  A  e.  E  H.  S ßs.  Fis  eis. 
Cis  Gis  sehr  favorabel,  und  konte  wohl  angehen,  aber  so  man  weiter  gehet 
gis  dis.  Bis  B.  B  f.  F  c,  so  werden  erstlich  die  absurditäten  im  Ciavier  ofi'en- 
bahr.  Oder  wenn  man  das  Genus  diatonicum  also  temperiren  will,  durch  einen 
Abschnitt  eines  Viertels  vom  commate  in  jeder  quinta,  so  gehet  es  auch  wohl 
an ,  denn  alle  Tertien  bleiben  rein ,  als  F  c.  c  g.  g  d.  D  A.  A  e.  Wie  kann 
man  aber  ausskommen  mit  denen  andern  clavibus?  wo  bleiben  denn  Cis.  Dis. 
Fis.  Gis.  5?«  Werckmeister  selbst  ist  darüber,  worauf  es  ankommt,  vollständig 
klar.  »Dass  aber  die  Temperatur,  da  alle  Quinten  ^i  comma  unter  sich 
schweben  sollen,  ein  gantz  ungereimt  und  falscli  Ding  ist,  kann  noch  zum 
TJeberfluss  aus  dem  sogenannten  circulo  quintaruin  erwiesen  werden:  Denn 
wenn  wir  durch  alle  quinten  hindurch  gehen,  wie  folgend  soll  angezeiget  wer- 
den, bleibet  eine  proportion,  die  den  terminum,  woraus  der  Anfang  der  quinten 
gemachet  worden,  gar  ein  klein  wenig  mehr  als  ein  comma*)  überschreitet, 
und  selbes  subtile  intervallum  erhöhet.  Da  hingegen  in  besagter  falschen 
Temperatur  12  Vierthel,  das  ist  3  commate  herunter  getrieben  worden,  so  alle 
quinten  '/*  comma  schweben  sollen:  Wie  nun  durch  den  Umgang  der  reinen 
quinten,  der  letzte  clavis  den  Punkt,  woraus  der  Anfang  gemachet  worden,  ein 
wenig  über  ein  comma  übersteiget,  und  hingegen  durch  den  Umgang  der  durch 
ein  Vierthel  comm.  herunter  gelassenen  quinten,  12  Vierthel  comm.  herunter 
kommen,  also  ist  durch  die  Vernunft  leicht  abzunehmen,  dass  noch  8  Vierthel 


*)   Nämlich    um    das    Intervall    73 :  74    oder    ein    ditonisches    oder    pythagoräisches 
Komma. 


Intervallenlehre.  443 

comm.  weiter  herunter  von  dem  Anfaugs-Punkte  geschritten  worden,  und  dass 
in  einer  richtigen  Temperatur  nur  vier  Vierthel  in  etlichen  quinten  herunter 
schweben  müssen,  wenn  der  Punkt,  woraus  wir  gegangen,  wieder  erlanget 
werden  soll.  Es  können  auch  diese  vier  Vierthel  und  die  kleine  differens  in 
andere  Theile  getheilet  werden,  weil  die  Temperaturen  auf  unterschiedliche 
"Weise  können  angestellet  werden.  Die  Schwebung  kann  aber  nicht  weiter 
•  herunter  kommen,  als  der  excessus  in  den  Zirckel  der  reinen  quinten  es  er- 
fordert: Allhier  wird  auch  die  kleine  differens  in  die  commata  eingetheilet,  weil 
sie  der  Sensus  nicht  begreifen  kann«  (Werckmeister,  Temp.  S.  64).  Trotz 
dieser  Klarheit  gelangte  Werckmeister  nicht  auf  die  gleichschwebende  Tem- 
peratur, sondern  schlägt  ungleichschwebende  Temperaturen  vor.  »Also  müssen 
nur  etliche  Quinten  in  der  rechten  Temperatur  hernieder  gelassen  werden,  denn 
wie  viel  die  vollkommenen  reinen  Quinten  über  die  Octav  gestiegen,  so  viel 
und  nicht  mehr  muss  wieder  ersetzet  werden,  damit  die  Octave  mit  der  Wurtzel, 
worinn  wir  den  Anfang  gemachet,  möge  rein  bleiben«  (a.  a.  0.). 

Der  erste,  welcher  darauf  kam,  die  gleichschwebende  Temperatur  für  die 
Praxis  zu  empfehlen,  war  Job.  Georg  Neidhardt  (s.  Temperatur).  »Wir 
wissen  aber  nunmehro,  G-ott  Lob !  dass  man,  nach  Maassgebung  der  zwölff  chro- 
matischen Klang,  mit  zwölffteln  vom  commate,  und  mit  keiner  andern  Einthei- 
lung,  zu  verfahren  habe,  wenn  ein  gutes  und  leidliches  Temperament  soll  ge- 
troffen werden.  Welches  wir,  der  Erfindung  nach,  dem  Herrn  Neidhard  zu 
danken  haben.  Mich  soll  verlangen,  wer  es  dereinst  in  allen  Stücken  ad  Praxin 
bringen  wird«  (Mattheson,  »Exemplarische  Organistenprobe«,  1719,  S.  253). 
Mattheson  hält  übrigens  nicht  sonderlich  viel  von  den  Bestrebungen  zur  Her- 
stellung einer  guten  Temperatur.  »Nur  bloss  die  Claviere  und  Harffen  allein, 
als  abgetheilte  und  abgemessene  Spiel -Zeuge,  sind  dieser  Schwierigkeit  unter- 
worffen,  dass  man  bey  ihrer  Stimmung  seine  Zuflucht  zur  Temperatur  nehmen 
muss,  wovon  in  vielen  Büchern  ein  solches  Wesen  gemacht  wird ,  als  ob  der 
gantzen  Welt  Wolfahrt  am  einzigen  Ciavier  läge.  Denn  die  menschlichen 
Stimmen,  die  geblasene,  gestrichene  etc.  brauchen  dieses  Flickwerks  so  wenig, 
dass  sie  durch  den  Athem,  oder  auch  durch  die  Finger  und  andere  natürliche 
Hülffs-Mittel,  ohne  den  geringsten  künstlichen  Circkel- Stich,  das  rechte  Pleckgen 
treffen  können«  (Mattheson,  »Vollkommner  Capellmeister«,  1739).  »Und  wenn 
die  Temperatur-Kunst  auch  bey  allen  Instrumenten  nöthig  oder  nützlich  wäre, 
so  machte  doch  ihre  richtige  Stimmung  ebenso  wenig  eine  Musik  aus ,  als  ein 
feingedeckter  Tisch  ohne   Speisen   eine  Mahlzeit  sein  kann«   (a.  a.  0.  S.  465). 

Es  ist  bekannt,  dass  die  Neidhardt'sche  Idee  nicht  gleich  allgemeinen  An- 
klang fand.  Mattheson  fragt  (»Exempl.  Organistenprobe«,  Einleitung  S.  99): 
»Wo  ist  denn  diese  gewünschte,  gleich  schwebende  Temperatur?  Ich  habe  sie 
noch  nirgend,  als  in  des  Herrn  Neidhardts  Buche  angetroffen.«  »Und  ob  ich 
gleich  jene,  oder  eine  reinere  Temperaturam ,  auf  alle  Art  und  Weise  billige, 
verlange  und  zu  befördern  suche,  so  ist  sie  doch,  so  viel  ich  weiss,  nie  recht 
ad  Praxin  gebracht.  So  lange  aber,  biss  solches  geschiebet,  muss  man  gleich- 
wohl seine  Eintheilung  nach  der  gewöhnlichen  und  gebräuchlichen  Fabrique 
machen,  und  wai'ten,  dass  dereinst  eine  neuere  und  reinere  eingeführet  werde, 
denn  das  sind  keine  Sachen,  die  etwan  von  einem  oder  andern  Wohlgesinnten, 
oder  von  einer  überzeugenden  Schrift,  sondern  von  viel  tausend  Menschen,  die 
ihre  Hand -Arbeit  darnach  einrichten  müssen,  depentirt.  Und  die  lassen  sich 
so  leicht  von  einem  Privato  nichts ,  das  ihnen  neu  scheinet ,  vorschreiben ,  ob 
es  gleich  noch  so  vernünfftig  seyn  möchte.«  Und  Mattheson  hat  noch  lange 
Recht  behalten.  Durfte  doch  Chr.  Gottlieb  Schröter  noch  1747  behaupten, 
die  Neidhardt'sche  Temperatur  sei  nicht  gleichschwebend,  was  G.  Andr.  Sorge 
(»Gründliche  Untersuchung«,  1754)  erst  noch  glaubte  widerlegen  zu  müssen. 
Es  ist  für  uns  jetzt  sehr  leicht  einzusehen,  dass  die  Zarlino'sche  Scala,  indem 
man  dieselbe  von  den  verschiedensten  Tönen  aus  bildet,  auf  das  natürliche 
Tonsystem  führt,   das  Moritz  Hauptmann  theilweise  neu  entdeckte  und  andere 


444  lutervallenlehrp. 

Theoretiker  vervollkommneten,  und  das  für  die  Theorie  das  einzig  maassgebende 
sein  kann.  Ebenso  wenig  Schwierigkelten  macht  es  uns,  zu  erkennen,  dass  die 
gleichschwebende  Temperatur  die  richtigste  und  consequenteste,  für  die  Praxis 
aber  unbedingt  nothwendige  Vereinfachung  dieses  Tonsystems  ergiebt.  Gleich- 
wohl sind  noch  bis  weit  in  die  zweite  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  hinein  viel- 
fache Versuche  gemacht  worden,  die  gestellte  Aufgabe  in  anderem  Sinne  zu 
lösen  (s.  Tonsystem  und  Temperatur);  ja  noch  heutigen  Tages  beruhigt 
man  sich  nicht.  Will  doch  Mor.  Hauptmann  (»Die  Natur  der  Harmonik«)  die 
gleichschwebende  Temperatur  als  »Nothlüge«  verbannt  sehen,  und  Helmholtz 
(»Lehre  von  den  Tonempfindungen«)  versucht,  eine  praktisch  anwendbare 
Scala  für  das  natürliche  Tonsystem  zu  erfinden.  Andere  meinen  gar,  auf  die 
ungleichschwebcndcn  Temperaturen ,  ja  selbst  bis  auf  Pytliagoras  zurückgehen 
zu  müssen.  So  bestimmt  die  königl.  Akad.  der  Künste  zu  Berlin  in  einem  Er- 
lasse (Stiehl,  »Certralblatt«,  1871,  Märzheft),  dass  in  dem  Unterrichte  der  Semi- 
naristen die  Zarlino'sche  Stimmung  zu  Grunde  zu  legen  sei;  so  stützt  E.  Nau- 
mann (»Bestimmung  der  Tonverhältnisse«,  Leipzig,  1858)  seine  Berechnungen 
auf  das  Pythagoräische  Tonsystem,  und  bei  A.  v.  Doramer  (»Handbuch  der 
Musikgesch.«,  S.  462)  findet  sich  folgende  Auslassung:  »Die  gleichschwebende 
Temjieratur  machte  als  die  praktisch  dienlichste  immer  allgemeiner  sich  geltend, 
wiewohl  noch  heutigen  Tages  die  Theoretiker  das  in  der  Natur  begründete 
Pythagoräische  Reine-Quint-Sj^stem  zur  Grundlage  ihrer  Berechnungen  nehmen, 
sowie  auch  Sänger  und  Spieler  auf  Instrumenten  mit  bestimmbarer  Tonhöhe 
ihm  unwillkürlich  folgen.«  Was  haben  da  die  Bemühungen  der  de  Ramis, 
Salinas,  Zarlino,  Werckmeister ,  Neidhardt,  Schröter,  Sorge  u.  s.  f.  u.  s.  f. 
genützt? 

Ganz  andere  Fortschritte  über  die  alten  Griechen  hinaus  sind  dagegen 
nach  anderen  Seiten  in  der  I.  gemacht  worden.  Diese  Fortschritte  sind 
namentlich  der  Entwickelung  der  mehrstimmigen  Musik  zu  danken,  welche  be- 
kanntlich ihren  nachweisbaren  Ursprung  in  dem  Organum  und  der  Dia- 
phonie  (s.  d.)  des  Hucbald  und  Guido  von  Arezzo  hatte.  Hucbald  und  Guido 
waren  freilich  noch  immer  Anhänger  der  griechischen  Theorie;  gleichwohl  sind 
sie  die  Ursache  dazu,  dass  sich  die  Tonkünstler  der  späteren  Zeit  von  der 
griechischen  Musiklehre,  oder  doch  wenigstens  von  einzelnen  nachtheiligen  Lehr- 
sätzen derselben,  emancipirten.  »Der  mehrstimmige  Gesang  wurde  zum  Kunst- 
bedürfniss ,  aber  ihm  gegenüber  sah  man  sich  von  der  griechischen  Tradition 
völlig  im  Stich  gelassen,  daher,  und  zwar  zum  Heil  der  Sache,  auf  eigene  Ver- 
suche hingewiesen.  Mit  Hucbald's  Organum  und  Guido's  Diaphonien  allein 
mochte  man  sich  nicht  mehr  begnügen;  wenn  sie  auch  fortgeübt  wurden,  so 
begann  doch  die  Ahnung  eines  Besseren  aufzugehen.  Man  kam  allmälig  dahin, 
den  Pythagoräischen  Satz,  dass  in  der  Musik  nicht  dem  Gehör  sondern  der 
Berechnung  und  Messung  das  endgültige  Richterarat  zustände,  nicht  mehr  als 
eine  unumstössliche  Ofi'enbarung  anzusehen.  Schon  Guido  hatte  vom  Boethius 
respectwidrig  gesprochen  und  gemeint,  er  sei  wohl  für  den  Philosophen  gut, 
für  den  Sänger  aber  eigentlich  unbi'auchbar.  Daher  experimentirte  man  auf 
eigene  Hand  und  auf  gut  Glück,  und  mögen,  wie  denn  kaum  anders  denkbar, 
die  Resultate  vorläufig  auch  nur  einem  noch  ganz  in  der  Kindheit  liegenden 
Gehöre  einige  Befriedigung  zu  gewähren  vermocht  haben,  so  war  doch  der 
nunmehr  eintretende  Zustand,  seiner  Verworrenheit  ungeachtet,  wenigstens  in 
sofern  gesunder,  als  die  Praxis  nicht  mehr  von  Theoremen,  welche  selbst  auf 
schwachen  Füssen  einherwankten,  sich  gängeln  Hess,  sondern  vielmehr  der  Theorie 
frisch  und  muthig  voraufzugehen  begann  und  nicht  mehr  von  der  griechischen 
Speculation  allein,  welche  zwar  als  System  ganz  stattlich  sich  ausnahm,  schliess- 
lich aber  nur  grosse  Rechenexemiiel  und  keine  Musik  ergab,  sich  abhängig 
machte«  (A.  v,  Dommer,  »Handbuch   der  Musikgesch.«,  S.  56). 

Die  in  Folge  jener  Emancipation  von  der  griechischen  Theorie  gemachten 
Fortschritte    in  der  Lehre    müssen    sich    im   12.  Jahrhundert    vollzogen  haben; 


Intel  vallenlehre.  445 

»denn  schon  vom  Anfange  des  folgenden  13.  Jahrhunderts  sind  uns  Schriften 
überliefert,  welche  die  abgehandelten  Gegenstände  bereits  in  einer  so  geordneten 
Weise  vortragen,  dass  man  nicht  anders  kann  als  annehmen,  einer  so  syste- 
matischen Darstellung  sei  schon  eine  längere  praktische  Uebung  voraufge- 
gangeu,  das  was  die  Schriften  erklären,  sei  nur  ein  Extract  aus  in  der  Praxis 
längst  gang  und  gäbe  ö-ewordenem«  (Dommer,  a.  a.  0.  S.  57),  TJebrigens  sind 
ja  neuerdings  durch  Coussemacker's  Forschungen  die  Namen  verschiedener  Ton- 
lehrer bekannt  geworden,  die  sich  schon  im  12.  Jahrhundert  mit  der  Mensural- 
musik beschäftigten.  Aus  den  Diaphonien  hatte  sich  nach  und  nach  eine  andere 
Art  mehrstimmigen  Gesanges  entwickelt,  der  sogenannte  Discantus  oder 
Dechant  (s.  d,).  In  ihm,  so  barbarisch  er  auch  im  Anfange  noch  sein  mochte, 
traten  doch  die  Stimmen  schon  selbstständiger  einander  gegenüber,  und  die 
Beobachtungen,  welche  das  Gehör  beim  Discautisiren  ganz  unwillkürlich  an- 
stellen musste,  führten  zu  einer  besseren  Kenntniss  von  der  Natur  der  Intervalle, 
und  somit  zu  verschiedenen  Berichtigungen  in  der  I.  selbst. 

Diese  Fortschritte  gingen  nach  den  neuesten  Forschungen  zunächst  von 
Paris  aus.  »Wie  Paris  mit  seiner  weitberühmten  Universität  als  der  erste  und 
wahre  Sitz  der  Wissenschaft  galt,  zu  dem  die  Schüler  aus  allen  Landen  her- 
beiströmten, hatte  auch  die  Musik,  welche  als  schöne  Kunst  kaum,  als  Wissen- 
schaft und  Gottesdienst  desto  entschiedener  gewürdigt  wurde,  an  dieser  Hoch- 
schule der  Welt  ihre,  zum  Theil  sehr  angesehene  und  berühmte  Lehrer,  wie 
unter  Andern,  lange  vor  Jean  de  Muris,  jenen  ersten  oder  älteren  Frauco, 
auch  Franco  von  Paris  genannt  (Franco  primus,  Franco  Parisiensis) ,  dessen 
Unterscheidung  von  dem  jüngeren  Franco,  dem  Franco  von  Cöln  (Franco  de 
Colonia),  mit  dem  er  das  Verdienst  gemein  hat  einer  der  epochemachenden 
Meister  der  Mensurallehre  zu  sein,  erst  in  neuester  Zeit  (dem  »trefflichen 
Coussemacker«)  zweifellos  gelungen  ist.  —  Warum  war  nun  gerade  Frankreich 
berufen?  Weil  die  Musik  wesentlich  als  Wissenschaft  galt,  der  Centralsitz 
wissenschaftlichen  Lebens  aber  die  Pariser  Universität  war.  Aber  die  Musik 
konnte  trotz  des  Gelehrtentalars ,  den  man  ihr  umhing,  doch  nicht  ganz  ver- 
gessen, dass  sie  eigentlich  eine  Kunst  sei,  die  geübt  sein  will.  Den  Theo- 
retikern der  Pariser  Schule  schlössen  sich  zahlreiche  Praktiker  an,  oder  viel- 
mehr die  gelehrten  Theoretiker  waren  meist  zugleich  auch  wohlgeübte  Prak- 
tiker.« »Auch  die  improvisirenden  Dechanteurs  mögen  sich  oft  in  der  ausge- 
arbeiteten Composition  versucht  haben.«  »Die  constructive  Technik  dieser 
Tonsätze  entspricht  den  Lehren  vom  Diskantus,  wie  sie  in  den  gleichzeitigen 
Traktaten  vorgetragen  werden.  Es  ist  das  System  der  Gegenbewegung  mit 
zusammentreffenden  vollkommenen  Consonanzen.«  »Diese  Art  von  Composition 
war  weit  mehr,  was  das  Wort  im  buchstäblichen  Sinne  sagt,  ein  blosses  Zu- 
sammensetzen, eine  Art  rein  mechanischer  Operation  als  wirkliche  Erfindung.« 
Die  Lehren  von  der  Mensur  und  vom  Diskantus  »wurden  immer  kürzer  zu- 
sammengefasst.«  »Eine  ganze  Reihe  von  Namen  jener  Epoche  ist  an  das  Licht 
hervorgetreten:  Dank  sei  es  einem  neuestens  von  Coussemacker  veröffentlichten 
Traktate  de  mensuris  et  discantu  im  britischen  Museum,  der,  zu  Ende  des 
13.  Jahrhunderts  geschrieben,  offenbar  von  einem  wohlunterrichteten  Verfasser 
herrührt.  Hier  treffen  wir  die  Namen  von  Meistern,  die  theilweise  ins  12.  Jahr- 
hundert zurückreichen.«  »Endlich  traten  die  beiden  Franco  reformatorisch  auf 
und  änderten  mannigfach  die  bisherigen  Regeln.  Franco  von  Cöln  hat,  wie 
wir  sehen,  ganz  Recht,  wenn  er  in  einigen  allgemeinen  Worten  darauf  hin- 
deutet, dass  vor  ihm  viele  die  Mensuralmusik  gepflegt  haben,  und  er  ist  nicht 
bloB  Ueberlieferer  einer  überkommenen  Kunstpraxis,  sondern  hat  Verdienste  um 
die  Neugestaltung  derselben«  (s.  Ambros,  »Gesch.  d.  Mus.«  III.   S.  17   ff.). 

Franco's  »Musica  et  ars  cantus  mensurahilisu.  —  (bei  Gerbert  »Script.«  III. 
abgedruckt)  —  beschäftigt  sich  auch  mit  der  Intervallenordnung.  Ueber  die 
Art,  wie  er  die  Intervalle  eintheilte,  findet  man  Mittheilung  unter  Consonanz 
(II.   S.  561).     Seine    Auseinandersetzungen    beziehen     sich     auf    den     notirten 


416  Intervallenlelire. 

Discantus  und  nicht  auf  den  blos  extempoiirten;  sie  sind  aber  in  Beziehung 
auf  den  Gebrauch  der  Intervalle  in  der  Harmonie  völlig  dunkel  und  unver- 
ständlich. Eine  ganz  wesentliche  Fortbildung  der  I.  findet  man  bei  zwei  »fast 
gleichzeitig  zu  Ende  des  13.  und  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  lebenden  Ton- 
lehrern«. »Der  eine  ist  Marchettus  de  Padua,  von  welchem  zwei  bei  G-erbert 
abgedruckte  Schriften  auf  uns  gekommen  sind.«  »Der  zweite  und  noch  wich- 
tigere ist  Johannes  de  Muris  um  1330,  Doctor  der  Sorbonne  zu  Paris,  von 
umfänglichem  Wissen  in  der  PhilosojDhie,  Mathematik  und  Musik.  Die  von 
ihm  und  Marchettus  aufgestellten  Regeln  für  den  harmonischen  Gebrauch  der 
Intervalle  beweisen,  dass  das  Gefühl  für  natürliche  gesangmässige  Fortschrei- 
tung der  Stimmen  und  Reinheit  der  Zusammenklänge  bereits  sehr  merklich 
sich  verfeinert  hatte,  und  dass  man  schon  zur  Erkenntniss  des  Wesens  der- 
Con-  und  Dissonanz  gelangt  war.  Ein  Discantus,  fordert  Joh.  de  Muris,  soll 
stets  mit  einer  vollkommenen  Consonanz  anheben  und  schliessen;  die  Dissonanz 
kommt  zwar  noch  nicht  gebunden,  sondern  nur  im  Durchgange  vor,  doch  soll 
sie  immer  in  eine  Consonanz  sich  auflösen,  nicht  Dissonanz  auf  Dissonanz 
folgen.  Ferner  soll  n  Parallelen  vollkommener  Consonanzen  —  also  des  Unisono, 
der  Octav  und  Quint  (die  Quart  erwähnt  er  hier  merkwürdiger  Weise  gar 
nicht)  —  soweit  irgend  möglich  vermieden  werden,  und  die  Gegenbewegung 
der  Stimmen  wird  als  die  beste  empfohlen.  Alles  Regeln,  welche,  wie  auch  die 
meisten  der  von  Joh.  de  Muris  aufgestellten  Harmoniefortschreitungen,  bis  auf 
den  heutigen  Tag  ihre  Geltung  im  Contrapunkt  behauptet  haben«  (Domraer, 
a.  a.  0.  S.  63),  und  die  deshalb  »contrapunktische  Regeln«  heissen.  Dem  Joh. 
de  Muris  wird  auch  zugeschrieben,  für  den  mehrstimmigen  Satz  den  Ausdruck 
Contrapunkt  (s.d.)  zuerst  gebraucht  zu  haben. 

Ein  höchst  bedeutender  Nachfolger  dieser  beiden  war  Ugolino  de  Orvieto 
(Ugolinus  TJrbevetanus) ,  der  etwa  um  1400  gelebt  hat.  »Er  behandelt  den 
planen  und  den  figurirten  Gesang,  den  Contrapunkt,  die  Mensural-  und  die 
Propoi'tionenlehre  in  sehr  umfangreich  angelegten  Abhandlungen.«  »Zum 
Schlüsse,  im  4.  Buche,  verläuft  sich  das  Werk  freilich  in  weitläufige  und  für 
die  Musik  wenig  oder  gar  nicht  fruchtbringende  Untersuchungen  über  die  Pro- 
portionenlehre. Die  Regeln  vom  Contrapunkt  werden  auch  weitläufig  und 
casuistisch  (wiewohl  bei  weitem  noch  nicht  so  entwickelt  wie  bei  Tinctoris) 
in  lateinischen  Gedächtnissversen  vorgetragen;  es  sind  im  Grunde  genommen 
geklärte  Dechantirregeln ,  das  System  der  Gegenbewegung  herrscht  vor,  die 
Schritte  selbst  sind  so  tadellos  und  rein  als  man  nur  wünschen  mag.  A])er 
von  der  eigentlichen  Dissonanz  und  ihrer  richtigen  Verwerthung  weiss  Ugolino 
noch  nicht  das  Mindeste,  für  ihn  sind  Terzen  unvollkommene  Consonanzen 
oder  Dissonanzen«  (Ambros,  a.  a.  0.  ITI.   147  ff.). 

Yon  nun  an  beschäftigten  sich  die  Lehrer  und  Theoretiker  besonders  mit 
der  Lehre  von  den  Kirchentonarten  (s.  d.).  Im  genauen  Zusammenhang 
hiermit  stand  die  Lehre  über  den  Gebrauch  der  zufälligen  Erhöhungen  und 
Vertiefungen  (der  Accidentalen).  Aus  dieser  Lehre  aber  wiederum  gewann 
man  neue  Regeln  über  die  Benutzung  der  Intervalle.  Wollte  man  nämlich  die 
Diatonik  consequent  festhalten,  so  machten  sich  oft  übelklingende  Tonfolgeu 
und  unleidliche  Zusammenklänge  fühlbar.  Forschte  man  nach,  so  fand  man 
als  Ursache  immer  das  »;«i  contra /a«,  d.h.  das  Zusammentreffen  des  unteren 
Tones  (h)  des  einen  Halbtonschrittes  einer  Tonleiter  (h  —  c)  mit  dem  oberen 
Tone  (f)  des  anderen  Halbtonschrittes  (e—f)  derselben  Scala.  »Zunächst 
spukt  dieser  .Musikteufel'  im  Zusammenklänge  des  Tritonus  und  in  dessen 
IJmkehrung,  dem  Semidiapente,  ferner  in  der  unvollkommenen  Octav  (Ottava 
Imperfetta);  man  griff,  um  ihn  zu  bannen  und  die  , Himmelsharmonie  mi—fa^ 
erklingen  zu  machen ,  nach  dem  '7  rotundwn.  Die  Theorie  griff  das  Wahrge- 
nommene ganz  abstract  auf,  und  mancher  ältere  Lehrer  stellte  die  ,Vollendung' 
der  unvollkommenen  Intervalle  als  ausnahmsloses  Gebot  hin  (so  Burtius,  »Miisic. 
opusculuma).     Die  Praxis  unterschied  aber  sehr   richtig,    dass,   insbesondere  in 


latervallenlehre.  447 

den  Mittelstimmen,  Triton  und  Semidiapente  nictts  Anstössiges  habe,  und 
wendete  die  verminderte  Quinte  im  Sinne  der  Quinte  des  Dreiklanges  der 
siebenten  Stufe  der  Durscala  oder  der  zweiten  und  fünften  der  Mollscala  (sel- 
tener als  Dominante  septime)  an.«  »Bei  den  Theoretikern  kam  der  Triton  in 
den  schlimmsten  Verruf:  ,er  ist',  sagt  Tinctoris,  ,ein  so  feindseliges  Intervall, 
dass  er  nicht  allein  das  Ohr  beleidigt,  sondern  auch  ohne  Zwischentöne  äusserst 
schwer  zu  treffen  ist',  und  Aron  nennt  den  Triton  ebenfalls  hart  und  äusserst 
schwer  und  nur  in  stufenweiser  Fortschreitung  anwendbar«  (Ambros,  a.  a,  0. 
III.  S.  100  ff.).  Auch  die  Anwendung  des  Halbtonschrittes  in  der  Cadenz 
YII  — VIII  führte  man  auf  die  Vermeidung  des  «we  contra /««  zurück,  und 
kam  somit  zu  Regeln  über  die  Cadenzbildung,  welche  von  den  Praktikern 
schon  längst  unwillkürlich  befolgt,  aber  erst  von  Zarlino  als  allgemeines  Gesetz 
ausgesprochen  wurden. 

Grleichzeitig  gestaltete  sich  nach  und  nach  die  Lehre  vom  Contrapunkt 
»in  mannichfaltiger  Ausbildung  zu  einem  umfangreichen  Ganzen«.  »Die  drei 
Bücher  vom  Contrapunkt  von  Tinctoris,  die  er  1477  zu  Neapel  schrieb,  nehmen 
schon  einen  ganz  anderen  Standpunkt  ein,  als  die  alten  Dechantirtractate.« 
Das  wesentlichste  in  dieser  Lehre  bildet  die  Kenntniss  der  Consonanzen  und 
Dissonanzen  und  die  gesetzmässigen  Verbindungen  derselben.  »Die  Consonanzen, 
sagt  Tinctoris,  sind  das  Wesentliche,  die  Dissonanzen  das  zuweilen  Erlaubte. 
Die  an  sich  widrige  Wirkung  der  letzteren  wird  durch  die  Schnelligkeit,  mit 
der  sie  vorüber  eilen,  unmerklich  gemacht.  Keine  Dissonanz  darf  die  Dauer 
eines  Taktes  haben,  geschweige  denn  die  Dauer  einer  Brevis.  Jede  Dissonanz 
muss  so  eingereiht  werden,  dass  sie,  auf-  oder  absteigend,  immer  nach  einer 
ihr  zunächst  gelegenen  Consonanz  angebracht  werde,  die  Secunde  nach  dem 
Einklänge  oder  der  Terz  u.  s.  w.  Eben  so  soll  von  der  Dissonanz  stufenweise 
zur  nächsten  Consonanz  fortgeschritten  werden,  nur  in  sehr  seltenen  Fällen 
darf  die  Fortschreitung  in  die  Terz  geschehen.  Neben  dem  schnellen  Durch- 
gange ist  auch  die  Syncopirung  geeignet,  die  Einführung  einer  Dissonanz  zu 
vermitteln.  Die  Dissonanz  darf  als  solche  gar  nicht  merkbar  werden,  sonst 
verdirbt  sie  den  Gesang.«  »Unter  den  Consonanzen  ist,  nächst  der  Octave,  die 
Quinte  das  vollkommenste  Intervall.«  »In  jener  älteren  Musik  eröffnet  sehr 
oft  der  Zusammenklang  von  Grundton  und  Quinte  ein  Tonstück,  doch  tritt 
dann  alsbald  die  Terz  hinzu  und  rundet  und  füllt  das  Tongebilde.  Die 
Cadenz  wird  im  Verlaufe  des  Tonstückes  selten  terzenlos  gebildet,  desto  öfter 
der  letzte  Schluss.  Der  Grund  dieser  Eigenthümlichkeit  lag  in  der  , General- 
regel', welche  Tinctoris  den  übrigen  voranstellt:  Jeder  Contrapunkt  müsse 
mit  einer  vollkommenen  Consonanz  beginnen  und  enden'.  Kömmt  in  einem 
Schlussaccorde  die  Terz  vor,  so  soll  sie  gross,  nicht  klein  sein.«  »Dass  Quint- 
und  Octavpai-allelen  nach  wie  vor  verpönt  blieben,  versteht  sich  von  selbst; 
wiewohl  es  noch  zu  Tinctoris  Zeiten  Lehrer  gab ,  die  dergleichen ,  wenigstens 
mit  Einschränkungen,  erlauben  wollten.«  »Die  Zeit  der  Quintenangst  und 
Quinten  sucherei  kam  weit  später.«  »Verdeckte  Quinten  gelten  vollends  nicht 
für  fehlerhaft,  sogar  im  zweistimmigen  Satze  werden  sie  ungescheut  angewendet.« 
»Octavenparallelen  werden  mit  Hecht  weit  strenger  gemieden;  die  wenigen 
Stellen,  wo  sie  vorkommen,  dürfen  weniger  als  Licenzen  denn  als  Fehler  gelten« 
(Ambros,  a.  a.  0.  IIL  S.  111—116). 

Diesen  Fortschritt  verdankt  die  Theorie  vorzugsweise  dem  Umstände,  dass 
die  Theoretiker,  »statt  sich  in  das  Dunkel  tiefsinniger  Speculationen  zu  hüllen, 
ihre  Lehre  sich  der  lebendigen  Kunst  zuwenden  und  über  das  durch  die  fort- 
gesetzte Kunstübung  bereits  thatsächlich  Gewonnene  Rechnung  legen«  Hessen. 
Die  Praktiker  aber  Hessen  sich  eben  nur  durch  ihre  eigenen  Beobachtungen 
leiten.  »Die  fortgesetzte  Uebung  in  den  Sängerschulen,  den  Sängerchören 
half  einen  reichen  Schatz  von  Beobachtungen  und  Erfahrungen  gewinnen,  auf 
welche  die  speculirende  Theorie  hinter  ihrer  Studirlampe  nimmer  gerathen 
konnte.     Was  wohl    zusammenklinge,    was    dem    gebildeten  Tonsinn    erfreulich 


448  lütervalleulelire. 

oder  widrig  sei,  lernte  sich  aus  dem  unmittelbar  erhaltenen  Eindruck  unver- 
gleichlich besser  als  aus  den  Pythagoräisch-Boethischen  Rationen.«  »Die  glän- 
zenden Leistungen  der  Componisten  konnten  nicht  verfehlen  die  Aufmerksamkeit 
der  Theoretiker,  der  Schriftsteller  und  Lehrer  zu  erregen,  welche  hier  freilich 
Dinge  fanden,  von  denen  sich  ihre  Gelehrsamkeit  nichts  hatte  träumen  lassen.« 
Die  Theoretiker  jener  Zeit,  vor  allen  Tiuctoris,  verloren  sich  nicht  in  antiki- 
sirende  Forschungen.  »Zu  ästhetisiren  ist  Tinctoris  Sache  durchaus  nicht,  er 
suchte  vor  Allem  die  constructiveu  Gesetze:  ist  nur  erst  der  Körper  der 
Musik  tadellos  gesund,  wird  sich  auch  der  gesunde  Geist  einfinden«  (Ambros, 
a.  a.  0.  IIL  141  ff.). 

Eine  andere  Richtung  stellte  sich  zur  Zeit  des  berühmten  Franchinus 
Gafor  (1451 — 1522)  ein,  der  »so  ziemlich  als  das  Haupt  der  italienischen 
Musikgelehrten  um  150U  gelten  darf.«  Es  fingen,  »wie  es  im  Zeitalter  des 
Humanismus  nicht  anders  sein  konnte,  die  von  den  Niederländern  glücklich 
gebannten  Gespenster  des  Boethius,  Aristoxenus  u.  s.  w.  wieder  an  beträchtlich 
zu  spuken.«  Gafor  selbst  beschäftigte  sich  sehr  mit  der  antiken  Musiklehrc, 
und  »was  er  aus  seinen  griechischen  Traktaten  gelernt,  das  lehrt  er  sofort  mit 
einer  Freude,  die  wirklich  etwas  Naives  hat,  in  seinem  Traktat  De  harmonia 
musicorum  instrumentorum.  Nicht  nur  gegen  Tinctoris,  auch  gegen  Gafors 
eigene  Schriften  aus  der  Zeit,  bevor  er  von  dem  griechischen  Baum  der  Er- 
keuutniss  gegessen ,  ist  dieses  Buch  ein  schlimmer  Bückschritt  in  unfruchtbare 
Antiquitäten  und  trübe  Phantastik.«  »Das  einzige  Diffinitorium  terminorum 
musicorum  von  Tinktoris  mit  seiner  praktischen  Brauchbarkeit  weht  diese  schwere 
Gelehrsamkeit  wie  Spreu  in  alle  Winde.«  Gleichzeitige  Theoretiker  waren 
Pietro  Aron,  Adam  von  Fulda,  Sebastian  Virduug,  Martin  Agricola,  Lucas 
Lossius,  Jacobus  Faber  Stapulensis,  Steffano  Yaneo,  Andreas  Ornitoparchus 
u.  A.  Ihre  Lehre  ist  im  wesentlichen  diejenige  des  Tinctoris,  wenn  auch  bis- 
weilen kürzer  und  klarer  zusammengefasst. 

AVeit  über  Gafor's  Standpunkt  erhob  sich  der  Schweizer  Heinrich  Loritz 
(Loritus)  von  Glarus,  genannt  Glareauus  (geboren  1488)  in  seinem  »Dodeka- 
chordon«  (Basel,  1547),  freilich  hauptsächlich  nur  insofern,  als  es  sich  um  die 
Lehre  von  den  Tonarten  handelte.  In  Beziehung  auf  die  I.  suchte  er  so  viel 
als  möglich  zwischen  den  neueren  Lehren  und  den  altgriecnischen  eine  Ver- 
einigung zu  erzielen.  Einen  ähnlichen  Staudpunkt  nehmen  die  gleichzeitigen 
Schriftsteller  ein  (Hermann  Finck,  Sebald  Heyden,  Gregor  Faber  u.  A.).  »Dass 
auch  sie  vor  Allem  die  Belehrung  in  den  antiken  Autoren  suchten,  lag  im 
Geiste  ihrer  Zeit,  glaubte  man  doch  dort  Belehrung  für  Alles  und  Jedes 
suchen  zu  müssen.« 

Die  neu  erwachte  Begeisterung  für  die  antike  Kunst  und  Wissen- 
schaft war  es,  die  einen  Fortschritt  in  Beziehung  auf  Berechnung  und  An- 
wendung der  Intervalle  u.  s.  f.  verhinderte.  Erst  Zarlino  gelang  es,  über 
Tinctoris  hinaus  zu  kommen,  indem  er,  sowohl  in  der  Berechnung,  wie  in  der 
Theorie  überhaupt,  die  Terzen  und  Sexten  in  ihre  Rechte  als  Consouauzeu 
einsetzte  (s.  S.  439  u.  441).  »Wie  aiher  die  tiefste  Speculation,  wenn  sie  einmal 
von  bestimmten,  für  unverrückbar  gehaltenen  Voraussetzungen  ausging,  zu- 
weilen dij  einfachsten  klar  vor  Augen  liegenden  Wahrheiten  übei'sah,  beweist 
unter  andern  der  Umstund,  dass  die  lutervallberechnung,  die  jedes  Intervall 
abstract  und  an  und  für  sich  auffasste,  die  Erkenutniss  einer  ganz  einfach  auf- 
liegenden Sache  verhinderte,  die  Erkeuntniss  der  Intervallumkehrung,  kraft 
deren  die  Terz  zur  Sexte,  die  Quart  zur  Quinte  wird  u.  s.  w.  Bei  Tinctoris, 
Gafor  u.  B.  w.  findet  sich  darüber  auch  nicht  die  leiseste  Andeutung.«  »Ebenso 
findet  sich  von  unserer  auf  Accordbildung  beruhenden  Harmonielehre  bei  den 
Theoretikern  eigentlich  gar  keine  Spur.«  »Es  waren  aber  wiederum  die  prak- 
tischen Tousetzer,  welche  die  hierher  gehörigen  Gesetze  durch  den  natürlichen 
Schick  und  Takt  beobachteten,  und  weil  das  Ohr  endlich  ein  unbestechlicher 
Richter    blieb.     Aus    einer    einzigen  Motette    eines    der    grossen  Meister  hätte 


lutervallenlehre.  449 

die  Musiklehre  ganz  neue  und  wunderbare  Dinge  lernen  können,  hätte  sie  nur 
dafür  Augen  gehabt«  (Ambros,  a.  a.  0.  S.  163).  So  nachtheilig  die  antiki- 
sirende  Kichtung  der  damaligen  Zeit  für  die  Theorie  der  Musik  war,  so  nütz- 
lich sollte  sie  für  die  Praxis  der  Tonkunst  werden.  Führte  sie  doch  auf  die 
Erfindung  des  einstimmigen  Gesanges  (s.  ßecitativ,  Gralileo  u.  s.  f.).  Aber 
auch  der  Theorie  hat  sie,  freilich  nur  indirekt,  genützt,  indem  jene  Erfindung 
wiederum  auf  die  Anwendung  des  sogenannten  Generalbasses  führte. 

Noch  wichtiger  fast  als  für  den  Contrapunkt  war  die  Lehre  von  der  Be- 
handlung der  Intervalle  in  der  Composition  für  die  zu  Anfang  des  17.  Jahr- 
hunderts sich  entwickelnde  Generalbasslehre  (s.  d.).  Sie  wird  daher  auch 
von  dieser  Zeit  ab  mit  einer  Gründlichkeit  und  Ausführlichkeit  behandelt,  die 
nichts  zu  wünschen  übrig  lässt.  So  umfasst  Wolfgang  Casp.  Printz'  Werk 
über  die  Behandlung  der  Consonanzeu  über  300  Druckseiten.  Dieses  "Werk 
ist  etwas  eingehender  zu  betrachten,  weil  es  die  zu  seiner  Zeit  gültigen  Lehren 
übersichtlich  zusammenfasst  und  auf  allgemeine  Principien  zurückzuführen  sucht. 
Sein  Titel  lautet:  y>Exercitationes  Musicae  theoreüco-practicae  curiosae  de  Con- 
cordantiis  singulis,  d.  i.  Musikalische  Wissenschaft  und  Kunstübungen  von  jed- 
weden Concordantien«  (Dresden,  1689).  Das  Titelkupfer  zeigt  auf  der  einen 
Seite  Pythagoras,  auf  der  anderen  Zarlino;  der  erstere  trägt  eine  Tafel  mit 
den  Zahlen  1.  2.  3.  4,  der  andere  dagegen  eine  solche  mit  den  Zahlen  1.  2. 
3.  4.  5.  6.  8.  (s.  S.  441).  Das  Werk  zerfällt  in  einen  allgemeiueren  Theil 
(»Prodromus«)  und  in  acht  »Kuustübungen«,  von  denen  sich  jede  mit  einem 
besonderen  Intervall  (Prime,  Octave,  Quinte  etc.)  und  dessen  Behandlung  be- 
fasst.  Der  Prodromus  bringt  nun  zunächst  eine  Auseinandersetzung  über  die 
verschiedenen  Arten  von  Verhältnissen  (»Proportionen«),  in  denen  die  verschie- 
denen Intervalle  hinsichtlich  der  Saitenlängen  ihrer  Töne  stehen  können.  Diese 
Verhältnisse  werden  zunächst  eingetheilt  in  aequale  (1:1,  3:3  u.  s.  f.)  und  in- 
aequale  (4:3,  7:4  u.  s.  f.).  Die  inaequalen  zerfallen  dann  wieder  in  »grosse« 
und  »kleine«,  für  auf-  und  abwärts  zu  messende  Intervalle.  Jede  dieser  Arten 
wird  dann  wieder  in  fünf  TJnterabtheilungen  gebracht,  je  nachdem  die  kleinere 
Zahl  in  der  grösseren  nur  einmal  mit  Best,  oder  mehrmals  mit  oder  ohne  Best 
enthalten  ist  (a.  2:3,  Z-.  3  :  5,  c.  3  :  9,  d.  3:7,  e.  3  :  11). 

Dann  führt  er  (S.  8)  die  verschiedenen  Gesichtspunkte  an,  welche  man 
bei  der  Fortschreitung  von  und  zu  den  Consonanzen  zu  beachten  hat:  »Wir 
müssen  aber  für  allen  Dingen  betrachten,  was  in  Progressu,  oder  Transitu  Con- 
cordantiarum  in  acht  zu  nehmen  sey.  Denn  ohne  dieses  wird  ein  Musikus 
Poetikus  nichts  fruchtbarliches  ausrichten.  Derselben  Sache  nun,  so  in  Tran- 
situm  Concordantiarum  in  acht  zu  nehmen  seyn,  seyn  fünferley:  1,  .Proportio 
Goncordantiae  mutandae,  oder  derjenigen  Concordanz,  so  fort  gehet,  und  ver- 
ändert wird.  2.  Proportio  Concor dantiaa,  in  welche  jene  gehet.  3.  Motus  oder 
die  Bewegung  der  Stimmen.  4.  Die  Intervalle,  durch  welche  die  Stimmen  in 
die  folgende  Concordanz  gehen,  und  5.  Relatio  Ohliq_ua,  erstlich  des  Obersten 
Soni  der  ersten  Concordanz  gegen  dem  Untersten  der  andern  Concordanz;  zum 
andern  des  untersten  Soni  der  ersten  gegen  dem  obersten  Sonum  der  andern 
Concordanz.« 

Es  werden  nun  eine  Anzahl  allgemeiner  Principien  (nPrincipia  cognoscendiv. 
oder  T>Axiomata<s)  aufgestellt,  von  denen  dann  später  besondere  Lehrsätze 
(»Theoremataa)  abgeleitet  werden.  Als  »erstes  und  vornehmstes«  Priucip  gilt 
folgender  Satz:  »Weil  Musicae  Figur alis  Pinis  internus  eine  liebliche  Harmonia 
ist,  so  ist  alles,  was  solche  Lieblichkeit  aufheben,  oder  verhindern  kan,  ver- 
werfilich:  Hergegen  ist  alles  anzunehmen,  was  solche  Lieblichkeit  reverä  ver- 
ursachet, und  befördert.«  Dann  folgen  als  weitere  Axiomata  folgende  Sätze: 
2.  »Ein  jeglicher  Gegenwurflf  des  Sinnes  (ohjectam  sensus)  so  von  dem  Sinn 
leichtlich  percipiret,  und  vernommen,  und  von  dem  Verstände  vermittelst  des 
Sinnes  erkennet  wird  ist  demselben  augenehm.«  3.  »Unter  denen  Objectis  der 
Sinne  ist  nicht    dasjenige    dem  Gemüthe    am    angenehmsten,    welches  von  dem 

Muaikal.  Convers.-Lexikou.    V.  29 


450 


Intervallenlehre. 


sensu,  oder  Sinn  sehr  leicht,  auch  nicht  dasjenige,  welches  sehr  schwerlich, 
sondern  dasjenige,  welches  nicht  so  leicht,  dass  es  die  natürliche  Begierde, 
mit  welcher  die  Sinne  auf  ihre  Objecta  fallen,  gantz  nicht  erfülle,  noch  auch 
so  beschwerlich,  dass  es  den  Sinn  ermüde,  percipiret,  und  vernommen  wird.« 
4.  »Je  leichter  die  Erkenntniss  geschieht,  je  mehr  vergnüget  und  beruhiget  sie 
den  Sinn.«  5.  »Hergegen  je  schwerlicher  etwas  erkennet  wird,  je  weniger  ver- 
gnüget und  beruhiget  es  den  Sinn.«  6.  »Sobald  der  Sinn  vergnüget  ist,  ver- 
langet er  etwas  anders,  oder  ist  begierig  der  Veränderung.«  7.  »Daher  ist  eine 
gute  Varietät  in  der  Musik  so  wohl,  als  in  andern  Dingen,  sonderlich  in  acht 
zu  nehmen:  Angesehen  alle  gute  Veränderung  ergötzet,  und  belustiget.«  8.  »Die 
Natur  strebet  allezeit  nach  der  Vollkommenheit,  und  delectiret  sich  darinnen.« 
9.  »Die  Natur  hat  Beliebung  successive,  und  per  Gradüs  fortzugehen.«  10.  »Daher 
ist  alle  gar  zu  grosse  und  gehlinge  Veränderung  verdriesslich.«  11.  »Was 
schwerlich  von  dem  Verstände  vermittelst  des  Sinnes  erkennet  wird,  macht  das 
Gemüth  traurig.«  12.  »So  diese  Beschwerlichkeit  gar  zu  gross,  verursacht  es 
Verdruss.«  13.  »Was  in  der  Musik  eine  grössere  Lieblichkeit  erwecket,  das 
ist  zierlicher:  Angesehen  die  musikalische  Zierlichkeit  in  der  Lieblichkeit  be- 
stehet.« 14.  »Was  der  Ordnung  der  Natur  gemäss  ist,  ist  annehmlicher,  als 
was  der  Ordnung  der  Natur  nicht  gemäss  ist.« 

Aus   diesen  Principien  werden   nun   folgende  Lehrsätze  (Theoremata)  ent- 
wickelt:    1.  r>Froporüo  Aequalitatis   ist   am  allerleichtesten  erkändlich.«     2.  »Je 
mehr  Froportio  Inaequalitatis  der  Proportioni  Aequalitatis  sich  nähert,  je  leichter 
ist  sie  zu  erkennen,  und  je  weiter  sie  von  derselben  abweichet,  je  schwerer  ist 
selbige  zu  erkennen.«     3.  »Alle  Concordantien  seyn    lieblich,    und    dem  Gehör 
angenehm.«     4.  »Die  Perfecten  Concordantien    vergnügen    das  Gehör,    und  be- 
ruhigen   dasselbe.«     5.  »Unter  denen  Perfecten   Concordantien    geben  Unisonus, 
und  Octava  die   meiste  Vergnügung.«     6.  »Die  Quinta    vergnüget    nicht    allein 
das  Gehör;  sondern  ist  auch  die  aller  angenehmste  Concordanz.«     7.  »Die  Im- 
perfecten  Concordantien  vergnügen,  und  beruhigen  das  Gehör  nicht.«     8.  »Der 
Anfang  eines  Musikalischen  Stückes,  oder  Gesangos  wird  besser  mit  einer  voll- 
kommenen Concordanz  gemacht,  als  mit  einer  Unvollkommenen.«     9.  »Das  Ende 
einer  guten  Harmoniae,    wofern    man  dieselbe  nicht  aus  gewissen  Ursachen  ex 
abrupto  endiget,  soll  allezeit  mit  denen  Perfecten  Concordantien  gemacht  werden.« 
10.  »Jegliche  Concordanz    kan  in  alle  Concordantien    gehen,    wenn    in  solchen 
transita  keine  Ungeschicklichkeit  mit  unterläufft.«     11.  »Die  Concordantias  Per- 
fectas    soll    man    nicht    allein    gebrauchen,    sondern    auch    die   Imperfecteu    mit 
untermengen.«     12.  »Wenn  man  von  einer  unvollkommenen  Consonanz  zu  einer 
vollkommenen  gehen  will,   gehet   man  zierlicher  in  die  nähere  als  in  die  abge- 
legenere.«    13.  »Wenn    man    von    einer  Perfecten  Concordanz    zu  einer  Imper- 
fecteu gehen  will,    so   liegt  nichts  daran,    in  welche  Imperfecta  man  kommet.« 
14.  »Zween  Unisoni,    zwo  Octaven    und  zwo  Quinten    sollen  nicht  unmittelbar 
auffeinander  folgen.«     15.  y>Motus  ObUquus  ist  der  leichteste.«     16.  «Motus  Bcctus 
ist  der  beschwerlichste.«    17.  y>Motus  Contrarius  ist  der  angenehmste.«    18.  »Wenn 
man  von  einer  Concordanz    in    die  andere    gehet,    geschieht    es  am  leichtesten 
Motu  Obliquo,   und   am  zierUchsten  Motu  Contrario:   wofern   nur  sonsten  keine 
Ungeschicklichkeit  mit  unterläufft.«      19.  »Wenn  man  von  einer  Concordanz  in 
die  andere  gehet,  geschieht  solches  am  zierlichsten  per  Gradus  Generis  Diatomci.<.^ 
20    »Die    kleinesten    Gradus  Generis  Diatonici    machen    mehr    Annehmhchkeit, 
wenn  sie  sich  in  der  Oberen  Stimme  befinden,  als  wenn  sie  in  der  untern  seyn.« 
21.  »Weil  man  in  beyden  Stimmen    nicht    bWqzqü  per  Gradus    gehen    kan,    so 
werden  in   einer   springende  Intervalle   zugelassen.«     22.  »Die  Sprünge  werden 
zierlicher  gebraucht  in  der  untern  Stimme  als  in  der  Obern.«     23.  »Man  kann 
bissweilen  anstatt  der  Graduum  auch  per  Tertias  fortgehen.«     24.  »Wenn  be>'de 
Stimmen  in  Transitu  durch    grössere  Sprünge    gehen,    wird    dadurch  die  Har- 
monia  ungeschickt  und  unangenehm.«     25.  »Durch  Intervalla,   so   in   beschwer- 
lichen und  ä  Froportione  Aequalitatis  ziemlich,   doch   nicht   gar  zu  ferne  abge- 


Intervallenlehro.  451 

legen en  Proportionibus  bestehen,  kan  man  allein  in  traurigen  Affectihus  ex- 
primendis  gehen.«  26.  y>Belatio  Ohliqua  ist  in  Transitu  Ooncordantiarum  wohl 
in  acht  zu  nehmen.  Denn  wenn  sie  gut  ist,  gibt  sie  einen  guten  Effectum 
und  macht  den  Transitum  lieblich;  hergegen  wenn  sie  nicht  gut  ist,  kann  sie 
die  Lieblichkeit  verderben.  Sie  ist  entweder  Relatio  Sarmonica  (wenn  die 
beyden  Soni  beyder  Stimmen,  so  einander  Creutzweise  gegen  über  stehen,  con- 
cordiren),  oder  Belatio  Non-harmonica  (wenn  dieselben  beiden  Soni  mit  einander 
dissoniren).«  27.  »Helatio  ObUqua  Sarmonica  kan  allezeit  passiren.«  28.  r>Ite- 
latio  Non-harmonica,  wenn  die  einander  creutzweiss  gegen  überstehenden  Soni 
Gradus  Diatonicos,  oder  deren  Octaven  machen,  ist  anzunehmen,  und  passiret 
allezeit.«  29.  »Wenn  in  Relatione  Obliqua  die  einander  creutzweiss  gegenüber- 
stehende 8oni  in  distortis,  ineptis  und  ä  Froportione  Aequalitatis  gar  zu  weit 
abgelegen  Proportionibus  bestehen,  machen  sie  einen  Verdruss,  und  verderben 
die  Harmoniam.«  30.  »Wenn  in  Belatione  Obliqua  die  beyden  einander  creutz- 
weiss gegenüber  stehende  Soni  zwar  in  beschwerlichen,  und  ä  Proportione  Aequa- 
litatis ziemlich,  doch  nicht  allzusehr  entfernten  Proportionibus  bescehen,  machen 
sie  die  Harmoniam  traurig,  und  ist  eine  solche  Belatio  Non-harmonica  in  trau- 
rigen Affectibus  wohl  zu  gebrauchen,  wird  auch  deswegen  Tolerabilis  genennet.« 
31.  »Von  denen  dreyen  Perfectesten  Concordantien  in  eine  von  den  dreyen 
Perfectesten  Concordantien  diversae  speciei  gehet  man,  wenn  alle  beyde  Stimmen 
sich  bewegen,  allein  Motu  Contrario,  nicht  Becto.a  32.  »Von  denen  Concordantiis 
Imperfectis,  und  der  Tertia  Majore  gehet  man  in  die  drey  Perfectissimas  Motu 
Contrario,  nicht  Becto.a  33.  »Von  allen  Concordantien  kan  man  in  alle  Con- 
cordantias  kommen  Motu  Obliquo,  wofern  nur  das  Intervallum,  wodurch  die  be- 
wegende Stimme  gehet,  gut  ist.«  34.  »Von  einer  der  dreyen  Perfectesten  Con- 
cordantien kan  man  in  Tertiam  Majorem,  und  in  eine  Imperfecte  Concordanz 
gehen  Motu  Becto  und  contrario.<s.  35.  »Von  der  Tertia  Majore,  und  einer  Im- 
perfecten  Concordanz  kan  man  in  Concordantiam  Imperfectam  gehen  sowohl 
Motu  Becto,  als  Contrario,  wenn  nur  in  acht  genommen  wird,  was  in  acht  zu 
nehmen  ist.« 

Dass  Printz  die  Absicht  hatte,  die  damals  anerkannten  Lehren  der  I.  zu- 
sammen zu  stellen,  spricht  er  direkt  aus:  »Dieses  seyn  diejenigen  Theoremata, 
welche  einem  Melopoetae  zu  wissen  nöthig  seyn,  wenn  er  eine  Harmoniam 
setzen,  und  Ursachen  seines  Satzes  geben  will.«  »Hieraus  siebet  der  günstige 
Leser,  dass  man  die  Regulas  Componendi  gar  kurtz  fassen  kan.  Denn  in 
diesen  35  Theorematibus  seyn  nicht  allein  alle  solche  Regulae,  sondern  auch 
deren  ßationes  begriffen.«  Freilich  fügt  er  noch  bei:  »Wiewohl  noch  etwas 
mehr  dazu  gehöret«  (a.  a.  0.  S.  24). 

In  den  hierauf  folgenden  acht  »Kunstübungen«  betrachtet  Printz  die  ein- 
zelnen consonirenden  Intervalle  für  sich, ^und  zwar  immer  nach  zwei  Seiten  hin. 
»Ich  will  aber  so  wohl  an  dem  Unisono,  als  auch  künfftig,  geliebts  Gott,  an 
denen  andern  Concordantiis,  zweyerley  zu  betrachten  für  mich  nehmen:  Erstlich, 
was  ad  Theoriam;  und  dann  fürs  andere,  was  ad  Praxin  gehöret.«  Im  ersten 
Theile  jeder  Kunstübung  giebt  er  nun  die  einschlagenden  Definitionen  und  die 
theoretischen  Betrachtungen  über  das  Wesen  des  betreffenden  Intervalls,  und 
zwar  nach  einander  vom  Einklänge,  von  der  Octave,  von  der  Quinte,  von  der 
grossen  Terz,  von  der  Quarte,  von  der  kleineu  Terz,  von  der  grossen  Sexte 
und  von  der  kleinen  Sexte.  Im  zweiten  Theile  jeder  »Kunstübung«  folgen 
dann  erst  die  allgemeinen  Regeln  vom  Gebrauche  des  betreffenden  Intervalls, 
und  endlich  Mittheilungen  darüber,  nach  welchen  Intervallen  das  betreffende 
Intervall  unter  den  verschiedenen  Bedingungen  fortschreiten  kann.  Ueber  den 
Einklang  stellt  er  folgende  allgemeine  Regeln  auf:  1.  »Die  Unisoni  sollen  in 
wenigstimmigen  Cantionibus  nicht  offt  gesetzt  werden.«  2.  »Der  Unisonus  wird 
gar  zierlich  gesetzt  im  Anfang,  wenn  eine  Stimme  allein  anfanget,  und  die 
andere  nach  einer  kleinen  Pause  mit  einfällt.«  3.  »Das  Gehör  soll  am  aller- 
meisten   vergnüget    werden    am  Ende    des  Stückes,    welches    besser    durch    die 

2y* 


452  lutervallenlehre. 

Octav,  als  durch  die  Quint:  am  besten  aber  durch  den  TJnisonura  geschehen 
kann.«  4.  »Zweeu  oder  mehr  Unisoni  können  continuiren,  wenn  beyde  Stimmen 
auf  demselben  Tone  bleiben,  doch  dass  diese  Continuatio  nicht  allzulange  währe, 
oder  in  allzugrossen  Noten  bestehe.«  5.  »Zween  oder  mehr  Unisoni  können 
nicht  continuiren  in  Motu,  wenn  beide  Stimmen  sich  bewegen  in  Cantionibus 
von  wenig  Stimmen.«  6.  »Bei  Progressum  oder  Transitum  in  alias  Concor- 
dantias,  wie  uemlich  der  Unisonus  in  andere  Concordanticn  sich  verändere  oder 
fortgehe,  ist  am  ersten  zu  wissen,  dass  Unisonus  motu  ohliqtio  in  alle  Conso- 
nantias  gehen  könne.«  7.  »In  motu  recto  hat  man  erstlich  in  acht  zu  nehmen, 
ob  wenig  Stimmen,  oder  viel  vorhanden  seyn.  Seyn  viel  Stimmen,  und  alle 
Triatis  harmonicae  partes  vorhanden,  und  genugsam  augiret,  so  hat  man  etwas 
mehr  Freyheit,  als  in  wenig  Stimmen,  weil  die  Vielheit  der  Concordautien  den 
Übeln  Transitum  Unisoni  leichtlich  verdecket.  Seyn  aber  wenig  Stimmen,  so 
muss  der  Transitus  Unisoni  auch  zierlicher  seyn,  weil  sonst  das  Gehör  den 
schlimmen  Transitum  gar  zu  leicht  apprehendirt,  und  also  pertubirt  und  ver- 
driesslich  gemacht  wird.  Eben  dieses  muss  auch  observiret  werden,  in  denen 
beyden  äussersten  Stimmen  vollstimmigcr  Stücke,  item  in  der  obersten  Vocal- 
Stimme  und  Fundament:  Angesehen  dieselben  am  leichtesten  ins  Gehöre  fallen. 
Dei-gleichen  ist  auch  in  allen  andern  Concordantien  in  acht  zu  nehmen.«  »Fürs 
andere  soll  man  sehen,  ob  beyde  Stimmen  mit  einander  auf  oder  absteigen.« 
Es  folgt  nun  eine  Aufzählung  der  Intervalle,  zu  denen  der  Einklang  unter  den 
verschiedensten  Bedingungen  fortschreiten   darf. 

In  ähnlich  ausführlicher  Weise  werden  dann  die  anderen  consonanten  In- 
tervalle behandelt.  Wer  mit  der  Sache  bekannt  ist,  der  erkennt  aus  den  aufge- 
führten Principien,  Theoremen  und  Regeln,  dass  die  gesammte  Generalbasslehre 
über  diesen  Standpunkt  nicht  hinaus  gekommen  ist,  ja  dass  noch  heute  viele 
Theoretiker  nicht  mehr  und  nicht  besser  Begründetes  zu  geben  vermögen. 
Dass  ihre  Regeln  nicht  für  alle  Zeiten  Gültigkeit  haben  konnten,  war  übrigens 
den  alten  Meistern  nicht  unbekannt.  Wcrckmeister  schreibt  (»Sarmonologia 
Musica  oder  Kurtze  Anleitung  zur  Musikalischen  Composition«,  1702)  hierüber 
in  der  mystischen  Weise  seiner  Zeit:  »Dass  aber  das  Untere  von  dem  Obern 
regieret  werde  (nach  dem  bekannten  Verse:  Astra  recjuat  homines,  sed  Christus 
temperat  astra)  und  wie?  ist  schon  längst  von  vielen  Philosophis  erwiesen 
worden.«  »Wenn  nun  tlas  Unterste  von  dem  Obern  regieret  wird,  so  er- 
scheinet hieraus,  weil  auch  der  Mensch  von  den  Astris  seine  Bewegung  hat, 
dass  dahero  immer  die  neuen  Manieren  in  der  Musik  erfunden  werden.  Denn 
wie  die  Constellationes  nicht  eine  Zeit  wie  die  andere  fallen,  sondern  immer 
eine  Aenderung  darinnen  ist:  also  werden  die  Menschen  oder  Künstler  nach 
solchen  Constellationibus  getrieben,  wodurch  die  neuen  inventiouis  an  den  Tag 
kommen.«  Und  Mattheson  (»Vollkommner  Capellraeistei'«,  P.  S.)  entschuldigt 
sich  folgendermaassen:  »Warum  ich  aber  die  überraüssige  Septime  es  — Jis',  und 
die  verkleinerte  None  eis  —  des^  weder  in  dem  Verzeichniss  der  Dissonantien, 
noch  ihren  Gebrauch  angeführt  habe,  kömmt  daher,  weil  solcher  Gebrauch  mir 
annoch  zu  geringe  scheinet.«  »Erfalire  ich  dereinst,  dass  sie  sich  bessern,  und 
mehr  Nutzen  schaffen,  so  sollen  sie  auch  Sitz  und  Stimme  mit  haben.  Wer 
inzwischen  weis  und  wol  überlegt,  dass  sich  die  Tlieilung  der  Klänge  ins  un- 
endliche erstrecket,  und  dass  doch  zuletzt  all  unser  Wissen  auch  in  diesem  Stück 
unvollkommen  ist,  der  wird  sich  desto  leichter  handeln  lassen.« 

Sehr  erschwert  wurde  die  Kenntniss  der  verschiedenen  Intei'valle  und  die 
Behandlung  derselben  dadurch,  dass  man,  noch  im  Anschlüsse  an  das  alte  be- 
schränkte Tonsystem,  die  Intervalle  nicht  nach  ihrer  Notirung,  sondern  nach 
»ihrer  eigentlichen  Maasse  und  Proportion«  beurtheilte,  und  z.  B.  as  —  dis^  eine 
Quinte  nannte.  Mattheson  (»Exemplarische  Organistenprobe«,  1719,  Einleitung 
S.  55  und  85  ff.)  führt  folgende  Intervalle  als  gebräuchlich  auf:  »Gleichwie  es 
zweyerley  hemitonia  und  zweyerley  Ummata  (oder  überhaupt  viererley  Jiemifonia) 
nach    itziger  Stimmung  in    der  Welt    gibt,    also    auch    dreyerley  Totti    majores 


Intervalleulelire.  453 

(die  aä  Mementa  besondei'S  gehören),  viererley  Tertiae  minores,  zweyerley  Tertiae 
majores;  fünferley  Quarten,  fünferley  Quinten;  zweyei'ley  Sextae  minores,  vie- 
rerley Sextae  majores;  viererley  Septimae  minores,  und  endlich  viererley  Septimae 
majores  in  heutiger  Scala  diatono-cltromatica  zu  finden  sind.  "Welches  vielleicht 
eine  Doctrina  Intervallorum  ist,  die  manchem  noch  wohl  nie  im  Sinn  gekommen, 
und  etwas  neu  scheinen  wird,  ob  sie  gleich  so  alt  ist,  als  die  selbststäudige 
Natur.«  »Es  sind  die  bekannten  acht  Genera  Intervallorum  (1)  Hemitonium 
(2)  Tonus  (3)  Tertia  (4)  Quarta  (5)  Quinta  (6)  Sexta  (7)  Septima  (8)  Octava; 
deren  vielleicht  nicht  so  bekannte  39  Species  hier  folgen: 

1.  Hemitonium  minus.  24 :  25  =  C;  Ow,  D :  Dis,  G-.Gis,  B :  H. 
'  2.  „  „     ,  commate    abundans    l.    Limma    minus.     128  :  135 

=  F:  Fis. 
I.  <!   3.  „  majus.  Ib :  IG  =  Dis :  F,  F :  F,  Fis :  G,  Gis -.  A,  H:G. 

4.  „  „    ,  commate  abundans  l.  Limma  majus.  2b  •.21=  Gis  :D, 

A:B. 

5.  Tonus  minor.  9:10  =  D :  F,  Fis :  Gis,  G :  A,  B  :  c,  H:  eis. 
jj    I    6.  Tonus  major.  8  :  9  =  C-  D,  Cis :  Bis,  F:  Fis,  F:  G,  A  :  H. 

I.  Tonus  major  cum  diaschismate.  22b '.  2hG  =  Dis :  F. 
8.  Tonus  major  cum  diesi.  125  :  144  =  (ris;  jB. 

9.  Tertia  minor,  diesi  et  commate  deficiens.  108 :  125  =  ^;ciV. 

10.  Tertia  minor,  diesi  deficiens,  64  :  75  =  G :  Dis,  F :  Gis. 

II.  Tertia  minor,  commate  deficiens.  27  :  32  =  i> ; -F,    Fis :  A. 
III.  <!   12.  Tertia  minor.  5:6  =  Gis  ■  F,  Dis :  Fis,  F :  G,  G :  B,  Gis :  H,  A  :  c,  R:  d. 

13.  Tertia  major.  Aib^G.F,  D : Fis,  F:Gis,  F.-A,  G:H,A:cis,  B.d, 

S:  dis. 

14.  Tertia  major  diesi  abundans.  25:32  =  Gis :  F,  Dis :  G,  Fis :  B,  Gis :  c. 

Ebenso  wird  in  der  Aufzählung  der  Quarten,  Quinten  u.  s.  f.  fortgefahren. 

Eine  andere  Eintheilung  findet  sich  bei  J.  Dav.  Heinichen  (»Der  Geueral- 
bass  in  der  Composition«,  1728).  Er  führt  auf:  drei  Secunden,  zwei  Tertien, 
drei  Quarten,  drei  Quinten,  drei  Sexten  und  drei  Septimen.  Octave  und  Prime 
sind  ihm  keine  Intervalle  und  bleiben  unveränderlich.  »Denn  die  Octava  de- 
ficiens und  superflua,  welche  man  etwan  auf  das  Pappier  hinmahlen  kan,  seynd 
pure  Non-Fntia,  die  sich  weder  in  Saltu  einer  einzelnen  Stimme,  noch  in  Gon- 
centu  einer  völligen  Harmonie  gebrauchen  lassen;  und  wenn  die  Alten  sonst 
zu  sagen  pflegten!  Mi  contra  fa,  est  Diabolus  in  Musica,  so  könnte  man  mit 
besserem  Rechte  sagen:  Octava  deficiens  et  superflua,  sunt  duo  Diaboli  in  Musicd.a 
In  Beziehung  auf  die  Benennung  der  Intervalle  fällt  er  schliesslich  in  denselben 
Irrthum,  wie  Mattheson.  Nachdem  er  die  einzelnen  namhaft  gemachten  Inter- 
valle in  einem  Schema  von  dem  Tone  c  aus  alle  richtig  dargestellt  hat,  fährt 
er  (a.  a.  0.  S.  103)  fort:  »Wenn  wir  obiges  Schema  nach  unseru  12  Chroma- 
tischen Clavibus  examiniren,  so  finden  sich  gewisse  lutervalla  von  gleichen 
Nahmen  und  Distanz,  welche  doch  oben  vor  gantz  von  einander  unterschiedene 
Intervalla  angegeben  und  beschrieben  worden.  Es  kommen  darinnen  sechs 
considerable  Casus  vor.  Denn:  1.  Machen  in  besagtem  Schemate  die  2  Chro- 
matische Claves  c :  dis,  sowohl  die  Secundam  superflnam,  als  die  Tertiam  minorem 
aus.  2.  Geben  allda  c—e  sowohl  die  Tertiam  majorem  als  die  Quartam  imper- 
fectam  an«  u.  s.  f. 

Bei  dieser  Lasfe  der  Sache  war  J.  Ad.  Scheibe  in  der  Vori-ede  zu  seinem 
Werkchen  über  die  Intervalle  (»Eine  Abhandlung  von  den  musikalischen  Inter- 
vallen und  Geschlechten«,  1739)  ganz  im  Rechte,  wenn  er  sich  folgcndermaassen 
auslässt:  »Die  allgemeine  Beschaffenheit  und  Eintheilung  der  Intervallen,  nach 
der  man  sie  insgemein  und  nach  der  eingeführten  G-ewohnheit  betrachtet  und 
deutlich  zu    machen    suchet,    schien    mir    bey  weitem    noch    nicht  dasjenige  zu 


454  Intervallenlehre. 

sein,  was  sie  doch  seyn  sollte.  Sie  schien  mir  viel  zu  unvollkommen,  und  gar  ^ 
nicht  vollstiinclig  genug,  die  ganze  Materie  von  den  Intervallen  gründlich  und 
ordentlich  zu  erkennen  und  einzusehen.«  —  »Ich  entschloss  mich  also  nach-  j 
zuforschen,  ob  ich  wohl  an  einem  Orte  oder  hey  einem  musikalischen  Scribenten  | 
diessfalls  eine  nähere  Entdeckung  machen,  und  etwas  gründlichers,  als  der  all- 
gemeine Schlendrian  enthielte,  antreffen  könnte.  Ich  schlug  verschiedene  Scri- 
benten nach.  Sie  stimmten  aber  fast  alle  mit  einander  überein.  Sehr  wenige 
hatten  die  gewöhnlichen  Grenzen  überstiegen.  Auch  diejenigen,  welche  sich 
Mühe  gegeben  hatten,  durch  ihre  Untersuchungen  viele  mathematische  Schwierig-  1 
keiten  zu  entwickeln,  oder  auch  wirklich  einige  neue  practische  Umstände  von 
den  Intervallen  selbst  zu  entdecken  und  zu  erläutern,  hatten  doch  nur  das 
wenigste  berühret.  Die  meisten  hatten  sogar  der  ganzen  Materie  nur  mit 
wenigem  gedacht.  Von  einigen  waren  endlich  auch  diejenigen  Intervallen,  welche 
doch  wirklich  schön  sind,  wenn  sie  an  ihrem  rechten  Orte  stehen,  und  sonst  ver- 
nünftig angewendet  werden,  auf  das  heftigste  verachtet,  als  die  gröbste  Ketzerey 
verworfen,  und  aus  der  Musik  verbannet  worden.«  »Das  Nachforschen  in  den 
musikalischen  Scribenten  hatte  mich  in  der  Wahrheit  einiger  Grundsätze,  die 
ich  bey  einem  System  der  Intervallen  für  nöthig  hielte,  befestiget;  theils  weil 
ich  gefunden  hatte,  dass  einer  einer  Sache  wiedersprach',  welche  ein  anderer 
vertheidigte,  theils  auch,  weil  die  meisten  überhaupt  in  einigen  Meynungen,  die 
sie  von  gewissen  Intervallen  hatten,  nicht  nur  nicht  überein  stimmten,  sondern 
auch  bald  mehr  oder  weniger  Intervallen  angaben.  Meine  angenommene  Grund- 
sätze aber  wurden  noch  mehr  durch  ein  emsiges  Durchblättern  der  Partituren 
erfahrner  Meister  und  Componisten  bekräftiget.  Ich  fand  sehr  oft  das  Gegen- 
theil  derjenigen  Meynungen,  welche  einige  Scribenten  auf  das  eifrigste  be- 
hauptet hatten.  Ich  fand  gewisse  musikalische  Sätze  von  so  genannten  un- 
brauchbaren, abgeschmackten  und  ketzerischen  Intervallen,  dass  ich  sehr  oft 
lachen  musste,  wenn  ich  die  Schönheit,  den  Nachdruck  und  die  Vortreflichkeit 
dieser  Sätze  gegen  die  verworrenen  und  schreckhaften  Abschilderungen  meiner 
Scribenten  hielt.« 

In  Beziehung  auf  Benennung  und  Unterscheidung  betrat  Scheibe  unstreitig 
den  richtigen  Weg.  »Es  ist  ausser  Zweifel,  dass,  wenn  man  einen  Thon,  der 
auf  verschiedene  Art  bezeichnet  oder  in  Noten  ausgedrucket  ist,  gegen  einen 
andern  Thon  betrachtet,  auch  nach  der  Verschiedenheit  der  Stellung  des  ersten 
jedesmal  ein  neues  Intervall  entstehet,  welches  nach  seinen  Abtheilungen  und 
Stuffen  der  ganzen,  halben  und  verkleinerten  halben  Thöne,  von  den  vorher- 
gehenden allerdings  unterschieden  ist.  Wenn  nun  diese  Abtheilungen  der  Inter- 
vallen, nemlich  die  ganzen,  halben  und  verkleinerten  halben  Thöne  auch  die 
eigentliche  Grosse  und  Weite  eines  Intervalls  zu  erkennen  geben,  (wie  solches 
eine  unumstößliche  Wahrheit  ist,)  nach  der  verschiedenen  Vorzeichnung  aber 
sich  jedesmal  verändern,  und  also  zugleich  ein  neues  oder  ein  anderes  Intervall 
anzeigen;  so  folget  auch  allerdings,  dass  diese  veränderte  Stellung  der  Noten 
auch  wirklich  den  Thon  höher  oder  tiefer  machen  muBs.  Durch  die  gewöhn- 
lichen Namen  der  Thöne«  (Scheibe  bezieht  sich  hier  auf  das  geltende  Ton- 
system, in  welchem  man  kein  Des,  Ges,  Ais,  JEis  u.  s.  f.  hatte)  »lässt  sich  zwar 
solche  Veränderung  des  Klanges  nicht  bemerken,  allein  dieser  Umstand  wieder- 
spricht doch  der  Sache  nicht,  weil  nicht  allezeit  der  Name,  sondern  meisten- 
theils  die  blosse  Stellung,  der  Note  ihren  gehörigen  Klang  giebt«  (a.  a.  0. 
S.  28  ff.).  Scheibe  will  also,  ganz  richtig,  die  Intervalle  nur  nach  der  Ent- 
fernung ihrer  Noten  auf  dem  Liniensysteme  unterschieden  und  benannt  wissen. 

Mattheson  erkennt  (im  P.  S.  zu  seinem  »Vollk.  Capellmeister«)  dieses 
Princip  als  richtig  an  und  belobt  die  Scheibe'sche  Abhandlung  deswegen.  »Es 
ist  das  vollständigste  System,  das  man  annoch  in  blossen  Noten  aufweisen  kann«, 
sagt  er  {;m  angeführten  Orte.  In  Beziehung  auf  die  berechtigte  Benennung 
der  Intervalle  lässt  er  sich  wie  folgt  aus:  »Vor  20  Jahren  wies  ich  zum 
erstenmal,   fast  am  Ende  der  Organistenprobe,  wie  zwey  [?[>  vor  einer  Note  zu 


Intervallenlehre. 


455 


gebrauchen,  welctes  damals  noch  kein  Mensch  gewaget  hatte.  Mit  zwey  Kreutzen 
war  es  nur  gantz  sparsam  geschehen.  Ich  wäre  auch  gern  zu  dreyen  bbt'  ge- 
schritten, weil  ich  wusste,  dass  es  dereinst  zur  ordentlichen  Vorstellung  aller 
Intervallen  in  Noten  nöthig  seyn  würde:  wie  ich  mich  denn  hin  und  wieder 
über  den  Abgang  deutlicher  Zeichen  schon  zu  der  Zeit  beklagte.  Ich  besorgte 
aber,  es  mögte  zu  viel  Aufsicht  geben,  und  den  meisten  fürchterlich  vorkommen. 
Wollte  man  doch  aus  dem  kleinen  Anfange  lauter  Grillen  machen.  Dem  un- 
geachtet wäre  gleichwohl  sothane  Verzeichnung,  meines  wenigen  Erachtens 
etwas  leidlicher  anzustellen,  wenns  nur  durchgehends  angenommen  würde.« 

Indessen  ist  Scheibe  doch  in  einige  Irrthümer  gerathen,  die  seinem  Systeme 
zum  Nachtheile  gereichten  und  es  viel  umständlicher  machten,  als  nothwendig 
war.  Zunächst  ist  er  im  Irrthume,  wenn  er  meint,  die  Materie  endgültig  ven- 
tilirt  zu  haben.  Er  hat,  und  zwar  absichtlich,  von  der  Eintheilung  der  Inter- 
valle in  Consonanzen  und  Dissonanzen  nur  ganz  kurz,  von  der  Fortschreitung 
von  und  zu  den  Intervallen  gar  nicht  Notiz  genommen,  weil  er  »allhier  keine 
Compositionsregeln  geben  will«,  und  er  gesteht  in  sofern  eine  Einschränkung 
zu.  In  Beziehung  auf  die  Zahl  der  von  ihm  als  möglich  aufgestellten  Intervalle 
aber  glaubt  er  auf  Unfehlbarkeit  Anspruch  machen  zu  dürfen.  »Ich  war  endlich 
so  glücklich,  dass  ich  entdeckte,  wie  viel,  und  welche  Intervallen  möglich  und 
wirklich  vorhanden  seyn  müssten;  dass  ich  sie  in  eine  wohl  und  richtig  anein- 
anderhängende  Ordnung  oder  Reyhe  brachte;  dass  ich  sie  nach  gewissen  Ab- 
theilungen und  Eintheilungen  unterscheiden;  und  dass  ich  endlich  alles  erklären 
und  entwickeln  konnte,  was  mir  etwa  dabey  zu  bemerken  vorkommen  möchte« 
(Scheibe,  a.  a.  0,,  Vorrede).  Dass  mit  folgenden  (a)  von  ihm  aufgeführten  Inter- 
vallen noch  nicht  alle  Möglichkeiten  erschöpft  sind,  wird  uns  jetzt  auf  den 
ersten  Blick  klar. 


Primen. 


Secunden. 


Terzen. 


Quarten. 


=|: 


=!===!- 


ife= 


^■ 


f 


Quinten. 


Sexten. 


^-^^^^-^' 


z^^Öfeöitt^itN 


=■& 


tizrtt-t 


Sej3timen. 


^gi^O-fe^-;  Is^-" 


nt 


=1=5^- 


ii^äf^]^^ 


Octaven.  Nonen. 


:& 


Ein  zweiter  Fehler  war  es,  dass  er  alle  Intervalle  ohne  Unterschied  aus 
»ganzen,  halben  und  verkleinerten  halben  Tönen«  zusammensetzen  wollte,  und 
nicht  von  den  Intervallen  der  diatonischen  Scala  (den  »natürlichen  Intervallen«) 
ausging,  um  alles  auf  diese  zurück  zu  führen.  Endlich  war  er  auch  in  der 
Benennung  der  Intervalle  nicht  consequent  genug.  G-leichwohl  war  sein  System, 
wie  auch  in  maassgebenden  Kreisen  anerkannt  wurde,  doch  ein  bedeutender 
Fortschritt  über  die  Ansichten  seiner  Zeit  hinaus. 

Wie  uneinig  die  verschiedenen  Theoretiker  über  die  Zahl  der  möglichen 
Intervalle  waren,  geht  aus  einer  Anmerkung  in  G.  Andr.  Sorge's  »Vorgemach 
der  musikalischen  Composition«  (1745 — 47)  hervor.  »Die  verkleinert-  und  ver- 
grösserten  Intervallen  bekommen  von  dem  Herrn  P.  Spiess  in  seinem  ^»Tractata 
musico  compositorio-practico«  solche  Nahmen,  die  mich  bei  dessen  neulicher  Durch- 
lesung zum  herzlichen  Lachen  gebracht  haben,  und  ich  kan  nicht  vorbey  einige 
davon  beyzufügen.     Pag.  86  genannten  Buchs  sagt  er:   Herr  Mattheson  bringe 


456 


IntervallenleKre. 


in  seinem  vollkommenen  Capellmeister  ausser  der  verkleinerten  und  übermässigen 
Secunde  dergleichen  Kessler-Gesindel,  Bastarten  etc.  noch  mehr  auf  die  Bahn, 
bekantlich  die  übermässige  Quint,  Sext  und  Septime,  it.  die  verkleinerte  und 
vergrösserte  Octaven,  NB.  die  verkleinerte  None.  Weiterhin  sagt  er:  Es  stehe 
die  edle,  reine  musikalische  Harmonie  in  Gefahr,  durch  dergleichen  Intervallen 
in  einen  grausamen  Barbarismum  und  höllisches  Chaos  zu  degeneriren.  Und 
es  solte  ihm  wahrhaftig  nicht  schwer  seyn,  bey  manch  heutigen  Theatralisten 
in  einer  eintzigen  Opere,  so  viel  dergleichen  infame  Zigeuner -Pursch  auszu- 
finden,  dass  man  gantze  Regimenter  damit  könne  aufrichten,  und  ins  Feld 
stellen.  Er  weite  alle  dergleichen  vortrefifliche  Vermessenheiten,  erbärmliche 
Schönheiten,  amdros  dulcedines  (bittere  Süssigkeiten)  und  Jiorendas  suavitates 
(schreckhaffte  Lieblichkeiten)  hiermit  auf  die  schönste  Manier  abgefertiget  haben, 
und  wenigstens  aus  den  Kirchensachen,  und  sonderlich  Contrapunct  (Herr  Di- 
rektor Telemann ,  mercken  Sie  sichs)  exterminirt  wissen.  "Wer  jedoch  sein 
Stück  Brod  und  sein  Glück  durch  dergleichen  Erbarmnüsswürdige  Ohren- 
Kützeleyen  besser  zu  finden  vermeyne,  der  möge  nach  seinem  Gefallen  hand- 
thiei*en.  Jetziger  Zeit  sey  alles  erlaubt,  je  höllischer  es  klinge,  je  seltsamer, 
angenehmer  und  künstlicher  die  Musik  angerühmet  werde.  Die  Welt  wolle 
betrogen  seyn,  daher  werde  sie  billig  betrogen.  Das  Fegefeuer  ist  also  zu  gut 
vor  diese  Bursche;  wenn  es  dem  Herrn  P.  nachgehet,  so  werden  sie  ohne  alle 
Gnade  zur  Höllen  verwiesen  werden.  Inzwischen  ist  es  wahr.  Dergleichen 
Pursche  wollen  behutsam  gebraucht  seyn,  verdienen  aber  solche  schimpfliche 
Nahmen  wohl  nicht.  Man  bringe  doch  einmahl  dem  Herrn  P.  ein  Ständgen, 
worunter  fein  viele  solche  Zigeuner -Pursche  seyn,  vielleicht  wird  er  noch  in 
grössern  Eyfer  gebracht,  und  es  fallen  ihm  alsdann  noch  mehrere  dergleichen 
schöne  Prädicata  ein!  Was  wird  der  Herr  P.  zu  meinem  Vorgemach  sagen? 
Da  wird  es  was  zu  exorciren  geben«  (a.  a.  0.  S.  373). 

Dass  man  in  der  That  bisweilen  etwas  weit  ging,  beweist  das  folgende  von 
Sorge  gegebene  Telemann'sche  Sätzchen. 


r 


w 


auf  dass  wir      klug 


wer -den,  dass  wir 


klug 


tJt 


^^^ 


<>o- 


^^=^ 


^ 


'^^^^- 


auf  dass  wir 


i=S 


r= 


klug 


wer-den,  dass  wir 


^^ 


^ 


J- 


klug 


wer 


den. 


_ÄO_ 


wer- 


S^=fe 


den. 


ir=t 


Noch  uneiniger  waren  diese  Theoretiker  in  Beziehung  auf  die  Art  und 
Weise  der  Anwendung  der  verschiedenen  Intervalle,  bei  der  Unterscheidung 
derselben  in  Consonanzen  und  Dissonanzen  und  in  ähnlichen  Fragen.  Sind 
doch  über  den  leidigen  Streit,  ob  die  Quarte  eine  Consonanz  oder  eine  Disso- 
nanz sei,  noch  im  vorigen  Jahrhundert  ganze  weitläufige  Abhandlungen  (s.  Mat- 
theson,  »Orchester«  III.,  Sorge,  »Vorgemach«  III.  etc.)  geschrieben  worden. 
Wurden  doch  von  verschiedenen  Theoretikern  sogar  alle  verminderten  und  über- 
mässigen Octaven,  Quinten,  Terzen  und  Sexten  (s.  Mattheson,  »VoUk.  Capellm.« 
S.  253)  mit  zu  den  Consonanzen  gezählt.  Bekannt  ist  ferner  der  müssige 
Streit  darüber,    ob  die  verschiedenen  Primen,    die    man  fälschlicher  Weise  alle 


"  Intervallenlelire.  457 

»Einklänge«  naunte,  Intervalle  seien  oder  nicht  (s.  Mattheson,  »Vollk.  Capellm.« 
im  P.  S.,  Printz,  nTlxeTcitationesv-  I.  u.  s.  f.). 

Aucli  in  der  Lehre  von  der  Melodie  bildete  im  vorigen  Jahrhundert  die 
I.  eine  allzu  hervorragende  und  dabei  zu  einseitige  Rolle.  "Wie  man  bei  Be- 
trachtung von  Zusammenklängen  übersah,  dass  jeder  Ton  nicht  blos  zu  seinem 
Basstone,  sondern  auch  zu  jedem  anderen  Tone  des  betreffenden  Zusammen- 
klanges, ja  zu  jedem  Tone  der  ganzen  Tonverbindung  in  Beziehung  stehen 
müsse,  so  vergass  man  bei  Betrachtung  von  Tonfolgen,  dass  in  einer  melodischen 
"Wendung  nicht  blos  die  direkt  einander  folgenden  Töne,  sondern  alle  Töne 
unter  einander,  eine  Einheit  bilden  müssen.  Man  bezeichnete  dabei-,  bei  Auf- 
stellung von  Regeln  für  die  Fortschreitung  innerhalb  einer  Melodie,  Schritte 
in  diesen  oder  jenen  Intervallen  ganz  allgemein  als  erlaubt  oder  als  verboten, 
ohne  sich  die  melodische  "Wendung,  in  welcher  sie  vorkamen,  im  Ganzen  an- 
zusehen; es  ist  daher  nicht  zu  verwundern,  wenn  sich  in  dieser  Beziehung  bei 
den  verschiedenen  Theoretikern  die  grössten  "Widersprüche  nachweisen  lassen. 
—  Ja  selbst  bei  Betrachtung  des  Inhalts  einer  Melodie  glaubte  man,  jeder  Art 
von  Intervallen  ganz  im  Allgemeinen  einen  bestimmten  Charakter  zusprechen 
zu  dürfen;  dass  man  hierbei  fast  zu  noch  spasshafteren  Resultaten  gelangte, 
als  später  bei  Charakterisirung  der  Tonarten  (s.d.),  versteht  sich  von 
selbst.  Als  ein  Beispiel  möge  hier  die  Kirnberger'sche  Auffassung  angeführt 
werden,  wie  sie  sich  in  seiner  »Kunst  des  reinen  Satzes«  II.  1.  (1776)  S.  103  ff. 
findet:  »Jedes  Intervall  hat  gleichsam  seinen  eigenen  Ausdruck,  der  aber  durch 
die  Harmonie,  und  durch  die  verschiedene  Art  ihrer  Anbringung  sehr  abge- 
ändert oder  ganz  verloren  gehen  kann.  Demohngeachtet,  wenn  man  blos  auf 
die  Fortschreitungen  einer  Melodie  ohne  Rücksicht  auf  die  übrigen  Neben- 
umstände sieht,  so  lassen  sich  die  Intervallen  ohngefähr  also  charakterisiren: 

Im    Steigen. 

Die  übermässige  Prime,  ängstlich.  Die  kleine  Secunde  traurig;  die  grosse 
angenehm  auch  pathetisch;  die  übermässige  schmachtend.  Die  kleine  Terz, 
traurig,  wehmüthig;  die  grosse  vergnügt.  Die  verminderte  Quarte,  wehmüthig, 
klagend;  die  kleine  fröhlich;  die  grosse  traurig;  die  übermässige  oder  ber  Triton 
heftig.  Die  kleine  Quinte  weichlich;  die  falsche  anmuthig,  bittend;  die  voll- 
kommene frölich,  muthig;  die  übermässige  ängstlich.  Die  kleine  Sext  weh- 
müthig, bittend,  schmeichelnd;  die  grosse  lustig,  auffahrend,  heftig;  die  über- 
mässige kömmt  in  der  Melodie  nicht  vor.  Die  verminderte  Septime  schmerz- 
haft; die  kleine  zärtlich,  traurig,  auch  unentschlossen;  die  grosse  heftig,  wüthend, 
im  Ausdruck  der  "Verzweiflung.     Die  Octave  frölich,  muthig,  aufmunternd. 

Im  Fallen. 

Die  übermässige  Prime  äusserst  4;raurig.  Die  kleine  Secunde  angenehm; 
die  grosse  ernsthaft,  beruhigend ;  die  übermässige  klagend,  zärtlich,  schmeichelnd. 
Die  verminderte  Terz  sehr  wehmüthig,  zärtlich;  die  kleine  gelassen,  massig 
vergnügt;  die  grosse  pathetisch,  auch  melancholisch.  Die  verminderte  Quarte 
wehmüthig,  ängstlich;  die  kleine  gelassen,  zufrieden;  die  grosse  sehr  nieder- 
geschlagen; die  übermässige  oder  der  Tritonus  sinkend  traurig.  Die  kleine 
Quint  zärtlich  traurig;  die  falsche  bittend;  die  vollkommene  zufrieden,  beruhi- 
gend; die  übermässige  schreckhaft  (kömmt  nur  im  Bass  vor).  Die  kleine  Sexte 
niedergeschlagen;  die  grosse  etwas  schreckhaft;  die  übermässige  kömmt  in  der 
Melodie  nicht  vor.  Die  verminderte  Septime  wehklagend;  die  kleine  etwas 
fürchterlich;  die  grosse  schrecklich  fürchterlich.     Die  Octave  sehr  beruhigend.« 

"Wie  unzureichend  übrigens,  sowohl  nach  ihrer  Consequenz  wie  nach  ihrer 
Vollständigkeit,  diejenige  Auffassung  ist,  welche  in  der  Harmonie  und  Melodie 
nur  von  Intervallen  und  Intervallverbindungen  spricht,  wurde  schon  an  ver- 
schiedenen Orten  (s.  Consonanz,  Harmonielehre)  angedeutet.  Grleichwohl 
haben  viele  Theoretiker  diese  Auffassung  auch  heute  noch  nicht  aufgegeben. 
Den  älteren  Schriftstellern    konnte    man    aus   ihrem  Irrthume    keinen  Vorwurf 


458  Intervallenlehre. 

machen ;  nach  den  Fortschritten  aber,  welche  seit  Rameau  in  der  Harmonielehre 
gemacht  worden  sind,  sollte  man  ein  Festhalten  au  jenen  veralteten  Anschau- 
ungen kaum  noch  für  möglich  halten.  Aber  selbst  in  Beziehung  auf  Benen- 
nung, Eintheilung  und  Unterscheidung  der  Intervalle  sind  viele  neuere  Theo- 
retiker über  Scheibe  noch  nicht  hinaus  gekommen,  so  unglaublich  dies  erscheint. 
So  construirt  A.  B.  Marx  alle  seine  Intervalle  aus  Ganz-  und  Halbtönen  und 
muthet  den  Schülern  zu,  behufs  Bildung  der  verschiedenen  Intervalle  die  Zahl 
dieser  Ganz-  und  Halbtöne  für  jedes  Intervall  auswendig  zu  lernen;  so  kennen 
Marx  und  andere  »grosse«,  »kleine«,  »verminderte«  und  »übermässige«  Primen, 
Quarten,  Quinten  und  Octaven,  —  und  selbst  E.  Fr.  Richter  construirt  und 
benennt  zwar  alle  Intervalle  in  consequenter  Weise,  aber  bei  Bildung  der  ver- 
minderten Intervalle  fordert  er  eine  Erhöhung  des  tieferen  Tones  und  wirft 
somit  alle  Consequenz  bei  Seite.  Bei  einer  solchen  Unordnung  und  Unklarheit 
ist  es  nicht  zu  verwundern,  wenn  die  I.  noch  heute  die  Qual  aller  derer  bildet, 
die  sich  mit  der  Theorie  der  Musik  befassen  wollen,  und  zwar  muss  dieses 
um  so  mehr  der  Fall  sein,  als  nach  den  meisten  Lehrbüchern  die  genaue  Be- 
kanntschaft mit  den  verschiedensten  Intervallen  die  unbedingte  Voraussetzung 
resp.  Vorbereitung  bildet,  —  und  demnach  stets  zu  Anfang  und  bei  noch 
gering  entwickelter  Auffassungskraft  der  Schüler  gelehrt  werden  muss.  Unter 
Harmonielehre  habe  ich  schon  nachgewiesen,  wie  sich  ein  Weg  einschlagen 
lässt,  auf  welchem  zunächst  nur  eine  ganz  allgemeine  Unterscheidung  der  Inter- 
valle und  die  genauere  Bekanntschaft  mit  nur  drei  (Grund-) Intervallen  (reine 
Octave,  reine  Quinte  und  grosse  Terz)  erforderlich  ist,  und  auf  dem  sich 
dann  die  genauere  Unterscheidung  bei  Besprechung  der  Tonleiter  sehr  leicht 
lehren  lässt. 

Sehr  leicht  verständlich  ist  die  I.  bei  consequenter  Behandlung  nämlich 
für  denjenigen,  welchem  das  Wesen  und  die  Einrichtung  der  Tonarten  und 
der  Tonartleitern  bekannt  ist;  denn  der  einzig  richtige  Weg  der  speciellen 
Unterscheidung  ist  es,  wenn  man  auf  die  sogenannten  »natürlichen«  Intervalle 
zurückgeht,  d.  h.  auf  die  Intervalle,  wie  sie  zwischen  dem  Grundtone  jeder 
Durtonartleiter  und  deren  einzelnen  Stufen  entstehen.  Eine  mechanische  Er- 
leichterung ei'giebt  sich  allenfalls  noch  daraus,  dass  sich  die  Töne  jeder  Dur- 
tonartleiter in  eine  Quintenreihe  bringen  lassen,  dass  man  also,  um  irgend  ein 
natürliches  Intervall  zu  erkennen,  vom  Ausgangstone  nur  reine  Quinten  abzu- 
messen braucht,  was  vielleicht  noch  ein  etwas  leichteres  Verfahren  ist,  als  die 
mechanische  Bildung  resp.  das  Auswendiglernen  der  verschiedenen  Durton- 
artlejtern. 

Im  Allgemeinen  unterscheidet  und  benennt  man  die  Intervalle  zunächst 
nur  nach  der  Zahl  der  Noteustufen,  um  welche  die  Zeichen  für  ihre  Töne  auf 
dem  Liniensysteme  von  einander  entfernt  sind.  Man  erhält  demnach,  unter 
Anwendung  der  lateinischen  Ordnungszahlen,  folgende  Intervalle: 

I.  Primen      (Erste),    wenn  die  zweite  Note   auf   derselben    Stufe    steht  wie 
die  Note  des  Ausgangstones. 
II.  Secunden  (Zweite),  wenn  die  zweite  Note  auf  der  zweiten  Stufe  über  oder 
unter  der  ersten  steht. 

Dem  entsprechend  entstehen: 

III.  Terzen,  IV.  Quarten,  V.  Quinten,  VI.  Sexten,  VIL  Septimen,  VIIL  Oc- 
taven, IX.  Nonen,  X.  Decimen,  XI.  Undecimen,  XII.  Duodecimen,  XIII.  Terz- 
decimen,  XIV.  Quartdecimen  und  XV.  Quintdecimen ,  wenn  die  zweite  Note 
auf  der  3.,  4.,  5.,  6.,  7.,  8.,  9.,  10.,  11.,  12.,  13.,  14.  oder  15.  Stufe  über  oder 
unter  der  ersten  steht. 

Meist  zählt  man  nur  bis  zur  Octave  und  beginnt,  diese  als  Ausgangston 
ansehend,  wieder  von  Neuem.  Dann  wird  die  None  oder  Neunte  zur  Secunde, 
die  Decime  (Zehnte)  zur  Terz,  die  Undecime  (Elfte)  zur  Quarte,  die  Duo- 
decime  (Zwölfte)  zur  Quint,  die  Terzdecime  (Dreizehnte)  zur  Sext,  die  Quart- 


Intervallenlehre.  459 

decime  (Vierzehnte)  zur  Septime  und  die  Quintdecime  (Fünfzelinte)  zur  Octave. 
Weiter  als  zur   Quintdecime  oder  zweiten  Octave  wird  fast  nie  gezählt. 

Ein  Intervall,  dessen  zweiter  Ton  gerade  so  viel  Notenstufen  über  oder 
unter  dem  Ausgangstone  liegt,  als  sein  Name  angiebt,  heisst  ein  einfaches 
Intervall.  Liegt  der  zweite  Ton  aber  eine  oder  mehrere  Octaven  höher  oder 
tiefer,  als  der  Name  des  Intervalls  vermuthen  liess,  so  heisst  das  Intervall  ein 
»doppeltes«,  »dreifaches«  u.  s.  f.  So  finden  sich  bei  a  einfache,  bei  h  doppelte, 
bei  c  dreifache  Terzen.  —  Macht  man  ein  einfaches  Intervall  zu  einem  mehr- 
fachen, so  wird  das  Intervall  »erweitert«;  wird  dagegen  ein  mehrfaches  Intervall 
in  ein  einfaches  verwandelt,  so  heisst  dieses  das  betreffende  Intervall  »ver- 
engern«. 

c. 


a. 


lmT\H 


if^=jjs^z:lfl25^ 


::J=4 


In  der  Regel  werden  die  Intervalle  nur  aufwärts  gemessen;  steht  bei  dem 
Intervallnamen  daher  keine  abändernde  Bestimmung,  so  ist  stets  von  einem 
aufwärts  gemessenen  Intervall  die  Rede.  Will  man  ein  abwärts  gemessenes 
Intervall  bezeichnen ,  so  setzt  man  dem  Intervallnamen  die  Silbe  »Unter«  vor. 
Eine  »Unterterz«  ist  also  eine  abwärts  gemessene  Terz;  in  ihr  ist  der  höhere 
Ton  der  Ausgangston. 

Die  Notenschrift  ist  zunächst  nur  im  Stande,  durch  Stellung  der  Noten 
die  Stammtöne  (s.  d,),  also  nur  die  Töne  der  diatonischen  Scala  vom  Tone  c, 
anzugeben,  Sie  hat  aber  ausserdem  zur  Bezeichnung  der  Tonhöhe  noch  die 
sogenannten  Versetzungszeichen  (s.  d.);  mit  Hülfe  dieser  Zeichen  kann  die 
Höhe  eines  Tones  verändert  werden,  ohne  dass  das  Notenzeichen  selbst  auf 
eine  höhere  oder  tiefere  Stufe  gestellt  zu  werden  braucht.  Auf  derselben  Stufe 
des  Liniensystems  kann  man  also  verschieden  hohe  Töne  notiren.  Bei  unserer 
bisherigen  Unterscheidung  der  Intex'valle  ist  dieser  Umstand  noch  nicht  be- 
achtet worden.  Es  muss  demnach  Primen,  Secunden,  Terzen  u.  s.  f.  von  ver- 
schiedener Grösse  geben.  Um  diese  verschiedenen  Arten  der  einzelnen  Inter- 
valle zu  bezeichnen,  gebraucht  man  die  Beiwörter:  »rein«,  »gross«,  »klein«  u.  s.  f. 
Man  muss  aber  dann  von  jeder  Intervallgattung  die  Grösse  der  einen  Art 
genau  kennen.  Aus  diesem  Grunde  führt  man  jedes  aufwärts  gemessene  Intervall 
auf  dasjenige  Intervall  zurück,  welches  die  entsprechende  Stufe  der  Durtonart- 
leiter des  Ausgangstones  mit  dem  letzteren  bildet.  Diese  Intervalle  heissen 
»natürliche«  Intervalle.  Ein  Intervall  ist  demnach  ein  natürliches,  wenn  der 
höhere  Ton  des  Intervalls  in  der  Durtonartleiter  des  tieferen  Tones  vorkommt. 
So  sind  c—g,  l—f^,  as  —  es^  natürliche  Quinten,  c  — ä,  &  — a*,  as—g^  natürliche 
Septimen,  denn  der  höhere  Ton  jedes  Intervalls  (g,  f^,  es^,  h,  a^  resp.  g^) 
kommt  in  der  Durtonartleiter  des  entsprechenden  tieferen  Tones  (c,  h  resp.  as) 
vor.  —  Alle  anderen  Intervalle  heissen  dann  »abgeleitete«  oder  auch  »chro- 
matische«. 

Die  natürlichen  Intervalle  heissen  nun  theils  »rein«,  theils  »gross«.  »Rein« 
heissen  alle  diejenigen  consonirenden  Intervalle,  deren  Töne  keine  chromatische 
Veränderung  zulassen,  ohne  dass  den  Intervallen  ihr  consonirendes  Wesen  ge- 
raubt würde.     Es  sind  dieses  nur  folgende  natürliche  Intervalle: 

Prime,  Quarte,  Quinte  und  Octave 

und  deren  Erweiterungen. 

Alle  anderen  natürlichen  Intervalle,  also: 

Secunden,  Terzen,  Sexten,  Septimen,  Nonen  etc. 

heissen  »gross«.     Demnach    ist  eis — eis    eine   reine  Prime,  cis  —  dis  eine  grosse 
Secunde>    eis— eis   eine    grosse  Terz,    cis—fis  eine    reine  Quarte,    cis—gis  eine 


460  Iiitervallenlelue. 

reine   Quinte,  cis  —  ais  eine  grosse  Sexte,  eis  — Ms  eine  grosse  Septime,  cis—cis^ 
eine  reine  Octave,  cis—dis^  eine  grosse  None  u.  s.  f. 

Durch  chromatische  Veränderung  des  höheren  Intervalltones  kann  man 
nun  diesen  dem  Ausgaugstone  um  einen  oder  mehrere  halbe  Tonstufen  ferner 
oder  näher  rücken,  also  das  betreffende  Intervall  um  ebensoviel  vergrössern  oder 
verkleinern.  Ein  Intervall,  welches  einen  Halbton  grösser  ist  als  ein  reines 
oder  ein  grosses,  heisst  ein  übermässiges  Intervall.  So  ist  cis—ßsis  eine  »über- 
mässige« Quarte,  cis  —  aisis  eine  »übermässige«  Sexte,  denn  die  Quarte  sowohl 
als  die  Sexte  ist  um  einen  Halbton  grösser  als  das  entsprechende  natürliche 
(reine  oder  grosse)  Intervall. 

Verengert  man  ein  grosses  Intervall  um  einen  Halbton,  so  entsteht  ein 
»kleines«  Intervall.  So  ist  cis  —  a  eine  kleine  Sexte,  weil  sie  einen  Halbton 
kleiner  ist  als  die  grosse  Sexte  eis— als. 

Ein  Intervall,  welches  einen  Halbton  kleiner  ist  als  ein  reines  oder  ein 
kleines,  heisst  ein  »vermindertes«  Intervall.  So  ist  cis—g  eine  verminderte 
Quinte,  und  cis  —  as  eine  verminderte  Sexte,  weil  jedes  Intervall  um  einen 
Halbton  kleiner  ist  als  das  betreffende  reine  (cis  —  gis)  oder  kleine  (cis—a)  In- 
tervall. (Die  von  den  reinen  Intervallen  abgeleiteten  verminderten  nennt  man 
auch  wohl  »falsch«.) 

Erweitert  man  ein  übermässiges  Intervall  noch  um  einen  Halbton,  so  ent- 
steht ein  »doppelt  übermässiges«;  und  ebenso  entsteht  durch  weitere  Ver- 
engerung eines  verminderten  Intervalls  ein  »doppelt  vermindertes«. 

So  entstehen  also  die  doppelt  übermässigen  Intervalle  durch  Erweiterung 
der  übermässigen,  die  übermässigen  durch  Erweitei'ung  der  grossen  oder  reinen, 
die  kleinen  durch  Verengerung  der  grossen,  die  verminderten  durch  Verenge- 
rung der  reinen  und  kleinen  und  die  doppelt  verminderten  durch  Verengerung 
der  verminderten  Intervalle,  wie  es  das  folgende  Schema  angiebt: 

doppelt  übermässige 

I 

übermässige 

reine  —   (natürliche)  —  grosse 

I 
kleine 

verminderte 

1 
doppelt  verminderte. 

Hat  man  nun  ein  Intervall  zu  bestimmen,  so  geht  man  auf  das  betreffende 
natürliche  zurück.  Wäre  das  Intervall  gis—f^  zu  bestimmen,  so  hat  man,  da 
dasselbe  eine  Septime  ist,  die  natürliche  Septime  gis—ßsis^  aufzusuchen.  Die- 
selbe heisst  gross;  demnach  ist  gis—ßs^  eine  kleine,  und  gis—f^  eine  vermin- 
derte Septime.  Soll  man  die  übermässige  Quinte  von  dis  aufsuchen,  so  bildet 
man  erst  die  natürliche  (reine)  Quinte  dis  —  ais,  und  erhöht  dann  das  ais  um 
einen  Halbton;  somit  heisst  die  betreffende  übermässige  Quinte  dis  —  aisis. 

Um  diese  Bestimmungen  schnell  treffen  zu  können,  muss  man  natürlich 
in  der  Herstellung  sämmtlicher  Durtonartleitern  möglichste  Gewandtheit  haben. 
Bequemer  ist  es  daher  vielleicht,  die  natürlichen  Intervalle  durch  reine  Quinten 
zu  bestimmen.  So  ist  die  grosse  Secunde  durch  zwei,  die  grosse  Terz  durch 
vier  Quinten  aufwärts,  die  reine  Quarte  durch  eine  Quinte  abwärts,  die  reine 
Quinte  durch  eine,  die  grosse  Sexte  durch  drei  und  die  grosse  Septime  durch 
fünf  reine  Quinten  aufwärts  zu  finden.  Die  grosse  Sexte  von  deses  ist  demnach 
hh,  denn  die  dritte  Quinte  von  deses  aufwärts  (deses  :asas,  asas-.eses,  eses:bb) 
ist  eben  hb. 

Einzelne  Theoretiker   theilen  die  Intervalle  auch  ein  in  »Stammintervalle« 


Intervallenlehre.  46 1 

und  in  »abstammende  Intervalle«,  indem  sie  die  letzteren  durch  »IJmkehrung« 
aus  den  ersteren  entstehen  lassen.  Die  TJmkehrung  der  Intervalle  ist  besonders 
für  den  Contrapunkt  (s.  d.)  von  Wichtigkeit;  dort  ist  von  Umkehrungeu  die 
Rede,  bei  denen  der  eine  Ton  eines  Intervalls  um  8,  9,  10,  11  und  12  Noten- 
stufen versetzt  wird.  Hier  dagegen  heisst  ein  Intervall  umkehren  nur,  den 
tiefereu  Ton  desselben  eine  Octave  höher,  oder  den  höheren  eine  Octave  tiefer 
setzen,  so  dass  der  tiefere  Ton  zum  höheren,  und  der  höhere  zum  tieferen  wird. 
Dadurch  entsteht  natürlich  ein  anderes  Intervall;  es  können  aber  nur  Intervalle 
umgekehrt  werden,  die  nicht  grösser  als  eine  Octave  sind.  Man  erkennt  diese 
Umwandlung,  wenn  man  die  Zahlen  1 — 8  in  entgegengesetzter  Ordnung  unter 
einander  schreibt: 

1.  2.  3.  4.  5.  6.  7.  8. 
8.  7.  6.  5.  4.  3.  2.  1, 
oder  wenn  man  die  betreffende  lutervallzahl  von  der  Zahl  9  abzieht.  So  giebt 
durch  die  Umkehrung  die  Prime  eine  Octave,  die  Terz  eine  Sexte,  die  Quinte 
eine  Quarte,  die  Septime  eine  Secunde  und  umgekehrt.  Manche  Theoretiker 
nennen  nun  Prime,  Terz,  Quinte  und  Septime  »Stammintervalle«,  Secunde, 
Quarte,  Sexte  und  Octave  dagegen  »abstammende«. 

Bei  diesem  Verfahren  der  Umkehrung  ist  noch  folgendes  zu  merken: 
1,  Reine  Intervalle  ergeben  bei  der  Umkehrung  wieder  reine.  Die  reine  Quinte 
c—g  ergiebt  die  reine  Quarte  g  —  c^.  2.  Die  grossen  Intervalle  ergeben  kleine, 
und  umgekehrt  entstehen  aus  den  kleinen  wieder  grosse.  So  wird  die  grosse 
Terz  c  —  e  zur  kleinen  Sexte  <?  — c\  die  kleine  Terz  c  —  es  zur  grossen  Sexte 
es  —  c^.  3.  Aus  übermässigen  Intervallen  entstehen  verminderte,  und  aus  ver- 
minderten entstehen  übermässige.  Die  übermässige  Quinte  c—gis  ergiebt  die 
verminderte  Quarte  gis  —  c^,  die  verminderte  Quinte  c—ges  dagegen  die  über- 
mässige Quarte  ges  —  c^. 

Ueber  die  Eintheilung  der  Intervalle  in  »consonirende«  und  »dissonirende« 
findet  man  Mittheilungen  unter  Consonanz. 

Alle  in  der  Musik  gebräuchlichen  Intervalle  lassen  sich,  wie  unter  Har- 
monielehre mitgetheilt  ist,  von  drei  einfachen  und  feststehenden  Intervallen 
ableiten;  es  sind  dieses  dieselben  drei  Intervalle,  welche  schon  seit  langer  Zeit 
zur  Herstellung  von  Ton  Systemen  (s.  d.)  verwendet  wurden:  die  reine  Octave, 
die  reine  Quinte  und  die  grosse  Terz.  Ich  nenne  diese  Intervalle  daher 
»Grrundintervalle«,  während  alle  anderen  Intervalle  als  von  ihnen  abgeleitet  an- 
gesehen werden. 

Neben  den  bisher  unterschiedenen  und  benannten  Intervallen  giebt  es  noch 
gewisse  kleinere  Intervalle,  die  nur  bei  der  Yergleichung  der  gebräuchlichen 
Intervalle  zum  Vorscheine  kommen.  Die  wichtigsten  dieser  kleinen  Intervalle 
sind:  der  grosse  und  der  kleine  Ganz  ton  (s.  d.),  der  grosse  und  der  kleine 
Halbton  (s.  Halber  Ton),  das  ditonische  oder  Pythagoräische  und  das  syn- 
tonische  oder  Didymäische  Komma  (s.  Komma),  das  grosse  und  das  kleine 
Limma  (s.  d.),  die  Diesis  (s.  d.),  das  Diaschisma  (s.  d.)  und  das  Schisma 
(s  d.).     Andere  finden  sich  noch  unter  Kanonik  erwähnt. 

Bekanntlich  kann  man  die  Tonhöhe  eines  Klanges  genau  bestimmen,  wenn 
man  entweder  die  Dauer  der  einzelnen  Schwingung  (s.  Schwingungsdauer) 
angiebt,  oder  bestimmt,  wie  viel  Schwingungen  der  klangerzeugende  Körper  in 
einer  bestimmten  Zeit  macht  (s.  Schwingungszahl).  Dadurch  wird  es  nun 
möglich,  das  Verhältniss  der  Tonhöhe,  in  welchem  die  beiden  Töne  eines  Inter- 
valls stehen,  genau  darzustellen;  man  hat  nur  anzugeben:  entweder  das  Ver- 
hältniss der  Schwingungsdauer,  oder  das  Verhältniss  der  Schwingungszahlen. 
Da  sowohl  die  Dauer  der  einzelnen  Schwingungen  wie  auch  die  Schwingungs- 
zahl sich  ändert,  sobald  die  Länge  des  tönenden  Körpers  (bei  sonst  gleichen 
Bedingungen)  verändert  wird,  so  kann  man  das  Tonhöhenverhältniss  eines 
Intervalls  endlich  auch  noch  durch  das  Verhältniss  der  Saitenlängen  ausdrücken. 
Die  alten   Theoretiker    benutzten    nur    diese  Saiteulängenverhältnisse  bei  ihren 


462  Intimo  —  Intonation. 

Bestimmungen  über  die  Grösse  der  Intervalle.  In  neuerer  Zeit  dagegen  bezieht 
man  sich  in  der  Regel  auf  die  Schwingungszahlen,  weil  mau  dadurch  gerade 
Verhältnisse  erhält. 

Auch  bei  Anwendung  der  Schwingungszahlen  lassen  sich  nun  die  Ver- 
hältnisse noch  verschiedenartig  darstellen.  Zunächst  kann  man  sie  für  beide 
Töne  des  betreffenden  Intervalls  angeben.  So  sagt  man,  die  Töne  der  aufwärts 
gemessenen  grossen  Terz  verhalten  sich  wie  4:5,  d.h.  der  höhere  Ton  macht 
jedesmal  5  Schwingungen,  während  der  tiefere  nur  4  Schwingungen  macht. 
Dann  kann  man  nur  die  Schwingungszahl  des  einen  Tones  als  Bruchzahl  geben, 
indem  man  die  Schwingungszahl  des  anderen  Tones  gleich  1  setzt.  So  ist  die 
Schwingungszahl  der  aufwärts  gemessenen  grossen  Terz  =  ^/a,  da  das  Ver- 
hältniss  der  beiden  Töne  dieses  Intervalls  =  4  :  5  =  ''/4 :  ^/4  =  1 :  ^/4  ist.  Endlicli 
kann  man  das  Verhältniss  auch  ausdrücken  durch  die  Logarithmen  der  Ver- 
hältnisszahleu.     Näheres  findet  sich  unter  Kanonik. 

Das  Verhältniss  der  Tonhöhe  kann  nun  bei  demselben  Intervall  noch  ver- 
schieden sein,  je  nach  dem  Tonsysteme,  welches  man  zu  Grunde  legt,  und  nach 
dem  Verfahren,  welches  man  bei  Herstellung  des  betreffenden  Intervalls  an- 
gewendet hat.  Hauptsächlich  zu  unterscheiden  sind  hierbei  »reine«  und  »tem- 
perirte  Intervalle«,  »rein«  hier  nur  in  dem  Sinne  von  »genau  richtig«  ge- 
nommen (s.  Kanonik,  Temperatur,  Tonsystem,  Reine  Intervalle, 
Temperirte   Intervalle). 

Wie  man  die  Touhöhenverhältnisse  der  einzelnen  Intervalle  durch  Zahlen 
genau  angeben  kann,  so  ist  es  auch  möglich,  mit  den  verschiedenen  Intervallen 
verschiedene  Operationen  vorzunehmen.  So  kann  man  Intervalle  addiren,  sub- 
trahiren  oder  vergleichen,  multipliciren  und  dividiren  oder  theilen;  man  kann 
Töne  zwischen  zwei  Intervalltöne  einschieben  oder  intercaliren  u.  s.  f.  Ein- 
gehenderes hierüber  findet  man  unter  Akustik,  Kanonik,  Theilung  der 
Verhältnisse,  Vergleichung  der  Verhältnisse  und  in  den  Special- 
artikeln: Addition,  Division  u.  s.  f.  0.  Tiersch. 

Intimo  (italien.),  Vortragsbezeichnuug  in  der  Bedeutung  innerlich,  innig, 
herzlich,  mit  dem  Superlativ  intimissimo,  innigst,  auf  das  Herzlichste. 

Intonare  (latein.)  oder  intoniren  heiest  im  Allgemeinen  den  Ton  angeben, 
anstimmen,  was  durch  Gesaugstimmen  oder  Instrumente  geschehen  kann  (s.  An- 
geben [einen  Ton]  und  Akkordiren).  In  der  Kircheusprache  versteht  man 
darunter  das  Voransingen  des  Anfangs  eines  Psalms,  Choi'als,  einer  Antiphone 
u.  s,  w.,  welches  Amt  dem  Cantor  oder  dem  Celebranten  obliegt;  dafür  findet 
sich  auch  der  Ausdruck  antipJioJiam  imponere.  In  der  Fachsprache  der  Orgel- 
bauer endlich  heisst  intoniren:  die  Ox'gelpfeifen  zur  kunst-  und  regelrechten 
Ansprache  bringen  und  den  verschiedenen  Pfeifen  einer  Stimme  einen  gleich 
starken  Ton  geben. 

lutouation  heisst  im  Allgemeinen  die  Art  und  Weise,  wie  der  Ton  oder 
richtiger  der  Klang  durch  die  Menscheustimme  oder  durch  Instrumente  erzeugt 
wird,  nicht  minder  die  Fähigkeit  dazu.  Die  beiden  Hauptbedingungen  einer 
guten  I.  sind  vollkommene  Reinheit  in  Bezug  auf  Tonhöhe  und  Klangschönheit. 
Eine  kunstgerechte  und  aller  Abstufungen  fähige  I.  ist  der  erste  und  wichtigste 
Theil  alier  Schule  in  Gesang  und  Instrumentspiel.  Im  Instrumentbau  ist  die 
I.  namentlich  bei  den  Ciavierinstrumenten  und  der  Orgel  von  der  grössten 
Bedeutung.  Bei  den  ersteren  wird  sie  hauptsächlich  durch  die  Belederung, 
d.  h.  den  Ueberzug  der  Hammerköpfe  mit  Wildleder,  und  durch  den  Fallwinkel 
der  Hämmer,  bei  der  letzteren  durch  Beschaffenheit  des  Labiums  der  Pfeifen 
und  durch  die  Stärke  und  Masse  des  Windzuflusses  bedingt.  Bei  den  Blas- 
und  Streichinstrumenten,  sowie  im  Gesang  ist  die  I.  weit  mehr  von  der  Fähig- 
keit und  Geschicklichkeit  des  Vortragenden  abhängig,  und  in  Beziehung  auf 
den  Gesang,  die  menschliche  Stimme,  wird  der  Ausdruck  auch  hauptsächlich 
gebraucht.  Ein  grosser  und  wesentlicher  Theil  des  Eindrucks,  den  eine  Musik 
auf  den  Zuhörer  maclit,   hängt  von   einer   reinen   und   richtigen  I.  ab,  und  es 


Intonireiseu  —  Introduction.  463 

ist  höchst  peinlich,  einen  Chor  zu  hören,  in  welchem  eine  oder  die  andere 
Stimme  gegen  die  übrigen  unklar,  schwankend,  etwas  zu  tief  oder  zu  hoch 
singt,  d.  h.  detonirt,  ebenso  wenn  die  Solostimme  sich  in  gleichem  Verhält- 
nisse dem  Orchester  gegenüber  befindet.  Um  dies  zu  verhüten  und  eine  reine 
I.,  einen  stimmunghaltenden  Gesang  zu  erzielen,  bedarf  es  neben  einem  einiger- 
maassen  guten  Grehöre  fleissiger  Bildung  und  TJebung  der  Stimmorgane,  un- 
ausgesetzter Aufmerksamkeit  auf  die  übrigen  Vocal-  oder  Instrumentalstimmeu, 
rechtzeitigen  Athemholens  und  Maasshaltens  im  Singen.  Am  ehesten  kommt 
Detonation  zum  Vorschein,  wenn  die  Stimmorgane  durch  grosse  und  lang- 
andauernde Anstrengung  ermüdet  sind;  nur  Ruhe  kann  unter  solchen  Umständen 
zu  reiner  I,  wieder  befähigen.  Bei  Instrumenten  bedient  man  sich  statt  des 
Wortes  I.  lieber  des  Ausdrucks  Ansprache  (s.  d.),  ebenso  in  Beziehung  auf 
die  Zusammenstimmung  eines  Instruments  oder  eines  Tones  mit  einem  anderen 
richtiger  des  Wortes  Accordiren  (s.  d.  und  den  Artikel  Angeben).  —  End- 
lich belegt  man  mit  dem  Ausdruck  I.  auch  noch  die  kurze  Phrase  eines  kirch- 
lichen Gesanges,  welche  der  Gelebrant  oder  Cantor  vorzusingen  hat,  worauf 
der  ganze  Chor  singend  fortfährt,  z.  B.  die  Melodien  y>Gloria  in  excelsis  deou, 
nöredo  in  unum  deuma,  y>Asperges  mea  u.  dergl. ,  wie  sie  in  den  Mess-  und 
ßitualbüchern  der  katholischen  Kirche  enthalten  sind. 

Intonireiseu,  auch  Intonations-  oder  Intonirblech  genannt,  ist  ein 
Instrument  aus  starkem  Eisenblech  oder  geschmiedetem  Eisen,  bis  zu  0,20  Meter 
lang,  an  einem  Ende  dünn  und  schmal,  fast  spitz  auslaufend,  am  anderen  Ende 
flach,  gerade  abgeschnitten  und  fast  wie  ein  Meissel  gestaltet.  Es  dient  zum 
Stimmen  der  Orgelpfeifen. 

Intoniren,  s.  Intonare  und  Intonation. 

Intrade  (ital.:  Intrada  oder  Entrada)  nennt  man  einen  aus  vollständiger 
Instrumentalmusik  bestehenden  kurzen,  meist  feierlichen  Satz,  der  einem  grös- 
seren Tonstücke  als  Einleitung  dient.  Ursprünglich  bestand  die  I.  aus  einem 
von  keiner  bestimmten  Melodie  abhängigen  Durcheinanderblasen  eines  Trompeter- 
corps, das  am  Ende  in  ein  sanftes  Aushalten  des  Dominantaccords  auslief  und 
in  dem  Hauptaccord  schloss  (s.  auch  Tusch).  Nach  und  nach  wurde  diese  I. 
künstlerisch  behandelt;  den  Trompeten  und  den  an  dieselben  gebundenen  Pauken 
wurden  andere  Instrumente  hinzugefügt,  und  so  entstand  unmittelbar  aus  der 
I.  die  Ouvertüre  (s.  d.).  Uebrigens  ist  die  ursprüngliche  I.  nicht  mit  der 
Fanfare  (s.  d.)  zu  verwechseln,  mit  der  sie  erst  neuerdings  identisch  wurde. 

Intrepido  (ital.)  und  davon  abgeleitet  das  Adverbium  intrepidamente 
ist  die  gebräuchliche  Vortragsbezeichnung  in  der  Bedeutung  unerschrocken, 
beherzt. 

Introduction  (latein.:  Introductio ;  ital.:  Introduzione),  d.  i,  Einführung,  Ein- 
leitung, nennt  man  einen  kurzen,  m^ist  pathetisch  oder  wenigstens  ruhig  ge- 
haltenen Satz,  der  einem  Hauptsätze,  auf  welchen  er  vorbereitet,  z.  B.  einem 
Rondo,  Walzer,  Concert-  oder  Sinfonie -Satze,  einer  Ouvertüre,  Fuge,  einem 
Gesangstücke  u.  s.  w.  vorangeht.  Vom  Vorspiel  oder  Präludium  (s.d.) 
unterscheidet  sich  die  I.  dadurch,  dass  sie  keine  abgeschlossene  Form  hat, 
während  jenes  ein  in  sich  völlig  abgerundetes  Stück  ist.  —  In  der  Oper  heisst 
I.  das  erste  Musikstück  (die  erste  Nummer)  unmittelbar  nach  der  Ouvertüre 
(s.  d.).  Bei  sogenannten  grossen  (heroischen  oder  tragischen)  Opern  ist  die  I. 
herkömmlich  ein  grosser  Chor  mit  eingemischten  Solostellen,  auch  bisweilen 
eine  fortlaufende  Scene.  Komische  Opern  und  Singspiele  dagegen  entbehren 
häufig  einer  derartigen  I.,  indem  sie  nach  der  Ouvertüre  mit  einem  Liede, 
Duett,  Terzett  u.  s.  w.  oder  auch  sogar  ohne  Musik  gleich  mit  dem  Dialog  be- 
ginnen. Es  kommt  auch  vor,  dass  die  Ouvertüre  ohne  Abschluss  in  die  I. 
übergeht,  wie  z.  B.  in  Gluck's  »Iphigenia  in  Tauris«,  in  Mozart's  »Idomeneo«, 
»Entführung  aus  dem  Serail«,  »Don  Juan«,  in  Meyerbeer's  »Robert  der  Teufel«, 
»Hugenotten«  u.  s.  w.  Mustergültig  für  die  Oper  ist  die  französische,  in  sich 
abgeschlossene  und  abgerundete  Form  der  I.  geworden,  welche  mit  einem  Chor 


464  Introitus  —  Inversion. 

beginnt,  der  rondoartig  im  Verlaufe  der  Entwickelung  wiederkehrt  und  diese 
Nummer  auch  beendet,  wodurch  dieselbe  einen  mit  dem  ausgeführten  Finale 
(s.  d.)  verwandten  Charakter  erhält.  Das  moderne  Musikdrama,  welches  ab- 
geschlossene Musikstücke  überhaupt  verwirft,  hat  auch  den  Namen  und  Be- 
griff der  I.  abgestreift. 

Introitus  (latein.;  ital,:  ititroito;  franz.:  introit)  d.  i.  Eingang,  Einleitung, 
also  dem  Wortlaut  nach  dasselbe  was  Introduction  (s.  d.).  Jedoch  hat  der 
Ausdruck  eine  mehr  kirchenmusikalische  Bedeutung  angenommen  und  bei- 
behalten. In  der  katholischen  Liturgie  heisst  nämlich  I.  jene  Antiphone,  welche 
vom  Chor  gesungen  wurde,  während  der  Celebrant  bei  feierlichen  Messen  aus 
der  Sacristei  ins  Presbyteriura  einti-at  und  zum  Altar  schritt.  In  der  ambro- 
sianischen  Liturgie  ist  diese  Antiphone  Ingressa  genannt,  was  mit  I.  identisch 
ist.  Die  Einführung  des  I.  überhaupt  wird  dem  Papst  Cölestin  I.  (gestorben 
432)  zugeschrieben,  jedoch  weiss  man  erst  mit  Bestimmtheit,  dass  Papst  Gregor  T. 
die  Einrichtung  traf,  dass  vor  und  nach  dem  Psalme  ein  aus  letzterem  genom- 
mener Vers  (Antiphone)  gesungen  werde,  und  dass  er  zugleich  einen  bestimmten 
Vers  für  jeden  Tag  und  für  jedes  Fest  festgestellt  habe.  Seit  dem  8.  Jahr- 
hundert, wenn  nicht  früher,  wurde  es  Gebrauch,  statt  eines  ganzen  Psalms 
zwischen  die  Antiphone  nur  einen  einzigen  Vei'S  desselben  mit  der  Doxologio 
rtGloria  patrie  ete.<s.  zu  singen.  Die  Antiphone  wurde  anfänglich  dem  betreffenden 
Psalm  entnommen,  jedoch  begnügte  man  sich  später,  irgend  eine  passende  Bibel- 
stelle zu  benutzen;  einige  I.,  wie  y>Salve  sancta  parensti.  (von  Sedulius)  und 
y^Gaudeamus  omnes  in  domifioa  gehören  auch  nicht  einmal  der  Bibel  an.  —  In 
den  alten  Missalen  findet  sich  der  I.  noch  nicht,  wohl  aber  in  den  Gradual- 
oder  Gesangbüchern.  Erst  seit  dem  14.  Jahrhundert  spricht  der  Celebrant 
den  I.  still  mit.  Im  11.  Jahrhundert  fing  man  in  Frankreich  und  in  Klöstern 
an,  den  I,  an  hohen  Festtagen  zu  paraphrasiren,  d.  h.  durch  Einschiebsel  (s. 
Tropen)  auszudehnen.  Meist  begnügte  man  sich  aber  damit,  die  Antiphone 
zwischen  dem  Verso  und  der  Doxologie  zu  wiederholen.  In  dem  römischen 
Missale  ist  jetzt  für  jede  Messe  ein  bestimmter  I.  vorgeschrieben;  nur  am 
Charsonnabende  und  in  der  Pfingstvigilie  fehlt  er  aus  äusseren  Rücksichten.  Der 
I.  eröffnet  immer  die  besondere,  durch  die  kirchliche  Zeit,  ein  bestimmtes  Fest 
u.  s.  w.  niotivirte  Feier,  auf  deren  Gegenstand  er  hinweist.  Er  ist  ein  Wechsel- 
gesang, der  nach  alter  Uebung,  je  nach  der  Wichtigkeit  des  betreffenden  Festes 
von  einem,  von  zwei,  ja  sogar  von  vier  Cantoren  intonirt,  sodann  vom  ganzen 
Chor  bis  zum  Psalmenverse  zu  Ende  gesungen  wird,  worauf  der  oder  die  Can- 
toren die  erste  Hälfte  des  Psalmenverses  allein  als  Solo  vortragen,  welchen  der 
Gesamratchor  mit  der  zweiten  Hälfte  respondirt.  Ebenso  geschieht  es  bei  der 
Doxologie  y>Gloria  patriea.  Endlich  intoniren  die  Cantoren  in  bezeichneter 
Ordnung  nochmals  den  Anfang  des  I.,  und  der  Chor  singt  denselben  zu  Ende. 
Die  Melodien  des  I.  sind  sehr  fasslich,  der  Tonumfang  nicht  zu  weit;  die  Ton- 
arten halten  sich  streng  an  die  Kirchentonarten.  —  Nach  den  Anfangsworten 
des  I.  werden  auch  eigens  einige  Sonntage  genannt,  z.  B.  der  Sonntag  (do- 
minica)  Esto  mihi,  der   Sonntag  Lätare,  der  Sonntag  Exaudi  u.  a.  m. 

luta»  canei-e  (latein.),  d.  i.  innerlich,  inwendig,  in  sich  hinein  singen  oder 
spielen,  eine  vereinzelt  vorko'mraende  Bezeichnung  fehlerhaften  Vortrags,  wenn 
ein  Sänger  seine  Töne  gleichsam  verschluckt  und  ein  Instrumentalist  mehr  für 
sich  als  für  die  Zuhörer  spielt. 

Invention  (aus  dem  Latein.)  war  bei  J.  S.  Bach  und  den  gleichzeitigen 
Componisten  der  Name  kleiner  Tonstücke,  welche  einen  Einfall,  eine  nioraentann 
Empfindung  zum  Ausdruck  brachten.  In  dieser  Art  entspricht  die  I,  derjenigen 
Musikgattung,  welche  man  heutzutage  Impromptu  (s.  d.)  nennt. 

Inventionshorn,  s.  Hörn. 

luTOutiousinstrumeute,  s.  Hörn  und  Trompete. 

Inveiitionstrompete,  s.  Hörn  und  Trompete. 

Inversion  oder  Evolution  (latein.:  inversio  oAcv  evoluHo)  ^.\.\lvnk^\\\'wr\g, 


Invetriatur  —  Joachim.  465 

ein  der  Rethorik  entlehnter  Ausdruck,  ist  im  musikalisclien  Sprachgebrauch 
die  Versetzung  der  Stimmen  im  doppelten  Contrapunkt  (s.  Um  kehrung), 
dann  auch  die  Verkehrung  der  Notenfolge  eines  musikalischen  Satzes,  die  Imi- 
tation (s.  Nachahmung).  Die  I,  erhält  das  Eigenschaftswort  simplex  (ein- 
fache, gemeine  Umkehrung),  wenn  sie  ohne  genaueste  Beibehaltung  der  Inter- 
valle die  aufsteigenden  Noten  abwärts-  und  die  herabsteigenden  Noten  auf- 
wärtssteigend setzt,  die  nähere  Bezeichnung  striata  (genaue,  strenge  Umkehrung) 
dagegen,  wenn  bei  diesem  Verfahren  genau  aus  ganzen  Tönen  wieder  ganze, 
aus  halben  Tönen  wieder  halbe  u.  s.  w.  werden.  —  Mit  dem  Ausdruck  I.  be- 
zeichnet man  auch  bei  öesangscompositionen  die  willküi'liche  Versetzung  ein- 
zelner Textworte  sowohl,  als  auch  die  Wiederholung  derselben.  Die  "Wieder- 
holung gebraucht  man,  um  Hauptgedanken  und  Worte  besonders  herauszu- 
heben; sie  ist  oft  lediglich  durch  den  Gang  der  Melodie  gefordert,  während 
die  Wortumstellung  häufig  durch  den  Rhythmus  hervorgerufen  und  gerecht- 
fertigt wird. 

Invetriatur  (aus  dem  Latein.)  heisst  im  Allgemeinen  der  glasartige  Leim, 
mit  dem  die  Orgelbauer  zum  Schutz  vor  Winddurchzug  und  Wurmfrass  die 
Windlade  und  hölzernen  Pfeifen  anstreichen,  im  Besonderen  aber  jene  vom 
Orgelbauer  Casparini  erfundene  Masse,  mit  welcher  derselbe  die  hölzernen 
Pfeifen  seiner  Werke,  so  der  Görlitzer  Orgel,  innen  und  aussen  bestrich  und 
ihnen  dadurch  nicht  nur  den  erwähnten  Schutz,  sondern  auch  eine  auf  ihren 
Ton  günstig  wirkende  Glasur  verlieh.  Leider  ist  diese  letztere  Mischung  Ge- 
heimniss  des  Erfinders  geblieben  und  mit  dem   Tode  desselben  ausgestorben. 

luvitatorium  (latein.)  heisst  in  der  römisch-katholischen  Kirche  ein  Vers, 
welcher  am  Anfange  der  Matutin  abwechselnd  mit  je  zwei  Versen  des  94.  Psalms 
»  Venite,  exultemus  dominov.  gesungen  oder  gebetet  wird.  Jedes  Fest  und  jedes 
Ofiicium  vom  Tag  hat  sein  besonderes  I.,  dessen  Schlussworte  dann  gewöhnlich 
•nVenite,  adoremusv.  sind.  Die  Anordnung  dieses  Einleitungsspruchs  oder  Ge- 
sanges reicht  hoch  in  das  Alterthum  hinauf,  und  Papst  Gregor  I.  traf  damit 
im  Wesentlichen  die  Einrichtung,  wie  sie  das  römische  Brevier  noch  gegen- 
wärtig aufweist.  Auch  das  Todtenofficium  hat  sein  I.,  nicht  aber  nach  rö- 
mischem Ritus  das  Officium  vom  Feste  Epijjlianiae  und  das  der  drei  letzten 
Tage  in  der  Charwoche;  als  Grund  hierfür  gilt,  dass  das  Epiphanienfest  älter 
ist  als  die  Einführung  des  I.,  so  dass  man  den  uralten  Ritus  conserviren  zu 
müssen  glaubte,  und  die  Chartage  andererseits  freudige  Zurufe  von  selbst  ver- 
böten. Der  Invitatorienvers  bewegt  sich  stets  in  einer  erhaben  gehaltenen 
Melodie,  und  auch  der  Psalm  hat  seinen  eigenthümlichen  Gesang.  Ein  oder 
zwei  Cantoren  beginnen  den  Vers,  welchen  der  Chor  repetirt;  dann  führt  der 
Cantor  den  Psalm  singend  fort,  nach  dessen  Abschnitten  der  Chor  immer  wieder 
mit  dem  ganzen  oder  der  zweiten  Hälfte  des  Verses  antwortet.  Am  Schluss 
sinsft  der  Cantor    nochmals  den  Vers  zur  Hälfte    und    der  Chor  vollendet  ihn. 

O 

In  den  Gradualbüchern  und  Antiphonarien  finden  sich  die  Invitatorien  (Psalm 
Venite,  adoremus)  nach  den  acht  Kirchentönen  geordnet.  In  den  alten  Ritualien 
ist  vorgeschrieben,  das  I.  an  einigen  Festtagen  mit  besonderer  Feierlichkeit 
abzusingen:  » Z7i!  sex  cantent  tres  primos  versus  submissa  voce,  et  alios  tres  alii 
sex  alta  vocea,  was  darauf  hinzudeuten  scheint,  dass  der  Beisatz  z.  B.  nüegetn 
confessorum,  venite,  adoremusu.  noch  nicht  im  Gebrauch  war  und  erst  späteren 
Ursprungs  ist. 

Invocavit  (latein.),  s,  Sonntag. 

Joachim  oder  Giovacchino,  latinisirt  Joachimus,  italienischer  Cister- 
ziensermönch  und  Abt  des  von  ihm  gegründeten  Klosters  Flora,  war  um  1150 
in  Calabrien  geboren  und  stand  besonders  bei  dem  römisch -deutschen  Kaiser 
Heinrich  VI.,  der  ihn  als  Prophet  verehrte,  in  grossem  Ansehen.  J.  starb  im 
J.  1202.  Von  seinen  Schriften  ist  von  musikalischer  Bedeutung:  -aFsalterium 
decem  cJiordarv/m,  lihris  III,  in  quihus  de  summa  trinitate  eiusque  distinetione, 
de  numero  psalmorum    et  eorum  arcanis   ac  viysticis    sensihus,    de  psalmodia,    de 

Musikal.  Convers.-Lexikon.     V.  30 


466  Joachim. 

modo  et  usu  psallendi  simul    et  psallenliuma    (Venedig,    1519;    audere  Ausgabe 
Venedig,  1527). 

Joacliiin,  genannt  Joachim  von  Magdeburg,  deutacher  Tonsetzer,  lebte 
in  der  zweiten  Hälite  des  16.  Jahrhunderts  und  war,  wie  es  scheint,  Cantor 
in  Thüringen.  Von  seiner  Couiposition  sind  geistliche  und  tröstliche  Gesänge 
zu   vier  Stimmen  (Erfurt,  1572)  auf  die  Nachwelt  gekommen. 

Joachiui,  Joseph,   der  grösste  Violinvirtuose  neuester  Zeit  und  zugleich 
ein    keuntnissreicher  Tonkünstler    und   Dirigent,    wurde    am   15.  Juli   1831    zu 
Kittsee,    einem  Marktflecken  bei  Pressburg  in  Ungarn,   geboren  und  zeigte  so 
früh  Spuren  einer  aussergewöhnlichen  Befähigung  für  die  Musik  und  namentlich 
für  die  Violine,  dass  sich  seine  Eltern  entschlossen,  den  Knaben,  so  jung  der- 
selbe   noch    war,    auf    das    Conservatorium    zu  Wien    zu    bringen.      Dort    wur 
Joseph    Böhm    sein    Speciallehrer    im    Violinspiel;     dieser     erklärte    ihn    schon 
1843  für  völlig    ausgebildet    und  widersetzte    sich    auch    nicht,    als    im  Herbst 
desselben  Jahres  J.  die  Gelegenheit  geboten  wurde,  im  Gewandhause  zu  Leipzig 
die  Feuerprobe  seines  Talents  zu  bestehen.    Als  Probestück  für  seine  Leistungs- 
fähigkeit diente   dem    zwölfjährigen  Knaben    in    jenem    siebenten  Abouucment- 
coneert  des  Gewandhauses  die  »Othello-Fantasie«  von  Ernst,  und  sein  Auftreten 
war  von  einem    ganz    ausserordentlichen  Erfolg    begleitet;    denn    das  Publikum 
geizte  nicht  mit  Beifallsbezeigungen,   und  die  Kritik  fand  in  dem  jungen  Vir- 
tuosen eine    höchst    interessante  Erscheinung    nicht    nur    in  Rücksicht  auf  das 
ausgezeichnete   Talent,    das  sich  in  seinen  Leistungen  aussprach,   sondern  auch 
der  trefflichen   Schule  und  Bildung  wegen,  von  denen  sein   Spiel  unverkennbar 
Zeugniss  gab,  ebenso  wie  sie  es  dem  Lehrer  zur  besonderen  Ehre  anrechnete, 
ein  schönes  Talent  so  geleitet  und  frühzeitig  schon  so  weit  gebracht  zu  haben, 
dass    baldige  Erreichung    hoher  Meisterschaft    kaum    bezweifelt    werden    könne. 
Auf  eine  solche  Aufnahme   in   der  maassgebenden  Musikstadt  hin  entschlossen 
sich  J.'s  in  Pesth  lebende  Eltern,    den  Knaben    seinem  in  Leipzig  wohnhaften 
Oheim,  einem  Kaufmann,  anzuvertrauen.     Ernst  um  die  Kunst  war  es  J.  auch 
fernerhin,    und   seine  weiteren   Studien    auf  der  Violine  überwachte  und  leitete 
von  da  an  Ferd.  David,  während  ihm   Moritz  Hauptmann  Unterweisung  in  den 
höheren  musiktheoretischen  Fächern    ertheilte.     Aber    auch    andere    in  Leipzig 
lebende    Musikgrössen ,    wie    ßob.    und    Clara    Schumann,    Gade,    Ferd.  Hiller, 
interessirten  sich  in   hohem   Grade  für  den  nicht  blos  nach  virtuoser  Seite  hin 
aufstrebenden,  talentvollen  Künstler,  und  besonders  war  es  Mendelssohn,  welcher 
ihn  liebgewonnen  hatte.     Dieser  nahm  ihn  1845  mit  nach  England  zur  Season, 
und  J.  wurde  in  London,    das    ihn    auch   weiterhin    bei  jedem    seiner  häufigen 
Besuche    mit    Ehren    und    Gold    überhäufte,    mit    Bewunderung    aufgenommen. 
Im  fünften  der  dortigen  Philharmonischen  Concerte  spielte  er  zum  ersten  Male 
öflfentlich  das  Concert  von  Beethoven,  das  Werk,  durch  dessen  unvergleichlichen 
Vortrag  er  seitdem  Tauseude  entzückte  und  in  dessen  Wiedergabe,  was  seelibche 
Auffassung  betrifift,  er  noch  immer  ohne  gleichberechtigten  Nebenbuhler  dasteht. 
In  London  gab  er  aber  auch  gleichzeitig  Proben  seiner  eminenten  Befähigung 
zum   Quartettspiel  und  glänzte  als  Interpret  Bach'scher  Musik.     Am  4.  Decbr. 
1845   trat  er  im  Leipziger   Gewandhause    bereits    mit    einer    eigenen    grösseren 
Composition,  einem  Adagio   und  Rondo  für  Violine  und  Orchester,  mit  glück- 
lichem Erfolge  auf.     Er  verweilte    auch    ferner    noch    einige  Jahre  in  Leipzig, 
wo  man  ihn   durch  Anstellung  als  Lehrer  am  Conservatorium  und  als  Mitglied 
des  Concert-   und  Theaterorchesters  zu  fesseln  suchte,  bis  ihn  1850  Franz  Liszt 
vermochte,  nach   Weimar  als   Concertmeister  überzusiedeln. 

Der  für  Musiker  su  übei'aus  anregende  Umgang  Liszt's  war  auch  für  J.'s 
künstlerische  Weiterentwickelung  von  entschiedenstem  Einflüsse,  aber  auch  seine 
Selbstständigkeit  entwickelte  sich  in  Weimar  freier;  er  bewies  dies  durch  seinen 
We^fgang,  als  ihm  die  durch  unbedingte  Partheinahme  für  die  Wagner'sche 
Musikrichtuug  getrübten  dortigen  musikalischen  Verhältnisse  nicht  mehr  zu- 
sagen konnten.     Eine   glänzende   Stellung    eröffnete    sich    ihm    alsbald  1854  in 


Joachim.  4ß7 

Hannover.  Nicht  nur,  daes  eigens  für  ihn  die  Stelle  eines  köuigl.  Concerfc- 
direktors  geschaffen  wurde,  sondern  er  erfreute  sich  auch  im  höchsten  Maasse 
der  Gunst  des  Königs,  und  es  wurden  ihm  die  ausgedehntesten  Ferien  con- 
tractlich  zugesichert,  die  er  auch  fleissig  zu  Triumphreisen  durch  fast  ganz 
Europa  benutzte.  Seine  dienstliche  Thätigkeit  in  Hannover  fand  1866  nach 
Besitznahme  dieses  Landes  durch  Preussen  ihren  Abschluss.  Er  siedelte,  ohne 
seine  Concertreisen,  besonders  nach  England,  zu  vernachlässigen,  nach  Berlin 
über,  wo  sich  ihm  1869  durch  Berufung  in  den  Senat  der  königl.  Akademie 
der  Künste,  unter  Verleihung  des  Titels  eines  königl.  Pi'ofessors,  und  bald 
darauf  durch  die  ehrenvolle  Anstellung  als  Direktor  der  neu  gegründeten  köuigl, 
akademischen  Hochschule  der  Musik  ein  ungeahnt  fruchtbringendes  Feld  der 
Thätigkeit  eröffnete.  Von  kleinlichem  Neide  vielfach  angefochten,  hat  er  auch 
in  diesem  Amte  als  Lehrer  seines  Instruments  sowie  als  Schöpfer  und  fein- 
sinniger Leiter  eines  Orchesters  und  Chors  unbeirrt  bewiesen,  mit  welchem 
ausserordentlichen  Q-eschick  er  für  die  hohen  Zwecke  seiner  von  ihm  heilig 
gehaltenen  Kunst  segensreich  zu  wirken  weiss.  Auch  als  Dirigent  grosser 
Musikfeste  ist  er  seitdem  häufig  berufen  worden,  und  1875  fungirte  er  inner- 
halb weniger  Wochen  höchst  ehrenvoll  auf  dem  Niederrheinischen  Musikfeste 
zu  Düsseldorf  und  auf  dem  ersten  Schleswig-Holstein'schen  Musikfest  zu  Kiel 
in  dieser  Eigenschaft. 

J.  hat  dem  Publikum  und  der  musikalischen  Presse  mit  seinen  häufigen, 
auch  jetzt  noch  nicht  eingestellten  Triumphzügen  durch  die  eurojDäischen  Con- 
certsäle  vielfachste  Gelegenheit  zur  Beurtheilung  seiner  Künstlerindividualität 
gegeben,  und  diese  ist  in  ausgedehntestem  Maasse  wahrgenommen  und  aner- 
kannt worden,  da  sich  Niemand  dem  bestrickenden,  acht  künstlerischen  Eindruck 
zu  entziehen  vermag,  den  J.'s  Violinspiel  durch  unfehlbare  Technik  der  Finger 
und  des  Bogens,  durch  feinstes  Verständniss  aller  Musikgattungen  und  den 
denkbar  vollendetsten  Vortrag  hervorbringt.  J.  hat  aber  auch,  was  die  meisten 
Virtuosen  der  Gegenwart  nicht  besitzen,  seinen  eigenen  Styl.  Ein  Violin- 
concert  von  Viotti,  Rode  oder  Spohr  z.  B.,  welches  von  Anderen  gespielt,  wenig 
Interesse  mehr  erregen  würde,  wird  durch  seine  Vortragsweise,  welche  selbst 
unbedeutendere  Compositionen  über  ihren  eigentlichen  Werth  hinaufhebt,  zum 
Hochgenuss;  wirklich  musikalisch  werthlose  Stücke  spielt  er  nur  äusserst 
selten.  Als  Interpret  gediegener  Musik  für  sein  Instrument  von  Seb.  Bach 
an  bis  Mendelssohn  wird  er  im  Einzelnen  kaum  von  einem,  im  Ganzen  von 
keinem  anderen  Virtuosen  erreicht  und  noch  lange  jedem  deutschen  Violin- 
spieler als  verkörpertes  Ideal  acht  künstlerischen  Strcbens  erscheinen.  Kein 
grosser  Componist  hat  bis  jetzt  gelebt,  welcher  nicht  auch  ein  Instrument  ge- 
spielt hätte.  Umgekehrt  ist  wohl  auch  anzunehmen,  dass  jeder  wahrhaft  be- 
deutende Virtuose  durch  den  immerwährenden  geistigen  Verkehr  mit  den  grossen 
Meistern  der  Tonkunst  von  edlem  Schaffenstrieb  erfüllt  sein  müsse.  J.  hat 
bewiesen,  dass  er  neben  vortrefflichen  Compositionen,  unter  denen  sein  edles, 
frisches  und  charakteristisches  »Concei't  in  ungarischer  Weise«  obenan  steht,  auch 
geistvolle,  wohl  componirte  Orchesterwerke  zu  schreiben  versteht.  Bei  seiner, 
nur  die  classische  Reinheit  der  Tonkunst  im  Auge  behaltenden  Richtung  ist 
in  Lehre  und  Composition  seine  Abneigung  gegen  die  neueste  Musikrichtung 
erklärlich. 

Vermählt  ist  J.  seit  dem  10.  Juni  1863  mit  Amalie  J.,  geborene  Weiss, 
welche  er  als  ausgezeichnete  Altsängerin  der  Hofbühne  zu  Hannover  kennen 
lernte.  Ihre  ausserordentliche  stimmliche  Begabung  hat  auch  nach  ihrem  Rück- 
tritt vom  Theater  nicht  verfehlt,  geschätzt  und  hochgepriesen  zu  werden,  ja 
sie  verkörpert  gegenwärtig  im  Gesang  vollständig  und  in  glücklichster  Ergän- 
zung denselben  Styl,  welchen  ihr  Gatte  so  mustergültig  repräsentirt.  Als 
Lieder-  und  Oratorien sängerin  gilt  sie  daher  für  unübertrefflich  und  ist  für 
die  Solostimme  in  grossen  Concertwerken  eine  weithin  und  vorzugsweise  be- 
rufene künstlerische  Kraft  von  hoher  Bedeutung. 

30* 


468  Joan  —  Jobel. 

Joan,  einer  der  ersten  italienischen  Geigenmacher,  der  noch  vor  Araati 
gelebt  haben  soll,  über  den  aber  sonst  nichts  bekannt  geblieben  ist.  Sein 
Name  findet  sich  vereinzelt  in  alte  italienische  Violinen  geklebt, 

Joanelli)  Pietro,  ein  italienischer  Contrapunktist  des  16.  Jahrhunderts, 
geboren  zu  Grandino  bei  Bergamo,  veröffentlichte  eine  Sammlung  Motetten 
unter  dem  Titel  »I^ovi  atque  catholici  thesauri  musici  Ubri  quinque  etc.  8,  7,  6 
5  ac  4  vocuma  (Venedig,  1568).  Die  Proske'sche  Bibliothek  besitzt  von  diesem 
seltenen  "Werke,  welches  wegen  der  überaus  grossen  Reichhaltigkeit  und  der 
darin  vertretenen  alten  Tonsetzer  besonders  kostbar  ist,  ein  vollständiges  und 
prachtvolles  Exemplar. 

Joauelli,  Ruggiero,  s.   Giovanelli. 

Joauiui,  genannt  J.  del  Violoncello,  einer  der  vorzüglichsten  italienischen 
Violoncello  virtuosen  seiner  Zeit  und  zugleich  gediegener  Tonsetzer,  war  um 
die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts,  ungefähr  bis  1760,  päpstlicher  Kapellmeister 
an  der  Peterskirche  zu  Rom.  Er  schrieb  für  Violoncello  sowie  für  andere 
Instrumente,  und  einige  Ciaviersachen  von  ihm  waren  auch  in  Deutschland 
bekannt.     Im  Uebrigen  hat  er  auch  mehrere  Kirchencompositionen  verfasst. 

Joannes,  s.  Johannes. 

Joaö  (Juan  oder  Johann)  IV.,  König  von  Portugal  seit  1640,  portu- 
giesischer Tonsetzer  und  der  einzige  gekrönte  Schriftsteller,  den  die  musikalische 
Literatur  aufzuweisen  hat.  Als  Herzog  von  Braganza  1604  geboren,  lebte  er 
bis  in  sein  36.  Jahr  hinein  in  Zurückgezogenheit  den  Wissenschaften  und 
Künsten,  besonders  der  Musik.  Nur  mit  Mühe  war  er  zu  überreden,  als  recht- 
mässiger Kronerbe  den  portugiesischen  Thron  zu  besteigen,  als  die  Portugiesen 
1640  das  langjährige  spanische  Joch  endlich  abgeschüttelt  hatten.  Obwohl 
in  einen  hartnäckigen  Krieg  mit  den  Spaniern  verwickelt,  Hess  er  sich  dennoch 
nicht  seinen  Studien  entziehen  und  schrieb  sogar  gerade  damals  mehrere  Musik- 
tractate,  componirte  fleissig  und  stellte  seine  Instrumentalübungen  vor  die 
Regierungsgeschäfte.  Eine  reiche  Bibliothek  von  Werken  der  Componisten 
aller  Nationen  von  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  an  bis  auf  seine  Zeit,  die 
er  mit  grossem  Aufwand  zusammenbringen  Hess,  traf  das  Unglück,  beim  Erd- 
beben zu  Lissabon  im  J.  1756  mit  zu  Grunde  zu  gehen.  Von  J.'s  schrift- 
stellerischen Arbeiten  können  genannt  werden:  -aDefensa  de  la  musica  moderna 
contra  la  errada  opinion  del  ohispo  Cirilo  Franco«  (wahrscheinlich  1649  er- 
schienen), worin  der  königliche  Schriftsteller  die  Musik  seiner  Zeit  gegen  die 
Vorwürfe  des  ausschliesslich  die  alte  Musik  hoch  haltenden  Bischofs  Cirilo 
Franco  von  Loreto  vertheidigt;  dann  eine  anonym  herausgegebene  Dissertation, 
betitelt:  r>Respuestas  d  las  dudas  que  se  pusieron  ä  la  misa  „Panis  que7fi  ego 
dabo"  de  Palestrinaa.  Nicht  herausgekommen  von  ihm  sind:  »Concordaticia  de 
la  musica  y  pasos  de  la  colleccionada  de  los  majores  profesores  de  arte«  und 
»Principios  de  la  musica,  que  Jiicieron  sus  primeros  autores  y  p)^ogresos  que  tuvov. 
Wahrscheinlich  sind  auch  diese  beiden  Schriften,  sowie  einige  seiner  Manuscript 
srebliebenen  Motetten  ebenfalls  durch  das  oben  erwähnte  Erdbeben  vernichtet 
worden.  Dagegen  sind  zwei  andere  seiner  Motetten  nach  seinem  Tode  im 
Druck  erschienen  (Lissabon,  1674).     J.  selbst  starb  am  6.  Novbr.  1656. 

Joao  Vaz  Barradas  Muitopam  e  Morato,  s.  Vaz-Barradas. 

Jobel  (b3i">)  nannten  die  alten  Hebräer  eins  ihrer  häufig  angewandten 
Metallblasinstrumente;  schon  in  den  fünf  Büchern  Mosis  findet  man  dasselbe 
erwähnt.  Es  tritt  diese  Benennung  oft  verbunden  mit  dem  Instrumentnamen 
Schofar  (s.d.)  auf,  welchen  Namen  eine  Trompete  hatte,  und  bezeichnete 
dann,  dass  selbige  aus  einem  Widder-  oder  Kuhhorn  gefertigt  war.  Die  Be- 
deutung dieses  adjektivischen  Zusatzes  von  J.  haben  mehrere  Sprachgelehrtc 
etwas  verschieden  gedeutet.  Gesenius  sagt  in  seinem  deutsch-hebräischen  Wörter- 
buche, dass  dies  Wort  ungefähr  in  der  Bedeutung  dem  deutschen  Worte  »Jubel« 
gleich  komme.  Pfeiffer  erklärt  es  ähnlich,  indem  er  nachweist,  dass  die  Wurzel 
des    arabischen  Wortes  J.    ausser    Fest    und    Freude    auch    Jubeljahr    bedeute, 


Jobinus  —  Johann  Georg  II.  4ß9 

und  dass  die  Hebräer  an  ihren  höchsten  Freudenfesten  sich  deshalb  des 
Schofar-J.  bedienten.  Auch  ist  mit  Gewissheit  anzunehmen,  dass  die  so  be- 
rühmt gewordenen  Trompeten,  welche  den  Einsturz  der  Mauei-n  Jericho's  be- 
wirkten, diese  Jubeltrompeten  waren,  und  es  wahrscheinlich  das  einzige  Blech« 
blasinstrument  der  Hebräer  war,  welches  während  des  Gottesdienstes  gebraucht 
wurde.  0. 

Jobiuns,  Bernhard,  Lautenist  und  Componist  für  sein  Instrument,  lebte 
in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts,  wahrscheinlich  zu  Strassburg. 
Man  kennt  von  ihm:  »Bernhardi  Jobini  teutsche  Tabulatur  auff  die  Lauten, 
darinn  viel  artliche  Fanteseyen,  Teutsche,  Frantzösische  und  Italianische  Lieder, 
lateinische  Muteten  mit  4  vnd  5  Stimmen  zusammengetragen«  (Strassburg, 
1572)  und  »Sixti  Kergelii  frantzösische  und  italianische  Lieder,  Muteten  u.  s.  w.« 
(Strassburg,  1580). 

Jocoletj  Claudius,  ein  sonst  unbekannter  Componist  zu  Anfang  des  17. 
Jahrhunderts,  von  dem  im  Druck  erschienen  sind:  »Allerley  Art  Frantzö- 
sischer,  Teutscher,  Hispanischer  vnd  Welscher  Täntze,  mit  5  vnd  6  Stimmen  ge- 
setzt vnd  theils  zusammengelesen«  (Jena,   1622).    Vgl.  JDraudii  »Bibl.  dass.  germ.i 

Jocosuä  (latein.),  Titel-  und  auch  Vortragsbezeichnung  in  der  Bedeutung 
scherzhaft,  lustig. 

Jodeln,  eine  den  Gebirgsbewohnern,  besonders  denen  der  Alpen  eigenthüm- 
liche  Gesangsart.  Sie  besteht  darin,  dass  der  Sänger  nach  einer  eigenen  Arti- 
culation  schnell  aus  der  Bruststimme  in  die  höheren  Töne  des  Falsets  über- 
schlägt, wobei  das  scharfe  Hervortreten  der  contrastirenden  Klangfarben  beider 
Stimmregister  einen  seltsamen  Eindruck  hervorruft,  so  dass  selbst  die  heitersten 
Lieder  dieser  Art  den  Zuhörer  oft  wehmüthig  stimmen  können.  Häufig  dienen 
diese  textlosen  Modulationen,  Jodler  genannt,  als  Endrefrain  oder  Endritornelle 
für  jede   Strophe  äusserst  naiver  National-Alpenlieder. 

Jodocus  Pratensis  oder  J.  de  (a)  Prato,  s.  Josquin. 

Jöcher,  Christian  Gottlieb,,  deutscher  Gelehrter,  geboren  am  20.  Juli 
1694  zu  Leipzig,  studirte  anfangs  Medicin,  habilitirte  sich  1714  durch  die  Ab- 
handlung y>De  viribus  musices  in  corpore  Tiumanoi.  (Leipzig,  1714),  ging  aber 
hierauf  zur  Theologie  über.  Im  J.  1730  erhielt  er  eine  philosophische  Pro- 
fessur in  der  philosophischen  Facultät  zu  Leipzig,  wurde  1732  Professor  der 
Geschichte,  1742  Universitätsbibliothekar  und  starb  am  10.  Mai  1758.  Sein 
»Allgemeines  Gelehrten -Lexicon«  (4  Bde.,  Leipzig,  1750 — 51)  enthält  u.  A. 
eine  Menge  musikalischer  Schriftsteller,  sowie  auch  viele  Componisten.  Es 
wurde  von  Adelung  bis  zum  Buchstaben  J  (2  Bde.,  Leipzig,  1784 — 87)  und 
von  Botermund  bis  »Bin«  (Bd.  1 — 6,  Abth.  3,  Bremen,  1810 — 22)  ergänzt. 
Seine  übrigen   Schriften  gehören  nicht  hierher  und  sind  fast  vergessen. 

Johann  ist  der  Name  23  römischer^  Päpste,  von  denen  drei  auch  für  die 
Musik  von  einiger  "Wichtigkeit  sind.  Es  sind  dies:  Johann  XX.,  von  1024 
bis  1033  regierend,  derjenige  Papst,  welcher  den  Guido  von  Arezzo  aus 
dem  Kloster  zu  sich  berief,  um  sich  von  demselben  seine  neue  Gesangmethode 
erklären  zu  lassen  und  nach  ihr  singen  zu  lernen;  Johann  XXL,  geboren 
zu  Lissabon,  1276  zum  Papst  erwählt,  aber  schon  1277  von  einer  einfallenden 
Decke  erschlagen,  hat  ausser  Briefen,  philosophischen  und  medicinischen 
Schriften  auch  ein  r>Musica«  betiteltes  Sendschreiben  an  den  englischen  Bischof 
Fulgentius  hinterlassen;  Johann  XXIL,  geboren  1244  zu  Cahors  und  ur- 
sprünglich Jacob  von  Ossa  oder  Ense  geheissen,  wurde  1316  zum  Nachfolger 
des  Papstes  Clemens  V.  erwählt  und  starb  nach  einer  sehr  bewegten  Regierung, 
über  90  Jahre  alt,  am  2.  Decbr.  1334  in  Rom.  Auch  er  soll  einen  Tractat 
y>De  Musicav.  verfasst  haben. 

Johann  IV.,   s.   Joao. 

Johann  Georg  II.,  Kurfürst  von  Sachsen,  1656  bis  1680,  geboren  am 
31.  Mai  1613,  wurde  von  früh  auf  in  der  Musik  gebildet  und  brachte  es 
dahin,    dass    er    viele    Kirchenmusiken    componirte,    darunter    den    117.  Psalm 


470  Johann  —  Johannes  Mantuanus. 

y>Laudate  domimim  omnes  gentesn.  Seine  Musik-  und  Prachtliebe  verschlang 
Summen,  die  das  vom  dreissigjährigen  Kriege  her  erschöpfte  Land  kaum  zu 
erschwingen  vermochte.  Er  starb  zu  Fi'eiberg,  wohin  er  sich  der  Pest  wegen 
begeben  hatte,  am   22.  Aug.   1680. 

Johann  (Jean),  Herzog  von  Braine,  genannt  Mauclerc,  war  der 
Sohn  Robert's  II.,  Grafen  von  Dreux,  und  gehörte  zu  den  französischen  Dich- 
tern und  Componisten  des  1.3.  Jahrhunderts.  Er  starb  im  J.  1239.  Drei 
Gesänge,  von  ihm  gedichtet  und  in  Musik  gesetzt,  bewahrt  die  Nationalbibliothek 
in  Paris  auf. 

Johann  Ernst,  Prinz  von  Sachsen-Weimar,  war  einer  der  fertigsten  Yiolin- 
und  Ciavierspieler  seiner  Zeit.  Geboren  am  29.  Decbr.  1696,  erhielt  er  schon 
früh  musikalischen  Unterricht,  zuerst  auf  der  Violine  und  zwar  durch  seinen 
Kammerdiener  Gregor  Christoph  Eylenstein.  Ein  neunmouatlicher  Unterricht 
bei  dem  Lexicographeu  Walther  genügte,  um  den  talentvollen  Prinzen  zu  be- 
fähigen, 19  namhafte  Werke  für  die  von  ihm  behandelten  Instrumente  zu 
componiren,  von  denen  aber  nur  sechs  Clavierconcerte  im  Druck  erschienen 
sind.  Auf  einer  Studienreise  begriffen,  starb  er  leider  schon  am  1.  Aug.  1715 
zu  Frankfurt  a.  M. 

Johann  Cotto,  s.  Cottonius. 

Johannes,  Musiker  des  7.  Jahrhunderts,  führte  den  Titel  eines  Archi- 
cantors,  war  um  670  Präcentor  an  der  Peterskirche  zu  Rom  und  schrieb  einen 
Tractat,  betitelt:  t>De  modulandi  ac  legendi  ritua. 

Johannes,  Aegidius,  s.  Aegidius. 

Johannes  Cäsar  Angnstanns,  um  621  lebend,  wird  zu  den  ältesten  Kirchen- 
tonsetzern  gerechnet. 

Johannes  Chrysorrhoas  aus  Damask,  deshalb  gewöhnlich  Joannes  Da- 
mascenus  genannt,  der  Verfasser  des  dogmatischen  Hauptlehrbuchs  für  die 
moi'genländische  Kirche,  geboren  um  700,  stand  als  Schatzmeister  in  Diensten 
des  Khalifen  und  hiess  als  solcher  AI  Mansur.  Im  J.  730  wurde  er  Mönch 
im  Kloster  Saba  bei  Jerusalem  und  starb  um  760.  Während  seiner  Zurück- 
gezogenheit von  der  Welt  verfasste  er  u.  A.  seine  berühmte  »Auseinandersetzung 
des  orthodoxen  Glaubensa  und  betrieb  unter  Leitung  des  Bischofs  Kosmas 
auch  eingehend  Musik.  Er  soll  bequemere  Notenzeichen  erfunden,  viele  Kirchcn- 
melodien  erfunden  haben  und  deshalb  von  seinen  Zeitgenossen  il/i/lcüöos,'  (Cantor) 
genannt  worden  sein.  Für  sein  Ansehen  überhaupt  spricht  schon,  dass  er  selbst 
in  der  römischen  Kirche  heilig  gesprochen  wurde,  und  dass  er  noch  gegen- 
wärtig in  der  griechischen  Kirche  als  Glaubensnorm  gilt.  Einen  ihm  zuge- 
schriebenen musikalischen  Tractat,  welcher  eine  Belehrung  über  die  in  den 
griechischen  Kirchengesangbüchern  üblichen  Tonzeichen,  deren  Anwendung  u.  s.  w. 
enthält,  hat  Fürstabt  Gerbert  im  zweiten  Bande  seines  Wei'ks  »Z)e  cantu  et 
musica  sacraa  facsimilirt  mitgetheilt. 

Johannes  Langns,  Mönch  zu  St.  Gallen  und  ein  als  vortrefiBich  gerühmter 
Musiker  des  10.  Jahrhunderte,  versah  mehrere  von  seinen  Klosterbrüdern  ver- 
fasste Prosen  und  Sequenzen  mit  ausgezeichneten  Melodien. 

Johannes  de  Muris,  s.  Muris. 

Johannes  Mantnanns  oder  Johann  von  Mantua,  einer  der  hervor- 
ragendsten Musikgelehrten  des  14.  Jahrhunderts,  aus  Namur  gebürtig,  wo  er 
seine  Ausbildung  im  Gelang  erhielt.  Theologische  Wissenschaften  studirte  er 
in  Italien,  aber  unter  Vittorino  Feltri  gleichzeitig  auch  Musik.  Hierauf  trat 
er  in  ein  Karthäuserkloster  zu  Mantua,  in  Folge  dessen  er  auch  den  Beinamen 
»Mantuanus  öarthausiusv.  erhielt,  und  wurde  der  Verfasser  der  berühmten  musi- 
kalischen Abhandlung  •»Lihellus  musicalis  de  ritu  canendi  etc.«.  (1380),  in  wel- 
cher er  den  Choralgesang,  Monochord,  die  Consonanzeu,  alten  Tonziichcn, 
Kirchentonarten,  Consonanzen,  Solmisation  und  den  Contrapunkt  wissenschaftlich 
behandelt.  Exemplare  dieses  Tractate  im  Manuscript  besitzt  das  britische 
Museum  und  die  vaticanische  Bibliothek. 


Johannes  Paduanus  —  Jotn.  4YJ 

Johannes  Paduanns,  italienischer  Gelehrter  des  16.  Jahrhunderts,  hat  ausser 
anderen  AVerken  auch  •»Institutiones  musicae<i  (Verona,   1578)  hinterlassen. 

Johannes  Pediasinius,  ein  Eechtsgelehrter  und  Mathematiker  aus  Bulgarien, 
lebte  um  1300  und  soll  einen  Tractat  über  musikalische  "Wissenschaft  verfasst 
haben.     Vgl.  Hawkins,  Greschichte  Bd.  II.  S.  42. 

Johannes  Presbyter,  ein  Priester  dos  11.  Jahrhunderts,  schrieb  eine  latei- 
nische Abhandlung  -»de  mtisica  antiqua  et  novav,  deren  Manuscript  im  Kloster 
Monte  Cassino  aufbewahrt  wird. 

Johannes  Salesberiensis,  einer  der  gelehrtesten  Theologen  des  12.  Jahr- 
hunderts, geboren  um  1110  zu  Salisbury,  wurde  zu  Paris  Doctor  der  geist- 
lichen Facultät  und  mit  Robert  von  Gloucester  Erzieher  des  nachmaligen 
Königs  Heinrich  II.  von  England.  Im  J.  1176  wurde  er  zum  Bischof  von 
Chartres  ernannt  und  starb  als  solcher  am  24.  Octbr.  1182.  Unter  seinen 
Werken  gehört  hierher:  y>Folycraticum,  seu  de  nugis  curialium  et  vestigiis  2:>^ilo- 
sophorum  Uhr.  8«  (gedruckt  1513),  weil  es  im  6.  Kapitel  des  ersten  Buchs 
y>de  musica  et  instrumentis  et  modis  et  fructu  eoruma  handelt. 

Johannes  Scotus,  gelehrter  englischer  Mönch  des  9.  Jahrhunderts,  war 
Lehrer  an  der  Musikschule  zu  Oxford.  —  Ebendaselbst  soll  ein  anderer  J„ 
mit  dem  Beinamen  Monachus  Menevensis,  als  Lector  der  Musik  und 
Arithmetik  gewirkt  haben, 

Johannes  Tanetos  oder  Thanatensis,  gelehrter  englischer  Benedictiner- 
mönch,  geboren  auf  der  Insel  Thanes  in  Kent,  wurde  um  1330  Präcentor  zu 
Canterbury  und  zeichnete  sich  durch  sein  musikalisches  Talent  so  aus,  dass 
man  ihn  den  zweiten  Amphion  nannte.  Er  verfasste  eine  Abhandlung  nde 
ojficiis  cantuariensihus  eeclesiae«. 

Johannes  yon  Bargnnd,  Lehrer  des  Dorainicanermönchs  Hieronyraus  von 
Mähren,  lebte  um  1200  und  wird  musikalisch  erwähnt,  weil  er  eine  Tabelle 
über  die  Geltung  der  Mensuralnoten  aufstellte,  welcher  er  den  Namen  narbor« 
(Baum)  ertheilte. 

Johannes  Ton  Clere,  Musiker  aus  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts, 
war  aus  Cleve  gebürtig  und  in  der  Kapelle  des  Kaisers  Maximilian  I.  ange- 
stellt.    Von   seinen   Compositionen  werden  zwei  Bücher  Motetten  genannt. 

Johannes  TOn  Fnlda,  gelehrter  deutscher  Mönch,  ein  Schüler  des  Rhabanus 
Maurus,  lebte  gegen  Ende  des  9.  Jahrhunderts  und  soll  besonders  als  Dichter 
und  Tonkünstler  ausgezeichnet  gewesen  sein.  Nach  Gerbert's  Behauptung  war 
J.  der  Erste,  der  in  Deutschland  Kirchengesänge  (varia  modulatione,  wie  es 
heisst)  in  Musik  setzte. 

Johannes  yon  Neuville,  altfranzösischer  Dichter  und  Musiker,  geboren  auf 
der  Burg  Neuville  in  der  Champagne,  lebte  um  1193  und  componirte  selbst- 
gedichtete Gesänge.  Im  Manuscripte  befinden  sich  noch  19  derselben  in  der 
Nationalbibliothek  zu  Paris. 

John,  Karl  Wilhelm,  vorzüglicher  deutscher  Pianist  und  eleganter  Com- 
ponist  für  sein  Instrument,  geboren  am  9.  Jan.  1821  zu  Berlin,  erhielt,  da  er 
frühzeitig  die  besten  musikalischen  Anlagen  zeigte,  Ciavierunterricht  beim 
königl.  Kammermusiker  Moos,  wozu  sich  später  theoretische  Lectionen  bei 
Rungenhagen  gesellten.  Als  Knabe  schon  erregte  er  in  verschiedenen  Concerten 
Aufsehen,  und  einige  gleichzeitig  erschienene  Compositionen  für  Pianoforte  von 
ihm  blieben  nicht  unbeachtet.  In  Folge  dessen  erschlossen  sich  ihm  auf  Meyer- 
beers  Empfehlung  1845  die  Ausländern  fast  unzugänglichen  Pforten  des  Con- 
servatoriums  zu  Paris,  und  J.  wurde  Halevy's  Compositionsschüler,  während  er 
in  Privatstunden  bei  Kalkbrenner,  Prudent  und  Thalberg  das  höhere  Clavier- 
spiel  mit  dem  grössten  Erfolge  studirte.  Mit  warmen  Worten  wies  damals 
Ed.  Monnais  in  der  Bevue  et  Gazette  musicale  auf  J.'s  ausserordentliche  Vir- 
tuosität hin,  die  als  Specialität  einen  wunderbar  bestrickenden,  harfenartigen 
Anschlag  aufwies;  leider  aber  vermochte  J. ,  gleich  Chopin  und  Henselt,  die 
Scheu  vor  öffentlichem  Auftreten  niemals  zu  überwinden.     Dagegen  sind  einige 


472  Johnson  —  Jomelli. 

30  zum  Theil  beliebte  Saloncorapositionen  von  ihm  im  Druck  erschienen.  Im 
J.  1863  nahm  J,  wieder  seinen  bleibenden  Wohnsitz  in  Berlin,  wo  er  in  un- 
abhängiger Stellung  zurückgezogen  der  Kunst  lebte.  Plötzlich  und  unerwartet 
starb  er  am  4.  Septbr.  1875  zu  Berlin. 

Johuson  ist  der  Name  einiger  englischer  Tonkünstler,  von  denen  zu  nennen 
sind:  1)  Bartholomäus  J.,  der  sich  im  18.  Jahrhundert  auf  dem  Violoncello 
auszeichnete.  Er  erreichte  ein  ausserordentlich  hohes  Alter,  denn  am  3.  Octbr. 
1810  feierte  man  zu  Scarborough  durch  eine  Festlichkeit  seinen  hundertjährigen 
Geburtstag,  bei  welcher  Gelegenheit  er  noch  in  einer  selbstcomponirten  Menuett 
mitwirkte.  —  2)  Edward  J.,  lebte,  als  Componist  bekannt,  zu  Anfang  des 
17.  Jahrhunderts  in  London.  Einige  fünfstimmige  Gesänge  von  ihm  enthält 
das  Sammelwerk  »TriumpJi  of  Oriana«  (London,  1601).  —  3)  Heinrich 
Philipp  J.,  früh  nach  Schweden  gekommen,  tritt  zuerst  1753  und  zwar  als 
Hofmusicus  in  Stockholm  hervor,  wurde  1755  als  Organist  an  der  Clara-Kirche 
und  1763  als  Hofkapellmeister  angestellt.  In  den  Jahren  1774  und  1775 
wurden  in  Stockholm  Opern  von  ihm,  nämlich  »Egle«  und  »Neptun  und  Am- 
phitrite«  aufgeführt.  Zu  Hülpher's  historischen  Abhandlungen  über  Musik  hat 
er  die  Vorrede  sowie  eine  kurze  Beschreibung  der  Orgeln  verfasst.  Ebenso 
hat  er  Orgelfugen  componirt  und  veröfiFentlicht.  —  4)  Robert  J. ,  eigentlich 
Geistlicher,  wird  um  1500  als  Kammer -Kirchencomponist  gerühmt  und  zwar, 
wie  Burney  behauptet,  der  auch  einen  fünfstimmigen  Gesang  und  eine  Alle- 
mande  von  ihm  mittheilt,  wegen  seiner  geschickten  Behandlung  von  Fugen- 
themas und  Imitationen. 

Jolage,  Charles  Alexandre,  französischer  Orgel-  und  Ciavierspieler, 
war  1753  als  Organist  bei  den  petits  Peres  zu  Paris  angestellt  und  veröffent- 
lichte Ciaviersuiten  seiner  Composition. 

Joly,  französischer  Violinist  und  Componist  für  sein  Instrument,  lebte  als 
Musikalienhändler  zu  Paris,  woselbst  er  1819  starb.  Von  seinen  Compositionen 
sind  Duos,  Variationen,  Contretänze  u.  s.  w.  für  Violine  im  Druck  erschienen, 
ebenso  eine  Guitarren-  und  eine  Flötenschule,  sowie  Stücke  für  diese  In- 
strumente. 

Jomard,  Edmond  FranQois,  berühmter  französischer  Geograph  und  Ar- 
chäolog,  ein  gründlicher  Erforscher  und  Kenner  der  ägyptischen  Alterthümer, 
geboren  am  21.  Novbr.  1777  zu  Versailles,  machte  seine  wissenschaftlichen 
Studien  zu  Paris  und  nahm  1798  mit  anderen  Gelehrten  an  der  Expedition 
Napoleon's  nach  Aegj'pten  Theil.  Im  J.  1802  nach  Frankreich  zurückgekehrt, 
verbreitete  sich  in  Folge  seiner  Veröffentlichungen  sein  Ruf  über  die  ganze 
civilisirte  Welt,  und  sein  Einüuss  auf  Alles,  was  Afrika  betraf,  wurde  immer 
bedeutender.  Er  starb  1847  als  Oberbibliothekar  der  königl.  Bibliothek  zu 
Paris.  In  musikalischer  Hinsicht  ist  er  ausserdem  zu  nennen  wegen  seiner 
Abhandlung  über  das  Leben  und  die  Werke  G.  L.  B.  Wilhem's. 

Jomelli,  Nicolö,  einer  der  berühmtesten  italienischen  Componisten  der 
neapolitanischen  Schule,  geboren  am  17.  April  1714  zu  Aversa  in  Unteritalien, 
erhielt  seinen  ersten  Gesang-  und  Ciavierunterricht  von  Mozillo,  einem  Cano- 
nicus  in  seiner  Vaterstadt,  und  studirte  von  seinem  16.  Jahre  an  zu  Neapel, 
zuerst  auf  dem  Conservatorium  dei  poveri  di  Giesü  Cristo,  dann  auf  dem  della 
pieta  dei  Turchini,  wo  Meister  wie  Porta,  Mancini,  Feo  und  Leo  seine  Lehrer 
waren.  Nachdem  er  sich  ohne  allen  Erfolg  mit  dem  Satze  von  Balletten  be- 
schäftigt hatte,  glückte  es  ihm  besser  mit  einigen  Cantaten,  und  der  strenge 
Leo  selbst  prophezeite  ihm  eine  grossartige  Zukunft.  Seine  erste  komische 
Oper  fUerrore  amorosoa  (1737)  aber,  die  er  pseudonym  unter  dem  Namen 
Valentine  aufführen  Hess,  fand  so  grossen  Beifall,  dass  J.  sich  angefeuert 
fühlte,  auf  diesem  Wege  weiter  zu  gehen.  Noch  grösseres  Glück  machte  seine 
nächste  für  das  Teatro  Fiorentino  geschriebene  ernste  Oper  y)Odoardo<i  (1738), 
der  noch  einige  andere  folgten,  welche  1740  seine  Berufung  nach  Rom  ver- 
anlassten.    Durch  die  dort  geschriebenen  Opern  nRicimero,  re  de  Gotia.,  Ȁstia' 


Jomelli.  473 

nattew,  y>T/igenia(i  und  itOajo  Marioa  gewann  er  die  Römer  völlig  für  sich  und 
fand  in  dem  Cardinal  York  einen  einflussreichen  Protektor.  Jedoch  ging  er 
schon  1741  nach  Bologna,  wo  er  neben  seiner  fortgesetzten  "Wirksamkeit  für 
die  Bühne  (die  Oper  »Ezio«)  die  Rathschläge  und  Belehrungen  des  gelehrten 
Padre  Martini  in  Bezug  auf  den  Kirchenstyl  nicht  unbenutzt  Hess.  J.  kehrte 
hierauf  wieder  nach  Rom,  sodann  nach  Neapel  zurück  und  wurde  durch  seine 
im  Carlo-Theater  gegebene  Oper  y^Uumenea  auch  hier  Gegenstand  der  Bewun- 
derung, nicht  minder  in  Venedig,  wo  er  y>Merope«  compouirte  und  aufführte. 
In  letzterer  Stadt  trat  er  zuerst  mit  Kirchencompositionen  hervor,  von  welchen 
ein  achtstimmiges  y>Laudate<i  mit  Recht  für  ein  Meisterwerk  gilt;  auch  soll  er 
damals  eine  Zeit  lang  als  Lehrer  an  einem  der  Conservatorien  Venedigs  ge- 
wirkt haben.  Im  J.  1747  war  J.  wieder  in  Rom  und  fand  durch  die  ge- 
priesene Oper  »Artaserse«  den  alten  enthusiastischen  Beifall.  Gleichzeitig  er- 
stand ihm  aber  in  dem  jungen  Portugiesen  Terradellas  ein  nur  zu  glücklicher 
Nebenbuhler.  Es  bildeten  sich  Partheien  und  beim  nächsten  Carneval  unterlag 
J.  in  der  That  seinem  Gegner,  dessen  Oper  einen  beispiellosen  Erfolg  hatte, 
während  die  seinige  durchfiel.  Die  Parthei  des  Portugiesen  triumphirte  und 
liess  sogar  eine  Denkmünze  schlagen,  welche  ihren  Meister  auf  einem  von  J. 
gezogenen  Triumphwagen  zeigte.  Bald  darauf  fand  man  Terradellas,  von  Dolch- 
stichen durchbohrt,  in  der  Tiber,  und  J.  sah  sich  der  Theilnahme  an  diesem 
Morde  beschuldigt.  Kaum  zu  bezweifeln  ist  es,  dass  die  meisten  Umstände 
dieser  vielfach  und  umständlich  erzählten  Geschichte  dem  Bereiche  der  Fabel 
angehören,  um  so  mehr,  als  J.  1749  die  Anstellung  als  päpstlicher  Kapell- 
meister erhielt.  Als  solcher  fungirte  er  bis  1754,  folgte  aber  dann  einem  Rufe 
des  Herzogs  Karl  von  "Würtemberg  nach  Stuttgart,  wo  er  bis,  1768  als  Ober- 
Kapellmeister  einflussreich  thätig  war.  Er  erhob  das  Stuttgarter  Hoforchestcr 
auf  die  Stufe  der  Mustergültigkeit,  schrieb  gegen  20  grössere  und  kleinere 
Opern,  wie  y>Demetrio«,  y^Penelopeu,  r>JEnea  nel  Lazioa,  y>Il  re  pastorea,  y>Äles- 
sandro  nelV  Indien,  r>Demofoonte<s.  u.  s.  w.,  ferner  Kirchenmusiken  und  viele 
Gesangsätze  und  erfreute  sich  der  schmeichelhaftesten  Auszeichnungen.  Im 
J.  1783  sollten  auf  herzogl.  Befehl  alle  seine  in  Stuttgart  componirten  Opern 
auf  Subscription  veröffentlicht  werden,  zu  welchem  Unternehmen  es  jedoch  nicht 
kam.  Der  Theaterbrand  in  Stuttgart,  1802,  vernichtete  sie  sogar  mit  verein- 
zelten Ausnahmen,  wie  ^'Fetonten,  sämmtlich. 

J.  war  nach  Auflösung  des  ihm  unterstellten  Orchesters  1768  nach  Italien 
zurückgekehrt  und  hatte  ein  Landgut  in  der  Nähe  seines  Geburtsortes  Aversa 
erworben.  Der  König  von  Portugal,  Johann  V.,  lud  ihn  zwar  ein,  an  seinen 
Hof  zu  kommen,  jedoch  lehnte  J.  diesen  Ruf  ab  und  beschäftigte  sich  in  der 
Zurückgezogenheit  noch  weiter  mit  Operncomposition.  Da  aber  seine  für  Rom 
gesetzte  Oper  ■nAchille  in  Sch'oa,  gleich  noch  einer  anderen  keinen  Beifall 
erntete,  vielleicht  gerade,  weil  J.  in  Deutschland  mehr  deutsches  "Wesen,  be- 
sonders in  Bezug  auf  bedeutsame  Harmonie,  in  sich  aufgenommen  hatte,  als 
seine  sinnlich  lebendigen  Landsleute  zu  ertragen  vermochten ,  so  wendete  er 
sich  noch  einmal  nach  Neapel,  wo  es  ihm  aber  mit  seiner  y>Ißgenia  in  Aulidea 
nicht  besser  erging.  Der  Verlust  seiner  ehemaligen  Popularität  bekümmerte 
ihn  so,  dass  er  sich  1773  einen  Schlagfluss  zuzog,  von  dem  er  sich  jedoch 
wieder  erholte.  Er  schrieb  noch  eine  Cantate  zur  Geburtsfeier  eines  neapoli- 
tanischen Prinzen  und  ein  bewundernswerth  schönes  zweichöriges  Miserere  mit 
Orchesterbegleitung,  nach  dessen  Vollendung  er  am  28.  Aug.  1774  stai'b.  — 
Seine  Opern  mit  ihren  edlen ,  einschmeichelnden  und  geistreichen  Melodien 
galten  lauge  Zeit  hindurch  als  Muster,  und  er  war  in  denselben  seineu  ita- 
lienischen Zeitgenossen  auch  in  Hinsicht  auf  regere,  wirksamere  Instrumentation, 
lebhaftere  dynamische  Schattirung  des  Ausdrucks  u.  s.  w.  in  der  That  weit 
voraus.  Als  unübertrefläich  wurden  besonders  seine  Arien  gerühmt,  welche 
jedoch,  da  sie  den  Styl  seiner  Zeit  nicht  überragten,  jetzt  so  gut  wie  vergessen 
sind.     Für  die  Kirche  arbeitete  er  gegen  40  "Werke,  darunter  ausser  den  ßchon 


474  Jonas  —  Jones. 

oben  angeführten,  ein  berühmtes  Benedictus,  ein  Requiem  und  ein  Passions- 
oratorium. Trotz  hervorragender,  kunstvoller  Schönheiten,  vielem  Würdigen 
und  Edlen  stehen  diese  geistlichen  hinter  seinen  weltlichen  Compositionen 
zurück,  da  er  nur  zu  häufig  hierbei  den  brillanten  Concertstyl  vorwalten  Hess 
und  die  Singstimmen  zu  Läufen  und  Bravourpassagen  benutzte.  In  ruhigeren 
Formen  ergeht  sich  das  schon  genannte  Requiem  in  Es-dur,  welches  ursprüng- 
lich nur  für  Gesang  und  Streichquartett  gesetzt  ist.  Die  Bibliothek  des 
Königs  von  Sachsen  besitzt  im  Manuscript  die  Opern  r>Armida  ahhandonataa 
und  y>Didonea,  die  Cantate  i>La  partenzai,  65  Arien,  Duette  u.  s.  w.,  die  kaiserl. 
Hofbibliothek  in  Wien  die  dreiaktige  Oper  »Catone  in  Utica«  (1749)  und 
einen  bemerkenswerthen  Schatz  von  J.'s  geistlichen  Compositionen.  —  Burney, 
der  J.  auf  seinen  Reisen  sah ,  fand  sein  Gesicht  demjenigen  Händel's  ähnlich, 
ihn  selbst  aber  viel  gefälliger  und  höflicher  als  Händel. 

Jonas,  Emile,  talentvoller  französischer  Componist,  geboren  am  5.  März 
1827  zu  Paris,  trat  1841  in  das  dortige  Conservatorium,  wo  Lecouppey  und 
Carafa  seine  Hauptlehrer  waren.  Seine  ersten  Compositionen,  Ciaviersachen 
und  Romanzen,  wurden  von  der  Kritik  und  dem  Publikum  sehr  günstig  aut- 
genommen und  seine  kleinen  Opern  »ie  duel  de  Benjamin«  (1855),  y>La  parade« 
(1856),  ToLe  roi  hoiU  (1857),  y>Les  jyefits  prodigesa  (1857)  u.  s.  w.,  im  Theater 
der  Bouffes  parisiens  gegeben ,  fanden  hervorragenden  Beifall.  Ausserdem  hat 
er  1854  eine  Sammlung  hebräischer  gottesdienstlicher  Gesänge,  die  24  von  ihm 
componirte  Nummern  enthält,  veröffentlicht.  Als  ganz  vorzüglich  aber  werden 
seine  zahlreichen  Compositionen  für  Militärmusik  gerühmt.  J.  lebt  in  Paris 
als  Professor  am  Conservatorium  und  Musikdirektor  der  Synagoge  des  portu- 
giesischen Ritus. 

Jonas,  Karl,  deutscher  Tonkünstler,  geboren  um  1770  zu  Berlin,  erhielt, 
unterstützt  von  der  Prinzessin  Amalie  von  Preussen ,  eine  pute  Schulbildung 
und  gründliche  Unterweisung  im  Clavierspiel  und  in  der  Composition  durch 
Fasch.  Nachmals  nahm  sich  seiner  der  König  Friedrich  Wilhelm  II.  an  und 
Hess  ihn  auf  die  Universität  nach  Halle  gehen.  Als  Ciavierspieler  und  Com- 
ponist von  Ciavier-  und  Gesangsachen  schon  von  Berlin  her  rühmlich  bekannt, 
setzte  er  bei  Türk  seine  musikalischen  Studien  fort  und  Hess  1793  eine  Ariette 
mit  15  Variationen  für  Ciavier,  die  er  dem  Könige  widmete,  erscheinen.  Später 
veröfi'entlichte  er  noch  in  Tilsit  eine  Sammlung  von  Liedern  und  Gesängen; 
im  Uebrigen  hat  man  jedoch  nichts  weiter  von  ihm  gehört. 

Joneck,  Michael,  rühmlich  bekannter  Ciavierbauer,  geboren  am  14.  Mai 
1748  zu  Würzburg,  erlernte  die  Elemente  des  Clavierspiels  im  dortigen  Ober- 
zeller-Klostcr,  wo  er  erzogen  wurde.  Er  wandte  sicli  bei  einem  Instrumenten- 
macher ceiner  Geburtsstadt  dem  Ciavierbau  zu,  den  er  nachmals  selbstständig 
betrieb,  so  dass  er  um  1770  schon  an  200  Claviere  verfertigt  hatte,  die  zu 
den  besseren  gezählt  wurden.  Später  warf  er  sich  mehr  auf  die  Fortepiano- 
Baukunst  und  verfertii?te  u.  A.  einige  Flügel  mit  Flötenwerk.  —  Sein  Sohn 
und  Schüler,  Joseph  J. ,  der  auch  bei  Walther  in  Wien  längere  Zeit  gear- 
beitet hatte,  übernahm  1807  die  väterliche  Fabrik,  deren  Flügel  und  Forte- 
pianos  auch  unter  seiner  Leitung  noch  lange  sehr  geschätzt  und  gesucht  waren. 

Jones,  Edward,  trefflicher  englischer  Harfenspieler  und  gelehrter  Forscher 
und  Sammler  auf  dem  Gebiete  der  Nationalmusik  von  Wales,  stammte  aus 
einer  sehr  musikalischen  Familie  und  wurde  1752  auf  einer  Farm  (Henblas 
genannt)  in  der  Gi'afschaft  Merionetsh  geboren.  Von  seinem  Vater  frühzeitig 
im  Harfenspiel  unterrichtet,  entwickele  er  als  geborenes  Musiktalent  sehr  s^phnell 
eine  bedeutende  Meisterschaft  auf  der  wallisischen  Harfe,  welche  ihm  ermög- 
lichte, sich  schon  in  jugendHchem  Alter  einen  ausgebreiteten  Ruf  in  dem  ganzen 
Lande  zu  erwerben.  Im  Anfang  der  1780er  Jahre  ging  J.  nach  London,  wo 
es  ihm  gelang,  sich  zu  einem  der  geschätztesten  und  rresuchtcsten  Lehrer 
eniporzuscbwingen  und  in  die  Kreise  der  hohen  Aristokratie  gezogen  zu  werden. 
Im  J.   1788  ernannte  ihn  der  Prinz  von  Wales,  spätere  König  Georg  IV.,  zu 


Jones.  475 

seinem  »Hofbarden«.  J.'s  Hauptverdienst  besteht  jedenfalls  in  der  Herausgabe 
des  gelehrten,  für  die  Geschichte  der  walliser  Nationalmusik  überaus  wichtigen 
Sammelwerks  yBelicks  of  the  welsli  hards  etc.n ,  von  welchem  1789  der  erste 
Band,  1820  der  zweite  und  die  erste  Hälfte  des  dritten  Bandes  in  London 
erschienen  ist.  Es  war  ihm  leider  nicht  vergönnt,  dieses  umfangreiche  und 
interessante  Werk,  die  Frucht  vierzigjähriger  eingehender  Forschungen,  zu 
Ende  zu  bringen,  da  ein  Herzschlag  ihn  plötzlich  zu  London,  im  April  1824, 
dahinraffte.  Fr. 

Jones,  Griffith,  englischer  Literator,  lebte  zu  Anfang  des  19.  Jahrhun- 
derts zu  London  und  war  einer  der  Mitarbeiter  an  der  y>Encyelopaedia  Lon- 
dinensisa,  die  u.  A.  einen  Artikel  von  ihm,  die  Musikgeschichte  behandelnd, 
enthält.  Derselbe  erschien  später  selbstständig  unter  dem  Titel  y>A  history 
of  the  origin,  progress  of  theoretical  and  practical  music«  (London,  1819)  und 
deutsch  übersetzt  und  mit  Anmerkungen  versehen  von  Mosel  unter  dem  Titel 
»Geschichte  der  Tonkunst«   (Wien,  1821). 

Jones,  John,  englischer  Tonkünstler  der  letzten  Hälfte  des  18.  Jahr- 
hunderts, war  1784  einer  der  Unterdirektoren  bei  der  grossen  Gedächtnissfeier 
Händel's.  In  Preston's  Catalog  von  1797  finden  sich  unter  seinem  Namen 
sechs  Ciaviertrios  verzeichnet,  die  wahrscheinlich  ihn  zum  Componisten  haben. 
Jones,  Philipp,  englischer  Ciavierbauer,  lebte  um  1700  zu  London  und 
genoss  eines  in  England  weitverbreiteten  Rufes. 

Jones,  Bobert,  berühmter  englischer  Lautenvirtuose  und  Compouist  für 
sein  Instrument,  lebte  zu  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  zu  London.  Man 
kennt  noch  von  ihm  ausser  einzelnen  Stücken,  die  sich  in  dem  Sammelwerk 
-»Triumph  of  Orianav.  (London,  1601)  und  in  der  y>Musica  antiqum  von  Smith 
befinden:  vier  Bücher  zwei-  bis  vierstimmiger  Gesänge  mit  Lauten-  oder 
Gambenbegleitung  nebst  Lautenstücken,  betitelt  »^  musical  dreamv.  (London, 
1609),  sowie  fünf  Bücher  Gesänge  mit  Lauten-  oder  Bassbegleitung,  betitelt 
y>The  muse^s  garden  of  delight  etc.«.  (London,  1611). 

Jones,  William,  ist  der  Name  von  drei  um  die  Tonkunst  verdienten 
Engländern.  Der  älteste  derselben,  geistlichen  Standes,  geboren  1726  in 
Northumberland  und  gestorben  am  7.  Febr.  1800  zu  London,  war  ein  tüchtiger 
Literator  und  Musikdilettant.  Er  schrieb  u.  A.:  y>Physiologieal  dlsqidsitions  or 
discourses  on  the  natural  philosophy  of  the  elemenfs,  on  matter,  on  motion,  an  fire, 
011  air,  on  sound  and  music  etc.a  (London,  1771;  2.  Aufl.  1781).  Ein  anderer, 
ebenfalls  Geistlicher,  geboren  um  1740  in  der  Grafschaft  SufFolk  und  gestorben 
1798  zu  London,  schrieb  viele  Kirchensachen,  sowie  das  theoretische  Werk 
nA  treatise  on  the  art  of  music  etc.«.  (Colchester,  1784;  2.  Aufl.  mit  verän- 
dertem Titel,  London,  1786).  Der  dritte  und  berühmteste  zählt  zu  den  grössten 
(3rientalisten.  Geboren  am  28.  Septbr.  1746  zu  London,  lebte  er  lange  als 
vielbeschäftigter  Rechtsgelehrter  in  seiner  Vaterstadt,  immer  eifrig  mit  dem 
Studium  der  morgenländischen  Literatur  beschäftigt.  Seinen  Lieblingswunsch, 
den  Orient  zu  bereisen,  berücksichtigend,  sowie  besonders  seiner  gründlichen 
Kenntniss  der  arabischen,  persischen,  chinesischen,  indischen,  portugiesischen 
und  spanischen  Sprache  wegen  ernannte  ihn  die  englische  Regierung  1783  zum 
Oberrichter  in  Kalkutta  und  erhob  ihn  zugleich  in  den  Ritterstand.  Als  solcher 
starb  er  daselbst  am  27.  April  1794.  Wichtig  für  die  Musik  wurde  seine 
Abhandlung  über  die  Tonarten  der  Inder  (^on  the  musical  modes  of  the  Ilindusa), 
zuerst  erschienen  im  dritten  Bande  der  nÄsiatic  researchesa  der  von  ihm  1784 
gegründeten  Asiatischen  Gesellschaft  in  Kalkutta,  und  auch  in  der  vollstän- 
digen Ausgabe  seiner  Schriften  (6  Bde.,  London,  1799)  befindlich.  Es  ist 
dies  diejenige  Schrift,  auf  die  in  dem  Artikel  »Indien«  dieses  AVerks  öfter  ver- 
wiesen ist,  da  sie  das  Beste  enthält,  was  wir  über  das  Tonsystem  der  Inder 
besitzen.  Job.  Friedr.  H.  v.  Dalberg  hat  dieselbe  1792  ins  Deutsche  übersetzt 
und  unter  dem  Titel  »lieber  die  Musik  der  Inder.  Eine  Abhandlung  des  Sir 
William  Jones,    übersetzt,    mit    erläuternden  Anmerkungen    und  Zusätzen    be-< 


476  Jongleurs. 

gleitet«  (Erfurt,  1802)  herausgegeben.  Auch  in  den  von  J.  für  die  Asiatische 
Gesellschaft  herausgegebenen  r>Asiatic  miscellanya  (3  Bde.,  Kalkutta,  1785  bis 
1788)  befindet  sich  vieles  für  die  indische  Musikgeschichte  Wichtige.  In  einem 
r>Essay  on  the  arts<i,  enthalten  in  den  nPoems  consisting  cMeßy  of  translations 
from  the  asiatic  languagea  (London,  1773,  und  deutsch,  Altenburg,  1774),  leitet 
er  die  Wirkung  der  Musik  nicht  aus  ihrer  Kraft,  Sitten  nachzuahmen,  sondern 
aus  dem  Mitgefühl  her. 

Joiig'leurs  (französ.,  von  dem  raittellatcin.  joculator,  provengal.:  joglar,  jog- 
lador,  altfranzös.:  jouglere  oder  jougleor)  hiessen  bei  den  Provengalen  und  Nord- 
franzosen die  Spielleute  von  Profession,  zum  Unterschiede  von  den  gelehrten 
und  höfischen  Kunstdichtern,  den  Trobadors  (s.  d.)  und  Trouveres  (s.  d.) 
im  engeren  Sinne.  Diese  letzteren  hatten  meist  J.  in  ihren  Diensten,  um  ihre 
Lieder  vorzutragen  und  zugleich  auf  einem  Instrumente  zu  begleiten;  denn 
höfische  Kunstdichter  sangen  wohl  mitunter  selbst  ihre  Lieder,  hielten  es  aber 
für  unanständig,  sich  zugleich  auch  auf  einem  Instrumente  dazu  zu  begleiten. 
Auch  die  Könige,  die  grossen  und  kleinen  Herren  hielten  an  ihren  Höfen 
solche  Spielleute,  die,  wenn  sie  zugleich  selbst  Dichter  waren,  mit  Rücksicht 
auf  ihr  Verhältniss  als  dienende  Hofkünstler  in  Nordfrankreich  Menestrels, 
in  England  Minstrels  hiessen.  Endlich  gab  es  auch  ganz  herrenlose  J.,  fah- 
rende Sänger,  die  sich  nicht  blos  an  den  Höfen  und  in  den  Burgen  in  adlicher 
Gesellschaft,  sondern  auch  auf  Märkten  und  in  Schenken  unter  dem  Volke 
herumtrieben,  wie  die  Tahoureurs,  d.i.  Trommler,  die  Bänkelsänger  der  Dorf- 
scheuken, das  letzte  Glied  dieser  Sänger-  und  Musikantenschaar.  So  trieben 
die  J.,  ausser  ihrer  ursprünglichen  Beschäftigung  als  Spielleute,  auch  das  Ge- 
werbe von  Erzählern  oder  Vorträgern  blos  gesagter  Gedichte  und  hiessen  als 
solche  Fableors  oder  Contaires,  ja  sie  waren  auch  oft  zugleich  Seiltänzer, 
Taschenspieler  und  Gaukler,  wie  es  in  der  ursprünglichen  Bedeutung  des 
Stammwortes  jocus,  jocularis,  joculator  angezeigt  wird,  führten  weibliche  Kunst- 
genossinnen (Jongleresses)  und  abgerichtete  Thiere  mit  sich  und  gaben  über- 
haupt gymnastisch -mimische  Vorstellungen,  sogar  schon  eine  Art  dramatisch 
dargestellter  komischer  Scenen  oder  Zänkereien,  Witz-  und  Bäth  sei  spiele  (Jong- 
leries  oder  Biotes)]  auch  Hessen  sie  sich  als  Liebesboten  und  Gelegenheits- 
macher gebrauchen. 

Dadurch  und  durch  ihre  eigene,  meist  unordentliche  Lebensweise  zogen 
sie  sich  häufig  den  Kirchenbann  und  Landesverweisung  zu  und  sanken  so  sehr 
in  der  öflfentlichen  Achtung,  dass  der  Name  Jongleur  endlich  gleichbedeutend 
mit  Possenreisser,  Lügner  und  Betrüger  wurde,  während  sie  in  früherer  Zeit 
geehrt,  reich  beschenkt  und  sogar  mit  Grundbesitz  belehnt  waren.  Jedoch 
hielten  die  Höfe  noch  lange  eigene  .Tongleursbanden,  die  dann  gewöhnlich  unter 
einem  sogenannten  Boi  des  menestrels,  Direktor  oder  Kapellmeister,  standen, 
und  in  den  Städten  bildeten  die  Spielleute  eine  besondere  Zunft  (Corporation 
des  menetriers) ,  die  durch  Ordnungen  geregelt  war.  In  Paris  hatte  diese  Ge- 
nossenschaft ihren  Hauptsitz,  wohnte  in  der  Bue  des  Jongleurs,  nachmals  St. 
Julien  des  menetriers,  beisammen  und  stand  zwar  nicht  im  Rufe  der  besten 
Sitte,  übte  aber  gleichwohl  auf  die  Kunstbildung  der  niedrigen  Volksklassen 
einen  wesentlichen  Einfluss  aus.  Die  Zahl  der  Instrumente,  deren  sich  die  J. 
bedienten,  war  bedeutend.  Als  das  wichtigste  galt  d'e  mit  dem  Bogen  behan- 
delte Viole;  auch  Harfe  und  Zither  war  bei  ihnen  sehr  beliebt.  Eine  An- 
schauung von  der  Gestalt  dieser  Instrumente,  sowie  überhaupt  von  dem  Auf- 
zug eines  J.  geben  die  Abbildungen  in  der  »Cäcilia«  Bd.  7  S.  50.  Guiraut 
von  Calanson  nennt  noch  andere  Instrumente,  deren  Bedeutung  zum  Theil  sich 
nicht  genau  feststellen  lässt,  als  Trommeln,  Castagnetten,  Symphonie,  Mandure, 
Monochord,  Rote  mit  17  Saiten,  Geige,  Psalterien,  Sackpfeife,  Leyer  und 
Pauke;  er  macht  zugleich  dem  J,  zur  Pflicht,  wenigstens  neun  Instrumente 
zu  verstehen.  Bertrand  de  Born  gedenkt  auch  der  Hörner,  Trompeten  und 
Posaunen  dieser  Spielleute. 


Ionische  Tonart  —  Jordan.  477 

In  den  Anweisungen  am  Schlüsse  altfranzösischer  Trobadorpoesien  ertheilt 
häufig  der  Dichter  seinem  dienenden  J.  auch  Vorschriften  in  Bezug  auf  den 
musikalischen  Vortrag  des  Gedichts.  Dieser  pflegte  das  Lied  nämlich  mündlich 
zu  empfangen  und  aus  dem  Gedächtniss  vorzutragen,  wiewohl  der  Verfasser  es 
meist  aufzeichnete  oder  aufzeichnen  Hess.  In  den  Anweisungen  bezüglich  der 
poetischen  Erzählungen,  welche  die  J.  vortragen  mussten  und  deren  eine  un- 
glaubliche Menge  im  Lande  verbreitet  war,  wird  ihnen  ein  grosses  Verzeichniss 
von  solchen  Erzählungen  vorgerechnet,  die  sie  innehaben  mussten,  —  "Was 
man  gegenwärtig  J.  nennt,  Tausendkünstler,  Meister  in  allen  Uebungen  der 
Körpergewandtheit  und  Aequilibristik,  bezeichnete  man  damals  mit  dem  Aus- 
druck batelors  oder  hateleurs.  Mit  der  Entstehung  dieser  Bedeutung  des  Wortes 
(schon  mit  dem  Ende  des  13.  Jahrhunderts)  hörte  aber  auch  alles  musikalische 
Interesse  der  J,  auf,  die  seitdem  darauf  verzichteten,  eine  besondere  Genossen- 
schaft zu  bilden  und  sich  von  Nordfrankreich  aus  nach  und  nach  über  die 
ganze  Erde  zerstreuten.  Die  ursprünglichen  J.  erhielten  sich  jedoch  noch 
lange  Zeit  unter  dem  Namen  Menetriers  oder  Troubadours,  den  sie  seit- 
dem endgültig  annahmen.  Vgl.  das  y^Fahliau  des  deux  Troveors  ribausa,  heraus- 
gegeben von  Robert  (Paris,  1834);  Bernhard,  »Becherches  sur  VMstoire  de  la 
Corporation  des  menetriers  de  la  ville  de  Parism  in  der  Zeitschrift  »BibliotJieqiie 
de  l'ecole  des  cliartes«  (Bd.  3  bis  5)  und  den  Aufsatz  von  Böttiger  in  der 
Abendzeitung  1820,  No.  117  ff,,  und  1823,  No.  229  ff. 

Ionische  Tonart  oder  kurzweg  ionisch  (latein.:  Modus  ionicus),  eine  und 
zwar  die  sechste  Octavgattung  der  altgriechischen  Musik,  welche  auch  iastisch 

genannt   wurde    und    folgendermaassen    aufgebaut  war:   gahcdefg.     Seit 

der  alexandrinischen  Zeit  führte  die  ionische  allgemeiner  die  Benennung  hypo- 
phrygische  Tonart  (s.  Griechische  Musik).  —  In  der  christlich  -  mittel- 
alterlichen Tonkunst  ist  der  Modus  ionicus  aus  der  ersten  Gattung  der  Quinte 
(Ift  —  Sol)  und  der  ersten  Gattung  der  Quarte  (Ut—Fa)  zusammengesetzt.  Die 
erste  Gestalt  desselben,  wo  die  Quarte  auf  dem  höchsten  Klange  des  Intervalls 
Quinte  hinzugefügt  wird,  heisst  vorzugsweise  J/bt?MS  ionicus  oder  auch  Ionicus 
authentus  (contentus).  Derselbe  ist  in  der  ersten  Octavengattung  enthalten, 
deren  Umfang  er  häufig  am  oberen  Ende  bis  zur  Terz  überschreitet.  Ge- 
wöhnlich wird  er  der  fünfte  Ton  genannt  und  nach  Sethus  Calvisius  meist  zu 
lockeren  und  ausgelassenen  Weisen  benutzt.  Daher  behauptet,  fährt  Calvisius 
fort,  dieser  Modus  durch  ganz  Europa  beim  Tanzen  fast  immer  die  Herrschaft, 
die  Tuben  stehen  in  der  Stimmung  dieses  Modus,  und  die  Soldaten  werden 
durch  Tonweisen,  welche  sich  in  demselben  bewegen,  bei  Beginn  des  Treffens 
zur  Tapferkeit  entflammt.  Dennoch  wendet  man  ihn  häufig  bei  frommen  Ge- 
sängen an,  und  zwar  ist  er  recht  passend  zu  freudigeren  Affekten,  welche,  wie 
die  folgenden  Beispiele  zeigen,  Anmuth,  gepaart  mit  Würde,  ausdrücken  sollen. 

Im  regulären  System  besteht  dieser  Modus  aus  folgenden  Klängen:  c  d  efg  a  h  c*. 

Harmonische  Beispiele  aus  den  Kirchengesängen  sind:  »Gott,  der  Vater,  wohn' 
uns  bei«;  »Herr  Jesu  Christ  war  Mensch  und  Gott«,  wo  jedoch  das  Ende  nicht 
regulär    ist.     Im    transponirten    System    weist    dieser  Modus    die    folgenden 

Klangstufen  ani:  f  g  a  b  c^  d^  e'  f^  und  als  Beispiele  sind  anzuführen:  »Ein' 
feste  Burg  ist  unser  Gott«,  »Ein  neues  Lied  wir  heben  an«  (wo  aber  das  Ende 
abweicht),  »Es  ist  das  Heil  uns  kommen  her«,  »Jesaia,  dem  Propheten  das 
geschah«,  »Vom  Himmel  hoch  da  komm'  ich  her«,  »Wer  nicht  mit  den  Gott- 
losen geht  zu  Rath«,  »Wo  Gott  zum  Haus  nicht  giebt  sein'  Gunst«.  Die 
ionische  Tonart  der  mittelalterlichen  Kunst,  in  deren  Scala,  wie  ersichtlich, 
die  beiden  halben  Töne  zwischen  der  dritten  und  vierten  und  zwischen  der 
siebenten  und  achten  Klangstufe  befindlich  sind,  entspricht  in  Folge  dessen 
unserer  modernen  Durtonart  am  meisten  und  ist  Typus  derselben  geworden. 
Jordan,  gerühmter    englischer  Orgelbauer,    lebte    um    1740    und    hatte  in 


478  Jordan  —  Josquin  Desprez. 

jener  Zeit  fast  alle  Kirchenwerke  des  Königreichs  herzustellen,  bis  ihn  Snetzler 
mehr  und  mehr  verdrängte.  —  Eine  Mrs.  J.  blühte  als  beliebte  Sängerin  um 
1796  zu  London. 

Jordan,  Hieronymus,  deutscher  Gelehrter,  geboren  zu  Anfang  des  17. 
Jahrhunderts  in  Braunschweig,  war  Professor  der  Physik  in  Göttingen  und 
veröfifentlichte  u.  A.  ein  Werk  »IIsq]  jnv  v]£tov<i,  in  dessen  66.  Capitel  er  ^n/e 
i'i  mnsicae  in  morbis  divinis  occasione  Saidi  et  ^lisaci«.  handelt. 

Jortin,  John,  englischer  Gelehrter,  geboren  am  23.  Octbr.  1698  zu  St. 
Giles  in  der  Grafschaft  Middlesex,  war  Vicar  von  Kensington  und  starb  als 
solcher  im  J.  1770.  In  seinem  f>Letter  concerning  the  music  etc.v^  behandelt  er 
vorzugsweise  die  altgriechische  Musik. 

Joseph,  Georg  (von  Hoffraann  in  seinem  Werke  »Die  Tonkünstler  Schle- 
siens« Josephi  genannt),  einer  der  vorzüglichsten  deutschen  Coniponisten 
geistlicher  Lieder,  war  um  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  Kapellmeister  des 
Fürstbischofs  von  Breslau.  Er  gab  eine  sehr  gerühmte  Sammlung  unter  dem 
Titel  »Heilige  Seelenlust,  oder  geistliche  Hirtenlieder  der  in  ihrem  Jesu  ver- 
liebten Psyche«  (Breslau,  1668;  2.  Aufl.  1697)  heraus.  Mehi'ere  von  seinen 
Melodien  sollen  noch  heute  in   der  Oberlausitz  im  Munde  des  Volks  leben. 

Joseph,  Pater,  Klostername  eines  Sohnes  des  Kapellmeisters  Schmittbauer, 
lebte  um  1790  als  Mönch  zu  Gegenbach  in  Schwaben  und  wurde  als  tüchtiger 
Componist  gerühmt. 

Josephson,  Jacob  Axel,  vortrefflicher  schwedischer  Componist,  dessen 
Werke  auch  nach  Deutschland  gedrungen  sind.  Geboren  am  27.  März  1818 
zu  Stockholm,  machte  er  seine  höheren  musikalischen  Studien  auf  dem  Cou- 
servatorium  zu  Leipzig  und  wurde  1848  als  Universitäts- Musikdirektor  in 
Upsala  angestellt.  Als  solcher  machte  er  sich  um  das  Musikleben  dieser  Stadt 
ausserordentlich  verdient,  so  dass  Upsala  es  ihm  zu  danken  hat,  wenn  es  jetzt 
zu  den  wenigen  Städten  zählt,  auf  die  sich  das  Kunstleben  in  Schweden  con- 
centrirt.  J.  steht  daselbst  dem  grossen  Studentengesangverein,  der  Studenten- 
kapelle und  dem  Philharmonischen  Verein  vor,  mit  welchen  Instituten  er  jahr- 
aus, jahrein  bemerkeuswerthe  Aufführungen  veranstaltet.  Seine  Componisten- 
thätigkeit  beschränkt  sich  im  Wesentlichen  auf  Gesangswerke,  deren  er  in 
grosser  und  kleiner  Form  eine  bedeutende  Anzahl  gesch.nffen  hat,  und  von 
denen  viele  in   Schweden  zur  Beliebtheit  gelangt  sind. 

Josephus,  griechischer  Hymuendichter,  lebte  um  850  n.  Chr.  in  Konstanti- 
nopel und  hat  gegen  40  geistliche  Lieder  für  die  morgenländische  Kirche  ver- 
fasst,  deren  Tonweisen  ihm  ebenfalls  zugeschrieben  werden.  —  Ein  älterer 
Zeitgenosse  von  ihm  gleichen  Namens,  mit  dem  Beinamen  Studitax,  war  zu 
Anfang  des  9.  Jahrhunderts  Erzbischof  zu  Thessalonich  und  wird  als  sehr  er- 
fahrener Musiker  gerühmt. 

Josquiu  Desprez  oder  des  Pres,  latinisirt  Jodocus  Pratensis  oder 
a  Prato,  italienisirt  Giosquino  del  Prato,  zuweilen  auch  Jossien  oder 
Jusquin  genannt,  vielleicht  der  grösste,  jedenfalls  der  bewundertste  Contra- 
punktist  der  vorpalestrina'schen  Zeit  und  der  merkwürdigste  Schüler  Ocken- 
heira's,  war  weder  zu  Cambray  geboren,  noch  aus  dem  Hennegau  gebürtig, 
sondern  ein  Picarde  und  um  1440  zu  Vermand  bei  St.  Quentin  geboren. 
Gegenüber  seiner  Berühmtheit,  den  trotzdem  sehr  unzuverlässigen  Nachrichten 
über  sein  Geburts-  und  Todesjahr,  sowie  über  seine  Herkunft,  stritten  sich 
Niederländer,  Deutsche,  Franzosen  und  Italiener  um  die  Ehre,  ihn  den  Ihrigen 
nennen  zu  dürfen.  Für  welchen  Landsmann  man  Alles  diesen  grossen  Meister 
hielt,  der  jetzt  unangefochten  als  Niederländer  gelten  darf,  und  wie  man  ver- 
schiedentlich aus  Sagen  und  Verrauthungen  seine  Lebensgescbichte  construirte, 
das  kann  aus  Gerber's  neuem  »Lexicon  der  Tonkünstler«  (Leipzig,  1812)  und 
Fetis'  y>Bio(jraphie  universellea  zur  Genüge  ersehen  werden.  Als  wahrscheinlich 
darf  gelten,  dass  Josquin  (welchen  Namen  Fetis  für  den  Vornamen,  aus  dem 
flamändischen  .lossekin  zusammengezogen,  hält)    in    seiner  Jugend    als   Sänger- 


Josselin  —  Joubert.  479 

knabe  an  das  Collegiatstift  in  St.  Quentin  kam,  und  dass  er  nach  seinem 
Stimmeuwechsel  in  die  Musikscliule  Ockenheim's  ging,  um  den  Contrapunkt  zu 
etudiren  (um  1455),  worauf  er  wieder  nach  St.  Quentin  zurückkehrte  und  so 
lange  als  Lehrer  dort  blieb,  bis  er  unter  Papst  Sixtus  IV.  (1471  bis  1484 
regierend)  einen  Ruf  an  die  sixtinische  Kapelle  erhielt,  um  den  Italienern  die 
neue  Kunst  zu  lehren,  dem  er  folgte.  In  Rom  entfaltete  er  so  eminente  Ta- 
lente, dass  Eaini  in  seinem  Werke  über  Palestrina  von  ihm  sagt:  »Er  war  in 
kui-zer  Zeit  das  Ideal  von  ganz  Europa  geworden  ....  Seine  Compositioneu 
verdrängten  in  den  Capellen  bald  Alles,  was  vor  ihm  da  wara.  Von  Rom 
nach  langjährigem  Aufenthalte  (während  welchem  er  nach  Eetis  auch  bei  dem 
Herzog  Hercules  I.  von  Ferrara  in  Diensten  gestanden  haben  soll)  begab  sich 
J.  nach  Cambray  und  wurde  vom  König  Ludwig  XII.  von  Frankreich  (jedoch 
nicht  vor  1498)  zum  ersten  Sänger  an  seiner  Kapelle  berufen.  Er  starb  als 
Domprobst  des  Capitels  von  Conde  am  27.  Aug.  1521.  Dass  er  nicht  schon 
1501  gestorben  sein  kann,  wie  Ferne  behauptet,  beweist  der  Umstand,  dass 
sein  Lehrer  Ockenheim  1512  noch  lebte  und  J.  eine  Nänie  auf  ihn  in  Musik 
setzte,  die  I'orkel  unter  dem  Titel  »La  dejjloration  de  Jolian  OcJcenheim  ä  cinq 
partiesd  mittheilt.  Ob  J.  wirklich  in  den  Diensten  Ludwig's  XII.  gestanden 
habe  und  nicht  vielmehr  in  denen  des  römisch-deutschen  Kaisers  Maximilian  I., 
dessen  Kapellmeister  er  auch  von  Lucas  Lossius  genannt  wird,  ist  einiger- 
maassen  zweifelhaft.  Uebrigens  liest  man  auch  auf  einigen  seiner  Werke  den 
letzteren  Titel,  namentlich  auf  einem  1520  zu  Augsburg  mit  in  Holz  geschnit- 
tenen Formen  gedruckten  Motettenwerke.  Wenn  übrigens  unter  den  italienischen 
Liedercomponisten  ein  Josquin  (Giosquino)  d'Ascanio  mit  J.  Desprez 
identificirt  wird,  so  widerlegen  die  leichtfertigen  Arbeiten  des  ersteren,  wahr- 
scheinlich eines  Pseudonymus,  leicht  diese  Annahme;  des  letzteren  contrapunk- 
tische  Sätze  waren  stets  Meisterstücke  und  als  Muster  anerkannt.  J.  hatte 
bis  zu  seinem  Ende  viele  Schüler,  wie  Mouton,  Arcadelt,  Gombert,  Heinr.  Isaac 
u.  s.  w. ,  und  hinterliess  zahlreiche  Compositionen,  die  den  damaligen  Flor  der 
niederländischen  Schule  bekunden.  Forkel,  Burney,  Hawkins  und  nach  ihnen 
Kiesewetter  bringen  mancherlei  Compositionen  von  ilim,  und  Gerber,  noch  mehr 
Fetis  liefern  das  bis  jetzt  vollständigste  Verzeichniss  seiner  gedruckten  und  im 
Manuscript  vorhandenen  Werke.  Diese  bestehen  in  Messen,  Motetten,  Psalmen 
und  sonstigen  Kirchengesängeu.  Viele  seiner  Manuscripte  besitzt  die  päpstliche 
Kapelle,  z.  B.  mehr  als  20  Messen  und  eine  Menge  Motetten.  Die  Proske'sche 
Bibliothek  bewahrt  von  ihm  neun  Messen  und  viele  Motetten,  Psalme  (darunter 
den  24 stimmigen  y>Qui  hahitat  in  adjuiorioit),  sowie  die  Codices,  aus  denen  Proske 
eigenhändig  diese  Compositionen  in  Partitur  brachte. 

Josseliu;  N.,  französischer  Kirchencomponist  der  zweiten  Hälfte  des  17. 
Jahrhunderts,  war  Musikmeister  des  .lesuitenstifts  in  der  Jacobstrasse  zu 
Paris  und  liess  1682  ein  Te  deum  seiner  Composition  aufführen,  welches  sehr 
gelobt  wurde. 

Jossieu,  s.  Jos  quin. 

Jota  arragrouesa  nannten  die  Spanier  zu  Ende  des  17.  Jahrhunderts  einen 
nationalen  Tanz,  welcher  von  drei  Personen  ausgeführt  wurde.  Während  des 
Tanzes  sangen  die  Ausführenden  Lieder,  die  gewöhnlich  aus  H-moll  oder  G-dur 
gingen.  Dies  ist  ziemlich  Alles,  was  man  über  diesen  Tanz  weiss,  der  sich 
übrigens  im  Bühnenballet  bis  auf  die  neueste  Zeit  erhalten  hat.  0. 

Joubert,  geachteter  französischer  Componist,  war  in  der  zweiten  Hälfte 
des  18.  Jahrhunderts  Organist  an  der  Kathedrale  zu  Nantes  und  brachte  1776 
im  Conceri  spirituel  zu  Paris  sein  Oratorium  »ia  ruine  de  Jerusalem  ou  le 
triomphe  du  chrktianismevi ,  1778  dagegen  in  Nantes  seine  Operette  »La  force 
de  rhabitude«  zur  Aufführung.  Im  J.  1793  war  er  noch  am  Leben.  —  Glei- 
chen Namens  kennt  man  einen  französischen  Violinisten,  der  um  1690  im 
Oi-chester  der  Grossen  Oper  zu  Paris  angestellt  war  und  für  einen  der  besten 
Schüler  LuUy's  galt. 


480  Joubert  de  la  Salette  —  Jouy. 

Jonbert  de  la  Salette,  s.  La  Salette. 

Jouglet,  ein  Sänger  und  Spielmann,  lebte  um  die  Mitte  des  14.  Jahr- 
hunderts und  stand  in  Diensten  des  Kaisers  Conrad  IV.  Vorzüglich  soll 
er  sich  durch  sein  Spiel  auf  der  Vielle  und  durch  seine  Liedercompositionen 
ausgezeichnet  haben. 

Joang:,  Matthew,  englischer  Physiker  des  18.  Jahrhunderts,  lebte  zu 
London  und  gab  daselbst  heraus:  y>An  enquiry  into  the  principal  phaenomena 
of  Sounds  and  musical  strin(js<.i.  —  Bekannter  ist  sein  Landsmann  ^Villiam  J., 
ein  Musiker,  der  um  1650  in  den  Diensten  des  Erzherzogs  Ferdinand  Karl 
von  Oesterreich  stand  und  von  seiner  Composition  Sonaten  und  Canzonen 
für  3,  4  und  5  Instrumente  (1653),  sowie  gleichzeitig  nBalletti  a  trev.  (slro- 
menti)  veröflfentlicht  hat. 

Jourdan,  Jean  Baptiste,  französischer  Schriftsteller,  geboren  am  20. 
Decbr.  1711  zu  Marseille  und  gestorben  am  7.  Jan.  1793  zu  Paris,  nahm  an 
der  Polemik  der  Anhänger  der  italienischen  gegen  die  französische  Musik  in 
drei  1753  zu  Paris  erschienenen  Schriften  Theil. 

Journet,  Francisque,  berühmte  französische  Opernsängerin,  geboren  um 
1680  zu.  Lyon  und  dort  auch  künstlerisch  ausgebildet,  glänzte  zu  Anfang  des 
18.  Jahrhunderts  als  Primadonna  der  Grossen  Oper  zu  Paris.  Im  J.  1720 
mit  einem  ansehnlichen  Ruhegehalte  entlassen,  starb  sie  bereits  1722  zu  Paris. 
Ihre  Stimme  wird  als  selten  schön,  ihre  Erscheinung  als  edel,  ihre  Darstellung 
als  trefflich  und  ihr  Vortrag  als  so  ergreifend  und  rührend  geschildert,  dass 
sie,  namentlich  in  zärtlichen  Rollen,  stets  den  tiefsten  Eindruck  hervorrief. 

Jonsse,  J.,  französischer  Tonkünstler,  geboren  1760  zu  Orleans,  siedelte 
1789  nach  London  über,  wo  er  als  stark  beschäftigter  Musiklehrer  wirkte  und 
verschiedene  didaktisch- theoretische  Werke,  nämlich  Schulen  für  Ciavier, 
Violine,  Gesang,  Generalbass  u.  s.  w.  herausgab.  Er  starb  am  19.  Jan.  1837 
zu  London. 

Jouve,  Elzear  Marie,  geschickter  französischer  Componist,  geboren  am 
12.  Febr.  1805  zu  Apt  im  Departement  Vaucluse,  erhielt  daselbst  seine  musi- 
kalische Elementarbildung  und  trat  später  in  das  Conservatorium  zu  Paris,  wo 
Berten  in  der  Composition  und  Fetis  im  Contrapunkt  seine  Lehrer  wurden. 
Als  reif  endlich  entlassen,  wurde  er  als  Orchesterchef  des  Theaters  nach  Strass- 
burg  berufen  und  liess  dort  1827  die  Oper  »ie  dissipateur  Sans  aryeJiU  und 
1829  eine  Messe  auflFühren,  welche  ihm  Beifall  eintrugen.  Ein  Jahr  später 
ging  er  gleichfalls  als  Theaterkapellmeister  nach  Carpentras,  von  dort  nach 
Avignon  und  liess  sich  endlich  bleibend  in  Apt  nieder,  woselbst  er  Musik- 
unterricht ertheilte.  Ausser  der  erwähnten  Messe,  die  im  Druck  erschien,  hat 
er  noch  andere  Kirchenstücke  und  für  das  Strassburger  Theater  die  Musik 
zu  dem  Drama  »Ze  seigneur  et  Vintendanta  geschrieben.  —  Sein  Zeit-  und 
Namensgenosse  ist  Esprit  Gustave  J.,  gleich  bedeutend  als  Archäologe, 
Componist  und  musikalischer  Schriftsteller.  Derselbe,  geboren  am  1.  Juni  1805 
zu  Buis  im  Departement  Dröme,  wurde  Priester  und  erhielt  1839  ein  Canonicat 
an  der  Kathedralkirche  in  Valence.  Ausser  vielen  anderen  AVerken  hat  er, 
speciell  die  Tonkunst  berührend,  veröffentlicht:  y>Etude  historique  et philosophique 
siir  les  i)ri7icipales  ecoles  de  composition  musicale  en  Europe  de  1350  ä  la  pre- 
miere  moitie  du  XVII.  siecle<i  (ßeunes,  1855);  n Philosophie  du  chantv.  (ebendas., 
1855);  riDictionnaire  d'esthetique  chretienne,  ou  theorie  du  beau  dans  Vart  etc.a 
(Paris,  1856);  »Lettres  sur  le  mouvement  liturgique  romain  en  France  durant 
le  XIX.  sieclea  (Paris,  1858).  Von  seinen  Compositionen  können  einige  drei- 
stimmige Messen  mit  Orchester  und  Orgel  genannt  werden. 

Jony,  Victor  Joseph  Etienne  de,  geistvoller  französischer  Bühnen- 
dichter der  classischen  Schule,  geboren  1769  in  dem  Flecken  Jouy  unweit 
Versailles,  in  welcher  letzteren  Stadt  er  seine  wissenschaftlichen  Studien  machte. 
Er  widmete  sich  dem  Militärdienst  und  brachte  es  bis  zum  Chef  des  General- 
stabs der  pariser  Armee  (1794),    worauf   er    seinen  Abschied    nahm,    um  sich 


Jovaiielli  -    Irato. 


481 


ausschliesslich  mit  der  Literatur  zu  beschäftigen.  Im  J.  1815  wurde  er  Mit- 
glied der  französischen  Akademie.  Unter  seinen  dramatischen  Leistungen  fanden 
seine  Operndichtungen  eine  besonders  günstige  Aufnahme;  dies  gilt  vorzüglich 
von  y)La  vestalea  (1807)  und  »Ferdinand  Cortez«  (1809  mit  Esraenard  ge- 
schrieben), die  beide  von  Spoutini  componirt  wurden,  obwohl  die  erstere  eigens 
für  Boieldieu  bestimmt  war,  ferner  von  »Les  hayaderesa  (1810),  componirt  von 
Catel,  y>Les  amazones  ou  la  fondation  de  Tkebes«  (1812),  componirt  von  Mehul, 
y)Les  Ähencerragestf.  (1813),  componirt  von  Cherubini,  und  y>Guülaume  Telia 
(1829  mit  Bis  geschrieben),  componirt  von  Rossini.  Eine  Gresammtausgabe  der 
Schriften  J.'s  erschien  in  27  Bänden  (Paris,  1823  bis  1828). 

Jovauelli,  s.  Giovanelli. 

Jozzi,  Giuseppe,  italienischer  Sänger  und  fertiger  Ciavier  spiel  er,  über- 
haupt ein  guter  Musiker,  geboren  um  1720,  war  schon  früh  entmannt  und  ge- 
sanglich ausgebildet  worden.  Im  J.  1746  war  er  in  London,  wo  er  u.  A.  in 
Gluck's  Oper  »Xa  caduta  c/e'  gigantia.  auftrat.  Jedoch  nicht  sowohl  als  Sänger, 
wie  vielmehr  als  Ciavierspieler  machte  er  Aufsehen.  Er  hatte  Alberti's  be- 
rühmte Sonaten  mitgebracht  und  Hess  sie  als  seine  eigenen  Compositionen 
drucken,  musste  es  aber  erleben,  dass  dieser  Betrug  entdeckt  und  seine  bis- 
herige glänzende  Stellung  in  Folge  davon  unhaltbar  wurde.  J.  wandte  sich 
nach  Holland  und  nahm  um  1760  seinen  bleibenden  Wohnsitz  in  Amsterdam, 
wo  er  öesangunterricht  ertheilte.  Auch  dort  Hess  er  1761  ein  Heft  Ciavier- 
sonaten erscheinen,  die  aber  allem  Vermuthen  nach  wieder  nicht  von  ihm,  son- 
dern ebenfalls  von  A.lberti  waren.  Sein  Todesjahr  ist  unbekannt,  fällt  aber 
wahrscheinlich  in  die   1770  er  Jahre. 

Iperen,  Josua  van,  holländischer  Geistlicher,  war  zuerst  Prediger  zu 
Veere  in  Holland,  wurde  um  1770  als  Seelsorger  in  Batavia  angestellt,  woselbst 
er  zugleich  das  Secretariat  der  gelehrten  Gesellschaft  versah,  und  starb  1780 
zu  Batavia.  Er  verfasste  und  veröffentlichte  folgende,  das  musikalische  In- 
teresse angehende  Schriften:  »Von  den  Wechselgesängen  der  Heiden  und  Juden« 
(1774);  yiKirlcelyTce  Historie  van  Jiet  Fsahn  Gezang  der  Ghristenen  van  de 
dagen  der  Apostelen  tot  op  onzen  tege?nvoordigen  tyd  etca  (2  Bde.,  Amsterdam, 
1777,  1778). 

Irak  heisst  eine  Tonart  in  der  persischen  Musik,  deren  Grundklänge  un- 
gefähr den  Tönen 


:s:  t^"'^ 


-1^ 


unserer  Scala  entsprechen.  Wie  man  sieht,  ist  diese  Tonfolge  neunstufig  in 
der  Octave.  Der  siebente  uud  achte  Ton  werden  jedoch  nicht  in  unserem 
chromatischen  Geiste  in  einer  Melodie  angewandt,  sondern  es  gilt  die  Regel, 
dass,  erhebt  sich  die  Melodie  nur  bis  zur  siebenten  Stufe,  im  Niedergange 
stets  die  Septime  (s.d.) 


^E^ 


=3-= 


^-=^ 


::t=:1: 


l 


genommen  werden  muss;  geht  die  Tonweise  jedoch  bis  zur  neunten  Stufe 
(unserer  Octave),  so  fordert  das  Gesetz,  im  Niedergange  unsere  Siebente 
(s.  d.),  d.  i.  die  achte  Stufe  der  persischen  Scala  L,  zu  setzen: 


^^^^~ 


i1=l= 


0. 


Irato  (ital.),  Vortragsbezeichnung  in   der  Bedeutung  zornig,  heftig  erregt, 
wofür  auch  con  ira  stehen  kann. 


MiiRÜ'nl.  Oonvers. -Lexikon.    ,V. 


.31 


482  Irgang  —  Irland, 

Irgaug,  David,  einer  der  geschicktesten  deutschen  Orgel-  und  Ciavier- 
spieler des  18.  Jahrhunderts,  geboren  am  4.  Decbr.  1707  zu  Rottenburg  an 
der  Oder,  bereitete  sich  auf  der  Schule  zu  Lauban  für  die  Theologie  vor  und 
versah  sjDäter  die  Stelle  eines  Privatlehrers  zu  Märzdorf.  Besonders  waren 
sein  fertiges  Spiel  und  sein  Musikunterricht  geschätzt.  Wirklicher  Schullehrer 
wurde  er  erst  1742  und  ein  Jahr  später  Cantor  und  Organist  in  Kaiserswaldau, 
wo  er  am  22.  April  1776  starb. 

Irgang,  Wilhelm,  deutscher  Gesangcomponist  und  musikalischer  Pädagog, 
geboren  am  23.  Febr.  1836  zu  Hirschberg  in  Schlesien,  besuchte  1855  das 
Schullehrer -Seminar  zu  Alt -Döbern,  ging  aber  dann,  von  dem  Wunsche  er- 
griflFen,  sicli  gänzlich  der  Musik  zu  widmen,  nach  Berlin,  wo  er  Aufnahme  im 
königl.  Institute  für  Kirchenmusik  fand  und  Schüler  A.  W.  Bach's  und  GrelUs 
wurde.  Um  1860  erhielt  er  einen  Buf  an  die  Lehranstalt  von  Procksch  in 
Prag,  dem  er  folgte,  worauf  er  in  Görlitz  1863  selbstständig  eine  Musikschule 
begründete,  die  bald  gut  besucht  war.  Als  Pianoforte-,  Gesang-  und  theore- 
tischer Lehrer  war  I.  ausgezeichnet  und  sehr  geschätzt.  Veröffentlicht  hat  er 
didactische  Ciavierstücke  und  Lieder,  sowie  einen  treflflichen  »Leitfaden  der 
allgemeinen  Musiklehre  für  Musikinstitute,  Seminare  und  zum  Selbstunterricht« 
(Görlitz,  1865;  3.  Aufl.  1867). 

Irhove,  Wilhelm,  holländischer  Theologe,  war  zuerst  Prediger  zu  Eden 
in  der  Provinz  Geldern,  dann  seit  1737  Professor  an  der  Universität  zu  Utrecht 
und  starb  daselbst  im  J.  1761.  Er  schrieb  u.  A.  eine  grössere  Abhandlung, 
betitelt:  i>Ooniectanea  philologico-critico-theologica  in  psalmorum  titulos  etc.a  {Lug- 
duni  Batav.,  1728),  in  welcher  er  Untersuchungen  über  die  in  den  Psalmen- 
überschriftcn  angezogeneu  zweifelhaften  Ausdrücke,  wie  »Neginoth«,  »Hanne- 
chiloth«,  »Hascheminith«,  »Schiggajon«  u.  s.  w.  anstellt. 

Irland.     Irische  Musik.     Die  irische  Insel,   von  den  Iren   Er  in    genannt, 
dies  grüne  Eiland  im  atlantischen   Ocean,    besitzt    bis  heute  noch  musikalische 
Kuustschöpfungen  eigenthümlichor  Art,  die,  sich  von  denen  der  übrigen  abend- 
ländischen Musik  durchaus  unterscheidend,  nur  als  letzte  Ausläufer  einer  sehr 
frühen  Cultur  anzusehen  sind.     Das  Volk  der  Iren,    welches    in   jüngster  Zeit 
so  vielfach  allgemeiner  die  Aufmei'ksamkeit  auf  sich  gelenkt  hat,  ist  ein  Zweig 
der  grossen  Völkerfamilie,    welche  wir   gewöhnlich    unter    dem  Namen  Kelten 
(s.  d.)  zusammenfassen.     Die  Sage  berichtet  von    dieser  Völkerfamilie,    wie  der 
entsprechende  Artikel  nachweist,  dass  sie  diesseits  der  grossen  Tiefebene  Asiens, 
Medien,  sich  wahrscheinlich  von  den  dort  weilenden  Ariern  in  sehr  früher  Zeit 
abzweigte  und   kühn    zum    fernen  Westen  wanderte,    bis    das  Meer  ein  »Halt« 
gebot.     Der  Wanderdrang  dieses  Volkes  jedoch  war    auch   hier  noch   nicht  ge- 
stillt, sondern  es  trieb  nun  Zweige    desselben    einentheils    südlich    und    zurück 
bis  nahe  der  Urheimath,  wie  die  Iberer  in  Spanien  und  die  Galater  in  Klein- 
asien als  äusserste   Theile    bekunden;    anderntheils    breitete    es    sich    über   den 
Kanal  hin  über  I.,  England  und   Schottland  aus.     In   Schottland,  in  viele  ein- 
zelne Stämme  zerfallen,  welche,  durch  hohe  Gebirge  getrennt,  dauernd  gefesselt 
blieben,  haben  sich  Stammeseigenthümlichkeiten,  wie  die  überbrachte  musikalisclio 
Kunst  u.  A.,  noch  bis  in  die  neuere  Zeit  hin  bewahrt,  während  in  I.  man  wohl 
die  alte  Kunst  zu    bewahren    strebte,    diese    jedoch  viel  weniger  von  anderwei- 
tigen Einflüssen  frei  zu  halten  vermochte.     Die  Absonderung  dieses  Stammtheils 
der  Kelten,  der  Iren,  ist  nach  der  der  Kelten  von  den  Ariern   erst  sehr  neueren 
Datums.     Man  nimmt  an,  dass  ungefähr  600  v.  Chr.  die  Kelten  von  I.  Besitz 
nahmen  und  sich  ein   Theil  derselben,    später  Iren  genaimt,    dort   dauernd  an- 
siedelte.    Geschichtlich  spricht  erst  Julius  Agricola,  welcher  in  Britannien  von 
einem  irischen  Häuptling  über  das  Innere  I.s  Kunde  erhielt,  über  dies  Eiland, 
82  n.  Chr.,    und  weiterhin  versuchten  die  Römer    auch    dies  Land  ihrer  Herr- 
schaft zu  unterwerfen.     Dies    gelang    ihnen    jedoch  nicht,    und  wissen  wir  nur 
ferner,  dass  im  3.  Jahrhundert  n.  Chr.  I.  in  fünf  Reiclie  getheilt  war,  die  von 
eingebornen  Herrschern    regiert  wurden.     Im  4.  Jahrhundert    bemächtigte   sich 


Irland.  .  433 

wieder  so  sehr  der  Geist  der  Unruhe  der  Iren,  dass  sich  Glieder  derselben 
als  Seeräuber  unter  dem  Namen  Picten  den  nahen  Küstenländern,  besonders 
England,  furchtbar  machten.  Erst  der  Apostel  Patrik,  430,  führte  durch  Be- 
kehrung der  Iren  zum  Christenthume  dieselben  zu  milderen  Sitten,  und  es 
wandte  sich  nun  die  Urkraft  dieses  Menschenstammes  mehr  friedlichen  An- 
strengungen zu,  die  das  Land  zu  einer  staatlichen  Blüthe  brachten,  welche  im 
9.  Jahrhundert  in  Europa  vielfach  die  Aufmerksamkeit  auf  dasselbe  zog.  Da- 
rauf war  bis  zu  Ende  des  10.  Jahrhunderts  I.  und  Schottland  ein  Reich,  das 
erst  durch  König  Malcolm  II.  getrennt  wurde.  Ersteres  wurde  bis  ins  12.  Jahr- 
hundert hin  bald  mehr,  bald  weniger  der  Gegenstand  angelsächsischer  Erobe- 
rungssucht, bis  es  endlich  gänzlich  unter  englische  Botmässigkeit  gerieth,  die 
durch  eine  Bulle  des  Papstes  Hadrian  II.  im  J.  1156  selbst  eine  kirchliche 
Sanktion  erhielt. 

Die  Iren  wurden  von  den  Eroberern  anhaltend  sehr  hart  behandelt.  Dies 
Joch,  welches  den  freiheitliebenden,  kräftigen  Bewohnern  der  Insel  je  länger 
je  mehr  lästiger  wurde,  nahm  immer  mehr  das  Denken  der  Geistesstärkeren 
in  politischer  und  socialer  Beziehung  in  Anspruch  und  trieb  die  grosse  Menge 
entweder  zur  Auswanderung  oder  zum  stumpfen  Dulden.  "Was  Wunder,  dass 
unter  solchen  Umständen  sich  auch  nur  noch  Rudera  einer  einst  selbstständigen 
Musik  zu  erhalten  vermochten;  denn  unter  diesen  Schicksalen  war  eine  Er- 
haltung der  alten  irischen  Kunst  ebensowenig  eine  Möglichkeit,  als  eine  durch 
den  abendländischen  Kunstgeist  modificirte  Umwandlung  derselben,  die  von 
achtenswerther  geistiger  Eigenthümlichkeit  Zeugniss  gab.  Nach  heutigem 
Wissen  aber,  wie  es  näher  der  Artikel  Kelten  ergiebt,  muss  eben  das  unter 
diesem  Namen  in  Europa  bekannte  halbhistorische  Culturvolk  in  sehr  früher 
Zeit  von  dem  Mutterstamm  der  Arier  sich  getrennt  und  in  starrer  Weise  durch 
seine  Priester  oder  Druiden  die  musikalische  Kunst  der  grauen  Vorzeit  in  der 
Trennung  besondei's  treu  gepflegt  haben.  Dafür  zeugt  das  Tonmaterial,  welches 
sie  einzig  in  der  Kunst  verwertheten ,  nämlich  die  in  ihren  Klängen  unver- 
änderliche fünfstufige  Tonleiter  in  der  Octave.  Ob  die  Alten  diese  Scala  aus 
dem  Grunde  adoptirten,  dass  kleinere  Intervalle  als  unsere  heutigen  Ganztöne 
von  der  Menge  nicht  präcise  wiedergegeben  werden  konnten,  oder  weil  man 
im  Calcül  der  Quinten  aus  anderen  Ursachen  nicht  über  den  fünften  Schritt 
für  die  allgemeine  Anwendung  hinauszugehen  für  gut  erachtete,  hat  man  bis 
jetzt  noch  nicht  ergründet.  So  viel  weiss  mau  jedoch  sicher,  dass  bei  den 
Ariern  wie  bei  den  Mongolen  und  Semiten  in  allerfrühester  Zeit  ebenfalls  nur 
fünf  Klänge  in  der  Octave  Verwerthung  fanden,  obgleich  die  Weisen  dieser 
Völker  meist  mehr  als  diese  Töne  genau  zu  bestimmen  vermochten,  diese  jedoch 
wohl  als  Standesgeheimniss  betrachteten  oder  als  Material  für  wissenschaftliche 
oder  symbolische   Combinationen. 

Der  Väter  höhere  Wissenschaft  in  der  Musik  ferner  zu  pflegen  und  fort- 
zubilden —  vielleicht  war  sie  den  Scheidenden  selbst  ganz  unbekannt  —  ver- 
mochten wohl  selbst  die  Weisesten  des  wilden,  das  unwirthsame  Europa  käm- 
pfend mit  den  früheren  Bewohnern  bis  an  die  äusserste  Grenze  durchziehenden 
Volkes  der  Kelten  nicht,  indem  sie  an  der  Fortpflanzung  der  schon  vorhan- 
denen Kunstwerke,  welche,  dem  Urgeist  entsprechend,  vielfach  mystisch  auf- 
gefasst  wurden,  genug  zu  thun  hatten.  Nehmen  wir  nun  an,  dass  diese  älteste 
Kunst,  deren  Erhaltung  besonders  dem  eigenen  Tonwerkzeuge,  der  Harfe  (s. 
Irländische  Harfe),  mit  zuzuschreiben  ist,  in  dem  grösseren  Keltenreiche 
sich  sehr  lange  in  steriler  Form  fortgepflanzt  habe,  ja  dass  selbst  das  vereinte 
Reich  der  Iren  und  Schotten  noch  diese  Kunst  übte,  so  ist  wohl  als  gewiss 
anzunehmen,  dass  dieselbe  in  einem  Conserviren  der  ursprünglichen  Hülle  be- 
stand, welcher  der  Geist  des  Lebens  längst  entwichen  war,  und  dass  ferner 
vielleicht  schon  einige  Klangfreuden,  den  Fluren  Assyriens  (s.  Assyrische 
Musik)  entsprosst,  den  Tonschöpfungen  beigemischt  waren.  Ferner  ist  zu 
beachten,    dass   bei  den  kleineren   Stämmen  diese    alte  Kunst,   selbst  wenn  das 

31* 


484  Irländische  Harfe. 

Tonmaterial  unverändert  blieb,  doch  durch  stärkere  oder  weniger  starke  Be- 
rührung mit  der  sich  entwickelnden  abendländischen  Musik  bceiuflusst  werden 
musste,  wie  dass  sie,  da  sie  ihrer  conservativsten  Pfleger,  der  Priester  und  der 
Religion,  beraubt,  sich  je  nach  eigener  socialer  wie  geistiger  Entwickelung  des 
Yolkszweiges  umgestalten  musste.  AVenn  nun  die  Iren  in  frühester  Zeit  die 
überkommenen  Muster  mit  grösster  Gewissenhaftigkeit  den  kommenden  Ge- 
schlechtern auch  überlieferten  und  darnach  selbst  wohl  auch  neue  Schöpfungen 
versuchten,  so  musste  dies  in  dem  gedrückten  .Jahrtausend  immer  mehr  mit 
dem  nationalen  Tonwerkzeug  selbst  verloren  gehen.  Nur  noch  das  Skelett  der 
irischen  Tonschöiifungen,  die  füufstufige  Tonleiter  in  der  Octave,  unseren  Inter- 
vallverhältnissen der  Töne  c  d  e  g  a  c^  entsprechend,  an  der  dies  Volk  mit 
Zähigkeit  festhielt,  zeugt  von  einer  verschwundenen  Pracht  und  Herrlichkeit 
der  Kunst  bei  ihnen,  die  bei  dem  Bruderstamm,  den  Schotten,  so  angewendet 
wurde,  dass  sie  bis  heute  zu  Melodien  gebraucht  wird,  die  im  abendländischen 
Musikkreise  oft  inniges  Vergnügen  zu  bereiten  vermögen. 

Die  Auslassungen  eines  Schriftstellers  des  12.  Jahrhunderts,  Gii'aldus 
Cambrensis,  über  die  damalige  irische  Musik,  vielleicht  des  Einzigen  der  Art 
und  Frühesten  nach  der  staatlichen  Glanzperiode  der  Iren,  mögen  hier  eine 
Stelle  finden,  um  vielleicht  einigen  Anhalt  zu  ferneren  Betraclitungen  zu  ge- 
währen. Derselbe  berichtet,  dass  die  Musik  der  Iren  sanft  und  rein  gewesen 
sei,  sich  nur  in  vier,  höchstens  fünf  Klängen  bewegt  habe,  und  Anfangs-  und 
Endton  der  Melodien  stets  sehr  ins  Gehör  fallend  gewesen  sei.  Als  Haupt- 
tonwerkzeuge der  Iren  nennt  er  die  Harfe  und  Trommel.  Diese  Angaben 
scheinen  zu  ergeben,  dass  die  Iren  die  Urmelodien  in  der  Form  treuer  bewahrt 
haben  als  beispielsweise  die  Schotten,  welche  durch  die  Eigenheiten  ihres  neuen 
Heimathlandes  zu  Klangfreuden  jedenfalls  geneigter  werden  mussten  (Echo  etc.); 
dass  aber  der  philosophische  Tongeist,  den  noch  heute  Chinesen  und  Japaner 
theilweise  pflegen  und  der  der  eigentliche  Kern  der  frühesten  Musik  gewesen 
zu  sein  scheint,  ihnen  gänzlich  fremd  geworden,  nur  in  einem  mehr  dumpfen 
Wiegen  in  wenig  Klängen  seine  Fortsetzung  oder  Fortbildung  erfuhr.  Solche 
Melodien  mussten  dem  abendländischen  Musikgeiste  als  Erzeugnisse  stumpf- 
sinniger Tonbehandlung  erscheinen,  da  derselbe  durchaus  kein  Verständniss 
für  die  Entstehung  solcher  Kunstblüthen  zu  erhalten  sich  bemühte.  Diese 
Eigenheit,  die  man  nun,  dem  Zeitgeist  nachgebend,  über  mehr  als  fünf  Töne 
ausgedehnt  hat,  klebt  noch  heute  an  den  acht  irischen  Melodien,  und  werden 
diese  deshalb  von  den  Engländern  mit  Spott  und  Hohn  begrüsst.  Ja,  man 
geht  noch  weiter  und  ahmt  dieselben  selbst  nach,  indem  man  deren  Armseligkeit 
in  der  Tonabwechselung  vergrössert  und  ihnen  selbst  in  nationalen  englischen 
Opern  eine  Stelle  giebt,  aber  nur,  wenn  man  eine  komische  Figur  auftreten 
lässt  und  durch  deren  im  abendländischen  Geschmack  einfältigen  Gesang  grosse 
Heiterkeit  erregen  will.  Nach  diesen  Betrachtungen  die  Aeusserung  D.  T.  Cam- 
pell's  erwägend,  »dass  die  altschottische  und  theilweise  auch  die  neuschottische 
Musik  nur  eine  Nachahmung  der  irischen  sei«,  muss  man  derselben  wohl  ein- 
räumen, dass  sie  den  Nagel  auf  den  Kopf  trifft,  wenn  auch  nicht  in  der  Weise, 
wie  es  heute  oft  verstanden  wird  und  vielleicht  vom  Schriftsteller  selbst  ge- 
meint war.  Die  Neuzeit,  welche  alle  Stammeseigenheiten  entweder  der  All- 
gemeinheit oder  der  Vergessenheit  überliefert,  hat  letzteres  selbst  mit  der 
irischen  Musik  gethan,  so  dass  im  praktischen  Gebrauch  in  I.  nur  die  abend- 
ländische ist  und   der  Irish  song  ins  Altcrthumskabinet  wanderte.  C.  B. 

Irländiscbo  Harfe,  die.  Indem  wir  in  Bezug  auf  dies  Tonwerkzeug  im  allge- 
meinen auf  den  Artikel  Harfe  (s.  d.)  in  diesem  Werke  verweisen,  und  zwar 
speciell  auf  die  Auslassungen  darüber  S.  .523  und  524  des  vierten  Bandes, 
haben  wir  dem  nur  noch  hinzuzufügen,  dass  dies  hier  hauptsächlich  beschriebene 
Musikinstrument,  wie  die  beiden  dort  erwähnten  noch  erhaltenen  derartigen 
Instrumente  darthun,  aus  der  letzten  Periode  der  Existenz  der  i.  H.  stammen, 
wo   schon  der  Geist    des  Abendlandes    seinen  Einfluss    auf    den  Bau    derselben 


Inner  —  Isaak.  ^gg 

ausgeübt  hatte.  Die  ältesten  i.n  H.n  waren  gewiss  viel  einfacher,  da  sie  dann, 
wie  aus  dem  Artikel  Irland  (s.  d.)  ersichtlich,  schon  ihrem  Zwecke  zu  ge- 
nügen vermochten.  Da  den  Iren  dies  Tonwerkzeug  von  den  Kelten  überliefert 
war,  und  diese  dasselbe,  wenn  sie  es  auf  ihren  weiten  Wanderungen  nur  zeit- 
weise gebrauchend,  in  Stand  halten  wollten,  dasselbe  gewiss  in  Bezug  auf  Bau 
und  Bezug  nur  in  einfachster  Art  führten,  wird  solches  auch  gewiss  nicht  sehr 
verschieden  gewesen  sein,  besonders  was  den  Bezug  anbelangt.  Dieser  hat 
gewiss  bis  über  die  Blüthezeit  des  selbstständigen  Ireureiches  höchstens  nur 
aus  fünf  Metallsaiten  bestanden,  selbst  wenn  man  in  Bezug  auf  den  Bau  sich 
die  kostbarste  ornamentale  Ausschmückung  erlaubte.  2. 

Inner,  Wilhelm  Heinrich,  deutscher  musikalischer  Pädagog,  geboren 
am  26.  März  1803  zu  Berlin,  besuchte  das  königl.  Institut  für  Kirchenmusik 
daselbst,  wo  er  den  Unterricht  A.  W.  Bach's,  Beruh.  Klein's  und  Ed.  Grell's 
erhielt.  Im  J.  1829  bezog  er  das  Schullehrerseminar  zu  Bunzlau,  kelirte  aber 
ein  Jahr  später  nach  Berlin  zurück  und  wirkte  als  Musiklehrer,  bis  er  1835 
als  Hauptlehrer  der  Dreifaltigkeitsschule  angestellt  wurde.  Später  leitete  er 
den  Knabenchor  der  Dreifaltigkeitskii'che  und  wurde  auch  Glesanglehrer  an  der 
königstädtischen  Realschule.  Als  Herausgeber  und  Mitarbeiter  verschiedener 
Sammlungen  von  Schul-  und  Volksliedern  hat  er  sich  verdient  gemacht  und 
hat  ausserdem  noch  eine  »Kleine  Gresangschule  für  Schulen«  (Berlin,  1844) 
veröffentlicht. 

Irmisch,  Gottlieb  Wilhelm,  deutscher  Schulmann,  geboren  am  30. 
Septbr.  1732  zu  Plauen,  war  seit  1759  Rector  der  Schule  daselbst.  Er  ist 
der  TJebersetzer  der  von  Hasse  componirten  Metastasio'schen  Cantate  »Die 
Tugenden  unter  dem   Kreuze  Jesu«   (Plauen,  1765). 

Irregulärer  Darchgang-,  s.  Durchgang  und  Wechselnoten. 

Irreguläre  Fuge,  s.  Kanon  und  Fuge. 

Irressoluto  (ital.),  Vortragsbestimmung  in  der  Bedeutung  unentschlossen, 
schwankend,  sowohl  im  Ausdruck  wie  in  der  Bewegung. 

Irrig,  Sebastien,  Tonkünstler  deutscher  Herkunft,  lebte  um  die  Mitte 
des  18.  Jahrhunderts  in  Paris  und  gab  daselbst  1756  von  seiner  Composition 
12   Sonaten  für  Ciavier  heraus. 

Is,  Anhängesylbe  zur  Bezeichnung  der  durch  ein  Kreuz  (^)  um  einen 
halben  Ton  erhöhten  Note  oder  Tonstufe.  Das  durch  ein  Kreuz  erhöhte  c 
erhält  demnach  den  Namen  eis,  d  heisst  dis,  e  —  eis  u.  s.  w.  Als  doppelte  Er- 
höhung, angezeigt  durch  ein  sogenanntes  Doppelkreuz  (X),  bedient  man  sich 
der   Sylben  isis  (also  cisis,  disis  u.  s.w.).      S,  auch  Erhöhung. 

Isaak,  Heinrich,  genannt  Isaak  von  Prag,  für  welchen  Beinamen  noch 
kein  stichhaltiger  Grund  bekannt,  einer  der  ältesten  und  berühmtesten  deutschen 
Contrapunktisten  des  15.  Jahrhunderts,  stammte  wahrscheinlicli  aus  Böhmen 
und  war  ein  Zeitgenosse  und,  wie  man  annimmt,  auch  Schüler  des  Josquin 
Desprez,  mit  dem  er  erwiesenermaassen  in  Italien,  namentlich  am  Hofe  Lo- 
renzo's  des  Prächtigen  zu  Florenz  freundschaftlich  verkehrte.  Er  hat  auch 
mehrere  Lieder  dieses  Fürsten  dreistimmig  in  Musik  gesetzt,  besonders  so- 
genannte »Canti  carnascialescMv.,  wie  sie  bei  Maskenprocessionen  gesungen 
wurden  und  als  leichte,  gefällige  Musikgattung  von  Neapel  aus  damals  in  Auf- 
nahme gekommen  war.  Viel  bedeutsamer  aber  ist  I.  durch  seine  überaus  zahl- 
reichen Kirchencompositionen,  denen  Glarean  eine  besondere  Kraft  und  Er- 
habenheit nachrühmt,  sowie  einen  Harmonienreich thum,  wie  er  damals  nicht 
mehr  zu  finden  war.  Proben  seiner  Composition  bieten  Hawkin's,  Burney's 
und  Forkel's  Geschichtswerke.  Er  muss  sich  übrigens  lange  in  Italien  auf- 
gehalten haben,  vielleicht  sogar  fest  angestellt  gewesen  sein,  und  nach  Quadrio 
ist  er  1475  in  der  That  zum  Kapellmeister  der  Kirche  San  Giovanni  in  Florenz 
ernannt  worden.  Bei  den  Italienern  hiess  er  gewöhnlich  liÄrngo  Tedesco«,  was 
wahrscheinlich  mit  Heinrich  (Enrico)  der  Deutsche  identisch  ist.  Sein  Ruhm 
verbreitete    sich    auch    in  Deutschland,    so    dass  Kaiser  Maximilian  I.    ihn    zu 


486  Lächak  —  Isfahau. 

seinem  Kapellmeister  ernannte.  Von  seinen  gewiss  zahlreichen  Schülern  ist 
nur  der  von  Luther  so  hoch  verehrte  Ludwig  Senfel  namhaft  zu  machen.  I.'s 
Todesjahr  ist,  wie  die  meisten  übrigen  Daten  aus  seinem  Leben,  unbekannt, 
jedoch  dürfte  es  in  das  16.  Jahrhundert  fallen.  Von  seinen  "Werken  finden 
sich,  ausser  den  von  Glareau  mitgetheilten ,  auf  der  Bibliothek  zu  München 
fünf  Messen  in  Manuscript;  sodann  in  der  Sammlung  von  Petrucci  -uMissae 
diversorum  auctoruma  (Venedig,  1503  bis  1519)  weitere  fünf  Messen;  in  dessen 
Motettensammluug  (Venedig,  1505)  drei  Motetten;  in  Pentinger's  JiLiber  selec- 
tarum  cantionum  etc.a  (Augsburg,  1520)  fünf  Motetten;  ferner  zehn  mehrstim- 
mige Lieder  in  der  von  Joh.  Ott  herausgegebenen  Sammlung  »Hundert  und 
fünfzehn  guter  newer  Liedlein  u.  s.w.«  (Nürnberg,  1544),  darunter  das  Lied 
»Es  hat  ein  Bauer  ein  Töchterlein«,  welches  auch  Forkel  (»Musikgeschichte«  IL 
S.  676  ff.)  mittheilt.  Die  Proske'sche  Bibliothek  endlich  besitzt  ausser  anderem 
von  ihm,  noch  sein  wichtiges  Werk  nOhoralis  Oonstantini  a  4  «oc.«  (3  Thle., 
Nürnberg,  1555).  Von  I.  componirt  ist  auch  das  weltliche  Lied  »Inspruck, 
ich  muss  dich  lassen«,  nach  der  man  später  (etwa  seit  1539)  den  Choral  »0 
Welt,  ich  muss  dich  lassen«  sang,  welche  Weise  seit  1653  auf  »O  Welt,  sieh' 
hier  dein  Leben«  und  »Nun  ruhen  alle  Wälder«  übertragen  worden  und  noch 
gegenwärtig  im  kirchlichen  Gebrauch  ist. 

Ischak,  persischer  Name  einer  Tonart  des  dortigen  Musikkreises,  deren 
Tonleiter  durch  unsere  Noten  schwer  wiedergegeben  werden  kann  (s.  Per- 
sische Musik).    Ungefähr  werden  die  Klänge  durch  folgende  Noten  dargestellt: 


ä 


:^==^ 


m 


Das  durchstrichene  J7  soll  andeuten,  dass  eine  Erniedrigung  von  weniger  'als 
einem  Halbton  stattfindet,  und  der  liegende  zweimal  durchkreuzte  Strich,  dass 
eine  Erhöhung  mehr  als  ein  Halbton  gefordert  wird.  Letztere  Klänge  sind 
die  charakteristischen  der  Tonart  I.  und  halten  diese  die  persischen  Musiker  für 
besonders  befähigt,  leidenschaftliche  Gefühle  darzustellen,  weshalb  sie  diese 
Tonart  zu  Liebesgesäugen  als  vorzugsweise  geeignet  erachten.  Diese  Tonart 
zeichnet  sonst  noch  die  reine  Quarte  aus.  0. 

Isfahan  ist  der  Name  einer  persischen  neunstufigen  Tonart,  deren  Grund- 
töne ungefähr  unseren  Klängen 


m 


t^ 


^t^ 


entsprechen.  Die  charakteristischsten  Töne  dieser  Tonart  sind  die  Terz  und 
Sexte.  Die  siebente  und  achte  Stufe  werden  niemals  in  der  Folge  gebraucht, 
sondern  durch  den  Melodiegang  ist  bestimmt,  welcher  vpn  beiden  Klängen 
genommen  werden  muss.     In  absteigender  Melodie 


:i==t 


-j^^. 


=^=4: 


'^-A 


wird  der  Klang,    welcher    einen   Ganzton    unter  der  Octave  liegt,    gesetzt;    bei 
aufsteigender  Tonfolge : 


-1t: 


^4=~ 


& 


-r 


^nÄi 


jedoch  muss  man  den  Ton,  der  einen  Halbton  unter  der  Octave  liegt,  nehmen. 
Die  arabische  gleichnamige  Tonart  unterscheidet  sich  von  der  persischen  nur 
dadurch,    dass    die   dritte  und  sechste  Stufe  nicht  um  einen  Halbton,    sondern 


Isham  —  Isola. 


487 


blos  um  einen  Drittelton  höher  sind  als  unsere  diatonischen  Klänge  der  G-dur- 
tonleiter,  0. 

Isliam,  John,  begabter  englischer  Kirchencomponist,  dessen  Blüthezeit  in 
die  ersten  Jahrzehnte  des  18.  Jahrhunderts  fällt,  wurde  mit  Crolt  und  W.  Morley 
zusammen  Baccalaureus  der  Musik  und  1711  des  Ersteren  Nachfolger  im 
Organistenamt  an  der  St.  Annenkirche  in  London.  Ebenfalls  als  Oro'anist 
wirkte  er  seit  1718  an  der  St.  Andreaskirche,  und  endlich  bis  zu  seinem  Toie 
im  Juni  1726,  an  der  Margarethenkirche  daselbst.  Er  schrieb  eine  grosse 
Zahl  sehr  schätzbarer  "Werke  für  die  Kirche,  von  denen  aber  die  wenigsten 
zur  Herausgabe  gelangt  sind. 

Isidorus  Hispalensis,  Bischof  von  Sevilla  (Hispalis),  ein  um  die  spanische 
Kirche  sehr  verdienter  und  für  die  Musik  bedeutsamer  Geistlicher,  geboren 
um  570  zu  Carthagena  in  Murcia,  gestorben  am  4.  April  636,  lieferte  in  seinen 
liOriginum  seu  etymologiarum  lihri  XXv-  (Augsburg,  1472  und  nachher  häufig 
gedruckt)  eine  Art  Encyclopädie,  in  der  die  ersten  neun  Capitel  des  dritten 
Buchs  ausschliesslich  von  der  Musik  handeln,  die  nach  den  griechischen  Theo- 
remen vorgetragen  wird.  Es  ist  darin  schon  die  Bede  von  der  Harmonie,  und 
zwar  von  der  Symphonia  als  einer  Harmonie  der  Consonanzen  und  von  der 
Diaphonia  als  einer  Harmonie  der  Dissonanzen.  Mehr  über  den  Inhalt  dieses 
Traktats  findet  man  in  Forkel's  Literatur.  Gerbert  führt  denselben  in  seinen 
•»Script.  ecclesM  I.  pag.  19  ff.  unter  dem  verdunkelnden  Titel  nSententiae  de 
musicaa  auf. 

Isis,  die  am  höchsten  und  meisten  verehrte  Göttin  der  alten  Aegypter, 
galt  denselben  auch  als  die  Erfinderin  mehrerer  musikalischer  Instrumente, 
z.  B.  des  Sistrums,  sowie  vieler  heiliger  Melodien  und  Weisen. 

Iske,  Rudolph,  deutscher  Orgelbauer,  geboren  1809  zu  Halle  a.  S.,  er- 
richtete eine  eigene  geschätzte  Werkstätte  zu   Sprottau. 

Ismard,  französischer  Mönch  des  18.  Jahrhunderts,  lebte  zu  Toulouse 
und  beschäftigte  sich  mit  Glück  und  Erfolg  mit  dem  Orgelbau.  Mehrere 
schöne  Werke  in  und  um  Toulouse  legen  für  seine  Kunstfertigkeit  rühmliches 
Zeugniss  ab. 

Isuieuias,  berühmter  altgriechischer  Flöteubläser  aus  Theben,  lebte  während 
und  nach  der  Zeit  des  Perikles  und  war  ein  Schüler  des  Antigenidas.  Er 
erwarb  sich  durch  seine  Kunst  ein  grosses  Vermögen,  so  dass  er  in  Korinth 
für  eine  ihm  zusagende  Elöte  drei  griechische  Talente  (mehrere  hundert  Thaler) 
verausgaben  konnte.  Seltsame  Anecdoten  aus  seinem  Künstlerleben  erzählen 
Aulus  Gellius,  Lucian  und  Boethius,  ein  Beweis,  dass  sein  Ruf  noch  nach 
Jahrhunderten  fortwirkte.  Beim  Unterricht  soll  er  seinen  Schülern  gewöhnlich 
einen  guten  und  einen  schlechten  Flötenbläser  vorgestellt  und  dabei  nur  be- 
merkt haben:  so  müsse  man  es  machen  und  so  nicht. 

Isuardi,  Paolo,  unrichtig  auch  Tsinardi  geschrieben,  berühmter  italieni- 
scher Dichter  und  Componist,  geboren  in  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  zu 
Ferrara,  war  Mönch  im  Kloster  Monte- Cassino ,  dann  Superior  dieses  Klosters 
und  Kapellmeister  an  der  Kathedrale  zu  Ferrara.  Er  starb,  60  Jahre  alt. 
Messen,  Motetten,  Psalme,  Magnificats,  Falsibordoni  u.  s.  w.  von  ihm  sind  in 
der  Zeit  von  1561  bis  1594  zu  Venedig  im  Druck  erschienen.  Gerber  schreibt, 
I.  sei  in  seiner  Jugend  Opernsänger  gewesen;  ein  Irrthum ,  denn  damals  gab 
es  weder  Opern  noch   Opernbühnen. 

Iso,  ein  Componist  unbekannter,  wahrscheinlich  italienischer  Herkunft, 
lebte  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  zu  Paris  nnl  brachte  1759  eine  Oper 
seiner  Composition:  t>Phaethon  et  Zefnidea,  daselbst  auf  die  Bühne. 

Isola,  Gaetano,  italienischer  Operncomponist,  geboren  1761  zu  Genua, 
machte,  frühzeitig  mit  seinem  Vater  nach  Sicilien  gekommen,  wissenschaftliche 
und  musikalische  Studien  zu  Palermo.  Er  schrieb  viel  für  die  Bühnen  Italiens, 
so  1791  für  Turin  die  Oper  »La  conquista  del  velo  d'oroii.  Dagegen  ist  von 
seinen    Kirchen-   und  Kammercompositionen  Nichts    weiter    bekannt    geworden 


4S8  IsoTL  —  Isouard. 

oder  im  Druck  erschienen.     Seit  1812,  wo  er  an  der  Oper  zu  Genua  als  Ac- 
compagnateur  angestellt  war,  fehlen   die  Nachrichten  üher  ihn. 

Ison  (griech.)  war  die  Bezeichnung  für  den  einfachen  Rhythmus  der  Griechen. 
Er  bestand  aus  zwei  Theilen,  deren  jeder  bis  zu  acht  Zeiten  enthielt.  —  I.  ist 
auch  der  Name  für  ein  in  der  griechisch-katholischen  Kirche  gebräuchliches 
Tonzeichen  C^» »    das    dem    demotischen    Schriftzeichen    der    alten    Aegypter   ^^ 


seine  Entstehung  verdankt;    es  steht  für  unser  E^no^-:   d.  h.  für  den  Stimm 


ton  (s.  d.)  im  griechisch-katholischen  Kirchengesange,  dessen  Höhe  jedoch  bisher 
nicht  unveränderlich  festgestellt  worden  ist.  Als  Erfinder  dieses  Zeichens  gilt 
Johannes   Chrysorrhoas   (s.  d.).  0. 

Isonard,  Nieolo,  auch  Nicolö  de  Malte  oder  kurzweg  Nicolö  ge- 
nannt, einer  der  beliebtesten  dramatischen  Componisten  Frankreichs,  wurde 
1775  auf  Malta  geboren,  wo  sein  Vater,  ein  Franzose,  Kämmerer  des  Gross- 
meisters war,  und  sollte  nach  dem  "Willen  desselben  in  Paris  sich  zum  Seedienst 
vorbereiten.  Schon  war  er  in  die  Marine  aufgenommen,  als  der  Ausbruch  der 
Eevolution  ihn  1790  nach  Malta  zurückzukehren  bewog.  Von  seinem  Vater 
nunmehr  für  den  Handel  bestimmt,  musste  er  in  ein  Handlungshaus  seiner 
Geburtsstadt  treten.  Jedoch  beschäftigte  er  sich  zugleich,  einer  unüberwind- 
lichen Neigung  folgend,  mit  der  Tonkunst  und  studirte  zuerst  bei  einem  ge- 
Avissen  Vella  Harmonielehre,  sodann  bei  Azopardi,  Kapellmeister  des  Maltheser- 
ordens,  den  Coutrapunkt.  Als  Commis  fungirte  er  weiterhin  in  einem  Bankhause 
zu  Palermo,  wo  er  Amendola's,  und  zu  Neapel,  wo  er  Guglielmi's  Unterwei- 
sungen bezüglich  des  musikalischen  Satzes  eifrig  einholte.  Um  sich  ganz  der 
Musik  hingeben  zu  können,  verliess  er  1795  heimlich  seine  Stellung  und  begab 
sich,  eine  Opernpartitur  und  andere  Arbeiten  mit  sich  führend,  nach  Florenz. 
Seine  Erstlingsoper,  »Äwiso  ai  maritatia,  erschien  daselbst  auch  bald  mit  glück- 
lichem Erfolg,  der  durch  denjenigen  der  zweiten,  in  Livorno  gegebenen  Oper, 
•aArtasersevi ,  noch  übertroffen  wurde.  Der  Grossmeister  des  Maltheserordens, 
Herr  v.  Rohan,  berief  ihn  in  Folge  dessen  nach  Malta  zurück,  decorirte  ihn 
mit  dem  Maltheserkreuz  und  verlieh  ihm  die  Organisten-,  weiterhin  die  Kapell- 
meisterstelle beim  Orden.  Nach  Aufhebung  des  Ordens  lebte  I.  als  Privat- 
mann zu  La  Valette  und  schrieb  für  das  dortige  Theater  unter  dem  Namen 
Nicolö  Opern,  wie  -nltinaldo  d^Asti«,  iiUimprovisata  in  campagna«,  r>Il  tonnelierc<i, 
y)Il  harhiere  di  Sevic/liaa,  deren  Textbücher  meist  französischen  Ursprungs  waren. 
Erst  in  Paris,  wohin  ihn  nach  der  Uebergabe  von  Malta  an  die  Engländer 
der  General  Vaubois  1799  als  Privatsekretär  mitnahm,  und  wo  er  sich  freund- 
schaftlich mit  Rud.  Kreutzer  und,  zum  späteren  grossen  Vorthcil  des  Theaters 
Feydeau,  mit  dem  dramatischen  Dichter  Etienne  (s.  d.)  verband,  trat  er 
zuerst  unter  dem  Namen  Isouard  auf. 

Dennoch  gelang  es  ihm  anfangs  kaum,  von  sich  reden  zu  machen.  "Weder 
seine  erste  französische  Oper  »ie  tonnelier».  (1799),  noch  die  folgende  »La 
statue  ou  la  femme  avarea,  ebenso  wenig  die  mit  Kreutzer  compouirteu  r>Fla- 
minius  ä  C'orinthea,  »ie  petit  page  ou  la  prison  d^etata,  »ie  baiser  et  la  quit- 
tancea,  an  welcher  letzteren  sich  ausser  Kreutzer  noch  Mehul  und  Boieldieu 
mitarbeitend  betheiligten,  wie  eine  Cantate  auf  den  Frieden  von  Amiens  drangen 
durch.  Erst  mit  den  Opern  »Michel  Ängei  (1802),  welche  deutsch  auch  in 
Berlin  1805  beifällig  gegeben  wurde,  »Les  confidencesv.,  »Le  medecin  turca 
(1803),  r>Leonce  ou  le  ßls  adoptifa  und  »L'intrigue  au.r  fenetresa  (1805),  in 
denen  man  eine  glückliche  Vereinigung  der  Compositionsart  Paisiello's,  Mon- 
signy's  und  Gretry's  zu  entdecken  glaubte,  brach  er  das  Eis,  und  von  1805 
bis  1811  sah  er  sich  zum  fast  unbestrittenen  Alleinherrscher  der  Pariser 
Opera  comique  erhoben.  Besonders  war  es  1810  »Oendrillonv  (Aschenbrödel), 
die  einen  beispiellosen  Erfolg  auf  allen  Opernbühnen  Europas  hatte,  in  Paris 
allein  mehr  als  hundertmal  hinter  einander  gegeben  wurde  und  auf  I.'s  Antheil 


Israeliten  —  Isthmische  Spiele.  4g9 

fast  100,000  Francs  einbrachte.  Die  Rückkehr  Boieldien's  aus  ßussland  im 
J.  1811  brachte  I,  einen  gefährlichen  Kivalen,  und  es  entstanden  Partheien, 
die  für  den  einen  oder  den  anderen  Meister  eintraten  und  sich  gegenseitig 
bekämpften.  I.  aber  nahm,  um  diesem  Gegner  die  Spitze  zu  bieten,  mehr  wie 
je  zuvor  alle  Kraft  zusammen  und  lieferte  mit  r> Jeannot  et  Colina,  besonders 
aber  mit  y>Joconde<.(  (1814)  seine  werthvollsten  Opernpartituren.  Die  in  der 
That  höchst  reiz-  und  wirkungsvolle  »Jocondea  erneuerte  und  befestigte  allent- 
halben seinen  grossen  Ruhm  und  brachte  ihm  von  Neuem  die  höchste  Ehre 
und  bedeutende  Summen  ein.  Seitdem  aber  stellte  er  mehr  und  mehr  seine 
Thätigkeit  für  die  Bühne  ein  und  ergab  sich,  Lebemann  wie  er  immer  gewesen 
war,  den  aufreibenden  Freuden  des  Daseins  völlig;  der  vorzeitige  Tod,  am 
23.  März  1818,  war  die  Folge  seiner  Lebensweise.  Die  Aufführung  seiner 
letzten  Oper  nAladin  ou  la  lampe  merveilleusea,  die  von  Kennern  als  seine  cor- 
recteste  bezeichnet  wird,  erlebte  er  nicht;  Beuincori  legte  die  letzte  Hand 
an  dieselbe,  starb  aber  auch  schon  sechs  Wochen  vor  deren  Erscheinen  in  der 
Opera  comique. 

I.'s  musikalisches  Talent  war  ein  sehr  bedeutendes;  in  seinen  stets  flies- 
senden und  lieblichen  Melodien  sprach  sich  eine  reiche  Erfindungskraft  aus. 
Seine  Tonbilder  bekunden  eine  blühende  Phantasie,  und,  getragen  von  feinem 
Geschmack  und  einem  nicht  ungewöhnlichen  Wissen,  gelang  es  ihm  in  Paris, 
die  italienische  mit  der  französischen  Richtung  so  geschickt  zu  verschmelzen, 
dass  er  der  Allerweltsliebling  werden  musste,  der  er  noch  lange  nach  seinem 
Tode  unbeeinschränkt  war.  Auch  im  Privatleben  zeichnete  er  sich  durch 
Wohlwollen  und  Freundlichkeit  aus,  und  im  Umgang  war  er  sanft  und  ge- 
fällig. Seine  noch  nicht  angeführten  Opern  sind:  aus  der  Periode  bis  1805: 
r>Fanchette(s.  und  ^Tjimprom'ptu  de  cainpagne<i  (Umarbeitung  der  älteren  yL^mpro- 
visata  in  camp ag na«);  bis  1811:  y>La  ruse  inutlle«,  nTdalaa,  -nCimarosavi,  »  Z7rt  jour 
ä  Paris« y  y>LHntrigue  au  seraih,  »Le  hillet  de  loterie«  (unter  dem  Titel  »Das 
Loterieloos«  auch  in  Deutschland  sehr  lange  beliebt),  »Les  rendez-vous  hour- 
geois«  (»Das  Stelldichein  oder  Alle  fürchten  sich«);  bis  zu  seinem  Tode:  i>Lully 
et  Quinault«,  y>Le  prince  de  Gatane«,  y>Les  deux  maris«  und  nL'une  pour 
l'autre«.  Ausserdem  hat  er  noch  beliebte  Romanzen  und  als  Organist  und  Ka- 
pellmeister in  Malta  Kirchenwerke,  Kammercantaten,  Duette,  Canzonetten  u.  s.  w. 
geschrieben, 

Israeliten,  s.  Hebräer. 

Istesso  (ital.) ,  der-,  dasselbe,  kommt  in  Verbindung  mit  tempo,  also 
ytL'istesso  tempo«,  d.  i.  dasselbe  Zeitmaass  (wie  vorher),  als  musikalische  Vor- 
schrift vor. 

Isthmische  Spiele  (latein.:  J?^7«?n?a)-hiessen  die  in  altgriechischer  Zeit  auf 
der  Landenge  (dem  Isthmus)  bei  Korinth  abgehaltenen  Wettkämpfe.  Hier 
stand,  nahe  einem  Fichtenhaine,  ein  dem  Poseidon  oder  Neptun  geweihter 
prachtvoller  Tempel,  reich  ausgestattet  mit  Kunstwerken  aus  Gold  oder  Elfenbein. 
Nicht  weit  von  diesem  Tempel  sah  man  ein  Theater  und  ein  Stadium  aus 
weissen  Steinen,  wo  anfangs  jedes  dritte,  später  jedes  fünfte  Jahr  zur  Herbst- 
zeit die  isthmischen  Spiele  ausserordentlich  glänzend  gefeiert  worden.  Uralten 
Ursprungs,  waren  diese  Spiele  von  Theseus  dem  Meergott  zu  Ehren  erneuert 
worden,  daher  auch  die  Gesandten  der  Athener  immer  den  Ehrensitz  daselbst 
einnahmen.  Wie  bei  den  zu  Olympia  gefeierten  Spielen,  waren  gymnische 
Kämpfe  und  Wettrennen  zu  Ross  und  Wagen  angeordnet,  ausserdem  aber  auch 
wie  bei  den  Pythischen  Spielen  (s.  d.)  Cither-  und  Flötenspiel,  mit  Gesang 
begleitet,  später  sogar  dramatische  Darstellungen.  Ganz  Griechenland,  mit 
Ausschluss  der  Eleer,  nahm  an  diesem  Nationalfest  Antheil.  Die  Sieger,  mit 
deren  Statuen  die  eine  Seite  des  Neptuntempels  geziert  wurde,  erhielten  einen 
Kranz  aus  Fichtenzweigen.  Vgl.  Krause,  »Die  Pythien,  Nemecn  und  Isthmien« 
(Leipzig,  1841). 


490  Italien. 

Itiilieu.  Italieuische  Musik.  Nur  zu  leicht  ist  mau  geneigt,  die  Leistungen 
und  die  Leistungsfähigkeit  der  verschiedenen  Nationen  auf  dem  Gebiete  der 
Kunst  zu  überschätzen  oder  zu  unterschätzen,  je  nach  dem  Vorherrschen  einer 
allgemeinen,  der  nationalen  Anlage  entsprechenden  oder  nicht  entsprechenden 
Geschmacksrichtung.  In  den  Epochen  genialen  Aufschwungs,  neuer  künstle- 
rischer Ideen  und  naiver  Begeisterung  wird  ein  mühelos  aus  sich  heraus 
schaffender  Yolksgeist  die  Führung  in  künstlerischen  Dingen  übernehmen;  er 
wird  sie  aber  einem  anderen  abtreten  müssen,  sobald  sich  in  der  Kunst  nach 
jenem  Aufschwung  das  ßedüi-fniss  geltend  macht,  die  gewonnene  Anregung 
durch  ernstes  Denken  und  zähen  Flelss  zu  dauerndem  Besitze  zu  gestalten. 
So  sehen  wir  auch  Italien  im  Verlaufe  seiner  Entwickelungsgeschichte  bald  an  der 
Spitze  der  Kunstbewegung,  bald  zu  Gunsten  des  einen  oder  des  anderen  Volkes 
in  den  Hintergrund  treten;  aber  selbst  wo  dies  letztere  der  Fall  ist,  wie  z.  B. 
am  Ausgange  des  Mittelalters  und  bis  zu  einem  gewissen  Grade  auch  in  der 
Gegenwart,  hat  dies  Volk  in  seinem  künstlerischen  Schaffen,  speciell  in  seiner 
Musik,  die  nationalen  Vorzüge  und  Eigenthümlichkeiten  besser  als  irgend  ein 
anderes  zu  bewahren  gewusst,  und  verdient  daher  nicht  nur  wegen  seiner 
grossen  Vergangenheit,  sondern  auch  in  Hinblick  auf  seine  Zukunft  die  regste 
Theilnahme  der  musikalischen  Welt,  wie  sehr  auch  immer  die  Zeloten  einer 
bestimmten,  in  neuester  Zeit  vorherrschenden  Musikrichtung  gegen  die  musi- 
kalische Bedeutung  Italiens  eifern  mögen. 

Das  wesentliche  Unterscheidungsmerkmal  der  italienischen  Musik  vor  der 
anderer  Nationen  ist  das  Vorherrschen  des  melodischen  und  rhythmischen  Ele- 
mentes über  dem  harmonischen,  sowie  die  dadurch  bedingte  Bevorzugung  der 
Gesangsmusik  vor  der  Instrumentalmusik.  Der  Grund  hierfür  ist  theils  in 
der  melodischen  Beschaffenheit  der  italienischen  Sprache  zu  suchen ,  theils  in 
den  klimatischen  Verhältnissen,  welche  einerseits  dem  Körper,  also  auch  den 
Stimmorganen,  die  Möglichkeit  einer  freieren  Entwickelung  gewähren,  anderer- 
seits den  Geist  für  die  verhältnissmässig  trockene  Arbeit  der  harmonischen 
Toncombinationen  untauglich  oder  doch  mindestens  ungeneigt  machen.  Der  fol- 
gende kurze  Ueberblick  der  Musikgeschichte  Italiens  wird  diese  Andeutungen  mo- 
tiviren  und  vervollständigen,  zugleich  aber  beweisen,  wie  die  Italiener  auch  noch 
in  manchen  anderen  unwesentlichen  Punkten  als  die  weitaus  bevorzugten  Erben 
des  antiken  Geistes  zu  betrachten  sind.  —  Noch  bevor  von  einem  Italien  im  ge- 
schichtlichen Sinne  gesprochen  werden  kann,  bevor  noch  die  Völkerwanderung 
an  Stelle  des  abgelebten  Bömerreiches  ein  durch  nordische  (gothische,  longo- 
bardische)  Elemente  verjüngtes  Volk  der  Apenninenhalbinsel  zugeführt  hatte, 
machen  sich  an  verschiedenen  Punkten  des  Landes  die  Symptome  einer  neuen 
musikalischen  Aera  bemerkbar.  Schon  im  4.  Jahrhundert  unternimmt  es  der 
im  J.  333  n.  Chr. ,  dem  Jahre  der  Erhebung  des  Christenthums  zur  Staats- 
religion, geborene  Kirchenvater  Ambro  sius,  die  bis  dahin  herrschende  grie- 
chische Gesangsweise  für  die  christliche  Kirche,  zunächst  für  seine  Gemeinde 
in  Mailand  umzuarbeiten,  d.  h.  die  beim  Verfall  des  Heidenthums  eingedrun- 
genen theatralischen  und  chromatischen  Elemente  auszustossen  und  die  antiken 
Melodien  und  Tonarten  in  ein  System  zu  bringen ;  ist  nun  gleich  von  diesem 
sogenannten  Ambrosianischen  Gesang,  nachdem  derselbe  zwei  Jahrhunderte 
später  in  dem  Gregorianischen  aufging,  keine  Spur  mehr  vorhanden,  ist  über 
jenen  aus  den  Zeugnissen  der  Schriftsteller  nur  so  viel  bekannt,  dass  er  sich 
von  dem  letzteren  durch  ein  Ueberwiegen  des  metrischen  Elementes  auszeich- 
nete, so  erscheint  darum  die  musikalische  That  des  Ambrosius  nicht  minder 
wichtig,  und  das  Factum,  dass  auf  dem  Boden  Italiens  die  griechische  Musik  zu 
neuer  Wirksamkeit  erweckt  wurde,  nicht  minder  bedeutungsvoll. 

Aber  auch  in  der  weltlichen  Musik  scheint  Italien  schon  in  jener  Zeit  eine 
tonangebende  Stellung  gegenüber  den  Nachbarnationen  eingenommen  zu  haben; 
denn  sicher  war  es  keine  dem  noch  fortvegetirenden  Alterthum  dargebrachte 
Huldigung,  sondern  die  Achtung  vor  einer  auf  italienischem  Boden  neuerwach- 


Italien.  4g  j 

seuen  Cultur,  wenn  der  erste  christliche  König  der  Franzosen,  Chlodwig,  im 
Jahre  seiner  Bekehrung  zum  Christenthum  (496)  sich  an  den  Gothenköni» 
Theodorich  in  Ravenna  wendete  mit  der  Bitte,  ihm  einen  Kitliarödeu  zu 
senden,  der  befähigt  sei,  die  Kunst  des  Gesanges  zur  Cither  in  seinem  Lande 
zu  reformiren.  Mit  der  Erfüllung  dieses  Gesuches  wurde  Boetius  beauftraget, 
damals  Minister  des  Theodorich  und  bekanntlich  der  letzte  in  der  langen 
Reihe  der  heidnischen  Philosophen;  mit  ihm  fiel  auch  die  letzte  Schranke  für 
die  Yerbreitung  des  Christenthums  und  die  Erweiterung  der  päpstlichen  Macht, 
und  die  Vertreter  der  letzteren  sind  es,  in  welchen  sich  nunmehr  das  musi- 
kalische Streben  Italiens  auf  Jahrhunderte  hinaus  personificirt. 

Der  Papst  Sylvester,  der  von  314  bis  335  den  heiligen  Stuhl  inne 
hatte,  wird  als  Gründer  der  ersten  Schule  bezeichnet,  in  welcher  nicht  blos 
die  Sänger  für  eine  gewisse  Kirche,  sondern  auch  für  mehrere  nach  einer  über- 
einstimmenden Methode  erzogen  wurden.  In  gleicher  Weise  wirkte  auch  unter 
seinen  Nachfolgern  Hilarius  (461 — 468)  und  ganz  besonders  erfolgreich 
Gregor  der  Grosse  (590 — 604),  dessen  musikalisches  System  wie  auch  die 
von  ihm  für  den  Gottesdienst  ausgewählten  antiken  Melodien  bekanntlich  von 
der  römisch-katholischen  Kirche  bis  heute  unverändert  beibehalten  sind.  Von 
jetzt  an  äussern  sich  die  musikalischen  Beziehungen  Italiens  zum  übrigen  Europa 
—  so  weit  dies  überhaupt  der  Civilisation  zugänglich  war  —  nicht  mehr  nur 
in  isolirten  Thatsachen,  sondern  sie  befestigen  sich  in  stetiger  Progression  und 
systematischer  "Weise.  Pipin  wendet  sich  von  Frankreich  aus  wiederholt  an 
den  Papst  um  Hülfe  in  der  musikalischen  Noth  seines  Landes,  dessen  damals 
noch  wenig  verfeinerte  Bewohner  stets  wieder  in  die  alte  nationale  Gesangs- 
weise zui*ückzufallen  drohten,  auch  nachdem  dort  schon  längst  der  Gregori- 
anische Gesang  eingeführt  war;  Karl  der  Grosse,  selbst  ein  Kenner  und 
aufrichtiger  Freund  der  Musik,  sendete  seine  eigenen  Geistlichen  nach  Rom, 
um  dort  den  echten  römischen  Gesang  zu  erlernen,  und  Hess  dann  durch  sie 
die  in  den  grösseren  Städten  seines  Reiches  vorhandenen  Antiphonarien  den 
authentischen  TJeberlieferungen  gemäss  verbessern;  auch  stiftete  er  Gesangs- 
schulen u.  a,  in  Soissons  nnd  Metz,  von  denen  besonders  die  letztere  so  be- 
rühmt wurde,  dass  der  dortige  Gesang,  bekannt  unter  dem  Namen  eantus 
Metensis,  dem  römischen  fast  gleich  gestellt  wurde. 

Bis  in  den  hohen  Norden  reichte  um  diese  Zeit  der  musikalische  Ein- 
fluss  Italiens;  König  Alfred,  der  am  Ende  des  9.  Jahrhunderts  über  Eng- 
land herrschte,  wirkte  für  sein  Land  in  ähnlicher  "Weise  wie  Karl  der 
Grosse  in  Deutschland  und  Frankreich,  und  da  er  ebenfalls  in  der  Verbrei- 
tung des  römischen  Kirchengesanges  einen  mächtigen  Hebel  der  Sittlichkeit 
und  der  Cultur  erkannte,  so  errichtete  er  im  J.  886  in  Oxford  einen  Lehr- 
stuhl für  Musik,  wo  dieselbe  sowohl  praktisch  als  theoretisch  behandelt  wurde, 
selbstverständlich  nach  römischen  Grundsätzen,  wenn  auch  der  erste  dort 
angestellte  Lehrer  ein  Gallier  war.  Gleichzeitig  entstanden  auf  Roms  Ge- 
heiss  in  Deutschland  die  berühmten  Klöster  von  Fulda,  Hirschau,  Corvey 
an  der  "Weser,  St.  Emmeran  in  Regensburg,  deren  Namen  in  der  Musik- 
geschichte einen  zu  guten  Klang  haben,  um  irgend  welchen  Zweifel  an  dem 
musikalischen  Einfluss  Italiens  auch  auf  diese  Gegenden  aufkommen  zu  lassen. 
Sogar  in  die  unwegsamen  Thäler  der  Schweiz  drangen  die  musikalischen  Send- 
boten Roms:  Petrus  und  Romanus,  zwei  von  Karl  dem  Grossen  nach  Metz 
berufene  römische  Sänger,  kamen  auf  ihrem  Zuge  über  die  Alpen  nach  dem 
jüngst  gestifteten  Kloster  St.  Gallen,  mit  zwei  authentischen  Abschriften  des 
Gregorianischen  Antiphonars  versehen.  Nachdem  aber  der  Letztgenannte  auf 
der  Reise  erkrankt  war  und  zu  seiner  Genesung  längere  Zeit  dort  verweilt 
hatte,  erhielt  er  vom  Kaiser  die  "Weisung,  sich  auch  noch  ferner  dem  Kloster 
zu  widmen  und  die  Mönche  im  Gesang  zu  unterrichten.  Zugleich  kam  das 
eine  Exemplar  des  Antiphonars  in  den  Besitz  des  Klosters  St.  Gallen  '(wo  es 
noch  heute  den  kostbarsten  Schatz  der  Bibliothek  bildet)  und  in  Folge  dieser 


492  Italiüu. 

UmstäuJe  erblühte  dort  die  Musik  iu  so  selbststäudiger  "Weise,  nahm  eiue  so 
eigcnthümliche,  fast  nationale  Richtung,  dass  ihr  Zusammenhang  mit  Italien  bald 
völlig  verschwand,  weshalb  auch  ihrer  an  diesem  Orte  nur  andeutungsweise 
erwähnt  werden  kann.*) 

Sei  es  nun,  dass  Italien  in  dem  Bestreben,  seinen  Einfluss  möglichst  weit  zu 
verbreiten,  die  heimischen  Angelegenheiten  vernachlässigte,  oder  dass  die  der 
Geistescultur  ungünstigen  socialen  und  politischen  Zustände  den  Fortschritt 
der  Künste  unmöglich  machten  —  genug,  die  Geschichte  meldet  aus  den 
nächsten  Jahrhunderten  nichts  von  einer  Weiterentwickelung  der  Musik  iu  Italien  ; 
um  so  mehr  aber  von  den  Gewaltthaten  und  Kämpfen,  die  den  Boden  der  für 
die  Kunst  gleichsam  prädestinirten  Halbinsel  beunruhigten;  Kämpfe  der  deut- 
schen Kaiser  gegen  die  römische  Hierarchie,  der  feudalen  Barone,  sowie  selbst 
der  Bürger  unter  einander,  ein  Kampf  aller  gegen  alle,  bei  welchem  es  nicht 
zu  verwundern  ist,  dass  die  Musen  erschreckt  flohen  und  iu  den  damals  noch 
verhältnissmässig  sicheren  Klöstern  der  Nachbarländer  ein  nothdürftiges  Obdach 
suchten.  Kaum  aber  hatten  sich  die  Wirren  einigermaassen  beruhigt,  kaum 
war  das  gefürchtete  Jahr  1000,  in  welchem  man  allgemein  den  prophezeiten 
Weltuntergang  erwartete,  glücklich  vorüber  gegangen,  so  begannen  auch  die 
künstlerischen  und  wissenschaftlichen  Triebe  in  dem  schwergeprüften  Lande 
sich  aufs  neue  zu  regen;  und  gerade  zu  dieser  Zeit  erscheint  in  Italien  eine  der 
achtungswerthesten  und  liebenswürdigsten  Persönlichkeiten,  welche  die  ge- 
sammte  Musikgeschichte  aufzuweisen  hat:  Guido  von  Arezzo.  Auf  diesen 
als  Künstler  und  Menschenfreund  gleich  bedeutenden  Mann  kann  Italien  mit  Recht 
stolz  sein,  da  er  nicht  allein  als  musikalischer  Schriftsteller  alle  seine  Vor- 
gänger an  Originalität  der  Gedanken  und  Kraft  des  Ausdruckes  um  ein  Be- 
deutendes überragte  —  wie  dies  besonders  in  seinem  Hauptwerke,  dem  Mi- 
crologus,  ersichtlich  —  sondern  auch  der  Erste  war,  der  eine  auf  praktische 
Erfahrung  basirte  Methode  des  Gesaugunterrichts  erfunden  und  zur  Geltung 
gebracht  hat;  endlich,  was  in  Anbetracht  der  Zeitverhältnisse  noch  schwerer 
wiegt,  sich  gedrängt  fühlte,  seine  Erfahrungen  und  Errungenschaften  auch 
weiteren  Kreisen  als  denen  seiner  Amtsbrüder  zugänglich  zu  machen;  uner- 
müdlich zog  er  von  Ort  zu  Ort,  um  seine  Unterrichtsmethode  —  vermittelst 
welcher  man,  wie  die  Zeitgenossen  berichten,  in  wenigen  Monaten  das  lernte, 
wozu  vor  ihm  eine  Reihe  von  Jahren  nöthig  gewesen  war  —  Fachleuten  und 
Laien,  ganz  besonders  aber  den  Kindern  zur  Kenntniss  zu  bringen. 

Ob  unter  den  »entfernten  Grenzen«,  die  er  erreicht  zu  haben  in  einem 
Briefe  an  seinen  Freund  Michael  im  Kloster  Pomposa  berichtet,  die  Grenzen 
Italiens  zu  verstehen  sind,  oder  ob  er  gar  bis  Bremen  gekommen  ist,  wie  der  dor- 
tige Canonicus  Adam  im  J.  1067  schreibt,  dies  ist  noch  nicht  genügend  auf- 
geklärt; sicher  aber  war  seine  Berühmtheit  schon  zu  seinen  Lebzeiten  eiue 
ausserordentliche,  wie  u.  a.  die  Auszeichnung  beweist,  mit  der  er  vom  Papst 
Johann  XIX.,  der  zwischen  1024  und  1033  regierte,  empfangen  wurde.  Noch 
dankbarer  hat  sich  gegen  Guido  die  Nachwelt  erwiesen,  indem  sie  nicht  nur 
seine  wirklichen  Verdienste  anerkannte,  sondern  auch  alle  möglichen  vor  ihm 
und  nach  ihm  gemachten  musikalischen  Erfindungen  und  Neuerungen  auf  seine 
Rechnung  brachte  —  ein  Irrthum,  welcher  erst  durch  die  gründlichen  For- 
schungen der  Musikhistoriker  des  vorigen  Jahrhunderts  beseitigt  wurde.  Italien 
selbst  aber  hat  noch  in  unseren  Tagen  bewiesen,  dass  das  Andenkon  an  einen 
seiner  genialsten  und  besten  Söhne  auch  im  Laufe  so  vieler  Jahrhunderte  nicht 
hat  verdunkelt  werden  können,  indem  es  dem  Guido  in  seiner  Vaterstadt  Arezzo 
ein  würdiges  Denkmal  setzte. 

Die  Behauptung  dürfte  kaum  gewagt  erscheinen,  dass  Guido's  populari- 
sirende  Thätigkeit  einen  treibenden  Eiufluss  auf  jene  Bewegung  der  Geister 
in  Italien  hatte,  welche  ein  Jahrhundert  nach  ihm,  um  1130,   in  der  Errichtung 


*)  Näheres  bei  Schu biger,  „Die  Säugerschule  St.  Gallens"  (1858). 


Italien.  493 

der  ersten  Universitäten  (Salerno  und  Bologna)  gipfelte.  Allerdings  war  es 
Zeit,  dass  in  Italien  sichere  Pflegestätteu  für  Wissenschaft  und  Kunst  entstanden 
—  bekanntlich  bildete  die  Musik  eine  der  Hauptdisciplinen  an  den  Universi- 
täten des  Mittelalters  —  denn  aufs  Neue  drohte  der  ruhigen  Entwickelung 
des  Landes  eine  schwere  Gefahr:  die  Uebersiedelung  des  päpstlichen  Stuhles, 
des  Mittelpunktes,  wenn  nicht  der  materiellen,  so  doch  jedenfalls  der  weistio-en 
Bestrebungen  der  Halbinsel,  nach  Avignon  im  J.  1305,  und  sein  Aufenthalt 
daselbst  bis  1376  brachte  es  mit  sich,  dass  Italien  wiederum  dem  kaum  überwun- 
denen Zustande  der  Anarchie  und  der  Barbarei  anheimfiel,  dass  die  in  einer 
verhältnissmässig  glücklichen  Zeit  gepflanzten  Keime  künstlerischer  Entwickelung 
vorläufig  nicht  zur  Blüthe  gelangen  konnten;  so  mindestens,  was  die  bildenden 
Künste  und  die  Musik  betrifi't;  die  Dichtkunst  aber  feierte  eben  damals  ihre 
glänzende  Wiederauferstehung  in  Dante  Alighieri  (gestorben  1321),  dessen 
»göttliche  Komödie«  eine  neue  Epoche  der  Poesie,  im  weiteren  Sinne  auch  der 
Philosophie  bezeichnet  und  bei  den  engen  Beziehungen  ihres  Autors  zum  Alter- 
thum  als  die  erste  That  der  Renaissance  gelten  kann,  jener  gewaltigen  gei- 
stigen Revolution,  die  in  ihrem  späteren  Verlaufe  auch  den  übrigen  Künsten, 
zuerst  den  bildenden,  dann  den  musischen  neue  Lebenselemente  zuführen  sollte. 
Wenn  nun  aber  auch  mit  der  Verlegung  der  päpstlichen  Residenz  nach  Avignon 
ein  bedenklicher  Stillstand  in  der  Entwickelung  der  italienischen  Musik  eintritt, 
ein  Zustand  des  Abwartens,  der  auch  dann  noch  lange  nicht  sein  Ende  er- 
reichte, nachdem  der  päpstliche  Stuhl  glanzvoller  als  zuvor  wiederum  in  Rem 
errichtet  war,  so  war  der  musikalische  Fortschritt  überhaupt  doch  keineswegs 
unterbrochen,  vielmehr  trat  die  Musik  am  Hofe  der  Päpste  in  Avignon  in  ein 
neues  Stadium  ihrer  Ausbildung;  gerade  hier  konnte  jene  Seite  der  Tonkunst 
zur  Entwickelung  gelangen,  für  welche  der  italienische  Boden  und  Volkscha- 
rakter nicht  die  nothwendigen  Bedingungen  bot:  Die  Kunst  des  mehr- 
stimmigen Gresanges. 

In  den  Niederlanden,  genauer  im  Norden  des  heutigen  Frankreichs,  in  dem 
flandrischen  Kloster  St.  Amand,  hatte  der  Mönch  Hucbald  schon  vor  den 
Zeiten  Guido's  den  ersten  Versuch  einer  Theorie  der  mehrstimmigen  Musik 
unternommen,  und  dass  dieser  Versuch  nicht  —  wie  neuere  Schriftsteller  be- 
hauptet haben  —  als  das  Resultat  einer  Gelehrtengrübelei  anzusehen  ist,  dass 
vielmehr  die  mehrstimmige  Musik  bei  den  nordischen  Völkern  schon  lange  vor 
Hucbald  bekannt  war  und  praktisch  ausgeübt  worden  ist,  dies  würde  durch  die 
Beschafi'enheit  der  dort  gefundenen  Musikinstrumente  zur  Genüge  bewiesen 
sein,  selbst  wenn  man  den  Erfahr uugssatz  läugnen  wollte,  dass  einer  jeden 
Theorie  eine  Praxis  vorangegangen  sein  muss.  In  den  Jahrhunderten  aber, 
die  zwischen  Hucbald  und  dem  Aufenthalt  der  Päpste  in  Avignon  verflossen 
waren,  hatte  der  mehrstimmige  Gesang  in  Frankreich  eine  solche  Bedeutung 
gewonnen,  dass  er  nunmehr  auch  in" die  Kirche,  zunächst  zweistimmig  (als 
Discantus  oder  Dechant,  Gegenstimme  zu  den  Gregorianischen  Melodien),  Ein- 
gang zu  finden  wusste.  Bei  der  Ausbildung,  welche  er  jetzt  im  Anschluss  an 
die  für  den  gottesdienstlichen  Gebrauch  geregelte  Gesangsweise  fand,  waren 
indessen  nur  Franzosen  und  Niederländer  betheiligt,  wie  auch  dem  Norden 
allein  die  Ehre  gebührt,  das  Dauerverhältniss  der  Töne  geregelt  zu  haben: 
das  System  der  sogenannten  Mensuralmusik,  d.  h.  einer  Musik  in  Tönen 
von  bestimmt  abgemessenem  Zeitwerth,  wurde  duroh  Franco  von  Cöln  Ende 
des  12.  und  Anfang  des  13.  Jahrhunderts  zuerst  wissenschaftlich  bearbeitet; 
wenn  demnach  auch  dieser  wichtige  Abschnitt  der  Musikgeschichte  in  einer 
Darstellung  der  italienischen  Musik  nur  nebensächlich  erwähnt  werden  kann, 
so  darf  dagegen  der  musikalische  Einfluss  Italiens  auf  die  Weiterentwickeluug  des 
mehrstimmigen  Gesanges  von  dem  Zeitpunkt  der  Rückkehr  der  Päpste  nach 
Rom  an  nicht  verkannt  werden.  Allerdings  waren  es  auch  jetzt  ölusiker  aller 
Nationalitäten,  mit  alleiniger  Ausnahme  der  Italiener,  welche,  nachdem  sie  der 
päpstlichen  Kapelle  von  Avignon  aus  gefolgt  waren,  in  Rom   den   musikalischen 


494  Italien. 

Fortschritt  vertraten,  Franzosen,  Deutsche,  Spanier  und  vor  allem  Niedei^läuder; 
doch  ist  es  unzweifelhaft,  dass  der  heitere  Himmel  und  die  sie  umgebende 
Natur  ihres  Adoptiv- Vaterlandes,  nicht  minder  auch  die  dortigen  Volksgesaugs- 
weisen,  die  selbstverständlich  auch  in  den  trübsten  Zeiten  nicht  hatten  verloron 
gehen  können,  das  künstlerische  Schaffen  dieser  Fremden  wesentlich  bestimmt 
haben  werden  —  wie  sich,  um  dies  beiläufig  zu  bemerken,  eine  ähnliche  Wand- 
lung in  den  Werken  der  niederländischen,  nach  Italien  übergesiedelten  und  dort 
heimisch  gewordenen  Maler  des   17.  Jahrhunderts  zeigt. 

Weit  über  ein  Jahrhundert  dauert  diese  musikalische  Suprematie  der 
Fremden  in  Italien,  dessen  eigne  Bewohner  weder  Neigung  noch  Fähigkeit  zeigen, 
bei  der  schwierigen  Arbeit  der  Ausbildung  des  polyphonen  Stils  mit  Hand 
anzulegen;  auch  der  später  im  Madrigal  zu  den  schönsten  Kunstgebilden  sich 
gestaltende  A^olksgesang  vermochte  in  j  mer  Zeit  noch  keine  künstlerische  Form 
zu  gewinnen,  und  unter  den  in  Italien  wirkenden  Musiktheoretikern  finden  sich 
nur  zwei  italienische  Namen,  Marchettus  von  Padua  und  Frauchinus 
Gafor,  ersterer  berühmt  durch  seine  im  Anfang  des  14,  Jahrhunderts  er- 
schienenen Schriften  über  den  Cantus  lüanus  und  den  Meusuralgesang,  letzterer, 
Lehrer  an  der  Musikschule  des  Herzogs  Ludovico  Sforza  zu  Mailand,  durch 
seine,  Ende  des  15.  Jahrhunderts  erschienene,  von  der  Mensur  und  dem  Contra- 
punkt handelnde  y^ Practica  musicaev.  Erst  nachdem  die  combinatorische  Satz- 
kuust  der  Niederländer  zur  Zeit  des  Josquin  des  Pres  ihre  höchste  Vollkom- 
menheit erreicht  hatte,  nachdem  man  die  Fähigkeit  gewonnen  hatte,  die 
widerstrebendsten  Tonreihen  mit  Leichtigkeit  zu  einem  künstlerischen  Ganzen  zu 
verschmelzen,  erst  dann  treten  die  Italiener  wieder  auf  dem  musikalischen  Schau- 
platz hervor,  als  der  erste  von  Bedeutung  der  noch  zu  Josquin's  Zeit  (um 
1514)  wirkende  Costanzo  Festa;  und  mit  dem  letzten  grossen  Niederländer, 
mit  Orlandus  Lassus,  ersteht  derjenige  italienische  Meister,  dem  es  beschieden 
war,  nicht  nur  alle  seine  Vorgänger  in  der  Kunst  der  Toncorabinationen  zu 
übertreffen,  sondern  die  Musik  auch  von  allen  den  Auswüchsen  und  Zuthaten 
zu  befreien,  sie  in  derjenigen  Reinheit  und  ernsten  Schönheit  wieder  herzu- 
stellen, welche  ihr  bei  dem  einseitigen  Cultus  der  contrapunktischen  Formen 
seitens  der  Niederländer  theilweise  vei'loren  gegangen  waren:  Griovanni  Pierluigi, 
nach  seiner  Geburtsstadt  Palest rina  genannt. 

Zwei  wichtige  Thatsaclien  waren  es,  die  bei  dem  Aufschwung  des  geistigen 
Lebens  in  Italien,  und  der  Musik  nicht  weniger  als  der  übrigen  Künste,  während 
des  16.  Jahrhunderts  in  erster  Linie  mitwirkten;  zuerst  das  Wiedererwachen 
des  Geschmackes  für  die  Alterthumswissenschaft,  verbunden  mit  dem  Studium 
der  antiken  Kunstwerke,  welche  massenhaft  auf  italienischem  Boden  vorhanden 
waren,  jedoch  bis  dahin  eine  verhältuissmässig  nur  geringe  Beachtung  auch  bei 
den  Jüngern  der  Kunst  gefunden  hatten;  sodann  die  durch  Luther's  Refor- 
mation bewirkte  geistige  Vertiefung,  deren  Rückschlag  auf  die  Bekenner  der 
katholischen  Kirche  unausbleiblich  war  und  selbst  die  genussfreudige  Bevöl- 
kerung Italiens  zu  einer  ernsteren  Lebensauffassung  als  der  des  damaligen  Katholi- 
cismus  drängen  musste.  Diese  Vertiefung  aber  gereichte  ganz  besonders  der 
Musik  zum  Vortheil,  zunächst  der  kirchlichen,  mittelbar  aber  auch  der  welt- 
lichen, und  wenn  in  Bezug  auf  die  erstgenannte  Ursache  des  Aufschwunges 
der  Musiker  gegen  den  bildenden  Künstler  im  Nachtheil  stand,  weil  ihm  beim 
Mangel  einer  musikalischen  Antike  die  unmittelbare  Berührung  mit  dem  Alter- 
thum  versagt  war,  so  musste  ihm  die  kirchliche  Neugestaltung  der  Welt,  die 
Verpflichtung,  durch  eine  Veredelung  seiner  Kunst  zur  Beruhigung  und  Rei- 
nigung der  Gemüther  beizutragen,  ein  ebenso  mächtiger  Antrieb  zum  Schaffen 
werden.  Palestrina  aber,  der,  am  Wendepunkt  zweier  Epochen  stehend,  alle 
Errungenschaften  der  älteren  in  sich  vereinte  und  zugleich  dem  grossen  Geist 
der  neuen  gerecht  zu  werden  wusste,  der  unter  dem  Einfluss  seiner  Zeit  und 
seiner  Umgebung  die  Schönheit  des  Altertlmms  ahnungsvoll  erfasste  und  sie 
auch  ohne  eine  direkte  sinnliche  Vermittelung  in  seiner  Musik  widerzuspiegolu 


Italien.  495 

vermochte,  ihm  gebührt  die  Bezeichnung  eines  classischen  Componisten  und 
zwar  des  ersten  classischen  Componisten,  und  seine  Werke  werden,  wie  die  der 
Bildner  des  alten  Griechenlands,  allen  späteren  Generationen  als  Muster  der 
Schönheit  und  Stilreinheit  gelten  können. 

Neben  der  Vertiefung  der  Musik  ist  auch  ihre  Ausbreitung  ein  kenn- 
zeichnendes Merkmal  der  italienischen  Culturbewegung  des  16.  Jahrhunderts. 
Eom  allein  vermag  die  Menge  des  musikalischen  Talentes  nicht  mehr  zu  fassen : 
neue  musikalische  Centren  entstehen  in  Venedig,  Florenz  und  anderen  Städten, 
jede  die  Musik  in  einer  eigenthümlichen  Richtung  ausbildend.  In  Venedig 
hatte  Adrian  "Willaert,  nächst  Josquin  der  bedeutendste  unter  den  niederlän- 
dischen Meistern,  schon  im  Anfange  des  Jahrhunderts  eine  Schule  gegründet, 
die  durch  Ausbildung  eines  glänzenden  Stils  vermittelst  grösserer  und  man- 
nigfach getheilter  Vocalmassen  zu  der  strengen  römischen  Weise  in  Gegensatz 
trat,  und  der  Ausdruck  wurde  für  den  vorwiegend  dem  Prächtigen  zuneigenden 
Geschmack  der  damals  auf  dem  Höhepunkt  der  Macht  und  des  Reichthums 
angelangten  Beherrscherin  der  Adria.  Noch  reicher  gestalteten  sich  die  musi- 
kalischen Formen  und  Mittel  unter  seinen  Nachfolgern  Andreas  und  dessen 
Nefifen  Giovanni  Gabrieli,  welche  sich  ein  weiteres  Verdienst  dadurch  er- 
warben, dass  sie  die  Instrumentalmusik  zu  einer  selbstständigen  Gattung  aus- 
bildeten, während  dieselbe  bis  zu  ihrer  Zeit  vom  Gesänge  abhängig  gewesen 
war.  Beide  Meister  waren  selbst  bedeutende  Virtuosen  auf  der  Orgel,  dem 
damals  noch  allein  künstlerisch  behandelten  Instrumente,  und  als  solche  wie 
als  Componisten  weit  über  ihr  Vaterland  hinaus  berühmt,  wie  denn  auch  die 
hervorragendsten  deutschen  Componisten  jener  Zeit  die  Wanderung  nach  Venedig 
nicht  scheuten,  um  ihres  Unterrichts  theilhaftig  zu  werden:  Hans  Leo  Hasler 
und  Heinrich  Schütz,  ersterer  ein  Schüler  des  Andreas,  letzterer  des  Giovanni 
Gabrieli.  Auf  dem  Gebiete  der  musikalischen  Theorie  ist  Venedig  nicht 
minder  rühmlich  vertreten  durch  Gioseffo  Zarlino,  den  Nachfolger  Willaert's 
als  Kapellmeister  an  der  Marcuskirche;  die  von  ihm  durch  eine  Vergleichung 
der  antiken  Scalen  des  Didymus  und  Ptolemaeus  gewonnene  Intervallenbestim- 
mung und  das  auf  sie  basirte  »reine  diatonische  System«  wurden  für  die  Ton- 
satzkunst in  der  Folge  von  der  höchsten  Wichtigkeit,  weil  durch  sie  jeder 
Zweifel  an  der  consonirenden  Eigenschaft  der  Terz  und  der  Sexte  beseitigt 
und  diese  beiden  Intervalle  nun  endgültig  unter  die  Consonanzen  aufgenommen 
wurden.  Endlich  fand  noch  neben  der  strengen  Kunstmusik  das  Volkslied 
seitens  der  genannten  venetianischen  Toukünstler  eine  liabevolle  Pflege;  das 
Madrigal,  eine  durch  Jahrhunderte  in  ganz  Europa  beliebte  Gattung  mehr- 
stimmiger Gesänge  auf  weltliche  Texte,  die  Frottola  (eine  Art  Gassenhauer), 
die  Ballata  (Tanzlied),  die  Barcajuola  (Schifferlied)  konnten  sich  auf  venetia- 
nischem  Boden  um  so  freier  entwickeln,  als  das  dortige  buntbewegte  Leben 
es  der  Phantasie  an  Anregung  nicht  fehlen  Hess  und  die  materielle  Richtung 
der  Handelsstadt  eine  einseitige  Strenge  auch  in  der  Kunst  ausschliessen 
musste.  Und  wie  die  Produktion  dieser  Gesänge  eine  massenhafte  war,  so 
wurde  es  auch  ihre  Verbreitung,  nachdem  Ottavio  Petrucci,  nach  seiner 
Geburtsstadt  im  damaligen  Kirchenstaat  »Ja  Fossombrone«  genannt,  die  Erfin- 
dung gemacht  hatte,  Musiknoten  mit  beweglichen  Metalltypen  zu  drucken  und 
seine  erste  Werkstatt  im  J.  1502  in  Venedig  eröffnet  hatte. 

Weniger  fruchtbar,  jedoch  ernster  und  für  die  Zukunft  noch  bedeutungs- 
voller waren  die  musikalischen  Bestrebungen,  deren  Mittelpunkt  gegen  das 
Ende  des  16.  Jahrhunderts  Florenz  bildete.  Hier,  und  zwar  in  dem  Kreise  von 
Akademikern,  die  sich  im  Hause  des  kunstsinnigen  Giovanni  Bardi,  Grafen 
von  Vernio,  regelmässig  versammelten,  um  ihre  Gedanken  über  wissenschaftliche 
und  künstlerische  Probleme  auszutauschen,  sollten  die  mit  der  Wiedergeburt 
des  Alterthums  gewonnenen  neuen  Anschauungen  auch  auf  dem  Gebiete  der 
Musik  ihre  Verwerthung  finden.  Die  von  einem  der  Mitglieder  der  Came- 
rata  (wie  sich   dieser  Verein  von  Künstlern  und  Gelehrten  nannte),  Vincenzo 


496  Italien, 

Galilei,  dem  Vater  des  bekannten  Astronomen  Galileo  Galilei,  in  einem 
römischen  Kloster  aufgefundenen  antiken  Melodien  erweckten  das  allgemeine 
Verlangen,  an  die  Stelle  der  bis  dabin  allein  herrschenden  mehrstimmigen 
Musik  eine  Tonspraclie  zu  setzen,  welche,  wenn  auch  nur  annälierungsweiso, 
die  von  den  altgriechischen  Autoren  beschriebenen  Wunderwirkungen  der  an- 
tiken Musik  erneuere.  Galilei  selbst  machte  den  ersten  Versuch,  indem  er 
Stücke  aus  den  Klageliedern  des  Jei'emias  und  die  Scene  des  Ilgolino  aus 
Dante's  göttlicher  Komödie  für  eine  Siugstimme  componirte,  und  nach  der 
Meinung  seiner  Gesinnungsgenossen,  denen  er  sie  vortrug,  indem  er  sich  selbst 
auf  der  Viola  begleitete,  war  er  auf  diesem  "Wege  dem  von  ihnen  erstrebten 
Ziele  um  ein  Bedeutendes  näher  gekommen.  Jedenfalls  war  die  Erfindung 
der  Monodie,  des  Einzelgesangs  mit  Begleitung,  ein  musikalischer  Fortschritt 
von  höchster  Wichtigkeit  und  musste  unmittelbar  zur  modernen  Oper  hinüber- 
leiten. Zunächst  empfing  die  neue  Gesangsweise  ihre  künstlerische  Weihe  durch 
den  römischen  Sänger  Giulio  Caccini,  der  nach  dem  Muster  der  Galilei'- 
schen  Versuche  eine  Anzahl  von  Monodien  componirte  und  sie  unter  dem  Tilel 
•oNuove  musichev-  herausgab;  einen  zweiten  nicht  minder  wichtigen  Schritt  zur 
Verwirklichung  des  Ideals  der  Florentiner  Alterthumslreunde  that  Jacopo 
Peri  durch  die  Erfindung  des  ßecitativstils,  damals  Stile  rappresentativo 
genannt,  und  als  die  Frucht  dieser  Bestrebungen  entstand  als  erste  moderne 
Oper  die  Tragedia  per  musica  -nl^uridicea,  gedichtet  von  Ottavio  Kinne  ein  i, 
einem  eifrigen  Förderer  der  neuen  Musikrichtung,  coraponirt  von  Peri,  zum 
ersten  Male  aufgeführt  im  J.  1600  in  Florenz  zur  Feier  der  Vermählung 
Heinrich's  IV.  von  Frankreich  mit  Maria  von  Medicis,  und  zwar  mit  so  ein- 
stimmigem Beifall,  dass  die  Alterthumsfreunde  ihre  Aufgabe,  den  musikalisch- 
dramatischen  Stil  der  Alten  wieder  aufzufinden,  als  gelöst  betrachteten. 

Mochten  sie  nun  den  Werth  ihrer  Entdeckung  überschätzen  oder  nicht  — 
denn  es  fehlte  ja  an  jedem  Anhaltepuukt  zur  Vergleichung  —  jedenfalls  ver- 
dient die  Genialität,  mit  welcher  sie  das  ihnen  vorschwebende  Ziel  verfolgt 
und  einen  festen  Boden  für  die  Neugestaltung  der  Musik  gewonnen  haben,  auf- 
richtige Bewunderung.  »Unsere  abendländische  Musik  wäre«,  so  äussert  sich 
Chrysander*)  in  Bezug  auf  die  Entstehung  der  modernen  Oper,  »ohne  den 
griechisclieu  Untergrund  so  bald  nicht  das  geworden,  was  sie  geworden  ist, 
und  die  italienischen  Akademiker  waren  keine  Thoi'en ,  dass  sie  auch  an  der 
Vervollkommnung  der  Tonkunst  so  unablässig  mit  griechischen  Quellen  ar- 
beiteten. Dinge,  die  in  jedem  anderen  Lande  von  vornherein  unmöglich  ge- 
wesen oder  bald  lächerlich  geworden  wären,  vermochten  sie  mit  Grazie  und  mit 
Erfolg  durchzuführen,  so  vollständig  und  so  sicher  hatten  sie  sich  in  das  Ge- 
werke  der  Alten,  in  die  Formen  vollendet  schöner  Kunst  eingelebt;  Unter- 
nehmungen selbst,  die  ojBfenbar  auf  irrthümlichem  Grunde  ruhten,  schlugen  zum 
Guten  aus.  Wo  bei  uns  oder  in  England  oder  Frankreich  wäre  es  möglich 
gewesen,  mit  den  Handhaben  und  Voraussetzungen,  mit  denen  es  die  Italiener  be- 
werkstelligten, die  zwei  Grundformen  der  Tonkunst  ins  Leben  zu  rufen,  Oper 
und  Oratorium?  Wir  wissen,  dass  ihre  Voraussetzungen,  soweit  sie  das  Ein- 
zelne betrafen,  durchaus  unbeweisbar  waren,  da  man  unter  der  griechischen 
Bühnenmusik  nichts  finden  wird,  was  der  in  ihrer  Nachbildung  entstandenen 
italienischen  zum  Muster  dienen  könnte;  und  Widersprüche  solcher  Art,  ob 
klar  erkannt  oder  nicht,  würden  besonders  einen  germanischen  Geist  mit 
lastender  Schwere  niedergehalten  und  zu  jeder  zuversichtlichen  That  unfähig 
gemacht  haben :  während  die  Florenzer  Akademie  auf  den  Wolken  ihrer  Ein- 
bildung wie  auf  einer  gebahnten  Strasse  wandelnd  erreichte,  was  sie  sich  vor- 
gesetzt hatte.  Die  Italiener  blickten  in  das  Alterthum  als  Künstler,  nicht  als 
ruhige  Forscher;  und  woran  ein  Historiker  wohl  zuletzt  gedacht  haben  würde, 
das  war  ihnen  das  Nächstliegende,  das  Einzige,  was  Werth  für  sie  hatte.      Sie 


*)  Chrysander,  „G.  F.  Händel"  I.  S.  154. 


Italien. 


497 


hingen  au  der  TJeberzeugung,  so  müsse  die  Kunst  von  der  Bühne  zum  Volke 
wirken,  wie  es  bei  den  Griechen  war;  diese  unläugbare.  aber  von  ihnen  zuerst 
und  allein  erkannte  Wahrheit  wussten  sie  mit  einem  Eifer  und  einem  so  rich- 
tigen Takt  auszulegen,  dass  trotz  aller  antiquarischen  Irrthüraer  das  Rechte  ge- 
deihen konnte.  Aber  nur  die  Italiener  konnten  es  durchführen.  Das  Gefühl  für 
künstlerische  Formen  war  bei  ihnen  in  einem  Grade  ausgebildet  und  in  einer 
so  ursprünglichen  Frische  vorhanden,  dass  man  geneigt  sein  muss,  es  mehr 
noch  ihrem  angeborenen  Schönheitssinne  zuzuschreiben ,  als  der  Jahrhunderte 
langen  Cultur,  Dabei  vermochten  sie  sich  in  den  merkwürdigsten  Gegensätzen 
zu  bewegen,  ohne  zu  ermatten  oder  sich  so  bald  zu  erschöpfen.  Wer  sollte 
denken,  dasselbe  Volk,  welches  so  eben  erst  in  den  Kirchenchören  und  in  dem 
vollstimmigen  weltlichen  Gesänge,  im  Madrigal,  das  Höchste  geleistet  hatte, 
könne  berufen  sein,  unmittelbar  darauf  das  AUereinfachste  gleichsam  neu  zu 
schaffen,  das  Recitativ,  den  Sologesang  und  die  Kunst  des  Gesanges?  Alles 
Neue  in  dieser  Hinsicht  haben  wir  ihnen  fast  allein  zu  danken;  kaum  waren 
die  anderen  Nationen  daran  gegangen,  sich  das  Gewonnene,  vertiefend  oder  ver- 
flachend, anzueignen,  als  die  Italiener  sie  schon  wieder  mit  Neubildungen  über- 
raschten. Und  so  ging  es  fort,  bis  endlich  auch  dieses  Volk  an  seine  gesetzte 
Grenze  kam.«  Vergegenwärtigt  man  sich  den  gewaltigen  Umschwung,  den  die 
Befreiung  des  gesungenen  Wortes  vom  contrapunktischen  Zwange  —  das  eigent- 
liche nächstliegende  Ziel  der  Florentiner  Reform  —  für  die  Auffassung  der 
Musik  überhaupt  zur  Folge  haben  musste;  erwägt  man  die  unermessliche  Be- 
reicherung der  musikalischen  Darstellungsmittel  als  unausbleibliche  Consequenz 
des  engen  Anschlusses  der  Musik  an  die  Poesie,  und  zwar  an  eine  Poesie, 
welche  weit  eindringlicher  als  die  kirchlichen  Texte  und  die  Verse  des  Madrigals 
die  menschlichen  Empfindungen  und  Leidenschaften  zu  malen  die  Aufgabe  hatte, 
so  wird  man  zugeben,  dass  die  That  der  Florentiner  Akademiker  in  der  Musik- 
geschichte Italiens  einzig  und  als  Höhepunkt  dasteht  und  das  ihnen  in  Obigem 
gespendete  Lob  keinerlei  Einschränkung  bedarf.  Was  aber  die  eben  dort  er- 
wähnten Grenzen  des  schöpferischen  Künstlergeistes  betrifft,  so  waren  dieselben 
für  Italien  noch  lange  nicht  erreicht.  Zunächst  galt  es,  den  gewonnenen  Be- 
sitz zu  befestigen  und  nach  allen  Seiten  hin  abzurunden,  und  nun  ist  es  noch 
einmal  Venedig,  welches  sich  an  die  Spitze  der  musikalischen  Bewegung  stellt, 
indem  es  gleichsam  die  Consequenzen  zieht,  die  sich  aus  der  Erfindung  der 
Florentiner  ergeben  mussten.  Hatten  diese  sich  einer  antiken  Einfachheit  be- 
fleissigt,  welche  z.  B.  die  Musik  des  Peri  zur  Muridice  fast  dürftig  erscheinen 
lässt,  so  entfesselt  Claudio  Monteverde,  von  1613 — 1643  Kapellmeister  an 
der  Marcuskirche  in  Venedig,  alle  Elemente  des  Ausdrucks,  die  bis  dahin  in 
der  Tonsprache  geschlummert  hatten,  und  macht  sie  dem  Drama  dienstbar;  mit 
richtigem  Blicke  hatte  er  in  der  Dissonanz  das  wirksamste  Mittel  zur  Dar- 
stellung leidenschaftlich  erregter  Zustände  erkannt,  und  er  bediente  sich  des- 
selben mit  einer  Fi*eiheit,  welche  ihn  mit  der  damaligen  Theorie  nicht  selten 
in  Conflict  brachte  und  ihm  die  heftigsten  Angriffe  von  Seiten  seiner  Kunst- 
genossen zuzog.  Ein  weiteres  Mittel  zur  Verstärkung  des  musikalischen  Aus- 
druckes bot  ihm  das  Orchester,  dessen  Leistungsfähigkeit  er  dadurch  in  be- 
merkenswerther  Weise  erhöhte,  dass  er  die  einzelnen  Instrumente,  je  nach  ihrer 
Individualität  und  Klangfarbe,  zur  Verdeutlichung  des  auf  der  Bühne  Gesun- 
genen und  Dargestellten  verwendete. 

Dem  Einflüsse  Monteverde's  endlich  ist  es  zu  danken,  wenn  die  Oper,  die 
anfangs  nur  zur  Verschönerung  der  Hoffestlichkeiten  und  zur  Zerstreuung 
fürstlicher  Ki-eise  gedient  hatte,  bald  auch  dem  grossen  Publikum  zugänglich 
gemacht  wurde:  im  J.  1637  fand  im  Theater  Sa7i  Cassiano  zu  Venedig  die 
erste  öffentliche  Opernvorstellung  statt,  und  wie  folgenreich  dieses  Beispiel 
war,  erhellt  aus  den  Thatsachen,  dass  im  Laufe  der  nächsten  hundert  Jahre 
nicht  weniger  als  fünfzehn  andere  Opernhäuser  in  Venedig  entstanden,  auf 
denen    zusammen    vierhundert    verschiedene    Opern    zur   Aufführung    gelangten, 

Musikal.    Convers. -Lexikon.    V.  32 


498  Italien. 

Die  weitere  Folge  der  "Wiedergeburt  des  musikalischen  Dramas  war  die,  dass 
sich  das  musikalische  Ansehen  Italiens  im  Auslande  zu  einer  ähnlichen  Höhe  wie 
im  Mittelalter  erhob.  Deutschland  nimmt  so  lebhaften  Antheil  an  der  neuen 
Erfindung,  dass  es  ungeachtet  seiner  Kriegsnoth  schon  im  J.  1627  den  ersten 
Versuch  machte,  die  Oper  bei  sich  einzubürgern,  und  zwar  mit  der  Dafne 
des  ßinuccini,  von  Martin  Opitz  ins  Deutsche  übersetzt,  von  H.  Schütz  mit 
neuer  Musik  vorsehen,  aufgeführt  bei  einem  Feste  am  Hofe  des  Churfürsten 
Johann  Georg  I,  in  Torgau.  In  Frankreich  wurde  etwas  später  (1645)  die 
italienische  Oper  durch  den  Cardinal  Mazarin  eingeführt,  und  als  sich  auf 
Anregung  des  Gastspiels  der  von  ihm  nach  Paris  berufenen  Operntruppe  das 
Verlangen  nach  einer  nationalen  Oper  immer  stärker  geltend  machte,  da  war 
es  wiederum  ein  Italiener,  Giovanni  Battista  Lulli  aus  Florenz,  der  diesen 
Bestrebungen  den  richtigen  Weg  wies  und  durch  seine  Musik  den  musikalischen 
Neigungen  und  Bedürfnissen  der  Franzosen  so  zu  entsprechen  wusste,  dass  er 
mit  Recht  als  der  Begründer  der  französischen  sogenannten  Grossen  Oper  und 
des  ihr  eigenthümlichen  Stils  anzusehen  ist. 

Wie  reiche  Resultate  die  Auffindung  des  dramatischen  Musikstils  nach 
dieaer  Richtung  auch  im  Gefolge  hatte,  so  waren  es  doch  nicht  die  einzigen: 
auch  die  Kirche  war  der  unausgesetzten  Mehrstimmigkeit  müde  geworden  und 
begann  mit  Eifer,  die  neue  Musikgattung  für  ihre  Zwecke  zu  benutzen.  Lu- 
dovico  Viadana,  zuletzt  in  Mantua  wirksam,  wo  er  1644  noch  lebte,  war 
der  erste,  welcher  die  Monodie  in  den  Kirchengesang  einführte  und  zu  diesem 
Zwecke  Stücke  für  eine  und  mehrere  Solostimmen  mit  einem  Orgelbass  setzte, 
die  er  Goncerli  di  cliiesa,  geistliche  Concerte  nannte.  Seinen  Bass  nannte  er 
basso  coniinuo,  weil  derselbe  den  Singstimmen  ohne  Unterbrechung  folgte, 
auch  hassus  generalis,  weil  er  bei  einstimmigen  Gesängen  die  gesammte  Har- 
monie zu  Gehör  zu  bringen  hatte,  welche  letztere  Benennung  zu  dem  Irr- 
thum  Anlass  gegeben  hat,  Viadana  für  den  Erfinder  des  später  sogenannten 
»Generalbasses«  oder  beziflfertcn  Basses  zu  halten.  Neben  ihm  ist  zu  nennen 
Emilio  del  Cavaliere  als  Componist  des  ersten  geistlich-allegorischen  Musik- 
drama yyLa  rappresentazione  di  anima  e  di  corpov.  im  Stil  des  Peri,  welches  Werk 
auf  einer  Bühne  im  Oratorio  des  römischen  Klosters  Santa  Maria  in  Vallicella  im 
.1.  1600  zuerst  aufgeführt  wurde.  Dei'artige  MusikaufiFührungen  in  den  Bet- 
sälen (Oratorien)  der  Klöster  waren  übrigens  in  Italien  ziemlich  allgemein,  beson- 
ders nachdem  der  durch  seine  Originalität  berühmt  gewordene  römische  Priester 
Filippo  Neri*)  dieselben  mit  Hülfe  des  ihm  befreundeten  Palestrina  für  seine 
Gemeinde  förmlich  organisirt  hatte;  sie  waren  es  auch,  denen  die  in  späteren 
Zeiten  so  herrlich  erblühende  Kunstgattung,  das  Oratorium,  nicht  nur  seinen 
Namen,  sondern  auch  seine  Entstehung  verdanken  sollte.  Die  letzte  Ausbildung 
dieser  Gattung  musste  nun  Italien  allerdings  seinen  immer  stärker  werdenden 
deutschen  Rivalen  überlassen;  ein  wichtiger  Schritt  dazu  aber  wurde  noch 
in  Italien  gethan  durch  Giacomo  Carissimi,  um  die  Mitte  des  17.  Jahr- 
hunderts Kapellmeister  an  der  Apollinariskirche  in  Rom.  Dieser  bildete  nicht 
nur  die  schon  vor  ihm  bekannt  gewesene  Cantate  zu  einer  Art  dramatischen 
Scene  mit  Recitativen ,  Ariosen  und  Ensemblesätzen  aus,  in  welcher  Form  sie 
Kammercantate,  cantata  di  camera,  genannt  wurde  und  dem  Oratorium  nahe 
verwandt  war,  sondern  er  hat  auch  selbst  eine  Anzahl  Oratorien  geschrieben, 
in  deren  Musik  die  für  diese  Kunstform  wesentlichen  Bedingungen,  dramatisches 
Leben  und  ununterbrochene  Einheit  des   Stils,  erfüllt  sind. 

Wohl  sollte  man  vermuthen,  dass  nach  Bewältigung  so  gewaltiger  Auf- 
gaben im  Inneren  und  bei  der  mittlerweile  begonnenen  Thätigkeit  nach  Aussen 
eine  Epoche  des  Stillstandes  in  der  Entwickelung  der  italienischen  Musik  ein- 
treten müsse;  und  doch  sollte  dieselbe  noch  einen  Aufschwung  nehmen,  nocli 
eine  Blüthezeit  erleben,    die    keiner   der    früheren  an  Bedeutsamkeit  nachsteht. 


*)  Geschildert  u.  a.  in  Gcelhe's  „Ttalicuischer  Reise"  IT.  S.  180, 


Italien.  499 

Diesmal  war  der  Schauplatz  Neapel,  wo  sich  im  Anfang  des  18.  Jahrhunderts 
unter  Führung  von  Alessandro  Scarlatti  eine  Schule  bildete,  deren  Stil 
man  zum  Unterschied  von  dem  »erhabenen«  der  römischen  Schule  den  »schönen« 
nannte.  Schon  früher  hatte  Neapel  gelegentlich  die  Aufmerksamkeit  der  musi- 
kalischen Welt  erregt;  hier  war  es,  wo  um  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts 
der  Niederländer  Tinctoris  als  Leiter  der  von  Ferdinand  I.  gestifteten  Musik- 
schule gewirkt  und  seine  berühmten  musik-theoretischen  Werke  herausgegeben 
hatte;  hier  entstanden  ein  Jahrhundert  später  die  gepriesenen  Madrigale  des 
Fürsten  von  Venosa,  Carlo  Gresualdo,  eines  so  eifrigen  Beschützers  der 
Musik,  dass  er  selbst  einen  kleinen  Hofstaat  von  Componisten,  Sängern  und  In- 
strumentalisten  bei  sich  unterhielt;  an  der  ernsteren  musikalischen  Arbeit  Ita- 
liens hatte  sich  freilich  Neapel  bis  dahin  nicht  betheiligt.  Nunmehr  aber  nahm  es 
einen  gewaltigen  Aufschwung  und  es  kamen  die  reichen  künstlerischen  Anlagen, 
welche  die  griechische  Colonie  von  ihren  Urvätern  ererbt,  auch  auf  dem  Gebiete 
der  Musik  zur  Entfaltung;  der  heitere  Himmel  Neapels,  die  Anmuth  seiner  Be- 
wohner, sein  bewegtes  öffentliches  Leben,  sie  bilden  die  Grruudeigenschaften 
der  Werke  der  neapolitanischen  Schule,  ohne  dass  es  ihnen  deshalb  an  Tiefe 
der  Empfindung  und  Gediegenheit  mangelte.  Daneben  entwickelte  sich  in  Neapel 
die  Kunst  des  Gesanges  und  des  Instrumentenspiels  in  glänzendster  Weise: 
A.  Scarlatti,  der  Vater  dieser  Schule,  war  nicht  nur  einer  der  genialsten  und 
fruchtbarsten  Componisten  aller  Zeiten,  sondern  auch  ausgezeichneter  Sänger, 
Ciavierspieler  und  Orchesterdirigent,  und  gab  als  Lehrer  von  halb  Europa  den 
mächtigsten  Impuls  nach  allen  den  genannten  Richtungen  hin.  Den  Höhepunkt 
ihrer  Leistungsfähigkeit  erreichte  die  neapolitanische  Schule  um  Mitte  des 
Jahrhunderts  unter  Francesco  Durante  und  Leonardo  Leo,  beide  Schüler 
des  A.  Scarlatti  und  dessen  Nachfolger  im  Amte  des  Kapellmeisters  am  Con- 
servatorio  San  Onofrio.  Aber  noch  bis  zum  Ende  des  Jahrhunderts  wusste 
sich  Neapel  seine  Stellung  als  musikalische  Grossmacht  in  Europa  zu  erhalten, 
wie  u.  a.  die  Berufung  Piccini's,  eines  Schülers  des  Durante,  nach  Paris  be- 
weist, wo  er  zum  Führer  der  italienischen  Parthei  im  Kampfe  gegen  die 
deutsche  unter  dem  Ritter  von  Gluck  ausersehen  war;  ferner  die  Beliebtheit 
des  Sacchini,  der  in  derselben  Stadt  nach  Piccini  als  Componist  an  der 
Grossen  Oper  wirkte,  des  Paesiello,  dessen  Opern  in  Petersburg,  wo  er  als 
Kapellmeister  angestellt  war,  und  in  Wien  nicht  minder  gern  gehört  wurden 
als  in  seinem  Vaterlande.  Am  bekanntesten  aber  unter  den  Vertretern  der 
jüngeren  neapolitanischen  Schule  ist  Giovanni  Battista  Pergolese  ge- 
worden, sowohl  durch  seine  komischen  Opern,  deren  eine  i>La  serva  padrona<i 
sich  noch  bis  heute  auf  den  Repertoiren  italienischer  und  französischer  Opern- 
bühnen erhalten  hat,  als  auch  durch  sein  Stabat  mater  für  zwei  Frauenstimmen 
mit  Violinen  und  Bass.  In  Bezug  auf  letzteres  Werk  ist  freilich  zu  bemerken, 
dass  es  den  Anforderungen  an  einen  strengen  Kirchenstil  in  keiner  Weise  ent- 
spricht, wie  denn  überhaupt  im  ganzen  Verlaufe  der  neapolitanischen  Epoche 
die  Kirchenmusik  mehr  und  mehr  vom  dramatischen  Stil  beherrscht  wird,  bis 
schliesslich  jeder  Unterschied  der  beiden  Musikgattungen  verschwindet.  We- 
niger weltlich,  doch  ebenfalls  durch  dramatische  Einflüsse  ihrem  Wesen  ent- 
fremdet erscheint  die  Kirchenmusik  der  im  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  blü- 
henden jüngeren  venetianischen  Schule  des  Legren zi.  Die  Werke  ihrer 
hervorragendsten  Künstler  Lotti,  Caldara  und  Marcello  stehen  zwar  an 
Ernst  und  innerem  Gehalte  weit  über  der  Kirchenmusik  des  Pergolese,  anderer- 
seits aber  durch  ihren ,  mit  einer  acht  kirchlichen  Stimmung  unvereinbaren 
Farbenreichthum  und  leidenschaftlichen  Ausdruck  ebenso  weit  unter  denen  des 
Palestrinastils,  dessen  erhabene  Einfachheit  jene  Meister  vergebens  durch  Auf- 
wendung aller  modernen  Kunstmittel  zu  ersetzen  versuchten. 

Die  Vernachlässigung  der  Kirchen-  und  der  Kammermusik  auf  Kosten 
der  dramatischen,  genauer  der  theatralischen,  ist  eines  der  Symptome  des  Ver- 
falls der  italienischen   Tonkunst  im   18.  Jahrhundert;    ein  zweites  Symptom  ist 

32* 


500  Italien. 

die  Ausbildung  der  Virtuosität  seitens  der  ausübenden  Künstler,  der  Sänger 
sowohl  wie  der  Instrumentalisten.  Denn  wie  gediegen  auch  die  Studien  nach 
dieser  Richtung  in  jedem  einzelnen  Zweige  betrieben  wurden,  so  konnte  es 
doch  nicht  ausbleiben,  dass  die  Aufmerksamkeit  des  Publikums  sich  von  dem 
musikalischen  Kunstwerk  ab-  und  den  Leistungen  der  einzelnen  Ausführenden 
mehr  und  mehr  zuwendete.  Besonders  wurde  dies  Unwesen  befördert  durch 
die  künstlichen  Sopranisten  (Castraten),  welche  in  der  ersten  Hälfte  des  IH, 
Jahrhunderts  die  Operubühnen  nicht  allein  Italiens,  sondern  des  ganzen  Europa 
unumschränkt  beherrschten.  »Die  Macht,  welche  damals  eine  biegsame  Kehle 
über  das  Theateriiublikum  ausübte,  war  unglaublich;  die  glücklichen  Besitzer 
einer  solchen  kehrten  mit  goldener  Beute  beladen  von  ihren  Triumphzügen 
durch  das  ganze  musikalische  Europa  zurück;  Faxünelli  lebte  zu  Bologna  in 
Pracht  und  Luxus,  Caffarelli  kaufte  ein  Herzogthum ,  Hess  sich  seinen  Gesang 
in  den  Kirchen  und  Klöstern  aber  nach  wie  vor  bezahlen.  Das  Wohlgefallen 
an  rein  kunstmässigem  Gesänge  war  so  hoch  gestiegen,  dass  man  über  eine 
schöne  Castratenstimme  und  glänzende  Virtuosität  alles  andere  vergass;  die 
Gier  des  Volkes  nach  diesen  süssen  schmelzenden  Tönen  war  zu  gross,  um 
irgend  welchem  Abscheu  gegen  das  Mittel  zu  ihrer  Gewinnung  Raum  zu  geben 
—  „Benedetto  il  coltello!''  rief  vielmehr  der  begeisterte  Musikenthusiast,  und  in 
italienischen  Städten  gab  es  Buden  mit  der  verlockenden  Inschrift  „Qui  sl 
casira  ad  un  prezzo  raffponevole".  Die  Musik  wurde  grossentheils  nach  der 
Veranlassung  beurtheilt,  welche  sie  dem  Sänger  zur  Entfaltung  seiner  Kunst- 
fertigkeit darbot;  es  kam  mehr  darauf  an,  dass  gut,  als  dass  etwas  Gutes  ge- 
sungen wurde.  In  der  grossen  Arie  war  es  Stil,  dass  der  Sänger  die  Melodien, 
so  oft  sie  wiederkehrten,  mit  immer  neuen  Coloraturen  und  Ausschmückungen 
vortragen ,  ausserdem  für  das  Dacapo  noch  immer  andere  Wendungen  und 
Manieren  vorräthig  haben  musste;  der  Componist  ersickte  unter  dem  Wust 
von  äusserlichem  Tongekräusel  und  sank  zum  blossen  Handlanger  des  Sängers 
herab.*)  Bei  alledem  wäre  es  unrichtig,  die  Namen  der  Männer  mit  Still- 
schweigen zu  übergehen ,  welche  sich  um  die  Ausbildung  des  Kunstgesanges 
besonders  verdient  gemacht  haben;  es  sind  dies  in  erster  Reihe  Francesco 
Antonio  Pistocchi,  der  um  1700  in  Bologna  eine  Gesangsschule  errichtete, 
sowie  sein  Schüler  Bernacchi,  unter  welchem  sich  dieselbe  zu  glänzender 
Berühmtheit  erhob  und  eine  Menge  von  Sängern  und  Sängerinnen  ersten 
Ranges  in  die  Welt  hinaussenden  konnte.  In  Bezug  auf  Bologna  sei  hier 
gleich  bemerkt,  dass  es  seine  musikalisch-pädagogischen  Fähigkeiten  auch  noch 
in  anderer  Weise  bekundete;  durch  Giovanni  Maria  Bononcini,  den  Vater 
des  durch  seinen  Wettstreit  mit  Händel  in  London  bekannten  Componisten 
Giovanni  Bononcini,  wurde  hier  (gegen  Ende  des  17.  Jahrhunderts)  die  Theorie 
des  modernen  Contrapunktes  und  der  Fuge  zuerst  ausgearbeitet,  und  die  Ge- 
sclilchte  der  Musik  fand  in  dem  Franciscaner  Giambattista  Martini  (ge- 
wöhnlich Padre  Martini  genannt),  der  von  1725  an  als  Kapellmeister 
seiner  Ordenskirche  daselbst  wirkte,  einen  des  alten  Rufes  der  Gelehrtenstadt 
würdigen  Vertreter. 

Für  die  Ausbildung  des  Violinspiels  kommen  hauptsächlich  zwei  italienische 
Meister  in  Betracht:  Arcangelo  Corelli,  der  sowohl  als  Componist  für  sein  In- 
strument wie  auch  als  Virtuose  in  Paris,  in  Deutschland  und  endlich  bis  zu  seinem 
Tode  (1713)  in  Rom  den  grössten  Erfolg  hatte  und  der  Stifter  einer  ebenso 
glänzenden  als  gediegenen  Schule  wurde;  sodann  Giuseppe  Tartini,  von 
1728  au  das  Haupt  einer  Violinschule  in  Padua,  deren  Zöglinge  seinen  Ruhm 
über  ganz  Europa  verbreiteten.  Tartini  erweiterte  die  Technik  des  Violinspiels 
durch  wichtige  Verbesserungen  des  Instruments,  und  erwarb  sich  durch  seine 
theoretischen  und  akustischen  Arbeiten  ein  weiteres  Verdienst;  seine  Compo- 
sitiouen  aber  haben  in  ihrer  rührenden   und   edlen  Einfachheit  zur  Hebung  dos 


*)  A.  von  Dommer,  „Handbuch  der  Musikgeschichte"  S.  436. 


Italien.  501 

Geschmackes  aufs  erfolgreichste  gewirkt  und  von  ihrem  "Werthe  bis  zum  heutigen 
Tage  nichts  eingebüsst.  Das  Ciavierspiel  dankt  seine  Vervollkommnung 
und  seine  im  Laufe  des  18.  Jahrhunderts  sich  immer  mehr  erweiternde  Herr- 
schaft grösstentheils  dem  Sohne  des  Stifters  der  neapolitanischen  Schule,  dem 
Domenico  Scarlatti,  der,  wenn  auch  seinem  Vater  an  Universalität  der 
musikalischen  Begabung  nachstehend,  diesen  doch  als  Clavierspieler  und  Clavier- 
componist  um  ein  Bedeutendes  überragt.  In  seinen  Werken  erscheint  auch 
zuerst  der  homophone  Ciaviersatz  und  beginnt  die  moderne  Ciaviersonate  sich 
zu  entwickeln,  wobei  jedoch  nicht  unerwähnt  bleiben  darf,  dass  schon  ein  Jahr- 
hundert vor  Domenico  Scarlatti  die  ersten  Schritte  nach  dieser  Richtung  in 
Italien  gethan  wurden,  und  zwar  durch  den  1591  geborenen  römischen  Organisten 
Grirolamo  Frescobaldi  und  seinen  Schüler  Bernardo  Pasquini,  welchen 
die  Ehre  gebührt,  einen  den  Claviaturinstrumenten  eigenthümlichen  Stil  ge- 
funden und  durch  ihm  entsprechende  Kunstformen  (z.  B.  die  Toccata)  zum 
Ausdruck  gebracht  zu  haben.  —  Beide  Zweige  der  Instrumentalmusik,  das 
Violin-  wie  das  Ciavierspiel,  mussten  sich  in  Italien  um  so  glänzender  entwickeln, 
als  ebenfalls  hier  die  Kunst  des  Instrumentenbaues  eine  hohe  Vollendung  er- 
langte und  durch  die  wichtigsten  Erfindungen  bereichert  wurde.  Die  Kunst 
des  Geigenbaues  hat  ihren  Hauptsitz  in  Cremona,  wo  im  Laufe  des  17.  Jahr- 
hunderts die  verschiedenen  Glieder  der  Familie  Amati  und  im  Anfang  des 
18.  Antonio  Stradivari  dieselbe  auf  eine  solche  Hohe  brachten,  dass  ihre 
Instrumente,  wie  bekannt,  noch  heute  als  unübertroffene  Kiinstwerke  gelten. 
Für  das  Ciavierspiel  war  nicht  weniger  fördernd  die  Erfindung  der  Hammer- 
mechanik im  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  durch  den  Paduaner  Bartoloraeo 
Cristofali;  denn  während  bei  den  älteren  Claviaturinstrumenten,  dem  Clavi- 
chord und  dem  Clavicymbel,  die  Saiten  durch  einen  Metallstift  oder  einen 
Rabenfederkiel  gerissen  wurden  und  daher  nur  in  einem  einzigen  Stärkegrad 
erklingen  konnten,  so  wurde  es  mittelst  des,  die  Saite  von  unten  anschlagenden 
Hammers  möglich,  die  Tonstärke  zu  modificiren,  je  nachdem  man  die  Taste 
leise  oder  stark  anschlug  —  woher  denn  auch  das  neue  Instrument  den  Namen 
»Leise-stark«  (ital.   Pianoforte)   erhielt. 

So  gelangen  wir  bis  zur  neuesten  Zeit,    bis   zu    unserem   Jahrhundert,    in 
welchem  die  musikalische  Bedeutung  Italiens  zwar  erheblich  vermindert  erscheint, 
keineswegs  aber  gänzlich  aufgehoben  ist.    Wie  im  14.  und  15.  Jahrhundert,  zur 
Zeit  der  Alleinherrschaft  des  polyphonen  Stils,  so  zeigt  Italien  auch   neuerdings, 
nachdem  durch  die  deutschen  Meister  Bach  und  Händel,    Haydn ,    Mozart  und 
Beethoven  jener   Stil  wiederum  zur  Herrschaft  gelangt  ist,    die  Neigung,    sich 
auf  die  Pflege  seiner    natürlichen  Anlagen    zu    beschränken,    und    durch    seine 
Leistungen  auf  dem  ihm  eigenthümlichen  Gebiete,  der  melodiösen,  insbesondere 
der  Opernmusik,  hat  es  nicht  aufgehört^  die  Theilnahme  der  musikalischen  Welt 
wach   zu  halten;    doch    hat    der    durch   die  neapolitanische  Schule  in  Aufnahme 
gekommene  Cultus    der    sinnlichen   Schönheit   und    der  Anmuth   bei    den  italie- 
nischen  Opei-ncomponisten  des   19.  Jahrhunderts  zur  süsslichen   Sentimentalität 
und  zur  Verflachung  geführt,    wie    dies  in  den  Werken   eines  Rossini,    eines 
Bellini  und  Donizetti  neben  aller  ihnen  eigenen   Genialität  nur  zu  deutlich 
zum  Vorschein    kommt.     Als   würdige  Nachkommen    der    grossen    italienischen 
Meister  sind  aus    unserem  Jahrhundert    nur    Cherub  in i    und    Spontini    zu 
nennen,  und  wenn  auch  beide  die  Anregung  zu  ihrem  Schafi'en  vorwiegend  vom 
Auslande  erhalten  haben  —  bei  Cherubini  ist  der  Eiufluss  Haydn's,  hei  Spontini 
der  Gluck's  unverkennbar  —  wenn  auch  beide  ihre  Wirksamkeit  im  Auslande 
fanden,  der  erstere  in  Paris,  der  letztere  ebenfalls  dort  und  in  Berlin,  so  kann 
dies  doch  ihren    und    ihres  Vaterlandes    musikalischen  Ruhm    nicht  schmälern. 
Für  das    letztere,    für    das    italienische  Publikum    sclieint    mit  Anfang  des   19. 
Jahrhunderts  allerdings  ein  Zustand  der  Erschöpfung  eingetreten  zu  sein,  der 
die  Entwickelung  einer  ernsten  Kunstrichtung  unmöglich   machte;  die  Kirchen- 
und  Kammermusik  gelangt,    bei    der    ausschliesslichen  Liebhaberei   der  Musik- 


502  Italien. 

freunde  für  leichtfassliche  Opernrausik,  kaum  mehr  dazu,  ein  Lebenszeichen 
von  sich  zu  geben;  und  wie  die  musikalische  Produktion,  so  sinkt  auch  die 
Kunst  der  Reproduktion:  wenngleich  in  den  ersten  Jahrzehnten  unseres  Jahr- 
hunderts die  Traditionen  des  edeln  italienischen  Kunstgesanges  noch  fortwirkten 
und  eine  grosse  Anzahl  gefeierter  Künstler  die  noch  immer  bestehende  Supre- 
matie Italiens  auf  dem  genannten  Gebiete  beweist,  so  ist  doch  auch  diese  in 
neuerer  Zeit  aufgehoben,  denn  das  Sängerpersonal  der  sogenannten  Italienischen 
Opern  in  Paris,  London,  Petersburg  rekrutirt  sich  gegenwärtig  grösstentheils 
aus  Künstlern,  die  weder  in  Italien  geboren  sind,  noch  dort  ihre  Ausbildung  er- 
halten haben,  und  dei'en  Heimath,  trotz  ihrer  häufig  italianisirten  Namen,  in 
Frankreich,  Deutschland,  Belgien,  Spanien  etc.  zu  suchen  ist.  Noch  grösserer 
Mangel  ist  an  Instrumental -Virtuosen:  mit  Ausnahme  der  meteorartigen  Er- 
scheinung Paganini's,  der  für  die  Technik  des  Violinspiels  allerdings  epoche- 
machend war,  zeigt  sich  auch  auf  diesem  Gebiete  in  der  neueren  Musikge- 
schichte Italiens  nichts  von  Bedeutung;  und,  was  wohl  hiermit  in  Wechselwir- 
kung steht,  die  Kunst  des  Instrumentenbaues  ist  aus  den  Händen  der  Italiener 
ganz  und  gar  an  Deutschland,  Prankreich  und  England  übergegangen. 

Bietet  demnach  das  heutige  musikalische  Italien  einen  weit  weniger  erfreulichen 
Anblick  als  das  früherer  Jahrhunderte,  so  lässt  sich  doch  nicht  verkennen,  dass 
seit  den  letzten  Decennien  ein  hoffnungverheissender  Umschwung  wie  im  poli- 
tischen so  auch  im  künstlerischen  Leben  der  Nation  eingetreten  ist.  Auf  dem 
Felde  der  noch  immer  mit  entschiedener  Vorliebe  gepflegten  dramatischen 
Musik*)  herrscht  gegenwärtig  ein  Künstler,  welcher  seinen  letzten  Vorgängern 
an  Begabung  nicht  nachsteht,  sie  dagegen  als  musikalischer  Charakter  weit 
überragt:  Giuseppe  Verdi.  In  der  Mehrzahl  der  Opern  dieses  Meisters 
tritt  das  Streben  deutlich  hervor,  der  neueren,  seit  1848  zum  Ausdruck  ge- 
kommenen Geistes-  und  Geschmacksrichtung  Rechnung  zu  tragen;  er  scheint 
von  der  Ueberzeugung  durchdrungen,  dass  das  heutige  Publikum  einer  anderen, 
kräftigeren  musikalischen  Nahrung  bedarf,  als  das  der  zwanziger  und  dreissiger 
Jahre,  welches,  erschöpft  durch  die  Napoleonischen  Kriege  und  entnervt  durch 
die  ihnen  folgende  Reactionsperiode,  zu  jeder  ernsteren  Geistesarbeit  unfähig, 
sich  dem  Zauberer  Rossini  in  die  Arme  warf  und  in  seinen  süss -tändelnden 
Melodien,  denen  das  "Wort  nur  als  Substrat  diente,  die  Trostlosigkeit  der  Zeit 
zu  vergessen,  sich  zu  berauschen  suchte.  Demgemäss  hat  Verdi  es  unter- 
nommen, das  charakteristische  Element  der  Musik,  welches  durch  seine  letzten 
Vorgänger  mehr  und  mehr  vernachlässigt  war,  in  seinen  Opern  aufs  Neue 
zu  voller  Geltung  zu  bringen  und  so  seinem  Stoffe  und  den  Textesworten 
die  Bedeutung  wiederzugeben,  die  ihnen  im  musikalischen  Drama  gebührt, 
die  sie  jedoch  vor  ihm  gänzlich  verloren  hatten.  Sein  Contrapunkt  und  seine 
Instrumentirung  zeigen  zwar,  an  den  Werken  der  deutschen  Meister  gemessen, 
häufig  eine  gewisse  TJnbeholfenheit,  doch  mangelt  es  ihnen  niemals  an  Leben 
und  Bewegung,  und  einsetzt  er  durch  Schönheit  und  Innigkeit  der  Melodie, 
sowie  durch  seine  mit  höchstem  künstlerischen  Geschick  angelegten  Ensembles, 
was  ihm  etwa  nach  jener  Richtung  hin  fehlt.  Auch  die  von  ihm  zur  Com- 
position  gewählten  Stoffe  bekunden  durchweg,  dass  es  ihm  darum  zu  thun  ist, 
seinem  Volke  mehr  als  einen  oberflächlichen  Sinnengenuss  zu  bieten,  es  viel- 
mehr nach  Kräften  über  das  Alltägliche  zu  erheben.  Mit  Recht  kann  daher 
Verdi's  Wirksamkeit  eine  reformatorische  genannt  werden,  und,  lässt  man  die 
dem  deutschen  Ohre  ungewohnt,  ja  manchmal  trivial  klingende  Einfachheit  seiner 
Melodien  und  Rhythmen  als  berechtigte  Eigeuthümlichkeit  der  italienischen 
Musik  gelten;  erwägt  man  ferner,  dass  es  weder  eine  Oberflächlichkeit  noch 
psychologische  Unwahrheit  ist,  wenn  Verdi  bisweilen  in  hochtragischen  Stellen 


*)  In  Italien  kommt,  wie  der  französische  Statistiker  .Tulien  Stader  ausgerechnet  hat, 
a>if  70,000  Einwohner,  in  Frankreich  auf  110,000  Einwohner,  in  Russland  auf  1,360,000 
Einwohner  je  ein  Theater. 


Italien.  503 

das  hellste  Dur  und  die  lebhaftesten  Rhythmen  anwendet  —  denn  die  musi- 
kalischen Mittel  zum  Ausdruck  der  Gefühle  der  Lust,  des  Schmerzes,  der  Be- 
geisterung sind  bei  den  verschiedenen  Völkern  keineswegs  immer  dieselben, 
wie  es  z.  B.  die  JlfoZ^ -Volksweisen  der  Slaven.  die  tanzähnlichen  National- 
hymnen der  romanischen  Nationen  beweisen  —  so  darf  ihm  in  der  italienischen 
Musikgeschichte  eine  Stellung  eingeräumt  werden  analog  der,  welche  Eichard 
Wagner  in  der  deutschen  einnimmt.*)  Wie  um  diesen  bei  uns,  so  hat  sich 
auch  um  Verdi  eine  Anzahl  jüngerer  Kräfte  gruppirt,  unter  denen  Ponchielli, 
Gomes,  Gobatti  und  Marchetti  bisher  den  meisten  Erfolg  mit  ihren  Opern 
gehabt  haben.  Ueberhaupt  zeichnet  sich  Italien  auch  in  der  Gegenwart  durch 
seine  Produktivität  an  Opern  vor  allen  anderen  Ländern  aus,  und  dem  dortigen 
Publikum  ist  nachzurühmen,  dass  es  den  Novitäten  auf  diesem  Gebiete  im 
Allgemeinen  mehr  Theilnahme  entgegenbringt,  als  es  anderswo  der  Fall  ist. 
Doch  darf  dabei  freilich  nicht  verschwiegen  werden,  dass  diese  Theilnahme 
sofort  erkaltet,  wenn  es  dem  Componisten  und  dessen  Interpreten  nicht  gelingt, 
unmittelbar  auf  das  Gemüth  der  Hörer  zu  wirken.  Besonders  strenge,  ja  un- 
barmherzig geht  das  italienische  Opernpublikum  mit  den  Sängern  und  Sänge- 
rinnen zu  Gericht,  wenn  dieselben  durch  Mängel  der  Tonbildung  und  Aus- 
sprache des  Textes  oder  durch  unschöne  Bewegungen  die  Kritik  herausfordern; 
Fehler  dieser  Art  pflegen  in  Italien  einen  wahren  Sturm  des  Unwillens  hervorzu- 
rufen ,  der  selbst  zur  zeitweiligen  Unterbrechung  der  Vorstellung  führen  kann, 
den  aber  der  Sänger  durch  eine  einzige  wohlgelungene  Phrase  zu  beschwich- 
tigen und  in  sein  Gegentheil  zu  verwandeln  im  Stande  ist.  Eine  derartige 
musikalische  Lynch- Justiz,  so  peinlich  sie  auch  für  den  von  ihr  GetroflPenen 
sein  mag,  hat  doch  ohne  Frage  auch  eine  gute  Seite,  und  dürfte,  in  anderen 
Ländern  eingeführt,  sich  als  ein  wirksames  Mittel  gegen  die  dort  häufig  gras- 
sirenden  Vortragsunarten  so  vieler  Bühnenkünstler  erweisen. 

Weit  weniger  Lebhaftigkeit  und  Abwechselung  zeigt  sich  im  heutigen  Italien 
auf  dem  Felde  der  Kirchen-  und  der  Kammermusik,  wenngleich  auch  hier  die 
letzten  fünfundzwanzig  Jahre  einen  nicht  zu  verkennenden  Fortschritt  gebracht 
haben.  Während  jedoch  das  Interesse  für  die  Oper  in  den  kleinsten  Städten  der 
Halbinsel  zum  Ausdruck  kommt  und  Nahrung  findet,  so  werden  jene  nur  in 
den  grössten  Centren  und  auch  dort  nur  verhältuissmässig  dürftig  gepflegt. 
Insbesondere  ist  die  Kirchenmusik  so  zu  sagen  auf  den  Aussterbe-Etat  gesetzt, 
und  selbst  in  Rom,  der  jahrhundertelangen  Pflanzstätte  dieser  wichtigsten  aller 
Musikgattuugen,  will  es  dem  als  Historiker  wie  als  Kirchencomponist  verdienst- 
vollen Kapellmeister  der  Peterskirche,  Salvatore  Meluzzi,  nicht  gelingen, 
die  Gleichgültigkeit  der  Geistlichen  gegen  die  Musik  zu  überwinden  und  ihr 
einen  wichtigeren  Platz  im  Gottesdienst  zu  erringen ,  ihr  annähernd  zu  der 
Stellung  wieder  zu  verhelfen,  die  sie  in  früheren  Zeiten  einnahm.  —  Um  die 
Hebung  der  symphonischen  und  Kammermusik  haben  sich  die  Städte  Florenz 
und  Mailand  neuerdings  in  nennenswerther  Weise  bemüht;  in  ersterer  Stadt 
findet  auf  Veranlassung  des  dortigen  Kunstmäcen  Abramo  Base  vi,  bekannt 
auch  über  Italien  hinaus  durch  seine  Schriften  iihilosophischen  und  musikalischen 
Inhalts,  sowie  als  Besitzer  einer  wichtigen  musikalischen  Bibliothek,  ein  jähr- 
liches Preisausschreiben  für  Streichquartette  statt;  doch  war  das  Resultat  dieses 
Unternehmens  insofern  ein  für  Italien  ungünstiges,  als  während  einer  Reihe  von 


*)  Es  braucht  kaum  darauf  hingewiesen  zu  werden,  dass  bei  diesem  Vergleiche  nur 
ein  kleiner  Theil  der  Wirksamkeit  R.  Wagner's  in  Betracht  kommt.  Die  Wiedergeburt 
des  antiken  Musikdramas,  welche  Wagner  nicht  nur  als  Musiker,  sondern  auch  als  Dichter 
und  philosophischer  Schriftsteller  anstrebt,  ist  —  mögen  sich  nun  seine  Pläne  in  ihrem 
ganzen  Umfange  oder  nur  theilweise  verwirklichen  —  ohne  Fi*age  ein  deutsches  Werk, 
an  dessen  Gelingen  die  übrigen  Nationen  wohl  Antheil  nehmen,  aber  nicht  mitgearbeitet 
haben.  Immerhin  aber  darf  Verdi  das  Verdienst  in  Anspruch  nehmen,  auch  seinerseits 
dem  Zeitgeist  Rechnung  getragen  und,  soweit  es  die  nationalen  Verhältnisse  erlaubten, 
sich  am  Kampfe  gegen  die  Herrschaft  der  Routine  und  der  Schablone  auf  dem  Gebiete 
der  Oper  wirkungsvoll  betheiligt  zu  haben. 


504  Italien. 

Jahren  der  Preis  stets  an  Ausländer  vertheilt  werden  musste,  was  endlich  den 
Ausschluss  derselben  von  der  Bewerbung  zur  Folge  hatte.  Ausserdem  hat 
sich  eine  dortige  Quartettgesellschaft  die  Aufgabe  gestellt,  das  Publikum  mit 
allen  bedeutenden  Erscheinungen  auf  dem  Felde  der  Kauimerrausik  bekannt  zu 
machen  und  verfügt  zu  diesem  Zwecke  über  virtuose  Kräfte  ersten  Ranges. 
Das  Gleiche  gilt  von  der  Quartettgesellschaft  in  Mailand,  welche  durch  die 
gelegentliche  Mitwirkung  der  um  das  dortige  Conservatorium  der  Musik  grup- 
pirten  lehrenden  und  lernenden  Künstler  bei  den  von  ihr  veranstalteten  Auf- 
führungen vor  jener  noch  im  Yortheil  ist  und  neben  ihren  Kammermusiksoireen 
auch   Orchesterconcerte  veranstaltet. 

Das  eben  erwähnte  Conservatorium  aber,    weitaus    die  bedeutendste  unter 
den  zahlreichen  Schulen  Italiens,  dürfte  mehr  als  alles  andere  zur  Hoffnung  einer 
baldigen  Regeneration  der  italienischen   Musikzustände  berechtigen,  nachdem  es 
unter  der  Leitung  von  Alberto    Mazzucato,    der  dieselbe  in  den  sechsziger 
Jahren  übernahm,    einen    hohen  Aufschwung    genommen  hat,    und  unter  seine 
Lehrer  Künstler  zählt  wie  Bazzini  —  der  nach  seinen  glänzenden  europäischen 
Erfolgen  als  Violinvirtuose  und  Componist  für  dies  Instrument  sich  in  neuerer 
Zeit  ausschliesslich  der  Kammermusik  und  dem  Unterricht  in  der  Composition 
gewidmet  hat  —  wie   Sgambati,    einen    der    gediegensten    Pianisten    aus    der 
Liszt'schen    Schule,    und    Andere.      Der    Besitz    dieses    Institutes    wäre    schon 
allein  genügend,  Mailand  zur  musikalischen  Hauptstadt  Italiens  zu  macheu,  doch 
treten  noch  eine  Reihe  von  Umständen  hinzu,  um  ihre  Hegemonie  zu  sichern. 
Vor  allem  die  materiellen  Verhältnisse,  die  es  ihr,  als  der  weitaus  wohlhabendsten 
Stadt  des  Reiches,    möglich    machen,    der  Kunst    diejenigen  Opfer  zu  bringen, 
welcher  dieselbe  zu  ihrer  vollen  Blüthe  nun  einmal  nicht  entbehren  kann;  ferner 
der  kritische   Geist  ihrer  Bevölkerung,    jene    nüchterne  Verständigkeit,    welche 
der  Norden  vor    dem   Süden    voraus    hat,    und    die    auch    in    anderen  Ländern 
dem  erstereu  zur  geistigen  Herrschaft  über  die  südlichen,  wenn  auch  mit  einer 
reicheren  Phantasie  begabten  Brüder  verhelfen  hat.      So  konnte  denn  auch  der 
Musikalienhandel  und  Verlag  hier  eine  Bedeutung  gewinnen,    welche  die  Con- 
currenz  der  übrigen  Städte  der  Halbinsel  beinahe  unmöglich  macht;   besonders 
sind  es  zwei  Häuser,    welche    an   Thätigkeit    den    renommirtesten  im  Auslände 
nicht  nachstehen:  Ricordi    und    Lucca,    das  eine  vorwiegend  die  italienische 
Musik  vertretend  (darunter  auch  die  von  Verdi) ,    das    andere  die  ausländische 
(z.  B.  die  Opern  von  R.  "Wagner,   die  Kammer-  und  Orchestermusik   der   neu- 
deutschen Schule    etc.).     Im  Verlage    des    Hauses    Ricordi    erscheint    auch    die 
bedeutendste  Musikzeitung  Italiens,  die  Gazzetta  musicale,  welche  sich   aufs  Vor- 
theilhafteste  von  der  Unzahl  kleiner,   in  Mailand  selbst,    sowie  in  anderen  ita- 
lienischen  Städten    erscheinenden  Theater-  und  Musikzeitungen    abhebt  und  an 
Gediegenheit   der   grösseren  Artikel    sowie  Eleganz  der  Ausstattung  selbst  von 
den  Pariser  Musikzeitungen  nicht  übertroffen  wird.     Was    die    typographischen 
Leistungen  dieser  beiden  Geschäfte    betrifft,    so    stehen    auch  sie  durchaus  auf 
der  Höhe  der  Zeit    und    konnten  z.  B.  auf   der  Wiener  Ausstellung  von  1873 
mit  Recht  die  Aufmei'ksamkeit  der  Kenner  erregen;    in    dieser  Beziehung  aber 
muss  noch  einmal  an  Florenz  erinnert  und  auf  die  von  der  dortigen  Quartett- 
gesellschaft   veranstalteten   Taschenausgaben    der  P.irtituren    classisclier  Meister 
hingewiesen  werden,  deren  eleganter  und  deutlicher  Stich  noch  nirgendwo  über- 
troffen ist.     Der  Verleger  derselben,   G.   G.   Guidi,  zählt  überdies  als  Besitzer 
eines    werthvollen  Lagers    alter  Musik    und    als  Herausgeber    der,    wenn    auch 
nicht  der  Form,  so  doch  dem  Inhalt  nach  der  Gazzetta  musicale  gleichstehenden 
Musikzeitung  Boccherini   zu    den    hervorragenden  Persönlichkeiten   des  musika- 
lischen Florenz. 

Schliesslich  seien  noch  drei  Städte  genannt,  welche,  obschon  mit  gerin- 
gerem Erfolg  als  Mailand  und  Florenz,  danach  streben,  den  beschränkten  Kreis 
des  nationalen  Musiktreibens  zu  durchbrechen,  und  deshalb  zur  Mitwirkung 
an   der  musikalischen  Wiedersreburt  Italiens  ebenfalls  berufen  scheinen.     In  Rom 


Italienische  Quinte  —  Itard.  505 

versammelt  der  treffliche  Violinist  Pinelli  eine  Anzahl  von  Freunden  der 
classischen  Kammermusik  zu  regelmässigen  Quartettabenden,  an  welchen  neben 
den  "Werken  Haydu's,  Mozart's  und  Beethoven's  auch  die  der  jüngeren  deutscheu 
Componisten  zur  Aufführung  kommen;  ferner  hat  die  dortige  »musikalische 
Gresell Schaft«  durch  die  von  ihr  veranstaltete  höchst  erfolgreiche  Aufführung 
von  Spontini's  »Vestalin«  (1875)  sich  ein  Verdienst  erworben,  welches  um  so 
schwerer  wiegt,  als  diese  Oper  dem  italienischen  Publikum  völlig  unbekannt 
war,  und  selbst  der  Name  des  Componisten,  obwohl  einer  der  besten  des  musi- 
kalischen Italiens,  dort  in  Vergessenheit  zu  gerathen  drohte.  In  Neapel  wirkt, 
unbeirrt  durch  das  Operntreiben  der  genusssüchtigen  Grossstadt  —  es  kommen 
beispielsweise  von  31  in  der  ersten  Hälfte  des  Jahres  1875  in  Italien  aufge- 
führten Opernnovitäten  elf  allein  auf  Neapel  —  ein  Verein  von  jüngeren  Leuten 
für  Verbreitung  der  deutschen  Musik,  besonders  B.  Wagner's,  dessen  Cantate 
»Das  Liebesmahl  der  Apostel«  dort  schon  vor  Jahren  zur  öffentlichen  Auffüh- 
rung gelangt  ist. 

Mehr  aber  als  diese  beiden  Städte  zeigt  sich  seines  alten  Kahmes  würdig 
Bologna;  wie  die  ehi'würdige  Universitätsstadt  von  jeher  die  Tendenz  hatte, 
durch  ernstes  Studium  die  Erfindungen  und  Errungenschaften  auch  auf  musi- 
kalischem Gebiete  zu  vertiefen  und  zu  befestigen,  so  übertrifft  sie  auch  heute 
an  Gründlichkeit  ihres  musikalischen  Strebens  alle  übrigen  Städte  Italiens.  Das 
Lyceum  von  Bologna,  gegenwärtig  unter  der  Leitung  des  Kapellmeisters  an 
der  Kirche  S.  Petronio,  Gaetano  Gaspari,  eines  der  gediegensten  Kirchen- 
componisten  und  Musikhistoriker  des  Landes,  gilt  nächst  dem  Mailander  Con- 
serviitorium  und  dem  Florentiner  ^ylstituto  mitsicaled  mit  Recht  als  die  beste  musi- 
kalische Erziehungsanstalt  Italiens.  Die  Leistungen  des  Bologneser  Orchesters 
stehen  weit  über  denjenigen  anderer  selbst  grösserer  italienischer  Städte  und 
zeichnen  sich  durch  eine  Klangschönheit,  Präcision  und  Feinheit  des  Vortrags 
aus,  welche  man  in  den  Concerten  der  Pariser  Conservatoire-Gesellschaft  kaum 
übertroffen  findet.  Das  Publikum  Bolognas  endlich  hat  bei  Gelegenheit  der 
in  den  letzten  Jahren  stattgefundenen  Aufführungen  der  Opern  von  R.  Wagner 
für  dessen  dem  italienischen  Ohre  natürlicher  Weise  vielfach  widerstrebende 
Musik  einen  Grad  von  Verständniss  und  Pietät  beAviesen,  der  ihm  zur  grossen 
Ehre  gereicht  und  seiner  Bildungsfiihigkeit  das  glänzendste  Zeugniss  ausstellt. 
Bekannt  ist  ferner,  mit  welcher  Einsicht  und  Sorgfalt  der  1873  verstorbene 
Kapellmeister  Mariani  das  Studium  dieser  Opern  geleitet  hat,  und  wie  die 
Stadt  Bologna  den  fremden  Componisten  dui'ch  Verleihung  des  Ehrenbürger- 
rechtes auszeichnete.  Wenn  nun  auch  dieser  Beweis  der  Theilnahme  Italiens  für 
die  deutsche  Kunst  vorläufig  noch  isolirt  geblieben  ist,  so  kann  er  doch  als 
ein  Prognosticon  für  die  guten  musikalischen  Beziehungen  zwischen  Italien  und 
Deutschland  im  Allgemeinen  aufgefasst^werden,  Beziehungen,  welche  der  Kunst- 
prodiiktion  beider  Länder  nur  zum  Vortheil  gereichen  können;  und  je  mehr 
sich  in  Deutschland  die  Erkenntniss  Bahn  brechen  wird,  dass  die  italienische 
Musik  auch  in  ihrer  jetzigen  Beschaffenheit  Elemente  enthält,  welche  von  der 
deutschen  nicht  ungestraft  verkannt  oder  vernachlässigt  werden  dürfen,  desto 
mehr  wird  man  sich  in  unseren  musikalischen  Kreisen  veranlasst  fühlen,  die 
damals  für  Bologna  erwachte  Sympathie  mehr  und  mehr  dem  ganzen  Italien 
zuzuwenden.  W.  Langhaus. 

Italienische  Quinte,  s.  Rohr  flöte. 

Italienisches  Notenpapier  nennt  man  vorzugsweise  das  in  die  Quere  oder 
Breite  gelegte  Papier  (s.  Notenpapier). 

Italienische  Tabulatnr,  s.  Tabulatur. 

Itard,  J.  E.  M,  C. ,  französischer  Ohrenarzt,  geboren  1775  in  der  Pro- 
vence, war  als  Arzt  am  königl.  Institut  für  Taubstumme  in  Paris  angestellt 
und  hat  in  einem  grösseren  Werke  sowie  in  mehreren  kleinen  Schriften  die 
Krankheiten  des  Ohres  und  der  Gehörwcrkzenge  einer  genauen,  nicht  er- 
folglos gebliebenen  Untersuchung  unterzogen.     I.  starb  am  5.  Juli  1838  zu  Passy. 


5U6  Ite,  missa  est  —  Jue. 

Ite,  missa  ost.  (latein.),  Schlussformel  beim  Gottesdienst  der  römisch-katho- 
lischen Kirche,  mit  welcher  der  Diaconus  am  Ende  der  Liturgie  die  versam- 
melte  Gemeinde  entlässt. 

Ithomäeu  waren  jährlich  wiederkehrende  Feste  der  Messenier,  gefeiert  zu 
Ehren  des  Zeus,  welcher,  dem  griechischen  Mythus  zufolge,  auf  dem  Berge 
Ithome,  dem  jetzigen  Monte  Vulcano,  von  Nymphen  erzogen  worden  war.  An 
dieser  Stelle  erhob  sich  ein  ihm  geweihter  Tempel  unfern  der  gleichnamigen 
befestigten  messenischeu  Hauptstadt  Ithome,  in  und  vor  welchem  das  erwähnte 
Landesfest,  bei  dem  musikalische  Wettstreite  einen  Haupttheil  der  Feier  aus- 
machten, abgehalten  wurde. 

Ithymbos  (griech.),  ein  von  Hymnengesang  begleiteter  Tanz  der  alten 
Griechen,  welcher  zu  Ehren  des  Bacchos  aufgeführt  wurde. 

Juan  IV.,  s.  Joao  IV. 

Juan  Iledoudo  ist  der  Name  eines  spanischen  Tanzes  des  16.  Jahrhunderts, 
Man  weiss  nichts  über  denselben,  als  dass  er  freiere  Bewegungen  und  üppigere 
Stellungen  darbot,  wie  man  bisher  zu  schauen  gewohnt  war.  AVährend  des 
Tanzes  sangen  die  Tänzer  und  Zuschauer  kleine  Liedercheu.  0. 

Jubal,  der  Sohn  Lamech's,  war  nach  den  Ueberlieferungcn  der  Bibel 
(1.  Mos.  4,  21)  der  Erfinder  von  Saiten-  und  Blasinstrumenten  und  zugleich 
der  erste  Musiker.  Er  lebte  in  der  vorsündfluthlichen  Zeit.  Seinen  Namen 
führt  auch  eine  Orgelstimme  von  1,25  Meter  und  halb  so  gross  (s.  Orgel). 

Jubelhorn,  s.  Buglehorn  und  Klappenhorn. 

Jubhüuka  ist  der  indische  Name  für  die  21.  Sruti  (s.  d.),  der  Mittelklang 
zwischen  Ni  (s.  d.)  und  Sa  (s.  d.),  der  ungefähr  einem  gleich  weit  zwischen  a 
und  as  gelegenen  Tone  unserer  Scala  entsprechen  würde.  0. 

Jubilate  (latein.),  d.  i.  Freut  euch,  jubelt  (s.  Sonntag). 

Jubiloso,  falsch  orthographisch  für  giuhiloso  (s.  d.). 

Jnbilns  oder  Juhilatio  (latein.)  heissen  in  der  römisch-katholischen 
Kirchensprache  die  melodischen  Anhängsel,  welche  an  das  AUeluja  des  Gra- 
duale  (s.  d.)  sich  anschliessen  und  über  dem  letzten  a  des  Alleluja  oft  in  sehr 
ausgedehnter  Weise  gesungen  werden.  Man  nannte  sie  früher  auch  Neuma. 
Schon  der  alte  Kirchenvater  Augustinus  erwähnt  solcher  Jubilen,  die  besonders 
bei  den  Gesängen  der  Hirten  und  Krieger  im  Gebrauch  waren  und  in  Er- 
gehungen der  Singstimme  ohne  Textworte  bestanden.  Die  Jubilen  auf  das 
Alleluja  nannte  man  im  Mittelalter  Sequentiae,  welchen  letzteren  man  später 
sogar  Worte  unterlegte;  man  erweiterte  diese  hierauf  zu  ganzen  hymnenartigen 
Dichtungen,  welche  den  besonderen  Namen  Sequenzen  oder  Prosen  er- 
hielten (s.  Sequenz). 
Juden,  s.  Hebräer. 

Judenköuig',  Hans,  deutscher  Musiker,  der  zu  Anfang  des  16.  Jahrhun- 
derts zu  Wien  lebte,  verfasste  eine  »Unterweisung,  die  Laute  und  Geige  spielen 
zu  lernen«  (Wien,  1523),  jedenfalls  eines  der  ältesten  gedruckten  Lehrbücher 
dieser  Art. 

Judica  (latein.),  d.  i.  Richte,  urtheile  (s.  Sonntag). 

Judice,  Cesare  de,  musikkundiger  italienischer  Rechtsgelehrter,  geboren 
am  28.  Jan.  1607  zu  Palermo,  trieb  neben  den  Wissenschaften  auch  eingehend 
das  Studium  der  musikalischen  Composition.  Im  J.  1632  ward  er  Doctor  der 
Rechte  und  1650  Generalvisitator  im  Val  di  noto  seiner  Vaterstadt,  in  welchem 
Amt  er  am  13.  Septbr.  1680  starb.  Componirt  hat  er  zwei-,  drei-  und  vierstimmige 
concertirende  Madrigale  (Messina,  1628),  sowie  Motetten  (Palermo,  1635)  und 
ein  Requiem  zur  Leichenfeier  König  Philipp's  IV.  (1666),  welches  aufgeführt 
wurde,  aber,  obwohl  das  beste  seiner  Werke,  nicht  im  Druck  erschienen  ist. 
Den  pathetischen  Styl  soll  er  darin  geschickt  und  erfolgreich  entwickelt  haben. 
Jue,  Edouard,  französischer  Tonkünstler  und  Musikpädagog,  geboren 
1794  zu  Paris,  trat  mit  vierzehn  Jahren  in  das  dortige  Conservatoiium,  wo 
die  Violine  sein  Hauptinstrument  war.     Nach  seinem  Abgänge  von  der  Anstalt, 


Jürgensen  —  Julien.  507 

im  J.  1811,  richtete  er  seine  Aufmerksamkeit  auf  die  Methode,  die  Musik 
durch  den  Meloplasten  (s.  d.)  zu  erlernen  und  sah  darin  einen  Weg,  sich 
eine  sorgenfreie  Zukunft  zu  schaffen.  Er  wurde  nun  ein  gelehriger  Schüler 
Galin's,  der  ihn  bald  als  Hauptlehrer  seines  Instituts  verwenden  konnte.  Nach 
dem  Tode  seines  Lehrers  setzte  J.  dessen  Methode  weiter  fort  und  hatte  stets 
zahlreiche  Schüler.  Er  erfand  auch  eine  besondere  Notation,  die  er  an  Stelle 
der  Galin'schen  Ziffern  setzte  und  die  »mouogammische  Notation«  nannte. 
Unablässig  war  er  auf  Verbesserungen  seines  Systems  bedacht  und  veröffent- 
lichte mehrere  Schriften  über  dasselbe.  Im  J.  1827  war  er  in  London,  um 
daselbst  die  Methode  des  Meloplasten  und  die  monogammische  Notation  ein- 
zuführen. Er  hatte  aber  in  England  so  gex'ingen  Erfolg  mit  seinen  Bemü- 
hungen, dass  er  wieder  nach  Paris  zurückkehrte.  Jedoch  auch  dort  hat  ihn 
sein  System  nicht  überlebt. 

Jürgensen,  Johann  Christoph,  guter  deutscher  Ciavierspieler  und  in- 
telligenter Ciavierbauer,  geboren  um  1754  zu  Schleswig,  lernte  in  seiner  Jugend 
das  Bäckerhandwerk.  Er  soll  schon  dreissig  Jahre  alt  und  Bäckermeister  ge- 
wesen sein,  als  er  um  1780  plötzlich  sein  Handwerk  aufgab  und  eine  Instru- 
mentenfabrik anlegte,  befähigt  dazu  durch  ein  eifriges  Studium  des  Claviers, 
welchem  er  sich  in  seinen  Freistunden  hingegeben  hatte.  Nicht  allein ,  dass 
vortreffliche  Claviere  aus  seiner  AVerkstätte  hervorgingen,  sondern  er  erfand 
auch  das  sogenannte  Glavecin  royal  mit  zwölf  Veränderungen.  Für  seine  den- 
kende Beschäftigung  mit  der  Kunst  legt  auch  ein  Aufsatz  von  ihm  über  In- 
strumentenbau in  der  Leipziger  allgemeinen  musikalischen  Zeitung  Jahrg.  1803 
S.  699  ff.  Zeugniss  ab.  Er  starb  um  1815  in  seiner  Vaterstadt  Schleswig, 
welche  er  niemals  verlassen  zu  haben  scheint. 

Jnhorünot  ist  der  Name  eines  alten  finnischen  Gesanges  elegischen  Cha- 
rakters, der  vor  der  Einführung  der  Mühlen  in  diesem  Lande  von  den  Frauen 
beim  Zerreiben  des  Korns  gesungen  wurde.  Derselbe  hat  sich  bis  heute  dort 
erhalten  und  wird  mit  der  Kantele  (s,  d,)  begleitet.  0, 

.Tnillet,  französischer  Opernsänger,  geboren  1755  zu  Paris,  war  seit  1801 
am  Theater  Feydeau  daselbst  angestellt  und  gehörte  zu  den  Lieblingen  des 
Publikums,  trotzdem  seine  Stimme  und  Schule  nicht  genügen  konnten.  Da- 
gegen war  sein  ausgezeichnetes  Spiel  der  Schwerpunkt  seiner  Leistungen,  Er 
starb,  vom   Schlage  getroffen,  am  30.  Mai  1825  zu  Paris. 

Jnipin  nennen  die  Chinesen  das  siebente  Lü  (s.  d.)  ihres  Tonreiches, 
welcher  Ton  ungefähr  unserem  h  entspricht  (s.  Chinesische  Musik). 

Jula,  eine  Quint-Orgelstimrae  in  der  Grösse  von  2  bis  2,5  Meter,  deren 
Pfeifen  spitz  zulaufen,  weshalb  diese  Stimme  auch  Spitzpfeife  oder  Spitz- 
flöte genannt  wurde. 

Jnlaqninte,  s.  Jula.  - 

Jnliani,  s.  Giuliani. 

Juliane,  s.  Giuliano. 

Jnlien,  ein  seit  300  Jahren  ziemlich  häufig  vorkommender  Name  von  fran- 
zösischen und  belgischen  Musikern.  Die  bekanntesten  derselben  sind:  1)  G. 
Julien,  welcher  im  17.  Jahrhundert  lebte  und  Organist  am  Dom  zu  Chartres 
war.  Er  hat  ein  Buch  Orgelstücke  für  die  acht  Kirchentöne  componirt  und 
in  Paris  erscheinen  lassen.  —  2)  Guillaume  J.,  genannt  Navoigille,  ge- 
boren 1745  zu  Givet,  ein  vorzüglicher  Violinvirtuose  und  Dirigent,  der  eine 
Schule  für  Violinisten  in  Paris  gründete  und  längere  Zeit  hindurch  die  Con- 
certe  der  Loge  olympique  daselbst  leitete,  für  welche  Haydn  eigens  sechs  Sin- 
fonien schrieb.  Später  war  J.  Mitglied  der  Kapelle  Louis  Bonaparte's,  Königs 
von  Holland,  kehrte  aber  schon  1810  nach  Paris  zurück  und  starb  daselbst 
in  ärmlichen  Verhältnissen  im  J.  1811.  Lange  galt  er  irrthümlicher  Weise 
als  der  Componist  der  »Marseillaise«.  —  3)  Henri  de  Saint- J.,  ein  talent- 
voller Dilettant,  geboren  am  6.  Jan.  1801  zu  Mannheim,"'  gestorben  als  ba- 
discher Kriegsrath  am  13.  Novbr.  1844  in  Karlsruhe,  hat  vierstimmige  Männer- 


508  Julien. 

gesänge,  sowie  Lieder  für  eine  Siugstimrae  mit  Piaaoforte  componirt.  —  4) 
Louis  Antoine  J.,  der  bemerkenswertheste  dieses  Namens,  s.  den  folgenden 
Artikel.  —  5)  Nicolas  J.,  um  1780  als  Violoncellist  im  Orchester  der  Ita- 
lienischen Oper  zu  Paris  angestellt,  gab  daselbst  von  seiner  Composition  Arietten 
für  zwei  Violoncelli  heraus.  —  6)  Paul  J.,  ein  ausgezeichneter,  zu  den  höchsten 
Hoffnungen  berechtigender  Violinvirtuose,  geboren  am  12.  Febr.  1841  zu  Brest, 
erhielt  seine  höhere  musikalische  Ausbildung  auf  dem  Conservatorium  zu  Paris 
und  erregte  als  jugendlicher  Concertspieler  grosses  Aufsehen.  In  den  Jahren 
1853  bis  1857  bereiste  er  überaus  erfolgreich  Amerika,  worauf  er  sich  mit 
bereits  angegriffener  Gresundheit  wieder  in  Frankreich  hören  Hess.  Leider 
starb  er  schon  am  7.  März  1860  zu  Paris.  —  7)  Pierre  J.,  der  älteste  dieses 
Namens,  geboren  in  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  zu  Carpentras,  ist 
der  A'^erfasser  einer  Singschule,  welche  unter  dem  Titel  »ie  vrai  chemin  j)0U7' 
apprendre  a  chanter  toute  sorte  de  musiquea  (1570)   erschienen  ist. 

Jaliea,  Louis  Antoine,  häufiger,  aber  unrichtig  Jullien  geschrieben, 
ein  rastlos  industrieller,  jedoch  sehr  begabter  und  kenntnissreicher  französischer 
Componist,  Dirigent  und  musikalischer  Unternehmer,  wurde  am  23.  April  1812 
zu  Sisteron  im  Departement  der  Nieder-Alpen  geboren.  Sein  Vater,  ein  Regi- 
mentsmusiker, unterrichtete  ihn  auf  der  Flöte  und  auf  anderen  Blasinstrumenten. 
AVie  ein  Kind  des  Regiments  in  der  Kaserne  erzogen,  begann  J.  seine  Musiker- 
laufbahn als  Piccolflötenbläser  im  Musikcorps,  dem  sein  Vater  angehörte.  Ein 
und  zwanzig  Jahre  war  er  alt,  als  er  im  Octbr.  1833  im  Pariser  Conserva- 
torium Aufnahme  fand,  wo  er  bei  Lecarpentier  Ciavierspiel,  bei  Halevy  Com- 
position studirte  und  bei  Cherubini  mit  dem  Contrapunkt  begann.  Statt  der 
ihm  aufgegebenen  Arbeiten  im  strengen  Satz,  gefiel  es  ihm,  dem  letzteren  aller- 
hand Walzer,  Galoppaden  und  Contretänze  vorzulegen,  wodurch  er  den  ge- 
strengen Direktor  so  erregte,  dass  derselbe  endlich  1836  J.'s  Ausschluss  aus 
der  Anstalt  beantragte  und  durchsetzte.  J.  verständigte  sich  nun  mit  dem  Be- 
sitzer des  Jardin  turc,  der  ihn  als  Dirigent  von  sogenannten  Ball-Concerten  an- 
stellte, die  ihrer  marktschreierischen  aber  originellen  Programme  wegen  unge- 
heures Aufsehen  machten  und  allabendlich  ein  zahlreiches  Publikum  anlockten. 
J.  entwickelte  damals,  und  in  immer  gesteigerter  Weise  im  Verlaufe  seiner  wei- 
teren Dirigenten-  und  Componistenthätigkeit,  einen  Reichthura  an  genialen, 
extravaganten  und  auf  das  grosse  Publikum  berechneten  Einfällen,  der  bewun- 
dernswerth  genannt  werden  muss;  im  Grunde  aber  war  er  hinreichend  Künstler, 
um  das  Schöne,  das  er  oft  genug  den  Massen  gegenüber  verläugnen  musste, 
zu  schätzen  und  hoch  zu  halten. 

Seinen  reichen  Einnahmen  gegenüber  kannte  aber  auch  seine  Verschwen- 
dung keine  Grenzen,  und  schon  1838  sah  er  sich  auf  dem  Punkte,  wegen 
seiner  ungeheuren  Schulden  eingekerkert  zu  werden.  Diesem  Ungemach  entzog 
er  sich  durch  seine  Flucht  nach  London,  wo  er  seine  Concertunternohmungen 
sofort  wieder  aufnahm  und  in  wahrhaft  tollkühner  Art  mit  wechselndem  Glück 
betrieb.  Jedenfalls  hat  er  eine  Popularität  ohne  Gleichen  in  England  ei'langt, 
die  sich  auf  seine  Hunderte  von  Potpourris,  Quadrillen,  Walzer,  Polkas,  Mär- 
schen übertrug,  welche  in  ihrer  Gestalt,  ihrem  Titel  oder  dem  beigegebenen 
Programm  immer  etwas  Absonderliches  zur  Schau  trugen.  Er  schuf  die  so- 
genannten »Promenadenconcerte«,  deren  Eintrittspreis  nur  einen  Scliilling  be- 
trug, wofür  ein  nummerrciches  Programm  abgespielt  und  jedem  Besucher  er- 
läuternde und  belehrende  Schriften  zugegeben  wurden.  Ebenso  hielt  er  ein 
sehr  starkes,  brillant  bezahltes  und  sorgfältig  eingeübtes  Orchester,  dessen  Zu- 
sammenspiel den  höchsten  Genuss  bot,  und  wusste  die  berühmtesten  Virtuosen 
wie  Sivori,  Vieuxtemps,  Sainton,  Camilla  Pleyel  u.  s.  w.  zur  Mitwirkung  in  seinen 
Concerten  heranzuziehen.  In  der  Direktion,  in  der  Entwickelung  instrumentaler 
Feinheiten  und  in  der  Zusammenhaltung  der  grössten  Massen  zeigte  J.  ein 
aussergewöhuliches  Geschick  und  wusste  durch  sein  Organisationstalent  die  Eng- 
länder jahrelang    und    auf    einer  überseeischen  Kuustreise   1853  bis   1854  auch 


Jullien  —  Jumilhac.  509 

die  Nordamerikaner  zu  enthusiasmiren  wie  kaum  jemals  einer.  Im  J.  1846 
errichtete  J.  in  London  eine  Musikhandlung,  die  mit  dem  Verkauf  seiner  Tänze 
glänzende  Geschäfte  machte;  ein  Jahr  später  übernahm  er  auch  das  Drurylane- 
Theater.  und  in  Folge  dessen  fasste  er  den  Entschluss,  auch  als  Operncomponist 
berühmt  zu  werden.  Er  begab  sich  zum  Zweck  der  Erlernung  der  technischen 
Fertigkeit  hierzu  zu  Fetis  nach  Brüssel  und  hatte  in  wenigen  Unterrichts- 
stunden das  Nöthige  erlernt.  Alsbald  begann  er  die  Composition  der  fünf- 
aktigen  grossen  Oper  fPietro  il  grandev.,  welche  aber  bei  ihrer  Aufführung  zu 
London  im  J.  1852  durchfiel.  Das  Theaterunternehmen  überhaupt  hatte  J. 
über  16,000  Pfd.  SterL  gekostet,  und  er  sah  sich  genöthigt,  dieses  aufzulösen 
und  seine  Musikhandlung  zu  verkaufen.  Mit  verdoppelter  Hast  und  gestei- 
gertem Raffinement  warf  er  sich  auf  die  Organisation  von  Concerten  und  Bällen 
in  Surrey- Garden,  allein  der  Reiz  der  Neuheit  und  sein  ehemaliges  Glück 
waren  dahin,  und  er  wurde  von  englischen,  belgischen  und  französischen 
Gläubigern  hartnäckig  verfolgt.  Er  verliess  London,  wurde  aber  in  Paris  fest- 
genommen. Nach  monatelanger  Haft  befreit,  versuchte  er  noch  einmal,  seine 
Verluste  durch  neue  Anstrengungen  zu  decken,  allein  vergeblich.  Im  Febr. 
1860  von  einer  Geisteskrankheit  ergriffen,  endete  das  Leben  dieses  intelligenten, 
merkwürdigen  Mannes,  dem  die  Welt  zu  eng  zu  sein  schien,  in  einer  Irren- 
anstalt zu  London  am  14.  März  1860.  —  Sein  Sohn,  Adolphe  J..  ein  guter 
Musiker,  suchte  in  die  Fusstapfen  seines  Vaters  zu  treten  und  veranstaltete 
mit  bescheidenerem  Aufwand  und  ohne  den  Humbug  seines  Vaters  seit  ISö."? 
Populär-  und  Promenadenconcerte  in  London,  ohne  dass  es  ihm  gelang,  zu 
irgend  welcher  grösseren  Bedeutung  als  Dirigent  oder  Componist  zu  gelangen. 
So  viel  bekannt,  siedelte  er  um  1868  nach  Paris  über,  wo  er  gegenwärtig  als 
einer  der  angeseheneren  Musikkritiker  wirkt. 

Jullieu,  Marcel  Bernard,  französischer  Grammatiker  der  altclassischen 
Sprachen  und  Schriftsteller,  geboren  am  2.  Febr.  1798  zu  Paris,  entwickelte 
in  einem  seiner  grossen  philologischen  Werke  auch  geistvolle  und  bemerkens- 
werthe  Untersuchungen  über  die  Musik  der  alten  Griechen. 

Inlos,  d.  i.  die  Garbe,  oder  üemetriulos  nannten  die  alten  Griechen 
einen  Lobgesang,  den  die  Schnitter  zu  Ehren  der  Göttin  Demeter  (latein.: 
Geres)  zu  singen  pflegten. 

Juineutier,  Bernard,  gerühmter  französischer  Componist  von  Kirchen- 
werken, geboren  am  24.  März  1749  zu  Leves  bei  Chartres,  war  von  seineu 
Eltern  für  den  geistlichen  Stand  bestimmt  und  in  das  geistliche  Seminar  seiner 
Vaterstadt  gebracht,  setzte  es  aber  durch,  dass  er  sich  der  Musik  widmen 
durfte,  welche  er  hierauf  bei  Delalande,  Kapellmeister  der  dortigen  Kathedrale, 
eifrig  studirte.  Schon  1773  wurde  er  als  Hauptlehrer  der  Maitrise  in  St.  Male 
angestellt,  worauf  er  1776  als  Musikmeister  an  die  Kirche  von  Coutances  und 
Ende  desselben  J.  als  Kapellmeister  an  das  königl.  Capitel  von  St.  Quentin  kam, 
welches  Amt  er  bis  zu  seinem  Tode,  am  17.  Decbr.  1829,  inne  hatte.  Er 
schrieb  viele  Kirchensachen,  die  sehr  gerühmt  werden,  drei  Sinfonien,  eine 
Oper  y^Ohloris  et  Meclom  und  eine  Abhandlung  über  den  Kirchengesang,  die 
aber  nicht  im  Druck  erschienen  sind  und  handschriftlich  sich  in  der  öffentlichen 
Bibliothek  zu   St.   Quentin  befinden. 

Jumilhac,  Pierre  Benoit  de,  musikgelehrter  französischer  Benedictiner- 
mönch  aus  der  Congregation  St.  Maur,  war  1611  im  Schlosse  St.  Jean  de 
Ligoure  bei  Limoges  geboren.  Nach  Vollendung  theologisch -philosophischer 
Studien  trat  er  1629  in  das  Benedictinerstift  St.  Rerai  in  Rheims.  Von  seinen 
Oberen  nach  Rom  geschickt,  benutzte  er  seinen  kurzen  Aufenthalt  daselbst  mit 
dazu,  unter  dem  Beistande  der  gelehrtesten  Männer  sich  gründlich  mit  der 
kirchlichen  Liturgie  bekannt  zu  machen,  worauf  er  nach  seiner  Rückkehr  das 
r>Ceremoniale  monasücumt.i  verbesserte  und  herausgab.  Noch  grösseres  Verdienst 
erwarb  er  sich  durch  die  Abfassung  eines  in  Frankreich  weit  verbreiteten  und 
noch  neuerdings  in  Paris  neu  aufgelegten  Choralgesangbuchs,  betitelt  »ia  science 


510  Jung  —  Juugferuregal. 

et  la  pratique  du  plain-chanf  etc.  etc.  par  itn  religieux  Benedictin  de  la  congre- 
gation  de  St.  Maura  (Paris,  1673).  In  diesem  Werke  fasst  er  in  acht  Haupt- 
stücken mit  je  mehreren  Unterabtheilungen  alles  zusammen,  was  nur  irgend 
auf  die  Theorie  und  Praxis  des  Choralgesanges  der  römisch-katholischen  Kirche 
Bezug  hat.  Da  der  Titel  seinen  Namen  nicht  nennt,  so  wollten  Einige  den 
Pater  Jacob  de  Clerc  als  Verfasser  aufstellen,  was  aber  Martenne,  auf  persön- 
liche Bekanntschaft  mit  J.  gestützt,  in  seiner  r>Histoire  de  la  congregation  de 
St.  Maura  gründlich  widerlegt  hat.  J.  bekleidete  übrigens  mehrere  höhere 
Aemter  seines  Ordens;  1654  wurde  er  zum  Generalvisitator  der  Provinz  Tou- 
louse und  bald  darauf  zum  Assistenten  des  Q-enerals  der  Congregation  ernannt. 
Im  J.  1660  begann  er  zu  kränkeln,  erholte  sich  jedoch  wieder,  bis  ihn  anfangs 
1682  eine  neue  Krankheit  befiel,  der  er  am  21.  April  1682  im  Kloster  S.  (Jer- 
main  des  Pres  erlag. 

Jnug,  Franz  Wilhelm,  deutscher  Gelehrter,  geboren  am  5.  Decbr.  1758 
zu  Hanau,  lebte  um  1786  als  Lehrer  und  Erzieher  in  seiner  Vaterstadt.  Er 
ist  der  Verfasser  eines  Aufsatzes  in  der  musikalischen  Monatsschrift  S.  61,  be- 
titelt: »Etwas  über  musikalische  Poesie«,  den  Gerber  »sehr  interessant«  nennt. 
—  Ein  Cantor  in  Charlottenburg,  ebenfalls  J.  geheissen,  veröffentlichte  in  der 
Zeitschrift  »Eutonia«  vom  J.   1830  eine  Kritik  über  die  neuen  Choralmelodien. 

Jung,  Joachim  (nicht  Junge),  einer  der  scharfsinnigsten  deutschen  Ge- 
lehrten des  17.  Jahrhunderts,  den  Leibnitz  einem  Galilei  und  Kopernikus  zur 
Seite  stellt,  war  am  22.  Octbr.  1587  zu  Lübeck  geboren,  widmete  sich  zunächst 
der  Mathematik  und  wurde  1609  Professor  in  Giessen.  Von  1614  an  aber 
begann  er  Medicin  zu  studiren  und  promovirte  1618  zu  Padua.  Im  J.  1624 
wurde  er  wieder  mathematischer  Professor  in  Rostock  und  1629  Rector  am 
Johanneum  zu  Hamburg,  wo  er  am  23.  Septbr.  1657  starb.  Er  hat  nichts 
drucken  lassen,  und  was  von  seinen  wissenschaftlichen  Arbeiten  nach  seinem 
Tode  herauskam,  ist  lediglich  nach  Abschriften  seiner  Dictate  von  Joh.  Vaget 
herausgegeben,  unter  diesen  eine  »Harmonia  theoretica«  (Hamburg,  1678). 

Jaugbaner,  Ferdinand  Cölestin,  deutscher  Kirchencomponist,  geboren 
am  6.  Juli  1747  zu  Grattersdorf  in  Niederbaiern,  widmete  sich  frühzeitig,  von 
edlen  Gönnern  unterstützt,  neben  den  Wissenschaften  auch  der  Musik.  Seine 
musikalischen  Talente  hauptsächlich  erleichterten  ihm  die  Aufnahme  in  das 
nahe  gelegene  Benedictinerstift  Niederaltaich,  wo  er  auch  seine  ersten  glück- 
lichen Versuche  in  der  Kirchencomposition  machte.  Nach  der  Säcularisation 
des  Stifts  kam  er  als  Professor  an  das  Gymnasium  zu  Amberg  und  war  auch 
dort  für  die  Musik  sehr  thätig.  Seit  1811  Pfarrer  zu  Grossmehring  bei 
Ingolstadt,  starb  er  um  1818.  Von  ihm:  Messen  und  andere  Kirchenstücke, 
Kirchenlieder  und  Choräle,  viele  deutsche  Lieder  mit  Pianofortebegleitung 
u.  s.  w. 

Jnug:e,  Christoph,  deutscher  Orgelbauer  des  17.  Jahrhunderts,  kam  1675 
aus  der  Lausitz  nach  Sondershausen,  wo  er  die  Orgel  in  der  Trinitatiskirche 
mit  31  klingenden  Stimmen,  2  Manualen,  Pedal  und  vortrefflich  gearbeiteten 
Springladen  errichtete,  die  hinsichtlich  ihrer  Kraft  zu  den  merkwürdigsten  Bau- 
werken dieser  Art  zählt.  Von  dort  wendete  sich  .1.  nach  Weimar  und  baute 
1680  die  25 stimmige  Orgel  in  der  Stadtkirche  St.  Peter-Paul,  die  aber  nicht 
so  glücklich  ausfiel.  Er  begann  hierauf  die  vorzügliche  Orgel  im  Dom  zu 
Erfurt,  vor  deren  gänzlicher  Vollendung  er  aber  im  J.  1683  starb.  Auch 
dies  Werk  hat  Springladen,  weshalb  es  Adlung  in  seiner  -oMusica  meehanica<t 
ein  »rares  Werk«  nennt. 

Jungrert,  -lacobina,  geborene  Bezin,  eine  vortreffliche  Gesangsdilettantin 
zu  Augsburg,  ausgebildet  vom  dortigen  Musikdirektor  Seyfert,  die  in  den 
Concerten  ihrer  Vaterstadt  zwischen  1770  und  1780  wegen  ihrer  Stimme  und 
Schule  Aufsehen  erregte.     Vgl.   Stetten,  »Kunstgeschichte«   S.  550. 

Jungfernorgel,  s.  Regal. 

Jnngfernreiral,   auch    Geigenregal    und    Singendregal    genannt,    ein 


Jungfrauenstimme  —  Junker.  511 

offenes  Rohrwerk  in  der  Orgel,  das  für  gewöhnlich  im  Manual  vorkommt,  von 
2,5  und  1,25  Meter,  bei  dem  das  Mundstück  die  Tongrösse  angiebt.  Es  findet 
sich  mitunter  aber  auch  den  Pedalstimmen  zugefügt  und  heisst  dann  Jung- 
fernregalbass. 

Jungfrauenstimme,  s.  Alamoth. 

Juiig-hans,  J.  A.,  deutscher  Claviercomponist  des  18.  Jahrhunderts,  war 
um  1745  Organist  zu  Arnstadt  in  Thüringen  und  soll  mehrere  gute,  aber  un- 
gedruckt gebliebene  Claviercompositionen  geliefert  haben.  —  Ein  Pianist  und 
Musiklehrer,  C.  Gr.  Junghans,  um  1850  in  Wien  lebend,  veröffentlichte  viele 
Tänze  seiner  Composition,  sowie  eine  Pianoforteschule. 

Jungmanu,  Albert,  guter  Pianist  und  eleganter  Claviercomponist,  geboren 
am  14.  Novbr.  1824  zu  Langensalza,  widmete  sich  neben  der  Musik  dem 
Musikaliengeschäft,  beidem  bei  Cr.  W.  Körner  in  Erfurt.  Im  J.  1853  trat  er 
als  Gehülfe  in  das  grosse  Mueikgeschäft  von  C.  A.  Spina  in  Wien,  dessen  Gle- 
schäftsführer  er  sehr  bald  wurde.  Nebenbei  ertheilte  er  auch  Pianoforteunter- 
richt und  diente  seinem  Greschäfte  durch  zahlreiche  Gelegenheilscompositionen 
und  Arrangements.  Seine  Salonstücke  wurden  ihrer  leichten,  eleganten  Factur 
wegen  bald  überaus  beliebt  und  vom  Publikum  wie  von  den  deutschen  Ver- 
legern stark  begehrt.  Lange  Reihen  davon  sind  in  Wien,  Leipzig,  Offenbach 
und  an  anderen  Verlagsorten  erschienen. 

Jungmann,  Louis,  vortrefläicher  deutscher  Pianist  und  Instruraentalcom- 
ponist,  geboren  1832  zu  Weimar,  besuchte  das  Lehrerseminar  seiner  Vaterstadt, 
wo  er  Gelegenheit  hatte,  das  höhere  Ciavierspiel  bei  Fr.  Liszt,  Musiktheorie 
und  Orgel  bei  Töpfer  zu  studiren.  Hierauf  ertheilte  er  selbst  Pianoforte- 
unterricht und  ist  in  Weimar  seiner  Virtuosität  und  seines  Lehrtalents  wegen 
sehr  geschätzt.  Seit  1869  ist  er  auch  als  Lehrer  der  Musik  am  grossherzogl. 
Sophieninstitut  angestellt.  Von  seinen  Compositiouen  sind  nur  kleinere  Ar- 
beiten, als  Pianofortestücke  und  Lieder  erschienen;  jedoch  hat  er  auch  Or- 
chesterwerke, Trios  u.  s.  w.  verfasst. 

Jnugnickel,  Johann,  hervorragender  deutscher  Orgelcomponist,  geboren 
1676  zu  Frankfurt,  gab  Fugen  seiner  Composition  heraus,  die  noch  jetzt  von 
den  Orgelspielern  sehr  geschätzt  werden. 

Jungwirth,  Anton,  deutscher  Kirchencomponist,  geboren  am  17.  Jan.  1756 
zu  München,  wirkte  seit  1796  als  Chordirektor  an  der  Peterskirche  seiner 
Vaterstadt.  Seine  Arbeiten  waren  in  den  Gotteshäusern  Baierns  sehr  ge- 
schätzt, und  diese  und  jene  wird  noch  jetzt  Sonn-  oder  Festtags  dort  aus- 
geführt. 

Jnuius,  Adrian,  niederländischer  Arzt,  Philosoph  und  Dichter,  geboren 
am  1.  Juli  1512  zu  Hörn  in  Holland,  ist  der  Verfasser  eines  sogenannten 
»Nomenciator«,  in  dem  u.  A.  auch  unter  dem  Titel  r>Musica  instrumenta  eoque 
spectanfiaa  musikalische  Fachausdrücke  erklärt  werden.     J.  starb  im  J.   1575. 

Junker,  Karl  Ludwig,  hochgebildeter  deutscher  Geistlicher,  Componist 
und  Musikschriftsteller,  geboren  um  1740  zu  Oehringen,  trieb  in  seiner  Jugend 
neben  den  schönen  Wissenschaften  mit  Vorliebe  und  Eifer  Musik.  Nach  voll- 
endeten TJniversitätsstudien  wirkte  er  als  Hofmeister  in  der  Schweiz.  Hier 
schrieb  er  ein  biographisches  Werk,  betitelt  «Zwanzig  Componisten«  (Bern, 
1778;  2,  Aufl.  unter  dem  Titel  »Portefeuille  für  Musikliebhaber«,  Leipzig,  1792). 
Im  J.  1778  kam  J.  als  Lehrer  der  Philosophie  an  das  Gymnasium  zu  Heides- 
heim in  der  Grafschaft  Leiningen,  wo  er  das  ästhetisch  interessante  Werk 
»Die  Tonkunst«  und  »Betrachtungen  über  Malerei,  Ton-  und  Bildhauerkunst« 
veröffentlichte  (1779),  und  1779  als  Hofkaplan  nach  Kirchberg.  In  dieser 
Zeit  gab  er  heraus:  »Einige  der  vornehmsten  Pflichten  eines  Kapellmeisters  oder 
Musikdirektors«  (Wintcrthur,  1782);  »lieber  den  Werth  der  Tonkunst«  (1786); 
endlich  viele  Aufsätze  in  Meusel's  »Miscellaneen«,  in  dessen  »Museum  für 
Künstler«,  in  der  musikalischen  Realzeitung  und  vielen  anderen  Zeitschriften. 
Au{;h   componirte    er  viel    für   Ciavier,    das    er    fertig    spielte,    darunter    einige 


512  Jupiu  —  Justiaian  I. 

Concerte  mit  Orchesterbegleitung.  Als  Pfarrer  1789  nach  Dettingeu  ira  Holien- 
lohe'schen  berufen,  schrieb  er  das  Melodram  nöenoveva  im  Thurm«  (Speier, 
1790).  Von  dort  wurde  er  1793  an  die  Kirche  zu  Landsiedel  bei  Kirchberg 
versetzt  und  componirte  »Die  Nacht  von  Zacliariä,  als  musikalische  Deolaraation 
für's  Ciavier  mit  willkührlicher  Begleitung  einer  Violine  und  eines  Basses« 
(Darinstadt,  1794),  sowie  ein  Clavierconcert,  das  als  op.  2  erschien.  Im  J.  1795 
endlich  wurde  er  als  Pfarrer  in  ßupertshofen  bei  Kirchberg  angestellt,  wo  er 
am  30.  Mai  1797  starb.  —  Der  geistvolle,  ästhetisch  gebildete,  fein  und  tief 
empfindende  Mann  gilt  auch  für  den  Verfasser  der  unter  den  Namen  Alethi- 
nopel  (1782),  Kosmopolis  (1783)  und  Preiburg  (1784)  herausgekommenen 
musikalischen  Almanache.  Seinen  musikalischen  Bildungsgang  hat  er  selbst  im 
»Württerabergischen  Repertorium  der  Literatur«  von  1783  (Stück  3)  mitgetheilt. 

Jnpiii,  Charles  Frangois,  einer  der  vorzüglichsten  französischen  Violin- 
virtuosen, geboren  am  30.  Novbr.  1805  zu  Chambery'  in  Savoyen,  kam  in 
früher  Jugend  mit  seinen  Eltern  nach  Turin  und  erhielt  daselbst  Violinunter- 
richt von  Montlcelli,  dann  von  Griorgis,  Orchestermitglied  des  Teatro  Carignano. 
Sein  erstes  öffentliches  Auftreten  ira  J.  1817  erregte  ein  solches  Aufsehen,  dass 
sich  sein  Vater  bewogen  fand,  den  Sohn  dem  berühmten  Baillot  in  Paris  an- 
zuvertrauen, woselbst  derselbe  zugleich  in  das  Conservatorium  trat  und  1823 
den  ersten  Violinpreis  davontrug.  Alsbald  darnach  erhielt  J.  die  Stelle  als  Soln- 
geiger  im  Orchester  des  Odeon-Theater,  die  er  nach  18  Monaten  aufgab,  um 
Kunstreisen  anzutreten.  Von  Turin  aus  folgte  er  einem  Ruf  als  Orchesterchef 
lind  Violinlehrer  nach  Strassburg  und  blieb  daselbst  bis  1835,  worauf  er  nach 
Paris  zurückkehrte  und  das  Amt  eines  zweiten  Orchesterchefs  an  der  Opera 
comique  annahm.  Als  solcher  starb  er  schon  ira  Sommer  1839.  —  Sein  Spiel 
galt  als  solide  und  dennoch  überaus  glänzend.  Componirt  hat  er  ein  Violin- 
concert,  ein  Trio  für  Pianoforte,  Violine  und  Violoncello,  eine  Fantasie  für 
Pianoforte  und  Violine,  Violinvariationen  u.  s.  w. 

Jusdorff,  deutscher  Flöteuvirtuose  und  Componist  für  sein  Instrument, 
lebte  um  1800  zu  Göttiugen.  Von  seiner  Compositiou  kennt  man  Variationen 
für  Flöte  und  kleines  Orchester,  die  1799  und  1801  bei  Andre  in  Offenbach 
erschienen  sind. 

Jussov,  Johann  Andreas,  deutscher  musikkundiger  Theologe,  geboren 
um  1690  zu  Gröttingen,  studii-te  in  Helmstildt  und  vertheidigte  daselbst  nach 
Vollendung  seiner  Studien  seine  Dissertation  »Z>e  canforihus  ecclesiae  veteris 
et  novi  testamentiv.  (Helmstädt,  1708).  Näheres  findet  man  in  Gerber's  »Lexicon 
der  Tonkünstler«  von  1812. 

Just,  Johann  August,  vortrefflicher  Ciaviervirtuose,  Violinist  und  Com- 
ponist, geboren  um  1760  zu  Groningen,  studirte  den  strengen  Satz  bei  Kiin- 
berger  in  Berlin  und  später  freie  Coraposition  bei  Schwindele  ira  Haag.  Um 
1780  ward  er  Hofmusicus  des  Erbstatthalters  im  Haag,  Prinzen  von  Oranicn, 
und  lebte  dann  auch  lange  Zeit  in  London,  wo  er  Ciaviersonaten  seiner  Com- 
position  und  eine  Ciavierschule  veröffentlichte  und  zu  Anfang  des  19.  Jahr- 
hunderts starb.  In  Holland  galt  er  als  einer  der  fertigsten  Ciavierspieler  seiner 
Zeit,  und  seine  Trios,  Duos,  Sonaten,  Divertissements,  sowie  die  Opern  ^Le 
marchand  de  Smyrnea  und   »Xe  pagev.  waren  beliebt. 

Justesse  (französ.),  Richtigkeit,  Reinheit.  Man  spricht  von  J.  de  la  voix, 
d.  i.  Reinheit  der  Stimme,  sowie  nicht  minder  von  J.  de  Voreille,  d.  i.  gutes 
musikalisches  Ohr. 

Justinian  I.,  genannt  der  Grosse,  Kaiser  des  byzantinischen  Reichs  von 
527  bis  565,  geboren  483  in  Thrazien,  besass  neben  seinen  Regententugendrn 
und  Untugenden  viel  Sinn  für  Kunst  und  Wissenschaft,  namentlich  für  Musik, 
die  er  auch  praktisch  ausgeübt  haben  soll.  Das  Tropariuni  oder  die  Hymne 
von  der  Gottheit  Christi,  wie  sie  jetzt  noch  in  vielen  griechischen  Kirchen  ge- 
sungen wird,  soll  von  ihm  componirt  worden  sein  J.  starb  am  14.  Novbi\  565 
zn  Konstantinopel. 


Justmius  ä  Despoüs  —  Kabath.  5I3 

Justiuius  ä  Despons,  deutscher  Klostergeistliclier,  war  von  1711  bis  1723 
Carmelitermönch  und  Organist  zu  Würzburg  und  hat  herausgegeben:  ein  Lehr- 
buch des  Orgelspiels  unter  dem  Titel  -oChirologia  organico-musica  oder  musi- 
kalische Handbeschreibung,  d.  i.  die  ßeguln  und  Exempeln  des  Manuals  oder 
der  Orgelkunst  u.  s.  w.«  (Nürnberg,  1711);  ferner  »Musikalische  Arbeit  und 
Kurtzweil,  d.  i.  kurtze  und  gute  Regeln  der  Componir-  und  Schlagekunst,  ä  4 
U.S.W.«  (Augsburg  und  Dillingen,  1723).  Unter  den  zahlreichen  Notenbei- 
spielen beider  Werke  sind  auch  mehrere  längere  Compositionen  von  ihm  ent- 
halten; die  Mehrzahl  seiner  musikalischen  Arbeiten,  die  er  seit  18  Jahren  ge- 
schrieben hatte,  wurde  ihm  aber,  wie  er  in  der  Vorrede  zu  ersterem  Buche 
klagt,  auf  einer  Eeise  an   der  italienischen  Grenze  geraubt. 

Juvigny,  französischer  Musiker  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts, 
lebte  am  königl,  Hofe  zu  Paris  und  soll  der  Erfinder  des  Flageolets  gewesen 
sein.  Dies  Instrument  erschien  zum  ersten  Male ,  und  zwar  von  ihm  gespielt, 
in  dem  berühmten  y>BaUet  de  la  reinen,  welches  1581   aufgeführt  wurde. 

Ivery,  John,  englischer  Tonkünstler,  wirkte  als  Musiklehrer  zu  Northaw 
in  der  Grafschaft  Hertford  in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  und 
hat  einen  Band  von  ihm  gesammelter  alter  Kirchengesänge  (London,  1773) 
herausgegeben. 

Ives,  Simon,  englischer  Gesangscomponist,  geboren  in  der  zweiten  Hälfte 
des  16.  Jahrhunderts,  war  Cantor  an  der  Paulskirche  zu  London  und  hat  zahl- 
reiche  Songs  componirt.     Er  starb  hochbetagt  im  J.  1662  zu  London. 

Ivo,  musikgelehrter  Abt  zu  Clugny,  soll  einen  Tractat,  betitelt:  y>Historia 
(musicae)  figuralisa,  verfasst  haben,  welcher  sich  nach  älteren  Berichten  hand- 
schriftlich in  der  Klosterbibliothek  zu  St.  Gallen  befinden  soll.  —  Ebenfalls 
unter  dem  Namen  I.  kommt  in  Jacob  Paix'  Orgeltabulaturbuch  (Lauingen, 
1583)  das  Lied  vor:  »Der  Liendel  alle  tag«.  Dieser  Componist  und  jener 
Musikschriftsteller  dürften  aber  schwerlich  ein  und  dieselbe  Person  sein. 


K. 

(Die  unter  K  vermissten  Artikel  suche  man  unter  C  auf.) 

Kaa,  Ignaz,  holländischer  Componist  des  18.  Jahrhunderts,  lebte  bis 
1780  im  Haag  und  wurde  von  dort  aus  als  Dom-Kapellmeister  nach  Köln  be- 
rufen, welches  Amt  er  noch  1792  inne  hatte.  Von  seinen  Compositionen 
sind  Sinfonien,  Streichquartette,  Duos  und  Ciaviertrios  im  Haag  im  Druck 
erschienen. 

Kabaro  ist  der  Name  einer  kleinen,  in  Aegypten  und  Abyssinien  noch 
jetzt  vielfach  gebräuchlichen  Trommel,  die  sich  nach  unten  zu  etwas  verengt 
und  mit  der  blossen  Hand  geschlagen  wird.  Es  ist  dasselbe  Instrument,  wel- 
ches anderwärts  in  Asien  und  Afrika  unter  dem  Namen  Hatamo  auftritt  und 
von  dem  K.  durchaus  nicht,  wie  man  öfter  annahm,  verschieden. 

Kal)ath,  Johann,  musikkundiger  deutscher  Schulmann,  geboren  1775  in 
Oppeln,  besuchte  das  Gymnasium  seiner  Vaterstadt,  dann  die  Universität  Breslau, 
wo  er  Theologie  studirte  und  war  hierauf  als  Professor  an  den  Gymnasien  zu 
Oppeln  und  Breslau,  sowie  in  letzterer  Stadt  als  Regens  chori  des  Convicts 
angestellt.  Im  J.  1818  als  Direktor  des  Gymnasiums  nach  Glatz  berufen  und 
1827  zum  königl.  Schulrath  in  Breslau  ernannt,  starb  er  daselbst  am  12.  Decbi-. 
1828.  Nicht  blos  Musikfreund,  sondern  fertiger  Clavierspieler  und  guter  Sänger, 
hat  er  in  seinen  Stellungen  einen  fördernden  musikalischen  Einfluss  auf  die 
ganze  Provinz  Schlesien  ausgeübt  und  in  diesem  Sinn  auch  zwei  Schriften: 
»Ueber  den  Gesangsunterricht  auf  gelehrten   Schulen«   (Glatz,  1819)  und  y^Än- 

Musikal.   Convers.-Lexikon.    V.  33 


514 


Kaczkowsky  —  Käferle. 


notationes  ad  aliquot  Quintiliani  locos  ad  docendi  arfem  sjpectantes«  (Breslau,  1824) 
herausgegeben. 

Kaczkowsky,  Joseph,  rühmlich  bekannter  Violinvirtuose  und  Componist 
für  sein  Instrument,  geboren  in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrbundeits  zu 
Tabor  in  Böhmen,  hat  sich  auf  Kunstreisen  in  Deutschland  einen  bedeutenden 
Namen  gemacht.  Seine  Compositionen ,  bestehend  in  Concerten,  Duos,  Varia- 
tionen u.  s.  w.  für  Violine,  wurden  von  den  bedeutendsten  Verlegern  ver- 
öffentlicht, 

Eadelbach,  Karl  Grottlob,  geachteter  deutscher  Componist,  geboren  1761 
zu  Rudolstadt  in  Schlesien,  wirkte  von  1785  an  bis  zu  seinem  Tode,  am  16. 
Novbr.  1829,  als  Cantor  zu  Bolkenhain.  Vortreffliche  Orgelstücke  und  die 
Cantate  »Lobe  den  Herrn«  bekunden  sein  hervorragendes  compositorisches  Ge- 
schick und  Talent. 

Kadenz,  s.  Cadenz. 

Kadlecek,  L.  H.,  Violinist  und  Musikpädagog,  geboren  um  1820  zu  Soutlc 
bei  Kuttenberg  in  Böhmen,  wurde  durch  fleissige  Uebung  auf  der  Geige  zum 
Selbststudium  theoretischer  Werke  und  Partituren  veranlasst  und  genoss  nur 
einige  Zeit  geregelten  Unterricht  im  Contrapunkt  zu  Prag.  Gegenwärtig  ist 
er  Musiklehrer  an  mehreren  Schulen  und  Anstalten  zu  Leitmeritz,  Choradjunkt 
an  der  Decanalkirche  und  Chormeister  des  Musikvereins  daselbst.  Er  hat  sich 
auch  als  Componist  ziemlich  glücklich  versucht,  aber  nur  Etüden  sowie  eine 
Schule  für  Violine  veröffentlicht. 

Kadma,  5?^"p,  heisst  ein  Zeichen  V  der  hebräischen  Notation  (sonst  auch 
Accent),  welches  über  der  ersten  oder  der  dritten  Wortsylbe  gesetzt  sich  vor- 


findet und  das  die  orientalischen  Juden  als  für  die  Tonfigur  p 


m 


stehend  erachten.     Nach  Kircher  bedeutet  es  die  Tonphrase 

Nach  Nathan  kommt  dieser  Accent  mit  einem   anderen,  Veazla  oder  Veasla  ge- 
nannten,   stets    vereint    vor    und    wäre    die    musikalische  Bedeutung  desselben: 


Andere  behaupten,  die  Tonphrase  letzterer  Art  wäre 


aufzuzeichnen. 


0. 


Käberle,  vorzüglicher  deutscher  Oboebläser  des  18.  Jahrhunderts,  war  um 
1740  ßathsmann  in  Beuthen  an  der  Oder  und  hat  sich  auch  als  Componist 
für  sein  Instrument  ausgezeichnet. 

Käferle,  Karl  Heinrich,  blinder  deutscher  Ciavierbauer,  geboren  im 
Mai  1768  zu  Waiblingen  im  Herzogthum  Würtemberg,  hatte  durch  einen  un- 
glückliclien  Zufall  und  eine  ungeschickte  ärztliclie  Operation  schon  sehr  früh- 
zeitig sein  Augenlicht  verloren,  beschäftigte  sich  aber  gleichwohl  mit  Vorliebe 
mit  der  Schnitzerei  von  allerlei  Hausgeräthen ,  die  sogar  Absatz  bei  den  Be- 
wohnern von  Hoheneck  fanden,  in  welches  bei  Ludwigsburg  gelegene  Dorf  er 
17S0  mit  seinem  Vater,  einem  Müller,  gezogen  war.  Nach  und  nach  wandte 
er  sich  mit  gleichem  angeborenen  Geschick  mechanischen  Arbeiten  zu  und 
unternahm  es  sogar,  die  Bälge  der  Dorf- Kirchenorgel  zu  rejiariren.  Hierauf 
wandte  er  sich  der  Musik  zu  und  erlernte  mit  erstaunlicher  Geschwindigkeit 
beim  Schulmeister  das  Ciavierspiel.  Ein  Pantalon,  das  er  in  Ludwigsburg 
hörte,  vermehrte  seine  Liebe  zur  Tonkunst.  Er  liess  das  Instrument  ausein- 
ander nehmen,  betastete  es  genau  und  fing  mit  bestem  Gelingen  an,  selbst  ein 
solches  zu  bauen.  Dies  geschah  im  J.  1790.  Später  bildete  er  in  derselben 
Art  einen  Tangentenflügel  von  Späth  nach,  und  da  er  für  beide  Instrumente 
einen  ansehnlichen  Preis  erhielt,  so  stand  sein  Entschluss  fest,  Ciavierbauer  zu 
werden.     Er  erfand  zu    diesem  Ende   zweckmässige  Werkzeuge  und  begründete 


Käfer  stein  —  Kässmayel*.  5^5 

iu  Ludwigsburg  1797  eine  "Werkstätte,  deren  Fabrikate  bald  Ruf  erlangten 
und  zu  den  besseren  Deutschlands  gerechnet  wurden.  Seine  Muster  waren 
die  damals  berühmten  Stein'schen  Fortepianos.  K.  starb  am  28.  Febr.  1834 
zu  Ludwigsburg.  —  Sein  Sohn,  Ferdinand  K.,  geboren  im  Octbr.  1801, 
welcher  schon  1827  die  Fabrik  seines  Vaters  übernommen  hatte,  führte  dieselbe 
seitdem  mit  Geschick  und  Umsicht  weiter. 

Käfersteiu,  s.  Kef  er  stein. 

Kahler,  Moritz  Friedrich  August,  geschickter  deutscher  Gomponist, 
geboren  am  20.  Juli  1781  zu  Sommerfeld  in  Schlesien,  wo  sein  Vater  Stadt- 
physicus  war,  begann  früh  mit  Ciavierspielen,  bis  er  als  Gymnasiast  zu  Sorau 
beim  Organisten  Erselius  einen  guten  Unterricht,  zugleich  auch  im  Orgelspiel, 
erhielt.  Beim  dortigen  Stadtmusicus  Thiele  übte  er  sich  seit  1798  auch  auf 
der  Violine  und  stellte  seine  ersten  Compositionsversuche  an.  "Weiterstrebend 
begab  er  sich  1802  zu  dem  rühmlichst  bekannten  Violoncellisten  Schönebeck 
in  Lübben  und  studirte  auch  bei  diesem.  Im  Herbst  desselben  Jahres  hatte 
er  Gelegenheit,  einen  Verwandten  in  Kopenhagen  zu  besuchen  und  nahm  da- 
selbst noch  Unterricht  auf  der  Violine  beim  Concertmeister  Schall,  sowie  in 
der  Composition  beim  Kapellmeister  Kunzen.  Im  J.  1804  nach  Schlesien  zu- 
rückgekehrt, wurde  K.  als  Musikdirektor  der  Privatkapelle  des  Grafen  von 
Dohna  in  Mallmütz  bei  Sprottau  angestellt.  Von  dort  aus  begab  er  sich  1809 
nach  Breslau,  wo  er  drei  Jahre  ohne  Amt  lebte,  bis  er  1812  als  Schullehrer 
und  Organist  nach  Peterswaldau  bei  Reichenbach  ging.  Im  Herbst  1815  folgte 
er  einem  Rufe  als  Musikdirektor  au  das  Pädagogium  und  Seminar  in  Züllichau. 
Dort  errichtete  er  einen  Singechor,  dirigirte  die  wöchentlichen  "Winterconcerte 
und  ertheilte  neben  den  Musikstunden  an  seineu  Instituten  noch  Privatunter- 
richt. Im  besten  Sinne  kunstfördernd  thätig,  starb  er  1834  in  Züllichau. 
Seine  Compositionen  bestehen  in  geistlichen  und  weltlichen  Liedern,  Cantaten, 
Motetten  und  anderen  Kirchenstücken,  Concerten  und  Sonaten  für  Ciavier, 
einem  Violinconcert,  Duos  für  Viola  und  Violoncello,  Orgelpräludien  u.  s.  w. 
Auf  didaktischem  Gebiete  veröffentlichte  er  noch:  »Die  Anfangsgründe  der  Musik, 
für  angehende  Musikschüler  zur  häuslichen  Wiederholung«  (Züllichau,  1826). 

Kämme  nennen  die  Orgelbauer  diejenigen  hölzernen,  mit  Einschnitten  ver- 
sehenen Leisten  oder  Bretter,  in  welchen  die  Abstracten  laufen,  damit  diese 
nicht  schlottern  oder  hängen  bleiben  und  das  sogenannte  Heulen  (s.  d.)  der 
Orgel  hervorrufen. 

Kämpfer,  Joseph,  vortrefflicher  und  berühmter  Conti'abassist  des  18.  Jahr- 
hunderts, geboren  in  Ungarn,  war  anfangs  österreichischer  Offizier,  dessen  Stand- 
quartier in  Croatien  lag.  Unter  dürftiger  Anleitung  erlernte  er  dort  den 
Contrabass,  auf  dem  er  es  durch  beharrliches  Selbststudium  zu  ausnehmender 
Fertigkeit  brachte.  Sein  Erfolg  in  "Wien,  wo  er  sich  darauf  öffentlich  hören 
Hess,  war  höchst  bedeutend,  und  er  trat  in  die  Kapelle  des  Fürsten  von  Eszter- 
hazy.  Kunstreisen,  1775  durch  Deutschland  nach  Russland  und  1783  nach 
London,  machten  ihn  zum  Gegenstand  allgemeiner  Bewunderung.  Seitdem  aber 
sind  keine  Nachrichten  mehr  über  ihn  vorhanden. 

Käuorphica,  s.  Xänorphica. 

Käsermanu,  Nicolaus,  deutscher  Componist,  war  um  die  Wendezeit  des 
18.  und  19.  Jahrhunderts  Musiklehrer  und  Stadtcantor  in  Bern  und  hat  in 
der  Zeit  von  1797  bis  1804  drei  Ciaviersonaten,  sowie  drei-  und  vierstimmig 
gesetzte,  mit  Ciavierbegleitung  und  einem  Generalbass  versehene  Melodien  zu 
Geliert's  geistlichen  Oden  und  Liedern  in  Augsburg  und  in  Bern  veröffentlicht. 

Kässmayer,  Moritz,  talentvoller,  geschickter  Componist  und  guter  Violi- 
nist, geboren  1831  zu  Wien,  machte,  nachdem  er  schon  vorher  sich  mit  Violin- 
spiel beschäftigt  hatte,  seine  Studien  auf  dem  Wiener  Conservatorium ,  wo  er 
die  Musiktheorie  und  Composition  bei  Sechter  und  Preyer  betrieb.  Später 
gab  er  Musikunterricht,  leitete  mehrere  Vereine  und  trat  als  Violinist  in  das 
kaiserl.  Hofopernorchester,    in  welchem    letzteren   er  zum  Ballet -Musikdirektor 

33* 


516  Kastclien  —  Kaffka. 

aufstieg.  Als  solcher  ist  er  neben  Franz  Doppler  noch  gegenwärtig  in  voller 
Thätigkeit.  Seine  Compositioneii  sind  ziemlicli  zahlreich  und  bestehen  in  Or- 
chester- und  Kammenuusikwerkou,  Messen  und  kleinereu  Kirchenstücken,  eiu- 
uud  melustimmigiu  Gesängen  und  Liedern.  Sein  bedeutendes  Talent  und  seine 
tüchtige  Durchbildung  wirken  besonders  überzeugend  auf  derb  und  fein  ko- 
mischem Gebiete,  da  ein  gesunder  musikalischer  Humor  ihm  eigenthümlich  ist. 
In  dieser  Beziehung  sind  viele  seiner  Gesänge  für  Mänuerchor  Musterstücke 
und  auf  dem  Felde  der  Kammermusik  seine  vier  Streichquartette,  sowie  seine 
»Volksweisen  und  Lieder  für  das  Streichquartett  humoristisch  und  contra- 
punktisch  bearbeitet«  (6  Hefte,  op.  14  bis  IG,  27,  29)  und  seine  »Musikalische 
Mesalliancen«  für  Streichquartett  mit  Pianoforte  zu  vier  Händen  (4  Hefte,  op.  22) 
sehr  bemerkenswerth,  nicht  minder  seine  komische  Oper  »Das  Landhaus  zu 
Meudon«  (1869),  welche  bei  ihren  Aufführungen  in  Wien  und  Prag  grossen 
Beifall  fand. 

Kästehon  ist  die  technische  Bezeichnung  für  den  Theil  des  Bassethorns, 
in   welchem   die  Bohrung  der  Köhre  dreifach  wird  (s.  Basset  hörn). 

Kästuer,  Abraham,  deutscher  ßechtsgelehrter,  wirkte  als  Professor  seiner 
Facultät  in  Leipzig.  Er  verfasste  eine  Dissertation,  betitelt:  ^De  juris  consulto 
musicOK  (Leipzig,  1740).  —  Von  grösserer  musikalischer  Bedeutung  ist  sein 
als  Dichter  bekannter  Sohn,  Abraham  Gotthelf  K. ,  Professor  der  Mathe- 
matik und  Physik  zu  Göttiugen  und  grossbritanuischor  sowie  braunschweigisch- 
lüneburgischer  Hofrath.  Derselbe,  geboren  am  27.  Septbr.  1719  zu  Leipzig, 
hat  eingehende  Versuche  über  die  Geschwindigkeit  des  Schalles  angestellt  und 
dieselben  in  den  Göttingischen  gelehrten  Anzeigen  von  1778  und  1791  ver- 
öffentlicht. Ausserdem  hat  er  einen  Auszug  mit  Anmerkungen  aus  einem  eng- 
lischen AVerke  des  Brocklesby  (London,  1740)  verfasst,  den  er  unter  dem  Titel 
»Betrachtungen  über  die  alte  und  neue  Musik,  mit  derselben  Anwendung  zur 
Heilung  der  Krankheiten  u.  s.  w.«  in  Marpurg's  kritische  Beiträge  (Bd.  2 
S.  16  ff.)  rücken  Hess.  Dieser  auch  als  Epigrammatiker  und  Satyriker  be- 
rühmte  Gelehrte  starb  am  20.  Juni  1800  zu  Göttingen. 

Kaü'ka,  Joseph,    richtiger    Kawka    geschrieben,  Violinvirtuose  von  Ruf, 
geboren  um  1730  in  Böhmen,  gehörte  seit  1743  ununterbrochen  der  fürstl.  Thuru 
und   Taxis'schen  Kapelle  in  Kegeusburg    au    und    starb    als  Mitglied  derselben 
im  J.   1796.  —  Seine  beiden   Söhne  und   Schüler  haben  sich  auf  verschiedenen 
Musikgebieten    ausgezeichnet.      1)  AVilhelm    K.,    der    ältere,    übertraf    seinen 
Vater  in   der  Virtuosität    und    galt    als    einer  der  fertigsten   Concert-   und   Or- 
chesterspieler seiner  Zeit.     Er  war  schon  1788  Mitglied  der  Kapelle  in  Regeus- 
burg,  deren  Concertmeister  er   1806  wurde.     Er  componirte  nicht  nur  für  sein 
Instrument,  sondern  schrieb  auch  Messen,  die  durch  Abschriften  in  ganz  Baiern 
verbreitet  waren.  —  2)  Johann    Christoph  K.,  nach  eigener  Angabe  1759 
in  Regensburg  geboren,  erhielt  neben  der  väterlichen  Unterweisung  noch  Musik- 
unterricht von  dem  berühmten  Riepel.     Bereits    gleichfalls  Violinist   der  fürstl. 
Kapelle  in  Regensburg,   ging   er  zur  Oper  und  zum  Schauspiel  über  und  trat 
1778   bei  Döbbelin   in   Berlin  und  später  bei  "Wäser  in  Breslau  auf.     Auch  als 
gewandter,   auf  allen   Feldern    erfahrener  Componist    zeigte    er    sich.     Denn  er 
schrieb   Sinfonien  und  andere  Instrumentalstücke,  die  Oratorien  »Der  Tod  Lud- 
wig's  XVI.«  und  »Jesus  leidend    uud    sterbend«,    ferner  Messen,    ein  Requiem 
und  Vespern,  das  Melodram   »Rosamunde«  und  verschiedene  Balletmusiken,  vor 
Allem  aber  die   Opern  »Das  Milchmädchen«,  »Lucas  uud   Hannchen«,  »Die  Zi- 
geuner«,   »Der  Apfeldieb«,    »Antonius    und    lOeopatra«,   »Das   wüthende    Heer«, 
»So    prellt    man  Füchse«,    »Das    Fest    der  Brennen«,    »Bitten    uud    Erhörung« 
(Ciavierauszug  gedruckt  1784),  »Die  Feier  der  Gnade  des  Königs«,  »Der  blinde 
Ehemann«  und  »Der  Talisman«.     Die  Kritik  bezeichnete  diese  Opern  als  Com- 
pilationen  Gluck'scher,    Naumann'scher    und    Schuster'scher    Motive.     Erst    um 
1800  verliess  K.  Breslau  und  ging  an  das  Hoftheater  in  Dessau.     Dort  setzte 
er  u.  A.  sein   schon  früher  begonnenes  periodisches  Werk  »Musikalischer  Beytrag 


Kafka  —  Kahnt. 


517 


für  Liebhaber  des  deutschen  Singspiels  beym  Claviero  (2  Hefte,  Breslau,  1783) 
fort.  Im  J.  1803  siedelte  K;  nach  Riga  über,  gründete  eine  Buchhandlung 
und  trat  nur  noch  zuweilen  in   Concerten  und  zwar  als  Violinist  auf. 

Kafka,  Johann  Nepomuk,  Pianist  und  Saloncomponist,  geboren  am 
17.  Mai  1819  zu  Neustadt  an  der  Mettau  in  Böhmen,  studirte  in  Wien  1840 
die  Rechtswissenschaften,  wandte  sich  aber  dann  ausschliesslich  der  Musik  zu 
und  hatte  mit  seinen  kleinen,  der  Mode  huldigenden  Claviercompositionen  in 
Dilettantenkreisen  grossen  Erfolg.  Allgemeiner  bekannt  in  Deutschland  wurde 
sein  Name  durch  ein  Salonstück,  »Erinnerung  an  Steinbach«,  dem  er  eine  sehr 
lange  Reihe  ähnlicher  Produkte  folgen  Hess,  die  in  Wien,  Leipzig  u.  s.  w.  er- 
schienen  sind. 

Kahl,  kenntnissreicher  und  gediegener  deutscher  Tonkünstler,  war  bis  1828, 
wo  er  starb,  Cantor  an  der  Maria-Magdalenenkirche  zu  Breslau.  Man  schätzte 
ihn  besonders  wegen  seiner  grossen  Aufführungen,  durch  die  er  Breslau  in  der 
Reihe  der  tonangebenden  Musikstädte  erhielt.  —  Sein  Sohn,  Schüler  und 
Amtsnachfolger,  Theodor  K.,  war  ebenfalls  ein  tüchtiger  Dirigent,  der  vor 
seiner  Anstellung  an  der  Kirche  den  akademischen  Musikverein  in  Breslau 
mit  grosser  Umsicht  geleitet  hatte.  Sein  Orgelspiel  soll  das  seines  Vaters  an 
künstlerischer  Vollendunir  nicht  erreicht  haben. 

Kahl,  Gotthard  Wilhelm,  deutscher  Orgelvirtuose,  geboren  1762  zu 
Conradswaldau  in  Schlesien,  wo  sein  Vater  Cantor  war.  Seine  musikalischen 
Studien  vollendete  er  in  Halle  bei  Türk,  worauf  er  sich  privatisirend  in  Hirsch- 
berg aufhielt,  bis  er  nach  dem  Tode  seines  Schwiegervaters  Grottlob  Kuhn 
dessen  Stelle  als  Organist  an  der  Kreuzkirche  daselbst  erhielt.  Er  starb  1824 
mit  dem  Rufe  eines  fleissigen  und  tüchtigen  Musikers.  Von  seinen  Compo- 
sitionen  kennt  man  sechs  leichte   Ciaviersonaten  (Leipzig,  1796). 

Kahl,  Heinrich,  kenntnissreicher  deutscher  Tonkünstler,  geboren  am 
31.  Jan.  1840  zu  München,  wirkte  zuerst  als  Sologeiger  in  Wiesbaden,  dann 
bis  1872  mit  Auszeichnung  als  Kapellmeister  in  Riga,  Stettin,  Aachen  und 
wurde  hierauf  als  Chordirektor  an  die  königl.  Oper  zu  Berlin  gezogen,  welches 
Amt  er  gleichfalls  so  umsichtig  und  geschickt  verwaltet,  dass  er  1874  den 
Titel  eines  königl.  Musikdirektors  erhielt. 

Kahle,  Karl  Hermann  Traugott,  deutscher  Pianist  und  Orgelspieler, 
geboren  1806  zu  Dessau,  wirkte  daselbst  als  Musiklehrer,  bis  er  1831  in  eine 
Organistenstelle  nach  Königsberg  berufen  wurde,  die  er  annahm.  Er  ist  der 
Verfasser  einer  kurzen   Harmonielehre  für  Orgelspieler. 

Kahle,  August  (Karl  Timotheus),  deutscher  musikkundiger  Gelehrter, 
geboren  am  5.  März  1807  zu  Breslau,  studirte  in  Berlin  die  Rechte  und  ar- 
beitete hierauf  bis  1833  als  Referendar  beim  Gerichte  seiner  Vaterstadt.  Da 
erwachte  die  Liebe  zur  Philosophie  in  ihm;  er  wurde  nach  erforderlicher  Vor- 
bereitung Privatdocent  und  später  Professor  dieser  Eacultät  an  der  Universität 
zu  Breslau.  Mit  Musik  hatte  er  sich  von  jeher  mit  Vorliebe  und  Erfolg  be- 
schäftigt und  Ciavierspiel  bei  Hauck  und  Compositionslehre  bei  Berner  studirt. 
Ausser  Artikeln  für  die  »Cäcilia«,  »Leipziger  allgemeine  musikalische  Zeitung« 
und  andere  Pachblätter  schrieb  und  veröffentlichte  er:  »Blätter  aus  der  Brief- 
tasche eines  Musikers«  (Breslau,  1832)  und  »Tonleben«  (1838),  welche  Schriften 
Novellen  und  Aufsätze  vermischten  musikalischen  Inhalts  enthalten.  Auch 
Compositionen  von  ihm,  besonders  Lieder,  sind  bekannt  geworden.  K.  starb 
am   29.  März  1864  zu  Breslau. 

Kahnt,  C.  F.,  Firma  einer  geachteten  deutschen  Musikalienverlagshandlung 
in  Leipzig,  welche  daselbst  seit  dem  2.  Octbr.  1851  besteht.  Begründet  wurde 
dieses  Geschäft  von  Christian  Friedrich  K.,  geboren  am  10.  Mai  1823,  der 
u.  A.  auch  den  Verlag  der  von  Roh.  Schumann  1834  gegründeten  und  von 
Fr.  Brendel  weiter  geführten  »Neuen  Zeitschrift  für  Musik«  übernahm.  Seit 
Novbr.  1868  ist  K.  zugleich  Redacteur  genannter  Zeitschrift,  wie  er  denn 
zuvor    schon    die    Zeitschrift  »Symphonia,   Fliegende    Blätter   für  Musiker  und 


518  Kahrel  —  Kaiserly  Krikuhr. 

Musikfreunde«  (6  Jabrg.,  1863 — 1868)  sehr  umsichtig  redigirt  und  heraus- 
gegeben hatte.  Als  Musikalienverleger  hat  K.  namentlich  das  Verdienst,  junge 
Talente  durch  Herausgabe  ihrer  "Werke  wesentlich  gefördert  zu  haben.  Auch 
ist  er  Direktorialmitglied  des  Allgemeinen  Deutschen  Musikvereins  seit  dessen 
Gründung  und  in  Folge  dessen,  noch  mehr  aber  durch  die  vielseitigen  Bezie- 
hungen in  seinem  Geschäftsberufe,  eine  in  der  ganzen  Kunstwelt  bekannte  und 
geachtete  Persönlichkeit. 

Kahrel,  Hermann  Friedrich,  deutscher  Gelehrter,  geboren  1719  zu 
Detmold,  war  Professor  der  Philosophie  in  Marburg  und  behandelt  in  einem 
seiner  "Werke,  betitelt  »Denckkunst  oder  Grundriss  der  "Weltweisheit«  (Herborn, 
1755),  in  einem  grösseren  Abschnitte  auch  »die   Tonkunst   oder  Musik«. 

Kall)  Joseph,  vorzüglicher  "Waldhornist,  geboren  am  11.  März  1795  zu 
Gottesgab  in  Böhmen  als  der  Sohn  des  dortigen  Cantors  und  Schullehrers 
Jacob  K.,  der  ihn  schon  fi-ühzeitig  auf  der  Orgel  und  anderen  Instrumenten 
unterrichtete.  Im  J.  1813  wurde  K.  Zögling  des  Conservatoriums  in  Prag 
und  erhielt  das  Waldhorn  als  sein  Hauptinstrument  zugewiesen.  Nach  voll- 
endeten Studien  nahm  er  1819  die  erste  Hornistcnstelle  im  Theaterorchester 
zu  Pesth  an,  die  er  1825  mit  derjenigen  am  Hofoperntheater  in  "Wien  ver- 
tauschte. Als  erster  Hornist  fungirte  er  auch  seit  1826  am  ständischen  Theater 
in  Prag,  wo  er  bald  darauf  zugleich  das  Lehramt  für  Trompete  und  Posaune 
am  Conservatorium  übernahm.  Neben  seinen  Berufsgeschäften  hat  er  der  Ver- 
besserung der  chromatischen  Trompete  und  Zugposaune  seine  Thätigkeit  ge- 
widmet. Für  erstere  erfand  er  eine  Vorrichtung  mit  Hebeln  statt  der  Klappen, 
welche  die  Behandlung  dieses  Instruments  erleichterte  und  die  reine  Stimmung 
befestigte;  der  letzteren  gab  er  eine  ganz  neue  Structur,  durch  welche  eine 
leichtere  Erlernung  ermöglicht  war. 

Eainz,  Marianne,  vortrefflich  gebildete  deutsche  Sängerin,  geboren  um 
1800  in  "Wien,  erhielt  dort  eine  gediegene  künstlerische  Erziehung,  Nach 
ihren  erfolgreichen  ersten  Debüts  im  J.  1817  erwarb  sie  sich  1819  auf  einer 
Kunstreise  allerwärts  grossen  Beifall.  Ein  Aufenthalt  in  Italien  von  1821  bis 
1825,  wo  sie,  besonders  in  Florenz  und  Mailand,  mit  nicht  geringerem  Glück 
auftrat,  war  für  ihre  weitere  gesangliche  Vervollkommnung  sehr  förderlich. 
Bis  1828  sang  sie  unter  Huldigungen  wieder  an  den  ersten  deutschen  Bühnen, 
so  in  Kassel,  Hannover,  Stuttgart  u.  s.  w. ;  seitdem  nahmen  ihre  Stimmmittel 
merklich  ab,  die  übrigens  von  jeher  weniger  schön  als  vorzüglich  geschult  ge- 
wesen waren.  —  Eine  sehr  geschätzte  dramatische  Sängerin  gleichen  Namens, 
Frau  K.-Prause,  wirkt  gegenwärtig  am  Hoftheater  zu  Dresden  unter  dem 
Titel  einer  königl.  Kammersänorerin. 

Kaiser  oder  Kayser,  P.  L.,  Componist  und  gewandter  Ciavierspieler,  ge- 
boren 1756  zu  Frankfurt  a.  M.,  lebte  zu  Winterthur  in  der  Schweiz.  Man 
kennt  von  ihm  zahlreiche  Lieder  und  Gesänge,  sowie  Ciaviersonaten  mit  und 
ohne  Begleitung  anderer  Instrumente,  in  denen  die  Nachahmung  Gluck's  un- 
verkennbar ist.  K  's  Verehrung  für  Gluck  bekundet  auch  eine  Abhandlung 
»Empfindungen  eines  Jüngers  in  der  Kunst  vor  dem  Bilde  des  Ritters  Christoph 
von  Gluck«,  die  er  für  den  Deutschen  Merkur  (1776)  verfasst  hat.  —  Ein 
Namen-^genosse  von  ihm,  Pater  Jistrid  K. ,  war  um  1750  Mönch  in  einem 
schwäbischen  Kloster  und  galt  für  einen  der  besseren  Kirchencomponisten  seiner 
Zeit.  Messen  von  ihm  sind  in  Augsburg  herausgekommen.  —  Eine  Sängerin, 
Madame  K.,  endlich  war  um  1783  in  München,  später  in  Preesburg  angestellt 
und  wurde  in  ihrem  Fache  sehr  gerühmt. 

Kaiserly  Krikuhr,  berühmter  armenischer  Sänger,  lebte  um  die  "Wende 
des  18.  und  19.  Jahrhunderts  und,  wie  es  scheint,  in  Konstantinopel.  Er  ver- 
fasste  ein  Werk  über  armenische  Kirchenmusik,  betitelt  »Nuwakarann«  (Kon- 
stantinopel, 1794).  Denselben  Gegenstand  behandelt  das  anonym  erschienene 
Buch  »Acrkarann«  (Konstantinopel,  1803),  welches  ihm  ebenfalls  zugeschrieben 
wird.      Dagegen    kann     das    »von    den    heiligen    Vätern    verfasste«    armenische 


Kaizer  —  Kalergy.  519 

Gesangbuch  nicht    von    ihm    herrühren,    da    es    schon  1742  in  Konstantinopel 
erschienen  ist. 

Kaizer,  Orgelbauer  zu  Ijrulich  in  Böhmen,  lebte  um  1780  und  ist  be- 
kannt geblieben  durch  seine  Werke  in  der  ehemaligen  Servitenkirche  zu 
Konoged  und  zu  Dauba  im  Bunzlauer  Kreise.  Das  erstere  besass  18  Stimmen 
mit  Principal  2,5  Meter. 

Kakophoiiie  (griech.:  'Aaaorpwvia) ,  der  Missklang,  der  Misslaut  der  Töne, 
ist  der   Gegensatz  von  Euphonie  (s.  d.). 

Kalamaika,  ein  ungarischer  Nationaltanz  im  Zweivierteltakt  mit  zwei  Re- 
prisen zu  vier  Takten  von  leidenschaftlich  bewegtem   Charakter. 

Kalb,  Orgel-  und  Instrumentenbauer  in  Prag  von  E,uf  und  Bedeutung, 
starb  daselbst  hochbetagt  am  27.  Octbr.  1813. 

KalMtz,  Karl,  verdienstvoller  deutscher  Musikpädagoge,  geboren  zu  Gross- 
neuhausen  in  Thüringen  um  1800  als  der  Sohn  eines  Lehrers.  Auf  dem 
Lyceum  zu  Buttstädt,  dann  zu  Weimar,  wurde  K.  gleichfalls  dem  Lehrerberufe 
zugeführt,  und  Musik  bildete  einen  Hauptgegenstand  seiner  Yoriiebe  und  seines 
Studiums.  Wohl  vorbereitet,  wurde  er  1824  als  Cantor  in  Buttstädt  und  1827 
als  Lehrer  der  Bürgerschule  zu  Jena  angestellt  und  führte  den  Gesangunter- 
richt als  Lehrgegeustand  ein.  Von  1828  bis  1831  leitete  er  auch  den  von  ihm 
begründeten  bürgerlichen  Gesangverein  in  Jena,  dessen  Direktion  hierauf  der 
Cantor  Kemmlein  übernahm.  Seit  1829  wirkte  K.  zugleich  als  Herausgeber 
des  «Archiv  für  Kirchenmusik«,  welchem  er  werthvolle  Beiträge  zuführte. 
Ebenso  veröffentlichte  er  eine  praktische  Singschule  und  mehrere  Hefte  kleiner 
, Uebungsstücke  für  Pianoforte.  —  Sein  Bruder,  Karl  August  K.,  geboren 
1802  und  durch  Töpfer  in  Weimar  musikalisch  ausgebildet,  wurde  1826  Cantor 
in  Dornburg  an  der  Saale,  folgte  aber  1832  einem  Rufe  nach  Odessa,  wo  er 
Anstellung  als  Vorsteher  der  kaiserlichen  Musikanstalt  erhielt. 

Kalcber,  Johann  Nepomuk,  ausgezeichneter  deutscher  Orgel-  und  Cla- 
vierspieler,  sowie  gediegener  Componist  und  Musiklehrer,  geboren  1766  in 
Freising,  wurde  daselbst  vom  Hoforganisten  Berger  im  Ciavier-  und  Orgelspiel 
unterrichtet,  worauf  er  seit  1790  bei  Grätz  in  München  seine  musikalische 
Ausbildung  vollendete.  Auf  Grätz's  Empfehlung  hin  wurde  er  1798  als  Hof- 
organist zu  München  angestellt.  Zu  seinen  Schülern  gesellte  sicli  damals  der 
dreizehnjährige  Karl  Maria  von  Weber,  der  ihm  das  zweite  Werk  seiner  im 
Druck  erschienenen  Werke,  nämlich  »Sechs  Variationen  für's  Ciavier  oder 
Piano -Forte  über  ein  Original- Thema«  (1800)  v/idmete.  In  dem  Vorwort  zu 
dieser,  übrigens  von  dem  jugendlichen  Verfasser  auch  eigenhändig  lithcgraphirten 
Composition  sagt  derselbe:  »Ihnen!  verehrungswürdiger  Mann!  Ihnen  und  Ihrer 
grossen  Kunst  habe  ich  die  Erweiterung  meines  kleinen  Talents  einzig  und 
wahrhaft  zu  danken,  und  nehme  mir -daher  die  Freyheit,  dieses  kleine  Werk 
von  meiner  Arbeit  Ihnen  zu  widmen.  Nehmen  Sie  es  gütig  auf,  mit  der 
wahren  Versicherung,  dass  ich  Ihre  grosse  Leitung  niemals  vergessen,  und  ewig 
mit  wahrer  Achtung,  Liebe  und  Verehrung  seyn,  und  bleiben  werde  Ihr  wahrer 
Freund  und  Diener  Carl  Maria  von  Weber.«  Vgl.  F.  W.  Jahns,  »Karl  Maria 
von  Weber  in  seinen  Werken  u.  s.  w.«  (Berlin,  1871).  —  Von  K.  selbst  kennt 
man  Ciavier- Concerte  und  Sonaten,  Sinfonien  und  Messen,  Lieder  und  Gesänge. 
Sein  Orgelspiel  soll  in  Bezug  auf  Kraft  und  Reinheit  unvergleichlich  gewesen 
sein.     Er  starb  im  J.  1826  in  München. 

Kaldenbach,  Christoph,  Dichter  und  Sänger  der  von  Eccard  gegründeten 
preussischen  Tonschule,  geboren  1613  in  Schwiebus,  war  Prorector  an  der 
Altstädt'schen  Schule  in  Königsberg,  kam  1636  als  Professor  der  Poesie  und 
Beredtsamkeit  nach  Tübingen  und  starb  daselbst  1698.  Sein  Freund  Heinrich 
Albert  hat  mehrere  Gedichte  von  ihm  in  Musik  gesetzt,  wie  »Magdalena,  die 
Sünderin,  zu  den  Füssen   Jesu«  u.  s.  w. 

Kalergy,  Marie,  geborene  Gräfin  Nesselrode,  eine  vorzügliche  russische 
Pianistin,    geboren  1824   in  St.  Petersburg,    erlangte    als  Ciavierschülerin  von 


520  Kalick  —  Kalkbrenner. 

Fr.  Liszt  einen  hohen  Grad  von  Virtuosität.  Zum  zweiten  Male  verheirathet 
mit  dem  Polizeiminister  von  Muchanow,  lebte  sie  meistentheils  in  Warschau, 
wo  sie  auch  1874  starb.  Sie  gehörte  zu  den  erklärten  Enthusiastinnen  für 
die  neudeutsche  Musikrichtung,  und  sie  ist  es  auch,  welcher  Rieh.  Wagner 
seine  unangenehmes  Aufsehen  erregende  Schrift  »Das  Judenthum  in  der  Musik« 
gewidmet  hat. 

Kalick,  ein  sonst  unbekannter  Tonkünstler,  wahrscheinlich  Flötist,  der  zu 
Ausgang  des  18.  Jahrhunderts  in  Wien  gelebt  zu  haben  pcheint.  Von  seiner 
Coniposition  führt  Träg's  Musikcatalog  auf:  eine  Cassazione  für  vier  Flöten 
und  sechs   Terzetti  für  drei  Flöten. 

KalidäsnH,  berühmter  altindischer  Sänger  und  zugleich  der  ausgezeichnetste 
unter  den  Kunstdichtern  seines  Vaterlandes,  soll  gegen  Ende  des  1.  Jahrhun- 
derts V.  Chr.  am  Hofe  des  Königs  Vikramaditja  gelebt  haben.  Mit  seinem 
Schauspiel  »Sakuntala«  hat  er  sich  den  grössten  Dichtern  aller  Zeiten  angereiht. 
Ausser  diesem  Meisterwei'ke  besitzen  wir  noch  zwei  andere  Schauspiele  von 
ihm,  reich  an  lyrischen  Schönheiten,  ferner  zwei  epische  und  mehrere  lyrische 
Dichtungen.  Auch  wird  ihm  eine  Bearbeitung  der  Sage  von  Nal  und  Da- 
mayanti  zugeschrieben,  unter  dem  Titel  »Nalodaya«,  wie  überhaupt  seinem  be- 
rühmten Namen  in  späterer  Zeit  viele  Dichtungen  untergeschoben  worden  sind. 

Kaikar,  Heinrich,  genannt  Henricus  Calcarensis,  gelehrter  deutscher 
Geistlicher,  geboren  1368  zu  Cleve,  wurde  zu  Paris  Doctor  der  Theologie, 
dann  Canonicus  zu  Kaiserswerth  und  Köln,  endlich  Prior  und  Visitator  des 
Carthäuserordens ,  in  welchen  Würden  er  1448  hochbetagt  starb.  Er  ist  der 
Verfasser  eines  r)Oantuagium  de  musica«. 

Kalkbrenner,  Christian,  vielseitiger  deutscher  Tonkünstler  und  Musik-* 
schriitsteller,  geboren  am  22.  Septbr.  1755  zu  Münden  in  Hessen -Kassel,  zog 
in  frühester  Jugend  mit  seinem  Vater,  Michael  K.,  der  in  Kassel  Stadt- 
musicus  geworden  war,  in  die  hessische  Hauptstadt.  Fünfzehn  Jahre  war  K, 
alt,  als  er  anfing,  Ciavier  zu  lernen,  auf  welchem  Instrumente  ihn  später  der 
Hof-  und  Stadtorganist  Becker  unterrichtete,  während  Karl  Rodewald  sein 
Lehrer  im  Violinspiel  war.  Daneben  wirkte  er  als  Chorsänger  bei  der  dama- 
ligen französischen  Oper  in  Kassel,  wodurch  er  Gelegenheit  erhielt,  dramatische 
Partituren  zu  studircn.  Der  neue  Intendant,  Marquis  de  Luchet,  untersagte 
ihm  jedoch  aus  unbekannten  Gründen  1775  die  Benutzung  dieser  Partituren 
und  entliess  ihn  sogar  bald  darauf  seines  Theaterdienstes.  Schon  1777  aber, 
als  er  dem  Landgrafen  eine  Sinfonie  seiner  Composition  überreichte ,  musste 
er  auf  dessen  Befehl  wieder  aufgenommen  werden.  Rüstig  weiter  arbeitend, 
veröffentlichte  K.  Ciavier sonaten,  Lieder  u.  s.  w.  Mit  einer  vierstimmigen  Messe 
seiner  Composition  wollte  er  sich  vom  Landgrafen  Urlaub  und  Stipendium  zu 
einer  zweijährigen  Studienreise  nach  Frankreich  und  Italien  erwirken;  seine 
Neider  aber  wussten  diesen  Plan  durch  Unterdrückung  dieses  Werkes  zu  ver- 
eiteln, worauf  K.  dasselbe  an  die  philharmonische  Akademie  nach  Bologna 
schickte,  welche  ihn  unter  schmeichelhaften  Worten  der  Anerkennung  zu  ihrem 
Ehrenmitglied  ernannte.  Im  J.  1785  wurde  die  Kapelle  in  Kassel  aufgelöst, 
und  K.  war  unschlüssig,  was  er  beginnen  sollte,  bis  ihn  die  Königin  von 
Preussen  1788  als  Kapellmeister  nach  Berlin  berief,  aus  deren  Dienst  er  1790 
in  gleicher  Eigenschaft  in  die  Kapelle  des  Prinzen  Heinrich  von  Preussen  in 
Rheiusberg  trat.  Dort  componirte  er  die  französischen  Opern  »ia  veuve  de 
MalabarK,  yyDemocriteu,  r>Z.a  femme  et  le  secreUi,  »Lanassan  u.  s.  w. ,  sowie  viele 
verschiedenartige  Ciaviersachen.  Von  1796  bis  1797  lebte  er  in  Neapel,  dann 
in  Paris,  wo  er  1799  Anstellung  als  Chordirektor  und  Gesanglehrer  der  Grossen 
Oper  erhielt  und  am  10.  Aug.  1806  starb.  Seine  in  Paris  geschriebenen  und 
aufgeführten  grösseren  Werke  sind:  die  Oper  r>Oli/mpie«,  eine  dramatische  Scene 
»Pygmalion«  und  eine  Scene  aus  Ossian's  Gedichten;  seine  nachgelassene  Oper 
»Oenone«  wurde  bald  nach  seinem  Tode  ohne  grösseren  Erfolg  gegeben.  Seine 
Compositionen    überhaupt    haben,    abgesehen    von    ihrer    fliessenden,    gefälligen 


Kalkbrenner. 


521 


Melodik,  keinerlei  Bedeutung  und  sind  daher  sammt  und  sondei's  in  Vergessen- 
heit gelangt.  Schriftstellerisch  lieferte  er  einen  oberflächlich  zusammencompi- 
lirten  »Abriss  der  Geschichte  der  Tonkunst,  zum  Vergnügen  der  Liebhaber  der 
Musik«  (Berlin,  1792);  eine  nSistoire  de  la  musiqtietn  (2  Bde.,  Paris,  1802; 
neue  Aufl.  in  einem  Bde.,  Paris,  1822),  nicht  minder  werthlos;  und  eine 
»Theorie  der  Tonsetzkunst«  (l.  Thl,  Berlin,  1789).  Endlich  übersetzte  er  eine 
Harmonie-  und  Compositionslehre  von  Xaver  Bichter,  Kapellmeister  am  Strass- 
burger  Münster,  ins  Französische  unter  dem  Titel:  -nTraite  iVharmonie  et  de 
composition  par  JFr.  Xavier  Richter^  revti,  corrige,  augmente  et  publie  etc.<.i  (Paris, 
1804).  Fetis  bezeichnete  auch  dies  Werk  als  Verballhornung  des  Richter'schen 
Originals,  dessen  Manuscript  er  besass.  Auch  als  Harmonicaspieler  hat  sich 
K.  bekannt  gemacht. 

Kiilkbrenuer,  Friedrich  (Wilhelm  Michael),  Sohn  des  Vorhergehen- 
den, einer  der  grossen  Meister  des  modernen  Ciavierspiels  und  gewandter, 
fruchtbarer  Componist,  wurde  1788  unfern  Berlin  (auf  der  Reise  von  Kassel  dorthin) 
geboren.  Seine  musikalische  Ausbildung  erhielt  er  von  seinem  Vater,  seit  1796 
in  Neapel  und  seit  1798  im  Conservatorium  zu  Paris,  in  welchem  letzteren 
ihn  Louis  Adam  im  Clavierspiel  und  Catel  in  der  Harmonielehre  unterrichteten. 
Mit  dem  doppelten  Preise  1802  gekrönt,  verliess  er  das  Conservatorium  und 
gab  seine  ersten  Compositionen  heraus.  Im  J.  1803  besuchte  er  Deutschland 
und  trat  u.  A.  in  Wien  und  Berlin  öffentlich  mit  Beifall  auf.  Clementi,  den 
er  auf  dieser  Beise  traf,  begeisterte  ihn  und  regte  ihn,  nach  Paris  zurück- 
gekehrt, zu  beharrlichen  Uebungen  au.  Unausgesetzt  und  mit  gesteigertem 
Erfolge  trat  er  seitdem  dort  als  Concertspieler  und  als  Componist  auf.  Ein- 
flussreich auf  sein  übriges  Künstlerleben  war  sein  Aufenthalt  in  Wien  1803 
auch  dadurch  gewesen,  dass  er  auf  Haydn's  Empfehlung,  der  ihn  väterlich  auf- 
genommen, den  Unterricht  Albrechtsberger's  im  Contrapuukt  genossen,  sowie 
ferner,  dass  er  Hummel  persönlicli  kennen  gelernt  hatte.  Im  J.  1814  begab 
sich  K.  nach  London,  wo  er  sich  ganz  dem  Einflüsse  der  Clementi'schen  Schule 
hingab  und  sein  Talent  freier  entwickeln  konnte,  so  dass  er  als  Ciaviervirtuose 
und  Lehrer  sich  grossen  Ruf  und  ein  bedeutendes  Vermögen  erwarb.  Bis 
1823  währte  dieser  Aufenthalt,  nur  unterbrochen  durch  ein  alljährliches  Ver- 
weilen auf  seinem  französischen  Landgute  Rambouillet.  Im  letztgenannten 
Jahre  begab  er  sich,  zugleich  mit  Moscheies,  von  Neuem  auf  den  Continent, 
wo  er  namentlich  in  Wien  und  Berlin  Triumphe  feierte.  Logier's  Methode 
interessirte  ihn  damals  lebhaft,  und  er  stand  auch  lange  Zeit  mit  Logier  selbst 
in  Verbindung.  Im  J.  1824  war  K.  wieder  in  Paris  und  betheiligte  sich  als 
Geschäftstheilnehmer  an  der  Pleyel'schen  Pianofortefabrik,  welche  durch  seinen 
Einfluss  einen  mächtigen  Aufschwung  nahm  und  im  Flügel-  wie  im  Pianinobau 
(seit  1842)  nicht  überflügelt  wurde.  -Seinen  Ruhm  in  Deutschland  frischte  K. 
durch  Concertreisen  1833  und  1834  wieder  auf  und  Hess  sich  1836  in  Belgien 
mit  gleichfalls  ausserordentlichstem  Erfolge  hören.  Seitdem  beschränkte  er  sich 
als  Virtuose  und  berühmter  Lehrer  auf  Paris,  bis  er  am  10.  Juni  1849  in 
dem  benachbarten  Enghieu  eines  der  ersten  Opfer  der  Cholera  wurde,  in 
dem  Augenblicke,  als  er  sich  anschickte,  eine  Erholungsreise  nach  Ischia  an- 
zutreten. 

K.'s  Spiel  war  von  der  vollendetsten  Ausbildung,  eine  Verschmelzung  der 
grossen  breiten  Spielweise  der  Clementi'schen  mit  der  leichten,  anmuthig  glän- 
zenden der  Hummel'schen  Schule,  aus  welcher  Vereinigung  sein  eigener  trefi'- 
licher  und  entzückender  Vortrag  hervorging.  Ebenso  wie  durch  vorzügliche 
Ausübung  nützte  er  der  Kunst  durch  gediegene  Lehre,  die  er  durch  Einrich- 
tung eines  dreijährigen  cursorischen  Privatunterrichts  für  talentvolle  Schüler 
fruchtbringend  fortpflanzte.  Als  seine  ausgezeichnetsten  und  begabtesten  Zög- 
linge sind  zu  nennen:  Camille  Pleyel,  Kathinka  von  Diez,  Stamaty  und  Karl 
Wilh.  John.  Auch  hat  er  die  musikalischen  Studien  der  Herzogin  Helene 
von  Orleans  geleitet.     Unter  seinen  Claviercompositionen,    die    einer  grösseren 


522  Kalkus  —  Kalliope. 

Vertiefung  entbehren,  findet  sich  gleichwohl  manches  Gehaltvollere,  ja  Gediegene, 
so  seine  vier  Concerte,  besonders  das  in  D-moll,  sein  Concert  für  zwei  Piano- 
fortes  in  G-diir,  das  Septuor  op.  15,  das  Sextuor  op.  58,  das  Quintett  op.  81, 
die  Sonaten  op.  4,  13,  35  und  42,  die  Phantasie  »ie  reve«,  die  Rondos  y>Gage 
d^amitiea  und  y>Les  charmes  de  Berlin«  u.  s.  w.  Neben  diesen  ist  freilich  auch 
eine  überwiegende  Zahl  von  seichten  Modeartikeln  zu  verzeichnen.  Rühmliche 
Auszeichnung  verdient  seine  grosse  Pianoforteschule  mit  vortrefflichen  Etüden. 
K.  führte  übrigens,  seinem  Vermögen  entsj^recheud,  ein  fürstliches  Haus,  dem 
er  mit  grosser  Eitelkeit  zwar,  aber  mit  noch  grösserer  Liebenswürdigkeit  vor- 
stand, und  besass,  bei  angeborener  edler  Form  und  Haltung,  im  Umgang  die 
Leichtigkeit  und  Gewandtheit,  die  sich  nur  im  häufigen  Verkehr  mit  der  ge- 
bildeten Aristokratie  erwerben  lassen.  Wer  vertrauensvoll  zu  ihm  ging,  war 
mit  oder  ohne  Empfehlung  gütig  aufgenommen,  ein  Fremder  mit  um  so  grösserer 
Freundlichkeit,  ein  Deutscher  vollends  mit  Freude  und  Liebe.  —  Aus  der  Ehe 
mit  der  Tochter  des  Generals  d'Estaing,  Grossnichte  des  berühmten  gleich- 
namigen Admirals,  hinterliess  er  einen  Sohn,  Arthur  K.,  auf  den  das  Talent 
des  Vaters  überging.  Als  Pianist  geachtet  und  in  unabhängiger  Stellung, 
starb  derselbe  im  Januar  1868  zu  Paris.  Seinen  Namen  hat  er  dadurch  ver- 
ewigt, dass  er  der  vom  Baron  von  Taylor  gegründeten  Gesellschaft  der  Musiker 
testamentarisch  ein  Legat  von   120,000  Frcs.  vermachte. 

Kalkns,  Joseph,  beliebter  Tanzcomponist,  geboren  in  der  letzten  Hälfte 
des  18.  Jahrhunderts  zu  Böhmisch -Brod,  nahm  seinen  Wolmsitz  in  Wien 
und  erlangte  durch  seine  Tanzweisen,  besonders  Ländler,  von  dort  aus  einen 
verbreiteten  Ruf. 

Kallans,  Ferdinand,  Sänger,  Componist  und  Gesanglehrer,  geboren  um 
die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  in  Böhmen,  wirkte  1788  als  Tenorsäuger  in 
der  Kapelle  des  Fürst -Bischofs  von  Passau.  Er  lebte  noch  1812,  und  zwar 
als  Gesanglehrer  in  Prag.  Als  Compositionen  von  ihm  kennt  man  katholische 
Kirchenlieder. 

Kallenbach,  Georg  Ernst  Gottlieb,  fleissiger  und  gefälliger  Gesangs- 
componist  aus  der  Wendezeit  des  18.  und  19.  Jahrhunderts,  war  Organist  an 
der  helligen  Geistkirche  zu  Magdeburg.  Namentlich  waren  seine  Lieder  heitern 
und  scherzhaften  Inhalts  in  damaliger  Zeit  sehr  beliebt.  Alle  seine  bis  1796 
componirten  Gesänge  vereinigte  er  in  einer  Sammlung  unter  dem  Titel  »Oden 
und  Lieder  zum  Singen  beym  Ciavier  für  ungeübte  und  geübtere  Sänger  und 
Spieler«  (Magdeburg,  1796).  Weiterhin  Hess  er  noch  erscheinen:  »Zwerchfell- 
erschütterungen und  Lieder  der  Freude«  (Halle,  1800)  und  »Frohe  Lieder  zur 
Unterhaltung«  (Ebendas.).  Auch  viele  Ciavierstücke  schrieb  er,  sogar  auch 
Opern,  wie  »Das  Schattenspiel  an  der  Wand«  und  eine  andere,  deren  Titel 
verschollen  ist,  sowie  das  Intermezzo  »Ehestandsscenen«,  die  jedoch  von  zweifel- 
haftem Werth  sein  dürften.  Auch  ein  Choralbuch  mit  Melodien  seines  Vaters, 
Christian  Ernst  K.  (gestorben  1777  als  Cantor  in  Potsdam),  hat  er  heraus- 
gegeben.    K.  selbst  starb  1832  in  Magdeburg. 

Kallenberg,  Wilhelm,  deutscher  Gesangcomponist,  war  seit  1831  als 
Cantor  in  Erfurt  angestellt  und  hat  von  seiner  Composition  Gesänge  für  eine 
Stimme  mit  Pianofortebegleitung,  sowie  Kirchengesänge,  ebenfalls  für  eine  Sing- 
stimme,  veröffentlicht. 

Kallinikos  (griech.),  d.  i.  mit  schönem  Siege,  derjenige,  welcher  einen  schönen 
Sieg  davongetragen  hat,  war  der  Name  eines  Singtanzes  der  alten  Griechen, 
den  man  zu  Ehren  des  Herkules  aufführte. 

Kalliope  (griech.),  d.  i.  die  Schönstimmige,  die  vorzüglichste  der  neun 
Musen  (s.  d.),  war  die  Vorsteherin  des  epischen  Gesanges,  bei  Dichtern  aber 
auch  bisweilen  jeder  anderen  Dichtung.  Von  Oiagros,  König  in  Thracien, 
wurde  sie,  wie  die  Mythe  erzählt,  Mutter  des  Orpheus  und  Linos,  von  Strymon 
des    Rhesos,    von    Apollon     des    lalemos     und    Hymenäos,     von    Achelous    der 


Kalliwoda  —  Kambra.  503 

Sirenen  (s.  d.).     Auf  antiken  und  den  der  Antike  nachgebildeten  Denkmälern 
erscheint  sie  mit  "Wachstafeln  und  dem   Stylos  oder  Schreib griffel. 

Kalliwoda,   Johann    Wenzel,    ein    ausgezeichneter  Violinist    und  talent- 
voller, gewandter   Componist,   wurde    am  21.  März   1800  zu  Prag  geboren  und 
in  dem  dortigen  Conservatoi'ium  von   1810  bis   1816   ausgebildet.     Hierauf  war 
er  Mitglied  des  Theaterorchesters  in  Prag  bis   1822,  wo  er  seine  erste  erfolg- 
reiche  Concertreise  durch   Süddeutschland  unternahm.     In  München  lernte  ihn 
der  kunstsinnige  Fürst   von  Fürstenberg   kennen    und    ernannte    ihn  zu  seinem 
Kapellmeister  in  Donaueschingen,   welchem  Amte  K.,    einige  Kunstreisen,   na- 
mentlich nach  Leipzig,  abgerechnet,   ununterbrochen  bis  zu  seiner  Pensionirung 
im  J.  1853  mit  Fleiss  und  Pflichteifer  vorstand.     Hierauf  lebte  er,  vom  öffent- 
lichen Schauplatz  zurückgezogen,  in  Karlsruhe,  wo   er  am   3.  Decbr,  1866   starb. 
Sein  Yiolinspiel  war  mehr  gemüthlich  und  anmuthig,  als  grossartig  und  glän- 
zend.    Dasselbe    gilt  von    seinen    dahin    einschlagenden   Compositionen,  Violin- 
und  Ciaviersachen    aller  Art,    sowie  Liedern    und   Gesängen,    die    seit  1825  in 
grosser  Anzahl  erschienen.     Weit  höher    steht  er  als  Orchestercomponist,    und 
seine  sechs   Sinfonien,  deren  erste   (in  F-moU)   1826  erschien,   gehören  zu  dem 
Tüchtigsten    und    Beachtenswerthesten,    was    die    nachbeethoven'sche    Zeit    auf 
diesem  Felde    hervorgebracht   hat;    allerdings    in    absteigender   Folge,    da    sein 
Talent  einen  erhöhten  Aufschwung    nach  dem    ersten    überaus  glücklichen  An- 
laufe   nicht    genommen    hat.     Der    fortwährende   Aufenthalt    in    seiner    kleinen 
Residenz,  der  Mangel  genügender  Anregung  von  aussen  her  und  die  Absper- 
rung von  den  musikalischen  Strömungen    der   gleichzeitigen  Periode    schadeten 
seinem  Schaffen,  das  immer  mehr  der  Schablone  verfiel,  empfindlich.     Hervor- 
gehoben zu  werden  verdienen  noch  seine  Concertouverturen,  die  allerdings  mehr 
für  augenblickliche  Bedürfnisse  berechnet  zu    sein    scheinen,    allein  den  Zweck 
angenehmer,    nicht    gerade    oberflächlicher  Unterhaltung    bis    auf  den  heutigen 
Tag  sehr  gut  ausfüllen.     Sonst   hat  er    noch   Concerte  für  verschiedene  Instru- 
mente und    sogar    einige  Opern,    wie  »Christine«,    Text    von  Keller,    »Bianca« 
U.S.W,  geschrieben,    die    aber    kaum    mehr    als    dem  Namen  nach  bekannt  ge- 
worden   sind.  —    Sein    Sohn,    Wilhelm    K.,    geboren    am    19.  Juli  1827    zu 
Donaueschingen,  erhielt  eine  vortreffliche  pianistische  Ausbildung  und  kam  1847 
in  das  Conservatorium  zu  Leipzig,  wo  er  u.  A.  Mendelssohn  bis  zu  dessen  Tode 
1847  zum  Lehrer  hatte.     Im  J.  1849  wurde  er  als  Musikdirektor  an  die  katho- 
lische Kirche  zu  Karlsruhe  berufen,  und  seine  Tüchtigkeit  als  Orchesterdirigent 
veranlasste  später  seine  Anstellung  als  Hofkapellmeister  am  grossherzogl.  Theater 
daselbst.     Ausserdem    dirigirte    er    den    dortigen  philharmonischen  Verein  und 
die  Sinfonieconcerte  des  Hoforchesters;    endlich    ertheilte    er    einen    gediegenen 
Pianoforteunterricht.    Kränklichkeit  nöthigte  ihn  schon  1875,  seine  Pensionirung 
nachzusuchen,   die  ihm  auch  unter  ehrenvoller  Anerkennung  seiner  guten  Dienste 
gewährt  wurde.     An  seine  Stelle  als  erster  Hofkapellmeister  trat  Otto  Dessoff 
aus  Wien.     K.  hat  ziemlich  viel  componirt,  aber  nur  eine  Sinfonie,  eine  Ouver- 
türe,   Ciavierstücke    und  Lieder    veröffentlicht.     Sein  Musikstyl  lässt  unschwer 
erkennen,  dass  er  sich  ganz  und  gar  Mendelssohn  zum  Vorbild  genommen  hat. 

Eallmns  oder  Kalmus,  s.  Calmus. 

Kaiwitz,  s.  Calvisius. 

Kamal  Eddin  Abnlphadhi  Giafar,  der  Sohn  des  Thalah  Aladphari, 
arabischer  philosophischer  und  musikalischer  Schriftsteller,  lebte  um  die  Wende 
des  13,  und  14.  Jahrhunderts  und  hinterliess  u.  A.  im  Manuscript  ein  »Opws 
quadripartitum  de  spectaculis  et  musices  usu  etc.v.  (1301),  worin  er  diejenigen 
eingehend  widerlegt,  welche  die  Musikübuug  als  gemeinschädlich  verbieten. 

Kambra,  deutscher  Musikgelehrter,  Clavierspieler  und  Componist  zu  Ende 
des  18.  Jahrhunderts,  scheint  aus  Sachsen  gebürtig  gewesen  zu  sein  und  lebte, 
nachdem  er  grosse  Reisen  durch  Ostasien  unternommen  hatte,  um  1796  in 
London.  Als  musikalische  Früchte  seiner  Streifzüge  veröffentlichte  er:  ein 
chinesisches  Blumenlied,  in  unsere  abendländische  Notenschrift  übertragen  und 


524  Kambuugkayu  —  Kannner. 

mit  einem  Vorwort  über  Cliiiiesisclie  Musik  versehen  (abgedruckt  Im  neuen 
deutschen  Merkur  von  1796,  Stück  1  No.  4);  ferner:  »2  original  chinese  songs 
„Mao  -  Lee  -  Ghwa  et  Higlio-IIighau^^  for  the  Fortepianovi  (London,  1800).  Von 
seinen  eigenen  Compositionen  kennt  man  als  in  London  erschienen:  Sonaten 
op.  1,   2  und   13,  Rondos  und  Variationen,  säramtlich  für  Ciavier. 

Kambung  kayn  nennen  die  Insulaner  im  chinesisch -indischen  Musikkreise 
ein  dem  G  am  bang  (s.  d.)  ähnlich  gebautes  Schlaginstrument,  dessen  tönende 
Körper  trockenes  HoJz  sind.  2. 

Kameradschaft  hiess  vornämlich  die  Innung  der  deutschen  Feldtrompeter 
und  Heerpauker,  eine  Institution  des  späteren  Mittelalters,  die  sich  bis  tief 
in  die  neuere  Zeit  hinein  erhielt.  Die  Mitglieder  dieser  Innung  nannten  sich 
vorzugsweise  Kameraden.  Nur  diejenigen  Musiker  wurden  zur  K.  gerechnet, 
welche  die  Trompeter-  und  Paukerkunst  zunftmässig  bei  einem  zünftigen,  d.  h. 
zu  dem  Vei'bande  gehörigen  Trompeter  und  Pauker  erlernt  hatten.  Die  K.  be- 
sass  umfangreiche,  vom  Kaiser  und  den  deutschen  Landes fürsten  wiederholt 
bestätigte  und  erweiterte  Statuten  mit  Gerechtsamen,  die  sie  vor  allen  anderen 
Instrumentalmusikern  sehr  bevorzugten.  Das  auf  zwei  Reichstagen  zu  Regens- 
burg, 1623  und  1630,  vom  Kaiser  Ferdinand  IL  erneuerte  Privilegium  der  K. 
findet  man  in  seinem  Wortlaut  in  der  »Deutschen  Musikerzeitung«  Jahrg.  1874 
No.   26  und  27   abgedruckt. 

Kamieusky,  Matthias,  polnischer  Operncomponist  ungarischer  Herkunft, 
geboren  am  13.  Octbr.  1734  zu  Oedenburg  in  Ungarn,  trat  als  Jüngling  in  die 
Kapelle  des  Grafen  Hentzel  daselbst  und  begab  sich  hierauf  nach  Wien,  wo 
er  eingehende  Compositionsstudien  machte.  Endlich  Hess  er  sich  bleibend  in 
Warschau  nieder  und  componirte  dort  die  Oper  »Das  Glück  im  Unglück«,  welche, 
1778  aufgeführt,  einen  beispiellosen  Enthusiasmus  hervorrief  und  K.  als  den 
Schöpfer  der  ersten  polnischen  Nationaloper  erscheinen  Hess.  Seine  weiteren 
Opern:  »Sophie  oder  die  Liebschaft  auf  dem  Lande«,  »Die  tugendhafte  Einfalt«, 
»Der  Ball  auf  dem  Lande«,  »Die  Nachtigall«  und  »Die  Uebergabe«  befestigten 
seinen  grossen  Ruf.  Ausserdem  hat  er  auch  Kirchensachen  und  Polonaisen 
geschrieben.     Gestorben  ist  er  hochbetagt  am  25.  Jan.  1821  zu  Warschau. 

Kamile  ist  der  Name  eines  der  grossen  Tonzeichen  in  der  griechisch- 
katholischen Kirche,  dessen   Zeichen    L\  dem  fast  gleichen  demotischen  Schrift- 


zeichen der  alten  Aegypter  nachgebildet  ist  und  für  die  Tonphrase  -/rt— J' 


gesetzt  wird.  0. 

Kamm  oder  Rechen,  s.  Kämme. 

Kammel,  Anton,  bedeutender  Violinvirtuose  der  zweiten  Hälfte  des  18. 
Jahrhunderts,  war  aus  der  Grafschaft  Waldstein  in  Böhmen  gebürtig.  Der 
kunstsinnige  Graf  von  Waldstein  Hess  ihn,  als  er  ein  hervorragendes  Talent 
in  ihm  entdeckte,  zur  höhereu  Ausbildung  nach  Italien  und  speciell  zu  Tartini 
nach  Padua  gehen,  dessen  Unterricht  K.  eine  Zeit  lang  geuoss.  Nach  Prag 
zurückgekehrt,  erregte  sein  Spiel  und  besonders  sein  Adagiovortrag  allgemeine 
Bewunderung.  Durch  Deutschland  reiste  hierauf  K.  nach  London,  wo  er  an- 
fangs nicht  sonderlich  gefiel,  dann  aber,  als  er  sich  in  den  Geschmack  der 
Engländer  zu  finden  wusste,  um  so  mehr  Beifall  fand.  Er  wurde  Mitglied 
der  königl.  Kammermusik,  verheirathete  sich  sehr  reich  und  starb  um  1788 
zu  London.  Ebendaselbst  erschienen  auch  von  ihm  einige  zwanzig  Werke,  be- 
stehend aus  Sinfonien,  Messen,  Streichquartetten,  Violin -Trios  und  Duetten, 
Concerten  für  Violine  und  anderen  Instrumentalsachen,  die  sich  durch  an- 
genehme und  fliessende  Cantilene  auszeichnen. 

Kammer,  abgeleitet  von  dem  griechischen  Kamara,  d.  i.  bedeckter  Wagen, 
hiess  bei  den  fränkischen  Königen  das  abgesonderte  Gemach,  worin  sie  ihr 
Privateigenthum  bewahrten.  Daher  bezeichnet  das  Wort  K.  die  Privatbeschäf- 
tigungen   im   Gegensatz    von    dem  Hof-    oder    öflfentlichen  Leben    des  Fürsten. 


Kammercomponist  —  Kammermusik.  525 

Als  die  Fürsten  und  Grossen  begannen,  ihre  eigenen  kleinen  Kapellen  zu 
halten,  mussten  dieselben  in  den  G-emächern  des  Schlosses  ihre  AufiFührungen 
veranstalten,  zu  denen  Niemand  ohne  Erlaubuiss  Zutritt  hatte.  Der  Name 
K,  wurde  seitdem  als  Beiname  auf  die  dort  ausgeführte  Musik  und  die  die- 
selbe singenden  oder  spielenden  Musiker  übertragen  und  blieb  als  Ehrentitel 
noch  bestehen,  als  die  veränderten  Verhältnisse  der  Neuzeit  längst  schon  den 
eigentlichen  Sinn  dieser  Bezeichnung  nicht  mehr  rechtfertigten  (s.  Kammer- 
musik, Kammermusicus,  Kammersänger  und  Kammervirtuose).  — 
In  der  Fachsprache  der  Orgelbauer  ist  K.  dasselbe  wie  Cancelle  (s.d.). 

Kaiuuiercompouist  hiess  ehemals  derjenige  Tonkünstler,  welcher  bei  fürst- 
lichen Personen  eigens  dazu  angestellt  war,  um  Tonstücke  für  die  Aufführungen 
in  den  Privatgemächern  der  Herrschaft  zu  schreiben.  Gleichbedeutend  mit  K,, 
wird  jetzt  häufiger  der  Titel  »Hofcomponist«  verliehen. 

Kainmerconcert,  s.  Concert. 

Kamnierflöte,  s.  Kammerregister. 

Kammerg-edackt,  s.  Gedackt. 

Kammerkoppel  hiess  in  früherer  Zeit  ein  jetzt  nicht  mehr  vorkommendes 
Mauubrium,  durch  dessen  Anzug  die  ganze  Tastatur  der  Orgel  so  verändert 
wurde,  dass  die  Kammerregister  zur  Yei'wendung  gelangten  und  die  Orgel  selbst 
im  Kammerton,  d.  h.  um  einen  ganzen  Ton  tiefer  als  gewöhnlich  erklang, 

Kammerlander,  Karl,  tüchtiger  deutscher  Orgelspieler  und  trefflicher  Com- 
ponist,  geboren  am  27.  April  1828  zu  Weissenhorn  in  Schwaben,  trieb  schon 
im  Elternhause  und  seit  1840  als  Schüler  des  Stephansgymnasiums  zu  Augs- 
burg eifrig  Musik,  so  dass  er  neben  den  Schulstudien  sechs  Jahre  hindurch 
die  Organistenstelle  an  der  Kirche  St,  Stephan  zu  versehen  im  Stande  war. 
Bis  Terzia  vorgerückt,  vermochte  er  seine  Neigung  nicht  länger  hinzuhalten 
und  wandte  sich  ausschliesslich  der  Tonkunst  zu.  Zu  diesem  Zwecke  nahm 
er  gründlichen  Unterricht  bei  dem  Augsburger  Domorganisten  C,  Kempter. 
Gleichzeitig  studirte  er  die  besten  Partituren  kirchlicher  und  weltlicher  Musik 
und  nahm  an  allen  Aufführungen  in  der  Stadt  lebhaftesten  Antheih  Damals 
versah  er  das  Organistenamt  an  der  Studienkirche  zu  Augsburg,  Die  Aner- 
kennung, welche  seine  eigenen  Compositionen  von  Seiten  des  Kapellmeisters 
K.  L.  Drobisch  fanden,  ermuthigte  ihn,  für  den  Chor  von  St.  Stephan  mehrere 
Psalmen,  Gradualien  und  einige  Vocalmessen  mit  Orgelbegleituug  zu  schreiben. 
Im  J.  1853  wurde  er  zum  Chordirigenten  an  der  Pfarrkirche  St.  Max,  1867 
als  solcher  an  St.  Moritz  ernannt.  Ausserdem  giebt  er  Unterricht  im  Piano- 
forte,  Gesang  und  in  der  Composition.  Von  seinen  Compositionen  sind,  als 
im  Druck  erschienen,  gute  Kirchen-  und  Orgelsachen,  unter  denen  der  13.  Psalm 
mit  vollem  Orchester  noch  besonders  hervorzuheben  ist,  sowie  32  Lieder 
und  Balladen,  21  Gesänge  für  Männejt'chor  und  solche  für  gemischten  Chor 
zu  nennen. 

Kammerloher,  unrichtige  Schreibweise  für  Camerloher  (s,  d.). 

Kammermusik  (ital.:  Musica  da  camera;  französ.:  Muslque  de  chamlre). 
Durch  den  verschiedenen  Gebrauch,  den  man  bei  Verbreitung  und  Verallge- 
meinerung der  Musik  in  der  neueren  Zeit  davon  machte,  entwickelte  sich  auch 
ganz  von  selbst  eine  Verschiedenheit  des  Styls,  welche  aber  nicht  als  eine 
strenge  Grenzscheidung  angesehen  werden  darf.  Von  der  Kirchenmusik,  als 
der  ältesten  und  bereits  zu  einem  gewissen  Höhepunkte  gelangten  Gattung, 
sonderte  sich  allmälig  zuerst  der  Theaterstyl  ab,  wie  denn  mit  Erweiterung 
der  Kunst  nach  allen  Seiten  hin  auch  nach  und  nach  das  lebhafte  Verlangen 
sich  einstellte,  nicht  ausschliesslich  religiöse,  wie  sie  jene  sich  zur  Aufgabe  ge- 
stellt hat,  sondern  auch  bloss  moralische  Empfindungen,  welche  diese  zu  erregen 
vorzugsweise  bestimmt  zu  sein  scheint,  durch  sie  ausgedrückt  und  in  den 
Menschen  lebendig  gemacht  zu  wissen.  Beide  Musikgattungen  indessen,  die 
Kirchenmusik  nicht  weniger  wie  die  Theatermusik,  wendeten  sich  von  jeher, 
wie  auch  noch  heutzutage  und  in  alle  Zukunft   hinaus,   an   die    grösstmögliche 


526  Kammermusiker  —  Kammersänger. 

Oeffentliclikeit  und  lassen  in  mehr  als  einer  Beziehung  auch  gar  keine  andere 
Anwendung  zu.  Der  Privatgebrauch  der  Musik  musste  daher  nothgedrungen 
noch  eine  dritte  Gattung  ins  Leben  rufen:  die  Kammermusik,  so  genannt, 
weil  ehedem  nur  die  Fürsten  und  Grossen  an  ihren  Höfen  und  in  ihren  Hof- 
gemächern (Kammern)  durch  ihre  Kammercomponisten ,  Kammermusiker  und 
Kammersänger  sich 'mit  Musik  unterhalten  Hessen  (s.  Kammer).  Der  Kammer- 
styl bildete  gewissermaasseu  einen  Yereinigungs-  oder  Vermittelungspunkt 
zwischen  dem  Kirchen-  und  Theaterstyl,  von  beiden  sich  etwas  aneignend,  das 
wiederum  ein  besonderes  charakteristisches  Ganzes  gestaltet.  Gegenwärtig  bei 
allgemeinster  Verbreitung  der  Musik  will  der  Name  K.  allerdings  durchaus 
nicht  mehr  passen  und  wird  nur  noch  von  der  Pietät  vor  dem  Altherkömm- 
lichen conservirt;  viel  richtiger  Hesse  sich,  wenn  man  unter  K.  im  weiteren 
Sinne  die  weder  kirchliche  noch  theatralische  Musik  versteht,  unterscheiden: 
Concertmusik,  die  auch  im  grösseren  Haume  und  öffentlich  ausgeführt  wird, 
Kammermusik,  für  Zimmer  und  Privatcirkel,  ohne  voUes  Orchester,  sondern 
nur  für  einige  Stimmen  oder  Instrumente,  und  endlich  Volksmusik,  welche 
auch  die  Tänze  und  Volkslieder  in  sich  schliesseu  würde.  Die  Eigenthümlich- 
keit  des  Kammerstyls  beruht  darauf,  dass  er,  nicht  für  das  grosse  Publikum, 
sondern  für  Liebhaber  und  für  Kenner  gleichermaassen  bestimmt  und  auf  einen 
kleinen  Raum  berechnet,  feiner  ausgebildet,  schwieriger,  auch  künstlicher  sich 
darstellt,  weil  im  kleineren  Räume  Manches  sich  genauer  hören  und  unter- 
scheiden lässt,  was  im  grösseren  Räume  verschwindet,  und  weil  die  Componisten 
bei  ihren  Zuhörern  mehr  Fertigkeit  und  Uebung  im  Hören  voraussetzen  durften. 
Ein  K.stück  soll  daher  ein  Kunstprodukt  im  höchsten  Sinne  des  Wortes  sein; 
der  Satz  muss  mehr  zergliedert,  die  Melodie  feiner  nüancirt,  die  Ausarbeitung 
sorgfältiger  erscheinen,  als  in  den  Werken  der  anderen  Gattungen.  Der  Kam- 
merstyl erfordert  die  grösste  Correctheit  und  Eleganz  und  die  tiefste  Kenntniss 
des  reinen  Satzes,  weil  bei  dieser  Gattung  der  Musik,  die  vorzugsweise  vor 
Kennern  und  bei  schwacher  Besetzung  vorgetragen  wird,  Härten  und  Satzfehler 
leicht  bemerkt  werden.  Die  grossen  Meister  der  Musik,  auf  welchen  Gebieten 
ihrer  Kunst  sie  auch  immer  vorzugsweise  thätig  waren,  haben  sich  zu  eigener 
Genugthuung  immer  bemüht,  auch  der  keuschen  Muse  der  K.  ihre  Huldigung 
durch  fein  gestaltete  Werke  dieser  Art  dai'z  üb  ringen;  auffallende  Ausnahmen 
bilden  nur  Gluck,  Meyerbeer  und  Rieh.  Wagner,  die  ihre  Thätigkeit  aus- 
schliesslich dem  dramatischen  Musikstyle  zuwendeten.  Im  weiteren  Sinne  ge- 
hören zu  dem  Kammerstyle:  Sinfonien  und  Concertouverturen,  Instrumental- 
concerte,  Concertarien  (Concertmusik);  ferner  Sonaten,  sowie  Duos,  Trios 
(Terzette) ,  Quartette  u.  s,  w.  bis  hinauf  zum  Octett  und  Nonctt  für  Instru- 
mente und  Stimmen,  endlich  Solos,  Variationen,  Nocturnes,  Serenaden  für 
Streich-  oder  für  Blasinstrumente  (K.  im  engeren  Sinne).  —  Das  zur  spe- 
ciellen  Geschichte  der  K.  Gehörige  lese  man  in  dem  Artikel  Instrumental- 
musik nach. 

Kammermusiker  heissen  im  Allgemeinen  die  in  einem  fürstlichen  Orchester, 
in  einer  Hofkapelle  angestellten  Musiker,  welche  ihren  Gehalt  aus  der  Privat- 
kasse ihres  Dienstgebers  empfangen.  In  Kapellen,  wo  es  zwei  Kategorien 
von  Musikern,  K.  und  Hofmusiker  giebt,  ist  der  Titel  K.  der  höhere  und 
wird  durch  eine  gewisse  Dienstzeit  erlangt  oder  als  Auszeichnung  besonders 
verliehen. 

Kammerreg-ister.  Bei  den  im  Chorton  (s.  d.)  stehenden  Orgeln  waren 
bisweilen  mehrere  Stimmen  in  den  Kammerton  gestimmt,  damit  der  Organist, 
ohne  zu  transponiren ,  die  vocalen  und  besonders  die  instrumentalen  Kirchen- 
musiken begleiten  konnte.     Diese  Stimmen  hiessen  K.  (s.  auch   Gedackt). 

Kammersänger  ist  das  Prädikat  jedes  im  Dienste  eines  Hofes  stehenden 
Sängers,  der  in  der  Hofkirche  oder  im  Hoftheater  und  im  Hofconcerte  zu 
singen  hat.  Die  Kategorie  der  Hofkirchen-  oder  Hofopernsänger  ist  die  den 
K.n    untergeordnete.     Oft    ist    der  Titel  K.    nichts    als    eine    fürstliche  Gunst- 


Kamin  erstimme  —  Kanal.  52  t 

bezeugung,    mit  der  keinerlei  Pflichten    des  betreffenden  Künstlers,    wohl  aber 
mitunter  ein  Ehrengehalt  verbunden  ist. 

Eammerstimme,  s.  Gredackt. 

Kammerstyl,  s.  Kammermusik  und  Styl. 

Kammerton  oder  Kapellton,  s.  zunächst  Chorton.  Seit  der  Mitte  des 
18.  Jahrhunderts  war  der  K.,  d.  h.  die  gewöhnliche  Stimmung  der  zur  Kammer- 
musik erforderlichen  Instrumente  (jetzt  aber  die  allgemein  als  alleinige  Norm 
übliche  Instrumentenstimmung),  die  mit  den  damaligen  Blasinstrumenten  gleich 
hochstehende  Stimmung,  welche  immer  einen  ganzen  Ton  tiefer  war  als  der 
Chorton,  der  der  Ton  der  älteren  Orgeln  zu  sein  pflegt.  Man  ging  bei  dieser 
Feststellung  von  der  Ansicht  aus,  dass  die  Kammermusik  wegen  des  beschränkten 
Locals  nicht  so  scharf  und  durchdringend  zu  sein  brauche,  als  die  Stimmung 
der  Orgel,  die  einen  weit  grösseren  Raum  auszufüllen  habe.  Gewöhnlich  musste 
man  daher  bei  einer  Kirchenmusik  die  Orgelstimme  um  einen  Ton  tiefer  spielen, 
als  die  begleitende  Instrumentalmusik.  Erst  neuerdings  wurden  auch  die  Orgeln 
durchgehends  im  K.  gestimmt.  Dieser  letztere  kam  übrigens  im  Laufe  der 
Zeit  dem  alten  Chorton  immer  näher.  Die  Gründe,  welche  dies  Hinaufschrauben 
in  die  Höhe  veranlassten,  war  die  Rücksicht  auf  den  Glanz  und  die  Kräftigkeit 
der  Streichinstrumente,  die  je  höher  gestimmt,  um  so  durchgreifender  erklangen. 
Endlich  kam  es  dahin,  dass  die  K.stimmung  an  verschiedenen  Orten  erheblich 
differirte,  so  dass,  während  Scheible  den  K.  zu  400  Schwingungen  in  der  Se- 
kunde auf  a}  annahm,  um  1850  in  der  Italienischen  Oper  424,  in  der  Grossen 
Oper  zu  Paris  431,  in  der  Berliner  Hofoper  sogar  437  Schwingungen  auf  a} 
kamen,  abgesehen  davon,  dass  fast  jedes  Orchester  einen  eigenen  K.  hatte,  der 
innerhalb  dieser  Gränzen  höher  oder  tiefer  stand.  Dem  tiefgefühlten  Bedürfniss 
nach  einem  einheitlichen  K.,  der  mit  Rücksicht  auf  die  Sänger  nicht  zu  hoch 
gesetzt  war,  kam  zunächst  nach  Anhörung  einer  ad  hoc  berufenen  Versammlung 
von  Akustikern  und  Musiknotabilitäten  die  französische  Regierung  entgegen, 
indem  sie  in  Frankreich  eine  allgemeine  Normalstimmung  aufstellte  und  ein- 
führte, welche  nach  und  nach  auch  von  den  meisten  grossen  Orchestern  des 
Auslandes,  namentlich  Deutschlands,  adoptirt  wurde,  allein  noch  immer  leider 
weit  davon  entfernt  ist,  allgemein  angenommen  zu  sein  (s.  A).  Früher  gab  es 
neben  dem  K.-  und  Chorton  noch  einen  dritten  Stimmton,  Cornetton  (s.d.) 
genannt. 

Kammervirtuose  ist  wie  Kammersänger  in  der  Regel  nichts,  als  ein  aus- 
zeichnender Titel,  den  Fürsten  hervorragenden  Concertspielern  als  Zeichen  be- 
sonderer Anerkennung  verleihen. 

Kampnk  oder  Ketut  ist  der  Name  eines  Schlaginstruments  im  indo- 
chinesischen Musikkreise,  dessen  tonerzeugender  Theil  aus  derselben  Metall- 
mischung wie  der  Gong  (s.  d.)  gefertigt  ist.  Dieser  Theil  hat  die  Form 
einer  kleinen  Schüssel  mit  Deckel  und  wird  derselbe  in  einem  Holzgestell  ge- 
führt. Tönend  erregt  man  denselben  durch  einen  belederten  Klöpfel.  Ein 
Sortiment  solcher  Schüsseln  wendet  man  wie  den  Gambang  (s.  d.)  im  En- 
semble an.  2. 

Kanal,  "Wind röhr  oder  Schlauchrohr,  letzteres  eine  veraltete  Benen- 
nung, ist  die  in  jeder  Orgel  befindliche,  aus  Brettern  mit  Leim  und  hölzernen 
Nägeln  winddicht  zusammengesetzte,  länglich  viereckige  Röhre,  durch  welche 
der  Wind  aus  den  Bälgen  in  die  Windladen  der  Orgel  geleitet  wird.  Es  giebt 
Haupt-  und  Nebenkanäle,  und  die  Weite  derselben  hängt  von  dem  grösseren 
oder  geringeren  Quantum  des  Windes  ab,  welches  der  betreffende  K.  aufzu- 
nehmen bestimmt  ist;  je  grösser  die  Anzahl  der  vorhandenen  Stimmen  einer 
Orgel  und  je  ausgedehnter  ihre  Dimensionen,  um  so  mehr  Wind  ist  für  die 
verschiedenen  Kanäle  erforderlich.  Von  den  Arten  der  Kanäle  sind  zu  nennen: 
1)  Der  Hauptkanal,  welcher  ungetheilt  oder  getheilt  sein  kann  (s.  Haupt- 
kanal und  Getheilt).  2)  Die  Nebenkanäle,  welche  den  Wind  erst  aus 
dem  Hauptkanal    erhalten    und    ihn    den  Windladen    zuführen.     Jede  Orgelab- 


528  Kanalschnauzen  —  Kanejlii. 

theilung  bedarf  wenigstens  eines  Nebenlcanals,  nacli  Umständen,  die  von  der 
Grösse  derselben  abhängig  sind,  aucb  deren  zwei  und  melir;  in  diesen  befindet 
sieb  das  zu  jeder  Abtbeilung  gehörende  Sperrventil,  der  Tremulant  und  auf 
ihnen  die  sogenannte  Schwebung  oder  der  Bock.  3)  Die  Kniestücke,  s. 
Glebrochener  (gekröpfter)  Kanal.  — "Winddichtigkeit  ist  ein  Haupterforderniss 
aller  Kanäle,  weshalb  sie  von  innen  nicht  nur  mit  heissem  Leim  und  Bolus 
zu  mehreren  Malen  sorgfältig  ausgestrichen  sein,  sondern  die  Verbindungen  des 
Hauptkanals  mit  den  Nebenkanälen,  sowie  diese  unter  sich  und  mit  den  Knie- 
stücken auch  doppelt  und  glatt  beledert  werden  müssen. 

Kautilschuau/en  nennt  man  die  Schlünde  an  den  Windkanälen  der  Orgel, 
welche  dazu  bestimmt  sind,  den  Wind  aus  den  Bälgen  aufzunehmen. 

Kanalventil,  s.  Contraventil. 

Kaucka,  Joseph  von,  ein  musikkundiger  Dilettant,  war  zu  Ende  des  18. 
und  anfangs  des  19.  Jahrhunderts  Landesadvocat  in  Prag  und  als  fertiger 
Clavierspieler  wie  als  geschmackvoller  Componist  rühmlich  daselbst  bekannt. 
Tänze  für  Orchester  von  ihm,  sowie  Variationen  für  Pianoforte  und  andere 
für  Violine  und  Viola  sind  1796  im  Druck  erschienen.  Hochgestellt  wurde 
auch  eine  Cantate,  die  er  zum  Jubiläum  des  Grafen  von  Spork  in  Musik  ge- 
setzt hatte. 

Eaudele,  ein  finnisches  Saiteninstrument  von  der  ungefähren  Grösse  einer 
Violine,  das  mit  den  Fingern  gespielt  und  von  den  Eingeborenen  besonders 
beim  Vortrag  ihrer  Zaubersprüche  und  Zauberlieder  gebraucht  wurde.  Einer 
altfinnischen  Sage  nach  war  das  Instrument  von  dem  vornehmsten  Landesgott, 
Wäinämöin,  erfunden  und  der  Nation  geschenkt  worden.  Da  es  aber  kein 
Mensch  zu  behandeln  vermochte,  so  stieg  er  selbst  hernieder,  sang  und  spielte 
darauf,  dass  die  Thiere  des  Waldes,  die  Vögel  und  Fische  dieser  Musik 
lauschten  und  ihm  selbst  vor  Rührung  die  Thränen  wie  Perlen  auf  das  Ge- 
wand fielen, 

Eaudler,  Franz  Sales,  deutscher  Musikgelehrter,  geboren  am  23,  Aug. 
1792  zu  Kloster-Neuburg  in  Unterösterreich,  war  der  Sohn  eines  Lehrers,  der 
ihn  1802  als  Sängerknabe  in  den  kaiserl.  Convict  zu  Wien  brachte.  Dort 
wurde  K.  zugleich  für  die  Universitätsstudien  vorbereitet  und  kämpfte  sich  als 
Student  durch  Unterrichtsertheilung  mühsam  durch  das  Leben,  bis  er  1815 
beim  Hofkriegsrath  angestellt  wurde.  Seiner  Sprachkenntnisse  wegen  ward 
er  1817  nach  Venedig  und  1821  zur  kaiserl.  Armee  nach  Neapel  versetzt. 
Als  Feldkriegsconcipist  1826  wieder  nach  Wien  zurückberufen,  starb  er  am 
26.  Septbr.  1831  in  dem  nahe  gelegenen  Kurort  Baden  an  der  Cholera. 
Seinen  zehnjährigen  Aufenthalt  in  Italien  hatte  er  zu  gründlichen  Forschungen 
über  italienische  Musik  benutzt;  die  Ai'chive  und  Bibliotheken  zu  Venedig, 
Mailand,  Bologna,  Rom,  Neapel  u.  s.  w.  hatte  er  sich  zugänglich  gemacht  und 
mit  scharf  kritischem  Auge  die  dort  aufbewahrten  Schätze  einer  eingehenden 
Untersuchung  unterzogen,  um  ein  möglichst  vollständiges  Bild  von  der  Glanz- 
zeit italienischer  Kunst  und  ihrem  Verhältniss  zur  Gegenwart  zu  erlangen. 
Abhandlungen  in  den  verschiedenen  musikalischen  Zeitschriften  gaben  von  den 
so  gewonnenen  Erfahrungen  Kunde,  aber  die  Gesammtresultate  zu  ordnen  und 
zu  ergänzen  stand  er  gerade  im  Begriff,  als  ihn  leider  der  Tod  ereilte.  Sonst 
hat  man  noch  von  ihm  zwei  grössere  Werke:  nCenni  storico  -  crUici  intorno 
alla  vitä  cd  alle  opere  del  celebre  compositore  G.  Ad.  Sasse,  detto  il  Sassone<f. 
(Venedig,  1820;  2.  Aufl.  Neapel,  1820)  und  «Ueber  das  Leben  und  die  Werke 
Palcstrina's,  nachgelassenes  Werk,  mit  Vorrede  und  Anmerkungen  versehen 
von  R.  G.  Kiesewetter  (Leipzig,  1834),  In  diesen  Arbeiten,  sowie  in  seinen 
zerstreuten  musikalischen  Aufsätzen  in  der  Wiener  musikalischen  Zeitung  be- 
thätigt  sich  K,  als  ein  vielseitig  gebildeter,  mit  theoretischen  und  praktischen 
Musikkenntnissen  reich  ausgerüsteter  Gelehrter,  dessen  frühen  Tod  die  Kunst- 
geschichte zu  beklagen  hat. 

Kanejlii,  ums  Jahr   1680  n.  Chr.  Kaiser  von  China,    hat  sich  nicht  allein 


Kanne  —  Kanon.  529 

durch  Studium  der  alten  Schriften  über  Musik  und  durch  eigene  Composition 
vieler  Melodien  bei  seinem  Volke  ein  bleibendes  Gredächtniss  erworben,  sondern 
auch  durch  noch  vorhandene  Schöpfungen  zur  Verbreitung  und  Hebung  der 
vaterländischen  Kunst  beigetragen.  Die  hervorragendste  derselben  war  die 
Akademie  der  Musik,  der  er  seinen  drittgeborenen  Sohn  als  Präsidenten  vor- 
setzte, und  eine  nicht  minder  erwähnenswerthe:  dass  er  das  Buch  »Die  wahre 
Lehre  des  Ly-lü«  in  vier  Büchern  schreiben  liess,  dem  ein  fünftes  Buch  an- 
gehängt war,  welches  von  der  europäischen  Musik  handelte.  f 

Eanue,  Friedrich  August,  talentvoller  deutscher  Dichter  und  Componist, 
geboren  am  8.  März  1778  zu  Delitzsch  in  Sachsen,  studirte  anfangs  die  Kechte 
in  Leipzig  und  AVittenberg,  wandte  sich  aber  dann  ausschliesslich  der  schönen 
Literatur,  der  Aesthetik  und  besonders  der  Tonkunst  zu.  Um  sein  Leben  zu 
fristen,  wurde  er  Sekretär  eines  anhält -dessau'schen  Prinzen,  ging  aber  nach 
Verlauf  eines  Jahres  nach  Dresden,  wo  er  Compositionsstudien  beim  Cantor 
Weinlig  oblag  und  eine  von  ihm  gedichtete  und  componirte  Cantate  »An  die 
Tonkunst«  mit  grossem  Beifall  öffentlich  aufführte.  Im  J.  1801  begab  er  sich 
nach  Leipzig  und  veröffentlichte  daselbst  viele  seiner  Gesänge,  besonders  Bal- 
laden. Um  1806  finden  wir  ihn  in  AVien  im  Palaste  des  Fürsten  von  Lob- 
kowitz,  welcher  für  ihn  grossmüthig  sorgte.  K.  dichtete  und  componirte  nun 
seine  erste  Oper:  »Orpheus«  und  sah  dieselbe  bei  ihrer  Aufführung  in  "Wien, 
im  J.  1807,  höchst  beifällig  aufgenommen.  Eine  zweite  Oper,  »Fernando  und 
Miranda«  (1808),  befestigte  seinen  Ruf  und  veranlasste  1809  seine  Berufung 
als  Kapellmeister  des  Theaters  in  Pressburg.  Diese  gute  Stellung  verliess  er 
aber  bald  wieder,  wie  noch  so  manche  andere,  in  die  er  durch  einflussreiche 
Empfehlung  rückte,  und  kehrte  immer  wieder  nach  Wien  zurück,  schrieb  Con- 
cert-  und  Theaterkritiken  und  redigirte  die  letzten  Jahrgänge  der  "Wiener 
musikalischen  Zeitung.  Immer  mehr  herunterkommend,  ergab  er  sich  noch 
mehr  wie  bisher  einem  ungeregelten  Leben  und  musste,  um  auch  dieses  be- 
streiten zu  können,  zuletzt  sein  schönes  Talent  um  wenige  Groschen  für  Ge- 
legenheitsgedichte preisgeben.  Endlich  unterlag  er,  jeden  ärztlichen  Beistand 
verschmähend,  den  Folgen  seiner  Ausschweifungen.  K.  starb  am  16.  Decbr. 
1833  in  AVien.  —  Ausser  den  schon  genannten,  hat  er  noch  folgende,  meist 
auch  selbstgedichtete  Opern,  Singspiele  und  Dramen  in  Musik  gesetzt:  »Die 
Elfenkönigin«,  »Die  Belagerten«,  »Deutscher  Sinn«,  »Sappho«,  »Die  eiserne 
Jungfrau«,  »Lindana«,  »Malwina«,  »Schloss  Theben«,  »Der  Untergang  des  Feen- 
reichs« und  »Die  Zauberschminke«;  sodann  viele  Lieder,  Balladen,  Cantaten, 
eine  Messe,  Sinfonien,  Streichquartette  u.  s.  w.,  von  denen  auch  manches,  da  es 
gedruckt  erschien,  bekannt  geblieben  ist. 

Kanueg-iesser,  Justus  Jacob,  häufig  aber  unrichtig  Kanne ngiess er  ge- 
schrieben, geschickter  deutscher  A^iolini&t  und  Componist  für  sein  Instrument,  ge- 
boren 1732  in  Hannover,  war  um  1755  als  Kammermusicus  beim  Prinzen  von 
AVürtemberg  in  Berlin  angestellt  und  wurde  1786  in  die  königl.  Kapelle  daselbst 
gezogen.  Auch  als  einsichtsvoller  Gesanglehrer  war  er  dort  sehr  geschätzt. 
Als  königl.  Kammermusiker  1798  pensionirt,  starb  er  am  15.  Febr.  1805  zu 
Berlin.  Sein  Spiel  und  seine  A^iolincompositionen  hatten  den  vollen  Beifall 
der  Kenner  seiner  Zeit;  die  letzteren  sind  aber  ungedruckt  geblieben  und  ver- 
loren gegangen.  Dagegen  hat  man  noch  von  ihm  in  Berlin  erschienene  Duette 
für  zwei  Sopranstimmen  und  einige  Romanzen. 

Kanon  {y.avMi)  war  der  griechische  Name  für  das  Griffbrett  (s.  d.)  der 
Kitharainstrumente  (s.d.).  »Auch  hiess  K.  der  Theil  des  anthiphonischen 
Monochordes,  welcher  zwischen  den  beiden  festen  Stegen  liegt.  Hiernach,  sagt 
Porphyrios  (p.  207)  und  nicht  nach  dem  K.  der  Kithara,  wären  die  Pytha- 
goräer  Kanoniker  genannt  worden«  (v,  Drieberg,  »AVörterbuch  der  griechischen 
Musik«,  Berlin,  1835,  S.  65).  »Das  authiphonische  Monochord  diente  niemals 
zum  Spiel,  sondern  blos  zur  Feststellung  der  Verhältnisse  der  Symphonien, 
indem  darauf  die  Klänge  der  Intervalle  zusammen  angeschlagen  werden  können.« 

Musikal.  Couvera.-LeidLkoii.     V.  34 


530  '       Kanonik. 

»Der  Obertlieil  dieses  Monochords  zwischen  den  festen  Stegen  führt  den  Namen 
K.  Dieser  K.,  oder  harmonisches  Richtscheit,  wurde  schon  vom  Instrumenten- 
macher mit  der  grössten  Genauigkeit  in  diejenigen  Theile  zerlegt,  welche  die 
Symphonien  erfordern;  dies  nannten  die  Pythagoräer  (Aristid.  p.  117):  die 
Theilung  des  K.s  (s.  Kanonik).  Die  Theilung  der  Saite  geschah  erst  durch 
den  beweglichen  Steg.  Sollte  nämlich  das  Monochord  (s.  d.)  gebraucht  wer- 
den, so  wurde  der  bewegliche  Steg  auf  diejenigen  Stellen  des  K.s  liingesclioben, 
welche  als  die  Sitze  der  Symphonien  bezeichnet  waren,  dann  die  beiden  Theile 
der  Saite  zusammen  angeschlagen,  und  die  Reinheit  des  Intervalls  mit  dem 
Gehör  beurtheilt«  (v.  Drieberg,  a.  a.  0.  S.  11  und  12).  Dagegen  erklärt  D.  G. 
Türk  (»Anleitung  zu  Temperaturberechnuugeu«,  Halle  und  Leipzig,  18U6,  S.34): 
»Das  Monochord  ist  ein,  nicht  zum  Spielen,  sondern  bloss  zum  Ausmessen  der 
Tonverhältnisse  bestimmtes  Instrument.«  »Vermittelst  eines  dazu  gehörigen 
sogenannten  Läufers  oder  beweglichen  Steges,  welcher  unter  die  Saiten  auf  die 
jedesmal  dazu  erforderliche  Stelle  gesetzt  wird,  kann  man  die  Intervalle  nach 
der  Länge  der  Saiten  ausmessen.  Dieser  Bestimmung  gemäss  wird  ein  solches 
Instrument,  oder  wie  Andere  wollen,  nur  die  darauf  gezogene  Saite,  auch  wohl 
blos  der  zum  Abmessen  bestimmte  Raum,  welcher  sich  zwischen  den  beydeu 
äussersten  festen  Stegen  (Sätteln,  Erhöhungen")  befindet,  ein  K.  genannt.     0.  T. 

Kauouik  (xavovmf),  Theilung  des  Kanons  (s.  Kanon),  bezeichnete  bei  den 
Griechen  die  mathematische  Klang-  und  Intervallenlehi'e.  »In  so  fern  die  mathe- 
matische Klanglehre  oder  die  sogenannte  K.  sich  blos  auf  Tonberechnungen 
einschränkt,  ist  sie  eine  Wissenschaft,  welche  durch  verschiedene  Rechnungs- 
arten das  Verhältniss  der  Töne  zu  einander  finden  lehrt,  Nächstdem  bestimmt 
auch  die  mathematische  Klanglehre,  in  Verbindung  mit  der  Akustik,  durch 
Ausmessungen  die  erforderliche  Grösse  und  Figur  der  musikalischen  Instru- 
mente und  ihrer  einzelnen  Theile.  Kürzer  sagen  daher  Andere:  ,Die  K.  ist 
die  Eintheilungslehre  der  Klänge  nach  ihrem  äusseren  Maasse  und  Verhält- 
nisse.' Der  mathematischen  Klanglehre  pflegt  man  die  physikalische,  oder  der 
K.  die  Akustik  entgegen  zu  setzen.  Diese  letztere  untersucht,  wie  ein  Klang, 
vorzüglich  aber  ein  für  die  Musik  brauchbarer  Ton  erzeugt  wird;  wodurch  die 
Verschiedenheit  der  Töne  entsteht;  wie  sich  der  Ton  fortpflanzt  u.  s.  w.« 
(D.  G.  Türk,  »Anleitung  zu  Temperaturberechnungen«,  S.  1).  —  Jetzt  fasst 
man  den  Begriff  Akustik  weiter,  K.  dagegen  enger,  so  dass  die  letztere  nur 
einen  Tbeil  der  mathematischen  Akustik  ausmacht.  Nach  dieser  Auffassung 
hat  es  die  K.  nur  damit  zu  thun ,  die  Tonhöhe  (absolute  oder  relative)  der 
Bestandtheile  von  Zusammenklängen,  Tonleitern,  Tonsystemen  und  Tempera- 
turen zu  berechnen.  In  diesem  Sinne  ist  der  Begriff  K.  auch  hier  gefasst, 
und  man  findet  daher  alles  andere,  was  früher  noch  mit  zur  K.  gerechnet 
wurde,  bereits  unter  »Akustik«  und  in  den  specielleren  Artikeln  über  akustische 
Fragen  mitgetheilt. 

Die  K.  in  diesem  engeren  Sinne  wird  von  einigen  Schriftstellern  bezeichnet 
als  arithmetischer  Theil  der  theoretischen  Musik,  als  harmonikale  oder  musi- 
kalische Rechenkunst,  als  Rationalrechnung,  als  Touberechnung  u.  dgl.  m. 
lieber  die  Bedeutung  dieser  Wissenschaft  lässt  sich  H.  Chr.  Koch  (»Musik. 
Lexikon«,  Fraukf.,  1802,  S.  297  ff.)  wie  folgt  aus:  »Einen  langen  Raum  der 
Vorzeit  hindurch,  bis  gegen  das  Ende  des  ersten  Viertels  des  verwichenen 
Jahrhunderts,  wurde  sie  als  die  Hauptwissenschaft  der  ganzen  Tonkunst  be- 
trachtet. So  gewiss  sie  dieses  auch  nicht  sein  kann,  so  wii'd  man  sich  doch 
über  den  ihr  beygelegten  Vorzug  nicht  wundern,  wenn  man  bedenkt,  dass  nur 
durch  dies-  Wissenschaft  das  ehemals  noch  sehr  unvollkommene  Tonsystem 
berichtigt  werden  konnte,  und  dass  sie  das  einzige  Hülfsmittel  war,  wodurch 
alle  in  der  Musik  zu  gebrauchenden  Töne  in  eine  völlig  zusammenhängende 
Ordnung,  und  in  ein  für  unser  Ohr  brauchbares  Verhältniss  gebracht  werden 
mussten;  —  ein  Gegenstand,  welchen  ins  reine  zu  bringen,  der  menschliche 
Geist  viele  Jahrhunderte  hindurch   sich    vergebens    angestrengt  hatte.«     »Kurz, 


ICanonik.  53 1 

ehedem  glaubte  man,  der  ganze  "Wertli  der  Tonkunst  beruhe  einzig  und  allein 
auf  richtigen  und  unter  einander  in  Verbindung  gebrachten  Tonverhältnissen, 
die  doch  nur  erst  das  Material  zur  Erreichung  des  Endzweckes  der  Kunst 
ausmachen;  und  daher  kam  es,  dass  man  der  K.  einen  zu  hohen  Werth  bey- 
legte.  Allein  man  hat  schon  mehrmals  bemerkt,  dass,  was  ehedem  hierbey  zu 
viel  geschah,  anjetzt  zu  wenig  geschieht,  und  dass  man  diese  AVissenschaft, 
woraus  sich  nicht  allein  mancher  Gregenstand,  die  harmonische  Verbindung  der 
Töne  betreffend,  erklären  lässt,  sondern  die  insbesondere  auch  bey  der  Kennt- 
niss  und  Beurtheilung  des  Baues  der  musikalischen  Instrumente  von  grossem 
Nutzen  ist,  ganz  vernachlässigt,  und  als  unbrauchbare  und  nur  pedantischen 
Köpfen  eigene  Grrillen,  verachtet.«  Auch  D.  Gr.  Türk  (a.  a  0.,  Vorerinnerung 
S.  IV.)  klagt:  »Uebrigens  will  ich  zwar  gern  zugeben,  dass  unsere  Vorfahren 
dem  arithmetischen  Theile  der  IMusik  einen  allzu  hohen  Werth  beylegten;  allein 
dessen  ungeachtet  sollte  der  Theoretiker  auch  in  dieser  Wissenschaft  nicht 
ganz  ein  Fremdling  seyn,  weil  sich  daraus  unstreitig  viel  wirklich  Nützliches 
erklären  lässt.  Sehr  wahr  schreibt  der  verdienstvolle  Forkel  in  der  Einleitung 
zur  allgemeinen  Geschichte  der  Musik,  S.  .30:  ,Es  war  eine  Zeit,  in  welcher 
die  ganze  musikalische  Theorie  bloss  in  Rechnungen  bestand  etc.'  Weiter 
unten  setzt  er  hinzu:  ,Doch  diese  Zeiten  sind  vorüber,  und  was  ehedem  zu. 
viel  geschah,  geschieht  nun  vielleicht  zu  wenig.'  —  Möchte  doch  das  gegen- 
wärtige Lehrbuch  zur  Verbreitung  dieser,  jetzt  so  selten  gewordenen,  Kennt- 
nisse etwas  beytragen!«  —  Und  noch  ist  es  in  Musikerkreisen  nicht  anders  ge- 
worden, trotz  der  bedeutenden  Fortschritte,  v<relche  die  Akustik  in  den  letzten 
Jahrzehnten  gemacht  hat,  und  trotz  der  grossen  Bedeutung,  welche  der  An- 
wendung der  Mathematik  auf  die  Physik  jetzt  allgemein  zugestanden  wird. 
Hielt  doch  ein  königl.  Professor  der  Musik  noch  im  vorigen  Jahre  (s.  »Berliner 
Musikzeitung«,  Jahrg.  1874,  S.  109)  die  Anfangsgründe  dieser  Wissenschaft, 
wie  ich  sie  in  meinem  »Elementarbuche  der  musikal,  Harmonie-  und  Modu- 
lationslehre« (Berlin,  Roh.  Oppenheim,  1874)  mitgetlieilt  habe,  für  ein  »seiten- 
langes  Schwelgen  in  Integral-  und  Differenzialrechnungencf. 

Den    G-rund    zu    dieser   Wissenschaft    hat    bekanntlich    Pythagoras    gelegt. 
Joh.   Georg  Neidliardt  macht    hierüber    folgende  Mittheilungen:    »Ob    zwar  die 
Menschen  der  ersten  Welt  schon  ihr  Divertissement  in  der  Englischen  Kunst, 
der  Musique,    gesucht    haben,    so  ist  es  dem  ungeacht  eine  ziemliche  Zeit  vor 
menschlichen  Augen    verborgen    geblieben,    dass    die    musikalischen   Thone    mit 
gewissen    proportionibus    so    erstaunens-wiirdig    verknüpfet  sind.     Denn  es  hat 
allererst  Pythagoras  die  Ehre,  dass  ihm  die  Erfindung  dieses  übermenschlichen 
Geheimnisses  von  allen  Federn  zugeschrieben  wird:  wiewohl  sie   wegen  einiger 
kleinen  Umstände    manchmal    unter    einander    dissoniren.     Unter    den    ältesten 
verdient  des  Nicomachii,    eines  Pythagorischen  Musici,    die    vornehmste  Stelle, 
welche  sich  folgenderraassen  davon  verlauten    lässt:    .Als  Pythagoras  einst  den 
Gedanken  nachhieng,  ob  man  nicht  dem  Gehöre  etwan  mit  einem  gewissen  und 
unbetrüglichen  Mittel  könte  zu    statten    kommen,    desgleichen  das   Gesichte  an 
dem  Cirkel,  Lineal,  oder  auch  an  dem  Diopter,  das  Gefühle  aber  an  der  Wage 
oder  Mass  hat,  und  bey  einer  Schmiede-Werckstatt  vorüber  spazierte,  so  hörte 
er    durch    eine    göttliche  Schickung    die    eisernen    Hämmer    auf    dem  Ambosse 
arbeiten,   und  vollkommen  accordirende  Thone  unter    einander  von  sich  geben; 
nur  zwey  ausgenommen.     Er  vernahm  aber  darunter  die  Consonantien,   Octave. 
Quinte  und  Quarte,  und  merckte,  dass  zwar  der  Thon,  welcher  sich  zwischen 
der  Quarte  und  Quinte  hören  Hess,    an  und  für  sich  selbst  dissonirte,  sonsten 
aber  in  Ansehung  des  tiefsten  wohl  ausfüllete.     Er  machte  sich    derhalben,    da 
ihn  gleichsam  Gott  seines  Wunsches  gewähret  hatte,  in  die  Werckstatt  freudig 
hinein,  und  befand  nach  unterschiedlichen  Experimenten,  dass  der  Unterschied 
der  Thone  von  dem  Gewichte  der  Hämmer,    nicht    aber    von    der  Stärcke  der 
Arbeiter,  oder  von  der  Figur  der  Hämmer,  oder  von  der  Verkehrung  des  ge- 
schmiedeten Eisens  herrührte.     Damit  gab  er  auf  die  Schwere  accurat  achtung, 

34* 


532  Kanonik. 

und  nachdem  er  eben  dergleichen  Gewichte  abgewogen,  so  gieng  er  mit  sich 
selbst  zu  rathe,  und  hieng  4  Seyten  gleicher  Materie,  Lauge,  Dicke  und 
Schwere  an  einen  Baicken,  welcher  bei  einem  Mauer -Winckel  quer  über  ein- 
gemacht war  (damit  auch  dadurch  der  Accuratesse  des  Experiments  nichts  ab- 
gienge,  oder  ein  Argwohn  auf  die  Baicken  fiele,  als  hätte  einer  was  besonders 
vor  dem  andern,  wenn  sie  verwechselt  würden)  und  band  jedweder  ein  Gewicht 
unten  an.  Nachdem  er  also  die  Länge  der  Seyten  gantz  und  gar  gleich  ge- 
macht, und  darnach  immer  zwey  und  zwey  zusammen  angeschlagen  hatte,  so 
fand  er  die  vorgedachten  Consonantien,  nachdem  er  eine  gegen  die  andere 
hielt.  Denn  er  erfuhr,  dass  die  schwerste  mit  der  leichtesten  eine  Octave 
ausmachte.  Jene  aber  war  von  12  gewissen  Pfunden;  diese  von  6.  Und  also 
eignete  er  der  Consonantie,  der  Octave,  rationem  dujdam  zu,  welche  auch  die 
Gewichte  ausmachten.  "Weiter  erfuhr  er,  dass  die  schwerste  zu  der  leichtesten 
ohne  eine,  welche  8  Pfund  hatte,  eine  Quinte  kluuge:  Daher  er  dieser  rationem 
sesquiaUeram  zueignete,  in  welcher  auch  die  Gewichte  stunden.  Noch  weiter 
erfuhr  er,  dass  diese  schwerste  mit  derjenigen,  die  ihr  am  nächsten,  und  dem 
Gewichte  nach  kleiner  als  sie,  aber  grösser  als  die  übrigen  war,  und  9  Pfund 
hatte,  eine  Quarte  von  sich  gab,  wie  die  Gewichte  beschaffen  waren;  diese  aber 
befand  er  in  ratione  sesquiterlia,  da  sie  sonsten  mit  der  leichtesten  in  ratione 
sesquialtera  war:  Denn  9  verhält  sich  zu  6  also:  gleich  wie  die  leichteste  ohne 
eine,  von  8  Pfunden,  zu  der  von  6  in  ratione  sesquiterfia,  zu  der  aber  von  12 
in  sesquialtera  war.  Was  also  zwischen  der  Quinte  uud  Quarte  war,  das  heist, 
dasjenige,  umb  wie  viel  die  Quinte  grösser  als  die  Quarte  ist,  das  wurde  gewiss 
gemacht,  es  sei  in  ratione  sesquioctava  wie  9  zu  8.  —  p.  10.  seqq.  (Edition. 
Meibom.).*  So  weitläufftig  aber  als  Nicomachus  von  diesem  Handel  schreibet, 
so  kurtz  ist  er,  wenn  er  es  beschreiben  sol,  wie  Pythagoras  mit  den  gefundenen 
Proportionibus  auf  dem  Monochorde  lambgegangen  sey.  Jedoch  trifft  man  es 
bey  Gaudentio  an.  Dieser  gedenckt,  er  habe  erstlich  die  Linie  des  Mono- 
chordi  in  12  Theile  getheilet,  uud  darnach  den  Steg  auf  die  Punkte  6.  8.  9. 
gesetzt,  ein  intervallum  nach  dem  andern  laut  der  gefundeneu  jproportionmn 
zu  hören. 

12.     9.     8.     6^  6  8      9  12. 

c.      f.     g.     X      I 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1—1 1 

Darnach  habe  er  auch  ein  intervallum  nach  dem  andern  in  radice  aufgetragen, 
das  ist,  die  Linie  allezeit  in  die  Theile  des  grössern  termini  getheilet,  und  den 
Steg  auf  den  Punkt  des  kleinen  gesetzt, 

12-6     =2  —  1.  Octava 
q  _  ^  >  =  3  —  2.  Quinta 

Q  _  /,  [  =  4  —  3.  Quarta 

9-8  Tonus. 
1.  2.  2.  3.  3.       4. 


8.      9. 


Li  beyderley  Schematibus  geben  die  Theile  des  grössern  termini  den  tieffen, 
und  die  Theile  des  kleinern  den  hohen  clavem.  Vide  Gaudentium  p.  12.  seq. 
(Edition.  Meibom.).  Boethius  macht  den  Schmid  noch  umb  einen  Knecht  oder 
Jungen  ansehnlicher,  und  giebt  vor,  sie  hätten  eins  ä  quinque  gehämmert;  der 
fünffte  aber  habe  eine  falsette  von  sich  gegeben,  und  sich  also  der  Mühe  nicht 
verlohnet.     Music.    Lib.  I.    Cap.  10.   11.      Und    von    diesem    schreiben    es    die 


Kanonik.  533 

Jüngern  Auetores  m eisten theils  aus.«  In  Beziehung  auf  das  mitgetheilte  Ex' 
periment  des  Pythagoras  bemerkt  Neidhardt  (a.  a.  0.  S.  14)  ganz  richtig: 
»Wenn  sicbs  nur  bey  dem  Haupt-Wercke  nicht  auch  an  etwas  stiesse.  Denn 
es  geben  die  Seyten  die  besagten  Thone  nimmermehr  von  sich,  man  mag  sie 
mit  denselben  Gewichten  beschweren  wie  man  wil:  welches  der  berühmte  Mathe- 
matikus  Galilaeus  ä  Galil.  zu  erst  wil  angemercket  haben.  Es  ist  auch  nach 
der  Hand  die  Regel  auff kommen,  dass  in  solchen  Fällen  die  Proportion  des 
Gewichts  müsse  dupliciret  werden.  Und  dieses  trifft  ein.  Viel.  Kirclieri  Musurg. 
Lib.  VI.  Cap.  2.  Prmzii  I^xercitat.  Mtcsicae.«  »Es  nimmt  mich  nur  AVunder, 
dass  sich  nicht  zum  wenigsten  ein  Aristoxeneer  (welche  Leute  alle  Intervalle 
nach  dem  blossen  Gehöre  einrichteten,  und  also  abgesagte  Feinde  der  Pytha- 
goreer  waren)  die  Mühe  gegeben  hat,  das  Experiment  nachzumachen:  weil  er 
eine  ziemliche  Gelegenheit  gefunden  hätte,  seine  Feinde  bey  ihrer  Lehre  umb 
etwas  zu  prostituiren.  Es  ist  ohne  dem  ein  Ding,  welches  mit  schlechten  Un- 
kosten kan  untersucht  werden.« 

Die  Anhänger  der  harmonischen  Grundsätze  des  Pythagoras  hiessen  bei 
den  Griechen  Pythagoräer.  »Diese  Grundsätze  betreflFen  vornehmlich  die  Lehre 
vom  Klange  und  die  Grössenbestimmung  der  Intervalle.  Vom  Klange  giebt 
es,  den  Pythagoräern  zufolge,  zwei  Erklärungen,  eine  wissenschaftliche  und  eine 
physikalische.  In  wissenschaftlicher  Hinsicht  sagen  sie  (Nicom.  p.  7):  der 
Klang  sei  die  Tonhöhe  eines  musikalischen  Lautes  ohne  Breite.  In  physi- 
kalischer Hinsicht  aber  sagen  sie  (Porph.  p.  192):  der  Klang  sei  eine  gewisse 
Erschütterung  der  Luft;  denn  die  Saite  klinge  nicht  selbst,  sondern  sie  sei 
nur  der  Gegenstand,  wodurch  der  Luft  eine  solche  Bewegung  mitgetheilt  werde, 
die  wir,  mit  dem  Gehör  wahrnehmend,  einen  Klang  nennen.  Die  Höhe  und 
Tiefe  eines  Klanges  hat,  derselben  Lehre  zufolge,  ihren  Grund  in  der  grösseren 
oder  geringern  Anzahl  von  Lufterscheinungen.«  »Ferner  verhalten  sich,  nach 
ihrer  Behauptung,  die  Luftschwingungen  der  höheren  und  tieferen  Klänge  um- 
gekehrt zu  einander,  wie  die  Theile  der  klingenden  Körper,  durch  welche  die 
Klänge  hervorgebracht  werden.  Dieser  Hypothese  suchten  sie  durch  praktische 
Versuche  einen  Grad  von  Gewissheit  zu  geben.  Nach  Porphyrios  (p.  293) 
nehmen  einige  vier  Blattflöten  von  gleicher  Hölung,  deren  Länge  nach  den 
Verhältnissen  der  Symphonien  eingerichtet  war,  und  die,  zwei  und  zwei  an- 
geblasen, die  drei  Symphonien  (Octave,  Quinte  und  Quarte)  angaben.  Andre 
nehmen  nur  zwei  Blattflöten«  u,  s.  f.  (v.  Drieberg,  »Wörterbuch  der  griech. 
Mus.«  S.  128).  »So  haben  die  Pythagoräer  ihre  Untersuchungen  fast  ins 
Unendliche  vervielfältigt«  (v.  Drieberg,  »Die  mathemat.  Intervallenlehre  der 
Griechen«,  Berlin,  1818,  S.  8).  »Endlich  theilte  man  auch  eine  gespannte 
Saite,  vermittelst  eines  verschiebbaren  Steges,  in  die  den  Symphonien  zukom- 
menden Abtheilungen«  (s.  Kanon).  »Dieses  Verfahren  wurde  allen  andern 
vorgezogen,  und  das  dazu  gebrauchte  Instrument  ein  Monochord*)  (s.  d.) 
genannt«  (v.  Drieberg,  »Wörterbuch«,  S.  129).  Nach  der  Benutzung  dieses 
Instruments  nannte  man  die  Pythagoräer  auch  »Kanoniker«  (s.  d.  u.  Kan  on). 

Um  die  Verhältnisse  der  Consonanzen  zu  entdecken,  schoben  sie  den  be- 
weglichen Steg,  bei  fortwährendem  Anschlagen  beider  Theile  der  Saite,  von 
einem  Ende  des  Kanons  nach  dem  andern  zu.  Fanden  sie  nun  eine  Consonanz, 
so  massen  sie  die  Grösse  beider  Theile  mit  dem  Zirkel  nach.  Sie  fanden  auf 
diese  Weise  die  Saitenlängen  für  die  Quarte,  Quinte  und  Octave  ganz  richtig 
=  */4,  ^jä  und  ^2.  »Hiermit  hörte  der  Gebrauch  des  Monochords  auf,  indem 
vermöge  der  symphonischen  Verhältnisse  (nämlich  jener  drei  Consonanzen)  die 
Verhältnisse  der  Diaphonien  (d.  h.  aller  anderen  Intervalle)  durch  Schlüsse 
gefunden  werden«  (v.  Drieberg,  »Wörterbuch«,  S.  12).     Zu  welchen  Resultaten 


*)  Sie  beschränkten  sich  aber  nicht  gänzlich  auf  dieses  Instrument.  Marpurg  nennt 
und  beschreibt  („Kritische  Einleitung  in  die  Gesch.  und  Lehrsätze  der  alten  und  neuen 
Muaik",  Berlin,  1759,  S.  116)  noch  das  Helikon  (s.  d.)  als  zu  gleichem  Zwecke  gebraucht. 


534  Kanonik, 

die  Pytbagoräer  unter  Benutzung  der  gefundenen  Verhältnisse  bei  Berechnung 
ihrer  Tongeschlechte,  Tonsysteme  u.  s.  f.  kamen,  findet  man  unter  »Inter- 
vallenlehre«, »Harmonielehre«  u.  s.  f.  Dort  werden  auch  Mittheilungen 
über  die  weitere  geschichtliche  Entwickelung  der  lutcrvalleuberechnung  gegeben. 
Es  bleibt  demnach  hier  nur  noch  das  zu  untersuchen,  was  man  heut  zu  Tace 
zur  K.  rechnet. 

Die  Tonhöhe  eines  Klanges  ändert  sich  bekanntlich,   bei   sonst  gleichblei- 
benden Bedingungen,  in  gesetzmässiger  "Weise: 

I.  mit  der  Länge  der  Schallwellen   (s.  d.); 
IL  mit  der  Stärke  oder  Dicke  der  Tonquelle,  d.  h.  des  klingenden  Kör- 
pers (s.  Akustik); 

III.  bei  Saiten  u.  dgl.  mit  dem  Gewicht,    welches    die  Spannung  (s.  d.) 
hervorbringt; 

IV.  mit  der  Länge  der  Tonquelle  (s.  Akustik); 

V.  mit  der  Dauer  der  einzelnen  Schwingung  (s.  Schwingungsdauer); 
VI.  mit  der  Schwingungszahl  (s.d.). 

Es  lässt  sich  daher  die  Tonhöhe  eines  Klanges  auf  sehr  verschiedene  AVeisc 
bestimmen.  Ebenso  könnte  man,  bei  der  Bestimmung  von  Tonhöhen  von  einem 
gegebenen  Tone  aus,  sehr  verschiedene  "Wege  einschlagen,  sobald  man  nur  \ 
einmal  die  betreffenden  Gesetze  kennt;  man  könnte  nämlich  das  Verhältniss 
der  Tonhöhe  der  verglichenen  Klänge  angeben,  indem  man  bestimmt,  in  wel- 
chem Verhältnisse  sich  eine  der  genannten  Bedingungen  verändert,  während 
alle  andern  Bedingungen  sich  gleichbleiben.  —  Die  Länge  der  Klangwellen 
benutzt  man  nun  nur  zur  ganz  allgemeinen  "Unterscheidung  der  Octavlage 
(s.  Achtfüssig  etc.).  Bei  Bestimmung  nach  der  Stärke  oder  Dicke  des 
klingenden  Körpers  resp.  nach  dem  Gewichte  der  Spannung  ergeben  sich  nicht 
einfache  Verhältnisse,  sondern  quadratische,  d.  h.  die  Tonhöhe  wächst  nur,  wie 
die  Quadratwurzel  der  Dicke  des  klingenden  Körpers  abnimmt,  resp.  wie  die 
Quadratwurzel  des  Spannungsgewichts  zunimmt.  Somit  bleiben  als  einfache 
Bestimmungen  der  Tonhöhe  nur  diejenigen,  welche  sich  auf  die  Länge  des 
klingenden  Körpers,  auf  die  Schwingungsdauer  oder  auf  die  Schwingungszahl 
stützen.  Die  Bestimmungen  nach  Saitenlängen  oder  nach  der  Schwingungsdauer  , 
ergeben  stets  verkehrte  Verhältnisse,  da  die  Tonhöhe  in  demselben  Verhältnisse 
wächst,  in  welchem  Saitenlänge  oder  Schwiugungsdauer  kleiner  werden.  Am  ein- 
fachsten und  anschaulichsten  ist  es  demnach,  sich  bei  Bestimmung  der  Ton- 
höhe auf  die  Schwingungszahl  zu  stützen,  denn  mit  ihr  steht  die  Tonhöhe  im 
geraden  Verhältnisse  (s.  Akustik). 

Bei  Bestimmung  der  Tonhöhe  nach  der  Schwingungszahl  lassen  sich  nun 
wiederum  verschiedene  Wege  einschlagen.  So  könnte  man,  um  mehrere  Töne 
nach  ihrer  Tonhöhe  zu  bestimmen,  angeben,  wie  viel  Schwingungen  jeder  ein- 
zelne Ton  in  einer  Zeitsecunde  macht.  Hier  hätte  man  die  Tonhöhe  durch 
Angabe  der  sogenannten  absoluten  Schwingungszahlen  bestimmt;  dabei  wäre 
jede  weitere  Berechnung  überflüssig,  denn  bei  Berechnungen  sind  ja  unbekannte 
Grössen  zu  suchen.  Man  bestimmt  daher  die  Tonhöhe  gewisser  Klänge  von 
einem  als  bekannt  angenommenen  Tone  aus,  indem  man  angiebt,  in  welchen 
Verhältnissen  die  Schwingungszahlen  der  gesuchten  Töne  zu  der  Schwingungs- 
zahl des  bekannten  Tones  stehen.  Demnach  kann  man  die  Tonhöhe  des  einen 
Tones  in  einem  Intervall  bestimmen,  indem  man  angiebt,  wie  sich  die  Schwing- 
ungszahl dieses  Tones  zur  Schwingungszahl  des  andern  Intervalltones  verhält, 
und  somit  lässt  sich  jedes  Intervall  durch  ein  Zahlenverhältniss  ausdrücken. 
In  früherer  Zeit  glaubte  man,  dass  von  der  Art  dieses  Zahlenverhältnisses  der 
Charakter  des  Intervalls  abhinge;  man  betrachtete  daher  diese  Verhältnisse, 
die  man  y^Rationesv.,  fälschlicher  Weise  auch  wohl  ■f>Froportiones<s.  (s.  D.  G.  Türk, 
a.  a.  0.  S.  27  Anm.)  nannte,  genauer,  und  unterschied  sie,  je  nachdem  die 
kleinere  Zahl  in  der  grösseren  mit  oder  ohne  Rest  ein-  oder  mehrere  mal  ent- 


Kanonik.  535 

halten  war,  sogar  durcli  besondere  Namen  (s.  Verhältniss),  bei  welcber  Unter- 
scheidung man  sich  indessen  nur  auf  die   Saitenlängen   stützte. 

Nun  lässt  sich  die  Schwingungszahl  eines  Klanges,  zurückgeführt  auf  die 
Schwingungszahl  eines  anderen  Klanges,  also  das  Verhältniss  des  betreffenden 
Intervalls,  auf  mehrfache  "Weise  ausdrücken,  und  zwar  wie  folgt: 

I.  Mau  giebt  das  wirkliche  Zahlenverhältuiss  an,  in  welchem  die  Schwinwungs- 
zahlen  beider  Intervalltöue  stehen.  So  ist  das  Verhältniss  der  steigenden  reinen 
Quint  =2:3,  da  immer  3  Schwingungen  des  höheren  Tones  auf  je  2  Schwing- 
ungen des  tieferen  Tones  kommen.  Da  nun  ein  geometrisches  Verhältniss 
nicht  verändert  wird,  wenn  man  beide  Glieder  desselben  mit  derselben  Zahl 
multiplicirt  oder  dividirt,  so  kann  man  ein  solches  Verhältniss  beliebig  in 
grösseren  oder  kleineren   Zahlen  ausdrücken  (erweitern  oder  heben).     So  ist 

2  :  3  =  1 :  V2  =  Vl-  :  ^4  =  Ve :  Vs  =  ^/a :  72  ==  4  :  6  =  6  :  9  =  180 :  270  etc. 

II.  Man  kann  das  Verhältniss  des  Intervalls  in  Bruchform  darstellen,  indem 
man  die  Schwingungszahl  des  zu  bestimmenden  Tones  durch  dio  Schwingungs- 
zahl des  Ausgangstones  dividirt.  So  ist  die  Verhältnisszahl  der  steigenden 
reinen  Quint  (2:3)  =  ^(2 ,  der  fallenden  reinen  Quint  (3 :  2)  dagegen  =  ^js. 
Auch  Brüche  lassen  sich  erweiteim  und  heben,  ohne  ihren  Werth  zu  ändern. 

III.  Es  kann  der  Logarithmus  der  Verhältnisszahl  als  Logarithmus  (=  Zoy.) 
des  Intervalls  gesetzt  werden.  So  ist  der  Logarithmus  der  steigenden  reinen 
Quinte  (^ji)  —  log.  3  —  log.  2.  Hierbei  kann  man  sowohl  die  gewöhnlichen 
Brigg'schen  Logarithmen,  als  auch  die  Logarithmen  jedes  anderen  Systems 
verwenden.  Oft  benutzt  man  die  Logarithmen  des  Systems  der  Zahl  2;  da 
das  Verhältniss  der  reinen  Octave  =  1 : 2  ist,  so  erkennt  man  bei  Benutzung 
dieser  Logarithmen  an  den  Kennziffern  gleich  die  Erweiterung  oder  Verenge- 
rung (s.  d.)  eines  Intervalls. 

Zur  Bestimmung  der  Tonhöhe  eines  Klanges  mittelst  Verbindung  mehrerer 
Intervalle  lassen  sich  nun  wiederum  verschiedene  V/ege  einschlagen;  diese  ver- 
schiedenen Wege  sind  die  verschiedenen  Operationen  oder  Rechnungsarten 
in   der  K. 

A.  »Die  Addition  der  Tonverhältnisse  ist  eine  Rechnungsart,  vermittelst 
welcher  aus  zwey  oder  mehreren  gegebenen  Tonverhältnissen  eins  gefunden 
wird,  das  in  Absicht  au.f  die  Grösse  den  gegebenen  kleineren  zusammenge- 
nommen gleich  ist«  (D.  G.  Türk,  a.  a.  0.  S.  72),  Intervalle  addiren  heisst  dem- 
nach, von  einem  Tone  aus  die  Tonhöhe  eines  anderen  Tones  dadurch  be- 
stimmen, dass  man  nach  diesem  anderen  Tone  zu  zwei  oder  mehr  Intervalle 
nach  derselben  Seite  hin  abmisst.  So  findet  man  den  Ton  h  von  c  aus,  indem 
man  steigende  reine  Quinte  (7'0  "^^^  steigende  grosse  Terz  C/*)  addirt.  Man 
muss  bei  dieser  Rechnungsart  die  Verhältnisszahlen  multipliciren  oder  die  Lo- 
garithmen addiren, 

log,  c:h  =  log.  Quint  +  log.  Terz  =  (log.  3  —  log.  2)  +  (log.  5  —  log.  4). 

Eingehenderes  findet  mau  unter  Addition. 

B.  »Die  Subtraction  der  Tonverhältuisse  besteht  darin,  dass  man  von 
einem  gegebenen  Intervalle  ein  anderes  abzieht,  und  dadurch  ein  drittes  findet, 
um  welches  die  beyden  Intervalle  von  einander  verschieden  sind«  (D.  G.  Türk, 
a,  a.  0.  S.  103).  Bei  dieser  Rechnungsart  ist  die  Vcriiältnisszahl  des  grösseren 
Intervalls  durch  die  Verhältnisszahl  des  abzuziehenden  kleineren  Intervalls  zu 
dividiren,  event.  ist  der  Logarithmus  des  abzuziehenden  Intervalls  von  dem 
Logai'ithmus  des  grösseren  zu  subtrahiren.  So  ist  Quinte  (^/a)  —  Quarte  (^/s) 
=  ^/2  :  ^/s  =  "'/s  =  Ganzton,  resp.  log.  Quinte  —  log.  Quarte  =  (log.  3  —  log.  2) 
—  (log  4  —  log.  3)  =  log.  Ganzton   (Näheres  unter  Subtraction). 

C.  »Die  Comparation  (Aequiparation)  oder  Vergleichung  der  Tonver- 
hältnisse   ist    eine  Rechnungsart,    vermittelst  welcher    man    findet:    1.  ob  zwey 


536  Kanonik. 

oder  mehrere  Verhältnisse  eine  Grösse  haben,  oder  nicht;  2.  welches  davon  das 
grössere  oder  das  kleinere  ist,  und  um  wie  viel  sie  von  einander  verschieden 
sind.  Sie  schliesst  sich  also  gleichsam  an  die  Subtraction  an,  und  kann  in 
gewisser  Rücksicht,  wenigstens  zum  Theil,  als  die  Fortsetzung  derselben  be- 
trachtet werden.  Bey  Tonberechnuugen  dient  die  Comparation  hauptsächlich 
dazu,  dass  man  durch  sie  erfährt,  wie  viel  einem  zu  grossen  Intervalle  abge- 
zogen, oder  einem  zu  kleinen  zugesetzt  werden  muss,  wenn  es  das  ihm  zu- 
kommende reine  Yerhältniss  bekommen  soll.  In  so  fern  ist  daher  diese  Rech- 
nungsart unter  andei'n  vorzüglich  bey  der  Prüfung  einer  Temperatur  (s.  d.) 
von  entschiedenem  Nutzen«  (D.  Gr.  Türk,  a.  a.  0.  S.  141).  Man  hat  bei  diesem 
Verfahren  nur  die  Brüche,  welche  das  Verhältniss  der  zu  vergleichenden  Inter- 
valle angeben,  gleichnamig  zia  machen  tind  dann  die  gefundenen  Zähler  mit 
einander  zu  vergleichen  (s.  Vergleichung  der  Verhältnisse). 

D.  Die  eigentliche  Multiplication  der  Intervalle  ist  nur  eine  fortge- 
setzte Addition,  und  wird  daher  vielfach  auch  zur  Addition  gerechnet.  Ein 
Intervall  wird  multiplicirt,  wenn  man  dasselbe  mehrfach  nach  derselben  Seite 
zu  abmessen,  also  wiederholt  zu  sich  selbst  addiren  soll.  Man  hat  dann  die 
Verhältnisszahl  des  betreffenden  Intervalls  in  die  so  vielte  Potenz  zu  erheben, 
als  die  Zahl  angiebt,  mit  welcher  man  multipliciren  soll;  oder,  was  dasselbe 
ist,  den  Logarithmus  des  Intervalls    mit    derselben  Zahl    zu    multipliciren.     So 

.,    ,      „    ..,^    ,       .        ...  .         n   •  .     ''3^      f^y       3'^       531441 

ist  das  Zwoliiache  der  steigenden  reinen  (Quinte 


,2  7      V2y  2'*       524288' 

und  der  Logarithmus  dieses  Intervalls  =  12. {log.  3  —  log.  2)  =  12.log.  3  —  12 
.log.  2  =  log.  531441  -  log.  524288. 

E.  »Intervalle  copuliren  oder  mit  einander  verbinden  heisst:  Zwey  oder 
mehrere  Verhältnisse  so  zusammenhängen  oder  an  einander  reihen,  dass  das 
jedesmalige  zweyte  Glied  des  vorhergehenden  Verhältnisses  auch  zugleich  zum 
ersten  Gliede  des  darauf  folgenden  Verhältnisses  wird.  Diese  Rechnungsart 
hat  man  zwar  in  verschiedenen,  besonders  älteren,  Schriften  auch  die  musi- 
kalische oder  harmonische  Multiplication  genannt;  allein  dies  abgerechnet,  dass 
die  Copulation  der  Intervalle  oder  der  Tonverhältnisse  nicht  immer  vermittelst 
der  Multiplication  ihrer  Glieder  geschieht,  entspricht  auch  die  erwähnte  Be- 
nennung dem  Erfolge  dieser  Rechnungsart  keinesweges;  weil  nämlich  die  da- 
durch au  einander  gereihten  Verhältnisse  selbst  nicht  vervielfältigt  werden, 
sondern  gemeiniglich  (wiewohl  auch  nicht  immer)  nur  erweitert,  oder  in  grös- 
seren Zahlen  zum  Vorschein  kommen«  (D.  G.  Türk,  a.  a.  0.  S.  159).  Im  Moll- 
dreiklange c :  es  :  g :  c^  finden  sich  folgende  Intervalle 

c :  es  =  "/s,  es  :g  =  ^/i,  g :  c^  =  ^/s. 

Sollen  diese  copulirt  werden,  so  muss  man  jeden  der  Brüche  erweitern  mit  dem 
Zähler  jedes  vorhergehenden  und  mit  dem  Nenner  jedes  folgenden  Bruches. 
Somit  erhält  man  die  Brüche 

6.4.3        5.6.3  ,4.6.5       ,        72       90         ^120 

und      -— :: —  -     also      „„  ,   -=-r    und 


5.4.3'4.6.3  3.6.5  60'    72  90 

Man  kann  demnach  setzen 

c:es:g:c^  =  60:72:90:120, 


oder  gehoben 


=  10:12:15:20. 


(Näheres  unter  Verbindung  der  Verhältnisse). 

F.  »Die  Theilung  (Mediation)  der  Tonverhältnisse  ist  eine  Rechnungsart, 
vermittelst  welcher  man  ein  gegebenes  grösseres  Intervall  in  zwey,  oder  auch 
in  mehrere  kleinere,  die  zusammengenommen  dem  grössern  gleich  sind,  unter- 
scheidet, oder  gleichsam  zerfallet«  (D.  G.  Türk,  a.  a.  0.  S.  191).  Man  unter- 
scheidet drei  Arten  der  Theilung:  die  arithmetische,   die   harmonische  und  die 


Kanoniker.  537 

preometrische.  Für  die  beiden  ersten  Arten  verwendet  man  auch  (nach  dem 
Vorgange  von  Ebrard,  »System  der  musik.  Akustik«,  Erlangen,  1866)  den 
Ausdruck:  »Interkalation«,  weil  es  hierbei  nur  darauf  ankommt,  zwischen  die 
beiden  Töne  eines  Intervalls  einen  oder  mehrere  Töne  so  einziischalten  (zu 
interkaliren),  dass  durch  diese  Interkalation  das  grössere  Intervall  in  mehrere 
kleinere  zerlegt  wird,  die  zusammengenommen  dem  grossen  gleich  sind.  Es 
kommt  dabei  also  nur  darauf  an,  die  Yerhältnisszahl  des  betreffenden  Intervalls 
in  Fakloren  zu  zerlegen.  Das  könnte  auf  sehr  verschiedene  Weise  geschehen. 
Da  es  aber  darauf  ankommt,  dass  die  Faktoren  sich  in  möglichst  kleinen 
Zahlen  darstellen  lassen,  so  hat  man  nach  folgenden  Formeln  zu  interkaliren. 

w  +  1  2.W  +  1     2.«  +  2         3.W  +  1     3.  «4-2     3  .  n  -\-  S 


I. 
II. 


n  2  .n       '  2  .  n  +  1  3.w         3.«  +  l'3.«  +  2' 

n  2  .n         2.«+l  3.«         3.«4-13.w  +  2 


w  +  1         2.n  +  \'2,n-\-2        3.w  +  l'3.«+2'3.w  +  3' 
So  Hesse  sich  die  steigende  reine  Octave  I —-   resp.  die  fallende  reine  Octave  1  — 


wie  folgt  theilen: 

I  1-1 

'•12 

4          4      5 

'  "3    "  "3  •  4  • 

6 

n-  ^  =  1 

2          3 

3    _    3      4 
■  T  ~    4'  •   5"  ■ 

5   __ 
"6    ~ 

8 
12 

6 
•  8   ~ 

15 

20  • 

12 
15   ' 

10 
■   12' 

d.  h.  die  steigende  Octave  c :  c^  in  die  Intervalle 

c :  g :  c^  =  2:3:4  resp.  c  ./.•  a  ;  c^  =  3  :  4  :  5  :  6, 
die  fallende  Octave  c :  ö  dagegen  in  die  Intervalle 

c ;  Z;  C  =  12  :  8  :  6  resp.  c :  G :  Es .  O  =  20:\h:\2'.10. 

Das  erstere  Verfahren  hiess  früher  die  »harmonische«,  das  zweite  dagegen 
die  »arithmetische  Theilung«  (s  d,  und  unter  Theilung  der  Verhält- 
nisse). - —  Die  dritte  Art  der  Theilung  ist  nun  die  eigentliche  Division. 
Von  einer  wirklichen  »Division«  eines  Intervalls  ist  aber  nur  die  Rede,  wenn 
durch  dieses  Verfahren  ein  grösseres  Intervall  in  eine  Anzahl  gleicher  Theile 
zerlegt  wird.  Soll  dieses  geschehen,  so  muss  man  ein  Verfahren  anwenden, 
Y/elches  dem  bei  der  eigentlichen  Intervallmultiplication  verwendeten  gerade 
entgegengesetzt  ist.  Man  muss  demnach  aus  der  Verhältnisszahl  des  zu  thei- 
lenden  Intervalls  die  .r'«  "Wurzel  ausziehen,  resp.  den  Logarithmus  durch  x  divi- 
diren,  wenn  x  die  Zahl  der  Theile  ist,  in  welche  ein  Intervall  zerlegt  werden 

/74 
soll.     Demnach  ist  der  zwölfte  Theib  des  steigenden  ditonischen  Komma  l  — — 

12   12   

V74         l/'74        .       886 
/73 

loa.  74         log.  73   ,      _,,     .,  ,       ^     ,..,,     .       .  . 

=  — ^ —         ^ —  (s.  Theilung  der  Verhältnisse). 

12  12       ^  ^  ^ 

Die  Verhältnisszahlen  derjenigen  einfacheren  Intervalle,  welche  man  bei 
diesen  Berechnungen  zu  Grunde  legt,  sind  natürlich  nur  durch  Beobachtung 
zu  gewinnen;  sie  sind  also  Resultate  der  musikalischen  Akustik.  Mau  kann 
jetzt  bei  diesen  Beobachtungen  verschiedene  "Wege  einschlagen,  und  auf  einigen 
dieser  "Wege  ist  es  möglich,  die  Schwingungszahlen  selbst  direct  durch  die  Er- 
fahrung zu  gewinnen  (s.  Akustik).  0.  Tiersch. 

Kanoniker  (latein.  Canonici)  war  der  Beiname  der  Pythagoräer  gegenüber 
den  Anhängern  des  Aristoxenus  (»Harmoniker«,  s.  d.),  weil  sie  ihrer  Theorie 


j2         =  circ,  -^^^  resp.    ist    der    Logarithmus    dieses    Intervalls 


538  Kanon  und  Fuge. 

die  Theilung  des  Kanons  (s.  d.  und  Kanonik)  zu  Grunde  legten  (»PorpJiirii 
in  harmonica  Flolemaei  commentariusa,  Ausgabe  von  Wallis':  Oper,  mathem.  vol. 
tert.   Oxon   1690,  p.  207).  0.  T. 

Kauou  und  Tug-e  sind  diejenigen  polyphonen  Formen,  in  welchen  die  the- 
matische Einheit  mehr  oder  weniger  streng  festgehalten  wird,  so  zwar,  dass 
im  Kanon  diese  Einheit  eine  absolute,  ausschliessliche  ist,  während  die  Fuge 
in  der  Einheit  (besser  Einheitlichkeit)  grosse  und  zahlreiche  Freiheiten  ge- 
stattet. Ein  Bild  möge  das  Gleichartige  uud  Unterscheidende  beider  Formen 
veranschaulichen.  Man  denke  sich  einen  geistvollen  Ausspruch,  der  eine  Er- 
kenntuiss- Summe  vorstellt,  durch  einen  Kalligrajjhen  Zeile  um  Zeile  in  gleichen 
oder  verschiedenen  Schriftarten  mehrere  Male  schön  aufgeschrieben.  Daneben 
lege  man  einen  Vortrag  über  jenen  Ausspruch,  in  welchem  dieser  selbst  ebenso 
oft,  wie  in  der  kalligraphischen  Arbeit,  wörtlich  citirt  erscheint.  AVie  der  Aus- 
spruch die  Wissenschaftlichkeit  seines  Autors,  so  bezeugt  das  Thema  für  Kanon 
und  Fuge  die  Kunst  des  Componisten.  Wie  der  Kalligraph  weder  den  Inhalt 
uocli  die  Form  des  Ausspruchs  zu  verbessern  vermag,  so  erscheint  auch  im 
Thema  des  Kanon  dieser  selbst  in  nuce.  Wie  andererseits  der  Vortrag  im 
Stande  ist,  durch  Ausführung,  Weiterführuug  uud  Abrundung  des  Hauptge- 
dankens diesen  zu  vertiefen,  in  seiner  Eichtigkeit  und  Schönheit  darzustellen 
etc.,  so  giebt  die  Fuge  dem  Componisten  Gelegenheit,  die  einzelnen  Schönheiten 
des  Thema  in  Eezug  auf  Melodie  und  Bhythmus  durch  Gegenstellung  von 
Füllstimmen  etc.  bei  freiem  Walten  seiner  Erfindungskraft  zu  Gehör  zu  bringen. 
Aus  diesem  Vergleich  ist  die  Vorstellung  vom  ästhetischen  AVerthe  beider 
Formen  leicht  zu  gewinnen.  Der  Kanon  stellt  dar,  wie  eine  neue  Idee  zuerst 
in  einem  Menschen  erwacht  und  von  ihm  ausgesprochen  wird,  wie  sie  dann 
Andere  zum  Nachdenken  anregt,  während  der  Erste  sogleich  Consequenzen  zieht, 
die  dadurch  als  folgerichtig  erwiesen  werden,  dass  sie  mit  dem  Ausdruck  des 
ursprünglichen  Gedankens,  den  nun  der  Andere  vorträgt,  harmoniren.  Aber 
wie  im  Leben  die  völlige  Uebereinstimmung,  der  genaue  Anschluss  eines  Geistes 
an  das  AVerk  des  andern  selten  ist  und  bald  auch  ermüden  würde,  so  wird 
gelegentlich  an  rechter  Stelle  der  Kanon  vortrefflich  wirken,  aber  nur  von 
kurzer  Dauer  sein  und  der  individuellen  Freiheit  wieder  Spielraum  gewähren 
müssen.  Diesem  Gesetz  des  Gebundeuseins  au  die  Gedankeneinheit  ist  auch 
die  Fuge  unterworfen.  Auch  in  ihr  ist  Alles  AViederholung,  verschiedene 
Gegenüberstellung  derselben  Gedanken,  aber  sie  will  nicht  Idee  und  Empfindung 
eines  Einzelnen,  sondern  einer  jNIasse  darstellen.  Die  AViederholung  in  immer 
gesteigerter  AVeise,  das  beharrliche  Festhalten  und  strenge  Durcharbeiten  des 
Gedankens  macht  den  Eindruck  des  Bedeutenden,  des  Ernsten  und  Feierlichen. 
Die  rechte  Form  für  Darstellung  des  Gesammtgefühls  ist  nun  die  Fuge  wohl, 
aber  den  ganzen  weiten  Umkreis  menschlicher  Stimmungen  und  Erregungen 
umspannt  sie  nicht.  Der  Verzicht  auf  das  Individuelle  implicirt  zugleich  den 
Verzicht  auf  leichte  und  freie  Beweglichkeit;  für  das  Heitere  insbesondere 
mangelt  es  ihr  au  melodischem  Fluss.  Trotzdem  giebt  es  Vieles,  was  nur  die 
Fuge  aussprechen  kann,  und  sie  wird  nicht  veralten,  so  lange  die  Musik  nicht 
aufhört,  mit  massenbewegenden  Empfindungen  sich  zu  befassen. 

Kanon,  dem  Griechischen  entnommen,  bedeutet  ursprünglich  Regel,  Richt- 
schnur. Diese  Bedeutung  passt  auf  die  musikalische  Form  insofern,  als  das 
Thema  (Froposta)  die  Richtschnur  für  eine  oder  mehrere  nachahmende  Stimmen 
abgiebt.     Wir  unterscheiden: 

1.  in  Bezug  auf  Anzahl  der  Stimmen:  den  zweistimmigen,  dreistim- 
migen etc.  Kanon; 

2.  in  Bezug  auf  die  Anzahl  der  Themen  (Proposten):  einfacher  Kanon, 
Doppelkanon; 

3.  in  Bezug  auf  die  Notenwerthe  in  Froposta  und  Risposta  (Nachahmung) : 
Kanon  in  einfacher  Bewegung,  in  einfacher,  doppelter  etc. 
Vergrösserung  oder  Verkleinerung; 


Kanon  und  Fusce. 


539 


4.  in  Bezug  auf  die  Intervalle,  in  welchen  Proposta  und  Risposta  stehen; 
Kanon  in  der  Prime,  Secunde  etc.,  und  bei  mehrstimmigen:  Kanon 
in  gleichen   oder  ungleichen  Intervallen; 

5.  in  Bezug  auf  die  Richtung  der  Bewegung:  Kanon  in  gerader,  Gegen-, 
krebsgängiger  und  krebsgängig- verkehrter  Bewegung; 

6.  in  Bezug  auf  das  Ende:  endlicher  oder  unendlicher  Kanon; 

7.  in  Bezug  auf  die  Notirung:  offener  oder  geschlossener  und  Räthsel- 
Kanon. 

Der  zweistimmige  Kanon  als  einfacher  Kanon  in  gerader  Bewegung 
(Canon  simplex  per  motum  rectum)  beantwortet  die  Proposta  Note  für  Note, 
Intervall  für  Intervall.  Seine  Herstellung  bietet  die  relativ  wenigsten  Schwierig- 
keiten, wenn  die  Risposta  in  der  Prime  oder  Octave  eintritt,  weil  dann  die 
Tonart  nicht  verlassen  zu  werden  braucht,  z.  B.: 


Soll    die  Risposta    in    der   Quinte    oder    Quarte    eintreten,    so  wird  die 
Ausweichung  in  die  nächstverwandte   Tonart  nöthig,  z.  B.: 


iß 


■r^-^-«^ 


-ö- 


i±EE 


-5=1- 


it: 


ÖEE 


^^S 


etc. 


-ö- 


Ein  strenger  Kanon  in  der  Secunde    führt  auf  Querstände,    Dishar- 
monien (s.  d.)  etc.,  z.  B.: 


und  damit  auf  die  Nothwendigkeit,  von  der  absoluten  Strenge  etwas  nach- 
zugeben und,  soweit  die  Intervalle  (Secunde,  Septime)  dadurch  nicht  in  ihren 
Namen,  abgesehen  von  gross  oder  klein,  berührt  werden,  die  Versetzungs- 
zeichen (%  \>  und  ij)  beliebig  zuzusetzen  und  wegzulassen,  also  etwa  so: 


:tE^ 


— «->      ä     f^  — P^ 


:t;^ 


:t=t 


ä3E 


:|=1=P 


^ 


*— ^ 


Die  Risposta  dieses  letzteren  Beispiels  bringt  durch  einen  freigebildeten 
Takt  den  Kanon  zum  Abschluss.  Ein  solcher  Kanon  heisst  ein  endlicher 
(ital.:  Canone  finito).  Passt  der  Wiedereintritt  der  Proposta  zum  Schluss  der 
Risposta,  so  ist  der  Kanon  ein  unendlicher  (ital.:  Canone  infinito).  —  Durch 
Verbindung  der  beiden    kanonischen  Stimmen    mit    einer    freien    Eüllstimme 


540 


Kanon  und  Fuge. 


geschieht  der  kanonischen  Kunst  kein  Abbruch,   wie    das  oben  citirte  Beispiel 
von  J.  S.  Bach  beweist: 


C 


'■im^m^ 


■^far-rd^-pfß 


3^ 


Als  besonders  künstliche  Kanons  gelten  der  Kanon  in  der  Ver- 
grösser ung  (Latein.:  Canon  j-)^'^  augmentatio^iein) ,  in  welchem  die  Risposta  in 
doppelten,  dreifachen  etc.  Notenwerthen  auftritt,  und  der  Kanon  in  der  Ver- 
kleinerung (latcin.:  Canon  per  diminuHonem),  in  welchem  mit  verkleinerten 
"Werthen  contrapunktirt  wird.  Im  Kanon  in  der  Gegenbewegung  (latein. : 
Canon  per  motum  contrarium)    werden   aufwärtsgehende  Motive    durch    abwärts- 


gehende contrapunktirt    und    umgekehrt.     Da  nun 


!— E 


-•-Pt- 


z\r±-- 


in  der  Gegenbewegung   ^^ — | — ^ 


_J>.    ^       — 



-f  \— 1 — ^f —  • — 1 — 

X^X ^ 3S^ ^ 

lautet,    so  ergiebt  sich  ein 


Einsatz    der  Risposta    in  Terz    oder  Decime,    weshalb    diese    Form    strenger 
Gegenbewegung  früher  Fuga  in  decima  genannt  wurde. 

Der  rück-  oder  krebsgängige  Kanon  (\^i.  Canon  cancrizans)  als  stren- 
ger Kanon  ist  nur  ein  contrapunktischer  Kraftmesser,  als  freie  Imitation  aber 
kann  er  in  allen  Compositionsgattungen  gebraucht  werden  (vergl.  Mozart,  Sin- 
fonie C-dur,  Schlussfuge).  Man  lese,  um  die  Gattung  zu  verstehen,  im  folgenden 
Beispiele  die  Oberstimme  vorwärts  und  die  Unterstimrae  rückwärts. 


Die  übrigen  kanonischen  Gebilde  sind  zumeist  nur  Ausführungen  der  oben 
beschriebenen.  Ihr  Verständniss  und  ihre  Composition  bedürfen  eingehender 
Studien  in  den  betreflPenden   Lehrbüchern. 

Fuge  kommt  von  dem  lat.  Fuga  Flucht,  fugare  fliehen  (nicht  von  »fügen«; 
Vischer  gebraucht  den  syntactischen  Terminus  »Satzgefüge«),  weil  in  dem  Ton- 
ßtück  dieser  Gattung  ein  Vorangehen  und  Nachfolgen  mehrerer  Stimmen  in 
ununterbrochenem  Wettlauf  nach  einem  gemeinsamen  Ziele,  ein  eifriger  "Wett- 
kampf  um  die  gleiche  Aneignung  einer  gemeinsamen  Idee  stattfindet,  das  Thema 
selbst  gewisßermassen  immer  auf  der  Flucht  ist.  —  Die  Alten  nannten  auch 
den  Kanon  Fuga  und  zwar  r>Fuga  in  conseguenzav.  oder  nFuga  legatav.;  die  Fuge 
in  unserem  Sinne  nannten   sie  »Fuga  periodicaa.     Diese   beruht  zwar   auch  auf 


Kanon  und  Fuge. 


541 


der  Imitation  (s.  Nachalimung),  aber  es  wird  in  ihr  nicht  fortwährend  und 
nicht  Alles  nachgeahmt.    Yon  dieser  periodischen  Fuge  soll  hier  die  llede  sein. 

Unter  Fuge  versteht  man  ein  zwei-  oder  mehrstimmiges  Musikstück, 
welchem,  wenn  die  Fuge  eine  einfache  ist,  ein  einziges  melodisches  Thema, 
wenn  sie  Doppel-  oder  mehrfache  Fuge  ist,  zwei  oder  mehr  Themata  zu 
Grunde  liegen.  Die  Durcharbeitung  des  Thema  kann  streng  und  frei  sein. 
Im  ersten  Fall  erscheint  nur  das  Thema,  natürlich  in  allen  Arten  der  Nach- 
ahmung, ganz  oder  theilweise.  Die  Fuge  heisst  dann  strenge  Fuge  (Ftiga 
ohligata),  im  Italienischen  Bicereare  oder  Bicercata.  Im  andern  Fall  kommen 
Zwischensätze  zur  Verwendung,  welche  mit  dem  Hauptsatz  nur  entfernte  (z.  B. 
rhythmische)  Verwandtschaft  haben.  Diese  Fuge  heisst  freie  Fuge  (fuga 
lihera  oder  sciolta). 

Das  Thema  ist  natürlich  die  Hauptsache.  Die  Fuge  beginnt  damit.  Es 
ist  der  Führer  (lat.  diix)  derselben.  Die  erste  Beantwortung  des  Themas  heisst 
Gefährte  (lat.  comes).  Das  AViedererscheinen  des  Themas  im  Verlaufe  der 
Fuge  heisst  Wiederschlag,  lat.  repercmsio.  Die  Vermittelung  der  ver- 
schiedenen ßeperkussionen  in  der  freien  Fuge  heisst  Zwischensatz  (ital.  diver- 
timento  della  fuga).  Da  nun  gleich  zur  ersten  Antwort  {comes)  in  der  Stimme, 
welche  das  Thema  zuerst  brachte,  contrapunktirt  wird,  —  da  ferner  solche 
Contrapunkte  auch  gegen  das  Thema  der  Zwischensätze  vorkommen,  so  ergeben 
sich  als  Haupttheile  der  Fuge:  1.  Thema  {dux ,  Führer,  Suhject,  proposta), 
2.  Antwort  (comes,  Gefährte,  risposta),  3.  Gegensatz  (Contrapunkt),  4.  Wieder- 
Bchlag  (repercussio)  und  5.  Zwischen-  oder  Verbindungssatz. 

1.  Das  Thema  muss  in  melodischer  Beziehung  charakteristisch  sein,  so  dass 
es  sich  dem  Gehör  leicht  einprägt.  Pater  Martini  unterscheidet  in  seinem 
y>Saggio  fontamentale  pratico  di  öontrapunto<s.  mit  ßücksicht  auf  Kürze,  Prägnanz 
und  Tonalität  der  Thematen  drei  Arten  derselben: 

a.  Das  Soggetio,  kurz,  rhythmisch,  dieselbe  Tonart,  z.  B. 


ö 


msi 


-^- 


-^- 


-^- 


-F •-= •- 


etc. 


b.  Das  Aftacco,  kurz,  besonders  prägnant,  wenige  Noten,  z.  B. 


=^#fe 


3^g-=^g: 


--U- 


c.  Das  Ändamento,   länger  fortgeführt,    die  nächstverwandten  Tonarten  be- 
rührend, z.  B. 


etc.  (Beispiele  von  J.  S.  Bach). 

2.  Die  Antwort  nennt  man  das  Thema  in  der  zweiten  Stimme,  also  die 
erste  Nachahmung.  Diese  findet  stets  nur  in  der  Oberquinte  oder  Unterquarte 
statt.  Sie  muss  mit  dem  Thema  in  genauer  harmonischer  Beziehung  stehen, 
darf  jedoch  in  drei-  und  vierstimmigen  Fugen  zur  Vermeidung  von  Monotonie 
gegen  das  Ende  hin  moduliren.  Bisweilen  markirt  man  die  Modulation  zuerst 
im  Contrapunkt,  z.  B. 


542 


Kanon  und  Fuge. 


i 

\ 


foti2=r=:7 


:g^^Eö: 


::t:: 


-•-g- 


=1=öi 


35EE^= 


&l:l2z=ti=:t;;t=:t: 


:}:= 


=3^ 


tf:r^ti: 


ä: 


-^- 


=^^1 


E^E^ 


In  dreistimmigen  Fugen  bringt  die  dritte  Stimme  wieder  das  Thema  und 
in  vierstimmigen  die  vierte  Stimme  Avieder  die  Antwort.  Verschiedenheiten  finden 
sich  hinsichtlich  des  Eintritts  derselben,  welcher  am  Ende  des  Thema,  vor 
völligem  Abschluss  desselben  und  nach  einer  dem  Thema  angefügten, 
kurzen  überleitenden  Figur  erfolgen  kann.  Der  Theil  der  Fuge,  in  welchem 
alle  Stimmen  zum  ersten  Male  mit  Thema  und  Autwort  eintreten,  also  der 
Abschnitt  bis  zur  Beendigung  des  Thema  in  der  zuletzt  einti'etenden  Stimme, 
wird  »Exposition  der  Fuge«  genannt*). 

3.  Der  Contrapunkt  ist  diejenige  Stimme,  welche  im  Anfange  der  Fuge 
gegen  die  Antwort  (in  seltenen  Füllen,  wenn  z.  B.  zur  Vocalfuge  Instrumente 
gesetzt  sind,  schon  gegen  das  Thema)  und  im  weiteren  Verlauf  der  Fuge  gegen 
Thema  und  Antwort  gesetzt  wird.  Das  Thema  darf  durch  ihn  in  keiner  Weise 
verdunkelt  werden,  er  ist  nur  dessen  Folie.  Auch  ist  nicht  nöthig,  dass  der 
erste   Contrapuukt  im  Laufe  der  Fuge  zum   Thema  immer  beibehalten  werde, 

4.  AVieder schlag  (t'epercussio)  heisst  das  "Wiederkehren  des  Thema  im 
weiteren  Verlaufe  der  Fuge  nach  geschlossener  Exposition.  Die  verschiedenen 
Modificationen  des  Wiedersclilags  (durch  Vergrösserung,  Verkleinerung,  Gegen- 
beweguög  etc.)  bilden  eine  Hauptzierde  der  Fuge.  Besonders  wirksam  ist  die 
kanonische  Behandlung  des  Thema,  welche  in  der  deutschen  Kunstsprache 
»Engführungtf,  in  der  italienischen  riSfretta«  genannt  wird. 

Als  Beispiele  von  Fugen  mit  vielen  Engführungen  mögen  folgende  Engen 
aiis  dem  ersten  Theile  des  wohltemperirten  Claviers  von  Bach  gelten: 


.5. 


Der  Zwischen-  oder  Verbindungssatz  hat  den  Zweck,  die  ver- 
schiedenen Beperkussionen  mit  einander  zu  verbinden  und  die  Modulation  der 
Fuge  zu  vollziehen.  Da  in  der  Fuge  aber  bei  den  verschiedenartigsten  Ver- 
ünderungen  des  Hauptgedankens  die  grösste  Einheit  herrschen  muss,  so  sind 
die  Zwischensätze  am  zweckmässigsten  aus  Motiven  des  Thema  oder  des  ersten 
Contrapunktes  zu  entwickeln.  Dies  geschieht  in  manchen  Fugen  (Bach:  wohl- 
temp.' Clav.  Fugen  in  C-moll  und  Es-diir,  Beethoven:   Trio  in  B,  Op.  97,  wo 


das    Motiv 


des  Thema    im    ersten  Satz    für    den  zweiten 


Satz   die  verschiedensten  Nachahmungen  hervorlockt)    so    gelstreich,    dass    das 
Hauptintei'esse   derselben  gerade  auf  den   Zwischensätzen  beruht. 

Es  bleibt  nun  noch  übrig  vom  Orgelp\inkt  (s.  d.)  zu  reden,  der  ge- 
wöhnlich am  Schlüsse  der  drei-  und  mehrstimmigen  Fugen  angebracht  wird. 
Er  ist  ein  von  der  tiefsten  Stimme  ausgehaltener  Ton  (Dominante  oder  Tonika), 
über  welchem  die  interessanteste  Engführung  oder  auch  eine  recht  schöne  und 
mannich faltige  Ausarbeitung  thematischer  Motive  sich  bewegt.  Er  ist  eine 
würdige  Krone  für  das  "Werk  und  ein  guter  Gipfelpunkt  ivtx  die  Steigerung, 
welche  die  Fuge  vom  Anfang  bis  zum  Ende  darstellen  soll.  Liegt  der  Orgel- 
punkt auf  der  Dominante,  so  erscheint  er  vor  der  Schlusscad.enz  der  Fuge,  als 

*)  Die  Umkehrung  der  Exposition,  in  welcher  diejenige  Stimme,  Avelche  antangs  das 
Thema  hatte,  nun  die  Antwort  hat,  und  umgekehrt,  folgt  in  der  italienischen  Schule 
nach  einem  klciueu  Zwischensatz  der  Exposition  selbst  und  wird  „Iii]volio  della  fuga" 
genannt. 


Kant  —  Kao-ku.  543 

eine  Verzögerung  derselben;  liegt  er  auf  der  Tonika,  so  i&t  er  ein  Anhang 
nach  der  Sclilusscadenz,  mit  welchem  die  Fuge  verhallt.  —  Der  Doppelfuge 
liegen  zwei  Themen  zu  Grunde.  Sie  ist  doppelter  Art.  In  der  einen  werden 
die  zwei  Themen  getrennt  eingeführt;  in  der  andern  gemeinschaftlich.  Die 
gemeinschaftliche  Anlage  beider  Themen  im  (doppelten)  Contrapunkt  ist  für 
beide  Arten  Bedingung.  Solleu  die  Themen  getrennt  erscheinen,  so  kommt 
zuerst  die  vollständige  Exposition  eines  derselben,  wie  in  der  einfachen  Fuge; 
dann  nach  einem  Zwischensatz  kommt  die  Exposition  des  zweiten  Thema.  Ist 
diese  vorüber,  so  treten  beide  Themen  zusammen  auf.  —  Die  zweite  Art  der 
Doppelfuge,  in  welcher  beide  Themen  von  vornherein  zusammen  eingeführt 
werden,  ist  eigentlich  nur  die  letzte  Hälfte  einer  Doppelfuge  der  ersten  Art. 
Die  getrennten  Expositionen  fallen  weg.  Allerdings  tritt  an  ihre  Stelle  eine 
Exposition  beider  Themen  zugleich,  in  welcher  jedes  derselben  als  Thema  und 
Antwort  sein  Recht  verlangt.  Die  Doppell'uge  bietet  sonach  ein  viel  reicheres 
Material  und  mehr  Abwechselung  als  die  einfache  Fuge,  sie  ist  auch  weniger 
streng  in  der  Form;  aber  gerade  in  der  Mannichfaltigkeit  liegt  auch  eine 
Gefahr  für  die  Einheitlichkeit.  Diese  Gefahr  wächst  mit  der  Anzahl  der 
Themen.  Th.  Krause. 

Kant,  Immanuel,  einer  der  grössten  und  einflussreichsten  Philosophen 
aller  Zeiten,  geboren  am  22.  April  1724  zu  Königsberg  in  Preussen,  studirte 
daselbst  zuerst  Theologie,  wandte  sich  aber  bald  der  Mathematik,  den  Natur- 
wissenschaften und  der  Philosophie  zu.  Nachdem  er  sich  1755  habilitirt  hatte, 
hielt  er  Vorlesungen  über  Logik,  Metaphysik  und  Mathematik.  Aber  erst  1770 
erhielt  er  die  ordentliche  Professur  in  diesen  Disciplincn,  Er  starb  unver- 
heirathet  am  12.  Febr.  1804  zu  Königsberg.  Von  seinen  zahlreichen  Werken 
gehört  hierher  die  »Kritik  der  Urtheilskraft«  (1788),  da  er  in  den  Paragraphen 
13,   14,   16,  51   bis  54  auch  über  Musik  scharfsinnige  Betrachtungen   anstellt. 

Kautuu,  ein  arabischer  Philosoph  und  Schriftsteller  des  13.  Jahrhunderts, 
geboren  zu  Hilleh,  unfern  der  Ruinen  von  Babylon,  verfasste  eine  Abhandlung 
über  den  nationalen  musikalischen  Rhythmus. 

Eauuu  oder  Qänon,  s.  Canun. 

Kanzelle,  s.  Cancelle. 

Kanzler,  der,  einer  der  zwölf  ältesten  deutschen  Minnesänger  des  13.  Jahr- 
hunderts, der  sich  selbst  Herr  Kanzeler  nennt  und  als  einen  armen  von 
Land  zu  Land  fahrenden  Sänger  bezeichnet.  Nach  alten  Traditionen  soll  er 
aus  Steyermark  gebürtig  gewesen  sein,  die  Sprache  seiner  Dichtungen  weist 
aber  auf  die  Schweiz.  Er  gehört  zq  den  vielseitigsten  Dichtern  seiner  Zeit, 
wie  er  sowohl  in  seinen  Stoffen,  als  auch  in  der  Form  seiner  Gesänge  zeigt, 
in  denen  man  neben  einfachen  und  leicht  sich  bewegenden  Tönen  auch  künst- 
licher zusammengesetzte  antrifft,  welche  letztere  er  übrigens  mit  grosser  Ge- 
wandtheit behandelt,  so  dass  der  Gedanke  trotz  des  kunsti*eichen  Strophenbaues 
doch  zum  vollkommenen  Ausdruck  gelangt. 

Kanzler,  Josephine,  hervorragende  deutsche  Ciavierspielerin  und  erfah- 
rene Componistin,  geboren  1780  zu  Markt- Tölz,  verheirathete  sich  nachmals 
mit  dem  berühmten  Oboevirtuosen  Fladt,  Sie  war  nicht  nur  eine  ausge- 
zeichnete Künstlerin  auf  ihrem  Instrumente,  sondern  besass  auch  umfassende 
Kenntnisse  der  Theorie  und  der  Literatur  der  Musik.  Von  ihren  Compo- 
sitionen  sind  im  Druck  erschienen:  Ciaviersonaten,  zwei  Quatuors  für  Ciavier, 
Violine,  Viola  und  Violoncello,  sowie  einige  Lieder. 

Kao-ku  oder  Yn-ku  hiess  bei  den  alten  Chinesen  die  von  der  Dynastie 
Schang,  1756  v.  Chr.,  eingeführte  Trommel,  besser  Pauke  genannt,  welche  diese 
befahl,  künftig  bei  den  Ceremonien  den  Kung  (s.  d.)  vertretend,  anzuwenden. 
Diese  Pauke  hatte  einen  einem  länglichen  Fasse  ähnlichen,  aus  Thon  gebrannten 
Sarg  (s.d.)  mit  wenigen  Verzierungen,  der  von  einem  durch  denselben  gehen- 
den viereckigen  Balken  getragen  wurde ;  statt  der  Fassboden  waren  die  Felle 
in    gleicher  Stimmung    eingefügt.     Von    der    früher    geführten    Tsu-ku  (a.  d.) 


544  Kapellane  —  Kapelle, 

untersclaied  sich  die  K.  daduicli,  dass  der  letzterwähnte  Balken  in  die  Erde 
geführt  wurde,  während  er  bei  der  Tsu-ku  in  einem  kreuzartigen  hölzernen 
Fusse  endigte.  Auiiot  giebt  in  seinem  Werke  ^Memoire  sur  la  musique  des 
CJmioisa  eine  Abbildung  dieses  Tonwerkzeugs.  Mehr  über  die  Gattung  dieser 
chinesischen  Musikinstrumente  findet  man  in  dem  Artikel  Ku  (s.  d.)  dieses 
Werkes.  2. 

Kapellane  hiessen  in  altkirchlicher  Zeit  sowohl  die  den  Gottesdienst  ab- 
haltenden Priester,  wie  die  Kirchensänger.  Später  verblieb  dieser  Name  jedoch 
ausschliesslich  den  ersteren,  während  die  letzteren  Kapellisten  genannt  wurden. 

Kapelldiener  ist  die  Bezeichnung  desjenigen  Beamten  einer  Musikkapelle, 
welcher  die  gewöhnlichen  Haudleistuugen  auszuführen  hat,  also  den  Orchester- 
raum in  Ordnung  erhalten,  die  Noten  auf-  und  weglegen,  die  Lichter  anzünden, 
die  Instrumente  bringen  und  wegstellen  und  die  Bestellungen  zu  amtlichen 
Verrichtungen  an  die  Kapellraitglieder  ausrichten  muss. 

Kapelle    (Italien.:    cappella;    französ.:    chapelle)    heisst    ursprünglich    jedes 
kleine,  entweder  selbstständige,  z.  B.  auf  einem  Kirchhofe  ausserhalb   der  Stadt, 
oder  in  einer  Kirche,  in  einem  Privathause  u.  s.  w.  angebrachte  Gebäude  ohne 
Taufstein  für    gewisse   gottesdienstliche  Handlungen.     Da  in  diesen  kirchlichen 
Kapellen  auch  bisweilen  geistliche  Musiken  aufgeführt  wurden,  so  belegte  man 
mit  diesem  Namen  zunächst,  und  zwar  schon  sehr  früh  im  christlichen  Mittel- 
alter,   auch    die  Gesammtheit    der  dieselben  ausführenden  Musiker  und   Sänger 
und  dann  überhaupt  die  Musiker,  welche  vornehme  Personen,  sei  es  für  ihren 
Gottesdienst,    sei  es  für  ihr  Kammerconcert  oder  für  beide   Zwecke,  dienstlich 
beschäftigten.    Sind  demnach  die  Kirchen-K.n  die  ältesten,  so  blieben  später  die 
weltlichen  Privat-K.n  der  Zahl   und  der  Bedeutung  nach   nicht  im  Rückstand, 
und  besonders  im  18.  Jahrhundert,  als  die  Instrumentalmusik  einen  ihrer  Höhe- 
•punkte  erreicht  hatte^  gab  es  in  Deutschland,  vorzüglich  in  Oesterreich,  kaum 
einen  begüterten  Grossen,    der    sich    nicht    des    eigenen  Vergnügens    oder    des 
äu.sseren  Glanzes  wegen  eine  grössere  oder  kleinere  Musik-K.  in  seinem  Hause 
hielt.     Die  Musik  selbst  stand  damals    fast    ganz    und    gar  in  den  Fesseln  des 
Dienstes    und    erhielt    Luft    und    Leben    von    der  Grossmuth    der  Vornehmen. 
Als  sie  aber  ihren  Einfluss  verallgemeinerte,  als  seit  Beginn  des  19.  Jahrhun- 
derts immer  mehr  ein  grosses  Publikum  der  ihre  Richtung  bestimmende  Faktor 
wurde,    da  schwanden  die    zahlreichen  gräflichen    iind    fürstlichen  K.n,    haupt- 
sächlich die  kleinen,    eine  nach  der    anderen    dahin,    und    es  blieben  nur  noch 
diejenigen    der    regierenden  Fürsten    übrig,    deren  Thätigkeit    aber    nicht    aus- 
schliesslich dem  Hofe,  sondern  auch  dem  Publikum  der  betreffenden  Residenzen 
zu  Gute  kam.     Gegenwärtig  ist  es  ein  vereinzelter  Fall,   dass  sich  ein  reicher 
Privatmann    den  Luxus    einer  K.    gestatten    kann,    wie  z.  B.  der    kunstsinnige 
russische  Baron  von  Derwies,    welcher    in    Lugano    ein    eigenes  Orchester  von 
50  Musikern    unter    der    Direktion    des    Kapellmeisters  Karl  Müller- Berghaus 
auf  seine  Kosten  unterhält.     An   katholischen  Höfen   umfasst  die  K.  die  ange- 
stellten  Solo-  und   Chorkirchensänger    und    das  Instrumentalorchester,    welches 
letztere  auch   die  Musik  im  Hoftheater  versieht,  ausgenommen  in  Wien,  wo  es 
eine  kaiserl.  Hof-K.  für  den  Hofkirchendienst    und    ein    besonderes  Hofopern- 
theater-Orchester   (107   Mitglieder)    giebt.     Die    königl.  (Instrumental -)K.    in 
Berlin  unterhält  97   Mitglieder,  welche  den   Titel  Kammermusiker  führen,  zwei 
Concertmeister,  einen  Balletdirigenten  und  zwei  Kapellmeister.     Die  schwächste 
Besetzung  einer  K.  kann  nicht  weniger  als  vier  Spieler  für  die  erste  und  zweite 
Violine,  zwei  für  die  Viola,  vier  für  die  Violoncellos  und  Bässe  und  zwei  für 
jedes  Blasinstrument  in  sich  fassen;  denn  die  Geigeninstrumente  müssen,  wenn 
sie  gegen  einfach  besetzte  Blasinstrumente  die  gehörige  Wirkung  hervorbringen 
sollen,  mehrfach  besetzt  sein.    Die  Miniatur-K.  in  Sigmaringen  bestand  gleichwohl 
1873  noch  aus  sieben  Musikern  (Ciavier  mit  Instrumental- Sextett)  unter  einem 
fürstl.  Kapellmeister,    ist    aber  1874    auf    die    doppelte  Zahl  gebracht  worden. 
Neuerdings  hat  man  den  Namen  K.  auf  jedes  Instrumentalorchester  und  jedes 


Kapellknaben  —  Kaps.  545 

Militärmusikcorps  aiisgedelint,  ja  selbst  den  Orchesterraum  in  den  Theatern 
und  Concertsälen  so  geheissen,  obwohl  die  altgriechische  Benennung  «Orchester« 
auch  für  den   Standort  der  Musiker  bei  Aufführungen  der  richtigere  ist. 

Kapellknabeu  heissen  diejenigen  Chorschüler,  welche  bei  Kirchenmusiken 
im  Discant  und  Alt  mitsingen,  besonders  in  Hofkirchen,  wo  die  Gesänge  von 
wirklichen  Kapellen  begleitet  werden.  Gewöhnlich  erhalten  die  K.  ausser  Ge- 
sangunterweisung auch  einen  allgemeinen  musikalischen  Unterricht  und  werden 
meist  auch  für  ihre  Dienstleistungen  bezahlt  oder  geniessen  gewisse  Vergün- 
stigungen, als  freien   Schulbesuch  u.  dergl. 

Kapellmeister  (ital.:  maestro  cli  cappella;  französ.:  maUre  de  chapelle)  heisst 
der  einer  Musikkapelle  als  Direktor  vorgesetzte  Toukünstler.  An  Höfen  be- 
kleidet dieses  Amt  derjenige,  welcher  für  befähigt  erachtet  wird,  die  aufzufüh- 
renden Werke  auszuwählen,  einzustudiren  und  deren  Ausführung  zu  leiten. 
Vom  K,  darf  man  verlangen,  dass  er  ausser  der  umfassendsten  Harmonie- 
kenntniss  auch  jedes  einzelne  Orchesterinstrument  wenigstens  theoretisch  kennt 
und  in  den  Stimmen  vorkommende  Fehler  anzugeben  und  zu  verbessern  weiss. 
Fernere  Erfordernisse  sind  ein  feines  Gehör  und  guter  Geschmack,  der  im 
Stande  ist,  den  in  einer  Composition  liegenden  sinnvollen  Ausdruck  zu  ent- 
wickeln und  vollkommen  zur  Darstellung  bringen  zu  lassen.  Vgl.  Mattheson, 
»Der  vollkommene  Kapellmeister«  (Hamburg,  1739)  und  K.  L.  Junker,  »Einige 
der  vornehmsten  Pflichten  eines  Kapellmeisters  oder  Musikdirektors«  (Winter- 
thur,  1782). 

Kapellnmsicus  oder  Kapellist  heisst  im  Allgemeinen  jedes  Mitglied  einer 
Musikkapelle,  Als  auszeichnender  Titel  jedoch  ist  den  Musikern  einer  Hof- 
kapelle meist  der  Name  Hofmusiker  oder  Kammermusiker  beigelegt  worden. 

Kapler,  Karl  Benjamin,  tüchtiger  deutscher  Tonkünstler,  geboren  am 
9.  Aug.  1801  zu  Voigtsdorf  bei  Hirschberg  in  Schlesien,  war  seit  1829  Cautor 
in  Steinau  und  hat,  ausser  einem  Choralbuch  für  Steinau,  von  seiner  Com- 
position den   18,  Psalm  und  die  Cantate  »Preis  ihm«  herausgegeben. 

Kapp,  Christian,  deutscher  Gelehrter,  war  Professor  der  Philosophie  zu 
Erlangen  und  veröffentlichte  1837  ein  Buch  über  Italien,  in  welchem  er  auch 
die  italienische  Musik  behandelt.  —  Von  mehr  Bedeutung  für  die  Musik  ist 
F.  Karl  K.,  ein  fertiger  Ciavier-  und  Orgelspieler,  sowie  tüchtiger  Componist. 
Geboren  1772  zu  Schwansee  in  Thüringen  als  der  Sohn  eines  Schullehrers, 
bildete  er  sich  als  Gymnasiast  und  Chorschüler  in  Erfurt  (seit  1780)  beim 
Musikdirektor  "Weimar  und  bei  dem  damals  berühmten  Clavierspieler  Hässler 
musikalisch  aus.  Um  1795  erhielt  er  die  Stelle  eines  Organisten  an  der  luthe- 
rischen Hauptkirche  zu  Preussisch -Minden  und  veröffentlichte  als  solcher  von 
seiner  Composition  zwei-  und  vierhändige  Ciavierstücke,  besonders  Sonaten, 
Orgelsachen,   Quartette  für  Ciavier  und   Streichinstrumente  u.  s.  w. 

Kappe,  s,  Hut  und  Gedackt,  Dieser  Ausdruck  wird  auch  für  die  an 
den  sich  öffnenden  Enden  der  Balgplatten  einer  Orgel  befindliche  Belederung, 
welche  die  Ecken  der  Hinter-  und   Seitenfalten  bedeckt,  gebraucht, 

Kappeier,  N.,  deutscher  Tonkünstler,  war  um  1650  Mitschüler  Froh- 
berger's  bei  Frescobaldi  in  Rom.  Später,  zur  evangelischen  Kirche  überge- 
gangen, bekleidete  er  das  Amt  eines  Hoforganisten  der  verwittweten  Landgräfin 
von  Hessen-Darmstadt  zu  Husum,  —  Ein  Flötist  und  Guitarrespieler,  Johann 
Nepomuk  K,,  welcher  zu  Anfang  des  19,  Jahrhunderts  lebte,  hat  viele  Com- 
positionen  für  diese  Instrumente  und  für  Violine  veröffentlicht. 

Kaps,  Ernst  (Karl  Wilhelm),  einer  der  bedeutendsten  und  intelligen- 
testen Pianofortebauer  der  Gegenwart,  wurde  am  6.  Decbr.  1826  zu  Döbeln 
im  Königreich  Sachsen  geboren.  Sein  Vater,  bei  welchem  er  das  Tischler- 
handwerk gründlich  erlernte,  hatte  ihm  eine  treffliche  Erziehung  angedeihen 
lassen,  bei  der  auch  die  musikalische  Ausbildung  nicht  versäumt  worden  war. 
Eine  Reise  nach  Kopenhagen  war  maassgebend  für  den  ferneren  Beruf  des 
jungen   K,     Denn    dort    begann    er  in  der  Fabrik  von  Petersen   sich   dem   Cla- 

Miisikal.  Couvers.-Lbxikon.     V,  35 


54G  Kapsberger  —  Kai'ausehek. 

vierl)au  zu  widmen,  ging  darauf  nach  Stockholm  und  dann  nach  Paris,  wo  er 
in  den  Kunstwerkstätteu  von  Herz,  Pleyel  und  Erard  seine  Kenntnisse  be- 
deutend erweiterte.  Hierauf  arbeitete  er  in  Marseille  bei  Boisselot,  in  Neapel, 
Kom  und  Turin,  später  in  Madrid  bei  Larou,  Lissabon  und  London  und  kehrte 
endlich,  an  Erfahrungen  reich ,  nach  Paris  zurück.  Jetzt  durfte  er  es  wagen, 
in  seinem  Vaterlande  sein  aussergewöhnliches  Wissen  und  Talent  zur  Geltung 
zu  bringen,  und  die  künigl.  sächsiche  Regierung  bot  ihm  1859  bereitwilligst 
die  Mittel,  um  in  Dresden  eine  Fabrik  zu  errichten.  Besonders  legte  sich  K. 
auf  den  Flügelbau,  worin  er  von  vornherein  so  Ausgezeichnetes  leistete,  dass 
er  schon  1862  auf  der  Londoner  Weltausstellung  den  zweiten  Preis  davontrug. 
Von  der  Idee  beseelt,  dem  unbequem  gi'ossen  Flügel,  unbeschadet  seiner  Klang- 
fülle und  Tonschönheit,  die  kleinste  Form  zu  geben,  scheute  er  nicht  die  kost- 
spieligsten Versuche,  bis  es  ihm  endlich  1868  gelang,  den  ersten  Miniatur- 
flügel herzustellen,  der  die  Concurrenz  mit  jedem  grösseren  wohl  aushielt.  Der 
Bau  dieser  Art  von  Instrumenten  wurde  nun  eine  Special itilt  der  K.'schen 
Fabrik;  das  eigeuthümliche  Verfahren  aber  bei  der  Construction  und  Bear- 
beitung des  Resonanzbodens,  hauptsächlich  aber  bei  der  Verdichtung  und  Er- 
härtung der  weichen  Fasern  des  Holzes,  wodurch  eben  die  Grösse  und  Schön- 
heit des  Tones  erzielt  wird,  ist  zur  Zeit  noch  Geheimniss  des  Erfinders.  Seit 
dieser  Zeit  hob  sich  das  K.'sche  Geschäft  sehr  schnell,  einestheils  durch  die 
Vervollkommnung  der  Instrumente,  anderntheils  durch  die  Solidität  derselben 
und  durch  die  Reellität  der  Geschäftspraxis  überhaupt.  Im  ,1.  1871  errichtete 
K.  ein  umfangreiches  Fabrikgebäude  in  einer  Vorstadt  Dresdens,  sah  sich  aber 
schon  ein  Jahr  später  geuöthigt,  noch  ein  zweites  zu  schaffen.  Das  Gesammt- 
etablissement  beschäftigt  jetzt  an  300  Ai'beiter,  versendet  wöchentlich  durch- 
schnittlich 15  Flügel  nach  allen  Ei'dtheilen  und  hat  340  bis  350  Instrumente 
stets  gleichzeitig  in  Arbeit.  Die  rastlose  und  erfolgreiche  Thätigkeit  K.'s  für 
die  Hebung  des  Pianofortebaues  hat  auch  ehrenvolle  äussere  Auszeichnungen 
erfahren  durch  erste  Preise  von  verschiedenen  Ausstellungen,  durch  Anerken- 
nungszeugnisse der  berühmtesten  Pianisten  und  durch  Verleihung  des  königl. 
sächsischen  Albrechtsordeus.  Auch  K.  dient  der  aufstrebenden  jüngeren  Gont-- 
ration  zum  schönen  Beispiel  dafür,  wie  sich  ein  unbemittelter  Mann  aus  ein- 
fachen Verhältnissen  durch  die  Kraft  seines  Willens,  durch  Fleiss  und  Betrieb- 
samkeit bis  zur  höchsten  Höhe  seiner  Kunst  emporzuschwingen  vermag. 

Kapsberger,  Johann  Hieronymus,  Virtuose  und  Verbesserer  der  Theorbe, 
sowie  fruchtbarer  Componist,  war  ein  Deutscher  von  Geburt,  lebte  und  wirkte 
aber  von  etwa  1600  bis  1633  in  Rom,  bewundert  als  Vielschreiber  in  allen 
Stylarten  und  gefeiert  als  Lehrer  und  Spieler  der  Theorbe,  welches  Instrument 
er  auch  durch  Bereicherung  und  Verbesserung  der  Tabulatur  zu  einer  un- 
geheuren Verbreitung  brachte.  Dem  Pater  Kircher  half  er  beim  Sammeln  des 
Materials  zur  »Musurgia«  (2  Bde.,  Rom,  1650),  weshalb  ihn  dieser  wohl  auch 
fast  maasslos  lobt  und  selbst  viele  Compositionsproben  K.'s  mittheilt.  In 
diesem  Werke  ist  übrigens  von  K.  als  einem  noch  Lebenden  die  Rede.  Da- 
gegen schildert  ihn  Doni  in  seinem  liDialogus  de  praestantia  musicae  veteris«. 
lib.  1  pag.  98  als  einen  eitlen,  hochmüthigen  Gecken.  Von  seinen  zahlreichen 
Compositionen,  die  Gerber  und  Fetis  nach  den  Titeln  aufführen,  dürften  die 
vielen  Arie  passeggiate  a  voce  sole  mit  Theorbenbegleitung  zum  mindesten  ein 
historisches  Interesse  beanspruchen. 

Karaklausitliyron  (griech.)  nannten  die  alten  Griechen  eine  Nachtmusik, 
die  der  Geliebte  der  Geliebten  brachte.  In  dieser  Art  dürfte  das  K.  völlig 
dem  modernen   Stündchen  oder  der  Serenade  entsprechen. 

Karanscheli,  nach  Anderen  Karasek,  ein  ausgezeichneter  Violoncellist 
der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts,  gestorben  1789,  war  von  etwa  1750 
bis  1760  als  Kammermusiker  in  der  fürstl.  Thurn  und  Taxis'schen  Kapelle  in 
Regensburg  angestellt,  die  er  aber  aus  religiöser  Schwärmerei  verliess,  um 
den    Rest   seines    Lebens    als    Mönch    eines    Karmeliterklosters    zu    verbringen. 


Karelin  —  Karl  der  Grosse.  547 

Von  seinen  Compositionen  sind  Sachen  für  Violoncello,  ausserdem  aber  auch 
Sinfonien,  Stücke  für  Fagott  u.  s.  w.  im  Manuscript  vortheilhaft  bekannt  ge- 
worden. 

Kareliu,  Sila  Dementiewitsch,  russischer  Tonkünstler,  war  1796  als 
Direktor  der  als  ausgezeichnet  anerkannten  Jagdmusik  des  Kammerherrn  Wad- 
kowskoi  in   St.  Petersburg  angestellt.     Weitere  Nachrichten  über  ihn  fehlen. 

Karg-el,  Sixtus,  hervorragender  deutscher  Lautenvirtuose  und  Componist, 
welcher  in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  in  Mainz  lebte,  wo  er 
herausgab:  y>Carmina  italica,  gallica  et  germanica  ludenda  cytliarau.;  -uNova  et 
elegantissima  italica  et  gallica  carmina  pro  testudinea  (Mainz,  1569);  -DRenovata 
cythara,  hoc  est  novi  et  commodissimi  exercendae  cytJtarae  modi,  constantes  can- 
tionihiis  musicis  etc.  ad  tabulaturam  commimem  redactis  etc.a  (Mainz,  1569; 
Augsburg,  1575).  Letzteres  Werk  zählt  ohne  Zweifel  zu  den  ältesten  vor- 
handen gebliebenen   Guitarreschulen   (vgl.  Draudius,  J3ibl.  class.). 

Karger,  Friedrich  Wilhelm  Aloys,  talentvoller  Orgelspieler  und  Com- 
ponist, geboren  1796  zu  Schreckendorf  bei  Landeck  in  Schlesien,  zeichnete 
sich  mit  acht  Jahren,  von  seinem  Vater,  einem  Schullehrer,  unterrichtet,  auf 
der  Orgel  und  Violine  so  aus,  dass  man  ihn  zu  höherer  Ausbildung  nach 
Breslau  schickte,  wo  er  zunächst  Discantist  an  der  Domkirche  wurde.  Unab- 
lässig suchte  er  sich  dort  durch  Frivatstudium  der  Werke  Mozart's,  Albrechts- 
berger's  und  Knecht's  zu  vervollkommnen,  und  bald  fand  auch  er  mit  seinen 
Erstlingswerken  Beifall  und  Anerkennung.  Von  1815  bis  1817  besuchte  er 
das  Schullehrer- Seminar  zu  Schlegel  und  trat  dann  eine  musikalische  Reise 
nach  Wien,  Prag  und  Dresden  an.  Im  J.  1818  erhielt  er  die  Stelle  als  Or- 
ganist an  der  katholischen  Pfarrkirche  zu  Neisse.  Von  seinen  Compositionen, 
bestehend  in  vielen  Messen  und  sonstigen  Kirchenstücken,  Cantaten  und  Ge- 
sängen, Ouvertüren,  einem  Violinconcert,  die  von  Kennern  gelobt  wurden,  ist 
leider  nichts  zur  Veröffentlichung  gelangt. 

Karl  der  Grosse,  König  der  Franken  seit  768,  römischer  Kaiser  von  800 
bis  814,  geboren  am  2.  April  742,  wahrscheinlich  zu  Aachen,  war  der  Sohn 
Pipin  des  Kleinen  und  Enkel  Karl  Martell's.  In  seinem  zwölften  Jahre  schon 
von  Papst  Stephau  IL  mit  seinem  Bruder  Karlmann  zum  künftigen  König 
gesalbt,  trat  er  mit  diesem  nach  Pipin's  Tode  768  die  Regierung  des  Fi-anken- 
reichs  an,  die  er  seit  Karlmann's  Tode,  771,  allein  führte.  Was  K,  als  einer 
der  grössten  Kriegshelden  aller  Zeiten  gethan,  wie  er  mit  unermüdlicher,  selbst 
das  Kleinste  nicht  unbeachtender  Thätigkeit  für  die  rechtliche  Ordnung  und 
für  das  Gedeihen  äusserer  Wohlfahrt  wie  geistiger  Bildung  in  seinem  grossen 
Reiche  gesorgt  hat,  gehört,  auch  wenn  es  nicht  allbekannt  wäre,  nicht  hierher. 
Der  Wissenschaft  und  Kunst  war  er  selbst  eifrig  zugethan,  und  wie  sehr  er 
dem  Gesang  huldigte,  zeigt  seine  Anordnung,  die  alten  deutschen  Heldenlieder 
zu  sammeln,  zu  welchem  Zweck  er  den  hochbeftihigten  Eginhard  an  sich  zog. 
Als  Pflanzstätten  der  Bildung  der  Geistlichkeit  und  des  Volks  wurden  bei  den 
Kathedralen  und  Klöstei'n  im  ganzen  Lande,  sowie  auch  bei  Hofe  Schulen  an- 
gelegt, in  denen  auch  der  Gesang  gepflegt  werden  musste,  für  welchen  K.  auch 
noch  eigene  Anstalten  zu  Metz  und  zu  Soissons  gründete.  Aus  Italien  und 
Griechenland  liess  er  geschickte  und  gelehrte  Männer  kommen,  welche  einträg- 
liche Bisthümer  und  Pfründen  erhielten,  damit  sie  den  Schulen  überall  auf- 
helfen sollten.  Ebenso  erbat  er  sich  vom  Papst  Hadrian  I.  und  erhielt  einige 
italienische  Sänger,  die  den  Gesang  nach  römischer  Art  einrichten  und  ver- 
bessern mussten.  Einer  derselben,  Theodorus,  wurde  an  der  Schule  zu  Metz, 
ein  anderer,  Benedictus,  an  der  zu  Soissons  angestellt,  und  ein  dritter,  Ro- 
manus, soll  die  Singschule  in  St.  Gallen  eingerichtet  und  eine  Abschrift  des 
gregorianischen  Antiphonars  an  den  Stufen  des  dortigen  Klosteraltars  nieder- 
gelegt haben.  K.  selbst  beschloss  sein  thaten-  und  segensreiches  Leben  zu 
Aachen  am  28.  Jan.  814.     Die  dank])are  Pietät   hat   ihm  die   Composition  der 

35* 


548  I^^arl  V.  —  Karl  Eugen. 

alten  Kirchenhymne  » Veni,  creator  Spiritusn  (g  a  g  f  g  c  de)  zugeschrieben, 
welche  noch  heute  auch  in  der  evangelischen  Kirche  mit  dem  Text  »Komm', 
Gott  Schöpfer,  heil'ger  Greista  gesungen  wird. 

Karl  V.,  deutscher  Kaiser  von  1519  bis  1558,  unter  dem  Namen  Carlos  I. 
seit  1516  König  von  Spanien,  geboren  am  24.  Febr.  1500  zu  Gent,  war,  trotz 
seines  durch  Kriege  und  durch  die  ßeligionswirren  von  früh  an  in  Anspruch 
genommenen  Lebens,  den  Wissenschaften  und  der  ernsten  Kunst  treu  ergeben, 
was  er  dadurch  bewies,  dass  er  freiwillig  1555  auf  die  Regierung  Spaniens 
und  1556  auf  die  des  deutschen  Reichs  verzichtete  und  sich  in  ein  Kloster 
bei  Placencia  in  Estremadura  zurückzog.  Dort  verlebte  er  seine  letzten  Tage 
in  frommer  Eeligionsübung  und  mit  mechanischen  Künsten  und  Handarbeiten 
beschäftigt,  bis  er  am  21.  Septbi'.  1558  starb.  Von  seiner  Belesenheit  in  der 
musikalischen  Jjiteratur,  seinem  feinen  Gehör  und  seiner  Musikbildung,  die  ihn 
jeden  Fehler  der  Kirchensänger  bemerken  und  corrigiren  Hessen,  spricht  sein 
Biograph  Prudencio  de  Sandoval  und  nach  diesem  Burney  mit  Bewunderung, 
und  führen  eine  Reihe  von  Vorfällen  an,  bei  denen  dies  zu  Tage  trat.  K. 
war  überhaupt  ein  Mann  von  edlem  Betragen  und  feinen  Sitten,  ernst,  kalt 
und  consequent  in  Ausführung  seiner  weitgehenden  Plane,  also  wohl  befähigt, 
auch  die  Tonkunst  zu  beschützen  und  fördei'n  zu  helfen. 

Karl  VI.,  deutscher  Kaiser  von  1711  bis  1740,  der  Letzte  des  Habs- 
burg'schen  Mannsstarames,  zweiter  Sohn  des  musikkundigen  Kaisers  Leopold  I. 
und  Nachfolger  seines  nicht  minder  kunstfreundlichen  Bruders,  des  Kaisers 
Joseph  I.,  war  am  1.  Oct!)r.  1685  geboren  und  starb  nach  einer  bewegten 
Regierung  am  20.  Octbr.  1740.  Selbst  fertiger  Ciavierspieler  und  mit  musik- 
theoretischen Kenntnissen  begabt,  so  dass  er  sich  nicht  ohne  Glück  in  der 
Composition  von  Ciaviersachen  und  von  Kanons ,  die  er  sehr  liebto ,  versuchen 
konnte,  benutzte  er  jede  Gelegenheit,  um  die  Tonkunst  an  seinem  Hofe  im 
vollen  Prunk  auftreten  zu  lassen.  Er  unterhielt  ein  vorzügliches  Orchester 
und  eine  kostspielige  italienische  Oper,  bei  deren  Aufführungen  er  häufig  selbst 
am  Ciavier  mitwirkte,  und  in  seinen  Diensten  standen  als  Kapellmeister  U.A. 
die  berühmten  Kunstlehrer  Caldara  und  Fux.  Des  Letzteren  Musterlehrbuch 
y>Gradus  ad  JParnassmn  (?/c.«  hat  er  1725  auf  seine  Kosten  herstellen  und  ver- 
öffentlichen lassen.  Die  österreichischen  Staaten,  die  er  bei  seinem  Regierungs- 
antritt in  vollem  Glanz  gefunden  hatte,  hinterliess  er  freilich  in  finanzieller 
Zerrüttung,  da  er  durch  seinen  übermässigen  Aufwand,  durch  hohe  Besoldung 
der  Hofbeamten  u.  dergl.  alle  vorhandenen  Geldmittel  völlig  erschöpfte. 

Karl  Eueren,  Herzog  von  Würtemberg  von  17.'>7  bis  1793,  geboren  am 
11.  Febr.  1728,  folgte  bereits  1737  unter  Vormundschaft  seinem  Vater  in  der 
Regierung,  bis  er  im  16.  Jahre  vom  Kaiser  Karl  VII.  für  volljährig  erklärt 
wurde.  Er  war  ein  Fürst  von  grossen  Geistesanlagen  und,  selbst  fertiger  Cla- 
vierspieler,  für  die  Musik  und  deren  pomphaftes  Auftreten  entflammt.  Aber 
im  (ersten  Feuer  der  Jugend  richtete  er  seine  Kraft  fast  nur  auf  sinnlichen 
Genuss.  Die  Summen,  welche  er  für  Oper,  Bälle,  Jagden,  Reisen  und  an  seine 
Maitressen  verschwendete,  brachten  sein  Land  an  den  Abgrund,  und  der  schänd- 
liche Diensthandel,  den  er,  um  sich  neue  Hülfscjuellen  zu  verschaffen,  einführte, 
zur  Verzweiflung.  Italienisciie  Musiker  und  Sänger  wurden  unter  den  glän- 
zendsten Bedingungen  herangezogen,  ein  Jomelli,  Ferrari,  Nardini,  Lolli,  Aprile 
und  Masi  angestellt,  für  Decorationen  und  Ballet,  welchem  letzteren  Noverre 
und  die  beiden  Vestris  ihr  Talent  widmen  mussten,  Unsummen,  gleichviel, 
woher  genommen,  ausgegeben,  und  dies  in  einer  Zeit,  wo  man  fast  üljerall  in 
Deutschland  derartigen  Luxus  auf  das  Aeusserste  einschränkte  oder  ganz  ab- 
schaffte. Die  Landstände  sahen  sich  endlich  genöthigt,  beim  Kaiser  und  den 
protestantischen  Mächten  Schutz  und  Hülfe  zu  suchen,  und  scliliesslich  brachte 
der  prenssische  Hof  1770  einen  Vergleich  zwischen  dem  Herzog  und  den  Ständen 
zu  Stande.  Von  dieser  Zeit  an  suchte  K.  in  der  That  durch  weise  Beschrän- 
kung   seines  Aufwandes    und    durcli    nützliche    Einrichtungen    die    dem  Lande 


Karl  —  Karne  pharah.  549 

geschlagenen  tiefen  Wunden  zu  heilen.  Auch  Kunst  und  "Wissenschaft  erfuhren 
eine  geordnete  Pflege  und  Förderung,  und  Stuttgart  wurde  der  Sitz  der  treff- 
lichsten deutschen  Künstler.  Er  errichtete  in  der  militärischen  Akademie  zu 
Stuttgart  eine  öffentliche  Musikschule,  aus  der  eine  Reihe  der  ausgezeiclmetsten 
Componisten,  Virtuosen  und  Sänger,  aber  auch  hochgeschätzte  Gelehrte  aller 
wissenschaftlichen  Fächer  hervorgingen,  so  dass  Kaiser  Joseph  II.  diesem,  die 
Karlsschule  genannten  Institute  1781  das  Privilegium  einer  Hochschule  oder 
Universität  ertheilte.  Schon  1768  hatte  der  Herzog  begonnen,  arme  Laudes- 
kinder auf  sein  Lustschloss  Solitude  zu  ziehen,  wo  sie,  je  nach  ihrem  Talent, 
gründlich  unterrichtet  wurden,  die  Musikbegabten  in  der  Tonkunst  und  allen 
Schulfächern,  wofür  sie  sich  verpflichten  mussten,  ihre  Kräfte  dereinst  der  Hof- 
kapelle und  dem  Theater  in  Stuttgart  zu  widmen.  Dies  Institut  wurde  dann 
der  Karlsschule  einverleibt,  und  nach  wenigen  Jahren  hatte  K.  die  Genug- 
thuung,  ein  Theater  und  Orchester  zu  besitzen,  das  fast  nur  aus  ehemaligen 
Zöglingen  dieser  Schule  bestand  und,  unter  Zumsteeg's  Musikdirektion,  seine 
Leistungen  mit  jedem  anderen  Theater  und  Orchester  Deutschlands  messen 
konnte.  Von  seinem  Volke  hochgeehrt,  verlebte  der  Herzog  in  philosophischer 
Ruhe  die  letzten  Jahre  seines  Lebens  auf  dem  Lustschlosse  Hohenheim  und 
starb  am  24.  Octbr.  1793. 

Karl,  Bernhard  Peter,  deutscher  Geistlicher,  geboren  1671  zu  Osna- 
brück, studirte  zu  Rostock  und  wurde  1698  in  seiner  Vaterstadt  Prediger, 
dieses  Amtes  aber  1702  wegen  angeblicher  Irrlehren  entsetzt.  Nachdem  er 
hierauf  privatisirt  hatte,  wurde  er  zu  Essen,  darauf  zu  Eggelingen  Predigei", 
wo  er  am  9.  Juli  1723  starb.  Von  seinen  Schriften  gehört  hierher:  nDe  Ger- 
mania, artihus  litcrisque  nulli  secundav^  (Rostock,  1698). 

Karl,  Johann  Gottlieb,  deutscher  Tonkünstler,  geboren  am  14.  Juli 
1780  zu  Greibig,  wirkte  als  Organist  in  Döbeln  und  gab  1830  eine  Anleitung 
zum   Ciavierspielen  heraus. 

Kai'iia  nennen  die  Inder  eines  ihrer  regelmässigen  Rhythmuszeichen  0  0  0  0, 

welches     durch    Noten:     G— ,• — ,• — P — f —    wiederzugeben  wäre.  —  Auch  ist  K. 

der  Name  einer  indischen  Flöte,  welche  zu  den  Tänzen  der  Bajaderen  ge- 
blasen wird.  0. 

Karuati,  die  Benennung  einer  der  Nymphen,  welche  kleine  Leidenschaften 
versinnbildlichen,  ist  in  der  indischen  Musik  der  Name  einer  Ragini  (s.  d.), 
die  der  Raga  (s.  d.)  Dipaca  (s.  d.)  untergeordnet  ist  und  die  folgende 
Klänge  in  ihren  Melodien  verwerthet: 


sa     X^    ga     ma    pa     X     ni 

T 

Ferner  ist  noch  mitzutheilen,  dass  man  in  der  in  Sanscrit  geschriebenen  Stln- 
gita  Narayäna  eine  unseren  Kirch entonarten  (s.  d.)  gleiche  Touartenauf- 
stellung  der  alten  Inder  findet  und  in  derselben  für  eine  den  Namen  K.  Diese 
Tonart,  für  gewöhnlich  Desi  (s.  d.)  genannt,  fing  an  und  endigte  mit  dem 
siebenten   Scalaton  ni  (s.  d.)  und  besass  alle  Tonstufen.  0. 

Karneia  oder  Karnia  (griech.),  auch  germanisirt  Kameen  genannt,  hiess 
ein  neuntägiges  Fest  der  alten  Lacedämonier,  das  um  die  25.  Olympiade  dem 
Apollon  zu  Ehren  festgesetzt,  in  Sparta  abgehalten  und  durch  Stieropfer  und 
kriegerische  Siugtänze  gefeiert  wurde.  Terpander  aus  Lesbos  war  der  Erste, 
der  in  den  damit  verbundenen  musikalischen   Wettstreiten  den  Preis  errang. 

Karue  pharah,  tTpL  3"1p,    heisst   beistehendes  hebräisches  Notationszeichen 

^    (Accent),  welches  von  den  orientalischen  Israeliten  als  Aufzeiclinung  folgen- 


550 


Karow. 


der    Tonphrase: 


^ 


— I- 
-a — a- 


J^ilz^: 


3?^ 


EEtg^^ES 


-ps- 


angesehen  wird.    Kircher 


wie    Guarin    geben    diesem    Accent    eine    hiervon    sehr    abweichende    Deutung, 
indem    sie    behaupten,    die  Ausführung    der  K.  der  europäischen  Juden  aufge- 


zeichnet   zu   haben ; 


— — e — fi=> — s — — - — ^ — tj — I 

-TT. -^  

es~~  


Noch  anders 


giebt  Bartolocci  in  seiner  y>BibliotJieca  magna  ralhinicaa  p.  4  fol.  440  diese,  wie 


sie  die  italienischen  Hebräer  in  Gebrauch  haben:  E^f|— ^-p: 


■i 


und  bemerkt  in  demselben  Wei'ke  fol.  439,   dass  die  spanischen  Juden  die  K. 

noch    anders:    -^F^«^-— ^— |f — ^~*f — F~"|]  darstellen,  während  er  ebenda  foL  429 

bemerkt,  dass  sonst  die  Kircher'sche  Angabe  die  richtige,  Nathan,  der  uns 
die  Ueberlieferung,  oder  die  als  solche  betrachtete,  der  englischen  Juden  auf- 
gezeichnet hat,  giebt  als  K.  folgende  Melodie: 


Man  ersieht  aus  dieser  vielfach  anders  gestalteten  Melodie,  von  der  jeder  Volks- 
zweig bekauptet,  dass  dieselbe  uralt  und  ihm  durch  Ueberlieferung  geworden 
sei,  dass  nach  der  Zerstreuung  des  Volkes  der  Hebräer  wohl  schwerlich  noch 
irgendwo  eine  sich  rein  erhalten  habende  Melodie  aus  der  Blütliezeit  sich  vor- 
finden wird,  wie  näher  in  dem  Artikel  Hebräische  Musik  (s.  d.)  be- 
leuchtet worden  ist.  0. 

Karow,  Karl,  verdienstvoller  Förderer  des  deutschen  Schul-  und  Volks- 
gesanges, geboren  am  15.  Novbr.  1790  zu  Alt- Stettin,  erhielt  durch  seinen 
Vater,  einen  Kaufmann,  eine  tüchtige  Schulbildung,  zu  der  sich  ziemlich  spät 
etwas  Violinspiel  gesellte.  Achtzehn  Jahre  alt,  begann  er  beim  Musikdirektor 
Haak  auch  Ciavier-  und  Orgelspiel,  sowie  Harmonielehre  zu  treiben.  In  diese 
Zeit  fallen  auch  seine  ersten  Compositionsversuche  (Ciaviersonaten,  Lieder 
u.  s.  w.).  Seine  weiteren  Studien  unterbrachen  die  deutschen  Freiheitskriege, 
die  er  als  freiwilliger  Jäger  des  Regiments  Colberg  mitmachte.  Nach  abge- 
schlossenem Frieden  begab  sich  K,  nach  Berlin,  wo  er  von  Ludw.  Berger  noch 
einigen  Unterricht  auf  dem  Pianoforte  und  von  Zelter  in  der  Composition  er- 
hielt. Im  J.  1818  wurde  er  als  Oberlehrer  der  Musik  an  das  Schullehrer- 
Seminar  in  Bunzlau  berufen  und  wirkte  in  dieser  Stellung  höchst  ehrenvoll. 
Die  von  ihm  herausgegebenen  ein-  und  mehrstimmigen  Lieder  zeichnen  sich 
durch  praktische  Brauchbarkeit  aus;  ausserdem  hat  man  von  ihm  einen  »Leit- 
faden zum  praktisch-methodischen  Unterricht  im  Gesänge,  vornehmlich  in  Volks- 
schulen« u.  s.  w.  Sehr  tüchtig  und  verdienstvoll  sind  auch  seine  172  Orgel- 
vorspiele.    Er  starb  am  20.  Decbr.  1863  zu  Bunzlau. 


Verzeichniss 

der  im  fünften  Bande  enthaltenen  Artikel. 


Harmonielehre  Seite  1. 

Harmoniemotiv  16. 

Harmouiemiisik  17. 

Harmonieprineip  19. 

Harmonieschluss  s.  Har- 
monische Cadenz  20. 

Harmouieschritt   20. 

Harmoniespiel  s.  Flageolct 
21. 

Harmoniesprung  s.  Har- 
moniecnsprung  21. 

Harmoniesj-stem  oder  Sy- 
stem der  Harmonie  21. 

Harmonieverbindung  53. 

Harmonie  versehiebungeu 
53. 

Harmoniewechsel  51'. 

Harmoniflüte  51. 

Harmonik  54. 

Harmonik  s.  Flageolettöne 
55. 

Harmonika  s.Harmonica  55. 

Harnionlker  s.  Harmonici 
55. 

Harmoniphon  55. 

Harmonisch  55. 

Harmonische  Addition  s. 
Addition  55. 

Harmonische  Anlage  55. 

Harmonische  Ausweichung 
55. 

Harmonisehe  Begleitung  s. 
Begleitung  55. 

Harmonische  Bewegung  55. 

Harmonische  Brechung  55. 

Harmonische  Cadenz  56. 

Harmonisehe  Dissonanzen 
s.  Consonanz  und  Disso- 
nanz 56. 

Harmonische  Fortschrei- 
tung 56. 

Harmonische  Grundlage  56. 

Harmonische  Härten  56. 

Harmonische  Hand  S.Guido 
von  Arezzo  56. 

Harmonische  Mehrdeutig- 
keit 56. 

Harmonische  Modulation 
56. 

Harmonische  Molltonleiter 
56. 

Harmonische  Multiplica- 
tion  57. 

Harmonische  Nebennoten 
57. 

Harmonische  Obertöne  s. 
Obertöne, Partialtöueund 
Akustik  58. 

Harmonische  Progression 
58. 

Harmonische  Proportion 
58. 

HarmonischerDreiklaug  58. 

Harmonische  Ecehnuiips- 
aitcn  5a. 


Harmonische  Reihe  s.  Har- 
monisehe Sequenz  Seite 
5S. 

Harmonischer  Gehalt  58. 

Harmonische    Rückung    s. 
Harmonie  Verschiebung 
58. 

Harmonische  Sequenz  58. 

Harmonisches  Intervall  59. 

Harmonische  Subtraktion 
59. 

Harmonische  Theilung  der 
Intervalle  s.  Kanonikuud 
Theilung  der  Intervalle 
59. 

Harmonische  Theilung  der 
Verhältnisse   59. 

Harmonisehe  Tonleiter  60. 

HarmonischeTrausposition 
der  Verhältnisse  s.  Trans- 
position 60. 

Harmonische  Verbindung 
der  Verhältnisse  s.  A'cr- 
bindung  00. 

Harmonische  Vergleichung 
60. 

Harmonische  Verwandt- 
schaft der  Klänge  61. 

Harmonische  Zergliede- 
rung 63. 

Harmonium  63. 

Harmonisiren  07. 

Harmonisirung  67. 

Harmonius  67. 

Harmonometer  67. 

Harnisch,  Johann  Jacob  67. 

Harnisch,  Otto  Siegfried  07. 

Harold  67. 

Harold  67. 

Harpa  s.  Harfe  68. 

Harpe,  la  68. 

Harpe,  la  68. 

Harpeggiatur  s.  Arpeggio 
68. 

Harper,  Thoraas  68. 

Harper,  Thomas   68. 

Harper,  Charles  68. 

Harper,  Edmund  68. 

Harpic-hord  s.  Arpichord  68. 

Harpinella  68. 

Harpsichord  68. 

Harrcr,  Gottlob  68. 

Harriers-Wippern, Louise  s. 
Wipperu  69. 

Harries,  Heinrieh   69. 

Harrington  69. 

Harrington,  John  69. 

Harrington,  Dr.  John  of 
Bath  6!). 

Harrington  09. 

Harris  69. 

Harris,  llenatus  69. 

Harris,  John  69. 

Harris,  Augiistus  69. 

Harris,  Jacob  09. 


Harris,  Joseph  Seite  70. 

Harris,  Joseph  Johann  70. 

Harris,  JosepÜ  Macdonald 
70. 

Harrison,  John  70. 

Harrison,  Robert  70. 

Harrison,  William  70. 

Harrys,  Georg  70. 

Harsch,  Graf  von  70. 

Harsley,  William  70. 

Harson,  Johann  Samuel  70. 

Hart  70. 

Hart,  James  71. 

Hart,  Philipp  71. 

Hart,  Joseph  71. 

Hartig  71. 

Hartig,  Graf  Franz  von  71. 

Hartig.Graf  Ludwig  von  72. 

Hartig,  Franz  Chiistian  72. 

Hartig,  Johanna  72. 

Hartkäs,  Fr.  Wilhelm  72, 

Hartknoch,  Karl  Eduard  72. 

llartmann  von  Aue  72. 

Hartmann  von  Aue,  Chri- 
stoph Heinrieh  73. 

Hartmann,  Franz  73. 

Hartmann,  Friedrieh  73. 

Hartmann,  Heinrich  73. 

Hartmann, Heinrich  August 
Ferdinand  73. 

Hartmann,  Johann  74. 

Hartmann,  August  Wilhelm 
74. 

Hartmann,  Johann  Peter 
Emil  74. 

Hartmann,  Johann  Gott- 
fried Henning  75. 

Hartmanu,  Johann  Samuel 
76. 

Hartmann,  Karoline  76. 

Hartmann,  Matthias  76.    • 

Hartmann,  Michael  76. 

Hartmann,  Simon  76. 

Hartog,  Eduard  de  76. 

Hartong  76. 

Härtung  s.  Müller-Hartung 
77. 

Härtung,  A.  L.  77. 

Härtung,  H.  A.  77. 

Härtung,  Carl  August  77. 

Härtung,  Johann  Michael 
77. 

Härtung,  Michael  77. 

Hartverniiuderter  Drei- 
klaug  77. 

Hartwig,  Karl   77. 

Hasäus,  Jacob  s.  Hase  77. 

Haschka,  Lorenz  Leopold 
77. 

Hase,  Georg  77. 

Hase,  Jacob  78. 

Hase,  Julie  78. 

Hase,  Wolfgaug  78. 

Hasenbalg,  Johann  Fried- 
rich 78. 


Hasenbalg,  Caroline   Seite 
78. 

Hasenbalg,  Hermine  78. 

Hasenknopft",  Sebastian  78. 

Haserodt  78. 

Haserodt,  Johann  Andreas 
78. 

Hasert,  Johann  78. 

Hasert,  Rudolph  79. 

Ilasius,  Johann  Matthias  80. 

Hasler,  Dominicus  80. 

Hasler,  Isaac  80. 

Hasler,  Johann  Leonhard 
80. 

Hasler,  Hans  Leo  von  80. 

Hasler,  Jacob  81. 

Hasler,  Caspar  81. 

Haslinger  81. 

Haslinger,   Tobias  81. 

Haslinger,  Karl  81. 

Haslinger,  Josephine  82. 

Hasse  82. 

Hasse,  Johann  Adolph  82. 

Hasse,  Franz  Xaver  82. 

Hasse,  Gustav  82. 

Hasse,  Nicolaus  82. 

Hasse,  Peter  82. 

Hasse,  Johann  Adolph  82. 

Hasselbeck  90. 

Hasselt,  Anna  Marie  Wil- 
helmine 90. 

Hassler  s.  Hasler  90. 

Hassloch,  Christiane  Mag- 
dalene  Elisabeth  90. 

Hassloch  90. 

Hasse  90. 

Hatamo  s.  Kabaro  91. 

Hattasch,  Disma  91. 

Hattasch,  Anna  Francisca 
91. 

Hattasch,    Heinrich    Chri- 
stoph 91. 

Hatter,  Wilhelm  Ferdinand 
91. 

Hatton,  J.  L.  91. 

Hatzfeld  91. 

Hatzfeld,  August  von  91. 

Hatzfeld,  Hugo  von  91. 

Hatzfeld,  Grään  von  91. 

Haube  s.  Hut  91. 

Hauch  s.  Vocal  91. 

Hauch,  Adam  Wilhelm  von 
91. 

Hauch,  Johann  Carsten  von 
91. 

Hauck  s.Hauguud  Hauk91. 

Hauck  91. 

Hauck,  Karl  91. 

Hauck,  Wenzislaus  92. 

Haudeek,  Karl  92. 

Haudeek,  Joscjib  92. 

Haudimont,  Abbö  Etienne 
Pierre,  Meunier  d'  92. 

Haudimont,  Joseph,  Meu- 
nier d'  92. 


552 


Verzeiclmiss  der  im  iünften  Bande  enthaltenen  Artikel. 


Haudonvillc,  Adrieu  Henri 
Seite  92. 

Haue  93. 

Haueisen,  W.  N.  93. 

Haueiseu,  F.  Karl  93. 

Hauer,  Ernst  93. 

Hauer,  llcrrmaim  93. 

Hauer,  Karl  93. 

HaulV,  Johann  Christian  91. 

Hauir,  Wilhelm  Gottlieb  91. 

Ilaup,   Friedrich  91. 

Haufr,  Virgilius  94. 

Hauk,  Minnie  94. 

Uaumann,  Theodor  95. 

llaun,  Johann  Ernst  Chri- 
stian 96. 

Haupt  96. 

Haupt,  Karl  August  96. 

Haupt,  I,eopold  96. 

Haupt,  Jloritz   96. 

Hauptabsatz  s.  Absatz  96. 

Hauptaccent  96. 

Hauptaocord  oder  Haupt- 
harmonieu  97. 

Hauptcadeuz  s.  Cadenz  97. 

Uauptcanal  97. 

llauptolavier.llauptnianual 
oder  llaupttastatur  97. 

Hauptdreiklänge  s.  Haupt- 
aofordc  98. 

Hauptformen  98. 

Hauptfortsohreitungen  98. 

Hauptgedanken  98. 

Hauptgesang  s.  Hauptme- 
lodie 98. 

Hauptgrade  d.  Tempo  s. 
Tempo  98. 

llauptintervalle  98. 

Hauptladc  oderHauptwind- 
lade  98. 

Hauptlagen  s.  l.agen  98. 

Hauptleiter  oder  llaupt- 
tonleiter  s.  Normalleiicr 
oder  Stammtonleiter  98. 

Hauptmann,  Lorenz  98. 

Hauptmann,  Moritz  99. 

Hauptmann,  .Johann  Gott- 
lob 99. 

Hauptmann,  Louise  Salomc 
99. 

Hauptmann,  SuseUe  100. 

Hauptnianual  s.  Hauptcia- 
vier  101. 

Hauptmelodic  101. 

Hauptmotiv  101. 

Hauptner,  Tui.skon  101. 

Hauptnoten  102. 

Hauptpartie  102. 

Hauptprineipal  102. 

Hauptprobe  s. Generalprobe 
und  Probe  102. 

Hauptregister  s.  Grund- 
stimmen 102. 

Hauptsänger  102. 

Hauptsatz  s.  Thema  102. 

Hauptsehluss  s.  Finalca 
dcnz  102. 

HauptHeptimc  103. 

Hauptseptimcnaecord  103. 

Hauptseptimenliarmonic 
103. 

Hauptsperrventil  103. 

Ilauptstimme,  Hauptnielo- 
die  oder  Hauptgesang 
105. 

llauplstinimgattung  oder 
Ilauptstimme  109. 

Hauptstück, Hauptsatz  oder 
Haupttheil   109. 

Hauptstufen  109. 

Haupttacttheil  s.  Haupt- 
theil  109. 

Haupttactzeit  s.  Hauptthcil 
109. 

Haupttastatur  s.  Hauptcla- 

vier  109. 
Haupttheil  109. 


Hauptthenia,  Hauptsubjcctj 

oder  Hauptsatz  Seite  109 
Hauptton  109. 
Haupttonart  110. 
Hauptventil  s.  Orgel  110. 
Hauptventilfeder  lio. 
Haupt  ventilöllnung  110. 
Hauiitwcllenbrett  110. 
Hauptwerk  110, 
Hauptwindlade    s.    Haupt' 

lade  110. 
Hauptzeit  oder  Haujittact 

zeit  s.  Hauptthcil  110. 
Haus,  Doris  110. 
Hauschild,  Ernst  111. 
Hauschka,  Vincenz  111. 
Hausdörfer  111. 
Hausdörfer  111. 
Hause,  Weneislaus  111. 
Hausen    s.    Friedrich    von 

Hausen  111. 
Hausen,  .Tohann  111. 
Hausen,  Wilhelm  112. 
Hauser,  Franz  112. 
Hauser,  Joseph  114. 
Hauser,  Moritz  114. 
Hauser,Michael(Miska)  114. 
Häuser,  Nathalio  115. 
Hauser,  Uricl  115. 
Hausius,  Carl  Gottlob  115. 
llauska  s.  Hauschka  115. 
Hausmann,  Hauslcute  115. 
Hausmann  115. 
Hausmann,  Valentin  115. 
Hausmann,  Valentin  115. 
Hausmann,  Valentin  115. 
Hausmann,  Valentin  115. 
Hausmann,     Valentin   Bar- 

tholomiius  116. 
Hausorgel   s.  Zimmerorgel 

116. 
Hausso  116. 
Hautbois  s.  Oboe  116. 
Hautboist  116. 
Hautbois  d'amour  116. 
Ifaut-dessus  116. 
Haut-dessus  oder  Premier- 

dcssus  116. 
Ilaut-contre  116. 
Haut-Fcuille,  Jean  de  110. 
llaut-taille  116. 
Ilautcterre  s.lIotteterrcllO. 
Ilautin  odcrHoniltin,Picrvc 

116. 
Hautmann  117. 
llauuil, Adrian  oderAntoinc 

de  117. 
Havcmann,  Johann  117. 
llavinga    oder    Havingha, 

Gerhard  117. 
Hawdon  117. 
Hawcs,  William  117. 
Hawi  117. 

Hawkins,  Sir  John  117. 
Hawksbee,  Francis  118. 
llayden,  George  118. 
Haydenstam,  von  118. 
Haydn  oder  Hayden  s.  Hcy- 

dcn  118. 
Haydn,  Joseph  118. 
Haydn,  Michael  134. 
Hayes,  William  136. 
Haycs,  Philipp  130. 
Haym  136. 
Haym,  Johann  136. 
Havm   oder  Haim  s.  Aimo 

136. 
Hayn.FriedrichGoltlob  136 
Hayne  s.  Heyne  137. 
Hayne  oder  Heine,  Gottlob 

137. 
Haynil,  Eaudouiu  137. 
H-dur  137. 

Hcad,  Francis  A.  138. 
Heather  s.  Hcvther  139. 
Hebden,  John  138. 
Hcbelius,  Samuel  139. 


Hcbcn8treit,PantaleonSeite 

139. 
Hebenstreit,    Sophie    Wil- 
helmine 139. 
Hebenstreit  139. 
Heberic,  A.  139. 
H^bert-Turbry  s.Turbryl39. 
Hebräer  139. 
Hecht,  Eduard  168. 
Heck  168. 
Heekel,   Johann   Christian 

168. 
Heekel,  Johann  Chr.  168.     \ 
Heekel,  Karl  Ferdinand  lG9.i 
Heekel,  Emil  169.  ! 

Heekel,  Wohlfen  169, 
Heekenauer,  Johann  169. 
Hecker,  A.  J.  169. 
Hcckcr,    Justus    Friedrich 

Karl  169. 
Heckmann,    (ieorg    Julius 

Robert  109. 
Heckmann,  Marie  170. 
Hec(iuct,     Charles    Joseph 

Gustave  170. 
Hcdcricus  oder  Helperieus 

170. 
Hedjaz  s.  Hogaz  170. 
lledluf,  Heinricli  Gottfried 

170. 
Hedwig,  Johann  Tiuca  170. 
Hddouin,  Pierre  170. 
Hedicomos  171. 
Heegman,  Alphons  171. 
Heeren,   Arnold    Hermann 

Ludwig  171. 
Hcorhorn   171. 
Hecringen,  Ernst  von  171. 
Heermanu,  Hugo  171. 
lleeriiauken  172. 
Heerpauker  172. 
Heertrommel  172. 
Hecrwagcn,    Friedr.    Ferd. 

Traugott  172. 
Hellclracycr  s.  Höffelmayer 

173. 
llegar,  Friedrich  173. 
Hogar,  Emil  173. 
Heibergcr,  Joseph  173. 
Heidegger,    Johann    Hein 

rieh  173. 
Heiden,  Sebastian  s.IIeyden 

173. 
Hcidenreieh,   David    Elias 

173. 
Heidenreieh,  Friedrich  173. 
Heidenreich,   Georg    Chri- 
stoph 173. 
Heidenreich,  Karl  Heinrieh 

173. 
Heidfeld,  Johann  174. 
Heigeudorf,   Karoline    von 

s.  Jagemann  174. 
Heiland  174. 
Heilig  s.  Sanetus  174. 
Heiliger  174. 
Hcilniann,  Joseph  174. 
Heilmann,  M.  174. 
llcimbrodt,   Johann   Seba- 
stian 174. 
Heindl  174. 
Heine  s.  Heyne  174. 
Hcineeke,  Johann  Emanuel 

174. 
Heinefelter  174. 
Heinefetter,  Sabine  174. 
Heinefetter,  Kathinka  175. 
Heinefetter,  Clara  175. 
Heinefetter,  Eva  17,5. 
Heinefetter,  Fatime  175. 
Heinefetter,  Nanettc  175. 
Heinefetter,  Sophie  175. 
Heineckc,  Karl  175. 
Heineken,  Nicolas  175. 
Heinemann,  Tilarcus  175. 
Heinemann,  Jenny  175. 
Hciuemeycr,  Christian  175 


Heineraeycr,  Ernst  Wilhelm 

Seite  175. 
Heinert,  C.  A.  176. 
Heinichen,   Johann   David 

176. 
Heinicke,  Christoph  176. 
Heinlein,  Paul  176. 
Heinrich  VI.  177. 
Heinrieh  I.  177. 
Heinrich  III.  177. 
Heinrich  VI  11.  177. 
Heinrich  IV.  177. 
Heinrich  von  Linouwc  177. 
Heinvieh    von    Meisseu    s. 

Frauenlob  177. 
Heinrich  vonMorungcnl77. 
Heinrich  von  Miiglin  178. 
Heinrich  von   Ofterdingen 

178. 
Heinrieh  von  der  Rücke  178. 
Heinrich  von  Veldeck   178. 
Heinrich,  Johann  Gottfried 

178. 
Heinrich,  Wilhelm  178. 
Heinrichs,   Anton    Philipp 

178. 
Heinrichs,  JohannChristian 

179. 
Heinrici  s.  Ilcnrici  179. 
Heinroth,  Christoph  Gott- 
lieb 179. 
Heinroth,  Gottlieb  179. 
Heinroth,   Johann   August 

Günther  179. 
Heinroth,  Francisea  180. 
Heins,  J.  J.  180. 
Heinsc,  Johann  Jacob  Wil- 
helm ISO. 
Heinsen,*Johann  180. 
Hcinsius,  Clara  180. 
Heinsius,  Ernst  180. 
Heinsius,  Martin  180. 
Hcintz,  Albert  180. 
Hcintz,  Wolfgang  181. 
lleintzelmann,  Johann  181. 
Heinz,  August  llumbert  181. 
Heinzc  s.  Häntze  181. 
Heinze,  Gustav  181. 
Heinze,  Gustav  Moritz  181. 
Heinze,  Sara  181. 
Heinze,  GustavAdolph  181. 
Heinze,  Ferdinand  181. 
Heinze-Berg,  Henriette  182. 
Heinschkel,  Johann  Jacob 

183. 
Heiser,  August  183. 
Heiser,  Wilhelm  183. 
Heiserkeit  183. 
lleisius,  Kaspar  184. 
Heissler,  Karl  184. 
'Jelbig,  Gottfried  184. 
llelbig.  Gottlob  181. 
Held,  August  184. 
Held,  Bruno  184. 
Held,  Johann  Thcobald  184. 
Held,  Jacob  184. 
Heldcr,  Bartholomäus  184. 
Helder,  Johann  181. 
Heldius,  Jcremias  185. 
HMe,  Georges  de  la  185. 
Helene  Paulowna  185. 
Helfer,  Charles  d'  185. 
Helfer,     Friedrich    August 

185. 
Helia,  Camillo  185. 
Helia,  Vittorio  di  185. 
Helicon  185. 
Hell  186. 
Hellbacb,  Johann  Andreas 

186. 
Hellcbrand,  Johann  186. 
Heller,  Ferdinand  186. 
Heller,  Stephen  186. 
Hellingk,  Lupus  188. 
Hellingwarf,  Peter  188. 
llellmanu,    Johann    Adam 

Maximilian  188. 


Verzeichniss  der  im  fünften  Bande  enthalteneu  Artikel. 


553 


Hellmesberger  Seite  1S8.      ! 

Hellmesberger,  Georg  188. 

Hellmesberger,  Georg  188. 

Hellmich,  Karl  189. 

Hellmich,  Wilhelm  189. 

Hellmuth,  Friedrich  189. 

Hellmuth,  Karl  189. 

Hellmuth,     Franziska     Jo- 
sephs 189. 

Uellpfeife  100. 

Hcllwaag,  Christoph  Fried- 
rich 190. 

Hellwig,    (Karl    Friedrieh) 
Ludwig  190. 

Helmböcker,  Cornelius  190. 

Helmbold,  Ludwig  190. 

Hclmbrccht,     Christian 
Friedrich  Frauz  190. 

llehner,  Karl  H'l. 

Heimholt/,,  Karl  191. 

Hclmholtz,Hermann(Ludw. 
Ferd.)  191. 

Hehnond,    Christian   Gott- 
fried 193. 

llclinoiit,    Adricn     Joseph 
van  192. 

Heiner,  Johann  192. 

llelpcricus  s.  Hedericus  192. 

Helt,  Hcintz  192. 

Helwig,  Johann  Friedrich 
192. 

Helwig,  Joseph  192. 

Heriiberger,  Johann  August 
192. 

Hcmesius,  Nathan  192. 

Hemidiapeute  192. 

Hcmiolie  192. 

Hemitonium  193. 

Hemmel,  Siegismund  193. 

Hemmerlein,  Johann  Nico- 
laus 193. 

Hemmerlein,  Joseph  193. 

Hemniis,  Franz  193. 

Hemmkeile,      Hemmklütze 
193. 

Hemmstifte   s.   Hemmkeile 
19-1, 

Hempel,    Georg    Chribtoph 
194. 

Hempel,  Kail  Wilhelm  194. 

Hempsou  194. 

Hendekasyllaben  19-4. 

Henfling,  Konrad  191. 

Henkel  194. 

Henkel,  Georg  Andreas  195 

Henkel,  Heinrich  195. 

Henneberg,  Johann  Baptist 
195. 

Henner,  Freiherr  von  19ß. 

Hennes,  (Go8win)Aloysl96. 

Hennes,  Theresc  196. 

Hennig,  Christian  Friedrich 
196. 

Hennig,  Karl  196. 

Hennig,  Karl  196. 

Hennig,  Rudolph  196. 

Hcnnigk,    Heinrich    Julius 
197. 

Henning,  Christian  197. 

Henning,  Karl  197. 

Henning,  KarlWilhelm  197. 

Henning,  Herrmann  197. 

Henning,  Albert  197. 
Henning  198. 
Henning,  Wilhelm  198. 
Henningsen,  Magnus  Peter 

198. 
Henningsen,  Joachim  198. 
Henri,  Paul  Emil  198. 
Henrici,  Heinrich  198. 
Henricus  s.  Heinrich  198. 
Hcnrion,  Paul  198. 
Henry,  P.onaveuture  198. 
Henry,  Buonaventure  198. 
Henschel,  Georg  198. 
Henschcl,  Johann  Abraham 
199. 


Hensel,  Fanny  s.  Mendels- 
sohn-Bartboldy  Seite  199. 

Hensel,  Gottlob  199. 

Hensel,  Johann  Daniel  199. 

Heuselt,  Adolph  199. 

Henstridge,  Daniel  201. 

Hentschel,  Ernst  Julius  201. 

Hentschel,  Franz  201. 

Hentschel,  Theodor  201. 

Henyk  202. 

Hepp,  Sixtus  202. 

Heptachordum  202. 

Herabstrich  odcrlleruntcr- 
strich  202. 

Heraklides  203. 

Herault,  Jean  Louis  203. 

Herault,  Palmyre  203. 

Ilerbain,  Chevalier  d'  203. 

llerbart,  Johann  Friedrich 
203. 

Herbeck,  Johann  204. 

Herbenus,  Matthäus  205. 

Herberth,  Robert  205. 

Herbin,  Chevalier  d'  s.  Her- 
bain  205. 

Herbin,    Auguste    Fran(,'ois 
Jullien  205. 

Herbing,  August  Bernhard 
Valentin  205. 

Herbinius,  Johann  205. 

Herbinus,  Johann  205. 

Herbst  205. 

Herbst,  Heinrich  205. 

Herbst,   Johann    Gottfried 
206. 

Herbst,  JohannAndreas  206. 

Herbst,   Johann    Friedrich 
Wilhelm  206. 

Herbst,  Michael  206. 

Herder,   Johann    Gottfried 
von  206. 

Herdliska,  Henri  207. 

Heredia,  Piedro  207. 

Heremita  s.  Eremita  207. 

Herfurth,  Rudolph  207. 

Herigerus  207. 

Hering,  Alexander  207. 

Hering,      Karl      (Friedrich 
August)  208. 

Hering,  Karl  Gottlieb  208 

Hering,  Karl  Eduard  209. 

Häritier,  Jean  1'  209. 

Hermann  209. 

Hermann  209. 

Hermann,  Johann  210. 

Hermann,   Christian    Gott- 
fried 210. 

Hermann,  Constanz  210. 

Hermann,  Friedrich  210. 

Hermann,  Jacob  210. 

Hermann,    Johann    David 
210. 

Hermann,     Johann     Gott- 
fried Jacob  211. 

Hermann,  Nicolas  211. 

Hermann  der  Damen  211. 

Hermes  s.  Mercurius  211. 

Hermes,   Hermann    Daniel 

211. 
Hermes,    Johann     Thimo- 
theus  211. 

Hermstedt,  Johann  Simon 
211. 

Hero  212. 

Hero,  Hippolyt  212. 
Heroide  212. 
Heroique  212. 
Herold,  Franz  Joseph  212. 
Hörold,  Louis  Joseph  Fer- 
dinand 212. 
Heroux,  Frauz  214. 
Heroux,  Karl  August  214. 
Herpol,  Hom.  214. 
Herr,  Johann  Georg  214. 
Herrmann,  Christian  Gott- 

helf  214. 
Herrmann,  Heinrich  214. 


Herrraaun,   Wilhelm 

214. 
Herrmanu,  Gottfried  214. 
Herrmaun,  Karl  214. 
Herrraann,    Karl  Friedrich 

215. 
Hersehcl.FricdrichWilhclm 

215. 
Herschel,FriedrichWilhclm 

216. 
Herschel,  Jacob  216. 
Herschel,  Alexander  216. 
Herschel,  Karoline  216. 
Herstell,  Karl  216. 
Herstell,  Adolph  216. 
Herstrich  217. 
Hertel,    Johann    Christian 

217. 
Hertel, JohanuWilhelm  218, 
Hertel,  Karl  218. 
Hertel,  Peter  Ludwig  218. 
Hertel,  Mathäus  218. 
Hertel,  Christian  218. 
Hertenstein, Dietrich  Danio 

219. 
Herthcr,  F.  219. 
Hertwig,  Marie  s.Hcckmanii 

219. 
Hertz,  Michael  219. 
Hertzberg,     Rudolph     von 

219. 
Herunterstrich    s.    Herab- 

strioh  219. 
Hervö  219. 

Hervelois,  Caix  de  219. 
Herz,  H.  219. 

Herz,  Heinrich  (Henri)  220. 
Herz,  Jacques  Simon  220. 
Herzberg,  Anton  220. 
Herzberg,Martin  Jacob  221. 
Herzberg,  Wilhelm  221. 
Herzberg,  August  221. 
Her"og,  Johann  Georg  221. 
Herzogenberg,       Heinrich 

von  222. 
Hes  222. 

Hesdin,  Pierre  222. 
Hesedschi  222. 
Hesletine,  James  222. 
Hesliug,  Quirinus  222. 
Hespel,  Homer  223. 
Hess  222. 

Hess,  Hans  Heinrich  222. 
Hess,  Joachim  222. 
Hess,  Michael  223. 
Hesse  von  Strassburg  222. 
Hesse  223. 
Hesse,    Adolph  (Friedrich) 

223. 
Hesse,  Friedrich  223. 
Hesse,  Ernst  Christian   223 
Hesse,   Johanna    Elisabeth 

224. 
Hesse, ChristianLndwig  224. 
Hesse,  (Friedrich  Wilhelm) 

Julius  224. 
Hesse,  Johann  Georg  Chri- 
stian 224. 
Hesse,  Johann  Wilhelm  224. 
Hesse, Johann  Heinrich  225. 
Hesse,  JohannLeouhard225. 
Hessel  225. 

Hesselbarth,  Heinrich  225. 
Hessmann,  Franz  225. 
Hesyehastisch  225. 
Heterogen    und     homogen 

235. 
Heteron  parakalisma  225. 
Heteros  Exo  226. 
Hetsch,     (Karl     Friedrich) 

Ludwig  226. 
Hettisoh,  Johann  226. 
Heu,  Johann  Jacob  226. 
Heucheraer,  Jolianncs  236. 
Heudier,  Antoine  Fram^ois 

237. 
Heugel,  Henri  227. 


Seite!  Heugel,  Louis  Seite  227. 
Heugcl,  Johann  227. 
Heuleu  227. 
Heum3nn,ChristophAugU8t 

228. 
Heurteur,  Guillaumele  228. 
Heuschkcl,    Johann    Peter 

228. 
Heusslcr,  Johann  228. 
Heuze,  Jacques  228. 
Ueuzü,  Anna  328. 
Hewitt,  John  H.  229. 
Hewitt,  Dr.  D.  C.  229. 
Hexachordum  229. 
Hexameron  229. 
Hexameter  229. 
Hexapsalmus    oder    Hexa- 

psalmum  330. 
Hcxarmonisch  230. 
Hey,  Ludwig  230. 
Heyda,  Joseph  230. 
Heyden,  Sobald  230. 
Heyden,  Johann  230. 
Heydenhammer  331. 
Heydenreich  s.  Heidenreich 

231. 
Heylaraus,  Peter  231. 
Heyne,    Christian   Gottlieb 

231. 
Heyne,  Friedrich  331. 
Heyne,    F^elicitas    Agnesia 

231. 
Heynitz,  Johann  Gottfried 

231. 
Heyse,  Anton  Gottlieb  231. 
Heyther,  William  231. 
Heywood  231. 
Hez^dsel  231. 
Hialemos  231. 
Hiatus  232. 

Hien,  Ludwig  Christian  232. 
Hientseh,  Johann  Gottfried 

232. 
Hientseh,    Karl    Ferdinand 

233. 
Hieraulen  233. 
Hierax  233.' 
Hierling,  Andreas  233. 
Hierochord  233. 
Hieronymus  Rhodius  234. 
Hieronymus,      Sophrouius 

Eusebius  234. 
Hieronymus  deMoravia  234. 
Hierophon  s.  Hieraulen  234. 
Hierotheus  234. 
Hifthorn    oder     Hüfthorn 

234. 
Higgajon  234. 
Higius  s.  Mullinger  Higius 

235. 
Hijaja  der  Heilige  235. 
Hildebraud-Romberg  s. 

Romberg  235. 
Hildebrand,  Balthasar  235. 
Hildebrand,  Christian  235. 
llildebrand,  Philipp  235. 
Hildebraud,  Zacharias  235. 
Hildebrand,  Johann  Gott- 
fried 235.. 
Hildebrandslied  235. 
Hildebrandt  236. 
Hildebrandt,  Michael  Chri- 
stoph 236. 
Hill  236. 

Hill,  Frederick  236. 
Hill,  Joseph  236. 
Hill,  John  2.36. 
Hill,  Karl  236. 
Hillebrand  236. 
Hillcpraudt,  Franz  237. 
Hiller,  Ferdinand  237. 
Hiller,  Johann  Adam  339. 
Hiller,  Friedrich  Adam  241. 
llillraer,  Friedrich  241. 
Ilillmer,  Joseph  241. 
Hillmer,  Gottlob  Friedrich 

241. 


554 


Verzeichniss  der  im  fünften  Bande  enthaltenen  Artikel, 


Hilton,  John  Seite  241. 
Hiltou,  Walther  242. 
Himmel,  FriedrichHeinrich 

242. 
Himmelbauer,  Wenzel  242. 
Himmelfahrt  242. 
Hinaufstrich  243. 
Hindle,  Johann  24a. 
Hindle,  Andreas  243. 
Hindola  243. 
Hinestrosa,    Luis  Venegas 

de  243. 
Hingston,  John  244. 
Hinkcl,  Franz  244. 
Hinnburg,  Wilhelm  244. 
Hinner  244. 
Hinrichs,  Johann  Christian 

8.  Heinrich  244. 
Hinrichs,  Johann  Peter  244. 
Hinrichs,  Franz  244. 
Hiusch,  Albert  Anton  244. 
Hinsoh,  Ewald  244. 
Hinstrich  244. 
Hinterarm  244. 
Hinterbalgfalte  244. 
Hinterbalgfaltenspähne245. 
Hinteroberbass  245. 
Hinteroberbassfaltcn- 

spähne   s.  Hinterbcilgfal- 

tenspähne  245. 
Hintersatz  245. 
Hinterspähnc  s.Hinterbalg- 

faltenspähne  245. 
Hinteruuterbass  245. 
Hinterunterbalgfalten- 

spähne   s.  Hinterbalgfal- 

tenspähne  245. 
Hinterwellenarm  s.  Hinter- 

arm  246. 
Hintze,  Jacob  245. 
Hinze,     Joseph    Simon    s. 

Häntz  245. 
Hippasos  215. 
Hippias  245. 
Hippokrene  245. 
Hippolythus,  Blasius  345. 
Hippothoros  245. 
Hire,  Philippe  de  la  246. 
Hirsch,  Andreas  240. 
Hirsch,  liCopold  24(1. 
Hirsch,   Kudolph   (Johann) 

246. 
Hirschau  246. 
Hirschbach,  Hermann  247. 
Hirschfeld  247. 
Hirschfcld,    Christian    Cay 

Lorenz  247. 
Hirschfeld,  Michael  247. 
Hirschflechsen   s.  Flechsen 

247. 
Hirtenliedcr  247. 
Hirtenpfeifc     s.     Panpfeifc 

oder  Schalmey  24S. 
His  248. 
Hisis  248. 
Histiäus  248. 
Hita,  Don  Antonio  Rodri- 

guez  de  248. 
Hitzelbergcr  248. 
Hitzelberger,  Sabine  248. 
Hitzelbergcr,      Kunigundc 

249. 
Hitzelberger,  Johanna  249. 
Hitzelberger,  Regina  249. 
Hitzenauer,  Christoph  249. 
Hitzler,  Daniel  249. 
Hiüen  249. 
Hiücn-ku  250. 
H-moll  250. 
Hnilicka,  Aloys  251. 
Ho  251. 

Hoai-Nan-Tsee  252. 
Hoang  252. 
Hoang-ho  252. 
Hoang-ti  252. 
Hoang-tschung  252. 
Hobbs  262. 


Hobein,   Johann  Friedrich 

Seite  252. 
Hoboe  s.  Oboe  253. 
Hobrecht,  Jacob  253. 
Ilocetus  Oiler  Ochctus  263. 
Hoch,  Höhe  253. 
Hochamt  s.  Messe  254. 
Hochbruckcr    auch    Hoch- 

pruggcr  254. 
Hochbrucker,  Simon  254. 
Hochbrucker,P.Cölestin254. 
Hochbruckcr,  Cln-istian254. 
Ilochreitcr,     Johann     lial- 

thasar  254. 
Hochstetter,  A.  L.  254. 
llochstetter,  Eniilic  254. 
Hocker,JohannLudwig254. 
llocmelle,  Pierre   Edmond 

254. 
Hodermann,  G.  C.  264. 
Hodges,  Edward  254. 
Höckh,  Karl  255. 
llüfel,  Johann  255. 
Höfer  255. 

Höfl'elmayer,  Thadäus  255. 
Höfl'clraayer,  Maria  255. 
Höff'elmayer,  Joseph  Anton 

255. 
Hötfer,  Johann  August  255. 
Höffler,  Konrad  255. 
Höllerer,  Franz  Xaver  255. 
Hölling,     Johann     Konrad 

Stephan  255. 
Höllmayer,  Franz  255. 
Höllmayer,  Anton  255. 
Höltzlin,  Joseph  256. 
Hölzel,  Gustav  256. 
Hölzernes  Gelächter  256. 
Hone,  Samuel  256. 
Ilönicke,  Johann  Friedrich 

256. 
Höpner,  Christian  Gottlob 

256. 
Höpner,  Stephan  256. 
Höppner,  Karl  Magnus  256. 
Hoepuck  256. 
Hörbedcr,  Franz  257. 
Höre,  Johann  Gottfried  257. 
Hörger  257. 
llörnigk,  Louis  257. 
Hörnlein  257. 
Hörorgan  s.  Ohr  257. 
Hössler  257. 
Hötzl  257. 
Hötzl,  Ludwig  257. 
Höveln,  Konrad  von  257. 
Hofconccrt  s.  Conccrt   257. 
Hofer,  von  257. 
Hofer,  Andreas  257. 
Holl'er,    Madame   s.    Weber 

(Joscpha)  257. 
Hoflkuntz,  Aurora  257. 
llofl'mann  257. 
llofTniann,  H.  N.  257. 
HolVmann,  (icorg  257. 
HolVinann,  Ignaz  257. 
llotVmann,  Joseph  258. 
Ilotl'mann,  C.  G.  258. 
HotVmann,  Christian  s.Hof- 

maun  258. 
Holl'mann,   Ernst  Theodor 

Amadeus  258. 
Hotfmann,  Encharius  259. 
Ilotl'mann,  Franz  259. 
Holl'mann,      Karl       Julius 

Adolph  Hugo  2.59. 
Hofl'maun,  August  260. 
Holl'mann,  Friedrich  260. 
Hoö'raann,   Friedrich    Ale 

.\ander  260. 
Holl'mann,  Friedrich  Beue 

dict  260.  ] 

Hotl'mann,  Gerhard  260. 
Hofl'mann, Gustav,  gen.Gra-i 

bcn-Hofl'mann  s.  d.  261. 
Hoffmann,  Heinrich  Antom 

261.  I 


Hofrmann.PhilippKarlSeitel  Hollander,  Hermann  Seite 

261.  273. 

Hoffmann,  Heinrich  August  j  Hollander,  Johann  oder  Jo- 


Heinrich  Theo- 


Johann 
Johann 


Georg 

Chri- 

Leon- 


261 
Hoffraann 

dor  262. 
Holl'mann,  Joachim  262. 
HoMniann,  Johann  262. 
Iloffmann,  Job.  262. 
Hoffraann,  Johann  262. 
Hotl'mann,  Katharina  262. 
Hoffmann,    Johann    Georg 

263. 
Hoffmann, 

263. 
Hoffmann, 

stoph  263. 
Hofl'mann,    Johann 

hard  203. 
Hoü'mann,  KarlJohann  263. 
Holl'mann,  Leopold  s.  Hof- 
mann 263. 
Hotl'mann,  Ludwig  263. 
Hotl'mann,  Martin  264. 
Hofl'mann, Johann  Christian 

204. 
Hoffmann,  Richard  264. 
Hoffmann,  Sophie  264. 
HoH'mayer  264. 
Hoffmeister,    Franz  Anton 

264. 
Hof  haimcr,  Paul  265. 
Hofmann  205. 
Hofmann,  Auguste  265. 
Hofmann,  Christian  265. 
Hofraann,  Heinrich  260 


hann  von  Holland  273. 

Hollander,  Sebastian  oder 
Holoandcr  273. 

Hollandre,  Charles  Felicien 
d'  273. 

Ilollandrc,  Jean  d'  273. 

Hollbeck,  Severin  273. 

Hollbusch,   Johann    Seba- 
stian 273. 

Hollmann,  Madame  s.  Crux 
273. 

Holluba  oderHoluba.Franz 
273. 

Holluba  oder  Iloluba,  Wen- 
zel 273. 

Holly,  Franz  Andreas  273. 

Holmes  273. 

Holmes,  .\l(red  273. 

Holmes,  Edward  274. 

Holmes,  John  274. 

Holms,  Georges  274. 

Ilolowin,  Georg  274. 

Holstein,  Franz  von  274. 

Uoltei,  Karl  von  275. 

Holtei,  Julie  von  s.  Holz- 
becher 275. 

Holten,  Karl  von  275. 

Iloltheuser,     Johann 
275. 

Holtzmann  276. 

lloltzner,  .\nton  276. 
IHoluba  s.  Holluba  276. 

Holz  276. 


;  on 


Ilofmann,  Johann  Christian  Holz,  Karl  277. 


266. 

Hofraann,  Karl  Eduard  266. 
Hofraann,  Leopold  267. 
Ilofmann,  Melchior  267. 
Hofmeister,  Friedrich  267. 
Hofmeister,Dr.Wilh.Friedr. 

Benedict  267. 
Hofmeister,  Rcinhold  267. 
Hofstctter,  P.  Romanus  267. 
Hogarth,  George  267. 
Hogaz  267. 
Hohenthal,  Elise  Gräfin  von 

268. 
Ilohenfels,   Burkhard    von 

s.  Burkhard  268. 
Hohenzollcrn-Hechingen  s. 

Friedrich    Wilhelm    Con- 

stantin,  Fürst  vonHohcn- 

zollcrn-Hcchingcn  268. 
Hohe  Stimmen  268. 
Hohlfeld,  Johann  268. 
Hohlflöte  209. 
Hohhiuinte   oder  Quintflöt 

269. 
Ilohlschellc     s.    Quintatön 

269. 
Hohmann,  Christian  Hein- 
rich 200. 
Hohnstock,  Karl  270. 
Hohnstook,  Adele  270, 
Hoinrich,  Adam  Sigismund 

270. 
Hol,  Riehard  270. 
Holbach,      l'anl     Heinrich 

Dietrich,  Baron  von  270. 
Ilolbein,  Franz  Ignaz  von 

270. 
Holberg,  Ludwig  271. 
Holcombc,  Heinrich  271. 
Holden,  John  271. 
Holder,  JoscphWilliam271. 
Holder,  William  271. 
Hole,  John  s.  Hoyle  271. 
Holfeldt  2/1. 
Holländer,  Alexis  271. 
Holländer,  Anna  272. 
Holland  s.  Niederlande  272. 
Holland,  Constantin  272. 
Holland,  Johann  David  272. 
Hollander,  Christian  272. 


Holzapfel,  Johann  Gottlob 

277. 
Holzhauer,  Ignaz  278. 
Hol/.beclicr,Karl  David  279. 
Holzbechcr,  Julie  279. 
Holzblasinstrumente  279. 
Holzbogen,  Joseph  280. 
Holzer,  Johann  280. 
Holzflöte    oder   Uolzpfcife 

280. 
Holzharmonica  s.   Harmo- 

nica  280. 
Holzhäuser,  Heinrich  280. 
Holzheu  280. 
Holzinger,    P.    Bencdictus 

280. 
Holzmann,  Anton  280. 
Holzmann,  Daniel  280. 
llolzmiller,  Eduard  280. 
Holzmiller,  Betty  280. 
Holzner,  Anton  s.  Holtzner 

281. 
Holzprincipal  281. 
Holzsaiten  281. 
Homannodcrllohmann  281. 
Hcimati,  Tiimma.so  281. 
nürnberger,  Paul  281. 
Home,  Sir  Everard  281. 
Homer  281. 
Homcriden  281. 
Homet,  Abbe  282. 
Homcy  er,  Joseph  Maria  282. 
Homilius,  Gottfried  August 

282. 
Hommcl,   Karl    Ferdinand 

282. 
Hommerte  282. 
Homogen  s.  Heterogen  282. 
Homoioptoton  und  Homoi- 

oteleuton  282. 
Homophonie  283. 
Homophoner  Styi  283. 
Homophone     Schreibweise 

283. 
Homophonus  285. 
Honauer,  Lorenz  285. 
Houdt,  Ghearkin  d'  285. 
Honorio,  Rnmoaldo  285. 
Hooghe,  Dick  van  der  285. 
Hook,  James  285. 


Verzeichniss  der  im  fünften  Bande  enthaltenen  Artikel. 


555 


Hook,  Robert  Seite  285. 
Hooper,  Edmund  2S5. 
Hoonibeck,  Cornelis  286. 
Hopfe,     (Heinrich)     Julius 

286. 
Hopffer,  (Ludwig)  Bernhard 

286. 
Hopft'er,  Emil  Heinrich  287. 
Hopfgarten,  Ludwig  Ferdi- 
nand von  287. 
Hopkins,  Edward  John  287. 
Hopkinsen,  Francis  287. 
Hoplit  287. 
Hoppe,  Adam  287. 
Hoppe.Johann  Gottlieb  288. 
Hoppe,  Wilhelm  288. 
Hoppenstedt,  August  Lud- 
wig 288. 
Hopper,  Karl  288. 
Hopser  oder  Hops-Anglaise 

288. 
Horae  eanonicae  288. 
Horae  reguläres  288. 
Horae  ofticii  divini  288. 
Horae  majores  288. 
Horae  minores  288. 
Horäk,    Wenzel    Emanuel 

288. 
Hern  239. 
Hörn  303. 
Hörn,  August  303. 
Hörn,  Ferdinand  303. 
Hörn,  Franz  Christoph  303. 
Hörn,  Gottfried  Joseph  304. 
Hörn,  Johann  Gottlob  301. 
Hörn,  Heinrich  304. 
Hörn,  Johann  Kaspar  304. 
Hörn,  Karl  Friedrich  304. 
Hörn,  Karl  Eduard  305. 
Hornbässlein  305. 
Hornbugle    s.   Jäger-   und 

Signalhorn  305. 
Homburg,  Johann  305. 
Hornemann,    Johann    Ole 

Emil  305. 
Horner,  Thomas  305. 
Hornist  305. 
Hornmusik  305. 
Hornpipe   oder  Hornpfeifc 

305. 
Hornquinteu  306. 
Hornsordin  306. 
Hornstein,  P.  Hieronymus 

306. 

Hornstein,  Kobert  von  306. 
Hornwerk  306. 
Horr,  Peter  306. 
Horsley,  William  306. 
Horsley,    Charles    Edward 

307. 
Horstig,  Karl  Gottlob  307. 
Hortense  Eugenie  de  Beau- 

harnais  307. 
Horwitz,  Leopold  OT?. 
Horzalka,  Johann  307. 
Horzizky,  Franciscus  307. 
Horzizky.JohannAlexander 

Louis  307. 
Hosa,  Georg  307. 
Hosa,  Thomas  307. 
Hose  s.  Büchse  308. 
Hosianna  308. 
Hospinian,  Rudolph  308. 
Hossa,  Franz  308. 
Hosseyny  308. 
Hoste,  Spirito  1'  308. 
Hostie  308. 
Ho-Süy  308. 
Hot,  Peter  de  309. 
Hotar's  309. 
Hothby,  John  309. 
Hoti  oder  Hori  309. 
Hottemaun  309. 
Hottoterre,  Henri  309. 
Hotteterre,  Niclas  309. 
Hotteterre,  Louis  309. 
Hottinet  s.  Barra  309. 


Hottinger,  Johann  Heinrieh 

Seite  309. 
Hottinger,    Johann    Jacob 

309. 
Houang-Tschin-Tsehouang 

oder       Hoang  -  Tschin- 

Tschuang  309. 
Houdemann   s.   Hudemann 

309. 
Houtermann,  Marcus  309. 
Hoven  s.  Vesque  von  Pütt- 

lingen  310. 
Hoven,  Joachim   van   der 

310. 
Howard,  Lady  310. 
Howard,  Samuel  310. 
Howes,  William  310. 
Howgill,  William  310. 
Hoyer  s.  L'Hoyfcr  310. 
Hoylan,  John  310. 
Hoyle,  John  310. 
Hoyle,  Edmund  310. 
Hoyoul  oder  Hoioul,  Bal- 

duin  310. 
H-quadrat  s.  B  310. 
Hrabanek,  Franz  311. 
Krabe,  Joseph  311. 
Hradetzky,  Friedrich  311. 
Hrazek,  Peter  Irenäus  311. 
Hrotswitha  311. 
Huber,    Madame    s.    Will- 

mann  311. 
Huber,  Felix  311. 
Huber,  Franz  Xaver  311. 
Huber,    Johann    Nepomuk 

311. 
Huber,  Joseph  312. 
Huber,  Ludwig  312. 
Huber,  Taddäus  312. 
Hubert,  Anton  312. 
Hubert,   Christian  Gottlob 

312. 
Huberty,  Antonie  Cäcilie  s. 

Saint-Huberty  313. 
Hubmeyer,  Hippolvtus  313. 
Hucbald    (Hugbald,    Ubal- 

dus)  313. 
Hucke,  Georg  s.  Hück  319. 
Hudmann,   Friedrich  Lud- 
wig 319. 
Hudler,  Anton  319. 
Hudson,  George  319. 
Hue,  Balthasar  de  319. 
Hüara-piiara  319. 
Hüankar  319. 
Hüayllaca  319. 
Hüber,  Wendeliu  320. 
Hüblor,  Karoline  Elisabeth 

320. 
Hübner,   Johann  Christian 

320. 
Hübner,  Joseph  320. 
Hübsch,     Johann     Jiaptist 

320. 
Hübsch,  JohaunGcorg  Gott 

helf  320. 
Hück,  Georg  320. 
Hüffer,  Franz  320. 
Hüfthorn  s.  Hifthorn  321. 
Hülfsaccorde,  Hülfsharmo 

nien  321. 
Hülfsbalg  s.  Balg  und  Cres 

cendozug  321. 
Hülfsgewicht  321. 
Hülfsuoten,  Hülfstöne   321 
Hülfsstimmen  322. 
Hüllmandel,   Nicolaus   Jo 

seph  322. 
Hüllmandel,  Rudolph  322. 
Hüllwock,  Ferdinand  322. 
Hüli'hers,    Abraham   Abra 

hamson  323. 
Hülse  323. 

Hülsen,  Botho  von  323. 
Hülsen,  Helene  von  323. 
Hülshoflf,  Max  Freiherr  von 

Droste  323. 


Hülskamp,  GustavHeinrich 

(Henry)  Seite  323. 
Hümmelcheu  oder  Hummel 

324. 
Hunten,  Franz  324. 
Hunten,  Wilhelm  324. 
Hunten,  Peter  Ernst  324. 
Huerga,    Cyprianus    de    la 

324. 
Hürt,  Theobald  324 
Huet,  Pierre  Daniel  324. 
Hütteubrenner,Anselm  325. 
Hütter,   Johann    Gottfried 

326. 
Hüttner,    Johann    Baptist 

326. 
Hugard,  Pierre  326. 
Hugenius  s.  Huyghens  326. 
Hugo  II.  Graf  von  Montfort 

326. 
Hugo  von  Salza  326. 
Hugolinus,    Vineentius    s. 

Ugolini  326. 
Hugot,  A.326. 
Hugot  der  Aeltere  326. 
Hugen^t,  Jacques  327. 
Huitaces     de    Beaulieu    s. 

Beaulieu  327. 
Hulskamp  s.  Hülskamp  327. 
Hülst,  Felix  van  s.  Vauhulst 

327. 
Human  327. 
Humangedakt    oder    Lieb 

lichgedakt  327. 
Humanus  s.  Hartong  327. 
Hume,  Tobias  327. 
Hummel     s.    Hümmelchen 

327. 
Hummel,  Christian  Gottlieb 

Emanuel  327. 
Hummel,  Georg  Peter  327. 
Hummel,  Matthäus  327. 
Hummel,  Johann  Friedrich 

327. 
Hummel,  Friedrich  327. 
Hummel,  Tobias  327. 
Hummel,  Johannjulius  328 
Hummel,  Johann  Bernhard 

328.  ■ 
Hummel,  Johann  Nepomuk 

328. 
Hummel,  Eduard  329. 
Humor  330. 

Humphrey,  Pelham  330. 
Hungarn,  Gottfried  331. 
Hunger, ChristophFriedrich 

331. 
Hunger,  Gottlieb  Gottwart 

331. 
Hungersberg,  Felix  331. 
Ilunn,  Joseph  331. 
Hunnis,  William  331. 
Hunnius,  Christian  331. 
Hunnius,  FriedrichWilhclm 

331. 
Hunolt,  Christian  Friedrich 

331. 
Hunoit,  Georg  331. 
Hunt,  Arabella  331. 
Hunt,  Thomas  332. 
Hunt,  Karl  332. 
Hupfeld,  Bernhard  332. 
Hurka,  Friedrich  Franz  332. 
Hurlebusch,   Heinrich   Lo 

renz  332. 
Hurlebusch,  Konrad  Fried 

rieh  333. 
Hurtado,  Tomas  333. 
Hus-Desforges,Pierre  Louis 

333. 
Hustache,  Claude  Theodor 

334. 
Hut  334. 

Huth,  Louis  331. 
Hutschenruyter,     Wilhelm 

334. 
Huttari,  Jacob  334. 


Huyghens,  Constantin  Seite 

334. 
Huyghens,  Christian  334. 
Huzler,  Johann  Adam  335. 
Huzler,    Johann    Sigmund 

335. 
Huzler,  Johann  Ludwig  335. 
Huzler,  Karl  335. 
Hyaeinthia  oder  Hyancin- 

thien  335. 
Hyagnis  335. 
Hycaert  s.  Ycaert  335. 
Hyde  335. 
Hydraulos  335. 
Hye,  Madame  de  la  335. 
Hyller,  Martin  335. 
Hymäos  336. 
Hymber,  Werner  336. 
Hymen  oderHymenäos  336. 
Hymnerophon  336. 
Hymni  saliares  336. 
Hymnologie  336. 
Hymnos  336. 
Hymnos     angelicus      oder 

evangelicus  340. 
Hymnos  trinitatis  340. 
Hymnos  triumphalis  310. 
Hymnos  glorificationis  340. 
Hymni  epistolici  340. 
Hymni  evangelici  340. 
Hypate  340. 
Hypate  hypaton  340. 
Hypate  meson  340. 
Hypatoides  340. 
Hypaton  310. 
Hypaton  diatonos  340. 
Hyper  340. 
Hyper  310. 
Hyperäolisch  341. 
Hyperbolaeou  341. 
Hyperbolaeon  diatonos 341. 
Hyperbolisch  341. 
Hyperdiapason  341. 
Hyperdiazeuxis  341. 
Hyperditonos  s.  Hyper  341. 
Hyperdorisch    oder    mixo- 

lydisch  311. 
Hyperionisch  311. 
Hyperlydisch  311. 
Hypermeter  341. 
Hypermixolydiseh  341. 
Hyperphrygisch  311. 
Hypo  341. 
Hypoaeolisch  342. 
Hypodiapason,      Hypodia- 

pente  s.  Hypo  342. 
Hypodiazeuxis  342. 
Hypodorisch  312. 
Hypoiastisch    oder    Hypo- 
ionisch 342. 
Hypokritika  343. 
Hypolydisch  343. 
Hypomixolydiseh  343. 
Hypophrygisch  313. 
Hypoproslambanomenos 

344. 
Hyporchemata  344. 
Hypo  syuaphe  311. 
Hypotas  311. 
Hypsil  344. 
Hyrtl,  Jacob  344. 

I.  J. 

1345. 

Jacchini,  Giuseppe  345. 
lacehus  345. 
Jachet  oder  Jaquet  345. 
Jachimek,  Franz  345. 
Jachmann- Waguer  s.  Wag- 
ner 315. 
Jackson,  Edward  K.  315. 
Jackson,  William  315. 
Jackson,  William  John  346. 
Jacob  I.  316. 
Jacob  346. 
Jacob,  Benjamin  347. 


556 


Verzeichniss  der  im  fünften  Bande  enthaltenen  Artikel. 


Jacob,      Kricdrifl»     August 

liClioriH'lit  Seile  317. 
Jacob,  (iüiitlicr  3-17. 
JacobcUi,     Giovanni    Itat- 

tista  3-47. 
Jacobcllo  3t7. 
Jacobetti,  Pictro  347. 
Jacobi  347. 
Jacobi,      Adam     Fricdricli 

Ernst  317. 
Jacobi,    Christian    Gottliilf 

347. 
Jacobi,  Frieilricli  Wilhelm 

348. 
Jacobi,    Johann    Chrislian 

348. 
Jacol)i,  Karl  348. 
Jacobi,  Konrad  348. 
Jacobi,  Michael  348. 
Jacobi,  Tobias  348. 
Jacobitus,    Petrus   Amicus 

8.  Jacobetti  348. 
Jacopo  von  Bologna  349. 
Jacoponc  oder  Jacopo  Be- 

nedctto(  Jacobus  de  Bene- 

dictis)  349. 
Jaeotin  349. 
Jacotot,  Joseph  349. 
Jacqmiu,  Franfois3i9. 
Jactjmin,     Jean      Baptiste 

Franijois  349. 
Jaciiuart,  Jean  350. 
Jacques  350. 
Jacquin  350. 

Jaequot,  Charles  Jean  Bap- 
tiste 350. 
Jadassohn,  Salomon  350. 
Jadin  350. 
Jadin,  (Jcorge  350. 
Jadin,  Jeau  350. 
Jadin,  Louis  Eraanuel  350. 
Jadin,  Hyacinthe  351. 
Jadin,  (ieorge  351. 
Jäger  351. 

Jäger,  Johannes  351. 
Jäger,     Johann    Zacharias 

Leopold  351. 
Jäger,  Ernst  351. 
Jäger,  Franz  351. 
Jäger,  Konrads. Geiger 352. 
Jägertrumraet,    Jägertrom- 

met  oder  Jägerhorn   352. 
Jahns,   Friedrich  Wilhelm 

352. 
Jaell,  Alfred  354. 
Jaell  geb.  Trautmann  354. 
Jaeschke,  Hermann  Gustav 

355. 
JatTi^  Moritz  355. 
Jagati  355. 
Jagdhorn  356. 
Jagemann, Christian  Joseiih 

356. 
Jagemann,  Karoline  356. 
Jahn,  Otto  356. 
Jaina  358. 
Jaladbiimala  358. 
Jaleo  de  Xeres  358. 
Jalousiesehweller  358. 
Jamard  358. 
Jaraata-Koto  oder  Jamata- 

Kollo  358. 
Jambe- de -Fcr,      Philibcrt 

358. 
lambikon  359. 
lamblichus  359. 
lambos  359. 
James,  John  359. 
James,  William  N.  359. 
Jan,  David  3.59. 
Jan,  Martin  359. 
Janacconi,  Giuseppe  359. 
Janatka,  Johann  Nepomuk 

360. 
Jancourt,       Lonis      Marie 

Eugene  360. 
Jancqnin  b.  Janncijuin  360. 


Jani,  Johann  Seite  361. 
Janiewicz   oder   Yaniewicz 

361. 
Janina,  Olga  von  361. 
Janitscli,  Anton  361. 
Janitsch,   Joliann  Göttlich 

361. 
Janitseharen-Musik      oder 

Türkische  Musik  361. 
Janitscharon-Tronimcl  363. 
Janitzck,  Johann,   eigcntl. 

Janetzek  363. 
Janke,  (iu.-ttav  364. 
Jannequin,  Cli^nient  304. 
Janowka, Thomas  Balthasar 

364. 
Jansa,  Leopold  364. 
Jansen,  Gustav  365. 
Jansen,  Gustav  F.  365. 
Jansen,      Johann      Anton 

Friedricli  305. 
Jansen,    Johann    Heinrich 

Friedrich  Ludwig  3(i6. 
Jansen,  Cornelius  366. 
Jansennc,  Louis  366. 
Janson,  Jean  Baptiste  AimO 

.Toscph  366. 
Janson,  Louis  Auguste  Jo- 
seph 366. 
Janssen,  C(5sar  366. 
Janssen,  N.  A.  366. 
Janssens,     .leau     Franfois 
•  Joseph  366. 
Janus  s.  Jan  367. 
Japan  367. 
Japart,  Jean  369. 
Japha,  Georg  Joseph  369. 
Japha,  Louise   s.  Langhans 

369. 
Japona  369. 
Japsen,  Paul  369. 
Jacquard  369. 
Jarabe  369. 
Jardini,  Madame  369. 
Jarmusiewicz,  Johann  369. 
Jaruowich  oder  Jarnowieki 

s.  Gioruovichi  370. 
Jaspar,  Andrt;  370. 
Jaspis,  Gottfried  370. 
lastiseh  370. 
Jauch,    Johann    Nepomuk 

370. 
Jaugtzer  370. 
Jauncr-Krall  s.  Krall  370. 
Java  370. 

Javault,  Iiouis  371. 
Javurek,  Joseph  371. 
Javurek,  Vineentius  371. 
Jay  371. 

Jay,  Dr.  John  371. 
Ibach371. 
Ibach,  Adolph  371. 
Ibach,  C.  Rudolph  :i71. 
Ibach,  Gustav  Adolph  371. 
Ibach,  Richard  372. 
Ibach,  Rudolph  372. 
Ibykus  372. 
Icht  372. 
Ideal  372. 

Idee  s.  Gedanke  373. 
Idwan  373. 
Idylle  373. 
Jean  373. 
Jeannon  373. 
Jeannotus  s.  Xanotti  373. 
Jean-Pierre,   .lean    Nicolas 

373. 
Jeep,  Johann  373. 
Jefl'rys,  Matthäus  374. 
Jelensperger,  Daniel  374. 
Jelieh,  Vincenz  374. 
Jelinck,  Franz  Xaver  374. 
Jeliotto,  Pierre  374. 
Jendritza  375. 
Jenger,  Johann  Baptist  375. 
Jcnicke,  Johann  375. 
Jenisch,  Paul  375. 


Jenkins  Seite  375. 
Jenkins,  John  375. 
Jenneijuin  s.  Janne(|uin  375. 
Jennewitz  s.  .laniewicz  375. 
Jensen,  Adolph  375. 
Jensen,  Gustav  376. 
Jepp  s.  .loep  37(i. 
.Terach  ben  .lomo  376. 
Jercniiadcn  s.  Lamentatio- 
nen 376. 
Jeröme  de  Moravic  s.  Ilie- 

ronynius  de  Moravia  376. 
Jeroniino,  Pater  Francisco 

de  370. 
Jcsir  376. 
Jesrie  376. 
Jesser  376. 

Jester,  Ernst  Friedrich  377. 
Jesus  377. 

.Tesus,  Antonio  de  377. 
.Icsus,  Bernardiiio  de  377. 
Jesus,  Don  Carlos  de  377. 
Jesus,  Gabriel  de  377. 
Jethib  oder  Jathib  377. 
Jetze,  Paul  377. 
Jeu  377. 

Jeu  ä  bouche  377. 
Jeu   de   buftle   oder  Jeu  ä 

poau  de  buflle  377. 
Jeu  de  vieles  378. 
Jeüruk-semasi  378. 
Jeu  grand  378. 
Jeune,  Claude  le  s.  Lejeune 

378. 
Jeves,  Simon  378. 
Jewit,  Randal    oder    Ran- 

dolph  378. 
Jey-tsu  378. 

Ignanimus,  Angelus  378. 
Ignatius  der  Heilige  378. 
Iken,  Konrad  379. 
11  370. 

II  tempo  crescendo  379. 
Ildefonso  379. 
Ilgen,  Karl  David  379. 
llias  s.  Homer  379. 
Ilinsky,  Graf   Johann   Sta- 

nislaus  379. 
Illgner,   Johann    Christian 

379. 
Illusion  379. 
Imagination  380. 
Imbault  380. 
Imbcrt  de  Sens  380. 
Imbcrt  de  Francia  380. 
Imbcrt  de  Laphcleque   380 
Imbimbo,  Emanuele  380. 
Imbroglio  380. 
hnhotf,    Johann    Sigmund 

Georg  381. 
Imitatio,     Imitation     oder 

Imitazionc  3sl. 
Imitatio  aeijualis  motus381 . 
Imitatio  cancrizans  oder  re- 

trograda  381. 
Imitatio     cancrizans     (in) 

miitu  contrario  381. 
Imitatio  cauonica  oder  to 

talis  oder  legata  381. 
Imitatio   homopliona   oder 

in  unisono  381. 
Imitatio    inae(iualis    motus 

381. 
Imitatio    in      beptaehordo 

superiori    oder    inferiori 

3S1. 
Imitatio  in  hexaehordo  su- 
periori oder  inferiori  381. 
Imitatio     in     hypcrditono 

oder  hypoditono  38). 
Imitatio   in   hypcrdiapason 

oder  hypodiapason  381. 
Imitatio   in    hypcrdiapente 

oder  hypodiaj^ente  381. 
Imitatio   in   hyperdiatessa- 

ron    oder    hypodiatessa- 

ron  381. 


Imitatio  (in)  motu  contra- 
rio s.  1.  per  motum  con- 
trariuni  Seite  381. 

Imitatio  in  secunda  superi- 
ori oder  inferiori  381. 

Imitatio  interrujita  381. 

Imitatio  in  unisono  s.  I. 
homopliona  381. 

Imitatio  inverlibilis  381. 

Imitatio libera  odersimplex 
381. 

Imitatio  ligata  381. 

Imitatio  partialis  oder  pe- 
riodiea  381. 

Imitatii)  per  augraentatio- 
nem  381. 

Imitatio  per  diminutionem 
382. 

Imitatio  periodica  s.  I.  par- 
tialis 382. 

Imitatio  ]icr  motum  eon- 
trarium  oder  in  motu 
contrario  382. 

Imitatio  per  motum  con- 
trarium  stricte  reversum 
382. 

Imitatio  per  motum  retro- 
gadum  s.  I.  cancrizans 
382. 

Imitatio  per  arsin  et  thesiu 
382. 

Imitatio  simplex  s.  I.  libera 
382. 

Imitation  s.  Imitatio  382. 

Imitation  en  retrogradant 
s.  Imitatio  cancrizans  382. 

Imitation  par  mouvement 
eontraire  oder  I.  renver- 
s(5e  s.  Imitatio  per  motum 
contrarium  382. 

Imitation  simple  s.  Imitatio 
libera  382. 

Imitatione  oder  Imitazionc 
8.  Imitatio  382. 

Imitatione  alla  riversa  s. 
Imitatio  per  motum  con- 
trarium 382. 

Imitatione  al  contrario  ri- 
verso  8.  Imitatio  per  mo- 
tum contrarium  stricte 
reversum  382. 

Imitatione  eoncherizantc 
oder  concherizata  s.  Imi- 
tatio cancrizans  382. 

Imitatione  legata  s. Imitatio 
ligata  382. 

Imitatione  per  movimenti 
contrarii  oder  Im.  riversa 
8.  Imitatio  per  motum 
contrarium  382. 

Immerwährender  oder  un- 
endlicher Kanon  8. Kanon 
382. 

Immlei382. 

Immler,  Johann  Wilhelm 
382. 

Immutabilis  sc.  accentus  s. 
Accentus  ecelesiasticus 
382. 

Immyns,  John  382. 

Impazientcmente  oder  im- 
pazienle  382. 

Imperfect  382. 

Imperfectio  oder  Imperfec- 
tion  382. 

Imperioso  383. 

Impetuoso  oder  Impetuosa- 
mente  383. 

Imponcnte  383. 

Impresario  383. 

Impromptu  383. 

Improvisatoren  383. 

Imi)rovisiren  383. 

Iraprovisirmaschine  oder 
Phantasirmasehine  384. 

Incalzando  3H4. 

Ineantare  384. 


Verzeichniss  der  im  fünften  Bande  enthaltenen  Artikel. 


557 


Incarnatus  est  Seite  384. 

Inoledon,  Charles  384. 

lu  corpo  384. 

ludeciso  384. 

Iudex  384. 

India,  Sigismoudo  d'  s.  Si- 

gismondo  384. 
Indien.      Indische     Musik 

384. 
Indifferente    oder    indiffe- 

rentemeute  403. 
Indigitamente  402. 
In  distauza  oder  in  louta- 

nanza  403. 
Indravagra  403. 
Infantas,  Fernando   de   las 

403. 
Inferien  403. 
lufibulation  403. 
lufinitus   Cauon    s     Kanon 

403. 
Intlatilia    sc.    instrumenta 

403. 
Infrabass  403. 
Inganno,  eigentl.  Cadenza 

d'inganno  403. 
Ingegueri,  Angelo  403. 
Ingegneri,   Marco  Antonio 

oder  Ingigneri  403. 
Ingegneri,  Pater  Tommaso 

Antonio  404. 
Inglot,  William  404. 
Ingrain  404. 
Inhalt  404. 
Inno  404. 
Inuocentamente  oder  inno- 

cente  404. 
luo,  weibl.  ina  404. 
In  partito  404. 
Inquieto  404. 
Insanguine,  Giacomo  404. 
Insensibile  oder  insensibil 

mente  404. 
Inspiration  404. 
Instante  oder  instantemeute 

405. 
Institut  405. 
Institut  de  France  405. 
Instrument  406. 
Instrumenta  419. 
Instrumenta  cruomena  419. 
Instrumenta  empneusta  od. 

pueumatica  420. 
Instrumenta  enchorda  oder 

tidicinia  420. 
Instrumenta  pennata  420. 
Instrumenta  percussa  oder 

pulsatilia  420. 
Instruments  ä  archet  420. 
Instrumentalmusik  420. 
Instrumental  -  Musikdirek- 
tor 430. 
Instrumentalsatz  430. 
Instrumentation  s.    Instru- 
mentiren 430. 
Instrumeutenbauer        oder 

Instrumentenmaeher  430. 
Instrumentenkammer  430. 
Instrumentiren  430. 
Instrumente  a   campanella 

oder  Stromento  a  campa- 
nella 433. 
Intavolare  433. 
Integer      valor       notarum 

434. 
Intendant       de       musique 

434. 
Interludium  434. 
Intermedium     oder    Inter- 
mezzo 434. 
Interpunction  434. 
luterrogativus  sc.  accentus 

s.Äccentus  ecclesiasticus 

43c. 
luterrotto  435. 
Interruption  435. 
Intervall  435. 


Intervallenberechnung      s. 

Intervallenlehre  und  Ka- 

nonik  Seite  435. 
Intervallenlehre  435. 
Intimo  462. 
Intonare     oder     intoniren 

462. 
Intonation  462. 
Intonireisen,     auch     Into- 

nations-    oder     lutonir- 

blech  463. 
Intoniren   s.  Intonare  und 

Intonation  463. 
Intrade  463. 
Intrepido,    intrepidaraente 

463. 
Introduetion  463. 
Introitus  464. 
lutus  canere  464. 
Invention  464. 
Inveutionshoru     s.     Hörn 

464. 
luventionsinstrumente      s. 

Hörn  und  Trompete  464. 
Inventioustrompete  s.  Horu 

und  Trompete  464. 
Inversion   oder   Evolution 

464. 
Invetriatur  465. 
Invitatorium  46.5. 
Invocavit  s.  Sonntag  465. 
Joachim  oder  Giovaechino 

465. 
Joachim,  gen.  Joachim  von 

Magdeburg  466. 
Joachim,  Joseph  466. 
Joachim,  Amalie  geb.  Weiss 

467. 
Joan  468. 

Joanelli,  Pietro  468. 
Joanelli,   Ruggiero   s.  Gio 

vanelli  468. 
Joanini,  gen.  J.  del  Violou 

cello  468. 
Joannes  s.  Johannes  468. 
Joao   (Juan    oder  Johann) 

IV.  468. 
Joao  Vaz  Barradas  Muito- 

pam  e  Morato  s.  Vaz-Bar 

radas  468. 
Jobel  468. 

Jobinus,  Bernhard  469. 
Jocolet,  Claudius  469. 
Jocosus  469. 
Jodeln  469. 
Jodoeus  Pratensis  oder  J. 

de  (a)  Prato   s.  Josquin 

469. 
Jöcher,  Christian   Gottlieb 

469. 
Johann  469. 
Johann  XX.  469. 
Johann  XXI.  469.    . 
Johann  XXII.  469. 
Johann  IV.  s.  Joao  469. 
Johann  Georg  II.  469. 
Johann  (Jean),  Herzog  von 

Braine  470. 
Johann   Ernst,    Prinz    von 

Sachsen-Weimar  470. 
Johann  Cotto  s.  Cottonius 

470. 
Johannes  470. 
Johannes  Aegidius  s.  Aegi- 

dius  470. 
Johannes  Cäsar  August  anus 

470. 
Johannes         Chrysorrhoas 

470. 
Johannes  Langus  470. 
Johannes  de  Muris  s.  Muris 

470. 
Johannes  Mantuanus  oder 

Johannes     von     Mautiia 

470. 
Johannes  Paduanus  471. 
Johannes  Pediasimus  471. 


Presbyter    Seite 
Salisberiensis 


Jobannes 

471. 
Johannes 

471. 
Johannes  Scotus  471 
Johannes     Tanetos      oder 

Thanatensis  471. 
Johannes  vönEurgund  471 
Johannes  von  Cleve  471. 
Johannes  von  Fulda  471. 
Johannes  von  Neuville  471. 
John,  Karl  Wilhelm  471 
Johnson  472. 
Johnson,        Bartholomäus 

472. 
Johnson,  Edward  472. 
Johnson,  Heinrieh  Philipp 

472. 
Johnson,  Robert  472. 
Jolage,  Charles  Alexandre 

472. 
Joly  472. 
Jomard,  Edmond  Franfois 

472. 
Jomelli,  Nicolö  472. 
Jonas,  Emile  474. 
Jonas,  Karl  474. 
Jon  eck,  Michael  474. 
Jones,  Edward  474. 
Jones,  Griffith  475. 
Jones,  John  475. 
Jones,  Philipp  475. 
Jones,  Robert  475. 
Jones,  William  475. 
Jongleurs  476. 
Ionische  Tonart  477. 
Jordan  477. 

Jordan,  Hieronymus  478. 
Jortin,  John  478. 
Joseph,  Georg  oder  Josephi 

478. 
Joseph,  Pater  478. 
Josephson,  Jacob  Axel  478. 
Josephus  478. 
Josephus  Studitax  478. 
Josquin  Desprez  oder  des 

Pres  478. 
Josquin  (Giosquino)    d'As- 

canio  479. 
Josselin,  N.  479. 
Jossieu  s.  Josquin  479. 
Jota  arragonesa  479. 
Joubert  479. 
Joubert  de  la  Salette  s.  La 

Salette  480. 
Jouglet  480. 
Joung,  Matthew  480. 
Joung,  William  480 . 
Jourdan,  JeanBaptiste  480. 
Journet,  Francisque  480. 
Jousse,  J.  480. 
Jouve,  Elzear  Marie  480. 
.Touve,  Esprit  Gustave  480. 
Jouy.Victor  Joseph  Etieune 

480.  j 

Jovanelli  s.  Giovanelli  481.1 
Jozzi,  Giuseppe  481.  j 

Iperen,  Josua  van  481.  | 

Irak  481. 
Irato  481. 
Irgang,  David  482. 
Irgang,  AVilhelm  482. 
Irhove,  Wilhelm  482. 
Irland.     Irische  Musik  482. 
Irländische  Harfe  484. 
Irmer,    Wilhelm    Heinrich 

485. 
Irmisch,  Gottlieb  Wilhelm 

485. 
Irregulärer    Durchgang    s. 
Durchgang  und  Wechsel- 
noten 485. 
Irreguläre    Fuge   s.  Kanon 

und  Fuge  485. 
Irressolnto  485. 
Irrig,  Sebastian  485. 
Is-isis  485. 


Isaak,  Heinrich,  gen.  I.  von 
Prag  Seite  485. 

Ischak  486. 

Isfahan  486. 

Isham,  John  497. 

Isidorus  Hispalensis  487. 

Isis  487. 

Iske,  Rudolph  487. 

Ismard  487. 

Ismenias  487. 

Isnardi,  Paolo,  unricht.Isi- 
nardi  487. 

Iso  487. 

Isola,  Gaetano  487. 

Ison  488. 

Isouard,  Nicolö  488. 

Israeliten  s.  Hebräer  489. 

Istesso  489. 

Isthmische  Spiele  489. 

Italien.   Italienische  Musik 
490. 

Italienische  Quinte  s.  Rohr- 
flöte 505. 

Italienisches     Notenpapier 
505. 

Italienische     Tabulatur    s. 
Tabulatur  505. 

Itard,  J.  E.  M.  C.  505. 

Ite,  missa  est  506. 

Ithomäen  506. 

Ithyrabos  506. 

Juan  IV.  s.  Joao  IV.  506. 

Juan  Redondo  506. 

Jubal  506. 

Jubelhorn  s.  Buglehorn  und 
Klappeuhorn  506. 

Jubhünka  506. 

Jubilate  506. 

Jubiloso  506. 

Jubilus  oder  Jubilatio  506. 

Juden  s.  Hebräer  506. 

Judenkönig,  Hans  506. 

Judica  506. 

Judice,  Cesare  de  506. 

Jue,  Edouard  506. 

Jürgensen,    Johann     Chri- 
stoph 507. 

Juhorünot  507. 

Juillet  507. 

Juipin  507. 

Jula  507. 

Julaquinte  s.  Jula  507. 

Juliani  s.  Giuliaui  507. 

Juliano  s.  Giuliano  507. 

Julien  507. 

Julien,  G.  507. 

Julien,  Guillaume,  gen.  Na- 
voigille  507. 

Julien,  Henri  de  Saint  507. 

Julien,  Louis  Antoine  508. 

Julien,  Nicolas  508. 

Julien,  Paul  508. 

Julien,  Pierre  508. 

Julien,  Louis  Antoine,  un- 
richt.  Jullien  508. 

Julien,  Adolphe  509. 

Jullien,  Marcel  Bernard  509. 

lulos  509. 

Jumentier,  Bernard  509. 

Jumilhae,  Pierre  Benoit  de 
509. 

Jung,  Franz  Wilhelm  510, 

Jung  510. 

Jung,  Joachim,  nicht  Junge 
510. 

Jungbauer,  i'erdtnaud  Cö- 
Icstin  510. 

Junge,  Christoph  510. 

Jungert,  Jacobiua  geb.  Be- 
zin  510. 

Jungfernorgel  s.  Regal  510. 
Jungfernregal, auch  Geigen- 
regal   und    Siugendregal 
510. 
Jnngfrauenstimme    s.  Ala- 

moth  511. 
Junghans,  J.  A.  511. 


558 


Verzeichniss  der  im  fünften  Baude  enthaltenen  Artikel. 


Junghans,  C.  G.  Seite  611. 
Jungmann,  Albert  511. 
Jungmann,  I.ouis  511. 
Jungnickel,  Johann  511. 
Jungwirth,  Anton  511. 
Junius,  Adrian  511. 
Junker,  Karl  Ludwig  511. 
Jupin,     Charles      Kran^ois 

512. 
Jusdorff  512. 
JussOT,    Johann     Andreas 

512. 
Just,  Johann  August  612. 
Justesse  512. 
Justinian  I.,  gen.  der  Grosse 

512. 
Justinius  'a  Despons  513. 
Juvigny  513. 
Ivery,  John  513. 
Ives,  Simon  513. 
Ivo613. 
Ivo  513. 


K. 

Kaa,  Ignaz  513. 
Kaharo  513. 
Kabath,  Johann  513. 
Kaczkovvsky,  Joseph  514. 
Kadelbach,    Karl    Gottlob 

514. 
Kadenz  s.  Cadenz  514. 
Kadlecek,  L,  H.  514. 
Kadma  514. 
Käberle  514. 

Käferle,  Karl  Heinrich  511, 
Käferle,  Ferdinand  515. 
Käferstein  s.  Keferstein  515, 
Kahler,    Moritz    Friedrich 

August  515. 
Kämme  515. 
Kämpfer,  Joseph  515. 
Känorphica  s.   Xänorphica 

515. 
Küsermann,  Nicolaus  515 
Kässmayer,  Moritz  515. 
Kästehen  516. 
Kästner,  Abraham  516. 
Kästner,  Abraham  Gotthclf 

516. 


KafTka,    Joseph,    richtiger 

Kawka  Seite  Slü. 
Kaft'ka,  Wilhelm  516. 
Kaffka,  Johann   Christoph 

516. 
Kafka,  Joh.  Nepomuk  617. 
Kahl  517. 

Kahl,  Theodor  517. 
Kahl,     Gotthard     Wilhelm 

517. 
Kahl,  Heinrich  517. 
Kahle,  Karl  Hermann  Trau- 
gott 517. 
Kalile,  August  (Karl  Timo- 

theus)  .517. 
Kahnt,  C.  F.  517. 
Kahrel,  Hermann  Friedrich 

618. 
Kall,  Joseph  518. 
Kainz,  Marianne  518. 
Kaini-Prause,  Frau  518. 
Kaiser  oder  Kayser,   P.  L. 

518. 
Kaiser,  Pater  Jistrid  518. 
Kaiser,  Madame  518. 
Kaiserly  Krikuhr  518. 
Kaizer  519. 
Kakophonie  519. 
Kalamaika  519. 
Kalb  519. 
Kaibit/.,  Karl  519. 
Kalbitz,  Karl  August  519. 
Kalcher,  Johann  Nepomuk 

519. 
Kaldenbach,  Christoph  519. 
Kalergy,  Marie,  geb.  Grälin 

Nesselrode  519. 
Kalick  520. 
Kalidasas  520. 
Kaikar,  Heinrich,  gen.  Hen- 

ricus  Calcarensis  520. 
Kalkbreuner,  Christian  520. 
Kalkbrenner,      Friedrich 

(Wilhelm  Michael)  521. 
Kalkbrenner,  Arthur  522. 
Kalkua,  Joseph  522. 
Kailaus,  Ferdinand  522. 
Kallenbach,    Georg    Ernst 

Gottlieb  522. 
Kallenbcrg,  Wilhelm  522. 
Kallinikos  522. 


Kalliopc  Seite  522. 
Kalliwoda,  Johann  Wenzel 

523. 
Kalliwoda,  Wilhelm  523. 
Kalimus    oder   Kalmus    s. 

Calmus  523. 
Kaiwitz  s.  Calvisius  523. 
Kamal    Fddin    Abulphadlii 

Giafar  523. 
Kambra  üTS. 

Kambung  kayii  524.  j 

Kamcra(is(Oiaft  521. 
Kamiensky,  Matthias  524, 
Kaiiiilc  524. 
Kamm      oder      Rechen 

Kämme  524, 
Kammcl,  Anton  524.  j 

Kammer  52  t. 
Kammercomponist  525. 
Kammerconeert  s.  Concert 

525. 
Kammerflöte     s.    Kammer- 
register 525. 
Kammergedackt  s.  Gcdackt 

525. 
Kammerkoppel  525. 
Ivammcrlander,  Karl  525. 
Kammerloher  s.Camerloher 

525. 
Kammermusik  525. 
Kammermusiker  526. 
Kammerregister  526. 
Kammersänger  526. 
Kammerstimme  s.  Gedacktj 

527.  ! 

Kammerstyl      s.     Kammer- 
musik und  Styl  527. 
Kammerton  oder  Kapellton 

527. 
Kammervirtuose  527. 
Kampuk  oder  Ketut  527. 
Kanal,    Windrohr   oder 

Schlauchrolir  527. 
Kanalschnauzeu  528. 
Kanalventil  s.  Contraventil 

528. 
Kaucka,  Joseph  von  528. 
Kandele  528. 

Kandier,  Franz  Sales  628. 
Kang-hi  528. 
Kanne,FriedrichAugust529. 


Kanuegiesser,  Justus  Jacob 

Seite  529. 
Kanon  529. 
Kanonik  530. 
Kanoniker  537. 
Kanon  und  Fuge  538. 
Kant,  Immanuel  543. 
Kantun  543. 
Kanun  oder  Qünon  s.  Canun 

643. 
Kanzellc  s.  Cancelle  643. 
Kanzler,  der  543. 
Kauzler,  Josephine  543. 
Kao-ku  oder  Yn-ku  513. 
Kapellane  544. 
Kapelldiener  544. 
Kapelle  544. 
Kapellknaben  545. 
Kapellmeister  545. 
Kapellmusicus  oder  Kapel- 
list 545. 
Kapler,  Karl  Benjamin  545. 
Kapp,  Christian  515. 
Kapp,  F.  Karl  545. 
Koppe,  s.  Hut  und  Gedackt 

546. 
Kappeier,  N.  545. 
Kappeler.Johann  Nepomuk 

546. 
Kaps,  Ernst  (Karl  Wilhelm) 

545. 
Kapsberger,    Johann    Hie- 

ronymus  54G. 
Karaklausithyron  546. 
Karauschek  546. 
Karclin,     Sila      Dementie- 

witsch  547. 
Kargel,  Sixtus  547. 
Karger,  Friedrieh  Wilhelm 

Aloys  547 
Karl  der  Grosse  547. 
Karl  V.  548. 
Karl  VI.  548. 
Karl  Eugen  548. 
Karl,  Bernhard  Peter  549. 
Karl,  Johann  Gottlieb   549. 
Karna  549. 
Karnati  549. 

Karneia  oder  Karnia  549. 
Käme  pbarah  549. 
Karow,  Karl  550, 


r)ruck  von  Motzger  &  Wittig  in  Leipzig. 


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