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Full text of "Musikalisches Conversations-Lexikon. Eine Encyklopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften. Für gebildete aller Stände"

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Brandeis  University 
Library 


Gift  of 

a  Life  member  of  the 

National  IVomen's  Committee 

Brandeis  University 


Musikalisches 

CONVEESATIONS-LEXffiON. 


Eine  Encyklopadie 

dei' 

gesammten  musikalischen  Wissenschaften. 

Für  Gebildete  aller  Stände, 

unter  Mitwirkung 

der  Herren  Prof.  Franz  M.  Böhme,  Gustos  A.  Dörffel,  Kapellmeister  Prof. 
H.  Dom,  Prof.  (j.  Ellgel,  K.  S.  Kammermusiker  M.  Fürstenaii,  Dir.  Gevaert, 
L.  Hartmanii,  Dr.  F.  Hüffer,  Prof.  F.  W.  Jahns,  Dr.  W.  Langhans,  Prof. 
E.  Mach,  Prof.  Dr.  Emil  Nanmann,  Universitäts-Musikdir.  Dr.  Ernst  Naumann, 
Prof.  Dr.  Oscar  Paul,  Dr.  A.  Reissmann,  Prof.  E.  F.  Richter,  Prof.  W.  H.  Riehl, 
Musikdir.  Th.  Rode,  Prof.  H.  Rnff,  Musikdir.  Dr.  W.  Rnst,  Geh.  Eath  Schlecht, 
0.  Tiersch,  0.  Wangemann,  Prof.  Dr.  H.  Zopff  u.  s.  w.,  u.  s.  w. 

begründet 

von 

Hermann  Mendel. 

Fortgesetzt 


von 


Dr.  August  Reissmann. 


Zehnter  Band. 


BERLIN, 

Verlag  von  Robert  Oppenheim. 

1878. 


Stradirarius,  Francesco,  ältester  Sohn  des  Vorigen,  arbeitete  melirere 
Jahre  in  Gemeinschaft  seines  Bruders  Omobone.  Es  sind  gute  Instrumente 
von  ihm  vorhanden,  aber  die  Meisterschaft  des  Vaters  erreichte  er  nicht.  Man 
findet  es  unbegreiflich,  dass  er  sich  nicht  an  das  Modell  des  Vaters  hielt.  Er 
wählte  ein  Originalpatron  mit  kühnen,  aber  roh  gezeichneten  Umrissen.  Die 
/"-Löcher  sind  ganz  verschieden  von  den  schönen  Linien  der  Geige  des  Vaters, 
auch  verwendete  er  einen  dunkleren  und  schlechteren  Lack,  Er  starb  am 
11.  Mai  1743.     Seine  Zettel  vom  Jahre   1725—1743  lauten: 

FRANCESCUS  STRADIVAUIXIS  CREMONENSIS 
FILIUS  ANTONII,  FACIEBAT  ANNO  17—. 

Stradivarius,   Omobone,  zweiter  Sohn  des  Antonius,  hat  wenig  gearbeitet. 
Ein  Cello  von  ihm  ist  geradezu  hässlich  und  auch  nicht  von  bedeutendem  Ton, 
Er  starb  am  5.  Juni  1742.     Seine  Zettel  vom  Jahre   1725 — 1742  lauten: 
OMOBONUS  STEADIVARIUS  FIGLY  ANTONY 
CREMONE  FECIT  ANNO  17—, 

Straelile,  Daniel,  Gelehrter  in  Schweden,  Mitglied  der  Akademie  der 
Wissenschaften  zu  Stockholm,  lebte  in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts. 
Im  fünften  Bande  der  Memoiren  dieser  Akademie  Hess  er  einrücken:  »Versuch, 
eine  gleichschwebende  Temperatur  mechanisch  zu  entwerfen.« 

Straehle,  ein  berühmter  Orgelbauer  in  Schweden,  geboren  zu  Matsbo  1720, 
verfertigte  viele  herrliche  Werke  und  starb  im  Februar   1765. 

Strakaty,  geboren  am  2.  Juli  1804  in  Blatna  in  Böhmen,  widmete  sich 
Anfangs  der  Jurisprudenz,  ging  dann  aber  unter  Stepanek's  Direktion  in  Prag 
zum  Theater.  Hier  errang  er  sowohl  als  Opern-  wie  als  Concertsänger  ausser- 
ordentlichen Beifall.  Namentlich  war  er  in  Mozart's  und  Weber's  Opern  aus- 
gezeichnet. Bei  seinem  Abschiede  von  der  Bühne  am  4.  Novmbr.  1858  wurde 
er  zum  Ehrenbürger  der  Stadt  Prag  ernannt.    Er  starb  hier  am  21.  April  1868. 

Strakosch,  M.,  Pianist,  in  Ungarn  1825  geboren,  studirte  Musik  in  Pesth 
und  Wien.  1846  ging  er  nach  Italien  und  liess  sich  in  den  Hauptstädten 
daselbst  mit  vielem  Erfolg  hören,  auch  erschienen  bei  Riccordi  in  Mailand  meh- 
rere seiner  Compositionen.  Gegen  1851  reiste  er  nach  Amerika  und  lebte  in 
New- York  als  Claviei-lehrer ;  nach  Europa  zurückgekehrt  begleitete  er  Ade- 
line Patti  mit  auf  ihren  Reisen.  Seine  Compositionen  bestehen  in  Fantasien, 
Etüden  und  andern  Clavierpiecen.  y>Äddio  a  VItaliav.,  Album  für  Ciavier,  ent- 
hält: eine  Ballade,  eine  Etüde,  eine  Hymne,  ein  Gebet,  ein  Nocturno  und  einen 
Galopp,  op.  36  (Mailand,  Riccordi). 

Stramboli,  Bartolomeo,  Priester  und  Sänger  an  der  Kirche  San  Marco 
zu  Venedig  im  Anfange  des  18,  Jahrhunderts,  hat  herausgegeben:  y>Salmi  vesper- 
Uni  a  qioattro  voci,  con  hasso  continuo  per  Vorganoa  (Venedig,   1619,  in  4**). 

Strasciaudo,  strascinando  (ital.),  Vortragsbezeichnung,  schleppend, 
zögernd,  wie  rallentando. 

Strascinando  l'arco  mit  schleppendem  oder  aufliegendem  Bogen  und  wie 
beim  Tremulando  die  Töne  nicht  trennend. 

Strascinar,  strascino,  Terminus  beim  Gesänge,  die  Weise  der  Aus- 
führung, nach  welcher  die  Töne  durch  Hinüberziehen  verbunden  werden. 

Strascinato,  Flautato,  franz.:  Traine  oder  Flute,  der  Plötenstrich  bei 
der  Violine. 

Strassburger,  eine  Art  Allemande  (s.  d.). 


2  Strasser  —  Strauss. 

Strasser,  Johann  Greorg,  geschickter  Uhrmacher  aus  Baden  bei  AVien, 
Hess  sich  in  Petersburg  nieder  und  verfertigte  daselbst  eine  grosse  Spieluhr  in 
Form  eines  antiken  Tempels,  die  er  »Das  Mechanische  Orchester«  nannte. 
Dies  Werk  spielte  von  Mozart  zwei  Ouvertüren,  zwei  Clavierconcerte  und  ein 
Quintett,  die  Militär-Sinfonie  von  Haydn  und  noch  anderes.  Alles  nach  der 
Partitur,  und  hatte  vor  den  mechanischen  Kunstwerken  dieser  Art  noch  den 
Vorzug,  dass  es  crescendo  und  decrescendo,  sogar  tempo  rubato  spielte.  Es  wurde 
für  eine  hohe  Summe  ausgespielt  und  der  Predigerwittwe,  welche  es  gewann, 
kaufte  es  der  russische  Kaiser  für  25,000  Rubel  und  eine  lebenslängliche 
Pension  von  1000  Rubel  ab.  Im  dritten  Jahrgang  der  »Leipziger  musikalischen 
Zeitung«  S.   736  ist  das  Werk  näher  beschrieben. 

Stratonicus,  ein  Künstler  auf  der  Cither,  der  zu  Athen  zur  Zeit  Alexander's 
und  Ptolemäus'  blühte,  soll  zuerst  sein  Instrument  mit  vielen  Saiten  bezogen 
haben.  Dass  er  zugleich  ein  witziger  Kopf  war,  musste  er  später  mit  dem 
Tode  büssen,  denn  König  Nikokles  liess  ihn  um  eines  Witzes  willen  vergiften. 
Strattuer,  Georg  Christoph,  geboren  1650  in  Ungarn,  gehörte  erst 
zur  Kapelle  des  Prinzen  von  Durlach  und  erhielt  später  in  Prankfurt  a/M,, 
dann  in  Weimar  eine  Stelle  als  Kapellmeister,  wo  er  1705  starb.  Von  ihm 
sind  gedruckt:  »Melodien  zu  Neander's  Bundes-  und  Himmelsliederna  (Frank- 
furt und  Leipzig,  1691):  »Vier  Aria  novissima  mit  einer  Sing-  und  zwei 
Instrumental-Stimmen  nebst  Generalbass«  (Frankfurt,  1685,  in  Fol.). 

Straube,  Rudolph,  Virtuose  auf  dem  Ciavier  und  der  Laute,  1720  in 
Sachsen  geboren.  Auf  der  Thomasschule  in  Leij)zig  unter  Seb.  Bach's  Direktion 
gebildet,  liess  er  sich  1754  in  London  nieder  und  gab  dort  ein  Heft,  enthaltend 
drei  Sonaten  für  Ciavier  und  Laute,  und  ein  Hefb  Duos  für  Laute  und 
Violine   heraus. 

Strauss,  Adolph  Friedrich,  Divisionsprediger,  Professor  an  der  Uni- 
versität in  Berlin,  geboren  1817  als  Sohn  des  Hof-  und  Dompredigers.  Er 
gab  heraus:  »Liturgische  Andachten  der  Königl.  Hof-  und  Domkirche  für  die 
Feste  des  Kirchenjahres.  Ausser  der  Liturgie  in  Noten  sind  darin  noch  viele 
kirchliche  Gesänge  enthalten  mit  Musik  von  A.  Neithardt,  Bortniansky,  M.  Prä- 
torius,  J.  Eccard,  E.  Grell,  Schröter,  Kübnast,  Lotti,  M.  Frank,  Cl.  Goudimel, 
S.  Bach,  M.  Bach,  Palestrina,  Gumpeltzheimer,  Stahlknecht,  Vulpius«  (Berlin, 
bei  W.  Hertz). 

Strauss,  Christoph,  Organist  des  Kaiser  Matthias,  lebte  zu  Wien  in 
der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts.  Ein  daselbst  im  Jahre  1613  veröffent- 
lichtes Werk,  betitelt:  r>C'aiitiones  sacrae  seu  motetti  5 — 10  vocumv.  hat  seinen 
Namen  als  Componisten  der  Nachwelt  erhalten. 

Strauss,  Joseph,  Kapellmeister  des  Grossherzogs  von  Baden,  ist  1793  zu 
Brunn  in  Mähren  geboren.  Sein  Vater,  der  früher  das  Amt  eines  Concert- 
meisters  an  einem  der  kleinen  Höfe  Italiens  bekleidet  hatte,  liess  ihn  im 
Ciavier-  und  Geigenspiel  unterrichten,  ohne  ihn  jedoch  zum  Musiker  zu  be- 
stimmen. Erst  nachdem  St.,  frühzeitig  verwaist,  nach  Wien  gekommen  war, 
entschied  er  sich  für  diesen  Beruf  und  betrieb  nun  seine  Studien  mit  solchem 
Eifer,  dass  er  im  Alter  von  zwölf  Jahren  im  Zwischenakt  einer  Vorstellung 
im  Theater  an  der  Wien  als  Violinist  an  die  Oeffentlichkeit  treten  konnte. 
In  Folge  des  Beifalls,  welchen  der  bei  dieser  Vorstellung  anwesende  Kaiser 
seiner  Leistung  spendete,  erhielt  er  einen  Platz  im  Orchester,  was  ihn  indessen 
nicht  abhielt,  seine  Studien  auf  der  Violine  unter  den  besten  Meistern  —  erst 
Blumenthal,  dann  De  Urbani,  endlich  Schuppanzigh  —  wie  auch  in  der  Har- 
monielehre unter  Teybert  und  im  Contrapunkt  unter  Albrechtsberger  eifrig 
fortzusetzen.  Eine  Anzahl  erfolgreicher  Concerte  begründeten  seinen  Ruf  als 
Violinvirtuose  und  Compouist  schon  in  den  ersten  Jünglingsjahren  und  ver- 
schafften ihm  ein  Engagement  als  Musikdirektor  in  Luzern  und  gleichzeitig 
ein  anderes  als  Soloviolinist  am  Theater  zu  Pest,  welches  letztere  er  annahm. 
In  Pest  schrieb  er  seine  ersten  grösseren  Compositionen,    u.  a.  Ouvertüre  und 


Strauss.  3 

Zwischenaktsmusik  zu  einem  Drama  »Die  Belagerung  Wiens«,  ein  Sextett  für 
Harfe  und  Blasinstrumente,  eine  Cantate  auf  liebräischen  Text  und  Chöre  für 
verschiedene  Tragödien.  Im  Jahre  1813  vertauschte  er  seine  Pester  Stellung 
mit  der  eines  Musikdirektors  in  Temeswar  (Ungarn);  doch  blieb  er  hier  nur 
ein  Jahr,  um  1814  die  Leitung  der  deutschen  Oper  in  Siebenbürgen  zu  über- 
nehmen, für  welche  er  in  der  Folge  die  Opern:  »Faust's  Leben  und  Thaten« 
und  »Die  Söhne  des  Waldes«  schrieb.  Zur  selben  Zeit  componirte  er  auch 
eine  Messe,    zwei  Cantaten  und  eine  Anzahl    von  Solostücken    für   die  Violine. 

Mit  noch  grösserem  Eifer  widmete  sich  St.  der  Composition,  nachdem  er 
1817  in  Brunn  zeitweiligen  Wohnsitz  genommen  hatte;  hier  schrieb  er  eine  Messe 
zur  Feier  des  Amtsantritts  des  Bischofs,  verschiedene  andere  Kirchencomposi- 
tionen  und  ein  Violinconcert;  dann  unternahm  er  eine  längere  Kunstreise  und 
Hess  sich  in  den  grösseren  Städten  Deutschlands  und  der  Schweiz  mit  Beifall  als 
Violinist  hören.  Um  diese  Zeit  (1822)  erhielt  er  die  Aufforderung,  eine  deutsche 
Oper  in  Strassburg  ins  Leben  zu  rufen;  seinem  dortigen  Aufenthalte  hatte  das 
Publikum  mustergültige  Darstellungen  des  »Don  Juan«,  »Fidelio«,  »Freischütz« 
und  anderer  klassischer  Opern  zu  danken.  Im  folgenden  Jahre  erhielt  er  die 
Stelle  eines  Musikdirektors  am  Hoftheater  zu  Mannheim,  verliess  dieselbe  jedoch 
schon  1824,  da  er  in  Folge  einer  von  ihm  geleiteten  Aufführung  des  »Ferdinand 
Cortez«,  welcher  der  Grrossherzog  von  Baden  beigewohnt  hatte,  von  diesem  zu 
seinem  Hofkapellmeister  ernannt  wurde.  Von  da  an  wirkte  er  in  Carlsruhe, 
mit  Ausnahme  des  Jahres  1840,  wo  er  einem  Hufe  nach  London  folgte,  um 
an  der  deutschen  Oper  zu  dirigiren  und  zugleich  seine,  1838  in  Wien  mit  dem 
zweiten  Preise  gekrönte  Symphonie  zur  Aufführung  zu  bringen.  Für  Carlsruhe 
schrieb  er  noch  die  Opern  »Armiodan«,  »Zelide«,  »Berthold,  der  Zähringer« 
und  »Der  Währwolf«,  welche  letztere  auch  in  Wien  zur  Aufführung  gelangte 
und  mehr  als  fünfzig  Wiederholungen  erlebte.  Ferner  die  Musik  zu  Auffen- 
berg's  Drama  »Der  Löwe  von  Kurdistan«,  ein  Te  deum,  eine  Cantate  »Das  Lob 
Gottes«  und  ein  Oratorium  »Judith«.  Er  starb  am  2.  December  1866,  nachdem 
er  schon  1863  in  den  Ruhestand  getreten  war.  An  Kammermusik  und  klei- 
neren Compositionen  sind  von  ihm  veröffentlicht:  1)  y>Variations  brillantes  für 
Violine  mit  Orchesterbegleitung«,  op.  9  (Mannheim,  bei  Heckel).  2)  »Streich- 
quartett«, op.  5  (Leipzig,  bei  Hofmeister).  3)  »Potpourris  für  Violine  mit 
Begleitung  einer  zweiten  Violine,  Bratsche  und  Violoncell«,  op.  5  und  6  (ebenda). 
4)  »Zwölf  Variationen  für  Violine  mit  einer  zweiten  Violine  und  Violoncell«, 
op.  4  (Leipzig,  bei  Breitkopf  &  Härtel),  5)  »  Variations  sur  un  menuet  mila- 
nais  für  Violine  und  Ciavier«,  op.  3  (ebenda).  6)  Mehrere  Hefte  Lieder  mit 
Ciavierbegleitung  (Prag,  bei  Enders,  und  Leipzig,  bei  Hofmeister). 

Strauss,  Johann,  deutscher  Tanzcomponist,  ist  geboren  am  14.  März  1804 
zu  Wien,  wo  seine  Eltern  das  Bierhaus  »Zum  guten  Hirten«  in  der  Leopold- 
stadt besassen.  Die  häuslichen  Verhältnisse  brachten  es  mit  sich,  dass  der 
Knabe  schon  von  Geburt  an  in  der  Wiener  Volks-  und  Tanzmusik  eine  Art 
geistiger  Nahrung  fand;  schon  im  zartesten  Alter  äusserte  sich  sein  musika- 
lischer Nachahmungstrieb,  indem  er,  wie  auch  Haydn,  als  kleiner  Knabe,  die 
Bewegungen  des  Violinspielers  mittelst  zweier  Stäbe  wiederzugeben  suchte.  Als 
er  in  der  Folge  von  seinem  Vater  eine  kleine  Geige  zum  Geschenk  erhielt, 
wusste  er  sich  bald  darauf  zurecht  zu  finden,  so  dass  man  ihm  den  Besuch  der 
mit  der  Elementarschule  verbundenen  Geigenschule  gestattete;  sein  Wunsch, 
sich  durch  Privatunterricht  zu  vervollkommnen,  musste  jedoch  bei  der  Mittel- 
losigkeit seiner  Eltern  unerfüllt  bleiben;  auch  wollten  dieselben,  ungeachtet 
seiner  immer  zunehmenden  Neigung  zur  Musik,  nicht  gestatten,  dass  er  sich 
ihr  ausschliesslich  widme,  vielmehr  bestimmten  sie  ihn  zum  Buchbinder,  und 
wirklich  musste  sich  S.  bequemen,  nach  kaum  absolvirter  Schulzeit  dies  Hand- 
werk zu  erlernen.  Die  geringe  Theilnahme,  die  er  für  seinen  ihm  aufgezwun- 
genen Beruf  empfand,  konnte  dem  Meister,  bei  dem  man  ihn  in  die  Lehre 
gegeben,  nicht  entgehen,  und  nachdem  alle  Ermahnungen  und  Strafen  vergeblich 

1* 


4  Straass. 

gewesen  waren,  verbot  derselbe  ihm  das  Violinsj)ielen.  Diesen  Schlag  ver- 
mochte der  vierzehnjährige  S.  nicht  zu  überwinden:  er  verliess  heimlich  das 
Haus  des,  im  Uebrigen  ihm  wohlwollenden  Buchbinder-Meisters  und  ging  mit 
seiner  Geige  in  die  weite  Welt  hinaus,  um  auf  eigne  Hand  sein  Heil  zu  ver- 
suchen. Aber  schon  bei  dem  nächst  Wien  gelegenen  Dorfe  Döbling  hatte  seine 
Wanderung  ein  Ende,  da  ein  dort  wohnender  Musikfreund,  der  den  kleinen 
Flüchtling  von  der  Geigenschule  her  kannte,  ihn  vorläufig  zu  sich  ins  Haus 
nahm;  dann  auch  den  Eltern  wieder  zuführte,  gleichzeitig  aber  dieselben  über- 
redete, dem  musikalischen  Streben  des  Sohnes  nicht  länger  hinderlich  zu  sein. 
Auf  seine  Veranlassung  erhielt  sodann  S.  regelmässigen  Violinunterricht  bei 
Polyschanski,  und  machte  unter  dessen  Leitung  so  rapide  Eortschritte,  dass  er 
bald  bei  Streichquartetten  in  Privathäusern  mitzuwirken  im  Stande  war,  später 
auch  eine  Beschäftigung  in  dem  Orchester  des  damals  sehr  beliebten  Musik- 
Direktors  Pamer  am  Concertlocal  »zum  Sperl«  fand. 

Bei  aller  Freude  über  diese  Erfolge  schien  doch  dem  strebenden  und  ehr- 
geizigen Knaben  sein  neuerrungener  AVirkungskreis  bald  zu  beschränkt.  Eben 
um  diese  Zeit  (1819)  hatte  sich  Lanner  mit  den  Brüdern  Drochanek  zu  einem 
Terzett  verbunden,  und  die  Vorträge  dieses  musikalischen  Kleeblattes  im  Kaflfe- 
hause  »Zum  grünen  Jäger«  in  der  Leopoldstadt  und  andern  Vergnügungslokalen 
erregten  durch  Schwang  und  treffliches  Zusammenspiel  grosses  Aufsehen.  S.'s 
Anerbieten,  sich  ihnen  als  Vierter  zuzugesellen,  wurde  von  Lanner  gern  ange- 
nommen, der  ihn  als  Violaspieler  engagirte,  ihm  aber  zugleich  das  Amt  Über- 
trag, mit  dem  Teller  in  der  Hand*  das  Honorar  der  Gäste  einzusammeln.  In 
diesem  Verhältniss  blieb  er  bis  zum  Fasching  1825,  wo  Lanner  bei  stets  wach- 
sender Vergrösserung  seines  Wirkungskreises  sich  geaöthigt  sah,  sein  Personal 
zu  vermehren;  das  kleine  Orchester,  zu  welchem  das  ehemalige  Quartett  ange- 
wachsen wai-,  wurde  getheilt,  und  S.  für  den  Tanzsaal  »Zum  grünen  Baum« 
als  Primsfeiger  und  Dirio-ent  ernannt.  Noch  in  demselben  Jahre  verheiratete 
er  sich;  zugleich  aber  löste  er  sein  Verhältniss  zu  Lanner  und  errichtete  selb- 
ständig ein  Quintett,  mit  dem  er  zuerst  im  Gasthaus  »Zum  rothen  Igel«  in 
der  Leopoldstadt  auftrat.  Bei  seinem  Austritte  aus  Lanner's  Orchester,  Ende 
1825,  wurde  es  Verabredetermassen  jedem  Musiker  freigestellt,  ob  er  sich  an 
Lanner  oder  an  S.  fernerhin  anschliessen  wolle  und  da  die  meisten  sich  für 
den  letzteren  entschieden,  so  konnte  er  schon  im  Carneval  1826  mit  einem 
Orchester  von  vierzehn  Personen  in  dem  damals  berühmten  Saale  »Zum  Schwan« 
in  der  Rossau  als  Kapellmeister  debutiren.  Jetzt  trat  er  auch  mit  seinen  Com- 
positionen  offen  hervor,  nachdem  er  bis  dahin  die  Autorschaft  seiner  Versuche 
auf  dem  Felde  der -Tanzmusik  geheim  gehalten;  die  ersten  unter  seinem  Namen 
aufgeführten  Tänze,  die  »Täuberl -Walzer«,  genannt  nach  dem  Concertlokal, 
»Bei  den  zwei  Tauben«,  hatten  vollständigen  Erfolg  und  fanden  in  Karl  Has- 
linger  sofort  einen  Verleger.  Seinen  Ruf  als  Walzercomponist  aber  begründete 
S.  im  Fasching  1827,  wo  er  als  Musikdirektor  im  Concertsaal  »Zur  Ketten- 
brücke« in  der  Leopoldstadt  seine  »Kettetibrücken-Walzer«  zum  ersten  Mal 
vortrug.  Diese  fanden  so  allgemeine  Anerkennung,  dass  er  mit  einem  Schritte 
alle  übrigen  Walzercomponisten  überflügelt  hatte  und  sich  ebenbürtig  an  die 
Seite  des  genialen  Lanner  gestellt  sah.  Von  dieser  Zeit  an  theilte  sich  das 
lebensfrohe,  tanzlustige  Wien  in  zwei  Parteien,  die  Lannerianer  und  die 
Straussianer,  deren  jede  den  von  ihr  er^vählten  Meister  in  den  Himmel  erhob, 
nicht  selten  auf  Kosten  des  Hauptes  der  andern;  doch  hatte  der  Wettstreit 
zwischen  Lanner  und  S.  eine  künstlerisch  veredelnde  Wirkung,  indem  er 
der  Gasthaus-Musik  ihrer  Zeit  eine  neue  Richtung  gab.  Bisher  hatte  man 
dieselbe  nur  als  eine  Beigabe  zur  Conversation  betrachtet  und  sie  an  sich 
keiner  besonderen  Aufmerksamkeit  gewürdigt.  Nun  wurde  diese  Musik  in  ihrem 
Repertoire  durch  Ouvertüren,  Concertstücke  u.  s.  w.  erweitert  und  auch  hinsichts 
der  Ausführung  auf  einen  höheren  Standpunkt  gebracht,  sodass  nicht  blos 
solche,  die  sich  bei  Bier  und  AVein  die  Zeit  vertreiben  wollten,  die  öffentlichen 


Strauss.  5 

Musik-Gärten  und  Salons  besuchten,  sondern  aucli  warme  Freunde  der  Musik, 
denen  ihre  Vei'hältnisse  den  Besuch  höher  gestellter  Kunstinstitute  unmög- 
lich machten. 

Eine  Glanzepoche  in  S.'s  Wiener  "Wirksamkeit  bezeichnen  die  Jahre  1830 
bis  1836,  während  welcher  Zeit  er  die  Musik  in  dem  damals  vornehmsten 
Vergnügungsort  der  Hauptstadt  »Zum  Sperl«  in  der  Leopoldstadt  leitete  und 
diesem  Lokale  einen  Zulauf  verschaffte,  der  in  der  Geschichte  der  Wiener 
Unterhaltungsmusik  beispiellos  war.  Im  Jahre  1834  wurde  er  zum  Kapell- 
meister des  ersten  Bürgerregimeutes  ernannt;  ein  Jahr  später  wurde  ihm  die 
Musik  bei  den  Hof  ballen  übertragen;  zudem  hatte  er  sich  durch  sein  beschei- 
denes und  taktvolles  Auftreten  als  Mensch  in  den  aristokratischen  Kreisen  so 
allgemein  beliebt  gemacht,  dass  bei  ihren  Festen,  sollten  sie  den  vollen  Genuss 
bieten,  er  mit  seinem  Orchester  nicht  fehlen  durfte.  Seine  Thätigkeit  wurde 
noch  umfassender,  als  er  nach  dem  Beispiele  Lanner's  angefangen  hatte,  Musik- 
engagements für  mehrere  Localitäten  zugleich  anzunehmen;  die  Besitzer  sämmt- 
licher  Vergnügungssokaie  Wiens  geizten  nach  dem  Glück,  den  Namen  »Strauss« 
mit  dem  Zusatz  »unter  persönlicher  Leitung«  auf  ihre  Ankündigungszettel 
setzen  zu  können  und  es  genügte,  wenn  der  Gefeierte  sich  nur  kurze  Zeit  dem 
Publikum  als  Musikleiter  zeigte.  Dennoch  war  sein  künstlerischer  Ehrgeiz 
durch  den  Erfolg  seines  bisherigen  Strebens  noch  keineswegs  befriedigt  und 
eben  jetzt  richtete  er  seine  Blicke  auf  ein  höheres  Ziel;  aus  den  hundert  bis 
zweihundert  Musikern,  die  während  des  Faschings  bei  ihm  in  Engagement 
standen,  hatte  er  sich  ein  Stamm-Orchester  gebildet,  das  er  stets  dirigirte  und 
durch  strenge  Auswahl,  sowie  sorgfältiges  Einstudiren  zu  einer  solchen  Voll- 
kommenheit erhob,  dass  es  in  Wien  nur  von  dem  fast  ausschliesslich  aus  be- 
rühmten Virtuosen  bestehenden  Orchester  des  Kärnthnerthor-Theaters  über- 
troffen wurde.  Mit  dieser  musikalischen  Leibgarde  umgeben,  gedachte  er  seine 
Kunst  über  die  Mauern  seiner  Vaterstadt  hinauszutragen,  und  die  Ausführung 
dieses  Planes  Hess  auch  nicht  lange  auf  sich  warten.  Zunächst  unternahm  er 
1833  einen  kurzen  Ausflug  nach  Pest;  sodann  1834  eine  längere  Eeise  nach 
Berlin,  wo  er  durch  seine  Concerte  im  Königstädtischen  Theater  die  nord- 
deutsche Bedächtigkeit  des  Publikums  zum  Enthusiasmus  entflammte;  endlich 
1835  nach  dem  westlichen  Deutschland,  um  dort  den  gleichen  stürmischen  Bei- 
fall zu  ernten.  —  In  Folge  einer  noch  längeren  Reise  durch  ganz  Deutschland 
und  Holland  im  September  1836  war  S.'s  europäischer  Ruhm  fest  begründet, 
und  sein  Vorsatz  zu  einer  grossen  Reise  ausserhalb  der  deutschen  Lande  bei 
ihm  zur  Reife  gediehen.  Er  ging  deshalb  für  die  nächste  Wintersaison  in 
Wien  keine  Verbindlichkeiten  ein,  knüpfte  dagegen  mit  Paris  und  London 
Unterhandlungen  an,  und  erhielt  von  dort  her  so  vortheilhafte  Anträge,  dass 
er  im  October  1837  in  Begleitung  seines  Orchesters  von  achtundzwanzig  Per- 
sonen die  Reise  mit  gutem  Muthe  antreten  konnte.  Die  grossen  Erfolge,  die 
seine  Leistungen  unterwegs  in  München,  Karlsruhe  und  Strassburg  hatten, 
sollten  sich  in  Paris  in  noch  verstärktem  Masse  wiederholen,  wenngleich  ihm 
hier  ein  Musard  als  Nebenbuhler  gegenüberstand.  Schon  sein  erstes  Concert 
im  Gymnase  musical  und  hier  besonders  der  »Gabrielen- Walzer«  brachte  eine 
ausserordentliche  Wirkung  hervor;  wenige  Tage  danach  erhielt  S.  eine  Ein- 
ladung, sich  mit  seiner  Kapelle  vor  der  königlichen  Familie  in  den  Tuilerien 
zu  produciren,  bei  welcher  Gelegenheit  ihm  Louis  Philipp  nebst  den  übrigen 
Mitgliedern  des  Herrscherhauses  auf  die  herzlichste  Weise  persönlich  entgegen- 
kamen. In  wie  hohem  Grade  er  das  Pariser  Publikum  zu  fesseln  wusste,  be- 
weist der  Umstand,  dass  in  seinen  mit  Musard  gemeinschaftlich  veranstalteten 
Concerten  —  wo  S.  die  erste,  Musard  die  zweite  Abtheilung  übernahm  —  der 
grösste  Theil  der  Zuhörer  nach  dem  ersten  Tlieil  den  Saal  verliess,  obschon  S. 
mit  seinem  numex'isch  bescheidenen  Orchester  den  massenhaften  Instrumental - 
kräften  Musard's  gegenüber  im  Nachtheil  war.  Gleichen  Beifall  fand  er  in 
den   Provinzialstädten   Frankreichs   und   in   London,   wo    er  im  Frühjahr  1838 


g  Strauss. 

mit  seiner  Gesellschaft  eintraf.  Für  die  ersten  zwölf  Concei*te,  die  er  in  der 
englischen  Hauj^tstadt  gab,  erhielt  er  die  Summe  von  1200  Gruineen  garantirt, 
und  wie  geachtet  er  in  der  musikalischen  Welt  dastand,  mag  die  Thatsache 
beweisen,  dass  ein  Künstler  wie  Moscheies  sich  mit  ihm  zu  Concerten  verband. 
Wohl  hätte  S.  mit  dem  Ergebniss  seiner  Heise  zufrieden  sein  können,  wenn  er 
nicht  in  Folge  der  Anstrengungen  und  klimatischer  Einflüsse  erkrankt  wäre. 
Mit  dem  Aufgebot  aller  seiner  Kräfte  nach  Wien  gelangt,  wurde  er  hier  von 
einem  Nervenfieber  befallen,  dessen  Ueberwindung  er  nur  seiner  kräftigen  Natur 
zu  danken  hatte.  Bald  nach  seiner  Genesung  befiel  ihn  eine  andere  schwere 
Krankheit  (Nierengeschwüre)  und  hielt  ihn  monatelang'  auf  seinem  Lager  fest; 
doch  auch  diesmal  entrann  er  dem  Tode  und  konnte  am  1.  Mai  1839  mit 
einem  Concert  im  Augarten  sein  Genesungsfest  feiern,  unter  dem  Jubel  seiner 
Landsleute,  die  sich  zu  Tausenden  eingefunden  hatten,  um  ihren  Liebling,  den 
Walzerkönig,  zu  begrüssen. 

Eine  Eeihe  von  Musikfahrten  füllten  neben  seiner  Wiener  Wirksamkeit  die 
Zeit  aus  bis  zum  Fasching  des  Jahres  1848.  Um  diese  Zeit  war  das  alte  Wien 
noch  dicht  von  dem  goldenen  Schleier  seiner  weltbekannten  Gemüthlichkeit  um- 
hüllt —  wie  S.'s  Biograph  Scheyrer  bemerkt*)  —  und  S.  war  noch  unum- 
schränkter Herrscher  in  diesem  Reiche.  Mit  vollen  Zügen  schlürfte  man  den 
süssen  Melodientrank,  den  er  in  seinen  neuen  herrlichen  AValzern  »Adepten«, 
»Amphionsklänge«,  »Aetherträume«  u.  a.  seinen  Verehrern  darbot,  —  da  kam  der 
März  und  rüttelte  die  Wiener  aus  ihrer  träumerischen  Gemüthlichkeit;  S.  er- 
wachte gleich  seinen  Anhängern  und  huldigte  der  über  Oestreich  herabschwe- 
benden Göttin  der  Freiheit  auch  seinerseits  durch  Tonschöpfungen,  wie  der 
österreichische  »Nationalgardemarsch«,  »Marsch  der  Studentenlegion«,  »Marsch  des 
einigen  Deutschlands«,  die  Walzer  »Sorgenbrecher«  und  »Landesfarben«.  Im 
übrigen  blieb  er  der  Politik  fern  und  bewahrte  dem  Herrscherhause,  an  dessen 
Hofe  er  als  Ballmusikdirektor  fungirte,  die  alte  Treue,  wofür  ihm  freilich  der 
Spottname  eines  »Schwarzgelben«  und  häufige  Drohbriefe  nicht  erspart  blieben. 
Der  Wiener  Carneval  des  Jahres  1849  war  einer  der  traurigsten,  welche  die 
Kaiserstadt  seit  ihrem  tausendjährigen  Bestehen  erlebt  hatte,  und  S.,  der  wohl 
fühlte,  dass  selbst  seine  Kunst  nicht  mächtig  genug  war,  um  die  düstern  Wolken 
zu  verscheuchen,  entschloss  sich  zu  einer  neuen  grösseren  Kunstreise.  Wieder 
bildete  London  den  Höhepunkt  seiner  Erfolge;  wieder  aber  sollte  das  englische 
Klima  ihm  verhängnissvoll  werden.  Bald  nach  seiner  Ankunft  begann  er  an 
einer  physischen  Erschöpfung  zu  leiden,  die  ihm  die  künstlerische  Freudigkeit 
raubte,  mit  der  er  sonst  seinem  Berufe  obgelegen  hatte.  Zwar  schien  er  sich 
nach  seiner  Bückkehr  in  die  Heimath  geistig  und  körperlich  zu  erholen,  in- 
dessen musste  die  Aussicht  auf  seine  Genesung  bald  schwinden;  am  19.  Sep- 
tember trat  er  zum  letzten  Male  im  »Sperl«  vor  das  Wiener  Publikum,  zwei 
Tage  danach  wurde  er  vom  Scharlach  befallen,  dem  er  am  25.  Septbr.  1849 
erlag.  Sein  Leichenbegängniss  fand  unter  lebhafter  Theilnahme  der  gesammten 
Bevölkerung  Wiens  statt,  welche  den  weiten  Weg  bis  zum  Friedhof  in  Döbling 
besetzt  hielt,  wo   S.  neben  Lanner  die  letzte  Ruhestätte  fand. 

So  streng  und  fest  S.  in  allem  war  was  seinen  Beruf  anging,  so  gutmüthig 
und  heiter  zeigte  er  sich  im  gewöhnlichen  Leben;  auch  häusliches  Unglück  — 
seine  1825  geschlossene  Ehe  musste  1845  getrennt  werden  —  vermochte  nicht 
seinen  Charakter  zu  verbittern.  Mit  seinem  Nebenbuhler  Lanner  verkehrte  er 
bis  zu  dessen  Tode  1843  in  collegialischer  Weise,  wie  sehr  auch  sein  Naturell 
mit  dem  Lanner's  contrastirte.  War  Lanner  melodisch-schmelzend,  weich  und 
sentimental,  so  war  S.  feurig,  stürmisch,  erobernd,  und  wenn  sich  seine  schmäch- 
tige aber  vornehme  Figur,  mit  dem  absonderlich  geformten  Kopfe  —  von  den 
Franzosen  sttete  carreen  genannt  —  den  wunderlichen  Gesichtszügen  mit  inein- 


*)  Ludwig   Scheyrer  „Johann  Strauss's  musikalische  Wanderuuo-  durch  das  Leben", 
Wien,  1851, 


Strauss.  7 

andergewachsenen  Augenbrauen  auf  dem  Orchester  zeigte,  so  waren  nicht  nur 
die  Füsse  der  Tanzlustigen,  sondern  auch  Herzen  und  Pulse  wie  elektrisirt. 
Als  Violinspieler  zählte  er  zwar  nicht  zu  den  Virtuosen  ersten  Ranges,  hatte 
sich  jedoch  unter  Leitung  Jansa's  (1835  — 1836)  und  durch  stete  eigene 
TJebung  die  vollständige  Herrschaft  über  sein  Instrument  angeeignet.  Auch 
in  der  Compositionskunst  hatte  er  unter  Ignaz  Ritter  von  Seyfried  gründliche 
Studien  gemacht;  die  zahllosen  in  seinen  "Walzern  verstreuten  contrapunktischen 
Feinheiten,  seine  gewandte  und  geistreiche  Instrumentirung  beweisen,  dass  die 
Lehren  jenes  Meisters  nicht  auf  unfruchtbaren  Boden  gefallen  waren.  Er  com- 
ponirte  ausserordentlich  schnell  und  machte  sich  nie  früher  an  die  Arbeit,  als 
bis  ihn  die  Zeit  unausweichlich  drängte;  hatte  er  einen  neuen  Tanz  für  irgend 
ein  Fest  angekündigt,  so  begann  er  erst  am  Morgen  desselben  Tages  mit  der 
Composition;  trat  im  Lauf  des  Tages  schlechtes  Wetter  ein,  so  dass  das  Fest 
verschoben  werden  musste,  so  legte  er  sofort  die  Feder  aus  der  Hand  und  liess 
die  Arbeit  liegen. 

S.'s  Söhne,  Johann,  Joseph  und  Eduard  folgten  ihrem  Vater  in  seinem 
Berufe,  weitaus  mit  dem  meisten  Glück  der  erstere.  Johann  S.,  hat  nicht 
nur  als  Tanzcomponist  ähnliche  Erfolge  aufzuweisen,  wie  sein  Vater,  er  wagte 
sich  auch  auf  das  Gebiet  der  komischen  Oper  und  hat  sich  hier  neben  Offen- 
bach und  Lecoq  einen  hervorragenden  Platz  zu  erringen  gewusst.  Er  debutirte 
1871  mit  »Indigo«,  dem  1873  »Der  Carneval  in  Rom«  (nach  Sardou's  »Picco- 
lino«)  und  1874  »Die  Fledermaus«  (nach  der  Posse  »Z<?  reveillon«.  von  Meilhac 
und  Halevy),  »Cagliostro«,  1875,  endlich  1877  «La  Tsigane<.(.  folgten,  letztere 
für  Paris  geschrieben  und  dort  im  Theater  »Z«  Senaissance«  aufgeführt.  In 
seinem  Erstlingswerk  für  die  Bühne  ist  von  specifisch  dramatischem  Talent  nur 
wenig  zu  verspüren;  einen  bemei'kbaren  Fortschritt  nach  Seite  der  technischen 
Gewandtheit  und  des  Theatereffektes  zeigt  die  Musik  zur  »Fledermaus«.  Den- 
noch wird  man,  soweit  bis  jetzt  zu  übersehen  ist,  als  das  beste  was  Johann  S. 
geschrieben  hat,  nicht  seine  Opern,  sondern  seine  Walzer  rühmen.  Der  unge- 
heure Erfolg,  den  sein  Walzer  »An  der  schönen  blauen  Donau«  gefunden,  ist 
ein  durchaus  berechtigter  und  man  darf  Hanslick  beistimmen,  wenn  er  behauptet*), 
die  Donauwalzer  des  jüngeren  Strauss  seien  zu  einer  Art  von  Volkshymne  ge- 
worden, welche  den  lebensfrohen  Zug  des  österreichischen  National-Charakters 
mit  der  gleichen  Treue  musikalisch  wiederspiegelt,  wie  Haydn's  »Gott  erhalte 
Franz  den  Kaiser«,  die  sinnige  und  pietätvolle  Seite  desselben. 

Strauss,  Ludwig,  ungarischer  Violinvirtuos,  ist  am  28.  März  1835  in 
Pressburg  geboren,  wo  sein  Vater  Lehrer  an  der  Normalschule  war.  Bald 
nach  seiner  Geburt  erhielt  dieser  einen  Ruf  nach  Pest  und  siedelte  in  Folge 
dessen  mit  seiner  Familie  dahin  über.  Kaum  dort  angelangt  wäre  jedoch  S. 
beinahe  ein  Opfer  der  furchtbaren  Ueberschwemmung  geworden,  welche  die 
ungarische  Hauptstadt  im  Jahre  1836  heimsuchte:  mit  genauer  Noth  gelang 
es,  das  zarte  Knäblein  zu  retten,  indem  man  es  in  seinen  Windeln  vermittelst 
zusammengebundener  Handtücher  aus  dem  zweiten  Stockwerk  des  Hauses  in  das 
ersehnte  Rettungsboot  hinabliess,  und  dann  durch  die  rasenden  Fluthen  nach 
dem,  auf  dem  jenseitigen  (Ofener)  Ufer  gelegenen  Blocksberg  flüchtete.  Weiteres 
ist  von  seinem  Aufenthalt  in  Pest  nicht  zu  melden,  da  er  schon  im  Alter  von 
fünf  Jahren  nach  Wien  gesandt  wurde,  um  hier  erst  die  Heiligenkreuzeshof- 
Schule,  dann  das  akademische  Gymnasium  zu  besuchen.  Die  an  letzterer  An- 
stalt betriebenen  Studien  hielten  ihn  nicht  ab,  gleichzeitig  als  Schüler  in  das 
Conservatoiüum  der  Musik  einzutreten.  Hier  vervollkommnete  er  sein  von 
früher  Kindheit  an  gepflegtes  Violinspiel  unter  der  Leitung  Joseph  Böhm's, 
bei  dem  er  von  1848  an  auch  Privatunterricht  genoss,  da  das  Conservatorium 
in  Folge  der  politischen  Verhältnisse  die  Staats-Subvention  verloren  hatte  und 


*)  Hanslick,  „Die  moderne  Oper",  S.  333. 


g  Strauss  —  Streiclien. 

■während  zweier  Jahre  nur  eine  Scheinexistenz  führte,  Hand  in  Hand  mit  dem 
Studium  der  Greige  ging  das  des  Contrapunkts  und  der  Composition  unter  den 
bewährten  Lehrern  Preyer  und  Nottebohm,  und  1850  konnte  er  als  ein  nach 
allen  Seiten  fertig  ausgebildeter  Künstler  zum  ersten  Mal  an  die  Oeifentlichkeit 
treten.  Wie  sehr  das  "Wiener  Publikum  die  Bedeutung  des  jugendlichen  Vir- 
tuosen schon  jetzt  zu  würdigen  wusste,  zeigt  die  Thatsache,  dass  er  wenige 
Jahre  später  (1853)  unter  allgemeiner  Theilnahme  einen  Cyclus  von  Quartett- 
abenden veranstalten  konnte  —  beiläufig  erwähnt,  in  demselben  Saale  des 
Grasthauses  »Zum  römischen  Kaiser«,  in  welchem  ein  Menscheualter  zuvor  der 
berühmte  Beethoven -Spieler  Schuppanzigh  seine  Quartett  -  Unterhaltungen 
gegeben  hatte. 

Bedeutungsvoll  war  für  S.  das  Jahr  1855,  in  welchem  er  seine  erste 
grössere  Kunstreise  unternahm.  Auf  dieser  Reise,  die  ihn  nach  Steiermark, 
Kärnthen,  Krain,  Italien  und  Oberösterreich  führte  und  ihm  überall  reiche 
Erfolge  brachte,  waren  erst  Anton  Door,  später  Arabella  Godard  seine  piani- 
stischen Genossen.  Noch  wichtiger  für  seine  künstlerische  Entwickelung  aber 
wurden  die  beiden  folgenden  Jahre;  an  trefflichen  Vorbildern  hatte  es  ihm 
zwar  bis  dahin  nicht  gefehlt,  da  er  mit  allen,  zeitweilig  oder  beständig  in  "Wien 
anwesenden  Künstlern,  mit  Molique,  Ernst,  Vieuxtemps,  den  Schwestern  Mila- 
nollo,  Laub,  den  älteren  Gebrüdern  Müller,  Jansa,  in  musikalischem  Verkehr 
gestanden;  die  Jahre  1856  und  1857  jedoch  brachten  ihm  besonders  reiche 
Anregung  und  Förderung,  da  er  während  derselben  Gelegenheit  hatte,  im  Hause 
eines  musikverständigen  Aristokraten,  des  Baron  Heiutl,  mit  Joseph  Mayseder 
regelmässig  Quartett  zu  spielen.  Dieser  nahm  zu  jener  Zeit  als  Quartettspieler 
mit  Recht  eine  Ausnahmestellung  ein.  Die  Feinheit  und  der  Humor  seiner 
Vortragsweise,  besonders  in  Haydn'schen  Quartetten,  die  kristallne  Durchsich- 
tigkeit seines  Tones  und  die  glockenreine  Intonation,  endlich  seine  Fertigkeit 
im  Gebrauch  des  springenden  Bogens  rühmt  S.  als  unvergleichlich  und  gesteht, 
dass  das  Beispiel  dieses  Meisters  ihn  mehr  als  alles  bisher  Gehörte  zur  Nach- 
eiferung angeregt  habe.  —  Selbst  inzwischen  zum  Meister  gereift,  trat  S.  1858 
eine  zweite  Kunstreise  an,  auf  welcher  er  fast  alle  grösseren  Städte  Deutsch- 
lands sowie  Belgiens  und  Hollands  berührte,  überall  mit  grossem  Beifall  con- 
certirend.  Im  folgenden  Jahre  übernahm  er  das  Amt  eines  Concertmeisters 
am  Theater  und  bei  der  Museums- Concertgesellschaft  zu  Frankfurt  a.  M.  Zwei 
von  hier  aus  nach  England  unternommene  Kunstreisen  waren  von  solchem  Er- 
folg begleitet,  dass  er  sich  1864  eutschloss,  London  zu  seinem  beständigen 
"Wohnsitz  zu  nehmen.  Hier  wirkt  S.  noch  gegenwärtig  als  Concertmeister  der 
philharmonischen  Gesellschaft  und  als  Soloviolinist  im  Orchester  der  Königin, 
ausserdem  noch  abwechselnd  als  Geiger  und  Bratschist  in  den  populären  Mon- 
tagsconcerten,  bekanntlich  ein  Tummelplatz  der  berühmtesten  Virtuosen  aller 
Nationen.  Dass  er  bei  den  grossartigen,  von  Halle  in  Manchester  veranstal- 
teten Concerten  ebenfalls  als  Concertmeister  angestellt  ist,  mag  als  ein  Beweis 
der  Achtung  gelten,  die  man  seinen  künstlerischen  Leistungen  auch  ausserhalb 
Londons  entgegenbringt. 

Stravaganto,  (ital.),  ausschweifend,  unbändig,  toll.  M.  Presenti  (ge- 
boren  1640)  veröffentlichte:  »Oapricci  stravagantw. 

Stravaganza  (ital.),  Ausschweifung;  Bezeichnung  für  ein  Tonstück  selt- 
samsten  Charakters. 

Strebefeder,  s.  Balg. 

Streicheither,  s.  Streichzither. 

Streichen,  bei  Geigeninstrumenten  den  Saiten,  mit  Hülfe  des  Bogens,  der 
auf  diese  mit  der  breiten  Fläche  der  Haare  gesetzt  wird,  Töne  entlocken,  indem 
man  ihn  hin  und  her  zieht. 

Streichen,    beim    Notenschreiben    die    Notenköpfe    mit    einem,    nach    ihrer 


Streicher  —  Strelchmstrumente.  9 

Stellung  auf  dem  System  aufwäi'ts  oder  abwärts  gehenden  Stricli  versehen; 
sie  auf-  oder  abwärts  streichen: 


:— ji=j=.j=-y r—^:=^ 


-\=\:^ 


t=ti 


1 


Streicher,  Johann  Andreas,  geboren  zu  Stuttgart  am  13.  Decbr.  1761, 
kam  nach  dem  Tode  seines  Vaters  auf  die  militärische  Pflanzschule,  welche  1771 
der  Herzog  Karl  von  Würtemberg  gegründet  hatte,  die  sogenannte  »Karlschule«. 
Er  war  es,  der  seinen  Mitschüler,  den  Dichter  Friedrich  Schiller,  auf  seiner 
Flucht  von  Mannheim  nach  Fi'ankfurt  begleitete  und  demselben  in  seiner  da- 
maligen Verlassenheit  treu  beistand.  Erst  im  17.  Jahre  konnte  er  sich  der 
Ausbildung  im  Ciavierspiel  hingeben;  dennoch  erlangte  er  Fertigkeit  und  Hess 
sich  zuerst  in  München  als  guter  Spieler  in  der  Manier  Kozeluch's  öffentlich 
hören.  1793  kam  er  nach  Augsburg,  wo  er  sich  in  demselben  Jahre  mit 
Nanette,  der  Tochter  des  berühmten  Orgel-  und  Instrumentenbauers  Stein 
(s,  d.  Art.)  verheiratete.  Das  junge  Paar  Hess  sich  in  "Wien  nieder  und  Streicher, 
der  sich  hier  ebenfalls  als  Ciavierspieler  bekannt  machte,  fand  später  in  der,  von 
seiner  Frau  geleiteten  Pianofortewerkstatt  Gelegenheit,  sich  mit  dem  Bau  der 
Instrumente  zu  beschäftigen.  Er  veränderte  das  bisherige  System,  indem  er 
das  Hammerwerk  über  den  Saitenbezug  legte,  worauf  der  Ruf  der  Streicher'scheu 
Pianoforte  sich  immer  noch  mehr  ausbreitete.  Dasselbe  System  wurde  von  Pape 
in  Paris  (s.  d.  Art.)  noch  vervollkommnet.  St.  starb  vier  Monate  nach  dem 
Tode  seiner  Frau  am  25.  Mai  1833.  Bekannt  von  ihm  ist  ein  Rondeau  mit 
acht  Variationen:  i>The  Lass  qf  Biclimond's  SilU  (München,  Falter).  Zwölf 
Variationen  für  Ciavier  (Mannheim,  Heckel). 

Streicher,  Nanette,  Gattin  des  Vorigen  und  Tochter  des  mehrerwähnten 
Oi'gelbauers  Stein  zu  Augsburg,  geboren  am  2.  Januar  1760,  war,  vom  Vater 
ausgebildet,  eine  geschickte  Clavierspielerin,  die  1787  ein  Clavierconcert  öffent- 
lich spielte.  Nach  ihrer  Verheiratung  mit  Streicher  1793  gründete  sie  in  "Wien 
eine  Pianofortefabrik,  in  welcher  ihr  Bruder  (s.  Art.  Stein)  die  technische 
Leitung  übernahm.  Diese  Fabrik  gehört  zu  den  berühmtesten  ihrer  Zeit.  Noch 
fällt  auf  Nanette  Streicher  ein  freundlicher  Strahl,  denn  sie  ist  Jahre  hindurch 
bemüht  gewesen,  dem  grossen  Beethoven,  dem  die  sorgende  Frauenhand  fehlte, 
in  seinen  häuslichen  Bedrängnissen  hilfreich  zu  sein.  1813,  als  sie  seine  Häus- 
lichkeit in  höchster  Verfallenheit  fand,  nahm  sie  sich  desselben  durchgreifend 
an,  sie  ordnete  erst  die  Garderobe,  dann  das  Hauswesen  und  bewog  ihn  zu 
praktischen  Veränderungen  desselben,  wurde  überhaupt  nicht  müde,  nach  dieser 
Seite  hin  »dem  grossen  Unmündigen«  zu  rathen  und  zu  helfen. 

Streichchor  nennt  man  einen  Chor  von  Streichinstrumenten  zum  Unter- 
schiede vom  Streichquartett  (s.  d.).  In  der  Regel  ist  auch  er  wie  dies  aus 
ursprünglich  vier  Stimmen  zusammengesetzt:  zwei  Geigen,  Bratsche  und  Cello, 
aber  bei  diesem  ist  jedes  dieser  Instrumente  nur  mit  je  einem  Spieler  besetzt, 
hei  jenem  aber  mit  mehreren  und  zum  Cello  tritt  dann  auch  noch  verstärkend 
der  Contrabass  hinzu.  So  wird  der  Streichchor  in  der  Regel  im  Orchester 
verwendet.  "Wie  in  älterer  Zeit  von  Lully,  Gluck,  Händel,  Bach  u.  a.  ist  er 
auch  in  neuerer  Zeit  wieder  in  selbständigen  Orchesterstücken  benutzt  worden, 
wie  von  0.  Grimm  in  der  Suite  in   Canonform,  und  von  Volkmann.* 

StreichinstrTimente  heissen  bekanntlich  die  Saiteninstrumente,  deren  Saiten 
durch  Anstreichen  mit  dem  Bogen  zum  Tönen  gebracht  werden.  Sie  bestehen 
aus  dem  Körper  oder  Kasten  (Resonanzkasten),  durch  dessen  Mitklingen  der 
Ton  wesentlich  verstärkt  wird,  dem  Hals  und  Griffbrett  und  vier  Saiten, 
die  über  den  Steg  und  das  Griffbrett  gezogen  sind,  am  Ende  des  Resonanzkastens 
an  dem  Saiten  halt  er,  am  Ende  des  Halses,  am  Kopfe  in  einer  Höhlung 
desselben,  im  sogenannten  "Wirbelkasten  an  "Wirbeln  befestigt  sind.  Der 
Bogen,  mit  dem  die  Saiten  gestrichen  werden,  ist  ein  eiwas  eingebogener,  nicht 
starker  Stab,  an  dessen  Spitze  eine  Strähne  Rosshaare  befestigt  ist,  am  andern 


10  Streichinstrumente. 

Ende  ist  diese  in  den  sogenannten  Frosch  eingeleimt,  der  vermittelst  einer 
Schraube  an  dem  entgegengesetzten  Ende  des  Bogens  festgeschraubt  wird,  so 
dass  die  Haare  die  gleiche  Richtung  —  selbstverständlich  ohne  die  Abweichung 
von  der  graden  Linie  —  mit  der  Stange  haben.  Die  tonangebenden  Theile  der 
Saiten  werden  durch  den  Steg  und  den  obei'n  Rand  des  Griffbretts,  den 
sogenannten  Sattel  abgegrenzt;  für  den  Bogen  aber  bleibt  nur  der  Raum 
zwischen  Steg  und  Griffbrett  zum  Streichen. 

Nach  der  Grösse  des  Körpers  und  der  dadurch  bedingten  Länge  und 
Stärke  der  Saiten  unterscheiden  wir  mehrere  Arten  von  Streichinstrumenten: 
gegenwärtig  sind  nur  vier  Arten  in  unserm  Orchester  in  Gebrauch:  Violine 
(Geige),  Viola  (Bratsche),  Violoncello  und  Contrabass.  Die  Violine 
als  die  kleinste  Art  hat  die  höchste  Lage;  ihre  Saiten  sind  in  Quinten,  kl.  g, 
d} ,  a^ ,  e^  gestimmt;  die  Bratsche  aber  steht  eine  Quinte  tiefer,  sie  verliert 
die  ^-Saite,  die  ^-Saite  wird  ihre  höchste  und  gewinnt  dafür  die  Quinte  nach 
unten  in  der  C- Saite,  das  Violoncell  aber  ist  noch  grösser  gebaut,  so  dass 
seine  Saiten  eine  Octave  tiefer  gestimmt  werden.  Diese  drei  Instrumente  haben 
demnach  diese  Stimmung: 


Geige,      i 

\ 

Bratsche.    1 
Cello.       ^ 


^ 


Der  Contrabass  ist  wiederum  bedeutend  grösser  als  das  Violoncello  und  steht 
noch  bedeutend  tiefer.  In  neuerer  Zeit  ist  er  ebenfalls  meist  mit  vier  Saiten 
bespannt,  die  in  Contra-_E  und  A  und  gross  D  und  G  gestimmt  sind.  Doch 
wird  er  16füssig  gebraucht,  seine  Töne  werden  eine  Octave  höher  aufgezeichnet. 
Die  grosse  Reihe  der  übrigen  Töne  wird  nun  bekanntlich  dadurch  erzeugt, 
dass  der  Geiger  mit  den  Fingern  der  linken  Hand  die  Saite,  indem  er  sie  fest 
an  das  Griffbrett  drückt,  verkürzt  und  dadurch  einen  höhern  Ton  gewinnt. 
Auf  diese  Weise  erzielen  die  Geiger  die  ganze  chromatische  Tonleiter  durch 
mehrere  Octaven.  Eine  besondere  Art,  die  Flageoletttöne  (s.  d.),  die  da- 
durch erzeugt  werden,  dass  die  Finger  nur  lose  aufgelegt  werden,  ergeben  eine 
abermalige  Erweiterung  des  L^rafangs. 

Die  einfachste  und  natürlichste  Behandlungsweise  und  daher  auch  die 
gewöhnlichste  ist  die  mit  dem  Bogenstrich.  Der  Klang  ist  nicht  so  weich 
und  rund  wie  der  weichen  Blasinstrumente,  der  Clarinette,  Flöte  und  des  Horns, 
er  ist  etwas  rauher,  weil  man  immer  das  Reiben  des  Bogenstrichs  hört;  aber 
er  wird  dadurch  chai-akteristischer  und  grösserer  Veränderungen  fähig.  Diese 
Mannichfaltiffkeit  des  Klano-es  wird  noch  durch  mancherlei  Nebenumstände 
erhöht.  So  haben  die  leeren  Saiten  heilem  Klang  als  die  gegriffenen;  weil 
der  aufsetzende  Finger  den  Ton  abdämpft,  so  dass  der  Klang  dumpfer  wird. 
Die  tiefern  Saiten  klingen  rauher  als  die  höhern,  namentlich  die  übersponnenen, 
zugleich  aber  auch  voller,  während  die  höhern  heller  und  einschneidender,  aber 
auch  weniger  voll,  sondern  mehr  geschärft  und  gespitzt  ertönen,  wie  die  untern. 
"Weiterhin  vermag  der  Geiger  durch  die  besondere  Führung  des  Bogens  den 
Klang  der  Streichinstrumente  zu  modificiren.  Wenn  er  näher  am  Steg  streicht 
(sul  po7iticello),  so  erreicht  er  einen  etwas  rauhern,  klirrenden  Ton,  näher  am 
Griffbrett  (sur  la  tauche),  wird  der  Ton  dumpf  und  surrend.  Beim  Nieder- 
strich ist  der  Klang  der  Saiten  etwas  breiter  und  kräftiger,  beim  Aufstrich 
wird  er  schärfer  und  etwas  schwächer,  weshalb  die  Geiger  die  Strichart  sehr 
genau  beachten.  Um  eine  gemeinsame  Strichart  im  Orchester  zu  erzielen, 
wodurch  eine  correcte  Aufführung  wesentlich  erleichtert  wird,  bezeichnet  der 
Concertmeister  oder  Musikdirektor  die  Stricharten  ganz  genau  für  jeden  ein- 
zelnen Takt    und    dies    muss  dann  von  sämmtlichen  Geigern  streng  beobachtet 


Streichinstrumente.  11 

werden.    Es  geschieht  dies  durch  gewisse  Zeichen,  für  den  Niederstrich  |        | 

oder  A,    für    den    Aufstrich    I ^   oder  y.      Die    Bezeichnung    martellato 

=  gehämmert  deutet  an,  dass  jede  Note  mit  Niederstrich  und  zwar  mit  vollem 
Bogen  genommen  werden  soll. 

"Weiterhin  erleidet  der  Klang  noch  wesentliche  Modifikationen  dadurch,  dass 
mit  der  Spitze  oder  mit  dem  untern  Ende  des  Bogens  gespielt  wird.  Wird 
mit  der  Spitze  des  Bogens  gespielt  (punto  deW  areo),  so  werden  die  Töne 
perlend  leicht,  aber  auch  kraft-  iind  marklos,  während  sie,  wenn  am  untern 
Ende  des  Bogens,  am  Frosch  gespielt  wird,  härter  und  kräftiger,  aber  auch 
imgelenker  erklingen.  Bei  vollem,  breitem  Bogenstrich  gewinnen  sie  die  ganze 
Klangfülle  und  Klangrundung,  deren  das  Instrument  überhaupt  fähig  ist. 

Eine  andere  Behandlungsweise  der  Streichinstrumente,  durch  die  das  Fla- 
geolettspiel erzeugt  wird,  erwähnten  wir  bereits.  Der  Klang  der  Flageoletttöne 
unterscheidet  sich  wesentlich  von  dem  der  gewöhnlichen  Behandlungsweise;  er 
wird  fast  flötenartig  luftig  und  hell  und  durchdringend  fein.  Eine  Yeränderung 
des  Klanges  der  Streichinstrumente  wird  ferner  durch  das  Aufsetzen  der  soge- 
nannten Dämpfer  (con  Sordino)  erreicht.  Es  sind  dies  bekanntlich  kammartig 
eingeschnittene  und  der  Länge  nach  offene  Holzplättchen,  die  auf  den  Steg  des 
Instruments  gesetzt  werden.  Dadurch  werden  die  Töne  abgedämpft,  indem  sich 
die  Einwirkung  der  Saitenschwingungen  auf  den  Besonanzkörper  vermindert. 
Der  Klang  wird  dadurch  dumpfer,  mehr  verschleiert  und  zugleich  wird  ihm, 
weil  die  Dämpfer  in  leichte  Schwingungen  mitgerathen,  ein  leises  Beben  mit- 
getheilt,  das  für  gewisse  Stimmungen  ausserordentlich  charakteristisch  sein  kann. 
Sollen  die  Saiten  wieder  frei  ausschwingen,  so  müssen  die  Dämpfer  wieder 
abgenommen  werden,  was  durch  senza  sordino  =  ohne  Dämpfer  angezeigt 
wird.  Durch  eine  andere  Behandlungsweise  der  Saiten  wird  endlich  ihr  Klang 
•ganz  und  gar  verändert,  durch  das  Pizzicato,  bei  welchem  die  Saiten  nicht 
mit  dem  Bogen  gestrichen,  sondern  mit  den  Fingerspitzen  gerissen  werden,  ähnlich 
wie  die  Saiten  der  Harfe  oder  Guitarre.  Dadurch  wird  der  Charakter  des 
Instruments  ganz  verändert,  es  hört  auf,  Streichinstrument  zu  sein  und  wird 
harfenartig.  Der  Ton  verliert  dabei  an  Fülle,  er  wird  kürzer,  härter  und  ohne 
Nachhall  klingend  und  erreicht  auch  nicht  die  Fülle  des  Harfentons,  weil  die 
Saiten  der  Streichinstrumente  bei  dieser  Behandhing  nicht  so  frei  ausklingen 
können  wie  die  bedeutend  längern  der  Harfe.  Das  Pizzicato  der  Streich- 
instrumente ist  aus  diesem  Grunde  nicht  solcher  Mässigung  fähig,  wie  das 
Harfen-  und  selbst  Guitarrenspiel,  zumal  auch  die  Saiten  dieser  Instrumente 
für  diese  Behandlungsweise  hergerichtet  sind.  Soll  nach  dem  Pizzicatospiel 
wieder  mit  dem  Bogen  gestrichen  werden,  wird  dies  bekanntlich  durch  coli' 
arco  =  mit  dem  Bogen  (auch  kurzweg  arco^  bezeichnet. 

Mit  diesen  vielseitigen  Behandlungsweisen  der  Streichinstrumente,  die 
ebensoviel  Klangveränderungen  erzeugen,  welche  keine  andere  Art  von  Instru- 
menten zeigt,  haben  sie  ganz  naturgemäss  namentlich  für  das  Orchester  eine 
so  hohe  Wichtigkeit  erlangt,  wie  kaum  noch  eine  andere  Instrumentenart. 
Hierzu  kommt  noch,  dass  sie  in  ihrer  Organisation  als  Chor  den  gesammten 
Umfang  unsers  Tonsystems  umfassen  und  zugleich  in  allen  möglichen  Stärke- 
graden und  in,  durch  die  Technik  kaum  beschränkter  Weise  angeben  können. 
Umfang,  Technik  und  Klangwesen  weisen  dem  Chor  der  Streich- 
instrumente daher  durchaus  die  bevorzugte  Stellung  im  Orchester  an.  Selbst 
die  Rohrblasinstrumente  sind  einer  so  virtuosen  Behandlung  wie  die  Geigen 
nicht  fähig,  noch  viel  weniger  natürlich  die  Messinginstrumente,  und  weil  die 
Blasinstrumente  auch  in  Bezug  auf  Umfang  den  Streichinstrumenten  nicht  gleich 
kommen,  so  treten  sie  zum  Orchester  vorwiegend  mit  ihrem  Klang-,  nicht 
auch  in  gleicher  Weise  mit  ihrem  Tonvermögen  hinzu.  Um  das  Tonvermögen 
der  Blasinstrumente  zu  erweitern,  mit  dem  der  Streichinstrumente  einigermaassen 
in  ein  Verhältniss  zu  setzen,  mussten  besondere  Vorkehrungen  getroffen  werden, 
wie    die    Einführung   von   Ventilen   und  Klappen,    die  nicht  selten  den 


\2  Streichquartett  —  Streit. 

ursprünglichen  Charakter  der  Instrumente  verändern,  ohne  dass  dadurch  die- 
jenige technische  Ausbildung  ermöglicht  wird,  welche  bei  den  Streichinstrumenten 
zu  erreichen  ist.  Ferner  ergeben  die  Blasinstrumente  nicht  entfernt  diese  Fülle 
von  Modifikationen  des  Klanges,  wie  die  Streichinstrumente.  Dabei  ist  noch 
zu  bemerken,  dass  die  Streichinstrumente  auch  noch  in  dem  Hülfsmittel  der 
Doppelgriffe  die  Fähigkeit  besitzen,  eine  grössere  oder  doch  eben  so  grosse 
Yielstimmigkeit  zu  erreichen,  wie  ein  mit  acht  oder  zehn  Instrumenten  be- 
setzter Bläserchor. 

Hieraus  geht  klar  hervor,  dass  für  die  künstlerische  Gestaltung  der  Streicher- 
chor im  Orchester  die  Grrundlage,  und  deshalb  von  wesentlicher  Bedeutung  ist, 
denn  für  das  Kunstwerk  kommt  zunächst  die  rein  tonale  Gestaltung  in  Betracht, 
das  Klangwesen  erst  in  zweiter  Eeihe.  Technik,  Umfang  und  Klangwesen 
haben  aber  auch  die  Streichinstrumente  zu  beliebten  Concertinstrumenten  ge- 
macht. Die  Yioline  wie  das  Cello  und  selbst  Bratsche  und  Contrabass 
nicht  ausgenommen,  erscheinen  viel  häufiger  als  jedes  andere  Orchesterinstrument 
concertirend  in  unsern  Concertsälen.  Natürlich  behält  als  solche  die  Geige 
den  Vorzug  und  eine  Reihe  der  besten  Meister  der  Composition  haben  Concerte 
für  dies  Instrument  geschrieben  und  eine  weit  grössere  heute  schon  fast  nicht 
mehr  übersehbare  Reihe  von  Virtuosen  haben  sich  die  Technik  angeeignet,  sie 
trefflich  auszuführen.  Kleiner  schon  ist  die  Zahl  der  Celloconcerte,  noch 
kleiner  die  der  Bratschenconcerte  und  am  kleinsten  die  der  Contrabassconcerte 
wie  der  Solospieler. 

Dagegen  hat  das  Solo-Ensemblespiel,  das  Zusammenspiel  von  drei,  vier 
und  mehr  solistisch  ausgebildeten  Streichinstrumentenspielern  eine  neue  Dar- 
stellungsweise bestimmter  Foi'men,  erzeugt  im: 

Streich(xuartett  (s.  Quartett)  für  zwei  Violinen,  Bratsche  und  CeUo, 

Streichqnintett  (s.  Quintett)  für  zwei  Violinen,  Bratsche,  zwei  Cello  (oder 
Cello  und  Contrabass), 

Streichsextett  (s.  Sextett)  für  zwei  Violinen,  zwei  Bratschen,  zwei  Cello 
(oder  Cello  und  Contrabass), 

Streicbseptett  (s.  Septett)  für  drei  Violinen,  zwei  Bratschen,  zwei  Cello 
(oder  Cello  und  Contrabass), 

Streichtrio  (s.  Trio)  für  Violine,  Bratsche  und  Cello  u.  s.  w. 

Ferner  werden  die  Streichinstrumente  auch  gern  mit  dem  Pianoforte  zur 
Darstellung  dieser  Formen  hingezogen,  zum  Duo  für  Pianoforte  und  Geige 
(oder  Bratsche  oder  Cello),  zum  Trio  für  Pianoforte,  Violine  und  Cello  (oder 
Bratsche),  Quartett  für  Pianoforte,  Violine,  Bratsche  und  Cello  u.  s.  w. 
Die  Streichinstrumente  gewinnen  demnach  unstreitig  im  Orchester  als  Streicher- 
chor wie  im  Concertsaal  als  Soloinstrumente  und  bei  der  sogenannten  Kammer- 
musik im  Concertsaal  und  Haus,  im  Duo,  Trio,  Quartett,  Quintett  u.  s.  w.  unter 
allen  Instrumenten  die  höchste  Bedeutung. 

Streichzither  ist  ein  neueres  Saiteninstrument  von  Doppelnatur,  bestehend 
aus  einem  flachen  Resonanzkörper  in  Herzform,  ohne  Hals,  mit  zwei  Schall- 
löchern und  einem  mit  Bünden  versehenen  GrifiTaret,  das  auf  der  Mitte  des 
Resonanzbodens  angebracht  ist.  Das  Instrument  wird  vom  Sjjieler,  indem  er 
es  vor  sich  auf  dem  Tisch  liegen  hat,  abwechselnd  bald  mit  einem  Geigenbogen 
gestrichen,  wozu  er  auf  dem  Griff'brete  fingert,  bald  wieder  wie  eine  Zither 
gekniffen ;  daher  der  Name  dieses  doppelnaturigen  Instruments,  das  nur  zum 
Melodievortrag  sich  eignet,  aber  zur  harmonischen  Begleitung  noch  eine  Schlag- 
zither erfordert.  Gebaut  werden  solche  Streichzithern  billig  und  gut,  sowie 
preiswürdige  Schlagzithern  zu  Markneukirchen  in  Sachsen,  zu  beziehen  durch 
die  Firma  Albert  Bauer  daselbst. 

Streit,  Wilhelmine,  geborene  Schulz,  Sängerin  beim  grossherzoglichen 
Theater  zu  Weimar,  wurde  am  16.  Septbr.  1806  zu  Berlin  geboren  und  kam 
mit  ihren  Eltern  nach  Carlsruhe,  wo  sie  schon  als  Kind  im  Theater  auftrat. 
Eine  Schülerin  von  Fesca  und  Mad.  Gervais,  bildete  sie  sich,  im  Besitze  einer 


Streitwolff  —  Strich. 


13 


mächtigen  Sopranstimme,  zu  einer  der  bedeutendsten  Sängerinnen.  Sie  glänzte 
besonders  in  grossartigen  Eolleu,  -wie  Medea,  Alceste,  Yestalin,  Donna  Anna, 
Lady  Macbeth,  Fidelio  u.  a.  in  Weimar,  bis  sie  1848  pensionirt  wurde. 

Streitwolff,  Johann  Heinrich  Gottlieb,  geboren  am  7.  Novbr.  1799 
zu  Göttinsfen,  starb  dasell)st  am  14.  Februar  1837.  Er  war  bis  1821  Yiolon- 
cellist  im  akademischen  Orchester,  auch  Lehrer  der  Guitarre  und  ein  verdienst- 
voller lustrumentenmacher.  Hauptsächlich  seine  Flöten  waren  beliebt,  auch 
war  er  einer  der  ersten,  welcher  die  Principien  von  Müller  für  die  Clarinetten 
anwendete  und  der  1820  nach  der  Idee  von  Stölzel  das  chromatische  Basshorn 
construirte.     Seine    Verbesserungen    der    Bassclarinette    wurden    von  Sax   noch 


weiter  geführt. 


Streug,  nach  Vorschrift,  come  sta. 

Strenjje  Fuge,  Fuga  ohliyata,  Fuga  propria  oder  regularis,  s.  Fuge. 

Strenge  Nachahiuuug,  s.  Nachahmung. 

Streuger  Satz,  s.  Satz,  Schreibart. 

Streu ger  Stil,  s.  Stil. 

Strepitoso,  Vortragsbezeichuung,  geräuschvoll,  lärmend. 

Streppoui,  Felix,  ist  in  Monza  geboren,  wo  er  später  als  Kapellmeister 
lebte.  Er  starb  in  Triest  1832.  Am  letzteren  Orte  und  in  Turin  wurden  von 
ihm  die  Opern  aufgeführt:   -fiGli  illinesia,  »Amore  e  mistero«,  »  Ulla  di  Bassora«. 

Streppoui,  Josefina,  Tochter  des  Vorigen,  geboren  za  Monza,  besuchte 
das  Conservatorium  zu  Mailand  und  wurde  eine  Sängerin,  die  in  Italien  viel 
Erfolse  aufzuweisen  hatte.  Ihr  erstes  Debüt  fand  1835  in  Triest  statt,  nach- 
dem  saner  sie  in  allen  grossen  Städten  Italiens  bis  zum  Jahre  1846  oft  unter 
enthusiastischem  Beifall,  worauf  ihre  Stimme  schnell  abnahm,  weshalb  sie  sich 
von  der  Bühne  zurückzog. 

Sti-etta  (ital.),  der  im  schnellern  Tempo  ausgeführte  Schluss  eines  Ton- 
stücks von 

Stretto  (enge),  eilender,  schneller,  abgeleitet.  Die  alte  contrapunktische 
Schule  hatte  die  Steigerung  am  Schlüsse  bei  der  Fuge  auch  durch  ein  Stretto  — 
die  Engführung,  Ristretto  erreicht.  Die  Meister  des  sogenannten  freien  Stils 
aber  in  Oratorium  und  Oper  und  in  den  selbständigen  "Werken  der  Instru- 
mental- und  Vocalmusik  erreichten  sie  durch  einen  grössern  Aufwand  der 
harmonischen  oder  melodischen  und  rhythmischen  Mittel.  Die  mehr  nur  auf 
äussere  Effekte  bedachten  Italienischen  Operncomponisten  seit  Paisiello  kamen 
auf  das  mehr  grobsinnlich,  rein  materialistisch  wirkende  Mittel  der  Beschleu- 
nigung des  Tempos  gegen  den  Schluss.  Den  allseitigsten  Gebrauch  von  diesem 
Mittel  der  Steigerung,  das  dem  Circus  entstammt,  machte  Rossini,  seitdem  ist 
es  wieder  allmälig  in  Abnahme  gekommen. 

Strich,  dies  Wort  findet  in  mehrfacher  Bedeutung  in  der  Musik  Anwendung. 
Bei  der  Notenschrift  bildet  der  Strich  zunächst  den  Stiel  der  Halben,  Viertel-, 
Achtelnote  u.  s.  w.: 


-^- 


Se 


Ist  eine  solche  Note  auf-  und  abwärts  gestrichen; 


^^ \ X ^-. 

r-'     11 

-JL — f- — r — ^- 

-1 

IM ^ J!_. 

-1 

so  deutet  dies  an,  dass  sie  von  zwei  Organen,  die  im  Uebrigen  selbständig 
geführt  sind,  hier  im  Einklänge  gehen  sollen.  Durch  senkrechte  Striche  werden 
die  Takte  abgetheilt,  daher  der  Name  Taktstrich.  Zwei  solcher  Striche  bilden 
das  Theilzeichen;    ein  starker    und  schwacher  Strich  mit  vorgesetzten  Punkten 


das  Wiederholungszeichen: 


1^  strich  —  Striggio. 

Die  Wiederholung  einer  Figur  wird  durch  schräge  Striche,  ;bei  Achteln  einen, 
bei  Sechzehnteln  zwei  angezeigt: 


(S.:  Abkürzungen,  Notenschrift.) 

Strich  heisst  bei  den  Streichinstrumenten  die  Bogenführung.  Er  zerfällt 
in  den  Aufstrich  (franz.:  le  Fousse)  und  in  den  Abstrich  (le  Tire). 
Beim  Abstrich  wird  der  Bogen  nahe  am  Frosch  aufgesetzt  und  dann  herab- 
gezogen; beim  erstem  vorn  an  der  Spitze  und  dann  hinaufgestossen. 

Stricker,  August  Reinhard,  war  als  Componist  und  Tenorist  im  Dienste 
Friedrich  I.  zu  Berlin  und  ward  am  24.  Febr.  1702  als  solcher  angestellt. 
Wie  aus  der  Dedication  seiner  sechs  italienischen  Cantaten  vom  10.  Octbr.  1716 
hervorgeht,  wurde  er  Kapellmeister  des  Fürsten  von  Anhalt  in  Köthen:  daraus 
ist  ferner  zu  ersehen,  dass  er  seine  Studien  wahrscheinlich  in  Italien  gemacht 
hat.  Er  componirte  zur  Yermählungsfeier  des  Kronprinzen  (Friedr.  Wilh.  I.) 
1706  mit  Finger  und  Volumier  gemeinschaftlich  die  Oper  »Der  Sieg  der  Schön- 
heit über  den  Helden«  und  zur  dritten  Vermählung  Friedrich  I.  1708  die  Oper 
»Alexander  und  Boxanens  Heirath«.  Die  sechs  oben  erwähnten  Cantaten  sind 
als  op.   1   in  Cöthen  bei  Anton  Löffler  1715  gedruckt. 

Striggio,  Alexandro,  Componist,  berühmt  als  Organist  und  Lautenspieler, 
war  als  Edler  zu  Mantua  1535  geboren  und  wurde  Kapellmeister  am  Hofe  zu 
Mantua.     Als  Componist  gehörte  er  mit  zu  den  ersten,  welche  Intermezzi  fürs 
Theater    schrieben    und    Gewicht    auf    den  Wortausdruck    legten.     Eine    dieser 
Arbeiten:    »Amico  ßdoa,    componirt    1565,    ebenso    die   beiden  ersten  Akte  der 
y>Psi/che«,    zur    Hochzeit  Franz    von  Medicis  mit  der  Erzherzogin  Johanna  von 
Oesterreich   zu   Florenz,    sind   aufgeführt.     Auch    zu  den  Festlichkeiten,  welche 
1579  zu  Florenz  bei  Grelegenheit  der  Hochzeit  Franz  I.  von  Medicis  mit  Bianca 
Capello    stattfanden,    componirte    er    in    Gemeinschaft    anderer,    wie  P.  Strozzi, 
Caccini    und    Claude    de  Coreggio    die  Musik.     Die    gedruckten    Compositionen 
Striggio's    sind   in    vielen    Sammlungen  verstreut.     Bekannt  sind  die  folgenden: 
i>Ma(h'igali  a  6  vociv,  lib.  1   (Venedig,  1566).     r>Il  secondo  libro  de  madrigali  a 
6  vocia    (Venetia,    Antonio    Gardano,    1566,   in  4°  obl.;    zweite  Ausgabe   1569). 
■all  primo   libro   de^   madrigali   a  5  voci  nuovamente  con  nuova  giunta  ristampato 
e  correttoi'i  (ibid.  1560;  andere  Ausgaben  1566,  1569,  1571,  1585,  1592,  in  4" 
obl.).     Ausgaben   des    zweiten    Buches  dieser  fünfstimmigen  Madrigale  sind  bei 
den   Erben    des  Geronimo  Scotto   1583  und  1585   erschienen,  vermuthlich  sind 
dies    aber    nicht    die    ersten.     Im    Kataloge    der    musikalischen    Bibliothek  des 
Königs  von  Portugal,  Johann  IV.,  is  das  2.,  3.  und  4.  der  fünfstimmigen  Ma- 
drigale   aber    ohne    Ort    und  Datum  angegeben.     y>Madrigali  a  sei  vocia,  lib.  3 
(Venetia,   1582).     »7Z  Cicalamento  delle  donne  al  buccato,  e  la  caccia  a  4,  5  <?  7 
voci,   con    il  giuoco    di  primeria   a   5  vociv.  (Venetia,   1584,  in  4").     Fetis  giebt 
noch    eine   ältere    Ausgabe   dieses  Werkes    an,    mit  dem  Titel:    »JZ  Cicalamento 
delle  donne  al  huccato,  e  la  caccia  di  Alessandro  Striggio,  con  un  lamento  di  JDi- 
done  ad  Enea,  per  la  sua  partenza,  di  Cipriano  Höre,  a  qiiattro,  cinque,    et  sette 
voci.     Di  nouo  poste  in  luce  per  Giulio  Bonagionta  da  San  Genesi  musico  della 
illust.  Signoria  di  Venezia  in  S.  Jifarco  et  con  ogni  diligentia  corrette;  in  Vinegia, 
1567,  appresso  Girolamo  Scotto,  in  4°.     Di  Hettore  Vidue  e  d' Alessandro  Striggio 
e    d'altri    eccellentissimi    musici    Madrigali   a  5  e  6  vocia  (Venetia  1566).     Ein 
achtstimmiges  Madrigal  von  Striggio  findet  sich   in    der  Madrigalen-Sammlung 
verschiedener    Componisten:    »JZ   Lauro  verde«  (Antwerpen,   1591,  in  4");  auch 
sind  andere  Compositionen  aufgenommen  in  den  Sammlungen:   1)  j>3Iusica  divina 
di  XIX  autori  illustri  a  A,  h,  %  et  1  vocia  (Antwerpen,  P,  Phalese,  1595,  in  4"). 
2)  rtMelodia  Olympica  di  diversi  eccellentissimi  musici  a  4,  5,  6  eZ  8  vocin  (ibid. 
1594,  in  4").    3)  »/Z  Trionfo  di  Dori  etc.  6  voci  etc.v.  (Venetia,  Gardane,  1596, 


Strigneudo  —  Strobel.  15 

in  4°).  Noch  ist  von  Jacob  Paix  ein  Madrigal  von  St.  in  sein  Orgel- Tab ulatur- 
Buch  aufgenommen. 

Strignendo,  s.  stringendo. 

Strina-Sacclii,  Regina,  s.  Scblick,  Regina. 

Striuasacchi)  Teresa,  ausgezeichnete  Sängerin,  die  zu  Rom  1768  geboren 
lind  dort  gebildet  wurde,  Ihr  erstes  Debüt  fand  im  Frühling  1787  in  Mantua 
in  einer  Oper  von  Paisiello  statt.  Dann  sang  sie  in  Triest,  Florenz  und  Wien, 
und  in  Venedig  und  Rom  in  den  Opern  von  Mayr  und  in  ihrer  Glanzrolle, 
der  Carolina  in  y>Matrimonio  segretOfs.  von  Cimaroso.  1801  ging  sie  mit  der 
ersten  italienischen  Operntruppe,  die  unter  dem  Consulat  für  Paris  engagirt 
wurde,  dorthin  und  sang  daselbst  bis  zum  Schlüsse  des  italienischen  Theaters 
1805.  Diese  Bühne  betrat  sie  1816,  48  Jahre  alt,  noch  einmal,  aber  weder 
sie,  noch  ihre  Stimme  waren  noch  reizend  wie  ehemals,  so  dass  sie  bald  zurück- 
treten musste.     Sie  starb  gegen   1830  in  London  in  dürftigen  Umständen. 

Stringendo  (ital.),  Vortragsbezeichnung,  eigentlich  pressend  =  zusammen- 
drängend, eilender,  fordert  eine  etwas  beschleunigtere  Bewegung,  ähnlich 
wie  accelerando. 

Strisciando  (ital.),  Vortragsbezeichnung  =  hingleitend,  einen  Ton  in  den 
andern  hinüberziehend. 

Strnad  (spr.  Stregnad),  Caspar,  Instrumentenmacher,  gegen  1750  in 
Böhmen  geboren,  Hess  sich  in  Prag  nieder  und  verfertigte  in  den  Jahren 
1781  bis   1793  gute  Violinen  und  Violoncellos,  auch   Guitarren. 

Strobach,  Johann,  Lautenist  und  Componist,  in  Böhmen  um  die  Mitte 
des  17.  Jahrhunderts  geboren,  stand  einige  Zeit  im  Dienst  Kaiser  Leopold  I. 
und  veröffentlichte  zu  Prag  1698  von  ihm  verfasste  Concerte  für  Ciavier,  Laute, 
Mandoline,  Viola  d'amour  und  Bassviola.  Eins  dieser  seltsamen  Concerte 
führte  Fetis  im  März  1833  in  einem  seiner  histoi'ischen  Concerte  vor.  Der 
berühmte  Guitarrist  Sor  studirte  eigens  für  diesen  Zweck  die  Laute,  Carcassi 
spielte  die  Mandoline,  Urban  die  Viola  d'amour,  Franchomme  die  Bassviola 
und  Fetis  das  Ciavier. 

Strobach,  Joseph,  Violinist  und  Orchesterdirektor  der  Prager  Oper,  ist 
am  2.  Decbr.  1731  zu  Zwittau  in  Böhmen  geboren.  Für  den  geistlichen  Stand 
bestimmt,  studirte  er  in  Breslau  und  Prag  Theologie  und  Philosophie,  widmete 
sich  jedoch  aus  Neigung  ganz  der  Musik.  Er  war  an  vier  Kirchen  und  an 
der  Oper  in  Prag  Musikdirektor.  Seine  Compositionen,  Concerte  und  Sonaten, 
blieben  Mauuscript.     Er  war  ein  intimer  Freund  Mozart's. 

Strobel,  Julius  Alexander,  ist  ein  tüchtiger,  noch  lebender  Orgelbau- 
meister. Derselbe  wurde  am  1.  October  1814  zu  Bösenbaum  im  sächsischen 
Voigtlande,  wo  sein  Vater  Prediger  war,  geboren.  Den  Schulunterricht  ertheilte 
ihm  sein  Vater.  Gleich  nach  der  Confirmation  —  Strobel's  Vater  war  kurz 
vorher  gestorben  —  kam  Julius  Strobel  bei  einem  Gold-  und  Silberarbeiter 
in  die  Lehre.  Durch  ein  böses  Augeaübel  gezwungen,  verliess  er  diesen  Beruf 
und  ging  zu  einem  Tischler.  Nach  bei  demselben  beendigter  Lehrzeit  trat  er 
als  Orgelbaulehrling  bei  dem  Orgelbaumeister  Mende  in  LeijDzig  ein.  Hier 
arbeitete  Strobel  vier  Jahre.  Nach  dieser  Zeit  vervollkommnete  er  sich  bei 
dem  Orgelbaumeister  Bucher  in  Schlesien,  bei  Kreuzbach  in  Borna  und  bei 
Schulz  sen.  in  Paulinzelle.  Das  waren  lauter  Meister,  bei  denen  Strobel  sich 
vervollkommnen  musste.  Erst  im  Jahre  1842  gründete  Strobel  in  Franken- 
hausen  eine  eigene  Werkstatt  und  führte  seit  jener  Zeit,  ausser  vielen  Repara- 
turen, 66  neue  Orgelbauten  aus.  Von  seinen  grösseren  Werken  nenne  ich 
zwei  Orgeln  in  Haarlem,  eine  Orgel  in  Thorn,  eine  Orgel  in  Salderhelden  und 
in  Northeim,  letztere  mit  64  klingenden  Stimmen.  Zwei  Söhne  stehen  dem 
alten  Meister  jetzt  helfend  zur  Seite. 

Sti'obel,  Valentin,  ein  berühmter  Lautenist  und  Componist,  lebte  zu 
Strassburg  um  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts.  Er  gab  heraus:  »Melodien  über 
deutsche  weltliche  Lieder  sammt  den  Ritornellen  mit  zwei  Violinen  und  einem 


16  Strofe  —  Strophe. 

Bass«  (Strassburg,  1652,  erster  Theil).  »Zwei  Symphonien  mit  drei  Lauten 
und  einem  Mandor,  auch  mit  vier  Lauten  und  Bass  und  Diskant«  (ebend. 
1654,  in  4"). 

Strofe,  s.  Strophe. 

Strohbass,  vulgäre  Bezeichnung  für  eine  Bassstimme  die  keinen  vollen 
Klang  namentlich  in  der  Tiefe  hat. 

Strohfledel,  ital.:  Sficcato,  franz.:  Glaquebois,  auch  Holzharmonika 
(Xylorganum)  genannt,  ist  ein  sehr  altes,  fast  bei  allen  Völkern  (insbesondei'e 
bei  den  Russen,  Tartareu,  Polen)  verbreitet  gewesenes  Schlaginstrument,  das 
aus  einer  E,eihe  tannener  Stäbe  von  verschiedener  Länge  besteht,  die  tonleiter- 
mässig  abgestimmt  sind,  auf  dünnen  Strohseilen  liegen  und  mit  zwei  kleinen 
Klöppeln  (wie  das  Hackbret  oder  die  Stahlharmonika)  geschlagen  werden.  Sie 
geben  einen  angenehmen,  glockenähnlichen,  nur  weniger  hellen  Klang  und 
wird  das  Instrument  zuweilen  im  Orchester  zu  Tonmalereien  (z.  B.  in  den 
Traumbildern  von  Lumbye)  verwendet.  In  den  1830  er  Jahren  machte  der 
Kusse  Mich.  Grusikow  (s.  d.)  mit  seiner  nationalen,  aber  verbesserten  Stroh- 
fiedel Kunstreisen  durch  ganz  Europa,  und  leistete  nach  Aussage  damaliger 
Zuhörer  wirklich  Ausgezeichnetes  darauf.  —  Abbildungen  der  Holzharmonika 
findet  man  vielfach.  Bei  ganz  einfachen,  alten  Instrumenten  der  Art  (wie  ein 
solches  z.  B.  La  Borde,  y^JSssaia,  I.  279  abbildet)  sind  die  Holzstäbe,  7  an  der 
Zahl,  nur  an  zwei  Fäden  aufgereiht,  an  denen  sie  mit  einer  Hand  gehalten 
werden,  während  die  andere  den  Klöppel  führt.  Martin  Agricola  {»Musica 
instr.«.,  1529)  bildet  dagegen  eins  mit  25  Stäben,  die  in  der  diatonischen  Ton- 
reihe von  Jff  bis  f^  abgestimmt  sind  (nur  h  und  h  kommt  von  chromatischen 
Tönen  darin  vor).  Mersenne  (y> Harmonie  U7iiversellea,  1637)  kennt  und  be- 
schreibt die  Holzharmonika  unter  dem  lateinischen  Namen  ligneum  Fsalterinm. 
Bei  den  Gebirgsvölkern  in  den  Karpathen  und  am  Ural  heisst  dasselbe  Instru- 
ment i>Jerova  i  Salamoa.  In  Deutschland  wurde  es  sonst  »das  hölzerne  Ge- 
lächter« genannt. 

StroHieutato  (ital.),  instrumentirt,  s.  v.  a.  Oon  gli  stromenti. 

Stroinenti  di  flato  (ital.),  Blasinstrumente. 

Stromeyer,  Carl,  einer  der  ausgezeichnetsten  deutschen  Basssänger,  wurde 
1780  im  Stollbergischen  geboren.  Seine  Stimme  war  von  seltener  Schönheit 
und  erreichte  den  Umfang  vom  Contra-C  bis  zum  eingestrichenen  g.  Er  war 
erst  bei  der  Hofbühne  in  Gotha  engagirt,  dann  lange  Zeit  eine  Zierde  der 
Weimarer  Hofbühne.     Er  starb   in  Weimar  am  11.  Novbr.   1845. 

Strophe  heisst  ein  bestimmt  gegliederter  Abschnitt  der  lyrischen  Dichtung, 
dessen  Gliederung  sich  in  den  nachfolgenden  treu  nachgebildet  wiederholt.  Wie 
der  Name  sagt,  ist  diese  Weise  der  Gliederung  griechischen  Ursprungs.  Durch 
die  innige  Verbindung,  in  welche  die  Poesie  früh  auch  bei  den  Griechen  zur 
Tanzkunst  trat,  bildete  sich  der  Rhythmus  folgerichtig  in  der  griechischen 
Poesie  zu  grosser  Macht  aus  und  zwar  in  streng  gegliederten  Formen.  Wie 
beim  Tanz  gewisse  Tanzschritte  zusammengefasst  werden  zu  bestimmten  For- 
meln (Pas'),  so  wurden  auch  in  der  Poesie  eine  bestimmte  Anzahl  Versfüsse 
zu  Metra  zusammengefasst,  aus  deren  gleichmässiger  Wiederholung  sich  die 
Verszeilen  und  durch  deren  engere  Verknüpfung  unter  einander  die  Strophe 
entwickelte.  Unbewusst  gelangten  die  Griechen  zu  diesen  metrischen  Formen 
und  unter  dem  Zutritt  des  sinnlich  reizvollem  Tons  gewann  der  Rhythmus 
eine  reiche  innere  Harmonie  und  Mannichfaltigkeit  und  jenes  System  ge- 
schlossener strophischer  Compositionen,  auf  dem  hauptsächlich  die  ganze  Macht 
griechischer  Dichtung  beruht.  Namentlich  in  der  chorischen  Lyrik,  in  jenen 
Gesängen,  welche  bei  den  Festen  der  Götter  von  einem  tanzenden  Chor  unter 
Musikbegleitung  vor  der  ganzen  Gemeinde  vorgetragen  wurden,  zeigte  sich  bald 
eine  grosse  Mannichfaltigkeit  des  sti'ophischen  Baus.  Für  solche  öffentliche 
Aufführungen  wurde  dieser  umfassender  und  kunstvoller  ausgeführt,  als  bei  den 


Strophe. 


17 


andern.  Auf  die  Strophe  folgte  gewöhnlicli  eine  ihr  metrisch  gleich  construirte 
Gegenstrophe  und  dieser  dann  die  anders  gegliederte  Epode. 

In  der  altdeutschen  Poesie  wurde  die  früheste  Strophenbildung 
durch  die  Allitteration  bewerkstelligt.  Die  einfachste  Strophenart  bildeten 
zwei  Langzeilen,  die  durch  die  drei  Reimbuchstaben  derartig  verbunden  waren, 
dass  die  ersten  beiden  (Stollen  genannt)  in  die  erste,  der  dritte  (der  Haupt- 
stab)  in  die  zweite  Langzeile  gestellt  wurden.  Hieraus  entwickelte  sich  die 
Heldenstrophe  durch  Verbindung  von  vier  Langzeilen  zu  einer  Strophe; 
die  drei  ersten  Langzeilen  haben  sieben,  die  vierte  aber  hat  acht  He- 
bungen. Die  Langzeilen  selbst  bestehen  aus  zwei  Theilen,  wovon  der  erste 
reimlos,  der  zweite  gereimt  ist.  Durch  den  Eeim  wird  dies  strophische 
Versgefüge  erst  vollendet,  weil  durch  ihn  erst  die  Verszeilen  energisch  abge- 
schlossen und  zugleich  die  zusammengehörigen  unter  einander  verbunden  wer- 
den. Man  bezeichnet  die  Heldenstrophe  auch  als  Nibelungenstrophe,  weil 
das  gewaltigste  altdeutsche  Epos,  das  Nibelungenlied,  in  dieser  Strophen- 
form ausgeführt  ist.  Aus  ihr  ist  dann  die  Grudrunstrophe  entwickelt,  in 
welcher  das  Gudrunlied  gedichtet  ist,  und  wiederum  etwas  abweichend  die 
Titurelstrophe,  welche  "Wolfram  von  Eschenbach  für  sein  unvollendet  ge- 
bliebenes Heldengedicht  »Titurel«  erfand. 

Eine  ausserordentlich  reiche  Fülle  von  Strophenarten  wurden  in  der 
lyrischen  Poesie  erzeugt.  Ihr  genügt  weder  die  einfache  unstrophische  Form, 
in  der  die  Erzählung  noch  häufig  eingekleidet  und  bei  welcher  nur  Vers  an  Vers 
gereiht  ist,  noch  auch  die  einfache  Gliederung  der  Heldenstrophe.  Ihr  mannich- 
faltig  und  rasch  wechselnder  Inhalt  drängt  dazu,  eine  unendlich  grössere  Reihe 
von  strophischen  Gebilden  zu  schaffen.  So  entstand  zunächst  die  einfachste 
Ijrische  Strophe  durch  Zusammenfassen  zweier  epischer  Langzeilen  im  Schluss- 
reim; um  ihr  aber  die  nöthige  Abgrenzung  zu  geben,  wurde  der  letzte  Halb- 
vers verlängert.  Für  die  "Weiterentwickelung  wurde  das  Gesetz  der  Drei- 
theiligkeit,  wie  es  sich  schon  in  der  Allitterationspoesie  wirksam  zeigt, 
herrschend.  Die  zwei  gleichen  Theile  der  Strophe  nannte  man  Stollen,  beide 
zusammen  den  Aufgesang,  das  dritte  gegensätzliche  Glied  aber  bildet  der 
Abgesang.  Eine  klare  Anschauung  von  der  regelmässigen  Construktion  der 
Strophe  in  dieser  "Weise  geben  die  meisten  unserer  Kirchenlieder  mit  ihren 
Choralmelodien,  bei  denen  meist  für  die  beiden  Stollen  des  Aufgesanges 
dieselbe  Melodie  beibehalten  wird,  während  erst  der,  die  Strophe  schliessende 
Abgesang  wieder  eine  eigene  Melodie  erhält: 


W 


t^ 


-Ci- 


I h 


:t 


:^ 


:|= 


-^— 


-^ — •— 


Auf-    I Erster  Stollen.    Nundan-ket    al  -  le    Gott    mit  Her-zen,  Mund  und  Hän-den, 
gesang.jZwelter  Stollen.  Der  gro  -  sse  Din  -  ge     thut    an    uns  und      al  -  len      En  -  den. 


Abgesang.    Der    uns    von    Mut-ter-  leib    und    Kin  -  des  -  bei-  nen     an 

1 — == -^- 


un- 


i 


-S=i- 


t=t 


:ö: 


ist 


^- 


zäh  -  lig      viel 


zu 


gut     und      noch  jetz  -  und     ge  -   than. 


Diese  Dreitheiligkeit  ist  natürlich  schon  in  der  fünfzeiligen  Strophe  herzu- 
stellen durch  eine  einfache  Refrainstrophe,  die  den  beiden  Doppelzeilen  des 
Aufgesanges  angehängt  wird.  Die  sechszeilige  Strophe  entspricht  dem 
Princip  der  Dreitheiligkeit  wenigei-,  weil  es  nicht  nur  auf  das  Vorhandensein 
eines  dritten  Reimpaares  oder  dritten  Theils  überhaupt  ankommt,  sondern  auf 
Einführung    eines    gegensätzlich    construirten   Abschnitts,    welcher  Anforderung 

MuBikal,  ConTers.-LexikoB.    X,  - 


■[  8  Strozzi  —  Strack. 

die  fünfzeilige  Strophe  annähernd,  die  sechszeilige  aber  eigentlich  gar  nicht 
entspricht.  In  ihrer  grössten  Einfachheit  und  Reinheit  stellt  sie  sich  in  der 
siebenzeiligen  Strophe  dar,  den  beiden  gleichraässig  gebildeten  Abschnitten  des 
Aufo-esanges  tritt  hier  der  anders  construirte  dreizeilige  Abgesang  ent- 
gegen. Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  die  Entwickelung  weiter  zu  verfolgen,  wie 
namentlich  durch  die  Meistersänger  dieser  strophische  Bau  zu  wahren  Unge- 
thümen  weiter  geführt  wurde.  Nur  darauf  sei  noch  flüchtig  hingewiesen,  dass, 
wie  diese  ganze  Gliederung  nach  musikalischem  Princip  erfolgte,  sie  dann  we- 
sentlich und  einflussreich  für  die  ganze  Musikentwickelung  wurde.  Die  strophische 
Gliederung  wurde  durch  die  Melodie  nachgebildet;  diese  folgte  nicht  nur  dem 
Bau  der  einzelnen  Verszeile,  indem  sie  ihre  Ausdehnung  und  den  ganzen  Gang 
darnach  bestimmte,  sondern  sie  berücksichtigte  auch  die  Eeimschlüsse,  setzte 
diese  musikalisch  in  Correspondenz,  so  dass  die  im  Reim  vei'bundenen  Vers- 
zeilen auch  musikalisch  durch  Melodiefall  und  verbindende  Harmonie  unter  sich 
in  Beziehung  gebracht  wurden.  Es  entstand  so  das  gesungene  Lied  als  durch- 
aus selbständige  Vocalform  und  wie  es  dann  auf  alle  übrigen  Formen  gestaltend 
einwirkte,  wie  es  zum  Choral  wurde  und  den  Motetten- und  Hymnenstil 
neugestaltete,  wie  es  die  Formen  des  Canons  und  der  Fuge  neu  belebte 
und  in  schönerer  Gestalt  erstehen  Hess  und  endlich  neben  den  Tanz  formen 
den  meisten  Einfluss  auf  die  Entwickelung  der  Instrumentalformen  ge- 
wann, ist  an  den  betreffenden  Orten  nachgewiesen.  Die  strophische  Gliederung 
der  lyrischen  Formen  wurde  nicht  überall  zum  Muster  für  die  Instrumental- 
formen, aber  sie  wirkte  überall  anregend  auf  die  Bildung  ein. 

Strozzi,  Barbara,  eine  Venetianerin,  welche  um  die  Mitte  des  17.  Jahr- 
hunderts lebte  und  folgende  Vocalcompositionen  veröfi'entlichte:  »7Z  primo  lihro 
de'  Madrigali  ß  2,  3,  4  e  5  voci<!.  (Venezia,  app.  Alessandro  Vincenti,  1644, 
in  4°).  y>Gantate,  ariette  et  duetti».  (Venedig,  1653,  in  4"),  -»Äriette  a  voce  sola«. 
(Venezia,  app.  Barb.  Magni,  1658,  in  4").    y>Oanfate  a  voce  solaa,  op.  7  (ibid.  in  4"). 

Strozzi,  Pater  Berardo,  General-Prediger  der  Franziskaner  zu  Rom  im 
Anfang  des  17.  Jahrhunderts,  war  zugleich  Musiker  und  gab  die  folgenden 
"Werke  in  den  Druck:  »Motetti  a  cinque  vocia  (Venedig,  1618,  in  4").  »JZ  se- 
condo  lihro  de  Motetti  a  cinque  voci«.  (ibid.  1622;  zweite  Ausgabe  1629).  y>Sacri 
concentus,  messe  salmi,  sinfonie,  motetti,  com^nete  et  antifone  a  1,  2,  3,  4,  5,  6,  7 
et  8  voci,  con  hasso  continuoa  (ibid.).  vSalmi  magnificat,  et  concerti  a  2  ei  S 
voci,  con  B.  G.a  (ibid.).  y>Goncerti,  motetti  et  salmi  a  2,  d  et  4:  voci,  con  B.  C.« 
(ibid.).     y^Goncerto,  ibid.  messe,  salmi,  magnificat  a  1,  2,  3  et  4:  vocia. 

Strozzi,  D.  Gregor,  Abbe  und  Dr.  der  Rechte,  lebte  zu  Neapel  in  der 
zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  und  gab  heraus:  y>Elementarum  musicae 
praxis,  utilis  non  tantum  incipientihus,  sed  prqficientibus  et  perfectisa  (Neapoli, 
1683,  in  4°),  enthält  zweistimmige  Canons.  »Gapricci  da  sonare  sopra  cembali 
ed  organi,  ap.  quartaa  (Neapoli,  1687,  per  Novello  de  Bonis,  in  Fol.). 

Strozzi,  Pietro,  entstammt  einer  vornehmen  florentinischen  Familie,  er 
lebte  in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  und  betrieb  die  Musik  als 
Dilettant.  1595  setzte  er  eine  Maskerade  in  Musik:  nMascarada  degli  accecatia, 
zu  welcher  die  Verse  von  Rinuccini,  dem  damals  berühmten  Dramendichter, 
gedichtet  waren.  Ein  grosser  Theil  der  Masken  war  dabei  zu  Pferde,  die 
Musiker  auf  einem  niedrigen  "Wagen.  Diese  Anmerkungen  sind  von  de  la 
Faye  einem  Manusci'ipt  aus  dem  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  entnommen, 
welches  sich  in  der  Bibliothek  Magliabecchiana  zu  Florenz  befindet.  Siehe  auch 
•aGazetta  musicale  di  Milano«,  Anno  VI,  No.  22. 

Struck,  Paul,  Wiener  Componist,  der  für  einen  Schüler  Haydn's  galt, 
möglicherweise  nur,  weil  er  dessen  Stil  nachahmte.  Seine  ersten  "Werke  er- 
schienen 1797.  Es  sind:  Trios  mit  Ciavier,  Streichquartette,  Ciaviersonaten, 
Sinfonien  für  grosses  Orchester,  eine  Trauercantate  für  grosses  Orchester,  ein- 
und  mehrstimmige  deutsche  Gesänge  bei  Andre  in  OfPenbach,  Wien,  Kozeluch, 
Mollo,  Artaria,  Weigl,  Leipzig,  Breitkopf  &  Härtel. 


Strumstrum  —  Strungk.  19 

Strumstrnm,  ein  bei  den  Indianern  gebräuchliches  citherartiges  Instrument, 
das  aus  einem  grossen,  halbdurchschnittenen  und  ausgehöhlten  Kürbis  besteht, 
in  dem  ein  Brett  als  Resonanzboden  befestigt  ist,  über  welchen  Saiten  ge- 
zogen sind. 

Striing-k  (Strunck),  Nicolaus  Adam,  geboren  1640  zu  Celle,  erhielt 
den  ersten  Musikunterricht  von  seinem  Vater  (s.  d.),  den  er  schon  als  zwölf- 
jähi'iger  Knabe  in  seinen  Funktionen  als  Organist  an  der  Magnuskirche  in 
Braunschweig,  wohin  derselbe  inzwischen  gekommen  war,  unterstützen  konnte. 
Nach  vollendeten  Grymnasialstudien  bezog  er  die  Universität  in  Helmstädt 
und  ging  dann  nach  Lübeck,  um  bei  dem  zu  jener  Zeit  berühmten  N.  Schnittel- 
bach Unterricht  im  Violinspiel  zu  nehmen.  1660  wurde  er  nach  Braunschweig 
zurückberufen,  wo  er  als  erster  Violinist  in  die  Herzogl.  Kapelle  kam.  Er  blieb 
jedoch  nicht  lange  in  dieser  Stellung,  sondern  ging  in  gleiche  Dienste  des 
Hei-zogs  Christian  Ludwig  zu  Celle.  Von  hier  aus  unternahm  er  mit  Bewilligung 
seines  Herrn  eine  Reise  nach  Wien  und  Hess  sich  daselbst  vor  dem  Kaiser 
mit  so  vieler  Kunst  hören,  dass  dieser  ihn  mit  einer  goldenen  Kette  mit  daran 
hängendem  Bildnisse,  zum  Zeichen  seiner  Gnade  und  seines  Beifalls  beschenkte. 
Nach  seiner  Zurückkunft  widmete  er  seine  Dienste  ununterbrochen  seinem 
Herrn  bis  zu  dessen  Tode,  wo  er  sich  in  die  Kapelle  des  Herzogs  Johann 
Friedrich  nach  Hannover  begab.  1678  kam  er  als  Musikdirektor  nach  Hamburg. 
Von  da  nahm  ihn  der  Kurfürst  Wilhelm  von  Brandenburg  in  seine  Dienste, 
von  dem  ihn  aber  sein  Landesherr,  der  Herzog  von  Hannover  und  Bischof  von 
Osnabrück,  Ernst  August,  wieder  zurückforderte,  ihn  zu  seinem  Kammerorganisten 
ernannte  und  ausserdem  noch  ein  Canonicat  im  Stifte  heatae  virginis  zu  Eim- 
beck  verlieh.  Blit  seinem  Herrn  machte  er  eine  Reise  nach  Rom,  wo  er  Auf- 
sehen als  Ciavier-  und  ViolinsiDieler  erregte.  Corelli  soll,  als  er  ihn  hörte,  aus- 
gerufen haben:  »Herr,  ich  werde  hier  Arcangelo  genannt,  Sie  aber  möchte  man 
Erzteufel  heissen!«  Nach  einem  mehrjährigen  Aufenthalte  in  Italien  ging  er 
nach  Wien,  wo  er  sich  auf  dem  Ciavier  vor  dem  Kaiser  hören  Hess  und  eine 
zweite  Gnadenkette  erhielt.  Von  Wien  kam  er  nach  Dresden  an  Stelle  des 
Vicekapellmeisters  Ritter  mit  500  Thlr.  Gehalt.  St.  galt  für  einen  der  vortreff- 
lichsten Ciavier-  und  Violinspieler  und  gebildetsten  Musiker;  er  war  nächst 
Job,  Theile  damals  einer  der  ersten  und  beliebtesten  deutschen  Operncompo- 
nisten.  Für  Hamburg  hatte  er  folgende  dramatische  Werke  geschrieben :  »Der 
glückselig  steigende  Sejanus«,  »Der  unglückselig  fallende  Sejanus«  (1678),  »Die 
liebreiche,  durch  Tugend  und  Schönheit  erhöhete  Esther«,  »David  oder  der 
königliche  Sclave«,  »Die  drei  Töchter  Cecrops«  (1680),  »Theseus«,  »Semiramis«, 
»Floi'ette«  (1683).  St.  musste  in  Dresden  sogleich  eine  Oper  von  Pallavicini 
»Antiope«,  die  derselbe  angefangen  hatte  für  das  dortige  Theater  zu  componiren, 
an  der  Vollendung  aber  durch  seinen  Tod  verhindert  wurde,  beendigen.  Von 
Kirchencompositionen  wird  von  ihm  ein  Oratorium  »Die  Auferstehung  Jesu« 
erwähnt,  welches  zum  ersten  Male  Sonntags  den  21.  April  1688,  am  Osterfeste 
vor  der  Nachmittagspredigt  »mit  allgemeinem  Beifall«  aufgeführt  wurde.  Die 
Königl.  Bibliothek  in  Berlin  besitzt  mehrere  seiner  geistlichen  Werke  für  eine 
und  mehr  Singstimmen  mit  Instrumentalbegleitung.  Auch  für  Violine  und 
Ciavier  componirte  er,  doch  ist  nur  ein  solches  Werk  herausgekommen:  »Mu- 
sikalische Uebung  auf  der  Viola  oder  Viola  da  Gamha,  in  etlichen  Sonaten 
über  die  Festgesänge,  ingleichen  etliche  Ciaconen  mit  zwei  Violinen  bestehend« 
(Dresden,  1691,  QuerfoHo).  Nach  Christoph  Bernhardt's  Tode,  am  14.  Novbr. 
1694,  wurde  St.  wirklicher  Kapellmeister.  In  demselben  Jahre  gründete  er  mit 
Bewilligung  und  Unterstützung  Johann  Georg  IV.  in  Leipzig  ein  italienisches 
Opernunternehmen,  das  ihn  vielfach  von  Dresden  entfernte,  was  auch  oft  nicht 
eben  mit  zufriedenem  Tone  in  den  damaligen  Akten  erwähnt  wird.  In  dem 
Dekret  vom  13.  Juni  1692,  welches  St.  die  Erlaubniss  ertheilt,  während  zehn 
Jahren  in  Leipzig  während  der  Messzeit  deutsches  Singspiel  zu  geben,  heisst 
es:    »anerwogen,    wie    dadurch    das    Studium   musicum   mehr  und  mehr  excolirt, 

2* 


20  Strungk  —  Stümer. 

fremde  Liebhaber  dieser  Wissenscbaft  herbeigebracht,  vndt  Sie  (Johann  Georg  IV.) 
solchergestalt  ein  Seminarium  in  Dero  Landen  haben  und  daraus  allenfalls  die 
abgehenden  Stellen  bei  Dero  Capelle  und  Cammer-Musicis  ersetzen  könnten.« 
St.  scheint  jedoch  keine  guten  Geschäfte  gemacht  zu  haben.  In  einem  Memorial 
an  den  Kurfürsten  1697  spricht  er  von  sich  »armer  Diener,  alss  der  alle  das 
meinige  in  dem  operen  Hausse  zu  Leipzig  zugesetzet«. 

In  Leipzig  besuchte  der  Kurfürst  während  der  Oster-  und  Michaelismesse 
1693  die  italienische  Oper  unter  Strungk's  Direktion.  Bei  der  ersten  Anwesen- 
heit sah  Johann  Georg  IV.  am  18.  Mai  die  Oper  »Alceste«  von  Strungk  und 
Paul  Thiemich  (Collega  an  der  Thomasschule),  der  sie  nach  dem  Italienischen 
des  Aurelio  Aureli  bearbeitet  hatte.  Die  Gattin  des  Bearbeiters  sang  und 
spielte  darin  »mit  bewunderungswürdig  schöner  Stimme  und  Action«;  die  De- 
korationen waren  vom  Kurfürstlichen  Baumeister  Sartorio.  In  Neumeister's 
historisch-kritischer  Dissertation  y>De  Poetis  Germanicis  Tiujus  seculi  praecipuisa 
(1695)  heisst  es  bei  Erwähnung  des  Beifalls,  den  die  Opern  Thiemich's  am 
Hofe  Herzog  Johann  Adolfs  von  Weissenfeis  und  in  Leipzig  fanden,  folgender- 
massen:  y^Ättonito  similes,  si  quando  illorum  Musurgetarum,  Strunckii  picto  et 
Kriegerii  (dieser  war  für  Weissenfeis  der  Componist),  numeri  accedunt  musici, 
voxque  et  actio  conjugis  Thimichianae  mirißce  suavis  et  apta  mirißcev..  Im. 
Jahre  1696  gab  St.  seine  Stellung  in  Dresden  auf,  um  nach  Leipzig  zu  ziehen 
und  sich  ganz  seinem  Opernunternehmen  zu  widmen,  doch  behielt  er  eine 
Pension  von  300  Thlrn.  als  Direktor  der  »Landmusik«.  Als  solcher  hatte  er 
die  Regelung  der  Verhältnisse  zwischen  den  »Stadtpfeifern  und  Musikanten« 
und  den  sogenannten  Dorffiedlern  zu  leiten.  St.  starb  am  23.  September  1700 
in  Leipzig.      Sein  Vater: 

Struug'k,  Delphin,  geboren  1601  zu  Braunschweig,  war  während  der  Jahre 
1630 — 1632  Organist  zu  Wolffenbüttel,  dann  einige  Zeit  in  Celle  in  Hannover 
und  endlich  in  Braunschweig,  wo  er  nach  und  nach  vier  Organistenstellen  ein- 
nahm, die  er  durch  seinen  jüngsten  Sohn,  seine  Tochter  und  durch  Schüler 
mit  verwalten  liess.  Sein  Orgelspiel  wird  hoch  gerühmt,  noch  mehr  seine 
Eigenschaft  als  Lehrer,  weshalb  die  Schüler  weit  und  breit  zu  ihm  kamen. 
Er  starb   1694. 

Stück,  franz.:  I*iece,  Morceau  nennt  man  ein  Tonstück  ohne  beson- 
dere Form. 

Stück  (Stuckius),  Johann  Wilhelm,  geboren  zu  Zürich  1542,  war  in 
derselben  Stadt  Professor  der  Theologie  und  starb  daselbst  am  3.  Septbr.  1607. 
In  dem  von  ihm  herausgegebenen  Werk:  y>Antiquitatum  convivalium  lihri  Illa 
(Zürich,  1597,  in  Fol.)  behandelt  er  im  20.  Capitel:  »De  mu-ücae  divisione,  vi, 
utilitate  ac  suavitate,  usu  multiplici  in  sacris,  bellis,  ejmlis,  apud  Hehraeos,  Graecos, 
ßomanos«  u.  s.  w. 

Stückprobe  heisst  die  Probe  einer  Oper,  bei  welcher  die  recitirenden  Stellen 
gesprochen  und  die  Gesänge  nur  angedeutet  werden,  um  darnach  das  gemein- 
schaftliche Spiel  der  darstellenden  Mitglieder  im  Zusammenhange  mit  der 
Orchesterbegleitung  und  mit  der  scenischen  Darstellung  zu  ordnen. 

Stuelp,  s.  V.  a.  Stürze  (s.  d.). 

Stümer,  Johann  Daniel  Heinrich,  ausgezeichneter  Sänger  und  Gesang- 
lehrer, königl,  Hofopernsänger  zu  Berlin,  ist  1789  zu  Frödenwalde  bei  Lieben- 
walde geboren,  wo  sein  Vater  als  Cantor  wirkte.  St.  kam  jedoch  früh  nach 
Berlin  in  das  Haus  des  Cantor  Streit,  durch  welchen  er  mit  Zelter  bekannt 
gemacht  wurde.  1804  trat  er  in  die  Singakademie,  wo  er  zuerst  als  Altist  mit- 
wirkte. Die  Gelegenheit,  die  er  hier  fand,  klassische  Kirchenmusik  zu  hören, 
blieb  auf  seine  ganze  künstlerische  Entwickelung  von  Einfluss.  Als  seine  Alt- 
stimme sich  in  einen  klangvollen  Tenor  verwandelt  hatte,  erhielt  er  von  Bighini 
Unterricht  in  der  italienischen  Gesangsweise.  Nachdem  er  bereits  in  Concerten 
mit  Beifall  pfesungen  hatte,  wurde  er  1811  bei  der  königlichen  Oper  in  Berlin 
engagirt,  und  debutirte  am  2.  Septbr.  desselben  Jahres  als  Belmont  (»Belmont 


Stürze  —  Stumpf.  21 

und  Constanze«).  Sein  Repertoir  war  ganz  bedeutend,  er  sang  alle  grossen 
Tenorpartien,  die  während  der  zwanzig  Jahre  seiner  Thätigkeit  an  der  Berliner 
Bühne  vorkamen  (auch  den  »Orpheus«  von  Gluck)  und  zeigte  sich  in  allen  als 
ein  gründlich  gebildeter  Sänger.  Da  er  kein  ausgezeichneter  Schauspieler  war, 
erschien  er  als  Oratoriensänger  noch  vollkommener,  als  welcher  er  besonders  in 
den  Händel'schen  Oratorien  und  der  Tenorpartie  im  Tod  Jesu  unübertrefflich 
gewesen  sein  soll.  Seine  höchste  Kunstleistung  war  die  Partie  des  Evangelisten 
in  der  Matthäuspassion  von  Seb.  Bach,  die  nach  hundertjähriger  Ruhe  unter 
Mendelssohn's  Leitung  durch  die*  Singakademie  zur  Aufführung  kam,  deren 
Vortrag  er  daher  erst  schaffen  musste.  Als  Sänger  an  der  Oper  wurde  er  am 
1.  April  1831  pensionirt,  jedoch  als  Gesanglehrer  bei  derselben  beschäftigt. 
Die  grosse  Zahl  seiner  Privatschüler  veranlasste  ihn  aber,  1836  auch  diese 
Stellung  aufzugeben.  Am  29.  Mai  1854,  dem  50  jährigen  Jubeltage  seines 
Eintritts  in  die  Singakademie,  veranlasste  diese  eine  Feier,  bei  welcher  ihm  ein 
goldener  Lorbeerkranz  überreicht  wurde.  An  diesem  Tage  wurde  auch  eine 
Motette  von  Stümer  gesungen,  in  welcher  er  eine  kleine  Solopartie  übernahm. 
Für  die  Zelter'sche  Liedertafel,  deren  Mitglied  er  war,  hat  er  ebenfalls  manches 
gern  gesungene  Lied  componirt.  Er  starb  am  24.  Decbr.  1857  zu  Berlin  und 
ruht  auf  dem  Jerusalemer  Kirchhofe.  Sein  Bild,  gezeichnet  von  Stein,  litho- 
graphirt  von  Leschke,  erschien  in  Berlin  bei  Gropius.  Seine  Compositionen 
sind  in  Ledebur's  Tonkünstlerlexikon  Berlins,  dem  auch  dieser  Artikel  ent- 
nommen ist,  Seite   582  zu  finden. 

Stürze,  Schallstück  oder  Schalltrichter,  Schallbecher,  Stülp, 
franz.  Pavillon,  heisst  die  trichterförmige  Erweiterung,  in  welche  die  Röhre 
der  meisten  Blasinsti'umente  ausläuft. 

Stürze  (Orgel)  heisst  auch  der  Aufsatz  auf  den  Orgelpfeifen. 

Stufe,  s.  Ton  stufe. 

Stufenspalin,  ein  Psalm,  der  an  hohen  Festtagen  auf  den  Stufen  des  Altars 
im  Tempel  der  Juden  gesungen  wurde. 

Stufenweise  Fortschreitnng  heisst  die  Bewegung  der  Melodie  in  Secunden- 
schritten. 

Stumm,  Heinrich,  Orgelbauer,  lebte  1780  zu  Rauhen- Sulzbach  bei  Kien 
auf  dem  Hundsrückgebirge.  In  Gemeinschaft  mit  seinem  Sohne  baute  er  unter 
anderen  die  Orgel  von  36  Stimmen  in  der  reformirteu  Kirche  in  Bockenheim 
(1768)  und  die  grosse  Orgel  in  der  Katharinenkirche  zu  Frankfurt  a.  M.  von 
14  Stimmen  und  drei  Ciavieren,  Pedal  und  einem  Echo  im  Jahre  1779.  Viele 
"Werke  in  den  Kirchen  am  Niederrhein. 

Stumme  Claviatureu  sind  eine  Erfindung  der  Neuzeit,  hervorgegangen  aus 
der  Sucht  nach  Virtuosität  und  am  Ende  ein  völlig  nutzloser  Mechanismus, 
der  nur  insofern  Lob  verdient,  als  er  die  nachbarliche  Umgebung  der  Virtuosen 
zeitweilig  vor  dem  Zuviel  der  Clavierhämmerei  verschont.  Bekanntlich  sind  es 
Tastaturen  ohne  Saiten,  zur  Ausbildung  der  Stärke  und  Selbständigkeit  der 
Finger.  Es  hat  Virtuosen  gegeben,  die  ihre  stummen  Claviaturen  im  Reise- 
wagen bei  sich  hatten,  um  ja  keine  Zeit  zur  Dressur  der  Finger  zu  verlieren. 

Stumme  Register  heissen  bei  der  Orgel  diejenigen  mechanischen  Züge, 
welche  keine  Schleifen  öffnen,  also  nicht  zu  klangbaren  Stimmen  werden,  sondern 
nur  die  Calcantenglocke  in  Bewegung  setzen,  oder  das  Sperrventil,  oder  die 
Koppeln  oder  wohl  gar  nur  der  Symmetrie  halber  angebracht  sind. 

Stumpf,  Johann  Christian,  berühmter  Fagottist,  lebte  1785  in  Paris 
und  veröffentlichte  dort  mehrere  Compositionen.  Später  gehörte  er  bis  1798 
zum  Orchester  in  Altona,  worauf  er  am  Theater  in  Frankfurt  a.  M.  Repetitor 
wurde.  In  dieser  Stadt  starb  er  1801.  Von  seinen  Compositionen  sind  gedruckt: 
Entr'akts  zu  Schauspielen  für  grosses  Orchester,  deren  er  ungefähr  60  ge- 
schrieben (Offenbach,  Andre),  Stücke  für  Harmoniemusik,  Heft  1 — 4  (ebend.). 
Concert  für  Flöte,  op.  15  (Augsburg,  Gombart).  Duos  für  zwei  Clarinetten, 
op,  18  (Paris,  Nadermann).  Concerte  für  Fagott,  Heft  1,  2,  3,  4  (Bonn,  Simrock). 


22  Stunz  —  Suard. 

Duette  für  zwei  Fagotte,  Heft  1  und  2  (Paris,  Leduc).  Quartett  für  Fagott, 
Violine,  Alt  und  Bass  (Bonn,  Simrock)  u.  a.  StumjDf  arrangirte  für  verschiedene 
Blasinstrumente  Opern  von  Mozart,  Salieri,  Paer  und  Wranitzky. 

Stnnz,  Josejjh  Hartmann,  Hofkapellmeister  in  München,  wurde  in 
Ariesheim  in  der  Schweiz  im  Kanton  Basel  am  25.  Juli  1793  geboren  und 
studirte  unter  Peter  von  Winter  in  München  Composition.  Schon  1819  erhielt 
er  von  Mailand  den  Auftrag  eine  Oper  zu  componiren,  den  er  mit  der  Oper 
r>Rappresaglia«i  ausführte.  Diese  und  nach  einander  noch  drei  andere  Opern: 
i>Costantino«  (zuerst  in  Venedig,  dann  in  Padua  und  München  aufgeführt), 
•nJElvira  e  Lucindo«  und  -nÄrgene  ed  Almiraa  fanden  in  Italien  recht  freundliche 
Aufnahme.  Dennoch  suchte  St.  München  wieder  auf  und  nahm  daselbst  eine 
Chordirektorstelle  beim  Hoftheater  an.  1824  übernahm  er  die  durch  Fränzel 
vacant  gewordene  Kapellmeisterstelle  am  selben  Theater  und  trat  1826  nach 
Winter's  Tode  in  dessen  Stelle  als  Hofkapellmeister,  hatte  aber  nur  die  Kirchen- 
musik zu  dirigiren  und  erhielt  einen  verhältnissmässig  nur  geringen  Gehalt. 
In  dieser  Stellung  componirte  er  eine  Reihe  von  Kirchenmusiken:  Messen, 
Offertorien,  Chorgesänge,  ein  schönes  Stabat  mater  (für  Wien  1822),  eine  Can- 
tate  zur  Einholung  des  Kaisers  von  Oesterreich,  eine  andere  zur  Einweihung 
der  Walhalla.  In  München  hatte  er  ausserdem  nachfolgende  deutsche  Opern 
geschrieben,  die  auch  hier  aufgeführt  wurden:  »Heinrich  IV.  zu  Grivry«,  »Cari- 
bald«,  »Schloss  Lowinsky«,  »Rosa«  und  das  Ballet  »Alasman«.  Zwei  Ouvertüren, 
op,  7  und  9,  erschienen  Leipzig,  Breitkopf  &  Härtel.  Streichquartett,  op.  8 
(Augsburg,  Gombart).  Nocturnes  für  zwei  Stimmen,  »Der  wilde  Jäger«  (war 
sehr  beliebt)  und  »Der  Gesang  der  Helden  zu  Walhalla«  für  vier  Männer- 
stimmen (München,  Falter).     Stunz  starb  in  München  am   18.  Juni  1859. 

Stutzflügel  heissen  die  kleinen  »gestutzten«  Fügel.  Der  Mechanismus  ist 
im  Allgemeinen  derselbe,  wie  bei  den  grossen  Concertflügeln,  der  Kasten  ist 
nur  kürzer  und  deshalb  müssen  auch  die  unteren  Saiten  verkürzt  werden.  Die 
obern  Saiten  behalten  ihre  ursprüngliche  Länge,  erst  von  der  Mittellage  an 
geht  nach  unten  die  Verkürzung  an;  dafür  müssen  die  unteren  Saiten  um  so 
viel  stärker  werden,  damit  sie  die  richtige  entsprechende  Tonlage  gewinnen. 
Das  aber  beeinträchtigt  ihren  Klang,  lange  und  weniger  starke  Saiten  schwingen 
freier  nnd  kräftiger  als  kurze  und  starke  und  da  auch  der  Resonanzboden 
beim  Stutzflügel  nicht  die  breite  Fläche  bietet,  wie  beim  Concertüügel,  so  kann 
die  untere  Lage  des  Stutzflügels  nicht  dieselbe  Tonfülle  und  Stärke  haben,  wie 
die  gleiche  des  Concertflügels,  in  den  oberen  Lagen  ist  dagegen  die  gleiche 
Klangfülle  und  Stärke  zu  erreichen.  Für  unsere  Zimmer  sind  die  Stutzflügel 
indess  vollständig  ausreichend  und  da  sie  weniger  Raum  einnehmen,  erfreuen 
sie  sich  einer  grossen  Beliebtheit. 

Sturmglocke,  s.  Glocke. 

Styl,  s.  Stil. 

Styles,  s.  Stiles. 

Suablle,  ein  seltenes  hölzernes  Flötenregister  in  den  Orgeln  Englands. 

Suarclalupus,  Antonius,  ein  theoretisch  und  praktisch  durchgebildeter 
Tonkünstler  des  15.  Jahrhunderts,  war  in  Florenz  1430  geboren.  Dort  hielt 
er  als  Professor  der  Musik  öflentliche  Vorlesungen  zur  Ausbreitung  dieser 
Kunst,  und  Vossius  sagt  (j>Libr.  de  Scientis  Mathemat.>i.,  Cap.  LX,  §  14,  S.  351), 
dass  er  wegen  seiner  musikalischen  Kenntnisse  berühmt  gewesen  sei,  und  wegen 
der  schönen  Töne,  die  er  seinem  Instrumente  entlockt  habe,  seien  fern  her  die 
Liebhaber  gekommen,  um  ihn  kennen  zu  lernen.  Der  Rath  von  Florenz  liess 
sein  Bildniss  in  Marmor  nahe  bei  der  Kathedrale  aufstellen. 

Snard,  Jean  Baptiste  Antoine,  Mitglied  der  französischen  Akademie 
der  Künste,  ist  zu  Besangon  am  15.  Januar  1734  geboren  und  starb  zu  Paris 
am  20.  Juli  1817.  In  der  musikalischen  Welt  machte  er  sich  zuerst  bekannt 
als  Anhänger  Gluck's  in  dem  Streite  derselben  mit  den  Piccinisten.  Einige 
pikante  Artikel  gegen  die  Letzteren   erschienen  im  ^Journal  de  Parisa  und  im 


Suave  —  Sucher.  23 

•üMercure  de  Frmice«,  unterzeichuet  »1' Anonyme  de  Vaugirard«.  Vereinigt 
erschienen  diese  Artikel  in  >y3Iemoires  pour  servir  ä  lliistoire  de  la  revolution 
operee  dans  la  musique  par  M.  le  chevalier  Gluck<n  (Paris,  1781,  ein  Band  in  8"). 
Ausserdem  nebst  einigen  andern  musikbezüglichen  Aufsätzen  in  r>Melanges  de 
litterature  de  Suard«  (Paris,  Dentu,  1804 — 5,  cinq  volumes  in  8^*).  Suard  ist 
auch  der  Verfasser  einer  italienischen  Arbeit:  »ZZ  Teatro  alla  modaa.  (von  Mar- 
cello),  enthalten  in  ■!>  Varietes  Utferairesa  (Paris,  Lacombe,  1740,  vier  Bände), 
S.  192 — 226,  und  des  Supplements  im  TnEssai  sur  la  musique«.  von  Laborde. 
Er  ist  ferner  der  Verfasser  einzelner  Artikel  im  y>Dictionnaire  de  musique«  der 
n^nci/clopedie  methodique«. 

Snave,  s.  Soave. 

Suavis,  ein  früher  übliches  Wort  zur  Bezeichnung  des  angenehmen  Klanges 
einer  Orgelstimme. 

Sab  (lat.),  unter. 

Subbass,  auch  Tief  flöte,  ein  grosses  in  den  meisten  Orgeln  anzutreffendes 
Pedalregister  von  8,  16  und  32  Fusston,  offen  und  gedact  weit  mensurirt,  von 
sausendem,  etwas  unbestimmtem  Klange,  deshalb  nur  mit  andern  Pedalregistern 
zu  gebrauchen,  dann  aber  ist  es  auch  von  guter  Wirkung  als  Fundament,  wes- 
halb es  auch  Untersatz  genannt  wird. 

Subdiapente,  wie 

SnbdomiQaute,  Unterdominant  (Unterquint),  die  Quarte. 

Subiet,  Antoine,  mit  dem  Zunamen  Cardot,  war  als  Sänger  gleich 
berühmt  wegen  seiner  schönen  Stimme,  wie  wegen  seiner  Kunst,  zu  singen. 
Erst  wurde  er  am  Hofe  Franz  I.  bewundert  und  Karl  IX.,  der  ihn  sehr  schätzte, 
ernannte  ihn  sogar  1592  zum  Bischof  von  Montpellier.  Den  Chorknaben  von 
St.  Symphorien,  zu  denen  er  auch  einst  gehört  hatte,  vermachte  er  ein  ansehn- 
liches Vermächtniss. 

Subito  (ital.),  schnell,  plötzlich;  Volte  subito  (abgek.  V.  8.),  wende 
rasch  um;  Äccordaie  subito  =  stimme  schnell  um. 

Subject,  Subjectum,  franz.:  Sujet,  heisst  das  Fugenthema  bei  seinem 
Auftreten  in  der  Tonika.     S.:  Fuge  und  Quintenfuge. 

Sublatio  heisst  im  Takt  die  Arsis,  der  Haupttakttheil;  Ulevatio  der 
Nebentakttheil ;  beim  Vortrage:  das  Erheben  der  Stimme  auf  einer  Silbe. 

Subprincipal  bei  der  Orgel  der  Subbass  von  32  Fuss. 

Snbprincipalis  inediarnin,  latein.  Name  des  Tones  Parypate  meson  (f) 
im  griechischen  Tonsystem. 

Subsemifusa,  Bis  unca,  die  Sechzehntheilnote. 

Snbsemitonium  modi,  der  sogenannte  Leitton,  der  Unterhalbton  vor  der 
Tonika,  die  grosse  Septime  der  Tonleitei*. 

Snbsesquitertia,  der  Dreivierteltakt. 

Subsuperbipartieute  sexta,  der  Sechsachteltakt. 

Sabsuperquadripartiente  dnodecima,  der  Zwölfsechzehnteltakt, 

Subsupersetti  partieiite  noua,  der  Neunsechzehnteltakt. 

Saccentor,  der  Untercantor;  auch  ein  Basssänger. 

Sucher,  Josef,  geboren  1843  zu  St.  Grotthardt  in  Ungarn,  war  als  Zög- 
ling des  Löwenburg'schen  Convicts  in  Wien  zugleich  Sängerknabe  in  der  k.  k. 
Hofkapelle  und  hier  schon  entwickelte  sich  sein  bedeutendes  Musiktalent  der- 
artig, dass  in  seinem  zwölften  Jahre  bereits  eine  von  ihm  componirte  Messe 
aufgeführt  wurde.  Später  wandte  er  sich  dem  Studium  der  Rechtswissenschaft 
zu,  trieb  aber  dabei  fleissig  Musik,  machte  unter  S.  Sechter's  Leitung  ernste, 
theoretische  Studien  und  entsagte  bald  der  Jurisprudenz,  um  ganz  der  Musik 
sich  zu  widmen.  Er  übernahm  die  Leitung  des  akademischen  Gesangvereins, 
wurde  Sologesangsrepetitor  bei  der  Kaiserl.  Hofoper,  später  Kapellmeister  an 
der  Komischen  Oper  und  ging  1876  als  Kapellmeister  an  das  Leipziger  Stadt- 
theater. In  einer  Reihe  von  Liedern  und  mehrern  grössern  chorischen  Werken 
bekundet  er  ein  bedeutendes  Compositionstalent.    1877  verheiratete  er  sich  mit 


24  Sudre  —  Süssmayer. 

der  Prima-Donna  des  Leipziger  Stadttheaters,  Fräul.  Hasselbeck,  die  seitdem 
als  Frau  Sucher-Hasselbeck  eine  Zierde  der  Leipziger  Oper  ist  und  auch  aus- 
wärts bedeutende  Anerkennung  gefunden  hat. 

Sudre,  Jean  Frangois,  geboren  zu  Alby  (Tarn)  am  15.  August  1787, 
betrieb  von  Kind  auf  Musik  und  erhielt  eine  höhere  Ausbildung  in  derselben 
auf  dem  Pariser  Conservatorium  zur  Zeit,  als  Habeneck  und  Catel  dort  lehrten. 
Nach  beendeten  Studien  lebte  er  in  Soreze  und  von  1818  an  in  Toulouse  als 
Musiklehrer,  veröffentlichte  auch  Compositionen,  als:  Romanzen,  Nocturnes, 
Gesangsquartette  und  Terzette  mit  und  ohne  Begleitung.  Schon  1817  beschäf- 
tigte er  sich  damit,  ein  System  auszudenken,  in  welchem  die  Töne  als  Zeichen 
benutzt  werden,  um  auf  weitere  Entfernungen  eine  schnelle  Mittheilung  zu 
ermöglichen.  Als  ihm  seine  Idee  reif  genug  schien,  legte  er  die  Ergebnisse 
seines  Nachdenkens  einer  wissenschaftlichen  Coramission  vor,  zu  welcher  auch 
Cherubini,  Lesueur,  Berton,  Catel  und  Boieldieu  gehörten  und  welche  die  Vor- 
theile  des  Sudre'schen  Systems  einstimmig  anerkannten  und  als  den  Keim  einer 
nützlichen  Erfindung  in  sich  tragend  bezeichneten.  Hierauf  wurden  vom  Kriegs- 
minister Versuche  angeordnet,  die  auf  dem  Marsfelde  in  Gegenwart  von  hohen 
Offizieren  stattfanden.  In  dieser  musikalischen  Zeichensprache,  welche  durch 
ein  Hörn  ausgeführt  wurde,  konnten  Befehle  und  Eücksignale  auf  grosse  Ent- 
fernungen in  15  Secunden  ausgeführt  werden.  Sudre  nannte  das  System  Tele- 
phonie  und  hielt  1833  öffentliche  Vorträge  darüber.  Bei  den  praktischen 
Erläuterungen,  die  er  hierbei  ausführen  Hess,  drückte  ein  Hörn,  nur  durch  die 
verschiedensten  Combinationen  von  Intonation,  Dauer  und  Rhythmus  mit  nur 
drei  Tönen  ganze  Sätze  aus.  S.  empfing  von  allen  Akademien  und  in  der 
gesammten  Presse  neue  Anerkennung  und  unternahm  nun  Reisen  durch  Frank- 
reich, Belgien  und  England.  Die  höchste  Ausbildung  seines  Systems  erlangte 
Sudre,  indem  er  es  auf  die  rhythmische  Berührung  der  Hände  allein  anwendete, 
zu  Gunsten  der  Unglücklichen,  welche  blind  und  taub  zugleich  sind.  Schon 
auf  der  internationalen  Ausstellung  in  London  legte  er  vor  der  musikalischen 
Jury  exacte  Proben  in  dieser  Beziehung  ab.  Bei  der  Weltausstellung  in  Paris 
1855  wurden  ihm  10,000  Fr.  von  der  Jury  votirt  und  vom  Staate  ausgezahlt. 
Ebenso  erhielt  er  von  der  englischen  Regierung  eine  lebenslängliche  Pension 
ausgesetzt,  er  starb  aber  schon  1862  am  3.  Octbr.  in  Paris.  Eine  Zusammen- 
stellung der  Anerkennungszeugnisse  erschien  unter  dem  Titel:  y>B,apports  sur 
la  langue  musicale  inventee  par  M.  F.  Sudre,  approiivee  par  Vinstitut  roydl  de 
France,  et  opinion  de  la  presse  frangaise,  beige  et  anglaise,  sur  les  differentes 
applications  de  cette  science«  (Paris,  1838,  in  8"). 

Süssflöte,  s.  V.  a.  Dolzflöte  (s.  d.). 

Süssmayer,  Franz  Xaver,  Componist,  hauptsächlich  bekannt  durch  die 
Fertigstellung  des  Mozart'schen  Requiems,  mit  welcher  er  von  der  Wittwe  des 
unsterblichen  Meister  beauftragt  worden  war.  S.  ist  zu  Steyer,  einer  kleinen  Stadt 
in  Oberösterreich,  geboren  und  in  der  Benediktiner-Abtei  zu  Kremsmünster  er- 
zogen; er  erhielt  dort  seine  literarische  und  von  Pasterwitz  seine  musikalische 
Bildung.  Als  er  nach  Wien  kam,  um  dort  im  Gesang  und  in  der  Composition 
bei  Salieri  noch  weiter  zu  studiren,  hatte  er  bereits  Sinfonien,  Cantaten,  Psal- 
men und  manches  Andere  geschrieben.  Er  wurde  nun  auch  Schüler  Mozart's, 
der  bekanntlich  unmittelbar  vor  der  Vollendung  seines  grossen  Werkes  starb, 
so  dass  S.  mit  der  Fertigstellung  desselben  nach  seinen  Angaben  beauftragt 
wurde.  lieber  den  Antheil,  den  S.  daran  genommen,  ist  viel  gestritten  worden. 
Da  S.  sich  die  Handschrift  Mozart's  bis  zum  Verwechseln  angeeignet  hatte, 
so  war  es  nicht  leicht  festzustellen,  wie  weit  S.  nur  als  Copist  und  wo  er 
ergänzend  verfuhr.  Abbe  Stadler,  Gottfr.  Weber,  J.  F.  von  Mosel  haben  sich 
an  dieser  Fehde  betheiligt,  über  welche  Jahn  (»Mozart«  IV,  690  ff.)  genau 
berichtet.  S.  übernahm  1792  die  Kapellmeisterstelle  am  National-Theater  in 
AVien,  zwei  Jahre  später  erhielt  er  einen  Platz  als  zweiter  Kapellmeister  am 
Hoftheater  und  war  nebenbei  recht  thätig  als  Operncomponist.    Die  erste  Oper 


Suevus  —  Suite.  25 

war  »Moses«,  1792  für  Scliikaneder  componirt.  Dieser  folgten:  »Die  schöue 
Schusterin«;  y>L'Incanto  superatofi  (Hoftheater  1793);  »Der  Spiegel  aus  Arka- 
dien« ;  »Die  neuen  Arkadier«  (gedruckt) ;  »Der  Türke  in  Neapel«  (in  Prag  auf- 
geführt); »Die  edle  Rache«;  »JZ  due  Goibür,  »Die  Freiwilligen«  (Drama  mit 
Gesang),  wofür  er  vom  Kaiser  eine  goldene  Dose  erhielt;  »Der  Wildfang«;  »Der 
Marktschreier«;  »Soliman  11.«  (gedruckt);  »Die  Jagd«  (gedruckt,  Wien,  bei 
Artaria).  Ebenda:  Cantaten  für  den  Erzherzog  und  andere.  S.  starb  in  Wien 
am  17.  Septbr.  1803. 

Snevns,  Eelicianus,  Guardian  des  Kapuzin  er  or  den  s  zu  Strassburg  1650, 
später  Musikdirektor  eines  Klosters  zu  Insbruck,  wo  er  sich  noch  1661  befand. 
Von  seinen  Compositionen  wurden  gedruckt:  riCifhara  patientis  Jobi  versa  in 
luctum,  Motetten  für  drei  Stimmen,  zwei  Violinen  und  Bass  continuo«  (Strass- 
burg, 1647).  y>Magnißcat  seu  Vaticinium  Dei  Parentis,  semper  virpnis,  cum 
Tiymno  Ambrosiano  et  falsi  bordoni  4  vocibus,  adjuncto  choro  secundo  cum  violonis 
et  symphoniis  non  necessariisvi  (Inspruck,  1651,  in  4").  y)Psalmi  vespertini  3  voc.i 
(ibid.  1651,  in  4°).  y>Fasciculits  rmisicus  sacrorum  concentuum,  trium  vocum  tarn 
instrumentorum  quam  vocalium  etc.a  (ibid.  1656,  in  4").  nZitania  JB.  M.  Virginis 
Lauretanae  von  2  oder  3  oder  5  Stimmen  (ibid.  1661,  in  4").  -»Sacra  Eremus 
piarum  cantionum  2  ei  S  voc.  cum  2  violinis«.  r>Motetti  a  2,  3,  4,  5  voci  cum 
vioUniu,     T>Tuba  sacra,  seu  concerti  ö  1,  2,  3  vociv..     y>Mag7iißcat  a  3  vocU. 

Sufflöte,  auch  Suff  löte,  s.   Sif  flöte. 

Snidas,  ein  gelehrter  Grieche,  lebte  ums  Jahr  1150  v.  Chr.  und  schrieb 
ein  TnLexicon  graece  et  latine«,  worin  er  auch  die  vorkommenden  musikalischen 
Dinge  erklärt.  Es  ist  aus  altern  Wörterbüchern  zusammengetragen,  und  obgleich 
dies  mit  wenig  kritischer  Sorgfalt  geschehen  ist,  erlangt  es  dennoch  für  uns 
unschätzbaren  Werth,  als  es  über  viele  Dinge  aus  der  griechischen  Kunst  Auf- 
schluss  giebt,  über  die  wir  sonst  im  Unklaren  geblieben  wären. 

Suite  (franz.),  Reihe,  Folge,  wurde  ursj)rünglich  auch  nur  in  diesem 
Sinne  als  Reihe,  Folge  von  Musikstücken,  vorwiegend  Tänzen,  gebraucht. 
Als  seit  dem  Beginn  des  16.  Jahrhunderts  die  Tonkünstler  auch  der  Pflege 
der  weltlichen  Musik  eifrig  sich  unterzogen,  Volkslieder  bearbeiteten  und 
Tänze  componirten  und  herausgaben,  suchte  man  auch  bald  nach  entsprechen- 
den gemeinsamen  Titeln  für  Sammlungen  von  Volksliedern  oder  Tänzen. 
Für  jene  wurden  die  Namen  Frottole,  Falala,  Vilanellen  u.  s.  w.  allgemeiner; 
die  Sammlungen  von  Tänzen  führten  dagegen  das  ganze  17.  Jahrhundert  noch 
hindurch  die  verschiedensten  Titel.  Die  Italiener  nannten  sie  am  häufigsten 
B  aletti.  In  Deutschland  war  die  Bezeichnung  »Neue  lustig  Tanz«  oder 
»Neue  artige  und  liebliche  Tanz«  die  wohl  am  häufigsten  vorkommende 
Bezeichnung.  Prätorius  nannte  seine  Sammlung  »Terpsichore«  (1611  etc.), 
Büchner  veröffentlichte  seine  Sammlung  unter  dem  Gesammttitel:  »S  er  via 
von  schönen  Vilanellen,  Galliarden  vnd  Couranten«  (Nürnberg,  1614). 
Schein  veröffentlichte:  y>Banchetto  musicale  neuer  anmuthiger  Paduanen, 
Galliarden,  Couranten  und  Allemanden«  (Leipzig,  1617),  und  Oberndorffer: 
y>Allegrezza  Musicale  oder  auserlesene  Pavanen,  Galliarden,  Intrathen  etc.« 
(1650).  Aschenbrenner's  »Gast-  und  Hochzeitsfreude«  enthält  Sonaten, 
Präludien,  Allemanden,  Coui-anten,  Balletten,  Arien,  Sarabanden  (Leipzig,  1673). 
Auch  der  Name  Scherzi  für  solche  Bearbeitungen  von  weltlichen  und  selbst 
geistlichen  Liedern  begegnet  uns  hier:  Cozzolani,  •aScherzi  di  sacra  melodiaa. 
(1652),  oder  Petrobelii,  -»Scherzo  micsicala  (A^enedig,  1693).  Die  Bezeich- 
nung Suite  finde  ich  in  diesem  Jahrhundert  zum  ersten  Mal  bei  Auxcouste- 
aux  A.:  »Suite  de  la  premiere  partie  des  quatrains  de  Mathieu  ä  trois  voix, 
Selon  Vordre  des  doux  modesa  (Paris,  Robert  Ballard,  1652)  und  dann  erst  wieder 
bei  Porte  G.  de  la:  »Suites  de  pieces  nouvelles  choisies  et  disposees  pour  le 
Concert  pour  deux  dessus  de  Violen  avec  la  Basse  continue  pour  le  clavecin,  aux- 
quels  on  peut  joindre  la  Basse  de  Viele  et  le  Teorben  (Amsterdam,  1689)  und 
dann  bei  Schenk:    »Scherzi  musicale    oii   Suittes  pour  itne  Basse  de    Viole  et 


26  Suite. 

uiie  Basse  continue  composes  de  JPreludes,  Allemandes,  Cour  ante,  Chaconuea  (Am- 
sterdam, 1692).  Enthält  100  Tonstücke.  Häufiger  ist  die  Bezeichnung  Partie, 
sobeiDuraont:  lyMelanges  a  II,  III,  IV e  V  Parties«.  (Paris,  Robert  Ballard, 
1649)  oder  Krieger,  J.:  »VI  musikalische  Partien,  bestehend  in  Allemanden, 
Couranten,  Sarabanden,  Doublen  und  Giguen  nebst  eingemischten  Bourreen, 
Menuetten  und  Gavotten«  (Nürnberg,  bei  "W.  M.  Endter,  1697)  und  das  Zu- 
sammenstellen der  verschiedenen  Tänze  zu  Partien  hat  entschieden  dazu  mit- 
gewirkt, der  Suite  eine  bestimmte  Ordnung  zu  geben.  Erst  als  die  Componisten 
anfingen,  die  Tänze  zu  Partien  zusammenzustellen,  kamen  sie  darauf,  diese  in 
eine  gewisse  Reihenfolge  zu  bringen,  während  sie  in  den  frühem  Sammlungen 
meist  willkürlich  zusammengestellt  waren.  Es  zeigt  sich  hierbei  bereits  die 
beginnende  Erkenntniss  von  der  Noth wendigkeit  eines  Contrasts,  wenn  die 
gehörige  Wirkung  erzielt  werden  soll.  Man  erkannte,  dass  die  Art  der  Zu- 
sammenstellung auch  auf  die  Wirkung  der  einzelnen  Tänze  von  ganz  entschie- 
denem Einfluss  ist,  dass  es  zweckmässiger  ist,  neben  die  sinnig  gravitätische 
Allemande  nicht  die  verwandte  Sarabande  zu  stellen,  sondern  zwischen  beide 
die  etwas  belebtere  Courante,  und  dass  man  diese  wiederum  nicht  nach  der 
feurigen  Gigue  bringen  müsse,  sondern  dass  diese  am  zwekmässigsten  als  die 
beliebteste  Tanzform  möglichst  den   Schluss   bilde. 

Nachdem  aber  die  einzelnen  Tänze  nach  solchen  Gesichtspunkten  geordnet 
wurden,  so  dass  diese  in  einer  gewissen  überlegten  Reihenfolge  erschienen, 
war  der  Name  Suite  für  sie  eben  so  passend  und  zweckentsprechend,  wie  der 
Name  Partie  (ital.  Partita'),  und  beide  Namen  finden  wir  dann  seit  dem 
Anfange  des  18.  Jahrhunderts  für  diese  Form  angewendet.  Anfangs  hiess  sie 
auch  noch  Kammersonate:  Sonate  da  camer a  oder  Sonata  dei  halletti  zum 
Unterschiede  von  der  Kirchensonate  Sonate  da  chiesa;  so  erklärt  sie  noch 
Brossard  in  seinem:  y> Dietionnaire  de  Musique«  (Paris,  1703),  und  er  giebt 
ausdrücklich  an,  dass  bei  ihr  die  Tänze  in  bestimmter  Ordnung  eingeführt 
werden.  Er  findet  die  Kammersonate  von  der  Kirchensonate  darin  unter- 
schieden, dass  bei  dieser  die  einzelnen  Sätze:  Adagio,  Largo  u.  s.  w,  durch 
Fugensätze  geschieden  sind,  während  bei  der  Sonata  da  camer a  dem  Prä- 
ludium Sätze  in  bestimmter  Ordnung:  Allemande,  Courante,  Sarabande,  Gigue 
oder  auch  Allemande,  Gavotte,  Bourree  und  Menuett  folgen.  Auch  Händel 
und  Bach  halten  im  Allgemeinen  an  dieser  Anordnung  fest,  ohne  sie  jedoch, 
wie  das  im  Wesen  der  ganzen  Form  begründet  ist,  zur  feststehenden  Norm  zu 
machen.  Bach  bezeichnet  in  der  Regel,  wenn  er  neben  Tänzen  noch  andere 
Sätze,  wie  Ouvertüre,  Toccata  Air,  AUegro,  Echo,  Scherzo  u.  s.  w.  aufnimmt, 
eine  solche  Zusammenstellung  mit  Partita  oder  wohl  auch  mit  Sonata, 
doch  stehen  auch  in  einzelnen  Suiten  andere  Stücke  als  Tänze,  wie  in  der 
JS-ffio^Z-Suite,  die  mit  der  Ouvertüre  im  französischen  Stil  beginnt  und  deren 
letzter  Satz  ein  »Echo«  ist.  Das  darf  man  übrigens  wohl  als  einen  klaren 
Beweis  dafür  ansehen,  dass  die  Zusammenstellung  dieser  einzelnen  Sätze  zur 
Partita  oder  Suite  durchaus  nicht  willkürlich  war,  sondern  dass  sie  bei  den 
Meistern  wie  Bach  und  Händel  wohl  erwogen  wurde,  so  dass  die  Anordnung 
nach  bestimmten  Gesichtspunkten  erfolgt.  Insofern  dürfen  auch  Suite  und 
Partita  als  Vorstufe  für  die  Sonaten  form  betrachtet  werden,  wenn  auch 
diese  im  Grunde  genommen  neben  der  Suite  bereits  ihre  eingehende  Pflege 
gefunden  hatte,  wie  in  dem  betrefi'enden  Artikel  gezeigt  worden  ist  (s.  Sonate). 
An  der  Suitenform  entwickelte  sich  der  Instrumentalstil  zu  greifbarem  Re- 
sultaten und  als  dann  die  Componisten  dieselbe  Sorgfalt,  welche  sie  auf  die 
Zusammenstellung  der  einzelnen  Sätze  der  Suite  verwandten,  auch  auf  die 
Sonate  übertrugen,  gelangte  diese  rasch  zu  bedeutender  Entwickelung  und 
Hess  jene  bald  hinter  sich  zurück,  denn  die  Suite  war  einer  Weiterbildung  im 
Grunde  nicht  fähig.  Auch  die  Tänze  sind  als  Kunstform  zu  behandeln,  allein 
sie  werden  auch  als  solche  nie  zu  der  Höhe  aller  übrigen  Formen  gelangen 
können.     Daher  war  es  auch  natürlich,  dass,    als    die  höhere  Form  der  So- 


.Sujet  —  Sulzer.  27 

nate  zu  so  wunderbarer  grossartiger  Entfaltung  gelaugte  und  zur  Sinfonie 
wurde,  die  Suite  allmälig  zurücktrat,  sie  wurde  zum  Divertissement,  das 
nur  der  mehr  oder  weniger  geistvollen  Unterhaltung  dient. 

Erst  die  Neuzeit  hat  die  Suite  wieder  lebendig  gemacht,  in  nothwendiger 
Neugestaltung.  Sie  hat  dabei  ihren  ursprünglichen  Charakter  als  Folge  von 
Tanzstücken  zumeist  eingebüsst,  man  fasst  sie  jetzt  mehr  als  Folge  von 
innerlich  verbundenen  Tonstücken  von  leichterem  G-ehalt  als  die  einzelnen  Sätze 
der  Sinfonie.  Es  erscheint  allerdings  immerhin  gewagt,  Tänze,  deren  Eigenart 
uns  fast  ganz  verschwunden  ist,  wie  Gigue,  Courante,  Sarabande  u.  s.  w. 
wieder  lebendig  machen  zu  wollen,  und  so  ist  es  ganz  natürlich,  dass  an  Stelle 
derselben  neben  die  Menuett  die  Polonaise,  der  "Walzer,  die  Mazurkau.  s.w. 
treten  und  dass  Scherzo,  Romanze,  Adagio  und  die  Form  der  Variation 
neben  dem  Präludium  und  dem  Finale  jetzt  die  Formen  der  Suite  bilden. 
In  diesem  Sinne  ist  sie  von  Raff  und  Reissmann  zu  Suiten  für  Violin-Solo 
und  Orchester  benutzt  und  durch  Lachner,  Raff  u.  A.  als  Orchester-Suiten 
wieder  lebendig  geworden. 

Sujet  (franz.),  =  Stoff,  Thema,  Hauptsatz;  man  bezeichnet  damit  dem- 
entsprechend das  Fugenthema,  Subjekt,  aber  auch  den  Stoff,  die  einer  Oper 
zu  Grunde  liegende  Begebenheit;  des  Sujet  der  Oper  »Fidelio«  ist  die  Helden- 
that  einer  Frau  (Leonore),  die  ihren  Gatten  (Florestan)  aus  dem  Verderben 
errettet,  in  das  ihn  die  Bosheit  seines  Todfeindes  (Pizarro)   stürzte. 

Sul  (ital.  Vorwort)  =  über. 

Sul  ponticello  =  über  (nahe)  am  Steg. 

Sulla  corda  =  auf  der  Saite;  sulla  corda  D  =  auf  der  D-Saite. 

Sulla  tastiera  =  nahe  am  Griffbrett. 

Snllng',  eine  indische  Laugflöte. 

SuUivau,  Arthur  Seymour,  englischer  Componist,  geboren  am  13.  Mai 
1842,  ist  der  Sohn  eines  Lehrers  am  Kneller  Hall  College,  der  Pflanzschule 
der  englischen  Musikdirektoren.  Seine  musikalische  Bildung  begann  mit  dem 
Eintritt  in  den  Knabenchor  der  Königl.  Kapelle,  die  er  nach  zweijährigem 
Besuch  derselben  mit  dem  zuerkannten  Mendelssohn-Preis  verliess,  um  in  Folge 
dessen  in  die  Königl.  Akademie  einzutreten.  Hier  erhielt  er  den  Unterricht 
Sterndale  Benette's  und  des  trefflichen  Organisten  an  der  Paulskirche,  John 
Gross.  1858  reiste  er  mit  noch  sechs  Engländern  nach  Leipzig,  um  das  dor- 
tige Conservatorium  zu  besuchen  und  verbrachte  dort  drei  Studienjahre.  Ehe 
er  Leipzig  verliess,  um  nach  England  zui'ückzukehren,  wurden  Bruchstücke  aus 
seiner  eben  vollendeten  Partitur  der  Musik  zu  Shakespeare's  »Sturm«  aufgeführt. 
Das  ganze  Werk  kam  zuerst  1862  im  Crystallpalast  zu  Sydenham  zur  Aufführung. 
Die  von  dieser  Zeit  an  in  England  componirten  Werke  erfreuten  sich  von 
Seiten  seiner  Landsleute  stets  einer  guten  Aufnahme.  Es  sind:  Cantate  y>Kenil- 
worth«  (beim  Musikfest  zu  Birmingham  1864  aufgeführt);  das  Ballet  »Die 
Zauberinsel«  (Conventgarden-Theater) ;  Sinfonie  ^  (Crystallpalast) ;  Concert- 
ouverturen;  ein  Cello-Concertino  mit  Orchester;  Concerte;  Pianofortecompo- 
sitionen;  Lieder;  Chorgesänge;  Kirchenstücke.  Auch  zwei  komische  Opern: 
»Cox  und  Box«  und  »Der  Schmuggler«  wurden  in  England  mit  den  ehrendsten 
Erfolgen  gegeben.  Ebenso  errang  das  Oratorium  y>The  Prodigal  son«  bei  seiner 
Aufführung  am  Worcester  Musikfest  1868  lebhaften  Beifall. 

Sultzberger,  Johann  Ulrich,  Musikdirektor  und  Virtuose  auf  dem  Zinken 
zu  Bern  im  Anfange  des  18.  Jahrhundert,  hat  herausgegeben:  »Vierstimmiges 
Psalmenbuch,  das  ist,  Psalmen  Davids,  durch  D,  Ambr.  Lobwasser  in  teutsche 
Reymen  gebracht,  worinn  die  hochclavierten  Psalmen  transponirt  etc.«  (Bern, 
Daniel  Tschiffelt,   1727,  klein  in  8",   641   Seiten). 

Sulzer,  Franz  Joseph,  Militär- Auditeur  zu  Wien,  geboren  zu  Laufen- 
burg im  Breisgau,  starb  zu  Wien  1790.  Er  gab  ein  Buch  heraus:  »Geschichte 
des  transalpinischen  Daciens  u.  s.  w.«  (Wien,  1781  und  1782,  drei  Bände  in  8", 


28  Sulzer. 

in    welchem    ausführliche    Nachrichten    über    die  Musik    der  Türken   und  Neu- 
Grriechen  enthalten  ist. 

Snlzer,  Johann  Georg,  Professor  und  Direktor  der  philosophischen  Klasse 
der  Königl.  Akademie  der  Künste  zu  Berlin,  war  zu  Winterthur  1719  geboren. 
Nach  beendigten  Studien  in  seiner  Vaterstadt  und  in  Zürich  war  er  eine  Zeit  lang 
Prediger  in  einem  Dorfe  und  dann  in  Magdeburg  Erzieher.  1747  kam  er  auf 
Sak's  Empfehlung  als  Professor  nach  Berlin  an  das  Joachimthal'sche  Gymnasium, 
kehrte  aber  nach  dem  Tode  seiner  Gattin  nach  der  Schweiz  zurück.  1760  wurde 
ihm  bei  der  neu  errichteten  ßitterakademie  in  Berlin  eine  Professur  angetragen 
und  auch  vom  Könige  ein  Stück  Land  geschenkt,  um  sich  ein  Haus  darauf 
bauen  zu  können.  Diese  Professur  legte  er  1773  wegen  Kränklichkeit  nieder, 
blieb  aber  als  Literat  noch  thätig.  Die  Schriften  Sulzer's,  besonders  eine 
Encyclopädie  der  schönen  Künste,  sind  schätzbar,  obwohl  zum  Theil  bereits 
veraltet.  S.  that  in  diesem  Werke  den  ersten  Schritt  zu  einer  allgemeinen 
TJebersicht  der  schönen  Künste  und  einer  näheren  Bestimmung  der  einzelnen 
Kunstzweige.  Das  Werk  führt  den  Titel:  »Allgemeine  Theorie  der  schönen 
Künste,  in  einzelnen  nach  alphabetischer  Ordnung  der  Kunstwörter  aufeinander- 
folgenden Artikeln  abgehandelt«  (Leipzig,  1772,  zwei  Bände  in  4*').  Die  besten 
musikalischen  Ai'tikel  darin  sind  von  J.  A.  P.  Schulz  und  zwar  vom  Buchstaben 
S.  an  alle,  mit  Ausnahme  von  »System«,  welcher  von  S.  ist.  Die  Artikel  im 
ersten  Bande  sind  von  S.  und  Kirnberger.  lieber  den  Antheil  Sulzer's  sagt 
J.  A.  P.  Schulz  (»Leipziger  musikalische  Zeitung«,  IL  Jahrg.  S.  277):  »Sulzer 
wollte  selbst  schreiben  und  unterrichtet  sein  von  dem,  was  er  schrieb.  Er  be- 
durfte eines  Lehrers  in  der  theoretischen  Musik,  den  er  zugleich  bei  seinem 
Werk  zu  Bathe  ziehen  konnte.  Dies  hatte  die  Beendigung  des  Werkes  ver- 
zögert. Schon  lange  hatte  er  sich  bei  Männern  wie  Agricola,  Quanz,  Biedt, 
Marpurg  u.  a.  zu  unterrichten  gesucht,  aber  nicht  damit  von  der  Stelle  kommen 
können.  Er  wandte  sich  hierauf  an  Kirnberger.  Die  erste  Frucht  dieses  Un- 
terrichts war:  »Die  Kunst  des  reinen  Satzes«  von  Kirnberger,  die  S.  aus  dessen 
Papieren  zusammengesetzt  hatte;  und  darauf  wurden  die  musikalischen  Artikel 
der  Theorie  der  schönen  Künste  mit  Eifer  begonnen,  zur  grossen  Unzufrieden- 
heit Marpurg's;  daher  der  zunehmende  Groll  dieses  Mannes  gegen  Kirnberger  etc.« 
Die  dritte  Auflage  dieses  Werkes  erhielt  von  v.  Blankenburg,  der  sie  veran- 
staltet, ein  Suj)plement:  »Literarische  Zusätze  zu  Johann  Georg  Sulzer's  all- 
gemeiner Theorie  der  schönen  Künste  etc.«  (Leipzig,  1796 — 98,  drei  Bände 
in  8").  Dijck  und  Schatz  liefei'ten  noch  acht  Bände  Nachtrag.  Uebersetzt  sind 
die  meisten  der  Artikel  auch  ins  Italienische  und  im  »Dictionnair  der  schönen 
Künste«  zu  Mailand  abgedruckt.  Die  erste  Schrift  Sulzer's  erschien  in  franzö- 
sischer Sprache:  liFensees  stir  Vorigine  et  les  diff^erents  emplois  des  sciences  et 
des  heaux-arts,  discours  prononce  dans  Vassemblee  royale  des  sciences  et  des  belles- 
lettresa  am  27.  Januar  1757  (Berlin,  Haude  &  Spener)  und  eine  deutsche  Ab- 
handlung, im  Grunde  dieselbe:  »Die  schönen  Künste  in  ihrem  Ursprünge,  ihrer 
wahren  Natur  und  besten  Anwendung  betrachtet«  (Leipzig,  1772,  8",  acht  Blätter). 
Eine  vierte  Schrift,  die  Beschreibung  der  Hohlfeldischen  Notenschi-eibemaschine, 
befindet  sich  in  den  Abhandlungen  der  königl.  Akademie  der  Wissenschaften  zu 
Berlin  1711,  nebst  zwei  Kupfertafeln.  S.  starb  am  24.  Febr.  1779  zu  Berlin. 
Sein  Bildniss  befindet  sich  vor  dem  dritten  Bande  der  Berliner  vermischten 
Schriften,  ausserdem  gemalt  von  Graaf  und  gestochen  von  Bause,  auch  nach 
demselben  Bilde  gestochen  von  Berger. 

Sulzer,  Salomon,  Obercantor  der  israelitischen  Gemeinde  in  Wien,  der 
Regenerator  des  israelitischen  Cultusgesanges,  ward  am  .30.  März  1804  in  dem 
Marktflecken  Hohenems  in  Vorarlberg  geboren  als  der  Sohn  eines  geachteten 
Kaufmanns  und  Fabrikanten,  des  Sprösslings  einer  der  ältesten  Familien  des 
Landes.  Salomon  Sulzer  bewahrt  jetzt  noch  gleich  einem  Stammbaume  ein 
goldgesticktes,  rituelles  Altarornat,  welches  laut  eingesticktem  Datum  ein  Alter 
von    210    Jahren    besitzt.     Sulzer's  Vater  war  ein  geachteter  Industrieller  und 


Sulzer.  29 

Fabrikant,  beschäftigte  und  ernährte  selbst  in  den  schwersten  Zeiten,  z.  B,  bei 
der  Hungersnoth  im  Jahre  1816,  eine  grosse  Anzahl  brodloser,  in  Noth  gera- 
thener  Arbeiter  in  einer  von  ihm  selbst  errichteten  "Weberei.  Früh  schon  der 
Synagoge  gewidmet,  erhielt  S.,  kaum  15  Jahre  alt,  von  Sr.  Majestät  Kaiser 
Pranz  I.  die  Bestätigung  als  geistlicher  Funktionär  der  Israelitengemeinde  zu 
Hohenems.  Schon  mit  15  Jahren  also  stand  der  Jüngling  begeistert  vor  der 
Beterschaar  seines  Volkes  und  trachtete  damals  schon  den  halb  erloschenen 
Funken  des  Glaubenseifers  zu  beleben,  zu  regeneriren.  Zu  Ende  des  Jahres 
1825  erhielt  S.  von  Wien  aus  den  ehrenvollen  Ruf,  am  neuerbauten  Tempel 
das  Obercantorat  zu  übernehmen.  Seitdem  wirkt  S.  hier,  ihm  zum  Lobe,  der  Gre- 
meinde  zum  Heil!  Der  Schall  seiner  mächtigen  Stimme  erhob  und  begeisterte  aber 
nicht  nur  die  Wiener  Gemeinde,  sondern  es  verdanken  ihm  sämmtliche  Israeliten 
beider  Hemisphären  die  Regenerirung  ihres  Gottesdienstes,  wie  denn  auch,  als 
er  seinen  70.  Geburtstag  feierte,  in  den  meisten  in-  und  ausländischen,  ja  sogar 
in  den  entferntesten  überseeischen  Gemeinden  ihm  zu  Ehren  der  Tag  bei 
offener  Lade  gefeiert  wurde.  Aber  nicht  allein  durch  seinen  Gesang  wirkte 
er  so  in  rühmenswerthem  Eifer  für  israelitischen  Cultusgesang,  sondern  und 
mehr  noch  durch  seine  vielen  Werke,  die  seinen  Einfluss  in  die  entferntesten 
Gemeinden  verpflanzten,  sowie  er  auch  für  die  Schule  manch  nützlich  Büchlein 
schrieb.  Heute,  am  Abende  seines  Lebens,  mag  S.  froh  die  Bahn  übersehen, 
die  er  gewandelt.  Vielfach  wurden  ihm  auch  die  ehrendsten  Auszeichnungen 
zu  Theil,  er  erhielt  den  Franz-Josephs-  und  den  Medschidje-Orden,  die  grosse 
österreichische  goldene  und  die  grosse  sowohl  als  kleine  russische  goldene  Me- 
daille für  Kunst  und  Wissenschaft  u,  m.  A.  Ueberdem  wurde  er  auch  durch 
werthvolle  Geschenke  erfreut:  Brillantringe  vom  Kaiser  Ferdinand,  von  Sr.  M. 
Kaiser  Franz  Joseph  I.,  vom  Grossherzog  von  Baden;  eine  für  ihn  geprägte 
goldene  Medaille  erhielt  er  aus  Amerika,  eine  ebensolche  vom  Herzoge  Max  in 
Baiern  nebst  einem  Handschreiben.  Silberne  Kränze,  das  Meisterdiplom  der 
Reale  Äcademia  di  S.  Cecilia  in  Rom  u.  s.  w.,  gleichwie  die  Auszeichnungen 
seiner  Mitbürger  und  die  Widmungen  der  entferntesten  Gemeinden  sind  sicht- 
bare Zeichen  seiner  Thaten.  S.  erfreute  sich  der  Gunst  Ihrer  k.  Hoheit  der 
Frau  Erzherzogin  Sophie,  der  Freundschaft  des  Fürsten  Lotar  Metternich. 
Der  Erzbischof  sowie  Pater  Franz  besuchten  ihn  persönlich  —  kurz:  Alle, 
Alle  vereinten  sich  zum  Lied  des  Dankes  für  die  himmlische  Lust,  die  sein 
Lied  ihnen  bereitet! 

Und  wie  das  Gute  sich  nur  zum  Guten  paart,  so  finden  sich  auch  erha- 
bene Geister.  S.  zählt  zu  seinen  Freunden:  Meyerbeer,  Schubert,  Schumann, 
Paganini,  Halevy,  Thalberg,  Liszt  und  viele  Andere.  Der  Letztere  sagt  in 
seinem  Buche:  »De  Bohemiens  et  de  leur  musiquea,  er  habe  bei  Sulzer's  Tempel- 
gesang zum  ersten  und  einzigen  Male  den  Eindruck  einer  wirklich  national- 
jüdischen Kunst  empfunden,  während  alle  anderen,  selbst  trefflichsten  Leistungen 
jüdischer  Tondichter,  Poeten  und  Maler  doch  nur  ein  Nachbilden  und  Wieder- 
holen chi'istlichabendländischer  Kunst  seien.  S.  hat  nach  jeder  Richtung  hin 
Segen  gespendet.  Er  ist  Gründer  der  ersten  akademischen  Liedertafel,  welche 
aus  700  Personen  bestand,  war  lange  Jahre  ohne  jedes  Entgelt  Pi'ofessor  am 
Conservatorium  und  stiftete  den  Ertrag  eines  ihm  zu  Ehren  veranstalteten 
Concertes,  1500  Gulden,  zu  einer  Sulzer'schen  Concertstiftung,  so  dass  die 
Interessen  von  75  Gulden  alljährlich  das  Stipendium  eines  mittellosen  Schülers 
bilden.  Viele  Synagogen  und  Wohlthätigkeitsanstalten  weihte  er  unentgeltlich 
ein,  der  Gemeinde  seines  Geburtshauses  schenkte  er  selbes  mit  der  Widmung 
der  Stiftung  eines  Asyles  für  Leidende  aller  Confessionen  —  es  wurde  an 
diesem  Hause  eine  Votivtafel  angebracht  —  ferner  schenkte  S.  dieser  Gemeinde 
ein  mächtiges  Harmonium  nebst  den  nöthigen  Musikalien  und  mehrere  rituelle 
Gewänder.  Als  Mitgründer  und  Vice-Präses  des  Tirol- Vorarlberger  Unter- 
stützungsvereines setzte  S.  volle  Kraft  und  eigene  Mittel  ein,  keinen  bedürf- 
tigen  Landsmann    in  Wien  Noth    leiden    zu    lassen,    beherbergte,    sättigte   und 


30  Samara  —  Summer. 

placirte  viele,  während  er  jene,  welche  keine  Stelle  fanden,  versorgt  und  wenn 
nöthig  neu  bekleidet  wieder  heimsandte.  Doch  nicht  nur  Erwachsene  lobpreisen 
Sulzer's  edle  Güte.  Er  ist  auch  den  Kleinen  ein  Beschützer  und  wirkt  rastlos 
als  Präsident  des  ersten  allgemeinen  Unterstützungsvereines  für  Kinder.  Als 
hochbetagter  Greis  bemühte  er  sich  in  jüngster  Zeit  noch  als  Mitbegründer 
um  die  Errichtung  der  ersten  Wiener  Suppen-  und  Thee-Anstalt.  Darum 
vereinigte  sich  auch  Alles  an  den  beiden  Jubiläumstagen  des  geliebten  Greises 
am  24.  März  1866  als  an  seinem  40jährigen  Wirkungstage,  und  am  30.  März 
1874,  seinem  70.  Geburtstage,  demselben  Zeichen  der  Verehrung  zu  senden. 
Der  Gemeinderath  der  Stadt  Wien  unter  Führung  des  Bürgermeisters  Dr.  Eelder 
überbrachte  dem  Gefeierten  das  Ehrenbürgerdiplom,  eine  Unmasse  von  Adressen 
und  Glückwünschen  aus  allen  Weltgegenden  erdrückten  beinahe  den  Jubilar, 
den  Alles  beglückwünschte. 

Von  seinen  Söhnen  widmeten  sich  zwei  der  Musik:  Julius,  sein  ältester 
Sohn,  ist  Hofkapellmeister  und  geachteter  Compositeur,  und  Joseph,  sein 
jüngster  Sohn,  nachdem  er  Professor  am  Conservatorium  in  Bukarest  war,  ist 
gegenwärtig  Mitglied  der  k.  k.  Hofoper.  Auch  seinen  Töchtern  wusste  der 
unvergleichliche  Vater  Liebe  zur  Musik  einzupflanzen,  Marie  von  Beiart 
und  Henriette  Biacchi  geborne  Sulz  er  haben  sich  als  Gesangskünstlerinnen 
in  Wien,  Prankreich,  Italien,  Spanien  einen  ruhmreichen  Namen  erworben. 
Marie  von  Beiart  war  Professorin  an  der  k.  k.  Opernschule  zu  Wien  und  con- 
certirte  im  Jahre  1848  gemeinsam  mit  ihrer  Schwester  in  Tirol,  Vorarlberg 
und  Baiern  zum  Besten  der  Verwundeten  des  k.  k.  Heeres.  Henriette  Sulzer, 
nachmalige  Biacchi,  war  durch  drei  Jahre  Primadonna  in  Newyork  und  durch 
zwei  Jahre  Directrice  der  k.  Oper  in  Mexiko  unter  Kaiser  Max  I.  —  Das 
Werk,  durch  das  er  namentlich  verdienstlich  wirkte,  »Schir  Zion«,  ist  eine 
Sammlung  von  Gesängen  für  den  jüdischen  Cultus.  Ausserdem  componirte  er 
auch  Lieder  und  Gesänge  u.  A. 

Snmara,  eine  arabische  Doppelfiöte  ganz  eigener  Art.  Sie  besteht  aus 
einem  kürzeren,  mit  Tonlöchern  versehenem  Rohre,  auf  welchem  die  Melodie 
gespielt  wird,  und  aus  einem  längeren,  das  durch  Ansetzstücke  verlängert,  also 
beliebig  gestimmt  werden  kann  und  zur  Melodie  den  Bass  (in  einem  Tone 
fortsummend)  angiebt. 

Sumber  (sumper)  war  in  Deutschland  im  12.  und  13.  Jahrhundert  eine 
kleine  Handtrommel  in  Cylinderform,  nicht  das  Tambourin.  Ueber  die  Be- 
schaffenheit dieses  Instruments  in  ältester  rohester  Form  unterrichtet  uns  der 
Umstand,  dass  dasselbe  Wort  sumper  im  Althochdeutschen,  ebenso  sumher  im 
Mittelhochdeutschen  zugleich  einen  Korb  und  ein  Getreidemaass  (später  Simri 
genannt)  bezeichnet.  Also  ein  Hohlmaass  (Metze,  Viertel)  wurde  mit  einem 
Pell  überzogen  und  die  Trommel  war  fertig.  Oder  noch  primitiver:  das  hölzerne 
Gefäss  selbst  ward  auf  die  hohle  Seite  gestellt  und  auf  dessen  Boden  losgepaukt. 
Es  war  der  Sumber  nebst  Flöte  und  Geige  die  gewöhnliche  Musik  zum  länd- 
lichen Tanze.     So  heisst's  beim  Nithart  (Hagen,  Minnes.  II.  S.   117): 

zwene  vor  im  pfiiFen, 

der  dritte  den  sumber  sluc. 

Der  Tanhuser  (Hagen,  MS.  IL  85  und  IL  59)  singt: 

Dort  hoer  ich  die  flöiten  wegen, 
hie  hoer  ich  den  sumber  regen: 
der  mir  helfe  singen 
disen  reigen  springen. 

Sich  huob  in  der  stuben  schal. 

Vor  den  getelingen  der  sumher  lüte  erdöz. 

Da  tanzten  megde  überal. 

Summer  oder  Bourdou  hiess  an  Sackpfeifen  (Dudelsack)  die  nur  in  einem 
Tone  fortsummende  Pfeife;    an  alten  Geigen  (Rebec,  Rebebe)    und  Lauten  die 


Summpfeife  —  Suppe.  31 

neben  dem  Griflfbrett  liegenden  tiefsten  Saiten,  die  nicht  gegriffen  wurden, 
sondern  deren  unvei'änderter  Ton  mit  der  Melodie  zugleich  erklang.     Auch: 

Sammpfeife  und 

Summe  wurden  beim  Dudelsack  diese  Pfeifen  genannt. 

Sumplioneia  oder  Samponia  war  ein,  unserm  Dudelsack  ähnliches  Instru- 
ment der  alten  Hebräer,  dessen  Daniel  cap.  3  v.  5  gedacht  wird.  Der  Name 
deutet  auf  griechischen  Ursprung.  In  einem  ledernen  Sacke  sollen  zwei  Pfeifen, 
unten  vind  oben  gleich  hervorragend,  gesteckt  worden  sein,  die  Löcher  zum 
Spielen  hatten.  Der  Ton  soll  schreiend  gewesen  sein.  Der  Sack  wurde  von 
den  Alten  aus  Widderfell  bereitet.  Uebrigens  sind  die  Beschreibungen  verschieden. 

Snmtio,  s.  v.  a.  Lepsis,  die  Tonlage  der  Melodie  bei  den  Griechen  in 
Bezuff  auf  Höhe  oder  Tiefe. 

Snudeliu,  Augustin,  Kammermusikus  und  Clarinettist  der  Opernkapelle 
zu  Berlin  von  1827 — 29,  wurde  wegen  eines  Halsübels  pensionirt  und  starb 
am  6.  Septbr.  1842  zu  Berlin.  Seine  Compositionen,  hauptsächlich  Lieder, 
reichen  bis  Op.  78.  Ausserdem  veröffentlichte  er:  1)  »Die  Instrumentirung  für 
Orchester,  oder  Nachweisung  über  alle  bei  derselben  gebräuchlichen  Instrumente, 
um  dafür  wirkungsvoll  und  ausführbar  componiren  zu  können«  (Berlin,  Wagen- 
führ, 1828,  4",  47  S.).  2)  »Die  Instrumentirung  für  sämmtliche  Militärmusik- 
chöre oder  Nachweisung  etc.«  (ebend.  1828,  4").  Es  sind  dies  zwei  Werkchen, 
die  ihrer  Zeit  ihrem  Zweck  vollständig  entsprachen. 

Snndeliu,  Carl,  Bruder  des  Vorigen,  Dr.  med.  und  Professor  zu  Berlin, 
gab  hei-aus:  »Aerztlicher  Rathgeber  für  Musiktreibende«.  Nach  Angaben  des 
Königlich  pensionirten  Kammermusikus  Sundelin  zusammengetragen  (Berlin, 
1832,  8^  58  Seiten). 

Sunderrenter,  Greorg,  ein  Kirchencomponist  des  16.  Jahrhunderts,  hat  in 
den  Druck  gegeben:  »Episteln  auff  alle  Sontag  und  die  fürnembste  Fest  Christi 
und  der  lieben  Gottes  Heiligen,  sampt  etlichen  Texten  auss  dem  Alten  vnd 
Newen  Testament,  in  geistliche  Liebliche  Melodeyen  verfasst,  mit  vorgesetzten 
Argumenten  jedes  Gesangs,  Reimweiss«  (Lawingen,  1580,  8°).  »Nicolai  Her- 
manni,  Sonntägliche  Evangelien  durchs  ganze  Jahr,  sampt  den  fürnembsten 
Festen  in  Gesangweiss  aussgangen,  durch  Geo.  Sunderrenter,  geändert,  gemehret 
und  in  den  Augsbui'gischen  Confessions-Kirchen  gebräuchlichen  Melodeyen  ver- 
fasset« (Laupingeu,  1580,  8"). 

Snnk,  eine  Muscheltrompete  der  Hindostaner,  die  in  Verbindung  mit  einem 
Silberglöckchen  (Gunda)  gespielt  wird.  Die  Brahminen  bedienen  sich  desselben 
bei  ihren  religiösen  Feierlichkeiten.  Eine  Abbildung  eines  Sunkbläsers  mit  dem 
Glöckchen  in  der  techten  Hand  s.  im  »Asiatischen  Magazin«   1810. 

Suoni  acuti  =  hohe  Töne. 

Suoui  armonichi  =  die  Flageoletttöne  (s.  d.). 

Suono-Terzo,  s.  Terzo. 

Superacntae  claves,  Toces,  oder  superacuta  loca,  die  fünf  höchsten  Töne 
des  Hexachordsystems  von  a — la  —  mi  —  re  bis  e  —  la  (a^ — e.^,  s.  Solmisation). 

Superoctave  in  der  Orgel,  das  Doppeloctavregister  zum  Pi-incipal.  Häufig 
bezeichnet  man  auch  die  kleinste  Octave  eines  Claviers  mit  Superoctav,  was 
indess  nicht  richtig  ist. 

Suppe,  Franz  von,  geboren  am  18.  April  1820  zu  Spalatro  in  Dalmatien, 
versuchte  sich  schon  als  Knabe  ohne  eigentliche  Bekanntschaft  mit  den  betref- 
fenden Regeln  im  Componiren.  1839  kam  er  nach  Wien,  um  die  Universität 
zu  besuchen,  widmete  sich  aber  ausschliesslich  der  Musik.  Er  lernte  mehrere 
Instrumente  spielen  und  erhielt  in  der  Composition  den  Unterricht  Seyfried's. 
Dann  versah  er  einige  Zeit  die  Stelle  eines  Musikdirektors  am  Josephstädtischen 
Theater,  bis  er  in  derselben  Eigenschaft  an  das  Theater  an  der  Wien  ging. 
Es  erschienen  im  Laufe  der  Zeit  eine  Menge  seiner  Compositionen.  Er  schrieb 
Sinfonien,  Quartette;  die  Opern:  »Das  Mädchen  vom  Lande«,  »Die  Müllerin  von 
Burgos«,  Lieder    und    manches   Andere.     Bedeutendere  Erfolge    fand  er  jedoch 


32  Supplemento  —  Svendsen. 

hauptsächlich  in  der  Operette  und  in  Compositionen  leichten  Genres,  wie  »Fa- 
tinitza«,  »Piquedame«,  »Flotte  Bursche«,  »Die  schöne  Galathea«,  »Zehn  Mädchen 
und  ein  IMann«,  »Frau  Meisterin«  u.  s.  w. 

Supplemento  (ital.),  franz.:  Douhlure,  Substitut,  heissen  die  Stellver- 
treter, welche  sich  die  ersten  Sänger  an  den  grossen  Theatern  Italiens  halten, 
damit  diese  für  sie  in  den   Fezzi  concertanti  singen. 

Supremma,  suprema  vox  (Soprano),  die  höchste  Stimme  eines  mehr- 
stimmigen Gesanges,  meist  also  die  Sopranstimme,  der  Discant. 

Surdastrum  nannte  Kircher  (r>I'honurgia  nova«,  1673)  eine  Art  Trommel 
im  Orient,  die  von  beiden  Seiten  geschlagen  wird,  deren  man  sich  in  Begleitung 
einer  Schäferpfeife  bediente,  um  mit  solcher  den  Biss  der  Tarantel  zu  heilen. 
"Woher  er  die  Nachricht  habe,  sagt  er  nicht;  der  phantastische  Vielwisser  dachte 
wahrscheinlich  an  die  indischen  Trommeln  der  Schlangenbeschwörer;  aber  weder 
in  Indien,  noch  im  Mittelalter  kommt  dieser  Namen  vor. 

Surdeliue,  eine  Art  von  Sackpfeife  (s.  d.),  welche  in  Italien  gebräuchlich  ist. 

Saremain  de  Missery,  Antoine,  Mitglied  der  Akademie  der  Wissenschaften 
zu  Paris  und  ehemaliger  Artillerie-Offizier,  zu  Dijon  am  25.  Januar  1767  ge- 
boren, lebte  seit  1797  in  Beaune.  Zu  seinen  philosophisch-mathematischen 
Schriften  gehört  auch:  y>Theorie  acoustico-musicale,  ou  De  la  doctrine  des  sons 
rapj)07'tee  aux  principes  de  leurs  comhinaisonsa  (Paris,  Didot,  1793,  ein  volume, 
8°,  404  Seiten).  Ein  interessantes  Buch,  dessen  Theorie  aber  nicht  eigetitlich 
mit  der  musikalischen  zusammenkommt.  Eine  spätere  Schrift:  y>Geometrie  dessons, 
ou  Principes  d^acoustique  pure  et  de  musique  scientißque'i  legte  er  1816  der 
Akademie  der  "Wissenschaften  in  Paris  vor,  ein  Gutachten  darüber  fordernd. 
Die  Beurtheiler  dieser  wichtigen  Arbeit  waren  Prony,  Hauy  und  Biot.  Dieser 
letztere  hatte  eben  selbst  eine  Arbeit  desselben  Gebietes  herausgegeben:  y>Traite 
de  pTiysique  experimentale  et  matJiematiquea,  in  der  er  alle  alten  Irrthümer  der 
arithmetischen  Verhältnisse  der  Tonintervalle  bei  der  Bildung  der  Tonleiter 
gewissenhaft  beibehalten  hatte  und  über  welche  der  Akademiker  durch  das 
Manuscript,  welches  er  in  Händen  hatte,  zu  spät  aufgeklärt  wurde.  S.  de 
Missery  erhielt  kein  Gutachten;  er  verschaffte  sich  aber  Genugthuung  durch 
eine  Broschüre,  in  welcher  er  M.  Biot  vollständig  besiegte.  Der  Titel  der 
letzteren  Schrift  ist:  •i>Meprises  d^un  geometre  de  V Institut,  manifestees  par  un 
provincial ;  ou  Ohservations  critiques  sur  le  traite  de  pliysique  experimentale  et 
mathematique  de  M.  Biot,  en  ce  qui  concerne  certains  points  d'acoustique  et  de 
musiquea  (Paris,  Dentu,  1816,  in  8",  74  pag.  de  texte  et  24  pag.  de  preface). 
Im  y>Dictionnaire  de  musique  de  VEncy  dope  die  methodiquea  sind  die  meisten  die 
Akustik  betreffenden  Artikel  von  S.  de  Missery.  Er  starb  zu  Baune  am 
15.  April  1852. 

Sasato,  Tylman  oder   Tyleman,  s.  Tylman  Susato. 

SnsatO;  Johann  von,  wahrscheinlich  nach  einer  Stadt  in  "Westphalen,  Soest, 
lateinisch  Susato,  so  genannt,  war  •  Doktor  der  Medizin  und  in  der  Musik 
erfahren,  lebte  im  15.  Jahrhundert  und  starb  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  (1511). 
Sebastian  Virdung  (s.  d.  i  in  seinem  Buche:  »Musisa  getutsch  und  ausgezogen« 
erwähnt  seiner  als  eines  IMeisters  (Johann  de  zusato),  der  in  einem  Pergament- 
buch, das  er  componirt  und  geschrieben,  auch  Instrumente  abgemalt  habe. 

Snssinann,  s.  Soussmann. 

Snssnraudo,  Vortragsbezeichnung  =  säuselnd,  lispelnd. 

Suttihger,  M.,  Rektor  an  der  Schule  zu  Lübben,  hat  geschrieben:  »lieber 
die  in  der  Lausitz  bei  den  gelehrten  Schulen  gewöhnlichen  Singchöre«.  Im 
ersten  Bande  des  »Neuen  Magazins  für  Schullehrer«,  herausgegeben  von  G.  A. 
Buperti  und  Schlichthort. 

Svegliato  (ital.),  Vortragsbezeichnung  =  munter,  aufgeweckt. 

Srelto  (ital.),  Vortragsbezeichnung  =  frei,  kühn,  ungezwungen. 

Svendseu,  Job.  Severin,  geboren  am  30.  Septbr.  1840  zu  Christiania, 
erhielt    den    ersten    Unterricht    auf    der  Violine    von    seinem  Vater.     Für    den 


Sweda  —  Sweelinck.  33 

Militärstand  bestimmt,  trat  er  nach  seiner  Confirmation  als  Jäger  in  die  Nor- 
wegische Armee,  in  welcher  er  sechs  Jahre  verblieb.  Während  seiner  freien 
Zeit  beschäftigte  er  sich  fleissig  mit  Musikstudien,  und  da  seine  Neigung  zu 
dieser  Kunst  immer  stärker  geworden  war,  fasste  er  den  Entschluss,  sich  der- 
selben ganz  zu  widmen.  Nach  erhaltenem  Abschied  regte  sich  die  Lust,  andere 
Städte  und  das  Musiktreiben  derselben  kennen  zu  lernen  so  stark  in  ihm,  dass 
er  eines  Tages,  mit  zehn  Species  in  der  Tasche  und  der  Yioline  in  der  Hand 
in  die  "Welt  zog.  Nach  mühsamen  und  abenteuerlichen  "Wanderungen  in  ver- 
schiedenen Städten  Schwedens  schloss  er  sich  1862  in  Hamburg  einer  herum- 
ziehenden Musiktruppe  an,  mit  der  er  nach  Lübeck  ging.  Bei  einer  zweiten 
Anwesenheit  in  dieser  Stadt  erwarb  er  sich  die  Protektion  des  dortigen 
schwedisch-norwegischen  General- Consuls  Leche,  der  sich  seiner  väterlich  an- 
nahm und  sich  bei  der  schwedischen  Königsfamilie  für  ihn  verwendete,  so  dass 
er  mit  ihrer  Unterstützung  das  Leipziger  Conservatorium  besuchen  konnte. 
David,  Dreyschock,  Hauptmann,  Richter,  Eeinecke  waren  hier  seine  Lehrer. 
Durch  eine  Fingerkrankheit  wurde  S.  genöthigt,  das  Violinspiel  vorläufig  auf- 
zugeben und  wandte  sich  desto  eifriger  der  Composition  zu.  Mehrere  derselben 
wurden  beifällig  in  Leipzig  und  andern  Orten  zur  Aufführung  gebracht.  1867 
machte  er  Reisen  nach  Island  und  Norwegen,  lebte  dann  einige  Zeit  in  Paris 
(1868)  und  ging  dann  1869  nach  Leipzig  zurück.  Seit  1872  lebt  er  in  seiner 
Heimath.  Von  seinen  Compositionen  sind  veröffentlicht:  zwei  Quartette,  ein 
Quintett,  ein  Octett,  eine  Sinfonie,  ein  Concert  für  die  Violine,  ein  Concert  für 
das  Violoncello,  symphonische  Einleitung  zu  »Sigurd  Slembe«.  Für  Orchester 
bearbeitete  er  zwei  Liszt'sche  Rhapsodien,  den  Schumann'schen  Carneval,  die 
Bach'schen  Chaconne. 

Sweda,  "Wenzel,  einer  der  allerersten  "Waldhornisten  in  Böhmen,  durch 
den  die  Fertigkeit,  es  zu  blasen,  in  Deutschland  verbreitet  wurde.  Er  war 
zu  Lissau  geboren  und  ein  Untergebener  des  Grafen  Anton  von  Spork 
(s.  d.  Art.),  der  ihn  nach  Paris  schickte  und  in  der  Kunst,  dies  Instrument 
behandeln  zu  lernen,  daselbst  ausbilden  Hess,  eben  zu  dem  Zwecke,  es  in  Deutsch- 
land bekannt  zu  machen. 

Sweeliuck,  Jan  Pieters,  einer  der  ersten  Förderer  der  nunmehr  selb- 
ständigen Instrumentalmusik,  wurde  wahrscheinlich  in  Deventer  in  Holland  um 
1561  geboren,  das  von  ihm  bekannte  Portrait  trägt  die  Unterschrift:  )50biit  1621, 
16.  Octobris.  Aet.  60«.  Er  wird  zwar  dort  auch  ein  Amsterdamer  genannt, 
doch  beweist  dies  nur,  dass  er  die  grösste  Zeit  seines  Lebens  in  Amsterdam 
verbracht  hat  und  die  ältere  Ansicht  über  seinen  Geburtsort  deshalb  umzu- 
stossen,  liegt  kein  Grund  vor.  Seine  Musikstudien  machte  er  bei  Zarlino  und 
Cipriano  de  Rore.  In  sein  Vaterland  zurückgekehrt,  erhielt  er  den  Organisten- 
posten an  der  alten  Kirche  in  Amsterdam,  wo  bereits  sein  Vater  früher  angestellt 
war.  Hier  hat  er  bis  an  sein  Lebensende  gewirkt  als  Componist  und  Lehrer 
und  starb,  wie  schon  oben  gesagt,  am  16.  Octbr.  1621.  Sein  Ansehen  als 
Orgelspieler  und  Lehrer  war  so  bedeutend,  dass  die  Schüler  aus  aller  Herren 
Länder  zu  ihm  kamen;  die  bekanntesten  sind  Jakob  Prätorius  und  Samuel 
Scheidt.  In  Amsterdam  selbst  wurde  er  so  hoch  geehrt,  dass  die  Kaufmann- 
schaft daselbst  ihm  eine  Pension  aussetzte.  In  neuester  Zeit  sind  durch  die 
Bemühungen  Eitner's  in  Berlin  eine  grosse  Anzahl  seiner  Compositionen  in 
Partitur  gesetzt  und  ein  kleiner  Theil  davon  auch  veröffentlicht  worden,  theils 
durch  den  Verein  zur  Beförderung  der  Tonkunst  in  Amsterdam,  der  auch  die 
von  Eitner  in  Partitur  gebrachten  "Werke  Sweelinck's  handschriftlich  aufbewahrt, 
theils  durch  Eitner  selbst.  Es  sind  dies  folgende:  1)  -»Cantiones  sacrae  cum 
basso  continuo  ad  Organum  5  vocuma.  (Antverpiae,  ap.  P.  Phalesium,  1619). 
Davon  ist  nur  ein  Satz,  Begina  coeli,  erschienen.  2)  »J.  P.  Sweelinck's  sechs- 
stimmige Psalmen  mit  Lobwasser'schen  Texten  untergelegt  von  Martinus  Mar- 
tinus«  (Berlin,  bei  George  Rungen,  1616).  Davon  erschienen  sechs  Psalmen 
mit    dem    Portrait    Sweelinck's    und    einer    sehr    ausführlichen  Biographie    von 

Musikal.  CouTers.-Leiikon.    X.  <* 


34  Swert. 

Tiedemann.  3)  »J.  P.  Sweelinck's  vierstimmige  Psalmen  mit  Lobwasser'schen 
Texten  untergelegt  von  M.  Martinus«  (ibid.  1618).  Die  Originalausgaben  dieser 
Psalmen,  mit  französischem  Text,  erschienen  in  vier  Büchern  theils  in  Leyden, 
theils  in  Amsterdam  in  den  Jahren  1603 — 1614  und  spätere  Ausgaben  bis 
1621,  doch  ist  kein  Buch  desselben  bis  jetzt  in  einem  completen  Exemplare 
gefunden  worden.  4)  3  Cantici  nuptiarum:  r>In  honorem  Jacohi  Fraetorii,  5  voc.n 
(Hamburg,  1608).  »J«  honorem  Joan.  Stohaei,  8  voc.i  (Amstelod.  1617).  »J» 
honorem  Joan.  Stolaei,  5  wc?.«  (Gedani,  1638).  5)  Handschrift  im  Besitze  des 
grauen  Klosters  zu  Berlin,  enthaltend:  Fantasien,  Toccaten  und  Variationen  von 
Sweelinck  und  einigen  Anderen.  Davon  veröffentlicht  von  Eitner  bei  Simrock 
in  Berlin:  drei  Eantasien,  drei  Toccaten  und  vier  Variationen,  letztere  von 
Sweelinck  und  Scheidt.  6)  G-esänge  und  Lieder  in  Sammelwerken;  davon 
erschienen  zwei  Chansons  zu  vier  Stimmen  im  Verlage  der  holländischen  Gre- 
sellschaft  (Amsterdam,  bei  E.oothaan)  wie  alle  übrigen  oben  erwähnten  Ausgaben. 
Andere  Werke  sind  bisher  nur  in  einzelnen  Stimmbüchern  bekannt  geworden 
und  in  der  oben  erwähnten  Biographie  verzeichnet.  7)  Handschrift  im  Besitze 
der  Stadtbibliothek  in  Hamburg:  »Compositions-Pegeln  (nach  Zarlino's  Istitu- 
zioni  Harmoniche)«.  Eine  moderne  Bearbeitung  im  Besitze  des  holländischen 
Vereins.  Sweelinck  erwarb  sich,  wie  oben  schon  erwähnt  ist,  namentlich  bedeu- 
tende Verdienste  um  Ausbildung  der  Instrumentalmusik.  Diese  war  seiner  Zeit 
vorwiegend  nur  eine  auf  Instrumente  übertragene  Gesangsmusik.  Sweelinck 
war  der  erste,  der  seine  Pugenthemen  mehr  instrumental  behandelte  und  vor 
allem  durch  seine  Variationen  den  Instrumentalstil  mit  vorbereiten  half,  der 
schon  in  seinem  Schüler  Scheidt  so  bedeutend  entwickelt  erscheint. 

Swert,  Jules  de,  einer  der  bedeutendsten  Violoncellisten  der  Gegenwart, 
ist  zu  Löwen  in  Belgien  am  16.  August  1843  geboren.  Sein  Vater  Hermann 
de  Swert,  Kapellmeister  an  der  Kathedrale  daselbst  (starb  1873  im  70.  Le- 
bensjahr), unterrichtete  ihn  schon  sehr  frühzeitig,  besonders  auf  dem  Violoncell, 
das  er  selbst  spielte,  so  dass  er  den  vorzugsweise  für  dies  Instrument  begabten 
Knaben  schon  im  Knabenalter  in  die  Oeffentlichkeit  führen  konnte.  Auf  einer 
Concertreise,  die  er  mit  demselben  unternahm,  hörte  ihn  in  Hall  Servals  und 
übernahm  seine  Ausbildung,  bis  er  ihm  auf  dem  Brüsseler  Conservatorium  einen 
Platz  verschaffte.  15  Jahre  alt  verliess  er,  durch  den  ersten  Preis  ausgezeich- 
net, dies  Institut,  und  ging  bald  darauf  nach  Paris.  Hier  war  ihm  besonders 
Rossini  freundlich  gesinnt,  doch  fand  der  Künstler  auch  beim  Publikum  die 
wohlverdiente  Anerkennung.  Er  unternahm  erneute  Kunstreisen  durch  Belgien 
und  Holland,  bereiste  später  Dänemark,  Schweden,  Süddeutschland  und  die 
Schweiz.  Hauptsächlich  imponirte  er  durch  den  meisterhaften  Vortrag  des 
Beethoven'schen  und  Mendelsohn'schen'Violinconcerts,  welches  er  für  das  Violon- 
cell transponirt  hat,  und  der  selten  gespielten  schweren  Compositionen  von 
Carl  Schuberth.  Ueberhaupt  ist  dem  Künstler  nachzurühmen,  dass  sein  B,e- 
pertoir  die  klassische  und  moderne  Violoncellliteratur  gleich  vielfältig  umfasste. 
1865  nahm  de  Swert  in  Düsseldorf  eine  Concertmeisterstelle  an,  folgte  aber 
bald  darauf  einem  Rufe  an  die  Hofkapelle  nach  Weimar  und  vertauschte  diesen 
Platz  abermals  mit  Berlin,  wo  er  als  Soloviolinist  und  Concertmeister  eine 
Stellung  erhielt,  die  er  indess  nach  wenigen  Jahren  wieder  verliess,  auf  Concert- 
reisen  neue  Triumphe  suchend  und  gewinnend.  Seine  Compositionen  sind: 
•oMazurTca  de  coricertu,  op.  1.  -»Souvenir  de  StocJcholm«,  op.  2.  ryFanfaisie  de 
bravour«,  ojj.  3.  y>Itomance  Sans  parole^i  op.  4  (Bremen,  Cranz).  Ballade,  op.  5 
(Berlin,  Bote  &  Bock).  -»Les  Arpeges,  deux  Gaprices«,  oj).  7  (Bielefeld,  Sulzer). 
'f>Mouvement  perpetuel«,  op.  8  (ibid.).  yyGrande  Fantaisie  sur  Faust  de  Gounodvi, 
op.  9.  »Caprices  sur  un  motif  espagnol«,  op,  10  (Leipzig,  Seitz).  y>Trois  mor- 
ceaux  caracterisfiques«,  op.  11.  Souvenir,  op.  13  (Leipzig,  Forberg).  Ballade, 
op.  12  (Leipzig,  Seitz).  Allemanden  und  Gavotten  aus  dem  sechsten  Violon- 
cellconcert  von  Joh.  Seb.  Bach  (Bremen,  Cranz).    Compositionen  von  Job.  Seb. 


Swieten  —  Sj'lva.  35 

Bach,  "W.  Fr.  Bach  und  Bochcrini,  acht  Hefte  u.  A.    Neuerdings  (1877)  hat  er 
eine  Oper:  »Die  Albigenser«  beendet. 

Swieten,  Gottfried,  Baron  vau,  Musikdilettant,  wurde  zu  Leyden  1734 
geboren  und  besuchte  die  dortige  Universität.  Als  er  später  den  Doctorgrad 
erwarb,  Hess  er  folgende  Dissertation  drucken:  y>Disserfatio  sistens  musicae  in 
medicinam  influxum  et  iiülitatema  (Lugduni,  Batavorum,  1773,  in  4").  Seinem 
Yater  Gerhard  van  Swieten  folgte  er  später  nach  Wien  und  wurde  dort  Präses 
der  Kais.  Bibliothek,  wirklicher  Geheimrath  u.  s.  w.  Als  Musikliebhaber  bewies 
er  Kenntnisse  und  Geschmack  durch  alljährliche  Aufführungen  grosser  Chor- 
werke von  Bach,  Händel,  Hasse  u.  a.  Auch  übersetzte  er  aus  dem  Englischen 
ins  Deutsche  und  überarbeitete  für.Haydn,  mit  dem  er  befreundet  war,  den 
Text  zur  »Schöpfung«  und  später  zu  den  »Jahreszeiten«.  Die  »Schöpfung«, 
welche  schon  vor  fast  50  Jahren  für  Händel  geschrieben  worden  war,  hatte 
Haydn  aus  England  mitgebracht.  Auch  als  der  Stifter  der  »Musikalischen 
Gesellschaft«,  welche  aus  25  Personen  des  ersten  Adels  bestand  und  welche  es 
sich  zur  Aufgabe  machte,  durch  gute  Musik  den  Geschmack  des  Publikums  zu 
fördern,  ist  van  Sw.  zu  nennen.  Dieser  echte  Kunstmäcen  starb  in  Wien  am 
29.  März  1803. 

Swirella,  die  russische  Pansflöte,  ähnlich  der  Papageno  -  Pfeife  in  der 
»Zauberflöte«. 

Swoboda,  August,  Musiklehrer  in  Wien,  ist  in  Böhmen  1787  geboren. 
Er  gehörte  anfänglich  als  Clarinettist  zum  Orchester  des  Grafen  Puchta,  war 
dann  Musikmeister  eines  Infanterie-Regiments;  nachdem  Hess  er  sich  in  Wien 
als  Musiklehrer  nieder.  Die  folgenden  seiner  Zeit  geschätzten  Werke  sind  von 
ihm  verfasst  und  veröffentlicht:  »Allgemeine  Theorie  der  Tonkunst«  (Wien, 
Ant.  Strauss,  1826,  8).  »Harmonielehre«  (Wien,  1828—29,  zwei  Theile  in  8). 
»Instrumentirungslehre«  (Wien,  1832,  in  Folio,  obl.  30  S.)  mit  fünf  Musik- 
stücken in  Partitur. 

Sydow,  s.  Murky. 

Syfert,  Paul,  Organist  der  Marienkirche  zu  Dauzig,  wurde  zu  Dresden 
in  den  letzten  Jahren  des  16.  Jahrhunderts  geboren  und  studirte  Musik  unter 
Leitung  des  berühmten  Sweelinck  zu  Amsterdam.  Nachdem  er  einige  Zeit  der 
damals  berühmten  Kapelle  des  Königs  Sigismund  von  Polen  angehört  hatte, 
kam  er  1620  als  Organist  nach  Danzig,  in  welcher  Stellung  er  sich  noch  1645 
befand.  Eine  Sammlung  Psalmen  seiner  Composition:  -nTriticum  Syfertinumts. 
wurde  von  Scacchi  einer  scharfen  Kritik  unterzogen.  lieber  diese  und  seine 
Antwort  s.  den  Artikel  Scacchi. 

Syllaba,  GvlXaß/j,  nannten  die  Griechen  die  Quart. 

Syllabae,  die  Guidonischen  Silben  und  zwar 

Syllabae  inferiores  die  untern:  nf,  re,  mi,  und 

Syllabae  superiores  die  obern:  fa,  sol,  la. 

Syllabisch  heisst  ein  Gesang,  bei  dem  auf  jede  Tonsilbe  auch  nur  ein  Ton 
gesungen  wird,  ohne  melismatische  Verzierung.  Ganz  rein  und  unverraischt  ist 
er  höchst  selten,  ausser  im  Recitativ.  Selbst  im  alten  gregorianischen  Ge- 
sänge und  dem  sich  daraus  entwickelnden  Choralgesange  der  protestantischen 
Kirche,  der  vorwiegend  syllabisch  ist,  werden  doch  einzelne  Silben  gedehnt  und 
durch  zwei  oder  auch  mehr  Töne  ausgezeichnet.  Auch  der  Volksgesang  ist 
vorwiegend  syllabisch,  doch  kommen  hier  Silbendehnungen  und  melismatische 
Ausschmückungen  noch  häufiger  vor  als  beim  Choralgesange. 

Sylva,  Manuel  Nunez  de,  Geistlicher  in  Lissabon  in  den  letzten  Jahren 
des  17.  Jahrhunderts,  war  zu  gleicher  Zeit  Professor  an  einem  College,  erst 
Chordirektor  und  dann  Kapellmeister  an  der  Collegiale  Notre  Dame.  Er  hat 
ein  Buch  über  die  alte  Notation  veröffentlicht:  y>Arte  minima  qiie  cum  semibreve 
recopilagao  trata  em  tempo  hreve  os  7nodos  da  maxima,  e  longa  sciencia  da  musica« 
(Lissabon,  Joän  Galrao,  1685,  in  4");  zweite  Auflage  1704  in  4°,  eine  dritte 
1725,  ein  Band  in  4",  136  Seiten). 

3* 


36  Sympathie  der  Töne  —  Symplionia. 

Sympathie  der  Töne  heisst  jene  eigenthümliche  WaUverwandtscliaft  der 
Töne,  nach  welcher  einer  den  andern  erklingen  macht  ohne  jegliche  andere 
äussere  Einwirkung.  Werden  zwei  Stimmgabeln  von  ganz  gleicher  Stimmung 
in  gehöriger  Entfernung  von  einander  aufgestellt,  so  dass  die  Oeffnung  der 
Respnanzkästen  einander  zugekehrt  ist,  und  man  bringt  nur  die  eine  der  Gabeln 
zum  Erklingen,  so  klingt  nach  kurzer  Zeit  die  andere  mit  und  sie  klingt  noch 
fort,  auch  wenn  man  die  erstere  plötzlich  durch  Handauflegen  abdämpft.  Eine 
Violine  oder  ein  anderes  Saiteninstrument  tönt  leise  mit,  auch  ohne  äussern 
Anstoss,  wenn  ein  Ton  in  der  Nähe  erklingt,  in  welchem  eine  der  Saiten  ge- 
stimmt ist.  Diese  Erscheinung  ist  leicht  erklärlich:  die  Schwingungen  des 
erklingenden  Tons  theilen  sich  dem  andern  tönenden  gleichgestimmten  Körper 
mit,  dieser  geräth  ebenfalls  in  Schwingungen  und  klingt  mit.  Ferner  gehören 
hierher  die  mitklingenden  sogenannten  Obertöne,  die  auf  ein  ähnliches  Yer- 
hältniss  zurückzuführen  sind  und  dadurch  entstehen,  dass  der  tonerzeugende 
Klangkörper,  während  er  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  schwingt,  in  gewisse 
für  sich  schwingende  kleinere  Theile  zerlegt  wird,  die  zuletzt  mit  jenem  Grund- 
ton einen,  zwei  und  mehr  höhere  Töne  erzeugen,  ßameau  (y>TraUe  de  Vhar- 
moniev)  war  der  erste,  der  hierauf  ein  neues  Harmoniesystem  baute.  Endlich 
sind  auch  noch  als  hierher  gehörig  die  Combinationstöne  zu  erwähnen 
(s.  d.),  die  wiederum  Giuseppo  Tartini  (j>Trattato  de  Musica,  seconda  la  vera 
scienza  delV  armonian)  zur  Grundlage  seines  Harmoniesystems  machte. 

Syinphona  hiessen  bei  den  Griechen  die  consonirenden  Intervalle:  Dia- 
pason =  die  Octave;  Diatessaron  =  die  Quart;  Diapente  =  die  Quint; 
Diapason  cum  Diatessaron  =  die  TJndecime;  Diapason  cum  Dia- 
pente =  die  Duodecime  und  Disdiapason,  die  Doppeloctave. 

Sjm\ilioneiHf  SympJionia,  auch  Symjyhonie,  auf  Instrumente  bezogen, 
bezeichnet:  a)  im  Alterthum  wie  im  frühern  Mittelalter  überhaupt  Instrumente, 
auf  denen  eine  gewisse  Mehrstimmigkeit  und  Vollstimmigkeit  sich  erzielen 
Hess;  darum  verstand  man  die  Sackpfeife  darunter,  dann  ein  Zusammenklingen 
von  Pauken,  Schellen  und  Pfeifen;  sogar  die  Lyra  soll  darunter  begriffen  sein, 
b)  Speciell  das  Instrument,  welches  früher  als  Organistrum,  später  als  Yielle, 
Bettlerleyer  vorkommt;  der  Name  wird  auch  verstümmelt  als  »Chifoniea  ge- 
funden, wobei  immer  an  die  Drehleyer  zu  denken  ist.  c)  Im  16.  und  17.  Jahr- 
hundert war  das  Wort  Symphonia  gleichbedeutend  mit  Clavicembalum,  so 
z.  B.  noch  bei  Prätorius  (y>8ynt.  mus.a  II.  62),  der  ölavicymbalum ,  Virginal 
und  Spinett  damit  umfasst  und  es  tadelt,  dass  man  diese  Tasteninstrumente  ohne 
Unterschied  mit  dem  do  ch  zu  allgemeinen  Ausdrucke  von  »Instrument«  bezeichne. 

Symphouiaci  hiessen  im  Alterthum  die  musikalischen  Sclaven,  welche  die, 
im  Haushalt  eines  reichen  Eömers  niemals  fehlende  Hauskapelle  bildeten, 

Symphonia,  ital.  Sinfonie.  Das  Wort  Symphonia  ist  griechischen  Ur- 
sprungs; die  griechischen  Theoretiker  fassten  unter  den  Begriff:  Symphonoi 
die  Consonanzen,  zum  Unterschiede  von  den  Diaphonoi,  die  Dissonanzen.  In 
demselben  Sinne  wurde  das  Wort  Symphonia  dann  auch  im  Mittelalter  noch 
gebraucht,  zugleich  aber  auch  auf  ein  mehrstimmiges  Tonstück  im  Allgemeinen 
angewendet,  bis  es  auf  die  kurzen  Instrumentaleinleitungen  überging,  die  seit 
Ende  des  16.  Jahrhunderts  den  mehrstimmigen  Gesängen  vorausgingen.  Dass 
es  auch  auf  Instrumente  und  Instrumentspieler  Anwendung  fand,  ist  oben  er- 
wähnt. Ueberall  lag  die  ursprüngliche  Bedeutung  des  Worts  als  »Wohlklang« 
zu  Grunde  und  es  war  ganz  natürlich,  das  es  in  einer  Zeit,  welche  dem  Sang 
des  Vocalen  den  Klang  des  Instrumentalen  gern  gegenüber  stellte,  auf  dies 
letztere  auschliesslich  überging.  »A  n-  oder  Gleichstimmung«  nennt  Staden 
die  11  Takte  lange,  von  Geigen  »hinter  dem  Fürhang«  ausgeführte  »Symphonia« 
mit  dem  er  sein  Singspiel  »Seelewig«  (1640)  eröffnet,  und  in  diesem  Sinne 
wurde  sie  länger  als  ein  ganzes  Jahrhundert  allein  gebraucht.  Sie  nahm  alle 
nur  möglichen  Instrumentalformen  an,  bald  die  der  Intrada,  bald  die  der 
Fanfare,  oder  Toccata,  Ricercare,  des  Präludium  u.  dergl.     Die  Sym- 


Symphonia.  37 

phonie  (oder  Sinfonie)  wurde  eben  nur  als  Einleitungssatz  verwendet  und 
dieser  erlangte  erst  als  Ouvertüre,  wie  in  dem  betreffenden  Artikel  nachgewiesen 
ist,  bestimmte  Form.  Die  Sinfonie  von  Job.  Seb.  Bach,  mit  denen  er 
mehrere  seiner  Cantaten  einleitet,  sind  meist  nach  Art  des  Präludiums  motivisch 
entwickelt,  zuweilen  zweitheilig  construirt,  meist  aber  ohne  jede  weitere  Glie- 
derung, wie  ein  Präludium  gehalten.  Weil  indess  alle  Instrumentalformen  in 
jener  Zeit  noch  nicht  so  entschieden  entwickelt  waren,  um  ganz  unterschieden 
zu  sein,  so  kommen  natürlich  häufig  Verwechselungen  der  Namen  auch  der 
entschiedener  entwickelten  Formen  vor  und  es  ist  selbst  hin  und  wieder  die 
unter  dem  betreffenden  Artikel  beschriebene  dreitheilige  Ouvertüre  auch  als 
Sinfonie  bezeichnet.  Dies  mochte  vielleicht  am  meisten  mit  dazu  beitragen, 
dass  man  die  aus  dieser  ganzen  Praxis  sich  schliesslich  ergebende  selbständige 
mehrsätzige  Orchesterform  Symphonie  oder  Sinfonie  nannte. 

Derselbe  Process,  der  sich  an  der  Sonate  vollzog  (s.  d.  A.)  liess  auf 
orchestralem  Oebiet  die  Sinfonie  als  selbständiges  Instrumentalwerk  erstehen, 
das  im  Grunde  ja  nichts  anderes  ist,  als  eine  instrumentirte  Sonate;  dennoch 
erfolgte  die  Ausbildung  beider  ziemlich  gleichzeitig  neben  und  nicht  nach- 
einander; wie  die  Sonate  aus  dem  Bedürfniss  der  Zeit  am  Ciavier  sich  grössten- 
theils  entwickelte,  so  die  Sinfonie  nach  demselben  Bedürfniss  aus  dem  Orchester 
heraus.  Jene  Einleituugssinfonie  wurde  meist  für  Streichinstrumente  gesetzt 
und  sehr  schüchtern  nur  traten  später  Flöten  und  Hoboen,  wohl  auch  Hörner 
hinzu.  Für  dies  Orchester  hatte  aber  bereits  die  Praxis  des  18.  Jahrhunderts 
in  der  sogenannten  Cassatio  und  dem  Divertiment,  die  beide  aus  der 
Suite  (s.  d.)  hervorgegangen  waren,  eine  Art  selbständiger  Formen  erzeugt, 
die  nur  der  niedern  Stufe,  welche  sie  als  Gelegenheitsmusik  einnahmen,  entrückt 
und  auf  die  höhere  des  künstlerischen  Zweckes  geführt  zu  werden  brauchten, 
um  die  entsprechende  Orchesterform  zu  geben. 

Die  Suite  als  eine  Folge  von  Tanzstücken,  ist  am  realen  Leben  erzeugt, 
ebenso  die  Cassatio  als  Serenade  (s.  d.),  aber  dieser  ist  zugleich  in  dem 
besondern  Zweck,  dem  sie  dient,  ein  ethischer  Hintergrund  gegeben  und  es  kam 
jetzt  nur  darauf  an  von  diesem  aus  die  Form  neu  zu  construiren,  um  zu  der 
neuen  Orchesterform  der  Sinfonie  zu  gelangen,  welche  der  Form  der  Sonate 
vollständig  entspricht.  Auf  diesem  Wege  und  indem  er  dies  Ziel  erreichte, 
wurde  Joseph  Haydn  nicht  nur  der  Begründer  auch  der  Form  der  Sinfonie, 
sondern  des  ganzen  modernen  Instrumentalstils.  Wohl  hatten  einzelne 
französische  Operncomponisten  seit  Lully,  wie  Bameau,  manches  zur  Erzeugung 
eines  instrumentalen  Klangcolorits  gethan,  und  Gluck  war  ihnen  hier  mit  be- 
deutenden Resultaten  gefolgt,  indem  er  allmälig  auch  mehr  Instrumente  in  sein 
Orchester  hineinzog.  Haydn  blieb  hierbei  nicht  stehen;  er  sucht  nicht  nur 
wie  jene,  neue  Klangeffekte  zu  gewinnen,  sondern  er  war  vor  allem  bemüht, 
jedes  der  Instrumente,  das  er  in  seinem  Orchester  verwendet,  nach  seinem 
eigensten  Vermögen  herbei  zu  ziehen,  jedes  einzelne  zur  Darstellung  des  Ganzen 
nach  seiner  Leistungsfähigkeit  mitwirken  zu  lassen.  Er  organisirte  das  Orchester 
damit  zu  einem  lebendig  gegliederten  Tonkörper,  so  dass  jedes  Instrument  seinen 
bestimmten  Antheil  erhielt,  nicht  in  dem  Sinne  jener  Polyphonie  des  Vocalen, 
in  dem  ein  Instrument  nach  dem  andern  Thema  oder  Gegenharmonie  über- 
nimmt, sondern  nach  dem  Instrumentalen,  nach  welchem  jedes  Instrument  aus 
seiner  eigenen  Natur  heraus  nach  dem  Grade  seiner  Fähigkeit  und  nach  seinem 
eigenthümlichen  Charakter  verwendet  wird.  Die  Blasinstrumente,  selbst  die 
Messinginstrumente  werden  bis  auf  Bach  und  Gluck  noch  meist  melodie- 
führend angewendet.  Die  Streichinstrumente  übernahmen  selbstverständlich  den 
Haupttheil  und  ihnen  schlössen  sich  die  Blasinstrumente  an,  so  weit  es  eben  ihre 
Technik  gestattet  und  sie  war  bei  den  Blechinstrumenten  jener  Zeit  sogar  sehr 
bedeutend  entwickelt,  so  dass  diese  vielfach  mit  den  Streichinstrumenten  selbst 
in  Concurrenz  treten  konnten,  bis  die  letztern  allmälig  zu  einer  Technik  ge- 
langten,   welche    ihnen   die  erste  Stelle  im  Orchester    anwies.     Nun  erst  wurde 


38  Symplionia. 

der  Antheil  der  einzelnen  Chöre  fester  bestimmt.  Während  die  Holzblas- 
instrumente wie  die  Messinginstrumente  bis  auf  Grluck  immer  noch 
vorwiegend  der  vocalen  Technik  folgten,  gewannen  sie  jetzt  allmälig  eine  eigene. 
Gluck  behandelt  sie  in  diesem  Sinne  mehr  als  Füllstimmen;  Haydn  Hess  sie 
in  eigenster  Weise  an  der  Gestaltung  des  Kunstwerks  theilnehmen.  Seine 
Erstlingswerke,  die  er  meist  für  jene  Strassenorchester,  wie  auch  wohl  noch  die, 
welche  er  in  seiner  langjährigen  Thätigkeit  als  Direktor  der  Fürstlich  Ester- 
hazy'schen  Kapelle  schrieb,  waren  wohl  durchgängig  meist  für  Musiker  berechnet, 
die  keine  aussergewöhnliche  Fertigkeit  auf  ihren  Instrumenten  erlangt  hatten, 
deren  Leistungsvermögen  er  sich  entschieden  anbequemen  musste.  In  allen 
diesen  Werken,  bis  zu  den  Londoner  Sinfonien  steht  er  so  vollständig  unter 
der  Herrschaft  seiner  Instrumente,  dass  ihr  eigentlich  musikalischer  Werth 
meist  nicht  selbst  den  der  weniger  bedeutenden  Sonaten,  oder  gar  den  der 
Streichinstrumente  erreicht.  Er  opfert  dem  Bestreben,  die  einzelnen  Instru- 
mente nur  nach  ihrem  natürlichsten  Vermögen  einzuführen,  alles  andere  und 
kommt  daher  wenig  über  den  dürftigen  harmonischen  und  rhythmischen  Apparat, 
wie  ihn  die  Formen  in  ihren  Grundzügen  verlangen,  hinaus,  während  die  Me- 
lodie häufig  pikant  und  fein  ausgeführt  ist.  Allein  gerade  auf  diesem  Wege 
gelangte  er  zu  dem  neuen  Orchesterstil.  Er  wurde  mit  der  Leistungsfähigkeit 
der  einzelnen  Instrumente  so  vertraut,  dass  er  zugleich  den  Grad  der  Bethei- 
ligung jedes  an  der  Darlegung  des  Ganzen  genau  abmessen  konnte,  und  als  er 
dann  aller  jener  äussern  Rücksichten  enthoben  war,  als  er  seinem  Genius  durch 
nichts  behindert  freien  Lauf  lassen  konnte,  hatte  er  jene  Meisterschaft  in  Be- 
herrschung der  eigensten  Technik  gewonnen,  dass  er  jedes  einzelne  Instrument 
in  seiner  eigenen  Zunge  reden  lassen  konnte. 

Als  entsprechendste  Form  dieses  neuen  Orchesterwerks  aber  erwies  sich 
die  der  Sonate  (s.  d.),  welche  durch  den  Meister  bereits  in  ihren  Grundzügen 
festgestellt  worden  war.  In  dieser  nun  strömte  er  die  frische  Fi-eude  an  der 
Natur  und  am  Leben  aus,  die  ihn  erfüllte.  Das,  was  auch  dem  Volksliede  zu- 
meist Inhalt  und  Form  giebt,  das  Singen  und  Klingen,  der  ganze  Zauber  der 
Natur,  die  laute  und  stumme  Fröhlichkeit  des  Lebens,  das  lässt  auch  seine  In- 
strumentalwerke üppig  hervortreiben.  Alle  Themen  derselben  athmen  diesen 
Geist  und  seine  Durchführungen  sind  überall  mehr  klangvoll  als  ideell,  mehr 
fein-  als  tiefsinnig  und  seine  Beziehung  zur  Natur  ist  so  intim  und  reell  zu- 
gleich, dass  er  vielfach  durch  Aufnahme  von  Naturlauten  locale  Färbung  an- 
strebt. Schon  im  Artikel  Sonate  ist  darauf  hingewiesen,  dass  mit  der  grössern 
Zahl  der  Organe,  welche  zur  Ausführung  einer  Sonate  aufgeboten  werden,  auch 
der  Inhalt  ein  bedeutender,  mehr  allgemein  gültiger  werden  muss;  dass  schon 
die  Sonate  für  Ciavier  für  zwei  Spieler  zu  vier  Händen  weniger 
subjektiv  beschränkt  sein  darf,  wie  die  für  einen  SjDieler  zu  zwei  Händen;  dass 
dann  der  Inhalt  immer  bedeutender  wird,  wenn  noch  ein  fremdes  Instrument: 
Geige,  oder  Cello,  oder  Clarinette,  oder  Hörn  zugezogen  wird,  oder  wenn  drei, 
vier,  fünf  und  mehr  Instrumente  sich  zum  Trio,  Quartett,  Quin- 
tett u.  s.  w.  vereinigen.  Doch  tritt  die  Sonate  in  dieser  Darstellung  noch 
nicht  aus  dem  Kreise  subjektiven  Empfindens  heraus,  weil  hier  im  Grunde 
immer  nur  einzelne  Instrumente  wirken,  als  Soloinstrumente,  die  diesen  engern 
Kreis  des  mehr  subjektiven  Empfindens  nur  allmälig  erweitern,  aber  noch 
nicht  überschreiten. 

Erst  in  der  Sinfonie  wirken  die  Instrumente  chorisch,  das  Streich- 
quartett wird  zu  einem  Streicherchor,  dem  ein  Chor  der  Bläser  gegen- 
übertritt, welcher  sich  wieder  in  zwei  Chöre  theilt,  den  Chor  der  Rohr-  und 
den  der  Messingbläser  und  dem  sich  noch  Schlaginstrumente:  Pauken, 
Triangel,  Becken  u.  dergl.  anschliessen.  Dieser  grosse  Appai-at  erfordert, 
dass  der  Künstler,  der  sich  seiner  bedient,  heraustritt  aus  dem  engen  Kreise 
einzelner  individueller  Stimmungen;  nicht  diese,  sondern  ein  ganzer  Lebenszug, 
in    dem    sich    auch    noch    andere    widerspiegeln,    wie  der  von  ganzen  Perioden 


Symphonia.  39 

und  Völkern  wird  Inhalt  der  Symphonie.  In  ihr  spiegelt  sich  daher  nicht  mehr 
nur  der  subjektive  Geist  des  Menschen,  der  aus  sich  heraus  empfindet,  dessen 
Phantasie  durch  sich  selbst  angeregt  worden  ist,  leichte  und  anregende  Bilder  zu 
erzeugen,  sondern  jener  objektive  Geist,  der  erfüllt  ist  von  dem  offenbar  gewor- 
denen Walten  des  Weltgeistes.  Die  AVunder  der  Schöpfung,  die  Macht  der  Welt- 
begebenheiten erweisen  sich  jetzt  wirksam  auf  die  Phantasie  des  Tondichters 
und  erzeugen  dort  jene  Sonaten  für  Orchester,  die  Symphonie,  in  denen 
die  entfesselte  Weltseele,  wie  sie  in  den  Wundern  der  Natur,  m  Lust  und 
und  Leid  des  Lebens  und  als  Geist  der  Geschichte  lebendig  geworden  ist, 
Ausdruck  gewinnt.  Das  Darstellungsobjekt  der  Symphonie  tritt  heraus  aus 
dem  engen  Raum  all  der  mehr  beschaulichen  Stimmungen,  durch  welche  die 
einfache  Sonate  erzeugt  wird.  Sie  verlangt,  dass  grössere  Bilder  der  Natur 
oder  der  Weltgeschichte  an  der  Seele  des  Künstlers  vorübergehen,  oder  dass 
ihn  ein  gewaltiges  ernstes  Geschick  mächtig  bewegt,  wodurch  in  seiner  Phan- 
tasie Tonbilder  erzeugt  werden,  so  gross  und  bedeutsam,  dass  sie  den  erweiterten 
Eahmen  der  neuen  Form  vollständig  erfüllen  und  zu  ihrer  Darstellung  auch 
des  gesammten  orchestralen  Materials  vollständig  bedürftig  sind. 

So  stellt  sich  uns  schon  die  Symphonie  von  Haydn  dar.  Nur  selten 
schweben  ihm  besimmte  Ideale  vor  beim  Schaffen  seiner  Instrumentalwerke  — 
einzelne  Symphonien  aus  früherer  Zeit  tragen  selbst  charakteristische  Namen  — 
und  von  einer  Symphonie  erzählt  er  selbst,  dass  in  ihr  der  Seelenzustand  eines 
verstockten  Sünders,  der  hartnäckig  der  göttlichen  Gnade  widerstrebt,  darge- 
stellt werden  soll.  Allein  vorwiegend  wird  er  doch  nur  von  der  unschuldigen, 
naiven  Lust  am  Schaffen,  von  jener  kindlichen  Freude,  die  es  ihm  bereitet, 
sein  volles,  an  den  Wundern  der  Natur  und  der  bunten  Lust  des  Lebens  er- 
glühendes Herz  in  den  neuen  Formen  offenbaren  zu  können,  geleitet.  Es  ist 
die  frischeste  Freude  an  der  Natur  und  am  Leben,  die  er  austönt  in  der 
Symphonie.  Das,  was  auch  dem  Volksliede  zu  allermeist  Form  und  Inhalt 
giebt:  das  Singen  und  Klingen,  der  ganze  Zauber  der  Natur,  die  laute  und 
stumme  Fröhlichkeit  des  Lebens,  das  lässt  auch  seine  Instrumentalmusik  uppig 
hervortreiben.  Seine  Thematik  ist  durchaus  aus  dem,  hiervon  beemflussten 
Geiste  geboren  und  daher  auch  die  Durchführung  derselben  überall  ausser- 
ordentlich klangvoll.  Seine  Flöten  sind  die  der  Idylle,  seine  Gl  an  netten 
oder  Oboen  die  Schalmeien  der  Hirten,  die  Hörner  und  die  Trompeten 
sind  die  Instrumente  des  Waldes  und  der  ländlichen  Festesfreude  und  m  seinem 
Streicherchor  singt  und  klingt,  jubelt  und  klagt  das  ganze  bewegte  Aeussere 
des  Lebens.  Bei  ihm  ist  alles  mehr  das  Ergebniss  äusserer  organischer  Er- 
regung, daher  die  zwingende  Lebendigkeit  seiner  Melodien,  die  knappe  Schlag- 
fertigkeit seiner  Rhythmen,  der  Wohlklang  seiner  Harmonien  und  die  m  alle 
dem  bedingte  Naturwüchsigkeit  seiner  Instrumentation.  Nur  selten  schlagt  er 
in  seinem  Adagio  tiefere  Herzenstöne  an,  aber  auch  sie  sind  alle  voll  wahrer, 
frommer  Innigkeit  und  bei  aller  rührenden  Weichheit  doch  fern  von  jener  Sen- 
timentalität, die  seiner  Zeit  eigen  war.  _ 

Mit  ganz  besonderer  Vorliebe  aber  pflegte  er  die  Menuett  in  ihrer 
volksthümlichen  Umgestaltung,  bei  welcher  die  Grazie  der  altern  Menuett 
durch  die  ungebundene  Lust,  die  Innigkeit  aber  durch  sprudelnde  Laune  er- 
setzt ist.  So  wurde  ihm  gerade  diese  Form  zum  unmittelbarsten  Ausdruck 
schwunghafter,  durch  die  Freude  beflügelter,  von  Lebenslust  getragener  Em- 
pfindung. Die  Leichtigkeit  der  Tanzrhythmik  wurde  ihm  zum  beliebtesten 
Ausdrucksmittel  für  jene  Stimmung,  in  welcher  er  das  Leben  am  liebsten  an- 
schaute, so  dass  sie  auch  häufig  in  seine  Finales  hinübergeht,  m  denen  in 
der  Re<^el  ausgelassener  Jubel  bis  zu  toller  Neckerei  gesteigert  heiTScht,  wahrend 
ihm  im  Allegro  noch  ein  gewisser  ehrenfester  Ernst  das  Gleichgewicht  zu 
halten  sucht;  jener  Ernst,  der  auch  der  Freude  erst  die  rechte  Bedeutung,  eine 
gewisse  Weihe    giebt.     Das    ist    hauptsächlich    der    Inhalt  der    neuen   Sinfonie 


40  Symphonia. 

Haydn's,  die  er  in  unerschöpfliclier  Manniclifaltigkeit,  in  immer  neuer  "Weise 
zum  Ausdruck  bringt. 

Aus  der  ganzen  Fülle  einer  aussergewöhnlich  reichen  Innerlichkeit  heraus 
schuf  dagegen  der  zweite  Meister  der  Symphonie,  Mozart,  der  überhaupt 
das  Orchester  erst  zu  einem  lebendig  empfindenden  Organismus  beseelte  und 
belebte.  Haydn  steht  unter  der  Herrschaft  seiner  Instrumente,  er  lauscht 
ihnen  ihre  eigensten  Naturlaute  ab,  um  sie  in  ihren  eigenen  Zungen  reden  zu 
lassen;  Mozart  machte  sie  sich  ihm  unterthänig,  um  ihnen  seine  reiche  und 
weiche  Innerlichkeit  einzuflössen,  dass  sie,  ein  jedes  nach  seinem  Vermögen, 
seine  Sprache  reden.  Haydn  empfindet  instrumental,  Mozart  mehr  ideal, 
mehr  rein  musikalisch.  Die  Motive  Haydn's  sind  daher  mehr  reiz-  als 
inhaltsvoll  und  erst  die  sinnige  und  geschickte  Verwendung,  ihre  meisterliche 
Anordnung  zu  grossen  Tonstücken,  vermag  unser  Interesse  dauernd  zu  fesseln. 
Die  Motive  Mo  zart 's  sind  ungleich  bedeutender  und  von  so  energischem  Ge- 
fühlsausdruck, dass  sie  eine  weitere  Verarbeitung  nicht  selten  erschweren.  Seine 
ungleich  tiefer  und  reicher  bewegte  Innerlichkeit  war  ja  durchaus  nicht  jener 
Freude  am  Lebensgenuss  abhold,  im  Gegentheil  ihr  im  Herzen  zugethan  und 
er  giebt  ihr  gern  ebenso  beredten  Ausdruck;  allein  er  war  zugleich  erfüllt  und 
gesättigt  mit  jenen  grossartigen  und  gewaltigen  Stoffen,  die  er  zu  seinen  Opern 
verwandte  und  dadurch  gewann  auch  der  Ausdruck  in  seinen  Instrumental- 
werken und  vor  allem  in  seinen  Symphonien  grössere  Tiefe  und  Innerlichkeit 
als  bei  Haydn  und  zugleich  wenigstens  in  den  bedeutendsten  Sinfonien:  der 
G-moll-,  Es-dur-  und  O-t^wr- Sinfonie  auch  grossartigere  Form.  Die  innige 
Gemüthlichkeit  Haydn's  ist  bei  Mozart  zur  Leidenschaftlichkeit  gesteigert 
und  wie  Haydn's  kindlich  fromme  Innigkeit  bei  Mozart  zu  süsser  Sehnsucht 
wird,  so  ist  der  Ausdruck  hinreissender  Heiterkeit,  wie  sie  Haydn  gewinnt, 
bei  Mozart  bis  zu  überwältigendem,  sinnbethörendem  Jubel  gesteigert.  Die 
Menuett  Mozart's  entspricht  mehr  der  altern  Form,  in  der  die  Grazie  vor- 
wiegend ist,  verbunden  mit  der  überquellenden  Innerlichkeit  seines  Innern  und 
dem  Glänze  seiner  heitern  Lebensanschauung.  Der  langsame  Satz  (meist  An- 
dante) ist  aus  einem  Herzen  herausgesungen,  das  unter  den  Widerwärtigkeiten 
und  Stürmen  der  Welt,  die  unaufhörlich  den  Frieden  zu  stören  bemüht  sind, 
sich  die  Freude  an  allem  Schönen,  Hohen  und  Guten  bewahrt  hat,  und  sehn- 
süchtig darnach  verlangt.  Der  Ernst  hat  hier  eine  ganz  andere  Bedeutung 
gewonnen  als  bei  Haydn  und  dieser  giebt  endlich  auch  dem  ersten  und  letzten 
Satz  bei  den  erwähnten  Symphonien  Mozart's  noch  erhöhte  Bedeutung.  Sie 
ergreifen  ungleich  mächtiger  und  tiefer,  weil  sie  uns  schon  von  Stürmen, 
Kämpfen,  von  Siegen  und  Niederlagen  berichten,  weil  sie  uns  Conflikten  gegen- 
über stellen,  in  die  das  Innere  gelangt,  wenn  es  von  gewaltigen  Entschlüssen 
bewegt,  von  grossen  Ideen  erfüllt  ist,  oder  wenn  es  sich  den  Eindrücken  der 
bewegenden  Weltseele  erschliesst.  Wenn  uns  die  Haydn'schen  Symphonien 
ofi"enbaren,  dass  sie  durch  das  äussere  Leben  in  Flur  und  Wald  in  der  Phan- 
tasie des  Meisters  heraufgezaubert  wurden,  so  ahnen  wir,  dass  es  noch  höhere 
Mächte  waren,  unter  deren  Gewalt  Mozart  stand,  dass  seinem  lauschenden  Ohr 
selbst  in  Flur  und  Wald  nicht  nur  noch  wunderbarere  Klänge  zugeführt  worden 
waren,  sondern  dass  ihm  auch  der  die  Geschicke  der  Menschheit  leitende  Welt- 
geist schon  manches  Geheimniss  offenbart  hatte.  Dieser  neue  Inhalt,  der  damit 
der  Sinfonie  erschlossen  wurde,  erforderte  indess  wieder  eine  noch  gewaltiger 
herausgebildete  Technik  und  diese  zu  gewinnen  war  erst  dem  grössern  Meister 
der  Instrumentalmusik  und  der  Symphonie  im  Besonderen,  Beethoven,  be- 
schieden. 

Wenn  auch  der  Meister  nur  bei  einigen  selber  Andeutungen  gab  über 
die  Vorgänge  in  seinem  Innern,  welche  diese  Symphonien  hervortreiben  Hessen, 
so  verrathen  doch  aiich  die  andern,  dass  er  in  diesen  von  mächtigeren  Vor- 
gängen erregt  ist,  als  jeder  seiner  beiden  grossen  Vorgänger  auf  diesem  Gebiet. 
Während    sie    sich    in    ihrem    Orchester  meist  nur  der  Clarinetten  oder  Oboen 


Symphonla.  41 

bedienten,  bedurfte  Beethoven  von  vorn  herein  beider  für  sein  Orchester  und 
dies  verstärkt  er  ausserdem  noch  in  den  einzelnen  Fällen  durch  Pickelflöte, 
Contrafagott,  Serpent,  durch  Posaunen,  Becken,  Triangel  und  grosse  Trommel, 
und  es  ist  dieser  vermehrte  Apparat  nur  durch  die  höhere  Aufgabe  geboten, 
die  der  Meister  sich  stellte.  Mit  den  ersten  beiden  Symphonien,  op.  21  und  36, 
hatte  sich  der  jugendliche  Meister  auf  die  Höhe  Mozart's  gestellt,  Schaffens- 
drang und  Schafi'ensfreude  halten  alles  andere,  was  in  dem  jugendlichen  Meister 
sonst  noch  empor  möchte,  gefangen,  oder  vereinigen  doch  alles  andere  Wider- 
strebende zu  einheitlichem  Zuge.  Erst  mit  der  dritten  Symphonie,  der 
Eroica,  beginnt  die  Reihe  jener  wunderbaren  Offenbarungen,  die  der  Meister 
von  da  an  in  jedem  seiner  derartigen  Werke  gab  und  die  ihm  seine  unei'reich- 
bar  hohe  Stellung  auf  dem  Gebiet  der  Symphonie  zuwiesen.  Es  ist  bekanntlich 
das  Bild  eines  Heros  —  wie  wir  wissen  Napoleon's  —  das  diese  Symphonie 
im  Meister  erzeugte.  In  der  vierten  giebt  er  wohl  ein  Stück  eigner  Le- 
bensgeschichte, aber  in  so  gewaltigen  Bildern,  dass  sich  ein  jeder  von  uns 
darin  zugleich  wieder  findet.  Die  fünfte  giebt  dann  das  gewaltige  Bild  vom 
Bingen  und  Kämpfen  der  gesammten  Menschheit  und  von  dem  endlichen  Siege 
alles  Guten  und  Schönen.  »So  pocht  das  Schicksal  an  die  Pforte«,  damit  hat 
er  in  dem  Gespräch  mit  Schindler  das  Hauptmotiv  des  ersten  Satzes  selbst 
charakterisirt  und  der  Kampf  mit  dem  Schicksal  bestimmt  den  weiteren  Ver- 
lauf des  ganzen  Werkes.  Mit  der  »Pastoral-Symphonie«  veröffentlichte  er 
zugleich  eine  Art  Programm.  Er  näherte  sich  mit  dieser  Symphonie  zugleich 
wieder  dem  Haydn'schen  Standpunkt.  Aber  in  welch  anderer  Weise  fasst 
er  die  gleiche  Aufgabe.  Wie  bereits  erwähnt  kam  Haydn  wenig  darüber  hinaus, 
der  Natur  das  abzulauschen,  was  bereits  in  ihr  klingt  und  singt,  um  es  künst- 
lerisch zu  verarbeiten.  Beethoven's  tragisches  Geschick  hatte  ihm  schon  eine 
andere  Stellung  angewiesen.  Als  er  seine  Pastoralsymphonie  schrieb  war  bereits 
jenes  furchtbare  Ereigniss  eingetreten,  das  ihn  vereinsamen  liess  inmitten  der 
ländlichen  Lust  und  Fröhlichkeit.  Da  konnte  er  schon  nicht  mehr  die  Natur 
copiren,  die  Stimmen  des  Waldes  und  Feldes  waren  längst  verstummt  für  ihn, 
sie  lebten  nur  noch  als  Erinnerung  in  seiner  Phantasie.  Und  wenn  er  das 
Bauschen  des  Wassers,  die  Stimmen  der  Wachtel,  des  Kukuks  und  der  Nach- 
tigal  ertönen  lässt,  so  ist  das  bei  ihm  schon  mehr  als  Copie,  es  sind  dies  noth- 
wendige  Farbenpunkte  in  dem  Tongemälde,  welches  jenes  wunderbare  Leben  in 
Wald  und  Feld  seinem  Innern  Ohr  vorüberführt. 

Ein  ähnlicher  Zug  geht  durch  die  achte  Sinfonie,  nur  dass  hier  alles 
Jubel  und  Freude  und  Lebenslust  athmet.  Die  siebente  dagegen  führt  uns 
wieder  gewaltige  Ereignisse,  Streiten  und  Bingen,  Sterben  und  Siegen,  Klage 
und  Jubel  vor,  und  in  der  neunten  hat  der  Meister  dann  ein  Werk  geliefert, 
das  lange  Zeit  eine  wahre  Apokalypse  für  unsere  auslegungssüchtigen  Aesthe- 
tiker  geworden  ist.  Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  die  Programme,  welche  zu 
dieser  gewaltigsten  aller  Symphonien  geschrieben  wurden,  zu  kritisiren,  oder 
ein  neues  aufzustellen,  nur  die  Stellung,  welche  sie  überhaupt  in  der  Ent- 
wickelung  der  Form  einnimmt,  sei  mit  wenig  Worten  bezeichnet.  Der  halt- 
und  grundloseste  Vorwurf,  den  man  dem  Werke  gemacht  hat,  ist  jedenfalls  der, 
dass  es  in  ungerechtfertigter  Weise  den  Gesang  zu  seiner  Darstellung  herbei 
zieht.  Die  Symphonie  ist  allerdings  ihrem  Wesen  und  ihrer  Entwickelung 
nach  Instrumentalform,  aber  dass  sie  es  unter  allen  Umständen  bleiben  müsse, 
ist  damit  doch  noch  nicht  gesagt.  Wenn  es  nicht  stillos  erscheint,  nicht  blos 
die  Vocalmusik  der  Instrumentalmusik  zur  Hülfe  beizugeben,  sondern  sogar  reine 
Instrumentalformen  dabei  einzuführen,  so  kann  es  doch  auch  nicht  verwerflich 
sein,  wenn  das  Umgekehrte  stattfindet,  wenn  die  Instrumentalform  den  Gesang 
herbeiruft,  wo  ihre  eigenen  Mittel  nicht  ausreichen.  Und  dass  das  in  der 
neunten  Symphonie  der  Fall  ist,  bedarf  kaum  eines  Nachweises.  Bei  den  un- 
geheuren Dimensionen,  welche  die  ersten  drei  Sätze  des  gigantischen  Werks 
gewonnen  haben,  bei  der  immer  mehr  von  Satz  zu  Satz  sich  steigernden  Aus- 


42 


Symphonia. 


drucksfähigkeit,  welche  die  Instrumente  anstreben,  ohne  sie  doch  in  der  Welse 
zu  erreichen,  wie  es  der  Meister  wünschte,  bedurfte  es  für  den  letzten  Satz 
neuer  Mittel,  welche  noch  eine  Steigerung  ermöglichten  und  zugleich  den  un- 
zweifelhaften Ausdruck  gewährten,  und  diese  gaben  nur  die  Menschenstimmen. 
Alles  drängt  von  vornherein  nach  dem  erlösenden  Wort,  das  hier  nicht  aus- 
bleiben konnte  und  durfte.  Und  wenn  es  ursprünglich  nicht  beabsichtigt 
war,  so  konnte  dieser  Gang  schon  nach  Beendigung  des  ersten  Satzes  für  den 
Meister  gar  keinem  Zweifel  mehr  unterliegen.  Wie  er  dann  aber  mit  gewal- 
tiger Hand  diesen  ganz  aussergewöhnlichen  vierten  Satz  der  Symphonie  voi'be- 
reitet,  wie  er  Schritt  vor  Schritt  auf  das  Ziel  mächtig  vorschreitet,  das  kann 
hier  nicht  weiter  untersucht  werden.  Als  bereits  das  Zauberwort  gesprochen, 
als  der  Eintritt  der  gesungenen  Freudenmelodie  augekündigt  ist,  da  versucht 
er  es  noch  einmal  mit  den  Instrumenten;  erst  als  diese  die  Melodie  noch 
ausführlich  dargelegt  hatten,  da  erst  tritt  die  Menschenstimme  mit  ihrer  erlösenden 
Gewalt  ganz  und  grossartig  abschliessend  ein.  Dass  der  Meister  aber  übrigens 
nicht  entfernt  daran  dachte,  mit  diesem  Werke  eine  neue  Gattung  der  Sym- 
phonie zu  schaffen,  dass  ihm  das  Aufgebot  der  Menschenstimme  nur  für  den 
einen  Fall  geboten  erschien,  das  bewies  er  selbst,  indem  er  den  Plan  zu  einer 
zehnten  Symphonie  fasste  und  zwar  ohne  Gesang,  an  deren  Ausführung  ihn 
nur  der  bald  darnach  ihn  ereilende  Tod  hinderte. 

Einen  neuen  Inhalt  vermittelten  der  Symphonie  die  sogeannten  Roman- 
tiker: Schubert,  Mendelssohn  und  Schumann.  Die  grosse  C-durSjm- 
phonie  Schubert's  stammt  ganz  und  voll  aus  jener  phantastischen  Zauberwelt, 
welche  die  letztgenannten  drei  Meister  musikalisch  zu  gestalten  unternahmen. 
Wie  der  Ruf  von  Oberons  Hörn,  so  weckt  die  Melodie  der  Hörner  in  dem 
einleitenden  Andante,  mit  dem  die  Sjnnphonie  beginnt:*) 


p  PP 

ein  ausserordentlich  reich  bewegtes  Leben,  an  dem  sich  zunächst  die  Streich- 
instrumente betheiligeu,  indem  sie  das  in  Chorweise  von  den  Rohrbläsern  aus- 
geführte Hornmotiv  contrapunktiren.  Yiolen  und  Cellis  schliessen  dann  mit 
Nachsatz  dies  Motiv  liedmässig  ab,  und  die  äusserst  buntgefärbte  Darstellung 
dieses  ganzen  Liedsatzes  durch  das  volle  Orchester  lässt  es  ausser  allem  Zweifel 
erscheinen,  dass  die  Welt,  in  welche  uns  das  Werk  versetzt,  die  phantastisch 
aufgeputzte,  mit  zauberhaftem  Glänze  ausgestattete  Traumwelt  ist,  und  als  dann 
wieder  der  Liedsatz,  von  Oboen,  Clarinetten  und  Fagotten  ausgeführt,  auftritt, 
sagt  es  uns  der  trippelnde  Contrapunkt  der  Violinen,  dass  die  Welt  auch  be- 
völkert werden  soll  und  immer  lauter  und  dringender  wird  der  Ruf  der  Hörner, 
Trompeten  und  Posaunen,  bis  im  unmittelbar  anschliessenden  Allegro  sich  das 
bunteste  Leben  in  fortreissender  Lebendigkeit,  vor  unsern  Augen  ausbreitet 
und  wir  bedauern  nur,  dass  wir  in  dem  bunten  Reigen  der  Figuren  und  Gruppen 
nicht  die  einzelnen  Gestalten  erkennen  und  ihr  Thun  und  Treiben  verfolgen 
können.  Wohl  sehen  wir  gewappnete  Nachtgeister  im  feierlichen  Marsch 
aufmarschiren : 


Oboen. 

Fagotte. 

treigen. 


*)  EeissmanTi  -.  „Franz  Schubert.     Sein  Leben  und  seine  Werke",  Berlin,  Guttentag, 
pag.  242  ff. 


Symphonia. 


43 


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A^. 


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aber  wir  möchten  auch  erfahren,  ob  es  neckische  Kobolde  oder  freundliche 
Elfen  sind  und  ob  sie  ausziehen  um  zu  segnen  oder  Possen  zu  treiben.  Darüber 
lässt  uns  der  Meister  in  Zweifel.  Im  Eifer  für  die  lebens-  und  naturgetreue 
Schilderung  seiner  sonnenstrahlenden  und  goldschimmernden  Welt  vergisst  er 
uns  die  Vorgänge  zu  erzählen,  die  sich  innerhalb  derselben  zutragen;  wir  sind 
deshalb  nur  mit  unserer  Phantasie,  nicht  auch  mit  unserm  Herzen  bei  der 
Sache.  Im  Andante  führt  er  uns  wieder  eine  neue  Gruppe  vor,  und  diese  ist 
schon  bestimmter  charakterisirt ;  wenigstens  wissen  wir,  dass,  wer  mit  solchen 
bezaubernden  Melodien  einzieht,  nichts  Uebles  im  Sinne  haben  kann.  Ganz 
besonders  klärt  uns  der  A-dur-Ha.iz  und  der  Schluss  über  ihr  Wesen  und  ihren 
Charakter  auf,  wir  wissen,  unter  solcher  Maske  erscheinen  nicht  böse  Geister; 
das  sind  die  echten,  lieblichen  Töchter  der  Luft.  Alle  diese  Gestalten  zeigt 
uns  der  dritte  Satz  im  festlichen  Reigen  sich  drehend  vereint.  Besonders  hell 
und  glänzend  wird  er  in  dem  kanonischen  Sätzchen  der  Geigen  und  Cellis,  zu 
welchem  die  Blasinstrumente  das  ursprüngliche  Menuettmotiv  aufnehmen,  und 
dann  im  A-dur-Trio,  das  wieder  im  hellsten  Glänze  instrumentalen  Colorits 
schillert  und  prangt.  Das  Pinale  bringt  im  Grunde  nichts  Neues;  in  einer 
noch  viel  glänzenderen  Darstellung  giebt  es  uns  eine  noch  umständlichere 
Schilderung  jener  phantastischen  Welt,  in  die  wir  schon  im  ersten  Satze  so 
tiefe  Blicke  thun  konnten;  doch  werden  jetzt  in  ihr  so  süsse  Stimmen  und 
Lieder  laut,  dass  nunmehr  auch  unsere  Empfindung  zur  Betheiligung  angeregt 
wird,  und  Herz  und  Sinn  mit  hineingezogen  werden  in  den  immer  mehr  in 
bacchantischer  Lust  sich  verwirrenden  Knäuel  der  Bilder,  Figuren  und  Ge- 
stalten. Das  Spiel  mit  allen  Mitteln  der  musikalischen  Darstellung,  hat  hier 
in  vollendetster  Weise  künstlerische  Gestalt  gewonnen  und  ein  Bild  geschaffen, 
das  in  seiner  berauschenden  Wirkung  seines  Gleichen  nicht  hat.  Damit  war 
zugleich  diese  neue  Welt  künstlerischer  Darstellung  in  ihrer  ganzen  Pracht 
und  Herrlichkeit  erschlossen,  und  nun  konnten  jene  beiden  Meister  kommen, 
die  sie  mit  Elfen  und  Kobolden,  und  mit  guten  und  bösen  Geistern  bevölkerten: 
Mendelssohn  und  Schumann. 

Wie  energisch  dies  Ziel  Mendelssohn  in  seinen  Ouvertüren  verfolgte  und 
erreichte,  ist  in  dem  betreffenden  Artikel  nachgewiesen.  Seine  erste  Symphonie 
(G-moll,  op.  11),  die  er  kaum  dem  Knabenalter  entwachsen  schrieb,  steht  noch 
ganz  auf  dem  Boden  Mozart's.  Im  ersten  Satz  erinnern  nur  einige  Geigen- 
figuren, im  Menuett  nur  die  langgehaltenen  Accorde  der  Blasinstrumente  und 
der  einfachste  Contrapunkt  der  Streichinstrumente  im  Trio  daran,  dass  dem 
Knaben  schon  eine  Ahnung  jener  wunderbaren  Mährchenwelt  aufgegangen  ist, 
die  er  später  in  seinen  besten  Werken  entschleiert  vorführen  sollte.  Der  süsse 
Klang,  den  das  Trio  einzig  und  allein  erstehen  lässt,  beherrscht  das  ganze 
spätere  Kunstwerk  dieser  Richtung.  Die  Musik  fügt  sich  diesem  Zuge  gern 
und  willig,  weil  sie  mit  ihren  glänzendsten  Mitteln  wirken  kann.  Allein  höhere 
und  bedeutsamere  Darstellungsobjekte  sind  auch  für  sie,  wie  für  alle  andern 
Künste,  immer  jene  grossen  Ideen,  welche  die  leitenden  und  wesentlichsten  des 
Lebens  sind,  unter  deren  Einfluss  unsere  grossen  Meister  bis  auf  Schubert 
schufen  und  die  grossen  und  weiten  Formen  müssen  nothwendig  unter  dem 
Bestreben,    sie    einseitig    den    romantischen    Idealen    dienstbar    zu    machen,    an 


44  Symphonia. 

Grösse  und  Bedeutung  verlieren.  Dies  zeigt  sich  namentlichi  bei  M  endeis - 
sohn's  Symphonien,  der  A-moll-  und  A-dur-^jm-^h.oiiie.  Der  ideelle 
Inhalt  der  ^-7noZZ-Symphonie  ist  in  der  Hebriden-Ouverture  eigentlich  voll- 
ständig, wenn  auch  nur  in  seinen  Grundzügen  zur  Erscheinung  gelangt,  und 
dort  füllt  er  auch  die  Form  ganz.  Indem  Mendelssohn  ihn  in  der  Symphonie 
weiter  ausführt,  wird  er  auf  die  mehr  umschreibende  Weise  des  Capriccio 
geführt,  die  namentlich  den  ersten  Satz  der  Symphonie  in  sehr  verkümmerter 
Form  erscheinen  lässt.  Der  Allegrosatz,  der  durch  ein  ganz  ausdrucksvolles 
Andante  eingeleitet  wird,  hat  eigentlich  nur  ein  einziges  Hauptthema,  ebenso 
der  zweite  Satz;  beide  Sätze  charakterisiren  das  Sagenreiche  Land,  dem  die 
ganze  Symphonie  entstammt,  Schottland  vortrefflich,  aber  in  wenig  symphoni- 
scher Form.  Im  Adagio  erklingt  dann  die  Harfe  Ossians  in  mächtigen  Accorden, 
über  denen  sich  klagende,  herbsüsse  Weisen  erheben.  Hörner  und  Trompeten 
erinnern  an  die  alte  Herrlichkeit  des  versunkenen  Reichs  und  wecken  zugleich 
ein  kriegei'isches  Leben,  das  sich  dann  im  nächsten  Satz:  Allegro  guerriero 
entfaltet.  Dieser  Satz  namentlich  ist  fest  geformt  und  originell  ausgestattet.  Er 
leitet  in  ein  Allegro  maestoso  als  Schlusssatz  über,  das  sich  frisch  abspielt. 
Allein  man  hat  immer  die  Emj)findung,  als  ob  die  hier  gestaltende  Idee  präcisern 
Ausdruck  in  der  Form  der  charakteristischen  Ouvertüre  gefunden  hätte. 

Erst  dem  Jüngern  Meister  ßobert  Schumann  war  es  vergönnt,  auch 
hier  den  reichsten  romantischen  Inhalt  in  wirklich  symphonischer  Form  dar- 
zulegen. Schon  die  jB-c?wr-Symphonie  (op.  38)  beweist  dies.  In  der  Ein- 
leitung weckt  gleich  das  erste  Motiv  des  Aliegrosatzes,  noch  nicht  von  der 
Octave,  sondern  von  der  Terz  aus  durch  Trompeten  und  Hörner  eingeführt, 
ein  reiches  harmonisches  Leben.  Es  tritt  hier  gewissermassen  als  Signal  auf, 
für  den  Beginn  des  bunten  ßeigens,  der  sich  vor  unserm  Auge  und  unserm 
Ohr  dann  entfaltet.  Als  erstes  Thema  des  Aliegrosatzes  wird  das  Motiv  dann 
durch  immer  gewaltigere  und  gewichtigere  Harmonisirung  zum  Vordersatz  ver- 
arbeitet. Das  Motiv  des  Nachsatzes  ist  nicht  weniger  einfach  und  treu  im 
Sinne  der  Form  erfunden,  aber  durch  die  eigenthümliche  Weise,  in  welcher 
Schumann  die  Dominanttonart  darstellt,  erhält  auch  dies  wieder  das  ernste  Ge- 
präge seines  Geistes  und  der  neuen  Richtung.  In  gleicher  Weise  wird  dann 
die  Weiterentwickelung  des  ganzen  Satzes  ebenso  von  der  alten  Form,  wie  von 
der  neuen  Richtung  beeinflusst,  so  dass  dieser  Satz  schon  als  eine  wirkliche 
Verschmelzung  beider  erscheint.  Die  ganze  Fülle  und  Süsse  der  romantisch 
bewegten  Seele  strömt  der  letzte  Satz  aus  mit  seinem  ebenso  macht-  wie  glanz- 
vollen Schlüsse.  Inmitten  dieser  beiden  Sätze  erscheinen  die  beiden  anderen 
zwar  nicht  minder  von  romantischem  Geiste  erfüllt,  aber  von  etwas  kleinerem 
Zuschnitt.  Das  Larghetto  ist  kaum  mehr  als  ein  »Phantasiestück«  der  frü- 
hesten Periode  des  Meisters.  Die  hymnische  Breite  des  eigentlichen  Adagios 
von  Beethoven  liegt  allerdings  in  der  ganzen  Richtung  weniger  begründet,  die 
mehr  auf  Fülle  und  Prägnanz  des  Ausdrucks,  als  auf  Breite  und  Tiefe  ge- 
richtet ist.  Ganz  aus  der  Idee  der  neuen  Richtung  heraus  ist  die  Einführung 
eines  zweiten  Trios  im  Scherzo. 

Die  zweite  Symphonie  Schumann's  (op.  61)  ist  in  Anlage  und  im 
ganzen  Bau  ungleich  grösser  geworden.  Die  einzelnen  Sätze  sind  nicht  nur 
ideell  unter  einander  näher  verwandt,  sondern  sie  nehmen  auch  vieKach  formell 
Bezug  aufeinander.  Bemerkenswerth  nach  dieser  Seite  erscheint  zunächst  das 
stetige,  fast  monotone  Festhalten  des  ursprünglichen  Haupttones  C.  Der  Ein- 
leitung, dem  ersten,  zweiten  und  dem  Schlusssatz  liegt  die  C-dur-^onsxi  zu 
Grunde;  dem  Adagio  Anfangs  die  getrübte  C-dur-.,  die  C-7«oZZ-Tonart,  am 
Schluss  wiederum  die  O-^wr-Tonart.  Das  ist  eine  der  bezeichnendsten  Erwei- 
terungen der  neuen  Richtung,  dass  sie  nicht  mehr  nur  die,  durch  die  alten 
Meister  und  die  alte  Schule  sanktionirte  Darstellung  der  Tonart  beibehält  und 
übt,  sondern  dass  sie  hier  wirklich  neuschaflFend  und  neugestaltend  eingegriffen 
hat.     Schon  Schubert  fasste  auch  hier  den  Begriff  Tonart  weiter   und  tiefer 


Symphonia.  45 

und  Schumann  folgte  ihm  auf  dieser  Bahn  mit  vollem  Bewusstsein.  In  der 
C-dur-Symphonie  gewinnt  die  Einleitung  die  O-dur-Tonari  von  der  Unter- 
dominant (F-dur)  aus,  und  auch  der  erste  Satz  stützt  sich  noch  viel  mehr  auf 
die  Unterdominant  als  auf  die  Dominant  und  in  ähnlicher  Weise  wird  auch 
der  harmonische  Verlauf  in  den  übrigen  Sätzen  vielfach  in  verwandter  Weise 
bedingt.  Die  wesentlichsten  Motive  werden  ferner  schon  in  der  Einleitung 
angedeutet.  Diese  erlangt  also  eine  wesentlich  andere  Bedeutung,  wie  in  der 
alten  Symphonie,  und  selbst  in  der  ersten  unseres  Meisters.  Dort  bei  den 
älteren  Meistern  dient  sie  nur  als  Vorbereitung.  Sie  soll  uns  in  die  Stimmung 
versetzen,  welche  das  Verständniss  und  den  künstlerischen  Grenuss  des  dann 
folgenden  Werkes  voraussetzt.  Hier,  bei  dem  Jüngern  Meister,  erscheint  sie 
gewissermassen  als  das  Motto,  das  den  ideellen  Inhalt  der  Geschichte  seines 
Herzens,  die  er  uns  erzählt,  zusammengefasst  enthält,  und  das  er  deshalb  zum 
sofortigen  Verständniss  und  Erfassen  vorsetzt.  Die  Richtung,  welcher  unser 
Meister  angehört,  ist  nicht  von  grossen,  welterschütternden  Ereignissen  oder 
von  den  Wundern  der  Natur  erfüllt;  sie  holt  ihre  Objekte  nicht  aus  der  Ge- 
schichte der  Menschheit,  sondern  aus  der  Phantasie  und  der  Geschichte  des 
Herzens  des  Einzelsubjekts.  Wie  ein  solcher  Zug  symphonisch  darzustellen 
ist,  hat  Schumann  in  dieser  Symphonie  schlagend  dargelegt.  In  der  Einlei- 
tung wird  er  schon,  geweckt  vom  Mahnruf  der  Hörner,  Trompeten  und  Po- 
saunen, lebendig  und  in  den  folgenden  Sätzen  verfolgt  ihn  dann  der  Meister 
mit  der  ihm  eigenen  Sorgfalt  in  alle  seine  Einzelheiten  eindringend.  Immer 
neue  Gestalten  und  Bilder  erscheinen  vor  seinem  Auge  und  Ohr,  die  er  immer 


*&" 


reicher  entwickelt,  an  der  Einleitung  als  dem  formellen  und  ideellen  Band  fest- 
haltend. Daher  ist  er  veranlasst,  die  Normaltonart  vorwiegend  festzuhalten  in 
immer  neuer  und  eigenthümlicher  Construktion.  Es  ist  unschwer  zu  ei'kennen, 
wie  er  seiner  Stimmungen  immer  mehr  Herr  wird,  wie  sie  in  der  Einleitung 
weniger  noch  als  im  ersten  Satze  schwanken  zwischen  leidenschaftlicher  Er- 
regung und  süsswehmüthiger  Schwärmerei,  wie  sie  sich  dann  im  Scherzo  zum 
glückselig  hinausstürmenden  Humor,  dem  auch  die  ernstselige  Seite  —  im 
zweiten  Trio  —  nicht  fehlt,  steigert,  um  dann,  aber  nur  auf  kurze  Zeit,  im 
Adagio  ganz  seligschwärmender  Selbstvergessenheit  zu  verfallen,  die  so  recht 
als  ein  Produkt  der  romantischen  Richtung  zu  betrachten  ist,  aus  welcher  sich 
dann  das  Finale  zu  jubelnder,  weltstürmender  Glückseligkeit  erhebt. 

Die  JEJ5-<7?^r-Symphonie  des  Meisters  (op.  97)  knüpft  zwar  an  äussere 
Verhältnisse  an,  aber  diese  werden  doch  wiederum  auch  in  echt  romantischem 
Lichte  betrachtet.  Diese  besondern  Verhältnisse,  unter  welchen  sie  entstand, 
sind  ihr  so  bestimmt  aufgeprägt,  dass  sie  die  »rheinische«  heisst.  Schu- 
mann schrieb  sie  in  Düsseldorf,  wohin  er  1850  als  Musikdirektor  gegangen 
war  und  der  vierte  Satz  wurde  direkt  durch  die  Feierlichkeiten  bei  Erhebung 
des  Erzbischof  von  Geissei  in  Köln  angeregt;  er  ist  von  Schumann  nach  seiner 
Bezeichnung  »im  Charakter  der  Begleitung  einer  feierlichen  Ceremonie«  ge- 
halten. Das  »Scherzo«  entfaltet  ebenfalls  nicht,  wie  die  früheren,  ein  Stück 
phantastischen,  sondern  des  realistischen  Lebens;  es  lehnt  sich  mehr  an  die 
alte  Menuettform,  als  an  die  des  Scherzo  von  Beethoven  und  man  erkennt 
daraus,  dass  dem  Meister  eine  Volksscene  vorschwebte,  als  er  diesen  Satz  schuf. 

Vollständig  unter  der  Herrschaft  der  romantischen  Ideale  steht  dagegen 
die  D-TwoZZ-Symphonie  (op.  120),  die  bald  nach  der  ersten,  der  B-dur- 
Symphonie,  1841  entstand,  aber  erst  1851  instrumentirt  und  als  vierte  Sym- 
phonie gedruckt  wurde.  Schon  in  der  Einleitung  erhebt  sich  ein  eigenthümlich 
bewegtes  phantastisches  Leben,  das  sich  im  Allegrosatz  bis  zu  unheimlicher 
Aufregung  steigert.  Dieser  erste  Satz  ist  auch  nach  Art  des  Capriccio  grössten- 
theils  aus  einem  Motiv  entwickelt,  das  kurze,  aber  äusserst  süss  gesungene 
zweite  Motiv  wird  nur  ganz  vorübergehend  berücksichtigt.  Die  statt  des  lang- 
samen Satzes  folgende  Romanze  zeigt  den  romantischen  Charakter  der  Sym- 
phonie noch  näher  und  in  ihr  ist  zugleich  das  Hauptmotiv  der  Einleitung  mit 


46  Sympliouie-Cantate  —  Symphonie-Ode. 

verarbeitet  uud  das  Violin-Solo  zeigt  in  seiner  herzgewinnenden  Führung,  wie 
mächtig  der  Meister  von  dem  Zauber  des  Bildes,  das  vor  seiner  Seele  schwebte, 
ergriffen  ist;  dieser  ist  so  gross,  dass  er  noch  im  Trio  das  Scherzo  wieder- 
holt zum  Ausdruck  drängt.  Dies  Scherzo  unterscheidet  sich  auch  dadurch 
von  den  vorerwähnten,  dass  es  weniger  beweglich  und  leicht  beschwingt  ist, 
aber  dadurch  entschieden  mehr  dem  klassischen  Ideal  sich  nähert,  es  ist  so 
formvollendet,  wie  nur  noch  wenige  der  Nach  -  Beethoven'schen  Zeit.  Der 
Schlusssatz  ist  einer  der  brillantesten,  welchen  die  ganze,  doch  mehr  nach 
innen  gerichteten,  einer  so  vollständigen  Entäusserung  eher  abholden  Richtung 
erzeugt  hat.  Schon  der  erste  Satz  drängte  nach  einem  so  brillanten  Abschlüsse 
und  der  letzte  ist  nur  die,  mit  den  schallkräftigsten  Mitteln  ausgeführte  Er- 
weiterung und  Vollendung  des  Satzes.  Neben  den  neuen  Motiven  von  blen- 
dender Wirkung  kommt  auch  das  Hauptmotiv  des  ersten  Satzes  wiederholt  zur 
Geltung,  um  diese  Symphonie  zu  einer  der  innerlich  und  äusserlich  einheit- 
lichsten zu  machen,  die  der  Meister  schrieb. 

Seitdem  ist  der  Symphonie  auch  von  den  jüngeren  Componisten  eine  eifrige 
Pflege  zugewendet  worden  und  namentlich  haben  einzelne,  um  anzudeuten, 
welchen  Inhalt  sie  in  symphonischer  Form  darstellen  wollen,  ihren  derartigen 
"Werken  bestimmte  Namen  gegeben;  so  hat  Ulrich  eine  Symphonie  triomfale 
geschrieben,  Anton  Eubinstein  eine  Symphonie  »Ocean«,  während  ßaff  eine 
Wald-Symphonie,  eine  Erühlings-Symphonie,  eine  Alpen-Symphonie  und  eine 
Symphonie  »Leonore«  schrieb  u.  s.  w.  Volkmann,  Brahms,  Reinecke,  Vier- 
iin g  u.  A.  unterliessen  solch  nähere  Bezeichnungen. 

Diese  ganze  romantische  Eichtung  erzeugte  schliesslich  noch  eine 
Besonderheit  in  der  Symphonischen  Dichtung  (s.  u.).  Die  Beethoven'sche 
neunte  Symphonie  speciell  aber  regte  die 

Symphouie-Cantate  und 

Symphonie-Ode  an.  Jene  Bezeichnung  wurde  von  Mendelssohn  zuerst  ge- 
braucht für  seinen  »Lobgesang«,  op.  52.  Obwohl  er  durch  das  Motto,  welches  er 
diesem  Werke  vorsetzt,  die  Bedeutung  desselben  hinlänglich  bezeichnet,  so  ist  es 
doch  vielfach  missverstanden  worden.  Mit  den  Worten  Luther's:  »Sondern  ich 
wollt'  alle  künste,  sonderlich  die  Musica  gern  sehen  im  Dienst  des,  der  sie  geben 
und  geschaffen  hat",  deutete  Mendelssohn  hinlänglich  an,  dass  es  ihm  nicht  um 
Nachahmung  der  neunten  Symphonie  Beethoven's  zu  thun  war,  wenn  diese  auch 
vielleicht  die  nächste  Anregung  gab.  Wie  Job.  Seb.  Bach  die  gesammten 
Kunstmittel  seiner  Zeit  in  den  Dienst  dessen  gab,  der  sie  gegeben  und  ge- 
schaffen, so  hier  Mendelssohn.  Der  ältere  Meister  brachte  nur  die  insti'umen- 
talen  Mittel  seiner  Zeit  mit  den  vocalen  in  Verbindung,  indem  er  diese  durch 
jene  erläuterte  und  bereicherte.  Dem  jüngeren  Meister  konnte  es  nicht  mehr 
genügen,  nur  die  Mittel  der  neuen  Kunst  herüber  zu  nehmen,  nachdem  diese  be- 
reits durchaus  selbständige  Formen  erzeugt  hatten.  Diese  selbst  mussten  herüber- 
genommen werden  in  den  Dienst  dessen,  der  sie  gegeben  und  gemacht  hatte. 
In  dem  Sinne  entstand  die  Instrumental-Einleitung,  welche  die  drei  Haupt- 
formen, in  denen  die  Instrumentalmusik  jetzt  entwickelt  ist:  Allegro,  Alle- 
gretto  (an  Stelle  des  Scherzo)  und  Adagio  (religioso)  zu  einem  instrumentalen 
Lobgesange  vereinigt.  Dass  Mendelssohn  diesen  Theil  seines  Werks  nur  als 
Einleitung  betrachtet,  wird  auch  dadurch  bekundet,  dass  er  die  drei  Sätze  zu 
einer  Nummer  verbindet.  Die  anschliessende  Cantate,  aus  Eecitativen,  Solls, 
Chorälen  und  Chören  bestehend,  giebt  der  in  der  Einleitung  mit  den  reichern, 
aber  unbestimmtem  instrumentalen  Mitteln  dargestellten  Stimmung  präcisern 
und  verständlichem  vocalen  Ausdruck.  Auf  die  Bezeichnung  Symphonie- 
C antäte  war  Mendelssohn  durch  seinen  Freund  Klingemann  geführt  worden, 
wie  aus  einem  Briefe  Mendelssohn 's  an  diesen  hervorgeht:  »Zum  Concert 
für  die  alten  und  kranken  Musiker  hier  soll  am  Ende  des  Monats  mein  Lob- 
gesang aufgeführt  werden;  da  hab  ich  mir  nun  vorgenommen,  ihn  nicht  noch 
einmal  in  der  unvollkommenen  Gestalt  zu  geben,  wie  er  in  Birmingham  aufge- 


Symphouisclie  Dichtung.  47 

führt  werden  musste,  meiner  Krankheit  wegen;  und  das  giebt  mir  tüchtig  zu 
thun.  —  Du  hast  übrigens  mit  deinem  vortrefflich  gefundenen  Titel  viel  zu 
verantworten,  denn  nicht  allein  schick'  ich  das  Stück  nun  als  Symphonie- 
C antäte  in  die  "Welt,  sondern  ich  denke  auch  stark  daran,  die  erste  "Wal- 
purgisnacht, welche  mir  seit  langem  daliegt,  unter  dieser  Benennung  wieder 
aufzunehmen,  fertig  zu  machen  und  los  zu  werden.  Sonderbar,  dass  ich  bei 
der  ersten  Idee  dazu  nach  Berlin  schrieb,  ich  wolle  eine  Symphonie  mit  Chor 
machen;  nachher  keine  Courage  dazu  hatte,  weil  die  drei  Sätze  zu  lang  als 
Einleitung  waren  und  ich  doch  immer  das  Gefühl  behielt,  als  fehlte  etwas  bei  der 
blossen  Einleitung.  Jetzt  sollen  die  Symphoniesätze  nach  dem  alten  Plan 
hinein  und  dann  das   Stück  heraus.«*) 

Der  innere  Zusammenhang  der  drei  Symphoniesätze  mit  der  Cantate  ist 
mehrfach  auch  äusserlich  angedeutet.  Das  Motiv  des  eigentlichen  Lobgesangs 
wird  zugleich  im  ersten  Sinfoniesatz  sehr  ausführlich  verarbeitet.  Die  Ein- 
leitung von  21  Takten  ist  ausschliesslich  aus  ihm  entwickelt.  Eür  den  ersten 
Satz  bildet  es  nur  ein  Nebenmotiv,  aber  es  verbindet  die  Hauptpartien,  so 
dass  diese  immer  auf  die  ui'sprüngliche  Idee  des  Lobsingens  bezogen  werden, 
und  in  dem  Bestreben  erfunden  erscheinen:  »Den  Herrn  nicht  nur  mit  unserm 
Liede,  sondern  auch  mit  dem  Saitenspiel  zu  lobsingen«.  Dasselbe  Motiv  leitet 
dann  auch  zum  zweiten  Symphoniesatz:  Allegretto  (un  poco  agitato)  hinüber, 
der  wiederum  in  dem  eingewobenen  Choral  auf  die  ursprüngliche  Idee  des 
ganzen  "Werkes  bestimmt  Bezug  nimmt.  Der  dritte  Satz  endlich,  das  Adagio, 
bereitet  dann  den  ersten  Chor  der  Cantate  vor  und  leitet  ganz  direkt  in  diesen 
hinüber.  Diese  ganze  Einleitungs-Symphonie  ist  mit  allem  Grlanze  der  modernen 
Instrumentation  ausgestattet  und  erlangt  in  der  künstlichen  Form,  in  der  sie 
auftritt,  fast  redende  Bedeutung,  dass  die  anschliessende  Cantate  allerdings  als 
nothwendige  Consequenz  erscheint.  Die  betreffenden  "Werke  von  Berlioz: 
lijRomeo  et  Julietten  und  -nDamnation  de  Fausti  treten  schon  mehr  formell  aus 
dem  Rahmen  der  Symphonie  heraus,  noch  mehr  die  Symphonie-Ode  von  Fa- 
licien  David  »Die  "Wüste«  und  gehören  deshalb  unter  die 

Symphonische  Dichtung.  Diese  Bezeichnung  rührt  von  Franz  Liszt  her, 
der  seine  grossen  Orchesterwerke  mit  Programm  unter  der  Gesammtbezeichnung: 
Symphonische  Dichtungen  zusammenfasst,  um  damit  anzudeuten,  dass  sie 
nicht  als  Symphonien  im  gewöhnlichen  Verstände  des  "Wortes  betrachtet  wer- 
den können,  sondern  nur  als  Versuche,  einen  dichterischen  Inhalt  in  sympho- 
nischer "Weise  darzustellen.  Dagegen  lässt  sich  kaum  ein  ernster  Einwand  er- 
heben, nur  erscheint  es  seltsam,  dass  man  dies  Verfahren  als  einen  Fortschritt 
gepriesen  und  als  der  Nachahmung  würdig  befunden  hat.  Einen  dichterischen 
Inhalt  stellen  ja  die  Meister  der  Symphonie:  Haydn,  Mozart,  Beethoven, 
Schubert,  Mendelssohn  und  Schumann  auch  dar  und  wenn  sie  dabei 
zugleich  die  Form  der  Symphonie  in  höchster  Vollendung  gewinnen,  so  er- 
scheint das  doch  als  ein  höherer  Standpunkt,  wie  jener  der  symphonischen 
Dichtungen,  bei  dem  die  Symphonie  zu  kui'z  kommt  und  dann  auch  ganz 
unstreitig  der  Inhalt.  Es  ist  unter  dem  Artikel  Musikformen  nachgewiesen 
werden,  dass  die  Form  nichts  weiter  sein  kann,  als  der  Gestalt  gewordene 
Inhalt,  und  dass  dieser  nur  durch  die  Form  überhaupt  erst  künstlerischen  Aus- 
druck gewinnt;  daher  wird  auch  der  symphonische  Inhalt  nur  in  der  streng 
gegliederten  Symphonie-Form  entsprechenden  Ausdruck  gewinnen.  Dass  unter 
Umständen  auch  die  freiere,  loser  gefügte  Form  einem  besondern  Inhalt  ent- 
sprechen kann,  ist  hier  wie  bei  allen  Formen  selbstverständlich,  allein  solche 
Ausnahmefälle  bestätigen  nur  die  Regel.  Entsprechender  für  solche  freiere 
Gestaltung  der  Symphonie  erscheint  die  Bezeichnung:  Orchester-Fantasie, 
die  jedenfalls   weniger   prätentiös  ist  und  doch  das  freieste  "Walten  der  dichte- 


*)  Reissmann:  „Felix  Mendelssohn -Bartholdy.   Sein  Leben  und  seine  Werke",  BerUn, 
Guttentag,  pag.  280. 


48 


Sj-mpson  —  Syncopatio. 


rischen  Fantasie  zulässt.  Auf  die  besondere  Art  der  Programme  Liszt's  und 
seiner  Nachahmer  geht  noch  der  Artikel  Tonmalerei  näher  ein, 

Sympson,  Christ.,  englischer  Tonkünstler,  hat  im  Jahre  1670  zu  London 
in  8°  ein  aus  fünf  Theilen  bestehendes  »Com^eiidium  Musicae  ^racticaea  in  eng- 
lischer Sprache  drucken  lassen. 

Synaphe  im  Tonsystem  der  Griechen  der  Zusammenhang  zweier  Tetrachorde, 
so  dass  der  vierte  Ton  des  tiefern  zugleich  der  erste  des  höhern  Tetrachords  ist. 

Syncopatio,  Syncope,  Zusammenziehung,  ein  rhythmisches  Verfahren, 
das  in  der  griechischen  Poesie  bereits  Anwendung  fand.  Die  lange  Silbe, 
welche  den  Takt  beginnt,  also  den  Niederschlag  bildet,  konnte  eine  Dauer 
erhalten,  welche  die  von  zwei  Kürzen  übertrifft;  diese  Verlängerung  nannte 
man  rori].  Füllte  die  lange  Silbe  einen  ganzen  Takt  aus,  so  dass  sie  also 
Niederschlag  und  Aufschlag  in  sich  begreift,  so  erhielt  man  eine  solche 
Zusammenziehung,  eine  Synkope.  Ein  ähnliches  Verfahren  fand  auch  im 
christlichen  Gesang  Eingang,  doch  mit  dem  Unterschiede,  dass  nicht  die  acc ent- 
lose Silbe  an  die  accentuirte  gehängt,  sondern  umgekehrt  die  accen- 
tuirte  an  die  accentlose,  so  dass  der  Ton  auf  der  sogenannten  schlechten 
Zeit  eintritt  und  während  der  anschliessenden  guten  Zeit  ausgehalten  wird. 
Diese  Weise  der  Stimmführung  erfolgte  zunächst  indess  weniger  nach  rhyth- 
mischem als  nach  melodischem  und  harmonischem  Gesetz,  Es  wider- 
strebte dem  Gefühl  der  Contrapunktisten  der  ersten  Blüthezeit  des  Contra- 
punkts, die  Dissonanz  auf  dem  guten  Takttheil  einsetzen  zu  lassen;  sie  berei- 
teten sie  vor,  d.  h.  Hessen  sie  vorher  als  Consonanz  auf  der  schlechten 
Zeit  eintreten  und  auf  der  guten  zur  Dissonanz  werden: 


3S: 


icrt 


=t 


ES: 


=P= 


:ö5 


-pi— I — ö 


~(=r 


Dass  aber  diese  Synkopation  schon  zur  Zeit  des  Tinctoris,  also  gegen  Ende 
des  15,  Jahrhunderts  wirklich  rhythmische  Bedeutung  erlangt  hatte,  ersehen 
wir  aus  der  Erklärung,  die  er  in  seinem  "Wörterbuch  giebt  (»Terminorum  mu- 
sicae  Diffinitorium):  r>Sincopa  est  alicuius  notae  interposita  majore  per  partes 
diviso.a  Deutlicher  noch  spricht  dies  Sebald  Heyden  in:  y>De  arte  canendi« 
(Nürnberg,  1540)  aus:  er  fasst  die  Synkope  als  »dem  Takt  entgegenstrebend 
und  zuwidergehend«  auf  und  in  diesem  Sinne  finden  wir  sie  denn  auch  allein 
machtvoll  im  16.  Jahrhundert  im  Vocalsatz  verwendet.  Zu  eigentlicher  Bedeu- 
tung gelangte  sie  jedoch  erst  durch  die  Instrumentalmusik,  durch  welche  die 
Rhythmik  ja  überhaupt  erst  sich  zu  grösster  Mannich  faltigkeit  entwickelte. 
Es  ist  nicht  nöthig,  noch  nachzuweisen,  zu  welch  grosser  "Wirkung  sie  beispiels- 
weise Beethoven  in  seinen  Instrumentalwerken  wie  im  ersten  Satze  der  Sin- 
fonie eroica: 

rfz.  rfz.        rfz.    rfz.  rfz.        rfz.    rfz.  rfz.  rfz. 


rfz.         rfz.     rfz.  rfz.        rfz.    rfz.  rfz.  rfz. 

einführte  und  verwandte.  Ist  die  "Wirkung  der  Synkopen  bei  Beethoven  in 
der  Regel  eine  gewaltige,  hinreissende,  überwältigende,  so  wussten  sie  die  Ro- 
mantiker wiederum  im  entgegengesetzten  Sinne  zu  verwenden.  Die  dadurch 
bewirkte  Auflösung  des  ursprünglichen  Rhythmus  versetzt  uns  in  eine  schranken- 
lose Gefühlsschwelgerei.  Namentlich  wendet  sie  so  Schumann  an  wie  in  dem 
Liede  »Dein  Bildniss  wunderselig«  (No.  2  aus  op,  39): 


Syncopatio. 


49 


I 


€ 


HS 


3: 


* 


3=?=5: 


Mein  Herz      still  in  sich    sin  -  get        ein 


h^ 


i!g^g^Ee: 


ES 


-I — 


-I — 


^. 


H=t 


-^i 


Unter  Umständen  ist  wie  hier  eine  solche  vollständige  Auflösung  des  ursprüng- 
lichen Rhythmus  von  unnachahmlicher  Wirkung;  doch  wird  sie  leicht  in  ihrer 
Ausnahmestellung  zur  Manier.  Eigenthümlich  wirkend  sind  die  Synkopen  gleich 
am  Anfange  der  Manfred-Ouvertüre  desselben  Meisters  eingeführt,  in  der 
überhaupt  die  Synkope  eine  grosse  Rolle  spielt.  Diese  gewährt  endlich  noch 
das  sehr  charakteristische  Mittel,  innerhalb  der  ursprünglich  gewählten  Taktart 
eine  andere  darzustellen,  ohne  jene  zu  verändern,  wie  Reissmann  im  letzten 
Satze  seines  Violin-Concerts,  op.  30  (Berlin,  Bote  &  Bock)  zeigt: 

Solo-Violine. 


Blasinstrumente. 


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50  Synemmenon  —  Syrinx. 

Der  ursprüngliche  Sechsachteltakt,  in  welchem  der  ganze  Satz  gehalten  ist, 
wird  hier  durch  Synkopation  in  einen  Dreivierteltakt  verwandelt  und 
dagegen  bringt  dann  die,  bei  der  Wiederholung  hinzutretende  Sologeige  den 
Sechsachteltakt  zur  Greltung.  Besonders  eindringlich  wirkend  werden  die 
Synkopen,  wenn  einzelne  Stimmen  zugleich  die  natürliche  Accentuation  ener- 
gisch angeben;  das  grandioseste  Beispiel  dieser  Art  ist  der  Anfang  der  Don- 
Juan -Ouvertüre.  Als  Begleitungsfigur  wurde  die  Synkope  namentlich  von 
Grluck  eingeführt,  am  charakteristischsten  in  der  Arie  der  Iphigenia  (in  Tauris) 
»0  lasst  mich  Tiefgebeugte  weinen«.  Seitdem  ist  von  den  Italienern 
mancher  Unfug  damit  getrieben  worden;  namentlich  wurde  die  synkopirte  Be- 
gleitung zu  grösserer  Steigerung  der  nur  äusserlichen  Wirkung  der  Stretta 
angewendet.  Von  besonderm  Beiz  werden  solche  Synkopen  endlich  auch  im 
Tanz  und  nach  dem  Vorgange  von  Franz  Schubert  haben  auch  Strauss, 
Lanner,  Labitzky  und  andern  Tanzcomponisten  äusserst  anregende  Effekte 
damit  zu  erzielen  gewusst. 

Synemmenon,  Name  des  dritten  Tetrachoi'ds  a  —  d  des  griechischen  Tonsystems. 

Synemmeuon  diatonos,  Bezeichnung  des  Tones  Paranete  synemmenon. 

Syntonisch,  gespannt,  nannte  Aristoxenus  eine  der  beiden,  von  ihm  ge- 
lehrten Gattungen  des  diatonischen  Klanggeschlechts.  Das  Genus  diatonicum 
syntonum  bestand  aus  einer  Halb-  und  zwei  Ganzstufen;  das  Genus  diatonicum 
molle  aus  einer  Halbstufe,  einer  Dreiviertelsstufe  und  einer  Fünfviertelsstufe. 

Syntonisches  Komma,  s.  Komma. 

Syntouolydische  Octav  hiess  bei  den  Griechen  die  hypolydische  (im  Mittel- 
alter lydische)   Tonart: /"—y  —  a  —  h  —  c — d—e—f. 

Syringes  hiess  ein  Theil  des  Liedes  auf  den  Apollo,  das  beim  Wettkampf 
bei  den  pythischen  Spielen  gesungen  wurde. 

Syrinx  (ovQivi),  die  Siebenpfeife,  Hirtenflöte,  auch  Pansflöte 
(ßstula  Panis,  Syringe  Panos),  franz.:  syrinne  und  sifflet  f  astorale  genannt, 
war  ein  den  frühesten  Zeiten  entstammendes  Hirteninstrument  und  blieb  ein 
ganz  gewöhnliches  Instrument  der  Griechen  und  Römer,  auf  deren  Denkmälern 
man  es  unzähligemal  abgebildet  und  in  Alterthumssaiumlungen  erhalten  findet. 
Sie  war  ursprünglich  aus  sieben  Bohrpfeifen  von  verschiedener  Länge  zusammen- 
gesetzt, die  man  mit  Wachs  oder  durch  ein  anderes  Bindemittel  nebeneinander 
befestigte,  daher  der  Name  Siebenpfeife.  Jedoch  die  Kunst  vermehrte  die 
Zahl  der  Pfeifen,  fertigte  sie  sorgfältiger  und  liefestigte  sie  mit  Riemen  oder 
Ringen.  Oben  sind  die  Pfeifen  offen,  unten  verschlossen.  Angeblasen  wird 
das  Instrument  auf  die  Weise,  dass  man  die  Pfeifenmündungen,  die  eine  gerade 
Linie  bilden,  vor  den  Lippen  hin  und  her  bewegt.  —  Die  Ehre  der  Erfindung 
dieses  Instruments  legen  einige  alte  Autoren  dem  Marsyas,  andere  dem  Silenus 
bei;  die  meisten  jedoch  entscheiden  sich  für  Pan.  Virgil  (jiEclog.a  IL  32)  sagt: 
r>Pan  primus  calamos  cera  coniungere  plures  instituit.«.  (Mehrere  Rohre  mit 
Wachs  zu  verbinden  hat  Pan  zuerst  uns  gelehrt.)  —  Pan,  der  bei  den  Alten 
als  Erfinder  der  siebenröhrigen  Hirtenpfeife  gilt,  die  nach  seinem  Namen  auch 
Pansflöte  genannt  wird,  war  ein  arkadischer  Hirtengott,  der  Wald-  und  Weide- 
gott. Seine  Eltern  werden  verschieden  angegeben,  gewöhnlich  findet  man  Merkur 
und  die  Nymphe  Penelope,  aber  auch  Jupiter  und  die  Nymphe  Thymbris  genannt. 
Gleich  nach  seiner  Geburt  verliess  ihn  seine  Mutter,  weil  sie  durch  seine  Miss- 
gestalt erschreckt  war,  und  er  ward  vom  Merkur  in  den  Olymp  getragen,  wo 
er  von  den  Göttern  seinen  Namen  erhielt.  In  der  ihm  gewidmeten  Homer'schen 
Hymne  wird  er  ausführlich  geschildert.  Abgebildet  trägt  Pan  gewöhnlich  Hörner, 
auf  der  Brust  ein  mit  Sternen  besäetes  Bocksfell,  unten  ist  er  struppig,  hat 
Ziegenfüsse,  in  der  einen  Hand  seine  Panflöte  mit  sieben  Röhren,  in  der  andern 
einen  Stab.  —  lieber  die  Erfindung  der  Hirtenflöte  erzählt  die  Fabel  (s.  Ovid, 
r>Metamorph.<s.  I.  691)  Folgendes:  »Pan  war  ein  sehr  eifriger  Verfolger  der 
Nymphen  in  Arkadien.  Eine  unter  ihnen,  Syrinx  mit  Namen,  in  die  er  sich 
verliebte,  entfloh  seinen  Umarmungen  und  als  sie,  am  Ladon-Flusse  angekommen, 


Systaltisclie  Melopöa  —  System.  51 

den  Nachstellungen  nicht  weiter  entgehen  konnte,  bat  sie  die  Götter,  in  ein 
Schilfrohr  sie  zu  verwandeln.  Das  geschah.  Pan  schnitt  sich  aus  dem  Rohre, 
in  welches  seine  Lieblingsnymphe  verwandelt  worden  war,  sieben  Pfeifen,  setzte 
sie  zusammen  und  erfand  so  die  Paus  flöte,  die  später  nach  jener  arkadischen 
Nymphe  auch  Syrinx  genannt  wurde.  Es  findet  sich  dies  schon  im  Hirten- 
zeitalter erfundene  Instrument  fast  bei  allen  Völkern.  Nicht  blos  die  alten 
Griechen  und  Römer  haben  es  als  Syrinx,  sondern  auch  die  alten  Hebräer  als 
Maschrokita  (s.  d.)  gehabt.  Bei  den  Chinesen  kommt  es,  und  wahrscheinlich 
schon  aus  sehr  alter  Zeit  stammend,  mit  16  Pfeifen  unter  dem  Namen  Siao 
(s.  d.)  vor.  Aber  auch  bei  australischen  Völkerschaften  haben  Weltumsegler 
es  vielfach  angetroffen,  so  z.  B.  fand  es  Forster  auf  den  Freundschafts-  und 
Neuhebrideninseln  mit  zehn  und  acht  Pfeifen  und  hat  es  in  seiner  Reise- 
beschreibung (IL  74.  75)  abgebildet.  Andere  Abbildungen  von  spätem  Reisenden 
bietet  Fetis  (y^IIist.  de  la  musiquev.  I.  Fig.  1).  —  Von  den  Römern  her  war 
die  Syrinx  auch  im  frühesten  Mittelalter  im  Abendlande  gekannt  und  ver- 
muthlich  da  im  Gebrauch,  weil  man  sie  auf  mehrern  Baudenkmälern  vom 
9. — 13.  Jahrhundert  dargestellt  und  in  Handschriften  aus  dieser  Zeit  abge- 
zeichnet findet.  Näheres  darüber  berichtet  Coussemaker  über  mittelalterliche 
Instrumente  in  Didron,  y>Ännales  archeologiquesi.  IV.  37  ff.  Vermuthlich  war 
das  Pandurium,  das  Cassiodor  und  Isidor  von  Sevilla  als  Blasinstrument 
erwähnen,  nichts  anderes  als  die  Paus  flöte  oder  wenigstens  mit  ihr  verwandt. 
In  Italien  sind  noch  jetzt  die  Syringe  zuweilen  im  Gebrauch.  In  Deutschland 
sind  sie  unter  dem  Namen  Papagenopfeifen  mehr  ein  Kinderspielzeug  ge- 
worden, —  Geschichtliches  Interesse  hat  die  Pansflöte  noch  insofern,  weil  sie 
in  Verbindung  mit  der  Sackpfeife  die  Grundidee  zur  Orgel  gegeben  hat.  In 
der  That  gleichen  die  ältesten  tragbaren  Orgelu  einer  umgekehrten  und  mit 
einem  Blasebalg  in  Verbindung  gesetzten  Pansflöte.  —  Dass  die  alten  Griechen 
auch  eine  Art  Schalmey  mit  dem  Namen*  Syrinx  belegt  haben  sollen,  ist 
nicht  erwiesen  und  offenbar  eine  Verwechslung  mit  Calamus  jpastoralis,  was 
allerdings  die  Schalmey,  Hirtenflöte  bezeichnet.  Ein  ähnlicher  Irrthum  ist's, 
wenn  neuere  französische  Schriftsteller  in  illustrirten  Werken  die  Siebenpfeife 
(Syrinx)  als   CTialumeau  bezeichnen. 

Systaltisclie  Melopöa  bei  den  Griechen  die  zärtlichere  Weise  der  Melodie- 
bildung. 

System  (Systema).  Das  Wort  kommt  auch  in  der  Musik  in  verschiedener 
Bedeutung  zur  Anwendung.  Zunächst  und  hauptsächlich  bezeichnet  man  damit 
die  Anwendung  der  Töne  nach  bestimmten  Gesetzen  ihrer  Zusammengehörigkeit 
zu  einem  einheitlichen  Organismus  als  Tonleiter.  Die  Töne  werden  allerdings 
nach  gewissen,  ewig  feststehenden  Gesetzen  erzeugt,  und  ihr  Verhältniss  zu 
einander  muss  dasselbe  bleiben,  allein  die  Erkenntniss  desselben  ist  bei  den 
verschiedenen  Völkern  und  in  verschiedenen  Jahrhunderten  ebenso  verschieden 
gewesen  wie  seine  künstlerische  Verwendung.  Der  Ton  erscheint  zunächst  als 
das,  in  gewissem  Sinne  nach  rohe  Naturprodukt,  dem  der  künstlerisch  schaffende 
Menschengeist  erst  die  Bedingungen,  als  Darstellungsmaterial  dienen  zu  können, 
aufnöthigen  muss.  Aus  der  unendlichen  Reihe  von  überhaupt  möglichen  Tönen 
wählt  der  menschliche  Geist  diejenigen  aus,  die  er  für  seine  Zwecke  als  ver- 
wendbar erkennt  und  in  dem  er  die  Bedeutung  jedes  einzelnen  und  das  Ver- 
hältniss aller  zu  einander  zu  erkennen  bemüht  ist  und  sie  demgemäss  in  ein 
bestimmtes  System  bringt,  gewinnt  er  erst  eine  sichere  Grundlage  für  seine 
künstlerische  Thätigkeit.  So  entstehen  die  verschiedenen  Tonsysteme  der 
verschiedenen  Völker  und  Zeiten  ebensowenig  als  willkürliche  Annahmen,  wie 
als  ewig  feststehende  unwandelbare  Gesetze.  Nur  die  Entstehung  der  Töne 
erfolgt  nach  j^hysikalischen  Gesetzen,  ihre  Anordnung  und  Verwendung 
vielmehr  nach  ästhetischen.  Die  vorchristlichen  Völker  sind  nicht  dazu 
gekommen,  selbständige  Tonformen  zu  bilden,    sie  haben  dementsprechend  auch 

4* 


^» 


52  System. 

nur  beschränkte,  aber  zum  Theil  bis  in  die  kleinsten  Verbältnisse  eng  geglie- 
derte Tonsysteme  gewonnen. 

Hieraus  ist  es  erklärlicb,  dass  beispielsweise  die  Chinesen,  obwohl  sie 
die  gesammten  Töne  kannten  und  akustisch  berechneten  (s.  Chinesische 
Musik),  wie  die  Inder,  die  noch  schärfere  Untersuchungen  in  Bezug  auf  die 
Schwingungsverhältnisse  der  Töne  anstellten,  doch  über  die  fünfstufige  und 
noch  dazu  unvollständige  Tonleiter:  1.  2.  3.  5.  6.  in  ihrer  praktischen  Verwendung 
nicht  hinauskamen.  Sie  waren  eben  nur  bemüht,  mit  Hülfe  des  Tones  ihrer 
Sprache  Form  und  Klang  zu  geben  und  dazu  genügten  die  erwähnten  Ton- 
schritte vollkommen;  im  Uebrigen  reizte  das  wunderbare  Wesen  des  Tones 
ihre  Phantasie  nicht  weniger  wie  ihre  Sj)eculation  und  so  wurden  sie  zu  jenen 
Untersuchungen  geführt,  welche  hochbedeutsam  sind,  aber  ihre  praktisch  in 
Anwendung  gelangenden  Tonsysteme  nur  wenig  beeinflussten,  weil  sie  die  Re- 
sultate dieser  Untersuchungen  nicht  zu  verwerthen  verstanden,  und  kein  Be- 
dürfniss  empfanden.  Anders  gestaltet  sich  dies  Verhältniss  schon  bei  den 
Griechen,  welche  diese  Touberechnungen  zum  wissenschaftlichen  Prinzip 
erhoben  und  zugleich  ihrer  Praxis  zu  Grrunde  legten.  Die  Basis  des  grie- 
chischen Systems  bildet  das  Tetrachord:  die  aufsteigende  diatonische 
Folge  von  vier  Tönen  im  Umfange  der  reinen  Quart,  weil  damit  der 
Umfang  der  gewöhnlichen  Redeweise  gegeben  ist.  Auch  die  Griechen  machten 
im  Grossen  und  Ganzen  keine  andere  Anwendung  vom  Ton,  als  dass  sie  mit 
ihm  der  Sprache  Form  und  Klang  gaben,  aber  diese  entwickelten  sie  mit  Hülfe 
des  Tones  zu  einer  solchen  Fülle  von  künstlichen  Formen,  wie  kein  anderes 
Volk  vor  und  nach  ihm. 

Für  einzelne  griechische  Philosophen,  wie  Ai'istoxenos,  wurde  schon  jedes 
zusammengesetzte,  also  jedes  aus  zwei  nicht  unmittelbar  aufeinander  folgenden 
Stufen  der  Tonleiter  gebildete  Intervall,  fähig,  ein  System  zu  bilden;  die 
meisten  indess  schlössen  sich  der  Ansicht  des  Ptolomäus  an,  der  nur  die 
Intervalle  von  der  Grösse  der  Octave  an  als  System  gelten  lässt.  Grundlage 
bildet  wie  erwähnt  das  Tetrachord  und  die  BeschafiPenheit  der  Intervalle 
innerhalb  desselben  einer-  und  die  Verschiedenheit  der  Zusammensetzung  andrer- 
seits bildet  die  verschiedenen  Systeme.  Nach  den  Zeugnissen  des  Aristoteles 
und  des  Aristoxenos  setzte  sich  das  System  des  Pythagoras  (das  Oct- 
acliordum  Bythagorae)  aus  zwei  ganz  gleich  gebildeten  Tetrachorden  zusammen: 

efgahcde 

und  diese  Bildung  finden  wir  bei  allen  griechischen  Theoretikern  übereinstim- 
mend, während  sie  sich  sonst  oft  in  wesentlichen  Punkten  widersprechen.  Die 
verschiedene  Zusammensetzung  dieser  Tetrachorde  ergab  verschiedene  Musik- 
systeme. Es  wurde  dem  Pythagoräischen  Octachord  ein  Tetrachord  nach  unten 
und  eins  nach  oben  zugesetzt,  und  indem  man  dieser  neuen  Scala  noch  einen 
Ton,  den  tiefsten,  nach  unten  zusetzte,  erhielt  man  nach  Euklid  und  Gau- 
dentius  das  grosse  System,  das  aus  zwei  Octaven  bestand: 

ÄScdefga\hcdefga. 

Das  kleinere  System  entstand,  indem  man  hinter  dem  zweiten  Tetrachord 
noch  ein  verbundenes  einschaltete: 

A  Hcdefgahcdefga. 

Das  ganze  System  bestand  demnach  aus  achtzehn  in  fünf  Tetrachorde  ein- 
getheilten  Tönen,  Dies  eingeschaltene  ergab  mit  den  vorhergehenden  Tönen 
das  sogenannte  metabolische  System,  so  genannt,  weil  es  die  Modulation 
nach  der  Unterdominant  bezeichnet. 

Wie  die  Versetzung  der  Halbtöne  des  Systems  der  Octave  sieben  neue 
erzeugt:    die    Mixolydische,   Lydische,   Phrygische,  Dorische,  Hypo- 


System.  53 

l^^disclie,    Hj'poplirygische    und    Hypodorische   odei*  Lokrische  ist  in 
dem  Artikel:   Griecliische  Musik  nachzulesen. 

Dass  aus  dieser  Anschauungsweise  selbständige  Melodien  nicht  recht  wohl 
hervorgehen  konnten,  ist  leicht  einzusehen.  Die  griechischen  Theoretiker  kannten 
das  Octachord  und  wenn  es  trotzdem  in  der  Praxis  unbeachtet  blieb,  so  ist 
damit  nur  bewiesen,  dass  weder  jene  noch  die  praktischen  Musiker  und  Sänger 
das  Bedürfniss  fühlten,  wirkliche  Melodien  hervorzubringen.  Ihnen  galt  der 
Gesangton  eben  nicht  als  Material,  aus  dem  sie  klingende  Tonformen  bilden 
sollten,  er  war  für  sie  nur  das  Mittel,  mit  seiner  sinnlich  zwingenden  Natur- 
gewalt der  Sprache  eine  grössere  Eindringlichkeit  in  kunstvoller  Form  zu  geben: 
die  Rede  zu  fassbarer  Gewalt  herausbilden  zu  helfen.  Daher  unterwarfen  die 
Praktiker  und  Theoretiker  den  Ton  und  besonders  das  Intervall  solch  peinlichen 
Untersuchungen  und  das  Tetrachor d  wird  zur  Grundlage  des  ganzen  Systems, 
weil,  wie  mehrere  es  aussprachen,  die  gewöhnliche  Rede  sich  innerhalb 
der  Quart  hält.  In  dem  Bestreben,  die  Rhythmik  der  Sprache  immer 
entschiedener  plastisch  herauszubilden,  wird  die  Speculation  auf  immer  erneute 
Theilung  des  Intervalls  geführt,  nicht  nur  um  reichere  Modulationen  der  Stimme 
zu  ermöglichen,  sondern  auch  um  immer  mehr  charakteristische  Intervallen- 
verhältnisse zu  gewinnen,  und  in  diesem  Bestreben  wird  der  griechische  Geist 
auch  auf  das  chromatische  und  das  enharmonische  System  geführt. 

Wie  erwähnt,  entwickelten  sich  aus  den  Chorreigen  der  frühesten  gottes- 
dienstlichen Feier  die  einfachsten  Metra  der  griechischen  Poesie.  Dann  aber 
bemächtigte  sich  ihrer  der  künstlerisch  schaffende  Geist  der  Griechen  und  ver- 
bindet sie  in  so  grosser  Mannichfaltigkeit,  wie  vor  und  nach  ihm  kein  Volk 
der  Erde.  Der  Gesangton  tritt  in  ein  ähnliches  Yerhältniss  zur  Dichtung  wie 
bei  den  Juden,  aber  um  wie  viel  künstlerischer  und  bedeutsamer  ist  seine 
Wirkung.  Dort  hatte  er  nur  als  Accent  den  Parallelismus  der  Glieder  heraus- 
bilden zu  helfen.  Die  Griechen  messen  ihre  Silben  nicht  nach  dem  Accent 
oder  der  logischen  Bedeutung,  sondern  nach  ihrer  äussern  Gestalt,  nach  ihrer 
räumlichen  Ausdehnung  und  Zusammensetzung,  und  fügen  dann  die,  zu  einer 
metrischen  Einheit  »Fuss«  genannt  verbundenen  in  so  grosser  Mannichfaltigkeit 
künstlich  verwoben  zusammen,  dass  die  griechische  Dichtkunst  zu  einer  reichen 
Zahl  von  Stropheuarten  gelangt.  Dies  künstliche  Versgebäude  bis  in  seine 
feinste  Gliederung  zu  vei'folgen  und  vollständig  plastisch  herauszuarbeiten  ist 
letzte  und  höchste  Aufgabe  des  griechischen  Gesanges.  Das  Auf-  und  Abwogen, 
der  ruhig  ernste  Gang  oder  der  leichte  hüpfende  Schi'itt  griechischer  Verse 
gelangt  erst  dann  zu  vollständigem  Ausdruck,  wenn  die  Stimme  zu  erkennbaren 
Intervallen  sich  erhebt.  Erst  durch  den  Gesangton,  den  weitern  oder  engern 
lutervallenschritt  wird  die,  von  allen  griechischen  Dichtern  im  Rhythmus  ver- 
suchte Malerei  wirklich  vollendet.  In  diesem  Sinne  ordneten  und  regelten  daher 
Theoretiker  und  Praktiker  das  ganze  Tonsystem  und  kamen  auch  auf  das 
sogenannte  chromatische  ebenso  wie  auf  das  enharmonische.  Das  ursprüng- 
liche ist  selbstverständlich  das  diatonische,  aber  das  enharmonische  wie 
das  chromatische  waren  zweifellos  gleichfalls   in  der  Praxis  eingeführt. 

Die  beiden  äussersten  Töne  des  Tetrachords  wurden  dabei  nicht  verändert, 
sie  heissen  deshalb  die  unbeweglichen;  die  mittlem  nur  wurden  verändert 
und  nach  alten  Schriftstellern  wurden  beim  chromatischen  System  zwei 
Halbstufen  eingeschaltet,  so  dass  das  Tetrachord  zwei  Halbstufen  und  eine 
kleine  Terz  zählte,  während  beim  enharmoni sehen  zwei  Viertelsstufen  zwischen 
die  unbeweglichen  Töne  des  Tetrachords  traten,  so  dass  es  zwei  Viertelsstufen 
und  eine  grosse  Terz  zählte.  Man  hat  mit  Unrecht  die  Möglichkeit  dieser 
Klanggeschlechter  in  Zweifel  gezogen.  Unser  harmonisch  gebildetes  Ohr 
erkennt  diese  Viertelstöne  noth wendiger  "Weise  als  Detonation  an,  allein  für 
die  Zwecke  der  griechischen  Dichtung  boten  alle  drei  Klanggeschlechter  wirk- 
same Mittel  musikalischen  Vortrags  und  ihr  Ohr  wurde  früh  daran  gewöhnt, 
darin    das    rechte  Mittel  für  musische  Wirkung  zu  finden.     Dementsprechend 


54  System. 

war  die  Messung  und  Benennung  der  Intervalle  eine  möglichst  genaue  und 
scharf  begrenzte  und  war  das  ganze  System  auf  Tetrachorde  gebaut  und  die 
charakteristischen  Intervallenschritte. 

Der  christliche  Geist  gab  dem  Gesänge  und  der  Musik  eine  ganz  andere 
Bedeutung  und  veränderte  damit  ganz  naturgemäss  diese  verschiedenen  Ton- 
systeme. Der  reichere  Inhalt,  den  das  Christenthum  der  gesammten  Inner- 
lichkeit des  Menschengeistes  vermittelte,  bedurfte  zu  seiner  Darstellung  des 
Gesangtons  in  durchaus  selbständiger  "Weise.  Das  "Wort  selbst  in  musi- 
kalisch hochgesteigerter  Form  vermochte  ihn  nicht  mehr  erschöpfend  darzu- 
stellen; er  drängte  nach  selbständigen  Musikformen.  So  erwächst  dem  Ton 
und  seiner  Entwickelung  durch  das  Christenthum  eine  neue  Geschichte.  Das 
Christenthum  löst  ihn  zunächst  los  aus  den  Fesseln  der  Prosodie  und  bringt 
die  selbständige  Melodie  zur  Entfaltung  und  dementsprechend  erleidet  das 
Tonsj'stem  eine  Neugestaltung.  Die  Förderer  und  Gründer  dieser  neuen 
Gesangsweise  legten  ihr  das  Octachord  zu  Grunde,  und  indem  sie  alles  an- 
dere, was  nur  für  die  griechische  Praxis  Gültigkeit  hatte,  ausschieden, 
gewannen  sie  erst  die  Grundlage  für  die  freie  selbständig  entfaltete  Melodie- 
bildung. Der  heilige  Ambrosius  (von  374 — 397  Bischof  von  Mailand)  wird 
als  derjenige  genannt,  welcher  die  vier  diatonischen  Tonreihen: 

D^:E:-F—G-A  —  S-C-D  als  ersten  Ton*)   (Profus,  primus), 

M—F — G  —  A—H—C—D  —  F  als  zweiten  Ton  (Deuterus,  secundus), 
F-G-A-S-O-D-F-F  als  dritten  Ton  (Tritus,  terims), 

G—A  —  S—C—B  —  E—F—G  als  vierten  Ton  (Tetartus,  quartus) 

als  Grundlage  für  die  Hymnenmelodiebildung  festgestellt,  und  sie  sind  es  über 
1000  Jahre  geblieben  und  haben  die  Entwickelung  des  Kirchengesanges  haupt- 
sächlich bestimmt.  Sie  entsprechen  ganz  den  betreffenden  des  griechischen 
Systems,  aber  ihre  Anwendung  ist  eine  ganz  andere  geworden.  Der  christliche 
Geist  erfasste  eben  die  Tonleiter  als  etwas  Grosses  und  Ganzes  und 
ebenso  das  Verhältniss  der  einzelnen  Töne  innerhalb  derselben  und  so  wurde 
er  zu  den  Hymnenmelodien  geführt,  die  als  erste  wirkliche  Kunstprodukte  zu 
betrachten  sind. 

Gregorius  Magnus  (von  591 — 604  Papst)  soll  das  System  dann  um 
die  fehlenden  Tonarten  erweitert  haben,  indem  er  jedem  einen  Nebenton  auf 
der  Unterquart  zufügte,  so  dass  nun  im  Ganzen  acht  solcher  Töne  entstanden. 
Die  ursprünglichen  ambrosianischen  nannte  man  authentische,  die  neu 
hinzu  gekommenen  plagalische  und  zwar  wurden  sie  so  eingereiht,  dass 
immer  der  plagalische  Ton  dem  authentischen  folgte: 

Erster  Ton:  auth.   D-B. 

Zweiter  Ton:  plag.  A  —  A. 

Dritter  Ton:  auth.  F—F. 

Vierter  Ton:  plag.  S— H. 

Fünfter  Ton:  auth.   F-F. 

Sechster  Ton:  plag.    C—C. 

Siebenter  Ton:  auth.   G—G. 

Achter  Ton:  jDlag.  B  —  B. 

Der  Unterschied  beider  Ai'ten  der  Tonleitern  beruht  in  ihrer  verschiedenen 
Bewegung;  beim  authentischen  Ton  wird  der  Grundton  Ausgangspunkt  und 
seine  "Wiederholung  als  Octave  Endpunkt;  in  plagalischer  Führung  dagegen 
wird  der  Grundton  Mittelpunkt  dieser  Bewegung: 

Erster  Ton:  auth.  B  —  E-F-G-A-H-C-B 
Zweiter  Ton:  plag.  A- H-C- D-E-F-G -A. 

Hieraus    ergiebt    sich,    dass    das    gegenseitige    Verhältniss    der  Töne    im  neuen 


)     Ton  hier  gleichbedeutend  mit  Tonleiter. 


System.  55 

System  ganz  anders  betrachtet  wird,  als  im  griechisclien.  In  diesem  System 
der  Kircheatonarten  machen  sich  bereits  jene  Innern  Beziehungen  der  Töne 
zu  einander  geltend,  durch  welche  überhaupt  erst  möglich  wird,  dass  sie  sich 
zu  Formen  zusammenfügen.  Dies  neue  System  heisst  das  der  Kirchenton- 
arten und  die  einzelnen  Tonarten  Hessen  ganz  dieselben  Versetzungen  zu  wie 
die  griechischen,  so  dass  man  auf  jedem  Ton  die  andern  Tonarten  durch  Ver- 
änderung der  einzelnen  Tonstufen  vermittelst  der  Versetzungszeichen  erzeugen 
konnte.  In  ausgebreitetster  Weise  war  dies  in  der  Praxis  üblich.  Einen  fest- 
stehenden Normal-  oder  Stimmton  hatte  man  in  jener  Zeit  nicht;  das  Ton- 
stück wurde  in  der  ursprünglichen  Lage  notirt,  die  Bestimmung  der  Tonhöhe 
aber  den  Ausführenden  überlassen,  die  natürlich  auch  überall  die  fehlenden 
Versetzungszeichen  ergänzten. 

Das  änderte  sich,  als  der  Instrumentalmusik  ernstere  Pflege  zugewendet 
und  sie  begleitend  zum  Gesänge  hingezogen  wurde.  Es  ergab  sich  hieraus  die 
Nothwendigkeit,  auch  für  den  Gesang  die  absolute  Tonhöhe  zu  bestimmen  und 
zugleich  die  Transpositionen  anzugeben.  Bereits  im  10.  Jahi'hundert  hatte 
man  dementsprechend  zweierlei  Systeme,  das  Systema  reguläre  auch  durum 
genannt,  die  ursprüngliche,  in  ihrer  natürlichen  Lage  notirte  Octavengattung 
umfassend,  ohne  Versetzungszeichen;  und  das  Systema  transpositum,  auch 
molle  genannt,  welches  die,  um  eine  Quart  höher  oder  eine  Quint  tiefer  trans- 
ponirte  Octavengattung  umfasst.  Innerhalb  dieses  neuen  Systems  entwickelte 
sich    der    altkatholische    Kirchengesang    in    grossartigster    machtvollster  "Weise. 

In  der  Gesangspraxis  oder  eigentlich  nur  als  Unterrichtsmethode  wurde 
noch  ein  anderes  System  geltend,  das  des  Hexachords,  die  Eintheilung  des 
gesammten  Tonreichthums  in  Sechsstufenleitern.  Allein  sie  gewann  auf  die 
eigentliche  Entwickelung  der  christlichen  Kunst  keinen  bleibenden  Einfluss; 
sie  war  nur  Hülfsmittel,  die  Sänger  in  die  innersten  Beziehungen  der  Töne 
unter  sich  einzuführen  und  die  Stimme  zu  bilden  (s.  Solmisation)  und  ver- 
dankt weder  einer  besondern  Anschauungsweise  der  Tonkunst  und  ihrer  Ziele 
wie  die  vorerwähnten  Sjsteme  ihre  Entstehung,  noch  hat  sie  in  derselben 
Weise  wie  diese  den  ganzen  Gang  der  Entwickelung  beeinflusst.  Dieser  wäre 
schwerlich  ein  anderer  geworden,  wenn  das  Hexach ordsystem  nicht  Bedeu- 
tung für  die  Praxis  und  Methode  des  Gesangunterrichts  gewonnen  hätte.  Es 
wurde  nur  durch  zeitweises  Bedürfniss  erzeugt  und  wich  einer  veränderten 
Methode,  ohne  im  Gange  der  Entwickelung  der  Musik  im  Ganzen  etwas  zu 
ändern.  Die  Transpositionen  der  Scalen  trugen  schon  dazu  bei,  dass  ein  neues, 
unser  modernes  System  zur  Entwickelung  gelangte.  Zur  Nothwendigkeit  wurde 
es  indess  erst  unter  dem  zwingenden  Einfluss  der  Instrumentalmusik  und 
der  emportreibenden  Liedform.  Die  Formen  der  Instrumentalmusik 
ebenso  wie  die  Liedform  erfordern  eine  viel  feinere  und  energischere  Gliederung 
und  weit  intimere  Beziehung  der  einzelnen  Glieder  untereinander,  als  die  Ge- 
sänge des  altern  kirchlichen  Cultus;  die  Möglichkeit  einer  solchen  gewährt 
aber  im  Grunde  nur  die  jonische,  unsere  C-dur-  entsprechende  Tonart,  denn 
diese  selbst  ist  bereits  streng  gegliedert.  Sie  besteht  aus  zwei  ganz  gleich 
construirten  Hälften: 


c  —  d  —  e—f]   g  —  a  —  h  —  c. 

Diese  Gliederung  wird  durch  den  Sitz  des  Halbtons  bezeichnet.  Keine  andere 
der  Kirchentonarten  zeigt  eine  solche  Gliederung  und  ebensowenig  die  chro- 
matische, denn  diese  verwirft  das  Grundprincip  der  Musikgestaltung,  das  in  der 
diatonischen  Tonleiter  von  C  liegt,  indem  sie  das  Abschliessende  der  Gestaltung, 
den  Halbton,  zwischen  jede  Ganzstufe  vei'legt.  Daher  legte  auch  die  neuere 
Praxis,  obwohl  sie  die  sämmtlichen  Töne  der  chromatischen  Tonleiter  verwendet, 
doch  nicht  diese,  sondern  jene  diatonische  dem  künstlerischen  Schaffen  zu 
Grunde.  Bei  der  altern  Praxis  aber,  wie  sie  sich  im  alten  Kirchengesange 
darstellt,    wurde    die    diatonische    Ton  reihe    für   das  künstlerische  Schaffen 


56  .  System. 

inaassgebend,  diese  wiederholte  sie  treu  von  den  verschiedenen  Stufen  aus,  und 
sie  hat  die  ebenmässige  Gliederung  des  Kunstwerks  nur  wenig  zu  fördern 
vermocht.  Sie  richtete  ihr  Hauptaugenmerk  auf  die  harmonische  Ausgestal- 
tung des  Systems  und  auf  die  Entwickelung  des  einfachen  und  doi^pelten  Contra- 
punkts. Die  moderne  Musikpraxis  dagegen  machte  in  dem  Bestreben,  zu 
bilden  und  schön  zu  formen,  die  diatonische  Tonleiter  nicht  nur  nach  ihrer 
Tonreihe,  sondern  nach  dem,  in  ihr  waltenden  gestaltenden  Prin- 
zip der  Gliederung  zur  Grundlage  ihres  Bildens.  Sie  nahm  die  jonische 
Tonleiter  und  bildete  sie  dann  von  den  andern  Stufen  aus  ganz  treu  nach. 
Sie  construirte  von  g  aus  nicht  mehr  die  mixolydische  oder  von  d  aus  die 
dorische  Tonleiter,  sondern  stellte  hier  wie  dort  die  Verhältnisse  der  jonischen 
treu  her  und  erhöhte  deshalb  dort  f  in  fis  und  hier  f  und  c  in  ßs  und  eis  u.  s.  w. 
Hiermit  waren  die  Angelpunkte  der  Tonleiter,  die  Grenztöne  der  beiden 
Glieder  auch  zu  Angelpunkten  der  Tonarten  und  des  gesaramten  künstlerischen 
Schaffens  gemacht.  Der  wesentlichste  derselben  ist  natürlich  der  Grundton  c, 
die  Bewegung  geht  von  ihm  aus  und  kehrt  zu  ihm  zurück: 

g—a — h  —  c. 

c  —  d—e—f. 

Als  Grundton  der  Tonleiter  und  der  aus  ihm  entwickelten  Gestaltungen  heisst 
er  Tonika;  die  andern  beiden  sind  die  Dominanten;  der  Ausgangspunkt 
des  zweiten  Tetrachords  ist  die  Ober  domin  ante,  kurzweg  Dominant  genannt; 
der  Endpunkt  der  ersten  die  TJnterdominant.  Diese  Dominantbewegung  ist 
das  wesentlichste  Mei'kmal  des  neuen  Systems  und  wie  es  gestaltend  wirkt,  ist 
unter  Musik  formen  nachzulesen. 

Auch  für  die  ältere  Praxis  wurde  diese  Dominantbewegung  bedeutsam,  wie 
in  dem  Verhältniss  der  authentischen  und  plagalischen  Tonarten,  oder  in  dem 
oben  erwähnten  System,  des  versetzten  und  unversetzten,  und  selbst  in  den 
Formen  des  Canon  und  der  Fuge  macht  sie  sich  geltend;  aber  wirklich 
formbildend  ist  sie  erst  geworden,  seitdem  die  Praxis  die  ältere  Construktion 
der  Tonleiter  verliess  und  nur  die  jonische  noch  beibehielt.  Neben  ihr  wurde 
aber  auch  noch  die  aeolische  beibehalten,  die  sich  als  zweites  Geschlecht  in 
der  Musikpraxis  festsetzte.  Dies  zweite  Geschlecht  ist  hauptsächlich  durch  die 
Terz  unterschieden:  jenes  der  joni sehen  entsprechende  bat  die  grosse  Terz 
und  heisst  von  nun  an  das  Durgeschlecht,  und  das  zweite,  der  aeolischen 
Tonart  nachgebildete  hat  dagegen  die  kleine  Terz  und  heisst  das  Mo  11  ge- 
schlecht. Natürlich  vollzog  sich  dieser  Process  nur  sehr  langsam,  das  alte 
System  erhielt  sich  noch  lange,  als  das  neue  bereits  in  der  Praxis  schon  volle 
Bedeutung  gewonnen  hatte.  Mit  dem  Eindringen  des  Volkslieds  in  die  künstle- 
rische Praxis  im  16.  Jahrhundert  gewinnt  es  bereits  entscheidenden  Einfluss, 
aber  noch  im  vorigen  Jahrhundert  schwankte  Theorie  und  Praxis  häufig  noch 
zwischen  alter  und  neuer  Anschauung.  Besondere  Schwierigkeiten  machte  die 
Construktion  der  Molltonleiter.  Für  dieses  neue  System  ist  der  sogenannte 
Leitton  wesentlich  und  so  musste  denn  auch  bei  der  aeolischen  Tonart  als 
Normaltonleiter  für  das  Mollgeschlecht  die  Septime  g  \\\  gis  verwandelt  werden; 
demnach  gewann  die  Tonleiter  folgenden  Gang: 

a  —  Ti  —  c  —  d —  e  —f—gis  —  a. 

Damit  aber  ist  in  dem  übermässigen  Sekundenschritt  f—gis  der  diatonische 
Charakter  der  Tonleiter  geschädigt.  Um  diesen  wieder  herzustellen,  wird  die 
Sexte/"  erhöht,  '\u  ßs  verwandelt: 

a  —  h  —  c  —  d—e  —ßs  — gis  —  a. 

Hierdurch  aber  ist  diese  Molltonleiter  der  gleichnamigen  Durtonleiter  (der 
Ä- dar -TonlQiiQr)  viel  näher  gerückt,  als  der  verwandten,  der  C-dur-Ton- 
leiter;  diese  Verwandtschaft  wird  deshalb  um  so  entschiedener  in  der  abwärts 
gehenden  wieder  hergestellt,  indem  sie  ganz  aeolisch  geführt  wird: 


Systema  durum  —  Szarvady.  57 

a  — g  —f —  e  —  d —  c  —h  —  a. 

In  diesen  beiden  Geschlechtern  ist  für  die  gesammte  moderne  Musik  der  ganze 
Tonreichthum  geordnet.  Dieser  beschränkt  sich  nicht,  wie  bei  dem  griechischen 
System  auf  eine  Reihe  von  etwa  18  Tönen,  die  dann  im  christlichen  Mittelalter 
auf  einige  zwanzig  erweitert  ist,  sondern  auf  sieben  bis  acht  in  regelmässiger 
Wiederholung  gleich  construirte  Octaven,  die  also  unser  gesamrates  Tonsystem 
umfassen.  Die  Eigenthümlichkeit  der  verschiedenen  Tonsysterae  erzeugte  weiter- 
hin die  verschiedenen  Harmoniesysteme,  wie  sie  sich  seit  dem  Beginne  der 
Mehrstimmigkeit  entwickelten.  In  den  betreffenden  Artikeln  ist  nachgewiesen, 
wie  Mehrstimmigkeit  zunächst  ein  Produkt  ist  des  melodischen  Zuges,  der 
diese  ganze  früheste  Ausbildung  der  christlichen  Musik  beherrscht.  Sie  ent- 
stand unzweifelhaft  zunächst  aus  der  Verbindung  ursprünglich  der  einstimmigen, 
einander  nachsingenden  Wechselchöre  (Antiphonen)  zu  gleichzeitiger  Wirkung, 
indem  beide  in  Quinten  oder  Quarten  dieselbe  Melodie  gleichzeitig  oder  ein- 
ander canonisch  nachsangen.  Aus  dieser  Thätigkeit  und  der  dann  weiterhin 
geübten  des  Diskantisirens  erst  hoben  sich  die  einzelnen  Accorde  ab,  die  dann 
von  den  Theoretikern  ebenso  untersucht  wurden,  wie  vorher  die  Töne,  um  sie 
nach  ihrem  Yerhältniss  zu  einander  in  ein  ebenso  bestimmtes  System  zu  bringen 
wie  diese.  Seit  Zarlino  und  Earaeau  sind  eine  nicht  kleine  Zahl  von  Har- 
moniesystemen  versucht  worden,  von  denen  indess  keines  auch  nur  annähernd 
eine  Bedeutung  gewinnen  konnte,  wie  jene  verschiedenen  Tonsysteme  an  sich. 
Für  das  Kunstwerk  hat  das  Harmoniesystem  zunächst  nur  dann  entsprechende 
Bedeutung,  sobald  es  seine  formelle  Gestaltung  klar  darlegt  und  das  wird  nur 
dasjenige  thun,  in  welchem  die  Principien  geltend  werden,  nach  denen  die  Ton- 
leiter zusammengefügt  ist.  Erwähnt  muss  noch  werden,  dass  man  weiterhin 
auch  die  Linien,  deren  man  sich  heute  bedient,  um  die  Stellung  der  Noten 
bei  der  Aufzeichnung  genau  anzugeben,  mit  der  Bezeichnung  System  belegt, 
bestimmter  mit  Liniensystem  oder  Xotensystem  (s.  d.  und  Notenschrift), 

Systema  durnin  oder  regnlare,  im  Tonartensystem  des  16.  Jahrhunderts 
die  natürliche  Construktion  der  Octavengattung  nach  ihrer  ursprünglichen  Ord- 
nung im  Gegensatz  zum 

Systema  moUe  oder  transpositum,  die  durch  Einführung  des  h  nach  der 
Oberquart  versetzte  Octavgattung. 

Syzygia,  eine  harmonische  Verbindung  von  Tönen. 

Syzygia  perfecta,  der  Dreiklang. 

Syzygia  simplex,  der  einfache  Dreiklang,  ohne  Verdoppelung  eines 
seiner  Intervalle. 

Syzygia  composita,  der  vier-  und  mehrstimmig  dargeatellte  Drei- 
klang. 

Syzygia  propingua,  der  Dreiklang  in  enger 

Syzygia  remota,  der  Dreiklang  in  weiter  Lage. 

Szaryady,  Wilhelmine,  geborne  Clauss,  ausgezeichnete  Pianistin,  ist  zu 
Prag  1834  als  Tochter  eines  Kaufmannes  geboren.  Da  ihre  Begabung  für  die 
jVIusik  früh  hervortrat,  vertraute  man  sie  bald  dem  geschätzten  Professor  des 
Ciavierspiels  Proksch  an,  der  mit  aller  Sorgfalt  die  glücklichen  Anlagen  seiner 
jungen  Schülerin  cultivirte.  Schon  1849,  15  Jahre  alt,  konnte  Wilhelmine 
Clauss  ihre  erste  Kunstreise  antreten,  und  zog  sofort  die  Aufmerksamkeit  der 
Kunstkenner  auf  sich.  Das  Spiel  dieser  Künstlerin,  die  eine  brillante  Technik 
besitzt,  zeichnet  sich  vorzüglich  durch  Eleganz  und  Geschmack  der  Auffassung 
aus,  welche  Eigenschaften  ihr  auch  bei  ihren  ferneren  Concertreisen,  die  sie  in 
Begleitung  ihrer  Mutter  unternahm,  bald  Euf  verschafften.  Sie  durchreiste 
Deutschland,  und  spielte  in  Paris  1852  zum  ersten  Male  in  einem  Concert  von 
Berlioz,  das  erste  Concert  von  Beethoven  unter  der  allseitigsten  Zustimmung. 
Zu  ihren  Glanznummern  gehörten,  ausser  klassischen  Werken,  auch  Composi- 
tionen  von  Schumann  und  Transcriptionen  von  Er.  Lizst.    Ein  Jahr  nach  dem 


58  Szekeli  —  Taborowsky. 

Tode  ihrer  Mutter,  die  plötzlich  in  Paris  starb,  unternahm  "Wilh.  Clauss  eine 
neue  Concerttour  durch  Süddeutschlaud,  Ungarn  und  besuchte  London.  Nach- 
dem sie  sich  mit  Herrn  Szarvady  verheiratet,  Hess  sie  sich  dauernd  in  Paris 
nieder.  Von  ihrer  fortdauernden  und  eingehenden  Beschäftigung  mit  der  Kunst 
giebt  nicht  allein  das  immer  mehr  vervollkommnete  Spiel,  sondern  auch  die  Vor- 
führung älterer  fast  vergessener  Stücke  Zeugniss.  Hierzu  gehört  auch  ein  un- 
gedrucktes Concert  von  Philipp  Emanuel  Bach  für  Ciavier,  zwei  Violinen,  Alt 
und  Bass,  von  Mad.  Szarvady  für  Ciavier  allein  arrangirt  und  herausgegeben 
Leipzig,  Barth.  SenfP,  Paris,  J.  Maho. 

Szekeli,  Imre  (Emmerich),  einer  altadeligen  Familie  entstammend,  wurde 
am  8.  Mai  1823  in  Mälyfolva  im  Ugocsaer  Comitat  in  Ungarn  geboren  und 
erhielt  früh  Unterricht  in  der  Musik,  die  er  auch  zu  seinem  Lebensberuf  er- 
wählte, nachdem  die  Uebersiedelung  seiner  Eltern  nach  Budapest  ihm  hierzu 
die  nöthige  Grelegenheit  verschafft  hatte.  1846  ging  er  nach  Paris  und  London, 
der  Tod  seines  Vaters  veranlasste  ihn  jedoch,  in  seine  Heimath  zurückzukehren. 
Nach  einem  abermaligen  Aufenthalt  in  London  wählte  er  1852  Pest  zu  seinem 
bleibenden  Wohnsitz  und  schuf  sich  hier  als  Musiklehrer  einen  grossen  Wir- 
kungskreis. Szekeli  ist  einer  der  bedeutendsten  Pianofortevirtuosen  und  von 
seinen  Compositionen:  Clavierconcerte,  Orchesterwerke  und  Werke  für  Kammer- 
musik, Sonaten  u.  s.  w.  erfreuen  sich  einzelne  besonderer  Beliebtheit,  namentlich 
aber  seine  30  Fantasien  über  ungarische  Volkslieder. 

Szymanowska,  Marie,  geboi'ne  Wolowska,  eine  ausgezeichnete  Pianistin 
polnischer  Abkunft,  gegen  1790  geboren,  war  in  Moskau  eine  Schülerin  Field's. 
Sie  lebte  eine  Zeitlang  in  Warschau,  wo  sie  von  1815  bis  1830  mit  vielem 
Beifall  spielte.  Gleichen  Erfolg  errang  sie  auch  auf  ihren  Kunstreisen  in 
Leipzig,  Wien,  Berlin,  Hamburg  und  Petersburg.  In  der  letzteren  Stadt  starb 
sie  1831.  Es  sind  auch  einige  Compositionen  von  ihr  gedruckt,  als:  r>Douze 
exercices  pour  le  pianov^  (Leipzig,  Breitkopf  &  Härtel).  »Variationen  über  eine 
Bomanze«  (Posen,  Simon).  ■s>Mazurlcas,  danses  nationales  de  ^ologne«  (Leipzig, 
Breitkopf  &  Härtel).     »Gresänge  nach  den  Poesien  von  Micklewicz«, 


T. 

T,  der  blosse  Buchstabe  »t«  wurde  ebenfalls  wie  die  andern  Buchstaben 
des  Alphabets  schon  früh,  um  die  ersten  Tonzeichen  etwas  näher  zu  bestimmen, 
in  Anwendung  gebracht.  In  der  Buchstabenschrift  Bomans  (s.  d.)  Ende  des 
achten  und  Anfang  des  neunten  Jahrhunderts  zeigte  »^«  (»Trahere,  vel  tenere 
dehere  testatura)  an:  dass  man  die,  durch  die  betreffenden  Neumen  bezeichneten 
Töne  etwas  länger  aushalten  soll. 

In  der  Tonschrift  Hugbald's  bezeichnet  T,  an  den  Band  der  Linie  links 
gesetzt,  dass  von  der  einen  zur  andern  ein  Granzton  gemeint  sei  (Tonus). 

T.,  Abkürzung  von  Tasto  (s.  d.),  Tenor  (s.  d.),  Tiitti  (s.  d.). 

Tabala,  die  Pauke  bei  den  Parthern. 

Tabila,  die  Trommel  der  Neger  in  Westafrika,  die,  aus  einem  Stück  aus- 
gehöhlten Baumstamm  bestehend,  welches  auf  den  beiden  offenen  Seiten  mit 
Ochsenhaut  überzogen  ist,  gewöhnlich  bei  ihren  Tänzen  gebraucht  wird. 

Tabl,  auch  Täbl  oderDawul,  eine  Art  paukenähnlicher  Trommel  der  Türken. 

Table  d'harmouie  (franz.),  der  Resonanzboden. 

Taborowsky,  Stanislaw,  Violinvirtuose,  geboren  1830  in  Ki-zemienica  in 
Wolhynien,  kam  jung  nach  Odessa,  wohin  seine  Eltern  übersiedelten.  Er  erhielt 
eine  sorgfältige  Erziehung,  die  mit  dem  Besuch  der  Petersburger  Universität 
ihren  Abschluss  fand.  Die  Musik  hatte  er  ebenfalls  cultivirt  und  gab,  unter- 
stützt durch  die  Kunstfreunde  General  Adam  Rzewuski  und  den  Grafen  Wiel- 
horski   1853   ein  erfolgreiches  Concert,   worauf  er  eine  Kunstreise  durch  Polen, 


Tabourot  —  Tabulatnr.  59 

"WolhyiiieQ,  Ukraine  und  Podolien  unternahm.  Nach  dem  dreijährigen  Besuch 
des  Conservatoriums  in  Brüssel,  wo  ihn  Leonhard  im  Violinspiel  unterrichtete, 
kehrte  er  nach  Russland  zurück  und  concertirte  mit  erhöhtem  Erfolge.  Er 
lebte  erst  in  Petersburg,  später  in  Moskau.  In  den  letztvergangenen  Jahren 
machte  er  auch  erfolgreiche  Concertreisen  in  Deutschland. 

Tabourot,  Jean,  Domherr  von  Langres,  wurde  zu  Dijon  1519  geboren 
und  starb  zu  Langres  1595.  Unter  dem  Namen  Thoinot-Arbeau  veröffent- 
lichte dieser  Greistliche  ein  Buch  über  den  Tanz  unter  dem  Titel  -nOrcheso- 
grapJilev.  (Langres,  1589,  Despreys,  in  4°,  104  Blätter;  zweite  Ausgabe  ebend. 
1596,  in  4").      Es  enthält  Tanzweisen  des   16.  Jahrhunderts. 

Tabulatur  oder  Schulzettel  hiess  bei  der  Zunft  der  Meistersänger  die 
Zusammenstellung  der  besondern  Statuten  der  Genossenschaften,  wie  der  Regeln 
und  Gesetze,  nach  welchen  die  »holdselige  Meistersängerkunst«  geübt  wurde. 
(S.  Meistersänger.) 

Tabulatnr.  Das  "Wort,  von  »tahulaa  =  Tafel  abstammend,  bezeichnete 
früh  eine  Zusammenstellung  der  einzelnen  zur  Ausführung  eines  Musikstücks 
gehörigen  Stimmen  in  der  "Weise  unserer  heutigen  Partitur.  Doch  wurde  es 
wohl  hauptsächlich  für  die  Uebertragung  und  Einrichtung  der  Yocalstücke  zur 
Ausführung  für  die  Laute  oder  für  Ciavier  und  Orgel  gebraucht.  Für  die 
Ausführung  im  Gesang  wurden  die  betreffenden  Tonstücke  nur  in  den  einzelnen 
Stimmen  gedruckt,  die  Mensuralnote  war  in  der  "Weise,  wie  sie  in  der  Praxis 
gebraucht  wurde,  für  eine  solche  Partiturzusammenstellung  wenig  günstig;  wo 
sie  aber  gegeben  wird,  um  die  Schüler  im  Tonsatz  oder  Contrapunkt  zu  unter- 
richten, wie  von  Ornitoparchus  in  seinem  »Mikrolog«  nannte  man  dies  meist 
Spartitur  und  das  Verfahren  »Spartirena.  Intabuliren,  intavolare  ist 
dagegen  wohl  meistens  dann  gebraucht,  wenn  ein,  ursprünglich  für  Gesang 
geschriebener  Tonsatz  zur  Ausführung  für  Orgel,  Ciavier  oder  Laute  in  Par- 
titur zusammengestellt  »abgesetzt«  wurde.  Indess  verfuhr  man  hierbei  nicht 
so  correct,  dass  nicht  auch  Abweichungen  vorkamen,  aber  im  Allgemeinen  scheint 
man  an  dieser  Unterscheidung  festgehalten  zu  haben.  Ging  ja  doch  auch 
schliesslich  der  Name  Tabulatur  auf  die  eigenthümlicheu  Notirungsweisen, 
die  sich  sowohl  für  die  Orgel,  wie  für  die  Laute  abweichend,  und  auch  noch 
in  Italien  anders  wie  in  Deutschland  gestalteten,  über.  Es  entwickelte 
sich  die  Orgeltabulatur  abweichend  von  der  Lautentabulatur  und  diese 
wiederum  in  dreierlei  "Weise,  als  eine  ältere  deutsche,  eine  italienische 
und  eine  neuere  deutsche  Lautentabulatur. 

Die  mangelhafte  Construktion  der  Instrumente  in  den  früheren  Jahrhun- 
derten ihrer  Entwickelung  hinderte  eine  schnellere  technische  Ausbildung  der- 
selben. Ganz  besonders  schwerfällig  war  die  Orgel  gebaut,  sie  vermochte  noch 
lange  nicht  dem  Mensuralgesange  zu  folgen,  und  so  war  es  ganz  natürlich,  dass 
die  Guidonische  Buchstabenbezeichnung  der  Töne  für  die  Orgelpraxis  noch 
lange  ausreichte,  um  den,  von  ihr  geführten  Gantus  firmus  zu  notiren,  und  da  die 
Orgel  gerade  in  Deutschland  grosse  Verbreitung  und  eingehende  Pflege  fand, 
so  bildete  sich  hier  zumeist  zunächst  eine  eigene  Aufzeichnungsweise  in  der 
sogenannten  deutschen: 

Orgeltabulatur,  welche  die  Töne  in  folgender  "Weise  in  deutscher  Cur- 
rentschrift  bezeichnete: 


i^^^pHHgüi^^li^i^ 


"Wie  hier  angegeben,  wurde  die  tiefste  Octave  mit  grossen,  die  nächsthöhere 
mit  kleinen  Buchstaben  notirt,  und  die  höhere  dann  durch  die  Striche  angezeigt: 
daher  rührt  die  Bezeichnung  grosse,  kleine,  ein-,  zwei-  und  mehrgestri- 
chene Octave.     In    der  Begrenzung   der  Octaven  machten  sich  einzelne  Abwei- 


gO  Tabulatur. 

chungen  geltend;  bei  einzelnen  Tabulaturen  wird  sie  von  R—h  gerechnet. 
Die  Organisten  richteten  sich  hierbei  wahrscheinlich  nach  dem  Umfange  ihrer 
Orseln,  Asricola  (in  seiner  »Musica  instrmnentalisd)  führt  sie  auch  von  jP— /; 
unter  der  Aufschrift: 

Die  rechte  Scala  auff  das  Ciavier  der  Orgel  applicirt 
giebt  er  eine  Abbildung  der  Claviatur    mit  den  nachstehenden  Bezeichnungen: 


1 1 

FF  r 

o:^cbeg(Sat)cbcf 
A  7    C    D    E 

g     a    ^     c     b     e     f     g 

ao    ü     cc   bb  ee    ff   gg 

1 

1      1' 

O  es 

•Sä 

O  CS 

':}]^'6:}saS  jCa^japap  uaq'B'^sq^onq  aap 

Wie  hier  angegeben,  stehen  bei  der  grossen  Octave  nicht  selten  an  Stelle  der 
grossen  Buchstaben  kleine  mit  einem  Strich  unterwärts  und  von  der  ein- 
gestrichenen Octave  an  werden  die  Buchstaben  verdoppelt.  Dass  wir  heutigen 
Tages  unsere  Octaven  von   C — c  abgrenzen,  ist  bekannt. 

Als  dann  später  die  chromatischen  Töne  immer  erweitert  Eingang  fanden, 
wurden  diese  durch  ein  angehängtes  Häkchen  angezeigt:  f^  =ßs,  g,  =  gis,  b^  =  dis, 
und  diese  Bezeichnung  galt  auch  für  die  durch  ?  erniedrigten  Töne,  indem  man 
statt  es  —  dis,  also  h^  schrieb,  statt  as  — gis,  also  g^,  statt  des  —  c,,  also  eis. 
Obwohl  nach  Prätorius  r>Syntagma  musictimoi  (1618)  die  Erniedrigung 
des  Tones  auch  durch  ein  aufwärts  gekehrtes  Häkchen  angezeigt  wurde:  b*,  t\ 
g*,  so  blieb  doch  die  oben  erwähnte,  für  die  erhöhten  und  vertieften  Töne 
gleiche  Bezeichnung  die  herrschende  und  noch  im  vorigen  Jahrhundert  finden 
wir  die  5 -Tonleiter  in  derselben  Weise  construirt;  die  Es -dur -Tonleiter: 
dis—f—g—gis  —  h  —  c  —  d—dis  und  noch  Bach  bezeichnet  die  Tonarten  es  oder 
as  mit  dis  oder  gis. 

Nachdem  dann  die  Verbesserung  der  Orgel  auch  allraälig  die  Ausführung 
der  Mensuralmusik  möglich  machte,  musste  natürlich  auch  die  Messung  der 
Noten  angegeben  werden.  Noch  aber  vermochten  die  Orgelspieler  nicht  das 
auszuführen,  was  die  Sänger  möglich  machten,  und  so  ist  erklärlich,  dass  jene 
auch  jetzt  noch  nicht  die  Mensuralnote  annahmen,  sondern  vielmehr  ihre  alte 
Buchstabenschrift  beibehielten  und  die  Mensur  durch  beigefügte  Zeichen  be- 
stimmten; es  waren  dies  folgende,  die  über  die  Buchstaben  gestellt  wurden: 

Eine  Brevis  (|s|)  wurde  durch  einen  Punkt   •    bezeichnet, 
die  Semibrevis  (-^)  durch  einen  senkrechten  Strich  |, 
die  Minima  /A\  durch    N , 

die  Semiminima  Im\  durch    j^, 

die  Fusa  (^\  durch    ^, 
\^>  ^ 

'\ 
die  Semifusa  (?)  durch     ^ . 

Die  Pausen  wurden  dementsj)rechend  in  folgender  Weise  bezeichnet: 

1.  =  7i   (-^lla  ireve), 
_l_  =  ganze  Taktpause, 

r  =  halbe  Taktpause, 

fv  =  Viertelpause, 


Tabulatin 


61 


^  =  Achtelpause, 

J^  =  Sechzehntelpause. 


Da  bei  dieser  Tabulatur  die  Takte  durch  Taktstriche  oder  dadurch  abgegrenzt 
wurden,  dass  man  sie  von  einander  trennte,  so  waren  Zeichen  für  die  Noten 
von  grösserem  Werth  wie  Longa  und  Maxhna  nicht  nöthig.  Um  Töne  von 
längerer  Dauer  herzustellen,  bediente  man  sich  bereits  des  Bindebogens  -— >- 
und  auch  der  Augmentationspunkt  gelangte  dabei  zur  Anwendung.  Folgten 
mehrere  Viertel-,  Achtel-  oder  Sechzehntelnoten  hintereinander,   so  wurden  sie, 

wie  noch  bei  uns  gebräuchlich,  zusammengestrichen,  statt  ^   ^  ^   j^  schrieb  man 
oder  in  flüchtiger  Schreibweise  itü ,  so  dass  diese  Figur  -ffl-f  für 


also  vier  Achtel  gilt.  Im  Uebrigen  werden  die  Stimmen  so  untereinander 
gestellt  wie  in  unsern  Partituren,  nur  dass  man  natürlich  auch  schon  Rücksicht 
darauf   nahm,    dass    sie    auch    bequem   von  den  betreffenden  Instrumenten  aus- 


geführt werden  konnten. 


N        1       1 
1         ^i 

Ach  gott  von 
sieh  darein. 

1 

1 

1    ' 
b  ^ 

1    -1-   -1— 

_i_X_|       ^1 

1-1—1—+  -^f— 1 — 

L      J__L 

:    i-+ 

^gT, 

1 

0  b   c   0 

hymel 

b    c   c 
a 

1 

b   a   g  Je 

1 — h 
b  c 
b 

f  g  a  g  f  « 

a 
D 

II                                tili 

^ 
ii 

b 
G 

a    g 

b 
D     G 

^^l-^~l 

r 

a 
a 
D 

et        b 
G 

1 

a 

0 

D 

T  Ö  ä  f 

b 

D 

1           1 

9 
Gabe 

1                 1 

1                 1 

a  g  T  9 

Dies  Sätzchen  in  unsere  moderne  Notenschrift  übertragen  lautet  so: 


=t 


fe 


=^ 


-j 1 1 g \- 


:*=# 


^^^ 


-g— » 


'^-'It^-:^ 


^^ 


Ei^ 


=)        Ol—  ' 


-^- 


^ 


:t 


-^- 


-^- 


-^- 


Diese  Weise  der  Aufzeichnung  kam  übrigens  auch  für  reine  Vocalsachen  zur 
Anwendung  und  auch  für  andere  Instrumente,  für  die  Laute,  Geigen  u.  dergl. 
Häufig  wurde  sie  mit  der  in  Noten  verbunden,  indem  die  Melodie  in  dieser 
Weise,  die  andern  Stimmen  wie  oben  angegeben  nach  der  Orgeltabulatur  auf- 
gezeichnet wurden.     Agricola  sagt  in  dem  vorerwähnten  Werk: 

Ein  vnterweisung  vom  absetzen: 

Wenn  du  des  nu  alles  hast  einverstant 
So  nimm  zum  ersten  für  dich  den  Discant 


62 


Tabulatur. 


Vud  jhn  ;  wie  folget  mit  Noten  formirt 
Auff  funlF  oder  sechs  linien  notir. 
Doch  also  /  das  allzeit  ein  gantzer  schlag 
Vom  andern  abgesundert  stehen  mag. 
Anft  das  desto  leichter  dich  kömmt  an 
Vnd  subtil  geschätzt  wird  von  jedermann. 
Darnach  setz  den  Tenor  aus  den  Noten 
Inn  Buchstaben  /  das  sei  dir  geboten. 
Also  /  das  des  Tenors  schlag  jnn  allen 
Gleich  unter  des  Discants  Tact  gefallen 
Zum  letzten  den  Bass  auch  jnn  buchstaben 
Vnd  hör  /  wie  dich  mit  jhm  solt  haben. 
Setze  jhn  mit  seinem  Tact  /  wie  ich  zege 
Vnter  des  Tenors  vnd  Discants  schlege. 
Wie  ich  dirs  in  der  Figur  wU  weisen 
Wirstus  merken  /  so  wird  man  dich  preisen 
Ein  solch  absetzen  /  sag  ich  dir  behend 
Magstu  brauchen  auff  alle  Instrument 
Sie  sind  Clavirt  odder  vngeclavirt 
Auff  welchem  man  mehr  denn  ein  stim  führt. 
Jedoch  hat  die  laut  ein  ander  gestalt 
"Welches  im  sechsten  Capitel  wird  vorzalt. 

"Wir  lassen  ein  Beispiel  aus  Arnold  Schlick's  »Tabulaturen  Etlicher 
lobgeseng  und  liedlein  vff  die  orgeln  und  lauten  etc.«  (getruckt  zu  Mentz  durch 
Peter  Schöifern  Yff  sanct  Matheis  ahent.  Anno  M.  d.x.  ij.  [1512])  folgen: 


Maria  zart. 


— b 


-s- 


;i^v^ 


vi4 


:^=?: 


-l4 


i 


Öi^E$ES3Efe|3 


leä 


■--tv 


^ — 


^^± 


\     » 


a 


a      h 


f  ^b    c 


;ir 


^- 


3^ 


3E 


N     N     S     N 


agabc      cbcbcbago 


^    r    ^    >    >    ?^    P    ^    I      1 
f     e     f    b     f     e     f     g     0      f 


N        N        N        N        N 

^       ^       ,is       j?       |iv 

e    f     c     b    c 


In  unsere  Notenschrift  übertragen  lautet  der  Satz: 


\ 


te3f: 


4= 


Tabiilatnr. 


63 


Diese  Weise  der  Aufzeichnung  hatte  sich  aus  der  ällmälig  allgemeiner  werden- 
den Gesangspraxis,  nach  welcher  die  eine  Stimme  gesungen,  die  andern  aber 
(»auf  der  Laute)  gezwickt«  wurden,  entwickelt. 

Die  Lautenisten  erfanden  daneben  eine  andere,  dem  Instrument  ent- 
sprechendere, die  sogenannte 

Lautentabulatur.  Die  Laute  ist  bekanntlich  ein  Saiteninstrument  wie 
unsere  Guitarre,  doch  mit  einem  grössern,  mehr  schildkrötenartigen  Klang- 
körper und  wie  diese  mit  einem.  Griffbrett  versehen,  auf  dem  durch  Quer- 
leistchen, die  sogenannten  Bünde,  die  Griffe  für  die  Halbstufen  abgetheilt 
sind.  Der  Saiten,  Chöre  genannt,  weil  mehrere  des  vollem  Klanges  wegen 
doppelt  bezogen  wurden,  hatte  das  Instrument  ursprünglich  vier,  im  15.  Jahr- 
hundert fünf;  später  kam  noch  eine  sechste  tiefere  hinzu,  der  Grossbrummer. 
Diese  waren  von  der  Höhe  nach  der  Tiefe  in  folgender  Ordnung  gestimmt: 


1.  2.         3.         4.         5.         6. 

Quart.  Quart.  Gr.  Terz.  Quart.  Quart. 


und  zwar  nach  Sebastian  Wir  düng*)  in  den   Tönen 

5  4  3  2  1  ' 


^ 


3 


a  e  li  g  D 

nach  Martin  Agricola**)  einen  Ton  tiefer: 

5  4  3  2  1 


^ 


g 


c 


G 


die  leeren  Saiten  wurden  nur  durch  Zahlen  bezeichnet  und  zwar  von  der  tief- 
sten beginnend  wie  oben  angegeben.  Die  Tabulatur  ist  für  die  fünfsaitige 
Laute  zunächst  erfunden,  welcher  der  »  Grossprummer  fehlt,  deshalb  wurde 
der  Mittelprummer  mit  1  bezeichnet,    und    als  dann  die  noch  tiefere  hinzu- 

A 

gesetzt  wurde,  versah  man  zu  ihrer  Bezeichnung  die  1  mit  einem  Dach  1 . 
ÄYeiterhin  wurden  dann  die  Griffe  mit  den  Buchstaben  des  Alphabets  be- 
zeichnet, der  erste  auf  der  tiefsten  Saite  der  fünfsaitigen  Laute  mit  a,  der 
erste  auf  der  nächsthöhern  mit  6,  der  erste  auf  der  nächsten  Saite  mit  C,  wie- 
derum der  erste  auf  der  nächsten  mit  e  und  der  erste  auf  der  höchsten  mit  f 
und  in  dieser  Weise  wurden  im  Alphabet  fortlaufend  die  zweiten  Griffe  und 
dritten  u.  s.  w.  auf  den  verschiedenen  Saiten  bezeichnet,  wie  in  nachstehender 
Tabelle  angegeben  ist.  Nachdem  in  dieser  Weise  das  Alphabet  verbraucht  ist, 
beginnt  man  wieder  von  vorn,  aber  die  Buchstaben  werden  nun  verdoppelt. 
Zur  Bezeichnung  der  Griffe  auf  der  nachträglich  zugesetzten  tiefsten  Saite 
wurden  die  entsprechenden  Buchstaben  der  nächsthohen  Saite  gewählt,  aber 
als  grosse.  Folgendes  Schema  enthält  die  Bezeichnung  und  zeigt  in  der 
Klammer  (  )   den  betreffenden  Ton. 


*)    Musica  getatscht  (Basel,  1511). 
**)     Musica  instrumentalis  (Wittenberg,  1522). 


64 


Tabulatur. 


Gross- 
prummer. 


Mittel- 
prummer. 


Clain- 
prummer. 


Gross- 
sancksait. 


Clain- 
sancksait. 


Quint- 
sait. 


i  (A) 

1   (d) 

2  (g) 

3  (h) 

4  (7) 

5   (7) 

2t  (b) 

a  (dis) 

b   (gis) 

c  (7) 

b  (T) 

e  (7) 

g  (ii) 

f  (e) 

9  (a) 

^  (eis) 

t  (fis) 

!  (7) 

S  (c) 

t  (f) 

m  (b) 

tt  ("d) 

0  (g) 

P  (^) 

O  (eis) 

q   (fis) 

r  (h) 

f  (dTs) 

t  (gTs) 

Ü  (eis) 

X  (d) 

l  (g) 

5  C"^) 

ä  Ö 

z  (a) 

9   (7) 

5ta  (dis) 

aci  (gis) 

bb   (eis) 

cc  (T) 

•bh  (b) 

ee  (dis) 

Sf  (e) 

ff  (a) 

99  (d) 

^  (fi^) 

ii  (h) 

«S 

«(0 

Auch  diese  Art  der  Aufzeiclinung  wurde  mit  der  in  Noten  verbunden, 
wenn  die  eine  Stimme  gesungen,  die  andern  »gezwiekt«  werden  sollten,  wie  in 
dem  folgenden  Beispiel  aus  Arnold  Schlick*)   pag.  61, 

Hertzliebstes  pild. 


£5^^Efcz^^ 


3S: 


:ss 


^ 


:^ 


I 


\  N   N 


^1^4  1^  5 


D      i^ 


r  b  ^ 


22grcrgI2bfi       2fI4       2 
Dieser  Satz  lautet  in  unsre  Notationsweise  übersetzt  so: 


N     \    \     \ 

r     1^     1^     r 


S   1    f   I   f   I    2 


m 


"gy 


-^—&- 


-=)- 


i 


^^=W- 


-»—*- 


-^\r- 


-ß—&- 


-4- 


t=pi 


-:tE: 


4= 


EBE^= 


-f=- 


p 


-P2_ 


r- 


tz=\i: 


:^EÖ 


Diese  allgemeinen  Bestimmungen  wurden  noch  durch  die  Meister  des 
Lautenspiels  ergänzt,  wie  durch  Hansen  Gerle  den  Aeltern,  der  in:  »Ein 
Newes  sehr  künstlichs  Lautenbuch,  darinnen  etliche  Priambel  (vnd  Welsehe 
Tentz  /  mit  vier  stimmen  /  von  den  berümbstesten  Lautenisten  /  Francisco 
Milaneso.  Anthoni  Rotta.  Joan  Maria  Rosseto.  Simon  Gintzler  vnd  andern 
mehr  gemacht  vnd  zusammen  getragen  /  aus  welscher  ihn  teutsche  Tabelatur 
versetzt  durch  Haussen  Gerle  den  Eltern  /  Burger  zu  Nürnberg  vormals  nie 
gesehen  /  noch  im  Truck  ausgegeben.     MDLII«. 


*)     Tabclatureu  Etlicher  Lobgeseng  und  Liedlein  pag.  56:  „Hienacli  fahet  an  Tabe- 
latur vff  die  Lauten.     Ein  stim  zu  singen  die  andern  zu  zwikken." 


Tabulatur. 


65 


nach  dem  Vorwort  einen: 
»Vnterricht  von  etlichen  griffen  wie  man  die  greiffen  sol«  giebt: 

»Welcher  nun  lust  vnd  liebe  hatt  /  der  lerne  die  nachfolgenden  griff  woll  / 
dan  sie  sind  sehr  dienstlich  zu  diesem  Buch  /  du  must  den  zeigfinger  wol  in 
brauch  bringen  das  du  in  vberzwerch  auff  den  Laudtenkragen  legst,  das  er 
zwei  buchstaben  oder  drei  greiff,  wie  sichs  dann  wirdt  begeben  in  den  Preambel. 

Ich  hab  die  Buchstaben  vnd  ziffer  /  mit  pünktlein  oder  düpfelein  ver- 
zeichnet /  damit  du  weist  wie  man  greifien  soll,  der  zeigfinger  hat  ein  düpf- 
lein  •  /  der  mittelfinger  hat  zwei  düpflein  :  /  der  goltfinger  hat  drey  •  J  der 
klein  finger  viere   :  / 

Ich  muss  auch  anzeigen,  dass  ich  den  grossen  oder  obern  brummhart  mit 
zifern  auf  dem  Kragen  verzeichne  also  123456789  damit  du  weist 
zu  greifen. 

Nun  hab  ich  dir  die  Klauseln  auch  verzaichnet,  da  mustu  abweg  den  zeig- 
finger /  aufi"  dem  kragen  vberzwerch  stilhalten  /  in  dem  bundt  /  so  da  der 
buchstab  mit  dem  sternlein  *  jnnen  steht,  bis  die  klausein  aus  ist  also  mustu 
in  den  Preambeln  vnd  tentzen  auch  thun,  wenn  eine  colloratur  in  einem  schlag 
ist.«  Diese  Clausein  sind  die  verzierten  einfachen  Schlüsse  in  verschiedenen 
Tonarten,  in  folgender  "Weise: 


1) 


c  ':  e 


2) 


!   e   ü  e 


*£ 


t 
n 
"3 


R    F 


5 


g  b   !   ü 


9 
b 

1 


3) 


n 


4) 


ä  :  t        5   t    c    t       5 
r  i  c 

*f  9 


\ 


1) 


3 
2 

f 

3) 


1- 
*3 


fi^^^fe 


f5^i' 


4) 


^- 



^- 

— r^^ 

I^H r-H— 

^ 

•  *8-  * 

trr> 

g^ 

:^^ 

f^ 

Dass  diese  Tabulatur  auch  für  die  andern  Instrumente  Anwendung  fand, 
ersehen  wir  aus  Gerle's:  -nMusica  Teusch  auf  die  Instrument  der  grossen 
und  kleinen  Geygen  auch  Lautten  etc.«  (Nürnberg,  1532). 

Mu£ikal.  CoQTers.-LexikoQ.    X.  ^ 


66 


Tabulatur. 
Herr   Jesu    Christ. 


Discant. 


^^ 


:=t=l: 


-g^ — g^ — g=i- 


:* 


-jzäz 


nji 


-^^—■ä — ^      gs 


3: 


=4 


i^ 


^a 


r  r  r-'i    n  n    n  nn    n=  n  n  i 

b      b     b      4ttnc      n     bbo5      oobobb4b 


__j__^^__^___j_-_j_ 


-c^       ci       c^ ^ — ^ 


-S=^ 


H— -j- 


les — g^ 


:* 


r  r    n     n 

b       b     b  0    0 


-St— g 5^- 


I    i  R— n    I      i    ^1  R    ^1  I    1 

oppeÖOb      5    44nnnc 


:=t 


-^- 


-^- 


=PI= 


4      9  9 


F=r 

e   e 


bb 


Wie  schwerfällig  auch  diese  Lautentabulatur  war,  die  Lautenisten  hielten 
doch  mit  grosser  Zähigkeit  an  ihr  fest,  ausser  dem  genannten  Gerle  haben 
noch  Sebastian  Ochsenkuhn  (s.  d.),  "Wolf  Heckel  von  München,  Bürger 
zu  Strassburg  (1552),  Melchior  Newsiedler  (s.  d.)  und  mehrere  Andere 
solche  Tabulaturbücher  veröffentlicht. 

In  Italien  hatte  man  ein  einfacheres  Verfahren  eingeschlagen.  Die  ita- 
lienische Lautentabulatur  ist  gleichfalls  mit  besonderer  Berücksichtigung 
der  Technik  des  Instruments  erfunden.  Durch  ein  System  von  sechs  parallel 
laufenden  horizontalen  Linien  stellte  man  die  sechs  übergreifenden  Hauptsaiteu 
des  Instruments  dar  und  auf  diesen  Linien  wurden  die  Griffe  durch  die  Ziffern 

0123456789  X(10)  X(ll),  X(12)  angezeigt,  wie  aus  nachstehender 
Tabelle  ersichtlich  ist: 


a 

8 


-eis- 


-dis- 


-f 


H-s- 


ns- 


-a- 


-dis- 


4- 


-giS- 


-V 


-gis- 


-f- 


-a^ 


-öS- 


-li-s- 


-ei-s- 


-äi*- 


^^ 


4- 


Ss- 


-gl-S- 


-gm- 


^IrS- 


-a- 


-Ss- 


-ll- 


-E- 


3 


-eis- 
4 


Ai^ 


8 


X 


-€t- 


X        X 


"Wir  haben  hier  zugleich  gezeigt,  welche  Töne  durch  die  so  bezeichneten  Griffe 
erzeugt  werden;  bei  der  Notirung  in  dieser  "Weise  wurde  nur  der  Griff  durch 
die  unten  verzeichneten  Zahlen  auf  der  die  betreffende  Saite  vertretenden  Linie 
angegeben.  Diese  wurde  auch  nicht  wie  hier  angegeben  ist,  mit  den  Buch- 
staben bezeichnet,  sondern  durch  die  Null.  Die  obere  Linie  galt  für  die  tiefste 
Saite  A,  sollte  diese  leer  gebraucht  werden,  so  schrieb  man  eine  Null  auf  diese 
erste  Linie;  JB  wurde  dann  mit  1,  IT  mit  2,  c  mit  3  auf  derselben  Linie  be- 
zeichnet; sollte  der  Lautenist  e  mit  leerer  Saite  angeben,  so  schrieb  er  eine 
Null  auf  die  vierte  Linie,  im  andern  Falle,  wenn  dies  e  durch  einen  Griff  er- 
zeugt werden  sollte,  die  9  auf  die  dritte  Linie  von  oben  u.  s.  w. 

Der    Gesang   eines    mit    der  Laute    begleiteten  Liedes  aus  dem  ersten  ge- 
druckten Lautenwerke  von  Petrucci  (Venedig,  1509):  r>Tenori  e  contrabassi  in- 


Tabulatur. 


67 


tahulati   col    so^ran    in    canto  figurata  per   cantar  e  sonar  col  lauto  libro  primo. 
Fransisci  Bossinensis  opusn  steht  als  Beispiel  hier. 


-fr 


^   f 


Af-flitti    spirti  miei       siate  con-ten-ti: 

r  ^  h^  r  r  r  r  r  r  r  i 


-e — 7t- 


3  1  0- 


-e-2r 


-3-2r- 


-fr^ 


Klingt  in  der  Ausführung: 


^E^ 


T=^= 


i^^li: 


-f==- 


3^ 


• 

0 

1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

X 

X 

a 

b 

c 

d 

e 

f 

o 

h 

i 

k 

1 

m 

Auch  die  französischen  und  niederländischen  Lautenisten  nahmen 
dies  System  der  Linien  an,  aber  sie  wählten  anstatt  der  Ziffern  die  Buch- 
staben des  Alphabets,  um  die  Griffe  anzuzeigen,  sie  bezeichneten  die  leeren 
Saiten  statt  mit  0  mit  a,  den  ersten  Griff  statt  mit  1  mit  b,  den  zweiten  statt 
mit  2  mit  c  u.  s.  w.,  so  dass  sich  beide  Tabulaturen  in  ihren  Verhältnissen  so 
darstellen: 

Zahlen  -  Tabulatur 
der  Italiener: 
Buchstaben-Tabulatur 
der  Franzosen  und  Niederländer:      abcdetcpjiik     Imn 

Seit  dem  Anfange  des  17.  Jahrhunderts  wurde  dies  System  auch  in  Deutsch- 
land vorherrschend.  Selbstverständlich  ist  bei  der  Entzifferung  solcher,  in 
Lautentabulatur  gesetzter  Tonsätze  die  Stimmung  der  Laute  zu  berücksich- 
tigen. "Wie  bereits  erwähnt  ist,  wurde  sie  im  16,  Jahrhundert  häufig  einen 
ganzen  Ton  tiefer  gestimmt,  in  G  —  c—f—a  —  d—g',  demgemäss  stellt  sich 
auch  das  ganze,  im  vorigen  Beispiel  gegebene  Tonsystem  einen  ganzen  Ton 
tiefer  dar.  Ferner  ist  noch  zu  erwähnen,  dass  die  Niederländer  und  Fran- 
zosen ebenso  wie  die  Deutschen  insofern  abweichend  von  den  Italienern 
notiren,  als  sie  die  tiefern  Linien  auch  für  die  tiefern  Saiten  an- 
nahmen und  dementsptechend  selbstverständlich  die  höhern  Linien 
für  die  höhern  Saiten: 


a 


2-d-|— dfe 


3-ar 


5-& 
6 


i^ 


iS- 


-eis- 


7-F 


C 

-a- 


-Är 


a 


^ 


e 


f    g_   k   i   i 


-^^ 


-€1S- 


-M- 


-f 


-eis- 


-di* 


-^s- 


-eis- 


-a- 


^i 


is- 


eis- 


-§i-s- 
-dis- 


-f 


-G — I 


-dis 


+ 


"Wieder    haben    wir    hier  zugleich  die,  durch  diese  Tabulatur  festgesetzten 
Töne    angegeben;    bei    der  Aufzeichnung   verfährt  man  ganz  in  der  früher  be- 

5* 


68 


Tabulatur. 


schriebenen  "Weise;  soll  die  leere  ^- Saite  genommen  werden,  so  schreibt  man 
a  auf  die  oberste  Linie;  h  wird  dort  mit  dem  dritten  Griff  genommen,  mitbin 
setzt  man  den  Buchstaben  d  auf  die  oberste  Linie,  wenn  man  ihn  haben  will; 
oder  auch  i  auf  die  zweite  (von  oben)  u.  s.  w. 

Hier  ist  zugleich  auch  angedeutet,  wie  die,  nach  der  Tiefe  allmälig  zuge- 
setzten Saiten  bezeichnet  wurden.  Ausser  dieser  siebenten  Saite  F  setzte  man 
später  noch  eine  achte  E  und  neunte  D  und  zehnte  C  und  elfte  3  und 
zwölfte  G  zu  und  ging  auch  noch  tiefer  bis  S  B  A.  Diese  tiefsten  Saiten 
lagen  gewöhnlich  von  D  an  ausserhalb  des  Gi'ifil)retts,  so  dass  nur  der  eine 
Ton,  in  dem  jede  gestimmt  war,  verwendet  werden  konnte,  höchstens  noch  der 
darüber  liegende  Halbton,  der  mit  dem  Daumen  gegriffen  werden  konnte. 

Zur  näheren  Erläuterunor  fol^t  hier  ein  Präludium  von  Besardus  aus: 
■»Thesavrvs  Harmoiiicos  divini  Lavrencini  Romani,  nee  non  praesfantissimorvm 
mvsicorvm,  qvi  hoc  secvlo  in  diversis  orbis  partihvs  excellvnt,  selectissima  omnis 
generis  canfvs  in  tesdvdine  modvlamina  continens  —  per  Joannem  Baptistam  Be- 
sardvm  Yesontinvm  artivm  liheralivm  excultorem,  et  musicis  peretissimvmn  (Colo- 
niae  Agrippinae,  excudebat  Gerardus  Greuenbruch,  sumptibus  authoris,  anno 
redemptionis   1603). 


-cTr— eL- 


-d— ä-d. 


^a^ 


^:-^^ 


^ 


^-^ 


-A—^ 


^a- 


-ar%- 


-ct-e-ar- 


-ar- 


-4-f^ 


-a-e — Vb-M- 


^a- 


ß         P 


-d-b- 


-är-«-a — cUdd-e-a^-e- 


-dr-Vc-h- 


-i-6-l-dr 


-a- 


-¥ 


-\. 


4-^ 


-tta- 


-xb- 


rj  l 


U 


-^^ 


a- 


4-^ 


.ä^_^d- 
— a — d:- 


-a ct- 


a^- 


-e-5.- 


l 


Ä^a- 


-4- 


f-^ 


-cfe- 


-a^ 


f\ 


-a- 


-N-ä-f 


/TN 


^i — ^clrb-a 

dr^ d^ar- 


^v& 


^i-e-dr 


e-ar- 


-cfc a-fi-ar- 


-drC-ci — arG-c — c-e cUe-a 

d: äre-a- 


Entzifferung:    Hierbei  ist  zu  erwähnen,    dass   die  Laute  bei  Besardus  die 
höhere   Stimmung  hat:  A  —  d—y  —  h  —  e  —  a. 


^^S^S 


33E3E 


* — ß- 


:-^i=t=t=r 


t=t: 


«         4 


iu=. 


i, 


:t33E 


£ 


Tabulatur. 


6Ö 


^ 


f^~     l^i^     ^<^     K=!     1^^     S^ 

13 -— - 


Auch  für  diese  erweiterte  Laute  wurde  die  ursprüngliche  Tabulatur  für 
die  sechssaitige  Laute  beibehalten.  Die  hinzutretenden  Basssaiten  bezeichnete 
man  unter  dem  Sechsliniensystem  mit  a  und  zwar  die  siebente  mit  a,  die  achte 

mit  a,  die  neunte  mit  a,  die  zehnte  mit  a,  die  ferneren  mit  Zahlen,  die  elfte 
mit  4,  die  zwölfte  mit  5,  die  dreizehnte  mit  6  und  die  vierzehnte  mit  7.  In 
der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  war  die  Stimmung  auch  eine  andere 
geworden,  so  dass  die  ganze  Tabulatur  folgender  "Weise  sich  darstellte: 


a 

1  f 

2  d 

3  a 

'    f 

5  d 

6  A 

1  Ga 

gisl) 

fisa 
9E  = 

10 

11 

12 


1»     c[rJ)d.    e    f    g     i  _i    ^  1     B   B 
fis  I  g  I  gis  I  ä  I  "15^-p^  I  "c  I  ci-s  I  ST  1 3i-s  i  ^  i  Y~ 


^AS- 


^ 


1* 


■dis- 


3- 


4is^ 


fe 


-H- 


-^ 


msr 


^ 


4 


IS- 


Ns- 


tas- 


Nts- 


€15- 


^ 


^ 


ii_lK.si_a-ißi-s-U4-LB^4t 


-^ 


^ 


W^ 


4** 


n& 


dis- 


eis- 


^i- 


-ar- 


-d- 


«* 


^is- 


ms- 


fi^ 


lis- 


«.* 


4i* 


-f 


eis- 


g-is^ 


€iS- 


31S- 


Bä 


(T)isl) 


ÜA 


AI 


^ 


/F-B.->j 


-a- 


4- 


Die  Bezeichnung  des  Zeitwerths  der  einzelnen  Töne  blieb  dieselbe,  nur 
mit  dem  Unterschied,  dass  die  sämmtlichen  Zeichen  um  die  Hälfte  ihres  Werths 
reducirt  sind:  |  steht  für  eine  Viertelnote,  [^  für  ein  Achtel,  und  dies  nahm 
allmälig  diese  Gestalt  an  J '  und  bei  den  folgenden  Noten  von  geringerem 
Werth  werden  die  Fahnen  zusammengezogen  Jj  oder  J§  u.  s.  w.  Statt  c  wählte 
man,  der  häufigen  Verwechslung  mit  e  wegen  später  wie  oben  angegeben   „^^". 


70  Tabulatur. 

Darnach  wurde  die  ganze  Tonleiter  in  folgender  "Weise  bezeichnet: 


In  Noten- 
schrift. 


Lauten- 
tabulatur. 


Si 


LV^- 


wwWwW^^^ 


I     I 


ff^t4i  =  §saiai  «-^--'^ 


-€/r 


-i-W^^-är- 


L*_flA 


I 


-a-.a>    •  g» — *- 


i 


-^?-*-  T^ 


jj-«    » 


•  -tt*    »y 


-ÖSr- 


h5— v^ 


"^   ^  >f  B  '^  ^    A^^ 


-9rh-^ft- 


-^£iL 


-O- 


13=^^1=^ 


-eer- 


:5:^ 


Im    vorigen  Jahrhundert    hatte    die  Laute    in    der  Regel   die   nachstehend 
verzeichnete  Stimmung: 

Saiten  neben  dem  Griffbrett. 


Bezeichnung  der 
13  leeren  Saiten. 


Klane 


J& 

— 

«-      II 

n         "^                 1 

/IT 

/y 

* 

' 

5" 

«- 

r       ^f       =     =      ^ 

F       « 

•         -f 

_  » 

'^* 

i 

^ 

F           1 

t)  • 

1        «      r             1 

^11                    1 

^ 

al 

1 

I 

\               _ 

; 

• 

:      S 

t       J 

h      J-       • 

1 

Die  sieben  Saiten  neben  dem  Griffbrett  konnten  nur  als  leere  benutzt 
werden  und  mussten  deshalb,  je  nach  der  Tonart,  umgestimmt  werden.  In  der 
nachstehenden   Z)-?noZ^-Sonate  steht  deshalb  vor  5   ein  h. 

Wir  geben  nachstehend  den  Anfang  einer  Sonate  für  Violine  und  Laute 
von  F.  AV.  Rust  (1791): 


Ällegro  maestoso. 


Violine. 
Laute. 

Stimmung : 

Uebertragung 

in 
Notenschrift. 


^ 


^ f^ 


-^- 


J 


ZTi ^ 

-p &r 


-vt- 


- — \ 


m 


j-j  t 


-€ ?^aE — 

-€6 r-T^^ 


^^ 


-€-e- 


y  T 


'S  = 

a. 


-{fr- 


(^ 


r 


M 


^5. 


T  T 


-€ — e- 


ct 


a. 


a,  a. 


aa     s 


i 


w 


E 


^4- 


122: 


<tjl  fi 


Vt 


^ 


123: 


S 


"IXT 


® 


3Z^ 


^ 


4-^ 


-ä^ 


?* 


*^«'  — 


?f^ 


-•-•- 


^3 


i^t 


hi 


Tabulatur. 


71 


ta-no 


Ausserdem    hatten    die    Lautenisten    bereits    einige  Spielmanieren,    die  sie 
mit  folgenden  Zeichen  andeuten: 

- —  Einfallen,  '     ~  Abziehen,   )   Triller,  {J  und    x   Bebungen  oder  Schwebungen. 

Einfallen  und  Abziehen  der  Töne  erklärt  Baron  (»Untersuchung  des  Instru- 
ments der  Lauten«  pag.  167)  dahin:  »Das  Schleiffen  der  Töne,  welches  man 
kunstmässig  Einfallen  und  Abziehen  heisst,  kommt  auf  den  Lauten  sehr 
naturel  und  singend  heraus,  und  bestehet  das  Wesen  eines  Einfalls  darinnen, 
dass  man  von  einem  Thon,  welcher  noch  klingend  ist,  eine  Seconde,  Tertz  etc. 
höher  mit  dem  andern  oder  vierdten  oder  kleinen  Finger  fällt,  ohne  diesem 
Buchstaben  speciellement  anzuschlagen.  Beim  Abziehen  statuirt  man  das  Con- 
trarium  und  zieht  von  höhern  Tönen,  wenn  sie  nachklingen,  auf  niedrigere  den 
Einger  ab.     Beyderseits  Manieren  aber  werden  also  bezeichnet: 


-&r- 


-^ 


-K^ 


:2^:X 


Neben  diesen  Tabulaturen  waren  die  erwähnten  Spartaturen  auch  für  die 
Orgelspieler  im  Gebrauch;  Froberger  schrieb  sogar  jede  seiner  Stimmen  auf 
besondere  fünflinige  Notensysteme.  Bei  andern  Orgelbüchern  des  17.  Jahrhun- 
derts finden  wir  das,  im  Artikel  Partitur  beschriebene  Zehn-Liniensystem, 


72  Tabuni  —  Tace. 

auf  dem  die  Stimmen  mit  verscliiedenen  Schlüsseln  und  in  verscliiedenen  Farben 
geschrieben,  zusammengezogen  wurden.  Einzelne,  wie  Prätorius  in  nSyntagma 
musicum«  theilten  dann  diese  zehn  Linien  in  zwei  Fünf-Liniensysteme,  in  un- 
serer "Weise  und  schrieben  auf  das  obere  den  Part  für  die  rechte,  auf  das 
untere  den  für  die  linke  Hand  in  derselben  Weise,  wie  das  heute  noch  geschieht. 
Diese  Praxis  befolgte  auch  Claudio  Merulo  und  nach  ihm  andere  italienische 
Orgelmeister. 

Anfang  des  17.  Jahrhunderts  kam  noch  eine  Art  Orgel-Tabulatur  in 
Anwendung,  die  bei  uns  unter  dem  Namen  Greneralbassschrift  bekannte 
Weise  der  Notirung  durch  einen  bezifferten  Bass,  welche  man  in  Deutschland 
gewöhnlich  als  »italienische  Tabulatur«  bezeichnete.  (S.  Greneralbass 
und  Orgelstimme.) 

Tabuni,  auch  Psalterion  genannt,  ein  Instrument  der  alten  Egypter,  das 
Kinnor  der  Hebräer  und  die  Lyra  der  Griechen.  Villoteau  (in:  y>Descnption 
de  VEgypte<i)  giebt  nähere  Nachrichten  darüber. 

Taccliinardi,  Nicolas,  ausgezeichneter  Sänger,  geboren  zu  Florenz  am 
10.  Septbr.  1776,  war  erst  für  den  geistlichen  Stand  bestimmt,  wollte  aber  aus 
Neigung  Maler  werden.  In  der  Musik  vom  elften  Jahre  an  unterrichtet, 
erwählte  er  schliesslich  diese  Kunst  zu  seinem  Lebensberuf  und  nahm  im 
Theaterorchester  zu  Florenz  eine  Stelle  als  Violinist  an.  Als  aber  seine 
Stimme  sich  als  ein  höchst  klangvoller  Tenor  erwies,  verwendete  er  auf  die 
Ausbildung  dieser  alle  Sorgfalt;  hierbei  wurde  der  berühmte  Tenorist  Babini 
sein  Vorbild.  Seine  ersten  Erfolge  fand  er  auf  dem  Theater  zu  Livorno  und 
Pisa.  Er  sang  dann  in  Florenz,  Venedig  und  Mailand,  in  der  letzteren  Stadt 
mit  den  Damen  Fesca  und  Strinasacchi,  später  sang  er  auch  in  Rom.  Hier 
erwachte  seine  alte  Liebe  zur  plastischen  Kunst  durch  die  Bekanntschaft  mit 
Canova,  der  auch  seine  Büste  angefertigt  und  in  dessen  Atelier  er  sich  mit 
der  Bildhauerei  beschäftigte.  1818  betrat  er  im  Theatre  de  l'Odeon  vor  den 
Parisern  zum  ersten  Mal  die  Scene,  und  diesen  schien  anfänglich  seine  für 
eine  Theatererscheinung  nicht  gerade  günstige  Körperbildung  mehr  noch  als 
seinen  Landsleuten  aufzufallen.  Er  hatte  hohe  Schultern  und  einen  kurzen 
Hals.  Doch  die  ausgezeichnete  Schule  und  seine  schöne  Stimme  Hessen  auch 
hier  alles  Uebrige  in  den  Hintergrund  treten  und  machte  ihn  für  eine  Zeit 
lang  zum  Liebling  des  Publikums.  1814  kehrte  er  zunächst  nach  Italien 
zurück  und  besuchte  abermals  die  Hauptstädte,  wurde  vom  Herzog  von  Toskana 
als  erster  Sänger  engagirt,  jedoch  mit  der  Berechtigung,  zu  reisen.  Diese  be- 
nutzte er  denn  auch,  indem  er  Spanien  besuchte  und  in  Barcelona,  ziemlich 
50  Jahre  alt,  noch  sang.  1831  verliess  er  das  Theater  gänzlich  und  lebte  bei 
Florenz  auf  seinem  Landhause,  wo  er  sich  mit  der  Ausbildung  von  Gesang- 
schülern beschäftigte.  Für  Letztere  Hess  er  sogar  zu  ihrer  Uebung  in  der 
Darstellung  ein  kleines  Theater  in  seinem  Hause  aufstellen.  Mit  zu  seinen 
vorzüglichsten  Schülern  gehören:  die  Frezzolini  und  seine  Tochter  Fanny, 
Mad.  Persiani.  Von  den  Gesangstudien,  die  er  geschrieben,  ist  in  mehreren 
Auflagen  gedruckt:  r>DelV  Opera  in  musica  sul  teatro  italiano  e  suoi  difetti.'i 
T.  starb  zu  Florenz  im  Januar   1860. 

Tace,  Tacet,  Taci  =  man  schweige,  zeigt  an,  dass  das  Instrument,  in 
welchem  dies  "Wort  steht,  während  des  so  bezeichneten  Abschnitts  schweigt. 
Bei  mehrsätzigen  Tonwerken,  die  für  eine  grössere  Anzahl  von  Instrumenten 
oder  auch  Singstimmen  geschrieben  sind,  werden  in  der  Eegel  nicht  alle  aus- 
führenden Organe  bei  jedem  der  Sätze  verwendet.  Bei  Vocalmessen  wechseln 
vier-  und  mehrstimmige  Sätze  mit  drei-  und  selbst  zweistimmigen.  Folgt  in 
einer  vierstimmigen,  für  gemischten  Chor  geschriebenen  Messe  dem  ersten  Satze 
nKyrie  eleison»,  ein  dreistimmiges  i>Ghriste  eleisona  als  zweiter  Satz  viel- 
leicht für  Alt,  Tenor  und  Bass,  so  schreibt  man,  wenn  man  es  nicht  vorzieht, 
die  Pausen  anzugeben,  in  die  Sopranstimme:  y>C7iriste  eleison  tacet«.  Bei  Sin- 
fonien für  Orchester  lässt  man  beim  Adagio  oder  im  Scherzo  häufig  Posaunen 


Tacioso  —  Tactarten.  73 

und  Trompeten  schweigen,  und  dann  wird  dies,   um  die  Pausen  nicht  anzeigen 
zu  müssen,  durch  »Adagio  oder  Scherzo  tacetv.  angezeigt. 

Tacioso   —  selten    und    unrichtig    angewandte    Bezeichnung    für    tacciasi 
=  man  schweige. 

Tact.  Die  mehrfache  Anwendung  dieses  Worts  bei  den  musischen  Künsten 
im  Allgemeinen  und  der  Musik  im  Besondern  bezieht  sich  immer  auf  die,  in 
bestimmter  Zeit  sich  vollziehende  Bewegung,  die  in  Tönen  oder  in  "Worten 
und  bei  der  Orchestik  in  den  Bewegungsmomenten  des  menschlichen  Körpers 
besteht.  Im  weitem  Sinne  begreift  man  darunter  die  Bewegung  nach  einem 
angenommenen  Zeitmaasse  (Tempo,  s.  d.),  nach  welchem  gesungen  oder  mit 
Instrumenten  gespielt,  gesprochen  oder  getanzt  wird;  im  engern  Sinne  den  an- 
genommenen kleinern  Zeitabschnitt,  welcher  diesem  Zeitmaass  als  Norm  gilt,  nach 
dem  es  geregelt  wird.  Hier  beschäftigt  uns  zunächst  diese  engere  Bedeutung 
des  "Worts. 

Das  rhythmische  Princip,  nach  welchem  diese  Tacteintheilung  erfolgt,  ist 
bereits  im  Artikel  Rhythmus  (s.  d.)  erörtert  worden.  Dort  ist  gezeigt,  wie 
es  sich  zunächst  im  Tanz  geltend  macht  und  von  hier  aus  auf  Poesie  und 
Musik  gestaltend  wirkt.  Der  Tact  erscheint  dort  als  die  musikalische  Dar- 
stellung der  Versfüsse  und  ihrer  regelmässigen  "Wiederkehr  im  bestimmten 
Metrum.  Dort  wurde  auch  bereits  seine  logische  und  ästhetische  Bedeutung 
für  das  Kunstwerk  erörtert;  es  bleibt  uns  hier  nur  noch  seine  mehr  mecha- 
nische Anordnung  und  Verwerthung  im  Kunstwerk  zu  betrachten,  die  dann 
wiederum  zu  mehrfachen  ästhetischen  Erörterungen  Veranlassung  giebt.  In 
dem  Artikel  Rhythmus  ist  bereits  ei'wähnt,  dass  die  musikalische  Darstellung 
des  Spi'achmetrums  zunächst  auf  verschieden  zusammengesetzte: 

Tactarten  führen  musste.  Die  Sprachen  mit  Silbenmessung,  wie  die  la- 
teinische und  griechische,  setzten  ihre  Verse  aus  Längen  und  Kürzen 
zusammen;  die  lauge  Silbe  erhielt  den  AVerth  von  zwei  Kürzen,  und  als  die 
Musik  sich  diesem  Princip  anschloss,  gewann  sie  einen  Ton  von  längerer  und 
einen  von  um  die  Hälfte  kürzerer  Dauer,  die  genau  abgemessen  wurde.  "Wie 
die  verschiedenen  Versmaasse  verschiedene  musikalische  rhythmische  Darstellung 
gewinnen,  ist  dort  im  Artikel  Rhythmus  ebenfalls  dargelegt  Avorden,  ebenso 
wie  die  historische  Entwickelung.  Die  vollgiltigsten  Zeugnisse  aus  dem  zwölften 
Jahrhundert  bezeugen,  dass  die  selbständige  musikalische  Tacteintheilung  diesen 
Gang  nahm.  "Wenn  trotzdem  Jahrhunderte  noch  vergingen,  ehe  sie  zu  durch- 
greifender Geltung  gelangte,  so  hat  das  seinen  Grund  nur  darin,  dass  Theorie 
und  Praxis  immer  noch  zu  einseitig  an  der  ursprünglichen  Quantitätsmessung 
festhielten,  welche  keine  andere  Möglichkeit  gewährt,  als  das  in  grosser  Mannich- 
faltigkeit  anwachsende  rhythmische  Material  zu  schätzen,  nicht  zum  gegliederten 
Organispius  zusammenzufügen.  Dies  wurde  erst  möglich,  als  im  Volksgesange 
die  Accentuation,  und  deren  natürliche  Folge  der  Reim  immer  siegreicher 
hervorbrachen.  Unter  der  Herrschaft  dieser  beiden  neuen  Sprachelemente  ent- 
wickelte sich  nun  der  musikalische  Rhythmus,  erst  selbständig  und  abweichend 
von  der  Sprachrhythmik.  Er  wurde  zunächst  mechanisch  wirkend  im  Metrum 
oder  der  Tactart.  Die  regelmässige  "Wiederkehr  von  accentuirten  und  accent- 
losen  Gliedern  bildet  die  unterste  Stufe  rhythmischer  Gliederung,  die  rhyth- 
mische Tacteinheit.  Diese  ist  zweitheilig,  wenn  der  Hebung  nur  eine 
Senkung,  einem  accentuirten  Ton  ein  accentloser  folgt: 

—     \^  —     <j 


oder  d reitheilig,  wenn  der  Hebung  zwei  Senkungen,  einem  accentuirten  Ton 


zwei  accentlose  folgen: 


^  —      \j 


I        I 


74 


Tactarten. 


Nach  der  Anzahl  dieser,  in  jedem  Tact  enthaltenen  zwei-  oder  drei- 
gliedrigen Metra,  unterscheiden  wir  einfache  und  zusammengesetzte 
Tactarten.  Einfach  ist  die  Tactart,  wenn  ein  zwei-  oder  ein  dreiglie- 
driges Metnim  als  Tacteinheit  zu  Grunde  liegt,  zusammengesetzt  dem- 
entsprechend, wenn  zwei  oder  mehrere  solcher  Metra  zu  einer  Tacteinheit 
verbunden  werden.  Auf  der  Zusammensetzung  dieser  Metra  wieder  beruht  die 
Eintheilung  in  gerade  und  ungerade  Tactarten.  Der  einfach  gerade  Tact 
besteht  aus  Hebung  und  Senkung,  accentuirtem  und  accentlosem  Ton  von  gleicher 
Geltung.  Da  zur  Darstellung  derselben  die  Musik  verschiedene  Zeitwerthe 
bietet,  so  entstehen  weiterhin  die  verschiedenen  Arten  des  einfachen  zweithei- 
ligen Tacts,  der  Zweihalbe  Tact  (auch  Allabreve  -  Tact  genannt),  dessen 
Glieder  den  Werth  von  Halben  Noten  erhalten  und  der,  wie  hier  angegeben, 
dui'ch  ein  senkrecht  durchstrichenes  (7:  (aus  dem,  nach  rechts  offenen  Halbkreise, 
der  Diminutio  simplex,  hervorgegangen)  oder  auch  durch  2  bezeichnet  wird: 


—       w 


Selbstverständlich  beschränkt  sich  auch  diese  Tactart  nicht  auf  diese  einfache 
Darstellung  der  einzelnen  TactgKeder  in  Halben,  sondern  sie  macht  von  der 
Freiheit  aller  übrigen  Tactarten  Grebrauch,  dass  sie  jedes  einzelne  Grlied  auch 
in  Viertel  und  selbst  Achtel  auflöst  und  beide  in  Granze  Noten  zusammenzieht. 
Dies  geschieht  schon  beispielsweise  in  Chorälen,  die  häufig  in  diesem  Zwei- 
Halben-Tact  dargestellt  werden: 


Wach  auf,     mein  Herz,  und    sin  -  ge    dem  Schö  -  pfer        al  -  ler     Din  -  ge 
Wenn  auch  sämmtliche  Halbe  in  Viertel  aufgelöst  werden,  so  wird  die  Tactart 


dadurch  noch  nicht  zu  einem  Viervierteltact: 


—       \j 


\j 


f 


^EE^ 


i=!' 


i?5i 


— ^- 


I     I         I     '     '      I         '     1     I  •     •         I 

Die  Accentuation  bleibt  genau  dieselbe;  auch  in  den  vier  (resj).  fünf)  Glie- 
dern jedes  Tacts  der  TJnterstimme  hat  immer  nur  das  erste  Glied  des  Tacts 
den  Accent,  während,  wie  wir  später  sehen,  im  Viervierteltact  noch  ein 
zweiter  Accent  hinzukommt.  Ueber  die  weitere  Bedeutung  dieser  Tactart  siehe 
noch  Allabreve.  Sehr  wirksame  Anwendung  fand  diese  Tactart  in  neuerer 
Zeit  in  Schumann's:  »Das  Paradies  und  die  Peri«  No.  23:  »Hinab  zu 
jenem  Strahlentempel«  und  No.   24:  »0  heilige  Thräne«. 

"Werden  diese  beiden  Glieder  des  einfachen  zweitheiligen  Tacts  in  Vierteln 
dargestellt,  so  entsteht  der  Zweivierteltakt,  der  mit  ^/t  bezeichnet  wird: 

—      ^      —        \j         ~      ^  — 


P 


^ 


=P5: 


^ 


Es  gilt  in  Bezug  auf  seine  Darstellung,  wie  auch  hier  angedeutet  ist,  dasselbe, 
was  vom  '^/2-Tact  gesagt  wurde:  seine  Glieder  können  in  Achtel,  Sech- 
zehntel und  noch  kleinere  Werthe  aufgelöst  werden,  ohne  dass  dies  die  Tact- 
art verändert,  so  lange  nicht  die  Accentuation  eine  andere  wird.  Obwohl  nun 
beide  Tactarten  ganz  gleich  construirt  sind,  so  sind  sie  doch  in  der  Wirkung 
verschieden.  Die  längern  Notengattungen  geben  dem  Zweihalben-Tact  selbst- 
verständlich grösseres  Grewicht,  mehr  Würde,  auch  wenn  es  sich  um  Darlegung 
eines  erregtem  Inhalts  handelt,  wie  in  den  beiden  erwähnten  Tonsätzen  von 
Schumann. 


Tactarten. 


75 


In  ähnlicher  Weise  erscheint  auch  der  einfache  ungerade  Tact  in  ver- 
schiedenen Tactarten  nach  dem  Werth,  welchen  die  einzelnen  Glieder  erhalten; 
in  halben  Noten  dargestellt,  wird  er  zum  Dreihalbentact  (a),  in  Vierteln 
zum  Dreivierteltact   (b)   und  in  Achteln  zum  Dreiachteltact  (c). 


P 


^ 


a) 


b) 


3=^ 


^ 


t^ 


^-  ~s-p- 


:f:^f: 


4: 


p—^ 


=P 


11=^ 


c) 


:t=:1t=§ 


Es  dürfte  kaum  nöthig  sein,  zu  erwähnen,  dass  auch  hier  jedes  einzelne  Glied 
in  den  verschiedensten  Werthen  dargestellt  sein  kann,  dass  die  einzelnen  zu 
grössern  Einheiten  verbunden  und  alle  in  kleinere  aufgelöst  werden  können: 


Hier  erhält  fast  jeder  Tact  eine  von  dem  ursprünglichen  abweichende  Dar- 
stellung, ohne  dass  die  Tactart  selbst  dadurch  aufgehoben  wird.  Auf  dieser 
Mannichfaltigkeit  der  rhythmischen  Darstellung  beruht  hauptsächlich  die  ungleich 
grössere  Ausdrucksfähigkeit  der  Musik  den  andern  Künsten  gegenüber,  und 
für  die  Instrumentalmusik  ganz  besonders  erwachsen  daraus  reiche  Mittel  ver- 
feinerter Darstellung.  Es  ist  klar,  dass  bei  der  Auflösung  der  einzelnen 
Glieder  in  kleinere  von  geringerm  "Werth  wiederum  eine  Art  von  unterschei- 
dender Accentuation  stattfindet,  so  dass  immer  die  erste  dieser  Noten  von  ge- 
ringerm Werth  von  den  übrigen  ausgezeichnet  wird.  So  gewinnen  diese  ver- 
schiedenen Darstellungen  eine  Fülle  von  fein  abgestuften  Accenten,  die  eben- 
soviel Mittel  für  characterischen  Ausdruck  werden. 

Die  zusammengesetzten  Tactarten  entstehen  dadurch,  dass  zwei  oder 
mehr  einfache  Tacte  zu  einer  Tacteinheit  zusammengezogen  werden.  So  ent- 
steht aus  der  Verschmelzung  zweier  Z weihalbentacte  der  Vierhalbetact: 


/2       o   o  :  o   o 


Sechshalbetact:    ®/2 


,   aus  der  Verschmelzung  von  zwei  Dreihalbentacte  der 


I       I       i 


o    o  :  o 


aus 


der 


Verschmelzung 


von 


I   I 


I    I 


u.  s.  w. 


zwei  Zweivierteltacten  der  Viervierteltakt:  *ji  oder  C 

Die  Verschmelzung  wird  dadurch  herbeigeführt,  dass  der  Accent  des  angebun- 
denen zweiten  (und  dritten)  Tacts  abgeschwächt  wird,  so  dass  in  solch  zusam- 
mengesetzten Tactarten  Haupt-  und  Nebenaccente  unterschieden  werden. 
Der  Construction  nach  sind  demnach  diese  Tactarten  einander  gleich: 


Va 


o*    o    ■"■    ^ 


o    o    o 


7« 


0  0     0     ß 

1  I 


74   oder  C 


V- 


I   I   I   I 


In  Bezug  auf  ihre  Wirkung  im  Grossen  und  Ganzen  aber  gilt,  was  schon 
oben  angegeben  ist,  dass  die  in  Noten  von  höherm  Werth  dargestellten  Tact- 
arten: *J2  und  */4  gewichtiger,  ruhiger  und  gemessener  wirken  als  die  in  klei- 
nern dargestellten,  der  ^/s-und  der  höchst  selten  nothwendig  erscheinende  */i8-Tact. 
Aus  der  Verschmelzung  von  zwei  einfach  dreitheiligen  Tactarten :  ^/2-,  ^/i- 
und  '/s-Tacten  und  so  weiter  entstehen  der:     - 


76 


Tactarten. 


72-Tact:      V2    |==    p 


O     O     fS     o 


der  74-Tact:     7« 


I     I     i 


der  78-Tact:  78  r  r  •  r  r 


die  als  zweitheilige  Tactarten  erscheinen.    Drei  solcher  Tacte  zusammengezogen, 
ergeben  den 


I     I     I    M    I     I    I     I 


72-Tact:     72 


74-Tact:    74 


INI 


78-Tact:     78 


II  I  I 

lL'  lU  Lu 

In  ähnlicher  Weise  entstehen  dann: 

II  f  t  I 

llS  llS  'IL'   LLJ 

II  f  I  I 


u.  s.  w. 


der   ^78-Tact:       ^78 
der   '7i6-Tact:     ^7i6 
der  '7i6-Tact:     ^^716 


1 1  I 


I  I  I  I  I  I 


u.  s.  w. 


In  diesen  zusammengesetzten  Tactarten  erscheint  der  verschiedene  Character 
der  einfachen  gemischt  zu  neuen  Characteren:  der  Sechsvierteltact,  aus 
zwei  Dreivierteltacten  bestehend,  behält  die  grosse  Lebendigkeit  desselben,  aber 
indem  er  zwei  Tacte  zu  einer  Einheit  verbindet,  gewinnt  er  zugleich  das 
grössere  Gewicht  des  zweitheiligen  Tacts.  Die  zusammengesetzten  Tactarten 
bieten  in  der  anwachsenden  Fülle  der  Accente  innerhalb  einer  Tacteinheit 
reichere  Mittel  als  jene  und  der  breitere  Rahmen  des  Tacts  und  dementsprechend 
der  Periode,  giebt  grüssern  Raum  für  eine  feinere  Detailzeichuung.  Deshalb 
werden  diese  Tactarten  mehr  für  tief  innerlich  erregte  als  entschieden  nach 
aussen  drängende  Darstellungsobjekte  gewählt.  Für  den  ersten  Satz  einer  Sin- 
fonie wird  beispielsweise,  ebenso  wie  für  die  verwandte  Form  der  Ouvertüre 
meist  der  Vierviertel-  oder  Dreivierteltact  gewählt;  für  die  leichter  ge- 
haltene Ouvertüre  zur  Komischen  Oper  der  7*-Tact.  Für  das  Scherzo  wählt 
man  meist  den  ^/i-,  ^j*-  oder  78-Tact,  seltener  den  ^/s-Tact  oder  auch  den 
'*/4-Tact.  Die  weiter  zusammengesetzten  Tactarten  dagegen,  der  78-  und  '''/s-Tact, 
erweisen  sich  für  das  Andante  und  Adagio  sehr  geeignet.  Dass  diese  Tactarten 
ferner  für  das  spielselige  Pastorale,  das  träumerische  Nocturno  gern  gewählt 
werden,  ist  gleichfalls  ein  Beweis  für  die  Richtigkeit  unserer  Charakteristik. 
Für  das  Finale  der  Sinfonie  erscheinen  dann  neben  dem  Viervierteltact 
der  Sechsachteltact  oder  auch  der  Z weivierteltact  die  entsprechendsten 
Tactarten. 

AVie  durch  Verlegung  des  Accents  innerhalb  der  einen  Tactart  eine  neue 
construirt  werden  kann,  ist  im  Artikel  Synkope  nachgewiesen  worden.  Dort 
wurde  auch  angedeutet,  welche  ästhetische  Rücksichten  eine  solche  Neuconstruk- 
tion  unter  Umständen  nothwendig  ei-scheinen  lassen.  Hier  sei  noch  erwähnt, 
dass  auch  für  komische  Wirkungen  solche  rhythmische  Verrückungen,  die 
Verschiebung  des  Accents  auf  ursprünglich  accentlose  Glieder  des  Tacts  sehr 
entsprechend  sind.  Alle  diese  ausnahmsweisen  Gestaltungen  sind  nur  geeignet, 
den  ursprünglichen  Organismus  in  seiner  natürlichen  Wirkung  zu  stützen.  Als 
Experiment  erscheinen  dagegen  die  ganz  ausserhalb  des  ursprünglichen  rhyth- 
mischen Systems  liegenden  ^ft-  und  7*-Tact,  die  kaum  als  selbständige  Tactarten 
zu  betrachten  sind.  Sie  entbehren  der  Gliedei-ung,  welche  die  umfangreichern 
Tacte  nothwendig  haben  müssen  und  man  kann  sie  im  Grunde  nur  auf  den 
74-Tact,  wenn  ein  solcher  festzustellen  wäre,  zurückführen.  Dass  sie  im  Volks- 
liede  und  in  der  Volksmusik  nichtsdestoweniger  in  Anwendung  kamen  und  bei 
wenig  cultivirten  Völkern  auch  noch  kommen,  spricht  nicht  dagegen.  Das  noch 
ungebändigte,  entfesselte  Empfinden  ebenso  wie  die  noch  wenig  geschulte  Phan- 


Tactaccent  —  Tactiren.  77 

tasie  können  recht  wolil  auf  solche  Grebilde  geführt  werden,  die  noch  ein  Suchen 
nach  der  schönen  Fox'm  in  rhythmischem  Ebenmaass  verrathen.  Im  deutscheu 
Volksliede  der  frühem  Jahrhunderte  wird  die  Verszeile  hin  und  wieder  wie 
ein  einziger  Tact  behandelt  und  die  fünlfüssige  konnte  auf  den  */4-Tact  führen 
wie  im  Liede  »Prinz  Eugen,  der  edle  Ritter«.  In  diesem  Sinne  oder  in  ähn- 
lichem kann  auch  der  Künstler  ausnahmsweise  auf  solche  Tactgebilde  geführt 
werden;  aber  es  wird  ihm  selten  gelingen,  das  Unbehagen,  das  solche  Neu- 
construktion  meist  im  Hörer  verursacht,  ganz  zu  beseitigen.  Es  gehören  in 
der  Regel  ausgesuchte  harmonische  und  melodische  Künsteleien  dazu,  um  nicht 
den  ^/4-Tact  als  einen  fortgesetzten  Wechsel  eines  ^/i-Tact  mit  dem  ^/4-Tact, 
oder  den  ^/4-Tact  als  einen  eben  solchen  "Wechsel  des  */4-  und  ^/4-Tact  oder 
aber  den  '•'ji-  wie  den  ^/4-Tact  als  Y^'Tacte  erscheinen  zu  lassen.  Es  erfor- 
dert meist  eine  grosse  Gewalt  der  andern  Mächte,  der  Harmonie  und  der 
Melodie,  um  diese  unsymmetrische  Gliederung  des  Rhythmus  und  die  fort- 
gesetzte Verwendung  derselben  einigermassen  erträglich  zu  machen.  Weil  diese 
Tactarten  an  sich  ungegliedert  erscheinen,  erschweren  sie  natürlich  auch  den 
weitern  rhythmischen  Bau.  Rubinstein,  Raff,  Hiller  und  Liszt  namentlich  haben 
in  neuerer  Zeit  mit  diesen  Tactarten  experiraentirt,  ohne  indess  ihre  Nothwen- 
digkeit  zu  erweisen. 

Ein  beliebtes  Mittel,  rhythmische  Mannichfaltigkeit  zu  gewinnen,  war  schon 
zur  Zeit  der  Mensuralmusik  der  plötzlich  eintretende  Wechsel  der  Tactart  inner- 
halb eines  Tonstücks.  In  den  Werken  der  Niederländer  schon  durchbricht  die 
dreitheilige  Bewegung  nicht  selten  die  ursprüngliche  zweitheilige,  um  dieser 
dann  wieder  gegen  den  Schluss  des  Tonsatzes  Platz  zu  machen.  Wie  bei  Lully 
im  Recitativ  und  nicht  selten  auch  in  den  Arien  der  Prosodie  zu  Liebe  häufig 
Tactwechsel  eintritt,  ist  in  den  betreffenden  Artikeln  gezeigt  worden.  Einem 
ähnlichen  Verfahren  begegnen  wir  ferner  sowohl  im  altern  deutschen  Volksliede 
wie  im  Kunstliede,  namentlich  von  Heinrich  Albert  (s.  d.)  und  dies  Ver- 
fahren ist  auch  bis  in  die  neueste  Zeit  besonders  von  Liedercomponisten  geübt 
worden,  mit  mehr  oder  weniger  Freiheit.  Wenn  auch  gewiss  die  natürliche 
rhythmische  Construktiou  der  Tactarten  alle  Mittel  für  feinere  Charakteristik 
gewährt  und  den  schaffenden  Genius  durchaus  nicht  beschränkt,  so  sind  doch 
auch  wohl  Fälle  denkbar,  dass  diesem  sich  von  selbst  die  derartige  veränderte 
Darstellung  darbietet,  wodurch  sie  dann  gerechtfertigt  erscheint  und  die  rechte 
Wirkung  macht.  Nur  der  nackten  Declamation  halber,  wie  wohl  in  den  meisten 
Fällen  geschieht,  den  natürlich  rhythmischen  Bau  aufzugeben,  dürfte  wenig 
gerechtfertigt  erscheinen. 

Tactacceut  heisst  der  Hauptaccent,  zum  Unterschiede  von  den  Nebenaccenten. 

Tactarsis  heisst  das  accentlose   Glied  des  Tactes. 

Tactart,  s.  Tact  und  Tempo. 

Tact  heisst  der  Raum  von  einem  Tactstrich  zum  andern  auf  dem  Notensystem. 

Tactgrlieder,  Clemens  metriques ,  heissen  die  accentlosen  Theile  eines 
Tacts  zum   Unterschiede  von  den  Tacttheilen. 

Tacthalten  heisst  streng  nach  dem  ursprünglich  angenommenen  Tempo 
unter  Beobachtung  der  Accente  und  des  Rhythmus  singen  oder  spielen,  so  dass 
nicht  nur  jeder  Note  und  Pause  der,  ihr  zukommende  Werth  ertheilt,  sondern 
auch  jeder  Ton  zugleich  nach  seiner  logischen  Bedeutung  gewürdigt  wird. 

Tactinversion,  s.  Tactumkehrung. 

Tactiren  oder  Tactschlagen  (Battre  la  mesure)  heisst  die  Thätigkeit  des 
Dirigenten,  durch  welche  er  den,  ein  Musikstück  ausführenden  Sängern  und 
lustrumentalisten  den  Tact  angiebt,  in  welchem  das  Stück  ausgeführt  werden 
soll  und  sie  in  demselben  zu  erhalten  bestrebt  ist.  Mittelst  der  Hand  oder 
eines  Stabes  —  Tactstab  oder  Dirigentenstab  —  markirt  er  das  Eintreten  eines 
jeden  Tacts,  und  der  Tactart  entsj)rechend  wird  der  Tact  weiterhin  durch  zwei, 
drei  oder  vier  Schläge  angegeben.  Alles  Weitere .  bringt  der  Artikel:  Di- 
rection  (s.  d.). 


78  Tactirstab  -  Tadolini. 

Tactirstab,  Tactirstock  (franz.:  Bäton),  nennt  man  das  Stäbchen,  dessen 
sich  der  Dirigent  bedient,  um  den  Tact  anzugeben. 

Tactmesser,  s.  Metronom. 

Tactnote,  Ganze  Note,  Glanzer  Schlag,  heisst  die  Ganze  Note  (Semi- 
hrevis),  weil  sie  gegenwärtig  die  Einheit  ist,  auf  die  alle  andern  Notenwerthe 
bezogen  werden. 

Tactordnung,  s.  Rhythmopöie  und  Rhythmus. 

Tactpause,  — -,  eigentlich  die  Pause  vom  "Werth  der  Ganzen  Note  (Vier- 
viertelnote). Sie  wird  indess  auch  zum  "Werthe  jeder  andern  Tactart  für  den 
^ji-,  ^/s-,  ''/s-Tact  u.  s.  w.  gebraucht.  Nur  in  den  grössern  Tactarten,  dem  */2- 
oder  °/i-Tact  setzt  man  die  Doppelpause  als  Ganze  Tactpaiise  und  verwendet 
die  ursprüngliche  Ganze  Taktpause  nach  ihrem  Werth   von  nur  vier  Vierteln: 


P 


-ps- 


gleich : 

Tactschlag-en,  s.  Tactiren. 

Tactstriche,  franz.:  Barres,  engl.:  Bars,  sind  die,  die  Tacte  abgrenzenden 
senkrecht  das  Liniensystem  durchschneidenden  Striche.  Sie  kamen,  wie  in  dem 
Artikel  Tabulatur  gezeigt  ist,  erst  durchgreifend  bei  dieser  in  Anwendung. 
Hier  erst  wurden  die  Tacte  abgegrenzt,  und  zwar  Anfangs  dadurch,  dass  man 
sie  durch  grössere  Zwischenräume  schied.  Es  war  dies  namentlich  der  Fall 
bei  den  Lautentabulaturen,  bei  welchen  man  sich  des  Liniensystems  zu- 
gleich bediente.  Bei  der  deutschen  Orgeltabulatur  ohne  dies  Liniensystem 
fand  früh  der  Tactstrich  Anwendung.  Für  die  Avxfzeichnung  der  Singstimmen 
nach  der  altern  Mensuraltheorie  war  die  Einführung  der  Tactstriche  eine 
Unmöglichkeit.  In  den  Partituren  fand  er  bereits  während  der  Blüthezeit 
der  altern  Mensuralmusik  Anwendung.  Seit  dem  Anfange  des  17.  Jahrhunderts, 
als  die  selbständige  Ausbildung  der  Instrumentalmusik  die  alte  Mensuralnote 
auch  aus  dem  Gesänge  verdrängte  und  unser  modernes  Notensystem  allmälig 
sich  herausbildete,  wurde  die  Abtheilung  durch  Tactstriche  in  der  gesammten 
Musikpraxis  zur  Nothwendigkeit. 

Tacttheil,  Tacttheile  (franz.:  Temps),  sind  die  einzelnen  Tactglieder, 
im  7i"Tact  die  Ganzen,  im  ^/2  die  Halben,  im  ^ji,  ^ji,  *ji  die  Viertelnote  u.  s.  w. 
Schwere  Tacttheile  (Temps  forts),  auch  gute,  nennt  man  die  accentuirten, 
leichte,  auch  schlechte  (Temps  faibles) ,  heissen  dagegen  die  accentlosen. 
(S.   Tact.) 

Tactumkehruug'  oder  Tactinversion  nannte  man  eine  Künstelei  älterer 
Componisten,  die  darin  bestand,  dass  die  beiden  Zahlen  der  ursprünglichen 
Tactart  umgekehrt  wurden,  dass  man  den  ^/4-Tact  als  ^/s-Tact  fasste,  d.  h. 
also  vier  Drittel  des  vorigen  Tacts  =  */4  in  einen  Tact  zusammenfasste;  das 
ursprünglich  im  ^/4-Tact  stehende  Stück  im  */4-Tact  ausführte. 

Tactus  =  Schlag  in  der  alten  Mensuralmusik  (s.  d.). 

Tactzeichen  nennt  man  die  Zeichen  (C  C  und  Bruchzahlen  ^/i,  ^2,  '^/t, 
^li,  ^/s  u.  s.  w.,  welche  an  den  Anfang  jedes  Tonstücks  gesetzt  werden,  um  die 
besondere  Tactart  anzugeben,  in  welcher  das  Tonstück  ausgeführt  werden  soll. 
(S.  Mensuralmusik,  Notenschrift  und  Tact.) 

Tactzeit,  s.  v.  a.  Tacttheil. 

Tadolini,  Giovanni,  Componist,  zu  Bologna  1793  geboren,  erhielt,  für 
die  Musik  veranlagt,  schon  früh  Unterricht  in  dieser  Kunst.  Zu  seinen  Leh- 
rern gehörten  Mattei  für  die  Composition  und  der  Tenor  Babini  für  den  Gesang. 
Mit  16  Jahren  war  er  weit  genug  vorgeschritten,  um  in  Paris  am  Theätre 
Italien  die  Stelle  des  Accompagneurs  und  des  Chordirigenten  einzunehmen. 
Es  war  dies  in  den  Jahren   1811,   12  und  13,  zur  Zeit,  als  Spontini  Direktor 


Tadolini  —  Tägliclisbeck.  79 

dieser  Oper  war,  1814,  nach  der  Einnahme  von  Paris  durch  die  Alliirten, 
kehrte  T.  nach  Italien  zurück  und  brachte  dort  in  Venedig  seine  erste  Oper: 
»ia  Fata  Alcinan.  mit  vielem  Erfolge  zur  Aufführung.  Dasselbe  G-lück  machten 
die  nachfolgenden  Opern:  »Z«  Prmeipessa  cli  Navarraa  zu  Bologna,  »JZ  Gredulo 
delusofs.  in  Rom,  ebenda  y>Il  Tainerlanon,  i>Moctar<s.  in  Mailand,  »JZ  UTitridatea 
in  Venedig  und  y>Älmanzo)'(i  in  Triest.  Nachdem  er  schon  einige  Zeit  an  der 
Kathedrale  zu  Bologna  Kapellmeister  gewesen  war,  folgte  er  1830  nebst  seiner 
jungen  Frau  (s.  d.),  einer  talentvollen  Sängerin,  einem  Rufe  nach  Paris  an  die 
italienische  Oper,  wo  seine  Frau  als  Sängerin,  T.  in  seiner  früheren  Stellung 
thätig  war.  Nach  neun  Jahren  kehrte  er  in  seine  Vaterstadt  zurück.  Ausser 
den  genannten  Opern  sind  von  ihm  viele  Cantaten,  Romanzen  und  Canzonette 
aufgeführt  worden,  unter  Anderem  »L'Fco  di  Scozia«  mit  Hornbegleitung  in 
Concerten  wiederholt  von  Rubini.  Auch  ein  von  ihm  componirtes  Trio  für 
Ciavier,  Hoboe  und  Fagott  (Florenz,  Cipriani)  und  ein  y>Itondo  'pour  piano  et 
ßütevi  ebenda  sind  vorhanden.     Tadolini  starb  Ende  1872. 

Tadoliui,  Eugenia,  Gattin  des  Vorigen,  geborene  Savorini,  wurde  1809 
zu  Forli  in  der  Romagna  geboren.  Ihre  Gesanglehrer  waren  Fani,  Grilli  und 
ihr  Gatte.  Sie  debütirte  1829  in  Parma  und  wurde  darauf  in  Paris  engagirt. 
18.34  trennte  sie  sich  von  ihrem  Gatten  und  kehrte  nach  Italien  zurück.  Diese 
Sängerin  erstrebte  fortdauernd  eine  Vervollkommnung  ihres  Gesanges  und  er- 
reichte diese  in  einem  Maasse,  dass  sie  Anfang  der  vierziger  Jahre  für  eine 
der  ersten  Sängerinnen  Italiens  galt.  Besonders  enthusiasmirte  sie  das  Publi- 
kum in  Neapel  in  den  für  sie  geschriebenen  Opern  von  Donizetti  und  Merca- 
dante.  Sie  sang  wiederholt  in  Mailand,  Padua,  Triest,  Wien,  Turin,  Sinigaglia, 
Florenz,  Mailand,  Brescia,  Lucca,  Sienna,  Rom.  Am  häufigsten  besuchte  sie 
Wien  und  beschloss  auch  dort  1847  ihre  Theaterlaufbahn. 

Taebl,  s.  Tabl. 

Täglichsbeck,  Thomas,  ist  zu  Ansbach  in  Baiern  am  31.  Decbr.  1799 
geboren.  Sein  Vater  unterrichtete  ihn  vom  vierten  Jahre  an  in  der  Musik, 
worauf  er  1816  in  München  bei  Rovelli  vorwiegend  als  Violinist  seine  Aus- 
bildung fortsetzte,  sich  aber  auch  gleichzeitig  unter  Gratz's  Leitung  auf  dem 
Gebiete  der  Composition  heimisch  machte.  1817  schrieb  er  eine  Messe,  die  in 
München  aufgeführt  wurde,  und  bald  darauf  trat  er  als  Violinist  ins  Theater- 
orchester. Lindpaintner,  der  damalige  Kapellmeister  des  Theaters,  ernannte, 
als  er  eine  längere  Urlaubsreise  antreten  wollte,  T,  zu  seinem  Stellvertreter, 
und  da  er  überhaupt  in  seine  Stellung  nicht  wieder  zurückkehrte,  wurde  T. 
dieselbe  definitiv  übertragen.  1822  trat  er  als  Violinist,  als  welcher  er  sich 
bereits  sehr  vortheilhaft  bekannt  gemacht  hatte,  ins  Orchester  zurück.  Zu 
dieser  Zeit  ungefähr  wurde  von  ihm  eine  kleine  Oper,  »Weber's  Bild«,  am  Mün- 
chener Theater  mit  einigem  Erfolge  aufgeführt.  T.  verliess  darauf  München 
und  Hess  sich  in  der  Schweiz,  in  Stuttgart,  Prankfurt,  Mannheim  und  Carlsruhe, 
Wien,  Berlin,  Leipzig,  später  auch  in  Holland  und  Dänemark  als  Violinist 
hören  und  veröffentlichte  mehrere  Compositionen  für  sein  Instrument.  1833  trat 
er  auch  mit  einer  Sinfonie  hervor,  die  zuerst  in  Paris  während  der  Anwesen- 
heit des  Componisten  in  einem  Concex't  des  Conservatoriums  aufgeführt  und 
beifällig  aufgenommen  wurde.  1837  folgte  ihr  eine  zweite.  1827  schon  war 
T.  Kapellmeister  des  Prinzen  von  Hohenzollern-Hechingen  geworden  und  be- 
kleidete diese  Stelle  bis  1848,  zu  welcher  Zeit  die  Kapelle,  durch  die  revolu- 
tionären Zustände  veranlasst,  aufgelöst  wurde.  T.  ging  nach  Strassburg  und 
übernahm  die  Direktion  der  Theaterkapelle;  da  der  Prinz  von  Hohenzollern 
ihm  aber  seinen  Gehalt  fortzahlte,  so  kehrte  er  auf  dessen  Aufforderung  aus 
der  damals  französischen  Stadt  noch  einmal  an  seinen  alten  Platz  zurück. 
1852  begab  er  sich  nach  Löwenberg  in  Schlesien,  lebte  dann  in  Dresden  und 
starb  am  5.  Oktober  1867  in  Baden-Baden.  Ausser  den  beiden  Sinfonien 
(Premiere)  op.  10  (Paris,  Richault),  der  Messe  op.  25  (München,  Falter),  sind 
anzuführen:     »Variationen   (Gazza   Ladra)    für    Violine    und    Orchester«,    op.    1 


80  Tafalla  —  Tag. 

(Offenbach,  Andre).  »Variationen  (Leocadie)  für  Violine,  Piano«,  op.  2  (Augs- 
burg, Gombart).  »Polonaise  für  Violine  und  Orchester«,  op.  3  (Offenbach, 
Andre).  »Variationen  über  ein  Original thema  für  Violine  und  Quartett  oder 
Piano«,  op.  4  (München,  Aibl).  nConcerto  militaire  für  Violine  und  Orchester 
oder  Ciavier«,  op.  8  (Leipzig,  Hoffmeister).  f>Trois  duos  pour  deux  violons«, 
op.  11  (Paris,  Pichault).  »Fantasie«,  op.  13  (Stuttgart).  -nOoncertino  pour  violon 
et  orehestrea,  op.  14  (Leipzig,  Hoffmeister),  und  andere  Violincompositionen. 
»Lieder  für  eine  Stimme  und  Ciavierbegleitung«,  »Lieder  für  Männerstimmen«. 
»Gremischte  Quartette  mit  Begleitung  von  Blasinstrumenten«,  op.  29  (München, 
Falter).     ■t>Bondo  pour  cor  cJiromatique  et  pianov.,  op.   21   (ibid.). 

Tafalla,  P.  Pedro,  spanischer  Musiker,  geboren  in  Tafalla  am  Ende  des 
16.  Jahrhunderts,  legte  im  Kloster  Escurial  1623  seine  Gelübde  ab.  In  diesem 
Kloster,  wo  er  in  Ehren  lebte,  starb  er  in  hohem  Alter.  Zahlreiche  Compo- 
sitionen  von  ihm  sind  im  Manuscript  dort  aufbewahrt.  Eslava  in  nLira  sacro 
hispanati  hat  mehrere  achtstimmige  Responsorien  von  T.  aufgenommen. 

Tafelblasen,  s.  Feldstück. 

Tafelwerk  heissen  die,  in  einem  Orgelprospect  mannichfach  hervortreten- 
den Flächen. 

Taffet  wird  zur  Anfertigung  von  Ventilen,  die  in  dem  Kanal  angebracht 
und  vermöge  einer  Vorrichtung  geschlossen  oder  geöffnet  werden  können,  ver- 
wandt.    (S.  Windschwellen.) 

Taffln,  M.  J.  D.,  Geistlicher  im  Norddeparteraent  Frankreichs  am  Anfang 
des  19.  Jahrhunderts,  studirte  auf  dem  Seminar  zu  Cambrai  und  war  bis  1839 
Vicar  in  Lille,  dann  in  Landrecies.  Er  verfasste:  y>Metliode  complete  et  rai- 
sonnee  de  cTiant  ecclesiastique,  Offerte  aux  jeunes  semitiaristesoi  (Lille,  Lefort,  1835, 
ein  vol.  in  8**,  168  S.).  ■nVademecum  du  hon  chantre,  ou  recueil  de  plus  de 
Cent  pieces  de  cliant  ecclesiastique,  feiles  que  messes,  faux-hourdons  tres  nomhreux 
et  tres-varies,  quatuors,  frios,  duos,  motets  ä  voix  seule,  Litanies  avec  clioeur, 
Stahat,  etc.«   (Lille,  Lefort,  ein  Band  in   8°,   326   Seiten). 

Tagr,  Christian  Gotthilf,  Cantor  und  Musikdirektor  zu  Hohenstein  in 
Sachsen,  wurde  1735  in  Bayerfeld  in  Sachsen,  wo  sein  Vater  Schullehrer  war, 
)oren.     Der  Vater  unterrichtete  ihn,    bis  er,    13   Jahr  alt,    als   Schreiber  bei 


einem  Richter  in  die  Lehre  gehen  sollte.  Diesem  Beruf  entzog  sich  der  leb- 
hafte Knabe  und  begab  sich  heimlich  nach  Dresden,  wo  er  nach  abgelegter 
Prüfung  vor  dem  Bector  Schötgen  und  dem  Cantor  Homilius  in  die  Kreuzschule 
aufgenommen  wurde.  Während  der  sechs  Jahre,  welche  er  diese  besuchte,  hatte 
er  auch  Gelegenheit,  seinen  Geschmack  in  der  Musik  durch  die  in  Dresden 
gepflegte  Kirchen-  und  Opernmusik  zu  bilden.  Durch  energische  TJebungen 
hatte  er  es  im  Ciavier-  und  Harfenspiel  schon  zu  einer  gewissen  Fertigkeit  ge- 
bracht, ebenso  durch  das  Studiren  der  theoretischen  Werke  von  Marpurg  und 
Kirnberger  Sicherheit  auf  diesem  Gebiete  sich  verschafft.  In  der  Absicht,  in 
Leipzig  die  Universität  zu  besuchen,  machte  er  sich  zeitgemäss  zu  Fuss  auf 
den  Weg  dahin.  In  Hohenstein,  einem  kleinen  Städtchen  in  Sachsen,  wo  er 
Station  machte,  ereignete  es  sich  jedoch,  dass  ihm  die  eben  vacante  Stelle  eines 
Cantors  und  Schullehrers  angeboten  wurde  und  er  ging  auf  das  Anerbieten  ein. 
Er  verheiratete  sich  hier  und  verwaltete  sein  Amt  53  Jahre.  In  Niederzwönitz, 
im  Hause  seiner  verheirateten  Tochter,  starb  er  am  19.  Juli  1811.  Er  hinter- 
liess,  obwohl  er  täglich  zwölf  Unterrichtsstunden  ertheilte,  eine  grosse  Anzahl 
von  Compositionen.  Gedruckt  sind  folgende:  »Sechs  Choral  vorspiele  nebst  einem 
Trio  und  Alla  breve«  (Leipzig,  Breitkopf  &  Härtel,  1783).  »Lieder  beim  Ciavier 
zu  singen«  (1783,  erste  Sammlung  ebend.).  »Lieder  beim  Ciavier  zu  singen, 
nebst  einer  dramatischen  Scene«  (1785,  zweite  Sammlung,  in  4").  »Siebzig 
Veränderungen  über  ein  Andantino  fürs  Ciavier  und  theils  für  den  Gesang 
eingerückt«  (1785  ebend.).  »Der  Glaube  in  einer  neuen  Melodie  für  die  Orgel« 
(1793).  »Lieder  der  Beruhigung  von  Mattheson  und  Bürde«  (1793).  »Zwölf 
kurze    und    leichte    Preludien,    Orgelvorspiele  nebst  einer  Orgelsinfonie  für  ein 


Tagelied.  81 

Manual«,  erste  Fortsetzung  (Leipzig,  1795,  Breitkopf  &  Härtel).  »XXIY  Lieder 
nebst  einer  vierstimmigen  Hymne,  zum  Lobe  Gottes  beim  Ciavier  zu  singen« 
(dritte  Sammlung,  1798  ebend.).  »Urians  ßeise  um  die  Welt  und  Urians 
Nachricht  von  der  Aufklärung  componirt«  (Leipzig,  1797).  «Naumann,  ein 
Todtenopfer,  für  den  Gesang  am  Ciavier  ganz  dui'chcomponirt«  (Berlin,  1803). 
»Melodie  zum  Vater  unser  und  zu  den  Einsetzungsworten  mit  Orgel«  (Penig, 
1803,  ebend.).  »Wörlitz,  eine  Ode  für  Ciavier  ganz  durchcomponirt«  (Berlin, 
1803).  Die  Zahl  der  ungedruckten  Compositionen  ist  bei  weitem  grösser.  Es 
sind:  ein  vollständiger  Jahrgang  auf  alle  Sonn-  und  Festtage  in  72  theils 
Fest-,  theils  Gelegenheitscantaten;  11  Messen  und  Hymnen;  22  Leichenmotetteu; 
6  Leichendialoge;  5  Weihnachtsmotetten;  20  Weihnachtsarien;  10  Ostermotetten; 
6  Passionsmotetten;  6  Passionsarien;  3  Lob-  und  Dankmotetten,  1  zum  Lobe  der 
Tonkunst  für  vier  Singstimmen  und  neun  Instrumente;  68  dreistimmige  Grego- 
riusarien;  20  Hochzeitslieder  mit  Clarinetten,  Hörnern,  Hoboen  und  Fagotten; 
22  Choralvorspiele  für  Orgel,  drei  Orgel-Rondos,  7  freie  Präludien;  >'Die  Haus- 
haltung von  Lessing«,  ein  Singstück  fürs  Concert;  eine  Sinfonie,  eine  Partie, 
ein  Quartetto,  vier  Clavierdiverdissements  u.  s.  w.  In  den  »Wöchentlichen  Nach- 
richten« von  Hiller  sind  einige  Compositionen  von  Tag  abgedruckt. 

Tagelied,  Tageweise  (mittelhochdeutsch:  tageliet,  iageioise),  nannten 
die  Minnesinger  ein  Lied,  das  den  Anbruch  des  Tages  verkündete  oder  besang. 
Da  dieser  nur  zu  häufig  den  Liebenden,  die  verstohlen  zusammengekommen 
sind,  die  Pein  des  Scheidens  bringt,  so  giebt  das  Tagelied  meist  dieser  Stim- 
mung Ausdruck:  es  schildert,  wie  zwei  Liebende  mit  Leid  am  Morgen  von 
einander  scheiden.  Das  erste  bekannte  Tagelied  ist  von  Dietmar  von  Aiste, 
bei  ihm  ist  noch  ein  Yögelein  der  Wächter  und  Wecker: 

„man  wekt  uns  leider  schiere. 

ein  vogellin  so  wol  getan 

daz  ist  der  linden  an  daz  zwi  gegän. 

Heinrich  von  Morungen  schildert  das  Leiden  des  Scheidens  im  Zwiegespräch 
des  Liebenden  mit  der  Geliebten  und  Wolfram  von  Eschenbach  führt  in 
seinen  Tageliedern  dann  noch  den  Wächter  mit  ein,  der  den  Morgen  verkündet 
und  die  Liebenden  zum  Aufbruch  mahnt;  ihm  folgten  darin  Walther  von  der 
Vogelweide,  Ulrich  von  Lichtenstein  u.  A.  und  auch  im  Volksliede  ge- 
wann diese  reizvolle  Anschauung  Eingang.  Die  Tagelieder  wurden  hier  zu 
Wächterliedern,  deren  helle  Morgenweise  sich  zu  bedeutsamer  Wirkung  mit 
dem  künstlichem  Strophenbau  des  Tagelieds  verband.  Daher  gewann  diese 
auch  entscheidenden  Einfluss  auf  die  Weiterentwickelung  des  Gesanges  zur 
Zeit  der  Heformation  und  mehrere  solcher  Tage-  und  Wächterlieder  gingen  in 
den  protestantischen  Gemeindegesang  über.  Die  Limburger  Chronik  erwähnt 
aus  dem  Jahre  1356  ein  Tagelied  von  der  heiligen  Passion:  »0  starker  Gott, 
all  unsre  noth  befehln  wir,  Herr,  in  dein  gebot«,  das  ein  Ritter  machte.  Eins 
der  am  meisten  umgedichteten  Tagelieder  ist:  »Ich  stund  an  einem  Morgen«. 
Andere,  wie:  »Der  Morgenstern  hat  sich  aufgeschwungen«  oder:  »Wach  auf 
meins  Herzens  schöne«,  sind  ebenfalls  in  mehrfachen  Umdichtungen  bekannt. 
Die  Minnesinger  selber  sangen  auch  geistliche  Tagelieder,  wie  ßeinmar  von 
Zweter:  »Wache,  krist,  ez  wil  nu  tagen«,  und  Graf  Peter  von  Arberg: 

„Ich  Wächter,  ich  seit  wecken 
den  sünder,  der  da  riuzet  aehr." 

Es  ist  dies  indess  jedenfalls  eine  Bearbeitung  eines  altern  Volksliedes.  Auch 
die  Tageweise  von  den  heiligen  drei  Königen: 

„Eya  herre  Got,  was  mag  das  gesein? 
zw  Jherusalem  ein  wächter  sangk." 

ist  in  mehrfachen  Bearbeitungen  vorhanden.  Im  16.  Jahrhundert  ist  Heinrich 
von  Laufenberg  als  Dichter  von  Tageweisen  zu  nennen:  »Stand  vf,  du  sünder, 

Muaikal.  Convers.-Lexikon.    X.  6 


82  Taglia  —  Taglietti. 

lass  die  clag«,  »Es  taget  minneclicliea,  »Stand  vf  und  sih  jhesum  vil  rein« 
gehören  ihm  an. 

Anderer  Art  wie  die  ohen  erwähnten  Tagelieder  sind  die,  welche  TJhland 
in  seinen   »Deutschen  Volksliedern«   mittheilt.     Das  erste    (B.  I.   1.  pag.   161): 

„Ich  sah  den  lichten  morgen 
darzu  sein  werthen  schein, 
ich  weck  sie  mit  gesange 
die  allerliebste  mein." 

hat  einen  noch  viel  ernstern  Inhalt.  Der  minnende  Ritter  erscheint  am  Morgen 
vor  dem  Schlafgemach  der  Geliebten  um  sie  zu  wecken,  und  diese  bestellt  ihn 
zum  Abend  wieder  her;  als  er  dann  erscheint  und  als  sie  ihn  auffordert,  zu 
kommen  und  in  ihrem  Arm  zu  ruhen,  da  muss  er  erwidern: 

„Nain  ich  zart  schöne  frawe 
ich  mag  nit  haben  ru, 
ich  bin  so  sehr  verhawen, 
rat  schöne  fraw,  wie  ich  nu  ti." 

und  dann  wird  weiter  erzählt,  wie  sie  erscheint,  ihm  die  Wunden  verbindet  und 
als  er  stirbt,  sich  selber  das  Messer  ins  Herz  sticht,  Aehnlichen  Tageliedern, 
die  nicht  jene  Klagen  der  Liebenden  beim  Scheiden  am  frühen  Morgen  zum 
Inhalt  haben,  begegnen  wir  noch  vielfach  in  den  Sammlungen  und  Flugblättern 
des   16.  Jahrhunderts. 

Taglia,  Carl,  Dr.  phil.  und  Professor  an  der  Universität  Pisa  um  die 
Mitte  des  18.  Jahrhunderts,  verfasste  ein  Buch:  i>Lettere  scientißclie  sopra  vari 
dilettevoli  argomenti  di  Fisica«  (Florenz,  1747,  in  4"),  in  welchem  er  im  ersten 
Briefe  auf  36  Seiten  Betrachtungen  anstellt,  wie  auf  einer  Geige  eine  so  grosse 
Menge  von  schönen  Tönen  hervorgebracht  werden  können.  Im  dritten  Briefe 
desselben  Buches  ist  S,  95 — 124  von  dem  melodiösen  Gesange  des  Finken  die 
Rede  und  der  Erzeugung  der  Töne  in  der  Luftröhre. 

Taglia,  Pietro,  Mailändischer  Componist,  lebte  um  die  Mitte  des  16.  Jahr- 
hunderts und  veröffentlichte:  i>Madrigali  a  quattro  vocin,  Lib.  I  (Mailand,   1555). 

Taglietti,  Giulio,  Instrumentalcomponist  des  17,  Jahrhunderts,  war  Lehrer 
am  Collegio  Nobili  di  S,  Antonio  zu  Brescia  gegen  das  Jahr  1700.  In  dieser 
Stadt  war  er  auch  geboren  und  schrieb  nachstehende  Compositionen:  riSonata 
da  Camera  a  tre,  due  violini  e  Violoncello«,  op.  1  (Bologna,  1697,  in  Folio).  y>Sei 
concerti  a  quattro  e  Sinfonie  a  tre  2  violini,  violone  e  ci/mhaloa.,  op.  2  (Venedig, 
1696,  in  4°;  hiervon  eine  Aasgabe  in  Amsterdam).  r>Arie  da  suonare  col  Violon- 
cello e  spinetfo  o  violino  ad  uso  di  arie  centahili  le  quäle  finite,  si  torna  da  capoa, 
op.  3.  y>Goncerti  o  cappricci  a  quattro,  due  violini  e  viola  e  basso  continuoa, 
op.  4  (Venedig,  1699,  in  4°).  -»Sonate  da  camera  a  3,  2  violini  e  hasso  con- 
tinuoa,  op.  5.  liPensieri  musicali  ad  uso  d^arie  cantalili  a  violino  e  violone  in 
partitura  col  hasso  continuo«^,  op,  6  (Venedig,  Bartoli,  1709).  y>Concerii  a  4 
violini,  viola  col  Violoncello,  violone  e  hasso  continuo«,  op.  7.  y>Sonate  a  violino 
e  bassoa,  op.  8.  ■s>Sonate  da  camera  a  2  violini,  Violoncello,  violone  e  clavicemhalo«, 
op.  9.  liÄrie  ad  uso  delle  cantalili  da  suonare  col  violino,  Violoncello  e  violone 
e  clavicembalod,  op.  10,  »Concerti  a  4  cpn  suoi  rinforzi,  op.  11.  nJPensieri  da 
camera  a  2  violini  e  basso«,  op.  12, 

Taglietti,  Luigi,  Instrumentalcomponist,  der  ebenfalls  gegen  Ende  des 
17.  Jahrhunderts  in  Brescia  lebte  und  wahrscheinlich  Bruder  oder  Verwandter 
des  Vorigen  war,  hinterliess  folgende  Werke:  -nSonata  per  violino  e  Violoncello, 
con  basso  continuo«,  op.  4  (Venedig).  siConcertini  e  preludi  con  diver  si  pensieri 
e  divertimenti  a  cinque«,  op.  5  (ibid.).  -nConcerti  a  4  e  Sinfonie  a  3«,  op.  6 
(ibid.;  andere  Ausgabe:  Amsterdam,  bei  Roger).  r>Sonate  a  violino  e  hasso«, 
op.  7  (ibid.).  -nSonate  da  camera  a  tre,  due  violini,  Violoncello,  violone  o  clave- 
cino«,  op.  9  (ibid.).  r>Arie  ad  uso  delle  cantabili  da  sonare  col  violino,  Violoncello 
e  violone  o  clavecino«,  op.  10  (ibid.).  nPensieri  da  camera  a  tre,  due  violini  e 
bassoa,  op.  12   (ibid.). 


Taillard  -  Takkay.  83 

Taillard,  Constant  l'aine,  Flötist  in  Paris,  Hess  sich  in  den  Concerts 
spirituels  hören.  Er  starb  gegen  1788  und  hatte  13  Sammlungen  von  Stücken 
für  eine  oder  zwei  Flöten,  französische,  italienische  Stücke,  kleine  Arien  und 
Variationen  herausgegeben.  Die  letzte  dieser  Sammlungen  erschien  1782  und 
in  demselben  Jahre  in  Paris  beim  Autor:  »Methode  pour  apprendre  ä  jouer  de 
la  flute  traversiere  et  a  lire  la  musique  etc.,  suivie  d^Ariettes  pour  s'exercer  ä 
accompagner  la  voior«  (Pai'is,   1782). 

Talllassou,  Gaillard,  genannt  Mathalin  oder  Mathelin,  ein  namhafter 
Violinist  in  Frankreich,  wurde  zu  Toulouse  1580  geboren.  Claude  Gruillaume 
Nyon,  welcher  zu  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  als  »roi  des  violons  de  francea 
fungirte,  übertrug  auf  T.  für  Toulous  seine  ihm  zustehende  Herrschaft  über 
die  Musiker.  Von  zwei  Notaren  von  Paris  wurde  hierüber  ein  gerichtlicher 
Akt  aufgenommen,  datirt  vom  21,  August  1608.  Ein  Passus  darin  lautet 
(s.  Fetis  »Biogr.  univ.«  Vol.  8,  p.  177):  y>Lui  donnant  le  droit  de  recevoir  tous 
mattres,  joueurs  d' Instruments,  tant  audit  Toulouse  que  dans  les  villes  du  ressort 
de  cette  cite ;  comme  aussi  de  faire  toutes  corrections  ou  punitions  quHl  appar- 
tiendra  contre  toute  personne  qui  entreprendra  siir  ledit  art  sans  son  conge  etlicence.es. 
Musiker  und  Spielleute  lehnten  jedoch  ab,  sich  einer  derartigen  Botmässigkeit  zu 
unterwerfen,  worauf  die  Sache  vors  Parlament  kam,  1609  aber  dem  Mathelin  sein 
Recht  ausdrücklich  zugesprochen  wurde,  worauf  er  seine  Autorität  ohne  Hinder- 
nisse entfaltete,  bis  er  nach  dem  Tode  des  Nyon  an  dessen  Stelle  ebenfalls  als 
vroi  des  violons  de  france<i  durch  ein  von  Ludwig  XIII.  unterzeichnetes  Patent 
bestätigt  wurde. 

Taille  (franz.),  der  Tenor;  Saut  taille,  der  hohe  Tenor;  Basse 
taille,  der  Bariton.     Dementsprechend  heisst  auch  die  Bratsche  Taille. 

Taillerus,  Simon,  Mönch  des  Dominikaner-Ordens,  in  Schottland  ge- 
boren, schrieb  ungefähr  1240  mehrere  musikwissenschaftliche  Bücher.  Er  wird 
Tailler  (Britische  Bibliothek),  auch  Tailer  (ytScriptores  ordines praedicatorum«, 
T.  1,  Fol.  111)  genannt.  Die  ihm  zugeschriebenen  Bücher,  auch  von  Pabricius 
(lateinische  Bibliothek  des  Mittelalters),  sind:  »Z)<?  cantu  ecclesiastico  reformando<i, 
nDe  tenore  musicaliic,  y^Tefrachordum«,  »PentacJiorduma. 

Taki-Groto,  ein  modernes  und  sehr  beliebtes  Saiteninstrument  in  Japan, 
bestehend  aus  einem  länglichen,  flachen  ßesonanzkasten  mit  13  Saiten  bespannt, 
die  aus  Seide  zierlich  gedreht  und  durch  "Wachs  gezogen  sind.  Schräg  über 
die  Kesonanztafel  laufen  13  bewegliche  Stege,  durch  welche  die  Töne  regulirt 
werden.  Diese  Stege  sind  von  Holz  und  ungefähr  2^2  Zoll  hoch.  Der  Boden 
ist  mit  gestickter  Arbeit  geziert  und  mit  Inschriften,  Blumen  und  Blätterwerk 
bemalt;  im  Centrum  ist  ein  offener  Fächer  (wie  die  Pose  bei  abendl.  Cithern) 
ausgehauen.  Vergoldet  und  mit  gemaltem  Laubwerk  verziert  ist  das  Instrument 
und  hat  Quasten  an  jedem  Ende  hängen.  Grespielt  werden  die  Saiten  mit 
einem  am  Finger  befestigten  Plectnim.  Die  Japanesen  haben  mehrere  Instru- 
mente vom  Geschlecht  der  Hackbrete,  dort  Goto  (nach  andern  Angaben  Koto) 
genannt.  Sie  sind  eine  Nachbildung  des  chinesischen  Kin  (s.  Lexikon  II,  399). 
Nach  Meijlan  {y>Japan  voogesteld  in  Schetsenv,  Amsterdam,  1830)  ist  das  Goto 
in  folgende  chromatische  Tonreihe  gestimmt: 


:t=:=lz 


Jedenfalls  sind  aber  bei  verschiedener  Stimmung  der  Musikstücke  auch  ver- 
schiedene solcher  chromatischen  Tonreihen  mit  anderem  Anfangstone  anzu- 
nehmen. Eine  Abbildung  des  Taki-Goto  steht  in  C.  Engel's  »Katalog  der 
Musikinstrumente«  im  Kensington-Museum  zu  London  (1871,  S.  21).  Sie  ist 
gefertigt  nach  dem  dortigen  Exemplar,  das  1867  auf  der  Pariser  "Weltaus- 
stellung gekauft  wurde.  B. 

Takkay,    ein    citherartiges    Instrument    in  Eidexenform    bei  den  Siamesen. 
Es   besteht   aus    einem  hohlen  Körper,  der  auf  der  Rückseite  drei  SchalUöcher 

6* 


84  Takoa  —  Talent. 

hat  und  auf  der  Vorderfläche  mit  einer  kupfernen  und  zwei  aus  Seide  gedrehten 
Saiten  bezogen  ist,  die  durch  Wirbel  gestimmmt  und  guitarrenartig  gespielt 
werden.     Aehnlich  ist  die  Patola  der  Birmanen. 

Takoa,  soviel  als  Schofar  oder  Schophar  (s.  d.  A.  und  hebr.  Musik). 
Es  war  ein  aus  Erz  oder  Silber  gefertigtes  Blasinstrument  zu  Kriegszwecken, 
Kriegshorn,  wie  aus  Ezechiel,  Cap.  7,  v.  14  erhellt.  Printz  (»Geschichte  der 
Sing-  und  Klingkunst«,  §  24)  hat  eine  Abbildung  davon  zu  geben  versucht. 
Monumente  fehlen. 

Tal,  eine  Flötenart  der  Inder  von  stark  einschneidendem  Ton,  welche  be- 
sonders bei  den  Tänzen  der  Bajaderen  ihre  Verwendung  findet. 

Talan^  ein  Schlaginstrument  der  Inder,  eine  Art  Cymbel,  ähnlich  wie  die 
griechischen  und  römischen  Krotalen.  Es  besteht  aus  zwei  Deckeln,  durch 
deren  Schläge  man  den  Rhythmus  bei  Tänzen  und  Märschen  markirte. 

Talabardou,    Pascal,    Professor    der    Musik,    gab  heraus:    y>Traite-theorico- 

joratique  de  V articulation  musieale,  avec  des  ohservations  sur  les  sons  de  la  langue 

frangaise  et  sur  la  theorie  des  intervallesa   (Paris,  Schonenberger,    1841,  in  4"). 

y>Cours  de  musique  vocale.     Introduction  ä  toutes  les  methodes  de  chant,  deuxieme 

edifion«  (ibid.   1843,   1   vol.  in  12°,  avec  trente  quatre  pages  de  musique). 

Talauderius,  s.  Talhanderius. 

Talea  (vom  latein.  talis)  bezeichnete  bei  den  alten  Theoretikern  die  voll- 
ständige Einheit  der  kleinern  Glieder  eines  bestimmten  Theils  eines  Tonstücks 
in  Bezug  auf  Namen,  Stellung  und  Geltung  der  Noten  und  Pausen.  (»TÄLJEÄ 
est  idemtitas  particidarum  in  una  et  eadem  parte  cantus  existentium  quoad  nomen 
locum  et  ualorem  notarum  et  pausarum  suarumu.  Tinctoris:  y>TerminoruTn  mu- 
sicae  Diffinitoriuma..) 

Talent  ist  ein  Grad,  und  zwar  nach  dem  Genie  der  höchste  geistiger 
Befähigung,  Dem  Wortsinn  nach  ist  es  »die  reich  zugewogene  Gabe,  das 
Pfund,  mit  dem  man  wuchern  soll«.  Im  engern  Sinne  unterscheidet  man  noch 
als  besondere  untere  Stufen:  Wohlbegabtheit  und  Geschick.  Beide  be- 
ziehen sich  indess  mehr  auf  technische  Fertigkeiten.  Unter  Wohlbegabtheit 
versteht  man  zunächst  die  Anlagen,  auf  verschiedenen  Gebieten  der  Thätigkeit 
etwas  zu  leisten;  gewinnen  diese  dann  eine  bestimmte  Eichtung  in  der  ent- 
sprechenden Ausübung  gewisser  Fertigkeiten,  so  werden  sie  zur  Geschick- 
lichkeit. Wohlbegabtheit  ist  für  jede  Leistung  in  allen  Fächern  geistiger 
und  mehr  mechanischer  Thätigkeit  erforderlich,  während  das  Geschick  mehr 
nur  für  letztere  als  Voraussetzung  gilt.  Als  Talent  äussern  sich  dann  Be- 
gabtheit und  Geschick  in  der  besondern  Vei'anlagung  für  ganz  bestimmte 
Gebiete  der  Thätigkeit  des  Geistes.  Das  Geschick,  Feder  und  Griffel  anmuthig 
und  charakteristisch  zu  handhaben,  verräth  Talent  zum  Zeichnen  und  Malen; 
das  Geschick,  Melodien  nach  dem  Gehör  nachzusingen  und  zu  spielen,  verräth 
Talent  zum  Gesang  und  zur  Musik  überhaupt;  ebenso  wie  die  Fähigkeit,  mit 
Bausteinen  instinctiv  symmetrische  Figuren  zusammenzustellen,  auf  Talent  zur 
Baukunst  schliessen  lässt.  Dies  äussert  sich  zunächst  auf  der  untersten  Stufe 
in  solchen  besondern  Geschicklichkeiten.  Künstlerisch  angelegte  Naturen  zeigen 
in  der  Eegel  früh  dies  allgemeine  Geschick  für  künstlerische  Thätigkeit  über- 
hauj)t,  sie  versuchen  zu  zeichnen  und  zu  malen,  zu  dichten  und  zu  musiciren 
und  erst  allmälig  bricht  dann  das  Talent  für  eine  besondere  Thätigkeit 
hervor.  Nicht  selten  aber  auch  überwiegt  der  eine  Zug  alle  andern,  so  dass 
kein  Zweifel  über  die  vorherrschende  Befähigung:  für  die  eine  Kunst  bleibt. 
Als  unterste  Voraussetzung  gilt  natürlich,  dass  die  betrefi'enden  Organe  des 
menschlichen  Körpers  auch  für  die  Ausübung  der  bestimmten  Kunst  besonders 
günstig  gestaltet  sind.  Wie  die  bildenden  Künste:  Malerei,  Skulptur  und 
Architektur  ein  besonders  günstig  organisirtes  Auge  erfordern,  neben  der 
leicht  und  geschickt  gestaltenden  Hand,  so  die  Musik  und  in  gewissem  Sinne 
ja  auch  die  Dichtkunst,  ein  feines  Ohr  für  den  Klang  und  Tonfall  des 
Stimmorgans  und  die  eigenthümlichen  Wirkungen  des  Rhythmus. 


Talent.  85 

In  den  meisten  Fällen,  wenn  ancli  nictt  immer,  hat  Mutter  Natur  dem 
speciflschen  Drange  des  Geistes  auch  die  entsprechenden  Organe  in  möglichster 
Vollkommenheit  beigegeben,  und  früh  regt  sich  der  Trieb  im  Kinde  schon,  sie 
auch  zu  brauchen.  Aus  der  blossen  Freude,  die  dies  an  den  einzelnen  Erzeug- 
nissen der  Kunst  empfindet,  entwickelt  sich  gar  bald  der  Drang,  selbst  zu 
formen  und  zu  bilden,  zu  singen  und  zu  musicireu,  zu  dichten  und  zu  fabu- 
liren.  Hier  nun  zeigt  sich  das  besondere  Talent  und  der  eigenthümliche  Grad 
desselben.  Die  erste  Vorbedingung  für  die  Schöpfung  des  Kunstwerks  ist  die 
Herrschaft  über  die  technischen  Mittel  der  Darstellung.  Diese  zu  erreichen 
ist  daher  die  erste,  höchste  und  in  der  Regel  einzige  Aufgabe  des  Talents. 
Es  eignet  sich  mit  mehr  oder  weniger  Leichtigkeit  durch  Fleiss  und  ernste 
Studien  alle  die  Fertigkeiten  an,  welche  dazu  gehören,  künstlerisch  thätig  sein 
zu  können;  durch  Unterweisung  und  Uebung  gelangt  es  dahin,  selbst  ein  Kunst- 
werk in  höchster  Formvollendung  zu  schaffen.  Es  unterzieht  das  gesammte 
Darstellungsmaterial  durch  fortgesetzte  Arbeit  den  ernstesten  Untersuchungen 
in  Bezug  auf  seine  Ausdrucksfähigkeit  nicht  minder  wie  in  Bezug  auf  die 
Gesetzmässigkeit  seiner  Verarbeitung;  weil  es  hauptsächlich  darauf  gerichtet 
ist,  das  formvollendete  Kunstwerk  zu  schaffen,  so  muss  es  sich  über  die  Be- 
dingungen desselben  zuerst  die  möglichste  Klarheit  zu  verschaffen  suchen.  Es 
schliesst  sich  daher  bei  seinen  Uebungen  wie  bei  seinem  Schaffen  den  voran- 
gehenden oder  auch  gleichzeitigen  grossen  Meistern  an,  indem  es  mehr  nach- 
ahmend verfährt.  Das  Talent  kommt  darüber  aber  auch  nicht  hinaus;  es  ge- 
langt auf  diesem  "Wege  der  nur  mehr  aneignenden  Thätigkeit  wohl  dazu,  ein 
schönes,  selbst  mustergültiges  Kunstwerk  zu  schaffen,  aber  diesem  fehlt  der 
selbständige  neue  Inhalt,  den  die  höchste  Potenz  geistiger  Befähigung,  das 
Genie,  dem  Kunstwerk  giebt.  Nur  hierin  unterscheidet  sich  dies  von  jenem, 
im  Uebrigen  ist  der  Gang  der  Entwickelung  desselben  ziemlich  genau  derselbe 
wie  der  so  eben  beschriebene;  der  neue  Inhalt,  den  das  Genie  dem  Kunst- 
werk giebt,  erfordert  zu  seiner  Gestaltung  ebenso  unumschränkte  Herrschaft 
über  das  gesammte  Darstelluugsmaterial,  wie  sie  das  Talent  erwerben  muss, 
und  diese  gewinnt  das  Genie  ebenso  nur  durch  Uebung  und  eingehende  Stu- 
dien wie  das  Talent,  wenn  ihm  diese  auch  meist  noch  leichter  werden  und 
wenn  es  auch  rascher  damit  zu  Ende  kommt,  als  jenes. 

Die  allgemeine  Anschauung,  nach  welcher  nur  ein  besonderer,  ungewöhnlich 
an-  und  aufregender  Inhalt  als  genial  gilt,  und  nach  welcher  der  Genius  alles 
von  selbst  kann,  auch  die  Technik  seiner  Kunst,  ist  gewiss  ganz  falsch  iind 
hat  viel  Verwirrung  angerichtet.  Das  Verhältniss  des  Talents  zum  Genius 
ist  kein  anderes  als  das  erörterte;  das  Talent  eignet  sich  nur  an;  es  ist  die 
Fähigkeit,  der  höchsten  Technik  Meister  zu  werden  und  gewinnt  mit  dieser 
jenen  allgemeinen  Inhalt,  welcher  diese  überhaupt  erzeugte  und  der  höchstens  nur 
besonders  individuell  gefärbt  erscheint,  das  Genie  bringt  einen  eignen 
Inhalt,  für  dessen  Ausdruck  es  dann  nach  der  entsprechenden  Technik  sucht. 
Diese  findet  es  naturgemäss  nur  im  Anschluss  an  den  Gang  der  Entwickelung 
derselben.  Wie  an  verschiedenen  Orten  des  vorliegenden  Werkes  nachgewiesen 
worden  ist,  unterliegt  die  Technik  auch  allgemeinen,  im  Material  und  der 
eigensten  Idee  der  Formen  begründeten,  nicht  vom  speciellen  Inhalt  bedingten 
Bestimmungen,  und  diese  muss  auch  der  Genius  kennen  und  meisterlich  beob- 
achten lernen.  Dies  aber  erreicht  er  nur  durch  ernste  Studien  und 
Uebungen,  wie  sie  auch  das   Talent  anstellen  muss. 

Der  Bildungsgang  aller  grossen  Meister  der  Vergangenheit  giebt  zahlreiche 
Belege  hierzu.  Auch  die  glänzendste  Begabung  offenbart  sich  in  den  Jugend- 
arbeiten in  der  Hegel  nur  dadurch,  dass  sie  sich  rascher  die  überkommenen 
Mittel  und  Formen  ihrer  Zeit  aneignet  und  sie  in  ungewöhnlicher  Weise  ver- 
wendet, nur  in  einzelnen,  meist  sehr  verborgenen  Zügen  giebt  sich  die  beson- 
dere Richtung  zu  erkennen,  nach  welcher  das  Kunstwerk  weiter  geführt  werden 
soll.     Unter    dem    energischen    Streben    nach  Aneignung   der  Kunstmittel  wird 


86  Talent. 

selbst  der  geniale  Zug  eingeengt  und  zurückgetalten.  "Wie  stark  diese  äussern 
Verhältnisse  das  "Walten  des  Genius  beeinflussen,  ist  namentlich  an  Händel 
und  Gluck  erwiesen,  die  beide  die  eine  Hälfte  ihres  Lebens,  und  zwar  die 
für  Produktion  meist  ergiebigste,  einzig  im  Sinne  und  Anschluss  an  ihre  Zeit 
gearbeitet  haben,  ehe  sie  ihre  eigentliche  Aufgabe  ergriffen  und  ihre  Mission 
erfüllten.  Beide  begannen  dies  erst  in  reifern  Jahren ;  jener,  indem  er  das 
Oratorium,  dieser,  indem  er  die  heroische  Oper  zur  Höhe  der  Vollendung 
führte.  Früher  als  diese  beiden  Meister  erfasste  Job.  Seb.  Bach  seine  Mission. 
In  ihm  sollten  die  verschiedenen  Strömungen,  in  welche  die  Kunstpraxis  seiner 
Zeit  sich  ausgebreitet  hatte,  wiederum  einheitlich  zusammengefasst  werden,  durch 
ihn  der  strenge  Contrapunkt  der  alten  Schule  mit  den  neuen  Kunstmitteln  be- 
weglicher und  freier  gestaltet  werden,  um  ihm  zugleich  höhere  Bedeutung  zu 
geben;  und  in  diesem  Bestreben,  dem  alten  Contrapunkt  die  Innigkeit  des  Volks- 
liedes zu  vermitteln,  finden  wir  ihn  von  vornherein  thätig;  er  ist  unablässig 
bemüht,  sich  den  Contrapunkt  mit  all  seinen  künstlichsten  Formen  anzueignen 
und  zugleich  aber  die  verschiedenen  Stilarten  der  freiem  instrumentalen  Schreib- 
art und  dass  ihm  diese  Vermittelung  gelang,  ist  seine  unerreichte  Grösse.  Damit 
schuf  er  jene  "Werke,  die  ihn  unter  den  grössten  Genies  zu  dem  unstreitig 
hervorragendsten  machen. 

"Wie  ganz  anders  auch  die  künstlerische  Thätigkeit  Jos.  Haydn's  der, 
der  vorerwähnten  Meister  gegenüber  erscheint,  so  ist  doch  sein  Genie  nicht 
srerinffer  zu  achten,  mit  dem  er  die  Instrumentalmusik  in  die  neuen  Bahnen 
der  Entwickelung  führte,  auf  der  ihm  dann  Mozart  und  Beethoven  folgten, 
und  dass  sie  nicht  blos  wie  das  Talent,  dem  vordem  Meister  nachahmten,  son- 
dern in  dem  gleichen  Streben  und  innerhalb  derselben  Formen  einem  neuen 
Inhalt  Ausdruck  geben  und  dass  sie  auch  andere  Formen,  wie  die  des  Liedes 
oder  der  Oper,  mit  neuem  Inhalt  erfüllten,  lässt  sie  als  Genies  erscheinen.  In 
diesem  Sinne  ist  es  auch  ganz  zweifellos,  dass  auch  die  drei  bedeutendsten  Ro- 
mantiker Schubert,  Mendelssohn  und  Schumann,  was  man  nicht  überall 
zugestehen  will,  als  Genies  gelten  müssen,  indem  sie  für  den  neuen,  echt  roman- 
tischen Inhalt  der  neuen  Zeit  die  rechte  Form  fanden. 

Erscheint  demnach  das  Talent  auch  dem  Genie  nach  seiner  Bedeutung 
durchaus  untergeordnet,  so  hat  es  dennoch  nicht  nur  seine  grosse  kunst-,  son- 
dern auch  cultur historische  Bedeutung.  In  seinem  Streben  nach  künstlerischer 
Vollendung  wird  es  nicht  so  leicht  auf  Abwege  geführt,  wie  das  Genie.  Das 
Talent  hat  zunächst  kein  anderes  Ziel,  als  nur  Vollendetes  zu  leisten,  sei  es 
auch  in  mehr  hergebrachten  Formen  und  in  allgemeiner  VTeise,  und  in  diesem 
Bestreben  offenbart  es  uns  nicht  einen  neuen  Inhalt,  aber  es  giebt  den  be- 
kannten und  geliebten  doch  in  möglichst  vollendeter  Form,  wodurch  immerhin 
das  künstlerische  Vermögen  eines  Volkes  wächst.  Das  Genie  dagegen  folgt 
mehr  dem  gewaltigen  Drange,  das  Neue,  was  es  uns  zu  verkünden  hat,  zu 
offenbaren,  und  dabei  macht  sich  nicht  selten  der  Trieb  bemerkbar,  auch  nur 
sich  selbst  zu  folgen,  nur  die  eigene  Eigenthümlichkeit  herauszukehren  und 
nicht  mehr  nach  den  allgemeinen  Gesetzen  der  Schönheit,  nach  den  Bedingungen 
künstlerischer  Verständlichkeit  zu  "fragen.  Das  geniale  Individuum  stellt  dann  nur 
sich  selbst  dar  in  subjektivster  Fassung,  dabei  leidet  entschieden  die  künst- 
lerische Darstellung,  und  einen  wie  interessanten  Inhalt  es  uns  auch  zu  offen- 
baren vermöchte,  dies  geschieht  dann  doch  nicht  in  der  entsprechenden  künst- 
lerischen Form,  Nach  dieser  Seite  ist  der  Einfluss,  den  die  nur  mit  Talent 
begabten  Künstler  auf  die  genialen  gewonnen  haben,  noch  viel  zu  wenig  ge- 
würdigt, dieser  wird  im  Gegentheil  weit  unterschätzt.  Bei  einzelnen  genialen 
Meistern  ist  dieser  Einfluss  direct  nachzuweisen.  Job.  Seb.  Bach  hat  an  dem 
Talent  eines  Buxtehude,  und  Heinkens  eines  Vivaldi  und  der  bescheidenen 
Cantoren  Thüringens  seinen  Eiesengeist  mit  gross  gezogen.  Für  Händel's 
Genius  wurde  ebenso  wie  für  den  Gluck 's  das  Talent  der  italienischen  Opern- 
componisten    seiner  Zeit    zum  Lehrmeister;    wie    viel  Haydn  dem  talentvollen 


Talesio  —  Tallis. 


87 


Sohne  des  grossen  Thomascantors,  dem  gesclimackvollen  Phil.  Em.  Bach  ver- 
dankt, das  hat  er  selber  laut  und  wiederholt  bekannt.  Für  Mozart's  Genius 
wurden  gleichfalls  die,  dem  bescheidenen  Talent  der  italienischen  Operncompo- 
nisten  entsprosste  italienische  Oper  zur  Arena,  in  welcher  er  seine  junge  Kraft 
versuchte  und  zugleich  stählte  und  schulte  und  was  er  weiter  aus  Schweitzer's 
und  der  Zeitgenossen  dramatischen  Arbeiten  lernte,  hat  auch  er  wiederholt 
anerkannt.  Die  kleinern  Meister  des  Liedes,  wie  Zumsteg,  halfen  auch  Schu- 
bert den  ersten  Liedstil  auffinden  und  so  dürften  sich  noch  eine  Reihe  erwie- 
sener Thatsachen  anführen  lassen,  welche  bis  zur  Evidenz  darthun,  dass  das 
Talent  nicht  so  ohne  Nachhall  arbeitet  und  schafft,  wie  man  in  der  Regel 
annimmt.  Die  gewaltigen  Thaten  des  Genius  sind  nur  zu  sehr  geeignet,  die 
Sinne  zu  blenden  und  alles  andere  zu  verdunkeln,  so  dass  der  Zusammenhang 
zwischen  diesem  und  jenem  nicht  mehr  vorhanden  erscheint.  Aber  in  der  That 
wird  das  Genie  immer  nur  dann  unvergänglich  Grosses  und  Herrliches  schaffen, 
wenn  es  sich  im  natürlichen  Zusammenhange  mit  der  organischen  Entwickelung 
hält,  nur  als  die  höchste  Potenz  des  Talents,  als  der  Inbegriff  aller  Vertreter 
desselben  erscheint.  Darin  beruht  seine  monumentale  Grösse,  dass  es  die  ver- 
einzelten Bestrebungen  der  mitstrebenden  Talente  zusammenfasst  im  einheitlich 
organisirten  Kunstwerk,  wodurch  dann  allerdings  jene  Bestrebungen  gewisser- 
maassen  die  Existenzberechtigung  verlieren,  weshalb  sie  denn  auch  meist  wenn 
nicht  ganz  vergessen  werden,  doch  auch  nur  für  die  Geschichte  erhalten  bleiben. 

Talesio,  Pedro,  Professor  der  Musik  zu  Co'imbra  im  Anfang  des  17.  Jahr- 
hunderts, hat  herausgegeben:  -»Arte  do  Carito  chao  com  huma  hreve  instrugaö 
para  os  Saeerdotes,  Diaconos,  e  Suldiaeonos,  e  mogos  do  Coro  conforme  o  uso 
romanoa    (Coimbra,   1617,  4",    et  ibi  por  Diogo   Gomes  do  Loureiro,  1628,  4°). 

Talhaudier,  Petrus,  lateinisch:  Talanderius,  Verfasser  eines  Manuscripts, 
das  sich  in  der  Bibliothek  des  Vatikans  No.  5129  befindet  und  verschiedene 
Abhandlungen  über  den  Gregorianischen  Kirchengesang  und  über  die  Mensural- 
Musik  enthält.  Der  ganze  Codex  hat  den  Titel:  r>Lectura  tarn  super  cantw 
mensurahili,  quam  super  immensurahilia.  Das  Manuscript  ist  aus  dem  15.  Jahr- 
hundert und  enthält  interessante  Capitel. 

Talian,  ein  altböhmischer  Nationaltanz  mit  Tactwechsel,  ähnlich  den  Ober- 
pfälzer Bauertänzen.  Der  Name  bedeutet  so  viel  als  Italiener.  —  Hier  ist  die 
Musik  dazu,  mitgetheilt  in  Dionys.  Weber's  »Lehrb.  der  Harmonie«  (Prag,  1830). 


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Tallis,  Thomas,  einer  der  grössten  Contrapunktisten  Englands  im  16. 
Jahrhundert,  gehörte  als  Organist  zur  Königl.  Hofmusik  unter  der  Regierung 
Heinrich  VIII.,  Eduard  VI.,  der  Königin  Maria  und  der  Königin  Elisabeth. 
In  späterer  Zeit  versah  er  das  Amt  gemeinschaftlich  mit  seinem  Schüler  Bird, 
welcher  ebenfalls  als  Contrapunktist  berühmt  geworden  ist.  Die  Leistungen 
beider  sind  um  so  höher  anzuschlagen,  als  sie,  wenigstens  in  ihrem  Vaterlande, 
keine  Vorbilder  für  ihre  Arbeiten  fanden.  Die  Musik  des  Tallis  ist  edel  und 
schön,  anfangs  ausschliesslich  auf  den  Cantus  firmus  der  lateinischen  Gesänge 
der  katholischen  Kirche  eingerichtet,  bis  Dr.  Aldrich  zum  Gebrauch  der  eng- 
lischen Kirche  den  Gesängen  englische  Uebersetzungen  und  Parodien  unterlegte. 
Das  Einkommen  des  Tallis  belief  sich  nicht  höher  als  täglich  7  Pfennige,  doch 
dass  man  ihn  dennoch  zu  schätzen  wusste,  beweist  die  Ertheilung  eines  Privi- 
legiums, an  welchem  Bird  participirte.  Es  war  Beiden  dadurch  das  ausschliess- 
liche Recht  zugestanden,  während  eines  Zeitraumes  von  21  Jahren  ihre  Werke 
selbst    drucken    zu    dürfen.     Dies  Patent  wurde  zehn  Jahre  vor  dem  Tode  des 


38  Taloni  —  Tambourin. 

Tallis  ausgefertigt,  und  der  erste  Gebrauch,  den  sie  davon  macliten,  war  die 
Herausgabe  des  folgenden  Werkes,  welches  mit  die  besten  Sachen  von  Tallis 
enthält:  y)Cantiones  quae  ah  argumento  sacrae  vocmitur,  qidnque  et  sex  'partium^ 
autoribus  Thomae  TaUisio  et  GuUelmo  Birdo,  Anglis  sereniss  (London,  Yautrollier, 
1575,  in  4").  Reginae  Maj.  a  privato  savello  Generosis  et  Organistisa.  Andere 
Arbeiten  desselben  Autors  sind  noch  in  Sammlungen  und  im  Manuscript  er- 
halten. Zunächst  in  der  Sammlung:  y>Morning  and  evening  prayer  and  com- 
mmiion,  set  forthe  in  4  partes  to  he  song  in  cJmrches,  hoth  for  men  and  children 
witJi  dyvers  other  godly  prayers  and  anthems  of  sundry  mens  doyngs«  (Imprinted 
at  London  by  John  Day,  1565).  Enthält  Compositionen  von:  Cawston,  Heath, 
Hasleton,  Johnson,  Tallis,  Oakland  und  Shepard.  Ferner  in  des  Dr.  Boyce 
Sammlung  von  Kirchenmusiken,  gedruckt  1760.  In:  y>First  Book  of  selected 
church  music«.  von  John  Barnard  (London,  1648).  In  der  allgemeinen  Musik- 
geschichte von  Burney,  Band  III,  S.  27 — 28  steht  (in  Partitur  abgedruckt)  eine 
fünfstiramige  Motette.  Ebenda  ein  fünfstimmiges  Kirchenlied:  yySalvator  mundi«, 
(in  Partitur,  Band  III,  S.  77 — 79).  In  der  Musikgeschichte  von  Hawkins 
(Band  III,  S.  267 — 275,  in  Partitur)  eine  fünfstimmige  Motette  •aÄhsterge,  Do- 
minev..  Ebenda  ein  Canon:  y>]i£iserere  nostri,  Bominea  für  sieben  Stimmen. 
(Band  III,  S.  276—278)  und  nach  einer  Handschrift:  y>8ong,  Like  as  the  dole- 
fulU  (Thl.  V,  S.  450 — 452).  Manuscripte  befinden  sich  in  Cambridge  und  in 
Oxford  in  der  Bibliothek  der  Christkirche.  Am  letzteren  Orte  ist  das  inter- 
essanteste seiner  Werke,  eine  vierzigstimmige  Composition  aufbewahrt.  Diese 
ist  136  Takte  lang  und  besteht  aus  40  obligaten  Singstimmen:  acht  Soprane, 
acht  Mezzo-Soprane,  acht  Contra-Tenöre,  acht  Tenore  und  acht  Bassstimmen 
nebst  Bass  continuo.  Sein  und  des  W.  Bird  Bildniss  sind  auf  einer  Platte, 
das  eine  über  dem  andern  von  G.  von  Gucht  in  Kupfer  gestochen. 

Taloni,  Hieronymus,  Componist  der  römischen  Schule  und  Kapellmeister 
der  Kathedrale  von  Albano  im  Anfang  des   17.   Jahrhunderts.    Es  ist  von  ihm 
nur  eine  Composition  bekannt:  r>Motetti  Salmi  di  Yespri  e  compieta  con  le  Änti- 
fone  a  tre  e  quattro  vocia,  op.  2   (Rom,  Masotti,  1629,  in  4°). 

Tainberlik,  Enriko,  einer  der  ausgezeichnetsten  Tenoristen  seiner  Zeit, 
ist  1820  zu  Rom  geboren  und  bildete  sich  nicht  nur  zu  einem  der  vortreff- 
lichsten Sänger,  sondern  auch  zu  einem  ausgezeichneten  Schauspieler  und  in 
dieser  Doppeleigenschaft  errang  er  ausserordentliche  Triumphe  namentlich  in 
Petersburg,  wo  er  lange  Zeit  verweilte.  1867  ging  er  nach  Madrid,  wo  er 
namentlich  auch  als  Gesanglehrer  erfolgreich  wii'kte. 

Tambour  de  basqne,  s.  Tambourin. 

Tainbouriu.  Mit  diesem  Ausdruck  bezeichnet  man  die  baskische  Trom- 
mel (Tambour  basque),  d.  i.  eine  flache  Handtrommel,  die  aus  breiten  Reifen  von 
Holz  oder  Metall  besteht,  über  welchen  auf  der  einen  Seite  ein  Fell  gespannt 
ist,  das  mit  der  Hand  geschlagen,  oft  auch  nur  mit  den  Fingern  gerührt  wird. 
Gewöhnlich  sind  in  den  Reifen  kleine  runde  Stückchen  Blech  zum  Rasseln 
eingelassen  oder  an  dem  Reifen  einige  Paare  kleiner  Schellen  angebracht,  die 
ein  Geklingel  machen,  wenn  man  das  Fell  anschlägt  oder  das  ganze  Instrument 
nach  dem  Takte  schüttelt.  Dieses  Schlaginstrument  ist  aber  uralt  und  führt 
wohl  mit  Unrecht  den  Namen  Baskentrommel,  da  man  es  schon  unter  den 
Monumenten  der  Griechen  und  Römer,  namentlich  in  der  Hand  von  Tänzerinnen 
(man  denke  an  die  Abbildung  der  bekannten  Tänzerin  aus  Hex'culanum)  abge- 
bildet findet.  In  ganz  Südeuropa  wird  noch  gegenwärtig  dasselbe  Instrument  zu 
Volkstänzen  verwendet  und  in  der  Regel  von  den  Tänzerinnen  selbst  geschlagen. 

Tambourin  heisst  ferner  ein  französischer  Tanz  nach  Art  der  Gavotten,  im 
'/4-Tact,  von  munterem  Charakter  und  in  geschwinder,  leichter  Bewegung.  Er 
war  ursprünglich  in  der  Provence  üblich  und  wurde  mit  der  Handpauke  (Tam- 
burin) und  dem  Flageolet  begleitet.  Hier  ist  ein  Musikstück  dieses  Namens  aus 
La  Borde:  -»Essai  sur  la  musiquea  II  (1780). 


Tambonriii  de  Provence  —  Tamburini. 


89 


Tambonrin. 


ai^lgäi^feisl^^^^l^i^isi 


Andere  Beispiele  von  Tambourins  finden  sich  in  Rameau's  Compositionen. 

Tambonrin  de  Provence  heisst  eine  kleine  Trommel,  welche  der  Spielmann 
vor  sich  hängen  hat  und  auf  welcher  er  mit  der  einen  Hand  den  Tact  schlägt, 
während  die  andere  auf  dem  Galouhet  (einem  Pfeifchen)  fingert,  das  er  zugleich 
dazu  bläst.  Solche  Spielleute  mit  Pfeife  und  Trommel  in  einer  Person  findet 
man  im  Mittelalter  vielfach  abgebildet.  Das  war  gewöhnlich  die  einzige  Musik 
zum  ländlichen   Tanze  in  Deutschland,  Frankreich  und  den  Niederlanden, 

Tambonrin  de  Gascogne  ist  ein  Saiteninstrument,  das  aus  einem  Schall- 
kasten besteht,  über  welchen  einige  Saiten  gespannt  sind,  die  mit  einem  Stäb- 
chen, das  der  Spieler  in  der  rechten  Hand  hält,  geschlagen  werden,  während 
er  mit  der  linken  die  Töne  auf  einer  dazu  geblasenen  kleinen  Flöte  (Galouhet) 
greift.     In  Gascogne  und  Bearn  ist  das  sehr  gebräuchlich. 

Tambnr,  s.  Tanbur. 

Tambnr  Bag"laniah,  Kinder-Mandoline,  ähnlich  dem  T  ambur  Buzurk, 
doch  von  dem  geringern  Umfang  von  zwei  Octaven  und  kleineren  Dimensionen. 

Tambnr  Bnlgkary,  eine  reich  verzierte  kleine  Mandoline  mit  vier  Metall- 
saiten, zwei  einzelnen  und  einer  doppelten,  im  Umfange  von  zwei  Octaven. 

Tambnr  Buzurk,  grosse  Mandoline,  anscheinend  persischen  Ursprungs,  mit 
sechs   Saiten,  die  einen  Umfang  von   2^2   Octaven  umfassen. 

Tambnr  Cliarky  ist  mit  einer  Messing-  und  zwei  Stahlsaiten  bespannt. 

Tambnr  Kebyr-Turky,  eine  grosse  Mandoline,  etwas  mehr  halbrund  gewölbt, 
mit  plattem  Klangkasten  und  acht  Saiten  mit  einem  Umfang  von  2^/2  Octaven. 

Tambur  Kütschek,  eine  kleine  Mandoline  mit  acht  Saiten. 

Tamburek  ebenfalls  eine  Mandoline  der  Türken,  mit  vier  Saiten  bespannt 
und  mit  vielen  Bändern  und  Schellen  versehen. 

Tambnrinl,  Anton,  einer  der  bedeutendsten  Basssänger  seiner  Zeit,  geboren 
am  28.  März  1800  zu  Faenza,  wo  sein  Vater,  Pas  quäle  Tamburini,  als 
Musiklehrer  lebte.  Dieser  wurde  später  Dirigent  eines  Militärmusikchors  in 
Fossombrone  im  Gebiet  von  Ankona  und  hier  bereits  unterrichtete  er  den  kaum 
neun  Jahre  alten  Knaben  im  Hornblasen,  was  er  jedoch  einstellte,  als  er  be- 
merkte, dass  die  Behandlung  dieses  Instrumentes  dem  Knaben  zu  grosse  An- 
strengung verursachte.  Er  gab  nun  der  musikalischen  Ausbildung  desselben 
eine  andere  Richtung,  indem  er  ihn  dem  Kapellmeister  Aldobrando  Bossi 
übergab,  der  mit  ihm  Gesangstudien  vornahm.  Zwölf  Jahre  alt  kam  T.  nach 
Faenza  zurück  und  sang  zunächst  während  der  Messe  im  Opernchor  mit.  Hier 
war  er  im  Stande,  vermöge  seines  guten  Auffassungstalents  durch  das  Anhören 
bedeutender  Sänger,  die  als  Solisten  mitwirkten,  schon  bedeutenden  Vortheil 
zu  ziehen.  Als  sein  Contraalt  sich  bereits  in  einen  sonoren  Bass  verwandelt 
und  er  eine  Zeit  lang  auch  bei  Kirchenmusiken  mitgewirkt  hatte,  verliess  er 
das  väterliche  Haus  und  liess  sich  in  Bologna  von  einem  Operndirektor  an- 
werben. Sein  erstes  Auftreten  fand  in  der  Oper  y>La  Comteasa  di  Col-Hrhosi« 
von  Generali  in  der  kleinen  Stadt  Cento  statt  und  seine  erste  Tournee  erstreckte 
sich  auf  Mirandola,  Correggio  und  Bologna.  Von  hier  aus  erhielt  er  ein  bes- 
seres Engagement  nach  Piacenza  für  den  Carneval  1819  und  hier  zeigte  er 
sich  so  vortheilhaft  in  den  Opern  yiCenerentolaa,  »Die  Italienerin  von  Algier« 
und  yyGU  Ässassinia  von  Trento,  dass  er  für  das  Theater  Nuovo  in  Neapel 
engagirt  wurde.  Auf  dem  ganzen  Zuge  durch  die  Städte  Italiens,  den  der 
Sänger  nun  unternahm,  gewann  er  immer  mehr  an  Erfolgen.  Sein  Gesang  soll 
zwar  nicht  völlig  ohne  Mängel  gewesen  sein,  doch  die  von  Natur  schöne  volle 


90  Tamburins  —  Tamltius, 

und  biegsame  Stimme  vom  schönsten  Timbre  (sie  reichte  vom  eingestrichenen 
G  bis  zum  tiefen  C),  vereint  mit  dem  Vorzüge  einer  schönen  Vocalisation  und 
einer  ausdrucksvollen  Cantilene,  machte  ihn  für  lange  Zeit  zum  hochberühmten 
Sänger,  Livorno,  Florenz,  Turin,  Mailand  (wo  er  sich  1822  mit  der  schönen 
Sängerin  Marietta  Gioja  verheiratete),  Triest  und  Venedig  wurden  zunächst 
Orte  seiner  Triumphe,  besonders  in  der  letzteren  Stadt  glänzte  er  in  einem 
Hofconcert,  bei  welchem  auch  Rossini  thätig  war.  Nun  ging  T.  auf  zwei  Jahre 
nach  Rom,  besuchte  Palermo,  wiederum  Venedig,  und  war  dann  auf  längere 
Zeit  vom  Entrepreneur  Barbaja  für  die  Theater  von  Neapel,  Mailand  und  Wien 
engagirt.  Vom  Jahre  1832,  während  mehr  als  zehn  Jahren,  gehörte  er  den 
Parisern  und  diese  Zeit  ist  als  seine  Glanzperiode  zu  bezeichnen.  Er  behaup- 
tete hier  seinen  Platz  neben  Rubini,  Lablache,  den  Sängerinnen  Persiani,  Grisi, 
Viardot  und  versetzte  das  Publikum  gleich  diesen  in  Entzücken.  Ungefähr  1841 
kehrte  er  nach  Italien  zurück  und  obwohl  der  Zenith  seines  Ruhmes  nun  über- 
schritten war,  sang  er  noch  in  Lucca,  Sinegaglia,  1852  in  Petersburg  und 
Moskau,  noch  später  in  London.  Er  besuchte  nachdem  Holland  und  1854 
noch  einmal  Paris  und  erschien  in  London  zum  letzten  Mal  auf  der  Scene, 
zu  lange,  um  nicht  einen  neuen  Beweis  zu  liefern,  dass  hier  nichts  bleibend 
ist.  Kraft  und  Glanz  der  Stimme  waren  schon  längst  im  Entschwinden.  Er 
lebte  später  in  Nizza  und  starb  daselbst  am  6.  November   1876. 

Tamburins,  eine  Art  Tamburek  (s.  d.),  das  aber  nur  drei  Saiten  hat. 

Taiuburo  (ital.),  tamhor,  atamhor  (spanisch  und  portugiesisch),  tahor 
(provenc),  tamhour  (franz.),  die  Trommel  und  auch  der  Trommler.  Davon 
das  Diminutiv  tamhurino  (ital.)  und  tambourin  (franz.)  für  die  kleine  Hand- 
trommel. —  Alle  diese  Ausdrücke  der  romanischen  Sprache  für  Trommel  sind 
vom  persischen  Worte  tamhior  und  arabischen  tanhur  abzuleiten,  was  dort 
aber  nicht  eine  Trommel,  sondern  eine  langhalsige,  mit  einem  Stäbchen  geschla- 
gene Zither  bezeichnet.  Da  alle  diese  romanischen  Bezeichnungen  für  Trommel 
an  arabischen  Ursprung  gemahnen,  so  hat  Wolfram  in  Willehelra  ganz  Recht, 
wenn  er  von  dem  tarnbüe  als  einer  sarazenischen  Sache  spricht.  Uebrigens  war 
auch  im  Mittelhochdeutsch  der  fremde  Ausdruck  tamhür  und  tahür  gebraucht, 
z.  B.  im  Parcival  764,  24: 

„Do  reit  dar  zuo  mit  schalle 
Artus  mit  den  sinen, 
man  bort  da  pusinen, 
tambürn,  floitieren,  stiven." 

{Stive,  Estive,  ein  provencalisches  Wort,  ist  bei  Diez  [»Poesie  der  Trouba- 
dours«, S.  41]   als  Sackpfeife  erklärt.) 

Tamburo  ruUante  ist  eine  kleine  Trommel,  die  sogenannte  Militärtrommel, 
auf  welcher  der  Wirbel  geschlagen  wird  (s.  Trommel). 

Tämerlein,  eine  Art  Trommel.  Das  deutsche  Wort,  jedenfalls  aus  dem 
französischen  tamhour ,  tajnbotirin  entstanden,  kommt  im  16.  Jahrhundert 
vor,  z.  B.  in  der  Urkunde  zu  dem  Triumphzuge  Maximilian's  I.,  wovon  eine 
Abbildung  von  Albrecht  Dürer  im  Nürnberger  Rathhaussaale  sich  befindet 
(s.  d.  Lex.  I.  595). 

Tamitius,  Andreas,  seit  1669  als  Orgelbauer  bei  der  Kurfürstl.  Sachs. 
Kapelle  in  Dresden  angestellt,  galt  seiner  Zeit  als  einer  der  tüchtigsten  Meister 
in  seinem  Fache.  Er  baute  1683 — 1684  die  Orgel  in  der  Petrikirche  zu  Gör- 
litz von  47  Stimmen  mit  drei  Manualen  und  Pedal,  die  als  treffliches  Werk 
galt,  1691  aber  schon  abbrannte.  Näheres  über  diese  Orgel  enthält  Brückner's 
»Historische  Nachricht  von  denen  Orgeln  der  Petri-  und  Paulskirche  in  Görlitz 
u,  s.  w.«  (Görlitz,  1766). 

Tamitius,  Johann  Gott  lieb,  der  Sohn  des  Vorigen,  lebte  als  Orgelbauer 
in  Zittau  und  baute  1744  zu  Lossow  bei  Frankfurt  a.  0.  »ein  zwar  kleines, 
aber  trefflich  intonirtes  Werkchen  von  17  Stimmen  mit  drei  grossen  Bälgen. 
Er  machte  besonders  vortreffliche  Flötenstimmen  und  lebte  noch  1754«  (Gerber, 


Tamplini  —  Tandolini.  91 

»Neues  Tonkiinstlerlexikon«).  Sein  Sohn,  dessen  Vorname  nicht  bekannt  ge- 
worden ist,  lebte  ebenfalls  als  Orgelbauer  in  Zittau.  Nach  Gerber  haben  die 
Mitglieder  der  Familie  Tamitius  hauptsächlich  Böhmen,  die  Lausitz  und  Schle- 
sien mit  ihren  Werken  versorgt. 

Tamplini,  Giuseppo,  Fagottvirtuose,  angestellt  am  Theater  de  la  Scala 
zu  Mailand  gegen  1840,  gab  heraus:  •^Capriccio  sopra  VElisire  d'amore  per  Fa- 
qoHi  con  fianofortea.  (Mailand,  Riccordi).  nüemitiiscenza  dell  Opera  Eoherto  tl 
Diavolo  di  Meyerheer,  Faniasia  per  Fagotto  etc.v.  (ibid.).  -aSouvenir  de  Bellini, 
Fantaftia  per  Fagotto  etc.v.   (ibid.)   u.  a. 

Tancioni,  Eugenio,  Componist  aus  Perugia,  gegeu  1812  geboren.  Ausser 
einzelnen  Gesängen,  erschienen  bei  Riccordi  in  Mailand,  ist  seine  Oper  »ia 
Soffitta  degli  artisti«  in   Corfu  aufgeführt  worden, 

Tamtam  ist  ursprünglich  ein  hindostanisches  Schlaginstrument,  das  seinen 
Weg  nach  dem  Abendlande  gefunden  hat  und  noch  nicht  gar  lange  als  eifekt- 
machendes  Lärminstrument  in  das  Orchester  aufgenommen  wurde,  während  man 
es  vordem  nur  in  Thierbuden  zur  Messzeit  sehen  konnte.  Es  besteht  aus  einer 
Platte  von  Glockenmetall,  mit  etwas  aufgebogenem  Pande,  die,  mit  einem  Klöppel 
(Holz-  oder  Metallhammer)  angeschlagen,  einen  ungemein  dröhnenden  Schall 
giebt.  Die  Anfertigung  der  Metallmasse,  aus  geflochtenem  Draht  zusammen- 
geschmiedet, soll  im  Abendland  noch  ein  Geheimniss  sein;  die  Militärchöre 
beziehen  daher  das  Lärminstrument  echt  aus  China  —  über  Berlin,  für  ziem- 
lich hohen  Preis.  In  Hindostan  heisst  dasselbe  Instrument  Gong  (s.  d.)  Die 
Franzosen  nennen  den  Tamtam  Beffroi,  ein  Ausdruck,  mit  welchem  sie  früher 
die  Lärm-  und  Sturmglocke  bezeichneten.  —  Der  Tamtam  eignet  sich  nur  für 
Trauermusiken  oder  für  dramatische  Scenen,  wo  das  Grauen  den  höchsten  Gipfel 
erreichen  soll.  Seine  Schwingungen  in  forte,  mit  den  schmetternden  Akkorden 
der  Blechinstrumente  gemischt,  machen  schaudern.  Die  ganz  schwachen  (pia- 
nissimo-)  Tamtamschläge,  wenn  nicht  durch  andere  Instrumente  zu  sehr  gedeckt, 
sind  nicht  minder  grauenhaft.  Letzteres  hat  Meyerbeer  bewiesen  in  der  herr- 
lichen Scene  der  Nonnenauferstehunor  im  »Robert«.  Als  Mark-  und  Beindurch- 
dringer  wurde  der  Tamtam  bei  Trauerfeierlichkeiten  in  Frankreich  zuerst  ver- 
wendet und  zwar  das  erste  Mal  am  4,  April  1791  beim  Begräbniss  Mirabeau's. 
Gossec  in  seinem  Trauermarsch  verwendet  dasselbe  Instrument  effektvoll,  nach 
ihm  hat  Spontini  in  der  »Yestalin«  eine  schreckliche  Wirkung  erzielt.  Zu  der 
Trauerceremonie  bei  Rückkehr  der  Reste  Napoleon's  I.  am  15.  Decbr.  1840 
fand  es  ebenfalls  Verwendung. 

Tanbur  und  Dambura,  ein  persisch-türkisches  Zitherinstrument  mit  langem 
Halse  und  mehrern  Saiten,  einige  von  Stahl,  andere  von  Messing,  die  mit  einem 
Plectrum  von  Schildkrot  geschlagen  werden.  Raphael,  ein  Tonkünstler  im 
Dienste  des  Sultans  in  Constantinopel  um  1786,  zeichnete  sich  auf  diesem  In- 
strumente aus,  —  Im  Orient  unterscheidet  man  mehrere  Arten  dieses  Instru- 
ments: 1)  Tanhur  huzureJc,  gross  Tanbur;  2)  Tanhur  hutscheh,  klein 
Tanbur;  3)  Tanhur  hulgliary,  die  bulgarische  Zither;  4)  Tanhur  haghlama, 
das  niedliche,  dünne;  5)  Tanhur  cJiarky,  orientalisches,  6)  Tanhur  kehyr 
turJcy,  breites  türkisches  Tanbur. 

Tandolini,  Giovanni,  Operncomponist,  geboren  zu  Bologna  1793,  kam 
unter  Mattei  und  des  Tenoristen  Babini  Leitung  in  der  Musik  so  schnell  vor- 
wärts, dass  er  16  Jahre  alt  in  Paris  bei  der  dortigen  italienischen  Oper,  die 
damals  von  Spontini  geleitet  wurde,  als  Accompagneur  und  Chordirektor  an- 
gestellt wurde.  Drei  Jahre  später,  nach  der  Einnahme  von  Paris  1814  durch 
die  Alliirten,  kehrte  er  nach  Venedig  zurück  und  brachte  seine  erste  Oper  »ia 
Fata  Älcinaa  unter  Mitwirkung  von  Rubini,  Zamboni,  Marlini  mit  günstigem 
Erfolge  zur  Aufführung,  »ia  Frincipessa  di  Navarrav,  y>Il  credulo  delusov,  r>Il 
Tamerlanoü,  rtMoctara,  i>Il  Mitridatea  wurden  sämmtlich  in  den  italienischen 
Städten  mit  Glück  aufgenommen.  1830  kehrte  er  mit  seiner  Frau  (s,  den 
nächsten  Artikel)  nach  Paris  zurück   und  übernahm  noch  einmal  seine  frühere 


92  Tandolini  —  Tansur, 

Stellung  am  Theatre  Italien.  1839  ging  er  wieder  nach  Bologna.  Es  sind  auch 
ein  Trio  für  Ciavier,  Hoboe  und  Fagott  bei  Cipriani  in  Florenz  und  ein  Eondo 
für  Ciavier  und  Flöte  erschienen ;  auch  schrieb  T.  Cantaten,  Romanzen  und 
Canzonetten,  darunter  y>L''JEco  di  Scorziaa.  mit  obligatem  Hörn,  von  Rubini  in 
Concerten  mehrmals  gesungen.     Er  starb  Ende   1872. 

Tandolini,  Eugenia,  geborene  Savorini,  Gattin  des  Vorigen,  geboren 
1809  zu  Forli,  Schülerin  ihres  Mannes,  debütirte  in  Parma  und  sang  dann  in 
Paris,  "WO  sie  neben  der  Malibran  und  Sontag  nicht  in  den  Vordergrund  treten 
konnte.  Später  aber  in  Wien  und  den  italienischen  Städten  hatte  sie  sich 
gerechter  Erfolge  zu  erfreuen  und  galt  eine  Zeit  lang  in  Italien  für  die  beste 
Sängerin.     Mercadante  und  Donizetti  schrieben  für  sie. 

Tangenten  werden  bei  verschiedenen  Instrumenten  die  Körper  genannt, 
durch  welche  die  tongebenden  Theile  zum  Erklingen  gebracht  werden.  Man 
bezeichnet  damit  die  messignen  Stifte  bei  den  darnach:  Tangentenflügel 
genannten  Tasteninstrumenten,  durch  welche  anstatt  der  Hämmer  die  Saiten 
angeschlagen  werden,  dass  sie  erklingen.  Ferner  nennt  man  damit  auch  die 
Haken  und  Hebel  bei  den  Spieluhren,  welche  zunächst  von  den  Stiften  der 
"Walze  erfasst  werden  und  das  Erklingen  des  Tons  bewerkstelligen. 

Tang'enten-Flngrel,  ein  Flügel,  der  nicht  bekielt  war,  sondern  nach  alter 
Art  wirkliche  Tangenten  hatte,  also  eine  Mittelgattung  zwischen  Cembalo  und 
Pianoforte,  um  1780  zu  Eegensburg  von  Späth  erfunden  und  von  ihm  und 
seinem  Schwiegersohne  Schmal  daselbst  gefertigt.  Er  war  auch  mit  einem  so- 
genannten Lautenzuge  von  schöner  und  eindringlicher  "Wirkung  versehen  und 
mit  einem  Druckwerke  für  das  linke  Knie  zur  Aufhebung  des  Dämpfers.  Nach 
und  nach  brachte  ihn  Späth  bis  auf  50  Veränderungen  in  der  Tonangabe.  Das 
Instrument  aus  der  Uebergangszeit  zu  unsern  jetzigen  Flügeln  fand  keine  all- 
gemeine Verbreitung. 

Tank,  Hugo,  geboren  am  23.  Decbr.  1844  in  Berlin,  erhielt  seinen  ersten 
Ciavierunterricht  im  achten  Jahre.  Später  wurde  der  Organist  und  königl. 
Musikdirektor  Beinhold  Succo  sein  Lehrer  im  Greneralbass  und  Clavierspiel. 
Letzterer  veranlasste  T.,  sich  um  Aufnahme  in  das  Königl.  Kircheninstitut  zu 
bewerben,  die  ihm  auch  nach  einer  gut  bestandenen  Prüfung,  welche  auf  Ver- 
anlassung des  Ministers  v.  Mühler  bei  A.  "W.  Bach  im  Institut  stattfand,  ge- 
währt wurde.  T.  folgte  jedoch  den  Eathschlägen  ihm  wohlgesinnter  Musiker 
von  Renommee,  die  ihn  veranlassten,  in  das  Königl.  Institut  für  Kirchen- 
musik nicht  einzutreten  und  dies  dem  Ministerium  mit  der  Bitte  zu  unter- 
breiten, ihm  seiner  Vorliebe  zur  modernen  Musik  wegen  und  da  er  den  Lehr- 
gang des  Königl.  Kircheninstituts  schon  kennen  gelernt  hatte,  zur  Fortsetzung 
seiner  Studien  bei  den  Professoren  Friedrich  Kiel  und  A.  Löschhorn  ein  Sti- 
pendium zu  bewilligen,  das  auch  nach  einer  nochmaligen  Prüfung  bei  Friedrich 
Kiel  auf  Befehl  des  Königs  Wilhelm  auf  zwei  Jahre  gewährt  wurde.  T.  war 
hierdurch  in  den  Stand  gesetzt,  eine  tüchtige  Schule  des  Contrapunkts  durch- 
zumachen und  sein  Clavierspiel  zu  vervollkommnen.  Ausser  den  veröffentlichten 
Compositionen  leichten   Genres  schrieb  er  auch  einige  Werke  ernsterer  Gattung. 

Tansar,  William,  englischer  Contrapunktist  und  Musikschriftsteller,  ist 
1699  zu  Barns  in  der  Grafschaft  Surrey,  wo  er  auch  Organist  war,  geboren. 
1739  kam  er  nach  Leicester,  wo  er  bis  zu  seinem  Tode  lebte.  1770  wurde 
noch  sein  Porträt  von  Newton  gestochen  und  seiner  y>Musica  sacraa  vorgesetzt; 
ein  Holzschnitt  vom  Jahre  1743  befindet  sich  vor  seinem  Werk:  y>A  compleat 
Melodie«.  Dies  letztere  Werk  ist  eins  seiner  umfangreichsten,  es  besteht  aus 
drei  Bänden  und  der  Titel  heisst:  riA  compleate  melody,  or  the  Sarmony  of  Sion, 
in  tkrees  volumes ;  the  first  containing  an  Introduction  to  vocal  and  instrumental 
Muaic;  the  second  comprising  the  psalms,  with  new  melodies;  and  the  third  heing 
composed  of  pari  songa  (London,  1735).  Ein  zweites  Werk  enthält  das  Psalmen- 
buch vierstimmig  neu  gesetzt:  »The  universal  Sarmony  containing  the  toliole  hook 
of  psalms  neivly  set   in  four  partsv.    (London,  1743).     Ein  didaktisches  Werk: 


Tanto  -  Tanz.  93 

y>Ä  New  musical  Grammar:  or  tlie  Jiarmonical  Speetafor,  confaining  all  the  useful 
theoretical,  poetical  and  technical  parts  of  Miisic«  (London,  1746,  in  4°).  Drei 
weitere  Auflagen  erschienen  1753  in  4",  1756  und  1767  in  8'*;  diese  letztere 
mit  dem  Titel:  »A  Neio  musical  Grammar  and  Dictionarya.  London,  1112,  in 
8"  erschien:  ^Elements  of  Music  displayd,  or  its  Grammar,  or  ground  Work  made 
easy :  rudimental,  practical,  philophical,  historical  and  technical«,  wahrscheinlich 
dasselbe  oder  eine  überarbeitete  Auflage  des  Vorigen.  Als  letzte  Auflage  des- 
selben erschien  noch:  y> Musical  gramynar  and  Dictionary,  or  a  general  Intro- 
duction  of  the  whole  art  of  Music«.  (London,   1829). 

Tauto  (ital.)  =  so,  zu,  sehr;  wird  zur  nähern  Bestimmung  des  Zeitmaasses 
eines  Tonstücks  verwendet:  Allegro  non  tanto  =  nicht  zu  geschwind; 
lento  non  tanto  =  nicht  zu  langsam. 

Tantum  ergo  ist  ein  Gesang,  der  au  hohen  Festen  der  katholischen  Kirche 
gesungen  wird.  Der  Text  ist  eine  Strophe  aus  dem  Hymnus  des  Thomas  von 
Aquino  (f   1271):  f>Pange  lingua  gloriosia. 

Tanz.  Der  Tanz  ist  die,  nach  bestimmten  Gesichtspunkten  geordnete 
Bewegung  der  Körper.  Diese  ist  zunächst  bei  den  lebendig  empfindenden  durch 
die  innere  Bewegung  angeregt.  Ein  höherer  Grad  innerer  Erregung  verursacht, 
dass  der  Mensch,  der  sich  bis  dahin  still  verhielt,  sich  bewegt,  dass  er  die 
Arme  erhebt,  die  Hände  reibt  oder  mit  ihnen  gesticulirt,  dass  er,  je  nach  dem 
Grade  der  Innern  Erregung,  rascher  oder  langsamer  zu  gehen  beginnt,  dass  er 
springt,  hüpft  oder  sich  tanzend  im  Kreise  herumdreht.  Diese  Bewegungen 
müssen  bestimmtere  Formen  annehmen,  wenn  sie  zu  wirklich  verständlichen 
Aeusserungen  werden  sollen,  wenn  es  in  der  Absicht  des  so  Bewegten  liegt, 
von  seinem  Innern  Zustande  Anderen  Kunde  zu  geben;  und  sie  müssen  noch 
fester  und  sicherer  geregelt  werden,  wenn  noch  andere  Gleichgestimmte  daran 
lebendig  Antheil  nehmen.  So  entsteht  eine  Kunst  der  Bewegung,  die  sich 
nach  drei  Seiten  ausbreitet:  als  Tanzkunst  (oder  Orchestik),  als  Kunst  der 
erhöhten  Körperbewegung  zum  Ausdruck  höchster  Lebenslust  und 
der  Innern  Erregung;  als  Ausdruck  des  Mienen-  und  Gebehrdenspiels  (Mimik) 
und  schliesslich  zur  Schauspielkunst,  zur  Kunst  der  Darstellung  von  Hand- 
lungen wird.  Die  Tanzkunst  entwickelte  sich  bei  allen  Völkern  zunächst 
und  zwar  im  engsten  Anschluss  an  den  Cultus  und  dessen  feierliche  Zwecke. 
So  erscheint  er  in  besonderm  Glänze  bei  den  Griechen.  Zwei  Stämme  sind 
es,  die  aus  dem  Dunkel  frühester  Geschichte  Griechenlands  sich  hervorhoben, 
die  Pelasger  und  die  Thraker,  von  denen  namentlich  die  letztern  für  die  Ent- 
wickelung  der  Tanzkunst  thätig  waren.  Vom  Norden  in  das  Innere  Griechen- 
lands einwandernd,  begannen  sie  zur  Verherrlichung  der  Mysterien  der  Demeter 
festliche  Tanzreigen  auszubilden,  die  mit  der,  aus  heimischem  Rohr  gefertigten 
Flöte  und  mit  Gesang  begleitet  wurden.  In  der  weitern  Entwickelung  der 
religiösen  Tänze  erzeugten  die  verschiedenen  Festzeiten  auch  Tänze  von  ver- 
schiedenem Charakter.  So  wurden  sie  schon  bei  dem  Fest,  das  später  der 
Kybele  zum  Frühlingsanfang  gefeiert  wurde,  rauschender  und  rasender.  In 
Phrygien  waren  es  die  Korybanten,  welche  mit  orgiastischen  Tänzen,  wildem 
Geschrei  und  lärmender  Musik  von  Pauken,  Cymbeln,  Hörnern  und  Pfeifen 
die  Göttin  feierten.  In  Kreta  führten  die  Kureten  zu  Ehren  der  Göttin  und 
ihres  Sohnes  den  lärmenden  Waffentanz  jiQvhg,  nvijnr/.i^  auf.  Kaum  weniger 
heftig  und  stürmisch  waren  die  Tänze  bei  den  dionysischen  Festen,  während 
sie  bei  den  apollonischen  weit  gemessener  und  friedlicher  waren. 

Daneben  wurde  aber  auch  die  Orchestik  als  profane  Kunst  in  Griechenland 
fleissig  geübt.  Sie  trat  in  späterer  Zeit  in  nähei'e  Beziehung  zur  Gymnastik, 
damit  so  das  Musische  und  Gymnastische  vereinigt  werde  zu  einem  gemessenen 
Ausdrucke  des  Innern  durch  Gebehrden,  Haltung  und  Bewegung.  So  gelangte 
diese  Kunst  bald  allgemein  zu  grosser  "Werthschätzung.  Die  jungen  Sj)artaner 
und  Kreter  wurden  fleissig  darin  geübt,  zum  Theil  schon  vom  fünften  Lebens- 
jahre   an,    und    namentlich  bei  den  Jugendfesten  der  Gymnopaidien  zeigte  sich 


94  Tanz. 

die  Orchestik  in  ihrer  höchsten  Vollendung  und  vielseitigen  Gewandtheit.  Die 
Knaben  tanzten  nackt  in  rhythmischen  Bewegungen  und  anmuthigen  Wendungen 
und  ahmten,  ihr  Haupt  mit  Palmzweigen  umkränzt,  durch  ihre  Gebehrden  Faust- 
und  Ringkampf  nach.  Der  tragische  Tanz  'E^m^ktia  war  stark  mimisch  und 
gesticulirend,  und  hatte  etwas  Feierliches  und  Erhabenes.  Bei  den  Kriegstänzen 
tanzten  Knaben  und  Mädchen  zugleich.  Einen  besonders  kunstvoll  ausgeprägten 
Charakter  trugen  die  Tänze  als  Chorreigen  namentlich  dann  bei  den  drama- 
tischen Aufführungen,  die  sich  aus  diesen  Cultusfeierlichkeiten  von  selbst  ergaben. 

Bei  den  Römern  stand  auch  diese  Kunst  nicht  sehr  in  Achtung;  doch 
wurde  auch  bei  ihnen  der  Cultus  durch  Tanz  verschönt,  die  Salii  haben  daher 
ihren  Namen  (s.  d.).  Gegen  Ende  der  Republik  wurden  die  weichlichen  und 
mitunter  unzüchtigen  ionischen  Tänze  beliebt  und  fanden  Eingang  auf  dem 
Theater.  Als  berühmte  Meister  werden  genannt  Pylades  im  ernsten,  tragischen 
und  Bathyllos  im  muntern  und  beweglichen,  im  komischen  Tanz. 

Dass  der  Tanz  auch  bei  den  Israeliten  durch  alle  Zeitalter  beliebt  war 
und  fleissig  geübt  und  gepflegt  wurde,  darüber  haben  wir  die  unzweifelhaftesten 
Zeugnisse.  Er  kam  ebenso  wie  bei  den  Griechen  zur  Verherrlichung  des  Cultus 
zur  Anwendung.  Man  tanzte  um  Götter  und  Altäre  (Exod.  32,  19;  1.  Kor. 
18,  26)  oder  auch  in  feierlichen  Prozessionen  (2.  Sam.  6,  5.  14)  und  die  nach 
exil.  Israeliten  führten  im  Vorhofe  des  Tempels  am  Laubhüttenfüste  einen 
Fackeltanz  auf.  Aber  auch  im  profanen  Leben  fand  er  bei  den  Juden  weit- 
ausgedehnte Pflege  und  Anwendung.  Insbesondere  waren  es  Weiber  und  Jung- 
frauen, welche  Tänze,  selbst  Solotänze  bei  Gastmählern  ausführten.  Auch  öffent- 
liche Feste  und  Ereignisse,  wie  die  Weinlese,  oder  Siegesfeste,  der  Einzug 
fürstlicher  Personen  oder  Kriegshelden  wurden  durch  Tanz  verherrlicht,  was 
die  Bibel  durch  zahlreiche  Stellen  bestätigt.  Dass  mit  diesen  Tänzen  auch 
häufig  Gesang  verbunden  war,  ist  ebenfalls  erwiesen;  häufiger  indess  wurden 
sie  wohl  mit  Pauken,  Cymbeln  oder  auch  mit  Saiteninstrumenten  begleitet, 
lieber  die  Art  dieser  Tänze  sind  wir  meist  auf  Vermuthungen  angewiesen, 
wahrscheinlich  waren  sie  wie  bei  allen  Völkern  in  solche  geschieden,  die  mehr 
gegangen,  Reihentänze,  und  solche,  die  mehr  gesprungen  wurden,  wie  wir  es 
noch  im  Mittelalter  unter  den  Deutschen  finden. 

Tacitus  (Germ.  c.  24)  beschreibt  einen  Schwertertanz,  welchen  germanische 
Jünglinge  ausführten  und  der  aus  Sprüngen  und  kühnen  Bewegungen  bestand, 
wobei  die  Jünglinge  ihre  Schwerter  schwangen.  Aus  dem  Kampf,  den  dann 
die  Geistlichkeit,  nachdem  die  alten  Germanen  zum  Christenthum  bekehrt 
worden  waren,  gegen  Tanz  und  Mummerei  führten,  ersehen  wir,  dass  diese 
auch  bei  den  Opfer-  und  Leichenschmäusen  und  bei  den  anderen  religiösen 
Festlichkeiten  der  alten  heidnischen  Germanen  üblich  waren  und  dass  sie  auch 
jetzt  noch  nicht  von  den  alten  Gebräuchen  ablassen  konnten.  Aber  wie  sehr 
auch  die  Geistlichkeit  eiferte,  sie  vermochte  doch  nur  wenig  auszurichten.  Es 
gelang  ihr  selbst  nicht  einmal,  immer  Kii'che  und  Cultus  rein  zu  erhalten. 
Der  Tanz  drang  auch  in  christliche  Kirchen  und  zeitweis  selbst  in  den  Cultus. 
Ueppig  empor  aber  trieb  er  auf  Wiese  und  Anger  und  auch  im  stillen  Hause. 
Aus  den  Schilderungen  der  epischen  Gedichte  und  der  höfischen  Dorfpoesie  des 
13.  Jahrhunderts  ersehen  wir,  dass  der  Tanz  in  doppelter  Weise,  als  um- 
gehender (careole)  und  als  springender  geübt  wurde.  Jener,  der  ruhige, 
blos  getretene  Tanz  war  der  höfische.  Zu  seiner  Ausführung  nahm  jeder 
Mann  eine  oder  auch  zwei  Frauen  bei  der  Hand;  es  wurde  ein  Kreis  gebildet 
und  unter  Saitenspiel  oder  Gesang,  oft  auch  beides  vereint,  hielten  die  Paare 
mit  schleifendem  leisen  Tritt  ihren  Umgang.  Beim  Rundtanz  schloss  die 
Gesellschaft  einen  Kreis  und  ging  singend  mit  sanfter  Bewegung  in  der  Runde 
umher,  den  Gegenstand  des  gesungenen  Liedes  durch  eine  einfache  Handlung 
darstellend.  Diese  mehr  dramatische  Gattung  des  Rundtanzes  war  namentlich 
bei  Vermählungsfeierlichkeiten  beliebt.  Der  einfachste  Tanz  war  der,  bei  dem 
Männer    und    Frauen    eine    einzige    lange  Reihe    bilden    und  sich  drei  Schritte 


Tanz.  95 

vor-  oder  rückwärts  bewegen,  dann  stehen  bleiben,  indem  sie  sich  hin  und  her 
biegen  und  dann  wieder  weiter  bewegen.  Die  ganze  Reihe  singt  dazu  Lieder, 
die  wiederum  mit  entsprechenden  Gebehrden  begleitet  werden.  Diese  getre- 
tenen Tänze  wurden  in  der  Regel  in  geschlossenen  Räumen  ausgeführt.  Im 
weiten  Anger,  in  "Wiese  und  Wald,  dagegen  wurde  der  Reien  gesprungen. 
Der  getretene  Tanz  wurde  in  der  Regel  von  einem  Vorsänger  geleitet; 
der  gesprungene  Reien  dagegen  von  Vortänzei-n,  denen  die  Paare  nach- 
sprangen. Hierbei  wurde  natürlich  mancherlei  Unfug  getrieben  und  wiederholt 
musste  die  Polizei  das  Umwerfen  der  Frauen  bei  solchen  Tänzen  verbieten. 

Die  verschiedenen  Tänze  erhielten  auch  verschiedene  Namen,  wie:  Grove- 
nanz  (vom  französischen  convenance),  Ridewanz  (vom  böhmischen  radowa), 
Hoppaldei  (von  hoppen,  hüpfen),  Mürmun,  Trypotey,  Achselrote,  Hou- 
betschote  u.  s.  w.  Stadelwise  (Stadelweise)  hiess  ein  Tanz,  weil  er  auf  der 
Tenne  der  Scheune  (dem  Stadel)  ausgeführt  wurde. 

Wie  erwähnt  wurden  diese  Tänze  entweder  nur  mit  Gesang  begleitet  oder 
aber  ein  Spielmann  spielte  auf  der  Flöte,  der  Pfeife,  Geige,  oder  der  Trommel 
und  dem  Tambourin  dazu: 

„Schlag  auf  Pauker,  ein  frischen  Reien 
Lass  sich  die  Weiber  ein  Weil  ermeien. 
Wann  sie  lang  darauf  gehart  haben 
Und  lasst  uns  darnach  fürbass  traben." 
oder: 

„Pfeif  auf  Spielmann! 

Ich  will  tanzen  um  den  han 

Und  will  den  ersten  Reien  springen!" 

heisst  es  in  den  Tanzliedern  des  Mittelalters  und  wir  ersehen  daraus  zugleich, 
dass  hierbei  auch  mit  besonderer  Geschicklichkeit  Preise  zu  erringen  waren: 

„Beit  ein  weil  spielmann! 

Ich  will  auch  tanzen  um  den  han. 


Ich  will  ein  kutwolf  mit  wein 
Oben  auf  meinem  Haubt  fürn 
Und  soll  dennoch  die  Erden  nit  perürn." 


Rappelt  Manz  singt: 

„Junkfrau  Metz  seit  gebeten 
Ich  will  den  reien  mit  euch  treten 
Umb  euren  kränz,  den  ihr  auf  fürt, 
Wenn  ihr  meiner  kunst  wol  spürt 
Der  ich  das  pest  heut  hab  gethan 
Ich  hof  uns  werd  zu  lohn  der  han." 

und    aus    andern    Liedern    ersehen    wir,   dass    die  Schöne  ihren  Tänzer  belobte 
und  mit  dem  Rosenkranz,  den  sie  trug,  beschenkte,  wenn  er  am  besten  »sprang«: 

„See  hin,  lieber  Nikkei  mein. 
Nimm  von  mir  das  Rosenkrenzelein 
Wann  du  hast  von  mir  das  lob 
Mit  Sprüngen  ligstu  allen  ob." 

Diese  Volkstänze  waren  wirklich  der  Ausdruck  des  Volksempfindens  und 
da  dies  auch  bei  den  verschiedenen  Völkern  verschieden  sich  äussert,  so  culti- 
virte  jedes  auch  eine  eigne  Art  von  Tänzen,  so  entstanden  jene  National- 
tänze, die  ebenso  von  dem  Nationalcharakter  des  betreffenden  Volkes  Kunde 
geben,  wie  die  Volkslieder.  Das  vorliegende  Werk  widmet  diesen  verschiedenen 
Tänzen  meist  eigene  Artikel,    weshalb  hier  nicht  weiter  darauf  einzugehen  ist. 

Auch  in  den  mittelalterlichen  Spielen  hatte  der  Tanz  Eingang  gefunden 
und  so  wurde  er  auch  in  der  recitirten  und  der  gesungenen  Tragödie  verwendet 
und  endlich  selbständig  im  Ballet  (s.  d.)  zur  theatralischen  Vorstellung  erweitert. 
In  Italien  gewannen  diese  zuerst  grössere  Pflege  und  dann  in  Prankreich, 
von  wo  aus  sie  sich  rasch  weiter  verbreiteten. 


96  Tanzlied. 

Der  gesellschaftliche  Tanz  ist  jetzt  allmälig  in  allen  Kreisen  zur  blossen  Be- 
lustigung geworden.  Im  vorigen  Jahrhundert  noch  wurden  die  eigenthümlichen 
Tänze  einzelner  Stände  oder  (äewerke,  wie  der  Tanz  der  Fischer,  der  Schäff- 
1er,  der  Winzer,  oder  der  Holzapfeltanz,  der  Fasstanz,  der  Milchtanz, 
der  Hammel-  und  Hahnentanz  in  einzelnen  Gegenden  Deutschlands  gefeiert, 
allein  auch  diese  verschwinden  immer  mehr;  auch  die  Tänze  unter  dem  Volke 
dienen  nur  noch  hauptsächlich  der  reinen  Tanzlust,  ohne  irgend  welch  höheres 
Bedürfniss,  wie  der  Tanz  der  Gresellschaft  überhaupt.  Dieser  folgt  nur  noch 
der  Gewohnheit,  er  ist  ja  selbst  nicht  einmal  mehr  wie  früher  als  Ausdruck 
bestimmter  innerer  Bewegung  zu  betrachten,  sondern  dient  nur  der  ganz  all- 
gemeinen Lust  am  Tanz,  und  entspricht  meist  nur  rein  conventioneilen  Gewohn- 
heiten; daher  hat  er  auch  seinen  ursprünglichen  Charakter  und  damit  seine 
höhere  Bedeutung  eingebüsst. 

Tanzlied.  Es  unterliegt  wohl  kaum  noch  dem  mindesten  Zweifel,  dass  der 
Tanz  in  seiner  frühesten  Entwickelung  zugleich  mit  Gesang  begleitet  war,  schon 
weil  beide  demselben  Boden  entspringen.  Wer  zum  Tanzen  aufgelegt  ist,  ist 
es  in  der  Begel  auch  zum  Singen,  und  Empfindungen,  welche  den  Tanz  erzeu- 
gen, suchen  wohl  ziemlich  ausnahmslos  auch  zugleich  Ausdruck  im  Gesänge. 
Hierzu  kommt  noch,  dass  der  Gesang  recht  wohl  geeignet  ist,  die  rhythmischen 
Bewegungen  des  Tanzes  zu  leiten  und  zu  ordnen.  Hierzu  erwiesen  sich  aller- 
dings die  einfachsten  Instrumente,  die  Trommeln  in  ihren  verschiedenen 
Abarten  fast  noch  günstiger,  welche  nichts  weiter  thun,  als  den  Rhythmus 
markiren  und  das  ist  für  den  Tanz  das  Nothwendigste.  Für  die  weitere  Ent- 
wickelung desselben  wird  dann  allerdings  auch  die  Melodie  hoch  bedeutsam, 
indem  diese  sich  den  verschiedenen  Zusammensetzungen  der  Tanzschritte  zur 
besondern  Art  des  Tanzes  genau  anschliesst,  sie  in  eigner  Weise  nachbildet 
und  so  regeln  hilft.  Allein  hierzu  waren  dann  auch  die  melodiegebenden  In- 
strumente geeignet  und  wir  finden  sie  daher  früh  im  Dienste  des  Tanzes. 
Der  Spielmann,  der  Pfeife  und  Sumber  (s.  d.)  zu  behandeln  verstand,  war  im 
Mittelalter  der  best  empfangenste  Gast  in  Dörfern  und  Städten,  und  wo  er 
sich  sehen  Hess,  da  wurde  rasch  ein  Tanz  improvisirt  auf  der  Wiese  oder 
der  Tenne.  Wo  der  Gesang  mit  hinzu  trat,  da  sollte  er  nicht  nur  den 
Spielmann  ersetzen,  sondern  zugleich  der,  den  Tanz  erzeugenden  Stimmung 
Ausdruck  geben.  So  entstanden  die  Tanzlieder,  die  im  Metrum  und  der 
Melodie  sich  eng  den  Tanzschritten  anschliessen  und  deren  Text  die  mannich- 
fachsten,  mit  dem  Tanz  in  Beziehung  stehenden  Stoffe  behandelt.  Sie  schildern 
die  Freuden  des  erwachenden  Frühlings,  wie  die,  welche  der  Winter  in 
der  Stube  und  im  Hause  bringt.  Weiterhin  gab  natürlich  auch  die  Liebe  und 
das  Verhältniss  der  Geliebten  zum  Liebenden,  von  Frau  und  Mann  vielfach 
Stoff  für  diese  Tanzlieder  und  sie  gewinnen  selbst  eine  Art  scenischer  Dar- 
stellung, indem  sie  wie  Duette  in  Rede  und  Gegenrede  gehalten  sind.  Auch 
Gespräche  zwischen  Mutter  und  Tochter  werden  in  dieser  Weise  behandelt: 

,,Dat  geit  hir  gegen  den  samer, 

gegen  de  leve  samertit, 

de  kinderken  gan  speien 

an  dem  dale;"  dat  sprack  ein  wif. 

„Och  mömken,  min  leve  moder, 
moste  ick  aldar  tom  aventdanze  gan, 
dar  ick  höre  de  pipen  gan 
und  die  leven  trummen  schlan!" 
„Och  nen,  min  dochter,  nickten  dat. 
Du  schalt,  du  schalt  schlapen  gan." 

„Och  mömeken  min!     Det  deit  mi  de  not, 

dat  deit  mi  de  not 

kome  ick  tom  aventdanze  nicht, 

so  mot  ick  sterven  dot." 


Tanzlied. 


97 


„Och  nen  du  min  dochter! 
allein  schaltu  nicht  gan 
so  wecke  du  up  dinen  broder 
nnd  lat  en  mit  di  gan!"  u.  s.  w. 

Viel  häufiger    ist    natürlich  das    Zwiegespräch    zwischen    Liebenden  Inhalt  des 
Textes  wie   in  folgendem: 

Ich  kam  für  liebes  fensterlein 

an  einem  abend  spate; 

ich  sprach  zur  allerliebsten  mein-. 

„Ich  furcht,  ich  kum  zu  drate; 

erzeug  mir  doch  die  treue  dein, 

die  ich  von  dir  bin  gewarten, 

sieh,  liebe,  lass  mich  ein!" 

Ja  lieber  gesell  es  mag  nit  sein, 

darumb  so  lass  dein  warten, 

sehn'  dich  nicht  nach  der  liebe  mein 

es  ist  darumb  zu  karten. 

denn  lieb  und  leid,  das  hat  kein   sinn 

darumb  so  thu  dich  wassen. 

Traut  lieber  holder  mann 

kein  solche  Frau  ich  doch  nicht  bin 

dich  fahren  wil  ich  lassen 

ich  thu  sein  warlich  nit. 

Bei  meiner  treu  ich  dir  versprich 

ich  wil  dich  nit  verkeren, 

mein  treu  ich  doch  an  dir  nit  brich 

tust  du  mich  nun  geweren; 

kom  glück  und  schlag  mit  häufen  drein 

dass  sie  mich  tu  geweren 

sieh,  liebe,  lass  mich  ein.     etc. 

Wie  hier  werden  die  beiden  redend  eingeführten  Personen  häufig  auch 
durch  den  veränderten  atrophischen  Bau  noch  besonders  charakterisirt.  Es 
hängt  dies  mit  der  Eigenthümlichkeit  zusammen,  nach  welcher  diese  gesungenen 
Tanzlieder  meist  in  Tanz  und  Nachtanz  geschieden  waren,  jener  im  geraden, 
dieser  im  ungeraden  Tact.  So  ist  auch  die  Rede  des  Jünglings  in  dem  oben 
stehenden  Liede  mit  einer  Melodie  im  zweitheiligen  Tact  versehen: 


^EE-z 


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-tr- 


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:t=t 


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-m-0- 


^- 


Ich  kam  für    lie  -  bes    Fen-ster-lein  an      ei  -  nem  A  -  bend     spa 


te 


Die  Gregenrede  der  Jungfrau  geht  fast  genau  nach  derselben  Melodie,  aber  im 
dreitheiligen  Tact: 


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:^=t 


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:t 


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t: 


-gg- 


Ja    lie-ber  Ge  -  seil  es    mag  nit    sein  da-rumb  so     lass  dein    war    -     ten 

Diese  Tanzmelodien  erlangten  grossen  und  bedeutenden  Einfluss  auf  die  Ent- 
wickelung  des  Liedes,  der  Instrumentalmusik  und  der  gesammten  Kunstent- 
wickelung überhaupt.  Das  rhythmische  Element  war  im  Gesänge  bisher  nur 
noch  wenig  berücksichtigt  worden.  Im  alten  einstimmigen  Hymnus  der  Kirche 
wirkte  es  gestaltend,  die  Melodie  desselben  stellte  zugleich  den  Bau  der  Strophe 
dar;  in  der  weitern  Entfaltung  des  kirchlichen  Kunstgesanges  aber  hatte  es 
nur  wenig  Beachtung  und  Förderung  gefunden.  Bei  der  Ausbildung  des  mehr- 
stimmigen Gesanges  war  das  Bestreben  der  Meister  hauptsächlich  auf  macht- 
und  glanzvolle  harmonische  Entfaltung  gerichtet  und  sie  begnügte  sich  damit, 
das  Kunstwerk  nur  im  Grossen  und  Ganzen  auch  rhythmisch  zu  gliedern.  Im 
Volksliede  erst  wurde  das  Bedürfniss  nach  einer,  bis  ins  Kleinste  hinein  eben- 
massig  ausgeführten  rhythmischen  Gliederung  rege  und  es  fand  im  Tanzliede 
zunächst  entscheidenden  Ausdruck. 

Der  Tanz  setzt  sich  bekanntlich  aus  bestimmten,  sich  regelmässig  wleder- 

ItlxulkaL  Coavera.-L«xikon.    X,  i 


98  Tanzmusik. 

holenden  Tanzschritten  zusammen,  und  dies  Verfahren  wird  natürlich  auch  in 
der  Tanzmelodie  nachgeahmt.  Zwar  findet  etwas  Aehnliches  auch  in  den  me- 
trischen Toi-men  der  dichterischen  Sprache  statt,  allein  bei  der  Darstellung 
derselben  durch  die  Musik  herrscht  eine  weit  grössere  Freiheit.  An  andern 
Orten  ist  gezeigt  worden,  dass  es  der  Sinn  des  Textes  geradezu  erfordert,  die 
ursprünglich  musikalische  Darstellung  des  Metrums  zu  verlassen,  dass  es  noth- 
wendig  wird,  einzelne  logisch  besonders  wichtige  Worte  so  zu  verlängern,  dass 
das  ursprüngliche  Metrum  dadurch  fast  aufgehoben  wird.  Das  ist  beim  Tanz 
natürlich  nicht  angemessen,  hier  muss  genau  die  ursprünglich  gewählte  metrische 
Grundformel  festgehalten  werden,  da  nur  durch  diese  der  betreffende  Tanz 
geregelt  werden  kann.  Um  die  Tanzbewegung  zu  unterhalten,  genügt  es,  nur 
diese  durch  die,  zu  einem  Pas  zusammengefügten  Tanzschritte  erzeugte  rhyth- 
mische Figur  ununterbrochen  zu  wiederholen,  wie  dies  auch  durch  die  Trommel, 
durch  Castagnetten  und  die  ähnlichen  tonarmen,  wenn  nicht  tonlosen  Instra- 
mente geschehen  kann.  Allein  eine  solche  monotone  Wiederholung  ermüdet 
natürlich;  deshalb  werden  diese  rhythmischen  Formeln  zu  grössern  eng  geglie- 
derten rhythmischen  Gebäuden  zusammengefasst,  die  dann  in  Melodie  und  Har- 
monie eine  besondere  Belebung  finden,  wie  dies  im  folgenden  Artikel  noch 
specieller  dargethan  wird.  Dementsprechend  gewann  auch  das  Tanzlied  diese 
feine  und  regelrechte  Gliederung  noch  früher  als  die  andern  Liedergattungen, 
bei  welchen  die  Weite  der  Empfindung  oder  auch  wohl  die  nur  absichtslose 
Lust  am  Gesänge  häufig  das  ursprüngliche  metrische  Schema  ganz  aufgiebt  oder 
doch  erweitert  oder  verändert  darstellt.  Diese  strenge  rhythmische  Gliederung 
des  Tanzliedes  und  des  Tanzes  überhaupt  ging  dann  auch  auf  die  Instrumental- 
musik im  Allgemeinen  über  und  wie  dadurch  zumeist  die  andern  selbständigen 
Instrumentalformen  angeregt  und  beeinflusst  wurden,  ist  in  den  betreffenden 
Artikeln  gezeigt  worden.  Besonders  einflussreich  wurden  die  sogenannten  r>Fa 
la  la<i  der  Italiener  nach  dem  Refrain:  y>Fa,  la,  la,  la,<i  der  diesen  Tanzliedern 
eigen  ist,  so  genannt.  Wie  schon  erwähnt  wurde,  war  für  den  blossen  Zweck 
der  Regelung  der  Tanzbewegung  die  Instrumentalbegleitung  immer  noch  mehr 
geeignet  wie  der  Gesang  und  deshalb  finden  wir  auch  häufig  angedeutet,  dass 
beide  Weisen,  wenn  es  irgend  anging,  Anwendung  fanden;  dass  ein  Theil  des 
Tanzes  mit  Instrumenten  begleitet  wurde,  der  andere  aber  mit  Gesang,  und 
hieraus  ergab  sich  leicht  die  Praxis,  im  entsprechenden  Falle,  wenn  die  Instru- 
mente fehlten,  ihren  Part  durch  die  Singstimme  auszuführen  auf  die  Silben 
y>J'a«  und  »Za«,  ein  Verfahren,  das  auch  bei  andern  Liedern  im  Refrain  geübt 
wurde.     Diese  »Falala's«  fanden  dann  auch  in  Deutschland  Nachahmung: 

„Fröhlich  fangt  alle  an  mit  mir  zu  singen, 

Zu  Lob  der  Federn  lasst  eu'r  Stimm'  erklingen! 

0  edle  Musik,  Sing:  fa,  la  la  la." 

In  Italien  erfuhren  diese  Tanzlieder  im  16.  und  17.  Jahrhundert  namentlich 
durch  G.  G.  Gastoldi,  in  Deutschland  besonders  durch  Melchior  Franck, 
Harnisch,  Haussmann  u.  A.  eifrige  Pflege. 

Tanzmusik.  Wie  schon  im  vorhergehenden  Artikel  angedeutet  wurde,  hat 
die  Musik  zunächst  die  Aufgabe:  die  Bewegung  des  Tanzes  zu  regeln,  indem 
sie  ununterbrochen  das  ursprüngliche,  durch  die  betreffenden  zusammengehörigen 
Tanzschritte  erzeugte  rhythmische  Motiv  scharf  ausgeprägt  wiederholt.  So,  um 
ein  geläufiges  Beispiel  zu  erwähnen,  besteht  der  Walzer  aus  Umdrehungen,  die 
aus  zweimal  drei  gleichmässigen  Schritten  zusammengesetzt  sind.  Dieser  äussern 
Anordnung  des  Tanzes  riuss  natürlich  auch  die,  die  Tanzschritte  regelnde 
Tanzmusik  ganz  genau  sich  anschmiegen  und  sie  gliedert  sich  ebenso  gleich- 
massig    wie    der  Tanz;    der  Walzer  hat  also  dreitheiligen  Tact  und  zweitactige 

Rhythmen:       7*    J    J    J  j  J    J    J    . 

Es  genügt  nun,  um  die  Tanzbewegnng  zu  leiten,  dass  dieser  Rhythmus 
ununterbrochen  während  des  Tanzes  durch,  selbst  ton-  und  klanglose,  nur  stark 


Tanzmusik. 


99 


schallende  Schläge  angegeben  wird.  Allein  das  wirkt  denn  doch  ermüdend,  und 
um  dies  zu  vermeiden,  und  im  Gegentheil  die  Tanzlust  zu  beflügeln,  werden 
zunächst  vier  Tacte  zu  einer  grössern  rhythmischen  Einheit  zusammengezogen, 
nicht  zu  einem   ^'■^/4-Tact,  sondern  zu  einer  viertactigen   Gruppe: 


I     I     I 

«    «    « 


w    «    « 


4      4* 


4      4      4 


der    dann    wieder    eine    ähnlich    construirte  entgegengesetzt  wird,  die  mit  jener 
wiederum  eine  grössere  Einheit  bildet: 


.1.^-^.. 


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Das  ist  nun  nicht  mehr  nur  ein  mechanisches  Anschliessen  der  äussern  Tanz- 
bewegung, sondern  schon  ein  wirklich  künstlerisches  Schaffen  und  Bilden;  der 
Tanz  erzeugt  nur  das  einfache  Metrum,  ein  rhythmisches  Motiv,  das  an  sich 
der  Tanzbewegung  vollständig  genügt,  in  seiner  einfachen  Wiederholung;  in 
der  weitern  Anordnung  zu  einem  gegliederten  Ganzen  zeigt  sich  schon  der 
schöpferische  Geist.  Noch  bis  ins  17.  Jahrhundert  hinein  begegnen  wir  Tanz- 
stücken, in  denen  das  einfachste  rhythmische  Schema  festgehalten  ist,  so  dass 
der  erste  Theil  nur  die  rhythmische  Figur,  das  Tanz-Pas,  fixirt,  wie  in  Alle- 
manden  aus  Besardus  »Thesaurusa,  in  denen  der  erste  Theil  nur  aus  zwei 
Tacten  besteht,  aus  einem  Vortact,  einem  Takt  und  dem  zum  Vortact  fehlenden 
weitern  Tacttheil,  die  also  zusammen  das  rhythmische  Tauzmotiv  bilden.  Es 
ist  dies  eine  Eigenthümlichkeit,  der  wir  sehr  oft  begegnen.  Der  erste  Theil 
bringt  häufig  nur  das  i-hythmische  Motiv,  wie  in  dem  4.  ßonde  aus  Tylman 
Susato:  »Souter  Liedeken.    Set  derde  musikhoexen  1541«: 


und  zwar  meist  auch  wie  hier  bei  einer  etwaigen  "Wiederholung  mit  derselben 
Melodie.  In  einer  handschriftlichen  Sammlung  von  Tänzen  und  Liedern  aus 
dem  Jahre  1607  befinden  sich  polnische  Tänze  von  nur  vier  Takten,  die  einem 
augenscheinlich  gesungenen  Liede  folgen.  Häufig  tragen  sie  auch  nur  den 
Namen  »Tanz«  ohne  irgend  welche  nähere  Bezeichnung.  Erst  im  zweiten  Theil, 
wenn  ein  solcher  folgt,  wird  in  der  Regel  durch  die  mehrmalige  Wiederholung 
des  rhythmischen  Motivs  eine  achttactige  Periode  gewonnen.  Die  Allemande 
namentlich  erscheint  überhaupt  meist  in  der  einfachsten  rhythmischen  Con- 
struktion.  In  der  Regel  wird  der  erste  Theil  durch  Wiederholung  des  rhyth- 
mischen Grundmotivs  zu  einer  viertactigen  Periode,  an  die  sich  dann  eine 
zweite  ebenso  gebildete  viertactige  und  manchmal  auch  noch  eine  dritte  an- 
schliessen. Nur  selten  wird  die  Allemande  weiter  ausgeführt,  wie  in  der, 
une  jeune  fillette  bezeichneten  bei  Besardus.  Aehnlich  verhält  es  sich  mit 
der  Galliarde,  die  indess  häufig  selbst  aus  fünftactigen  Perioden  besteht, 
deren  zwei  später  zu  einem  zehntactigen  Theil  zusammengezogen  werden.  Auch 
hiervon  enthält  der  ^Thesaurus»,  von  Besardus  Beispiele.  Zu  sechstactigen 
Theilen  werden  die  Tanz-Pas  meist  in  der  Branle  zusammengefasst,  aber  nicht 
in  zwei  drei-,  sondern  in  drei  zweitactigen  Rhythmen.  Robert  Eitner  giebt 
in  den  »Tänzen  des  15.  bis  17.  Jahrhunderts«  einen  Branle  aus  zwei 
siebentactigen  Theilen  bestehend  (Beilage  zu  den  »Monatsheften  für  Musik- 
forschung«,  Jahrg.  VII,  No.  5,  XII).  Das  rhythmische  Gefühl  jener  Zeit  war 
noch  nicht  so  vreit  ausgebildet,  um  an  solchen  unsymmetrischen  Zusammen- 
setzungen Anstoss  zu  nehmen;  andererseits  sind  gerade  sie  ein  Beweis  mehr 
dafür,  dass  der  Tanz  jener  Zeit  und  die  Tanzmusik  auch  noch  höhern  Zwecken 
diente,  als  der  blossen  Lust  am  »Reien  und  Springen«;  dass  er  zugleich  einen 

7* 


100 


Tanzmusik. 


bestimmten  Inhalt  darlegen  sollte.  Darauf  lassen  auch  viele  Namen  schliessen, 
welche  besonders  beliebte  Tänze  führten.  Die  Bezeichnung  »der  Ratten- 
schwanz«, »der  Kranichschnabel«,  »der  Fuchsschwanz«  mögen  wohl 
zunächst  von  Tanzliedern  herrühren.  Es  war  ja  Sitte,  dass  irgend  eine  be- 
sonders hervortretende  Anschauung,  oder  das  erste  bedeutsame  "Wort  der  be- 
treffenden Melodie  den  Namen  gab.  Die  Melodie  des  einen,  wahrscheinlich 
Nach-Neithardt'schen  Liedes,  in  welchem  die  Bauern  verspottet  werden,  »da  sie 
einhertrotten,  wie  ein  geschmierter  "Wagen«,  erhielt  den  Namen  »der  geschmierte 
Wagen«.  Da  der  Namen  Schwanz  aber  häufiger  in  mancherlei  Zusammen- 
setzungen vorkommt,  auch  als  Papierschwanz,  Pfauenschwanz  u.  s.  w.,  so 
kann  man  wohl  annehmen,  dass  auch  die  so  benannten  Tänze  sich  unterschieden 
und  in  der  Ausführung  den  gewählten  Namen  einigermaassen  entsprechen,  was 
in  diesen  speciellen  Fällen  durchaus  leicht  möglich  ist.  Mit  besonderer  Vor- 
liebe wurden  die  Fasse  mezzi  behandelt.  Besardus  theilt  deren  von  3,  4,  5, 
6  und  7  Theilen  mit,  und  jeder  einzelne  dieser  Theile  ist  auch  meist  bis  zu 
16  Takten  ausgedehnt.  Demnächst  erscheint  ferner  auch  die  Pavane  bevor- 
zugt von  den  Lautenisten,  die  häufig  variirt  vorkommt.  Einzelne  Tänze  er- 
halten auch  bereits  charakteristische  Namen  in  Bezug  auf  den  G-efühlsinhalt, 
wie  -nGalliarda  Balardi  vulgo  passionata.  Eigenthümlichen  Rhythmus 
haben  die  Ghoreae  JBolonicae  bereits  im  Anfange  des  17.  Jahrhunderts 


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und  es  ist  interessant  zu  beobachten,  wie  sich  daraus  der  Polonaisenrhythmus 
entwickelte.  Ebenso  charakteristische  Rhythmen  zeigen  dann  auch  die  andern 
Nationaltänze,  die  Pavane,  der  Saltarello,  die  Tarantella,  die  Fran- 
gaise  u.  s.  w.;  ihre  Eigenart  ist  in  den  besondern  Artikeln  näher  dargelegt. 
Dass  die  meisten  Tänze  jener  Zeit  sich  bereits  weniger  in  den  Touren,  als 
hauptsächlich  nur  in  ihrem  Rhythmus  unterscheiden,  geht  aus  der  Praxis  hervor, 
nach  welcher  ein  Tanzstück  durch  Veränderung  des  Rhythmus  einem  andern 
Tanz  dienstbar  gemacht  wurde.  Die  im  zweitheiligen  Tact  gehaltene  »Ronde« 
wurde  im  dreitheiligen  ausgeführt  zum  Saltarello,  die  Pavane  in  derselben 
Weise  zur  Graillarde  u.  s.  w.  lieber  den  Stand  der  Entwickelung  dieser 
Formen  in  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  giebt  eine,  von  den  gelehrten 
Musikern  seiner  Zeit  sehr  missachtete,  aber  jedenfalls  sehr  beliebte  Sammlung 
Kunde:  »Sperontes,  Singende  Muse  an  der  Pleisse  in  2mal50  0deu, 
Der  neuesten  und  besten  musikalischen  Stücke  mit  den  dazu  gehörigen  Melo- 
dien zu  beliebter  Clavier-Uebung  und  Gemüths-Ergötzung,  Leipzig  auf  Kosten 
der  lustigen  Gesellschaft,  1736«.  Wie  der  Titel  sagt,  enthält  die  Sammlung 
zwar  Gesänge,  aber  diese  sind  meist  in  Form  von  Tänzen:  der  Polonaisen  (oder 
wie  es  meist  heisst  Air  en  Polonaise,  oder  auch  nur  Folo?ioise),  Menuett,  Bouree 
(und  des  Marsches),  die  darnach  zu  schliesseu  wohl  die  beliebtesten  Tänze 
jener  Zeit  waren.  Noch  finden  wir  viele  mit  vier-  und  sechstaktigen  ersten 
und  ganz  gleich  gebauten  zweiten  Theilen;  daneben  aber  auch  schon  acht- 
tactige  Theile;  besonders  ist  die  Menuett  meist  immer  in  zwei  achttactigen 
Theilen  dargestellt,  häufiger  noch  der  zweite  Theil  bis  zu  sechzehn  Tacten  er- 
weitert; der  zweite  Theil  der  Polonaise  in  nicht  seltenen  Fällen  bis  zu  zwölf 
Tacten,  wie  in  nachstehender  Polonaise: 


Polonaise. 


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Falsche  Seele,   willst  du  mich  nun  län-ger  nicht  mehr  um  dich  sehn  und   lei-den? 


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Tanzmusik. 


101 


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0  so  will    ich  dennocli  dich  zu  meiner  Qual  doch  lieben  und  nicht  mei-den! 


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Flie-he     mein  Gesicht!     Ich    ver-lass  dich  nicht.      Sieh  mich  sauer     an! 

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Kehr  ich   mich  nicht  dran !        Lästre,     spotte,  schmähe,  wo  ich  geh  und  stehe ! 


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AI  -  les,    al  -  les  bringt  mich  nicht  von  dir ! 


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i-anü^r-bt 


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Piä^ 


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Eine    andere    Polonaise    desselben  Werks    ist    in    der  Weise   des    Trio  unserer 
heutigen  Polonaise  gehalten: 

Air  en  Polonaise. 


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Nimm  die  Musche     von  der  Gusche,  schönstes  Kind,  ver-stell  dich  nicht. 


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Wenn   es    der    Na  -  tur    ge- bricht,    wirst  du  durch  der  -  gleichen    Sa-chen 


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102 


Tanzmeistergeige 


Tapia. 


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dicli  wohl  schwerlich  schöner  machen,  drum  ent  -  lar  -  ve 


dein    Ge-sicht. 

Da  eapo. 


Augenscheinlich  sind  die  Texte  dieser  Lieder  den  Tänzen  untergelegt,  so  dass 
diese  als  bezeichnend  für  den  Stand  derselben  in  jener  Zeit  gelten  können. 
Dass  diese  Formen  in  der  Suite  durch  die  Meister  zu  weit  höherer  künstle- 
rischer Bedeutung  in  jener  Zeit  gelangten,  kommt  hierbei  nicht  in  Betracht, 
wo  es  sich  um  die  wirklich  zum  Tanz  bestimmte  Blusik  handelt.  Die  Formen 
derselben  sind  in  dieser  Zeit  entschieden  festgestellt.  Die  Gliederung  in  acht- 
tactigen  Theilen  bei  den  beliebtesten  Tänzen,  wie  der  Menuett,  wurde  wohl 
auch  mit  durch  die  französische  Oper,  wie  sie  sich  zu  Lully's  Zeit  entwickelte, 
herbeigeführt,  bei  welcher  ja  bekanntlich  der  Tanz  grosse  Bedeutung  erlangte. 
Weiterhin  konnte  es  nicht  ohne  Einfluss  bleiben,  dass  der  getretene  Tanz 
allmählich  im  vorigen  Jahrhundert  bereits  dem  gesprungenen,  der  zugleich 
zum  entschiedenen  Eundtanz  wurde,  den  Vorrang  lassen  musste.  Der  Tanz, 
bei  dem  sich  die  Paare  nur  mit  beflügeltem  Schritte  im  Wirbel  drehen,  dient 
nur  noch  dem  Ausdruck  ausgelassener  Freude  und  gesteigerter  Fröhlichkeit, 
und  dieser  Umstand  ist  entscheidend  für  die  weitere  Entwickelung  der  Tanz- 
musik geworden.  Sie  hat  sich  diesem  Zuge  mit  aller  Energie  angeschlossen 
und  in  Melodie,  Rhythmus  und  Harmonie  nur  die  sinnlich  stark  wirken- 
den Mittel  verwendet.  Sie  verfolgt  nur  noch  das  eine  Ziel,  die  Lust  am  Tanze 
anzuregen  und  bis  zur  höchsten  Stufe  zu  steigern  und  zu  erhalten.  Je  schlag- 
fertiger und  treffender  sie  den  ursprünglichen  einfachen  Rhythmus  darstellt 
und  weiterhin  periodisch  verwendet,  mit  je  reizvollerer  Melodik  sie  diese  dann 
ausstattet  und  durch  eine  ebenso  sinnlich  wirkende  Harmonik  beide  unterstützt, 
um  60  mehr  entspricht  sie  den  Anforderungen  unseres  Jahrhunderts.  Dabei 
wird  sie  noch  durch  den  Glanz  der  Instrumentation  gehoben.  Im  vorigen 
Jahrhundert  noch  war  das  Tanzorchester  meist  klein  und  nur  aus  Streich- 
instrumenten, oder  nur  aus  Rohrblasinstrumenten  zusammengesetzt.  Die  Stadt- 
pfeifereien hatten  in  der  Regel  mehrere  Tanzsäle  gleichzeitig  zu  versorgen 
und  so  mussten  häufig  zwei  Clarinetten  und  zwei  Fagotte,  oder  auch  ein 
Streichquartett  genügen,  zu  denen  dann  wohl  auch  ein  oder  zwei  Hörner  hinzu- 
traten. Besonders  reich  erschien  schon  das  Tanzorchester  bei  dem  sich  der 
Klang  des  Streicherchors  mit  einer  Clarinette  und  einem  Hörn  mischen  konnte, 
wenn  dazu  dann  noch  gar  Flöte  und  Trompete  kamen,  so  wirkte  es  unwider- 
stehlich, und  so  hat  das  Tanzorchester  allmählich  alle  Orchesterinstrumente  auf- 
genommen in  dem  Bestreben,  dem  mit  allen  Mitteln  der  sinnlich  wirkenden 
Melodik,  der  Harmonik  und  Rhythmik  ausgestatteten  Tanz  auch  noch  instru- 
mentalen Glanz  zu  verleihen  und  so  zu  unwiderstehlicher  Wirkung  zu  bringen. 
Strauss  und  Lanner,  Labitzky,  Gungl,  Musard  in  Paris  u.  A.  haben 
die  Tanzmusik  nach  dieser  Seite  mit  grossem  Erfolg  weitergeführt  und  sie 
wurde  selbst  den  noch  getretenen  Tänzen,  wie  Contretanz  und  Quadrille 
vermittelt.  Nicht  minder  haben  unsere  Militärmusikchöre  in  dieser  Richtung 
Einfluss  gewonnen  und  der  moderne  Tanz  hat  fast  den  Marsch  ganz  ver- 
drängt; einen  solchen  hört  man  hier  nur  noch  selten  und  selbst  unsere  Pferde 
tänzeln  nach  Galopp  oder  Schottisch  zur  Parade  und  zum  Exercitium. 

Tanzmeistergeige,  s.  Sack  geige,  Taschen-  oder  Poschengeige. 

Tanzwuth,  s.  Tarantella,  Tarantismus. 

Tapia,  Giovanni  di,  spanischer  Geistlicher,  der  in  Neapel  als  Protonotar 
angestellt  war  und  dort  seit  dem  Anfange  des  16.  Jahrhunderts  lebte.  Er 
gründete  daselbst  das  erste  bekannte  Conservatorium  der  Musik,  genannt:   Gon- 


Tapia  —  Tare.  103 

servatorio  äella  madonna  di  Loretto.  Mit  der  Idee  dazu  hatte  ex*  sich  lange 
getragen,  da  aber  die  Vorschläge,  die  er  zu  dieser  G-ründung  machte,  bei  der 
Regierung,  der  es  an  Mitteln  fehlte,  nicht  angenommen,  er  auch  sonst  nirgend 
gehört  wurde,  entschloss  er  sich,  da  sein  eigenes  Vermögen  zur  Gründung 
einer  solchen  Anstalt  nicht  ausreichte,  die  fehlende  Summe  zu  erbetteln,  was 
er  denn  auch  buchstäblich,  von  Haus  zu  Haus  wandernd,  ausführte.  Diese 
Schule  wurde  das  Muster  aller  nachdem  in  Neapel,  Venedig  und  anderswo  er- 
richteten. Tapia  starb  in  Neapel  1543.  (S.  Villarosa  -aMemorie  dei  Composiiori 
di  Musica  del  regno  di  Napoli«,  pref.  p.   11). 

Tapia,  Martin  de,  spanischer  Musiker,  geboren  in  Soria  in  Castilien  1540, 
war  Baccalaureus  der  Kirche  von  Burgos.  Er  gab  ein  musikalisches  Lehrbuch 
heraus :  » Vergel  de  musica  espiritual,  especulatica  y  activa  donde  se  tractan  los 
artes  del  canto  llano,  y  contrapunto,  en  summa  y  en  iheoricau.  (Ossuna,  1570, 
in  4**).  M.  Brunet  {r>Manuel  du  librairea,  4.  Aufl.,  Th.  4,  S.  394)  nennt  das 
seltene  Buch,  als  1831  in  Paris  verkauft,  mit  folgender  Bezeichnung  des 
Herausgebers:   «Sti    Burgos   de    Osmas.     D.  Fernando  de  Cordohan,  1570,  in  4°. 

Tapon  heisst  bei  den  Einwohnern  von  Siam  eine  Trommel,  die  wie  ein 
längliches  Fass  gestaltet  ist  und  deren  Pelle  von  beiden  Seiten  her  mit  den 
Fäusten  geschlagen  werden.  Beschreibung  und  Abbildung  davon  in  Mr.  de  la 
Louber  r> Description  de  Siam«,  I,  p.   209,  wie  Walther's  Lexikon  citirt. 

Tappert,  Wilhelm,  geboren  am  19.  Februar  1830  in  Ober-Thomaswaldau 
bei  Bunzlau  in  Schlesien,  war  ursprünglich  für  den  Lehrerberuf  bestimmt  und 
besuchte  in  den  Jahren  von  1848 — 1850  das  Lehrer -Seminar  in  Bunzlau. 
Nachdem  er  auch  mehrere  Jahre  als  Lehrer  an  verschiedenen  Orten  thätig 
gewesen  war,  ging  er  1856  nach  Berlin,  um  sich  hier  ganz  der  Musik  zu 
widmen.  Er  besuchte  die  Neue  Akademie  der  Tonkunst  und  genoss  den  Unter- 
richt des  Professor  Dehn.  Mehrere  Jahre  war  er  dann  in  Gross- Glogau  als 
Lehrer  thätig  und  ging  1866  wieder  nach  Berlin,  um  hier  seinen  bleibenden 
Wohnsitz  zu  nehmen.  Seine  beiden  Schriften:  »Musikalische  Studien« 
(Berlin,  J.  Guttentag)  und  »Musik  und  musikalische  Erziehung«  (Berlin, 
abend.),  wie  die  später  folgende:  »Das  Verbot  der  Quintenparallelen« 
machten  ihn  bald  als  einen  ebenso  geistvoll  raisonnirenden,  wie  gründlich 
forschenden  Schriftsteller  bekannt.  Mit  grosser  Energie  schloss  er  sich  Richard 
Wagner  an  und  seine  zahlreichen  Beiträge  zur  Würdigung  desselben  gehören 
zum  Besten,  was  über  den  Meister  geschrieben  wurde.  Tappert's  »Wagner- 
Lexikon«  ist  jedenfalls  äusserst  zeitgemäss;  nur  fehlt  noch  ein  Pendant  dazu, 
der  die  Sünden  der  Wagnerianer  in  derselben  Weise  registrirt.  Daneben  hat 
Tappert  auch  seine  historischen  Studien  nicht  vernachlässigt,  wovon  manch 
werthvoller  Artikel,  vor  allem  aber  seine  bei  Challier  erschienene  Bearbeitung 
altdeutscher  Lieder  Zeugniss  geben.  An  der  von  Tausig  gegründeten 
Akademie  für  höheres  Ciavierspiel  war  er  als  Lehrer  thätig;  seit  1.  Jan.  1878 
redigirt  er  die  »Allgemeine  deutsche  Musikzeitung«. 

Tapray,  Jean  Frangois,  Sohn  des  Organisten  Jean  T.  zu  Gray,  1738 
geboren,  kam  1768  nach  Paris,  wurde  hier  Organist  an  der  Militärschule  und 
erwarb  den  Ruf  als  guter  Clavierlehrer.  Als  Componist  gehörte  er  zu  den 
sogenannten  Vielschreibern.  Er  veröffentlichte  über  60  Sonaten  und  Gesang- 
stücke.    Er  starb   1809   zu  Paris. 

Tar,  ein  türkisch-arabisches  Schellentambourin,  das  von  niedern  und  vor- 
nehmen Frauen,  besonders  zur  Unterhaltung  im  Harem  gespielt  wird.  Es  ist 
ein  Holzreifen  von  etwa  11  Zoll  Dui'chmesser,  in  welchem  gewöhnlich  fünf 
Doppelscheiben  (Räderchen)  von  starkem  Messingblech  angebracht  sind.  Je 
nach  Belieben  wird  das  Rasselinstrument  mehr  oder  weniger  verziert  und  steigt 
dadurch  im  Preis. 

Tare,  eine  indische  Trompete  von  dumpfem,  klagendem  Tone,  die  von  den 
Hindus  nur  bei  Todtenfeiern  oder  wenn  etwas  Trauriges  oder  Religiöses  ver- 
kündet werden  soll,  geblasen  wird.    Sie  hat  die  Form  der  alten  (geraden)  Tuba. 


104 


Taragato-Sip  —  Tarantella. 


Taragato-Sip  (ungariscli),  Heerpfeife,  auch  Török-Sip,  türkische 
Pfeife,  s.  V.  a,  Haborn-Sip  (s.  d.). 

Tarakawa,  eine  Schalmei  der  "Wenden  in  der  Oberlausitz,  jetzt  selten  noch 
gefunden.  Das  oboe-ähnliche  Instrument,  aber  ohne  Klappen,  nur  mit  8  Ton- 
löchern, ist  über  ^/4  Ellen  lang,  wird  aus  Buchenholz  gefertigt  und  gibt  mittelst 
eines  in  den  Knopf  des  Mundstücks  gesteckten  Rohrblattes  einen  durchdringenden, 
gellenden  Ton.  Abbildungen  davon  bei  Haupt  und  Schmoler  »Volkslieder  der 
Wenden«  (Grimma,   1841—1843). 

Tarantella  heisst  ein,  bis  jetzt  noch  im  Neapolitanischen  gebräuchlicher 
Volkstanz  im  raschen  ^/s  Takt,  der  gewöhnlich  nur  von  drei  Mädchen  aufge- 
führt wird,  von  denen  die  eine  das  Tambourin  schlägt,  während  die  beiden 
andern  unter  eigener  Castagnettenbegleitung  die  Tanzschritte  in  immer  rascher 
werdendem  Zeitmaasse  ausführen.  Früher  wurde  dazu  auch  gesungen,  was 
jetzt  in  Wegfall  gekommen  ist;  wohl  spielen  Geiger  zuweilen  zur  Tarantella 
auf  und  ist  dieser  charakteristische  Volkstanz  in  manche  italienische  Oper  auf- 
genommen. Die  Musik  dieses  neapolitanischen  Strassentanzes  ist  im  Grund 
dieselbe,  wie  die  des  Saltarello  in  Rom.  Es  giebt  verschiedene  Compositionen 
von  Tarantellen,  die  aber  in  den  Grundzügen  übereinstimmen.  In  Reisewerken 
sind  dergleichen  mitgetheilt,  z.  B.  in  Dr.  Mayer  »Neapel  und  Neapolitaner«, 
I,  368.  Es  folge  hier  eine  populäre  Melodie  der  Tarantella  Neapolitana,  die 
Referent  vor  Jahren  von   Freundeshand  erhalten: 


Tarantella  der  Neuzeit. 


Sehr  rauch. 


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JBasso  sempre  legafo. 


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Tarantella. 


105 


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Alle  Reisenden,  die  aus  Italien  wiederkehren,  wissen  von  diesem  Volkstanze 
viel  Anziehendes  zu  erzählen.  (]\Ian  vei'gl.  Goethe  »Ueber  Italien«,  Dr.  Mayer 
»Neapel  und  Neapolitaner«,  Oldenburg,  1840 — 1842.)  Es  liegt  eine  Art  hin- 
reissende, bacchantische  Wuth  in  den  Ehythmen  der  Tarantella.  Die  Tänzer, 
immer  nur  ein  Paar,  ein  Bursche  und  Mädchen,  oder  zwei  Mädchen,  stehen 
einander  gegenüber  und  trippeln  dann  eine  Zeitlang  auf  einem  Flecke  hin  und 
her,  und  treten  eigentlich  nur  rien  Takt,  wenden  sich  dnnn,  wechseln  die  Plätze 
und  suchen  einander  in  immer  neuen  Touren  und  Tanzsprüngen  zu  überbieten. 
In  Neapel  wird  dieser  Tanz  häufig  mit  einer  Papidität  getanzt,  die  den  Tänzer 
als  einen  vom  Dämon  des  Tanzes  besessenen  Satyr  erscheinen  lässt.  Wenn 
man  glaubt,  alle  seine  Kräfte  und  Künste  seien  erschöpft,  so  schnellt  und  wii'belt 
er  aufs  Neue  in  den  Tanz,  als  gälte  es  erst  zu  beginnen.  Der  Sicilianer  drückt 
in  demselben  weniger  die  leidenschaftliche  Glut  des  Südländers,  als  seine  Frende 
am  rhythmischen  Dahingleiten  auf  den  Wellen  der  Musik.  Es  ist  ihm  mehr 
ein  zärtliches,  als  lüsternes  Sichaufsuchen  und  A^ermeiden,  ist  eine  tändelnde 
Schaukelbewegung,  so  leicht  und  spielend,  wie  das  Spiel  zweier  Schmetterlinge. 
Der  Taranteltanz  (Tarantismus)  war  die  im  15.  bis  17.  Jahrhundert  in  Italien 
auftretende  Tanzwuth,  ein  Paroxismus  für  Tanz,  eine  epidemisch  gewordene 
Nervenkrankheit.  Die  ersten  Nachrichten  davon  sind  aus  dem  15.  Jahrhundert. 
Also  etwas  später,  aber  in  ähnlicher  Weise,  trat  diese  Krankheit  in  Italien 
auf,  wie  der  Veitstanz  der  Johannistänzer  in  Deutschland.  Als  in  Deutschland 
im  17.  Jahrhundert  die  Raserei  des  Veitstanzes  längst  erloschen  war,  erreichte 
der  Tarantismus  in  Italien  seine  Höhe.  Ganze  Schaaren  von  Spielleuten  durch- 
zogen während  der  Sommermonate  das  Land,  um  aufzuspielen,  wo  in  Stadt 
und  Dörfern  die  Heilung  der  Tarentati  im  Grossen  vorgenommen  wurde.  Weiber 
bezahlten  von  ihren  Sparpfennigen  gewöhnlich  die  Kur-Musik  für  die  Armen. 
Nicht  blos  Eingeborene  des  Landes,  sondern  auch  Fremde  jeder  Herkunft  sah 
man  dort  von  dieser  Krankheit  befallen.  Die  Krankheit  war  (wie  schon  be- 
merkt) nach  dem  Volksglauben  die  Folge  vom  giftigen  Biss  der  Tarantel,  aber 
auch  ohne  diese  Ursache  trat  sie  ein  und  zwar  gewöhnlich  im  Sommer,  ganz 
wie  bei  den  Johannistänzern  in  Deutschland.  Die  Heilung  der  Erkrankten 
durch  gemeinsamen  Tanz  war  in  Italien  ein  Volksfest  und  hiess  kleine  Frauen- 
fastnacht (il  carnevaletto  delle  donne).  Der  Zauber  der  Tarantella  (d.  h,  der 
Tanzweise,  die  von  Trommeln,  Pfeifen,  Lauten  und  im  Gesang   zum    Tanz  der 


106  Tarantella. 

Tarantati  ertönte)  riss  die  Leidenden  zu  den  Bewegungen  hm,  die,  mit  Anstand 
beginnend,  zum  heftigsten  Sprung  anstiegen  und,  bis  zur  Erschöpfung  fortge- 
setzt, auf  ein  Jahr  oder  für  immer  Genesung  gaben.  Neunzigjährige  Greise 
warfen  bei  diesem  Klange  die  Krücken  hin  und  gesellten  sich,  als  strömte 
verjüngender  Zaubertrank  durch  ihre  Adern,  den  wildesten  Tänzern  zu.  Die 
Töne  der  Tarantella  waren  mannigfach,  sie  mussten  den  verschiedenen  Stim- 
mungen der  Kranken  gemäss  sein,  und  ebenso  die  zugehörigen  Gesänge.  Eine 
tiefe  Sehnsucht  nach  dem  Meere  kam  bei  Manchen  zum  gewaltsamen 
Ausbruch,  indem  sie  sich  in  die  blauen  "Wellen  stürtzten,  wie  auch  Yeitstänzer 
blindlings  in  reissende  Ströme  sprangen;  bei  Andern  verrieth  sich  dieselbe  nur 
durch  die  Annehmlichkeit,  die  ihnen  der  Anblick  des  klaren  "Wassers  in  Glä- 
sern gewährte,  sie  trugen  im  Tanze  "Wassergläser  mit  wunderlichem  Ausdruck 
ihrer  Gefühle  umher,  oder  sie  liebten  es  auch,  wenn  ihnen  inmitten  des  Tanz- 
platzes grössere  Gefässe  mit  "Wasser,  umgeben  mit  Schilf  und  andern  Wasser- 
gewächsen hingestellt  wurden,  worin  sie  Kopf  und  Arme  mit  sichtbarer  Lust 
badeten.  Solche  "Wasserfreunde  hörten  gerne  von  Quellen,  rauschenden  "Wasser- 
fällen, Strömen  nach  entsprechender  Tonweise  singen.  Man  hat  noch  eine 
Tarantella,  die  das  Verlangen  nach  dem  Meere  ausdrückt: 

AUu  mari  mi  portati, 

Se  voleti  che  mi  sanatati. 

AUu  mari,  alla  via: 

Cosi  m'ama  la  Donna  mia. 

AUu  mari,  aUu  mari: 

Mentre  campe,  f  aggio  amari. 

(Zum  Meere  tragt  mich,  wenn  ihr  mich  heilen  wollt,  zum  Meere  hinweg!  So 
liebt  mich  meine  Schöne;  zum  Meere,  zum  Meere!  so  lang  ich  lebe,  lieb  ich 
dich.)  Auch  für  oder  wider  gewisse  Farben  hatten  diese  Tanzsüchtigen 
eine  Leidenschaft,  doch  liebten  sie  das  Rothe,  was  die  Johannistänzer  verab- 
scheuten. Je  nach  den  Ideosynkrasien,  damit  die  Kranken  behaftet  waren  und 
nach  den  Farben,  die  sie  liebten,  waren  auch  die  zur  Heilung  gewählten  Ta- 
rantellen gestimmt  (!)  und  benannt.  So  gab  es  eine  Art  derselben,  die  man 
p an 710  rosa  (rothes  Tuch)  nannte,  zu  welcher  wilde,  dithyrambische  Gesänge 
gehörten;  eine  andere  war  panno  verde  (grünes  Tuch)  genannt,  die  mit  dem 
milderen  Sinnesreiz  durch  die  grüne  Farbe  übereinstimmte,  mit  idyllischen  Ge- 
sängen von  grünen  Gefilden  und  Wäldern.  Eine  dritte  hiess  cinque  tempi, 
eine  vierte  moresca  (sie  wurde  zu  einem  Mohrentanz  gespielt),  eine  fünfte 
catena  (Kette,  Halsband)  und  eine  sechste  spallata,  die  langsamste  und  un- 
beliebteste von  allen,  mit  passender  Bezeichnung,  als  könne  sie  nur  schulter- 
lahmen Tänzern  aufgespielt  werden.  Die  Gesänge  selbst  nach  Wort  und  Weise 
sind  leider  verloren,  wenigstens  sind  die  dafür  gehaltenen  nicht  als  die  Monu- 
mente verbürgt,  nach  denen  man  im  15.  und  16.  Jahrhundert  die  Tarantel- 
kraiikheit  austanzte.  Einige  alte  Melodien  der  Tarantella,  im  Takt  aber  von 
der  heutigen  ganz  abweichend,  hat  uns  der  gelehrte,  aber  sehr  abergläubische 
Athnasius  Kircher,  ein  musikalisch -mathematischer  Schriftsteller,  in  seinem 
Buche:  ȀTagnes  sive  de  arte  magneticaa  (Rom,  1654,  Fol.  591  aufbewahrt.  Sie 
mögen  hier  folgen: 

Alte  Tarantella-Musik,  1654  gedruckt. 
1.    Prinins  modus  Tareutellae. 


si  replica  piu  volte. 


Tarantella. 


107 


2.    Secundns  modas. 


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3.    Tertius  modus. 


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si  replica  piu  volte. 


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4.     Antidotnm  Tarantnlae  (Gegengift  gegen  die  Tarantel-Krankheit). 


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5.    Mit  Gesang  (s.  unten) 


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Tu    pet  -  tue    fat  -  tu     Cim  -  ba  -  lu     d'A  -  mu  -  ri. 


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6.    Tarantella. 


Schluss. 


Gesanf^  zu  No.  5: 

Tu  pettu  e  fattu  Cimbalu  d'Amuri. 
Tasti  li  fensi  mobili,  eccorti: 
Cordi  li  chianti,  sospiri,  e  duluri: 
Eosa  e  lu  Cori  miu,  feritu  ä  morti: 
Strali  e  lu  ferru,  chiari  so  li  miei  arduri: 
Marteddu  e  lu  pensieri,  e  la  mia  sorti: 
Mastra  e  la  Donna  mia,  cb'a  tutti  l'huri 
Cantando  canta  leta  la  mia  morti. 

Zwischen   diesen    und    den  folgenden,  verloren  gegangenen  Strophen  wurde  ge- 
wöhnlich gesungen; 

Allu  mari  mi  portati  etc.  (s,  oben.) 


108  Tarantella  -  Tardieu. 

Man  sieht  hieraus,  dass  es  sechs  verschiedene  Tarentella-Melodien  gab,  die  je 
nach  der  Aeusserung  der  Kranliheit  in  Anwendung  gebracht  wui'den.  Dass 
dazu  ehemals,  wie  noch  jetzt,  gesungen  wurde,  erfahren  wir  daraus  ebenfalls. 
Hat  nun  Kircher  diese  Melodien  selbst  componirt  oder  sich  dieselben  von 
Andern  aufbinden  imd  sich  täuschen  lassen,  oder  mögen  sie  wirklich  die  zur 
Kur  gebrauchte  Musik  sein:  immerhin  sind  es  interessante  Denkmale.  Noch 
heute  glauben  ungelehrte  und  studirte  Italiener  und  Spanier,  dass  der  von  einer 
Tarantel  Gebissene  durchaus  tanzen  müsse,  er  möge  wollen  oder  nicht.  So- 
bald Jemand  in  Spanien  gebissen  worden  ist,  ruft  man  einige  Musikanten  mit 
Guitarre  herbei  und  lässt  sie  den  Taranteltanz  aufspielen.  Der  Kranke  wird 
aufgefordert  in  der  glühenden  Sonne  zu  tanzen,  die  Musik  wird  rascher  und 
rascher  und  der  unglückliche  Tänzer  macht  verzweifelte  Sprünge,  bis  er  zuletzt 
in  Seh  weiss  gebadet  —  und  darin  liegt  wohl  das  Heilmittel!  —  ermüdet  nieder- 
sinkt. Nach  dem  Biss  von  einer  Tarantel  folgt  ein  heftig  stechender  Schmerz, 
ähnlich  wie  beim  Biss  einer  Hornisse  oder  Wespe  und  die  Stelle  schwillt  an, 
wird  roth  und  zuletzt  dunkelroth.  Der  Schmerz  hält  ungefähr  12  Stunden  an 
und  geht  ohne  weitern  Erfolg  vorüber,  wenigstens  ist  noch  Niemand  daran 
gestorben.  Mit  Einreiben  von  Ammoniak,  wie  Dr.  Brehm  zum  Erstaunen  der 
Spanier  versuchte  (s.  »Gartenlaube«,  1863,  No.  6),  ist  dem  Schmerz  in  einer 
Stunde  ein   Eude  zu  machen.  B. 

Taranteltanz  1        rr  j.   ^^ 

^         ^.  >   s.  Tarantella. 

Tarantismns  J 

Taratantara  wird  von  Ennio  der  Trompeten-Schall  genannt,  also  ein  Wort, 
das  in  seinen  Lauten  die  Eigenthümlichkeit  des  Trompetenschmetterns  wieder- 
zugeben sucht.  Auch  Prätorius  erwähnt  ein  ähnliches  Wort:  »Die  Trommet 
(vulgo  Tarantara  oder  Tuba)  ist  ein  herrlich  Instrument,  wenn  ein  guter 
Musiker  darüber  kommt  etc.«  Man  wird  unwillkürlich  an  den  Ausdruck  der 
Kinder  dafür   »Täträtä«  erinnert. 

Tarclii,  Angelo,  italienischer  Operncomponist,  wurde  1760  zu  Neapel  ge- 
boren, wo  er  das  Conservatorium  de  la  Pieta  dreizehn  Jahre  lang  besuchte. 
Er  schrieb  auch  noch  als  Schüler  desselben  seine  erste  Oper:  y>ÄrcJiitette(t, 
welche  von  den  Schülern  1781  gesungen  und  hierauf  am  Hoftheater  von  Caserta 
aufgeführt  wurde.  Mehr  als  dreissig  italienische  Opern  und  drei  Oratorien 
folgten  nun  rasch  auf  einander  und  die  Theater  in  Rom,  Neapel,  Venedig, 
Mailand,  Turin,  Florenz,  Mautua,  Monza,  sogar  London  und  Wien,  beriefen 
ihn  als  Operncomponisten.  Die  beste  ist  »Mitridateu,  in  Rom  1788  mit  Beifall 
aufgeführt.  Als  die  Theaterverhältnisse  in  Italien  ungünstig  wurden,  ging  T. 
1797  nach  Paris,  dort  ein  neues  Thatenfeld  suchend.  Sieben  französische 
Opern,  darunter  zwei  einaktige,  wurden  hier  geschrieben;  sie  gefielen  zum  Theil 
wenig,  zum  Theil  gar  nicht,  so  dass  die  rühmlichst  begonnene  Componisten- 
Laufbahn  ihm  noch  ganz  verleidet  wurde.  Er  verliess  sie  und  lebte  als  Ge- 
sang- und  Compositionslehrer  in  Paris  und  starb  hier  am  19.  August  1814. 
Zwei  seiner  französischen  Opern:  nTrente  et  Quarantet-i  und  die  bessere  y>D'auherg 
en  auherge's.  wurden  in  Paris  gestochen.  Die  letztere  erschien  auch  mit  deutscher 
Hebersetzunw  und  dem  Titel:  »Von  Gasthaus  zu  Gasthaus«  bei  Kranz  in  Harn- 

o  

bürg  und  unter  dem,  Titel:  »Die  beiden  Posten«  in  Wien. 

Tardando,  tardato,  tardo,  Yortragsbezeichnung  =  zögernd,  nach  und 
nach  langsamer  werdend,  wie  ritardando,  lentando^  rallentando  (s.  d.). 

Tardieu,  ein  Geistlicher  zu  Tarascon  und  Bruder  des  dortigen  Kapell- 
meisters, erfand  im  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  an  Stelle  der  bis  dahin  ge- 
bräuchlichen Viola  da  Gamha  das  Violoncell.  Er  bezog  das  Instrument  mit 
fünf  Saiten,  welche  er,  von  der  tiefsten  an  gerechnet,  in  G  G  d  a  d  stimmte. 
Er  selbst  spielte  es  fertig  und  fand  damit  vielen  Beifall.  Fünfzehn  bis  zwanzig 
Jahre  später  Hess  er  die  fünfte,  höchste  Saite  d  weg,  und  so  ist  es  noch  gegen- 
wärtig im  Gebrauch.  Die  nächsten,  welche  sich  auf  diesem  Instrument  aus- 
zeichneten waren:  Buononcini,  Bertant,  Duport. 


Tarditi  —  Tarisio.  109 

Tarditi,  Paolo,  Componist  in  Rom  um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts, 
Kapellmeister  der  St.  Jacobi-Kirche  daselbst,  befand  sich  auf  diesem  Platze 
noch  1620.  Ausser  mancher  Kirchencomposition,  worunter  auch  fünfstimmige, 
die  der  Abbe  Santini  besitzt,  wurde  von  T.  veröffentlicht:  vViUote«,  appresso 
Angelo  Gardano,  1597,  in  4".  T.  ist  einer  der  ersten  römischen  Componisten, 
welche  den  Stil  des  Pecitativs  in  Aufnahme  gebracht  haben. 

Tarditi,  Orazio,  Componist  der  römischen  Schule,  war  bis  1639  Kapell- 
meister an  der  Kathedrale  zu  Forli,  später  am  Dom  zu  Faenza,  wo  er  1670 
noch  in  Wirksamkeit  war.  Die  Bibliothek  der  Musikschule  zu  Bologna  enthält 
einen  reichhaltigen  Schatz  von  Werken  dieses  Meisters,  als:  -uMesse  a  quattro 
e  einque  voci  in  concerto,  con  una  Laudate  in  fine  concertata  a  tre  vod,  due 
violini  e  un  chitaronea.  (Venetia,  ajjp.  Aless.  Yincenti,  1639,  in  4°).  -»Messe  e 
Salmi  eoncertati  a  quattro  vocif,  op.  16  (ibid.  1640).  nMesse  a  einque  voce  etc.«, 
op.  27  (ibid.  1648).  -aMesse  a  tre  e  quattro  voci  in  concerto;  lihro  terzoi,  op.  32 
(ibid.  1650,  in  4°).  i>Messe  e  Salmi  2  voci«,  op.  39  (Bologna,  Jac.  Monti,  1668, 
in  4°).  nll  secondo  lihro  di  Motetti  eoncertati  a  1,  2,  3,  4  e  5  voci  eo'l  hasso  per 
Vorguno  con  una  Messe  e  Salmi  a  5  voci  in  concerto«  (Yenetia,  Aless.  Vincenti, 
1625).  •s>Il  terzo  lihro  Motetti  a  2  e  3  voci  in  concerto«,  op.  7  (ibid.  1638). 
t>Il  quarto  libro  etc.«,  op.  13  (ibid.  1637).  -»Motetti  a  2  e  3  voci«,  op.  31  (ibid. 
1651).  »Motetti  e  Salmi«,  op.  30  (Venetia,  Gardano,  1650).  yyMotetti  a  2  e  3 
voci,  lihro  10«,  op.  31  (Venetia,  Vincenti,  1651).  »Motetti«,  op.  33  (ibid.  1652). 
•»II  decimo  terzo  libro  de  Motetti  a  tres  voci  eoncertati«,  op.  34  (ibid.  1654).  »ZZ 
decimo  quinto  libro  de^  Motetti  etc.«,  oj).  36  (ibid.  1663).  »Motetti  a  voce  sola 
con  violini«,  op.  41  (Bologna,  G.  Monti,  1670).  »II  secondo  libro,  idem«,  op.  43 
(ibid.  1670).  »Concerto  a  musiche  da  chiesa,  Motetti,  Salmi,  Litanie  dell  B.  Y.« 
(Vincenti,  1641).  »Salmi  a  8  voci;  co  Vorgano«,  op.  28  (ibid.  1649).  -»Salmi 
di  compieta  e  Litanie  delle  JB.  F".  «  4  voci,  Antifone  a  3  voci«  op.  24  (ibid.  1647). 
^litanie,  Motette,  Te  deum  concertate  a  4  voci«  (ibid.  1644).  -aMadrigali  a  5 
voci«,  op.   14  (ibid.  1659).     »öanzonette  amorose  a  2  e  3  voci«  (ibid.  1647). 

Tarenne,  Georges,  französischer  Literat,  lebte  Ende  des  18.  und  Anfang 
des  19.  Jahrhunderts.  Zu  seinen  Arbeiten  gehört  auch:  »ßecherckes  sur  le 
Banz  des  vacTies  avee  musique«  (Paris,  Louis,  1813,  in  8",  62  p.) 

Tarisio,  Louis,  Sammler,  Händler,  Kenner  altitalienischer  Geigeninstru- 
mente, hat  sich  ein  namhaftes  Verdienst  erworben  um  die  Erhaltung  vieler  der 
werthvollsten  Instrumente  dieser  Gattung,  die  vordem  mehrere  Jahrhunderte 
theilweise  unentdeckt  und  stumm  an  Orten  ruhten,  wo  man  von  ihrem  Werthe 
keine  Ahnung  hatte.  Die  Kenntniss  der  italienischen  Geigenbaukunst  war  An- 
fang dieses  Jahrhunderts  noch  gering,  erst  in  den  nächsten  50  Jahren  gewannen 
die  Erzeugnisse  derselben,  die  wun'dervollen  Violinen,  schnell  neue  Gunst  und 
neuen  erhöhten  Werth.  Dem  Auffinden  dieser  Geigen  hat  Tarisio  sein  Leben 
geweiht.  Er  war  Italiener  und  als  Kind  armer  Eltern  geboren,  erlernte  das 
Zimmermanns-Handwerk  und  vergnügte  sich  in  seinen  Mussestunden  mit  dem 
Spiel  auf  einer  schlechten,  geringen  Geige.  Da  er  mit  feinem  Gefühl  und 
Unterscheidungsvermögen  begabt  war,  trachtete  er  bald  danach,  eine  bessere 
Geige  einzutauschen;  der  erste  Schritt  zur  Eutwickelung  einer  Liebhaberei,  die 
ihn  bald  ganz  einnahm.  Er  verliess  sein  Handwerk  und  machte  den  Geigen- 
handel zu  seinem  Beruf,  da  die  Geigen  ihn  über  alles  interessirten.  Wie  ein 
gewöhnlicher  Hausirer,  nur  mit  einem  Vorrath  einiger  Geigen  von  geringem 
Werth  versehen,  begann  er  seine  erste  Wandei-ung.  Er  besuchte  die  Klöster, 
brachte  die  dort  befindlichen  Instrumente  in  Ordnung  und  suchte  dabei  Kennt- 
niss von  den  dort  vorhandenen  zu  gewinnen,  und  sich  Bezugsquellen  für  später 
zu  eröffnen.  Er  durchreiste  Städte  und  Dörfer  Italiens  und  ging  an  dem  ge- 
ringsten Orte  nicht  vorüber  ohne  auf  das  zu  fahnden,  was  er  zu  finden  wünschte. 
Es  passirte  ihm  hier  öfters,  dass  man  ihm  recht  gern  ein  saitenloses  Instrument 
ersten  Ranges  für  eine  seiner  gewöhnlichen  Geigen,  die  er  mit  sich  führte, 
überliess.    Nachdem  Tarisio  eine  ansehnliche  Collection  vortrefflicher  Instrumente 


XIO  Tarnowsky — Tartagliui. 

zusammengebracht  hatte,  unternahm  er  seine  erste  Reise  nach  Paris,  und  zwar 
zu  Fuss,  seine  Greigen  auf  dem  ßücken.  1827  war  es,  als  er  in  Paris  bei  dem 
Lautenmacher  Aldric,  beschmutzt  und  zerrissen  wie  er  von  der  Wanderung  war, 
in  den  Laden  trat,  um  seine  mühsam  aufgefundenen  Werthstücke  anzubieten. 
Eine  kleine  schöne  Nicolas  Amati  und  fünf  andere  schöne  Geigen  von  Magini, 
ßuggeri  und  anderen  legte  er  zum  Erstaunen  des  Lautenmachers  auf  den 
Tisch  (s.  Cremona,  Niederheitmann),  der  sich  aber  doch  über  die  Höhe  der 
Preise  wunderte,  da  er  in  dem  schäbigen  Manne  keinen  Kenner  vermuthete. 
Sie  wurden,  nachdem  ein  beträchtliches  herunter  gedungen  war,  Handels  eins, 
und  T.  kehrte  nach  Italien  zurück,  wo  er  seine  besten  Instrumente  für  diesmal 
noch  zurückgelassen  hatte.  Bei  einer  zweiten  Reise  nach  Paris  führte  er  diese 
mit  sich  und  erzielte  bei  andern  grossen  Händlern,  bei  Vuillaume,  Thibout  und 
Chanot,  die  von  seinen  Instrumenten  entzückt  waren,  gute  Preise,  und  wurde 
aufgefordert,  nur  immer  mehr  zu  bringen.  So  wanderte  der  seltsame  Mann 
viele  Jahre  hin  und  wieder  und  führte  eine  grosse  Zahl  der  schönsten  Instru- 
mente auf  den  Weltmarkt  von  Paris  und  London,  von  wo  aus  sie  in  Hände 
gelangten,  die  sie  zu  würdigen  verstanden.  Man  sagt  von  Tarisio,  dass  er  ein 
grosser  Händler,  aber  ein  noch  grösserer  Liebhaber  gewesen  sei;  wenn  er  ein 
recht  kostbares  Instrument  verkauft  hatte,  püegte  er  es  im  Auge  zu  behalten, 
und  gerne  wieder  an  sich  zu  bringen.  U.  Hart  (Verfasser  des  Buches:  »TÄe 
Violin:  its  famous  maJcers  and  their  imitatorsv.,  London,  1875)  erzählt,  dass 
Tarisio  zu  Hause  das  Leben  eines  Einsiedlers  geführt  habe.  Seine  armselige 
Wohnung  in  der  Porta  Tenaglia  in  Mailand,  durfte  kein  lebendes  Wesen  be- 
treten. Seine  nächsten  Nachbarn  wussten  nichts  von  seinem  Treiben;  schwei- 
gend kam  er  und  schweigend  ging  er.  So  sahen  ihn  seine  Nachbarn  eines 
Tages  heimkehren,  und  nachdem  mehrere  Tage  vergingen,  ohne  dass  man  etwas 
von  ihm  wahrnahm,  auch  auf  lautes  Klopfen  an  seiner  festverschlossenen  Thüre 
keine  Antwort  kam,  wurde  diese  auf  Befehl  der  Behörden  geöffnet.  Man  fand 
Tarisio  entseelt  auf  seinem  Lager.  Sein  ganzes  Mobiliar  bestand  aus  einem 
Tisch  und  einem  Stuhl.  Aber  Violinkasten  zu  Haufen  aufgethürmt,  die  Wände 
voll  Geigen,  Böden,  Decken  und  Schnecken.  Nahe  an  hundert  Instrumente 
der  verschiedendsten  Meister,  darunter  »Messie«,  die  Stradivari- Geige,  deren 
Saiten  noch  von  keinem  Bogen  berührt  waren,  nebst  einem  Dutzend  anderer 
Geigen,  Bratschen  und  Cellis  desselben  Meisters,  ein  Contrabass  von  Gaspard 
di  Salo  u.  a.  Man  fand  auch  Werthpapiere  und  eine  bedeutende  Summe  in 
Gold.  Einige  Neffen  legitimirten  sich  später  als  Erben.  Vuillaume  in  Paris 
reiste,  sobald  er  die  Nachricht  von  dem  Tode  des  Tarisio  erhielt,  nach  Mailand, 
und  erstand  die  ganze  Gollection. 

Tarnowsky,  Alexander,  Violinist,  zu  Wilna  in  Litthauen  1812  geboren, 
wo  er  von  einem  dortigen  Lehrer  den  ersten  Unterricht  erhielt;  in  Paris,  wo- 
hin er  später  ging,  unterrichtete  ihn  Habeneck,  Er  gründete  sich  später  in 
Clermont-Eerrand  einen  Wirkungskreis  als  Musiklehrer  und  Dirigent  der  dor- 
tigen Orchester-Concerte  der  Philharmonischen  Gesellschaft.  Er  gab  für  die 
Violine  mehrere  Eantasien  über  Motive  aus  Opern  und  Romanzen  heraus. 

Taroui,  Antonio,  Kanonikus  an  der  Kirche  St.  Barbara  zu  Mantua  und 
Comj)onist,  der  jedenfalls  mehr  veröffentlichte  als  die  beiden  in  der  Zeit  ziem- 
lich auseinander  liegenden  Werke:  •i>Madrigali  a  5  voci<i  (Venedig,  1612).  »Misse 
da  Capeila  a  5  vociv.  (ebend.   1646). 

Tartaglini,  Hippolyt,  Tonkünstler  des  16.  Jahrhunderts,  in  Modena 
1539  geboren,  war  an  mehreren  Kirchen  Roms,  auch  an  der  St.  Peterskirche, 
Organist.  Er  besass  die  Gunst  des  Kardinals  Earnese  und  erhielt  durch  ihn 
das  römische  Bürgerrecht  und  die  Ernennung  zum  Ritter  vom  goldenen  Sporen. 
Im  Jahre  1577  ging  er  als  Kapellmeister  an  die  Hauptkirche  von  Neapel  und 
starb  daselbst  1580.  Ein  fünfstimraiges  Madrigal  von  Tartagliui  findet  sich  in 
der  Sammlung:  r>Dolci  Ä/fetli,  Madrigali  a  5  voci  di  diver si  eccellenU  musLci  di 


Tartiui.  111 

Boma'i  (Rom,  Alexander    Gardane,    1585).     Ausserdem  ein  Heft  fünfstimmiger 
Madrigali  von  T.  bei  demselben  Herausgeber   1576  und  1588. 

Tartiui,    Griuseppo,    einer    der  grössten,   wenn  nicht  der  grösste  Violin- 
spieler  des    18.  Jahrhunderts,   wurde    nicht  nur  der  Grründer  einer  Schule  des 
Violinspiels,  sondern  auch  eines  neuen  Harmoniesystems.    Er  ist  am   12.  April 
1692  zu  Pirano  in  Istria  geboren,  erhielt  zuerst  in  seiner  Vaterstadt  Unterricht 
und    besuchte    dann    in    Capo-d'Istria    die  Schule  Dei  Padri  delle  scuole.      Hier 
erhielt    er    auch    den    ersten  Unterricht    im  Violinspiel  und  machte  darin  bald 
bemerkenswerthe  Foi'tschritte.    Seine  Eltern  wünschten  einen  Greistlichen,  einen 
Franziskanermönch  aus  ihm  zu  machen,  wogegen  er  aber,  damals  ein  tollkühner 
und  lebhafter  Jüngling  von   18   Jahren,  eine  gründliche  Abneigung   hatte.     So 
ging  er  denn  auf  die  Universität  Padua,  um  die  Rechtswissenschaft  zu  studiren. 
Begrabt  wie  er  war,  behielt  er  hier  neben  seinen  Studien  noch  Müsse  zu  andern 
Dinaren  und  übte  in  dieser  Zeit  mit  Vorliebe  auch  die  Fechtkunst.    Er  erwarb 
darin  eine  so  grosse  Geschicklichkeit,  dass  er  in  dem  sicheren  Gefühl  derselben 
nicht    allein    Gelegenheit    suchte,    diese    zu    zeigen,  und  mehrere  Duelle  auszu- 
fechten    hatte,    sondern    dass    er    sogar   den   Entschluss   fasste,  nach  Paris  oder 
Neapel    zu    gehen    und    von    und    für    die    Fechtkunst    zu  leben.     Eine  andere 
Leidenschaft  verhinderte  die  Ausführung  dieses  Planes.     Er  hatte  sich  in  eine 
junge  Dame    verliebt,    eine    Verwandte    des    Cardinais   von  Padua,  Georg   Cor- 
uaro,  und  heiratete  sie  heimlich,  musste  jedoch  fliehen,    sobald  diese  Thatsache 
bekannt    wurde.     Der    Cardinal    Hess    ihn    gerichtlich  verfolgen,  und  unter  die 
Anklage    der    gewaltsamen    Entführung    stellen,  und  da  ihm  auch  seine  Eltern 
jede  Hülfe  verweigerten,  so  irrte  Tartini   lange   umher,  bis  er  in  einem  Mino- 
ritenkloster  zu  Assisi,  in  welchem  ein  Verwandter  von  ihm  Pförtner  war,  eine 
Zuflucht  fand.     Zwei  Jahre  verweilte  er  hier,  bis  ein  Zufall  dazu  beitrug,  ihn 
der  Welt  wieder  zu  geben.     "Während  dieser   unfreiwilligen    Zurückgezogenheit 
beschäftigte  er  sich  viel  und  immer  mehr  mit  seiner  Geige  und  unter  Anleitung 
des  Pater  Boemo,  eines  ausgezeichneten  Organisten,  auch  mit  der   Composition 
und    der    Kunst    des    Begleitens.     Diese  Beschäftigungen,    die  Ruhe  des  Ortes, 
vielleicht    auch    die    kirchlichen  Hebungen,    hatten  in  Tartini  eine  vollständige 
Umwandlung    hervorgebracht;    er    war  ruhig,  ja  fromm  geworden  und  blieb  es 
auch  fürs  ganze  Leben.     Als   er   eines   Festtages   auf  dem   Chore  des  Klosters 
die  Violine  spielte,  so  erzählt  man,  habe  der  Wind  den  Vorhang  in  die  Höhe 
gehoben,  und  ein  Paduaner,  der  in  der  Kirche  war,  habe  Tartini  erkannt.    Er 
brachte    eiligst    die    Botschaft    heim;    der    Cardinal  aber  hatte  sich  bereits  zur 
Versöhnung    bequemt,    und    so    kehrte    Tartini    zu  den  Seinigen  zurück.     Bald 
darauf  wurde  er  zu  einer  Akademie  nach  Venedig  verschrieben  und  reiste  mit 
seiner    Frau   dahin  ab.     Als   er  aber  dort  den  berühmten  Violinisten  Veracini 
hörte,  wurde  er  von  dessen  kühner  Spielart  so  überrascht,  dass  er  den  andern 
Tag  Venedig   verliess,   und   nach   Ancona   ging,    um    den  Gebrauch  des  Bogens 
zu  studiren.     Er  brachte  es  auch  in  der  Folge  in  der  Kunst  der  Bogenführung 
zu  einer  bis  dahin  nicht  gekannten  Höhe.    Während  dieser  Zeit  des  Studiums, 
im  Jahre   1714,  entdeckte  er  auch  das  Phänomen  der  sogenannten  Combinations- 
töne,  des  Mitklingens  eines  tiefen  Tons,  wenn  zwei  höhere  consonirende  ange- 
geben werden,  und  gründete  später  hierauf  ein  Harmoniesj^stem,  welches  er  in 
seinem  y>Tratatto  di  Musicaa  weitläufig  darlegt.    1721   wurde  er  erster  Violinist 
an    der    Kapelle    der    Kirche    des    heil.  Antonius    zu    Padua,    einer   der  besten 
italienischen    Kapellen,    welche    aus    16   Sängern  und    24  lustrumentalisten  be- 
stand.    1723    folgte   er   in    Gemeinschaft  mit  seinem  Freunde,    dem  Violinisten 
Antonio  Vandini,    einer    Einladung    nach    Prag    zur    Krönung  Kaiser  Karl  V. 
und    beide    traten    dann    in    den    Dienst    des    Grafen   Kinsky.     Hier  hörte  ihn 
Quanz,    der    aber  bei  weitem  mehr  von  seiner  Fertigkeit,  als  seinem  Vortrage, 
der   ihm    nicht    rührend    genug    war,    erbaut    wurde.     Von    Tartini    weiss  man 
jedoch,  dass  er  die  Fertigkeit  der  Finger  nicht  als  die  Hauptsache  einer  Kunst- 
leistung ansah.     »Das  ist  schön«,  pflegte  er  zu  sagen,    wenn    ein  Geiger  grosse 


112  Tartini. 

Fingerfertigkeit  entwickelte,  »das  ist  schön,  das  ist  schwer,    aber  hier  (auf  das 
Herz  deutend)  hat  es  mir  nichts  gesagt«. 

Nach  drei  Jahren  kehrten  beide  Italiener  nach  Padua  zurück  und  Tartini 
errichtete  daselbst  1728  eine  Musikschule,  nicht  zu  seinem  Ruhm  allein,  y>Il 
maestro  delle  nationeK  nannten  ihn  die  Italiener  wegen  der  Schüler,  die  aus 
allen  Ländern  zu  ihm  strömten.  Ins  Ausland  ging  aber  Tartini  nicht  mehr, 
selbst  die  grössten  Anträge  und  glänzendsten  Anerbietungen  konnten  ihn  nicht 
dazu  bewegen.  Noch  1744  wurden  ihm  von  Lord  Midlesex  3000  Pfd.  Sterl. 
geboten,  wenn  er  mit  nach  London  ginge.  Er  schrieb  an  den  Unterhändler: 
»Ich  habe  eine  Frau,  die  mit  mir  gleichen  Sinnes  ist,  und  habe  keine  Kinder. 
Wir  sind  mit  unserem  Zustande  sehr  zufrieden,  und  wenn  sich  ja  ein  Wunsch 
in  uns  regt,  so  ist  es  doch  der  nicht,  mehr  zu  haben«.  In  seiner  Stellung  als 
Soloviolinist,  die  er  48  Jahre  lang  inne  hatte,  erhielt  er  400  Dukaten,  wofür 
er  nur  vei-pflichtet  war,  an  hohen  Festtagen  zu  spielen;  aber  sein  Eifer  für 
Kirche  und^^unst  führte  ihn  viel  öfter  dazu.  Seine  Violinschule  und  ein 
kleines  eigenes  Vermögen  vervollständigten  seine  Einnahmen  so,  dass  er  ge- 
mächlich davon  leben  konnte.  Zu  seinen  bedeutendsten  Schülern  gehören: 
Nardini,  Pasqualino  Bini,  Alberghi,  Dominique  Ferrari,  Carminati,  Capuzzi, 
Mad.  de  Sirmin  und  die  französischen  Violinisten  Pagin  und  Lahoussaye.  Im 
78.  Jahre  starb  er  am  26.  Februar  1770  an  einem  Krebsschaden,  der  sich  am 
Fuss  gebildet  hatte.  Bei  der  Nachricht  seiner  Krankheit  eilte  sein  Schüler 
Nardini  von  Livorno  zu  ihm  und  pflegte  ihn  bis  zu  seinem  Ende.  Seine 
sämmtlichen  geschriebenen  Musikalien  vermachte  Tartini  dem  Grafen  Thurn  und 
Taxis,  seinem  Schüler,  und  seinem  Freunde  Professor  Colombe  trug  er  auf, 
sein  Werk  y>Delle  ragioni  e  delle  proporzioni  libri  sei«,  durchzusehen  und  zum 
Druck  zu  befördern.  Colombe  starb  darüber  und  der  Verbleib  dieses  Manuscripts 
ist  unbekannt.  Tartini  ist  in  der  Parochialkirche  der  heil.  Katharine  begraben 
und  Griulio  Meneghini,  sein  Schüler  und  Nachfolger  im  Amt,  veranstaltete  einen 
Trauergottesdienst,  auch  wurde  in  der  Kirche  St.  Antonio  zu  seinem  Gredächtniss 
ein  Requiem  von  Valotti  aufgeführt. 

Tartini,  ein  ausführender  Künstler  ersten  Ranges,  erlangte  fast  noch  mehr 
Bedeutung  als  Lehrer  und  zugleich  als  Begründer  einer  Theorie.  Dabei  ent- 
wickelte er  auch  als  Componist  eine  für  einen  Instrumentalisten  seltene  Thätig- 
keit.  Er  schrieb  über  200  Concertstücke,  von  welchen  einige  noch  unsere 
heutigen  Programme  zieren,  und  zu  welchen  auch  die  berühmte  Teufelssonate 
(Trille  du  diable)  gehört.  Ueber  die  Entstehung  derselben  erzählt  Tartini,  dass 
er  einst  im  Traume  den  Teufel  aufgefordert  habe,  ihm  etwas  zu  spielen,  was 
dieser  gethan,  nachdem  sie  einen  Pakt  gemacht  hatten,  und  dass  diese  Musik 
so  schön  gewesen  sei,  dass  er  nach  dem  Erwachen  gleich  versucht  hätte,  sie 
aufzuschreiben.  Das  im  Traum  Gehörte  wäre  allerdings  noch  viel  schöner  ge- 
wesen, als  die  auf  diese  Weise  entstandene  Teufelssonate   (s.  Teufels  so  nate). 

Tartini's  erstes  Werk  erschien  1734  in  Amsterdam  bei  Royer:  -aSei  concerti 
composti  e  mandati  da  G.  Tartini  a  Gaspari  Visconti«,  opera  1,  lib.  1  und  2. 
Diese  Concerte  sind  für  Violine  mit  Begleitung  von  zwei  Violinen,  Viola, 
Violoncello,  Bass  continuo  und  Ciavier.  Drei  dieser  Concerte  wurden  in  Paris 
separat  gedruckt  unter  dem  Titel:  y>Tre  concerti  a  cinque  voci  da  Gius.  Tartinia 
und  drei  andere  aus  denselben  Heften;  ebenfalls  in  Paris:  y>Goncerti  grossi,  com- 
posti deir  Opera  frima  dt  Gius.  Tartini.  Ein  anderes  Heft  von  Tartini  trägt 
ebenfalls  die  Bezeichnung  nOpera  prima:  Sonate  (XII)  a  violino  e  Violoncello  o 
Cembalo  dedicate  a  sua  Eccellenza  il  signor  Girolamo  Äscanio  Giustianiani  di 
Giuseppe  Tartini«  (Paris,  Ledere,  chez  Mad.  Boivin;  auch  bei  Le  Cene  in 
Amsterdam  als  op.  1).  Das  zweite  Wei-k,  auch  sechs  Sonaten  für  Violine  mit 
Violoncell,  Bass  continuo  u.  s.  w.,  erschien  in  Rom,  1745,  Paris  und  Amsterdam, 
und  mit  sechs  anderen  vereinigt  unter  dem  Titel:  -oXII Sonate  a  violino  e  hasso 
(nicht  beziffert)  dedicate  al  Signor  Guglielmo  Fegeri  da  Giuseppe  Tartini,  Opera 
terza«  (Paris,  Leclerc).     Ferner  sind  noch  bekannt:  -»Sei  concerti  a  violino  solo. 


Tartini.  113 

due  violini,  viola  e  Violoncello  o  cemhalo  di  concertoa,  o^.  ^.  nVI  Sonufes  a  violon 
composees  par  M.  Giuseppe  Tartini  di  Padoa,  dedie  a  M.  Fagen  (auch  mit 
Oeuvre  4  bezeichnet).  Six  sonates  a  violon  seul  et  hasse  continue,  dedie  a  Pagena 
(Paris,  Leclerc,  1747).  ^Sice  sonates  idema  (ibid.  1770).  Noch  andere  Sonaten 
in  Gruppen  von  sechs  (Paris,  Bertin,  Meaupetit,  ßoivin,  Leclerc,  Mad.  Castagneri). 
Eine  Sammlung  Violinsonaten  y>L'Ärte  delV  arcoa  in  Paris  von  Cartier  heraus- 
gegeben: »L'Art  de  Varcheta.  y>Ooncerti  (III)  a  cinque  con  violino  ohligato  del 
Sig.  Giuseppe  Tartini.  Libro  /«  (Paris,  Mad.  Boivin,  M.  Leclerc,  M.  Castagneri, 
M.  Laine).  » YI  Concerti  a  otto  stromenti,  a  violino  principale,  violi^io  primo, 
violino  secondo,  violino  primo  di  ripieno,  violino  secondo  di  ripieno,  alto  viola, 
organo  e  Violoncello  oiligato,  des  S.  Giuseppe  Tartini  di  Padua.  Opera  secondaa 
(Stampato  a  spese  di  Grerhardo  Frederico  Witvogel  a  Amsterdam).  r>Sei  concerti 
a  cinque  stromenti,  a  violino  principale,  violino  primo  e  secondo,  alto-viola,  organo 
e  Violoncello,  composti  e  mandati  per  il  Signor  Giuseppe  Tartini  di  Padoa.  Opera 
prima,  Libro  secondo«  (Amsterdam  a  spesa  di  Michele  Carlo,  La  Cene).  »Sei 
concerti  a  cinque  stromenti,  a  violino  principale,  violino  primo  e  secondo,  alto 
viola,  organo  e  Violoncello  del  Sig.  Giuseppe  Tartini  e  Casparo  Visconti.  Opera  prima, 
libro  terzoa  (Amsterdam  a  spese  di  Michele  Carlo  di  Cene).  Ausser  diesen  "Werken 
hinterliess  Tartini  im  Manuscript:  48  Sonaten  für  Violine  und  Bass,  ein  Trio 
für  zwei  Violinen  und  Bass  und  127  Concerte  für  Violin-Solo,  für  zwei  Violinen, 
Violo,  Bass  continuo  u.  s.  w.,  ein  vier-  und  fünfstimmiges,  am  Schluss  achtstim- 
miges Miserere,  1768  in  der  päpstlichen  Kapelle  vor  Clement  XIII.  aufgeführt. 
Wie  erwähnt,  soll  er  bereits  1714  auf  die  Entdeckung  der  Combinations* 
töne  (jetzt  Differenztöne  genannt)  gekommen  sein,  doch  gab  er  erst  1754  in 
dem  erwähnten  »Trattato«  Kunde  hiervon,  während  Bomieu  (s.  d.)  bereits 
1751  in  Frankreich  und  Sorge  (s.  d.)  in  Deutschland  schon  1745  darüber 
berichten.  Doch  weil  Tartini  ein  Harmoniesystem  darauf  baute,  so  nannte  man 
die  Combinationstöne  auch  Tartinische  Töne.  Tartini's  System  erfuhr  sehr 
heftige  Anfeindungen,  namentlich  stellte  es  Serre  (»Observations  sur  le  principe 
de  rharmonica,  S.  109 — 169)  als  falsch  und  in  der  Praxis  unhaltbar  dar.  Zur 
weiteren  Begründung  seines  Systems  veröffentlichte  Tartini  1767  »De  principii 
delV  armonia  musicale  contenuta  nel  diatonico  generea  (Padoa,  1767,  in  4°,  120  S.) 
und  direkt  gegen  Serre  wandte  er  sich  in  der  Schrift:  »Risposta  de  Giuseppe 
Tartini  alla  critlca  del  di  lui  Trattato  di  musica  di  M.  Serre  di  Ginevra«.  (in 
Venedig,  1767).  Die  Entdeckung  des  sogenannten  dritten  Klanges,  der 
durch  zwei  rein  erklingende  Intervalle  erzeugt  wird,  ist  allerdings  von  grosser 
Wichtigkeit,  doch  bieten  die  Folgerungen,  die  Tartini  aus  dieser  Entdeckung 
zog,  sehr  viel  Angriffspunkte.  Er  schliesst  aus  dieser  Erscheinung,  dass  jeder 
Ton  aus  dem  Zusammenklange  bestimmter  harmonischer  Progressionen,  die  er 
harmonische  Monaden  nannte,  entsteht.  Schon  dieser  Grundsatz  wird  mit  Becht 
angefeindet  und  widerlegt.  Das  weitere  System  aber,  das  Tartini  darauf  errich- 
tete, ist  dann  mit  metaphisischen  und  philosophischen  Formeln  so  verbaut,  dass 
es  nur  sehr  schwer  verständlich  wird.  Nach  dem  Vorgange  Kepler's  dachte  sich 
Tartini  im  Kreise  eine  metaphisische  Zeugung,  die  von  einem  Individuum  ausgeht, 
um  das  andere  hervorzubringen,  indess  das  Erzeugende  stets  als  das  Ganze 
fortexistirt.  Darnach  ist  ihm  auch  im  Kreise,  dessen  Durchmesser  ihm  für  die 
Saite  gilt,  das  harmonische  Princip  enthalten,  das  er  dann  nach  dem  harmoni- 
schen, arithmetischen  und  geometrischen  Eigenschaften  des  Kreises  entwickelt. 
Ein  Brief  von  Tartini  an  seine  Schülerin  Sig.  Lombardini,  spätere  Mad.  Sirmen, 
über  die  Kunst  des  Violinspiels,  wurde  einige  Monate  nach  dem  Tode  Tartini's 
in  »L'Europa  letteraria«  (Jahr  1770,  Band  V,  Th.  II,  S.  74  u.  f.)  mit  dem 
Titel:  »Letter a  alla  signora  Maddalena  Lombardini,  inserviente  ad  una  importante 
lezione  per  i  suonatori  di  violino«  abgedruckt.  Das  Schriftchen  erschien  noch 
in  demselben  Jahre  in  Venedig  ein  halbes  Blatt  in  8",  ausserdem  von  Burney 
1771  in  englischer  Uebersetzung:  »Tartiiii's  Letter  to  signora  Lombardini  (after- 
loards   Signora  Syrmen) ;  published  as   an  important  Lesson  to  performers  on  the 

Musikal.  Convers.-Lesikou.    X.  8 


114  Tascliengeige  —  Taste. 

violm.K  (London,  in  8";  eine  zweite  Ausgabe  mit  italienisclieni  Text  London, 
R.  Bremner,  1779,  zwei  Blatt  in  4°)  und  von  Fayolle  in  nNotices  sur  Corelli, 
Tartini,  Gavinies,  Pugnani  et  Viottia  (Paris,  1810,  in  8")  in  französischer  Sprache. 
Eine  deutsche  Uebersetzung  gab  der  Organist  Heinrich  Leopold  Rohrmann 
heraus  unter  dem  Titel:  »Mägdelein  Lombardini«,  enthaltend  eine  wichtige 
Lection  für  die  Violinspieler  (Hannover,  1786,  in  4°,  12  Seiten).  Dieselbe, 
wenigstens  eine  ihr  vollständig  gleiche  Uebersetzung  findet  sich  in  »Lebens- 
beschreibungen berühmter  Musikgelehrten  und  Tonkünstler«  u.  s.  w.  von  Hiller 
(1784,  S.  278 — 285).  Eine  Schule  der  Verzierungen  von  Tartini  für  seine 
Schüler  zusammengestellt  -nTrattato  delle  appoggiature  si  ascendenti  che  discendenti 
per  il  violino,  come  pure  il  trillo,  tremolo,  mordente,  ed  altro,  con  diclnarazione 
delle  cadenze  naturali  e  compostea  ist  von  Pietro  Denis  ins  Französische  über- 
setzt herausgegeben:  y>Traite  des  agrements  de  la  musique  contenant  Vorigine  de 
la  p)etite  note,  sa  valeur,  la  maniere  de  la  placer,  toutes  les  differentes  especes  de 
eadences  etc.«  (Paris,  de  la  Chevardiere,   1782,  in  8°,   94  S.). 

lieber  Tartini  selbst  sind  folgende  Schriftchen  erschienen:  1)  »Orazione 
delle  lodi  di  Giuseppe  Tartini,  recitata  nella  chiesa  de'  RR.  PP.  Serviti  in 
Padova  li  31  di  marzo  Vaiino  1770,  Äble  Panzago  (Padova,  1770,  in  4°,  48  S,). 
Dasselbe  nebst  einem  Nachruf  von  P,  Valotti  unter  dem  Titel:  y>JSlogi  di  Giuseppe 
Tartini  primo  violinista  nella  capella  del  Santo  etc.«  (Padova,  C.  Conzati,  1792, 
in  8°,  99  S.).  2)  Nachrichten  über  Joseph  Tartini  von  J.  A.  Hiller  »Lebens- 
beschreibungen berühmter  Musikgelehrter  u.  s.  w.«  (Leipzig,  1784,  in  8",  S.  267 
bis  285).  3)  y>P^logio  di  Tartini  par  Augustin  Forno  in  Palermo«.  4)  »Giuseppe 
Tartini,  sua  vita«  findet  sich  in  dem  Buche  von  Camille  Ugoni  »Bella  letteratura 
italiana  nella  seconda  metä  del  secolo  XVIII«  (Brescia,  per  Nie.  Bettoni,  1802, 
Th.  1,  S.  1 — 28).  5)  Nachrichten  über  das  Leben  und  die  Arbeiten  Tartini's 
von  Eayolle  in  den  oben  erwähnten  "Werken.  Das  Porträt  Tartini's  ist  ge- 
stochen von  Carlo  Calcinoto  in  Padua,  von  Scheener  1787  zu  London  und  ein 
drittes   1810  nach  einer  Zeichnung  von  Guerin. 

Taschengeige,  franz.  poche,  pochette,  ital.  pochette,  kleine,  drei- 
saitige Taschengeige   (s,  Sackvioline). 

Taskin,  Pascal,  geschickter  und  erfindungsreicher  Ciavierbauer,  ist  zu 
Lüttich  1730  geboren,  kam  aber  jung  nach  Paris,  wo  er  ein  Schüler  des  In- 
strumentenmachers Blanchet  und  dessen  Nachfolger  wurde.  Er  war  Hofclavier- 
macher  und  Aufseher  über  die  zur  königlichen  Kapelle  gehörigen  Instrumente. 
Seine  Claviere  zeichneten  sich  durch  verbesserte  Spielart  und  veredelten  Klang  aus. 
Den  letzteren  erzielte  er,  indem  er  anstatt  der  Federkiele  die  Saiten  vermittelst 
Stückchen  Büffelhaut  zum  Klingen  brachte.  Er  nannte  die  Instrumente  deshalb: 
Instrument  ä  peau  de  huffle.     Taskin  starb  in  Paris   1793. 

Tastatur,  engl,  Key-hoard,  nennt  man  den  Inbegriff  sämmtlicher  Tasten 
eines  Pianofortes,  einer  Orgel  und  anderer  Ciavierinstrumente.  Man  hat  dafür 
auch  den  Ausdruck  Claviatur  (s.  d.).  Dass  im  Ganzen  sonst  die  Tastaturen 
an  Umfang  der  Tasten  geringer,  die  Form  der  einzelnen  Tasten  ehemals  eine 
etwas  andere  und  die  Beai'beitung  eine  rohe,  weniger  elegante  war,  sei  noch 
bemerkt.  Der  Grund  der  Vervollkommnung  im  Claviaturbau  ist  in  der  fabrik- 
mässigen  Herstellung  und  in  der  Theilung  der  Arbeit  zu  suchen. 

Taste  oder  Clavis  heisst  jeder  der  hebelartigen  Theile  an  Clavierinstrumen- 
ten  und  Orgeln,  durch  dessen  Niederdrücken  der  Ton  hervorgebracht  wird.  Der 
deutsche  Name  kommt  daher,  weil  diese  beweglichen  Theile  »betastet«  werden, 
theils  mit  den  Fingern  (Manual),  theils  mit  den  Füssen  (Pedal).  Der  lateinische 
Ausdruck  Clavis  (Schlüssel)  ist  von  der  Orgel  herzuleiten,  wo  durch  Niederdruck 
der  Taste  die  Cancelle  gewissermassen  aufgeschlossen  wird.  Soviel  Tasten  ein 
Instrument  hat,  ebensoviel  hat  es  Töne,  da  jede  Taste  nur  einen  Ton  hervorbringen 
kann.  "Weil  vormals  bei  Ciavieren  und  Orgeln  der  Tonumfang  sehr  gering  war, 
so  war  auch  die  Zahl  der  Tasten  eine  kleinere,  als  jetzt  bei  unsern  sehr  vollkom- 
menen Instrumenten.    Man  fertigt  bekanntlich  die  Tasten  von  Holz  und  belegt  sie 


Tasten-  oder  Tastaturinstrumente  —  Taubert.  115 

mit  Elfenbein-  und  Ebenholzplatten;  für  das  kostbare  Elfenbein  dienten  sonst  ge- 
wöhnlich Knochen,  und  jetzt  auch  "Wallross,  da  für  die  Unmasse  von  Claviaturen 
nicht  genug  Elephantenzähne  zu  haben  wären.  In  ältesten  Zeiten  des  Orgel-  und 
Ciavierbaues  war  der  Unterschied  von  Ober-  und  Untertasten  auf  der  Claviatur 
gar  nicht  vorhanden,  und  als  die  Obertasten  für  die  Halbtöne  nach  und  nach 
im  15.  und  16.  Jahrhundert  hinzukamen,  war  lange  Zeit,  bis  Anfang  des 
19.  Jahrhunderts,  die  Farbenordnung  der  Tasten  eine  der  heutigen  entgegen- 
gesetzte, d.  h.  die  Obertasten  waren  weiss,  die  Untertasten  schwarz  oder  von 
braunem  Holz,  wie  man  das  an  alten  Orgeln  und  Ciavieren  sehen  kann.  Statt 
des  Ebenholzes  bediente  man  sich  des  billigern  Birnbaumholzes  und  des  Buchs- 
baums zu  den  Tasten.  Wie  die  einzelnen  Tasten  und  ihre  Vereinigung  (Tastatur) 
am  zweckmässigsten  herzustellen  sind,  das  lehrt  der  Ciavierbau,  darin  man  es  seit 
den  letztern  50  Jahren  sehr  weit  gebracht  hat,  und  erwarte  man  darüber  hier 
keine  Anweisung.  Gutes,  trockenes  Holz  und  saubere  Arbeit  fordert  man  von 
jeder  soliden  Fabrik  von  Claviaturen.  Die  rechte  Stellung  der  Stifte  für  die 
Hebel  und  die  grössere  oder  geringere  Schwere  des  hintern  Theils  am  "Wag- 
balken bedingen  das  leichtere  oder  schwerere  Traktament  der  Tasten. 

Tasten-  oder  Tastaturinstrumente  sind  alle  Musikinstrumente  mit  Claviatur. 
Hierzu  gehören:  Orgel,  Ciavier,  Clavicembal,  Clavicord,  Clavicitherium,  Piano- 
forte  in  Tafelform,  Flügel,  Pianino,  Physharmonica,  Glockenspiele  mit  Claviatur 
und  alle  Arten  der  modernen  Ziehharmonicas.  Einige  Tasten  (Claves)  hatte 
auch  das  veraltete,  mit  Kurbel  zum  Drehen  eines  ßades  versehene  Saiten- 
instrument, das  schon  im  9.  Jahrhundert  als  Organistrum  abgebildet  ist, 
später  cifonie  und  Symphonie,  in  Frankreich  Vielle  heisst,  in  Deutschland 
Bauern-  und  Bettlerleyer,  lyra  mendicorum  genannt  wird. 

Tastenbrett  heisst  das  Brett  bei  der  Claviatur,  auf  welchem  die  Tasten, 
durch  ein  Charnier  zu  bewegen,  ruhen. 

Tastengeigre,  s.  Xänarphika. 

Tasten-Harmonica  oder  Ciavier -Harmonica  nennt  man  die  mit  Claviatur 
versehenen  Glockenspiele  und  Glasharmonica's  (s.  Harmonica,  Band  4,  S.  536 
d.  Lexik.). 

Tastenschraulben  sind  an  der  Orgel  die  Schrauben,  durch  welche  die  Tasten 
höher  oder  tiefer  gestellt  werden  können. 

Tastiera  (ital.),  die  Claviatur,  zuweilen  auch  für  Griffbrett  der  Bogen- 
instrumente  gebraucht,  z.  B.  sulla  tastiera,  am  Griff brette,  d.  h.  die  Saiten 
sollen,  vom  Stege  entfernt,  nahe  an  dem  Griffbrette  angestrichen  werden. 

Tasto  solo,  abgekürzt  t.  s.,  zeigt  in  der  Generalbassstimme  an,  dass  nur 
der  Bass  allein,  ohne  die  sonst  darüber  gestellten  Accorde  gespielt  werden  soll. 

Tatto  (ital.),  Tact. 

Taubentauz,  russ.  Goluhez,  ein  russischer  Nationaltanz,  der  mit  Begleitung 
der  Balaleika  und  der  Gudok  ausgeführt  oder  auch  nach  der  Melodie  eines  Liedes 
getanzt  wird.  Er  stellt  den  Streit  und  die  Versöhnung  zweier  Liebenden  dar; 
die  Tänzer  hüpfen  dabei  abwechselnd  auf  einem  Fusse  und  wiederholen  oftmals 
das  "Wort  y>Golubi.  (Taube),  daher  der  Name. 

Tauber,  J.  S.,  Flötenvirtuos,  zu  Naumburg  in  Sachsen  1750  geboren,  war 
Schüler  von  Götze  in  Dresden,  besuchte  die  Universität  Göttingen  und  wurde 
in  Bernburg  Mitglied  der  herzoglich  bernburgischen  Kapelle.  Er  starb  1803. 
In  Leipzig  bei  Peters  und  in  Mannheim  bei  Heckel  sind  einige  Compositionen 
für  die  Flöte  erschienen. 

Tauber,  Johann  Heinrich,  dänischer  Gelehrter,  lebte  als  Professor  und 
Direktor  der  Akademie  zu  Sorau  Ende  des  18.  Jahrhunderts.  Er  gab  eine 
Abhandlung  in  dänischer  Sprache  heraus:  »Gesang  und  Zeichnen,  ein  Mittel 
zur  Veredlung  junger  Leute  überhaupt,  insonderheit  der  Studirenden«.  Dieselbe 
ist  auch  abgedruckt  in  der  Monatsschrift:  -oMaaneäsJcriftet  Iris,  udjivet  af  S. 
Faulsen.     2  den  Äargang,  1792,  IV.  Bando. 

Tanbert,  Ernst  Eduard,  geboren  am  25.  September  1838  zu  Regenwalde 

8* 


116  Taubert. 

in  Pommern,  Sohn  des  dortigen  Superintendenten,  musste  nacTi  Absolvirung  der 
Gymnasialzeit  auf  Wunsch  des  Vaters  in  Berlin  und  später  in  Bonn  Theologie 
und  Philologie  studiren.  Hier  in  Bonn  zufällig  mit  Albert  Dietrich  bekannt 
geworden,  genoss  er  zum  ersten  Mal  bei  ihm  als  bei  einem  wirklichen  Musiker 
theoretischen  Unterricht;  später  entschloss  er  sich  gegen  den  "Willen  seines 
Vaters,  der  seine  Hand  gänzlich  von  ihm  zurückzog,  sich  ganz  der  Musik  zu 
widmen,  ging  nach  Berlin,  contrapunktirte  eifrig  bei  Kiel  und  ist  in  Berlin 
bisher  wohnen  geblieben,  nachdem  er  zeitweise  in  Leipzig  und  "Weimar  seinen 
Aufenthalt  genommen  hatte.  Aus  der  Reihe  von  Compositionen  aller  Art,  die 
er  bisher  veröffentlicht  hat,  heben  wir  seine  vierhändigen  Stücke:  »Unter  fremden 
Musikanten«,  op.  22  (bei  Leuckart)  und  "Walzer  zu  vier  Händen,  op.  33  (bei 
Haynauer)  hervor;  desgleichen  seinen  »Liedercyklus  aus  dem  Trompeter  von 
Säckingen«  (bei  Breitkopf  &  Härtel)  und  seine  zwei  Hefte  »Toskanische  Me- 
lodien« nach  Texten  von  Gregorovius  (bei  Kistner).  Aus  seinen  Kammermusik- 
werken verdienen  besonders  hervorgehoben  zu  werden:  die  Violinstücke,  op.  17 
(bei  Siegel),  sein  Ciavierquintett,  op.  32  (bei  Paez  in  Berlin)  und  sein  Streich- 
quartett, op.  34  (bei  Siegel),  die  ebenso  Erfindung,  wie  technisches  Geschick 
zeigen  und  in  weiteren  Kreisen  Anerkennung  gefunden  haben.  Da  der  Com- 
ponist  sich  in  der  Vollkraft  des  männlichen  Alters  befindet,  sind  die  Akten 
über  ihn  natürlich  noch  nicht  geschlossen.  Augenblicklich  (1878)  ist  er  auch 
kritisch  thätig  als  Peferent  der  politischen  Zeitung  »Die  Post«.  Obwohl  er 
sich  entschieden  der  neudeutschen  Richtung  angeschlossen  hat,  ist  er  dabei  er- 
sichtlich bemüht,  sich  die  Unj)arteilichkeit  zu  bewahren,  wie  denn  auch  bei 
seinen  Compostionen  anerkannt  werden  muss,  dass  er  seine  eigenen  "Wege  zu 
wandeln  sucht. 

Taubert,  Gottfried,  ein  geborener  Ronneburger,  um  1700  Student  in 
Leipzig  und  seit  1710  öffentlicher  Tanzmeister  daselbst,  ist  merkwürdig  durch 
sein  umfangreiches,  gelehrtes,  dem  Kurprinzen  Friedrich  August  von  Sachsen 
gewidmetes  Werk  über  Tanzkunst,  betitelt:  »Rechtschaffener  Tantzmeister, 
oder  gründliche  Erklärung  der  frantzösischen  Tantzkunst,  bestehend  in  drei 
Büchern,  deren  das  Erst  (Mstorice)  des  Tantzens  Ursprung,  Fortgang,  Ver- 
besserung, unterschiedlichen  Gebi-auch,  Zulässigkeit,  vielfältigen  Nutzen  und 
andere  Eigenschaften  mehr  untersuchet.  Das  Andere  (methodice),  der  so  wol 
galanten  als  theatralischen  frantzösischen  Tantz-Exercitii,  Grund- Sätze,  Ethice, 
Theoretice  und  Practice,  das  ist:  was  in  dem  Prosaischen  Theile  zu  der  äusser- 
lichen  Sitten-Lehre  und  gefällig-machenden  Aufführung:  was  in  dem  Poetischen 
Theile  zu  der  theoretischen  Wissenschaft  und  Betrachtung  so  wol  der  nidrigen 
Kammer-  als  hohen  theatralischen  Täntze:  und  was  in  Praxi  sowol  zu  der 
Regelmässigen  Composition  und  geschicklichen  Execution  als  gründlichen  In- 
formation dieser  beyden  Haupt-Theile  gehöret,  deutlich  zeiget.  Anbei  wird, 
nebst  einer  ausführlichen  Apologie  für  die  wahre  Tantz-Kunst,  der  Haupt- 
Schlüssel  zu  der  Choreographie  oder  Kunst  alle  Täntze  durch  Charakteres, 
Figuren  und  allerhand  Zeichen  zu  beschreiben,  als  welches  ingeniöse  Werck 
vormals  durch  Mrs.  Feüillet,  Tantzmeister  in  Paris,  ediret,  anitzo  aber,  nebst 
den  Kupflferstichen,  von  dem  Autore  aus  dem  Frantzösischen  in  das  Teutsche, 
und  in  diesen  Format  gebracht  worden,  zu  finden  seyn;  Und  das  Dritte  (clis- 
cursive)  deren  Maitres,  Scholaires,  Assemblees,  Balls,  Hochzeit-Täntze  und  anderer 
Tantz-Compagnien  Requisita,  wie  sie  nemlich  beschaffen  seyn  sollen,  und  unter- 
weilen beschaffen  sind,  zulänglich  erörtert.  Endlich  ist  ein  vollständiges  Re- 
gister aller  eingebrachten  Sachen  beigefüget  worden«  (Leipzig,  1717,  Fr.  Lancki- 
schens  Erben,  4°,  1176  Seiten  und  Register).  Der  abschreckend  lange  Titel 
überhebt  uns  der  weitern  Inhaltsanzeige  dieses  Buches,  das  für  Geschichte  der 
Tanzkunst  und  Tanzmusik  gar  manche  treffliche  Notiz  darbietet. 

Taubert,  Otto,  Dr.,  ordentlicher  Lehrer  am  Gymnasium  und  Cantor  an 
der  Stadtkirche  zu  Torgau,  Dirigent  des  städtischen  Gesangvereines,  am  26. 
Juni    1833    zu    Naumburg  a/S.   geboren.     Er   besuchte   das    Gymnasium  seiner 


Taubert.  117 

Vaterstadt,  war  während  dieser  Zeit  Mitglied,  in  den  zwei  letzten  Jahren 
Präfekt  des  dortigen  Domcliores,  und  in  der  Musik  Schüler  von  Otto  Claudius. 
Von  1855 — 1858  studirte  er  in  Halle  Philologie,  wurde  1859  in  Bonn  rite 
zum  Dr.  phil.  promovirt,  unterrichtete  an  verschiedenen  höheren  Lehranstalten 
in  der  ßheinprovinz,  Westj)halen  und  Ostpreussen  und  wurde  Ostern  1863  in 
seine  jetzige  Stellung  berufen.  In  dieser  verhalf  er,  neben  der  traditionellen 
Pflege  der  Kirchenmusik  mit  Begleitung  des  Orchesters,  dem  a  capella-Gesange 
zu  grösserer  Ausdehnung;  betonte  aber  dabei  das  protestantische  Element  der 
Art,  dass  er  alle  specifisch-katholische  Musik  aus  der  Kirche  verbannte  und 
veranstaltete  mit  dem  Kirchenchore  zeitweise  selbständige  Concerte.  Als  Ge- 
sanglehrer am  Gymnasium  führte  er  wiederholt  Sophokleische  Stücke  mit  der 
Musik  neuerer  Componisten  auf.  Mit  seinem  Gesangvereine  brachte  er  unter 
anderen  folgende  Werke  zur  Aufführung:  »Alexanderfest«  und  »Josua«  von 
Händel,  »Schöpfung«  und  »Jahreszeiten«  von  Haydn,  »Weltgericht«  von  Schnei- 
der, »Hiob«  von  L.  Klein,  »Huss«,  »Gutenberg«,  »Lazarus«  von  Löwe,  »Athalia«, 
»Elias«,  »Christus«  von  Mendelssohn,  »  Ver  sacrum«  von  Ferd.  Hiller.  Anfangs 
Alles  mit  eigenen  Kräften,  in  den  letzten  Jahren  unter  solistischer  Mitwirkung 
vorzüglicher  auswärtiger  Kräfte.  Als  Orchester  steht  ihm  die  Begimentskapelle 
des  72.  Infanterie-Regiments  zur  Verfügung  (das  Stadtmusikchor  ist  vor  drei 
Jahren  eingegangen).  Auch  literarisch  und  als  Componist  zeigte  er  sich  thätig. 
Von  ihm  erschienen:  1)  Dichtungen,  München-Gladbach,  1859  (darunter  das 
vielfach  in  Musik  gesetzte  Lied:  »"Wenn  ich  zwei  gehen  seh'  in  Lieb'  gesfellt«). 
2)  »Paul  Schede  (Melissus),  Leben  und  Schriften«  (Torgau,  1864).  3)  »Die 
Pflege  der  Musik  in  Torgau  vom  Ausgange  des  15.  Jahrhunderts  bis  auf  unsere 
Tage«  (Torgau,  1868).  4)  »Der  Gymnasial-Singchor  zu  Torgau  in  seiner  gegen- 
wärtigen Verfassung  nebst  Nachträgen  zur  Geschichte  der  Pflege  der  Musik  in 
Torgau«  (Torgau,  1870).  Von  seinen  Compositionen  sind  zu  erwähnen  ausser 
einer  Reihe  von  Liedern,  op.  1,  2,  3,  4,  5,  7,  ein  -nSahum  fac  regema  für  ge- 
mischten Chor;  »Skolion  des  Kallistratos«  für  Männerchor  (griechisch  und 
deutsch)  und  andere  Männerchöre. 

Taubert,  Wilhelm  Carl  Gottfried,  ist  am  23.  März  1811  zu  Berlin 
geboren.  Sein  Vater  war  früher  Regiments-Hoboist  gewesen  und  wirkte  noch, 
nachdem  er  eine  Anstellung  als  Kanzleidiener  im  Kriegsministerium  gefunden 
hatte,  in  Gartenconcerten  und  dergl.  mit.  So  wurde  die  Freude  an  der  Musik 
auch  in  dem  Sohne  früh  rege  und  im  zarten  Alter  hatte  dieser  bereits  ohne 
Unterweisung  gelernt  kleine  Stückchen  auf  der  Piccoloflöte  zu  blasen.  Sein 
ei'ster  Lehrer,  der  nachmalige  Direktor  des  königlichen  Domchors  in  Berlin, 
Neithardt,  der  den  Knaben  im  Clavierspiel  unterrichtete,  war  von  den  Fähig- 
keiten desselben  wenig  erbaut  und  auch  Zelter,  dem  die  Mutter  den  Knaben 
später  zur  Prüfung  zuführte,  sprach  sich  durchaus  ablehnend  über  die  Begabung 
desselben  aus.  Durch  den  Kriegsrath  Langheinrich  wurde  der  kunstsinnige 
General  von  Witzleben  auf  den  jungen  Taubert  aufmerksam  gemacht  und  er 
übernahm  die  weitere  Sorge  für  die  Ausbildung  des  nunmehr  12  jährigen  Knaben. 
Ludwig  Berger  wurde  jetzt  sein  Lehrer  und  die  nicht  gewöhnliche  Begabung 
des  Schülers  für  das  Clavierspiel  entwickelte  sich  jetzt  so  rasch,  dass  er  schon 
in  dem  nächsten  Jahre  öffentlich  als  Clavierspieler  auftreten  konnte,  und  in 
wenigen  Jahren  den  Ruf  eines  der  geachtetsten  Künstler  seines  Fachs  erwarb. 
Daneben  vernachlässigte  er  auch  seine  wissenschaftliche  Ausbildung  nicht,  er 
absolvirte  das  französische  Gymnasium  und  besuchte  durch  fünf  Jahre  die 
Universität,  obgleich  er  längst  entschlossen  war,  die  künstlerische  Laufbahn  zu 
verfolgen.  Von  geringerem  Erfolge  waren  die  theoretischen  Studien,  die  er 
unter  Berger  und  Bernhard  Klein  betrieb.  Sein'  Talent  für  Compositiou 
erscheint  der  Hast  gegenüber,  mit  welcher  er  nach  äusserer  Anerkennung,  nach 
Erfolgen  rang,  nicht  bedeutend  genug,  und  so  gönnte  er  sich  eigentlich  auch 
nicht  die  Zeit,  sich  eine  feste  und  höheren  Ansprüchen  genügende  Technik  an- 
zueignen.    Indem    er    dem    Geschmack   des    Salons  seiner  Zeit  huldigte,  gelang 


118  Taubert. 

es  ihm,  mit  einigen  Claviercompositionen  vorübergehende  Erfolge  zu  erreichen 
und  mit  einzelnen  seiner:  »Lieder  aus  der  Kinderwelt«  sogar  eine  Zeit  lang 
ernster  gestimmte  Ki-eise  zu  interessiren ;  grössere  Bedeutung  gewannen  indess 
auch  diese  ebenso  wenig,  wie  irgend  eine  andere  seiner  zahlreichen  Composi- 
tionen.  Mit  um  so  grösserem  Greschick  wusste  er  anderweitig  Erfolge  zu  er- 
zielen. Bereits  1831  wurde  ihm  die  Leitung  der  Hofconcerte  am  Piano  über- 
tragen; 1834  schon  ernannte  ihn  die  Akademie  der  Künste  zu  ihrem  Mitgliede; 
1841  wurde  er  Musikdirektor  an  der  königl.  Oper  und  1845  Hofkapellmeister 
und  in  dieser  Stellung  verblieb  er,  bis  er  1870  mit  dem  Titel  Oberkapellmeister 
von  der  Oper  zurücktreten  musste.  Seitdem  blieb  ihm  nur  die  Leitung  der 
Hofconcerte  und  der  Soireen  der  königl.  Kapelle.  An  der  Gründung  dieser 
Soireen  (Winter  1842 — 1843)  war  er  lebhaft  betheiligt,  was  ihm  als  unbestrit- 
tenes Verdienst  angerechnet  werden  muss,  denn  der  pekuniäre  Erfolg  derselben  ist 
ein  aussergewöhnlicher;  es  wurde  durch  sie  dem  Pensionsfond  für  die  Wittwen 
und  Waisen  der  Mitglieder  der  Kapelle  bereits  eine  enorme  Summe  zugeführt. 
Der  kleinliche  Kapellmeistergeist,  von  dem  Taubert  besessen  ist,  wie  kaum  ein 
anderer  seiner  Herren  Collegen,  verhinderte  indess,  dass  die  Soireen  auch  die 
historische  Bedeutung  erlangten,  welche  sie  gewinnen  mussten.  Da  er  selbst 
so  geringe  Erfolge  als  Componist  zu  erzielen  vermochte,  trieb  ihn  das  zu  einer 
immer  energischeren  Opposition  gegen  die  Schöpfungen  der  Gegenwart,  die 
durch  ihn  nicht  die  mindeste  Förderung  erfahren.  Während  alle  andern  der- 
artigen Institute  die  hervorragenderen  Werke  auch  der  Neuzeit  auf  ihre  Concert- 
programme  bringen,  geschieht  dies  Seitens  der  Berliner  königl.  Kapelle  nur  selten, 
und  dann  auch  meist  durch  andere  Rücksichten  bedingt,  und  so,  dass  es  der 
Produktion  der  Gegenwart  nicht  zur  besondern  Ehre  gereicht.  Daher  vermochte 
auch  die  königl.  Kapelle  nicht  die  hohe  Stufe,  die  sie  ihrer  Zusammensetzung 
aus  den  besten  Künstlern  nach  einnehmen  müsste,  auch  thatsächlich  zu  gewinnen. 
Selbst  der  ausgezeichnetste  Virtuose  gfeht  in  seinen  Leistungen  zurück,  wenn 
er  nicht  ununterbrochen  sein  ßepertoir  durch  neuere  Werke  bereichert  und 
ganz  ebenso  ergeht  es  einer  Kapelle,  die  nur  selten  über  den  beschränkten  Kreis 
eines  feststehenden  Programms  hinausgreift. 

Von  Taubert's  zahlreichen  Compositionen  sind  nur  wenige  noch  mehr  als 
dem  Namen  nach  bekannt.  Bereits  am  30.  März  1831  wurde  seine  erste  Sin- 
fonie aufgeführt;  1832  folgte  die  Oper  »Die  Kirmes«,  1833  die  Ouvertüren 
zu  »Othello«,  zu  »Der  Zigeuner«  und  zum  »Grauen  Männlein«.  Seine 
Musik  zum  Schauspiel  »Das  graue  Männlein«  wurde  in  Dresden  aufgeführt; 
1834  ging  die  Oper  »Der  Zigeuner«  im  königl.  Opernhause  in  Berlin  in 
Scene;  ihr  folgte  1842  die  einaktige  Oper  »Marquis  und  Dieb«;  1843 
schrieb  er  auf  Befehl  des  Königs  Friedrich  Wilhelm  IV.  die  Chöre  zur 
»Medea  des  Euripides«,  die  in  Berlin  und  einigen  andern  Städten  zur 
Aufführung  gelangten.  1844  lieferte  er  dann  die  Musik  zu  Tieck's  »Der  ge- 
stiefelte Kater«  und  1845  zu  desselben  Dichters  »Blaubart«;  1846  führte 
er  eine  neue  Sinfonie  (in  F-dur)  auf  und  1850  eine  dritte  in  S-moll.  Zur 
Unterstützung  seiner  Bewerbung  um  das  durch  Bungen hagen's  Tod  erledigte 
Direktorat  der  Sing-Akademie  comj)onirte  er  Kloj)stock's  »Vater  unser«,  das 
auch  am  28.  Jan.  1852  zur  Aufführung  gelangte.  1853  schon  ging  dann  seine 
neue  Oper  »Joggeli«  im  königl.  Opernhause  in  Scene.  1855  brachte  er 
wieder  eine  neue  Sinfonie  {Ö-moll)  heraus  und  dirigix'te  in  München  seine 
Musik  zu  Shakespeare's  Drama  »Der  Sturm«.  Seine  Oper  »Macbeth«  ging 
wieder  in  Berlin  in  Scene  (1857),  ebenso  wie  seine  jüngste  Oper  »Cäsario« 
(1875)  und  keins  dieser  Werke  vermochte  auch  nur  die,  seiner  Wirksamkeit 
näherstehenden  heimischen  Kreise  mehr  als  vorübergehend  zu  interessiren.  Mit 
mehr  oder  weniger  pikanten  conventionellen  Redensarten  vermag  man  wohl 
auf  Augenblicke  zu  unterhalten,  aber  nicht  auf  die  Dauer,  am  wenigsten  aber 
ein  Kunstwerk  von  Bedeutung  zu  schaffen.  Tiefern  Inhalt  aber  verräth  Tau- 
bert's   Tonsprache    nirgends    und    da    auch    seine  Technik    sich  nicht  über  das 


Taubner  —  Tausch.  119 

Maass  einer  gewissen  Routine  erhebt,  so  konnten  seine  Compositionen,  trotzdem 
sie  unter  den  möglichst  günstigsten  Umständen  in  die  Oeä'entlichkeit  gelangten, 
nirgend  feste  Wurzel  fassen.  Auch  die  relativ  besten  Werke  Taubert's,  die 
»Kinderlieder«,  würden,  obgleich  sie  sich  dem  Ijeschränktesten  Bedürfniss  unserer 
Salons  anschmiegen,  niemals  den  Erfolg  errungen  haben,  wenn  sie  nicht  von 
Sängerinnen  wie  die  Lind,  Johanna  Wagner,  Frau  Harriers- AVippern 
und  Andern  in  die  OefFentlichkeit  eingeführt  worden  wären.  Für  den  Maugel 
an  Erfolgen  auf  diesem  Gebiet  müssen  ihn  die  äusseren  Auszeichnungen  ent- 
schädigen, die  er  zu  erringen  wusste.  Er  ist  gegenwärtig  Vorsitzender  des 
Senats  der  musikalischen  Abtheilung  der  Akademie  der  Künste  in  Berlin,  Mit- 
glied mehrerer  Gesellschaften  und  eine  ßeihe  von  Orden  schmücken  seine 
Brust,  wie:  der  rothe  Adlerorden  4.  Classe,  das  Verdienstkreuz  des  herzoglich 
sächsischen  Hausordens  Ernestinischer  Linie,  der  königlich  bairische  Verdienst- 
orden vom  heiligen  Michael  1.  Classe  u.  s.  w. 

Taubuer,  Anton  Maurin,  Organist  aus  Böhmen,  gehöi'te  als  Violinist 
zur  Kapelle  des  Prinzen  Lobkowitz;  er  dirigirte  die  Kirchenmusiken  bei  den 
Ursulinerinnen  und  in  der  Kirche  S.  Nepomuk  in  Prag  um  die  Mitte  des 
lö.  Jahrhunderts.  Im  Manuscript  sind  Messen,  Motetten  und  Oratorien  in 
Prag  aufbewahrt,  als:  »Horeb«,  1741.  »Das  Haus  Jacobs«,  »Die  Hochzeit 
des  Lammes«,   1764.     »Das  Grab  des  Herrn«,  1758,  u.  a. 

Taaleiara;  ein  älterer  Ausdruck  für  Castagnetten   (s.  d.). 

Tausch,  Eranz,  ausgezeichneter  Clarinettist,  eigentlich  der  Begründer  des 
Virtuosenthums  auf  der  Clarinette,  wurde  in  Heidelbei-g  am  26.  Decbr.  1762 
geboren.  Sein  Vater  Jacob  Tausch  war  Musiker,  seit  1764  bei  der  Kurfürst- 
lichen Kapelle  zu  Mannheim  angestellt.  Der  junge  Tausch  liess  sich  schon  im 
achten  Jahre  vor  dem  Kurfürsten  auf  der  Clarinette  hören  und  wurde  in  Eolge 
dessen  sofort  in  dessen  Kapelle  aufgenommen.  1777  kam  er  mit  dem  Hofe 
nach  München,  begleitete  den  Kapellmeister  Winter  nach  Wien  und  kehrte 
nach  einem  sechsmonatlichen  Aufenthalt,  den  er  zu  eifrigen  musikalischen  Stu- 
dien benutzte,  nach  München  zurück.  1784  unternahm  er  eine  Reise  durch 
das  nördliche  Deutschland  und  besuchte  auch  Berlin  und  Dresden.  1790  wurde 
er  von  der  regierenden  Königin  von  Preussen  berufen  und  trat  bald  darauf 
als  Kammermusikus  ein.  Ungefähr  1799  richtete  er  musikalische  Versamm- 
lungen ein,  die  wöchentlich  stattfanden  und  aus  denen  1805  ein  Institut  für 
Blasinstrumente  hervorging.  Heinrich  Bärmann  und  sein  Sohn  Friedrich  Wil- 
helm sind  seine  besten  Schüler.  Eranz  Tausch  starb  am  9.  Eebr.  1819  zu 
Berlin.     Sein  Sohn: 

Tausch,  Eriedrich  Wilhelm,  Königl.  Kammermusiker  und  Clarinettist 
der  Königl.  Kapelle  zu  Berlin,  trat  1815  in  die  Königl.  Kapelle  und  führte 
nach  seines  Vaters  Tode  dessen  Conservatorium  für  Blasinstrumente  weiter. 
Er  starb  am  29.  April  1845.  Sowohl  sein  schöner  Ton  wie  seine  ausser- 
gewöhnüche  Fertigkeit  stellten  ihn  in  die  Reihe  der  ersten  Clarinettvirtuosen 
seiner  Zeit. 

Tausch,  Julius,  ist  am  15.  April  1827  in  Dessau  geboren  und  erhielt 
seine  musikalische  Ausbildung  zunächst  durch  den  Unterricht  von  Friedrich 
Schneider  in  Dessau.  Vom  April  1844  bis  Ende  October  1846  war  er  dann 
Schüler  des  Conservatoriums  der  Musik  zu  Leipzig  und  insbesondere  der  da- 
mals bei  demselben  thätigen  Meister  Mendelssohn,  Hauptmann  u.  A.  und  wid- 
mete sich  vorzugsweise  dem  Studium  der  Composition  und  dem  Pianofortespiel. 
Im  November  1846  ging  er  nach  Düsseldorf.  Hier,  sowie  an  anderen  Orten 
trat  er  zunächst  als  Pianist  auf.  Nach  Rietz's  Abgange  übernahm  er  die  Di- 
rektion der  bisher  von  diesem  geleiteten  Künstler-Liedertafel  und  in  den  Jahren 
1853  bis  1855  im  Auftrage  des  Comite's  des  Allgemeinen  Musikvereins  die 
Vertretung  R.  Schumann's,  zu  dessen  Nachfolger  er  1855  definitiv  gewählt 
wurde.  Seine  Compositionen  bestehen  in  Kirchenmusiken,  Ouvertüren  und 
andern     Orchestercompositionen,    gemischten     Chören,     Männerchören,    Liedern, 


120  Tauscher  —  Tausig. 

Ciavierstücken  u.  s.  w.  Im  Druck  sind  bisher  erschienen:  op.  1  »Fantasiestücke 
für  Pianofortea,  zwei  Hefte;  op.  2  »Acht  Lieder«;  op.  3  »Duo  für  Pianoforte 
und  Violine«;  op.  4  Musik  zu  Shakespeare's  »Was  ihr  wollt«,  Partitur  und 
Ciavierauszug;  op.  5  »Männerchöre«;  op.  6  »Sechs  Lieder«;  op.  7  »Drei  Mal- 
kastenmärsche«; op.  8  »Sechs  Lieder«;  op.  9  »Fest-Ouverture«;  op.  10  »Der 
Blumen  Klage  auf  den  Tod  des  Sängers«  für  Sopransolo,  Frauenchor  und  Or- 
chester; op.  11  »Ave  Maria«  für  Sopran  und  Orchester;  op,  12  »Dein  Leben 
schied,  dein  Ruhm  begann«,  Concertstück  für  Männerchor  und  Orchester;  op.  14 
»Zwei  Duette  für  Sopran  und  Tenor«;  op.  15  »Drei  Lieder«.  Seit  dem  Jahre 
1853  leitet  er  auch  die  Abonnementsconcerte  und  war  ausserdem  als  Mitdirigent 
bei  den  Niederrheinischen  Musikfesten,  die  in  Düsseldorf  in  den  Jahren  1863, 
1866,  1869,  1872  und  1875  stattfanden,  thätig. 

Tauscher,  J,  Gr.,  Grerichtsdirektor  zu  Waidenburg,  später  Notar  zu  Löss- 
nitz,  wo  er  1787  starb.  Ihm  wird  folgende  Arbeit  zugeschrieben:  »A'ersuch 
einer  Anleitung  zur  Disposition  der  Orgelstimmen,  nach  richtigen  Grrundsätzen 
und  zur  Verbesserung  der  Orgeln  überhaupt«  (Waidenburg,  1778,  in  8°,  78  S.). 
Angehängt  ist  eine  Nachricht  von  einer  neuerfundenen  Windlade  der  G-ebrüder 
Wagner,  Orgelbauer  zu   Schmiedefeld  bei  Ruhla. 

Tausig,  Aloys,  Pianist,  geboren  zu  Prag  1820,  zeigte  bereits  im  Knaben- 
alter bedeutende  Begabung  für  das  Ciavierspiel.  Er  kam  1831  nach  Wien  und 
erhielt  dort  den  Unterricht  Thalberg's,  unter  dessen  Leitung  er  schnelle  und 
bedeutende  Fortschritte  machte.  1837  unternahm  er  eine  Concertreise  durch 
Deutschland,  besuchte  Petersburg  und  errang  überall  den  Ruf  als  eleganter 
Ciavierspieler.  Nach  Prag  zurückgekehrt,  widmete  er  sich  dem  Unterricht, 
später  liess  er  sich  in  Warschau  nieder,  wo  er  einer  der  gesuchtesten  Clavier- 
lehrer  wurde  und  siedelte  dann  nach  Dresden  über.  Claviercompositionen  von 
ihm  erschienen:  y>Deua;  morceaux  de  salon  pour  pianoa,  op.  1  (Leipzig,  Breit- 
kopf &  Härtel).  »jLffl  Sirene  grande  etude  pov/r  le  piano«,  op.  6  (ibid.).  r>Grande 
fantasie  idema,  op.  7  (ibid.).  »ia  Berceuse,  idem«,  op.  8  (Warschau,  Friedlein). 
Sein  Sohn: 

Tausig,  Carl,  einer  der  genialsten  Ciaviervirtuosen  der  jüngsten  Ver- 
gangenheit, ist  am  4.  Novmbr.  1841  zu  Warschau  geboren  und  genoss  bis  zu 
seinem  14.  Jahre  den  Unterricht  seines  Vaters  im  Clavierspiel.  Die  Vollendung 
der  Ausbildung  des  aussergewöhnlich  begabten  Kunstjüngers  übernahm  dann 
Franz  Liszt  und  unter  seiner  Leitung  entfaltete  sich  Tausig's  Genie  in  wahr- 
haft wunderbarer  Weise,  so  dass,  wie  das  nicht  anders  zu  erwarten  war,  als  er 
in  die  Oeffentlichkeit  trat,  Ende  der  fünfziger  Jahre,  er  eben  so  staunende 
Bewunderung  als  heftige  Opj)osition  fand.  Die  ungewöhnliche  Technik,  wie 
man  sie  bisher  nur  an  dem  Grossmeister  des  Clavierspiels,  an  Franz  Liszt, 
kannte,  wie  das  Stürmische,  wild  Leidenschaftliche  seines  Vortrags  erwarben 
ihm  bald  ebenso  enthusiastische  Verehrer  wie  heftige  Gegner.  Nach  erfolg- 
reichen Concertreisen  und  wechselndem  Aufenthalt  in  Dresden  1859  und  1860 
und  in  Wien  1862  liess  er  sich  1865  in  Berlin  nieder.  Hier  errichtete  er  die 
Akademie  für  das  höhere  Clavierspiel,  die  seine  bedeutende  Fähigkeit  auch  für 
die  Lehrthätigkeit  zeigte.  Hier  vollzog  sich  denn  auch  an  ihm  selber  jener 
Läuterungsprozess,  aus  welchem  sein  Genius  hellleuchtend,  ohne  trübende 
Schatten  hervorging.  Tausig  beschäftigte  sich  auch  eifrig  mit  wissenschaft- 
lichen, namentlich  philosoj^hischen  Studien  und  unter  dem  Einfluss  derselben 
concentrirte  sich  seine  leidenschaftliche  übersprudelnde  Innerlichkeit  zu  jener 
künstlerischen  Ruhe,  die  ihn  bald  zu  dem  unvergleichlichen  Clavierinterpi'eten 
der  Meisterwerke  machte,  vor  dem  nun  auch  die  O^Dposition  verstummen  musste. 
So  wurden  seine  Concerte  und  Soireen  zu  künstlerischen  Festtagen  für  alle 
Freunde  namentlich  der  Romantiker,  und  die  tiefste  Trauer  machte  sich  überall 
kund  bei  der  Nachricht  von  dem  so  früh  erfolgten  Tod  des  jugendlichen  Mei- 
sters. Er  starb  plötzlich  am  17.  Juli  1871  in  Leipzig  am  Typhus.  Wenige 
Tage  darauf  wurde  seine  Leiche  nach  Berlin  gebracht   und  hier  zur  Ruhe  be- 


Tauwitz  —  Tayber.  121 

stattet.  Von  seinen  Compositionen  blieben  die  meisten  Manuscript.  Als  be- 
geisterter Anhänger  Wagner's  bearbeitete  er  dessen  Opern  in  verschiedenen 
Arrangements,  unter  andern  auch  den  Ciavierauszug  der  Oper:  »Die  Meister- 
singer«. Besonders  zu  erwähnen  sind  ferner  die  von  ihm  besorgte  Ausgabe 
von  Clementi's  «Gradus  ad  j)arnassum<i  und  die,  nach  Tausig's  Tode  von  Ehr- 
lich herausgegebenen  »Technischen  Studien«  (beide  in  M.  Bahn's  Verlag 
T.  Trautwein  in  Berlin  erschienen).  Tausig  war  mit  Seraphine  geborene 
V.  Vrabely  verheiratet,  einer  bedeutenden  Pianistin,  Schülerin  von  Dreyschock. 
Diese  ging  nach  seinem  Tode  nach  Pest  und  errichtete  dort  ein  Musikinstitut. 
Gegenwärtig  (1878)  weilt  sie  wieder  in  Berlin. 

Tauwitz,  Eduard,  geboren  zu  Grlatz  in  Schlesien  am  21.  Januar  1812, 
besuchte  das  dortige  Gymnasium  und  kam  dann  nach  Breslau,  um  die  Rechte 
zu  studiren.  Er  hatte  sich  von  früh  an  auch  mit  musikalischen  Studien  befasst 
und  übernahm  als  Student  schon  die  Leitung  eines  Gesangvereins.  Später 
widmete  er  sich  ganz  der  Musik  und  nahm  eine  Stelle  als  Musiklehrer  in  "Wilna 
an.  1846  ging  er  nach  Prag  als  Kapellmeister  an  das  dortige  Theater,  1863 
wurde  er  pensionirt  und  seitdem  ist  er  als  Direktor  der  Sophien-Akademie  und 
als  Chormeister  des  deutschen  Männergesangvereins  thätig.  1844  wurde  in 
Riga  die  dreiaktige  Oper  »Brodamante«  und  1846  eine  komische  Oper  »Schmolke 
und  Bakel«  aufgeführt  (Breslau,  bei  Leukart).  Ebenda  erschienen  eine  Anzahl 
Liederhefte  für  vier  Männerstimmen  und  Lieder  für  eine  Stimme  mit  Ciavier- 
begleitung, op.  8,  10,  15,  17  und  18  (ibid.),  von  denen  einzelne,  wie:  »Worte 
der  Liebe,  ihr  flüstert  so  süss«  und  einige  Männerquartette  weite  Ver- 
breitung  fanden. 

Tavares,  Manuel,  Componist  aus  Portalegra  in  Portugal,  lebte  gegen  1625. 
Er  war  erst  Sänger  in  der  Kapelle  Johann  IIL,  später  Kapellmeister  in  Murcia, 
dann  in  Cuenca  in  Spanien;  in  der  letzteren  Stadt  starb  er.  Messen,  Psalmen 
und  Motetten  befanden  sich  von  ihm  in  der  Bibliothek  des  Königs  von  Por- 
tugal. S.:  Machado,  y>BibliotJieca  Lusitanan  und  yCatalogo  Gritico  por  Joaquim 
de    Vasconcellos«. 

Tavares,  Nicola,  portugiesischer  Componist  des  17.  Jahrhunderts,  war 
Kapellmeister  in  Cadix  und  in  Cuenca,  wo  er  starb.  Seine  Compositionen  be- 
fanden sich  ebenfalls  in  der  Bibliothek  des  Königs  von  Portugal. 

Tavelli,  Luigi,  venetianischer  Componist  aus  der  ersten  Hälfte  des  18. 
Jahrhunderts.  Bekannt  von  ihm  ist  nur  die  Oper  y>Amor  e  Solegnoaa,  Anfangs 
unter  dem  Titel  r>Ottone  Amanten  1726  im  Theater  Cassiano  zu  Venedig  aufgeführt. 

Taveruer,  John,  einer  der  ältesten  englischen  Contrapunktisten,  war  Or- 
ganist zu  Boston  in  der  Grafschaft  Lincolnshire  in  der  ersten  Hälfte  des  16. 
Jahrhunderts,  auch  Chox'sänger  an  der  Cardinais-,  jetzt  Christkirche  zu  Oxford. 
Seine  Neigung  zum  Protestantismus  brachte  ihn  ins  Gefängniss,  nebst  zwei 
andern,  wovon  der  eine  durch  die  schlechte  Luft  des  Gefängnisses  getödtet, 
der  andere,  ein  Lautenist  John  Frith,  1533  verbrannt  wurde.  T.  kam  durch 
seine  Talente  wieder  in  Freiheit.  Der  Cardinal  entliess  ihn  mit  dem  Bemerken: 
er  sei  ja  nur  ein  Musiker.  Seine  Compositionen  im  Manuscript  verblieben  der 
Bibliothek  zu  Oxford,  auch  sind  einige  im  Britisch  Museum  zu  London  (Cot. 
179,  226,  227)  aufbewahrt.  Gedruckt  sind  folgende:  Motette  -»Bum  transisseU, 
fünfstimmig  im  Kirchenton  (Burney,  ^General  Histoire  of  Musik«,  Theil  II, 
S.  557 — 559).  Ebenda  (S.  560 — 562)  aus  einer  Messe  ein  dreistimmiger  Canon: 
»0,  Michael«.  Ein  dreistimmiges  Anthem:  »O  splendor  gloriae«  (Hawkins, 
■aGeneral  History  of  tJie  science  and  pracHce  of  miisic«,  Th.  II,  S.  513). 

Tayber,  Anton,  geboren  zu  "Wien  am  8.  Septbr.  1754,  lebte  dort,  nach- 
dem er  einige  Zeit  in  der  Kurfürstlichen  Kapelle  in  Dresden  gewirkt,  als 
Kammervirtuos  (Clavierspieler)  und  Kammercomponist  des  Erzherzogs  und  der 
Erzherzogin.  T.  starb  zu  Wien  am  18.  Novbr.  1822.  Zu  seinen  Compositionen 
gehören:  »Zerbes  und  Mirabella«,  Melodrama;  »Das  Leiden  Jesu  Christi«,  Ora- 
torium;   »Die  Eroberung  von  Belgrad«,  Tongemälde;    Quartette,  Lieder,  Tänze. 


122  Tayber  —  Taylor. 

Tayber,  Franz,  Hoforganist  und  Componist,  zu  Wien  am  15.  Novbr.  1756 
geboren,  war  ausgezeichnet  als  Orgelspieler  und  machte  in  seiner  Jugend  Concert- 
reisen  durch  die  Schweiz,  Schwaben  und  Baden,  dann  schloss  er  sich  der  herum- 
ziehenden Operntruppe  Scbikaneder's  an.  In  Wien  übernahm  er  die  Direktion 
des  von  Schikaneder  gegründeten  Theaters  an  der  Wien.  Er  schrieb  für  dieses 
und  das  Theater  der  LeoiDoldstadt  viel  Arien,  Chöre,  Ouvertüren,  Tänze  und 
die  Opern:  »Alexander«,  »Der  Schlaftrunk«,  »Scherodin  und  Almansor«,  »Der 
Telegraph«,  »Pfändung  und  Personalarrest«,  »Der  Zerstreute«,  »Das  Spinner- 
kreuz am  Wienerberg«,  »Arrac/io  de  Benevent»..  In  Augsburg,  ßegensburg  und 
andern  Städten  wurden  von  ihm  aufgeführt:  »Carl  von  Eichenhoi'st«  und  »Laura 
ßosetti«.  T.  wurde  1810  zum  Hoforganisten  ernannt  und  starb  aber  schon 
am  22.  October  desselben  Jahres. 

Taylor,  Brook,  englischer  Mathematiker  von  Ruf,  sicherte  sich  diesen 
auch  in  der  musikalischen  Welt  durch  die  Lösung  des  Problems  der  Vibration 
der  Saiten  (De  Vibratione  Ohordarum).  Die  Abhandlung  hierüber  befindet  sich 
in  seinem  Buche  -nMethodus  incrementorum  directa  et  inversa<i  (London,  1715 
und  1717,  in  4").  Ebenfalls  in:  y>Philosoph.  Transactionsa,  Vol.  XXVIII  pag. 
26  und  folgende  unter  dem  Titel:  r>Goncerning  the  motion  of  stretched  stringa. 
T.  ist  am  18.  August  1685  zu  Edmonton  in  der  Grrafschalt  Middlessex  geboren 
und  starb  am  29.  December  1731. 

Taylor,  Edward,  Urenkel  des  Dr.  John  Tayloi',  wurde  zu  Norwich  am 
22.  Jan.  1784  geboren.  Er  erhielt  eine  gute  Erziehung  und  besonders  sprach- 
liche Bildung,  beschäftigte  sich  aber  von  früh  an  mit  Vorliebe  mit  der  Musik, 
obwohl  er  dem  Kaufmannsstande  angehörte.  Er  spielte  Orgel,  konnte  auch  in 
Concerten  Hoboe,  Fagott  oder  Flöte  übernehmen,  besonders  aber  Hess  er 
gern  seine  schöne  Bassstimme  erklingen.  Er  wirkte  als  Liebhaber  in  den 
geistlichen  Concerten  -nThe  octogon  GhapeW  mit  und  war  Mitglied  des  nGlee 
Gluba  in  Norwich.  fSound  the  TymbaU,  ein  Chor  seiner  Composition,  wurde 
in  den  »HaU-Concerts«  aufgeführt.  T.  war  auch  einer  der  Hauptorganisatoren 
des  Musikfestes  zu  Norwich  1824,  zu  welcher  Grelegenheit  er  mehrere  Texte 
der  grossen  Compositionen  von  Mozart,  Spohr,  Graun  aus  dem  Deutschen  ins 
Englische  übersetzte.  1825  kam  er  nach  London,  wo  er  zuerst  als  Sänger 
auftrat;  seine  ausgebreiteten  Kenntnisse  in  der  Theorie  und  Greschichte  der 
Musik  verschafften  ihm  aber  1837  beim  Tode  Steven's  einen  Platz  am  College 
zu  Gresham.  1837  veröffentlichte  er  seine  drei  ersten  Vorträge:  -oThree  inau- 
gural  Lecturesa  in  8°.  Diesen  folgte  1845  ein  Artikel:  r>The  english  Gathedral 
Service,  its  glory,  its  decline  and  its  designed  ecctinctiona  (in  »Britsh  and  Foreign 
Mevieiod),  später  separat  gedruckt,  eine  Schrift,  welche  in  England  viel  Auf- 
sehen machte.  Noch  ist  T.  als  der  Gründer  des  y^  Pur  cell  Gluba  und  in  Gemein- 
schaft mit  Dr.  ßimbault  und  Chapell  der  »Musical  antig^uarian  Society^  zu  nennen. 
Auch  die  öffentliche  musikalische  Bibliothek  zu  Gresham  ist  sein  Werk;  er 
veröffentlichte  in  Bezug  hierauf:  »An  address  from  the  Gresham  professor  of 
music  to  the  patrons  and  lovers  of  the  art  etc.«,  ein  Blatt  (London,  28.  1838). 
Zu  seinen  Arbeiten  gehören  noch  die  Uebersetzungen:  »Vier  Jahreszeiten«  von 
Haydn,  »Tod  Jesu«  von  Graun,  und  mehrerer  Oratorien  von  F.  Schneider  und 
Spohr,  ferner  seine  Compositionen,  die  in  »Gleesu  und  englischen  Gesängen 
bestehen,  und  eine  Sammlung  rheinischer  Volkslieder,  deren  Worte  er  ins  Eng- 
lische übertragen,  »Airs  of  the  Mhinea  benannt  und  die  mit  einer  Vorrede  ver- 
sehen sind,  welche  eine  Skizze  der  deutschen  Musik  enthält.  Der  Styl  in  aUen 
seinen  Schriften  ist  elegant.  T.  machte  1826  eine  Reise  nach  Italien  und 
Deutschland  und  starb  am  12.  März   1863  zu  Brentwood  bei  London. 

Taylor,  Jacob,  Professor  der  Musik  zu  Norwich,  wo  er  1770  geboren 
wurde,  Hess  in  der  musikalischen  Zeitschrift  »Quarterly  musical  Review«,  meh- 
rere Aufsätze  erscheinen,  darunter:  »Remarhs  on  the  minor  Iceyv.  (Tb.  I  S.  141); 
»On  Modulation<i  (Th.  I  S.  304).  »lieber  Octaven-  und  Quintenfolgen«  (ebenda 
Th.  II  S.  271). 


Taylor  —  Technik.  123 

Taylor,  John,  Dr.,  geboren  1694  in  der  Gegend  von  Lancaster,  studirte 
zu  Cambridge,  wurde  Pastor  zu  Norwich  und  dann  Rektor  einer  Schule  zu 
Warringten,  wo  er  1761  starb.  Eine  ßede,  die  er  in  Cambridge  hielt,  wurde 
gedruckt:  y>The  Music  speechi  (London,  1730,  in  8").  Derselbe  hat  auch  ein 
Buch  Anthems  mit  Anmerkungen  über  die  Ausführung  der  Psalmodie  heraus- 
gegeben: y>A  eoUection  of  tones  in  various  airs ;  with  a  scheine  for  supporting 
the  spirit  and  practice  of  psalmody  in  congreyationsv.  (London,   1750,  in  8°). 

Taylor,  Richard,  geboren  zu  Chester  1758,  gehörte  zur  Calvinistischen 
Kapelle  in  London,  wo  er  im  Februar  1813  starb.  Man  hat  von  ihm  folgende 
Compositionen:  Eine  Sammlung  Weihnachts-Hymnen:  r>The  Christmas  Hymn<i 
(London,  Longman  &  Broderip).  Eine  Sammlung  ^Anthems  Church  Music  for 
3  voicesa  (ibid.).  r>Beauties  of  sacred  verse,  selected  principally  front  the  worhs 
of  the  Rev.  Dr.  Watts,  Wesley,  Dodridge  and  oihers  eminent  divine  authers,  xoitli 
entire  neiv  Music,  suited  for  the  voice,  organ,  piano  forte,  etc.a,  liv.  I  und  IL 
Ein  Lehrbuch  der  Musik:  r>The  principles  of  Music  at  one  view«  (London,  1791, 
in  8";  mehrere  Auflagen). 

Teatro  di  grau  cartello  (ital.),  Theater  vom  ersten  Range,  auf  welchem 
grosse  Opern  gegeben   werden. 

Teatro  diurno  (ital.),  in  einigen  Städten  Italiens  ein  Theater,  in  dem  in 
der  schönen  Jahreszeit  bei  hellem  Tage  von  fünf  Uhr  Nachmittags  bis  zum 
Einbruch  der  Nacht  gespielt  wird. 

Te-Bouni,  ein  Lyra-  oder  Lautenähnliches  Saiteninstrument  der  alten  Aegypter. 

Techler,  David,  Greigenbauer  deutscher  Abkunft,  lebte  zwischen  1680  bis 
1743  zuerst  in  Salzburg,  wo  er  nach  dem  Modell  der  Geigen  von  Stainer 
(s.  d.  Art.)  arbeitete,  später  ging  er  nach  Venedig  und  dann  nach  Rom  und 
dort  baute  er  bessere  Instrumente  als  seine  früheren,  nach  dem  Muster  des 
Nicolas  Amati.  Er  musste  seiner  Concurrenten  halber  aus  Venedig  fliehen,  die 
ihn  mit  dem  Tode  bedrohten.  Am  werthvollsten  von  seinen  Instrumenten  sind 
seine  grossen  Celli,  der  Lack  derselben  ist  dünn  aufgetragen  und  gelb.     Seine 

David  Techler  Liutaro 
Fecit  Romae  An.  D.  17 — . 

Technik  ist  die  Lehre  von  der  praktischen  Thätigkeit,  welche  sowohl  die 
Schöpfung  wie  die  Ausführung  eines  Kunstwerks  erfordert;  sie  ist  gewisser- 
massen  der  Gegensatz  der  Aesthetik.  Wie  diese  die,  in  der  Idee  des  Kunst- 
werks gebotenen  Gesetze  zu  erforschen  und  festzustellen  sucht,  so  jene  die  durch 
das  Material  gebotenen.  In  der  Tonkunst  umfasst  die  Technik  demnach  die 
Lehre  von  der  Erzeugung  und  der  mehr  materiellen  Verwendung 
der  Töne  und  Klänge.  Die  Technik  des  Instrumentenspiels  und  des 
Gesanges  umfasst  die  Summe  der  Fertigkeiten,  welche  zur  correcten  Aus- 
führung eines  Tonstücks  nothwendig  sind.  Zur  Technik  des  Ciavier spiels 
gehören  ein  präciser  Anschlag  in  allen  Stärkegraden;  correcter  Fingersatz  und 
der  Grad  von  Geläufigkeit,  welcher  erforderlich  ist,  um  auch  die  schwierigsten 
Figuren  im  entsprechenden  Tempo  sauber  und  ohne  Anstrengung  ausführen 
zu  können.  Diese  Fähigkeit  gehört  auch  zur  Technik  des  Gesanges,  wie 
zu  der  aller  andern  Instrumente.  Zur  Technik  des  Geigenspiels  gehört 
dann  ferner  auch  die  Kunst  der  Bogenführung,  der  Applicatur,  wie  der 
besondern  Behandlungsweise  der  Saiten:  des  Flageolettspiels,  des 
Pizzicato  u.  s.  w.  Zur  Technik  des  Gesangs  gehören  dementsprechend 
die  Kunst  des  Tonansatzes,  die  Accentuation,  V  ocalisation,  das  Por- 
tamen to  u.  s.  w.  In  wie  weit  diese  Technik  dann  nach  ästhetischen  Gesichts- 
punkten bestimmt  wird,  erörtert  der  Artikel  Vortrag  (s.  d.)  Auch  die 
Composition,  die  Schöpfung  des  Kunstwerks,  hat  ihre  besondere  Technik, 
diese  umfasst  die  Fähigkeiten,  die  Töne  zu  bestimmten  Formen  zusammen- 
zufügen, nach  den  Gesetzen,  die  sowohl  im  Material  wie  auch  in  der  Idee  der 
speciellen    Formen    begründet    sind,    deren    Summe    die   Lehre   vom  Tons  atz: 


1 24  Tedeschi  —  Teixeira, 

als  Lehre  vom  Contrapunkt    und    als    rormen-    und  Instruraentations- 
lehre  in  sich  begreift. 

Tedeschi,  Griovanni,  genannt  Amadori,  war  einer  der  grössten  Sänger 
aus  der  Schule  des  Bernaccbi,  zu  Bologna  ungefähr  um  1740.  Er  befand  sich 
später  längere  Zeit  im  Dienst  des  Königs  von  Neapel  und  war  auch  eine 
Zeit  lang  Opernunternehmer.  In  den  Jahren  1751 — 1755  sang  er  in  Berlin 
in  den  Graun'schen  Opern  »Montezuma«  und  »Ezio«,  In  Rom  errichtete  er 
nach  dem  Beispiel  seines  Lehrers  eine  Singschule,  aus  der  viel  gute  Schüler 
hervorgingen.     Er  starb  gegen  1790. 

Tedesco  Arrigo  wurde  Heinrich  Isaak  (s.d.)  von  den  Italienern  genannt. 

Tedesco,  L.  C  A.,  gegen  1807  von  italienischen  Eltern  in  Luxemburg 
geboren,  studirte  Medizin  an  der  Universität  Löwen  1827 — 1829.  Er  hielt 
dort  folgenden  Vortrag  über  die  Anwendung  der  Musik  in  der  Medizin:  y>De 
musica  iatricaa.  (Lovanii,  1829,  in  8",  27   S.). 

Tedesco,  Ignaz  Amadeus,  trefflicher  Ciavierspieler  und  Componist  von 
geschmackvollen  und  beliebten  Salonstücken,  ist  zu  Prag  1817  geboren.  Die 
ersten  Studien  im  Clavierspiel  machte  er  unter  Anleitung  des  Vaters,  ferner 
des  Kapellmeisters  Triebensee,  und  mit  so  gutem  Erfolge,  dass  er  sich  zwölf 
Jahre  alt  schon  öffentlich  hören  lassen  konnte.  Nach  einer  kleinen  Kunstreise 
nahm  er  in  Prag  den  Unterricht  im  Clavierspiel  und  der  Composition  bei 
Tomascheck  wieder  auf  und  1835  machte  er  eine  zweite  Peise  nach  Wien  und 
spielte  auch  mit  Beifall  in  Leipzig  im  Gewandhaus.  Bei  späteren  erfolgreichen 
Concertreisen  bewegte  er  sich  hauptsächlich  in  Süd-ßussland,  blieb  in  Odessa 
längere  Zeit  wohnhaft  und  ertheilte  Unterricht.  Dann  lebte  er  in  Hamburg 
und  London.  1850  wurde  er  Grrossherzoglich  Oldenburgischer  Hofpianist.  Zu 
seinen  Compositionen,  die  in  Capriccios,  Variationen,  Nocturnos,  Salonwalzern 
u.  s.  w.  bestehen,  gehört  auch  ein  Clavierconcert  mit  Orchester.  Spiel  und  die 
Compositionen  des  Tedesco  zeichnen  sich  hauptsächlich  durch  Eleganz  aus. 

Te  Deum  landamns:  »Herr  Gott  dich  loben  wir«,  der  sogenannte  Ambro- 
sianische Lobgesang  (s.  d.). 

Tegetineier,  Georg,  geboren  am  20.  Januar  1687  zu  Halberstadt,  starb 
gegen  1750  als  Domorganist  zu  Magdeburg;  er  war  einer  der  vorzüglichsten 
Organisten  seiner  Zeit. 

Teghi,  Pietro  de,  berühmter  Lautenist,  lebte  in  der  ersten  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts.  Man  kennt  von  ihm:  nOarminum  ad  testudinis  vsum  compo- 
sitorum  liher  tertius  ah  excellentissimo  artifice  JBetro  Tegliio  Patauino  elegantissime 
coneinnatusti  (Lovanii,  apud  Petrum  Phalesium  bibliopolam  juratum,  anno  Do- 
mini 1547).  y>Des  chansojis  et  Motetz  reduicts  en  tahvlatvre  de  Luc  a  quatre^ 
cinque  et  six  parties,  livre  troisieme.  Composees  par  Vexcellent  maistre  Pierre  di 
Tegli  Faduana  (A.  Lovvain,  par  Pierre  Phaleys  libraire  iure,  nel  an  de  grace 
1547.    Avec  grace  et  privilege  a  trois  ans). 

Teichmüller,  K.  "W.,  Violinist,  Flötist,  Guitarrist  und  Professor  der  Musik 
zu  Braunschweig  gegen  1830,  war  hauptsächlich  ausserordentlich  geschickt  auf 
der  Mundharmonika.  Compositionen  für  die  Violine  und  für  Violine,  Flöte 
und  Guitarre  u.  s.  w.  sind  bei  Breitkopf  &  Härtel  (Leipzig),  bei  Cranz  (Ham- 
burg), bei  Spehr  (Braunschweig)   erschienen. 

Teixeira,  Antonio,  portugiesischer  Componist,  zu  Lissabon  1707  geboren, 
kam  neun  Jahre  alt  nach  Pom,  um  Gesang  und  Contrapunkt  zu  studiren. 
Zurückgekehrt  nach  Lissabon  erhielt  er  die  Titel  eines  ersten  Sängers  und 
Examinators  der  Sänger  des  Patriarchats  und  zeigte  sich  als  einer  der  geschick- 
testen Contrapunktisten  seiner  Zeit  und  seines  Landes.  Er  hinterliess  im 
Manuscript:  Te  Deum  laudamus,  zwanzigstimmig,  ausgeführt  1734;  Te  Deum, 
neunstimmig;  Psalmen,  Offertorien,  Lamentationen,  Motetten  für  vier  und  acht 
Stimmen,  mit  und  ohne  Instrumente;  ein  achtstimmiges  Miserere  mit  Beglei- 
tung; vier-  und  achtstimmige  Messen;  vier-  und  achtstimmige  Psalmen  und 
Vespern   für  die  Portugiesische  Antoniuskirche  in  Rom;  mehrere  Opern. 


Teisidor  —  Telemann.  125 

Teixidor,  Don  J.,  Organist  der  Königlichen  Kapelle  zu  Madrid,  geboren 
zu  Geros  in  Catalonien,  wurde  au  Stelle  von  Nebra  1778  Vice-Kapellmeister. 
Er  starb  1814  oder  1815.  In  den  Archiven  der  Königl.  Kapelle  sind  von  ihm 
aufbewahrt:  eine  achtstimmige  Messe:  y>JEripe  me  Do7nine  ah  Jiomine  maloa,  1779; 
eine  andere  achtstimmige  Messe :  rySoli  deo  honor  et  gloriav.,  1780;  achtstimmige 
Vespern,  1781;  der  erste  Band  des  "Werkes:  y)Discursos  sohre  la  Mstoria  uni- 
versal de  la  miisicaa  (Madrid,  1804,  in  4°). 

Tele^raphie  musicale  nennt  Leonhard  Mathieu  (geboren  1752,  gestorben 
1801  zu  Angouleme)  die,  von  ihm  erfundene  Fernschreibekunst,  vermittelst 
welcher  er  die  Silben  dergestalt  zusammenfügen  konnte,  dass  ihre  Zusammen- 
stellung in  Worten  eine  ordentliche,  harmonischer  Begleitung  fähige  Melodie 
bildete.  Seine  darüber  erschienene  Schrift:  »iVöwv.  Methode  telegr.  mus.  ou 
langage  exprime  par  les  sons  sans  articulationa  ist  fast  ganz  verschollen,  ebenso 
wie  die  Methode.  Die  ähnlichen  Versuche  einer  Tonsprache  von  Sudre  (s.  d.), 
Organist  Doli  u.  A.  blieben  ebenfalls  ohne  weitere  Erfolge,  erst  in  neuerer  Zeit 
ist  eine  andere  Art  der  musikalischen  Telegraphie  durch  das  Telephon  (s.  d.) 
bedeutsam  geworden. 

Telemann,  Georg  Philipp,  deutscher  Componist,  ist  am  14.  März  1681 
zu  Magdeburg  geboren,  wo  sein  Vater  Prediger  an  der  Heiligengeistkirche  war. 
Diesem  lag  zunächst  die  wissenschaftliche  Erziehung  seines  Sohnes  am  Herzen, 
welcher  sich  demgemäss  an  der  Domschule  seiner  Vaterstadt,  später  auf  den 
Gymnasien  von  Zellerfeld  im  Harz  und  Hildesheim,  endlich  (von  1700  —  1704) 
auf  der  Universität  Leipzig  eine  gründliche  und  universale  Bildung  aneignete. 
"Wie  stark  dabei  sein  Trieb  zu  musikalischer  Bethätigung  war,  beweist  die 
Thatsache,  dass  er  neben  seinen  wissenschaftlichen  Studien  schon  im  zwölften 
Jahre  eine  Oper  componirte,  wozu  ihm  eine  Partitur  des  Lulli  als  Muster 
diente,  da  sich  von  den  deutschen  Meistern  zu  jener  Zeit  noch  keiner  im  mu- 
sikalisch-dramatischen Fache  hervorgethan  hatte.  Auch  im  weiteren  Verlaufe 
seiner  Studienzeit  verlor  er  die  Musik  nicht  aus  den  Augen  und  erlernte  nach 
und  nach  die  Elöte,  die  Violine  und  das  Ciavier,  alles  dies  ohne  Unterricht, 
ausgenommen  eine  14  Tage  dauernde  Anleitung  auf  letztei-em  Instrumente. 
Auch  im  Dirigiren  hatte  er  früh  Gelegenheit,  sich  Uebung  zu  erwerben,  da  er 
schon  von  1695  an,  während  seines  Aufenthaltes  in  Hildesheim,  die  Musik  in 
der  dortigen  katholischen  Gotthardinerkirche  leitete.  Noch  als  Student  in 
Leipzig  übernahm  er  (1701)  den  Posten  eines  Musikdirektors  und  Organisten 
an  der  Neuen  Kirche;  nach  absolvirtem  Studium  aber  (1704)  den  eines  Kapell- 
meisters beim  Grafen  von  Promnitz  in  Sorau.  Hier  wurde  er  mit  Printz  be- 
kannt, der  beim  Grafen  als  Cantor  angestellt  war,  und  fand  in  dem  lebhaften 
Verkehr  mit  diesem  gelehrten  und  vielseitigen  Musiker  mannichfache  Anregung 
zum  Studium;  ihm  dankte  T.  in  erster  Reihe  seine  Vertrautheit  mit  dem  Stile 
Lulli's  und  anderer  dramatischer  Componisten  der  französischen  Schule,  zu 
welcher  er  übrigens  in  ein  noch  intimeres  Verhältniss  trat  während  eines  acht- 
monatlichen Aufenthaltes  in  Paris  im  Jahre  1737.  Im  Jahre  1708  wurde  er 
Concertmeister  und  bald  darauf  auch  Kapellmeister  am  Hofe  zu  Eisenach; 
1711  aber  folgte  er  einem  Rufe  nach  Frankfurt  a.  M.  als  Kapellmeister  an  der 
Barfüsserkirche  und  zugleich  an  der  Katharineukirche,  wobei  er  jedoch  seine 
Bestallung  als  Eisenachischer  Kapellmeister  behielt,  mit  der  Verpflichtung,  in 
jedem  Jahre  eine  Anzahl  von  Compositionen  für  Kirche  und  Kammer  dorthin 
zu  liefern.  Endlich  erhielt  er  1721  den  Ruf  als  Musikdirektor  an  Stelle  des 
verstorbenen  Gerstenbüttel  nach  Hamburg,  wo  er  bis  zu  seinem  Tode  am 
25.  Juni  1767  in  ununterbrochener  Thätigkeit  wirkte;  die  1723  an  ihn  ergan- 
gene Aufforderung,  als  Musikdirektor  nach  Leipzig  überzusiedeln,  lehnte  er  ab; 
das  im  gleichen  Jahre  ihm  angetragene  Amt  eines  Kapellmeisters  des  Mark- 
grafen von  Bayreuth  dagegen  konnte  er,  unbeschadet  seiner  Hamburger  Wirk- 
samkeit annehmen,  da  es  ihm  keine  andern  Verpflichtungen  auferlegte,  als  den 
dortigen  Hof,  wie  den  von  Eisenach,  mit  Compositionen  zu  versorgen. 


126  Telemann. 

Der  Schwerpunkt  von  Telemann's  künstlerischer  Thätigkeit  fällt  in  seinen 
sechsundvierzigjährigen  Aufenthalt  in  Hamburg,  wo  sich  schon  am  Ausgang 
des  17.  Jahrhunderts  ein  so  reges  Musikleben  hatte  entwickeln  können,  dass 
die  besten  deutschen  Meister  auf  dem  Grebiete  sowohl  der  Kirchen-  wie  auch 
der  dramatischen  Musik  hierher  ihre  Blicke  richteten.  Hier  sollte  es  sogar 
gelingen,  eine  deutsche  Opernbühne  zu  gründen,  welche  mit  Hülfe  genialer 
Componisten,  wie  Reinhard  Keiser  und  Händel,  der  im  ganzen  übrigen  Deutsch- 
land herrschenden  italienischen  Oper  gegenüber  beinahe  ein  halbes  Jahrhundert 
lang  den  nationalen  Standpunkt  behaupten  konnte.  Dieselbe  Ursache  aber, 
welche  die  Entwickelung  einer  volksthümlichen  Oper  in  Hamburg  ermöglicht 
hatte,  nämlich  die  Unabhängigkeit  des  Publikums  von  dem,  anderswo  den 
Kunstgeschmack  bestimmenden  Einfluss  eines  Hofes  oder  einer  Aristokratie, 
sie  führte  auch  den  Verfall  des  jungen  Institutes  herbei.  Kaum  auf  ihrer 
Höhe  angelangt,  begann  die  Hamburger  Oper  an  einem  Ueberwuchern  des 
possenhaften  Elementes  zu  kranken,  ohne  dessen  Mitwirkung  auch  die  ernstesten 
Stoffe  nicht  zur  Darstellung  gelangen  konnten,  sollte  anders  die  Theilnahme 
des  Volkes  dem  Theater  erhalten  bleiben.  An  einem  Dichter,  der  befähigt 
gewesen  wäre,  in  den  Zwiespalt  zwischen  den  Liebhabereien  der  Kenner  und 
denen  der  grossen  Menge  vermittelnd  einzutreten,  fehlte  es  zu  jener  Zeit  in 
Deutschland,  und  die  Componisten  allein  vermochten  trotz  aller  Begabung  und 
allen  Fleisses  nicht,  die  Kluft  auszufüllen,  weder  die  genannten  noch  T.,  der 
hauptsächlich  zu  dem  Zwecke  nach  Hamburg  gerufen  war,  von  der  Oper  das 
ihr  drohende  Verderben  abzuwenden.  Dieser  hatte  sich  schon  vielfach  mit 
Operncompositionen  beschäftigt,  als  er  den  Ruf  als  Musikdirektor  und  Cantor 
des  Johanneums  zu  Hamburg  annahm;  hier  aber,  wo  er  ausserdem  als  Opern- 
componist  mit  300  Thaler  Jahresgehalt  angestellt  war,  begann  er  seine  Thätig- 
keit hauptsächlich  der  Oper  zuzuwenden.  Schon  im  Jahre  1721  betrat  er  mit 
der  Oper  »Der  geduldige  Sokrates«  die  Hamburger  Opernbühne;  im  folgenden 
Jahre  brachte  er  die  Oper  »Der  Sieg  der  Schönheit«  oder  »Grenserich«,  schon 
1693  unter  dem  Titel  »Der  grosse  König  der  afrikanischen  Wenden  Oensericus« 
aufgeführt,  von  ihm  musikalisch  revidirt,  zur  Darstellung;  1723  die  Oper  »Bel- 
zazer«,  Text  von  Beckau;  1724  erschien  sein  Name  dreimal:  als  Mitarbeiter 
am  »Beschluss  des  Carnevals«,  von  welchem  "Werke  Mattheson  sagt:  »Die  Herren 
Campra,  Conti  und  Telemann  sollen  alle  drei  ihren  Beitrag  hierzu  geleistet 
haben«;  dann  mit  der  »Omphale«,  von  ihm  aus  dem  Italienischen  übersetzt  und 
componirt;  endlich  mit  der  Oper  »Der  neumodische  Liebhaber  Dämon«  von 
einem  ungenannten  Dichter.  Es  folgten  1725  »Cimbriens  allgemeines  Frohlocken 
über  die  höchst  glückselige  Verbindung  Carl  Friedrich's  Erben  zu  Norwegen 
etc.  mit  der  russischen  Prinzessin  Anna  Petrowna«  von  Prätorius;  ein  Gelegen- 
heits-»Prologus«  zur  Händel'schen  Oper  »Tamerlan«;  »Die  ungleiche  Heirath« 
und  r>La  cappriciosa  e  il  creduloa]  Intermezzi  aus  dem  Italienischen  von  Präto- 
rius. 1727  »Adelheid«  (Dichter  ungenannt);  »Ein  Prologus  von  der  neuen 
Einrichtung  des  Opernwesens«  (Worte  und  Musik  von  T.);  »Geburtsfest  König 
Georg's  I.«  und  »BuflPonet  und  Alga«  (beide  von  Wend);  »Calypso«  (Prätorius); 
»Ein  Prologus  auf  die  Geburt  der  Prinzessinnen  von  Fx-ankreich«  (Haken); 
»Die  Amours  der  Vespetta«  (von  demselben);  »Sancio  oder  die  siegende  Gross- 
muth«  (König);  »Das  jauchzende  Grossbritanien«  (Prätorius).  1728  »Die  ver- 
kehrte Welt«  (nach  le  Sage  von  Prätorius);  »Ein  Prologus  auf  die  Krönung 
des  russischen  Kaisers  Peter  II.«  (Dichter  ungenannt);  »Miriways«  (Müller); 
»Emma  und  Eginhardt  oder  die  lasttragende  Liebe«  (Wend).  1729  »Der  miss- 
lungene  Brautwechsel«,  halb  italienisch,  halb  deutsch,  die  italienischen  Arien 
von  Händel,  die  deutschen  von  T.  (Text  von  Wend);  »Aesopus  bei  Hofe«  (aus 
dem  Italienischen);  Prolog  »Die  aus  der  Einsamkeit  in  die  Welt  zurückgekehrte 
Opera«  (Wend);  »Flavius  Bertaridus,  König  der  Lombarden«  (aus  dem  Ita- 
lienischen). 17.30  »Margaretha,  Königin  von  Castilien«  (Hamann);  »Ernelinda« 
(;ius    dem    Italienischen,    die    Musik    soll    grösstentheils    von    Händel    entlehnt 


Telemann.  127 

gewesen  sein);  »Das  nenbeglückte  Sachsen«  (als  Prolo^f  zum  wiederaufgeführten 
»Sancio«).  1731  eine  Yorstellung  »Aus  Kopf  und  Schwanz  ohne  Leib«,  d.  h. 
ein  Prolog  und  ein  Nachspiel  (Musik  theilweise  von  T.);  »Die  Flucht  des 
Aeneas«  (die  Arien  von  Porpora,  der  verbindende,  theilweise  von  Hamann  zu- 
rechtgelegte deutsche  Text  von  T.  cornponirt).  1732  »Judith,  Gemahlin  Kaiser 
Ludwig  des  Frommen,  oder  die  siegende  Unschuld«  (Recitative  von  T.).  1733 
»Der  AVeiseste  in  Sidonct  (von  Hamann).  1736  »Die  rachbegien'ge  Liebe  oder 
Orasia,  verwittwete  Königin  in  Thracien«  (aus  dem  Französischen,  in  drei 
Sprachen  zusammengestoppelt  und  theilweise  von  T.  cornponirt).  1737  »Das 
Lob  der  Musen«,  Prolog  (die  Musik  des  deutschen   Theils  von  T.). 

Von  ungleich  geringerer  Bedeutung  als  diese,  mit  einer  der  merkwürdigsten 
Epochen  der  neueren  Musikgeschichte*)  verknüpfte  Wirksamkeit  Telemann's 
ist  die,  welche  er  auf  dem  Gebiete  der  Kirchen-  und  Kammermusik  entfaltete, 
als  er  sich  mit  dem  letztgenannten  Jahre  von  der  Hamburger  Oper  abwendete, 
deren  Verfall  auch  er  nicht  aufzuhalten  vermocht  hatte.  Zwar  was  die  Menge 
seiner  Arbeiten  anbetrifft,  so  hat  er  auch  in  den  genannten  Musikgattungen 
ausserordentliches  geleistet,  denn  er  war  nicht  allein  der  grösste  Vielschreiber, 
den  Deutschland  je  gehabt,  sondern  er  übertraf  in  diesem  Punkt  selbst  den 
hierfür  s^jrichwörtlich  gewordenen  Alessandro  Scarlatti.  Von  seinen  dahin- 
gehörigen Werken,  deren  Zahl  er  selbst  niemals  vollständig  anzugeben  im 
Stande  war,  seien  hier  nur  die  folgenden  erwähnt:  44  Passionsmusiken  von 
den  Jahren  1722 — 1767;  32  Musiken  bei  Einführung  verschiedener  Prediger; 
33  sogenannte  Hamburgische  Kapitänsmusiken,  deren  jede  aus  einer  Sonate  und 
einem  Oratorium  besteht  (1724 — 1765);  ferner  20  Jubel-,  Krönungs- und  Ein- 
weihungs-Musiken; 12  Trauermusiken  auf  Kaiser,  Könige  und  Hamburgische 
Vornehme;  endlich  an  Oratorien,  Cantaten  u.  s.  w.:  Pamler's  »Tod  Jesu«,  des- 
selben »Auferstehung  Christi«,  die  »Auferstehung«  von  Zachariä,  dessen  »be- 
freites Israel«,  ein  Stück  aus  Klopstock's  »Messias«,  »Der  Tag  des  Gerichts« 
vom  Pastor  Ahlers,  der  71.  Psalm  lateinisch.  Die  Gesammtzahl  seiner  Opern 
mag  40  bis  50  betragen,  die  seiner  Ouvertüren  über  600;  dazu  kommt  noch 
eine  unzählbare  Menge  kleinerer  Stücke  für  Gesang  und  einzelne  Instrumente 
jeder  Art.  Einen  Theil  dieser  Compositionen  hat  er  selbst  auf  zinnerne  Platten 
gestochen  und  dann  von  einem  Kupferdrucker  abziehen  lassen;  von  den  Werken, 
welche  auf  diese  Art  in  die  Oeffentlichkeit  gelangten,  sind  folgende  bemerkens- 
werth:  1)  6  Solosonaten  für  Violine  mit  beziffertem  Bass  (Frankfurt,  1715). 
2)  »Die  kleine  Kammermusik«,  6  Stücke  für  Flöte,  Violine,  Oboe  und  Ciavier 
(ebenda  1716).  3)  Harmonischer  Gottesdienst  oder  geistliche  Cantaten  u.  s.  w. 
für  eine  Singstimme  mit  Begleitung  einer  Violine,  Flöte  oder  Oboe  nebst 
Generalbass,  enthält  74  Cantaten  (Hamburg,  1725).  4)  Auszug  derjenigen 
musikalischen  und  auf  die  gewöhnlichen  Evangelia  gerichteten  Arien,  welche  in 
den  hamburgischen  Hauptkirchen  durchs  1727.  Jahr  vor  der  Predigt  aufge- 
führt worden,  bestehend    aus  einer  Stimme  nebst  dem   Generalbass   (Hamburg). 

5)  Der  getreue  Musikmeister,  eine  Sammlung  von  Stücken  für  Gesang  und 
verschiedene    Instrumente,    in    vierzehn    Lectionen    vertheilt    (Hamburg,   1728). 

6)  Das  allgemeine  evangelisch-musikalische  Liederbuch,  welches  in  500  Melo- 
dien sehr  viele  alte  Choräle  nach  ihren  Ur-Melodien  und  Modis  wieder  herge- 
stellet,  nebst  einem  zu  Ende  angehangenen  Unterrichte  der  unter  andern  zur 
vierstimmigen  ComjDosition  und  zum  damit  verknüpften  Generalbass  anleitet 
(Hamburg,  1730).  7)  Heldenmusik  oder  zwölf  Märsche,  auf  zwei  Oboen  oder 
Violinen  nebst  dem  Basse  gerichtet,  deren  sechs  mit  einer  Trompete  und  drei 
mit  zwei  Waldhörnern  begleitet  werden  können,  alle  aber  auch  auf  dem  Ciavier 
allein  zu  spielen  sind.  8)  Singe-,  Spiel-  und  Generalbass-Uebungen  (Hamburg 
und  Leipzig,  1740).  9)  Jubelmusik,  bestehend  aus  zwei  Cantaten  für  eine  und 
für  zwei  Singstimmen  mit  Streichquartett-Begleitung  (1733).     10)  Tafelmusik, 


*)  S.  Näheres  über  dieselbe  bei  Lindner  „Die  erste  stehende  deutsche  Oper". 


128  Telemann  —  Teleplianea. 

enthaltend  drei  Ouvertüren,  drei  Concerte,  drei  Schluss-Symplionien,  drei  Quatros, 
drei  Trios  und  drei  Solos,  wovon  die  neun  ersten  Stücke  für  sieben  Instrumente 
sind,  welche  durchs  ganze  Werk  abwechseln.  11)  Sechs  Concerte  und  sechs 
Suiten,  mit  einem  concertirenden  Claviere,  Flöte  und  Violoncell,  »damit  aber 
in  Ermangelung  eines  hinlänglichen  Clavieristen  diese  Musik  dennoch  zu  ge- 
brauchen sei,  so  wird  man  das  Ciavier  in  eine  insbesondere  abgedruckte  Violine 
verwandeln  und  das  Violoncell  beziffern«.  12)  Melodische  Fi'ühstunden  beim 
Pyrmonter  "Wasser  oder  kleine  und  lebhafte  Introductionen,  nebst  der  Suite  für 
Violine,  Bratsche  und  Generalbass;   erste,  zweite  und  dritte   Cur- Woche. 

Der  musikalische  Werth  aller  dieser  Arbeiten  ist  nur  ein  untergeordneter; 
Telemann  hatte,  wie  Lindner  in  seinem  Werke  über  die  Hamburgische  Oper 
bemerkt,  Alles  gelernt,  was  man  als  durchgebildeter  Musiker  wissen  muss,  und 
schrieb  mit  allzeit  fertiger  Feder,  was  nur  verlangt  wurde;  aber  da  er  nicht 
den  zehnten  Theil  der  ursprünglichen  Schöpfungskraft  eines  Keiser  oder  Händel 
besass,  so  brachte  er  es  mit  seiner  Vielschreiberei  wohl  zu  einer  Unzahl  von 
Werken,  aber  es  waren  keine  künstlerischen  Schöpfungen,  sondern  Fabrikwaare. 
Der  originellen  Erfindung  baar,  fehlt  ihm  die  Zartheit,  Lieblichkeit  und  Wahr- 
heit Keiser'scher  Melodien.  Mit  allem  technischen  Greschick  bewegte  er  sich 
doch  in  steifer  conventioneller  Manier,  fehlt  oft  genug  gegen  den  von  der 
Situation  geforderten  Ausdruck  und  greift  vergebens  nach  instrumentalen  Reiz- 
mitteln, um  den  Mangel  an  Gedanken  zu  verdecken.  —  Trotz  dieser  Unzuläng- 
lichkeit seiner  musikalischen  Begabung  verdient  jedoch  Telemann  zu  den  her- 
vorragenden Männern  seiner  Zeit  gerechnet  zu  werden;  schon  seiner  vielseitigen 
Bildung  wegen,  welche  es  ihm  erlaubte,  sich  neben  seiner  umfassenden  Musiker- 
Wirksamkeit  noch  als  Dichter  und  Schriftsteller  zu  bethätigen;  zu  mehreren 
seiner  Opern  und  kleineren  Vocalwerken  hat  er  selbst  den  Text  gedichtet  und 
als  Mitax'beiter  an  der  Mitzler'schen  »musikalischen  Bibliothek«  veröffentlichte 
er  eine  Anzahl  beachtenswerther  theoretischer  Arbeiten,  unter  denen  hervor- 
zuheben sind  die  über  das  Intervallen-System,  eine  Anleitung  zum  Transponiren, 
endlich  eine  Klang-  und  Intervallentafel  mit  Erklärung,  die  ihn  noch  einen 
Monat  vor  seinem  Tode  beschäftigte  und  unter  dem  Titel  »Letzte  Beschäftigung 
Gr.  Ph.  Telemann's«  im  Mai-Heft  des  Jahrgangs  1767  der  »Hamburgischen 
Unterhaltungen«  erschienen  ist. 

Telemann,  Georg  Michael,  Enkel  des  Vorhergehenden,  ist  am  20.  April 
1748  zu  Ploen  in  Holstein  geboren.  Seine  Wirksamkeit  fand  er  als  Cantor 
und  Musikdirektor  in  Riga,  woselbst  er  am  4.  März  1831  gestorben  ist.  Das 
erste  Werk,  welches  ihn  in  weiten  Kreisen  bekannt  machte,  veröffentlichte  er 
1773  zu  Hamburg  unter  dem  Titel:  »Unterricht  im  Generalbass- Spielen  auf 
der  Orgel  oder  sonstigen  Ciavierinstrumenten«.  Im  übrigen  gelangten  von 
seinen  Werken  folgende  in  die  Oeffentlichkeit:  »Beiträge  zur  Kirchenmusik, 
eine  Sammlung  von  Orgelcompositionen«  (Königsberg,  1785  und  Leipzig, 
Breitkopf  &  Härtel).  »Sammlung  alter  und  neuer  Kirchenmelodien«  (Riga, 
1812).  »Ueber  die  Wahl  der  Melodie  eines  Kirchenliedes«  (Riga,  1821).  — 
Auch  als  Schriftsteller  hat  Telemann  sich  bethätigt:  1775  erschien  von  ihm  in 
Riga  eine  »Beurtheilung  der  im  23.  Band  der  allgemeinen  deutschen  Bibliothek 
befindlichen  Recension  meines  Unterrichts  im  Generalbass-Spielen«  und  im  Jahre 
seines  Todes  in  den  »Rigaischen  Stadtblättern«  ein  »Kurzgefasster  Lebenslauf 
Georg  Michael  Telemanns   Cantoris  in  Riga,  von  ihm  selbst  entworfen«. 

Telephaues,  berühmter  Flötenspieler  des  alten  Griechenlands  zur  Zeit 
Philipps  von  Macedonien  und  Alexander  des  Grossen,  war  zu  Samos  geboren 
und  starb  zu  Megara.  Pausanias  erzählt,  dass  man  auf  dem  Wege  von  Megara 
nach  Corinth  das  Grab  dieses  Musikers  antraf,  welches  eine  Grabschrift  trug, 
in  der  es  heisst,  T.  sei  als  Flötenspieler  das,  was  Orpheus  als  Leyerspieler, 
Nestor  als  Redner  und  Homer  als  Dichter  gewesen  (»Griechische  Anthologie«, 
Buch  3,  Cap.  5,  Ep.  1).    Nach  dem  Plutarch  bediente  sich  T.  bei  seinen  Flöten 


Telephon.  129 

keines    Mundstücks    oder    Rohrs    und    suchte  auch  die  Flötenmacher  zu  veran- 
lassen, keine  solche  an  den  Flöten  anzubringen. 

Telephou.  Die  verschiedenen  Versuche,  eine  besondere  Tonsprache  (vergl. 
Telegraphie  musicale  und  Sudre)  zu  erfinden,  d.  h.  vermittelst  der  Töne  be- 
grifflich, wie  durch  die  Sjarache  sich  verständlich  zu  machen,  sind  bisher  ohne 
Erfolg  geblieben.  Erst  die  jetzt  erfolgte  Lösung  des  Problems,  Wort  und  Ton 
selber  durch  elektrische  Ströme  in  die  Ferne  zu  senden,  scheint  wesentliche 
Bedeutung  zu  gewinnen.  Die  erste  Idee  hierzvi  ging  von  einem  französischen 
Naturforscher  aus  und  fand  so  wenig  Anklang,  dass  Du  Moncel,  der  in  seinem 
Werk  über  die  Anwendung  der  Elektricität  (»^^r^ose  des  Applications  d'Electricitea, 
V.,  III.,  p.  110,  1857)  darüber  spricht,  sich  veranlasst  sieht,  den  Namen  dessen 
zu  verschweigen,  der  sie  zuerst  aussprach.  »Ich  hielt  es  nicht  für  angemessen«, 
sagt  Du  Moncel  in  dem  Kapitel  über  elektrische  Telegraphie,  »die  phantastische 
Idee  eines  gewissen  Hei'rn  Ch.  B.  anzuführen,  der  da  glaubt,  dass  es  möglich 
sein  wird,  die  Sprache  elektrisch  zu  übermitteln,  weil  man  gefragt  haben  würde, 
weshalb  ich  unter  so  bemerkenswerthen  Erfindungen  einer  Idee  ßaum  gegeben 
hätte,  die,  wie  sie  ihr  Urheber  darlegt,  doch  nichts  weiter  als  ein  Traum  ist!« 
Nichtsdestoweniger  fiel  die  Idee  des  unbekannt  gebliebenen  Entdeckers  auf 
fruchtbaren  Boden.  Französische  Physiker  verfolgten  sie  weiter  und  am  2.  April 
1860  legte  Abbe  Laborde  der  Pariser  Akademie  die  Construktion  eines  Tele- 
phons vor,  das  Töne  weiter  zu  tragen  bestimmt  war.  Es  gelang  ihm,  Eisen- 
stäbe von  bestimmter  Schwingungsdauer  in  Vibration  zu  setzen  und  so  die 
ersten  sechs  Töne  der  Tonleiter  in  der  Ferne  beliebig  hervorzubringen  und 
auch  Accorde  und  selbst  kleine  Musikstücke  in  der  Ferne  zu  erzeugen. 

Dieser  Versuch  war  noch  sehr  mangelhaft;  weit  bedeutender  war  das 
Telephon,  das  ein  deutscher  Physiker,  Philipp  Reis,  Lehrer  der  Naturwissen- 
schaften an  der  Garnier'schen  Erziehungsanstalt  in  Friedrichsdorf  bei  Hamburg 
construirte.  Philipp  Reis  ist  als  der  Sohn  eines  Bäckers  am  7.  Januar  1834 
in  Gelnhausen  geboren  und  erhielt  seine  Erziehung  in  jener  Anstalt,  an  der 
er  später  als  Lehrer  wirkte.  Schon  im  zehnten  Lebensjahre  verlor  er  seine 
Eltern  und  sein  Vormund  bestimmte  ihn,  trotz  seiner  glühenden  Neigung  für 
Mathematik  und  Naturwissenschaften,  zum  Kaufmannstand.  Während  seiner 
Lehrzeit  setzte  er  indess  seine  Studien  fort,  so  dass  er  nach  Beendigung  der- 
selben als  Lehrer  in  die  erwähnte  Anstalt  eintreten  konnte.  Leider  setzte  der 
Tod  seiner  Wirksamkeit  ein  frühes  Ziel:  er  starb  am  14.  Januar  1874.  Er 
selbst  giebt  über  die  von  ihm  publicirte  Erfindung  in  seinen  Aufzeichnungen 
Nachricht:  »Durch  meinen  Physik-Unterricht  dazu  veranlasst,  griff  ich  im  Jahre 
1860  eine  schon  früher  begonnene  Arbeit  über  die  Grehörwerkzeuge  wieder  auf 
und  hatte  bald  die  Freude  meine  Mühe  durch  Erfolg  belohnt  zu  sehen,  indem 
es  mir  gelang,  einen  Apparat  zu  erfinden,  durch  welchen  es  mir  möglich  wird, 
die  Funktionen  der  Gehörwerkzeuge  klar  und  anschaulich  zu  machen,  mit 
welchem  man  aber  auch  Töne  aller  Art  durch  den  gcilvanischen  Strom  in  be- 
liebiger Entfernung  reproduciren  kann.  Ich  nannte  das  Instrument  »Telephon«. 
Seine  ersten  Apparate  waren  dem  Ausgangspunkte  des  ganzen  Experiments 
entsprechend,  dem  Ohr  nachgebildet:  eine  Blechröhre,  die  auf  der  einen  Seite 
zur  Form  einer  menschlichen  Ohrmuschel  erweitert  und  auf  der  andern  Mün- 
dung mit  einer  das  Trommelfell  vorstellenden  Membran  bespannt  war.  In  der 
Mitte  des  Trommelfells  war  ein  kleines  Platinblech  aufgeklebt,  zu  dem  eine 
metallne  Leitung  von  dem  einen  Pole  einer  galvanischen  Batterie  führte.  Ueber 
dem  Plättchen  endigte  senkrecht  zu  demselben  ein,  mit  dem  andern  Pole  der 
Batterie  verbundener  Platinstift,  der  dasselbe  bei  Jeder  Doppelschwingung  der 
Membrane  einmal  berührte  und  damit  den  Strom  für  einen  unendlich  kleinen 
Zeitraum  schloss.  Dieser  wurde  nach  einer  Drahtrolle  geführt,  welche  einen 
Eisenkern  umschloss,  der  bei  jedem  Stromimpulse  um  ein  Geringes  ausgedehnt 
oder  zusammengezogen  wurde.  Diese  Veränderungen  brachten  einen  Ton  hervor, 
der  der  Zahl  der  Schwingungen  entsprach,  welche  der  Apparat  erzeugte.  Dieser 
Musik  al.  ConTers.-Lexikoii.    X.  i» 


130  Telephon. 

gab  natürlich  dem  entsj)recliend  durch  Wiederholung  der,  von  der  Membrane 
des  Apparats  hervorgebrachten  Schwingungen  die  Tonhöhe  wieder,  nicht  auch 
Tonfülle  und  Klangfarbe,  Das  Instrument  brachte  nur  den  ihm  eigenthüm- 
lichen  Klang,  der  etwa  dem  einer  Kindertrompete  entsprach.  Es  Hessen  sich 
mit  halblauter  Stimme  in  den  Apparat  gesungene  Melodien  auf  der  andern 
Station  erkennen.  Ward  der  Tonabsender  auf  ein  Ciavier  gesetzt,  so  führte  er 
den  Dreiklang  oder  einfache  Tonfolgen  weiter  und  liess  auch  die  Töne  anderer 

Instrumente  in  weiter  Ferne  hören,  wenn  diese  sich  im  Umfange  von  F — f 
hielten.  Nur  die  menschliche  Sprache  vermochte  dieser  Apparat  nicht  mit 
Deutlichkeit  weiter  zu  tragen,  Indess  fanden  sich  Männer  der  Wissenschaft, 
welche  auf  der,  einmal  gebrochenen  Bahn  weiter  gingen.  Namentlich  waren  es 
amerikanische  Physiker,  welche  die  Erfindung  weiter  verfolgten  und  das  Tele- 
phon in  seiner  jetzigen,  zur  Anwendung  gelangten,  Form  construirten.  Es  sind 
namentlich  Professor  A.  Grraham  Bell  in  Boston  und  Mr.  Elisha  Gray  in 
Chicago,  denen  dies  Yerdienst  zuzuschreiben  ist. 

Der  Bell 'sehe  Apparat  ist  gegenwärtig  allgemein  in  Gebrauch.  Er  ist 
sehr  einfach  und  besteht  im  Wesentlichen  aus  einem  Stabmagneten,  dessen 
Pol  mit  einer  gewöhnlichen  Elektromagnetrolle  versehen  ist.  Diesem  gegen- 
über ist  ein  Diaphragma  aus  einem  feinen  Plättchen  von  gewalztem  Bisen  be- 
stehend angebracht,  das  mit  einem  Lacküberzuge  versehen  ist,  um  das  Oxydiren 
zu  verhindern.  Ein  Mundstück,  das  den  Ton  auf  das  Diaphragma  leitet  und 
ein  hölzernes,  zur  Aufnahme  des  Ganzen  bestimmtes  Gehäuse  vervollständigen 
die  wesentlichsten  Theile  des  Apparats.  Die  Zusammensetzung  dieser  Theile 
erfolgt  nun  derartig,  dass  der  Magnet  mit  der  Induktionsrolle  in  die  innere 
Höhlung  des  Gehäuses  eingelegt  und  in  diesem  an  seinem  untern  Ende  mit 
Schrauben  befestigt  wird.  Das  Eisenplättchen  aber  wird  am  entgegengesetzten 
Ende  des  Gehäuses,  dicht  über  dem  Induktionspol  des  Magneten  aufgelegt  und 
auf  dem  Gehäuse  durch  das  Mundstück  und  die  Schrauben  befestigt.  Die  Draht- 
enden der  Induktionsrolle  gehen  in  die  Klemmschraube  aus.  Wird  nun  gegen 
das  Diaphragma  des  Telephons  ein  Ton  geleitet,  so  geräth  dieses  in  die  dem 
Ton  entsprechenden  Schwingungen.  Die  dadurch  hervorgerufene  wechselnde 
Annäherung  und  Entfernung  des  Diaphragma,  gegenüber  dem  Magneten,  ruft 
diesem  entsprechend  Schwächung  oder  Stärkung  des  Magnetismus  hervor,  die 
wieder  durch  die  magnetische  Induktion  in  den,  den  Magnet  umgebenden  Draht- 
umwindungen  elektrische  Schwingungen  erzeugen,  welche  den,  diese  ganze  Be- 
wegung hervorrufenden  Tonwellen  entsprechen.  Sind  nun  die  Drahtenden  der 
Induktionsrollen  leitend  verbunden,  so  werden  die  elektrischen  Stromimpulse 
unmittelbar  in  der  Induktionsrolle  des  empfangenden  Apparats  fortgepflanzt 
und  bringen  hier,  im  Magneten  desselben,  die  gleichen  Veränderungen  hervor, 
welche  im  Magneten  des  gebenden  Apparats  durch  die  Schwingungen  des 
Diaphragmas  entstanden  sind.  Das  Diaphragma  des  Empfangsapparats  wird 
dann  genau  in  dieselben  Schwingungen  versetzt,  wie  das  des  gebenden  Apparats 
und  so  werden  die  durch  Tonschwingungen  erzeugten  elektrischen  Schwingungen 
wieder  in  Tonschwingungen  übertragen. 

Neben  diesem  Bell'schen  Apparat  sind  noch  der  von  Gray  und  der  des 
Engländers  Varley  zu  erwähnen.  Der  New-Yorker  »Standard«  berichtet  über 
den  Gray 'sehen  Apparat:  »Die  Apparate  von  Gray  und  Bell  sind  grund- 
verschieden in  der  Form,  beruhen  auf  verschiedenen  Principien,  sind  verschieden 
in  ihrer  Wirkungsweise  und  haben  dennoch  den  gleichen  Anspruch  auf  die 
Bezeichnung  Telephon.  Der  Bell'sche  Apparat  vermittelt  gewisse  Töne,  wie 
die  menschliche  Stimme  mit  ihren  verschiedenen  Artikulationen  und  Klang- 
farben oder  Instrumentalmusik  durch  Leitungen  nach  Art  der  telegraphischen 
Beförderung.  Das  Gray'sche  Instrument  dagegen  erzeugt  die  zu  übermittelnden 
Töne  selber  und  kann  als  ein  telephonisches  Piano  bezeichnet  werden.  Die 
bedeutendsten  Versuche,  welche  bis  jetzt  vor  dem  Publikum  mit  dem  Gray'schen 
Instrument  angestellt  worden  sind,    fanden  am   27.  Februar  und  6.  März  1876 


Tt4ioclioi-d  —  Tellefson.  131 

statt.  Bei  dem  ersteren,  der  zwisclien  Chicago  und  Milwaukee  auf  einer 
137  Kilometer  langen  Leitung  gemacht  wurde,  kamen  mehrere  bekannte  Melo- 
dien zum  Vortrage,  wie:  »Die  letzte  Rose«,  ■s>Yankee  Doodle<i,  -t>Hie  sweet  Bye 
and  hyev.  und  t>IIome  sweet  Somea  und  zwar,  wie  berichtet  wird,  laut  und 
deutlich;  so  wenigstens,  dass  sie  von  dem  Publikum  in  Chicago  mit 
Leichtigkeit  erkannt  wurden,  welches  die  Vorstellung  mit  lautem  Beifall  be- 
grüsste.  Der  Triumph  über  die  Entfernung  fand  jedoch  bei  der  zweiten  Ge- 
legenheit, am  6.  März,  statt.  Hier  war  der  Centralpunkt  wieder  Chicago,  der 
andere  Endpunkt  aber  Detroit  im  Staate  Michigan,  457  Kilometer  von  Chicago. 
Der  Versuch  wird  als  durchaus  erfolgreich  bezeichnet,  die  Leistungen  waren 
die  nämlichen.  Der  Gray'sche  Apparat  entspricht  denselben  Pi'incipien  wie 
der  Bell'sche,  nur  dass  bei  jenem  die  erzeugenden  Töne  durch  Tasten  gewonnen 
werden;  er  ist  deshalb  auch  nur  zur  Uebertragung  von  Tönen,  nicht  auch  von 
Lauten  geeignet«. 

Der  Apparat  von  Cromwell  Varley,  mit  dem  dieser  im  Laufe  des 
Sommers  im  Queens-Theater  in  London  experimentirte,  ist  ein  Stimmgab elwei'k. 
Bei  diesem  sind  es  Stimmgabeln,  welche  durch  einen  elektrischen  Strom  in 
Schwingungen  versetzt  werden;  diese  sind  zugleich  mit  Tasten  in  Verbindung 
gebracht  und  erst  wenn  die  betreffende  Taste  niedergedrückt  wird,  schickt  die 
ihr  zugehörige  Stimmgabel  einen  Strom  nach  dem  im  Empfangsapparat  befind- 
lichen Kondensator,  worauf  der,  der  Gabel  zukommende  Ton  erklingt.  —  Von 
all  diesen  Apparaten  hat  sich  der  Bell'sche  am  besten  bewährt  und  man  hat 
bekanntlich  auf  Veranlassung  des  General-Postmeister  Dr.  Stephan  in  Berlin 
in  jüngster  Zeit  Versuche  gemacht,  ihn  in  umfassender  Weise  dem  Verkehr 
dienstbar  zu  machen.  Wie  weit  das  gelingen  wird,  muss  die  Zukunft  erst  lehren. 
Teliochord  nannte  Charles  Clagget  in  London  das  von  ihm  erfundene, 
nicht  temperirte,  sondern  in  allen  Tonarten  mathematisch  rein  stimmende  Forte- 
piano.  Auch  die  chromatischen  Töne  werden  durch  ein  Pedal  vollkommen  rein 
hervorgebracht. 

Teile,  Friedrich  Wilhelm,  geboren  am  9.  Septbr.  1798  zu  Berlin,  wo 
sein  Vater  (gebürtig  aus  Mons)  als  Balletmeister  angestellt  war.  Er  erhielt 
früh  Unterricht  in  der  Theorie  von  A.  Gurrlich,  im  Clavierspiel  von  Lauskza. 
Nachdem  er  im  Jahre  1816  zum  ersten  Mal  öffentlich  gespielt  hatte,  ging  er 
nach  Paris  und  setzte  unter  Cherubini  seine  musikalischen  Studien  fort.  Nach 
Deutschland  zurückgekehrt,  war  er  nach  einander  an  den  Theatern  in  Berlin 
(Königsstädtisches),  Magdeburg  und  Aachen  als  Kapellmeister  thätig.  Böckel, 
der  Direktor  des  letzteren  Theaters,  unternahm  es  als  der  Erste,  eine  deutsche 
Oper  nach  Paris  zu  fähren,  und  Teile,  der  als  Direktor  derselben  mitging,  ward 
auf  diese  Weise  der  Erste,  der  in  Paris,  im  April  1829,  den  »Freischütz« 
dirigirte.  Es  mag  erwähnt  werden,  dass  Hainziger,  der  den  Max  sang,  bei 
dieser  Aufführung  eine  Bellinische  Arie  einlegte.  Teile  ging  später  als  Musik- 
direktor nach  Kiel  und  dann  nach  Berlin,  wo  er  bis  zu  seinem  Tode  blieb. 
Folgende  Opern  schrieb  er:  »Das  Schützenfest«,  Singspiel,  von  Mad.  Kricke- 
berg, 2  Akte  (Berlin,  1820);  »Rafael  Zambular«,  Oper,  3  Akte,  nach  dem 
Französischen  (Aachen,  1831,  München,  1852,  Berlin,  Friedr.  Wilh.);  »Sara 
oder  die  Waise  von  Glincoe«,  romantisch-komische  Oper,  3  Akte  (Kiel,  1844, 
Berlin);  »Lebende  Blumen«,  Operette  (Berlin);  Balletmusik. 

Tellefsen,  Thomas  Dyke  Acland,  Pianist,  Componist  und  Lehrer  des 
Ciavierspiels,  ist  zu  Drontheim  in  Norwegen  am  26.  November  1823  geboren. 
Er  war  für  das  Studium  der  Theologie  bestimmt,  und  erst  mit  19  Jahren  ge- 
lang es  ihm,  den  Widerstand  seiner  Eltern  gegen  eine  musikalische  Laufbahn 
zu  besiegen.  Ungefähr  1842  ging  er  nach  Paris  und  wurde  ein  Schüler  Cho- 
pin's.  Aus  dem  Verhältniss  des  Lehrers  und  Schülers  entwickelte  sich  ein 
Freundschaftsverhältniss,  welches  bis  zu  dem  Tode  Chopin's  (1849)  wähi-te. 
Tellefsen  blieb  in  Paris  und  lebte  dort  als  Lehrer.  Mehreren  seiner  Composi- 
tionen  hat  Tellefsen  norwegische  Volksweisen  zu  Grunde  gelegt.    Veröffentlicht 

9* 


132  Teller  —  Temperatur. 

sind:  r>Deux  concerto  pour  piano  et  orchestrea.  (Paris,  Richault).  ^Sonate  pour 
piano  et  violoncellev.  (ibid.).  r>Trio  pour  piano,  violon  et  violoncellea  (ibid.).  -nJPieces 
pour  piano  et  violonu  (ibid.).  Eine  grosse  Anzahl  von  Clavierstücken,  Nocturnos, 
Walzer,  Mazourkas  u.  s,  w. 

Teller,  Marc,  Priester  und  Musiker,  geborte  im  Anfange  des  18.  Jahr- 
hunderts der  Kirche  zu  St.  Servasii  in  Mastricht  an.  1726  Hess  er  zu  Augs- 
burg sein  erstes  Werk  dracken,  es  erschien  unter  dem  Titel :  -nMusica  sacra, 
stylo  plane  Italico  et  Cromatico  pro  Gompositionis  Ämatorihus,  complectens  IX  Mo- 
tetta  hrevia  de  tempore  et  II  Missa  solennes  etc.a  Erst  nach  seinem  Tode  kam 
sein  zweites  Werk  heraus:  -»Musica  sacraa,  bestehend  aus  vier  Messen  und  vier 
Motetten    für    vier  Singstimmen,  zwei  Violinen,  Fagott  und  Greneral-Bass. 

Tellier,  Pierre  de,  Musikdirektor  der  Kathedrale  zu  Chalons  um  die 
Mitte  des  17.  Jahrhunderts,  Eine  gedruckte  Messe  von  ihm  ist  bekannt:  r>Do- 
mine  qui  hahitavit«  (Paris,  Robert  Ballard,  1642,  in  Folio). 

Telyn,  die  wallisische  Bezeichnung  der  uralten  Bardenharfe,  bretagnisch 
Telen.  Ueber  die  Beschaffenheit  des  Instruments  ist  nichts  Bestimmtes  ermittelt. 
Vermuthet  wird,  dass  die  Saiten  dieser  Art  Harfen  nicht  aus  Darm,  sondern  aus 
Metalldraht  waren,  wie  bei  der  irischen  Harfe:   Clarseth  oder  Clarsach. 

Tempelhof,  G-eorg  Friedrich,  General  -  Lieutenant,  Chef  des  dritten 
Artillerie-Regiments  zu  Berlin,  geboren  19.  März  1737  zu  Trampe  in  der  Mark, 
ward  1786  Lehrer  der  Mathematik  des  Kronprinzen  Friedrich  Wilhelm  III., 
1795  Mitglied  der  Akademie  der  Wissenschaften,  wurde  geadelt  und  starb  am 
13.  Juli  1807  zu  Berlin.  Von  seinen  Schriften  gehört  hierher:  »Gedanken 
über  die  Temperatur  des  Herrn  Kirnberger,  nebst  Anweisung  Orgeln,  Claviere, 
Flügel  u.  s.  w.  auf  eine  leichte  Art  zu  stimmen,  von  einem  Liebhaber  G.  F.  T.« 
Die  Schrift  handelt:  von  der  Temperatur  überhaupt,  über  allgemeine  Bestim- 
mungen derselben,  von  der  Anwendung  der  Formeln  und  endlich  von  der 
Kirnberger'schen  Temperatur. 

Temperatur  nennt  man  in  der  Musik  die  Abänderung  der  akustisch 
reinen  Tonbestimmungen,  welche  erforderlich  ist,  um  für  die  Insti'umente  mit 
gebundener  Intonation  (wie  das  Ciavier,  die  Orgel  und  die  Blasinstrumente 
mit  Klappen  und  Ventilen)  ein  brauchbares,  auf  eine  bestimmte  Zahl  von 
Tönen  beschränktes  Tonsystem  herzustellen.  Ein  solches  kann  nämlich  durch 
irgend  eine  Auswahl  aus  den  an  Zahl  unendlichen  Tonbestimmungen,  zu  welchen 
die  drei  Grundverhältnisse  der  Octave  (2 :  1),  der  Quinte  (3 :  2)  und  der  grossen 
Terz  (5 : 4)  führen,  unmöglich  gebildet  werden,  weil  dieselbe  der  unbedingt 
nothwendigen  Forderung  absoluter  Gleichheit  der  Tonverhältnisse  in  allen 
Dur-  und  Moll-Dreiklängen  und  Scalen  niemals  entsprechen  würde,  da  bekannt- 
lich die  Quinte  zu  w^esentlich  anderen  Bestimmungen  derselben  Töne  führt,  als 
die  grosse  Terz.  Hiervon  überzeugt  man  sich  leicht,  wenn  man  die  von  den 
Akustikern  (Marpurg,  Chladni  u.  A.)  für  die  21  gebräuchlichsten  Töne  festgestellten 
Bestimmungen  prüft.      Sie   sind   der  gewöhnlichen  Annahme  nach  folgende: 

0  =  1  a.  =  -  =   ö:     ^'' 

^         8  2  ^^'^  ~  108  -      Q3  JLs   -  ^  -      .„ 

i:  =  -  =  T  Ms=~=      -         Fes    =^=     ^ 

XT         4  2  ^.  25         2  .  T2 

^  =  T  =  Q  ^^^   =    18    =  -Q2-      G^«^ 

G  =^=  Q  Gis^f^^T'         As   =^  = 

A  =  ~  =  ——     Ais  =  —  =  — —        R     -  —  -  — -^ 


72  Q^ 

625  _  22^^ 
324  "■  ~~Q^ 


H='4  =  TQ       His='^.=.^\^      Ces=-^=^^ 


16 

= 

2 

15 

T.  Q 

6 
5 

= 

Q 
T 

32 

2 

25 

— — 

rpt 

36 

Q2 

25 

T2 

8 
5 

= 

2 
T 

16 

= 

22 

48 
25 

= 

2.Q 

y2 

Temperatur.  133 

Die  hier  beigefügte  Umwandlung  der  Zahlenverhältnisse  in  Ausdrücke  durch 
die  Buchstaben  Q  und  T,  mit  welchen  wir  die  Verhältnisse  der  Quinte  und 
der  grossen  Terz  bezeichnen,  verdeutlicht  am  besten  ihre  Abhängigkeit  von 
letzteren  beiden.  "Will  man  nun  diese  Tonbestimmungen  als  feststehende  in 
allen  Tonarten  beibehalten,  so  kommt  man  sehr  bald  in  Collision  mit  jenem 
Grundsatz  absoluter  Grleichheit  der  Verhältnisse  in  allen  Dreiklängen  und 
Scalen  von  einerlei  Art;  D-dur,  JEs-dur,  D-moll,  S-moll  sind  bereits  abweichend 
in  Terz  oder  Quinte,  und  von  Scalen  erhält  man  nur  C-dur  und  C-moll  abwärts 
ganz  normal.  Die  grosse  Sexte  von  C  ist  nicht  zu  gebrauchen  als  Quinte  von 
D,  ebenso   die  gr.   III  von  C  nicht  als  gr.  II  von   D  u.  s.  w. 

Französische  Akustiker  haben  für  kleine  und  übermässige  Secunde,  sowie 
kleine  und  übermässige  Septime  andere  Bestimmungen  als  die  oben  angegebenen 
eingeführt,  nämlich : 

-n  27  Q.^         -n-  1b         T^- .  Q    ^^         d  Q^  125  ^3 

^^^  =  25  =  2— T2'  -^^^  =  64  =  —2—'  ^  =  y  =  ^  und  ^^.  =  —  =   T» 

In  der  That  sind  dieselben  den  früheren  vorzuziehen,  denn  eine  Prüfung  der 
24  gebräuchlichsten  Tonleitern,  wie  solche  sich  nach  diesem  französischen 
System  ergeben,  führt  wenigstens  zu  einem  etwas  günstigeren  Resultat,  indem 
hier  0-dur,  G-moU,  Cis-moll  völlig  normal  sind,  E-dur,  Es-diir,  E-moll  und  JEs-moll 
nur  eine  zu  tiefe  gr.  II,  A-dur,  Äs-dur  und  A-moll  nur  eine  zu  hohe  IV  zeigen. 
Die  übrigen  Scalen  weichen  aber  in  2,  3  oder  4  Intervallen  ab;  die  Ungleich- 
mässigkeit  ist  daher  immer  bedeutend  genug,  um  auch  dieses  Tonsystem  als 
musikalisch  unbrauchbar  erscheinen  zu  lassen. 

Aus  dem  Allen  ergiebt  sich  für  unsere  praktische  Musik,  soweit  sie  es 
mit  gebundener  Intonation  zu  thun  hat,  die  Nothwendigkeit  der  Tem- 
peratur, d.h.  eines  reducirten,  die  akustische  Reinheit  mehr  oder  weniger 
aufgebenden  Tonsystems. 

Indem  man  nun  zunächst  den  Versuch  machte,  die  gebräuchlicheren  Ton- 
arten reiner  als  die  entlegeneren  herzustellen  und  deshalb  einige  der  akustisch 
i'einen  Bestimmungen  noch  beibehielt,  kam  man  auf  die  sogenannte  ungleich- 
schwebende Temperatur,  wie  solche  z.  B.  von  Kirnberger  aufgestellt  wor- 
den ist.     Dieselbe  zeigt  folgende  Bestimmungen: 

G,    Cis  =  Des,    D,    Bis  =  Es,   E  =  Fes,   Eis  =  E,  Ms  =  Ges,    G,  Gis  =  As^ 
256_9^32  _5^  ^  45  3  128 

243'8'27  "4  3  322  81 

As,  Ais  =■  B,    S  =^  ces,    His  =  c 

270  16  15 

161  9  8 

Hier  sind  allerdings  Tonarten  wie  G-dur  und  G-dur  noch  ziemlich  rein,  dagegen 
werden  die  Abweichungen  schon  in  E-dur  und  S-dur,  noch  mehr  in  B-dur, 
Es-dtir,  As-dur  sehr  merklich;  sie  häufen  sich  in  den  entlegeneren  Tonarten 
und  bilden  da  Missklänge,  welche  die  Musiker  zur  Zeit  der  Anwendung  dieser 
Temperatur  »Orgelwölfe«  nannten  und  möglichst  zu  vermeiden  bemüht  waren. 
Aber  abgesehen  hiervon  wird  auch  der  innere  Zusammenhang  der  Intervalle 
zerstört,  indem  sich  in  manchen  Tonarten  z.  B.  gr.  III  und  kl.  VI  oder  kl.  III 
und  gr.  VI,  IV  und  V  u.  s.  w.  nicht  genau  zur  Octave  ergänzen.  Dieser  Mängel 
wegen  und  vor  Allem,  weil  die  oben  bereits  ausgesprochene  musikalische  Grund- 
forderung absokit  gleicher  Tonverhältnisse  für  alle  Dreiklänge  und  Scalen  in 
der  Dur-  und  in  der  Moll-Tonart  unerfüllt  bleibt,  ist  jede  ungleichschwebende 
Temperatur  als  gänzlich  unbrauchbar  zu  bezeichnen. 

Der  richtige  Weg  zu  einem  brauchbaren  reducirten  System  festbestimmter 
Töne  war  vielmehr  der,  nicht  ungleichmässig,  sondern  gleichmässig  alle  die 
vom  Quint- und  Terz- Verhältniss  abhängigen  Intervalle  abzuändern,  wodurch 
man    zu    der    zuerst    in    Deutschland,    später    allgemein    angewendeten  gleich- 


134  Temperatur. 

schwebenden  Temperatur*)  gefälirt  wurde,  deren  grosse  Brauchbarkeit  für 
die  Tasteninstrumente  sich  aufs  Beste  bewährt  hat,  wenn  sie  auch  weder  für 
die  Harmonielehre  noch  für  die  freie  Intonation  bei  Gesang  und  Streichinstru- 
menten irgend  Bedeuti;ng  haben  kann.  Sie  ist  eben  nichts  als  ein  künstlich 
hergestelltes  Surrogat,  eine  geschickte  Reduktion  der  unendlichen  Vielheit,  ein 
Einschränken  derselben  in  einen  Quinteuzirkel;  ihre  Intervalle  sind  das  Resultat 
genauer  mathematischer  Berechnung,  aber  dem  natürlichen  musikalischen  Ge- 
fühl des  Sängers  und  des   Geigers  durchaus  fremd. 

Indem  man  die  Bestimmungen  der  Quinte  und  der  grossen  Terz  gleich- 
zeitig von  der  akustischen  Eeiuheit  abweichen  lässt,  ändern  sich  (mit  Aus- 
nahme der  unveränderlichen  Octave)  nothwendigerweise  alle  übrigen  Tonver- 
hältnisse; bezeichnen  wir  jene  beiden  wieder  kurz  mit  QnndT,  ihre  Abänderungen 
aber  mit  Q'  und  T',  so  wird  Q'*  =  4.  T'  sein  müssen,  oder,  wenn  wir  uns  für 
die  Intervalle  selbst  der  kleinen  Buchstaben  q'  und  f  bedienen:  4  j'  =  2  +  ^'. 
Da  zu  jeder  temperirten  Quinte  q'  sich  die  gr.  III  f  =  4,  q'  —  2  dem  vei'langten 
System  feststehender  Töne  genügend  bestimmt,  so  kann  theoretisch  beti'achtet 
die  gleichschwebende  Temperatur  sehr  mannichfacher  Art  sein;  jedoch  wird 
sie  der  Beinheit  näher  kommen,  wenn  man  das  Intervall  der  V  um  etwas  ver- 
mindert und  das  der  gr.  III  erhöht,  weil  ja  ursprünglich  4  g-  >  2  -}-  ^  ist  und 
wenn  dabei  die  Abänderung,  welche  das  erstere  trifft,  die  geringere  ist.  Die 
beschränkte,  endliche  Zahl  von  Tönen  (im  Gegensatz  zu  der  unendlichen  der 
akustisch  reinen  Bestimmungen,  deren  Gesammtheit  eine  unbegrenzte  Zahl  von 
nach  zwei  Seiten  hin  unendlichen  Reihen  reiner  Quinten  bilden  würde)  erhält 
das  gleichschwebend  temperirte  System  dadurch,  dass  sein  Quintenintervall  zu 
dem    der    Octave    in    einem    rationalen  Verhältniss    steht;    verhält    sich    also 

1  zu  q'  wie  zwei  positive  ganze  Zahlen  a  und  b,  so  ist  j'  =  —  und  a .  q'  =  b, 

et 

d.  h.  die  a*^  temj)erirte  Quinte  fällt  zusammen  mit  der  S**^"^  Octave  des  Grund- 
tones. Bekanntlich  nennt  mau  eine  solche  auf  eine  höhere  Octave  des  Aus- 
gangstones zurückführende  Reihe  temperirter  Quinten  einen  Quintenzirkel 
(ebenso  lassen  sich  auch  Quarten-  und  Terzenzirkel  aufstellen).  Je  kleiner  nun 
ein  solcher  Zirkel  ist,  desto  weniger  verschiedene  Töne  enthält  das  temperirte 
System,  dem  er  zu  Grund  gelegt  wurde;  deshalb  hat  man  für  die  Instrumente 
mit  gebundener  Intonation,  um  ihren  Mechanismus  nicht  zu  complicirt  und 
unbequem  für  den  Spieler  werden  zu  lassen,  den  kleinsten  brauchbaren 
Quintenzirkel    gewählt,    bei  welchem   12   Quinten  genau  7   Octaven  gleich  sind, 

1  ... 

also  j' =  — .     Es  ergiebt  sich  hieraus    das    bekannte    sehr  einfache  Tonsystem: 

I  -  iit^  cc  =  ly^j  =  0  VIII  =  VII«  cc  =  jsis)  =  1 

I«  =  kl.  II  CCis  =  Des)  =  ^2  =  0,08333     YllVy^^rNU.=Nl^(ces=S^Ä')  =  ^  =  0,91667 

l'  =  gx.ll=llV'(C'  =  B=&^)=  ^  =  0,16667  kl.  VII  =  VI«  (B=Ais)  =  [^  =  0,83333 

II«  =  kl.  III  (Bis  =  Es)  =  ~r^  0,25000     VIP  =  gr.  VI  =  Y^  (B^>  ^A^G^J^-^  0,75000 

Il''=gr.in  =IY^ CD^=i:^FesJ  =  ~  =  0,33333  kl.  VI  =  V*  C^s  =  OisJ  =  ^  =  0,66667 

lll^=lY  =  Y^CMs=F=  öbfT  =  4  =  0,41667        VI^  =  V  =  IV'^  CÄ^  =G=  F^')=~  =  0,58333 

IV-  =  V^  (Fis  =  Ges)  =  ^  =  0,50000. 

Hier  zerfällt  also  jede  Octave  in  12  gleiche  Theile,  die  sogenannten 
»halben  Töne«  der  Claviatur;  alle  Intervalle  sind  rationale  Grössen,  die  ihnen 
entsprechenden  relativen  Schwingungszahlen  dagegen  irrationale.  Die  mit 
der  7.  Octave  zusammenfallende   12.   Quinte  ist  um    das  Intervall  des  pythago- 

*)  Als   ihr   Erfinder    werden    J.  G.  Neithardt    und  A.  Werkmeister    in  Mattheson's  ^ 
„Criiica  musica",  Bd.  11,  genannt,  deren  bezügliche  Schriften  Ende  des   17,   und  Anfang 
des  18.  Jahrhunderts  erschienen. 


Temperatur. 


135 


rischen  Komma  (=  0,01955)  tiefer  als  die  reine  12.  Quinte  des  Ausgangs- 
tones; die  Abweichungen  von  der  Reinheit  sind  am  geringsten  bei  der  Quinte 
(—  0,00163)  und  der  Quarte  (+  0,00163),  danach  bei  der  gr.  II  (-  0,00325) 
und  der  kl.  VII  (+  0,00325);  alle  übrigen  grossen  und  übermässigen  Intervalle 
sind  etwas  grösser,  alle  kleinen  und  verminderten  hingegen  etwas  kleiner,  als 
es  bei  vollkommener  Reinheit  der  Fall  ist.  Es  fällt  aber  auch  die  Erhöhung 
eines  Intervalls  mit  der  Verkleinerung  des  darauf  folgenden  immer  gerade  in 
einem  Ton  zusammen  (IV^  =  V^  I^  =  kl.  II,  V*  =  kl.  VI  u.  s.  w.),  wodurch 
diese  gewöhnliche  gleichschwebende  Temperatur  die  Bedeutung  einer  mittleren 
erhält.  Sie  bildet  in  der  That  eine  Grenzscheide  zwischen  solchen  Tempera- 
turen, bei  denen  die  Intervalle  I*  IV*  u.  s.  w.  tiefer  liegen  als  kl.  II,  V'^  u.  s.  w. 

7 
und  solchen,  bei  denen  das  Umgekehrte  der  Fall  ist.     Bei    ersteren  ist  g-  <  — 

und  sie  nähern  sich  mehr  einem  Tonsystem,  welches  man  ausschliesslich  aus 
dem  Verhältniss  der  reinen  gr.  III  ableiten  kann,  wenn  man  die  Quinte  von 
diesem  abhängig  bestimmt: 


Q'=  /4.2'=:/5 


2,99070 


und 


f  +  2 


0,58048 


P  {Cis)  =  0,06337 
II»  (Bis)  =  0,22434 
III*  (Eis)  =  0,38530 
IV*  (Fis)  =  0,48289 
V*  (Gis)  =  0,64386 
VI*  (Ais)  =  0,80482 
VII*  (His)  =  0,96578 


kl.  II  (Des)  =  0,09759 
kl.  III  (JEs)    =  0,25855 


IV'^  (Fes) 

=  0,35614 

V^  (Ges) 

=  0,51711 

kl.  VI  (Äs) 

=  0,67807 

kl.  VII  (B) 

=  0,83904 

YIU^  (ces) 

-  0,93663 

Es  ist  dies  das  System  der  reinen  grossen  Terz  mit  folgenden  Be- 
stimmungen : 

I       (C)  =  0 
gr.  II  (D)  =  0,16096 
gr.  III  (E)  =  0,32193 

IV  (F)  =  0,41952 

V  (G)  =  0,58048 
gr.  VI  (Ä)  =  0,74145 

gr.  VII  (R)  ^  0,90241 

In  diesem  Tonsystem  sind  P,  II*,  VI*  etc.  sämmtlich  tiefer  als  kl.  II, 
III,  V*^  etc.  und  es  nähert  sich,  da  nur  wenige  Töne  von  dem  hier  abgeänderten 
Quintverhältniss  allein  abhängig  sind,  sehr  den  akustisch  reinen  Bestimmungen ; 
musikalisch  befriedigend  ist  es  aber  hauptsächlich  deshalb  nicht,  weil  das  Ohr  bei 
der  V  empfindlicher  gegen  Unreinheit  ist,  als  bei  der  gr.  III  (nach  Delezenne 
ist  diese  Empfindlichkeit  fast  doppelt  so  gross)  und  daher  grade  die  Quinte 
reiner  verlangt  wird  als  die  Terz. 

Bei  Temperaturen,  welche  eine  umgekehrte  Lage  der  benachbarten 
grossen  oder  übermässigen  und  verminderten  oder  kleinen  Intervalle  zeigen,  ist 

7  .  . 

2'  >  —  und  sie  nähern  sich  dem  ausschliesslich  aus  dem  Verhältniss  der  reinen 

Quinte  entwickelten  alten  Tonsystem  der  Pythagoräer,  dessen  gr.  III  abhängig 

von  der  V    bestimmt   wird:     T'  =  ^  =  ^r:   und    f  =  4$' —  2.     Die  Intervall- 


64 


werthe  in  diesem  reinen   Quintensystem  sind  folgende: 


gr. 


I  rcj  =  0 

gr.  II  (D)  =  0,16992 

III  (F)  =  0,33985 

IV  (F)  =  0,41504 

V  (G)  =  0,58496 

gr.  VI  (A)  =  0,75489 

gr.  VII  (H)  =  0,92481 


I«  (Gis)  =  0,09474 

II*  (Dis)  =  0,26466 

III«  (Fis)  =  0,43459 

IV*f  (Fis)  =  0,50978 

V«  (Gis)  =  0,67970 


kl.  II  (Des)  =  0,07518 

kl.  III  (Fs)  =  0,24511 

IV^  (Fes)  =  0,32030 

V'^  (Ges)  =  0,49022 

kl.  VI  (As)  =  0,66015 


VI*  (Ais)  =  0,84963     kl.  VII  (B)  =  0,83008 
VII*  (His)  =  1,01955       VHP  (ces)  =  0,90526 


Wie  man  sieht,    ist    hier  das  Umgekehrte  der  Fall  im  Vergleich  mit  dem 
System    der    reinen    gr.  III;    die    Intervalle    I*,   II*,   IV*   etc.    sind    sämmtlich 


136  Temperatur. 

höher  als  kl.  II,  kl.  III,  V^  etc.  Völlig  rein  sind  V,  IV,  gr.  II  und  kl.  VII, 
die  übrigen  grossen  und  übermässigen  Intervalle  werden  etwas  grösser,  die 
kleinen  und  verminderten  etwas  kleiner.  Für  das  musikalische  Ohr,  welches 
eher  eine  Aenderung  der  Terz  als  der  Quinte  verträgt,  ist  dies  System  wohl 
sicher  befriedigender,  als  das  der  reinen  gr.  III;  es  hatte  in  der  That  bis  zur 
Einführung  der  Bestimmung  5  :  4  für  die  letztere  durch  Zarlino  (1558)  all- 
gemeine Geltung  und  spielt  wahrscheinlich  auch  heute  noch  in  der  Musik  eine 
Rolle,  indem  sich  ihm  die  Intonation  auf  den  bekanntlich  in  reinen  Quinten 
(oder  Quarten)  gestimmten  Streichinstrumenten  factisch  vielfach  anschliessen 
dürfte;  namentlich  die  höhere  Lage,  welche  hier  I**,  IV**  etc.  gegen  kl.  II,  V*'  etc. 
haben  und  die  grössere  Schärfe  der  Leittöne  entspricht  der  Praxis  auf  diesen 
Instrumenten  weit  besser,  als  die  durch  die  gegenwärtig  geltenden  akustisch 
reinen  Bestimmungen  bedingte  Lage  dieser  Töne,  welcher  zufolge  z.  B.  eis  und 
ßs  tiefer  als  des  und  ges  liegen. 

Von  den  zwischen  diesen  beiden  Grenzsystemen  liegenden  Temperaturen, 
die  für  Instrumente  mit  mehr  als  12  Tönen  innerhalb  der  Octave  noch  möglich 
sein  würden,  wollen  wir  nur  wenige  erwähnen,  da  ihre  Quintenzirkel  meist  so 
gross  sind,  dass  ihre  Berechnung  fast  nur  ein  theoretisches  Interesse  hat;  Aus- 
führliches darüber  findet  man  in  Drobisch's  unten  angeführter  Abhandlung  §  42 — 58. 

Zunächst  ist  hier  die  19stufige  gleichschwebende  Temperatur  (2'  =  — =  0,57895) 

zu  nennen,  von  welcher  F.  W.  Opelt  (»Allg.  Theorie  der  Musik«,  Lpz.  1852) 
behauptet,  sie  sei  die  beste  Grundlage  unsrer  musikalischen  Notation.  Aus 
nachstehender  Uebersicht 

I  (Cf)  =0  \lll=Ylt  (c=S^)  ==  1 

I**  =  IV'  (Cis  =  Z)''^;  =  4  =  0,05263  VIlP  =  VII**(ces=Ms)  =  ^  =  0,94737 
kl.  II  =  r'  (Des  =  a^j  =  A  =  0,10536  gr.VII  =  VIII^CJ5=cW;  =  l^  =  0,89474 
gr.  II  (B)         =  ^  =  0,15790  kl.  VII  =  VI^  (B=Ä')  =  ^^  =  0,84210 

II«  =  im  (Dis  =  U'^)=  A  =  0,21053  VI**  =  VII^'  (Ais  .=  B^)  =  ^^  =  0,1894.1 

■ly  ly 

kl.  III  =  11"^  (M  =  D^)  =  A  =  0,26316        gr.  VI  (A)         =  i|  =  0,73684 

gr.III  =  IV^V-^=^^;  =  4  =  0,31579    kl.  VI  =  V^  (As  =  G^)  =  i|  =  0,68421 

ly  19 

III**  =  IV'  (Ms  =  Fes)  =  :^  -  0,36842     V**  =  VI^  (Gis  =  A^^)  =  ^  =  0,63168 

ly  19 

IV  =  III^  (F  =  U-)  =  ^  =  0,42105  V  (G)         =  H  =  0,57895 

l\^  =  Y'^^  =  (Fis^G'^)  =  ~  =  0,47368      V'  =  IV''  (Ges  =  ^^  =  1^  =  0,52632 

ly  19 

ersieht  man,  dass  Cis  und  Des,  Dis  und  Fs  etc.  hier  zwar  verschieden  sind, 
aber  Fes  und  Fis,  Ces  und  His,  Ges  und  F'  etc.  in  einen  Ton  zusammenfallen, 
welcher  Umstand  allein  diese  Temperatur  unbrauchbar  erscheinen  lässt,  da  die 
Identität  solcher  Töne  musikalisch  geradezu  widersinnig  ist;  unsere  Notation 
vertauscht  bei  enharmonischen  Verwechslungen  nie  Fes  oder  Ces  mit  Fis  oder 
Sis,  sondern  stets  mit  F  oder  S. 

Besser   gruppiren    sich    die  Töne  in  einem  temperirten  Tonsystem,  dessen 
IS 
Quintenintervall  q=—  =  0,58065  ist  (Galin's  System)  nämlich  folgendermassen: 


Temperatur. 

137 

0 

VIII 

(c) 

=    1 

1 

31  ^ 

=  0,03226 

VII« 

(His) 

30 
~  31  " 

=  0,96774 

2 
31  ' 

=  0,06452 

vim 

(ces) 

29  _ 
""  31  ~ 

=  0,93548 

3 
31  ' 

=  0,09677 

gr.  VII 

(^) 

28 
~  31  ~ 

=  0,90323 

4  ' 
31  '' 

=  0,12903  VI 

^  =  VIII^ 

'(^^  =  e-)=|^  = 

=  0,87097 

5 
31  ' 

=  0,16129 

kl.  VII 

(^) 

_  26  _ 
~  31  "" 

=  0,83871 

6 
31  ' 

=  0,19355 

VI« 

{Ais) 

25 
~  31  "" 

-  0,80645 

7 
31  '' 

=  0,22581 

VII^ 

(JB'O 

__  24 
■"  31  ' 

=  0,77419 

8 
31  '' 

=  0,25807 

gr.  VI 

(^) 

23 
~  31  ' 

=  0,74193 

9 

31  '' 

=  0,29032 

V'^ 

(ö") 

22 

~  31  ' 

=  0,70968 

10 
31 

=  0,32258 

kl.  VI 

{As) 

21 
"  31  ' 

=  0,67742 

11 
31 

=  0,35484 

V« 

(Gis) 

_  20 
~  31  ' 

=  0,64516 

12 
31 

=  0,38710 

YP 

(A^) 

_  19 
~"  31  '' 

=  0,61290 

13 
31 

=  0,41935 

V 

(G) 

18 
"  31  '' 

=  0,58065 

14 
31 

=  0,45161 

iv^ 

(F-) 

17 
"■  31 

=  0,54839 

15 
31 

=  0,48387 

yfT 

(Ges) 

_  16 
""  31 

=  0,51613 

I  (0)         - 

(VI^)    II**    (It=    B'^)     : 

I»         (Gis) 
kl.  II       (Des) 

gr.  II        (B) 

HP        (^Vt) 

II*       (Bis) 
kl.  III      (JEs) 
it  =  IV^  (B""  =  ^^^) 
gr.III     (^) 
IV^       (Fes) 
III»      (Eis) 
IV        (F) 
Ilt  =Y^^(F''  =  G"^) 
IV*      (Fis) 


Den  akustisch  reinen  Tonverhältnissen  noch  näher  würde  eine  74stufige 

Temperatur    (mit   dem  Werth  q  =  -^  —  0,58108)  kommen;  es  ist  dies  die  von 

Drobisch  als  »möglichst  reinste  Temperatur«  bezeichnete.  In  dieser  und  den 
beiden  vorher  angeführten  ist  die  Lage  der  Töne  eis,  dis,  fis  etc.  tiefer  als  die 
von  des,  es,  ges  etc.;  die  gewöhnliche  12stufige  Temperatur  setzt  sie  bekanntlich 
gleich;  von  ihr  nach  dem  System  der  reinen  Quinte  hin  wäre  noch  eine  5  3stu- 

31 
fige  Temperatur  möglich,  bei  welcher  q  =  ^  =  0,58491  und  die  Aufeinander- 
folge der  Intervalle  eine  wesentlich  andere  sein  würde,  nämlich: 


G,    Ms, 
53 


0 


53 


^^^    Bes,    Gis,     H^,    :P'^    F^^,     B,       C^  u.  s.  w. 

3  4  5  6  7  8  9  10 

53         53         53         53 


53 


53 


53 


53 


Grleichschwebende  Temperaturen  mit  so  grossem  Quintenzirkel  gehören 
natürlich  nur  der  theoretischen  Betrachtung  an  und  ermangeln  einer  wirklichen 
Bedeutung  für  die  musikalische  Praxis,  für  welche,  soweit  sie  sich  auf  Instru- 
mente mit  gebundener  Intonation  erstreckt,  die  gebräuchliche  mittlere  mit  ihren 
12   Tonstufen  bis  jetzt  als  die  beste  allein  anerkannt  ist. 

Von  Schriften  über  Temperatur  dürften  die  wichtigsten  sein:  Marpurg, 
»Versuch  über  die  musikalische  Temperatur«  (Breslau,  1776),  Drobisch, 
»lieber  musikalische  Tonbestimmung  und  Temperatur«  und  »Nachträge  zur 
Theorie  der  musikalischen  Tonverhältnisse«  (Bd.  IV  und  V  der  Abhandlungen 
der    königl.    sächs.    Gesellschaft    der  "Wissenschaften),    »lieber   wissenschaftliche. 


138  Temperatur-Intervalle —  Tempo. 

Bestimmuug  der  musikalischen  Temperatur«  (in  Poggendorf's  »Annalen  der 
Physik«,  Bd.  90)  und  endlich  »lieber  reine  Stimmung  und  Temperatur«  (Berichte 
der  math.-i:)hys.  Classe  der  königl.  sächs.  Gresellschaft  der  "Wissenschaften,  1877), 
Hauptmann,  »lieber  Temperatur«  (in  Chrysander's  Jahrbüchern,  Bd.  I)  und 
in  Helmholtz's  »Lehre  von  den  Tonempfindungeu«  (Braunschweig,  1863),  der 
16.  Abschnitt  der  dritten  Abtheilung. 

Temperatur-Intervalle  heissen  diejenigen  Intervalle,  die  in  der  praktischen 
Musik  nicht  das  ihnen  ursprünglich  bei  der  mathematischen  Messung  zukom- 
mende Verhältniss  haben,  sondern  abweichend  um  etwas  zu  klein  oder  zu  gross 
geübt  werden   (s.  Temperatur). 

Tempestoso,  Vortragsbezeichnung  =  stürmisch,  ungestüm,  heftig. 

Tempete,  franz.:  Sturm,  heisst  ein  munterer,  stürmischer  Tanz,  im  Zwei- 
vierteltact  gehalten,  der  im  vorigen  Jahrhundert  beliebt  war,  jetzt  nur  noch  in 
Balleten  vorkommt. 

Tempo  =  franz.:  Mouvement,  Zeitmaass,  der  Grad  der  Tactbewegung, 
in  welcher  ein  Tonstück  ausgeführt  werden  soll.  Durch  die  Gestalt  der  Noten 
wird  der  Zeitwerth  derselben  nur  sehr  relativ  angegeben;  sie  stellt  nur  ihr 
Verhältniss  unter  einander  dar,  dass  die  Ganze  Note  den  Werth  von  zwei 
Halben,  vier  Vierteln  u.  s.  w.  erhält.  Zu  einer  absoluten  Bestimmung  desselben 
bedarf  es  noch  einer  besondern  Angabe  des  Tempo,  durch  die  der  ange- 
nommene Zeitwerth  einer  Notengattung  bestimmt  festgestellt  wird,  welche  dann 
als  Maass  für  die  übrigen  gilt.  Sie  erfolgt  jetzt  in  zweierlei  Weise,  entweder 
durch  die  astronomische,  mathematisch  präcise  Zeitmessung,  welche  der  Metro- 
nom gewährt  (s.  d.),  oder  annäherungsweise  durch  bestimmte  Worte,  über  deren 
ungefähre  Bedeutung  eine  gewisse  traditionelle  Uebereinstimmung  herrscht.  Der 
Metronom  bestimmt  in  genau  abgemessenen  Schlägen  den  Werth  der  vor- 
geschriebenen Notengattung  und  lässt  also  über  die  Intention  des  Componisten 
nach  dieser  Seite  nicht  im  Zweifel.  Die  andere  Tempobezeichnung  durch  die 
entsprechenden  Worte  kann  nicht  so  genau  sein  und  ist  mehr  der  Auffassungs- 
fähigkeit des  Dirigenten  oder  der  Ausführenden  überlassen.  Wir  unterscheiden 
drei  Hauptbewegungen:  die  langsame,  die  mittlere  und  die  geschwinde 
mit  ihren  Abstufungen.  Zur  langsamen  gehören  Largo  =  breit,  weit,  ge- 
dehnt, als  langsamstes  Tempo;  Grave  =  ernsthaft,  schwer  abgemessen, 
als  zweiter  Grad  der  Bewegung;  Adagio  =  langsam,  als  dritter  Grad;  Lento 
=  gemächlich  laugsam,  als  viei'ter,  dem  Adagio  verwandter  Grad,  und 
Larghetto  =  weniger  breit  und  langsam  als  die  vorgenannten,  so  dass 
es  sich  dem  Andante  nähert.  Dies  als  sechster  Grad  der  Bewegung  gehört, 
als  »gehend«  bereits  zu  den  mittleren  Bewegungen,  die  dann  als  Andan- 
tino,  als  Moderato  und  Allegretto  immer  an  Zeitgewicht  vei-lieren  und  zur 
schnellen  Bewegung  hinüberleiten,  die  wiederum  als  Allegro  ==  hurtig, 
lebhaft,  Vivace  und  Vivacissimo  =  noch  lebhafter,  Presto  und  Fre- 
stissimo  =  schnell  und  so  schnell  als  möglich  —  gesteigert  wird.  Dass 
diese  Tempobezeichnungen  weiterhin  noch  durch  die  verschiedenen  Beiworte: 
assai,  meno,  ma  non  iroppo  u.  s.  w.  auch  noch  modificirt  werden  können, 
ist  in  den  betreffenden  Artikeln  nachzulesen.  Bei  der  grossen  Bedeutung,  welche 
der  Rhythmus  für  das  Kunstwerk  gewinnt  und  bei  der  zwingenden  Gewalt, 
die  er  bei  der  Ausführung  zu  üben  vermag,  ist  natürlich  die  Wahl  des  Tempo 
von  höchster  Wichtigkeit,  so  dass  ein  Fehlgreifen  nach  dieser  Seite  eine  im 
TIebrigen  noch  so  correcte  Aufführung  ganz  wirkungslos  zu  machen  im  Stande 
ist.  Daher  ist  es  Hauptaufgabe  des  Dirigenten  oder  Ausführenden,  zunächst 
und  vor  allem  Andern  das  richtige  Tempo  eines  Tonstücks  zu  erkennen  und 
da  dies  mit  dem  Charakter  desselben,  seinem  eigensten  Inhalt  eng  zusammen- 
geht, so  wird  auch  das  Tempo  nicht  verfehlt  werden  können,  wenn  man  diesen 
erfasst  hat.  Die  Erkenntniss  desselben  wird  den  Dirigenten  über  die  Wahl 
des  Tempo  sicherer  noch  aufklären,  als  die  mechanische  Bezeichnung  desselben 
durch  den  Metronom.    Dabei  soll  die  letztere  nicht  unterschätzt  werden.     Wer 


Tempo  —  Tempo  ordinario.  1 39 

da  weiss,  wie  schwierig  eine  solche  mechanische  Tempobezeichnung  beizugeben 
dem  Coraponisten  selbst  meist  ist,  der  wird  sie  kaum  als  letzte  Instanz  gelten 
lassen.  Daher  werden  auch  von  den  meisten  Compouisten  in  neuerer  Zeit  beide 
Bezeichnungen  angewendet,  sowohl  jene,  die  mit  dem  betreffenden  Wort  auch 
zugleich  den  Charakter  bezeichnet,  wie  die  durch  den  Metronom.  Bei  der  "Wahl 
des  Tempo  kommen  auch  noch  andere  Umstände  in  Betracht.  Tousätze,  welche 
eine  machtvolle  Harmonik  in  breiten  Massen  entfalten,  werden  immer  in  ge- 
mässigterem  Tempo  ausgeführt  werden  müssen  als  die,  bei  welchen  das  melo- 
dische oder  rhythmische  Element  überwiegt.  Auch  die  grössere  oder  geringere 
Mannichfaltigkeit  der  Rhythmik  ist  hierbei  zu  beachten.  Ein  Adagio,  in 
welchem  ausser  Ganzen,  Halben,  Vierteln  und  Achteln  auch  noch  Sechzehn- 
theile häufiger  in  ganzen  Figuren  verwendet  werden,  wird  langsamer  zu  nehmen 
sein  als  ein  anderes,  in  welchem  ausser  den  längern  Noten  nur  noch  solche 
vom  Werth  des  Achtels  angewendet  sind.  Bei  langsamem  Tempo  bestimmen 
die  lang  gehaltenen,  bei  raschem  die  geringwerthigen  Noten,  die  Achtel 
und  Sechzehntel  nach  der  Möglichkeit  ihrer  Ausführung  das  speciellere  Zeit- 
maass.  Eine  andauernde  Reihe  von  lang  gehaltenen  Accorden  ermüdet,  im  zu 
langsamen  Tempo  ausgeführt,  die  Ausführenden  wie  die  Hörenden;  und  schnelle 
Passagen  in  zu  raschem  Zeitmaass  ausgeführt  werden  den  Hörenden  meist 
eben  so  unbequem,  wie  den  Ausführenden.  Endlich  kommen  bei  der  Wahl  des 
Tempo  auch  noch  die  Masse  der  Ausführenden,  wie  Ort  der  Ausführung  in 
Betracht.  Bei  sehr  starker  Besetzung  von  Chor  und  Orchester  wird  das  Tempo 
immer  etwas  massiger  genommen  werden  müssen,  wie  bei  schwacher  Besetzung 
und  grosse  und  weite  Räume  erfordern  ebenfalls  ein  um  etwas  massigeres  Tempo 
als  kleinere  und  engere. 

Tempo  wird  auch  häufig  statt  »0'  tempov.  gebraucht,  wenn  angezeigt  werden 
soll,  dass  nach  einem  Ritardando  oder  Äccelerando  oder  nach  einem  voll- 
ständigen Temj^owechsel  wieder  das  ursprüngliche   Tempo  eintreten  soll. 

Tempo  alla  Breve,  eigentlich  das  zweischlägige,  zwei  Semibreves  enthaltende 
Zeitmaass  der  Bi'evis  (s.  Alla  Breve). 

Tempo  alla  Semibrere,  der  gewöhnliche  ^/2-Tact,  mit  der  Semibrevis  als 
Tacteinheit. 

Tempobezeichnung,  ursprünglich  die  Bezeichnung  des  Zeitmaasses  durch 
die  oben  erwähnten,  meist  italienischen  Kunstausdrücke;  jetzt  umfasst  die  Tempo- 
bezeichnung selbstverständlich  auch  die  Metronombezeichnung  (s.  Tempo). 

Tempo  commodo,  in  bequemem  Zeitmaass,  weder  schleppend,  noch 
übereilt. 

Tempo  di  Ballo,  in   Tanzbewegung. 

Tempo  di  Bolero,  in  der  Bewegung  des  Bolero  (s.  d.). 

Tempo  di  Gavotta,  in  der  Bewegung  der  Gavotte  (s.  d.). 

Tempo  di  Marcia,  im  Zeitmaass  des  Marsches. 

Tempo  di  Minuetto,  im  Zeitmaass  der  Menuett. 

Tempo  di  Sarabande,  im  Zeitmaass  der  Sarabande. 

Tempo  di  i)rima  (parte),  in  der  Bewegung  des  ersten  Theils;  wird 
gebraucht,  wenn  in  dem  folgenden  Theil  Tempowechsel  eingetreten  ist,  der 
dann  wieder  aufgehoben  wird. 

Tempo  giusto  =  in  angemessener  Bewegung,  ist  im  Grunde  keine 
Bezeichnung  des  Tempos,  da  sie  die  "Wahl  desselben  dem  Ermessen  des  Aus- 
führenden überlässt.     Es  entspricht  meist  dem  Tempo  commodo. 

Tempo  l'istesso,  s.  L'istesso  tempo. 

Tempo  maggiore,  s.  Tempo  ordinario. 

Tempo  ordinario,  minore,  alla  Seniiireve,  der  ordentliche  viertheilige 
Takt  (5,  vier  Viertel  enthaltend,  die  nach  ihrem  wirklichen  Werth  gemessen 
werden.  Das  Tempo  maggiore  oder  alla  Breve  ist  der  viertheilige  diminuirte 
Tact  G.';  dem  die  Brevis  Tacteinheit  ist;  die  zwei  Ganzen  oder  vier  Halben,  die 


140  Tempo  ordinario  —  Tenducci. 

er  enthält,  erhalten  nur  die  Hälfte  ihres  eigentlichen  Werths  (Diminutio  simples), 
seine  Bewegung  ist  demnach  dieselbe  wie  die  im  Ternpo  ordinario. 

Tempo  ordinario  wird  auch  ebenso  wie 

Tempo  primo  (abgekürzt  T.  1^)  =  erstes  Zeitmaass,  gebraucht,  um 
anzuzeigen,  dass  nach  einem  Wechsel  desselben  das  zuerst  angenommene  Zeit- 
maass wieder  eintritt. 

Tempo  rubato  =  geraubtes  Zeitmaass  —  Ruhamento  di  Tempo  be- 
zeichnet sowohl  die  Verzögerung  oder  Beschleunigung  einzelner  Stellen  bei  der 
Ausführung  im  Tact  und  Tempo,  als  auch  Abweichungen  von  der  natürlichen 
Accentuirung  und  Phrasirung  gewisser  Partien.  Die  Rücksicht  auf  erhöhte 
Wirkung  einzelner  Stellen  eines  Tonstücks  kann  es  wünschenswerth  erscheinen 
lassen,  diese  in  der  Ausführung  zu  beschleunigen  oder  zu  verzögern.  Weiter 
ausgeführte  Cantilenen  gewinnen  nicht  nur  an  sinnlichem  Reiz,  wenn  sie  etwas 
zurückhaltend  im  Tempo  ausgeführt  werden,  sondern  es  kann  dies  auch  in  der 
innersten  Idee  derselben  begründet  sein;  die  äussere  genaxie  Messung  entspricht 
nicht  immer  dem  Maass  der  innern  Erregung  und  so  erscheint  eine  zeitweise 
Abweichung  durchaus  gerechtfertigt,  so  lange  sie  nicht  die  rhythmische  Einheit 
aufhebt.  Dasselbe  gilt  von  der  Beschleunigung  gewisser  glänzender  Passagen 
oder  erregter  Figuren,  die  dadurch  nicht  nur  wirksamer  werden,  sondern  auch 
mehr  dem  Inhalt  entsprechend  erscheinen.  Ein  so  vortreffliches  Hülfsmittel 
des  Vortrags  das  Tempo  rubato  demnach  ist,  mit  desto  grösserer  Vorsicht  ist 
es  einzuführen,  wenn  es  nicht  zur  Manie  werden  und  abspannend  wirken  soll. 
Ferner  bezeichnet  man  mit  Tempo  ruhato  auch  die  Accentverrückuugen,  durch 
welche  sogar  zeitweise   der  ursprüngliche  Tact  verändert  wird: 

Chopin,  op.  7. 


m 


:#^_c;"^j^ 


:#: 


■w—^ — ' — \ — — r 


^=i;^g^ggg^ 


-^- 


ti 


Solche  Accentverrückungen  sind  namentlich  bei  Chopin  sehr  häufig,  bei  dem 
auch  jenes  zuerst  besprochene  Tempo  ruhato  vielfach  angewandt  werden  muss. 

Temps  faible  (franz.),  leichter  Tacttheil. 

Temps  fort  (franz.),  schwerer  Tacttheil. 

Tempus  (lat.),  Zeit,  Zeittheil.  In  der  alten  IMensuralnotenschrift  be- 
zeichnet man  die  Brevis,  als  Tacteinheit,  mit  Mensura  temporis  oder  kürzer: 
Tempus  (s.  Mensuralmusik). 

Tempus  biuarium  =  der  zweitheilige  gerade  Tact. 

Tempus  imperfectum,  in  der  Mensuraltheorie  die  zweitheilige  Tactart, 
in  der  die  Brevis  durch  zwei  Semibreves  gemessen  wurde  (s.  Mensural- 
notenschrift). 

Tempus  perfectum  hiess  dagegen  der  dreitheilige  Tact,  bei  welchem  die 
Brevis   drei  Semibreves   enthielt  (s.  Mensuralnotenschrift). 

Tempus  ternarium  =  der  dreitheilige  Tact. 

Tempus  vacuum  =  leere  Zeit,  war  in  der  alten  Rhythmik  eine  Pause 
für  eine  fehlende  Silbe  am  Ende  eines  Verses,  die  gehalten  werden  musste,  um 
den  Rhythmus  auszufüllen.  Galt  sie  nur  eine  kurze  Silbe,  so  hiess  sie  Limma\ 
Prosfhesis  aber,  wenn  sie  zwei  Silben  währte. 

Tenaglia,  Antonio  Francesco,  Kirchencomponist  zu  Florenz,  geboren 
in  den  ersten  Jahren  des  17.  Jahrhunderts,  verbrachte  einen  Theil  seines  Lebens 
in  Rom,  so  dass  man  annehmen  kann,  er  habe  dort  ein  Amt  gehabt.  1661  wurde 
die  Oper  ■nCleano«  in  Rom  aufgeführt,  eine  der  ersten,  in  welcher  das  Da  Capo 
vorkommt.  Unter  seinem  von  Clowes  gestocheneu  Bild  steht:  -aTendlia  Floren- 
tinus  musicis  in  rebus  exeellensa. 

Teudrement  (franz),  zärtlich. 

Tenducci,  Just.  F er dinaudo,  genannt  Senesino,  ausgezeichneter  Sopran- 
sänger, geboren  zu  Sienna  gegen   1736,  erschien  ungefähr  1756  auf  den  Thea- 


Tenerameute  —  Tenor.  141 

tern  Italiens,  aber  erst  einige  Jahre  später  in  der  italienischen  Oper  zu  London 
und  in  Irland  und  Schottland  gelang  es  ihm,  das  Publikum  aufs  Höchste  zu 
entzücken,  so  dass  man  ihm  hohe  Summen  zahlte.  1765  kehrte  er  nach  London 
zurück,  musste  aber  177G  Schulden  halber,  die  eine  enorme  Höhe  erreicht  haben 
sollen,  sich  entfernen.  Nach  Jahr  und  Tag,  nachdem  diese  Angelegenheiten 
geordnet  waren,  kehrte  er  jedoch  nach  London  zurück  und  sang  daselbst  am 
Drury-Lane-Theater  noch  1790.  Einige  Zeit  vor  seinem  Tode,  der  in  den 
ersten  Jahren  des  19.  Jahrhunderts  erfulgte,  war  er  nach  Italien  zurückgekehrt. 
Es  ist  eine  gedruckte  Abhandlung  über  den  Gesang  von  T.  vorhanden:  y>Trea- 
tise  on  Siiigingi.]  ferner:  y>Ouverture  for  a  füll  Band's.  (Preston,  London)  und 
nRanelagh  Songsa.  (ebend.).     Die  Letzteren  sang  er  in   Concerten. 

Teueraiuente  und 

Teuero,  Yortragsbezeichnung  =  zart,  sanft. 

Teuerezza,  con  tenerezza,  mit  Zartheit. 

Teniers,  David,  berühmter  niederländischer  Maler  des  17.  Jahrhunderts, 
war  zugleich  trefflicher  Gambenspieler.  Er  hat  sich  auf  seinem  Instrument 
spielend  nebst  seiner  Familie  auf  einem  Bilde  dargestellt. 

Tenor,  ital.:  Tenore,  franz.:  Taille,  Tenor,  Bezeichnung  für  die  oberste 
Stimme  der  Männerstimmen,  die  diese  schon  früh  mit  der  beginnenden  Aus- 
bildung der  Mehrstimmigkeit  erhielt.  Als  sich  neben  dem  Organum  (s.  d.) 
in  der  christlichen  Kirche  die  Weise  des  Discantisirens  geltend  machte,  indem 
eine  Stimme  den  Cantus  ßrmus,  die  feststehende  kirchliche  Melodie,  nicht  mehr 
nur  in  derselben  Bewegung  in  Quarten,  Quinten  oder  Octaven,  begleitete,  son- 
dern in  selbständiger  Weise,  nannte  man  diese  neue  Stimme  als  gegensätzlich 
zum  Cantus  (firmus)  sich  verhaltend  Discantus,  der  Cantus  firmus  aber 
wurde  als,  die  ursprünglichen  sanctionirten  Melodien  festhaltend  zum  Tenor.  Da 
nun  die  Ausführung  dieses  Cantus  ßrmus  in  der  Pegel  der  hohen  INIännerstimme 
übertragen  wurde,  so  nannte  man  diese  entweder  Cantus  oder  Firmus  cantus 
oder  Tenor  und  der  letztere  Name  wurde  bald  allgemein  für  diese  Stimme 
üblich.     Die  Tenorstimme  hat  einen  Umfang 

von  bis 


i 


i^^^l- 


Im  Chor  ist  es  natürlich  nicht  rathsam,  den  Tenor  selbst  bis  a^  zu  führen, 
oder  doch  nur  in  seltenen  Fällen,  da  dieser  Ton  nur  bevorzugten  Stimmen  ohne 
Anstrengung  zu  erzeugen  gelingt.  Yom  Solo-Tenor  verlangt  man  ihn  wie 
auch  noch  h^   und  selbst  li^   und  c^. 

Der  Solotenor  gewinnt  namentlich  in  Oper  und  Oratorium  aussergewöhn- 
liche  Bedeutung;  Klangcharakter,  Umfang  und  Ausdrucksfähigkeit  führen  dazu, 
dass  ihm  meist  die  Hauptpersonen  zugewiesen  werden.  Gewöhnlich  sind  diese 
junge,  thatkräftig  vorwärts  strebende  Männer  und  Helden  und  dem  entspricht 
die  Tenorstimme  am  meisten.  Die  Baritonstimme  scheint  mehr  für  ernstere, 
ruhigere  Charaktere  geeignet.  Man  unterscheidet  je  nach  dem  Klangcharakter 
zwei  Arten:  den  lyrischen  Tenor  und  den  Heldentenor,  die  auch  oft  im 
Umfange  unterschieden  sind.  Der  lyrische  Tenor  hat  weicheres  Klanggepräge 
und  eine  höhere  und  in  der  Höhe  leichter  ansprechende  Tonlage.  Er  eignet 
sich  besonders  für  empfindensvolle  cantable  Partien,  wie  Belmonte  in  der  »Ent- 
führung«, Don  Ottavio  im  »Don  Juan«,  Nadori  in  »Jessonda«  u.  s.  w.  Der 
Heldentenor  hat  mehr  männlichen,  markig  kräftigen  Klang,  dem  Bariton  sich 
nähernd  und  ist  daher  mehr  für  leidenschaftlichen  heroischen  Vortrag  geeignet; 
daher  ist  ihm  auch  die  Höhe  nicht  so  leicht  erreichbar,  wie  dem  lyrischen 
Tenor,  dafür  ist  aber  der  ganze  Stimmklang  männlich  fester.  Die  Gluck'schen 
Tenorpartien,  wie  Achilles,  Rinaldo  u.  s.  w.  gehören  in  das  Fach  des  Helden- 
tenors. Im  Oratorium  erfordert  Händel  auch  Heldentenöre,  wie  in  Judas 
Makkabäus,  Samson  u.  s.  w.,  Mendelssohn    dagegen    den  lyrischen  Tenor. 


142 


Tenorbass  —  Tenorhorn. 


Zur  Notirung  dei-  Tenorstimmen  bediente  man  sich  bisher  eines  besondern 
C-Schlüssels  auf  der  vierten  Linie: 


•ttH- 


M: 


c 


g       a 


S       a 


In  neuerer  Zeit  ist  er  meist  ganz  vom  G-  oder  Violinschlüssel  verdrängt,  unter 
welchem    dann    die  Noten   16füssig,    eine  Octave  tiefer  gelesen  werden  müssen: 

Tenor. 


\m 


W^^- 


cdefgahcdefga 
Einzelne  Theoretiker  nannten  wohl  auch  die  Kirchentöne  —  die  Toni  oder 
Modi  —  Tenor  es,  weil  sie  als  einheitlich  feststehende  Norm  (tenor)  anzusehen 
sind.  Erst  als  man  beim  mehrstimmigen  Gesänge  den  Gantus  firmus  allgemeiner 
mit  Tenor  bezeichnete,  kam  der  Name  für  die  Kirchentonart  ausser  Anwendung. 
In  noch  anderer  Bedeutung  gebraucht  Guido  von  Arezzo  die  Bezeichnung 
Tenor;  er  versteht  darunter  einen  Halteton,    einen   länger  ausgehaltenen   Ton. 

Tenorbass,  s.  Tenorhorn. 

Tenorbuffo,  zweiter  Tenor  in  der  Oper,  der  in  der  Regel  zugleich  wie 
die  Soubrette  im  weiblichen  Rollenfach  "Witz,  Schalkheit  und  gute  Laune  ver- 
tritt oder  doch  hervorruft. 

Teuorclausel,  Clausula  tenorizans .  nennt  man  die  Führung  des  Tenors 
beim  sogenannten  Ganzschluss,    also  bei  der  Folge  von  Dominant  und  Tonika: 


Teiior-Coruet,  ein  1876  von  Czerveny  in  Königgrätz  erfundenes  Metall- 
Blasinstrument,  das,  obgleich  es  nicht  grösser  ist  wie  ein  Cornet,  doch  wie  ein 
Tenorhorn  klingt  und  in  Höhe  und  Tiefe  gleichmässig  leicht  anspricht.  Es 
hat  drei  Ventile  und  stimmt  vollkommen  rein. 

Tenorfagott,  Quintfagott,  steht  eine  Quint  höher  als  der  gewöhnliche 
Fagott,  mit  dem  er  sonst  ziemlich  gleichen  Umfang  hat,  von  F  bis  f^  chro- 
matisch. Er  wird  im  Bass-  und  Tenorschlüssel  notirt  wie  der  gewöhnliche 
Fagott,  aber  die  Töne  klingen  eine  Quint  höher,  ¥  also  wie  c.  Er  ist  gegen- 
wärtig ausser  Gebi'auch  ;  in  unserm  Orchester  sind  nur  noch  der  gewöhnliche 
und  ausnahmsweise  der  Contrafagott  in  Anwendung. 

Tenorflöte,  eine  veraltete   Gattung  der  Flute  douce,  s.  Flute  ä  hec. 

Tenorhorn,  Chromatisches  Tenorhorn,  Oorno  cromatico  di  Tenore, 
auch  Tenor-Flügelhorn  genannt,  ist  ein  Ventilblechinstrument  und  steht 
eine  Octave  tiefer  als  das  jB-Cornet,  wird  aber  im  übrigen  behandelt  wie  dies. 
Die  Naturtöne  des  Cornets  erklingen  auf  dem  Tenorhorn  wie  folgt: 


f^fet: 


i^jiL     if:      ±     £ 


In  der  Regel  wird  es  nach  seiner  natürlichen  Tonhöhe  im  Tenorschlüssel  notirt, 
seltener  im  Violinschlüssel.     Mit  Sicherheit  ist  die  chromatische  Tonreihe  von 


As  bis  Cg  zu  erreichen; 


Tenori  acuti  —  Tepper  von  Ferguson.  143 


Die  tiefern  Töne  sind  wohl  noch  möglich,  aber  meist  schlecht  klingend,  und 
da  diese  von  den  Bassinstrumenten  leichter  und  gut  genommen  werden,  so  sind 
sie  für  das  Tenorhorn  entbehrlich.  ^ 

Tenori  acuti,  s.  Alti  iiaticrali. 

Tenorist,  ein  Tenorsänger. 

Teuorpomnier,  s.  Pommer. 

Tenorposaune,  s.  Posaune. 

Tenorschlüssel,  der  C-Schlüssel  auf  der  vierten  Linie   (s.  Notenschrift). 

Tenortrompete,  eine  B  -  Trompete  mit  Ventilen  wie  die  Alttrompete,  welche 
eine  Octave  tiefer  klingt    als    diese,    so  dass  die  so  notirten  Notentöne: 


.1  •*• 


auf  der  Tenortrompete  erklingen  wie 

^       ^       ±       =     ^= 


-U 


^ 


Sie  wird  nur  in  Militär-  und  Gartenorchestern  angewendet. 

Tenortrompeteubass,  ein  von  Stölzel  in  Berlin  1820  erfundenes  chroma- 
tisches Blasinstrument,  das  mit  einer  ähnlichen  Vorrichtung  wie  der  Trompeten- 
bass  versehen  ist  und  eine  Terz  höher  steht  als  dieser.  Die  natürliche  Stimmung 
ist  G-dur;  durch  den  Gebrauch  der  Ventile  lassen  sich  auch  andere  Tonarten 
darauf  blasen.     Weitere  Verwendung  scheint  es  nicht  gefunden  zu  haben. 

Tenorviola,  s.  Altviola. 

Tenorzeichen,  s.  Notenschlüssel. 

Tenute,  franz.:   Tenue,  ein  Halt,  ßuhepunkt,  s.  v.  a.  Permate. 

Tennto  (abgek.  ien.),  gehalten,  getragen. 

Tenzel,  Wilhelm  Ernst,  gelehrter  Polyhistoriker,  geboren  zu  Greussen 
in  Thüringen  am  11.  Juli  1659,  studirte  in  W^ittenberg,  war  dann  Lehrer  am 
Gymnasium  in  Gotha  und  kam  später,  nachdem  er  mehrere  ßeisen  gemacht 
hatte,  1702  als  Historiograph  und  königlich  polnisch  kupfürstlich  sächsischer 
Eath  nach  Dresden.  Diese  Stelle  verliess  er  schon  im  nächsten  Jahre  wieder, 
da  er,  wenig  Weltmann,  Spötteleien  der  Hofleute  nicht  ertragen  mochte,  und 
starb  am  24.  November  1707  in  grosser  Armuth.  Hier  ist  eine  seiner  Disser- 
tationen anzuführen:  y>Dissertatio  de  veteris  recentisqiLe  Ecclesiae  Hymno  Te  deum 
laudamusi  ■  Wittebergae,  1686,  in  4°).  Diese  Abhandlung  ist  auch  unter  seinen 
sämmtlichen  Dissertationen:  liExercitationes  selectaa  (Leipzig,  1692). 

TeplOT,  Grigorei  Nikolajewicz,  Russisch  Kaiserlich  geheimer  Eath 
und  Senator,  war  am  Seminar  des  Bischofs  Teophan  erzogen  worden  und  ge- 
bildeter Musik dilettant  als  Sänger  und  Violinspieler.  1750  gab  er  iu  Peters- 
burg eine  Sammlung  russischer  Arien  und  Lieder  heraus. 

Teponatzli,  ein  lautenähnliches  Instrument  der  Mexikaner,  das  aus  einem 
hölzernen  Cylinder  von  der  Grösse  einer  gewöhnlichen  spanischen  Laute,  mit 
zwei  parallel  laufenden  Oeffnungen  in  der  Mitte  besteht.  Die  Saiten  werden 
mit  zwei  gummiüberzogenen  Stäbchen  geschlagen  oder  gestrichen. 

Tepper  von  Ferguson,  geboren  zu  Warschau,  seit  1801  Kapellmeister  in 
Petersburg  und  Ciaviermeister  der  Grossfürstinnen.  Als  Clavierspieler  war  er 
vorzüglich;  einige  seiner  Compositionen,  als:  Ciavier-  und  Violinsonaten,  Ro- 
manzen, Variationen,  Schiller's  Ode  an  die  Freude,  eine  mehrstimmige  Cantate 
u.  A.  erschienen  1797  und  die  folgenden  Jahre  bei  Artaria  in  Wien  und 
in  Hamburg. 


144  Ter  —  Terpander. 

Ter  oder  Tre  =  dreimal. 

Ter  unca  (lat.)  =  dreimal  geschwänzt  oder  gekrümmt,  alte  Benennung 

der  32stel-Note  =  ^^  . 

Terana  =  ein  Musikstück  der  Indianer,    das  von  den  Rohillah's  und  zwar 
nur  von  den  Männern  gesungen  wird. 

Terpander,  griechischer  Musiker,  ist,  wie  Stephanus  von  Byzanz  und  Plu- 
tarch  berichten,  zu  Antissa  auf  der  Insel  Lesbos,  nach  der  minder  glaubwür- 
digen Meinung  des  Suidas  aber  in  Böotien  geboren.  Auch  bezüglich  der  Zeit 
seiner  "Wirksamkeit  weichen  die  Angaben  der  Historiker  von  einander  ab; 
einige  nennen  ihn  einen  Zeitgenossen  des  Lykurgus,  andre  des  Thaies;  die 
meiste  Wahrscheinlichkeit  haben  diejenigen  Angaben,  welche  die  33ste  Olym- 
piade (638 — 634  V.  Chr.)  als  den  Zeitpunkt  seiner  wichtigsten  Erfolge  bezeichnen. 
Alle  Mittheilungen  der  Musikhistoriker  aber  stimmen  überein  bezüglich  seiner 
ausserordentlichen  Leistungen  als  Dichter-Componist  —  bekanntlich  verstand 
man  im  Alterthum  unter  einem  »Poeten«  (Poietes)  stets  nur  denjenigen,  welcher 
die  Fähigkeiten  des  AVort-  und  des  Tondichters  in  seiner  Person  vereinte  — 
sowie  als  Virtuose  auf  der  Kithara  und  dem  Aulos  (letzterer  das  zum  Solospiel 
und  zur  Gesaugsbegleitung  gebräuchlichste  Blasinstrument  der  Grriechen,  nicht 
unserer  Flöte,  wie  das  Wort  »Aulos«  meist  übersetzt  wird,  sondern  mehr  der 
Clarinette  oder  Oboe  entsprechend).  Auf  diesen  Gebieten  der  Tonkunst  feierte 
T.  die  grössteu  Triumphe,  indem  er  bei  den,  von  den  Lacedämoniern  dem  Apollo 
zu  Ehren  gefeierten,  sogenannten  Karneischen,  wie  auch  bei  den  Pythischen 
Spielen  der  Dorier,  hier  sogar  viermal  hintereinander,  den  Preis  gewann.  Als 
ein  Beweis  der  mächtigen  Wirkung  seiner  Kunst  wird  von  verschiedenen  Autoren 
des  Alterthums  noch  ausserdem  berichtet,  dass  er  einmal  die  durch  politische 
Zwistigkeiten  erregten  Gemüther  der  lacedämonischen  Bürger  durch  seine,  mit 
der  Kithara  begleiteten  Gesänge  beruhigt  habe.  Mag  nun  diese  Angabe  wört- 
lich oder  bildlich  zu  verstehen  sein,  so  viel  ist  sicher,  dass  Terpander's  künst- 
lerischer Einfluss  mächtig  genug  gewesen  ist,  um  eine  neue  Epoche  der  grie- 
chischen Musik  zu  begründen,  wie  Glaukus  von  ßhegium  in  seinem  Werke 
über  die  Dichter  und  Comjjonisten  der  ältesten  Zeit  Griechenlands  sagt  (citirt 
von  Plutarch  y>de  musicaa  9),  der  ersten  sj)artanischen  Katastasis,  d.  h.  Fest- 
stellung der  musischen  Kunstnormen*).  Im  Besonderen  war  es  der  kitharo- 
dische  Nomos,  der,  wie  Westphal  ausführt,  durch  ihn  auf  eine  neue  höhere 
Stufe  der  Ausbildung  erhoben  wurde.  Schon  vor  T,,  in  der  homerischen  Zeit, 
hatte  sich  neben  der  epischen  Dichtung  die  unter  dem  Namen  Nomos  bekannte 
lyrische  Kuustforra  entwickelt;  der  Nomos  (wörtlich  »Gesetz«,  weil  in  den 
ältesten  Zeiten  die  Gesetze  in  bestimmten  Tonweisen  vorgetragen  wurden,  um 
sie  dem  Volke  auf  diese  Weise  besser  einzuprägen)  war  ursijrünglich  ein  an 
heiliger  Stätte  und  zur  heiligen  Zeit  von  einem  Priestersänger  ausgeführter 
Sologesang,  bestimmt  zum  eigentlichen  Cultuszwecke.  An  die  Periode  dieses 
archaischen  Nomos  schliesst  sich  die  des  epischen  Einzelliedes  an,  welche  mit 
Homer  ihren  Höhepunkt  erreicht;  als  aber  die  in  dem  homerischen  und  cykli- 
schen  Epos  waltende  Produktionskraft  mit  dem  Anfange  des  siebenten  Jahr- 
hunderts abzusterben  begann,  da  war  es  der  lyrische  Nomos,  dem  sich  die 
poetische  Triebkraft  des  hellenischen  Volkes  vorwiegend  zuwandte.  Der  Nomos 
erhielt  nun  durch  T.  eine  feste  kunstmässige  Form,  die  für  die  ganze  folgende 
Zeit  stereotyp  bleibt:  es  ist  die  (bei  Pollux  4.  66.  angegebene)  siebentheilige 
Gliederung.  Den  Haupttheil  bildete  die  Mitte,  Omphalos  genannt;  er  enthielt 
in  der  epischen  Sprache  und  Manier  Homei's  irgend  eine  Darstellung  von  den 
Thaten  des  im  Nomos  zu  feiernden  Gottes.  Voraus  ging  ein,  demselben  Gotte 
gewidmeter  lyrischer  Theil,  genannt  Archa  (Anfang),  und  dieser  Archa  ent- 
sprechend folgte  auf  den  Omphalos  ein  zweiter  lyrischer  Theil,  der  den  Namen 


*)     Vergl:  E.  Westphal,' griechische  Metrik,  zweite  Auflage,  II.  p.  278  und  279. 


Terpauder.  145 

Sphi'agis  (Siegel)  führte;  diese  drei  grösseren  Theile  waren  miteinander  durcli 
kleinere  Uebergangsglieder  verknüpft,  und  mit  diesen  fünf  Theilen  war  der 
eigentliche  Nomos  abgeschlossen ;  voraus  ging  demselben  ein  Proömium  und 
diesem  in  Ton  und  Inhalt  entsprechend  folgte  auf  die  Sphragis  ein  Epilog. 
"Während  der  eigentliche  Nomos  sich  lediglich  in  Epik  und  objectiver  Lyrik 
bewegte,  waren  diese,  den  Nomos  umschliessenden  Partien  subjectiv  gehalten. 
Der  Hauptsache  nach  gehörte  mithin  der  kitharodische  Nomos  der  epischen 
Poesie  an  und  die  ganze  Weise  Terpander's  ist  wesentlich  das  Produkt  des 
Einflusses,  den  die  homerische  Epik  auf  die  lyrische  Poesie  gewinnt;  auch  dies 
hatte  der  Terpandei''sche  Nomos  mit  dem  Epos  gemein,  dass  die  frühere  stro- 
phische Gliederung  völlig  aufgegeben  wurde;  an  ihre  Stelle  tritt  für  den  ge- 
sammten  Nomos  mit  seinem  Proömium  und  Epilog  der  daktylische  Hexameter; 
indem  aber  der  so  gestaltete  Nomos  die  strophische  Repetition  der  Melodie 
verschmäht,  erscheint  er  als  das  früheste  Beispiel  eines  »durchcomponirten«  Liedes. 
Auch  als  ein  Förderer  der  musikalischen  Theorie  und  Systembildung  ver- 
dient T.  zu  den  hervorragendsten  Künstlern  des  Alterthums  gerechnet  zu 
werden,  denn,  wie  Helmholtz  richtig  bemerkt,  ist  nicht  blos  die  Composition 
vollendeter  musikalischer  Kunstwerke,  sondern  auch  die  Construktion  unseres 
Systems  der  Tonleitern,  Tonarten  etc.  ein  "Werk  künstlerischer  Erfindung,  und 
demgemäss  neben  den  natürlichen  Gresetzen  der  Thätigkeit  unseres  Ohres  auch 
denen  der  künstlerischen  Schönheit  unterworfen.  Die  Untersuchungen  der 
Verdienste  Terpander's  auf  diesem  Gebiete  der  Musik  knüpfen  meist  an  die, 
von  verschiedenen  Schriftstellern  wiederholte  Erzählung  an,  er  habe  der  bis  zu 
seiner  Zeit  sechssaitigen  Kithara  eine  siebente  Saite  hinzugefügt  und  sei  des- 
wegen von  den  Ephoren  des  lacedämonischen  Staates,  welchen  die  Erhaltung 
der  bestehenden  Einrichtungen  oblag,  mit  einer  Strafe  belegt  worden.  Muss 
man  in  dieser  Vermehrung  der  Saitenzahl  der  Kithara  (um  nur  eine  neue) 
lediglich  eine,  im  ganzen  Verlauf  der  Musikgeschichte  wiederkehrende,  stets 
aber  von  den  kritischen  Ephoren  beanstandete  Erscheinung  erblicken,  nämlich 
eine  Bereicherung  des  Vorrathes  an  musikalischen  Ausdrucksmitteln,  —  lässt 
sich  in  ihr  Terpander's  reformatorische  Wirksamkeit  auf  dem  Gebiete  der 
Theorie  noch  nicht  erkennen,  so  erfährt  man  bestimmtes  über  dieselbe  durch 
eine  Aeusserung  Strabo's  (Buch  XIII.  p.  425),  wo  es  heisst,  T.  habe  an  Stelle 
der  viersaitigen  Lyra  die  siebensaitige  gesetzt  und  dies  selbst  mit  den  Worten 
ausgesprochen:  »Wir,  die  wir  der  Gesänge  von  vier  Tönen  überdrüssig  sind, 
werden  nunmehr  neue  Hymnen  auf  der  siebensaitigen  Lyra  anstimmen.«  Hier 
wird  es  deutlich,  dass  T.  eine  durchgreifende  Umgestaltung  des  Musiksystems 
seiner  Zeit  beabsichtigte,  indem  er  an  Stelle  des  Tetrachords,  dessen  Entstehung 
von  der,  in  ältesten  Zeiten  viersaitigen  Lyra  herzuleiten  ist,  die  durch  die  Ver- 
hältnisse der  menschlichen  Stimme  gegebene  Octave  zur  Grundlage  des  Systems 
machen  wollte.  Mag  nun  die  Scala  des  T.  eine  diatonische  in  heutigem  Sinne 
gewesen  sein,  zu  welcher  ja,  weil  der  achte  Ton  eine  Wiederholung  des  ersten 
ist,  sieben  Saiten  genügen  würden,  oder  sich,  wie  Helmholtz  (a.  a.  0.  p.  410) 
sagt,  aus  einem  Tetrachord  und  einem  Trichord  in  folgender  Weise  zusammen- 
gesetzt haben: 

e  -^f—  (j  —■  a  —  h^^  —  d^  —  e' 

wo  dann  mit  Aufopferung  des  oberen  Halbtonintervalls**)  der  Octavenumfang 


*)  Vergl,:  Helmholtz,  „Lehre  von  den  Tonempfindungen",  dritte  Auflage,  p.  568. 
**)  Die  des  Halbtones  ermangelnde  Scala  war  von  Alters  her  der  orientalischen 
Musik  eigenthümlich  und  ist  noch  heute  bei  einigen  Völkern  des  Ostens,  z.  B.  den  Chi- 
nesen, in  Gebrauch.  „Auch  die  fünfsaitige  Lyra  (Kissar)  der  Bewohner  von  Nordafrika 
und  Abyssinien,  welche  sich  schon  in  den  Basreliefs  der  assyrischen  Königspaläste  als 
Instrument  gefangener  Männer  dargestellt  findet,  hat  nach  Villoteau  („Beschreibung  der 
Musikinstrumente  der  Orientalen")  die  Stimmung  der  fünfstufigen  Scala  g—a—h—d—e. 
Der  Umstand,  dass  Olympos,  der  das  asiatische  Plötenspiel  in  Griechenland  einführte 
und  dem  griechischen  Geschmack  anbildete,  die  dorische  Scala  der  Griechen  zu  einer 
Musikal.  CouTers.-Leäkon.    X.  10 


146  Terpnes  —  Terradeglias. 

festgehalten  wurde  —  in  jedem  Falle  darf  mit  Sicherheit  angenommen  werden, 
dass  der  Zweck  jener  Neuerung  des  T.  kein  anderer  war,  als  die  Einführung 
des  Octavensystems  an  Stelle  des  Tetrachordsystems,  eine  Maassregel,  zu  deren 
endgültiger  Annahme  man  sich  bekanntlich  erst  ein  Jahrtausend  nach  ihm 
entschliessen  konnte. 

Die  Nachricht,  dass  T.  auch  den  Gebrauch  der  Notenschrift  vermittelst 
eigener  Tonzeichen  eingeführt  habe,  entbehrt  der  Begründung,  wiewohl  Forkel 
in  seiner  »Allgemeinen  Greschichte  der  Musik«  Band  I,  p.  292  dieselbe  für 
unzweifelhaft  sicher  erklärt.  Er  beruft  sich  dabei  auf  eine  Stelle  des  Plutarch, 
welcher  dem  Heraklides  aus  Pontus  nacherzählt:  »Terpander  habe  als  Com- 
ponist  kitharodischer  Nomen  seinen  eigenen,  sowie  Homer's  Hexametern  für 
jeden  einzelnen  Nomos  Melodien  hinzugefügt  und  dieselben  in  den  musischen 
"Wettkämpfen  vorgetragen.«  Diese  TJebersetzung  Westphal's  ist  ohne  Zweifel 
die  einzig  richtige,  und  der  hier  in  Frage  kommende  Ausdruck  des  Originals 
fisXtj  TiBQvn&tvra  giebt  keinerlei  Anhalt  zu  der  von  Forkel  gepriesenen  Ueber- 
setzung  Burette's:  -nTerpandre  notoit  la  Musique  sur  les  vers  de  cJiacun  de  ses 
Nomes,  de  meme  que  sur  les  vers  d^Somere  ete.v.  Selbstverständlich  erscheint 
dann  auch  die  zu  dieser  Stelle  gemachte  Anmerkung:  »Terpander  habe  seine 
Melodien  deswegen  notirt,  um  sie  in  den  öffentlichen  Spielen  entweder  selbst 
auszuführen  oder  durch  andre  ausführen  zu  lassen«  als  eine  durchaus  will- 
kürliche Hypothese. 

Terpnes,  ein  altgriechischer  Citherspieler  und  Singmeister  des  Kaisers  Nero, 
dem  er  täglich  nach  dem  Abendessen  vorspielen  musste. 

Terpodion  (auch  unrichtig  Trejjodion),  eine  Art  Orchestrion  mit  Claviatur, 
das  die  Blasinstrumente  des  Orchesters  (Flöten,  Fagott,  Hörn  etc.)  nachahmt 
und  von  J.  D.  Buschmann  in  Nordhau^sen  1818  erfunden  wurde  (s.  »Leipziger 
Allgem.  musik.  Zeitung«,  Bd.  19,  S.  619.  774). 

Terpodion  (Orgel),  ein  8'  oder  2,5  Meter  Orgelregister,  welches  im  Ton 
dem  vorerwähnten  Instrument  gleichkommen  soll,  hat  J.  F.  Schulze  in  der 
Domorgel  zu  Halberstadt  von  Zinn  angebracht.  Dasselbe  muss  jedoch,  um 
dem  Ton  des  gleichnamigen  Instruments  gleichzukommen,  mit  Gedact  5'  und 
2,5  und  mit  Harmonica  2,5  Meter  verbunden  werden.  Vergl.  Schlimbach: 
»Structur  der  Orgel«,  verbessert  von  C.  F.  Becker,  Leipzig,  Breitkopf  & 
Härtel,  1845). 

Terpsychore  =  die  Tanzfrohe,  die  Muse  des  Tanzes;  sie  wurde  mit 
der  Lyra  abgebildet, 

Terradeglias,  Dominico  Barnabas,  auch  Terradellas,  dramatischer 
Componist,  wurde  in  Barcelona  im  Jahre  1711  geboren.  Seine  Neigung  für 
Musik  entwickelte  sich  durch  Anleitung  zuerst  in  einem  Kloster  und  steigerte 
sich  so,  dass  er  den  lebhaften  "Wunsch  hegte,  nach  Italien,  dem  gelobten  Lande 
der  Musik,  kommen  zu  können.  Ein  Kaufmann  und  Freund  seines  Vaters 
interessirte  sich  für  ihn,  führte  ihn  auf  seinem  Schiffe  mit  nach  Neapel  und 
erwirkte  ihm  im  Conservatorium  Santo  Onofrio  eine  Stelle.  Unter  Durante's 
Leitung  studirte  er  hier  einige  Zeit  eifrig  und  trat  dann  1739  mit  der  Oper 
»Astartea  am  Theater  zu  Neapel  vor  das  Publikum.  Die  Ofier  hatte  viel  Erfolg 
und  zeigte  den  Autor  im  besten  Lichte.  Seine  Schreibart  erinnerte  an  Hasse, 
war  aber  energievoller  und  feuriger.  Die  nächsten  Opern  waren  nÄrtemisiaa, 
Oper  in  drei  Akten  (Rom),  yiL'issi/ilea  (Florenz,  1742)  und  »Merope«,  welche 
als  sein  bestes  Werk  zu  bezeichnen  ist.  1746  ging  T.  nach  London  und  auch 
hier  gelangten  mehrere  neue  Opern  '»Mitridatei  und  y>BelleropIion<i  mit  Beifall 
zur  Aufführung;  auch  erschien  damals  in  London  eine  Sammlung  von  zwölf 
Arien  und  Duetten  aus  den  Opern  Terradeglias'  zusammengestellt.   Nach  seiner 


fünfstufigen,  der  alten  enharmonischen  Scala  h^c e^f a  umformte,  scheint  darauf 

hinzudeuten,    dass    er  aus  Asien  fünfstufige  Scalen  mitbrachte,    und   nur  die  Anwendung 
des  Halbtones  der  griechischen  Scala  entlehnte."     (Helmholtz  a.  a.  0.) 


Terrasson  —  Tertian.  147 

Rückkehr  nach  Italien  übernahm  er  1747  in  Rom  die  Kapellmeisterötelle  an 
der  Jacobskirche  der  Sjjanier  und  lebte  hier  bis  zu  seinem  Tode,  den  der 
Kummer  über  den  Misserfolg  seiner  Oper  i)Sesosti'is<i  herbeigeführt  haben  soll. 
Eine  andere  Lesart,  die  aber  wenig  glaubwürdig  ist  und  als  Anekdote  betrachtet 
werden  muss,  sagt:  die  Oper  des  T.  wäre  von  Erfolg  gekrönt  gewesen  und  besser 
als  eine  von  Jomelli  zur  selben  Zeit  gegebene  aufgenommen  worden.  Nach 
dem  Erscheinen  einer  Medaille,  auf  der  T.  auf  einem  Kahn  stehend  abgebildet 
ist,  den  Jomelli  als  Sklave  zieht  und  welche  die  Umschrift  trägt:  »Jo  soti  capacea, 
sei  derselbe  kurz  darauf  von  Dolchstichen  durchbohrt  in  der  Tiber  gefunden 
worden.     (Siehe  »Leipziger  Musikzeitung«,  Bd.  IL  S.  431.) 

Terrassen,  Antoine,  geboren  zu  Paris  am  1.  Novbr.  1705,  studirte  Juris- 
prudenz und  bekleidete  später  höhere  Staatsämter,  auch  war  er  Professor  am 
College  de  France.  Er  starb  zu  Paris  am  30.  Octbr.  1782.  Er  schrieb  eine 
Abhandlung  über  ein  Instrument,  das  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  in 
Paris  in  der  Mode  war,  unter  dem  Titel:  y> Dissertation  historique  sur  la  viellea 
(Paris,  1741,  in  12"),  auch  abgedruckt  in:  -nMelanges  d'histoire  de  litterature  de 
jurisprudence  etc.a  (Paris,  1768,  in  12"). 

Terry,  Leonand,  geboren  zu  Liege  1817,  besuchte  das  Conservatorium 
seiner  Vaterstadt  erfolgreich  bis  1845.  Seine  Compositionen  »ia  Vindettav. 
und  ein  Kxiegsgesang  wurden  preisgekrönt,  worauf  man  T.  die  Direktion  der 
»Musikalischen  Gesellschaft«  in  Liege  übertrug,  die  er  bis  zur  Auflösung  dieser 
Gesellschaft  1852  behielt.  Er  wirkte  nachdem  als  Gesanglehrer  am  dortigen 
Conservatorium  und  übernahm  1861  die  Direktion  des  Theaterorchesters.  Terry 
brachte  drei  Opern  aufs  Theater:  •ajFridolin«,  lyrisches  Drama,  ein  Akt.  y>Maitre 
JBioch,  ou  le  Chercheur  de  tresors«,  komische  Oper,  zwei  Akte,  »ia  Zingarella«.. 
Scene:  r>Les  jeunes  filles  et  VOndine«.  für  Sopranstimmen  und  Orchester  und 
veröffentlichte  folgende  Compositionen:  »Sechs  Chöre  für  Frauenstimmen«  (Liege, 
bei  Goüt).  r>Douze  melodies  sur  des  textes  frangais  et  italiensa  (Bruxelles,  Meynne). 
»Vierzig  Romanzen  für  eine  Stimme  mit  Ciavierbegleitung«  (Paris,  Lemoine; 
Brüssel,  Schott  und  Meynne;  Liege,  Goüt  und  Muraille).  Ferner  erschien  von 
Terry:  "altecherches  Msforiques  sur  la  musigue  et  le  thedtre  au  pays  de  Liege, 
depuis  le  onzieme  siecle  jusqu^ä  nos  joutsa  und  »Die  Biographie  vom  Violinisten 
Prume«  (1853). 

Terschak,  Adolf,  Flötenvirtuos,  geboren  1832  zu  Herrmannstadt  in  Sieben- 
bürgen. Er  ist  auf  dem  Wiener  Conservatorium  gebildet  und  unternahm  1852 
grosse  Kunstreisen  durch  Deutschland,  England,  Schottland  und  Irland,  Frank- 
reich und  Russland.     Seit  1859  lebt  er  in  Wien. 

Tertia  (lat.),  die  Terz  (s.  d.). 

Tertia,  Tertie,  Terz  (Diatonus,  Decem,  Decima),  ist  eine  Neben- 
oder Füllstimme  in  der  Orgel  von  Zinn  oder  Metall  mit  der  Intonation  einer 
Flöte  und  mit  Principal-Mensur.  Statt  des  eigentlichen  Grundtones  hört  man 
zu  jeder  Taste  dessen  grosse  Terz,  also  auf  C^  den  Ton  JE^.  In  alten  Orgeln 
findet  man  diese  Stimme  im  Pedal  unter  dem  Namen  Decem  oder  Decembass, 
wahrscheinlich,  weil  dieselbe  hier  den  Ton  e^  statt  e-^  angab,  also  die  Terz  über 
der  Octave.  Auch  mit  dem  Namen  Sexte  belegte  man  diese  Stimme  oft 
fälschlich.  Die  Grösse  dieser  Stimme  ist  6^/5,  3^5,  l^/s'  oder  2,10 — 1,05  — 
0,377  Meter. 

Tertia  coujunctarum,  lateinischer  Name  des  Tones:  Trite  synemmenon  h 
im  griechischen  Tonsystem. 

Tertia  divisarum,  lateinischer  Name  des  Tones  Trite  Diezeugmenon  c^. 

Tertia  excellentium,  lateinischer  Name  des  Tones  Trite  Hyperholaeon  f^ 
(s.  Tetrachord). 

Tertia  rnodi  oder  toni,  die  dritte  Stufe  der  Tonart,  auch  Mediante  genannt. 

Tertian  ist  eine  Orgelstimme  von  Zinn  oder  Metall,  welche  sich  von  den 
andern  wesentlich  unterscheidet.  Sie  ist  weniger  eine  Füllstimme,  als  vielmehr 
eine  gemischte  Stimme,  indem  sie  auf  jedem  Ton  zwei  Töne  hören  lässt,  nämlich 

10* 


148  Tertie  —  Terzdecime. 

zum  Grundtou  c  die  Terz  e  und  Quinte  g;  sie  ist  also  zweicliörig.  In  alten 
Orgelwerken  ist  es  gar  nicht  selten,  dass  man  diese  Stimme  dreichörig  antrifft, 
und  zwar  giebt  sie  dann  zum  Grundton  die  Terz,  Quinte  und  Octave  an.  Die 
neuere  Zeit  fertigt  sie  nur  zweicliörig,  und  zwar  die  Terz  im  1,05  und  die 
Quinte  im  0,84  Meterton.     Die  Mensur  ist  Principalmensur, 

Tertie  wird  zuweilen  die  i)- Saite  der  Viola  wie  des  Violoncello  genannt, 
als  dritte  leere  Saite. 

Terz,  Terzie,  franz.  Tierce,  engl.  Third,  das  Intervall  von  drei  Stufen, 
das  in  drei  verschiedenen  Gattungen  geübt  wird  als  grosse,  kleine  und  ver- 
minderte Terz  und  als  zwischen  Tonika  und  Dominant  liegend  auch  Me- 
diante  genannt  wird.  Die  grosse  Terz  (Tierce  majeure,  Major  third)  besteht 
aus  zwei  Ganzen  Tönen,  c—e;  d^ßs;  e  — ff is ;  ßs  — als  n.  s.  w.  nnd  wurde  daher 
von  den  Alten  Ditonus  genannt.  Da  aber  zweierlei  Ganztöne  in  Anwendung 
kommen,  der  eine  nach  dem  Verhältniss  von  ^/g  und  der  andere  im  Verhältniss 
von  ®/io,  so  entstehen  selbstverständlich  auch  zwei  grosse  Terzen;  wenn  zwei 
grosse  Ganztöne  aufeinander  folgen,  wie  z.  B.  B  —  d,  so  entsteht  eine  Terz  im 
Verhältniss  ^/e  X  ^/a  =  ''^/si.  Folgt  aber  der  kleine  Ganzton  dem  grossen  wie 
G — -EJ,  so  entsteht  eine   Terz  im  Verhältniss  ^/s  X  ^/lo  =  ^'^/eo  =  */s. 

Aus  demselben  Grunde  ist  auch  die  kleine  Terz  in  unserm  System  von 
doppelter  Art,  da  sie  entweder  aus  dem  grossen  oder  dem  kleinen  Ganzton  und 
dem  Halbton  besteht.  Im  ersteren  Fall  ist  das  Verhältniss  der  kleinen  Terz 
(beispielsweise  a — c)  7»  X  ^^/le  =  ^^7^**  =  ^A»  ^"^  andern  aber  (wie  JD  —  F) 
7io  X  'Vi6  =  ^'Vieo  oder  "/32. 

Von  diesen  Terzen  hat  die  grosse  Terz,  deren  Verhältniss  *Js  ist,  den 
meisten  Wohlklang.     Dann  folgt  die  kleine  Terz  im  Verhältniss  ^/e. 

Auf  diesen  beiden  Terzen  beruht  bekanntlich  in  der  modernen  Musik  die 
Scheidung  der  Tonarten  in  Dur  und  Moll  (s.  d.  und  Tonart). 

Die  verminderte  Terz  besteht  aus  zwei  grossen  Halbtönen,  ihr  Ver- 
hältniss ist  256  :  225.  Sie  verlangt  nicht  eigentlich  selbständige  Bedeutung, 
sondern  sie  entsteht  durch  Erhöhung  des  untern  Gliedes  der  kleinen  Terz  als 
alterirtes  Intervall,  so  entsteht  die  verminderte  Terz  dis—f  aus  der  kleinen 
d—f;  ais— c  aus  a  —  c. 

Die  grosse  Bedeutung  der  grossen  und  der  kleinen  Terz  für  den  har- 
monischen Organisationsprozess  geht  schon  aus  diesen  Erörterungen  hervor. 
Weiterhin  ermöglicht  die  Terzverwandtschaft  der  Accorde,  dass  die  Me- 
dianten,  die  Ober-  wie  die  Untermedianten  unter  Umständen  recht  wohl 
für  die  Dominant  stehen  können.  In  der  Molltonart  ist  dies  ohnehin  der  Fall. 
Diese  findet  ihre,  der  Dominantwendung  in  Dur  entsprechende  Erhebung  nicht 
in  der  Dominant,  sondern  in  der  Oberdominante,  in  der  Paralleltonart.  Die 
C-??JoZ^-Tonart  beispielsweise  findet  ihren  harmonischen  Gegensatz  nicht  vrie  die 
C-Jwr-Tonart  in  der  Dominanttonart  G-dur,  sondern  in  der  Paralleltonart,  der 
Obermediante,  in  JEs-dur.  Dementsprechend  kann  auch  in  Dur  die  Dominante 
durch  die  Obermedianten  E-  und  selbst  Es-dur  ersetzt  werden,  unter  Umständen 
selbst  durch  die  Untermedianten  Ä-dur  und  As-dur.  Die  grossen  Meister 
haben  aus  diesen,  in  der  Natur  begründeten  Verhältnissen  treffliche  Mittel  ge- 
wonnen, den  ewig  gesetzmässigen  Organisationsprozess  immer  neu  und  indivi- 
duell auszustatten. 

Terza,  Giovanni,  Advokat  und  gelehrter  Physiker,  geboren  zu  Neapel 
1751,  gab  heraus:  r>Nuovo  systema  del  suono.  Neapel  8'*'^«. 

Terzdecime  heisst  die  Sext  von  der  Octave  des  Grundtons,  wenn  sie  (im 
sogenannten  Terzdecimenaccord)  dissonirend  auftritt.  Gewöhnlich  behalten  die 
Intervalle  auch  in  den  entferntem  Octaven  ihre  ursprünglichen  Namen  bei,  die 
Terz  bleibt  Terz,  auch  wenn  der  Umfang  des  Intervalls  sich  über  die  Octave 
erstreckt,  vorausgesetzt,  dass  das  Verhältniss  nicht  wesentlich  ist  wie  bei  der 
Bezeichnung  des  do2:)pelten  Contrapunkts,  bei  welchem  die  nähere  Bezeichnung 
als    in    der    None,    Duodecime,    Terzdecime  u.  s.  w.   nothwendig  wird  zur 


Terzdecimcn-Accord  —  Terziaui. 


149 


Bezelclinung  der  Versetzung.    Als  Terzdecime  wird  die  Sexte  benannt,  wenn 
sie  dissonirend  wird  im 

Terzdecimen-Accord.  Dieser  ist  kein  selbständiger  Accord,  sondern  nur 
ein  Vorhaltsaccord,  der  dadurch  entsteht,  dass  bei  der  Auflösung  des  Noneu- 
accords  auf  der  Dominant  der  Bass  zur  Tonika  fortschreitet  und  alle  übrigen 
Intervalle  desselben  vorgehalten  werden: 


Terzdecimole,  eine  Figur  aus  13  Tönen  bestehend,  im  Gesamratwerth  von 
acht  der  gleichen  Gattung: 


13 


P 


I 


I 


Terzett,  Terzetto,  eine  Yocalcompositlon  für  drei  Solostimmen;  die  drei- 
stimmigen Instrumentalcompositionen  nennt  man  in  der  E,egel  Trio.  Das 
Terzett  ist  eine  beliebte  Gesangsform  in  allen  Zusammensetzungen.  Es  werden 
gleiche  Stimmen  zusammengestellt:  drei  Soprane  oder  drei  Tenöre,  weniger  drei 
Alte  oder  drei  Bässe;  beliebter  noch  ist  die  Verbindung  von  zwei  Sopranen 
und  einem  Alt;  Sopran,  Alt  und  Tenor,  oder  Sopran,  Alt  und  Bass, 
oder  von  zwei  Tenören  und  einem  Bass.  So  wird  es  gern  in  Oratorium 
und  Oper  eingeführt  und  hilft  nicht  nur  den  Verlauf  der  Handlung  auf  gewissen 
Punkten  concentriren,  sondern  kann  auch  zu  einem  wirksamen  Mittel  der  effekt- 
vollem Darstellung  der  dramatischen  Handlung  werden.  Die  Terzette  der 
drei  Damen  und  der  drei  Knaben  in  der  »Zauberflöte«  sind  ebenso  reizvoll 
wie  poetisch  und  zugleich  die  Handlung  fördernd  eingeführt.  Aehnliche  Be- 
deutung gewinnt  das  sogenannte  Engelterzett  im  »Elias«:  »Hebe  deine  Augen 
auf«.  Von  grossartig  dramatischer  Wirkung  sind  die  Terzette  im  »Don  Juan«: 
y>Ah!  cM  mi  dice  mala  und  y>Ah  taci,  ingiusto  core'.a^ 

Terzflöte,  eine  kleinere  Gattung  der  Querflöte,  die  um  eine  kleine  Terz 
höher  steht  als  die  gewöhnliche  Flöte.  Sie  wird  notirt  wie  diese,  aber  die  von 
ihr  geblasene  Stimme  klingt  eine  Terz  höher: 


a)  ^R: 


1:= 


.^^  -••1—'—    -I — 


Die  unter  a)  verzeichnete  Stelle  klingt  auf  der  Terzflöte  wie  bei  b).  Vermöge 
ihres  kürzern  und  engern  Rohrs  klingt  sie  härter  und  in  der  Höhe  greller  als 
die  gewöhnliche  Flöte,  daher  kommt  sie  meist  in  der  Harmoniemusik,  z.  B.  in 
Militärmusikchören,  in  Anwendung. 

Terzi,  Giovanni  Antonio,  ausgezeichneter  Lautenist,  wahrscheinlich  in 
Bergamo  gegen  1580  geboren,  Hess  eine  Sammlung  von  Lautenstücken  in  Ta- 
bulatur  drucken:  r>Xntavolatura  di  liuto  accomodata  con  diversi  passaggi  per  suonar 
in  concerti  a  due  liuti  e  solo,  lihro  prima,  il  quäl  contiene  motetti,  contrappunti, 
canzoni,  etc.«  (Venise,  Ric.  Amadino,  1613,  in  4"). 

Terziani,  Gustavo,  Sohn  des  Pietro  Terziani,  Kirchencomponist,  geboren 
in  Wien,  zeigte  frühzeitig  grossen  Hang  zur  Musik.    Bei  Rückkehr  der  Familie 


150 


Terziani  —  Terzquart-  oder  Terzqnartsext-Accord. 


im  Jahre  1818  nach  Rom  erlernte  er  die  Anfangsgründe  der  Musik  beim  Vater, 
hierauf  die  Composition  bei  Giuseppe  Baini.  Zuerst  debütirte  er  mit  einem 
achtstimmigen  Salmo  mit  zwei  Chören  für  die  Kirche  del  Gresu.  Sodann  com- 
ponirte  er  eine  vierstimmige  Messe  für  die  Kirche  S.  Luigi  und  ein  Oratorium 
»Daniele«.  Er  starb  am  31.  August  1837  an  der  Cholera,  nachdem  kurz  vorher 
seine  Mutter  derselben  Krankheit  unterlag.  lieber  sein  Leben  und  seine  "Werke 
schrieb  Ottavio  Grigli  in  das  y>Giornale  arcadicoa  zu  Rom  einen  Aufsatz:  ȟfe- 
moria  della  vita  e  delle  opere  del  giovane  maestro  di  musica  G.  Terziani«. 

Terziani,  Pietro,  Componist,  geboren  gegen  1768  im  Kii'chenstaat,  stu- 
dirte  Musik  in  Rom  und  Neapel.  1788  trat  er  als  Operncomponist  auf.  Später 
comj)onirte  er  ausschliesslich  und  zwar  in  grosser  Menge  gediegene  Kirchen- 
compositionen.  Er  verheiratete  sich  mit  einer  Deutschen  Anna  Steinhardt  und 
lebte  auch  längere  Zeit  in  Wien.  1816  wurde  er  Kapellmeister  am  Latran 
in  Rom.  Zu  seinen  Compositionen  gehören:  elf  vierstimmige  Messen;  drei 
achtstimmige  Messen;  der  Psalm  r>Conßtebor«,  vierstimmig,  auch  achtstimmig; 
der  Psalm  »Laudate«,  vierstimmig;  r>Äve  Marias  mit  achtstimmigem  Alleluja; 
Motetten  und  Antems  mit  Orgelbegleitung;  -nDixita,  vierstimmig  mit  Orchester; 
ein  anderes  für  acht  Stimmen  und  Orchester;  r>Laetatus  suma,  vierstimmig  mit 
Orchester;  vBeatus  vir«,  vierstimmig  mit  Orchester;  zwei  vierstimmige  Messen 
mit  Orchester;  achtstimmige  Messe  mit  Orchester;  Vespern  für  zwei  Chöre, 
Orgel  und  Orchester;  Litanei  mit  Echo  und  Orchester;  zwei  Te  deums,  vier- 
stimmig mit  Orchester. 

Terzo  Saono  (ital.),  der  von  Tartini  entdeckte  sogenannte  dritte  Klang, 
der  mitklingende  tiefere  Ton,  wenn  zwei  höhere  consonirende  auf  der  Geige 
angestrichen  werden.     (S.:   Tartini.) 

Terzquart-  oder  Terzquartsext-Accord  heisst  die  zweite  Umkehrung  des 
Septimenaccordes,  bei  der  die  Quart  desselben  in  den  Bass  tritt.  Die  Septime 
wird  dann  zur  Terz,  der  Grundton  zur  Quart  und  die  Terz  des  Grundaccordes 
im  neuen  Accord  zur  Sext: 


rz^ — -1- 

y 

i=; 

"El 

e 

r*"  1 

o 

•— 2=3 

-fe 

= 

«/ 

-^- 

IS' 

-R^- 

.,      CS 

^^- 

— ^ — 

— ^ 

^ 

1  1 

7 

6 

6 

6 

Selbstverständlich  behalten  die  Intervalle  auch  in  der  Umkehrung  ihre  ur- 
sprüngliche Bedeutung  und  werden  ganz  in  derselben  Weise  aufgelöst  wie  im 
Grundaccorde : 


v'y — ~5~ 

- 

/f                 ^            ^Ci 

c^              ^ 

r  \         ^-^ 

—              <=> 

V    }             <="              t— 1 

~''^          ^ 

«. 

- 

)• 

j 

Nur  der  Grundton  macht  scheinbar  hier  eine  Ausnahme,  indem  er  nicht  nach 
der  Tonika  sich  bewegt,  sondern  liegen  bleibt  und  zur  Quint  wird.  Er  erscheint 
demnach  als  Octave,  welche  im  Septimenaccorde  bekanntlich  so  behandelt  wird. 
Die  andern  Septimenaccorde  ergeben  selbstverständlich  eine  Reihe  anderer 
Terzquartaccorde : 


m 


tt=- 


-S3- 


:S: 


"C5I 


:t|:: 


-äm-—-: 


"cy 


Terzqumtsext-Accord  —  Teschner. 


151 


"==7 


r Tri 


IS2I 


^3" 

41 

3 


-    u.  s.  w. 


7 

IS 


Der  Terzquartaccord    kommt    auch    als    nur   durchgehender  Accord    vor,  in 
welchem  Falle  er  nicht  die  regelmässige  Auflösung  erfährt: 


m 


\ 


-4- 


-^=^ 


^ 


^=:A-- 


=t 


4 

2 


-c=f- 


-4- 


^ 


:^=li 


4 
2 


6 
4 
3 


^ir 


Terzquintsext- Accord,  s.  Quin tsext- Accord. 

Teschner,  Melchior,  war  Cantor  zu  Fraustadt  in  Schlesien  um  1613,  ist 
Componist  der  ausgezeichnet  schönen  Melodie  zu  Valentin  Herberger's  Sterhe- 
lied:  »Valet  will  ich  dir  geben«  (1657  goth.  Cant.)- 

Teschner,  Gustav  "Wilhelm,  geboren  am  26.  Decbr.  1800  zu  Magdeburg. 
Sein  Grrossvater,  Anton  Peter  Andreas  T.,  war  Organist  zu  Croppenstedt 
bei  Halberstadt,  auch  sein  Vater,  Grottlieb  Bernhardt,  geschickter  Orgel- 
spieler. Seine  Schwester,  Wilhelmine,  gute  Sängerin,  führte  längere  Zeit 
hindurch  in  den  sogeannten  Eibmusikfesten  die  Altsolopartien  aus.  Seinen 
ersten  Unterricht  im  Clavierspiel  erhielt  Teschner  von  dem  Organisten  Burchardt, 
später  wurde  Seebach  und  zuletzt  Reinhardt  in  Magdeburg  sein  Lehrer.  Im 
Gesäuge  unterrichtete  ihn  der  Dom -Musikdirektor  Wachsmann  daselbst.  Im 
23.  Lebensjahre,  nach  Aufgabe  seiner  kaufmännischen  Laufbahn,  übersiedelte 
Teschner  nach  Berlin,  um  sich  hier  unter  Zelter's,  Bernh.  Klein's  und  Louis 
Berger's  Leitung  ganz  der  Musik  zu  widmen.  Mehr  dem  Gesänge  als  der 
Instrumentalmusik  zugeneigt,  ging  er  im  Frühjahr  1829  nach  Italien  zum 
Studium  der  Gesangskunst  und  um  sich  als  Lehrer  in  derselben  auszubilden. 
Hier  wurden  ihm  besonders  die  Lehren  David  ßonconi's  und  Eliodoro  Bianchi's 
in  Mailand,  so  wie  Nozori's  und  Crescentini's  in  Neapel  von  Nutzen.  In  Bologna 
machte  er  die  Bekanntschaft  Rossini's,  in  dessen  Hause  er  einer  musikalischen 
Soiree  beiwohnte,  sowie  Giuseppe  Pilotti's,  des  derzeitigen  Direktors  des  Liceo 
comunale  zu  Bologna,  der  ihm  gestattete  den  Aufführungen  der  Schüler  und 
Schülerinnen  desselben  beizuwohnen.  Durch  B.  Klein  in  Berlin  schon  vielfach 
auf  die  Schönheiten  älterer  italienischer  Kirchenmusik  aufmerksam  gemacht, 
fand  Teschner  in  Born  in  dem  Abbate  Fortunato  Santini  einen  sicheren  Führer 
auf  diesem  Gebiete,  der  ihm  zugleich  Gelegenheit  verschaffte,  oftmals  die 
Leistungen  der  Sixtinischen  Kapelle,  sowie  der  Nonnen  auf  Santa  Trinitä  del 
monte  und  anderer  kirchlichen  Chöre  kennen  zu  lernen.  Hier  legte  er  auch 
den  Grund  zu  einer  reichen  Sammlung  seltener  Tonstücke  aus  den  verschiedenen 
Schulen  Italiens  und  unterhielt  zu  diesem  Behufe  bis  zum  Tode  Santini's  einen 
lebhaften  Briefwechsel  mit  diesem  ausgezeichneten  Kenner  im  Fache  der  klassi- 
schen italienischen  Kirchenmusik.  In  Neapel  sammelte  er  Volkslieder  in  Menge 
und  sein  eifriges  Streben  danach  brachte  ihm  unter  seinen  italienischen  Be- 
kannten bald  den  scherzhaften  Titel  eines  Professore  del  Carito  pleheju  ein.  — 
Zur  Vollendung  seiner  musikalischen  Studien  in  Italien  erhielt  er  1831  durch 
Vermittlung  Zelter's  von  Sr.  Maj.  dem  König  Friedrich  Wilhelm  III.  eine 
namhafte  Unterstützung. 

Nach  Berlin  zurückgekehrt  widmete  er  sich  dem  Unterricht  im  Gesänge 
nach  den  in  Italien  angenommenen  Princij)ien,  Die  Kenntniss  der  älteren 
italienischen  Gesangschulen,  namentlich  der  Bolognesischen  des  Bernacchi,  ver- 
dankte er  dem  späteren  Unterricht  des  auch  als  Gesanglehrer  ausgezeichneten 
Kammersängers    Johannes    Miksch    in   Dresden.     Von    Sehnsucht   nach    Italien 


152  Teschner. 

getrieben,  bewarb  sich  Tescbuer  um  die  durch  einen  Todesfall  vacant  gewordene 
Organistenstelle  an  der  preussischen  Glesandtschafts-Kapelle  zu  üom,  wurde 
aber  von  Bunsen,  dem  damaligen  preussischen  Gresandten,  nicht  angenommen, 
da  diese  Stelle  nach  seinem  Wunsche  einem  jüngeren  Musiker  zu  Theil  werden 
sollte,  der  dort,  wie  T.  es  bereits  gethan  hatte,  seine  Studien  machen  sollte. 
So  kam  statt  seiner  sein  ehemaliger  Greneralbassschüler,  Otto  Nicolai,  dahin. 
Das  Studium  der  Kirchenmusik  führte  T.  in  Dresden  mit  dem  als  Sammler 
und  Forscher  auf  diesem  Oebiete  bekannten  Otto  Kade  (jetzt  Kirchenmusik- 
direktor des  (irossherzogs  von  Mecklenburg-Schwerin)  zusammen,  der  sich,  gleich 
ihm,  von  der  italienischen  Kirchenmusik  dem  Studium  deutscher  Kirchenmusik 
zugewandt  hatte.  Durch  seine  Vermittlung  erhielt  er  von  der  Handlung  Breit- 
kopf &  Härtel  in  Leipzig  den  Auftrag,  Job.  Eccard's  fünfstimmige  Choral- 
Compositionen,  sowie  dessen  und  Job.  Stobäus  (seines  Schülers)  »Preussische 
Festlieder«  nach  den  Königsberger  Original-Ausgaben  und  in  jetziger  Notation 
herauszugeben. 

Im  Jahre  1856,  bei  gelegentlicher  Anwesenheit  in  Brandenburg  a.  H., 
führten  seine  Forschungen  nach  alter  Kirchenmusik  zur  Entdeckung  einer 
reichen  Sammlung  älterer  Notendrucke  aus  dem  16.  und  17.  Jahrhundert,  die 
sich  in  einem  bis  jetzt  ganz  unbeachtet  gebliebenen  Schranke  auf  dem  Schüler- 
chor der  St.  Katharinenkirche  befand.  Herr  Gymnasiallehrer  Täglichsbeck  da- 
selbst machte  diesen  Fund  1857  zum  Gegenstand  eines  Schulprogramms  und 
fügte  demselben  einen  Katalog  der  aufgefundenen  Musikschätze  bei.  Auch  in 
Wittenberg,  in  der  Bibliothek  des  Prediger-Seminars,  war  T.  so  glücklich  eine 
reiche  Sammlung  solcher  Kunstschätze  aufzufinden,  die  sich  ihm  durch  die 
eigenthümliche  Form  der  Bücher  sogleich  als  Musikwerke  älterer  Zeit  verriethen, 
aber  als  »Philosophie«  eingetragen  und  etiquettirt,  ihrem  Inhalt  nach  nicht  be- 
kannt waren.  Jetzt  befindet  sich  diese  Sammlung  in  den  Häumen  der  königl. 
Bibliothek  zu  Berlin. 

Aus  seinen  in  Italien  wie  in  Deutschland  angelegten  Sammlungen  älterer 
und  neuerer  Musik  publicirte  T.  ausser  den  obengenannten  beiden  Werken 
noch  folgende:  Hans  Leo  Hassler's  vierstimmiges  Choralbuch  von  1607  (Berlin, 
Trautwein,  [Bahn]).  Geistliche  Musik  aus  dem  16.  und  17.  Jahrhundert. 
Lief.  I:  Job.  Eccard  12  vier-  und  fünfstimmige  Gesänge;  Lief.  II:  Mich.  Alten- 
burg 11  vier-  und  fünfstimmige  Gesänge  (Magdebui'g,  Heinrichshofen).  Antonio 
Caldara  y>Crucißxusa  ä  16  (Berlin,  Trautwein  [Bahn]).  Eine  auf  8  Stimmen 
reducirte  Ausgabe  dieses  Werkes,  für  den  königl.  Domchor  verfasst,  gab  T. 
heraus:  (Breslau  und  Leipzig  bei  Leuckart  [C.  Sander]).  Nicc.  Zingarelli 
y>Christus  factus  esta  und  T>Miserere<.(  ä  4  (Berlin,  Trautwein  [Bahn]).  Geist- 
liche Musik  aus  dem  16.  und  17.  Jahrhundert  für  gemischten  Chor,  von  Orl. 
di  Lassus,  M.  Franck,  A.  Gumpeltzhaimer,  S.  Hemmel,  B.  Gesius,  A.  Scandellus, 
J.  Staden,  J.  a  Burck,  J.  Eccard  und  Mich.  Prätorius,  in  20  Nummern  (Leipzig, 
Linnemann  [Siegel]).  Ant.  Caldara:  Te  deum  ä  4  (Berlin,  Trautwein  [Bahn], 
gesungen  vom  königl,  Domchor  zur  Feier  des  150  jährigen  Bestehens  der  Krone 
Preussen).  Derselbe:  -aCaro  mea  vere  est  cibus«,  Duo  für  Sopran  und  Mezzo- 
Sopran  mit  hinzugefügter  Pf.-Begl.  (Berlin,  Trautwein  [Bahn]).  Mich.  Prä- 
torius: 4  Weihnachtslieder  ä  4  (Berlin,  Schlesinger).  Mehrstimmige  Gesänge 
für  weibliche  Stimmen  von  Terziani,  Zanotti,  Galuppi,  S.  Mayr,  Pater  Martini, 
Orl.  di  Lasso,  Benevoli,  Caldara,  Jomelli  (in  2  Nummern),  Hasse  und  Palestrina. 
Band  I  (Berlin,  Trautwein  [Bahn]).  Collezione  di  Canzonette,  Barcarole  etc., 
Napolitane,  Veneziane  etc.,  4  Hefte,  2  für  höhere,  2  für  tiefere  Stimme  (ibid.). 
Italienische  Yolksmelodien,  vierstimmig,  für  Sopran,  Alt,  Tenor,  Bass.  Deutsch 
und  Italienisch  von  T.  bearbeitet  (Leipzig,  Klemm).  Collezione  di  Duette  da 
Camera,  di  G.  Donizotti  e  C.  Goccia  (Berlin,  Trautwein  [Bahn]).  V.  Bellini: 
2  Äriette  per  Soprano  (ibid.).  G.  Donizetti:  3  Ariette  per  Soprajio  (ibid.). 
Ambrogio  Minoja:  45  Solfeggi  per  Soprano,  4  Hefte  (Leipzig,  Klemm).  Gaetano 
Nava:  24  SolJ'eggi  per  Contralto,  2  Hefte  (ibid.).    Girolarao  Crescentini:  20  nuovi 


Tesi-Tramontini.  153 

Solfeggi  per  Mezzo-Soprano,  2  Hefte  (Berlin,  Trautwein  [Bahn]).  Dersell)e: 
Nuovi  SoLfeggi  progressivi  per  Soprano,  3  Hefte  (ibid.).  24  Solfeggi  e  Vocalizzi 
für  Bassstimme,  12  von  Teschner,  8  von  Minoja,  4  von  Prota,  2  Hefte  (Leipzig, 
Klemm).  A.  Minoja:  24  leichte  Solfeggi  für  die  Altstimme,  2  Hefte  (ibid.). 
18  Solfeggi  für  Sopranstimme  (Miksch  dedicirt),  2  Hefte,  enthaltend  8  Num- 
mern von  Teschner's  eigener  Composition,  6  von  Fr.  Bonoldi  und  4  von  Gr.  Prota 
(ibid.).  C.  Uboldi:  Solfeggi  für  Alt  oder  Bariton,  2  Hefte  (Berlin,  Trautwein 
[Bahn]).  Nicc.  Zingarelli:  Solfeggi  elementari  für  Sopran  oder  Tenor  (ibid.). 
Derselbe:  Dieselben  für  Alt  oder  Bass  (ibid.)  Derselbe:  Solfeggi  elementari  e 
l^rogressivi  per  Soprano,  3  Hefte  (ibid.).  Derselbe:  Solfeggi  per  Basso  o  Contralto, 
3  Hefte  (ibid.).  Derselbe:  Solfeggi  für  Sopran,  2  Hefte  (Magdeburg,  Heinrichs- 
hofeu).  Antonio  Mazzoni:  Erste  vollständige  Sammlung  der  Solfeggien  für 
Sopran  oder  Tenor,  4  Hefte  (Berlin,  Simrock).  Derselbe:  Dieselben  für  Mezzo- 
Sojiran,  4  Hefte  (ibid.).  J.  J.  Rodolphe:  Solfeggi  für  Sopran  oder  Tenor, 
2  Hefte  (Leipzig,  Linnemann  [Siegel]).  Gr.  M.  Clari:  10  Solfeggi  a  2  vocia., 
2  Hefte  (ibid.).  Vorbereitende  Uebungen  und  leichte  fortschreitende  Solfeggi 
für  Sopran,  3  Hefte  (Berlin,  Trautwein  [Bahn]).  Dieselben  für  Alt,  3  Hefte 
(ibid.).  Pr.  Durante:  Solfeggi  a  2  voci,  senza  accompagnamento  (ibid.).  60  Sol- 
feggi auf  die  Intervalle  der  Tonleiter  zur  üebung  im  Treffen  und  Eintheilen. 
In  zwei  Ausgaben:  für  Sopran  und  für  Alt,  4  Hefte  (ibid.).  Elementar-Uebungen 
und  Solfeggi  für  Sopranstimme  in  mittler  Lage  (Berlin,  Challier).  Heft  1: 
Elementar-Uebungen;  Heft  2:  Leichte  Solfeggi;  Heft  3:  Progressive  Solfeggi; 
Heft  4:  zweistimmige  Solfeggi  von  A.  Minoja  und  dreistimmige  Solfeggi  von 
Ang.  Bertalotti.  Dieselben  Uebungen  für  Alt,  3  Hefte  (ibid.).  Bonif.  Asioli: 
10  italienische  Lieder  zum  Studium  des  italienischen  Gesanges  (ibid.).  Joseph 
Pilotti:  Solfeggi  für  Sopranstimme,  3  Hefte  (Berlin,  Simrock).  Johannes  Miksch: 
Elementar-Solfeggi,  2  Hefte  (Dresden,  Hoffarth). 

Durch  die  Herausgabe  von  mehr  als  60  Heften  der  verschiedensten  Ge- 
sangsübungen, denen  fast  sämmtlich  auch  eine  Clavierbegieitung  beigegeben 
wurde,  hat  Teschner  für  Deutschland  eine  Literatur  geschaffen,  wie  eine  solche 
für  dies  Fach  vor  30 — 40  Jahren  bei  uns  nur  sehr  unvollkommen  bestand. 
Eine  nicht  geringe  Anzahl  ursprünglich  einstimmiger  Lieder  richtete  T.  zu 
vier-  bis  fünfstimmigen  ein,  und  publicirte  ausser  den  schon  oben  genannten 
italienischen  vierstimmgen  Volksliedern  noch  folgende:  12  Lieder  (deutschen 
und  italienischen  Ursprungs),  vierstimmig  (Sopran,  Alt,  Tenor,  Bass)  gesetzt, 
2  Hefte  (Leipzig,  Breitkopf  &  Härtel).  3  Weihnachtslieder,  drei-  und  vier- 
stimmig auf  Melodien  von  Michael  Haydn  (Berlin,  Trautwein  [Bahn]).  12  Lieder 
von  Franz  Schubert,  vierstimmig  für  Sopran,  Alt,  Tenor  und  Bass  bearbeitet, 
2  Hefte  (Leipzig,  Breitkopf  &  Härtel).  36  Lieder  von  Franz  Schubert,  vier- 
stimmig für  Sopran,  Alt,  Tenor  und  Bass  bearbeitet,  8  Hefte  (Leipzig,  Linne- 
mann [Siegel]).  29  andere  Lieder  von  Franz  Schubert  für  Sopran,  Alt,  Tenor 
und  Bass,  auch  einige  fünfstimmig,  sowie  für  mehrere  Männerstimmen  harren 
noch  der  Herausgabe  durch  Linnemann  (Siegel)  in  Leipzig.  6  Lieder  von 
B.  Schumann  aus  dem  Lieder-Album  für  die  Jugend,  vierstimmig  für  Sopran, 
Alt,  Tenor  und  Bass  eingerichtet  (Leipzig,  Breitkopf  &  Härtel).  Alle  diese 
Herausgaben  werden  mit  der  Zeit  noch  fortgesetzt.  So  steht  u.  A.  noch  in 
Aussicht  der  Choral  »Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott«  in  einer  möglichst  voll- 
ständigen Sammlung  der  verschiedenen  Bearbeitungen  berühmter  Tonsetzer  des 
16.  und  17.  Jahrhunderts.  Eine  ansehnliche  Sammlung  kirchlicher  tmd 
weltlicher  Gesänge  für  Männerstimmen  aus  dem  16.  und  17.  Jahrhundert. 
Unterm  29.  März   1873  wurde  Teschner  zum  königl.  Professor  ernannt. 

Tesi-Tramontini,  Vittoria,  berühmte  italienische  Sängerin,  geboren  in  den 
letzten  Jahren  des  17.  Jahrhunderts  zu  Florenz,  war  eine  Schülerin  des  be- 
deutenden Gesanglehrers  Bedi  und  des  Campeggi  in  Bologna.  Hier  trat  sie  auch 
zum  ersten  Mal  auf  und  zwar  aus  Ungeduld  auf  die  Scene  zu  kommen,  noch 
vor    vollständig    beendigten    Studien.     Der    Umfang    und  die  seltene  Schönheit 


154  Tessarini  — Testa. 

ihrer  Contraalt-Stimme  jedoch  verschafften  ihr  schon  jetzt  bedeutende  Erfolge, 
die  sich  bald  zur  enthusiastischen  Bewunderung  steigerten.  Auf  fast  allen  ersten 
Theatern  Europas  sang  sie  nun  und  sammelte  Lorbeern,  und  zwar  während 
eines  für  eine  Sängerin  selten  langen  Zeitraumes.  Nach  authentischen  Nach- 
richten sang  sie  am  4.  November  1749,  als  sie  bereits  über  fünfzig  Jahre  alt 
war,  in  AVien  in  der  Jomellischen  Oper  »Didone«  von  Metastasio  und  der 
Dichter  schrieb  darüber  an  die  Prinzessin  Belmonte,  dass  die  Tesi  sich  um 
zwanzig  Jahre  verjüngt  habe  {La  Tesi  e  ringiovinata  di  vent'  anni.  Metastasio, 
Opere  postume,  Th.  I,  S.  334).  Am  Carlstheater  zu  Neapel  war  diese  Sängerin 
vom  4.  Novbr.  1737  bis  zum  Ende  des  Carneval  für  die  •s>Olimpiade<i  von  Leo 
engagirt  und  erhielt  dafür  2867  Napoleondo'r.  Sie  starb  in  Wien  mit  Hinter- 
lassung eines  ansehnlichen  Vermögens  1775.  Mad.  Tesi  hat  auch  Schülerinnen 
gebildet,  zu  denen  De  Amicis  und  Teyber  zu  zählen  sind. 

Tessariui,  Carlo,  erster  Violinist  und  Concertmeister  von  Urbino,  geboren 
1690  zu  ßimini  im  Kirchenstaate,  genoss  wahrscheinlich  den  Unterricht  Corelli's 
zu  Rom,  wenigstens  hat  er  sich  diesen  Meister  des  Violinspiels  bei  seinen 
ersten  Comjjositionen  ganz  zum  Vorbilde  genommen.  Tessarini  war  als  treff- 
licher Geiger  bekannt,  und  seine  hinterlassenen  Compositionen  geben  auch  von 
seiner  Geschicklichkeit  auf  diesem  Gebiete  Zeugniss.  Man  kennt  von  ihm: 
y>Sonate  per  due  violini  e  hasso  con  un  canone  in  finein  (Amsterdam,  Roger,  Paris, 
Leclerc).  y>Sonate  a  due  violinii,  lib.  I  und  II  (ibid.).  r>Dodici  concertini  a 
violino  principale,  due  violini  di  ripieno,  violetta,  Violoncello  et  hasso  eontinuo  per 
oryano  o  cembalo«  (ibid.).  »Dodici  sonate  a  violino  solo,  e  hasso  per  organoa 
(Paris,  Venier).  y^Sei  divertimenti  a  due  violini«,  lib.  II.  y)L'Arte  di  nuova  mo- 
dulazione,  ossia  concerti  grossi  a  violino  principale,  due  violini  di  concerto, 
due  violini  di  ripieno,  violetta,  Violoncello,  e  hassa  eontinuo  per  organoa  (Am- 
sterdam und  Paris,  1762).  y>Contrasto  armonico  ossia  concerti  grossi  a  violino 
principale  etc.vi  (ibid.).  Eine  Anleitung  zum  Violinspiel  (fast  ausschliesslich 
praktisch  zusammengestellt  aus  TJebungen,  Etüden  und  kleinen  Sonaten) :  ytGram- 
matica  di  musica,  divisa  in  due  parti  per  imparare  in  poco  tempo  o  suonar  il 
violino  etc.v.,  erschien  in  französischer  Uebersetzung  Amsterdam,  1762  und 
auch  in  englischer  Sprache:  siAn  accurate  method  to  attaiti  tJie  art  of  playing 
the  violin«. 

Tessier,  Karl,  geboren  zu  Pezenas  um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts, 
gehörte  zur  Kapelle  Heinrich  IV.,  Königs  von  Frankreich.  In  England,  wo 
er  sich  einige  Zeit  aufhielt,  veröffentlichte  er  einige  Arien  und  Gesänge:  »Le 
premier  livre  des  chansons  et  airs  de  cour,  tant  en  franQois  qu^en  Italien  et  gascon, 
ä  quatre  et  cinq  parties«  (London,  Thomas  Este,   1597). 

Testa,  Dominico,  Abbe  und  Professor  der  Philosophie  und  Metaphysik 
zu  Rom,  ist  1746  zu  San-Vito  bei  Palestrina  geboren  und  nahm  in  Rom  einen 
Lehrstuhl  von  1774 — 1786  ein.  Er  ging  hierauf  nach  Mailand,  später  nach 
Paris,  wo  er  als  j)äpstlicher  Nuntius  angestellt  wurde.  Bei  der  Revolution  ■ 
verlor  er  beinahe  sein  Leben  und  kehrte  nach  Mailand  zurück.  Nachdem  er 
bei  einer  zweiten  Anwesenheit  in  Paris,  wohin  er  den  Papst  Pius  VII.  be- 
gleitete, eine  Verbannung  nach  Corsica  erlebte,  gelangte  er  erst  1814  wieder 
nach  Rom,  wo  er  als  Prälat  1832  starb.  Er  gab  eine  akustische  Abhandlung 
heraus:  yfDella  contemporanea  propagazione  e  percezione  di  diversi  suoni  etc.« 
(Mailand,  1787,  in  4").  Diese  Abhandlung  wurde  unter  dem  Titel:  r>De  la 
resonnance  des  corps  sonores«,  eingerückt  in  y^Becueil  des  pieces  interessantes,  con- 
cern.  les  Antiquites,  les  Beaux-Arts,  les  Belles-Lettres  et  la  Philos.  trad.  de 
different  langues«,  Tom  III  (Paris,  1788,  in  8°,  S.  167).  Die  Untersuchungen 
des  Testa  in  dieser  Schrift,  wie  es  kommt,  dass  wir  hohe  und  tiefe  Töne  zu- 
gleich hören  und  unterscheiden  können,  sind  philosophischer,  nicht  physikalischer 
Natur  und  in  schönem  Stil  geschrieben. 

Testa,    Filippo,    Orgelbauer    in    Rom    zu  Anfang    des    18.  Jahrhunderts, 


Testo  il  vecchio  —  Testamauzi.  155 

baute  1721  für  die  dortige  Peterskirche  ein  Positiv,  welches  mit  Hilfe  vcn 
Rädei'n  dahin  gebracht  werden  kann,  wohin  man  will. 

Testo  il  Tecchio,  stammt  aus  Mailand  und  lebte  gegen  1560.  Nach  der 
Luthomonographie  soll  er  der  älteste  Mailänder  Greigenbauer  gewesen  sein, 
welcher  eine  Violine  nach  dem  Muster  einer  Viola  gebaut  hat  (s.  Cremona  von 
Nieder  heitmann) . 

Teste,  J.  Aliihonse,  Professor  der  Musik  zu  Paris,  gab  folgende  Arbeiten 
heraus:  -aNouveau  cours  d'efudes  musicales  et  de  chant  elementairesa  (Paris,  chez 
l'auteur,  1844,  in  8°,  96  S.  und  64  Seiten  Musikbeilagen).  »Solfege  geant  ä 
Vusage  des  cours  de  mtisiquea  (Paris,  Franke,  1849,  in  8°,  quatre  pages)  nebst 
einer  mechanischen  Vorrichtung  für  die  Bildung  der  Tonleiter  und  die  An- 
wendung der  Zeichen. 

Testo   (ital.),  der  Text  einer  Composition. 

Testore,  Carlo  Giuseppe,  Geigenbauer  aus  Cremona,  arbeitete  von  1690 
bis  1710.  Er  wird  als  Schüler  des  Joseph  Guarnerius  betrachtet,  da  er  diesen 
Meister  gut  copirte.  Die  Arbeit  derselben  ist  höchst  sauber  und  seine  Instru- 
mente gewinnen  in  neuerer  Zeit  in  der  Gunst  der  Liebhaber  und  steigen  dem- 
gemäss  im  Preise.  Bottesini  besass  einen  ausgezeichnet  schönen  Contrabass 
von  seiner  Arbeit.     Seine  Zettel  lauten: 

Carlo  Testore  me  fecit 
Cremona  del  Änno  16 — . 

Testore,  Carlo  Antonio,  Geigenbauer,  der  in  Mailand  von  1700  bis  1730 
arbeitete,  hat  nach  Nicolaus  Amati  und  auch  nach  Guarnerius  gearbeitet,  aber 
gute  Instrumente  geliefert.    Eine  seiner  Geigen  ist  vorzüglich.    Er  zeichnete  sich: 

Carlo  Antonio  Testore  Figlio  Maggiore 
Del  fu  Carlo  G-iuseppe  in   Contrada  Largo 
al  segno  delV  Aquita  Milano  17 — . 

Testore,  Paolo  Antonio,  Bruder  des  Vorigen,  arbeitete  ebenfalls  als 
Geigenbauer  in  Mailand  1710  bis  1745  nach  dem  Modell  des  Joseph  Guarnerius. 
Seine  Instrumente  sind  mitunter  ohne  Beifchen. 

Testore,  Guglielmo,  italienischer  Componist  des  16.  Jahrhunderts.  Man 
kennt  von  ihm:  nMadrigali  a  cinque  voci.  Libro primo«  (Venezia,  appresso  Claudio 
da  Correggio  et  Fausta  Bethamo  compagni,  in  4*^  obl.). 

Testori,  Carlo  Giovanni,  in  Vercelli  im  Piemontesischen  1714  geboren, 
war  Lehrer  des  Violinspiels  und  Kapellmeister  an  der  Kirche  St.  Eusebius  in 
seiner  Vaterstadt,  wo  er  1782  starb.  Die  Kirchencompositionen  des  T.  sind 
unbedeutend,  sein  musikalisches  Lehrbuch,  aus  drei  Abtheilungen  bestehend,  das 
einzige  eines  italienischen  Autors,  welcher  das  System  Rameau's  angenommen, 
sei  angeführt:  »ia  musica  ragionata  espressa  famigliarmente  in  dodici  passegiate 
a  dialogo;  opera  per  cui  si  giungera  piii  presto,  e  con  soddisfazione  dagli  studiosi 
giovani  alV  acquisto  del  vero  contrappuntov.  (Vercelli,  presso  G.  Panialis,  1767, 
in  4°,  151  S.,  22  Platten).  nPrimi  rudimenti  della  musica  e  supplemento  alla 
musica  ragionata  in  sette  passegiate,  libro  secondoa  (ibid.  1771,  in  4",  70  S.  und 
sechs  Platten),  n Supplemento  alla  musica  ragionata,  passegiate  sei,  libro  terzoa 
(ibid.  1773,  in  4**,  42  S.,  8  Platten).  rtJJarte  di  scrivere  a  otto  reali,  e  supple- 
mento alla  musica  ragionata,  libro  quartoa  (ibid.  1782,  in  4*^,   60  S.,   29  Platten). 

Testudo  (lat.)  =  Schildkröte,  ist  zugleich  der  lateinische  Name  für  Laute, 
andeutend,  dass  die  Schildkrötenschalen  zweifellos  die  ersten  Eesonanzköi-per  für 
die    Cyther    lieferten,   der   dann    noch  aus  anderm  Material  nachgebildet  wurde. 

Tetamanzi,  P.  Francesco  Fabriccio,  Franziskanermönch,  war  1650  in 
Mailand  geboren  und  verbrachte  in  dem  Kloster  daselbst,  in  welchem  er  seine 
Gelübde  ablegte,  sein  Leben.  Er  gab  eine  Abhandlung  über  den  Gregoriani- 
schen Kirchengesang  heraus :  i>Breve  metodo  per  apprendere  fondatamente  e  con 
facilitä    il    canto  fermo,    diviso    in    tre  libri  etc.i  (Milano,  1686,  in  4",  149  S., 


156  TetracKord  —  Tewkesbury. 

zweite  Auflage  ebenda  bei  Angelli,  1726,  in  4°,  eine  dritte  1756,  in  4",  bei 
Galeazzi. 

Tetrachord,  Viersaiter,  die  Folge  von  vier  Tönen  im  Umfange  einer 
Quart,  welche  als  Grundlage  für  die  Bildung  der  Tonleitern  und  Tonarten  der 
Griechen  dienten.  Sie  theilten  darnach  ihr  ganzes  Tonsystem  in  bestimmte 
Abschnitte  und  gewannen  durch  die  verschiedene  Zusammensetzung  derselben 
verschiedene  Klanggeschlechter,  Octavengattungen,  wie  das  in  den  Artikeln 
Griechische  Musik  und  System  bereits  erörtert  ist.  Im  Artikel  System 
ist  ferner  noch  nachgewiesen,  dass  auch  für  das  System  der  Kirchentonarten, 
wie  für  das  moderne  Tonsystem,  obgleich  beide  die  Octavengattungen  der  Praxis 
zu  Grunde  legen,  die  Bedeutung  der  Tetrachorde  nicht  verringert  wurde,  indem 
diese  die  Tonleiter  gliedern  und  damit  erst  die  Möglichkeit  gewähren,  gegliederte 
Kunstwerke  auf  ihr  zu  erbauen. 

Tetracomos,    ein    dem  Herakles  zu  Ehren  gesungener  griechischer  Nomos. 

Tetradiapason,  die  vierfache  Octave. 

Tetraphouia,  die  Quart,  auch  ein  mehrstimmiger  Satz. 

Tetrardos  Tonus,  der  vierte  Kirchenton:  g—a—h  —  c—d—e—f—g 
authentisch  (s.   Tonart), 

Tetratonon,  ein  Intervall  aus  vier  Ganztönen,  die  übermässige  Quinte 
(Quinta  superflua). 

Te-tschung,  ein  Glockenspiel  der  Chinesen  (s.  d.  Lexikon,  Bd.  II,  S.  401). 

Teufelssonate,  franz.  Sonate  oder  Le  Trille  du  Diable,  das  bekannteste 
Werk  von  Tartini  (s.  d.),  über  dessen  Entstehung  erzählt  wird,  dass  dem  be- 
rühmten Geiger,  als  er  im  Kloster  Assisi  lebte.  Nachts  im  Traume  der  Gott- 
seibeiuns leibhaftig  erschienen  sei,  mit  dem  der  Geiger  einen  Pakt  abgeschlossen 
haben  sollte.  Der  Teufel  habe  die  Kunst  Tartini's  verhöhnt  und  nachdem  er 
dessen  Geige  ergriffen,  eine  so  wunderbar  schöne  Sonate  gespielt,  dass  auch  der 
kühnste  Plug  der  Phantasie  sie  nicht  hatte  erfinden  können.  »Ich  war  so  hin- 
gerissen, entzückt,  bezaubert«,  erzählte  Tartini  späterhin,  »dass  mir  der  Athem 
stockte  und  als  ich  erwachte,  grifi'  ich  nach  meiner  Violine,  um  wenigstens  einen 
Theil  der  im  Traume  gehörten  Töne  festzuhalten.  Umsonst!  Das  was  ich 
davon  niederzuschreiben  vermochte,  ist  zwar  das  Beste,  was  ich  in  meinem 
Leben  gemacht  habe,  aber  der  Abstand  zwischen  der  daraus  entstandenen 
»Teufelssonatea  und  ihrem  Vorbilde  ist  so  gross,  dass  ich  mein  Instrument  zer- 
brochen und  der  Musik  auf  immer  entsagt  haben  würde,  wenn  es  mir  möglich 
gewesen  wäre,  mich  des  Genusses,  den  sie  mir  gewährten,  zu  berauben.«  Tar- 
tini selbst  liebte  diese  Sonate  so,  dass  sie  in  seinem  Zimmer  an  der  "Wand  der 
Thür  gegenüber  hing.  Die  Sonate  ist  in  vielen  Ausgaben  veröffentlicht  und 
ist  auch  heut  noch  ein,  von  den   Geigenvirtuosen  gern  gespieltes  Concertstück. 

Teufelsstinime  oder  Luftmusik  auf  Ceylon,  heisst  jenes  eigenthümliche 
Phänomen,  das  von  mehreren  Reisenden  dort  und  in  den  benachbarten  Gegen- 
den beobachtet  worden  ist.  Sie  vernahmen  Töne  einer  tiefen  klagenden  Men- 
schenstimme, die  eine  so  mächtige  Wirkung  auf  das  Gemüth  hervorbrachten, 
dass  die  ruhigsten  und  verständigsten  Beobachter  sich  eines  tiefen  Entsetzens 
nicht  erwehren  konnten. 

Tevo,  P.  Zacharias,  Franziskanermönch,  geboren  zu  Piove  di  Sacco  im 
Paduanischen  Gebiet  am  16.  März  1651,  lebte  in  Venedig  in  einem  Franzis- 
kanerkloster in  den  ersten  Jahren  des  18.  Jahrhunderts.  Er  veröffentlichte 
ein  Buch  über  Musik,  welches  er  nll  Musico  Testorev.  (Venezia,  1706,  appresso 
Ant.  Bortoloni,  ein  Band  in  4",  336  S.)  nannte,  und  welches  seinem  Titel  ge- 
mäss in  vier  Theilen,  aus  vielerlei  zur  Musik  gehörigem  Stoff  zusammengewoben 
ist.  In  den  vier  Abtheilungen  ist  von  der  Natur  der  Musik,  von  der  Stimme, 
vom  Gehör,  von  der  Notenschrift,  der  Solmisation  und  den  Formen  des  Contra- 
punktes und  vielem  anderen  die  Rede. 

Tewkesbury,  John  de,  einer  der  ältesten  englischen  Musikschriftsteller, 
wahrscheinlich    nach    seinem  Geburtsort  Tewkesbury,    einer  Stadt  in  der  Graf- 


I 


Text.  157 

Schaft  Glocester,  so  genannt,  lebte  in  Oxford.  Ein  Manuscript,  welches  sich 
auf  der  Bibliothek  befindet,  enthält  eine  Abhandlung:  y^Quatuor  principalia  artis 
muslcaea  und  ist  von  verschiedenen  englischen  Historikern  verschiedenen  Schrift- 
stellern zugeschrieben  worden.  Petis  {■a'BiograpMe  universelle  des  musiciensa, 
Tome  VIII,  pag.  206)  theilt  mit,  dass  sich  auf  dem  Manuscript  (hinter  dem 
Inhaltsverzeichnisö)  eine  Notiz  befindet,  nach  welcher  John  de  Tewkesbury 
dasselbe  seinen  Mönchen  im  Kloster  zu  Oxford  1388  vorgelegt. 

Text  heisst  das  sprachliche  Element  des  Gesanges.  In  den  sogenannten 
Vocalisen  und  Solfeggien  (s.d.),  den  Gesangstücken  ohne  "Woi'te  fehlt  dies 
und  diese  sind  deshalb  auch  im  Grunde  nicht  als  Kunstformen  im  höhern  Sinne 
zu  betrachten,  die  einen  bestimmten  Inhalt  darstellen  sollen.  Diese  Vocalisen 
und  Solfeggien  verfolgen  keinen  wesentlichen  Kunstzweck,  sondern  sind  nur 
Studien.  Die  wortlosen  Tonstücke  für  Gesang,  wie  das  Lied  mit  Begleitung 
von  Brummstimmen,  aber  sind  ohne  Werth.  Dem  Gesänge,  eines  äusseren 
Effekts  willen,  das  Wort  entziehen,  heisst  ihn  herabwürdigen,  seine  künstlerische 
Gestaltung  rohmaterialistischen  Experimenten  opfern.  Dies  gilt  natürlich  auch 
von  jenen,  nur  aus  Brummstimmen  zusammengesetzten  Chören,  wie  sie  von 
Operncomponisten  (Meyerbeer  und  Spontini)  angewendet  wurden.  Die 
Sprache  ist  nach  ihrer  sinnlichen  Erscheinung  betrachtet,  ebenso  wie  der  Ge- 
sang, Erzeugniss  des  Stimmapparats  und  Ton  und  Klang  sind  beiden  gemeinsam. 
Beim  Gesänge  lässt  das  Organ  den  Ton  frei  ausschallen,  während  er  bei  der 
Sprache  durch  die  andern  Organe,  Zähne,  Gaumen  oder  Lippen  gehemmt  und 
begrenzt  wird.  Dadurch  wird  der  Ton  zum  Laut,  der  nichts  weiter  ist,  als 
eine  Hemmungsform  des  Tons.  Je  weniger  diese  als  solche  auftritt,  desto  klang- 
voller ist  der  Laut.  Hiernach  sind  diese  in  Selbstlaute  (Vocale),  Doppel- 
laute (Diphthonge)  und  Mitlaute  (Consonanten)  geschieden.  Bei  den  Vo- 
calen  a,  e,  i,  o  und  u  ist  der  Ton  weniger  gehemmt,  als  bei  den  Consonanten, 
weshalb  sie  auch  eine  dem  Gesänge  näher  verwandte  Wirkung  erzielen,  und 
zwar  »a«,  als  der  am  wenigsten  gehemmte,  die  grösste ;  er  ist  daher  auch  Wurzel 
und  Stamm  aller  gebildeten  Sprachen  und  der  erste  Laut  der  Kinder.  Ihm 
folgen  dann  »e«  und  >n'«  und  in  »m«  und  »o«  wird  der  Klang  durch  veränderte 
Mundstellung  am  meisten  getrübt.  Auch  dies  Verhältniss  des  Sprachtons  zum 
Gesangton  muss  bei  der  Erfindung  der  Vocalmelodie  berücksichtigt  werden. 
Auf  den  weniger  klangvollen  Vocalen,  wie  »i«,  »<?«  und  »m«  macht  die  Ex-zeugung 
der  nicht  so  leicht  ansprechenden  Töne  natürlich  noch  grössere  Schwierigkeiten, 
als  auf  dem  Vocal  »a«.  Nun  ist  es  zwar  Aufgabe  des  Sängers,  dieselben  zu 
überwinden,  allein  trotzdem  ist  es  nicht  weniger  geboten,  bei  der  Erfin- 
dung der  Melodie  darauf  bedacht  zu  sein,  dass  der  Sprach-  und  Gesangton  sich 
leicht  und  innig  verschmelzen  lassen,  weil  nur  in  dieser  innigen  Verschmelzung 
die  höchste  künstlerische  Wirkung  erreicht  wird.  Namentlich  bei  Stellen,  welche 
beim  Vortrag  besonders  ausgezeichnet  werden  sollen,  wächst  die  Nothwendigkeit 
der  Beobachtung  dieser,  durch  die  Natur  gegebenen  Verhältnisse. 

Für  die  formelle  Gestaltung  direkt  einflussreich,  zum  Theil  entscheidend, 
wird  der  Text  und  seine  metrische  Eorm  beim  Liede  und  der  Ballade,  der 
Arie  und  den  verwandten  Formen.  Die  dichterische  Form  des  Liedes 
ist  eine  durchaus  streng  geschlossene  metrisch  geregelte  und  fest  gegliederte 
Strophe  und  dies  strophische  Versgefüge  muss  musikalisch  genau  nachgebildet 
werden.  Es  genügt  hierbei  nicht,  dass  die  Verse  gut  declamirt  werden,  sondern 
sie  müssen  zugleich  zur  Verszeile  auch  musikalisch  zusammengefügt  und  diese 
Verszeilen  dann  unter  sich  zur  Strophe  verknüpft  werden.  Die  entsprechende 
Declamation  erst  macht  eine  Melodie  zur  Vocalmelodie,  Die  Instrumental- 
melodie hat  nur  die  allgemeinen  Gesetze  künstlerischer  Gestaltung  zu  berück- 
sichtigen, die  Vocalmelodie  muss  daneben  auch  die  Sprachmelodie  beobachten 
und  erst  wenn  diese  mit  der  rein  musikalischen  eng  verbunden  erscheint,  ent- 
steht die  Vocalmelodie  in  vollendeter  Form.  Es  ist  hier  nicht  näher  auf  die 
mancherlei   Verstösse    hinzuweisen,    die    hiergegen    oft    von    den    bedeutendsten 


158  Text. 

Meistern  verübt  worden  sind.  In  dem  Bestreben,  dem  Inhalt  des  Textes  treuen 
musikalischen  Ausdruck  zu  geben,  haben  sie  der  Declamation  häufig  nicht  die 
nöthige  Berücksichtigung  geschenkt.  Bei  dem  entgegengesetzten  Vei'fahren, 
welches  nur  die  Declamation  beachtet,  kommt  wiederum  der  Ausdruck  und 
seine  künstlerische  Form  zu  kurz;  nur  in  der  Verschmelzung  beider,  der  Sprach- 
melodie mit  der  absolut  musikalischen  Melodie  ersteht  die  vollendete  Vocal- 
melodie.  Noch  weniger  wie  diese  Forderung,  wird  die  andere,  welche  das 
sprachliche  Yersgefüge  auch  durch  die  musikalische  Darstellung  respektirt  wissen 
will,  beachtet  und  doch  entsteht  nur  so  die  künstlerisch  vollendete  Form  des 
Liedes,  dessen  nothwendigste  Bedingung  die  strenggegliederte  strophische  Form 
ist.  Die  Artikel  Deutsches  Lied  —  Form  u.  s.  w.  bringen  hierüber  Aus- 
führliches. 

Auch  bei  der  Ballade  und  bei  der  Arie  wirkt  die  Form  des  Textes 
bestimmend  auf  die  Musikform,  wenn  auch  nicht  in  der  strengen  Weise,  wie 
beim  Liede.  Bei  der  Ballade  erfordert  die  Darstellung  und  Schilderung  der 
Begebenheit  einen  grösseren  Rahmen,  als  in  der  Regel  die  begrenzte  sprach- 
liche Form  gewährt,  und  diesen  gewinnt  die  Musik  dadurch,  dass  sie  den  In- 
halt eines  ganzen  Versgefüges  in  eine  einzige  Gresangsphrase  zusammendrängt, 
die  als  Glrundton  festgehalten  wird,  der  nach  dem  Verlauf  der  Handlung  sowohl 
melodisch,  wie  harmonisch  und  rhythmisch  verändert,  die  specielle  Ausführung 
der  einzelnen  Bilder  bestimmt  und  wie  der  Refrain  im  Volksliede,  oder  wie 
die  Sprachmelodie  der  Erzählung  hier  die  ganze  Ballade  durchzieht.  Aehnliche 
G-esichtsp unkte  werden  für  die  Arie  geltend.  Auch  hier  ist  die  Musik  ge- 
nöthigt,  wenn  die  Dichtung  strophische  Gliederung  angenommen  hat,  diese  zu 
erweitern,  um  Raum  für  die  weiter  ausgeführte  musikalische  Darstellung  zu 
gewinnen.  Daher  erweist  sich  für  diese  Form  auch  die  ungebundene  Rede- 
weise, die  Prosa,  nicht  weniger  günstig  als  die  gebundene.  "Wenn  auch  das 
Versgebäude  bei  der  Arie  nicht  zur  fesselnden  Schranke  zu  werden  braucht, 
so  erfordert  es  doch  immer  auch  hier  die  nöthige  Berücksichtigung,  während 
bei  der  Arie  in  ungebundener  Form  nur  die  Declamation  zu  beobachten  ist 
und  im  Uebrigen  der  Musikform  grössere  Freiheit  gestattet.  Den  entscheidensten 
Einfluss  gewinnen  die  Textesworte  selbstverständlich  beim  Recitativ,  welchem 
die  Declamation  derselben  Hauptaufgabe  ist  (s.  d.). 

Da  der  Text  für  die  Vocalmusik  somit  von  entscheidender  Bedeutung 
wird,  so  muss  er  selbstverständlich  überall  so  behandelt  werden,  dass  man 
ihn  gut  versteht.  Daraus  entspringen  einige  sehr  bedeutsame  Vorschriften  für 
den  Componisten.  Die  grammatikalischen  und  logischen  Gesetze  der  Sprache 
müssen  auch  bei  der  musikalischen  Behandlung  beobachtet  werden,  so  dass 
nicht  zusammengehörige  Wörter  und  Sätze  beim  Gesänge  zerrissen  werden. 
Der  Satz-  und  Periodenbau  verlangt  die  gleiche  Berücksichtigung,  wie  die 
Declamation,  und  Verstösse  gegen  jene  sind  noch  folgenschwerer,  als  die 
Vernachlässigung  der  Declamation,  Schwierig  wird  es  die  Verständlichkeit 
der  Wörter  zu  erreichen  beim  mehrstimmigen  Gesänge,  wenn  dieser  nicht 
homophon,  sondern  vorwiegend  polyphon,  mit  möglichst  selbständigen  Stim- 
men ausgeführt  ist.  Dann  werden  die  einzelnen  Stimmen  oft  gezwungen  sein, 
verschiedene  Wörter  zu  gleicher  Zeit  auszusprechen,  was  natürlich  hindert,  den 
Text  deutlich  zu  verstehen.  Es  ist  dies  am  Chorliede  am  bedenklichsten. 
Die  andern  Chorformen  haben  meist  Texte  in  ungebundener  Redeweise  und 
gestatten  und  erfordern  die  Wiederholung  einzelner  Worte  und  Sätze,  so  dass 
die  Möglichkeit  geboten  wird,  auch  bei  der  complicirtesten  polyphonen  Schreib- 
weise doch  den  Text  verständlich  zu  machen.  Die  strophische  Form  des  Liedes, 
die  auch  gewahrt  werden  muss,  lässt  dies  nicht  in  gleichem  Maasse  zu  und 
deshalb  ist  es  schwieriger,  bei  einer  selbständigen  Stimmführung  auch  hier 
Verständlichkeit  des  Textes  zu  erzielen.  In  dem  Schluss  des  Mendelssohn'schen 
Chorliedes:  »Andenken«  (op.   100,  No.   1): 


Text. 


159 


A 


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^ö^: 


^^3^ 


i-:ir: 


li-ü 


N: 


rjt==j: 


^^J^ 


dass  auch  der  Trühling  sein      gedacht. 


^ö£^:^ 


--i^~ 


dass 


auch 


der 


:|t=:1- 


:^: 


Frühling  sein  ge  -  dacht. 


o  glücklich,  wer  noch  singt  und  lacht,  dass  auch  der  Frühling  sein  ge  -  dacht. 


m 


=t 


dass  auch  der        Frühling   sein  ge  -  dacht, 

lassen  Alt  und  Bass  nicht  einmal  die  vom  Tenor  gesungene  Zeile  zu  Ende 
singen,  sondern  bringen  vorher  schon  die  Schlusszeile,  so  dass  verschiedene 
"Worte  gleichzeitig  gesprochen  werden,  allein  beide  Zeilen  sind  vorher  ganz 
verständlich  declamirt  worden,  so  dass  sie  auch  bei  der  Wiederkehr  am  Schluss 
nicht  unverständlich  bleiben.  Zudem  sind  gerade  solche  Stellen  so  ausserordent- 
lich reizvoll,  dass  man  selbst  solche  Textvermischungen  hier  gern  in  Kauf 
nimmt,  wenn  dadurch  die  Stimmung  entschiedener  musikalischen  Ausdruck  ge- 
winnt. Freilich  wollen  solche  Stellen  vorsichtiger  behandelt  werden,  als  alles 
Andere.  Man  wird  namentlich  auf  die  Oberstimme  zu  achten  haben;  weil  sie 
sich  immer  am  leichtesten  Geltung  verschafft  und  am  meisten  verständlich  wird, 
so  wird  man  namentlich  bei  ihr  auf  eine  präcise  und  verständliche  Declamation 
des  Textes  bedacht  sein  müssen  und  dann  bei  Stellen,  bei  denen  die  anderen 
Stimmen  auch  heraustretende  Selbständigkeit  gewinnen,  die  Praxis  der  alten 
Contrapunktisten  möglichst  zu  beobachten  suchen.  Um  solchen  Text-  und 
Worthäufungen  durch  die  einzelnen  Stimmen  vorzubeugen,  führten  sie  längere 
oder  kürzere  Melismen  in  einer  oder  der  andern  Stimme  ein,  um  die  einzelnen 
ungehindert  den  Text  sprechen  zu  lassen.  Namentlich  wandten  sie  dies  Ver- 
fahren in  weitgreifendster  Weise  bei  der  Fuge  und  dem  Canon  an.  Hat  die 
anfangende  Stimme  das  Thema  vollständig  ausgesungen,  und  tritt  die  zweite 
mit  der  Eisposta  oder  dem  Gefährten  hinzu,  so  sang  jene  Stimme  nicht  auch 
Text  weiter,  sondern  führte  auf  dem  Vocal  der  letzten  oder  vorletzten  Silbe 
ein  Melisma  aus,  um  den  Eintritt  der  Eisposta  und  die  Declamation  des  Textes 
nicht  zu  hindern: 

Cantus. 


Estffi: 


:4i 


--^-z 


:iz:=i=:j:=rl: 


^t 


•— ä=- 


Pa-trem     o  -  mni   po  -  ten 
Tenor.  Pa 


trem 


^=^ 


se 


tem, 
mni  po  -  ten 


-^ pa- 


_j____j__^. 


Ef=&1 


und  dies  Verfahren  wurde  ziemlich  consequent  bei  den  Meistern  durchgeführt. 
Auch  in  den  nicht  fugirten  und  canonisch  behandelten  Sätzen  finden  wir  es 
in  Anwendung,  wenn  es  darauf  ankommt,  eine  Stimme  mit  den  Textesworten 
besonders  hervortreten  zu  lassen.  Dabei  gewannen  natürlich  solche  Sätze 
ausserordentlich  an  Klangfülle  und  Glanz,  und  es  ist  gewiss  nicht  zum  Vortheil 
der  Kunst  unserer  Tage,  dass  sie  in  etwas  nüchterner  Anschauung  des  Textes 
und  seiner  Bedeutung  für  das  Kunstwerk  diese  reichere  melismatische  Aus- 
schmückung in  einzelnen  Stimmen  vernachlässigt.  In  dem  einseitigen  Streben 
nach  Declamation  hat  die  moderne  Vocalmusik  auch  dies  oben  erwähnte  Mittel 
zu  einer  mehr  ungehemmten  Textwiedergabe  zu  gelangen,  indem  eine  oder 
einige  Stimmen  gar  nicht  declamiren,  sondern  nur  singen,  aufgegeben,  sie  ver- 


1 60  TextwiederKolung  —  Textor. 

sucht  in  allen  Stimmen  zu  declamiren,  und  gelangt  bei  polyphoner  Führung  zu 
"Worthäufungen,  die  dann  ganz  unverständlich  werden.  Jedenfalls  ist  jene 
Praxis  der  Alten  vorzuziehen.  Die  gleiche  unhaltbare  Basis  hat  auch  die  in 
der  neuern  Musikentwickelung  geltend  gewordene  Opposition  gegen  die 

Textwiederholung:.  Diese  ist  unter  gewissen  Umständen  absolut  geboten. 
G-rössere,  namentlich  chorische  Werke  erfordern  einen  möglichst  prägnanten 
Text,  der  ohne  grossen  Wortreichthum  den  Inhalt  in  knappster  sprachlicher 
Form  zum  Ausdruck  bringt.  Indem  dann  die  Musik  diesen  in  erweiterter 
Weise  zu  gestalten  sucht,  wird  sie  nothwendig  darauf  geführt,  einzelne  Wörter 
und  Sätze  zu  wiederholen,  um  den  entsprechenden  Rahmen  zu  gewinnen. 
Hierauf  wurde  schon  der  gestaltende  und  bildende  Instinkt  des  Yolksgemüths 
geführt.  Dieser  erweitert  nicht  selten  schon  die  sprachliche  Darstellung  durch 
Wiederholung  von  einzelnen  Wörtern  oder  Sätzen  oder  durch  Einschiebung 
zusammenhangsloser  Silben,  um  einen  grössern  Raum  für  den  gesanglichen 
Ausdruck  zu  gewinnen  und  dieser  Anleitung  sind  selbst  unsere  besten  Dichter 
gefolgt,  ohne  ein  direktes  musikalisches  Bedürfniss  dabei  zu  empfinden.  "Wir 
finden  bei  ihnen  Textwiederholungen  und  häufig  die  Einführung  des  Refrains, 
dementsprechend  kann  selbst  im  Liede  schon  der  Tondichter  recht  wohl  ver- 
anlasst sein,  in  bestimmten  Fällen,  wenn  ihm  der  sprachliche  Satzbau  nicht 
genug  Raum  bietet  für  die  musikalische  Entfaltung,  diesen  zu  erweitern,  indem 
er  einzelne  passende  Wörter  oder  Sätze  wiederholt.  Dass  das  leicht  zum  Unfug 
werden  kann,  ist  gewiss,  aber  dadurch  wird  nicht  die  zeitweise  Nothwendigkeit 
aufgehoben.  Gewiss  können  solche  unzweckmässige  Textwiederholungen, 
namentlich  in  der  dramatischen  Musik  unbeabsichtigt  komisch  wii'ken;  wenn 
der  Held  statt  rasch  zu  handeln,  nur  wiederholt  die  Absicht  ausspricht,  etwas 
thun  zu  wollen;  wenn  anstatt  wirklich  zu  kämpfen  die  feindlichen  Parteien  nur 
fortwährend  mit  heftigen  Worten  einander  drohend  gegenüberstehen  u.  dergl., 
so  ist  das  gewiss  verfehlt  und  zu  missbilligen,  aber  die  Textwiederholungen 
überhaupt  sind  damit  noch  nicht  als  unzulässig  hingestellt.  Beim  Gesänge  soll 
ja  nicht  nur  der  Text  declamirt,  sondern  es  soll  zugleich  dessen  absolut  musi- 
kalischer Gehalt  dargelegt  werden,  und  diese  Darstellung  erfordert  nicht  selten 
einen  breitern  Raum,  als  der  Text  gewährt,  der  dann  nur  durch  Wiederholungen 
desselben  gewonnen  werden  kann. 

Nur  das  Recitativ  begnügt  sich  mit  seinem  Wortvorrath  und  dieser  ist 
deshalb  meist  auch  ein  reichei'.  Eine  ganze  Reihe  chorischer  Texte  aber 
sind  ohne  Textwiederholung  gar  nicht  zu  behandeln.  Das  yyÄUelujaa,  »Kyrie 
eleisonvi,  »Osannaa  und  noch  manche  andere  derartige,  für  Chorweise  fast  aus- 
schliesslich geeignete  Gesänge,  gehören  selbstverständlich  hierzu.  Weiterhin 
giebt  die  Bibel  eine  ganze  Reihe  trefflicher  Chortexte,  und  zwar  namentlich  in 
den  kui'zen  sentenzenhaften  Parallelzeilen  ihrer  Yerse,  die  dann  wiederum  so 
lange  wiederholt  werden  müssen,  bis  sie  den  nöthigen  Raum  geben  für  die  er- 
schöpfende musikalische  Darstellung.  Das  gilt  aber  auch  für  die  Arie  und  die 
verwandten  Formen.  Auch  für  sie  sind  die  prägnantesten  Texte  die  ent- 
sprechendsten, die  dann  wieder  in  der  angegebenen  Weise  zu  erweitern  sind 
und  wenn  das  sinngemäss  geschieht,  dann  ist  das  Verfahren  vollständig  gerecht- 
fertigt und  kann  künstlerisch  hochbedeutsam  werden,  wie  aus  den  zahlreichen 
Beispielen  unserer  Meister  nachzuweisen  ist.  Es  erscheint  durchaus  nicht  stich- 
haltig, selbst  bei  den  Formen  der  dramatischen  Musik  aus  dem  Grunde  nur 
die  einfache  Declamation  zu  verlangen,  weil  man  bei  der  gewöhnlichen  sprach- 
lichen Recitation  solche  Wiederholungen  vermeidet.  Wenn  die  Musik  hinzu 
kommt,  wird  eben  eine  höhere,  als  die  nur  realistische  Wahrheit  ange- 
strebt und  diese  rechtfertigt  und  erfordert  dann  auch  die  abweichende  Be- 
handlung. 

Textor,  Abel,  gab  ein  Werk  heraus,  von  welchem  eine  Ausgabe  von  1620 
bekannt  ist:  «Doli/etta  musicale,  delle  Canzonette,  Vilanelle  et  Arie  Neapolitana, 
de  diversi  excell.  Musici,  ä  3  voci.  Novamente  poste  in  lucea  (Frankfurt,  1620,  in  4*^). 


Textor  —  Tilade  waldt.  161 

Textor,  Gruglielmi,  Componist  des  16.  Jahrhunderts.  Man  hat  von  ihm: 
nMadrigali  a  5  vocia  (Venedig,  1566,  in  4°). 

Textor,  Joannes,  auch  Ravisius  genannt,  war  französischer  Philolog 
und  geboren  zu  Nevers.  Er  lehrte  zu  Paris  und  starb  daselbst  1524.  Er  gab 
heraus:  -oTheatrum  poeticum  et  historicum,  sive  Officinaa  (Basel  1592,  in  4°), 
die  Musik  betreffendes  Cap.  34  bis  39  (Fork.  Lit.,  S.  72). 

Teyber,  Anton,  s.  Tayber. 

Teyber,  Franz,  s.  Tayber. 

Teyber,  Elisabeth,  auch  Teuberin,  von  Forkel  Taeuberin  genannt, 
war  eine  bedeutende  Sängerin,  Schülerin  der  Tesi  (s.  d.)  und  des  Componisten 
Hasse,  und  in  "Wien  ungefähr  1748  geboren.  Ihr  erstes  Engagement  erhielt 
sie  an  der  Fürstlich  Esterhazyschen  Kapelle,  wo  sie  durch  die  Eathschläge 
J.  Haydn's  sich  noch  ungemein  vei'vollkommnete.  Sie  sang  1769  in  Neapel 
und  ging  dann  nach  Petersburg,  hier  aber  war  sie  durch  ungünstige  klimatische 
Verhältnisse  in  Gefahr  ihre  Stimme  zu  verlieren,  die  sich  aber  durch  Ruhe 
und  das  milde  Klima  Italiens,  wohin  sie  zurückkehrte,  vollständig  wiederfand, 
so  dass  sie  auf  den  dortigen  Theatern  noch  glänzte. 

Teyber,  Franz,  Componist  zu  Wien,  componirte  unter  anderm  die  Oper 
»Alexander«,  Text  von  Schikaneder,  mit  welcher  am  13.  Juni  1801  zu  Wien 
das  Schikaneder'sche   Theater  eröffnet  wurde. 

Teyliu,  s.  Telyn, 

Thabet  oder  Thabit,  ben  Corrah,  ben  Haroun,  ein  berühmter  ara- 
bischer Philosoph,  Mathematiker  und  Arzt,  welcher  zu  Harran  in  Mesopotamien 
nach  der  christlichen  Zeitrechnung  835  geboren  und  900  gestorben  ist.  Er 
war  ein  Schüler  von  Kindi  (s.  d.),  sehr  sprachkundig  und  gehörte  zur  Sekte 
der  Sadducäer.  Zu  der  sehr  grossen  Zahl  seiner  Schriften  gehören  dreie  über 
Musik,  die  Manuscripte  derselben  besitzt  die  Bibliothek  des  Escurial  zu  Madrid. 
Das  erste  heisst:  »Das  grosse  Buch  von  der  Musik,  in  zwei  Gesprächen«;  das 
zweite  führt  den  Titel:  »Das  kleine  Buch  von  der  Musik,  in  fünfzehn  Artikeln«; 
das  dritte:  »Einführung  in  die  Musikwissenschaft«. 

Thadeivaldt,  Hermann,  Kapellmeister  und  Präsident  des  Allgemeinen 
deutschen  Musiker- Verbandes,  geboren  am  8.  April  1827  zu  Bodenhagen  in 
Pommern,  bekleidete  in  den  Jahren  1850  bis  1851  die  Stelle  eines  Blilitär- 
kapellmeisters  in  Düsseldorf  und  war  von  1853  bis  1855  Direktor  der  Kur- 
kapelle in  Dieppe  (Normandie).  Von  1857  bis  1869  unterhielt  er  eine  eigene 
Kapelle  in  Berlin  und  im  Jahre  1871  leitete  er  die  Concerte  im  zoologischen 
Garten  daselbst  mit  der  aus  70  Mitgliedern  bestehende  Kapelle.  Im  Jahre  1869 
begründete  Th.  im  Verein  mit  einigen  CoUegen  den  »Verein  Berliner 
Musiker«  und  im  Jahre  1872  den  »Allgemeinen  deutschen  Musiker- 
Verband«,  dessen  Zweck  ist:  Hebung  und  Sicherung  der  geistigen  und  mate- 
riellen Interessen  und  dadurch  der  gesellschaftlichen  Stellung  des  Musiker- 
standes. Der  deutsche  Musikerverband  ist  seitdem  bis  auf  ca.  8000  Mitglieder 
herangewachsen,  die  sich  auf  einige  90  Lokalvereine  vertheilen,  wovon  ein 
Drittel  dem  Auslande,  als:  Eussland,  England,  Amerika,  Holland,  Schweden, 
Dänemai'k,  Schweiz,  Italien,  Frankreich  etc.  angehören.  Im  Jahre  1873  be- 
gründete der  Verband  unter  Thadewaldt's  Leitung  eine  Pensionskasse  für  die 
Mitglieder  des  Verbandes,  welche  1875  staatlich  genehmigt  wurde.  Die  Pen- 
sionskasse zählt  ca.  4000  Mitglieder  und  besitzt  nach  vierjährigem  Bestehen 
(die  ersten  Einzahlungen  begannen  am  1.  Januar  1874)  ein  Baarvermögen  von 
400,000  Eeichsmark.  Die  Kasse  gewährt  ihren  Mitgliedern  Alters-  und  Inva- 
lidenpensionen. Die  10  jährige  Mitgliedschaft  berechtigt  zur  Invalidenpension, 
das  60.  Lebensjahr  zur  Alterspension  bei  10  jähriger  Mitgliedschaft.  Die  Kasse 
wird  verwaltet  durch  ein  Direktorium  von  drei  Mitgliedern  und  einen  Ver- 
waltungsrath  von  neun  Mitgliedern.  Das  Direktorium  bilden:  Thadewaldt 
(Direktor),  Kopsch  (Rendant),  Friese  (Sekretär).  Ausserdem  besitzt  der  Ver- 
band  ein    eigenes    Organ    »Die  deutsche  Musikerzeitung«,    dessen    Herausgeber 

Musikal.  Convers.-Leiikon.    X  ^^ 


162  Thalberg. 

Thadewaldt  ist.  Die  Zeitung  hat  einen  so  bedeutenden  Aufschwung  genommen, 
dass  sie  einen  jährlichen  Reingewinn  von  ca.  12,000  Reichsmark  abwirft,  welche 
Summe  der  Pensionskasse  und  der  Unterstützungskasse  des  Verbandes  zufliesst. 
Begründet  wurde  die  Zeitung  vom  Verein  Berliner  Musiker  und  erscheint  seit 
1.  April  1870;  Verbandsorgan  ist  dieselbe  seit  1874,  Zur  Vereinfachung  der 
umfangreichen  Geschäfte  wurde  von  dem  Präsidium  des  Verbandes  ein  Central- 
Bureau  errichtet,  wohin  die  Eendantur  der  Pensionskasse  und  des  Verbandes, 
die  Redaktion  und  Expedition  der  deutschen  Musikerzeitung,  so  wie  das  seit 
Januar  1878  neu  errichtete  Stellenvermittelungs-Bureau  für  Verbandsmitglieder 
verlegt  wurden.  Das  Centralbureau  steht  unter  Thadewaldt's  Leitung.  Da  Th. 
seit  Bestehen  des  Verbandes  demselben  seine  ganzen  Kräfte  ausschliesslich  ge- 
widmet, so  sprach  die  Delegirten- Versammlung  des  Verbandes  in  Hamburg  (1874) 
demselben  in  Anerkennung  seiner  Verdienste  um  die  Förderung  der  Interessen 
des  Verbandes  eine  Remuneration  von  3000  Reichsmark  zu,  welche  Summe 
ihm  von  den  nachfolgenden  Delegirten-Versammlungen  alljährlich  wieder  zuge- 
sprochen worden  ist. 

Thalberg,  Sigismund,  Claviervirtuos  und  Componist  für  sein  Instrument, 
ist  am  7.  Januar  1812  zu  Grenf  geboren,  als  natürlicher  Sohn  des  Fürsten 
Dietrichstein  und  einer  Baronin  von  W.  Nachdem  er  seine  ersten  Lebensjahre 
unter  der  Leitung  seiner  Mutter  verbracht,  einer  geistreichen  und  hochgebildeten 
Frau,  kam  er  noch  im  Knabenalter  nach  Wien,  um  hier,  behufs  Ausbildung 
seines  musikalischen  Talentes  den  Unterricht  Sechter's  und  Hummel's  zu  ge- 
niessen;  doch  scheinen  die  beiden  Meister  keinen  erheblichen  Einfluss  auf  seine 
künstlerische  Entwickelung  ausgeübt  zu  haben,  da  er  selbst  als  seinen  einzigen 
Ciavierlehrer  den  ersten  Fagottisten  des  Wiener  Hof- Opernorchesters  bezeichnet 
hat.  Es  möge  dahingestellt  sein,  ob  T.,  wie  einige  seiner  Biographen  berichten, 
ausserordentliche  Anstrengungen  zur  Erreichung  seines  künstlerischen  Zieles 
gemacht  hat,  oder  ob  er  die  technischen  Schwierigkeiten  seines  Berufes  mühe- 
los überwand,  wie  er  selbst  behauptete,  so  viel  ist  sicher,  dass  sich  sein  Talent 
schon  früh  offenbarte,  denn  er  hatte  noch  nicht  das  fünfzehnte  Jahr  zurückgelegt, 
als  es  ihm  schon  gelang,  in  den  Salons  und  Concerten  die  Aufmerksamkeit  der 
AViener  Kunstfreunde  auf  sich  zu  lenken.  Im  Alter  von  sechzehn  Jahren  ver- 
öffentlichte er  seine  ersten  Compositionen  y>Melange  sur  les  themes  d'^icri/anthe«, 
op.  1 ;  »Phantasie  über  eine  schottische  Nationalmelodie«,  op.  2  und  Impromptu 
über  Motive  aus  der  »Belagerung  von  Corinth«,  op.  3  (Wien,  1828),  Arbeiten, 
deren  Werth  er  selbst  zwar  später  gering  schätzte,  die  jedoch  schon  eine  An- 
deutung des  Stils  enthalten,  welcher  in  seinen  späteren  Werken  zur  Ausbildung 
kam.  Zwei  Jahre  danach  unternahm  er  eine  erste  Concertreise  durch  Deutsch- 
land, woselbst  ihm  von  Seiten  des  Publikums  wie  der  Presse  schon  jetzt  laute 
Anerkennung  zu  Theil  wurde,  dem  Componisten  sowohl  wie  dem  Virtuosen, 
wenngleich  das  für  diese  Grelegenheit  geschriebene  Clavierconcert,  op.  5,  nicht 
die  Eigenschaften  zeigt,  welche  seinen,  einer  späteren  Entwickelungszeit  ange- 
hörigen  Phantasien  über  Opernmotive  eine  so  ausserordentliche  Beliebtheit  ver- 
schafften; man  sieht  vielmehr  bei  genauerer  Bekanntschaft,  dass  diese  Musik- 
gattung seinem  Wesen  nicht  entsprach,  dass  der  Zwang  der  klassischen  Formen, 
wie  auch  die  Mitwirkung  des  Orchesters  auf  seine  Erfindung  einen  lähmenden 
Einfluss  ausübten.  Ihm  selbst  konnte  es  bald  nicht  mehr  zweifelhaft  sein,  dass 
der  von  den  Meistern  des  klassischen  Clavierspiels  gebahnte  Weg  nicht  der- 
jenige sei,  welchen  er  zu  verfolgen  habe,  dass  vielmehr  seine  eigentliche  Auf- 
gabe in  der  Ausbildung  des  virtuosen  Elements  liege. 

Zu  jener  Zeit  hatte  sich,  wie  Fetis  in  seiner  ^Biographie  universelle  des 
musiciensa  (Band  VIII,  p.  207)  bemerkt,  die  alte  Clavierspieler-Schule  in  zwei 
Richtungen  getheilt,  deren  eine,  mit  Clementi  an  der  Spitze,  das  glänzende, 
effektvolle  Spiel  cultivirte,  während  die  andere,  durch  Mozart  und  Beethoven 
vertreten,  tiefe  Gedanken  und  harmonische  Mannichfaltigkeit  zum  Ausdruck 
brachte.     Weitere   Unterabtheilungen  suchten   das   Charakterische  jener  beiden 


Thalberg.  163 

Richtungen  zu  vereinigen;  Dussek  und  Kalkbrenner,  obwohl  in  erster  Linie 
das  Virtuosenthum  vertretend,  folgten  dabei  doch,  von  ihrem  nationalen  Em- 
pfinden geleitet,  den  klassischen  Vorbildern;  andrerseits  unterliessen  Hummel 
und  später  Moscheies,  als  Vertreter  der  klassischen  Schule,  nicht,  ihr  Spiel 
und  ihre  Compositionen  glanzvoller  auszustatten,  als  es  Mozart  und  Beethoven 
gethan.  Aber  bei  allen  diesen  Meistern  erscheinen  die  Hauptbestandtheile  der 
Ciaviermusik,  der  melodische  und  harmonische  Inhalt  auf  der  einen,  das  Pas- 
sagenwesen auf  der  andern  Seite  noch  unverschmolzen,  gleichsam  für  sich 
gruppirt  und  sich  einander  in  bestimmter  Ordnung  ablösend,  jedoch  so,  dass 
das  letztere  Element  sich  stets  dem  ersteren  unterordnet.  Erst  gegen  1830 
ändert  sich  dieses  Verhältniss:  der  Virtuose  erhebt  sich  über  den  Musiker; 
das  Bedürfniss,  durch  Greläufigkeit  der  Finger  zu  glänzen,  durch  technische 
Kunstfertigkeit  die  Hörer  zu  überraschen  und  zur  Bewunderung  hinzureissen, 
führt  dahin,  sowohl  Form  wie  Inhalt  als  eine  Nebensache  zu  behandeln.  Um 
dies  zu  erreichen  mussten  der  Technik  des  Ciavierspiels  neue  Wege  eröffnet 
werden,  vor  allem  musste  man  das  Grebiet  der  Tonleiter  verlassen,  aus  welchem 
das  bisherige  Passagenwesen  hervorgewachsen  war.  Unter  diesen  Zeitumständen 
konnte  T.  auf  die  Idee  kommen,  in  seiner  Musik  die  Melodie  mit  dem  Passagen- 
werk derart  zu  verbinden,  dass  letzteres  als  Begleitung  auftrat,  meist  in  Form 
von  Arpeggien,  deren  mannichfaltige  Umstellungen  ebenso  sehr  in  Erstaunen 
setzten,  wie  der  mächtige  Ton,  den  er,  hauptsächlich  mittelst  geschickter  Be- 
nutzung des  Pedals,  beim  Vortrag  der  Melodie  seinem  Instrumente  zu  entlocken 
wusste.  Der  Erfolg  seiner  stilistischen  Neuerung  war  um  so  grösser,  als  die 
Schwierigkeiten  der  Ausführung  keineswegs  unüberwindlich  waren,  wie  es  An- 
fangs dem  Publikum  und  selbst  den  Pianisten  von  Fach  geschienen  hatte.  Bei 
näherer  Kenntnissnahme  konnte  man  sich  überzeugen,  dass  auch  Spieler  von 
massiger  Fingerfertigkeit  die  Thalberg'schen  Compositionen  bewältigen  konnten 
und  indem  die  Mittel,  durch  welche  er  selbst  einen  so  ausserordentlichen  Ein- 
druck hervorgebracht,  bald  Gemeingut  wurden,  musste  die  Begeisterung  für 
den  von  ihm  geschaffenen  Ciavierstil  in  verhältnissmässig  kurzer  Zeit  wieder 
erkalten.  Dazu  kam  noch,  dass  T.  weder  Neigung  noch  Fähigkeit  hatte,  die 
engen  Grenzen,  welche  er  sich  gezogen,  zu  überschreiten;  und  wenn  auch 
Kritik  und  Publikum  die  Bereicherung  keineswegs  unterschätzte,  die  das  Ciavier- 
spiel ihm  zu  danken  hatte,  so  konnte  die  Theilnahme  doch  nicht  die  gleiche 
bleiben,  nachdem  man  inne  geworden,  dass  der  durch  ihn  bewii'kte  technische 
Fortschritt  nicht  wie  z.  B.  bei  Liszt  höheren,  künstlerischen  Zielen  entgeg§n- 
führte,  sondern  nur  dem  äijsserlichen,  sinnlichen  Effekte  diente.  Die  Hoffnung 
der  ernsteren  Kunstfreunde,  es  werde  bei  T.  mehr  und  mehr  der  Musiker  den 
Virtuosen  überwinden,  sollte  sich  auch  im  weiteren  Verlauf  seines  Lebens  nicht 
erfüllen;  es  hat  wohl  niemals  einen  Künstler  gegeben,  der  sich  so  wenig  mit 
den  Werken  anderer  Meister  beschäftigt  hätte,  der  so  ausschliesslich  von  der 
eigenen  Persönlichkeit  erfüllt  gewesen  wäre,  als  er. 

Der  ungeheure  Erfolg,  welchen  Thalberg  bei  seinem  ersten  Auftreten  in 
Paris  (1835)  errang,  wiederholte  sich  auf  seinen  Kunstreisen  durch  Belgien, 
Holland,  England  und  ßussland,  welche  die  folgenden  Jahre  ausfüllten.  Nach- 
dem er  in  letzterem  Lande  während  des  Jahres  1839  eine  besonders  reiche 
Ernte  an  Gold  und  Ehren  gehalten,  zog  er  sich  für  einige  Zeit  von  der  Oeffent- 
lichkeit  zurück,  um  sich  der  dramatischen  Composition  zu  widmen;  seine  damals 
geschriebene  Oper  »Florinda«,  zu  welcher  ihm  Scribe  den  Text  geliefert  hatte, 
gelangte  1851  in  London  am  italienischen  Theater  zur  Aufführung,  verschwand 
jedoch,  ungeachtet  der  Mitwirkung  von  Künstlern  erster  Grösse,  wie  Sophie 
Cruvelli,  Calzolari,  Lablache,  Sims  Beeves  und  Coletti,  alsbald  wieder  vom 
Repertoire.  Der  Mangel  an  dramatischer  Wirksamkeit  in  der  Musik  dieser 
Oper  zeigt  sich  auch  in  einer  zweiten  mOhristina  di  Sueziaa,  welche  in  Italien 
aufgeführt  wurde,  aber  ebenso  spurlos  vorüberging,  wie  jene  erstere.  Im  Jahre 
1855  ging  T.  nach  Brasilien,  wo  er  fast  ein  Jahr  verweilte;  eine  noch  längere 

11* 


164  Thaletas. 

Reise  unternaliin  er  im  folgenden  Jahre  nach  den  vereinigten  Staaten  von 
Nordamerika,  um  nach  einer  grossen  Zahl  dort  veranstalteter  Concerte  mit 
reicher  materieller  Ausbeute  zurückzukehren.  Bald  darauf,  im  Sommer  1858 
zog  er  sich  nach  Neapel  auf  seine  dortigen  ländlichen  Besitzungen  zurück  und 
ergab  sich  an  der  Seite  seiner  Gattin,  einer  Tochter  des  Sängers  Lablache, 
dem  beschaulichen  Leben.  Noch  einmal  unterbrach  er  dasselbe,  um  1862  in 
Paris  und  London  mit  dem  gleichen  Erfolg  wie  früher  zu  concertiren,  auch  (1863) 
eine  zweite  Reise  nach  Brasilien  zu  unternehmen.  Dann  bezog  er  aufs  Neue  seine 
Villa  bei  Neapel  und  blieb  dort  bis  zu  seinem  Tode,  am  26.  April  1871. 

T.  hat  ausser  den  genannten  noch  folgende  Werke  veröffentlicht:  y>Souvenirs 
de  Viennea,  zwölf  Walzer-Capricen,  op.  4.  Phantasie  über  Motive  aus  »Robert 
der  Teufel«,  op.  6.  Divertissement  in  F-moU,  op.  7.  Phantasie  über  T>La  stra- 
niera«,  op.  9.  Phantasie  und  Variationen  über  »J  Montecchi  ed  i  Gapuleti«, 
op.  10.  Norma-Phantasie,  op.  12.  Don  Juan-Phantasie,  op.  14.  Zwölf  Capricen, 
op.  15.  Zwei  Nocturnen,  op.  16.  Variationen  über  russische  Lieder,  op.  17. 
Divertissement  über  Rossini's  y>Soirees  musicalesa,  op.  18.  Zweite  Caprice,  op.  19. 
Hugenotten  -  Phantasie,  op.  20.  Drei  Nocturnen,  op.  21.  y>Grande  Fantaisie«, 
op.  22.  Zwölf  Etüden,  op.  26.  Phantasie  über  y^God  save  the  queen<s.  und  y>Rule 
Britannia<i,  op.  27.  Nocturne  in  E-dur,  op.  28.  Scherzo,  op.  31.  Andante  in 
Des-dur,  op.  32.  Moses-Phantasie,  op.  33.  Divertissement  über  Benedict's  Oper 
y>The  Gipsys  Warninga  (Der  Zigeunerin  Warnung),  op.  34.  Nocturne  in  Fis- 
dur,  op.  35.  »iß  Cadencea,  Impromptu  in  Eorm  einer  Etüde  nebst  anderen 
Stücken,  op.  36.  Oberon-Phantasie,  op.  37.  Romanze  und  Etüde,  op.  37.  Souvenir 
de  Beethoven,  op.  39.  Donna  del  iayo-Phantasie,  op.  40.  Zwei  Lieder  ohne 
Worte,  op.  41.  Don  Juan -Phantasie,  op.  42.  Zweite  Hugenotten -Phantasie, 
op.  43.  Variationen  über  das  Finale  aus  »Lucia  von  Lammermoor«,  op.  44. 
Originalthema  und  Etüde,  op.  45.  Capricen  über  -»La  sonnambula«,  op.  46. 
Grandes  valses  brillantes,  op.  47.  Caprice  über  Halevy's  Oper  »Karl  VI.«,  op.  48. 
Beatrice  di  Tenda-Phantasie,  op.  49.  Lucrezia  Borgia-Phantasie,  op.  50.  Se- 
miramis-Phantasie,  op.  51.  Phantasie  über  die  Tarantella  aus  »Die  Stumme 
von  Porticia,  op.  52.  Sonate,  op.  56.  Becameron  musieal,  zehn  vorbereitende 
Etüden,  op.  57.  Apotheose,  Phantasie  über  Berlioz'  Triumphmarsch,  op.  58. 
Marche  funehre  variee,  op.  59.  Barbier  von  Sevilla-Phantasie,  op.  63.  Souvenir 
de  Besth,  op.  65.     Neun  Lieder  ohne  Worte  (ohne  Opuszahl). 

ThaletaS)  griechischer  Dichter-Componist,  geboren  zu  Grortyna  auf  der  Insel 
Ki^ta,  wirkte  um  620  v.  Chr.  und  wird  von  den  Schx-iftstellern  neben  Terpander 
und  Arion  als  der  verdienstvollste  Förderer  der  altgriechischen  Musik  genannt. 
Aus  dem  Umstände,  dass  er  nach  Sparta  berufen  ward,  um  der  durch  innere 
Stürme  zerrütteten  Stadt  mittelst  seiner  feierlich-erhabenen  Tonkunst  Friede  und 
Ruhe  zurückzugeben,  ist  die  anachronistische  Sage  entstanden,  dass  ihn  schon 
Lykurgos  mit  sich  aus  Kreta  gebracht  und  sich  seines  Beistandes  bei  seiner 
Gresetzgebung  bedient  habe.  T.  bereicherte  und  vervollkommnete  die  von  Ter- 
pander begründete  Musik-Ordnung,  indem  er  bei  dem  Cultus  des  Apollon 
ausser  dem  Päan,  einem  ernsten,  gehaltenen  Preislied  zu  Ehren  Gottes,  das 
lebhafte,  mit  Tänzen  und  rhythmischen  Bewegungen  verbundene  Hyporchema 
einführte  und  so  in  die  grossen  Religionsfeste  mehr  Abwechselung  und  Mannich- 
faltigkeit  brachte.  Seitdem  war  der  muntere  kunstvolle  Tanz,  der  an  den 
Gymnopädien,  dem  Feste  der  »nackten  Knaben«  unter  lebhafter  Musikbegleitung 
aufgeführt  wurde,  und  auf  anmuthige  Weise  die  Bewegungen  des  Ringkampfes 
nachahmte,  die  Gewandtheit,  die  frische  Lebenskraft  und  die  heitere  Lust  der 
Jugend  recht  ins  Licht  stellte,  das  Lieblingsschauspiel  des  spartanisches  Volkes. 
Auch  der  Pyrrhichius  oder  Waffentanz,  der  in  den  wildrauschenden  Tanzweisen 
und  dem  Waffengeklirre  der  kuretischen  Priester  des  Zeus  auf  Kreta  seinen 
Ursprung    hatte,    wurde    von    T.  ausgebildet*).     Im  Besonderen  berichtet  noch 


*)  Vergl.  Weber,  „Geschichte  des  griechischea  Volkes",  pg.  312. 


Thalman  —  Thargelia.  165 

Plutarch  (de  musica),  indem  er  dem  älteren  Chronisten  Glaukus  von  Rhegium 
nacherzählt,  dass  T.  die  Lieder  des  Archilochus  nachgeahmt,  sie  aber  weiter 
ausgedehnt  und  die  kretischen  Rhythmen  in  die  Melopöie  eingeführt  habe, 
Rhythmen,  die  weder  Archilochus,  noch  Orpheus,  noch  Terpander  angewandt, 
sondern  welche  er  dem  01ymj)us  entlehnt  habe ;  so  sei  er  nicht  nur  ein  treff- 
licher Componist  geworden,  sondern  auch  mit  Xenodamus  von  Kythere,  Xeno- 
kritus  von  Lokris,  Polymnastus  von  Kolophon  und  Sakadas  von  Argos  ein 
Begründer  der  zweiten  musikalischen  Katastasis  (d.  h.  Feststellung  der  musi- 
kalischen Kunstnormen,  deren  erste,  wie  schon  oben  erwähnt,  auf  Terpander 
zurückzuführen  ist).  Desgleichen  ist  bei  Plutarch  (nDe  musica«,  XXII,  42)  zu 
lesen,  dass  T.  einst  die  Lakedämonier,  die  ihn  nach  einem  Pythischen  Orakel- 
spruche herbeigerufen,  geheilt  und  Sparta  von  der  herrschenden  Pest  befreit 
haben  soll,  wobei  sich  der  genannte  Autor  auf  einen  Bericht  des  Pratinas  beruft. 

Thalman,  Blathieu,  Musiker  zu  Antwerpen  Ende  des  16.  Jahrhunderts. 
Er  schrieb:  y>Missae  IV  sex  vocuma  (Antwerpen,  P.  Phalese,  1593). 

Thamyris,  griechischer  Musiker  vom  Thrakischen  Stamme,  der  rpythischen 
Zeit  angehörig,  soll  nach  Plutarch,  der  in  seinem  Bericht  (»De  musica«,  IV,  25) 
dem  Heraklides  folgt,  wohltönender  und  klangreicher  gesungen  haben,  als  alle 
Sänger  seiner  Zeit,  so  dass  er  sich  den  Musen  zu  einem  musikalischen  Wett- 
kampf stellen  konnte;  er  besang  bei  dieser  Gelegenheit  den  Kampf  der  Titanen 
gegen  die  Götter.  Dieser  "Wettstreit  hat  späteren  Schriftstellern  zu  allerlei 
scherzhaften  Einfällen  Anlass  gegeben;  T.  soll  sich,  für  den  Eall  seines  Sieges 
die  Gunst  jeder  der  neun  Musen  ausbedungen  haben,  unterliege  er  aber,  so 
sollten  sie  nach  Belieben  mit  ihm  verfahren.  Er  verlor  und  musste  seine  Ver- 
wegenheit mit  dem  Verluste  des  Augenlichts,  sowie  seiner  Fähigkeit  auf  der 
Kithara  zu  spielen,  bezahlen.  Homer  besingt  diesen  Vorfall  in  folgenden  Versen 
der  nias  (II,  V.  580  nach  Stollberg's  TJebersetzung) : 

....  Wo  die  Musen  dem  Thrakischen  Sänger 

Thamyris  die  heilige  Gabe  des  Liedes  entrissen, 

Da  er  von  Oichaliä  kam,  Eurytos  verlassend. 

Denn  er  hatte  prahlend  verheissen,  im  Liede  zu  siegen. 

Wenn  auch  gegen  ihn  sängen  die  Musen,  die  Töchter  Kronions; 

Drob  erzürnten  die  göttlichen  Jungfrauen,  gaben  ihm  Blindheit, 

Nahmen  die  Gabe  des  Liedes,  mit  ihr  die  Gabe  der  Harfe. 

Dieser  Sage  tritt  schon  Pausanias  entgegen  mit  der  Behauptung,  dass  T. 
seine  Augen  durch  eine  natürliche  Krankheit  verloren  habe;  dass  sie  ein  be- 
liebter Gegenstand  zur  Darstellung  für  Maler  und  Bildhauer  war,  zeigt  sich 
in  dem  Bericht  desselben  Autors,  dass  der  Maler  Polygnotus  auf  seinem  Ge- 
mälde im  Tempel  zu  Delphi  »die  Fahrt  des  Odysseus  ins  Reich  der  Todten«, 
den  T.  mit  ausgestochenen  Augen,  langem  Bart  und  fliegenden  Haaren,  seine 
zerbrochene  und  der  Saiten  beraubte  Lyra  am  Boden  liegend  dargestellt  habe; 
und  in  seiner  Beschreibung  von  Böotien  erwähnt  er,  dass  unter  den  auf  dem 
Berge  Helikon  aufgestellten  Statuen  sich  T.  befinde,  ebenfalls  blind  und  eine 
zerbrochene  Lyra  in  der  Hand.  Weiter  berichtet  Pausanias  in  seiner  Beschrei- 
bung des  Phokischen  Landes,  dass  T.  ein  Sohn  des  Philammon  und  der  dritte 
Sieger  in  den  delphischen  Kampfspielen  gewesen  sei.  Diodorus  Siculus  nennt 
ihn  einen  Schüler  des  Linus;  Strabo  vergleicht  ihn  mit  dem  Musäus  und  Plato 
stellt  ihn  dem  Orpheus,  Olympus  und  Phemius  zur  Seite  und  wie  er  die  Seele 
des  Orpheus  nach  dessen  Tode  in  einen  Schwan  fahren  lässt,  so  weist  er  der 
Seele  des  T.  eine  Nachtigall  zum  Wohnsitz  an.  Clemens  von  Alexandrien  hält 
ihn  für  den  Erfinder  der  dorischen  Tonart,  und  Suidas  erwähnt,  dass  er  der 
achte,  nach  andern  der  fünfte  namhafte  Dichter  vor  Homer  gewesen  sei;  diese 
Zeitangabe  lässt  zugleich  auf  die  Beschaffenheit  seiner  Kunst  schliessen,  welche 
zwar  noch  der  religiösen  Hymnenpoesie,  jedoch  in  ihrem  Uebergang  zur  episch- 
rhapsodischen Heldendichtung  angehört. 

Thargelia,  Qanytjliu,  Fest  des  Apollo  zu  Athen,  das  im  Monat  Tharge- 
lion,    der    von    demselben    den  Namen  erhielt,   als  Hauptfeier  des  apollinischen 


166  Thaut  -  Theile. 

Cultus  in  Athen  begangen  wurde.  Der  Name  deutet  an,  dass  es  sich  ursprüng- 
lich auf  die  Zeitigung  der  Feldfrüchte,  für  die  am  6.  Thargelion  auch  der 
Demeter  Chloe  ein  Opfer  gebracht  wurde,  bezog.  Später  wurde  es  ein  Reini- 
gungs-  und  Sühnefest,  weil  Apollon  vorzugsweise  für  einen  G-ott  der  Reinheit 
der  sittlichen  "Welt  galt.  Am  6.  Thargelion,  dem  Geburtstage  der  Artemis, 
wurden  die  Reinigungen  vorgenommen  und  am  7.  dem  des  Apollon.  Als  Sühn- 
mittel wurden  bei  diesem  Feste  auch  Menschenleben  geopfert;  zwei  zum  Tode 
verurtheilte  Verbrecher  wurden,  mit  Feigenschnüren  behangen,  unter  Flöten- 
musik  hinausgeführt  und  entweder  verbrannt  oder  von  einem  Felsen  gestürzt. 
Sonst  trug  das  Fest,  dem  apollinischen  Cultus  entsprechend,  einen  freudigen 
Charakter. 

Thaut,  Thaaut,  Theuth,  Thoth,  Thoyth,  ein  ägyptischer  Gott  oder 
"Weiser,  dem  die  Erfindung  einer  Anzahl  von  Instrumenten  zugeschrieben  wird. 
Er  wurde  als  das  Symbol  des  menschlichen  Verstandes  und  der  Erfindungs- 
kraft verehrt. 

Theaterstil,  s.  Stil  und  Oper. 

Thebanische  Harfe  heisst  jene  Harfe,  die  auf  einem  von  James  Bruce  in 
einem  der  Königsgräber  zu  Theben  entdeckten  Gemälde  abgebildet  ist.  Sie 
ist  sehr  schön  geformt,  mit  13  Saiten  bespannt  und  unterscheidet  sich  von 
unserer  Harfe  nur  dadurch,  dass  ihr  das  Vorderholz,  die,  mit  der  tiefsten  Saite 
parallel  gehende,  den  "Wirbelhals  stützende  Säule  fehlt. 

Theodoric,  s.  Dietrich,  Georg. 

Theil,  vergl.  Tacttheil. 

Theil  eines  Tonstiicks,  soviel  als  Hauptabschnitt  eines  solchen,  der  wieder 
in  mehrere  Perioden  zerfällt.  Zunächst  versteht  man  darunter  die  Abschnitte 
der  strenger  und  enger  gegliederten  Formen  des  Liedes  und  des  Tanzes  (s.  d.). 
Beim  Tanze  und  beim  Liede  bilden  schon  acht  Tacte  einen  Theil.  Darnach 
unterscheidet  man  zwei-  und  dreitheilige  Lieder  und  Tänze.  Die  einzelnen 
Theile  der  Tänze  werden  in  der  Regel  wiederholt  und  dementsprechend  mit 
"Wiederholungszeichen  von  einander  getrennt.  Sie  heissen  dann  Reprisen. 
Je  ausgebreiteter  die  Formen  werden,  desto  mehr  wachsen  auch  die  Theile 
derselben,  wie  bei  der  Sonate  und  Sinfonie  (s.  d.).  "Weiterhin  braucht  man 
diese  Bezeichnung  auch  für  »Abtheilung«,  die  Scheidung  der  grössten  der  dra- 
matischen Formen  in  grosse  Abschnitte.  Bei  der  Oper  bezeichnet  man  sie  mit 
Act,  beim  Oratorium  mit  Abtheilung  oder  Theil.  Händel's  »Messias« 
ist  ein  Oratorium  in  drei  Theilen;  Bach's  Passion  ist  in  zwei  Theile  zerlegt. 
Dass  man  endlich  auch  Theil  für  »Band«  braucht,  sei  noch  erwähnt.  Die 
Lehrbücher  für  Composition,  des  Ciavierspiels,  des  Gesanges  u.  s.  w.  erscheinen 
meist  in  zwei,  drei  und  mehr  Theilen,  d.  h.  Bänden  oder  grösseren  Ab- 
schnitten. 

Theile,  Johann,  geboren  zu  Naumburg  1608,  studirte  zu  Jena,  wirkte 
dann  als  Lehrer  nach  einander  an  den  Schulen  von  Frankenhausen,  Altenburg, 
"Windsheim  und  Arnstadt.  Im  Jahre  1635  übernahm  er  die  Konrektor-  und 
1639  die  Rektorstelle  am  Gymnasium  seiner  Vaterstadt,  von  wo  er  1641  eben- 
falls als  Rektor  nach  Bautzen  berufen  wurde.  Hier  starb  er  am  16.  August 
1679  im  Alter  von  71  Jahren  mit  Hinterlassung  einer  reichen  literarischen 
Hinterlassenschaft  von  mehr  als  dreihundert  Schulprogrammen,  von  denen  eines 
fiProgramma  de  Musicav.  (Budissin,  1661)  ihm  in  der  musikalischen  "Welt  einen 
Namen  gemacht  hat. 

Theile,  Johann,  deutscher  Componist  und  Musikschriftsteller,  ist  am 
29.  Juli  1646  als  Sohn  eines  Schneiders  zu  Naumburg  geboren.  Nachdem  er 
sich  in  seiner  Vaterstadt  eine  gediegene  Schulbildung  erworben,  auch  in  der 
Musik  unter  Leitung  des  tüchtigen  Stadtkantor  Scheffler  einen  guten  Grund 
gelegt,  bezog  er  die  Universität  Halle,  um  dort  seine  Studien  fortzusetzen.  Da 
er  jedoch  auf  sein  musikalisches  Talent  angewiesen  war,  um  die  Mittel  zu  seiner 
Existenz  zu  erwerben,  und  es  ihm  in  Halle  au  Gelegenheit  fehlte,  sich  musika- 


Theile.  167 

iicli  zu  bethätigen,  so  wandte  er  sich  nach  Leipzig,  wo  er  als  geübter  Sänger 
und  nicht  weniger  geübter  Spieler  auf  der  Viola  da  Gamba  in  den  Kreisen 
der  Kunstfreunde  willkommen  geheissen  wurde  und  sich  bald  reichlichen  Unter- 
halt erwerben  konnte.  So  sehr  ihm  auch  der  Aufenthalt  in  Leipzig  behagte, 
so  veranlasste  ihn  doch  die  Nachricht  von  der  Anwesenheit  des  sächsischen 
Kapellmeisters  Heinrich  Schütz  in  Weissenfeis,  seinen  Wohnort  alsbald  zu  ver- 
lassen und  behufs  gründlicher  Studien  im  Contrapunkt  bei  diesem  Meister 
nach  letzterer  Stadt  überzusiedeln.  Nach  Beendigung  derselben  begab  sich  T. 
nach  Stettin,  wo  er  sich  bis  1673  —  mit  Unterbrechung  durch  einen  Aufent- 
halt in  Lübeck  —  dem  Privatunterricht  widmete  und  eine  grosse  Zahl  tüch- 
tiger Musiker  heranbildete,  unter  ihnen  die  später  als  Organisten  und  Compo- 
nisten  berühmt  gewordenen  Meister  Buxtehude,  Hasse  und  Zachau.  Endlich 
fand  er  auch  (im  letztgenannten  Jahre)  eine  feste  Stellung,  und  zwar  als 
Kapellmeister  am  holsteinischen  Hofe  zu  Gottorp,  doch  musste  er  dieselbe  schon 
nach  wenigen  Jahren  wieder  verlieren,  da  der  Hof  in  Folge  kriegerischer  Er- 
eignisse das  Land  verlassen  hatte.  Nach  Hamburg  geflüchtet,  sah  sich  T.  hier 
wiederum  auf  eine  private  "Wirksamkeit  hingewiesen,  indessen  sollte  er  bei  dem 
lebhaften  musikalischen  Treiben,  welches  sich  eben  jetzt  in  der  Hansestadt 
entwickelte,  alsbald  Veranlassung  finden,  seine  Fähigkeiten  in  weitestem  Um- 
fange zur  Geltung  zu  bringen.  Schon  seit  Mitte  des  Jahrhunderts  hatte  sich 
Hamburg  als  Pflegestätte  ernster  Musik  vor  den  übrigen  Städten  Deutschlands 
hervorgethan;  hier  war  es  wo  der,  um  1600  in  Italien  aufgekommene  drama- 
tische Musikstil  zuerst  in  die  protestantische  Kirchenmusik  Eingang  fand;  hier 
konnte  auch,  bei  der  geringen  Theilnahme  für  die  italienische  Oper  seitens  der 
Bürger,  der  Gedanke  an  eine  nationale  Oper  aufkommen  und  seine  Verwirk- 
lichung finden.  Selbst  unter  der  Geistlichkeit,  welche  sich  im  allgemeinen  der 
Oper  abhold  zeigte,  fand  sie  einen  eifrigen  Vertheidiger  in  dem  freisinnigen 
Prediger  an  der  Katharinenkirche,  Elmenhorst,  und  nachdem  es  gelungen 
war,  die  gegnerisch  Gesinnten  unter  den  geistlichen  Machthabern  zu  beschwich- 
tigen, konnte  das  Unternehmen  ins  Leben  treten.  T.  war  es,  dem  die  Com- 
position  des  Singspiels  »Adam  und  Eva,  oder  der  erschaff"ene,  gefallene  und 
wieder  aufgerichtete  Mensch«  (Text  von  Richter)  übertragen  wurde,  mit  welchem 
im  Jahre  1678  die  erste  deutsch-nationale  Oper  eröffnet  werden  konnte.  Noch 
in  demselben  Jahre  wurde  eine  zweite  Oper  von  Theile's  Composition  aufge- 
führt: »Orontes  oder  der  verlorene  und  wiedergefundene  königliche  Prinz  aus 
Candia«,  aus  dem  Italienischen  muthmasslich  von  Elmenhorst  und  1681  ein 
Oratorium  »Die  Geburt  Christi«.  Vier  Jahre  später  verliess  T.  Hamburg,  um 
die.  Stelle  des  verstorbenen  Kapellmeisters  Rosenmüller  in  Wolfenbüttel  zu  über- 
nehmen; kurze  Zeit  darauf  aber  vertauschte  er  diese  Stadt  mit  Merseburg,  um 
in  gleicher  Eigenschaft  beim  dortigen  Herzog  Christian  IL  in  Dienst  zu  treten. 
Endlich,  nach  dem  Tode  dieses  Fürsten  abermals  seiner  Stellung  beraubt,  zog 
er  sich  nach  seiner  Vaterstadt  zurück,  wo  er  1724  im  Hause  seines  Sohnes  im 
Alter  von   79  Jahren  gestorben  ist. 

Ausser  den  erwähnten  Werken  schrieb  T.  noch  eine  Anzahl  von  Compo- 
sitionen  für  Kirche  und  Kammer,  darunter  besonders  erwähnenswerth  eine 
Sammlung  von  Messen  zu  vier  und  fünf  Stimmen  im  Palestrinastil,  betitelt: 
r>Noviter  inventum  optis  mtmcalis  compositionis  4^  et  5  vocum,  pro  pleno  ehoro, 
rarae  nee  auditae  prius  artis  ac  siiavitatis  primum,  super  Ganticis  ecclesiae,  scilicet 
Kyrie,  Patrem,  Sanctus,  Osanna,  Benedictus,  Agnus  Dei,  secundum  veri  Frae- 
nestiniani  styli  majestaticam  simulque  reqidas  fundamentales  artis  musicaev.  So- 
dann eine  Sammlung  von  Sonaten,  Präludien,  Couranten,  Airs  und  Sarabanden 
für  2,  3,  4  und  5  Instrumente  unter  dem  Titel:  y>Opus  secundum,  novae  sonatae 
rarissimae  artis  et  suavitatis  musicae,  partim  2  vocum,  cum  simplis  et  duplo  in- 
versis  fugis;  partim  3  vocum,  cum  simplis,  duplo  et  triplo  inversis  fugis;  partim 
4  vocum,  cum  siinplis,  duplo,  triplo  et  quadruple  inversis  ftcgis;  partiyn  5  vocum, 
cum  simplis,  duplo,  triplo,  quadruple  aliisque  varietatis  inventionibus  et  artißciosis 


168  The  ile  —  Thema. 

syncopationibus  etc.a  Als  Theoretiker  hat  sich  T,  durch  zwei  Arbeiten  hervor- 
gethan,  welche  als  Manuscripte  von  der  Hand  Joh.  Grottfr.  "Walther's  im  Be- 
sitze des  Historikers  Forkel  waren;  der  Titel  des  einen  lautet:  »Musikalisches 
Kunstbuch,  worin  15  ganz  sonderbare  Kunststücke  und  Greheimnisse,  welche 
aus  den  doppelten  Contrapunkten  entspringen,  anzutreffen  sind«  (Naumburg, 
1691).  Der  des  andern:  »Unterricht  von  einigen  doppelten  Contrapunkten  und 
deren  Grebrauch«.  —  T.  war,  wie  es  in  einem  seiner  Nekrologe  heisst,  »ein 
besonders  frommer,  redlicher  Mann  und  verstand  die  harmonischen  Künste  aus 
dem  Grunde«.  Yon  der  allgemeinen  Achtung,  deren  er  sich  als  gelehrter  Ton- 
setzer erfreute,  giebt  u.  a.  ein  Brief  des  Kapellmeisters  Schmelzer  in  Wien 
Kunde,  an  den  er  im  Auftrage  des  Kaisers  Leopold  jährlich  eine  Anzahl  vier- 
und  fünfstimmiger  Sonaten  gegen  ein  Honorar  von  hundert  Thalern  für  dessen 
Hofkapelle  einschicken  musste.  »Anlangend  die  überschickten  Sonaten«,  schrieb 
Schmelzer,  »sind  solche  fast  schon  alle  bei  Ihro  Kaiserl.  Majestät  unter  der 
Tafel  producirt  worden,  und  versichere  meinen  Herrn,  dass  es  Ihro  Majestät 
mit  absonderlichem  Content©  angehöret  habe;  zumahlen  Ihro  Maj.  den  Contra- 
punkt gar  wohl  verstehen  und  die  wohlfugirten  Sonaten  sehr  ästimiren«.  Auch 
von  Seiten  des  preussischen  Hofes  wurden  ihm  Auszeichnungen  zu  Theil,  indem 
die  Königin  ihm  nicht  allein  ein  reiches  Geschenk  zugehen  Hess  (1701),  son- 
dern ihm  auch  eine  Kapellmeisterstelle  in  Berlin  zusicherte,  ein  Plan,  der  durch 
ihren  bald  darauf  erfolgten  Tod  vereitelt  wurde. 

Theile,  Adam  Gott  lieb,  ist  am  20.  März  1787  zu  Kleinichstedt  bei 
Querfurt  (Thüringen)  geboren  und  wurde,  nachdem  er  im  Alter  von  sechzehn 
Jahren  in  das  Gymnasium  der  letzteren  Stadt  als  Schüler  eingetreten  wai', 
durch  den  dortigen  Cantor  Fuhrmann  zum  Musiker  gebildet,  als  welcher  er 
von  1812  bis  zu  seinem  Tode  (22.  Juli  1822)  in  "Weissensee,  theils  lehrend, 
theils  als  Organist  wirksam  gewesen  ist.  Unter  den  von  ihm  veröffentlichten 
Compositionen  sind  zu  bemerken:  eine  Sammlung  von  Ciavierstücken  unter  dem 
Titel  »Der  lustige  Leiermann«,  sowie  eine  Anzahl  von  Werken  für  die  Orgel, 
deren  auch  noch  nach  seinem  Tode  bei  Körner  in  Erfurt  erschienen  sind. 

Theiltöne,  s.  Aliquottöne. 

Theilung',  s.  Diminutio. 

Theinred,  auch  Thinred  und  Thanred,  David,  Benediktinermönch  und 
Vorsänger  in  seinem  Kloster  zu  Dover  in  England,  hat  1371  einen  musikalischen 
Traktat  abgefasst,  welcher  in  der  Bodle  -  Bibliothek  (832)  aufbewahrt  wird. 
Das  Manuscript  besteht  aus  drei  Büchern,  die  zusammen  46  Blätter  in  Folio 
enthalten.  Der  Titel  ist:  ».De  legitimis  ordinibus  PentacTiordorum  et  Tetraqjior- 
dorum,  Fr.  Quoniam  musicorum  de  Jus  cantibus  frequens  et  distinctio  eic.«  Der 
erste  Theil  behandelt:  »De  i^roportionihus  musicorum  sonorum,  de  comatisa;  der 
zweite:  »Z)e  consonantiis  musicorum  sofioruma;  der  dritte  enthält  eine  Menge 
Diagramme  und  Scalen  von  verschiedenen  Octavengattungen,  nicht  mit  Noten, 
sondern  mit  Buchstaben  geschrieben. 

Thema,  Tema,  heisst  der  Hauptgedanke  eines  Tonstücks,  aus  welchem 
dies  hauptsächlich  entwickelt  wird.  Das  Motiv  erscheint  als  der  kleinere  Theil 
desselben,  aus  dessen  Verarbeitung  dann  zunächst  das  Thema  hervorgeht.  Daher 
reden  wir  wohl  auch  von  rhythmischen  oder  harmonischen  Motiven,  nicht 
aber  auch  von  rhythmischen  oder  harmonischen  Themen.  Beim  Tanz  geben 
die  charakteristisch  zu  einer  Figur  zusammengefassten  Tanzschritte  das  rhyth- 
mische Motiv  und  dies  erzeugt  gewöhnlich  auch  ein  harmonisches,  und 
aus  der  Verarbeitung  beider  entsteht  dann  die  Kunstform  des  betreffenden 
Tanzes.  Zum  Thema  wird  ein  Satz  erst,  wenn  er  einen  in  gewissem  Sinne 
selbständigen  Inhalt  ausspricht.  Das  Motiv  ist  auch  nicht  inhaltslos,  allein 
sein  Inhalt  kommt  erst  durch  die  dialektische  Entwickelung  zur  vollen  Er- 
scheinung. Der  Hauptsatz  des  ersten  Satzes  der  (7-»?o^^ Sinfonie  von  Beethoven 
wird  aus  einem  solchen  Motiv  entwickelt: 


Thema. 


169 


das    erst    in    seiner    weitern  Fortführung    zum  Gedanken    verarbeitet   ist. 
Gegensatz  dagegen  bringt  gleich  ein  Thema: 


Der 


fe^=5: 


% 


+^^- 


j- 


r 


r 


[m 


:^z 


^ 


=^ 


Aus  der  Verarbeitung  eines  solchen  Themas  entsteht  zunächst  die  Fugen- 
form.  Da  diese  hauptsächlich  aus  dem  Thema  her  vortreibt,  so  muss  dies 
natürlich  besonders  reiz-  und  inhaltvoll  sein.  Manche  Theoretiker  haben  als 
Regel  für  die  Gestaltung  des  Fugenthemas  festsetzen  wollen:  dass  es  nicht 
kürzer  als  zwei  und  nicht  länger  als  acht  Tacte  sein  soll.  So  unbestimmt  und 
nichtssagend  diese  Regel  ist,  so  wenig  haltbar  ist  sie.  Bach's  Fugenthemen 
von  einem  Tact  wie  folgende: 


sind  hochbedeutsam  und  für  die  weitere  Verarbeitung  ganz  vortrefflich.  Die 
Regel  ist  deshalb  dahin  abzuändern,  dass  ein  Fugenthema  genau  so  weit  aus- 
zuspinnen  ist,  dass  es  seinen  melodischen  Gehalt  vollständig  erschöpft,  den  in 
ihm  angeregten  Zusf  vollief  darlegt.  Dass  es  sich  mit  melodischer  Freiheit 
erhebt,  aber  innerhalb  der  natürlichen  Grenzen,  ist  eine  sehr  zweckmässige 
Forderung,  weil  dann  die  Verarbeitung  wesentlich  erleichtert  wird.  Die  Fuge 
ist  eben  durch  mindestens  zwei,  meist  aber  durch  mehr  Stimmen  darzustellen, 
so  dass  man  das  Thema  als  Führer  und  Gefährte  unmittelbar  hintereinander 
gleich  zwei-  und  mehrmals  zu  hören  bekommt.  Der  ersten  Durchführung  aber 
folgt  gewöhnlich  noch  mindestens  eine,  meist  mehrere  andere.  Daher  muss  man 
darauf  bedacht  sein,  bei  Fugen  namentlich  solche  Themen  zu  wählen,  die 
auch  werth  sind,  öfter  als  einmal  unmittelbar  nacheinander  gehört  zu  werden. 
Die  Doppelfuge  erfordert  zwei  ganz  selbständige  Themen,  von  denen  jedes 
allein,  dann  aber  auch  so,  dass  das  eine  des  andern  Contrapunkt  bildet,  ver- 
arbeitet werden  kann.  Hieraus  schon  ergiebt  sich  die  Forderung,  dass  beide 
Themen  in  gewissem  Sinne  gegensätzlich  erfunden  werden  müssen.  Der  Contra- 
punkt in  gleichen  Noten  ist  der  uninteressanteste;  die  Zweistimmigkeit  erfordert 
schon  eine  möglichst  selbständige  Führung  der  Stimmen.  Sollen  also  die  beiden 
Themen  sich  gegenseitig  wirksam  contrapunktiren,  so  müssen  sie  möglichst 
abweichend  im  Charakter  gehalten  werden.  Dies  ist  aber  au.ch  deshalb  absolut 
nöthig,  damit  die  Durchführungen  auch  das  nöthige  Interesse  gewinnen  und 
rege    erhalten.     Als   ein  Beispiel  stehen  hier  die  Themen   aus  dem  Schlusssatz 


von  Reissmann's  »Wittekind«: 
I. 


Der    Herr    — 


mmdE^L 


& 


•— 


^  ^ 


:t= 


II. 


Der    Herr         hat      Gro    -     sses    an    uns    ge-tban!  Des  sind    wir 


—      hat 

-i    1 


Gro 


sses     an     uns     ge  -  than. 

"^    .^   2   i    i    J 


^öf- 


:t= 


froh 


— • — 
lieh. 


170 


Thema. 


Zuerst  wird  das  erste  Thema:  »Der  Herr  hat  Grosses  an  uns  gethan«  in  he- 
sondern  Durchführungen  verarbeitet,  darauf  das  zweite:  »Des  sind  wir  fröh- 
lich« und  dann  erst  treten  beide  Themen  als  eines  mit-  und  gegeneinander 
auf,  wie  hier  angedeutet  ist.  Für  die  Tripelfuge  werden  drei,  für  die  Qua- 
drupelfuge vier  Themen  nothwendig  und  alle  müssen  untereinander  charak- 
teristisch geschieden  sein,  damit  sie  die  Durchführungen  rechtfertigen. 

Bei  der  Yocalfuge  ist  natürlich  die  "Wahl  des  Textes  sehr  bedeutungs- 
voll. "Wenn  es  als  erste  Bedingung  gilt,  ein  Thema  zu  wählen,  das  für  eine 
oftmalige  "Wiederkehr  in  den  verschiedenen  Verarbeitungen  geeignet  ist,  so  muss 
auch  ein  Text  gewählt  werden,  der  ein  solches  bedeutendes  Thema  zu  erzeugen 
vermag.  Der  Instrumentalfuge  am  nächsten  verwandt  sind  die  Vocalfugen, 
welche  die  bekannten  Grebetsschlussformeln  »Amen«,  »Hallelujah«  und 
»Hallelujah  Amen«  zum  Text  haben.  Diese  "Worte  an  sich  können  nicht 
eigentlich  ein  Thema  erzeugen  oder  beeinflussen.  Das  »Amencf  wird  in  der 
Regel  in  der  Auffassung  Luther's  als:  »Ja,  ja,  das  soll  also  geschehena 
als  Ausdruck  frommer  Zuversicht  gefasst;  es  wird  daher  meist  mehr  gesungen 
als  deklamirt;  bei  Erfindung  des  Themas  ist  man  mehr  auf  eine  reiche  melis- 
matische  Ausschmückung,  als  auf  syllabische  Deklamation  bedacht: 

Händel.  Bach. 


men,    A 
Haydn. 


Des  Herren  Ruhm,  er  bleibt  in 


E    -    wig  -  keit. 


E^Eg 


ij: 


-vt 


:}2t 


) 


--X 


r   0     -m-ß  — -» 


-r-f^- 


La 


men! 


men.  A 

Das  Hallelujah  ist  schon  der  syllabischen  Auffassung  etwas  günstiger: 

Händel. 
Hai  -  le     -     lu      -      jah! Hai     -     le    -    lu      -      jah! 


=t 


:!=)= 


—         7 


a 


'-r^^ 


»  ß  0 

ly         'y  ly  1^ 

l/         k/         / 

Hal-le-lu  -  jah!    Hal-le  -  lu  -  jah!      Hai    -   le 


lu  -  jah! 


ebenso  die  Verbindung  beider  Gebetformeln : 


tr- 


men 


Hai  -  le  -  lu  -  jah      A  -  men!     A  -  men  Hai  -   le    -    lu  -  jah      A 

Ungleich  günstiger  erweisen  sich  das  t) Kyrie  eleison^  und  y>Ohriste  eleison«, 
weil  hier  die  verschiedene  Auffassung  dieser  Gebetsformeln  die  abweichensten 
Themen  erzeugen  kann.*)  Andrer  Art  ist  die  Thematik  bei  der  Sonate  und 
den  verwandten  Formen  der  Ouvertüre  oder  beim  Rondo.  Beim  Sonaten- 
satz wird  die  Wirkung  durch  den  Contrast  das  eigentlich  Erzeugende  und  so 
stellt  sich  der  erste  Theil  in  zwei  Sätzen  dar,  im  Haupt-  und  Nebensatz, 
die  nach  ihrer  ganzen  Construktion  entschieden  gegensätzlich  gehalten  sind. 
Gewöhnlich  herrscht  im  Nebensatz  das  Lied-  und  Gesangmässige  vor,  und 
namentlich  hierauf  beruht  das  ideell  Contrastirende  der  beiden  Sätze.  Der 
Hauptsatz  hält  dem  gegenüber  mehr  die  dialektische  Entwickelung  eines  oder 
mehrerer    charakteristischer    Motive    fest,    während    bei    diesem    die    getragene, 


*)    Siehe  hierüber  Reissmann:  „Lehrbuch  der  musikahschen  Composition"  (Berlin, 
.1.  Guttentag,  Band  II.  p.  224  ff.). 


Thematische  Arbeit.  171 

^esangreiche  Cantilene  vorherrscht.  Die  Beispiele  aus  Beethoven's  G-moll- 
Sinfonie  am  Eingange  dieses  Artikels  zeigen  diese  Unterschiede  deutlich;  der 
Hauptsatz  ist  aus  einem  Motiv,  der  Nebensatz  aus  einem  Thema  entwickelt, 
und  das  ist  das  Charakteristische  dieser  Form.  "Weitere  Beispiele  und  nähere 
Erläuterungen  bringt  auch  der  Artikel  Ouvertüre.  Die  Verarbeitung  ist  hier 
eine  ungleich  freiere  als  bei  der  Fuge  und  wird  diirch  bedeutendere  rhythmische 
wie  melodische  Hülfsmittel  unterstützt.  Die  oben  erwähnten  Artikel  bringen 
das  Nähere  auch  hierüber.  Dort  ist  auch  gezeigt,  wie  die  Themen  und  ihr 
specieller  Inhalt  die  ganze  weitere  Entwickelung  bedingen  und  wie  dadurch 
diese  Formen  einem  ganz  bestimmten  Inhalt  dienstbar  werden.  Die  besondere 
Form  des  Thema  mit  Variationen  wird  in  dem  Artikel  Variationen 
eingehender  besprochen. 

Thematische  Arbeit  nennen  wir  die  consequente  Entwickelung  eines  Satzes 
aus  einem  oder  mehreren  Motiven  oder  Themen.  "Wir  haben  bereits  den  Unter- 
schied von  Thema  und  Motiv  oben  angedeutet,  die  thematische  Arbeit 
beschäftigt  sich  vorwiegend  mit  letzteren.  Streng  genommen  fasst  man  nur 
die  freiem  Gebilde  unter  den  Begriff  thematische  Verarbeitung.  Die 
strengen  Formen  derselben  führen  eben  bestimmte  Namen  wie  Fuge  oder 
Canon.  Diese  sind  zwar  auch  thematische  Arbeiten,  da  sie  aus  einem  Thema 
entwickelt  werden,  allein  ihre  besondern  Namen  bezeichnen  zugleich  die  beson- 
dere Art  derselben,  und  deshalb  fasst  man  auch  die  freiem  Formen  derselben 
unter  dem  Gresammtnamen  Thematische  Arbeit  oder  Verarbeitung  zu- 
sammen. Daher  fallen  auch  die  freier  behandelten  Partien  in  der  Fuge,  die 
sogenannten  Zwischensätze,  welche  die  verschiedenen  Durchführungen  ver- 
binden,  und  in  denen  nur  kleinere,  meist  dem  Thema  entlehnte  Motive  ver- 
arbeitet werden,  unter  den  Begriff  thematische  Arbeit. 

Diese  kommt  in  ausgedehnterem  Maasse  in  Instrumentalwerken,  aber 
auch  in  den  freieren  Vocalwerken  zur  Anwendung.  Die  begleitenden  Stimmen 
der  Choral figuration  werden  in  der  Eegel  aus  einem  oder  mehreren  Mo- 
tiven thematisch  entwickelt.  Auch  die  Motettenform  erfordert  thematische 
Arbeit  in  reicherm  Maasse.  Beim  Liede  mit  Begleitung  tritt  diese  nament- 
lich in  der  Begleitung  hervor.  Die  Grundstimmung  des  Textes  erzeugt  ein 
Begleitungsmotiv,  aus  dem  dann  die  ganze  Begleitung  vorwiegend  gewoben 
wird.  Beispiele  hierfür  anzugeben  ist  ganz  unnütz,  da  die  Lieder  unserer 
Meister  sie  in  Menge  liefern.  Die  grossen  Instrumental  formen  haben 
in  dem  sogenannten  Durchführungssatz  einen  besondern,  rein  motivisch 
entwickelten  Satz,  doch  werden  auch  die  andern  Sätze  vielfach  hauptsächlich 
durch  diese  thematische  Arbeit  gewonnen.  Auch  der  Hauptsatz  des  eigent- 
lichen Sonatensatzes  erwächst  meist  aus  motivischer  Arbeit  und  auch  der 
Nebensatz  treibt  kaum  ohne  sie  empor;  aber  diese  ist  hier  auf  Schöpfung 
grösserer  Partien  gerichtet.  Im  Durch führungssatz  beginnt  das  leichtere 
und  pikantere  Spiel  mit  Themen  und  Motiven,  um  den  dann  wieder  gewich- 
tigern und  bedeutendem  dritten   Theil  vorzubereiten. 

Die  Hülfsmittel  dieser  thematischen  Verarbeitung  sind  ziemlich  reich- 
haltig. Selbst  in  den  strengen  Formen  des  Canons  und  der  Fuge  sind  Ver- 
änderungen des  Themas  zulässig  und  geboten.  Schon  in  der  ersten,  strengsten 
Durchführung  werden  bei  der  Beantwortung  des  Themas  gewisse  Melodie- 
schritte verändert,  aus  einem  Quarten  schritt  wird  unter  Umständen  ein  Quinten- 
schritt (s.  Quintfuge),  die  Modulation  nach  der  Dominant  muss  durch  den 
Rückgang  nach  der  Tonika  beantwortet  werden,  wodurch  ursprüngliche  Inter- 
vallenschritte verändert  werden.  Ferner  sind  besondere  Durchführungen  für 
die  rhythmische  Veränderung  des  Themas,  seine  Vergrösserung  oder 
Verkleinerung  bestimmt;  und  die  harmonische  Veränderung  ist  ebenfalls 
in  der  eigensten  Idee  der  Form  geboten.  Alle  diese  IMittel  stehen  natürlich 
der  freien  thematischen  Arbeit  in  noch  weit  erhöhterem  Maasse  zu  Gebote. 
Als    ein  Muster    solcher    thematischen  Arbeit    ist  namentlich  der  erste  Satz 


1 72  Theobald  —  Theon  von  Smyrna. 

der  C-moU- Sinfonie  von  Beethoven  zu  empfehlen.  Aus  jüngerer  Zeit  darf 
Mendelssohn's  Ouvertüre  zu  den  »Hebriden«  erwähnt  werden,  die  sich 
ebenfalls  aus  einfachen  Motiven  in  grossem  Eeichthum  entwickelt.  Man  hat 
diese  thematische  Arbeit  in  neuerer  Zeit  zu  verdächtigen  und  sie  als  mecha- 
nisch gemacht,  als  den  Grenius  hemmend  darzustellen  versucht.  "Wenn  sie  eben 
»gemacht«  ist,  dann  hat  sie  allerdings  geringern  Werth  und  wäre  sie  auch  noch 
so  meisterhaft  ausgeführt.  Allein  wenn  das  Motiv  »erfunden«  ist,  und  das  soll 
eben  nicht  gemacht  sein,  wenn  es  vielmehr  aus  einem  wirklich  bedeutsamen 
Inhalt  emportreibt,  dann  wird  dieser  auch  die  weitere  Arbeit  beherrschen  und 
durchdringen,  dass  sie  eben  nicht  nur  als  kühle,  sondern  als  eine  Verstandes- 
arbeit erscheint,  bei  der  auch  Herz  und  Phantasie  vollauf  betheiligt  waren, 
und  dann  ist  die  Arbeit  höchste  künstlerische  That. 

Theobald,  s,  Gratti. 

Theobaldas,  Kapuzinermönch  und  Componist,  zu  Costnitz  geboren,  gab 
Anfang  des  18.  Jahrhunderts  heraus:  »Petra  Deserti,  oder  Fesseln  der  schmerz- 
haften Marianischen  Linde,  in  geistlichen  Arien,  mit  zwei  Violinen  im  Ritor- 
nelloa  (Augsburg,  1703). 

Theodoricus,  Greorgicus,  musikalischer  Schriftsteller  des  16.  Jahrhunderts, 
geboren  in  Meissen,    gab  heraus:    f>Questiones  Musicaea    (Görlitz,   1575,  in  8"). 

Theodoricus,  Sixtus,  Contrapunktist,  lebte  im  Anfang  des  16.  Jahrhun- 
derts. Auf  der  Münchner  Bibliothek  findet  man  (in  Salblinger's  nConcentus«, 
Augsburg,  1545,  4"):    y)Magnificat  8  Tonorum«    (Argentorati,  1535  und  1537). 

Theodulfns,  ein  französischer  Bischof  zu  Orleans,  in  Poesie  und  Musik 
erfahren,  wurde  in  Folge  eines  Aufruhrs,  den  Ludwig  I.  Söhne  gegen  ihn 
erregten,  zu  lebenslänglicher  Gefangenschaft  verurtheilt.  Im  Gefängniss  schrieb 
er  den  Lobgesang:  y>Gloria,  laus  et  Tionor  sit  tibi,  CJiriste  redemptora  und  sang 
denselben  mit  lauter  Stimme,  als  der  Kaiser  am  Palmsonntage  in  Prozession 
am  Gefängnisse  vorüberzog.  Er  erhielt  dadurch  seine  Befreiung.  (Printz, 
»Histor.  der  Mus.«  K.  9,  §  15.) 

Theogerus,  Bischof  von  Metz  im  elften  Jahrhundert,  war  Anfangs  Bene- 
diktinermönch im  Kloster  Hirschau  und  erhielt  vom  heiligen  "Wilhelm  Unter- 
richt, welcher  ihn  auch  1090  zum  Abt  des  Klosters  St.  Georgi  im  Schwarz- 
walde einsetzte,  von  wo  aus  er  nach  Metz  berufen  wurde.  Der  Abt  Gerbert 
{•»Scriptores  ecclesiastici  de  musicaa,  Th.  2,  S.  182 — 196)  veröffentlicht  drei 
Manuscripte,  welche  zu  seiner  Zeit  in  den  Klöstern  Tegernsee,  Peterskloster 
im  Schwarzwalde  und  der  Blasianischen  Bibliothek  vorhanden  waren,  ein  Tractat 
von  Theogerus,  der  aber  nicht  von  Bedeutung  ist.  Der  Inhalt  desselben  ist 
folgender:  De  repertoribus  mtisicae  artis.  De  MonoeJiordo.  De  JKensura  mono- 
cTiordi,  Quod  spatium  dicatur  Tonus,  qtcod  Semitonium  et  caetera.  De  novem 
modis  vocum.  De  consideratione  numerorum.  De  proportionihus  dupla,  sesquialtera, 
et  sesquitertia.  De  cadem  proportione  in  mensura  considerata.  De  divisione  Mono- 
chordi  de  Tetrachordis.  Quomodo  consitent  Tetrachorda.  De  quatuor  TetracTiordis  A 
aliis.  De  speciehus  Diatessaron.  De  speciehus  Diapente.  De  speciebus  Dia-  "^ 
pason.  Quod  graviores  sint  principaliores.  De  constitutione  quatuor  troporum. 
De  Proto.  De  Deutero.  De  Trito.  De  Tetrardo.  De  divisione  Proti.  De 
divisione  Deuteri.  De  divisione  Triti.  De  divisione  Tetrardi,  Sanc  divisionem 
non  esse  recentem.  De  divisione  Troporum  naturales  regulas  servasse.  De  primo 
Tono.  De  2^",  3",  4*^  5*°,  6*°,  7°^°,  8^*^.  DecacJiordum  secundi  et  exempla  ejus. 
Decacliordum  Tertii  et  exetnpla  ejus.  Decachordum  Octavi  et  exempla  ejus.  Ge- 
nerales  regulae  autentici  cantus.  Generalis  regula  plagalis  cantus.  Generalis 
regula  communis  cantus. 

Theon  von  Smyrna  (Theo  Smyrnäus),  Philosoph  aus  der  Schule  des 
Plato  und  berühmter  Mathematiker  und  Astronom,  lebte  unter  den  beiden 
Kaisern  Trajan  und  Hadrian  (98 — 117 — 138  n.  Chr.),  war  demnach  ein  un- 
mittelbarer Vorgänger  des  Ptolemäus  und  wurde  auch  sein  Vorarbeiter,  indem 
der  letztere  die  astronomischen  Beobachtungen  des  T.  bei  seinen  eigenen  Unter- 


Theophanes  Graptus  —  Theorie  der  Musik.  173 

suchungen  verwerthete.  Von  seinen  Schriften  ist  nur  eine  bekannt  geworden, 
deren  Titel  auf  einer  alten  Handschrift  lautet:  r>De  iis  qiiae  in  mathematicis  ad 
Piatonis  lectionem  utilia  sunta;  aber  auch  von  ihr  ist  nur  ein  Theil  erhalten, 
worin  er  von  der  Arithmetik  und  von  der  Musik  handelt,  von  letzterer  in 
61  Kapiteln.  Dies  Fragment  wurde  1644  zu  Paris  nach  einem  Manuscript 
der  Bibliothek  des  De  Thou  von  Bouillaud  unter  dem  Titel  nTheonis  Smyrnaei 
Flafonici,  eorumqiiae  in  Mathematicis  ad  Piatonis  lectionem  utilia  sunt  expositio, 
e.  hibliotheea  TImana.  Opus  nunc  primum  editum,  latina  versione,  ac  notis  illn- 
stratum  ab  Isma'ele  Bullialdo  Juliodunensi.  Lutetiae  Parisiorujn,  apud  Ludovicum 
de  ITeuqueville  1644«  herausgegeben  und  mit  einem  noch  jetzt  leseuswerthen 
Commentar  versehen.  Den  Inhalt  dieses  "Werkes  bilden  ausführliche  Auszüge 
aus  den  Werken  seines  Vorgängers  Thrasyllus  (s.  d.),  nach  welchem  insbeson- 
dere die  Erklärung  der  fiEdotijzeg  (die  in  der  Mitte  liegenden,  die  Tonart  be- 
stimmenden Töne  einer  Scala)  des  platonischen  Timäus  wörtlich  mitgetheilt 
wird.  Ausserdem  schöpft  T.  aus  Eratosthenes  und  aus  dem  Peripatetiker  Adrast, 
dem  Hauptgegner  des  Aristoxenus.  Neues  findet  sich  nur  wenig  bei  ihm  und 
mit  der  Darstellung  der  musikalischen  Akustik  seines  Nachfolgers  hält  die  des 
T.  nicht  den  entferntesten  Vergleich  aus.*) 

Theophaues  Oraptus,  Erzbischof  zu  Nicea,  lebte  um  die  Mitte  des  neunten 
Jahrhunderts.  Als  Vertheidiger  des  Bilderdienstes  von  Kaiser  Theopbilus  ins 
Exil  geschickt,  wurde  er  jedoch  seiner  Kenntnisse  halber  auch  in  der  Musik 
zurückgerufen.  Er  versah  die  Gesänge  der  Orientalischen  Kirche  mit  Melodien 
und  erfand  auch  in  Gemeinschaft  mit  Damascenus  und  Cosmas  gewisse  Zeichen 
und  Noten,  um  diese  Melodien  aufzeichnen  zu  können,  wodurcli  sie  sich  bei 
ihren  Zeitgenossen  viel  Ruhm  erwarben  und  Melodos  genannt  wurden.  Das 
Bildniss  T's.  befindet  sich  im  fTriodo  Venet.a  1601.  (Gerbert,  y>De  canta  et 
musica  sacraa.) 

Theophrastus,  Tonkünstler  des  alten  Griechenlands,  aus  Pierien,  vermehrte 
nach  dem  Nicomachus  die  Lyra  des  Merkur  um  die  neunte  Saite.  (Forkel, 
Geschichte,  Band  I.) 

Theorbe,  Tiorha,  Tuorhe,  eine  Art  Laute,  der  grossen  Basslaute  ähnlich, 
weshalb  sie  auch  von  den  Italienern  Archileuto  oder  Archiliuto  (die  grosse  Bass- 
laute) genannt  wurde.  Doch  hatte  die  Theorbe  einen  längern  Hals  mit  dop- 
peltem Wirbelkasten,  den  einen  in  der  Mitte  des  Halses  und  den  andern  am 
obern  Ende  desselben.  Von  den  14 — 16  Saiten  lagen  nur  sechs  oder  acht  über 
dem  Griffbrett,  das  wie  bei  der  Laute  mit  Bünden  versehen  war,  die  andern 
im  zweiten  Wirbelkasten  befestigten  Saiten  lagen  neben  dem  Griffbrett,  sie 
konnten  also  nicht  gegriffen  werden  und  wurden  als  Basssaiten  nur  nach  ihrer 
ganzen  Länge  für  den  Ton,  in  dem  sie  gestimmt  waren,  benutzt.  Zu  Prä- 
torius'  Zeit  war  die  Theorbe  nur  mit  einfachen  Saiten  bezogen,  während 
die  Laute  auf  dem  Griffbrett  doppelte  Saiten  für  jeden  Ton.  hatte.  Bald 
wurde  indess  auch  die  Theorbe  doppelchörig  auf  dem  Griffbrett  bezogen.  Sie 
wurde  früh  schon  zur  Begleitung  des  Gesanges  herangezogen,  wie  die  Laute 
und  mit  und  neben  dieser  zur  Ausführung  des  Generalbasses  in  Kirche  und  bei 
den  dramatischen  Spielen  verwendet.    Erst  durch  das  Ciavier  wurde  sie  verdrängt. 

Theorbenflügel,  ein  Tasteninstrument  von  16  Pusston,  mit  drei  Eegistern, 
von  denen  zwei  aus  Darm-,  das  dritte  aus  Drahtsaiten  bestand.  Es  war  dem 
Lautenclavier  verwandt,  doch  hatte  es  eine  Octave  mehr  Umfang.  Es  ward 
1718  von  dem  Instrumentenmacher  Joh.  Eph.  Fleischer  zu  Hamburg  erfunden. 

Theorie  der  Mnsik  ist  die  Wissenschaft  und  Lehre  von  den  Gesetzen,  nach 
denen  die  Mittel  musikalischer  Darstellung  zum  Kunstwerk  verwendet  werden. 
Sie  umfasst  die  Lehre  von  Ton  und  Klang  nach  ihrer  physikalischen  Erzeu- 
gung und  den  natürlichen  Verhältnissen  der  Töne  und  Klänge  zu  einander, 
als  Akustik    und    dann    als   Tonsetzkunst   oder  Compositionslehre,  als 


*)    Vergl.:  Westphal,  „Griechische  Ehythmik  und  Harmonik",  zweite  Aufl.  I.  p.  76. 


174  Theorie  der  Musik. 

die  Lehi-e  von  den  Bedingungen,  unter  denen  die  so  gewonnenen  Töne  und 
Klänge  zum  Kunstwerk  verarbeitet  werden.  Einen  direkten  Einfluss  gewinnt 
die  Akustik  im  Grunde  auf  die  Schöpfung  des  Kunstwerks  nicht;  als  Lehre 
von  den  Tonempfindungen  macht  sie  die  Wii'kung  von  Ton  und  Klang  nament- 
lich zum  Gegenstande  ihx'er  Untersuchungen.  Wie  weit  die  Tonsetzkunst 
diese  berücksichtigen  muss,  das  hat  sie  bisher  vielmehr  durch  die  Erfahrung 
als  durch  die  Wissenschaft  gelernt.  So  erklärt  sich  die  Erscheinung:  dass 
Völker  und  Zeiten,  welche  die  genauesten  Messungen  und  Tonberechnungen 
aufstellten,  wie  Griechen  und  Juden,  doch  kein  Kunstwerk  auf  diesem  Gebiet 
zu  schaffen  vermochten,  während  wieder  andrerseits  die  Höhenpunkte  unserer 
Musikentwickelung  meist  in  Zeiten  der  Vernachlässigung  akustischer  Unter- 
suchungen fallen. 

Auch  die  Theorie  der  Tonsetzkunst,  die  Lehre  von  der  musikalischen 
Composition,  ist  gegenwärtig  stark  in  Misscredit  gekommen,  aber  ganz  zweifellos 
mit  Unrecht.  Gewiss  vermag  die  Unterweisung  in  der  Kunst  nicht  das  man- 
gelnde Genie  oder  Talent  zu  ersetzen.  Allein  das  ist  auch  nicht  ihr  Zweck 
und  Ziel.  Der  Ausdruck  an  sich  erfordert  vielmehr  die  vollständigste  Beherr- 
schung desjenigen  Materials,  welches  zum  Ausdrucksmittel  gewählt  wird.  Um 
sich  in  einer  Sprache  verständlich  zu  machen,  genügt  es  nicht,  dass  man  eine 
Reihe  von  Vocabeln  kennt  und  mit  dem  Satzbau  leichthin  bekannt  ist.  Auch 
das  grösste  Sprachgenie  wird  mit  den  sämmtlichen  Vocabeln  einer  Sprache  sich 
nicht  voll  verständlich  machen  können,  wenn  es  nicht  auch  mit  dem  Organismus 
der  betreffenden  Sprache  vertraut  ist.  Das  gilt  aber  auch  im  ganzen  Umfange 
vom  schaffenden  Künstler,  auch  ihn  wird  nur  die  vollständigste  Erkenntniss 
der  innersten  Natur  seines  Darstellungsmaterials  befähigen,  sich  durch  dasselbe 
zu  offenbaren,  und  diese  zu  vermitteln,  ist  Aufgabe  der  Theorie  seiner  Kunst. 
Der  Künstler  soll  ja  sein  Ideal  nicht  nur  offenbaren,  sondern  er  soll  es  uns 
in  künstlerischen  Formen  darstellen.  Das  kann  er  aber  nur,  wenn  er  das  Ma- 
terial, mit  dem  er  formen  und  bilden  soll,  nach  seiner  innersten  Natur  kennt, 
wenn  ihm  die  Gesetze,  nach  denen  es  zusammengefügt  werden  kann,  vollständig 
bewusst  sind.  Diese  Einsicht  in  das  Material  und  die  Gesetze  seiner  Gestaltung 
soll  ihm  die  Theorie,  hier  die  Compositionslehre  vermitteln.  Sie  soll 
ihm  die  ganze  Eeihe  von  Experimenten,  welche  die  Meister  und  Theoretiker 
früherer  Jahrhunderte  anstellen  mussten,  um  die  innerste  Natur  ihres  Materials 
zu  ergründen,  entbehrlich  machen;  sie  soll  ihn  vor  den  Irrwegen  bewahren, 
welche  das  Genie  nur  zu  leicht,  im  Vertrauen  auf  die  ihm  innewohnende 
schöpferische  Kraft  einschlägt.  Ein  geniales  Kunstwerk  zu  schaffen  befähigt 
die  Theorie  natürlich  nicht,  wohl  aber  ein  vollendetes,  und  dies  zu  schaffen 
ist  überhaupt  Aufgabe  des  Künstlers.  Er  kann  nichts  weiter  thun,  als  dem, 
was  er  innerlich  angeschaut  hat,  die  vollendetste,  vollkommen  künstlerische 
Form  zu  geben.  Ob  diese  dann  Kundgebung  des  Genius  ist,  liegt  nicht  in 
seiner  Entscheidung,  am  wenigsten  im  Moment  des  Schaffens.  Zudem  ist  kaum 
ein  anderer  Begriff  weniger  fest  zu  bestimmen,  als  der  Begriff  »genial«.  Der 
Genius  erweist  sich  neu  schaffend,  aber  deshalb  ist  noch  nicht  alles,  was  neu 
ist,  auch  schon  genial.  Auch  die  aus  Ungeschick,  oder  mangelnder  Erkenntniss 
erfolgende  schülerhafte  Abweichung  von  den  untersten  Gesetzen  der  Kunst- 
gestaltung ist  oft  neu  —  aber  doch  meist  nichts  weniger  als  genial.  Der  Genius 
hält  fest  an  den  unverletzlichen  Naturgesetzen;  er  überspringt  und  negirt  sie 
nicht,  sondern  er  erfasst  sie  nur  tiefer,  und  das  nur  kann  als  genial  gelten, 
was  innerhalb  dieser  natürlichen  Schranken  noch  neu  und  eigenthümlich  ist. 
Daher  begeht  die  Theorie  aber  auch  einen  grossen  Fehler,  der  meist  von  folgen- 
schwerer Bedeutung  wird,  wenn  sie  diese  Gesetze  aus  bestimmten  Kunstwerken 
einseitig  abstrahirt  und  nach  ihrem  Muster  gewisse  Maasse  construirt,  um  dar- 
nach neue  Kunstwerke  zu  formen  oder  zu  messen.  Die  Kunst  vollzieht  sich 
nicht  in  einem  Meister  oder  in  einem  Jahrhundert,  sondern  die  ewigen  Gesetze 
der    künstlerischen    Gestaltung    werden    durch    alle  Meister   aller  Jahrhunderte 


Therache  —  Tliern.  175 

repräsentirt  und  dann  ist  das  Kunstwerk  auch  kein  nachzurechnendes  mathe- 
matisches Exempel.  Die  Kunstlehre  kann  nur  die  eine  Aufgabe  haben:  dem 
Kunstjünger  die  Natur  des  Darstellungsmaterials  zu  erschliessen  und  die  Gesetze 
darzulegen,  nach  denen  dies  zum  Kunstwerk  zu  verarbeiten  ist.  Sie  muss  ihm 
die  nöthige  Anleitung  gewähren,  dass  er  die  vollständige  Herrschaft  gewinnt 
über  das  Darstellungsmaterial,  um  ihn  so  zu  befähigen,  einen  bestimmten  Inhalt 
künstlerisch  darzustellen.  Diesen  selber  kann  sie  ihm  natürlich  nicht  ver- 
mitteln; sie  kann  also  nicht  eigentlich  im  Schaffen,  sondern  nur  im  Formen 
unterweisen,  und  dieser  Unterweisung  bedarf  das  Genie  eben  so  nothw endig  wie 
das  Talent  oder  die  blosse  Begabung. 

Terache,  Pierre  de,  französischer  Musiker,  der  zur  Kapelle  des  Königs 
Ludwig  XII.  gehörte  und  von  dem  auch  vierstimmige  Motetten:  »Senatus  apo- 
stoloritma,  »  Verbum  honum  et  suave«.  im  ersten  und  zweiten  Buche  der  nMotetti 
de  la  Goronaa.  von  Petrucci  de  Fossombrone  (1513  und  1519,  klein  4°),  vor- 
handen sind. 

Thern,  Carl,  geboren  am  13.  August  1817  zu  Iglo  in  Oberungarn,  war  im 
Jahre  1841  Kapellmeister  am  ungarischen  Nationaltheater  in  Pest,  von  1853  bis 
1864  Professor  der  Compositionslehre  und  der  höhern  Ausbildung  im  Ciavierspiel 
am  Pest- Ofener  Musikconservatorium  und  später  fünf  Jahre  hindurch  Dirigent 
des  »Vereins  der  Musikfreunde«  in  Pest.  Er  schrieb  drei  grosse  ungarische 
Opern:  »Gizul«,  »Die  Belagerung  von  Tihang«  und  »Der  eingebildete  Kranke«, 
nebst  mehreren  Singspielen,  die  sämmtlich  auf  dem  ungarischen  Nationaltheater 
wiederholt  zur  Auffühi'ung  gelangten.  Ausserdem  componirte  er  viele  ungarische 
Chöre  und  Lieder,  welche  bleibend  ins  Volk  gedrungen  sind  und  von  den 
Karpathen  bis  zur  Adria  gekannt  und  als  Volksweisen  gesungen  werden. 
50  Werke  für  Gesang  wie  für  Ciavier  sind  erschienen  theils  bei  ungarischen, 
theils  bei  deutschen  Verlegern.     Seine  Söhne  sind  die  beiden  Pianisten: 

Thern,  Willi  und  Louis.   Willi,  der  ältere,  ist  geboren  am  22.  Juni  1847, 
Louis,  der  jüngere,  am  18.  December  1848.   Bereits  im  zartesten  Kindesalter 
verriethen  beide  grosse   Neigung  für  Musik  und  sie  wurden  deshalb  von  ihrem 
Vater  mit  aller  Sorgfalt    für    diese  Kunst  ausgebildet.     Als  die  beiden  Brüder 
sich    mit    der    Zeit    eine    bedeutendere    Fertigkeit    im    Ciavierspiel    angeeignet 
hatten  und  noch  als  Knaben  sich  einer  von  ihnen  an  ein  grösseres  Concertstück 
wagte,    beeilte    sich    der    andere,    dies    am    zweiten  Flügel    zu    accompagniren; 
mangelte  es  an  einer  Begleitungsstimme,  so  wurde  sehr  oft  auch  dasselbe  Stück 
im  Tempo    und    in    gleicher  Ausdrucksweise    unverändert    von   beiden  zugleich 
auf   zwei   Flügeln    vorgetragen.     Hieraus    entwickelte  sich  das  unvergleichliche 
Unisonospiel,    mit   welchem    die    beiden  Künstler   jetzt   in  ihren  Concerten  das 
Publikum  oft  in  Erstaunen  versetzen.     Nachdem    sie  beide  wiederholt  in  ihrer 
Heimath  öffentlich  concertirt  hatten,  unternahmen  sie  ihre  erste  Kunstreise  im 
Jahre  1864  in  Begleitung  ihres  Vaters  nach  Deutschland   und  verweilten,    um 
ihre  allgemeine  musikalische  Bildung  zu  erweitern,  anderthalb  Jahre  in  Leipzig, 
bis    sie    daselbst   zum  ersten  Male  in  einem  Concert  der  Singakademie  im  Ge- 
wandhaus vor  das  deutsche  Publikum  traten  und  mit  aussergewöhnlichem  Erfolg. 
Schon  damals  berichtete  der  Kunstkritiker  Bernsdorf  in  den  »Signalen«  hierüber 
Folgendes:    »In    ihren    Leistungen    zeigten  sich  die  jungen  Künstler  als  wahre 
siamesische    Ciavierzwillinge,    denn    die    Glätte,    Geschlossenheit   und  Ueberein- 
stimmung  ihres  Zusammenspiels  war  so  vollkommen  gewahrt,  dass  man  wirklich, 
wenn    man    nicht    hinsah,    an    eine  körperliche  und  geistige  Unität  zu  glauben 
sich    versucht    fühlte.«     In    dieselbe  Zeit    fiel    das  Musikfest    des  »Allgemeinen 
deutschen  Musikvereins«  in  Dessau,    bei  welchem    sie  mit  ihrem  Ensemblespiel 
wahrhaft  Enthusiasmus  erregten.    Bis  jetzt  Hessen  sie  sich  fast  in  allen  grössern 
Städten  Deutschlands  mit  gleichem  Beifall  hören,  bereisten  bereits  auch  Frank- 
reich, wo  sie  in  Paris  in  den  Salons  beim  Fürsten  Metternich,  Baron  Erlanger, 
wie  auch  bei    Bossini,  Berlioz,  Damke,  Szarvady,  Vieuxtemps  u.  a.  m.  sowie  in 
Concerten  die  freundlichste  Aufnahme  und  Anerkennung  fanden.   Auch  in  Eng- 


176  Thesis  —  TMbaut. 

land,  wo  sie  in  London  im  Crystallpalast  in  der  »Musical  Union«,  y> Philhar- 
monie Societya,  in  den  Lesli'schen  Concerten  spielten,  errangen  sie,  wie  auch  in 
Liverpool  in  der  »Philharmonischen  Gesellschaft«,  immer  gesteigerten  Beifall. 
Ausserdem  hatten  sie  sich  der  Auszeichnung  zu  erfreuen,  in  Baden-Baden 
wiederholt  sowie  auch  jüngst  in  Berlin  bei  Hofe  sich  hören  zu  lassen,  ebenso 
an  dem  Grossherzoglichen  Hof  zu  Sachsen- Weimar,  wie  auch  vor  Sr.  Hoheit 
dem  regierenden  Herzog  zu  Altenburg.  Als  nicht  zu  unterschätzender  Vorzug 
der  jungen  Künstler  bleibt  zu  erwähnen,  dass  sie  in  ihrer  Auffassung  parteilos, 
keiner  bestimmten  Richtung  sich  anschliessen,  vielmehr  mit  eben  der  Pietät, 
mit  welcher  sie  die  Werke  von  Bach  (z.  B.  das  ganze  »Wohltemperirte  Clavier«, 
von  ihrem  Vater  für  zwei  Claviere  eingerichtet),  Beethoven,  Mozart  und  andere 
Klassiker  feinfühlig  und  klar  reproduciren,  beherrschen  sie  auch  mit  Sicherheit 
die  glänzende  Bravour  der  neuern  Schule.  Compositionen  von  Liszt  z.  B.  werden 
von  ihnen  eben  so  poesievoll  erfasst,  wie  ästhetisch  maassvoll  wiedergegeben. 
Thesis,  der  Niederschlag,  der  gute  Takttheil  (s.  Niederschlag). 
Thesselius,  Johann,  deutscher  Componist  aus  dem  Anfange  des  17.  Jahr- 
hunderts, lebte  zu  Nürnberg  und  Wien  und  hat  herausgegeben:  »Newe  liebliche 
Paduanen,  Intraden  vnd  Galliarden,  mit  fünf  Stimmen  componirt«  (Nürnberg, 
1609,  4°).     »Tricinia  sacra«  (Wien,  1615). 

Theuss,  Carl  Theodor,  Militärmusikdirektor  des  Grossherzogs  von  Sachsen- 
Weimar,  1786  in  Weimar  als  Sohn  eines  Kaufmanns  geboren.  Erst  1814,  nach 
der  Bückkehr  aus  dem  Feldzuge,  den  er  mitgemacht  und  der  ihn  in  russische 
Gefangenschaft  gebracht  hatte,  widmete  er  sich  ganz  der  Musik  und  erhielt 
1818  die  bezeichnete  Stellung.  Zu  seinen  Arbeiten,  die  hauptsächlich  in  Har- 
moniemusik bestehen,  gehört  auch  eine  Oper:  »Die  blaue  Aloe«,  in  Weimar  1836 
aufgeführt,  ferner:  Serenade  für  Flöte,  Clarinette,  zwei  Hörner  und  Fagott, 
op.  21  (Augsburg,  Gombart).  Zwölf  Stücke  für  Signalhorn,  drei  Hörner,  zwei 
Trompeten  und  Posaune,  op.  43  (Leipzig,  Hoffmeister).  Sechs  charakteristische 
Märsche  für  grosses  Orchester.  Sammlungen  von  Nationalweisen  'und  sechs 
Tyroler  Jodler. 

Theussner,  Zacharias,  war  ein  tüchtiger  Orgelbauer  in  der  ersten  Hälfte 
des  18.  Jahrhunderts.  1702  vollendete  er  die  grosse  Orgel  in  dem  Dom  zu 
Merseburg,  mit  fünf  Manualen,  Pedal  und  68  Stimmen.  Ausser  dieser  baute 
er  noch  mehrere  bedeutende  Werke. 

Tlievenard,  Gabriel  Vincent,  geboren  zu  Orleans  am  10.  August  1669, 
zeichnete  sich  als  Baritonsänger  aus  und  in  Paris,  wo  er  engagirt  war,  erwarb 
er  besonders  durch  den  Vortrag  des  Becitativs,  auf  welches  zu  jener  Zeit  viel 
Werth  gelegt  wurde,  Bewunderer.  Er  starb  1741  und  hatte  der  Pariser  Oper 
40  Jahre  angehört. 

Thiasos,  bei  den  Griechen  ein  Singtanz  zu  Ehren  des  Gottes  Dionysos 
(Bachus),  der  von  den  rasenden  Weibern,  Bacchantinnen,  Mainaden,  Thyiaden 
u.  s.  w.  ausgeführt  wurde. 

Thibault,  Franko is,  Sänger  und  Organist  an  der  Kathedrale  zu  Metz  um 
die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts,  veröffentlichte  eine  fünfstimmige  Messe  über 
den  Gesang:   »O   beata   Caeeiliav.   (Paris,  Eobert  Ballard,  1640,  in  Fol.). 

Thibant,  Anton  Friedrich  Justus,  Dr.,  Professor  der  Rechte  und 
Baden'scher  Geheimrath,  lebte  als  solcher  in  Heidelberg,  gleichzeitig  als  Freund 
und  Förderer  der  Tonkunst  bekannt.  Er  war  in  Hameln  in  Hannover  am 
4.  Januar  1772  geboren,  besuchte  die  Universitäten  Göttingen,  Königsberg  und 
Kiel  und  lebte  als  ordentlicher  Professor  an  der  letzteren,  in  Jena  und  von 
1805  bis  zu  seinem  Tode  am  28.  März  1840  in  Heidelberg.  Hier  pflegte  er 
in  seinem  Hause  auch  die  Tonkunst  und  erwies  sich  als  feinfühliger  Kenner 
der  altern  Musik  in  seinem  Buch:  »lieber  die  Reinheit  der  Tonkunst«  (Heidel- 
berg, Mohr,  1825,  in  8**,  125  S.;  zweite  Auflage  1826,  dritte  1853,  ein  Band 
klein  8").  Die  hohe  Verehrung  für  Palestrina,  dessen  Porträt  auch  dem  Buche 
vorgesetzt  ist,    hat  ihn  zu  einer  gewissen  Einseitigkeit  verleitet,    die   auch  von 


Thibaut  IV.  -  TMeme.  177 

Nägeli  und  Anderen  scharf  gerügt  ist.  Thibaut  ist  der  eigentliche  Begründer 
jener  dilettantischen  Kunstanschauung,  die  gern  ihr  beschränktes  Erkenntniss- 
verraögen  und  die  eigene  einseitige  Geschmacksrichtung  zur  Norm  erheben 
möchte  und  die  in  neuerer  Zeit  namentlich  an  den  Heri-en  Grervinus,  Chry- 
s an  der  und  Genossen  plumpe  und  blinde  Vertheidiger  fand.  Die  Ergebnisse 
der  neuesten  musikalischen  Richtungen  berührten  ihn  so  unsympathisch,  dass 
er  sich  von  der  öffentlichen  Musik  fast  ganz  zurückzog.  Seine  werthvolle  Mu- 
sikaliensammlung kaufte  nach  seinem  Tode  der  König  von  Baiern  für  die  königl. 
Bibliothek  in  München.  Der  Katalog  derselben  erschien  in  Heidelberg  bei 
Carl  Gross,  1842,  in  8",  46  Seiten). 

Thibaut  IV.,  Graf  von  Champagne,  König  von  Navarra,  geboren  zu  Troyes 
im  Anfange  des  Jahres  1201,  war  einer  der  berühmtesten  Troubadours  seiner 
Zeit,  der  eine  grosse  Anzahl  schöner  Lieder  schrieb,  zu  denen  er  auch  die 
Melodie  erfand.  Er  soll  der  Königin  Blanche  seine  Dienste  gewidmet  und  für 
sie  gedichtet  und  gesungen  haben.  Die  kaiserliche  Bibliothek  in  Paris  besitzt 
63  von  ihm  componirte  Lieder.  Der  Bischof  de  la  Ravailliere  hat  sie  in  einer 
Sammlung  veröffentlicht:  »Poesies  du  roi  de  Navarre  avec  des  notes  et  un  glos- 
saire  frangaisa  (Paris,  1742,  deux  volumes,  8").  Th.  unternahm  mit  Ludwig  IX. 
den  Kreuzzug  ins  gelobte  Land  und  starb  1253  oder  nach  anderer  Angabe  am 
13.  Juli  1254  in  Troyes. 

Thickuesse,  Miss,  Meisterin  auf  der  Viola  da  Gamba,  lebte  in  London  1787, 
berühmt  in  ganz  England.     Sie  schrieb  auch  für  dies  Instrument. 

Tüiebault,  Paul  Charles  FrangoisAdrien  Henri  Dieudonne,  Baron, 
Dr.  der  Universität  Salamanka,  wurde  als  Sprössling  einer  französischen  Familie 
in  Berlin  am  14.  Decbr.  1769  geboren.  Er  trat  1792  als  einfacher  Grenadier 
in  die  Armee  ein  und  wurde  von  Grad  zu  Grad,  nachdem  er  die  zahlreichen 
Feldzüge  mitgemacht  hatte,  General-Lieutenant  und  mit  dem  militärischen  Kom- 
mando mehrerer  Departements  betraut.  Zu  seinen  literarischen  Arbeiten  gehört 
auch  ein  Werkchen,  welches  eine  Geschichte  der  Romanze  enthält  und  in  welchem 
man  interessante  und  wenig  bekannte  Nachrichten  über  Dichter  und  Musiker, 
welche  diese  Form  cultivirten,  findet.  Der  Titel  ist:  y>Du  chant,  et  particuliere- 
ment  de  la  romancea.  (Paris,  Arthus-Berti'and,  1813,  8°,   130  S.). 

Thiele,  Carl  Ludwig,  Organist  der  Parochialkirche  zu  Berlin,  wurde  zu 
Quedlinburg  am  18.  Novbr.  1816  geboren  und  erhielt  den  ersten  Unterricht 
von  seinem  Vater,  der  Cantor  in  Nieder-Schönhausen  war.  Später  besuchte  er 
das  Königl.  Kirchenmusikinstitut  zu  Berlin.  1839  erhielt  er  sein  Amt  als 
Organist,  das  er  mit  Auszeichnung  versah.  Seine  Technik  war  eine  eminente 
und  sein  Vortrag  phantasievoll,  er  gehörte  nebst  seinem  Freunde  Haupt  (s.  d. 
Art.)  zu  den  ersten  Orgelspielern  Deutschlands.  Er  starb  leider  bereits  am 
17.  August  1848  an  der  Cholera.  Wirkungsvolle  Orgelstücke,  Variationen, 
Präludien,  Concertstücke  sind  bei  Schlesinger  in   Berlin  erschienen. 

Thiele,  Eduard,  Hofkapellmeister  in  Dessau,  ist  daselbst  am  21.  Novbr. 
1812  als  Sohn  eines  Hautboisten  geboren.  Seine  musikalische  Ausbildung 
ei-hielt  er  durch  Kopprasch  und  Friedrich  Schneider.  Er  studirte  Violine, 
Ciavier,  Orgel  und  Composition.  Nach  der  Rückkehr  von  einer  Reise  durch 
Deutschland,  die  er  zu  seiner  Ausbildung  auf  Kosten  des  Herzogs  Leopold 
unternommen  hatte,  erhielt  er  die  Stelle  eines  zweiten  Musikdirektors  am  Des- 
sauer Theater.  Jedoch  verliess  er  seine  Vaterstadt  zwei  Jahre  später  und 
fungirte  als  Orchesterdirektor  in  Halle,  Altenburg  und  Cöthen;  am  letzteren 
Orte  war  er  auch  Organist  an  der  Hauptkirche  und  Musiklehrer  am  Seminar. 
1855  wurde  er  nach  Dessau  zurückberufen^  um  die  durch  Frdr.  Schneider's 
Tod  erledigte  Stelle  bei  der  Oper  einzunehmen.  1860  erhielt  er  den  Titel  als 
Hofkapellmeister.  Von  seinen  Compositionen  sind  zu  verzeichnen:  eine  Messe, 
Sonaten  für  Ciavier  und  für  Ciavier  und  Violine,  ein-  und  zweistimmige  Lieder 
mit  Clavierbegleitung,  mehrstimmige  Gesänge  für  Frauen-  und  Männerstimmen. 

Thiemö,    Frederic,    von  Geburt    ein  Deutscher,    lebte   und  wirkte  jedoch 

MusikaL.  Converg.-Lexikon.    X,  12 


178  Thierfelder  —  Thijm. 

ausschliesslich  in  Frankreich.  Er  Hess  sich  gegen  1780  in  Paris  nieder  und 
war  bekannt  als  Lehrer  des  Gesanges  und  Yiolinspiels.  Die  Hevolutionsunruhen 
trieben  ihn  1792  nach  ßouen,  wo  er  Wohnsitz  nahm  und  als  Lehrer  thätig 
war.  Er  starb  daselbst  im  Juni  1802.  Herausgegeben  wurden  von  ihm:  y>Ele- 
menfs  de  musique  pratlque,  et  solfeges  nouveaux  pour  apprendre  la  musique  et  le 
goüt  du  chant<s.  (Paris,  1784,  in  4**,  zweite  Auflage).  i>Eleme7its  de  musique  pra- 
tlque et  solfeges  nouveaux  Italiens,  destines  particulierement  pour  apprendre  les 
principes  detailles  de  cet  arf,  mis  ä  la  portee  des  jeunes  eleves,  avee  une  hasse 
ciliare  suivant  les  principes  de  Vahhe  Houssiera.  (Paris,  Nadermann,  grand  8°). 
y> Principes  ahreges  de  musique,  ä  Vusage  de  ceux  qui  veulent  apprendre  ä  jouer 
du  violoni  (Paris,  Louis).  r>Principes  abreges  de  musique  pratique  pour  le  forte- 
piano,  suivis  de  six  petites  sonates  formees  d^airs  connusa  (ibid.).  y>Nouvelle 
theorie  sur  les  diß^erents  mouvements  des  airs,  fondee  sur  la  pratique  de  la  mu- 
sique moderne  avec  le  projet  d'un  nouveau  chronometre  etc.v.  (Reuen,  chez  l'auteur, 
1801,  in  4°,  mit  zehn  Kupfertafeln).  Violin-Duos  bei  Louis  und  bei  Nader- 
mann in  Paris). 

Thierfelder,  Albert,  Componist,  geboren  am  30.  April  1846  zu  Mühl- 
hausen in  Th.,  besuchte  das  dortige  Gymnasium  und  erhielt  seine  praktische 
und  wissenschaftliche  Ausbildung  in  der  Musik  in  Leipzig  bei  Moritz  Haupt- 
mann, E.  F.  Richter  und  an  der  Universität,  welche  ihm  nach  dreijährigem 
Studium  auf  Grund  einer  musikhistorischen  Abhandlung  (nDe  Ghristianorum 
psalmis  et  Jiymnis  usque  ad  Ambrosii  temporan)  den  Doctortitel  verlieh.  Nachdem 
T.  kurze  Zeit  als  Dirigent  in  Elbing  fungirt  hatte,  folgte  er  im  Jahre  1870 
einem  Rufe  nach  Brandenburg  a.  H.  als  Cantor  und  Gesanglehrer  am  Gymna- 
sium. Im  Jahre  1874  erhielt  Th.  das  Prädikat  »Königlicher  Musikdirektor«. 
Von  seinen  Compositionen  sind  im  Druck  erschienen:  Cla vierstücke  und  Lieder, 
op.  1 — 6.  Von  grösseren,  noch  im  Manuscript  befindlichen  Werken  sind  zu 
erwähnen:  »Die  Jungfrau  vom  Königsee«,  romantische  Oper  in  drei  Akten, 
Symphonie  in  C-moll  für  grosses  Orchester,  welche  mehrfach  mit  Erfolg  auf- 
geführt worden  ist,  Ciavierquartett  und  Sonaten,  Neuerdings  hat  T.  Rudolf 
Baumbach's  Alpensage  »Zlatorogvi  für  Chor,  Soli  und  Orchester  in  Musik  gesetzt 
und  das  Werk  mit  Erfolg  in  Brandenburg  zur  Aufführung  gebracht. 

Thieriot,  geboren  am  7.  April  1838  in  Hamburg,  ein  Schüler  von  Marxsen 
in  Altona,  wirkte  in  Hamburg,  Leipzig  (1867)  und  Glogau  als  Musikdirektor 
und  seit  1870  als  Direktor  des  Musikvereins  in  Graz.  Von  seinen,  von  Talent 
und  Geschick  zeugenden  Compositionen  haben  namentlich  einige  Werke  für 
Kammermusik  weitere  Verbreitung  und  Anerkennung  gefunden. 

Thiers,  Jean  Baptiste,  Theologe,  geboren  zu  Chartres  am  11.  Novbr. 
1636,  war  zuletzt  Pfarrer  in  Vibraye  im  Stifte  Mans  und  starb  dort  am  28. 
Februar  1703.  In  einer  seiner  Abhandlungen  findet  man  Specielles  über  die 
Singchöre  in  den  Kirchen  Prankreichs,  y» Dissertations  ecclesiastiques  sur  les 
principatipo  autels  la  cloture  du  clioeur  et  les  juhts  des  eglises«  (ibid.  1688,  in  12"). 
Eine  andere  hat  mehr  den  liturgischen  Gottesdienst  zum  Gegenstand.  »Traite 
des  cloches  et  de  la  saintete  de  Vo/frande  du  pain  et  du  vin  aux  messes  des  morts<i 
(Paris,  J.  de  Neuilly,   1721,  in  12''). 

Thijm,  Lambert  Alberdingk,  Kirchencomponist  und  Musikschriftsteller, 
ist  in  Amsterdam  am  30.  Septbr.  1823  geboren.  Sein  Vater,  ein  holländischer 
Kaufmann,  hiess  Alberdingk,  nahm  jedoch  1835  für  sich  und  seine  Descen- 
denten  den  Namen  seiner  Frau:  Thijm  an.  Er  war  leidenschaftlicher  und 
wohlunterrichteter  Musikdilettant,  der  mehrere  Messen  componirte  und  sich 
auch  um  die  gute  Ausführung  der  Kirchenmusik  in  der  Peter-  und  Paulskirche 
verdient  machte.  Sein  Sohn  verdankt  ihm  eine  gewissenhafte  Ausbildung  in 
der  Musik  und  den  Wissenschaften.  Sein  Interesse  wandte  er  vorzugsweise 
dem  Volksliede  und  dem  Kirchengesange  zu,  und  in  den  verschiedensten  hol- 
ländischen Journalen  erschienen  Aufsätze  über  diese  beiden  Themen.  Ausserdem 
gab  er  folgende  selbständige  Schriften  heraus:  »Z>e  Musik  in  de  Kerle.    GedacJi- 


1 


Thilo  —  Thoinot-Arbeau.  179 

teti  over  KerTcmuzieJc,  naar  aanleiting  der  geschiedenen  oordeellcundige  BescJioutvingen 
over  de  ivereldsche  en  Icerhelijke  MusijJc,  hljeen  gelragt  en  hearbeid  door  N.  Ä. 
Janseem.  Pr.v^  (Amsterdam,  C.  L.  von  Langenliuijsen,  1850,  8°,  51  S.).  »JVöy 
eenige  Gedachten  over  KerhnusiJca  (ibid.  1854,  in  8",  16  S.).  Das  dritte  wich- 
tigere Werk  edirte  er  in  Gemeinschaft  mit  seinem  Bruder  Joseph  Albert, 
Literat  und  Archäolog,  Es  ist  eine  Sammlung  von  alten  und  neuen  Kirchen- 
gesängen, desgleichen  für  alle  Feste  vom  Advent  bis  Ostern.  Alle  Melodien 
darin  sind  mit  beziffertem  Bass  versehen  und  No.  II,  IV,  XXY,  LIII,  LXX, 
LXXXVII,  LXXXIX,  CXXVI  et  CXXXV  von  L.  J.  Thijm  erfunden,  mehrere 
ältere  von  demselben  überarbeitet.  Der  Titel  des  "Werkes  ist:  y>Oude  en  nieuwere 
Kerstliedern  benevens  Gezangen  en  Liederen  van  andere  Hoogtijden  en  Seiligen- 
dagen,  als  ooh  van  den  Advent  en  de  Vasten,  gerangsscMJct  naar  de  orde  van  het 
KerJcelijJc  jaar  etc.<i.  (Amsterdam,  C,  L.  Yan  Langenhuijsen,  1852,  ein  Band  12", 
318  S.).  Auf  dem  Gebiete  der  Composition  hatte  er  noch  wenig  geleistet,  eine 
Messe  für  Chor  und  Solostimmen  mit  Orgelbegleitung  ist  die  umfangreichste. 
Der  Tod  rief  ihn  schon  im  31.  Jahre  am  1.  Decbr.  1854  aus  diesem  Leben  ab. 

Thilo,  auch  Thielo,  Carl  August,  dänischer  Musiker,  wurde  in  den 
ersten  Jahren  des  18.  Jahrhunderts  geboren  und  erhielt  in  Kopenhagen  das 
königl.  Privilegium,  ein  Theater  zu  eröffnen,  auf  welche  Weise  er  die  erste 
Oper  dort  errichtete.  Nachdem  ihm  das  Privilegium  entzogen  und  die  Direktion 
einigen  hochstehenden  Personen  übertragen  worden  war,  beschäftigte  sich  T. 
mit  Compositionen  und  Unterrichtgeben.  Auch  schrieb  er  folgendes  Lehrbuch: 
yyTanher  og  Begier  fra  Gründen  af  om  Musiken,  for  dem  soin  vil  laere  Musiken, 
til  Sindeis  Fornoydse  saa  og  for  dem  som  vil  giore  Fait  of  Claveer,  General-Bassen 
og  Sgnge-Kunsten«  (Kopenhagen,  1746,  in  Fol.,  86  S.).  Sieben  Jahre  später 
erschien  dasselbe  Buch  in  deutscher  Sprache:  »Grundregeln,  wie  man  bei  weniger 
Information  sich  selbst  die  Fundamente  der  Musik  und  des  Claviers  lernen  kann, 
mit  Exempeln  in  Noten  gezeiget«  (Copenhagen,  1753,  in  4°,  81   Seiten). 

Thin-puk  (armenisch)  =  Pauke. 

Thoiuot-Arbeau  (Pseydonym  und  Anagramm  aus  Jehan  Tabourot),  war 
ein  im  16.  Jahrhundert  zu  Langres  lebender  Domherr,  der  durch  die  Heraus- 
gabe eines  jetzt  höchst  seltenen  Werkes  über  Tanzkunst,  das  für  die  Musik- 
und  Sittengeschichte  von  Bedeutung  ist,  sich  einen  Namen  machte.  Das  Buch 
ist  betitelt:  nOrchesographie,  traite  en  forme  de  dialogue,  par  lequel  toutes  per- 
sonnes  peuvent  facilement  apprendre  et  practiqtwr  Vhonnete  exercise  des  Dansesa 
(Langres,  1588).  Es  behandelt  dieses  kostbare,  jetzt  antiquarisch  mit  900  Fr. 
bezahlte)  Werk  eine  bisher  wenig  durchforschte  Tanzepoche  und  enthält  aus- 
führliche Theorien  von  40  Tänzen  (als:  Pavana,  Allemande,  Gaillarde,  Gavotte, 
Branle,  Volte  etc.)  mit  der  dazu  gehörigen  Musik.  Die  zweite  Auflage  davon 
führt  den  Titel:  »Orchesographie,  Metode  et  Teorie  en  forme  de  discours  et  Ta- 
bulature  pour  apprendre  ä  Dancerv^  (Lengers,  1596).  Von  dem  erstgenannten  Ori- 
ginalwerke hat  der,  um  die  Geschichte  der  Tanzkunst  verdiente  Alb.  Czerwinski 
in  Danzig  auf  eigene  Kosten  eine  deutsche  Ausgabe  1878,  mit  34  Figuren, 
70  Melodien  und  dem  Porträt  des  Arbeau  herstellen  lassen,  die  nur  direkt  vom 
Selbstverleger  gegen  15  Mark  zu  beziehen  ist.  Titel  des  neuen  Werkes:  »Die 
Tänze  des  16.  Jahrhunderts  und  die  altfranzösische  Tanzschule.  Nach  Jean 
Tabourot's  Orchesographie  herausgegeben  von  A.  Czerwinski«  (Danzig,  1878). 
lieber  die  Personalien  des  Autors  berichtet  Czerwinski  (»Geschichte  der  Tanz- 
kunst« p.  93)  Folgendes:  »Jehan  Tabourot,  der  Sohn  von  Etienne  Tabourot, 
königl.  Rath  und  Verwalter  des  Amts  zu  Dijon,  wurde  im  Jahr  1519  geboren. 
Von  kräftiger  Körperkonstruktion,  zeigte  er  schon  in  seiner  Kindheit  eine  leb- 
hafte Neigung  für  Leibesübungen  und  eine  besondere  Vorliebe  für  den  Tanz, 
den  er  in  Poitiers  erlernt  hatte.  Anfänglich  dazu  bestimmt,  dem  Vater  in  der 
Ausübung  seines  Amts  zu  folgen,  musste  er  diesen  Plan  in  Folge  eines  Gelübdes 
aufgeben:  in  einer  schweren  Krankheit,  die  ihn  an  den  Band  des  Grabes  brachte, 
gelobte    seine  Mutter,    ihn  der  Kirche  zu  weihen,    falls  er  genesen  sollte.     Als 

12* 


180  Thoina  —  Thomas. 

gehorsamer  Sohn  erfüllte  er  den  Wunsch  seiner  Mutter  und  trat  1530  in  einen 
Orden  ein.  Trotz  seines  gänzlichen  Mangels  an  Beruf  für  diesen  Stand,  der 
so  wenig  in  Uebereinstimmung  mit  seinem  Charakter  war,  erlangte  er  doch 
bald  einen  hervorragenden  Platz  in  der  Geistlichkeit,  so  dass  er  1574  zum 
Domherrn  von  Langres  ernannt  wurde.  In  dieser  Stellung  hatte  er  Gelegenheit, 
sich  neben  der  Ausübung  seiner  religiösen  Pflichten  auch  mit  dem  Studium  der 
Gebräuche,  die  auf  E-eligion  Bezug  hatten,  und  besonders  mit  den  kirchlichen 
Tänzen  zu  beschäftigen,  die  damals  noch  Sitte  waren.  Seine  alte  Neigung  für 
den  Tanz  erwachte  und  gab  ihm  den  Gedanken  ein,  im  Alter  von  59  Jahren 
noch  ein  "Werk  über  denselben  zu  veröffentlichen.  Es  erschien  1588  unter 
obgenanntem  Titel:  »Orchesographie«  von  Thoinot  Arbeau.  Er  schrieb  dieses 
Buch,  wie  er  in  der  Vorrede  sagt:  »Weil  er  wünsche,  wenn  auch  zu  alt  und 
schwerfällig,  um  sich  selbst  fröhlich  darin  zu  üben,  dass  die  ehrbaren  Tänze 
wieder  erhoben  werden  möchten,  an  Stelle  der  unzüchtigen  und  schamlosen,  die 
man  an  ihrer  Stelle  eingeführt,  zum  Bedauern  der  achtbaren  Herren  und  Damen 
von  verständigem  und  züchtigem  Urtheil.« 

Thoina,  Rudolf,  geboren  am  22.  Februar  1829,  wurde  im  Waisenhause 
in  Bunzlau  erzogen  (1840 — 1845),  bereitete  sich  dann  zum  Lehrerberuf  vor 
und  war  auch  in  Sagan  als  Lehrer  thätig.  1852  ging  er  nach  Berlin  und 
besuchte  das  Königl.  Institut  für  Kirchenmusik  und  die  Akademie  und  ward 
1857  Cantor  an  der  Gnadenkirche  in  Hirschberg,  1862  an  St.  Elisabeth  zu 
Breslau,  in  welcher  Stellung  er  noch  thätig  ist.  Seine  Compositionen,  deren 
er  eine  Reihe  veröffentlichte,  sind  sehr  harmloser  Natur,  weder  durch  Ex'findung, 
noch  durch  Technik  besonders  beachtenswerth. 

Thomauer,  die  gewöhnliche  Bezeichnung  der  Thomasschüler  (s.  d.). 

Thomas,  Bajocensis  oder  Bayona  der  jüngere,  ums  Jahr  1169  Erz- 
bischof zu  York  in  England,  vorher  aber  Priester  in  der  Normandie,  ist  durch 
die  Herausgabe  einer  Sammlung  von  Kirchengesängen  (j>Cantus  JEcelesiastici«) 
und  eines  Officiarum  für  seine  Zeit  von  Bedeutung  gewesen.  Von  einer  Nach- 
wirkung seiner  Thätigkeit  auf  spätere  Geschlechter  ist  jedoch  nichts  zu  spüren, 
und  scheint  er  die  Ehre,  von  Walther  in  sein  1732  erschienenes  musikalisches 
Lexikon  aufgenommen  zu  sein,  mehr  dem  Zufall  als  seinen  Verdiensten  um  die 
Tonkunst  zu  verdanken  zu  haben. 

Thomas  von  Aquino,  mit  dem  Beinamen  des  Heiligen,  wurde  1227  zu 
Aquino  im  Königreich  Neapel  geboren  und  zeichnete  sich  als  Theologe  wie 
auch  durch  tiefe  Gelehrsamkeit  so  sehr  aus,  dass  er  vom  Papst  Pius  V.  unter 
die  Zahl  der  scholastischen  Doctoren  aufgenommen  wurde.  Schon  im  frühen 
Kindesalter  begann  er  seine  Studien  im  Kloster  Monte  Cassino  und  machte 
hier  so  schnelle  Fortschritte,  dass  er  im  Alter  von  dreizehn  Jahren  die  Uni- 
versität zu  Neapel  beziehen  konnte.  Später  studirte  er  Theologie  und  Philo- 
sophie zu  Cöln  unter  Albert  von  BoUstädt,  dem  berühmten  Scholastiker,  der 
wegen  seiner  umfassenden  Gelehrsamkeit  und  ausgezeichneten  Lehrgabe  der 
Grosse  (Albertus  Magnus)  genannt  wurde.  T.  starb  in  einem  Kloster  bei 
Terracina  unweit  Neapel  am  7.  März  1274  und  wurde  am  18.  Juli  1323  vom 
Papste  Johann  XXII.  heilig  gesprochen.  Seine  Schriften  erschienen  1570  zu 
Rom  in  siebzehn  Foliobänden;  sie  enthalten  neben  seinen  philosophischen  und 
theologischen  Arbeiten  die  Musik  zu  einem  Messamt  bei  Gelegenheit  der  Abend- 
mahlsfeier, die  er  1263  im  Auftrag  des  Papstes  Urban  IV.  componirt  hat  und 
am  Donnerstag  nach  der  Pfingstwoche  des  folgenden  Jahres  zum  ersten  Mal 
aufführen  Hess;  sie  enthält  u.  a.  die  berühmt  gewordene  Hymne  y>Patic/e  lingua<s. 
wie  auch  die  Prose  (s.  Näheres  über  diese  Art  altkirchlicher  Hymnen  unter 
»Sequenz«)  »Lauda  Sion«.  In  der  y>Biographie  universelle«  der  Gebrüder  Michaud 
wird  T.  noch  ferner  als  der  Autor  der  Hymne  y>Ädoro  fe«  bezeichnet;  Fetis 
jedoch  widerspricht  dieser  Angabe  und  beruft  sich  auf  ein,  in  seinem  Besitz 
befindliches  aus  dem  14.  Jahrhundert  stammendes  Manuscript  jener  Musik,  in 
welchem  die  genannte  Hymne  fehlt. 


Tliomas.  181 

Thomas,    Christian   Gottfried,    deutscher  Componist  und  Musikschrift- 
steller,   ist    am    2.  Februar  1748    zu  "Wehrsdorf   bei  Bautzen  geboren,  studirte 
zu  Leipzig    die  Rechtswissenschaften    und   errichtete  1777   ebenda  eine  Nieder- 
lage von  geschriebenen  Musikalien;    über    den  Zweck   dieser  Anstalt  sprach  er 
sich    in    einer,    das  Jahr  darauf  erschienenen  Broschüre  aus,   welche  den  hoch- 
tönenden Titel  führt:  »Praktische  Beiträge  zur  Geschichte  der  Musik,  musika- 
lischen Literatur  und  gemeinen  Besten,  bestehend  vorzüglich  in  der  Einrichtung 
eines    öffentlichen,    allgemeinen    und    echten  Verlags  musikalischer  Manuscripte 
zum  Vortheil  der  Herrn  Verfasser  und  Käufer;  wie  auch  in  andern  literarischen 
Abhandlungen,  die  Musik  betreffend«;    es    ist  aber  in  dieser  Schrift  von  nichts 
weiter  die  ßede  als  von  den  Bedingungen   seines   Geschäftes.    Dieses  hatte  nur 
kurzen  Bestand;    dann    widmete    sich    T.  ausschliesslich  der  praktischen  Musik 
und    unternahm    1785    eine    Kunstreise,    die    ihn    u.  a.    nach  Hamburg   führte. 
Hier  blieb  er  volle  acht  Jahre    und  veranstaltete  während  dieser  Zeit  Auffüh- 
rungen   seiner    Compositionen,    darunter    eines    »Gloria«    für    drei  Chöre   nebst 
einer  Einleitungsmusik.     Von    einem  Theile    des  Publikums  durch  Beifall  aus- 
gezeichnet,   hatte    er    den    Muth,    sich  in  Gesellschaft  eines  Hiller,  Forkel  und 
Schwenke  um  die  durch  C.  P.  E.  Bach's  Tod  (1788)    erledigte  Musikdirektor- 
stelle   zu    bewerben;    nachdem    aber    der  letzte  der  genannten  Mitbewerber  für 
diesen    Posten    gewählt    war,    kehrte    er    nach    Leipzig    zurück,    um   hier  seine 
concertgeberische  Thätigkeit  fortzusetzen.    Vier  Jahre  später  versuchte  er  sein 
Glück   wiederum    als  Schriftsteller  durch  Herausgabe  einer  Zeitschrift  »Unpar- 
teiische Kritik  der  vorzüglichsten,    zu  Leipzig    aufgeführten  und  fernerhin  auf- 
zuführenden   grossen    Kirchenmusiken,    Concerte  und  Opern    wie  auch  anderer, 
die  Musik  betreffenden  Gegenstände«,    von    der  im  September  1798  bereits  elf 
Bogen  die  Presse  verlassen  hatten.     Da  jedoch  seines  Namens  später  nirgends 
mehr    gedacht    wird,    so    scheint  er  in  seinem  Unternehmen  gestört  worden  zu 
sein.     Schliesslich    wendete    er    sich    im  Winter    1801 — 1802    nach  Berlin,  um 
daselbst  eine  grosse  musikalische  Akademie  zu  gründen,  welche  nach  wiederholten 
Aufschüben  durch  die  Bemühungen  des  Kapellmeisters  ßeichardt  zu  Stande  kam. 
Einen  festen  Wirkungskreis  zu  finden  sollte  ihm  aber  auch  hier  nicht  gelingen: 
er    kehrte    nach  Leipzig    zurück,    wo    er    in  traurigen  Umständen  am   12.  Sep- 
tember 1806    gestorben    ist.     Von    seinen  Compositionen    ist   gedruckt  und  im 
Ciavierauszug  erschienen  »Volksgesang  am  Friedrichstage«  von  Voigt  (Leipzig, 
1797,    beim    Autor);    von    seinen    übrigen  Werken   sind  ausser  dem  erwähnten 
»Gloria«    noch    eine    Anzahl    von   Quartetten    und    andern   Instrumentalstücken, 
sowie    eine  Cantate    zur  Ehre  Kaiser  Joseph's  IL:    »Das  Glück  der  Völker  in 
Joseph's  Reichen«  —  sämmtlich  jedoch  nur  im  Manuscript  —  bekannt  geworden. 

Thomas,  Charles  Louis  Ambroise,  französischer  Operncomponist,  Di- 
rektor des  Conservatoriums  der  Musik  zu  Paris  und  Mitglied  der  Akademie 
der  Künste  am  Institut  de  France,  ist  zu  Metz  am  5.  August  1811  geboren. 
Von  seinem  Vater,  einem  geachteten  Musiklehrer  dieser  Stadt,  erhielt  er  schon 
nach  zurückgelegtem  vierten  Lebensjahre  Unterricht  in  den  Elementen  der 
Musik;  mit  sieben  Jahren  begann  er  unter  Leitung  anderer  Lehrer  das  Studium 
der  Violine  und  des  Claviers  und  hatte  sich,  besonders  auf  dem  letzteren  In- 
strument, schon  eine  beachtenswerthe  Fertigkeit  erworben,  als  er  1828  in  das 
Pariser  Conservatorium  aufgenommen  wurde.  Hier  vervollkommnete  er  sich 
durch  den  Unterricht  Zimmermann's  im  Ciavierspiel  und  studirte  bei  Dourlen 
die  Harmonielehre  sowie  bei  Lesueur  die  Composition,  empfing  auch  gelegent- 
liche Anregung  durch  Kalkbrenner  und  für  sein  Studium  des  Contrapunkts 
durch  Barbereau.  In  Folge  der  Bemühungen  dieser  Meister  sowie  eigenen 
rastlosen  Eifers  konnte  er  schon  1829  den  ersten  Preis  als  Ciavier  Spieler 
erringen;  diesem  folgte  im  nächsten  Jahre  der  erste  Preis  für  Contrapunkt 
und  1830  der  von  der  Akademie  der  Künste  verliehene  grosse  Preis  für  musi- 
kalische Composition,  welcher  dem  Gekrönten  die  Mittel  gewährt  und  die  Pflicht 
auferlegt,    drei    Jahre   behufs    künstlerischer   Ausbildung    im    Auslande,    haupt- 


182  Thomas, 

sächlicli  in  Italien  zuzubringen.  Den  grössten  Theil  dieser  Zeit  verlebte  T.  in 
Rom  und  Neapel,  besuchte  dann  Florenz,  Bologna,  Venedig,  Triest  und  beschloss 
seine  Studienreise  mit  Wien. 

Im  Beginn  des  Jabres  1836  nach  Paris  zurückgekehrt,  gelang  es  ihm  bald, 
die  Schwierigkeiten  zu  überwinden,  mit  welchen  dort  der  dramatische  Componist 
am  Anfang  seiner  Laufbahn  in  der  Regel  zu  kämpfen  hat.  Schon  im  folgenden 
Jahre,  27.  August  1837,  debutirte  er  mit  einer  einaktigen  komischen  Oper 
r>La  douhle  ecliellev-,  der  am  30.  März  1838  ein  dreiaktiges  Werk  derselben 
Gattung  folgte:  »Ze  joen^uquier  de  la  regencen.  Sein  drittes  Werk  war  das 
1839  an  der  Grossen  Oper  aufgeführte  Ballet  »ia  Gipsya,  in  zwei  Akten,  an 
•welchem  sich  übrigens  auch  Benoist  als  Componist  betheiligt  hatte.  In  dem- 
selben Jahr  brachte  er  noch  die  einaktige  komische  Oper  r>Le  panier  ßeuri«. 
zur  Aufführung  und  während  der  nächsten  Jahre  »Carline«  (184U),  r>Le  comte 
de  Carmagnolai,  grosse  Oper  in  zwei  Akten  (1841),  »ie  gueriUeroa,  grosse  Oper 
in  zwei  Akten  (1842),  y>Angelique  et  Medora,  komische  Oper  in  einem  Akt  (1843). 
Der  Erfolg  der  letzteren  dieser  Werke  entsprach  nicht  den  Erwartungen,  welche 
der  Componist  durch  sein  glückliches  Debüt  erregt  hatte,  und  der  geringe  Bei- 
fall, den  sie  fanden,  entmuthigte  ihren  Autor  so  sehr,  dass  er  sich  für  volle  fünf 
Jahre  von  der  Bühne  zurückzog.  Nach  Ablauf  dieser  Zeit  aber  erschien  er 
wiederum  vor  dem  Pariser  Publikum  und  errang  diesmal  mit  den  dreiaktigen 
komischen  Opern  y>Le  Cdid'i  (3.  Januar  1849)  und  r>Le  Songe  d'une  nuit  d'ete« 
(20.  April  1850)  Erfolge,  welche  alle  früheren  weit  übertrafen  und  ihn  an  die 
Spitze  der  jüngeren  Componisten- Generation  in  Erankreich  stellten.  Von  nun 
an  widmete  sich  T.  wieder  mit  dem  fi'ühern  Eifer  der  dramatischen  Composition 
und  gab  der  komischen  Oper  nach  einander  die  folgenden  Werke:  »Raymond« 
(1851),  «La  TonellU  (1853),  »ia  cour  de  CSlimenen  (1855),  »Psyche«  (1857), 
»Ze  earneval  de  Venise«  (ebenfalls  1857).  Nach  diesem  Werke  pausirte  der 
Künstler  abermals  eine  Reihe  von  Jahren,  bis  er  1868  mit  seinem  »Hamlet« 
(nach  Shakespeare  von  Barbier  und  Carre  bearbeitet)  aufs  Neue  an  die  Oeffent- 
lichkeit  trat  und  bei  dieser  Gelegenheit  den  Beweis  lieferte,  dass  er  den  Stil 
der  grossen  Oper  mit  dem  gleichen  Geschick  zu  handhaben  wisse,  wie  den  der 
komischen  Oper.  Nach  dem  glänzenden  Erfolg  dieses  AYerkes,  sowohl  in  Paris, 
wie  auch  auf  sämmtlichen  grossen  Bühnen  des  Auslandes,  konnte  es  nicht 
zweifelhaft  sein,  wer  nach  dem  Tode  Auber's  die  erste  musikalische  Ehrenstelle 
in  Frankreich,  die  Direktion  des  Pariser  Conservatoriums  zu  übernehmen  habe. 
Zwar  hatte  die  Commune,  die  beim  Ableben  des  Nestors  der  französischen 
Componisten  das  Regiment  in  Paris  führte,  alsbald  für  einen  Nachfolger  aus 
den  Reihen  der  Ihrigen  Sorge  getragen;  als  jedoch  durch  die  von  Versailles 
eingerückten  Truppen  die  alte  Ordnung  wieder  hergestellt  war,  fiel  die  Wahl 
einstimmig  auf  T.,  welcher  seitdem  den  Pflichten  dieses  wichtigen  Amtes  mit 
derselben  Gewissenhaftigkeit  und  Einsicht  obliegt,  die  er  zuvor  als  Compositions- 
lehrer  an  der  genannten  Anstalt  bewährt  hat. 

Die  Merkmale  der  Thomas'schen  Musik  sind  Grazie,  Eleganz  und  eine 
gewisse  Noblesse;  was  ihm  an  melodischer  Erfindung  abgeht,  weiss  er  durch 
genaue  Kenntniss  des  dramatisch  Wirksamen,  durch  Reinheit  der  Schreibweise 
und  durch  geistvolle  Instrumentirung  zu  ersetzen.  Als  Mann  von  gediegener 
wissenschaftlicher  Bildung  konnte  es  ihm  gelingen,  sich  auch  durch  rednerische 
xand  schriftstellerische  Leistungen  hervorzuthun  und  sich  unter  den  Mitgliedern 
der  Akademie  eine  geachtete  Stellung  zu  erwerben.  Von  seiner  Vielseitigkeit 
als  Componist,  die  ihm  nicht  gestattete,  sich  mit  seinen  Bühnenerfolgen  allein 
zu  begnügen,  geben  die  folgenden  von  ihm  veröffentlichten  Werke  Zeugniss: 
1)  Requiem  (noch  aus  seiner  römischen  Studienzeit  stammend)  (Paris,  bei 
Richault).  2)  Quintett  für  zwei  Violinen,  zwei  Bratschen  und  Violoucell 
(ebenda).  3)  Streichquartett,  op.  1  (Leipzig,  Hoffmeister).  4)  Trio  für  Ciavier, 
Violine  und  Violoucell  (Paris,  Richault).  5)  Phantasie  über  ein  schottisches 
Theiua   für    Ciavier,   op.  5   (ebenda).     6)   Phantasie   für  Ciavier  und  Orchester, 


Thomas  —  Thomassdiule.  183 

op,  6.  Ausserdem  eine  Anzahl  kleinerer  Clavierstüclve,  Chöre  für  Männer- 
stimmen, mehrstimmiger  Kirchengesänge  und  Lieder  für  eine  Singstimme.  Die 
Aufführung  einer,  wie  es  scheint  längst  vollendeten  grossen  Oper  y>Francesca 
da  Biminia  ist  für  1878  projektirt. 

Thomas,  Theodor,  deutsch-amerikanischer  Dirigent  und  Yiolinspieler,  ist 
am  11.  October  1835  in  Ostfriesland  gehören,  machte  gediegene  musikalische 
Stadien  unter  der  Leitung  SchüUinger's  und  MavrhofFer's  und  ging  1847  nach 
New -York,  wo  er  sich  zunächst  durch  den  Vortrag  klassischer  Kammermusik 
eine  geachtete  Stellung  in  den  dortigen  Musikerkreisen  errang.  Mit  der  Zeit 
aher  erweiterte  er  seinen  "Wirkungskreis  mehr  und  mehr;  aus  den  Quartett- 
Soireen  wurden  Sj'mphonieconcerte  und  1869  trat  er  an  die  Spitze  eines  eigenen 
Orchesters,  welches,  aus  den  besten  Instrumental-Musikern  der  Union  zusammen- 
gesetzt, nach  kurzer  TJebungszeit  eine  so  ausserordentliche  Leistungsfähigkeit 
zeigte,  dass  es  den  Vergleich  mit  den  besten  europäischen  nicht  zu  scheuen 
brauchte.  Bei  aller  Tüchtigkeit  der  einzelnen  Mitglieder  gebührt  indessen  der 
Hauptantheil  der  von  Jahr  zu  Jahr  glänzenderen  Erfolge  des  Thomas'schen 
Orchesters  dem  unermüdlichen  Eifer  und  der  genialen  Reproduktions-Fähigkeit 
seines  Dirigenten.  Im  besonderen  verdienen  seine  Bestrebungen  nach  steter 
Erweiterung  seines  Concertrepertoires  anerkannt  zu  werden;  wiewohl  längst  der 
populärste  und  gefeiertste  unter  allen  Musikern  der  Union,  ist  er  weit  entfernt 
sich  mit  dem  gewonnenen  Ruhm  zu  begnügen,  vielmehr  stets  darauf  bedacht, 
durch  Lösung  neuer,  schwieriger  Aufgaben  seinem  künstlerischen  Gewissen 
Genüge  zu  leisten.  In  diesem  Sinne  hat  T.  ebenfalls  mit  seinen  Collegen  in 
Europa  Schritt  gehalten,  sie  sogar  bei  manchen  Gelegenheiten  überflügelt,  indem 
er  jeder  hervorragenden  Novität  alsbald  nach  ihrem  Erscheinen  einen  Platz  auf 
seinen  Concertprogrammen  einräumte  und  ihr  beim  Publikum  Geltung  zu  ver- 
schaffen wusste,  auch  wenn  dasselbe  sich  anfänglich  dem  Neuen,  Ungewohnten 
abgeneigt  zeigte.  So  darf  T.  zu  den  leider  seltenen  Musikern  gerechnet  werden, 
welche,  zu  hoher  Stellung  gelangt,  doch  die  beschwerliche  Pflicht  ihres  Berufes, 
auf  den  Kunstgeschmack  ihrer  Zeitgenossen  umbildend  und  veredelnd  zu  wirken, 
nie  aus  den  Augen  verlieren;  er  würde  dies  in  noch  weiterm  Umfange  thun 
können,  wenn  die  Stadt  New-York,  die  ihm  unter  allen  Städten  der  Union  am 
meisten  verpflichtet  ist,  sich  veranlasst  sähe,  ihm  eine  materiell  gesicherte 
Stellung  zu  schaffen  und  ihn  auf  solche  "Weise  von  der  Nothwendigkeit  befreite, 
durch  anstrengende  und  zeitraubende  Reisen  selbst  für  den  Unterhalt  seines 
Orchesters  zu  sorgen. 

Thomaschek,  s.  Tomasche k. 

Thomasschule  in  Leipzig,  eine  der  ältesten  Pflanz-  und  Pflegestätten  der 
kirchlichen  Musik  daselbst,  war  ursprünglich  wie  wohl  die  meisten  derartigen 
Schulen  eine  Klosterschule.  "Wie  an  allen  bedeutenderen  Klöstern  wurde  auch 
an  dem  Augustinerkloster  im  13.  Jahrhundert  ein  Kirchenchor  errichtet  mit 
einer  Anzahl  Alumnen,  d.  h.  Schülern,  welche  unentgeltlich  in  die  Schule  auf- 
genommen und  dort  wissenschaftlich  und  musikalisch  gebildet  und  vollständig 
erhalten  werden,  wofür  sie  in  der  Kirche  bei  der  Ausführung  der  Cultusgesänge 
mitwirken  mussten.  Später,  namentlich  seit  Einführung  der  Reformation,  wurden 
diese  Chöre  dann  meist  zu  den  sogenannten  städtischen  Cantoreien  umgestaltet, 
doch  nur  wenige  behielten  die  alten  Benefizien  und  zu  diesen  gehört  die  Can- 
torei  der  Thomasschule  in  Leipzig.  Als  der  erste  noch  bekannte  Thomas- 
Cantor  gilt  Johann  Urban  (1439);  der  erste,  der  geschichtliche  Bedeutung 
gewann,  ist.  Georg  Rhau  (er  legte  1520  das  Cantorat  nieder,  s.  d.).  Aus 
dem  16.  Jahrhundert  sind  Joh.  Hermann  und  Wolfgang  Winter  zu  nennen. 
Von  1594 — 1615  hatte  der  bedeutendste  Theoretiker  seiner  Zeit,  Seth.  Cal- 
visius  (Kaliwitz)  die  Stelle  inne  und  mit  ihm  beginnt  die  Reihe  der  mehr 
oder  weniger  berühmten  Cantoren  der  Thomasschule.  Ihm  folgte  der  treffliche 
Tondichter  Joh.  Hermann  Schein  (1617 — 1630),  s.  d.  Diesem  dann  To- 
bias Michael  (1631—1657),  ihm  Seb.  Knüpfer  (1657—1676)  und  diesem 


184  Thon  —  Thrasylius. 

JosepliSchelle(1676— 1701).  Dessen  Nachfolger  Joh.Kuhnau  (1701—1722), 
bekannt  als  Instrumentalcomponist,  richtete  die  Kirchenmusiken  in  der  Weise 
ein,  wie  sie  noch  heute  bestehen.  Ihm  folgte  dann  der  Meister  aller  Meister: 
Joh.  Seb,  Bach  (1723 — 1750).  "Weiter  sind  zu  nennen:  Grottlob  Harrer 
(1750—1755),  Joh.  Friedrich  Doles  (1755—1789),  Joh.  Adam  Hiller 
(1789 — 1800),  welcher  Concerte  in  der  Thomasschule  einrichtete  und  dazu  ein 
eigenes  Orchester  aus  den  Alumnen  bildete;  ferner  August  Eberhard  Müller 
(1800—1810),  Johann  Gottfried  Schicht  (1810—1823),  Christian  Theo- 
dor Weinlig  (1823— 1842),  Moritz  Hauptmann  (1842—1868)  und  endlich 
Ernst  Friedrich  Richter,  der  treffliche  Theoretiker,  der  gegenwärtig  den 
ehrenvollen  Posten  bekleidet.  Der  Chor  besteht  aus  60  Alumnen,  welche,  in 
vier  Chöre  getheilt,  mit  je  einem  Präfekten  an  der  Spitze,  den  Gottesdienst 
in  den  Kirchen  St.  Thomä,  St.  Nikolai,  St.  Petri  und  in  der  Neukirche 
zu  versehen  haben.  Der  erste  Chor,  der  stärkste,  wirkt  auch  in  den  Kirchen- 
musiken, die  sonntäglich  in  der  Thomas-  oder  Nikolaikirche  in  Gemeinschaft 
mit  dem  Stadtorchester  ausgeführt  werden.  Alle  vier  Chöre  vereinigt  singen 
jeden  Sonnabend  Nachmitteg  halb  2  Uhr  in  der  Thomaskirche  zwei  Motetten, 
die  in  der  Regel  von  dem  Präfekten  (unter  Oberleitung  des  Cantors)  einstudirt 
und  dirigirt  werden. 

Thon,  Christian  Friedrich  Theophil,  geboren  in  Sachsen  gegen  1780, 
gab  heraus:  »lieber  Clavier-Instrumente,  deren  Ankauf,  Behandlung  und  Stim- 
mung« (1817,  in  8";  zweite  Auflage  1826  bei  Vogt  in  Ilmenau). 

Thooft,  W.  E.,  ist  am  10.  Juni  1829  in  Amsterdam  geboren,  machte  seine 
Studien  in  der  Musik  unter  Dupont  in  Leyden  und  dann  unter  Richter  und 
Hauptmann  in  Leipzig.  Nach  Holland  zurückgekehrt  wurde  er  Direktor  des 
deutschen  Theaters  in  Rotterdam.  Er  veröffentlichte  Ouvertüren,  Sinfonien, 
Quartette,  Opern  u.  s.  w. 

Thorbecke,  H.,  geboren  1822  zu  Osnabrück,  ging  1841  nach  Philadelphia, 
wo  er  als  Pianist  wie  als  Componist  beliebt  war.  Er  verunglückte  1858  beim 
Brande  der  »Austria«  auf  dem  Ocean. 

Thorette,  Pierre,  Musiker,  an  der  Hauptkirche  zu  Liege  angestellt, 
starb  daselbst  1684.  Er  schrieb  und  veröfi'entlichte  eine  Art  Sinfonie  y>Ghasse 
de  Saint  Ilube7't<i,  welche  früher  jedes  Jahr  in  der  Peterskirche,  jetzt  noch  mit 
grossem  Orchester  in  der  Kreuzkirche  aufgeführt  wird. 

Thorne,  John,  Contrapunktist  des  16.  Jahrhunderts  zu  York  in  England, 
war  wahrscheinlich  Organist  in  seiner  Vaterstadt.  Hawkins  theilt  eine  Motette: 
•ßStelle  coeli,  a  3  voeii  von  ihm  mit.     (»Musikgeschichte«,  Bd.  2.  S.  526.) 

Thrane,  Violinspieler  und  Componist,  der  bedeutendste  Musiker  Norwegens, 
trat  1819  in  Stockholm  zum  ersten  Mal  öfi'entlich  auf.  1828  wurde  er  Musik- 
direktor in  Christiania,  erkrankte  aber  unheilbar  an  einem  Brustübel  und  starb 
im  selben  Jahre.  Der  damals  als  Student  in  Christiania  anwesende  Violinist 
Ole  Bull  unterstützte  ihn  im  Amte  während  seiner  Krankheit.  T.  setzte  die 
erste  norwegische  Oper  y>Fjeldeventyret<i.  von  Bierregaand  in  Musik. 

Thrasyllus,  genannt  Phliasius,  von  seinem  Geburtsorte  Phlius  unweit 
Korinth,  Philosoph  der  Platonischen  Schule,  derselbe,  welcher  Plato's  Schriften 
nach  Tetralogien  eingetheilt  hat,  zugleich  Mathematiker  und  Astronom  und  als 
solcher  der  Hofastrolog  und  Vertraute  des  Kaisers  Tiberius  während  dessen 
mehrjährigen  Aufenthaltes  auf  der  Insel  Rhodus  vor  seiner  Thronbesteigung 
(14  n.  Chr.).  Aus  einem  musikalisch-akustischen  Werke  des  T.  bringt  Por- 
phyrius  in  seinem  Commentar  der  »Harmonica«  des  Ptolemäus  ?^uf  pag.  266 
und  270  Citate  pythagoräisch- platonischen  Inhalts.  Es  wird  dasselbe  an  der 
ersteren  dieser  beiden  Stellen  Iv  r(p  tt^qI  nov  mra  fiovov,  an  der  lezteren  iv  zcp 
7t£Qi  tnzayöiß«-)  citirt;  beides  ist,  wie  Westphal  (»Griechische  Rhythmik  und 
Harmonik«,  1867,  Band  I,  pag.  76)  mit  Recht  behauptet,  dieselbe  Schrift,  ent- 
weder iv  ro)  TieQi  knrk  rövoiv  (das  System  der  sieben  Töne  dem  der  dreizehn 
Töne   des    Aristoxenus    gegenübergestellt)    oder  Iv  räi  tzsqI  tnrayoQbov  (über  das 


Threni  —  Thnmer.  185 

Heptachord).  Ein  anderes  Mal  findet  sich  T.  citirt  in  einer  noch  nicht  ver- 
öffentlichten musikalisch-akustischen  Abhandlung  in  der  Bibliothek  zu  Heidelberg. 

Threni,  Threnodie  bei  den  Griechen  mit  der  Flöte  begleitete  Trauer- 
gesänge 'bei  Leichenbegängnissen   und  Leichenmahlen. 

Thro  oder  Tarau,  eine  Art  Geigen  der  Burmesen,  mit  3  Saiten  aus  ge- 
drehten Seidenfaden.     (Vergl.  Engels  r> Katalog  Kensington  Museuma,  p.  67.) 

Thubal  oder  Thubal flöte,  eine,  nicht  mehr  gebräuchliche  alte  Flöten- 
stimme der  Orgel. 

Thürschiuidt,  s.  Türrschmidt. 

Thür-  oder  Dachschweller  ist  ein  Schweller  bei  der  Orgel,  bei  dem  die 
Pfeifen  in  einem  Kasten  stehen.  Der  Deckel  und  oft  auch  die  Seiten  desselben 
können  vermöge  eines  über  dem  Pedal  befindlichen  Tritte  beliebig  gehoben  oder 
geschlossen  werden.     Diese  Art  der  Schweller  ist  indess  veraltet. 

Thauia,  s.  Tuma. 

Thanbass,  s.  Subbass. 

Thuring-us,  eigentlich  Thüring,  Joachim,  Candidat  der  Theologie  und 
gekrönter  Poet,  war  zu  Fürstenberg  in  Mecklenburg  geboren  und  lebte  im  An- 
fange des  17.  Jahrhunderts.  Der  noch  jugenliche  Autor  gab  ein  gutes  Buch 
über  das  alte  Tonsystem  heraus.  Es  sind  demselben  Belobigungen  von  den 
Cantoren:  Burmeister,  Mylius,  Dedekind  und  anderen  vorgedruckt.  Der  Titel 
heisst:  r>Opusculum  hipartitum  de  primordiis  musicis,  quippe.  1)  De  tonis  sive 
modis,  2)  De  componendi  regulis.  Utrumque  ex  optimis  tarn  veterum  quam  recen- 
tiorum  musicorum  abstrusioribus  scriptis  erutum,  et  facili  jucunditate,  jucindaque 
facilitate  juventuti  praeparatum«.  (Berolini,  typis  Georgii  Rungii,  impensis  et 
sumptibus  Johannis  Vallii,  1624,  in  4").  Der  erste  Theil  besteht  aus  acht  und 
einem  halben  Blatt,  der  zweite  aus  siebzehn. 

Thüringr,  Johann,  geboren  zu  Trebbin  in  der  Mark,  war  in  der  ersten 
Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  Schulmeister  zu  "Willerstadt.  Er  gab  heraus: 
»Cantiones  sacrae«  (Erfurt,  1617).  »Zwei  christliche  Erndten-Gesänge«  (Jena, 
1620,  in  4").  »XV  geistliche  Motetten  nebst  der  Litanei  und  dem  Te  deum 
laudamus  von  4 — 8  Stimmen«  (Erfurt,  1621,  in  4").  nSertum  spirituale  musicale 
oder  geistliches  Musik-Kränzlein  von  drei  Stimmen«  (Erfurt,   1637,  in  4"). 

Thurm  ist  die  Bezeichnung  für  eine  besondere  Aufstellung  der  Prospect- 
pfeifen.  Geschieht  diese  Aufstellung  in  Form  eines  Halbkreises,  so  bilden  die 
Pfeifen  einen  Thurm;   in  der  Form  eines  Winkels  aber  einen  Spitzthurm. 

Thurn  und  Taxis,  Alexander  Ferdinand,  Graf  von,  war  in  Eegensburg 
1735  geboren  und  lebte  längere  Zeit  in  Venedig  und  Padua.  Er  war  ein  treff- 
licher Clavierspieler  und  Violinist,  der  auch  manches  componirte.  Als  Tartini's 
Schüler  und  Freund,  der  ihm  seine  Manuscripte  vermachte,  vertheidigte  er  seinen 
Meister  gegen  die  Anmerkungen  J.  J.  Eousseau's  in  seinem  i>Dietionaire  de 
musiquea,  das  System  Tartini's  betreffend,  in  einem  Schriftchen:  y>Risposfa  di  un 
anonimo  al  celebre  Signa  Rousseau  circa  il  suo  sentimento  in  proposito  d'alcune 
proporzione    del   Sig.  G.  Tartini«.  (Venezio,   1709). 

Thurner,  Friedrich  Eugen,  einer  der  berühmtesten  Hoboenvirtuosen, 
zugleich  fertiger  Clavierspieler  und  beliebter  Componist,  war  am  9.  December 
1785  zu  Mümpelgard  im  Würtembergischen  geboren.  Er  bildete  sich  in  Kassel, 
wohin  er  sehr  jung  kam,  später  in  München  bei  Ramm  im  Hoboenspiel  aus. 
Für  den  Zweck  seiner  musikalischen  Ausbildung  erhielt  er  von  der  Kaiserin 
Marie  Feodorowna  eine  Pension  ausgesetzt.  1805  nahm  er  in  Kassel,  1807  in 
Braunschweig  eine  Stellung  bei  der  fürstlichen  Kapelle  ein,  worauf  er  auf 
längere  Zeit  Concertreisen  unternahm.  In  Wien  verfiel  er  in  Wahnsinn,  wurde 
aber  für  kurze  Zeit  geheilt  und  reiste  1818  nach  Holland.  Den  Rest  seines 
Lebens  musste  er  zwischen  Genesung  und  Rückfällen  in  einem  Irrenhause  in 
Amsterdam  zubringen,  wo  er  1827  am  21.  März  starb.  Zu  seinen  Compo- 
sitionen,  die  bis  op.  56  reichen,  gehören:  Drei  Sinfonien,  eine  Ouvertüre,  op.  31 


186  Thureau  —  Tibaldi. 

(Leipzig,  Hoffmeister).  Vier  Concerte  für  Hoboe,  op.  12,  39,  41,  44  (Mainz, 
Schott,  Leipzig,  Hoffmeister  und  Amsterdam).  Vier  Quartette  für  Hoboe,  Violine, 
Alt,  Bass  (Bonn,  Simrock,  Leipzig,  Hoffmeister),  Trio  für  Hoboe  und  zwei 
Hörner,  op.  56  (Leipzig,  Probst).  Sonate  brillante  pour  joiano  seul,  op.  55 
(Leipzig,  Probst)  u.  s.  w. 

Thureau,  Hermann,  ist  18.36  am  21.  Mai  zu  Clausthal  geboren  und  fand 
seine  Ausbildung  zur  Musik  in  Gröttingen  und  Leipzig.  Hier  besuchte  er  das 
Conservatorium  und  genoss  den  Privatunterricht  Hauptmann's.  1863  wurde  er 
Organist  an  der  Hauptkirche  zu  Eisenach,  1865  Musikdirektor  und  Hofcantor 
an  derselben  Kirche  und  erhielt  1872  das  Prädikat  Professor.  Zu  seinen 
Funktionen  gehört  hier  die  Leitung  des  aus  64  Mitgliedern  bestehenden  Kirchen- 
chors. Daneben  wirkt  er  als  Musiklehrer  am  Seminar  und  ist  Dirigent  des 
Musikvereins. 

Tims,  David,  mit  dem  lateinisirten  Namen  Thusius,  Componist  aus  dem 
Anfange  des  17.  Jahrhunderts,  war  im  Mansfeldischen  geboren  und  gab  zu 
Erfurt  1609  heraus:  ■aEpithalamiumvi.. 

Thyard,  auch  Thiard,  Ponce  de,  Bischof  zu  Chälons  in  Frankreich, 
1521  auf  dem  Schlosse  Bissi  in  der  Diöcese  Ma§on  geboren,  ist  Verfasser  des 
Buches:  »SoUtaire  seeond,  ou  Prose  de  la  Musiq^uea  (Lion,  par  Jean  de  Touryes,^, 
klein  schmal  Folio;  auf  der  Pückseite  des  Titelblattes  ist  das  Bildniss  des  Ver- 
fassers in  einem  Holzschnitte  befindlich,  mit  der  Umschrift:  y>Solitudo  mihi  pro- 
vincia  estn  und  »P.  D.  T.  en  son  an  31«).  Das  Werk,  in  dem  das  musika- 
lische System  der  Griechen  entwickelt  ist,  ist  160  Seiten  stark,  ohne  das  Re- 
gister und  verschiedene  Kupfer,  deren  letztes  ein  Monochord  vorstellt,  dem 
eine  Beschreibung,  wie  man  es  verfertigen  und  gebrauchen  müsse,  beigefügt 
ist.     T.  starb  1605  auf  seinem  Schlosse  Bissy. 

Thys,  Alphonse,  Componist  und  Musiklehrer  in  Paris,  daselbst  am  8.  März 
1807  geboren,  wurde  auf  dem  Conservatorium  dieser  Stadt  gebildet  und  durch 
den  ersten  Compositionspreis  ausgezeichnet.  Seine  ersten  komischen  Opern,  die 
1835  in  Pai'is  aufgeführt  wurden,  hatten  wenig  Glück,  besser  gefielen  die 
nächsten:  siOreste  et  Pyladetn,  1  Akt  und  r>Amazone«,  1  Akt,  1844 — 1845  ge- 
geben. Die  letzte  Arbeit  war  in  Sournoise  September  1848  aufgeführt.  Ausser- 
dem schrieb  T.  gemischte  und  Männerchöre, 

Thys,  Auguste,  ist  zu  Gent  1821  geboren,  und  war  in  Belgien,  haupt- 
sächlich in  seiner  Vaterstadt,  sehr  bemüht  zur  Pflege  des  Chorgesanges  beizu- 
tragen und  den  Geschmack  in  Bezug  auf  den  Männerchorgesang  zu  heben.  Er 
war  von  1839  an  als  Sekretär  der  Gesellschaft  Orphee  eine  lange  Reihe  von 
Jahren  hindurch  ausserordentlich  thätig.  Ein  von  ihm  herausgegebenes  Buch: 
T) Sistorique  des  Societes  ehorales  de  Belgique<i  (Gand,  Busscher  freres,  1855, 
gr.  in  8",  216  S.,  erschien  in  drei  Auflagen).  Der  Titel  der  zweiten  Auflage 
hiess:  »ie  Societes  ehorales  en  Belgiquev-  (Gand,  de  Busscher  freres,  1861,  ein 
Band  in  8").  Man  findet,  darin  alle  Chorgesangsinstitute  des  Königreichs 
Belgien  verzeichnet;  Nachrichten  über  deren  Organisation,  über  erhaltene  Preise 
der  Gesangvereine  in  Belgien,  Frankreich,  Holland,  Deutschland  und  der  Schweiz, 
über  Musikfeste  und  Notizen  über  belgische  Componisten,  hauptsächlich  deren, 
die  für  Männerchöre  geschrieben. 

Thyssetins,  Benedict,  Componist  aus  dem  Anfange  des  17,  Jahrhunderts, 
Man  hat  von  ihm:  »Christliche  liebliche,  anmuthige  Gesänge  mit  4  Stimmen« 
(Wittenberg,  1614). 

Tibaldi,  Carlo,  berühmter  Tenorist,  wurde  1776  zu  Bologna  geboren 
und  ward  zuerst  in  den  Jahren  1797  und  1798  durch  seine  Leistungen  auf 
italienischen  Bühnen  bekannt.  1804  kam  er  nach  Deutschland  und  sang  zu- 
nächst in  Wien,  ward  1806  in  Dresden  bei  der  kurfürstl.  italienischen  Oper 
engagirt  und  scheint  seit  1810  grössere  Gastspielreisen  durch  Italien,  Deutsch- 
land, Frankreich  und  England  unternommen  zu  haben.  Im  Jahre  1826  ward 
er  pensionirt,  kehrte  hierauf  nach  Bologna  zurück  und  starb  dort  1833. 


Tibaldi  —  Tibicenes.  187 

Tibaldi,  Constanze,  Tochter  des  Vorigen,  ward  am  25.  Juli  1806  in 
Dresden  geboren,  erhielt  ihre  Ausbildung  im  Gesänge  durch  den  berühmten 
Tenoristen  A.  Benelli  und  ward  1822  bei  der  italienischen  Oper  in  Dresden 
engagirt,  wo  sie  rasch  beliebt  wurde.  1827,  nach  dem  Abgange  der  Sontag,  kam  sie 
als  erste  Sängerin  an  das  Königstädter  Theater  in  Berlin.  Ihr  Repertoire  war 
nur  klein,  obwohl  sie  besonders  in  Männerrollen  gefiel,  weshalb  sie  1828  Berlin 
verliess  und  nach  London,  von  da  nach  Paris  ging.  Dort  ti-at  sie  als  Tancred 
auf,  missfiel  aber  derart,  dass  sie  sich  entschloss,  der  Bühne  ganz  zu  entsagen. 
Sie  ging  nach  Bologna  zu  ihrem  Vater  und  verheiratete  sich  nach  dem  Tode 
desselben  mit  einem  wohlhabenden  Privatmann,  Namens  Biagi.  Es  existirt  ein 
Bild  von  ihr,  gezeichnet  von  Fr.  Krüger,  lithographirt  von  Grentili,  gedruckt 
im  lithographischen  Institut  von  Helmlehner. 

Tibia  (latein.)  =  Schienbein,  der  lateinische  Name  der  Flöte  (Aulos 
s.  d.),  weil  diese  ursprünglich  aus  Schienbeinen  von  Thieren  gefertigt  wurde. 
Erst  später  wurden  andere  Stoffe  dazu  verwendet,  um  die,  der  aus  Schienbein  ge- 
wonnenen entsprechende  Form  nachzubilden.  In  den  ältesten  Zeiten,  bei  den 
Grriechen,  wurde  die  Flöte  indess  zuerst  aus  Schilfrohr  geschnitten  —  {xo- 
ravXog;  später  aus  verschiedenen  Holzarten,  bei  den  Phrygiern  aus  Buxbaum, 
aus  Lot  OS  bei  den  Libyern  und  Phoinikiern,  aus  Epheu  bei  den  Aegyptern, 
erst  die  Tyrrhener  machten  sie  aus  Metall.  Schon  Herodot  unterschied  bei 
der  lydischen  Flöte  eine  männliche  und  weibliche;  die  Bömer  bezeichneten 
die  Tibia  je  nachdem  sie  mit  der  rechten  oder  linken  Hand  gespielt,  mit  der 
rechten  oder  linken  Seite  des  Mundes  geblasen  wurde:  dextra  oder  sinistra, 
beide  aber  waren  in  der  Tonlage  verschieden.  Die  dextra  t.  war  die  tiefere 
und  hatte  in  der  Regel  drei  Tonlöcher;  die  sinistra  t.  war  die  höhere  und 
hatte  vier  und  mehr  Tonlöcher;  weshalb  pares  und  impares  unterschieden  wurde, 
so  dass  parihus  tihiis  eanere  heisst:  mit  zwei  rechten  oder  zwei  linken,  imparihus 
mit  einer  rechten  und  einer  linken  blasen.  Die  tihia  wurde  bei  allen  öffent- 
lichen Feierlichkeiten,  beim  Cultus  wie  bei  Volksfesten  gebraucht,  wie  auch  um 
den  Tact  und  den  rechten  Ton  beim  Reden  und  beim  Vorlesen  anzugeben. 
Sie  wurde  nicht  nur  von  Männern,  sondern  auch  von  Frauen  geblasen,  die 
avh;TQiösg  werden  oft  genug  erwähnt.    Verschiedene  Arten  der  Flöten  waren,  die 

Tibia  berecynthia,  nach  der  Stadt  und  dem  Berge  Berecynthus  so  ge- 
nannt, die 

Tibia  buxea  war  aus  Buxbaum  gefertigt,  die 

Tibia  embateria  =  lacedämonische  Flöte,  mit  der  die  Kriegslieder  be- 
gleitet wurden,  die 

Tibia  giugriua  =  die  Schalmei  (von  gingrire  =  das  Crackern  der 
Gans),  die 

Tibia  siticinnm  =  Leichenbläserflöte,  die 

Tibia  tityrina  =  Hirtenflöte,  die 

Tibiae  bifores,  conjunctae,  geminatae  =  Doppelflöte,  die 

Tibia  Iiemiopae,  die  Flöte  für  Kinder,  mit  dicht  neben  einander  liegenden 
Löchern,  die 

Tibia  augnsta  heisst  (in  der  Orgel)  die  Dolz flöte,  die 

Tibia  aperta  (in  der  Orgel),  eine  offene  (nicht  gedacte)  Flöten- 
stimme,  die 

Tibia  major,  s.  Bor  dun,  die 

Tibia  sylvestris  =  Wald  flöte,  die 

Tibia  traverso,  die  Querflöte,  die 

Tibia  vulgaris  =  Blockflöte. 

Tibia  eanere  =  die  Flöte  blasen,  die 

Tibia  utricularis  =  die  Sackpfeife,  der  Dudelsack. 

Tibicenes,  die  Flötenbläser,  bildeten  in  Rom  seit  der  ältesten  Zeit  ein 
Collegium;  mehrere  waren  in  Staatsdienst  und  wurden  nur  bei  Opfern  verwendet, 
andere  waren  für  jeden  zum  Dienst. 


188  Tibiluatriiim  —  Tichatscheck. 

TibilustriuiU;  das  zu  Rom  alljälirlicli  am  13.  Juni  stattfindende  Fest  der 
Pfeifenweihe. 

Tiburce,  P.  Frangois,  Mönch  des  Kapuzinerklosters  zu  Brüssel,  seiner 
Vaterstadt,  wo  er  1580  geboren  wurde.  Es  ist  von  ihm  eine  Sammlung  von 
Litaneien  bekannt:  r>Litaniae  seraphicae  B.  Mariae  Virginis  3,  4,  5,  6  e^  8  vo- 
cibus  cum  basso  continuo  ad  Organum»-  (Antverpiae,  apud  heraedes  P.  Phalesii, 
in  4°,  ohne  Datum).     Das  letzte  Stück  ist  ein  achtstimmiges  Tantum  ergo. 

Ticliatscheck,  Joseph  Alois,  wurde  in  dem  durch  seine  romantischen 
Felsenpartien  berühmten  Marktflecken  Ober-Weckelsdorf  in  Böhmen  am  11.  Juli 
1807  geboren.  Sein  Vater,  Wenzel  Tichatschke,  ein  einfacher  Weber  und 
Landmann,  besass  entschiedenes  musikalisches  Talent,  sang  und  spielte  auch 
mehrere  Instrumente,  weshalb  er  vielfache  Beschäftigung  bei  vorkommenden 
musikalischen  Aufführungen,  namentlich  bei  Kirchenmusiken  fand.  Sein  Sohn 
Joseph  mag  dadurch  wohl  die  ersten  Anregungen  zu  musikalischen  Studien 
erhalten  haben,  wenigstens  ist  soviel  gewiss,  dass  derselbe  frühzeitig  als  Altist 
bei  Kirchenmusiken  mitwirkte.  Zugleich  ertheilte  ihm  der  in  Weckelsdorf  an- 
gestellte Schullehrer  Wittig  Unterricht  im  Gesang,  auf  der  Violine  und  dem 
Claviere.  Der  intelligente  Knabe  erregte  bald  das  Interesse  des  Weckelsdorfer 
Pfarrers  Herrmann,  welcher  ihn  während  zweier  Jahre  zum  Besuche  des  Gym- 
nasiums in  Braunau  vorbereitete.  Dieses  damals  gegen  3000  Einwohner  zählende, 
zwei  Meilen  von  Weckelsdorf  gelegene  Städtchen  besitzt  nämlich  eine  bedeu- 
tende Benedictiner-Abtei,  mit  welcher  das  oben  erwähnte  Gymnasium  verbunden 
ist.  Der  junge  Tichatscheck  fand  im  Jahre  1821  Aufnahme  in  letzterem,  und 
wurde  natürlich  bald  für  das  Sängerchor  der  Schule  als  Altist  sehr  brauchbar 
gefunden.  Mit  dem  17.  Jahre  erst  mutirte  seine  Stimme  und  verwandelte  sich 
in  einen  herrlichen  Tenor.  Im  Jahre  1827  absolvirte  Tichatscheck  das  Gym- 
nasium und  ging  nach  Wien,  um  dort  Medicin  zu  studiren.  Da  der  junge 
Student  auch  hier  die  Musik  nicht  vernachlässigte  und  sich  insbesondere  öfters 
bei  Kirchenmusiken  betheiligte,  wurde  man  bald  auf  seine  schöne  Stimme  auf- 
merksam. Namentlich  interessirte  sich  der  Chorregent  Weinkopf  an  der  Kirche 
St.  Michael,  welcher  zugleich  Chordirektor  am  k.  k.  Kärnthnerthor-Theater  war, 
für  Tichatscheck  und  bewog  ihn,  das  Studium  der  Medicin  aufzugeben  und  zum 
Theater  zu  gehen.  Er  machte  den  damaligen  Pächter  des  Kärnthnerthor- 
Theaters,  Grafen  Gallenberg,  auf  den  jungen  Tenoristen  aufmerksam  und  ver- 
mittelte auch  1830  ein  Engagement  desselben  als  Chorist  bei  genannter  Bühne. 
Tichatscheck  war  nun  wirkliches  Mitglied  des  Kärnthnerthor-Theaters,  sollte 
aber  auch  sofort  die  Bitterkeiten  seines  neuen  Standes  kennen  lernen,  denn 
die  Finanzen  des  Herrn  Grafen  befanden  sich  in  so  desolaten  Umständen,  dass 
der  neue  Chorist  nur  eine  Monatsgage  erhielt.  Graf  Gallenberg  machte  sehr 
bald  Bankerott,  worauf  der  bekannte  Duport  als  Pächter  eintrat.  Dieser  er- 
kannte sofort  Tichatscheck's  seltene  Begabung  und  liess  ihm  in  Verein  mit 
Clara  Heinefetter,  Sophie  Löwe  und  Staudigl  Unterricht  durch  den  berühmten 
italienischen  Gesanglehrer  Cicimara  ertheilen.  Im  Jahre  1833  wird  Tichatscheck 
als  Sänger  und  Chorinspicient  mit  500  Gulden  Gehalt  aufgeführt;  letzterer 
sollte  sich  1834  auf  600  Gulden  erhöhen.  Der  junge  Künstler  hatte  sich  zur 
Uebernahme  kleiner  Partien  verpflichtet,  in  denen  er  bald  solche  Fortschritte 
machte,  dass  man  ihn  mit  der  grösseren  Bolle  des  Raimbaut  in  »Robert  der 
Teufela  betraute;  diesem  folgte  Jaquino  (»Fidelio«),  König  Jurano  (»Simira- 
mis«)  u.  s.  w.  Tichatscheck  schloss  mit  Duport  einen  Vertrag  auf  fünf  Jahre 
ab,  erhielt  aber  behufs  seiner  weiteren  Ausbildung  einen  längeren  Urlaub  und 
ging  nach  Gratz.  Hier  war  eine  solche  jugendlichfrische  Erscheinung  höchst 
willkommen;  Direktor  Pollet  gewann  Tichatscheck  für  das  erste  Jahr  mit 
800  Gulden,  für  das  zweite  mit  1200  Gulden  Gage.  Sein  erstes  Debüt  als 
Raimbaut  hatte  glänzenden  Erfolg,  ebenso  gefiel  er  als  Alfonso  (»Stumme«)  und 
Edmund  (»Schwur«),  und  schnell  schwang  er  sich  zum  gefeierten  Liebling  des 
Gratzer  Publikums   empor. 


Tichatscheck.  189 

Inzwischen  wurde  ihm  im  Jahre  1837  von  den  neuen  Pächtern  des 
Kärnthnerthor-Theaters  Ballochino  und  Merelli  ein  Gastspiel  auf  Engagement 
an  Wild's  Stelle  angetragen;  zur  selben  Zeit  erhielt  er  von  Dresden  aus  ein 
gleiches  Anerbieten.  Kapellmeister  F.  Morlachi,  die  Schauspieler  Pauli,  Wei- 
mar, sowie  Caroline  Bauer  hatten  Herrn  von  Lüttichau,  den  Generaldirektor 
der  königl.  sächsischen  musikalischen  Kapelle  und  des  Hoftheaters,  auf  den 
jungen  Tenoristen  aufmerksam  gemacht.  In  Wien  gastirte  Tichatscheck  wäh- 
rend des  Monats  Juli  mit  viel  Beifall,  in  Dresden  zuerst  am  11.  August  1837 
als  Herzog  Olaf  in  der  Oper  »Die  Ballnacht«  (Gustav  oder  der  Maskenball) 
von  Auber:  aus  Hofrücksichten  hatte  man  nämlich  König  Gustav  von  Schweden 
in  einen  Herzog  Olaf  verwandelt.  Der  junge  Sänger  entzückte  durch  seine 
klangvolle  jugendliche  Stimme,  sowie  durch  wahrhaft  künstlerisch  begeisterten 
Vortrag.  Der  Beifall  stieg,  nachdem  er  noch  als  George  Brown,  Tamino  und 
Eobert  der  Teufel  aufgetreten  war.  Die  öffentliche  Stimme  entschied  sich  so 
«allgemein  für  den  trefflichen  Künstler,  dass  Herr  von  Lüttichau  einen  sieben- 
jährigen Contract  (Ostern  1838  bis  dahin  1845)  mit  Tichatscheck  abschloss. 
Zugleich  ward  derselbe  als  Sänger  beim  Chor  der  katholischen  Hofkirche  an- 
gestellt. Sein  Contrakt  ward  übrigens,  wie  hier  im  Voraus  bereits  bemerkt  sei, 
zu  verschiedenen  Zeiten  verlängert,  so  in  den  Jahren  1844,  1849,  1857  und 
1862.  Tichatscheck  gesellte  sich  in  Dresden  einem  Künstlerkreise  zu,  der  zu- 
nächst im  Bereiche  der  Oper  damals  den  ersten  Deutschlands  zuzuzählen  war 
und  unter  der  Leitung  eines  humanen,  einsichtsvollen  und  für  die  Kunst  und 
das  Institut  warm  fühlenden  Chefs  sich  streng  auf  dem  Boden  echt  künstle- 
rischer Bestrebungen  bewegte.  An  der  Spitze  dieses  Künstlerkreises,  mass- 
gebend und  bestimmend  in  wahrhaft  genialer  Weise,  stand  Wilhelmine  Schröder- 
Devrient.  Ueberflüssig  wäre  es,  hier  noch  Worte  über  die  hohe  künstlerische 
Bedeutung  der  genialen  Frau  zu  verschwenden.  Nur  von  dem  fördernden  Ein- 
flüsse, den  sie  wie  auf  alle  Collegen,  so  auch  auf  Tichatscheck  ausübte,  mag 
hier  die  Rede  sein. 

Auch  Tichatscheck  sollte  erfahren,  wie  viel  er  seiner  grossen  Collegin  zu 
verdanken  haben  würde.  Zunächst  machte  sich  dies  bemerklich  in  der  ersten 
Vorstellung  der  »Hugenotten«  am  23.  März  1838.  Die  Oper  und  besonders 
Wilhelmine  als  Valentine,  Tichatscheck  als  Raoul  erzielten  einen  ausserordent- 
lichen Erfolg.  Tichatscheck  bewies  seine  Dankbarkeit  und  Verehrung  dadurch, 
dass  er  an  dem  Hause  in  Coburg,  in  welchem  sie  1860  gestorben  war,  eine 
Erinnerungstafel  anbringen  Hess.  Dieselbe  ward  am  27.  October  1862  enthüllt. 
Zahlreiche  Gastspiele  auf  fast  allen  bedeutenden  Bühnen  Deutschlands  verbrei- 
teten den  Ruf  Tichatscheck's  bald  weit  und  breit.  Im  Jahre  1841  (Juni)  be- 
theiligte er  sich  an  dem  deutschen  Opernunternehmen  Schumann's  in  London, 
Manchester  und  Liverpool,  dem  auch  Staudigl,  Clara  Stöckel-Heinefetter  und 
andere  ausgezeichnete  Künstler  angehörten,  Tichatscheck  trat  zum  ersten 
Male  in  London  als  Tamino  mit  grossem  Beifall  auf.  Das  Jahr  1842  war 
epochemachend  im  reichen  Künsterleben  Tichatscheck's.  Am  20.  Octbr.  sang 
er  zum  ersten  Male  die  Rolle  des  Rienzi  in  der  gleichnamigen  Oper  von 
Richard  Wagner.  Mit  dieser  Partie  eröffnete  sich  ihm  eine  glänzende  Zukunft 
als  Wagnersänger.  Enge  Freundschaft  verband  ihn  von  nun  an  mit  dem  be- 
rühmten Componisten.  Am  19.  Octbr.  1845  wurde  zum  ersten  Male  unter  des 
Componisten  Leitung  Wagner's  »Tannhäuser  und  der  Sängerkrieg  auf  der 
Wartburg«  gegeben.  Lange  Zeit  blieb  Tichatscheck's  Tannhäuser  unerreicht, 
nicht  minder  galt  dies  von  Mitterwurzer's  Wolfram,  der  mit  dieser  Rolle  sich 
seinem  berühmten  Collegen  ebenbürtig  an  die  Seite  stellte.  Sie  beide  und  die 
Nichte  des  Componisten,  Johanna  Wagner,  welche  die  Elisabeth  gab,  blieben 
noch  lange  mustergültige  Repräsentanten  ihrer  Rollen;  sie  haben  später  die 
Ausführung  dieser  Partien  nur  im  Einzelnen,  nicht  aber  im  Ganzen  steigern 
und  blos  vollendeter  machen  können.  Und  neben  ihnen  spielte  damals  noch 
die  Schröder-Devrient  (Venus).    Diesen  beiden  glänzenden  Rollen  fügte  Tichat- 


190  Tichatscheck. 

Scheck  1859  auch  die  des  Lohengrin  hinzu.  Am  17.  Januar  1863  beging 
Tichatscheck  in  Dresden  das  25  jährige  Jubiläum  seiner  Mitgliedschaft  am 
königl.  Hoftheater.  Welch  eine  reiche,  thätige  und  ruhmgekrönte  Laufbahn 
konnte  der  Sänger  an  diesem  Tage  überblicken;  mit  welcher  Theilnahme  aber 
auch  wurde  ihm  die  allerdings  in  so  reichem  Maasse  verdiente  Anerkennung 
seiner  Kunstgenossen  und  Freunde,  ja  des  Publikums  aus  vollem  Herzen  be- 
wiesen. König  Johann  ernannte  ihn  an  diesem  Tage  zum  Kammersänger.  Seit 
1861  gehörte  Tichatscheck  dem  Dresdener  Hoftheater  als  Ehrenmitglied  an. 
Am  16.  Januar  1870  feierte  Tichatscheck  sein  40  jähriges  Künstler- Jubiläum 
unter  allgemeiner  Theilnahme.  Er  erhielt  an  diesem  Ehrentage  das  Ritterkreuz 
des  königl.  sächsischen  Albrechtsordens,  des  Eruestinischen  Hausordens  und 
des  österreichischen  Franz  Josephs-Ordens.  Schon  früher  waren  dem  Sänger 
mancherlei  Ehrenbezeigungen  zu  Theil  geworden.  Durch  Decret  d.  d.  Neustrelitz, 
22.  Juni  ernannte  ihn  der  Grossherzog  Georg  Friedrich  zum  grossherzoglichen 
Kammersänger.  Durch  Decret  d.  d.  Darmstadt,  24.  April  1860  verlieh  derf 
Grossherzog  von  Hessen-Darmstadt  unserm  Künstler  die  goldene  Yerdienst- 
medaille.  Im  Jahre  1866  erhielt  er  vom  König  von  Schweden  die  goldene 
Medaille  mLiteris  et  Ärtibusn.  1835  ernannte  ihn  der  Musikverein  in  der 
Steiermark,  1842  der  Musikverein  zu  Linz  zu  seinem  Ehrenmitgliede.  In  Gratz 
bereits  hatte  sich  Tichatscheck  mit  seiner  noch  lebenden  Gattin,  Pauline  Zeuner, 
verheiratet.  Von  seinen  beiden  Kindern  war  eine  Tochter,  Josephine,  an  den 
königl.  sächsischen  Hofoperusänger  C.  Rudolph  verheiratet,  sein  Sohn,  Franz 
Joseph,  diente  als  Lieutenant  im  königl.  sächsischen  vierten  Infanterie-Regimente 
und   starb  vor  einigen  Jahren. 

Am  1.  Januar  1870  trat  Tichatscheck  in  den  wohlverdienten  Ruhestand. 
Ueberblickt  man  nun  das  überaus  reiche  Repertoir,  welches  sich  Tichatscheck 
erworben  hat,  so  steht  er  da  als  ein  Künstler  im  grossen  Stil.  Seine  Stimme 
zeichnete  sich  von  jeher  durch  Klangfülle,  Schönheit  und  Classicität  höchst 
vortheilhaft  aus;  dabei  hatte  er  sich  durch  sinnige  vind  unausgesetzte  Studien 
eine  gediegene  Gesangs-Technik  erworben,  die  das  Organ,  trotz  langjähriger 
Anstrengungen,  immer  frisch  und  gesund  erhalten  hat.  Nicht  genug  kann  auf 
die  goldreine  Intonation  in  dem  Gesänge  Tichatscheck's  hingewiesen  werden; 
Reinheit  in  solcher  Vollendung  wird  man  selten  antreffen.  Da  war  unfehlbare 
Sicherheit  bei  den  schwersten  Intervallen  und  Ausweichungen,  bei  leidenschaft- 
lichen Ausbrüchen  höchster  Kraft,  wie  bei  den  im  leisesten  Piano  hingehauchten 
Tönen.  Tichatscheck  hat  das  ganze  Tenor-Repertoire  zunächst  der  grossen 
Oper  beherrscht.  Von  seinen  Hauptrollen  mögen  hier  nur  erwähnt  sein: 
Admetos,  Achilles,  Idomeneus,  Tamino,  Hüon,  Adolar,  Licinius,  Cortez,  Ivanhoe, 
Olaf  (Gustav  III.),  Masaniello,  Robert,  Raoul,  Prophet,  Eleazar,  Rienzi,  Tann- 
häuser, Lohengrin.  Diesen  Rollen  schliessen  sich,  zugleich  einen  merkwürdigen 
Gegensatz  bildend,  seine  Partien  in  »Die  weisse  Dame«,  »Joconde«,  »Maurer 
und  Schlosser«,  »Zum  treuen  Schäfer«  und  »Brauer  von  Preston«  an.  Von 
lyrischen  Partien  sind  Max,  Joseph,  Nadori,  Sever,  Stradella  u.  a.  zu  nennen. 
Für  die  Dresdener  Bühne  war  Tichatscheck  von  ausserordentlicher  Wichtigkeit 
und  seine  echte  Künstlernatur  war  stets  vom  förderlichsten  Einflüsse.  Neben 
dem  Treiben  der  Routiniers  ist  es  vorzugsweise  die  Blasirtheit  der  Mitglieder, 
welche  nachtheilig,  ja  zerstörend  auf  ein  Kunstinstitut  einwirken  kann  und 
dieser  ist  Tichatscheck  von  jeher  fern  gewesen,  sie  hat  nie  durch  den  Panzer 
seiner  Künstlerschaft  dringen  können.  Wahrhafte  Begeisterung  für  alles  Gute 
und  Schöne  war  stets  die  Triebfeder  seines  Wirkens,  sie  sicherte  allein  seinen 
Leistungen  die  Unmittelbarkeit  und  poetische  Frische,  welche  sie  so  bedeutend 
erscheinen  lassen.  Sie  Hess  ihn  zugleich  die  Bedeutung  seiner  Stellung  an  dem 
berühmten  Kunstinstitute,  dem  er  angehörte,  in  ihrem  vollsten  Umfang  er- 
kennen; er  betrachtete  sein  Engagement  nicht  als  ein  nothwendiges  Uebel,  als 
eine  Ruhezeit  nach  den  Fatiguen  endloser  Gastspielreisen.  Und  wenn  er  auch 
fast  alle  grösseren  Bühnen  Deutschlands  betrat,  so  war  und  blieb  doch  immer 


Tido  —  Tietjens.  191 

seine  regste  Thätigkeit  der  Dresdener  Hofbühne  gewidmet,  der  er  so  zu  sagen 
mit  Leib  und  Seele  angehörte. 

Tido,  H  einrieb,  geboren  in  Litthauen  in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahr- 
hunderts, gab  in  Frankfurt  a.  0.,  wo  er  studirte,  eine  Abhandlung  in  Folio 
heraus:  liProgramma  de  Studioso  musicaea  u.  s.  w.   (1692,  in  4°). 

Tiedemaun,  Dietrich,  Professor  der  Philosophie  und  Sprachen  an  der 
Universität  Marburg,  war  am  3.  April  1745  in  Bremer-Voerde  bei  Bremen 
geboren.  Er  studirte  in  Gröttingen  und  lehrte  zuerst  an  der  Universität  Kassel. 
Er  starb  in  Marburg  am  23.  Mai  1803.  In  seinem  Buche  über  die  Philosophie 
der  Alten  hat  er  Anmerkungen  über  das  Pythagoräische  Musik- System  ge- 
schrieben; diese  sind  auch  im  dritten  Bande  der  Forkel'schen  »Musikalischen 
Bibliothek«,  S.  107—116  abgedruckt. 

Tief  heissen  diejenigen  Töne,  im  Gegensatz  zu  den  hohen,  welche  durch 
langsamere  und  breitere  Schwingungen  der  tonerzeugeuden  Körper  hervor- 
gebracht werden. 

Tiefeubrucker,  Caspar,   s.  Duiffopruggar. 

Tielfeul) rucker,  Leonhard,  Magnus  und  "Wendelin,  waren  Lauten- 
macher deutschen  Ursprungs,  die  während  des  16.  Jahrhunderts  in  Venedig 
arbeiteten  und  deren  Instrumente  gesucht  waren. 

Tiehsen,  Otto,  Musiklehrer  und  Componist,  geboren  am  13.  Octbr.  1817 
zu  Danzig,  besuchte  zum  Zwecke  seiner  musikalischen  Ausbildung  die  königl. 
Akademie  in  Berlin  und  erhielt  mehrere  Preise.  Er  lebte  später  in  Berlin  als 
Musiklehi-er  und  veröjEFentlichte  eine  Eeihe  von  Compositionen,  von  denen  haupt- 
sächlich seine  Lieder  mit  Clavierbegleitung  sich  Freunde  erwarben.  T.  starb 
an  einer  Herzkrankheit,  32  Jahr  alt,  am  15.  Mai  1849.  Die  grösseren  seiner 
Arbeiten  sind:  Ein  sechsstimmiges  Kyrie  und  Gloria  für  Solo  und  Chorstim- 
men (1839).  "Weihnachtscantaten  für  Solo  und  sechsstimmigen  Chor,  op.  8 
(Berlin,  Trautwein).  Crucificus  sechsstimmig  a  capella,  op.  11  (Berlin,  Bote 
und  Bock).  »Annette«,  komische  Oper,  1847  in  Berlin  aufgeführt.  Das  Ver- 
zeichniss  aller  seiner  Lieder  ist  in  Ledebur  (»Berliner  Tonkünstler-Lexikon«, 
S.  598)  abgedruckt. 

Tielke,  Joachim,  Lautenmacher,  der  zu  Hamburg  von  1660  bis  in  den 
Anfang  des  18.  Jahrhunderts  ansässig  war.  Er  verfertigte  Lauten  und  auch 
Geigen  von  trefflicher  Art.  Eine  seiner  Geigen  vom  Jahre  1660  besass  Herr 
Andre  in  Offenbach.  Lauten  hat  T.  angefertigt,  die  ganz  aus  Elfenbein  und 
Ebenholz  bestanden,  und  deren  Hals  mit  Gold,  Silber  und  Perlmutter  oder 
Schildpatt  ausgelegt  war. 

Tiersch,  Otto,  geboren  am  1.  September  1838  zu  Kalbsrieth  (Sachsen- 
Weimar),  war  Schüler  von  J.  G.  Töpfer,  Ludw.  Erk  und  H.  Bellermann,  seit  1861 
in  Berlin,  derzeit  Lehrer  der  Theorie  am  Stern'schen  Conservatorium  daselbst. 
Er  veröffentlichte:  »System  und  Methode  der  Harmonielehre«  (Leipzig,  Breit- 
kopf &  Härtel,  1868).  »Elementarbuch  der  musikalischen  Harmonie  und  Mo- 
dulationslehre« (Berlin,  Robert  Oppenheim,  1874;  wird  gegenwärtig  ins  Englische 
übersetzt  durch  Prof.  Dölker  in  Albany,  N.-Y.).  »Kurze  praktische  Generalbass-, 
Harmonie-  und  Modulationslehre«  (Leipzig,  Breitkopf  &  Härtel,  1876).  Ferner 
verschiedene  theoretische  Abhandlungen  in  Fachblättern  (»Neue  Berliner  Musik- 
zeitung«, »Neue  Zeitschrift  für  Musik«,  »Musik.  Wochenblatt«  u.  s.  w.),  sowie 
eine  Reihe  von  Artikeln  theoretischen  Inhalts  im  vorliegenden  Lexikon  (Auf- 
lösung, Ausweichung,  Battuta  u.  s.  w.),  welche  über  die  Principien  seines  Systems, 
das,  unter  Beachtung  der  Resultate  akustischer  und  anderweitiger  Forschungen, 
alle  Erscheinungen  im  Gebiete  der  Harmonie  aus  zwei  sehr  einfachen  Gesetzen 
abzuleiten  sucht,  sowie  über  die  Tendenzen  seiner  Bestrebungen  auf  theore- 
tischem  Gebiete  überhaupt  genügenden  Aufschluss  geben. 

Tietjens,  Therese,  die  berühmte  Primadonna  von  her  Majesty's  Theatre 
in  London,  wurde  am  17.  Juli  1831  in  Hamburg  von  ungarischen  Eltern  ge- 
boren.    Nachdem    sie    daselbst    ihre    musikalischen    Lehrjahre    beendet,  begann 


192  Tietz  -  Till. 

sie  in  ihrem  18.  Lebensjahre  als  Lucrezia  Borgia  an  der  dortigen  Oper  ihre 
sich  so  ruhmvoll  gestaltende  künstlerische  Laufbahn  mit  ausserordentlichem 
Erfolg.  Die  Zeitungsberichte  darüber  trugen  rasch  ihren  Namen  in  alle  Lande. 
Von  ihrer  Vaterstadt  ging  sie  nach  Frankfurt  a.  M.  und  dann  an  die  k.  k.  Oper 
nach  Wien,  wo  ihre  Valentine  ein  brillantes  Engagement  zur  Folge  hatte.  Von 
"Wien  aus  folgte  sie  dem  dringenden  und  lockenden  E,ufe  nach  London;  hier 
wirkte  sie  bis  zu  ihrem  am  3.  Octbr.  1877  erfolgten  Tode  an  der  Oj)er  und 
als  Sängerin  Händel'scher  Oratorien  in  glänzendster  Weise.  Ihre  mehr  gewal- 
tige als  schöne,  aber  trefflich  geschulte  Stimme,  Spiel  und  Erscheinung  prä- 
destinirten  die  Künstlerin  für  das  stolze  Gebiet  hochdramatischer  Partien.  Alle 
ihre  Gestaltungen  (Fidelio,  Valentine,  Norma,  Donna  Anna  u.  s.  w.)  waren  von 
heroischer  Kraft  getragen  und  Feuer  durchglüht,  ohne  je  die  künstlerische 
Grenzlinie  zu  überschreiten,  ihr  Organ  trotzte  siegreich  jeder  Anstrengung. 
Von  der  Königin  Victoria  hochgeehrt,  nahm  sie  in  der  Londoner  Gesellschaft 
eine  der  bevorzugtesten  Stellungen  ein. 

Tietz,  Hermann,  geboren  am  8.  März  1844  in  Driesen,  studirte  zuerst 
in  Berlin  an  der  Gewerbe-Akademie  von  1859 — 1863  Chemie,  dann  aber  wandte 
er  sich  dem  Studium  der  Musik  zu;  wurde  1865  Schüler  und  1866  Lehrer  an 
der  Neuen  Akademie  für  Tonkunst,  ging  1868  nach  Gotha,  wurde  hier  1869 
zum  Hofpianisten  ernannt  und  gründete  den  Musikverein,  dessen  Leitung  er 
seitdem  führt.     Er  gehört  zu  den  besten  Pianisten  der  Gegenwart. 

Tietz,  Ludwig,  geboren  zu  Dresden  am  26.  April  1774,  wurde  von  seinem 
Vater,  der  kurfürstl.  sächsischer  Kammermusikus  war,  frühzeitig  für  die  Musik 
bestimmt  und  erhielt  eine  sorgfältige  Ausbildung,  insbesondere  Violinunterricht 
bei  Job.  Gottlob  Scholtz,  der  ebenfalls  in  der  kurfürstl.  Kapelle  angestellt  war. 
Schon  1790  trat  Tietz  als  Violinist  in  letzteres  Institut  ein,  unternahm  einige 
Kunstreisen,  ward  1814  mit  dem  Vorspiel  bei  der  Zwischenaktsmusik  betraut, 
avancirte  1818  zum  königl.  Viceconcertmeister  und  starb  am  8.  August  1827. 
Von  seinen  Compositionen  sind  einige  Entreacts  bekannt  geworden. 

Tigrini,  Stiftsherr  zu  Arezzo,  lebte  in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahr- 
hunderts und  gab  ein  musikalisches  Lehrbuch  heraus,  welches  er  Zarlino  de- 
dicirte  und  welches  den  Titel  führt:  »Compendio  della  musica,  nel  quäle  ireve- 
mente  si  tratta  delV  arte  di  contrapunto.  Diviso  in  quattro  libri«  (Venezia,  1588, 
appresso  Ricciardo  Amadino,  in  4**,  136  S.;  zweite  Ausgabe  Venedig,  1602). 
Eine  von  Tigrini  bekannte  Composition  ist  enthalten  in:  »JZ  primo  libro  de 
Madrigali  a  6  vocia  (Venezia,  app.  Angelo  Gardano,   1582,  in  4**  obl.). 

Til,  Salomon  van,  Professor  der  Theologie,  geboren  zu  Wesop  bei  Amster- 
dam am  26.  December  1644,  studirte  zu  Utrecht  und  Leyden,  und  bekleidete, 
nachdem  er  eine  Zeitlang  Prediger  gewesen  war,  in  der  letzteren  Stadt  eine 
Professur.  Er  hat  ein  Werk  über  die  hebräische  Musik  geschrieben,  dessen 
Titel  in  der  Originalsprache:  y>Digt-,Sa7ig-  en  Speelkonst,  soo  der  ouden,  als  hysonder 
der  Hebrean  eica  (Dortrecht,  1692,  in  4**,  72  Bl.).  Ausser  mehreren  hollän- 
dischen Ausgaben  erschien  das  Werk:  1)  in  deutscher  Uebersetzung:  »Dicht-, 
Sing-  und  Spiel-Kunst,  sowohl  der  Alten,  als  besonders  der  Ebräer«  (Frankfurt 
und  Leipzig,  1706,  in  4°,  478  Seiten  nebst  Platten;  zweite  Ausgabe  Frankfurt, 
1719,  in  4");  2)  eine  lateinische  Uebersetzung  lieferte  J.  A.  Fabricius  in  seinem' 
y>Thesaurus  antiquitatum  hebraicaruma,  T.  VI,  No.  50;  wovon  ein  Auszug  in 
Ugolini:  -nThesaurus  antiquitatum  sacraruma,  T.  XXXII,  S.  231 — 350  aufge- 
nommen ist. 

Till,  Johann  Herrmann,  Organist  zu  Potsdam,  später  zu  Spandau  (1730), 
gab  1719  folgende  Schrift  zum  Druck:  »Aufrichtig  und  vernunftgründlich  be- 
antwortete Frage:  Ob  ein  Musikus  Practikus,  so  sich  annechst  der  Composition 
und  deutschen  Poesie  äussert,  auch  bereits  seine  Proben  darinnen  bewiesen, 
müsse  und  solle  alle  Classen  Scholae  durchgegangen  und  auf  Universitäten  ab- 
solute absolvirt  haben.  Worbei  noch  gezeigt  wird,  woher  die  Ursache  entstehe, 
dass    einige    Theologi    die    edle  Musik  verachten;  und  wie  man  sie  überweiset, 


Tille  -  Timotheus.  '  193 

dass  sie  eine  reclitschafFene  Musik  ohne  Noth  verweliren  wollen  u.  s.  w.«  (Jüter- 
bogk,  1719,  4  Bogen  in  8").  Im  Manuscript  hinteiliess  derselbe  Verfasser: 
yiGatecliismios  mitsicus  oder  Kurzer  Auszug  der  heiligen  Schrift  von  dem  edlen 
Studio  mtisico«,  41  Hauptfragen  mit  Beantwortung. 

Tille,  Windrohr,  heisst  der  Pfeifenfuss  bei  hölzernen  Pfeifen. 

Tilliere,  Joseph  Bonaventura,  geschickter  Violoncellist,  ein  Schüler  von 
Bertaut,  gehörte  gegen  1760  zur  Musik  des  Prinzen  Conti  und  ist  einer  der 
Ersten,  der  eine  Schule  für  Violoncell  schrieb:  ^^ Methode  pour  le  violoncelle, 
contenant  tous  les  principes  necessaires  pour  hien  jouer  de  eet  insfrumentv.  (Paris, 
1764,  in  4"  obl.).  Das  Werk  erlebte  noch  später  mehrere  Auflagen  bei  Sieber, 
Imbault,  Frere.  Nächstdem  ist  von  T.  vorhanden:  y)Six  sonates  pour  violoncelle 
et  hasse;  six  duos  pour  deux  violoncellesK  (Paris,  1777);  -»Trois  duos  idema,  op.  8 
(Paris,  Sieber). 

Timäus,  ein  Tubicinist  im  alten  Griechenland,  war  im  Jahre  396  v.  Chr. 
der  erste  Sieger  in  den  Olympischen  Spielen  auf  seinem  Instrumente  (s.  Forkel 
«Geschichte«,  Bd.  I,  S.  278). 

Timbalaua  war  im  Mittelalter  eine  kleine,  cylinderförmige  Trommel  von 
Kupfer,  die  mit  zwei  Schlägeln  gerührt  wurde. 

Tlmbales  (franz.),  Pauken. 

Timb alier  (franz.),  Paukenschläger. 

Timbre  (franz.),  die  unterscheidende  Eigenthümlichkeit  der  verschiedenen 
Klänge,  die  specifische  Klang-  oder  Tonfarbe.  Diese  hängt  von  der  Qualität 
der  klingenden  Körper  ab.  Derselbe  Ton  mit  der  gleichen  Anzahl  von  Schwin- 
gungen hat,  von  einem  Blasinstrumente  angegeben,  eine  andere  Klangfarbe,  als 
von  einem  Streichinstrument  gespielt.  Man  ist  gezwungen  zur  näheren  Be- 
zeichnung des  Timbres  aus  anderen  Gebieten  die  betreffenden  Wörter  zu  ent- 
lehnen und  unterscheidet  ein  helles  oder  dunkles,  weiches  oder  rauhes, 
metallisches  oder  hölzernes,  saftiges  oder  trocknes  und  dürres,  glän- 
zendes oder  dumpfes,  scharfes,  spitzes,  volles  Timbre  u.  s.  w.  und  hat 
diese  Bezeichnungen  auch  innerhalb  ein  und  desselben  Organs  angewandt.  So- 
wohl bei  den  Singstimmen,  wie  bei  den  Bohrinstrumenten  unterscheidet 
man  Register  mit  verschiedenen  Timbre.  Bei  den  Saiteninstrumenten  ändert 
sich  die  Klangfarbe  durch  die  verschiedenen  Streicharten.  Ferner  wirken  auch 
die  Bäume,  in  denen  musicirt  wird,  verändernd  auf  den  Klang  der  verschiedenen 
Instrumente. 

Timbres  nennen  die  Franzosen  die  stehenden,  allbekannten  Melodien,  nach 
denen  die  Vaudeville-Dichter  ihre  Couplets  einrichten  und  singen  lassen. 

Timm,  Christian  Heinrich,  geboren  1811  in  Hamburg,  war  Schüler 
Methfessels  und  Jacob  Schmitt's.  1835  wanderte  er  nach  New-York  aus,  wo 
er  in  geachteter  Stellung  als  Orchesterdirektor  und  Mitbegründer  der  »PÄ*7- 
harmonic  Society«,  deren  Präses  er  15   Jahre  war,  lebte. 

Timoroso,  Vortragsbezeichnung  =  furchtsam,  zitternd. 

Timothais,  ein  berühmter  Flötenbläser,  der  330  v.  Chr.  lebte  und  mit  seiner 
Kunst,  indem  er  den  orthischen  Nomos  spielte,  Alexander  d.  Gr.  so  in  Wuth 
versetzt  haben  soll,  dass  er  die  Waffe  ergriff  und  einen  Mord  begangen  haben 
würde,  wenn  ihn  nicht  der  Künstler  durch  einen  andern  Nomos  wieder  be- 
sänftigt hätte.  Diesem  Vorgang  liegt  Händel -Dryden's  »Alexanderfest« 
zu  Grunde.     (Siehe  den  Folgenden.) 

Timotheus,  alt-griechischer  Dichter  und  Musiker,  ist  im  Jahre  182  der 
Chronik  von  Paros  (446  v.  Chr.)  zu  Milet,  einer  ionischen  Stadt  an  der  klein- 
asiatischen  Küste  geboren,  war  demnach  ein  Zeitgenosse  Philipps  von  Mace- 
donien  und  des  Euripides.  Er  hat  sich  sowohl  als  lyrischer,  wie  auch  als 
dithyrambischer  Dichter  ausgezeichnet  und  galt  als  der  geschickteste  Kithara- 
spieler  seiner  Zeit,  hat  auch  dies  Instrument  durch  Vermehrung  der  vor  ihm 
üblichen  Zahl  von  sieben  Saiten  um  vier  neue  vervollkommnet.  Diese  und 
andere    Neuerungen,    welche    er    einzuführen    suchte,    stiessen    bei    einem  Theil 

MusikaL  Convers.-Lexikon.    X.  13 


;[94  Timotheus. 

seiner  Zeitgenossen  auf  heftigen  Widerstand,  und  noch  Phitarch  tadelt  in 
seinem  Dialog  über  die  Musik  ihn  (sowie  seine  Collagen  Krexos  und  Philo- 
xenus),  »er  strebe  in  unwürdiger  Weise  nach  Neuem,  indem  er  sich  dem  Stil 
hingebe,  der  dem  grossen  Publikum  gefällt  und  der  Agonen-Preis-Stil  genannt 
wird;  die  Folge  ist,  dass  Beschränkung  der  Töne,  Einfachheit  und  Würde  der 
Musik  durchaus  der  alten  Zeit  angehört«*).  Der  gleichen  Meinung  scheinen 
die  Lacedämonier  gewesen  zu  sein,  denn  sie  verdammten  ihn,  in  der  Furcht, 
seine  Neuerungen  könnten  eine  Verderbniss  der  Sitten  im  Gefolge  haben,  zur 
Strafe  der  Landesverweisung.  Das  bei  dieser  Gelegenheit  erlassene,  von  Boetius 
(»De  institutione  musicm,  Buch  I,  Cap,  1)  mitgetheilte  Decret  lautet:  »Da 
Timotheus  der  Milesier  bei  seiner  Ankunft  in  unserer  Stadt  unsre  alte  Musik 
entehrt  hat  und  die  Lyra  mit  sieben  Saiten  verachtet;  auch  durch  seine  Ein- 
führung einer  grösseren  Menge  von  Tönen  die  Ohren  unserer  Jugend  verdorben, 
und  durch  die  Anzahl  seiner  Saiten  und  die  Neuheit  seiner  Melodie  in  unsere 
Musik  einen  weibischen  und  gekünstelten  Charakter  gebracht  hat,  anstatt  des 
einfachen  und  geordneten,  der  ihr  bisher  eigen  gewesen;  nicht  weniger  auch, 
weil  er  durch  seine  chromatischen  Compositionen  anstatt  der  enharmonischen 
unsere  Melodie  verunreinigt  hat,  so  haben  der  König  und  die  Ephoren  be- 
schlossen, ihn  dieser  Umstände  wegen  zu  verurtheilen  und  zu  verfügen,  dass  er 
die  überflüssigen  Saiten  von  seiner  Kithara  entferne  und  sich  mit  sieben  Tönen 
begnüge;  auch  dass  er  aus  unserer  Stadt  verbannt  sein  soll  und  dadurch  jeder- 
mann gewarnt  sei,  in  Zukunft  schädliche  Gewohnheiten  in  Sparta  einzuführen«. 
Athenäus,  der  diesen  Vorfall  ebenfalls  berichtet,  fügt  noch  hinzu,  dass  als  T. 
bei  den,  dem  Apollo  gewidmeten  Carneischen  Spielen  um  den  Preis  kämpfen 
wollte,  einer  der  Ephoren  sich  mit  einem  Messer  ihm  genähert  und  ihn  auf- 
gefordert habe,  diejenigen  Saiten  von  seiner  Kithara  abzuschneiden,  welche  über 
sieben  waren;  dass  aber  der  Künstler  die  Strafe  von  sich  abgewendet  habe 
durch  Hinweisung  auf  eine  Statue  des  Apollo,  dessen  Instrument  die  gleiche 
Saitenzahl  hatte  als  das  seinige. 

Indessen  waren  es  nicht  die  Lacedämonier  allein,  welche  sich  den  musika- 
lischen Neuerungen  des  T.  widersetzen;  auch  in  Athen  beklagte  man  sich  über 
die  zunehmende  Complicirtheit  der  Musik  und  behauptete,  sie  sei  übermüthig 
geworden,  habe  sich  nach  und  nach  von  der  Poesie  getrennt  und  wandle  ihre 
eigenen,  von  der  alten  und  kräftigen  Einfachheit  abweichenden  Wege.  Unter 
seinen  vielen  Gegnern  war  der  heftigste  der  Lustspieldichter  Pherekrates,  der 
in  seiner  Komödie  »Chiron«  die  Musik,  als  Frauenrolle  personificirt,  mit  Spuren 
der  Misshandlung  am  ganzen  Leibe  auf  die  Bühne  bi'ingt,  und  ihr,  nachdem 
die  Gerechtigkeit  sich  nach  der  Ursache  dieser  Schmach  erkundigt  hat,  die 
folgenden  Worte  in  den  Mund  legt: 

»Jetzt  aber  hat  Timotheus  aufs  schmählichste  mich  ruiuirt,  o  Freun- 
din«. —  »Was    für    ein    Timotheus  ist  diesV«  —  »Der    Rothkopf  aus 
Milet«.  —  »Auch  dieser  hat  misshandelt  dich?«  —  »Er  übertrifft  weit 
alle    andern,    singt    Ameisenkribbelein,    ganz   unerhört    verruchte,    un- 
harmonische,   in    hohen    Tönen    nach    der   Pickelpfeifen  Art,  und  hat 
mich   gänzlich   kurz    und   klein   wie   Kohl  zerhackt  und  angefüllt  mit 
üblen  Ingredienzien.    Und  als  ich  einst  allein  ging,  übermannt  er  mich, 
entblösste  mich  und  band  mich  mit  zwölf  Saiten  fest«. 
Wenn    alle   diese  Vorwürfe  im  Ganzen  aufrichtig  gemeint  sind,    wie  ja  zu 
allen    Zeiten    diejenigen    Künstler,    welche    das  Gebiet    der  musikalischen  Aus- 
drucksmittel erweitern,  bei  der  Mehrzahl   ihrer  Zeitgenossen  Missbilligung  ge- 
funden haben  und  finden  werden,  so  mag  doch  gelegentlich  auch  der  Neid  dabei 
ins    Spiel    gekommen    sein;    denn    es    fehlte  dem  Dichter-Sänger  auch  nicht  an 
begeisterten  Verehrern,    und    nach    Makrobius    sollen  ihm  die  Epheser  tausend 
Goldstücke    für    ein    Loblied    auf   die  Diana  zur  Einweihung  des  ihr  erbauten 


*)     Vergl.  E.  Westphal  „Plutarch  über  die  JTusik",  p.  42. 


Tinctoris.  195 

Tempels  bezahlt  haben.  Uebrigens  ist  das  Ausehen,  welches  er  als  Künstler 
genoss,  durch  seine  Thätigkeit  durchaus  gei'echtfertigt ;  in  Bezug  auf  die  Art 
derselben  äussert  sich  Plutarch  (s.  ß.  Westphal  a.  a.  0.,  p.  37)  »dass  die  alten 
kitharodischen  Nomoi  aus  Hexametern  bestanden,  davon  legt  Timotheus  einen 
Beweis  ab.  Seine  ersten  Nomoi  trug  er  nämlich  so  vor,  dass  er  dithyrambische 
Phi'aseologie  und  episches  Metrum  vereinte,  um  nicht  gleich  anfangs  als  Ueber- 
treter  der  alten  musischen  Kunstnormen  zu  erscheinen«  —  eine  Bemerkung, 
aus  welcher  sich  entnehmen  lässt,  dass  T.  die  Grundbedingungen  einer  erfolg- 
reichen Musikreform,  genaue  Kenntniss  des  Vorhandenen  und  Anschluss  an 
die  vorangegangenen  Meister  nicht  verabsäumt  hat.  Seine  Produktivität  muss 
ausserordentlich  gewesen  sein ;  Suidas  allein  führt,  ausser  dem  erwähnten  Lob- 
lied auf  die  Diana,  neunzehn  Nomen  seiner  Composition  in  Hexametern  an; 
ferner  sechsunddreissig  Proömien  (Vorspiele),  achtzehn  Dithyramben,  einund- 
zwanzig Hymnen,  drei  Trauerspiele:  »Die  Perser«,  »Phinidas«  und  »Laertes«. 
Stephauus  von  Byzanz  nimmt  seine  Autorschaft  für  eine  noch  weit  grössere 
Zahl  von  "Werken  in  Anspruch,  Auch  das  Todesjahr  des  T.  wird  von  den 
beiden  genannten  Schriftstellern  verschieden  angegeben;  nach  Suidas  ist  er  in 
Macedonien  im  Alter  von  97  Jahren  gestorben,  nach  Stephanus,  der  seinen 
Tod  ins  vierte  Jahr  der  195.  Olympiade,  zwei  Jahre  vor  der  Geburt  Alexan- 
ders d.  Gr.  oder  ins  Jahr  357  v.  Chr.  setzt,  wäre  er  nur  89  Jahre  alt  geworden. 

T.  ist  häuiig  mit  einem  Jüngern  Musiker  dieses  Namens  verwechselt,  welcher 
aus  Theben  stammt  und  sich  durch  sein  Flötenspiel  grossen  Ruhm  erworben 
hat.  Dieser  wurde,  wie  Athenäus  im  XII.  Buche  seiner  »DeipHosophistaia  er- 
zählt, mit  andern  berühmten  Tonkünstlern  seiner  Zeit  zur  Vermählungsfeier 
Alexanders  d.  Gr.  berufen  und  wusste  den  König  durch  seine  Töne  so  zu  er- 
regen, dass  derselbe,  während  einmal  T.  den  orthischen  Nomos  vortrug,  in  einem 
Anfall  unwiderstehlicher  Begeisterung  zu  den  "Waffen  gegriffen  haben  soll.  "Wie 
der  Künstler  noch  nach  anderer  Seite  auf  das  Gemüth  des  jungen  Helden  ge- 
wirkt hat,  ist  von  Dryden  in  seiner,  durch  Händel's  Composition  den  Musik- 
freunden   bekannt    gewordenen  Cantate  »Alexanderfest«  vortrefflich  geschildert. 

Tiuctoris,  Johannes,  niederländischer  Theoretiker,  berühmt  als  Verfasser 
des  ältesten  musikalischen  Lexikons,  ist  nach  der  Aussage  seines  Zeitgenossen 
Joannes  Trithemius,  der  in  seinem  -nGatalogrim  illustrium  viroricm<i  über  Tinctoris' 
Lebensumstände  Nachrichten  —  und  zwar  die  einzigen  zuverlässigen  — ■  mittheilt, 
in  der  brabantischen  Stadt  Nivelles  geboren.  Der  betreffende  Artikel  des 
Trithemius  lautet  »Johannes  Tinctoris  aus  Brabant,  geboren  in  der  Stadt  Ni- 
velles und  an  der  Kirche  derselben  Stadt  Canonicus.  beider  Rechte  Doctor, 
ehedem  Oberkapellmeister  und  Cantor  des  Königs  Ferdinand  von  Neapel,  hoch- 
gelehrt in  jeder  Beziehung,  ein  grosser  Mathematiker,  ausgezeichneter  Musikus, 
von  feinem  Geist  und  gewandter  Beredtsamkeit,  schrieb  und  schreibt  viele 
vortreffliche  Werke,  wodurch  er  sich  bei  der  Mitwelt  nützlich,  bei  der  Nachwelt 
berühmt  macht.  Von  diesen  habe  ich  nur  folgende  gefunden:  in  der  Musik 
drei  Bücher  über  den  Contrapunkt,  dann  ein  Buch  über  die  Töne,  endlich  ein 
Buch  über  den  Ursprung  der  Musik.  Er  hat  ferner  eine  Anzahl  ausgezeichneter 
Briefe  an  Verschiedene  geschrieben;  er  hat  eine  Darstellung  gemacht,  worin  er 
alle  alten  Musiker  zusammengefasst  und  Jesum  Christum  als  den  grössten 
Sänger  genannt  hat.  Er  lebt  noch  in  Italien,  wo  er  über  Verschiedenes  schreibt, 
in  einem  Alter  von  ungefähr  60  Jahren.  —  Geschrieben  unter  der  Regierung 
des  Königs  Maximilian,  im  Jahre  des  Herrn  1495,  im  dreizehnten  Indictions- 
jahre«  (d.  h.  vor  dem  1.  September  1495).  Einer  so  bündigen  Aussage  gegen- 
über, der  sich  eine  Reihe  von  Autoritäten  auf  dem  Gebiete  der  Musikgeschichte, 
wie  Walther,  Gerber,  Kiesewetter  u.  A.  angeschlossen  haben,  darf  in  Bezug 
auf  den  Geburtsort  Tinctoris'  kaum  ein  Zweifel  bleiben,  wenn  auch  ein 
neuerer  Forscher,  Edmund  Vanderstraeten,  das  in  West -Flandern  gelegene 
Städtchen  Poperinge  als  solchen  bezeichnet.  Mit  Gewissheit  ist  aus  obigen 
Angaben  des  Trithemius  zu  folgern,  dass  T.  gegen  1435  geboren  ist  und  nicht 

13* 


196  Tinctoris. 

1450,  wie  Schilling  in  seinem  TJniversallexikon  und  nach  ihm  andere  Autoren 
behaupten;  so  wenig  wie  diese  Jahreszahl  kann  die  in  demselben  Werke  als 
Todesjahr  des  T.  angegebene  Zahl  1520  für  zuverlässig  gelten,  da  auch  diese 
letztere  durch  keinerlei  Dokumente  gestützt  ist.  Was  den  Aufenthalt  des  T. 
in  Italien  betrifft,  so  verdient  noch  eine  Mittheilung  des  Franciscus  Sweertius 
Beachtung,  der  in  seinem  zu  Antwerpen  1628  erschienenen  Buche  y>Athenae 
Belgicaea  neben  unserm  Schriftsteller  noch  einen  Johannes  Tinctor*)  erwähnt, 
den  er  als  »S.  Theologiae  in  Grymnasio  Coloniensi  Professor,  Canonicus  Torna- 
censis«  und  als  Verfasser  von  vielen  theologischen  und  philosophischen  Schriften 
bezeichnet,  wobei  er  als  Zeit  seiner  Blüthe  die  Regierungen  Kaiser  Friedrich's  III. 
(1440—1493)  und  Papst  Paul's  IL  (1464—1471)  angiebt.  Wie  H.  Bellermann 
meint,  »wäre  bei  der  Gleichheit  der  Zeit  und  des  Namens  die  Annahme  nicht 
unwahrscheinlich,  dass  beide  eine  Person  seien,  da  unser  T.  im  Widmun^s- 
schreiben  seines  oben  erwähnten  Lexikons  ausdrücklich  sagt,  er  habe  sich  nicht 
einseitig  mit  der  Musik  beschäftigt,  sondern  sich  eifrig  bemüht,  auch  in  andern 
Wissenschaften  Kenntnisse  zu  erlangen ;  hierauf  gründet  sich  wohl  die  Angabe 
Forkel's,  dass  T.  nach  seinem  Aufenthalt  in  Neapel  wieder  in  sein  Vaterland 
zurückgekehrt  sei.  Wenn  aber  Kiesewetter  hinzufügt,  dass  diese  Rückkehr  ins 
Vaterland  im  Jahre  1490  geschehen  sei,  so  widerspricht  dies  den  obigen  Worten 
des  Trithemius,  T.  lebe  noch  (nämlich  1495)  in  Italien.« 

Während  über  Tinctoris'  Jugend  und  den  Zeitpunkt  seiner  Uebersiedeluncr 
nach  Italien  alle  Nachrichten  fehlen,  so  bieten  sich  zur  Kenntniss  seiner  Wirk- 
samkeit in  diesem  Lande  wenigstens  einige  Anhaltepunkte,  In  seiner  Schrift 
»J)e  natura  et  proprietate  tonoruma  belehrt  er  selbst  den  Leser,  dass  er  dieselbe 
am  6.  November  1476  beendet  habe,  in  demselben  Jahre,  wo  die  »göttliche« 
Beatrix  von  Aragonien  (der  sein  Lexikon  gewidmet  ist)  als  Königin  von  Ungarn 
gekrönt  wurde.  Ferner  erfährt  man  aus  der  Voi-rede  zu  seiner  1477  beendigten 
Abhandlung  über  den  Contrapunkt,  dass  er  sich  der  fortdauernden  Gunst  des 
Königs  von  Neapel  und  Sicilien,  Ferdinands  von  Aragonien,  erfreute,  bei 
welchem  er  die  Stelle  eines  Capellanus  oder  Capellmeister  bekleidete.  Endlich 
giebt  ein,  im  Jahre  1850  von  Adrien  de  la  Fage  zu  Neapel  gefundener  Brief 
Aufschluss  über  die  Dauer  seines  Aufenthaltes  in  Neapel;  in  diesem  Briefe, 
der  vom  15.  October  1487  datirt  ist,  beauftragt  der  König  seinen  Capellmeister 
in  huldvollsten  Ausdrücken,  eine  Reise  jenseits  der  Alpen  an  den  Hof  des 
Königs  von  Frankreich  und  des  Königs  der  Römer  (des  deutschen  Kaisers) 
zu  unternehmen,  um  dort  für  seine  Capelle  tüchtige  Gesangskräfte  zu  gewinnen, 
lieber  den  Erfolg  dieser  Mission  ist  nichts  bekannt  geworden,  doch  darf  man 
annehnien,  dass  Tinctoris'  Reise  nach  Norden  ihn  auch  in  sein  Vaterland  geführt 
hat  und  dass  ihm  bei  dieser  Gelegenheit,  spätestens  1488  das  von  Trithemius 
erwähnte  Amt  eines  Canonicus  in  seiner  Vaterstadt  übertragen  worden  ist. 

Tinctoris'  Verdienste  sind  keineswegs  allein  auf  seine  Wirksamkeit  als 
Musikschi'iftsteller  beschränkt.  Als  Gründer  und  Direktor  der  auf  Geheiss 
seines  Fürsten  entstandenen  öffentlichen  Musikschule  zu  Neapel,  der  ersten  in 
Italien,  konnte  er  mehr  als  irgend  ein  Künstler  seiner  Zeit  zur  Verbreitung- 
musikalischer  Kenntnisse  beitragen.  Dass  er  als  Contrapunktiker  den  Vergleich 
mit  den  besten  seiner  Landsleute  nicht  zu  scheuen  brauchte,  beweisen  die  in 
seinen  theoretischen  Schriften  zahlreich  vorhandenen  ComjDOsitionsproben,  beson- 
ders die  zwölf  dreistimmigen  Motetten  in  seiner  Abhandlung  über  den  Contra- 
punkt und  ein  ebenda  befindliches  i>Deo  (jratiasv.  für  fünf  Stimmen  mit  Zugrunde- 
legung einer  gregorianischen  Kirchenmelodie.  Das  Bedeutendste  freilich  hat 
er  als  musikalischer  Schriftsteller  geleistet,  und  insbesondere  sichert  ihm  das 
schon  mehrfach  erwähnte,  unter  dem  Titel   y>Terminorum  musicae  Diffinitoriuma 

*)  Eine  rorm,  in  welcher  T.'s  Name  uicht  selten  vorkommt,  jedoch  nur  aus  Flüch- 
tigkeit der  Autoren  und  Abschreiber,  da  er  selbst  sich  stets  „Tinctoris"  nennt.  Es  war 
in  den  IS^iederlanden  allgemein  gebräuchlich,  latiuisirten  Eigennamen  die  Genitiv-Endung 
zu  geben,  um  dadurch  die  Partikel  „van"  (von)  zu  ersetzen. 


Timpaui  —  Tiraboschi.  197 

erscliienene  musikalische  Lexikon  einen  Ehrenplatz  in  der  Musikgeschichte. 
Dies  Werk,  welches  Jahrhunderte  lang  verloren  geglaubt  wurde,  und  von  dem 
endlich  Forkel  ein  Exemplar  in  der  herzoglichen  Bibliothek  zu  Gotha  und 
Burney  ein  zweites  in  der  Bibliothek  zu  Paris  auffand,  ist  nicht  allein  merk- 
würdig als  die  erste  Arbeit  dieser  Gattung  und  als  das  älteste  im  Druck 
erschienene  Buch  über  Musik,  sondern  noch  weit  mehr  durch  die  seltene  Klar- 
heit und  Präzision,  mit  welcher  sämmtliche  im  15.  Jahrhundert  gebräuchlichen 
technisch-musikalischen  Ausdrücke  erklärt  sind.  Yerdientermassen  wurde  diese 
Arbeit  zuerst  durch  Forkel,  der  sie  in  seiner  »Allgemeinen  Literatur  der 
Musik«  vollständig  mittheilte,  dann  durch  die  Uebersetzung  und  Erklärung 
H.  Bellermann's  in  weiten  Kreisen  bekannt  gemacht.  Kaum  weniger  wichtig 
für  die  Kenntniss  der  mittelalterlichen  Musik  ist  ein  zweites:  -^Proportionale 
musicesa  betiteltes  "Werk  des  T.,  welches  in  drei  Büchern  von  den  Yerhältnissen 
der  Mensuralnoten  handelt.  Diese,  sowie  die  übrigen  Schriften  Tinctoris'  exi- 
stiren  nur  im  Mauuscript;  die  Titel  der  letzteren  sind  nach  der  Angabe  des 
Padre  Martini  in  dem,  seiner  Geschichte  der  Musik  beigefügten  Autoren- 
Verzeichnisse:  1)  nTractafus  musieesa.  2)  ■»Explanatio  manusi.  3)  i>De  tonorum 
natura  ac  irroprietatea.  4)  »De  notis  ac  pausis<i.  5)  yJDe  regulis,  valore,  imper- 
fectione  et  alteratione  notarumv..  6)  »De  arte  contrapunctw.  Hierzu  kommt  noch 
nach  des  Trithemius  Angabe:   7)   »De  origine  musicaev..    8)  r>^pistolae  complv/resa. 

Timpani,  s.  Pauken. 

Timpauou,  Psalterium,  s.  Hackebrett. 

Tingri,  Jean  Nicolas  Celestin,  Yiolinist,  geboren  zu  Yerviers  am 
7.  Septbr.  1819,  besuchte  von  1832  bis  1837  das  Pariser  Conservatorium  und 
Hess  sich  mit  vielem  Beifall  in  Concerten  hören.  Er  unternahm  1844  eine 
Peise  durch  Südfrankreich  und  Deutschland  und  kehrte  1845  nach  Paris  zurück, 
wo  er  Matineen  veranstaltete,  in  welchen  er  Quintette  und  Quartette  seiner 
Composition  vorführte.  Er  Hess  sich  in  Cambrai  als  Musiklehrer  nieder.  1857 
erschien  er  noch  einmal  in  Paris  in  Concerten,  um  eigene  Compositionen  vorzuführen. 

Tinnazoli,  Agostino,  Oi'ganist  zu  Eerrara  gegen  das  Ende  des  17.  Jahr- 
hunderts; es  ist  von  ihm  gedruckt:  y>Sonate  e  Capricci  per  VorganoK  (Rom,  1690, 
in  Fol.  oblong.),  und  im  Manuscript  aufbewahrt:  y^Ki/rie,  sanctus,  Agnus  e  Vasso- 
luzione  della  Messa  di  Morti  a  quattroa  und  liGantata  a  canto  e  Basso  per  Vorganoa. 

Tiuti,  Salvator,  galt  um  1770  in  Italien  für  einen  der  ersten  Yirtuosen 
auf  dem  Cello.  Er  ist  1740  zu  Florenz  geboren  und  starb  1800.  Gedruckt 
sind  von  ihm  sechs  Quartette  für  zwei  Violinen,  Alt  und  Bass.  Der  Catalog 
von  Traeg  in  Wien  nennt  auch  zwei  Quintette  für  zwei  Violinen,  Alt  und  Violoncell. 

Tiutiunabnlnm,  eine  kleine  Glocke  oder  Schelle  und  auch  ein  Instrument 
der  Alten,  ähnlich  unserm  Schellbaum  oder  Halbmond. 

Tinto   (ital.),  franz.:   Tintement,  Nachklang. 

Tiorba  (ital.),  Theorbe  (s.  d.). 

Tiraboschi,  Girolamo,  italienischer  Schriftsteller,  durch  seine  Gelehrten- 
geschichte Italiens  und  auch  als  Exjesuit  bekannt,  war  zuletzt  Eitter,  Eath 
und  Präsident  der  Bibliothek  und  der  Medaillen-Sammlung  des  Herzogs  von 
Modena.  Er  ist  in  Bergamo  am  28.  Decbr.  1731  geboren.  Im  Jesuitencollege 
erzogen,  nahm  er  später  eine  Professur  der  Beredsamkeit  in  Brera  bei  Mailand 
ein,  bis  er  1770  durch  den  Herzog  von  Modena  berufen  wurde.  Sein  erstes 
bedeutendes  Werk  von  13  Quartbänden,  welches  er  innerhalb  zwölf  Jahren 
fertig  brachte:  »Sforza  della  Letteratura  italianav.  erschien  in  Modena  1772 
bis  1780  und  enthält  die  Geschichte  aller  Wissenschaften,  auch  der  Musik  in 
Italien,  chronologisch  kurz  aber  gut  dargestellt.  Das  zweite  Werk:  y>Bihliotlieca 
Modenese«  (Modena,  1781.  1786,  T.  I — VI)  giebt  im  sechsten  Bande  Nach- 
richten von  Gelehrten,  Malern  und  Tonkünstlern  des  Modenesischen  Gebiets. 
(Von  den  Künstlern  weniger  vollständig.)  Der  Titel  dieses  Bandes  heisst: 
»Nofizie  de  pittori,  scultori,  incisori  ed  architetti  nati  degli  Sfafi  del  Sgr.  Duca 
di  Modena  con  un  appendice  de  Frofessori  di  Musicaa  (4°,   1786). 


198 


Tirade  -  Tire. 


Tirade  (itäl.  Tirada),  eine  Yerzierungsweise,  die  darin  besteht,  dass  zwei 
entfernter  liegende  Hauptnoten  durch  die  dazwischen  liegenden,  indem  man  sie 
möglichst  rasch  ausführt,  verbunden  werden. 

a)  h)  c) 


•Die  Tonleitern  in  b)  und  d)  sind  Tiradeu,  die  in  a)  und  c)  fehlen. 
Diese  Art  der  Verzierung  wurde  schon  früh  bei  der  ersten  Entwickelung 
des  selbständigen  Instrumentalstils  geübt.  Prätorius  in  r^  Sy7it.agma  musicuma. 
sagt  darüber:  »Tiratae:  sind  lange  geschwinde  Läufflein,  so  gradatim  gemacht 
werden,  vnd  durchs  Ciavier  hinauff  oder  herunter  lauffen«,  und  die  Beispiele, 
die  er  davon  giebt,  beweisen,  dass  sie  nicht  angewandt  wurden,  um,  wie  jetzt, 
grössere  Intervalle  auszufüllen,  sondern  längere  Noten  aufzulösen: 


-^ 


f^^^^^m. 


Tt*- 


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x:r 


•-Ö- 


_^_, 


p-r-^-.- 


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gesange, 


Tirana's  oder  Tonatilla's  (sj^r.  Tonadillja's)  sind  spanische  Tanz- 
die  nur  aus  vier  Zeilen  bestehen.  Sie  stammen  ans  Andalusien  und 
sind  die  eigentlichen  Yolksliedchen  der  Spanier,  mit  Guitarrebegleitung  abge- 
sungen. Die  Musik  geht  aus  raschem  ^/s-Takt  wie  bei  den  Seguidilla's.  Eine 
der  beliebtesten  Blelodien  mag  hier  Platz  nehmen,  wie  sie  mir  ein  Spanier 
Don   Ciebra  um  1865  mittheilte: 


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Fine. 


«ESEl^tS^rt 


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-r- 


Sii^E^ 


Tiraqnean,  Andreas,  geboren  gegon  1480  zu  Fontenay  le  Comte,  beklei- 
dete lange  Zeit  in  seiner  Vaterstadt  das  Amt  eines  Seneschalls,  war  später 
Parlamentsrath  in  Paris  und  starb  1558  in  Fontenay  le  Comte.  Er  schrieb 
einen  lateinischen  Commentar  in  30  Bänden,  welche  sein  Sohn  zu  fünf  Bänden 
vereinigt  1574  in  Folio  zu  Paris  herausgab:  »Z)e  nohüifate  et  jure  primo  geni- 
torumvi.  Im  31.  und  34.  Kapitel  sind  musikalische  Materien  behandelt;  im 
letzteren  die  Fras:e  zu  Gunsten  der  Musik  beantwortet:  Ob  diese  Kunst  eine 
nützliche  sei  und  ob  das  Hajidwerk  eines  Musikers  ehrbar  sei? 

Tirato  (ital.),  gezogen,  s.  v.  a.  verzögert. 

Tira-Tutto,  ein  Orgelregister,  welches  silramtliche  Stimmen  zugleich  anzieht, 

Tire  (franz.  Subst.)  =  gezogen,  bezeichnet  beim  Violinspiel  den  Nieder- 
strich, bei  welchem  der  Bogen  unten  am  Frosch  auf  die  Saiten  gesetzt  und 
dann  herabgezogen  wird. 


Tire  —  Titon  du  Tillet.  199 

Tir6,  franz.  Adj.  auf  Titelblättern:  ausgezogen,  z.  B.  tire  de  VOpera  u.s.w. 

Tischer,  Johann  Nikolaus,  Fürstlich  Sächsich  Coburgischer  Concert- 
meister  und  Organist  in  Schmalkalden,  dessen  Compositionen  seiner  Zeit  beliebt 
waren.  Er  war  in  Bohlen  im  Schwai'zburgischen  1707  geboren  und  erhielt 
vom  dasigen  Organisten  Rauche,  später  in  Halberstadt,  wo  er  als  Schreiber 
arbeitete,  vom  Doraorganisten  Graf  Unterricht  im  Ciavier-  und  Violinspiel. 
In  Arnstadt  erst  erhielt  er  vom  Kapellmeister  Schweitzelberg  Anleitung  in  der 
Composition  und  dem  Viola-d'amour-Spiel.  Nach  einiger  Mühseligkeit  und  nach- 
dem er  sogar  eine  Zeit  lang  Hoboist  in  Braunschweig  gewesen  war,  wurde 
ihm  1731  in  Schmalkalden  die  Stelle  als  Schloss-  und  Stadtorganist  zu  Theil. 
Von  dem  reichhaltigen  Verzeichniss  seiner  Werke  seien  die  bekannten  gedruckten 
hier  angeführt:  »Das  vergnügte  Ohr  und  der  erquickte  Geist,  in  sechs  Galanterie- 
Partien,  zur  Clavier-Uebung  für  das  Frauenzimmer,  in  einer  leichten  und  appli- 
cabeln  Composition«,  I.  Theil.  II.  Th.  III.  Th,  r> Divertissement  musical  contenant 
III  Suites  pour  le  clavecin  Oeuvre  I,  II,  III«.  »Anmuthige  Ciavierfrüchte,  be- 
stehen in  sechs  kleinen  Suiten  zum  Dienst  der  Anfänger  des  Claviers,  abson- 
derlich der  Kinder«,  Erste  und  zweite  Sammlung.  »Musikalische  Zwillinge 
in  zwei  Concerten  eines  Tones  vor  das  Ciavier,  erste  Frucht  aus  C|:f  und  Ob«, 
»Derselben  zweite  Frucht  Dj^  und  i)[?  u.  s.  w.  bis  A^  A\}.  »Letztes  und  leichtes 
Clavierconcert  zum  Beschluss  der  musikalischen  Zwillinge«,  7.  Th.  »Wehkla- 
gendes Kyrie  und  frohlockendes  Halleluja  oder  Harmonische  Herzensbelustigung 
in  zwei  Clavier-Concerten  aus  C-moll  und  G-dur  vorgestellt,  worin  der  Affekt 
etlicher  beigefügten  Schriftstellen  durch  angenehme  Melodien  und  ajaplicable 
Modulationen  in  etwas  exprimirt  wird«.  »Sechs  leichte  und  angenehme  Ciavier- 
partien, jungen  Anfängern  zur  Hebung  aufgesetzt«.  6  Th.  München,  1763. 
Alle  übrigen  Compositionen  wurden  zu  Nürnberg  gestochen. 

Tischharfe,  s.  Trigonon. 

Tischlinger,  Burkhard,  Orgelbauer  zu  Wien,  welcher  sich  im  Anfange 
des  16.  Jahrhunderts  im  Dienste  des  Kaisers  Maximilian  befand,  hat  1507  die 
Orgel  in  Wien  in  der  Stephanskirche  unweit  der  grossen  Sacristei  gebaut. 

Tissot,  Pierre  Frangois,  ausgezeichneter  Schriftsteller,  Professor  der 
lateinischen  Literatur,  Mitglied  der  Akademie  Frangais  u.  s.  w.,  zu  Versailles 
1768  geboren,  starb  am  7.  April  1854.  Hier  ist  von  ihm  nur  anzuführen  der 
Artikel  »Chor«  in  der  -nEncyclopedie  modernea  von  M.  Courtin  (Paris,  1823). 

Tissot,  Simon  Andre,  berühmter  Arzt  zu  Lausanne,  wo  er  am  13.  Juni 
1797  starb,  war  zu  Groney  im  Canton  Vaud  am  20.  März  1728  geboren. 
Seinem  medicinischen  Werke:  y>L^inoculqtio)i  justißee,  ou  Dissertation  pratique  et 
apologetique  sur  cette  methode«  ist  angehängt:  i>Ussai  sur  la  mue  de  la  voixv. 
(Lausanne,  1754,  12^;  Paris,  Didot,  1774,  in  12").  Diese  Abhandlung  befindet 
sich  auch  in  der  Ausgabe  der  Gesammtwerke  des  Autors  (Paris,  Allut,  1809  bis 
1813,   elf  Bände  in  8"). 

Titelouze,  Jean,  Prediger  zu  St.  Omer,  Domherr  und  Organist  der  Kathe- 
drale von  Ronen  von  1588 — 1633.  Von  diesem  bekannte  Compositionswerke 
sind:  riJUissa  quatuor  vocum  ad  imitationem  moduli  in  ecclesia«  (Parisiis,  Ballard 
1626,  in  Fol.).  i^Hymnes  de  Veglise  avec  des  fugues  et  recherelies  sur  le  plain- 
chantii  (Paris,  un  volume  in  4"  obl.).  »Magnificat  in  allen  Tonarten  auf  Ver- 
setten  für  die   Orgel«   (ibid.,  ein  Band  4°  obl.). 

Titl,  Anton  Emil,  geboren  1809  zu  Bernstein  in  Mähren,  studirte  in 
Brunn  bei  Rieger,  Hess  sich  dann  in  Prag  nieder  und  wurde  später  Orchester- 
direktor am  Burgtheater  in  Wien.  Seine  ersten  Werke  waren  Ouvertüren  für 
Orchester,  zu  »Torquato  Tasso«  und  »Der  Leichenräuber«.  Zu  den  späteren 
gehört  eine  achtstimmige  Messe,  für  die  Einführung  des  Fürstbischofs  zu  Olmütz 
coraponirt,  die  Opern:  »Die  Burgfrau«,  »Der  Todtentanz«,  »Der  Antheil  des 
Teufels«,  »Der  Zauberschleier«,  welche  in  Wien  zur  Aufführung  gelangten,  und 
eine   Anzahl  ansprechender   ein-  und  mehrstimmiger  Lieder. 

Titon  <lu  Tillet,    Evrard,    geboren    zu   Paris    am    16.  Januar  1677,    trat 


200  Tobanello  —  Toccata, 

nach  beendeten  Studien  als  Capitän  in  ein  Infanterieregiment,  nahm  aber  nach 
dem  Frieden  von  Ryswick  seinen  Abschied  und  wurde  Haushofmeister  bei  der 
Herzogin  von  Burgund.  Nach  deren  Tode  ging  er  auf  Reisen  und  lebte  der 
Beschäftigung  mit  Kunst  und  Wissenschaften.  Er  projektirte  ein  Monument 
zur  A^erherrlichung  Ludwig  XIV.,  das  ein  y>Parnasse  frangais«,  welches  aus 
Bronze  gefertigt,  in  einer  Grallerie  der  Bibliothek  aufgestellt  werden  und  Ludwig 
als  Apollo,  umgeben  von  den  hervorragendsten  Männeim  des  Zeitalters,  dar- 
stellen sollte.  Er  entwickelte  seine  Idee  in  der  Schrift:  «Description  du  Far- 
nasse frangais,  execute  en  hronze  suivie  d^me  liste  alpliahetique  des  poetes  et  des 
musiciens  rassamhlees  sur  ce  monumenta  (Paris,  Coignard,  1732).  Dieser  Band 
enthält  auch  mehrere  Bildnisse  von  Musikern  jener  Zeit.  Drei  Supplement- 
bändchen,  welche  in  den  Jahren  1743,  1755  und  1760  erschienen,  enthalten 
viele  Notizen  über  französische  Musik  und  Musiker.  Titon  du  Tillet  starb  zu 
Paris  am  26.  Novbr.  1762. 

Tobanello,  Felician,  Kapellmeister  zu  Pavia  in  der  ersten  Hälfte  des 
17.  Jahrhunderts,  bekannt  durch  ein  Werk:  y>Salmi  spezzati  a  quattro  vociv. 
(Venezia,  app.  Bartol.  Magni,   1619,  in  4"). 

Tobi,  Florian  Joseph,  deutscher  Musiker,  lebte  zu  Paris  gegen  1780 
und  Hess  sich  später  in  Amsterdam  nieder,  um  Unterricht  auf  der  Guitarre  zu 
ertheilen.    In  Paris  erschienen  Comjiositionen,  in  Amsterdam  fMetliode  de  guitarev. 

Toccata  nannten  die  ersten  Begründer  des  selbständigen  Instrumentalstils 
einen  zunächst  für  Tasteninstrumente  geschriebenen  Tonsatz,  der  hauptsächlich 
dazu  bestimmt  war,  die  Klang-  und  Spielweise  des  betreffenden  Instruments  in 
das  beste  Licht  zu  setzen.  Das  konnte  bei  den  Uebertragungen  vocaler  Ton- 
sätze für  Instrumente  nur  in  sehr  beschränktem  Maasse  geschehen.  Selbst  die 
Variationen  über  solche  mehrstimmige  Tonsätze,  wie  sie  namentlich  seit 
Scheidt  (s.  d.)  für  Instrumente  geschrieben  wurden,  hielten  sich  noch  zu  streng 
an  den-  vocalen  Satz,  um  der  Klang-  und  Spielfülle  gerecht  zu  werden  und  das 
sogenannte  Diminuiren  und  Coloriren,  das  Ausschmücken  der  Accorde  und 
eines  langen  Tons  mit  Läuferwerk,  wurde  zu  planlos  getrieben,  um  direct  zu 
einem  geordneten  Clavierstil  zu  führen.  Dazu  trug  die  Toccata  viel  mehr  bei; 
sie  wurde  zunächst  für  die  Orgel  ausdrücklich  erfunden,  um  dies  Instrument  in 
seiner  ganzen  Behandlungsweise  zu  zeigen;  wenn  sie  daher  auch  keine  entschie- 
dene Form  annahm,  so  wurde  sie  doch  nach  einem  bestimmten  Plan  entworfen: 
die  beiden  Spielweisen  der  Orgel,  in  lang  gehaltenen  Accorden  und  in  lebendig 
bewegtem  Figurenwerk,  in  welcher  sie  die  meiste  Wirkung  gewinnt,  wurden 
hier  einander  gegensätzlich  gegenübergestellt.  Die  Form  der  Toccata  ist  somit 
direct  aus  der  Spielweise  der  Orgel  hervorgegangen,  sie  ist  ganz  speciell  für 
diese  berechnet,  zugleich  aber  kommt  jenes  Princip  des  Contrasts,  aus  welchem 
die  gesammte  Instrumentalmusik  hervortreibt,  in  der  Musikpraxis  zur  Geltung. 
Aus  dieser  Eigenthümlichkeit  der  Toccata,  die  namentlich  darauf  berechnet 
ist,  die  Besonderheiten  des  Klanges  und  der  Spielweise  des  Instruments  dar- 
zulegen, ist  auch  der  Name  zu  erklären,  den  Prätor  ins  dahin  erläutert  (j>Syn- 
tagma  musicum«  III,  23) :  "Sie  wird  aber  von  den  Italii  meines  erachtens  daher 
mit  dem  Namen  Toccata  genennet,  weil  Toccare  heisst  tangere,  attingere,  vnd 
Toccato,  tactits.  So  sagen  auch  die  Italiener:  Toccate  un  poco.  Das  heisst, 
beschlagt  das  Instrument,  oder  begreifft  das  Ciavier  ein  wenig:  daher  Toccata 
ein  Durchgriff  oder  Begreiffung  des  Claviers  gar  wol  kann  genennt 
werden.«  Auch  die  oben  bereits  beschriebene  besondere  Gestaltung  der  Toc- 
cata charakterisirt  Prätorius  ganz  richtig  als  »ein  Präambulam  oder  Prä- 
ludium, welches  ein  Organist,  wenn  er  erstlich  vff  die  Orgel  oder  Clavicymbalum 
ein  Mutet  oder  Fugen  anfehet,  aus  seinem  KopflE"  vorher  phantasieret  mit 
schlechten  entzelu  griffen  und  Coloraturen«.  Als  »schlechte  entzelne 
griffe«  bezeichnet  Prätorius  die  Accorde,  denen  die  Coloraturen,  das  Figureuwerk 
gegenübertreten.  Die  beiden  ersten  bedeutenden  Meister  dieses  Stils:  Johannes 
Gabrieli  (s.  d.)  und  Claudio   Merulo  (s.  d.)   zeigen  in  ihren  Toccaten  dies 


Toccata.  201 

Princip,  ein  jeder  schon  in  eigner  "Weise.  Jener  stellt  es  mehr  in  Partien 
zusammengehalten  dar,  einer  durchweg  accordisch  gehaltenen  tritt  eine  in  Fi- 
gurenwerk aufgelöste  gegenüber  und  dieser  folgt  dann  ein  kurzer  wieder  mehr 
accordisch  gehaltener  Schluss.  Die  Toccaten  von  Claudio  Merulo  (y>Toccate 
d'Intavolatura  cfOrganov,  1604)  dagegen  sind  weiter  ausgeführt,  aber  nicht  so 
planvoll  angeordnet  wie  die  von  Johannes  Gabrieli,  und  der  Gregeusatz 
zwischen  accordischer  Wirkung  und  der  beweglichem  Figuratiou  ist  nicht  so 
scharf  ausgeprägt  wie  bei  jenem.  Merulo 's  Tonsatz  ist  vorwiegend  drei-  und 
vierstimmig,  Johannes  Grabrieli  hat  vorwiegend  vollgriffigere  Accorde  und 
seine  figurirten  Sätze  sind  ebenfalls  an  keine  Stimmzahl  gebunden,  sein  Figuren- 
werk wird  zwei-  und  dreistimmig  begleitet,  wie  es  gerade  nöthig  erscheint. 
Merulo  hält  dagegen  ziemlich  streng  an  der  Yierstimmigkeit  fest  und  bei  ihm 
wechseln  kurze  accordisch  gehaltene  Sätzchen  mit  figurirten  und  in  Motetten- 
weise fugirten  Sätzen  ab  und  nur  selten  fühi't  er  die  Accorde  ein,  ohne  wenig- 
stens eine  Stimme  in  eine  trillerartige  Figur  aufzulösen.  Auch  bei  ihm  gewinnt 
die  Toccata  keine  bestimmte  Form,  sie  bleibt  als  Phantasie  vollständig  frei 
in  der  Construktion;  zum  Zweck,  die  Spiel-  und  Klangfülle  des  bestimmten 
Instruments  zu  offenbaren,  werden  eben  mehr  accordisch  gehaltene  mit  reicher 
fugirten  und  figurirten  Sätzen  nach  dem  Prinzip  des  Contrasts  zusammengestellt. 
In  dieser  Weise  wurde  die  Toccata  zunächst  von  den  Meistern  des  Orgel-  und 
Ciavierspiels  weiter  gebildet,  von  Frescobaldi:  -nToccate  e  Partite  iVIntavo- 
latura  di  Gembelo<s.  (ßom,  1615.  II.  1616).  Rossi,  M.  A.:  y>Toccate  e  Cor- 
reniea  (Rom,  1657).  Scherer,  S.  A.:  fiTahulaturam  in  Cymhalo  et  Organo 
Intonatiomiyn  hrevium  per  octo  Tonosa  (Ulm,  1664)  und  Anderen.  In  schla- 
gender Kürze  und  Gedrängtheit  bringen  diese  Eigenthümlichkeit  namentlich 
die  Toccaten  Frescobaldi's  in  dessen:  »Fiori  musicali  di  diverse  compositioni 
Toccate,  Kirie,  Canzoni,  Capricci  e  Ricercari<s-  (Venetia,  1635)  zur  Erscheinung. 
Die  Toccata  avanti  la  messa  della  Madonna  oder  die  Toccata  avanti 
Ricercar,  oder  die  Toccata  avanti  la  messa  degl'  Apostoli  sind  kurze 
Sätze,  welche  im  reichen  Wechsel  accordisch  und  figurirt  gehalten  sind;  die 
beiden  Toccata  per  JElevazione  sind  weiter  ausgeführt.  Joh.  Seb.  Bach  hat 
die  Toccata  in  derselben  Weise  bis  zu  vollendetster  Freiheit  ausgebildet.  Auch 
für  ihn  wurde  sie  die  Form,  in  welcher  er  den  Charakter  des  Instruments,  der 
Orgel,  in  grossartiger  Weise  entfaltete.  Auch  bei  ihm  ist  die  Toccata  anschei- 
nend ganz  frei  aus  Sätzen  verschiedener  Darstellungsweise  zusammengesetzt, 
Partien  mit  fest  zusammengehaltenen  Accorden  wechseln  mit  solchen,  bei  denen 
diese  in  reiche  Arpeggien  aufgelöst  sind  und  mit  canonischen  und  fugirten,  wie 
sich  ihm  eben  der  Orgelstil  darstellt  und  wenn  er  auch  die  einzelnen  Partien 
fester  gefügt  zusammenhält,  wie  das  eben  bei  dem  grössten  Meister  des  Contra- 
punkts nicht  anders  sein  konnte,  so  gewinnt  doch  auch  bei  ihm  treu  der  An- 
schauung, welche  sie  überhaupt  entstehen  Hess,  die  Toccata  keine  bestimmte 
Form;  auch  er  behandelt  sie  als  Phantasie,  als  Präludium,  dem  sich  dann 
eine  festgefügte  Fuge  anschliesst,  in  der  somit  das  Phantasieleben  bestimmtere 
Gestalt  gewinnt. 

Dementsprechend  wurde  die  Toccata  auch  in  Italien  als  Instrumental- 
einleitung für  grössere  Gesangwerke  verwendet.  Für  die  Instrumentaleinleituug 
zu  kirchlichen  Tonwerken  wurde  früh  die  Bezeichnung  Sinfonia  (s.d.)  gebräuch- 
lich, die  Vorspiele  zu  den  sogenannten  Musikdramen  jener  Zeit  dagegen  waren 
die  Int  rata  und  die  Toccata  und  die  letztere  entspricht  ganz  den  oben 
gegebenen  Andeutungen.  Ohne  bestimmte  Form  anzunehmen,  folgte  auch  die 
Orchester-Toccata  dem  Prinzip  der  Entfaltung  des  Klangwesens  und  der  Spiel- 
fülle der  betreffenden  Instrumentenzusammenstellung  mit  Rücksicht  auf  Her- 
stellung des  Contrasts,  und  wenn  sie  diesen  Zweck  weniger  erreichte  als  die 
Toccata  für  Tasteninstrumente,  so  ist  das  erklärlich,  weil  die  Orchesterinstru- 
mente erst  spät  zu  einheitlichem  Gesammtwirken  überhaupt  gelangten.  Daher 
gewann  auch  die  Orchester-Toccata  keine  höhere  Bedeutung.    Die  so  bezeich- 


202  Toccatina  -  Todi. 

neten  Präludien  sind  meist  kurz  und  auf  den  dürftigern  Apparat  beschränkt 
und  sie  wurden  bald  durch  die  Ouvertüre  (s.  d.)  verdrängt.  Die  Clavier-Toccata 
aber  hat  selbst  noch  in  neuerer  Zeit  in  liobert  Schumann  einen  Vertreter 
gefunden;  seine  Toccata  op.  7  ist  eine  Phantasie,  die  sich  von  den  altern 
derartigen  Formen  nur  durch  die  modernen  Darstellungsmittel  unterscheidet. 

Toccatiua,  ein  Tonstück  nach  Art  der  Toccata,  aber  von  geringerem  Umfang. 

Toccato  oder  Touquet  hiess  bei  dem  sogenannten  Aufzug,  der  bei  feier- 
lichen Grelegenheiten  von  einem  Trompeterchor  ausgeführt  wurde,  die  vierte 
Trompete,  welche  in  Ermangelung  der  Pauken  diese  ersetzte,  indem  sie  die 
beiden  Töne  derselben  ausführte. 

Tockler,  Conrad,  aus  Nürnberg  gebürtig,  daher  Noricus  genannt,  stu- 
dirte  1495  in  Leipzig  Medicin  und  wurde  daselbst  Doctor  und  1512  Professor 
an  der  Universität,  der  er  sein  Vermögen  zu  Stiftungen  vermachte.  Er  bear- 
beitete und  erklärte  1503  in  einer  öffentlichen  Vorlesung  die  -nMusica  spemi- 
lativav.  von  Joannis  de  Muris.  Das  von  T,  durchgesehene  Exemplar  dieser 
Arbeit  benutzte  der  Abt  (jerbert  zum  Abdruck  im  dritten  Bande  seiner  yyScrip- 
tores  ecclesiastioi  de  musicaa. 

Toderini,  Giambatista,  geboren  zu  Venedig  ungefähr  1728,  wurde  von 
Jesuiten  erzogen  und  lehrte  später  in  Verona  und  Forli  Philosophie.  Nach 
der  Aufhebung  des  Ordens  begleitete  er  den  Gesandten  Garzoni  als  Hofmeister 
von  dessen  Sohn  nach  Constantinopel.  Dort  schrieb  er  und  veröffentlichte  1787 
zu  Venedig  »Xa  Letteratura  turchesev,  drei  Bände  in  8".  Er  giebt  darin  auch 
über  türkische  Musik  Nachricht  (Band  I,  Cap.  16,  Seite  222 — 252)  und  am 
Ende  dieses  Bandes  ist  eine  Probe  türkischer  Musik  in  Noten  gegeben,  »ia 
Literatura  turcliese<i.  wurde  ins  Französische  übersetzt  durch  Courmand  (Paris, 
1789,  trois  vol.  8°)  und  ins  Deutsche  übertragen  und  mit  Zusätzen  und  Anmer- 
kungen versehen  durch  Phil.  Wilh.  Gotth.  Hausleutner,  Professor  der  Carlschule 
zu  Stuttgart  (Königsberg,  1790,  zwei  Theile  4'^).  Im  »Deutschen  Merkur«  von 
demselben  Jahre  im  zweiten  Stück  Seite  190  — 196  ist  ein  Auszug  davon 
aufgenommen. 

Todeschini,  Francesco,  italienischer  Instrumentalcomponist  um  die  Mitte 
des  17.  Jahrhunderts,  hat  herausgegeben:  y>Con-endi,  Gagliarde  e  Balletti  a  2,  '6 
e  4  Stro'menti<i,  1653. 

Todi,  Maria  Francisca,  eine  der  gefeiertsten  Sängerinnen  des  vorigen 
Jahrhunderts,  ist  1748  in  Portugal  geboren  und  erhielt  ihre  künstlerische  Aus- 
bildung durch  David  Perez,  einem  als  königlichen  Kapellmeister  zu  Lissabon 
angestellten  Italiener.  In  den  siebziger  Jahren  trat  sie  zuerst  in  Lissabon  auf 
und  erregte  durch  ihren  herrlichen  Mezzosopran  die  Aufmerksamkeit  der  dor- 
tigen Musikfreunde.  Im  .Jahre  1777  nach  London  berufen,  um  in  der  komi- 
schen Oper  mitzuwirken,  debutirte  sie  in  Paisiello's  »Xe  due  contessea,  hatte 
jedoch  keinen  besondern  Erfolg,  da  weder  ihre  Stimme  noch  ihre  Vortragsweise 
für  den  Buffo-Stil  geeignet  waren.  Dies  muss  ihr  selbst  schon  bei  jenem  ersten 
Versuche  klar  geworden  sein,  denn  von  nun  an  widmete  sie  sich  auschliesslich 
der  ernsten  Oper.  Noch  in  demselben  Jahre  begab  sie  sich  nach  Madrid,  wo 
sie  in  Paisiello's  »Olympiade«  allgemeine  Bewunderung  erregte.  Ihr  Weltruf 
aber  datirt  aus  dem  Jahre  1778,  in  welchem  sie  zum  ersten  Mal  in  Paris  auf- 
trat und  sowohl  im  Concert  spirituel,  wie  auch  in  den  Hofconcerten  der  Königin 
zu  Versailles  mit  Beifall  überschüttet  wurde.  Unter,  wenn  möglich  noch 
grösserer  Theilnahme  des  Pariser  Publikums  erschien  sie  im  October  1781 
wiederum  vor  demselben,  nachdem  sie  inzwischen  ein  Jahr  lang  in  Lissabon 
gesungen  hatte.  Trotzdem  verliess  sie  Paris  im  folgenden  Jahre,  um  gegen 
das  bescheidene  Gehalt  von  2000  Thalern  jährlich  ein  Engagement  am  Berliner 
Opernhaus  anzutreten.  Hier  war  man  gegen  sie  weit  weniger  freigiebig  mit 
dem  Beifall  als  in  Paris;  man  wollte  eine  Ungleichheit  an  ihrer  Stimme  be- 
merken  und  war  insbesondere  mit  ihrem  französischen  Vortrag  des  Recitativs, 
ihrem  Schleppen  und  Schreien,  ihren  übertriebenen  und  äffe ktirten  Gestikulationen 


Todi.  203 

niclit  zufrieden;  dadurch  erklärt  es  sich,  dass  die  Künstlerin  ihren  mehrjährigen 
Contrakt  mit  der  Berliner  Oper  schon  nach  einem  Jahre  löste  und  sich  im 
Frühjahr  1783  zum  dritten  Mal  an  die  Stätte  ihi-er  ersten  Triumphe,  nach  der 
Hauptstadt  Frankreichs  begab. 

AVie  reiche  Lorbeern  auch  Frau  T.  bei  ihren  früheren  Besuchen  in  Paris 
geerntet,  so  wui'den  doch  ihre  bisherigen  Erfolge  diesmal  noch  übei'troffen.  Der 
Beifall,  den  sie  jetzt  im  Ooncert  spirituel  fand,  gereicht  ihr  zum  besonderen 
Ruhme,  da  zur  selben  Zeit  ihre  Rivalin,  die  Sängerin  Mara  (Gertrude  Schmeh- 
ling)  das  Publikum  in  Enthusiasmus  versetzte.  Der  "Wettstreit  zwischen  den 
beiden  Künstlerinnen  erregte  die  Gemüther  der  Pariser  Musikfreunde  dex'art, 
dass  sie  sich  in  zwei  Parteien  grujipirten,  welche  sich  als  Maratisten  und  To- 
disten  leidenschaftlich  bekämpften,  ein  Umstand,  der  nicht  wenig  zur  Verbrei- 
tung ihres  Ruhmes  beitrug,  da  das  Urtheil  der  französischen  Hauptstadt  damals 
mehr  als  je  zuvor  oder  nachher  die  übi'ige  Welt  beeinflusste.  Es  gab  kaum 
eine  künstlerische  Vollkommenheit,  welche  der  T.  von  ihren  Verehrern  nicht 
beigelegt  worden  wäre,  wiewohl  sie  in  Bezug  auf  Coloraturfertigkeit  der  Mara 
ohne  Frage  nachstehen  musste;  dagegen  konnte  diese  im  ausdrucksvollen  Ge- 
sang die  T.  nicht  erreichen,  und  die  ausserordentliche  Zartheit  im  Vortrag  des 
Adagio,  die  Kunst  in  der  Anwendung  von  Licht  und  Schatten  wurde  ihr  auch 
an  solchen  Orten  zugestanden,  wo  man  ihre  Künstlerpersönlichkeit  im  Ganzen 
weniger  günstig  beurtheilte,  als  in  Paris.  Ein  glänzendes  Anerbieten  vou 
Seiten  der  kaiserlichen  Oper  zu  Petersburg  führte  die  Künstlerin  im  Herbst 
desselben  Jahres  an  den  Hof  der  Kaiserin  Katharina,  woselbst  sie  bei  ihrem 
ersten  Auftreten  in  Sarti's  »Armida«  einen  solchen  Enthusiasmus  erregte,  dass 
die  Kaiserin  ihr  sofort  ein  Diamantenhalsband  von  hohem  Werthe  überreichen 
liess.  In  der  Folge  wendete  ihr  Kathax'ina  II.  ihre  persönliche  Gunst  in  so 
weitem  Umfange  zu,  dass  der  Einfluss  der  Säugerin  in  Hofangelegenheiten  ein 
fast  unbeschränkter  war,  ein  Einfluss,  den  sie  gelegentlich  in  kleinlicher  Weise 
gemissbraucht  hat,  z.  B.  bei  ihrem  Auftreten  gegen  Sarti  (s.  d.),  wiewohl  sie 
im  allgemeinen  von  liebenswürdigem  Charakter  und  als  gefällig,  freigiebig  und 
bescheiden  bekannt  war. 

Unter  so  glänzenden  Verhältnissen  würde  sie  Petersburg  schwerlich  je 
verlassen  haben,  wenn  nicht  das  russische  Klima  mit  der  Zeit  ihrer  Stimme 
nachtheilig  geworden  wäre.  In  Folge  dessen  nahm  sie  ein  Anerbieten  des 
Königs  von  Preussen,  Friedrich  Wilhelm  IL,  an,  der  sie  schon  als  Kronprinz 
auf  ihrer  Durchreise  nach  Russland  in  den  Rollen  »Cleofide«  und  »Lucio 
Papirio«  zu  bewundern  Gelegenheit  gehabt,  gegen  ein  Gehalt  von  3000  Thalern 
jähi'lich,  nebst  einer  Gratifikation  von  4000  Thalern  innerhalb  dreier  Jahre, 
einer  freien  Wohnung  im  königlichen  Schlosse,  Benutzung  der  Hofküche,  sowie 
einer  Hofequipage  der  Berliner  Oper  anzugehören.  Die  Aufnahme,  welche  sie 
diesmal  beim  Publikum  der  preussischen  Hauptstadt  fand,  war  eine  ungleich 
günstigere,  als  zur  Zeit  ihrer  ersten  dortigen  Wirksamkeit:  namentlich  feierte 
sie  in  Reichardt's  »Andromeda«  und  Naumann's  »Medea«  grossartige  Triumphe. 
Ihr  Aufenthalt  in  Berlin  dauerte  —  mit  einer  Unterbrechung  von  sechs  Mo- 
naten, während  welcher  sie  in  Petersbixrg  ihren  contraktmässigen  Verpflich- 
tungen nachkam  —  bis  zum  INIärz  1789;  dann  kehrte  sie  nach  ihrer  künstle- 
rischen Heimath  Paris  zurück,  um  dort  wiederholt  in  den  Concert  spirituels 
und  in  den  Concerten  der  Loge  Olympique  aufzutreten,  in  welchen  letzteren 
sie  u.  a.  mit  einer  von  Cherubini  für  sie  compouirten  Gesangsscene  vSarete 
alßn  content^  die  Zuhörer  zur  Bewunderung  hinriss.  Am  21.  Mai  1789  er- 
schien sie  zum  letzten  Male  vor  dem  Pariser  Publikum;  die  dort  um  diese  Zeit 
herrschende  politische  Erregung  scheint  sie  bestimmt  zu  haben,  ein  Engagement 
nach  Hannover  anzunehmen,  welches  sie  bis  zum  October  1790  fesselte.  Von 
hier  aus  begab  sie  sich  nach  Italien,  wo  ihr  das  Publikum,  besonders  in  Parma, 
nicht  minder  enthusiastisch  entgegenkam,  als  das  des  übrigen  Europa.  Im 
Sommer    1792    wandte    sie    sich  wieder  nach  ihrer  Vaterstadt  Lissabon  zurück, 


204  Todini  —  Töpfer. 

woselbst  sie  im  Juni  des  nächsten  Jahres  starb,  mit  Hinterlassung  von  acht 
in  ihrer  zweimaligen  Ehe  gezeugten  Kindern  und  eines  Vermögens  von  ungefähr 
400,000  Franken,  ihren  Schmuck  nicht  mit  eingerechnet,  dessen  Werth  von 
Kennern  auf  150,000  Franken  geschätzt  worden  ist. 

Todiui,    Michel,    vorzüglicher    Contrabassspieler    und    sehr    erfinderischer 
Instrumentenbauer,      Er    war    in    Saluzzo    im    Piemontesischen    1625    geboren, 
lebte  aber  später  lange  Jahre  in  ßom  und  beschäftigte  sich  mit  dem  Bau  der 
von    ihm    erdachten    Instrumente.     Es    gehörte    dazu    der    Contrabass,  mit  vier 
Saiten    bespannt,    den    T.    auch    in  Concerten    und  bei  Serenaden  spielte.     Bei 
einer  seiner  Violinen  war  unterhalb  der  Saiten  noch  eine  zweite  Violine  ange- 
bracht,   die    in  der  Octave  mitspielte,    auch   durch  einen  Mechanismus  eine  Se- 
cunde,    Terz    oder    Quinte    erhöht    werden    konnte.     Bei    einer    andern  Violine 
konnten  Violine,  Viola  und  Viola  bastarda    vereinigt  werden.     Bei  zwei  seiner 
Claviere  war  der  Mechanismus  so  eingerichtet,  dass  man  diatonisch,  chromatisch 
und  enharmonisch  spielen  konnte.     Endlich  baute  er  eine  Orgel,  welche  beson- 
ders   kunstvoll    coustruirt    war.     Es  konnten  allein  oder  zusammen  sieben  ver- 
schiedene   Instrumente    darauf    ertönen:    ausser    der  Orgel   mit  vielen  Stimmen 
noch    Ciavier,    Spinett,    Teorbe,    Laute,  Violine    und   Lyra.     Die  Imitation  der 
Bogeninstrumente    soll    besonders  gelungen  gewesen  sein,    auch  ist  manche  Er- 
findung an  dieser  Orgel  später  von  Andern    für  neu  ausgegeben  worden.     Das 
ganze   Werk  wurde  von  der  Familie  Verospi  gekauft,  in  deren  Palais  aufgestellt 
und    mit    schönen    Bildern    und    Skulpturen    geschmückt.     Bonanni    giebt    eine 
Abbildung    davon    »Gabinetto    armonicoa,    (Rom   1722,    Taf.  33).     Die    specielle 
Beschreibung  dieser  und  noch  einiger  andei'er  künstlicher  Instrumente,    die  T, 
verfertigt  und  in  seiner  Wohnung  aufgestellt  hatte,  giebt  er  selbst  in  der  Schrift: 
y>  Dichiaratione    della   g aller ia   armonica   eretta  in  Roma  da  Michele  Todini,  Fie- 
montese  di  Saluzzo  nella  siia  hahitatione  posta    alV  arco  della  Ciamhella«  (Roma, 
per    Francesco    Tizzoni    1676,    92    S.,    12°).     P.  Kircher  in  »Pkonurgia  novaa, 
S.  167   u.  folg.     Burney    sah   diese  Orgel  im  Palais  Verospi's    und  giebt  eben- 
falls eine  übereinstimmende  Beschreibung  in  y>The  present  State  of  music  in  France 
and  Italya,  S.  392  u.  folg.). 

Todt,  Johann  August  Wilhelm,  wurde  am  29.  Juli  1833  zu  Düsterort 
bei  Ueckermünde  geboren  und  erhielt  von  seinem  Vatei",  einem  dasigen  Lehrer, 
frühzeitig  auch  Unterricht  in  der  Musik.  Später  ging  er  nach  Stettin,  wo 
Löwe  seine  weitere  Ausbildung  übei-nahm.  In  den  Jahren  von  1856 — 1858 
war  er  Schüler  des  Instituts  für  Kirchenmusik  und  der  Akademie  und  wurde 
1859  Grymnasialgesanglehrer  zu  Pyritz,  1860  Cantor  zu  Küstrin  und  1863  Cantor 
und  Organist  zu  Stettin.  In  den  Jahren  1864 — 1866  vertrat  er  Dr.  Löwe  im 
Amt  und  wurde  1875  zum  Garnisonorganisten  an  St.  Johanna  ernannt.  Todt 
ist  einer  der  bedeutendsten  Organisten  der  Gegenwart.  Ausser  zahlreichen 
Werken  kleinerer  Gattung:  Liedern,  Ciavier-  und  Orgelstücken  componirte  er 
auch  Sonaten,  Psalmen,  eine  Sinfonie,  ein  Oratorium:  »Das  Gedächtniss  der 
Entschlafenen«  und  schrieb   eine  Gesanglehre  für  Schulen. 

Todtenmarsch,  s.  Trauermarsch. 

Todteupolouaise  heisst  allgemein  die  bekannte  dem  Grafen  Oginsky  (s.  d.) 
zugeschriebene  Polonaise. 

Töpfer,  Carl,  Dr.  phil.,  geboren  zu  Berlin  am  26.  Decbr.  1791,  war 
längere  Zeit  Schauspieler  in  Wien,  aber  ein  so  bedeutender  Guitarrist,  dass  er 
Kunstreisen  durch  Deutschland  machte.  Seit  1822  lebt  er  in  Hamburg  und 
hat  sich  als  Bühnendichter  beliebt  gemacht.  Er  gab  auch  Einiges  heraus, 
darunter:   Guitarrenstücke,   Quodlibet  (Berlin,  Lischke). 

Töpfer,  Johann  Christian  Carl,  geboren  zu  Apolda  in  Sachsen- Weimar 
gegen  1740,  war  Professor  am  Gymnasium  in  Eisenach.  Er  gab  heraus: 
»Anfangsgründe  zur  Erlernung  der  Musik  und  insonderheit  des  Claviers« 
(Breslau,   1773,  in  ^\  acht  Blätter). 

Töpfer,  .Toliann   Gottlob,  ist  am  4.  Decbr.   1791   zu  Niederrossla,  einem 


Töpfer.  205 

Dorfe  bei  Apolda  im  Grossherzogthum  "Weimar,  geboren.  Sein  Vater  war  ein 
Weber,  Ackerbauer  und  Musikant.  Der  Ortscantor  Scblömilch  ertheilte  dem 
jungen  T.  Unterricht  auf  der  Geige,  im  Ciavier-  und  Orgelspiel.  Mit  Vorliebe 
spielte  T.  Bacli's  »Wohltemperirtes  Ciavier«.  Die  im  Dorfe  wohnende  E,ätbin 
Jagemann  erkannte  sein  Talent  und  schickte  den  armen  T.  nach  Weimar,  wo 
er  den  Unterricht  des  Concertmeisters  Destouches  und  des  Musikdirektors  Rie- 
mann  genoss.  Später,  nachdem  Destouches  Weimar  verlassen  hatte,  leitete  der 
Kapellmeister  A.  E.  Müller  seine  Studien  weiter.  Zu  gleicher  Zeit  besuchte 
T.  das  Gymnasium  und  dann  das  Schullehrerseminar,  widmete  sich  aber  nach 
dem  Abgange  von  demselben  vollständig  der  Musik  und  machte  nun  ausgedehnte 
Studien  im  höheren  Orgelspiel.  Seine  contrapunktischen  Studien,  die  er  eben- 
falls mit  Eifer  betrieben  hatte,  setzten  ihn  in  den  Stand,  einer  der  ersten 
Improvisatoren  auf  der  Orgel  zu  werden.  Auch  wurde  er  für  die  Entwickelung 
des  Orcrelspieles  hochbedeutend,  indem  er  zugleich  das  kirchliche  Orgelspiel  in 
seine  Einfachheit  und  Würde  zurückführte.  Als  Componist  war  er  ebenfalls 
auf  diesem  Felde  sehr  thätig;  dafür  zeugen  seine  geistreichen  Orgelcompositionen, 
Fantasien,  Sonaten,  Prä-  und  Postludien,  Fugen,  Trios  etc.  Seine  Phantasie 
über  den  Choral:  »Was  mein  Gott  will«  ist  eines  der  ersten  Meisterstücke  der 
Jetztzeit.  Seine  Compositionen  zeichnen  sich  durch  kirchlichen  Ernst,  melo- 
dischen Fluss,  gute  Stimmführung  und  tüchtige  thematische  Arbeit  aus.  Auch 
die  alten  Choralbücher  verbesserte  er,  so  das  Choralbuch  nach  Rempt,  Fischer 
und  Hiller  (Erfurt,  Körner).  Später  hat  er  ein  eigenes  zu  dem  Herder'schen 
Gesangbuche  (Weimar,  Kühn)  herausgegeben.  Letzteres  ist  kürzlich  neu  bear- 
beitet, von  seinem  Schüler  und  Nachfolger  A.  W.  Gottschalg  herausgegeben 
worden.  Der  zweite  Band  dieses  Choralbuches  enthält  die  nöthigen  Choralvorspiele. 
1817  am  4.  Juni  wurde  T.  als  Lehrer  der  Theorie  und  des  Orgelspiels  am 
Grossherzoglichen  Schullehrerseminar  zu  Weimar  definitiv  angestellt  und  er  hat 
dieses  Amt  mehr  denn  fünfzig  Jahre  bis  zu  seinem  am  8.  Juni  1870  erfolgten 
Tode  segensreich  verwaltet,  indem  er  durch  Lehre  und  Vorbild  viele  unserer 
jetzigen  tüchtigsten  Organisten  herangebildet  hat.  Zu  seinen  vorzüglichsten 
Schülern  gehören:  Zimmermann  in  Ilmenau,  Winterberger  in  Leipzig,  Schulze 
in  Naumburg,  der  Stadtorganist  B.  Sülze  in  Weimar,  Carl  Götze  und  der  schon 
erwähnte  A.  W.  Gottschalg  in  Weimar.  Seine  »Organistenschule«  (Erfurt, 
Körner)  bildete  den  Grund  für  seine  Unterweisung.  1830  wurde  er  definitiv 
als  Organist  der  Stadtkirche  in  Weimar  angestellt.  Mehr  aber,  als  in  dem 
Gesagten,  liegt  seine  Bedeutung  in  der  Neugestaltung  der  Orgelbaukunst  (siehe 
Geschichte  der  Orgel),  indem  er  zuerst  ein  wissenschaftliches  System,  eine 
neue  Theoiüe  der  Orgelbaukunst  aufstellte.  Veranlassung  gab  ihm  dazu  die 
von  seinem  Vetter  Trampeli  aus  Adorf  1810 — 1812  erbaute  misslungene  Stadt- 
kirchenorgel in  Weimar.  Er  sah,  wie  derselbe  hin  und  her  manövrirte  und 
probirte,  ohne  ein  entsprechendes  Resultat  zu  erzielen.  Um  nun  sein  Ziel  zu 
erreichen,  vertiefte  T.  sich  in  die  höhere  Mathematik,  Mechanik,  Akustik, 
Aerostatik  und  Pneumatik.  Nachdem  dies  geschehen,  studirte  er  die  älteren 
Schriftsteller  über  Orgelbau.  Von  allen  diesen  waren  Don  Bedo's  und  Sorge's 
Werke  diejenigen,  die  ihm  wenigstens  einigen  Anhalt  bieten  konnten.  Sorge's 
Berechnungen  waren  aber  höchst  willkürlich.  So  arbeitete  T.  nun  zehn  Jahre 
lang  unaufhörlich,  um  die  wissenschaftliche  Grundlage  für  den  Orgelbau  sich 
anzueignen.  Welche  mühsamen  Versuche  musste  er  machen,  welche  Geldopfer 
bringen!  Sehr  gelegen  kam  es  ihm  nun,  als  ihm  die  Verlagshandlung  Voigt 
in  Weimar  übertrug,  eine  deutsche  Bearbeitung  des  Don  Bedo'schen  Werks 
vorzunehmen.  So  konnte  er  diesem  Werke,  welches  sich  durch  vorzügliche 
Abbildungen  auszeichnete,  seine  neue  Theorie  einverleiben.  Es  erschien  dann 
1856  sein  »Lehrbuch  der  Orgelbaukunst  nach  den  besten  Methoden  älterer  und 
neuerer  in  ihrem  Fache  ausgezeichneter  Orgelbaumeister,  und  begründet  auf 
mathematische  und  physikalische  Gesetze«,  Th.  1 — 4  nebst  Atlas  (Weimar,  Voigt). 
Die    beiden    ersten  Bünde    enthalten    lediglich  Technisches,  Bd,  3 — 4  die  neue 


206  Töpfer. 

Töpfer'sclie  Theorie.  Diese  Theorie  skizzirt  A.  W.  Gottschalg  iu  seiner  Schrift 
»Dr.  Johann   Gottlob   Töpfer x   S.   16  und   17   also: 

»Die  Construktion,  Intonation  der  Labialpfeifen  und  was  damit  zusammen- 
hängt, beruht  auf  folgenden  Axiomen:  1)  Wenn  in  Pfeifen  von  gleicher  Länge, 
aber  verschiedener  "Weite,  die  Luftsäulen  mit  gleicher  Intensität  schwingen  sollen, 
so  müssen  sich  die  ihnen  zugehörigen  Luftmeugen  verhalten  wie  die  Flächen 
ihrer  Querschnitte,  oder  wie  die  Quadrate  ihrer  Durchmesser.  2)  Die  Luftmengen 
solcher  Pfeifen,  deren  Flächeninhalt  der  Querschnitte  gleich,  deren  Längen  aber 
verschieden  sind,  müssen  sich  bei  gleicher  Intensität  der  Schwingungen  umgekehrt 
verhalten,  wie  die  Quadratwurzeln  aus  den  Längen.  3)  Wenn  die  Luftmengen 
und  Längen  gleich,  die  Querschnitte  aber  verschieden  sind,  so  ist  die  Grösse 
des  Ausschnittes  nicht  von  der  Grösse  des  Querschnittes,  sondern  von  der 
Grösse  der  Luftmenge  abhängig,  4)  Wenn  die  Längen  gleich,  die  Querschnitte 
verschieden  und  die  Luftmengen  mit  den  Querschnitten  proportional  sind,  so 
verhalten  sich  die  Grössen  der  Aufschnitte  wie  die  Querschnitte,  oder  vielmehr 
wie  die  den  beiden  Pfeifen  zugehörigen  Luftmengen.  5)  Wenn  die  Längen- 
und  Querschnitte  gleich,  die  Luftmengen  aber  verschieden  sind,  so  müssen  die 
Aufschnitte  mit  den  Grössen  der  Luftmenge  proportional  bleiben.  6)  Wenn 
die  Luftmengen  und  Querschnitte  gleich,  die  Längen  aber  verschieden  sind,  so 
verhalten  sich  die  Aufschnitte  wie  die  Quadratwurzeln  aus  den  Längen.  7)  Die 
Aufschnitte  verschiedener  Pfeifen  verhalten  sich  wie  die  zugehörigen  Luftmengen 
und  wie  die  Quadratwurzeln  aus  ihi'en  Längen.  8)  Die  Luftmengen  stehen  in 
näherem  Bezüge  zu  den  Aufschnitten,  und  es  können  daher  dieselben  nur  in 
dem  Falle  nach  den  Querschnitten  bestimmt  werden,  wenn  diese  mit  den  Auf- 
schnitten in  einem  Verhältnisse  bleiben.  9)  Die  Stärke  des  Tones  (Intensität 
der  Schwingungen)  ist  von  den  Querschnitten  und  der  Luftmenge,  die  Schärfe 
und  Helligkeit  des  Tones  aber  von  dem  Aufschnitte  und  der  Luftmenge  abhängig.« 

Selbstverständlich  lassen  sich  nach  obigen  Gesetzen  die  Luftmengen  für 
jede  regelmässige  Pfeife  leicht  finden.  Hat  man  die  Luftmenge,  so  lässt  sich 
anderseits  leicht  wieder  die  Grösse  der  Pfeifenmündungen,  Bohrlöcher,  Kan- 
zellen, Windkasten  und  Windcanäle  bestimmen.  Als  Normal-Mensurverhältniss 
für  alle  anderen  Mensuren  stellt  T.  Folgendes  auf:  10)  »Wenn  die  Klangfarbe 
irgend  einer  Stimme  sich  nach  Höhe  oder  Tiefe  nicht  verändern  soll,  so  müssen 
die  Flächeninhalte  der  Querschnitte  der  Hnteroctaven  nach  dem  Verhältniss 
1  zu  8  zu  nehmen.« 

Auf  das  Mensurverhältniss  hier  weiter  einzugehen,  verbietet  der  beschränkte 
Raum  einer  Encyklopädie.  Als  Gesetz  für  die  Mensur  der  Zungenstimmen  sind 
folgende  massgebend  (vergl.  a.  a.  0.  S.  18 — 19):  »1)  Bei  Stäben  von  gleicher 
Dicke,  aber  ungleicher  Länge  stehen  bekanntlich  ihre  Schwingungszahlen  im 
umgekehrten  Verhältnisse  der  Quadrate  ihrer  Längen,  oder  auch:  Die  Längen 
verschiedener  Zungen  verhalten  sich  umgekehrt  wie  die  Quadratwurzeln  ihrer 
Schwingungszahlen.  2)  Da  bei  einerlei  Tonhöhe  die  Klangfarbe  ebenso  von 
der  Fläche  der  Zunge  abhängig  ist,  wie  bei  den  Labialstimmen  von  der  Fläche 
des  Querschnittes  der  Pfeife  (1  zu  8  als  dem  einer  gleichen  Klangfarbe  und 
Stärke  entsprechenden  Verhältniss),  so  lässt  sich  hieraus  folgern,  dass  auch  die 
Fläche  der  Zungen,  welche  bei  verschiedener  Tonhöhe  einerlei  Klangfarbe 
erhalten  sollen,  nach  diesem  Verhältniss  zu-  oder  abnehmen  muss.  3)  Wenn 
die  Längen  und  Breiten  der  Messing-  und  Luftzungen  einander  proportional 
gesetzt  werden,  so  verhalten  sich  die  Dicken  der  Luftzungen  wie  die  Quadrat- 
wurzeln aus  den  Dicken  der  Messingzungen.  4)  Bei  gleicher  Tonhöhe  wächst 
oder  nimmt  die  Klangstärke  ab,  mit  den  Produkten  aus  den  Flächen  der  Zungen 
in  ihre  Schwingungsweiten.  5)  Die  Klangstärke  verschiedener  Zungen  von 
gleicher  Tonhöhe  ist  den  Quadi'atwurzeln  aus  den  Producten  ihrer  Flächen  in 
ihre  Schwingungsweiten  proportional  zu  setzen.  6)  Zungen  von  verschiedener 
Tonhöhe  äussern  einerlei  Klangstärke,  wenn  sich  die  Produkte  aus  ihren 
Schwingungsweiten  in  ihre  Flächen  umgekehrt   zu  einander  verhalten,    wie    die 


Toerök  Sip  —  Toeschi.  207 

Quadrate  der  dazu  gehörigen  Seliwinguugszahlcn.  7)  Bei  ungleicher  Tonhöhe 
können  die  verschiedenen  Schwingungsweiten  den  Verhältnissen,  in  welchen 
die  Breiten   zu  ihren  Längen  stehen,    umgekehrt    proportional    gesetzt  werden.« 

Wenn  man  bedenkt,  wie  namentlich  die  Construktion  älterer  Rohrwerke 
stets  verfehlt  war,  so  treten  Töpfer's  Forschungen  nur  in  ein  um  so  helleres 
Licht.  Darzuthun,  wie  T.  auch  Tractur  und  Registratur  verbessert  hat,  würde 
hier  ebenfalls  zu  weit  führen.  Ferner  hat  T.  auch  seine  Ergebnisse  über 
Orgeldispositionen,  sowie  über  Orgelrevisionen,  Orgelstimmung  ausführlich  in 
Schriften  dargelegt.  Die  Töpfer'sche  Theorie  verbreitete  sich  in  kurzer  Zeit 
über  ganz  Deutschland,  die  Schweiz  und  Dänemark.  "Wenngleich  die  tüchtigsten 
Orgelbaumeister  seiner  Zeit,  wie  Fr.  Haas  in  Kloster  Muri  (Schweiz),  J.  M. 
Haas  in  Bauerwitz  (Oberschlesien),  Fr.  "Winzer  in  "Wismar,  C.  Gieseke  in  Göt- 
tingen, Lütkemüller  in  "Witstock,  Fr.  Schulze  in  Paulinzelle,  A.  Vogel  in  Fran- 
kenstein, Cavaille  de  Coli  in  Paris  ihm  Beiträge  für  sein  bedeutendes  "Werk 
geliefert  hatten,  so  ist  es  um  so  erfreulicher,  zu  sehen,  wie  die  bedeutendsten 
Ox'gelbauer  der  Jetztzeit,  wie  Friedrich  Ladegast  in  "Weissenfeis,  "Walcker  in 
Ludwigsburg,  Peterneil  in  Seligenthal,  Förtsch  in  Blankenhain,  Mehmel  in 
Stralsund  und  "Wismar,  Grüneberg  in  Stettin,  Sauer  in  Frankfurt  a.  0.,  Schlag 
u.  A.  nach  seinen  Maximen  bauen  und  wunderbar  schöne  Orgelwerke  geliefert 
haben.  So  ist  durch  ihn  allein  die  Orgel  wieder  die  Königin  der  Instrumente 
geworden.  Auch  nachdem  er  sein  theoretisches  Orgelwerk  fertig  gestellt  hatte, 
wirkte  er  belehrend  durch  die  von  ihm  redigirte  Musikzeitung  »Urania«  fort. 
Nach  seinem  Tode  trat  in  sein  Amt  sein  ihm  so  lieber  Schüler  A.  W.  Gott- 
schalg,  der,  durch  ihn  gebildet,  in  jeder  Weise  der  Mann  wurde,  der  nach  ihm 
das  Werk  der  Orgelbaues  fördern  konnte,  was  von  ihm  auch  im  wahren  Sinne 
des  Wortes  geschieht.  Wie  berühmt  T.  als  Orgelrevisor  war,  das  geht  daraus 
hervor,  dass  man  ihn  selbst  nach  Marseille  rief,  um  eine  Orgel  zu  revidiren. 

Von  seinen  Compositionen  nenne  ich:  ein  Concertstück  in  C-moll  (Erfurt, 
Körner),  eine  grosse  Orgelsonate,  die  _D-7«o7Z-Sonate.  Alles  für  Orgel;  verschie- 
dene Stücke  für  Männerchor,  so  eine  Bearbeitung  des  Hallelujah's  aus  Händel's 
»Messias«  für  Männerchor  und  Oi'gel,  ferner  die  Ciaviersonate  A-moU  (Leipzig, 
Peters),  eine  Sonate  und  Variationen  für  Flöte  und  Pianoforte,  ferner  die  grosse 
Cantate  »Die  Orgelweihe«,  gedichtet  von  Schreiber  für  Chor,  Solo  und  Orgel 
und  viele  andere.  Die  ganze  Organistenwelt  nennt  seinen  Namen  mit  Ehren, 
und  wie  sie  ihn  ehren,  haben  sie  bewiesen,  indem  zur  Veranlassung  seiner 
goldenen  Amts- Jubelfeier  ein  Töpfer-Album  für  die  Orgel  entstand,  zu  dem  die 
bedeutendsten  Componisten  der  Neuzeit  Beiträge  geliefert  hatten  (Weimar,  bei 
A.  Kühn).     Ehre  seinem  Wirken! 

Toerök  Sip,  ungarische  und  türkische  Pfeife,  so  viel  als   Hahorn  Sip. 

Toeschi,  Carl  Joseph,  Violinist  und  Componist,  von  Geburt  Italiener, 
dessen  eigentlicher  Name  Toesca  della  Castella  Monte  ist,  war  1724  in 
einer  kleinen  Stadt  der  Romagna  geboren.  1756  trat  er  in  den  Dienst  des 
Kurfürsten  von  der  Pfalz  in  der  Eigenschaft  eines  ersten  Violinisten  und  wurde 
zum  Musikdirektor  ernannt.    1778  folofte  er  dem  Hofe  nach  München  und  dort 

o 

starb  er  am  12.  April  1788.  Er  componirte  viel,  aber  ohne  hohen  Anforderungen 
zu  genügen.  Die  Ballette  »Don  Quichote  oder  die  Hochzeit  des  Gamaccho«, 
»Arlequin«  u.  s.  w.;  drei  Sextette  für  Flöte,  Hoboe,  Violine,  Alt,  Fagott  und 
Bass«  (Paris,  Hugard,  1765);  drei  Quintette  für  Flöte,  Violine,  zwei  Alto  und 
Bass,  op.  5  (Paris,  Venier) ;  sechs  Sinfonien  für  zwei  Violinen,  zwei  Hoboen, 
zwei  Hörne,  Alt  und  Bass  (Paris,  Huberti);  21  Quartette  für  Flöte,  Violine, 
Alt  und  Bass    (Paris,  La  Chevardiere,  Builleux  und  Venier);    Flöten-Concerte. 

Toeschi,  Carl  Theodor,  Enkel  des  Voiügen  und  Sohn  und  Schüler  von 
Johann  Baptiste  (s.  unten),  ist  zu  Mannheim  1770  geboren  und  nahm  den 
italienischen  Familiennamen  Toesca  della  Castella  Monte  wieder  an.  Er 
war  guter  Violinist  in  München  und  componirte  Ballet  und  Tanzmusik. 

Toeschi,  Johann  Baptist,  Sohn  des  Carl  Joseph,  wurde  in  Mannheim 


208  ToescM  —  Tolllus. 

geboren,  wo  er  Violinunterricht  von  Stamitz  und  Compositionsunterriclit  von 
Cannabicli  erhielt.  Er  wurde  1760  ebenfalls  in  die  Kapelle  des  Kurfürsten 
aufgenommen,  wo  er  sich  als  Soloviolinist  an  der  Stelle  von  Stamitz  auszeich- 
nete und  später,  nach  seines  Yaters  Tode,  mit  dem  er  1778  nach  München 
gekommen,  erhielt  er  dessen  Stelle  als  Musikdirektor.  Er  starb  in  München 
am  1.  Mai  1800.  Die  Compositionen  von  T.  sind  nicht  ohne  "Werth  und  be- 
sonders seine  Sinfonien  ernteten  in  Paris,  ehe  die  Hayd'nschen  erklangen,  viel 
Beifall.  Gedruckt  sind:  y>Six  quatuors  dialogues  pour  deux  violons,  alto  et  hasse«, 
liv.  I  (Paris,  La  Chevardiere).  y>Quafre  quatuors  idem  et  deux  trios<i,  liv.  II, 
op.  5  (ibid.).  r>Six  trios  pour  deux  violons  et  lasse«,  op.  4  (Paris,  Venier). 
y>Trois  si/mplionies  pour  deux  violons,  deux  hauthois,  deux  cors,  alto  et  hasse«,  op.  6 
(Paris,  Hubert).  r>Trois  idem,  avec  deux  hassons«,  op.  7  (ibid.).  y>Trois  grandes 
symphonies«,  op.  8  (Paris,  Bailleux).  »Trois  idem«,  op.  10  (Paris,  Venier). 
y>Six  symphonies  avec  deux  liauibois,  deux  cors  et  deux  hassons«,  op.  12  (Paris, 
Bailleux,  1779). 

Toeschi,  Susanna,  Hofsängerin  bei  der  Kurfürstlichen  Familie  zu  München, 
galt  für  eine  vorzügliche  Sopransängerin,  und  da  sie  auch  1797  als  Sängerin 
in  Mannheim  genannt  wird,  ist  anzunehmen,  sie  gehört  der  Familie  der  vor- 
genannten Künstler  an. 

To§uetti,  Francesco,  geboren  zu  Bologna  um  1765,  war  Professor  der 
Literatur  am  Philharmonischen  Lyceum  daselbst.  Er  publicirte:  »Discorso  suH 
progressi  della  musico  in  Bologna«  (Bologna,  1818,  Annesio  Nobili,  in  4°).  Als 
ihm  darauf  in  einer  anonymen  Schrift  der  Vorwurf  gemacht  wurde,  mehr  den 
Verfall  als  die  Fortschritte  der  Bolognesischen  Musik  bezeichnet  zu  haben, 
veröffentlichte  er  eine  zweite  Schrift:  y^Lettere  di  Francesco  Tognetti  holognese 
che  servono  di  appendice  al  suo  discorso  su  i  progressi  della  musica  in  Bologna« 
(Bologno,  1819,  in  4^  16  Seiten). 

Tolbecque,  Johann  Baptiste  Joseph,  geboren  zu  Hanzinne  in  Belgien 
am  17.  April  1797,  besuchte  das  Conservatorium  zu  Paris  und  war  daselbst 
Schüler  von  Kreutzer  und  Peicha.  Er  gehörte  dann  zur  Kapelle  der  ita- 
lienischen Oper,  bis  er  sich  als 'Componist  und  Dirigent  auf  das  Gebiet  der 
Tanzmusik  begab  imd  darin  viel  Erfolg  hatte.  Er  galt,  bis  ihm  Musard  die 
Palme  entwand,  für  den  beliebtesten  Dirigenten  derartiger  Orchester.  Auch 
waren  die  unzähligen  Walzer  und  Quadrillen  seiner  Composition  eine  Zeit  lang 
sehr  en  vogue.     Zwei  seiner  Brüder: 

Tolbecque,  August  .Joseph,  am  28.  Febr.  1801  zu  Hanzinne  in  Belgien 
geboren,  hatte  wie  auch  der  dritte  Bruder  denselben  Studiengang  verfolgt,  er 
war  ein  vorzüglicher  Violinist  und  Hess  sich  mit  Beifall  in  Concerten  hören. 
Von   1824  an  gehörte  er  zur  Operukapelle. 

Tolbecqne,  August,  Sohn  des  Vorigen,  geboren  zu  Paris  am  30.  März 
1830,  war  gleichfalls  Schüler  des  Pariser  Conservatoriums  und  bildete  sich  zum 
Violoncellisten;  er  erhielt  die  ersten  Preise  und  liess  sich  später  in  Niort 
(Departement  des  Deux-Sevres)   nieder. 

Tolbecque,  Charles  Joseph,  der  zweite  Bruder  von  Johann  Baptiste, 
war  Violinist,  später  Musikdirektor  am  Theatre  Varietes,  für  welches  er  meh- 
rere Stücke  schrieb,  die  beliebt  waren. 

Toller,  Ernst  Otto,  ist  am  8.  Mai  1820  zu  Altenburg  geboren  und  wurde 
unter  Leitung  des  Stadtmusikus  Sachse  daselbst  zum  Musiker  erzogen.  Später 
als  Mitglied  des  Stadtorchesters  seit  1838  wurde  er  Schüler  des  Musikdii-ektors 
C.  G.  Müller  in  der  Theorie.  1845  trat  er  in  die  Kurkapelle  in  Bad  Homburg 
und  1846  in  das  Leipziger  Gewandhausorchester.  1848  wurde  ihm  die  Direktion 
der  Hof-  und  Militärmusik  in  Altenburg  übertragen  und  1859  erfolgte  seine 
.Ernennung  zum  Herzogl.  Kapellmeister.  Von  seinen  Compositionen  sind  nur 
wenige  gedruckt. 

Tollius,  Jacobus,  Philologe,  zu  Utrecht  gegen  1630  geboren,  studirte  zu 
D eventer  und  Utrecht;    lernte    erst    die  Buchhandlung,    war  dann  Secretär  des 


Tollmann  —  Tomascheck.  209 

Gelehrten  Heinsius,  Gymnasial -Rektor  und  zuletzt  Professor  zu  Duisburg;' 
nachdem  machte  er  Reisen  durch  Italien  und  Deutschland  und  starb  in  Armuth 
in  Utrecht  am  22.  Juni  169G.  T.  veranstaltete  eine  zweite  Ausgabe  der  sehr 
selten  gewordenen  Schrift  von  Bacchini:  »i>e  Sisirisa  und  zwar  unter  dem  Titel: 
y)De  Sistris  eoru?7iqiie  figuris  ac  differentia's.  (Trajecti  ad  Rhenum,  1696,  in  4", 
36  S.  mit  Platte),  mit  Hinzufügung  einer  kleinen  sieben  Seiten  langen  Abhand- 
lung: »Z>e  sistrorum  varia  ßguran.  Beides  ist  aufgenommen  von  Graevius  in 
^Thesaurus  antiq^uitatum  romanorumv.  (t.  Y,  S.  407  u.  folg.,  nebst  einer  Kupfer- 
platte mit  26  Abbildungen  von  diesem  Instrumente,  37^  Bl.  gross  Folio)  und 
von  Ugolino  in  ^Thesaurus  antiquitatum  sacraram<x  (t.  XXXII).  Fetis  (y>JBio- 
graphie  univ.  des  Musiciens«-,  t.  8  p.  239)  giebt  den  Nachweis,  dass  T.  diese 
Schrift  nur  neu  herausgegeben,  nicht,  wie  Chauffepie  {j>Nouveau  dicüonnaire 
historique  et  criüq_uei  t.  lY,  p.  465,  Note  L)  angiebt,  ins  Lateinische  übersetzt 
habe,  da  Bacchini  selbst  sie  schon  in  dieser  Sprache  herausgegeben  hatte. 

Tollmauii,  Job.,  geboren  1775  zu  Mannheim,  lebte  seit  1805  in  Basel, 
wo  er  am  22.  October  1829  starb,  machte  sich  um  die  Pflege  der  Tonkunst  in 
der  Schweiz  verdient.  Seine  Tochter  Ida  war  eine  geschätzte  Clavierlehrerin 
in   Basel. 

Tolomas,  le  P.  Charles  Pierre  Xaver,  Jesuit,  geboren  zu  Avignon  1705, 
starb  zu  Lyon  1763.  Am  College  de  la  Trinite  lehrte  er  die  schönen  Wissen- 
schaften, Aus  der  Akademie  der  "Wissenschaften,  zu  der  er  gehörte,  schied  er 
wegen  einer  Diskusion,  die  er  mit  dem  Encyklopädisten  und  den  Freunden 
d'Alembert's  hatte,  aus.  Zu  den  vielen  seiner  gedruckten  und  ungedruckteu 
Schriften  gehören  auch  zwei  für  die  Akademie  bestimmt  gewesene  Aufsätze, 
welche  sich  im  Manuscript  auf  der  Bibliothek  zu  Lyon  No.  965  befinden: 
■aMelograpliie  ou  declamaüon  notee  des  anciens«. 

Tomalinsou,  Kellern,  ein  musikverständiger  Tanzmeister  zu  London  im 
Anfange  des  18.  Jahrhunderts,  hat  herausgegeben:  »Original  Art  of  Dancing, 
with  Dances  and  tJieir  Musik,  composed  hy  Tomlinson«.  Sein  Bildniss,  1716 
gemalt  und  1754  gestochen,  befindet  sich  vor  diesem   Tractat. 

Tomascheck,  Johann  Wenzel,  geboren  am  17.  April  1774  zu  Skutsch 
in  Böhmen,  erlernte  zwei  Jahre  lang  unter  dem  Regenschori  Wolf  in  Chrudin 
Yioline  und  Gesang.  1787  fand  er  zu  seiner  wissenschaftlichen  Ausbildung 
im  Kloster  Iglau  Aufnahme.  In  der  Musik  erhielt  er  während  der  nächsten 
neun  Jahre  keinen  weiteren  Unterricht,  sondern  half  sich  durch  Selbststudium 
weiter  und  gelangte  mit  Hülfe  der  Lehrbücher  von  Marpurg,  Kirnberger,  Mat- 
theson  und  Türk  in  der  Composition  imd  dem  Clavierspiel  zu  einer  bedeutenden 
Stufe  der  Fertigkeit.  In  Prag,  wo  er  Jurisprudenz  studirte,  hatte  er  das 
Glück,  in  einem  seiner  Ciavierschüler,  dem  Grafen  Georg  von  Bourgnay,  einen 
Protektor  zu  finden,  der  es  ihm  ermöglichte,  seinem  eigentlichen  Berufe,  der 
Tonkunst,  leben  zu  können.  Mit  dem  Titel  eines  gräflichen  Tonsetzers  und 
einem  ansehnlichen  Gehalt  nahm  der  Graf  ihn  in  sein  Haus.  Auch  als  nach 
zweijährigem  Aufenthalte  T.  sich  mit  der  Schwester  des  Dichters  Egon  Ebert 
verheiratete  und  ein  eigenes  Haus  bezog,  behielt  er  alle  Benifizien,  welche 
dieser  Kunstfreund  ihm  zur  Sicherheit  einer  unabhängigen  Stellung  zugewiesen 
hatte.  T.  hat  sich  als  Componist,  Clavierlehrer  und  Lehrer  einen  bedeutendeu 
Ruf  erworben.  Zu  seinen  Schülern  gehöx-en  Kittel,  Dreyschock,  SchiilhofF,  Kühe, 
Tedesco,  Sig.  Goldschmidt,  Worzischek,  Würfel  u.  A.  Seine  Compositionen,  einige 
80  Werke  für  Kirche,  Orchester,  Gesang,  Ciavier,  sind  eigenthümlich,  leider 
nicht  allgemeiner  bekannt  geworden.  Die  Hauptwei'ke  sind:  y^Missa  cum  gra- 
duali  et  qff'ertorioa,  vierstimmig  mit  Orchester«,  op.  46  (Prag,  Enders).  -nSymni 
in  sacro  pro  defunctis  cantari  soliti  etc.a,  vierstimmig  mit  Orchester,  op.  70 
(Prag,  Berra;  Mainz,  Schott).  »Seraphine«,  Oper,  im  Nationaltheater  zu  Prag 
1811  aufgeführt).  »Leonore«,  Ballade  von  Bürger,  für  Ciavier  arrangirt,  op.  12 
(Prag,  1808).  Cantate  zur  dritten  Yermählung  Franz  I.  Neue  Sammlungen 
Goethe'scher  Gedichte,  für  eine  Stimme  mit  Piano.    Mehrere  Sammlungen  böh- 

Älnsikal.  Convers.-Lexikon.    X.  14 


210  Tomaselli — Tomeoui. 

misclier  und  deutscher  Gesänge,  op.  2,  6,  32,  34,  48,  50,  67  (Prag  uud  Leipzig). 
Symphonie  für  grosses  Orchester,  op.  19  (Leipzig,  Breitkopf  &  Härtel),  Clavier- 
concert  für  Orchester,  op.  18  (Wien,  Haslinger).  Quartette  und  Sonaten,  Ciavier- 
stücke, welche  in  Leipzig  hei  Peters  und  Hoifmeister,  in  "Wien  bei  Haslinger, 
in  Zürich  bei  Hug  erschienen  sind,  u.  A.     T.  starb  am  3.  April   1850. 

Tomaselli,  ein  trefflicher  Baritonsänger  und  Gresanglehrer,  der  seine  Lauf- 
bahn in  Mailand  begann,  darauf  in  Salzburg  in  der  Fürstlichen  Kapelle  sang 
und  1812  in  Wien  als  Hofsänger  engagirt  wurde.  Er  unterrichtete  die  Milder, 
die  Sessi  u.  A. 

Tomasi,  Blasius,  Organist  zu  Comacchio  im  Herzogthum  Perrara.  Anfangs 
des  17.  Jahrhunderts  veröffentlichte  er  nachstehend  verzeichnete  Werke:  »J/a- 
drigali  a  cinque  voci«,  op.  1  (Venedig,  1611).  «II  secondo  lihro  de  Madrifjali 
a  cinque  et  a  sei  voci,  con  il  basso  cotitinuo;  de  quali  parte  si  poträ  cantare  con 
Vinstrument  a  senza;  et  'parte  necesseriamenfe  lo  ricerca,  Tiavendo  posto  nel  fine 
la  tavola  che  insegnera  il  modo  per  concertantiv.  (in  Venetia,  app,  Bartolomeo 
Magni,  1613,  in  4°).  r>Motetti  «  2,  3,  4  voci  con  litaaie  a  4  voci>i.  (ibid., 
1615,  in  4").     »JTi  concerti  a  1 — 8  vociv.  (ibid.). 

Tomasini,  Luigi,  Violinist,  in  Italien  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts 
geboren,  war  Orchesterdirektor  der  Kapelle  des  Fürsten  Esterhazy  zu  derselben 
Zeit,  als  Haydn  dort  als  Componist  angestellt  war.  Später  war  er  Concert- 
meister  in  Mecklenburg- Strelitz,  wo  seine  Gattin  Sophie  geb.  Groll,  eine  Schü- 
lerin Eighini's,  als  Sängerin  angestellt  war.  1812  gaben  beide  in  Berlin 
Concerte.  Gedruckt  sind  von  ihm:  »Drei  Duos  für  zwei  Violinen«  (Wien, 
Mollo).  »Zwölf  Variationen  für  die  Violine  allein«.  Im  Manuscript:  Concerte 
mit  Orchester,   Streichquartette. 

Tomboliui,  Raphael,  Sopransänger  an  der  königl.  Oper  zu  Berlin,  war 
zu  Permo  im  Kirchenstaate  am  18.  Januar  1766  geboren  und  wurde  im  Auf- 
trage des  Königs,  der  einen  talentvollen  jungen  Sänger  zu  haben  wünschte, 
vom  preussischen  Gesandten  zu  Turin,  Chambrier,  engagirt.  In  Bologna  hatte 
er  Generalbass  und  Gesang  bei  Gibelli  studii't,  und  in  Berlin,  wo  er  am  15. 
Novbr.  1784  anlangte,  nahm  er  noch  Unterricht  bei  dem  Italiener  Concialini. 
Nach  seiner  Ankunft  musste  er  dem  Könige  eine  Arie  von  Graun  vom  Blatte 
vorsingen,  wobei  ihn  Pasch  am  Plügel  begleitete.  Am  24.  Decbr.  trat  er  zum 
ersten  Male  als  Apollo  im  »Orpheus«  von  Graun  auf  und  sang  bis  zur  Auf- 
lösung der  italienischen  Oper  1807,  mit  Ausnahme  der  Oper  »Vasco«  von 
Himmel,  in  italienischen,  gleich  der  genannten  vom  Pepertoir  verschwundenen 
Opern.  T.  war  der  einzige  italienische  Sänger,  der  in  königl.  Diensten  blieb, 
er  musste  sich  verpflichten,  jährlich  wenigstens  einmal  entweder  in  der  Oper 
oder  in  Concerten  zu  singen.  Sein  letztes  Auftreten  fand  am  17.  Decbr.  1815 
in  der  Oper  »Der  Zauberwald«  von  Righini  statt,  worauf  er  1817  pensiouirl 
wurde.  Er  liess  sich  darauf  in  Charlottenburg  nieder  und  ertheilte  Gesang- 
unterricht; er  feierte  dort  auch  den  Tag  seiner  fünfzigjährigen  Anwesenheit  in 
Berlin.  Am  27.  October  1839  starb  er  und  ward  auf  dem  katholischen  Kirchhof 
zu  Berlin  beerdigt.  Seine  höchst  klangvolle  Stimme  soll  einen  ausserordent- 
lichen Umfang  gehabt  haben,  sein  Vortrag  edel  und  beseelt  gewesen  sein. 
(Siehe  »Si^ener'sche  Zeitung«  1834  und  Berliner  »Tonkünstler-Lexikon«  von 
Ledebur,  S.  601). 

Tomeoui  Dutillieu,  Irene,  erste  Sängerin  an  der  italienischen  Oper  in 
Wien,  ungefähr  1760  geboren,  sang  erst  in  Neapel  und  wurde  1791  in  AVien 
engagirt,  wo  sie  bis  zu  ihrer  Verheiratung  1801  thätig  blieb.  Sie  wurde  als 
Sängerin  hoch  gerühmt. 

Tomeoui,  Florido,  Professor  des  Gesanges,  geboren  zu  Lucca  ungefähr 
1757,  liess  sich  1785  in  Paris  nieder,  nachdem  er  auf  dem  Conservatorium  zu 
Neapel  gebildet  worden  war.  Er  widmete  sich  dem  Unterrichte,  speciell  für 
den  Gesang  und  die  Kunst  des  Begleitens  und  gab  die  folgenden  beiden  darauf 
bezüglichen  Werke  heraus:    y>Methode  qui  ajjjjrend  la  connaissance  de  Vharmonie 


Touieoui — Toinmasi.  211 

et  la  pratique  de  raccompagnemetit,  selon  les  principes  de  Vecole  de  Naplesa  (Paris, 
1708,  in  4°).  »Theorie  de  la  musique  vocale,  ou  des  dix  regles  qu'll  faitt  con- 
naUre  et  observer  your  hien  chanter,  ou  powr  apprendre  ä  juger  soi-meme  du 
deijre  de  perfection  de  ceux  que  Von  entenda  (Paris,  Pougens  an  YII  (1799), 
in  8°,  138  p.  Ferner  die  Compositionen:  »Sonate  pour  le  piatioa  (Paris,  chez 
l'auteur).  »ie  Rossignol  et  la  Fauvettei,  Cantate  mit  Orchester  oder  Piano 
(ibid.  1798).  »Rondo  für  Sopran  und  Orchester  oder  Piano«.  »Paul  au  tom- 
beaii  de  Virginie  für  eine  Stimme  mit  Ciavier  oder  Orchester«,  T.  starb  zu 
Paris  im  Monat  August  1820.     Seine  Tochter: 

Tomeoui,  Er  minie,  war  auf  dem  Pariser  Conservatorium  und  durch  den 
Vater  gebildet  und  trat  zuerst  bei  der  komischen  Oper  in  Paris  auf.  1814  wurde 
sie  von  Florenz  aus,  wo  sie  am  Theater  Pergola  sang,  für  Mexiko  engagirt, 
wohin  sie  sich  in  Genua  einschiffte.  Das  Schiff  scheiterte,  und  erst  nachdem 
sie  mit  einigen  anderen  Leidensgefährten,  die  sich  auf  einer  Barke  gerettet 
hatten,  auf  derselben  17  Tage  in  Todesgefahr  umhergeschwommen  war,  landete 
sie  in  Amerika. 

Tomeoui,  Pelegrino,  Bruder  von  Florido,  geboren  zu  Lucca  1759 
studirte  in  Florenz,  wo  er  sich  auch  später  als  Gesanglehrer  niederliess,  Musik 
unter  Baccini,  Schüler  des  P.  Martini.  Er  gab  das  nachstehende  Lehrbuch 
heraus:  »Segole  praticlie  per  accompagnare  il  lasso  continuo,  esposte  in  dialoghi 
per  facilitarne  il  possesso  alla  principiante  gioventuv.  (Florenz,  1795,  in  4'^). 
Abbe  Santini  besass  die  Partitur  einer  vierstimmigen  Composition:  »ie  Salmi 
del  vespro  a  4  vociv.  von  Tomeoni. 

Tomkius,  Organist  und  Componist,  war  in  Glocester,  wo  sein  Vater  Sänger 
der  Kirchenkapelle  war,  in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  geboren. 
Er  studirte  unter  Byrd,  trat  ebenfalls  ungefähr  1580  als  Sänger  in  die 
königl.  Kapelle  ein  und  wurde  später  Organist  dieser  Kapelle.  1607  erhielt 
er  die  Stelle  des  Bakkalaureus  der  Musik  an  der  Universität  Oxford  und  einige 
Jahre  später  übernahm  er  das  Amt  des  Organisten  an  der  Kathedrale  von 
Worcester,  in  welchem  Amte  er  wahrscheinlich  gestorben  ist.  Zur  Zeit  der 
Cromwell'schen  Herrschaft  lebte  er  noch.  Von  seinen  Arbeiten,  die  in  England 
ihrer  Zeit  geschätzt  wurden,  können  angeführt  werden:  »XXIV Songs  of  3,  4, 
5  and  6  parts«  (London,  in  4°).  »Chatedral  music  or  Music  dedicated  to  the 
honour  and  Service  of  God,  and  to  the  use  of  cathedrals  and  churches  of  England, 
especially  the  chapel  royal  of  Jcing  CfJiarles  the  ßrsta.  (London,  1623,  in  4°,  zweite 
Ausgabe  1668).  Die  Gesänge  dieser  Sammlung,  die  in  Anthems,  Hymnen  und 
andern  Kirchenstücken  bestehen,  sind  fünfstimmig.  Einige  Madrigale  von  T. 
sind  in  der  Sammlung  »The  Triumph  of  Orianaa  zu  finden.  Ein  Manuscript 
von  Ciavier-  und  Orgelstücken  befand  sich  im  Besitz  des  M.  Farrenc.  Diese 
sind  augenscheinlich  nach  der  1624  von  Samuel  Scheidt  herausgegebenen  Ta- 
bulatura  nova  gearbeitet. 

Tommasi,  Pater  Joseph  Maria,  lateinisch  Thomasius,  ältester  Sohn 
des  Prinzen  von  Parma,  wurde  im  Schlosse  Alicate  in  Sicilien  am  14.  Septbr. 
1649  geboren  und  trat,  17  Jahre  alt,  in  den  Theatinerorden,  wo  er  ein  höchst 
entsagensvolles  Leben  führte,  sich  aber  die  umfassendsten  Kenntnisse  in  der 
griechischen,  hebräischen  und  chaldäischen  Sprache,  in  der  Philosophie  und 
den  kirchlichen  Wissenschaften  aneignete.  Vom  Papste  Clemens  VI.  erhielt 
er  die  Cardiualswürde  und  starb  am  1.  Januar  1713.  Seine  Schriften  sind 
insofern  für  den  Musikhistoriker  von  Werth,  als  sie  vieles  auf  die  alten  Anti- 
phonien,  Litaneien,  Kyrie  eleison  und  andere  kirchliche  Gebräuche  beim  Messe- 
singen Bezügliche  enthalten.  Einige  erschienen  unter  dem  angenommenen  Namen 
Carus.  Das  Bedeutendste  ist:  »Codices  sacramentorum  nongentis  annis  vetustiores, 
nimirum  Libri  III  sacramentorum  ecclesiae.  Missale  Gothicum,  sive  gallicanum 
vetus.  Missale  Francorum.  Missale  Gallicanum  Yetusv.  (Rom,  1680,  in  4°). 
»Psalterium  juxta  editionem  Romanavi  et  Gallicam,  cum  canticis,  hymnario  et 
orationalia  (Rom,  1683,  in  4°).     »Responsorialia  et  Anthiphonaria  Itomanae  eccle- 

14* 


212  Tommasi  —  Ton. 

siae  a  S.  Greijorio  magno,  disposita  cum  appendice  monumentorum  veterum  et 
scholiisd  (Rom,  1686,  in  4°).  y^Antiqui  libri  Missarum  Romanae  ecclesiae,  id  est 
Antiphonarium  S.  Gregoriia  (Rom,  1691,  in  4°).  yiOjficium  Dominicae  Passionis 
feriae  VI  Parasceve,  Majoris  Hehdomadae,  secmidutn  ritiim  Graecoricma  (Rom, 
1693,  in  4°).  r>Psalterium  cum  canticis  et  versihus  primo  more  distinctum,  argtt- 
mentis  et  orationibus  vetusfis  etc.a  (Rom,   1697,  in  4"). 

Tommasi,  Giovanni  Batista,  geboren  zu  Mantua  um  die  Mitte  des 
17.  Jahrhunderts,  nur  bekannt  durch  seine  Oper  y>8esto  Tarquinio«,  1678  in 
Venedig  aufgeführt. 

Touassi,  Pietro,  Contrabassist  und  Professor  des  Contrapunkts  und  der 
Harmonielehre,  ist  als  der  TJebersetzer  der  Reicha'schen  Harmonielehre  aus  dem 
Französischen  ins  Italienische  zu  nennen.  Abgekürzt  gab  er  diese  unter  dem 
Titel  heraus:  -»Trattato  d'Ar7nonia  di  Antonio  Peiclia,  compendiato  e  recato  dalV 
idioma  francese  nelV  italiano,  da  Pietro  Tonassi,  con  qualclie  Nota  del  TraduttOre. 
Diviso  in  due  librin  (Milano  Ricordi,  1844,  in  Fol.).  Eine  OjDer,  in  Gemein- 
schaft mit  Collaro  componirt,  und  eine  Anzahl  Potpourri's  für  die  Violine  und 
Guitarre  sind  unbedeutend. 

Ton,  franz.  Ton,  heisst  der  Klang,  sobald  dieser  nach  Höhe  oder  Tiefe 
bestimmt  abgemessen  ist.  Die  mannichfache  Bedeutung,  welche  das  "Wort  ausser- 
dem gewinnt,  widerspricht  dem  nicht.  Vielfach  wird  es  für  Klang  der  Instru- 
mente angewendet.  Man  spricht  vom  Gesang  ton,  vom  Geigen  ton,  vom  Ton 
der  Blasinstrumente,  vom  Orgelton  u.  s.  w.,  wo  man  den  Klang  der 
Instrumente  meint,  weil  dieser  hier  fast  immer  zugleich  die  Bedeutung  des  Tons 
gewinnt,  in  bestimmter  abgemessener  Höhe  oder  Tiefe  auftritt,  und  weil  nur  so 
überhaupt  der  Klang  der  betreffenden  Instrumente  seine  wohlthuende  Wirkung 
ausübt.  Weiter  bezeichnet  man  damit  auch  das  Intervall  einer  diatonischen 
Stufe,  als  Maass  für  die  übrigen  Intervalle.  Man  unterscheidet  dementsprechend 
den  Ganzton  und  den  Halb  ton,  und  beide  wiederum  mathematisch  von  ver- 
schiedener Grösse:  der  grosse  Ganzton  (wie  c  —  d)  hat  das  Verhältniss  von  9:8, 
der  kleine  Ganzton  (wie  J— e)  das  Verhältniss  von  10:9,  der  Halbton  aber 
erscheint  bald  im  Verhältniss  von  16: 15,  bald  von  256:  243.  Dass  man  endlich 
früher  und  zum  Theil  auch  noch  jetzt  unter  »Ton«  auch  die  Tonleiter  und 
Tonart  verstand,  ist  mehrfach  erwähnt  und  kommt  noch  näher  in  Betrachtung. 

Auf  seiner  untersten  Stufe  ist  der  Ton  =  Schall.  Dieser  entsteht  durch 
die  zitternde  Bewegung  elastischer  Körper:  von  Stäben,  die  durch  ihre  eigene 
Steifheit  elastisch  sind,  oder  von  Saiten,  die  durch  die  SjDannung  elastisch 
werden;  von  ebenen  und  gekrümmten  Scheiben  und  begrenzten  Luft- 
säulen. Erfolgen  diese  Schwingungen  regelmässig  und  sind  sie  nicht  von  zu 
kurzer  Dauer,  so  entsteht  ein  Klang  und  sobald  Höhe  und  Tiefe  zu  unter- 
scheiden sind,  der  Ton.  Doch  müssen  sich  diese  Schwingungen  innerhalb 
gewisser  Grenzen  der  Schnelligkeit  halten,  wenn  der  Ton  hörbar  werden  soll. 
Die  Anzahl  der  Schwingungen,  welche  der  klingende  Körper  in  einer  bestimmten 
Zeit  vollführt,  bestimmt  die  Höhe  oder  Tiefe  des  Tons.  Dieser  heisst:  hoher 
Ton,  wenn  die  Schwingungen  schnell  erfolgen;  tiefer  Ton,  wenn  sie  langsam 
geschehen.  Die  Grenzen  der  Schnelligkeit  dieser  Schwingungen,  bei  dei-en 
Heberschreiten  das  menschliche  Ohr  keinen  Schall  mehr  vernimmt,  scheinen 
für  verschiedene  Individuen  auch  verschieden  zu  sein.  Gewöhnlich  nimmt  man 
nach  Baumgartner  (»Die  Naturlehre  nach  ihrem  gegenwärtigen  Zustande«, 
dritte  Auflage,  1829,  p.  236)  an,  dass  die  Anzahl  der  einfachen  Schwingungen, 
wenn  sie  gehört  werden  sollen,  nicht  geringer  als  32  in  der  Secunde  sein  darf. 
Chladni  giebt  als  Minimum  ungefähr  30  Schwingungen  in  der  Secunde  an. 
Savart  aber  erzeugte  Töne  von  16  Schwingungen.  Vermittelst  eines  6  Fuss 
langen  Stabes  vernahm  er  schon  mit  8  Schlägen  =  16  Schwingungen  einen 
zusammenhängenden  Ton.  Die  Empfindung  desselben  liegt  nur  im  Gehörorgan 
und  hat  derselbe  auch  hier  seine  Grenzen.  Als  die  grösste  Anzahl  der  Schwin- 
gungen,   bei    welchen    noch    ein    wahrnehmbarer  Schall  entsteht,   nehmen  Biot 


Ton.  213 

8192,  Chladni  12,000,  OH  vi  er  16,000,  Young  18000—20,000  in  einer  Se- 
cunde  an.  Nach  W.  "Weber  (»Akustik«)  sind  30,000  in  einer  Secunde  an  das 
Ohr  schlagende  Wellen  das  Maximum  für  einen  hörbaren  Ton.  Despretz 
aber  erhielt  durch  Verkürzung  kleiner  Stimmgabeln  noch  musikalisch  bestimm- 
bare Töne  bis  zu  32,770  Schwingungen,  also  4  Octaven  höher  als  unser  c* 
und  selbst  bis  zu  36,500  Schwingungen  glaubte  er  einen  Ton  zu  hören.  Savart 
aber  hat  gezeigt,  dass  man,  unter  der  Voraussetzung,  dass  die  Töne  in  der 
Höhe  nicht  zu  sehr  an  Intensität  abnehmen,  auch  noch  bei  48,000  Schwingungen 
in  der  Secunde  einen  Schall  vernimmt.  In  der  Praxis  verengt  sich  natürlich 
der  Umfang  bedeutend.  Der  tiefste  Ton  im  Orchester  ist  E^  des  Contrabasses 
mit  41 Y*  Schwingungen,  der  höchste  das  d^  der  Piccoloflöte  mit  4752  Schwin- 
gungen. Auf  grössern  Orgeln  hat  man  noch  O-y  mit  16^/2  Schwingungen;  doch 
werden  diese  tiefern  Töne  unter  jE/j  nur  mit  ihrer  höhern  Octave  in  Anwendung 
gebracht,  da  sie  allein  gebraucht  nicht  recht  feststehen.  Das  Ohr  verliert  hier 
schon  an  Fähigkeit  zu  unterscheiden.  Nach  der  Höhe  geht  das  Pianoforte  meist 
bis  zu  a^  mit  3520  oder  c'  mit  4224  Schwingungen.  Innerhalb  dieser  äussersten 
Grenzen  liegen  nun  eine  zahllose  Reihe  von  Tönen,  von  denen  indess  nur  der 
kleinste  Theil  künstlerisch  zu  verwenden  ist.  Die  Ausscheidung  dieser  künst- 
lerisch verwerthbaren  Töne  erfolgt  zumeist  nach  ästhetischen  Rücksichten, 
aber  die  Natur  unterstützt  diesen  Prozess  wesentlich,  ganz  besonders  dadurch, 
dass  sie  die  einzelnen  Töne  unter  sich  in  nähere  oder  entfei'ntere  Beziehungen 
gesetzt  und  dass  sie  die  besonders  günstigen  den  einzelnen  Organen,  wie  den  Men- 
schenstimmen oder  den  Blasinstrumenten  als  leichter  anzugebende  eingewirkt  hat. 

Schon  als  blosses  Material  betrachtet  ist  der  Ton  unter  allen  Darstellungs- 
mitteln der  künstlerischen  Thätigkeit  unstreitig  das  wirksamste.  Mit  unwider- 
stehlicher Grewalt  dringt  er  in  das  Innere,  so  dass  man  ihm  kaum  zu  entrinnen 
vermag.  Er  wirkt  dabei  noch  weit  inniger  und  nachhaltiger  als  selbst  Licht 
und  Farbe.  Gegen  die  Wirkung  dieser  beiden  sich  zu  verschliessen  ist  leicht, 
nicht  so  gegen  die  des  Tons.  Er  überfällt  und  überrascht,  nimmt  uns  gefangen, 
wir  mögen  wollen  oder  nicht;  er  klingt  noch  lange  in  uns  nach,  wenn  er  selbst 
schon  längst  verhallt  ist.  Weil  er  unkörperlich  ist,  unbegrenzt  und  wesenlos 
erscheint,  so  erhebt  er  uns  in  höhere  Welten,  die  sich  ganz  frei  von  allem 
stofflich  Bewegten  vor  unserm  Innern  ausbreitet.  Der  Ton,  schon  in  seiner 
rein  materialistischen  Erscheinungsform,  vermag  daher  eine  Gewalt  über  unsre 
Empfindung  zu  gewinnen,  wie  selbst  nicht  das  Licht.  Ein  lang  und  einförmig 
fortklingender  Ton  wirkt  aufregend  bis  zur  Erschlaffung;  bei  sich  steigernder 
Stärke  kann  seine  "Wirkung  unheimlich  furchtbar  werden;  bei  Abnahme  bis 
zum  Verschwinden  fieberhaft  ängstlich;  während  die  rasch  vorübersausenden 
Tonfiguren  Gemüth  und  Gedanken  zu  verwirren  im  Stande  sind  und  der  Wechsel 
von  all  diesen  verschiedenen  Erscheinungsformen  schon  einen  angenehmen  Total- 
eindruck  zu  gewähren  vermag. 

So  erlangt  schon  der  Ton  als  natürliches  Darstellungsmaterial  in  seiner 
ungebändigten  Naturkraft  eine  höhere  ästhetische  Bedeutung  als  Marmor  oder 
Metall  und  selbst  als  Farbe  und  Licht.  Indem  dann  der  schaffende  Genius 
diese  verschiedenen  Erscheinungsformen  nach  bestimmten  künstlerischen  Prin- 
cipien  ordnet,  hebt  er  ihre  Naturgewalt  nicht  auf,  sondern  er  macht  sie  seiner 
Idee  dienstbar,  so  dass  sie  zum  beredten  Verkünder  derselben  werden.  In 
diesem  Bestreben  nun  erfolgt  auch  die  oben  erwähnte  Ausscheidung  der  künst- 
lerisch verwerthbaren  Töne  aus  der  grossen  Masse  von  überhaupt  zu  erzeugenden. 

Helmholtz  ist  der  Meinung,  dass  das  tiefe  JEJ  des  Contrabasses  mit  41 
Schwingungen  der  tiefste  künstlerisch  zu  verwendende  Ton  sei,  dass  das  sech- 
zehnfüssige  G  der  Orgel  mit  33  Schwingungen  zwar  noch  eine  ziemlich  conti- 
nuirliche  Empfindung  von  Dröhnen  gebe,  aber  ohne  dass  man  ihm  einen  be- 
stimmten Werth  in  der  musikalischen  Scala  zuschreiben  könne.  Er  nimmt  an, 
dass  bei  etwa  30  Schwingungen  die  Tonempfindung  beginnt,  aber  erst  bei  40 
die  Töne  anfangen,  eine  bestimmte  musikalische  Höhe  zu  bekommen.    Nach  der 


214  Ton. 

Höhe  gelten  das  viergestrichene  a  mit  3520  oder  das  fünfgestriclieue  c  mit 
4224  Schwingungen  bei  dem  Pianoforte  als  höchste  Töne;  beim  Orchester  das 
i'ünfgestrichene  d  mit  4752   Schwingungen. 

Die  Scheidung  und  Eintheilung  der  brauchbaren  Töne  innerhalb  dieses 
weiten  Raums  vom  tiefsten  zum  höchsten  erfolgt  nun  auf  Grund  der  Unter- 
suchung ihres  Verhältnisses  zu  einandei'.  Wenn  der  Ton  an  sich,  als  Klang 
von  bestimmter  Höhe,  mehr  elementar,  sinnlich  reizend  wirkt,  so  wird  diese 
Wirkung  schon  eine  höhere,  wenn  er  zugleich  in  gewisse  Beziehungen  zu  andern 
tritt,  denn  dabei  erweist  sich  der  Greist  bereits  schaffend  thätig  und  die  Er- 
kenntniss  dieser  Thätigkeit  gewährt  einen  höhern  als  nur  elementaren  Genuss. 
Die  Intervalle  zu  beachten  und  festzustellen  war  erste  Voraus- 
setzung der  gesammten  weiteren  künstlerischen  Thätigkeit.  Damit 
war  aber  auch  geboten,  die  Grenzen  der  Intervalle  in  den  Tönen 
zu  fixiren.  Mit  diesem  Unterscheiden  der  Töne  und  Intervalle  beginnt 
demnach  die  Entwickelung  der  Tonkunst.  Unser  Ohr  ist  nicht  so  genau,  als 
die  mathematische  Berechnung;  es  vermag  nur  die  vollkommenen,  im  nahen 
und  darum  verträglichen  Verhältniss  stehenden  Intervalle  zu  unterscheiden  und 
so  heben  sich  aus  der  Reihe  möglicher  Töne  eine  kleine  Anzahl  bestimmt 
geschiedener  heraus,  mit  denen  der  künstlerisch  schaffende  Menschengeist  zu 
operiren  beginnt.  Zwar  wird  dieser  ganze  Prozess  durch  die  Natur  wesentlich 
unterstützt.  In  der  Menschenstimme  und  in  einigen  Naturinstrumenten  sind 
jene  bestimmt  geschiedenen  Töne  der  diatonischen  Tonleiter  so  fest  gefügt,  dass 
ihre  Erzeugung  wenig  Schwierigkeiten  bereitet.  Allein  die  Beherrschung  des 
Muskelapparats  und  des  einfachsten  Mechanismus  jener  Naturinstrumente  setzt 
immer  eine  gewisse  Uebung  und  Erfahrung  voraus  und  auch  das  Ohr  bedurfte 
beider,  um  die  Intervalle  unterscheiden  zu  lernen.  Es  ist  daher  wohl  als  un- 
zweifelhaft anzunehmen,  dass  die  weiten  Intervalle  zuerst  sich  abhoben  aus 
der  Masse  ununterschiedener  Töne.  Das  Intervall  der  Octave  war  jedenfalls 
am  leichtesten  zu  finden  und  so  ist  es  auch  erklärlich,  dass  von  den  ersten 
Zeiten  der  Entwickelung  der  verschiedenen  Tonsysteme  an  allen  diesen  Expe- 
rimenten die  Octave  zu  Grunde  liegt.  Dies  Intervall  in  der  bequemsten  Weise 
getheilt  führte  ganz  naturgemäss  auf  das  der  Qu  int,  im  weitern  Verlauf  ganz 
consequent  auf  das  der  Quart  und  so  ist  recht  wohl  anzunehmen,  dass,  wie 
Boethius  berichtet,  die  älteste  Lyra  in  diesen  Tönen  c—f — y  — c,  dem  ganzen 
Tonreichthum  jener  Zeit,  gestimmt  gewesen  ist.  Die  weitere  Theilung  der 
Quint  ergab  dann  die  Terz  und  deren  Theilung,  die  Secunde.  Damit  aber 
waren  die  sämmtlichen  Töne  der  Tonleiter  gewonnen  und  der  besondere 
Gang,  den  dieser  ganze  Prozess  bei  den  verschiedenen  Völkern  und  in  ver- 
schiedenen Jahrhunderten  nahm,  erzeugte  die  verschiedenen  Tonleitern  (s.  d.), 
Tonsysteme  (s.  d.),  Tonarten  (s.  d.)   u.  s.  w. 

Dieser  ganze  Prozess  wird,  wie  erwähnt,  durch  die  Natur  wesentlich  unter- 
stützt, allein  er  ist  vielmehr  durch  ästhetische,  als  durch  unabweisbare  Natur- 
gesetze hervorgerufen.  Die  Ordnung  eines  bestimmten  Tonmaterials  zu  in  sich 
geschlossenen  und  gegliederten  Tonleitern  und  Tonsystemen  hat  nur  den 
einen  Zweck,  das  Material  für  die  künstlerische  Verwerthung  ge- 
eignet zu  machen.  In  diesem  Bestreben  werden  die  Untersuchungen  über 
das  Verhältniss  der  einzelnen  Töne  und  Intervalle  zu  einander  angestellt 
und  man  erkannte,  dass  die  Naturgesetze  den  Anforderungen  der  ästhetischen 
Nothwendigkeit  vollständig  entsprechen.  Früh  schon  erlangte  man  die  Einsicht, 
dass  die  einzelnen  Töne  ein  näheres  oder  entfernteres  Verhältniss  zu  einander 
gewinnen  und  dass  hierauf  die  mehr  oder  weniger  angenehme  Wirkung  der 
Intervalle  beruht.  Man  erkannte  ferner,  dass,  wenn  man  eine  Saite  in  zwei 
Theile  theilt,  oder  einen  klingenden  Luftstrahl  verkürzt  oder  verlängert,  die 
Töne  der  beiden  Theile  eine  Consonanz  bilden,  wenn  ihre  Längen  sich  wie 
zwei  einfache  ganze  Zahlen  zu  einander  verhalten.  Die  Erkenntniss,  dass  eine 
genau    um    die    Hälfte    verkürzte    Saite    oder   Pfeife    die    Octave    des  Tons  der 


Ton.  215 

ursprüngliclien  Länge  giebt,  musstc  notliwendig  zu  weitem  derartigen  Unter- 
suchungen reizen  und  so  gelangte  mau  allmälig  auf  ganz  natürliclieia  Wege 
zur  Feststellung  der  Verhältnisse  der  Intervalle  der  Tonleiter:  man  erkannte, 
dass  "/s  der  Länge  der  Saite  die  Qu  int  ergiebt,  ^jt  die  Quarte,  ^/s  die  grosse 
Sext,  *Id  die  grosse  Terz,  ''/e  die  kleine  Terz  u.  s.  w.  und  dementsprechend 
konnte  leicht  die  Anordnung  und  Begründung  der  Tonleiter  in  der  ange- 
gebenen "Weise  erfolgen.  Die  weitere  Verfolgung  dieses  Prozesses  und  die 
Anwendung,  welche  er  gewann,  wurde  dann  fast  ausschliesslich  nach  ästhe- 
tischem ßedürfniss  geregelt.  Wir  wiesen  schon  am  andern  Orte  darauf  hin, 
dass  der  Ton  eine  doppelte  Verwendung  findet,  einmal  selbständig  als  Baustein 
für  Musikformen,  das  andremal  als  Grundlage  für  die  Sprache.  Wir  zeigten 
dort,  dass  die  Sprachlaute  im  Grunde  nichts  weiter  sind,  als  ganz  besonders 
behandelte  Töne  und  dass  die  Sprache  nur  als  verdichtetes  Singen  betrachtet 
werden  muss,  und  wiesen  nach,  wie  alle  Culturvölker  der  Erde  den  letztern 
Weg  zuerst  einschlugen,  erst  den  Ton  zur  Sprache  ausbildeten  und  mit  Hülfe 
des  mehr  selbständig  wirkenden  Tons  dieser  kunstvollere  Gestaltung  geben. 
Wie  sich  darnach  Tonleiter  und  Tonsystem  anders  gestalten,  werden  die 
betreffenden  Artikel  noch  näher  beleuchten.  Wie  wenig  alle  diese  Verhältnisse 
absolute  Bedeutung  haben,  wird  ja  auch  dadurch  bewiesen,  dass  selbst  bis  auf 
den  beutigen  Tag  ein  allgemeiner  Normalton  noch  nicht  festgestellt  werden 
konnte.  Um  eine  absolute  Höhe  festzustellen,  hat  man  einen  Ton  mit  bestimm- 
tem Längenmaass  und  demnach  mit  einer  bestimmten  Anzahl  Schwingungen 
als  Normalton  angenommen,  nach  welchem  die  übrigen  als  Octave,  Quint, 
Quart,  Terz  u.  s.  w.,  wie  oben  angegeben  worden  ist,  gemessen  werden.  Aber 
auch  dieser  Normalton  ist  durchaus  willkürlich,  und  er  wird  noch  heute,  wie 
unter  Normalton  nachzulesen  ist,  in  den  verschiedenen  Ländern  verschieden 
angenommen. 

Schon  auf  dieser  unteren  Stufe  der  Bildung  von  Tonsystemen  und  ihrer 
speciellen  Anwendung  zur  Vollendung  der  künstlerischen  Gliederung  der  Sprache 
verliert  der  Ton  seine  nur  sinnliche  reizvolle  j\Iacht.  Während  der  einzelne 
Ton  vorwiegend  die  Nerven  reizt,  und  nur  indirekt  auf  die  Phantasie  wirkt, 
gewinnt  das  Intervall  schon  eine  höhere  Bedeutung,  indem  es  auch  den  Ver- 
stand direkt  anregend  in  Thätigkeit  setzt.  Das  ist  dann  noch  in  erhöhtem 
Maasse  der  Fall,  wenn  die  Töne  zu  wirklichen  Tonformen  zusammengefasst 
werden.  Der  Ton  gewinnt  dreifache  Existenzform,  melodisch,  als  Glied  einer 
Reihenfolge  von  Tönen  (s.  Melodie),  harmonisch  als  Glied  eines  Zusammen- 
klangs und  rhythmisch,  der  Zeitdauer  nach  gemessen.  Es  wird  möglich  sein, 
an  einem  einzigen  Beispiel  das  Verhältniss  dieser  verschiedenen  Erscheinungs- 
formen zu  einander  etwas  näher  darzulegen.     Die  reinen  Accorde 


P 


■3=»" 


in  dieser  Weise  von  Instrumenten  oder  Singstimmen  ausgeführt,  wirken,  wenn 
auch  nicht  ausschliesslich,  doch  vorwiegend  nur  sinnlich  reizvoll.  Der  Accord 
ist  im  Grunde  schon  ein  künstlerisches  Gebilde  als  Vereinigung  von  Klängen; 
allein  sie  wirkt  doch  in  dieser  Weise  so  voi'wiegend  sinnlich  anreizend,  da&s 
die  andere  Wirkung  zurücktritt.  Auch  dadurch,  dass  die  Accorde  hier  unter 
sich  durchaus  in  engster  Beziehung  stehen,  wird  das  Sinnliche  ihrer  Klang- 
wirkung noch  wenig  zurückgedrängt.  Dass  dies  indess  schon  geschieht,  ersieht 
man  aus  Accordfolgen,  denen  dieser  enge  Zusammenhang  fehlt: 


und  die  daher  nur  sinnlich  reizende  Wirkung  erzielen. 


216 


Ton. 


Sobald  nun  bei  der  oben  verzeichneten  Accordfolge  eine  Art  von  Rhythmus 
hinzutritt,  wird  die  Wirkung  schon   eine  höhere  als  nur  rein   sinnliche: 


a) 


i 


±t 


:^z 


:ö 


s: 


iffi: 


-.^r 


b) 


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-•- 


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-i 


-= — • — 0— 
-§ — • — •- 


I       I 


I 


I       I 


In  der  Besonderheit  desselben  macht  sich  bereits  das  Vorhandensein  einer  be- 
sondern Idee  bemerkbar.  Tritt  dann  weiterhin  noch  die  Melodie  selbst  in  ihrer 
einfachsten  Führung  hinzu: 

a)  b) 


-J- 


E 


icär 


i 


-^ 


-•- 
-•- 
-»- 


I 


:s: 


t 


-c^, 


^ 


s: 


_fi=_ 


so  wird  zwar  die  sinnliche  Wirkung  des  Ganzen  erhöht,  aber  diese  wird  zugleich 
in  den  Dienst  der  höhern  Idee  gestellt,  (S.  Melodie  und  Rhythmus.)  So 
vereinigen  sich  Melodie,  Harmonie  und  Rhythmus  zur  Darstellung  der 
höchsten  Idee  im  Kunstwerk.  Der  Ton  ist  nicht  mehr  nur  ein  Mittel,  die 
Sinne  angenehm  zu  reizen  und  aufzuregen,  sondern  er  wird  zugleich  zum  Bau- 
stein für  kunstvolle  Formen,  in  denen  die  höchsten  und  heiligsten  Ideen  Gestalt 
gewinnen.  Nur  unter  dieser  Voraussetzung  wird  die  Tonkunst  überhaupt  erst 
zur  Kunst.  So  lange  der  Ton  noch  andern  Zwecken  dient,  so  lange  er  eben 
nur  mit  der  Sprache  sich  verbindet,  um  diese  klangvoller  herauszubilden,  oder 
so  lange  er  nur  äusserliche  Handlungen  und  die  Bewegungen,  dieselben  regelnd, 
begleitet,  kann  von  einer  Tonkunst  noch  nicht  die  Rede  sein.  Diese  beginnt 
erst,  wenn  ein  gestaltender  Inhalt  wii'kliche  Tonformen  erzeugt. 

Aus  diesen  Erörterungen  sind  auch  die  verschiedenartigen  Anwendungen, 
welche  im  Sprachgebrauch  von  dem  Begriff  »Ton«  noch  gemacht  werden,  zu 
erklären.  Wenn  man  bei  einem  Sänger  oder  Geiger  von  seinem  grossen  oder 
kleinen,  dicken  oder  dünnen,  weichen  oder  harten  »Ton«  spricht,  so  meint  man 
allerdings  im  Grunde  den  »Klang«,  allein  dennoch  scheint  jene  Bezeichnung 
»Ton«  die  richtigere,  weil,  wie  schon  oben  angedeutet  worden  ist,  diese  Künstler 
nicht  nur  den  Klang  ihres  betreffenden  Instruments  hören  lassen,  sondern 
dieser  ist  zugleich  zum  »Ton«  gesteigert;  hier  ist  es  ganz  unmöglich,  Ton  und 
Klang  zu  scheiden.  Viel  eher  kann  man  von  dem  Instrument  sagen:  es 
habe  einen  guten  Klang,  klinge  gut,  weil  man  hierbei  diesen  wirklich  als 
losgetrennt  vom  Ton  sich  denken  kann  und  muss.  Eine  eigenthümliche  An- 
wendung fand  das  Wort  in  der  mittelalterlichen  Dichtkunst.  Bei  den 
Minnesingern  galt  er  ebenso  für  Melodie  wie  auch  für  Versbau  und  stro- 
phisches Versgefüge.  Die  achtzeilige  alexandrinerartige  Strophe,  in  welchem 
das  Hildebrandlied  und  andere  Volksepen  gedichtet  sind,  heisst  der  Hilde- 
b randton.  Die  dreizehnzeilige  Strophe  der  »Berner  Weise«  hiess  auch  der 
Herzog-Ernst-Ton;  die  siebenzeilige  Strophe  des  Jüngern  Titurel  hiess 
»der  schwarze  Ton  Klingsors«  u.  s.  w.  Wer  den  eigenthümlichen  Vers- 
und  Strophenbau  eines  andern  Dichters  nachahmte,  wurde  als  Tönedieb  ge- 
scholten und  verachtet.  Nachdem  dann  die  Melodie  selbständiger  heraustritt, 
die  eben  dies  strophische  Versgefüge  in  ihrer  Weise  nachbildete,  ging  dann  der 
Name  »Ton«  selbstverständlich  auf  die  Melodie  über  und  die  Bezeichnung  im 
Tone:  »Der  alte  Greis«  zeigt  an,  dass  das  neue,  so  bezeichnete  Lied  nicht  nur 
im  Vers-  und  Strophenbau  dem  altern  Liede:  »Der  alte  Greis«  nachgebildet 
ist,  sondern  dass  es  auch  nach  der  Melodie  desselben  gesungen  werden  soll. 
Der  »Pavierton«  bezeichnet  Melodie  und  Strophe  des  Liedes  von  der  Schlacht 
bei  Pavia.  Beliebt  war  im  16.  Jahrhundert  der  »Bruder  Veits  Ton«, 
kaum  weniger  der  »Lindenschmidt  Ton«,  der  »Stortebecker  Ton«,    der 


Tonabstand  —  Tonart. 


217 


»Benzenauer  Ton«;  »Schilhers  Hofton«  war  ein  Meistersilngerton; 
weiterhin  hatte  man  mehrere  »Schweizertöne«  oder  <>E,eutertöne«  (Melodie 
und  Strophenbau  von  Reiterliedern).  Der  »Spete  Ton«  war  auch  ein  Meister- 
sängerton. Diese  eigenthümliche  Bezeichnung  erhielt  sich  so  lange  während 
der  Entwickelung  des  deutschen  Liedes,  als  eben  Melodie  und  strophisches  Vers- 
gefüge  im  engsten  Zusammenhange  blieben.  Die  neu  zu  erfindende  Melodie 
wurde  möglichst  genau  der  Strophe  angepasst,  und  wurde  umgekehrt  zu  einer 
vorhandenen  Blelodie  ein  neues  Lied  gedichtet,  so  geschah  dies  selbstverständlich 
im  engsten  Anschluss  an  die,  die  Strophe  erzeugende  Melodie.  Erst  als  die 
letztere  selbständiger  wurde,  indem  sie  sich  die  auf  dem  Grebiet  der  Instru- 
mentalmusik viel  freier  und  mannichfaltiger  sich  entwickelnde  Rhythmik  aneig- 
nete und  der  sprachlichen  Darstellung  der  Strophe  eine  viel  mannichfaltigere 
musikalische  beigab,  schieden  sich  auch  die  Begriffe;  man  nannte  seitdem  die- 
gesangliche  Darstellung  der  Strophe  Melodie  und  scheidet  sie  damit  von  der 
sprachlichen.  An  Stelle  der  Bezeichnung:  »im  Tone«  wählen  wir  die  jetzt 
entsprechender  »nach  der  Melodie«,  bei  Liedern,  welche  nach  vorhandener 
Melodie  und  Strophe  gedichtet  sind. 

Touabstand,  ein,  nicht  gerade  glücklich  gewählter  Ersatz  für  die  Bezeich- 
nung: Intervall. 

Tonale  Fuge,  Fuga  tonale,  in  tona,  del  tuono,  heisst  die  Fuge,  welche 
bei  der  Beantwoi'tung  nach  der  sogenannten  Octavtheilung  erfolgt,  so  dass  Eührer 
und  Gefährte  sich  gegenseitig  ergänzen,  indem  dieser  in  der  imtern  Hälfte 
antwortet,  im  Fall  jener  in  der  obern  Hälfte  eingetreten  ist.  Bei  der  Fiiga 
reale  wird  das  Thema  streng  in  der  Quint  beantwortet  ohne  diese  Rücksicht, 
doch  vermeidet  man   auch  hierbei  Ausweichungen. 


a) 


Gefährte. 


?^^ 


=r=c 


-n — •- 


i^ö 


b)         Führer, 
2.  ,: 


pi 


¥^ 


m 


-^ — •- 


i^^^jg^ 


Bei  a)  ist  das  Thema  tonal  beantwortet,  -in  der  untern  Hälfte  der  Tonleiter 
sich  bewegend  folgt  ihm  der  Gefährte  in  der  obern,  bei  b)  antwortet  er  in 
der  Quint  ohne  diese  Rücksicht. 

Tonart,  lat.:  Modtis,  franz.  und  englisch:  Mode,  nennen  wir  die  beson- 
dere Ordnung,  nach  welcher  die  künstlerisch  verwendbaren  Töne  unter  fort- 
währender Bezugnahme  auf  einen  gewählten  Grundton,  gebracht  werden.  Der 
Artikel  Ton  schon  zeigt,  wie  unter  dem  Bestreben,  eine  solche  Ordnung  in 
das  gesammte  Tonmaterial  zu  bringen,  die  Tonleiter  entstand,  und  später 
wird  gezeigt  werden,  dass  eine  solche  von  jedem  Ton  aus  construirt  wurde. 
Wird  nun  eine  derartige,  in  sich  fest  bestimmte  und  gegliederte  Tonreihe  dem 
künstlerischen  Schaffen  derartig  zu  Grunde  gelegt,  dass  dies  durchaus  dadui'ch 
beeinfiusst  wii'd,  so  wird  die  Tonleiter  zur  Tonart,  deren  natürlichen  und 
unerlässlichen  Bedingungen  auch  das  betreffende  Kunstwerk  entspricht.  Alle 
Völker,  welche  daher  die  Tonleiter  ihrem  künstlerischen  Schaffen  zu  Grunde 
legten,  wurden  auch  auf  das  System  der  Tonarten  geführt.  Doch  geschah 
dies  bei  den  vorchristlichen  Völkern  in  sehr  beschränktem  Maasse,  weil  sie 
eine  eigentlich  künstlerische  Thätigkeit  doch  nicht  entwickelten.  Bei  den 
Chinesen  (s.d.)  wie  bei  den  Indiern  (s.d.)  finden  wir  fein  und  sinnig  aus- 
geführte Systeme  von  Tonarten,  aber  sie  sind  vielmehr  das  Produkt  phantasie- 
voller Spekulation  als  der,  eine  künstlerische  Thätigkeit  vorbereitenden  Unter- 
suchung. Die  Völker  des  Orients  schwelgen  gern  in  phantastischen  Anschauungen 


218  Tonart. 

und  diese  werden  durch  die  gelieimnissvolle  Macht  des  Tons  mächtig  angeregt 
und  so  bilden  sie  die  Tonarten  mehr  phantastisch  und  sinnreich  als  wirklich 
praktisch  und  schöpferisch  anregend. 

Es  gilt  dies  zum  Theil  noch  von  den  Griechen,  bei  denen  doch  die 
Praxis  erheblichen  Antheil  an  der  Bildung  der  Tonleitern  und  Tonarten 
gewinnt  und  dann  aber  auch  bedeutenden  Yortheil  aus  ihnen  zieht.  Im  Artikel 
System  zeigten  wir,  dass  bei  ihnen  in  der  Gesangspraxis  das  Tetrachord- 
system vorherrschend  ist,  aber  auch  dies  stellt  sich  uns  in  verschiedenen  Arten 
(Quartengattungen)  dar:  als  dorisch,  lydisch  und  phrygisch.  Das  unter- 
scheidende Merkmal  bildet  die  Lage  des  Halbtons:  beim  dorischen  Tetrachord 
liegt  der  Halbton  am  untern  Ende:  e'~^f—g—a  und  li'^c  —  d—e^  beim  lydi- 
schen  am  obern  Ende:  g  —  a  —  }i''^c  und  c  —  d~e'~^f\  beim  phrygischen  aber 
in  der  Mitte:  a  — ä^'^c  — ^und  d—e'~^f—g.  Durchgreifender  werden  diese  Unter- 
scheidungen natürlich  bei  der  Zusammensetzung  der  Tetrachorde  zu  Octaven- 
gattungen  und  Tonarten.  Die  Griechen  erhielten  auf  diese  "Weise  zunächst 
sieben  Scalen  und  Tonarten,  die  sie  noch  mannichfach  erweiterten  (s.  Grie- 
chische Musik).  Dass  indess  diese  sehr  weit  ausgeführte  Theorie  der  Scalen 
und  Tonarten  von  besonderm  Einfluss  auf  die  Musikpraxis  geworden  ist,  erscheint 
zweifelhaft;  auch  sie  ist  vielmehr  als  ein  Produkt  einseitiger  Spekulation  und 
nicht  als  das  nothwendige  Ergebniss  einer  besonders  sich  gestaltenden  Praxis 
anzusehen.     Als  solches  erscheinen  erst  die  sogenannten 

Kirchentonarten,  die  dem  ältesten  Gesänge,  dem  Choralgesange  der 
christlichen  Kirche  zu  Grunde  liegen.  Im  Artikel  System  ist  bereits 
darauf  hingewiesen  worden,  dass  der  neue  Inhalt,  den  das  Christenthum  brachte, 
nach  einer  breitern  Melodieentfaltung  drängte  und  dass  deshalb  die  ersten 
Förderer  des  neuen  Gesanges  aus  dem  griechischen  complicirten  Tonsystem  nur 
vier  Scalen  aushoben  und  diese  zur  Grundlage  der  neuen  Gesangspraxis 
machten.  Ambrosius,  Bischof  von  Mailand  (333 — 397),  wird  als  derjenige 
genannt,  der  in  dieser  Weise  dem  Gesänge  eine  ganz  neue  Geschichte  begrün- 
dete. Er  wählte  die  phrygische,  dorische,  hypolydische  und  hypo- 
phrygische  aus,  bezeichnete  sie  aber  als: 

Erster  Ton  (primus):  B—E'^F—G-A-H^C-D. 

Zweiter  Ton  (secundus):  E^F—G-A-H-C-B  —  E. 

Dritter  Ton  (tertius):  F-G-A-R^G—D-E^F. 

Vierter  Ton  (quartus):  G  — A  —  S^G- D-E^F—G. 

Die  griechischen  Mönche  belegten  sie  mit  den  Namen: 

Frotus  (jiqmrog). 
Deuterus  (deme^og), 
Tritus  (roirng). 
Tetrartus  (znQUTog). 

Diese  Tonleitern  wurden  insofern  auch  zu  wii'klichen  Tonarten,  als 
der  ganze  tonale  Verlauf  der  Melodien  sich  streng  an  die  in  dieser  Weise  vor- 
geschriebenen Töne  und  das  dadurch  bedingte  Verhältniss  derselben  unter 
einander  und  zu  jenem  Grundton  hielt.  Auf  dieser  neuen  Grundlage  erhob 
sich  nun  der  christliche  Gesang  in  so  reicher  Fülle,  dass  der  beschränkte  Raum 
jener  vier  Tonarten  bald  erweitert  werden  musste  und  es  wird  als  das  Haupt- 
verdienst der  Regelung  der  neuen  Weise  kirchlichen  Gesanges  unter  und  durch 
Papst  Gregor  d.  G.  Ijetrachtet,  dass  jenen  vier  Tonleitern  (Tönen)  noch  vier 
neue  hinzugefügt  wurden.  Seitdem  hiessen  jene  vier  ambrosianischen 
authentische  und  die  neu  hinzugefügten  plagale  (von  nläyioo).  Bei  der 
Aufstellung  dieser  letztern  verfuhr  man  wieder  nach  griechischer  Theorie,  nach 
welcher  die  Octave  als  aus  Quint  und  Quarte  zusammengesetzt  erscheint.  Bei 
der  authentischen  Führung   der  Tonleiter    bildet   die  Quinte  die  untere,  die 


Tonart. 


219 


Quarte  die  obere  Hälfte  uud  es  war  somit  die  neue  plagale  Führung  sehr 
leicht  bewerkstelligt  durch  Versetzung  der  Quart,  indem  mau  diese  der  Quinte 
vorsetzte: 


autluMitiscli 


-J.      -ö- 


^ 


-f=- 


r — ü 


1 


plagalisch 


Dies  Verfahren    auch    auf   die    andern    authentischen  Tonarten   angewendet, 
ersah  acht  Tonarten: 


Erster  Kirchenton 

oder 

1.  authent.  Ton. 

Zweiter  Kirchentou 
oder 

1.  plagaler  Ton. 

Dritter  Kirchenton 
oder 

2.  authent.  Ton. 

Vierter  Kirchenton 
oder 

2.  plagaler  Ton. 

Fünfter  Kirchentou 
oder 

3.  authent.  Ton. 

Sechster  Kircheuton 
oder 

3.  plagaler  Ton. 

Siebenter  Kirchentou 
oder 

4.  authent.  Ton. 

Achter  Kirchenton 

oder 

4.  plagaler  Ton. 


^ 


^ 


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-m — »- 


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i 


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Die  Verschiedenheit  der  Oi'ganisation  dieser  verschiedenen  Tonleitern  giebt 
ihnen  und  dementsprechend  auch  den  auf  denselben  erbauten  Melodien  einen 
entschieden  abweichenden  Charakter.  Der  erste  und  der  achte  oben  verzeich- 
nete Kirchenton  sind  anscheinend  ganz  gleich,  beide  bewegen  sich  von  D  bis 
zu  d  und  doch  sind  beide  ganz  verschieden  organisirt;  als  erster  Kirchenton 
hat  die  Scala  von  D  —  d  die  Quint  a  zum  Mittelpunkt,  als  achter  aber  als 
plagaler  Ton  hat  sie  die  Quart  ff  zum  Mittelpiinkt  und  das  verändert  ihre 
ganze  Organisation  und  dementsprend  ihren  Charakter.  Damit  ist  zugleich 
der  unterschiedene  Charakter  der  übrigen  Tonarten  angedeutet.  Der  zweite, 
vierte,  sechste  und  achte  Ton  sind  nicht  eben  so  selbständige  Tonarten 
wie  der  erste,  dritte,  fünfte  und  siebente  Ton,  aus  deren  Versetzung  sie 
erst  entstanden  sind.  Die  plagale  Tonreihe  findet  in  demselben  Ton  ihren 
Schwerpunkt,  in  welchem  ihn  die  authentische  findet,  aber  während  ihn  diese 
an  die  Enden  verlegt,  tritt  er  bei  jener  in  die  Mitte,  so  dass  hier  seine  "Wir- 
kung entschieden  gemildert  und  beeinträchtigt  wird.  Daher  haben  auch  die 
plagalen  Töne  einen  weichern,  unentschiedenern  Charakter  als  die  authen- 
tischen. Diese  erheben  sich  bis  zur  Dominant  und  über  diese  dann  hinaus 
in    energischem    Emporschreiten,    um    dann    wieder   im  Gruudton  zur  Ruhe  zu 


220 


Tonart, 


gelangen.  Der  Plagalton  dagegen  beginnt  scli wankend  mit  dem  Moment  der 
Bewegung  und  findet  ßulie  nur  im  authentisclien  Ton.  Dieser  gewinnt 
daher  die  Bedeutung  der  Tonica  und  jener  die  der  Dominant  und  in  diesem 
Sinne  finden  sie  auch  meist  in   der  Praxis  ihre  Anwendung. 

Es  ist  vielfach  bestritten  worden,  dass  der  gregorianische  Gesang  in  den 
ersten  Jahrhunderten  seiner  vorwiegend  einstimmigen  Entwickelung  sich  der 
Chromatik  ganz  enthalten  und  nur  streng  innerhalb  der  Töne  sich  gehalten 
habe,  welche  die  Tonleiter  gewährt,  und  doch  erscheint  diese  Thatsache  ganz 
unzweifelhaft  feststehend.  Für  die  rein  melodische  Entfaltung  ist  der  soge- 
nannte Leitton  durchaus  nicht  so  Bedürfniss  wie  für  die  harmonische  und  so 
war  es  für  den  ersten  Kirchenton  durchaus  nicht  nöthig,  c  in  eis  zu  ver- 
wandeln oder  für  den  dritten  d  in  tlis  und  für  den  siebenten /"  in  ^s  u.  s,  w. 
Um  beim  fünften  Kirchenton  den  Tritonus  (f—h)  zu  vermeiden,  ohne  Ji  in  h 
zu  verwandeln,  vermied  man  den  Ton  im  Aufsteigen  und  nahm  ihn  nur  im 
Absteigen.  Einige  Beispiele  von  ältesten  Singweisen  (aus  Schu biger,  »Die 
Sängerschule  von  St.  Grallen«)  mögen  als  Beweise  hier  stehen. 

1.     Hymnus  de  S.  Othmaro  (No.  44  der  Beispiele  bei  Schubiger). 

Notker  Physicus,  Monaehus  S.  Galli  (f  981). 


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fe  -  ri    -     mus  ca  -  neu 


tes       ac 


ci  -  pe      cle 


mens. 


2.    In  Conversione  S.  Pauli  Ap,  (bei  Sclmbiger,  No.  50). 

Auetore  incognito  saeculi  XI. 


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-x^ 


Di  -  xit   Do-mi-nus:    ex  Ba-san     convertam   convertam    in    pro    fuu-dum  ma-ris. 


1=4: 


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~gs.        ^~ 


-^ ^        g^- 


=t=i=ä= 


Quod  di   -   xit  et      fe  -  cit   Sau  -  lus     ut     stra  -  vit   Pau-lum    et     sta  -  tu  -  it. 


-^- 


=^=^1 


^i^EiäE:iE3E^EEä= 


^ gl       c:J 


-^ — ö" 


3=3==l= 


Per    ver  -  bum       su  -  um    in-  car  -  na  -  tum,  per  quod  fe  -  cit     et     sae-cu-la. 


f 


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-^ — e^- 


33^^^Ei 


-cS- 


Quod  dum  im-pug-nat    au  -  di    -    vit:  Sau-  le,    Sau-le,    quid  me  per-se  queris? 


3.    Seqneutia  brevis  de  b.  Maria  (No.  51). 


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^- 


Auetore  incognito. 


3S 


11=1: 


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-4^ 


O      de  -  cus     mun    -    di     Ma  -  ri  -  a,     ge  -  ni  -  trix  De  -  i,  Nos  re  -  os       ad 


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-es)     iJ   —^ — c^- 


3- 


•  Si- 


te   cla- man  -  tes  fac  clemens  ciinctis     nos    a      cri  -  mi-ni-bus   e    mun-da  -  ri. 


Tonart. 


221 


Ut    cum    tu 


ua-to    sem  -per       reg   -    ne-mus    iu    ex  -  cel  -  sis. 


4.    Sequentia  de  Epipliania  Domini  (No.  8). 


Notker  Balboli. 


^- 


::t 


=1=4==^=: 


-cs- 


-g^ 


-qm 


-TZä- 


Fe   -    sta 


Chri 


sti     0  -  mnis    chri-  sti  -  a  -    ni  -  tas      ce  -  le  -  bret. 


:i: 


^=q=:t: 


:=|=^=:ö^^ 


-c=i- 


:t 


-c:^ 


=1= 


Quae    mi-ris  sunt  mo-dis     or  -  na     ta     cun-ctis-que  ve-ner  au- da    po-pu-lis. 


Per         0  -  mni-to-nan-tis  ad    ven-tum    at  -  que    vo  -  ca  -  ti  -  o-nem  gen-ti-um. 


na  -  tus    est  Chri-stus,    et    stel  -  la    Ma  -  ^is    vi 


sa 


lu 


ci 


da. 


Wir  finden  hier  die  vier  authentischen  Tonarten  angewendet,  die  erste 
(No.  1),  dritte  (No.  2),  fünfte  (No.  3)  und  siebente  (No.  4)  und  zwar  ohne 
jede  Veränderung  irgend  einer  Stufe  durch  ein  Kreuz  oder  Be.  No.  3  erfasst 
den  Ton  h  erst  im  Absteigen  von  der  Quint  c  aus.  Da  wo  indess  die  Melodie 
auf  die  Quart  steigend  geführt  wird,  mag  wohl  immer  beim  dritten  Kirchen- 
ton Ä  in  5  verwandelt  worden  sein.  So  lansfe  dieser  Gresanof  einstimmisr  blieb, 
war  sonst  gewiss  wohl  kaum  ein  Bedürfniss  vorhanden,  Veränderungen  der 
ursprünglichen  Intervalle  vorzunehmen.  Das  wurde  wesentlich  geändert  seit 
der  allmäligen  Ausbildung  der  Mehrstimmigkeit.  Beispiel  3  zeigt  zugleich,  dass 
diese  Gesänge  nicht  immer  auch  mit  dem  eigentlichen  Finalton  schlössen. 
Ursprünglich  war  der  Umfang  der  Melodien  unzweifelhaft  auf  den  Umfang  der 
Octave  des  betreffenden  Kirchentons  beschränkt;  also  im  ersten  auf  D—d;  im 
zweiten  auf  A  —  D  —  a  u.  s.  w.  Später  wurde  dann  der  Umfang  erweitert,  wie 
Bischof  Theoger  US  von  Metz  bestätigt  (lebte  um  1100),  ein  Ton  nach 
unten  und  oben  hinzugefügt;  der  erste,  zweite,  dritte  und  achte  Ton  auch  um 
zwei  Töne  nach  oben  und  nach  unten  erweitert.  Dadurch  wurde  die  Organi- 
sation der  Tonart  nicht  gestört  oder  schwankend  gemacht,  aber  sie  war  weniger 
leicht  zu  erkennen.  Die  Tonlehrer  waren  daher  bemüht,  die  charakteristischen 
Merkmale  der  einzelnen  Tonarten  aufzusuchen,  und  als  solches  gilt  namentlich 
die  Bepercussion,  das  charakteristische  Intervall,  welches  in  jeder  Tonart  am 
meisten  Bedeutung  hat  und  deshalb  öfter  vorkommt;  es  sind  dies  im  ersten, 
dritten,  fünften  und  siebenten  Ton  die  Quint  der  Finaltöne,  im  zweiten 
und  sechsten  die  Terz  und  im  vierten  und  achten  die  Quarte.  Aus  der 
Braxis  der  Erweiterung  der  einzelnen  Scalen  ergaben  sich  weiterhin  die  soge- 
nannten Mischtöne  (toni  mixti)  und  Neutraltöne  (toni  neutrales),  die 
weder  völlig  den  Gang  eines  authentischen,  noch  völlig  den  eines  plaga- 
lischen  Tons  haben.  Der  Mischton  steigt  eine  Octave  oder  auch  noch 
höher  und  füllt  eine  Quarte,  so  dass  er  sich  also  das  Gebiet  des  authentischen 
und  des  plagalen  aneignet.  Der  Neutralton  dagegen  erhebt  sich  nicht  über 
die  Sext,  fällt  aber  auch  nicht  unter  die  Terz,  so  dass  man  ihn  weder  als 
echt  authentisch,  noch  echt  plagalisch  bezeichnen  kann.  Die  weitere  Praxis 
führte  dann  zu  der  Transposition  der  Scalen,  der  treuen  Nachbildung  der 
einen  auf  einem  andern  Grundton  und  dies  erschwerte  natürlich  die  Erkenntniss 
der  Tonart  immer  mehr,  so  dass  man  auf  neue  Hülfsmittel  zur  Feststellung 
derselben  bedacht  sein  musste.  Als  solches  galten  auch  die  sogenannten  Tropen 
(s.  d.),  einzelne  Melodieformeln,  die  treu  nach  den  ursprünglichen  Gesetzen  der 


222  Tonart. 

Kircheuiöue  gebildet,  beim  Psalmen-  und  Eesponsoriengesaugo  Anwendung 
fanden.  Ea  waren  ursprünglicb  Scblussclauseln  für  die  entsprechenden  Kirchen- 
töne, Als  sie  dann  wiederum  vermehrt  und  erweitert  wurden  (als  Differenzen, 
s,  d.  Art.  Tropen),  waren  sie  auch  kein  untrügliches  Mittel  mehr,  die  Tactart 
zu  erkennen.  So  lange  der  ursprüngliche  Umfang  des  betreffenden  Tons  nicht 
bedeutend  überschritten  wurde,  gaben  der  Final  ton  (oder  Schlusston),  der  ^ 
für  die  authentische  und  plagalische  Tonart  gleich  war,  und  der  Ambitus,  "«| 
der  Umfang,  die  sichersten  Kennzeichen  für  die  Tonart.  Die  authentische 
Tonart  steigt  alsdann  eben  eine  Octave  über  den  Grundton,  die  plagalische 
fällt  eine  Quart  unter  und  steigt  eine  Quint  über  denselben  und  der  Umfang, 
der  Ambitus,  wurde  darnach  Anfangs  ebenfalls  genau  bestimmt.  Als  dieser 
überschritten  wurde,  war  dann,  wie  oben  erwähnt,  die  E,epercussio  ein  sichereres 
Kennzeichen  für  den  Ton  und  ist  es  auch  geblieben  durch  die  weiteren  Um- 
wandlungen und  Erweiterungen  des   Systems  hindurch. 

In  der  Sängerschule  zu  St.  Gallen  bediente  man  sich  zur  Bezeichnung 
der  Tonart  besonderer  Buchstaben : 

a    bezeichnete    den        I.  Kirchenton    auiJientus  protm. 
e  -  -        II.  -  plagis  proü. 

i  -  -      III.  -  autlientus  deuterus. 

o  -  -       IV.  -  pla(jis  deutri. 

V  -  -        Y,  '  authentus  tritus. 

II  -  -       VI.  -  plagis  triti. 

y  -  -    VII.  -  authentus  tetrardus. 

oj  -  -  VIII.  -  plagis  tetrardi. 

Zuerst  wandte  man  diese  Buchstaben  bei  den  Antiphonen  der  Vesper 
und  den  canonischen  Stunden  an,  erst  später  auch  bei  den  Hymnen  und  Se- 
quenzen. Es  ist  nicht  mehr  festzustellen,  ob  diese  Weise  die  Bezeichnung  erst 
von  Roman  und  seiner  Schule  eingeführt  wurde,  oder  ob  sie  schon  vorher  in 
Gebrauch  war.  Nach  Schubiger  (»Die  Sängerschule  St.  Gallen«,  pag.  19) 
war  sie  im  10.  und  11.  Jahrhundert  in  St.  Gallen  und  der  ganzen  Umgegend 
in  Anwendung.  Die  ältesten  Vesper-Antiphonarien  der  St.  Gallener  Stifts- 
bibliothek tragen  diese  Bezeichnung.  Um  diese  Zeit  hatte  man  auch  bereits  an 
Stelle  der  ursprünglichen  Bezeichnung  der  Kirchentöne  als  ersten,  zweiten, 
dritten  Ton  u.  s.  w.  die  griechischen  Namen  angenommen.  Der  Benediktiner- 
mönch Hucbald,  der  im  Jahre  930  in  hohem  Alter  starb,  berichtet  darüber 
(Gerbert,  nScriptores«  I,  pag.  127).  Hucbald  war  mit  der  antiken  Literatur 
durchaus  vertraut  und  ein  schwärmerischer  Verehrer  des  Boethius  und  so  ent- 
wickelte er  auch  die  Eigenheit  der  Kirchentöne  aus  dem  griechischen  Tonsystem 
und  es  ist  erklärlich,  dass  schliesslich  auch  die  griechischen  Namen  für  die 
Tonleitern  und  deren  Tonarten  adoptirt  wui-den.  Dabei  aber  geschah  es,  doch 
wohl  weil  das  tiefere  Verständniss  für  die  ursprünglichen  griechischen  Systeme 
verloren  gegangen  war,  dass  die  Tonarten  verwechselt,  in  eine  andere  Ordnung 
gebracht  wurden:  die  ursprüngliche  hypophrygische  Tonart  wurde  jetzt  zur 
mixolydischen  und  umgekehrt  die  mixolydische  zur  hypophrygischen,  die  dorische 
zur  phrygischen  und  umgekehrt,  nur  die  äolische  blieb  unverrückt,  wie  aus 
folgender  Zusammenstellung  zu  ersehen  ist: 

Kirchenton.  Griechisch. 

(Zweiter)  Aeolisch   .     .     .     AHcdeft/a      Aeolisch. 
(Vierter)  Hypophrygisch     H  c    d  e  f  (j  a  h      Mixolydisch. 
(Sechster)   Jonisch    .     .     .      cdefcjahc      Lydisch. 
(Erster)  Dorisch  .     .     .     .      defgaJicd      Phrygisch. 
(Dritter)  Phrygisch      .     .      e    f  g  a  h  c   d  e      Dorisch. 
(Fünfter)  Lydisch     .     .     .      fgahcdef      Jonisch. 
(Sechster)   Mixolydisch     .      g    a   h  c  d   e  f  g      Hypophrygisch. 


Tonart. 


223 


Diese  Beücnnuug  hat  sich  bis  auf  den  heutigen  Tag  im  Kirchengesange 
erhalten.  Anfangs  behielten  die  Tonlehrer  wohl  auch  noch  die  frühere  Be- 
zeichnung als  erster,  zweiter  Ton  u.  s.  w.  bei,  aber  schon  die  Theoretiker 
des  13.  Jahrhunderts,  wie  Abt  Wilhelm  von  Hirschau  oder  Abt  Engelbert 
von  Admont  lehren  die  Kirchentonarten  als  identisch  mit  den  griechischen 
Tonarten.  Die  ältere  Bezeichnung  erhielt  sich  auch  noch  in  der  Praxis,  allein 
sie  war  doch  mit  der  allmäligen  Erweiterung  des  Tonsystems  unbestimmter 
geworden,  weil  die  Theoretiker  von  verschiedenen  Punkten  aus  zu  zählen  be- 
gannen.  Während  in  der  älteren  Bezeichnung  D  (dorisch)  als  erster  Ton  galt 
und  A  (äolisch)  als  zweiter,  zählen  Hucbald  und  Gruido  von  Arezzo  von  A 
als  erstem,  als  tonus  primus.  Später  wurde  wieder  D  dorisch  zum  ersten  Ton, 
Zarlino  (ein  bedeutender  Theoretiker  des  16.  Jahrhunderts)  nahm  C  (jonisch) 
als  authentische  Octave  zum  ersten  Ton,  wodurch  G  (mixolydisch)  zum  plagalen 
zweiten  Ton  wurde  u.  s.  w.  Dem  gegenüber  wurde  jene  erwähnte  griechische 
zur  festbestimmten  unzweifelhaften  Bezeichnung. 

Allmälig  brach  sich  weiterhin  die  Anschauung  Bahn,  dass  nicht  nur  jeder 
der  vier  Töne  der  Scala  d—e—f—g  Grundton  eines  authentischen  Kirchentons 
sein  könne,  sondern  dass  man  ebenso  auch  die  andern  drei  Töne:  a  —  h  und  c 
als  Grundtöne  authentischer  Tonarten  betrachten  müsse,  so  dass  die  Zahl  der 
authentischen  Kirchentöne  auf  sieben  anwuchs  und  da  jede  dann  auch  eine 
plagalische  Führung  zulässt,  so  ergiebt  das  vierzehn  selbständige  Kirchentöne. 
Allein  die  Tonreihe  von  F—f  musste  doch  hierbei  ausgeschieden  werden,  sie 
konnte  nicht  arithmetisch  getheilt  werden,  indem  sie  den  verpönten  Triton 
F—h  ergab,  die  Theilung  der  plagalischen  Tonleiter  R—h  aber  ergab  das 
ebenso  verpönte  Intervall  R—f.  Beide  Modi  —  die  als  Hyperphrygisch 
und  Hy  per  äolisch  einzufügen  wären,  blieben  ausgeschlossen;  mithin  ergab 
das  neue  System  12  Tonarten.  Glareau  in  seinem:  y>Dodecacliordon<i.  (Basel, 
1547)  hat  namentlich  ausführlich  die  Theorie  dieser  zwölf  Tonarten  entwickelt. 
Sie  stellen  sich  in  folgender  Weise  dar: 


Authentische  Tonarten. 
Erster  Ton.     Dorisch. 


Plagalische  Tonarten. 

Zweiter  Ton.     Hypodorisch. 

— ^- 


nü »- 


Dritter  Ton.     Phrygisch, 
.-.     ■•-    -•- 


Vierter  Ton.     Hypophrygisch. 


-■OS — •- 


m 


-es; 


i 


Fünfter  Ton.     Lydisch. 


Sechster  Ton.     Hypolydisch. 


rpi^ 


Siebenter  Ton.    Mixolydisch. 


Achter  Ton.     Hypomixolvdisch. 


"^ 


-* — •- 


-     —     -jr     ■•-      — 

Neunter  Ton.     Aeolisch. 


Zehnter  Ton.     Hypoäolisch. 


^^ 


a — »- 


Elfter  Ton.     Jonisch. 


-a — #- 


f 


Zwölfter  Ton.     Hypojonisch. 


-m — •- 


224  Tonart. 

Wie  schon  erwähnt  wurde,  blieben  bei  der  melodischen  Verwendung  dieser 
Tonarten  die  chromatischen  Veränderungen  des  Tones,  sowohl  t>  als  ö,  aus- 
geschlossen bis  auf  einige  vereinzelte  Fälle.  Schon  bei  der  dorischen  Tonart 
(dem  ersten  Kirchenton)  machte,  wie  wir  früher  zeigten,  der  arg  verpönte 
Tritonus  (f—h),  das  Mi  contra /«,  eine  vorsichtige  Führung  der  Melodie  noth- 
wendig,  oder  aber  die  Veränderung  des  li  in  h.  Dies  ist  natürlich  erst  x'echt 
beim  fünften  Ton,  der  lydischen  Tonart,  der  Fall,  und  Guido  schon  giebt 
im  achten  Kapitel  des  Microlog  als  Grund  der  Einführung  des  h  rotundum 
an  Stelle  des  h  quadratum  Ij,  des  Ji,  die  Umwandlung  der  grossen  Quarte  y — h 
in  f—i  an.  Daher  behandeln  die  Theoretiker  auch  das  h  und  t]  als  einen 
Ton,  jenes  als  Nona  prima  und  dies  als  Nona  secunda.  Dai'nach  wurde  auch 
die  Einführung  des  einen  oder  des  andern  bestimmt.  Nur  wenn  es  direct  oder 
indirect  die  Vermeidung  des  Tritons  galt,  wurde  h  in  h  erniedrigt.  Später 
gewann  das  b  aber  noch  eine  andere  Bedeutung  für  die  Bildung  der  Tonleiter. 
Wenn  bei  der  lydischen  Tonart  zur  Vermeidung  des  Tritons  h  in  h  verwandelt 
wurde,  dann  war  dadurch  die  Tonart  selbst  verändert,  sie  hatte  genau  die 
Verhältnisse  der  jonischen  gewonnen,  nur  um  eine  Quart  höher  intonirt 
als  diese: 


Lydisch.    |  -/^  »-(^)»- 


Jonisch, 


_^s_ 


Dies  Verfahren  führte  dann  auf  die  Versetzung  der  Tonarten  durch  Ein- 
führung der  Be  und  Kreuze.  In  der  Gesangspraxis  wurde  diese  natürlich 
schon  längst  ausgeübt.  Namentlich  wurden  die  mehrstimmigen  Gesänge  meist 
ohne  Begleitung  gesungen,  einen  Normalton  hatte  man  noch  nicht  und  so  war 
dem  Dirigenten  oder  den  Sängern  die  Wahl  des  »Tons«,  in  dem  ein  solcher 
a  capella-Gesang  ausgeführt  wurde,  überlassen.  Jene  oben  angegebene  Trans- 
position gewinnt  allerdings  noch  ganz  andere  Bedeutung,  indem  sie  innerhalb 
der  bestimmten  Grenzen  einer  feststehenden  Tonart  durch  Veränderung  des 
einen  Intervalls  eine  neue  Tonart  mit  andern  Verhältnissen  erzeugt.  Schon 
die  altern  Theoretiker  hatten  als  das  Wesentliche  der  alten  Tonart  den  Sitz 
des  Halbtons  erkannt;  dass  dieser  aber  durch  Gebrauch  der  Versetzungszeichen 
sich  leicht  reguliren  lasse  und  daher  die  Tonarten  auch  von  jedem  andern  als 
dem  ursprünglich  gegebenen  aus  construirt  werden  können.  Namentlich  hatte 
Tinctoris  in  seinem  ytLiber  de  natura  cognitione  tonarumti  diese  Anschauung 
geltend  gemacht,  deren  Weiterverfolgung  schon  früher,  als  es  in  der  That 
geschah,  auf  unser  modernes  Tonsystem  führen  musste.  Allein  die  Theorie 
hielt  noch  zu  streng  an  der  ursprünglichen  diatonischen  Tonleiter  fest.  Dieser 
war  nur  der  Ton  »?;«  als  fast  gleichbedeutend  mit  h  eingefügt  und  so  ent- 
wickelte man  auch  dies  Systema  transpositum  zunächst  nur  mit  diesem. 
Es  entstand  neben  dem  Systema  reguläre  oder  durum  —  hartes  System  — 
nach  welchem  die  Kirchentöne  in  ihrer  ursprünglichen  Lage  mit  dem  ij  h  notirt 
wurden,  das  Systema  transpositum  oder  molle,  bei  welchem  tj  in  b  ver- 
wandelt wurde,  was  die  Versetzung  der  Tonart  nach  der  Oberquint  (oder  Unter- 
quart)  zur  Folge  hatte,  wie  oben  schon  gezeigt  und  wie  die  nachfolgenden 
Transpositioneu  gleichfalls  beweisen: 

Dorisch.  Aeolisch  (versetzt). 


I 


r. 


-=i=ar 


Mixolydisch.  Dorisch  (versetzt). 


f 


Tonart.  225 

Die  weitei'e  Verfolgung  dieses  Prozesses  der  Entwickelung  der  Tonarten 
fühlte  zu  neuen  Versetzungen  durch  Einführung  eines  zweiten  und  selbst 
dritten  h,  die  denn  auch  iu  der  Vorzeichnung  angegeben  wurden.  Auf  diesem 
AVege  musste  schliesslich  unser  modernes  Tonsystem  gewonnen  werden. 
Hierzu  wirkte  allerdings  auch  die  harmonische  Ausgestaltung  des  ganzen 
Systems  mit,  die  seit  dem  elften  Jahrhundert  planmässig  angestrebt  wurde. 
Bezeichnend  für  den  Gang  dieser  Entwickelung  ist,  dass  im  16.  Jahrhundert 
bereits  anstatt  der  dorischen  die  jonische  zum  ersten  Ton  geworden  ist.  Seth. 
Calvisius,  unstreitig  die  erste  Autorität  auf  diesem  Gebiet  in  jener  Zeit,  sagt 
ausdrücklich,  dass  ausser  vielen  andern  Gründen  es  die  untrügliche  harmonische 
Mitte  beweist,  dass  die  Gattung  von  ut  zu  ut,  d.  h.  im  regulären  System  von 
c  zu  Cj  und  im  transponirten  von  f  zu  f^  die  erste  ist.  Darnach  wird  dann 
die  dorische  zur  zweiten,  die  phiygische  zur  dritten  u.  s.  w. 

Mit  der  Harmonisirung  des  Systems  beginnt  eigentlich  im  Grunde 
dann  schon  die  Auflösung  desselben.  Es  ist  so  ureigenthümlich  bestimmt 
melodisch  entwickelt  und  die  kleine  Terz  ist  in  ihm  so  bedeutsam  vor- 
herrschend, dass  es  unter  dem  Einfluss  der  Harmonie,  durch  welche  die  grosse 
Terz  herrschend  wurde,  nothwendig  absterben  und  dem  modernen  System  Platz 
machen  musste.  Es  tritt  dieser  Auflösungsprozess  noch  weniger  hervor,  so  lange 
diese  Harmonisirung  auf  melodischem  Wege,  durch  die  Nachahmung  der 
Melodie  im  Canon  sich  vollzog  und  in  der  freiem  Weise  des  Discantisirens. 
In  beiden  Fällen  folgte  die  Melodie  ihrem  eigensten  Zuge  und  wahrte,  alle 
harmonischen  Härten  unbeachtend,  die  ursprüngliche  Tonart  in  möglichster 
Reinheit.  Als  aber  die  Accorde  als  solche  immer  mehr  Werth  und  Beachtung 
gewannen  und  in  den  Vordergrund  traten,  als  man  die  accordische  Fort- 
schreitung mehr  beobachtete  und  durch  sie  ganz  besondere  Wirkungen  zu 
erzielen  suchte,  da  wurde  die  Abweichung  von  der  Diatonik  der  ursprünglichen 
Tonart  zur  Nothwendigkeit.  Die  Harmonik  drängte  zunächst  dazu,  das  Sub- 
semitonium  —  den  vorletzten  Ton  der  Tonleiter  —  in  der  mixolydischen, 
dorischen  und  äolischen  Tonart,  also  f  va.  fis,  c  in  eis  und  g  in  gis  zu 
erhöhen,  und  es  erschien  dies  unbedenklich,  als  es  sich  hier  um  Töne  handelte, 
die  für  die  Quarten-  und  Octavengattung,  also  für  die  Tonart  nicht  kenn- 
zeichnend ist.  In  der  jonischen  und  der  lydischen  Tonart  liegt  das  Sub- 
semitonium  in  der  Tonleiter,  dagegen  war  es  für  die  phrygische  Tonart  nicht 
zulässig  und  so  bildete  sich  bei  dieser  der  eigenthümliche  Schluss: 


i 


If 


Daneben  sind  übrigens  auch  Fälle  genug  zu  verzeichnen,  in  denen  die  Schluss. 
clausein  von  den  Meistern  so  eingerichtet  waren,  dass  sie  ohne  Erhöhung  des 
Subsemitoniums  erfolgen  konnten.  Bei  den  Cadenzen  wurden  übrigens  diese 
Erhöhungen  fast  niemals  vorgezeichnet,  weil  man  sie  als  selbstverständlich 
voraussetzte  und  bei  den  Sängern  so  viel  Verständniss  annehmen  durfte,  sie 
zu  ergänzen.  Freilich  sind  dadurch  manche  Stellen  zweifelhaft  geworden,  da, 
wie  erwähnt,  in  einzelnen  Fällen  recht  wohl  die  Diatonik  der  alten  Tonart 
gewahrt  bleiben  kann.  Es  ist  dies  noch  bedenklicher,  wenn,  wie  gleichfalls  nur 
zu  häufig  auch  im  Verlauf  eines  Satzes  die  nothwendigen  Versetzungszeichen 
fehlen.  Im  Allgemeinen  verfuhr  man  allerdings  nach  Eegeln,  welche  der  Praxis 
jener  Zeit  geläufig  waren  und  daher  von  den  Sängern  leicht  ergänzt  werden 
konnten;  doch  mehren  sich  auch  aus  der  Zeit  der  Blüthe  dieses  a  capella- 
Gesanges  die  Klagen  über  die  Nachlässigkeit  der  Componisten  in  Bezug  auf 
die  genaue  Einfügung  der  beiden  Signa  chromatica. 

Die    Schule    der    Niederländer    und    der  Eömer    sah  und  fand  in  der  har- 

Musikal.  Convers.-Lexikon.    X.  15 


226  Tonart. 

monischcn  Ausgestaltung  dieses  Systems  der  Kirchentöne  ihre  Hauptaufgabe. 
Die  Venetianer  führten  mit  grosser  Energie  die  Chromatik  ein  und  so  vollzog 
sich  der  Zersetzungsprozess  des  alten  Systems  vollständig  und  es  trieb  jenes 
neue  heraus,  das  zunächst  im  Volksliede  herrschend  geworden  war  und  bald 
der  ganzen  Musikpraxis  zu  Grunde  gelegt  wurde. 

Im  Artikel  System  ist  bereits  darauf  hingewiesen,  dass  in  der  Volks- 
melodie  das  Bestreben  lebendig  wirksam  sich  schaffend  erweist,  das  strophische 
Yersgefüge  musikalisch  darzustellen ;  ein  ähnliches  Streben  wird  dann  auch  in 
der  Tanzmusik  geltend.  Dort  ist  auch  angedeutet  worden,  dass  von  den  sämmt- 
lichen  Kirchentonarten  nur  die  jonische  und  zum  Theil  die  äolische  den 
Bedingungen  für  die  Formgestaltung  entsprechen.  Die  jonische  Tonleiter  besteht 
aus  zwei  ganz  gleichen  Hälften;  und  diese  Gliederung  wird  durch  den  Sitz  des 
Halbtons  herbeigeführt.  Eine  solche  Gliederung  bietet  keine  der  andern  Kirchen- 
tonarteu;  die  dorische 


d—e—f;   g  —  a  —  h  —  c;    d 
ebenso  wie  die  phrygische 


e—f;   g  —  a  —  Ti  —  c;    d — e 

und  jede  andere  sind  ganz  ungleich  getheilt;  diese  Gliederung  aber  wird  haupt- 
sächlich bestimmend  für  die  Melodiebildung.  Die  chromatische  Tonleiter 
verwischt  dies  Grundprinzip  der  Musikgestaltung,  das  in  der  jonischen  Ton- 
leiter liegt;  denn  das  eigentlich  Abschliessende  der  Gestaltung  ist  in  jener 
jonischen  Leiter  der  Halb  ton;  indem  ihn  die  chromatische  Tonleiter  zwischen 
jede  Ganzstufe  verlegt,  wird  sie  selbst  in  lauter  kleinere  Glieder  zerlegt,  die 
sich  aber  nicht  gegenwirkend  verhalten ;  die  Gipfelpunkte  jener  jonischen  Ton- 
leiter, welche  durch  die  Halbstufe  bezeichnet  werden,  sind  verwischt,  weil  sie 
nach  jedem  Ton  der  Tonleiter  verlegt  sind.  Obwohl  daher  die  moderne  Musik- 
praxis die  sämratlichen  Töne  der  chromatischen  Tonleiter  verwendet,  so  fegt 
sie  doch  nur  die  diatonische  dem  künstlerischen  Schaffen  zu  Grunde.  Bei 
der  altern  Praxis  aber,  wie  sie  sich  im  alten  Kirchengesange  darstellt,  wurde 
die  diatonische  Tonreihe  für  das  künstlerische  Schaffen  maassgebend;  diese 
wiederholte  sie  treu  von  den  verschiedenen  Stufen  aus,  und  sie  vermochte  daher 
die  ebenmässige  Gliederung  des  Kunstwerks  nur  wenig  zu  fördern.  Sie  richtete 
ihr  Augenmei-k  namentlich  auf  die  Entwickelung  der  Harmonik  und  die 
verschiedenen  Formen  des  Contrapunkts. 

Die  moderne  Musikpraxis  machte  dagegen  in  dem  Bestreben,  zu  bilden 
und  zu  formen,  die  diatonische  Tonleiter  nicht  nur  nach  ihrer  Tonreihe, 
sondern  nach  dem,  in  ihr  waltenden  Prinzip  zur  Grundlage  ihres  Schaffens. 
Sie  machte  die  jonische  Tonleiter  zur  Normaltonleiter,  die  sie  von  den  andern 
Stufen  aus  treu  nachbildet.  Sie  construirte  von  d  aus  nicht  mehr  die  dorische 
Tonleiter,  sondern  stellte  von  diesem  Grundton  aus  alle  Verhältnisse  der  joni- 
schen her;  sie  erbaute  auf  e  nicht  mehr  die  phrygische,  sondern  ebenfalls 
eine  Tonleiter  mit  den  genau  nachgeahmten'Intervallenverhältnissen  jener  Normal- 
tonleitern. So  wird  das  System  der  modernen  Tonarten  die  Grundlage  der 
Schöjjfungen  seit  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts. 

Die  Entwickelung  des  Tonartensystems  erfolgt  nun  in  ähnlicher  Weise  wie 
bei  der  frühesten  Erweiterung  des  Systems  der  Kirchentöne.  Um  die  plagalische 
Tonart  zu  gewinnen,  wu.rde  dem  ei'sten  Tetrachord  des  authentischen  der  zweite 
vorausgestellt,  beide  Tetrachorde  aber  sind  ungleich.  Beim  modernen  Tonsystem 
wird  dem  obern  Tetrachord  ein  neues  ganz  gleichgebildetes  angehängt  oder 
aber  vorgesetzt,  und  so  breitet  sich  das  System  zugleich  nach  zwei  Seiten  aus, 
nach  der  Unter-  vind  nach  der  Oberdominantseite: 


Tonart. 


907 


Des. 


Es. 


F. 


G. 


Ges. 


As. 


B. 


C-dur. 


A. 


H. 


Cis. 


i^^^^^^^^^m 


D.  E. 

Die  Normaltonleiter    C-dur    steht    hier 
zweite    Tetrachord   g  —  a  —  h  —  c    als    erstes 


Eis. 
in    der  Mitte. 


Betrachtet  man  das 


der    neuen,    so  muss  man,   um  eine 


neue,  der  Normaltonleiter  ganz  gleich  gebildete  Tonleiter  zu  gewinnen,  ein 
zweites  zufügen,  und  um  dies  dem  ersten  ganz  gleich  zu  bilden,  muss  f  in  fis 
verwandelt  werden;  man  erhält  die  G-c^^r-Tonleiter  mit  einem  jj  in  der  Yor- 
zeichnung.  Dies  letztgewonnene  Tetrachord  wiederum  als  erstes  gesetzt,  dem 
ein  zweites  gleichconstruirtes  angefügt  ward,  ergiebt  wiederum  eine  neue  Ton- 
leiter und  Tonart,  die  i)-c?M?'-Tonart  mit  zwei  Kreuzen,  fis  und  eis,  und  so 
erweitert  sich  das  System  nach  der  Dominantseite  im  Quintenzirkel  und 
wir  gewinnen  die  sämmtlichen  Kreuztonarten.  Bei  dem  andern  Verfahren  setzen 
wir  das  erste  Tetrachord  der  C-f^wr-Tonleiter  als  zweites,  dem  dann  ein  gleich 
construirtes  vorausgehen  muss.  Dabei  müssen  wir  h  in  h  verwandeln  und 
wir  erhalten  die  J'^-c^wr-Tonleiter  mit  einem  b;  dies  erste  neugewonnene  als 
zweites  gedacht,  veranlasst  wieder  die  Construktion  eines  ersten,  bei  dem  dann 
e  in  es  verwandelt  werden  muss:  dies  ergiebt  die  S-dur-Tonaxi  mit  zwei  h: 
b  und  es,  und  so  erweitert  sich  das  System  nach  der  Tinte rdominantseite 
durch  die  5-Tonarten.  Die  Zusammenstellung  der  Vorzeichnungen,  um  0-dur 
gruppirt,  mag  diesen  Prozess  noch  übersichtlich  darstellen: 


^rT^t^k^rr: 


m^-^£^ 


m 


i: 


^ 


hA 


^ö; 


m 


m^^fis^^%^ 


Gas-        Des-      As-      Es-     B-   F-  Cdur.  G-  D-      A-       E-        H-        Eis-        Cisdur. 

Dieser  Prozess  könnte  noch  weiter  fortgesetzt  werden  und  mit  zwölf  Kreuzen 
würden  wir  auf  Sis  und  mit  12  b  auf  Deses  kommen,  welche  beide  mit  G 
enharmonisch  eins  sind,  allein  nach  unserm  temperirten  System  ist  der  Kreis 
schon  mit  Fis  und  Cis  und  Ges  und  Des  geschlossen,  die  ebenfalls  enharmonisch 
eins  sind.     Die    beiden  Seiten    fügen  sich  demnach  in  dieser  Weise  zusammen: 


w 


5fi- 


fefcrt-Ä»i«y^ 


m 


i 


C       G     D 


E 


siüiitt^i 


Ges       Des 


As      Es      B      F      C 


Besondere  Schwierigkeiten  machte  die  Construktion  der  Moll -Tonleiter. 
Der  Leitton  ist  für  die  moderne  Anschauungsweise  wesentlich  und  so  musste 
denn  auch  bei  der  Aufnahme  der  äolischen  Tonleiter  als  Normaltonleiter  für 
das  Mollgeschlecht  g  in  gis  verwandelt  werden,  darnach  hiess  die  Tonleiter: 

a  —  h  —  c  —  d—e  —f—gis  —  a. 

Damit  aber  ist  durch  die  übermässige  Secunde  f—gis  der  diatonische  Charakter 
der  Tonleiter  aufgehoben;  um  diesen  wieder  herzustellen,   muss  auch  die  Sext 
f  in  fis  verwandelt  werden;  die  Tonleiter  heisst  demnach: 

a-  li—c—d-G  —fis  —gis  —  a. 

15* 


228 


Tonart. 


Damit  aber  ist  die  Molltonleiter  der  gleichnamigen  Durtonleiter  viel  näher 
gerückt,  als  der  verwandten  (7-^/«r- Tonleiter;  um  die  Verwandtschaft  mit  dieser 
wieder  herzustellen,  wird  die^-wioZZ-Tonleiter  dann  abermals  ganz  äolisch  geführt: 

a—g—f — e  —  d — c  —  h  —  a. 

Jene  mit  dem  übermässigen  Sekundenschritt  heisst  die  harmonische,  weil  sie 
harmonisch  gerechtfertigt  ei'scheint.  Denn  wie  auf  seiner  Tonika  (a)  hat  die 
Molltono,rt  auch  auf  der  Unterdominant  (d)  einen  kleinen  Dreiklang  (d—f—a), 
aber  auf  der  Dominant  einen  grossen  (e—gis  —  li),  so  dass  also  durch  diese 
beiden  Accorde  der  übermässige  Sekundenschritt  (f—gis)  harmonisch  gerecht- 
fertigt ist:  dem  gegenüber  ist  die  andere  Führung  (fis—gis)  die  melodische. 
Die  Molltonart  erscheint  durchaus  so  abhängig  von  der  Durtonart,  dass  sie 
einen  solchen  Formationsprozess  wie  den,  den  wir  oben  verfolgten,  nicht  zu 
erzeugen  vermag;  sie  folgt  nur  als  Paralleltonart  den  Durtonarten.  Der 
^-moZZ-Tonart  folgt  im  Quintenzirkel  die  E-moll-Ton^ri  als  Paralleltonart  der 
G-dur-Ton^vi,  dann  die  ZT-j/joZZ- Tonart  als  Parallele  der  D-o'wr-Tonart  u.  s.  w. 
Im  Quartenzirkel  folgt  der  ^-woZZ-Tonart  die  D-7noll-T onsxvi  als  Parallele 
der  i^'-^wr-Tonart,  dann  G-7noll-T onn.vi  als  Parallele  der  B-dur-Tonvivi  u.  s.  w. 
Die  Bedeutung  der  modernen  Tonart  für  das  Kunstwerk  ist  oben  schon 
angedeutet,  sie  ermöglicht  erst  die  einheitliche  künstlerische  Form.  Sie  bestimmt 
zunächst  den  Harraonisationsprozess.  Die  Tonart  wird  schon  durch  die  beiden 
Hauptangelpunkte  Tonika  und  Dominant  harmonisch  dargestellt: 


m 


=1= 


=t 


-t=x 


-CS- 


Der  harmonische  Apparat  wird  dann  erweitert  durch  die  Unterdominant: 


P 


-#-iSiv" 


und  dann  durch  die  Paralleltonarten  noch  reicher  ausgestattet: 


A    -Ä 


:^ 


"Wir  haben  bei  den  verschiedenen  Formen  nachgewiesen,  wie  selbst  die 
weitesten  und  grössten:  Sinfonie,  Oper  und  Oratorium  an  diesem  ursprüng- 
lichen harmonischen  Apparat  festhalten,  wie  dann  aber  aus  dem  reichen  Schatz 
von  Mitteln,  welche  der  ganze  weite  Formationsprozess  darbietet,  alles  aus- 
gewählt werden  kann,  um  diesen  einfachen  Apparat  immer  wieder  neu  auszu- 
statten und  in  fortwährend  erneuter  Gestalt  zu  zeigen.  Wir  konnten  an  ver- 
schiedenen Stellen  zeigen,  mit  wie  einfachen  harmonischen  Mitteln  hier  schon 
bedeutende  Wirkung  erzielt  werden  kann  und  wie  dann  die  weitern  rhythmischen 
und  harmonischen  Ausdrucks-  und  Darstellungsmittel  nicht  zu  erschöpfen  sind, 
um  dem  einfachen  harmonischen  Apparat  auch  individuelle  Bedeutung  zu  geben. 
"Wir  zeigten  namentlich  an  der  Ouvertüren-  und  Sonaten  form,  wie  diese 
durchaus  durch  die  Organisation  der  Tonart  bedingt  werden,  und  wie  sie  nur 
dadurch,  dass  sie  sich  diesem  dienstbar  machen,  einen  lebendigen  Inhalt  dar- 
zustellen vermögen.  Die  Tonart  wird  so  zu  einer  noth wendigen  künstlerischen 
Schranke,  aber  nicht  zur  hemmenden  Fessel.  Die  grossen  Meister  haben  an 
dem  ganzen  Apparat  streng  festgehalten,  aber  sie  haben  ihn  jeder  in  eigen- 
thümlicher  "Weise    anzuschauen    und   zu  verwenden  gewusst.     Nur  dem  kleinen 


Tonart. 


229 


Geiste  wird  er  zum  beengenden  Zwange,  den  dieser  abzuwerfen  sich  gedrängt  fühlt. 
Ein  viel  bestrittener  und  viel  vertheidigter  Gegenstand  ist  noch  zu  erwähnen, 
die  sogenannte: 

Charakteristik  der  Tonarten.  Schon  die  alten  Theoretiker  legten  den 
Kirchen  ton  arten  gewisse  Charaktereigenthüralichkeiten  bei  und  da  sie  von 
einander  unterschieden  construirt  sind,  so  müssen  sie  natürlich  eine  unter- 
schiedene Wirkung  machen,  wenn  diese  auch  nicht  gerade  leicht  in  Worte  zu 
fassen  sein  dürften,  Adam  von  Fulda  hat  versucht,  den  Charakter  der  acht 
Kirchentöne   in  folgenden  Vers  zu  bringen: 

Omnibus  est  Primus,  sed  alter,  tristibus  aptus: 
Tertius  iratus,  quartus  dicitur  fieri  blandus. 
Quintum  da  laetis,  sextum  pietate  probatis, 
Septimus  est  juvenum,  sed  postremus  sapientium. 

Weitläufig  hat  unter  Andern  auch  Cardinal  Bona  f»Z)e  cantu  Eccl.  div.  psalm 
CXVII«)  den  Charakter  der  acht  Kirchentöne  behandelt.  Obwohl  durch  die 
Praxis  hinlänglich  bewiesen,  ist  doch  die  Charakteristik  der  modernen  Ton- 
arten häufig  geradezu  abgeleugnet  worden.  Seit  Einführung  der  gleichschwe- 
benden Temperatur  und  des  modernen  Tonsystems  meint  man,  seien  alle  Unter- 
schiede der  einzelnen  Tonarten,  bis  etwa  auf  die,  welche  durch  die  ausführenden 
Organe  erzeugt  werden,  verwischt.  Dass  die  letztern  nicht  so  gering  sind,  ergiebt 
die  einfachste  Untersuchung.  Die  nachstehend  verzeichneten,  ganz  gleichmässig 
construirten  und  unter  a-)  und  b)  auch  gleichmässig  an  die  Singstimmen  ver- 
theilten  Accorde  machen  nicht  nur,  in  Beziehung  zu  einander  gebracht,  sondern 
auch  für  sich  betrachtet,  eine  verschiedene  Wirkung: 


Tenor 
Bass 

Es  bedarf  keines  weitern  Nachweises,  dass  durch  die  eigenthümliche  Lage 
der  Männerstimmen  bei  a)  die  gleichmässig  construirten  Accorde  in  der  Wir- 
kung unterschieden  sein  müssen,  dass  wiederum  die  in  weiter  Lage  dargestellten 
unter  b)  ein  von  jener  und  imter  sich  verschiedenes  Klanggepräge  gewinnen. 
Dieser  mehr  relative  Charakter  der  Tonarten  wird  auch  von  den  Gegnern  nicht 
abgeleugnet,  wohl  aber  der  absolute  und  wie  wir  meinen  mit  Unrecht.  Es  ist 
gewiss  nicht  nur  Rücksicht  auf  die  ausführenden  Organe,  welche  die  F-dur- 
Tonart  bei  den  Contrapunktisten  des  16.  Jahrhunderts  zur  vorwiegend  ge- 
pflegten Lieblingstonart  machte,  oder  welche  Beethoven  bestimmte,  die  Eroica 
in  Es-dur,  die  Pastorale  in  F-dur  zu  schreiben  und  die  ihm  für  seine  neunte 
Sinfonie,  oder  die  Mozart  für  sein  Requiem  und  für  die  erschütterndste  Scene 
im  »Don  Juan«  die  D-moU-Tonart  wählen  Hessen.  Vor  allem  aber  liefert  die 
moderne  Ciavierliteratur  den  schlagendsten  Beweis  dafür,  dass  in  den  Ton- 
dichtern ein  Gefühl  für  die  feinste  Charakteristik  der  Tonarten  lebt.  Aus  den 
Werken  der  sogenannten  Romantiker  scheinen  die  einfachen,  näher  auf  die 
Normaltonleiter  bezogenen  Tonarten  G-,  F-  und  D-dur,  F-,  D-  und  A-moll  und 
die  Normaltonleiter  selbst  fast  ziemlich  verdrängt;  mindestens  finden  wir  jene 
entfernteren,  auf  die  Halbtöne  Cis  und  Des,  Fs,  Fis  und  Ges,  Äs  und  B  ge- 
gründeten Tonarten  viel  häufiger  und  zwar  bei  dem  Claviere,  dem  wohltem- 
perirten  Instrument,  angewendet.  Wie  schwer  der  wissenschaftliche  Nachweis 
für  diese  Erscheinung  zu  führen  ist,  wird  hinlänglich  dadurch  bewiesen,  dass 
selbst  die  Physiologie  und  Akustik,  welche  die  Tonempfindung  zum  Gegenstande 
wissenschaftlicher  Untersuchung  machen,  jene  Frage  bisher  noch  als  eine  offene 
behandeln.  Doch  mögen  hier  einige  Andeutiingen  zur  möglichen  Beantwortung 
derselben  folgen,  um  zu  zeigen,  dass  sie  nicht  von  der  Hand  zu  weisen  ist, 
dass  aber  auch  jene  Deuteleien  von:  IMattheson,  Schubert,  Marx  u.  A.  in 


230  Tonart. 

das  Reich,  der  Träume  gehören.  Es  erscheint  zunächst  docli  als  ganz  zweifellos, 
dass  die  verschiedene  Tonhöhe  der  Tonleiter  und  der  Accorde  bei  sonst 
gleicher  Construktion,  auch  für  sich  betrachtet,  eine  erkenn-  und  künst- 
lerisch verwendbare  Verschiedenheit  der  Wirkung  erzeugt. 

Für  unsere  Empfindung  hat  der  D-dur-Dreiklang  und  die  dadurch  bedingte 
Tonart  ein  weit  helleres  Grepräge  als  der  C-f^wr-Dreiklang  und  ein  Tonstück  in 
D-dur  ausgeführt,  muss  im  Klange  sich  von  der  Ausführung  in  C-dur  bei  ganz 
unveränderten  Innern  Verhältnissen  ebenso  unterscheiden,  wie  der  einzelne  Ton 
c  von  dem  Ton  d.  Die  Versetzung  desselben  Tonstücks  um  eine  Stufe  tiefer 
muss  nothwendig  dann  auch  die  entgegengesetzte  Wirkung  wie  die  Versetzung 
nach  einem  höhern  Ton  hervorbringen,  dass  aber  dieser  Steigerungs-  oder  Ab- 
schwächungsprocess  nicht  in  dieser  Weise  gleichmässig  fortgeht,  hat  unserer 
Empfindung  nach  seineu  Grund  nur  in  der  nähern  oder  engern  Beziehung  der 
Töne  der  Normaltonleiter  unter  sich,  wie  zur  chromatischen  Tonleiter.  Die 
Töne  sind  nicht  indifferent  unter  sich,  sondern  sie  treten  in  nähere  oder  ent- 
ferntere Beziehung  zu  einander  und  diese  müssen  sich  nothwendiger  Weise  gerade 
bei  gleicher  Construktion  auch  auf  die,  über  ihnen  erbauten  Tonarten  erstrecken, 
so  dass,  wie  die  Terz  e  dem  Grrundton  c  näher  verwandt  ist,  als  die  Secunde  d, 
auch  die,  auf  jener  erbaute  J^-dur-Ton&vt  der  C-dur-Tonart  im  Klange  näher 
verwandt  ist,  als  die  D-dur-T onart,  obgleich  jene  wiederum  höher  liegt  als 
diese.  Dem  entsprechend  gewinnen  wir  in  der  nach  der  Tonleiter  folgenden 
F-dur-Tonait  sogar  eine  Vertiefung  der  Grundstimmung.  Wir  müssen  immer 
wiederholen,  dass  wir  die  ganze  gleiche  Construktion  fordern,  denn  die 
^-rfwr-Tonart,  in  der  tiefern  Lage  verwendet,  gewinnt  natürlich  ein  viel  weicheres 
Colorit,  als  die  C-dur-Tonavt  in  den  höheren  Lagen  ausgeprägt  und  die  JF-dur- 
Tonart  wird  in  ihren  höhern  Lagen  festlicher  erklingen,  als  die  drei  vorer- 
wähnten in  ihren  untern  Regionen. 

Die  weitere  Charakteristik  der  Tonarten,  wie  die  G-dior-T onart  den  hellen, 
aber  mildplagalischen  Charakter  der  Dominant  gewinnt,  der  sich  in  der  A-dur- 
Tonart  so  steigert,  wie  der  Charakter  der  G-dicr-Tonavi  in  der  D-dur-Touari, 
und  wie  endlich  die  -Ef-Jwr-Tonart  das,  wir  möchten  sagen  zugespitzte  Colorit 
des  Leittons  gewinnt,  ist  nach  alle  dem  leicht  einzusehen.  Wie  ferner  die 
chromatischen  Halbtöne  als  Trübungen  oder  Steigerungen  der  diatonischen 
Töne  erscheinen,  so  auch  die  auf  ihnen  erbauten  Tonarten  den  diatonischen 
gegenüber.  Die  Des-dur-Tonavi  erscheint  verhüllter  als  die  D-dur-,  die  Es-dur- 
Tonart  nicht  schreiend  und  schwankend  wie  die  JE-dur-Honavi,  sondern  mehr 
gedrungen  und  energisch  festlich  und  Ges-  und  As-dur  wiederum  verhüllter  im 
Kiangfe  wie  A-  und  G-dur.  Wie  die  chromatischen  Töne  zwischen  den  diato- 
nischen  liegen,  so  die,  auf  ihnen  erbauten  Tonarten  ihrer  Klangfarbe  nach. 
Wiederholt  müssen  wir  übrigens  darauf  hinweisen,  dass  für  den  Charakter  der 
Tonarten  ihre  besondere  Darstellungsweise  bedeutungsvoll  wird.  Wir  haben 
wenigstens  kurz  angedeutet,  dass  die  Tonart  mit  sehr  geringem  und  mit  einem 
reichen  harmonischen  Apparat  dargestellt  werden  kann  und  haben  gezeigt,  dass 
dieser  noch  ausserordentlich  zu  erweitern  ist.  Die  besondere  Weise,  in  der  das 
geschieht,  wird  einflussreich  auf  den  eigenthümlichen  Charakter  der  Tonart. 
Die  hellere  D-dur-Tonaxi  vorwiegend  nach  der  Unterdomiuantseite  entwickelt, 
wird  in  ihrer  Wirkung  gegen  die  C-dur-^onavt  zurückstehen,  wenn  diese  sich 
mehr  der  Oberdominantseiie  zuwendet;  noch  mehr  aber  ist  dies  der  Fall,  wenn 
dabei  dort  die  verwandten  Molltonarten  stärker  berücksichtigt  werden.  Diese 
erscheinen  überhaupt  als  Trübungen  des  ursprünglichen  Charakters  der  Dur- 
tonarten. Bei  der  Molltonart  sind  die  beiden  Terzen  der  Ober-  und  Unter- 
dominant herabgedrückt  und  dies  giebt  der  Tonart  den  etwas  verdüsterten 
Charakter,  der  sie  ebenso  für  den  Erguss  weicher,  sentimentaler  und  schwei-- 
müthiger,  wie  leidenschaftlich  erregter  Stimmungen  geeignet  macht.  Aus  der 
Mischung  beider,  der  Dur-  und  der  Molltonarten,  entstehen  dann  neue  Wir- 
kungen.    Die  Molltonart  erscheint  freundlicher,  wenn  sie  vorwiegend  mit  Her- 


i 


Tonariou  —  Tonbildung.  231 

beiziehung  von  Durtonarten  construirt  ist,  die  Durtonavt  dagegen  wird  milder, 
weicher  und  selbst  düster,  wenn  zu  ihrer  Darstellung  die  Molltonarten  häufiger 
herbeigezogen  werden.  Bei  alledem  ist  noch  darauf  hinzuweisen,  dass  für  den 
Charakter  eines  Tonstücks  die  andern  Mächte:  Melodie  und  E-hythmus  viel 
bedeutsamer  werden  und  dass  namentlich  durch  die  Veränderung  des  Rhythmus 
oder  auch  nur  des  Tempos  der  ursprüngliche  Charakter  eines  Tonstücks  in 
sein  Gee:entheil  verkehrt  werden  kann.  Das  berührt  den  Charakter  der  Tonart 
nicht,  allein  es  muss  doch  hier  erwähnt  werden,  weil  man  nur  zu  häufig  aus 
dem  Charakter  eines  Tonstücks  glaubt  auf  die  Tonart  schliessen  zu  können, 
was  ganz  falsch  ist. 

Nur  aus  dieser  falschen  Voraussetzung  sind  wohl  die  erwähnten,  meist  ganz 
haltlosen  Charakteristiken  der  Tonarten,  wie  sie  Mattheson  in  seinem  »Or- 
chester« (1713,  pg.  236  if.)  weitläufig  ausgeführt,  Schubart  in  seiner  »Aesthetik« 
(1806,  pg.  377  ff.)  und  nach  ihm  Schilling  oder  Marx  geben,  entstanden. 
Ernsthaft  kann  wohl  kein  Mensch  behaupten  wollen,  dass:  y>G-dur  die  Tonart 
der  Unschuld,  Einfalt,  Naivetät,  Kindersprache  und  der  Jugendgedanken  sei«; 
dass  D-moll  »die  Tonart  schwermüthiger  Weiblichkeit  sei,  die  Spleen  und  Dünste 
brütet«,  oder  As-dur  der  Gräberton,  in  dessen  Umfange  Tod,  Grab,  Verwesung, 
Gericht  und  Ewigkeit  liegen,  wie  Schubart  träumt;  oder  dass  nach  Marx 
G-dur:  angehellt  und  angewärmt  sein  soll,  wie  von  der  emportauchenden  Sonne 
der  junge  Tag,  wie  die  Jugendzeit  bei  dem  ersten  fröhlichen  Anschauen  in  das 
beginnende  Leben;  oder  E-dur  »funkelnd,  hell  emporsteigt,  mit  durchgreifender 
Wärme,  heiter  und  leuchtend  wie  lauteres  Gold«.  Eine  Vergleichung  dieser 
mehr  oder  weniger  phantasiereichen  Phrasen  ergiebt  sofort  ihre  Unhaltbarkeit, 
da  sie  sich  meist  direkt  widersprechen.  Charakteristische  Unterscheidungen 
der  Tonarten  wird  man  nach  alledem  kaum  mit  Grund  ableugnen  können,  aber 
sie  dürften  nur  dort  zu  suchen  sein,  worauf  wir  oben  hindeuteten,  in  dem  Ver- 
hältniss  der  Töne  der  Tonleiter  zu  einander  und  in  der  besondern  Weise  ihrer 
jedesmaligen  Darstellung. 

Touarion  hiess  das  Instrument  der  Alten  zur  Bestimmung  der  Tonhöhe, 
sowohl  beim  Gesänge,  wie  bei  der  Declamation. 

Touatillas,  spanische  Nationalgesänge,  s.  Tiranas. 

Tonbeneunungen,  s.  Aretinisch,  Bobisation,  Damenisation,  Noten- 
benennung, Solmisation  u.  s.  w. 

Tonbezeichuende  Note,  s.  Leitton. 

Toubezirk,  s.   Tongrenzen. 

Tonbildung:  im  Gesänge,  ist  entweder  das  primitiv  physische  Hervorbringen 
des  Gesangtones  im  Allgemeinen,  und  fällt  praktisch  mit  der  Stimmbildung 
zusammen  (s.  d.),  oder  man  verbindet  damit  den  Begriff  der  Veredelung  der 
Stimme  bis  zum  Punkte  der  höchsten  Klangschönheit,  wo,  wenn  die  Seelen- 
thätigkeit  des  Säugers  hinzutritt  und  ihm  Ausdruck  verleiht,  der  eigentlich 
künstlerische  Ton  entsteht.  Aller  Kunstgesaug  ist  auf  diesen  Ton  basirt,  hat 
ihn  zur  nothwendigen  Voraussetzung,  kann  ohne  ihn  nicht  zur  berechtigten 
Erscheinung  kommen.  Handelt  es  sich  darum,  Natur-  und  Kunstgesang  von 
einander  zu  unterscheiden,  so  ist  der  Ton  beim  ersteren  vielleicht  zufällig  wohl- 
klingend, während  er  beim  zweiten  ein  bewust  schöner  sein  muss.  Jeder  Ge- 
sangsunterricht beginnt  mit  der  Tonbildung,  sowie  das  ganze  Leben  des  Sängers 
von  dem  Streben  ausgefüllt  wird,  den  schönen  Ton  zu  vervollkommnen  und  zu 
l)ewahren.  Die  erste  Frage,  die  zu  beantworten  ist,  bezieht  sich  auf  die  Natur 
und  Eigenschaft  des  Tones  und  lautet:  was  ist  schöner  Ton? 

Bevor  wir  an  diese  Frage  herantreten,  müssen  wir  einer  Eigenthümlichkeit 
erwähnen,  die  sowohl  der  menschlichen  Stimme,  wie  jedem  Instrument  zukommt, 
und  die  man  Klangfarbe  nennt.  Diese  Klangfarbe  entsteht,  wie  die  Physiologie 
lehrt,  durch  die  Form  der  Luftschwingungen.  So  verschiedene  Katagorien  da- 
durch auch  hervorgerufen  werden,  ist  in  jeder  derselben  ein  höherer  oder 
niederer  Grad  von  Tonschönheit  möglich,  wovon  die  Instrumente  auszuschliessen 


232  Tonbildung, 

sind,  die  eben  keinen  Ton,  sondern  nur  ein  sogenanntes  Geräuscli  geben  und 
deshalb  Lärminstrumente  heissen.  An  einer  Clarinette  oder  Flöte  mit  unserem 
Athem  angeblasen,  wird  jeder  den  Unterschied  der  Klangfarbe  erkennen,  der 
diese  Instrumente  charakterisirt,  aber  der  Ton,  den  wir  beiden  entlocken,  wird 
nur  dann  Anspruch  auf  Schönheit  machen  dürfen,  wenn  wir  den  Eintritt  oder 
das  Entweichen  der  Luft  bei  dem  einen,  sowie  das  Anblasen  des  Athems  an 
die  scharfen  Ränder  des  Mundloches  beim  andern  Instrumente,  überhaupt  kein 
störendes  Luftgeräusch  bei  beiden  hören.  Der  Violinspieler  richtet  seine  Auf- 
merksamkeit auf  das  Verhältniss  zwischen  dem  Druck,  den  er  mit  dem  Pinger 
auf  die  Saite  ausübt  und  dem  Grade  von  Kraft,  mit  dem  er  den  Bogen  über 
die  Saiten  führt.  Die  Güte  des  Instrumentes  vorausgesetzt,  wird  sein  Ton 
dann  ein  schöner  genannt  werden,  wenn  man  das  Kratzen  des  Bogens  auf  der 
Saite  nicht  hört.  Ebenso  sucht  der  Ciavierspieler  durch  berechneten  Anschlag 
das  Klopfen  des  Hammers  an  die  Drahtsaite  zu  mildern,  obgleich  er  es  nie 
ganz  dem  Empfinden  des  Hörers  entziehen  kann.  Deshalb  spricht  man  auch 
beim  Ciavierspieler  selten  vom  schönen  Ton,  sondern  gewöhnlich  vom  guten 
Anschlag.  Je  mehr  ein  Mechanismus,  wie  beim  Ciavier,  durch  Complikation 
seiner  Bestandtheile  der  unmittelbaren  Einwirkung  des  Künstlers  entrückt  ist, 
desto  schwerer  wird  es  den  Ton  zu  beherrschen  und  zu  beseelen.  Das  Instru- 
ment, das  einzige,  das  unserer  seelischen  Einwirkung  offen  steht  und  deshalb 
dazu  berufen  ist,  den  schönsten  und  recht  eigentlich  künstlerischen  Ton  zu  er- 
zeugen, ist  die  menschliche  Stimme,  weshalb  man  ihr  auch  den  ersten  Rang 
unter  den  Instrumenten  einräumt. 

Der  Klang  der  menschlichen  Stimme  ist  das  Produkt  der  gegen  die  Stimm- 
bänder aus  den  Lungen  andrängenden  Luft.  »Die  Stimmbänder  selbst  sind 
membranöse  Zungen«,  sagt  Helmholtz*),  deren  Ansatzrohr,  nämlich  die  Mund- 
höhle, verschiedene  AVeite,  Länge  und  Stimmung  erhalten  kann.«  "Wir  re- 
gistriren  an  dieser  Stelle  den  für  die  Gesangskunst  wichtigen  Umstand,  dass 
die  Mundhöhle  einer  Stimmung  fähig  ist,  um  später  ausführlicher  darauf  zurück- 
zukommen. Wenn  es  als  ausgemacht  gilt,  dass  die  Punktionen  der  Stimm- 
bänder ohne  unsere  unmittelbare  Einwirkung  von  Statten  geht,  so  ist  uns  nun 
in  dem  Ausatzrohr,  der  Mundhöhle,  ein  Objekt  gegeben,  auf  dessen  Behand- 
lung wir  möglichste  Sorgfalt  verwenden  müssen.  Man  ist  im  heutigen  Gesang- 
unterricht so  gern  bereit  dem  Kehlkopf  das  Geschäft  des  Tonerzeugens  zu 
überlassen  und  die  Mundhöhle  für  nebensächlich  zu  betrachten.  Man  geht  darin 
so  weit  den  Schüler  zu  veranlassen,  dass  er  den  Mund  recht  weit  aufmache, 
und  den  Kehlkopf  durch  Einziehen  der  Zungenwurzel  nach  oben  stelle,  damit 
der  Stimmklang  unmittelbar  nach  Aussen  treten  könne.  Die  schreienden,  un- 
angenehmen Laute,  die  so  entstehen,  hält  man  irriger  Weise  für  den  richtigen 
Gesangston,  während  Helmholtz  in  seinem  Buche,  pg.  159,  sagt:  »Freie  Zungen 
ohne  Ansatzrohr,  bei  denen  alle  die  einzelnen  einfachen  Töne  der  von  ihnen 
erregten  Luftbewegung  unmittelbar  und  frei  an  die  umgebende  Luftmaasse  über- 
gehen, haben  deshalb  immer  einen  sehr  scharfen,  schneidenden  oder  schnarren- 
den Klang«.  Daraus  wird  klar,  dass  die  Mundhöhle  bei  der  Tonbildung  eine 
sehr  wichtige  Rolle  spielt,  indem  sie  dazu  berufen  ist,  dem  Tone,  der  aus  dem 
Kehlkopf  kommt,  den  nöthigen  Wohllaut  zu  geben.  Auf  diese  unanfechtbaren 
Wahrheiten  muss  nun  die  Aufmerksamkeit  der  Stimmbildner  gerichtet  werden. 
Es  darf  ihnen  nicht  gleichgültig  sein,  das,  was  früher  auf  empirischem  Wege 
gesucht  wurde,  nun  durch  die  Wissenschaft  begründet  zu  sehen;  denn  vergessen 
wir  nicht,  dass  die  alte  Gesangschule  sich  einer  Sprache  (italienisch  oder  latei- 
nisch) bediente,  die  an  sich  wohlklingend,  den  Sänger  gleichsam  herausforderte, 
Mundstellungen  zu  suchen,  die  diesen  Wohlklang  zur  Geltung  brachten. 

Wenn  der  Gebrauch  des  Kehlkopfes  eigentlich  keiner  Schwierigkeit  unter- 
liegen sollte,  weil  man  sich  nur  an  die  natürlichen  Funktionen   halten  darf,  so 


*)  „Die  Lehre  von  den  Tonempfindungen",  3.  Ausg.  1870. 


Tonbildiing.  233 

ist  dagegen  die  Mundliöhe  mit  ihren  festen  und  weichen  Bestandtheilen  um  so 
vorsichtiger  zu  behandeln.  Wir  sehen  an  tausend  Fehlern,  die  begangen  werden, 
wie  viel  Vorsicht  nöthig  ist,  um  ein  Organ,  von  dessen  Thätigkeit  wir  nur  ein 
dunkles  Gefühl  haben  und  das  sich  zum  grossen  Theil  unserer  Willkür  entzieht, 
in  naturgemässer  Wirksamkeit  zu  erhalten.  Vergegenwärtigen  wir  uns  die  Auf- 
gabe, die  an  den  Sänger  gestellt  wird,  so  besteht  sie  zunächst  in  nichts  Anderem, 
als  die  Integrität  des  Tones,  der  aus  den  Stimmbändern  kommt,  zu  bewahren. 
Die  Zunge  ist  der  erste  Gegenstand,  der  in  den  Weg  tritt.  Von  ihrer  Wurzel 
angefangen  bis  zur  Spitze  ist  sie  im  Stande,  dem  Tone  Hindernisse  zu  bereiten 
und  ihn  von  der  rechten  Bahn  abzuleiten.  Alles  was  wir  unter  die  Rubrik 
von  Kehlton,  Gaumenton,  Nasenton  u.  s.  w.  zusammenfassen,  findet  seinen  vor- 
nehmlichen Grund  in  der  fehlerhaften  Haltung  der  Zunge  und  ihrer  Wurzeh 
Da  nun  aber  die  Zunge  und  der  Unterkiefer  Bestandtheile  sind,  über  die  wir 
einige  Herrschaft  ausüben,  so  ist  der  Sänger  im  Stande  bessernd  einzuwirken, 
indem  er  diesen  Organen  eine  Lage  und  Stellung  zu  geben  sucht,  die  der 
freien  Entfaltung  des  Tones  förderlich  ist.  Hier,  wie  in  der  Stimmbildung 
überhaupt,  ist  es  dringend  geboten,  dem  Schüler  in  Bezug  auf  den  Einfluss, 
den  er  auf  seine  Organe  ausüben  kann,  eine  i-ichtige  A'^orstellung  zu  verschaffen. 
Während  der  Oberkiefer  mit  seiner  Zahnreihe  und  dem  Gaumen  in  der  körper- 
lichen Haltung,  die  der  Singende  einnimmt,  geradezu  unbeweglich  ist,  steht  es 
ihm  frei,  den  Unterkiefer  mit  seiner  Zahnreihe,  die  Zunge  und  Lippenmuskeln 
nach  Bedürfniss  in  verschiedene  Lagen  und  Stellungen  zu  bringen,  um  der 
Mundhöhle  die  erforderliche  Form  zu  geben.  Nehmen  wir  zu  dem  Allen  noch 
die  Luft,  den  eigentlichen  Motor  in  der  Tonerzeugung,  so  ist  die  Reihe  der 
mechanischen  Medien  geschlossen  und  wir  dürfen  nun  den  Begriff  des  schönen 
Gesangtones  feststellen,  als  eines  Klanges,  der  unabhängig  auftritt  von 
dem  Mechanismus,  der  ihn  hervorbringt.  Somit  ist  jeder  fremde  und 
störende  Anklang,  den  der  Ton  durch  Zunge,  Nase  und  Schlund  erhalten  könnte, 
ausgeschlossen  und  nur  der  Klang  als  gut  zu  bezeichnen,  der  durch  Beherr- 
schung und  naturgemässen  Gebrauch  des  Organes  frei  auftritt,  ohne  das  Ohr 
des  Hörers  an  die  Medien  zu  mahnen,  die  bei  seiner  Hervorbringung  thätig 
sind.  Zur  Beurtheilung  aber,  ob  ein  Ton  schön  sei,  gehört  ein  kunstgewöhntes 
Ohr,  und  man  glaube  nicht,  dass  Jedweder  berufen  und  geeignet  sei,  darüber 
zu  entscheiden.  Es  ist  die  Aufgabe  des  Lehrers,  den  Begriff  des  »schönen 
Tones«  beim  Schüler  zu  entwickeln,  und  das  wird  er  nur  dann  können,  wenn 
seine  eigene  geistige  Bildung  auf  der  erforderlich  hohen  Stufe  steht.  Frau 
Emma  Seiler  sagt  in  ihrem  Buche:  »Altes  und  Neues  über  die  Ausbildung  des 
Gesangorganes«:  »Verlangt  schon  die  Bildung  des  Gesangorganes  eine  besondere 
Befähigung  des  Lehrers,  und  neben  der  feinsten  Beobachtungsgabe  ein  Gehör, 
welches  nicht  allein  die  Reinheit  des  Tones  nach  Höhe  oder  Tiefe  bemerkt, 
sondern  auch  die  Richtung  des  Tonstrahls,  das  Zuviel  oder  Zuwenig  des  Athems, 
das  Gleiche  oder  Ungleichmässige  der  Schwingimgen,  die  Färbung  des  Tones  etc. 
empfindet,  so  verlangt  die  künstlerische  Ausbildung  eines  Sängers  oder  einer 
Sängerin  einen  in  jeder  Hinsicht  gebildeten  Menschen,  denn  alle  Technik  bleibt 
etwas  Todtes,  wenn  sie  nicht  von  Geist  und  Gefühl  durchwebt  ist.«  Hier  darf 
also  der  Sänger  sich  nicht  von  dem  irrigen  Gedanken  leiten  lassen,  dass  das 
schön  sei,  was  der  Masse  gefällt,  denn  er  steht  da  einem  Körper  gegenüber, 
der  aus  sehr  disparaten  Elementen  zusammengesetzt  ist  und  wo  der  Ausschlag- 
gebende leider  nicht  immer  der  gebildetere  Theil  ist. 

Noch  ist  hier  zweier  Begriffe  zu  erwähnen,  die  genau  von  einander  ge- 
schieden werden  müssen,  nämlich:  Stimme  und  Ton.  Man  setzt  häufig  das 
Eine,  wo  man  das  Andere  meint,  und  bringt  eine  unliebsame  Verwirrung  in 
Sachen,  die  eine  geordnete  Anschauung  verlangen.  Unter  Stimme  ist  die 
Aeusserung  des  Organes  aus  seinem  Naturzustande  heraus  zu  verstehen.  Es 
ist  das  Material,  dem  noch  die  Beai'beitung  und  künstlerische  Verwerthung 
fehlt,    und    somit    kann   jedes    Individuum  eine  mehr  oder  weniger  gute,  sogar 


234  Tonbildung. 

schöne  Stimme  haben.  Tou  aber  ist  ein  durch  Kunst  und  Geschmack  Ge- 
läutertes, das  erst  dem  Künstler  zu  eigen  wird  und  als  Hauptbedingung  in 
seiner  Kunstthütigkeit  erscheint.  Ist  es  doch  manchmal  wie  Profanation,  wenn 
man  bei  einer  kunstgeübten  Sängerin  von  Stimme  spricht,  während  es  Nieman- 
dem einfällt,  beim  Spiele  Liszt's  oder  Joachim's  vom  Ciavier  oder  der  Violine 
zu  reden,  und  doch  bezeichnen  die  Worte  hier  wie  dort  das  Material,  mit 
dessen  Hülfe  der  Künstler  das  tönende  Kunstwerk  schafft,  indem  er  der  Materie 
seine  eigene  Seele  einhaucht.  Stimme  ist  etwas  Vergängliches,  Alter  und  ab- 
nehmende Lebenskraft  können  sie  schwächen  und  ihr  den  jugendlichen  Heiz 
nehmen;  wir  hören  aber  Greise,  wenn  sie  Künstler  sind,  noch  mit  schönem 
wohlklingendem  Tone  singen,  denn  die  Jahre  können  die  Kraft  des  Athems 
schmälern,  auf  den  Wohllaut  haben  sie  nur  geringen  Einfluss.  Wo  sich  also 
der  Unterricht  darauf  beschränkt,  das  Stimmmaterial  in  seiner  ursprünglichen 
Eigenschaft  zu  verwenden,  ohne  den  Ton  zu  wecken,  oder  wenn  er  ihm  gar  eine 
fehlerhafte  Richtung  giebt,  da  arbeitet  er  dem  Verfall  der  Gesangskunst  in  die 
Hände;  und  wenn  in  neuer  Zeit  über  Mangel  an  Gesangskünstlern  geklagt 
wird,  so  liegt  der  Grund  vielleicht  darin,  dass  die  Stimmen  schwinden,  noch 
ehe  die  tonlosen  Sänger  Künstler  geworden  sind. 

Die  Gesangskunst  hat  im  Verlaufe  der  Zeit  offenkundige  Rückschritte 
gemacht  und  wir  finden  heute  nur  selten  Leistungen  vor,  die  den  besseren  aus 
früherer  Epoche  an  die  Seite  zu  stellen  sind.  Die  Ansprüche  an  den  Sänger 
sind  gesteigert,  denn  der  Musik-  und  Gesangstil  ist  ein  vielfältiger  geworden, 
während  man  sich  früher  nur  in  verwandten  Gattungen  bewegte.  So  konnte 
es  kommen,  dass  man  gegenwärtig  in  den  Anforderungen,  die  an  Gesangs- 
leistungen gestellt  werden,  nach  verschiedenen  Richtungen  auseinander  geht 
und  die  Hauptsache  aus  den  Augen  verliert.  Die  Einen  verlangen  nur  schöne 
Stimmen,  die  Anderen  feurigen,  italienischen  Gesang  mit  Triller  und  Rouladen, 
die  Dritten  sehnen  sich  nach  Wahrheit  im  Ausdruck  und  nennen  das  deutsche 
Methode.  Von  der  Tonschönheit,  dem  unentbehrlichsten  und  wirksamsten  Aus- 
drucksmittel sieht  man  ganz  ab,  und  ist  gern  einverstanden,  wenn  der  Sänger 
den  fehlenden  Wohllaut  durch  Kraft  ersetzt.  Auf  diese  Weise  aber  werden 
die  Sänger  an  sich  selbst  und  ihrer  Kunst  irre  gemacht,  denn  da  sie  Allen 
gerecht  werden  möchten,  genügen  sie  in  keiner  Richtung.  Nun  ist  aber  die 
heutige  Musik  ohne  schönen  Ton  eine  Unmöglichkeit  geworden,  während  sie 
ihn  früher  bis  zu  einem  gewissen  Grade  entbehren  konnte,  ohne  in  ihrem  Effekt 
wesentlich  geschmälert  zu  sein.  Ein  kurzer  Ueberblick  über  die  Geschichte  des 
Gesanges,  wobei  der  Ton  als  leitender  Faden  dient,  möge  hier  Platz  finden, 
um  obigen  Satz  weiter  auszuführen. 

In  den  Uranfängen  des  Gesanges  als  Kunst  im  römischen  Kirchengesange 
war  die  Stimme  ein  Instrument,  das  den  Vortheil  gewährte,  Klang  und  AVort 
zugleich  hervorzubringen.  Die  Entwickelung  des  Notensystems,  die  Uebung 
des  langen  Athems,  die  Ausführung  aller  Verzierungen,  wie  wir  sie  heute  noch 
besitzen,  war  die  Aufgabe  der  damaligen  Sänger.  Von  der  Schönheit  des 
Klanges  können  uns  die  Aufzeichnungen  aus  jener  Zeit  keine  rechte  Vorstel- 
lung geben,  denn  Theils  war  der  Geschmack  der  Berichterstatter  zu  primitiv, 
als  dass  er  uns  zur  Richtschnur  dienen  könnte,  anderen  Theils  lässt  sich  nicht 
annehmen,  dass  dort  wahrhaft  edler  Ton  herrschen  konnte,  wo  der  Sopran  von 
spanischen  Falsettisten,  der  Alt  von  künstlich  präparirten  Stimmen  gesungen 
wurden.  Schelle  »Die  Sixtinische  Kapelle«  sagt:  »Die  Soprane,  auch  spanische 
Stimmen  genannt,  weil  besonders  Spanien  viele  Sopranisten  lieferte,  wurden 
durch  eine  künstliche  Ausbildung  des  Falsetts  erzeugt,  sie  blieben  im  Gebrauch 
bis  1600,  wo  die  Kastraten  sich  in  die  Kapelle  drängten.  Die  Alte  waren 
ebenfalls  das  Werk  einer  künstlichen  Procedur,  man  gewann  sie,  indem  man 
wähi'end  der  Mutationsperiode  den  Wechsel  der  Stimme  durch  eine  gewisse 
Behandlung  des  Organs  zu  hindern  wusste«.  Wir  wissen  heute,  was  wir  von 
solch   künstlichen  Präparaten  zu  halten  haben,    denn    wir  sehen  zu  häufig,  dass 


Tonbildung.  235 

dort,  wo  die  Stimmbeliandlung  von  den  "Wegen,  die  die  Natur  vorzeiclinet,  ab- 
weicht, der  Verfall  sich  vorzeitig  ankündigt.  Selbst  der  Kastratengesang,  dessen 
A'^erlust  noch  heute  wie  das  verlorene  Paradies  betrauert  wird,  kann  in  uns 
nicht  die  Vorstellung  grosser  Klaugschönheit  wecken,  da  der  störende  Beige- 
schmack des  Unnatürlichen  sich  dem  Hörer  unwillkürlich  aufdrängen  musste. 
Alle  Fertigkeit  und  Bravour  wird  den  Eindruck  eines  erkünstelten  Vorganges 
nicht  verwischen  können,  wenn  ein  Mann  vor  uns  steht,  der  Laute  eines  AVeibes 
hervorbringt  und  Ausdruck  und  Gefühle  lügt,  die  er  nie  gekannt  hat.  Vom 
technischen  Standpunkte  aus  werden  wir  im  Verlauf  der  Abhandlung  sehen, 
dass  eine  Hauptbediugung  zur  Erlangung  des  schönen  Tones  die  sei,  dass 
Athem,  d.  h.  Luftstrom,  und  Spannung  der  Stimmbänder  in  das  richtige  Ver- 
hältniss  treten.  Wie  sollte  das  aber  möglich  sein  bei  einem  Wesen  mit  männ- 
lich ausgebildetem  Brustkasten  und  Lungen,  während  Stimmbänder  und  Kehl- 
kopf die  eines  Kindes  geblieben  sind.  Solche  Missverhältnisse  lassen  sich  durch 
alle  Künsteleien  nicht  ausgleichen,  und  wenn  jene  Zeit  von  solchen  Leistungen 
entzückt  wai',  so  ist  man  heute  berechtigt  anzunehmen,  dass  der  Sinn  für 
Klangschönheit  damals  noch  wenig  entwickelt  war.  »Dem  Aussterben  dieser 
Art  von  Sängern  schreibt  nun  B,ossini  hauptsächlich  den  Verfall  der  Gesangs- 
kunst zu,«  sagt  Frau  Emma  Seiler,  »und  mau  darf  es  ihm  nicht  verargen,« 
fügen  wir  bei;  für  das,  was  Rossini  in  der  Gesangkunst  anstrebte,  waren  diese 
Gesangsmaschinen  vollkommen  geeignet  und  dürften  kaum  zu  ersetzen  sein.  Im 
17.  Jahrhundert  sehen  wir  aus  bescheidenen  Anfängen  die  Oper  entstehen, 
durch  sie  entwickelt  sich  eine  sangbare  Melodie,  an  die  sich  aber  bald  das 
unvermeidliche  Flitterwerk  der  Coloratur  anhängt.  Ob  hier  auch  die  Anfänge 
des  schönen  Tones  zu  suchen  sind,  möchte  man  bezweifeln,  denn  das  begleitende 
Orchester  war  grösstentheils  mit  klanglosen  Lärmiustrumenten  besetzt  und  die 
Erfahrung  hat  uns  hinreichend  belehrt,  dass  der  Wohllaut  der  menschlichen 
Stimme  sich  im  Kampf  ums  Dasein  entwickelt,  d.  h.  dass  der  Ton  dort  seinen 
besten  Klang  sucht,  wo  ihm  andere  euphonische  Elemente  zur  Seite  stehen. 
Man  sagt,  dass  die  Instrumente  Nachahmungen  der  menschlichen  Stimme  sind, 
ihre  Entwickelung  aber  ging  sehr  langsam  von  Statten.  Bis  sie  ihren  heutigen 
Höhepunkt  der  Klaugschönheit  erreichten  sind  Jahrhunderte  vergangen,  was 
uns  auf  die  Vermuthung  bringt,  dass  das  Vorbild,  die  menschliche  Stimme, 
in  ihrer  Klangentwickelung  auch  nicht  mit  Biesenschritten  vorwärts  geeilt  sein 
mag.  So  kam  das  18.  Jahrhundert  heran  und  mit  ihm  trat  die  weibliche 
Stimme  in  den  Wettkampf  ein,  der  bisher  nur  von  Kastraten  geführt  wurde. 
Die  weibliche  Stimme  ist  so  recht  das  Urbild  der  Klangschönheit,  kein  Wunder 
daher,  wenn  nun  der  Gesang  im  Allgemeinen  einen  Aufschwung  nahni,  wo  be- 
rühmte Kastraten  mit  ihrer  Erfahrung  und  praktischen  Fertigkeit  als  Lehrer 
fungirten.  Wir  wollen  Händel  noch  keinen  zu  grossen  Einfluss  beimessen  auf 
die  tonliche  Förderung  der  Stimmen,  Mozart  aber  und  Gluck,  auch  Haydn  in 
seinen  Oi'atorien,  zeigen  uns  einen  Melodieubau  und  eine  Orchestrirung,  die 
nur  mit  grossem  edlem  Tone  zu  bewältigen  ist,  und  hier  sind  die  Anfänge  des 
wahrhaft  schönen  Gesanges  zu  suchen.  So  überschreiten  wir  die  Schwelle  des 
19.  Jahrhunderts  und  sehen  uns  umgeben  von  einem  reichen  Kranz  von 
Künstlern,  Damen  und  Herren.  Nun  sind  die  Bedingungen  zu  schönem  Ge- 
sänge gegeben,  aber  auch  die  Nothwendigkeit  schöner  Tonbildung  tritt  offen 
hervor,  denn  überall  sind  grosse  Opernhäuser  erbaut,  überall  starke,  wohl- 
klingende Orchester  und  reich  besetzte  Chöre  zu  finden  und  fordern  den  Sänger 
heraus,  sein  Bestes  für  den  Ton  einzusetzen.  Und  siehe,  es  wird  Ausserordent- 
liches geleistet.  Allein  die  Musikgattuug,  die  nun  an  die  Reihe  kommt,  ist 
nicht  geeignet,  den  erworbenen  Ton  festzuhalten.  Rossini  wird  der  Mann  des 
Tages,  für  die  Gesangskunst  aber  bezeichnet  er  die  Auflösung  in  gi-aziöse 
Spielerei.  Wo  die  Roulade  Selbstzweck  wird,  da  hat  der  schöne  Ton  wenig 
Spielraum.  AVenn  auch  hin  und  wieder  eine  sangbare  Melodie  hervortritt,  darf 
der  Sänger  nicht  viel  Ton  darauf  verwenden,  denn  er  muss  gewärtig  sein,  dass 


236  ^  Tonbildung. 

der  nächste  Moment  ihm  Bravourläufe  bringt,  die  die  Leichtfüssigkeit  seiner 
Stimme  herausfordern.  Man  kann  im  Gesänge  nicht  nobler  Herr  und  Clown 
zugleich  sein.  Der  Geschmack  des  Publikums  aber  neigte  sich  entschieden  dem 
Letzteren  zu,  und  so  kam  es,  dass  Beethoven,  Weber,  Spontini,  Meyerbeer  und 
die  deutschen  Componisten  insgesamrat,  als  »unsingbar«  verschrien  wurden.  Die 
Sänger  fanden  nicht  gleich  den  erforderlichen  Ton  dafür.  Diese  Tonsetzer 
wichen  zu  sehr  von  der  Art  der  Italiener  ab,  die  ihre  Melodie  singend  erfan- 
den, während  die  Anderen  sie  irgend  einem  Instrumente  entnahmen.  Doch 
bald  wurde  man  der  Sache  Herr.  Das  goldene  Zeitalter  des  schönen  Gesanges 
sollte  nicht  so  schnell  zu  Ende  gehen  und  würde  vielleicht  heute  noch  über 
uns  walten,  wenn  nicht  der  Geschmack  am  Wahren  und  Schönen  durch  Giuseppe 
Yerdi  untergraben  worden  wäre.  Er  war  es,  der  in  Melodie  und  Roulade 
Blechinstrumente  mit  der  Singstimme  gehen  Hess,  wodurch  der  schöne  Ton  in 
Geschrei  ausartete ;  er  war  es  ferner,  der  durch  die  Charakterlosigkeit  seiner 
Musik  demoralisirend  auf  die  Sängerwelt  wirkte,  denn  aus  denkenden  Künstlern 
wurden  sehr  bald  gedankenlose  Schreier.  Und  wenn  man  heute  bekümmert 
nach  Stimmen  sucht,  so  meint  man  damit  vielleicht  den  verlorenen  Ton,  den 
Gesanglehrer  und  Sänger  nicht  mehr  zu  finden  wissen. 

Kehren  wir  zu  unserem  Thema  zurück.  Im  Vorhergehenden  war  mehr 
negativ  verfahren  und  dargethan,  was  bei  der  Tonbildung  zu  vermeiden  sei. 
Jetzt  wird  es  nöthig,  die  positive  Seite  in  Betracht  zu  ziehen  und  zu  zeigen, 
welche  Eigenschaften  dem  schönen  Ton  zukommen.  Wir  fassen  sie  in  drei 
AVorte  zusammen:  Wohllaut,  Kraft  und  Elasticität  oder  Schwungfähig- 
keit. Nicht  als  ob  damit  allen  Anfordei'ungen  genügt  wäre,  bilden  sie  doch 
den  Grund  und  Boden  zum  weiteren  Ausbau. 

Wohllaut  für  das  Ohr  ist  gleichbedeutend  mit  Schönheit  für  das  Auge. 
Man  folgt  dem  Sprachgebrauch,  indem  man  von  schönem  Ton  spricht,  während 
Schopenhauer  den  Begriff  des  »Schönen«  blos  für  das  Sichtbare  der  Aussenwelt 
gelten  lässt.  Hugo  Söderström  sagt*):  »schön  sind  solche  Gegenstände,  welche 
durch  eine  gewisse,  unserer  Idee  wohlthuende  Sonderheit  bei  ihrer  Wahrneh- 
mung eine  derartig  harmonische  Stimmung  über  uns  bringen,  dass  unser  ganzes 
Empfinden  für  längere  oder  kürzere  Zeit  mit  Behagen  darin  aufgeht«.  Indem 
wir  diesen  Ausspruch  beim  Gesangston  adoptiren,  übernehmen  wir  die  Aufgabe, 
beim  Tone  jenen  Grad  von  Reinheit,  man  möchte  sagen  Unmittelbarkeit  anzu- 
streben, der  alle  diejenigen  Momente  ausschliesst,  die  das  Empfinden  des  Hörers 
beunruhigen  könnten.  Um  diese  Ruhe  herzustellen,  müssen  sich  alle  mitwir- 
kenden Bestandtheile  des  Stimmorganes  in  naturgemässera  Zustande  befinden, 
und  nirgend  ein  erkünstelter  Vorgang  bemerkbar  werden.  Der  Ton  darf  auf 
diese  Weise  nicht  gemacht  erscheinen,  sondern  muss  eine  Seelenthätigkeit  des 
Sängers  dem  Sinne  des  Hörers  vermitteln,  die  ungetrübt  und  harmonisch  auf- 
tritt und  dadurch  wohlthuend  wirkt.  Wie  weit  Diejenigen  vom  richtigen  Wege 
ab  sind,  die  einzelnen  Bestandtheilen  des  Organes  eine  künstliche  Mitthätigkeit 
bei  der  Tonhildung  einräumen,  und  z.  B.  verlangen,  dass  der  Kehlkopf  des 
Schülers  bei  der  Tonerzeugung  in  diese  oder  jene  unnatürliche  Stellung  ver- 
setzt werde,  lässt  sich  daraus  entnehmen,  dass  selbst  das  physische  Vermögen 
des  Schülers  gegen  eine  solche  Behandlung  protestirt,  indem  Ermüdung  und 
sehr  bald  auch  Entkräftung  dieser  Theile  eintritt.  Niemandem  wii'd  es  ein- 
fallen, seinem  Herzen  oder  Magen  eine  künstliche  Theilnahme  an  den  natür- 
lichen Funktionen  aufnöthigen  zu  wollen,  und  doch  ist  die  Analogie  hier  und 
dort  unverkennbar.  Der  Wohllaut  ist  also  jenes  harmonische  Zusammenwirken 
der  Faktoren,  wo  der  Einzelne  nicht  mehr  fühlbar  wird,  sondern  in  der  Wir- 
kung der  Gesammtheit  aufgeht. 

Wir  hängen  beim  Erzeugen  des  Wohllautes  von  körperlichen  Dispositionen 
ab,  die  ungleich  vertheilt  sind.    Kein  Individuum  gleicht  dem  Anderen  so  ganz, 


*)  Hugo  Söderström:  Ueber  den  Begriff  „Kunst". 


Tonbildung.  237 

dass  eine  Regel  auf  Beide  bedingungslos  anwendbar  wäre.  Der  Begriff  der 
Tonschönlieit  wird  aber  überall  derselbe  bleiben,  ob  wir  es  mit  einer  hohen 
oder  tiefen,  mit  einer  grossen  oder  kleinen  Stimme  zu  thun  haben.  Die  Kate- 
gorien von  kleinen  und  grossen  Stimmen  finden  ihren  Grund  in  der  zufälligen 
Gestaltung  der  Mundhöhle,  sowie  in  der  Beschaffenheit  der  Stimmbänder.  "Wo 
der  innere  Mund  hinreichend  gewölbt  und  geräumig  erscheint,  da  wird  sich 
wie  von  selbst  der  Ton  gross  gestalten,  denn  dieses  Ansatzrohr  ist  der  Raum 
für  die  Resonanz  des  Stimmtones,  seine  Beschaffenheit  trägt  zum  "Wohllaut  wie 
zur  Entwickelung  der  Tougrösse  wesentlich  bei,  während  Kehlkopf  und  Stimm- 
bänder nur  die  Aufgabe  haben,  den  Klang  zu  erzeugen.  Ein  von  Natur  gross 
entwickelter  Kehlkopf  ist  nicht  eo  ipso  die  Garantie  für  eine  grosse  Stimme 
oder  ebensolchen  Ton,  wenn  nicht  damit  auch  eine  geräumige  Mundhöhle  in 
Verbindung  steht,  sowie  bei  Blasinstrumenten  nicht  das  Mundstück,  sondern 
das  Ansatzrohr  den  Klang  gross  macht.  Die  Schallwellen,  die  aus  dem  Kehl- 
kopf zunächst  in  diesen  Raum  dringen,  erhalten  hier  all  die  guten  oder  schlechten 
Eigenschaften,  die  ihnen  auch  dann  noch  anhaften  und  bleiben,  wenn  sie  die 
Grenze  der  Lippen  überschritten  haben.  Bei  Besprechung  des  "Wohllautes 
müssen  wir  auch  eines  Punktes  erwähnen,  der  in  Gesangschulen  vielleicht  aus 
zarten  Rücksichten  übergangen  wird,  es  ist  die  numerisch  möglichste  Voll- 
zähligkeit der  Zähne.  Sie  sind  dazu  berufen,  dem  Tone  das  zu  geben,  w^as 
man  iimhre  nennt,  jenen  metallischen  Beiklang,  der  an  den  Klangcharakter  der 
Metallinstrumente  erinnert.  Die  weichen  Bestandtheile,  aus  denen  Schlund  und 
Mundhöhle  bestehen,  sind  nicht  geeignet,  den  Schallwellen  jenen  festen  "Wider- 
stand entgegen  zu  setzen,  dessen  sie  bedürfen,  um  metallisch  zu  klingen.  Ohne 
Mitwirkung  der  Zähne  wird  der  Ton  zu  weich  und  dumpf  erscheinen,  und 
diese  Klangfarbe  selbst  bei  erhöhter  Kraftanstrengung  beibehalten.  "Wo  also 
der  Sänger  jener  Mittel  zur  Tonverschönerung  vorzeitig  beraubt  ist,  versäume 
er  nicht,  das  Fehlende  durch  Kunst  ersetzen  zu  lassen,  sonst  entbehrt  er  eines 
wichtigen  Faktors,  um   Gesang  und  Sprache  wohlklingend  zu  machen. 

Professor  Helmholtz'  Forschungen  auf  dem  Gebiete  des  Tonwesens  sind 
bis  jetzt  speciell  für  Gesangskunst  nicht  genügend  verwerthet  worden,  obgleich 
hier  ein  reiches  Material  vorliegt.  Indem  Helmholtz  den  Beweis  führt,  dass  die 
Mundhöhle,  d.  h.  die  darin  enthaltene  Luft  auf  verschiedene  Töne  abgestimmt  ist, 
je  nachdem  sie  die  Stellung  ändert,  ist  der  Sänger  an  ein  Gesetz  gebunden, 
welches  ihn  nöthigt,  für  jede  Tonreihe  die  passende  Mundstellung  zu  suchen. 
Die  willkürliche  Annahme,  dass  man  beim  Beginn  der  Tonbildungsübung  den  Mund 
so  weit  als  möglich  aufmachen  und  ein  grelles  a  hervorstossen  müsse,  wird  sich  nun 
der  Nothwendigkeit  fügen,  die  Mundhöhle  so  zu  formen,  dass  sie  zur  Verschöne- 
rung des  Tones  beitragen  könne.  Der  Gesanglehrer  sowie  der  Sänger,  der  früher 
auf  empirischem  ^QgQ  vorging  und  höchlich  erstaunt  war,  dass  dieser  und 
jener  Ton  gut  ansprach,  während  ein  anderer  gar  nicht  klingen  wollte,  wird 
nun  den  Grund  in  dem  Umstände  finden,  dass  er  für  den  einen  Ton  die 
Mundstellung  unbewusst  getroffen  hatte,  während  er  bei  dem  Andern  fehl  ge- 
gangen war.  Helmholtz  weist  ferner  nach,  dass  in  jedem  Ton,  den  wir  singen 
oder  auf  irgend  welchem  Instrumente  angeben,  eine  Anzahl  anderer  Töne  mit- 
klingen, die  in  einem  harmonischen  Verhältniss  zum  Grundton  stehen  und 
deshalb  harmonische  Obertöne  heissen.  Man  kann  sich  von  der  Wahrheit  über- 
zeugen, wenn  man  einen  Resonator  an  das  Ohr  hält,  während  der  Ton  klingt. 
Mit  diesen  harmonischen  Obertönen  ist  jeder  Ton  gleichsam  ausgestattet,  ihr 
Vorhandensein  ist  eine  nothwendige  Bedingung  seines  "Wohlklanges,  ja  Helm- 
holtz beweist,  dass  sie  seine  Klangfarbe  charakterisiren.  Die  Luft,  die  unsere 
Mundhöhle  in  ihren  verschiedenen  Stellungen  einschliesst,  ist  also  wie  jeder 
andere  Hohlraum  abgestimmt,  d.  h.  wenn  wir  sie  mit  einem  Luftstrom  von 
Aussen  anblasen,  so  erklingt  sie  in  einer  bestimmten  Tonhöhe,  die  sich  nur 
ändert,  wenn  wir  der  Mundhöhle  eine  andere  Stellung  geben.  Jeder  Vocal, 
den    man    deutlich  ausspricht,    erfordert  eine  gewisse  Mundstellung  und  Helm- 


238  Tonbildung. 

holtz  giebt  die  Stimmung  der  Mundhölile  bei  den  verschiedenen  Vocalen  an. 
Wenn  nun  der  Ton,  den  wir  singen,  in  einem  seiner  harmonisclien  Obertöne 
mit  dem  Ton  der  Mundhöhle  zusammentrifft,  so  unterstützen  sich  die  beiden 
Klänge  und  vereinen  sich  zu  einem  wohlklingenden  Ganzen.  Wir  müssen  uns 
hier  auf  blosse  Andeutung  dieser  Theorie  beschränken  und  empfehlen  Jedem, 
der  weitere  Belehrung  sucht,  das  Studium  des  Abschnittes :  »Klänge  der  Vocale« 
in  Helmholtz'  »Tonempfindungena. 

Man  wird  aber  schon  jetzt  einsehen,  dass  es  die  Aufgabe  des  Sängers  ist, 
das  harmonische  Verhältniss  herzustellen  zwischen  dem  Klange  der  Mundhöhle 
und  dem  Tone,  den  die  Stimmbänder  anschlagen,  wenn  der  zu  singende  Ton 
leicht  ansprechen  und  wohlklingen  soll.  Die  Theorie  der  vielen  Register  in 
der  menschlichen  Stimme  schmilzt  dabei  zu  dem  Umstände  zusammen,  dass 
sich  auf  gewissen  Tonstufen  eine  andere  Klangfarbe  zeigt,  die  in  der  veränderten 
Mundstellung,  nicht  aber  in  der  veränderten  Thätigkeit  der  Stimmbänder  ihren 
Grund  hat*).  Das  Falsettregister  dagegen,  dessen  Bestehen  in  der  Natur  des 
Stiramorganes  begründet  ist,  tritt  allein  in  sein  Recht  ein,  jedoch  erfordert  diese 
Tonreihe  eine  Mundstellung,  mit  der  die  Ausspi-ache  der  Vocale  in  Einklang 
zu  bringen  ist.  Die  Mundstellung  wird  also  in  diesem  Falle  die  Hauptsache, 
der  wir  die  Aussprache  vinterordnen  und  anpassen  müssen. 

Wir  wollen  versuchen,  die  Helmholtz'sche  Theorie  durch  einige  Bemer- 
kungen für  die  Tonbildung  zu  verwerthen.  In  der  Region  der  Bruststimme 
giebt  es  wenig  Schwierigkeiten  zu  überwinden,  denn  so  lange  das  Organ  vor 
Anstrengung  bewahrt  bleibt,  kann  der  Sänger  mit  Bequemlichkeit  die  vortheil- 
haften  Mundstellungen  aufsuchen,  um  seiner  Aussprache  die  erforderliche  Deut- 
lichkeit zu  geben.  Anders  verhält  es  sich  in  der  höheren  Region  der  Stimme, 
wo  die  grosse,  manchmal  übermässige  Spannung  der  Stimmbänder  dem  Organ 
Gefahr  bringt.  Da  sieht  man  sich  nothgedrungen  nach  derjenigen  Methode 
um,  die  im  Stande  ist,  durch  Vortheile  Erleichterung  zu  verschaffen.  Es  ist 
Thatsache,  dass  Männerstimmen  bei  dem  TJebergange  von  e^  zu  d^  und  es^  die 
Neigung  haben,  in  dunklen  Klangcharakter  überzugehen.  Garcia  bestätigt  diese 
Wahrnehmung.  Hier  ist  der  Punkt,  wo  das  Brustregister  an  das  Falsett  grenzt. 
Wenn  der  Sänger  im  Stande  war,  in  der  Region  des  Brustregisters  alle  Vocale 
mit  der  ihnen  zugehörenden  Klarheit  und  Deutlichkeit  wiederzugeben,  so  hängt 
er  beim  Falsettregister  von  der  Mundstellung  ab,  die  dieses  Register  verlangt 
und  die  möglichst  gewölbt  sein  muss,  um  diesen  an  sich  schwachen,  mehr 
flötenden  Tönen  die  nöthige  Resonanz  zu  geben.  Eine  solche  Mundstellung 
ist  die  für  den  Vocal  o,  welche,  wenn  wir  sie  auf  ihre  Resonanz  prüfen,  ohne- 
hin dem  Tone  h^  aus  der  höchsten  Lage  des  Tenors  entspricht.  Helmholtz 
sagt,  S.  166:  »die  Stellung  des  Mundes  beim  o  ist  besonders  günstig  für  die 
Resonanz,  die  Oeffnung  des  Mundes  ist  weder  zu  gross  noch  zu  klein  und  die 
Höhle  hinreichend  geräumig«.  Da  nun  aber  die  ersten  Töne  d^  e^  f^  mit  dem 
Falsett  gesungen  bei  den  Männerstimmen  zu  schwach  erscheinen,  so  sucht  sie 
der  Sänger  in  einem  Klangcharakter  hervorzubringen,  der  zwischen  Brust-  und 
Falsettstimme  in  Mitten  liegt,  und  so  entsteht  die  voicc  mixte,  die  gemischte, 
d.  h.  aus  Brust-  und  Falsettstimme  zusammengesetzte  Stimme.  Diese  voix  mixte 
unterscheidet  sich  von  der  Bruststimme  dadurch,  dass  sie  nicht  mehr  auf  der 
Spannung  der  Stimmbänder  allein  beruht,  sondern  eine  sogenannte  Compensation 
(Ausgleich)  eintreten  lässt,  bei  der  die  -Spannung  nachlässt  und  das  Luft- 
quantum vergrössert  wird.  Das  ist  nun  ein  Vorgang,  den  jeder  Sänger  an 
sich  erfährt,  und  der  in  der  Natur  des  Stimmorganes  begründet  ist,  so  zwar, 
dass  wer  davon  keine  Kenntniss  hat  oder  ihn  zu  umgehen  sucht,  seinem  Organ 
über    kurz    oder    lancc    Schaden    zufügen    muss.     Eine    andere    Art  diese  Töne 


Auch  jene  Tonreihe  von  _^a-1  bis  c^,  die  in  der  Sopranstimme  als  besonderes  Register 
bezeichnet  ist  (s.  Stimmbildung),  verfällt  diesem  Gesetze,  und  wenn  wir  es  dort 
„Mittelregister"  nennen  geschiebt  es  nur,  um  die  Nothwendigkeit  dieses  Wechsels  in  der 
Klangfarbe  nachdrücklich  hervorzuheben. 


Tonbilduns?.  239 


•■ö 


hervorzubringen  ist  jene  unnatüx'liche  erzwungene,  wo  der  Sänger  den  Kehl- 
kopf nach  Oben  zieht,  bis  er  in  die  Oeffnung  der  Eachenhöhle  tritt,  und  jene 
hellen  aber  grellen  Laute  hervorbringt,  die  man  mit  dem  Ausdruck  »offene 
Stimme«  bezeichnet.  Jede  Unnatur  und  jeder  Zwang,  den  wir  dem  Organe  zu- 
rauthen,  rächt  sich  durch  Entkräftung  der  betroffenen  Theile.  Dass  aber  in 
der  Mundposition  der  voix  mixte  alle  Vocale  dunkleren  Charakter  annehmen, 
versteht  sich  von  selbst. 

Der  Sänger  wird  a,  e,  ae,  i  u.  s.  w.  aus  der  Mundstellung  des  o  hervor- 
gehen lassen,  gleich  wie  du  Bois-Reymond  das  a  als  Ausgangspunkt  für  die  Vo- 
cale bei  der  Sprache  annimmt.  Damit  wird  sich  der  "Wohllaut  leicht  herstellen, 
während  bei  dem  hellen  Anschlage  der  offenen  Stimme  die  krampfhafte  Mund- 
stellung keine  Nuancirung  mehr  zulässt.  Im  letzten  Falle  werden  dem  Sänger, 
wie  Helmholtz  sagt,  sogar  die  Töne  d^  e^  f^  auf  den  Yocal  e  gut  ansprechen, 
nur  wird  der  Klang  ein  für  edlen  Gesang  unbrauchbarer  sein.  Es  bedarf 
kaum  der  Erwähnung,  dass,  wenn  hier  von  dunklem  Klange  die  Rede  ist,  man 
sich  diese  Eigenschaft  nicht  auf  die  äusserste  Spitze  getrieben  denken  darf. 
Wir  wollen  aber  auch  warnen  vor  der  Meinung,  dass  die  Aussprache  der 
Vocale  im  Gresange  eine  karikirt  deutliche  sein  müsse,  sowie  überhaupt  jenes 
Bestreben  gewisser  Lehrer,  das  Heil  des  Gesanges  bei  ihren  Schülern  in  der 
deutlichsten  Aussprache  des  Textes  zu  suchen,  nie  von  glücklichem  Erfolge 
begleitet  war,  und  gewöhnlich  mit  dem  Ersterben  des  Tones  endete.  Wenn 
der  dramatische  Sänger  bisweilen  in  die  Lage  kommt,  in  Scenen  der  höchsten 
Erregtheit  eine  Tonfarbe  zu  wählen,  die  hell  und  grell  erscheint,  so  ist  das 
eben  ein  vorübergehender  Moment,  der  bald  wieder  dem  allein  berechtigten 
Wohllaut  Platz  machen  muss. 

Wir  verfolgen  den  Aufbau  der  Stimme  weiter  und  kommen  nun  in  die 
Tonregion,  wo  beim  Tenor  Falsett-  und  Bruststimme  um  die  Herrschaft  streiten. 
Es  sind  die  Töne  (/^  a^  h}  c^  Hier  ist  wieder  die  Art  der  Tonbildung,  was 
dem  Sänger  diese  Tonlage  erleichtert  oder  erschwert.  Versteht  er  es  nicht, 
die  B,esouananz  der  Mundhöhle  mitwirken  zu  lassen,  so  wird  sein  Ton  nur  ein 
krampfhafter  Aufschrei,  über  den  er  selbst  keine  Macht  hat,  und  der  wie  eine 
Explosion  auftritt,  um  gleich  wieder  zu  erlöschen.  Weiss  er  aber  seine  Mund- 
höhle an  der  Tonerzeugung  zu  betbeiligen,  so  entsteht  ein  ähnlicher  Klang 
wie  bei  d}  e'  /',  der  den  Charakter  des  Falsetts  mit  der  Festigkeit  der  Brust- 
stimme vereinigt,  und  jenen  Grad  von  Modulationsfähigkeit  behält,  in  dem  die 
verschiedenen  Vocale  zum  deutlichen  Ansprechen  kommen.  Die  vermeinte  Un- 
möglichkeit in  hoher  Lage  auf  i  oder  ü  zu  singen,  verschwindet  bei  richtigem 
Versuch,  da,  wie  Helmholtz  nachweist,  die  Mundhöhle  bei  diesen  Vocalen  ohne- 
hin auf  sehr  hohe  Töne  abgestimmt  ist;  nur  wird  der  Ton  sich  überwiegend 
dem  Charakter  des  Falsetts  nähern,  ohne  deshalb  spitz  und  pfeifend  zu  sein. 
Dabei  sei  erwähnt,  dass  sich  im  Volksmunde  für  das  Falsett  das  Wort  »Fistel« 
eingebürgert  hat,  vielleicht  zur  Bezeichnung  jener  Abart  von  Klang,  die  uns 
bei  tyroler  Natursängern  an  dieser  Stelle  begegnet.  Es  wäre  zu  wünschen, 
dass  dieses  in  seiner  Grundbedeutung  anstössige  Wort  (ßstolare  ital.  pfeifen) 
aus  der  Terminologie  des  Kunstgesanges  gestrichen  würde.  Der  Begriff  des 
Pfeifens  liegt  vom  wahren  Falsettton  so  weit  ab,  dass  es  nichts  so  Widersinniges 
giebt  wie  diese  Wortbezeichnung. 

Werfen  wir  nun  einen  Blick  auf  die  weiblichen  Stimmen,  so  findet  sich 
viel  analoges  zwischen  Alt  und  Bass,  sowie  Sopran  und  Tenor.  Die  ersten 
beiden  Gattungen,  nämlich  Alt  und  Bass,  haben  im  Tone  gleiches  Volumen, 
die  anderen  beiden  gleichen  metallischen  Charakter  anzustreben,  der  sich  beim 
Sopran  bis  zum  Glänzenden  und  Prächtigen  aufschwingen  kann.  Auch  im 
Sopran  tritt  bei  den  Tönen  d"^  e"  f^  die  Nothwendigkeit  ein,  die  Spannung 
der  Stimmbänder  zu  mildern,  und  so  den  Uebergang  ins  Falsett  zu  vermitteln. 
Die  richtige  Mundstellung  wird  auch  hier  Hauptsache  werden,  besonders  dann, 
wenn    die    Stimme    bei    a^  h^  u.  s.  w.    ganz    in    die    Kegion    des  Falsetts  (von 


240  Tonbildung. 

Einigen  »Kopfstimme«  genaunt)  eingetreten  ist.  Dieser  Theorie  widersprechend, 
findet  man  bei  vielen  Sängerinnen  die  üble  Gewohnheit,  bei  den  hohen  und 
höchsten  Tönen  den  Mund  so  weit  und  unschön  aufzumachen,  dass  die  rück- 
wärtigen Theile  der  Mundhöhle  dadurch  ganz  blosgelegt  werden.  Sie  geben 
auf  diese  "Weise  Laute  von  sich,  die  trocken  und  grell  klingen,  ohne  Anspruch 
auf  irgend  welche  Tonschönheit  zu  machen,  weil  nach  Helmholtz'  Theorie  das 
Ansatzrohr  fehlt,  das  allein  im  Stande  ist,  den  Wohllaut  herzustellen.  "Wenn 
nun  die  Stimme  ihre  normale  Thätigkeit  gefunden  hat,  dann  treten  auch  all 
die  Erscheinungen  hervor,  die  Helmholtz  in  seinem  Buche  nachgewiesen,  und 
der  Sänger  kommt  zur  Ueberzeugung,  dass  er  sich  auf  der  Fährte  der  Natur 
befindet.  All  jene  Künsteleien  aber,  die  darauf  ausgehen,  dem  Organe  Effekte 
abzugewinnen,  die  nicht  in  seinen  natürlichen  Funktionen  liegen,  werden  ver- 
derblich, indem  sie  den  Mechanismus  schädigen.  Das  empirische  Vorgehen, 
das  die  Wissenschaft  für  unnöthig  erachtet,  und  einer  vermeinten  Erfahrung 
folgen  zu  müssen  glaubt,  birgt  manche  Gefahr  in  sich.  So  sieht  man  häufig 
die  Willkür  schalten  und  walten,  man  sucht  sich  in  neuen  Theorien  und 
barocken  Erfindungen  zu  übertreffen,  ja  es  giebt  Gesanglehrer,  die  sich  beklagen, 
dass  sie  keinen  Schüler  finden  können,  der  ihre  selbsterfundene  Gesangs- 
methode aushält.  Dann  herrscht  aber  aucb  Verwüstung,  wo  sorgfältige  Pflege 
walten  sollte,  und  die  Folge  ist  jener  vielbeklagte  Mangel  an  schönen  Stimmen, 
der  so  lange  anhalten  wird,  bis  man  zur  Einsicht  gekommen,  dass  nur  in  der 
Erkenntniss  der  Natur  die  Wahrheit  liegt. 

Ehe  wir  von  der  Besprechung  des  Wohllautes  scheiden,  wäre  es  nicht 
uninteressant,  einen  Blick  auf  das  Sprachorgan  zu  werfen.  «Der  Wohllaut  in 
Sprache  und  Gesang  hängt  von  der  richtigen  Mundstellung  ab,  die  Deutlichkeit 
der  Aussprache  aber  von  dem  schnellen  und  präcisen  Wechsel  der  Mund- 
stellung« (»Musik.  Wochenblatt«,  Jahrg.  VIII,  No.  3).  Auf  diesen  Satz  werden 
wir  durch  Helmholtz  geleitet  und  finden  ihn  überall  bestätigt  und  begründet. 
Die  Frage,  welche  Sprache  die  wohlklingendste  sei,  hat  ihre  Beantwortung  in 
dem  Satze  gefunden,  dass  offene  Vocale  und  leicht  zu  sprechende  Consonanten 
am  meisten  dazu  beitragen,  um  ein  Idiom  schön  und  wohlklingend  zu  machen, 
nur  muss  der  Eedner  diese  Eigenschaften  zur  Geltung  bringen.  Wenn  man 
die  Italiener  um  ihre  Sprache  beneidet  und  ihr  im  Leben  wie  im  Gesänge 
den  Vorzug  vor  allen  anderen  giebt,  so  liegt  der  Grund  nur  darin,  dass  der 
Italiener  es  sich  angelegen  sein  lässt,  seine  Vocale  und  Consonanten  möglichst 
deutlich  und  wirksam  zu  machen,  während  der  Deutsche  beim  Sprechen  kaum 
den  IMund  öffnen  mag,  aus  Furcht  affektirt  zu  erscheinen.  Somit  geht  dem 
Deutschen  all  der  Wohllaut  verloren,  der  seiner  Sprache  vermöge  ihrer  wohl- 
klingenden Vocale  und  Diphthongen  eigen  ist.  Dass  die  Resonanz  der  Mund- 
höhle auch  den  Sprachlaut  verstärke  und  verschönere,  ist  durch  Helmholtz 
genau  nachgewiesen  und  durch  das  lebendige  Beispiel  der  Italiener  bewiesen, 
denn  ihm  ist  es  zur  zweiten  Natur  geworden,  die  Mundstellungen  schnell  und 
präcise  zu  wechseln,  was  sich  in  der  Lebendigkeit  seiner  Gesichtszüge  abspiegelt. 
Sprachen  dagegen,  denen  der  volle  offene  Klang  der  Vocale  fehlt,  und  die 
durch  Consonantenhäufungen  der  freien  Entwickelung  des  Tones  ungünstig 
sind,  wie  die  französische,  englische  oder  die  slavischen  Sprachen,  können  trotz 
aller  guten  Eigenschaften,  die  ihnen  sonst  anhaften,  nicht  Anspruch  machen  auf 
Klangschönheit,  weshalb  ihre  Verwendung  im  dramatischen  Gesänge  nicht 
immer  von  guter  Wirkung  ist. 

Wir  kommen  nun  zur  zweiten  Eigenschaft  des  Tones,  zur  Kraft. 

Die  Baumverhältnisse  sowohl,  als  auch  die  grössere  Musikgattung,  in  der 
sich  der  Sänger  zu  bewegen  hat,  machen  es  nöthig,  dass  er  seiner  Stimme  die 
Fähigkeit  gebe,  weithin  zu  wirken,  und  den  Tonwellen  eine  gewisse  Intensität 
verleihe.  Die  Physiologie  lehrt  uns,  dass  die  Stärke  der  Klänge  mit  der  Breite 
(Amplitude)  der  Schwingungen  des  tönenden  Körpers  wächst  und  abnimmt. 
Dieser  tönende  Körper  für  den  Sänger  sind  die  Stimmbänder  in  ihrer  gemein- 


Tonbildun«'.  241 


'S) 


ö 


samen  Thätigkeit  als  Eins  genommen,  die,  wie  uns  der  Kehlkopfspiegel  zeigt, 
in  der  Region  der  Bruststimme  in  ihrer  ganzen  Breite  in  Schwingung  sind. 
Nur  knüpfen  sich  daran  gewisse  Bedingungen.  Die  Stimmbänder  müssen  sich 
in  jenem  Grade  der  Spannung  befinden,  in  dem  sie  im  Stande  sind,  die  an- 
dringende Luft  gleichsam  abzusperren  und  Widerstand  zu  leisten.  In  schlaffem 
Zustande,  wie  bei  den  tiefen  und  tiefsten  Tönen,  entweicht  ein  grosses  Quantum 
von  Luft,  ohne  die  Stimmbänder  kräftig  erfassen  zu  können;  deshalb  erscheinen 
diese  Töne  ursprünglich  schwach  und  kraftlos.  Ein  fast  gleicher  Fall  tritt  ein 
in  der  Region  des  Falsettregisters,  wo  nur  die  inneren  Ränder  der  Stimmbänder 
in  Vibration  gesetzt  sind.  In  beiden  Fällen  ist  der  Sänger  darauf  angewiesen, 
von  jener  Compensation  Gebrauch  zu  machen,  von  der  wir  oben  sagten,  dass, 
wo  die  Spannung  vermindert  sei,  die  Luftmasse  vergrössert  werden  müsse. 
Diese  Töne  erfordern  daher  ein  grösseres  Luftquantum,'  um  in  der  Kraft  den 
höheren  Tönen  des  Brustregisters  gleich  zu  kommen.  Während  der  Sänger 
aber  in  der  tiefen  Lage  seines  Stimmumfanges  nie  recht  zu  voller  Kraft  gelangt, 
bietet  sich  ihm  in  der  Lage  des  Falsetts  ein  Mittel,  die  verlangte  Amplitude 
der  Schwingungen  herzustellen.  Durch  zweckmässige  Athemverwendung  ver- 
maß er  die  Randschwingungen  auf  einen  breiteren  Theil  der  Bänder  auszu- 
dehnen. Indem  die  Bänder  sich  nicht  in  voller  Spannung  wie  beim  Brust- 
reo-ister  befinden,  hängt  es  vom  Luftstrom  ab,  wie  breit  der  Rand  werden  soll, 
der  den  Ton  erklingen  macht.  Wenn  es  also  unserer  Vorstellung  schwer  wird, 
sich  eine  Amplitude  der  Schwingungen  bei  schmalem  Rande  der  Stimmbänder 
zu  vergegenwärtigen,  so  steht  dem  Sänger  frei,  diesem  Rande  mehr  Breite  zu 
geben  und  somit  einen  Ton  hervorzubringen,  der  ohne  Anstrengung  dem  Klang- 
charakter der  Bruststimme  sich  nähert.  Und  dieser  Vorgang  tritt  in  der  Natur 
wirklich  ein,  und  ist  eine  naturgemässe,  ungekünstelte  Erscheinung,  während 
jene  andei-e  Stimmbehandlung,  wo  die  Stimmbänder  über  die  Grenze  des  Brust- 
registers hinaus  noch  weiter  gespannt  werden  und  jenen  forcirten  kreischenden 
Klang  erzeugen,  der  uns  bei  manchen  Sopranstimmen  so  unangenehm  berührt, 
dem  Organ  verderblich  wird,  weil  er  unnatürlich  ist. 

Dass  bei  jeder  Kraftäusserung  die  Grenze  der  Schönheit  einzuhalten  sei, 
bedarf  nur  der  Erwähnung.  Wohlklang  an  sich  ist  schon  eine  Kraft,  die  unter 
allen  Verhältnissen  zur  Geltung  kommt.  Unedler  Gebrauch  der  Stimme  erzeugt 
nicht  das  Gefühl  der  Tonstärke,  sondern  artet  in  Geschrei,  also  in  ein  Geräusch 
aus,  das  unser  Empfinden  unangenehm  berührt.  Indem  Helmholtz  davon  spricht, 
wie  unser  Ohr  für  die  Töne  der  viergestrichenen  Octave  ganz  besonders  em- 
pfindlich ist,  bemerkt  er  weiter,  dass  wenn  die  menschliche  Stimme  mit  An- 
strengung gebraucht  wird,  so  dass  sie  einen  schmetternden  Charakter  bekommt, 
man  Obertöne  der  viergestrichenen  Octave  hört,  die  dicht  neben  einander  liegen 
und  sehr  unangenehm  wirken.  »Bei  kräftigen  Männerstimmen,  welche  forte 
singen,  hört  man  jene  Töne  gleichsam  wie  ein  helles  Schellengerassel  mit- 
klingen, am  deutlichsten  aber  bei  Chören,  wenn  die  Stimmen  etwas  schreien.  Es 
giebt  jede  einzelne  Männerstimme  in  solcher  Höhe  schon  dissonirende  Ober- 
töne. Wenn  Bässe  ihr  hohes  e^  singen,  so  ist  d*  der  siebente,  e*  der  achte, 
ßs*  der  neunte,  gis^  der  zehnte  Oberton.  Wenn  nun  gleichzeitig  e*  und  ßs* 
stark,  d*  und  gis*  schwächer  hörbar  werden,  so  giebt  das  natürlich  eine  scharfe 
Dissonanz.  Kommen  gar  viele  Stimmen  zusammen,  welche  diese  Töne  mit 
kleinen  Höhenunterschieden  angeben,  so  giebt  es  eine  eigenthümliche  Art  von 
Gerassel,  was  man  sehr  leicht  immer  wieder  wahrnimmt,  wenn  man  erst  einmal 
darauf  aufmerksam  geworden  ist«.  Wir  sehen  hier,  wie  der  gelehrte  Physiologe 
eine  Erscheinung  kennzeichnet,  die  gewiss  jedem  Musiker,  besonders  aber  dem 
Gesangverstäudigen  aufgefallen  ist,  der  er  aber  wie  einem  mysteriösen  a-  iHQeaiv 
naturae  aus  dem  Wege  gegangen,  ohne  nachzuforschen,  wo  der  eigentliche  Grund 
liege.  Dieses  Gerassel  tritt  nicht  allein  im  Gesänge  von  Männerchören  auf, 
auch  bei  Opernsängern  können  wir  ihm  begegnen,  besonders  wenn  sie  den  Effekt 
in  Kraftanstrensfunö-  suchen  und  die  Gesetze  der  Tonschönheit  ausser  Acht  lassen. 

Musikal.  Convers.-Lexlkon.    X.  16 


242  Toubildung. 

Die  Stärke  des  Tones  hängt  vom  Bau    der  Miindhölile  und  von  der  For- 
mation des  Kehlkopfes  resp.  der  Stimmbänder  ab,  nicht  aber,  wie  Viele  glauben, 
von    der   robusten   Körperbildung   des    Sängers.     Es    hat   sich    sehr  oft  gezeigt, 
dass  anscheinend  schwächliche  Personen  durch  die  Macht  ihres  Tones  imponirten, 
während    herkulische    Gestalten    durch   das  Gegentheil  überraschten.     Dort,  wo 
in  geräumiger  Mundhöhle  die  Luftschwingungen  sich  räumlich  ausbreiten  können, 
entsteht    das,    was    wir  Volumen    der   Stimme    nennen,    und    was    nicht   allen 
Organen  in  gleichem  Maasse  eigen  ist.    Gewisse  Stimmgattungen,  wie  Alt  und 
Bass,  sind  dadurch  charakterisirt,  weshalb  auch  ihre  Klangfarbe  sich  wesentlich 
von    der    des    Tenors    und    Soprans    unterscheidet,    welch    letztere    dafür  durch 
Klangreichthum  in  heller  Farbe  glänzen.     Der  Resonator  weist  bei  ihnen  eine 
Anzahl   höherer    Obertöne    auf,    die  bei  jener  Stimmgattung  fehlen.     Dass  man 
aber    eine    von    Natur    kleine    Stimme    durch    künstlerisches    Zuthun  zu  einem 
Wohllaut   und    daraus    hervorgehender   Klangfülle    entwickeln    kann,  in  der  das 
Gefühl    der    ursprünglichen    Kleinheit    verschwindet,    unterliegt  um  so  weniger 
einem  Zweifel,  als  wir  dafür  lebende  Beispiele  anführen  können  (Adelina  Patti). 
Die  Elasticität  oder  Schwungfähigkeit  endlich,  als  dritte  nothwendige 
Eigenschaft    des    Gesangtones,    ist    das    Produkt  des  Athems.     Der  Athem  hat 
nicht  allein   die  Aufgabe    den   Ton  hervorzubringen,  er  muss  ihn  auch  beleben 
und  beseelen  können.     Fragen  wir  nach  dem  Mittel,  durch  welches  der  Sänger 
auf  den  Zuhörer  wirkt  und  in  ihm  alle  Gefühle  wachruft,  so  ist  es  die  Elasti- 
cität des  Athems,  dieses  nie  ruhende  Agens,  das  in  einem  Moment  aufleuchtet, 
um  im  nächsten  zu  erlöschen  und  in  geistvollem  Schwünge  die  Seelenthätigkeit 
des   Sängers  auf  den  Hörer  überträgt.     Der  Athem   an  sich  ist  als  gerade  un- 
unterbrochen   strömende    Linie    aufzufassen,    nach    welcher    Richtung    auch    die 
Intervalle    der    Melodie    ablenken    mögen,    jene  Linie,  die  vom  mathematischen 
Punkte  (dem  Tonansatz)  ausgeht,  anschwellend  die  nöthige  Stärke  erreicht  und 
wieder  abnimmt,  um  im  nächsten   Momente    von  Neuem  anzuheben.     Der  Zug 
des  Athems  muss  einer  ruhig  dahinziehenden  Strömung  gleichen,  elastisch,  doch 
unbeirrt    durch    die    Schwingungen    der    Luft,    die    den  Ton  erklingen  machen, 
aber  selbst  im  schwungvollen  Lauf  wellenlos  und  glatt.    Hier  liegt  die  Aufgabe 
des  Sängers,  der  durch  Ruhe  und  Ordnung  im  Ein-  und  Ausathmen  die  grösste 
Herrschaft  über  sein  Organ  erlangt.    Die  Athembehandlung  ist  daher  ein  wich- 
tiger Paragraph  der  Singschule;  je  früher  der  Schüler  es  darin  zur  Fertigkeit 
bringt,  desto  weniger  ist  er  später  der  Anstrengung    ausgesetzt.     Deshalb  darf 
aber  die  Schule  nicht  darauf  ausgehen,  langen  Athem  durch  andauernde  Arbeit 
erzwingen    zu    wollen,    sondern    muss    jene   weise  Oekonomie  walten  lassen,  die 
aus  gegebenen  Mitteln  den  möglichsten  Vortheil  zu  ziehen  sucht. 

Die  Verwendung  des  Athems  bei  der  Tonbildung  hat  vor  Allem  die  Auf- 
gabe, das  richtige  Maass  herzustellen  zwischen  der  Spannung  der  Stimmbänder 
und  dem  Luftstrom,  der  sie  in  Vibration  setzt.  Ein  Missverhältniss  nach  der 
einen  oder  andern  Seite  erzeugt  TJebelstände,  die  sich  durch  heulenden  Ton 
oder  durch  falsche  Intonation  kundgeben.  Die  Stimme  gleicht  dann  einem 
überblasenen  Instrument,  im  andern  Falle  einer  Orgelpfeife,  die  nicht  ansprechen 
kann,  weil  ihr  der  nöthige  Wind  fehlt.  Gleichwohl  verlangen  die  oberen  Töne 
des  Brustregisters  ein  sehr  geringes  Luftquantum,  wodurch  sie  sich  eben  als 
wahre  Brusttöne  erweisen,  während  die  tiefen  und  tiefsten,  bei  der  geringen 
Spannung  der  Stimmbänder,  eine  beträchtliche  Menge  Athem  unbenutzt  ent- 
weichen lassen.  In  der  Region  der  voix  mixte  ist  der  Luftstrom  gewisser- 
massen  gehemmt  und  verursacht  dem  Sänger  ein  beängstigendes  Gefühl,  als  ob 
er  sich  der  andringenden  Luft  nicht  entledigen  könnte.  Erst  zweckmässige 
Uebung  vermag  hier  Erleichterung  zu  verschaffen,  bis  dann  im  eigentlichen 
Falsettregister  die  Stimmbänder,  aus  der  früheren  Spannung  zurücktretend,  nur 
noch  einen  Hauch  beanspruchen,  um  ihre  Ränder  in  Schwingung  zu  bringen. 
So  vielfältig  die  Anforderungen  hier  erscheinen  mögen,  gelingt  es  doch,  mit 
Hülfe  der  passenden  Mundstellung,  ihnen  allen  gerecht  zu  werden,  und  in  der 


Tondichter.  243 

Scala  wie  Roulade  die  Register  zu  durclieilen,  ohne  eine  TTnterbrecliuiig  fühlen 
zu  lassen.  Nur  bleibt  die  Ruhe  des  Athems  das  Haupterforderniss,  sowohl  im 
gehaltenen  Ton,  als  auch  in  der  Scala,  während  jenes  Tremoliren,  das  manche 
Sänger  sich  angewöhnen,  den  widerlichsten  Effekt  hei'vorbringt  und  alle  Funk- 
tionen des  Organs  beeinträchtigt. 

Treten  wir  nun  einen  Schritt  zurück,  um  das  bisher  Gresagte  zu  überblicken, 
so  finden  wir  die  Aufgabe  der  Tonbildung  in  dem  Bestreben  gelöst,  Mund- 
stelluug  und  Athem  richtig  zu  verwerthen,  um  der  Stimme  jenen  Klang  zu 
geben,  der  edel  und  rein  auftritt,  ohne  die  Stimmwerkzeuge  von  ihrer  natür- 
lichen Thätigkeit  abzulenken.  Dem  Künstler  bleibt  es  dann  vorbehalten, 
diesem  Tone  Licht  und  Schatten  zu  geben,  ihn  zur  Klage  zu  stimmen  oder 
freudig  aufjauchzen  zu  machen,  kurz,  ihn  alle  Regungen  des  Herzens  ab- 
spiegeln zu  lassen,  —  die  Bedingungen  der  Schönheit  müssen  überall  ein- 
gehalten werden. 

Tondichter  nennt  man  den  Componisten,  den  Schöpfer  eines  Tonstücks, 
weil  er  in  Tönen  dichtet.  Es  ist  bezeichnend  für  die  Eigenart  der  beiden 
Künste:  der  Poesie  und  der  Tonkunst,  dass  man  diesen  Begriff  nur  auf 
sie  und  nicht  auch  auf  die  andern  Künste  anwendet,  dass  man  nicht  auch,  oder 
doch  nur  sehr  vereinzelt  von  einem  Farbendichter,  niemals  aber  von  einem 
Stein-  oder  Metalldichter  spricht.  Der  Sprachgebrauch  stützt  sich  hier 
auf  das  intimere  Verhältniss,  in  welchem  Dichtkunst  und  Tonkunst  zur  Phan- 
tasie stehen.  Diese  hat  bei  den  andern  Künsten,  der  Malerei,  der  Sculptur 
und  Architektur  nicht  mindern  Antheil,  als  bei  der  Poesie  und  Musik; 
allein  doch  in  anderer  Weise.  Die  sogenannten  bildenden  Künste  finden  ihre 
Anleitung  und  zum  grossen  Theil  selbst  die  Formen  für  ihre  Schöpfungen 
meist  in  der  äussern  Natur  vor,  die  sie  dann  mit  der  anschauenden  Phantasie 
erfassen  und  künstlerisch  gestalten.  Für  die  Poesie  und  noch  mehr  für  die 
Tonkunst  muss  dagegen  die  produktive  Phantasie  erst  Stoffe  und  grössten- 
theils  auch  die  Formen  schaffen  und  diese  Thätigkeit  heisst  eben  dichten. 
Auch  wo  die  bildenden  Künste  ihre  Stoffe  der  produktiven  Phantasie  entnehmen, 
wo  sie  der  Traumwelt  des  Mährchens  sich  zuwenden,  sind  sie  doch  überall  zu- 
gleich auch  an  die  Formen  und  Vorgänge  der  concreten  "Welt  gebunden.  Sie 
vermögen  wohl  phantastische  Stoffe  darzustellen,  aber,  durch  das  Material  in 
welchem  sie  bilden  genöthigt,  doch  immer  in  Formen,  die  der  realen  Welt 
entstammen.  Das  Material,  in  welchem  Dichtkunst  und  Tonkunst  dar- 
stellen, Laut  und  Ton,  ist  dagegen  an  und  für  sich  wesenlos  und  daher  auch 
ganz  geeignet  zur  Darstellung  jener  erdicliteten  Welt  des  Träumens,  der 
schaffenden  Phantasie,  wie  der  gesammten  lebendig  wirkenden  Innerlichkeit  des 
Menschen.  Der  schaffende  Geist  dichtet,  indem  er  dies  Leben  der  Phantasie 
zu  Bildern  verdichtet  und  ihnen  dann  tönenden  Ausdruck  in  Worten  oder  in 
Tönen  und  Klängen  giebt.  So  wird  der  Componist  zum  Tondichter.  Dem 
Wortlaut  nach  ist  der  Componist  (von  componere  =  zusammensetzen,  aus- 
arbeiten) noch  kein  Dichter,  sondern  zunächst  nur  der,  mit  der  Technik  seiner 
Kunst  vertraute  Verfertiger  des  Kunstwerks.  Erst  darin,  dass  dieses  einen 
wirklich  dichterischen  Inhalt  bringt,  der  von  der  Phantasie  und  der  ganzen 
Innerlichkeit  des  Menschen  gleichmässig  erzeugt  ist,  zeigt  sich  der  Tondichter. 
Die  formale  Meisterschaft  macht  erst  den  Componisten  und  dass  diese  selbst 
nicht  ohne  Inhalt  sein  kann,  ist  mehrfach  auch  in  diesem  Werk  nachgewiesen 
worden.  Inhaltslose  Formen  giebt  es  überhaupt  nicht,  denn  jede  Form  hat 
einen  bestimmten,  sie  erzeugenden  Inhalt  zu  ihrer  Voraussetzung.  Der  wahre 
Tondichter  giebt  diesem  individuelles  Gepräge  und  der  Form  damit  eigen- 
thümliche  Ausgestaltung.  Zum  vollendeten  Tonkünstler  gehört  es  demnach, 
dass  beide  sich  bis  zu  vollständiger  Einheit  durchdringen.  Der  geschickte 
Componist,  der  nicht  zugleich  Tondichter  ist,  wird  nur  vorübergehend 
interessiren  und  nur  wenig  mehr,  ohne  dass  er  grössere  Bedeutung  gewinnt, 
der  Tondichter,  der  nicht  zugleich  vollendet  ist  als  Componist. 

16* 


244  Tone  —  Tonempfindung. 

Tone,  JExtensio,  hiess  bei  den  Griechen  eine  Setzmanier,  das  Anhalten 
eines   Tones  oder  eine  mehrmalige  Wiederholung  desselben. 

Tonempflndung'.  Die  Tonempfindung  ist  erste  Voraussetzung  für  die  Ton- 
kunst. Wohl  operirt  der  Tonkünstler  zunächst  mit  dem  Ton  als  einem,  in 
gewissem  Sinne  abstrakten  BegrifiP,  er  erfindet  Tonfiguren,  aber  diese  haben 
doch  die  eigentliche  Bedeutung  erst  als  Klangfiguren.  In  todten  Zeichen  für 
die  Töne  schreibt  er  sein  Kunstwerk  nieder  und  bezeichnet  zugleich  so  genau 
als  hierdurch  möglich  ist,  die  speciellen  Klänge,  in  denen  er  seine  Töne  lebendig 
gemacht  wissen  will,  aber  hierzu  sind  dann  die  fremden  Organe  nöthig,  welche 
das  Kunstwerk  erst  der  Tonempfindung  vermitteln.  Wohl  vermag  der 
dieser  Zeichensprache  Kundige  auch  aus  dem  blossen  Lesen  dieser  Zeichen, 
die  Noten  und  was  dazu  gehört,  ein  Bild  zu  gewinnen,  ohne  diese  wirklich 
lebendige  Uebertragung  in  Klänge,  allein  es  kann  dies  doch  nur  unvollkommen 
sein  und  wird  selbst  nicht  die  Wirkung  einer  nur  mittelmässigen  Ausführung 
ersetzen.  Soll  diese  eine  entsprechende  sein,  so  muss  das  Kunstwerk  durch 
die  vorgeschriebenen  Organe  unserer  Tonempfindung  vermittelt  werden. 
Diese  erscheint  zunächst  wieder  als  blosse  Gehörempfindung.  Das  Gehör- 
organ vermittelt  diese  Empfindung  und  zwar  nicht  nur  die  des  Tons  und 
Klanges,  sondern  auch  die  des  blossen  Schalls  als  Geräusch.  Das  Sausen, 
Heulen  und  Pfeifen  des  Windes,  das  Rauschen  und  Rieseln  des 
Wassers,  das  Rollen  des  Donners,  das  Getöse  einer  lärmenden  Volks- 
menge vernimmt  das  Gehörorgan  ebenso,  wie  die  Töne  und  Klänge  der 
Menschenstimme  oder  der  Instrumente.  Der  Grund  dieser  Erscheinung  liegt 
bekanntlich  in  der  uns  umgebenden  Luft,  deren  Bewegung  im  menschlichen 
Ohr  die  Gehöremijfindung  erzeugt.  Die  unregelmässigen  Erschütterungen  der 
Luft  erzeugen  auch  eine  wechselnde  Empfindung  im  Ohr,  die  wir  mit  Geräusch 
bezeichnen;  die  regelmässig  andauernde,  in  gleichmässiger  Weise  erfolgende  Be- 
wegung der  Luft  erzeugt  dagegen  die  entsprechende  Empfindung  im  Ohr,  welche 
wir  mit  Klang  bezeichnen.  Diese  regelmässigen  Bewegungen  sind  Schwingungen, 
d.  h.  hin-  und  hergehende  Bewegungen  der  tönenden  Körper,  und  sie  müssen 
periodisch  sein,  d.  h.  nach  genau  gleichen  Zeitabschnitten  immer  in  derselben 
Weise  wiederkehren.  Dabei  gewinnt  das  Ohr  die  Empfindung  des  Klanges  und 
bei  ganz  bestimmter  Anzahl  der  Schwingungen  den  betreffenden  Ton  von  be- 
stimmter Höhe  oder  Tiefe.  Diese  sind  desto  höher,  je  grösser  ihre  Schwingungs- 
zahl in  einer  bestimmten  Zeit  ist.  Dabei  empfindet  das  Ohr  weiterhin  auch 
die  verschiedenen  Stärkegrade  der  Klänge.  Dieser  entspricht  die  Breite  der 
Schwingung  des  tönenden  Körpers,  daher  tönt  eine  nur  leicht  angestrichene 
Saite  leiser,  als  eine  kräftig  und  mit  breitem  Bogenstrich  tönend  gemachte 
Saite,  und  die  Stärke  des  Klanges  nimmt  ab,  ohne  dass  sich  Tonhöhe  und 
Klangfarbe  ändern,  wenn  die  Breite  der  Schwingungen  dieser  stark  ange- 
strichenen Saite  sich  verringert. 

Den  Grund  der  grossen  Anzahl  von  Klangfarben,  welche  unser  Ohr  zu 
unterscheiden  vermag,  hat  die  wissenschaftliche  Untersuchung  in  der  grössern 
oder  geringern  Bedeutung,  welche  die  mitklingenden  Töne,  die  Obertöne, 
bei  den  betreffenden  Instrumenten  gewinnen,  gefunden.  Namentlich  hat  Helm- 
holtz  hierüber  die  treffendsten  Aufschlüsse  gegeben;  er  fasst  das  Resultat 
seiner  eingehenden  Untersuchungen  in  folgende  Sätze  zusammen*):  1)  Ein- 
fache Töne,  wie  die  der  Stimmgabeln  mit  Resonanzröhren,  der  weitgedacten 
Orgelpfeifen,  klingen  mehr  weich  und  angenehm,  ohne  alle  Rauhigkeit,  aber 
unkräftig  und  in  der  Tiefe  dumpf.  2)  Klänge,  welche  von  einer  Reihe  ihrer 
niedern  Obertöne  bis  etwa  zum  sechsten  hinauf  in  massiger  Stärke  begleitet 
sind,  sind  klangvoller,  musikalischer.  Sie  haben,  mit  den  einfachen  Tönen  ver- 
glichen, etwas  Reicheres  und  Prächtigeres,  sind  aber  vollkommen  wohllautend 
und  weich,  so  lange  die  höhern  Obertöne  fehlen.     Hierher  gehören  die  Klänge 


*)  „Die  Lehre  von  den  Tonempfindvingen",  11.  Ausgabe,  pag.  180. 


Tonempfiudung.  245 

des  Fortepiano,  dei*  offenen  Orgelpfeifen,  der  weichen  Pianotöne  der  menscli- 
lichen  Stimme  und  des  Horns,  welche  letztere  den  Uebergang  zu  den  Klängen 
mit  hohen  Obertönen  machen,  während  die  Flöten  und  schwach  angeblasenen 
Flötenregister  der  Orgel  sich  den  einfachen  Tönen  nähern.  3)  "Wenn  nur  die 
ungeradzahligen  Obertöne  da  sind,  wie  bei  den  engen  gedacten  Orgelpfeifen, 
den  in  der  Mitte  angeschlagenen  Fortepianosaiten  und  der  Clarinette,  so  be- 
kommt der  Klang  einen  hohlen,  oder  bei  einer  grössern  Zahl  von  Obertönen 
einen  näselnden  Charaktei-.  Wenn  der  Grundton  überwiegt,  ist  der  Klang 
voll;  leer  dagegen,  wenn  jener  an  Stärke  den  Obertönen  nicht  hinreichend 
überlegen  ist.  So  ist  der  Klang  weiter  offener  Orgelpfeifen  voller,  als  der  von 
engeren,  der  Klang  der  Saiten  voller,  wenn  sie  mit  den  Hämmern  des  Piano- 
forte  angeschlagen  werden,  als  wenn  es  mit  einem  Stöckchen  geschieht,  oder 
wenn  sie  mit  den  Fingern  gerissen  werden,  der  Ton  von  Zungenpfeifen  mit 
passendem  Ansatz  voller,  als  von  solchen  ohne  Ansatzrohr,  4)  Wenn  die 
höhern  Obertöne  jenseits  des  sechsten  oder  siebenten  sehr  deutlich  sind,  wird 
der  Klang  scharf  und  rauh.  Der  Grad  der  Schärfe  kann  verschieden  sein; 
bei  geringerer  Stärke  beeinträchtigen  die  hohen  Obertöne  die  musikalische 
Brauchbarkeit  nicht  wesentlich,  sind  im  Gegeutheil  günstig  für  die  Charakteristik 
und  Ausdrucksfähigkeit  der  Musik.  Von  dieser  Art  sind  besonders  wichtig  die 
Klänge  der  Streichinstrumente,  ferner  die  meisten  Zungenpfeifen,  Oboe,  Fagott, 
Physharmonika,  die  menschliche  Stimme.  Die  rauhern,  schmetternden  Klänge 
der  Blechinsti'umente  sind  ausserordentlich  durchdringend  und  machen  deshalb 
mehr  den  Eindruck  grösserer  Kraft,  als  ähnliche  Klänge  von  weicherer  Klang- 
farbe. Sie  sind  deshalb  für  sich  allein  wenig  geeignet  zur  künstlerischen  Musik, 
aber  von  grosser  Wirkung  im   Orchester. 

Auch  über  die  Funktionen  des  Ohrs  und  der  Gehörnerven  im  Besondern 
hat  der  genannte  ausgezeichnete  Gelehrte  die  gründlichsten  Untersuchungen 
angestellt  und  ist  unter  Anwendung  bereits  feststehender  Thatsachen  zu  über- 
raschenden Schlussfolgerungen  gelangt.  Früher  war  man  der  Ansicht*),  »dass 
das  Ohr  sowohl  die  Fähigkeit  habe,  die  Zahl  der  Schwingungen  eines  Klanges 
zu  unterscheiden  und  darnach  die  Höhe  des  Tons  zu  bestimmen,  als  auch  die 
Form  der  Schwingungen,  von  welcher  letzteren  die  Verschiedenheit  der  Klang- 
farbe abhänge«.  Die  letztere  Behauptung  gründet  sich  nur  auf  Schlüsse,  welche 
auf  die  Exclusion  der  anderen  möglichen  Annahme  gegründet  waren.  Da  nach- 
gewiesen werden  konnte,  dass  gleiche  Höhe  zweier  Töne  durchaus  gleiche  Zahl 
der  Schwingungen  erfordern,  da  ferner  die  Stärke  des  Tones  sichtlich  von  der 
Stärke  der  Schwingungen  abhing,  so  musste  die  Klangfarbe  von  etwas  anderm 
als  von  der  Zahl  und  Stärke  der  Schwingungen  abhängen.  Es  blieb  nur  die 
Form  der  Schwingungen.  Wir  können  nun  diese  Ansicht  noch  genauer  be- 
stimmen. Die  Versuche  ergaben,  dass  Wellen  von  sehr  verschiedener  Form 
gleiche  Klangfarben  haben  können,  und  zwar  existiren  in  jedem  Falle  (den 
einzelnen  Ton  ausgenommen)  unendlich  viele  verschiedene  Wellenformen  dieser 
Art,  da  jede  Aenderung  des  Phasenunterschiedes  die  Form  verändert,  ohne  den 
Klang  zu  ändern.  Entscheidend  ist  nur,  ob  die  Luftschwingungen,  welche  das 
Ohr  treffen,  wenn  sie  in  eine  Summe  einfacher  pendelartiger  Schwingungen 
zerlegt  gedacht  werden,  die  gleichen  einfachen  Schwingungen  in  gleicher  Stärke 
geben.  Das  Ohr  unterscheidet  also  nicht  die  verschiedene  Form  der  Wellen 
an  sich  genommen,  wie  das  Auge  Bilder  der  verschiedenen  Schwingungsformen 
unterscheiden  kann,  das  Ohr  zerlegt  vielmehr  die  Wellenformen  nach  einem 
bestimmten  Gesetze  in  einfachere  Bestandtheile,  es  empfindet  diese  einfachen 
Bestandtheile  einzeln  als  harmonische  Töne;  es  kann  sie  bei  gehörig  geschulter 
Aufmerksamkeit  einzeln  zum  Bewusstsein  bringen,  und  es  unterscheidet  als 
verschiedene  Klangfarben  nur  verschiedene  Zusammensetzungen  aus  diesen  ein- 
fachen Empfindungen.     Der  Artikel  Ohr  bringt  das   Nähere    über  Einrichtung 


*)  Daselbst  pag.  196. 


246  Tonempfindung. 

derselben  und  den  Antheil,  den  die  einzelnen  Theile  desselben  an  der  Ton- 
empfindung nehmen.  Aus  diesen  Wabrnehmungen  zieht  nun  Helmholtz  die 
Schlüsse:  1)  dass  verschiedene  Theile  des  Ohrs  durch  verschieden  hohe  Töne  in 
Schwingung  versetzt  werden,  und  diese  Töne  empfinden;  2)  dass  ein  einfacher, 
dem  Ohre  zugeleiteter  Ton  die  Cortischen  Fasern,  die  mit  ihm  ganz,  oder  nahehin 
im  Einklänge  sind,  stark  erregt  werden,  alle  andern  schwach  oder  gar  nicht, 
dass  also  3)  jeder  Ton  von  bestimmter  Höhe  nur  durch  gewisse  Nervenfasern 
empfunden  werde  und  verschieden  hohe  Töne  auch  verschiedene  Nervenfasern 
erregen;  dass  4)  wenn  ein  zusammengesetzter  Klang  oder  ein  Accord  dem  Ohre 
zugeleitet  wird,  alle  diejenigen  elastischen  Gebilde  erregt  werden,  deren  Tonhöhe 
den  verschiedenen  in  der  Klangmasse  enthaltenen  einzelnen  Tönen  entspricht,  so 
dass  bei  gehörig  gerichteter  Aufmerksamkeit  alle  die  einzelnen  Empfindungen 
der  einzelnen  einfachen  Töne  auch  einzeln  wahrgenommen  werden  können.  Der 
Accord  wird  darnach  in  seine  einzelnen  Klänge,  der  Klang  in  seine  einzelnen 
harmonischen  Töne  zerlegt  werden  müssen.  Auf  diese  Verschiedenheit  der 
empfindenden  Nervenfasern  ist  endlich  auch  nicht  nur  die  Tonhöhe,  sondern  auch 
die  Klangfarbe  zurückzuführen. 

Erscheint  demnach  die  Tonempfindung  als  erste  Voraussetzung  für  die 
Existenz  eines  Musikstücks,  weil  nur  daraus  überhaupt  erst  das  Material  ge- 
wonnen wird,  aus  dem  es  zu  construiren  ist,  so  hat  es  doch  nicht  auch  weiterhin 
noch  die  Bedeutung,  welche  ihm  die  Physiologen  und  namentlich  Helmholtz 
zuschreiben.  Die  Hörorgane  vermitteln  die  Empfindung  des  Tons  und  Klangs 
und  damit  natürlich  das  Kunstwerk,  allein  doch  aber  nur  in  seinem  materia- 
listischen Theil.  Schon  für  die  Unterscheidung  der  Töne  und  Klänge  tritt  der 
vom  Gehör  geschiedene  Intellekt  ein,  und  dieser  ist  ausschliesslich  thätig,  wenn 
es  sich  um  Erkenntniss  der  Tonformen  und  des  sie  erzeugenden  Inhalts  handelt. 
Man  kann  namentlich  in  unserer  Zeit,  für  welche  das  Kunstwerk  vielfach  nur 
in  seiner  augenblicklichen  Wirkung  Bedeutung  hat,  nicht  energisch  genug 
darauf  hinweisen,  dass  ein  Musikstück  durch  seine  Wirkung  auf  die  Tonem- 
pfindung nur  seinen  alleruntersten  Zweck  oder  eigentlich  noch  keinen  Zweck 
erreicht  hat.  Diese  Wirkung  üben  Ton  und  Klang  ohne  jegliche  künstlerische 
Absicht.  Es  ist  das  Elementarische  der  Musik  die  Bewegung,  was  wirkt,  wenn 
auch  die  Wirkung  selbst  schon  eine  mehr  ideale  ist,  weil  sie  gegenstandslos 
ist.  Diese  Naturgewalt  des  Tons  wird  durch  das  künstlerische  Schaffen  nicht 
aufgehoben,  sondern  sie  bildet  vielmehr  die  Grundlage  desselben.  Wenn  auch, 
wie  wir  bereits  erwähnten,  der  Künstler  zunächst  mit  dem  abstrakten  Ton 
operirt,  so  haben  doch  die  Tonfiguren  nur  Bedeutung  für  ihn,  als  sie  zugleich 
auch  Klangfiguren  sind,  und  nur  so  weit  es  ihm  gelingt,  diese  Naturgewalt 
sich  und  seinen  Ideen  dienstbar  zu  machen,  kommt  das  von  ihm  innerlich  An- 
geschaute auch  wirklich  im  Kunstwerk  zur  Erscheinung.  Darauf  beruht  das 
höhere,  das  sittliche  Interesse,  welches  der  gebildete  Geist  beim  Genuss  der 
Musik  empfindet,  dass  er  nicht  nur  die  Töne  hört,  dass  er  nicht  nur  die,  in 
ihnen  waltende  Naturgewalt  auf  sich  wirken  lässt,  sondern  dass  ihm  durch  die 
Besonderheit  des  Waltens  auch  das  Bewusstsein  von  der  Idee  vermittelt  wird, 
unter  deren  Einfluss  das  betrefi'ende  Kunstwerk  entstand,  welche  sich  in  ihm 
verkörperte.  Das  Ohr  empfindet  die  hohen  und  die  tiefen  Töne  als  solche, 
ebenso  die  rauhen  Klänge  und  die  weichen,  die  starken  und  die  schwachen, 
aber  zur  speciellen  Scheidung  und  Messung  reicht  es  schon  nicht  mehr  aus. 
Hm  die  Töne  und  Intervalle  festzustellen,  nach  ihren  künstlerisch  verwendbaren 
Verhältnissen  zu  bestimmen  und  einzuordnen,  müssen  schon  die  höhern  Mächte 
des  Geistes  hinzugezogen  werden.  Bereits  bei  der  Bildung  der  Tonleitern  und 
Tonsysteme  finden  wir  sie  in  ausgedehntem  Maasse  thätig,  und  wenn  auch  bei 
der  harmonischen  Ausgestaltung  der  Systeme  dann  wieder  die  Tonempfindung, 
namentlich  bei  der  Scheidung  der  Consonanzen  und  Dissonanzen  in  den  Vorder- 
grund tritt,  ebenso  wie  bei  dem,  den  einzelnen  ausführenden  Organen  zuzumessen- 
den Antheil  am  Kunstwerk,  so  wirken  doch  auch  hier  jene  amiern  nicht  weniger 


Tonentfemung  —  Tongeschlecht.  247 

energisch  mit,  denn  auch  der  höhere  oder  geringere  Wohlkang  wird  ja  nicht 
weniger  nach  rein  aesthetischen,  als  nach  Rücksichten  auf  die  blosse  Tonem- 
pfindung bemessen.  Die  rein  formelle  Gestaltung  aber,  die  immer  erst  das 
Kunstwerk  bedingt,  erfolgt,  wie  in  den  betreffenden  Ai-tikeln  gezeigt  worden 
ist,  nach  vorwiegend  andern  Gesichtspunkten.  Die  Tonempfindung  macht  eben 
nur  fähig,  das  Material  als  solches  aufzufassen,  sie  ermöglicht  die  weiteren 
Untersuchungen  zur  Ei'griindung  der  Gesetze  für  die  künstlerische  Verwendung 
desselben,  aber  für  diese  selbst,  für  die  Anordnung  des  Materials  zu  künstle- 
rischen Formen  vermag  sie  dann  wenig  zu  thun.  Diese  ist  eben  Sache  des 
schaffenden  Genius  und  wendet  sich  an  die  gesammte  Geistigkeit  des  Menschen, 
nicht  nur  an  sein  Tonempfinden.  Diese  wird  von  da  ab  eben  nur  Yermittlerin 
des  Kunstwerks,  wie  die  andern  Sinne  für  die  andern  Künste.  Am  augen- 
scheinlichsten ist  dies  bei  dem  am  schlagendsten  wirkenden  Mittel  der  Dar- 
stellung, dem  Rhythmus  der  Fall,  dessen  höhere  Anordnung  durchaus  idealen 
Zwecken  dient.  Um  die  Tonfolge  dann  zur  ausdrucksvollen  Melodie  zu 
gestalten  und  die  Accord folge  zur  nicht  nur  klang-  und  reizvollen,  sondern 
auch  formvollendeten,  einen  idealen  Inhalt  darstellenden  Harmonik  zu  machen, 
müssen,  wie  an  den  betreffenden  Orten  nachgewiesen  ist,  auch  andere  Principien 
waltend  werden,  als  die  der  Tonempfindung.  Dies  ist  selbst  bei  der  Vertheilung 
an  die  ausführenden  Organe,  bei  welcher  doch  das  Element  des  Klanges  vorwie- 
gend Berücksichtigung  findet,  der  Fall.  Auch  bei  der  Auswahl  des  speci- 
fischen  Klanges  dürfen  die  ästhetischen  Principien  des  Kunstwerks  nicht  ausser 
Acht  bleiben. 

Tonentfernung,  s.  v.  a.  Intervall. 

Tonfall  heisst  bei  der  gesungenen  Melodie,  ebenso  bei  der  Rede,  das 
Sinken  der  Stimme  nach  der  tiefern  Lage.  Im  weitern  Sinne  gebraucht  man 
diese  Bezeichnung  wohl  überhaupt  für  den  tonischen  Verlauf  einer  Melodie 
oder  auch  der  Rede  und  spricht  von  einem  Tonfall  derselben,  wo  man  doch 
den  Gang  derselben  meint.  Wörtlich  genommen  kann  es  natürlich  nur  ein 
»Fallen  des  Tons«,  also  ein  Sinken  der  Stimme  bezeichnen  und  da  man  dies 
in  der  Regel  nach  dem  Schluss  zu  anwendet,  bezeichnet  man  auch  wohl  diesen 
damit  (s.  d,). 

Tonfarbe,  s.  v.  a.  Klangfarbe,  Timbre  (s.  d.). 

Tonfolge,  das  stufen-  oder  sprungweise  Fortschreiten  von  einem  Tone 
zum  andern. 

Tonftthrung,  Tongang,  Tonfortschreitung,  der  Gang  der  Melodie  (s.d.), 
und  auch  der  Harmonie,  der  Modulation  (s.  d.). 

Tonfnge  (Fuge  im  Ton)  nannten  ältere  Tonlehrer  eine,  in  einer  Kirchen- 
tonart gesetzte  Fuge,  deren  Thema  und  Antwort  nicht  die  Grenze  einer  Octave 
überschritten  (s.  Tonale  Fuge). 

Tonfuss,  s.  Versfuss. 

Tongepräge  nennt  man  die  Eigenthümlichkeit  des  Klanges,  welche  dieser 
durch  die  Besonderheit  des  Materials,  aus  welchem  das  betreffende  Instrument 
gearbeitet  ist,  gewinnt.  Eine  Voigtländer  Geige  ist  nach  denselben  Regeln 
im  grossen  Ganzen  gebaut,  wie  eine  italienische,  aber  das  andere  Holz,  aus 
dem  sie  verfertigt  ist,  giebt  ihr  ein  anderes  Tongepräge.  Die  hölzernen 
Orgelpfeifen  gewinnen  ebenfalls  ein  anderes  Tongepräge  wie  die  aus  Metall 
gefertigten. 

Tongeschlecht,  oder  eigentlich  Klanggeschlecht,  nannte  Aristoxenus  die 
Ordnung,  in  welche  er  gewisse  Töne  nach  ihrer  nähern  oder  entferntem  Ver- 
wandtschaft brachte.  Indem  er  das  Tetrachord  in  30  Theile  zerlegte,  wovon 
12  auf  einen  ganzen,  6  auf  einen  halben  Ton  kamen,  construirte  er  dann 
folgende  Klanggeschlechter: 


6 

9 

15 

6 

12 

12 

4 

4 

22 

4,5 

4,5 

21 

6 

6 

18 

3 

3 

24 

248  Tongrenzen  —  Tonika. 

Abtheilung  des  Tetracliords.    Name  des  Klanggeschlechts.     Tonstufen. 

Weich  diatonisch  Y^  — ^A"*/* 

Syntonisch  diatonisch  ^j^  —  l  —  1 

Weich  chromatisch  ^Js  —  ^js  —  ^/a  +  ^Ja 

Fünfthalb  chromatisch  ^Js  —  ^Js  —  Vji 

Tonisch  chromatisch  ^/2  —  '/z  —  ^/z 

Euharmonisch  ^ji  —  ^4  —  2 

Die  griechischen  Theoretiker  in  den  ersten  Jahrhunderten  vor  und  nach  Christus 
unterscheiden  nur  drei  Klanggeschlechter:  das  diatonische,  chromatische 
und  enharmonische,  die  sich  durch  die  Eintheilung  des  durch  die  beiden 
feststehenden  Töne  begrenzten  Tetrachords  unterscheiden  (s.  Griechische 
Musik,  System  u.  s.  w.).  Wir  verbinden  mit  den  Bezeichnungen:  diatonisch, 
chromatisch  und  enharmonisch  bekanntlich  andere  Begriffe  (s.  d.)  und 
unterscheiden  gegenwärtig  nur  zwei  Greschlechter:  Dur  und  Moll,  die  in  je 
12   Tonarten  dargestellt  werden  (s.  d.). 

Tongrenzen,  diese  werden  durch  das  Vermögen  des  Ohrs:  die  langsamsten 
und  die  raschesten  Schwingungen  eines  klingenden  Körpers  als  Ton  aufzufassen 
bestimmt.  Diese  sind  natürlich  für  verschiedene  Ohren  auch  verschieden. 
Während  die  meisten  Akustiker  als  äusserste  Grenzen  32  und  16,384  Schwin- 
gungen annahmen,  gingen  andere  weit  darüber  hinaus  (vergl.  Ton). 

Tonhöhe,  ital.:  Acutezza,  ist  die,  durch  Vermehrung  der  Luftschwingungen 
erzeugte  Veränderung  des  Tons. 

Tonika  (Nota  finales,  principalis),  franz.  Tonique,  der  Grundton  der 
Tonleiter  und  dem  entsprechend  der  Tonart,  ist  als  solcher  der  ohnstreitig 
wichtigste  Ton  derselben.  Die  Bewegung  der  Tonleiter  geht  von  ihm  aus 
und  kehrt  zu  ihm  zur  Ruhe  zurück;  er  bestimmt  den  Verlauf  und,  wie  im 
Artikel  Tonart  nachgewiesen  ist,  auch  damit  in  gewissem  Grade  den  Charakter 
der  Tonleiter  und  Tonart.  Weiterhin  wird  die  Tonika  für  die  melodische 
Ordnung  von  Bedeutung,  als  sie  die  Möglichkeit  gewährt,  unter  reichster  Ent- 
faltung aller  seiner  Mittel,  der  Darstellung  doch  die  grösste  und  vollständigste 
Einheit  der  Stimmung  zu  wahren.  Wie  weit  sich  auch  der  melodische  Gang 
im  Verlauf  von  ihr  entfernt,  indem  er  zum  Schluss  wieder  auf  die  Tonika 
zurückkehrt,  ist  die  Einheit  doch  vollständig  gewahrt.  Wie  sie  weiterhin  in 
ihrem  Verhältniss  zur  Dominant  und  zur  Unter  dominant  formbildend  wird, 
ist  an  verschiedenen  Stellen  gezeigt  worden.  Tonika  und  Dominant  sind 
die  Angelpunkte  der  Tonleiter  und  der  Tonart,  und  wie  diese  sich  auf  jene 
stützen,  so  auch  alle  Formen  und  wie  aus  der  Gegenwirkung  von  Dominant 
und  Tonika  die  Tonleiter  entsteht,  so  auch  die  Formen.  Bedeutsamer  noch 
wird  die  Tonika  und  dem  entsprechend  auch  die  Dominant  für  den  Harmo- 
nisationsprocess;  durch  ihn  werden  noch  viel  reichere  Mittel  der  Darstellung 
gewonnen,  und  diese  zu  gruppiren  und  anzuordnen,  erweist  sich  die  Tonika 
und  erweisen  sich  Dominant  und  Tonika  in  ihrem  gegenseitigen  Vei-hält- 
niss  noch  bedeutsamer.  In  den  betreffenden  Artikeln  ist  nachgewiesen  worden, 
wie  mit  Feststellung  dieser  Angelpunkte  der  Tonart  es  zunächst  erst  gelingt, 
das  strophische  Versgefüge  musikalisch  nachzubilden  und  damit  die  rechte  Form 
für  das  Lied  zu  gewinnen,  und  wie  daraus  weiterhin  die  Möglichkeit  sich  ergiebt, 
unter  treuer  Wahrung  dieser  Angelpunkte  doch  den  reichsten  harmonischen 
Apparat  zur  individuellen  Ausgestaltung  des  Liedes  zu  gewinnen,  ohne  die 
knappe  Form  desselben  zu  zerstören.  Weiterhin  wurde  nachgewiesen,  dass  aus 
diesem  Harmonisationsprocess,  der  sich  namentlich  innerhalb  und  mit  Hülfe 
dieses  Verhältnisses  von  Tonika  und  Dominant  vollzieht,  die  Instrumental- 
formen: die  Sonate,  Ouvertüre  und  Sinfonie  hervortreiben  und  dass  es 
wiederum  gelingt,  diese  Formen  in  reichster  Fülle  und  Pracht  auszustatten 
und  in  der  Tonika  doch  die  Einheit  zu  wahren.  Daher  heisst  die  Tonika  auch 
mit  Recht  Nota  principalis:  Hauptnote.  Nota  finalis  heisst  sie,  weil  mit  ihr 
in  der  Eegel  auch  der  vollkommene  Schluss  gemacht  wurde. 


der  Dreiklang  auf  der  Tonika. 


Toni  ficti  —  Tonleiter.  249 

Toui  flcti,  tuoni  trasportati,  heissen  die  versetzten  Töne  im  System 
der  alten  Earclientonarten  (s.   Tonart,   System). 

Tonisch  lieisst  alles,  was  zur  Tonika  in  direktem  Bezüge  steht. 

Toniseber  Accord 

Tonischer  Dreiklaugr 

Tonische  Harmonie 

Touiui,  Bernardo,  Instrumentalcomponist  von  Verona,  ungefähr  1668 
geboren,  von  dem  die  nachgenannten  gedruckten  Compositionen  bekannt  sind: 
nSonate  a  violini  e  B.  O.«,  op.  1  (Venedig,  1693).  ^Sonate  da  cliiesa  a  tre,  due 
violini  et  organo  con  Violoncello  ad  lihitumvi,  op.  2  (Venedig,  1695,  in  4°;  zweite 
Ausgabe,  Amsterdam,  bei  Roger,  ohne  Datum).  y>Balletti  da  camera  a  violino, 
spinetto  o  violone«,  op.  3  (Venedig,  1697,  partitura  in  4"  obl.;  zweite  Ausgabe 
ebenfalls  Amsterdam).     »Sonate  a  2  violini,  Violoncello  e  continuo<s.,  op.  4. 

Toukunde,  die  Kunde  oder  Wissenschaft  vom  Ton,  umfasst  alles,  was 
vom  Ton  und  den  Tönen  zu  wissen  möglich  und  nothwendig  ist.  Sie  unter- 
sucht die  Art  und  die  Mittel  seiner  Erzeugung,  wie  die  Eigenart  seiner  Wir- 
kung als  Akustik,  und  stellt  durch  die  genauesten  Messungen  und  Berech- 
nungen das  Verhältniss  der  Töne  unter  einander  fest  als  Canonik.  Sie  sucht 
weiterhin  die  allgemeinen  Gesetze  zu  ergründen,  für  die  Kunstgestaltung  über- 
haupt und  für  die  Tonkunst  im  Besondern  als  Aesthetik  der  Tonkunst 
und  zeigt  dann  deren  specielle  Anwendung  auf  das  musikalische  Kunstwerk, 
als:  Tonsetzkunst,  Theorie  oder  Compositionslehre,  die  wiederum  in 
die  einzelnen  Zweige,  die  Lehre  von  der  Harmonik,  von  der  Melodik 
und  der  Rhythmik,  vom  Contrapunkt  und  der  Formenlehre  und  die 
Instrumentationslehre  zerfallen.  Im  Grunde  gehören  dann  weiterhin  auch 
die  Unterweisungen  im  Gesänge  und  im  Instrumentenspiel,  die  Lehre 
vom  Vortrage  und  vom  Instrumentenbau  hierher,  vor  Allem  aber  auch  die 
»Geschichte  der  Musik«,  welche  in  gewissem  Sinne  alle  diese  Disciplinen 
verbindet.     Die 

Tonkunst  dagegen  umfasst  die  praktische  Anwendung  all  dieser  Unter- 
weisungen im  Kunstwerk;  sie  bezeichnet  ein  Können,  die  Fähigkeit  in  Tönen 
ein  Kunstwerk  aufzubauen.  Sie  ist  geschieden  in  die  selbstschöpferische 
und  in  die  ausübende.  Jene  lässt  das  Kunstwerk  in  an  sich  stummen  Zeichen, 
den  Noten  erstehen.  Der  schaffende  Künstler  bestimmt  genau,  welche  Töne 
und  Klänge  und  in  welcher  Ordnung  und  Weise  er  sie  verwendet  wissen  will, 
aber  er  thut  dies  in  Zeichen,  die  noch  nicht  schon  Musik,  noch  nicht  Töne 
sind.  Diese  Zeichen  in  Töne  zu  übersetzen  ist  der  ausübenden  Tonkunst 
übertragen;  indem  sie  getreu  nach  den  Vorschriften  des  schaffenden  Künstlers 
die  Noten  zu  Tönen  macht,  bringt  sie  erst  das  Kunstwerk  zu  lebendiger 
Darstellung. 

Toukiinstler  heisst  der  Künstler,  welcher  die  Tonkunst  zu  seinem  Lebens- 
beruf erwählt  hat.  So  wie  die  Musik  nicht  immer  auch  Tonkunst  genannt 
werden  kann,  so  verdienen  auch  nicht  alle  Musiker  den  Namen  Tonkünstler. 
Erst  wenn  die  Musik  einen  wirklich  bedeutsamen  Inhalt  in  echt  künstlerischer 
Form  darlegt,  wird  sie  zur  Tonkunst  und  nur  wer  dieser  letzteren  erfolgreich 
dient,  ist  ein  Tonkünstler  zu  nennen.  So  lange  die  Musik  nur  niedern 
Zwecken  dient,  wie  meist  die  Tanz-  und  die  Unterhaltungsmusik  im 
Salon,  Concert  und  selbst  im  Theater  ist  sie  eben  nicht  Tonkunst  und 
der  Musiker,  der  die  gleichen  Zwecke  verfolgt,  ist  kein  Tonkünstler.  Die 
höheren  Ziele  erst  und  die  entsprechenden  Fähigkeiten  und  Fertigkeiten  machen 
den  Tonkünstler  und  erheben  die  Musik  zur  Kunst.  Im  andern  Falle  bleibt 
die  Musik  Handwerk,  die  als  solches  ihre  Berechtigung,  aber  nur  niedere 
Bedeutung  behält. 

Tonleiter,  ital.:  Scala,  franz.:  Gamme,  engl.:  Scala,  Gamiit,  heisst  be- 
kanntlich die  stufenweis  geordnete  Folge  der  Töne  innerhalb  einer  Octave. 
Gegenwärtig  unterscheiden  wir  zunächst  zwei  Arten,  die  diatonische,  welche 


250  Tonleiter. 

aus  fünf  Ganztönen  und  zwei  Halbtönen  besteht  und  die  chromatische, 
welche  aus  lauter  Halbtönen  zusammengesetzt  ist.  Eine  dritte  Art,  die  en- 
harmonische: 


|z;;^^.^„^.-^,=^^^=j^3SEg':^-^-M-3i^l 


gewinnt  bei  unseren  temperirten  Instrumenten  nur  selten  joraktische  Anwendung, 

wohl  aber  Bedeutung  für  die  Orthographie  (s.d.).     Im  Artikel  System  ist 

nachgewiesen,    weshalb    die    moderne    Musik    die    diatonische    Tonleiter    zur 

Grundlage    ihres    Schaffens    macht,    wenn    sie    auch    die  Töne  und  Tonarten 

der  chromatischen  sämmtlich  verwendet.     Dort  iet  auch  nachgewiesen,  dass  wir 

die  diatonische  Tonleiter  in  zwei  Arten  verwenden,  als  Durtonleiter  und 

und  als  Molltonleiter,  und  wir  kommen  noch  später  darauf  zurück. 

Die   wahrscheinliche    Entstehung   der    Tonleiter    wurde  bereits  angedeutet: 

sie    erschien    dort   als    das    ganz    natürliche  Produkt  der  fortgesetzten  Theilung 

der  weiten  Intervalle:  zunächst  wurde  die  Octave  ausgeschieden,  deren  Theilung 

ergab    die    Quint    und    im    weitern  Verlauf    die    Quart,    die    Theilung  der 

Quint    führte    dann    ebenso    folgerichtig    auf   die    Terz    und    deren    Theilung 

dann  zur  Secunde.     Einzelne  Völker  scheinen  den  Versuch  der  Theilung  der 

kleinen    Terz    nicht    gewagt    zu    haben,    so    dass    sie    diese    als    einheitliches 

Intervall   betrachten    und    nur  eine  unvollständige  Tonleiter  gewannen,  wie  die 

Chinesen,  deren  ursjDrüngliche  Tonleiter  folgende  ist: 

+ 
f—g  —  a  —  c  —  d. 

In  ähnlicher  Weise  ist  die  alte  gälische  Tonleiter  construirt: 

+  + 

c — <?— y — g  —  h  —  c 

die  den  meisten  alten  schottischen  und  irischen  Melodien  zu  Grunde  liegt. 
Diese  Tonleitern  wurden,  ebenso  wie  die  unsern,  auch  von  andern  Stufen  aus 
nachgebildet.  Auch  bei  den  Griechen  war  nach  glaubwürdigen  Zeugnissen  die 
Tonleiter  in  den  frühesten  Zeiten  der  Entwickelung  noch  lückenhaft.  So  wird 
von  Terpander  berichtet,  dass  er  die  alte  viersaitige  Lyra  durch  drei  neue  be- 
reicherte.    Die  Stimmung  derselben  war  nach  Ottfried  Müller*): 


P 


und  Nicomachus  giebt  die  vorpythagoräische  Tonleiter    in  dorischer  Stim- 
mung so  an: 


I 


In  beiden  fehlt  demnach  der  Ton  h.  Wie  durch  die  weitere  Theilung  der 
Intervalle  des  Tetrachords  dann  die  verschiedenen  Systeme  entstanden,  indem 
der  Zwischenraum  zwischen  den  Endpunkten  desselben  mit  verschiedenen  Inter- 
vallen ausgefüllt  wurde,  ist  im  Artikel  System  nachzulesen.  Dort  ist  auch 
gezeigt  worden,  dass  auch,  als  die  griechische  Tonleiter  vervollständigt  war, 
die  griechische  Praxis  vorwiegend  am  Tetrachord  festhielt.  Die  achttönige  Ton- 
leiter war  zumeist  bei  den  Instrumenten  in  Anwendung.  In  der  Regel  wurde, 
während  der  Blüthezeit  griechischer  Kunst,  der  Gesang  mit  achtsaitigen  Lyren 
begleitet,  deren  Stimmung  und  Umfang  wohl  unzweifelhaft  einer  der  Tonleitern 
entsprach,  welche  innerhalb  einer  Octave  gebildet  werden  konnten.  Es  sind 
dies  folgende: 

1)  die  lydische:  c—d — e— jT— ^  — a  —  h  —  c. 

2)  die  phrygische:  d — e—f — g — « — h  —  c  —  d. 


*)  „Geschichte  der  griechischen  Literatur",  2.  Aufl.,  Bd.  I,  p.  270. 


Tonleiter.  251 

3)  die  dorische:  e—f — g  —  a  —  h—c  —  d — e. 

4)  die  hypolydische:  y— y  — «5 — li — c  —  d—e—f. 

(syutonolj'dische) 

5)  die  hypophrygische:  g — a  —  Ji  —  c — d — G—f — 5'- 

(jouisclie) 

6)  die  hypodorische:  a — %  —  c  —  d — ß—f—g  —  o. 

(aeolische  oder  lokrische) 

7)  die  mixolydische:  h~c  —  d — ß—f — g  —  a  —  Ji. 

Die  unterscheidenden  Merkmale  dieser  Tonarten  treten  noch  deutlicher  heraus, 
wenn  mau  sie,  wie  dies  zur  Blüthezeit  griechischer  Kunst  gleichfalls  geschah, 
innerhalb  derselben  Octave  construirt: 

Lydisch:  c — d — e—f—g—a — h  —  c. 

+ 
Jonisch:  c  —  d — e— /" — g  —  a  —  h — c. 

+  + 

Phrygisch:  c — d—es—f — g — a  —  h  —  c. 

+  +      +  . 

Aeolisch:  c  —  d — es^f—g  —  as  —  h — c. 

+        +  +      + 

Dorisch:  c — des  —  es—f—g — as — h  —  e. 

+        +  +       +      + 

f  Mixolydisch:   c  —  des — es—f—ges  —  as  —  h  —  c.  1 

\  Syntonolydisch:  c  —  d — e—fis — g  —  a  —  li  —  c.  ] 

Die  spätere  griechische  auf  19  Töne  erweiterte  Tonleiter,  die  Euclides  im 
dritten  Jahrhundert  zuerst  erwähnt  (s.  System),  gewann  durchaus  nicht  die 
Bedeutung  einer  Tonleiter  im  oben  bezeichneten  Sinn;  sie  war  nur  eine  Zu- 
sammenstellung aller  damals  gebrauchten  diatonischen  Töne  und  ihre  Eintheilung 
in  die  verschiedenen  Tetrachorde  (s.  d.  und  System):  hypaton,  meson,  diezeug- 
menon,  hgperholaion  und  synemmenon  beweist  am  besten  ihre  nur  stückweise 
Verwendung  beim  Gesänge.  lieber  die  weitere  Verwendung  dieser  Scala,  wie 
der  verzeichneten  Octavengattungen  bringt  der  Artikel  Grriechische  Musik 
das  Nähere. 

Ganz  ähnlich  sind  die  persisch-arabischen  Tonleitern  construirt,  wovon  uns 
Kiesewetter*)  Nachricht  giebt.  Die  arabischen  Tonleitern  ergaben  sich  nach 
den  Vorschriften  des  Abdul  Kadir  durch  eine  Reihe  von  16  Quintenschritten, 
die,  wenn  wir  O  als  tiefste  Stufe  annehmen,  in  unserer  Weise  sich  folgender- 
maassen  darstellen: 

1)  Uschak:  C-B-E-F-G- A-B-C. 

2)  Newa:   G-B -Es-F- G-As-B-C. 

3)  Buselik:  G-Bes—Fs-F—Ges-As—B-G. 

Diese  drei  entsprechen  vollständig  der  1)  hj^pophrygischen,  2)  hypodorischen 
und  3)  mixolydischen  Tonleiter  nach  der  pythagoräischen  Stimmungsweise.  Die 
darauf  folgenden  fünf  Tonarten,  welche  die    natürliche    Stimmung   zeigen,  sind: 

4)  Rast:  G—B—e—F~G—a—B—G. 

5)  Husseini:  G—d—Fs—F—g—As—B—G. 

6)  Hidschaf:  G—d~Fs—F—g—a—B—G. 

7)  Rehawi:   G—d—e—F—g  —  As—B—G. 

8)  Sengule:  G—B—e-F—g—a—B—G. 
Die  vier  letzten  enthalten  je  acht  Tonstufen. 

9)  Irak:   G—d—e—F—g—a  —  B—c—G. 

10)  Ifzfahan:  G—B—e—F—G—a—B—c—G. 
Diese  um  eine  Quart  transponirt  ergeben: 

11)  Büsürg:    C—B-e—F-g-G—A-h—G. 
Die  letzte  ist  die  Tonleiter: 

12)  Zirefkend:  G—d—Es—F—g—As—a—'k  —  G. 


*)  „Die  Musik  der  Araber  nach  Originalquellen  dargestellt",  Leipzig,  1842. 


252  Tonleiter. 

Als  Hauptonarten  werden: 

1)  Uschak:  C—B-I^—F-G—A—B-a 

2)  Rast:  C—B—e—f—G—a-B—C. 

3)  Hussein!:  C — d — JEs—f — g — As — B — O  und 

4)  Hidschaf:  0-d—Es—F—g-a—B—G. 
bezeichnet. 

Alle  diese  abweichenden  Tonleitern  sind  in  der  Natur  begründet  und  mehr 
oder  weniger  günstig  in  der  Praxis  anzuwenden.  Damit  ist  aber  zugleich  be- 
wiesen, dass  es  keine  von  der  Natur  direkt  vorgezeichnete  Anordnung  der 
einzelnen  Töne  zur  Tonleiter  giebt.  Der  menschliche  Geist  musste  diese  viel- 
mehr erst  aufsuchen  und  feststellen.  Dabei  kommt  ihm,  wie  wir  zeigten,  die 
Natur  fortwährend  zu  Hülfe,  aber  die  Verwendung  der,  von  der  Natur  vorge- 
zeichneten Verhältnisse  bleibt  dem  schöpferischen  Menschengeiste  überlassen 
und  er  ordnet  sie  durchaus  verschieden,  nach  verschiedenen  Bedürfnissen.  Dass 
auch  unsere  moderne  Tonleiter  nach  denselben  Gresichtspunkten  ausgewählt 
wurde,  ist  schon  früher  angedeutet  worden. 

Erst  durch  das  Christenthum  wurde  das  Bedürfniss  lebendig,  mit  dem 
Tone  zu  fox'men,  ihn  so  zum  Material  zu  machen,  aus  dem  Formen  gebildet 
werden,  wie  mit  Stein,  Metall,  mit  Licht  und  Farbe.  Die  vorchristlichen  Völker 
kamen  nicht  über  die  Experimente  mit  Ton  und  Klang  hinaus.  Sie  waren 
unablässig  bemüht,  die  Natur  beider  zu  untersuchen,  Tonsysteme  zu  begründen, 
um  dann  mit  Hülfe  derselben  ihrer  Sprache  Form  und  Klang  zu  geben  oder 
mit  Klang  und  Ton  die  äusserlichen  Bewegungen  Einzelner  und  ganzer  Massen 
zu  regeln  und  zu  leiten.  Das  Christenthum  erst  machte  den  Ton  zum  Bau- 
stein, aus  dem  es  künstliche  Formen  bildete,  in  welchen  eine  bestimmte  Idee 
zur  Anschauung  gelangte.  Es  hob  daher  aus  der  Reihe  von  Tonarten  zunächst 
jene  vier  authentischen  heraus,  welche  die  Möglichkeit  gaben,  eine  Melodie  zu 
formen,  die  in  ihrem  Verlaufe  die  Strophe  nachbildete.  Unter  der  rastlosen 
Arbeit  der  weitern  Entwickelung  des  mehrstimmigen  Gesanges  und  der  dadurch 
bewirkten  harmonischen  Ausgestaltung  des  Systems  der  Kirchentonarten,  ging 
dann  dies  Princip  der  Formgestaltung  allmälig  verloren  und  erst  im  Volksliede 
brach  es  wieder  mächtig  empor.  Die  Volksmelodie  will  nicht  nur  die  Textes- 
worte illustriren,  sondern  sie  will  der  Stimmung,  aus  welcher  Text  und  Melodie 
hervortreiben,  selbständige  musikalische  Formen  geben,  und  das  kann  sie  nur, 
indem  sie  die  Strophe  nachbildet,  die  Verszeile  respektirt  und  diese  ebenso 
unter  sich  in  Correspondenz  setzt,  wie  diese  durch  den  Reim  unter  sich  in 
Verbindung  gebracht  sind.  Das  aber  Hess  durchgreifend  nur  die  eine  Tonleiter 
des  alten  Kirchensystems  zu,  die  jonische,  weil,  wie  unter  Tonart  und 
System  gezeigt  ist,  diese  in  ihrer  Gliederung  diese  Möglichkeit  der  musika- 
lischen Formgebung  gewährt.  Sie  macht  Tonika,  Dominant  und  Unter- 
dominant  zu  Angelpunkten  der  Tonleiter  und  dem  entsprechend  auch  zur 
Tonart  und  dass  auf  diesem  Verhältniss  überhaupt  alle  Formgestaltung  beruht, 
konnten  wir  vielfach  nachweisen.  Hauptsächlich  beruht  auch  auf  ihr  die  ganze 
Construktion  der  Instrumentalformen,  die  ohne  sie  nicht  denkbar  sind.  Diese 
aber  herauszubilden,  hatte  sich  die  moderne  Musikpraxis  seit  dem  17.  Jahr- 
hundert zum  Hauptziel  gesetzt  und  so  sehen  wir  denn  seitdem  die  Tonarten 
und  Tonleitern  des  alten  Systems  allmälig  zurück  und  an  ihre  Stelle  die  des 
modernen  Systems  treten,  welches  die  jonische  von  C  zur  Noi'maltonleiter  macht, 
die  sie  dann  ganz  treu  von  den  anderen  Stufen  der  chromatischen  oder  besser 
enharmonischen  Tonleiter  an  nachbildet.  Sie  construirt  ebenso  eine  Tonleiter 
von  Cis  wie  von  Des,  von  Dis  wie  von  -Es,  von  Fis  wie  von  Ges,  von  Gis  wie 
von  Äs  und  selbst  von  Ais  wie  von  B.  "Wir  mussten  diesen  ganzen  Formations- 
process  schon  im  Artikel  Tonart  bringen  und  können  deshalb  hier  darauf 
verweisen.  Dort  wurde  auch  schon  das  Verhältniss  der  Dur-  und  Molltonleiter 
zu  einander  erörtert  und  es  erübrigt  hier  nur  noch  zu  zeigen,  dass  auch  der 
Formationsprocess  der  Molltonleitern    genau  dem  der  Durtonleitern  entspricht: 


Dur. 


Des. 


Tonleiter. 

Es. 


253 


F. 


< 


^ 


=S 


Lti±:± 


Ges. 
Moll. 


As. 


B. 


B. 


C. 


D. 


^ 


Es. 


G. 


G. 


A. 


H. 


:|i^^^^i^^e^^li^iü^i 


c. 


D. 


E. 


Eis. 


E. 


Eis. 


Gis. 


^ 


^^.^^^^-_^^^.^^,^^_^^^_ 


f^^^4Ki---^-f^^t^H--^P^l^«-^-^^ 


A. 


H. 

Cis. 


Cis 


Dis. 


^0«=^ 


:fi-M^ 


J:?ijM^ 


Ais. 


»._M-^^?^^=^ 


g^Bi=^ 


Für    die    absolute    Tonhöhe    der  Scala  wird  von  den  deutschen  Physikern 
•grösstentheils  die  von  Scheibler  gegebene  und  von  der  deutschen  Naturforscher- 
Versammlung    im    Jahre    1834    angenommene    Bestimmung    festgehalten,    dass 
das  a^  in  der  Secunde  440  Schwingungen  macht.    Darnach  ergiebt  sich  für  die 
C-c?Mr- Tonleiter  folgende  Tabelle: 


Noten 

Contra- 
Octave 

Grosse 
Octave 

Kleine 
Octave 

Einge- 
strichene 
Octave 

Zweige- 
strichene 
Octave 

Dreige- 
strichene 
Octave 

Vierge- 
strichene 
Octave 

C^S 

C-S 

c  —  h 

ci-/ii 

c2-Ä3 

c3-P 

C*-/i4 

C 

33 

66 

132 

264 

528 

1056 

2112 

D 

37,125 

74,25 

148,5 

297 

584 

1188 

2376 

E 

41,25 

82,5 

165 

330 

660 

1320 

2640 

F 

44 

88 

176 

352 

704 

1408 

2816 

G 

49,5 

99 

198 

396 

792 

1584 

3168 

A 

55 

110 

220 

440 

880 

1760 

3520 

H 

61,875 

123,75 

247,5 

495 

990 

1980 

3960 

TJeber  die  abweichenden  Stimmungen  siehe  den  Artikel  Nor  malton. 


254 


Tonleiterübung 


Tonmalerei. 


Tonleiterübung'.  Die  Uebuug  der  Tonleitern  ist  für  alle  Instrumente  ebenso 
unerlässlicli,  wie  für  den  Gesang,  weil  nur  wenig  Studien  noch  die  technische 
Fertigkeit  so  zu  fördern  vermögen,  wie  gerade  sie.  Beim  Gesänge  ist  die 
Tonleiter  die  hauptsächlichste  Uebung,  um  einen  guten  Tonansatz  zu  erreichen 
und  zugleich  die  Register  auszugleichen,  überhaupt  auf  allen  Vocalen  eine 
gleichmässige  Tonbildung  sich  anzueignen.  Sie  wird  zu  diesem  Behufe  in  länger 
gehaltenen,  getrageneu  Tönen  ausgeführt.  Und  zwar  dürfte  die  diatonische 
Tonleiter  der  chromatischen  vorzuziehen  sein.  Es  erscheint  viel  zweckmässiger, 
um  auch  diese  doch  zu  üben,  die  diatonische  Tonleiter  immer  einen  halben  Ton 
höher  einzusetzen: 

Uebergang. 


i 


-[,C5-^ 


-ss~ 


I 


~4^^- 


=^ 


i2öl|ti 


-^Ö=|75 


Uebergang. 


m 


P 


=^ö^ 


u.  s.  w. 


Auch  zu  Uebungen  für  die  Kehlfertigkeit  ist  sie  vortrefflich  zu  verwenden. 
Nicht  minder  bedeutungsvoll  werden  die  Tonleiterübungen  für  das  Ciavier- 
spiel. Gleichmässiger  Anschlag  und  Fingerfertigkeit  werden  dadurch  gebildet 
und  die  Uebungen  in  Terzen  und  Sexten  und  vor  allem  mit  Tonleitern  in 
entgegengesetzter  Richtung: 


'^^ß 


befördern  die  Selbständigkeit  der  Finger  und  der  Hände  ausserordentlich.  Daher 
bilden  denn  auch  die  Tonleiterstudien  in  den  Ciavierschulen  einen  wichtigen 
Theil,  ebenso  wie  in  den  Etüden  von  Cramer,  Clementi,  Czerny,  Ber- 
tini u.  A.  Auch  für  das  Violinspiel,  wie  überhaupt  für  das  Spielen  der 
Streichinstrumente  sind  die  Tonleiterstudien  die  hauptsächlichsten  Uebungen, 
schon  weil  sie  die  Grundlage  für  die  gesammte  Applicatur  bei  diesen  Instru- 
menten bilden,  und  weil  an  ihnen  zugleich  Fertigkeit  und  Bogenführung  zu 
üben  ist.  Nicht  weniger  Bedeutung  gewinnen  sie  endlich  auch  für  die  Rohr- 
blasinstrumente,  da  an  ihnen  der  Gebrauch  der  Klappen  systematisch  zu  üben 
und  zugleich  die  Register  auszugleichen   sind. 

Toulöcher  heissen  die  Löcher  im  Rohr  der  Holzblasinstrumente,  mit 
deren  Hülfe  die  Töne  von  verschiedener  Höhe  hervorgebracht  werden.  Es  sind 
Oeffnungen,  die  an  den  Seiten  (vorn  und  hinten)  im  Rohr  angebracht  und  ent- 
weder mit  Klappen  versehen  sind  oder  mit  den  Fingern  geschlossen  und  wieder 
geöffnet  werden  können.  Mit  Hülfe  derselben  ist  die  vollständige  chromatische 
Tonleiter  meist  durch  mehrere  Octaven  auf  diesen  Instrumenten  zu  erzeugen 
(s.  Pfeife).  Von  den  Messinginstrumenten  ist  das  darnach  benannte 
Klappen-   oder  Kenth-Horn  mit  Tonlöchern  und  Klappen  versehen. 

Toumaasä  heisst  ein,  von  Abt  Vogler  erfundenes  achtsaitiges,  dem  Monochord 
ähnliches    Instrument,   zur  "Wahrnehmung   der   mathematischen  Tonverhältnisse. 

Tonmalerei  nennen  wir  die  malende  Schilderung  äusserer  Vorgänge  durch 
Töne.  Es  ist  dies  allerdings  zunächst  nicht  Aufgabe  der  Musik;  als  Kunst 
der  Innerlichkeit  soll  sie  nur  dem  Ausdruck  derselben  dienen.  Allein  diese 
selbst  wird  so  stark  von  der  Aussenwelt  beeinflusst,  sie  ragt  so  bedeutsam  in 
die  Phantasie,  die  eigentliche  Geburtsstätte  des  Kunstwerks  hinein,  dass  sie 
auch  häufig  einen  ganz  wesentlichen  Antheil  an  der  Gestaltung  desselben  nehmen 
muss.  Die  "Welt  der  Wirklichkeit,  durch  welche  bekanntlich  die  Phantasie  die 
mächtigste    Anregung   zum    Bilden  und  Schaffen   erhält,    ist  so  mit  natürlichem 


Tonmalerei. 


255 


Sang  und  Klang  erfüllt,  dass  beide  sich  auch  dem  Kunstwerk  aufprägen,  welches 
der  so  angeregten  Phantasie  entstammt.  Wenn  es  auch  als  irrig  bezeichnet 
werden  muss,  dass  die  Musik  eine  Nachahmung  des  Singens  und  Klingens  in 
der  Natur  ist,  so  ist  doch  nicht  abzuleugnen,  dass  dies  vielfach  auf  die  Ent- 
wickelung  der  Musik  einflussreich  wurde.  Es  ist  falsch,  dass  die  Menschen 
von  den  Vögeln  das  Singen  erlernten,  denn  sie  folgten  dabei  ebenso  dem  natür- 
lichen Triebe  wie  diese,  und  sie  wurden  ebenso  durch  einen  natürlichen  Orga- 
nismus dazu  befähigt.  Aber  ohne  Einfluss  konnten  alle  die,  in  der  Natur  laut 
werdenden  Stimmen,  könnte  das  Rollen  des  Donners,  das  Säuseln  des  Windes, 
das  Rauschen  des  Wassers  auf  die  Entwickelung  des  Gesanges  und  die  Musik 
nicht  bleiben.  Wenn  schon  die  äussere  Umgebung,  wenn  klimatische  Einflüsse, 
wenn  Bodenbeschaffenheit  und  die  dadurch  bedingte  Beschäftigung  auf  Laut- 
und  Sjirachbildung  von  Einfluss  werden,  so  mussten  es  die  wirklichen  Musik- 
elemente, welche  in  der  Natur  als  solche  schon  vorhanden  sind,  erst  recht  und 
sie  fanden  auch  ganz  direkt  Eingang  in  die  künstlerischen  Aeusserungen  auf 
diesem  Gebiete.  Es  ist  dies  schon  am  Volksliede  und  den  mehr  instinktmässig 
sich  äussernden  Regungen  des  künstlerisch  schaffenden  Menschengeistes  nach- 
zuweisen. Selbst  von  jenen  geistlichen  Sängern,  die  gern  den  Sinn  der  äussern 
umgebenden  Welt  ab-  und  dem  Jenseits  zuwandten  erfahren  wir,  dass  sie  nichts- 
destoweniger zu  einzelnen  ihrer  Lieder  von  aussen  angeregt  wurden.  So  wird 
von  Notker  Balbulus  erzählt,  dass  sich  in  der  Nähe  seines  Klosters  eine 
Mühle  befunden  habe,  deren  Rad  nur  spärlich  vom  Wasser  getrieben  wurde, 
was  ein  eigenthümliches,  von  gewissen  Tönen  begleitetes  Knarren  bewirkte. 
Durch  diesen  Ton  fühlte  er  sich  zu  der  Composition  seiner  weit  berühmten 
Prosa:  nSanti  Spiritus  adsit  nobis  gratiav,  in  welcher  der  melodische  Schluss 
jedes  Satzes  in  der  That  das  langsame  Kreisen  des  Rades  nachzuahmen  scheint, 
angeregt.  Zu  einer  andei'n  Sequenz,  der  noch  heute  gesungenen  -o Media  vita 
in  morte  sumusa,  wurde  er  angeregt,  als  er  in  eine  tiefe  Schlucht  bei  dem 
Martinstobel  hinabsah,  während  man  sie  zu  überbrücken  im  Begrifi"  war.  Aber 
nicht  nur  in  dieser  Weise  anregend  wirkten  die  in  der  Natur  laut  werdenden 
Klänge,  sondern  sie  wurden  früh  auch  schon  direkt  nachgeahmt.  Die  Nach- 
ahmung der  Yogelstimmen  wird  schon  in  der  griechischen  Lyrik  vielfach  ver- 
sucht und  sie  ist  auch  bis  auf  den  heutigen  Tag  mit  allen  Mitteln  der  mo- 
dernen Kunstmusik  geübt  worden.  Besondere  Berücksichtigung  fand  natürlich 
der  Kuckuck;  das  beliebte  Volkslied:  »Der  Gutzgauch  auf  dem  Zaune 
sass«  gab  den  Contrapunktisten  des  16.  Jahrhunderts  Gelegenheit,  den  Kuckuck- 
ruf als  Motiv  für  die  Behandlung  der  Melodie  zu  verwenden,  wie  in  folgender 
Bearbeitung  von  Laur.  Lemblin  (Georg  Forster's  Sammlung,  II,  29): 
Sopran  I. 


^l 


ä= 


^-- 


— I— ^- 


-■^=^- 


:e==S: 


-lO- 


Sopran  II. 


iffi: 


Guck  guck! 
Sopran  III. 


zz 1= 


Guck  guck! 


=|- 


^- 


Guck  guck! 
Tenor  I. 


Guck  guck! 


Guck  guck! 


Guck 


=rti- 


:^: 


itn 


Guck    guck  guck  guck  guck  guck 


S 


zc?!: 


-^ 


hS= 


:?5= 


Tenor  II  (Melodie). 


Guck 


-^—^- 


:!i=t: 


1 [—- 


z^zz:^-. 


Bass. 


Der    Gutzgauch    auf  dem  Zau  -    ne 


sass! 


der 


:=«s 


C3 


SE^E 


L 


256  Tonmalerei. 

Scandelli  ahmt  im  vierzehuteu  Gesänge  seiner:  »Newen  und  lustigen  welt- 
lichen deutschen  Liedlein«  (Dresden,  1570)  die  Stimmen  der  Hühner 
beim  Eierlegen  nach: 


^- 


^: 


-f:: 


^- 


:itz=: 


Ka     ka       ka     ka     ka     ka       ney     ka     ka       ney     ka     ka       ka     ka    ney. 


Nicol.  Grombert  componirte  bereits  einen:  y>Le  chant  des  oyseauxis.  (in  Tylman 
Susata  »Chansons«),  in  welchem  er  ein  lustiges  Vogelconcert  giebt,  in  dem  die 
Yögel  angeredet  werden,  unter  dem  fortwahrenden  Gesänge  derselben:  »^»Vj/, 
pity<ii,  Hititia,  •nfrian  tulun,  Hartartara,  -ochoua,  nthoy«  u.  s.  w.  Nächstdem  waren 
es  Schlachtgemälde  und  die  verwandte  Darstellung  der  Jagd,  welche  die  Contra- 
punktisten  des  16,  Jahrhunderts  lebhaft  beschäftigten.  Auch  bei  der  Bearbei- 
tung der  Martinslieder  Hess  man  sich  selten  die  Gelegenheit  entgehen,  das 
Gänsegeschrei  nachzuahmen.  Bei  den  Jagdliedern  aber  ahmten  die  contra- 
punktirenden  Stimmen  mit  dem  charakterischen  Eefrain:  »Wuffa  oder  »Puff« 
das,  die  Jagd  begleitende  Getöse  nach.  Diese  Weise  der  Tonmalerei  fand  in 
Clemens  Jannequin  seiner  Zeit  die  keckste  Ausführung  und  Ausdehnung.  Er 
begnügt  sich  nicht  damit,  nur  Lerchengesang  (la  louette)  und  Nachtigallenschlag 
nachzuahmen,  sondern  auch  das  Getöse  des  Strassenverkehrs  und  der  Schlacht. 
In  einem  motettenartigen  Satz  (gedruckt  in:  »Sion  gaillardes  et  six  Pavannes 
avec  treze  chansons  Musicales  a  quatre  parties  par  Fierre  Attaignant,  1529«) 
schildert  er  den  Strassenverkehr  in  Paris;  er  charakterisirt  die  Ausrufe  der 
verschiedenen  Verkäufer:  von  Fischen,  Backwerk,  Schuhen  u.  s.  w.  und  verwendet 
sie  in  einem  tollen  Durcheinander.  In  seiner  nBataille  ou  Defaite  des 
Suisses  ä  la  journee  de  Marignana,  für  vier  und  fünf  Singstimmen  gesetzt, 
wii'd  das  Anrücken  der  Truppen,  werden  Kanonendonner  und  Kleingewehrfeuer, 
Trompetensignale  und  das  ganze  Getöse  der  Schlacht  nachgeahmt,  bis  die 
Schweizer  mit  dem  Geschrei  »toute  frelore  higot«.  die  Elucht  ergreifen  unter  dem 
jubelnden  Siegesruf  der  Franzosen:  f>Victoire,  victoire  au  noble  de  roi  JFrangoisa, 
Tomaso  Cimello  veröffentlichte  eine  ^Bataglia  vilaneschai  zu  drei  Stimmen 
und  M.  Trojano  die  y>Bataglia  della  Gutta  e  la  Cornacchiaa  zu  fünf  Stim- 
men (1568).  Besonders  beliebt  aber  war  die  »Battaglia  Talianaa  von  Le 
Maistre  (1552).  In  den  Schlachtruf  der  Franzosen:  -aCompagnons  en  avanta 
mischt  sich  das  Feldgeschrei  der  Italiener:  y>Viva  il  duca  Mila^ioa,  dem  dann 
später  das  »O  nostre  dame,  o  hon  Jesus  astour  nous  sommes  tous  perdusa  der 
geschlagenen  Franzosen  entgegentritt.  Selbst  die  strengen  contrapunktischen 
Formen  wurden  zu  derartigen  Malereien  verwendet.  Claudio  Merulo  schrieb 
eine  Fuge  (1600),  in  der  eine  lateinische  Lection,  welche  der  Lehrer  den  Schü- 
lern giebt,  geschildert  ist.  Sie  sollen  -nq^ui,  quae,  qicoda  decliniren,  stottern  und 
stocken  dabei  und  kommen  aus  dem  Ton  und  der  Lehrer  schreit  zankend 
dazwischen. 

Durch  die  Instrumentalmusik  gewann  dieser  Zug  nach  möglichst  rea- 
listischer Naturmalerei  ganz  besonders  die  reichste  Nahrung.  Diese  brachte 
noch  ganz  andere  und  viel  entsprechendere  Mittel  für  Tonmalerei  als  der  Ge- 
sang und  sie  bediente  sich  ihrer  bald  in  ausgedehntem  Maasse.  Hierzu  gaben 
die  dramatischen  Versuche  beim  Beginn  des  17.  Jahrhunderts  die  nächste  und 
passendste  Gelegenheit.  Wenn  die  Musik  bei  der  Oper  einen  äussern  Vorgang 
zu  begleiten,  oder  wenn  sie  einen  solchen  im  Oratorium  mit  ersetzen  helfen 
soll,  so  wird  sie  durch  diesen  Vorgang  ganz  naturgemäss  beeinflusst  werden. 
Dieser  wird  in  der  Phantasie  des  schaffenden  Tondichters  eine  Musik  erzeugen, 
welche  auch  in  der  Phantasie  des  Hörers  denselben  Vorgang  entstehen  lässt. 
Die  Musik  tritt  ja  deshalb  hinzu  mit  ihren  reichen  Mitteln,  um  die  Wirkung 
auf  den  Zuhörer  zu  erhöhen;  sie  darf  sich  demnach  keinen  Moment  entgehen 
lassen,  diese  Aufgabe  zu  erreichen,  und  in  diesem  Sinne  ist  die  Tonmalerei 
geboten.      Wenn     diese     betreffenden     Vorgänge     selbst     schon     musikalische 


Tonmalerei.  257 

Momente  in  sich  bergen,  wenn  sie  mit  "Waldesrauschen  und  Bachesrieseln, 
mit  Heerden-  und  Grlockenklang,  oder  mit  dem  Rollen  des  Donners, 
mit  Sturm  und  Gewitter  u.  dergl.  zusammenhängen,  dann  ist  es  um  so 
leichter  der  Phantasie  zu  Hülfe  zu  kommen  und  die  Tonmalerei  ist  ganz  un- 
ahweislich. 

In  diesem  Sinne  nun  verwendeten  sie  die  dramatischen  Componisten  schon 
seit  dem  Beginn  ihrer  selbständigen  Ausbildung.  Claudio  Monteverde 
wandte  in  seinen  ersten  dramatischen  "Werken,  seiner  »Arianna«  (1606),  seinem 
«Orfeo«  (1607)  die  Instrumente  noch  vorwiegend  zu  Tänzen,  Sinfonien,  Ritor- 
nellen  an  und  zwar  in  Chorweise  gehalten.  Erst  1624  erschienen  die  r>Madrigali 
guerrieri  ed  atnorosi«,  in  denen  er,  wie  er  selbst  in  der  Vorrede  auseinander- 
setzt, die  Nachahmung  des  Zornes  instrumental  durch  Auflösung  der  ganzen 
Noten  in  Sechzehntheile  von  Geigen  ausgeführt  versucht.  Er  verwendet  diese 
Begleitung  zunächst  bei  der  Composition  der  52.  bis  68.  Stanze  des  zwölften 
Gesanges  von  Tasso's  »Befreitem  Jerusalem«.  In  die  Ausführung  theilen  sich 
drei  Sänger.  Der  eine  als  Erzähler  recitirt  und  die  andern  beiden  stellen  die 
Kämpfer  dar:  Chlorinda  und  Tasso.  Die  Erzählung  wird  nun  durch  die  Streich- 
instrumente illustrirt.  Diese  suchen  den  Kampf  und  was  ihm  vorangeht  in 
ihren  Einzelheiten  darzustellen.  Das  Gespräch  der  Kämpfenden  wird  dann  in 
der  "Weise  des  Recitativs  gehalten,  bis  zu  den  letzten,  das  Hinscheiden  Chlo- 
rindens  bezeichnenden  langgehaltenen  Accorden.  Arteaga  erzählt  in  seiner 
»Geschichte  der  italienischen  Oper«  (»Le  rivoluzione  del  teatro  musicale  italiano 
della  sua  origine  sin  'al  presetita),  dass  Milano  in  seinem  Drama:  »II  Podesta 
di  Colonialaa  sich  viel  Mühe  gab  die  Stimmen  einzelner  Thiere  durch  Instru- 
mente nachzuahmen. 

In  ausgedehnterem  Maasse  fanden  dann  derartige  Tonmalereien  in  der 
fi-anzösischen  Oper  seit  Lully  Verwendung.  Die  Instrumentalmusik  begnügte 
sich  bei  ihr  zumeist  damit,  die  äusseren  Bewegungen  zu  verfolgen  und  die 
"\¥irkung  der  Decorationen  zu  unterstützen.  Lully  versuchte  schon  Stürme  zu 
malen  und  die  Chöre  der  Najaden  oder  Nymphen  von  denen  der  Amazonen 
und  Krieger  durch  die  Begleitung  zu  unterscheiden.  "Ungleich  geistvoller  und 
wirksamer,  wie  seine  Musik  überhaupt,  werden  solche  Malereien  dann  bei  Ra- 
meau,  der  sich  nicht  leicht  einen  feinen  Zug  der  äussern  Darstellung  entgehen 
lässt,  ohne  ihn  durch  seine  Mittel  zu  illustriren.  Es  ist  dies  Verfahren  nicht 
nur  vollständig  gerechtfertigt,  sondern  ganz  unerlässlich.  Diese  äussern  Vor- 
gänge werden  freilich  scenisch  dargestellt,  und  die  Musik  hätte  nicht  nöthig, 
dies  auch  zu  thun.  Dann  kann  sie  allerdings  schweigen.  Allein  wenn  man 
einmal  überhaupt  die  Musik  zum  Drama  hinzuzieht,  dann  darf  sie  sich  auch 
solcher  Schilderungen  nicht  entziehen  und  dass  die  dramatische  "Wirkung  da- 
durch ganz  aussergewöhnlich  erhöht  wird,  bedarf  doch  gewiss  keines  weitern 
Beweises.  Die  grossen  Meister  der  dramatischen  Musik  haben  deshalb  auch 
niemals  unterlassen,  ihre  Musik  auch  mit  dem  äusseren  Fortgange  der  Hand- 
lung selbst  mit  der  Decoration  im  Einklänge  zu  halten.  Gluck  malt  in  der 
Ouvertüre  zur  »Iphigenie  in  Tauris«  im  Andante  die  Ruhe  des  Meeres;  ein 
Paukenschlag  kündigt  dann  den  Sturm  an,  der  allmälig  mit  aller  "Wuth  im 
Allegro  losbricht,  dann  in  der  Scene  noch  forttobt,  ohne  dass  er  von  den  Gebeten 
der,  auf  dem  Theater  umherirrenden  Iphigenia  mit  ihren  Frauen  beschwichtigt 
wird  und  erst  spät  und  allmälig  sich  beruhigt.  Von  grösserer  Bedeutung  noch 
werden  solche  Tonmalereien  für  das  Oratorium.  Dies  verzichtet  auf  die 
äussere  Darstellung,  und  der  Tonkunst  erwächst  daraus  häufig  die  Nothwendig- 
keit,  diese  zu  ersetzen.  Die  weniger  bedeutenden  Componisten  lassen  sich 
hierbei  zu  allerlei  Geschmacklosigkeiten  verleiten.  "Wenn  Mattheson  in  seiner 
Passion  im  Anfaugschor  das  Ringen  unter  der  Last  der  Stricke  darzu- 
stellen sucht: 

Musikal.  Couvers.-Lexikou,     X.  17 


258 


Tonmalerei. 


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so    erscheint    das    eben  so  wenig    geboten,    wie  so  liandgreifliche  Malereien  als 
die  folgenden: 


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Das  bange  Herz    fing  an  so  stark  zu  klo 


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oder    wenn    er,    um    den    Regenbogen,   den    der  Evangelist   auf  dem  Rücken 
des  gegeisselten  Erlösers  erblickt,  darzustellen,  diese  Greigenfigur  verwendet: 


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oder  wenn  Tele  manu  in  einer  Passion  das  Lachen  malt: 


Tonmalerei. 


259 


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so  ist  das  allseitig  verwerflich.  Diese  Anschauungen  sind  nur  figürlich  geraeint, 
und  sie  zu  malen  besitzt  die  Musik  keine  Mittel.  Solche  Versuche  wirken  daher 
in  entgegengesetzter  Richtung;  sie  unterstützen  nicht,  sondern  verwirren  und 
werden  meist  komisch.  Eben  so  verwerflich  ist  es,  wenn  Gross ec  (s.  d.)  in 
seinem  einst  vielgerühmten  Requiem  die  Singstimmen  dazu  missbraucht,  das 
Zittern  und  Beben  der  Sünder  darzustellen: 


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Händel  und  Joh.  Seb.  Bach  haben  in  ihren  unsterblichen  Werken  gezeigt, 
wie  solche  Tonmalereien  auszuführen  sind.  Die  charakteristische  Figur,  mit 
Avelcher  Händel  die  Arie  in  »Israel  in  Egypten«:  »Und  Frösche  ohne  Zahl« 
begleitete: 


Violine  I. 


Violine  IL  < 


Basse. 


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lässt  in  der  Phantasie  des  Hörers  wirklich  die  Situation  entstehen,   ebenso  die 
Weise,  wie  er  den  Mücken-  und  Fliegenchor  in  demselben  Oratorium  illustrirt: 


Violine  I. 


Violine   IL 


Bratsche. 


Organe. 


260 


Tonmalerei. 


Solche  Situationsmalerei  ist  für  das  Oratorium  wie  für  die  Oper  uner- 
lässlich  nottiwendig.  Der  Componist  wie  der  Dichter  müssen  uns  über  den 
Boden  orientiren,  auf  welchem  sich  das  Drama  vollzieht,  und  dies  geschieht 
natürlich  dann  am  leichtesten,  wenn  dieser  durch  gewisse  Localtöne  charakteri- 
sirt  ist.  Eine  Scene  im  Freien,  am  Bach,  in  Flur  und  Anger,  bei  Sonnenschein 
oder  Grewittersturm  wird  eine  andere  Musikbegleitung  in  der  Phantasie  des 
Tondichters  erzeugen,  als  eine  im  geschlossenen  Raum,  im  Dom,  im  Prunksaal 
der  Mächtigen  der  Erde  oder  am  stillern  Heerde  des  Hauses.  Für  jeden  dieser 
Fälle  bieten  unsere  grossen  Meister  Gluck,  Händel  und  Bach,  Haydn, 
Mozart  und  Beethoven  bis  zu  den  neuern:  Schubert,  Mendelssohn  und 
Schumann  und  Weber,  Meyerbeer,  Wagner  und  die  jüngste  Gregenwart 
zahlreiche  Beispiele.  Nur  der  Unverstand  konnte  es  einem  der  genialsten  Meister 
solcher  Situationsmalerei,  Jos.  Haydn,  zum  Vorwurf  machen,  dass  er  in  seiner 
»Schöpfung«  und  seinen  »Jahreszeiten«  sich  keine  Gelegenheit  zur  wir- 
kungsvollsten Tonmalerei  entgehen  lässt.  Schon  die  wahrhaft  geniale  Weise 
mit  der  er  den  Hahnschrei  nachahmt: 


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Oboe 


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Violinen. 


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Viola. 


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Bass. 


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Des  Tas^es  Herold  meldet  sich 


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Tonmalerei. 


261 


müsste  mit  ihr  versöhnen,  auch  wenn  sie  nicht  so  vollständig  berechtigt  wäre, 
wie  sie  es  in  der  That  ist.  Das  gilt  aber  im  ganzen  Umfange  von  den  reizen- 
den grossen  und  kleinen  Tonbildern,  zu  denen  ihm  der  Text  der  »  SchöiDfung«, 
wie  der  der  »Jahreszeiten«  so  überreiche  Veranlassung  giebt.  Weniger 
realistisch  sind  die  Malereien  Bach 's.  Man  giebt  den  berühmten  Stellen  der 
Erzählung  des  Evangelisten  in  der  Matthäus  Passion: 


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und  der  andern 


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Und  ging  hinaus      und  wei 


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ne  -  te      bit-  ter-lich. 


eine  viel  zu  einseitige  Deutung,  indem  man  annimmt,  der  Meister  habe  hier 
das  »Weinen  und  Klagen«  darstellen  wollen.  Nicht  das,  was  der  Evangelist 
berichtet,  sollte  näher  erläutert  werden,  sondern  der  Eindruck,  den  dieser  Be- 
richt auf  ihn  selbst  macht,  und  der  natürlich  die  Art  der  Erzählung  beeinflusst. 
Dort  sind  ihm  der  leidende  Jesus,  hier  der  zerknirschte  Petrus  persönlich  so 
nahe  getreten,  dass  er  selbst  empfindet,  was  sie  leiden,  und  diese  Empfindung 
gewinnt  natürlich  treuen  Ausdruck  in  der  Erzählung.  So  findet  auch  die  Be- 
handlung der  Worte; 


E  -  he     der    Hahn   krä  -  heu  wird 


entsprechende  Erklärung.  Dass  Bach  hier  nicht  entfernt  daran  gedacht  hat, 
das  Krähen  des  Hahns  nachzuahmen,  geht  aus  der  Behandlung  der  vorher- 
gehenden Worte: 


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Und     als  -  bald  krä  -  he  -  te     der  Hahn 

unwiderleglich  hervor.  Hier  wäre  es  eher  am  Orte  gewesen  »den  Hahn  krähen 
zu  lassen«,  wenn  hier  überhaupt  eine  derartige  Tonmalerei  zulässig  war,  nicht 
aber  in  jenen  Worten,  die  nur  erzählen,  dass  Petrus  an  den  Ausspruch  Jesu 
dachte:  »Ehe  der  Hahn  kräht,  wirst  du  mich  dreimal  verleugnen«;  jener  Auf- 
schrei auf  dem  Worte  »krähen«  deutet  nur  an,  wie  erschütternd  der  Hahn- 
schrei auf  den  Jünger  wirkte,  da  er  ihn  an  diese  Worte  Jesu  erinnerte.  Hier- 
mit ist  zugleich  ein  wichtiger  Grundsatz  für  die  Einführung  solcher  Wort- 
malerei angedeutet.  Sie  hat  an  sich  wenig  Bedeutung,  wenn  sie  nicht  zugleich 
auch  Situationsmalerei  ist.  Wie  die  vorstehenden  Beispiele  zeigen,  kann 
damit  manch  feiner  Zug  entwickelt  werden,  aber  nur,  wenn  sie  die  Situation 
näher  charaktex'isirt;  sonst  wird  ihre  Wirkung  nur  zu  leicht  ins  Gegentheil 
verkehrt  und  komisch.    Schon  Grottfried  Weber*)  weist  auf  das  Bedenkliche 


•=)     Cäcilia,  eine  Zeitsfhrift  für  die  musikalische  Welt,  1825,  Bd.  IIT,  p.  131  ff. 


262 


Tonmalerei. 


solcher  "Wortmalerei  hin.    "Wenn  er  indess  Marcello  tadelt,  dass  er  das  Wort 
yeccessoa  (Uebermaass)  in  folgender  Stelle: 

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durch  eine  übermässige  Secunde  charakterisirt,  so  ist  er  im  Unrecht.  Jeden- 
falls war  für  den  alten  Meister  hier  nicht  der  Name,  sondern  die  Wirkung 
des  Intervalls  entscheidend,  und  diese  ist  allerdings  hier  so  treffend,  wie  zu- 
fälliger Weise  auch  der  Name.  Dagegen  hat  AVeber  ganz  recht,  wenn  er  es 
unzweckmässig  findet,  dass  die  Messen-Componisten  bei  den   Worten: 

Qui  ...  descendit  de  coelis   =   Welcher  ...  vom  Himmel  herab  kam 

immer  das  Niedersteigen  durch  absteigende  und  das 

y>et  resurrexiti   =    und  wieder  auf  erstand 

durch  aufsteigende  Figuren  malen.  Sehr  richtig  sagt  Weber  hierüber:  »All 
diese  Wortraalereien  sind  nebenbei  auch  darum  in  sich  selbst  unrichtig  und 
unpassend,  weil  die  Ausdrücke:  hohe  und  tiefe  Töne  an  sich  selbst  nur  figür- 
lich und  blose  willkürlich  angenommene  Redensart  sind,  indem  ein  hoher  Ton 
keineswegs  eine  räumliche  Höhe  hat,  und  das  vermeintliche  Abconterfeien  räum- 
licher Höhe  durch  hohe  Töne  also  nicht  einmal  wirkliche  Tonmalerei,  sondern 
nur  wortwitzige  Anspielung  auf  die  figürliche  Redensart  hohe  Töne  und  diese 
selbst  wieder  nur  eine  von  der  Wortähnlichkeit  hergenommene  Anspielung  auf 
die  Höhe  des  Himmels  ist,  von  welcher  der  liebe  Herrgott  hier  als  herabsteigend 
abgebildet  werden  soll.  Hätten  wir  für  hohe  Töne,  d.  h.  für  schnelle  Klang- 
schwingungen ein  anderes  Wort  als  das  figürlich  entlehnte  hoch,  so  würde 
kein  Mensch  auch  nur  eine  Tonmalerei  in  den  befraglichen  Stellen  ahiaen:  sie 
sind  also  nicht  einmal  Tonbild,  sondern  nur  von  einem  figürlichen  Sprachaus- 
drucke hergenommenes  Wortspiel.« 

Andrer    Art    ist    schon    die    Bedeutung    der    Wortmalerei    in    Beethoven's 
»Meeresstillle  und  glückliche  Fahrt«; 


Hier  ist  die  »ungeheure  Weite«  durch  die  weiten  Intervallenschritte  auch  wirk- 
lich charakterisirt.  Wie  äusserlich  auch  solche  Malereien  immerhin  sind,  so 
darf  sich  ihnen  der  Meister  durchaus  nicht  entschlagen;  sie  sind  an  passender 
Stelle  von  bedeutender  Wirkung  und  daher  recht  wohl  geeignet,  das  Verständ- 
niss  des  ganzen  Kunstwerks  zu  erleichtern  und  zu  fördern.  Natüx'lich  müssen 
sie  passend  angebracht  sein  und  dürfen  nicht  zur  Hauptsache  werden. 
Sie  dürfen  immer  nur  als  Hülfsmittel  auftreten  im  Dienste  höherer  Idee,  zu 
deren  überzeugender  Darstellung  sie  das  Ihrige  nur  beizutragen  haben. 

Unter  den  Begriff  Tonmalerei  fasst  man  ferner  auch  die  versuchte 
Darstellung  äusserer  Vorgänge  durch  IMusik,  die  an  und  für  sich  keine  direkte 
Beziehung  zu  ihr  haben,  die  nicht,  wie  Wellenschlag  und  Windesranschen,  wie 
das  Schnurren  des  Spinnrades,  oder  das  Rollen  des  Donners  u.  s.  w.  als  Schall 
oder  Geräusch  dem  Ton  verwandt  sind,  oder  als  Yogelsang  schon  in  gewissem 
Sinn  in  das  Gebiet  der  Musik  fallen  und  daher  leicht  nachzuahmen  sind, 
sondern  auch  solche,  die,  wie  der  Sonnenaufgang  oder  Sonnenuntergang, 
Waldeslnft    und   Waldesduft,    die    Stille    in   Flur    und   Wald  oder  auf 


Tonmalerei. 


263 


dem  weiten  Meere,  wie  die  treibende  Lenzluft  oder  der  reifende  Haucli 
des  Sommers,  wie  Herbsteswehen  und  Winterschlaf  ohne  Beziehung 
zur  Musik  sind,  aber  doch  eine  eigeuthümlich  gestimmte  Musik  zu  erzeugen 
im  Stande  sind.  Diese  Art  von  Tonmalerei  ist  bereits  Stimmungsmusik 
im  eigensten  Sinne  des  Worts.  Jene  erwähnten  äussern  Vorgänge  sind  nur 
insofern  zeugend,  als  sie  in  der  Phantasie  des  schaffenden  Küustlers  ganz 
i)estimmte  eigenartige  Bilder  hervorrufen  und  seinem  gesammten  Empfinden  ein 
eigenthümliches  Gepräge  ertheilen.  Sie  verhalten  sich  ganz  genau  eben  so 
einwirkend  auf  Phantasie  und  Empfindung  wie  alle  andern  Stoffe,  aber  es  geht 
doch  mehr  von  ihrer  Eigenart  in  Phantasie  und  Empfindung  über  und  dem 
entsprechend  auch  in  das  Kunstwerk  als  von  jenen,  die  nicht  so  äusserer  Art 
sind.  Diese  lösen  sich  dort  in  der  Innerlichkeit  des  Künstlers  mehr  auf  und 
verschmelzen  inniger  mit  ihr,  während  jene  auch  nach  ihrer  materiellen  Seite 
noch  Einfluss  und  Ausdruck  im  Kunstwerk  gewinnen.  Wenn  Joseph  Haydn 
unternimmt,  in  der  Einleitung  zu  seiner  »Schöpfung«  die  Vorstellung  des 
Chaos  zu  geben,  so  musste  er  sich  darauf  beschränken,  zu  zeigen,  wie  am 
Anfange  alles  noch  wüst  und  leer  war,  wie  die  waltenden  Kräfte  aus  dem 
Dunkel  allmäiig  hervortreten  und  alles  nach  Gestaltung  schleicht  und  ringt 
und  dazu  ist  die  Musik  vollständig  befähigt  und  der  in  solchen  Materien  ganz 
unvergleichliche  Meister  hat  auch  mit  genialer  Hand  Unübertreffliches  geleistet. 
Bereits  in  dem  Es-dur-Satz  (Tact  26)  tritt  ein  Moment  grösserer  Festigkeit 
ein  und  Haj'dn  kann  es  sich  nicht  versagen,  solch  überraschende  Detailraalereieu 
einzureihen  wie  die  durch  die  Clariuette,  die  wie  ein  junger  emporschiessender 
Stern  mit  einem  brillanten  Lauf  in  die  Höhe  geht: 


Aehnliches  gilt  von  den  Schilderungen  des  Sonnenaufgangs  wie  des  Sonnen 

nicht  den  mindesten 


Untergangs.      Beide  Naturerscheinungen  haben 
Anknüpfungspunkt    mit    der    Musik;    sie    werden 
( T  e  m  ü  t  h    und    Phantasie 
diese    besitzt    die  Mittel 


direkten 

erst   in   ihrer  W^irkung  auf 

Darstellungsobjekten    für    die    Tonkunst, 


um 


zu 

analoge  Wirkungen  zu  erzielen.  Der  Tondichter 
wird  sich  hierbei  namentlich  darauf  beschränken  müssen,  die  anscheinende  Be- 
wegung dieses  ganzen  Vorganges  darzustellen;  er  wird  die  tiefste  Ruhe  voraus- 
setzen und  schildern  müssen,  er  wird  mit  wenig  Stimmen,  vielleicht  nur  mit 
einer  beginnen  und  dann,  wie  allmäiig  der  Tag  heraufzusteigen  scheint  und  sich 
ausbreitet,  auch  allmäiig  immer  mehr  Stimmen  und  Mittel  entwickeln,  und  wie 
der  junge  Tag  dann  Leben  weckt,  so  wird  auch  der  Tonsatz  immer  lebendiger 
und  mannichfaltiger  sich  gestalten  müssen,  bis  er  in  sonnigem  Glänze  zu  strahlen 
scheint  wie  der  helle  lichte  Morgen.  In  der  Besonderheit  der  Anwendung  der 
musikalischen  Mittel  wird  der  Tondichter  dann  vielfach  Gelegenheit  finden,  das 
Bild  noch  treuer  zu  gestalten,  so  dass  wirklich  der  durch  Sonnenstrahlen  erzit- 
ternde Aether  zu  klingen,  dass  der  jxmge  Morgen  aus  Bosenwolken  hervorzu- 
brechen scheint,  wie  in  dem  j^rachtvoUen  von  Streichinstrumenten  und  Hörnern 
begleiteten  Flöten-Terzett  der  Einleitung  zum  dritten  Theil  der  »Schöpfung« 
oder  in  der  zum  zweiten  der  »Jahreszeiten«;  dass  man  die  Empfindung  haben  kann, 
als    gingen    Sonne,    Mond    land   Sterne    auf,    wie    in   Uriers  Recitativ  im   ersten 


264 


Tonmalerei. 


Theil  der  »Schöpfung«.  Unter  dieselben  Gesichtspunkte  gehören  die  zahlreichen 
weitern  Malereien,  die  Haydn  in  der  «Schöpfung«  in  meisterhafter  Weise  aus- 
führt, wie  das  Herniederfallen  des  Regens  und  des  Schnees  und  des 
Lebens  in  Wald  und  Flur:  am  kriechenden  Gewürm,  am  Schwärm  der  Insekten 
und  der  Vögel  des  Waldes  u.  s.  w. 

Auch  Beethoven  hat  solche  Malereien  nicht  von  der  Hand  gewiesen,  wo 
sie  sich  aufdrängten.  Die  Pastoralsinfonie  enthält  alle  besprochenen  Arten 
derselben,  vom  Kuhreihen  und  der  Bauernmusik  und  der  mehr  derb  realistischen 
Malereien  des  Sturms,  der  Vogelstimmen  (Kukuk,  Nachtigall  und  Wachtel), 
des  Rieseln  des  Baches  bis  zu  jener  mehr  idealen,  der  weichen,  warmen 
zitternden  Sommerlüfte,  der  Mittagshelle  und  Mittagsgluth.  Auch  der  »Fidelio« 
enthält  zahlreiche  feine  und  überraschend  ausgeführte  Malereien,  wie  im  ersten 
Duett,  in  dem  das  verlegene  Stammeln  Jacquino's  so  ergötzlich  durch  die  Staccato- 
figur  in  den  Streichinstrumenten  charakterisirt  wird,  oder  im  Chor  der  Gefangenen, 
in  welchem  die  Einleitung  in  uns  das  wehmüthig  wonnige  Gefühl  der  mild 
und  lind  uns  umwebenden  Lüfte  erweckt,  oder  im  Melodrama  der  Kerkerscene, 
das  den  ganzen  äussern  Hergang  ganz  treu  musikalisch  begleitet.  Auch  die 
Musik  zu  Goethe's  »Egmont«  ist  ein  Meisterwerk  solcher  Tonmalerei  von  den 
ersten  Accorden  bis  zum  Melodrama  und  der  anschliessenden  Siegessinfonie. 
Der  Schlachtsinfonie  des  Meisters  ist  schon  früher  gedacht  worden  im 
Artikel  Programmmusik. 

Eine  eigenthümliche  Weise  der  Tonmalerei  erzeugte  die  Romantik 
und  zwar  zunächst  in  Carl  Maria  von  Weber.  Er  war  der  erste,  der  die 
Feen  mit  ihren  leichten  und  luftigen  Spielen  zum  Darstellungsobjekt  machte. 
Mozart  hatte  in  seiner  »Zauber flöte«  (und  namentlich  schon  in  der  Ouver- 
türe) gezeigt,  welch  treffliche  Bildnerin  gerade  die  IMusik  für  dies  Zauberreich 
ist,  und  Weber  machte  das  Reich  der  Feen  zum  Objekte  für  künstlerische 
Darstellung.  Diese  nur  von  und  für  die  Phantasie  geschaffene  Welt  trat  mu- 
sikalisch zunächst  mit  der  Oper  »Oberon«  in  die  Erscheinung.  Sie  wurde 
von  Oberon's  Zauberhorn  beherrscht,  dies  spielt  daher  in  der  ganzen  Romantik 
eine  bedeutsame  Rolle  und  der  »leichte  Feentritt«,  in  welchem  Weber  die  herrlichen 
Geister  der  Luft  einführt,  ist  charakteristisch  für  die  ganze  Gattung  geworden: 


Flauti. 


Clarinetti  in  B. 


Diese  Weise  und  die  nachstehend  verzeichnete  sind  die  Formeln  geworden, 
in  denen  sich  das  Elfenreich  erschloss.  Die  vorstehenden  leichten  Accorde  der 
Flöten  und  Clarinetten  werden  bereits  in  der  Ouvertüre  dazu  benutzt,  um  uns 
zu  dem  »Ritt  in  das  romantische  Land«  einzuladen  oder  eigentlich  gleich  direkt 
hineinzuführen.  In  der  nachstehenden  Einleitung  zum  ersten  Chor  der  Oper, 
zum  Elfenchor:  ^j^^:^^^^  ^^^  Feentritt  nur  weht. 

Durch  den  Saal  ihr  Elfen  geht. 

Viel  zu  laut  die  Quelle  tönt, 

Viel  zu  laut  der  Zepliyr  stöhnt! 

Jagt  die  wii-re  Mücke  fort, 

Lasst  die  Bien'  nicht  summen  dort!" 

erhalten  sie  dann  ihre  höhere  Erläuterung  und  sie  namentlich  weckten  in  dem 
Jüngern  Zeitgenossen  des  Meisters,  in  Felix  Mendelssohn,  einige  seiner  unver- 
gänglichen Schöpfungen. 


Tonmalerei. 


265 


Andante  quasi  Ällegreüo. 
Flauto. 


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Clarinetti  in  B. 


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Corno-Solo  in  F. 


Fagotti. 


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Violino  1.  c.  sord. 


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Violino  2 


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Viola.     SoZi. 


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Violoncello. 


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266  Tonmalerei. 

"Wie  Schubert,  Mendelssohn  und  Schumann  diese  Richtung  weiter 
verfolgten,  ist  in  den  Artikeln  ^Sinfonie  und  Ouvertüre  bereits  weitläufig 
erörtert  worden  und  wir  können  hier  darauf  verweisen.  Dort  ist  auch  darauf 
hingewiesen,  dass  diese  Jüngern  Romantiker  namentlich  dadurch  so  nachhaltig 
wirkten,  dass  sie  hierbei  nicht  nur  die  Phantasie  beschäftigten,  sondern  auch 
das  Herz  in  Mitleidenschaft  zogen.  Sie  wussteii  diese  Welt  nicht  nur  in  blenden- 
den Farben  uns  zu  schildern,  sondern  zugleich  so,  dass  wir  auch  mit  unserra 
Herzen  daran  lebhaften  Antheil  nehmen.  Damit  gewinnt  diese  Tonmalerei  erst 
die  höhere  künstlerische  Bedeutung,  die  überhaupt  die  Möglichkeit  gewährt, 
ganze  grosse  Formen  damit  zu  füllen.  In  den  früher  erwähnten  Fällen,  in 
denen  es  nur  galt  einzelne  Worte  oder  Situationen  zu  illustriren,  erwartet  man 
nicht  mehr  als  eine  möglichst  treue  Tonmalerei;  um  ganze  Formen  damit  zu 
füllen,  muss  ein  ethischer  Inhalt  vorhanden  sein,  der  diesen  Formen  überhaupt 
erst  künstlerische  Bedeutung  giebt.  Diesen  Inhalt  gewinnt  die  romantisch  con- 
struirte  Welt  nur,  indem  sie  mit  der  concreten  AVeit  in  Zusammenhang  und 
direkte  Wechselwirkung  gebracht  wird  und  indem  dies  die  erwähnten  Meister 
thun,  gewannen  sie  ihre  bedeutende  kunsthistorische  Stellung  innerhalb  der 
Entwickelung  der  Kunst,  Dort  konnten  wir  auch  schon  der  Meisterschaft 
Richard  Wagner 's  in  Ausführung  von  Situations-  und  Detailmalereien  ge- 
denken. Die  Darstellung  des  Mysteriums  vom  heiligen  Gral,  des  Walküren- 
ritts, Feuerzaubers  und  einer  Reihe  anderer  derartiger  Schilderungen,  wie 
die  reizvollen  Naturmalereien  im  »Lohengrin«  und  der  »Nibelungen- 
trilogie«  sind  mit  so  glühenden  Farben  ausgeführt,  dass  sie  zaubei'haft  wirken; 
sie  zu  allermeist  haben  diesen  Werken  eine  tiefgreifende  Bedeutung  für  die 
Gegenwart  gegeben.  Der  Zug  derselben  drängt  nach  dem  eingehendsten  Ver- 
ständniss  aller  Dinge  und  diesem  entspricht  die  realistische  Tonmalerei  voll- 
ständig. Sie  richtet  sich  mehr  an  den  combinirenden  und  erwägenden  Ver- 
stand und  diesem  erscheint  so  das  geheimnissvolle  Wesen  der  Musik  leichter 
fassbar.  Dass  die  Tonmalerei  indess  dem  innersten  Wesen  der  Musik  nur  be- 
dingungsweise entspricht,  wurde  schon  im  Eingänge  angeführt  und  im  weitern 
Verlauf  von  uns  mehrmals  stark  betont.  Solche  Tonmalereien  können  und 
dürfen  daher  nichts  weiter  als  Hülfsmittel  sein,  welche  die  Erkenntuiss  der 
die  Musikformen  erzeugenden  Idee  befördern  helfen.  Diese  Idee  zu  verkörpern 
ist  immer  einziges  Hauptziel,  wie  aller  Kunst,  so  auch  der  Tonkunst.  Diese 
wird  durch  einseitige  Berücksichtigung  der  Tonmalerei  herabgedrückt  zum 
blossen  decorativen  Beiwerk,  das  die  Sinne  zu  reizen,  aber  nicht  auch  der 
Psyche  einen  Inhalt  zu  vermitteln  vermag. 

Von  besonderer  Bedeutung  wird  die  Tonmalerei  für  die  Form  des  be- 
gleiteten Liedes.  Hier  wird  es,  wenn  auch  nicht  immer,  doch  oft  nothwendig 
in  der  Begleitung  die  Situation  anzudeuten.  Es  erscheint  unerlässlich,  dass 
das  Begleitungsraotiv  zu  Goethe's  »Gretchen  am  Spinnrade«  dem  Summen  des 
Spinnrades  abgelauscht  ist: 


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wie  in  der  Schubert'schen  Composition  dieses  Liedes  und  es  ist  genial  und 
fein  empfunden  zugleich,  dass  der  Meister  es  ununterbrochen  zur  feinem  Nüau- 
cirung  der  Stimmung  bald  verengt,  bald  erweitert  beibehält,  in  immer  heftigerer 
Bewegung,  bis  es  plötzlich  abreiset  und  still  steht,   wie   das  Fädcheu: 


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Toumessor  —  Tonmessung. 


267 


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sein  Kuss! 


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und  dann  erst  langsam  sich  wieder  in  Bewegung  setzt.  Wie  in  einzelnen 
Müllerliedern  desselben  Meisters  das  tauschen  des  Wassers  oder  in  Ellens 
zweitem  Gesänge:  »Jäger  ruhe  von  der  Jagd«  Höruer-  und  Trompeteuöchall, 
oder  in  Mendelssohn 's:  »Wenn  durch  die  Piazetta«  Wellen-  und  Kuderschlasr, 
in  Schumann 's:  »Uebern  Garten  durch  die  Lüfte«  das  Weben  und  Wogen 
der  Frühlmgslüfte  und  Düfte  die  Begleitungsfiguren  erzeugt  haben,  ist  hier 
eben  so  wenig  weiter  zu  untersuchen,  wie  die  tausend  weitern  Beispiele  von 
Tonmalereien  der  grossen  und  kleinen  Meister  unserer  Zeit. 

In  noch  ausgedehnterer  Weise  kommt  die  Tonmalerei  natürlich  in  der 
Ballade  zur  Anwendung.  Für  sie  ist  die  Dai-legung  und  Schilderung  der 
Situation  von  noch  grösserer  Bedeutung;  die  Singstimme  übernimmt  aber  selbst- 
vei-ständlich  nur  die  Erzählung  und  diese  zu  erläutern  und  unserm  Gefühl  und 
Verständniss  näher  zu  legen,  das  bleibt  der  (Jlavierbegleitung  oder  überhaupt 
der  instrumentalen  Begleitung  überlassen.  Und  um  diese  darin  so  wenig  als 
möglich  zu  beschränken,  wird  sogar  der  gesangliche  Theil  abweichend  von  der 
Praxis  beim  Lied  und  der  Bomanze  gestaltet.  Bei  diesen  versucht  die  Melodie 
das  strophische  Versgefüge  nachzubilden,  und  alle  andern  Mittel  der  Darstellung 
ordnen  sich,  ihn  unterstützend,  diesem  Zuge  unter.  Bei  der  Ballade  dagegen 
wii'd  der  Romanzenton,  der  hier  noch  zu  einem  ganzen  Versgebäude  ausge- 
weitet ist,  in  eine  möglichst  knappe,  einheitliche  Gesangsphrase  zusammen- 
gefasst  und  sie  gewinnt  dadurch  den  rechten  Ton  für  die  episch  sich  aus- 
breitende Erzählung.  Die  mehr  rhetorische,  aber  in  sich  geschlossene  Gesangs- 
phrase bildet  den  Grundton,  der  nach  dem  Verlauf  der  Handlung  sowohl 
melodisch,  wie  harmonisch  und  rhythmisch  verändert,  die  speciellere  Ausführung 
der  einzelnen  Bilder  bestimmt  und  zugleich  der  instrumentalen  Begleitung  den 
nöthigen  Raum  gewährt,  diese  einzelnen  Bilder  in  entsprechender  Treue  und 
Ausführlichkeit  hinzustellen.  Indem  Job.  Gott  fr.  Löwe  diesen  Ton  traf, 
wurde  er  der  eigentliche  Schöpfer  der  Balladenform  und  die  nachkommenden 
Meister  dieser  Form  haben  sich  ihm  eng  angeschlossen.  So  erscheint  die  Ton- 
malerei als  eins  der  wesentlichsen  und  vor  allem  wirksamsten  Hülfsmittel: 
das  Kunstwerk  in  höchster  Vollendung  hinzustellen  und  ihm  zugleich  Allge- 
meingültigkeit und  Verständlichkeit  zu  geben.  Freilich  darf  sie  dann  nicht 
zum  Selbstzweck  erhoben  und  es  dürfen  ihr  nicht  Schilderungen  zugemuthet 
werden,  deren  sie  nicht  fähig  ist.  Im  erstem  Falle  gewinnt  sie  nur  sinnlichen 
Reiz,  der  unter  Umständen  die  Bedeutung  des  Kunstwerks  im  Besondern,  und 
der  Musik  im  Allgemeinen  arg  gefähi-den  kaun,  im  andern  wird  sie  zwecklos 
und  nicht  selten  komisch.  Im  Dienste  der  Idee  dagegen  bedarf  und  fordert 
sie  energische  Pflege  und  eingehendes  Studium,  und  künstlerisch  verwendet 
wird  sie  ihre  echt  künstlerische  Wirkung  niemals  versagen,  wie  an  zahlreichen 
Beispielen,  die  ins  Unendliche  fortgesetzt  werden  könnten,  nachgewiesen  wurde. 

Toumesser,   s.  v.  a.  Saitenmesser  (s.   Monochord,  Sonometer). 

Tonmessnua:,  die  Bestimmung  der  Tonhöhe  nach  der  Länge  der  klingenden 
Körper  und  der  dadurch  bedingten   Zahl    der  Schwingungen  wurde  schon   früh 


268  Tonmessung. 

von  den  ersten  Cultnrvölkern  versucht  und  bei  einzelnen  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  entwickelt.  Die  frühesten  Beobachtungen  nach  dieser  Seite  führten  zu 
der  Ueberzeugung,  dass  die  Dicke,  Länge  und  Spannung  der  klingenden 
Tonkörper  die  Höhe  des  Tons  bestimmen  und  so  erwiesen  sich  denn  die  aus 
Seide  oder  aus  Sehnen  und  Schaafd armen  gedrehte  Saite  und  daneben 
die  aus  Schilf-  oder  Bambusrohr  oder  gewissen  Knochen  der  Thiere  ge- 
fertigte Pfeife  als  für  die  Tonmessung  zweckmässig  und  bequem.  Mit  Hülfe 
beider  kamen  die  Chinesen  schon  in  den  ersten  Jahrhunderten  ihrer  Cultur- 
entwickelung  zu  einem  ganz  scharf  abgemessenen  Tonsystem,  das  dann  von  den 
Gr riechen  wissenschaftlich  begründet  und  bedeutsam  erweitert  wurde  (siehe 
Akustik,  geschichtliche  Eutwickelung).  Mit  Hülfe  des  Monochords  (s.  d.) 
namentlich  machten  sie  die  eingehendsten  Untersuchungen  und  fanden  jene 
Naturgesetze,  nach  welchen  der  Schall  Klang  und  Ton  wird  und  in  be- 
stimmte Systeme  zu  ordnen  ist.  Pythagoras  fand,  dass  wenn  eine  Saite  in 
zwei  gleiche,  oder  so  in  zwei  ungleiche  Theile  getheilt  wird,  dass  ihre  Längen 
sich  wie  zwei  einfache  ganze  Zahlen  verhalten,  die  Töne  der  beiden  Theile 
eine  Consonanz  bilden.  Er  fand  in  der  Hälfte  der  Saite  die  Octave  und  zu- 
gleich dass  diese  Hälfte  die  doppelte  Menge  von  Schwingungen  machte,  als  der 
Grundton,  mithin  im  Verhältniss  von  1:2  stand;  zwei  Drittel  der  Saitenlänge 
und  demnach  ^J2  der  Schwingungszahl  ergab  die  Quint  und  die  Quart  endlich 
^/i  der  Saitenlänge  und  ^/s  der  Schwingungszahl.  Die  weitere  Entwickelung 
dieses  Prozesses  ist  unter  Akustik  (Geschichte)  nachzulesen. 

Auch  durch  die  Jahrhunderte  der  fernem  Entwickelung  der  Musik  unter 
dem  Einflüsse  des  Christenthuras  blieb  die  Saite  und  namentlich  das  Mono- 
chord das  hauptsächlichste  Mittel  zur  Tonmessung,  die  immer  schärfere 
Bestimmung  fand.  Seit  dem  17.  Jahrhundert  kamen  dann  mehrere  abweichende 
Methoden  der  Tonmessung  zur  Anwendung.  Beim  Beginne  desselben  wandte 
Mersenne  die  Saite  schon  in  eigenthümlicherer  Weise  an.  Er  fand,  dass 
eine  Saite  von  15  Fuss  Länge,  wenn  sie  mit  G^/s  Pfund  gespannt  war,  zehn 
Schwingungen  in  der  Secunde  vollendete,  und  wenn  man  sie  auf  den  zwanzigsten 
Theil  verkürzte  200  Schwingungen  in  einer  Secunde  und  er  nahm  den  dadurch 
erzeugten  Ton  —  zwischen  unserm  g  und  gis  liegend  —  als  Normalton  an. 
1825  machte  W.  "Weber  mit  einem  neuconstruirten  Monochord  ähnliche 
Versuche,  und  es  gelang  ihm,  die  Schwingungszahlen  mit  grosser  Genauigkeit 
von  1 — 500  zu  messen.  Wollte  er  die  Schwingungszahl  irgend  eines  bestimmten 
Stimxngabeltons  messen,  so  stellte  er  durch  Veränderung  der  Länge  der  Saite 
seines  Monochords  die  vollständigste  Uebereinstimmung  der  Tonhöhe  beider, 
der  Stimmgabel  und  des  Monochords  her,  schnitt  dann  die  Saite,  nachdem  er 
die  Länge  derselben  genau  gemessen,  scharf  an  den  Klemmen  ab  und  bestimmte 
ihr  Gewicht  und  darnach  die  Schwingungszahl,  Aehnliche  Versuche,  wie  Mer- 
senne mit  der  Saite,  machte  dann  Chladni  mit  einem  elastischen  Stabe,  allein 
diese  Methode  ist  nicht  der  gleichen  Genauigkeit  fähig. 

Zu  sicherern  Resultaten  fährten  dagegen  die  Beobachtungen  der  soge- 
nannten Stösse  und  Schwebungeu  (s.  d.),  welche  Scheibler  zuerst  anstellte, 
um  absolute  Schwingungsmengen  und  relative  Touverhältnisse  zu  messen,  und 
weiterhin  dann  die  von  Siebeck,  Cagniard  la  Tour  undDove  construirten 
Sirenen  und  die  von  Helmholtz  angewandte  Doppel-Sirene  (s.  Sirene).  Doch 
hat  die  Anwendung  derselben  immer  bedeutende  Schwierigkeiten,  so  dass  die 
auf  das  Monochord  und  die  Schwebungen  gestützten  Methoden  immer  noch 
ihre  grosse  Bedeutung  für  die  Tonmessung  behalten  haben  und  zu  den  sichersten 
Resultaten  bisher  führten.  Die  deutsche  Naturforscherversammlung  vom  Jahre 
1834  hat  die  von  Scheibler  gefundene  Bestimmung  für  die  Tonhöhe  der 
Tonleiter  angenommen,  wonach  das  eingestrichene  a*  in  der  Secunde  440  Schwin- 
gungen macht,  darnach  stellt  sich  das  Vcihältniss  der  Tonleiter  durch  sieben 
Octaven  folgendermassen  dar: 


Tonnani  —  Tous  du  cor  et  la  trompette. 


269 


27,5 

^2 

30,9375 

33 

37,125 

41,25 

■^1 
44 

49,5 

1   55 

1 

^1 

61,875 

66 

B 

74,25 

82,5 

88 

G 

99 

1   ^ 
110 

123,75 

132 

148,5 

165 

/ 
176 

9 
198 

a 
220 

h 
247,5 

264 

^1 

297 

330 

352 

9' 
396 

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440 

495 

C2 

528 

594 

^2 
660 

704 

9' 
792 

a2 

880 

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990 

1056 

d^ 

1188 

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1320 

1408 

9' 
1584 

1760 

ä3 
1980 

<?4 
2112 

d'' 
2376 

2640 

2816 

3168 

3520 

Tonuaui,  Alessandro,  war  um  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  Sänger 
an  der  Kirche  St.  Maria-Maggiore  zu  Rom.  Es  sind  auch  Compositionen  von 
ihm  vorhanden,  die  sich  in  der  Sammlung  des  Abbe  Santini  befanden  und  die 
zum  Theil  vom  Jahre  1620  datirt  waren:  »ie  quattro  Änüfone  delV  anno  della 
Madonna  a  tra.  r>Messa  a  tre  voci  parW.  y>Litanie  della  heata  Vircjine  a  trea. 
•t>Äve  Begiiia  für  Sopran,  Bass  continuo  für  die  Orgel«.    Dreistimmige  Motetten. 

Tonolini,  Giovanni  Battiste,  Organist  zu  Salo  bei  Brescia,  wo  er  im 
Anfange  des  17.  Jahrhunderts  geboren  war,  und  von  dem  noch  bekannt  ist: 
y>Salmi  a  otto  voci<i  (Venedig,   1616,  in  4°). 

Tonometer,  s.  Sonometer. 

Tononi,    Carlo    Antonio,    Greigenbauer,    der    um    1700  in  Venedig  lebte. 

Tononi,  Felice,  Greigenbauer,  der  zu  Bologna  und  Rom  1730  lebte.  Seine 
Instrumente  sind  von  ziemlich  hoher  Wölbung.  Der  Lack  ist  hellgelb  und  sehr  gut. 

Tououi,  Griovanni,  ebenfalls  Geigenbauer,  welcher  nach  verschiedenen 
Modellen  arbeitete  und  dessen  flach  gewölbten  Geigen  seine  besten  sind.  Der 
Lack  ist  hellroth.  Ein  anderer  Geigenbauer  desselben  Namens,  Joannes 
(Rom,  1710)  ist  nicht  bedeutend. 

Tonoplast  nannte  Kapellmeister  C.  F.  Müller  in  Berlin  ein,  von  ihm  er- 
fundenes unverstimmbares  Instrument,  das  für  den  Gesangunterricht  bei  Kindern 
bestimmt  war. 

Tonospsychagogia  (gr.)  ist  die  Wirkung  der  Töne  auf  die  Seele. 

Tonordnung-  nennen  ältere  Theoretiker  den  Inbegriff  der  Regeln,  nach 
denen  die  Bildung  der  Melodie  in  gesetzmässiger  Weise  erfolgt.  Sie  umfasst 
die  Lehre  von  der  Tonart,  von  der  rhythmischen  und  harmonischen  Gliederung 
und  den  dadurch  bedingten  Schlussclauseln. 

Tonotechnie  ist  die  Lehre  von  der  Einrichtung  der,  durch  Walzen  tönend 
gemachten  Instrumente.  Das  erste  Werk  hierüber  veröffentlichte  Pater  M.  D, 
J.  Engramelle  1775  in  Paris  unter  dem  Titel:  ^Tonotechnie  ou  l'art  de  noter 
les  cyliiidres  etc.«,  welches  von  der  Verfertigung  der  Spieluhren  und  Dreh- 
orgeln handelt. 

Tonqualität,  s.  v.  a.  Klangfarbe,  Timbre  (s.  d.). 

Tons  du  cor  et  la  trompette  (franz.),  s.  v.  a.  Bogen  oder  Einsatzstücke 
beim  Hörn  und  der  Trompete  (s.  d.). 


270  Tonscheu  —  Tonspraclie. 

Toiischeu  (Hyper  acusis)  ist  ein  Leiden  des  Grehörsinns,  das  in  einer  zu 
grossen  Empfindlichkeit  des  Nervensystems  seinen  Grrund  hat,  so  dass  der 
leiseste  Ton  und  das  geringste  Geräusch  schon  bei  den  betreffenden  Pei'sonen 
nervöse  Aufregung  verursachen  und  schmerzhaft  berühren.  Es  ist  in  der  Regel 
die  Folge  von  Ueberanstrengung  und  ist,  wie  alle  Nervenüberreizung,  am  leich- 
testen durch  Ruhe  zu  heben. 

Tonschluss,  Tonfall,  Cadenz,  Cadenza,  Oadence  (s.  Cadenz). 

Tonsclireibmascliine.  Giuseppe  Marzolo  zu  Padua  erfand  im  Jahre 
1858  eine  Art  Tonschreibmaschine,  oder  besser  eine  Vorkehrung,  durch  deren 
Anwendung  an  Orgel  und  Ciavier  es  möglich  gemacht  wird,  die  von  dem 
Spieler  hervorgerufenen  Töne  neuerdings  nach  Belieben  identisch  zu  reprodu- 
ciren  und  zugleich  die  entsprechenden  Notenzeichen  aufs  Papier  zu  fixiren,  so 
dass  sie  mit  aller  Sicherheit  abgelesen  werden  können.  Der  geniale,  aber  äusserst 
arme  Erfinder  erhielt  von  der  Gesellschaft  zur  Ermunterung  der  Gewerbe  zu 
Padua  die  grosse  goldene  Medaille. 

Tonschrift,  Tonzeichen,  s.  Notenschrift. 

Tonsetzer  heisst  auch  der  Componist  oder  Tondichter,  weil  er  Töne  zum 
Kunstwerk  zusammensetzt.  In  den  frühern  Jahrhunderten  der  Entwickelung 
der  Harmonik  und  des  mehrstimmigen  Gesanges  war  der  Begriff  etwas  enger 
gefasst;  man  verstand  darunter  den  Tonkünstler,  welcher  die  voi'handenen  Me- 
lodien mehrstimmig  bearbeitete,  für  mehrere  Stimmen  »setzte«  und  bis  ins 
Reformationszeitalter  hinein  war  man  gewöhnt,  Sänger,  der  die  Melodie  erfand, 
und  Setzer,  der  sie  contrapunktirte,  zu  scheiden.  Es  war  diese  Scheidung  in 
der  ganzen  Entwickelung  begründet.  Diese  erfolgte  zunächst  innerhalb  der 
christlichen  Kirche  und  des  Cultus  derselben;  für  ihn  waren  die  Melodien  fest 
bestimmt,  und  den  Contrapunktisten  blieb  eben  nur  die  Aufgabe,  diese  mehr- 
stimmig zu  behandeln,  »zu  setzen«.  Im  Volksgesange  und  in  der  welt- 
lichen Musik  überhaupt  erst  wagte  man  Melodien  zu  erfinden  und  diese  wuchsen 
in  so  reicher  Fülle  an,  dass  sie  sich  bald  auch  den  Contrapunktisten  aufdrängten 
und  diese  wussten  ihnen  gegenüber  zunächst  auch  nichts  weiter  zu  thun,  als 
sie  mehrstimmig  zu  setzen.  Sie  waren  also  auch  jetzt  immer  noch  nur  im 
wahren  Sinne  des  Wortes  »Ton  setz  er«.  Erst  als  sie  dann  auch  selbständige 
Melodien  erfanden,  wurden  sie  zu  Tondichtern  (s.  d.).     Darnach  ist 

Tousetzkunst  im  engen  Sinne  des  Worts  die  Kunst:  die  Töne  nach  den 
feststehenden  Regeln  des  reinen  Satzes  (s.  d.)  zusammenzusetzen.  Sie  umfasst 
als  solche  die  rein  technischen  Fertigkeiten  der  Composition,  welche  durch  die 
Uebungen  nach  den  rein  grammatikalischen  Regeln  der  Melodie,  der  Harmonie, 
des  Rhythmus,  des  Contrapunkts  und  der  Instrumentation  erworben  werden. 
Die  Formenlehre  gehört  nur  noch  theilweis  hierher,  sie  verfolgt  schon  einen 
höhern  Zweck  und  setzt  einen  gewissen  Grad  von  Erfindung  voraus,  welche 
den  Tondichter  charakterisirt.  Daher  fasst  man  im  weitern  Sinne  Tonsetzkunst 
auch  gleichbedeutend  mit  Composition  und  Tondichtung,  als  die  Kunst:  in 
tönenden  Formen  einen  bestimmten  Inhalt  darzulegen. 

Tonspraclie  nannte  man  das  Verfahren:  mit  bestimmten  Tönen  und  Ton- 
formeln feststehende  Begriffe  zu  verbinden,  um  sich  auf  diese  Weise  auch  durch 
Musik  begrifflich  verständlich  zu  machen  (s.  Telegraphie  musicale).  Dass 
man  in  neuerer  Zeit  die  Musik  überhaupt  als  Tonsprache,  als  eine  Sprache  der 
Gefühle  auffasste,  hat  viel  Verwirrung  angerichtet.  Wenn  auch  die  Tonkunst 
viel  unmittelbarer  auf  unsere  Sinne  und  dementsprechend  auf  Phantasie  und 
Empfindung  wirkt  als  die  andern  Künste,  so  wird  sie  doch  ebensowenig  zur 
Sprache  als  diese;  und  wie  folgerichtig  diese  nur  durch  kunstvolle  Formen 
wirken,  in  denen  sich  der  Inhalt  verkörpert,  so  auch  die  Musik.  Durch  das 
blose,  ungeformte  oder  doch  nicht  zur  schönen  Form  entwickelte  Material  wirkt 
sie  nur  sinnlich  reizvoll,  ohne  einen  Inhalt  der  Psyche  zu  vermitteln.  Der 
Irrthum,  die  Musik  als  Sprache  zu  betrachten,  hat  zu  jener  Verachtung  der 
Form    geführt,    welche  nothwendig  künstlerische  Verwilderung    im   Gefolge   hat 


Tonstufe  —  Tonverzieliung.  271 

und  die  nur  eiuseitig  auf  schlagende  und  drastische  Wirkung  gerichtet  ist. 
"Während  als  oberster  Grundsatz  aller  künstlerischen  Gestaltung  gilt:  die  rein 
sinnliche  Wirkung  des  Materials  durch  den  zu  schöner  Form  verkörperten  In- 
halt zum  wirklichen  Vermittler  desselben  zu  erheben,  erklärt  die,  aus  jener 
falschen  Anschauung  von  der  Kunst  als  Sprache  hergeleitete  Doctrin,  alle 
künstlerische  Form  für  überflüssig  und  den  Genius  hemmend,  und  die  auf  ihr 
basirte  Eichtung  unserer  Kunstentwickelung  ist  nur  auf  die  glanzvollste  sinnlich 
anreizende  AVirkung  durch  und  mit  dem  Material  bedacht.  Die  Artikel  Phi- 
losophie der  Kunst  und  Musikformen  weisen  nach,  dass  in  dieser  Weise 
nicht  eigentlich  ein  Inhalt  zu  vermitteln  ist,  sondern  dass  nur  die  Sinne  an- 
und  aufgeregt  werden  können;  dass  die  Wirkung  eine  mächtige  und  berückende 
und  berauschende  sein  kann,  nicht  aber  auch  eine  künstlerische.  Diese  ist  nur 
zu  erreichen,  wenn  auch  die  Musik  nicht  als  Sprache,  sondern  als  Kunst  behandelt 
wird,  die  ihren  Inhalt  nicht  darlegen,  nicht  deduciren,  sondern  gestalten  soll. 

Toustufe,  s.  Klang  stufe.  Nach  der  allgemeinen  als  gültig  anerkannten 
Definition  von  Klang  und  Ton,  nach  welcher  dieser  ein  Klang  ist  von  be- 
stimmter Höhe  und  die  Bezeichnung  »Klang«  auf  die  specifische  Wirkung  des 
Tones  sich  bezieht,  ist  auch  die  Benennung  Ton  stufe  cdrrecter  als  die 
»Klangstufe«.  Denn  wenn  es  gilt,  die  Töne  nach  Tonstufen  zu  ordnen,  so 
kommt  nicht  ihr  Klang,  sondern  ihre  bestimmte  Höhe  in  Betracht. 

Tonsystem  ist  der  Inbegriff  aller  in  der  Tonkunst  verwendbaren  Töne,  in 
eine  bestimmte  Ordnung  gebracht.     (S.  System). 

Tonumfang:,  s.  Tongrenzen  und  Umfang. 

Tonus  =  die  grosse  Secunde,  und: 

Tonus  =  die  Kirchentonart.     Modus. 

Tonus  primus,  der  erste, 

Tonus  secnndus,  der  zweite, 

Tonus  tertius,  der  dritte, 

Tonus  quartus,  der  vierte  Ton  (oder  Tonart). 

Tonus  regularis,  eine  Kirchentonart,  welche  mit  dem  ursprünglichen  Final- 
tone abschliesst; 

Tonus  irreg'ularis,  eine  Kirchentonart,  welche  mit  einem  andern  als  dem 
ursprünglichen  Finalton  endet; 

Tonus  mixtus,  ein  gemischter  Ton,  der  weder  durchweg  plagalisch,  noch 
durchweg  authentisch  gehalten  ist; 

Tonus  imperfectus,  ein  Kirchenton,  der  den  Ambitus  seiner  Octave  nicht 
ganz  ausfüllt; 

Tonus  perfectus,  ein  Kii-chenton,  der  den  Ambitus  ausfüllt; 

Tonus  plusquamperfectus,  ein  Kirchenton,  der  den  Ambitus  überschreitet 
(s.  Tonart). 

Tonus  faber,    die  lateinische  Bezeichnung  für  das   Glockenspiel  der  Orgel. 

Tonverbindung-  nennt  man  eine  Ileihe  von  Tönen,  welche  nach  einem 
bestimmten  Gesetz  geordnet  sind.  Bei  der  Ausführung  versteht  man  darunter 
die  Weise,  nach  welcher  die  Töne  möglichst  eng  aneinander  gereiht  werden, 
ohne  die  geringsten  Pausen  und  wesentlichen  Klangunterschiede.  Bei  den  Sing- 
stimmen und  einigen  Blaseinstrumeuten  setzt  diese  Tonverbindung  die  Register- 
verbindung  voraus.  In  der  natürlichen  Construktion  dieser  Instrumente  wie 
in  der,  der  Singstimme  ist  begründet,  dass  Töne  gewisser  Lagen  leichter  an- 
sprechen und  eine  andere  Klangfarbe  haben,  als  die  andern.  Man  bezeichnet 
die  so  geschiedenen  Lagen  mit  »Register«  und  es  ist  Aufgabe  jedes  Sängers 
(s.  Stimmbildung  und  Tonbildung),  diese  Unterschiede  möglichst  auszu- 
gleichen, diese  Register  unter  sich  zu  verbinden,  um  dadurch  die  Ton  ver- 
bin düng  herzustellen, 

Tonverhältniss,  s.  Verhältniss. 

Tonverwechslung',  s.  En harmonisch. 

Touverziehun^,  s.  v.  a.  Tempo  rubato  (s.  d.). 


272  Tonverzierung  —  Tori. 

Tonyerziernug:,  s.  Verzierung. 

Tonivecliselniaschiue  heisst  eine  von  Cerveny  im  Jahre  1845  erfundene 
VorricMung  an  Blasinstrumenten,  durch  deren  Stellung  die  Stimmung  des  In- 
struments sofort  verändert  werden  konnte,  indem  dadurch  die  Röhrenlänge  durch 
Hinzufügung  oder  Beseitigung  gewisser  Einsatzstücke  verändert  wurde. 

Tonweite,  s.  Ambitus  und  Intervall. 

Tonwerkzeuge  sind  die,  zur  Hervorbringung  der  Töne  dienenden  Werk- 
zeuge. Diese  sind  entweder  natürliche,  d.  h.  von  der  Natur  gegebene,  wie 
die  Singstimme  (s.  d.),  oder  künstliche,  d.  h.  solche,  welche  erst  die  Be- 
dingungen, unter  denen  sie  tonerzeugend  werden,  durch  die  Besonderheit  ihres 
Materials,  ihrer  Form  und  sonstigen  Einrichtung  gewinnen  (s.  Instrumente) 

Tonsor,  Michel,  Kirchencomponist,  der  Ende  des  16.  und  Anfang  des 
17.  Jahrhunderts  lebte,  war  Organist  in  seiner  Vaterstadt  Dünkelsbühl  bei 
Ingfolstadt  in  Baiern  und  hatte  seinen  deutschen  Namen  Bartscherer  in  den 
lateinischen  Tonsor  umgewandelt.  Folgende  seiner  Compositionen  sind  gedruckt 
vorhanden:  y>Selecta  quaedam  cantiones  sacrae,  modis  musicis  quinque  vocum  recens 
compositae^  (Noribergae,  in  officina  Theod.  Grerlacchii,  1570,  in  4**  obl.).  -aSacrae 
cantiones  planae  novae,  quatuor,  quinque  et  plicrium  vocum  ita  compositae,  ut  ad 
omnis  generis  instrumenta  accomodari  p)Ossint<i  (ibid.  1573,  in  4**  obl.).  nOantiones 
ecclesiasticae,  quatuor  et  quinque  vocum,  ex  sacris  litteris  desumptae,  quihus  additi 
sunt  Psalmi  Davidis,  qui  in  Yesperis  catTiolicorum  decantari  solent«  (Monacchii, 
excudebat  Adamus  Berg,  1590,  in  4°  obl.).  Dies  Werk  enthält  vierzehn  vier- 
stimmige und  vierzehn  fünfstimmige  Motetten.  t>Fasciculus  cantionum  ecclesiasti- 
carum  quinis  et  senis  vocibus,  ad  omiiia  genera  iiistrumentorum  accomodattcsa 
(Dillingen,  1605,  in  4"). 

Tonzeichen,  s.  Mensuralmusik,  Neumen,  Notenschrift,  Tabulatur. 

Toomeree  ist  ein  in  Bengalen  gebräuchliches,  aus  einer  Gourd-  oder  Cocos- 
nuss  verfertigtes  Blasinstrument.  An  den  äussern  Enden  sind  zwei  enge  Bohren 
oder  Flöten  von  Bambusrohr  mit  Tonlöchern  angebracht,  deren  Stiel,  durch 
welchen  der  eingeblasene  Luftstrom  ausfliesst,  am  entgegengesetzten  Bande  der 
Nuss  eben  so  lang  heraussteht. 

Toph,  s.  Adufe. 

Torcellus,  s.  Sanuto. 

Torelli,  Gasparo,  Componist  der  römischen  Schule,  welcher  mit  dem  Vio- 
linisten Gius.  T.  fast  zu  einer  Zeit  lebte,  war  Kapellmeister  zu  Imola,  wo  1683 
sein   Oratorium  »Betsaieaa  aufgeführt  wurde. 

Torelli,  Giuseppe,  einer  der  ersten  Meister  des  virtuosen  Violinspiels, 
ein  Veroneser  von  Geburt,  Äcademico  Filarmonico  zu  Bologna,  war,  so  weit 
bekannt  ist,  1685  Violinist  an  der  St.  Petroniikirche  daselbst  und  wurde  um 
1703  Concertmeister  des  Markgrafen  zu  Anspach.  T.  erfand  eigentlich  das 
Violinconcert;  er  kam  dem  Corelli,  der  dieselbe  Form  anwendete,  noch  um  einige 
Jahre  zuvor,  er  starb  1708.  Neben  mehreren  Vocalsätzen  schrieb  er  namentlich 
Kammermusik,  wie:  »Balletti  da  camera  a  tre,  3  violini  e  B.  C«,  op.  1.  y>Gon- 
certo  da  camera  a  due  violini  e  hasso«,  op.  2  (Bologna,  1686,  in  Fol.).  y>Sinfonie 
«  2,  3,  4  istromentiti  (ibid.  1687,  in  4").  y>Concertino  per  cainera  a  violino  et 
Violoncello».,  op.  4.  t>Sei  sinfonie  a  tre  e  sei  concerti  a  quattron,  op.  5  (Bologna, 
1692,  in  Fol.).  ^Concerti  musicali  a  quattroa,  op.  6  (Amsterdam).  -aCapricci 
7nusicali  per  camera  a  violino  e  viola,  ovvero  arciliufon,  op.  7  (Amsterdam,  in 
Fol.).  y>Concerti  grossi  con  tma  pastorale  per  il  Santissimo  natale«,  op.  8  (Bo- 
logna, 1709,  in  Fol.).  Dies  Werk,  welches  XII  concerti  ä  2  Viol.  concertini, 
2  Viol.  ripieni,  Viola  e  Ceinhalo  enthält,  wurde  erst  nach  dem  Tode  Torelli's 
von  dessen  Bruder  Feiice  herausgegeben. 

Torelli,  Luigi,  unter  diesem  Componistennamen  wurde  zu  Wien  im  Na- 
tionaltheater wiederholt  eine  kleine  Oper  »Die  musikalische  Akademie«  aufgeführt. 

Tori  oder  Torri,  italienischer  Componist,  welcher  Ende  des  17.  und  Anfang 
des    18.  Jahrhunderts    in   Deutschland    lebte.     Er  war  1690  Kapellmeister  des 


Torkesey  —  Torti.  273 

Markgrafen  in  Bairenth  und  ging  ein  Jahr  später  als  Direktor  der  Kammer- 
musik nach  München,  brachte  dort  1791  zwei  seiner  Opern  zur  Aufführung: 
yiL' Amhizione  fulminata<-<^,  eine  komische  Oper  und  eine  andere  »J  Pregi  della 
prima  vera«.  Nachdem  wandte  er  sich  nach  Brüssel,  wo  er  1702  an  der  St. 
Michael-Kirche  und  St.  Gudule  Kapellmeister  wurde.  Nach  Hawkins  war  er 
ein  Schüler  des  Agostino  Steffani  (s.  d.),  dessen  Manier  er  sich  zu  eigen  machte. 
Besonders  Vocalsachen  machten  ihm  in  Flandern  einen  Namen.  Seine  Duetten, 
darunter  »Heraklitus«  und  »Demokritus«,  in  welchen  das  Lachen  und  Weinen 
musikalisch  ausgedrückt  ist,  machten  besonderes  Aufsehen.  Später  wechselte  T. 
seinen  Wohnort  noch  einmal  und  lebte  in  Köln  als  Kapellmeister,  wo  er  unge- 
fähr 1722  starb.  Es  ist  nichts  von  seinen  Compositionen  gedruckt,  doch  sind 
im  zweiten  Manuscript-Verzeichniss  von  Breitkopf  noch  zwei  Duette  verzeichnet. 

Torkesey,  Johann,  musikalischer  Schriftsteller,  der  nach  Burney  ums  Jahr 
1400  lebte,  wahrscheinlich  ein  Engländer,  hat  einen  Traktat  geschrieben:  »Äe- 
gulae  Magistri«,  welcher  für  die  Entzifferung  der  Compositionen  aus  dem  Anfange 
des  15.  Jahrhunderts  sehr  brauchbar  ist.  Das  Manuscript  befindet  sich  als 
No.  5  in  einem  Codex,  welcher  neun  Traktate  enthält  und  den  Graf  von  Schei- 
burne in  England  besass. 

Torlez  (...),  Musiklehrer  an  den  Akademien  zu  Clermont,  Grenoble  und 
zu  Moulins,  lebte  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  und  veröffentlichte  zu 
Paris   1767:  »Cinq  motets  a    Yoix  seiile,  avec  Symphonie«., 

Torlez,  Violinist  bei  dem  italienischen  Theater  zu  Paris,  gab  1783  heraus: 
■s>Six  duos  pour  flute  et  violona,  op.  1. 

Tornabocca,  Pascal,  Cölestinermönch  zu  Aquila,  einer  Stadt  in  den 
Abruzzen,  gegen  1560  geboren,  hat  einen  Beweis  dafür,  dass  er  auch  Componist 
war,  hinterlassen  in  der:  nMissa  a  cinque  voci<i  (in  Venetia,  appresso  Giacomo 
Vincenti,  1590,  in  4°). 

Torner,  Joseph  Nicolaus,  Domorganist  zu  Trier  um  1740,  hat  zu  Augs- 
burg gegen  diese  Zeit  herausgegeben:  »Musikalisch  ABC  per  tertiam  minorem 
continens  8  Gantilenas  pro  Ojfertorio,  tot  pro  Mevatione  et  8  pro  Communione, 
quibus  ex  diversis.  Tonis  per  tertiam  majorem  XII.  partim  Toccatae,  Currentes, 
Äiae  cantahiles  etc.  additaea. 

Tornioli,  Marco  Antonio,  Kapellmeister  an  der  Hauptkirche  zu  Siena, 
wo  er  1580  geboren  wurde,  hat  Opern  und  auch  Kirchenmusik  geschrieben. 
Von  der  letzteren  ist  bekannt:  r>Sacrarum  catitionum  a  2,  S  et  4,  vocum,  Über 
secundusa  (Venetiis,  apud  Jac.  Vincentium,   1617,  in  4**). 

Torrebe  oder  Torrhebe,  griechischer  Musiker,  Sohn  des  Atys,  nach  dem 
eine  Stadt  in  Lybien  benannt  ist  und  dem  einige  Historiker  die  Erfindung  des 
Lydischen  Modus  zuschreiben. 

Torres,  Melchior  de,  ein  spanischer  Tonkünstler  des  16.  Jahrhunderts, 
geboren  zu  Alcala  de  Henares  in  Neu-Castilien,  wurde  im  Anfange  des  Jahr- 
hunderts geboren  und  gab  heraus:  nÄrte  de  la  musicav.  (Alcala,  1554,  in  Fol.). 

Torres  Martinez  Bravo,  Don  J  6  a  o  de,  erster  Organist  an  der  königlichen 
Kapelle  zu  Madrid,  daselbst  1665  geboren,  schrieb  ein  Lehrbuch  der  Orgel- 
begleitung: riBeglas  generales  de  accompanar  en  organo,  clavicordo  y  harpaa  (en 
Madrid,  en  la  imprenta  di  musica,  1702,  in  4**,  163  Seiten). 

Torrian,  Jehan,  Orgelbauer,  geboren  zu  Venedig,  liess  sich  zu  Montpellier 
gegen  Ende  des  15.  Jahrhunderts  nieder  und  baute  dort  1504  eine  Orgel  in 
Notre-Dame-des-Tables  von  acht  Fuss  und  acht  Eegistern  (aNoveau  Manuel 
complet  du  facteur  d^orguesa,  t.  III  p.  490). 

Torriani,  Giov.  Antonio,  Componist  des  17.  Jahrhunderts,  von  Cremona, 
hat  in  Musik  gesetzt:  »Za  Conversione  di  San  Bomualdo«,  Oratorium,  aufgeführt 
zu  Fabriano   1688. 

Torropil,  eine  Art  Maultrommel  (s.  d.),  ein  Nationalinstrument  der  esth- 
ländischen  Bauern. 

Torti,  auch  Torte,  Luigi,  Eürchencomponist  an  der  Kapelle  der  Theatiner- 

Musikal,  Convers.-Lexikon.    X.  18 


274  Toscano  —  Tosoni. 

Kirche  in  Turin,  war  zu  Pavia  1547  geboren.  Es  sind  von  seinen  Werken 
gedruckt:  rill  primo  libro  delle  Canzoni  a  tre  vocia  (in  Venetia  1581,  in  4°), 
»II  primo  libro  di  Madrigali  a  cinque  vocia  (ibid.  1585,  in  4").  »JZ  secondo 
lihro  delle  Canzoni  a  tre  vocia  (ibid.  1583,  in  4").  »II  primo  lihro  di  Motetti 
a  quattro  vocia  (in  Yenetia,  app.  Giacomo  Vincenti,  1589,  in  4*^).  »Messa  e 
Vespri  a  tre  vocia,  op.  6   (ibid.  1607,  in  4"). 

Toscano,  Nicola,  Dominikanermönch,  auch  Sänger,  geboren  zu  Monte  di 
Trapani  in  Sicilien  um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts.  Nachdem  er  sein 
Gelübde  abgelegt  hatte,  bereiste  er  Italien  und  zog  sich  1605  in  sein  ehemaliges 
Kloster  zurück.  In  der  Bibliothek  zu  Palermo  sind  Manuscripte  von  ihm  vor- 
handen, welche  musikalische  Abhandlungen  enthalten. 

Tosi,  Giuseppe  Pelice,  Componist,  ist  zu  Bologna  1630  geboren  und 
war  zuerst  Organist  an  San  Petronio,  später  Kapellmeister  der  Kirche  San 
Giovan'  in  Monte.  Bei  der  Gründung  der  philharmonischen  Akademie  in 
Bologna  1666  wurde  er  Mitglied  derselben,  und  1683  Kapellmeister  an  der 
Kirche  zu  Ferrara.  Dessen  ungeachtet  war  er  auf  dem  Gebiete  der  Oper  als 
Componist  am  thätigsten.  Er  schrieb:  »Atide«,  ein  Akt  (Bologna,  1679).  »Eris- 
mondaa  (ebenda  1681).  »Trajanoa  (Venedig,  1684).  »Giunio  Brutoa  (Bologna, 
1686).  »Orazioa  (Venedig,  1688).  »Ämtilio  o  Numitorea  (ebenda  1689).  »Pirro 
e  Demefrioa  (ebenda  1690).  »La  Incoronazione  di  Sersea  (Venedig,  1691).  »Etä 
del  oro«,  Ballet,  bei  Gelegenheit  der  Hochzeit  des  Herzogs  von  Parma  mit 
Dorothea  Sophie  von  Neuburg,  1690,  im  Palais  zu  Parma.  Einige  Kirchen- 
compositionen  sind  gedruckt:  »Salmi  concertati  a  tre  e  quattro  voci  con  violini  e 
ripienia,  op.  1  (Bologna,  J.  Monti,  1683,  in  4").  »Cantate  da  Camera  a  voce 
sola,  cd'l  basso  continuoa,  op.  2   (ibid.  1686,  in  4"). 

Tosi,  Pietro  Francesco,  Sohn  des  Vorigen,  Sopransänger,  Gesangsmeister 
und  Componist,  wurde  in  Bologna  gegen  1650  geboren  und  erwarb  sich  in  der 
Folge  bedeutenden  Ruf  als  Sänger  und  Gesanglehrer.  Nachdem  er  in  allen 
bedeutenden  Städten  Europas  sich  hatte  hören  lassen,  Hess  er  sich  in  London 
nieder,  und  glänzte  dort  als  Opern-  und  Concertsänger.  Er  verliess  diese  Stadt 
nur  noch  einmal,  um  noch  nach  Bologna  zu  reisen,  und  dort  sein  Buch  über 
die  Gesangskunst  drucken  zu  lassen,  ein  Werk,  welches  die  Methode  der  alt- 
italienischen Gesaagsweise  in  aller  Klarheit  darlegt,  sich  auch  sonst  durch 
treffliche  Anmerkungen  auszeichnet.  Die  Bedeutung  desselben  wurde  auch  durch 
Uebersetzungen  ins  Englische  und  Deutsche  anerkannt.  In  die  letztere  Sprache 
übertrug  es  Agricola:  »Anleitung  zur  Singkunst;  aus  dem  Italienischen  mit 
P]rläuterrngen  und  Zusätzen«  (1757,  in  4").  Die  englische  Uebersetzung  von 
J.  E.  Galliard  mit  Anmerkungen,  die  aber  nicht  ausnahmlos  belobt  wird,  er- 
schien unter  dem  Titel:  »Observations  on  tlie  florid  song  or  sentiments  of  the 
ancient  and  modern  singersa  (London,  1742,  in  8°).  Der  Titel  des  Original- 
werkes heisst:  »Opinione  de  cantori  antichi  e  moderni  o  siano  osservazioni  sopra 
il  canto  figuratoa  (Bologna,  per  Lelio  della  Volpe,  1723,  in  8°,  118  S.).  Es 
existiren  auch  Exemplare  dieser  Ausgabe,  die  eine  Dedication  an  Lord  Peter- 
borough  enthalten.  Dieser  Lord  stellte  dem  Tosi,  der  in  London  allgemein 
sehr  geschätzt  war,  im  Alter  eine  Wohnung  in  seinem  Hause  zur  Disposition, 
die  derselbe  auch  bezog  und  bis  zu  seinem  Tode,  ungefähr  1730,  bewohnte. 
Nachdem  Tosi  nicht  mehr  öffentlich  sang,  beschäftigte  er  sich  auch  mit  der 
Composition  und  schrieb  Cantaten,  die  nicht  übel  sein  sollen,  und  deren  Ma- 
nuscripte noch  in  England  zu  finden  sind. 

Tosone,  Matteo,  genuesischer  Componist  aus  der  zweiten  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts,  gab  heraus:  »II  primo  libro  di  Madrigali  a  quattro  voci«. 
(Genova,  app.  Girolamo  Bartoli,  1590,  in  4°).  »II  primo  libro  de  Motetti  a 
cinque  vocia  (ibid.  1593,  in  4°). 

Tosoni,  Giuseppe,  Sopransänger  der  königl.  Oper  zu  Berlin,  geboren  zu 
Brescia,  wird  bereits  1750  in  Berlin  erwähnt,  kam  jedoch  erst  nach  dem  sieben- 


Tossarelli  —  Touche  moulin.  275 

jährigen  Kriege  in  Thätigkeit,  1795  sang  er  noch  in  Berlin,  aher  nur  noch  in 
den  Lehmaun'schen  Kirchencoucerten.     Er  war  von  Agricola  gebildet. 

Tossarelli,  Pietro,  Domherr  von  Aqui,  geboren  zu  Benevent,  Musik- 
dilettant, lebte  im  16.  Jahrhundert  und  veröÖ'entlichte:  •oMadrigali  a  sei  vocia 
(Mailand,  1570,  in  4"). 

Tosto,  s.  Pili  tosto. 

Tottmanu,  Albert,  geboren  am  31.  Juli  1837,  Sohn  des  Seminar-Musik- 
lehrers in  Zittau  und  späteren  städtischen  Musikdirektors  Moritz  Tottmann  in 
Löbau.  Er  studirte  auf  dem  Gymnasium  in  Zittau  und  später  in  Dresden,  in 
welcher  Stadt  er  zugleich  in  der  Musik  Seelemann's,  Dotzauer's  und  Reissiger's 
Unterricht  genoss.  Von  Dresden  siedelte  er  nach  Leipzig  über  und  besuchte 
hier  das  Conservatorium  und  von  1857 — 1860  die  Universität,  an  welcher  er 
germanische  Sprachen,  Philosophie,  Mythologie,  Literatur,  Kunstgeschichte  und 
Physik  studirte.  Daneben  bekleidete  er  eine  Stelle  als  Yiolinspieler  im  Theater- 
und  Gewandhausorchester  zu  Leipzig  und  war  von  1868  an  zugleich  Musik- 
direktor am  alten  Theater  daselbst.  Da  letztere  Stellungen  ihm  jedoch  nicht 
genügten,  legte  er  dieselben  nieder  und  übernahm  die  Direktion  mehrerer  Ge- 
sangvereine, wo  er  sich  besonders  um  die  Einführung  von  "Werken  lebender 
Componisten  verdient  machte.  Sein  Vorhaben,  einen  längeren  Aufenthalt  in 
Paris  zu  nehmen,  vereitelte  der  Krieg  von  1870.  Tottmann  widmete  sich  nun 
ganz  der  Ausführung  seines  »Kritischen  Repertoriums  der  Violin-  und  Bratschen- 
literatur«, wozu  ihm  durch  die  Firma  J.  Schuberth  in  Leipzig  der  Auftrag 
wurde.  Das  Werk  fand  schnelle  Verbreitung  und  die  allgemeine  Anerkennung 
der  Fachpresse  und  veranlasste,  in  Verbindung  mit  anderen  kunstwissenschaft- 
lichen Arbeiten  und  Vorträgen  Tottmann's,  die  Ernennung  des  Letzteren  zum 
königl.  bairischen  Professor,  während  ihm  vom  König  von  Sachsen  das  Ritter- 
kreuz des  sächsischen  Albrechtordens  verliehen  wurde.  Von  Tottmann's  zahl- 
reichen Compositionen  sind  besonders  zu  nennen:  »Dreisätziger  Hymnus  für 
Männerchor  und  Messinginstrumente«,  op.  4,  mit  deutschem  und  englischem 
Texte  (Leipzig,  Kistner),  die  melodramatische  Märchendichtung  »Dornröschen«, 
für  gemischten  Chor,  Soli  und  Orchester;  sowie  die  Chorstücke  mit  Ciavier: 
»Die  stille  "Wasserrose«,  »Ostern«,  »Christnacht«  und  die  vierstimmigen  »religiösen 
Festgesänge«  (Leipzig,  Hoffmeister);  von  seinen  Sologesängen  aber:  »Vier 
Gesänge«,  op.  21;  »Amarauthslieder«,  op.  22;  »Zwei  kirchliche  Arien  mit  Orgel 
für  hohe  und  tiefe  Stimme«,  op.  9  und  10  (Leipzig,  J.  Schuberth)  und  aus  der 
jüngsten  Zeit  »Zwölf  Coloratur-  und  Bravourstudien  für  eine  hohe  und  eine 
tiefe  Stimme«,  op.  26  (Leipzig,  Mei'seburger),  von  denen  namentlich  die  Sachen 
für  gemischten  Chor  auch  im  Auslande  vielfache  Verbreitung  gefunden  und 
verschiedentliche  Aufführungen  erlebt  haben.  Gegenwärtig  lebt  Tottmann  als 
einflussreicher  Schriftsteller  und  geachteter  Lehrer  der  musikalischen  Theorie 
und  Aesthetik  in  Leipzig. 

Toaclie  (franz.)  =  Clavis,  Taste,  bei  Saiteninstrumenten  das  Griffbrett. 

Touchard-Lafosse,  G.,  Historiograph  und  Romanschriftsteller,  geboren  zu 
Chätre  (Sarthe)  am  8.  August  1780.  Unter  seinen  zahlreichen  "Werken  ist 
hier  zu  erwähnen:  liCJironiques  secretes  et  galantes  de  VOperav.  von  1667  bis 
1844  (Paris  und  Blois,  zwei  Bände  in  8'',  auch  vier  Bände  in  12"),  in  welchem 
über  die  Verwaltungen  der  Theater  und  über  die  seit  dem  Anfang  des  19.  Jahr- 
hunderts stattgefundenen  Aufführungen  der  Stücke  manche  historische  Nach- 
richten zu  finden  sind. 

Toncliemouliu,  Joseph,  geboren  zu  Chrdons  gegen  1727,  erhielt  früh 
Unterricht  und  liess  sich  zuerst  in  Paris  1754  im  Concert  spirituel  mit  vielem 
Erfolg  hören.  "Während  er  sodann  in  Köln  zur  Kapelle  des  Kurfürsten  gehörte, 
erhielt  er  die  Erlaubniss  nach  Italien  zu  reisen,  und  benutzte  die  Gelegenheit, 
den  Unterricht  Tartini's  zu  geniessen.  Nach  seiner  Rückkehr  erhielt  er  den 
Titel  Kapellmeister.  Später  trat  er  in  die  Dienste  des  Prinzen  von  Thurn 
und  Taxis  zu  Regensburg  in  derselben   Eigenschaft.     Dort   starb  er   1801  und 

lö* 


276  Toujours  lie  —  Tourte. 

hinterliess   im   Manusci'ipt   viel   Messen,  Vespern,  Litaneien,  Psalme,  Motetten, 
Opern,  Sinfonien  und  Concerte. 

Toujours  lie  (franz.),  Vortragsbezeichnung  =  immer  gebunden. 

Toulmon,  Auguste  Bottee  de,  s.  Bottee  de  Toulmon. 

Toulouse,  Pierre,  Professor  der  Musik  und  Guitarrist,  lebte  gegen  1800 
in  Jena,  wo  er  monatlich  einen  Bogen  sauber  geschrieben  für  Gesang  mit  Be- 
gleitung der  Guitarre  herausgab.  Jeder  Bogen  sollte  vier  der  besten,  entweder 
deutschen,  französischen  oder  italienischen  Lieder  enthalten.  Ausserdem  wurde 
von  ihm  gedruckt:  »Utude  pour  guitare,  ou  trois  graiides  so7iates  et  variaiions, 
potir  cet  Instrument,  avec  accompagnement  d^altoa  (Braunschweig,  Speer). 

Touquet,  s.  Toccate. 

Tour,  Jehan,  auch  Jehannet  oder  Jehannott  de  la,  war  Lehrer  der 
Chorknaben  der  Kapelle  Philipps  des  Guten  zu  Burgund  vom  Jahre  1427  an. 
Es  ist  anzunehmen,  dass  T.  ein  wohlunterrichteter  Musiker  war,  da  um  jene 
Zeit  durch  die  schwierige  Notenschrift  zum  Unterricht  nur  erprobte  Musiker 
genommen  wurden.  De  la  Tour  ist  bis  1465  im  Etat  dieser  Kapelle  ver- 
zeichnet, eine  Zeitlang  auch  als  Sänger. 

Tour,  Jean  la,  s.  Latour. 

Tournebout,  ein  altes  Blasinstrument,  das  am  untern  Ende  gekrümmt 
und  mit  vielen  Tonlöchern  versehen  ist. 

Tourte  ist  der  Name  einer  Pariser  Instrumentenmacher-Familie,  welche  sich 
im  Laufe  des  vorigen  Jahrhunderts  grosse  Verdienste  um  die  Vervollkommnung 
des  Geigenbogens  ei'worben  hat.     Ihr  berühmtestes  Mitglied 

Tourte,  Fran^ois,  wurde  1747  zu  Paris  geboren,  wo  sein  Vater  sieben 
Jahre  zuvor  seine  Wirksamkeit  begonnen  hatte.  Diesem,  sowie  dem  älteren 
Bruder  des  Franz,  der  schon  frühzeitig  dem  Vater  als  Gehülfe  zur  Seite  stand, 
sind  die  ersten  Verbesserungen  zu  danken,  durch  welche  der  Violinbogen  geeignet 
wurde,  die  seit  Corelli  und  noch  mehr  seit  Tartini  auf  ausdrucksvolles  Spiel 
gerichteten  Bestrebungen  der  Geiger  zu  unterstützen.  Sie  waren  es,  welche 
nicht  nur  der  Stange  eine  grössere  Biegsamkeit  gaben,  als  sie  zuvor  besessen, 
sondern  auch  den  am  untern  Ende  des  älteren  Bogens  befindlichen  Haken 
(cremalliere)  zum  An-  und  Abspannen  der  Haare  durch  die,  für  diesen  Zweck 
weit  geeignetere  Schraube  ersetzten.  Noch  ungleich  Bedeutenderes  leistete 
Franz  T.,  obwohl  gerade  er  verhältnissmässig  spät  den  Beruf  seines  Vaters 
ergriff,  nachdem  er  vorher  acht  Jahre  lang  als  Uhrmacher  gearbeitet  hatte; 
nur  weil  dieser  Stand  ihm  nicht  einträglich  genug  schien,  entschloss  er  sich, 
Instrumentenmacher  zu  werden.  Doch  war  die  in  den  Uhrmacherwerkstätten 
verbrachte  Zeit  für  ihn  keine  verlorene,  da  er  sich  dort  jene  Feinheit  und 
Geschicklichkeit  der  Hand  erwarb,  welche  ihm  später  beim  Verfertigen  der 
Violinbogen  vortrefflich  zu  statten  kommen  sollte.  Zu  seinen  ersten  Bogen 
nahm  er  das  Holz  aus  den  Dauben  von  Zuckerfässern,  da  die  überseeischen 
Hölzer  ihm  zu  kostbar  waren;  seine  Arbeiten  verkaufte  er  damals  zu  zwanzig 
bis  dreissig  Sous.  Nachdem  er  sich  indessen  einen  gewissen  Grad  von  Fertig- 
keit erworben,  benutzte  er  fremde  Holzarten,  von  denen  er  schliesslich  dem 
Fernambuc-Holz  den  Vorzug  gab,  weil  es  an  Leichtigkeit,  Biegsamkeit  und 
Festigkeit  alle  andern  Sorten  übertrifft.  Um  diese  Zeit  (1786)  kam  Viotti 
zum  ersten  Mal  nach  Paris  und  erkannte  sofort  die  Ueberlegenheit  der  T.'schen 
Fabrikate  im  Vergleich  zu  denjenigen  der  andern  Pariser  Instrumentenmacher; 
auf  seine  Veranlassung  ersann  T.  ein  Mittel,  um  das  bei  den  damaligen  Bogen 
unvermeidliche  Zusammenballen  der  Haare  zu  beseitigen:  er  gab  ihnen  am 
Frosch  eine  breite,  bandähnliche  Form,  indem  er  sie  in  eine  metallene  Zwinge 
fasste;  später  vervollständigte  er  diese  Erfindung  durch  eine  Perlmutterbeklei- 
dung der  Haare  vom  unteren  Ende  des  Frosches  bis  zur  Zwinge.  Die  so  ver- 
fertigten Bogen,  anfangs  arehets  ä  recouvrement  genannt,  wurden  bald  von  allen 
Fabrikanten  nachgeahmt;  keiner  von  ihnen  aber  konnte  T.  erreichen  in  der 
glücklichen  Auswahl  seiner  Stangen,  welche  stets  die  wünschenswerthe,  mit  der 


Tourterelle  —  Toutareh.  277 

Richtung  der  Holzfasern  übereinstimmende  Biegung  besitzen.  Um  diese  zu 
erzielen,  scheute  er  nicht  die  Mühe,  seine  Blöcke  Feruambuc-Holz  so  lange  zu 
zersägen,  bis  er  den  geraden  Faden  des  Holzes  erhalten  hatte;  die  so  gewonnene 
gerade  Stange  bog  er  dann  am  Feuei",  wobei  er  besonders  darauf  achtete,  dass 
auch  ihre  inneren  Theile  genügend  erwärmt  wurden,  weil  die  nur  an  der  Aussen- 
seite  erwärmten  Stangen,  wie  er  bemerkt  hatte,  durch  den  Einfluss  der  Feuch- 
tigkeit sich  werfen  und  dadurch  unbrauchbar  werden. 

Die    Geldopfer,    welche    T.    bei    der    sorgfältigen  Auswahl    seiner    Stangen 
bringen    musste,    waren  um  so  bedeutender,    als   die  Schwierigkeit  der  Einfuhr 
des  Feruambuc-Holzes  in  Folge  der  Seekriege  zwischen  Frankreich  und  England 
den  Preis  desselben  ausseroi'dentlich  erhöht  hatte;  so  erklärt  sich  auch  der  hohe 
Preis    seiner  Bogen,    für    welche    ihm  200 — 300  Franken    und  darüber  bezahlt 
wux'den,    während    die  besten  Bogen  der  gegenwärtigen  Meister  nicht  mehr  als 
20  bis  30  Franken    kosten.     Im    steten  Verkehr   mit  den  bedeutendsten  Violi- 
nisten   seiner    Zeit    und    durch    ihre  Rathschläge    geleitet,    hörte  T.  auch  nach 
seinen    glänzenden    Erfolgen    nicht    auf,    in    seiner  Kunst   fortzuschreiten.     Bis 
1775    waren    weder    die  Länge    des  Bogens,    noch  sein  Gewicht,    noch  die  Be- 
dingungen seines  Gleichgewichtes  in  der  Hand  festgesetzt  gewesen:   T.  bestimmte 
um  diese  Zeit    die  Länge    des  Violinbogens    (den  Knopf  mit  einbegriffen)    auf 
74  oder  75   Centimeter,    die    des  Bratschenbogens    auf    74  Centimeter,    die  des 
Violoncellbogens  auf  72  oder  73   Centimeter;    ebenso    bestimmte   er  die  Grösse 
des  Kopfes  und  des  Frosches,  um  den  richtigen  Winkel  zu  erhalten,  in  welchem 
die  Haare  die  Saiten  schneiden  müssen,  ohne  mit  der  Stange  in  Berührung  zu 
kommen.    Da  bei  den,  nach  diesem  Prinzip  verfertigten  Bogen  der  Kopf  grösser, 
folglich  auch  schwerer  war  als  bei  den  früheren,  so  sah  sich  T.  veranlasst,  zur 
Herstellung  des  Gleichgewichts    auch    das   Gewicht   des  unteren  Bogenendes  zu 
vermehren    und    zu    diesem    Zwecke   schmückte  er  den  Frosch  mit  allerlei  me- 
tallnen  Verzierungen.    Endlich  verwendete  er  noch  grosse  Aufmerksamkeit  auf 
die  Haare,  die  er  zunächst  vermittelst  Seifenwasser  von  allen  Fetttheilen  befreite, 
sie     dann    in    Kleienwasser    reinigte    und    schliesslich    in    klares,    leicht    blau 
gefärbtes  Wasser    tauchte.     Seine  Tochter    war    beständig   mit  dem  Aussuchen 
der  Haare  beschäftigt,  wobei  alle  diejenigen  ausgeschieden  wurden,  welche  nicht 
völlig  cylindrisch  und  in  ihrer  ganzen  Länge  gleichmässig  waren.  —  T.  endete 
seine  erfolgreiche  Laufbahn  erst  im  85.  Lebensjahre,    als    die    Schwäche  seiner 
Augen  ihn  am  Arbeiten  zu  hindern  anfing;  er  starb  drei  Jahre  später  im  April 
1835  zu  Paris.    Seine  einzigen  Leidenschaften  waren  sein  Beruf  und  der  Fisch- 
fang;   während  der  schönen  Jahreszeit    schloss  er  seine  Arbeit  regelmässig  um 
vier    Uhr  Nachmittags    ab    und    vergnügte  sich  damit,  bis   Sonnenuntergang  in 
seinem    eigenen    Kahn    auf   der    Seine    zu    angeln.     Nach  Hause  zurückgekehrt 
speiste    er    einfach,    häufig    nichts    anderes  als  die  von  ihm  gefangenen  Fische; 
dann  legte  er  sich  schlafen,  um  am  andern  Morgen  mit  der  Sonne  aufzustehen. 
Dieser  einförmigen  Lebensweise    blieb    er    bis  an  sein  Ende  getreu,  ohne  doch 
jemals    Langeweile    zu    empfinden  —  merkwürdig    genug,    da    er    weder   Lesen 
noch  Schreiben    gelernt    hatte.     Die  von  ihm  vertretene  Kunstspecialität  füllte 
sein    Leben    vollständig    aus,    und    indem    er    sich    ihr    ausschliesslich   widmete, 
brachte    er    es    zu  einer  Berühmtheit,    ohne    selbst  recht  zu  wissen,  auf  welche 
Weise  er  dazu  gelangt  sei.    Wie  beschränkt  auch  das  Kunstgebiet  ist,  welches 
er    sich    erwählt    hatte,    so    konnte    er    doch    innerhalb    desselben  durch  Fleiss, 
Geschicklichkeit  der  Hand  und  geniale  Sicherheit  des  Auges   Grosses  erreichen 
und  darf  mit  vollem  Rechte  einen  wichtigen  Antheil   an  der  Entwickelung  des 
modernen  Violinspiels  für  sich  in  Anspruch  nehmen. 
Tourterelle,  s.  Herdliska. 

Tourti,    ein    der    Schalmei    ähnliches    Instrument,   mit    dem  die  Bajaderen 
ihren  Gesang  und  Tanz  zu  begleiten  pflegen. 

Toutareh,  eine  indische  Kriegstrompete,  in  ihrem  Aeussern  nur  durch  den 
geringern  Umfang  von  der  Tare  unterschieden. 


278  Touze  —  Traditi. 

Touze,  Abbe.  Stiftsherr  zu  Ebeims  und  Vicar  an  St.  Grervais  zu  Paris, 
war  Mitglied  einer  von  den  Erzbiscböfen  zu  Ebeims  und  Cambrai  eingesetzten 
Commission  zur  Revidirung  der  Graduale  und  Antipbonarien.  Er  verfasste 
eine  Scbule  für  den  Gregorianiscben  Kircbengesang,  die  unter  folgendem.  Titel 
erscbien:  -»Methode  elementaire  de  plahi-cliant  appliquee  a  Vedition  de  la  commis- 
sion de  Hheims  et  de  Cambrai^  deuxieme  editionn  (Paris,  Jacques  Lecoffre  et  Co., 
1854,  in  12°). 

ToTar,  Francesco,  spanischer  Musiker,  der  in  der  zweiten  Hälfte  des 
15.  Jahrhunderts  geboren  wurde,  liess  drucken:  nLihro  de  musica  practica^, 
welches  Buch,  jetzt  bereits  sehr  selten  geworden,  drei  Auflagen  erlebte  (Bar- 
celona, 1510,  1519,  1550,  in  4°). 

Towsend,  John,  Elötenvirtuos,  in  der  Grafschaft  York  in  England  An- 
fang des  19.  Jahrhunderts  geboren,  kam  jung  mit  seiner  Familie  nach  Liver- 
pool und  erhielt  von  Georg  Ware  Unterricht  auf  der  Flöte.  Mit  fünfzehn 
Jahren  Hess  er  sich  in  seiner  Vaterstadt  zum  ersten  Mal  hören  und  erregte 
allgemeines  Erstaunen  durch  die  Leichtigkeit,  mit  der  er  Schwierigkeiten  über- 
wand. Er  gab  eine  Flötenschule  heraus :  r>New  and  complete  flute  preceptora,  ferner 
Compositionen   für   eine    oder   zwei   Flöten,  englische  Lieder  und  Ciavierstücke. 

Tozzi,  Antonio,  Componist,  in  Bologna  1736  geboren,  war  Schüler  des 
P.  Martini  und  bildete  sich  unter  Leitung  dieses  vielgerühmten  Lehrers  zu 
einem  vielseitigen  Componisten.  Nachdem  er  sich  durch  die  Opern  »Tigranets. 
(1762),  ninnocenza  vendicataa  schon  E,uf  erworben,  ging  er  1765  als  Kapell- 
meister an  das  Hoftheater  nach  Braunschweig.  Hier  schrieb  er  die  Opern 
■nAndromaccav.  (1765)  und  -»Binaldod  (1775).  Nach  dem  Tode  des  Herzogs 
(1785)  verliess  er  seine  Stellung  und  ging  nach  München,  um  dort  die  Oper 
•»Serva  astutaa  auf  die  Scene  zu  bringen.  Andere  Opern:  y>Caccia  d^ Enrico  IV.a 
(1788),  y>Oiifeo(.i  (1789);  das  Oratorium  y>Sa7ita  Mena  al  Calvarioa  (1790)  führte 
er  in  Madrid,  wo  er  die  Stelle  eines  Accomj^agneurs  angenommen  hatte,  auf; 
•aZemire  e  Azo7'<.<  erschien  in  Barcelona  zum  ersten  Mal  vor  den  Lampen.  Tozzi 
kehrte  ungefähr  1792  nach  Bologna  zurück,  wo  er  noch  eine  Reihe  von 
Jahren  lebte. 

Trabacci,  Giovanno  Maria,  Organist  der  königlichen  Kapelle  zu  Neapel, 
geboren  in  der  letzten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts,  liess  von  seiner  Composition 
drucken:  DÜicereari  per  Vorgano,  libro  primovi  (Neapel,  1603,  in  Fol.).  »11  lihro 
primo  de  madrigali  a  cinque  voci«  (Venedig,  Gardane,  1608).  »II  secondo  lihro 
de  madrigali  a  cinque  voci«-  (ibid.).  »Ricercari  per  l'organo«  (Neapel,  1616,  in  Fol.). 

Trabattone,  Egidio,  Organist  an  der  St.  Victorkirche  zu  Varese  im  Mai- 
ländischen am  Anfang  des  17.  Jahrhunderts,  liess  von  seinen  Compositionen 
drucken:  »Messe,  motetti,  magnificat,  falsi  hordoni  et  litanie  della  B.  V.  a  qucvttro 
e  sei  vocidi  (Milano,  Georg  Rolla,  1625).  »Messa,  Salmi  con  Litanie  della  Beata 
Yirgine  a  5  vocin.  op.   6   (ibid.   1638). 

Trabattone,  Bartolomeo,  gab  ebenfalls  in  Mailand  heraus:  »Teatro  mu- 
sicale,  opera  postuma  data  in  luce  de  Carlo  Ämhrogio  Rotoiidi,  musico  della  Me- 
tropola  di  Milano,  op.  3,  dove  sono  Motetti,  Messe,  Salmi,  Litanie  della  Beata 
Virgine  a  quattro  voci«  (Milano,  per  Franc.  Vigone,   1683,  in  4"). 

Tractur  (vom  latein.  tractare)  nennt  man  das  ßegierwerk  der  Orgel  (s.d.), 
den  Gliedermechanismus,  durch  den  beim  Niederdrücken  der  Tasten  die  Can- 
cellenventile  geöffnet  werden. 

Tractus,  im  römischen  Kirchengesange  ein  Gesang,  der  während  der  Fasten- 
zeit, vom  Sonntag  Septuagesimae  bis  Ostern,  an  Stelle  des  auf  das  Graduale 
sonst  folgenden  »Alleluja«  gesungen  wurde  und  weit  gemessener  ausgeführt  wird, 
als  dieses,  daher  der  Name  (von  tractim).  Der  Text  des  Tractus  ist  den 
Psalmen  entnommen,  entweder  ein  ganzer  Psalm  oder  auch  nur  ein  Vers. 

Ti'aditi,  Paolo,  Kirchencomponist  aus  der  römischen  Schule,  war  Kapell- 
meister an  der  Kirche  St.  Jacob  und  St.  Alfons  der  Spanier  zu  Eom  im  An- 


Traeg  —  Traötta,  279 

fange  des  17.  Jalirliunderts.  Es  ist  noch  folgendes  Werk  von  ihm  bekannt:  »Salmi, 
Magnificat,  con  le  quattro  aniifone  per  i  vespri  a  otto  vocw  (Rom,  1629,  in  Fol.). 

Traear,  Andreas,  Toukünstler,  der  Endo  des  18.  Jahrhunderts  in  Wien 
lebte,  liess  daselbst  bei  Traeg  1798  als  op.  1  «Sechs  Fantasien  für  Flöte«  drucken. 
Sechs  Sinfonien  für  grosses  Orchester,  Lieder  und  Tänze  sind  ebenda  im  Ma- 
nuscript  zu  finden. 

Traeg,  Anton,  Sohn  des  Vorigen,  ist  in  Wien  1818  geboren  und  bildete 
sich  bei  frühzeitigen  Studien  und  im  Conservatorium  unter  Professor  Merk 
zum  Violoncellisten.  Von  1845  bis  1852  war  er  als  Professor  für  dies  In- 
strument am  Conservatorium  zu  Prag  angestellt;  er  starb  in  Wien  am  17.  Juli 
1860.     In  AVien  und  Prag  hat  er  einige  Compositionen  veröffentlicht. 

Traeg',  Johann,  Verwandter  der  Vorigen,  gründete  1799  in  Wien  eine 
Musikalienhandlung  von  bedeutendem  Umfange,  besonders  für  Verlagswerke. 
Er  gab  einen  wohlgeordneten  Catalog  seiner  Sammlung  von  300  Seiten  in  8** 
heraus:  »Verzeichnisse  alter  und  neuer,  sowohl  geschriebener  als  gestochener 
Musikalien,  welche  in  der  Kunst-  und  Musikhandlung  des  Job.  Traeg  zu  Wien 
in  der  Singerstrasse  No.  957   zu  haben  sind«  (Wien,  1799). 

Träger  heisst  der  Balken  bei  den  Saiteninstrumenten  (s.  d.). 

Träger,  Zeichenlehrer  an  der  Zeichenschule  zu  Bernburg  um  1792,  erfand 
ein  Instrument,  das  er  Nagelciavier  oder  Stahlclavier  nannte.  Es  ist  auf  den 
Principien  der  Nagelgeige  erbaut,  hat  fünf  Octaven  und  die  Form  des  Claviers. 
Der  Ton  in  der  Höhe  ist  flageolettartig,  in  der  Tiefe  von  angenehmer  Bebung. 
Eine  Beschreibung  der  Construktion  des  Instrumentes  steht  in  der  »Berliner 
musikalischen  Monatsschrift«,  S.  24. 

Traetta,  Tomaso,  zu  seiner  Zeit  berühmter  Operncomponist  der  neapoli- 
tanischen Schule,  ist  in  Bitonto  im  Königreich  Neapel  am  19.  Mai  1727  ge- 
boren. Diese  von  allen  andern  Biographen  abweichende  Angabe  des  Geburts- 
tages und  -Ortes  fand  Fetis  (jaBiogr.  univ.«,  t.  8,  p.  248)  unter  einem  Bildaiss 
von  T.,  welches  bei  seiner  Anwesenheit  in  London  (1776)  von  Ghinocchi  in 
Kupfer  gestochen  worden  ist.  T.,  ungemein  begabt,  besuchte  vom  elften  Jahre 
an  das  Conservatorium  zu  Loreto  in  Neapel  und  war  einer  der  letzten  Schüler 
des  Durante.  Mit  21  Jahren  verliess  er  das  Institut  und  trat  als  Lehrer  und 
zunächst  als  Kirchencomponist  in  die  Welt.  Messen,  Vespern,  Motetten,  Lita- 
neien aus  jener  Zeit  sind  noch  im  Manuscript  vorhanden.  Sein  eigentliches 
Talent  war  jedoch  das  Dramatische,  und  die  erste  grosse  Oper  »7/  JFarnacea, 
1750  am  Karlstheater  in  Neapel  aufgeführt,  errang  einen  so  glänzenden  Erfolg, 
dass  sechs  Opern  nach  einander  von  ihm  geschrieben  und  an  demselben  Theater 
aufgeführt  wurden.  Man  wollte  ihn  nun  aller  Orten  haben,  und  so  ging  er 
zunächst  1754  nach  Rom,  für  das  er  nEzio»,  eines  seiner  besten  Werke  schrieb. 
Florenz,  Venedig,  Mailand,  Turin  bedachte  er  gleichfalls  und  durchzog  so 
Italien  im  Triumphe,  bis  er  in  Parma  an  dem  Hofe  Don  Philipp's  als  Kapell- 
meister und  Lehrer  des  Gesangs  der  Prinzessinnen  für  einige  Zeit  festen  Wohn- 
sitz nahm.  Die  erste  an  diesem  Hofe  bei  Gelegenheit  der  Vermählung  der 
Infantin  von  Parma  mit  dem  Prinzen  von  Asturien  aufgeführte  Oper  y>Ippolito 
ed  Ariciaa  (1759)  trug  ihm  eine  Pension  des  Königs  von  Spanien  ein,  so  ausser- 
ordentlichen Beifall  errang  sie.  In  Wien,  wohin  man  den  einmal  beliebt  ge- 
wordenen Componisten  ebenfalls  berief,  wurde  noch  in  demselben  Jahre  -»Ifigeniav.^ 
auch  eine  seiner  besten  Opern,  mit  ungetheiltem  Beifall  aufgenommen;  ebenso 
yyÄrmidea,  die  auch  für  Wien  geschrieben  und  wie  yylfigeniaa  nachdem  die  Runde 
durch  alle  Theater  Italiens  machte.  Nach  dem  Tode  des  Herzogs  von  Parma 
begab  sich  T.  nach  Venedig,  wo  man  ihm  die  Direktion  des  Conservatoriums 
•t>Ospedaletto«  antrug,  die  er  auch  annahm,  jedoch  nach  zwei  Jahren  anderen,  ihn 
mehr  anziehenden  und  glänzenderen  Vorschlägen  folgte  und  diese  Stelle  wieder 
aufgab.  Er  ging  als  Hofcomponist  nach  Petersburg  an  den  Hof  Katharina's  IL 
als  Nachfolger  Galuppi's,  und  Sacchini  trat  an  seinen  Platz  am  Conservatorium. 
An  dem  Hofe  der  Kaiserin  verbrachte  T.  sieben  Jahre,   während  welcher  Zeit 


280  Tragen  der  Stimme  —  Trajaneen. 

er  ebenso  viele  Opern  und  eine  Anzahl  Cantaten  schrieb.  Die  erste  der  in 
Petersburg  zur  Darstellung  gelangten  Opern  war  y>La  Didonea,  schon  in  Parma 
1764  componirt.  Nun  wünschte  T.  entlassen  zu  werden,  und  ungern  bewilligte 
man  ihm  seinen  Abschied,  doch  zwang  ihn  sein  Gesundheitszustand,  das  ihm 
ungünstige  Klima  zu  verlassen.  Zunächst  ging  er  nach  London,  wo  er  mit 
hochgespannten  Erwartungen  empfangen  wurde,  die  er  aber  nicht,  wie  es  ihm 
bisher  gelungen,  zu  erfüllen  vermochte.  y>Germondea,  1776  in  London  aufgeführt, 
wurde  kalt  aufgenommen,  und  der  Componist  zögerte  nun  nicht,  sein  Vaterland 
aufzusuchen,  wo  er  die  alte  körperliche  und  geistige  Frische  und  Energie  wieder 
zu  finden  hoffte.  Dies  war  ihm  aber  nicht  beschieden.  Er  schrieb  zwar  für 
Neapel  und  Venedig  noch  mehrere  Opern,  aber  seine  Gesundheit  befestigte  sich 
nicht  wieder;  das  Lebenslicht  erlosch  in  seinem  52.  Lebensjahre  am  6.  April 
1779.  (Siehe  Burney  und  Moschini  -n Delle  letteratura  veneziana  del  secolo  XVIII, 
pari.  III,  p.  208«.) 

Traetta  besass  entschieden  viel  Talent  und  wird  dem  Piccini  und  Sacchini 
an  die  Seite  gestellt,  obwohl  diese  Beiden  noch  bedeutend  grössere  Erfolge  auf- 
zuweisen hatten.  Im  dramatischen  scharf  pointirten  Ausdruck  war  er  ihnen 
wahrscheinlich  voraus,  was  seinen  Landsleuten  gar  nicht  einmal  immer  zusagte, 
die  ausser  Melodie  nichts  begehrten.  Man  erzählt,  dass  T.  am  Ciavier  sitzend, 
um  einer  derartigen  Wirkung  vorzubeugen,  die  Gewohnheit  hatte,  vor  gewissen 
Stücken  seinen  Zuhörern  zuzurufen:  y>8ignori  hadate  a  questo  pezzo<s.  (»Meine 
Herren,  auf  dies  Stück  geben  Sie  acht!),  worauf  denn  der  Beifall  nicht  ausblieb. 
Er  cultivirte  jedoch  ebenso  eine  Art  Gluck'schen  Stiles.  Eine  derartige  Arie 
(aus  T>Se7niramis(i)  ist  in:  »Methode  de  chant  du  conservatoire  de  Parisv,  p.  274 
et  suiv.,  aufgenommen.  Merkwürdig  ist,  dass  seine  Kirchenmusiken  sich  bis 
auf  die  neueste  Zeit  erhalten  haben,  während  die  Opern,  die  seinen  Euf  be- 
gründeten, ganz  verschollen  sind.  Es  sind  ungefähr  zwanzig  dem  Titel  nach 
bekannt,  aber  wahrscheinlich  ist  dies  nur  ein  Theil  derer,  die  er  geschrieben 
hat.  Ausser  den  bereits  genannten,  können  noch  angeführt  werden:  »/  Pastori 
felici  (Neapel,  1753).  »ie  Nozze  contrastatev.  (1754).  -all  Buovo  d^Änto7ia« 
(Florenz,  1756).  y>Stordilano,  principe  di  Granata<s.  (Parma,  1760).  »Xa  Francese 
a  Malaglierav.  (Parma,  1762).  y>Didone  abbmidonatavi  (ibid.  1764).  y>Semiramide 
riconosciutan  (1765).  »ia  Serva  rivalea  (Venedig,  1767).  ^oAmore  in  trappolaa. 
(ibid.  1768).  •nL'Isola  disabitatav.  (Petersburg,  1769).  »Olini'piadea  (ibid.  1770). 
■üAntigoneii  (ibid.  1772).  »2Z  Cavalier  errantev.  (Neapel,  1777).  »La  Disfatta 
di  Darioa  (ibid.  1778).  »Artenicea  (Venedig,  1778).  Im  Conservatorium  zu 
Neapel  befindet  sich  ein  Stahat  mater  für  vier  Stimmen  und  Orchester,  Weih- 
nachts-Morgengesänge,  Theil  einer  Passionsmusik  nach  dem  Evangelium  Johannes. 
Die  Partitur  des  Oratoriums  »Salomon«  befand  sich  in  der  Bibliothek  von 
Fetis;  es  besteht  aus  zwei  Theilen  und  ist  für  fünf  Sopran-  und  Contraltstimmen 
geschrieben.  Auf  diesem  Exemplar  sind  die  Namen  der  Ausführenden,  Schü- 
lerinnen des  Conservatoriums,  von  denen  einige  Berühmtheit  erlangten:  Laura 
Conti,  Francesca  Gabrieli,  Messana,  Pasquate,  Vertramin,  wahi'scheinlich  von 
Traetta's  Hand  verzeichnet. 

Tragen  der  Stimme,  Fortar  la  voce,  s.  Portamento. 

Tragische  Oper  ist  die  ernste  Oper  mit  tragischem  Ausgange,  bei  welchem 
der  Held  zu  Grunde  geht  (s.  Oper). 

Trahcier,  Pseudonym  für  J.  Fr.  ßeichardt  (der  rückwärts  gelesene  Name), 
unter  dem  der  bekannte  Berliner  Kapellmeister  Mehreres  veröffentlichte,  u.  A. 
auch  »Neue  französische  Lieder«. 

Traine   (franz.),  geschleift,  gebunden,  gleich  Legato. 

Trait  (franz.),  eine  rasche  Tonfolge. 

Trait  de  chant  (franz.),  ein  melodischer  Satz. 

Trait  d'harmouie  (franz.),  eine  Accord folge. 

Trajaneen,  von  Hadrian  dem  Trajan  zu  Ehren  gestiftete  Feste  bei  den 
Hörnern,  welche  zugleich  mit  musikalischen  Wettkämpfen  verbunden  waren. 


Trampeli  —  Transcription.  281 

Trampeli,  Christian  "Wilhelm, 

Trampeli,   Johann  Gottlob, 

Trampeli,  Johann  Paul,  drei  Brüder  und  berühmte  Orgelbauer  zu  Adorf 
im  Kursüchsischen  Voigtlande,  wo  sie  auch  geboren  wurden.  Sie  haben  alle 
drei  gemeinschaftlich  gegen  hundert  Orgeln  gebaut,  nur  wenige  sind  von  einem 
oder  zweien  der  Brüder  allein  ausgeführt.  Eines  der  bedeutendsten  Werke, 
von  J.  Gottlieb  und  Christ.  Wilhelm  (von  1790 — 1793)  gemeinschaftlich  erbaut, 
ist  die  Orgel  in  der  Nicolaikirche  in  Leipzig,  sie  enthält  49  Stimmen,  3  Ma- 
nuale und  Pedal  mit  7  Bälgen;  12  Fuss  lang,  6  Fuss  breit,  nach  Silbermann- 
scher  Art  angelegt. 

Trauquillameute  (ital.)  oder 

Trauquillo,  Vortragsbezeichnung  =  ruhig,  gelassen,  fordern  ein  massiges 
Tempo  und  eine  ruhige  Ausführung,  ohne  starke  Accente. 

Trauschel,  Christoph,  geboren  1721  zu  Braunsdorf  bei  Bosbach,  lernte 
frühzeitig  Clavierspielen  und  etwas  Latein.  1731  kam  er  auf  das  Gymnasium 
nach  Merseburg,  wo  er  beim  dortigen  Concertmeister  Förster  Unterricht  in 
der  Musik  erhielt.  Nach  bestandenem  Maturitäts-Examen  bezog  er  die  Univer- 
sität zu  Leipzig,  um  dort  Theologie  und  Philosophie  zu  studiren;  da  er  aber 
von  Hause  gar  keine  Unterstützung  hatte,  so  sah  er  sich  bald  genöthigt  Unter- 
richt zu  geben,  um  für  die  nöthigsten  Bedürfnisse  zu  sorgen.  Dies  war  denn 
auch  die  Ursache,  dass  er  sich  immer  mehr  der  Musik  zuwendete,  wodurch  er 
wiederum  das  Glück  hatte,  die  Bekanntschaft  des  grossen  Job.  Sebastian  Bach 
zu  machen  und  dessen  Schüler  zu  werden.  Er  verliess  Leipzig  erst  im  Jahre 
1755  und  ging  auf  Veranlassung  seiner  Freunde  und  Gönner  nach  Dresden, 
wo  er  bald  vielfache  und  lohnende  Beschäftigung  als  Ciavierlehrer  fand.  Er 
selbst  soll  das  Ciavier  mit  ausserordentlicher  Feinheit  und  Delikatesse  gespielt 
und  die  besondere  Kunst  verstanden  haben,  seinen  Schülern  diesen  Geschmack 
beizubringen.  Von  universeller  Bildung  besass  er  eine  ansehnliche  Musikalien- 
sammlunaf  und  die  vorzüglichsten  Werke  der  älteren  und  neueren  Schriftsteller. 

•  •  "TT 

Insbesondere  soll  T.  im  Besitz  bedeutender  Sprachkenntnisse  gewesen  sein.  Von 
seinen  Compositionen  sind  drei  Sonaten  und  einige  Polonaisen  für  Ciavier  be- 
kannt gewoi'den,  doch  nur  im  Kreise  seiner  Schüler  und  Freunde.  Man  konnte 
ihn  nie  bewegen,  etwas  davon  drucken  zu  lassen.  Die  Musikaliensammlung  des 
Königs  von  Sachsen  besitzt  von  diesen  Sachen  eine  Sonate  und  14  Polonaisen. 
Seit  1792  ungefähr  gab  T.  wegen  Kränklichkeit  seine  Lehrerthätigkeit  auf 
und  starb  im  Sommer  1800.  Vergl.  J.  G.  Kläbe's  »Neuestes  gelehrtes  Dresden« 
(Leipzig,  1796,  S.  171). 

Trauscription  =  Uebertragung,  heisst  die  Bearbeitung  von  Tonstücken  zur 
Ausführung  für  andere,  als  die  ursprünglich  von  dem  eigentlichen  Schöpfer 
desselben  gewählten  Organe.  Die  Uebertragung  von  Orchesterwerken,  Sinfonien, 
Ouvertüren,  Quartette  u.  dergl.,  wie  von  Opern,  Oratorien  und  andern  grössern 
Chorwerken  bezeichnet  man  in  der  Begel  mit  »Arrangement«;  unter  Transcrip- 
tion  versteht  man  meist  die  Uebertragung  von  Vocalliedern  zur  Ausführung 
für  das  C lavier.  Während  es  beim  Arrangement  die  Arrangeure  als  Haupt- 
aufgabe betrachten,  das  Original  genau  wiederzugeben,  muss  dies  sich  bei  der 
Transcription  mancherlei  Aenderungen  gefallen  lassen,  der  »Wirkung«  halber. 
Bei  der  Transcription  von  Liedern  mit  Ciavierbegleitung  muss  die  Lage  der 
Melodie  häufig  verändert  werden,  um  die  Begleitung  aufnehmen  zu  können, 
und  diese  wieder  verändert  ihre  Lage  au  andern  Stellen,  um  der  Melodie  Platz 
zu  machen.  Zu  diesen,  durch  die  Nothwendigkeit  gebotenen  Veränderungen, 
kommen  aber  viel  durchgreifendere  von  dem  betreffenden  Bearbeiter,  der  höhern 
»Wirkung«  halber  beliebte,  die  nicht  selten  die  Transcription  zur  »Paraphrase«, 
zur  Umschreibung  des  Originals  machen.  Die  ganze,  namentlich  seit  Liszt's 
Transcription  Schubert'scher  Lieder  in  Aufnahme  gekommene  Gattung  hat  nur 
untergeordneten  Kunstwerth.  Die  oben  erwähnten  Arrangements  sind  zur  Noth- 
wendigkeit geworden    in  mehr   als   einer  Hinsicht;    die  Transcriptionen  da- 


282 


Transitio  —  Transponiren. 


fifesren  dienen  meist  nur  der  niedern  Lust  am  Musiciren.  Sie  sind  nur  Con- 
cessionen  an  die  dilettantische  Musikpraxis  der  Gregenwart,  die  alles,  was  auf 
andern  Gebieten  der  Musik  Beachtung  findet,  dem  Allerweltsinstrument,  dem 
Pianoforte,  zu  vermitteln  sucht.  Sie  begnügt  sich  nicht  damit,  die  grossen, 
schwerer  zugänglichen  Orchester-  und  Vocalwerke  in  Arrangements  der  Haus- 
musik zu  vermitteln;  sie  überträgt  und  verarbeitet  auch  den  vocalen  Theil 
instrumental-claviermässig,  der  im  Hause  im  Original  seine  eigentliche  Stätte 
haben  müsste. 

Transitio,  Ausweichung  in  eine  andere  Tonart. 

Transitus  (lat.),  Durchgang  (s.  d.). 

Transitus  irregularis  =  die  Wechselnote  (s.  d.). 

Transitus  regularis  =  die  durchgehende  Note. 

Transponiren  heisst  einen  Tonsatz  in  eine  andere,  als  die  ursprüngliche 
Tonart  übertragen.  Wir  konnten  unter  Tonart  und  Tonleiter  schon  zeigen, 
dass  unser  ganzes  Tonsystem  auf  solcher  Transposition  beruht.  Wir  machen 
eine  (resp.  zwei)  Tonleitern:  die  C-dur-  (und  ^-otoZZ-) Tonleiter  zu  Normal- 
tonleitern und  bilden  dann  auf  jeder  Stufe  der  chromatischen  Tonleiter  eine 
neue,  jener  Normaltonleiter  ganz  gleich  construirte  Tonleiter  nach.  Wenn 
wir  also  auf  dem  Tone  des  eine  neue  Tonleiter,  unter  genauer  Beobachtung 
der  Verhältnisse  der  Normaltonleiter  erbauen,  so  erhalten  wir  die  Des-dur- 
Tonleiter,  oder  wir  haben  die  0-dur -Tonleiter  nach  Des-dur  transponirt.  Dies 
Verfahren  lässt  sich  natürlich  auf  ganze  Tonsätze  anwenden.  So  erscheinen 
folgende  Anfangstacte  des  »0  sanctissimaa,  ursprünglich  in  G-dur  gedacht,  nach 
F-dur  und  nach  A-dur  transponirt: 


a) 


M i ^ 


"SS"" 


^^-^ 


ri 


b) 


=^'=^ 


Lg= 


-p=- 


i^i 


-#=- 


^- 


Auf  dem  Papier  zu  transponiren  ist  darnach  nicht  schwierig.  Instrumentalisten, 
namentlich  Orgel-  und  Ciavierspieler  aber  kommen  häufig  in  die  Lage,  vom 
Blatt  transponiren  zu  müssen.  Wenn  ein  Oesangstück  einem  Sänger  nicht 
bequem  liegt,  oder  wenn  begleitende  Instrumente,  die  nicht,  oder  doch  nur  sehr 
schwierig  umzustimmen  sind,  eine  andere  Stimmung  haben,  so  ist  der  Orgel- 
oder Clavierspieler  genöthigt,  zu  transjjoniren,  ein  Stück,  das  iirsjDrünglich  in 
C-dur  steht,  nach  S-  oder  B-dur  oder  Des-  oder  D-dur  zu  transponiren;  daher 
müssen  dies  die  Künstler  früh  zu  üben  anfangen.  Hierbei  kommen  mancherlei 
Hülfsmittel  in  Anwendung.  Die  Uebertragung  eines  Tonstücks  um  einen  halben 
Ton  wird  meist  dadurch  leicht  bewerkstelligt,  dass  man  sich  eine  andere  Vor- 
zeichnung denkt.  Soll  eine  üebung  wie  die  nachstehende  nach  Des-dur  über- 
tragen werden,  denkt  man  sich  die  Vorzeichnung  Cis-dur  (=  Des-dur);  um 
einen  halben  Ton  tiefer  zu  transponiren,  muss  man  sich  die  Vorzeichnung  von 
Ces-dur  denken; 


Transpouiren. 


283 


Dementspi'ecliend  muss  man  sich  auch  alle  Yorzeichnungen  wegdenken,  wenn 
ein  Tonstück  von  Gis-dur  oder  von  Ces-dur  nach  G-dur  transponirt  werden  soll. 
Um  ein  Tonstück  von  D-dur  nach  Des-,  oder  von  läl  nach  Es-dur,  von  G-  nach 
Ges-dur,  von  A-  nach  As-dur  und  von  S-  nach  B-dur  zu  transponiren,  darf 
man  nur  an  Stelle  der  ursprünglichen  Vorzeichnungen  sich  die  neuen  denken 
und  darnach  die  Noten  ablesen.  Soll  nachstehender  Satz  aus  dem  »Freischütz« 
von  E-dur  nach  Es-dur  transponirt  werden,  so  denkt  man  sich  anstatt  der 
vier  Kreuze  von  E-dur  die  drei  Be  von  Es-dur:  alle  zufälligen  j:}  werden  dabei 
zu   t^,  die  >^  zu  Ij,  die  ^   zu  j?  und  |?   natürlich  zu  \>\}. 


\ 


Original. 


Transponirt  nach  Es-dur. 


-^-H 


«    K 


Hieraus  ist  auch  zugleich  zu  ersehen,  dass  es  sich  ähnlich  verhält,  wenn 
der  Begleiter  einen  halben  Ton  höher  transponiren  soll.  Ist  die  untere  Lesart 
—  in  Es-dur  —  das  Original,  das  nach  E-dur  transponirt  werden  soll,  so  denkt 
man  sich  statt  der  drei  Be  von  Es-dur  die  vier  Kreuze  von  E-dur.  Das  zu- 
fällige t(  wird  dann  zum  {J,  das  t?  zum  i;  und  [?>  zu  einem  b-  So  lassen  sich 
alle  Tonstücke  leicht  von  D-  nach  Des-dur,  von  G-  nach  Ges-,  von  A-  nach 
As-  und  von  H-  nach  B-dur  transponiren  und  umgekehrt. 

Schwieriger  ist  natürlich  die  Transposition  nach  den  weitern  Intervallen, 
um  eine  Ganzstufe,  eine  Terz,  Quart,  Quint  u.  s.  w.  Diese  Fertigkeit  setzt 
voraus,  dass  der  betreffende  Ciavier-  oder  Orgelspieler  mit  dem  harmonischen 
Material  einigermassen  vertraut  ist.  Die  Transposition  nach  diesen  Intervallen 
erfordert,  dass  man  die  neue  Tonart  vollständig  vor  Augen  hat  und  dann 
nicht  die  Noten,  sondern  die  Intervalle  liest.  Soll  jene  Uebung,  die  wir 
zuerst  transponirten,  eine  Granzstufe  höher  transponii-t  werden,  so  darf  man 
nicht  erst  überlegen:  aus  c  wird  d;  aus  e—fis;  aus  g  —  a]  sondern  der  Spieler 
muss  sich  sagen:  das  Sätzchen,  einen  Ton  höher  transponirt,  steht  in  D-dur] 
dem  Anfangston  d  folgt  die  Terz,  die  heisst  jetzt  ,^s,  dieser  die  Quint,  und  so 
muss  er  die  Intervalle  verfolgen  und  nicht  die  Noten  (a).  Ganz  ebenso  muss 
man  natürlich  verfahren,  wenn  die  Transposition  einen  ganzen  Ton  abwärts 
erfolgen  soll  (b),  die  neue  Tonart  ist  dann  hier  B-dur  und  innerhalb  dieser 
werden  daun  die  Intervallenschritte  ebenso  nachgeahmt: 


284 


Transponiren. 


a) 


b) 


^^  .  -   ■-^-^^ 


IP^ 


^Ü 


Mit  den  nöthigen  Uebungen,  die  anfangs  auf  dem  Papier  vorgenommen  werden 
müssen,  lässt  sich  bald  einige  Fertigkeit  in  dieser  Weise  der  Trausposition 
erreichen.  Für  die  reicher  harmonisirten  Tonstücke  ist  es  dann  nöthig,  die 
Grrundaccorde  richtig  zu  erfassen  und  dann  ist  es  nicht  schwer,  diese  nach  der 
neuen  Tonart  zu  übertragen.  Ein  weniger  bequemes  Hülfsmittel  für  die  Trans- 
position sind  die  verschiedenen  Schlüssel  schon  deshalb,  weil  sie  in  neuerer  Zeit 
ausser  Gebrauch  gekommen  sind.  Bekanntlich  werden  die  Noten  im  Sopran- 
schlüssel eine  Terz  höher  aufgezeichnet  wie  im  G-Schlüssel;  im  Altschlüssel 
aber  um  sieben  und  im  Tenorschlüssel  um  neun   Töne. 


Sopranschlüssel  wie 


Alt-     wie 


Tenor-     wie 


=^ 


Aus  dieser  Verschiedenheit  erwächst  ein  neues  Mittel  für  die  Transposition; 
will  man  einen  Satz  nach  der  Unterterz  transponiren,  so  liest  man  den  im 
Yiolin-  (dem  G^-)  Schlüssel  geschriebenen  Satz  im  Sopranschlüssel;  im  Altschlüssel 
gelesen  und  eine  Octave  höher  versetzt,  natürlich  mit  der  entsprechenden  Vor- 
zeichnung, wird  er  um  einen  Ton  höher;  um  einen  Ton  tiefer  aber,  wenn  man 
ihn  in  der  höhern  Octave  im  Tenorschlüssel  liest;  und  um  eine  Terz,  wenn  man 
ihn  im  Bassschlüssel  liest,  aber  um  zwei  Octaven  höher: 


-• » • »- 


-t a 


ii — « > • s o *- 


iKtfe 


?=ff=fr: 


-m         s 


—M^ 


t^ 


=a 0 * i • — *        II 

-• _ • « _ • H 

-«--£■-«-      —      S-      -0- 


+tw 


15 


•— ^S= 


-  • a • a 0 •— 

-0-        -B.         .0.         —         JL         .0. 


^1= 


i • »^ 


: 0 = • 

-t • • • S • • 

-9 • 0 • S 0 • 


Hier  ist  auch  jenes  Verfahrens  zu  denken,  nach  welchem  Sopran-  oder  Tenor- 
lieder durch  Transposition  ohne  Weiteres  zu  Alt-  oder  Bassliedern  gemacht 
werden,  das  in  den  meisten  Fällen  nur  als  Unfug  zu  bezeichnen  sein  dürfte. 
Wenn  der  Tondichter  sein  Lied  wirklich  für  eine  bestimmte  Stimmgattung 
schrieb,  so  kann  dies  unmöglich  von  einer  andern  ausgeführt,  die  gleiche  Wirkung 
machen.  Ein  Tenorlied  ist  nicht  auch  zugleich  ein  Sopranlied,  wenn  auch 
beide  Stimmklassen  grosse  Verwandtschaft  haben,  noch  weniger  aber  wird  es 
dadurch  zu  einem  Alt-,  Bariton-  oder  Bassliede,  wenn  man  es  in  die  Lagen 
dieser  Stimmklassen  transponirt;  denn  nicht  diese  hauptsächlich,  sondern  beson- 
dere Eigenthümlichkeiten  der  inuern  Organisation  bedingen  den  Charakter  der 
Stimmklasseu,  die  der  Tondichter  bei  der  AVahl  der  betreffenden  Organe  berück- 


Transponiren. 


285 


siclitigt.  Die  meisten  Lieder  aus  Schubert's  »Die  schöne  Müllerin«,  »AVinter- 
reise«,  »Schwanengesang«  werden  ihre  höchste  Wirkung  immer  nur  von  einer 
Tenorstimme  ausgeführt  machen,  weit  weniger  schon  vom  Sopran  gesungen. 
Diese  aber  müssen  durch  Transposition  in  die  Alt-  oder  Basslage  den  grössten 
Theil  ihrer  Wirkung  einbüssen.  Dazu  kommt  noch,  dass,  wie  unter  Tonart 
gezeigt  wurde,  dieser  unstreitig  eine  gewisse  Charakteroigenthümlichkeit  eigen 
ist,  auf  welche  die  Componisten  entschieden  Eücksicht  nehmen.  Bei  Liedern 
mit  Begleitung  bildet  diese  endlich  einen  wesentlichen  Bestandtheil,  der  durch 
Transposition  um  eine  Terz,  Quart  oder  gar  um  eine  Quint  meist  in  der 
Wirkung  ganz  und  gar  verändert  wird.  Die  Eigenthümlichkeit  des  Tonmate- 
rials, nach  welcher  die  Töne  nach  der  Höhe  heller,  glänzender  und  sogar  schärfer 
werden,  während  sie  in  der  Tiefe  allmälig  an  Grlanz  und  Eindringlichkeit  ver- 
lieren und  in  den  äussersten  Tiefen  mehr  dröhnen  als  klingen,  tritt  namentlich 
auch  am  Pianoforte  und  an  der  Orgel  hervor.  Bei  beiden  Instrumenten  ist  die 
Mittellage  die  wohlklingendste  und  sie  wird  deshalb  auch  hauptsächlich  verwen- 
det, die  obere  und  untere  kommt  nur  verschärfend  und  charakterisirend  hinzu. 
Das  gilt  auch  für  die  Begleitung  bei  den  verschiedenen  Stimmgattungen.  Die 
Clavierbegleituug  für  ein  Sopranlied  wird  etwas  anders  gehalten  sein  müssen, 
wie  für  ein  ausgesprochenes  Basslied,  aber  sie  wird  sich  ebenso  vorwiegend  in 
der  Mittellage  des  Instruments  halten  müssen,  wie  die  Begleitung  zu  einem 
Tenor-  oder  Sopranliede.  Durch  eine  Transposition  nach  der  Höhe  oder  Tiefe 
um  mehr  als  eine  Secunde,  eine  Ganz-  oder  Halbstufe,  muss  demnach  der 
Charakter  der  Begleitung  schon  entschieden  verändert  werden. 

In  dieser  Beziehung  dürfte  die  Transposition  um  eine  Halb-  oder  Ganz- 
stufe nicht  viel  verändern,  wohl  aber  schon  die  um  eine  Terz,  und  die  um  eine 
Quart  oder  Quint  ist  meist  ganz  verwerflich.  Die  Clavierbegleitung  zum  ersten 
der  »Müllerlieder«  hat  durch  die  Transposition  (in  der  Peters'schen  Ausgabe) 
nach  F-dur  ihre  ganze  saftige  Weichheit  verloren,  sie  ist  färb-  und  charakter- 
los geworden.  Noch  mehr  gilt  dies  von  der  Begleitung  zu  dem  zweiten  »Wo- 
hin ?a  die  im  Verlauf  bei  der  Transposition  nach  Es-dur  mehr  dröhnt  als  klingt: 


Original. 


{ 


^====tl=ti=^- 


• — '-m m- 


S^S 


^Öi^-i-dri^i^ 


=^^=d 


.P:*-_i:?rrL-?L. 
a * 


=t^"rt 


LÄT^'SI 


^p=r=r 


=t-:4: 


M — ' 


::1t 


{ 

w 


i* 


— I- 


Ei 


Transponirt. 


{ 


m 


i^; 


-»-UZÜ- 


Ej2=t 


— * ^ 1 -i- 

— _i • j •  -A- 


e — ß-\--* ^ •- 


:p;t=e: 


1= 


^m 


286 


Trausponirende  Instrumente  -^  Transpositionsscalen. 


1 


■m^ 


^ 


3 


-^ 


Ganz  dasselbe  gilt  von  dem  vierten:  »Danksagung  an  den  Bach«,  wie  vom 
fünften  und  sechsten  und  fast  allen  andern,  deren  Wirkung  nicht  selten  voll- 
ständig aufgehoben  erscheint.  Nicht  weniger  geschädigt  erscheinen  die  Lieder 
der  Winterreise  durch  die  Transpositionen  der  Peters'schen  Ausgabe  für 
eine  tiefe  Stimme,  vor  allen  andern  das  Lied:  »Der  du  so  lustig  rauschest«,  das 
vollständig  abgeblasst  erscheint.  Das  alles  gilt  auch  fast  ausnahmslos  von  allen 
andern  derartigen  Transpositionen.  Es  erscheint  ebenso  ganz  unstatthaft  Beet- 
hoven's  y>A7i  perfido«  nach  A-dur  zu  transponiren,  wie  das  Richard  Wuerst 
gethan  hat,  um  die  Arie  für  Alt  zuzurichten,  da  dies  niemals  ohne  Versün- 
digung am  Original  erfolgen  kann.  Ist  ein  solches  Gesangsstück  nicht  durch 
Versetzung  um  eine  Halb-  oder  höchstens  Ganzstufe  einer  Stimmgattung  be- 
quem zu  machen,  so  erscheint  es  eben  angemessener,  darauf  zu  verzichten,  als 
es  in  seiner  innersten  Wesenheit  anzutasten,  was  immer  dann  geschehen  wird, 
wenn  die  Uebertragung  dieses  Intervall  übersteigt. 

Transponirende  Instrumente  heissen  diejenigen  Instrumente,  welche  anders 
erklingen,  als  sie  notirt  werden.  Es  gehören  hierzu  eine  Reihe  von  Orchester- 
instrumenten, wie  der  Contrabass,  das  Contrafagott,  das  Hörn,  welche 
eine  Octave  tiefer  klingen,  als  sie  notirt  werden.  Die  Piccoloflöte  (auch 
Octavfiöte  genannt)  lässt  dagegen  alle  für  sie  aufgezeichneten  Töne  eine  Octave 
höher  erklingen,  die  Terzflöte  eine  kleine  Terz  höher.  Andere  Instrumente 
wiederum,  wie  Trompete  und  Clarinette  geben  die  Töne  je  nach  ihrer 
Stimmung  verschieden  an.  Nur  die  C-Trompete  und  die  O-Clarinette  geben 
die  vorgezeichneten  Töne.  Die  5-Clarinette  giebt  sie  einen  Ton  tiefer,  die 
Z)-Clarinette  einen  Ton  höher,  die  ^s-Clarinette  eine  kleine  Terz  u.  s.w. 
und  in  derselben  Weise  verändert  jede  andere  Stimmung  der  Trompete  die 
ursprüngliche  Tonweise.  Dass  das  Englische  Hörn  eine  Quint  tiefer  klingt, 
als  es  notirt  ist,  ebenso  wie  das  Bassethorn,  das  Quint fagott  aber  eine 
Quint  höher,  ist  unter  den  betrefPenden  Artikeln  nachzulesen. 

Transpositeur  nannte  Boiler  in  Paris  ein  von  ihm  erfundenes  Pianoforte, 
bei  welchem  durch  einen  sinnreichen  Mechanismus  die  Tasten  allmälig  auf  die 
chromatischen  Töne  der  Tonleiter  verschoben  werden  konnten. 

Transposition  heisst  ein  veralteter  Begisterzug  an  der  Orgel,  welcher  im 
Bückpositiv,  dort,  wo  die  Manualtasten  auf  die,  unter  ihnen  sich  befindenden 
Stecher  drücken,  angebracht  ist.  Der  Mechanismus  ist  derartig  aufgestellt,  dass, 
sobald  er  durch  den  betreffenden  Begisterzug  in  Bewegung  gesetzt  wird,  sämmt- 
liche  in  einer  Scheide  laufenden  Stecher  einen  halben  oder  auch  ganzen  Ton 
aufwärts  wirken,  so  dass  dann  der  C- Stecher  unter  Gis  oder  D  zu  stehen  kommt. 
Mit  Hülfe  des  Zuges  ist  es  also  sehr  bequem,  ein  Tonstück  auf  der  Orgel  um 
einen  halben  oder  ganzen  Ton  aufwärts  zu  transponiren.  In  neuerer  Zeit  ist 
indess  der  Begisterzug  abgekommen,  schon  aus  dem  Grunde,  weil  diese  Trans- 
position nicht  mehr  so  nothwendig  ist,  wie  früher. 

Transpositionsscalen  heissen  die  Tonleitern,  die  nach  demselben  Princip 
von  verschiedenen  Tönen  aus  erbaut  werden,  so  dass  die  Intervallenverhältnisse 
immer  genau  dieselben  bleiben,  zum  Unterschiede  von  den  Octavengattungen 
der  Griechen  und  den  Kirchentonarten  innerhalb  der  christlichen  Kunst- 
entwickelung, bei  welcher  die  Lage  der  Intervalle  immer  verändert  ist.  Dass 
die  Griechen  neben  dem  System  der  Octavengattungen  auch  schon  das  der 
Transpositionsscalen  kannten,  wird  durch  verschiedene  ihrer  Schriftsteller 
bezeugt.     Ptolemäus  berichtet  von  drei  Trauspositioussalen,  der: 


Transpositum  systema  —  Trautwein.  287 


dorischen:        =    d   e  f  g     ah     c^    d^    e^   f  g^  a^    b^    c^    (P 
phrygischen :   =    e  fis  g  a     h     e'    d^  e^  fis^  g^  a^  h^     c*    d^    e^ 


lydischen:        =  ßs  gis  a  h  cis^  d^  e^  ßs^  gis^  a}  h^  eis"  d'  e^  ßs^ 

Auch  Plutarch  erwähnt  ihrer;  ebenso  Aristides  Quintilian,  Heraclides 
Ponticus  und  Andere.  Dass  unser,  der  modernen  Musikpraxis  zu  Grunde 
liegendes  System  sich  aus  Transpositionsscalen  zusammensetzt,  ist  im  Ar- 
tikel Tonart  nachgewiesen. 

Transpositum  systema  wurden  im  Tonarten-System  des  Mittelalters  die, 
durch  Einführung  des  h  um  eine  Quart  höher  versetzten  Tonarten  genannt 
(Systema  molle),  s.  Tonart. 

Trascinando   (ital.),  Yortragsbezeichnung  =  schleppend. 

Trasnntino,  Vito,  auch  Guido  Trasuntin,  war  ein  äusserst  geschickter 
Instrumentenbauer,  zu  Venedig  um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  geboren. 
Ein  Ciavier  dieses  Meisters,  welches  derselbe  1606  für  den  Grafen  Camillo 
Gonzago  angefertigt  hatte,  ging  in  den  Besitz  des  Abbe  Baini  über.  Es  war 
äusserst  kunstvoll  und  sorgfältig  gearbeitet,  umfasste  vier  Octaven,  wovon  jede 
aus  31  Tasten  bestand,  so  dass  das  ganze  Ciavier  125  enthält,  und  ist  so  ein- 
gerichtet, dass  man  diatonisch,  chromatisch  oder  enharmonisch  darauf  spielen 
kann.  Wahrscheinlich  war  der  Yater  des  Trasuntino  auch  als  geschickter  In- 
strumentenmacher bekannt,  wenigstens  geschieht  an  mehreren  Stellen  eines 
solchen  Erwähnung.  Giordano  E,iccati  (»Delle  corde  ovvero  ßhri  elasticJiea,  Vor- 
rede p.  XIII)  führt  ein  Ciavier  an,  welches  den  Namen  Trasuntini  und  das 
Datum  1559  trägt. 

Trauermarsch  heisst  der  Marsch,  der  bei  Leichenfeierlichkeiten  ausgeführt 
wird,  unter  dessen  Klängen  sich  der  Leichenzug  in  Bewegung  setzt.  Die  Con- 
struktion  desselben  ist  selbstverständlich  die  des  gewöhnlichen  Marsches;  aber 
der  heilige  Ernst  der  Handlung,  die  er  begleitet,  nöthigt  ihm  ein  langsameres 
Tempo  und  einen  düstern  Charakter  auf.  Bei  den  Leichenbegängnissen  von 
Militärpersonen  werden  namentlich  gedämpfte  und  umflorte  Trommeln  verwendet, 
daneben  meist  auch  die  Feldmusik  mit  gleichfalls  gedämpften  und  umflorten 
Instrumenten.  Zugleich  gewinnt  der  Trauermarsch  durch  die  Handlung,  die 
er  begleitet,  auch  einen  so  bedeutenden  Inhalt,  wie  kein  anderer  Marsch  und 
er  erscheint  daher  als  die  höchste  künstlerische  Form  desselben.  Neben  der 
Trauer  und  der  Klage  über  die  Vergänglichkeit  alles  Irdischen  gewinnt  zugleich 
auch  (im  Trio)  die  tröstliche  Hoff'nung  auf  eine  dereinstige  Wiedervereinigung 
Ausdruck  und  in  diesem  Sinne  ist  der  Trauermarsch  von  unsern  Meistern  in 
die  höchsten  Instrumentalformen,  die  Sonate  und  die  Sinfonie  aufgenommen 
worden.  In  solchen  Fällen  gewinnt  die  Form  des  Marsches  eine  weit  höhere 
Bedeutung,  als  sie  an  sich  hat.  So  lange  sie  eben  nur  dem  äussern  Bedürfniss 
dient,  steht  sie  noch  auf  einer  niedern  Stufe  künstlerischer  Gestaltung;  erst 
wenn  sich  eine  bestimmte  Idee  mit  ihr  verbindet,  tritt  sie  ein  in  die  Eeihe 
der  Kunstformen.  In  diesem  Sinne  verwandte  Beethoven  den  Trauermarsch 
in  seiner  ^s-^e^r-Sonate  und  der  Sinfonie  eroica  und  Chopin  in  seiner 
Sonate  und  wählte  Schumann  die  Form  desselben  als  langsamen  Satz  in 
seinem  -Es-Jwr-Quintett,  op.  45. 

Trautmanu,  Heinrich,  Cantor  zu  Lindau  im  Anfange  des  17.  Jahrhun- 
derts, wurde  zu  Ulm  geboren,  verfasste  nachstehendes  lateinisch-deutsches  musi- 
kalisches Schullehrbuch:  i^Compendmm  musicae  latino  germanicum  in  tisum  scholae 
Undaviensis  maxime  accomodatuma.  (Kempten,  1618,  in  8°). 

Trautwein,  Traugott,  Musikalienverleger,  gründete  1820  die  bekannte 
Trautwein'sche  Musikalienhandlung  in  Berlin.      1821  trat  Ferdinand 


ö 


Mendheim    mit   ein    und   bald  wurde  die  Handlung  eine  der  einflussreichsten 


o 


und    berühmtesten    in   jener    Zeit.     Sie  erwarb  sich  namentlich  Verdienste  um 


288  Travenol  —  Tre. 

Verbreitung  der  classisclien  Chorwerke,  die  sie  in  trefflichen  Ciavierauszügen 
(einzelne  auch  in  Partitur)  und  den  ausgezogenen  Stimmen  zu  billigen  Preisen 
herausgab.  Daneben  vernachlässigte  sie  auch  die  neuern  Componisten  nicht. 
Der  Verlagskatalog  aus  jener  Zeit  schon  weist  die  Namen;  Curschmann, 
Grell,  Klein,  Löwe,  Zelter,  Spontini  u.  A.  auf.  1840  verkauften  die 
Besitzer  das  mit  dem  Verlage  verbundene  Sortimeutsgeschäft  an  J.  Guttentag 
und  1858  gingen  beide,  Verlag  und  Sortiment,  an  Martin  Bahn  über,  der 
beide  durch  die  rührigste  Thätigkeit  in  höchsten  Flor  brachte.  1874  verkaufte 
er  die  Sortimentshandlung  an  die  Herren  Püschel  und  "Wentzel  uud  wid- 
mete sich  ganz  seinem  Verlagsgeschäft,  das  zu  einem  der  bedeutendsten  in 
Deutschland  geworden  ist.  Ausser  den  bereits  oben  genannten  weist  der  Ver- 
lagskatalog auch  noch  die  besten  Namen  der  Neuzeit  auf. 

Travenol,  Louis,  Violinist,  in  Paris  1698  geboren,  gehörte  vom  Jahre 
1739  der  Kapelle  der  Grossen  Oper  an.  Er  starb  1783,  als  guter  Violinist, 
mehr  aber  noch  durch  seinen  Streit  mit  Voltaire  bekannt.  Als  der  letztere  in 
die  Äcademie  frangaise  aufgenommen  wurde,  erschienen  verschiedene  Schmäh- 
schriften, die  verbreitet  zu  haben  er  beschuldigt  wurde.  Sammt  seinem  alten 
Vater  wurde  er  auf  Voltaire's  Veranlassung  festgenommen,  aber  nach  fünf  Tagen 
aus  dem  Gefängniss  wieder  entlassen,  und  Voltaire  musste  eine  erhebliche  Geld- 
entschädigung zahlen.  T.  gehörte  auch  zu  den  entschiedenen  Vertheidigern  der 
französischen  Musik,  als  der  bekannte  Brief  von  Bousseau^  erschien.  Er  ver- 
öffentlichte bald  darauf  die  Broschüren:  »Ärret  du  conseil  d'Etat  d^AjJoUon  rendu 
en  faveur  de  Torchestre  de  V Opera,  contre  le  nomine  J.  J.  Rousseau,  copiste  de 
musique  eta  (Paris,  1754,  in  12°)  und  »Xa  Galerie  de  VAcademie  royale  de 
musique,  contenant  les  portraits  en  vers  des  principaux  sujets  qui  la  composent 
en  la  presente  aiinee  1754,  dediee  a  J.  J.  Sousseauu.  (Paris,  1754,  in  8"). 

Travers,  John,  englischer  Musiker,  erhielt  den  ersten  Unterricht  in  der 
St.  Georg-Kapelle  zu  "Windsor,  und  verwaltete  nach  einander  die  Stelle  eines 
Organisten  an  der  Paulskirche  (1725)  und  Avährend  einiger  Jahre  die  zu  Fulham. 
1737  trat  er  als  solcher  in  die  königliche  Kapelle,  in  welchem  Amte  er  1758 
starb.  T.  componirte  viele  Anthems,  die  in  den  Büchern  der  KajDelle  enthalten 
sind.  Auch  die  sämmtlichen  Psalme  sind  von  ihm  in  Musik  gesetzt  und  unter 
dem  Titel  nThe  whole  booJc  of  Fsahns  for  1,  2,  3,  4  ön  5  voices,  with  a  thorough- 
hass  for  the  harpsichorda  (London,  1746,  2.  Thl.,  in  4"). 

Trarersa,  Gioachimo,  erster  Violinist  des  Herzogs  von  Carignan  zu  Paris 
ums  Jahr  1770,  spielte  auch  in  den  Concerts  spirituels,  wo  er  besonders  durch 
Schönheit  des  Tons  und  Leichtigkeit  der  Bogenführung  entzückte.  Er  schrieb 
und  Hess  drucken:  rtSis  quatuors  pour  deux  violons,  alto  et  bassea,  op.  1  (Paris, 
Huet,  1770).  y>Six  sonates  pour  violon  seul  et  hassest,  op.  2  (ibid.).  y^Six  quatuors 
d'airs  connus  variees  pour  violon«,  op.  4  (ibid.).  nGoncerto  pour  violon  et  orchestrea, 
op.  5   (Paris,  Bailleux). 

Traversenbass  bei  der  Orgel,  s.  v.  a.  Querflötenbass. 

Traversiere,  die  Querflöte,  s.  Flöte. 

Traxdorf,  Heinrich,  auch  Drassdorff,  Gasdorf  genannt,  einer  der 
ältesten  berühmten  Orgelmacher,  stammt  aus  Mainz.  Um  die  Mitte  des 
15.  Jahrhunderts  fällt  die  Hauptzeit  seiner  Thätigkeit.  Von  seinen  Werken 
sind  anzuführen:  Drei  nicht  näher  bezeichnete  Werke  in  Nürnberg,  1443; 
ebenda  1469  in  der  Sebalduskirche  ein  Orgelwerk,  welches  aus  zwei  Octaven 
und  drei  halben  Tönen  bestand,  als :  C,  c{§,  b  u.  s.  w.  bis  c,  eis,  d.  Das  Pedal 
bestand  aus  einer  Octave  und  einem  halben  Ton,  nämlich  A,  B,  H,  c  bis  a,  b, 
er  erhielt  dafür  1150  fl.  (Siehe  Prätorius  i^Syntagma'i,  Thl.  II,  S.  110.)  Ein 
drittes  Orgelwerk,  auch  in  Nürnberg,  stellte  er  in  der  Frauenkirche  auf.  Es 
hatte  22  Tasten,  ein  Pedal  und  soll  wie  eine  Schalmei  geklungen  haben.  Die 
Orgel  in  der  Marienkirche  zu  Lübeck  ist  wahrscheinlich  auch  von  ihm. 

Tre  (ital.)  =  drei,  dreimal;  a  tre  =  zu  Dreien;  Canon  a  tre  = 
Canon  für  drei  Stimmen. 


Trebelli  —  TreÜübungen.  289 

Trebelli,  Zelia,  eine  der  ausgezeichnetsten  und  Leriilimtesten  Sängerinnen 
der  Gegenwart,  ist  1838  zu  Paris  von  deutschen  Eltern  geboren,  Sie  ver- 
tauschte, als  sie  1859  zum  ersten  Male  in  Madrid  auftrat,  ihren  ursprünglichen 
Namen  Grilbert  mit  Trebelli.  Ihren  Weltruf  gründete  sie  erst  in  Berlin, 
wo  sie  als  Mitglied  der,  von  dem  Impressario  Eugenio  Morelli  geleiteten 
italienischen  Operngesellschaft  im  königl.  Opernhause  (1860—1861)  unerhörte 
Triumphe  erraug.  Ihr  wundervolles  Organ,  wie  die  siegende  Gewalt  ihres  Aus- 
drucks machten  sie  bald  zum  enthusiastisch  bewunderten  Liebling  der  besten 
Kreise  Berlins,  und  diese  grossartigen  Erfolge  wiederholten  sich  in  Leipzig, 
wo  sie  auch  als  Concertsängerin  (1862)  im  Gewandhause  stürmischen  Beifall 
errang  und  in  London  (1862)  und  überall,  wo  sie  seitdem  auftrat.  Die  ausge- 
zeichnete Künstlerin  strahlt  seitdem  in  altem  Glänze  als  Stern  ersten  Ranges 
am  Bühnenhimmel.  Ein  Correspondent  der  »Signale«,  der  sie  schon  1861 
unter  die  Sterne  der  italienischen  Oper  zählt,  urtheilt  über  sie:*)  »Die  Stimme 
hat,  wie  uns  dünkt,  an  Weichheit,  Schmelz  und  Süssigkeit  erheblich  gewonnen, 
namentlich  ist  die  Behandlung  des  Piano  und  Mezza  voce  zu  höchster 
Meisterschaft  entwickelt.  Umsonst  durchsuchen  wir  unsern  Vorrath  an  Bildern 
und  Redeblumen,  um  für  den  Reiz,  der  diesem  Flötenregister  innewohnt,  den 
entsprechenden  Ausdruck  zu  finden.  Einen  anderen  unschätzbaren  Vorzug  der 
Sängerin  ei'blicken  wir  in  der  absoluten  Ausgleichung  der  verschiedenen  Lagen. 
Vom  kleinen  f  bis  zum  zweigestrichenen  a,  also  im  Umfang  von  fast  drittehalb 
Octaven,  fügt  sich  Ton  an  Ton  in  vollendeter  Reinheit  und  Symmetrie.  Nirgends 
bemerkt  man  auch  nur  die  leiseste  Spur  von  Härte  und  Unebenheit,  von  einem 
Bruch  oder  Hiatus.  Ueber  dieses  Material  verfügt  aber  die  Signora  nicht  wie 
über  ein  stets  von  Neuem  zu  erzeugendes,  sondern  wie  über  einen  ruhigen, 
fertigen  Besitz.  Ihr  gegenüber  vergisst  man,  dass  Singen  doch  eine  Thätigkeit 
ist,  eine  Action  des  Willens  und  Körpers  voraussetzt.  Nicht  blos  in  Allem, 
was  mit  der  eigentlichen  Tonbildung  zusammenhängt,  sondern  überhaupt  im 
Tonischen  (das  Wort  im  weitesten  Sinne  genommen)  offenbarte  sich  eine  be- 
merkenswerthe  Steigerung.  Die  meisten  Coloraturen  in  dem  »  Tina  voce«,  dem 
Duett  mit  Figaro  und  den  Variationen  übertrafen  an  Glanz  und  eleganter 
Leichtigkeit  alles  was  uns  früher  die  Sängerin  in  dieser  Beziehung  geboten. 
Wahre  Cabinetstücke  von  chromatischen  Scalen,  Doppelschlägen  und  ähnlichem 
Zierrath  befanden  sich  darunter«. 

Trebs,  Heinrich  Nicolaus,  herzogl.  weiraarischer  Hof-Orgelbauer,  ge- 
boren zu  Frankenhausen  1678,  erlernte  seine  Kunst  bei  Chr.  Rothe  in  Salzungen. 
Er  war  bis  gegen  1730  thätig;  bekannt  als  sein  Werk  ist  jedoch  nur  die  Orgel 
in  der  Jakobskirche  in  Weimar, 

Treffen  heisst,  namentlich  beim  Singen,  die  Fertigkeit,  jedes  Intervall 
sicher  und  rein  zu  intoniren.  Sie  setzt  neben  einem  feinen  Auge,  das  Intervall 
zu  messen,  ein  feines  Ohr  voraus  und  Gewandheit  im  Gebrauch  des  Muskel- 
apparats der  Stimme;  dem  Ohr  muss  das  betreffende,  vom  Auge  erfasste  Inter- 
vall gewissermaassen  vorschweben  und  der  Stimmapparat  muss  dann  geschult 
werden,  es  sofort  präcis  zu  fassen.  Dazu  gehört  aber  auch,  dass  dies  mit 
Beobachtung  des  betreffenden  Rhythmus  und  wenn  möglich  des  ursprünglich 
geforderten  Tempos  geschieht.  In  Beziehung  auf  das  Letztere  macht  man  in- 
dess  mancherlei  Concessiouen;  man  wählt  Anfangs  ein  langsameres  Tempo,  um 
das  Treffen  zu  erleichtei'n,  aber  der  Rhythmus  ist  immer  streng  auch  dabei 
zu  beobachten.  Beim  Instrumentalspiel  bedient  man  sich  des  Ausdrucks  Treffen 
nur  selten,  hier  bezeichnet  man  diese  Fertigkeit  mit  Prima- Vista- Spiel  (s.d.). 
Die  Fertigkeit  des  Treffens  setzt  grosse  Uebung  voraus ;  Auge,  Ohr  und  Stimme 
müssen  dazu  erzogen  werden. 

Treffübung-eu  sind  solche  Uebungen,  welche  insbesondere  den  Zweck  ver- 
folgen, die  Fertigkeit  des   Treffens  zu  erzielen.    Zunächst  sind  Auge  und  Ohr 


*)  „Signale  für  die  musikalische  Welt",  1861,  41,  pag.  571, 

Musikal.  Conrers.-Leiikon.     X.  •••" 


290 


Treffübungen. 


in  die  nöthige  Wechselwirkung  zu  setzen.  Jenes  muss  geübt  werden,  das  Inter- 
vall sofort  zu  fassen  und  dies  es  zu  hören.  Es  wird  sich  dies  immer  leichter 
am  gesungenen,  sogar  an  dem  nach  dem  Gehör  gesungenen  Liede  erreichen 
lassen.  Doch  sind  auch  besondere  Treffübungen  nicht  auszuschliessen,  sie  werden 
sich  zunächst  auf  die  Tonleiter  gründen  müssen.  An  ihr  sind  zuerst  die  Secunden- 
schritte  dem  Auge  und  Ohr  einzuprägen.  Um  dem  Schüler  die  Natur  des 
Halbtons  klar  zu  machen,  genügt  es  nicht  zusagen,  zwischen  c  und  f/ beträgt 
die  Entfernung  einen  Granzton,  e  und  f  aber  einen  halben,  weil  dort  noch  ein 
Halbton  (oder  wenn  man  vor  dem  Ciavier  sitzt,  eine  Obertaste)  dazwischen 
liegt.  Das  Yerhältniss  beider  muss  vielmehr  mit  dem  Ohr  gefasst  werden,  etwa 
in  der  Weise,  dass  die  Schüler  eine  Figur  wie  unter  1)  wiederholen,  (2   3  4): 

1)  2)  3)  4) 


n 


4= 


4= 


li 


-" — :ir 


^=1= 


^ 


^- 


Schon  im  zweiten  Tact  werden  sie  d—cis,  im  dritten  c  —  dis  singen  wollen,  und 
man  lasse  sie  gewähren,  fordere  sie  aber  dann  auf,  c  des  ersten  Tacts  recht 
stark  zu  singen  und  auf  das  des  zweiten  Tacts  zu  achten  und  sie  werden  dann 
selbst  hören,  dass  sie  hier  einen  andern  Ton  singen  wollen,  der  zwischen  c 
und  d  liegt  und  dass  sie  diesen  einschieben  müssen,  wenn  sie  die  erste  Figur 
(c  —  h  —  c)  genau  im  zweiten  Tacte  nachahmen.  Dasselbe  beobachten  sie  dann 
beim  dritten  Tact,  von  e  aus;  hier  muss  dis  eingeschoben  werden,  während  im 
vierten  wieder  der  Halbtcn  bereits  da  ist;  und  sie  haben  dann  mit  Auge  und 
Ohr  erkannt,  dass  zwischen  h  und  c  ebenso  wie  zwischen  e  und  f  nur  eine 
Halbstufe,  zwischen  den  übrigen  Tönen  eine  Oanzstufe  Entfernung  ist.  In 
ähnlicher  Weise  muss  dann  die  Natur  des  erhöhten,  wie  des  vertieften  Tons 
dem  Ohr  erkennbar  gemacht  werden.  Der  Schüler  muss  bei  der  Construktion 
der  verschiedenen  Kreuztonarten  begreifen  lernen,  dass  der  erhöhte  Ton  immer 
Leitton  wird,  der  ganz  bestimmt  nach  der  neuen  Tonart  drängt,  daher  hat 
der  erhöhte  Ton  den  Zug  nach  seinem  Obei'halbton  und  wird  er  wieder  auf- 
ffelöst,  nach  seinem  Unterhalbton: 


P 


'^ 


I 


r 


I 


Dass  dann  der  durch  b  erniedrigte  Ton  ebenso  darnach  neigt  zu  fallen,  müssen 
die  Schüler  ebenfalls  mit  dem  Ohr  erfassen: 


-e^- 


Ö 


t- 


-!=ä- 


-Ö- 


:^ 


te 


^ 


:& 


M: 


"CT'" 


u.  s.  w. 


Die  weiteren  Intervalle  werden  dann  ebenfalls  leicht  an  der  Tonleiter  geübt. 
Es  ist  sehr  zweckmässig,  damit  der  Schüler  das  Intervall  der  Terz  e  —  e  mit 
Auge  und  Ohr  erfasst,  den  dazwischen  liegenden  Ton  erst  leise  mehrmals  mit- 
singen zu  lassen,  den  ersten  und  dritten  aber  sehr  stark: 


dann  erst  mag  man  den  zweiten  Ton  weglassen  und  nur  die  beiden  stark  ge- 
sungenen Grenztöne  singen;  und  dem  Auge  und  dem  Ohr  muss  sich  das  Inter- 
vall einprägen.  Dann  kommen  die  andern  Terzen  der  Tonleiter  dran  in  der- 
selben Weise: 


m 


Bei    der   Hebung   der    Quart,    der  Quint  und  Sexte  kann  man  in  derselben 


Treffübungen. 


291 


Weise  verfahren,  und  dann  zur  weitern  TJebung  noch  folgende  tägliche  Stimm- 
übungeu  benutzen,  welche  diese  Intervalle  enthalten: 


I    3    5    8    5    3    I 

I    4   6    8    6    4    I 

J 

ß 

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p                  m 

f\                     m                             M 

«  '•                   *   » 

VT                    m                                                 m 

^^    ^' 

Diesen  Dreiklängeu  mag  dann  auch  der  Dominantaccord  angeschlossen  werden 
und  damit  düi'fte  der  Schüler  alle  natürlichen  Intervallenverhältnisse  gewonnen 
haben.    Für  die  sichere  Einprägung  aller  können  dann  nachstehend  verzeichnete 


Uebungen  eintreten: 


E^ 


f^ 


i 


u.  s.  w. 


doch  hat  diese  Uebung  nur  sehr  relativ  Bedeutung,  der  Schüler  darf  nie  damit 
ermüdet  werden.  Dagegen  ist  es  sehr  zweckmässig,  ihn  durch  entsprechende 
Hebungen  in  die  eigenste  Natur  und  den  darauf  basirten  Zug  der  einzelnen 
Intervalle  anzuführen,  etwa  in  ähnlichen  Uebungen  wie  der  folgenden: 


E^z •       •-* •  J= •-, •-«=  — *-• — 

^     -0-    '    .0-    '       -0.    •  -•-  •  -•-  -•-  • 


n i| I 1 1 I LI 

-•ii^-  • H— — ; \—g +-, 4— g h-0 +1— • +<-  I H 


U.    ß.   w. 


Das  Verhältniss  der  Intervalle  wird  noch  eindringlicher  durch  die  Mehr- 
stimmigkeit zum  Bewusstsein  gebracht,  was  hier  sehr  leicht  ist,  wenn  mehrere 
Schüler  vereinigt  sind;  dann  lässt  man  einen  oder  einzelne  in  den  oben  ange- 
gebenen, auf  den  Dreiklang  basirten  Stimmübungen  den  Grrundton  halten; 
andere  bleiben  dann  auf  der  Terz,  andere  auf  der  Quint  ruhen  und  die 
übrigen  auf  der  Octave  und  sie  gewinnen  dadurch  den  Dreiklang.  In  der- 
selben Weise  werden  auch  die  andern  dabei  verzeichneten  Uebungen  gesungen, 
wodurch  die  Intervallenverhältnisse  immer  fester  dem  Auge  und  Ohr  sich  ein- 
prägen. Dann  mögen  sie  die  Tonleiter  selbst  mehrstimmig  gestalten  durch 
canouische  Nachahmung: 


■-4^.^,4^^: 


■•-      ß 


N<  K< 


Weiterhin  ist  es  unerlässlich,  dass  der  Schüler  die  Natur  des  Molldreiklangs 
im  Gegensatz  zum  Durdreiklange  auch  mit  dem  Ohr  erfasst.  Hierbei  haben 
nachfolgende  Uebungen  sich  sehr  förderlich  erwiesen.  Sind  die  Schüler  mit 
den  Intervallenverhältnissen  vollständig  vertraut,  dann  lasse  man  zwei  ver- 
schiedene Stimmen  den  Grundton  und  grosse  Terz  singen,  z.  B.  f  und  a  und 
dazu  füge  der  Lehrer,  am  besten  mit  der  Geige,  das  eine  Mal  die  obere  Terz  c 
und  das  andere  Mal  anstatt  deren  die  untere  d  hinzu: 


Dadurch  ei-wachsen  zwei  Dreiklänge,  zuerst  ein  Durdreiklang,  bei  dem  die  kleine 
Terz  oben  liegt  und  dann  ein  Molldreiklang,  bei  dem  die  kleine  Terz  unten 
liegt.     Dies  Experiment  wird  auf  den  andern  Stufen  ebenfalls  ausgeführt: 

19* 


292  Treiben  der  Töne  —  Tremulaut. 


P 


_S=2_ 


und  überall  durchgesproclien;  die  jedesmalige  Untersucliung  lässt  immer  die- 
selben Verhältnisse  erkennen.  Um  den  Unterschied  der  grossen  und  kleinen 
Terz  direct  mit  Auge  und  Ohr  und  dem  Verstände  zu  fassen,  bedarf  es  dann 
noch  einer  Uebung.  Die  Schüler  singen  Grundton  und  Quint  und  der  Lehrer 
geigt  oder  singt  erst  die  grosse,  und  dann  nach  einer  Pause,  während  wieder 
das  Quintintervall  leer  klingt,  die  kleine  Terz  dazwischen: 


-'^- 

^— 

-^      ^- 

,_ — 

w(\  \ 

c— ,' 

^,— , 

'(—5'       l'(^ 

*       J 

b« 

J 

-^- 

-fe- 

-e-        ^-U- 

Es  muss  dies  natürlich  mehrmals  wiederholt  werden,  bis  die  Schüler  den  eigen- 
thümlichen  Charakter  eines  jeden  Accordes  gefasst  haben.  Von  hier  aus  wird 
es  dann  dem  Schüler  nicht  weiter  grosse  Schwierigkeiten  bereiten,  auch  die 
anderen  schwierigen  Intervalle,  die  verminderten  und  die  übermässigen, 
zu  treffen.  Sie  sind  meist  melodisch  abhängig  von  den  Grrundintervallen  und 
führen  zu  ihnen,  die  verminderte  ab-  und  die  übermässige  aufsteigend  und  sind 
daher  wenigstens  von  hier  aus  leicht  zu  erlernen.  Grössere  Uebung  erfordert 
es,  in  Accorden  die  verminderten  und  übermässigen  Intervalle  zu  singen,  was 
indess  nur  selten  nöthig  sein  dürfte. 

Treiben  der  Töne  heisst  bei  einigen  Blasinstrumenten,  Flöten,  Carinetten 
u.  dergl.,  die  mittelst  stärkern  Anblasens  erfolgende  Steigerung  der  Tonhöhe, 
um  kleine  Schwebungen  auszugleichen. 

Treiber,  Johann  Friedrich,  Schulrector  zu  Arnstadt,  geboren  1641, 
starb  1719.  Er  gab  1694  zum  Gebrauche  in  seiner  Schule  eine  Sammlung 
von  19  Hymnen  in  Partitur  heraus.  Ob  er  sie  selbst  aufgeschrieben  und  den 
Generalbass  dazu  gesetzt  hat,  ist  nicht  bekannt.  Der  Titel  ist:  i>Freces  et 
Tiymni  lycei  Schivartshurgi  Arnstadiensis,  cum  melodies  numeris  musicis  etc.v.  (Typis 
Arnstadiae,  Nie.  Bachmann,  1694,  in  4",  78  Seiten).  Ein  von  T.  veröffent- 
lichtes Programm  führt  den  Titel:  T^De  Musica  Davidica,  itemque  discursibus  per 
urhem  musica  nocturnisa   (Arnstadt,   1701,  8  Seiten,  in  4°). 

Treiber,  Johann  Philipp,  Sohn  des  Vorigen,  geboren  zu  Arnstadt  am 
2.  Februar  1675,  war  gelehrter  Jurist,  Advokat  und  Bürgermeister  zu  Erfurt, 
wo  er  auch  bei  Adam  Dresen  Composition  studirt  hatte.  Er  starb  in  Erfurt 
am  9.  August  1727.  Man  hat  von  ihm:  1)  »Invention,  eine  einzige  xlrie  aus 
allen  Tönen  und  Accorden«  u.  s.  w.  (Jena,  1702).  2)  »Der  accurate  Organist 
im  Generalbasse,  das  ist  eine  neue  deutliche  und  vollständige  Anweisung  zum 
Generalbass,  worinne  statt  der  Exempel  nur  zween  Geistliche  Generalbässe, 
nemlich  die  von  denen  Chorälen:  »Was  Gott  thut  das  ist  wohl  gethan«  und 
»Wer  nur  den  lieben  Gott  lässt  walten«,  durch  alle  Töne  und  Accorde  derge- 
stalt durchgeführet  sind,  dass  in  denenselben  zweien  Exempeln  alle  Griffe,  mit- 
hin die  Signaturen  aller  Claviere,  anbei  die  bequemsten  Vorthel  zur  Faust 
gewiesen  werden«.  Der  Text  beträgt  sieben  und  die  gestochenen  24  Exempel 
vier  Blätter. 

Trem.,  Abkürzung  für  tremando,  tremolando  und  tremolo  (s.  d.). 

Tremando,  s.  v.  a.  tremolando. 

Tremblemeut  (franz.),  der  Triller. 

Tremolando   (ital.),  zitternd,  bebend,  s.  Bebung. 

Tremolo  (ital.).  Bebung  (s.  d.). 

Tremulant  heisst  eine  Vorrichtung  im  Windkanal  der  Orgel,  welche  den 
Zufluss  des  Windes  zu  den  Pfeifen  derartig  hemmt,  dass  dadurch  dem  Ton 
eine  bebende  Bewegung  gegeben  wird.  Eine  im  Windkanal  angebrachte  Klappe 
steht  mit  einem  ßegisterzuge  in  Verbindung,  durch  den  sie  niedergelassen  wird, 
wenn  der  Tremulant  wirken  soll.  Eine  Feder  hält  sie  aber  so  weit  nieder, 
dass  der  Wind    sie    nicht  vollständig  aufstösst;    sie  wird  so  abwechselnd  durch 


Tremoliren  —  Trento.  293 

den  Luftstrom  aufgestossen  und  durch  die  Feder  niedergedrückt,  so  dass  der 
Wind  nur  stossweise  zu  den  Pfeifen  gelangt  und  dem  Tone  die  bebende  Be- 
wegung  ertheilt.  Je  länger  die  Feder  ist,  desto  langsamer  ist  die  Bewegung; 
je  kürzer,  desto  schneller.  Eine  besondere,  nur  für  zartere  Stimmen  dienende 
Art  des  Tremulanten,  welche  keine  Stösse,  sondern  nur  ein  weiches,  wellen- 
artiges Schweben  und  Schwingen  des  Tones  bewirkt,  führt  den  Namen  Bebung. 
Der  Tremulant  wurde  in  früherer  Zeit  zum  besondern  Ausdruck  der  Trauer 
verwendet,  bei  Leicheufeierlichkeiten  und  beim  Gottesdienst  in  der  Charwoche, 
namentlich  am  Charfreitag.  Die  neuere  Zeit  hat  ihn  als  unästhetisch  und  meist 
komisch  wirkend  abgeschafft. 

Tremoliren  der  Kropfventile  im  Balg  (Balgfieber  genannt)  ist  ein  grosser 
Fehler,  dessen  Dasein  man  au  dem  Zittern  des  Orgeltones  erkennt,  ohne  dass 
eine  Verstimmung  des  Pfeifwerkes  eintritt.  Dieser  Fehler  kann  entstehen,  so- 
bald das  Ventil  durch  angezogene  Feuchtigkeit  zu  schwer  geworden  oder  durch 
unregelmässiges  Treten  der  Bälge  aus  seiner  ursprünglichen  Lage  gerückt  ist, 
so  dass  es  in  jedem  Falle  dem  Spiel  des  "Windes  überlassen  ist  und  nicht  mehr 
die  Oefifnung  regelrecht  schliesst.  Die  fortwährende  Bewegung  des  Ventiles 
unterbricht  die  Strömung  des  Windes  vom  Balg  in  den  Kanal,  versetzt  den 
Wind  in  eine  wellenförmige  Bewegung,  welche  sich  wieder  dem  Orgeltone  mit- 
theilt.    Solchen  Fehlern  kann  nur  der  Orgelbauer  abhelfen. 

Treniolireu  der  Pfeifen  kommt  gewöhnlich  bei  jeder  Stimme  enger  Mensur, 
z.  B,  Gambe,  Salicional,  Aeoline  u.  s.  w.  vor.  Dieser  Fehler  zeigt  sich,  sobald 
die  Töne  einer  solchen  Stimme  einzeln  gespielt  werden,  verschwindet  aber,  sowie 
eine  andere  Stimme  dazu  gezogen  wird.  Er  ist  am  besten  durch  einen  Orgel- 
bauer, der  mit  dem  Wesen  dieser  schwer  zu  intonirenden  Pfeifen  vertraut  ist, 
fortzubringen.  Leichter  ist  er  durch  den  Organisten  bei  gewöhnlichen  Zinn- 
pfeifen von  Principalmensur  zu  corrigiren,  da  nur  die  Labien  oder  der  Kern 
zu  richten  nöthig  ist.  Gedeckte  Pfeifen  tremoliren,  sobald  der  Hut  oder  Deckel 
festsitzt.  Das  Tremoliren  der  Holzpfeifen  ist  abzuändern,  indem  man  in  die 
Kernspalte  ein  kleines,  rundes  hölzernes  Keilchen  einschiebt.  Durch  Tönen- 
lassen der  Pfeife  und  fortgesetzten  Versuch  erfährt  man  leicht  den  Ort,  wo 
der  Keil  einzuzwängen  ist.  Sehr  oft  tremoliren  Pfeifen,  wenn  sich  Sand  oder 
Staub  in  der  Kernspalte  festgesetzt  haben.  Eine  Beseitigung  desselben  hilft 
dem  Uebel  ab.  Schwache  Zinnpfeifen,  welche  vermöge  ihrer  dünnen  Wände 
den  Schwingungen  der  Luftsäule  nicht  genügend  Widerstand  entgegen  setzen, 
sondern  ebenfalls  tremoliren,  müssen  durch  neue  ersetzt  werden.  Jedoch  ist 
vorher  festzustellen,  ob  der  Fehler  auch  von  zu  starkem  Luftzufluss  herrührt. 
In  diesem  Falle  ist  der  Windzufluss  in  den  Pfeifenfuss  zu  reguliren,  indem 
man  ebenfalls  ein  Keilchen  in  die  Mündung  desselben  eintreibt. 

Trento,  Vittorio,  dramatischer  Componist  zu  Venedig,  1761  geboren,  ein 
Schüler  Bertoni's,  war  zuerst  Accompagneur  an  mehreren  Theatern  in  Venedig 
und  versuchte  sich  als  Componist  mit  Balletmusiken,  die  im  Venetianischen  und 
der  Lombardei  Anklang  fanden.  Das  erste  dieser  Ballette,  1785  in  Venedig 
gegeben,  war  y>Mastino  della  Scalm;  diesem  folgten  eine  Reihe  anderer.  Die 
erste  Oper  -nTeresa  vedevaa  wurde  ebenfalls  in  Venedig  zuerst  aufgeführt,  ihr 
folgten:  -aCofjnate  in  contesaa  (Padua,  1791),  •»Andromedm  (Rom),  y>Äsino  di 
Trentovi,  komische  Oper,  »Ze  Ästuzie  di  FicJiettoa.  y>Il  Vecchi  delusi«,  y>Il  cucii 
scopre  tuttod,  ^La  Fedeltä  7ielle  sehe«,  y>Rohinsone  secondoa,  -nLucrezia  romana«, 
y>Ißf/enia  in  Aulidea  (1804).  Die  einem  Pietro  Trento  zugeschriebenen  Opern 
■DÄndromedaa  (1805),  »ia  Foresta  di  Nicolai  wurden  abwechselnd  in  Rom, 
Neapel,  Turin,  Venedig  gegeben.  1806  übernahm  Trento  in  Amsterdam  die 
Direktion  einer  italienischen  Oper.  Hier  schrieb  er  die  Oper  y>La  Donna 
giudicea  und  das  Oratorium  »Die  Sündfluth«,  welches  1808  brillant  dort  aufge- 
führt wurde.  Nachdem  ging  Trento  nach  Lissabon,  ebenfalls  als  Operndirektor 
und  brachte  auch  dort  einige  neue  Opern  mit  Beifall  zur  Aufführung.  1818 
befand    er    sich    wieder    in    Rom    und    schrieb  fleissig  weiter.     Eine   1819  ent- 


294  Trepodion  —  Treublath. 

standene  und  in  Venedig  aufgeführte  komische  Oper  »Quanti  casi  in  un  sol 
gmrno,  ossia  gli  Assasinin  wird  als  sein  bestes  Werk  bezeichnet.  T.  ging  noch 
einmal  auf  drei  Jahre  nach  Lissabon  und  kehrte  1824  nach  Italien  zurück, 
wo  er  mit  der  Oper  »Giulio  Sabino  in  Langresu,  aufgeführt  in  Bologna,  seine 
ComjDonisten-Thätigkeit  beschloss. 

Trepodion,  oder  Terpodion,  eine  Art  Orchestrion,  von  J.  D.  Buschmann 
in  Nordhausen  1818  gebaut,  das  mit  Claviatur  versehen  war  und  verschiedene 
Blasinstrumente  des  Orchesters  nachahmte. 

Tresti,  Flaminio,  Kirchencomponist,  geboren  zu  Lodi  1563,  hat  ver- 
öffentlicht: tiConcentus  vespertini  6  cocumi  (Mailand,  1590,  in  4").  r>Motetae  4 
vocu7na  (Frankfurt,  1610,  in  4").  «Eine  achtstimmige  Messe«.  (S.  Katalog  der 
Bibliothek  des  Königs  von  Portugal  Jöan  IV.) 

Treu,  Abadias,  Professor  der  Mathematik  zu  Altorf,  war  in  Anspach 
am  22.  Juli  1597  geboren.  Xach  vollendeten  Studien  wirkte  er  an  mehreren 
Orten  als  Prediger,  bis  er  1625  eine  Stelle  als  Schulrektor  in  Anspach  erhielt. 
Da  er  jedoch  in  Folge  der  Kriegsuuruheu  drei  Jahre  lang  keinen  Oehalt 
empfing,  ging  er  nach  Altorf,  wo  er  die  angegebene  Professur  übernahm;  dort 
starb  er  1669.  Zu  seinen  Schriften  gehören  mehrere,  die  Musik  betreffend: 
1)  iiJanitor  Lycei  miisici  intimatio,  et  epitoma  (Rotenburg,  1635).  Eine  zweite 
Ausgabe  erschien  lateinisch  und  deutsch  unter  dem  Titel:  »Lycei  musici  intijnatio 
et  epitome  oder  Kurzes  musikalisches  Büchlein.«  2)  -»Disputatio  de  natura  mu- 
sicaen,  1645.  3)  y>Disputatio  de  causis  consonantiae«,  1643.  4)  y>Dispuiatio  de 
naturi  soni  et  auditusa,  1645.  5)  »Dissertatio  de  divisione  monocTiordi  deducen- 
disque  in  sonorum  concin7iorum  speciebus  et  aff'ectibus  et  iandem  tota  praocicompo- 
sitionis  musicae  etcM  (Altorf,  1662,  in  4°).  6)  »Directorium  matliematicum  ad 
cujus  ductum  et  informationem  tota  Mathesis  et  omnes  ejusdem  partes,  nominatim 
arithmetica,  geometria,  astroaomia,  geographia,  optica,  Jiarmonica,  mechanica,  metTio- 
dice  doceri  et  facile  discipossunt<.i  (Altorf,  1657,  in  4°).  Das  dritte  Buch  ent- 
hält ein  ■siCompendium  Sarmonicae  sive  canonicaea. 

Treu,  Daniel  Theophil,  auch  Daniele  Teofile  Fidele  genannt,  Ton- 
künstler, der  1695  in  Stuttgart,  wo  sein  Vater  eine  Buchdruckerei  besass, 
geboren  wurde.  Von  einem  Buchdruckergehülfen,  der  auf  der  Violine  etwas 
Geschicklichkeit  besass,  erhielt  T,  die  erste  Anregung  und  Anleitung  schon  im 
zartesten  Alter.  Als  er  später  die  Schulen  besuchte,  wurde  ihm  Gesang  und 
Ciavierunterricht  zu  Theil,  und  während  er  darauf  als  Lehrling  in  der  Buch- 
druckerei beschäftigt  war,  componirte  er  bereits  flott  darauf  los.  Viel  Instru- 
mentalsachen und  mehrere  Opern  gehören  in  jene  Zeit.  21  Jahre  alt,  ergab 
sich  die  Gelegenheit,  bei  einem  Feste  vor  dem  Herzog  von  AVürtemberg  zu 
spielen  und  er  erhielt  in  Folge  seiner  Leistung  ein  Geldgeschenk,  welches  zu 
einer  Peise  nach  Italien  ausreichte.  Treu  ging  nach  Venedig  und  suchte  Vi- 
valdi's  Unterricht,  erlernte  die  italienische  Sprache  und  soll  auch  für  das  Theater 
in  Venedig  Opern  geschrieben  haben;  auch  soll  ihm  eine  Kapellmeisterstelle 
dort  angetragen  worden  sein  (s.  Mattheson).  Gewiss  ist,  dass  er  als  Maestro 
mit  einer  italienischen  Truppe,  die  als  vorzüglich  galt,  nach  Breslau  ging. 
Diese  Gesellschaft  bestand  aus  drei  Sängerinnen,  drei  Sängern,  mehreren  Tän- 
zern und  Tänzerinnen,  einem  Maler,  einem  Maschinenmeister,  einem  Vorspieler 
und  einem  Orchester,  aus  20  Breslauer  Musikern  zusammengesetzt.  Für  dies 
Theater  schrieb  er  vier  Opern:  >^ Astarte«,  yCoriolanoa,  y>Z~lisse  e  Telemaccoa, 
■f>Don  Chisciotteti,  die  noch  1740  im  Rufe  standen.  Um  diese  Zeit  ging  T.  nach 
Hirschberg  und  trat  in  den  Dienst  des  Grafen  Schaffgotsch,  wo  er  starb.  Er 
hinterliess  zwei  Abhandlungen  im  Manuscript,  deren  Verbleib  aber  nicht  bekannt 
ist.     (S.:  Mattheson,  »Musikal.  Ehrenpforte«.  S.   379—80.) 

Treubluth,  Job.  Friedrich,  geboren  zu  Veiksdorf  in  der  Oberlausitz  am 
29.  Mai  1739,  machte  seine  Lehrzeit  als  Orgelbauer  von  1754—1760  bei  dem 
bekannten  Tamitius  in  Zittau  durch  und  arbeitete  später  als  Gehülfe  bei  dem 
bei'ühmten  Job.  Gottfr.  Hildebrand,    unter    dessen    Leitung    er  1760    mit  beim 


Trevelyan  —  Trial.  295 

Baue  der  grossen  Orgel  in  der  Michaeliskirche  in  Hamburg  beschäftigt  war. 
Einige  Zeit  darauf  kam  er  nach  Dresden,  wo  er  den  Hoforgelbauer  Zacharias 
Hildebrand,  den  Vater  seines  früheren  Principals,  zeitweilig  vertrat  und  nach 
dem  Tode  desselben  die  Stelle  als  Hoforgelbauer  erhielt.  Er  starb  in  Dresden 
am  28.  April  1821.  Geschätzt  als  Orgelbauer,  verbesserte  er  auch  die  Har- 
monika derart,  dass  sie  mit  und  ohne  Claviatur  gespielt  werden  konnte  und 
erfand  ausserdem  eine  Maschine  ohne  Wirbel  gegen  die  Verstimmung  des  Forte- 
pianos,  welche  er  selbst  im  51.  Stück  des  »Dresdener  Anzeigers«  (1795)  beschreibt. 
Näheres  darüber  theilen  auch  Gerber  im  »Neuen  Tonkünstlerlexikon«  (IV.  386) 
und  Kläbe  im  »Neuesten  gelehrten  Dresden«  (Leipzig,   1796)  mit. 

Trevelyan  (engl.  rokJcer  =  Wa ekler.  Wieger)  ein,  nach  seinem  Erfinder 
Arthur  Trevelyan  sogenanntes  Instrument  für  akustische  Experimente. 
Trevelyan,  im  Begriff,  eine  Harzmasse  mit  einem  Löthkolben  platt  zu  streichen 
(1829),  sah,  dass  das  Eisen  dazu  noch  zu  heiss  war  und  lehnte  es  deshalb  an 
einen  Bleiklotz,  um  es  abkühlen  zu  lassen.  Kaum  hatte  das  Eisen  das  Blei 
berührt,  als  Trevelyan  einen  hellen  Ton  hörte;  dabei  schien  der  Kolben  sich 
rasch  hin  und  her  zu  wiegen.  Diese  Erscheinung  brachte  Trevelyan  darauf, 
seinen  Wackler  oder  Wieger  zu  construiren.  Es  besteht  dies  Instrument 
aus  einem  aus  Eisen  oder  Messing  gefertigten  Kolben,  dessen  untere  Fläche 
mit  einer  Rinne  versehen  und  dessen  Stil  gehörig  abgerundet  ist.  Durch  einen 
am  Ende  befestigten  Knopf  werden  die  Bewegungen,  welche  der  Wackler  aus- 
führt, geregelt.  Erhitzt  man  ihn  bis  auf  etwa  200*^  und  legt  ihn  dann  mit 
der  stumpfen  Schneide  auf  ein  Stück  Blei  oder  Zinn  und  mit  dem  Knopfende 
auf  dessen  Unterlage,  so  beginnt  er  hin-  und  herzuwiegen  und  diese  Bewegung 
bleibt  unterhalten,  bis  seine  Temperatur  mit  der  der  Bleiunterlage  sich  aus- 
geglichen hat.  Robinson  stellte  das  Experiment  auch  mit  einem  Löffel  oder 
einer  eisernen  Schaufel  an,  die  er  am  Feuer  erhitzte  und  dann  querüber  auf 
zwei,  in  einen  Schraubstock  geklemmte  dicke  Bleistreifen  legte.  Die  Schaufel 
wiegt  sich  dann  stark  und  bringt  einen  Ton  hervor,  den  man  dadurch  modifi- 
ciren  kann,  dass  man  den  Stiel  etwas  unterstützt. 

Triaden,  s.  v.  a.  Dreiklänge. 

Trial,  Antoine,  zu  Avignon  1736  geboren,  war  in  seiner  Vaterstadt 
Chorknabe,  wurde  durch  seinen  Bruder  Claude  (s.  unten)  nach  Paris  gerufen 
und  fand  an  der  Comedie  italienne  als  Sänger  Anstellung.  Er  hatte  eigentlich 
keine  Stimme,  aber  viel  Intelligenz,  auf  welche  AV'eise  er  dazu  gelangte,  der 
Schöpfer  des  Rollenfaches  der  stimmlosen  Sänger  in  der  komischen  Oper  zu 
werden,  ein  Fach,  welches  nachdem  ein  halbes  Säculum  hindurch  von  den  Com- 
ponisten  berücksichtigt  wurde.  Bei  der  revolutionären  Bewegung  1793  ging 
er,  wahrscheinlich  in  dem  Glauben,  sich  populär  machen  zu  müssen,  zu  weit, 
denn  nach  der  Reaktion  zwang  man  ihn,  auf  der  Scene  kniend,  unter  Pfeifen 
und  Zischen  »Za  Reveil  du  peuplea  zu  singen.  Die  unangenehmen  Folgen, 
welche  dieser  Vorfall  noch  für  ihn  nach  sich  zog,  trieben  ihn  dazu,  sich  durch 
Gift  am  5.  Februar  1795  den  Tod  zu  geben. 

Trial,  Armand  Emanuel,  Sohn  des  Vorigen,  geboren  zu  Paris  am 
1.  März  1771,  war  musikalisch  sehr  begabt,  so  dass  seine  erste  komische  Oper: 
yJulien  et  Colette,  ou  la  Ifilicea  bereits  1788,  als  er  17  Jahre  alt  war,  im 
Theätre  Favard  aufgeführt  wurde,  y^ Adelaide  et  Mirvah  (1791),  »Les  deux  petits 
aveuf/lesa  (1792),  «Cecile  et  Julien  oü  le  Siege  de  Lillea  nebst  einigen  erfolglos 
aufgeführten  folgten.  T.  starb  nach  einem  ungeregelten  Leben  bereits  am 
9.  September  1803. 

Trial,  Jean  Claude,  Componist  und  in  Gemeinschaft  mit  Berton  Direktor 
der  grossen  Oper  in  Paris,  wui'de  am  13.  December  1732  geboren.  Den  ersten 
Musikunterricht  erhielt  er  an  der  Kathedrale  zu  Avignon  und  konnte,  da  er 
das  Studium  der  Musik  leidenschaftlich  ergriff,  schon  sehr  jung  eine  Concert- 
meisterstelle  in  Montpellier  annehmen,  dort  erhielt  er  auch  Anleitung  in  der 
Composition  von  Garnier    und  bildete  sich  als  Violinist  noch  mehr  aus.     Sein 


296 


Trial  —  Triansrel. 


Verlangen,  Eameau,  dessen  Partituren  er  studirte,  kennen  zu  lernen,  trieb  ihn 
nach  einiger  Zeit  nach  Paris,  und  da  er  glücklicherweise  eine  Stelle  als  erster 
Violinist  bei  der  Opera  comique  fand,  blieb  er  in  Paris.  Der  Prinz  Conti 
stellte  ihn  alsbald  auch  bei  seiner  Kapelle  an  und  übergab  ihm  nach  einiger 
Zeit  die  Direktion  derselben.  Ja,  durch  Hergabe  der  nöthigen  Caution  verhalf 
er  Trial  sogar  dazu,  nebst  Bertram  1764  die  Direktion  der  grossen  Oper  zu 
erhalten.  Trial  erwies  sich  ganz  am  Platze  und  nahm  durchgreifende  Ver- 
änderungen im  Orchester  vor,  starb  aber  schon  einige  Jahre  später  ganz  plötzlich 
am  23.  Juni  1771.  Seine  Compositionen  bestehen  in  Ouvertüren  und  Musik- 
stücken für  die  Opera  comique,  und  Cantaten,  für  die  Concerte  des  Prinzen 
Conti  geschrieben;  ferner  schrieb  er  die  Opern  rtSylviaa  (1765),  der  dritte  Akt 
von  Berton);  itTheonisv.  (1767),  mit  Berton  und  Grarnier;  »Za  fete  de  Florea 
(1771);  «Esope  ä  Cytherev.   (1766),  in   Comedie  italienne  aufgeführt. 

Trial,  Marie  Jeanne  Milon,  Gattin  des  Vorigen,  geboren  zu  Paris  am 
1.  August  1746,  debütirte  in  Paris  als  Sängerin  unter  dem  Namen  Mademoiselle 
Mandeville;  später  glänzte  sie  als  eine  der  bedeutendsten  Coloratursängerinnen. 
Sie  zog  sich  aus  Gresundheitsrücksichten  1786  von  der  Bühne  zurück  und  starb 
am   13.  Februar  1818. 

Triangel  (ital.  Triangolo),  Dreieck,  ist  der  Name  für  ein  Schlaginstru- 
ment, das  besonders  bei  der  Janitscharenmusik  seine  Verwendung  findet,  in 
einzelnen  Fällen  auch  im  grossen  Orchester.  Es  besteht  aus  einem,  in  ein 
Dreieck  gebogenen  Stahlstabe.  "Wo  die  beiden  Enden  desselben  zusammenstossen, 
ist  eine  Schleife  angebracht,  an  der  ein  Riemen  oder  ein  Band  befestigt  ist, 
um  das  Instrument  frei  daran  halten  zu  können.  Durch  einen  kleinen  eisernen 
Stab  wird  das  Instrument  an  allen  drei  Seiten  angeschlagen  und  so  zum  Klingen 
gebracht.  Da  es  nur  den  Rhythmus  anzugeben  vermag,  so  genügt  für  seine 
Aufzeichnung,  die  indess  auch  in  Noten  erfolgt,  eine  Linie;  und  da  es  in  der 
Regel  mit  der  grossen  Trommel  (gran  Tamhuro),  den  Becken  (Cinelli)  und 
zuweilen  auch  mit  der  Roullirtrommel  (Tmnhuro  militare)  zusammen  gebraucht 
wird,  werden  sie  alle  in  folgender  "Weise  notirt: 
Triangolo.  -      ^     ■  ■  J    J    J     J    .     J     1     1     I 

Cinelli, 

Tamburo  mili- 
tare. 

GranTamburo.i — Q 

Häufiger  werden  auch  diese  Instrumente  auf  dem  Fünf-Liniensystem  aufge- 
zeichnet; Triangel  und  Becken  auf  einem  System,  die  Trommeln  auf  einem 
zweiten;  jene  im  Violin-,  diese  im  Bass Schlüssel,  wonach  das  obige  Beispiel 
in  dieser  "W^eise  notirt  wird: 

J-J- 


Triangolo. 
CinelU. 


Tamburo  mili- 
tare e  gran 
Tamburo.  .     ^  .^      -^     ^  \-i7 

N 

Abweichend  notiren  wiederum  namentlich  die  Militärmusiker  die  kleinen  Trom- 
meln im  Violin-  und  die  grosse  Trommel   und  Triangel  im  Bassschlüssel: 


Tamburo  militare. 


Triaagolo  e  grau  Tamburo 


\ 


:-ö- 

B p c; 

^-y-\ 

—r^ p — ^- — 

Rf— TT— 

-            t—        t 1= 

^ 

:J  -  f- 

i •»} — — 

r 

i       r 

Trias  —  Tricinium,  297 

Mendelssohn  bedient  sich  in  seiner  Ouvertüre  für  Harraoniemusik  zur  Auf- 
zeichnung der  »Janitscharen«,  unter  welchen  Begriff  er  die  erwähnten  Instru- 
mente fasst,  nur  des  Violinschlüssels;  die  oberen  Noten  gelten  für  kleine  Trommel 
und  Triangel;  die  unteren  für  grosse   Trommel  und  Becken: 


Janitscharcu. 


!i^=i 


Triang.  Solo. 


^==^ 


-ä-9-ä—ihiä—ä-^'-*-^- 


Trias,  Triade  =  der  Dreiklang. 

Trias  auarmouica,  Triade  anarmonique  =  ein  unvollkommener  oder 
dissonirender  Dreiklang. 

Trias  aucta,  ein  Dreiklang,  bei  dem  ein  oder  auch  alle  Intervalle  vei-- 
doppelt  sind. 

Trias  deflciens  =  der  verminderte  Dreiklang. 

Trias  diffusa  =  ein  Dreiklang  in  weiter  Lage. 

Trias  harmonica,  Triade  7«or»jo?u'g'Me  =  ein  consonirender  Drei  klang. 

Trias  harmonica  major,  naturalis,  jjerfecta  =  der  Durdreiklang. 

Trias  harmonica  minor,  mollis,  imperfecta  =  der  Molldreiklang. 

Trias  manca  =  der  verminderte  Dreiklang. 

Trias  snperflaa  =  der  übermässige  Dreiklang. 

Tribrachys,  ein  metrischer  Fuss  aus  drei  Kürzen  ^^  ^  w  bestehend,  siehe 
Versf  uss. 

Tricarico,  Giuseppe,  italienischer  Componist,  in  Mantua  um  die  Mitte 
des  17.  Jahrhunderts  geboren,  von  welchem  die  Oper  »Generositä  d^Alessandroa 
1662  zu  Wien  und  syEndimionev.  in  Ferrara  1665  aufgeführt  wurden. 

Tricca-ballacca,  hölzerne  Klappern,  die  nach  Art  der  Castagnetten  behandelt 
werden,    beim    Tanze    des    Landvolkes    im  Neapolitanischen  noch  im  Gebrauch. 

Trichord  =  Dreisaite r,  hiess  eine  kleine  dreisaitige  Laute  oder  Mandoline. 

Trichter,   Schalltrichter,  Stürze   (s.  d.). 

Trichterförmiges  Corpus,  die  Gestalt  der  Pfeifen  der  E,ohrwei-ke  der  Orgel. 

Trichterreg-al  und 

Trichterschnarrwerk,  ein  veraltetes  Schnarrwerk  der  Orgel  von  8  Fusston. 

Tricinium,  triplex  cantus,  ein  dreistimmiges  Tonstück.  Zunächst  wur- 
den dreistimmige,  meist  weltliche  Gesänge  darunter  verstanden.  Georg  Bhau 
veröffentlichte  1542:  nTricinia  tum  veterum,  tum  recentiorum  in  arte 
musica  symphonistarum  latina,  germanica,  hrahantica  et  gallica  an- 
tehac  typis  nunquam  excusa,  ohservata  indisponenda  tonorum  ordine 
quo  utentibus  sint  accommodatioraa.  1546  veröffentlichte  Thomasi: 
i>Triciniaa  zu  Venedig.  1559  erschien  eine  grosse  Sammlung  uTriciniena 
bei  Montanus  und  Neuber  in  Nürnberg.  Weitere  Sammlungen  veröffentlichten 
dann:  Hollander  (1573),  Pichler  (1573),  Regnart  (1584),  Dedekind 
(1588)  u.  s,  w.  Im  Anfange  des  17.  Jahrhunderts,  nach  dem  Beginne  der 
selbständigem  Ausbildung  der  Instrumentalmusik,  wurde  die  Zusammenstellung 
von  drei  Instrumenten:  zwei  Violinen  und  ein  Bass,  oder  auch  drei  Violinen, 
sehr  beliebt,  aber  die  für  diese  Instrumentenzusammenstellungen  geschriebenen 
Tonsätze  nannte  man  deshalb  noch  nicht  Tricinien,  sondern  sie  behielten  die 
ursprünglichen  Bezeichnungen:  Sonaten,  Allemanden,  Sarabanden,  Ca- 
pricci,  Scherzi  u.  dergl.  bei.  Erst  mit  dem  Ausgange  des  Jahrhunderts 
nannten  die  Stadtmusici,  wie  Petzelius  ihre  zweistimmigen  Instrumentalsachen 
Bicinia  und  die  dreistimmigen  Tricinia.  Die  zünftigen  Trompeter  verstanden 
unter  Bicinium  einen  zweistimmigen,  unter  Tricinium  einen  dreistimmigen 
Satz  für  Trompeten.  Beim  Quatricinium  wurde  die  vierte  Trompete,  manch- 
mal auch  die  dritte  durch  Hörner  ersetzt,  so  dass  dies  aus  drei  Trompeten  und 
einem  Hörn,  oder  aus  zwei  Trompeten  und  zwei  Hörnern  bestand  und  dem 
entsprechend  giebt  es  auch  Tricinia  für  zwei  Trompeten  und  ein  Hörn. 


298  Triklir  —  Triemer. 

Triklir,  auch  Trickler,  Jean,  Violoncellist  und  musikalischer  Schrift- 
steller, geboren  im  Jahre  1750  zu  Dijon,  sollte  Greistlicher  werden,  widmete 
sich  aber  aus  Neigung  und  Talent  der  Musik,  insbesondere  dem  Studium  des 
Violoncello.  1765  ging  er  nach  Mannheim,  welches  damals  berühmt  durch 
sein  treffliches  Orchester  war,  blieb  dort  drei  Jahre  und  reiste  dann  nach 
Italien,  welches  er-  später  noch  zweimal  besuchte.  1783  trat  er  als  Violon- 
cellist in  die  kurfürstlich  sächsische  Kapelle  ein  und  stai'b  in  Dresden  am 
29.  Novbr.  1813.  Ausserordentlich  geschätzt  als  Virtuos  auf  seinem  Instrument, 
versuchte  er  sich  auch  als  Componist;  es  wurden  6  Concerte  und  6  Solos  von 
ihm  für  Violoncell  gedruckt.  Die  Musikaliensammlung  des  Königs  von  Sachsen 
besitzt  folgendes  Werk  von  ihm:  i>La  Microsco^ne  Musical.  Ouvrage  phyloso- 
geometrimusical  fonde  sur  lindiscorcldbilite,  invention  concourant  avec  le  present 
Systeme  a  la  perfection  de  la  musiquea.  Es  sollte  dies  ein  Mittel  sein,  alle  und 
jede,  sowohl  Draht-  als  Darmsaiten-Instrumente  bei  aller  Veränderung  der  Luft 
unverstimmbar  zu  erhalten.  Gerber  berichtet  darüber:  »Triklir  kam  damit  im 
Januar  1785  in  Gesellschaft  des  Herrn  Hennequin  zu  Dresden  zu  Stande,  Hess  die 
Güte  und  den  Werth  dieser  Erfindung  durch  die  Herren  Schuster,  Babbi,  Uhlig 
und  Caselli  untersuchen  und  ein  visum  repertum  darüber  ausstellen,  um  sich 
dessen  auf  einer  Reise  nach  England  und  Eranki'eich  zu  bedienen.  Man  kann 
über  diese  Sache  mehreres  in  dem  2.  Jahrgange  des  Cramerischen  Magazins, 
S.  499  und  829  nachlesen.  "VVo  man  auch  Nachi-ichten  von  den  Bemühungen 
des  Herrn  Jürgensen,  Instrumentenmachers  zu  Schleswig,  in  dieser  Sache  findet. 
Auch  schon  1765  soll  ein  Orgelmacher  zu  Paris,  Namens  Richard,  nach  dem 
Berichte  des  Lacassagne  in  seinem  ^Traite  des  Siemens  du  chaiita,  ein  ähnliches 
unverstimmbares  Instrument  erfunden  haben«.  Triklir's  Erfindung  hat  keinen 
Nutzen  gehabt;   dieselbe  ist  der  Vergessenheit  anheim  gefallen. 

Triebensee,  Joseph,  Virtuose  auf  der  Oboe,  ist  zu  Wien  gegen  1760  ge- 
boren. Unterricht  auf  der  Oboe  erhielt  er  von  seinem  Vater,  der  als  Bläser 
dieses  Instrumentes  beim  Theater  angestellt  war.  Albrechtsberger  ertheilte 
ihm  Unterricht  im  Contrapunkt.  1796  trat  er  in  die  Dienste  des  Prinzen 
Lichtenstein  als  Musikdirektor.  Von  seinen  Compositionen  sind  zu  erwähnen: 
»Der  rothe  Geist  im  Donnergebirge«,  1799  im  Schikaneder'schen  Theater  auf- 
geführt und  mit  Seyfried  gemeinschaftlich  coraponirt.  »Concert  für  die  Oboe«, 
in  Wien  1795  vom  Componisten  geblasen.  »Drei  Quartette  für  Oboe,  Violine, 
Alt  und  Bass«.  »Grosses  Quintett  für  Piano,  Clarinette,  englisch  Hörn,  Basett- 
horn«  (Wien,  Haslinger).  »Zwei  Quintette  für  Ciavier  u.  s.  w.«  Sonaten,  Va- 
riationen u.  s.  w.   (Wien,  Diabelli  und  Haslinger). 

Triebert,  Charles  Louis,  geboren  zu  Paris  am  31.  Octbr.  1810,  bildete 
sich  auf  dem  dortigen  Conservatorium,  als  Schüler  von  Vogt,  vornehmlich  als 
Oboenbläser  aus.  Er  erhielt  den  ersten  Preis  und  Hess  sich  nach  seinem  Ab- 
gange von  dieser  Schule  in  Paris  in  Concerten  hören.  Eine  von  ihm  compo- 
nirte  Fantasie  über  Themen  aus  Norma  für  die  Oboe  erschien  bei  Richault  in 
Paris.  Gleichzeitig  beschäftigte  ihn  die  Verbesserung  seines  Instrumentes,  und 
der  diesem  verwandten,  als:  engHsch  Hörn,  Fagott,  Bariton.  Er  gelangte  nach 
mühevollen  Versuchen  dazu,  eine  durchaus  verbesserte  Methode  der  Bauart 
dieser  Instrumente  aufzufinden.  Bei  der  Ausstellung  1855  erhielt  er  die  goldene 
Medaille.  Näheres  über  seine  Verbesserungen  giebt  Fetis:  y>Bapport  sur  les 
instruments  de  musique  mis  a  VexposiUon  imiverselle  de  Faris,  en   1855«. 

Triemer,  Johann  Sebald,  Violoncellist,  war  zu  Weimar  in  den  ersten 
Jahren  des  18.  Jahrhunderts  geboren,  vom  Kammerdiener  und  Musiker  des 
Grossherzogs  von  Weimar,  Eybenstein  aus  Erbach,  unterrichtet.  Er  erlangte 
soviel  Fertigkeit  auf  dem  Violoncell,  dass  er  mit  Beifall  eine  Kunstreise  durch 
Deutschland  unternehmen  konnte.  Er  lebte  dann  längere  Zeit  in  Hamburg 
und  in  Paris,  bereiste  Holland  und  lebte  dann  in  Amsterdam  und  starb  hier 
1762.  Gedruckt  sind  nur:  »Sechs  Sonaten  für  Violoncell  mit  Bass  continuov 
(Amsterdam,   1741). 


Trieraulus  —  Triller. 


299 


Trieraulus  (griech.)  war  bei  den  Grriechen  der  Flötenbläser,  der  den  Ruder- 
knechten auf  den  dreiruderigen   Schiffen  den  Tact  mit  der  Niglaros  angab. 

Triest,  Prediger  zu  Stettin  in  den  ersten  Jahren  des  19.  Jahrhunderts, 
hat  gute  Aufsätze  über  musikalische  Materien  in  der  »Leipziger  musikalischen 
Zeitung«  herausgegeben:  1)  »Ideen  zu  einer  metaphysischen  Entwickelung  der 
Lehren  vom  Takt  der  Musik«,  Jahrg.  III,  S.  3.  2)  »Bemerkungen  über  die 
Ausbildung  der  Tonkunst  in  Deutschland  im  18.  Jahrhundert«,  Jahrg.  III, 
S.  225—445.     3)    »Ueber  reisende   Virtuosen«,   Jahrg.   IV,   S.  736,   753,  769. 

Trig-onistria,  die  Spielerei  einer  Tischharfe. 

Trigonon,  ein  dreieckiges,  der  Harfe  ähnliches  Tonwerkzeug  der  alten 
Griechen,  das  bei  Athenäus  erwähnt,  und  mehrfach  auf  erhaltenen  Monumenten 
mit  und  ohne  Spielerinnen  abgebildet  ist.  Plato  im  8.  Cap.  »i>e  Hepubl.».  rechnet 
es  unter  die  vielseitigen  (polychorda)  Instrumente.  An  das  dreieckige  Psalte- 
rium,  ein  hackbretartiges  Instrument,  das  über  seinem  liegenden  Eesonanzkasten 
ebenfalls  viel  Saiten  hat,  ist  dabei  nicht  zu  denken,  obwohl  einige  Erklärer 
dieser  Meinung  waren. 

Trille-Labarre,  s.  Labarre. 

Triller,  Trillo,  Gruppo,  Groppo,  Tremhlement,  eine  sehr  gebräuch- 
liche Verzierung,  welche  durch  die  lange  Zeit  der  Entwickelung  der  Tonkunst 
bedeutende  Wandlungen  erfuhr.  Wir  begegnen  ihr  schon  in  der  frühesten 
Zeit  der  Entwickelung  des  Gesanges  innerhalb  der  christlichen  Kirche,  in  dem 
sogenannten  Quilisma  der  Neumenschrift  (s.  d.).  Dies  hiess  bekanntlich 
auch  Tremula,  weil  es  mit  vibrirender  Stimme,  gleich  dem  Tone  eines  Horns 
oder  einer  Trompete  vorgetragen  werden  musste.  (r>Est  vox  tremida:  sicut  est 
sonus  flatus  tubae  vel  cornu,  et  designatur  per  neumam,  qiiae  vocatur  Quilisma<i, 
B.  Engelbertus,  Lib.  II,  Cap.  29.)  Dass  diese  Gesangsweise  im  Beginn  des 
17.  Jahrhunderts  sich  zu  dem  seiner  Zeit  sogenannten  Trillo  herausgebildet 
hatte,  bestätigt  Giulio  Caccini  durch  die  seiner  Nuovo  mu siehe,  1601,  bei- 
gegebenen Gesanglehre.*)  Der  Triller  wurde  darnach  in  jener  Zeit  wie  nach- 
stehend ausgeführt;  den  Triller  in  unserem  Sinne  aber  bezeichnet  Caccini 
mit  Gruppo: 

Trillo.  (^T^x^vo^         , ^__ 


;4 


::r 


■'^^—•-d-«'4~*-4-*-^-*-ä-*-i—*-^-*- 


^—d — l-d 


^-it^^rf^i?i^i 


Daneben  lehrte  er  auch  die  Ausschmückung  solcher  Melismen  wie  unter  1)  in 
der  Weise  wie  unter  2)   als  Trillo: 


2)  Trillo. 


Prätorius  in  seiner  -aSyntagma  musicum«,  Tom  III,  pag.  146  ff.,  giebt 
über  das  Tremulo  nachfolgende  Auskunft: 

rtTremulo:  Ist  nichts  anders,  als  ein  Zittern  der  Stimme  vber  einer  Noten: 
Die  Organisten  nennen  es  Mordanten  oder  Moderanten: 

Tremulus  ascendens.  Descendens.  Tremoletti. 


— I— I — !■ 


£Öi^ 


ip^ 


^ — t-S-t — • 


^^S^S 


*)  Uebersetzt  von  K.  Kiesewetter:   „Schicksale   und  Begebenheiten  des  weltlicheu 
Gesanges",  Leipzig.  1841,  pag.  61  ff. 


300 


Trill 


er. 


Ynd    dieses    ist    mehr    vff  Orgeln  vnd    Instrumenta    pennata    gericMet    als    vff 
Menschenstimmen. 

Gruppo  vel  Groppi:    "Werden    in    den    Cadentiis    vnd  Clausulis  formalibus 
gebraucht  vnd  müssen  schärfFer  als  die   Tremoli  angeschlagen  werden: 


I       i        I tr~\—W-t- 


Die  Diminutiones,  so  nicht  gradatum  fortgehen,  sind  Trillo  vnd 

Fassaggio  Trillo:  Ist  zweyerley:  Der  eine  geschiehet  Unisono  entweder 
auff  einer  Linien  oder  in  Spatio;  wenn  viel  geschwinde  Noten  nach  einander 
repetirt  werden: 


Der  Andere  Trillo  ist  vff  vnterschiedene  Art  gerichtet.  —  Vnd  ob  zwar  ein 
Trillo  recht  zu  formiren  vnmöglich  ist  ausser  vorgeschriebenen  zu  lernen,  es 
sey  dann,  das  viva  Praecepforis  voce  et  ope  geschehe  vnd  einem  vorgesungen 
und  vorgemacht  werde,  damit  es  einer  vom  anderen,  gleich  wie  ein  Vogel  vom 
andern  observiren  lerne.  Dahero  ich  auch  noch  zur  Zeit  ausser  vorgedachtem 
Caccini,  in  keinem  Italienischen  Autore  dieser  Art  Trillen  beschrieben,  sondern 
allein  vber  die  Noten,  so  mit  einem  Trill  formiret  werden  sollen  t:  oder  tr: 
oder  tri:  übergesetzt  befinde:  Jedoch  habe  ich  etliche  Arten  allein  obiter 
mit  beyzusetzen  notig  erachtet,  damit  die  noch  zur  Zeit  vnwissende  Tyrones, 
nur  in  etwas  gehen  und  wissen  mögen  ohngefähr   wie  Trillo  genennet  werde« : 


Auch  Prätorius  lehrt,  wie  wir  hieraus  sehen,  noch  die  alte  Art  des  Trillo 
und  Gruppo.  Erst  bei  den  französischen  Clavier-Componisten  wird  das  Gruppo 
zum  Trillo  und  dies  in  seiner  ursprünglichen  "Weise  verschwindet  ganz.  Cou- 
perin  setzt  seinen  y>Pieces  de  Clavecinv.  (1713)  eine  y>Explication  des  Agre- 
ments« vor,  aus  der  wir  ersehen,  dass  er  mehrere  Gattungen  trillerartiger 
Figuren  unterscheidet: 


Signes. 


Schreibart. 


Ausführung. 


*= 


=r|: 


==l^ 


^ 


Pince  simple.  Pince  double 


Portdevoix' 
simple. 


Port  de  voix. 


Triller. 


301 


\ 


tr 


=^5: 


1 


Tremblement  continu. 


"Wie  man  hieraus  ersieht,  kennt  und  verwendet  Couperin  zwei  Arten  des 
Triller,  eine  Pince  bezeichnete  mit  der  unter  dem  Hauptton  liegenden  Hülfs- 
note  und  eine  zweite,  Tremblement  genannt,  bei  welcher  der  Hülfston  über 
dem  Hauptton  liegt.  Die  einfachen  Arten  beider  Verzierungen  werden  dabei 
wie  Vorschläge  behandelt,  so  dass  sie  dem  Hauptton  im  Grunde  nichts  von 
ihrem  "Werth  nehmen;  ebenso  wie  die  besondere  Art  des  Pince,  das  Porte 
de  voix.  Erst  das  Pince  continu  und  Tremblement  continu  lösen  die 
Hauptnote  auf,  und  für  die  letztere  Art  erst  hat  Couperin  das  Trillerzeichen. 
Der  Nachschlag  fehlt  dem  Couperin'schen  Tremblement  noch.  Dieser  wurde 
erst  durch  die  Verbindung  des  Trillo  mit  dem  Mordent  gewonnen,  wie  uns 
das  Clavier-Büchlein  von  "Wilhelm  Friedemann  Bach,  angefangen  in 
Cöthen,  den  22.  Januar  Ao.  1720  belehrt.  Dies  erläutert  in  der  »Explication 
vnterschiedlicher  Zeichen,  so  gewisse  Manieren  artig  zu  spielen  andeuten«, 
die  betreffenden  Verzierungen  in  nachstehender  Weise: 


r^     " 

\ 

■^ 

1— '^'^^ 11 

Ws  r        ^ 

P! 

1 

— f= 

*^     Trlllo. 

— — -t 

\ 1 \ 

Mordent. 

P~m-^ 

1 — 1 — 1 

^ — 1 

1 1 n 

Trillo  und  Mordent. 

j: ti=t=p=f_p_._p JJ 

Eine  besondere  Art  bildet  dann  der  Trillo  mit  Accent: 


-tr-n- 


1 


Accent 


Accent  Accent  Accent 

fallend,     und  Mordent.      und  Trillo. 


Accent 
vmd  Trillo. 


1^^^ 


Diese  AVeise,  den  Triller  nach  Art  des  Grruppo  mit  der  Hülfsnote  zu  be- 
ginnen, ihn  also  aus  dem  Vorschlage  zu  entwickeln,  wie  Couperin,  blieb  noch 
lange  darnach  die  einzig  übliche.  Marpurg  in  seiner  »Anleitung  zum 
Ciavier  spielen«,  pag.  53,  sagt  ausdrücklich:  »Der  Triller  nimmt  seinen  Ui-- 
sprung  aus  dem  angeschlossenen  Vorschlage  von  oben  nach  unten,  und  ist  folg- 
lich im  Grunde  nichts  anderes,  als  eine  Eeihe  in  der  grössten  Geschwindigkeit 
hinter  einander  (zwischen  der  jedesmaligen  Hauptnote)  wiederholter  fallender 
Vorschläge«.  Hierzu  meint  Türk  in  seiner  » Ciavier  schule«:  »Noch  ein 
subtilerer  Grund  wäre  vielleicht  dieser,  dass  bei  dem  Triller  eine  gleiche  Ab- 
theilung in  zwei  und  zwei,  oder  in  vier  und  vier  Noten  stattfindet,  wenn  man 
mit  dem  Hülfstone  anfängt,  da  im  entgegengesetzten  Falle,  wie  bei  b),  am  Ende 
ein  einzelner  Ton  übrig  bleibt,  der  in  rhythmischer  Hinsicht  störend  wäre«: 


a) 


b) 


— ( — t-A — I — I — 1—1 — I— 


,,->-,-*-,-p-,  II 


Auch  Leopold  Mozart  (Vater)  lehrt  in  seiner  Violinschule  noch  den  Triller 


ohne  Nachschlag: 


302 


Triller. 


-: *    r     >■  I ^-1      F    I F    I       P    I ^ 


F  r    F • 3 II 


Daneben  aber  auch  mehrere  Arten  »Auszierungen  zum  Schluss«  desselben.  Er 
sagt:  Eben  also  kann  man  den  Triller  entweder  plattweg  oder  mit  einer  Aus- 
zierung  schliessen: 

Z.  E,: 


„So  schliesset  man  am  gewöhn-  hy  u^    rr 
liebsten  und  natürlichsten."     ^^^^ — ^- 


jOder  mit  dem  Nachschlage."   : 


?ip£=gip=f3=Pj:f=p-r  f  F  ,—^11^:  j 


,,Ein  ausgezeichneter  Schluss." 


\r 


-r^KT^- 


=F=r-F- 


— I — I — \ — I — 


#-•— ö- 


5^ 


Hummel  war  wohl  der  erste,  der  in  seiner  grossen  »Ciavierschule«  lehrte, 
den  Triller  mit  der  Hauptnote  zu  beginnen.  Er  sagt  darüber  (pag.  386):  »§  3. 
Man  ist  hinsichtlich  des  Trillers  bisher  beim  Alten  stehen  geblieben,  und 
begann  immer  mit  der  obern  Hülfsnote,  was  sich  wahrscheinlich  auf  die  ersten, 
für  den  Gesang  entworfenen  Grundregeln  gründet,  die  späterhin  auch  auf  In- 
strumente übergegangen  sind.  Allein  wie  jedes  Instrument  seine  eigenthüm- 
liche  Spielart,  Applikatur  und  Lage  durch  die  Hand  hat,  so  hat  sie  auch  das 
Pianoforte,  und  es  ist  kein  Grund  vorhanden,  dass  dieselbe  Eegel,  die  für  die 
Kehle  gegeben  wurde,  zugleich  auch  für  das  Pianoforte  gelten  müsse,  und 
keiner  Verbesserung  fähig  sei.  §  4.  Zwei  Hauptgründe  bestimmen  mich  zur 
Aufstellung  der  Regel,  dass  jeder  Triller  im  Allgemeinen  von  der  Note 
selbst,  über  der  er  steht,  und  nicht  vom  obern  Hülfston,  ohne  besondere  An- 
merkung, anfangen  soll; 

a)  weil  die  Trillernote,  auf  die  gewöhnlich  eine  Art  Schlussnote  folgt,  dem 
Gehöre  eindringender,  als  die  Hülfsnote  sein,  und  das  Tongewicht  auf  das  Gute 
der  beiden  Tactglieder,  nämlich  die  Trillernote,  fallen  muss,  z.  B. : 


-S3- 


W-^ 


% 


-p=- 


tr 


tr 


II 


b)  weil  sich  Tonfolgen  beim  Pianoforte  anders  als  bei  andern  Instrumenten 
gestalten,  und  es  die  mit  der  Lage  unserer  Hände  übereinstimmende  Pinger- 
ordnung dem  Spieler  meist  bequemer  macht,  den  Triller  1)  von  seinem  Haupt- 
ton anzufangen,  als  2)  von  der  Hülfsnote,  wo  er,  um  den  Triller  von  oben 
herab  zu  machen,  oft  gezwungen  ist,  die  Hand  zu  erheben,  oder  auf  dieselbe 
Taste  einen  andern  Finger  einzuschieben,  z.  B.: 


Triller. 


303 


anstatt 


\ 


1^ 


'-ß-    ■»- 


^-- 


m 


-»-    -•- 1 — ■"#-. 


T^~,-^ 


^^^i^ 


Der  Triller  fängt  also  im  Allgemeinen  mit  der  Hauptnote  an,  und  endigt 
sich  stets  auch  mit  derselben  1);  soll  er  von  oben  oder  von  unten  anfangen, 
so  muss  dieses  durch  ein  Zusatznötchen  von  oben  oder  von  unten  bemerkt 
werden  2): 

2) 


tr- 


Ausführunor. 


I  !  I  i  '  I  M  !  I  I  1  n  I  I 


Hummel  knüpft  dann  weiter  die  ganz  entschiedene  Forderung  an:  §  6.  Jeder 
wahre  Triller  muss  einen  Nachschlag  erhalten,  wenn  er  auch  nicht  angemerkt 
ist;  gestattet  ihn  aber  die  Kürze  der  Trillernote  oder  die  nächste  Tonfolge 
nicht,  so  ist  er  kein  eigentlicher  Triller,  sondern  nur  eine  getrillerte  Note  zu 
nennen,  und  darf  nicht  mit  dem  ^r.-Zeichen  bezeichnet  werden.  Der  dem  Triller 
anzufügende  Nachschlag  besteht  aus  der  untern  Zusatz-  und  der  Trillernote 
selbst,  deren  Intervalle  entweder  einen  ganzen  oder  halben  Ton  ausmacht: 


tr- 


ll 


tr- 


t- 


Ganzer  Ton. 


I  I  ;  i  I  ;  j  1;  I  j  I  M  Ij— ■ 


-^^ 


E 


Er  ist  ebenso  schnell  wie  der  Triller;  nur  bei  einer  sogenannten  Hauptfermate, 
besonders  wenn  Begleitung  anderer  Instrumente  dabei  ist,  wird  er  langsamer  a), 
öfters  auch  noch  mit  verlängertem  Zusatz  b)  gemacht,  damit  die  Begleiter  den 
Schlussfall  in  den  Hauptton  desto  leichter  auifassen  und  mit  dem  Spieler  zu- 
gleich in  das  Tempo  oder  Tutti  fallen: 


Hummel   erwähnt   dann    auch   noch  eines  falschen  Nachschlags,  der  aber  selten 


mehr  gebraucht  wird: 


tr 


I 


-■=fi 


4 


-^1      I      !      I      I      I 


304 


Triller. 


Dieser  Anschauung  haben  sich,  als  die  entschieden  richtige,  die  meisten 
bedeutenden  Meister  des  Clavierspiels  angeschlossen.  So  führt  Moscheies, 
in  der  von  ihm  besorgten  Ausgabe  der  Sonaten  von  Beethoven,  den  Triller  in 
Noten  in  folgender  "Weise  aus: 

Sonate,  op.  31.    Xo.  1.     Adagio. 


W^- 


-^^P^^ 


^ 

^ 


3fr*?=e?*?^r»r3Te^zs:Mp— p-f^t: 


-ergg-  »rgr->-»"  >:^g 


• a*ä 

,t; 

^ — 


^---■o      P- 


^ 


:^^^=f^z 


Sonata  appassionata. 


:-iESEfe=±ti 


^=EEtE5EE^ 


-H»- 


I 1 »^ H- 


1«^ 


^gE^t^EEza^^_p=f=f.r.r--»=^^ 


5E^ 


-v^ 


^ 


-*-T 1 1 i i I 1 \ 1 ß 


=S- 


mm 


V       


ö?- 


^-=i; 


tr 


^^fe 


ftr 


^=^ 


];g=^^irtasgj3i;*^*^=a;^gj»j=*^i^: 


— I — F-l — F-i «-I — *-i — P-l — F-l — ^1 — W—\ — W-  I — W-i — P-f-fi» 

^ — ^ — ^__i.Mi 


illi 


S^ 


^-?-^ 


iSi: 


VI- 


=i^.=r 


<  £ 


?-p-  ^  -■-  .^  .^  ^ 
I — 


r  -^-     -r  ^  y       -^-     -A-     -^—     •■-     -^-         -K.     -^.     .A.     _^.     JL    -^*         vfi-     -^o     'S»     »0-'^ 


I 1 1 1 1- 


^ 


9S^ 


E^s 


In  ähnlicher  Weise  schreibt  auch  Liszt  den  Triller  aus  in  seinen  Aus- 
gaben, wie  in  dem  umstehend  verzeichneten  Beispiel  aus  Weber's  Sonate 
op.  49.*)  Auch  Hans  von  Bülow  folgt  demselben  Princip  in  der  von  ihm 
veranstalteten  Ausgabe  der  Beethoven 'sehen  Sonaten  (Verlag  der  Cotta"- 
schen  Buchhandlung  in  Stuttgart),  und  seitdem  dürften  nur  noch  wenige  Lehrer 
und  Ciavierspieler  sein,  welche  den  Triller  mit  der  Nebennote  beginnen. 


*)     C.  M.  von  Weber's  Ciavierwerke.     Herausgegeben  von  Franz  Liszt  (Stutt- 
gart, Cotta). 


Triller. 


305 


Weber,  Sonate,     op.  49. 
tr 

=1: 


S^^i 


^1=^ 


tr 


-8.A- 


f=^ 


-7^ 


aiiaiiTt 


-'-^'V-^ 


^^ 


fr»- 


^ 


^ 


!      ,^  I    i    I    I    I    i       I    I    I    ,    I 


Soll  der  Triller  mit  der  Hülfsnote  beginnen,  so  muss  dies  durcli  die  be- 
treffende Vorschlagsnote  angezeigt  werden,  wie  in  obigem  Beisj)iel  aus  der 
Sonata  appassionata  oder  dem  folgenden  aus  der  ^-t/wr-Sonate: 

tr  ^ ^  -^— tr 


* 


S 


S;?B33^E3 


—  m — '-• — a  - 


=4= 


1  ^    I 


I ' 1  I  'i Ll-L I 


M 


'-^m-^^i^i 


Länger  nocb  als  in  der  Instrumentalmusik  behielt  der  mit  der  Hülfsnote 
beginnende  Triller  beim  Gesänge  die  Herrschaft.  Der  Triller  auf  der  Schluss- 
cadenz  aber,  dem  eine  sogenannte  Rihattuta  (s.  d.),  von  der  auch  schon  Caccini 
spricht,  vorausging,  wurde  mit  der  Hauptnote  begonnen: 


tr 


_pj r 


-4- 


Ausführung. 


^ 


Sonst  giebt  die:  »Singschule  des  Conservatoriums  der  Musik  in  Paris« 
(nMethode  de  CJiant  de  Conservatoire  de  Mtisique  ä  Paris«)  die  Ausführung  des 
Trillers  in  folgender  "Weise  an: 

tr  tr 


S-- 


ti^' 


m 


Ausführung. 


«ri« 


--t: 


T:±;tttl= 


•••«•*•<-•••«•••-*  jj:Jr* 


^=:i 


Andre  Art  der  Ausfiihrnng. 


Musikal,  ConTer3.-LexikOD.    X. 


20 


306 


Trillerkette  —  Trinciavelli, 


In  besondern    Fällen    kommt   indess  auch  nach  dieser  Methode  der  Triller  mit 
-dem  Hauptton  beginnend  zur  Anwendung: 


-ß- 


-S^' 


-Ö-.J 


-t= 


Ausführuno'. 


=;5^f£^i^=^ 


:f^*^^^^f::fc: 


Die  Meister  und  Lehrer  des  italienischen  Gesanges,  wie  auch  noch  Grarcia 
in  seiner  grossen  Gesangschule,  halten  an  dieser  Methode  fest.  In  Deutschland 
ist  man  in  neuerer  Zeit  der  andern  Praxis  gefolgt,  nach  welcher  der  Triller 
mit  der  Hauptnote  beginnt.  Nur  in  Betreff  des  Nachschlags  verfährt  man 
meist  abweichend,  indem  man  ihn  langsamer  und  mit  einem  Ruhepunkt 
construirt: 

■tr      ^ 


Doch  wird  auch  der  Nachschlag  häufiger  in  der  Weise  des  Instrumentaltrillers 
ausgeführt  (s.  Verzierungen). 

Trillerkette,    ital.:    Catena  di  trilli,    eine  Folge  von  Trillern,  auf-  oder 


absteigend  auf  verschiedenen  Tönen: 


tr       tr 


Hierbei  ist  es  meist  von  äussern  Umständen  abhängig  und  dem  Ausführenden 
überlassen,  ob  jeder  Triller  einen  Nachschlag  haben  soll.  So  giebt  Liszt  für 
die  Ausführung  der  Trillerkette  in  Weber 's  erster  Sonate  zwei  Weisen  an: 

Entweder:  _  l. 


:£*22ti2S!!*r=^?söif' 


Trillo,  s.  Triller. 

Trillo  capriuo,  Bockstriller,  auch  Geisstriller  genannt,  wie  in  Leopold 
Mozart's  Yiolinschule,  Spottname  für  einen  nicht  mit  der  nöthigen  Rundung 
und  Fertigkeit,  sondern  steif  und  meckernd  ausgeführten  Triller. 

Triuieles,  ein  Lied  der  Griechen,  das  mit  Begleitung  der  Flöte  gesungen 
wurde.  Angeblich  bestand  es  aus  drei  Strophen,  von  denen  die  erste  in  der 
dorischen,  die  zweite  in  der  phrygischen  und  die  dritte  in  der  lydischen 
Tonart  gesungen   wurde, 

Triuciavelli,  Jacopo,  Compouist,  gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts 
zu  Buggiano    di  Valdimievola  im    Toscanischen  geboren,   kam  jung  nach  Rom, 


Trinklied  -  Trio.  307 

wo  er  auch  Musik  studirte  und  war  gegen  1620  Sänger  an  St.  Griov.  de  Latran. 
Er  veröffentlichte;  -»Musiche  spirituali  a  3  voeiv.  (Roma,  per  Luca  Antonio  Soldi, 
1620,  in  4"). 

Trinklied,  ein  Lied  fröhlichen  Charakters  zum  Lobe  des  "Weins,  das  beim 
festlichen  oder  auch  nur  fröhlichen  Mahle  gesungen  wird.  Seit  Anacreon 
haben  die  Dichter  neben  der  Liebe  auch  den  Wein  begeistert  besungen  und 
die  Tondichter  sind  ihnen  gern  auf  das  Grebiet  gefolgt.  Es  gab  eine  Zeit,  in 
welcher  der  komischen  Oper,  wollte  sie  auf  Erfolg  rechnen,  ein  Trinklied  nicht 
fehlen  durfte,  und  selbst  die  tragische  Oper  hat  ihm  wiederholt  ihre  Pforten 
geöffnet. 

Trio,  eigentlich  jedes  Tonstück  für  drei  selbständige  Stimmen,  wie  Tri- 
cinium  oder  Terzett,  doch  verbinden  wir  jetzt  ganz  entschieden  bestimmtere 
Bewrifle  damit,  die  indess  alle  auf  den  Ursprung  hinweisen.  "Wir  nennen  jetzt 
die  Sonate  für  drei  Stimmen:  Trio,  ebenso  wie  wir  für  die  zu  vier  Stim- 
men die  Bezeichnung  Quartett,  für  die  zu  fünf  Stimmen  Quintett  u.  s.  w. 
adoptirt  haben.  An  der  Form,  wie  unter  dem  Artikel  Sonate  nachgewiesen 
ist,  wird  nichts  geändert,  dort  ist  dargethan,  dass  nur  der  Inhalt  ein  bedeut- 
samerer werden  muss,  mit  der  anwachsenden  Zahl  von  Personen,  die  sich  zur 
Ausführung  der  Sonate  vereinigen.  Dort  wurde  auch  bereits  angeführt,  dass 
die  Sonate  zu  drei  Instrumenten  sich  vorwiegend  als  Kammermusik  ent- 
wickelte, als  Solostücke  für  die  in  den  Privatzirkeln  der  Fürsten  wirkenden 
Tonkünstler.  Daher  wurden  im  vorigen  Jahrhundert  solche  dreistimmige  So- 
naten für  alle  Instrumente,  die  eine  selbständige  Ausbildung  gewannen,  für 
Oboen,  Flöten,  Violinen  u.  A.,  mit  begleitendem  Bass  geschrieben.  Diese 
Zusammenstellung  finden  wir  noch  bei  Beethoven,  der  Trios  für  zwei  Violinen 
und  Bratsche,  für  Violine,  Bratsche  und  Cello,  und  für  zwei  Oboen  und  Englisch 
Hörn  componirte.  Als  das  Ciavier  dann  allmälig  die  ausserordentliche  Ver- 
breitung und  die  grosse  Bedeutung  für  die  Hausmusik  gewann,  wurde  dies 
auch  hauptsächlich  für  diese  verschiedenen  Formen  herangezogen  und  neben 
dem  Quartett  für  Streichinstrumente  wurde  jetzt  das  Trio  für  Pianoforte, 
Violine  und  Violoncello  die  am  eifrigsten  von  unsern  Meistern  gepflegte 
Form.  Anfangs  wurde  sie  noch  Sonata  a  tre  genannt,  allein  weil  das  Ciavier 
wohl  für  ein  Instrument  gilt,  aber  nicht  auch  für  eine  einzige  Stimme,  so  war 
es  ganz  natürlich,  dass  man  bei  dieser  Zusammenstellung  die  Bezeichnung  a  tre 
als  für  drei  Stimmen  aufgab,  und  die  »Trio«,  als  für  drei  Instrumente,  wählte. 
Unter  diesem  Namen  ist  diese  Form  von  den  grossen  Bleistern,  seit  Haydn, 
von  Mozart,  Beethoven,  Schubert,  Mendelssohn,  Schumann  u.  A. 
eifrig  gepflegt  worden.  Die  Form  ist  schon  früher  unter  dem  Artikel  Sonata 
behandelt  worden.     Eine  besondere  Art  des  Trio,  das 

Trio  für  Orgel,  wurde  durch  die  äussere  Construktion  der  Orgel  hervor- 
gerufen. In  den  beiden  Manualen  und  dem  Pedal,  welches  die  einigermaassen 
grössern  Orgeln  besitzen,  und  die  selbständig  zu  registriren,  d.  h.  mit  selbstän- 
digen Stimmen  zu  versehen  sind,  ist  die  Möglichkeit  einer  durchaus  polyphonen 
Führung  der  Stimmen  geboten,  und  so  entstand  in  dem  Orgeltrio  ein  aus  drei 
durchaus  selbständigen  Stimmen  gebildeter  Orgelsatz,  der  die  Form  des  Prälu- 
dium, des  figurirten  Choral,  des  Fugato  u.  s.w.  annahm.  Bach's  »Sechs 
Orgelsonaten  für  zwei  Claviere  und  Pedal«  sind  durchweg  als  Trios 
gehalten  und  Muster  der  Form.     Endlich  ist  noch  das 

Trio  beim  Walzer,  dem  Marsch,  der  Menuett  und  dem  aus  ihr  hervor- 
treibenden Scherzo  zu  erwähnen,  das  als  besonderer  Satz  dieser  Formen  be- 
handelt wird.  In  der  Zeit  der  frühen  Entwickelung  der  Instrumentalformen, 
als  die  Nothwendigkeit  des  Princips  des  Contrastes  immer  lebendiger  wurde, 
machte  sich  dies  auch  in  diesen  Formen  äusserlich  geltend.  Es  lag  zu  nahe, 
dem  mehr  der  äussern  Bewegung  dienenden  ersten  Tanzsatz  einen  zweiten 
gegenüber  zu  stellen,  welcher  der  Empfindung  mehr  zum  Ausdruck  dient,  die 
ja  weder    beim    Tanz    noch    beim  Marsch  unbetheiligt  bleibt.     Während  der 

20* 


308  Triole  —  Triomphant. 

erste  Theil  hauptsäcUicli  darauf  berechnet  ist,  die  Bewegung  der  Massen  zu 
leiten,  giebt  der  zweite  Theil,  das  »Trio«,  zugleich  der  Stimmung  dieser 
Massen  Ausdruck.  Die  wehmüthige  Abschiedsstimmung  erzeugt  in  der  Regel 
das  Marschtrio,  das  sehnsüchtige  Verlangen  nach  Yereinigung  der  Liebenden 
das  "SValzertrio.  Damit  gewinnt  dies  eine  mehr  gesangliche,  liedmässige 
Fassiing;  der  E-hythmus  des  Marsches  und  Tanzes  bleibt  natürlich  unverändert, 
aber  sein  Charakter  wird  weicher,  indem  die  getragene  Melodie  die  Oberhand 
gewinnt.  Ganz  folgerichtig  wird  für  das  Trio  auch  eine  andere  Tonart  ge- 
wählt, die  aber  mit  der  Haupttonart  in  möglichst  naher  Verbindung  steht.  Es 
sind  dies  zunächst  die  Dominanten,  die  Ober-  und  Unter  dominant,  für  die 
Durtonart;  dann  aber  auch  die  Medianten.  Für  die  Molltonart  sind  es 
hauptsächlich  die  Medianten,  welche  gern  als  Tonart  zum  Trio  gewählt  werden. 
Dass  dem  Trio  wieder  der  erste  Theil  folgt  und  meist  eine  Coda  das 
ganze  Stück  abschliesst,  ist  an  den  betreffenden  Orten  schon  gezeigt  worden. 
Der  modernen  Romantik  genügte  dies  eine  Trio  nicht  zur  Darstellung  ihres 
lebendigem  und  mannichfaltigern  Inhalts.  Der  Ausdruck  der  Klage  und  des 
Schmerzes  ist  sehr  vielfältiger  Natur,  er  kann  resignirt  in  sich  verharrend 
sein,  oder  aber  in  wilder  Leidenschaftlichkeit  ausbrechen  und  dieser  Anschau- 
ung giebt  Schumann  in  seinen  beiden  Trios  Ausdruck,  wie  in  seiner  B-dur- 
Sinfonie,  im  -Es-^^wr- Quintett,  in  der  C-dur-Sinionie  u.  s.  w.,  in  denen 
dem  Scherzo  zwei  Trios  beigegeben  sind,  welche  die  Stimmung  mehr  gegen- 
sätzlich fassen;  das  eine  dient  dem  Ausdruck  der  heissesten  Sehnsucht,  sanfter 
Klage,  es  ist  von  süsser  Schwärmerei  durchglüht.  Das  andere  aber  erhebt  sich 
dann  meist  zu  wilder  Leidenschaft,  und  steigert  sich  oft  bis  zu  »irren  Traumes- 
wirren«. In  diesem  Sinne  hat  das  Trio  bei  den  modernen  Meistern  grosse 
Bedeutung  gewonnen  für  den  treuesten  Ausdruck  der  Stimmung  und  auch  bei 
den  modernen  Tänzen  ist  es  ein  besonders  sorgfältig  ausgeführter  Satz  gewor- 
den, seitdem  "Weber  in  seiner  »Aufforderung  zum  Tanz«  und  Schubert  in 
seinen  Tänzen  die  Gremüths-  und  Empfindungsseite  so  hervorkehrten. 

Triole,  die  bekannte  rhythmische  Figur,  welche  aus  der  Theilung  eines 
Zeitwerths  in  drei,  anstatt,  wie  allgemein  üblich,  in  zwei  gleiche  Theile  ent- 
steht. Bekanntlich  wird  die  Ganze  Note,  in  Halbe,  Viertel,  Achtel,  Sech- 
zehn theil  u.  s.  f.,  immer  durch  die  Zwei  weiter  getheilt.  Die  Dreitheilung 
des  Tacts,  die  bei  der  ersten  Entwickeliing  des  Tactwesens  die  bevorzugte  war, 
musste  dazu  führen,  auch  die  einzelne  Note  durch  drei  zu  theilen  und  so  ent- 
stand die  Triole,  aber  ohne  dass  diese  Theilung  zu  einem  besonders  rhyth- 
mischen System  geführt  hätte: 


F^ 

— ^ — ^—  ^ — 1 

— • — « — • — 

— •-•-•— 

-.-.=S=: 

.-•^«      STiTi-: 

1 1 — 1 — i i — i — i 

0     •-•            0     0     0-       - 

h^^ 

Hierbei  ist  zu  bemerken,  dass  die  ursprüngliche  Bezeichnung  als  Viertel  und 
Achtel  u.  s.  w.  beibehalten  wird  mit  dem  Zusatz  Triole:  Achtel-Triole, 
Sechzehn teltriole  u.  s.  w.  Eine  eigene  rhythmische  Weitergestaltung  findet 
diese  "Weise  im  Grunde  in  den  dreitheiligen  Tactarten,  dem  ^U-  und  ^/s-Tact 
und  deren  Zusammensetzung;  der  ^/4-Tact  erscheint  darnach  als  ein  in  Triolen 
dargestellter  Tact  mit  halben  Schlägen;  der  '^/4-Tact  als  ein  ''/2-Tact,  der  ^/s- 
als  ein  ^/4-Tact  u.  s.  w.  Bei  raschem  Tempo  werden  sogar  der  ®/s-,  namentlich 
aber  die  weiter  zusammengesetzten  Tonarten,  der  ®/8-  und  ^^/s-Tact  so  be- 
handelt. Der  Dirigent  zählt  2,  3  oder  4  Schläge  (als  Viertel)  und  die  Achtel 
erscheinen  dann  als  Triolen: 


8    \  '  I  li    8     i  i  i  I 

1.  2.  3.  1.  2.  3.  4. 

Triomphaut  (franz.)  und 


Trionfante  —  Triple  de  9  pour  4.  309 

Trioufaute  (ital.),  Yortragsbezeiclmung  =  triumphirend,  singend,  im 
Vortrage  feurig,  gewichtig. 

Tripedisouo,  ein  von  Aguado  in  Paris  erfundener  Guitarrehalter. 

Tripelfng'e,  eine  Fuge  mit  drei  Subjekten  —  drei  Themen.  Nach  der  all- 
gemeinen Idee  der  Form  wird  erst  jedes  Thema  einzeln  in  je  einer  Durch- 
führung verarbeitet,  so  dass  der  eigentlichen  Tripelfuge,  in  welcher  alle  drei 
Themen  zusammen  auftreten,  drei  Durchfühi'ungen  vorausgehen.  Bach 's  leider 
unvollendet  gebliebene  Tripelfuge,  welche  der  »Kunst  der  Fuge«  beigefügt  ist, 
hatte  noch  eine  erweitertere  Anordnung.  Zuerst  werden  zwei  Themen,  jedes 
für  sich  zu  ziemlich  ausgeführten  Fugen  verarbeitet  und  dann  zu  einer  Doppel- 
fuge zusammengefasst.  Darauf  wird  das  dritte  Thema  über  den  Namen  Bach 
wieder  selbständig  und  ausführlich  bearbeitet.  Hiermit  aber  bricht  die  Fuge 
ab.  In  der  Hegel  beginnt  man  mit  der  gleichzeitigen  Verarbeitung  zweier 
Themen,  also  mit  einer  Doppelfuge  u.nd  führt  dann  das  dritte  entweder  in 
einer  selbständigen  Verarbeitung  oder  gleich  in  Vereinigung  mit  beiden  aus. 
Die  erstere  Form  finden  wir  in  einer  C  an  täte  Bach's,  welcher  er  später  den 
Text  zur  Messe  unterlegte,  und  so  ist  sie  als  G-dur-Messe  bekannt  geworden. 
Der  Chor:  »Siehe  zu,  dass  deine  Gottesfurcht  nicht  Heuchelei  sei«,  in  der  Messe 
das  yiKi/rief.  und  t>Qhriste  eleisona  ist  zugleich  dadurch  bemerkenswerth,  dass 
er  Anfangs  eine  sogenannte  Gegen  fuge  bildet.  Der  Bass  hebt  mit  dem 
Führer  an,  und  der  Tenor  antwortet  in  der  Gegenbewegung;  mit  dieser  Ant- 
wort tritt  aber  auch  als  Contrapunkt  (zu  den  Worten:  »und  diene  Gott  nicht 
mit  falschem  Herzen«)  das  zweite  Thema  ein,  und  da  es  ebenso  festgehalten 
wird,  wie  das  erste,  so  ist  die  Fuge  hier  schon  zur  Doj)pelfuge  geworden. 
Darauf  wird  das  dritte  Thema  mehr  canonisch  als  fugirt  in  einem  Zwischensatz 
verarbeitet,  worauf  das  erste,  später  in  Verbindung  mit  dem  zweiten  wieder 
herrschend  wird,  gegen  den  Schluss  hin  dann  wieder  das  dritte  allein  und  mit 
dem  ersten  vereinigt.  "Wie  alle  künstlichen  Formen  hat  auch  die  Tripelfuge 
nur  untei'geordneten  Werth,  wenn  sie  nur  der  Lust  an  der  Ueberwindung 
selbstgeschaffener  Schwierigkeiten,  oder  der  eitlen  Sucht  technisches  Geschick 
zu  zeigen  dient;  an  der  rechten  Stelle  aber  kann  sie  die  einzige  Form  zur  ent- 
sprechenden Darstellung  der  Massenempfindung  in  höchster  charakteristischer 
Verfeinerung  werden,  wenn  eben  alle  drei  Themen  aus  einer  Gesammtstimmung 
hervortreiben  und  dann  jedes  einzelne  diese  in  anderer  Weise  erfasst  und  dar- 
legt und  die  besondern  Durchführungen  diese  entsprechend  weiter  führen. 

Tripeluoteu  heissen  die  Haupttacttheile  des  ungeraden  Tacts;  der  einfache 
engl.:  Simple  Triple  time  ^/2,  ^/i,  ^/s ;  der  zusammengesetzte:  Compound  T.  i. 
^/s,  ^/i  u.  s.  w. 

Tripeltact,  Tripola,  Tripla,  heisst  der  aus  drei  Gliedern  von  gleichem 
Werth  zusammengesetzte  Tact  (s.  d.). 

Triphou,  ein  Saiteninstrument  in  aufrechtstehender  Flügelform,  1810  von 
Meidner  in  Frankfurt  erfunden.  Die  den  Ton  erzeugenden  Tasten  sind  Stäbe 
vom  härtesten  Holz;  die  tiefste  Basstaste  ist  etwa  12,  die  höchste  6  Zoll  lang, 
sie  sind  so  an  die  Saiten  in  horizontaler  Lage  angesetzt,  dass  diese  in  darin 
befindlichen  Einschnitten  eingeklemmt  wei'den.  Der  Spieler  bedient  sich 
lederner  Handschuhe,  die  an  den  Fingerspitzen  mit  gepulvertem  Geigenharz 
(Colophonium)  bestrichen  sind.  Indem  er  damit  die  Stäbe  reibt  in  der  Rich- 
tung von  den  Saiten  nach  seinem  Sitze,  entstehen  die  hohem  flötenartigen  und 
die  tiefern  violoncellähnlichen  Töne.  Das  Instrument  hiess  als  Holzinstrument 
auch  Xylophon  oder  Xylorganon. 

Triplum,  in  der  älteren  Musik  der  Name  für  den  Sopran;  der  Tenor 
war  die  Hauptstimme  (s.  d.),  zu  dem  dann  der  Alt  als  die  höhere  Stimme  und 
dann  der  Sopran  als  dritte  Stimme  (Triplum)  hinzukommen. 

Triple  de  9  pour  4,  Xeiif  q^iiatre,  Nonupla  di  Semiminime,  Dupla 
Sesqiiiquarta,  der  Neunvierteltact. 


310  Triple  de  9  pour  8  —  Tritonshorn. 

Triple  de  9  pour  8,  Neuf  Imit,  Nonupla  di  crome,  Sesq^uiottava, 
der  Neunachteltact. 

Triple  de  6  pour  4,  Six  quatre,  Sestupla  di  Semiminime ,  Super- 
hipartieiite  quarta,  der  Sechsvierteltact. 

Triple  de  6  pour  8,  Six  huit,  Sestupla  di  crome,  Superbipartiente 
sesta,  der  Sechsachteltact. 

Triple  de  12  pour  8,  Douze  huit,  Dodupla  oder  Bosdupla  di  erome, 
Super quadripariiente  ottava,  der  Z wölfachteltact. 

Triple  de  12  pour  16,  Douze  seize,  Docedupla  oder  Bosdupla  di  Semi- 
crome,  Suisuperhipartiente   duodecima,  der  Zwölfsechzehnteltact. 

Tripola  Croinetta  oder  ottina,  Tripola  di  crome,  Triple  de  croches, 
de  trois  pour  huit  oder  Trois  huit,  Proportio  suhdupla  superhipartiens 
tertias,  der  Dreiachteltact. 

Tripola  mag-giore,  Tripla  major,  Triple  majeur  oder  Trois  tm,  der 
grosse  Tripeltact  =  drei  Ganze  Tactnoten  oder  deren  Werth  ent- 
haltend. 

Tripola  minor,  Tripla  minor,  Triple  double,  Triple  des  Blanches, 
Trois  deux,  Proportio  sesquialtera,  der  Drei -Halbetact,  aus  drei 
halben  Noten  oder  deren  Werth  bestehend. 

Tripola  picciola,  Triple  de  Ifoires,  Petit  Triple,  Triple  de  trois 
pour  quatre,  Proportio  subsesquitertia,  der  Dreivierteltact. 

Tripola  semi  crometta  oder  di  Semicrome,  Triple  de  doubles-croches 
oder  Trois  seize,  der  Dreisechzehnteltact. 

Trippenbach,  Martin,  ein  Franziskanermönch  und  Organist  zu  Coblenz 
um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts,  liess  zu  Nürnberg  1740  eine  Sammlung 
seiner  Ciavierstücke  drucken:  »Musikalisches  Vergnügen  nach  dem  Geschmack 
jetziger  Zeiten,  bestehend  in  drei  Clavierpartien«. 

Triseinitonium  (lat.)  =  drittehalber  Ton,  Bezeichnung  der  kleinen  Terz. 

Trite,  der  Name  des  zweiten  Tons  jedes  der  drei  obern  Tetrachorde  im 
sogenannten  vollkommenen  oder  unveränderlichen  System  der  Griechen  (siehe 
Griechische  Musik,  System  und  Tetrachord). 

Trite  Diezeugmenon,  Tertia  divisarum,  der  Ton  c^  im  Tetrachord  Z)?e2;eMy- 
menon  oder  Divisarum. 

Trite  Hyperbolaeon,  Tertia  cxcellentium,  der  Ton  f-^  im  Tetrachord 
Syperbolaeon  oder  Excellentium. 

Trite  Syuemmenou,  Tertia  conjunctarum,  der  Ton  5  im  Tetrachord 
Synemmenon  oder  Conjunctarum. 

Tritonus,  Tritono,  die  aus  drei  Halbstufen  bestehende  übermässige  Quart: 
f—g — a  —  Ä,  die  ihrer  melodischen  Härte  wegen  aus  dem  altern  Kirchengesange 

verpönt  war  und  auch  in  der  neuern  Zeit  noch  mit  Vorsicht  eingeführt  werden 
darf  (s.  Querstand,  Tonart  u.  s.  w.). 

Ti'itouius,  Petrus,  auf  jeden  Fall  der  lateinisirte  Name  eines  deutschen 
Contrapunktisten,  der  zu  Augsburg  im  Anfange  des  16.  Jahrhunderts  lebte. 
Eines  seiner  Werke,  aus  der  Druckerei  von  Ehrhardt  Oglin  hervorgegangen, 
gehört  zu  den  ersten  in  Kupfer  gestochenen  Notenwerken.  Die  Noten  sind  auf 
fünf  Linien  gedruckt,  der  Diskant  und  Tenor  stehen  auf  der  einen,  Alt  und 
Bass  auf  der  andern  Seite.  Das  Werk  enthält  22  Stücke,  zu  denen  einige  der 
Verse  aus  dem  Horaz  entnommen  sind.  Der  Titel  des  Werkes,  in  Form  eines 
Bechers  gedruckt,  lautet:  nMelopoiae  seu  harmoniae  tetracenticae  super  XXII 
yenera  carminum  heroicor.  elegiacor.  lyricor.  et  ecclesiasticor.  hymnor.  per  P.  Tri- 
tonium  et  alias  doctos  sodalitatis  literariae  nostrae  Musicos  secundum  naturas  et 
tempora  sylldbarum  et  pedum  eompositi  et  regulati,  ductu  Chunrandi  Celtis  foeli- 
eiter  impressai  (Impressum  Augusta  Vindelicorum,  ingenio  et  industria  Er- 
hardi  Oglin,   1507,  in  Fol.).     Das  Werk  ist  bereits  sehr  selten. 

Tritoushorii    (Murex    tritonis  L.),    eine    Schneckenart,    zur   Familie  der 


Trittharfe  —  Trojano,  311 

BJydrobrancJiien  gehörig,  deren  bauchiges,  längliches    Gehäuse   von   den   Südsee- 
Insulanern    als    Trompete    oder    Signalhorn    im    Kriege    gebraucht   wird.     Das 
Tritonshorn   hat    einen    aussergewöhnlich  starken  Ton  und  wurde  deshalb  auch 
von  den  alten  Römern  in  ihren  Kriegen  zu  gleichen  Zwecken  verwendet. 
Trittliarfe,  s.  v.  a.  Pedalharfe,  s.  Harfe. 

Tritto,  Dominico,  Sohn  des  nachstehend  Genannten,  und  von  diesem  in 
der  Composition  unterwiesen,  machte  sich  als  dramatischer  Componist  bekannt 
durch  die  Opern:  >->ZeUnda  e  Rodrigov,  opera  semi  seria,  in  zwei  Akten.  r>La 
Parola  d^onore«,  ein  Akt,   1815.     -nJl  Trionfo  di  Trajano«,  op.  seria,  1818. 

Tritto,  Giacomo,  italienischer  Operncomponist,  geboren  im  Jahre  1734 
(nach  Einigen  1732)  zu  Altamura  in  der  Provinz  Bari  im  Königreiche  Neapel, 
trat  11  Jahre  alt  in  das  Conservatorium  della  Pietä  de'  Turchini  zu  Neapel 
und  widmete  sich  zuerst  dem  Violoncellspiele,  woi'auf  er  in  der  Composition 
von  dem  berühmten  Cafaro  Unterricht  erhielt.  Nach  dem  Tode  Cafaro's  (1787) 
schien  er  sein  wirklicher  Nachfolger  werden  zu  sollen,  doch  die  Stelle  erhielt 
der  von  Eussland  heimgekehrte  Paisiello.  Endlich  wurde  er  im  Jahre  1799 
zum  Professor  der  Harmonielehre  am  Conservatorium  della  Pietä,  dann  nach 
dem  Tode  des  Contrapunktisten  Nie.  Sala  (1800)  zum  Professor  der  Compositions- 
lehre  und  endlich  vom  König  zum  Kapellmeister  ernannt.  Tritto  beschäftigte 
sich  viel  mit  Componiren  für  die  grössten  Theater  Italiens,  sowie  für  die 
Kirche.  Von  seinen  zahlreichen  Opern  sind  die  besten:  t>II  Principe  riconos- 
ciutod  (1780),  »Xa  scuola  degli  amantia  (1781),  »ia  vergme  del  sole«  (1787), 
y>La  prova  reciproca<i  (1789),  y>Ginevra  di  Scozia«  und  »GH  Americani«,  t>Ar- 
minico'i,  »/  S,agiri  scoperti«,  r>Cesare  in  Egittoi.  Seine  vorzüglichsten  Kirchen- 
compositionen  sind:  1  Messe  für  8  Realstimmen  und  2  Orchester;  ein  vier- 
stimmiges Credo;  1  Beatus  vir  und  1  Miserere  für  2  Chöre.  In  den  letzten 
Jahren  (1821)  erschienen  von  ihm  in  Mailand  im  Drucke:  y>Partimentioi  (General- 
bassbeispiele) und  eine  y>Scuola  di  Contrappunto<i  (Mailand,  1822).  Tritto  war 
als  ein  sehr  rechtlicher  Mann  allgemein  geachtet  und  starb  am  17.  Septbr.  1824 
in  Neapel. 

Trittschuh,  bei  Kastenbälgen  der  Eing,   in   welchen    der  Calcant  (Balgen- 
treter)  den  Euss  steckt,  um  den  Balg  wieder  aufzuziehen. 
Tritus,  der  dritte  Kirchenton,  F  lydisch,  s.  Tonart. 

Trochaeus,  ein  metrischer  Fuss  aus  einer  langen  und  darauf  folgenden 
kurzen  Silbe  bestehend —  ^>-^,  s.  Versfuss. 

Trössler,  Bernhard,  Hess  sich  gegen  1806  in  Paris  als  Lehrer  nieder 
und  starb  dort  1828.  Er  veröffentlichte  zwei  Unterrichtsbücher:  1)  y>Traite 
general  et  raisonne  de  musique  dedie  ä  la  memoire  de  Gluck,  Saydn  et  Dussechn 
(Paris,  chez  l'auteur,  1825,  in  4°,  130  p.).  2)  -uTraite  d^harmonie  et  de  modu- 
lation  Selon  les  six  mouvements  de  la  hassest  (Paris,  Pleyel,  in  Fol.). 

Trofeo,  Roger,  Kapellmeister  der  Kirche  de  la  Scala  zu  Mailand  gegen 
Ende  des  16.  Jahrhunderts,  veröffentlichte:  y>Canzonnette  a  sei  voeiv,  lib.  I  (Ve- 
nedig, 1589,  in  8").  y^Canzonette  a  tre  con  alcune  di  Giov.  Domenico  Sognone« 
(in   Milano). 

Trois  (leux,  der  */2-Tact. 
Trois  huit,  der  ^s-Tact. 
Trois  quatre,  der  ^/4-Tact. 
Trois  seize,  der  '/le-Tact. 
Trois  nn,  der  ^/i-Tact. 

Trojano,  Anton,  lateinisch  Trojanus,  bekannt  durch  eine  vierstimmige 
Motette:  -aJuMlate  Deo  omnis  terraa,  welche  sich  im  dritten  Bande  der  von 
Tylman  Susato  1547  zu  Antwerpen  veröffentlichten  Sammlung:  -nSacrarum  can- 
tionum  quatuor  vocum,  vulgo  Moteta  vocant,  ex  optimis  quibusque  hujus  aetatis 
musieis  selectarum  Liher  etc.<s^  befindet. 

Trojano,  Joannis,  Kapellmeister  in  Rom,  wurde  zu  Todi  im  Kirchen- 
staate geboren.   Er  folgte  im  Amte  als  Kirchenkapellmeiser  an  Maria  Maggiore 


312  Trojano  —  Tromboncino. 

dem  Annibal  Stabile  1596.  Im  Jahre  1600  nahm  F.  Soriano  diese  Stelle  ein, 
es  ist  jedoch  nicht  festgestellt,  ob  T.  in  jenem  Jahre  bereits  starb  oder  veran- 
lasst wurde,  diese  SteUe  aufzugeben.  Von  seinen  Compositionen  ist  nur  das 
Bruchstück  einer  Motette:  ■s>JE'lange  quasi  Virgo«,  das  Kircher  in  seiner  r>Mu- 
surgiaa  als  Beispiel  für  den  Affectus  dolorosi,  pag.  601,  und  darnach  Reiss- 
mann  in  seiner  »Musikgeschichte«,  Bd.  II,  pag.   150,   151   mittheilte. 

Trojauo,  Massimo,  Musiker  der  Neapolitanischen  Schule,  gehörte  1568 
zur  Kapelle  des  Kurfürsten  von  Baiern  zur  Zeit  als  Orlandus  Lassus  Kapell- 
meister derselben  war.  Im  genannten  Jahre  gab  er  bei  Adam  Berg  in  München 
folgende  Sammlung  heraus:  -nDiscorsi  di  triomfi,  fjiostre  apparati,  e  delle  cose 
piü  notahile  fatte  nelle  Nozze  delV  illustr.  et  eccellent.  Signor.  Duca  Guglielmo  etcM 
In  der  Vorrede  stellt  er  für  das  folgende  Jahr  das  vierte  Buch  mit  seinen 
neapolitanischen  Vilanellen  und  fünfstimmigen  Madrigalen,  nebst  solchen  von 
Oi'l.  Lassus  und  andern  Musikern  in  Aussicht.  Sonst  ist  von  Trojano  noch 
bekannt:  »JZ  terzo  libro  delle  sue  Hirne  e  Canzoni  alla  Napolitana  a  tre  voci 
colla  Battaglia  della  Gutta,  e  la  Cornacliia,  et  una  Amascherata  alla  Turchesca 
a  cinque  voci  et  una  Moresca  novamente  faüav.  (Vinegia,  Girolamo  Scotto,  1568, 
kl.  in  4"  obl.).  Von  1593  an  gehörte  Trojano  nicht  mehr  zu  den  Mitgliedern 
dieser  Kapelle. 

Tromba,  (xuglietto,  erster  Violonist  an  der  Kirche  des  heiligen  Antonius 
zu  Padua,  war  Schüler  Tartioi's  und  erhielt  nach  dessen   Tode  seine  Stelle. 

Tromba,  die  Trompete   (s.  d.). 

Tromba  marina,  das  Trumbscheit  (s.d.),  Marin-Trompete. 

Tromba  sorda,  die  durch  eine  Sordine  gedämpfte  Trompete,  klingt  einen 
Ton  höher  wie  aus  der  Ferne. 

Trombare  =  Trompete  blasen. 

Trombata,  tromhettata,  das  Blasen  der  Trompete. 

Trombe.  Unter  diesem  Namen  beschreibt  Altenburg  in  seiner  Trompeter- 
und Paukerkunst  (S.  126)  ein  zum  Schlagen  bestimmtes  Saiteninstrument,  in 
Form  einer  gegen  zwei  Ellen  langen  Lade,  deren  obere  Decke  mit  einem  runden 
Schallloch  durchbrochen  ist.  Ueber  diesem  Besonanzkasten  ist  eine  starke 
Contrabasssaite  aufgespannt,  welche  durch  den  Steg  so  getheilt  wird,  dass  (nach 
Paukenart)  der  eine  Theil  in  c,  der  andere  in  G  stimmt.  Sie  wird  mit  Holz- 
klöppeln geschlagen,  wodurch  ein  den  gedämpften  Pauken  ähnlicher  IQang  ent- 
steht. Es  ist  also  dies  Instrument  ein  Stellvertreter  für  die  Pauken.  Die  Ver- 
wandtschaft mit  dem  Trummscheit  (tromha  marina)  ist  nicht  zu  verkennen. 
Auffallend  ist,  wie  der  Ausdruck  trombe  dazu  kommt,  ein  Schlaginstrument  zu 
bezeichnen;  jedenfalls  liegt  eine  "Wortverdrehung  vor,  die  sich  dadurch  erklärt, 
dass  im  Althochdeutschen  nur  ein  gemeinsames  Stammwort  drumme  für  Trum- 
mel  (Trommel)  und  zugleich  für  das  Blasinstrument  drommet  (Trompete)  vor- 
handen war.  —  Ueber  den  Ursprung  und  das  Alter  dieses  Instruments  sagt 
Altenburg  nichts.  Scheinbar  haben  wir  hier  eine  Variante  oder  Umgestaltung 
des  aus  dem  Monochord  hervorgegangenen  Trummscheits  vor  uns,  indem 
man  dieses  einsaitige  Instrument  nicht  blos  zum  Trommeln  (worauf  sein 
deutscher  Name  hindeutet),  sondern  auch  zum  Greigen  verwendete.  Letzteres 
war  vermuthlich  der  spätere  Gebrauch. 

Ti'ombetti,  Ascanio,  Bolognesischer  Componist,  welcher  in  der  zweiten 
Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  in  Neapel  lebte,  wo  er  mehreres  veröffentlichte, 
darunter:  1)  Drei  Bücher  y>Canzoni  alla  napoletana  a  tre  vocia  (Venedig,  1572, 
1577,  1581),  Münchener  Bibliothek.  2)  y>Musica  a  piu  voci«.  (Bologna,  Rossi, 
1585,  in  4"). 

Trombetti,  Augustin,  berühmter  Bolognesischer  Gruitarrist,  im  Anfange 
des  17.  Jahrhunderts  geboren,  gab  heraus:  y>Intavolatura  di  sonate  novameiite 
inventate  sopra  la  Chitarra  spagnuola,  libri  äuev.  (Bologna,   1639,  in  4°). 

Trombettiere,  ein  Trompeter. 

Trombouciuo,  eine  Sackpfeife. 


Trombonciuo  —  Trommel.  313 

Tromboueiuo,  Bartolomeo,  Componist  von  Frottoles,  war  in  Verona  in 
der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  geboren.  Compositionen  der  genannten 
Art  von  T.  sind  in  der  folgenden  Sammlung  vom  Jahre  1509  enthalten: 
Tenori  e  contrahassi  intahulati  col  sopran  in  eanto  ßgurato  per  cantor  e  sonare 
col  Lauto.  Libro  Primo.  Franciscl  £ossi7iensis  Opus.  Impressum  TJenetiis:  per 
Octavianum  Petrutium  Forosemproniensem:  Cum  priuilegio  inuictissimi  dominij 
JJenetiaruin :  quod  nullus  possit  intahulaturam  LauU  imperimere:  suh  penis  in 
ipso  priuilegio  confentisa  (Die  27  Martij,  1509,  in  Querquart);  enthält  70 
Lieder  und  26  Ricercari.  Die  Tonsetzer  der  Lieder  sind:  Franc.  Anna*  Josq. 
dAscanio,  Ant.  Capriolus,  Phil,  de  Luprano,  Mich.  Pesentus,  Nicolo  Pi- 
sai'o,  Bart.  Trombonciuo,  P.  Zanin  und  Ungenannte.  Ferner:  in  den  neun 
Bücher  »Frottole«,  herausgegeben  von  Petrucci  in  den  Jahren  1504  bis  1508, 
und  in:  TaLamentationum  Jeremiae  prophete,  Liher  secundus.  Impressum,  TTenetiis, 
per  Octauianum  Petrutium  Forosemproniensem<i.  (Die  29  Martij  Salutis  anno  1506, 
in  Querquart);  enthält  10  dreistimmige  Gesänge  von  Graspar,  Erasm.  Lapicida 
und  Bart.  Tromboncino. 

Tromboue,  die  Posaune. 

Tromboue  d'Alto,  die  Alt  posaune. 

Trombone  di  Basso,  die  Bassposaune. 

Trombone  grande,  die  grosse  Bassposaune. 

Trombone  grosso,  die  grosse  Quartposaune. 

Trombone  maggiore,  die  grosse  Altposaune. 

Trombone  piccolo,  die  kleine  Altposaune. 

Trombone  di  Tenore,  die  Tenor  posaune. 

Tromlitz,  Johann  Georg,  Flötist  und  Flötenfabrikant,  geboren  am 
9.  Februar  1726  zu  Gera,  lebte  in  Leipzig,  wo  er  während  einer  Reihe  von 
Jahren  auch  in  Concerten  auftrat,  sich  aber  mehr  durch  Kraft,  als  durch  "Weich- 
heit des  Tones  im  Flötenblasen  auszeichnete.  Hauptsächlich  geschätzt  war  er 
als  Lehrer  und  Yerbesserer  der  Flöten  (durch  Vermehrung  der  Mittelstücke 
und  Klappen),  deren  er  auch  in  den  verschiedensten  Qualitäten  verfertigte. 
Eine  Flöte  von  Buchsbaum,  mit  drei  Mittelstücken,  einer  silbernen  Klappe  mit 
Elfenbein  belegt,  verkaufte  er  für  vier  Dukaten;  die  complicirteste  mit  sieben 
Mittelstücken  und  sieben  Klappen  und  einem  Fussstock  mit  einer  C-  und  Gis- 
Klappe  galt  achtzehn  Dukaten.  (In  Kramer's  Magazin,  Jahrgang  I.  S.  1013 
ist  Näheres  darüber  zu  finden.)  T.  gab  heraus:  »lieber  die  Flöten  mit  mehreren 
Klappen,  deren  Anwendung  und  Nutzen«  (Leipzig,  Böhme,  1800).  Früher 
schon:  »Kurze  Abhandlung  zum  Flötenspielen«  (Leipzig,  Breitkopf,  1786,  in  4", 
30  S.).  Diese  Schrift  zu  einer  grösseren  umgearbeitet  erschien  unter  dem  Titel: 
»Ausführlicher  und  gründlicher  Unterricht,  die  Flöte  zu  spielen«  (Leipzig,  Böhme, 
1791,  in  4",  376  S.  und  22  S.  Vorrede).  Die  Compositionen  von  T.  sind 
folgende:  »Sechs  Partien  für  die  Flöte«.  »Drei  Coucerte  für  Flöte,  zwei  Vio- 
linen, Alt  und  Bass«.  »Zwei  Sonatenwerke  für  Ciavier  und  Flöte«.  »Eine 
Sammlung  deutscher  Gesänge«.     T.  starb  in  Leipzig  am  4.  Febr.  1805. 

Trommel,  franz.:  Tambour,  ital.:  Tamburo,  ein  uraltes  Schlaginstrument, 
welches  schon  bei  den  Hebräern  als  Pauke  (Topli)  und  als  Trommel  (Maanim) 
mit  ihren  verschiedenen  Abarten  verwendet  wurde.  Zu  den  Trommeln  im  All- 
gemeinen gehören  eigentlich  alle  Gattungen  von  rhythmischen  Schlaginstru- 
menten, bei  welchen  der  tonerregende  Körper  ein  Fell  ist,  das,  über  Reifen 
gespannt,  auf  irgend  eine  Weise  durch  Schläge  in  Vibration  gesetzt  wird. 
Das  Instrument,  welches  jetzt  Vorzugs-  und  unterscheidungsweise  diesen  Namen 
führt,  ist  besonders  beim  Militär  gebräuchlich  und  giebt  einen  einfachen, 
dumpf  rasselnden  oder  schwirrenden  Ton  von  sich,  wenn  man  darauf  schlägt. 
Es  besteht  aus  einem  Cylinder  von  Messingblech  oder  Holz ,  der  oben 
und  unten  mit  einem  in  einem  Reifen  befestigten  Kalbfelle  überspannt  ist. 
Beide  Reifen  werden  durch  eine  mehrmals  durch  dieselben  gezogene  Schnur, 
Trommelleine  genannt,    über  dem  Instrumentenkörper  befestigt  und  vermittelst 


314  Tirommelbass. 

verschiedener  Schlingen,  welche  über  die  hin-  und  hergehende  Schnur  gestreift 
werden  und  diese  zusammenziehen,  können  die  Felle  durch  den  Stellschlüssel 
mehr  oder  weniger  angestrafft  werden.  lieber  das  untere  Fell  ist  eine  starke 
Darmsaite,  die  sogenannte  Sang-  oder  Schnarrsaite,  gezogen,  welche  vibrirend 
gegen  dasselbe  rasselt,  wenn  das  obere  Fell  mit  den  Klöppeln  (Trommelstöcken) 
creschlagen  wird.  Der  Cylinder  bei  unseren  jetzigen  Militärtrommeln  ist  ganz 
flach.  Die  Trommelstöcke  sind  Stäbe  aus  hartem  Holze,  je  nach  der  Grösse 
der  Trommel  10 — 16  Zoll  lang  und  vorn  mit  einem  ovalrunden  Knopf  ver- 
sehen. Obgleich  die  Trommel  nur  einen  einzigen  Ton  hat,  so  kann  doch  durch 
das  einfache  oder  doppelte  Schlagen,  durch  Stärke  und  Schwäche,  Schnelligkeit 
und  Langsamkeit  des  Schlages  viele  Veränderung  in  dem  Trommelschlage  hervor- 
fferufen  werden.  Daher  wird  auch  beim  Militär  der  Trommelschlag  zu  ver- 
schiedenen  Zeichen  und  Commandos  benutzt.  Auch  dient  er  dazu,  beim  regel- 
mässigen Marsche  den  Schritt  in  gleichem  Tempo  (rhythmisch)  zu  erhalten 
und  dadurch  die  Anstrengungen  der  Marschirenden  zu  erleichtern  oder  die 
Janitscharen-(Infanterie-)Musik  zu  unterstützen.  Die  Manieren  beim  Trommel- 
schlagen bestehen  aus  dem  Wirbel,  dem  Schleifschlag,  Doppelschlag  u.  s.  w. 
Bei  Trauermärschen  wird  die  Trommel  durch  ein  auf  das  obere  Fell  gelegtes 
Tuch  und  TJmwickelung  der  Sang-  oder  Schnarrsaite  gedämj)ft.  Es  giebt  ver- 
schiedene Arten:  1)  die  grosse  oder  türkische  Trommel  (franz.;  grosse  caisse, 
ital.:  (/ran  cassa),  die  grösste  Art,  drei-  bis  viermal  grösser.  Bei  ihr  ist  der 
Cylinder  immer  von  Holz  und  fehlt  beim  untern  Fell  die  Schnarrsaite.  Man 
schlägt  sie  mit  einem  Kllöppel,  dessen  grosser  Knopf  einen  weichen  Lederüberzug 
hat.  Daher  kann  auch  immer  nur  ein  Schlag  darauf  geschehen,  der  einen 
gleichförmigen  Ton  hervorbringt.  Sie  wird  hauptsächlich  bei  der  Janitscharen- 
musik  gebraucht  oder  ausnahmsweise  in  grossen  Orchestern  mit  starker  Besetzung 
der  Blasinstrumente.  Zu  diesen  Schlägen  lässt  man  gewöhnlich  die  Becken 
ertönen.  Da  sie  keine  bestimmte  Tonhöhe  hat,  kann  sie  als  rhythmische  Accen- 
tuation  zu  jeder  Harmonie  dienen  und  wird  gewöhnlich  mit  der  Note  C  im 
zweiten  Zwischenraum  im  Bassschlüssel  notirt.  2)  die  Wirbel-  oder  Bolltrommel 
(ital.:  Tamhuro  rulante),  gewöhnlich  zu  dumpfen  Wirbeln  dienend,  die  mit  dem 
Trillerzeichen  (tr.)  bezeichnet  werden;  notirt  wird  sie  auch  im  Bassschlüssel. 
3)  die  Militärtrommel,  lauter  und  heller  an  Schall  als  die  Eolltrommel,  sonst 
ebenso  wie  diese  behandelt.  Die  Italiener  führten  die  grosse  Trommel  zuerst 
in  den  Opern  ein,  wahrscheinlich  zunächst  nur,  um  in  den  grossen  Bäumen 
ihrer  Theater  und  bei  rauschender  Musik  den  Takt  vernehmbar  zu  markiren. 
Früher  gehörte  diese  Trommel  ausschliesslich  nur  der  Janitscharenmusik  an. 
Hieraus  geht  denn  auch  hervor,  dass  sie  nur  da  in  Orchestern  Anwendung 
finden  darf,  wo  volle  Accorde  tönen  und  es  nothwendig  wird,  bei  rhythmischen 
Accenten  starke  Effekte  zu  erreichen.  Wer  höheren  Sinn  für  Kunst  hat,  wird 
daher  auch  der  Trommel  die  untergeordnete,  richtige  Stellung  in  seiner  Musik 
anweisen.  Wo  es  darauf  ankommt,  Schlageffekte  zu  erzielen,  da  mögen  die 
Kalbfelle  rasseln,  aber  sonst  empfehlen  wir  die  grösste  Sparsamkeit  beim  Ge- 
brauch derselben  in  einer  vollen  Orchestermusik.  Suum  cuique  sagen  wir.  Der 
Janitscharenmusik  ausschliesslich,  aber  nicht  auch  der  Jäger-  und  Cavallerie- 
musik  gehört  die  Trommel.  Schon  die  Inder  bedienten  sich  im  Kriege  einer 
Art  länglicher  schmaler  Trommel,  Dole  genannt,  die  dem  Tambour  um  die 
Schulter  hängt.  In  gewissen  Tempeln  bediente  man  sich  der  Trommel  "Oudoukai«, 
in  andern  der  Trommel  »Pambe«.  Die  Ulemas  bei  den  orientalischen  Völkern 
führen  immer  verschiedene  Arten  von  Trommeln  mit  sich  und  trommeln  sich 
damit  von  den  Gläubigen  die  Almosen  ein. 

Trommelbass  nennt  man  spottweise  einen  Bass,  der  mehrere  Tacte  hindurch 
nur  aus  der  Wiederholung  desselben  Tons,  im  Einklang  oder  in  Octaven  besteht. 


Trommelfell  —  Trompete.  315 

Trommelfell  lieisst  der  Ueberzug  der  Trommel  aus  Pergament,  von  Esels- 
haut oder  weichgarem  Kalbfell  gefertigt,  mit  dem  die  Trommel  bezogen  und 
das  hier  schallerzeugend  verwendet  wird  (s.  Trommel). 

Trommelklöppel  heissen  die  beiden  Stöcke  von  hartem  Holze,  je  nach  der 
Grösse  der  Trommel  10 — 16  Zoll  lang,  mit  denen  das  Trommelfell  geschlagen 
wird,  um  es  tönen  zu  machen.  Sie  sind  zu  diesem  Behufe  vorn  mit  einem 
Knopf  versehen. 

Trommelleine  nennt  man  die  hänfene  Schnur  bei  der  Trommel,  durch  welche 
es  möglich  wird,  dem  Trommelfell  die  gehörige  Spannung  zu  geben.  Sie  ist 
durch  die,  in  den  beiden  hölzernen  Keifen,  welche  die  beiden  Trommelfelle  über 
dem  Cylinder  festhalten,  befindlichen  Löcher  gezogen  und  mit  den  Enden  an 
den  Stellschlüssel  befestigt,  so  dass  vermittelst  der  Schleifen  (s.  u.)  dem 
Instrument  die  nöthige  Stimmung  gegeben  werden  kann. 

Trommelschleifeu  sind  feste  Lederstreifen,  welche  um  je  zwei  Stück  der 
Leine  so  gelegt  sind,  dass  diese  zwei  spitze  "Winkel  bilden.  Durch  Verschiebung 
dieser  Schleifen  wird  die  Spannung  des  Trommelfells  erhöht  oder  vermindert 
und  dadurch  der  Klang  natürlich  verändert. 

Trommelschlag':  die  verschiedenen  Arten  desselben  sind  der  "Wirbel,  der 

mit  einem  »fr.«  oder  ^bezeichnet  wird,  der  Doppelschlag  und  der  Schleif- 
schlag,  die   mit  kleinen  Noten  angedeutet  werden: 


Trommelstöcke,  s.  Trommelklöppel. 

Trommeten,  s.  Trompeten. 

Trommeten,  s.  Schlechtblasen. 

Trompeo,  Bened.,  Dr.  med.,  aus  Sardinien  gebürtig,  lebte  in  Turin  und 
veröfi'entlichte  eine  Abhandlung,  die  menschliche  Stimme  betreffend:  r>Memoria 
sulla  voce  considerata  nel  tripliee  rajpjporto  fisiologico  -praticoii  (Turin,  Pomba, 
1822,  in  8",  42  S.). 

Trompete,  ital.:  tromha,  auch  clarino,  lat.:  tuha,  franz.:  trompette, 
ein  im  Theater-  und  Concertorchester  sowie  in  der  Militärmusik  sehr  gebräuch- 
liches Blechblasinstrument,  besteht  aus  einer  Köhre,  zumeist  aus  Messingblech 
gefertigt,  zusammengelöthet  und  inwendig  verzinnt.  Bis  auf  etwa  zwei  Euss  vor 
der  Mündung  ist  ihre  "Weite  gleichmässig  und  beträgt  ^J2  Zoll;  von  da  an  aber 
beginnt  sie  nach  und  nach  zu  wachsen  und  läuft  in  einen  Schallbecher  (Schall- 
trichter, auch  Stürze  genannt)  aus.  Angeblasen  wird  die  Trompete  mit  einem 
kesseiförmig  ausgetieften  Mundstück,  ähnlich  dem  der  Posaune,  nur  nicht  so 
weit  und  tief.  Die  Röhre,  eigentlich  acht  Fuss  lang,  ist  der  bequemen  Hand- 
habung wegen  zweimal  zusammengebogen  und  die  Biegungen  sind  aneinander 
gelöthet.  "Wie  das  Hörn,  die  Posaune  und  die  Trommel  gehört  auch  die  Trom- 
pete zu  den  ältesten  musikalischen  Instrumenten.  Die  ältesten  Völker  der 
frühesten  Zeit  bedienten  sich  ihrer  im  Krieg,  zum  Zusammenrufen  des  Heeres 
und  des  Volks  bei  öffentlichen  Versammlungen  und  OiDfern,  Alle  Abbildungen 
aber,  welche  wir  in  den  "Werken  der  Greschichtschreiber  von  diesem  Instrument 
finden,  stellen  dasselbe  in  Eorm  eines  Füllhorns  dar.  Es  giebt  verschiedene 
Arten  von  Trompeten.  Die  Hauptart  ist  die  Natur  trompete,  deren  Röhre 
keine  Tonlöcher  hat,  so  dass  die  verschiedenen  Tonhöhen  allein  durch  die  Ver- 
schiedenheit der  Lippenstellung  und  des  Anblasens  (den  Ansatz)  hervorgebracht 
werden.     Die  Scala  der  Naturtrompete,    welche  auf  diese  "Weise  hervorgebracht 

werden  kann,  ist  :C'c^c  e  g  h  c  d  e  {f  fis)  gab  (Ji)  c.  Vom  einge- 
strichenen c  an  lassen  sich  auch  die  fehlenden  Töne  mittelst  Lippeudrucks  und 
Stopfens  erzielen ;  dieselben  sind  aber  gegen  die  offenen  bedeutend  unwirksamer. 
Ueberhaupt  ist  der  Umfang  der  Naturtrompete  erst  vom  kleinen  g  an  brauchbar ; 


316  Trompete. 

die  tieferen  Töne  sprechen  schlecht  oder  gar  nicht  an.  IJm  sie  bei  allen  Ton- 
arten gebrauchen  zu  können,  wird  die  Trompete  in  verschiedenen  Grössen  an- 
gefertigt, die  den  betreffenden  Grundtönen  entsprechen.  Notirt  werden  alle 
Stimmungen  in  C-dur  (im  Violinschlüssel),  aber  nur  die  C-Trompete  klingt 
übereinstimmend  mit  der  Notirung,  die  andern  transponiren.  Die  gewöhnlichsten 
dieser  Stimmungen  sind  die  in  tief  B,  C,  D,  Es,  E,  F,  G,  As,  hoch  A,  B,  0. 
Die  Scala  jeder  dieser  Stimmungen  kann  durch  den  Aufsatz  eines  Krummbogens 
oder  Setzstückes,  wodurch  die  Röhre  verlängert  wird,  um  einen  halben  Ton 
tiefer  gestimmt  werden,  woraus  dann  sich  noch  die  fehlenden  Tonarten  ergeben. 
Da  die  für  ein  Tonstück  erforderliche  Stimmung  nicht  aus  der  Notirung  zu 
ersehen  ist,  so  wird  sie  besonders  ausgedrückt,  z.  B.  Tromba  in  F,  C,  B  alto, 
B  lasso  etc.  Im  Forte  ist  der  Klang  der  Trompete  stark,  glänzend,  heroisch 
und  schmetternd.  Wie  beim  Hörn  (Waldhorn)  hat  man  auch  bei  der  Trom- 
pete viel  an  der  Ergänzung  ihrer  Scala  durch  die  chromatischen  Töne  (ohne 
Beihülfe  des  Stopfens)  gearbeitet.  Zur  besseren  Hervorbringung  der  chroma- 
tischen Töne  erfand  Meyer  in  Hamburg  (1760)  ein  eigenes  Mundstück,  Michael 
"Wögel  (auch  "Wöggel)  in  Carlsruhe  (1780)  die  mit  Zügen  versehene  Inventions- 
trompete,  der  Hoftrompeter  A.  "Weidinger  in  Wien  (1801)  die  Klappentrompete, 
der  Goldarbeiter  Christ.  Fr.  Nessmann  zu  Hamburg  (1809)  verborgene  Klappen 
unter  dem  Gebinde,  die  eine  rein  intonirte  chromatische  Scala  ergeben.  Durch 
die  Anwendung  des  Stölzel'schen  Ventilsystems  sind  alle  eben  angeführten 
Trompetenerfindungen  verdrängt  worden.  Die  Ventile  (s.  d.),  wodurch  die  ein- 
fachen Waldhörner  und  Trompeten  eben  zu  chromatischen  oder  Ventil-Instru- 
menten werden,  sind  1817  durch  den  Königl.  Kammer musikus  Heinrich  Stölzel 
(auch  Stölzl)  in  Berlin  erfunden,  und  vermöge  ihrer  können  alle  Töne  der 
chromatischen  Scala,  im  Umfange  von  beinahe  drei  vollen  Octaven,  offen,  ohne 
Beihülfe  des  Stopfens,  hervorgebracht  werden,  indem  der  Gebrauch  eines  oder 
mehrerer  Ventile  etwa  eine  ^-Trompete  in  eine  F-,  Fs-  oder  Z>-Trompete 
umwandelt  und  die  Tonstufen  dieser  Stimmungen  alsdann  zur  chromatischen 
Scala  sich  ergänzen.  Stölzel  brachte  zuerst  zwei  Ventile  an;  C.  A.  Müller  in 
Mainz  fügte  1830  noch  ein  drittes  hinzu.  Lässt  man  die  Ventile  (Pistons) 
ausser  Thätigkeit,  so  verwandelt  man  das  Ventilinstrument  wieder  in  ein  ein- 
faches Naturinstrument.  Die  mittlem  Trompetenstimmungen  sind  für  Anwen- 
dung von  Ventilen  die  geeignetsten,  Ventiltrompeten  in  Fs,  F  und  F  sind 
die  gebräuchlichsten.  In  Orchestermusiken  sollte  die  Trompete  niemals  über 
klein  e  bis  zweigestrichen  g  hinausgehen.  Die  i?-Trompete  steht  einen  Ton 
tiefer  als  die  Violine  und  ist  dem  B  alto  des  Hornes  gleich.  Die  C-Trompete 
ist  mit  der  Violine  gleich  und  daher  um  eine  Octave  höher  als  das  C-Horn. 
Die  i^-Trom^oete  steht  einen  Ton  höher  als  die  Violine  und  um  eine  Octave 
höher  als  das  Z>-Horn.  Gleiches  Verhältniss  findet  bei  der  ^s-Trompete  und 
bei  der  F-  und  P- Trompete  statt.  In  früheren  Zeiten  hatten  die  Trompeter, 
welche  sehr  in  Ehren  standen  und  eine  eigene  Zunft  bildeten,  zur  Bezeichnung 
der  Octaven  wunderliche,  gleichsam  zunftmässige  Namen  eingeführt.  So  hiess 
bei  ihnen  das  grosse  C  Flattergrob,  wahrscheinlich,  weil  dieser  Ton  etwas 
unsicher  und  zitternd  klingt;  das  kleine  c  Grobstimme  und  das  kleine  g 
Faulstimme,  ohne  Zweifel,  weil  diese  Stimme  den  Ton  ^  oft  nacheinander  zu 
blasen  hat,  da  er  sowohl  als  Quinte  der  Tonika  wie  als  Grundton  des  Dominant- 
accordes  oft  vorkommt,  faul  an  seiner  Stelle  bleibt.  Das  Blasen  der  Grund- 
stimme hiess  Princi palblasen,  und  das  der  Oberstimme,  wo  auch  Solosätze 
vorkommen,  Clarinblasen.  Das  Schmettern  nannte  man  trommeten,  und 
dem  entgegen  das  sanfte,  leise  Intoniren  schlecht  blasen.  Daher  übersetzte 
auch  Luther  so  die  Stelle  4.  Mos.  10,  1  — 10.  Händel  hat  in  seinem  »Messias« 
bei  der  Bass-Arie  »Sie  tönt,  die  Posaune«  die  Trompete  melodiös  wirksam  benutzt. 
Trompete,  Tromha,  Clari7io,  in  der  Orgel  ein  sehr  brauchbares  und 
charakteristisch  schünklingendes  Manual-  und  Pedalrohrwerk,  mit  trichterförmi- 
gem Aufsatzrohr,  wie  bei  der  Posaune,  aber  mit  engerer  Mensur  und  dem  ent- 


Trompet-Marine  —  Trompeter.  317 

sprechend  schwachem  Zungen  und  schmalerm  Mundstück.  Sie  hat  in  der  Regel 
8  Fuss,  seltener  16  oder  4  Fuss  und  ist  meist  durchweg  aus  gutem  Metall  ge- 
baut; die  Holzpfeifen  sind  nicht  zu  empfehlen.  Ein  8  Fuss-Trompetenregister 
im  Manual  eignet  sich  vortrefflich  zur  Führung  des  Cantus  ßrmus  und  im  Pedal 
giebt  es  namentlich  den  16  Fussregistern  grössere  Klarheit. 

Trompet-Marine,   das  Trum  seh  eit  (s.  d.), 

Trompeteufest  wurde  am  ersten  Tage  des  siebenten  Monats  (Nissan)  im 
Tempel  begangen  (s.  v.  a.  Sabbath  des  Blasens),  5.  Mose  29,  1.  Man  hält  es 
für  das  Erntefest  der  Juden. 

Trompeteugeig-e,  das  Trumbscheit  (s.  d.). 

Trompeter  nennt  man  die  Trompete  blasenden  Musiker.  Sie  bildeten  in 
den  frühen  ersten  Jahrhunderten  der  Entwickelung  der  Instrumentalmusik  als 
gelernte  Hof-  und  Feldtrompeter  mit  den  Heerpaukern  eine  besonders  pri- 
viligirte  Zunft,  Cameradschaft  genannt.  Die  Hof-  und  Feldtrompeter  und 
Heerpauker  standen  unter  der  unmittelbaren  Jurisdiction  der  Fürsten  und  es 
wurde  als  eine  besondere  Gnade  betrachtet,  dass  der  Kaiser  Sigismund  der 
Stadt  Augsburg  1426  das  Privilegium  ertheilte,  Stadttrompeter  zu  halten,  da 
die  andern  freien  Reichsstädte  sich  nur  mit  Thürmern  begnügen  mussten. 
Später  erst  erhielten  gegen  entsprechende  Gegenleistungen  auch  die  andern 
freien  Reichsstädte  die  gleiche  Vergünstigung.  Die  Privilegien  der  Pauker  und 
Trompeter  wurden  wiederholt  bestätigt,  so  1528  durch  einen  Reichsabschied. 
1623  ertheilte  Kaiser  Ferdinand  II.  ihnen  wiederum  ein  besonderes  Reichs- 
privilegium,  sowohl  in  Ansehung  ihrer  Kunst,  wie  ihres  Ranges  und  1630 
wurde  es  aufs  neue  bestätigt  und  erläutert.  Diese  Privilegien  bestätigten  alles, 
wie  es  ausdrücklich  heisst:  »so  wie  es  uhralters  gebräuchlich«.  In  diesen  Privi- 
legien wird  die  Kunst  der  Trompeter  und  Pauker  ausdrücklich  als  eine  »adelich 
ritterlich  freie  Kunst  bezeichnet,  und  immer  hervorgehoben,  dass  man  einen 
Trompeter  oder  Pauker  einem  Offizier  gleichhalten  solle  und  dannhero  nach 
dem  Kriegsrecht  kein  Trompeter  mit  den  Lieutenants  und  andern  geringern 
Offizieren  zur  Wacht  und  Parthei  commandii't  ohne  dem  Rittmeister  Dienste 
zu  thun  angehalten  werde«. 

Man  hat  es  deshalb  nicht  obenhin  und  als  eine  blosse  Zierrath  anzusehen, 
dass  man  die  Trompeter  bei  Hofe  sowohl,  als  im  Felde,  mit  Federn  auf  den 
Hüten,  folglich  mit  einer  sonst  den  Rittern  oder  nach  der  heutigen  angenom- 
menen Redensart  den  Cavalieren  blos  zukommenden  Tracht  erblicket.  Es  ist 
dies  vielmehr  ein  Merkmal  ihres  Ansehens  und  Fürzuges  dessen  sie  vor  un- 
denklichen Zeiten  schon  theilhaftig  gewesen.  Dies  Ansehen  verdankten  sie 
wohl  nur  der  nähern  Beziehung,  in  welcher  sie  zu  den  Gewaltigen  der  Erde 
standen.  Johann  Ernst  Altenburg  giebt  in  seinem;  »Versuch  einer 
Anleitung  zur  heroisch-musikalischen  Trompeter-  und  Pauker- 
kunst«  (Halle,  1795)  ihre  Verrichtungen  wie  folgt  an.  Darnach  hatten  sie: 
Die  Abgesandten  zur  Audienz  einzuholen,  diese  wie  andere  Grosse  zur  Tafel 
einzuladen,  auf  der  Reise  die  herrschaftlichen  Quartiere  vorher  zu  reguliren, 
die  Aufsicht  sonderlich  während  der  Tafel  über  die  Livreebedienten  zu  haben; 
vornehmlich  wurden  sie  aber  auch  in  wichtigen  Angelegenheiten  verwendet,  weshalb 
ihnen  gewöhnlich  ein  Pferd  gehalten  wurde.  In  der  Bestallung  eines  solchen 
Trompeters  heisst  es  nach  Fürsten  au:  »Zur  Geschichte  der  Musik  und  des 
Theaters«,  1861,  I,  pag.  197:  »Insonderheit  aber  soll  er  sich  nach  Uns,  Unsern 
Ober-  und  Hof-Marschall  Befehlich  richten,  aufi"  denen  Reisen  zu  denen  ihn 
bestimmten  Stunden  aufi'warten,  zur-  Tafiel  blasen,  sich  im  Felde  zu  verschicken 
und  worzu  "Wir  ihn  tüchtig  erkennen,  ieder  Zeit  gehorsam  und  verschwiegen,  auch 
zugleich  nach  der  Musica  gebrauchen  lassen  und  alles  andere  thun,  was  einem 
getreuen  Diener  und  Hoff-Trompeter  gegen  seinen  Herrn  eignet  und  gebühret«. 
Der  Ort,  wo  sie  täglich  ihre  Stücklein  bliesen  und  damit  zu  Tisch  aufforderten, 
hiess  darnach  »Trompetergang«  und  »Trompeterstuhl«  und  die  Bezeichnung 
»Trompetertisch«    ist    gleichfalls    hierauf  zurückzuführen.     Die    Reiterbestallung 


318  Trompeter. 

von  1670,  zu  Speier  erneuert,  hebt  ausdrücklicli  hervor,  dass  der  Trompeter 
keines  Passport  bedürfe,  sondern  ohne  dasselbe  in  das  feindliche  Lager  ein- 
rücke, »wann  er  nur  in  seine  Trompete  stosset,  keinem  andern  war  das  erlaubt«. 
Dabei  halfen  sie  den  Grlanz  der  Höfe  jener  Zeit  vermehren;  v.  Seckendorf 
rechnet  sie  mit  zum  Staate  eines  Fürsten,  denn  ausser  »dass  der  Klang  der 
Trompete  solenner  und  erhabener  sich  ausnimmt,  macht  ein  grosser  Herr  auch 
viel  Aufsehen,  wenn  er  ein  oder  zwei  Chöre  in  prächtiger  Livree  gekleideter 
Trompeter  und  Pauker  mit  silbernen  Instrumenten  aufstellen  kann,  die  bei 
Gralla  und  Freudentagen  das  menschliche  Herz  durch  ihre  hinreissende  Musik 
jedes  Affekts  empfänglicher  machen«  und  Altenburg  setzt  ganz  ernsthaft 
hinzu:  »Hat  auch  ein  Fürst  eine  noch  so  gute  Kapelle,  Jägerei,  Marstall  und 
andere  dergleichen  Ministeriales,  und  hält  nicht  wenigstens  ein  Chor  Trompeter 
und  Pauker,  so  scheinet  meines  Erachtens  an  der  Vollkommenheit  seines  Hof- 
staats etwas  zu  fehlenif.  Dieser  bevorzugten  Stellung,  welche  die  Zunft  der 
Hoftrorapeter  und  Heerpauker  einnahmen,  entsprechen  auch  die  Bestimmungen 
über  das  Verhalten  derselben,  wie  über  die  Aufnahme  als  Lehrlinge.  Darnach 
durften  Trompeter  und  Pauker  ihre  Instrumente  nur  im  Dienste  und  niemals 
in  Gremeinschaft  mit  nicht  zünftigen  Musikern  gebrauchen;  es  war  ihnen  unter 
Androhung  von  hohen  Strafen  verboten  mit  Stadtpfeifern  zu  trompeten  oder 
zu  pauken,  während  ihnen  andere  Instrumente  mit  jenen  in  Gremeinschaft  zu 
spielen  gestattet  war.  In  die  Zunft  aufgenommen  zu  werden  konnte  nur,  wer 
bei  einem  priviligirten  Trompeter  oder  Pauker  eine  bestimmte  Zeit  ausgelernt 
hatte  und  freigesprochen  war.  Zur  Erlernung  dieser  ritterlichen  Kunst  war 
aber  ehrliche  Geburt  und  ehrliches  Herkommen  nöthig,  ebenso  dass  der  Lehr- 
junge keiner  Leibeigenschaft  oder  Unterthänigkeit  angehörte. 

Als  Reichserzmarschall  hatte  der  Kurfürst  von  Sachsen  die  Schutz- 
und  richterliche  Grerechtigkeit  über  sämmtliche  Hof-  und  Feldtrompeter 
und  Hof-  und  Heerpauker  des  ganzen  deutschen  Reichs,  und  dass  er  sie 
auch  thatsächlich  ausübte,  davon  geben  eine  ganze  Reihe  noch  erhaltener  ge- 
fällter Erkenntnisse  in  den  verschiedensten  Rechtshändeln  Zeugniss.  In  Dresden 
gab  es,  nach  Fürstenau  (a,  a.  0.),  1680  zwanzig  Hoftrompeter  inclusive  eines 
Oberhoftrompeters;  drei  Pauker,  einen  Pauken-  und  einen  Trompetenmacher 
mit  einem  jährlichen  Gragenetat  von  4405  Thlr.  6  Gr.  Der  Oberhoftrompeter 
hatte  300  Thlr.  Besoldung,  der  höchste  Gehalt  eines  Trompeters  war  250  Thlr,, 
wobei  er  sein  Pferd  selbst  erhalten  musste,  bei  200  Thlrn.  stellte  es  der  Hof. 
Zu  jeder  Zeit  gehörten  dazu  ferner  noch  Hoftrompeter-  und  Paukerlehrjungen, 
die  unterrichtet  und  nach  beendeter  Lehrzeit  freigesprochen  worden.  Für  einen 
solchen  waren  jährlich  28  Thlr.  für  Schuhe  und  "Wäsche  und  7  Thlr.  für 
Quartier  ausgesetzt.  Ausserdem  bekam  er  Livree  und  die  Kost  am  Lakaien- 
tische. Bei  Galla  trugen  die  Hoftrompeter  »gelbtuchene  Trompeterröcke«  mit 
schwarzem  »Perpetuan«  gefüttert,  guten  goldenen  Gallonen  und  schwarz-sammet- 
nen  Schnüren  verbrämt,  französische  Hüte  mit  goldenen  leonischen  Hutschnüren 
und  schwarzgelben  »Federturencf,  sowie  lange  Gehenke  von  schwarzem  Corduan 
mit  goldenen  und  schwarzen  Franzen  besetzt.  An  den  Trompeten  hingen 
Fähnchen  von  schwarz-gelbem  Damast,  mit  dergleichen  seidenen  Franzen  und 
dem  gestickten  Fürstl.  Wappen.  Die  bevorzugte  Stellung,  welche  so  die  Trom- 
l^eter  und  Pauker  Jahrhunderte  hindurch  einnahmen,  hatte  zur  nothwendigen 
Folge,  dass  sie  auch  einen  seltenen  Grad  von  Kunstfertigkeit  im  Gebrauch 
ihrer  Instrumente  erwarben.  Die  Trompeter  waren  wohl  die  einzigen  Instru- 
mentalisten,  welche  im  16.  und  17.  Jahrhundert  ihre  Instrumente  wirklich 
virtuos  zu  behandeln  verstanden  und  selbst  die  Pauker  hatten  ihrem  Instrumente 
eine  Art  von  virtuoser  Behandlung  abgenöthigt,  die  sie  noch  durch  allerlei 
equilibristische  Kunststücke  zu  erhöhen  wussten.  Namentlich  aber  die  Künste 
der  Trompeter  wurden  einflussreich  für  die  Entwickelung  der  Instrumental- 
musik, weil  sie  auch  die  andern  Instrumentalisten    zu    gleichem  Eifer  anregten 


Tronci  —  Tropiarisky.  319 

und    dass    sie    direkt    auch    das    Kunstwerk    beeinflussten,    sehen    wir    bei    den 
beiden  grössten  Meistern  des   18.  Jahrhunderts,  bei  Bach  und  Händel. 

Trouci,  Philiijp  und  Anton,  berühmte  Orgelbauer  zu  Pistoja  in  der 
zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts.  Die  Söhne  Philipps,  Louis  und  Be- 
nedikt, setzten  das  Geschäft  des  Vaters  fort.  Auch  die  dritte  Generation, 
die  Söhne  Benedikts:  Peter,  Agathon  und  Josua,  gehören  in  der  Gegen- 
wart zu  den  berühmtestens  Orgelbauern  Italiens. 

Troparinm  heisst  die,  dem  Kaiser  Justinian  I.  zugeschriebene  Hymne  von 
der  Gottheit  Christi,  die  noch  heute  in  der  griechischen  Kirche  gebräuchlich  ist. 

Tropea,  Giacomo,  neapolitanischer  Musiker,  geboren  in  der  zweiten  Hälfte 
des  16.  Jahrhunderts,  vei'öffentlichte  von  seiner  Composition:  •nMadrigali  a 
q^uattro  voci,  con  clue  madrigali  a  cinque  voci  nel  fine,  libro  primo«  (in  Neapoli, 
per  Constantino  Yitali,  1592,  in  4").  y>Madrigali  a  cinque  voei«.  (ibid.  1621, 
in  4**).     -nMadrigali  a  qnattro  voci.  libro  secondo«  (ibid.   1622,  in  4"). 

Tropen,  Tropus,  nannte  man  im  mittelalterlichen  Gregorianischen  Psalmen- 
gesange  kurze  melodische  Formeln,  welche  den  Psalmen-Responsorien-  und 
Introitusversen  angehängt  und  auf  Euouae,  die  Vocale  aus  Secnlorum  amen, 
gesungen  wurden.  Zunächst  hatte  jeder  Psalmenton  (d.  h.  jede  Kirchentonart) 
seinen  regelmässigen  Schluss,  den  Psalmenschluss;  mit  der  wachsenden  Aus- 
breitung des  Gesanges  mehrten  sich  auch  diese  Schlüsse,  die  aber,  als  von 
den  ursj)rünglichen  Schlüssen  unterschieden,  als  Differenzen  bezeichnet  wur- 
den. Wie  die  Tonarten  nach  der  Praxis  der  St.  Gallener  Schule  mit  den 
Buchstaben  a  —  e — i  —  o  —  v  —  II — y — lo  bezeichnet  wurden,  so  auch  die  Psalmen- 
schlüsse. "War  nur  ein  Buchstabe  a,  e  ödere  angefügt,  so  schloss  der  Psalm 
regulär  mit  der  ihm  zukommenden  Melodie;  nur  die  Abweichung  wurde  mit 
doppelten  Buchstaben  ah,  oh,  oc  u.  s.  w.  angezeigt.  Der  jedem  Ton  eigne 
Tropus  erhielt  beim  Unterricht,  um  ihn  dem  Gedächtniss  der  Schüler  besser 
einzuprägen,  bestimmte  Bezeichnung,  wie  z.  B.  der  des  I.  Adam  primus  homo 
bezeichnet  wurde,  der  II.  Noe  secundus,  III.  Tertius  Abraham,  IV.  Quatuor 
Evangelistae,  V.  Quinque  lihri  Mosis,  VI.  Sex  Sydriae  positae,  VII.  Septem 
scholae  sunt  artes,  VIII.  Sed  octo  sunt  partes.  Jeder  dieser  Tropen  hatte  meist 
mehrere  Differenzen  {T>ifferentiae  tonorurn),  auch  Definitiones  genannt,  und  ihre 
Anzahl  scheint  nicht  nur  nach  den  verschiedenen  Jahrhunderten,  sondern  auch 
nach  den  verschiedenen  Gegenden  verschieden  gewesen  zu  sein.  Nach  sanct- 
gallischen  Antiphonarien  hatte  der  erste  Ton  neun  Differentiae,  der  zweite 
zwei,  der  dritte  fünf;  nach  andern  hatte  der  erste  nur  fünf,  der  zweite 
keine,  der  dritte  vier.  Lucas  Lossius  giebt  {Erotemata')  für  den  ersten  zwei, 
für  den  zweiten  eine,  für  den  dritten  drei  Differenzen  an  u.  s.  w.  Aus  dem 
Umstände,  dass  diese  Tropen,  da  sie  für  jede  besondere  Tonart  erfunden 
waren,  diese  auch  besonders  charakterisirten,  ist  zu  erklären,  dass  bei  den 
Theoretikern  der  Ausdruck: 

Tropus  auch  gleichbedeutend  mit  Tonart,  Ilodus,  Tonus,  Octavgat- 
tung  gebraucht  wurde  und  dass  einzelne  Schriftsteller  mit 

Tropi  auch  die  Melodien  der  Psalmen,  der  Doxologie  und  der  Versetten 
beim  Eesponsoriengesange  überhaupt  bezeichnen. 

Tropiaiisky,  Constantius,  Clarinett-  und  Violinvirtuos,  geboren  im  Jahre 
1820  in  Wilna,  lernte  frühzeitig  auf  verschiedenen  Instrumenten,  namentlich 
auf  der  Violine,  Clarinette,  Flöte  und  Piano  spielen  und  kaum  zum  Jüngling 
emporgewachsen  dirigirte  er  schon  ein  Orchester.  Später  unternahm  er  eine 
Kunstreise  durch  Italien,  Frankreich,  England,  Deutschland,  Polen  und  Euss- 
land.  Im  Jahre  1850  ging  er  nach  Warschau,  wo  er  sich  als  Clarinettvirtuos 
hören  und  bewundern  liess.  Später  concertirte  er  in  Moskau,  wo  er  auch  das 
Aljaber'sche  Orchester  dirigirte  und  reiste  dann  nach  Sibirien,  wo  er  in  Tobolsk, 
Jrkutsk  und  Kiachta  Concerte  veranstaltete.  Seit  dem  Jahre  1860  verweilte 
er  in  Warschau.  Er  schrieb  kleinere  Werke  für  Violine,  Clarinette  und  den 
Gesang,  sowie  auch  Instrumentalsachen  im  Sinfoniestil. 


320  Troppo  —  Troubadours. 

Troppo  (ital.)  =  zu  sehr,  zu  viel,  wird  zur  nähern  Bestimmung  einer 
allgemeinen  Tempobezeichnung  verwendet,  wie:  Allegro  ma  non  troppo  = 
Geschwind,  doch  nicht  zu  sehr. 

Troschel,  "Wilhelm,  Liedercomponist  und  Opernsänger,  geboren  1823  in 
"Warschau,  lernte  bei  K.  Hermann  die  Anfangsgründe  der  Musik  und  bei 
Freyer  die  Harmonielehre.  Kaum  12  Jahre  alt  sang  er  schon  auf  den  Kirchen- 
chören in  "Warschau  correkt  die  ihm  vorgelegten  Kirchencompositionen.  Nach- 
dem er  sich  tüchtig  im  Gresange  ausgebildet,  trat  er  im  Jahre  1843  in  der 
polnischen  Oper  -aJeziero  Wieszczeka  mit  Beifall  auf  und  zeichnete  sich  nicht  nur 
in  den  polnischen  Nationalopern  -allalkaa,  »lirabinaa,  sondern  auch  in  den 
französischen  Opern  »Robert«,  »Hugenotten«  u.  s.  w.  und  italienischen  »Lucretia«, 
»Linda«  u.  s.  w.  durch  die  treffliche  Auffassung  und  Durchfühi'ung  seiner  Bollen 
aus,  wobei  ihn  seine  starke  und  klangvolle  Bassstimme,  seine  ausgezeichnete 
Gesangsweise  und  sein  ausdrucksvolles  Spiel  trefflich  zu  Statten  kamen.  Auch 
als  Liedercomponist  erwarb  sich  T.  einen  günstigen  Ruf  und  seine  Lieder: 
nOna  sie  smiala«,  »Grajeka;,  y^Lzy  Sozi/«,  »S/crzi/pkii:,  y>jBocian«,  fiLira«  gehören 
zu  den  beliebtesten  und  populärsten  polnischen  Liedern.  Ausserdem  schrieb 
er  einige  Instrumentalsachen  und  eine   Gesangschule. 

Trost,  Caspar,  Organist  zu  Jena  im  Anfang  des  17.  Jahrhunderts,  gab 
von  seinen  Compositionen  in  den  Druck:  Begräbniss-Ai'ie  »Ich  weiss  dass  mein 
Herr  Jesus  Christ«,  für  vier  Stimmen  (Jena,  1621).  Hochzeit-Motette  für  acht 
Stimmen   (ebenda   1623). 

Trost,  Gottfried  Heinrich,  ein  vortrefflicher  Orgelbauer  zu  Altenburg, 
arbeitete  in  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  mit  vielem  Euhme.  Seine 
bedeutendsten  "Werke  sind:  Die  Orgel  zu  Dollstädt  im  Gothaischen  von  20 
Stimmen,  1709.  Die  Orgel  in  "Waltershausen  bei  Gotha  von  58  Stimmen, 
worunter  ein  zweiunddreissigfüssiger  Untersatz  und  eine  zweiunddreissigfüssige 
Posaune  sich  befinden,  im  Jahre  1730  für  6000  Thlr.  erbaut;  die  vorzüglich 
schöne  Orgel  in  der  Schlosskirche  zu  Altenburg  von  40  Stimmen,  in  den 
Jahren  1736—1739  verfertigt.  Die  Orgelbauer  Friederici  in  Gera,  Casparini 
in  Königsberg,  Job.  Jakob  Groichen  und  Job.  Nie.  Ritter  hatten  die  Orgel- 
baukunst bei  Trost  erlernt. 

Trost,   Johann   Caspar,  der  Aeltere,  war  Regierungsadvokat  zu  Halber- 
stadt und  Organist  daselbst  um   1660.     Seine  für  seine  Zeit  nicht  bedeutungs- 
losen   Schriften    gelangten    nicht  zum   Druck,    es    sind:    vAdversaria   Musica,  ad 
tJieoriam  et  praxin  in   2  partes  divisa«.     y>Praecepta  Musicae  theoreticae  et  prac- 
ticae,  Tahulis  St/7iopfieis  inchisae«.     »Organof/raphia  rediviva  Michaelis  Fraetorü«. 
»Examen   Organi  ptneiimatiei  contra  Sycophantas,  mit  Zeichnungen  und  Kupfern«. 
»Ausmachung  des  Clavicimbel-Claviers  u.  s.  w.«     »Eigentliche  Beschreibung  der 
heutigen    vornehmsten    Orgeln    in    Deutschland    und    in    den  Niederlanden,  mit 
historisch-mathematischen  Anmerkungen«.    y>Tractatus  de  inodis  musicis  vindicatus, 
mit  Exempeln    aus   den   berühmtesten  Italienern«.     s^L'Ärte  del  Contrapunto  ri- 
dotta    in    tavole    da    Gio.  Maria    Artusi    da    Bolg.«     -nMusica    Practica,    Thomas 
Morleg,  aus  dem  Englischen«,    -nlnstitution  harmonique,  Salom.  de  Gaus,  aus  dem 
Französischen,  mit  Anmerkungen,  Zeichnungen  und  Kupfern«.     »Dreissig  Vor- 
reden des  Frescobaldi,  Donati,  Rovettan,  Malgarini  u.  A.  aus  dem  Italienischen«. 
Trost,    Johann    Caspar,    der    Sohn    des    Vorigen    und    Hof-Organist    zu 
Weissenfeis,  hat  herausgegeben:  »i)e  luribits    et  Privilegiis  Musicoruma.     »Aus- 
führliche Beschreibung  des   neuen    Orgelwerks    auf  der  Augustusburg  "Weissen- 
fels,  worinne  zugleich  enthalten,  was  zu  der  Orgelmacherkunst  gehöre,  wie  nach 
allen  Stücken  eine  Orgel  disponirt,  vermittelst  des   Monochords  gestimmet  und 
temperirt,  die  Stimme  auf  allerhand  Arten  vei'wechselt  und  ein  neu  Orgelwerk 
probirt  werden  solle«  (Nürnberg,  1677,   72   S.  in  12"). 

Tronbadonrs,  Trohadors  (proven^alisch  Trobais,  nordfranzösisch  Trou- 
veres),  von  trobar,  trouver  =  erfinden,  hiessen  die  ritterlichen  Sänger  in 
Südfrankreich,  welche  vom   11.  Jahrhundert  an  die  Pflege  der  lyrischen  Poesie 


Troubadours.  321 

mit  Eifer  und  Innigkeit  übernahmen.  In  Südfrankreich,  an  der  linken  Seite 
der  Loire,  in  Provence  und  Catalonien  hatte  die  Cultur  seiner  Einwohner 
bereits  im  11.  Jahrhundert  eine  hohe  Stufe  erreicht  und  das  ßcmanische,  was 
sie  sprachen,  war  nicht  nur  vollkommen  zur  Schriftsprache  ausgebildet,  son- 
dern auch  so  klangvoll  und  zugleich  künstlerisch  entwickelt,  dass  es  die  Be- 
dingungen für  den  dichterischen  Ausdruck  vollständig  erfüllte,  für  den  Gesang 
ganz  und  gar  geeignet  war.  Die  Regenten  der  Provence  aber,  die  Grafen 
Berengar  aus  dem  Hause  Barcelona:  Raimon  Berengar  III.  (1167 — 1181), 
Bruder  des  Alfons  von  Aragon;  Alfons  IL,  dessen  Sohn  (1196 — 1209)  und 
Eaimon  Berengar  lY.  (1209  — 1245)  werden  schon  als  Beförderer  und  Schützer  der 
Dichtkunst  und  des  Gesanges  genannt;  sie  waren  selbst  als  Dichter  und  Sänger 
thätig  und  versammelten  die  gleicbgesinnten  Standesgenossen  an  ihrem  Hofe 
und  bald  stand  der  ganze  Adel  der  Provence  im  Dienste  von  Poesie  und  Musik. 
Doch  galt  ihr  Eifer  hauptsächlich  der  Dichtkunst  und  zwar  namentlich  der 
leichtern  und  graziösem  Gattung  des  lyrischen  Liedes.  Sie  dichteten  Soulas 
(solatio,  soulagements),  lustige  und  schalkhafte  Lieder;  Lais  (Lieder),  traurige 
und  melancholische  Gesänge;  Pastou relies  =  Schäferlieder,  Syrventen,  Lob- 
reden oder  auch  Satyren  in  bald  bitterm,  bald  klagendem  Ton  und  Tenson 
oder  Tenzen  (Tenzonen  genannt),  poetische  "Wettkämpfe.  Diese  letztern  na- 
mentlich waren  sehr  beliebt  und  es  ist  bekannt,  dass  sich  ein  förmlicher  Gerichts- 
hof bildete  (Cours  (Vamour  oder  Corte  cVamore),  in  welchem  poetische  Wettkämpfe 
ausgeführt  wurden,  bei  denen  die  Damen  die  Entscheidung  herbeiführten.  Die 
meisten  dieser  Troubadours,  namentlich  die  eigentlichen  Hofdichter,  waren 
zugleich  des  Singens  und  Spielens  der  Instrumente  kundig  und  erfanden  auch 
ihre  Melodien  selbst.  Diejenigen,  bei  welchen  dies  nicht  der  Fall  war,  nahmen 
einen  oder  auch  mehrere  Spielleute  in  Dienst,  die  Jongleurs  genannt 
wurden,  weil  sie  in  der  Regel  zugleich  auch  allerlei  kurzweilige  Künste  trieben; 
sie  waren  zugleich  Possenreisser  ( Joculatores)  und  Sänger,  Chanteors, 
und  spielten  auch  zum  Tanz  auf  Estrumanteors.  Der  Jongleur  tanzte, 
überschlug  sich,  sprang  durch  Reifen,  fing  kleine  Aepfel  mit  zwei  Messern  auf, 
ahmte  den  Gesang  der  Vögel  nach,  Hess  Hunde  und  Affen  ihre  Kunststücke 
machen,  lief  und  sprang  auf  einem  hochgespannten  Seil  und  spielte  übei'haupt 
den  Lustigmacher.«  Von  Instrumenten,  welche  die  Troubadours  oder  die 
Jongleurs  bei  der  Begleitung  ihres  Gesanges  in  Anwendung  bi-achten,  werden 
die  Viola,  Harfe  und  Cither,  die  Rotta,  Geige,  Leier  und  Handpauke, 
Trommel,  Castagnetten  und  Sackpfeife  genannt. 

Selbstverständlich  hatten  diese  Jongleurs  stets  eine  untergeordnetere  Stellung 
dem  Troubadour  gegenüber  inne;  wenn  dieser  auch  seine  Melodien  selbst  erfand 
und  sang,  so  sank  er  dadurch  noch  nicht  zum  Jongleur  herab,  erst  wenn  er 
dafür  wie  der  Hofdichter  Bezahlung  nahm,  wenn  er  um  andern  als  Liebeslohn 
sang,  musste  er  es  sich  gefallen  lassen,  Jongleur  zu  heissen.  Dabei  aber  konn- 
ten die  Troubadours  selten  die  Dienste  des  Jongleurs  entbehren.  Selbst  wenn 
er  sein  Lied  gedichtet  und  auch  mit  der  entsprechenden  Musik  versehen  hatte, 
war  es  ihm  nicht  immer  möglich,  es  selbst  an  die  rechte  Adresse  zu  bringen, 
und  dazu  bediente  er  sich  des  Jongleurs,  der  sein  Lied  »Vers  und  Ton«  übers 
Meer  trug  und  dessen  Gewissenhaftigkeit  und  Kunstfertigkeit  er  sicher  sein 
musste.  Pierre  von  Auvergne  (1155—1215)  bittet  die  Spieler  dringend,  seine 
Dichtungen  und  Melodien  nicht  zu  entstellen  und  von  Guirault  de  Cabreira 
und  Guirant  de  Calanson  sind  ausführliche  Unterweisungen  für  ihre  Jongleurs 
entworfen. 

Auch  in  Nordfrankreich  hatte  die  Freude  an  Dichtung  und  Musik 
unter  dem  Adel  tiefe  Wurzel  geschlagen  und  sie  führte  hier  noch  zu  einer 
ernsteren  Pflege  als  in  der  Provence,  so  dass  im  12.  Jahrhundert  ganz  Frank- 
reich der  Dichtkunst  und  Musik  huldigte.  Die  ritterlichen  Sänger  hiessen  hier 
Trouvers.  Ausser  den  schon  erwähnten  mächtigen  Gönnern  sind  noch  zu 
nennen    die  Grafen    von    Toulouse,    besonders    Raimon   IV.    von  St.  Gilles, 

Musibal,  Convers.-Lexikon.    X.  «^l 


222  Troubadours. 

der  1006  das  Kreuz  nalim,  die  Grafschaft  Tripolis  erwarb  und  melir  als  den 
dritten  Tlieil  des  provencalisclien  Sprachgebiets  von  Frankreich  beherrschte. 
E,aimon  V.  (1148 — 94),  an  dessen  Hofe  Peire  ßogier,  Bernart  von  Yen- 
tadour  und  Peire  Raimon  von  Toulouse  lebten;  Raimon  VII,  (1222 — 1249), 
bei  welchem  Pa im on  von  Miraval  lebte;  ferner  sind  noch  zu  nennen;  Richard 
Löwenherz,  Graf  von  Poitou  (1169 — 1196),  später  König  von  England,  selbst 
Troubadour;  Wilhelm  VIIL  von  Montpellier  (1172— 1204),  Barral  Viz- 
graf  von  Marseille,  aus  dem  Hause  Baux  um  1180  Wilhelm  V.  von 
Baux,  Graf  von  Orange  (1182 — 1219),  Robert  Delphin  von  Auvergne 
(1169 — 1234),  und  unter  den  Frauen  besonders  Eleonore,  Gattin  Ludwig's  VII. 
von  Frankreich  und  von  1152  Heini'ich's  II.,  Herzogs  der  Normandie  und  Königs 
von  England  und  Ermengarde,  Vitzgräfin  von  Narbonne  (1143 — 1192). 

Einer  der  ältesten  Troubadours  ist  Guillem  von  Portiers  (1071 — 1127); 
ihre  Blüthezeit  erreichen  sie  mit  Bernart  de  Ventadour,  Bertran  de  Born, 
Arnaut  Daniel,  Guirant  de  Borneil  von  1140 — 1250.  Einzelne  Melodien 
dieser  Lieder  sind  uns  erhalten,  wie  die  von  Chatelain  de  Couzy,  vom  König 
Thibaut  vonNavarra  und  einige  Tanzlieder,  welche  beweisen,  dass  die  Trou- 
badours in  Freiheit  der  melodischen  Ei'finduug  unsere  deutschen  Minnesänger 
überragen.  Der  bedeutendste  Troubadour  ist  nach  dieser  Seite  unstreitig  Adam 
de  la  Haie  (um  1270),  der  zugleich  durch  seine  Liederspiele  als  Begründer 
der  dramatischen  Kunst  in  Frankreich  galt;  er  wie  Machaud  waren  zugleich 
mit  den  Künsten  des  Contrapunkts  so  weit  vertraut,  dass  sie  auch  einzelne 
ihrer  Gesänge  mehrstimmig  bearbeiten  konnten. 

Nach  Italien  gelangten  diese  Lieder  durch  den  lebhaften  Verkehr,  der  sich 
namentlich  seit  dem  Beginne  des  13.  Jahrhunderts  mit  Frankreich  entwickelte. 
Die  glänzenden  Feste  der  grossen  und  reichen  Städte  Florenz,  Venedig, 
Genua,  Padua  u.  s.  w.  lockten  Troubadours  und  Jongleurs  herbei  und 
mit  ihnen  gewann  die  provencalische  Poesie  Boden  in  Italien.  Hier  hatte  die 
Sprache  noch  nicht  jene  Festigkeit  und  Geschmeidigkeit  erlangt,  dass  sie  sich 
geschickt  zum  dichterischen  Ausdruck  erwies  und  so  fanden  sich  die  italienischen 
Trovatore  von  den  Vorzügen  und  Reizen  der  Provencalsprache  so  angezogen, 
dass  sie  in  dieser  dichteten.  Sie  gingen  nach  dem  südlichen  Frankreich  und 
wurden  von  den  Fürsten  hier  eben  so  freundlich  aufgenommen  wie  von  den 
Troubadours.  Darnach  fanden  sich  auch  in  Italien  Fürsten,  wie  Graf  Azzo  VII. 
von  Este  (1215 — 1264),  der  die  berühmtesten  Trovatore  seiner  Zeit  an  seinem 
Hofe  versammelte,  aber  auch  hier  blieb  die  Provencalsprache  die  herrschende. 
Von  den  in  der  Volkssprache  dichtenden  Adeligen  sind  nur  Franz  vonAssisi 
zu  nennen  und  seine  Genossen  Giacopone  von  Todi,  Bonaventura,  Gia- 
comini  von  Verona,  welche  Beiden  mit  hinreissender  Liebesglut  sangen. 
Erst  Dante  (geboren  1265)  gab  der  Sprache  seines  Vaterlandes  die  dichterische 
Bedeutung  und  Petrarca  erst  erhob  sie  zum  Ausdruck  der  innigsten  und 
zartesten  Liebe  eines  Einzelnen  und  machte  die  provencalische  Dichtung  in 
Italien   verstummen. 

Auch  die  Trobadores  in  Spanien  hatten  Anregung  und  Anleitung  für 
ihre  Sangesweise  aus  der  Provence  erhalten.  Die  Dichtkunst  und  Musik  fanden 
auch  hier  an  den  Königen  meist  die  thatkräftigste  Unterstützung.  Alphons  II. 
(t  1196),  Peter  IL  (f  1213),  Peter  IIL  (f  1285)  sind  selbst  unter  die 
Trobadores  zu  zählen,  und  als  die  Kunst  derselben  zu  verwildern  drohte,  stif- 
tete Johann  L,  um  dem  vorzubeugen,  eine  eigene  poetische  Akademie :  de  gaya 
Ciencia,  nach  dem  Muster  der  zu  Toulouse  1324  errichteten  Akademie  des  Jeux 
fie%ireaux-^  zwei  andere  Könige:  Martin  (f  1409)  und  Ferdinand  I.  (f  1416) 
erweiterten  und  erneuerten  diese  Anstalt  und  wohnten  ihren  Sitzungen  bei; 
aber  auch  das  hatte  nur  wenig  Erfolg:  mit  dem  Sinken  des  Ritterthums  verfiel 
überall  die  ritterliche  Poesie.  Welch  grosse  Bedeutung  diese  ganze  Phase  der 
Dichtkunst  und  Musik,  durch  die  ritterlichen  Sänger  in  Deutschland 
(Minnesang),    Frankreich,    Spanien,    Italien    und    England    (Minestreis) 


Troupenas  —  Trugcadenz. 


323 


herbeigeführt,  für  die  Entwickelung  der  Kunst  im  Allgemeinen  hatte  und  wie 
sie  in  Deutschland  den  Meistersang  und  dann  vor  allem  den  Volksgesang 
beeinÜussten,  ist  hier  nicht  weiter  zu  verfolgen.  Mit  dem  Verfall  des  Ritter- 
wesens, der  ebenso  von  oben,  durch  die  energische  Ausbildung  der  monarchischen 
Gewalten,  wie  von  unten,  durch  das  nach  Macht  und  Bedeutung  ringende 
Bürfferthum  im  15.  und  16.  Jahrhundert  befördert  wurde,  verlor  dies  auch  das 
Interesse  an  der  Poesie;  die  Pflege  derselben  ging  allmülig  auf  das  Bürgerthum 
und  auf  das  Volk  über. 

Troupeuas,  Eugene,  geboren  zu  Paris  1799,  studirte  unter  "Wronsky  Ma- 
thematik und  betrieb  aus  Liebhaberei  auch  ernstlich  die  Musik.  Wahrscheinlich 
diese  zweifache  Beschäftigung  liess  bei  ihm  den  Gedanken  entstehen,  eine  ma- 
thematische Musiktheorie  zu  entwerfen.  Zwei  hierauf  bezügliche  Briefe  sind 
1832  in  der  y>Revue  musicalea  veröffentlicht:  1)  y>Essai  sur  la  theorie  de  la 
musique,  deduite  du  principe  metliaphysique  sur  lequel  si  fonde  la  realite  de  cette 
Science.  Premier  lettre  ä  M.  le  redacteur  de  la  Revue  musicalea.  2)  r>Seconde 
lettre  ä  M.  le  redacteur  de  la  Revue  musicaleti.  Beide  Briefe  sind  auch  separat 
abgedruckt  worden.  T.  begründete  auch  eine  renommirte  Musikverlagshandlung 
in  Paris.     Er  starb  am   11.  April  1850. 

Trousseau,  Armand,  Arzt  in  Paris,  Mitglied  der  medicinischen  Akademie, 
zu  Tours  1801  geboren,  hat  viele  Schriften  herausgegeben,  darunter:  »Tratte 
pratique  de  la  phthisie  laryngee,  de  la  laryngee  chronique,  et  des  maladies  de  la 
voixa  (Paris,  Baillere,   1837,  en  vol.  in  8"). 

Trourers  (franz.),  s.  v.  a.  Troubadours  (s.  d.). 

TroTadore  (spanisch),  s.  v.  a.  Troubadour  (s.  d.). 

TroTatore  (ital),  s.  v.  a.  Troubadour. 

Truebensee,  s.  Triebensee. 

Trugcadenz,  Trugschluss,  Cadenza  dHnganno,  ficta,  Cadence  rom- 
qiie,  trompeiise,  auch  unterbrochene  Cadenz  heisst  die  Auflösung  des 
Dominantaccerds  nach  einem  andern  als  seinem  tonischen  Dreiklauge: 


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etc. 


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Unter  1.  2.  geben  wir  hier  die  natürliche  Auflösung  des  Dominantaccordes, 
die  weitern  Auflösungen  sind  Trugfortschreitungen.  Der  Dominant  dreiklang 
ist  nur  dann  zu  einer  Trugfortschreitung  zu  verwenden,  wenn  er  wii'klich  als 
Accord  des  Ganzschlusses  auftritt: 


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ISI 


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324 


Truhn. 


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5. 



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6. 

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7. 

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8. 

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-tf=-j 

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Die  unter  1 — 4  verzeichneten  Fortschreitungen  sind  nicht  als  Trugfortschrei- 
tungen  zu  betrachten,  weil  hier  der  Dreiklang  auf  der  Dominant  durchaus 
noch  freie  Bewegung  hat,  nicht  nothwendig  nach  der  Tonika  sich  zu  bewegen 
braucht.  In  den  folgenden  Beispielen  5,  6,  7  und  8  dagegen  ist  er  der  ent- 
scheidende Accord  der  Schlusscadenz  und  man  erwartet,  dass  er  sich  zum  Schluss 
nach  der  Tonika  wendet.  Jede  andere  Wendung,  die  er  nimmt,  wird  darum 
zum  Trugschluss,  zur  Trugcadenz.  Daher  muss  man  aber  auch  die  als 
solche  bezeichnen,  die  ihn  nicht  nach  dem  Grrund-,  sondern  nach  dem  Sext- 
accord  führt,  wie  hier  unter   1: 

1  2. 


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"^^  g5~ 


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Der  unter  2  verzeichnete  Schluss  ist  nicht,  wie  doch  häufig  geschieht,  unter 
die  Trugschlüsse  zu  rechnen,  wenn  auch  der  Schlussaccord  in  die  Terzlage 
eintritt,  da  es  durchaus  nicht  nöthig  ist,  in  der  Octavlage  zu  schliessen.  Seine 
häufio-ere  Yerwenduner  findet  der  Trugschluss  in  Concerten  für  ein  Soloinstru- 
ment  mit  Orchesterbegleitung.  Hier  leitet  er  in  der  Eegel  die  sogenannte 
Cadenz,  in  der  der  Solist  seine  besonderu  Forcen  entwickelt,  ein  und  ist  dann 
noch  durch  eine  Fermate  wirksamer  gemacht.  Bei  der  Fuge  bereitet  er  die 
Stretta  vor. 

Traliu,  Friedrich  Hieronymus,  einer  der  bedeutendsten  und  geist- 
vollsten Musiker  der  Gegenwart,  ist  am  14.  October  1811  zu  Elbing  geboren. 
Schon  als  ICnabe  erregte  er  durch  seine  klangvolle  und  umfangreiche  Stimme, 
wie  durch  sein  ausgezeichnetes  Gehör  und  die  eigenthüraliche  Art  seines  Vor- 
trags allgemeines  Aufsehen,  und  als  er  dann,  kaum  10  Jahre  alt  geworden, 
veranlasst  durch  das  öffentliche  Auftreten  des  Flötenvirtuosen  Otto  Kressner 
aus  Dresden,  seine  Eltern  zu  bewegen  wusste,  dass  sie  ihm  Flötenunterricht 
ertheilen  Hessen,  machte  er  so  rasche  Fortschritte,  dass  er  sehr  bald  im  Stadt- 
orchester mitwirken  und  dann  selbst  als  Solist  in  den  Abonnementsconcerten 
seiner  Vaterstadt  auftreten  konnte.  Als  er,  etwa  zwölf  Jahre  alt,  den  »Frei- 
schütz« zum  ersten  Male  hörte,  ward  er  von  dieser  Oper  so  hingerissen,  dass 
er  Mutter  und  Vormund  mit  Bitten  bestürmte,  ihm  durch  den  Organisten  Carl 
Kloss  Ciavierunterricht  ertheilen  zu  lassen;  allein  er  erlangte  nur,  dass  ihm 
gestattet  wurde,  Violinunterricht  zu  nehmen.  Obgleich  er  für  dies  Instrument 
weniger  Talent  und  noch  weniger  Neigung  hatte,  machte  er  dennoch  auch  hier 
so  bedeutende  Fortschritte,  dass  er  bald  im  Orchester  am  ersten  Pulte  und 
schliesslich  auch  als  Solist  in  den  Concerten  mitwirken  konnte.  Trotz  dieser 
aussergewöhnlichen  Eesultate  gelang  es  ihm  doch  erst  vei'hältnissmässig  spät, 
von  den  Seinen  die  Zustimmung  dazu  zu  erhalten,  dass  er  die  Musik  zu  seinem 
Lebensberuf  erwählte.  Im  Sommer  1831  ging  T.  nach  Berlin  und  hier  wurden 
Bernhard  Klein  und  nach  dessen  Tode  S.  Dehn  seine  Lehrer  in  der  Com- 
position  und  später  hatte  er  auch  das  besondere  Glück,  bei  Mendelsohn 
einige  Monate  Instrumentation  zu  studiren.  Noch  während  er  bei  Klein  stu- 
dirte,  erschien  seine  erste  Composition  zu  Goethe' s  »Fischer«,  die  sich 
eines  so  aussergewöhnlichen  Beifalls  erfreute,  dass  ihm  von  der  Firma  Becht- 
hold  &  Hartje    die  Composition    des   Gedichts    auf    den    Tod    des  Herzogs  von 


Truhn.  325 

Eeichstadt  übertragen  wurde.  Ein  besonderes  Interesse  erhielt  dies  "Werk  noch 
dadurch,  dass  die  Titelvignette  die  erste  veröffentlichte  Zeichnung  des  gegen- 
wärtig wohl  bedeutendsten  Malers  unserer  Zeit,  Adolph  Menzel's  ist.  Des 
jungen  Künstlers  Truhn  reiche  Begabung  aber  zeigte  sich  besonders  in  der  bur- 
lesken Musik  zu  dem  Puppenspiele:  »Der  baiersche  Hiesel«,  die  im  Herbst  1832 
von  dem  Jüngern  Künstlers-erein  aufgeführt  wurde,  und  seine  humoristischen 
Compositionen,  wie  die  »"Weinlieder«  (op.  3),  »Die  schöne  Kellnerin  von  Bacha- 
rach«  (op.  13)  oder  das  Quartett  »Die  Käferknaben«  (op.  30)  fanden  eine  so 
rasche  Verbreitung,  dass  sein  Name  bald  in  ganz  Deutschland  bekannt  wurde. 
1833  componirte  er  Körner's  Operette:  »Der  vierjährige  Posten«,  die  auch 
von  der  Königl.  Bühne  zur  Anschaffung  angenommen  wurde.  Doch  T.  zog 
sie  wieder  zurück,  brachte  dafür  die  Operette  »Trilby«,  nach  dem  Französischen 
des  Nadier  und  Scribe  von  L.  Schneider  bearbeitet,  zur  Aufführung  am  22.  Mai 
1835,  welche  beifällige  Aufnahme  fand.  1835  nach  seiner  Verheiratung  siedelte 
T.  nach  Danzig  über,  übernahm  hier  die  Stelle  als  Kapellmeister  am  Stadt- 
theater und  erLheilte  Gresang-  und  G-eneralbassunterricht.  Der  Direktor  des 
Theaters  Ziethen-Liberati  gerieth  1837  in  Concurs  und  dies  veranlasste  T., 
Danzig  wiederum  zu  verlassen  und  nach  Berlin  zurückzukehren. 

Um  diese  Zeit  machte  er  auch  die  Bekanntschaft  mit  Robert  Schumann, 
der  ihn  zur  Mitarbeiterschaft  bei  der  von  ihm  gegründeten  »Neuen  Zeitschrift 
für  Musik«  veranlasste.  T.  schrieb  für  diese  Zeitung  eine  Eeihe  werthvoller 
Artikel  und  mit  dieser  literarischen  Thätigkeit  hat  er  fast  noch  raschere  und 
durchgreifendere  Erfolge  erzielt  als  mit  jeder  andern.  Er  war  einer  der  ersten, 
welche  in  Bearbeitung  künstlerischer  Fragen  technische  Grründlichkeit  mit 
geistvoller,  anziehender  Darstellung  zu  verbinden  wussten,  und  das 
machte  ihn  zu  einem  der  beliebtesten  Mitarbeiter  der  verschiedenen  Musik- 
zeitungen, denen  er  seine  Thätigkeit  widmete.  Einen  ganz  besondern  Eeiz 
gewannen  dadurch  seine  Feuilletons,  die  er  als  Redakteur  des  feuilletonistischen 
Theils  der  »Neuen  Berliner  Musikzeitung«  und  für  den  »Hamburger  Coi-respon- 
denten«  schrieb.  Eine  solche  Eleganz  der  Darstellung  und  ein  so  feiner  Humor, 
der  den  Ernst  der  Sache  überall  herauszukehren  versteht,  war  bisher  auf  diesem 
Gebiete  unbekannt  und  machten  gerechtes  Aufsehen.  Daneben  blieb  T.  auch 
auf  den  andern  Gebieten  seiner  Kunst  nicht  unthätig. 

Zur  Zeit  der  Huldigung  Friedrich  "Wilhelm  IV.  veranstaltete  er  in  Kö- 
nigsberg ein  grosses  Fest-Coucert  im  Theater,  bei  welcher  Gelegenheit  er  eine 
von  ihm  gedichtete  und  componirte  Cantate  aufführte,  die  mit  grossem  Beifall 
aufgenommen  wurde.  Von  hier  aus  machte  er  eine  weitere  Kunstreise  durch 
die  russischen  Provinzen  und  kam  bis  "Warschau  und  Krakau  und  übei*all 
erfreuten  sich  seine  AYerke  des  grössten  Erfolges.  1843  unternahm  er  eine 
neue  Kunstreise  mit  Th.  Döhler  nach  Skandinavien  und  auch  dort  fanden  seine 
Compositionen  wie  sein  Direktionstalent  ungetheilten  Beifall.  Nach  seiner  Rück- 
kehr nach  Berlin  entwickelte  er  wieder  eine  grosse  Thätigkeit  als  Componist 
und  eine  Reihe  seiner  in  dieser  Zeit  veröffentlichten  Gesänge  drangen  in  die 
weitesten  Kreise  und  machten  ihn  volksthümlich  im  wahren  Sinne  des  Worts. 
Ein  grösseres  AVerk:  »Mahadöh«  für  Soli,  achtstimmigen  Chor  und  Orchester, 
das  er  1846  componirte,  wurde  in  Berlin,  Breslau,  Dresden,  Königsberg  und 
Elbing  mit  grossem  Beifall  aufgeführt.  Im  Herbst  1848  nahm  er  seinen 
AVohnsitz  in  Elbing,  wo  er  einen  Gesangverein  gründete,  die  Leitung  der  dasigen 
Liedertafel  und  des  ältesten  Männergesaugvereins  und  zugleich  den  Gesang- 
unterricht in  der  ersten  Töchterschule  übernahm.  Hier  veranstaltete  er  eine 
Reihe  öffentlicher  Aufführungen,  in  Folge  deren  ihm  auf  Antrag  des  Ober- 
präsidenten der  Provinz  »in  Anerkennung  seines  rühmlichen  Eifers  um  För- 
derung der  Tonkunst«  das  Prädikat  eines  Königl.  Musikdirektors  ertheilt  wurde. 
1850  wurde  ihm  die  Leitung  des  zweiten  Preussischen  Sängerfestes  übertragen 
und  hierbei  brachte  er  seine  Composition:  »Der  Abschied«  von  IJhland  für 
Soli,    Männerchor  und  Orchester    mit    grossem  Erfolge  zur  Aufführung.     1852 


326  Trumsclieit  —  Truska. 

kehrte  er  nach  Berlin  zurück  und  stiftete  hier  die  neue  Berliner  »Liedertafel«, 
die  bald  einen  bedeutenden  Aufschwung  nahm.  Das  von  ihm  für  Johanna 
"Wagner  componirte  Melodrama:  »Cleopatra«  ging  zum  ersten  Mal  am  23.  Fe- 
bruar 1853  mit  bedeutendem  Erfolge  auf  der  Königl.  Bühne  in  Scene.  Im 
Winter  1854  verband  er  sich  mit  Hans  von  Bülow  zu  einer  Kunstreise 
und  ging  dann  nach  ßiga,  wo  er  bis  Anfang  1858  als  Lehrer  des  Gesanges 
und  der  Theorie  lebte  und  die  dortige  »Liedertafel«  leitete.  Seitdem  lebt  er 
ununterbrochen  wieder  in  Berlin,  mit  Musikunterricht,  der  Composition  und 
literarischen  Arbeiten  beschäftigt.  Ausser  den  bereits  erwähnten  Compositionen 
sind  noch  eine  grosse  Reihe  von  Liedern  zu  erwähnen,  von  denen  einzelne, 
wie  »Ach  keine,  keine  find  ich  je«  (op.  74)  und  »Schloss  Boncourt«  (op.  100) 
so  weite  Yerbreitung  fanden,  wie  nur  wenige  Lieder  in  neuerer  Zeit,  und 
andere,  wie  op.  64  »Liederroman«  in  zwölf  Liedern,  op.  67  »Elegische 
Poesien«  oder  op.  75  »Stille  Lieder«,  die  mit  zu  dem  Besten  gehören, 
was  auf  diesem  Gebiete  hervorgebracht  wurde.  Ein  vollständiges  Verzeichniss 
seiner  Compositionen  bringt  Ledebur's  »Tonkünstler-Lexikon  Berlins«. 

Trnnischeit  war  ein  im  14.  und  15.  Jahrhundert  namentlich  bei  Festlich- 
keiten sehr  gebräuchliches  Instrument.  Glarean  beschreibt  es  in  seinem 
•aDodecacIwrdona.  »als  ein  Instrument,  das  bei  den  Deutschen,  Franzosen 
und  Niederländern  gebräuchlich  auch  TympaniscMzam  genannt  wurde  und 
aus  drei  dünnen  Brettern  zusammengefügt,  in  der  Länge  zugespitzt  und  auf 
dem  obersten  Brett,  dem  Resonanzboden,  mit  einer  Darmsaite  bezogen  war, 
die  dann  mit  einem  aus  Pferdehaaren  gemachten  und  mit  Pech  oder  Colopho- 
nium  bestrichenen  Bogen  angestrichen  und  dadurch  klingend  gemacht  wurde. 
Man  zog  wohl  auch  noch  eine,  um  die  Hälfte  kürzere  Saite  auf,  um  jene  durch 
die  Octave  zu  verstärken«.  Sebastian  Yirdung  in  seiner  yilfusicaa  (1511) 
und  Agricola  in  der  rtMusica  instrumentalisa  (1545)  bringen  es  gleich- 
falls, halten  aber  beide  nicht  viel  davon.  Yirdung  sagt:  »Die  Art  saiten  spill 
seynd  nit  so  eygentlich  zu  reguliren  vnd  zu  beschryben.  Daruf  zu  lernen  muss 
vil  mere  durch  den  verstand  des  Gesangs  zugan,  dann  man  das  durch  Regeln 
beschryben  mag;  darumb  ich  sye  och  für  onnitze  Instrumente  achte  die  cleynen 
geigen  vnd  das  trumsclieit.«  Das  von  Prätorius  beschriebene  {ySyntagma  mus.'i 
II.  p.  59)  lind  abgebildete  Trumscheit  (ySciagraphia».,  col.  XXI)  ist  mit  vier 
Saiten    bezogen,    »also    dass    die    rechte  Principal    vnd  längste  Saite  ins  G,  die 

andere  ins  c,  die  dritte  ins  g  vnd  die  vierdte  ins  c  gestimmt.  Ynd  bleiben  die 
obersten  drey  allezeit  in  einem  laut  vnd  Ton,  wie  sie  ins  c  g  c  gestimmt  seyn: 
Yff  der  gröbsten  Saite  aber,  wird  mit  anrühren  des  daumens,  die  rechte  Melo- 
dey  gleichwie  ein  rechter  Clarion  vff  einer  Trummet  zuwege  gebracht,  also, 
dass  wenn  es  von  fernen  gehöret  wird,  nicht  anders  lautet,  als  wenn  vier  Instru- 
mente miteinander  lieblich  einstimmeten.« 

Truscone,  Etruscone,  ein  ländlicher  Tanz  der  Toscanen,  welcher  von  den 
ehemaligen  Etruriern  abstammen  soll,  wie  der  Name  andeutet. 

Trnska,  Simon  Joseph,  Yirtuose  auf  der  Yioline  und  Yiola  da  Gamba, 
war  zu  Raudnitz  in  Böhmen  am  5.  April  1734  geboren.  Zu  allererst  erlernte 
er  das  Handwerk  seines  Yaters,  der  in  Prag  Kunsttischler  war.  1758  trat  er 
als  Laienbruder  in  das  Stift  Strahof,  widmete  sich  von  der  Zeit  an  mit 
Eifer  der  Musik  und  brachte  es  als  Yiolinist,  Yiola  da  Gambist,  auch  in  der 
Composition  zu  erfreulicher  Fertigkeit,  wie  seine  Quintette,  Quartette,  Trios, 
Sonaten  und  Tänze,  die  auf  den  Bällen  in  Prag  viel  Anklang  fanden,  bezeugen. 
Die  Ausbesserung  der  Orgel  in  seinem  Kloster,  welche  gut  gelang,  veranlasste 
ihn  zu  dem  Yersuch,  eine  kleine  tragbare  Orgel,  später  ein  Positiv  zu  bauen. 
Da  Beides  vorzüglich  ausfiel,  legte  er  sich  mit  Leidenschaft  auf  den  Instru- 
mentenbau und  verfertigte  Pianos  und  Streichinstrumente,  welche  in  Böhmen 
und  auch  anderweit  gern  gekauft  wurden.  Truska  starb  75  Jahre  alt  am 
14.  Januar  1809. 


Trutoreu  —  Tschaikowsky.  327 

Trutoren,  iingarisclae  Liederdichter,  die  bei  Festen  und  im  Kriegslager  die 
Thaten  ihrer  Herzöge  besangen. 

Trydel,  irländischer  Musiker,  Professor  zu  Dublin  um  die  Mitte  des  18. 
Jahrhunderts,  gab  ein  musikalisches  Lehrbuch  heraus:  y>Two  Essays  on  the  iheory 
and  practice  of  Musica  (Dublin,   1766,  in  8°). 

Tsai-yn,  Prinz  der  kaiserlichen  Familie  Ming  in  China,  lebte  in  der  zweiten 
Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  und  beschäftigte  sich  mit  Forschungen  der  alt- 
chinesischen theoretischen  "Werke  vornehmlich  in  Bezug  auf  die  Bildung  der 
Tonleiter  und  die  Verhältnisse  der  zwölf  chromatischen  Halbtöne  (lü)  der  älteren 
chinesischen  "Werke.  Das  Buch,  welches  er  1596  abfasste  und  herausgab,  hat 
den  Titel:  y^Lü-lü-Tsing-y«. 

Tsang-kou,  ganz  kleine  Trommel  in  Form  einer  Sanduhr  bei  den  Chinesen. 

Tschaikoirsky,  Peter,  russischer  Componist,  ist  am  25.  April  1840  im 
Uralwebirge  geboren,  wo  sein  Vater  ein  Bergwerk  besass.  Im  Alter  von  zehn 
Jahren  wurde  er  nach  Petersburg  gesandt,  um  die  dortigen  Schulen  zu  besuchen, 
und  nachdem  er  seine  Studien  mit  Absolvirung  des  ersten  Cursus  der  kaiserl. 
Schule  der  Eechtsgelehrsamkeit  abgeschlossen,  trat  er  für  drei  Jahre  in  das 
gerichtliche  Departement  als  Mitarbeiter  ein.  Mittlerweile  aber  hatten  sich 
seine  musikalischen  Anlagen  derart  entwickelt,  dass  sein  "Wunsch,  die  Tonkunst 
berufsmässig  treiben  zu  dürfen,  nicht  mehr  zurückzudrängen  war:  22  Jahre  alt 
verliess  er  die  bis  dahin  verfolgte  Laufbahn  und  trat  in  das  eben  jetzt  eröffnete 
Petersburger  Conservatorium  der  Musik  als  Schüler  ein.  Hier  reifte  sein  Talent 
in  so  schneller  und  glücklicher  "Weise,  dass  er  schon  nach  drei  Jahren  (1865) 
als  Compositionslehrer  an  das  Conservatorium  der  Musik  zu  Moskau  berufen 
werden  konnte,  in  welchem  Amte  er  alsbald  eine  erfolgreiche  Thätigkeit  begann, 
es  auch  bis  zur  Gregenwart  (1878)  mit  Ehren  fortgeführt  hat.  Von  seinen 
Compositionen,  welche  sich,  wie  die  der  ganzen  jüngeren  Musiker- Generation 
Russlands  der  neudeutschen  Richtung  anschliessen,  sind  im  Druck  erschienen: 
op.  1  ■silmpromptit,  et  Scherzo  russe  für  Claviera;  op.  2  -aSouvenir  de  IIapsaU<., 
drei  Ciavierstücke  (die  Schlossruine,  Scherzo,  Lied  ohne  "Worte) ;  op.  4  »  Valse- 
Caprice  für  Ciavier«;  op.  5  »B-omanze  für  Ciavier;  op.  6  »Sechs  Lieder  für 
eine  Singstimme  mit  Ciavierbegleitung«;  op.  7  ifValse- Scherzos;  op.  8  -aCaprice«; 
op.  9  »Drei  Charakterstücke«;  op.  10  »Nocturno  und  Humoreske«;  sämmtlich 
für  Ciavier;  op.  11  »Erstes  Streichquartett«;  op.  13  »Erste  Symphonie  für  grosses 
Orchester  (G-moll);  op.  16  »Sechs  russische  Lieder  mit  Clavier«;  op.  18  »Der 
Sturm«,  Phantasie  für  Orchester  nach  Shakespeare;  op.  19  sechs  Ciavierstücke: 
■aReverie  du  soir«,  »Scherzo  Immoristiq^uea,  i>Feuillet  d^album«,  jyNocturne«,  »Capric- 
cioso«,  »Thema  mit  Variationen« ;  op.  20  »Sechs  Ciavierstücke  mit  einem  durch- 
gehenden Thema:  Präludium,  Fuge,  Impromptu,  Trauermarsch,  Mazurka,  Scherzo«; 
op.  22  »Zweites  Streichquartett«;  op.  23  »Clavierconcert  mit  Orchester«;  op.  25 
»Sechs  russische  Lieder  mit  Clavier«;  op.  26  -"Serenade  melancolique  für  Violine 
mit  Orchesterbegleitung«;  op,  27  »Sechs  russische  Lieder  mit  Clavier«;  op.  28 
dasselbe;  op.  29  »Dritte  Symphonie  für  grosses  Orchester«;  op.  30  »Drittes 
Streichquartett«  (Ferdinand  Laub's  Andenken  gewidmet);  op.  31  »Marsch  für 
grosses  Orchester  mit  Benutzung  russischer  und  serbischer  Volksweisen« ;  op.  32 
■nFrancesca  da  BiminU,  Phantasie  für  Orchester  nach  Dante.  Ausserdem  hat 
er  noch  folgende,  zum  Theil  im  Druck  befindliche  "Werke  vollendet:  »Variationen 
für  Violoncell  über  ein  Eococo-Thema«  (op.  33);  -aValse- Scherzo  für  Violine« 
(op.  34);  beide  mit  Orchesterbegleitung;  zwei  Symphonien  für  grosses  Orchester 
(No.  2  und  No.  4)  und  die  Musik  zum  Frühlingsmärchen  »Schneewittchen«  von 
Ostrowsky. 

Nicht  weniger  fruchtbar  als  auf  den  bisher  erwähnten  Grebieten  der  Com- 
position  ist  T.  auf  dem  der  dramatischen  Musik  gewesen.  Dem  grossen  Beifall 
nach  zu  urtheilen,  welchen  seine  Opern  beim  russischen  Publikum  gefunden 
haben,  scheint  gerade  hier  der  Schwerpunkt  seines  Talentes  zu  liegen.  Die 
Namen  derselben  sind  »"Wojewod«  (in  drei  Akten),  »Opritschnik«  (in  vier  Akten), 


328  Tsche  —  Tscheog. 

»Vakula  der  Schmied«  (komisctie  Oper  in  drei  Akten)  und  »Eugen  Onägin« 
(grosse  Oper  in  drei  Akten  und  sieben  Bildern  nach  einem  Stoffe  von  Puschkin). 
Auch  in  der  Balletmusik  hat  sich  T.  mit  Erfolg  versucht,  wie  dies  sein  grosses 
vieraktiges  Ballet  »ie  lac  des  cygnesa.  beweist. 

Tsche  (d.  h.  wunderbar),  eine  chinesische  Querflöte  mit  sechs  Tonlöchern, 
aber  ohne  Klappen;  die  beiden  Enden  sind  geschlossen,  das  Mundloch  befindet 
sich  in  der  Mitte  des  Rohres. 

Tscheng"  oder  Cheng  ist  eins  der  ältesten  Blasinstrumente  der  Chinesen 
und  noch  jetzt  dort  im  Grebrauche,  zugleich  ist  es  als  die  älteste  Art  von 
Orgeln  anzusehen.  Es  besteht  aus  13  oder  17,  19,  25  Pfeifen  von  Bambus, 
die  auf  einem  Luftbehälter  aufgestellt  sind,  zu  welchem  gewöhnlich  ein  halb 
abgeschnittener  Flaschenkürbis  benutzt  wird.  Eine  längere,  in  Form  eines 
Gänsehalses  gebogene  Bohre  dient  als  Mundstück,  so  dass  das 
Instrument  mit  seinem  Anblasrohre  der'  Form  einer  Kaffee- 
kanne gleicht.  Die  Abbildung  hier  mag  die  Grestalt  und 
Behandlungsart  des  Instruments  veranschaulichen. 

Im  Kensington-Museum  zu  London  befindet  sich  ein 
Cheng  mit  17  Pfeifen,  die  nach  ihrer  Länge  in  fünffacher 
Abstufung  aufgestellt  und  in  den  Luftkasten  so  eingesetzt 
sind,  dass  sie  in  der  Mitte  des  Kreises  einen  freien  Raum 
lassen.  An  ihrem  Untertheil  hat  jede  dieser  Pfeifen  ein 
Fingerloch,  das  bei  den  meisten  nach  der  äussern,  nur  bei 
einigen  nach  der  Innern  Seite  gekehrt  ist.  Der  Bläser  hält 
die  Finger  an  diese  Oeffnungen,  um  sie,  wenn  es  zur  Musik 
nöthig  wird,  zu  bedecken.  Der  Cheng  enthält  am  Fusse 
seiner  Pfeifen  freischwingende  Metallzungen,  die  sich 
beim  Luftstrom  hin  und  her  bewegen,  aber  nur  antönen, 
wenn  das  betreffende  Fingerloch  geschlossen  wird.  Diese 
»durchschlagenden  Zungen«  sind  für  den  europäischen  Orgel- 
bau (seitdem  man  das  chinesische  Cheng  in  Europa  kannte) 
nachgeahmt  worden,  somit  ist  diese  Chinesen-Orgel  von  grossem  Einfluss  gewesen, 
wie  die  Greschichte  des  Orgelbaues  lehrt.  —  Der  Luftkasten  des  Cheng  ist, 
wie  schon  bemerkt,  ein  Becken  von  einem  Kürbis,  aber  auch  zuweilen  aus  Holz 
gemacht,  und  gewöhnlich  schwarz  lackirt.  Der  Klang  der  Pfeifen  hat  vermöge 
seiner  Einrichtung  (weil  die  Zünglein  nicht  aufschlagen,  sondern  frei  schwingen) 
nichts  Schnarrendes,  sondern  ist  mehr  der  Gambe  in  unsern  Orgeln  ähnlich. 
Man  kann  den  Ton  durch  stärkeres  oder  schwächeres  Anblasen  an-  oder  ab- 
schwellen lassen.  Auch  ist  es  einerlei,  ob  man  den  Athem  einzieht  oder  aus- 
haucht, immer  kommen  Töne  zum  Vorschein.  Die  Zungen  sind  Stückchen  von 
sehr  dünnem  Messingblech,  die  auf  die  Aushöhlung  der  Pfeifen  mit  Wachs 
angeklebt  sind.  Auch  am  freien  Ende  der  Zunge  ist  bei  allen  ein  Stückchen 
Wachs  angeklebt,  um  die  Zunge  damit  schnell  stimmen  zu  können.  Die  Pfeifen, 
nach  unten  am  Fusse  etwas  zugespitzt,  haben  oben  ein  Loch,  bis  wohin  die 
Luftsäule  schwingt;  das  Ende,  was  oberhalb  dieses  Loches  sich  noch  befindet, 
ist  blos  der  Symmetrie  halber  da.  So  viel  Pfeifen,  so  viel  Töne  natürlich  giebt 
das  Instrument  und  diese  befinden  sich  meist  in  der  diatonischen  Tonleiter 
von  E\  der  tiefste  Ton  ist  das  eingestrichene  h,  der  höchste  das  dreigestri- 
chene h.  Uebrigens  stehen  manche  Tschengs  auch  in  anderer  Stimmung.  Dass 
von  einem  Tiefklang  unserer  Orgeln  bei  diesen  Tschengs  nicht  die  Rede  sein 
kann,  ergiebt  sich  aus  der  Natur  dieses  Pfeifenwerks,  da  die  Pfeifen  sehr  eng 
sind,  im  Durchmesser  die  kleinsten  Y*  ^^^  ^^^  grössten  nicht  über  ^/s  Zoll 
betragen  und  die  Grösse  des  Windbehälters  ungefähr  der  einer  grossen  Kaffee- 
schale gleichkommt. 

Früher  wurde  dies  Instrument  in  China  auch  Yu  genannt,  worunter  man 
aber  jetzt  eine  klingende  Steinplatte  versteht.  Die  Chinesen  versichern,  dass 
das  Cheng  in    alten    Zeiten    schon    gebraucht  worden  sei  und  zwar  bei  dem 


Tschibuisga  —  Tschircli.  "  329 


"a 


religiösen  E,itus  zu  Ehren  des  Confucius.  Tradescant  Lay  in  seinem  Bericht 
über  die  Chinesen  nennt  dies  Instrument  die  Jubals-Orgel  und  bemerkt, 
dass  es  das  Embryo  zu  unsern  reichgestaltigen  mächtigen  Orgeln  gewesen  sei. 
Das  Tscheng  ist  auch  in  Japan  gebräuchlich  und  ein  ähnliches,  obgleich  in 
der  äussern  Erscheinung  etwas  abweichendes  Instrument  ist  das  Heem  auf 
Borneo  und  in  Slam.  Die  Siamesen  nennen  ihr  Heem  auch  die  Laos-Orgel, 
welcher  Ausdruck  sagt,  dass  sie  es  als  ursijriinglich  von  Laos  abstammend  be- 
trachten. TJebrigens  verdient  ein  anderes  chinesisches  Instrument  hier  erwähnt 
zu  werden,  das  einfacher  in  seiner  Construktion  ist  und  wahrscheinlich  die  ur- 
sprünglichste Beschaffenheit  des  Cheng  darstellt.  Es  wird  gefunden  unter  den 
Meaou-tzen  oder  Bergbewohnern,  von  denen  vermuthet  wird,  dass  sie  die  Ur- 
einwohner Chinas  gewesen  seien.  Sie  nennen  es  Sang.  Diese  Art  hat  keinen 
Luftkasten,  ähnelt  vielmehr  der  Panspfeife  und  tönt  mittelst  eines  Mundstücks, 
das  aus  einer  kleinen  Röhre  besteht,  welche  im  rechten  "Winkel  zu  den  Pfeifen 
gestellt  ist.  —  lieber  das  Neu-Tschiang,  ein  1828  von  Eeichsstein  erfundenes 
Messing-Blasinstrument,  dem  man  wegen  seinen  durchschlagenden  Zungen  diesen 
chinesischen  Namen  gegeben,  vergl.  den  betr.  Art.  d.  L. 

Tschibüisg'a,   eine  Pfeife  der  Kirgisen  aus  Holz  oder  Schilfrohr. 

Tschirch,  sechs  Brüder,  welche  eben  so  reich  begabt,  wie  trefflich  durch- 
gebildet, Ansehen  und  Bedeutung  als  Musiker  gewannen: 

Tschirch,  Adolph,  geboren  am  S.April  1815,  gestorben  1875  als  Pastor 
prim.  in  Gruben.  Er  war  ein  guter  Ciavier-  und  Orgelspieler,  und  in  den 
Jahren  von   1845 — 1855   Mitarbeiter  der  »Neuen  Zeitschrift  für  Musik«. 

Tschirch,  Ernst  Lebrecht,  geboren  am  3.  Juli  1819,  gestorben  am 
26.  December  1854  in  Berlin,  war  ebenfalls  ein  guter  Clavierspieler.  Von 
1849 — 1851  bekleidete  er  die  Kapellmeisterstelle  am  Stadttheater  in  Stettin; 
hinterliess  ausser  vielen  Compositionen  für  Orchester  und  Gresang  auch  die 
Opern  »Frithjof«  und  »Der  fliegende  Holländer«,  die  jedoch  bis  jetzt  noch  nicht 
zur  Aufführung  gekommen  sind. 

Tschirch,  Hermann,  geboren  am  16.  October  1808,  gestorben  1829  in 
Schmiedeberg  als  Organist  und  Musiklehrer. 

Tschirch,  Julius,  geboren  1820,  gestorben  am  10.  April  1867  als  Or- 
ganist und  königl.  Musikdirektor  in  Hirschberg  in  Schlesien.  Ein  sehr  tüch- 
tiger Organist  und  Componist  guter  instructiver  Ciavierstücke,  die  sämmtlich 
bei  E.  Stoll  in  Leipzig  im  Druck  erschienen  sind. 

Tschirch,  Eudolph,  geboren  am  17.  April  1825,  gestorben  am  16.  Januar 
1872  in  Berlin  als  königl.  Musikdirektor.  Er  schrieb  eine  grosse  Anzahl  von 
Werken  für  Harmoniemusik,  von  denen  besonders  »Die  Hubertusjagd«  und 
»Das  Fest  der  Diana«  beliebt  geworden  sind.  Erstere  Composition  wird  all- 
jährlich bei  der  Hubertusjagd  im  Grunewalde  bei  Berlin  in  Oegenwart  des 
königl.  Hofes  aufgeführt.  1860  gründete  er  den  Märkischen  Central-Sängerbund 
und  leitete  ihn  bis  zu  seinem  Tode.  Von  ihm  sind  ausser  den  obengenannten 
Instrumentalwerken  auch  eine  grosse  Anzahl  Männergesänge  im  Druck  erschienen, 
unter  Andern  das  beliebte  Volkslied  »"Wenn  ich  den  "Wandrer  frage«. 

Tschirch,  "Wilhelm,  geboren  am  8.  Juni  1818  in  Lichtenau  in  Schlesien. 
Den  ersten  musikalischen  Unterricht  erhielt  er  mit  seinen  vorgenannten  Brüdern 
von  seinem  Täter,  der  selbst  ein  tüchtiger  Musiker  war,  und  daher  die  Fähig- 
keiten seiner  Söhne  in  frühester  Jugend  zur  Entwickelung  brachte.  "W.  Tsch. 
trat,  nachdem  er  den  Cursus  im  königl.  Lehrerseminar  in  Bunzlau  absolvirt 
hatte,  1839  auf  Kosten  des  Staats  als  Eleve  in  das  königl.  Institut  für  Kirchen- 
musik in  Berlin  ein,  später  in  die  musikalische  Section  der  Akademie  der 
Künste  und  genoss  gleichzeitig  noch  den  Unterricht  in  der  Composition  von 
A.  B.  Marx.  1843  wurde  er  in  Liegnitz  als  städtischer  Musikdirektor  angestellt, 
folgte  1852  einem  Eufe  nach  Grera,  woselbst  er  als  fürstl.  Kapellmeister,  Cantor 
und  Musikdirektor  sich  gegenwärtig  einer  segensreichen  "Wirksamkeit  erfreut. 
Seine  von  ihm  daselbst  veranstalteten  Concerte  und  grössern  Musikaufluhrungen 


330  Tschortsch  —  Tuba. 

haben  sich  auch  ausserhalb  einen  guten  Euf  erworben.  Er  ist  ein  ebenso 
tüchtiger  Dirigent,  wie  vorzüglicher  Ciavier-  und  Orgelspieler.  Als  Componist 
machte  er  sich  zuerst  bemerklich  durch  sein  grösseres  Werk  »Eine  Nacht  auf 
dem  Meere«,  das  von  der  königl.  Akademie  der  Künste  in  Berlin  mit  dem 
ersten  Preise  ausgezeichnet  wurde.  Der  ungewöhnlich  günstige  Erfolg  dieses 
"Werkes  bewog  ihn,  sich  vorzugsweise  der  Männergesangscomposition  zuzu- 
wenden. Er  huldigt  hierin  dem  ernsten  Genre.  Die  Beweise  dafür  sind  seine 
veröffentlichten  grössern  Compositionen:  »Der  Sängerkampf«,  »Das  Turnier«, 
»Die  Zeit«,  »Die  Harmonie«,  »Die  Waffen  des  Geistes«,  »Die  letzten  Meister- 
sänger in  TJlm«,  »Eine  Sängerfahrt  auf  dem  Eheine«  und  eine  Messe.  1861 
wurde  in  Leipzig  eine  Oper  von  ihm  »Meister  Martin  und  seine  Gesellen«  mit 
Beifall  aufgeführt.  Die  Partitur  davon  ist  leider  beim  Theaterbrande  in  Breslau 
verloren  gegangen.  Seine  Männergesangscomj)Ositionen  sind  besonders  auch 
bei  den  deutsehen  Sängern  in  Nordamerika  beliebt  geworden  und  in  Folge 
dessen  erhielt  er  1869  von  den  dortigen  Gesangvereinen  eine  Einladung,  dem 
in  Baltimore  stattfindenden  Sängerfeste  beizuwohnen,  der  er  Folge  leistete. 
Hier  wie  später  in  New-York,  Philadelphia,  Washington,  Buffalo,  Albani  fand 
er  die  orastlichste  Aufnahme  und  erntete  reiche  Lorbeern.  Tsch.  ist  Ehren- 
mitglied  von  mehr  als  50  Männergesangvereinen,  unter  denen  sich  mehrere 
deutsche  Vereine  in  Amerika  und  Australien  befinden.  Von  ihm  sind  ausser 
einer  grossen  Anzahl  Männergesänge  auch  Compositionen  für  Ciavier,  Orgel 
und  für  gemischte  Stimmen  im  Druck  erschienen.  Auch  hat  er  unter  dem 
Pseudo-Namen  Alexander  Czersky  viele  Salonpiecen  für  Ciavier  veröffentlicht. 

Tsehortsch,  Johann  Georg,  Priester,  Beneficiatus  und  Componist  zu 
Schwetz  in  Tyrol,  lebte  in  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts.  Von  seinen 
Compositionen  sind  im  Druck  erschienen:  y)Sacerdos  mitsicus  concerfans  seu  conc. 
Litanias,  10  Lauretano  -  Marianas  etc.ti  (Augustae  Vindelicorum,  1725,  in  Fol.) 
nlnceiisiim  mysticum  ad  aram  magnae  coelorum  Reginae  adolendum  3^IV  Off  er 
toria  a  4  voci,  2  viol.,  alto,  viola,  2  lituis  et  G.  B.a  (Augsburg,  1730,  in  Fol.) 
»VII  Messen  nebst  einem  Eequiem  für  4  Stimmen,  Violine,  Alt  und  General 
bass«  (ibid.  1731,  in  Fol.). 

Tschou,  ein  Rasselkasten  unter  den  chinesischen  Schlaginstrumenten.  Es 
ist  ein  einfacher  viereckiger  Kasten  von  Holz,  auf  welchen  vor  Beginne  der 
eiffentlichen  Musik  mehrere  Schläge  mit  einem  Hammer  gethan  werden.  Schein- 
bar  sollte  dadurch  die  Aufmerksamkeit  auf  den  Beginn  des  Concerts  und  das 
Publikum  zur  Ruhe  vermahnt  werden. 

Tschoungton,  chinesisches  Klapperinstrument  aus  zwölf  Brettchen  zu- 
sammengesetzt. 

Tseltselim,  das  Schellen- Cymbel  der  Hebräer. 

Tsudsnmi,  zwei  kleine  Trommeln  der  Japanesen,  deren  eine  auf  der  Schulter, 
die  andere  auf  dem  Schooss  des  sitzenden  Spielers  liegt  und  die  beide  mit  den 
Fingern  geschlagen  werden. 

Tu,  die  fünfte  der  Graun'schen   Solmisationssilben. 

Tuba  (Bass-Tuba,  s.  Moritz)  heisst  ein  Messinginstrument,  das  1835 
durch  C.  W.  Moritz  und  W.  Wieprecht  erfunden  und  eingeführt  worden  ist, 
das  tiefste  Blasinstrument,  welches  bei  der  Militärmusik  den  Contrabass  des 
Streichorchesters  vertritt.  Wie  alle  Messinginstrumente  giebt  die  Tuba  die 
gewöhnlichen  Accordtöne  GGcegbcdefgu.  s.  w.  Die  zwischen  diesen 
fehlenden  Töne  werden  durch  vier  Ventile  gewonnen.  Die  gewöhnliche  Stim- 
mung ist  F;  doch  giebt  es  auch  E-,  Es-  und  D-Tuben.  Angeblasen  wird  das 
Instrument  durch  die  sogenannte  dS-Eöhre,  an  deren  Ende  ein  Bassposaunen- 
mundstück angebracht  ist.  1838  erfand  Moritz  die  Tenortuba.  Was  die  Bom- 
bardons, Euphonions,  Bass-  und  Tenoi'flügelhörner,  Flügelhörner  in  Es,  G  oder 
jB  in  der  österreichischen  Militärmusik  vertreten,  das  wirken  in  der  preussi- 
schen  resp.  deutschen  Militärmusik  die  Tuben,  Baritons,  Posaunen,  Tenorbässe, 
Tenorhörner,  Alt-  und  Sopran-Cornette.    Die  Tuben  mit  ihren  Eagenkreuzungs- 


Tuba  ductilis  -  Tubel.  331 

klaiigwerkzeugen  haben  die  Stürze  der  preussisclien  Signalhörner,  also  keinen 
Schallbecher,  während  die  Instrumente  der  österreichischen  Messingblasinstru- 
mentenfamilie,  vom  Bombardon  abwärts,  mit  gebogenen,  trompetenartigen  Stürzen 
ausgestattet  sind.  —  Bei  den  Römern  hiess  die  eigentliche  Kriegstrompete 
Tuba,  die  ihrem  Tone  nach  mehr  unserer  Posaune  glich  und  auch  bei  religiösen 
Feierlichkeiten,  Spielen  und  Begräbnissen  gebraucht  wurde.  Siehe  den  Artikel 
Posaune  und  Trompete.  Bei  den  Hebräern  hiessen  die  trompeten-  (posaunen-) 
artigen  Instrumente  nach  ihren  verschiedenen  Dimensionen  und  "Wirkungen: 
Chatzozeroth,  Sumphoneia,  Maschrokita  und  Magrepha.  Die  Griechen  ge- 
brauchten bei  ihren  Instrumental-Nomen  (nach  den  alten  Gesangsweisen  ge- 
nannt) zur  Leitung  des  Kriegsmarsches  bei  Darstellung  des  Kampfes  Apollons 
mit  dem  Drachen  die  Trompeten  (Posaunen,  Tuben)  und  ahmten  damit  das 
Zähneknirschen  des  verwundeten  Thieres  nach  (Thiersch  »Einleitung  zu  Pindarct, 
S.  60,  Thl.  l).  —  Die  Inder  wendeten  bei  Kriegsmusiken  die  Trompeten  (Po- 
saunen) Bouri,  Toutare  und  Combou  und  bei  A'erkündigungen  und  Todten- 
feiern  die  dumpfe  Trompete  «Tare«  an.  —  Die  Trompeten  der  Singalesen 
haben  den  ungefälligsten  Ton,  den  man  sich  nur  denken  kann.  Dessen  unge- 
achtet lieben  sie  dies  Instrument  leidenschaftlich  und  es  ist  ihren  Tempeln 
und  Königen  geweiht.  Auch  bei  den  alten  Egyptern  waren  die  Trompeten 
wichtige  und  dominirende  Instrumente.  Yilloteau's  grosse  Abhandlung  (2  Thl.) 
über  die  orientalische  Musik,  die  1821  von  Michaelis  deutsch  übersetzt  erschien, 
sei  hier  erwähnt. 

Tnba  ductilis  (Zugtrompete),  die  Posaune. 

Tuba  hercoteetonica,  ein  von  dem  berühmten  Mathematiker  Christian  Otter 
(1598 — 1660)  für  den  König  von  Dänemark  verfertigtes  Instrument  von  Trom- 
petenart, das  indess  nicht  weiter  bekannt  geworden  ist. 

Tuba  marina  oder  Tromha  marina,  das  Trumscheit  (s.d.). 

Tuba  tympanodis,  ein  wunderlich  geformtes  Blasinstrument  in  Form  eines 
langgestreckten  Cylinders,  an  dem  unterhalb  des  Anblasi'ohres  eine  kleine 
Militärtrommel  angebracht  war.  Also  eine  Trompete  mit  Trommel  vereint,  von 
einem  Menschen  gleichzeitig  traktirt.  Das  Curiosum  ist  bei  La  Borde  y^Essai 
sur  la  musique«,  II,  abgebildet,  aber  wohl  nie  öffentlich  in  Gebrauch  gekommen. 

Tubal,  Thubal  oder  Tubalflöte  heisst  ein  veraltetes  Orgelregister,  s.  v.  a. 
Halbprincipal. 

Tabal,  A.,  Musiker  des  16.  Jahrhunderts  und  unzweifelhaft  Belgier.  Com- 
positionen  von  ihm  sind  in  zwei  Sammlungen,  die  in  Antwerpen  und  Löwen 
gedruckt  sind  und  Compositionen  von  belgischen  und  in  Belgien  gebildeten 
Musikern  enthalten,  mit  aufgenommen.  Die  eine  Sammlung  heisst:  y>Sacrarii7n 
Cantionum  (vulgo  Jiodie  Moteta  vocant)  quinque  et  sex  vocum  ad  veram  liarmo- 
niam  concertumque  ab  optimis  quihusque  Musicis  in  pMlomusorum  gratiam  compo- 
sitarum,  Libri  trestn  (Antwerpiae,  per  Jeannem  Latuim  et  Aubertum  Walrandum, 
1554 — 1555,  in  4°  obl.).  Es  sind  darin  fünf  vierstimmige  Motetten  von  Tubal 
enthalten,  im  ersten  Buche  Seite  15,  im  zweiten  Buche  Seite  14  und  19  und 
im  dritten  Buche  S.  18.  Von  dieser  Sammlung  besitzt  die  Müncheuer  Bibliothek 
unter  No.  126  ein  Exemplar.  Auch  von  der  zweiten  dieser  Sammlungen  ist 
auf  derselben  Bibliothek  ein  Exemplar  aufbewahrt.  Diese  besteht  aus  acht 
Büchern,  welche  nur  Tonstücke  belgischer  Musiker  enthalten.  Im  dritten  dieser 
acht  Bücher  steht  von  Tubal  eine  fünfstimmige  Motette  Spiritus  sanctus  unter 
der  No,  16,  Der  Titel  dieser  Sammlung  ist:  -»Cantionum  Sacrarum  (vulgo  Mo- 
teta vocant)  quinque  et  sex  vocum  ex  optimis  quihusque  Musicis  selectarum« 
(Lovanii.  apud  Petrum  Phalesium,   1555 — 1558,  in  4'^  obl.). 

Tubel,  Christian  Theophil,  deutscher  Musiker  aus  der  Mitte  des  18. 
Jahrhunderts,  lebte  in  Amsterdam  als  Lehrer  der  Composition  und  des  Ciavier- 
spiels mehrere  Jahre,  kehrte  aber  später  nach  Deutschland  zurück.  Er  ver- 
öffentlichte in  holländischer  und  deutscher  Sprache:  nKorte  Onderrigtinge  der 
Musijk   met   de   daar   hygevoegde  77   Sandstüchjes  voor  het  Ciavier,  henevens  een 


332  Tubicen  —  Tucher. 

Tiorte    hehandeling    van    Tiet    contrapunct    etc.«.  (Amsterdam,  1767).     Die  Cantate 
y>Ino<i  von  Ramler,  von  Tubel  comjDonirt,  erschien  in  Braunschweig  1768. 

Tubicen,  pl.  Tuhicines ,  bei  den  Hömern  der  Tubabläser  oder  Trompeter, 
was  nicht  mit  den  Tibicines,  den  Pfeifern  oder  Flötenbläsern  zu  verwechseln  ist. 

Tuch,  Heinrich  Agathon  Gottlieb,  wurde  1768  zu  Gera  in  Sachsen 
geboren,  kam  mit  seinen  Eltern  nach  Sangerhausen,  wo  er  in  der  Musik  ein 
Schüler  Rolle's  wurde.  AVährend  er  um  Theologie  zu  studiren  die  Universität 
Leipzig  besuchte,  trieb  er  unter  Leitung  von  Doles  auch  Musik,  die  ihn  von 
der  Theologie  bald  ganz  zu  sich  herüber  zog.  Im  Besitz  einer  schönen  Bass- 
stimme verwerthete  er  diese  bei  verschiedenen  Operngesellschaften  als  Sänger, 
von  1790  bis  1800  in  Dessau,  worauf  er  die  Theaterlaufbahn  aufgab  und  in 
derselben  Stadt  eine  Musikalien-,  Kunst-  und  Buchhandlung  etablirte,  die  viele 
Jahrzehnte  blühte.  Dabei  war  er  als  Componist  äusserst  thätig.  Die  kleine 
Oper  »Der  glückliche  Tag«  von  A^uljiius;  Chöre  zu  »Lanassacf  und  anderen 
Theaterstücken,  viele  Arien  blieben  uugedruckt.  Dagegen  erschienen:  »Das 
Vater  unser«  und  auch  die  Einsetzungsworte  mit  Singstimme  und  Orgelbeglei- 
tung, wovon  die  Melodie  in  der  sächsischen  Kirchenagenda  aufgenommen  ist 
(Dessau,  1802).  »Kleine  und  leichte  Orgelvorspiele  nebst  Allegros  und  Aus- 
gängen«, 1.  Heft  1809,  2.  1810.  Sinfonien,  Sonaten  und  Tänze  für  Ciavier 
und  mit  Flöte,  Violine,  Violoncell.  »Journal  für  das  Pianoforte«.  »Ein  Hand- 
buch zum  Elementarunterricht«,  1806.  Viele  Lieder  und  Gesänge  mit  Ciavier- 
begleitung, darunter  »Blüthen  und  Blumen«  in  30  Liedern  für  unbefangene 
jugendliche  Herzen,  ein-,  zwei-  und  dreistimmig,  op.  32  (Leipzig  u.  Dessau,  1813). 

Tuclier,  Christian  Karl  Gottlieb  von,  (Freiherr  Tucher  von  Simmels- 
dorf)  stammt  aus  dem  altberühmten  Patriziergeschlecht  derer  von  Tucher;  er 
ist  am  14.  Mai  1798  als  der  dritte  Sohn  des  Senators  Jobst  "Wilhelm  B.  Frei- 
herr von  Tucher  zu  Nürnberg  geboren,  widmete  sich  dem  Studium  der  Rechts- 
wissenschaften auf  den  Universitäten  Erlangen  und  Heidelberg  und  ging  dann 
nach  Berlin,  wo  er  durch  Hegel,  den  Gatten  seiner  ältesten  Schwestex",  auch 
zu  eingehendem  Studium  der  ernsteren  Fragen  des  Lebens  veranlasst  wurde. 
Besonderes  Interesse  nahm  er  seit  frühester  Zeit  an  der  Musik  und  namentlich 
die  Kirchenmusik  beschäftigte  ihn  auf  das  Lebhafteste.  Als  er,  nach  glücklich 
bestandenem  Staatsexamen,  ein  Jahr  in  Italien  verweilen  durfte,  ergab  er  sich  mit 
Eifer  dem  Studium  der  altern  Kirchenmusik.  Nachdem  ging  er  in  den  Staats- 
dienst und  während  der  Zeit  seines  Aufenthalts  zu  Stuttgart  verheiratete  er 
sich  1828  mit  M.  H.  W.  Freiin  Haller  von  Hallerstein,  einer  ebenso  geistvollen 
als  edlen  Dame,  die  sein  Interesse  an  der  Kiixhenmusik  theilte,  die  er  aber 
leider  nach  kaum  sechsjähriger  glücklicher  Ehe  wieder  verlor.  1833  wurde  er 
zum  Assessor  des  Kreis-  und  Stadtgerichts  zu  Schweinfurt  ernannt,  1841  zum 
Rath  des  Kreis-  und  Stadtgerichts  zu  Nürnbei-g,  1849  das  Appellationsgerichts 
von  Schwaben  und  1856  Rath  des  obersten  Gerichtshofes  von  München, 
als  welcher  er  1868  in  den  Ruhestand  trat;  er  starb  am  17.  Februar  1877. 
Seit  1836  war  er  zum  zweiten  Mal  verheiratet  mit  H.  E.  Reichsfreiin  von 
Gemmingen-Steinegg.  Schon  nach  seiner  Rückkehr  aus  Italien  veröflPentlichte 
er  eine  Sammlung  älterer  Kirchenmusik  (1826)  unter  dem  Titel:  »Kirchen- 
gesänge der  berühmtesten  altern  italienischen  Meister,  gesammelt 
und  dem  Herrn  Ludwig  von  Beethoven  gewidmet  von  Gottlieb  Freiherr  von 
.  Tucher«  (Partitur,  AVien  bei  Artaria).  Die  erste  Lieferung  enthält  von  Pa- 
lestrina:  nAdoramus  te«,  »0  hone  Jesu^,  riHosanna  in  excelsisa,  yJPueri  hebrae- 
orum«.  und  y>Loquebantur  variisu;  von  Feiice  Anerio:  »2  Christus  f  actus  est<s.  und 
»O  sacrum  convivium«^  und  von  Vittorio:  »O  vos  omnosa  und  y) Jesus  dulcis  me- 
moriaa.  Die  zweite  Lieferung  enthält  von  Palest rina:  »Adoramus  tea,  y>Salve 
re(/inav,  »O  salutaris  Jiostiaa,  »Ingrediente  Dominev.;  von  Nanini  (G.  M.):  »Stabat 
mater<i,  vExaudi  nosa,  ytHaec  dies  quam  fecitv-,  und  von  Vittoria:  y>Vere  lan- 
guoresa,  y>Fueri  hehraeoruma,  »0  quam  gloriosav..  1829  veröffentlichte  er  weiter- 
hin in  Band  VII  (Heft  27,  pag.   182  fl\)    der  »Cäcilia«  einen  Räthselcanon 


Tucker  -  Tulou.  333 

von  Senffl  mit  einer  werthvollen  Einleitung  und  gab  dann  im  X.  Bande  der- 
selben Musikzeitschrift  (Heft  39,  pag.  149)  die  Auflösung,  in  welcher  er  zwölf 
vei-schiedene  selbständige  vierstimmige  Räthselcanons  entwickelte.  Seitdem  wandte 
er  sich  mit  grösserem  Eifer  dem  evangelischen  Kirchengesange  zu,  1840 
erschien  seine  Sammlung:  »Schatz  des  evangelischen  Kirchengesanges, 
der  Melodie  und  Harmonie  nach  aus  den  Quellen  des  XVI.  und 
XYII.  Jahrhunderts  eingerichtet«  (Stuttgart,  ein  Band  in  4°).  Die  neue 
Ausgabe  desselben  Werks  erschien  ausserordentlich  vermehrt  unter  dem  Titel: 
»Schatz  des  evangelischen  Kirchengesanges  im  ersten  Jahrhundert 
der  Reformation«  (Leipzig,  Breitkopf  &  Härtel,  1848,  zwei  Theile  in  4"), 
dem  Tucher  auch  noch  eine  Schrift:  »lieber  den  Gremeindegesang  der 
evangelischen  Kirche«  (1866)  folgen  Hess.  Endlich  betheiligte  er  sich  noch 
neben  Zahn  und  Faisst  an  der  im  Auftrag  der  deutsch-evangelischen  Kirchen- 
conferenz  zu  Eisenach  veranstalteten  Ausgabe  des  Choralbuchs:  »Die  Melo- 
dien des  deutsch-evangelischen  Kirchengesangbuchs«  (1854), 

Tncker,  William,  Priester  und  Stiftsherr  an  St.  Peter  in  der  Westminster- 
Abtei  zu  London,  gehörte  zur  Kapelle  des  Königs  Karl  II.  und  starb  am 
28.  Februar  1678.  In  y^Harmonia  sacrav.  von  Page  finden  sich  Anthems 
von  Tucker. 

Tuczek-Herrenbur^,  Leopoldine,  königlich  preussische  Kammersängerin, 
Tochter  des  Professors  der  Musik,  Franz  Tuczek,  wurde  in  Wien  1824  ge- 
boren und  Schülerin  des  dortigen  Conservatoriums.  Sie  genoss  daselbst  den 
Unterricht  von  Josephine  Fröhlich  und  zeichnete  sich  durch  Fleiss,  Stimme 
und  Talent  so  aus,  dass  sie  ein  Stipendium  erhielt  und  erst  15  Jahre  alt  am 
Kärnthner-Thor-Theater  engagirt  wurde.  Sie  begann  hier  ihre  künstlerische 
Laufbahn  in  der  Oper  »Nachtigall  und  Rabe«  von  Weigl.  Ihre  weiteren  Ge- 
sanesstudien  leiteten  Mozatti,  Gentiluomo  und  Curzi.  Durch  Wild  an  Graf 
Redern  empfohlen,  gastirte  sie  im  Jahre  1841  an  der  hönigl.  Oper  in  Berlin. 
Das  glänzend  verlaufende  Gastspiel  hatte  das  Engagement  der  jungen  Sängerin 
zur  Folge,  die  der  Berliner  Oper  treu  bleibend  bis  zu  ihrem  Abgange  von  der 
Bühne  —  Susanne  in  »Figaros  Hochzeit«  im  Jahre  1861  —  eine  Hauptzierde 
und  Hauptstütze  derselben  bildete.  Leopoldine  T.  gehörte  zu  den  immer  seltener 
und  seltener  werdenden  Sängerinnen,  die  Dank  ihrer  gründlich  absolvirten  Ge- 
sangslehrjahre, die  verschiedensten  Aufgaben  zu  deuten  vermögen.  Zu  diesem 
Vorzug  gesellten  sich  noch  Schönheit  der  Stimme,  ein  von  Anmuth  und  jovialer 
Laune,  sowie  von  künstlerisch  geläutertem  Geschmack  und  Beweglichkeit  des 
Geistes  getragenes  Spiel  und  ein  so  gediegenes,  musikalisches  Können,  dass 
Frau  Tuczek  in  Erkrankungsfällen  stets  schlagfertig  für  ihre  Colleginnen  ein- 
treten konnte.  Das  Repertoire  unserer  Sängerin,  deren  eigentliche  Domäne 
das  colorirte  Fach  war,  umfasste  das  ganze  Soprangebiet  der  Oper:  Vom 
Aennchen  im  »Freischütz«  an  bis  hinauf  zur  Donna  Anna  im  »Don  Juan«. 
Eine  ihrer  glänzendsten  Leistung  war  neben  so  vielen  andern  die  Frau  Fluth 
in  den  »Lustigen  AVeibern«,  die  Nicolai  selbst  für  sie  bestimmt  hatte. 

Tndway,  Thomas,  englischer  Musiker,  war  erst  Baccalaureus  und  dann 
Professor  der  Musik  an  der  Universität  Cambridge  in  England.  In  der  könig- 
lichen Kapelle  durch  Blow  in  der  IMusik  ausgebildet,  trat  er  1664  in  die 
Kapelle  zu  Windsor.  Seine  Stellung  in  Cambridge  erhielt  er  1671.  Die  letzten 
Jahre  seines  Lebens  verbrachte  Tudway  in  London,  wo  er  im  Auftrage  des 
Grafen  Oxford  eine  Sammlung  von  Kirchenmusikstücken  der  berühmtesten 
englischen  Componisten  zusammenstellte.  Diese  Sammlung  von  der  Handschrift 
Tudway's,  welche  sechs  starke  Bände  in  4*^  ausmacht,  befindet  sich  im  Brittisch- 
Museum,  Tudway's  Compositionen  wurden  in  Cambridge  verschiedentlich  bei 
feierlichen   Gelegenheiten  ausgeführt. 

Tulon,  Jean  Louis,  einer  der  talentvollsten  Flötisten  seiner  Zeit,  ist  zu 
Paris  am  12.  September  1786  geboren  und  wurde  im  Pariser  Conservatorium 
unter  specieller  Leitung  von  Wunderlich  im  Flötenblasen  ausgebildet.     Er  war 


334  Tulou  —  Türk. 

dafür  besonders  glücklich  veranlagt,  erhielt  noch  nicht  15  Jahre  alt  schon  die 
ersten  Preise  und  galt  bald  unbestritten  für  den  ersten  Flötenvirtuosen  Frank- 
reichs. 1804  trat  er  bei  der  italienischen  Oper  als  erster  Flötist  ein,  1813 
an  Stelle  seines  Lehrers  "Wunderlich  bei  der  Grossen  Ojoer.  In  dieser  Zeit 
war  er  beinahe  auf  dem  Punkte  überholt  zu  werden,  und  zwar  weil  er  sich 
der  Jagd  und  dem  Vergnügen  überhaupt,  auch  der  Malerei,  mehr  hingab,  als 
es  für  seine  Künstlerschaft  wünschenswerth  war.  Drouet  erschien  als  sein 
Concurent.  Es  bedurfte  jedoch  nur  des  Willens  bei  Tulou,  und  er  war  wieder 
der  Unübertreffliche.  In  einem  Concerte  der  Catalani,  wo  er  auf  einer  einge- 
spaltenen Flöte  blies,  was  er  erst  im  letzten  Moment  bemerkte,  ebenso  in  der 
Oper  y>Le  Rossignol<s.  von  Lebrun,  riss  er  das  Publikum  förmlich  hin,  so  dass 
er  den  ersten  Platz  völlig  behauptete  und  Drouet  nach  England  ging.  Nach 
der  Restauration  musste  er  seine  volksthümliche  Gesinnung  insofern  büssen, 
als  man  ihn  in  die  neugebildete  königliche  Kapelle  nicht  wieder  aufnahm,  aus 
eben  dem  Grunde  besetzte  man  auch  den  Platz  am  Conservatorium,  welchen 
Wunderlich  aufgab,  mit  seinem  unbedeutenden  Nachfolger  in  der  Kapelle. 
1826  jedoch,  bei  einer  neuen  Verwaltung,  welche  die  Interessen  der  Oper  besser 
wahrnahm,  berief  man  ihn  zurück  und  einige  Zeit  darnach  wurde  er  auch 
Professor  am  Conservatorium.  1856  legte  er  beide  Stellen  nieder.  Der  Ein- 
führung der  Flöten  des  Böhm'schen  Systems  hatte  er  Widerstand  geleistet, 
auch  nur  Flöten  des  alten  Systems  in  einer  von  ihm  errichteten  Fabrik  ver- 
fertigen lassen.  Tulou's  Compositionen  sind  ungefähr  folgende:  y>8y'mphonie  con- 
certante  "pour  flute,  hauthois  et  basson«  (Paris,  H.  Lemoine).  y>I>euxieme  Sym- 
phonie idem«.  (Paris,  Pleyel).  »Ooncertos  pour  flute  et  orchestre<s^  (No.  1,  Paris, 
Lemoine;  No.  2,  Paris,  Hertz;  No.  3,  Paris,  Schönenberger;  No.  4,  Paris,  Pleyel; 
No.  5,  op.  37,  Paris,  Pleyel).  »Grandes  solo  p)our  flute  et  orcJiestrev.  (No.  1 
und  2,  Paris,  chez  l'auteur).  ^Fantasies  pour  flute  et  orcliestrea  (op.  16,  Paris, 
Pacini;  op.  54,  Paris,  Troupenas;  oj).  66  ibid.).  y>Airs  varies  pour  flute  et  or- 
chestrea.  (op.  22,  Paris,  Pleyel,  op.  35,  39,  56,  62).  y>Airs  varies  avec  qicartetta, 
op.  17  (Paris,  Bonn,  Mainz,  Berlin).  »Flusiers  airs  varies  avec  deux  violon  et 
hasseis..  y>Grande  trio  pour  trois  fluten,  op.  24  (Paris,  Pleyel).  »Polonaise  de 
Tancredi  pour  deux  flute  et  pianoa,  op.  32  (Paris,  Schlesinger).  »Duos  pour 
deux  flütes,  livres  1,  2,  3  (Paris,  H.  Lemoine,  op.  8;  Paris,  Schöneberger, 
op.  14, 15;  Paris,  Pacini,  op.  18, 19;  Paris,  Gambaro,  op.  31,  33,  34;  Paris,  Pleyel). 

Tulou,  Jean  Pierre,  der  Vater  des  Vorigen,  war  1749  zu  Paris  geboren 
und  Schüler  Cugnier's  auf  dem  Fagott.  Er  wurde  für  dieses  Instrument  Pro- 
fessor am  Conservatorium  bei  dessen  Gründung  und  Mitglied  des  Theaters. 
In  Paris  bei  Sieber  erschienen:  »Six  duos  pour  deux  bassons«  und  »Douze  airs 
varies  j^our  deux  bassoiisa. 

Turbry,  Francois  Laurent  Hebert,  ist  zu  Paris  am  27.  Septbr.  1795 
geboren  und  wurde  auf  dem  Pariser  Conservatorium  hauptsächlich  zum  Violi- 
nisten ausgebildet.  Er  war  zeitweise  Mitglied  der  Opernkapelle,  verscherzte  diese 
jedoch  später  vollständig,  indem  er  sich  wiederholt  plötzlich  aus  Paris  entfernte, 
ohne  dass  man  erfuhr,  wohin  er  sich  begeben.  Einmal  bei  solcher  Gelegenheit 
hielt  er  sich  in  Tolouse  auf,  wo  er  »Abrege  du  dictionnaire  de  musique  de  S.  J. 
JEtousseauv.  (Toulouse,  Imprimerie  de  Bellegard,  1821,  in  12'',  140  S.)  herausgab. 
Eine  »Symphonie  phantastiq.ue<s.,  »Ouvertüre pour  les  concertsa  (Paris,  Frey).  »Grand 
quatuor  p>oi(,r  deux  violons,  alto  et  hasse«,  op.  7  (Paris,  Pacini).  »Grand  trio 
pour  violon,  alto  et  hasse«,  op.  14  (ibid.)  wurden  in  Paris  aufgeführt  und  heraus- 
gegeben.    Der  Autor  ging  an  seinen  Sonderbarkeiten  zu  Grunde. 

Türk,  Daniel  Theophil,  gelehrter  Tonkünstler  des  18.  Jahrhunderts, 
war  am  10.  August  1756  zu  Claussnitz  bei  Chemnitz  in  Sachsen  geboren. 
Sein  Vater,  Musiker  im  Dienste  des  Grafen  Schönburg,  ertheilte  ihm  den  ersten 
Unterricht  in  der  Musik  und  im  Violinspiel,  später  unterwiesen  ihn  auch 
andere  Lehrer.  Auf  der  Kreuzschule  in  Dresden  zog  er  die  Aufmei'ksamkeit 
von  Homilius  auf  sich,   welcher   ihn  speciell   im  Coutrapunkt  und  in  der  Har- 


Türkische  Becken  —  Türkische  Musik.  335 

monielehre  unterrichtete.  Als  er  1772  die  Universität  Leipzig  besuchte,  fand 
er  durch  die  Empfehlung  seines  Lehrers  einen  warmen  Protector  an  Hiller, 
welcher  ihn  ebenfalls  unterrichtete  und  zunächst  als  Violinisten  in  das  Orchester 
der  Oper  und  der  Concerte  unterbrachte.  In  dieser  Zeit  entstanden  die  ersten 
Compositionen  Türk's,  welche  mit  Beifall  in  Leipzig  ausgeführt  wurden,  sie 
bestanden  in  zwei  Sinfonien  und  einer  Cantate.  1776  erhielt  Türk,  ebenfalls 
durch  Hiller's  Verwendung,  die  Stelle  des  Cantors  an  der  St.  Ulrichs-Kirche 
in  Halle,  und  übernahm  zu  gleicher  Zeit  die  Stelle  eines  Lehrers  am  luthe- 
rischen Gymnasium.  Vier  Sinfonien,  vier  Cantaten,  ein  grosser  Chor  und 
Ciaviersonaten,  von  Türk  componirt  und  aufgeführt,  erwarben  ihm  die  Stelle 
des  Musikdirektors  an  der  Universität  in  Halle.  1779  übernahm  er  auch  noch 
die  Organistenstelle  an  der  Frauenkirche  ebendaselbst.  Die  Lehrerstelle  am 
Gymnasium  gab  er  jetzt  auf,  da  er  sich  gleich  vielseitig  mit  der  praktischen 
und  theoretischen  Musik  beschäftigte,  "Werke  der  letzteren  Art,  die  ihm  den 
E-uf  eines  gelehrten  Musikers  verschafften,  veranlassten  die  Universität  (1808) 
ihn  zum  Dr.  phil.  und  zum  Professor  der  Theorie  der  Musik  zu  ei'nennen. 
Sein  Leben  war,  wie  nachfolgende  Aufzählung  seiner  Compositionen  und  theore- 
tischen Arbeiten  erweist,  ein  arbeitsvolles,  zuletzt  noch  getrübt  durch  die  Noth 
des  Vaterlandes,  besonders  1806,  in  welchem  Jahre  die  Universität  Halle  fast 
verödet  war.  Türk  starb  nach  längerer  Kränklichkeit  am  26.  August  1813, 
57  Jahre  alt.  Seine  didactischen  Werke  sind:  »Von  den  wichtigsten  Pflichten 
eines  Organisten.  Ein  Beitrag  zur  Verbesserung  der  musikalischen  Liturgie« 
(Leipzig  und  Halle,  1787,  in  8°,  240  S.).  »Clavierschule,  oder  Anweisung  zum 
Clavierspielen  für  Lehrer  und  Lernende,  mit  kritischen  Anmerkungen«  (Halle 
und  Leipzig,  1789,  in  4**,  408  S.;  zweite  vermehrte  Ausgabe  1802,  Leipzig  und 
Halle).  Ein  Abi-iss  dieser  Schule  unter  dem  Titel:  »Kleines  Lehrbuch  für 
Anfänger  im  Clavierspielen«  (Halle,  1792,  in  8*^;  zweite  Ausgabe  ebenda,  1805, 
in  8").  »Kurze  Anweisung  zum  Generalbassspielen«  (Halle  und  Leij)zig,  1791, 
1  Band  in  8",  307  S.).  Dies  Buch,  nebst  der  Ciavierschule  von  Türk,  das 
beste  und  verbreiteste,  erlebte  sechs  Auflagen.  Die  zweite  und  vermehrte  er- 
schien in  Halle  und  Leipzig,  1800,  1  Band  in  8",  390  S.  Die  dritte  Auflage 
veranstaltete  nach  dem  Tode  Türk's  sein  Schüler  und  Nachfolger  Naue,  Halle, 
1816,  in  8\  Vierte  Auflage  ebenda  1824.  Fünfte  Auflage  "Wien,  Haslinger, 
in  8",  335  S.  (ohne  Datum).  Eine  sechste  Auflage  veranstaltete  Breitkopf  & 
Härtel  in  Leipzig.  Eine  zwei  Blätter  starke  Broschüre  ohne  Orts-  und  Da- 
tums-Angabe gab  Türk  ebenfalls  heraus:  »Beleuchtung  einer  Becension  des 
Buches:  Kurze  Anweisung  zum  Generalbassspielen«.  Sein  letztes  "Werk  erlangte 
keine  Bedeutung.  Compositionen,  welche  gedruckt  wurden,  sind:  »Die  Hirten 
bei  der  Krippe  in  Bethlehem«,  Cantate  (Halle,  Hemmerde  und  Schwetschke,  in 
Fol.,  1782).  Sechs  Ciaviersonaten,  dritte  und  letzte  Sammlung  (ebend.  1798). 
Sechs  Ciaviersonaten,  zweite  und  letzte  Sammlung  (ebend.  1789).  Sechs  kleine 
Ciaviersonaten,  erste  Sammlung,  dritte  Auflage  (ebend.  1793).  Sechs  Sonaten, 
zweite  Sammlung,  zweite  Ausgabe  (ebend.  1793).  Sechs  Ciaviersonaten  (ebend. 
1793).  Sechzig  Ciavierstücke  für  Anfänger,  erste  und  zweite  Sammlung,  1798 
bis  1806.  Dreissig  vierhändige  Ciavierstücke,  zweiter  Theil  1807,  dritter  und 
vierter  Theil  1808.  Lieder  aus  dem  Siegwart  mit  Ciavier-Begleitung  1780. 
Vieles  im  Manuscript. 

Türkische  Becken,  Piatti,  Cinelli,  s.  Becken. 

Türkische  Musik.  "Weniger  noch  als  die  andern  Völker  des  Orients  haben 
die  Türken  Antheil  genommen  an  der  historischen  Entwickelung  der  Tonkunst, 
obwohl  sie  nicht  weniger  Empfänglichkeit  und  Liebe  für  sie  zeigen,  als  jene. 
Ihre  wilde  Kriegs-  und  Mordlust  und  die  unbezähmbare  Leidenschaftlichkeit, 
welche  sie  nicht  nur  zur  Herrschaft  über  das  grosse  osmanische  Reich  führten, 
sondern  auch  zu  einem  der  gefürchtetsten  Völker  der  Erde  machten,  Hessen 
Kunst  und  Wissenschaften  nur  in  beschränktem  Maasse  gedeihen  und  verhin- 
derten es,  dass  sie  auch  nur  die  Bedeutung  für  die  Entwickelung  der  Tonkunst 


336  Türkische  Musik. 

gewannen,  welche  die  Araber  und  Perser  errangen,  von  denen  sie  übertaupt 
nur  erlernten,  was  ihnen  auf  diesen  Gebieten  nothwendig  erschien  und  verständ- 
lich  war.     Ihr   Auftreten    in    der    Geschichte    erfolgte    bereits  in  den  frühesten 
Zeiten.     Der  Stammvater  »Türk«  ist  wahrscheinlich  der  »Targitacs«  Hero- 
dots   (IV,  5)  und  der  Togharma  der  Bibel  (Genesis  X,   3)  und  auch  Plinius 
kannte  sie  schon  (r>Turcae  que  sylvas  occupantv,  Lib.  I).     Aus  Turkestan  stam- 
mend   wurden  sie   bald   ihrer    Raubzüge  und  ihrer  wilden  Mordlust  wegen  von 
den  Nachbarn  gefürchtet,  und  der  Name  Türke  wurde    eben    so    zur   Bezeich- 
nung   eines   Barbaren,   wie    der   der   Scythen    unter    den    Griechen,   und  das  zu 
einer  Zeit,  in  welcher  Araber  und  Perser  bereits  einen  gewissen  Culturgrad 
erreicht    hatten    und    selbst    der     Musik    und    der    Poesie    schon    eine    gewisse 
Pflege  angedeihen  Hessen.    Freilich  war  auch  dieser  noch  bis  ins  siebente  Jahr- 
hundert unserer  Zeitrechnung  sehr  gering;    die    arabische  Halbinsel  war  von 
der  übrigen  civilisirten  Welt  ziemlich  abgeschnitten  und  sehr  langsam  nur  ge- 
langte die  Cultur  der  einzelnen  Völker  Asiens  hierher.    Der  grösste  Theil  ihrer 
Einwohner    lebte   von  Viehzucht  und  Krieg;    nur  die  Küstenbewohner  und  die 
Bewohner  der  einzelnen  Städte  trieben  Handel.    Yemen  und  später  Irak  und 
Syrien  bildeten  nach  Christi  Geburt  abgeschlossene  Reiche  mit  einer  bestimmten 
Verfassung  und  Mecca  und  Medina  genossen  den  Segen  einer  republikanischen 
Verfassung,  die  übrigen  unermesslichen  Striche  des  grossen  Landes  wurden  von 
unabhängigen   Beduinenschwärmen    durchstreift    und    obgleich  jene   Reiche  und 
die   Republiken   mit   Asien    und    Afrika  durch  die  Handelscaravanen,  die  meist 
von  Beduinen   formirt   wurden,    einigermassen    zusammenhingen,    so  drang  doch 
über  die  Wüsten,  welche  sie  von  der  gebildeten  Welt  absonderten,   wenig   von 
der    Cultur    Asiens    herüber    nach    der    arabischen    Halbinsel.     In  den  Städten 
hatte  sich  der  gesellschaftliche    Zustand   durch  Gesetze   und  den  Einfluss  einer 
regelmässigen   Regierung   etwas    gehoben;    aber  in  den  Wüsten  waren  sie  noch 
völlig  rohe  Kinder  der  Natur,  die  sich  nicht  über  die  geringe  Bildung  erhoben, 
zu   der   die    patriarchalische   Regierung   führte,    und    die    spätem  Araber  selber 
bezeichnen  die  Jahrtausende  vor  dem  Propheten  als  die  Zeit  ihrer  Unwissenheit. 
Doch  selbst   in   jenen    Zeiten    äusserte    sich   in  dem  ganzen  Volke,  wo  es  auch 
lebte,  in  Städten  und  Wüsten,  ein  hoher  edler  Sinn,  ein  leichter  Verstand  zum 
Begreifen  und  grosse  Anlagen,  welche  nur  der  Ausbildung  harrten.    Sie  galten 
im    Alterthum   namentlich   als   die   zuverlässigsten    Menschen  (Herodot  III,  8). 
Ausser  mit   der   Astrologie   und    einer  Art  roher  Medicin  beschäftigten  sie 
sich  auch  mit  der  Dichtkunst,  mit  welcher,  wie  wir  früher  schon  zeigten,  auch 
immer  die  Musik  verbunden  ist.     Mit  Hülfe  derselben    bildeten  auch  sie  ihre 
Sprache  zu  einem  grossen  Wortreichthum  in  einigermassen  geordneten  Formen 
aus.     Dabei    aber   blieben   ihre  Verse   rohe  Naturprodukte;    Ergiessungen  ihrer 
Empfindungen,   wie    sie    der   Augenblick  eingab;    eine  Kette  von  Bildern,  ohne 
Kunst  und  in  regelloser  Prosodie  an  einander  gereiht.     Aber  diese  kunstlosen 
Reime  standen  in  solcher  Achtung  bei  der  Nation,  dass  sich  jeder  Stamm,  jede 
Familie,    aus    deren    Mitte    ein    Dichter  hervorging,   für  geadelt  ansah.     Daher 
strebte  auch   Mohammed,   als    er  den  kühnen  Plan  fasste,  der  Prophet  einer 
neuen  Religion  zu  werden,  nach  dem  Ruhm  eines  grossen  Dichters,  da  es  eine 
grosse  Empfehlung  für  ihn  und  seine  Lehre  war,   wenn    seine  Reden  für  echte 
Poesie    angesehen    wurden    und    als    der    Dichter    Lebid    (aus  Schelmerei  und 
Politik)    eine    Stelle    der    zweiten    Sure  des  Korans  für  göttlich  schöne  Poesie 
erklärte,   nahm   dies    Mohammed   als    ein    günstiges    Zeichen   für    die  Gründung 
und  Ausbreitung  seiner  Religion.     Diese  freilich  erwies  sich  den  Künsten  wie 
den  Wissenschaften  äusserst  wenig  günstig.    Noch  während  seines  Lebens  drang 
Mohammed  seine  neue  Religion,  den  Islam,  durch  die  Gewalt  der  Waffen  der 
Halbinsel  auf,  auf  welcher  er  geboren  war  und  nach  seinem  Tode  brachen  seine 
Nachfolger    in    die    Reiche  ihrer  Nachbarn  ein  und  stürmten  so  weit  vor,  dass 
sich  das  neue  Reich  des  Islams  über    200  Tagereisen   von  Osten  nach  Westen 
von  der    Grenze   der  Tartarei    und   Indiens  bis  an  die  Küsten  des  atlantischen 


Türkische  Musik.  337 

Meeres  erstreckte.  In  den  zwei  Jahrhunderten  ihrer  siegreichen  Kämpfe  (632 
bis  833  unserer  Zeitrechnung)  drangen  sie  gewaltsam  den  Völkern,  welche 
diesen  Ungeheuern  Raum  bewohnten,  den  Islam  sammt  ihrer  Sprache  auf,  wo- 
durch bei  den  unterjochten  Völkerschaften  eine  völlige  Umkehrung  ihrer  Sitten 
und  Denkungsart  und  ihrer  Lage  zu  der  übrigen  Welt  bewirkt  wurde.  Während 
dieser  Zeit  blieben  die  Araber  die  fanatischen  Barbaren  ohne  Kenntniss  und 
Schätzung  der  Werke  des  Geistes  und  der  Denkmäler  der  Kunst;  sie  suchten 
eben  den  Inbegriff  aller  denkbaren  Weisheit  im  Koran  und  unter  ihrer  harten 
Hand  wurden  noch  viel  Ueberreste  griechischer  Kultur,  welche  das  Christen- 
thum  noch  hatte  bestehen  lassen,  in  den  Ländern  der  griechischen  Herrschaft 
schonunsfslos  vernichtet.  Dabei  verschonten  sie  doch  auch  viele  Klöster  in  den 
griechischen  Provinzen,  wenn  diese  Tribut  zahlten  und  Hessen  auch  die  Schulen 
zu  Antiochien  und  Berytus,  zu  Edessa  und  Nesibus  bestehen,  die  denn 
auch  von  Einfluss  auf  die  Bildung  der  Araber  werden  mussten.  Schon  in  der 
Mitte  des  achten  Jahrhunderts  zeigten  sich  die  Vorboten,  dass  sich  der  bis- 
herige kriegerische  Geist  der  Araber  allmälig  veredelte  und  verfeinerte.  Dem 
Reiche  der  Chalifen  (den  Nachfolgern  des  Propheten)  wurden  die  Schätze  der 
Welt  zugeführt,  und  diese  wuchsen  mit  der  Ausbreitung  ihrer  Macht  immer 
mehr  an;  dadurch  aber  fand  der  den  Orientalen  angeborene  Hang  zum  Luxus 
immer  mehr  Nahrung;  dieser  zeigte  sich  zunächst  in  noch  edler  Weise  in  der 
Pflege  der  mechanischen  Künste,  namentlich  aber  auch  in  der  verschwenderischen 
Belohnung  von  Poesie  und  Musik,  die  man  früh  zu  den  unentbehrlichsten  Be- 
dürfnissen für  den  Glanz  des  Hofes  rechnete. 

Die  unmittelbaren  Nachfolger  des  Propheten:  Abubekr,  Omar  Osman 
und  Ali,  wie  die  Omai jaden,  welche  von  670 — 749  die  Herrschaft  inne 
hatten,  waren  den  Künsten  und  Wissenschaften  nicht  günstig  gewesen,  erst 
unter  der  Herrschaft  der  Abassiden,  die  mit  Abul  Abbas  auf  den  Thron 
gelangten,  begann  die  Blüthezeit  der  arabischen  Kunst  und  Wissenschaft.  Die 
Omaijaden  hatten  als  Barbaren  nur  erobern  und  zerstören  lassen;  die  ersten 
Abassiden  schon  suchten  die  eroberten  Länder  zu  bilden  und  zu  veredeln, 
jene  hatten  nur,  durch  ihre  Freude  an  Pracht  und  Luxus  veranlasst,  Künste 
und  den  Handel  zu  befördern  gesucht,  die  Abassiden  gaben  dem  Handel  erst 
eine  sichere  Grundlage  und  gründeten  Anstalten  zur  Pflege  von  Kunst  und 
Wissenschaft.  Die  Namen:  AI  Mansor,  Harun  al  Raschid  und  AI  Ma- 
mun  werden  nach  dieser  Seite  in  der  Geschichte  ewig  unvergesslich  sein.  Sie 
erweiterten  die  Handelsbeziehungen  derartig,  dass  der  äusserste  Osten  vom 
Indus  und  Oxus  mit  dem  Westen  bis  ans  atlantische  Meer  vei'bunden  war. 
Balsora,  von  Omar  am  Zusammenflusse  des  Euphrats  und  Tigris  erbaut, 
Damaskus,  als  Residenz  der  prachtliebenden  Omaijaden  besonders  von  ihnen 
bevorzugt,  und  Bagdad,  der  reiche  Sitz  der  Abassiden,  wurden  nunmehr 
grosse  Handelsniederlagen,  welche  die  Reichthümer  der  östlichen  Welt,  die  Er- 
zeugnisse der  Natur  und  des  Kunstfleisses  empfingen  und  vertheilten.  Wie  die 
Hauptstädte  des  grossen  Reichs,  so  wurden  auch  unzählige  kleine  Städte  und 
Flecken  Sitz  der  Industrie,  des  Kunst-  und  Fabrikfleisses  und  zu  Wasser  und 
zu  Lande,  durch  Karavanen  und  Schiffe  wurden  ihre  Produkte  nach  allen 
Küsten  des  grossen  arabischen  und  selbst  des  griechischen  Reichs  verschickt 
und  die  Araber  wurden  so  unter  den  Abassiden  die  grösste  Haudelsnation 
der  Welt. 

:■;  Die  nothwendige  Folge  davon  war,  dass  auch  die  geistige  Cultur  des 
Volkes  mächtig  gefördert  wurde.  Während  die  übrige  Welt  in  Unwissenheit 
versank,  erhoben  sich  die  Araber  zu  Gelehrten,  die  in  ihrem  Zeitalter  nur 
wenige  ihres  Gleichen  fanden.  Sehr  bald,  mit  der  beginnenden  Beschäftigung 
mit  den  Wissenschaften,  begriffen  sie  den  hohen  Werth  derselben  und  ebenso 
schnell  erfassten  sie  auch  die  Gx'undsätze  der  Wissenschaften,  die  ihnen  bekannt 
wurden  und  bildeten  sie  in  ihrer  Weise  weiter.  Sie  gingen  zuerst  bei  den 
|i.   Griechen  in  die  Lehre;  der  Beginn  ihrer   wissenschaftlichen   Bildung    knüpft 

B  Musikal.  Converä.-Leiikon.    X.  22 

i 


338  Türkische  Musik. 

an  die  Uebersetzung  griechischer  Schriftsteller  an.  Die  Abassiden  hatten 
syrische  und  griechische  Aerzte  an  ihren  Hof  gezogen  und  durch  diese  waren 
sie  zuerst  mit  den  Wissenschaften  näher  vertraut  geworden.  Zunächst  waren 
es  die  Schriften  des  Hippocrates,  Galen,  Theophrast,  des  Euclides,  Pto- 
lomaeus  und  Aristoteles,  welche  die  Chalifen  AI  Mansor  (136 — 158  der 
Hegira  =  753 — 775  unserer  Zeitrechnung),  Harun  al  Raschid  (170—193 
der  Hegira  =  786—808  u.Z.)  und  AI  Mamun  (198—218  der  Hegira  = 
813 — 833  u.  Z.)  unter  Aufsicht  ihrer  Leibärzte  in  das  Arabische  übersetzen 
Hessen.  AI  Mamun  namentlich  war  ausserordentlich  nach  dieser  Richtung 
thätig.  Er  versammelte  an  seinem  Hofe  Gelehrte  aller  Länder;  und  sein  Eifer 
für  die  Wissenschaften  ging  so  weit,  dass  er  nach  einem  siegreichen  Feldzuge 
gegen  den  griechischen  Kaiser  sich  erbot,  alles  Eroberte  wieder  herauszugeben, 
wenn  ihm  der  Kaiser  gestatte,  alle  wissenschaftlichen  Bücher  Griechenlands  ins 
Arabische  übersetzen  zu  lassen,  und  er  selbst  führte  bei  Anfertigung  dieser 
Uebersetzungen  den  Vorsitz.  Zugleich  legte  er  Schulen  zu  Bagdad,  Basra, 
Bocchara  und  Kufa  an  und  gründete  grosse  Bibliotheken  zu  Bagdad, 
Alexandria  und  Kairo.  Diesen  Bestrebungen  schlössen  sich  auch  die  Cha- 
lifen zu  Cordova  an,  unter  ihnen  zeichnete  sich  namentlich  der  Chalif  Ha- 
kem  II.  (961)  aus,  der  in  Bagdad  Abschreiber  beschäftigte  und  zu  Cordova 
eine  Bibliothek  von  600,000  Bänden  anlegte.  Hier  namentlich  gewann  die 
Wissenschaft  eine  so  bedeutende  Pflegestätte,  dass  aus  Frankreich  und  Deutsch- 
land und  andern  Ländern  des  christlichen  Europas  die  Schüler  nach  Cordova 
kamen,  um  bei  den  Arabern  zu  studiren. 

Früher  noch  gelangte  die  arabische  Dichtkunst  zur  Blüthe  und  zwar 
als    echt    nationale    Schöpfung.     Bei    der  Lebhaftigkeit  der  Phantasie  und  der 
Leidenschaftlichkeit    der    Empfindung,    welche    die  Araber  auszeichnen,  bedurfte 
es    keines    äussern    Anstosses    oder  einer  besondern  Anleitung  zu  dichterischer 
Aeusserung    derselben;    jene  Mächte    suchen  und  schaffen  diese  von  selbst  und 
so    erfahren    wir    von    einer    arabischen    Poesie    schon    aus    jener    Zeit,    in 
welcher  die  Stämme  der  Halbinsel  noch  in  höchster  Barbarei  und  Unwissenheit 
lebten.     Natürlich  war  diese  ältere  arabische  Poesie    nur    erfüllt  von  einem 
wilden    kriegerischen     Geiste     oder     einer    verzehrenden    Leidenschaftlichkeit: 
Schlacht-  und  Blutgesänge  wechseln    mit    realistisch  derben  Liebesliedern. 
Die  Messe  zu  Mecca  wurde  insofern  auch  bedeutungsreich  für  die  Entwickelung 
der  Poesie,  als  sie  zu  dichterischen  Wettkämpfen  veranlasste.    Anfangs  blieben 
diese  noch  dem  Zufall  überlassen,  aber  im  sechsten  Jahrhundert  bestimmte  man 
den    Platz    Occadh    für    solche    poetische  Wettkämpfe  und  seitdem  wurde  auch 
das  Gedicht,  das  den  Preis  erhielt,  mit  goldenen  Buchstaben  in  Leinewand  oder 
Seide  gestickt,  um  es  an  den  Thoren  der  Kaaba*)  aufzuhängen.    Davon,  dass 
es  am  Tempel   aufgehängt  wurde,    nannte    man  dies  Preisgedicht:  Moallacät, 
und    weil    es    mit    Gold  eingestickt  war  Modhabebät.     Die  sieben  noch  vor- 
handenen Preisgedichte  reichen  nicht  über  das  sechste  Jahrhundert  nach  Christus 
hinaus.    Die  Dichter  derselben:  Amru  ben  Kalthun,  Hareth  und  Tarafah 
lebten    kurz    vor    dem    Propheten;    Zoheir    und  Antara  wohl  nur  um  einige 
Zeit  früher.     Lebid  dichtete  sein  Preisgedicht  kurz  vor  dem  Propheten,  dem 
zu  Ehren  er  der  Poesie  ganz  entsagte;  Amri'l  Kais  aber  war  ein  Zeitgenosse 
des  Propheten.     Wie    schon    erwähnt    trat    dann  die  Poesie  in  den  Dienst  der 
Chalifen,    um    den    Glanz  ihres  Hofes    zu  erhöhen  und  ihre  ganze  Erscheinung 
zu  verherrlichen.    Der  Chalif  wurde  dichterisch  begrüsst  und  selbst  alltäglichere 


*)  Das  angesehenste  Natioualheili^thum  der  Araber  zu  Mekka,  ein  Tempel  mit 
einem  schwarzen  Stein  in  der  äussern  Mauer.  Nach  der  Sage  hat  Ismael,  der  Stamm- 
vater der  Araber  und  der  Erbauer  dieses  Heiligthums,  denselben  vom  Engel  Gabriel  er- 
halten. Zu  der  Kaaba,  wo  neben  dem  Einen  höchsten  Gott  (Allah)  jeder  Stamm  seine 
besondern  Götter  oder  Genien  aufzuweisen  hatte,  fanden  jährlich  Wallfahrten  statt, 
während  welchen  die  Kriege  eingestellt  wurden,  die  Blutrache  schwieg  und  Freund  und 
Feind  an  den  heiligen  Handinngen  und  Umgängen  friedlich  Theil  nahmen. 


Türkische  Musik.  339 

Ereignisse  seines  Leben  dichterisch  ausgezeichnet;  das  ganze  Ceremoniell  bei 
Hofe  erhielt  eine  gewisse  dichterische  Anordnung,  bei  der  auch  der  Chalif  in 
dichterischer  Weise  einzugreifen  genöthigt  war.  Zu  diesem  Zweck  namentlich 
wurden  Akademien  für  die  Dichtkunst  an  den  Höfen  en-ichtet.  Die 
dichterischen  Wettkämpfe  wurden  zahlreicher  aller  Orten,  nicht  nur  in  Mecca, 
ausgeführt  und  selbst  Dichterinnen  betheiligten  sich  daran.  Die  Dichter  be- 
gleiteten das  Heer  auch  in  den  Krieg  und  kriegerische  Ereignisse  und  grosse 
Heldenthaten  waren  gern  gewählte  Stoffe.  Die  berühmtesten  arabischen 
Dichter  dieser  Zeit  waren  Habib  Abub  Tammam,  der  Sohn  armer  Eltern, 
der  als  Wasserträger  in  Kairo  sein  Leben  fristete  und  am  liebsten  von 
Schlachten  sang,  von  »der  Musik  der  klirrenden  Waffen«  und  »dem  Tod,  der 
süsser  schmeckt  als  Feig  und  Wein«;  ferner:  Motenabbi  (geboren  zu  Kufa 
im  Jahre  915  und  in  der  Nähe  seiner  Vaterstadt  im  Jahre  965  von  räube- 
rischen Beduinen  ermordet),  dessen  Preis-  und  Schlachtenlieder  hochberühmt 
und  weit  verbreitet  waren.  Toghrai  (ermordet  1121)  und  Asmati  waren 
als  Lyriker,  M  ei  dam  (gestorben  1125)  als  Didaktiker  hochberühmt,  lieber 
den  Antheil,  welchen  die  Musik,  besonders  der  Gesang,  hierbei  gewann,  sind 
wir  nicht  berichtet,  doch  lässt  die  allmälig  immer  künstlicher  werdende  strophische 
Form  darauf  schliessen,  dass  diese  hauptsächlich,  wie  bei  allen  andern  Völkern, 
durch  die  Hülfe  des  gesungenen  Tons  ermöglicht  wurde.  Der  kurzathmige 
Bau  der  Strophen  wird  meist  duixh  die  Rücksicht  auf  den  Athem  des  Sängers 
bedingt.  Die  kurzen  Strophen  erscheinen  überall  als  das  unmittelbare  Produkt 
der  Sangeslust,  die  längern  dagegen  als  das  der  dichterischen  Technik,  der  be- 
rechnenden Prosodie. 

Im  TJebrigen  erfassten  die  Araber  die  Musik  vielmehr  als  Wissenschaft, 
weniger  als  Kunst.  Es  ist  dies  ebensowohl  in  ihrem  Naturell,  wie  in  dem 
Gange  ihrer  Bildung  und  ihrer  Religionsverfassung  begründet.  Mathematik 
und  Sternkunde  wurden  früh  von  ihnen  gepflegt  und  wie  sehr  namentlich 
Mathematik  und  Rechenkunst  unter  ihrer  Pflege  gefördert  wurden,  dafür 
sind  die  durch  sie  erfundene  oder  doch  vervollkommnete  »Algebra«  und  die 
arabischen  Ziffern,  wodurch  die  Abendländer  mit  der  wunderbaren  Erfindung- 
vertraut  wurden,  den  Zahlen  durch  ihre  Stellung  einen  Werth  zu  geben,  Sie 
erweiterten  daher  auch  die  geographischen  Kenntnisse  durch  Entdeckungsreisen 
und  durch  Messung  der  Längen-  und  Breitenkreise.  Dieser  Zug  ihres  Geistes 
wurde  dann  noch  durch  das  Studium  der  griechischen  Schriftsteller  ganz  be- 
sonders genährt  und  es  ist  daher  erklärlich,  dass  sie  auch  durch  den  wissen- 
schaftlichen Theil  der  Musik  mehr  angezogen  wurden,  als  durch  den  praktischen, 
dass  sie  mit  mehr  Sorgfalt  Ton  und  Intervall  untersuchten,  ohne  die  gewon- 
nenen Resultate  auch  praktisch  durchgreifend  zu  verwerthen.  Begünstigt  wurde 
dieser  ganze  Zug  auch  dadurch,  dass  der  Koran  die  Künste  unberücksichtigt 
liess  und  dass  die  Musik  keinen  Theil  am  Cultus  gewann,  wie  doch  bei  allen 
andern  Culturvölkern,  die  deshalb  auch  zu  einer  höhern  Blüthe  der  Musikent- 
wickelung gelangten.  Es  musste  dies  namentlich  für  alle  dem  Islam  ergebenen 
Völker  bedeutungsvoll  werden,  weil  für  sie  in  der  Religion  alle  anderen  In- 
teressen aufgingen,  durch  sie  Staat  und  Gesellschaft  vollständig  geregelt  und 
beherrscht  wurden,  so  dass  der  Koran  zugleich  staatliches  und  bürgerliches 
Gesetzbuch  ist.  Was  daher  durch  ihn  nicht  geheiligt  ist,  das  gedeiht  nur 
wenig  bei  den  Bekennern  des  Islams  und  so  kam  es,  dass  die  Musik  wohl 
die  arabischen  Gelehrten  in  dem  angegebenen  Sinne  beschäftigte,  dass  sie  aber 
als  Kunst  keine  Bedeutung  gewann,  sondern  nur  in  gewisser  volksthümlicher 
Weise  ausgebildet  sich  erhielt.  Schon  in  der  Mitte  des  zweiten  Jahrhun- 
derts ihrer  Zeitrechnung  (der  Hedgra  oder  Hidschret),  etwa  im  8.  Jahrhundert 
der  unsrigen  (n.  Chr.),  erscheinen  bereits  Schriftsteller,  welche  sich  mit  Unter- 
suchungen über  die  Musik  beschäftigen.     Unter  den*)   von  Herrn  Kosegarten 


*)  Vergl.  R.  G.  Kiesewetter  „Die  Musik  der  Araber"  (Leipzig,  1842). 

22* 


340  Türkische  Musik. 

nach  den  Nachrichten  des  alten  Ali  aus  Ifsfahan  genannten  Dichtern  und  Sän- 
gern erscheint  wenigstens  Obeidallah  Ben  Amed  Ben  Tahir,  mit  dem 
Beinamen  Abu  Ahmed,  als  Verfasser  eines  musikalisch-theoretischen  Werkes*) 
(r>Liher  disciplinarmn  7iobilium«).  Den  weiteren  Verlauf  des  Ganges  der  Ent- 
wickelung  der  arabischen  Theorie  fasst  dann  Kiese wetter**)  dahin  zusammen: 
»Wenn  wir  also  die  ersten  Anfänge  einer  musikalischen  Theorie  unter 
den  Orientalen  in  der  Umgebung  der  Chalifen  aus  dem  Stamm  der  Omajiden, 
dann  der  Abassiden  entdecken,  so  lassen  sich  von  da  an  folgende  Phasen  der- 
selben in  Kürze  bezeichnen: 

1)  Entstehung  und  allmälige  Entwickelung  einer  eigenen  einheimischen 
(weder  ererbten  noch  überlieferten)  Theorie  durch  arabische  Philosophen,  seit 
dem  III.  Jahrhundert  arab.  Zeitr.,  dem  IX.  u.  Zeitr.  —  Das  System  ist  jenes, 
welches  zwischen  dem  ganzen  Ton  zwei  mittlere  annimmt,  und  in  dem  Umfang 
der  Octave  17   Intervalle  begreift. 

2)  Grosse  persische  Theoretiker  (gegen  Ende  des  VII.  Jahrhunderts  der 
Hidschret,  im  Anfange  des  XIV.  u.  Zeitr.)  bearbeiten  vorzüglich  den  mathe- 
matischen Theil,  mit  mancher  Neuerung,  obgleich  von  dem  älteren  arabischen 
(17.  Ton-) System  noch  ausgehend,  auf  eben  dasselbe  einlenkend,  auch  dieselben 
Tonformeln  oder  sogenannte  Tonarten  beibehaltend;  und  dies  ist  die  arabisch- 
persische  Schule. 

3)  Wenig  später  (vielleicht  noch  gleichzeitig  mit  dieser  letztern)  taucht 
in  Persien  ein  absolut  neues  System  auf,  erweislich  aus  unserm  Europa  dahin 
verpflanzt,  von  den  Persern  nach  orientalischer  Weise,  doch  die  Spur  seines 
Ursprungs  nicht  gänzlich  verwischend,  verarbeitet.  Es  ist  das  System  der  7 
ganzen  Töne,  mit  eingerückten  5  halben  Tönen,  wie  es  unsere  Claviere  dar- 
stellen :  wir  wollen  es  das  Zwölfton-System  nennen.  Unter  dem  achtbareren 
Theil  der  persischen  Gelehrten  scheint  aber  dasselbe  noch  lange  keinen  Ein- 
gang gefunden  zu  haben.« 

Diese  verschiedenen  Perioden  und  deren  wechselnde  Systeme  sind 
bisher  von  den  Schriftstellern,  welche  über  die  Musik  der  Araber  Nachricht 
gegeben  haben,  nicht  bemerkt  worden,  und  so  ist  es  gekommen,  dass  man  ent- 
weder alles  irgendwo  Vorgefundene  —  Systeme,  die  einander  gegenseitig  sogar 
ausschliessen  —  ohne  Unterschied  den  Arabern  zugeschrieben  hat,  oder  dass 
man  Manches  (ja  wohl  gar  Alles),  was  diesen  unwidersprechlich  eigen,  von 
den  Persern  hergeleitet  haben  wollte,  deren  Ansprüche  auf  eine  ihrer  eigenen 
Schule  selbst  aus  einer  so  beträchtlich  späteren  Periode  datiren.  Endlich  findet 
es  sich,  dass  jenes  früheste  System  der  Musik,  unter  den  Arabern  selbst,  ebenso 
wenig  der  (von  uns  so  bezeichneten)  arabisch- persischen  Schule  oder  dem 
neuern  (europäisch-)persischen  System,  als  früher  Farabi's  griechischer  Theorie 
gewichen  war,  sondern  sich  weit  über  die  Periode  der  einstigen  Blüthe  ara- 
bischer Wissenschaft  und  Kunst  hinaus,  ja  unter  den  im  Orient  noch  vorkom- 
menden Liebhabern  musikalischer  Gelehrtheit  bis  zu  unseren  Tagen  erhalten, 
hat.  Dass  diese  von  den  Theoretikern  aufgestellte,  in  17  Stufen  getheilte, 
Tonleiter  in  der  Praxis  gebrächlich  wurde,  bezeugen  die  Nachrichten  von  der 
Einrichtung  der  Laute,  die  wir  aus  jener  Zeit  schon  erhalten.  Diese  ist  fünf- 
saitig  (oder,  da  jede  doppelt  vorhanden  ist,  doppelchörig)  in  aufsteigenden 
Quarten  gestimmt  und  das  Griffbrett  ist  in  acht  feste  Bünde  getheilt,  die  von 
der  leeren  Saite,  bei  den  Arabern  der  »absolute  Ton«  benannt,  durch  gleiche 
Dritteltöne  aufsteigend  bis  zum  achten  Bund  gezählt  werden,  dieser  giebt 
immer  den  absoluten  Ton  der  folgenden  Saite: 


*)  Er  war   ein  Enkel   des   berühmten  Statthalters  von  Chorasan  und  durch  einige 
Zeit  Oberster  der  Leibwache  zu  Bagdad.     Er  lebte  zur  Zeit  des  Chalifen  el  Mutadid. 
*♦)  A.  a.  0.,  pag.  15. 


Türkisclie  Musik. 


341 


El  Äoud. 
Die  Laute  der  Araber. 


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Der  kleine  Finger 


Der  Groldfingei 


Der  mittlere  des  Geräthes 


Der    mittlere  alte    (oder 
des  Pferdes) 


Der  Zeigefinger 


Der  nächstseitige  oder 
benachbarte  des  Zeige- 
fingers 


Der  überflüssige 


Der  absolute 


342 


Türkische  Musik. 


Wir  haben  hier  die  Töne  zugleich  nach  unserm  System  benannt  und  die  Er- 
höhung des  Normaltons  durch  Punktiren  angedeutet:  c.  ist  das  um  ein  und 
c:  das  um  zwei  Drittel  erhöhte  c.  Dies  Tonsystem  hat  sich  im  Oi'ient  bis  auf 
den  heutigen  Tag  auch  in  der  Praxis  erhalten,  es  erscheint  daher  meist  un- 
möo-lich,  solche  Gesänge  in  unsere  moderne  Tonleiter  zu  zwängen.  Ssaffieddien, 
ein  persischer  Theoretiker  zeichnet  nur  eine  Saite  auf  und  giebt  den  Tönen 
zugleich  besondere  Namen: 

Wie  weit  dann  die  daraus  entwickelten  Ton- 
artensysteme  in  der  Praxis  Anwendung  fanden 
und  wie  weit  sie  nur  der  Speculatiou  dienten, 
ist  ebensowenig  nachzuweisen,  wie  bei  den  grie- 
chischen Tonsystemen.  Jedenfalls  darf  man  auch 
hier  mit  Bestimmtheit  annehmen,  dass  aus  den 
früher  schon  angegebenen  G-ründen  die  Praxis 
der  Araber  weit  hinter  ihrer  Theorie  zurückblieb. 
Der  Rhythmus  wurde  bei  ihnen  zu- 
nächst in  derselben  Weise  ausgebildet  wie  bei 
allen  Völkern:  an  der  Sprache.  Die  Araber 
unterschieden  Silben  von  verschiedenem  Zeit- 
werth  und  gewannen  vier  einfache  Füsse.  Es 
sind  dies: 

1)  Der  leichte  Strick:  tsn 

2)  Der  schwere  Strick:   tene 

3)  Der  Pflock:  terien 

4)  Das  Zwäckchen:  teneten 

und  aus  der  verschiedenen  Zusammensetzung  der- 
selben gewannen  sie  die  sogenannten  Cyclen, 
die  sich  von  unseren  Versfüssen  darin  unter- 
scheiden, dass  bei  jenen  verschiedene  Metren 
zu  einem  Cyclus  vereinigt  werden,  während  wir 
unsere  Vers  füsse  einheitlich  aus  einem  Metrum 
entwickeln.  Auf  den  untern  Stufen  der  Ent- 
wickelung  der  Prosodie  gilt  immer  mehr  die 
Strophe  im  Ganzen  betrachtet,  als  der  einzelne 
Theil.  Die  arabische  Strophe  erscheint  deshalb 
auch  unserer  Empfindung  nach  ziemlich  unge- 
geregelt.  Wie  sehr  aber  dieser  Rhythmus  als 
musikalisches  Princip  erkannt  wurde,  geht  daraus 
hervor,  dass  ihn  die  Araber  gern  auf  die  Trom- 
mel angewendet  erörtern.  Die  langen  Schläge 
werden  dabei  der  linken,  die  kurzen  der  rech- 
ten Hand  zugewiesen.  Einige  Autoren  erwähnen 
auch  bereits  künstlicher  Trommelstücke  und 
nennen  einzelne  Meister,  die  sich  durch  die  Zu- 
sammensetzung solcher  Trommelstücke,  welche 
auch  schon  ihre  bestimmten  Namen  erhielten,  wie: 
Der  neue  Schlag,  Der  Schlag  des  Mordes, 
Der  Schlag  der  Eroberer,  Der  königliche 
Cyclus  u.  s.  w.  hervorthaten. 
Endlich  müssen  auch  die  Araber  als  Erfinder  oder  doch  Verbesserer  ein- 
zelner Instrumente  genannt  werden,  welche  nachmals  für  die  Entwickelung  der 
Musik  in  Europa  hochbedeutsam  wurden,  wie  die  Laute,  welche  die  Araber 
von  den  Persern  übernahmen,  aber  erweiterten  und  verbesserten,  so  dass,  als 
sie  durch  die  Kreuzzüge  nach  Deutschland  gelangte,  sie  hier  sehr  bald  Einfluss 
auf    die    ganze    Musikenfwickelung  gewann.     Die  verwandten  Instrumente:  das 


Der  Kamm, 

(Die  Sail 

.enfessel.) 

u 

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Ö  18    ' 

'    Neiva 

b:  17    ' 

'    Osal 

h.  16    ■ 

'    Saba 

h  15    ' 

<    Tschargjah 

a  14    • 

'    Buselik 

g:   13    ' 

•    Sigjah 

9-  12    • 

'    Neliawent 

g  11    . 

1    Dugjah 

/:   10    . 

'    Behawy 

/.     9    . 

>    Sengule 

/     8    ' 

'    Bast 

e     7    « 

>    Nerm  mahur 

d:     6    ' 

>    Irak 

d.     5 

'    Nerm  adschem 

d     4 

>    ÄascTiiran 

C:     3 

>    Nerm  hissar 

G.     2 

•    Nerm  hejati 

C     1 

■■    Jegjah 

^ 

Die 

Nase. 

Der  Wirl 

oelkasten?) 

Türkische  Musik.  343 

Tanbur  von  Bagdad  und  das  Tanbur  von  Korassan  waren  mit  zwei, 
seltener  mit  drei  Saiten  bespannt,  die  über  einen  Steg  liefen,  welcher  der  Laute 
fehlt.  Von  den  andern  Instrumenten  wurden  dann  das  Rebab,  auch  ßubeb 
oder  Rebec  (s.  d.)  hochbedeutsam,  indem  es  die  Familie  der  Streichinstrumente 
erzeugte,  welche  bald  eine  so  ungewöhnliche  Bedeutung  in  Europa,  ganz  be- 
sonders in  England,  Erankreich  und  Deutschland  gewinnen  sollte,  nachdem  sie 
hier  bekannt  geworden  war.  Ausserdem  waren  den  Arabern  noch  eine  Menge 
anderer  Saiteninstrumente  bekannt,  wie  das  Tscheng  (s.d.),  Nufhet,  Ka- 
nun  u.  s.  w.  Ton  Blasinstrumenten  werden  erwähnt  das  Nay  oder  Ney  in 
verschiedenen  Grössen,  die  Sackpfeife  und  eine  Art  Orgel.  Endlich  waren 
eine  Menge  der  bekannten  Schall-  oder  Schlaginstrumente:  Trommeln, 
Tamburin,  Cinellen,  Castagnetten  u.  s.  w.  im   Gebrauch. 

So  waren  bei  den  Arabern  schon  im  Grunde  die  Vorbedingungen  einer 
herrlichen  Entfaltung  der  Tonkunst  gegeben;  dass  diese  dennoch  nicht  weiter 
gefördert  wurde,  ist  aus  dem  oben  angegebenen  Grunde  erklärt.  "Wie  wenig 
unter  den  Arabern,  bei  aller  wissenschaftlichen  Bildung,  die  Praxis  gefördert 
worden  war,  das  wird  am  Schlagendsten  dadurch  bewiesen,  dass  sie  nicht  über 
die  Versuche  eine  Notenschrift  zu  finden  hinausgekommen  sind,  Wo  aber 
die  Kunstpraxis  bedeutendere  Ausdehnung  gewinnt,  da  ist  die  Notenschrift  un- 
abweisbar. Als  dann  die  Türken  die  Herrschaft  über  das  grosse  arabische 
Reich  gewannen,  war  an  eine  weitere  Entwickelung  nicht  mehr  zu  denken, 
selbst  die  Theorie  fand  unter  ihnen  keine  weitere  Pflege. 

Der  begeisterte  Heldenmuth  und  die  Lust  am  Kriege  waren  den  Arabern 
allmälig  unter  den  Beschäftigungen  des  Friedens  geschwunden.  Luxus  und 
Ueppigkeit  untergruben  die  Kraft  und  die  "Waffenkuude  früherer  Jahrhunderte. 
Es  entstanden  religiöse  Streitigkeiten,  welche  Spaltungen  erzeugten  und  Secten 
entstehen  Hessen,  die  sich  unter  einander  bekämpften  und  befehdeten.  Treulose 
Statthalter  und  übermüthige  Stammeshäupter  erregten  wiederholt  Empörungen, 
in  Folge  deren  ganze  Provinzen  abfielen.  Wie  schon  früher  Abderrhaman 
ein  selbständiges  Reich  in  Spanien  gegründet  hatte,  so  rissen  sich  unter  Harun 
auch  Tunis  und  Fez  los.  Unter  AI  Mamun  machten  sich  die  Statthalter  von 
Khorassan  unabhängig  und  andere  Statthalter  folgten  diesem  Beispiel.  Im 
Jahre  877  machten  sich  Aegypten  und  Syrien  frei,  in  Tunis  setzten  sich  die 
Fatimiden  fest,  welche  sich  rühmten,  von  Fätime,  der  Tochter  des  Propheten 
abzustammen.  Bereits  Harun  al  Raschids  dritter  Sohn,  Motassem,  der 
Nachfolger  Mamuns,  hatte  sich  veranlasst  gesehen,  zum  Schutze  gegen  Empö- 
rungen eine  Leibwache  zu  bilden.  Er  hatte  dazu  jenes  erwähnte  tartarische 
Nomadenvolk,  die  Türken,  erwählt  und  diese  wurden  bald  so  mächtig,  dass 
der  Chalif  nur  als  ein  Spielball  in  ihrer  Hand  erschien  und  sie  schliesslich 
Herren  des  ganzen  Reiches  wurden.  Der  zunehmende  Verfall  des  Chalifats 
begünstigte  ihre  Bestrebungen.  Der  Chalif  Mohammed  IV.  besass  (940)  nur 
noch  die  Herrschaft  über  Bagdad  und  er  sah  sich  schliesslich  genöthigt,  den 
letzten  Rest  seiner  weltlichen  Gewalt  dem  mächtigen  Ebu  Raik,  dem  Befehls- 
haber seiner  türkischen  Leibwache,  unter  dem  Titel  eines  Emir  al  Omrah,  d.  h. 
eines  Fürsten  der  Fürsten  zu  übertragen.  Nach  dem  Tode  Mohammed's  em- 
pörten sich  wieder  einzelne  Statthalter  und  machten  sich  zu  selbständigen  Herr- 
schern. Im  östlichen  Persien  bemächtigte  sich  der  Statthalter  von  Khorassan, 
ein  Türke  Namens  Alphtekin,  der  Festung  Gasna  und  gründete  das  Reich  der 
Ghasnaviden,  das  den  Gipfel  seines  Glanzes  unter  Muhammed  mit  dem  Bei- 
namen Jemin  ed  daula,  d.  h.  Säule  des  Reiches  (999)  erreichte.  Bei  seinen 
blutigen  Eroberungszügen  schützte  und  förderte  er  dennoch  auch  Kunst  und 
"Wissenschaft  und  belohnte  die  Dichter  mit  wahrhaft  königlicher  Freigebigkeit. 
An  seinem  Hofe  glänzte  der  bedeutendste  persische  Dichter  Firdusi  (der 
Paradiesische),  der  in  seinem  grossen  Epos,  dem  Schah  nameh  oder  Helden- 
buche, die  Thaten  aller  persischen  Könige  von  den  ältesten  Zeiten  bis  zum 
Untergange    der    Sassaniden    besang.     Ein    türkischer  Emir  Namens   Seldschuk 


344  Türkische  Musik. 

hätte  sich  inzwischen  mit  seinem  Stamm  von  seinem  Chan  frei  gemacht  und 
nachdem  er  zum  Islam  übergetreten  war,  im  Osten  von  Bochara  niedergelassen. 

Um  ihn  für  sich  zu  gewinnen,  räumte  Mohammed  Jemin  ed  daula  diesem 
Stamme  Wohnsitze  in  Khorassan  ein,  aber  Seldschuks  Enkel  Togrul  Beg 
empörte  sich,  unterwarf  sich  ganz  Khorassan  und  machte  sich  im  Jahre  1038 
zum  Beherrscher  von  Ostpersien;  er  eroberte  Bagdad  nnd  zwang  den  Chalifen, 
ihm  selbst  die  Würde  eines  »Emir  al  Omrah«  zu  ertheilen  (1058).  Damit  war 
die  Macht  des  Ghasnaidenreichs  gebrochen,  dies  verfiel  immer  mehr,  während 
Togrul  Beg  seine  Herrschaft  immer  weiter  ausbreitete.  Sein  Brudersohn  Alp 
Arslan  (der  muthige  Löwe),  der  ihm  1063  in  der  Herrschaft  folgte,  kämpfte 
siegreich  gegen  den  griechischen  Kaiser  und  eroberte  Armenien  und  Georgien. 
Zum  grössten  Glänze  aber  gelangte  das  Seldschucken reich  unter  Alp  Arslans 
Sohne  Malek  Schah  (1072 — 1092),  der  Syrien  und  Kleinasien  beherrschte, 
dabei  aber  auch  Kunst  und  Wissenschft  beschützte  und  förderte.  Er  legte  zu 
Bagdad,  Ispahan  und  Basra  Schulen  an  und  baute  zu  Ispahan  eine  Sternwarte, 
Noch  zwei  Jahrhunderte  bestand  die  Würde  eines  Chalifen  fort,  bis  Haluga, 
der  Enkel  des  Mongolen  Dschengis  Chan  Bagdad  erstürmte  (1258)  und  der 
letzte  der  Chalifen  Mostassim  seinen  Tod  fand.  Bochara,  Samarkand,  Balkh 
und  andere  blühende  Städte  gingen  mit  all  ihren  reichen  Schätzen  der  Kunst 
und  Wissenschaft  in  Flammen  auf,  die  Bibliotheken  wurden  in  Ställe  verwan- 
delt und  mongolische  Barbaren  lagerten  sich  über  die  Staaten  und  Völker  vom 
Indus  bis  zum  kaspischen  Meere. 

Um  dem  Schwert  der  Mongolen  zu  entrinnen,  verliessen  die  Osmanen 
gegen  Ende  des  13.  Jahrhunderts  ihren  Wohnsitz  in  den  Ostgegenden  des 
kaspischen  Meeres  und  erkämpften  sich  in  Kleinasien  die  Trümmer  des  Seld- 
schuckenreichs.  Mit  seinen,  durch  mohammedanische  Derwische  zum  Kampfe 
wider  die  Christen  begeisterten  und  von  der  Aussicht  auf  Beute  angetriebenen 
Schaaren  drang  Osman  durch  die  olympischen  Pässe  nach  Bithynien,  erhob 
Prussa  (Brussa,  Bursa)  zu  seinem  Herrschersitz  und  behauptete  seine  Erobe- 
rungen gegen  die  verweichlichten  Griechen  und  die  von  ihnen  zu  Hülfe  geru- 
fenen abendländischen  Söldner.  Seine  Nachfolger  verbesserten  das  Kriegswesen 
und  die  Janitscharen  schuf  Murad  I.  zu  einer  Macht,  mit  Hülfe  deren  er 
ganz  Kleinasien  unterwarf  und  dann  nach  Europa  übersetzte,  um  in  wenig 
Feldzügen  alles  Land  vom  Hellespont  bis  zum  Hämus  sich  unterthänig  zu 
machen.  Durch  Alaeddin  (1328)  war  bereits  ein  stehendes  Heer  bei  den 
Türken  eingerichtet  worden.  Da  indess  die  Türken  zu  genusssüchtig  und  stör- 
risch sind,  so  kamen  er  und  sein  Bruder  Urchan  bereits  auf  die  Idee,  aus  den 
gefangenen  Christen  und  Ueberläufern  eine  neue  Truppe  zu  bilden,  vor  der 
nur  zu  bald  die  Welt  erzittern  sollte.  Den  Namen,  wie  die  Form  der  unter- 
scheidenden Filzmütze  sollen  sie  durch  den  Derwisch  Hadschi  Begtasch,  den 
Stifter  eines  noch  heute  im  Osmanischen  Reiche  weit  verbreiteten  Ordens, 
erhalten  haben.  Von  Urchan  aufgefordert,  die  neue  Truppe  einzusegnen  und 
ihr  einen  Namen  zu  geben,  legte  der  Scheich  (der  oben  erwähnte  Derwisch) 
den  Aermel  seines  Filzmantels  auf  den  Kopf  eines  der  ihm  vorgestellten  Söld- 
linge, so  dass  der  Aermel  rückwärts  herabhing  und  sprach:  »Ihr  Name  sei: 
Die  neue  Truppe  (Jeni  Tscheri),  ihr  Angesicht  weiss,  ihr  Arm  siegreich,  ihr 
Säbel  schneidend,  ihr  Speer  durchstossend;  immer  sollen  sie  zurückkehren  mit 
Sieg  und  Wohlsein.«  Zum  Andenken  des  Segens  erhielten  die  weissen  Filz- 
mützen einen  rückwärts  herabhängenden  Zusatz.  Bald  widerstand  dieser  für 
den  Islam  begeisterten  Truppe  keine  andere  mehr.  Adrianopel  wurde  ein- 
genommen und,  mit  glänzenden  Moscheen  geschmückt,  von  Murad  zum  Herrscher- 
sitz erwählt  und  von  hier  aus  breitete  er  seine  Herrschaft  weiter  aus,  bis  er 
in  der  blutigen  Schlacht  von  Kossowa  (1389)  erschlagen  wurde.  Aber  sein 
Sohn  Bajazeth  setzte  den  Siegeslauf  seiner  Vorgänger  mit  solchem  Erfolge 
weiter  fort,  dass  man  ihn  den  Blitz  nannte,  und  schon  erhob  er  die  Hand,  um 
Constantinopel  zu  erobern  und  das  byzantinische  Reich  zu  zertrümmern,  als  er 


Türkische  Musik.  345 

von  dem  klugen  Mongolenbelierrscher  Timur  der  Lahme  (Tamerlan,  Timurlank), 
der  zum  zweiten  IMal  Bagdad  zerstörte  und  das  herrliche  Damaskus  nieder- 
brannte, daran  verhindert  wurde.  Bajazeth  wandte  sich  gegen  diesen  Feind 
und  trotz  der  Kriegskunst  und  der  Tapferkeit  der  Türken  entschied  sich  die 
Schlacht  bei  Angora,  wo  beide  Heere  zusammentrafen,  zu  Gunsten  des  streit- 
baren Hirtenvolks.  Bajazeth  selbst  wurde  gefangen  und  starb  bald  darauf 
vor  Kummer. 

Seinem  Enkel  Murad  II.  (1421 — 51)  gelang  es  bereits,  die  abtrünnigen 
Emire  Kleinasiens  wieder  unter  seine  Herrschaft  zu  bringen  und  sein  thatkräf- 
tiger  und  ebenso  blutdürstiger  wie  herrschsüchtiger  Sohn  Mohammed  II.  (1451 
bis  1481)  eroberte  am  29.  Mai  1453  Constantinopel,  um  es  zu  seinem  Herrscher- 
sitz zu  machen.  Die  Sophienkirche  wurde  in  eine  Moschee  verwandelt  und  auf 
den  Trümmern  christlicher  Cultur  pflanzte  der  Islam  seinen  Halbmond  auf. 
Wohl  erhoben  sich  zahlreiche  Feinde  des  Osmanischen  Reichs,  allein  sie  ver- 
mochten es  nicht,  zu  hindern,  dass  es  sich  immer  weiter  verbreitete.  Mohammed 
hatte  bereits  seinen  Fuss  in  das  im  Innern  zerrüttete  Italien  gesetzt,  um  mit 
dem  Sturz  Roms  den  christlichen  Glauben  zu  verderben,  als  der  Tod  seinen 
Entwürfen  ein  Ende  machte.  Unter  seinen  Nachfolgeim  waren  es  namentlich 
Selim  I.  (1512—1520)  und  Suleiman  der  Prächtige  (1550—1566),  welche  das 
Osmanische  Reich  zu  Glanz  erhoben.  Mit  dem  Tode  Suleiman's  aber  begann 
der  Verfall  des  Reiches,  der  nur  durch  die  Eifersucht  und  Trägheit  der  euro- 
päischen Staaten  durch   Jahrhunderte  aufgehalten  wurde. 

In  der  Dichtkunst  und  den  Wissenschaften  hat  der  Osmanische  Stamm 
weit  weniger  geleistet,  als  jeder  andere  der  muhammedanischen  Yölkerfamilie. 
Er  hat  in  der  Dichtkunst  nur  die  Persischen  A^orbilder  nachzuahmen  verstan- 
den, in  der  Musik  aber  ist  er  hinter  diesen  und  den  Arabern  entschieden 
zurückgeblieben.  Es  ist  bereits  erwähnt  worden,  dass  die  Türken  die  Tonleiter 
der  Araber  in  ihrer  Praxis  annahmen,  aber  sie  haben  nichts  gethan,  weder  um 
die  Theorie  zu  erweitern,  noch  die  Ausführung  der  praktischen  Musik  zu  fördern. 

Wohl  werden  einzelne  Perioden  genannt,  in  welchen  die  Musik  zu  einer 
gewissen  Blüthe  gelangte,  wie  unter  Muhammed  IV.  (1650)  und  Chaili 
Hafis,  Ssoloksade  und  Nassrullah  Wakif  Chalchali  (der  nach  Naima, 
des  türkischen  Reichshistoriographen  1147  der  Hidschret,  1734  nach  unserer 
Zeitrechnung  zu  Constantinopel  gedrucktem  Werk:  »Tarschi«  mit  einem  »Tral- 
lala«  den  Geist  aufgab)  werden  als  Sänger  und  Tonkünstler  gerühmt.  Ihre 
Bedeutung  kann  immer  aber  nur  nach  der  beschränkten  Praxis,  über  welche 
sich  die  Türken  nicht  erhoben,  gemessen  werden.  Zahlreiche  Zeugnisse  bestä- 
tigen, dass  auch  die  Türken  Musik  lieben:  dem  Krim  Chan  (1769)  war  Gift 
beigebracht  worden,  und  als  er  fühlte,  dass  sein  Ende  herannahte,  Hess  er  seine 
Musikbande  herbeikommen  und  unter  den  Klängen  derselben  gab  er  seinen  Geist 
auf.  Bei  dem  kriegerischen  Charakter  der  Türken  waren  namentlich  die  Mi- 
litärmusikbanden früh  stark  besetzt.  Neben  den  stark  schallenden  Hörnern 
und  Trompeten  (Zürna  und  Kabuzürna)  waren  früh  verschiedene  Arten  von 
Trommeln  in  Gebrauch  und  andere  nur  schallverstärkende  Instrumente,  neben 
denen  dann  die  Oboen  (Burnas)  und  die  pfeifenartigen  einen  sehr  schweren 
Stand  hatten.  Nach  den  Vignetten  zu:  Guer  J.  A.  y>Moeurs  et  usages  des  Turcsa 
(Paris,  1746)  bestanden  die  Trompeten  aus  einer  langen  Röhre  mit  einem  weiten 
Schalltrichter,  bei  den  Hörnern  war  das  Rohr  einmal  zurück  und  dann  wieder 
vorwärts  gewunden  und  ging  in  einen  noch  weitern  Schalltrichter  aus,  durch 
dessen  Oeffnung  der  Ton  gerade  ausgeführt  wurde,  so  dass  diese  Instrumente 
einen  mächtigen  Ton  entwickeln  konnten.  Doch  erwiesen  sich  die  anders  gebil- 
deten Europäer  wenig  erbaut  von  dieser  Musik.  Die  Gesandtschaftsberichte 
aus  dem  17.  Jahrhundert  stimmen  alle  mit  dem,  welcher  in:  »Die  neu  eröff- 
nete Ottoman  ische  Pforte«  (Augsburg,  1694,  pag.  278)  veröffentlicht  ist, 
überein.  Bei  der  Beschreibung  des  Festes,  welches  bei  der  Beschneidung  des 
erstgeborenen  Prinzen  von   Amur  ad,  der  den  Namen  Meemes  erhielt  (1582), 


346  Tüi-kiselie  Musik. 

heisst  es:  »Rings  herum  waren  Fenster  /  in  deren  einem  so  ziemlich  gross  / 
sich  eine  Music  präsentirte  mit  Pfeiffen,  Hörnern,  Cymbalen  /  grossen  und 
kleineu  Pauken  /  so  mehr  ein  lächerliches  Grethön  als  liebliche  Har- 
monie gab.«  Doch  erfüllte  diese  lärmende  Musik  jedenfalls  ihren  Zweck  voll- 
ständig. Nach  dem  bereits  erwähnten  Werk  y>Moeurs  et  usagesa  befand  sich 
während  des  Kampfes  die  Musikbande  in  der  unmittelbaren  Nähe  des  Vezirs, 
folgte  den  Bewegungen  der  Armee  ganz  genau  und  hörte  nicht  auf  zu  spielen, 
so  lange  der  Kampf  währte ;  erst  wenn  dieser  entschieden  war,  schwieg  die  Musik. 
Neben  diesen  Militärmusikbanden,  welche  der  Grrosswessir  und  die  Paschahs  in 
grosser  Menge  unterhalten,  unterhält  der  Sultan  auch  noch  eine  eigene  Kammer- 
musik. Diese  ist  nach  Toderini's:  •s'Letteratura  turchese«.  (Venedig,  1787) 
aus  den  weniger  schallenden  Instrumenten  zusammengesetzt.  Diese  heissen: 
1)  Keman,  eine  Art  A^ioline.  2)  Ajakii  Keman,  eine  grössere  Art,  unserm 
Bass  verwandt.  3)  Sine  Keman,  eine  Viola  d'amour.  4)  Rebab,  ein  Instru- 
ment mit  einer  oder  zwei  Saiten.  5)  Tanbur,  ein  Instrument  von  acht  Saiten, 
von  denen  sieben  von  Stahl  sind  und  eine  von  Messing,  mit  einem  langen 
Griffbrett,  auf  dem  die  Töne  durch  Bünde  fest  abgegrenzt  sind.  Es  wird  mit 
einem  biegsamen  Stöckchen  aus  Schildkrötenschaale  gespielt.  6)  Nei,  eine  Art 
Querflöte  aus  Rohr,  das  im  Ton  unserer  Flöte  und  der  menschlichen  Stimme 
verwandt  ist.  Ferner  das  Meskal,  eine  Art  Pansflöte,  aus  23  Röhren  be- 
stehend, von  denen  durch  verschiedenes  Anblasen  drei  Töne  erzeugt  werden; 
das  Santur  wie  das  Kanun  sind  Arten  des  Psalterium,  jenes  mit  metallenen, 
dieses  mit  Darmsalten  bespannt.  Jenes  wird  mit  metallenen  Stäbchen  geschlagen, 
dieses  mit  den  Fingerhüten  von  Schildkrötenschaale,  die  mit  vorragenden  Spitzen 
von  Kokusnussschaale  besetzt  sind,  gespielt.  Endlich  fehlt  auch  nicht  das 
Daire,  aus  einem  drei  Zoll  breiten  Reif  bestehend,  zwischen  welchem  ein 
Fell  ausgespannt  ist;  an  fünf  eisernen  Blättchen  befinden  sich  doppelte  runde 
Messingbleche  nach  Art  des  Tambourin,  die  mit  ihrem  Geklingel  den  Ton  be- 
gleiten, wenn  man  es  schlägt.  Die  Musikanten  der  Kammermusik  nehmen, 
wenn  sie  vor  dem  Sultan  spielen,  ihren  Platz  an  der  "Wand  des  Zimmers,  sie 
sitzen  auf  den  Fersen  und  spielen  ohne  Noten,  alles  im  Einklang  oder  in 
der  Octave  begleitend  allerlei  Melodien,  welche  die  Gesellschaft  mit  tiefem 
Stillschweigen  anhört,  indem  sie  beim  Rauch  der  Tabakspfeife  und  einigen  Pillen 
Opium  von  einem  hinschmachtenden  Enthusiasmus  berauscht  ist. 

In  Constantinopel  sind  es  namentlich  Griechen,  Armenier  und  Juden, 
unter  denen  sich  geschickte  Musiker  befinden,  von  denen  einzelne  gleichfalls 
vom  Sultan  besoldet  werden,  wofür  sie  monatlich  einmal  berufen  werden,  um 
vor  ihm  zu  musiciren.  Im  vorigen  Jahrhundert  werden  namentlich  Anastasius, 
ein  Grieche,  und  Stephanus,  ein  Armenier,  als  gute  Rebabspieler  genannt, 
Raphael  galt  als  gelehrter  Musiker  und  spielte  das  Tanbur  sehr  gut.  Die 
vornehmen  Türken  lieben  zwar  meist  die  Musik,  aber  sie  üben  sie  seltener  aus, 
sie  überlassen  das  ihren  Sclaven  und  Sclavinnen.  Das  Volk  dagegen  ist  nament- 
lich sehr  gesanglustig  und  singt  auf  der  Strasse  und  bei  seinen  verschiedenen 
Beschäftigungen  Lieder  meist  zärtlichen  Inhalts,  die  sie  mit  einer  aus  Kürbis 
gefertigten  Laute  begleiten. 

Die  türkischen  Frauen  beschäftigen  sich  auch  mit  Musik,  namentlich  mit 
Gesang,  den  sie  mit  dem  Santur  oder  dem  Tanbur  begleiten.  Jenes  wird 
noch  heute  meist  in  der  primitivsten  Form  angewendet:  es  besteht  aus  einem 
einfachen  länglichen  Resonanzkasten,  über  welchem  die  Saiten  aufgezogen  sind. 
Die  Frauen  legen  es  auf  ihren  Schooss  und  spielen  es  entweder  mit  einem 
Stäbchen  oder  mit  Hämmern,  oder  wie  es  das  Bild  in  dem  oben  erwähnten 
Werk  i>Moeurs  et  usages  des  Turcsa  zeigt,  mit  den  Fingern  wie  die  Cither. 
Der  Tanbur  ist  dagegen  bereits  mehr  entwickelt.  Nicht  selten  wird  auch  zum 
Gesänge  das  Tambourin  gespielt,  nicht  nur  zum  Tanz,  der  wiederum  häufiger 
mit  kleinen  Trommeln  begleitet  wird  und  mit  den  Castagnetten.  Dieser  Gesang, 
der  nach  verschiedenen  Zeugnissen,  wie  nach  dem  von  Bartholdy  »Bruchstück 


Türkische  Musik.  347 

zur  nähern  Kenntniss  des  heutigen  Griechenlands«  (Th.  I.  1803;  Th.  II.  1804, 
p.  260)  dem  Gesänge  der  jüdischen  Vorsänger  in  den  Synagogen  gleicht,  bei 
dem  sie  zugleich  sich  so  anstrengen,  dass  sie  die  Kinnbacken  mit  den  Händen 
halten«,  vermochte  sich  niemals  die  Gunst  der  übrigen  Europäer  zu  erwerben. 
Was  Nicolai  »Burtig  aus  dem  Delphinat,  Kammerling  und  Geograff  K.  Mt. 
inn  Frankreich«  davon  berichtet  in  »Vier  Bücher  Von  de  Raisz  vnd  Schiffart 
in  die  Turcky«  (Antorflf,  1576),  »dass  die  Azmoglin,  das  sind  die  Kinder  so 
beim  Türkischen  Kaiser  von  den  Christen  aus  Graeca,  Albania,  Valacchia,  Ser- 
via, Bosnia,  Trapezunt,  Mengrelia,  Colchida  zu  Tributh  gegeben  werden,  auf 
der  Gasse  auf  einem  Instrument  spielen,  sieht  schier  wie  ein  Gittern,  sie  heissen's 
Tamburas,  in  dasselbig  singen  sie  so  lieblich,  dass  die  Ziegen  oder 
Geiss  dabei  dantzen  möchten«  wird  auch  in  den  spätem  Jahrhunderten 
bestätigt.  Nach  der  Abbildung,  welche  dabei  gegeben  ist,  war  das  Instrument 
eine  Art  sechssaitiger  Laute.  Die  griechischen  Bauern  müssen  in  Constanti- 
nopel  Frohnarbeit  thun;  sind  sie  damit  fertig,  dann  ziehen  sie  durch  die  Stadt 
mit  einer  Sackpfeife,  zu  deren  Tönen  sie  auch  Lieder  sangen  und  diese  erhielten 
sich  nicht  selten  längere  Zeit. 

Der  Hauptgrund,  weshalb  die  Türken  nicht  über  diese  Anfänge  der  Musik- 
entwickelung hinweg  kamen,  liegt  wohl  darin,  dass  der  Cultus  der  Musik  nicht 
bedurfte.  Selbst  der  Klang  der  Glocken,  der  die  Christen  zum  Gebet  ruft,  ist 
ihnen  versagt.  Ein  Priester  der  Muezins  oder  Meizeins  besteigt  des  Tages 
fünfmal  das  Minaret,  kurz  vor  Sonnenaufgang,  zur  Mittagszeit,  kurz  vor 
Sonnenuntergang,  bei  eintretender  Nacht  und  um  Mitternacht.  Seine 
Ohren  verstopfend,  oder  nach  andern  sich  die  Kinnbacken  haltend  mahnt  er  mit 
seinem  Geschrei  die  Gläubigen  daran,  für  das  Wohl  des  Sultans,  die  Ausbrei- 
tung des  Islams  und  die  Vertilgung  der  christlichen  Lehre,  welche  Gott  in 
beständiger  Zwietracht  erhalten  möge,  zu  beten.  Der  Gottesdienst  selbst  ist 
äusserst  schmucklos.  Der  mittägliche  Theil  der  Moschee  ist  durch  eine  Arkade 
in  Nischenform  bebaut.  Hier  ist  der  Sitz  des  Iman,  des  Priesters,  der  den 
Gottesdienst  verrichtet.  Ihm  links  zur  Seite  befindet  sich  ein  Pult,  vor  welchem 
jeden  Freitag  die  kirchliche  Handlung  verrichtet  wird.  Ein  wenig  mehr  seit- 
wärts ist  eine  Art  Chor,  in  dem  sich  Sänger  aufhalten,  die  dem  von  Iman 
angestimmten  Gesänge  antworten  oder  Strophen  aus  dem  Koran  psalmodirend 
ablesen.  Nur  der  Orden  der  Mewelewiten  bedient  sich  bei  seinen  seltsamen 
religiösen  Exercitien  der  Nej,  einer  Pfeifenart.  Die  Mewelewiten  versammeln 
sich  am  Dienstag  und  Freitag  in  einer  grossen  Kapelle,  wo  der  Iman  ihnen 
Stellen  aus  dem  Koran  vorliest  und  erklärt.  Wenn  dies  geschehen  ist,  grüssen 
sie  alle  ihren  »Superiorem«,  erzählt  »Die  neu  eröffnete  Ottomanische 
Pforte«  (pag.  104)  und  bücken  sich  vor  ihm  nieder;  nach  diesem  fangen  sie 
an,  sich  rund  herumzudrehen,  welches  etliche  so  geschwind  thun  können,  dass 
man  ihnen  kaum  in  das  Gesicht  sehen  kann.  Wenn  sie  nun  diese  Bewegung 
machen,  spielt  unterdessen  einer  auf  einer  Flöte  von  Eosenholz,  und  so  bald 
die  Musik  aufhört,  stehen  alle  still  und  ohn'  alles  Daumein  (Taumeln),  als  wenn 
sie  immerdar  ruhig  gestanden  wären.  Sie  glauben,  dass  die  Flöte  ein  sehr  altes 
geheiligtes  Instrument  sei  und  dass  Jakob  und  die  andern  heiligen  Hirten  alten 
Testaments  damit  zum  Lobe  Gottes  aufgespielt  haben.  Der  Ton  dieser  Flöte 
aber  ist  an  sich  selbst  kläglich  und  melancholisch,  allein  durch  die  grosse 
Uebung  haben  sie  es  dazu  gebracht,  dass  sie  eine  zierliche  artige  Harmonie 
damit  zu  wege  bringen«.  Die  orthodoxen  Türken  nahmen  Aergerniss  daran, 
dass  diese  Derwische  sich  der  Flöte  bedienten,  weil  das  gegen  den  Koran  ver- 
stösst  und  es  wurde  den  Mewelewiten  auch  schliesslich  untersagt,  eine  Pfeife 
zu  brauchen;  allein  diese  beriefen  sich  auf  David,  der  selber  vor  der  Bundes- 
lade getanzt  habe  und  so  wurde  das  Verbot  auch  wieder  aufgehoben.  Eine 
andere  Secte  Derwische  nehmen,  indem  sie  Ullah-hoh-  Ullah-hoh  heulen  und  sich 
auf  einem  Bein  herumdrehen,  ein  glühendes  Stück  Eisen  in  den  Mund,  dessen 
Gluth    sie    gewaltsam    aushauchen.     Bei    dieser    heiligen  Ceremonie  ertönt  eine 


348 


Türkische  Musik. 


sanfte  Musik  von  einer  Flöte  oder  der  Santer,  um  die  Kräfte  des  Heulenden 
anzufachen,  wenn  sie  ermatten  wollen,  bis  dieser  erschöpft  und  nicht  selten 
ohnmächtig  zu  Boden  sinkt. 

Nachstehend  geben  wir  noch  einige  türkische  IMusikstücke  in  unserer  Auf- 
zeichnung, wobei  indess  bemerkt  sei,  dass  es  sehr  gewagt  sein  würde,  für  die 
volle  Aechtheit  einzustehen.  Toderini,  von  dem  das  Concert  zuerst  mitsretheilt 
wurde,  erzählt  selber,  dass  der  französische  Gesandte  Ferriol  (■i>Recueil  de  cent 
estampes  de  Mr.  Ferriol  ä  Paris  1714«)  ein  türkisches  Musikstück  in  unsere 
Noten  übertragen  habe  und  dass,  als  man  es  darnach  den  Türken  vorgespielt 
habe,  diese  es  nicht  wieder  erkannt,  sondern  nur  herzlich  gelacht  hätten. 


Ändantino. 


Türkisches  Concert  genannt: 

izia  samaisi. 


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Adagio. 


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Türkische  Musik  -   Tüfrschinidt. 


349 


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tempo  primo. 


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Da  Capo  al  Segno. 
Danse  Maure. 

Aus:  La  Borde:  „Essai  sur  la  mus."  T.  I.  p.  383. 


^^=U^öEQ=^,G=t 


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itt- 


I^SI ^S- 


t^f=f: 


Danse  Turque. 


La  Borde. 


ß-0- 


Bekanntlich  hat  C.  M.  von  Weber  diesen  türkischen  Tanz  in  seinem 
»Oberon«  verwendet.     lieber  die 

TUrkisclie  Musik  bei  unserer  Militärmusik  siebe  den  Artikel  Janit- 
scbarenmusik. 

TUiTSchniidt,  Karl,  Kammermusiker  und  Waldhornist  der  königl.  Kapelle 
zu  Berlin,  geboren  am  24.  Febr.  1753,  erhielt  von  seinem  Vater,  Primhornist 
des  Fürsten  von  Oettingen-Wallerstein,  Unterricht  im  Hornblasen.  18  Jahre 
alt  begann  er  eine  Concertreise,  auf  welcher  er  auch  Paris  besuchte  und  dort 
lange  Zeit  verweilte.  Er  verheiratete  sich  dort  und  lernte  auch  den  ebenfalls 
auf  seinem  Grebiete  höchst  bedeutenden  Hornbläser  Palsa  kennen.  Beide  con- 
certirten  von  da  an  gemeinschaftlich,  Palsa  als  Primbläser,  T.  als  Secundant 
mit  ungeheurem  Beifall.  Von  Paris  gingen  beide  nach  London  und  dann  nach 
Kassel,  worauf  sie  1785  bei  der  königl.  Kapelle  in  Berlin  angestellt  wurden. 
T.,  einer  der  bedeutendsten  Virtuosen  seiner  Zeit,  starb  in  Berlin  am  1.  Novbr. 
1797.  Mehrere  Vervollkommnungen  des  Hornes  sind  ihm  zuzuschreiben,  schon 
1781  verbesserte  er  das  Inventions-Horn,  indem  er  die  Krümmungen  überkreuz 
legen  liess,  wodurch  der  Wind  in  den  Bohren  ungehindert  fortlaufen  kann, 
wogegen  bei  der  alten  Invention  sich  die  Bohren  aus  ihrer  zirkeiförmigen 
Krümmung  bald  links,  bald  rechts  rasch  wendeten,  wodurch  das  Blasen  er- 
schwert ward.  Das  erste  Instrument,  das  er  nach  dieser  Idee  bei  Raoux  in 
Paris  anfertigen  liess,  war  ein  silbernes  Hörn,  das  er  bis  zu  seinem  Tode  ge- 
brauchte. Im  Jahre  1795  erfand  er  eine  Sourdine,  vermittelst  welcher  man 
die  halben  oder  gestopften  Töne  ebenso  sicher  und  rein  als  mit  der  Hand 
nehmen  kann.  Er  veröffentlichte,  wie  schon  Artikel  Palsa  angegeben,  mit 
diesem  zusammen:  i>Six  Duos  four  deux  cors«  (Paris,  Sieber).  »50  Duos  pour 
deux  cor  Sa  (Paris,  Jan  et). 

Türrschmidt,  Karl  Nicolaus,  Musiklehrer  zu  Berlin,  Sohn  des  Vorigen, 
geboren  zu  Paris  am  20.  Octbr.  1776,  kam  mit  seinem  Vater,  dessen  Unterricht 
auf  dem  Hörn  er  genossen,  nach  Berlin  und  später  in  die  königl.  Kapelle.  Als 
Musiklehrer  war  er  geschätzt. 


350  Türrschmidt  —  Turato, 

Tiirrschmidt,  Auguste,  geborne  Braun,  Gattin  des  Vorigen,  geboren  am 
20.  Novbr.  1800  zu  Berlin,  Tochter  des  Kammermusikus  Daniel  Braun  und 
der  Sängerin  geborne  Catb.  Brouwer.  Zuerst  als  Sopransängerin  ausgebildet, 
trat  sie  1814  in  die  Singakademie.  Frl.  Blank,  Mitglied  derselben,  bildete 
hierauf  ihre  schöne  tiefe  Altstimme,  die  sie  bald  als  solche  erkannt  hatte,  mit 
mehr  Erfolg  aus.  Frau  T.  wurde  in  der  Folge  während  vieler  Jahre  eine  der 
Hauptträgerinnen  der  Alt-Solopartien  bei  den  Aufführungen  der  Singakademie. 
Auch  veranstaltete  sie  selbst  kirchliche  Aufführungen  zu  wohlthätigen  Zwecken 
und  erwies  sich  höchst  bereitwillig  gegen  Künstler.  So  übernahm  sie  1822 
die  Partie  des  Pippo  in  der  y>Gazza  ladraa.  in  einem  Concerte  der  Sängerin 
Milder.  In  einem  andern  Concerte  sang  sie  die  Arie  »Dies  Bildniss  ist  be- 
sonders schön«,  in  der  Tenorlage,  und  als  bei  der  Aufführung  des  »Messias« 
der  Basssänger  plötzlich  krank  wurde,  übernahm  Frau  T.  einige  Bassarien,  die 
sie  in  der  Altlage  mit  grossem  Beifall  vortrug.  Nachdem  sie  von  der  Oeffent- 
lichkeit  zurückgetreten,  gründete  sie  sich  einen  Wirkungskreis  als  Gesanglehrerin. 
Ihr  Sohn  Albrecht,  in  der  Musik  Dilettant,  veröffentlichte  Lieder  (Berlin, 
Trautwein). 

Tayaux  (franz.),  Pfeifen;  Tuyaux  a  anche,  Zungenpfeifen;  Tuyaux 
ä  louche,  Pfeifen  mit  Mundstück. 

Tama,  Franz,  Componist,  geboren  zu  Kostelecz  in  Böhmen  am  2.  Octbr. 
1704,  machte  seine  Studien  in  Pi-ag  und  wurde  als  Tenorsänger  an  der  Jakobs- 
kirche daselbst  angestellt.  Segert,  Altist  in  derselben  Kapelle,  war  sein  Mit- 
schüler bei  Kapellmeister  Bohuslasz  Czernohorsky.  In  Wien,  wo  er  auch  einen 
philosophischen  Cursus  durchmachte,  fand  er  im  Fürsten  Kinsky  einen  Pro- 
tektor, der  ihn  von  Fux  im  Contrapunkt  unterrichten  Hess.  1741  als  Kapell- 
meister der  Kaiserin  Elisabeth  angestellt,  zog  er  sich  später  in  ein  Kloster 
zurück  und  starb  daselbst  1774.  Seine  Compositionen,  welche  in  Motetten, 
Messen,  einem  Miserere  und  Instrumental- Compositionen  bestehen,  blieben 
Manuscript. 

Tumeri,  hindostanische  Doppelflöte,  deren  Röhren  aus  einem  hohlen  Kürbis 
oder  aus  einer  Codda-Nuss  hervorragen. 

Tumultuoso  (ital.),  Vortragsbezeichnung  =  tumultarisch,  aufgeregt. 

Tnnder,  Franciscus,  einer  der  grössten  Oi'gelspieler  seiner  Zeit,  Schüler 
Frescobaldi's,  dessen  Blüthezeit  in  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  fällt.  Er 
war  Organist  an  der   Marienkirche  zu  Lübeck,  und  starb  daselbst  1780. 

Tunstede,  Simon,  auch  T uns ted,  Franziskanermönch  und  Dr.  theol.,  auch 
wegen  seiner  Kenntnisse  in  der  Musik  berühmt,  ist  zu  Norwich  in  England  im 
Anfange  des  14.  Jahrhunderts  geboren.  Er  starb  zu  Bruzard  in  der  Grafschaft 
Suffolk  1369.  Ein  Manuscript  der  Bibliothek  zu  Oxford,  No.  515,  enthält 
zwei  musikalische  Abhandlungen  von  T.:  1)  y>De  Musica  continua  et  discreta  cum 
diagrammatihiis,  per  Simonem  Tunstede  ann.  Dom.  1351«.  2)  »De  quatuor  princi- 
palibus  in  quihus  totius  musicae  radices  consistunta. 

Tuoni  trasportati,  die  Toni  ficti  oder  transponirten  Töne  im  System  der 
Tonarten  des  16.  Jahrhunderts  (s.  d.). 

Tuppah,  ein  indisches  Tonstück,  leidenschaftlichen  Charakters. 

Tarauyi,  Carl  von,  1806  in  Ungarn  geboren,  ein  bedeutender  Pianist  und 
fruchtbarer  Componist,  wirkte  von  1842 — 1857  in  Aachen  als  städtischer 
Kapellmeister  und  starb  1872.  Seine  Compositionen:  Sinfonien,  Trios, 
Pianofortestücke  und  Gesangsachen  zeigen  Begabung  und  Geschick  und 
fanden  auch  weitere  Verbreitung. 

Tarato,  Antonio  Maria,  zuletzt  Kapellmeister  am  Dom  zu  Mailand,  ge- 
boren 1608,  war  in  der  Jugend  an  demselben  Dom  als  Diskantist  angestellt, 
und  machte  als  solcher  bei  Gelegenheit  von  Vermählungsfestlichkeiten  Aufsehen. 
Er  wurde  23  Jahre  alt  Kapellmeister  an  St.  Celso  zu  Mailand  und  am  dasigen 
Dom  Clericus.  Er  starb  1650.  Von  seinen  vielen  Compositionen  wurde  nach 
seinem  Tode  gedruckt:   »  Una  Muta  die  Motetti  a  2,  3  e  4  vociv.   (Mailand). 


Turbator  Chori  -  Turini.  351 

Turbator  Thori,  s,  Chor  störer. 

Turbae,  die  Volkshaufen,  Volkschöre  in  den  geistlichen  Spielen  und 
Passionen  des  Mittelalters. 

Tnrca,  alla  turca,  auf  türkische  Art  und  "Weise. 

Turcas,  Joseph  Frani^ois  Chrysosthome ,  zu  Marselle  am  27.  Novbr. 
1788  geboren,  starb  zu  Paris  am  20.  Decbr.  1841.  Er  war  Militäx'-Iutendant, 
übte  aber  als  Liebhaber  die  Musik  und  suchte  den  Verkehr  mit  Musikern. 
Cherubini,  der  auch  sein  Schwiegervater  wurde,  gehörte  zu  diesen.  Quartette 
und  Quintette  seiner  Composition  wurden  unter  Mitwirkung  von  Haheneck  und 
Baillot  in  Paris  aufgeführt,  auch  zwei  Sinfonien  und  verschiedene  Balletmusik. 

Turchant,  Hermannus,  Contrapunktist  des  16.  Jahrhunderts.  Von  seinen 
Arbeiten  sind  in  Salblinger's  «Concentus  4 — 8  voc.«  (Augsburg,  1545)  mehrere 
eingerückt. 

Tnrco,  Giovanni  del,  florentinischer  Edelmann,  welcher  in  der  zweiten 
Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  lebte  und  viel  Musik  trieb.  Es  sind  zwei  Hefte 
fünfstimmiger  Madrigale  seiner  Composition  vorhanden,  das  zweite  hat  den 
Titel:  »JZ  secondo  libro  de'  Madrigali  a  cinque  voci  di  Giov.  del  Turco,  cavaliere 
di  S.  Stefanos   (Firenze,  per  Zanobi  Pignoni  e  Compagni,   1614,  in  4"). 

Turg'es,  Edmund,  englischer  Coraponist,  Hofmusikus  König  Heinrich  VI. 
von  England,  lebte  ums  Jahr  1440.  Burney,  in  seiner  »Musikgeschichte«, 
Bd.  II,  S.  548,  giebt  einen  dreistimmigen  englischen  Gesang  von  T.,  einem 
vom   Componisten  Fairfax  gesammelten  Manuscript  entnommen. 

Tnriui,  Fernando,  auch  nach  seinem  Onkel,  dem  Kirchencomponisten 
Bertoni  so  genannt,  war  von  diesem  musikalisch  erzogen.  In  Salo  im  brescia- 
nischen  Gebiet  geboren,  bekleidete  er  zuerst  die  Stelle  eines  Accompagneurs 
am  Theater,  bis  er,  23  Jahre  alt,  das  Unglück  hatte  zu  erblinden  und  dadurch 
genöthigt  war,  eine  Organistenstelle  an  Santa  Giustina  in  Padua  anzunehmen, 
welche  er  25  Jahre  versah.  1800  zog  er  sich  nach  Brescia  zurück,  wo  er 
nothdürftig  vom  Stundengeben  lebte.  1808  wurde  daselbst  ein  Miserere  von 
ihm  mit  Beifall  aufgeführt. 

Tarini,  Francesco,  Kirchencomponist  und  gelehrter  Contrapunktist,  zu 
Brescia  1590  geboren,  war  Schüler  seines  Vaters  und  erlernte  die  Behandlung 
mehrerer  Instrumente,  vorzüglich  aber  die  Orgel  spielen.  Er  war  jung  mit 
seinem  Vater  nach  Prag  gekommen  und  die  Gunst,  welche  Kaiser  Rudolph  II. 
seinem  Vater  zuwendete  (s.  den  nächsten  Artikel)  erstreckte  sich,  nachdem  er 
diesen  durch  den  Tod  verloren,  auch  auf  ihn;  er  erhielt,  fast  noch  Knabe,  die 
Stelle  des  Organisten  bei  der  kaiserl.  Kapelle,  auch  später  die  Erlaubniss  Ve- 
nedig und  Rom  zu  besuchen,  um  sich  noch  in  der  Gesangskunst  und  der  Com- 
position zu  vervollkommnen,  nach  welcher  Reise  er  nach  Prag  in  sein  Amt 
zurückkehrte.  Wiederholte  Besuche  in  Brescia  und  dem  Stifte  der  Kathedrale 
daselbst  endeten  mit  der  Erfüllung  des  Wunsches  des  Stiftsherrn,  die  dortige 
Dom- Organistenstelle  einzunehmen.  T.  starb  in  Brescia  1656.  Seine  bekannten 
Compositionen  sind:  nMisse  a  quattro  e  cinque  voci«.  (Venedig,  Gardano,  in  4"). 
•aMotetfi  a  voce  sola,  da  potersi  cantare  in  soprane,  in  contralto  in  tenore  et  in 
hassoa  (Brescia,  per  Giov.  Battista  Buzzola,  neu  gedruckt  von  Alex.  Vincenti, 
1629).  'ȀTadrigali  a  cinque  et  3  voci,  2  violini  e  cTiitarone  libro  terzoi  (Venezia, 
Alex.  Vincenti,  1629,  in  4").  -nMadrigali  a  una,  due,  tre  voci  con  alcune  sonate 
a  2  e  3.  Libro  primo  e  libro  secondon  (Venedig,  Bartolomeo  Magni,  1624). 
nMisse  a  capella  a  4  vocii  (Venedig,  1643).  -DMotetti  comodi  in  ogni  parte« 
(Venedig,  Bart.  Magni).  Einige  Motetten  von  T.  sind  in  Bergam.  y^Farnassus 
musicus«.  Noch  befindet  sich  im  zweiten  Bande  »Arte  pratica  di  contrappunto« 
von  P.  Paolucci  (S.  119  u.  ff.)  ein  vierstimmiger  künstlicher  Canon  aus  dem 
ersten  Buche  der  Messen  von  T.  nebst  kritischen  Anmerkungen. 

Tariui,  Gregorio,  Vater  des  Vorigen,  geboren  zu  Brescia  gegen  1560, 
war  als  Sänger  und  Cornetbläser  gleich  geschickt  und  dieserhalb  von  mehreren 
Fürsten  Italiens  au  ihren  Hof  gezogen  worden.    Schliesslich  rief   ihn    auch  der 


352  Turley  —  Turnhout. 

Kaiser  Rudolph  II.  nach  Prag.  Am  Hofe  dieses  Fürsten  fanden  seine  Leistungen 
so  viel  Beifall,  dass  er  vom  Kaiser  hochbelohnt  und  in  dessen  Privatkapelle 
aufgenommen  wurde.  Er  starb  aber  nicht  allzu  lange  darauf,  ungefähr  1600. 
Von  seinen  Compositionen  sind  bekannt:  y>Cantiones  admodum  de  votae  cum  ali- 
quot Psalmis  Davidicis,  in  Ecclesia  Dei  decantandis,  ad  quatuor  aequales  vocesa 
(Venetiis,  apud  Angelum  Gardanum,  1589,  in  4"  obl.).  y>Il  primo  lihro  di  can- 
zonette  a  4  vocU  (Nürnberg,  1597,  in  4'*).  »Teutsche  Lieder  nach  Art  der 
welschen  Vilanellen  mit  4  Stimmen«. 

Turley,  Johann  Tobias,  Orgelbauer,  geboren  am  4.  August  1773  zu 
Treuenbrietzen  bei  Potsdam,  war  der  Sohn  eines  Landmanns  und  lernte  und 
betrieb  das  Bäckerhandwerk.  An  einer  alten  ausrangirten  Orgel  studirte  er  in 
seinen  Mussestunden  den  Bau  derselben,  und  stellte  danach  ein  Instrument  von 
acht  Stimmen  zusammen,  das  sich  noch  in  der  Kirche  zu  Brackeritz  bei  Treuen- 
brietzen befindet.  Er  unternahm  nun  einige  Orgel-Reparaturen,  die  gelangen, 
worauf  er  sich  von  1814  an  ausschliesslich  der  Orgelbaukunst  widmete.  Eins 
seiner  besten  Werke  befindet  sich  zu  Joachimsthal.  lieber  die  letzte  von  ihm 
in  Perleberg  erbaute  Orgel  erschien  eine  ausführliche  Beschreibung  (Neu-B-uppin 
bei  ßiemenschneider,   1831).     T.  starb  am   9.  Ajoril  1829. 

Turlui'ette  (vom  franz.  turluter ,  dudeln),  eine  Dudelsack-Art,  in  Frank- 
reich unter  Karl  VI.  im  Gebrauch.  Wenn  das  musikalische  Lexikon  von  Koch- 
Dommer  (S.  152)  die  Gheorette  (rede  Ghevrette)  und  Tuvrelette  als  Guitarren- 
Arten  bezeichnet,  so  ist  das  falsch.     Beides  waren  Sackpfeifenarten. 

Turnbull,  John,  schottischer  Musiker  und  Chordirektor  der  St.  Georgs- 
Kirche  zu  Glasgow,  1825  bis  1842,  gab  eine  Sammlung  von  vierstimmigen 
Kirchengesängen  für  den  Gebrauch  in  den  Kirchen  der  Presbyterianer  heraus: 
y)A  Selection  of  orirjinal  sacred  Music  in  four  parts,  adapted  to  the  various 
mefres  used  in  Presbyterian  Ghurehes  and  Ghapels  etc.  throughout  the  Kingdom». 
(Glasgow,   1833,  in  8"  obl.). 

Turuer,  William,  englischer  Tonkünstler,  geboren  zu  London  1651,  war 
Schüler  des  Dr.  Blow  und  Chorschüler  unter  dessen  Direktion.  Im  Besitze 
einer  schönen  Tenorstimme,  erhielt  er  1669  einen  Platz  in  der  königl.  KajDelle. 
Später  wurde  er  Vikarius  bei  der  Paulskirche  und  der  Westminster-Abtei  zu 
London,  und  erhielt  1696  zu  Cambridge  die  Doctorwürde.  Er  starb  1740.  Im 
Jahre  1716  führte  man  zu  London  eine  sogenannte  Maskerade  oder  Operette 
im  italienischen  Geschmack  von  ihm  auf,  y>Fresuvi])tuos  lowea.  benannt.  Mit 
Dr.  Blow  gemeinschaftlich  componirte  er  ein  Anthem.  Ohne  Datum  und  Jahres- 
zahl ist  ein  Buch  von  Turner  in  zwei  Auflagen  erschienen.  Da  es  aber  weder 
von  Hawkins  noch  von  Burney  als  von  W.  Turner  herrührend  erwähnt  ist,  so  ist 
es  wahrscheinlich  einem  jüngeren  Autor  desselben  Namens  zuzuschreiben.  Der 
Titel  ist:  nSound  anafomized  in  a  philosophical  essay  on  Musik.  To  tohick  is 
added  a  Discourse  concerning  the  Abuse  cf  Musicka  (London,  in  4"). 

Turuhout,  Gerard  de,  berühmter  Componist  des  16.  Jahrhunderts,  nach 
seiner  Vaterstadt  Turnhout  in  der  Provinz  Antwerpen  so  benannt,  wurde  1520 
oder  1521  geboren.  Aus  den  Registern  der  Frauenkirche  zu  Antwerpen  geht 
hervor,  dass  Gerard  erst  Priester  war  und  dann  1562  Musikdirektor  der  geist- 
lichen Bruderschaft  der  heil.  Jungfrau  daselbst  wurde.  1563  übernahm  er  auch 
die  Kapellmeisterstelle  an  der  Kathedrale,  als  Nachfolger  von  Anton  Barbe. 
Die  Pflege,  welche  er  hier  der  Kirchenmusik  zuwendete,  erhielt  1566  durch 
den  Aufstand  der  Bilderstürmer  eine  erhebliche  Störung,  da  in  der  Kathedrale 
die  Orgeln  zerstört  und  die  Musikalien  vernichtet  oder  verbrannt  wurden.  T. 
verwendete  die  nächstfolgenden  Jahre  dazu,  einiges  wieder  herzustellen  und  zu 
ordnen.  So  Hess  er  eine  grosse  Anzahl  Messen  und  andere  Kirchencompositionen 
abschreiben,  auch  gehörte  er  zur  Commission,  welche  die  neue  Orgel  in  der 
Kathedrale  abnahm;  ausser  ihm  waren  es:  Louis  Broomans,  Organist  aus  Brüssel, 
und  Servals  Vandermeulen;  der  Erbauer  der  Orgel  war  Gilles  Breber.  Als 
Turnhout  Kapellmeister  des  Königs  von  Spanien,   Philipp  IL,  wurde,  legte  er 


Turnhout  —  Tusch.  353 

1572  die  beiden  vorgeuannten  Aemter  (am  15.  März  an  der  Kathedrale  und 
am  20.  Juni  an  der  Kapelle  der  heil.  Jungfrau)  nieder.  In  den  Akten  hierüber 
wird  er  genannt:  y>honorahiUs  vir  Dominus  et  magister  Gerardus  Turnliouta.  In 
Madrid  war  er  Kapellmeister  und  Direktor  des  Knabenchors.  Er  wirkte  in 
dieser  Stelle  bis  zu  seinem  Tode  1580  und  war  in  der  Zeit  im  Besitze  zweier 
Praebenden,  Bethune  und  Tournai,  gewesen.  Die  noch  bekannten  Werke  dieses 
Musikers  sind:  »Liber  primiis  Saci'arum  cantionum  quatuor  et  quinque  vocum 
nunc  primum  in  lucem  aediiu  (Lovanni,  ajiud  Petrum  Phalesium  typogr.  juratum, 
1568,  in  4°).  nSacrarum  et  aliariim  cantionum  triwn  vocum,  tarn  viva  voce  quam 
insirumentis  cantatu  commodissimarum  afque  jam  primum  in  lucem  aeditarum 
Liher  unusv..  Authore  M.  Gerardo  a  Turnhout  Insignis  Ecclesiae  Beatae  Mariae 
Äntverpiensis  Phonasco«.  (Lovanii,  excudebat  Petrus  Phalesius  Typographus 
juratus.  Anno  1569,  in  4"  obl.).  y>Fraestantissimarum  divinae  musices  auctorum 
missae  decem,  quatuor,  quinque  et  sex  vocum,  ante  liac  nunquam  excusaea  (Lovanii, 
excudebant,  P.  Phalesius  et  Job.  Latius,  anno  1570,  in  Fol.)  Die  sechste 
fünfstimmige  Messe  dieser  Sammlung  ist  von  Gr.  de  T.  Andere  Compositionen 
desselben  finden  sich  in  den  Sammlungen:  »Hecueil  des  ßeurs  produictes  de  la 
divine  musique  ä  trois  parties,  par  Clemens  non  Papa,  Thomas  Crecquillon  et  autres 
excellents  musiciens«  (Lovain,  Pierre  Phalese).  Das  dritte  Buch,  1568,  in  4''  obl. 
Das  vierte  Buch  enthält:  »JLTX/F^  chansons  nouvelles  a  quatre  partiesa  (Ant- 
werpen, Tylman  Susato,  1544,  in  4").  Diese  Gesänge  sind  von  folgenden 
Autoren:  Nie.  Gombert,  Pierre  Lescornet,  Corneille  Canis,  Philippe  de  Yuildre, 
Joannes  Gallus,  Autoine  Barbe,  Pierre  Certon,  Jean  Bassiron,  Tj-lman  Susato, 
Adrian  "Willaert,  Petrus  de  ölanchicourt,  Gerard  Thurnhout,  Crecquillon,  Claudin 
und  Benedictus.  Das  zwölfte  Buch  enthält:  »XXX  chansons  amoureuses  ä  cinq 
parties  par  divers  autliersv.  (ibid.  1558,  in  4").  In  der  flämischen  Sammlung: 
»^e«  duytsch  MusijJchoek,  daerinne  iegrepen  sijn  vele  schoone  LiedeJcens  met  4, 
met  5  ende  6  partijena  (Tot  Loven  by  Peter  Phalesius  ende  by  Jan  Bellerus 
t'Antwerpen,  1573,  in  4**  obl.)  sind  vier  fünfstimmige  Gesänge  von  T.  enthalten;  in 
der  Sammlung:  »Xo  fleur  des  chansons  ä  trois  parties,  contenant  in  recueil  produit 
de  la  divine  musique  de  Jean  Castro,  Sevirin  Cornet,  Noe  Faignent  etc.«.  (A  Lou- 
vain,  Pierre  Phalese,  en  Anvers  chez  Jean  Beilere,  1574,  in  4°  obl.),  neun  drei- 
stimmige Gesänge  von  Gerard  Turnhout;  und  in:  nLivre  de  musique  contenant 
plusieurs  excellentes  chansons  et  motets  a  deux  partiesu  (Louvain,  Pierre  Phalese; 
Anvers,  Jean  Bellere,   1571,  in  4°   obl.),  sieben  zweistimmige  Motetten. 

Turnhout,  Jean,  eigentlich  de  Turnhout,  nach  seiner  Vaterstadt  so  be- 
nannt, geboren  gegen  1525.  lieber  den  Bildungsgang  dieses  Musikers  oder  ob 
er  ein  Verwandter  oder  Bruder  des  Gerard  T.  war,  ist  nichts  bekannt,  aber 
anzunehmen,  dass  er  in  Antwerpen  studirt  hat.  Er  war  Kapellmeister  des 
Alex.  Farnese,  Herzogs  von  Parma  und  Gouverneurs  der  Niederlande,  an  dessen 
Hofe  zu  Brüssel.  Den  Nachfolger  desselben,  Erzherzog  Ernst,  begleitete  er  bei 
dessen  Einzug  in  Antwerpen  als  y>Maitre  de  chapelle  de  son  Altessea  und  wid- 
mete dem  Magistrat  der  Stadt  bei  dieser  Gelegenheit  eine  Messe,  wofür  er  als 
Gegengeschenk  »fünfzig  Livres«  erhielt.  Im  Jahre  1595  erhielt  er  für  dieselbe 
Kapelle  auch  die  Function  und  den  Titel  tnaitre  des  chantres.  Sein  Todesjahr 
ist  nicht  bekannt,  das  letzte  bekannte  Werk,  eine  Motettensammlung,  erschien 
1600,  unter  dem  Titel:  y>Sacrarum  cantionem  quinque,  sex  et  octo  vocum  Johannis 
Turnhout  regii  in  Belgia  phonasci  Über  primus<i  (Duaci,  ex  officina  Joannis  ßogardi, 
Typ.  jurati  1600).  Noch  sind  zwei  andere  Werke  bekannt:  »Madrigali  a  sei 
ooci  di  Giovan.  Turnhout,  maestro  de  eapella  del  sereniss.a  (Duca  di  Parma  et  di 
Piacenza,  Anversa,  appresso  Pietro  Phalesio  et  Giovanni  Bellero,  1589,  in  4°). 
ȟfadrigali  a  cinque  vocia  (Douai,  1595). 

Tusch,  Touche,  ein  von  einem  Trompeterchor  ausgeführter,  meist  impro- 
visirter  Tonsatz,  mit  welchem  auszuzeichnende  Persönlichkeiten  bei  öffentlichen 
Festen  empfangen  und  mit  dem  die  bei  solchen  ausgebrachten  Toaste  begleitet 
werden.     Man    beschränkt    sich    dabei    in    der    Regel   auf  einen  Dreiklang,  der 

Musikal.  Convers.-Lexikou.    X.  23 


354  Tutta  la  forza  —  Twinning, 

von  den  Trompeten  und  den  verwandten   Instrumenten    in  den  verschiedensten 
Lagen  und  "Weisen  arpeggirt  wird. 

Tutta   la    forza,    die    ganze  Ki-aft,  d.  h.  mit  ganzer  Anwendung  derselben. 

Tatte  corde  =  alle    Saiten,    eine  Bezeichnung,    die    beim    Pianoforte    in 

Anwendung    kommt.     Nach    dem    Grebrauch    der  Verschiebung    (una   cordd), 

wenn  diese  aufgehoben  werden  und  alle  Saiten  des  Bezuges  wieder  tönen  sollen, 

setzt  man  tutte  corde  an  die  betreffende  Stelle. 

Tutti  =  alle;  in  den  Partituren,  wie  den  Stimmen  von  Vocal-  und  Orchester- 
sätzen angewendete  Bezeichnung,  welche  angiebt,  dass  die  so  bezeichneten  Stellen 
von  allen  Instrumenten  und  Stimmen  ausgeführt  werden  sollen.     Sie  ist  natür- 
lich   nur  dann  nothwendig,  wenn  vorher  ein-   oder  mehrstimmige  Solosätze  die 
Gresammtausführung  unterbrochen  haben.    Bei  Chören,  wie  bei  Orchestersätzen, 
ist  es  zunächst  üblich,  dass  alle  gesonderten  Stimmen  und  Instrumente  so  lange 
mitwirken,  bis  nicht  durch  die  Bezeichnung   »Solo«  nur  die  Ausführung  durch 
eine,  oder  einige  Stimmen  und  Instrumente    gefordert   wird.     Soll  dann  wieder 
der  ganze  Chorus  der  Stimmen  und  Instrumente  die    Ausführung  übernehmen, 
so    muss    das    angegeben    werden    und    dies    geschieht    durch    die   Bezeichnung 
Tutti.    Diese  gewinnt  indess  eine  etwas  andere  Bedeutung  noch  bei  wirklichen 
Solosätzen,  bei  Arien,  Duetten  oder  bei  Concerten  für  irgend  ein  Instru- 
ment mit  Orchesterbegleitung.     Dies   bildet    dem  Solisten  gegenüber  nicht  nur 
den  Chor,  sondern  es  führt  bekanntlich  zugleich  auch  die  Begleitung  aus.    Da- 
bei natürlich    tritt    es    entschieden    gegen    die   Solostimme  zurück  und  um  dies 
den  begleitenden  Spielern  anzudeuten,  werden  die  betreffenden  Partieen  gleich- 
falls   mit   »Solo«   bezeichnet   und  die,   in  welchen  der  Solospieler  schweigt  und 
bei  denen  dann  das  Orchester  mit  gewisser  Selbständigkeit  dem  Solisten  gegen- 
übertritt, mit    Tutti.     Es    ist    diese   Einrichtung  selbstverständlich  nicht  ohne 
entscheidenden    Einfiuss    für    die    Construktion    des    Coucerts.     Soll    dasselbe 
einen  tiefern   Gehalt  darlegen,  so  muss  es  gewissermaassen  einen  "Wettstreit  des 
Solisten    mit    dem    gesammten  Orchester  darstellen,  in  welchem  ein  bestimmter 
ethischer    Inhalt    dargelegt    ist    und   in  diesem  Falle  müssen  dann  die  Tuttis 
des  Orchesters  nicht  minder  sorgfältig  ausgearbeitet  werden,  als  die   Solls;  sie 
können    natürlich    nicht    so    brillant    ausgestattet    werden,  das    würde  auch  der 
ganzen    Idee    der    Form    widersprechen,    aber  sie  können  und  dürfen  jenem  an 
Bedeutsamkeit  des  Inhalts  nicht  nachstehen.    Eine  ähnliche  Bedeutung  gewinnt 
das    Tutti    auch   bei   den    Orchesterformen    überhaupt.     Ein    Orchestersatz,  bei 
welchem  alle  Instrumente  ununterbrochen   betheiligt    sind,    muss    natürlich  sehr 
bald  abspannend   und  ermüdend  wirken,  es   ist  deshalb  ästhetische  Nothwendig- 
keit,    dass    man    die  einzelnen  Instrumente    in    der    mannichfachsten  "Weise  zu- 
sammengesetzt,   auch    in    einzelnen     Zusammenstellungen    und    in    reicher    Ab- 
wechselung mit  dem  Tutti  verwendet.     Aber   auch  dies  kann  in  mannichfacher 
Zusammensetzung    eingeführt    werden,     als:     Tutti    sämmtlicher    Streich- 
instrumente, oder  sämmtlicher  Holzblas-  oder  sämmtlicher  Messing- 
instrumente,   als    Tutti   der    Streichinstrumente   und    der  Holzblas- 
instrument oder  dieser  und  der  Messinginstrumente  oder  als  Gresammt- 
Tutti    aller,    zu    denen    auch    noch    die    Schlaginstrumente:    Pauke,    Trommel, 
Triangel,    Becken  u.  s.  w.    hinzukommen.     In    dieser    "Weise    gefasst    bietet   das 
Orchester  erst  den  entsprechenden  trefflich   gegliederten    Organismus   zur   Dar- 
legung und  Gestaltung  der  höchsten   künstlerischen    Aufgaben   und   das  Tutti 
ist  eins  der  wirksamsten  Hülfsmittel  desselben. 

Twinning,  Thomas,  englischer  Schriftsteller,  gegen  1734  geboren,  studirte 
auf  der  Universität  Cambridge,  wo  er  auch  die  academischen  Concerte  dirigirte, 
denn  er  war  in  der  Musik  und  in  den  "Wissenschaften  gleich  erfahren.  In 
"White-Notley  in  der  Grafschaft  Essex  wurde  er  zuerst  Schulrector,  später  Pastor 
in  Colchester,  wo  er  am  6.  August  1804  starb.  Dieser  Gelehrte  lieferte  eine 
Uebersetzuno-  der  Poetik  des  x4.ristoteles  ins  Englische  mit  Anmerkungen  und 
zwei  Abhandlungen  über  die  Poesie    uud    die    Musik  als  nachahmende  Künste. 


Tj'  —  Tylman  Susato.  355 

Der  Titel  dieser  TJebersetzung  lieisst:  ^^Aristoteles  poetics,  xoith  nofes  ontTie  transla- 
tions  and  on  tlie  original,  and  two  dissertations  on  poetieal  and  musical  imitationsv 
(Oxford,  1787,  in  4°).  Ins  Deutsche  übertragen  findet  man  diese  Abhandlungen 
von  Joh.  Gottl.  Buhle:  »Aristoteles  über  die  Kunst  der  Poesie,  aus  dem  Grriechi- 
schen  übersetzt«  (Berlin,  1798),  die  Abhandlung  von  der  Musik  S.  242. 
Ty,  eine  chinesische  Flötenart  ohne  Klappen. 

Tye,  Christopher,  bedeutender  englischer  Kirchencomponist,  geboren  zu 
"Westminster   im    Anfange   des   16.  Jahrhunderts,   war  zuerst  Chorknabe,  später 
Musiklehrer  der  Kinder  Heinrich  VIII.      1545    erwarb  er  von  der  Universität 
Cambridßfe    den    Doctorhut    und    1548    wurde    er    Professor  an  der  Universität 
Oxford.    Die  Königin  Elisabeth  berief  ihn  jedoch  als  Organist  an  ihre  Kapelle 
und    diesen    Posten    bekleidete    er  bis  zu  seinem  Tode,  welcher  ungefähr  1570 
erfolgt  sein  wird.     Tye  war  als  Componist  in  England   hochgeschätzt,  das  von 
ihm  Aufbewahrte  rechtfertigt  dies  auch.    Sehr  schön  sind  die  Anthems:  ^'From 
tlie   depth   called  on    thee,    o   Lorda  {j>IIarmoniea   sacraa   von  Page)  und  »J  ivill 
exall  theea  (Boj^ce  •aÖathedral  music<i).     Die   umfangreichste    seiner  Arbeiten  ist 
die  Apostelgeschichte,  welche  er  in  Musik  setzte,  und  wovon  die  vierzehn  ersten 
Kapitel  veröffentlicht  worden  sind.    Zwei  Verse  vom   14.  Kapitel  sind  in  Haw-  . 
kins  »Musikgeschichte«,  Band  III,   S.  256  abgedruckt.    Burney  in  seiner  »Musik- 
geschichte« giebt  Bd.  II,  S.  589  eine  Probe  aus  einer  sechsstimmigen  Messe  von  T. 
Tylniau   Susato,    oft    Tileman,    auch    Thieleman    genannt,    war    Noten- 
druckei',  Instrumentalist  und  Componist    und    hat    sich  besondei's  als  Sammler, 
d.  h.    als    Herausgeber    interessanter  Sammlungen    von  Musikstücken    verewigt. 
Er  ist  in  den  letzten   Jahren  des   15.  Jahrhunderts  geboren.     Nachforschungen 
verschiedener  Biographen  und  Historiker  haben  ergeben,  dass  sein  Familienname 
Tylman  gewesen  sei,  Susato  sich  auf  den  Ort  seiner  Geburt  bezieht.     Dehn 
in  einem  Briefe  vom   1.  Septbr.  1854  an  Fetis  glaubte  Soest  (lateinisch  Susato 
oder  Susatus),  eine  kleine  Stadt  in  "Westphalen,  als  diesen  Ort  annehmen  zu 
dürfen.    Dem  ist  nichts  entgegenzustellen  und  so  kann  man  annehmen,  T.  habe 
in  Cöln  studirt  und  sei  von  dort  nach  Antwerpen  gekommen,    denn    dort  wird 
er  in  den  Rechnungen  der  Stadt    Tielman  von  Coelen  genannt.     Im  Jahre 
1529  wird  er  in  Antwerpen  schon  aufgeführt  und  zwar  in  Rechnungen,  welche 
der  Kapelle  der  Jungfrau  an  der  Kathedrale  daselbst  zugehören.   -Er  war  hier 
als  Kalligraph    und  Abschreiber    von  Musikalien    thätig,    deren  er  eine  Menge 
dort    in    jenem    und    dem    folgenden  Jahre  geliefert  hat.     Nachforschungen  des 
Herrn  Leon  de  Burbure  haben  auf  demselben  "Wege,  nämlich  durch  die  Rech- 
nungen   der    Kapelle    ergeben,    dass    T.    1531    als    Instrumentist    an    derselben 
thätig  war.     Er  wird  bezahlt,    neunzehn  Mal  bei  Messen  und  feierlichen  Gele- 
genheiten   die    Trompete    geblasen    zu  haben;    auch  gehört  er  zu  den  fünf  von 
der    Stadt    unterhaltenen    Musikanten.     Nach    einem    Kataloge    der  Stadt    über 
deren  Instrumente  gehörten  dem  Tylman  neun  Flöten  im  Futteral,  zwei  Trom- 
peten, eine  »Velt-Trompet«  und  eine  »Teneurpipe«.     Auch    ist  ersichtlich,    dass 
er  einen  Zuschuss  dafür  erhielt,  dass  er  als  Musiker  in  dieser  Stadt  Wohnsitz 
genommen.    Als   1549  Philipp  II.  nach  Antwerpen  kam,  wurden  mit  Ausnahme 
eines,  sämmtliche  Stadtmusikanten  entlassen,  aber    später    wieder    angenommen; 
Susato    jedoch    trat  nicht  wieder  in  den  Dienst  der  Stadt.     1543  errichtete  er 
eine  Druckerei,    die  er  1547    in  ein  von  ihm  erbautes  Haus  verlegte,  welchem 
er  als  Zeichen  die  Comorne   (ein  altes  Blasinstrument)    gab.     Das  erste  Werk, 
welches  aus  seinen  Pressen  hervorging,  war  -»Premier  livre  des  cJiansons  ä  quafre 
parties,    auquel   sont  contenues  XXX7   nouvelles    chansons,    convenahles  tant  ä  la 
comme  aux  instrumentzu.  (imprimees  en  Anvers,  par  Tylman  Susato,  imprimeur 
et  correcteur  de  musicque,  1543,  in  4").     Dagegen  ist  die  letzte  bekannte  von 
T.  S.  herausgegebene  Sammlung  vom  Jahre  1560  eine   neue  Ausgabe  der  bereis 
1555   erschienenen    »Chansons    ä    quatre   parties,    Livre  XIV,  contenant  XVIII 
chansons  italiennes,  VII  chansons  frangaises  et  VI  motetz  par  Orlando  de  Lassus, 
Anvers,  Tylman  Susato«.    Im  Jahre  1564,  als  mit  dem  Namen  »Jacques  Susato«, 

23* 


35  ß  Tylman  Susato. 

wahrscheinlich  seines  Sohnes,  eine  Sammlung  von  Gesängen  des  Orlandus  Lassus 
veröffentlicht  wurde,  war  Tylman  Susato  jedenfalls  bereits  verstorben.  Jacques 
Susato  starb  am  19.  oder  20.  Novbr.  desselben  Jahres. 

Von  Tylman  Susato  sind  noch  folgende  Sammlungen  bekannt:  Zunächst 
eine  ohne  Datum,  von  der  sich  ein  Exemplar  auf  der  Bibliothek  zu  Upsala  in 
Schweden  befindet.  Diese  enthält  eine  Dedication  in  Yersen  an  die  Königin 
von  Ungarn  und  ßegentin  der  Niederlande,  Marie.  Das  letzte  Stück  darin  ist 
ein  fünfstimmiger  ßäthsel-Canon.  Von  der  oben  bereits  erwähnten  Sammlung: 
»Chansons«  erschienen  im  Glänzen  13  Lieferungen,  in  den  Jahren  1543, 
1544:  IL  in.  IV.  V.;  1545:  VL  VIL  VIIL  IX.  X;  1549:  XI;  1558:  XII 
und  XIII.  Die  Tonsetzer  sind:  J.  Baston,  A.  Barbe,  N.  Balduin,  E.  Barbion, 
C,  Canis,  Th.  Crecquillon,  J.  Castiletti,  Crispel,  Courantier,  Certon,  Claudin, 
le  Cocq,  Clemens  non  Papa,  Ducis,  Descaudin,  N.  Grombert,  Grerardus,  Groddart, 
Gallus,  J.  Hollander,  D.  Havericq,  Hanadu,  Josquin  de  Pres,  Jannequin,  J. 
Lupus,  P.  Lescornet,  Larchier,  Pierre  de  Manchicourt,  J.  Mouton,  Cl.  Morel, 
L.  Pieton,  N.  Payen,  Richafort,  Rocourt,  Rogier,  Tylman  Susato,  Ph.  de  Vuildre, 
Jer.  Vinders  und  "Willaert.  Ausserdem  veröffentlichte  er  auch  mehrere  Samm- 
lungen kirchlicher  Tonstücke,  wie:  y>Liher  primus  Sacrarum  cantionum 
qtiinque  vocum  vulgo  moteta  vocant  ex  optimis  quibusque  hujus  aetatis  musicis 
seleciarunKi  (Antverpiae,  apud  Tilemannum  Susato,  anno  1546,  gr.  4°).  y>Liber 
secundus  sacrarum  etc.a.  (1546).  y>Liber  iertiusa  und  y>Liber  quartusa  (1547). 
Diese  vier  Bücher  enthalten  74  Motetten  von  Castiletti,  Crequillon,  Pierre  de 
Manchicourt,  Clemens  non  Papa,  Jacobus  Gallus,  Cadeac,  Ant.  Trojanus,  N.  Payen, 
C.  Canis,  Lupus  Hellinc,  Crecquillon  Rocourt,  Willaert  u.  A.  Eerner:  »Liber 
primus  missarum  quinque  vocum  a  diversis  musicis  compositarum,  quarum  nomina 
catalogis  andicabita  (enthält  vier  Messen,  eine  von  Tylman  Susato:  »In  ille  tem- 
porev.,  zwei  von  Crecquillon  und  eine  von  P.  de  Manchicourt).  »Liber  secundus« 
enthält  vier  Messen  von  Crecquillon,  zwei  von  Lupus  Hellinc,  eine  von  Barbe. 
y>Liber  tertiusa  enthält  je  eine  Messe  von  Lupus  Hellinc,  Richafort,  Mouton, 
Crecquillon,  von  P.  de  Manchicourt.  Eine  Sammlung  zwei-  und  dreistimmiger 
Chansons  eigener  Composition  veröffentlichte  Tj^man  Susato  unter  dem  Titel: 
»ie  premier  livre  des  chäsös  a  deux  ou  a  trois  parties  contenant  trente  et  tcne 
nouvelles  chansons  convenables  taut  ä  la  voix  comme  aux  instrumentz  composes  en 
Anvers  par  Thilman  Susato,  Correcteur  de  musique  demourant  en  ladicte  ville 
aupres  de  la  nouvelle  bourse  en  la  rue  des  douze  mois.  Avec  grace  et  privilege 
de  sa  majeste  pour  trois  ans,  Lam.  I544.a  Der  Tenor  enthält  eine  kurze  Vor- 
rede: y>Aiix  amateurs  de  la  noble  scienne  de  Musicq  Tilman  Susato<i,  in  welcher 
er  sagt,  dass  er  diese  ComiDositionen,  die  entweder  dreistimmig  oder  wenn  zwei- 
stimmig mit  Weglassung  der  Bassstimme  gesungen  werden  können,  hauptsächlich 
für  kleinere  Privatzirkel  geschrieben  habe,  damit  Anfänger  sich  erst  in  leicht 
auszuführenden  Sachen  üben  können.  Hierbei  bezeichnet  er  diese  Gesänge  als 
chansons  amoureuses.    Der  »Superius«  und  der  »Tenor«  enthalten  den  Vers: 


und  der  »Bassus«: 


„Chantez  ä  deux  si  bon  voussemble. 
Puls  chanterez  tous  trois  ensemble. 


„Veulx-tu  chanter  par  bon  advis! 
Attends  que  tu  en  soys  requis." 


Hochbedeutend  für  die  Entwickelung  des  Liedes  ist  endlich  die  Sammlung; 
yyllet  ierste  musyJc  boecken  mit  /  Vier  Party  en  Daer  j  Inne  Begrepen  zyn  XXVlij 
nieuue  amoureuse  liederkes  in  onser  neder  J  duytscher  taleii,  Gecomponert  by 
diuerscJie  componisten  zeer  lusticJi  om  singen  en  spielen  op  alle  musieale  Instru- 
metena  (Ghedruckt  Tantuuerpe  by  Tielmä  Susato  vu  one  de  noer  die  nieuue 
vua  /  glie  In  der  Cromhorn  Com  Gratia  Anno  1551).  »Set  tvueetste  musih 
boecJceni  und  »Set  derdev.  führen  denselben  Titel;  das  vierte,  fünfte  und 
sechste   (1556)   und  das  siebente  (1557)    haben  den  Koj^ftitel:    »Sovter  Lie- 


Tympanischiza  —  Tyrtäus.  357 

denJcensK.  Ausserdem  druckte  Tilman  Susato  vollständige  "Werke  von  Clemens 
non  Papa:  y>Motecta  qidnis«  (1546),  von  Orlandus  Lassus  u.  A. 

Tympanischiza,  der  alte  Name  des  Trumscheit  (s.  d.). 

Tympanismos  hiess  bei  den  G-riechen  ein,  der  Cybele  geweihtes  Instrument, 
bei  welchem  die  Priester  die  Pauken   schlugen. 

Tympaui  coperti,  gedämpfte  Pauken   (s.  Pauken). 

Tympauist,   ein  Paukenschläger. 

Tympauum  (lat.),  ital. :  Tympano  =  Pauke. 

Tympauum  bellicum,  die  Kriegs-  oder  Heerpauke  der  alten  Römer. 

Tyrolerlieder,  franz.:  Tyroliennes,  Nationalgesänge  der  Tyroler;  einfache 
Lieder,  die  in  der  Regel  mit  einem  Jodler  ausgehen.  Sie  waren  einst  auch 
in  Norddeutschland  sehr  beliebt,  namentlich  seit  sie  durch  die  Tyroler-Sänger- 
gesellscliaften  der  Geschwister  Hausser  und  später  Rainer  aus  Fügen  im 
Zillerthal  dort  und  auch  in  Frank  reich  und  England  bekannt  gemacht 
worden  waren.     Die 

Tyrolienne  ist  ein  früher  sehr  beliebter  Tanz  von  massiger  Bewegung 
im  74-Tact. 

Tyrrhenische  Flöte  und 

Tyrrhenische  Trompete,  wahrscheinlich  ein  und  dasselbe  stark  tönende 
Kriegsinstrument  der  alten  Griechen,  angeblich  von  Tyrrhenus,  einem  ums 
Jahr  2800  lebenden  Sohne  des  Herkules  erfunden. 

Tyrtäus,  altgriechischer  Dichter,  Flötenspieler  und  Trompetei',  ist  zu  Athen 
geboren  und  lebte  in  der  25.  Olympiade  (um  676  v.  Chr.).  Er  war  auf  einem 
Fusse  gelähmt,  und  als  die  Spartaner  im  zweiten  messenischen  Kriege,  nach 
dem  Rathe  des  delphischen  Orakels,  von  den  Athenern  einen  Feldherrn  zu 
verlangen,  ihn  gewählt  hatten,  glaubte  man,  dies  sei  zum  Scherz  geschehen. 
Bald  aber  zeigte  es  sich,  dass  die  Spartaner  gut  berathen  gewesen  waren,  denn 
T.  verstand  nicht  allein,  durch  seine  Kriegslieder  das  Heer  zum  Kampfesmuth 
zu  entflammen,*)  sondern  er  lehrte  sie  auch  den  Gebrauch  der  Metall-Blas- 
instrumente und  bewirkte  dadurch,  dass  die,  mit  dem  Klang  der  Trompeten 
noch  unbekannten  und  dadurch  erschrockenen  Messenier  beim  Heranrücken  der 
Spartaner  in  Unordnung  geriethen  und  die  Flucht  ergriffen.  Plutarch  erzählt, 
dass  die  Lacedämonier  aus  Dankbarkeit  dem  T.  das  Bürgerrecht  verliehen  haben 
und  seine  Kriegslieder  in  der  Armee  singen  Hessen,  so  lange  ihre  Republik 
dauerte.  Lykurg  (der  im  vierten  vorchristlichen  Jahrhundert  lebende  athenische 
Redner)  sagt  in  seiner  Rede  gegen  den  Leokrates,  dass  die  Spartaner  ein  Gesetz 
hatten,  nach  welchem  sie,  so  oft  sie  zu  einer  kriegerischen  Unternehmung  die 
"Waffen  ergreifen  würden,  vor  das  Zelt  des  Feldherrn  gerufen  werden  mussten, 
um  erst  die  Kriegslieder  des  T,  singen  zu  hören.  Aber  auch  abgesehen  von 
seinen  kriegerischen  Erfolgen  ist  der  Einfiuss,  welchen  T.  durch  seine  Kunst 
auf  die  Sitten  der  Spartaner  ausübte,  ein  bedeutender  gewesen,  namentlich  da- 
durch, dass  er  die  Elegie,  eine  ionische  Dichtungsart,  nach  dem  dorischen  Sparta 
verpflanzte;  seine  Elegien  wurden  als  Bildungsmittel  der  Jugend  angesehen  und 
auf  Feldzügen  des  Abends  nach  dem  Mahle  vorgetragen.  Ausser  kleineren 
Bruchstücken  sind  von  Tyrtäus'  Dichtungen  drei  vollständige  Kriegselegien 
erhalten  (jiHypotheJcaU,  »Ermahnungen«,  »Ermunterungen«),  sowie  ein  kleines 
Marschlied:  y>Emhaterion<i.  Berühmt  war  seine  Elegie  y>]Eunomiaa  (gute  Ver- 
fassung), durch  welche  er  Streitigkeiten  der  Spartaner  wegen  einer,  von  vielen 
verlangten  neuen  Aeckervertheilung  beschwichtigte.  Nach  Plutarch  ist  er  auch 
der  Erfinder  eines  beliebten  dreichörigen  Tanzliedes,  bei  welchem  der  erste  Chor 
aus  alten  Männern,  der  zweite  aus   Jünglingen,  der  dritte  aus  Knaben  bestand. 

Ein    anderer    Musiker    dieses    Namens,    dessen    Plutarch    in    seiner  Schrift 


*)  „Tyrtaeusque  mares  animos  in  martia  bella 

Versibus  exacuit." 

heisst  es  hierauf  bezüglicli  bei  Horaz  (de  arte  poetica,  Vers  402). 


358  Tyttler  —  Ubaldi. 

»lieber  die  Musik«  (XIY.  21)  erwähnt,  stammte  aus  Mantina  und  gehörte  nebst 
dem  Korinther  Andreas,  dem  Phlyasier  Thrasyllus  und  vielen  andern  zu  einer 
Schule,  welche  sich  die  Enthaltsamkeit  im  Gebrauche  der  Kunstmittel  zum 
Gesetz  gemacht  hatte  und  deren  Mitglieder  die  Anwendung  des  Chromas,  der 
Metabole  (Modulation),  des  weiten  Tonumfanges  sowie  der,  in  ihrer  Zeit  zur 
Geltung  gekommenen  Rhythmen,  Tonarten  und  Metren  geflissentlich  vermieden. 

Tyttler,  William,  bei  einigen  Historikern  irrthümlich  Tylten,  englischer 
Schriftsteller,  welcher  zu  Edinburg  1711  geboren  wurde.  Ursprünglich  zum 
Kaufmann  bestimmt,  beschältigte  er  sich  demungeachtet  mit  dem  Studium  der 
Philosophie,  der  Malerei  und  der  Musik.  Die  Gesellschaft  der  schottischen 
Alterthumsforscher  erwählte  ihn  zum  Mitgliede,  später  zu  ihrem  Präsidenten. 
Er  starb  zu  Edinburg  am  12.  September  1792,  mehrere  interessante  Schriften 
hinterlassend:  1)  »Eine  Abhandlung  über  schottische  Musik«,  in  der  »Geschichte 
Edinburgs«  von  Arnot,  1788,  in  4°,  aufgenommen,  zuerst  abgedruckt  in  den 
philosophischen  Abhandlungen  der  Antiquarischen  Gesellschaft,  Band  I,  S.  469 
u.  folg.  In  demselben  Bande  S.  499  giebt  er  eine  Beschreibung  der  Vergnügen 
und  Moden  zu  Edinburg  im  17.  Jahrhundert  und  eines  grossen  Concerts  am 
Cäcilientage,  daselbst  abgehalten  im  Jahre  1695.  Noch  eine  andere  Abhandlung 
enthält  Mehreres  über  den  Antheil  Jacob's  I.,  Königs  von  Schottland,  an  den 
altschottischen  Gesängen  in  der  Schrift:  »Poetical  remains  of  James  tlie  First, 
King  of  Scotlanda  (Edinburg,   1783,  in  8°). 

Tzamen,  Thomas,  Contrapunktist  des  16.  Jahrhunderts,  in  Aachen  ge- 
boren, ist  nur  bekannt  durch  eine  dreistimmige  Motette  y>Domine  Jesu  Christen, 
welche   Glarean  in  seinem  y>DodecacJiordonv.  S.   298  aufi"ührt. 

Tzwejoel,  Theodorich,  Mönch,  auch  Montegaudio  genannt,  lebte  in 
einem  Kloster  entweder  in  Oesterreich  oder  in  Baiern  gegen  Ende  des  15.  und 
Anfang  des  16.  Jahrhunderts.  Zwei  von  ihm  verfasste  Aufsätze,  die  aber  sehr 
selten  sind,  wurden  veröffentlicht  und  in  seinem  Kloster  gedruckt.  Der  eine 
ist:  ytArithmeticae  Opuscula  duo  Theodorici  Tzwejoel  numerorum  praxi  (Quod 
algorithmi  dicuntur)  unum  de  integris  per  figurarum  (more  allemano)  delectionemm 
(Alterum  de  proportionibus  cujus  usus  frequens  in  musicam  harmonicam  Seve- 
rini  Boetij.  Monasterii  (ohne  Datum),  ein  Blatt  klein  4").  Ein  Exemplar  hiervon 
befindet  sich  auf  der  kaiserl.  Bibliothek  zu  Wien,  auf  welchem  am  Ende  die 
Worte  stehen:  »Quintell  (Drucker  in  Köln)  {terato  disseminari  procuravit<i.  Das 
andere  Schriftstück,  von  welchem  das  einzige  bekannte  Exemplar  die  königl. 
Bibliothek  zu  Berlin  besitzt,  heisst:  «Introductorium  musicae  practicae  ex  pro- 
hatis  scriptoribus  per  Theodoricum  Tzivejoel  de  Montegaudio  excerptum,  collectum 
in  ordinem  que  redactwnm.  (Prima  hujus  opusculi  editio.  Impressa  Colonia  in 
Officina  literaria  ingenuorum  librorum  Quintell.  Anno  Domini  1513,  ein 
Blatt  in  4*'). 

IT. 

U  (franz.  Ou  geschrieben),  ein  Easselinstrument  der  Chinesen:  ein  hölzerner 
Tiger  mit  einem  gezackten  Bücken,  durch  Streichen  mit  einem  Holzstab  über 
diese  Zähne  (Holzzähne)  wurde  gerasselt.  Abgebildet  ist  er  fast  in  allen  Be- 
schreibungen von  chinesischer  Musik,  zuerst  bei  Pater  Amiot. 

r.   C,  Abkürzung    für:    T7na   corda  =  eine    Saite;    s.  Verschiebung. 

U.  S.,  Abkürzung  für:    Ut  supra  =  wie  oben;  s.    JJt  supra. 

Ubald,  s.  Hucbald. 

rbaldi,  Carlo,  geboren  zu  Mailand  gegen  1780,  war  Professor  des  Ge- 
sanges am  Conservatorium  daselbst.  Die  Oper  nSirve  re  di  Fersia».  wurde  in 
Turin  mit  Erfolg  aufgeführt,  ebenso  anderen  Ortes  die  Cantaten  rtEro  e  Leandro<s. 
und  T>Moisa  ed  Ahelardoi.  Es  ist  einiges  von  TJ.  bei  Riccordi  in  Mailand  ge- 
druckt, darunter  zwei  Pastorale  für  die  Orgel. 


Ubaldus  —  Über.  359 

Ubaldns,  s.  Hucbald. 

über,  Christian  Benjamin,  Oberamts-Regierungs-Advokat  und  königl. 
Justiz-Commissar  in  Breslau,  ist  daselbst  am  20.  September  1746  geboren. 
Nachdem  er  auf  dem  Elisabetanum  die  nöthige  Vorbildung  genossen,  bezog  er 
1769  die  Universität  Halle,  um  sich  dem  Studium  der  Rechtswissenschaft  zu 
widmen  und  Hess  sich  dann  1774  in  Breslau  als  Ober-Amts-Avokat  nieder. 
Sein  Haus  wurde  zugleich  eine  Stätte  ernster  Pflege  der  Kunst  und  Wissen- 
schaft und  ein  Sammelplatz  der  ausgezeichnetsten  Vertreter  derselben.  Sonntags 
und  Mittwochs  fanden  bei  ihm  regelmässig  öffentliche  Concerte  statt,  in  denen 
Quartette  und  Sinfonien  und  zuweilen  auch  kleine  Opern  aufgeführt  wurden. 
Er  selbst  war  Virtuos  auf  mehreren  Instrumenten  vind  componirte  eine  grosse 
Zahl  grösserer  und  kleinerer  Werke.  Gedruckt  sind  davon:  »Cla risse  oder 
das  unbekannte  Dienstmädchen«,  komische  Oper;  »Deukalion  und 
Pyrrha«,  Cautate;  die  Musik  zum  Lustspiel:  »Der  Volontair«;  y>Six  Diver- 
tissements pour  le  Clavecin  avec  Vaccompagnement  d'une  Flute,  d''un  Violon,  deux 
Cors  de  cJiasse  et  le  Sasse«;  -»Sonate  pour  le  Clavecin  avec  V accompacjnement  d^un 
Violon  et  de  Basse«;  »Auszug  aus  einer  Serenata  fürs  Ciavier«;  »Sechs  Sonaten 
fürs  Cla  vier  mit  einer  begleitenden  Violine«;  »Divertissement  für  den  Flügel 
mit  zwei  Violinen,  Flöte,  Bratsche,  zwei  "Waldhörner  und  Bassetel«;  »Neun 
Divertissements  für  Ciavier  mit  Begleitung  einer  Violine,  zwei  Hörnern  und  dem 
Bassus.  Über  starb  gegen  1812.  Seine  beiden  Söhne  widmeten  sich  der  Musik. 
Der  jüngere 

Über,  Alexander,  ist  1783  zu  Breslau  geboren  und  machte  sich  nament- 
lich als  ausgezeichneter  Violoncellist  einen  Namen.  Seine  Lehrer  waren  Schnabel, 
Janetzeck  und  Jäger  d.  A.  und  der  Umgang  mit  Carl  Maria  von  Weber 
und  Berner  förderte  seine  Ausbildung  wesentlich.  Bereits  1804  machte  er 
erfolgreiche  Kunstreisen  in  Süddeutschland  als  Cellovirtuos,  wurde  1823  Kapell- 
meister beim  Fürsten  Karolath  in  Karolath,  starb  aber  schon  ein  Jahr  darauf 
1824.  Von  seinen  Compositionen  sind  gedruckt:  Concert  für  das  Violoncello 
und  Variationen  für  Cello  mit  Orchesterbegleitung.     Sein  älterer  Bruder: 

Über,  Christian  Friedrich  Hermann,  ist  am  22.  April  1781  geboren 
und  erhielt  im  elterlichen  Hause  ebenfalls  die  sorgfältigste  Ausbildung  auch 
in  der  Musik.  Da  er  nach  dem  Willen  des  Vaters  Jura  studiren  sollte,  so 
bezog  er,  nachdem  er  das  Elisabetanum  in  Breslau  absolvirt  hatte,  19  Jahr  alt 
die  Universität  Halle.  Hier  übernahm  Türk  seine  weitere  musikalische  Aus- 
bildung und  schon  1801  übertrug  er  ihm  die  Leitung  der  Winterconcerte  in 
Halle.  In  diesem  Jahre  trat  Über  auch  bereits  mit  einem  Violinconcert  eigener 
Compositon  in  die  Oeffentlichkeit.  Ende  1803  ging  er  nach  Breslau  zurück, 
um  sich  hier  ganz  seinem  ursprünglich  gewählten  Beruf  zu  widmen,  doch  er- 
klärte sich  der  Vater  endlich  auch  damit  einverstanden,  dass  er  die  Künstler- 
laufbahn verfolgte.  Gegen  Ende  1804  wurde  er  durch  den  Fürst  Radziwil 
veranlasst  nach  Berlin  zu  gehen.  Hier  wurde  er  mit  Bernhard  Romberg  be- 
kannt und  durch  ihn  empfohlen  trat  er  in  ein  Engagement  beim  Prinzen  Louis 
Ferdinand  von  Preussen,  das  indess  durch  die  Ereignisse  von  1805  und  1806 
gelöst  wurde.  Im  Winter  des  Jahres  1808  folgte  er  einem  Ruf  als  Violinist 
in  die  Kapelle  des  Königs  von  Westphalen  nach  Kassel  und  wurde  im  Januar 
1809  Musikdirektor  der  deutschen  Oper.  Nach  Auflösung  des  deutschen  Theaters 
in  Kassel,  die  noch  in  demselben  Jahre  erfolgte,  war  er  für  die  französische 
Oper  thätig.  Der  Sturz  der  Fremdherrschaft  in  Deutschland  1814  brachte  ihn 
natürlich  um  seine  Stellung,  aber  im  Januar  1815  finden  wir  ihn  bereits  als 
Musikdirektor  des  Nationaltheaters  in  Mainz  thätig;  ein  Jahr  darauf  ging  er 
nach  Dresden  als  Musikdirektor  der  Seconda'schen  Truppe,  nach  deren  Auf- 
lösung er  sich  in  Leipzig  privatisirend  aufhielt,  bis  er  im  Februar  1817  zum 
Musikdirektor  an  der  Kreuzkirche  zu  Dresden  ernannt  wurde,  als  welcher  er 
bereits  am  2.  März  1822  starb.  Von  seinen  Compositionen  sind  zu  nennen 
ausser  den  Opern  vLes  marins«,  »Der  frohe  Tag«,  die  Musik  zum  lOingemann- 


■ggQ  TJberti  —  Uebelklang. 

sehen  »Moses«  und  zu  dem  allegorischen  Schauspiel  y^Saxoniaa;  ferner  ein  Ora- 
torium »Die  sieben  Worte  des  Erlösers«,  Cantaten  u.  s.  w. 

Uberti,   s.  Hubert. 

Uberti,  Grrazioso,  Professor  der  Eechtswissenschaft  zu  Cisena  in  Italien 
im  17.  Jahrhundert,  ist  von  Allacci  als  der  Verfasser  des  Buches:  nOontrasto 
musico   in    sette  farti    divisoa   (Eoma,  Luigi  Grrignano,  1630,  in  8")  bezeichnet. 

Uccelli,  Mad.  Carolina,  geborne  Pazzini,  wurde  in  Florenz  Anfang  des 
19.  Jahrhunderts  von  wohlhabenden  Eltern  geboren.  Anfänglich  betrieb  sie  die 
Musik  zu  ihrem  Vergnügen,  jedoch  nach  dem  Tode  ihres  Gatten,  dsr  Professor 
der  Literatur  war,  machte  sie  einen  Beruf  daraus.  Im  Juni  1830  wurde  auf 
dem  Theater  Pergola  in  Florenz  eine  Oper  r>Saul«,  zu  welcher  sie  auch  das 
Libretto  geschrieben  hatte,  aufgeführt.  1832  folgte  -nEmma  di  Resburgoa  nach 
dem  von  Meyerbeer  gleichfalls  benutzten  Texte.  Eine  dritte  Oper:  yiEufemio 
di  Messinaa  gelangte  nicht  zur  Aufführung,  nur  die  Ouvertüre  wurde  in  Mai- 
land in  einem  Concerte  gespielt.  Mit  ihrer  Tochter,  die  bei  Bordogni  als 
Sängerin  ausgebildet  war,  unternahm  sie  später  Reisen  durch  Belgien,  Holland 
und  die  Schweiz. 

Uccellini,  Dom.  Marco,  Kapellmeister  zu  Parma  um  die  Mitte  des 
18.  Jahrhunderts,  führte  daselbst  folgende  Opern  seiner  Composition  auf:  »Le 
N'ave  d'Eneav-,  1673,  liGiove  de  Mide  fulminato«.,  1677.  Instrumentalcomposi- 
tionen erschienen  zwischen  1650 — 1660:  i>Sonate  Sinfonie  e  correnti  a  2,  3  e  4 
stromentiv,  lib.  1  et  2.  -nSonate  a  2  e  3  violini,  o  altri  stromentia,  lib.  3.  -(»Sonate 
correnti  ed  arie  a  1,  2  e  3  sfromenti«,  lib.  4. 

Ud,  auch  Eud  (vergl.  Eloud),  heisst  die  arabische  Laute,  die  noch  jetzt 
im  Orient  gebraucht  ist.  Das  Saiteninstrument  hat  ganz  die  Form  der  abend- 
ländischen Laute,  die  von  dort  sammt  ihrem  Namen  entlehnt  ist.  Der  Körper 
ist  von  Holz,  gewöhnlich  Tannenholz,  der  Hals  von  Ebenholz  und  dergleichen 
und  häufig  sind  Schallboden  und  Hals  mit  Elfenbein  und  Perlmutter  ausgelegt. 
Seine  Gesammtlänge  steigert  sich  bis  auf  25  Zoll,  länger  ist  das  Instrument 
selten.  Seine  Bespannung  urafasst  im  Ganzen  7  Doppelsaiten  von  Schafdarra. 
Gespielt  wird  es,  wie  die  Laute,  mit  einer  Eidcheh,  was  im  Abendlande  eine 
Geierfeder  war. 

Udalschalk  von  Maissac,  wurde  1126  Abt  zu  St.  Ulrich  in  Augsburg  und 
starb  daselbst  1151.  In  den  Jahrbüchern  der  Stadt  wird  er  als  Dichter  und 
Tonkünstler  gerühmt  und  die  von  ihm  componirten  Hymnen  an  den  heil.  Ulrich 
und  den  heil.  Afra  haben  sich  an  der  dortigen  Kirche  bis  in  unser  Jahrhundert 
hinein  erhalten.  Er  hat  dazu  auch  die  Musik  gesetzt,  der  Gesang  ist  nur  mit 
den  damals  üblichen  Zeichen  notirt.  Eine  Abhandlung:  »De  Musicav.  hinterliess 
er  im  Manuscrij)t. 

Udukai,  eine  indische  Trommel,  welche  beim  Tempeldienst  in  Anwen- 
dung kam. 

üebelklaug  wird  fälschlich  auch  als  deutsche  Bezeichnung  für  Dissonanz 
angewendet.  Selbst  die  schärfsten  Dissonanzen  sind  keine  Uebelklänge,  so  lange 
sie  überhaupt  noch  die  Intervallenverhältnisse  erkennen  lassen.  Die  schärfste 
Dissonanz:  die  grosse  Septime,  namentlich  in  ihrer  Umkehrung  als  kleine  Se- 
cunde,  ist  immer  noch  nicht  als  Uebelklang  zu  bezeichnen,  wenn  sie  vorbereitet 
und  so  eingeführt  wird,  dass  die  Intervalle  noch  zu  unterscheiden  sind.  Zu 
Uebelk längen  werden  die  Secunden  erst,  wenn  sie  sich  häufen;  die  grosse 
Septime  schon,  wenn  sie  durch  stark  tönende  Messinginstrumente  eingeführt 
wird.  In  der  Lage  wie  unter  a)  sind  der  grosse  Nouenaccord  ebenso  wie  der 
kleine  nur  Dissonanzen  und  als  solche  durchaus  wohlklingend;  in  der  Lage 
wie  unter  b)  wird  selbst  der  kleine  Nouenaccord  zum  Uebelklänge: 


a)  b) 


mi 


Ueberblasen  —  Uebergeliung  der  Auflösung.  361 

Die  Häufung  der  Secunden  in  den  Lagen  unter  b)  stört  die  Wirkung,  so  dass 
die  Töne  und  Intervalle  kaum  mehr  zu  unterscheiden  sind  und  die  Dissonanz 
wird  so  wirklich  zum  Uebelklang. 

Ueberblasen  nennt  man  bei  den  Blasinstrumenten  die  durch  veränderte 
Lippenstellung  und  Luftführung  herbeigeführte  Erzeugung  der  sogenannten 
Obertöne  als  Gi'undtöne.  Bei  Flöten,  Oboen  und  Fagotten  ist  zunächst  durch 
Ueberblasen  die  Octave  des  ursprünglichen,  bei  normaler  Lippenstellung  und 
Luftführung  erzeugten  Tons  zu  gewinnen.  Die  zweite  Ueberblasung  ergiebt 
die  Duodecime,  die  dritte  die  Doppeloctave.  Nach  derselben  Ordnung  erfolgt 
auch  das  Ueberblasen  bei  den  Messinginstrumenten.  Bei  der  Clarinette  da- 
gegen wird,  den  gedakten  Pfeifen  der  Orgel  entsprechend,  schon  bei  der  ersten 
Ueberblasung  die  Duodecime  gewonnen. 

Ueberbläsig  heisst  eine  Oi'gelpfeife,  wenn  sie  einen  höhern  Ton  erzeugt, 
als  den,  den  sie  ihrer  Grösse  nach  angeben  sollte. 

Uebergallen  heisst  das  fistulireude  Ueberblasen  der  engmensurirten  Orgelpfeifen. 

Uebergang,  Transition ,  nennt  man  die  Modulation  (s.  d.)  nach  einer 
andern  Tonart;  sie  unterscheidet  sich  von  der  Ausweichung  nur  dadurch, 
dass  diese  die  neue  Tonart  nur  berührt  oder  vorübergehend  festhält,  während 
nach  einem  Uebergange  die  neue,  dadurch  gewonnene  Tonart  meistens  zeitweis 
als  Haupttonart  festgehalten  wird.  So  erscheint  bei  den  zwei-  und  mehrtheiligen 
Tonstücken  jeder  neue  Theil  in  einer  neuen  Tonart  und  wenn  diese  auch  vor- 
wiegend in  nächster  Beziehung  zu  einander  stehen,  so  werden  sie  doch  fast 
immer  durch  einen  entschieden  in  die  neue  Tonart  führenden  Uebergang  vor- 
bereitet, wie  bei  dem  Sonatensatz  oder  dem  Rondo.  Bei  jenem  tritt  der 
zweite  Theil  in  der  Begel  in  der  Dominante  oder  auch  einer  der  IMedianten 
ein,  die  nicht  eigentlich  einer  modulatorischen  Vorbereitung  bedürfen,  aber  diese 
wird  doch  meist  von  den  Componisten  mit  grosser  Sorgfalt  ausgeführt.  Auch 
bei  der  Fuge  wird  nicht  selten  eine  oder  die  andere  Durchführung  in  einer 
neuen  Tonart  eingeführt  und  diese  in  solchem  Falle  zuerst  durch  einen  wirk- 
lichen Uebergang  gewonnen.  Die  Zwischensätze  der  Fuge  aber  moduliren 
meistens  nach  fremden  Tonarten,  so  dass,  wenn  wieder  eine  Durchführung 
im  Hauptton  eintreten  soll,  dieser  erst  wieder  durch  einen  Uebergang  gewonnen 
werden  muss.  Von  besonderer  Bedeutung  wird  der  Uebergang  für  unsere  mo- 
derne Musik,  namentlich  in  der  ausübenden  Praxis.  Wenn  ein  Ciavierspieler 
in  die  Lage  kommt,  Stücke  aus  verschiedenen  Tonarten,  die  unter  sich  nicht 
nähere  Beziehung  haben,  vorzuspielen,  so  wird  er  sich  den  Erfolg  sehr  beein- 
trächtigen, und  nicht  selten  sogar  Unbehagen  erzeugen,  wenn  er  das  thun  wollte, 
ohne  die  neue  fremde  Tonart  durch  einen  Uebergang  vorzubereiten.  Nach  einem 
Stück  aus  C-dur  kann  er  ein  neues  aus  Ä-moll,  G-dur,  F-dur,  JE-moll  spielen, 
aber  brächte  er  eins  aus  H-,  £-,  Des-  oder  D-dur  unmittelbar  darauf,  so  würde 
er  damit  feiner  organisirte  Ohren  beleidigen,  jedenfalls  aber  für  sie  den  Anfang 
des  neuen  Stücks  abschwächen,  weil  das  Ohr,  das  noch  die  C-Jwr-Tonart  fest- 
hält, erst  an  die  neue  Tonart  sich  gewöhnen  muss,  um  zum  ruhigen  Genuss 
zu  kommen.  Hier  ist  es  zweckmässig,  die  neue  Tonart  durch  einen  geschickt 
ausgeführten  Uebergang  zu  gewinnen.  Begleitet  aber  der  Ciavierspieler  zum 
Gesänge,  dann  wird  ein  solcher  Uebergang  auch  in  den  Fällen  meist  nöthig 
und  zweckmässig,  in  denen  er  bei  der  Ausführung  von  Ciavierstücken  über- 
flüssig erschien,  wenn  diese  in  näher  verwandten  Tonarten  geschrieben  sind. 
Für  den  Sänger  dagegen  ist  es  durchaus  nöthig,  der  Tonart  immer  sich  be- 
wusst  zu  sein  und  es  ist  daher  meist  eine  grosse  Hülfe  für  ihn,  wenn  er  selbst 
beim  Wechsel  nach  verwandten  Tonarten  in  die  andere  Tonart  des  neuen  Ge- 
sangsatzes durch  einen  Uebergang  eingeführt  wird. 

Uebergehung  der  Auflösung  einer  Dissonanz  oder  eines  dissonirenden 
Accordes  (JEllipsis,  Katachrestische  Auflösung).  Eine  solche  findet  schon  statt, 
wenn  ein  Intervall  eine  andere  als  die  ursprünglich  normale  Wendung  nimmt, 
ohne  den  harmonischen  Gang  zu  verändern: 


362 

a) 

<=5 

Ueberladen. 
b) 

—»-- 

-R- 

=^=i«i=^^ 

..  (= . 

i^EM. : 

-eü- Pg— 

t    - 

— •— 

-^ — 

F=*»  •     ••-•i=] 

— ^ — 

'?=?■ 


Doch  bezeichnet  man  diese  Fälle  besser  als  verzögerte  Auflösungen,  da  es  um- 
ständlicher erscheint  a)  als  vereinfachte  Darstellung  von  b)  zu  betrachten.  That- 
sächliche  Uebergehung  der  Auflösung  ist  es,  wenn,  wie  in  folgenden  Beispielen 
dissonirende  Accorde  einander  folgen,  durch  welche  eine  Ausweichung  herbei- 
geführt wird: 

a)  b) 

I      I    uJ 


=it:=:=s=i:=^ 


-•- 
-»- 


--^ 


I 


I  II' 

Die  normale  Auflösung  unter  b)  ist  bei  a)  verlassen,  indem  die  Auflösung  des 
ersten  Dominantaccordes  unterdrückt  und  übergangen,  er  ohne  Weiteres  in 
einen  andern  Dominantaccord  geführt  wird,  ebenso  wie  in  den  folgenden  Bei- 
spielen unter  a): 

a)  b) 

I      I       I 


Ueberladen  ist  ein  Kunstwerk,  wenn  die  an  sich  untergeordnetem  Einzel- 
heiten, die  nur  als  nähere  Erläuterungen  oder  als  Ausschmückungen  des  Ganzen 
erscheinen  sollen,  sich  so  häufen  und  so  vorherrschen,  dass  sie  den  einheitlichen 
Gesammteindruck  stören,  Verständlichkeit  und  Uebersichtlichkeit  desselben  er- 
schweren. Freilich  hängt  dies  auch  viel  von  dem  das  Kunstwerk  Betrachtenden 
und  Geniessenden  ab.  Die  Fähigkeit,  diese  Einzelheiten  aufzufassen  und  sie 
fortwährend  im  Zusammenhange  zu  geniessen  und  im  Verhältniss  zum  ganzen 
Kunstwerk  zu  erfassen,  ist  natürlich  in  sehr  verschiedenen  Graden  vorhanden, 
so  dass  dem  Einen  das  noch  dürftig  erscheint,  was  der  Andere  schon  für  über- 
laden erklären  muss.  Das  Maass  für  Einführung,  Ausdehnung  und  Durch- 
arbeitung dieser  Einzelzüge  des  Kunstwerks  ist  deshalb  sehr  schwer  zu  be- 
stimmen. Die  instrumentale  Begleitung  zum  Gesänge  erscheint  überladen,  wenn 
sie  diesen  verdeckt  und  seine  Wirkung  beeinträchtigt.  Bei  der  Verbindung 
von  Gesang  und  Instrumentalmusik  bleibt  ersterer  immer  die  Hauptsache  und 
wo  die  Begleitung  solche  Bedeutung  gewinnt,  dass  sie  jenen  beeinträchtigt  und 
in  den  Hintergrund  drängt,  darf  man  sie  mit  vollem  Becht  als  überladen  be- 
zeichnen. Ebenso  häufig  wie  der  instrumentalen  Ueberladung  begegnet  man 
der  harmonischen.  Diese  tritt  da  ein,  wo  sich  Accord  auf  Accord  häuft, 
ohne  dass  die  Tonart  oder  auch  die  Tonarten  eine  bestimmte  Ausprägung  ge- 
winnen, so  dass  auch  Melodie  und  Rhythmus  in  ihrer  Entfaltung  gehindert 
werden.  Die  Forderung,  dass  auch  bei  dem  grössten  Beichthum  der  aufge- 
botenen und  verwendeten  Harmonik  dennoch  die  Haupttonart  und  Hauptton- 
arten als  solche  geltend  bleiben  und  dass  dabei  die  Melodie  in  freiester  Ent- 
faltung diese  harmonischen  Massen  in  Fluss  bringt  und  der  Bhythmus  mit 
seiner  ordnenden  Macht  sie  übersichtlich  gruppirt,  ist  keine  individuelle,  von 
grösserer  oder  geringerer  Fähigkeit  abhängige,  sondern  in  der  Idee  des  Kunst- 
werks bedingt  und  ihre  Erfüllung  lässt  dies  in  reichster  Ausstattung,  aber 
ohne  Ueberladung,  entstehen,  wie  unsere  grossen  Meister  von  Palestrina  bis 
auf  die  Gegenwart  gezeigt  haben.  Im  vorigen  und  noch  in  der  ersten  Hälfte 
des  gegenwärtigen  Jahrhunderts  musste  sich  die  Melodie  eine  eigne  Art  lieber- 


Ueberlee  —  Ueberleitung.  363 

ladung  gefallen  lassen,  indem  sie  die  Sänger,  um  ihre  Kehlfertigkeit  zu  zeigen, 
so  mit  Coloraturen  und  Schnörkeln  überluden,  dass  man  fast  keinen  gehaltenen 
Ton  mehr  zu  hören  bekam  und  diese  Weise  fand  auch  im  vorigen  Jahrhundert 
namentlich  im  Clavierstil  weite  Verbreitung.  Zum  Charakterisiren  der  ver- 
werflichen Vortragsart,  die  auf  Erzielung  äusserer  Effekte  durch  scharfe 
Accente,  häufige  Gegenüberstellung  von  Forte  und  Piano,  von  Crescendos  und 
Decreseendos,  von  Hitardandos  und  Accelerandos  u.  s.  w.  berechnet  ist,  bedient 
man  sich  weniger  der  Bezeichnung  überladen;  diese  Art  heisst  vielmehr  ma- 
nierirt,  um  zugleich  anzudeuten,  dass  die  Anwendung  von  an  und  für  sich 
reizvollen  Kunstmitteln  zur  Unnatur  geworden  ist,  dass  diese  nicht  die  ent- 
sprechende Verwendung  finden. 

Ueberlee,  Felix  Wilhelm  Adalbert,  königl.  Musikdirektor,  Gesanglehrer 
an  der  Louisenstädtischen  Realschule,  Cantor  und  Organist  an  der  Dorotheen- 
städ tischen  Kirche  und  Dirigent  des  Gesangvereins  Dorothea  in  Berlin,  ist 
daselbst  am  27.  Juni  1837  geboren,  besuchte  das  Gymnasium  zum  grauen 
Kloster  und,  da  er  die  Musik  zu  seinem  Lebensberuf  erwählt  hatte,  das 
Conservatorium  der  Musik  in  Berlin,  später  das  Kircheninstitut  und  die 
königl.  Akademie.  Hier  gewann  er  1862  die  silberne  Medaille  und  1864  mit 
einem  Te  deum  laudamus  für  Solo,  Chor  und  Orchester  den  Michel-Beer'schen 
Preis,  bestehend  in  einem  Stipendium  zu  einer  Studienreise  nach  Italien,  die 
er  in  den  Jahren  1864 — 1865  ausführte.  1865  wurde  er  Organist  an  der 
Bartholomäuskirche,  1866  an  der  Dorotheenstädtischen  Kirche  und  1867  Ge- 
sanglehrer an  der  Louisenstädtischen  Gewerbeschule.  Seit  1873  ist  er  auch 
bei  den  sonntäglichen  Hausandachten  in  der  Kronprinzlichen  Eamilie  thätig. 
Von  seinen  Compositionen  sind  nur  einige  kleinere  gedruckt:  Lieder,  Ciavier- 
stücke, Quartette  u.  s.  w.  Ein  Oratorium  »Das  Wort  Gottesa  brachte  er 
1872  zur  Aufführung;  ein  Requiem  für  Solo  und  Chor  1873,  ein  Stahat  mater 
für  Solo  und  Chor  1874  und  ein  zweites  Oratorium  »Golgatha«  1878.  Ausser- 
dem sind  noch  drei  Opern:  »Egmont«,  »Karin«  und  eine  Komische  »Weiberlist« 
gleichfalls  im  Manusci-ipt  beendet. 

Ueberleitung-,  nicht  zu  verwechseln  mit  Uebergang,  obgleich  beide  immer- 
hin nahe  verwandt  sind.  Der  Uebergang  ist  allerdings  auch  eine  Ueber- 
leitung im  strengsten  Sinne  des  Worts,  allein  in  der  Regel  bezeichnet  man 
damit  die  meist  kurzen,  oft  auch  weiter  ausgeführten  Zwischensätze  (s.  d.), 
durch  welche  die  Hauptsätze  der  grössern  Instrumentalformen,  des  Sonaten- 
und  Rondosatzes  verbunden  werden;  bei  der  Fuge  heissen  sie  Zwischen- 
harmonie (s.  d.).  Die  Ueberleitung  ist  in  der  Regel  auch  mit  einem 
Ueber gange  verbunden,  häufig  wird  dieser  auch  zu  einer  Ueberleitung 
ausgeweitet,  aber  dennoch  müssen  beide  Begriffe  streng  auseinandergehalten 
werden,  da  sie  im  Grunde  etwas  Verschiedenes  bezeichnen.  Der  Uebergang 
soll  eben  nur  die  neue  Tonart  vorbereiten,  er  bezieht  sich  nur  auf  die  Har- 
monik bestimmter  Tacte;  durch  die  Ueberleitung  dagegen  sollen  grössere, 
weitausgesponnene  Hauptpartien  von  bestimmtem  und  verschiedenem  Charakter 
verbunden  werden;  hierbei  kommt  dann  nicht  nur  die  Harmonik  in  Betracht, 
sondern  hauptsächlich  der  Inhalt  der  zu  verbindenden  Partien.  Im  Artikel 
Rondoform  ist  nachgewiesen  worden,  wie  hier  einem  Liedsatz  von  bestimmtem 
Inhalt  ein  anderer  von  ebenso  bestimmtem  aber  gegensätzlichem  Ausdruck  ent- 
gegengestellt wird  und  dass,  um  diese  Contraste  etwas  zu  vermitteln,  oder  sie 
auch  in  andern  Fällen  noch  bestimmter  heraustreten  zu  lassen,  dem  ersten 
Satze  des  Rondo,  dem  Liedsatz,  eine  Ueberleitung  folgt  und  dann  erst  der 
Gegensatz,  und  dass  diesem  dann  auch  nicht  wieder  unmittelbar  darauf  der 
erste  Liedsatz  folgt,  sondern  dass  wiederum  eine  Ueberleitung  die  neue  Ein- 
führung des  Liedsatzes  herbeiführt.  Natürlich  werden  beide  Ueberleitungen 
verschieden  ihrem  Charakter  und  Inhalt  nach  sein  müssen,  da  sie  von  ver- 
schieden charakterisirten  Partien  aus,  und  nach  solchen  auch  wieder  zurück 
gehen.    Wir  deuteten  mehrfach  an,  dass  in  der  Regel  der  harmonische  Apparat 


364 


Ueberlegen  —  TJebermässiger  Sextaccord. 


einen  Uebergang  nicht  absolut  nöthig  erscheinen  lasse,  da  diese  Partien  meist 
auch  in  näher  verwandten  Tonarten  gehalten  sind,  aber  der  ideelle  (rehalt 
macht  eine  solche  Verwendung  als  TJeberleitang  nöthig.  Das  gilt  auch  von 
dem  eigentlichen  Sonatensatz;  der  erste  Satz  desselben,  der  Hauptsatz 
geht  in  der  Regel  in  eine  Ueberleitung  aus:  dann  erst  tritt  der  Seitensatz 
auf;  nicht  selten  wird  dann  auch  der  Durchführungssatz  durch  eine  Ueber- 
leitung eingeführt  und  ebenso  der  dritte  Theil,  der  die  mannichfach  modificirte 
"Wiederholung  des  ersten  Theils  bringt.  Aehnliche  Bedeutung  gewinnt  auch 
die  Ueberleitung  bei  grössern  Yocalwerken:  Oper  und  Oratorium.  Hier 
erwächst  oft  die  Nothwendigkeit,  die  einzelnen  entschieden  ausgeprägten  und 
auch  abgeschlossenen  grösseren  Formen  unter  sich  äusserlich  zu  verbinden; 
dies  geschieht  dann  ebenfalls  durch  eine  Ueberleitung,  die  denselben  Gre- 
sichtspunkten  unterliegt,  wie  die  beim  Rondo  oder  dem  Sonatensatz,  Auch 
hier  gilt  es  nicht  nur,  etwa  eine  Lücke  auszufüllen,  um  auch  äusserlich  anzu- 
zeigen, dass  der  Fortgang  der  dramatischen  Entwickelung  keinen  Stillstand  er- 
leidet, sondern  es  sollen  die  betreffenden  Tonsätze  so  verbunden  werden,  dass 
dadurch  auch  die  dramatische  Darstellung  unterstützt,  der  dramatische  Verlauf 
der  betreffenden  Situation  verständlicher  wird. 

Ueberlegen,  die  eigenthümliche  Fingersetzung,  nach  welcher  man  den  län- 
gern vierten  Finger  unter  Umständen  auch  über  den  kürzern  fünften,  den 
kleinen  Finger  setzt: 


12    3    4    5    4 


^i^|i: 


Uebermässig,  swperfluum,  heissen  alle  um  einen  kleinen  Halbton  erhöhten 
reinen  und  grossen  Intervalle.  Diese  Erweiterung  des  ursprünglichen  grossen 
Intervalls  kann  auf  doppelte  "Weise  hervorgebracht  werden,  entweder  durch 
Erhöhung  der  obern  a),  oder  durch  Vertiefung  der  untern   Töne  b): 


a)  1. 


3. 


b) 


:ü 


f?^ 


:ö^ 


^^ 


'^^ 


■^^ 


^ 


Uebermässige  Prime,  die  Erhöhung  der  Prime  um  einen  Halbton,  oben 
unter  a)  und  wohl  zu  unterscheiden  von  der  kleinen  Secunde  c  —  des,  dem  auf 
zwei  verschiedenen  Stufen  der  diatonischen  Tonleiter  liegenden  grossen  Halbton. 

Uebermässige  Quart,  quarta  superflua,  auch  Tritonus,  das  aus  drei 
Ganzstufen  bestehende  Intervall  —  oben  unter  a)  3  —  daher  der  Name  Tri' 
tonus  (s.  d.). 

Uebermässige  Quint,  quinta  superflua,  das  aus  vier  Ganzstufen  be- 
stehende Intervall,  oben  unter  a)  4. 

Uebermässige  Secunde,  secunda  superflua,  das  aus  einer  Ganz-  und 
einer  kleinen  Halbstufe  bestehende  Intervall,  oben  unter  a)   2. 

Uebermässige  Sexte,  sexta  superflua,  das  aus  fünf  Ganzstufen  bestehende 
Intervall,  oben  unter  a)   5. 

Uebermässiger  Drelklaug,  Trias  superflua,  der  aus  zwei  grossen  Terzen 
bestehende  Dreiklang: 


a^ 


Näheres  unter  Dreiklaner  und  Alterirte  Accorde. 

Uebermässiger  Sextaccord,    der    Sextaccord    mit    grosser    Terz    und    über- 
mässiger Sext  als  erste  Umkehrung  des  durch  Erhöhung  seines  Grundtons  alte- 


rirten   Molldreiklangs ; 


Uebermässiger  Terzquartaccord  —  Uebersetzen. 


365 


P 


^         '•'gy 


t= 


=i— Ife 


w 


-BS     ijg 


-ü' 


a=^ 


fe= 


a 


Uebermässiger  Terzquartaccord  mit  grosser  Terz,  übermässiger  Quart  und 
Sext  als  zweite  Umkehrung  des  alterirten  Septimenaccordes:  * 


Ueberschlag,  s.  üeberwurf, 

Uebersclilagen,  das  Kreuzen  der  Hände  beim  Ciavierspielen,  so  dass  die 
rechte  Hand  unter  die  linke  zu  stehen  kommt,  und  die  l'nterstimme  spielt, 
oder  dass  die  linke  über  die  rechte  tritt  und  die  Oberstimme  spielt,  s.  mano 
destra  und  sinistra. 

Ueberschlageu,  franz.  Octavier,  bei  Blasinstrumenten  durch  stärkeres  An- 
blasen die  höhere  Octave  des  ursprünglichen   Tons  angeben,    s.  Ueber blasen. 

Ueberscblasreude  Haue,  eine  Blasmanier  der  Ti-ompeter,  ein  sogenannter 
Zungenschlag,  der  sich  von  der  sogenannten  schwebenden  Haue  dadurch 
unterschied,  dass  diese  auf  einem  Ton  aasgeführt  wurde,  während  die  über- 
schlagende Haue  aus  zwei  Accordtönen  bestand: 


Schwebende  Haue.         ff  clim 


Ueberschlagende  Haue. 


pp  eres  -  cen  -  do  ff  to  -  ho  to  -  ho  to,       to  -  ho  to-  ho  to. 

Die  hier  beigegebenen  Silben  deuten  die  Art  der  Ausführung  an.  Altenburg 
giebt  darüber*)  Auskunft.  Er  sagt  pag.  92:  »Die  deutschen  und  gelernten 
Trompeter  haben  besonders  in  diesem  Feldstückblasen  vor  andern  einen  grossen 
Vorzug,  denn  sie  bedienen  sich  hierzu  gewisser  Manieren  und  Vortheile,  wo- 
durch das  Feldstück-  und  Principalblasen  sehr  ausgeschmückt  und  ver- 
bessert wird.  Sie  heissen:  die  Zunge  oder  der  Zungenschlag  und  Haue. 
Die  erste  benennet  man  darum  so,  weil  man  sie  nicht  anders  als  durch  einen 
gewissen  Schlag  und  Stoss  mit  der  Zunge,  vermittelst  Aussprechung  etlicher 
kurzer  Silben  in  das  Mundstück  hervorbringen  kann.  Dieser  Zungenschlag  ist 
von  verschiedener  Art;  denn  man  braucht  hierzu  sowohl  bei  der  einfachen  als 
doppelten  Zunge  nicht  einerlei  Aussprache  der  Silbena.  Für  die  verschiedenen 
Arten  der  Zunge  giebt  er  dann  die  Silben:  »ritirifonn  oder  ■atitilciton«.  und  »^i- 
ritiritoTKi  oder  ytihitikitonn  an.  Er  fügt  dann  noch  hinzu:  »Ausserdem  ist  noch 
zu  erinnern,  dass  die  Haue  nur  am  Ende  beim  Feldstück-  und  Tischblasen, 
keineswegs  aber,  doch  nur  selten,  in  der  Mitte  oder  beim  Principal  stattfindet«. 
Uebersetzen,  Bezeichnung  für  eine  Art  der  Fingersetzung  —  Applicatur, 
durch  welche  die  Instrumentenspieler  es  ei'möglichen,  den  gesammten  Tonreich- 
thum  mit  fünf  resp.  zehn  Fingern  hervorzubringen.  Beim  Ciavierspiel  ge- 
schieht es  dadurch,  das  man  den  zweiten,  dritten  und  vierten  Finger  über  den 
Daumen  setzt: 

5    4_ 


*)  „Versuch  einer  Anleitung  zur  heroisch-musikalischen  Trompeter-  und  Paukerkunst' 
Halle,  1795. 


366 


Uebersetzen  —  üeber-  und  Unterstei^en. 


Bei  den  Streichinstrumenten  geschieht  das  Uebersetzen  so,  dass  die 
Hand  vorwärts  rückt  und  der  erste  Finger  den  Ton  greift,  der  vorher  vom 
zweiten,  dritten  und  vierten  Finger  gegriffen  wurde: 


3    4      3 


I    2    3    I    2   3 


fe"^'E^|p^=ffe==F=^|:=fe: 


.,.JC 


±it 


Beim  Pedalspiel  bei  der  Orgel  erfolgt  das  Uebersetzen,  wenn  der  Fuss  sich 
über  die  SjDitze  des  andern  hebt;  wenn  er  hinter  der  Ferse  sich  vorbewegt 
heisst  dies  Untersetzen: 


linker,    rechter. 


1. 


1. 


1. 


^ 


Uebersetzen. 
Absatz.     Spitze. 


Unter-      Ueber- 
setzen.     setzen. 


Untersetzen. 
Absatz.     Spitze. 


Uebersetzen  beim  Pfeifenwerk  der  Orgel,  auch  Uebergallen  genannt, 
heisst  die  zu  scharfe  Intonation,  wodurch  das  Ueberschlagen  derselben  in  die 
Octave  oder  Decime  herbeigeführt  wird. 

Uebersing'er  wurde  in  den  Meistersingerschulen  derjenige  Sänger  genannt, 
welcher  bei  dem  sogenannten  Haupt-  und  Wettsingen  den  ersten  Preis 
gewann.  Dieser  bestand  in  dem  sogenannten  Kleinod,  dem  Davidsgewinner, 
s.  Meistergesang. 

Ueber-  und  Untersteig'en,  das  Durchkreuzen  der  Stimmen,  so  dass  im  mehr- 
stimmigen Satz  zeitweis  eine  höhere  unter  eine  tiefere  Stimme  zu  liegen  kommt. 
Es  wird  dies  zum  Theil  aus  der  mehr  äussern  Rücksicht,  um  falsche  Fort- 
schreitungen zu  vermeiden,  unternommen,  theils  aber,  und  das  ist  die  höhere 
Weise,  um  den  selbständigen  Gang  der  Stimmen  nicht  zu  unterbrechen.  Wenn 
Bach  in  den  nachstehenden  Stellen  aus  Choralbearbeitungen  den  Alt  unter 
den  Tenor  führt: 


E^ 


3£ 


■»-0 


M^"- 


rj  T 

I 

JL  I 


-^ 


^^1 


'J 


jl5:   =   =      .j. 


ä^ 


i^^ 


--^ 


--^ 


1^^ 


^ 


so  thut  er  dies  allerdings  zunächst  um  Octaven  zwischen  Alt  und  Bass  zu  ver- 
meiden, allein  zugleich  erhält  der  Alt  durch  die  neue  Führung  eine  wesentlich 
bessere  Melodie.  Bei  den  älteren  Italienern,  auch  noch  bei  Palestrina,  war 
diese  Weise  der  Verwendung  der  Octave  nicht  selten  und  zwar  in  noch  aus- 
gesprochenerer Weise  wie  bei  Bach,  so  dass  die  accordische  Wirkung  durchaus 
auf  Quinten  und  Octaven  beruht  b),  die  nur  durch  die  Kreuzung  der  Stim- 
men aufgehoben  werden  a): 


/ 

9  "' 

-/ ^ — 

— CS 

b) 

s^ — 

<=l 

1 

.CS- 

"^ — ^ 

CS — 

C2 

Si 1 

^ — 

— = 

— s 1 

— ^ 1 

Wirklich  künstlerisch  gerechtfertigt  ist  natürlich  jene  Kreuzung  der  Stimmen, 
weiche  dadurch  herbeigeführt  wird,  dass  die  eine  Stimme  einen  bedeutsamen 
melodischen  Gang  ausführt,  wie  häufig  bei  Job.  Seb.  Bach: 


1) 


Uebertheilendes  Verhältuiss' —  Uebungen.  367 

2)  So  wird  auch.        der 


K^.-4 


=E 


:5=:;^ 


'•-4—^^ 


Je  -  SU         mei-  ne      Freu 


r 


-^7*- 


m^^^"^ 


wird  auch,  der 


Im  ersten  und  zweiten  Beispiel  wird  der  Tenor  an  den  bezeichneten  Stellen 
über  den  Alt  geführt;  im  dritten  geht  der  Tenor  anfangs  unter  den  liegenden 
Bass,  und  dann  steigt  dieser  über  den  auf  g  ruhenden  Tenor,  der  zweite  Sopran 
aber  geht,  um  sich  in  seinem  melodischen  Gange  nicht  aufhalten  zu  lassen, 
unter  den  Alt,  der  wiederum,  seinem  melodischen  Zuge  folgend,  nach  h  steigt. 
Zu  macht-  und  glanzvoller  "Wirkung  wird  diese  Kreuzung  unter  andern  auch 
von  Händel  in  seinem  »Judas  Maccabaeus«  angewendet: 


Stimmt  an !  Zi-on  hebt     ihr  Haupt,  hebt  ihr  Haupt     em  -  por! 


\ 


Stimmt  an! 
ihr    Haupt 


em 


hebt  ihr    Haupt    em  -  por. 
por.  Stimmt  ihn     an. 


Stimmt  ihn  an ! 
stimmt  ihn  an ! 


:»J.  I 


mä 


-^^ 


t:^ 


:!= 


em  -  por! 


Uebertheilendes  Verhältuiss,  Batio  superpartiens,  heisst  ein  Yerhält- 
niss,  bei  dem  die  grössere  Zahl  die  kleinere  ganz  enthält  und  noch  einige 
Theile  derselben,  wie  das  Verhältuiss  der  Sext:   8:5. 

Uebertheiliges  Verhältniss,  Batio  superparticularis,  dagegen  wenn 
die  grössere  Zahl  die  kleinere  ein  Mal  ganz  und  noch  einen  Theil  derselben 
enthält,  wie  das  der  Quint  2:3,  der  Quart  3:4,  der  Terz  4:5  u.  s.  w. 

Ueberwurf  oder  TJ eberschlag  nannte  man  früher  wohl  auch  den  auf- 
steigenden Xachschlag  (s,  d.). 

Ueberzielien,  das  Herüberziehen  des  einen  Tons  nach  dem  andern,  beim 
Vortrage  der  Cantilene  namentlich  angewendet.  Auch  bezeichnet  man  damit 
die  fehlerhafte  zu  hohe  Intonation  beim  Gresange,  im  Gegensatz  zu  der  eben 
so  fehlerhaften  zu  tiefen  Intonation,  welche  Unterziehen  heisst. 

Uebungen  nennt  man  die  Tonstücke,  die  zur  leichteren  und  sicheren  Er- 
langung gewisser  technischer  Fertigkeiten  geschrieben  werden.  Haben  sie  eine 
bestimmte,  in  sich  abgeschlossene  Form,  meist  die  des  Präludiums,  so  heissen 
sie  Etüden  oder  Studien,  für  den   Gesang  Solfeggien   (s.  d.).     Ausserdem 


368  ■  Ugab  -  ULde. 

erhalten  sie  besondere  Namen  nach  den  bestimmten  Zwecken,  welche  sie  ver- 
folgen; die  meist  formlosen  Fingerübungen  sind  Uebungen,  welche  beson- 
ders die  Kraft  und  Geläufigkeit  der  Finger  anstreben  sollen,  wie  die  Hand- 
gelenkübungen  die  Leichtigkeit  des  Gebrauchs  des  Handgelenks;  die  Uebungen 
zur  entsprechenden  Ausführung  des  Trillers  heissen  Trillerübungen;  die 
auf  die  Tonleiter  gebauten  technischen  Studien  Tonleiter  Übungen.  Die 
ebenfalls  meist  formlosen,  nur  aus  tonleiterartigen  und  arpeggirenden  Figuren 
zusammengesetzten  Stimmübungen  verfolgen  den  Zweck  die  Stimme  einzu- 
singen und  ihr  Geläufigkeit  zu  geben.  Auch  besondere  contrapunktis  che 
und  harmonische  Uebungen,  ebenso  wie  rhythmische,  sind  nothwendig 
zur  Beherrschung  der  contrapunktischen  Formen,  wie  der  harmonischen  und 
rhythmischen  Darstellungsmittel. 

Ugab,  Ugahh,  wahrscheinlich  der  Gesammtname  für  Blasinstrumente  in 
der  althebräischen  Musik  zum  Unterschiede  von  Kinnor,  unter  welchen  die 
Saiteninstrumente  zu  verstehen  sein  werden.  Jubal  wird  als  der  Erste  genannt 
derer,  die  mit  Kinnor  und  Ugab  umzugehen  wissen,  und  Hiob  21,  12  heisst 
es:  »Sie  jubeln  bei  Adufe  und  freuen  sich  beim  Ugab-Schalle«. 

Uglierio,  Pompe o,  Yirtuose  auf  der  Doppelharfe  und  Tanzmeister  zu 
Mailand  im  Anfange  des  17.  Jahrhunderts,  zeigte  sich  auch  als  Componist  in 
dem  folgenden  von  ihm  herausgegebenen  "Werke:  i>Salletti,  Gagliarde  e  Correnti 
a  3,  eioe  2   Canti  et  il  B  con  partituraa  (Milano,  1627). 

TJgolino,  Blasius,  venetianischer  Priester  und  Gelehrter,  lebte  um  die 
Mitte  des  18.  Jahrhunderts.  Er  veröffentlichte  in  den  Jahren  1744 — 1769 
34  Bände  in  Folio  über  hebräische  Alterthümer.  Die  umfangreichste  derartige 
Sammlung  führt  den  Titel:  y>Thesaurus  antiquitatum  sacrarum,  complectens  selec- 
tissima  clarissimorum  virorum  puscula,  in  quibus  veter  um  Sehraeorim  mores,  leges, 
instituia,  ritus  sacri  et  civiles  illustrantura  (Venetiis,  1744 — 1769).  Der  Inhalt 
des  32.  Bandes  bezieht  sich  ausschliesslich  auf  die  hebräische  Musik.  Zehn 
Kapitel  des  y>ScJiilte  Sagrjihoruma,  welche  von  der  hebräischen  Musik  handeln, 
sind  von  Ugolino  aus  dem  Hebräischen  ins  Lateinische  übersetzt. 

Ugolino,  auch  Ugolini,  mit  dem  Beinamen  D'Orvieto,  nach  seiner 
Geburtsstadt  desselben  Namens  benannt,  lebte  im  14.  Jahi-hundert  und  schrieb 
die  Abhandlung  »De  Musica  mensurataa,  welche  die  Bibliothek  Casanaterse  in 
Rom  besitzt;  früher  befand  sich  dieses  Manuscript  im  Besitze  des  Abbe 
Baini  daselbst. 

Ugolino,  Vincenzo,  auch  Hugelinus,  gelehrter  Kirchencomponist,  in 
Perugia  in  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  geboren,  war  ausgezeichneter 
Kirchencomponist  und  Lehrer.  Er  kam  jung  nach  Rom  und  wurde  dort  der 
Schüler  von  Bernardino  Nanini.  1603  übertrug  man  ihm  das  Amt  des  Kapell- 
meisters an  Maria  Maggiore  zu  Rom,  doch  bereits  1604  wurde  er  von  einer 
so  schweren  Krankheit  heimgesucht,  dass  er  erst  1609  wieder  in  Thätigkeit 
treten  konnte,  man  hatte  ihn  aber  seiner  Verdienste  halber  im  Amte  belassen. 
Im  genannten  Jahre  ging  er  nach  Benevent  in  eine  ähnliche  Stellung,  kehrte 
aber  1615  nach  Rom  zurück  und  übernahm  die  Kapellmeisterstelle  an  St.  Luigi, 
bis  er  1620  an  die  Kapelle  des  Vaticans  berufen  wurde.  Im  Februar  1626 
nahm  er  krankheitshalber  seinen  Abschied  und  starb  noch  in  demselben  Jahre. 
Ugolini  war  einer  der  gelehrtesten  Musiker  der  römischen  Schule  und  berühmt 
als  Lehrer;  zu  seinen  Schülern  gehört  Horace  Benevoli.  Yon  seinen  Compo- 
sitionen  erschienen  im  Druck:  »Zwei  Bücher  achtstimmiger  Motetten«  (Rom, 
Zannetti,  1614).  »Zwei  Bücher  fünfstimmiger  Madrigale«  (Venedig,  Vincenti, 
1615,  in  4**).  »Vier  Bücher  ein-,  zwei-,  drei-  und  vierstimmiger  Motetten  mit 
Bass  continuo  für  die  Orgel«  (ibid.  1616,  1617,  1618  und  1619,  in  4").  »Zwei 
Bücher  achtstimmiger  Psalme«  (ibid.  1620).  »Zwei  Bücher  Messen  und  Mo- 
tetten für  acht  und  zwölf  Stimmen«  (Rom,  Soldi,  1622).  -aSalmi  et  motetti  a 
12  vocid  (Venedig,  Vincenti,   1624,  in  4**). 

Ulide,  Johann  Otto,  königl.  Kammergerichtsrath,  Criminalrath  und  Hof- 


Ul-hieu  -  Ulrich.  369 

richter  zu  Berlin,  wurde  am  12.  Mai  1725  zu  Insterburg  in  Ostpreussen  ge- 
boren. Sein  Vater,  Hofgerichtsratb  daselbst,  hatte  ihn  zwar  gleichfalls  für  die 
juridische  Laufbahn  bestimmt,  aber  er  Hess  ihm  zugleich  auch  eine  sorgfältige 
Ausbildung  in  der  Musik  zu  Theil  werden.  1739  wurde  er  nach^erlin  versetzt 
und  auf  dem  Joachimsthal'schen  Gymnasium,  das  der  Sohn  nunmehr  besuchte, 
wurdeauch  die  Liebe  zur  Musik  in  diesem  wach  gehalten  und  gepflegt.  In  den 
Musikzirkeln  des  Ministers  von  Hoppe  fand  er  bereits  Gelegenheit,  als  Solist 
auf  der  Violine  mit  Beifall  aufzutreten  und  auf  den  Eath  des  Ministers  nahm 
er  noch  Unterricht  bei  dem  bedeutenden  Geiger  Simonetti  und  studirte  bei 
Schaffrath  Ciavier.  Im  Jahre  1743  bezog  er  die  Universität  in  Frankfurt 
a.  0.,  wurde  1746  Auskultator  und  1748  Hof-  und  Kammergerichtsrath  in 
Berlin.  Dabei  blieb  die  Musik  seine  stete  Genossin,  bis  er  am  22.  Decbr.  1766 
starb.  Von  seinen  Compositionen  sind  zu  erwähnen:  y^Temistocle«,  Op.  di 
Metastasio,  aus  der  mehrere  Arien  im  »Musikal.  Allerlei«  gedruckt  erschienen. 
Eine  Cantate  auf  den  Sieg  bei  Torgau,  eine  ital.  Cantate  auf  den  Geburtstag 
Friedrich  IL  und  die  Cantate:  »Die  Grazien«,  Text  von  Gerstenberg;  ferner 
Sinfonien,  Concerte,  Soli,  Trios,  Lieder  u.  dergl. 

ül-hien  und  Sanhien,  zwei  Saiteninstrumente  der  Chinesen,  nur  in  einigen 
Gegenden  Chinas  bel:annt,  wahrscheinlich  indischen  Ursprungs  (s.  Bd  II  pag. 
399  dieses  Lexikons). 

l'libiscliefiF,  s.  0  ulibische  ff. 

Ulich,  Johann,  Cantor  und  Componist  zu  "Wittenberg  gegen  Ende  des 
17.  Jahrhunderts,  war  zu  Leipzig  geboren  und  veröffentlichte:  »Kurze  Anlei- 
tung zur  Singkunst,  in  einer  Tabelle  abgefasst«  ("Wittenberg,  1678,  in  Fol., 
drei  Bogen).  Ferner  hat  er  noch  Concerte  mit  viel  Singstimmen  und  Instru- 
menten und  religiöse  Gesänge,  theils  stark,  theils  schwach  besetzt,  und  andere 
Compositionen  geschrieben. 

XJlloa,  Pedro,  Jesuit  in  Spanien,  lebte  im  Anfange  des  18.  Jahrhunderts 
zu  Madrid.  Er  veröffentlichte  eine  musikalische  Abhandlung:  y^Musica  universal, 
0  principios  universales  de  la  musicaa  (Madrid,   1717,  in  Fol.). 

Ulrich,  Carl  Ernst  Hermann,  Pastor  zu  Sj)rottau  in  Schlesien,  geboren 
am  21.  Februar  1795  zu  Bolkenhain  in  Nieder-Schlesien,  war  in  der  Musik 
gründlich  gebildet.  Er  erhielt  zuerst  vom  Cantor  Kadelbach,  dann  in  Hirsch- 
berg, während  er  das  dortige  Gymnasium  besuchte,  beim  Organisten  Kahl  und 
später  in  Breslau,  wo  er  studirte,  bei  Schnabel  und  Berner  Musikunterricht. 
Nachdem  er  die  Feldzüge  1813 — 14  mitgemacht,  wurde  er  Prediger  in  Sprottau. 
Es  erschienen  einige  Compositionen  von  ihm  im  Druck:  »Kleine  Liedersamm- 
lung u.  s.  w.«  (Breslau,  Grass).  »Versuche  einiger  Ciavier-  und  Gesangstücke« 
(Leipzig,  Breitkopf  &  Härtel).  »"Wandliedertafeln«,  Sammlung  von  zwei-,  drei- 
und  vierstimmigen  Liedern  und  Chorälen  für  den  Schulgebrauch  (Kassel,  Luckhart). 

Ulrich,  Eduard,  geboren  zu  "Weimar  1795,  erhielt  daselbst  von  Haase 
Unterricht  im  Violoncellspiel  und  in  Berlin  eine  Zeit  lang  im  Contrapunkt, 
worauf  er  mit  16  Jahren  als  Cellist  in  die  "Weimarer  Hofkapelle  eintrat.  Die 
Opern  »Der  treue  Eckard«  und  »Der  Eremit«  wurden  1841  am  dasigen  Hof- 
theater aufgeführt.  Gedruckt  sind:  »Erstes  und  zweites  Concertino  für  Hörn 
und  Orchester«  (Leipzig,  Breitkopf  &  Härtel);  einige  Solos  für  Violoncello 
und  Fagott. 

Ulrich,  Hugo,  einer  der  begabtesten  Componisten  der  Gegenwart,  wurde 
am  26.  Novbr.  1827  zu  Oppeln  in  Schlesien,  wo  sein  Vater  Gymnasialoberlehrer 
war,  geboren.  Beide  Eltern  waren  für  Musik  begeistert;  der  Vater  als  Ciavier- 
spieler geschätzt  und  die  Mutter  sang  namentlich  Mozart'sche  Arien  mit  viel 
Geschmack  und  Verständniss.  Diese  ersten  Eindrücke  im  elterlichen  Hause 
waren  natürlich  von  entscheidendem  Einfluss  auf  seine  spätere  Laufbahn.  Nach- 
dem er  im  neunten  Jahre  bereits  seinen  Vater  verloren  hatte,  ertheilte  ihm  der 
Rector  Kotzoldt  Ciavier-  und  Orgelunterricht,  und  seine  Fortschritte  hierin 
waren  so  ausserordentlich,  dass  die  Einsichtigern  unter  seiner  Umgebung  über 

Musikal.  Convers.-Lexikon.    X.  ^4 


370 


Ulrich. 


den    späteren   Beruf   des    aussergewöhnlichen    Knaben    keinen    Augenblick    im 
Zweifel    waren.     Kaum    zwölf  Jahre    alt    verlor  er  auch  die  Mutter  durch  den 
Tod    und    so    wurde    er    früher    als    unter    gewöhnlichen  Verhältnissen    in    den 
Kampf   des    Lebens    hinausgeführt.     Er   kam  zunächst  auf  das  Gymnasium  St. 
Matthias    und    ward    in    das    mit  demselben   verbundene  Convict  aufgenommen, 
in  welchem  arme  Schüler  Unterhalt    und    freien  Unterricht  erhalten,    wofür  sie 
die    Kirchenmusik    auszuführen    haben.     Er    wirkte    hier    als  Altist    und    hatte 
beim    Glymnasialgottesdienst    die    Orgel    zu    spielen.     Hier   erhielt  er  auch  den 
ersten  Unterricht  im  Generalbass    durch   den  damaligen  Domorganisten  Brosig; 
Die  Musik  nahm  ihn  nunmehr  bald  so  gefangen,    dass    er  sich  jetzt  schon  ihr 
ganz  zu  widmen  entschlossen  war;    allein    dem  widersetzten  sich  Vormund  und 
Verwandte    ganz    entschieden.     Ulrich    ging  1846    nach  Glogau,  um  hier  seine 
Gymnasialbildung  zu  vollenden,  und  Ende  desselben  Jahres  nach  glücklich  be- 
standenem Abiturientenexamen    bezog  er  die  Universität  Berlin,    aber  mit  dem 
entschiedenen    Vorsatz,    sich    ganz    der    Musik    zu    widmen.     Er   war  von  dem 
Breslauer  Universitätsmusikdirektor  Mosewius    an  Marx  gewiesen,    allein  da  er 
zu  unbemittelt  war,  um  Honorar  zahlen  zu  können,  nahm  ihn  Marx  nicht  zum 
Schüler    an.     Auf   die  Verwendung  von  Meyerbeer  genoss   er  aber  den  Unter- 
richt Dehn's  durch  länger  als  zwei  Jahre    und   dieser  wurde  so  fruchtbringend 
für  ihn,  dass  er  mit  seinen  ersten  Werken  für  Kammermusik  schon  (das  Dehn 
gewidmete   Trio  op.   1)    wie  mit  seinen  beiden  Sinfonien  das  allgemeinste  Auf- 
sehen   erregte.     Seine  H-moll-Sinionie,    welche   1852  erschien,    machte  bald 
die  Bunde    durch    die    meisten   bedeutenden  Concertinstitute  Deutschlands    und 
mit  seiner  Sinfonie  triompliale    gewann    er   1853  den  von  der  Königl.  Bel- 
gischen Akademie    zu  Brüssel    ausgeschriebenen  Preis    von   1500  Frc.    und  die 
erste  Aufführung    der  Sinfonie    in  Brüssel    am    27.  Septbr.   1853,    der    er   bei- 
wohnte,   brachte    ihm    zugleich    den    begeisterten    Beifall    des    Publikums;     den 
gleichen  Erfolg    hatte   die  Sinfonie  bei  jeder  Aufführung  an  den  verschiedenen 
Orten,    und    mit    den    gespanntesten  Erwartungen   sah  man  neuen  Schöpfungen 
des    jugendlichen  Componisten    entgegen.     Ulrich  hatte    sich  in  diesen  "Werken 
vollständig    als  Künstler    von  Gottes   Gnaden  offenbart,    dass  man  das  Höchste 
von  ihm  glaubte  erwarten  zu  müssen.    Dass  er  diese  Hoffnungen  nicht  erfüllte, 
verschuldet    zumeist    die  Erbärmlichkeit   unserer    gesammten  Musikverhältnisse, 
die  nur  die  Mittelmässigkeit  trägt  und  begünstigt,    bedeutendere  Naturen  aber 
zum    erbittertsten    Kampfe    nöthigt.     Ulrich    war    eben    zu    bedeutend,  um  von 
unsern    modernen  Musikverhältnissen    getragen    zu    werden,  aber  er  hatte  auch 
den  Muth  nicht,  mit  ihnen  auf  Tod  und  Leben  zu  kämpfen  und  so  —  verkam 
er   trotz    seiner    herrlichen  Begabung    leider  unter  Handwerkerarbeit.     Im  Sep- 
tember 1855  war  es  ihm  endlich  beschieden,  das  Land  seiner  Sehnsucht,  Italien 
zu   sehen,    das    er    mit  den  grossartigsten  Plänen    zu  neuen  "Werken  betrat;    er 
lebte  in  Venedig,  Turin,  Genua,  Rom  und  Mailand  und  nachdem  er  sich  zuerst 
ganz  dem  ungeti'übten  Genuss  des  "Wunderlandes  hingegeben  hatte,    begann  er 
auch    wieder    zu    arbeiten.      Eine    Oper:     -oBertran    de    Borna-,    zu    der    ihm 
Max  Ring  den  Text  geschrieben  hatte,  beschäftigte  ihn  neben  andern  ernsthaft, 
bis  ihn  die  äussern  Umstände  wieder  nach  Deutschland  trieben.    Im  März  1858 
kam  er  wieder  nach  Berlin  zurück  und  sah  sich  bald  von  dem  Ernst  des  Lebens 
so  erfasst,  dass  ihm  die  Schaffensfreudigkeit  seiner  Jugendjahre  ganz  vollständig 
verloren    ging.     Unterricht    zu    ertheilen    war    ihm    so  widerwärtig,    dass  er  es 
bald  vollständig  auferab,  nur  kurze  Zeit  war  er  als  Lehrer  am  Conservatorium 
thätig;  dann  aber  führte  er,  um  sein  Leben  zu  fristen,  Arrangements  für  Cia- 
vier    aus.     Diese    gehören    zum  Besten,    was  auf  diesem  Gebiete  zu  leisten  ist ; 
aber    er    selbst    ging    dabei    zu    Grunde.     "Wohl    brachte    er  noch  den  grössten 
Theil    seiner  Ojaer  fertig,    auch    neben    manchem    Andern    eine    dritte    Sinfonie 
in  G-dur,  allein  Zeit  und  Menschen  "hatten  ihm  alle  Lust  am  Schaffen  geraubt, 
er  vei'mochte  nichts  mehr  zu  arbeiten,  was  seinen  ersten  "Werken  auch  nur  ent- 
sprach.    Dazu    zeigten    sich    in    den    letzten  Jahren    seines  Lebens  bereits  die 


Ultima 


Umfang. 


371 


ersten  Spuren  der  fürchterlichen  Krankheit,  einer  schmerzhaften  Nierenkrank- 
heit, der  er  am  23.  März  1872  erlag.  Er  ruht  in  Berlin  auf  dem  Katholischen 
Kirchhofe  in  der  Liesenstrasse.  Wenn  es  auch  eines  günstigem  Geschicks  be- 
durfte, um  alle  die  Hoffnungen  zu  erfüllen,  die  man  auf  ihn  setzen  konnte,  so 
hat  er  doch  auch  mit  dem,  was  er  hinterliess,  sich  ein  Gedächtniss  gestiftet  in 
der  Geschichte  seiner  Kunst. 

Ultima,  der  vierte  Ton  der  Tetrachorde  Synemmenon,  Diezeugmenon  und 
Hyperbolaeon  im  vollkommenen  Tetrachordsystem  der  Griechen. 

Ultima  coujuuctarum,  der  vierte  Ton  (Nete)  des  Tetrachords  Synemmenon, 
unser  d^. 

Ultima  divisaram,  der  vierte  Ton  des  Tetrachords  Nete  Diezeugmenon, 
unser  Cy 

Ultima  excellentium,  der  vierte  Ton  des  Tetrachords  Nete  hyberbolaeon, 
unser  a^ 

Umbreit,  Carl  Theophil,  ausgezeichneter  Organist,  geboren  am  9.  Juni 
1763  zu  ßehstedt  bei  Gotha.  Er  erhielt  in  Erfurt  durch  Kittel  seine  Aus- 
bildung als  Organist  und  1785  in  einem  reichen  Dorfe  bei  Gotha,  Sonneborn, 
eine  Anstellung  als  solcher,  die  er  35  Jahre  lang  verwaltete,  bis  ihn  eine  Miss- 
helligkeit mit  dem  Cantor  des  Orts  veranlasste,  seinen  Abschied  zu  nehmen 
und  in  seinen  Geburtsort  zurückzukehren,  wo  er  am  27.  Api'il  1829  starb. 
Er  hat  sich  seiner  Zeit  bekannt  und  verdient  gemacht  durch  die  Herausgabe 
folgender  "Werke:  »Allgemeines  Choralbuch  für  die  protestantische  Kirche,  vier- 
stimmig ausgesetzt  mit  einer  Einleitung  über  den  Kirchengesang  und  dessen 
Begleitung  dux-ch  die  Orgel«  (Gotha,  Eud.  Zach.  Becker,  1811,  in  4°,  186  S.). 
Dies  Choralbuch  enthält  332  Melodien  zu  zwölf  der  besten  neuen  Gesangbücher 
Ober-  und  Niedersachsens,  zusammen  die  Melodien  zu  3830  Liedern  enthaltend, 
die  vierstimmig  gesetzt  und  mit  bezifferten  Bässen  versehen  sind.  Auch  sind 
die  damals  noch  bekannten  Componisten  der  betreffenden  Melodien  in  diesem 
Werke  genannt.  Dasselbe  ist  von  Choron  ins  Französische  übersetzt  und  heraus- 
gegeben unter  dem  Titel:  ytChants  Chorals  ä  quatre  parties  avec  hasse  continue 
ad  libitum  en  usage  dans  les  eglises  d'AUemagne,  mis  dans  un  nouvel  ordrev. 
(Paris,  in  4°).  Eine  andere  Sammlung  von  einfachen  Choralmelodien  erschien 
unter  dem  Titel:  »Die  evangelischen  Kirchenmelodien  zur  Verbesserung  des 
häuslichen  und  kirchlichen  Gesanges  mit  einem  Vorworte  über  die  zu  ver- 
bessernden Mängel  des  Vortrags  religiöser  Gesänge  von  Bretschneider«  (Gotha, 
Becker,  1817,  gross  in  8°).  Folgende  Orgelcompositionen:  »Zwölf  Orgelstücke 
verschiedener  Art  u.  s.  w.,  seinem  Lehrer,  dem  Organisten  Kittel  gewidmet«, 
erste  bis  dritte  Folge  (Gotha  und  Leipzig,  1798,  vier  Bogen  in  Fol.).  »XXV 
Orgelstücke«  (Bonn,  Simrock).  »Zwölf  Choralmelodien  für  die  Orgel  mit  ver- 
schiedenen Bässen«  (Gotha,  Becker,  1817,  zwei  Folgen).  »Vier  Choralmelodien 
mit  Variationen«  (ebenda,  1821).  »Fünfzig  Choralmelodien,  vierstimmig  für 
die  Orgel  bearbeitet«  (Gotha,  1808)   sind  von  ihm  erschienen. 

Umfang.  Den  Umfang  der,  überhaupt  möglichen  und  noch  vernehmbaren 
Töne  bezeichnet  der  Artikel  Tongrenzen  (s.  d.).  Hier  mag  noch  eine  Zu- 
sammenstellung des  TJmfangs  der  Singstimmen  und  der  gebräuchlichen  Instru- 
mente folgen: 


Organe. 

Gewöhnlicher 
Umfang. 

Aussergewöhnlicher 
Umfang. 

Im  Ganzen. 

1.  Sopran      .     . 

2.  Mezzosopran 

3.  Alt  .     .     .      . 

c'   bis  a"' 

a  bis  g'^ 
f  bis/^ 

c   bis  «' 
A  bis  /' 
F  bis   e' 

bis  f^  und  höher 

bis  d 
bis  c^ 
bis  ö' 

^1 

2  bis  27^  Octaven 
2            „ 

4.  Tenor  .      .      . 

5.  Bariton     .     . 

6.  Bass     .     .     . 

2 
2 

2            » 

372 


Umfang  der  Singstimme. 


Gewöhnlicher 

Aussergewöhnlicher 

Organe. 

Umfang. 

Umfang. 

Im 

Ganzen. 

7. 

Violine      .... 

g  bis  c* 

durch  das  Flageolett 
noch  höber 

4 

Octaven 

8. 

Viola 

c  bis  a^ 

4 

» 

9. 

Violoncello     .     .     . 

C  bis  «^ 

4 

M 

10. 

Contrabass     .     . 

^x  ^is  / 

27. 

» 

11. 

Piccoloflöte    .     . 

d'^  bis  «* 

274 

)> 

12. 

Flöte 

li   bis  c* 

37* 

)) 

13. 

Clarinette  in  A 

eis  bis  a^ 

bis  d' 

3^4 

)> 

in  B      . 

d    bis  &^ 

bis  e^ 

374 

5> 

in   C      . 

e    bis  c^ 

bis/^ 

374 

» 

14. 

Bassclariuette     .     . 

B  bis  &2 

3^4 

» 

15. 

Bassethorn     .     .     . 

F  bis  f 

4 

» 

16. 

Oboe 

c,  bis  r 

2^/3 

» 

17. 

Englisch  Hörn  .     . 

f  bis    c^ 

27. 

» 

18. 

Fagott       .... 

B^  bis  es^ 

374 

>> 

19. 

Contrafagott 

B^  bis  d^ 

2 

)> 

20. 

Trompete  in  G 

C    bis  y 

q  bis  c^ 

2 

» 

in  B      . 

B    bis  as^ 

5j    bis   h' 

2 

;) 

in   D      . 

B    bis  c' 

2 

)> 

u.  s.  w. 

21. 

Ventiltrompete  .     . 

e  bis  y^ 

27. 

» 

22. 

Hörn  in   C   .     .     . 

C^   bis  c^ 

272 

» 

in  J5   .     .     . 

^2  bis  h^ 

27^ 

» 

in  D  .     .     . 

B^  bis  c' 

2\'. 

» 

u.  s.  w. 

23. 

Posaunen,  Alt- 

^j^  bis  es^ 

174 

)> 

Tenor-  . 

B^   bis  &^ 

174 

» 

Bass- 

q   bis  /^ 

2'/. 

» 

24. 

Ophicleide     .      .     . 

5^   bis  c' 

374 

)» 

25. 

Basstuba  .... 

F,  bis  /i 

3 

» 

26. 

Harfe 

JSg  bis  A* 

7 

» 

27. 

Pianoforte      .     .     . 

-42  bis  a* 

7 

» 

28. 

Orgel    .     .           .     . 

C^   bis  c' 

1 

8 

Umfang  der  Singstimme,  franz.:  diapason,  ist  die  Ausdehnung  des  Stimm- 
organes  nach  Höhe  und  Tiefe.  Bei  Verwendung  im  alten  katholischen  Kirchen- 
gesange  war  den  einzelnen  Stimmgattungen  noch  ein  geringer  Umfang  ange- 
wiesen, der  sich  kaum  eine  Quint  über  die  Octave  erstreckte.  Palestrina  und 
seine  Zeitgenossen  überschritten  diese  Grenze  nicht,  so  dass  Otto  Gibelius  in 
seinem  •» Seminar imn  modulatoriae  vocalisa  vom  Jahre  1657  die  vier  Singstimmen 
folgenderweise  angeben  konnte: 


D  iscant 
Alt 
Tenor 
Bass 


/ 
e 

F 


bisr 

bis  a^ 

bis  r 

bis   c^ 


»sintemalen    heutigen 


Tages 


die  meisten  Gesänge,  so  für  Sänger  eigentlich 
gemacht  und  verordnet  geschrieben  werden,  auch  wenn  dieselben  zu  Zeiten  gar 
hoch,  als  im  Diskant  bis  ins  zweigestrichene  (/  oder  a  hinaufgehen,  wie  solches 
bei  den  neuen  Autorihus  Musicis  hin  und  wieder  genugsam  befindlich.«  Wir 
müssen  dabei  in  Erwägung  ziehen,  dass  es  im  Sopran  und  Alt  Knabenstimmen 
sind,  von  denen  hier  gesprochen  wird  und  dass  man  eine  lobenswerthe  Vorsicht 
in  Behandlung  derselben  beobachtete,  beweisen  auch  spätere  Schriftsteller. 
Wolfgang  Caspar  Printz  in  seiner  «Sing-Kunst«  1678  sagt  (pag.  21):  »Je  mehr 


Umfang  der  Siugstimme.  373 

eine  Stimme  aufsteiget  und  je  höher  sie  ist,  je  subtilei-  und  linder  soll  sie 
gesungen  werden  und  je  tiefer  eine  Stimme  wird,  je  grössere  Stärke  soll  ihr 
gegeben  werden.a  In  gleicher  "Weise  lässt  sich  M.  Johannes  Quirsfelden  im 
y>Breviarium  Musicutnvi  1717  vernehmen:  »Je  höher  der  Gesang  hinausgehet, 
mit  desto  linder  und  lieblicher  Stimme  soll  der  Knabe  singen  und  den  Mund 
nicht  deswegen  weiter  aufmachen,  oder  den  Ton  mit  vollem  Halse  herausdrücken. 
Das  allzugrosse  Mundaufsperren  verunziei't  den  Knaben  und  auch  den  Ton. 
Denn  je  weniger  der  Mund  offen,  desto  lieblicher  kann  der  Ton  im  Munde 
formiret  werden.«  Hier  sind  Regeln  gegeben,  die  auch  heute  noch  ihre  volle 
Berechtigung  haben.  Im  Granzen  mag  es  befremden,  dass,  während  die  Kirchen- 
componisten  nach  Palästrina,  wie  Seb.  Bach  und  Andere,  mit  Sopran  und  Alt 
in  Bezug  auf  Umfang  sehr  schonend  und  vorsichtig  umgehen,  sie  gleichwohl 
auf  den  Tenor  weniger  Rücksicht  nehmen  und  ihm  nicht  selten  die  schwie- 
rigsten Dinge  zumuthen.  "Wenn  wir  die  Partitur  der  Matthäus-Passion  durch- 
sehen, so  finden  wir  den  Sopran  nie  das  a^  überschreiten,  während  der  Tenor 
in  den  Chören  sowohl  als  im  Solo  des  Evangelisten  sich  in  den  gewagtesten 
Stimmregionen  bewegen  muss,  ohne,  in  den  Recitativen  namentlich,  von  irgend 
einer  Instrumentalbegleitung  unterstützt  zu  sein.  Es  ist  schwer  zu  glauben, 
dass  in  der  Umgebung  Bach's  sich  Sänger  befunden  haben,  die  ein  so  aus- 
gebildetes Falsett  besassen,  dass  sie  es  dem  Brustregister  ohne  Störung  an- 
schliessen  konnten,  wie  wir  es  heute  von  Vogel  in  München  hören.  In  Hän- 
del's  »Messias«  findet  man  derartige  "Wagnisse  dem  Tenor  nie  zugemuthet, 
obgleich  der  Componist  bedeutende  Sänger  zur  Verfügung  hatte. 

Von  dem  Moment  an,  als  der  Gesang  aus  der  Kirche  heraus  auf  die  Bühne 
trat  und  statt  von  Knaben  von  Kastraten  und  Frauen  ausgeführt  wurde,  sehen 
wir  den  Umfang  der  Stimmen  sich  um  ein  Bedeutendes  erweitern,  so  dass 
Joh.  Adam  Hiller  in  seiner  »Anweisung  zum  musikalisch  richtigen  Gesänge« 
1774  ihn  folgendermassen  angeben  konnte: 

Discant     c'   bis  c^ 

Alt  f  bis/' 

Tenor         c    bis    c^ 

Bass  F   bis  f\ 

Somit  stehen  wir  auf  dem  Boden  der  Gegenwart  und  dürfen,  um  ganz  sicher 
zu  gehen,  nur  noch  bemerken,  dass  seit  jener  Zeit  sich  die  Stimmung  um  ein 
Bedeutendes  gehoben  hat.  "Wir  finden  in  Tosi's  »Anleitung  zur  Singkunst«, 
dass  man  es  seiner  Zeit  mit  dem  Kammerton  nicht  genau  nahm  und  an  ver- 
schiedenen Orten  in  Italien  um  eine  Terz  differirte.  Als  eine  Normalstimmung 
eintrat,  entsprach  das  a^  in  Paris 

1680  unter  Lully  404  Schwingungen  in  der  Sekunde 

1774       „       Gluck  (»Iphigenia«)  410  „  „  „  „ 

1807       „       Spontini  (»Vestalin«)  420  „  „  „  „ 

1829       ,,       Rossini  (»Teil«)  430  „  „  „  „ 

Seit  1859   in  Frankreich  435  „  „  „  „ 

„         „       „   Deutschland  440  „  „  „  „ 

„         ,,       „   England  444*)          „  „  „  ,, 

"Wir  sehen  also  seit  200  Jahren  in  der  Stimmung  eine  Zunahme  von 
40  Schwingungen  in  der  Sekunde,  was  circa  einen  ganzen  Ton  ausmacht,  um 
welchen  unser  a^  höher  geworden  ist.  Dieser  Umstand  muss  wohl  in  Erwägung 
gezogen  werden,  wenn  man  uns  die  Geschichte  von  dem  unerhörten  Umfange  der 
Kastratenstimmen,  wie  Farinelli,  erzählt,  oder  man  erstaunen  wollte,  dass  Mozart 
die  Arie  der  Königin  der  Nacht  bis  ins  /'^  hinaufgehen  lässt;  dagegen  wird 
man  mehr  verwundert  sein  dürfen,  wenn  diese  Arie  noch  heute  in  derselben 
Tonart  gesungen  wird.  Unser  Jahrhundert  steht  also  gegen  die  alte  Zeit,  was 
den  Stimmenumfang    nach    der   Höhe    betrifft,    um    Nichts    zurück.     Die    wohl- 

*)    Ernst  Mach,  „Einleitung  in  die  Helmholtz'sche  Musiktheorie"- 


374  Umfang  der  Singstimme. 

klingende  Tiefe  nur  zeigt  sich  auf  der  Bühne  seltener,  weil  sie  von  den  neuesten 
Operncomponisten  nicht  mehr  begünstigt  wird.  Daher  kommt  es,  dass  Sänger 
für  die  Partie  des  Osmin  in  Mozai't's  »Entführung«  schwer  zu  finden  sind,  weil 
bei  ihnen  das  häufige  Singen  in  hohen  Lagen  die  tiefen  Töne  der  grossen 
Octave  beeinträchtigt  und  nicht  mehr  ansprechen  lässt.  In  der  kaiserlichen 
Kapelle  zu  Petersburg  giebt  es  Bassisten,  die  bis  in  die  Contra-Octave  herab- 
gehen, und  Schreiber  dieses  weiss  aus  eigenem  Anhören  von  einem  derselben 
zu  berichten,  der  das  Contra- (r  als  Octave  im  Schlussaccord  angeben  konnte. 
Ungewöhnlicbe  Entwickelung  von  Kehlkopf  und  Mundhöhle  können  in  seltenen 
Fällen  solche  Abnormitäten  hervorbringen,  doch  dürften  diese  Fälle  zu  selten 
sein,  als  dass  man  darauf  die  Theorie  eines  Contrabassregisters  stützen  könnte, 
wie  Grarcia  in  seiner  Singschule  es  versucht,  um  so  weniger,  da  diese  Töne 
mehr  den  Eff'ekt  eines  dumpfen  Geräusches  als  eines  wirklichen  Tones  machen, 
j\Iehr  Berechtigung  haben  dagegen  die  spanischen  Falsettisten  der  päj)stlichen 
Kapelle,  denn  weiche,  schmiegsame  Stimmbänder  werden  sich  selbst  beim  Manne 
in  Soprantöne  versteigen,  wenn  sie  in  günstigem  Klima  vor  schädlichen  Ein- 
flüssen bewahrt  bleiben.  Im  Jahre  1839  hatte  Job.  Strauss  in  "Wien  in  seiner 
Kapelle  einen  Mann  (einen  Deutschen),  der  zwischen  den  Orchestervorträgen 
Sopran- Arien,  wie:  y>Una  voce  poco  faa.  und  andere  mit  recht  schönem  Sopran- 
tone und  grosser  Geläufigkeit  vortrug;  gleichwohl  werden  wir  uns  nicht  ver- 
anlasst fühlen,  in  den  Männerstimmen  ein  Sopranregister  nachzuweisen. 

"Wir  gelangen  zu  der  Frage:  Welchen  Umfang  soll  eine  Stimme  haben 
und  was  ist  dabei  die  Aufgabe  der  Gesangschule?  Jede  Stimme,  welcher  Gat- 
tung sie  angehören  mag,  muss  aus  einem  gewissen  Kernpunkte  herausgebildet 
sein,  muss  also  in  einer  gewissen  Region  ihre  Stütze  haben,  aus  der  sie  strahlen- 
artig nach  Höhe  und  Tiefe  vorgeht  und  sich  ausbreitet.  Diesen  Punkt  zu 
erkennen,  ist  die  Aufgabe  des  Lehrers,  der  sich  über  die  Stimmgattung  des 
Schülers  Gewissheit  zu  verschaffen  sucht  und  bei  der  "Weiter entwickelunsr  alle 
jene  Vortheile  und  Erfahrungen  zu  Eathe  zieht,  die  die  Gesangstheorie  bis 
heute  gewonnen  hat.  "Wir  finden  in  jeder  Stimmart  eine  Octave,  die  vom 
angehenden  Sänger  fast  mühelos  hervorgebracht  wird,  nämlich: 

beim  Bass  von  c  bis  e^ 
„  Tenor  „  /  ,,  /^ 
„       Alt  „     c^   ,,     c^ 

_  „       Sopran^    ,,    f  „   f\ 

Hat  das  Oi-gan  in  dieser  Region  Sicherheit  erlangt,  dann  darf  die  Stimme 
stufenweise  nach  Höhe  und  Tiefe  weiterscbreiten.  Es  ist  eine  alte  Erfahrung, 
die  uns  lehrt,  dass  der  Falsettcharakter  der  hohen  Register  nur  dann  zur  An- 
sprache kommt,  wenn  die  Bruststimme  sich  zur  Basis  entwickelt  hat,  mit  andern 
"Worten:  dass  die  Randschwingungen  der  Stimmbänder  nur  dann  in  Thätigkeit 
treten,  wenn  die  Bänder  in  ihrer  Breitenschwingung  möglichst  ausgebildet  sind, 
gleichwie  der  Violinspieler  seine  Saiten  »auszuspielen«  sucht,  damit  die  Flageolett- 
töne sicher  ansprechen.  Hat  der  Sopran  oder  Tenor  erst  den  Falsettton  gefun- 
den, was  nicht  immer  leicht  gelingt,  dann  wird  es  ihm  möglich,  durch  denselben 
die  Kopfstimme  (s.  d.)  herzustellen  und  die  hohe  Lage  seiner  Stimme  mit 
voix  mixte  und  Falsett  gemeinschaftlich  ohne  Anstrengung  zu  bilden  und  zu 
bewahren.  Auch  die  Tiefe  der  Bass-  und  Altstimmen  unterliegt  dem  Gesetz 
des  stetigen  Fortschreitens  aus  dem  Centralpunkt  nach  der  Peripherie,  wobei 
nur  ein  besonderes  Augenmerk  auf  das  Volumen  des  Tones  zu  richten  ist. 
Auf  diesem  "Wege  wird  es  fast  jeder  Stimme  möglich,  einen  Umfang  von  zwei 
Octaven  zu  erreichen.  Wir  sehen  aber  viele  Organe  an  dem  FehlgriflP  zu  Grunde 
gehen,  dass  der  Sänger  hohe  Töne  durch  angestrengtes  Ueben  und  Arbeiten 
im  Schweisse  des  Angesichts  erzwingen  will.  Dieser  Missgrifi"  muss  immer  den 
Ruin  herbeiführen,  weil  der  zarte  Tonmechanisraus,  wenn  er  vorsichtig  behan- 
delt wird,  sich  wohl  Manches  abgewinnen.  Nichts  aber  mit  roher  Gewalt  ab- 
zwingen   lässt.     Ohne    dass    man    sie  durch  eine  Notenscala  anschaulich  macht, 


Umgekehrt  —  Umkelirung  der  Accorde. 


375 


wird  der  Sänger  die  Grenze  im  Umfange  seiner  Stimme  dort  erkennen,  wo  die 
Schönheit  sie  gezogen  hat,  denn  nicht  die  Quantität,  sondern  die  Qua- 
lität des  Tones  ist  das  Schiboleth  des  Gresangkünstlers. 

Umgekehrt  (von  hinten  nach  vorn),  River  so,  Rovescio,  vom  umgekehrten 
Notenblatt  spielen,  Rivoltato.  Es  gehörte  im  17.  und  noch  im  vorigen  Jahr- 
hundert zu  den  Lieblingspielereien  der  Contrapunktisten  solche  Sätze  zu  er- 
finden, die  dadurch  zweistimmig  wurden,  dass  die  eine  Stimme  den  betrefi'enden 
Satz  vom  Anfange  und  die  andere  gleichzeitig  vom  Ende  ausgehend  rückwärts 
ausführte,  oder  dass  die  eine  vom  geraden,  die  andere  vom  umgekehrt  stehenden 
Notenblatt  spielte. 

Unikehrung.  Das  "Wort  wird  in  mehrfacher  Bedeutung  in  der  Theorie 
angewendet.     Die 

Umkehrnug  der  Accorde  erfolgt  dadurch,  dass  ein  anderes  Intervall  als 
der  Grundton  in  den  Bass  tritt.  Der  Dreiklang  hat  demnach  zwei,  der 
Septimenaccord  drei  solcher  Umkehrungen;  bei  der  ersten  tritt  anstatt  des 
Grundtons  die  Terz  in  den  Bass  a),  bei  der  zweiten  die  Quint  b): 

a)  i'Ät..    b) 


P 


_«5_ 


^ 

6  o 

4  4 

Der  Accord  hört  dadurch  nicht  auf  Dreiklang  zu  sein,  aber  er  erhält  in 
jedem  Falle  einen  besondern  Namen,  weil  es  nunmehr  geboten  erscheint,  die 
Intervalle  nach  dem  neuen  Grundton  zu  messen;  h  ist  in  der  ersten  Umkehrung 
nicht  mehr  Terz,  sondern  der  neue  Grundton;  g  nicht  mehr  Grundton,  sondern 
Sext  des  neuen  Grundtons,  darnach  bezeichnet  man  diese  erste  Umkehrung 
des  Dreiklangs  nicht  als  Terz -Sext-,  sondern  nur  als  Sextaccord.  Die 
zweite  heisst  Quartsextaccord,  bei  diesem  ist  d  der  neue  Grundton  und 
von  ihm  aus  ist  g  die  Quart  und  h  die  Sext.  Der  Septimenaccord  hat  drei 
zu  versetzende  Intervalle,  die  Terz,  die  Quint  und  die  Septime,  von  denen 
jedes  im  Bass  stehen  kann,  mithin  hat  dieser  Accord  drei 

I.        II.      m. 


Umkehrungen: 


-^ ^ ^ 

-& ^ ^ 

-^ ^ ^ 


C5- 

4 


Die  erste  Umkehrung  ergiebt  den  Quintsextaccord,  die  beiden  wich- 
tigsten Intervalle  ausser  der  im  Bass  stehenden  Terz,  der  Grundton  und  die 
«Septime  stehen  jetzt  zu  dem  neuen  Grundton  im  Verhältniss  der  Quint  und 
der  Sext;  die  zweite  Umkehrung  heisst  demnach  der  Terzquartsext- 
oder  auch  nur  Terzquartaccord  und  die  dritte  der  Secundquartsext-  oder 
auch  nur  Secundaccord.     Im  Uebrigen  erliegen    auch  die  Umkehrungen  den 


allgemeinen    Regeln    über 


Auflösung 


und 


Vorbereitung 


wie  der  Grundaccord: 


oder 


.4 
3 


:§; 


Selbstverständlich  sind  auch  die  beiden  Nonenaccorde  in  dieser  Weise  um- 
zukehren; allein  da  bei  der  Versetzung  der  Intervalle  aus  None  und  Septime 
Secunden  werden,  so  treten  diese  in  einzelnen  solchen  Umkehrungen  so  nahe 
aneinander,  dass  sie  zu  wirklichen  Uebelklängen  werden.  Die  Umkehrung 
des  Nonenaccords  in  dieser  "Weise  bei  b): 


a) 


^- 


b) 


376 


Urakelirung  der  Intervalle  —  Umkehr  ungsformen. 


stellt  die  dissonirenden  Intervalle  so  dicht  zusammen,  dass  sie  sich  gegenseitig 
geradezu  stören  und  widerwärtig  klingen.  Diese  Versetzungen  können  nur  in 
der  weiten  Lage  eingeführt  werden: 

^-^     ^^-     ^-^- 


i^- 


l>7 
6 
5 


1t7 
6 
5 


6 
i 


Auch    diese  TJmkehrungen    unterliegen    den    Bestimmungen  über  die  Auflösung 
des  Nonenaccordes: 


Die 

Umkehrnng  der  Intervalle  beruht  auf  der  verschiedenen  Messung  derselben 
von  einem  Grundton  aus  nach  oben  oder  nach  unten.  Von  c  aus  gemessen 
ist  d  oberhalb  die  Secunde,  unterhalb  aber  die  Septime;  e  oberhalb  c 
ist  die  Terz,  unterhalb  die  Sexte; /"  oberhalb  c  ist  die  Quarte,  unter- 
halb die  Quinte;  g  ist  oberhalb  c  eine  Quinte,  unterhalb  eine  Quart; 
a  oberhalb  c  die  Sext,  unterhalb  die  Terz;  k  oberhalb  die  Septime, 
unterhalb  die  Secunde  und  c  oberhalb  die  Octave,  unterhalb  die 
Secunde: 

Prime.  Secunde.    Terz.      Quart.     Quint.      Sext.  Septime.  Octave. 


i 


m 


Terz.     Secunde.  Prime. 


Octave.  Septime.     Sext,      Quint.     Quart. 

Hieraus  ist  ersichtlich,  dass  bei  der  TJmkehrung  der  Intervalle  die  Prime 
zur  Unteroctave,  die  Obersecunde  zur  Unterseptime,  die  Oberterz 
zur  Untersext,  die  Oberquart  zur  Unterquint,  die  Oberquint  zur 
TJnterquart,  die  Obersext  zur  Unterterz,  die  Oberseptime  zur  TJnter- 
secunde  und  die  Oberoctave  zur  Prime  wird.  Die  einfachere  Formel 
heisst:  die  Prime  wird  bei  der  Umkehrung  zur  Octave,  die  Terz  zur 
Sext,  die  Quart  zur  Quint  und  umgekehrt.  Auf  dieser  Anschauung 
beruhen  die 

TJmkehrnngsformen,  d.  h.  diejenigen  Formen,  bei  welchen  eine  oder  die 
andere  Stimme  oder  auch  alle  in  die  höhere  oder  tiefere  Octave  versetzt  werden 
können,  ohne  die  harmonische  Wirkung  zu  stören.  Hierbei  müssen  diese  oben 
dargelegten  Intervallenverhältnisse  genau  berücksichtigt  werden,  und  Stimmen, 
die  nach  diesen  Gresichtspunkten  der  möglichen  Umkehrung  ausgeführt  sind, 
heissen  im  künstlichen,  dem  doppelten,  drei-  und  vierfachen  Contra- 
punkt, die,  bei  denen  eine  solche  Versetzung  nicht  stattfinden  kann,  ohne  den 
"Wohlklang  zu  trüben,  dagegen  im  einfachen  Contrapunkt  erfunden.  Aus 
dem  oben  aufgestellten  Schema,  das  sich  in  Zahlen  so  darstellt: 

1.  2.  3.  4.  5.  6.  7.  8. 

8.  7.  6.  5.  4.  3.  2.  1. 
ergiebt  sich:   dass  bei  der  Umkehrung  in  der  Octave  aUe  Consonanzen  auch 
Consonanzen  bleiben  mit  Ausnahme  der  Quint, 
alle    Dissonanzen    auch    in    der    Umkehrung 


die  zur  Quart  wird;    und   dass 
Dissonanzen  bleiben,   mit  Aus- 


nahme der  Quart,  die  zur  Quint,  also  zu  einer  Consonanz  wird.    Der  doppelte 


Umkelirungsformen. 


377 


Contrapunkt  der  Octave  erweist  sich  also  als  sehr  günstig,  da  er  nur 
wenig  Beschränkung  auferlegt ;  eigentlich  nur  erfordert,  den  zweistimmigen  Satz 
auf  die  Terz,  Sext  und  Octave  zu  hasiren  und  die  Quint,  Quart,  Se- 
cunde  und  Septime  nur  im  regelmässigen  Durchgange  anzuwenden.  Ein 
nach  der  Octave  zu  versetzender  Satz  darf  aber  nicht  in  der  Quart  beginnen 
und  er  muss  sie  auch  auf  dem  Haupttacttheil  vermeiden,  da  in  der  Versetzung 
leere  Quarten  entstehen,  die  beim  zweistimmigen  Satze  nur  als  Durchgang  an- 
zuwenden sind,  daher  darf  auch  die  Quint  nur  in  dieser  Weise  eingeführt  werden: 

a)     Contrapunkt.        b) 


Umkehrunc'. 


Umkehruno'. 


Ebenso  ist  sie  durch  Bindung  einzuführen: 


1 


Cantus  firmus. 


E 


^S 


-*-4 


Umkehrung. 

Die  sogenannte  falsche  Quint  muss  regelmässig  vorbereitet  werden;  dass  aber 
die  Stimmen  im  Einklänge  und  in  der  Octave  nur  in  der  Gegenbewegung  zu- 
sammentreffen und  ausser  am  Anfange  und  am  Ende  nur  äusserst  selten  anzu- 
wenden sind,  ist  schon  beim  einfachen  Contrapunkt  Gresetz  und  gilt  natürlich 
beim  doppelten  der  Octave  in  noch  erhöhtem  Maasse.  Die  entsprechende  prak--- 
tische  Anwendung  findet  dieser  Contrapunkt  der  Octave  zunächst  bei  der 
Doppel  fuge;  diese  wird  bekanntlich  aus  zwei  Themen  entwickelt  und  diese 
contrapunktiren  sich  zugleich  gegenseitig  so,  dass  jede  als  Ober-  und  Unterstimme 
der  andern  auftreten  kann,  dass  sie  also  umgekehrt  werden  können,  im  doppelten 
Contrapunkt  der  Octave  erfunden  sind,  wie  dies  z.  B.  an  der  ersten  Doppelfuge 
des  Mozart'schen  Requiems  zu  ersehen  ist: 

I.  2.  Alt. 


Christe  e  -  le 


^S^^^§3 


1.  Bass. 


Ky-ri-e    e  -  le     -     i-  son, 
n.    1.  Alt. 


Christe  e  -  le 


378 


Umkelirungsformen. 


Beim  Beginn  der  Doppelfuge  führt  der  Bass,  wie  hier  angegeben  ist,  das 
erste  Thema  ein,  der  Alt  das  zweite  und  schon  bei  der  unmittelbar  anschliessen- 
den Antwort  werden  die  Stimmen  umgekehrt,  indem  das  erste  Thema  zur  Ober- 
stimme wird,  vom  Sopran  eingeführt,  während  das  zweite  als  TJnterstimme  auf- 
tritt, vom  Tenor  eingeführt,  wie  hier  mit  Hinweglassung  der  Gegenharmonie 
gezeigt  ist: 

Sopran. 

Ky-ri  -  e     e  -  le      -     i  -  son,  e  -  le        -        -        -        -        -        ■ 


?«i 


;p£S 


y      k/      • 


I   I   I  I 


*-•-*  1-»-» 


--^t^' ' 


Tenor.      Christa  e  -  le 

Darauf  erst  werden  die  beiden  Führer  in  der  Weise  eingeführt,  wie  im  vorigen 
Beispiel  angegeben  ist;  der  Bass  das  zweite  Thema,  wodurch  die  ümkehrung 
beider  bedingt  ist:  in  der  hierauf  folgenden  Antwort  erscheint  wieder  die  erste 
Antwort  hier  in  der  Umkehrung,  indem  jetzt  der  Tenor  das  erste,  der  Sopran 
das  zweite  Thema  bringt: 

Sopran.     Christa  e  -  le        - 


^^•^feiS 


J5- 


Tenor."      '        "l  ^     '  ^     '  ^       ^-=    ' = 

Ky-ri  -  e     e  -  le      -      i  -  son,  e  -  le         -        -        - 

"Weil  hier  beide  Stimmen  sich  weiter  als  eine  Octave  von  einander  entfernen, 
müssen  sie  beide  umgekehrt,  beide  um  eine  Octave  versetzt  werden,  damit 
sie  sich  nicht  kreuzen: 

a)    Cantus  firmüs 


\ 


Sa^E^^^S^^i^ 


b)     Cantus  firmus  in  der  tiefern  Octave. 


^^35 


:t 


:|= 


In  dem  vorstehenden  Beispiel,  die  erste  Zeile  des  Chorals:  »Yom  Himmel 
hoch  da  komm  ich  her«  ist  die  contrapunktirende  Stimme  im  doppelten 
Contrapunkt  der  Octave  erfunden,  so  dass  die  Stimmen  also  umgekehrt  werden 
können  und  da  sie  sich  im  Umfange  einer  Octave  gegen  einander  halten,  so 
braucht  immer  nur  eine  Stimme  versetzt  zu  werden;  bei  b)  tritt  die  Melodie 
eine  Octave  tiefer  in  den  Bass,  während  der  Contrapunkt  unversetzt  bleibt  und 
zur  Oberstimme  wird;  bei  c)  ist  dann  die  Melodie  in  ihrer  Lage  geblieben, 
der  Contrapunkt  um  eine  Octave  höher  versetzt.  "Weiterhin  können  zwei- 
stimmige Sätze  so  eingerichtet  werden,  dass  sie  sich  auch  in  andern  Intervallen 
umkehren  lassen,  so  entsteht  die  Umkehrung  in  der 

None  (statt  Secunde), 

Decime  (statt  Terz), 

Undecime  (statt  Quart), 


Umkehrungsformen. 


379 


Duodecime  (statt  Quint), 

Terzdecime  (statt  Sext), 

Quartdecime  (statt  Septime). 
Es  ist  leicht  einzusehen,  dass  durch  diese  TJmkehrungen  das  Intervallenverhältniss 
der  unversetzten  Melodie  die  Lage  der  Halb-  und  Granzstufen    verändert  wird; 
was  nur  an  zwei  solchen  Umkehr ungen  hier  nachgewiesen  werden  soll: 


Versetzung  nach  der  None. 


Tonleiter. 


Nach  der  Decime. 


V3 


V2 


V3 


V2 


^ 


-^ 


1 


V2 


_C5-. 


Es  ist  daher  selbstverständlich,  dass  bei  feststehenden  Melodien,  die  nicht 
verändert  werden  sollen,  man  nur  den  Contrapunkt  umkehren  kann,  und  nicht 
auch  die  Melodie,  wenn  man  nicht  durch  Einführung  der  Versetzungszeichen 
die  ursprünglichen  Intervallenverhältnisse  derselben  herstellen  will.  Von  den 
hier  erwähnten  Arten  des  doppelten  Contrapunkts  sind  nur  die  der  Decime 
und  der  Duodecime  noch  recht  wohl  und  zweckmässig  im  Kunstwerk  zu  ver- 
wenden. Die  Veränderung  der  Intervalle  bei  der  Vei'setzung  nach  der  Decime 
zeigt  folgendes  Zahlenschema: 

10.  9.  8.  7.  6.  5.  4.  3.  2.  1. 
1.  2.  3.  4.  5.  6.  7.  8.  9.  10. 
Man  ersieht  daraus,  dass  aus  der  Prime  bei  der  Umkehrung  eine  Decime  und 
umgekehrt  aus  dieser  eine  Prime,  dass  aus  der  Secunde  eine  None  und  umge- 
kehrt aus  der  None  eine  Secunde  wird  u.  s.  w.  Daraus  ergeben  sich,  wie  beim 
doppelten  Contrapunkt  der  Octave,  die  entsprechenden  Eegeln  für  die  Behand- 
lung der  Intervalle.  Auch  hier  bleiben  die  Consonanzen  auch  in  der  Umkehrung 
Consonanzen,  ebenso  wie  die  Dissonanzen  auch  in  der  Umkehrung  Dissonanzen 
ergeben.  Aber  die  Terz  wird  zur  Octave,  die  Sext  zur  Quint  und  die 
Decime  zum  Einklang;  die  Folge  dieser  Intervalle  giebt  dementsprechend 
bei  der  Verfolgung  der  einen  Stimme  selbstverständlich  Quinten-  und  Octaven- 
folgen  und  Einklänge,  die  nicht  erlaubt  sind;  beim  doppelten  Contrapunkt 
der  Decime  müssen  deshalb  Terzen-  und  Sextenfolgen,  die  im  einfachen 
Contrapunkt  gestattet  sind,  vermieden  werden,  weil  sie  bei  der  Umkehrung 
verbotene  Fortschreitungen  ergeben.  Beim  doppelten  Contrapunkt  der 
Decime  müssen  daher  die  Terz  und  Sext  so  behandelt  werden,  wie  beim  ein- 
fachen der  Octave  und  Quint,  d.  h.  sie  dürfen  nur  in  der  Gegenbewegung  ein- 
geführt werden,  wie  überhaupt  bei  diesem  Contrapunkt  die  Gegenbewegung 
durchaus  geboten  ist.  Die  Secunde  wird  als  Unterstimme  eingeführt  und  in 
die  untere  Terz  aufgelöst;  sie  ergiebt  bei  der  Umkehrung  die  None  mit  ent- 
sprechender Auflösung  in  die   Octave: 

ümkehrungen. 


-c^— t— g)- 


-^=ä- 


Die  Quart  wird  in  der  untern  Stimme  gebunden  und  sowohl  in  die  Quint: 


f 


Umkehrungen. 


löi 


-■&- 


ist 


_C5_ 


380 


Umkehrungsformen. 


wie  in  die  Sexte  aufgelöst: 


-si- 


J-hJ-^ 


Umkelirungeii. 


-g^- 


■-g^- 


P       -is- 


-c^- 


-ö- 


— H o— t— «=- 


-c^- 


r" 


Die    Septime    wird    in    der   Oberstimme  gebunden  und  in  beiden   Stimmen  in 

die  Quint  aufgelöst: 

Umkehrangen. 


-^- 


-J- 


-<=^ 


:^: 


i=s~ 


Endlich  ist  auch  die  Einführung  der  None  zulässig 
^^  ,  Umkehrung, 


•     -•- 


b) 


Umkehrungen. 

I 


m 


1       1    I       r — r  1^     f-      '■ — ■■    I       r 

Bei  diesen  Beispielen  ist  schon  mehr  auf  eine  dritte  Füllstimme  gerechnet. 
Der  selbständige  Gebrauch  solcher  zweistimmiger  Sätze  ist  natürlich  ausser- 
ordentlich beschränkt  und  dürfte  selten  geboten  sein,  allein  im  weiter  ausge- 
führten Kunstwerk,  mit  den  andern  Mächten  musikalischer  Darstellung  ver- 
einigt, ist  er  recht  wohl  geeignet,  diesem  eine  einheitlich  kunstvolle  und  doch 
äusserst  mannichfaltige  Grestaltung  zu  geben.  So  lässt  sich  ein  nach  diesem 
Contrapunkt  erfundener  Satz  leicht  dreistimmig  machen,  weil  die  Umkehrung 
eine  passende  dritte  Stimme  ergiebt.  Wie  wenig  selbständig  dieser  Contra- 
punkt zu  verwenden  ist,  geht  auch  daraus  hervor,  dass  nur  wenig  Ganz-  oder 
Halbschlüsse  in  der  Umkehrung  auch  als  solche  erscheinen,  wie  aus  den  folgen- 
den Beispielen  zu  ersehen  ist: 


Umkehrung  des  Contrapunkts. 

Der  doppelte  Contrapunkt  der  Quint  oder  Duodecime  ist  nicht  weniger 
brauchbar,  wie  der  der  Octave.  Das  Schema  für  die  Umkehrung  gewinnen  wir 
natürlich  in  derselben  Weise  wie  bei  den  vorherbesprocheuen: 

12.  11.  10.  9.  8.  7.  6.  5.  4.  3.  2.  1. 
1.  2.  3.  4.  5.  6.  7.  8.  9.  10.  11.  12. 
Man  ersieht  hieraus,  dass  alle  Consonanzen  auch  bei  der  Umkehrung  Conso- 
nanzen  bleiben,  mit  Ausnahme  der  Sext,  die  zur  Dissonanz  wird;  demnach  ist 
nur  diese  vorzubereiten,  da  sie  zur  Septime  wird.  Die  Einfährung  der  Sext 
muss  sich  nach  der  Behandlung  der  Septime  richten,  wenn  der  Satz  sich  um- 
kehren lassen  soll.    Wir  geben  in  der  untern  Zeile  die  Vorbereitung  und  Auf- 


Umkehrungsformen. 


381 


lösnng    der    Septime    und    in    der    obern    die    dadurch    bedingte  der  Sext  im 
doppelten  Contrapunkt: 


m 


= — s- 


g3 


-^ ^_ 


_^.. 


-^ 1 


C.  f. 


:I^__^__ö: 


^ — sa — ^ — \\ — irs_ 
TJmkehruno', 


-^ s^ — &- 


Die  Septime  lässt  aber  auch  noch  eine  freiere  Behandlung  zu,  die  natürlich 
auch,  wie  die  der  Sext  beim  doppelten  Contraj)unkt,  der  Decime  zu  Gute  kommt. 
Die  andern  Septimen  sind  darnach  leicht  zu  behandeln: 


==--C3 — O- 


^^T-.^-®: 


-/p.- 


C.  f. 


=*'  =  .«.  •■■ 


-^^_£=!_ 


i 


Umkehrung  des  Contrapunkts. 

Auch  die  freiere  Behandlung  der  Septime  als  frei  eintretende  Dissonanz  und 
als  Durchgang  kommt  natürlich  hier  dem  doppelten  Contrapunkt  der  Duo- 
decime  zu  Gute: 


~rf g- 


=t 


-.^äz 


C.  f. 


:§^=== 


-S=2 &- 


ISZ 


Umkehrung  des  Contrapunkts, 
Diesem  Verfahren  entspricht  auch  die  Einführung  der  Septime: 


:=t 


^- 


^EE^3 


"55- 


C.  f. 


-Ä:^ 


S^ 


-^- 


;^c 


-?=^ 


:|= 


m 


:t 


-c^- 


:t 


Umkehrung  des  Contrapunkts. 
Ihre  Vorbereitung  erfolgt  bequemer  noch  durch  die  Octave: 


Umkehrungeu. 


-!=5- 


: fii- 


^- 


'!        I 


C.  f. 


Die    Quarte    und    die    Secunde    werden    in  üblicher  "Weise  durch  die  Terz, 
Quinte  oder  Octave  vorbereitet  und  in  die  Terz  aufgelösst: 


C.  f. 


1 


W 


I  1       I       I 


I 


mmi^^m 


ji 


•  -•-  — 


Umk.  d.  C.  f. 


Umk.  d.  Contrapunkts. 


iE 


^=^1 


382  Umkehrungsformen, 

Wie  bereits  erwähnt  -worden  ist,  hat  nur  der  doppelte  Contrapunkt  in  der 
Octave  selbständige  Bedeutung.  Die  andern  beiden:  der  doppelte  Contrapunkt 
der  Decime  und  der  Duodecime  dagegen  werden  erst  im  grössern  und  weiter 
ausgeführten  Kunstwerk,  als  einzelne  Theile  desselben,  bedeutungsvoll.  Nur 
deshalb  legen  die  Meister  desselben  sich  alle  die  Beschränkungen  in  Bezug  auf 
melodische  Entfaltung  auf,  weil  für  die  specielle  Construktion  eines  Kunstwerks 
daraus  Yortheile  erwachsen.  Nicht  dasselbe  gilt  von  den  künstlichen  Contra- 
punkten der  andern  Intervalle,  die  mehr  herausgeklügelt,  als  durch  die  künstle- 
risch gestaltende  Hand  des  schaffenden  Genius  erzeugt  sind.  Der  doppelte 
Contrapunkt  der  None  (oder  Secunde)  verwandelt,  wie  nachstehendes  Zahlen- 
schema zeigt: 

9.  8.  7.  6.  5.  4.  3.  2.  1. 

1.  2.  3.  4.  5.  6.  7.  8.  9. 

bei  der  Umkehrung  die  Consonanzen  in  Dissonanzen  und  umgekehi't;  nur  die 
Quint  bleibt  unverändert,  weshalb  dieser  Contrapunkt  sich  nur  auf  dies  Inter- 
vall stützen  kann.  Dies  muss  None  und  Septime  vorbereiten  und  auflösen, 
■wie  es  ebenso  als  Vorbereitung  der  Octave  dienen  muss.  Ist  demnach  schon 
die  Abfassung  dieses  Contrapunkts  bis  zur  Dürftigkeit  beschränkt,  so  dürfte 
seine  Verwendung  auch  nirgends  im  Kunstwerk  geboten  sein.  Dasselbe  gilt 
von  dem  dopjjelten  Contrapunkt  der  Undecime  (oder  Quarte)  aus  dessen 
Zahlenschema: 

11.  10.  9.  8.  7.  6.  5.  4.  3.     2.     1. 
1.     2.  3.  4.  5.   6.  7.  8.  9.  10.  11. 

man  ersieht,  dass  nur  die  Sext  Consonanz  bleibt,  wieder  zur  Sext  wird,  wie 
vom  doppelten  Contrapunkt  der  Terzdecime   (oder  Sext),    dessen  Zahlenschema: 

13.   12.  11.  10.  9.  8.  7.  6.  5.     4.     3.     2.'  1. 
1.     2.     3.     4.  5.  6.  7.  8.  9.  10.  11.  12.  13. 

zwar  mehrere  unveränderte  Consonanzen  zeigt,  die  1  die  zur  13,  die  8  die  zur 
6,  die  6  die  zur  8  und  die  13  die  zur  1  wird,  allein  die  8  ist  nur  eine 
Wiederholung  der  1  und  die  13  eine  Wiederholung  der  6,  so  dass  auch  für 
diesen  Contrapunkt  nur  Einklang  und  Sext  als  die,  die  andern  vorbereitenden 
Intervalle  erscheinen,  er  ist  demnach  nicht  weniger  düi'ftig  als  die  andern  und 
wie  der  doppelte  Contrai^unkt  der  Septime  (oder  Decima  Quarta),  obwohl  auch 
er,  wie  das  Zahlenschema  zeigt: 


14.  13.  12.  11.  10.  9.  8.  7.  6.     5. 

4.     3.     2.     1. 

1.     2.     3.     4.     5.  6.  7.  8.  9.  10. 

11.  12.  13.  14. 

oder: 

7.  6.  5.  4.  3.  2.  1. 

1.  2.  3.  4.  5.  6.   7. 

zwei  Consonanzen  in  der  Umkehrung  als  Consonanzen  bestehen  lässt;  die  3 
wird  zur  5,  deren  häufige  Wiederkehr  den  zweistimmigen  Contrapunkt  ziemlich 
ungeniessbar  werden  lässt.  Ein  dreistimmiger  Satz,  dessen  Stimmen  in  der 
Octave  umkehrungsfähig  sind,  heisst  im  dreifachen  Contrapunkt  der  Octave 
erfunden.  Ein  solcher  Satz  erlaubt  nach  folgendem  Schema  im  Ganzen  sechs 
verschiedene  Darstellungen: 

I.     1.     2.     3. 
IL     3.     1.     2. 

III.  2.     3.     1. 

IV.  1.     3.     2. 
V.     2.     1.     3. 

VI.     3.     2.     1. 

Die  alte  Lehre  bezeichnet  die  erste  als  Haupt-,  die  andern  als  Nebenversetzuugen. 
Nur    in    der    ersten    (oben    zweiten)    Versetzung    müssen    alle    Stimmen  versetzt 


Umkehrungsformen. 


383 


werden;  iu  den  übrigen  nur  eine,  wührend  die  andern  beiden  mit  einander 
wechseln  oder,  wie  in  den  letzten  drei,  die  eine  Stimme  unverändert  bleibt. 
Lassen  die  Stimmen  nocb  Versetzungen  in  verschiedene  Intervalle  zu,  so  sind 
sie  im  vielgestaltigen  (polymorphischen)  Contrapunkt  erfunden.  Ein 
vierstimmiger  Satz,  bei  welchem  die  Stimmen  so  erfunden  sind,  dass  sie 
versetzt  werden  können,  ist  im  vierfachen  (auch  vierdoppelt  genannten)  Contra- 
punkt abgefasst.  Vom  vierfachen  Contrapunkt  der  Octave  gilt,  wie  vom  drei- 
fachen, was  wir  vom  doppelten  überhaupt  angegeben  haben.  Neben  Consonanzen 
können  auch  Dissonanzen  eingeführt  werden,  wenn  sie  in  der  Umkehrung  keine 
fehlerhaften  Fortschreitungen  ergeben.  Quarten  sind  daher  zu  vermeiden,  da 
sie  in  der  Versetzung  zu  Quinten  werden  und  die  Quint  muss  vorsichtig  ein- 
geführt werden,  da  sie  in  der  Umkehrung  zur  Quart  wird,  welche  der  Vorbe- 
r-^itung  und  Auflösung  bedarf.  Ein  nach  diesen  Grrundsätzen  ausgearbeiteter 
Satz  lässt  dann   24  Versetzungen  zu: 


I. 

IL 

III. 

IV. 

V. 

VI. 

VII. 

VIII. 

IX. 

X. 

XL 

XII, 

1 

4 

O 

2 

3 

2 

3 

2 

1 

1 

1 

2 

2 

1 

4 

3 

1 

3 

2 

1 

3 

2 

4 

4 

3 

2 

2 

4 

2 

1 

1 

3 

2 

4 

2 

1 

4 

3 

1 

1 

4 

4 

4 

3 

4 

3 

3 

3 

XIII.  XIV.  XV.  XVI.  XVIL  XVIII.  XIX.  XX.  XXI.  XXII.  XXIIL  XXIV. 

4231144244  3  3 

21143  13432  4  2 

14434  31323  2  4 

33222  22111  1  1. 

Die  ersten  vier  heissen  wieder  Hau ptver Setzungen,  weil  sämmtliche  Stim- 
men versetzt  sind;  bei  den  nächsten  fünf  bleibt  die  vierte,  dann  die  dritte, 
dann  die  zweite  und  bei  der  letzten  fünf  die  erste  Stimme  unversetzt.  Erwähnt 
sei  noch,  dass  einzelne  Theoretiker,  wie  Albrechtsberger  in  seiner  »An- 
weisung zur  Composition«  (Leipzig,  dritte  Auflage)  unter  Umkehrung 
die  melodische  Veränderung  des  Themas  versteht,  die  wir  mit  Gegenbewegung 
oder  Verkehr ung  bezeichnen,  nach  welcher  jedes  aufwärtsgehende  Intervall 
in  ein  abwärtsgehendes  und  ebenso  jedes  absteigende  in  ein  aufsteigendes  ver- 
ändert wird.  Die  Umkehr  ung  der  Stimmen  beim  künstlichen  Contrapuukt 
aber  bezeichnet  A11)rechtsberger  dem  entsprechend  mit  Umkehr  ung.  Die  auf 
dieser  Weise  der  Umkehrung  der  Stimmen  beruhenden  Umkehrungs formen 
sind,  wie  schon  erwähnt,  die  Doppelfuge  und  selbstverständlich  auch  die 
Tripel-  und  Quadrupelfuge.  Es  ist  zwar  bei  den  letzten  beiden  Formen 
nicht  absolut  nothwendig,  dass  die  drei  oder  vier  Themen  alle  auch  gleich- 
zeitig verarbeitet  werden,  allein  eine  solche  Verarbeitung  ist  doch  immer  äusserst 
wünschenswerth,  weil  durch  sie  erst  die  letzte  Bedingung  der  Formen  erfüllt 
wird.  So  lange  bei  der  Doppel  fuge  die  beiden  Themen  nur  in  abgesonderten 
Durchführungen  verarbeitet  werden,  so  lange  erscheint  sie  nur  als  aus  einfachen 
Fugen  zusammengefügt;  erst  wenn  beide  Themen  zusammentreten,  so  dass  das 
eine  als  der  Contrapunkt  des  andern  dient,  wie  gleich  im  Anfange  des  ange- 
führten »Kyrie«  des  Mozart'schen  Requiems,  ist  die  letzte  und  höchste  Be- 
dingung der  Doppel  fuge  erfüllt.  Das  gilt  natürlich  auch  von  der  Tripel- 
und  Quadrupel  fuge,  auch  diese  entsprechen  ihrem  Namen  und  Begriff  erst, 
wenn  die  drei  resp.  vier  Themen  auch  gleichzeitig,  nicht  nur  nach  einander  in 
besondern  Durchführungen  verarbeitet  werden.  Selbstverständlich  müssen  des- 
halb die  Themen  im  doppelten  Contrapunkt  der  Octave  erfunden  sein:  Als 
Beispiel  mögen  noch  hier  die  drei  Themen  zu  Bach's  Tripelfuge  die  »Kunst 
der  Fuge«  stehen,  mit  den  Anfängen  der  angewandten  Versetzungen: 


384 


TJmkelirunorsforinen. 


^ 


m. 


^^ö 


^^S 


--it^- 


3=^^3^ 


äSSE= 


-J^^j^jXj;^ 


1 -T — r" 


-J^^J-4 


3^^^ 


Versetzungen. 
1.  II. 


I 


^^^^E^EE^^^ÖÖ 


'tNt? 


II. 


III. 


I 
I. 


-g^-gi^ 


i^-F  bi 


^S^ 


=1?=^ 


ri^=t: 


Lini. 

15.    LI. 


^^^-^  III.  I   ' 


ä!s^ 


:^ 


^töite 


:=^ 


II. 


m. 


II. 


Beim  Canon  für  verschiedene  Stimmen  sind  natürlich  dieselben  Bedingungen 
zu  beobachten;  der  Canon  für  gleiche  Stimmen  ist  nur  nach  den  Gesetzen  des 
einfachen  Contrapunkts  zu  erfinden,  beim  Canon  für  verschiedene  Stimmen, 
welche  die  Versetzung  der  ursi:)rünglichen  Melodie  nach  andern  Intervallen, 
nach  der  Octave  oder  Quint,  nothwendig  machen,  müssen  selbstverständlich  die 
Regeln  des  doppelten  Contrapunkts  beobachtet  werden.  In  der  freiem  "Weise, 
wie  sie  die  Technik  der  verschiedenen  Instrumente  und  ihre  besonderen  Klang- 
farben und  deren  Mischungen  erfordern,  haben  unsere  grossen  Meister  der  In- 
strumentalmusik: Haydn,  Mozart,  Beethoven,  Schubert,  Mendelssohn 
und  Schumann  von  diesen  Umkehrungsformen  den  weitesten  Gebrauch  ge- 
macht. Haydn  hat  namentlich  in  seinen  Streichquartetten  und  in  einigen 
Finales  und  Durchführungssätzen,  seinen  Sinfonien  ebenso  wie  Beethoven 
durch  solche  contrapunktische  Arbeit  kunstvolle  Form  bei  genialem  Inhalt  zu 
geben  vermocht.  Eins  der  grossartigsten  Beispiele  liefert  hierzu  Mozart  in 
dem  Finale  seiner  grossen  C-iwr-Sinfonie,  das  aus  den  nachstehend  verzeich- 
neten, in  diesem  Sinne  erfundenen  Themen: 


Umlauf  —  Umwenden  der  Notenblätter.  385 

• 
entwickelt    ist,    und    zu    den    grossartigsteu    Instrumentalstücken   geliört,    die  je 
geschrieben    wurden.      Der    Satz    überragt    trotz    dieser    kunstvollen    Form    an 
genialem  Inhalt  alle,  nur  der   »freien,  unbehinderten   Ph  intasie«   entsprungenen 
»Tondichtungen  j  der  Geofenwart. 

Tinlanf,  Ignaz,  Componist,  in  "Wien  gegen  1752  geboren,  vertrat  anfangs 
Salieri  bei  der  Kirchenmusik  und  wurdj  dann  kaiserl.  Kapellmeister  und  Musik- 
direktor beim  deutschen  Opern-Theater  in  ^Vien.  Es  sind  folgende  Opern  und 
Overetten  von  ihm  dort  nicht  ohne  Beifall  aufgeführt  worden:  »Die  Ber»- 
knai:)peu«,  »Die  Apotheke«,  »I)as  Irrlicht^,  »Die  schöne  Schusterin«  (im  Ciavier- 
Auszug  gestochen),  »Die  glücklichen  Jäger«.  Auch  Lieder  erschienen  in  Wien 
im  Druck.     Umlauf  starb   1799. 

Umlauf,  Michael,  Sohn  des  Vorigen,  geboren  zu  Wien  am  9.  AugUit  1781, 
wurde  ebenfalls  Operndirektor  nach  dem  Rücktritt  We'gl's.  Nach  dei-  Auflösung 
der  deutschen  Oper  wurde  er  pcQsion'rt  und  starb  am  20.  Juni  1842.  Folgende 
Opern  von  ihm  wurden  aufgeführt:  »Der  Grenadier«,  klein?  Oper;  »Das  Gast- 
haus zu  Granada«,  kleine  Oper  (Wien,  Haslinger)  und  eine  Anzahl  Ballette. 
Gedruckt  sind:  »Grosse  Sonate  für  Ciavier  und  Violine«,  op.  4  (Wien,  Weigl). 
»Grosse  Sonate  für  Ciavier  ä  quatre-mainsa  u.  a. 

Umstimmen,  ital.  scordare,  einem  Instrument  eine  andere  Stimmung  geben. 
Es  ist  dies  zunächst  bei  mehreren  Orchesterinstrumenten  nöthig,  welche  ihrer 
Construktion  nach  immer  nur  über  einen  gewissen  Umfang  verfügen.  Die 
Pauke  hat  bekanntlich  immer  nur  einen  Ton,  die  zwei,  drei  und  mehr  Pauken, 
welche  im  Orchester  in  Anwendung  kommen,  müssen  also  immer  jedesmal  in 
die  Töne  gestimmt  werden,  welche  sie  in  dem  betreffenden  Tonstück  angeben 
sollen,  und  man  muss  sie  dann  umstimmen,  sobald  andere  erfordei-lich  werden. 
Vor  Erfindung  der  Ventile  wurden  Hörner  und  Trompeten  durch  die 
Einsatzbogen  umgestimmt.  Man  wendet  die  Weise  des  Umstimmens  indess 
auch  bei  andern  Instrumenten  an,  bei  welchen  es  an  sich  nicht  nöthig  ist,  nur 
um  die  technische  Ausführung  gewisser  Tonsätze  zu  erleichtern,  oder  dem  In- 
strument höheren  Glanz  zu  geben.    So  stimmte  Paganini  die  Saiten  seiner  Geige 


-^i 


-4i 


unter  Umständen  höher  statt  in:    -fej         "'ir~^^~ i"   ^^'• 

Mit  einer  so  gestimmten  Geige  spielte  er  einen  ursprünglich  in  Us-dur  stehenden 
Satz  in  D-dur,  einen  in  Ges-dur  stehenden  in  F-dttr,  und  hatte  dabei  den  Vor- 
theil,  technische  Schwierigkeiten,  die  in  den  ursprünglichen  Tonarten  (Ms-  und 
GeS'du)')  unüberwindlich  erschienen,  in  den  neuen,  D-  und  F-d-:tr,  in  denen  er 
das  Tonstück  auf  seiaer  höher  gestimmten  Geige  ausführen  musste,  mit  Leichtig- 
keit zu  überwinden.  Zugleich  gewann  die  Ausführung  auch  klanglich  an  Glanz, 
weil  die  freier  klingenden  leeren  Saiten  dann  auch  in  Tonarten  zur  An-ivendung 
gelangen  konnten,  in  denen  es  nach  der  ursprünglichen  Sitmmung  nicht  mög- 
lich war.  Aus  ähnlichen  Gründen  stimmte  de  Beriot  die  Saiten  seiner  Geige 
in  a,  d^,  a},  ^e;  Baillot  in  fis,  d^,  a^,  e^  und  Winter  in  _/,  J',  a\  e^.  Bei  der 
Laute  machten  die  tiefsten,  ausserhalb  des  Grififbretts  liegenden  Saiten  ein 
Umstimmen  nöthig,  wenn  eine  oder  die  andere  einen  von  der  urspränglicoen 
Stimmung  abweichenden  Ton  zu  irgend  einem  Tonstück  beisteuern  sollte.  Da 
sie  eben  nicht  gegriffen  wurden,  wie  die  sechs  auf  dem  Griffbrett  liegenden, 
sondern  nur  mit  dem  Ton  Verwendung  fanden,  in  welchem  sie  gestimmt 
waren,  so  mussten  sie  immer  in  die  Töne  gestimmt  werden,  welche  in  dem 
betreffenden  Tcnstück  gefordert  wurden.  In  den  Lautenbüchern  des  17.  und 
18.  Jahrhunderts  ist  deshalb  diese  Umstimmung  immer  am  Anfange  der 
betreffenden  Tonstäcke  unter  der  Bezeichnung  Accord  angegeben.  Fehlte 
d'ese  Angabe,  dann  wird  die  ursprüngliche  Stimmung  der  Laute  vorausgesetzt. 

Umweadea  der  Notenblättei*,  eine  Th-itigkeit,  welche  von  den  Ausführenden 
recht    wohl    zu    berücksichtigen    ist,    da    sie   leicht  d:e  Ausführung  stört.     Für 

Musikal,  Convers.-Lexikon.    X.  20 


3g  ^J  Jn  —  una  corda, 

# 
Notenschreiber,  -Stecher  und  -Setzer  erwächst  zunächst  die  Noth- 
wendicrkeit,  es  möglichst  so  einzurichten,  dass  im  Laufe  eines  Tonstücks  das 
betreffende  Notenblatt  nicht  umzuwenden  ist,  namentlich  bei  den  Instrumenten- 
spielern, deren  Hände  durch  ihre  Instrumente  vollauf  beschäftigt  sind.  Für  die 
Sänger  ist  es  weniger  nothwendig,  da  sie  die  Hände,  mit  welchen  sie  die  Noten- 
blätter halten,  jederzeit  frei  haben  und  beliebig  umwenden  können,  ohne  im 
Singen  dadurch  gestört  zu  werden.  Die  Geiger  und  Bläser  dagegen  müssen 
das  Spiel  unterbrechen,  wenn  sie  umwenden  wollen.  Daher  beobachtet  man 
beim  Einrichten  der  Stimmen  für  die  Instrumentenspieler  zunächst  die  Rück- 
sicht, dass  man  Tonstücke,  die  nicht  auf  einer  Seite  Platz  haben,  sondern  zwei 
einnehmen,  nicht  auf  der  Vorder-  und  Rückseite  (pag.  1  und  2)  eines 
Notenblattes,  sondern  auf  den  gegenüberstehenden  Seiten  zweier  (pag.  2  und  3) 
aufzeichnet,  so  dass  beide  gleich  von  vornherein  aufgeschlagen  vor  dem  Spieler 
liegen  können.  Nimmt  ein  Tonstück  mehr  als  zwei  Seiten  Raum  ein,  so  muss 
allerdings  umgewendet  werden ;  dann  aber  ist  die  Stimme  so  einzurichten,  dass 
dies  nur  an  solchen  Stellen  geschieht,  wo  dem  betreffenden  Spieler  durch  Pausen 
die  nöthige  Zeit  dazu  gegeben  ist.  In  den  speciellen  Fällen,  in  denen  solche 
Stellen  nicht  vorhanden  sind,  muss  der  betreffende  Spieler,  wenn  das  Instru- 
ment nur  einfach  besetzt  ist,  einen  Umwender  haben,  damit  er  sein  Spiel 
nicht  zu  unterbrechen  braucht.  Dieser  muss,  bei  langsamen  Sätzen  einen,  bei 
raschen  mehrere  Tacte  vor  Ablauf  der  Seite,  die  dann  der  Spieler  auswendig 
spielen  muss,  rasch  umwenden.  Bei  Instrumenten  und  an  Notenpulten,  die 
doppelt  besetzt  sind,  wendet  in  solchem  Falle  der  zweite  Spieler  um.  Mehr- 
fache Versuche,  dies  Umwenden  der  Notenblätter  durch  einen  besonderen,  vom 
Spieler  geleiteten  Mechanismus  besorgen  zu  lassen,  ohne  die  Ausführung  zu 
unterbrechen,  haben  zur  Erfindung  von  Notenumwendern  (s.  d.)  geführt,  die 
indess  noch  keine  weitere  Verbreitung  fanden. 
Uu  (ital.),  ein. 

Un  pochettino   (ital.)  =  ein  klein  wenig. 

Uu  poco  (ital.)  =  ein  wenig,  etwas,  als  nähere  Bestimmung  bei  Tempo- 
und  Vortragsbezeichnungen,  wie: 

ün  poco  Adagio  =  ein  wenig  langsam; 

Allegretto  =  ein  wenig  bewegt; 

crescendo  =  ein  wenig  stärker  werdend; 

decrescendo  =  ein  wenig  schwächer  werdend; 

diminneudo  =  ein    wenig    abnehmend    in    der    Tonstärke; 

lento  =  ein  wenig  ruhig; 

ritardando  =  einwenigzögernd; 

piü  =  ein  wenig  mehr,  ein  klein  wenig; 

piü   lento   (ital.)    =    ein    wenig    mehr    langsam;    ein    klein 
wenig  langsamer. 

Unabhängige  Töne,  ursprüngliche  oder  natürliche  Töne,  heissen 
die  unveränderten  Töne  der  Normaltonleiter:  c — d  —  e—f—g  —  a  —  h  —  c,  von 
denen  die  erhöhten  eis — dis —fis  —  gis  —  ais  und  die  vertieften  h  —  as — ges  —  es  —  des 
abgeleitet  sind,  und  welche  deshalb  auch  abhängige  oder  abgeleitete  Töne 
genannt  werden. 

Una  corda  (ital.)  =  eine  Saite,  bei  Saiteninstrumenten  auch  a  una  corda, 
eine  Bezeichnung,  welche  erfordert,  dass  die  betreffende  Stelle  auf  einer  Saite 
ausgeführt  werden  soll.  Bei  den  Streichinstrumenten  bedient  man  sich  dieser 
Bezeichnungen  an  solchen  Stellen,  die  nach  der  gewöhnlichen  Weise  auf  zwei 
und  mehr  Saiten  ausgeführt  werden;  wünscht  der  Componist,  dass  diese  Aus- 
führung auf  einer  Saite  erfolgen  soll,  so  muss  er  das  anzeigen.  Dies  geschieht 
durch  die  erwähnte  Bezeichnung,  häufiger  noch  indem  die  betreffende  Saite  an- 
gegeben wird:  sul  G  —  sul  D  —  sul  A  u.  s.  w.  Dagegen  findet  man  bei 
Werken  für  Pianoforte  die  oben  angegebene  Bezeichnung  »una  corda»,  und  diese 
bezieht    sich    dann    auf   die  Verschiebung  (s.d.),    durch    welche  die  übrigen 


Un 

poco 

Un 

poco 

Un 

poco 

Un 

poco 

Un 

poco 

Un 

poco 

Un 

poco 

Un 

poco 

Unaufhörlicher  Canon  —  Undecimenaccord. 


387 


Saiten  jedes  Tons  abgedämpft  werden,  so  dass  die  Taste  nur  an  einer  Saite 
anschlägt  und  nur  diese  zum  Tönen  bringt. 

Unaufhörlicher  Cauou,   s.  v.  a.  unendlicher  Canon  (s.d.). 

Uobegleitetes  Kecitativ,  das  nur  mit  einem  Bass  begleitete  Recitativo 
parlante  oder  Recitativo  secco,  das  in  der  älteren  italienischen  und  fran- 
zösischen  Oper  nur  den  Dialog  ersetzte  (s.  ßecitativ). 

Unbewegliche  Töne,  soni  stantes  (s.  Tetrachord). 

Unbezifferter  Bass,  s.  Bezifferung,    G-eneralbass   und  Orgelstimme. 

Uuca  oder  Fusa  =  gekrümmt,  geschwänzt,  lateinischer  Name  für  die 
Achteluote. 

Uuda  maris  (Meeres welle)  ist  ein  2,5  Mtr.  Flötenwerk.  Dasselbe  wird 
etwas  höher  als  die  andern  Register  gestimmt,  so  dass  durch  Verbindung  des- 
selben mit  einem  andern  Register  ein  schwebender,  wogender  Ton  entsteht. 
Die  Stimme  erhält  doppelte  Labien,  ähnlich  wie  die  Pifara.  In  Verbindung  mit 
einer  zarten  Zungenstimme  kann  die  Wirkung  dieser  Stimme  nicht  übel  sein; 
trotzdem  bleibt  dieselbe  eine  unnütze  Spielerei. 

Undecime,  Undecima,  ein  Intervall  von  11  Stufen,  die  Octave  der  Quart 
des  Gi'undtons,  daher  auch  nur  in  seltenen  Fällen  selbständig  zu  verwenden; 
eigentlich  nur  in  dem  doppelten  Coutrapunkt  der  Undecime,  zu  welchem 
kaum  irgend  welche  künstlerische  Veranlassung  gegeben  sein  dürfte.  In  Bezug 
auf  die  harmonische  und  melodische  Führung  folgt  die  Undecime  nur 
den  Bestimmungen,  welchen  die  Quart  unterliegt: 


m 


¥ 


iS: 


-c=i 


£ 


-T=^- 


-T=^ 


3: 


f 


ro- 


Sie  wird  eben  nur  als  Quartenvorhalt  behandelt  (siehe  den  Artikel  Vorhalt). 
Als  melodisches  Intervall  erscheint  sie  aber  so  ungeheuerlich,  dass  ihre  Ein- 
führung nur  zur  Erreichung  eines  komischen  Effekts  gestattet  sein  dürfte. 
Dem  entsprechend  erscheint  auch  der 

Undecimenaccord  nur  als  ein  Vorhaltsaccord.  Er  entsteht  allerdings  auf 
dem  Wege,  auf  dem  wir  alle  Accorde  gewinnen,  indem  wir  Terzen  überein- 
anderstellen;  dem  Nonenaccord  eine  Terz  zugefügt,  ergiebt  den  Decimenaccord: 


'C5~ 


allein  seine  Unselbständigkeit  wird  durch  seine  Zusammensetzung  dargethan; 
er  vereinigt  ursprünglich  die  beiden  äussersten  Grenzaccorde  der  harmonischen 
Formation: 


Oberdominant 


und  Unterdominant 


In  seiner  fünfstimmigen  Anwendung  verliert  er  natürlich  ein  Intervall,  und 
zwar  meist  die  Terz: 


i 


W- 


Ihre  Einführung  und  Auflösung  überzeugt  vollends,  dass  sie  keine  selbständigen 
Accorde  sind,  sondern  durch  Vorhalte  erzeugte,  und  daher  nur  als  solche  be- 
handelt werden  können.  Die  natürlichste  Auflösung  ist  die  nach  dem  ursprüng- 
lichen Septimenaccorde,  auf  dem  sie  erbaut  sind: 


:^. 


^H^ 


:Bz 


'C5~ 


"CT" 


b^ 


25* 


388 


Undecimenaccord. 


und  hieraus    ergiebt    sich    auch   von  selbst  ihre  Vorbereitung,  wie  ihre  weitere 
Behandlung  im  fünfstimmigen  Satz: 


Noch  bedenklicher  ist  natürlich  der  sechsstimmige  Gebrauch  der  Undecimen- 
accorde.  Im  Allgemeinen  gilt  als  Regel,  dass  selbst  bei  dem,  auf  der  Dominant 
ausgeführten  Oi-geljDunkt  die  Modulation  nach  der  Unter  dominant  möglichst 
vermieden  wird.  Allerdings  liegt  es  im  Wesen  des  Orgelj^uukts,  den  fort- 
klingenden Ton  nicht  allzu  angstlich  zu  berücksichtigen,  wenn  nur  die  über 
ihm  fortschreitenden  Stimmen  regelrecht  geführt  sind.  Die  harmonische  Grund- 
lage derselben  ist  eine  ziemlich  freie,  doch  nur  bei  dem  auf  der  Tonika  er- 
bauten. Bei  dem  auf  der  Dominant  erbauten  wird  die  Ausweichung  nach  der 
TJnterdominant  vermieden  oder  doch  nui-  sehr  vorsichtig  ausgeführt,  weil  es 
eine  zu  scharf  dissonirende  "Wirkung  macht,  diese  beiden  entgegengesetzten 
Angelpunkte  der  Tonart:  Dominant  und  TJnterdominant  zusammenzubringen; 
bei  zwei  sechsstimmigen  Undecimeuaccorden  werden  aber  beide  sogar  in  einer 
einheitlichen  Accordwirkung  zusammengefasst,  die  Wirkung  muss  deshalb  eine 
scharf  dissonirende  sein,  und  zugleich  aber  auch  eine  schwankende.  Eine  sehr 
ausführliche  Behandlung  hat  diesen  Accorden  J.  C.  Hauff  in  seiner  »Theorie 
der  Tonsetzkunst«  (Frankfurt  a.  M.,  H.  L.  Bronner,  1863,  pag.  111  ff.)  zu 
Theil  werden  lassen,  und  wir  führen  aus  derselben  noch  einige  Beispiele  ihrer 
Einführung  an: 


c) 


d) 


-^=5- 


-S s- 


\ 


^ 


?3 


-C-J 


-Pä- 


Umleclmole. 


389 


Jedenfalls  sind  die  Beispiele,  in  denen  None  und  Undecime  nicht  als  so  scharf 
dissonirende  Intervalle  auftreten  (d,  e,  g),  jenen  vorzuziehen,  namentlich  jenen, 
in  denen  diese  Dissonanzen  mehr  seihständige  Bedeutung  gewinnen,  wie  bei  a, 
h,  c,  f  und  h.  Wir  können  eigentlich  in  keinem  der  Beispiele  die  None  und 
Undecime  als  Vorhalte  betrachten,  weil  es  ungehörig  ist,  den  Vorhalt  mit  dem 
Ton,  nach  welchem  er  sich  wendet,  im  Einklänge  oder  der  Octave  zugleich  ein- 
zuführen und  festzuhalten.  Das  Letztere  könnten  wir  durch  folgende  Fassung 
schon  vermeiden: 

a) 


Hiermit  ist  zugleich  gezeigt,  wie  als  Vorhaltsaccord  behandelt  auch  der  Un- 
decimenaccord  recht  wohl  zu  verwenden  ist.  Die  scharfe  Dissonanz  tritt  über- 
all nicht  so  entschieden  heraus,  wo  die  zusammentretenden  Dreiklänge  nicht  £0 
gegensätzlich  wirken. 

Undecimole,  die  durch  Theilung  eines  bestimmten  Zeitwerths  in  11  Theile 
gewonnene  rhythmische  Figur: 


-^- 


1 1 


I   I   1       . 


J-J-J- 


In  der  Werthbezeichnung  herrscht  indess  nicht  die  nöthige  Uebereinstimmung; 
einigen  gilt  die  in  Sechzehntheilnoten  dargestellte  Undecimole  für  den  Werth 
einer  halben  Note,  während  Chopin  eine  Viertelnote  schon  in  Achtel-Undecimolen 
darstellt: 


390 


Unechte  Accorde  —  Ungarisclie  Musik. 


Aus  Op.  62  No.  2. 


Ped. 


^      Ped.  ^ 

Unechte  Accorde,  Schein-  oder  Quasi  Accorde  nennen  einige  Theore- 
tiker wirkliche  Grundaccorde,  die  aber  nicht  als  solche  beabsichtigt  sind,  sondern 
auf  dem  Wege  der  Einführung  der  Vorhalte  oder  Durchgänge  entstehen.  In 
dem  unten  stehenden  Beispiele  können  die  bezeichneten  immerhin  als  Accorde 
gelten: 


-<=(- 


_Ö- 


=^ 


-g^- 


-C^- 


i 


Der  erste  ist  ein  vollständig  ausgeprägter  grosser  Septimenaccord  c  —  e—g  —  h] 
dem  zweiten  fehlt  nur  die  Quint  d,  die  wesentlichsten  Intervalle  eines  Septimen- 
accprdes:  Grundton,  Terz  und  Septime  aber  sind  vorhanden.  Doch  sind 
hier  beide  Accorde  nicht  als  solche  intendirt,  sondern  der  erste  ist  durch  Ein- 
führung des  Durchgangs  h  in  der  melodischen  Bewegung  von  c  nach  a  ent- 
standen, der  andere  dadurch,  dass  die  Quart  der  Terz  des  Grundtons  vorge- 
halten wird. 

Uneig-eutliche  Dissonanz  nennen  einzelne  Theoretiker  die  Septime  in  den 
TJmkehrungen  des  Septimenaccords,  also  im  Terzquartaccord  die  Terz, 
im  Quintsextaccord  die  Quint  und  im  Secundaccord  den  Basston  aus 
nicht  recht  einleuchtenden  Gründen. 

Uneig'entliche  Preiklänge,  auch  Nebendreiklänge,  wurden  von  den  altern 
Theoretikern  die  dissonirenden  Dreiklänge  genannt,  der  verminderte  —  Trias 
deficiens;  der  übermässige  —  superflua  oder  ahundans  und  der  hart- 
und  doppeltverminderte. 

Uneig'entliche  Fnge  heisst  ein  fugirter  Satz,  der  sich  aus  einem  feststehen- 
den Thema  nach  Art  der  Fuge  entwickelt,  ohne  indess  auch  nur  die  Haupt- 
regeln derselben  streng  zu  beobachten. 

Unendlicher  Canon  (canon  infinitus,  perpetuus)  ist  ein  solcher  Canon, 
der  so  geführt  ist,  dass  der  Schluss  des  Satzes  wieder  unmittelbar  in  den  An- 
fang übergeht,  wie  der  nachstehende  Canon  in  der  Ober  quint. 


:=!- 


~^r- 


nsTt 


I^- 


3=t 


-P=L- 


P 


-.säz 


i 


-c=f- 


::öi 


-Si- 


-^=- 


Bei  der  -\-  bezeichneten  Stelle  ist  der  Canon  zu  Ende,  allein  der  melodische 
Schlusston  c  ist  zugleich  der  Aufangston  des  Canons  und  da  die  nachahmende 
Stimme  treu  folgt,  so  bleibt  der  Canon  ohne  Ende,  bis  man  ihn  mit  dem  an- 
gehängten Schlusstact  abschliesst. 

Ungarische  Musik.  Die  Magyaren  gehörten  zu  den,  am  Altai  wohnenden 
Nomadenvölkern,  welche,  zum  Kriege  und  Raube  geneigt  wie  kein  anderes,  ihr 
unwirthliches  Land  verliessen,  um  sich  eine  neue,  schönere  Heimath  zu  suchen. 
Sie    stürzten    sich    rasch    auf   andere    Völker,   beredeten    oder  zwangen  sie,  an 


Ungarisclie  Musik.  391 

ihren  Raubzügen  mit  Theil  zu  nehmen  und  überflutheten  so  die  andern  bereits 
angebauten  Länder  in  verhältnissiuässig  kurzer  Zeit.  Die  Völker  des  Altai 
waren  so  allmälig  bis  tief  nach  Süden  gekommen  und  hatten  sich  oberhalb 
Iran  und  am  K aspischen  Meere  bis  in  die  Nähe  der  Donau  festgesetzt 
und  beunruhigten  von  hier  aus  die  benachbarten  Länder  durch  unaufhörliche 
räuberische  Einfälle.  Erst  888  einigten  sich  die  verschiedenen  Stämme  unter 
Ar  päd,  den  sie  zu  ihrem  Führer  erwählten.  Doch  konnte  das,  seit  Jahr- 
hunderten unaufhörlich  wandernde  und  kämpfende  Volk  die  Ruhe  nicht  so 
bald  gewinnen;  Krieg  und  Plünderung  waren  ihm  auch  jetzt  noch  Bedürfniss; 
wiederholt  brach  es  in  die  Nachbarländer  ein  und  Inldete  so  lange  den  Schrecken 
des  civilisirten  Europas.  Das  griechische  Reich,  Deutschland,  Italien 
und  Frankreich  wurden  fürchterlich  heimgesucht  von  diesen  Raubzügen  und 
der  Litaney  wurde  in  diesen  Ländern  der  neue  Vers:  y>A  sagittis  hungarorum 
libera  nos  Z>omi)ie!«  eingereiht.  In  ihrer  alten  Heimath  waren  die  Ungarn 
Nomaden,  ihr  Lieblingsthier  war  das  Pferd  und  es  ist  dies  bis  auf  den  heutigen 
Tag  geblieben. 

Unter  Stephan  L  der  Heilige  (997 — 10.38)  wurden  sie  dann  zum  Christen- 
thum  bekehrt.  Er  zog  Lehrer  herbei,  verbot  die  heidnischen  Gebräuche  und 
verordnete,  dass  die  christlichen  Sklaven  sich  frei  kaufen  konnten,  während  er 
ihnen  auf  seinen  eigenen  Besitzungen  die  Freiheit  schenkte.  Wohl  stiess  er 
auf  heftigen  "Widerstand  bei  diesen  Bestrebungen,  der  sich  bis  zum  offenen 
Aufstande  steigerte,  allein  Stephan  blieb  Sieger  und  das  Christenthum  fasste 
unter  seiner  Regierung  schon  festen  Boden.  Er  gründete  Klöster  und  es  trat 
bereits  eine  Art  von  Civilisation  ein,  die  sich  auch  in  der  Entwickelung  des 
Handwerks  zeigte.  Es  werden  Tischler,  Schmiede,  Bauleute,  Weber,  Gold-  und 
Silberarbeiter  in  den  Urkunden  genannt,  welche  zum  Bereich  der  Klöster 
gehörten.  Unter  Andreas  (1046 — 1061)  erhob  sich  zwar  wieder  ein  blutiger 
Aufstand  gegen  das  Christenthum,  in  welchem  Klöster  verbrannt  und  mehrere 
Bischöfe  ermordet  wurden,  allein  Andreas  blieb  Sieger  und  förderte  das  Chri- 
stenthum mit  dem  günstigsten  Erfolge,  doch  erst  unter  Ladislaus  (1077—95) 
kam  das  Land  wieder  einigermassen  zur  Ruhe. 

Bedeutendere  Fortschritte  konnte  indess  die  Civilisation  unter  solchen 
Umständen  nicht  machen  und  so  darf  man  sich  nicht  wundern,  dass  das  Volk 
noch  im  12.  Jahrhundert  sehr  hart  beurtheilt  wurde.  Otto  von  Freisingen 
(De  reb.  gestis  Friederici  I.),  der  zu  Anfang  des  Zeiti'aums,  bei  Beginn  des 
Kreuzzugs  von  1147  Gelegenheit  hatte,  durch  eigene  Anschauung  mit  den  Zu- 
ständen Ungarns  bekannt  zu  werden,  erzählt:  dass  die  Ungarn  den  Sommer 
und  Herbst  über  grösstentheils  unter  Zelten  wohnen,  dass  die  Häuser  in 
Städten  und  Dörfern  armselig,  meistens  aus  Rohr,  seltener  aus  Holz  und  nur 
ausnahmsweise  aus  Stein  gebaut  sind.  »Man  muss,«  heisst  es  wörtlich  bei  ihm, 
»sich  über  die  göttliche  Vorsehung  verwundern,  dass  sie  solchen  Menschen, 
nein,  nicht  Menschen,  sondern  Ungeheuern  von  Menschen,  ein  so  schönes  Land 
wie  Pannonien  eingeräumt  hat.«  Anders  urtheilt  mehr  als  drei  Jahrhundert 
früher  freilich  Leo,  der  morgenländische  Kaiser,  welcher  sie  889  zu  Hülfe 
gerufen  hatte:  »Das  ungarische  A^olk  ist  reich  an  Männern  und  frei.  Es  hat 
keinen  Hang  zum  Prunk  oder  Schätze  zu  sammeln  und  strebt  darnach,  seinen 
Gegnern  an  Stärke  überlegen  zu  sein.  Sie  verfolgen  alles  mit  reger  Aufmerk- 
samkeit und  verbeigen  sorgfältig  ihre  Absichten.  Von  ihi-er  frühesten  Jugend 
an  ans  Reiten  gewöhnt,  besteht  ihr  Heer  aus  Reiterei  und  ihre  kriegerischen 
Uebungen  haben  vornehmlich  den  Zweck,  sich  auch  während  des  schnellsten 
Rittes  der  Lanzen  mit  Sicherheit  bedienen  zu  können.« 

Ueber  die  reichste  Quelle  von  Poesie  und  Musik  —  die  Religion  —  der 
Ungarn  in  der  Zeit  von  ihrer  Bekehrung  zam  Christenthum  erfahren  wir,  dass 
sie  monotheistisch  war.  Die  Ungarn  verehrten  einen  Nationalgott:  Isteu  a 
Magyarok  Istene:  der  Gott  der  L^ngarn,  der  sich  ihnen  in  der  Sonne,  dem 
Feuer,   in   Luft   und  Wasser   und   in    seiner  Schöpfung,    der  Erde,  dar- 


gt,2  LTrigari^clie  Ivlusi. 

stellte,  unter  welchen  Sj-mbolen  sie  ihn  verehrten  und  ihm  Hymnen  sangen. 
Als  sein  Gegensatz  erschien  ihnen  »Ordög«  (der  Teufel),  der  Urgrund  des 
Bösen  vni  über  und  neben  beiden  übten  noch  eine  Reihe  von  guten  und  bösen 
Geistern  Einflus^s  aus  auf  die  Geschicke  der  Menschen,  welche  sie  unter  dem 
Gesammtnamen  »Tündera  zusammenfassten.  Als  eine  natürliche  Consequenz 
dieser  Anschauung  bekannten  sie  sich  auch  zur  Lehre  von  der  Unsterblichkeit 
und  sie  feierten  dem  entsprechend  auch  das  Andenken  der  Verstorbenen.  Die 
Sprache  der  Ungarn  bildet  eine  der  sechs  Familien,  welche  man  zusammen  als 
die  scjthiscbe  Sprachklaste  bezeichnet:  es  sind  ausser  der  ungarischen  die 
mongolische,  türkisch-tart arische,  samojedische,  finnische,  und  unter 
ihnen  ist  die  ungarische  jedenfalls  die  planvollste  und  darum  auch  die  einzige, 
welche  zu  grösserer  Bedeutung  gelangte  und  unter  deren  Einfluss  sich  auch 
das  gesungene  Lied  f:e:er  entwickelte. 

So  wii'd  schon  aus  dem  fünften  Jahrhundert  von  ungarischer  Poesie 
und  ungarischem  Liedergesang  berichtet  durch  Priscus,  den  byzantinischen 
Ehetc^r,  der  an  der  448  von  dem  griechischen  Kaiser  Theodosius  IL  an  Etele, 
den  König  von  L^ngaru,  abgeordneten  Gesandtschaft  Theil  nahm  und  mit  ihr 
am  Hofe  des  Hunenkönigs  verweilte. 

Aus  seinem  ziemlich  umständlichen  Bericht  über  ihren  Empfang  ersehen 
wir,  dass  der  heimkehrende  Etele  durch  einen  Chor  scythischer  Mädchen  unter 
Absingung  von  Liedern  begrüsst  wurde;  bei  dem  darauf  stattfindenden  Gast- 
mahl besangen  dann  zwei  hunische  Sänger  die  Siege  und  kriegerischen  Tugenden 
des  Hunenkönigs  in  selbstverfassten  Gesängen,  denen  die  Gäste  mit  gespannter 
Aufmerksamkeit  und  mit  Begeisterung  lauschten ;  und  endlich  erzählt  der  grie- 
chische Berichte  rstaltir  noch  von  einem  halb  verrückten  Spassmacher,  »der 
durch  allei'lei  wunderliche  und  unsinnige  Spässe  ein  aEgemeines  Gelächter 
erregte,«  also  der  Spruchsprecher  oder  Pritschenmeister  des  Mittelalters 
gewesen  zu  sein  scheint. 

Lange  noch  erhielt  sich  unterm  Yolke  ein  Theil  der  Etelesage,  wie  die 
verschiedenen  Gesänge  vcn  Etele's  Hochzeit,  seinem  Tode  und  seinen 
drei  Särgen.  Von  der  altungarischen  Poesie  geben  weiterhin  auch  Ekke- 
hard  von  St.  Gallen  sowie  der  Biograph  Belae  ß.  Notarius  Kunde  und 
die  alten  ungarischen  Chronisten  erzählen  ebenfalls  von  den  religiösen,  den 
Trauer-,  Liebes-  und  Heldenliedern  der  Ungarn.  Diese  letzteren  na- 
mentlich waren  sehr  zahlreich;  sie  erzählen  wie  überall  von  den  Schicksalen 
des  Volkes  und  seinen  Helden  und  Anführern.  Die  Verfasser  und  Verbreiter 
dieser  Gesänge  bildeten  einen  besonderen  Stand,  deren  Mitglieder  in  der  Zeit 
der  Arpaden  bereits  Igric  und  Hegedös  (Lautenschläger)  genannt  wurden 
nach  dem  Saiteninttrument,  unter  dessen  Pegleitung  sie,  bei  Gastmählern, 
Hochzeiten  und  Xationalfesten,  im  Lager  und  in  Schenken  sangen.  Doch 
fanden  diese  Gesi'nge  auch  unter  dem  Volke  Eingang,  so  dass  sie  auch  von 
diesem  allerorten  gesungen  wurden. 

Wie  bei  allen  Völkern  gab  die  Einführung  des  Christenthums  auch  der 
ungarischen  Poesie  neue  Nahrung  und  eine  eigenthümliche  Richtung.  Die  ver- 
wüstenden Einfälle  barbarischer  Volker,  die  vielen  Kriege  mit  den  benachbarten 
Stallten  und  die  sich  fort  und  fort  erneuernden  Unruhen  im  Innern  waren 
freilich  der  Pflege  von  Wissenschaft  und  Kunst  wenig  günstig,  dennoch  machten 
beide  auch  in  dieser  bedrängten  Zeit  im  ungaiüschen  Volk  nicht  unerhebliche 
Fortschritte.  Die  Schulen  an  Bischofssitzen  und  Klöstern  vermehrten  sich; 
auf  den  kleinern  wurde  das  Trivium  gelehrt:  Grammatik,  Arithmetik  und 
Geometrie,  auf  den  grössern  das  Quadrivium  oder  sämmtliche  freie  Künste, 
also  auch:  Musik,  Astronomie,  Dialektik  und  Rhetorik.  Zur  Beendigung  ihrer 
Studien  besuchten  dann  die  Studenten  noch  in  der  Reofel  eine  der  Akademien 
von  Paris  oder  Bologna.  Als  die  natürliche  Folge  der  veränderten  Lebens- 
anschauung  entwickelte  sich  eine  neue  religiöse  oder  kirchliche  Poesie  und 
die  nationale  gewann  daneben  neue  Stoflfe  und  dementsprechend  auch  neuen 


Ungarlsclie  Musik.  393 

Aufschwung.  Jene  Sänger  von  Beruf,  welche  die  Helden  und  überhaupt  die 
(jrtschicht.e  ihres  Volkes  besangen,  behitltea  ihre  Bedeutung  bei,  ja  diese  wuchs 
noch  mit  der  weitern  Ausbreitung  der  Gesittung.  Die  Sänger  gehörten  zur 
Hofhaltung  des  Königs  wie  der  Bischöfe,  wie  von  Johann  Hunyadi  und 
unttT  anderm  auch  von  dem  Bischof  Niklas  Biitori  bezeugt  wird.  Nach 
einer  Urkuude  Andreas  III.  waren  zur  Erhaltung  der  Sänger  bestimmte  Grüter 
angewiesen  und  vom  Hofe  des  Königs  iMathias  erzählt  Galeoti,  dass  die 
Hofmusiker  und  Cytherspieler  während  der  Mahlzeit  die  Heldenthaten 
der  Väter  zur  Laute  sangen.  Licbeslieder  brachten  sie  seltener  zum  Vortrage; 
besonders  gern  besangen  sie  dagegen  die,  gegen  die  Türken  vollbrachten 
Kriegtthcten. 

Wiederholt  berichten  die  Chronisten,  dass  die  Thaten  der  Helden  nicht  nur 
gepriesen,  sondern  auch  zur  tönenden  Laute  gesungen  wurden.  »Im 
Sana-  hab  ich's  vernommen,  ob  es  wahr,  ob  nicht  es  wahr«  sagt  Tenödi  (in 
der  iNIitte  des  16.  Jahrhunderts  in  seiner  gereimten  Siegmundschronik)  und 
bei  Erwähnung  der  Hinrichtung  der  zweiunddreissig  Edlen  unter  König  Sieg- 
mund sagt  er  ausdrücklich: 

„Der  Helden  zweiunddreissig  sah  man  dorten, 
Von  denen  oft  die  Cytherspieler  sangen." 

Der  Minnesänger  Klingsohr,  welcher  im  zweiten  Theile  »des  Sängerkrieges 
auf  der  Wartburg«  erwähnt  wird,  der  am  Hofe  des  Königs  Andreas  IL, 
dessen  Gemahlin  Gertrud,  eine  deutsche  Prinzessin,  seine  Poesien  angeblich 
enthusiastisch  liebte,  gelebt  haben  soll  und  den  unter  andern  auch  Hermann 
der  Damen  erwähnt: 

Wolferam  und  Klinsor  genannt  von  Ungerlant 
diser  zwier  tichte  ist  meisterlich  irkant. 

ist  eine  mythische  Persönlichkeit.  Daneben  entwickelte  sich  unter  dem  directen 
Einfluss  des  Christenthums  auch  eine  nationale  Hymnenpoesie;  es  wurden 
seit  Einführung  desselben  nicht  nur  die  alten  lateinischen  kirchlichen  Gesänge 
übei'setzt,  sondern  auch  eigen  erfundene  in  der  ungarischen  Sprache  gedichtet. 
Die  Thatsache,  dass  schon  im  zweiten  Jahrhundert  der  Einführung  des  Christen- 
thums  in  Ungarn  alle  in  der  Kirche  zu  singenden  Lieder  unter  kirchliche 
Censur  gestellt  wurden,  lässt  darauf  schliessen,  dass  schon  in  der  frühesten 
Zeit  Kirchenlieder  in  der  Nationalsprache  gedichtet  wurden  und  Eingang  in 
der  Kirche  fanden.  Diese  haben  sich  indess  nur  in  sehr  spärlicher  Zahl  länger 
zu  halten  vermocht  und  nur  einzelne,  wie  das  Lied  von  Andreas  Väsärheli 
an  die  Jungfrau  Maria  oder  das  an  die  rechte  Hand  des  Heil'gen  Stephan 
gerichtete,  das   1484  in  Nürnberg  gedruckt  wurde,  sind  bis  auf  uns  gekommen. 

Auch  das  volksthümliche  Schauspiel  trieb  unter  dem  ganz  directen 
Einfluss  der  neuen  Religion  hervor.  Von  dergleichen  Schaustellungen  im  un- 
garischen Volke  aus  früheren  Jahrhunderten  haben  wir  nicht  die  mindeste 
Kunde,  während  schon  aus  der  1279  abgehaltenen  Synode  in  Ofen  »den  Geist- 
lichen verboten  wurde,  den  Mimen,  Histrionen  und  Joculatoren  zuzuhören« 
und  wiederholt  klr.gen  einzelne  Geistliche  über  die  Volkskomödien,  die  immer 
beliebter  wurden,  während  die  hauptsächlichsten  Stoffe  derselben  doch  schliessen 
lassen,  dass  wiederum  andere  Geistliche  sich  ihrer  Pflege  unterzogen.  Diese 
Volksspiele  sind  wie  überall  meist  mit  christlichen  Gesängen  durchflochtene 
Oster-  und  Adventspiele,  mit  einem  Worte  geittliche  Spiele  wie  die 
Mystei'ien  der  andern  christlichen  Völkerschaften.  Ohne  Zweifel  waren  die 
eingestreuten  Lieder  Kirchenlieder  und  wurden  nach  den,  in  der  Kirche  üb- 
lichen gregorianischen  Weisen  gesungen. 

Dass  alle  diese  Bestrebungen  jetzt  nicht  schon  zu  bedeutendem  Erfolgen 
führten,  mag  wohl  die  Lage  Ungarns  zumeist  verschulden,  die  es  zum  Bollwerk 
der  Christenheit  Q-ecren  die  Macht  des  anstürmenden  Halbmonds  machte.  Jahr- 
hunderte  hindurch  waren  die  Kräfte  Ungarns  vollständig  in  Anspruch  genommen, 


394  Ungarisclie  Musik. 

um  die  europäische  Civilisatiön  vor  den  alles  verheerenden  Fluthen    der  osma- 
nischen  Barbaren   zu  beschützen. 

Zunächst  brachte  die  Reformation  auch  in  Ungarn  wieder  einen  Um- 
schwung und  führte  "Wissenschaft  und  Kunst  in  neue  Bahnen.  Die  Pflege 
der  Poesie  ging  in  das  Volk  über,  Prediger  und  Lehrer  wurden  ihre  eifrigsten 
Diener.  Die  Poesie  erlangte  jenen  naiven,  volksthümlichen  Charakter,  der  sich 
zunächst  in  emsiger  Pflege  der  Lyrik  kundgiebt;  es  entstanden  neben  reli- 
giösen auch  eine  Reihe  bedeutender  weltlicher  Lieder,  die  im  Tone  des  Volks- 
liedes gehalten,  weite  Verbreitung  fanden  und  sich  durch  Jahrhunderte  zum 
Theil  bis  in  die  neueste  Zeit  erhielten.  Unter  den  schweren  Sorgen  und 
Nöthen,  welche  das  16.  Jahrhundert  namentlich  über  Ungarn  verhängte,  gedieh 
besonders  das  religiöse  Lied  ausserhalb  der  Kirche  und  Johann  Szepet- 
neki  (1555),  Georg  Palatics  (1570),  Balthasar  Batori  (1594),  vor  allen 
Valentin  von  Balassa  (f  1594)  haben  einzelne  hochbedeutsame  Lieder  dieser 
Art  hinterlassen.  Von  Balassa  sind  auch  patriotische  und  andere  weltliche 
Lieder  noch  heute  in  Ungarn  allgemein  verbreitet.  Diese  Lieder  wurden  meist 
nach  vorhandenen  Melodien  gesungen.  Dies  gilt  auch  von  den  dramatischen 
Versuchen,  welche  dieses  Jahrhundert  hindurch  gleichfalls  fortgesetzt  wurden. 
»Eine  aus  vier  Abtheilungen  bestehende  halb  lustige  und  halb 
traurige  Geschichte«  ist  in  Versen  geschrieben  und  wurde  nach  verschie- 
denen Melodien  abgesungen,  welche  vor  jedem  Act  bezeichnet  sind,  wie:  r>Ad 
notam  ödes  hist:  Vom  Feenreich  —  oder:  ad  notam  ödes  militaris: 
Der  Arie  der  Helden:  nach  der  Melodie  von  Szigets  Untergang  u.  s.  w. 
Wie  in  Deutschland,  England  und  Frankreich  waren  auch  in  Ungarn 
die  Darsteller  solcher  Schauspiele  die  herumziehenden  Musikanten,  die  Harfen- 
und  Citherspieler.  Wie  in  den  genannten  Ländern  wurden  auch  in  den  un- 
garischen höhern  Schulen  sogenannte  Schulkomödien  fleissig  aufgeführt;  und 
wie  dort  waren  diese  auch  hier  meist  mit  Gesang-,  namentlich  Chorgesang- 
einlagen versehen.  Daneben  erhielten  sich  aber  auch  jene  fahrenden  Sänger, 
welche  zur  Laute  die  Heldenthaten  der  Vorfahren  besangen,  und  Sebastian 
Tinödi,  der  letzte  dieser  ungarischen  fahrenden  Sänger,  erlangte  noch  eine 
grosse  Bedeutung.  Er  sang  seine  selbstgedichteten  Lieder,  mit  denen  er  die 
Begebenheiten  der  jüngsten  Vergangenheit  besang  an  den  Höfen  der  Grossen 
zur  Laute  und  war  im  ganzen  Lande  als  Sebastian  der  Lautensänger 
bekannt.  Dazu  war  er  zugleich  im  Besitz  einer  Schulbildung,  die  ihn  befähigte, 
seine  Gesänge  auch  durch  Schrift  und  Druck  zu  verbreiten.  Tinodi  starb  in 
dem  ersten  Jahrzehnt  der  zweiten  Hälfte  des   16.  Jahrhunderts. 

Auch  das  17.  Jahrhundert  brachte  dem  Lande  noch  keine  Ruhe,  der 
Kampf  zwischen  Protestantismus  und  Katholicismus  wurde  hier  das  ganze 
Jahrhundert  hindurch  heftig  weiter  gekämpft  und  lähmte  den  Fortschritt  von 
Kunst  und  Gesittung  ganz  gewaltig.  Nur  die  Lyrik,  namentlich  die  religiöse 
und  neben  ihr  auch  die  weltliche  gedieh  zu  schöner  Blüthe,  besonders  in 
Johann  Rimay  (1564 — 1631)  und  Peter  Beniczky  (blühte  um  1620). 
Auf  dem  Gebiete  der  kirchlichen  Lyrik  ist  besonders  Albert  Molnär  von 
Szens  zu  nennen,  der  mit  seinen  nach  Beza  und  Marot  bearbeiteten  Psalmen 
(1607)  ein  eijochemachendes  Werk  schuf,  das  heute  noch  in  der  protestantischen 
Kirche  Ungarns  in  hohem  Ansehen  steht.  Ferner  gab  dies  Jahrhundert  der 
ungarischen  Heldenpoesie  ihren  uastreitig  grössten  Vertreter  in  Graf  Niklas 
VII.  Zrinyi,  einem  Sohne  vom  Enkel  des  Szigeter  Niklas  Zrinyi,  jenem 
Georg,  den  Wallenstein  1626  durch  Gift  aus  dem  Wege  räumen  Hess.  Der 
Dichter  ist  1616  geboren  und  starb  am  18.  November  1664  an  der  tödtlichen 
Verwundung,  die  ihm  auf  der  Jagd  ein  wilder  Eber  beigebracht  hatte.  Seine 
Zrinyiade  ist  unstreitig  das  grösste  Heldenepos  der  L^ngarn;  dabei  war  er 
nicht  minder  hervorragend  als  Lyriker.  Neben  ihm  sind  dann  noch  als  epische 
Dichter  der  Freiherr  Ladislaus  Liszti  und  Stephan  Gyöngyosi  als  epische 
Dichter  zu  nennen. 


Ungarische  Musik.  395 

Im  18.  Jahrhundert  behauptete  dann  die  Lyrik  allein  das  Feld;  in  den 
Liedern  des  Freiherrn  Ladislaus  Am  ade  und  des  Jesuiten  Franz  Faludi 
herrscht  volle  unmittelbare  Empfindung  und  zugleich  sind  sie  leicht  und  fliessend 
in  der  Form.  Der  Ausgang  des  Jahrhunderts  brachte  auch  wieder  eine  all- 
gemeinere Erhebung  der  Poesie,  aber  auf  die  Entwickelüng  der  Musik  scheint 
auch  das  keinen  wesentlichen  Einfluss  gewonnen  zu  haben,  wie  das  doch  immer 
in  Deutschland  und  auch  in  Frankreich  und  Italien  der  Fall  war.  Die  unga- 
rische Literatur  war  bisher  zu  einseitig  Ausfluss  des  Nationallebens,  so  dass 
sie  dessen  Wandlungen  treu  folgte,  mit  ihm  sich  hob  oder  senkte.  Seit  dem 
Ausgange  des  vorigen  Jahrhunderts  wurde  das  Yerhältniss  erst  ein  anderes; 
jene  erlangte  eine  gewisse  Selbständigkeit,  so  dass  sie  nunmehr  eine  bedeutende 
Einwirkung  auf  das  Nationalleben  ausüben  konnte. 

Die  Schöpfung  der  adeligen  Leibgarde  (1760)  durch  Maria  The- 
resia veranlasste  die  ungarischen  adeligen  Jünglinge,  nach  Wien  zu  kommen, 
um  dort  eine  allgemeine  Bildung  zu  gewinnen,  welche  von  dem  wohlthätigsten 
Einfluss  auf  die  Literatur  wurde,  indem  sie  diese  aus  den  engen  Banden  eines 
beschränkten  nationalen  Sinnes  erlösen  half  und  die  strengen  Massnahmen 
Joseph  II.  gegen  die  ungarische  Sprache  andrerseits  weckten  und  stählten 
wieder  das  Nationalgefühl  so,  dass  es  in  hellen  befruchtenden  Flammen  auf- 
loderte: so  entstand  jene  Literatur,  die  wir  bereits  oben  als  eine  selbständigere 
bezeichnen  konnten,  die  zugleich  aber  auch  bedeutend  auf  das  öffentliche  Leben 
einwirkte.  Georg  Bessenyei  (1742  geb.)  gab  hierzu  den  ersten  Anstoss 
und  bald  sammelte  sich  um  ihn  ein  Kreis  Gleichgesinnter  und  Gleichstrebender, 
aus  dem  Orczy,  Barcsai,  Anyos,  Joseph  Teleki,  Peczeli  u.  A.  zu 
nennen  sind,  welche  der  ungarischen  Poesie  auf  allen  Gebieten  und  in  allen 
Formen  neuen  Aufschwung  gaben.  Diesem  Kreise  folgte  dann  jene  Schule, 
welche  sich  antiken  Mustern  anschloss,  wie  David  Szabo  von  Barot, 
Eäjnis,  Nikolaus  Revai,  deren  Beispiel  Michael  Szathmäri,  Carl 
Dome,  Franz  Kazinczi,  Johann  Foldi,  Johann  Kis  u.  A.  folgten. 
Die  mehr  volksthümliche  Dichtung  ruhte  daneben  nicht:  sie  fand  in  Andreas 
Dugonics,  Johann  Könyi,  Stephan  Kulcsär,  Adam  Horväth  u.  A. 
energische  Pflege.  Für  die  Musik  besonders  bedeutungsvoll  wurde  Franz 
Yerseghy  nicht  nur  durch  seine  Abhandlung  über  die  Musik  (1791), 
sondern  namentlich  auch  durch  seine  Dichtungen.  Diese  Abhandlung  wie  die 
über  die  Poesie  (1793)  sind  die  ersten  Anfänge  einer  ungarischen,  auf  die 
nationale  Dichtung  angewandten  Aesthetik.  Besonders  betonte  Yerseghy  das. 
in  der  ungarischen  Dichtung  und  ganz  besonders  in  der  ungarischen 
Musik  schrankenlos  waltende  rhythmische  Prinzip  und  versuchte  in  seinen,  als 
Anhang  beigegebenen  Liedern  den  Reiz  eines  geordneten  musikalischen  Rhyth- 
mus fühlbar  zu  machen.  Er  stellte  für  die  Liedform  den  Accent  als  Grundsatz 
auf  und  begnügte  sich  damit,  der  Arsis  schwere,  der  Thesis  leichte  Silben 
zuzuweisen. 

Wiederum  wurde  diese  ganze  Richtung  für  die  Lyrik  besonders  bedeutsam 
und  von  Ladislaus  Szabo  von  Szentjobs  (1791)  Liebesliedern  bis  auf 
die  Lieder  der  neuesten  Zeit  sind  eine  ganze  Reihe  bedeutender  ungarischer 
Liederdichter  zu  verseichnen,  wie:  Franz  Kazinczy  und  Gabriel  Dayka, 
Yiräg,  A^ilkovics,  Michael  Yitez  von  Csokona  noch  im  vorigen  Jahr- 
hundert; Alexander  Kisfaludy  (der  Aeltere),  Döbrentei,  Josef  Szäsz, 
Lengyel,  Fazekas,  Berzsennyi,  Graf  Tel  eck  i,  Graf  Mailäth,  Czuczar, 
Töltenyi,  Carl  Kisfalady  (der  Jüngere),  Michael  Yörösmarty,  Baron 
Josef  Eotvos;  Josef  Gäl,  Johann  Erdelyi,  Lorenz  Töth,  Peter 
Yajda,  Zsigmond  Beothy,  Cäroly  Berczy,  Johann  Rimai,  Ignaz 
Rischko,  Anton  Sujansky,  Coloman  Töth,  und  der  unstreitig  grösste 
unter  ihnen:    Alexander    Petöfi. 

Der  beschränkt  nationale  Zug,  der  die  ungarische  Dichtung  nur  spät  erst 
zu  grösserer  Bedeutung  kommen  Hess,  hemmte  die  eigentlich  künstlerische  Ent- 


396  Ungarische  Musik. 

Wickelung  der  Musik  fast  vollständig,  so  dass  ungeachtet  der  ausserge wohnlichen 
Empfänglichkeit  und  Begabung  dtr  Ungarn  für  die  Kunst  sie  dennoch  in  der 
Gresammtentwickelung  derselben  nur  durch  die  volksthümlichen  Elemente,  welche 
sie  andern  Völkern  zuführten  und  durch  einzelne  Männer,  nicht  aber  eigentlich 
selbstthätig  Antheil  nahmen. 

In  der  Liebe  zur  Musik  wird  der  Ungar  kaum  übertroffen,  aber  er  liebt 
es  weniger,  sie  selbst  auszuüben,  er  lässt  sich  vielmehr  gern  vorspielen  und 
seine  alten  Kriegs-,  Sieges-  und  Heldenlieder  vorsingen.  Vor  allem 
aber  ist  ihm  seine  Nationalmusik  eine  sehr  ernste  Sache  und  daher 
ist  es  wohl  zu  allermeist  gekommen,  dass  die,  durch  die  Kirche  eindringenden 
fremden  Elemente  hier  nicht  den  praktischen  Erfolg  hatten  wie  in  Deutsch- 
land, Italien  und  Erankreich  und  selbst  auch  in  den  nordischen  Staaten, 
dass  sie  nicht  die  volksthümlichen  Elemente  zu  einer  eigenthümlichen  Kunst- 
musik gestalteten.  Der  alte  gregorianische  Kirchengesang  erzeugte  in  den 
oben  erwähnten  Ländern  ganz  neue  Richtungen  der  Musikeutwickelung,  der 
protestantische  nahm  aus  der  Volksmusik  in  Deutschland  seine  befruch- 
tenden Elemente  und  erzeugte  dann  wiederum  eine  eigene  Art  weltlicher  Musik. 
In  Ungarn  dagegen  blieb  der  gregorianische  Gesang  ebenso  wie  die  unter 
dem  Einfluss  der  Reformation  entstandene  neue  Weise  der  Musikübung  ziem- 
lich einflusslos.  Inmitten  dieser  Strömungen  erhielt  sich  die  alte  nationale 
Musik  und  sie  gewann  als  solche  wiederholt  und  namentlich  in  der  Neuzeit 
Einfluss  auf  die  Kunstentwickelung,  aber  das  Volk  und  Land  selber  nahmen 
daran  wenig  Antheil. 

Ungarische  Tanzweisen  und  auch  Melodien  fanden  schon  im  Mittel- 
alter Eingang  in  Deutschland  und  auch  in  Erankreich.  Einzelne  Sammlungen 
des  16.  und  17.  Jahrhunderts  für  die  Laute  enthalten  auch  ungarische 
Tänze  und  Melodien.  Die  ungarischen  Studenten  brachten  sie  nach  Deutsch- 
land oder  unsere  fahrenden  Schüler  und  Handwerksburschen,  für  die  das  Land 
immer  eine  besondere  Anziehungskraft  hatte,  holten  sie  dort,  und  die  Laute- 
nisten und  Instrumentisten  nahmen  sie  eben  so  begierig  auf,  wie  die  Melodien 
und  Tänze  anderer  Länder.  Die  ungarische  Volksmusik  entspricht  übri- 
gens im  Grossen  und  Ganzen  der  türkischen  Musik,  wenigstens  ist  der  gleiche 
Ursprung  unschwer  zu  errathen,  doch  hat  sich  die  ungarische  Musik  immer 
noch  zu  grösserer  Gesetzmässigkeit  entwickelt  wie  jene. 

Wie  die  lyrische  Poesie  der  Ungarn  früh  zu  einer  sehr  scharf  ausgeprägten 
strophischen  Gliederung  gelangte,  so  auch  die  ungarische  Volksmelodie; 
aber  innerhalb  derselben  herrscht  eine  grosse  Freiheit  fast  bis  zur  Willkür. 
Die  Verszeilen  werden  streng  herausgebildet  und  die  einzelnen  dann  unter  sich 
eben  so  energisch  zu  einem  eng  geschlossenen  Versgefüge  vereinigt;  aber  in 
der  Bildung  der  Zeile  herrscht  eine  ausserordentlich  grosse  Freiheit,  die  auf 
ihren  Ursprung  hindeutet.  Aus  dieser  verschiedenen  Darstellung  der  Verszeilen 
und  ihrer  Zusammensetzung  entstehen  die  unter  den  Namen  des  Lassü  —  Hal- 
gato  maffi/ar,  Andalgo  —  Fris  u.  s.  w.  bekannten  Musikformen;  die  dann 
noch  durch  die  verschiedenartigsten  Ausschmückungen  mit  Vorschlägen,  Ver- 
zierungen und  allerlei  Figurenwerk  bis  zur  Aufregung  verschieden  wirkend 
gemacht  werden.  Durch  diese  reichbelebte  Rhythmik  namentlich  unterscheiden 
sich  die  ungarischen  AVeisen  vortheilhaft  von  den  türkischen.  Der  häufig 
angewandte  Rhythmus 


^       ^ 

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hat  unzweifelhaft  seinen  Ursprung  im  ungarischen  Tanz.  Schon  im  Mittel- 
alter war  auch  in  Deutschland  ein  Tanz  unter  dem  Namen  »ungrisch«  oder 
auch  »hanuakischa  bekannt  und  beliebt,  der  in  dieser  Weise  ausgeführt 
wurde,  dass  der  Tänzer  den  rechten  Fuss  hob,  auf  dem  linken  sich  leicht 
wiegte    und    dann    zwei    kurze    Tritte    folgen    Hess,    um  darauf  wieder  auf  dem 


Unerarische  Musik. 


397 


rechten    zu    verweilen;    jedenfalls    wurde    dabei    auch    eine  Drehung  ausgeführt, 
ahnlich  -wie  beim  Mazurka,  was  demnach  folgendes   Tanzschema  erg.ebt: 

"^       ^       ^       ,^     I      ^        ^       ^       ^ 


•  •  4'  •  ■  ••IC-  •  "  •"  *• 

links   rechts  links   rechts      links   rechts   links   rechts 


liuks 


das  hau2:)tsachlich  wie  den  ungarischen  Tänzen  so  auch  den  ungarischen 
"\"olksmelodien    zu    Grunde    liefft,    wie     weiterhin     das     daraus     entstandene 


rhvtliraische 


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K 

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und  die  häufige  Wiederkehr  von   Synkopen  und  synkopirt^n  Rhythmen 


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Diese  Eigenthümlichkeit  der  rhythmischen  Gestaltung  war  schon  von  den 
deutschen  lustrumentalisten  des  Mittelalters  erkannt  worden;  augenscheinlich 
sind  die  vingarischen  Passaraezzi,  Saltarelli,  Gagliarden  u.  s.  w.,  die 
wir  in  den  Tabulaturen  einzelner  finden,  nicht  ungarische  Originalmelo- 
dien, sondern  nur  im  Charakter  der  ungarischen  Musik  erfunden;  und  sie 
zeigen  diesen  Rhythmus  als  charakteristisches  Merkmal.  Die  wirklich  natio- 
nalen Tanz-  und  Liedmelodien  sind  noch  freier  und  ungezwungener,  bis  zur 
"Wildheit  ungezwungen  rhythmisirt.  Dem  entspricht  dann  die  weitere  rhyth- 
mische Construktion,  die  durchaus  nicht  immer  nur  durch  zwei  mal  zwei  geordnet 
ist,  wie  bei  den  civilisirten  Tänzen,  sondern  fünf-  und  siebentaktige  Rhythmen 
aufweist.  Dieselbe  Freiheit  zeigt  die  Melodie;  diese  hält  sich  enger  wie  die 
der  Türken  an  unser  modernes  Tonleitersystem;  hieran  namentlich  ist  zu 
merken,  dass  die  Ungarn  früher  in  näheren  Verkehr  mit  dem  übrigen  civili- 
sirten Europa  gelangten  als  die  Türken,  bei  denen  die  arabischen  Ton- 
systeme vorwiegend  die  ganze  Musikpraxis  beherrschten.  Auch  die  unga- 
rischen Originalweisen,  wie  sie  in  der  Puszta  entstehen,  lassen  sich  nicht 
immer  leicht  in  unsre  Notenschrift  übertragen,  auch  hier  begegnen  wir  Melo- 
dienschritten, die  nicht  immer  in  unsern  Intervallen  ganz  deckend  sich  dar- 
stellen lassen;  allein  sie  erscheinen  dann  immer  mehr  als  unmittelbar  momen- 
taner Ausdruck  der  überreizten  Empfindung,  weniger  als  Eigenthümlichkeit 
eines  andern  Systems.  Diese  das  Lied  erzeugende  Empfindung  aber  ist  fast 
stärker  noch  als  bei  den  andern  Völkern,  welche  Volkslieder  haben;  besondere, 
hierauf  beruhende,  unterscheidende  Eigenthümlichkeiteu  der  Melodiebildung 
beim  ungarischen  Nationalliede  können  erst  in  den  Artikeln  Volkslied 
und  Volksmusik  erörtert  werden.  Hier  sei  nur  noch  erwähnt,  dass  die  über- 
mässige Sekunde  in  den  ungarischen  Volksweisen  häufig  eingefühi't  wird,  wie 
beispielsweise  im  Räcoczy-Marsch: 


^ 


=j: 


Diese  Freiheit  der  Melodiebildung  wird  noch  dadurch  begünstigt,  dass 
auch  die  ungarische  Volksmusik  nicht  bis  zu  einer  geregelten  Mehrstim- 
migkeit gelangt  ist.  Die  Ungarn  sind  zwar  auch  hier  wieder  einen  Schritt 
weiter  gegangen  wie  die  Türken,  in  den  nationalen  Musikchören  der  Ungarn 
spielen  die  einzelnen  Instrumente  im  Grunde  auch  alle  nur  die  Melodie  wie 
bei  den  türkischen  Chören:  allein  jedes  einzelne  Instrument  schmückt  sie  nach 
seinem  abweichenden  Charakter  und  der  andern  Technik  in  so  eigenthümlicher 
"Weise  mit  Figuren,  Arpeggien  u.  dergl.  aus,  dass  eine  ganz  seltsam  wir- 
kende Mehrstimmigkeit  erzeugt  wird,  die,  ganz  abweichend  von  unserer  kunst- 
voll geübten,  durchaus  improvisirt  erscheint  und  daher  eine  um  so  überraschen- 
dere  "Wirkung   hervorbringt.     Die    ungarischen  Musikanten    werden  meist 


398 


Ungarische  Musik. 


ebenso  durch  die  unausgesetzte  Hebung  nach  derselben  Richtung  zu  Meistern 
ihrer  beschränkten  Instrumente,  wie  sie  sich  mit  aller  Begeisterung  in  ihre 
nationalen  Weisen  hineinleben  und  so  ist  es  erklärlich,  dass  sie  diese  ein  jeder 
auf  seinem  Instrument  in  der  entsprechendsten  und  zugleich  wirksamsten  Weise 
darzustellen  vermögen.  Jetzt  sind  diese  Chöre  meist  aus  möglichst  viel  Streich- 
instrumenten zusammengesetzt,  zu  denen  sich  das  Lieblingsinstrument,  das 
Cymbal  neben  der  Clarinette  gesellen.  Die  älteren  Instrumente,  die  Täro- 
gato,  die  Kriegspfeife,  sind  ausser  Grebrauch  gekommen;  die  Turulya 
(die  Hirtenflöte)  und  der  Tilinko  (kleine  Flöte)  sind  wie  das  Cymbal  bei 
der  Hausmusik,  deren  der  Ungar  nicht  entbehrt,  im  Gebrauch.  Dies  letztere 
Instrument  ist  neben  der  Geige  an  die  Stelle  der  alten  Laute  bei  den  Volks- 
sängeru  getreten.  Jene  Musikbanden  gewinnen,  wie  erwähnt,  eine  ausser- 
ordentlich grosse  Fertigkeit  auf  ihren  Instrumenten,  deren  Behandlung  nichts 
weniger  als  leicht  und  deren  Ton  an  sich  meist  nicht  sehr  angenehm  ist. 
Weder  ihre  Geigen  noch  die  Clarinetten  und  Cymbals  sind  vorzügliche  Instru- 
mente und  dennoch  vermögen  sie  ihnen  Klänge  zu  entlocken,  die  oft  einen 
wunderbar  tiefen  Eindruck  machen  und  welche  ihre  Dichter  zu  enthusiastischen 
Lobgedichten  begeistern.  Von  jenem  Lehel,  der  zur  Zeit  der  ersten  Nieder- 
lassung der  Ungarn  in  Europa  bei  Munkäcs  vor  länger  als  einem  Jahrtausend 
aus  dem  Hörn  des  Elefanten,  den  er  erlegte,  sich  ein  Hörn  schnitzte,  mit  dem 
er  dann  austönte: 

„Was  sein  Haupt  ersann  und  was  sein  Herz  beseelte. 
Dröhnen  konnte  es  gleich  schwerstem  Ungewitter. 
Dann  erklangs  voll  Lust,  dann  wieder  herzensbitter. 
Girren  konnt's  den  Yöglein  gleich,  so  zart  und  sinnig. 
Das  das  Pärchen  lockt  von  Zweig  zu  Zweig  gar  minnig." 

und  der  vielfach  in  Liedern  gefeiert  wurde;  bis  zu  Lavotta,  Czermak, 
B-uzcitcka  wurde  vor  allem  Rozsavolgyi  als  hervorragender  Geiger  solcher 
Musikbanden  von  ungarischen  Dichtern  in  ihren  Liedern  gefeiert.  (Vergleiche 
auch:  Zigeuner.) 

Wie  bereits  angeführt  wurde,  ist  die  ungarische  Nation  nicht  über  diese 
anziehende  Nationalmusik  hinausgekommen.  Seit  jenem  gelehrten  Georg  Slat- 
konia,  der  als  Bischof  an  der  Stephanskirche  (geboren  1456)  zugleich  Hof- 
kapellmeister Kaiser  Maximilian  I.  war,  bis  auf  Liszt  und  Joachim,  zählt 
Ungarn  unter  seinen  Söhnen  manchen  bedeutenden  Tonkünstler,  aber  diese  sind 
es  immer  nur  geworden,  indem  sie  in  andern  Ländern  ihre  Studien  machten. 
Zu  einer  Weiterentwickelung  im  nationalen  Sinne  vermochte  die  nationale 
Volksmusik  sich  nicht  zu  erheben.  Nur  von  A^ersuchen  aus  neuester  Zeit, 
eine  Nationaloper  zu  gewinnen,  ist  noch  zu  berichten;  aber  weder  Erkel's 
•siJIunyadi  di  Laszloi,  noch  Doppler's  »Ilkaa  können  als  solche  gelten;  sie 
sind  eben  nur  Opern  nach  der  italienischen  Schablone  mit  mehr  oder  weniger 
glücklich  eingefügten   Volksmelodien. 

Wie  die  ungarische  Nationalmusik  kunstvoll  weiter  zu  bilden  ist,  das  haben 
namentlich  einige  deutsche  Meister  gezeigt.  Von  unzweifelhaft  bedeutendem 
Einfluss  wurde  die  ungarische  Musik  auf  Joseph  Haydn,  der  während 
seines  Aufenthalts  in  Eisenstadt,  als  Direktor  der  Fürstlich  Eszterhazy'schen 
Hauskapelle,  auch  die  magyarische  Volksmusik  kennen  lernte  und  sich  durch 
sie  befruchten  Hess.  Direct  entlehnt  er  ihr  nur  in  seltenen  Fällen,  wie  etwa 
in  seiner  Sinfonie  (No.  11  in  A-dur  aus  dem  Jahre  1765)  das  Trio  der  Menuett. 


Ungarische  Musik. 


399 


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Bei  andern  wurde  seine  Thematik  augensclieinlicli  durch  den  Geist  und  Cha- 
rakter der  ungarischen  Musik  beeiuflusst,  in  der  Weise  wie  in  folgendem  ersten 
Thema  des  Allegro  der  vierten  Sinfonie  (in  D-dur,  1764): 


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das    in    der    bunten    Rhythmik    diesen    Einfluss    zeigt,  während  er  sich  in  dem 
nachstehenden  Andante: 

Andante.  .  t 3  ^ 

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in  der  wunderlichen   Verkräuselung  der  Melodie  kundgiebt,  der  wir  auch  noch 
in  zahlreichen  langsamen  Sätzen  seiner  Streichquartette  begegnen. 

Weit  bedeutender  als  diese  directe  Einwirkung,  die  sich  in  Entlehnung 
oder  Nachbildung  zeigt,  wurde  der  mehr  indirecte  Einfluss,  den  die  ungarische 
Musik  auf  Haydn  gewann,  indem  er  nur  ihren  Charakter  auf  sich  wirken  Hess. 
So  nur  gelangte  er  dazu,  dass  er  die  Leidenschaftlichkeit  der  ungarischen 
Musik  zu  herzlicher  und  entzückender  Gemüthlichkeit  abklärte;  dass  er  ihre 
Wildheit  zu  gediegener  Lebendigkeit  mässigte,  ihr  vePEehrendes  Feuer  zu  be- 
fruchtender Wärme  abdämpfte  und  ihre  regellose,  alle  Schranken  künstlerisch 
vermittelnder  Schönheit  überschreitende  Willkür  zähmte  und  zügelte  und  die 
Musik  in  ewig  schöne  künstlerisch  mustergiltige  Formen  goss.  Diesen  Ein- 
drücken, welche  Haydn  aus  der  ungarischen  Musik  gewann,  verdanken  nament- 
lich die  Finales  seiner  Sinfonien  ihre  Frische  und  Lebendigkeit;  sie  erinnern 
nach  dieser  Seite  an  das  Fris  —  das  Allegro  oder  Presto,  mit  welchem  in  der 
Regel  der  Czä,rdäs  oder  auch  andere  Tänze  oder  Tonstücke  der  Ungarn  aus- 
gehen. Beethoven  hatte  bei  seiner  Musik  zu  »König  Stephan«  Veran- 
lassung, diese  nationalungarische  Musik  zu  berücksichtigen;  er  that  dies 
in  der  Weise,  die  seinem  nichts  weniger  als  nationalbeschränkten,  weltumfas- 
senden Genius  entsprach.  Er  fasste  auch  diesen  nationalungarischen  wie  alle 
anderen    Stofi'e    in    seinen    weitesten    Beziehungen    und    schuf    eine  Musik,  die 


400 


Ungarische  Musik. 


salbst  da,  -wo  sie  an  die  ungarische  erinnert,  immer  als  seine  eigenste  Erfin- 
dung erscheint,  nur  der  Ausdruck  seiner  eigensten  Anschauungen  und  Emjsfin- 
duncren  vom  AVesen  des  ungarischen  Nationalcharakters  ist.  Dass  nationale 
Ei.?enthümlichkeiien  für  diesen  Meister  und  seinen  allumfassenden  Geist  nicht 
eio'entlich  vorhanden  waren,  zeigte  er  ja  auch  in  seiner  Bearbeitung  der  schot- 
tischen Lieder. 

Yon  wesentlichem  Einfluss  war  dagegen  die  ungarische  Nationalmusik 
für  die  Romantiker,  zunächst  und  vor  allen  für  Franz  Schubert.  Bekannt- 
lich war  er  in  Zelescz  in  Ungarn  in  den  Jahren  1818  und  1824  bei  dim 
Grafen  Job.  E^^zterhazy  als  Hauslehrer  und  hier  wurde  er  mit  der  ungarischen 
Nationalmusik  bekannt.  Er  sammelte  die  Melodien,  die  ihm  die  Zigeuner  vor- 
spielten oder  die  Mägde  vorsangen  und  verarbeitete  sie  dann  selbständig  oder 
als  Theile  grösserer  Werke,  lieber  das  Entstehen  des  y^ Divertissement  ä  la 
Mongroisev.  (op.  54)  wissen  wir,  d-iss  er  sich  das  Thema  aus  dir  Eszterhazy'schen 
Küche  holte,  wo  es  eine  Magd  sang,  als  Schubert  mii;  seinem  Freunde,  dem 
Herrn  von  Schönstein,  vorüberging.  Solchen  Weisen  oder  doch  Anklängen  an 
national-ungarische  Melodien  begegnen  wir  vielfach  in  seinen  instrumentalen 
Werken  aus  dieser  und  der  späteren  Zeit,  wie  im  Scherzo  und  im  Schluss- 
satz der  A-moll-^ ou&ie  oder  in  dem  Menuett  des  .^-woZZ-Quarletts  (op.  29) 
und  im  Schlusssatze  desselben  Quartetts.  Namentlich  dieser  Satz  zeigt,  auf 
welchem  Wege  die  ungarische  Musik  sich  aus  ihren  naturalistischen  An- 
fängen zur  Kuastmusik  entwickeln  konnte.  Das  Hauptthema  ist,  wenn  auch 
nicht  entlehnt,  doch  im  Charakter  der  ungarischen  Musik  erfunden: 


und  wird  dann  zu  einem  der  brillantesten  und  festgefügtesten  Quartettsätze 
verarbeitet.  Auch  die  grosse  Sinfonie  in  C-dur  zeigt  den  Einfluss  der  un- 
garischen Volksweise  namentlich  im  zweiten  Satz,  ebenso  das  -almpromptu  in 
F-moll«  (op.  142,  No.  4),  die  r>Momens  musicales«;  die  Sonate  op.  143, 
die  vierhändigen  Märsche,  das  C'-iwr- Quintett,  die  beiden  Trios  in  Es-dur 
und  B-dur;  die  letzten  Streichquartetten  u.  s.  w. 

Ein  anderer  Romantiker,  Carl  Maria  von  Weber,  hat  ausser  der  Musik 
zur  »Preziosa«,  welche  eine  specifischa  Seite  der  ungarischen  Musik,  die 
Zigeunermusik,  berücksichtigt,  noch  ein  i?ow(7o  ongarese  und  ein  Allegro 
ongarese  geschrieben,  die  nicht  bedeutsam  genug  sind.  Seitdem  ist  die  unga- 
rische Welse  noch  vielfach  von  den  jüngeren  Romantikern  verwendet  worden, 
bewusst  und  mit  bedeutendem  Erfolge  von  Brahms  und  Volkmann,  von 
Joachim  uad  vor  allem  von  Franz  Liszt.  Brahms  hat  durch  seine  »un- 
garischen Tänze«  hauptsächlich  sein  Publikum  erobert  und  seitdem  wird 
die    ungarische  Weise    auch    in    seinen  selbständigen  Compositionea  erkennbar. 


Ungarisclier  Werbungstanz  —  Ungestrichen.  401 

Volkmann  hat  in  seinen  »Ungarischen  Skizzen«  (op.  24)  und  in  seinem 
op.  21  »Visegrud«  mehr  den  Standpunkt  Beethoven's  gewählt,  indem  er 
den  ungarischen  Nationalcharakter  auf  seine  Phantasie  wirken  und  dort  Ton- 
bilder erzeugen  lässt  und  weniger  sich  unter  den  Bann  der  Nationalmusik 
stellt,  während  seine  5- Jzfr-Sinfonie  wie  das  ^-«zoZZ- Concert  mehr  diesem 
unterstellt  sind.  Joachim  verwendet  in  seinem  »Ungarischen  Concert«  gleich- 
falls ungarische  Melodien.  Besondern  Reiz  erhalten  die  y> Rhapsodies  hon- 
(jroisesa  von  Liszt,  in  denen  echt  ungarische  Melodien  vollständig  im 
nationalen  Sinne  verarbeitet  sind,  sodass  sie  den  ungarischen  Nationalcharakter 
in  der  blendendsten  Mannichfaltigkeit,  mit  seinen  scharfen  Contrasten  so 
treu  wiederspiegeln  wie  kein  anderes  derartiges  "Werk.  Auch  in  seinem  Ora- 
torium »Die  heilige  Elisabeth«  hatte  Liszt  Gelegenheit,  streng  unga- 
rische Musik  zur  Lokalcharakteristik  zu  verwenden.  Seitdem  sind  noch  un- 
garische Suiten  und  Concerte,  ungarische  Tänze  und  Märsche  zu 
Tage  gefördert  worden,  doch  meist  nur  als  Produkte  einer  unkünstlerischen 
Spekulation,  die  mit  den  anziehenden  äusserlichen  Mitteln  nationaler  Melodien 
leicht  und  sicher  die  Massen  zu  blenden  versucht.  Sie  können  nur  vorüber- 
gehende Bedeutung  beanspruchen  und  nehmen  keinen  Antheil  an  der  Weiter- 
entwickelung der  Kunst  unserer  Tage.  Das  hat  der  deutschen  Musik  diese 
universale  Bedeutung  gegeben,  dass  ihre  Träger  sich  leicht  fremdem  Einfluss 
öffnen,  um  zu  neuen  Thaten  sich  befruchten  zu  lassen;  aber  die  Nachahmung 
äusserlicher  Effekte  gehört  in  das  Gebiet  unkünstlerischer  Spekulation  und 
erscheint  daher  nur  verwerflich. 

Ungarischer  Werbungstanz,  s.  Verbunkos. 

Unger,  Caroline,  in  Italien  Carlotta  Ung her  genannt,  wurde  zu  "Wien 
1800  geboren  und  erhielt  auch  dort  die  erste  Ausbildung  in  der  Gesangskunst, 
welche  sie  dann  in  der  Schule  des  Dominique  Ronconi  zu  Mailand  vollendete. 
Ihr  Aeusseres  war  ebenso  imponirend,  wie  ihre  Stimmmittel  höchst  bedeutend, 
und  nur  einige  Eigenthümlichkeiten  ihrer  Gesangsweise  hinderten  sie  daran, 
die  höchsten  Ziele  zu  erreichen.  Sie  trat  als  Cherubin  in  Mozart's  »Figaro« 
in  Wien  1819  zum  ersten  Male  auf,  wurde  dann,  nachdem  sie  in  mehreren 
italienischen  Städten  gesungen  hatte,  in  Paris  engagirt.  Bei  einer  zweiten  An- 
wesenheit in  Italien  wurde  sie  besonders  glänzend  aufgenommen.  Sie  sang  zu- 
letzt (1839)  in  Dresden,  Triest  und  Florenz.  Am  letzteren  Orte  verheiratete 
sie  sich  an  Hrn.  Sabatier.  Es  ist  ein  Schriftchen  vorhanden:  »Trionß  melo- 
drammatici  di  C.  Ungher  in    Viennav.  (Wien,  1839,  in  8°). 

Unger,  Johann  Friedrich,  geboren  zu  Braunschweig  1716,  war  herzogl. 
"braunschweigischer  Justizrath,  er  erdachte  ungefähr  1752  eine  Maschine,  ver- 
mittelst welcher  sich  von  selbst  alles,  was  auf  einem  Ciavier  gespielt  wird,  auf- 
zeichnet, sobald  diese  Maschine  an  dem  betreffenden  Ciavier  angebracht  ist. 
Ein  Mechanikus  Hohlfeld  in  Berlin  verfertigte  eine  solche  Maschine  nach  der 
Angabe  Unger's  und  legte  sie  der  königl.  Akademie  vor.  Da  sie  indessen 
nicht  für  vollkommen  praktisch  angesehen  wurde,  erhielt  er  nur  ein  Geld- 
geschenk von  25  Thlr.  Unger  gab  1774  eine  Beschreibung  der  Maschine  unter 
folgendem  Titel  heraus:  »Entwurf  einer  Maschine,  wodurch  alles,  was  auf  dem 
Ciavier  gespielt  wird,  sich  von  selber  in  Noten  setzt,  1752  an  die  königliche 
Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin  eingesandt,  nebst  dem  mit  dem  Herrn 
Direktor  Euler  darüber  geführten  Briefwechsel  u.  s.  w.«  Unger  stai'b  in  Braun- 
schweig am   9.  Februar  1781. 

Ungerader  Tact,  s.  Tact. 

Ungerade  Töne,  s.  v.  a.  authentische  Töne,  s.  Tonart. 

Ungestrichen  oder  klein  heissen  die  Töne  der  dritten  Octave  zum  Unter- 
schiede von  den  vorhergehenden  und  den  nachfolgenden.  Bei  der  Aufzeichnung 
der  Töne  durch  Buchstaben  in  den  frühern  Jahrhunderten  werden  die  ver- 
schiedenen Octaven  dadurch  entschieden,  dass  man  die  zweite  Octave  mit  grossen 
und  die  dritte  mit  kleinen  Buchstaben  bezeichnete,  bei  der  vierten  dann  einen, 

Musikal.  Convers.-Lexikon.    X.  26 


402 


Ungher  —  Unisono. 


bei  der  fünften  zwei,  bei  der  sechsten  drei  Striche  über  die  Buchstaben  stellte. 
Diese  letztern  hiessen  darnach  die  ein-,  zwei-  und  dreigestrichene  und 
dem  entsj^rechend  die  dritte  oder  kleine  Octave  auch  die  ungestrichene;  die 
tiefste  oder  erste   Octave  aber  bezeichnet  man  mit  Contraoctave: 


Erste  oder  Contra-Octave. 


Zweite 
oder  grosse  Octave. 


Dritte,  kleine  oder 
ungestrichene  Octave. 


-•.     • 


^sta^b^m'     Gl    Dl  El   Fl    Gl  Ai  Hl    C    D    E    F    G    A    H    c     d     e     f     g     a      h 


Vierte  oder 
eingestrichene  Octave. 


Fünfte  oder 
zweigestrichene  Octave. 


Sechste  oder 
dreigestrichene  Octave. 


"zr~^ 


e     a 


f  g 


Ungher,  Carlotta,  s.  Unger,  Caroline. 

Ung'leicher  Contrapuukt,  Gontrapunctus  inaequalis,  ein  Contrapunkt, 
der  in  Noten  von  anderem,  geringerem  Werth,  als  der  Cantus  ßrmus,  ge- 
halten ist. 

üngleichschwebende  Temperaturen,  s.  Temperatur. 

Unharmonischer  Querstand,  s.  Querstand. 

Unichordum  =  Einsaiter,  das  Monochord  (s.  d.)  und  die  Marine- 
trompete. 

Unisono  (ital.),  franz.:  ä  l'unisson,  im  Einklänge,  gehen  zwei  oder 
mehrere,  sonst  gewöhnlich  selbständig  geführte  Stimmen,  wenn  sie  ein  und  die- 
selbe Melodie  in  gleicher  Tonhöhe  gleichzeitig  ausführen.  Es  ist  dies  bekannt- 
lich die  früheste  "Weise  der  praktischen  Musikübungen  zur  Zeit  der  Anfänge 
unserer  Kunst  und  die  Völker  des  Orients  u.nd  die  weniger  civilisirten  des 
hohen  Nordens  und  tiefen  Südens  der  Erde  sind  bis  heutigen  Tages  nicht 
darüber  hinaus  gekommen.  Noch  heutigen  Tages  vereinigen  sich  bei  den 
Türken  und  Chinesen  die  sämmtlichen  höhern  Stimmen  und  Instrumente 
zur  Ausführung  derselben  Melodie  in  ein  und  derselben  Tonlage,  ebenso  wie 
die  tiefen  in  der  tiefern  Octave.  Bei  den  civilisirten  Völkern  des  Alterthums, 
den  Juden  und  Griechen,  entwickelte  sich  dann  diese  Weise  des  Gesanges  zu 
den  sogenannten  Wechselgesängen,  den  Antiphonien  der  Juden  und  den 
in  Strophe  und  Gegenstrophe  dargestellten  Chören  der  Griechen,  bei  denen  die 
höhern  unisono  zusammengehaltenen  Stimmen  mit  den  in  einer  andern,  ihnen 
bequemsten  Tonlage  unisono  vereinten  tiefern  Stimmen  abwechselten.  Es  ist 
erwiesen,  dass  dieser  antiphonische  Wechselgesang  auch  noch  Jahrhunderte  lang 
in  der  christlichen  Kirche  einzig  geübt  wurde,  und  dass  dann  erst  die  beiden 
Wechselchöre  zu  gleichzeitiger  Wirkung  zusammengeführt  wurden,  so  dass  sich 
nun  erst  die  Mehrstimmigkeit  daraus  entwickelte.  Diese  ist  seitdem  in  der 
europäisch-abendländischen  Musik  herrschend  geworden,  das  Unisono  einzelner 
Stimmen  dagegen  wird  nur  noch  als  ein  wirksames  Eifektmittel  in  einzelnen 
Fällen  angewendet.  Wahrscheinlich  in  Rücksicht  auf  die  oben  erwähnte  Weise 
des  Psalmodirens  im  althebräischen  Gottesdienst  hat  namentlich  Mendelssohn 
in  seinen  Psalmen  einen  häufigen  Gebrauch  vom  Unisono  (und  dem  eng  ver- 
wandten Gesänge  in  Octaven)  gemacht,  wie  in  Psalm  2:  »Warum  toben  die 
Heiden«,  besonders  aber  in  Psalm  43:  »Pichte  mich  Gott«,  Bei  dem  Choral: 
»Dir  Heri',   dir   will    ich    mich    ergeben«    im    Paulus    fühi-en    Sopran  und  Alt 


Unisonus  —  Unrein. 


403 


die  Melodio  unisono  und  die  Verbindung  beidei'  Stimmcharalitere  zu  einem 
neuen  ist  hier  von  grossem  Effekt.  Im  Orchester  sind  solche  Unisono,  in 
welchen  sich  alle  Stimmen  auf  einem  Ton  vereinigen,  sehr  selten.  Die  in 
zweifacher  Besetzung  vorhandenen  Blasinstrumente,  die  l)eiden  Flöten,  Oboen, 
Clarinetten  und  Fagotte,  Hörner  und  Trompeten  werden  ebenso,  wie 
erste  und  zweite  Geigen,  häufiger  mit  einander  unisono  geführt,  wenn  es  gilt 
eine  Melodie  herauszuheben.  Den  Flöten  schliessen  sich  auch  wohl  Oboen  und 
Clarinetten  im  Einklänge  an,  häufiger  noch  in  Octaven,  wie  die  Fagotte.  Ein 
Gresammtunisono  dieser  Instrumente  kann  sich  nur  auf  sehr  beschränkten  Um- 
fang erstrecken,  da  dieser  bei  den  erwähnten  Instrumenten  sehr  verschieden  ist 
und  bei  jedem  andern  Voraussetzungen  der  Technik  unterliegt.  Ein  Unisono 
der  gesammten  Streichinstrumente  giebt  Meyerbeer  in  der  Einleitung 
zum  fünften  Akt  seiner  »  Afrikanerin«.  Mächtig  eindrucksvoll  weiss  Beethoven 
die  Violinen  und  die  Bratschen  mit  den  Cellis  im  Unisono  zu  führen, 
wie  beispielsweise  in  der  (7-?n o/Z- Sinfonie.  Die  Ausführung  derselben  Me- 
lodie in  Octaven  macht  eine  ähnliche  "Wirkung,  wie  die  im  Einklänge,  weshalb 
man  sie  häufig  mit  unter  den  Begriff  ytunisonoa  setzt  und  von  einem  solchen 
spricht,  auch  wenn  nicht  alle  Stimmen  und  Instrumente  im  Einklänge  gehen, 
sondern  einzelne  in  der  höhern  oder  tiefern  Octave  verdoppeln.  So  wirksam 
auch  solche  Unisonos  sind,  und  so  wenig  man  sie  an  den  passenden  Stellen 
verwerfen  darf,  so  muss  doch  vor  dem  Missbrauch  gewarnt  werden.  Namentlich 
ist  es  nicht  zu  billigen,  wenn  in  neuerer  Zeit  wieder  versucht  worden  ist,  weiter 
ausgeführte  chorische  Sätze  durchweg  in  den  Singstimmen  im  Einklänge  oder 
in  Octaven  zu  führen;  der  so  erreichte  Effekt  ist  viel  zu  äusserlicher  Art,  um 
auf  Billigung  Anspruch  erheben  zu  dürfen  und  der  Gewinn  an  unmittelbarer 
Virkung,  den  er  bringt,  ersetzt  nicht  die  Einbusse  an  künstlerischem  Werth, 
den  ein  solches  Werk  dadurch  erleidet.  Mit  Instrumenten  darf  man  noch  eher 
in  dieser  Weise  exj)erimentiren;  dennoch  würde  auch  das  oben  erwähnte  Vor- 
spiel der  im  Einklänge  vereinigten  Instrumente  aus  Meyerbeer's  »Afrikanerin« 
nicht  zur  Nachahmung  emjifohlen  werden  dürfen. 

Unisonus  (lat.),  der  Einklang,  zwei  Töne  gleicher  Höhe  von  verschiedenen 
Stimmen  ausgeführt,  nicht  zu  verwechseln  mitPrime,  welche  Bezeichnung  sich 
auf   das  Intervallenverhältniss   bezieht,   die   Identität    mit   sich  selbst  bestimmt. 

Unitamente  (ital.),   übereinstimmend. 

TJnreg-elmässig'e  Cadenz  wurde  in  früherer  Zeit  jeder  nicht  ganz  vollkommen 
ausgeprägte  Abschluss  in  der  Haupttonart  oder  der  Tonart  der  Domi- 
nante oder  auch  in  einer  fremden  Tonart,  die  nur  vorübergehend  ergriffen 
wurde,  genannt.  In  der  Regel  bereitet  eine  solche  unregelmässige  Cadenz  im 
ersten  AUegrosatze  den  Eintritt  des  zweiten  Theils  vor;  in  dem  Concert  für 
ein  Solo-Instrument  mit  Orchesterbegleitung  wurde  meist  die  von 
dem  Solisten  zu  erfindende  sogenannte  Cadenz,  in  welcher  er  seine  besondern 
Fertigkeiten  entwickeln  soll,  eingeleitet,  wie  im  C-dur-Concert  von  Beeth- 
oven, op.   15: 


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404 


TJnregelmässiger  Durchgang  —  Unrein. 


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TJnregelmässiger  Durchgang,  Transitus  irregularis,  die  "Wechselnote, 
noia  eamhiata,  s.  Wechselnote.j 

Unrein,  im  Gegensatz  von  i'ein,  wird  in  mehrfacher  Bedeutung  auch  in 
der  Tonkunst  angewendet.  In  Bezug  auf  die  Stimmung  bezeichnet  man  damit 
das  getrübte,  incorrecte  Schwingungs-  und  Intervallenverhältniss.  Nach  unserer 
Temperatur  wird  mathematisch  rein,  d.  h.  genau  nach  der,  für  jeden  Ton 
berechneten  und  festgesetzten  Schwingungszahl  nur  die  Octave  geübt,  alle 
andern  Intervalle  weichen  mehr  oder  weniger  von  der,  physikalischen  Reinheit 
ab,  ohne  dass  diese  Abweichung  unserem  Ohr  schon  als  unrein  erscheint;  erst 
die  Abweichung  von  den  so  gewonnenen  Verhältnissen,  ohne  dass  dadurch  ein 
neues  sicher  bestimmtes  erreicht  wird,  bezeichnen  wir  mit  unrein.  Soll  ein 
Sänger  von  einem  gegebenen  Ton  beispielsweise  die  kleine  Secunde  singen  und 
er  singt  so  viel  zu  hoch,  dass  der  von  ihm  gesungene  Ton  mit  dem  gegebenen 
eine  grosse  Secunde  bildet,  so  hat  er  falsch  gesungen,  wenn  er  dagegen  zu 
hoch  singt,  ohne  die  grosse  Secunde  zu  erreichen,  so  hat  er  unrein  intonirt. 
Dem  entsprechend  sind  Instrumente  falsch  gestimmt,  wenn  sie  andere  Inter- 
valle als  die  ursprünglich  geforderten  angeben,  unrein,  wenn  sie  diese  in  em- 
pfindlichen Abweichungen  geben,  ohne  dass  sie  wirklich  zu  neuen  festbestimmten 
werden.  In  diesem  Sinne  heisst  auch  der  Gesang  und  das  Spiel  bei  allen  den 
Instrumenten  unrein,  bei  denen  der  Ton  erst  vom  Spieler  erzeugt  wird,  bei 
den  Streich-  und  Blasinstrumenten;  bei  den  Tasteninstrumenten  aber 
nennt  man  auch  das  Falschspielen,  das  Anschlagen  falscher  Töne  unrein, 
was  passender  mit  unsauber  zu  bezeichnen  wäre.  —  Ferner  wird  der  Klang 
als  unrein  bezeichnet,  wenn  er  rauh,  heiser  und  unklar  wirkt.  Die  Ursachen 
liegen  im  klingenden  Material,  wenn  dies  durch  geringe  und  ungleiche  Con- 
sistenz  die  gleichmässige  und  gleichartige  Schwingung  verhindert  und  die  Yer- 
mischung  verschiedener  Schwingungsbewegungen,  die  in  keinem  rechten  Yer- 
hältniss  zu  einander  stehen,  verursacht.  Nicht  fest  genug,  oder  aus  ungleich 
knotigen  Fäden  gedrehte  Darmsaiten,  leichter  biegsame  Stahlsaiten,  unsauber 
gearbeitete  Orgelpfeifen,  deren  Wände  nicht  hinlänglich  dick,  und  aus  schlechtem 
Holz  oder  Metall  gefertigt  sind,  geben  leicht,  und  wenn  die  erwähnten  Eigen- 
schaften des  betreffenden  Materials  besonders  hervorstechen,  immer  unreine 
Klänge,  und  es  ist  meist  auch  nicht  möglich,  mit  diesen  Instrumenten  die 
Intervallenverhältnisse  rein  zu  erzeugen.  Auf  Streichinstrumenten,  die  mit 
Saiten  bespannt  sind,  welche  unreine  Klänge  erzeugen,  ist  es  auch  dem  be- 
deutendsten Virtuosen  meist  nur  mit  Anstrengung  möglich,  reine  Töne  zu 
erzeugen,  rein  zu  spielen.  Aus  alle  dem  ist  erklärlich,  weshalb  man  endlich 
auch  die  Verstösse  gegen  den  sogenannten  reinen  Satz  als  unrein  bezeichnet. 
Wie  in  dem  betreffenden  Artikel  nachgewiesen  worden  ist,  sind  die  Regeln 
des  reinen  Satzes  über  Stimmführung,  Melodie  und  Harmonisation 


Unterarme  —  Unterdomiuant.  405 

namentlich  mit  Rücksicht  auf  die  Klangwirkung  entworfen  und  aufgestellt. 
Verstösse  dagegen  trüben  dem  entsprechend  diese,  machen  sie  in  demselben 
Sinne  zu  einer  unreinen,  wie  die  Abweichung  von  den  festgestellten  Inter- 
vallenverhältnissen, und  so  erscheint  die  Bezeichnung  eines  solchen  Satzes,  als 
unreiner  Satz,  ebenfalls  vollständig  gerechtfertigt. 

Unterarme  heissen  die  Theile  der  Orgelregisterwellen,  an  denen  die  Schieb- 
stangen  mit  den  Registerknöpfen  befestigt  sind. 

Unterbass,  s.  v.  a.  Subbass  (s,  d.). 

Unterbrochene  Cadeuz  =  der  Trugschluss  (s.  d.). 

Unterciavier,  Unterwerk,  TJntermanual  ist  bei  der  Orgel  mit  mehreren 
Claviaturen  immer  die  unterste,  welche  dem  Pedal  am  nächsten  liegt. 

Unterdomiuant,  Quarta  tont,  die  vierte  Stufe  der  diatonischen  Tonleiter, 
die  vollkommene  Quarte.  Sie  bildet  sowohl  bei  der  Construktion  der  Ton- 
leitern, wie  bei  dem  harmonischen  Formationsprocess  einen  der  wich- 
tigsten Factoren  und  zugleich  einen  der  Hauptangelp unkte  derselben.  Selbst 
in  jenen  Systemen  der  Völker  der  alten  Welt,  welche  nicht  in  dem  Bestreben 
zu  formen  aufgestellt  wurden,  wie  beispielsweise  in  den  gi-iechischeu  Tonsystemen, 
finden  wir  das  eigeuthümlich  gestaltende  Verhältniss  der  Quarte  als  Unter - 
dominante  wirksam.  Die  Grundlage  dieses  Systems  bildet  das  Tetrachord, 
dessen  unwandelbar  feststehende  Grenzpunkte  auch  bei  den  anderweitig  ver- 
schieden construirten  Systemen  nicht  verändert  wurden.  Wie  dies  Verhältniss 
die  sogenannten  Quartengattuugen  erzeugte  und  bei  den  Trans p ositions- 
scalen  bedeutsam  wurde,  ist  an  dem  betreffenden  Orte  nachgewiesen  worden, 
und  wir  fanden  es  durchaus  wahrscheinlich,  dass  die  früheste  Lyra  in  Quarten: 
c—f  und  g  —  c  gestimmt  war.  In  der  christlichen  Musik  wurde  dann  neben 
der  Theilung  der  Tonleiter  durch  die  Quart,  auch  die  durch  die  Quint  ge- 
staltend und  die  letztere  erlangte  endlich  die  Herrschaft  als  Dominant,  so 
dass  dann  auch  die  Unterdominant  als  Dominantbewegung  und  zwar 
nach  unten  aufgefasst  wurde.  Wir  sahen  auf  diesem  AVege  die  sogenannten 
Kirchentonarten  entstehen,  die  authentischen,  bei  welchen  die  Quinte 
die  untere,  die  Quarte  die  obere  Hälfte  bildet;  und  die  plagalischen, 
bei  denen  umgekehrt  die  untere  Hälfte  durch  die  Quarte  und  die  obere 
durch  die  Quinte  gebildet  wird.  Wir  fanden  dann,  dass  es  namentlich  das 
Quartenverhältniss  war,  was  die  Einführung  des  ersten  versetzten  Halb- 
tons, des  '?  (f—b),  nothwendig  machte  und  zwar  als  selbständigen  Ton,  als  Er- 
satz für  h  und  wie  die  Versetzung  der  Tonarten  lange  Zeit  nur  nach  dem 
hierauf  basirten  genus  molle  (die  Unterdominant)  erfolgte,  bis  allmälig  auch 
die  übrigen  Halbtöne  Eingang  fanden  und  nun  erst  wurde  mit  der  Ober- 
dominante  die  moderne  Tonleiter  herrschend.  Aber  auch  die  Unter  dominant 
zeigte  ihre  Bedeutung  schon  bei  der  Construktion  des  ganzen  modernen  Systems; 
nur  die  Kreuztonarten  wurden  dadurch  gewonnen,  dass  man  den  Process 
der  Bildung  der  Tonleiter  nach  der  Oberdominantseite  fortführte;  erst  indem 
man  diesen  auch  nach  der  Unterdominantseite  entwickelte,  gewann  man 
die  Be-Tonarten  und  damit  die  Durtonarten  des  modernen  Systems. 
Dem  entsprechend  erhielt  aber  auch  die  Unterdominant  die  gleiche  Bedeutung 
für  die  Construktion  des  Kunstwerks.  Der  Dreiklang  der  Unterdominant  er- 
langt beim  Harmonisationsprocess,  der  sich  auf  das  moderne  Tonsystem  gründet, 
mehr  als  nur,  wie  die  andern,  ausgestaltende  Bedeutung;  er  wird  zugleich,  wie 
das  Intervall  bei  der  Tonleiter,  einer  der  Angelpunkte  der  Tonart  und  als 
solcher  selbstverständlich  wichtig  für  die  Bildung  der  grossen  und  kleinen 
Formen.  Es  wurde  bei  der  Liedform  und  beim  Tanz  schon  nachgewiesen,  wie 
aus  dem  intimen  Verhältniss  von  Tonika  und  Dominant  die  Mittel  erwachsen, 
diese  Formen  harmonisch  zu  gestalten,  dort  beim  Liede  die  Verszeilen,  hier 
beim  Tanze  die  rhythmischen  Gruppen  abzugrenzen  und  unter  sich  in  Ver- 
bindung zu  bringen  und  dadurch  zum  grossen  Ganzen  zu  gestalten.  In  dem- 
selben   Bestreben    wird    dann    die    Unterdominant    herbeigezogen,    welche    als 


406 


Untergescliobene  Accorde  —  Untergescliobener  Ton. 


Dominantbewegung  nach  unten  genau  dieselbe  gestaltende  Kraft  besitzt,  zugleich 
aber  auch  den  Inhalt  in  neuer,  vertiefter  Weise  darstellen  hilft,  denn  wie  die 
Oberdominant  eine  Steigerung  nach  der  Höhe  bezeichnet,  so  die  TJnter- 
dominant  ein  Versenken  nach  der  Tiefe,  wogegen  dann  die  Rückkehr  nach 
der  Tonika  wiederum  als  Steigerung  erscheint.  Die  Bildung  des  Schlusses  ist, 
fanden  wir  weiter,  durch  Tonika  und  Dominant  allein  zu  bewerkstelligen,  aber 
dieser  erhält  grösseres  Gewicht,  wenn  auch  noch  die  TJnterdominant  hinzu- 
gezogen wird.  Diese  nahe  Beziehung,  welche  die  Unterdominant  zur  Ober- 
dominant gewinnt,  lässt  es  fernerhin  möglich  erscheinen,  dass  man  diese  auch 
mit  jener  unter  Umständen  vertauschen  kann.  Das  Trio  beim  Marsch  und 
beim  Tanz  dient,  wie  nachgewiesen  wurde,  ausschliesslich  dem  Ausdruck  der 
Empfindung,  während  die  ursprünglichen  Formen  an  äussere  Yorgänge  an- 
knüpfen, diese  Empfindungen  aber  sind  in  den  meisten  Fällen  wehmüthiger  Art 
und  dem  entspricht  die  Unter  dominant  mehr  als  die  Oberdominant; 
deshalb  tritt  in  solchen  Fällen  an  Stelle  der  letztern  diese,  während  es  sonst 
Norm  ist,  das  Trio  der  Oberdominant  zuzuweisen. 

Nach  diesen  Gresichtspunkten  kann  es  auch  geboten  sein,  ganze  Partien 
der  grössern  selbständigen  Instrumentalformen  der  Unterdominant  zuzuweisen. 
Beim  eigentlichen  Sonatensatze  (dem  ersten  Allegrosatz)  berücksichtigt  die  Mo- 
dulationsordnung in  der  Regel  nur  in  der  Coda  die  Unterdominant  in  aus- 
gedehnterer "Weise:  der  Hauptsatz  wird  in  der  Haupttonart,  der  Seitensatz 
in  der  Dominant  (unter  Umständen  der  Mediante)  eingeführt;  im  Durch- 
führungssatz herrscht  dann  die  nöthige  Freiheit  der  harmonischen  Construktion 
und  bei  der  Wiederholung  des  Hauptsatzes  und  Nebensatzes  als  dritten  Theil 
herrscht  dann  die  Haupttonart  vor,  allein  hier  kann  es  ebenso  begründet  sein, 
das  zweite  Thema  (den  Seitensatz)  in  der  Unterdominant  einzuführen, 
vielleicht  vor  dem  ersten,  dem  Hauptsatz,  und  diesen  dann  in  der  Haupttonart, 
oder,  wenn  die  Durchführung  darnach  eingerichtet  ist,  den  Hauptsatz  in  der 
Unterdominant  und  den  Seitensatz  wie  die  anschliessende  Coda  im  Haupt- 
ton. Es  widerstreitet  diese  Modulationsordnung  durchaus  nicht  der  Idee 
der  Form,  wenn  auch  die  erste  ursprüngliche  als  die  natürlichere  gelten  muss; 
unter  Umständen,  durch  den  Inhalt  bedingt,  kann  aber  die  zweite,  ausnahms- 
weise die  einzig  entsprechende  sein.  Als  durch  die  Dominantbewegung  erzeugt, 
kann  natürlich  die  Unterdominante  überall  für  die  Oberdominant  ein- 
treten, wo  es  der  Inhalt  erfordert;  daraus  aber  ist  ebenso  zu  folgern,  dass 
diese  Vertretung  am  unrechten  Ort  den  Eindruck  nothwendig  abschwächen 
muss.  Wo  Erhebung  gefordert  wird,  ein  präciser  gewichtiger  Fortschritt  und 
vor  allem  ein  sicheres  Ausprägen  der  ursprünglichen  Form  wird  immer  die 
Bewegung  nach  der  Oberdominant  geboten  sein;  die  Unterdominant- 
bewegung wirkt  abschwächend,  beruhigend,  die   Conturen  verwischend. 

llntergreschobene  Accorde  oder  Stammaccorde  zweiter  Ordnung  nannten 
ältere    Theoretiker  den    Nonen-,    Undecimen-    und    Terzdecimenaccord 
ein   Verfahren,    das    nur    in    der    Lust  zum   Schematisiren  seinen  Boden  findet, 
aber    ohne    stichhaltigen   Grund    ist  und  keinen  rechten  Zweck  verfolgt.     Das- 
selbe gilt  von  der  Bezeichnung: 

Untergeschobener  Tou  für  die  zum  Septimenaccord  anstatt  seines  Grundtons 
gesetzte  Tonika: 


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Selbst  wenn  die  Tonika  hier  in  beiden  Fällen  wieder  angeschlagen  wird,  behält 
sie    doch    immer    den   Charakter    eines  orgelpunktartigen  Haltetons    und  bedarf 


Unterlialbton.  407 

keines  besondern  Namens,  der  hier  nocli  ziemlich  unpassend  erscheint,  da  man  eher 
den  Septimenaccord  als  eingeschoben  bezeichnen  müsste. 

Unterbalbtou,  Semitonium,  Suhsemitonium  modi,  die  grosse  Septime, 
als  solche  Leitton  zur  Tonika  und  dementsprechend  der  Tonart,  daher  Sub- 
se  mit  Olli  um.  Als  unmittelbar  unter  der  Octave  liegender  Halbton  wird  durch 
ihn  die  Bewegung  der  aufsteigenden  Scala  in  der  Octave  zum  Schluss  geführt. 
Er  wurde  für  die  Entwickelung  des  modernen  Tonsystems  von  grösster  Wichtig- 
keit, das  ältere  konnte  ihn  bei  seiner  melodischen  Construktion  entbehren. 
Für  dies  ist  gerade  die  verschiedene  Lage  des  Halbtons  von  charakteristischer 
Bedeutung;  nur  bei  zwei  Tonleitern  desselben,  die  von  c  und  die  von  _/  aus 
construirten,  war  der  zweite  Halbton  zugleich  Leitton,  dort  h—c,  hier  e—f, 
die  zweite  aber  kam,  des  Tritonus  f—  li  halber  nur  selten  in  Anwendung.  So 
lange  die  Tonarten  dieses  ganzen  Systems  nur  melodisch  verwandt  wurden, 
beobachtete  man  diese  Verhältnisse  gewiss  ganz  genau  und  sang  dorisch, 
phrygisch,  mixolydisch  und  äolisch  zweifellos  ohne  Leitton;  erst  die 
harmonische  Ausgestaltung  des  Systems  machte  die  Einführung  des  Leittons  all- 
mälig  auch  bei  den  andern  Tonarten  nothwendig  und  damit  beginnt  die  Auf- 
lösung des  alten  und  die  allmälige  Ueberleitung  in  unser  modernes  System. 
Man  darf  mit  Recht  demnach  die  Einführung  des  Leittons  als  den  direkten 
Grund  des  Absterbens  des  alten  Tonsystems  und  als  Anfang  unseres  neuen 
bezeichnen.  Er  gliedert  die  moderne  Tonleiter  in  zwei  ganz  gleich  construirte 
Hälften,  Tetrachorde,  c—  d—  e—f,  g—  a  —  Ti—c  und  giebt  ihr  in  dem  zweiten 
den  energischsten  Abschluss.  Wie  dann  das  zweite  als  erstes  gesetzt  und  diesem 
ein  neues  ganz  gleich  gebildetes  angefügt  wird,  um  die  neue  Tonleiter  G-dur 
mit  dem  neuen  Leitton  fis,  zu  erhalten  und  wie  weiterhin  durch  die  Fort- 
setzung dieses  Processes  die  Kreuztonarten  entstehen,  ist  im  Artikel  Tonart 
nachgewiesen;  ebenso  wie  das  entgegengesetzte  Verfahren,  das  erste  als  zweites 
zu  setzen,  dem  dann  ein  erstes  vorauszustellen  ist,  auf  die  Betonarten  führt.  Die 
Nothwendigkeit,  auch  bei  der  aufsteigenden  Molltonleiter  den  Leitton  anzu- 
wenden, ergab  die  abweichende  Führung,  welche  sie  der  gleichnamigen  Dur- 
tonleiter näher  verwandt  erscheinen  lässt,  als  der  verwandten.  Die  Verwandt- 
schaft mit  der  C-f?«r-Tonleiter  rechtfertigte  die  Construktion  ohne  Versetzungs- 

zeichen:  a  —  Ji  —  c  —  d — e—f — y  — «.  Allein  eine  solche  Tonleiter  erscheint  fremd 
in  unserm  modernen  System.  Der  vorletzte  Ton  wurde  also  zum  Leitton  er- 
höht, g  in  gis  verwandelt,  und  um  das  diatonische  Verhältniss  wieder  her- 
zustellen, auch  f  in  ßs,  so  dass  die  A-moll-T ovXeÜQr  sich  so  darstellt: 
a—h  —  c—d—e—ßs—gis  —  a;  erst  bei  der  absteigenden  wurde  dann  die  Ver- 
wandschaft mit  der  Paralleltonart  ausgeprägt,  sie  wurde  getreu  nach  der  Vor- 
zeichnung derselben:  a—g—f—e — d — c — h — a  construirt.  In  dieser  doppelten 
Fassung  gilt  sie  dann  unserm  modernen  Tonsystem  als  Normaltonleiter,  nach 
welcher  die  andern  Molltonleitex-n  ebenso  gebildet  werden,  wie  die  Durtonleiter 
nach  der  (7-J«<r-Tonleiter.  Bei  der  Erweiterung  des  Tonartensystems  nach  der 
TJnterdominantseite  ist  es  immer  der  Leitton,  der  in  der  nächsten  Tonart  ver- 
tieft werden  muss;  der  C-f?Mr-Tonart  folgt  im  Quartenzirkel  F-dur,  bei  welcher 
Ä,  der  Leitton  von  G-dur,  in  &  verwandelt  wird;  dann  folgt  B-dur,  bei  welcher  e, 
der  Leitton  von  F-dur,  in  es  verwandelt  wird;  der  Leitton  von  B-dur  ist  a 
und  dieser  wird  in  der  folgenden  Tonart  Fs-dur  in  As  verwandelt  u.  s.  w.  Der 
Leitton  heisst  auch  der  charakteristische  Ton,  nota  characteristica,  ton  sensible, 
weil  er  direkt  in  die  Tonika  führt  und  dem  diese  unmittelbar  vorbereitenden 
Dominantaccord  nothwendig  erforderlich  ist.  Darnach  ist  auch  seine  Auflösung 
im  Dominantseptnccorde  und  Dominantdreiklange,  sobald  dieser  die  Stelle  des 
Septaccordes  vertritt,  geboten;  der  Leitton  löst  sich,  namentlich  wenn  er  in 
der  Oberstimme  liegt,  immer  in  die  Octave  auf;  a)  in  der  Mittelstimme  geht 
er  unter  Umständen  auch  nach  der   Quint  b): 


408 


Unterhaltungsmusik. 


doch  sind  die  vorhergehenden  Auflösungen  immer  vorzuziehen;  der  Tenor  wird 
immer  die  "Wendung  unter  b)  mit  Unbehagen  ausführen.  Selbstverständlich 
behält  der  siebente  Ton  der  Tonleiter  nur  in  diesen  und  ähnlichen  Fällen  seinen 
Charakter  als  Leitton;  er  verliert  ihn  und  gewinnt  durchaus  freie  Bewegung, 
sowie  er  anders  harmonisirt  erscheint: 


"TT '~~ 

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?— ; 

^ 

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^ 

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^ — 

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Bei  der  grossen  Bedeutung,  welche  demnach  der  Leitton  gewinnt,  ist  er 
namentlich  auch  bei  der  Ausführung  mit  grosser  Sorgfalt,  namentlich  beim 
Gesang,  zu  behandeln.  Selbst  a  ca2)eUa-Ch'öre  werden  selten  unrein  singen  und 
im  Ton  sinken,  wenn  der  Dirigent  darauf  hält,  dass  der  Sänger  den  Leitton, 
in  welcher  Stimme  er  auch  auftritt,  scharf  und  sicher  intonirt.  Das  ist  nicht 
schwierig  bei  den  Tonarten  mittlerer  Lage,  bei  welchen  die  zum  Detoniren 
leichter  geneigten  Soprane  und  Tenöre  mehr  ihre  bequemeren  Lagen  verwenden 
können.  Daher  sind  die  Sänger  bei  Chören  in  0-dur  schon  leichter  ffeneisft 
zu  detoniren,  als  in  Ä-,  B-  und  S-dur,  weil  die  Septime  f  und  die  Terz  des 
tonischen  Dreiklangs  e  beim  Tenor  im  Stimmbruch  liegen,  mehr  aber  noch  bei 
den  Tonarten  Es-,  E-,  F-,  Fis-  und  G-dur,  weil  hier  die  Leittöne  vom  Sopran 
und  Tenor  nicht  so  leicht  genommen  werden,  und  nicht  vollkommen  ausge- 
bildete Sänger  nur  zu  bald  ermüden,  so  dass  die  Reinheit  des  Tons  dann  meist 
nicht  mehr  zu  erhalten  ist.  Derartige  Sätze  bedürfen  der  besondern  Aufmerk- 
samkeit der  Sänger  wie  des  Dirigenten. 

Unterhaltungsmusik  im  engern  Sinne  ist  diejenige  Musik,  welche  keinen 
andern  Zweck  verfolgt  als  den,  wie  Gresellschaftsspiele,  Erfindung  und 
Erzählen  von  Geschichten  und  Schwänken,  Taschenspielereien 
oder  leichte  amüsante  Gespräche  und  dergl.,  grösseren  oder  kleineren  Kreisen 
angenehm  die  Zeit  zu  vertreiben.  Schon  der  Umstand,  dass  die  Unterhaltungs- 
musik damit  einem  ausser  ihr  liegenden  Zweck  entspricht,  lässt  sie  etwas  tiefer 
stehend  erscheinen  als  jene,  welche  zunächst  nur  der  nach  Offenbarung  ringen- 
den Idee  dient.  Allein  die  Unterhaltung  an  und  für  sich  ist  doch  auch  eine 
solche  Nothwendigkeit  für  Geist  und  Herz,  dass  sie,  als  Ziel  gesetzt,  noch 
nicht  unedel,  sondern  vielmehr  durchaus  schätzenswerth  erscheint.  Der  Geist 
bedarf  solcher  Erholung  nicht  minder  als  der  Körper  und  um  so  mehr,  als  er 
sie  nicht  eigentlich  wie  dieser  im  vollständigen  Nichtsthun  findet.  Der  Geist 
ist  vielmehr  immer  thätig,  er  bedarf  deshalb  oft  dringend  der  Unterhaltung, 
um  durch  sie  von  schwerer,  anstrengender  und  aufreibender  Arbeit  auf  eine 
Zeit  wenigstens  abgelenkt  zu  werden.  Das  aber  vermag  die  Musik  meist  in 
so  vollendeter  Weise  wie  kaum  irgend  eine  andere  Unterhaltung,  weil  sie  uns 
unmittelbar  packt,  gewaltsam  auf  uns  eindringt,  auch  wenn  wir  uns  ihr  zu 
entziehen  versuchen  und  weil  sie  dies  zugleich  in  der  angenehmsten,  beruhi- 
gendsten Weise  zu  thun  vermag.  In  diäsem  Sinne  gewinnt  selbst  die  blose 
Unterhaltungsmusik  eine  durchaus  nicht  zu  unterschätzende  Bedeutung.  Dabei 
ist  es  ihr  vergönnt,  in  Verfolgung  dieses  Zieles  selbst  noch  rein  künstlei'ische 
Zwecke    anzustreben,    wie    denn    überhaupt    ihr    specifischer   Werth    durch    die 


Unterhaltungsmusik.  409 

verschiedenen  Kreise,  denen  sie  Unterhaltung  gewährt,  viel  bedingt  wird. 
Je  gebildeter  diese  sind,  desto  bedeutsamer  werden  Formen  und  Inhalt  des 
Kunstwerks  sein  müssen,  das  ihnen  Unterhaltung  gewähren  soll,  und  in  diesem 
Sinne  werden  selbst  die  grössten  Meisterwerke  zur  Unterhaltungsmusik.  Doch 
betrachtet  man  diese  in  der  Regel  nicht  iu  dem  Sinne.  Doch  auch  die  reine 
Unterhaltungsmusik  zeigt,  nach  dem  Bildungsgrade  der  Kreise,  für  welche 
sie  berechnet  ist,  die  verschiedensten  Abstufungen.  Ihren  Zweck,  angenehm 
zu  unterhalten,  wird  sie  natürlich  dann  am  Ersten  erreichen,  wenn  sie  an  das 
Yerständniss  des  Hörers  keine  zu  hohen  Forderungen  stellt,  nur  leicht  und 
anmuthig  anregend  und  vielmehr  beruhigend  als  aufreizend  wirkt,  wenn  sie  mit 
einem  Wort  mehr  die  äusseren  als  die  inneren  Sinne  bewegt.  Sie  wird  deshalb 
die  vorwiegend  sinnlich  reizvoll  und  schlagend  wirkenden  Darstellungsmittel 
Melodie  und  Rhythmus  mehr  berücksichtigen,  als  die  Harmonie,  die  schon 
intimeres  Yerständniss  erfordert,  wenn  sie  in  grösserer  Fülle  und  Breite  wirk- 
sam wird.  Reizvolle  Melodik  und  pikante  Rhythmik  sind  deshalb  die 
Hauptbedingungen  einer  zweckentsprechenden  Unterhaltungsmusik.  Mit  der 
Fülle  des  Reizes  aber,  die  beide  entwickeln,  steigert  sich  natürlich  dann  auch 
die  Anforderung  an  die  Harmonik,  so  dass  diese  ebenfalls  zu  grösserer 
Entfaltung  gelangt.  "Wie  die  Art  der  gesellschaftlichen  Unterhaltung  durch 
die  verschiedenen  Bildungsstufen  der  betreffenden  Kreise  bedingt  wird,  so  auch 
die  Unterhaltungsmusik.  Wem  es  nur  darum  zu  thun  ist,  eine  oder  einige 
Stunden  angenehm  zu  verbringen,  der  wählt  zu  seiner  Unterhaltung  für  diese 
Zeit  die  leichte  Leetüre,  das  oberflächlich  über  Dinge  und  Menschen  sich 
erstreckende  Grespräch,  oder  die  weniger  complicirten  Gesellschaftsspiele.  Wer 
dagegen  auch  in  der  Unterhaltung  Nahrung  für  Geist  und  Herz,  Stoff  für  seine 
weitere  Entwickelung  in  angenehmerer  Form  sucht,  der  findet  sie  natürlich 
hier  noch  nicht,  der  muss  eine  entsprechende  ernstere  Leetüre,  der  muss  die 
Conversation  mit  den  tiefer  und  reicher  gebildeten  Geistern  suchen,  für  den 
genügen  Gesellschaftsspiele  nur,  wenn  sie  zugleich  auch  Geist  und  Gemüth 
anregen. 

Noch  bedeutsamer  aber  wird  die  Unterhaltung  sein  müssen,  wenn  es  gilt, 
den  tief  und  mächtig  erregten  Geist  zu  beruhigen.  Stürme,  die  im  Innern 
herauf  beschworen  wurden,  zu  besänftigen;  innere  Kämpfe,  wenn  auch  nicht 
abzuschliessen,  doch  auf  einige  Zeit  zum  Stillstand  zu  bringen,  oder  den  Geist 
von  schwerer  Arbeit  abzulenken.  Das  gilt  in  gleichem  Grade  von  der  Unter- 
haltungsmusik. Soll  diese  nur  über  eine  gewisse  Zeit  geistigen  Ausruhens 
hinweg  helfen,  dann  wird  sie  leichter  und  oberflächlicher  gestaltet  sein  können, 
wie  wenn  sie  zugleich  auch  anregend  auf  Geist  und  Herz  einwirken  oder  wenn 
sie  sogar  beide  beruhigen,  aus  beiden  die  das  Gleichgewicht  störenden  Ein- 
drücke entfernen  soll.  In  jenem  Falle  braucht  sie  eben  nichts  weiter  zu  sein 
als  Unterhaltungsmusik,  die  durch  leichtes  gefälliges  Spiel  die  Zeit  ver- 
kürzt; in  den  andern  Fällen  muss  sie  der  ernstern  Aufgabe  gemäss  auch  tiefer 
und  ernster  gefasst  werden.  Schon  in  den  frühesten  Zeiten  der  Entwickelung 
unserer  Kunst,  selbst  da,  als  sie  noch  fast  ausschliesslich  im  Dienst  der  Kirche 
stand,  diente  sie  schon  auch  der  Unterhaltung  und  zwar  selbst  mit  den 
Formen,  die  innerhalb  der  Kirche  entstanden  und  als  der  direkte  Ausdruck 
religiöser  Empfindung  erscheinen. 

Als  solche  Unterhaltungsmusik  müssen  wir  jene  Parodien  der  Cultus- 
gesänge,  die  im  Fugen-  und  Canonstil  gehaltenen  Scherzgesänge,  welche 
schon  zur  Zeit  der  emportreibenden  Blüthe  des  Chorgesanges  bei  den  Nieder- 
ländern selbst  in  Klöstern  geübt  und  auch  von  den  Meistern  des  Contrapunkts 
nicht  verschmäht  wurden.  Die  ernst-kirchlichen  Formen,  mit  den  aus- 
gelassenen profanen  Texten,  gewährten  jener  Zeit  einer  natürlichen  urwüchsigen 
Rohheit  eine  Unterhaltung  von  grossem  Reiz.  Ganz  besonders  waren  die 
Lieder  jener  Mischpoesie  beliebt,  durch  welche  die  einzelnen  Verse  lateinischer 
Kirchengesänge  eigenthümliche  deutsche  Umdichtung  fanden,  wie: 


410  Unterlialtungsmusik. 

„  Yenite  — 

Uns  gesellen  besweret  sorgen 

Den  abent  und  den  morgen: 

Wir  sin  frölich  unverborgen. 

Salutari  nostro  praeoccupemus 

An  gutem  Tranke  uns  wol  genüget 

Ob  es  sich  füget 

Ein  voll  fass  wird  uns  geruget. 

In  confessione 

Da  von  so  werden  wir  hochgemut 

Der  wirt  gibt  uns  spise  gut. 

Juhilemus  et  quordam 

Und  die  braten  von  der  glut. 

Ob  es  euch  dünket  gut." 

Als    dann    das  Volkslied    zu    grosser    und    höchster  Blüte  gelangte,  das  dem 

edelsten  Bedürfniss  des  Volks  entsprach,  wurde  auch  dies  Stoff  zu  einer  eigen- 

thümlichen  Form    der  Unterhaltungsmusik    in    den    sogenannten    Quodlibets, 

in  denen  die  verschiedensten  Volkslieder  zu  einem  drolligen,  meist  sehr  drastisch 

wirkenden  Tonsatz  verbunden  sind.    Wie  bekannt,  wurden  solche  Quodlibets 

unter  den  Musikanten,    Organisten    und  Cantoren    bei  ihren  Zusammenkünften 

zu  besondex'er  Gemüthsergötzung  improvisirt;   der  ganze  tolle  Humor  jener  Zeit 

fand    in    ihnen    seinen    drastisch    wirkenden  Ausdruck.     Daneben  wurden  auch 

solche  Quodlibets  von  den  Componisten  zusammengestellt;    es    sind   uns  solche 

von    Orlandus    Lassus,    Johann    Eccard,    Melchior    Frank,    Georg 

Forster  u.  A.  erhalten.    In  einem  Eccard'schen  Quodlibet  beginnt  der  Tenor: 

„Kessel,  Multer  binden,  Pfannen  flicken  — 
Ein  alter  Mann,  der  nahm  ein'  junge  Frau"  — 

und  sofort  fällt  der  Alt  ein: 

„Nun  woUf  ich  hören  neue  Mähr  — 
Zu  meiner  Königinn"  — 

und  der  Bass  zugleich 

„Ich  will  zu  lant  ausreiten  — 
Es  ist  ein  Seusack  kommen"  — 

Ein  Viertel  später  kommt  der  erste  Diskant  hinzu  mit  der  Melodie: 

„Warum  sollt  ich  nit  fröhlich  sein" 

und  der  zweite  mit: 

„Der  Müller  auf  der  Obermühl'  — 
Die  hat  ob  ihm  ein  Grauen"  — 

und  endlich  auch  der  zweite   Tenor: 

„Es  hat  ein  Schwab  ein  Töchterlein  — 
Und  haben  guten  Muth"  — 

und  dann  geht  es  so  fort  in  immer  tolleren  Zusammenstellungen,  bis  sich  end- 
lich alle  Stimmen  in  dem  Schlussrefrain  einigen: 

„Trink  gar  aus,  noch  muss  er  unser  Schwager  sein! 

Wisch  einmal  herumb,  ich  bitt  dich  all  mein  lebtag  drumb," 

der  ein  beliebter  Schluss  für  derartige  Quodlibets  gewesen  zu  sein  scheint,  da 
er  uns  öfter  begegnet.  Noch  in  der  ersten  Hälfte  des  gegenwärtigen  Jahr- 
hunderts waren  solche  Quodlibets  für  eine  Stimme  in  gewissen  Kreisen  eine 
beliebte  Unterhaltung;  sie  fanden  selbst  als  Einlage  in  der  komischen  Oper 
und  im  Singspiel  ein  dankbares  Publikum.  Mittlerweile  hat  das  Lied  eine  so 
hohe  ernst  künstlerische  Bedeutung  gewonnen,  dass  seine  Verwendung  zu  solchen 
Quodlibets  wie  Profanation  erscheint,  wir  begegnen  ihnen  daher  nur  noch  auf 
instrumentalem  Gebiet  in  den  sogenannten  Potpourri's. 

Es  liegt  in  der  Natur  der  Instrumente  begründet ,  dass  die  Instrumental- 
musik leichter  dem  Bedürfniss  nach  blosser  Unterhaltung  entspricht,  als  die 
Vocalmusik;  der  oberflächlichste  Gesang  regt  immer  noch  tiefer  und  nachhal- 
tiger an,  als  die  entsprechend  einfache  Instrumentalmusik,  weil  der  Gesangton 
an  sich  seelenvoller  und  innerlich  belebter  ist   als    der  Instrumentalton  und  so 


Unterlabium  —  Unterlegen  des  Textes.  411 

ist  es  erklärlich,  dass  die  Instrumentalmusik  viel  öfter  zur  blossen  Unter- 
haltungsmusik wird  als  die  Vocalmusik. 

Als  solche  erscheinen  zunächst  die  verschiedenen  Arrangements  von  Yocal- 
sätzen  für  Instrumente,  auch  wenn  diese  sich  nicht  in  der  Form  von  Pot- 
pourris darstellen.  Solche  Vocalsätze  können  durch  Uebertragung  auf  Instru- 
mente an  Glanz  und  Macht  der  sinnlichen  Wirkung  gewinnen,  aber  diese 
verliert  mit  dem  Wort  und  dem  Zauber  der  Menschenstimme  entschieden  an 
Tiefe  und  Eindringlichkeit.  Die  Uebertragungen  von  Liedern,  Arien,  Opern- 
finales  und  ganzen  Opernacten  gehören  daher  meist  nur  unter  die  Unterhal- 
tungsmusik, wenn  auch  der  höhei'n  Art.  Die  Tanzmusik,  wenn  sie  nicht 
wirklich  zum  Tanz  ertönt,  gehört  ebenfalls  wie  die  Marschmusik  hierher. 
Sie  nimmt  einen  höhern  Standpunkt  ein,  wenn  sie  zugleich  einen  bestimmten 
nationalen  Charakter  trägt  und  damit  die  Eigenthümlichkeiten  eines  Volkes 
charakterisirt  oder  die  Physiognomie  eines  bestimmten  Meisters  der  Tanzmusik 
trägt.  In  diesem  Sinue  wurden  bekanntlich  die  Tänze  des  15.,  16.  und  17. 
Jahrhunderts  schon  von  den  Meistern  der  Instrumentalmusik  gepflegt  und 
schliesslich  zu  der  Kunstform  der  Suite  zusammengefügt,  und  im  19.  Jahr- 
hundert gewann  der  Tanz  nicht  nur  durch  Männer  wie  Strauss,  Lanner, 
Labitzky,  sondern  auch  durch  Meister  wie  Weber,  Schubert  und  Chopin 
künstlerische  Bedeutung.  Er  bleibt  noch  Unterhaltungsmusik  auch  in  dieser 
Eorm  und  wird  es  namentlich  bei  Schubert  und  Chopin,  indem  er  sich  dem 
praktischen  Bedürfniss  entzieht  —  es  ist  nicht  immer  leicht,  nach  diesen  Tänzen 
zu  tanzen  —  aber  diese  gewährt  Unterhaltung  der  edelsten  Art.  Das  gilt  dann 
auch  von  aus  dem  Lied  und  Tanz  hervortreibenden  andern  Instrumentalformen: 
vom  »Lied  ohne  Worte«  —  »Nocturno«  —  »Eantasiestück«  u.  s.  w. 
Vermag  diesen  der  Tonsetzer  nicht  höhern  Werth  dadurch  zu  geben,  dass  er 
sie  individuell  eigenartig  gestaltet,  gehören  sie  nur  zur  alltäglichen  Unter- 
haltungsmusik; erst  wenn  sich  ein  besonderer  Inhalt  in  ihnen  darlegt,  treten 
sie  auf  die  höhere  und  höchste  Stufe  derselben.  Im  vorigen  Jahrhundert  be- 
zeichnete man  mit  Divertissement  sehr  treffend  jene  aus  der  Suite  her- 
vortreibenden zusammengesetzten  Tonsätze,  die  nicht  einen  so  ernsten  Inhalt 
gewannen  wie  Sonate  und  Sinfonie  und  doch  auch  sich  über  die  Tanzformen 
erhoben.  Dass  die  höchsten  Kunstformen  die  beste  und  erspriesslichste 
Unterhaltung  gewähren,  wurde  bereits  erwähnt  und  ist  selbstverständlich;  allein 
unter  die  Unterhaltungsmusik  zählt  man  sie  deshalb  doch  nicht,  weil  sie 
höhere  Zwecke  verfolgen.  Die  Oper,  die  Sinfonie,  das  Oratorium,  die 
Sonate,  Ouvertüre,  das  Quartett,  Trio  u.  s.  w.,  die  nur  unterhalten,  dürfen 
eben  nicht  auf  höheren  Kunstwerth  Anspruch  erheben,  einen  solchen  eidangen 
sie  erst  dann,  wenn  sie  die  höheren  Anforderungen  erfüllen,  die  an  diese  Formen 
nothwendig  gestellt  werden  müssen. 

Unterlabinm  heisst  die  sanfte  Einbiegung  am  Fusse  einer  Orgelpfeife  un- 
mittelbar unter  dem  Kern.  Dieselbe  stösst  aber  mit  dem  Kerne  fast  zusammen 
und  hat  nach  unten  hin  die  Form  einer  Zunge  oder  eines  Halbkreises.  Bei 
Prospektpfeifen  ist  auch  das  Unterlabium  aufgeworfen. 

Unterlage  heisst  bei  dem  Ciavier  ein  Stück  Holz,  das  mit  Leder  überzogen 
ist  und  auf  das  der  hintere  Theil  der  Taste  fällt. 

Unterlegen  bei  der  Fingersetzung  beim  Clavierspiel,  das  Unterziehen  eines 
andern  Fingers  als  des  Daumens  unter  einen  andern  Finger,  das  nur  nothwendig 
war,  so  lange  der  Daumen  nicht  beim  Clavierspiel  angewendet  wurde. 

Unterlegen  des  Textes,  die  Thätigkeit,  nach  welcher  einer  vorhandenen 
Melodie  ein  Text  Wort  für  Wort  angepasst  wird.  Es  geschieht  dies  bekannt- 
lich vielfach  mit  Choral-  und  mit  Volksmelodien,  denen  immer  neue 
Texte  angepasst  werden.  Auch  Instrumentalmelodien  sind  schon  Worte  unter- 
gelegt worden.  Bei  den  Chor  formen  und  namentlich  bei  den  künstlischen, 
contrapunktisch  geführten  bildet  die  Textunterlage  ein  besonderes  Studium,  da 
sie  die  Wirkung  des  Ganzen  ausserordentlich  fördern  oder  beeinträchtigen  kann. 


4J2  Unterleisten-Labien  —  Unterricht  in  der  Musik. 

Hier  ist  es  nicht  genug,  die  Gesetze  der  Prosodie  und  des  Rhythmus  zu  beobach- 
ten sondern  es  muss  auch  die  Deutlichkeit  der  Textaussprache  für  alle  Stimmen 
möglichst  gewahrt  werden  und  das  erfordert  meist  eine  besondere  Geschicklichkeit. 

Uuterleisteu-Labien  oder  Kastenbart  ist  ein  den  Aufschnitt  einer  Orgeljjfeife 
von  beiden  Seiten  und  von  unten  umgebender  Bart. 

Unterleitton  nennen  einige  die  Quart  der  Tonart,  die  als  Septime  des 
Dominantaccordes  eine  ähnliche  Bedeutung  gewinnt,  wie  der  eigentliche  Leit- 
ton,  da  sie  den  Accord,  welcher  die  Tonika  unmittelbar  vorbereitet,  charak- 
terisirt  und  dieser  Accord  dieselbe  Bedeutung  gewinnt,  wie  der  Leitton. 

Unterinediante  heisst  die  Unterterz  der  Tonart  vom  Grundton  aus  ge- 
rechnet, im  Gegensatz  zur  Obermediante,  als  welche  die  Oberterz  Bedeu- 
tung gewinnt.  Als  vermittelndes  Intervall  zwischen  Grundton  und  Quint  tritt 
die  Terz  auch  in  ein  näheres  Yerhältniss  zu  diesen  beiden  Pfeilern  der  Tonart, 
als  jeder  andere  Ton  und  dies  gewährt  ihr  auch  einigen  Antheil  in  der  har- 
monischen Entwickelung,  so  dass  die  Tonarten  der  Median ten  dem  tonischen 
Dreiklange  näher  verwandt  sind,  als  die  andern  und  dass  jede  unter  Umständen 
die  Dominant  vertreten  kann.  Für  die  Molltonart  wird  diese  Vertretung  zur 
Regel;  sie  findet  ihre  Erhebung  nicht  in  der  Dominant,  sondern  in  der 
parallelen  Durtonart,  das  ist  aber  die  Obermediante:  in  A-moU  —  C-dur,  in 
C-moll  —  Es-dur,  in  D-moll  —  F-dur  u.  s.  w.,  sodass  der  Seitensatz  eines  Alle  gro- 
satz es  in  Moll,  beispielsweise  in  O-moll,  nicht  in  G-dur,  sondern  in  Es-dur,  iu 
D-moll  nicht  in  A-dur,  sondern  in  F-diir  eintritt  u.  s.  w.  Es  ist  einleuchtend, 
dass  für  die  Obermediante  auch  die  Untermediante ,  in  G-moll  —  As-dur, 
in  D-moU  —  B-dur,  in  A-moU  —  F-dur  u.  s.  w.  einstehen  kann.  Dies  Verfahren 
lässt  sich  aber  ebenso  leicht  auf  die  Durtonarten  anwenden,  wie  dies  unsere 
Meister  häufig  gethan  haben.  Beethoven  führt  den  Nebensatz  seiner  G-dur- 
Sonate,  op.  31,  No.  1,  nicht  in  der  Dominant  B-dur  ein,  sondern  in  der 
Obermediante  R-dur,  ebenso  den  Nebensatz  der  C-i«^r- Sonate,  op.  53,  nicht  in 
der  G-dur-,  sondern  in  der  E-dur-Tonavi  und  ähnlich  ist  auch  das  Allegro  der 
grossen  Leonoren-Ouverture  construirt.  Besonders  reichen  Gebrauch  von 
dieser  Freiheit  der  Einführung  der  Medianten  anstatt  der  Dominanten  macht 
auch  Schubert  in  seinen  Liedern  und  er  verwendet  ebenso  häufig  die  Unter- 
wie  die  Obermediante.  Zunächst  erstreckt  sich  die  Einführung  der  Medianten 
selbstverständlich  auf  die  in  der  Tonleiter  selbst  liegenden,  in  G-dur  auf  die 
E-dur-  und  A-dur-T ona,vi]  allein  wir  können  noch  einen  Schi-itt  weiter  gehen, 
und  da  das  ganze  Verfahren  ursprünglich  dem  bei  der  gleichnamigen  Mollton- 
leiter üblichen  nachgebildet  ist,  auch  deren  beide  Medianten  für  Dur  adoptiren, 
diese  sind  bei  C-moll:  Es-dur  und  As-dur,  mit  denen  dann  der  Apparat  für 
C-dur  zu  erweitern  ist,  so  dass  für  diese  Tonart  nicht  nur  die  E-dur-  und 
A-dur-Tonart,  sondern  auch  die  Es-dur-  und  As-dur-Tona.rt  an  Stelle  der  Do- 
minant eintreten  können.  Der  weiche  Dreiklang  der  Untermediant  kann 
selbstverständlich  niemals  die  Dominant  ersetzen,  so  dass  in  C-dur  der  Seiten- 
satz anstatt  in  der  G-dur-,  recht  wohl  in  der  A-dur-  oder  As-dur-Tonart  neben 
der  E-dur-  und  Es-dur-  eintreten  kann,  niemals  aber  in  der  A-moll-Tonavi. 

Unterricht  iu  der  Musik.  Plan  und  Ziel  des  Musikunterrichts  werden 
sich  am  sichersten  aus  der  Betrachtung  der  Stellung  ergeben,  welche  die  Musik 
im  Leben  der  Völker  einnimmt  und  die  Bedeutung,  welche  sie  überhaupt  in 
der  Erziehung  des  Menschengeschlechts  gewonnen  hat.  Der  erste  Blick  nun 
lehrt,  dass  sie  in  so  enge  und  intime  Beziehungen  zum  Leben  getreten  ist,  wie 
keine  andere  Kunst;  dass  sie  es  ist,  welche  sich  von  den  frühesten  Regungen 
des  menschlichen  Geistes  in  der  Kinderstube  bis  zum  vollständigen  Verlöschen 
durch  sein  ganzes  Leben  schlingt,  jede  Phase  desselben  mit  ihren  besten 
Schätzen  begleitet.  Wir  erkennen  sie  als  die  Kunst,  in  der  sich  der  mensch- 
liche Geist  am  Unmittelbarsten  ausspricht;  durch  die  uns  längst  entschwundene 
Zeiten,  Zustände  und  Gestalten  zu  unmittelbarerem  Erkennen  und  Erfassen 
gegenwäi'tig  werden,  und  welche  die  ganze  Unendlichkeit    der  reichen  "Welt  des 


Unterricht  in  der  Musik.  413 

Geistes,  die  weder  das  AVort  zu  umschreiben,  noch  der  Griffel  oder  der  Meissel 
des  Meisters  abzubilden  versteht,  die  überhaupt  kein  Auge  eines  Sterblichen 
zu  schauen  vermag,  zu  vollständig  fassbarer  bis  in  die  Einzelheiten  trschöpfen- 
der  Darstellung  bringt.  Was  je  das  Menschenherz  empfunden,  was  es  gehofft, 
erduldet  und  ersehnt,  was  es  gelitten  oder  was  es  in  freudiger  Lust  emportrug 
bis  in  die  höchsten  Regionen,  alle  seine  Zustände  von  der  göttlichen  ßuhe, 
kindlichen  Unschuld,  bis  zu  der  stürmischen  Hast  verzehrender  Leidenschaften, 
vermag  sie  in  ihrem  Bilden  in  vollster  Unmittelbarkeit  festzuhalten,  um  es  an 
die  fernsten  Zeiten  zu  überliefern.  Allerdings  gehören  aber  auch  intime  Be- 
ziehungen, gehört  eine  eingehende  Beschäftigung  mit  ihr  dazu,  wenn  sie  in 
dieser  ihrer  höchsten  Mission  sich  wirksam  erweisen  soll.  Wohl  gewährt  schon 
die  rein  sinnliche  Wirkung  des  Tons  einen  edlern  Genuss,  als  die  ähnliche 
Wirkung  des  Materials  der  andern  Künste,  aber  ein  wahrhaft  sittliches  Interesse 
hat  die  Musik  doch  auch  nur  für  den,  der  nicht  nur  das  Material  in  seiner 
rein  sinnlichen,  reizvollen  Gewalt  auf  sich  wirken  lässt,  sondern  dem  sich  zu- 
gleich die  Idee  erschliesst,  welche  die  Materie  wirken  hiess;  wenn  sich  seinem 
Auge  die  Phantasiebilder  vermitteln,  welche  der  Tondichter  in  ihr  Gestalt 
werden  Hess.  Diesen  Standj^unkt  aber  lässt  nur  eine  allgemeine  Musik- 
bildung gewinnen.  Wohl  ist  auch  jetzt  noch  die  blosse  Lust  am  Musiciren 
immer  noch  vorwiegend,  aber  daneben  macht  sich  auch  ein  immer  mächtiger 
werdender  Trieb  nach  tieferer  Einsicht  in  die  Geheimnisse  gerade  unserer 
Kunst  hochbedeutend  geltend. 

Fragt  man  nun  zunächst  nach  den  Zielen  einer  solchen  Musikbildung,  so 
stellen  diese  sich  uns  nach  zwei  Eichtungen  dar:  die  eine,  die  allgemeine 
Musikbildung,  die  man  als  dilettantisch  bezeichnet,  soll  Anleitung  geben 
das  Kunstwerk  zu  geniessen,  die  andere,  die  künstlerische,  es  zu  schaffen, 
sei  es  produktiv,  also  selbstschöpferisch  oder  reproduktiv,  nachschaffend. 
Indem  wir  uns  anschicken,  die  verschiedenen  Institutionen,  welche  diesen  Zwecken 
gewidmet  sind,  durch  die  verschiedenen  Phasen  des  Lebens  zu  betrachten,  stellt 
sich  uns  gleich  die  Kinderstube  dar,  die  schon  eine  grössere  Bedeutung  hat, 
als  man  ihr  gewöhnlich  zugestehen  will.  In  der  Kinderstube  schon  wird  dem 
Charakter  in  der  Pegel  seine  eigentliche  Sichtung  gegeben,  dort  werden  ihm 
meist  schon  alle  die  Eigenthümlichkeiten  angebildet,  die  das  Leben  nachher 
erst  vollständig  ausbildet,  wenn  nicht  verdrängt;  das  gilt  nicht  minder  von  der 
Musik.  Der  Einfluss  des  Wiegenliedchens  der  Mutter  oder  der  Amme, 
des  lustigen  Liedes,  das  sie  ihm  singen,  um  ihn  still  zu  machen,  oder  um  seine 
Spiele  zu  begleiten,  des  Tänzchens  oder  des  Marsches,  zu  dem  sie  sich  mit 
ihm  verbinden,  ist  sicher  unberechenbar  gross,  wie  es  nicht  minder  von  direktem 
Einfluss  ist,  ob  das  Kind  in  frühester  Jugend  öfter  den  lebendigen  Gesangton, 
oder  den  der  verwandten  Blas-  und  Streichinstrumente,  oder  den  der  Blech- 
instrumente oder  des  Pianoforte  zu  hören  bekommt.  Einen  nicht  besser  zu 
berechnenden  Einfluss  übt  dann  die  Hausmusik,  wenn  solche  getrieben  wird, 
und  zwar  einen  um  so  grössern,  je  mehr  sie  gerade  in  die  für  unbewusste  Ein- 
drücke empfänglichste  Zeit  fällt.  Es  ist  vielleicht  keine  zu  kühne  Annahme, 
dass  die  Natur  das  künstlerische  Vermögen  überhaupt  gewährt,  und  dass  die 
besondere  Richtung  dann,  nach  der  es  sich  äussert,  ob  es  den  Ton  oder  das 
Wort,  Metall  oder  Farbe  zu  seinem  Material  wählt,  zumeist  durch  die  Kinder- 
stube bedingt  wird.  Bei  einigen  unserer  Jüngern  Meister,  wie:  Schubert, 
Mendelssohn  und  Schumann,  können  wir  es  nachweisen,  dass  dort  die 
eigenthümlichen  Richtungen,  welche  ihr  Genius  nahm,  zu  allermeist  bestimmt 
wurden  und  aus  den  Werken  eines  Bach,  Haydn,  Mozart  und  Beethoven 
deutet  gar  vieles  auf  die  unbewussten  Eindrücke  ihrer  frühesten  Kinderzeit 
hin.  Will  man  daher  ein  musikalisches  Geschlecht,  oder  auch  nur  eine  musi- 
kalische Familie  erziehen,  so  muss  auch  dieser  früheste  Zweig  der  Kunstbildung, 
die  Musik  der  Kinderstube,  mit  einiger  Sorgfalt  gepflegt  werden. 

Der    beginnende    systematische  Unterricht    kann  dann  zunächst  kein 


414  Unterricht  in  der  Musik. 

anderes  Ziel  haben,  als;  den  iMusiksinn  zu  wecken  und  ihn  in  bestimmte 
Bahnen  zu  leiten.  Hierin  nun  versündigen  sich  Schule  und  Privatunter- 
richt meist  gleichmässig;  jene,  indem  sie  überhaupt  beim  Gresangunterricht 
planlos  verfährt,  ohne  irgend  ein  bestimmtes  Ziel,  dieser,  indem  er  einen  ge- 
wissen  Grrad  technischer  Fertigkeiten  als  bestimmtes  Ziel  sich  setzt. 

Der  Musikunterricht  in  den  öffentlichen  Schulen  beschränkt  sich  selbst- 
verständlich auf  den  Gesangunterricht,  und  er  könnte,  mit  etwas  grösserer 
Sorgfalt  betrieben,  uns  wieder  ein  singendes,  im  echten  Sinne  des  "Worts  musi- 
kalisches Geschlecht  erziehen.  Der  Gesang  beginnt  mit  dem  fünften  oder 
sechsten  Jahre  und  dauert  bis  in  die  Zeit  etwa,  in  der  die  Mutation  beginnt, 
und  so  könnte  er  alle  die  Voraussetzungen  erfüllen,  unter  welchen  erst  die 
Unterweisung  im  Kunstgesange  beginnen  kann.  Selbstverständlich  kann  sich 
der  Gesangunterricht  in  den  ersten  Jahren  nur  daravif  beschränken,  eine  Reihe 
von  Liedern  und  Chorälen  nach  dem  Gehör  einzuüben.  Damit  aber  lässt  sich 
schon  eine  Art  systematischer  Unterricht  verbinden.  Die  Melodien  müssen 
ebenso  vorsichtig  ausgewählt  werden,  wie  die  Texte,  damit  diese  nicht  das 
Begriffs-  und  jene  nicht  das  Stimmver ra  ögen  der  Kinder  überschreiten. 
Es  ist  eine  Haujotanforderung,  dass  die  Melodien  Anfangs  von  geringem  Um- 
fange sind,  der  nur  allmälig  sich  erweitert.  Es  genügt  Anfangs  der  beschränkte 
Umfang  von  drei  Tönen  g  —  a—h,  der  dann  durch  c  und  d  nach  oben  und 
später  durch  fis,  f  und  e  und  endlich  d  nach  unten  bis  zur  Octave  erweitert 
werden  muss.  Dabei  aber  wird  man  den  Kindern  schon  begreifflich  machen 
können,  dass  ein  Choral  anders  zu  singen  ist  als  ein  weltliches  Lied,  ein 
Wiegenlied  anders  als  ein  Soldatenlied,  indem  man  sie  mit  wenig  Worten 
in  die  betreffende  Stimmung  zu  setzen  versucht,  was  bei  den  Kindern  äusserst 
wenig  Schwierigkeiten  verursacht.  Hauptsächlich  aber  sei  der  Lehrer  darauf 
bedacht,  dass  der  Gesang  schon  auf  dieser  Stufe  eine  gewisse  Macht  in  dem 
Leben  des  Kindes  gewinne  und  darnach  richte  er  seinen  Liederstoff  ein.  Hier 
namentlich  verfahren  die  Lehrer  mit  der  naivsten  Gedankenlosigkeit,  sie  lassen 
mitten  im  heissesten  Sommer  singen:  »0  wie  ist  es  kalt  geworden«,  dagegen: 
»0  der  schöne  Maienmond«,  wenn  der  Winter  sein  strengstes  Regiment  fühi't. 
Man  betrachte  die  Forderung:  dass  auch  nach  dieser  Seite  der  Gesang  den 
besondern  Umständen  anbequemt  werden  muss,  nicht  als  kleinliche  Pedanterie. 
Es  wird  mit  jener  gedankenlosen  Wahl  der  Lieder  nicht  gerade  Unheil  ange- 
stiftet, aber  doch  verhindert,  dass  der  Gesang  auch  schon  für  das  Kind  zu 
einem  bildenden  Moment  in  seinem  Leben  erhoben  wird.  Um  dies  zu  erreichen 
muss  man  den  Liederstoff  für  die  Kinder  nicht  nur  ihren  Verhält- 
nissen entnehmen,  sondern  auch  zugleich  diesen  immer  möglichst 
direkt  anpassen.  Der  Knabe  muss  ein  Marschlied,  er  muss  Lieder  für 
die  fröhlichen  Ausflüge  und  Spiele  erhalten,  das  Mädchen  aber  Wiegenlieder 
für  seine  Puppe,  Lieder  für  seine  Spiele  u.  s.  w.  und  diese  müssen  mit  seinem 
unmittelbaren  Denken  und  Empfinden  in  direkte  Verbindung  gebracht  werden. 
Hat  der  Lehrer  über  Gott  und  sein  allmächtiges  Walten  gesprochen,  hat  er 
ihnen  von  den  Wundern  der  Natur  erzählt,  oder  ihnen  geschichtliche  Ej^isoden 
vor  die  Seele  geführt,  wie  könnte  er  dem  allen  einen  bessern  Abschluss  geben, 
als  durch  ein  passendes  Lied.  In  dieser  Weise  würde  der  Gesang  schon  in 
dem  Leben  des  Kindes  zu  einer  wirklichen  erziehenden  Macht  werden,  er  würde 
sich  nicht  nur  auf  die  Gesangstunde  beschränken. 

Hierbei,  auf  dieser  Stufe  schon,  sind  aber  auch  technischen  Anforderungen: 
natürliche  Tonbildung  und  gute  Textausprache  in  gewissem  Grade  zu  errei- 
chen. Unverdorbene  Kehlen  singen  meist  instinktiv  richtig  und  der  Lehrer 
wird  vorwiegend  darauf  zu  achten  haben,  dass  sich  nicht  Fehler  in  dieser  Be- 
ziehung erst  einschleichen.  Wenn  dann  der  allgemeine  Unterricht  der  Kinder 
so  weit  vorgerückt  ist,  dass  die  Elemente  des  Schreibens,  Lesens  und  Rechnens 
überwunden  sind,  dann  muss  der  Gesangunterricht  auch  einen  Schritt  weiter 
thun,  er  muss  nach    Noten   beginnen    und    alles  in  seinen  Bereich  ziehen,  was 


Unterricht  in  der  Musik.  415 

zur  Ausführung  mehrstimmiger  Gesänge  notliwendig  ist.  Hierbei  ist  nicht  ein- 
dringlich genug  zu  fordern,  dass  die  Kinder  alles  mit  dem  Ohr  und  dem  Ver- 
stände zugleich  erfassen  lernen.  Sie  müssen  zunächst  das  Verhältniss  der 
Intervalle  in  dieser  Weise  auffassen.  Im  Artikel  Treffübungen  ist  gezeigt 
worden,  wie  das  unterscheidende  der  Intervallenverhältnisse  des  Halbtons  und 
des  Ganztons,  der  Secunde,  Terz  u.  s.  w.  mit  Auge  und  Ohr  aufzufassen  ist. 
Der  Lehrer  darf  sich  dann  durchaus  nicht  dabei  begnügen,  den  Kindern  die 
Tonleiter  nur  aufzuschreiben,  um  sie  darnach  absingen  zu  lassen ;  er  muss,  was 
durchaus  keine  Schwierigkeiten  macht,  darauf  hinausgehen,  dass  die  Schüler  die 
Organisation  der  Tonleiter  mit  dem  Auge  und  dem  Ohr  auffassen,  was  nach 
den  vorausgegangenen  TJebungen   durchaus  keine  Schwierigkeiten  bereitet. 

Als  eine  besonders  wichtige  Disciplin  tritt  nunmehr  auch  mit  dem  Tact- 
wesen  die  Lehre  vom  Rhythmus  hinzu.  Wenn  der  Lehrer  die  nothwendige 
Forderung  des  tactmässigen  Aocentuirens  beim  Gehörsingen  beobachtet  hat, 
wenn  er  beim  Vorsingen  der  einzelnen  Liedchen  die  Haupttacttheile  hervorhob 
und  dai-auf  achtete,  dass  auch  die  Kinder  beim  Nachsingen  streng  accentuirten, 
so  wird  ihm  jetzt  nicht  schwer  fallen,  ihnen  auch  die  Lehre  vom  Tact 
zum  Verständniss  zu  bringen,  um  so  mehr,  als  diese  ja  auch  an  äussere,  den 
Kindern  geläufige  Vorgänge  anknüpfen  kann.  Man  braucht  sie  nur  daran  zu 
erinnern,  dass  beim  Marschiren  der  eine  Tritt  etwas  schwerer  ausfällt  als  der 
andere,  dass  man  daher  dabei  Eins!  zwei!  eins!  zwei!  zählt;  dass  von  drei 
Dreschenden  der  erste  etwas  stärker  aufschlägt  als  die  andern  beiden:  eins! 
zwei!  drei!  —  eins!  zwei!  drei!  ebenso  bei  vieren:  eins!  zwei!  drei!  vier! 
eins!  zwei!  drei!  vier!  dass  aber  im  letzten  Falle  auch  der  dritte  weniger 
stark  als  der  erste,  aber  immer  stärker  als  der  zweite  und  vierte  aufschlagen 
und  die  Kinder  werden  es  leicht  begreifen,  dass  man  auf  dieselbe  Weise  in 
die  Töne  Ordnung  brinoft  und  sie  werden  daraus  selber  die  zwei-  und  drei- 
theiligen  Tactarten  zu  construiren  vermögen.  Schwieriger  ist  es  dann  die 
mannichfaltigeren  Darstellungsweisen  derselben  in  Noten  von  verschiedenem 
Werth  ihnen  klar  zu  machen,  allein  da  auf  dieser  Stufe  nur  noch  die  ein- 
facheren zur  Anwendung  kommen,  so  gelingt  auch  dies  in  ordnungsmässigen 
Reihenfolgen. 

In  Bezug  auf  die  Wahl  der  Lieder  gelten  natürlich  dieselben  Gesichts- 
punkte wie  früher,  mit  dem  sich  allmälig  erweiternden  Gesichtskreise  der 
Kinder  erweitert  sich  auch  der  Liederstoff  und  hier  darf  geradezu  gefordert 
werden,  dass  der  Gesangunterricht  vorgreift  und  den  Schüler  mit  einem  Vor- 
rath  von  Liedern  versorgt,  die  er  nicht  mit  den  Kinderschuhen  bereits  auszieht, 
sondern  mit  hinüber  ins  Leben  nimmt.  Gerade  diese  Periode  der  Schulzeit 
könnte  aussergewöhnliche  Resultate  erzielen.  Die  Schule  könnte  und  müsste 
die  Schüler  mit  einem  so  reichen  Stoffe  von  Liedern  versehen  für  das  fernere 
Leben,  dass  diese  nicht  gezwungen  wären,  sich  ihren  Liederstoff  selber  zu 
holen,  von  da  wo  er  eben  zu  finden  und  selten  in  wünschenswerther  Weise  zu 
finden  ist.  Die  Schule  müsste  darauf  Bedacht  nehmen,  dass  der  Knabe  und 
das  Mädchen  von  der  Zeit  ihrer  beginnenden  Reife  an  auch  mit  einem  Lieder- 
stoff versehen  werden,  den  beide  nicht  mit  den  Kinderkleidera  ablegen,  sondern 
den  sie  in  die  neuen  Verhältnisse  mitnehmen  und  der  dort  ihr  steter  Begleiter 
bleiben  kann.  In  dieser  letzten  Periode  des  Schulgesangunterrichts  müssen  we- 
niger Schullieder,  als  vielmehr  Lieder  für  das  Leben  und  die  mannichfachen 
Verhältnisse  gesungen  werden.  In  dieser  Weise  vorbereitet,  würden  die  ins  Leben 
tretenden  Jünglinge  und  Jungfrauen  an  dem  Gesänge  eine  wirkliche  Stütze 
haben  und  ein  Verein  von  so  vorgebildeten  Sängern  und  Sängerinnen  würde 
wiederum  ein  mächtiger  Träerer  und  Förderer  des  öffentlichen  wie  des  Privat- 
lebens  sein. 

Der  häusliche  Musikunterricht  ist  leider  vorwiegend  Ciavier  Unter- 
richt; wäre  dabei  der  Gesangunterricht  in  unseren  Schulen  in  oben  erörterter 
Weise  geregelt,  würden  die  Nachtheile  des  gegenwärtigen  Ciavierunterrichts  in 


416  Unterricht  in  der  Mnsik. 

der  allgemeinen  Musikbildung  sich  weniger  bemerklich  machen.  So  gross  auch 
die  Vortheile  sind,  welche  das  Pianoforte  der  Hausmusik  gewährt,  so  muss 
man  doch  beklagen,  dass  es  eine  solche  ausschliessliche  Herrschaft  bei  derselben 
gewonnen  hat,  da  es  die  Lust  am  blossen  Material,  am  Spiel  mit  sinnlich  reiz- 
vollen KJangeffekten  in  einer  Weise  fördert,  die  das  Gefallen  an  wirklich 
künstlerischer  Gestaltung  allmälig  in  bedenklicher  "Weise  zurückdrängt.  Natür- 
lich trägt  der  Unterricht  viel  dazu  bei,  weil  er  weniger  auf  die  Erreichung 
einer  allgemeinen  Musikbildung,  als  auf  die  Erzielung  möglichst  ausgedehnter 
technischer  Fertigkeiten  gerichtet  ist.  Bei  diesem  Streben  spielen  natürlich 
die  Fingerübungen  eine  grosse  Rolle,  welche  das  feinere  Musikempfinden, 
den  Sinn  für  Kunstgestaltung  systematisch  todt  machen.  Es  wäre  thöricht  zu 
verkennen,  welche  grosse  Bedeutung  eine  alle  Schwierigkeiten  überwindende 
Technik  hat,  allein  sie  darf  dabei  doch  niemals  Selbstzweck  werden.  Für  den 
Virtuosen  mag  es  nothwendig  sein,  dass  er  auch  durch  seine  Technik  glänzt; 
bei  ihm  wird  das  Mehr  oder  Weniger  des  Beifalls  der  urtheilslosen  Menge 
zur  Lebensfrage:  je  grösser  nach  dieser  Richtung  seine  Erfolge  sind,  um  so 
lohnender  ist  sein  Verdienst.  Daher  erweisen  sich  auch  die  Virtuosen  fort 
und  fort  bemüht,  Schwierigkeiten  zu  erfinden,  um  diese  dann  überwinden 
zu  lernen,  nur  um  dem  vielköpfigen  Götzen  »Publikum«  zu  opfern  und  man 
muss  das  ganze  Verfahren  gelten  lassen,  auch  wenn  man  ihm  keine  höhere 
Bedeutung  zuerkennen  kann.  Das  Virtuosenthum  als  solches  hat  in  diesem 
allerdings  mehr  unkünstlerischen  Wesen  seine  Lebenselemente. 

Nachtheilig  wurde  diese  Richtung  erst  dadurch,  dass  sich  ihr  der  Dilettan- 
tismus mit  grossem  Eifer  anschloss.  Für  ihn  giebt  es  im  Grunde  keine  Ver- 
anlassung, durch  technische  Fertigkeit  zu  glänzen,  und  dennoch  suchte  er  sie 
mit  einem  Eifer  zu  erreichen,  als  ob  es  auch  für  ihn  Aufgabe  sei,  auf  offenem 
Markte  Lorbeern  einzuhandeln.  Begünstigt  wurde  dieser  Zug  durch  jene  Reihe 
dilettantischer  Schwätzer,  die  vom  Wesen  der  Kunst  so  wenig  Begriff  haben, 
dass  sie  in  diesem  von  Grund  aus  unkünstlerischen  Zuge  der  Zeit  die  Vor- 
läufer einer  ganz  neuen  Kunstepoche  erblickten,  an  der  mit  zu  arbeiten  der 
Dilettantismus  sich  nun  verpflichtet  fühlte.  Das  Clavierspielen  wurde  zum 
Mittelpunkte  der  gesammten  Musikbildung  und  die  Fingerübungen  zur 
Grundlage  des  ganzen  Unterrichtes.  Für  die  allgemeine  Musikbilduug  ist  diese 
ganze  Richtung  entschieden,  wenn  nicht  geradezu  verderblich,  doch  gewiss  wenig 
förderlich  gewesen.  Für  sie  kann  immer  nur  als  Hauptziel  feststehen:  die 
Empfänglichkeit  für  die  Tonkunst  zu  mehren,  den  Genuss  des 
Kunstwerks  zu  erleichtern  und  bis  zum  bewussten  Verständniss 
zu  steigern.  Selbstverständlich  wird  auch  dies  Ziel  durch  eine  möglichst 
ausgebreitete  eigene,  selbstthätige  Betheiligung  an  der  technischen  Ausführung 
des  Kunstwerks  leichter  ei-reichbar  gemacht,  als  wenn  dies  nur  passiv  als 
Hörer  genossen,  wenn  es  nur  dem  Gehör  und  der  Empfindung  vermittelt  wird. 
Diese  aber  erfordert  eine  immer  mehr  sich  steigernde  technische  Kunstfertig- 
keit, zu  deren  Erreichung  auch  technische  Uebungen  nothwendig  werden.  Allein 
diese  dürfen  doch  nimmer  einseitig  in  den  Vordergrund  treten,  und  dann  werden 
selbst  diese  technischen  Kunstfertigkeiten  viel  sicherer  mit  fortwährender  Rück- 
sicht auf  das  Kunstwerk,  als  durch  rein  technische  Uebungen  erreicht.  Deshalb 
sind  im  Grunde  alle  technischen  Uebungen,  die  nicht  auch  ihre  direkte  Ver- 
werthung  durch  das  Kunstwerk  finden,  solche  die  nichts  weiter  als  Finger- 
fertigkeit anstreben,  nur  sehr  gering  zu  schätzen.  Weit  zweckmässiger  nicht 
nur  für  die  allgemeine  Musikbildung,  sondern  selbst  für  die  technische  Fertig- 
keit erscheint  es,  dass  der  Lehrer  für  die  einzelnen  Schüler,  nachdem  er  ihre 
Individualität  erkannt  hat,  den  musikalischen  Lehrstoff  für  eine  bestimmte 
Periode  ganz  genau  festsetzt;  eine  vollständige  Auswahl  derjenigen  Tonstücke 
trifft,  welche  der  Schüler  spielen  soll  und  darnach  die  technischen  Studien  und 
Etüden  erst  mit  Rücksicht  auf  jedes  einzelne  Tonstück  bestimmt.  Auf  diesem 
Wege  wird  der  Schüler  von  vorn  herein  die  rechte  Werthschätzung  der  Technik 


Unterricht  in  der  Musik.  417 

gewinnen,  ohne  dass  die  rein  technischen  TJebungen  den  Musiksinn  schädigen 
und  untergraben. 

Als  wirklich  beklagenswerth  aber  muss  es  gelten,  dass  durch  den  Ciavier- 
unter rieht  und  durch  das  Cla  vier  spiel  der  Gesang  im  Hause  allmälig, 
wenn  nicht  geradezu  verdrängt,  doch  auf  ein  bescheidenes  Maass  zurück- 
gedrängt worden  ist.  Es  ist  hier  nicht  mehr  nöthig  nachzuweisen,  ein  wie  viel 
edleres  Instrument  die  Menschenstimme  ist,  als  jedes  andere  und  welch 
mächtigern  Factor  der  Gesang  in  der  Erziehung  des  Menschengeschlechts  bildet, 
als  die  gesammte  Instrumentalmusik.  Daher  aber  müsste  eine  planmässig  zu 
erreichende  Musikbildung  nicht  den  Ciavier-,  sondern  den  Gesangunter- 
richt zum  ^Mittelpunkt  machen,  oder  aber,  da  dies  Insti'ument  dem  Gesänge 
so  wichtige  Dienste  leistet,  müssten  beide  zusammen  die  Grundlage  bilden,  auf 
der  sich  die  gesammte  Musikbildung  und  Musikübung  aufbaut.  Nachdem  der 
Verfasser  vor  Jahren  diese  Anschauung  ausgesjarochen,  ohne  dass  sie  zu  wei- 
teren Schritten  in  dieser  Richtung  die  Veranlassung  wurde,  hat  er  nach  hin- 
länglich reicher  eigener  Erfahrung  einen  Lehrgang  veröffentlicht,  in  welchem 
er  darthut,  wie  mit  dem  untersten  Ciavierunterricht  zugleich  der 
Gesangunterricht  verbunden  werden  kann,  ohne  dass  beide  sich 
stören,  dass  sie  imGegentheil  einander  fördern  und  heben,  so  dass 
nicht  nur  die  technische  Ausbildung  in  beiden  Disciplinen,  son- 
dern auch  die  allgemeine  Musikbildung  wesentlich  dadurch  ge- 
fördert wird.  Das  Werkchen  ist  unter  dem  Titel:  »Ciavier-  und  Ge- 
sangschule für  den  ersten  Unterricht  von  August  Reissmanna  in 
Leipzig  (C.  F.  W.  Siegel's  Musikalienhandlung,  E,.  Linnemann)  erschienen  und 
seine  überaus  freundliche  Aufnahme  von  Seiten  der  competentesten  Richter  auf 
diesem  Gebiet  haben  es  bezeugt,  dass  es  einem  wirklichen  Bedürfniss  entspricht 
und  einem  Uebelstand  in  unserem  Musikleben  durchgreifend  abzuhelfen  be- 
rufen scheint. 

Besonderes  Gewicht  legt  dabei  der  Verfasser  auch  darauf,  dass  mit  diesem 
gemeinsamen  Unterricht  auch  die  theoretische  Anleitung  Hand  in  Hand  gehen 
kann,  aber  nicht  etwa  als  Unterweisung  im  Componiren  oder  zum  Schwatzen 
über  Kunstwerk  und  Künstler.  Die  Musikbildung  soll  zunächst  nicht  die 
Schöpfung,  sondern  nur  das  Verständniss  des  Kunstwerks  vorbereiten;  nicht 
aber  in  der  "Weise,  dass  man  dem  Schüler  in  mehr  oder  weniger  hochtönenden 
Phrasen  den  ideellen  Inhalt  der  betreffenden  Tonstücke  darlegt;  dieser  Phraseo- 
logie ist  vielmehr  von  früh  mit  aller  Energie  entgen  zu  arbeiten.  Ein  wahres 
Verständniss  der  Kunst  wird  immer  nur  durch  die  klare  Einsicht  in  die  Be- 
sonderheit der  formellen  Gestaltung  des  Kunstwerks  gewonnen,  und  diese  kann 
schon  bei  dem  ersten  Unterricht  angebahnt  werden.  Schon  an  den  ersten 
Uebungen,  namentlich  an  den  Singübungen  lässt  sich  das  eigenthümliche 
Verhalten  der  einzelnen  Intervalle  zu  einander  nachweisen;  die  Construktion 
der  Tonleiter  gewährt  dann  einen  Blick  in  die  Art  der  Organisation  des 
Tonsystems,  an  den  kleinen  Liedern  und  Tonstücken  lässt  sich  weiterhin  auch 
das  Verhältniss  der  drei  Factoren  musikalischer  Darstellung,  Melodie,  Har- 
monie und  Rhythmus  erörtern  und  die  Besonderheit  der  musikalischen 
Formgebung  nachweisen.  Schon  auf  dieser  Stufe  kann  man  den  Schüler  mehr 
als  nur  mechanisch  beschäftigen,  ohne  ihn  mit  nichtssagender  Phraseologie 
bekannt  zu  machen.  Er  kann  hier  schon  einigen  Einblick  gewinnen  in  den 
Organismus  des  Kunstwerks  und  dieser  wird  und  muss  ihn  auch  technisch  för- 
dern. Es  handelt  sich  hier  um  den  einfachsten  Apparat,  der  bei  allen  Kunst- 
erzeugnissen derselbe  bleibt,  um  die  einfachen  Urformen,  die  immer  wieder- 
kehren, die  nur  nach  dem  besondern  Inhalt  reicher  werden,  künstlicher  und 
mannichfacher  oder  auch  einfacher  und  einförmiger.  Diese  Erkenntniss  aber 
befähigt  nur  allein,  den  ideellen  Inhalt  eines  Kunstwerks  zu  empfinden  und 
zu   begreifen. 

Alle  diese  Anforderungen  gelten  namentlich  auch  für  den  Gesang unter- 

Musikal.  Convers.-Lesikon.    X.  27 


^^g  Unterricht  in  der  Musik. 

rieht.  Er  leidet  unter  jenen  Stimmübungen  noch  ungleich  mehr  als  der 
Ciavierunterricht  unter  den  Fingerübungen.  Das  Pianoforte  ist  das  Instrument, 
das  sich  dem  virtuosen  oben  besprochenen  Zuge  gern  und  willig  fügt.  Seine 
Technik  wie  die  Besonderheit  des  Klanges  widerstreben  ihm  zum  wenigsten 
nicht.  Ein  anderes  Instrument  aber  ist  die  Menschenstimme;  sie  ist  ein  leben- 
dic^er  Organismus;  ein  Organ  in  der  höchsten  Bedeutung  des  Wortes.  Sie  ist 
kein  todter  Mechanismus  und  bei  ihrer  Klangerzeugung  wirken  noch  ganz  andere 
Factoren  mit,  als  der  blosse  Muskelapparat.  Sie  steht  in  engster  Verbindung 
mit  dem  höchsten  und  reinsten  Produkt  des  menschlichen  G-eistes,  mit  der 
Sprache.  Der  Gesangton  schliesst  sich  dieser  daher  eng  an,  er  giebt  ihr  höhere 
künstlerische  Bedeutung,  indem  er  sie  in  Yers  und  Beim  zu  künstlerischer 
Form  abrundet  und  er  greift  da  ergänzend  ein,  wo  die  Sprache  nicht  den  vollen 
erschöpfenden  Ausdruck  für  das  geistige  Leben,  die  Regungen  der  Seele  findet; 
der  Gresang  wird  dadurch  zum  erschöpfendsten  Ausdruck  innerer  Zustände 
des   Geistes. 

Darf  man  demnach   auch  noch  dem  Standpunkt,   von  welchem  aus  die  In- 
strumentalmusik   nur    als    sinniges   Spiel    mit    klingenden  Tonformen  erscheint, 
einige  Berechtigung    zu  erkennen,    so    ist    er  doch  für  den  Gesang  verwerflich, 
lieber  den  Instrumentalgehalt  lässt  sich  immer  noch  streiten;  er  ist  unmessbar, 
weil  er  sich  jeder  direkt  fassbaren  Schätzung  entzieht,  aber  der  poetische  Inhalt 
des  Vocalen  ist  nicht  zu  bestreiten,  er  breitet  sich  so  unmittelbar  aus  vor  unsern 
Augen,  dass  sein  Vorhandensein  keines  Beweises  bedarf.    Daher  erscheint  auch 
■  jene    Eichtung    und    jene   Methode    des    Gesanges,    welche  auch  die   Singstimme 
nur  als  Instrument  behandelt  und  die  Stimmübungen  und  Coloraturstudien  zum 
Mittel-    und    Zielpunkt    desselben    macht,     durchaus     nicht    anempfehlenswerth. 
Selbstverständlich  erfordert  der  künstlerische  Gesang  gleichfalls  eine  vollständige 
Beherrschung  der  gesammten  technischen  Kunstmittel;   selbst  der  Bravourgesang 
hat  seine  vollkommen  künstlerische  Berechtigung  und  diese  sind  vollständig  nur 
mit  Hülfe  jener  rein  technischen  Uebungen    zu  erfüllen.     Allein  noch  vielmehr 
als  beim  Ciavierspiel  sind  sie  beim  Gesänge  nur  als  Mittel  zum  Zweck,  nicht 
als    dieser    selbst    zu    betrachten.     Es  ist  mehrfach  schon  erwähnt  worden,  dass 
auch  beim   Gesänge  die  vollständige  Herrschaft  über  das  Organ  und  seine  Mittel 
durch    besondere    Studien,    durch     Tonstudten     angestrebt    werden    kann,    dass 
Klangschönheit    und    Fertigkeit    durch    besonders    darauf  berechnete  Uebungen 
erworben    werden    müssen.     Allein    der  Abschluss    aller  dieser  Uebungen  kann 
nicht  von  aussen,   er  muss  auch  beim  Schüler  von  innen  heraus  erfolgen.    Den 
individuellen  Klang  des  bestimmten  Organs  mit  jener  absoluten  Klangschön- 
heit zu  verschmelzen,  ist  als  höchstes  Produkt  des  künstlerischen  Gesangunter- 
richts   zu    betrachten  und  nur  so  ist  der  Ton  zu  künstlerischen  Leistungen  zu 
verwerthen.     Diese  Verschmelzung    aber    ist    nur    am   Kunstwerk  zu  gewinnen. 
Es  gilt  dies  namentlich  vom  »deutschen  Gesänge«.    Der  italienische  Gesang 
ist  mehr  das  Erzeugniss  der  absichtslosen  Lust  am  Klange;    Sprache  und  Na- 
tionalcharakter verweisen  ihn  auf  diese  Stufe  der  Entwickelung.    Der  deutsche 
Gesang    hat    sich    zu    einer    höhern  Stufe    entwickelt,   indem  er  zugleich  zum 
Verkünder  des  ganzen  reich  bewegten  innern  seelischen  Lebens  in  seinen  feinsten 
und    geheimsten    Regungen    wurde.     Daher   erwächst  für  den   Gesangunterricht 
mehr  noch  wie  für  den  im  Instrumentalspiel  die  Nothwendigkeit,  von  vorn  herein 
auf  das  Kunstwerk  und  nicht  nur  auf  die  technische  Ausbildung  die  allseitigste 
Bücksicht    zu   nehmen.     Für  Diejenigen,  welche  nicht  gerade  die  Künstlerlauf- 
bahn einschlagen  wollen,  ist  das  nächste  und  einzige  Ziel  des  Gesangunterrichts, 
sie  in  die  Schätze  der  gesammten  Gesangsliteratur  einzuweihen,  damit  sie  sich 
dieselben  in  selbstthätiger  Uebung  aneignen  zu  bleibendem  und  immerwährendem 
Besitz.     Natürlich    wird    dies    Ziel    auch    nur  in  planmässigen  Studien  erreicht 
und  diese  beginnen  selbstverständlich  mit  technischen  Studien.     Die  Erzeugung 
eines  schönen   Tons  erfolgt  nicht  willkürlich,   sondern  nur  bei  rechtem  Gebrauch 
des   Muskelapparats;    die  Funktionen    desselben  sind  aber  nicht  in  allen  Lagen 


Unterricht  iu  der  Musik.  419 

gleich  leicht  und  sicher  zu  beherrschen,  einzelne  Töne  und  Tonfolgen  bereiten 
dem  Organe  grössere  Schwierigkeiten  als  andere  und  so  sind  besondere  Vocal- 
und  Tonstudien  an  Vocalisen  und  Solfeggien  geboten.  Allein  haben  diese 
ihren  Zweck  ei'reicht,  dann  muss  die  Vei'wendung  des  gewonnenen  Tonreich- 
thums  am  wirklichen  Tonstück  orfolcfen.  Auch  wenn  nur  die  Töne  des  einen 
Registers  bis  zu  einem  gewissen  Grrade  absoluter  Klangschönheit  entwickelt 
sind,  müssen  sie  in  einem  Liede  dieses  TJmfangs  angewendet  werden. 

Bei  der  Verbindung  des  Worts  mit  dem  Ton  verliert  dieser  wieder  etwas 
Ton  seiner  absoluten  Klangschönheit,  gewinnt  aber  an  Charakter.  Um  diesen 
Verlust  auf  d;:is  geringste  Maass  zu  reduciren  und  das  neu  gewonnene  charak- 
teristische Element  zu  steigern,  sind  wieder  neue  Hebungen  nöthig,  die  mit 
Erfolg  aber  nur  am  lebendigen  Wort  ausgeführt  werden  können.  So  stellt  sich 
der  Plan  für  den  Gesangunterricht  dahin  fest,  »dass  die  technischen  Mittel  des 
Gesangsorgans  allmälig  zu  entwickeln  sind,  dass  aber  ihre  praktische  Verwen- 
dung am  Kunstwerk  fort  und  fort  Hand  in  Hand  geht.«  Wir  sind  so  ausser- 
ordentlich reich  an  Liedern  und  Gesängen  aller  Art,  dass  es  dem  umsichtigen 
Lehrer  selbst  für  die  unterste  Stufe  technischer  Fertigkeit  nicht  an  Stoff  für 
diese  Methode  fehlen  wird.  Freilich  gehört  dazu  eine  umfassendere  Kenntniss 
des  Gesaramtgebiets,  als  die  meisten  Gesanglehrer  sich  anzueignen  für  noth- 
weudig  halten.  Dabei  darf  der  Lehrer  sich  niemals  von  dem  durchaus  un- 
begründeten Gesichtspunkt  leiten  lassen,  ob  der  Schüler  die  Kunstlaufbahn 
verfolgen,  oder  als  Dilettant  nur  Hausmusik  machen  w'ill.  Künstler  und 
Dilettanten  sollten  nur  in  ihren  speciellen  Leistungen,  nicht  aber  in  der 
Schule  sich  unterscheiden.  Der  Gesangskünstler  soll  sich  nur  durch  ein  vor- 
treffliches Organ  und  durch  die  erhöhte  technische  Fertigkeit,  die  er  sich  durch 
ausschliessliche  Uebung  und  Beschäftigung  in  seinem  Beruf  erworben  haben 
muss,  vom  Dilettanten  unterscheiden,  wie  durch  die  von  ihm  zu  fordernde 
freiere  und  genialere  Weise  des  Vortrags  und  der  Auffassung;  Dinge,  die  mehr 
in  der  Individualität  des  Einzelnen  begründet  sind.  Mit  allem  Uebrigen  wur- 
zeln Sänger  und  Sängerinnen  in  der  allgemeinen  Musikbildung.  Die  künst- 
lerische Bildung  ist  nur  eine  erhöhte  und  erweiterte  allgemeine  Musik- 
bildung, die  jeder  erreichen  sollte.  Darnach  sind  Zweck  und  Ziel  des 
Musikunterrichts  dahin  festzusetzen:  dass  er  jene  allgemeine  Musik- 
bildung erreicht,  aus  der  sich  dann  der  Künstler  mit  seiner  indi- 
viduellen Bildung  ablöst.  Jene  hat  eben  nur  den  Zweck,  die  Empfäng- 
lichkeit für  das  Kunstwerk  zu  erhöhen,  den  Genuss  desselben  zu  erleichtern. 
Diese  geht  dann  weiter;  sie  giebt  Anleitung  und  Anregung,  das  Kunstwerk 
selbst  zu  schaffen,  entweder  ganz  aus  sich  heraus,  als  Componist  und  Tondichter, 
oder  es  nachzuschaflPen  als  ausübender  Künstler. 

Der  so  organisirte  Unterricht  wird  dann  auch  leicht  die  Frage  entscheiden 
lassen:  Welche  von  den  Schülern  mit  Erfolg  zum  Künstler  weiter  zu  bilden 
sind  ?  Wähi'end  desselben  werden  sich  die  Individualitäten  bereits  so  äussern, 
dass  man  diejenigen  erkennt,  die  nach  einer  speciellen  Ausbildung  verlangen 
und  bei  denen  eine  solche  erfolgreich  zu  -werden  verspricht.  Die  blosse  Lust 
am  Schaffen  giebt  allerdings  noch  keine  Gewähr  für  ein  wirkliches  Vorhanden- 
sein von  Talent;  wie  viele  dichten  ohne  dichterisches  Talent  und  malen  ohne 
Talent  für  Malerei.  Nicht  der  Schaffensdrang  für  sich,  sondern  die  Art,  wie 
er  sich  äussert  erst  lässt  erkennen,  ob  und  wie  viel  Begabung  für  eine  gewisse 
Kunst  vorhanden  ist.  Um  den  Drang,  zu  schaffen,  hervorzurufen,  dazu  wirken 
oft  sehr  äussere  Dinge  mit,  wie  Lieblingsneigungen  der  nächsten  Umgebung, 
die  specielle  Beschäftigung  geliebter  Personen  und  dergleichen  mehr.  Erst  die 
wirkliche  Bethätigung  lässt  einen  sichern  Schluss  zu,  ob  für  die  gewählte  ßich- 
tung  Geschick  vorhanden  ist.  Dies  zeigt  sich  zunächst  darin,  dass  der  Schüler 
die  technischen  Schwierigkeiten,  welche  das  Handwerk  der  speciellen  Kunst 
mitbringt,  mit  spielender  Leichtigkeit  überwindet,  dass  er  sich  die  handwerks- 
mässige  Technik  rasch  aneignet.     Weitere  Rücksicht  in  Bezug  auf  den  höhern 

27* 


420  Unterricht  in  der  Musik. 

oder  geringern  Grrad  der  Begabung  oder  des  Talents  als  in  der  Natur  der  Sache 
lieot,  kann  dann  die  Unterweisung  kaum  nehmen.  Zunächst  wird  noch  die 
Wahl  des  besonderen  Berufs  dadurch  bestimmt.  Das  blosse  Geschick  für  iMusik 
befähigt  natürlich  nur  zu  einer  allgemeinen  Musikbildung,  die  der  Dilettantismus 
erfordert.  Zeigt  sich  jener  höhere  Grad  für  die  Musik,  den  wir  Talent  nennen, 
so  ist  es  zunächst  gerathen,  den  Schüler  für  die  praktische  Musik  siDeciell  zu 
erziehen,  ihn  zum  ausübenden  Künstler  heranzubilden. 

Dass  hierbei  die  Theorie  nicht  auszuschliessen  ist,  sei  ausdrücklich  erwähnt. 
Sie  erscheint  ja  selbst  für  jene  allgemeine  Musikbildung  nothwendig,  welche 
der  Dilettant  erreichen  soll,  wie  vielmehr  der  wirkliche  Künstler,  Ebenso  noth- 
wendig erscheint  es  aber  auch  in  unserer  Zeit  jene  Kunstjünger,  welche  das 
Vorhandensein  eigenen  Schaffensdranges  zeigen  und  für  die  Composition  erzogen 
werden  sollen,  zugleich  mit  der  praktischen  Musik  vertraut  zu  machen.  Im 
Allgemeinen  also  wird  der  Grundsatz  festzuhalten  sein,  praktisch  und  theo- 
retisch durchgebildete  Künstler  zu  erziehen.  Die  Unterweisung  kann  im 
Grunde  nicht  Virtuosen  und  auch  nicht  Componisten  bilden  wollen.  Sie 
kann  nur  die  nöthige  Anweisung  dazu  geben,  damit  Talent  und  Genie  gleich 
in  die  ihnen  natürlich  vorgezeichnete  Bahn  geleitet  werden. 

Hier  nun  müssten  unsere  Conservatorien  ausserordentlich  einflussreich  wer- 
den, wenn  sie  in  dieser  Weise  den  Gesammtunterricht  organisirten.  Sie  böten 
alle  Mittel,  jene  Durchbildung  zu  erreichen,  die  dem  Privatunterricht  natürlich 
schwerer  zugänglich,  wenn  nicht  ganz  unerreichbar  ist.  Die  Lehre  der  musi- 
kalischen Composition  müsste  natürlich  die  Grundlage  des  gesammten 
Unterrichts  sein  und  alle  Schüler  müssten  daran  Theil  nehmen.  Wie  oben 
schon  erwähnt  wurde,  kann  es  nicht  Absicht  sein,  Componisten  zu  erziehen, 
diese  lassen  sich  eben  nicht  erziehen;  der  Unterricht  kann  sich  nur  darauf 
beschränken,  die  Schüler  in  die  eigenste  Natur  des  Darstellermaterials  einzu- 
führen, sie  mit  den  Gesetzen  vertraut  zu  machen,  unter  denen  es  bestimmte 
Formen  gewinnt  und  dadurch  zum  Träger  höherer  Idee  wird.  Die  Lehre  kann 
nur  die  technischen  Voraussetzungen  erledigen,  unter  denen  das  Kunstwerk 
entsteht,  und  das  ist  nicht  nur  für  diejenigen  nothwendig,  welche  als  wirklich 
selbstschaffende  Künstler  auftreten  wollen,  sondern  auch  für  die,  welche  den 
Beruf  des  ausübenden  Künstlers  erwählt  haben.  Diese  bedürfen  der  vollstän- 
digen Einsicht  in  die  Compositionstechnik  nicht  weniger  als  jene;  nur  dass  sie 
sich  diese  dann  selbst  aneignen  in  fortlaufenden  energischen  Studien;  das  ist 
für  die  praktischen,  für  die  ausführenden  Musiker  nicht  nothwendig.  Während 
es  für  jene,  welche  selbst  schaffen  wollen,  absolut  nothwendig  ist,  um  sich  die 
o-esammte  Technik  anzueignen,  die  contrapunktischen,  rhythmischen  und  melo- 
dischen Studien,  die  Studien  zur  Erlernung  der  Instrumentation  und  Bildung 
der  Formen  praktisch  selbstthätig  durchzumachen,  genügt  es  für  die  Kunstjünger, 
welche  sich  der  ausübenden  Musik  zuwenden,  vollkommen,  wenn  sie  eine  voll- 
ständige Einsicht  in  die  Sache  erhalten,  ohne  dass  sie  diese  Formen  auch  selbst- 
thätig erzeugen  lernen. 

Die  Einführung  in  die  Natur  des  Materials  und  die  Formen,  in  denen  es 
sich  darstellt,  bezeichneten  wir  als  Hauptziel  dieses  Unterrichts  in  der  Compo- 
sition, dies  aber  wird  sich  nicht  erreichen  lassen,  wenn  diese  Studien  nicht 
zugleich  auch  praktisch  ins  Leben  treten  und  dazu  ist  es  nothwendig,  dass 
die  Compositionsschüler  auch  am  Gesangunterricht  Theil  nehmen 
müssen.  Es  dürfen  dabei  auch  die  nicht  ausgeschlossen  werden,  welche  keine 
oder  doch  nur  schlechte  Stimmen  haben.  Singen  kann  jeder  lernen,  auch  wenn 
kein  besonders  günstiges  Organ  und  keine  Anlagen  vorhanden  sind;  denn  hierauf 
kommt  es  hierbei  auch  gar  nicht  an,  sondern  nur  darauf,  dass  der  Schüler  über- 
haupt singen  lerne,  weil  das  Verständniss  der  Gesangstechnik  die  schöpferische 
Thätigkeit  ungemein  unterstützt,  und  weil  gerade  zum  Studium  einer  Reihe  der 
herrlichsten  Meisterwerke  die  selbständige  Gesangsthätigkeit  unerlässlich  ist. 
Daher  erscheint  auch  für  den  Compositionsschüler  die  Selbstbetheiligung  an  der 


Unterriclit  iu  der  Musik.  421 

Ausführung  der  grössten  Meisterwerke  aller  Jahrhunderte  von  unberechenbarem 
Yortheil.  Deshalb  müsste  an  jeder  bedeutenden  Musikschule  ein  Sängerchor 
gebildet  werden  und  selbstverständlich  auch  ein  Instramentalchor,  welche  in 
stufenweiser  Reihenfolge  durchaus  nach  einem  bestimmten  Plan,  möglichst  mit 
der  übrigen  Unterweisung  Hand  in  Hand,  die  Meisterwerke  aller  Jahrhunderte 
den  Schülern  zu  lebendiger  Anschauung  bringen.  Es  genügt  nicht,  in  soge- 
nannten Musikabenden  einige  Werke  für  Kammermusik  oder  etwas  Haus-  oder 
Salonmusik  in  buntester  Weise  vorzuführen,  oder  wohl  auch  öffentliche  Auffüh- 
rungen von  grösseren  Werken  in  charakterlosester  willkürlichster  Unordnung 
aufzuführen,  das  beföx'dert  nur  das  dilettantische  Musikmachen  und  das  Tändeln 
mit  Musik.  An  diesen  Schulen  müssen  die  grossen  Meisterwerke  von  Bach 
und  Händel  die  Grundlage  dieser  Studien  bilden,  die  Werke  von  Haydn, 
Mozart,  Beethoven  und  die  der  neuern  von  Schubert,  Mendelssohn  und 
Schumann  gruppiren  sich  dann   um  jene  beiden  grössten  Meister. 

Dabei  ist  dann  auch  Gelegenheit  gegeben,  die  Schüler  das,  was  sie  selber 
geschrieben  haben,  wenn  der  Lehrer  es  zweckmässig  hält,  hören  zu  lassen,  damit 
sie  die  Wirkung  beachten  lernen.  Wenn  eine  Schülerarbeit  einigermassen  den 
Anforderungen  entspricht,  sollte  man  immer  Gelegenheit  suchen,  sie  auszuführen, 
weil  dadurch  der  Schüler  weit  mehr  gefördert  wird  als  durch  haarscharfe  Unter- 
w^eisungen.  Mit  diesen  jDraktischen  Uebungen  aber  müsste  die  gewissenhaft 
geleitete  Kritik  verbunden  werden,  Ueber  alle  derartige  Uebungen  müssten 
die  Musikschüler  in  besonderen  Stunden  mündlich  oder  iu  besondern  Arbeiten 
schriftlich  referiren;  nicht  etwa,  um  Kritiker  auszubilden  —  obgleich  dies  auch 
kein  geringer  Gewinn  für  das  öffentliche  Musikleben  wäre,  wenn  die  öffentliche 
Kritik  durch  technisch  gebildete  Fachmänner  ausgeübt  würde  —  sondern  na- 
mentlich, um  die  Selbstthätigkeit  anzuregen.  Die  Verschiedenheit  des  Alters 
und  der  Begabung  werden  die  verschiedensten  Urtheile  hervorbringen  und  dem 
Lehrer  wird  es  dann  überlassen  sein,  zu  berichtigen  oder  zu  bestätigen  und  aus 
der  Vielheit  der  Urtheile  ein  allgemeines  Gesammturtheil  zu  gewinnen.  Vom 
grössten  Nutzen  aber  müssen  diese  Uebungen  für  die  Schüler  werden,  deren 
Arbeiten  die  erste  Feuerprobe  vor  so  geleiteten  jugendlichen  Kritikern  zu  be- 
stehen haben.  Wenn  es  der  Lehrer  vei'steht,  diese  Uebungen  recht  zu  leiten, 
müssteu  sie  zu  einer  so  fördernden  Selbstkritik  führen,  wie  keine  andere  Uebung 
und  die  jugendlichen  Künstler  würden  einen  mehr  objektiven  Standpunkt 
gewinnen,  von  dem  aus  sie  früher  Erfolge  erringen  würden,  als  es  jetzt  der 
Fall  ist.  Selbstverständlich  muss  ferner  jeder  Compositionsschüler  auch  das 
Ciavierspiel  üben,  da  es  jedenfalls  das  für  unsre  gegenwärtige  Musikpraxis  zweck- 
mässigste  Instrument  ist.  In  seinem  grossen  Umfange,  der  fast  das  gesammte, 
in  unserer  praktischen  Musik  verwendbare  Tonmaterial  umfasst,  und  der  leichten 
mehr-  und  vollstimmigen  Behandlung,  welche  es  zulässt,  bietet  es  für  alle  Zweige 
der  Comi^osition  die  sicherste  Stütze.  Daneben  wird  es  fast  bei  jeder  prak- 
tischen Beschäftigung,  der  sich  der  Kunstjünger  zuwendet,  gefordert.  Er  mag 
als  Lehrer,  Dirigent  oder  selbst  als  Orchestermitglied  sich  am  öffentlichen  Musik- 
leben betheiligen,  eine  gewisse  Fertigkeit  in  der  Behandlung  des  Clavieres  wird 
ihm  seine  Stellung  entschieden  erleichtern. 

Von  ausserordentlichem  Vortheile  wird  es  dann  für  den  Kunstjünger 
sein,  wenn  es  ihm  möglich  ist,  daneben  auch  noch  eins  oder  das  andere  der 
übrigen  Instrumente,  der  Orchesterinstrumente  zu  erlernen.  Es  soll  damit 
durchaus  nicht  jenem  Allerweltsmusikantenthum  das  Wort  geredet  werdsn,  das 
eine  ganze  Eeihe  von  Instrumenten  mit  gleicher  Unzulänglichkeit  traktirt,  ohne 
auf  einem  etwas  Erhebliches  zu  leisten.  Das  eine  Instrument  müsste  immer 
das  besonders  bevorzugte  bleiben,  die  andern  werden  nur  nebenbei  geübt.  Schon 
die  Technik  der  Composition  erfordert  eine  gewisse  Vertrautheit  mit  den  übri- 
gen Instrumenten;  mehr  aber  noch  als  dies  macht  der  Umstand  die  Beschäf- 
tigung mit  einer  grössern  Anzahl  von  Musikinstrumenten  wünschenswerth,  dass 
die  ausschliessliche  Uebung    eines   Instruments  leicht  eine  einseitige  Richtung 


ö 


422  Unterriclit  iü  der  Musik. 

erzeugt,  welche  das  Talent  nicht  zu  voller  Entfaltung  gelangen  lässt.  Das  ist 
an  einer  Eeihe  von  Meistern  nachzuweisen.  Bach 's  und  Händel 's  objektive 
Grösse  wurde  durch  ihr  vielseitiges  Musiciren  und  ganz  besonders  durch  das 
Instrument  der  Instrumente,  die  Orgel,  ganz  ausserordentlich  gefördert;  auch 
bei  Haydn  und  Mozart  sind  ähnliche  Einflüsse  nachzuweisen,  und  sie  wie 
Beethoven  standen  noch  unter  direkter  Einwirkung  des  gewaltigem  Orchester- 
organismus. Bei  den  Jüngern  Meistern  begann  das  Ciavier  seine  verengende 
und  einschränkende  Herrschaft  und  diese  erzeugte  dann  in  Chopin  eine  so 
subjektiv  zugespitzte  einseitige  Eichtung,  dass  unter  ihr  nur  noch  die  kleinsten 
Formen  gedeihen  und  schliesslich  auch  diese  noch  zertrümmert  werden  müssen. 
Auch  an  dem  grossen  Geigenmeister  Spohr  wäre  nachzuweisen,  dass  die  ein- 
seitige Beschäftigung  mit  einem  Insti'ument  auch  ein  bedeutendes  Talent  nicht 
zur  vollen  Entwickelung  kommen  lässt;  dass  es  unter  den  glänzenden  Klängen 
desselben  gewissermassen  verkommt.  Es  muss  wiederholt  werden,  nicht  bis  zur 
wirklich  künstlerischen  Ausführung  möge  der  Kunstjünger  auch  andere  Instru- 
mente zu  spielen  erlernen,  sondern  nur,  um  jener  einseitigen  Beschäftigung  mit 
seinem  Hauptinstrument  ein  Gegengewicht  zu  bieten  und  ihn  vor  dem  Ver- 
sinken in  einseitiger  Richtung  zu  bewahren.  Der  Ciavierspieler  muss  so  viel 
Geigen-  oder  Cellostudien  machen,  um  seine  betreffende  Stimme  im  Quartett 
oder  Trio  u,  dergl.  ausführen  zu  können.  Ueberhaupt  erwächst  auch  dem  Vir- 
tuosen hierdurch  schon  Gelegenheit,  sich  mehrseitiger  auszubilden,  indem  Geiger- 
und Ciavierspieler  fleissig  Kammermusik:  Duos,  Trios,  Quartette  u,  s.  w. 
üben,  um  so  mehr,  als  sie  damit  zugleich  vorwiegend  Musik  der  ernstesten, 
edelsten  und  höchsten  Art  pflegen.  Die  Geiger  müssen  fernerhin  auch  viel  im 
Oi'chester  spielen,  wenn  sie  sich  allseitiger  entwickeln  sollen.  Alle  diese  Be- 
dingungen müssten  unsere  Conservatorien  und  Musikschulen  erfüllen,  aber  in 
planmässiger  Ordnung,  so  dass  immer  die  eine  Discipliu  die  andere 
ergänzt;  was  darin  bis  jetzt  geschieht,  ist  nicht  der  Bede  werth 
und  meist  dem  Zufall  und  gutem   Glück  anheimgestellt. 

Diese  Anforderungen  erscheinen  um  so  weniger  übertrieben,  als  sie  bei 
zweckmässiger  Anordnung  durchaus  nicht  so  schwierig  zu  erfüllen  sind.  Nament- 
lich wäre  es  bei  den  betreffenden  Instituten  sehr  leicht,  durch  eine  verständigere 
Organisation,  als  sie  in  der  Hegel  haben,  diese  harmonische  Durchbildung  zu 
erreichen.  "Wenn  der  Leiter  einer  solchen  Anstalt  die  Ziele  überschaut  und  fest 
vor  Augen  behält,  wird  es  ihm  nicht  schwer  werden,  alles  so  zu  ordnen,  dass 
die  einzelnen  Disciplinen  auch  so  ineinander  greifen,  um  das  Gesammtziel  leicht 
zu  erreichen;  wenn  aber  ein  gemeinsamer  Wille  eine  solche  Anstalt  leitet,  werden 
auch  die  einzelnen  Lectionen  einander  ergänzen  und  fördern,  so  dass  aus  der 
Summe  aller  dann  jene  allgemeine  künstlerische  Durchbildung  als  glänzendstes 
Resultat  hervorgeht. 

Dann  aber  dürfen  auch  die  beiden  Disciplinen  nicht  fehlen,  welche  diese 
Bildung  eigentlich  erst  abschliessen  und  die  in  unserer  Zeit  zugleich  zu  den 
mächtigsten  Förderern  der  ganzen  Musikentwickelung  werden  müssten:  Aesthe- 
tik  und  Musikgeschichte.  Beide  aber  sind  gerade  an  unsern  bedeutendsten 
Instituten  verwahrlost  wie  keine  andere. 

In  früheren  Jahrhunderten  wurde  die  Tonkunst  eben  nur  als  Kunst  gefasst 
und  nur  in  der  einen  Richtung  weiter  geführt.  Die  Meister  aller  Schulen  älterer 
Zeit,  wie  sehr  sie  auch  in  der  speciellen  Ausführung  abweichen,  kommen  doch 
alle  in  dem  einen  Ziele  überein,  dass  sie  ihre  Ideen,  wie  verschieden  sie  auch 
sein  mochten,  in  kunstvollen  möglichst  streng  gefügten  Formen  darlegen,  und 
doch  hatten  auch  sie  das  Bedürfniss,  sich  hierüber  wie  über  ihre  speciellen 
Aufgaben  durch  reflektirende  Untersuchungen  Klarheit  zu  verschaffen.  Nicht 
nur  bei  den  Theoretikern,  sondern  auch  bei  den  Meistern  der  niederländischen 
und  der  italienischen  Schulen  finden  wir  zahlreiche  Beweise  dafür,  dass  sie  die 
Ziele  und  Bedeutung  unserer  Kunst  sich  ästhetisch  zurechtlegten,  obgleich  sie 
durch   die  ganze  Praxis  direkt  darauf  hingeführt  wurden.    Auch  aus  der  spätem 


Unterricht  in  der  Musik.  423 

Zeit,  welche  besonders  als  die  Zeit  des  naiven  SchafFeus  bezeichnet  wird  und 
von  jenem  Meister  derselben,  der  als  Typus  desselben  gilt,  Joseph  Haydn, 
oder  von  jenem,  bei  dem  alles  nur  geniale  Eingebung  zu  sein  scheint,  Mozart, 
wissen  wir,  dass  sie  nicht  in  so  naiver  Bewusstlosigkeit  schufen,  wie  man  in 
der  Regel  annimmt,  sondern  dass  sie  auch  über  ihre  Kunst  dachten,  um  den 
ihrer  Zeit  entsprechenden  Standpunkt  zu  gewinnen.  Seitdem  hat  sich  die  ganze 
Entwickelung  in  mannichfacher  Richtung  zeitheilt,  ihr  anfangs  einheitlicher 
Strom  hat  sich  in  viele  Arme,  der  ursprünglich  einheitliche  Stamm  in  viele 
Aeste  ausgebreitet,  so  dass  es  nicht  mehr  so  leicht  ist,  die  Hauptrichtung,  die 
doch  jeder  Ivunstjünger  einschlagen  muss,  zu  erkennen,  und  dass  es  eines 
förmlichen  Orientirungsprozesses  bedarf,  um  die  gesunden,  vom  Stamm  aus  trei- 
benden Aeste  von  den  krankhaften  Auswüchsen,  um  die  zu  beachtenden  Neben- 
flüsse von  den  sich  verlaufenden  trüben  Grewässern  zu  unterscheiden.  Diese 
Zurechtweisung  aber  müssen  Aesthetik  und  Geschichte  übernehmen.  Beide 
dürfen  dann  freilich  nicht,  wie  meistentheils  bisher  geschehen,  sich  damit  be- 
gnügen, den  Eindruck,  den  das  Kunstwerk  macht,  in  einige  tönende  Phrasen 
zu  bringen.  Die  Aesthetik,  als  die  Lehre  vom  Schönen,  muss  nachweisen, 
welche  Bedingungen  ein  Kunstwerk  erfüllen  muss,  um  als  solches  gelten  zu 
können,  sie  muss  die  ewigen  Gesetze  zu  ergründen  suchen,  nach  welchen  die 
Kunst  überhaupt  erst  zur  Kunst  wird.  "Wir  fanden  diese  ebenso  im  Material 
begründet,  in  welchem  sie  formt,  als  in  den  Formen  selber,  die  sie  hervorbringt, 
und  fanden,  dass  sie  bestimmten  Ideen  dienstbar  werden,  als  deren  Ausdruck 
sie  dann  erscheinen.  In  diesem  Sinne  wird  die  Aesthetik  zum  Gesetzbuch  für 
die  Kunst  und  die  Künstler,  das  diesem  die  nöthige  Anleitung  giebt  für  seine 
weitere  gesammte  "Wirksamkeit  und  das  auch  zugleich  den  Laien  auf  jenen 
einzig  begründeten  Standpunkt  stellt,  auf  welchem  allein  er  die  Kunst  und  das 
Kunstwerk  erfolgreich  zu  geniessen  im  Stande  ist,  ohne  die  in  seiner  Indivi- 
dualität etwa  bedingten  Störungen  und  Trübungen. 

Die  Musikgeschichte  giebt  dann  Gelegenheit  zur  praktischen  Anwendung 
der  hieraus  gezogenen  Theorien  des  auf  diesem  Wege  gewonnenen  Maassstalies. 
Sind  diese  richtig,  so  müssen  sie  in  der  Geschichte  ihre  Bestätigung  finden. 
Sie  zeigt,  dass  die  Grundprinzipien  durch  alle  Phasen  und  Jahrhunderte  der 
Entwickelung  immer  dieselben  bleiben,  dass  nur  die  specielle  Art  der  Erkennt- 
niss  und  Anwendung  eine  andere  wird.  Die  Musikgeschichte  zeigt,  dass  jedes 
Jahrhundert  und  jeder  Meister  ihre  eigene  Mission  erfüllen,  dass  sie  die  ewigen 
Gesetze  der  Kunstgestaltung  immer  nur  in  anderer  Anwendung  versuchen  und 
sie  führt  damit  kommenden  Zeiten  und  Geschlechtern  die  eigene  Aiifgabe  vor 
die  Augen.  Diese  vollständige  Einsicht  nur  in  das  innerste  Wesen  der  Kunst, 
welche  die  Aesthetik  uns  giebt  und  die  umfassende  Erkenntuiss  der  Entwicke- 
lung, welche  uns  die  Geschichte  gewährt,  sind  im  Stande,  dem  Künstler  der 
Gegenwart  seine  Stellung  klar  zu  machen  und  nur  wer  diese  erkannt  hat, 
wird  thätig  eingreifen  können  in  die  Entwickelung  der  Kunst  unserer  Tage. 
Wem  diese  Einsicht  verschlossen  bleibt,  kann  kaum  etwas  anderes  werden  als 
ein   —  Virtuos  oder  —  ein  Dilettant. 

In  wenig  Worte  zusammengefasst  lässt  sich  nach  alledem  die  Aufgabe  des 
Musikunterrichts  dahin  festsetzen:  Er  soll  jene  allgemeine  Musikbil- 
dung als  Ziel  feststellen,  die  es  zunächst  möglich  macht,  die  vorhandenen 
Kunstwerke  mit  dem  nöthigen  Erfolge  zu  geniessen  und  auch  auszuführen. 
Schon  in  Bezug  auf  die  Ausführung  fanden  wir  dann  einen  zwiefachen  Stand- 
punkt, den  des  Dilettanten  und  den  des  Künstlers  von  Beruf,  die  in  der 
Weise  der  Ausführung  geschieden  sind.  AVie  der  Künstler  schon  hier  sich  von 
der  allgemeinen  Musikbildung  abheben  soll,  so  soll  er  weiterhin  auch  dahin 
gelangen,  das  Kunstwerk  zu  schaffen  und  hierzu  fanden  wir  eine  Reihe  theore- 
tischer und  praktischer  Studien  nothwendig,  die  aber  alle  Hand  in  Hand  gehen 
müssen,  um  ihm  die  höchste  Ausbildung  für  seinen  Beruf  zu  geben.  Es  erschien 
uns  nothwendig,  dass  er  nicht  nur  in  die   Technik    der  Composition  eingeführt 


424  Untersatz  —  Unterziehen. 

werden,  damit  er  die  nöthige  Einsicht  gewinnt,  sondern  er  muss  sie  sicli  in 
praktischer  Selbstthätigkeit  zu  eignem  Können  aneignen.  Weiterhin  fanden 
wir  für  nöthig,  dass  er  ausser  ernsten  Gesangstudien  auch  Ciavierstudien  unter- 
nimmt; dass  er  sich  ferner  auch  mit  der  Technik  der  übrigen  Instrumente 
vertraut  macht  und  dass  er  endlich  auch  Aesthetik  und  Musikgeschichte 
in  den  Bereich  seiner  Studien  zieht.  Nur  so  wird  ein  Künstler  erzogen,  der 
Bedeutung  gewinnen  kann  für  die  Entwickelung  der  Kunst  seiner  Zeit. 

Untersatz,  auch  Major,  Majorbass,  Maxima  pihata,  10  oder  5  metr., 
ist  ein,  in  grossen  Orgelwerken  im  Pedal  stehendes  gedecktes  Labialregister 
von  Holz  mit  weiter  Mensur.  Der  Ton  dieser  Stimme  giebt  den  5  —  2,  5 —  und 
1,25  metrigen  Pedalstimmen  Deutlichkeit  und  Fülle  und  ist  dem  des  Subbasses 
sehr  ähnlich. 

Unterschlag  oder  Rückfall  werden  die  absteigenden  Nachschläge  genannt. 

Untersetzen  heisst  beim  Fingersatz  der  Tastinstrumente,  den  Daumen  unter 
den  Fingern  wegziehen  und  eine  Taste  erfassen,  um  so  die  übrigen  Finger 
wieder  für  die  weiter  liegenden  Tasten  nach  oben  oder  nach  unten  frei  zu 
machen.  Bei  der  rechten  Hand  wird  der  Daumen  für  die  aufwärtsgehende, 
bei  der  linken  für  die  abwärtsgeheude  Tonfolge  untergesetzt;  bei  jenem  werden 
die  obern,  bei  diesem  dann  die  untern  Töne  den  andern  Fingern  dadurch 
erreichbar.  Beim  Pedalspiel  bei  der  Orgel  wird  das  Untersetzen  dadurch 
bewirkt,  dass  sich  der  eine  Fuss  hinter  der  Ferse  des  andern  vorbei  bewegt. 

üuterstimme  heisst  in  mehrstimmigen  Sätzen  die  tiefste  Stimme;  aber  diese 
ist  nicht  immer  der  Bass.  In  der  allgemeinen  Organisation  des  Chors  nur 
bildet  der  Bass  die  tiefste  Stimme.  Wir  stellen  aber  auch  Chöre  ohne  Bass 
zusammen,  deren  Unter  stimme  dann  eine  andere  tiefste  Stimme  bildet.  Beim 
zweistimmigen  Frauenchor  ist  der  Alt  oder  zweite  Sopran  die  tiefste 
Stimme;  beim  dreistimmigen,  aus  zwei  Sopranen  und  einem  Alt  zusammen- 
gesetzten, der  Alt;  beim  vierstimmigen  Prauenchor  der  zweite  Alt;  bei 
einem  aus  Sojjran,  Alt  und  Tenor  zusammengestellten  Chor  bildet  der  Tenor 
die  tiefste  Stimme  u.  s.  w.  Noch  mannichfacher  sind  natürlich  die  Zusammen- 
stellungen beim  Orchester.  Für  dies  sind  Bassinstrumente  ausser  dem 
Contrabass  und  Cello  das  Fagott  und  Contrafagott,  die  Bassposaune 
und  Basstuba  und  wohl  auch  die  Pauke;  aber  unter  Umständen  bilden  auch 
die  Hörner  oder  die  zweite  Clarinette  u.  s.  w.  zeitweis   die  tiefste  Stimme. 

Untertasten  heissen  bei  unsern,  noch  nach  der  gewöhnlichen  Weise  ein- 
gerichteten Tasteninstrumenten  die  längeren,  jetzt  meist  weissen  Tasten,  welche 
für  die  Töne  der  diatonischen  Tonleiter  bestimmt  sind.  Die  für  die  chroma- 
tischen Halbtöne  bestimmten  kürzeren  (schwarzen)  Obertasten  liegen  so,  dass 
sie  bedeutend  zurückstehend  über  die  Fläche  der  weissen  zu  liegen  kommen. 
Es  ist  bekannt,  dass  bei  älteren  Flügeln  die  Untertasten  schwarz  und  die 
Obertasten  weiss  waren.  In  neuerer  Zeit  ist  wieder  der  Versuch  gemacht 
worden,  die  chromatische  Tonleiter  auch  zur  Grundlage  der  Tastatur  zu  machen 
und  die  Tasten  für  sie  auf  einer  Fläche  aneinander  zu  reihen.  (Hierüber  s. 
im  Sui3plementband:   Neu-Claviatur.) 

Unterziehen  nennt  man  die  fehlerhafte,  zu  tiefe  Intonation  eines  Sängers 
im  Gegensatz  zum  Ueb erziehen.  Es  kann  dies  verschiedene  Gründe  haben 
und  passirt  oft  Sängern,  welche  sonst  keine  Neigung  zum  Detoniren,  zum 
Unreinsingen  haben;  es  ist  dann  meist  die  Folge  von  Indispositionen  oder 
auch  einer  falschen  Athemgebung.  Ist  der  Sänger  etwas  matt,  dann  werden 
ihm  namentlich  die  Töne  im  Stimmbruch  und  an  den  Grenzen  der  Register 
überhaupt  nicht  leicht,  rein  zu  singen.  Die  Ermüdung  des  Muskelapparats 
zeigt  sich  hier  am  frühesten,  indem  die  Töne  etwas  zu  tief  schweben.  In  der 
Hegel  ist  damit  auch  eine  lahmere  Athemgebung  verbunden,  welche  die  nor- 
male Schwingung  der  Stimmbänder  gleichfalls  beeinträchtigt.  Häufig  trägt 
diese  allein  am  Unreinsingen  die  Schuld.  Wird  der  Ton  mehr  gehaucht  als 
mit  festem  Ansatz  genommen,  so  ist  er  meist  unrein;    dieser   Fehler    ist    dann 


I 


Unveränderliclier  Vorschlag  —  Unvolikommeue  Consonanzen,  425 

sofort  beseitigt,  wenn  der  Sänger  scharf  articulirt.  Es  erscheint  überhaupt 
immer  sicherer,  den  Grund  des  Detonirens  hier  und  nicht  im  Gehör  zu  suchen. 
Wir  haben  an  mehreren  Stellen  gezeigt,  dass  dies  allerdings  beim  Sänger  sehr 
geschärft  sein  muss,  damit  er  das  Orgau  anleiten  kann,  den  richtigen  Ton  za 
treffen;  allein  um  die  oben  erwähnten  Schwächen  des  Organs  zu  heben,  dazu 
kann  das  Ohr  dann  nicht  viel  mehr  thun.  Sänger  mit  sehr  feinem  Gehör 
vermögen  doch  selten  zu  unterscheiden,  ob  sie  unrein  singen;  sie  hören  sehr 
wohl,  ob  sie  falsch  singen,  aber  weit  seltener,  ob  der  Ton  auch  eine  Schwebung 
zu  hoch  oder  zu  tief  ist.  Hier  kann  der  Lehrer  vielmehr  thun  als  der  Schüler. 
Jener  muss  die  speciellen  Gründe  des  ITnreinsingens  zu  erforschen  suchen,  ob 
diese  in  dem  noch  nicht  intim  genug  hergestellten  Verhältniss  zwischen  Ohr 
und  Stimme  zu  suchen  ist,  oder  in  fehlerhafter  Tongebung  oder  ungenügender 
Athemführung,  und  darnach  müssen  systematische  TJebungen  angestellt  werden. 
Im  ersteren  Falle  erweisen  die  unter  dem  Artikel:  Treff  Übungen  verzeich- 
neten Uebungen  sich  sehr  zweckmässig,  namentlich  wenn  diese  auch  mehr- 
stimmig unternommen  werden  können.  Für  Athemführung  und  Ton- 
gebung  genügen  dann  die  üblichen  Unterweisungen  und  Uebungen.  Gegen 
momentane  Indisposition  kann  nur  der  eigene  feste  "Wille  des  Sängers  Abhülfe 
schaffen.  Beim  mehrstimmigen  Gesänge  ist  das  Unterziehen  gewöhnlich 
durch  die  Stimmen  verursacht,  welche  den  Leitton  zu  matt  nehmen;  und 
daneben  durch  die,  auf  welchen  die  Modulation  hauptsächlich  beruht;  deshalb 
muss  der  Dirigent  besonders  auf  diese  achten,  muss  sie  der  besondern  Sorgfalt 
der  Sänger  anempfehlen. 

ünreränderlicher  Yorschlag'  wird  wohl  auch  der  kurze  Vorschlag  genannt, 
weil  er  nicht  auch  wie  der  lange  von  verschiedener  Zeitdauer  sein  kann. 
Beim  langen  Yorschlage  wird  die  Zeitdauer  bekanntlich  durch  die  Note 
bestimmt,  vor  der  er  steht;  ist  diese  zweitheilig,  so  gilt  er  die  Hälfte  derselben; 
vor  einer  dreitheiligen  zwei  Drittel  ihres  "Werthes,  und  ist  noch  eine  gleich- 
stufige an  die  Hauptnote  angebunden,  so  gilt  der  Vorschlag  den  vollen  "Wertb 
der  Hauptuote;  der  kurze  Vorschlag  wird  dagegen  immer  so  kurz  angegeben, 
dass  seine  Zeitdauer  schon  nicht  mehr  zu  bestimmen  ist;  daher  helsst  er  im 
Gegensatz  zu  jenem,  dem  langen,  dessen  Zeitdauer  eben  veränderlich  ist,  auch 
der  unveränderliche. 

Unvollkommene  Consonanzen  sind  die  grosse  und  kleine  Terz  und  die 
Sext,  deren  mathematische  Schwingungs Verhältnisse  bereits  weiter  ab  von  der 
ursprünglichen  Einheit  liegen  und  daher  zusammengesetzter  erscheinen  als  die 
vollkommenen  Consonanzen,  die  Octav,  Quint  und  Quart;  dabei  sind  sie 
doch  immer  noch  einfach  genug,  um  als  Consonanzen  gelten  zu  müssen.  Dem 
entspricht  auch  ihre  Anwendung  in  der  Praxis.  Die  vollkommenen  Con- 
sonanzen vertragen  in  den  Temperaturen  wie  die  Octave  gar  keine  oder  doch 
nur  geringe  Abweichungen  von  der  mathematischen  Reinheit,  die  unvoll- 
kommenen lassen  grössere  Differenzen  zu,  ohne  das  Gehör  zu  beleidigen  oder 
auch  nur  als  Trübungen  zu  erscheinen.  "Weiterhin  erscheint  als  charakteristisches 
Merkmal,  wodurch  sie  sich  von  den  vollkommenen  Consonanzen  unter- 
scheiden, dass  sie  in  zwei  Gattungen  als  gross  und  klein  eingeführt  werden 
können,  ohne  den  Charakter  als  Consonanz  zu  verlieren.  Die  grosse  Terz 
und  grosse  Sext  können  in  die  kleine  Terz  oder  Sext  verengt  werden, 
ohne  dass  sie  ihren  consonanten  Charakter  verlieren,  während  die  vollkom- 
menen Consonanzen  durch  eine  derartige  Veränderung  zu  Dissonanzen 
werden.  Auf  diesen  "Wahrnehmungen  beruhen  bekanntlich  hauptsächlich  die 
Regeln  des  reinen  Satzes,  dass:  vollkommene  Consonanzen  einander 
nur  in  der  Gegen-  oder  Seitenbewegung  folgen  können;  dass  von 
einer  unvollkommenen  zu  einer  vollkommenen  nur  in  der  Gegen- 
oder Seitenbewegung  geschritten  werden  darf,  während  von  einer 
A'ollkommenen  zu  einer  unvollkommenen  ebenso  von  einer  unvoll- 
kommenen   zu    einer     andern     unvollkommenen    auch    noch    neben    der 


426 


Unvollkommener  GanzscUnss  —  Upmark. 


Gegenbewegung    und   der    Seitenbewegung   auch    noch   die  gerade  Be- 
wegung gestattet  ist. 

UuTollkommener  Ganzschluss.  Der  vollkommene  Ganzschluss  besteht  be- 
kanntlich aus  der  unmittelbaren  Folge  des  Dominantseptimenaccordes 
und  des  Dreiklangs;  unvollkommen  nennt  man  ihn,  wenn  der  Dreiklang 
nicht  in  der  Octavlage,  als  der  befriedigendsten,  sondern  in  der  Terz-  oder 
Quintlage  angewendet  wird: 


{ 


_C2_ 


-^^ 


-^- 


—  ^- 


z^ä^z 


^ 


-t 


-P2- 


-tr- 


-1=2- 


Die  Meister  der  Instrumentalmusik  wussten  diesen  unvollkommenen  Ganzschluss 
rhythmisch  bedeutsamer  und  gewichtiger  zu  machen: 


t 


während  den  Romantikern  in  ihm  eines  der  wirksamsten  Mittel  erwuchs 
zur  charakteristischen  Darstellung  jener  romantischen  Unendlichkeit,  welche  mit 
dem  Schluss  erst  oft  die  weitesten  Perspectiven  eröffnet  und  die  Phantasie 
anregt,  diese  auszufällen.  Einzelne  Romantiker,  allen  voran  Robert  Schu- 
mann, haben  diesen  unvollkommenen  Schluss  noch  unvollkommener  gemacht, 
indem  sie  ihm  sogar  den   Grundton  entziehen: 


oder  diesen  doch  nur  als  leichten  Vorschlag  angeben: 


Selbst  im  Orchester  wusste  der  genannte  Meister  einen  derartigen  unvollkom- 
menen Schluss  zu  erzielen,  indem  er  die  Quint  den  stärker  schallenden  Instru- 
menten zuertheilte  und  damit  den  von  weniger  kräftigen  ausgeführten  Grund- 
ton verhüllte. 

Uuzelmann,  s.  Bethmann. 

Unzer,  Johann  August,  Dr.  med.,  geboren  zu  Halle  am  29.  April  1727, 
starb  zu  Altena  am  2.  April  1799.  In  dem  von  ihm  herausgegebenen  Wochen- 
Journal  »Der  Arzt«  befindet  sich  im  siebenten  Bande  eine  Abhandlung  über 
die  Musik  in  Bezug  auf  die  Medicin.  Im  Auszuge  hat  dieselbe  Hiller  in: 
»Wöchentliche  Nachrichten  über  Musik«,  1770,  S.  307—311,  315—319  und 
323 — 325  aufgenommen. 

Uomo,  ital.  Primo  uomo,  ist  der  erste  Tenorsänger  bei  der  italienischen 
Oper,  wie  die  Prima  Donna  die  erste  Sopranistin  und  die  Prima  Donna 
assoluta  die  einzige  erste  Sopranistin  ist. 

Upmark,  N.,  ein  schwedischer  Gelehrter,  Professor  an  der  Universität  Upsala 


Urania  —  Urban.  427 

im  Anfange  des  18.  Jahrhunderts,  hat  eine  Dissertation  veröffentlicht:  nMusica 
priscari(?n  (/entiumi  (TJpsala,   1708,  in  4"). 

Urania  =  die  Himmlische,  eine  der  neun  Musen.  Als  Muse  der  Stern- 
kunde wurde  sie  mit  einem  Globus  abgebildet. 

Urauikon  =  das  Himmlische,  nannte  Fr,  von  Holbein  in  Wien  ein 
von  ihm  1806  construirtes  Instrument,  das  aus  zwei  Harfen  bestand,  deren 
Saiten  durch  Tasten  klingend  gemacht  wurden. 

Urauiou  nannte  A.  Buschmann  ein  von  ihm  (1810)  erfundenes,  dem  Me- 
lodion  (s.  d.)  ähnliches  Instrument.  Es  ist  4  Fuss  laug,  2  Fuss  breit  und 
1^/2  Fuss  hoch  und  hat  einen  Umfang  von  ö'/a  Octaven,  von  F  bis  c*.  Der 
Ton,  der  sehr  angenehm,  gesangreich  und  aller  dynamischer  Modificationen 
fähig  ist,  wird  durch  Eeibung  eines  mit  Tuch  bekleideten  Cylinders  aus  höl- 
zernen Stäben  gelockt.  Buschmann  war  ein  Posamentirer  und  wohnte  in 
Friedrichsroda  bei  Gotha;  er  fand  Vergnügen  am  Pianofortebau  und  baute 
selbst  mehrere  derselben.  Einzelne  Enthusiasten  sahen  in  dem  TJranion  das 
Instrument,  das  berufen  sein  sollte,  das  Piauoforte  zu  verdrängen,  doch  ver- 
mochte es  durchaus  nicht  w^eitere  Verbreitung  zu  finden. 

Urban,  Christian,  Eaths-  und  Stadtmusikant  zu  Elbing,  wo  er  am 
16.  Octbr.  1778  geboren  wurde,  kam  1824  nach  Berlin  und  ging  später  als 
Musikdirektor  nach  Danzig  und  dann  nach  Elbing.  Er  gab  folgende  Schriften 
heraus:  »Theorie  der  Musik  nach  rein  naturgemüssen  Grundsätzen«  (Königsberg, 
Härtung,  1824,  ein  Band  in  8°,  274  S.).  1826  mit  neuem  Titelblatt  von  Ewert 
neu  herausgegeben.  Eine  Einleitung  zum  genannten  Buche  erschien  in  Elbing 
1823  unter  dem  Titel:  »lieber  die  Musik,  deren  Theorie  und  den  Musik- 
Unterricht  u.  s.  w.«  Später  veröffentlichte  Urban  noch:  »Ankündigung  meines 
allgemeinen  Musikunterrichts- Systems  und  der  von  mir  beabsichtigten  normalen 
Musikschule«  (Berlin,  Krause,  1825,  16  Seiten  in  8").  Von  seiner  praktischen 
Musik  kennt  man:  die  Musik  zu  Schiller's  »Braut  von  Messina«  und  die  Oper 
»Der  goldene  Widder«. 

Urban,  Friedrich  Julius,  ein  trefflich  durchgebildeter  Musiker  und  aus- 
gezeichneter Gesanglehrer,  wurde  als  der  Sohn  eines  wohlsituirten  Kaufmanns 
am  23.  Decbr.  1838  zu  Berlin  geboren.  Er  zeigte  schon  in  seinen  frühesten 
Kinderjahren  eine  ungewöhnliche  Neigung  zur  Musik  und  der  Vater,  welcher 
sehr  musikalisch  war,  Hess  ihm  und  dem  um  etwas  älteren  Sohne  Heinrich 
im  Alter  von  sechs  und  sieben  Jahren  schon  den  ersten  musikalischen  Unter- 
richt auf  der  Violine  ertheilen.  In  seinem  achten  Lebensjahre  trat  Urban  als 
Solosopranist  in  den  königl.  Domchor,  dessen  Leistungen  damals  unter  August 
Xeithardt's  Direktion  auf  dem  Culminationspunkt  standen.  Die  Kunstreisen 
dieses  Instituts  führten  ihn  in  die  grössten  Städte  Deutschlands  und  im  Jahre 
1850  nach  England.  Später  hielt  er  sich  längere  Zeit  in  Holland  auf.  Die 
weitere  künstlerische  Ausbildung  erhielt  er  unter  Leitung  des  königl.  Concert- 
meisters  Hubert  Ries  im  Violinspiel,  in  der  Composition  und  im  Clavierspiel 
durch  den  als  Dommusikdirektor  zu  Halberstadt  verstorbenen  Bichard  Hell- 
mann, im  Contrapunkt  durch  Professor  Ed.  Grell,  im  Gesänge  hauptsächlich 
durch  den  Chordirektor  an  der  königl.  Hofoper  Elssler  und  den  Kammersänger 
Professor  Mantius,  in  der  Bhetorik  durch  den  Hofschauspieler  Berndal.  Seit 
1860  ist  Urban  in  Berlin  als  einer  der  gesuchtesten  Gesauglehrer  thätig.  Im 
Jahre  1862  verlieh  ihm  der  Herzog  Ernst  von  Sachsen-Coburg-Gotha  die  Me- 
daille für  Kunst  und  Wissenschaft  am  Bande.  Von  1862 — 1873  war  er  Dirigent 
eines  grösseren  Gesangvereins.  Zu  gleicher  Zeit  folgte  er  dem  Hufe  als  Ge- 
sanglehrer an  mehrere  königliche  und  städtische  höhere  Unterrichtsanstalten. 
Seine  im  Druck  erschienenen  Compositionen  finden  beifällige  Aufnahme;  das 
»Schilflied«,  op.  12,  ist  populär  geworden.  Besondere  Erwähnung  verdient  sein 
Lehrbuch:  »Die  Kunst  des  Gesanges«,  das  bis  jetzt  in  vier  Heften  (Potsdam, 
Verlag  von  P.  Gustedt)  erschien  und,  einzig  in  seiner  Art,  den  zwei-  bis  acht- 
stimmigen Gesang   in   einer  vortrefflichen,   allgemein  anerkannten  Methode  be- 


^28  Urbaa  —  Urhan. 

handelt.  Das  Werk  ist  weit  verbreitet  und  hat  namentlich  in  den  höheren 
Schulen  bereits  zu  ausgezeichneten  Resultaten  geführt. 

Trbau,  Heinrich,  Bruder  des  Vorigen,  geboren  am  27.  August  1837  in 
Berlin,  ein  vorzüglicher  Yiolinspieler  und  fieissiger  Componist;  als  Knabe 
Altist  im  königl.  Domchor,  sjDäter  Accessist  der  königl.  Kapelle,  Schüler  von 
Hub.  Ries,  Ferd.  Laub,  Richard  Hellmann  u.  s.  w.  Behufs  seiner  Ausbildung 
hielt  er  sich  längere  Zeit  in  Paris  auf.  Von  seinen  gedruckten  und  zur  öffent- 
lichen Aufführung  gelangten  Instrumentalwerken  sind  zu  nennen:  die  Ouvertüren 
zu  Schiller's  »Fiesco«,  zu  einem  »Fastnachtspiele«,  »Sheherazade«,  die  Symphonie 
»Frühling«,  ein  Violinconcert  u.  s.  w.  Ausserdem  hat  er  viele  Lieder,  Duette 
und  Terzette  geschrieben.     Er  lebt  gegenwärtig,  wie  sein  Bruder,  in  Berlin. 

Urbaui  (...),  italienischer  Componist,  liess  sich  1776  in  Edinbourgh  nieder 
und  gab  dort  mehrere  Sammlungen  schottischer  Melodien  mit  Clavierbegleituug 
heraus,  darunter:  »Vocal  anthologyv^  (Edinburg,  1782).  »Scotch  songs  and  duetsv., 
erster,  zweiter  und  dritter  Band  (London,  Clementi).  Ausserdem  componirte 
er  selbst  Lieder  und  Balladen,  in  denen  er  den  schottischen  Stil  nachahmte, 
z,  B.  stThe  red  Bosev,  Ballade,  1784.  Urbani  siedelte  später  nach  Dublin  über, 
wo  er  auch  1816  starb.  Er  schrieb  dort  die  beiden  italienischen  Opern  »JZ 
Farnacev.  und  »/Z  trionfo  di  Oleliaa. 

Urbano,  Ordensbruder  eines  Minoritenklosters,  war  zugleich  Orgelbauer 
und  unter  dem  Namen  Urbano  da  Venetia  im  15.  Jahrhundert  thätig.  1420 
baute  er  eine  Orgel,  die  für  vorzüglich  galt,  in  der  Hauptkirche  zu  Treviso; 
später  eine  nicht  minder  berühmte  in  der  Markuskirche  zu  Venedig,  welche 
noch  1604  vorhanden  war  und  nach  dem  Chronisten  Stringa  die  Inschrift  trug: 
y)Öj)us  hoc  rarissimum  TJrhaaus  Venetusa.  Diese  Orgel  war  mit  Malereien  von 
Franciscus  Tachoni  versehen,  welche  das  Datum  24.  Mai  1490  trugen.  Leider 
ist  nichts  von  dem  alten  Kunstwerk  erhalten  worden,  als  es  1671  durch  eine 
neue   Orgel  von  De  Beni  aus  Verona  ersetzt  wurde. 

üreua,  Pedro  d',  auch  Uregna,  ein  Spanier,  war  in  der  zweiten  Hälfte 
des  16.  Jahrhunderts  geboren  und  von  Oeburt  an  blind.  In  de:n  Kloster 
Espina  legte  er  seine  Gelübde  ab.  1620  verfasste  er  eine  Abhandlung,  die  in 
drei  Ausgaben  erschien,  und  in  welcher  er  (nach  Arteaga  in  Italien  der  Erste) 
den  sechs  Silben  des  Guido  von  Arezzo  eine  siebente  zusetzte.  Der  Titel 
heisst:  »Arte  nueva  della  musica  inventada  per  San  Gregorio,  desconcertada  Anno 
1022  por  Guido  Aretino,  restituida  a  su  primera  perfeccion  Anno  1620  por  Frag 
Fedro  de  Urena,  y  reducida  a  este  hreve  Oompendio  Anno  1644  por  I.  C.  etc.a 
(En  Roma  for  Fabio  de  Falco,  1669,  in  4°).  Ein  Abriss  des  Werkes  wurde 
von  Caramuel  von  Lobcomitz  1645  zu  Wien  veranstaltet.  Das  Werk  wurde 
in  allen  sjmnischen  Klöstern  zum   Gebrauch  angeschafft. 

Urfoy,  Thomas  d',  Sänger,  der  in  London  in  den  Wein-  und  Bierhäuseru 
heimisch  war,  um  dort  seine  Balladen  und  lustigen  Lieder  zur  Zither  abzu- 
singen. Er  lebte  zur  Zeit  der  Regierung  Karl's  IL,  in  dessen  Gegenwart  er 
auch  wiederholt  seine  Gesänge  vortrug.  Auch  sammelte  und  veröffentlichte  er 
diese  und  gab  sie  unter  dem  sonderbaren  Titel  heraus:  T>Wit  and  Mirtli,  or 
Fills  to  purge  melanclwly ,  heing  a  collection  of  the  best  merry  Ballads  and  songs, 
old  and  new,  ßtted  to  all  humours,  having  each  their  proper  tune  for  either  voice 
or  instruments<s.  (London,  1719).  Das  Portrait  des  Autors  befindet  sich  vor 
der  Sammlung.     IJrfey    starb    in    ziemlich    hohem  Alter  am  26.  Februar   1726. 

Urhau,  Chretien,  geboren  zu  Montjoie  bei  Aachen  am  16.  Febr.  1790, 
zeigte  schon  früh  sehr  glückliche  Anlagen  für  die  Musik  und  componirte  bereits 
als  zwölfjähriger  Knabe  ohne  Anleitung,  nur  von  seinem  Vater  im  ^  iolin-  und 
Clavierspiel  unterrichtet,  Variationen  und  andere  kleine  Stücke.  In  Aachen 
hörte  ihn  1805  die  Kaiserin  Josephine,  nahm  ihn  in  Protektion  und  liess  ihn 
in  Paris  von  Lesueur  in  der  Composition  unterrichten.  Bald  machte  sich  17. 
in  Concerten  als  Violinist  bemerkbar  und  brachte  durch  treffliche  Ausführung 
namentlich   die    Maiseder'schen    Compositionen    zur    Geltung.     Auch    die  bereits 


TJr-hin  —  Urmelodie. 


429 


der  Kirche  St  Paul 
gedruckt:  y>Premier 
altos    et    violoncellea 


aus  der  Mode  gekommene  Viola  (Vamour  brachte  er  noch  einmal  wieder  zu 
Ansehen.  ^IMeyerbeer  schrieb  das  Viola  d'amoio'-Solo  in  den  Hugenotten  speciell 
für  Trhan.  In  den  historischen  und  den  Concerten  des  Conservatoriums  zu 
Paris  spielte  er  häufig  auf  der  Viola  d'amoiir  und  der  mit  fünf  Saiten  bespannten 
Viola  d'alto,  auf  welcher  er  schöne  Effekte  erzielte.  Auch  als  Quartett- Spieler 
■war  er  höchst  geschätzt  und  gesucht.  1816  trat  er  als  Bratschist,  später  als 
Soloviolinist   in    das    Orchester    der  Oper.     Auch  verwaltete  er  längere  Zeit  in 

das  Amt  des  Organisten.  Yon  seinen  Compositionen  sind 
et  deii.xieme  quintettes  romatitiques  pour  deux  violons,  deux 
(Paris,  Richault).  »Quintettes  pour  trois  altos,  violoncelle, 
contrebass  et  timhales  ad  lihituma  (ibid.).  -aMle  et  moi,  duo  romantique  a  quatre 
mains  pour  le  piano»,  op.  1  (ibid.).  i>Beuxieme  duo  romantique  ä  quatre  mains«. 
(ibid.).  »Xß  salutation  angelique,  idemv.  (ibid.)  »Les  Regrets,  piece  pour  piano 
seul  ou  a  deux  voixa.  Ürhan  starb  zu  Belleville  bei  Paris  am  2.  Novbr.  1845. 
Ur-liiu,  engl.  Vr-heen,  ist  eine  zweisaitige  Fiedel  der  Chinesen,  wie  sie 
nebenan  nach  dem  Exemplar  im  englischen  Museum  (Engel's  »Catalog«,  p.  184) 
abgebildet  steht.  Die  zwei 
Saiten  sind  aus  Seide  und 
zu  einander  in  der  Quint  ge- 
stimmt. Der  Bogen  ist  ein 
Stück  Eohr  mit  Pferdehaar 
bespannt.  Merkwürdig  ist  da- 
bei, dass  die  Haare  des  Bogens 
zwischen  den  2  Violinsaiten 
gehen(alsodurchgestecktsind). 
Weil  aber  diese  Saiten  sehr 
nahe  aneinander  liegen,  so  ent- 
steht hierdurch  eine  Haupt- 
schwierigkeit beim  Spiel.  Es 
erfordert  eine  lange  Praxis, 
um  den  Lernenden  zu  be- 
fähigen,   den    Bogen  blos  auf 

einer  Seite  spielen  zu  lassen,  ohne  die  andere  zu  berühren  und  verlangt  dies 
eine  widrige  Bogenführung  mit  Nebengeräusch  verbunden.  Dennoch  sahen  und 
hörten  Reisende  dort  Künstler  auf  diesem  elenden  Dinge  zuweilen  Töne  von 
grossem  Glanz  hervorlocken,  so  dass  sie  ihnen  ein  vollkommeneres  Instrument 
für  ihre  Mühen  gewünscht  hätten.  Die  Aehnlichkeit  mit  dem  Bavanastron 
(s.  d.  Lexikon   9,   232)   ist  augenfällig. 

Urio,  Francesco  Antonio,  Geistlicher  und  Kapellmeister  an  der  Brüder- 
kirche in  Venedig  gegen  Ende  des  17.  Jahrhunderts,  liess  drucken:  -»Salmi  con- 
certati  a  3  voci  con  violiniv,  op.   2   (Bologna,   1697,  in  4°). 

Urmelodie  heisst  die  zu  einem  Text  ursprünglich  erfundene  Melodie,  nach 
welcher  andere  Texte  gesungen  werden.  Im  Kirchengesange  wird  dies  Ver- 
fahren häufig  angewendet.  Die  Zahl  der  Kirchenlieder  mit  eigenen  Melodien 
ist  bei  weitem  nicht  so  gross,  wie  die  der  Lieder,  die  überhaupt  im  Gemeinde- 
gesang üblich  sind  und  so  werden  denn  die  ohne  eigene  Melodie,  nach  der 
Melodie  eines  andern  gesungen,  was  als  TJeberschrift  in  der  Kegel  angezeigt 
wird.  Auch  zur  Zeit  der  Blüte  des  Volksliedes  war  dies  Verfahren  neue  Texte 
auf  alte  Melodien  zu  dichten  gebräuchlich,  wie  noch  heutigen  Tages.  Die  Ur- 
melodie wurde  gleichfalls  als  L'eberschrift  angezeigt,  wie:  »Ein  liepliches 
Gesang  in  Hertzog  Christofs  Ton«  oder  »Twe  Lede  volgen:  Dat 
erste  vam  Pensenouver.  Dat  ander  van  der  Gellerschen  vn.  Bur- 
gundischen Slacht.  Im  Tone,  Idt  geit  ein  frischer  Sommer  daher. 
Zwei  Newr  schöner  Lieder  ins  Schillers  hoff  thon  vnd  ins  Saxen  kurtzen 
thon  u.  s.  w.«  Dass  übrigens  hier  Ton  auch  für  das  rhythmische  und  strophische 
Versgebäude    steht,   ist    selbstverständlich.     Andererseits    bezeichnet    man    auch 


430  Ursari  —  Ursprung  der  Musik. 

mit  Urmelodie  diejenige  Melodie  des  Volks- oder  Kircliengesanges,  aus  denen 
der  protestantische  Gemeindegesang  einige  seiner  köstlichsten  Melodien  durch 
Umbildung  gewann.  So  lieferte  das  Liebeslied  »Mein  Gr'müth  ist  mir  ver- 
wirret« die  Urmelodie  zu  dem  Choral:  »Herzlich  thut  mich  verlangen 
nach  einem  selgen  End';  die  Melodie  des  weltlichen  Liedes  »Venus  du  und 
dein  Kind,  sind  alle  beide  blind«  die  Urmelodie  zu  dem  Choral  »Auf  meinen  lieben 
Gott,  trau'  ich  in  aller  Noth«;  die  Melodie  des  weltlichen  Liedes:  »Warum 
willst  du  wegziehen«  wurde  zur  Urmelodie  für  den  Choral:  »Christus 
der  ist  mein  Leben«.  Das  schöae  Gemeindelied:  »Was  mein  Gott  will, 
das  g'scheh  allzeit«  hat  Markgraf  Albrecht  der  Jüngere  zu  Brandenburg- 
Culmbach  auf  die  Melodie  eines  französischen  Liedes:  y II  me  suff  ist  de  tous 
mes  maulxv.  gedichtet.  Für  die  ganze  Eeihe  von  Luthers  Liedern,  die  er 
aus  der  Uebersetzung  der  alten  Hymnen  gewann,  wie:  »Mitten  wir  im  Leben 
sind«  (Ifedia  vita),  »Komm  Gott  Schöj)fer  heiiger  Geist  fT^enz  Cre- 
ator), »Nun  kommt  der  Heiden  Heiland«  (Veni  redemptor),  »Der 
du  bist  drei  in  Einigkeit«  (O  lux  beata  trinitas)  u.  s.  w.  wurden  die 
Melodien  dieser  Hymnen  zu  Urmelodien  für  die  neuen   Gesänge. 

Ursari  heissen  bei  den  Türken  die  musikkundigen  und  musiktreibenden 
Zigeuner. 

Ursenbeck  e  Massimi,  Graf  d',  Oberaufseher  der  Musik  und  Kammerherr 
des  Grossherzogs  von  Darmstadt  um  die  Älitte  des  18.  Jahrhunderts,  Hess  zu 
Lüttich  1768  von  seinen  Compositionen  drucken:  Sechs  Violintrios  und  Sei 
Sonate  notturne  für  Violine  und  Bass. 

Ursillo,  Fabio,  berühmter  Theorbenspieler,  geboren  zu  Rom  Anfang  des 
18.  Jahrhundert,  war  auch  guter  Violinspieler,  Flötist  und  Guitarrist.  1748 
erschienen  zu  Amsterdam:  drei  Trios  für  zwei  Violinen  und  Violoncell  und 
zwei  Sonaten  für  die  Flöte.  Im  ManuscrijDt  hinterliess  er  drei  Goncerte  grossi 
für  die   Theorbe  und  ein   Concert  für  die   Guitarre. 

Ursini,  Joachim,  italienischer  Comjionist,  geboren  zu  Pontremoli  im 
Toskanischen,  lebte  um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts.  Zwei  Bücher  seiner 
vierstimmigen  Madrigale  erschienen   1550  zu  Venedig. 

Ursprung-  der  Musik.  Früher  als  alle  andern  Künste  gewann  die  Musik 
im  Leben  der  Völker  Bedeutung  und  Ansehen  und  dem  entsprechend  auch 
eifrige  Pflege.  Der  geheimnissvolle  Zauber,  der  schon  im  rein  sinnlichen  Klange 
ruht ,  übte  auch  früh  auf  der  untersten  Stufe  der  Culturentwicklung  seine 
bestrickende  Macht.  Den  ersten  Culturvölkern,  den  phantasiereichen  Völkern 
des  Orients,  erschien  er  so  wunderbar  und  unfasslich,  dass  sie  glaubten  ihn 
von  den  Göttern  herleiten  zu  müssen.  Je  weniger  sie  im  Stande  waren,  die 
Ursache  der  wunderbaren  Wirkung  des  Klanges  zu  ergründen,  desto  mehr  waren 
sie  bemüht,  ihm  symbolische  und  mythologische  Bedeutung  zu  geben;  es  bildete 
sich  somit  ein  reicher  und  sorgfaltig  durchdachter  Sagenkreis  bei  den  Völkern 
der  alten  Welt  über  den  Ursjorung  und  die  weitere  Entwickelung  der  Musik. 
Der  Sonnengott  Osiris  der  Aegypter  wurde  auch  als  Erfinder  der  Musik 
verehrt,  durch  die  er,  da  er  keine  Waffen  hatte,  liauptsächlich  die  Völker  be- 
zwang und  veredelte.  Umgeben  von  neun  im  Gesänge  geübten  Jungfrauen 
durchzog  er  die  Welt,  um  sie  ohne  Waffen,  nur  mit  der  Kraft  seiner  von  Musik 
begleiteten  Rede  zu  bändigen  und  zu  entwildern.  Auch  die  Erfindung  der  ein- 
röhrigen  Flöte,  wie  des  Krummhorns  werden  ihm  von  den  Aegyptern  zuge- 
schrieben. Nach  einem  andern  ägyptischen  Mythus  war  Thot  (die  Säule)  Er- 
finder der  Musik  und  zugleich  der  erste  Verkünder  der  Lehre  von  der  Har- 
monie und  Natur  der  Töne.  Namentlich  aber  wird  ihm  die  erste  Construktion 
der  Lyra  zugeschrieben.  Als  er,  so  erzählt  die  Sage,  einst  am  Nil  entlang 
spazieren  ging,  stiess  er  zufällig  mit  dem  Fusse  an  eine  Schildkröte,  welche 
der  Nil  bei  seiner  Ueberschwemmung  zurückgelassen  hatte  und  die  hier  umge- 
kommen war.  Er  vernahm  einen  hellen  Klang,  den  die  vertrockneten  und  blos- 
liegenden    Sehnen    des  Thieres    von    sich    gaben;    dies  brachte  ihn  auf  den   Ge- 


Ursprung  der  Musik.  431 

danken,  die  Schildkrötenschale  mit  ihren  Sehnen  zum  Instrument  zu  verwenden 
und  so  entwickelte  er  die  Lyra. 

Einen  Schritt  weiter  auf  dieser  Bahn  gingen  schon  die  Inder.  Wie  alles 
Schöne  und  alles  Wissen  ist  auch  die  Musik  aus  den  »Veda's«,  den  heiligen 
Büchern,  die  von  den  Lipjjen  des  Gottes  Brahma  geflossen  sind,  hervorgegangen. 
Die  Gemahlin  des  Gottes  Brahma  —  Saraswati  —  brachte  den  Menschen 
selbst  das  erste  und  schönste  Instrument,  die  Vina,  fertig  vom  Himmel,  und 
es  fand  wiederum  in  Nared,  dem  irdischen  Gott  der  Musik,  den  ersten  und 
bedeutsamsten  Pfleger,  Fünf  Tonarten  (Raga)  sind  aus  dem  Hauj^te  Moheda- 
Krishna's  entsprungen,  die  sechste  verdankt  seiner  Gemahlin  Parbuti  ihre 
Entstehung.  Die  Gewalt  dieser  sechs  Tonai'ten  war  daher  ganz  ausserordent- 
lich, so  dass  ihr  weder  die  Thiere  noch  Menschen  widerstehen  konnten  und 
dass  selbst  die  leblose  Natur  sich  ihrer  Zaubermacht  beugte.  Brahma  ent- 
wickelte dann  aus  diesen  Haupttouurten  (Ragiuit),  deren  jede  in  einer  Nymphe, 
Tonnymphe,  personificirte.  Auch  der  Gandharba,  der  Tonkünstler,  war  ihnen 
aus  Indras  Himmel  hervorgegangen,  nicht  direkt  von  Brahma  selbst,  sondern 
durch  seine  wirkende  Kraft  Saraswati,  seine  Gemahlin,  die  Göttin  der  Sprache 
und  Wohlredenheit  und  der  Künste.  Ihre  Tochter  ßhamba  ist  die  Nymphe 
des  Tanzes  und  beide  ordnen  den  Reigentanz  der  himmlischen  Tonnymphen 
und  himmlische  Sänger  und  Tänzer,  (xandharven  und  Asparasen,  ergötzen 
die   Götter  durch  Musik,   Gesang  und  Tanz. 

Weniger  phantastisch,  mehr  praktisch  beschaulich,  ihrem  eigensten  Cha- 
rakter entsprechend,  erscheinen  die  Spekulationen  der  Chinesen  über  Wesen 
und  Ursprung  des  Tons.  Sie  unterschieden  bereits  Ton  und  Klang,  be- 
gannen den  ersten  zu  messen  und  die  Verhältnisse  der  einzelnen  Töne  gegen- 
einander abzuwägen  und  auch  die  Klänge  nach  den  tonerzeugenden  Körpern 
zu  unterscheiden  und  erst  bei  dieser  Thätigkeit  begann  die  Phantasie  sich  zu 
regen,  indem  diese  die  durch  jene  praktisch-verständige  Spekulation  gewonnenen 
Resultate  mit  Sage  und  Mythe  umrankt.  Die  Chinesen  unterschieden  früh 
achterlei  Klänge  nach  den  verschiedenen  Stoffen  als  gegerbte  Thierhaut,  Stein, 
Metall,  gebrannte  Erde,  Seide,  Holz,  Bambus  und  den  Flaschenkürbis  (Calebasse). 
Nach  ihrer  Anschauung  hatte  jeder  dieser  Stoffe  seinen  Platz  in  der  Welten- 
harmonie erhalten;  die  einzelnen  Töne  wurden  ihnen  ferner  zu  Symbolen  für 
Himmel  und  Erde,  für  Sonne  und  Mond,  Mann  und  Frau  und  demnach  be- 
zeichneten sie  auch  die  Musik  als  die  Wissenschaft  aller  Wissenschaften.  Der 
Ursprung  ihres  geregelten  Tonsystems  wui-de  gleichfalls  mythisch  erklärt:  »Nach 
der  Eroberung  des  chinesischen  Reichs  durch  Hoang-Ty  im  Jahre  2700  v.  Chr.«, 
so  erzählt  die  Sage,  »war  dieser  eifrig  bemüht,  sein  Volk  durch  weise  Gesetze 
ebenso  wie  durch  die  Pflege  von  Kunst  und  Wissenschaft  zu  beglücken  und 
daher  befahl  er  auch  dem  weisen  Lyng-lun,  die  Musik  in  bestimmte  Regeln  zu 
bringen.  Der  Weise  ging  in  das  Land  Si-Yung,  an  die  Quelle  des  Hoang-ho, 
nordwestlich  von  China  gelegen.  Auf  der  Höhe  des  heiligen  Berges,  dessen 
Nordseite  reich  mit  Bambuswaldungen  bepflanzt  war,  weilte  er  in  tiefem  Nach- 
denken über  seine  Aufgabe.  Er  schnitt  von  Knoten  zu  Knoten  Stücke  Bambus 
ab  und  erzeugte,  indem  er  hinein])lies,  einen  Klang,  ähnlich  dem  Klange  der 
Sprache  und  dem  Gemurmel  des  Flusses  Hoang-ho,  der  vorüberfloss.  Da  er- 
schien ihm  das  Wundervogelpaar  Fung-Hoaug,  das  immer  nur  kommt,  um  den 
Menschen  eine  Wohlthat  zu  erzeigen.  Das  Männchen  —  Fung  —  sang  sechs 
Töne  (die  sechs  vollkommenen  männlichen)  und  das  Weibchen  Hoang  sang 
sechs  andere  (die  sechs  unvollkommenen  weil)lichen  Töne).  Nur  ein  Ton  glich 
dem,  welchen  der  Weise  bereits  auf  seiner,  aus  Bambusrohr  geschnitzten  Pfeife 
erzeugt  hatte.  Zugleich  gab  er  den  einzelnen  Tönen  auch  ihre  besondere 
Namen:  den  durch  die  längste  Röhre:  Huang-tschung  =  die  gelbe  Erde,  er- 
zeugten tiefsten  Ton  nannte  er  Kung  =  Kaiser;  der  nächste  Ton,  ein  Ganzton, 
hiess  Tschang  =  der  Minister;  der  nächste  wieder  ein  Ganzton,  Kio  =  unter- 
thänig  gehorchendes  Volk:  der  nächste,  eine  kleine  Terz,    Tsche  =  Staatsange- 


432  Ursprung  der  Musik. 

legenheit  und  der  nächste,  wieder  ein  Ganzton,  Yu  =  Gesammtbild  aller  Dinge. 
Die  hier  fehlenden  Töne:  <?,  genannt  Pien-kuug  oder  auch  Tschung,  der  Ver- 
mittler; h,  genannt  Pien-tsche  oder  Ho,  der  Führer,  galten  den  Chinesen  nicht 
als  selbständige  Töne,  sondern  nur  als  Vermittler  und  Führer  zu  f  und  c.  In 
demselben  Sinne  wurde  auch  das  weitere  System,  so  weit  dies  überhaupt  ge- 
schah, von  den   Chinesen  entwickelt. 

In  ähnlicher  Weise  symbolisirend  sind  auch  die  Namen  und  Systeme  der 
Araber,  die  bekanntlich,  wenn  auch  erst  spät,  ein  sehr  verwickeltes  Tonsystem 
ausbildeten.  Feinsinnig  und  dem  ernsten  "Wesen  des  Tons  entsprechend,  erfasste 
der  griechische  Mythus  auch  den  Ursprung  der  Tonkunst.  Der  Lieblingssohn 
des  Zeus,  den  ihm.  Latona  oder  Leto,  eine  Tochter  des  Titanen  Koios,  die 
Gattin  der  Dunkelheit,  zugleich  mit  Artemis  gebar,  der  goldgelockte,  fernhin 
treffende  Phöbus  Apollo,  der  reine  helle  Lichtgott,  der  Alles  Unreine  als  der 
Finsterniss  angehörig  bekämpft,  der  da  reinigt  und  sühnt  und  überall  Glanz 
und  Freude  hervorruft,  der  die  Harmonie  des  Weltlaufs  ordnet  und  die  ge- 
störte Ordnung  wieder  herstellt,  er,  der  Städtegründer,  der  Gott  der  Weissagung 
und  des  Orakels,  ist  auch  der  Gott  der  Dichtkunst  und  Musik.  Während  des 
Olympischen  Mahles  unterhält  er  die  Götter  durch  sein  Saitenspiel,  wie  die 
ihn  begleitenden  Musen  durch  Gesang  und  die  Hören  und  Chariten  durch  Tanz; 
er  unterrichtet  auch  Sänger  in  seiner  Kunst.  In  den  Windeln  noch  zerreisst 
er  die  goldenen  Bänder,  mit  denen  man  ihn  gebunden  hat  und  ruft  den  Göt- 
tinnen zu:  »Werth  soll  die  Kithara  sein  und  werth  der  gekrümmte  Bogen,  und 
ich  will  den  Menschen  des  Zeus  untrüglichen  Willen  künden«.  Vier  Tage 
nach  seiner  Geburt  tödtete  er  bereits  den,  seine  Mutter  verfolgenden  Drachen 
Python,  wobei  zum  ersten  Male  der  Siegesgesang  —  Paean  —  erscholl,  der 
dann  als  Schlachtlied,  besonders  aber  bei  der  Frühlingsfeier  zu  Ehren  des 
wiederkehrenden  Sonnengottes,  aus  welcher  Feier  dann  die  delphischen  und 
pythischen   Spiele  hervorgingen,  gesungen  wurde. 

Kurze  Zeit  nach  seiner  Geburt  erwarb  er  auch  die  von  Hermes  (Merkur) 
erfundene  Lyra  und  wusste  sie  bald  meisterlich  mit  dem  Plectrum  zu  schlagen. 
Kaum  geboren  verlässt  Hermes,  ein  Sohn  des  Zeus  und  der  Maia,  die  Win- 
deln und  die  Höhle  seiner  Mutter  und  stiehlt  50  Rinder  von  den  Heerden  der 
Götter,  welche  Apollo  in  Pierien  weidet.  Er  weiss  sie  geschickt  zu  führen 
und  in  der  Höhle  in  Pylos  zu  verbergen,  dass  man  keine  Spur  von  ihnen 
findet  und  geht  dann  in  seine  Windeln  zurück.  Am  Eingange  zum  Vorhofe 
findet  er  eine  Schildkröte,  welche  auf  üppigem  Grase  weidet;  die  nimmt  er 
lachend  auf  und  spricht:  »Du  bist  mir  ein  gutes  Zeichen!  du  sollst  mir  nützlich 
sein!  Lebend  sollst  du  bösem  Zauber  wehren,  aber  gestorben  sollst  du  süss 
tönena.  Darauf  trägt  er  sie  in  die  Höhle,  schneidet  mit  scharfem  Eisen  das 
Thier  heraus,  befestigt  harte  Rohrstäbe  in  die  harte  Schale  und  spannt  sieben 
Saiten  darauf.  Sehnen  der  gestohlenen  Rinder.  Dann  schlägt  er  sie  der  Reihe 
nach  mit  dem  Plectrum,  dass  es  wunderbar  ei'klingt,  namentlich  als  er  auch 
noch  dazu  singt.  Da  erscheint  Apollo;  kraft  seiner  Gabe  der  Weissagung  hat 
Apollo  den  Dieb  entdeckt  und  führt  ihn,  da  er  leugnet,  in  den  Olymp  vor 
Zeus  Richterstuhl.  Zeus  gebietet  ihm  die  Rinder  zurückzugeben;  als  aber 
Hermes  die  aus  der  Schildkrötenschaale  gefertigte  Lyra  spielt,  ist  Apollo  davon 
so  entzückt,  dass  er  ihm  für  dies  Instrument  seine  Rinder  schenkt,  die  nun  Hermes 
weidet.  Die  Lyra  aber  wurde  zu  einem  Attribut  des  Gottes  der  Dichtkunst 
und  Musik.  Mit  ihr  besiegte  er  zunächst  in  einem  Wettkampf  den  Marsyas, 
den  Sohn  des  Olympos  oder  des  Hyagnis  oder  Oiagros,  ein  phrygischer  Silenos, 
Perscnification  des  phrygischen  Flötenspiels,  im  Gegensatz  zu  der  apollonischen 
Kitharistik. 

Die  Flöte  soll  nach  dem  Mythos  von  Pallas  Athene,  der  mutterlosen 
Tochter  des  Zeus,  die  aus  seinem  Haupte  geboren  ward,  nachdem  er  die  Metis 
(die  Klugheit),  seine  erste  Gemahlin,  auf  den  Rath  der  Gaia  verschlungen 
hatte,  erfunden  sein.     Nach  Pin  dar  wurde  die  gewaltige  Jungfrau,  die  perso- 


Ursprung  der  Musik.  433 

nificirte  Klugheit  Zeus,  die  kluge  Lenkerin  und  Schirmerin  der  Städte  wie  der 
Staaten  im  Kriege  iind  Frieden  darauf  geführt,  eine  Flöte  anzufertigen,  als 
Perseus  mit  ihrem  Beistände  das  Haupt  der  Medusa  abgehauen  hatte.  Die 
beiden  Schwesttrn  der  Medusa,  Stheino  und  Euryole,  deren  Köpfe  anstatt 
mit  Haaren  mit  Schlangen  besetzt  waren,  erhoben  ein  Wehklagen  über  den 
Ted  der  Medusn,  in  welches  die  Schlangen  einstimmten  und  ihren  Ton  nach- 
zuahmen, soll  Pallas  Athene  auf  der  Flöte,  die  nach  Ovid  aus  Buxbaum,  nach 
Hyginos  aus  Knochen  gefertigt  war,  versucht  haben.  Pallas  Athene  wurde 
ihres  neuen  Instruments  halber  verlacht,  und  als  sie  selbst  in  dem  Wasser- 
spiegel einer  Quelle  die  Verunstaltung  ihres  Gesichts  durch  die  Flöte  bemerkte, 
warf  sie  unwillig  das  Instrument  von  sich  und  sprach  einen  Fluch  aus  gegen 
jeden,  der  es  wieder  tragen  würde.  Der  bereits  erwähnte  Marsyas  fand  die 
Flöte  und  ihn  traf  der  Fluch.  Er  vervollkommnete  das  Instrument  und  erlangte 
eine  solche  Fertigkeit,  dass  er  glaubte  es  wagen  zu  dürfen,  mit  Apollo  einen 
Wettkanipf  einzugehen.  Apollo  nahm  den  Kampf  an  und  die  Musen  wurden 
zu  Schiedsrichtern  erwählt.  Der  Besiegte  sollte  der  Willkür  des  Siegers  an- 
heimfallen. Anfangs  neigte  der  Sieg  sich  auf  die  Seite  des  Marsyas,  als  aber 
Apollo  seinen  Gesang  zugleich  mit  der  Lyra  begleitete,  was  der  Flötenspieler 
nicht  konnte,  wurde  der  Kampf  zu  Gunsten  des  Apollo  entschieden.  Dieser 
Hess  dem  Besiegten,  ohne  auf  dessen  und  seines  Schülers  Olympus  Bitten  zu 
achten,  die  Haut  abziehen  und  hing  sie  in  einer  Höhle  bei  Kelainoi  in  Phry- 
gien  auf,  in  welcher  der  Fluss  Marsyas  seine  Quelle  hat.  Die  Haut,  so  erzählt 
die  Sage  weiter,  bewegte  sich  freudig,  wenn  Flötenmusik  in  ihrer  Nähe  ertönte. 

Als  stete  Begleiter  sind  dem  Gesangesgotte  die  Musen  zur  Seite.  Die 
Dichter  erzählen,  dass,  als  Zeus  bei  der  Feier  seiner  Vermählung  die  olym- 
pischen Götter  gefragt  habe,  ob  sie  eines  Dinges  bedürften,  sie  ihn  baten, 
Götter  zu  schaffen,  welche  die  Wunder  der  Schöpfung  durch  Wort  und  Gesang 
priesen,  und  Zeus  Hess  die  Musen  geboren  werden,  die  alsbald  singend  und 
tanzend  im  Olymp  einzogen  und  von  Zeus  zur  Gottheit  erhoben  wurden.  Sie 
wohnen  in  seiner  Nähe  dicht  unter  dem  Gipfel  des  Olymps  und  nahe  bei  ihnen 
Himeros  —  die  Sehnsucht,  und  die  Chariten,  die  Göttinnen  der  Anmuth  und 
der  geselligen  Freude.  Ursprünglich  waren  nur  drei  Musen:  Melete  (Sinnen, 
Nachdenken),  Mneme  (Gedächtniss),  Aoide  (Gesang),  deren  Dienst  Otos  und 
Ephialtes  am  Helikon  eingesetzt  haben  sollen.  Später  werden  neun  Musen 
aufgezählt  und  die  Neunzahl  ist  die  herrschende  geblieben.  Wie  sie  den  Sänger, 
der  anerkennt,  dass  er  nur  unter  ihrem  Schutze  etwas  zu  leisten  vermag, 
schirmen  und  belehren,  so  strafen  sie  den,  der  sich  überhebt  und  sie  zu  über- 
treffen sich  erkühnt.  Sie  blendeten  den  thrakischen  Sänger  Thamyris,  einen 
Sohn  Philammons  und  der  Nymphe  Argiope  und  beraubten  ihn  des  Gesanges, 
weil  er  sie  zum  Wettkampfe  herausgefordert  hatte. 

Als  zweiter  Musenführer  tritt  dem  Apollo  dann  Dionysos  zur  Seite, 
der  daher  auch  als  Dionysos  Melpomenos  verehrt  wurde.  Es  ist  der  Gott 
der  höchsten  an  Easerei  grenzenden  Begeisterung,  der  schallenden  Musik,  der 
Pauken  und  Flöten,  des  Dithyrambus.  In  seinem  Gefolge  sind  der  wohlbeleibte 
Silen  und  Satyr,  der  Vertreter  der  ländlichen  bäurischen  Muse,  der  beim  Klange 
der  Syrinx  und  Pfeife,  der  Cymbeln  und  Klappern  tanzt.  Eine  ähnliche  Be- 
deutung hat  Kybele,  die  Tochter  des  phrygischen  Königs  Maeon,  die  dieser 
auf  dem  wilden  Gebirge  Kybtlus  aussetzen  Hess.  Wunderbar  durch  Thiere 
ernährt,  wuchs  sie  dort  zur  guten  Mutter  vom  Berge  heran,  einen  Namen,  den 
sie  sich  dadurch  verdiente,  dass  sie  die  Pfeifen  und  Trompeten  erfand  und 
Arzneien  für  Menschen  und  Vieh  bereitete.  Ihr  treuer  Diener  ist  Marsyas, 
der  ihr  auch  folgt,  als  sie,  zurückgekehrt  in  den  väterlichen  Palast,  nach  Nysa 
floh,  weil  ihr  Vater  ihren  geliebten  Attis,  von  welchem  sie  schwanger  war, 
ermordet  hatte.  In  Nysa  traf  sie  bei  Dionysos  den  Apollo,  der  sie  sehr  lieb 
gewann.  Dionysos  und  Kybele  wurden  die  Vertreter  des  sogenannten  orgiasti- 
schen    Cultus.     Ihre    Verehrer,    die    Bacchen,    schwärmten    beim    Fackelscheine 

Masika].  Convers.-Lexikon.    X,  28 


434  Ursprung  der  Musik. 

durch  die  "Wälder,  begleitet  von  Bläsern,  Pfeifern  und  Cymbelschlägern.  Als 
Begleiter  des  Dionysos  und  der  Kybele  wird  auch  Pan  genannt,  ein  Sohn  des 
Zeus  oder  des  Uranus  und  der  Gre.  Als  Beschützer  der  wilden  und  zahmen 
Heerden,  als  Gott  der  Jäger,  der  Bienenzucht  und  des  Fischfangs  liebte  er 
zugleich  leidenschaftlich  Musik  und  erfand  die  Syrinx  oder  Hirtenflöte. 
Syrinx  ist  ursprünglich  eine  arkadische  Nymphe,  die,  von  Pan  verfolgt,  den 
Tellus  um  Hülfe  anrief  und  von  diesem  in  Schilfrohr  verwandelt  wurde.  Der 
betrogene  Liebhaber  schnitt  sich  aus  diesem  Rohr  sieben  Stücke  von  verschie- 
dener Grrösse,  die  er  dann  nach  der  Reihe  in  folgerechter  Abstufung  zusammen- 
klebte; er  gewann  so  die  Pan-  oder  Hirtenpfeife,  auch  Syrinx  genannt,  und 
erlernte  sie  so  meisterhaft  blasen,  dass  er  sogar  den  Apollo  zu  besiegen  ver- 
suchen durfte.  Auch  in  die  Nymphe  Echo  war  Pan  verliebt,  die  von  einem 
noch  tragischeren  Geschick  ereilt  wurde.  Sie  wurde  bekanntlich  von  Juno 
verwandelt,  damit  die  Zunge,  mit  der  sie  die  Göttin  durch  lange  Gespräche 
hingehalten,  um  sie  zu  verhindern,  den  Herrn  Gemahl  bei  den  Nymphen  zu 
überraschen,  zur  Ruhe  komme.  Von  Narcissus,  den  sie  leidenschaftlich  liebte, 
verschmäht,  verschmachtete  die  Nymphe,  so  dass  nur  noch  ausser  ihren  Gebeinen 
die  Stimme  übrig  blieb.  Mit  Eupheme,  der  Amme  der  Musen,  zeugte  Pan 
den  Krotos,  der  sich  auf  dem  Heiion  aufhielt,  sich  dort  als  Jäger  auszeichnete 
und  den  Gesang  der  Musen  durch  die  Erfindung  des  Tactschlagens  regelte. 
Wie  die  Griechen  so  den  Ursprung  der  Musik  direcfc  auf  die  Götter  zurück- 
führten und  die  wunderbare  Wirkung  derselben  in  nächste  Beziehung  zu  den 
olympischen  Göttern  und  Halbgöttern  brachten,  so  wurden  ihnen  auch  jene 
Helden  und  Heroen,  welche  fördernd  an  der  Kunstentwickelung  Antheil  nahmen, 
zu  Lieblingen  der  Götter,  die  erhaben  über  den  gewöhnlichen  Menschen  gleich- 
sam als  Mittelspersonen  zwischen  diesen  und  den  Göttern  gelten.  Es  entstan- 
den jene  heroischen  Sagen  von  Amphion,  dem  Sohne  des  Zeus  und  der 
Antiope,  der  mit  seinem  Bruder  Zethos  sich  der  Herrschaft  Thebens  bemäch- 
tigte und  durch  die  Lieblichkeit  seines  Gesanges  und  die  Macht  seiner  Lyra 
die  Steine  bezauberte,  dass  sie  von  selbst  sich  zu  Mauern  um  die  Stadt  Theben 
zusammenfügten.  Orpheus,  der  mythische  Sängerheros  der  Traker,  bewegte 
mit  seinem  Gesänge  nicht  nur  Bäume  und  Felsen  und  zähmte  wilde  Thiere, 
sondern  er  rührte  sogar  auch  durch  Gesang  und  Saitenspiel  die  Königin  der 
Schatten.  Als  Eurydike,  seine  Gattin,  auf  der  Flucht  vor  dem  sie  verfolgenden 
Aristaios  von  einer  Schlange  gebissen  starb,  stieg  er  in  den  Hades  hinab, 
um  die  Geliebte  wieder  zuholen  und  mit  Gesang  und  Saitenspiel  bezauberte  er 
die  Königin  der  Schatten,  dass  sie  der  Eurydike  gestattete,  ihrem  Gemahl  zur 
Oberwelt  zu  folgen,  doch  mit  der  Bedingung,  dass  er  sich  nicht  eher  umsehen 
dürfe,  als  bis  sie  die  Oberwelt  erreicht  hätten.  Da  Orpheus  gegen  diese  Be- 
dingung fehlte,  musste  Eurydike  wieder  zurück  in  die  Unterwelt.  Weiter  wird 
von  Orpheus  berichtet,  dass  er  die  Argonauten  auf  ihrem  Zuge  begleitete 
und  durch  seinen  Gesang  manche  Wunder  zum  Heile  seiner  Genossen  ver- 
richtete. Als  besonders  begabt  thaten  sich  neben  ihm  hervor:  Linos,  ein 
Sänger  der  Urzeit;  wie  die  Argivier  erzählen,  ein  Gottesknabe,  der  unter 
Lämmerheerden  bei  Hirten  seine  Jugend  verlebte  und  von  wüthenden  Hunden 
zerfleischt  wurde.  Nach  einer  andern  Sage  ist  er  der  Sohn  Apollos  und  der 
Muse  Urania,  empfing  vom  Vater  die  dreisaitige  Lyra  und  wurde  der  Erfinder 
neuer  Gesangweisen,  namentlich  der  Klagelieder,  des  Liedes  überhaupt  und  des 
Rhythmus.  Noch  andere  Sagen  melden,  dass  er  von  Apollo  im  Wettgesange 
überwunden  oder  von  Herkules,  den  er  im  Kitharspiel  unterrichtete,  mit  der 
Kithara  erschlagen  wurde,  als  er  den  ungelehrigen  Schüler  strafen  wollte.  Den 
nach  ihm  benannten  »Linosgesang«  soll  zuerst  der  halbmythische  Pam^ihos 
an  Linos  Grabe,  das  man  ebenso  in  Theben  wie  in  Argos  und  in  Chalkos 
zeigte,  angestimmt  haben.  Sein  Sohn  Musaios,  nach  andern  ein  Sohn  des 
Orpheus,  ist  gleichfalls  ein  mythischer  Sänger,  welchem  eine  Reihe  von  Weihe- 
und  Reinigungsliedern,  Hymnen  und  Weissagungen  zugeschrieben  werden. 


Ursprung  der  Musik.  435 

Wie  dieser  Mytheukreis  vollauf  beweist,  war  die  göttliclie  Macht  der  Musik 
den  Grriechen  so  vollständig  bekannt  geworden,  dass  sie  sich  diese  Kunst  nur 
als  direct  von  den  Göttern  ausgehend  denken  konnten  un,d  wenn  sie  auch  sich 
in  der  Pflege  und  Entwickelung  derselben  weit  über  die  bisher  erwähnten 
Völker  erhoben,  so  vermochte  doch  bei  ihnen,  weil  sie  sich  diesen  Anschauungen 
zu  einseitig  hingaben,  die  Tonkunst  sich  auch  nicht  annähernd  zu  der  Höhe 
zu  erheben,  welche  die  Dichtkunst,  die  Architektur  und  Baukunst  bei 
ihnen  erreichte. 

Auch  den  alten  G-ermanen  erschien  die  Musik  als  göttlichen  Ursprungs; 
sie  leiteten  sie  direct  von  der  höchsten  Gottheit,  von  Od  hin  her,  stellten  sie 
unter  den  besonderu  Schutz  und  die  Obhut  von  Saga,  Odhin's  Gemahlin,  und 
bildeten  einen  reichen  Sagenkreis  aus,  welcher  die  Macht  des  Gesanges  ver- 
herrlichte. Aehnlichen  Mythen  und  Sagen  begegnen  wir  fast  bei  allen  einzelnen 
Völkern  des  Nordens.  "Wäinämöinen,  eine  der  höchsten  Gottheiten  der  Finnen, 
der  Urheber  der  ganzen  geistigen  Kultur,  gab  den  Menschen  auch  die  Kunst 
des  Gesanges  und  schenkte  ihnen  die  Freuden  spendende  Harfe.  Er  selbst 
besang  die  Gründung  der  Welt  und  die  Luft  erzitterte  bei  seinem  Gesänge; 
er  beklagte  die  Nichtigkeit  des  menschlichen  Lebens  und  die  Sterblichen  ver- 
gossen Thränen.  Jäger  und  Fischer  rufen  ihn  an,  um  mit  dem  Klange  seiner 
Saiten  ihre  Beute  herbeizulocken.  Die  Harfe  —  Kantele  —  bereitete  er  aus 
den  Gräten  eines  gewaltigen  Hechtes,  der  nach  der  Sage  bei  einer  Wasser- 
fahrt, welche  Wäinämöinen  mit  seinem  Bruder  Ilmarinen  unternahm,  das  Boot 
hemmte  und  den  er  deshalb  tödtete.  Die  Saiten,  mit  denen  er  die  Harfe  be- 
spannte, waren  aus  dem  Schweifhaar  eines  wilden  Hengstes,  des  bösen  Geistes 
Lempo  gedreht.  Als  er  Wunder  mit  dieser  Harfe  verrichtet  hatte,  ging  sie 
ihm  bei  einem  Sturm  auf  der  See  verloren  und  so  fertigte  er  sich  eine  neue 
aus  den  Zweigen  der  Birke  und  bezog  sie  mit  Saiten,  die  er  aus  den  Haaren 
eines  jungen  Mädchens  gedreht  hatte. 

Dieser  Anschauung  blieb  auch  das  Christenthum  im  Grossen  und  Ganzen 
treu.  Die  Kirchenväter  betrachten  diese  herrliche  Kunst  immer  wie  die  Völker 
der  alten  Welt  als  eine  Gottesgabe,  welche  fertig  und  direct  vom  Himmel  zur 
Erde  herabgekommen  ist,  und  die  späteren  Schriftsteller,  welche  über  die 
Musica  Sacra  schrieben,  huldigen  meist  alle  der  Ansicht  jenes  Adam  Erd- 
mann,  der  (in  Miro's:  »Kurze  Fragen  aus  der  Musica  sacraa,  1707)  meint, 
dass:  »die  ersten  Eltern  vor  dem  kläglichen  Sündenfall  den  weisen  Schöpfer 
mit  ihrem  singenden  Munde  gelobet»  und  »nach  dem  kläglichen  Sündenfall 
die  Traurigkeit  des  menschlichen  Elends  mit  Singen  erleichtert,  also  manches 
Busslied  angestimmt,  in  welchem  sie  ihren  Jammer  und  ihre  Noth  dem  grossen 
Gotte  geklaget;  ja,  es  hat  die  erste  Mutter  ihre  Kinder  Kain,  Abel  und  Seth 
vielmal  in  ihrer  zarten  Kindheit  mit  Singen  nach  Art  und  Weise  aller  Mütter 
besänftigt,  wenn  sie  in  der  Wiege  entweder  nicht  schlafen  wollen,  oder  sonsten 
unruhig  gewesen.« 

Daneben  machten  sich  auch  allmälig  Vorstellungen  über  den  Ursprung 
der  Musik  geltend,  die  auf  mehr  praktisch  verständiger  Anschauung  beruhen. 
So  wurde  bei  den  Griechen  schon  erzählt,  dass  Pythagoras,  ein  berühmter 
griechischer  Philosoph,  auf  die  mathematische  Berechnung  der  Intervallenver- 
hältnisse durch  die  anderen  Klänge,  welche  Amböse  von  verschiedener  Grösse 
unter  den  Hammerschlägen  der  Schmiede  hören  lassen,  geführt  worden  sein 
soll.  Allmälig  zogen  die  grossen  Denker  Griechenlands  auch  die  Musik  in 
den  Kreis  ihrer  Spekulationen  und  sie  schufen  bereits  eine  Theorie,  die  in 
ihren  Grundzügen  massgebend  für  Jahrtausende  geworden  ist.  Namentlich 
muss  es  als  Plato's  Verdienst  hervorgehoben  werden,  dass  er  bei  aller  Befangen- 
heit doch  das  gemeinsame  Wesen  der  schönen  Künste  in  ein  helleres  Licht 
setzte,  überhaupt  aber  die  allgemeinen  Grundlagen  einer  Theorie  der  schönen 
Künste  zog.  Eine  weitere  Förderung  fand  diese  dann  in  Aristophanes, 
der  sich  noch  mehr  vom  Mythischen  und  Phantastischen  zu  befreien  vermochte, 

28* 


436  Ursprung  der  Musik. 

bis  endlich  Aristoteles  mit  dem  grössten  Tiefsinn  die  verborgenen  "Wurzeln, 
aus  denen  die  Kunst  im  menschlichen  Gemüth  hervorsprosst,  ergründet.  Die 
gesammte  künstlerische  Produktivität  ist  für  ihn  nur  das  unmittelbare  Ergebniss 
eines  rein  menschlichen,  der  Spekulation  würdigen  Bedürfnisses. 

Bis  auf  den  heutigen  Tag  wurden  endlich  auch  einzelne  Männer  oder 
Völker  als  Erfinder  der  Musik  bezeichnet.  In  der  israelitischen  Urgeschichte 
gilt  Jubal,  der  Sohn  Lamechs,  nicht  nur  als  Ahnherr  der  Zither-  und  Flöten- 
spieler, sondern  zugleich  als  der  Erfinder  der  Musik.  »Er  war  der  Vater  aller 
derjenigen,  die  Cither  und  Blasinstrumente  handhaben  (1.  Mos.  4,  21).  Andere 
schreiben  wieder  den  Chinesen  die  Erfindung  der  Musik  zu,  von  denen  sie 
dann  erst  die  übrigen  Völker  erlernt  hätten.  Irrig  wie  diese  Anschauung  ist 
auch  die  einzelner  römischer  Schriftsteller,  die  bis  auf  die  heutige  Zeit  ihre  Be- 
kenner  gefunden  hat,  dass  die  Menschen  von  den  Vögeln  Anleitung  zum  Gesänge 
erhalten  hätten,  dass  überhaupt  das  Klingende  der  leblosen  Natur  ihr  Lehr- 
meister geworden  sei.  Ebensowenig  wie  die  Sprache  ist  auch  die  Musik  weder 
als  fertiges  Geschenk  vom  Himmel  gekommen,  noch  ist  sie  von  irgend  einem 
Manne  oder  Volke  erfunden  worden,  sondern  sie  hat  sich  wie  diese  organisch 
entwickelt  durch  Jahrtausende  anhaltende  Arbeit  des  schaffenden  Menschen- 
geistes. Hierzu  bedurfte  es  aber  ebensowenig  wie  zur  Entwickelung  der  Sprache 
einer  besonderen  Anleitung.  Das  Organ  für  beide  ist  dem  Menschen  von  der 
Natur  gegeben  und  für  seinen  Gebrauch  bedurfte  es  keiner  besonderen  Anwei- 
sung, sondern  nur  innerer  Anregung. 

Wie  die  ton-  und  lauterzeugenden  Thiere  brauchten  auch  die  Menschen 
nur  den  Stimmapparat  anzuwenden,  um  Töne  und  Laute  zu  erzeugen  und  sie 
wurden  dazu  ebenso  wie  diese  nur  durch  die  wechselnden  Stimmungen,  durch 
den  veränderten  Grad  ihres  Wohlbehagens  veranlasst.  Unwillkürlich  wird  der^ 
den  Gesangton  erzeugende  Muskelaj)parat  bei  wechselnder  Stimmung  in  Bewe- 
gung gebracht  zum  Schreien,  zum  Jauchzen,  zum  Heulen  und  zum  Singen. 
Der  Grad  der  inneren  Erregung  aber  bestimmt  den  Grad  der  Spannung  der 
Stimmbänder  und  hiermit  die  Höhe  des  Gesangtons.  Freude  oder  leidenschaft- 
liche Erregung  erhöhen  die  Spannung  und  der  gesangliche  Ausdruck  bewegt 
sich  in  den  höhern  Lagen  des  Organs,  während  Wehmuth  und  Trauer  das 
innere  Leben  herabstimmt  und  damit  auch  die  Spannung  der  Stimmbänder,  so 
dass  der  Ausdruck  sich  in  den  tieferen  Lagen  des  Organs  hält.  So  erscheint 
der  Gesangston  wohl  unzweifelhaft  als  der  ursprünglichste  Ausdruck  innerer 
Erregung  und  als  der  unmittelbarste,  aus  dem  dann  erst  der  Sprachton 
gebildet  wurde.  Hiermit  aber  sind  die  untersten  Anfänge  der  Musik  gewonnen. 
Indem  der  Mensch  lernte,  auf  die  unterscheidende  Wirkung  der  verschiedenen 
Gesangstöne  zu  merken,  gewann  er  auch  allmälig  den  Klängen  in  der  Natur 
erhöhtes  Interesse  ab;  und  aus  der  immer  eingehenderen  Beobachtung  derselben 
und  der  Vergleichung  mit  den  eigen  erzeugten  gelangte  er  allmälig  dazu,  ein- 
zelne Töne  aus  der  Unmasse  der  überhaupt  zu  erzeugenden  heraus  zu  heben 
und  diese  zu  fixiren.  Hierzu  aber  erwiesen  sich  die  natürlichen  Instrumente, 
die  er  aus  dem  Rohr  des  Schilfs  oder  des  Bambus,  dem  Hörn  oder  Beinknochen 
der  Thiere,  den  Saiten,  die  er  aus  den  Sehnen  und  Därmen  derselben  gewann, 
ausserordentlich  förderlich.  Durch  die  Länge  und  Stärke  der  Saiten  und  die 
Metallstäbe,  wie  durch  die  Länge  und  Weite  der  verschiedenen  Röhren  lernte 
er  allmälig  die  Höhe  der  Töne  bestimmen;  und  so  hoben  sich  aus  der  unüber- 
sehbaren Menge  der  überhaupt  möglichen  und  erzeugbaren  Töne  diejenigen 
heraus,  welche  für  die  künstlerische  Verwendung  geeignet  sind.  Dann  aber 
wurden  dem  menschlichen  Geiste  Pfeife,  Trompete,  Hörn  und  Saite  ebenso  zu 
Werkzeugen,  die  Vorgänge  in  seinem  Innern  auszutönen,  wie  durch  die  Menschen- 
stimmen. Quell  und  erster  Ausgangspunkt  der  Musik  ist  somit  das  bewegte 
Innere  mit  all  seinen  Höhen  und  Tiefen.  Der  natürlichste  Apparat,  den  dieser 
besitzt,  um  sich  zu  äussern,  ist  die  Menschenstimme  als  der  unmittelbare  Träger 
und  Verkünder  inneren  Lebens. 


Ursprünglich.  437 

Nur  auf  diesen  im  Menschen  lierrsch enden  Trieb,  seine  Stimmungen  und 
Empfindungen  zu  äussern  und  auf  das  Vergnügen,  das  er  zugleicli  am  Klange 
findet,  ist  der  Ursprung  der  Musik  zurückzuführen.  Jener  drängt  ihn,  den 
Gesangton  zu  erzeugen,  und  die  Freude,  die  er  am  Klange  empfindet,  veranlasst 
ihn  zu  näheren  Untersuchungen  über  die  Natur  desselben  und  treibt  ihn  zu 
Experimenten  mit  leblosen  Stoffen,  den  Sehnen,  Hörnern,  Häuten  und  Knochen 
der  Thiere  oder  dem  Rohr  und  dem  Metall,  denen  er  ebenfalls  Töne  entlockt. 
Es  ist  daher  ein  ganz  vergebliches  Bemühen,  nach  dem  Ort  zu  suchen,  wo, 
oder  nach  dem  Volk,  unter  welchem  die  Musik  zuerst  entstanden  ist;  denn  sie 
ist  nirgend  zuerst  entstanden,  sie  ist  ein  ganz  natürliches  Produkt  der  Cultur- 
entwickelung  jedes  Volks  und  erst  auf  den  höheren  Stufen  macht  sich  ein 
gegenseitiger  Einfluss  bei  den  verschiedenen  Völkern  geltend.  Der  Gresang 
konnte  überall  Anfangs  kaum  mehr  sein,  als  ein  eintöniges  Brummen  und 
Summen;  denn  die  gleichmässige  Beherrschung  der  Stimmbänder,  durch  welche 
erst  ein  in  unterscheidbaren  Intervallen  sich  bewegender  Gesang  möglich  wird, 
setzt  schon  eine  bedeutende  Kultur  voraus.  Die  Lust  am  Klange  beherrscht 
zunächst  überall  die  ganze  weitere  Entwickelung.  Der  sprachbildende  Menschen- 
geist macht  sich  ihn  dann  dienstbar  und  gelangt  mit  seiner  Hülfe  zu  den 
kunstgemäss  gegliederten  und  gebildeten  dichterischen  Formen.  Mit  der  wach- 
senden Kultur  wächst  dann  auch  die  Sorgfalt,  die  man  der  Erzeugung  des 
Klansres  zuwendet;  um  ihn  zu  veredeln,  werden  die  Instrumente  von  edleren 
Stoffen  verfertigt  und  allmälig  so  vervollkommnet,  dass  sie  höheren  künst- 
lerischen Ansprüchen  genügen.  Vor  allem  aber  wird  der  Ton  zum  Gegen- 
stande eingehendster  Studien  gemacht;  er  wird  gemessen  und  nach  seiner 
unterscheidenden  Höhe  bestimmt,  und  als  natürliches  Resultat  ergeben  sich 
die  verschiedenen  Systeme,  die  seine  verschiedene  künstlerische  Verwendung 
ermöglichen. 

Ursprnoglich  heisst  die  Kunstschöpfung,  die  einzig  in  ihrer  Art  ganz 
selbständig,  nicht  nachgebildet  oder  von  andern  Kunstschöpfungen  abgeleitet 
erscheint.  Als  ursprünglich  müssen  demnach  zunächst  die  Melodien  des 
gregorianischen  Kirchengesanges  betrachtet  werden,  da  sie  sich  so  we- 
sentlich von  denen  des  griechischen  oder  hebräischen  unterscheiden,  dass  sie 
vollste  Selbständigkeit  gewinnen.  Die  Tonleiter,  auf  der  sie  sich  erheben,  ist 
allerdings  der  griechischen  Praxis  entlehnt,  allein  die  besondere  Weise  der 
Anschauung  derselben,  wie  der  andere  Geist,  der  diese  Melodien  hervortreibt, 
geben  ihnen  ein  vollständig  anderes  Gepräge  und  damit  das  Merkmal  der  Ur- 
sprünglichkeit. Die  Volksmelodie  ist  dann  zum  Theil  von  ihnen  her- 
geleitet, aber  nicht  als  Nachahmung  jener  Kunstschöpfung,  sondern  als  durchaus 
selbständiges  Produkt  derselben.  Jene  kirchlichen  Melodien  gaben  dem  schö- 
pferischen Volksgeist  Anleitung  und  Anregung,  sein  eigenes  Empfinden  aus- 
zutönen  und  dies  erzeugt  wiederum  Melodien,  die  nach  denselben  Principien 
entstanden  wie  jene,  denen  jedoch  der  andere  Inhalt  wesentlich  andere  Form 
und  veränderte  Wirkung  verleiht  und  die  deshalb  gleichfalls  durchaus  ursprüng- 
lich erscheinen.  Damit  aber  sind  die  wesentlichsten  Bedingungen  der  Ursprüng- 
lichkeit gegeben;  diese  verfährt  durchaus  neu  schaffend,  aber  innerhalb  der, 
durch  die  ewigen  Kunstgesetze  gegebenen  Schranken.  "Werden  diese  verletzt, 
dann  verliert  das  Eigenthümliche  der  Ursprünglichkeit,  das,  was  die  Gattung 
als  solche  kennzeichnet,  und  es  wird  zur  Sonderbarkeit,  zur  Abnormität. 
Ist  die  Ursprünglichkeit  nur  gesucht,  indem  man  absichtlich  auf  Besonderheiten 
und  Abweichungen  vom  allgemein  Gültigen  bedacht  ist,  so  heisst  sie  barock, 
und  da  sie  dann  in  der  Regel  zugleich  auch  das  Kunstwerk  in  der  Verzerrung 
erscheinen  lässt,  bizarr.  Monströs  wird  sie,  wenn  die  Besonderheit  in  un- 
geheuerlichem vergrössertem  Massstabe  auftritt  und  dadurch  das  Kunstwerk 
aus  seinen  natürlichen  Schranken  treibt.  In  diesen  besonderen  Erscheinungs- 
formen kann  die  Ursprünglichkeit  immerhin  noch  interessiren,  aber  sie  hat 
entschieden  weniger  künstlerische  Bedeutung  als  das  bescheidenere  Talent,  dem 


438  Ursprüngliclie  Töne  —  Uttendal. 

die  formvollendete  Darstellung  des  Kunstwerks  erstes  Erforderniss  ist,  schon 
weil  jene  gesuchte  Ursprünglichkeit  weit  leichter  zu  gewinnen  ist,  als  die  Herr- 
schaft über  die  Kunstformen.  Zu  jener  barocken,  bizarren  oder  mon- 
strösen TJrsprünglichkeit  gelangt  in  der  Eegel  schon  das  intentionenreiche 
Ungeschick  des  Anfängers,  gelangt  der  Dilettantismus,  wenn  er  grosse  Vor- 
würfe, bedeutende  Stoffe  künstlerisch  bearbeiten  will,  wie  das  in  unseren  Tagen 
namentlich  an  zahlreichen  Beispielen  nachzuweisen  wäre.  Die  echte  Ursprüng- 
lichkeit kommt  nur  innerhalb  der  ewig  gesetzmässigen  Formen  im  muster- 
giltigen  Kunstwerk  zum  Ausdruck,  wie  die  ganze  Entwickelung  der  Tonkunst 
bis  auf  den  heutigen  Tag  beweist. 

Urspriing-liche  Töne  heissen  die  Töne  der  Normal-,  der  G-dur-T onleiter 
c  —  d — e—f — g — a  —  h;  zum  Unterschiede  von  den  chromatischen,  durch  Erhöhung 
oder  Vertiefung  veränderten  oder  versetzten  Tönen:  eis  — des — dis—es  — 
fis — ges — ffis — as — ais — J. 

U.  s.,  Abkürzung  für    Ut  supra  (s.  d.). 

Uso,  usus,  auch  Chresis;  der  Theil  der  griechischen  Melopöie,  der  sie  in 
Hinsicht  auf  Schönheit  der  Tonfolge  und  der  Intervallenverhältnisse  behandelt. 
Sie  umfasst  die  verschiedenen  Fortschreitungen  der  Agoge,  Petteia  und 
Tone    (s.  d.). 

Usper,  Francesco,  Venetianischer  Prediger  und  ausgezeichneter  Organist 
an  der  Salvatorkirche  in  Venedig,  lebte  in  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahr- 
hunderts. Von  seinen  Compositionen  sind  nur  bekannt  ein  Grradual  und  ein 
Tractus,  aufgeführt  am  25.  Mai  1621  bei  den  Trauerfeierlichkeiten  für  den 
Grossherzog  von  Toscana  Cosmus  IL  von  Medicis. 

Ut,  die  erste  Silbe  der  alten  sogenannten  Guidonischen  Solmisation,  welche 
im  Cantu  naturalis  dem  unversetzten  System  auf  den  Ton  c,  im  Cantu  durali 
auf  den  Ton  g,  im  Cantu  molli  auf  den  Ton  f  zu  stehen  kam  (s.  Solmisation). 
Bei  den  Italienern  und  Franzosen  bezeichnet  die  Silbe  jetzt  immer  den  Ton  c, 
die  Italiener  gebrauchen  auch  die  Silbe  do. 

rt  bemol  (franz.),  der  Ton  Ces. 

Ut  diese  (franz.),  der  Ton   Cis. 

Ut  diese  mineor  (franz.),  Cis -m oll. 

Ut  fa,  in  der  alten  Solmisation  diejenige  Mutation,  in  welcher  auf  den 
Tönen  c  und  f  nicht  die  Silbe  ut,  sondern  die  Silbe  fa  gesprochen  wird 
(s.  Solmisation). 

Ut  re,  in  der  Solmisation  die  Mutation,  bei  der  auf  dem  Ton  g  nicht  ut, 
sondern  re  ausgesprochen  wird  (s.  Solmisation). 

Ut  re  mi  fa  so  la,  die  Solmisation  (s.  d.). 

Utremifasollarii  hiessen  die  Solmisatoren,  welche  nur  die  sechs  Silben  nach 
der  Weise  der  alten  Solmisation  beim  Gesangunterricht  anwendeten. 

Utricularius,  ein  Sackpfeifer,  Dudelsackspieler. 

Ut  supra  (abgek.  u.  s.),  wie  oben,  wie  vorher,  wird  gleichbedeutend 
mit  come  sopra  namentlich  in  Partituren  angewendet,  um  nicht  ganz  gleich 
wiederkehrende  Stellen  aufs  Neue  ganz  ausschreiben  zu  müssen.  In  solchen 
Fällen  wird  bei  der  "Wiederholung  nur  die  Hauptstimme  geschrieben  mit  der 
Bezeichnung  -nut  supraa  oder  ■ncome  sopra«,  um  anzuzeigen,  dass  auch  alle  übri- 
gen Stimmen  die  Stelle  bei  der  Wiederholung  genau  so  auszuführen  haben  wie 
beim  ersten  Eintritt  (s.  Partitur). 

Uthe,  Job.  Andreas,  Orgelbauer  zu  Sondershausen,  früher  zu  Dresden, 
namentlich  bekannt  als  Erfinder  des  Xylosistron  (s.  d.),    das  er  1807  baute. 

Utteudal,  auch  Uttenthal  und  Uttendaler,  Alexander,  Componist 
und  Sänger  an  der  Kapelle  des  Kaisers  Ferdinand  I.  und  dessen  Nachfolger 
Maximilian  IL  In  dieser  Stellung  befand  er  sich  noch  1585.  Seine  gedruckten 
und  bekannten  Compositionen  sind  die  folgenden:  -DSeptem  Psalmi  poenitentiales 
ex  prophetarum  scriptis  orationihus  ejusdem  argumenti,  quinque  ad  dodecachordi 
modos  duodecim,  tarn  vivae  voci,  quam  diversis  musicorum  instrumentorum  generihus 


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Uttini  -  Yaccai.  439 

Tiarmonia  accomodath  (Noribergae,  in  officina  Theod.  Gerlatzeni,  1570,  in  4'^  obl.). 
i>Sacrarum  cantionum,  quas  viilgo  Mctetas  vocant,  antea  in  lucem  itnquam  editarum 
sed  nunc  recens  ad  modum  tarn  insirumeniis  musicis,  quam  vivae  melodiae  quinque, 
sex  et  plurium  voeum  attemperatarum  Über  primitsu;  idem,  lib.  2  et  3  (ibid. 
1571 — 1577,  in  4°  obl.)-  -^CanHones  gallicae  a  A,  6  et  plur.  voc.  (ibid.  1574). 
-aTres  Missae  quinque  et  sex  vocum.  Item  Macjnificat  per  octo  tonos,  quatuor 
vocilusv  (ibid.  1573,  in  4"  obl.).  «Froeliche  neue  teutsche  und  französische 
Lieder,  lieblich  zu  singen  und  auf  allerley  Instrumenten  zu  gebraueben,  nach 
sonderer  Art  der  Musik  componirt,  mit  vier,  fünf  und  mehr  Stimmen«  (Nürem- 
berg,  Dietricbt  Gerlach,  1574,  in  4°  obl.).  Zweite  Aufl.  ebend.,  Catarina 
Gerlach,  1585,  in  4°  obl.  (eine  andere  in  Frankfurt  bei  Stein,  ohne  Datum,  4**). 
Acht  vier-,  fünf-,  sechs-  und  achtstimmige  Motetten  von  TJttethal  sind  im 
ftNortis  Thesaurus  musicusa  von  Peter  Joanelli,  Venedig,  Antonius  Gardani,  1568, 
enthalten.  Auch  Jacob  Paix  hat  Compositionen  arrangirt  und  in  sein  Orgel- 
tabulaturbuch  aufgenommen  (Lauingen,  1583,  Fol.).  Viele  der  gedruckten 
Kirchencompositionen  befinden  sich  auf  der  Münchener  Bibliothek  mit  dem 
Namen  l'ttendal. 

L'ttini,  Francesco,  Componist,  geboren  zu  Bologna  gegen  1720,  war 
Schüler  von  Sandori  und  Berti,  wurde  1743  Mitglied  der  Akademischen  Gesell- 
schaft zu  Bologna  und  1751  Bräsident  derselben.  Er  lebte  einige  Zeit  in 
London  und  veröffentlichte  dort  1770:  r>VI  Son.  for  2  Yiolins  and  a  Boss, 
one  Sonata  for  tlie  Violoncello^  and  tlie  otJier  for  ihe  Harpsichorda.  Von  London 
ging  er  nach  Stockholm,  wo  er  Hofkapellmeister  wurde  und  in  dieser  Stellung 
20  Jahre  thätig  blieb.  1795  wurde  er  mit  500  Thaler  pensionirt,  starb  aber 
bereits  1796.  In  Schweden  componirte  er  die  Opern,  welche  dort  aufgeführt 
wurden:  »Aline,  Königin  von  Golconda«  (schwedisch,  1775  aufgeführt);  »Aeneas 
zu  Karthago«  (dergl.):  »Tetis  und  Peleus«  (eine  dergl.,  nach  dem  Entwürfe  des 
Königs  1790  zu  Stockholm  aufgeführt);  die  Chöre  zu  »Athalia«  (schwedisch). 
Eine  italienische  Oper  »i2e  pastora  entstand  in  seiner  Jugendzeit  in  Italien. 


V. 

T.,  Abkürzung  für    T  crte  (s.  d.),    Voce  (s.  d.),    Volta  (s.  d.). 

V  =  Abkürzung  für    V er  seit  (s.  d,). 

Vaccai,  Nicolo,  italienischer  Operncomponist,  wurde  1791  (nach  andern 
1790)  zu  Tolentino  im  ehemaligen  Kirchenstaate  geboren,  kam  aber  schon  im 
Alter  von  drei  oder  vier  Jahren  nach  Besaro,  wohin  sein  Vater  behufs  TJeber- 
nahme  eines  öffentlichen  Amtes  übersiedeln  musste.  Hier  begann  der  Knabe 
seine  wissenschaftlichen  Studien  und  betrieb  vom  zwölften  Jahre  an  nebenbei 
das  Clavierspiel  als  Erholung.  Einige  Jahre  später  ging  er  nach  Eom,  um 
die  Eechtswissenschaften  zu  studiren,  konnte  indessen  diesem  Berufe  keinen 
Geschmack  abgewinnen  und  folgte  bald  dem  unwiderstehlichen  Drange,  sich 
ausschliesslich  der  Kunst  zu  widmen.  Zunächst  nahm  er  nun  Tuterricht  im 
Kunstgesange,  dann  auch  (bei  Janacconi)  im  Contrapunkt.  Gegen  Ende  des 
Jahres  1811  ging  er  nach  Neapel,  um  sich  hier  unter  Baisiello's  Leitung  in 
der  dramatischen  Composition  auszubilden,  schrieb  auch  um  diese  Zeit  unter 
der  Aufsicht  des  genannten  Meisters  seine  ersten  Cantaten  •aL'Omaggio  della 
gratitudineK  und  r>Andromeda<i,  sowie  eine  Anzahl  von  Kirchencompositionen. 
Dann  versuchte  er  sich  als  dramatischer  Componist  mit  der  1814  im  Teatro 
Nuovo  zu  Neapel  aufgeführten  Oper  »J  SoUtari  di  Scoziav,  welcher  im  nächsten 
Jahre  die  einaktige  Oper  y^Malvina«,  aufgeführt  im  Teatro  San  Benedetto  zu 
Venedig,  folgte.  An  diese  "Werke  schlössen  sich  an:  das  Ballet  y>Gamma,  Re- 
gina di  Gallizia<.<.  (1817),  die  Oper  r>Il  Lupo  d'Ostendau.  (1818),  das  Ballet 
y>Timur  CJiana  (1819),  sowie  die  BaWete  r>Alessandro  in  Bahiloniaa  wn^  i>Ifigenia 


440  Vaccari  —  Vacclietti. 

in  Aulidea  (1820),  sämintlicli  für  die  Venetianisclien  Theater  San  Benedetto 
und  Fenice  geschrieben.  Mittlerweile  hatte  V.,  entmuthigt  durch  den  geringen 
Erfolg  einiger  seiner  Arbeiten,  sich  entschlossen,  der  Operncomposition  zu  ent- 
sagen und  das  Gresangsunterrichtsfach  zu  ergreifen.  In  seinem  neuen  Berufe 
wirkte  er  anfangs  in  Venedig,  dann  (von  1821  an)  in  Triest,  endlich  (1823) 
in  AVien;  doch  konnte  ihn  die  Lehrthätigkeit,  so  erfolgreich  sie  auch  war,  nicht 
lange  fesseln:  1824  sehen  wir  ihn  sich  aufs  Neue  der  Bühne  zuwenden  und 
auf  Grund  der  inzwischen  gemachten  Erfahrungen  mit  ungleich  mehr  Glück 
als  im  Beginn  seiner  Laufbahn.  Zuerst  trat  er  in  Parma  mit  der  komischen 
Oper  y>Pietro  il  Grande,  ossia  il  geloso  alla  tortiiraa  hervor  und  noch  in  dem- 
selben Jahre  brachte  er  in  Turin  seine  -»Pastorella  feudatariav.  zur  Aufführung. 
Im  nächsten  Jahre  schrieb  er  für  das  Theater  San  Carlo  in  Neapel  die  Oper 
y>Zadig  ed  Ästarfea«,  für  Mailand  y>Giulietta  e  Romeou.  und  y>Le  Fucine  di  Nor- 
vegian;  endlich  im  Laufe  der  folgenden  Jahre  für  Venedig  »Giovanjia  d'Äreo«, 
für  Turin  y>Bianca  di  Messinav,  für  Florenz  y^Saladinov.  und  für  Mailand  y)SauUeti. 

Der  "Wunsch,  sich  in  Paris  bekannt  zu  machen,  bestimmte  V.,  1829  dort- 
hin überzusiedeln,  und  zwar  wiederum  als  Gesanglehrer;  als  solcher  wusste  er 
sich  unter  den  dortigen  Italienern  eine  der  ersten  Stellungen  zu  erringen,  auch 
in  London,  wohin  er  sich  nach  zweijähriger  pariser  "Wirksamkeit  begab,  gelang 
es  ihm,  eine  Anzahl  tüchtiger  Schüler  zu  bilden.  Schliesslich  zog  es  ihn  jedoch 
wieder  in  sein  Vaterland  und  zu  seinem  Berufe  als  dramatischer  Componist 
zurück,  und  als  nach  den  politischen  Stürmen  des  Jahres  1830  die  gesellschaft- 
lichen Verhältnisse  Italiens  wieder  geregelt  waren,  konnte  er  es  zum  dritten 
Mal  unternehmen,  zu  den  dortigen  Opernbühnen  in  Beziehung  zu  treten;  dies- 
mal gab  er  denselben  vier  Werke:  »Marco  Visconti«,  «Giova7ina  Gray«  (für  die 
Sängerin  Malibran  geschrieben),  »ia  sposa  di  Messinav.  und  » Virginias.  Im 
Jahre  1838  übernahm  V.  die,  durch  Basilj  Berufung  nach  Bom  erledigte  Stelle 
eines  Censors  und  ersten  Compositionslehrers  am  Conservatorium  der  Musik 
zu  Mailand,  welches  Amt  er  bis  zu  seinem  Tode  1849  bekleidet  hat.  In  den 
letzten  Jahren  seines  Lebens  war  seine  schöpferische  Thätigkeit  ausschliesslich 
auf  die  Kirche  gerichtet;  eine  bei  Bicordi  in  Mailand  erschienene  Sammlung 
von  Canzonetten  seiner  Composition  hat  seinem  Talent  auch  über  die  Grenzen 
Italiens  hinaus  zur  Anerkennung  verholfen. 

Vaccari,  Francesco,  talentvoller  Violinist,  ist  1773  in  Modena  geboren, 
erhielt  sehr  frühzeitig  Violinunterricht  und  spielte,  sieben  Jahre  alt,  bereits 
die  schwierigsten  Stücke  vom  Blatt.  Von  seinem  zehnten  Jahre  au  genoss  er 
in  Florenz  den  Unterricht  Nardini's  und  trat  einige  Jahre  später  in  Mantua 
zuerst  vor  das  Publikum.  Hier  soll  er  auch  ein  Concert,  welches  ihm  der 
Violinist  Pichl  vorlegte,  vom  Blatte  gespielt  haben.  Nachdem  er  hierauf  auch 
in  den  andern  italienischen  Hauptstädten  mit  Erfolg  concertirt  hatte,  nahm  er 
in  Mailand  mehrere  Jahre  hindurch  seinen  Aufenthalt  und  trat  dann  1804  in 
den  Dienst  des  Königs  von  Spanien,  bis  er  1808  aufs  Neue  Concertreisen 
unternahm.  Er  besuchte  Paris,  kam  auch  nach  Deutschland,  um  1815  abermals 
zuerst  nach  Lissabon  und  dann  nach  Madrid  zu  gehen.  Hier  erhielt  er  wie 
bei  seiner  früheren  Anwesenheit  in  Spanien  eine  vortheilhafte  Stellung  am 
Hofe  König  Ferdinands,  die  er  aber  1823  in  Folge  der  Unruhen  wieder  aufgab. 
Er  starb  wenige  Jahre  darauf  in  Portugal,  Gedruckt  sind  von  ihm:  i>Duos 
four  deux  violonsa,  op.  1  und  2  (Paris,  Louis).  y>God  save  the  hing,  varie  pour 
violon  avec  piano«  (Paris,  Janet  et  Cotelle).  y>Potpouri  varie  sur  le  'Fandango 
et  Rohin  Adair  avec  accompagnement  de  piano«  (Paris,  Leduc).  r>L^Fcossaise, 
nocturne  dialogue  pour  piano  et  violon«,  mit  Var.  (Paris,  Schönenb erger). 

Vacchetti,  Giovanni  Battista,  Pater,  geboren  zu  Rubiera  im  Gross- 
herzogthum  Modena,  lebte  in  der  Stadt  dieses  Namens  Mitte  des  17.  Jahr- 
hunderts als  Ordensbruder  und  Organist  seines  Klosters.  Von  seinen  Compo- 
sitionen  sind  gedruckt  vorhanden:  -nMotetti  a  due,  tre  e  quattro  voci  con  organo« 
(in  Venetia,  Bart.   Magni,   1646,   in  4").     »Mottetti  a  voce  sola«,    Hb.  1,   op.  2 


Vaceto  -  Vaet.  441 

(in  "Venetia,  Franc.  Magni,  1664,  in  4").  r>Mottetti  concertati  a  una,  due,  tre 
e  quattro  con  violini  e  senzaa,  lib.  2,  op.  3   (Bologna,   1667,  in  4  ). 

Vaceto   (ital.),  Tempobezeichnung  =  gemässigt,  massig,  geschwind. 

Vacher,  Pierre  Jean,  oder  Levacher,  Violinist,  wurde  am  2.  August 
1772  zu  Paris  geboren,  wo  er  1819  starb.  Er  war  eine  Zeit  lang  Schüler 
Viotti's  und  nacheinander  am  Orchester  der  Theater  Vaudeville  und  Feydeau 
und  an  der  grossen  Oper  thätig.  Einlagen,  die  er  für  das  Theater  componirte 
und  mehrere  niedliche  Romanzen  wurden  seiner  Zeit  populär.  Oedruckt  sind: 
»Trios  j)oar  deux  violons  et  hassea,  op.  3  (Paris,  Nadermann).  -nÄirs  varies  pour 
violon  et  violoncelloa  (ibid.).  »Duos  four  deux  violons«,  liv.  1  et  2  (Paris,  Q-a- 
veux).  Viele  Arien  mit  Variationen  für  Violine  allein  in  Paris  bei  Tavet, 
Frey,   Omont. 

Vachon,  Pierre,  geboren  zu  Arles  1731,  erhielt  den  ersten  Unterricht  in 
der  Musik  und  im  Violinspiel  in  seiner  Vaterstadt  und  kam,  20  Jahre  alt, 
nach  Paris,  wo  er  den  Unterricht  Chabran's  genoss.  1758  Hess  er  sich  zum 
ersten  Mal  im  Concert  spii'ituel  in  einer  eigenen  Composition  hören  und  erwarb 
vielen  Beifiill.  La  Borde  bezeichnet  ihn  vornehmlich  auch  als  einen  ausgezeich- 
neten Quartett-  und  Trio-Spieler.  1761  trat  er  als  erster  Violinist  in  den  Dienst 
des  G-rafen  Conti,  in  welcher  Zeit  er  auch  seine  ersten  dramatischen  Compo- 
sitionen  fürs  Theater  schrieb.  1784,  als  er  bei  einer  Reise  durch  Deutschland 
in  Berlin  mit  Beifall  auch  bei  Hofe  spielte,  engagirte  ihn  der  damalige  Prinz 
von  Preussen  als  Concertraeister  seiner  Kapelle.  Er  starb  1802  zu  Berlin. 
Ausser  den  Opern:  »Benaud  d'Astui  (1765);  »Le  Monnier<i  (1765);  nLes  femmes 
et  le  secretv.  (1767);  »Esope  ä  Cithere«.  (1765,  mit  Trial  gemeinschaftlich); 
•aSaran  (1773),  componirte  er  eine  Reihe  von  Instrumentalstücken:  »Trois  con- 
certos  pour  violon  et  orchestre«,  op.  1  (Paris,  Venier);  y>Six  trios  piour  deux 
violons  et  hasset,  oj).  2  (ibid.);  r>Six  sonates  pour  violon  et  hassen,  op.  3  (ibid.); 
r>Deux  concertos  pour  violon  et  orcliestre<i.,  op.  4  (Paris,  la  Chevardiere) ;  »Six 
sonates  pour  violon  et  hasse«  (London,  1770);  »Six  quatuors  pour  deux  violons, 
alto  et  hasse«,  op,  7  (Paris,  la  Chevardiere);  »Six  quatuors  pour  deux  violons, 
alto  et  hasse«,  op.  9  (Berlin,  1797). 

A^aelrant,  Hubert,  s.  "Waelrant. 

Vaet,  Jacobus,  niederländischer  Componist,  ist  von  verschiedenen  Lexiko- 
graphen —  u.  a.  von  Grerber  —  mit  einem  Landsmanne  und  Collegen  Namens 
Jaques  de  Wert  oder  G-iaches  di  "Waert  (s.  d.),  der  während  der  ersten  Hälfte 
des  16.  Jahrhunderts  in  Italien  in  Ansehen  stand,  unrichtigerweise  identificirt 
worden,  wiewohl  der  Nestor  der  Musiker-Biographen,  Johann  Grottfried  AValther, 
schon  in  seinem  1732  vollendeten  Lexikon  zwei  verschiedene  Personen  als  die 
Träger  obiger  Namen  bezeichnet  hatte.  Die  Unklarheit  bezüglich  der  Lebens- 
umstände beider  Künstler  mag  dazu  beigetragen  haben,  dass  der  verdienstvolle 
Historiker  Anton  Schmid  in  seiner  Schrift  über  Petrucci  da  Fossombrone  und 
nach  seinem  Vorgange  auch  Fetis  sich  jener  irrthümlichen  Meinung  ange- 
schlossen haben.  Doch  ist  der  letztere  Autor  zu  einer  anderen  Ueberzeugung 
gelangt,  nachdem  er  aus  verschiedenen  Compositions-Sammlungen  des  16.  Jahr- 
hunderts den  untrüglichen  Beweis  für  die  Sonderexistenz  V.'s  gewonnen  hatte. 
Sicheren  Aufschluss  über  die  Lebensumstände  dieses  Künstlers  gewährte  ihm, 
wie  er  in  der  zweiten  Auflage  seiner  »Biograpliie  universelle«  berichtet,  die  unter 
dem  Namen  »Novus  Thesaurus  musicus«  1568  zu  Venedig  durch  Joannelli  de 
Grandino  veröffentlichte  Sammlung  von  Gesangscompositionen,  deren  Autoren 
ausschliesslich  demselben  Jahrhundert  angehören  und  Mitglieder  der  kaiserlichen 
Sängerkapelle  zu  Wien  waren.  Aus  einer  in  dieser  Sammlung  befindlichen 
sechsstimmigen  Motette  V.'s  zu  Ehren  des  Erzherzogs  Ferdinand  von  Oesterreich 
(In  laudem  Sereniss.  Prineipis  Ferdinandi  Archid.  Austriae)  lässt  sich  mit  Ge- 
wissheit schliessen,  dass  der  Künstler  schon  vor  1527  unter  Karl  V.  in  der 
kaiserlichen  Sängerkapelle  angestellt  gewesen  ist,  denn  in  diesem  Jahre  wurde 
der  genannte  Erzherzog    zum  König  von  Böhmen  und  Ungarn  gekrönt.     Eine 


442  Väterchen  —  V  alderravano. 

andere  in  dem  y^TIiesanrusa  aufgenommene  Composition  V.'s,  drei  Motetten  (die 
erste  für  vier,  die  beiden  andern  für  sechs  Stimmen)  zu  Ehren  Kaiser  Maxi- 
milians II.  (In  laudem  Invictiss.  Born.  Im'p.  Max.  II)  beweist,  dass  ihr  Yerfasser 
noch  nach  1564  gelebt  hat,  da  erst  im  Juli  dieses  Jahres  Maximilian  den 
durch  den  Tod  Ferdinand's  I.,  des  Nachfolgers  Karl's  V.,  erledigten  deutschen 
Kaiserthron  bestieg.  Dass  aber  V.  im  Jahre  1568  schon  gestorben  war,  erhellt 
aus  einer  ebenfalls  im  -uNotus  Thesaurus  musicusa  enthaltenen  siebenstimmigen 
Motette  von  Jakob  Eegnart,  die,  wie  der  Titel  besagt,  zur  Erinnerung  an  seinen 
Tod  (In   Ohitum  Jacohi    Vaet)  geschrieben  worden  ist. 

Die  von  Y,  hinterlassenen,  im  Druck  erschienenen  "Werke  sind  folgende: 
■nModulationes  quinque  vocum  (vulgo  motecta  nuncupatae)<i  (Venedig,  bei  Antonio 
Gardano,  1562,  4°).  Sodann  enthält  die  vorhin  erwähnte  Sammlung  ■dNovus 
Thesaurus  musicus«.  25  Gesangstücke  seiner  Composition,  unter  ihnen  eine  i^n- 
zahl  von  Motetten,  sieben  Compositionen  des  vSalve  reginaa  für  vier,  fünf,  sechs 
und  acht  Stimmen,  sowie  ein  achtstimmiges  Te  deum.  Andere  Sammlungen 
von  mehrstimmigen  Gesängen  aus  dem  16.  Jahrhundert  haben,  vermuthlich  um 
dem  Wunsche  der  Zeitgenossen  des  Künstlers  zu  entsprechen,  ebenfalls  Com- 
positionen von  ihm  aufgenommen;  so  enthält  die  1553 — 1557  zu  Antwerpen 
bei  Tylman  Susato  erschienene  Sammlung  y>Ecclesiasticae  Cantiones  quatuor  et 
quinque  vocum,  vulgo  moteta  vocant,  tarn  ex  veteri  quam  ex  novo  Testamento,  ah 
optimis  quibusque  hujus  aetatis  musicis  compositaea.  fünf  vierstimmige  Motetten 
Y.'s;  und  die  in  Nürnberg  1554 — 1556  erschienene  Sammlung  y>Evangelia  Do' 
minicorum  et  festorum  Dierum,  musicis  numeris  imlcherrime  comprehe7isa  et  cor- 
recta  quatuor,  quinque,  sex  et  plurium  vocuma  enthält  von  ihm  gleichsfalls  fünf 
vierstimmige  Gesänge  unter  dem  Specialtitel  y>Sententiae  piae«.  Ferner  findet 
sich  ein  vierstimmiges  weltliches  Lied  mit  französischem  Text  {y>Ämour  leal«  etc.) 
in  dem  zu  Antwerpen  bei  Hubert  Watlrant  und  Johann  Laut  (ohne  Angabe 
der  Jahreszahl)  erschienene  r>Jardin  musical,  contenant  plusieurs  helles  fleurs  de 
chansons  ä  quatre  partiesa;  auch  sind  in  den  zu  Nürnberg  1564  erschienenen 
•/»Thesaurus  musicusa  —  nicht  zu  verwechseln  mit  dem  vorhin  citirten  nNovus 
Thesaurus  musicus«.  des  Joannelli  —  r>continens  selectissimas  octo,  Septem,  sex, 
quinque  et  quatuor  vocum  Harmonias  tarn  a  veterihus  quam  a  recentiorihus  sym- 
phonistis  compositas,  et  ad  omnis  generis  instrumenta  musicae  accomodatasa  meh- 
rere Motetten  Y.'s  von  verschiedener  Stimmenzahl  aufgenommen.  Y.  gehört 
ohne  Frage  zu  den  hervorragendsten  Componisten  seiner  Zeit  und  alle  Kenner 
der  niederländischen  Tonkunst,  unter  ihnen  Fetis,  dessen  Autorität  auf  diesem 
Gebiete  wohl  unbestritten  ist,  rühmen  an  seiner  Musik  die  Correktheit  des 
Stils,  den  religiösen  Charakter  und  die  Einfachheit  seiner  Notirungsweise,  im 
Gegensatz  zu  den  Pedanterien  und  kleinlichen  Spielereien,  in  welchem  sich  selbst 
noch  zu  seiner  Zeit  ein  grosser  Theil  der  Tonsetzer  gefielen. 

Väterelien  wurden  bei  der  Orgel  die  4 — 6  Centimeter  langen,  aus  Messing- 
draht gefertigten  Schraubengewinde,  welche  sich  hinter  dem  Yorsatzbrette  (s.  d.) 
auf  jeder  Taste  befinden,  benannt. 

Vag-aus,  Quinta  vox,  nannten  die  Tonsetzer  des  16.  und  17.  Jahrhunderts 
in  fünfstimmigen  Tonsätzen  die  fünfte  Stimme,  weil  sie  jeder  der  vier  Stimm- 
klassen angehören,  hier  ein  zweiter  Sopran,  dort  ein  zweiter  Alt  oder  Tenor 
sein  konnte;  am  häufigsten  ist  sie  ein  zweiter  Tenor. 

Yagne,  Musiklehrer,  in  Marseille  in  den  letzten  Jahren  des  17.  Jahrhun- 
derts geboren,  hatte  sich  in  Paris  niedergelassen  und  gab  hier  eine  Elementar- 
Musikschule  heraus  unter  dem  Titel:  y>UArt  d'apprendre  la  musique  expose 
d^une  maniere  nouvelle  et  intelligihle,  par  une  suite  de  legons  qui  se  servent  suC' 
cessivement  de  'preparation<s.  (Paris,  1733,  in  Fol.,  32  S.  nebst  einer  Yorrede). 
Eine  zweite  Auflage  erschien   1750  in  Paris. 

Yaisselins,  Matthieu,  s.  "Waisselius. 

Talabreque,  s.  Catalani. 

Valderravano,   Enriquez   de,    spanischer    Musiker,    der    Anfang    des    16» 


Valdesturla  —  Valentin!.  443 

Jahrhunderts  zu  Penacerrada  geboren  wurde.  Er  veröffentlichte  eine  Abhand- 
lung über  die  Viola  nebst  einer  Sammlung  von  Stücken  für  dies  Instrument 
unter  dem  Titel:  T>Musis  dicaium.  Lihro  llamado.  Silua  de  Sirevas.  Compuesto 
por  el  ecccellente  musico  Anriquez  de  Ualderauano.  Divigido  al  ülustrissimo 
sennor  don  Francisco  de  Cunniga  conde  de  Miranda  etc.a  Am  Ende  des  Bandes 
steht:  -oFMe  impresso  en  la  muy  insigne  y  noble  villa  de  Vallodolid  Pincia  in 
oiro  tiempo  llamadaa  (por  Francisco  Eernandez  de  Cordova  impresor,  1547,  in 
Fol.).  Es  sind  in  dem  Werke:  Motetten,  Vilhanhios,  Romanzen,  Gesänge, 
Fantasien  und  Sonaten  in  Tabulatur  für  die  Viola  enthalten ;  ebenso  eine  Er- 
klärung der  Zeichen  der  Tabulatur  und  der  Art  der  Ausführung  derselben. 
Ferner  ist  von  demselben  Autor  eine  allgemeine  Abhandlung  der  Musik  vor- 
handen, die  verschiedenen  Tabulaturen  des  Spinets,  der  Harfe,  der  Viola,  des 
Kirchengesanges  und  des  figurirten  Gesanges  behandelnd.  Der  Titel  lautet: 
•»Tratado  de  cifra  nueva  para  tecia,  arpa  y  vihuela,  canto-llano  de  oryano  y  contra' 
puntod  (Alcala  de  Henares,  1557,  in  Fol.). 

Yaldesturla,  s.  Schicht. 

Talente,  Antonio,  mit  dem  Beinamen  Cieco,  war  blind  und  bekleidete 
in  Neapel  ein  Organistenamt.  Er  veröffentlichte  eine  Sammlung  von  Orgel- 
stücken unter  dem  Titel:  y>Versi  spirituali  sopra  tutte  le  note,  con  diversi  capricci 
per  suonar  negli  organia  (Napoli,  1580). 

Talente,  Saverio,  neapolitanischer  Componist,  lebte  in  der  zweiten  Hälfte 
des  18.  Jahrhunderts.  Seine  Studien  machte  er  auf  dem  Conservatorium  la 
Pietä  und  war  später  Kapellmeister  an  der  Kirche  S.  Francesco  Saverio,  auch 
Lehrer  am  College  San  Pietro  a  Majella  und  am  Conservatorium  von  Neapel. 
Auf  der  Bibliothek  hierselbst  sind  folgende  Compositionen  im  Manuscript  auf- 
bewahrt: almpromperi  a  4  voci  pel  vener di  santo«.  r>Messa  a  4  voci  e  piu  stro- 
menti«.  -uMessa  a  5  voci  e  piu  stromentia.  y^Tratti  delle  tre  profezie  del  salafo 
santOK.  »  Vespere  del  sahato  sanio  a  4  voci  col  hasso  continuo«.  r)Credo  a  4  voci  con 
oryanofi.  y>Oraiorio  per  il  S.  Natale  a  piii  voci  e  piü  stromenti.a  »Solfeggien  für 
vier  Stimmen«.    »Eine  Sammlung  Partimenti«.   »Eine  Methode  des  Contraj^unkts«. 

Talentini,  Carlo,  dramatischer  Componist,  geboren  zu  Lucca  gegen  1790, 
war  von  1827  bis  1835  Kapellmeister  am  Theater  zu  Messina.  Gegen  das 
Ende  seiner  Laufbahn  kehrte  er  nach  Lucca  zurück.  Er  hat  ungefähr  zwölf 
Opern,  die  auf  den  verschiedenen  Theatern  Italiens  zur  Aufführung  kamen, 
geschrieben.  y>Il  Capriccio  drammaticoa,  y>Amine<s.  und  r>Il  Figlio  del  signor  padrea 
waren  die  ersten.  Diejenigen,  welche  am  meisten  gefielen,  waren:  y>GU  Ärago' 
nesi  in  Napoli«,  1838  in  Eom,  und  »JZ  Figlio  del  signor  padrea,  in  Neapel 
aufgeführt. 

Talentini,  Domenico,  ein  i\m  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  zu  Lucca 
lebender  Componist,  hat  unter  Anderem  ein  Oratorium:  »Der  Tod  Abel's«  nach 
Metastasio  in  Musik  gesetzt. 

Talentini,  Giovanni,  Kirchencomponist  und  Contrapunktist  der  römischen 
Schule,  wurde  in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  geboren.  Anfang 
des  17.  Jahrhunderts,  gegen  1615,  trat  er  zu  Wien  als  Organist  in  den  Dienst 
des  Königs.  Von  seinen  Compositionen  wurden  folgende  gedruckt:  y>Motetti  a 
sei  vocia  (Venedig,  1611,  in  4°).  y>MusicJ/e  concertate  ö  6,  7,  8,  9  e  10  voci 
ossia  insiromentia  (Venedig,  1619,  in  Fol.).  y>Musiche  a  2  voci  col  hasso  per 
organod  (Venedig,  1622).  yiSacri  concerti  a  2,  3,  A  e  6  vocia  (Venedig,  1625, 
in  4°).  Musiche  da  camera  a  2,  3,  4,  5  e  6  voci,  parte  concertaia  con  voci  soli 
e  parte  con  voci  ed  istromenti,  nelle  quäle  si  contengono  Madrigali  ed  altri  varie 
composizioni.  Lihro  quartav.  (Venetia,  app.  Aless.  Vincenti,  1621,  in  4°).  y>Lihro 
quinto.  Le  MusicJie  da  camera  a  una  e  due  voci  c'ol  hasso  contimioa  (ibid.  1622, 
in  4").  Im  Manuscript  blieben  Messen,  Magnifikats  und  Psalmen.  Der  Abbe 
Santini  besitzt  davon  ein  Stabat  mater  für  vier  Stimmen  und  ein  Magnifikat 
für  vierundzwanzig  Stimmen  und  sechs  Chöre  vom  Jahre  1620.  In  der  Ma- 
nuscriptensammlung    im    Schlosse    zu   Prag  befinden  sich  Compositionen  dieses 


444  Valentinl. 

Meisters  auch  sind  einige  Stüöke  in:  fJParnassust  musicus  Ferdinandaeus«  von 
Bergamo  (Venedig,  1615)  aufgenommen.  Gerber  führt  die  eine  sechschörige 
Messe,  Magnißcat  et  Juhilate,  als  1621  zu  Venedig  gedruckt  an.  (»Tonkünstler- 
Lexikon«,  B.  III,  S.  422). 

Valentini,  Giovanni,  neapolitanischer  Componist,  lebte  in  der  zweiten 
Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  und  machte  sich  durch  folgende  Opern  vortheilhaft 
bekannt:  y>La  Nozze  in  contrastoa,  komische  Oper,  1780  zu  Mailand,  1784  zu 
Leipzig  aufgeführt.  »J  Gastellani  burlatia,  komische  Oper  (Parma,  1786).  »Za 
statua  matematicav.  (Pesaro,  1786).     ^L' Impresario  in  rovinm   (Cremona,   1778). 

Talentini,  Giuseppe,  Violinist  und  Instrumentalcomponist,  zu  Florenz 
gegen  1690  geboren,  veröffentlichte  bei  Eoger  in  Amsterdam  die  folgenden 
Compositionen:  y>XII  Sinfonie  a  2  violini  e  violoncellov-,  op.  1.  »  VII  Bizzarrie 
per  Camera  a  2  viol.  et  violonc.a,  op.  3.  » VIII  Idee  da  camera  a  violino  solo 
e  violoncellotn,  op.  4.  -nXII  sonate  a  2  viol.  et  violonc,  op.  5.  y>Concerti  a  4  viol., 
alto  violaa.     »Sonate  a  violino  solo  e  basso  continuoa,  op.  8.    »X  eoncei'ti«,  op.  9. 

Yalentini,  Pietro  Francesco,  berühmter  Contrapunktist  der  römischen 
Schule,  auch  seiner  Zeit  als  Poet  bekannt  und  als  theoretischer  Schriftsteller 
thätig,  entstammte  einer  vornehmen  Familie  zu  Rom  und  wurde  daselbst  in  der 
zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  geboren.  In  der  Schule  des  J.  M.  Nanini 
bildete  er  seine  musikalischen  Fähigkeiten  und  starb  zu  Rom  1654.  Er  schrieb 
zwei  grosse  Opern,  dem  damaligen  Geschmacke  entsprechend  mit  Zwischen- 
spielen (Intermezzi's)  und  zwar  die  Musik  und  die  Worte;  es  sind  dies:  »La 
Mitra.  Favola  greca  versißcata  con  due  intermedii,  il  primo  rappresentante  la 
TJccisione  di  Orfeo;  e  il  secondo  Pittagora  che  ritrova  la  musica.  Foesia  di  Fier 
Francesco  Valentini  Romano,  musica  dell  istesso«.  (Roma,  Mascardi,  1654).  ^La 
Trasformazione  di  Dafne.  Favola  morale  con  due  intermedii,  il  primo  contiene 
il  Batto  di  Froserpina  ed  il  secondo  la  Cattivita  di  Venere  e  di  Harte  neue 
rete  di  Vulcanoa  (Roma,  Mascardi,  1654).  Seine  übrigen  Compositionen  sind: 
»Canone  di  Fier  Francesco  Valentini  Romano  sopra  le  parole  del  Salve  Regina: 
illos  tuos  misericordes  oculos  ad  nos  converte,  con  le  sue  risolutioni  a  2,  3,  4  <? 
5  voci,  etc.<i  (Roma,  Blasotti,  1629).  Dieser  Canon  enthält  mehr  als  zweitausend 
Resolutionen.  Das  Thema  desselben  nebst  vier  der  Hauptresolutionen  giebt 
Kircher  an  (tiMusurgiaa,  Th.  I,  S.  402).  »Canone  nel  nodo  di  Salomone  a  96 
vocivi  (Roma,  1631,  in  Fol.).  Auch  von  diesem  Canon  sind  bei  Kircher  {»Ma- 
surgiai,  Th.  I,  S.  404)  und  bei  Hawking  in  seiner  Geschichte  (Band  II,  S.  375) 
die  vornehmsten  Resolutionen  zu  finden.  -»Canone  a  6,  10,  20  voci<i  (Roma, 
1645).  «Madrigali  a  5  voci,  musica  e  poesia  del  Valentini«,  zwei  Hefte  (Rom, 
Mascardi,  1654).  »Motetti  ad  una  voce  con  instromenti«,  zwei  Hefte  (ebenda). 
•aMotetti  a  2,  3,  4  vocii,  zwei  Hefte  (ebenda,  1655).  »Canzonette  spirituali  a 
2  e  3  vocia,  zwei  Bücher  (ebend,  1656).  »Canzonette  spirituali  a  2,  3,  4:  voci«, 
zwei  Bücher  (ebenda,  1656).  -»MusicTie  spirituali  per  la  iiativita  di  N.  S.  Gesii- 
Cristo  a  1,  2  voci«,  zwei  Bücher  (Rom,  Belmonti,  1657).  »Canzoni,  sonetti  ed 
arie  a  voce  sola«,  zwei  Bücher  (ebenda,  1657).  »Canzonette  ed  arie  a  1,  2  voci«, 
vier  Bücher  (ebenda,  1657).  »Litanie  et  motetti  a  2,  3,  4  voci«,  zwei  Bücher 
(ebenda,  1657).  Diese  Compositionen,  die  Opern  und  die  Canons  ausgenommen, 
wurden  erst  nach  dem  Tode  des  Autors  von  dessen  Erben,  die  er  testamen- 
tarisch dazu  verpflichtet  hatte,  in  den  Druck  gegeben.  Drei  theoretische  Ab- 
handlungen hat  er  der  Bibliothek  der  Familie  Barberini  vermacht.  Sie  befinden 
sich  unter  No.  3287  und  3288  noch  daselbst.  Die  Titel  sind:  r>I)upUtonio 
Musica.  Dimostrazione  di  Fier  Francesco  Valentini  Romano  per  la  quäle  appare 
li  tont,  e  modi  musicali  ascendere  al  numero  di  ventiquattro,  dove  dodici  soll 
communemente  sono  stimati.  Ed  anco  alcune  figure  dimostrative  di  alcuni  generi 
musicali,  antichi  ed  altre  teoriche  curiositä«.  »Trattato  del  tempo,  del  modo,  e 
della  prolazione  di  Fier  Francesco  Valentini  Romano,  nel  quäle  ampiamente  si 
dimostra  cosa  sia  tempo,  modo,  prolazione,  e  copiosaynente  si  discorre  delle  figure 
e  proporzioni  musicali  de  segni  delle  perfezioni,    delle  alterazioni,   dei  punti,  delle 


Valentinstanz  —  Valla.  445 

ligature,  e  di  ciascun  altro  accidente,  a  cui  defte  ßgure  sono  sotto^wstea.  »Trattato 
delle  battiita  musicale.  In  qicesfo  si  vedono  deseritti  gli  esempi  per  i  quali  sHtisegna 
il  modo  0  la  maniera  di  giustamente  proferire  e  cantare  le  note,  ed  aspettare  le 
pause  tanto  sotto  il  tempo  delV  egualo,  quanto  delV  ineguale  hattutaa. 

Valentiustanz,  s.  v.  a.  Taranteltanz  (s.  d.). 

Valernod,  Abbe  Marie  Eleazar  de,  Domherr  des  adligen  Stifts  zu  St. 
Martin  d'Ainay,  ist  zu  Lyon  geboren  und  hielt  in  der  Akademie  daselbst,  deren 
Mitglied  er  war,  folgende  Vorlesung:  ^Nouvelle  methode  pour  noter  le  plain-chant 
Sans  larres  et  Sans  clefs«  aufbewahrt  unter  den  Manuscripten  in  der  Bibliothek 
daselbst  unter  No.  965.     V.  starb   1778. 

Yalesi,  Johann  Evangelist,  eigentlich  "Wallers  haus  er,  geboren  am 
28.  April  1735  zu  Unterhattenhofen  in  Baiern  als  der  Sohn  eines  Bauern, 
wurde  von  einem  vermögenden  Kunstfreunde  adoptirt,  welcher  ihn  in  München 
ausbilden  Hess.  Nach  einiger  Zeit  jedoch  unterbrach  Y.  seine  Studien  und 
begab  sich  zu  einem  Landwirthe.  Später  nach  München  zurückgekehrt  cultivirte 
er  die  Musik  und  hauptsächlich  den  Gresang.  Der  Kapellmeister  Camerloher 
zu  Freising  war  sein  Lehrer  und  V.  machte  so  schnelle  Fortschritte,  dass  er, 
19  Jahre  alt,  bereits  als  Sänger  am  Hofe  des  Cardinais  und  Fürst-Bischofs  von 
Freising  angestellt  wurde.  1755  ging  er  erst  nach  Amsterdam,  dann  nach 
Nancy,  um  sich  als  Sänger  hören  zu  lassen,  und  betrat,  nach  Baiern  zurück- 
gekehrt, 1757  die  Bühne  als  Bellerophon.  Das  Verlangen,  sich  immer  mehr 
zu  vervollkommnen,  trieb  ihn  nach  Italien,  wo  er  in  verschiedenen  Städten 
ebenfalls  als  Opernsänger  auftrat.  1770  kehrte  er  nach  Baiern  zurück  und 
erhielt  dort  vom  Herzog  Titel  und  Function  eines  Kammersängers.  Nach  einem 
abermaligen  Besuch  Italiens,  bei  welchem  er  viel  Ruhm  einerntete,  verblieb  er 
nach  seiner  Rückkehr  1778  dauernd  in  München,  wirkte  dort  an  der  Hofoper 
als  Sänger  und  errichtete  hier  die  erste  deutsche  Singschule,  in  welcher  er 
über  200  Schüler  bildete,  zu  denen  auch  Adamberger  gehörte.  Nach  42jähriger 
Dienstzeit  wurde  er  1798  pensionirt  und  starb  in  München  1811. 

Talgulio,  Carlo,  gelehrter  Hellenist,  stammt  aus  einer  alten  Familie  von 
Brescia,  wo  er  1440  geboren  wurde  und  1498  starb.  Er  war  eine  Zeit  lang 
Secretär  des  Cardinal  Cesar  Borgia.  Die  lateinische  Uebersetzung  der  musi- 
kalischen Abhandlung  des  Plutarch,  welche  er  lieferte,  wurde  erst  lange  Zeit 
nach  seinem  Tode  gedruckt  und  aufgenommen  in  der  Sammlung  der  Schriften 
des  Plutarch:  -nFlutarchi  Chaeronei  philosophi  historicique  clarissimi  ojmscula  (quae 
quidem  extant)  omnia,  undequaque  collecta,  et  diligentissime  jam  pridem  recognitaa 
(Venetiis  per  Jo.  Ant.  et  Fratres  de  Sabio,  sumptu  et  requisitione  D.  Mel- 
chioris  Sessa;  Anno  Domini  MDXXXII,  in  8°).  Ferner  von  J.  Cornarius  in 
seiner  Ausgabe  der  Schriften  über  Moral  des  Plutarch  (Basel,  1553,  in  Folio, 
p.  19  bis  25). 

Yalhadolid,  Francisco  de,  Kapellmeister  am  erzbischöflichen  Seminar  zu 
Lissabon,  geboren  zu  Funchal,  der  Haujjtstadt  der  Insel  Madeira,  wurde  in  der 
Musik  zuerst  von  Manoel  Fernandes  und  später  zu  Lissabon  von  Joaö  Alvares 
Frovo  unterrichtet.  Er  starb  am  16.  Juli  1700,  ehe  er  sein  Werk  über  theo- 
retische und  praktische  Musik  zum  Druck  befördern  konnte.  Ausser  diesem 
"Werke  hat  er  viele  Compositionen,  Messen,  Psalmen,  Lamentationen,  Respon- 
sorien.  Motetten  u.  a.  geschrieben. 

Talla,  Georgia,  gegen  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  zu  Piacenza  geboren, 
studirte  in  Pavia  Medicin  und  wurde  1450  in  Venedig  als  Professor  Huma- 
niorum  angestellt,  als  welcher  er  1499  starb.  In  seiner  Sammlung  von  Ab- 
handlungen aller  Wissenschaften:  »De  eccpetendis  et  fugiendis  rebusa  (Venedig, 
1497 — 1501,  zwei  Bände  in  Fol.,  ist  auch  die  Abhandlung:  »J)e  Musica,  lih. 
Y.  Sed  primo  de  inventione  et  commoditate  ejttsa  enthalten.  Zu  den  weiteren 
Arbeiten  des  V.  gehört  auch  die  lateinische  Uebersetzung  der  Einleitung  zur 
Harmonik  des  Euclid  unter  dem  Namen  Cleonides.  Sie  führt  den  Titel: 
^Cleonidae  harmonicum  iniroductorium,   interprete  Georgia   Valla  jPlacentinoa  und 


446  Vallade  —  Valle. 

ist  mit  den  Schriften  der  Autoren,  die  aus  dem  Titel  liervorgehen,  in  einem 
Bande  herausgegeben.  Der  Titel  desselben  heisst:  »Soc  in  volumine  haec  opera 
continentur:  Oleonidae  hartnonicum  introductorium  interprete  Georgia  Valla  Pia- 
centino.  —  L.  Vitruvii  Pollionis  de  Archifectura  libri  decem.  —  Sexti  Julii 
Frontini  de  aquaeductihus  liber  unus,  —  Angeli  Policiani  opusculwm  quod.  Pane- 
pistemon  inscrihitur.  —  Angeli  Policiani  in  p)>'iora  analytica  praelectio,  ciu  ütiilus 
est  Lamian.  Das  Datum  ist  nur  am  Ende  der  Vitruv'schen  Abhandlung  zu 
finden.  Man  liest  dort:  '>->Impressum  Yenetiis  per  Simonem  Papiensem  dictum 
Biniloiuam.  Anno  ah  incarnatione  MCOC.  LXXXX.  YII.  Die  tertio,  Augusti«, 
in  Fol.  Die  betreffende  Uebersetzung  der  Euclid'schen  Schrift  gelangte  im 
Jahr  darauf  mit  einigen  anderen  Arbeiten  des  Valla  vereinigt  in  einer  zweiten 
Ausgabe  zum  Druck.  Yon  dieser  findet  sich  auf  der  Pariser  Bibliothek  ein 
Exemplar  mit  dem  Datum  Venedig,   1504. 

Vallade,  Joh.  Baptist  Anton,  dessen  Namen  auf  französische  Abkunft 
schliessen  lässt,  war  Organist  in  Mendorf  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts. 
Die  nachgenannten  Werke  von  ihm  sind  gedruckt  worden:  »Dreifaches  musi- 
kalisches Exercitium  auf  der  Orgel,  oder  VI  Praeambula  und  Fugen,  wobei 
nach  jedem  Praeambulo  der  Greneralbass  ausgesetzt  ist«  (Augsburg,  1751,  in 
Folio).  »Musikalische  Gemiiths-Ergötzung  in  VI  Clavier-Partien«,  erster  Theil 
(Nürnberg).  Der  zweite  Theil:  »XVI  Fugen  für  die  Orgel«  (Nürnberg).  »Prä- 
ludirender  Organist,  oder  neue  Präludien  und  Gadenzen  in  doppelten  ABO 
D  E  P  G,  beide  Töne  mit  der  Terz  major  und  mineur  so  bequem  eingerichtet, 
dass  man  durch  die  angewiesenen  Zeichen  und  Nummern  nicht  nur  ein  Prä- 
ludium nach  Nothdurft  und  Belieben  verlängern,  sondern  auch  mitten  im  Prä- 
ludiren alle  4,  5  oder  6  Takte  eine  Cadenz  formiren  kann«,  in  zwei  Theilen 
(Augsburg,  1757,  in  Folio).  »Liturgiae  Ahreviatae  Vrhi  et  Orhi  accommodatar 
i.  c.    VI  Missae  a  4  voc.  et  instrum.<t,  op.  2  (Augsburg,  in  Fol.). 

Vallaperta,  Griuseppe,  Kirchencomponist,  geboren  am  18.  März  1755  zu 
Mezzo  bei  Mailand.  Sein  erstes  Werk,  drei  Ciaviersonaten,  erschien  in  Ve- 
nedig, das  zweite,  ein  Clavierconcert  mit  Orchester,  wurde  während  seines 
Aufenthaltes  in  Dresden  1789 — 91  bei  Hilscher  gedruckt.  Nachdem  er  1793 
nach  Italien  zurückgekehrt  war,  erhielt  er  in  Aquila,  einer  Stadt  in  den 
Abruzzen,  eine  Anstellung  als  Kapellmeister.  Während  er  hier  lebte  und 
nachdem  er  1803  Mailand  wieder  aufgesucht,  componirte  er  viel  Kirchenmusik, 
die  geschätzt  wurde.  Es  gehören  dazu  drei  Oratorien:  rtEzecJtiad,  »II  Trionfo 
di  Daviden.,  »II  voto  di  Jeftei,  Messen,  Eequiem,  Miserere  u.  a.  V.  starb  zu 
Mailand  1829. 

Yallara,  P.  Francesco  Marie,  Carmelitermönch  des  Klosters  zu  Mantua, 
wurde  gegen  1670  zu  Parma  geboren.  1724  lebte  er  noch  in  seinem  Kloster. 
Er  hat  die  nachgenannten  Bücher  über  den  Oregorianischen  Choralgesang  ver- 
fasst:  1)  »Scuola  corale  nella  quäle  sHnsegnano  i  fondamenti  piii  necessarii  alla 
Vera  cognizione  del  canto  gregorianon  (in  Modena,  per  Ant.  Capponi,  1707,  in 
4",  90  Seiten).  2)  »Primizie  di  canto  fermou.  (in  Modena,  Ca^iponi,  1713,  in  4°). 
Die  zweite  Auflage  hat  den  Titel:  »Primizie  di  canto  fermo,  ristampate,  corrette, 
e  ridotte  in  miglior  forma  con  altre  addizioni  di  ecessitä  ä  cM  professa,  e  desi- 
dera  la  vera  cognizione  di  tutti  i  principii  e  fondamenti  di  questo  angelico  canto<t 
(in  Parma,  per  Giuseppe  Rosati,  1724,  in  4°,  106  S.).  3)  »Trattato  teorico- 
pratico  del  canto  gregoriano«  (in  Parma,  per  Giuseppe  Bosati,  1721,  in  4",  133  S.). 

Yalle,  P.  Guglielmo  della,  Franziskanermönch  und  Generalsecretär  seines 
Ordens,  wurde  zu  Sieuna  gegen  1740  geboren  und  legte  im  dortigen  Kloster 
seine  Gelübde  ab.  In  Bologna,  wohin  er  vom  Orden  gesendet  war,  trat  er  in 
freundschaftliche  Beziehungen  zum  Pater  Martini,  nach  dessen  Tode  er  dem- 
selben eine  Lobrede  hielt,  die  gedruckt  erschien:  »JElogio  del  Padre  Giambattista 
Martini,  minore  conventuale,  Letto  il  24  novemhre  1784«  (Bologna,  1784,  in  4°). 
Abgedruckt  in:  1)  »Antologia  romafiaa,  Th.  XI,  S.  190,  201,  209,  217,  225, 
233,  241;    2)   »Giornali  de   letterati   di  Pisa,    1783«,    Th.  LVII,    S.  279—305. 


Valle  —  Valotti.  447 

las  Deutsche  übersetzt  erscliieu  sie  in:  »Musikalische  Correspondenz  von  Speier« 
(1791,  S.  217  u.  folg.).  Eine  zweite  Schrift:  »Memorie  storiche  del  P,  M.  Giam- 
hattista  Martini,  minor  conventuale  di  Bologna,  celebre  maestro  di  capella<i  (Xapoli, 
1785,  nella  staniperia  Simoniana,  in  8°,  152  S.)  wurde  in  Neapel  gedruckt. 
Valle  hat  sich  auch  durch  Schriften  auf  anderen  Grebieten  vortheilhaft  be- 
kannt gemacht. 

Yalle,  Pietro  della,  ist  zu  Rom  am  2.  April  1586  von  vornehmen  Eltern 
geboren  und  erhielt  eine  treffliche  Erziehung.  Quintus  Solini,  Organist  an 
Madonna  del  popolo,  war  sein  erster,  Paolo  Qaaliati  sein  zweiter  Lehrer  in 
der  Musik.  Nachdem  er  zunächst  die  militärische  Laufbahn  verfolgt,  auch  an 
mehreren  Seegefechten  (1611  auf  einem  spanischen  Schiff  gegen  die  Barbaren) 
thätigen  Antheil  nahm,  entschloss  er  sich  bald  nach  seiner  Rückkehr  in  Italien 
161-4  zu  einer  Pilgerfahrt  nach  Jerusalem.  Er  kam  durch  Egypteu,  Syrien, 
Persien,  focht  im  letzteren  Lande  gegen  die  Türken  und  kehrte  1626  nach 
Rom  zurück.  Seine  Reisebeschreibuugen,  die  er  hierauf  lieferte,  sind  für  den 
musikalischen  Greschichtsschreiber  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  von  Werth. 
1640  erschien  folgende  Schrift  im  Druck:  y>Della  masica  delV  etä  mostra,  che 
non  e  pmito  inferiore,  aazi  e  migliore  di  qiiella  delV  etä  passata,  all  Signor  Lelio 
Guidicionia.  In  den  Werken  des  Gr.  Bat.  Doni  (B.  II,  S.  249  u.  folg.)  ist  die 
Dissertation  aufgenommen.  Von  Valle  ist  auch  ein  zwölfstimmiges  Tantum  ergo 
bekannt  geworden.     Er  starb  am  20.  April  1652. 

Yalleriuh,  s.  W aller ius. 

Yallet,  Nicolas,  ein  berühmter  Lautenist  und  Componist  für  dies  Instru- 
men  ,  lebte  zu  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  zu  Paris.  1618  erschien  der  erste 
und  1619  der  zweite  Theil  eines  Lautenwerks,  welches  er  unter  folgendem  Titel 
zu  Amsterdam  herausgab:  »ie  Secret  des  Muses  auquel  est  naivement  jnontre  la 
vraie  maniere  de  hien  et  facilement  apprendre  ä  jouer  du  Luth  par  Yallet,  Lu- 
theniste  frangaisv.  (zwei  Theile  in  4°).  Das  Bildniss  des  Autors  befindet  sich 
vor  diesem  Werke.     Eine  frühere  Ausgabe  erschien  zu  Paris. 

Tallisuieri,  Antonio,  berühmter  Mediziner  und  Dr.  philos.,  geboren  am 
3.  Mai  1661  im  Schlosse  Tresilico  in  Carafagnana  im  Herzogthum  Modena,  stu- 
dirte  in  Bologna  und  wurde  dann  als  Professor  der  Medizin  an  die  Universität 
Padua  berufen.  Daselbst  starb  er  1730.  Er  war  Mitglied  fast  aller  Akademien 
Italiens.  Sein  Werk  y^Opere  fisico-medichea  (Venedig,  1733,  drei  Bände  in  Fol.) 
enthält  auch  Briefe,  die  Erhaltung  der  hohen  Stimme  und  andere  Eigenschaften 
der  Castraten  betreffend.  Ins  Französische  übertragen  sind  dieselben  unter 
dem  Titel:  nLettres  sur  la  voix  des  enujuesa  in  Bibliotheque  italique  No.  6  in 
Grenf  1730  zu  finden.  Die  Briefe  sind  an  Jacques  Vernet  in  Genf,  der  sie 
veranlasst  hatte,  gerichtet.     Sie  sind  auch  ins  Lateinische  übersetzt  worden. 

Tallo,  Dominico,  Neapolitaner,  anfänglich  Jurist,  betrieb  er  die  Musik 
nur  als  Liebhaberei,  bis  er  sie  zu  seinem  Beruf  machte.  Er  veröffentlichte  ein 
Lehrbuch  unter  dem  Titel:  nOompendio  elementare  di  musica  speculativo-pratiean 
(Neapel,  1804,  ein  Band  in  8'). 

Valotti,  Francesco  Antonio,  gelehrter  Musiker  und  Kirchencomponist, 
geboren  zu  Verceil  im  Piemontesischen  am  11.  Juni  1697.  Da  seine  Eltern 
arm  waren,  wurde  es  nur  durch  Mithülfe  seiner  Landsleute  ermöglicht,  dass  er 
ein  Seminar  besuchen  konnte.  In  der  Musik  zeichnete  er  sich  schon  hier  aus. 
Nachdem  er  das  Seminar  verlassen  hatte,  kam  er  nach  Chambery  in  das  Kloster 
der  Franziskaner,  wo  er  seine  Grelübde  ablegte.  Seine  theologischen  Studien 
setzte  er  hier  im  Kloster  Cuneo  und  dann  in  Mailand  fort;  die  Begabung  für 
die  Musik  überwog  jedoch  so,  dass  er  endlich  in  Padua  unter  Anleitung  des 
Pater  Calegari  Kapellmeister  an  der  Kathedrale  sich  ausschliesslich  dieser  Kunst 
weihte.  Er  erlernte  von  seinem  Lehrer  die  Theorie  nach  den  neueren  Prin- 
cipien,  die  er  auch  während  seiner  Laufbahn  beibehielt.  1728  hielt  er  sich 
eine  Zeit  lang  in  Rom  auf  und  übernahm,  nach  Padua  zurückgekehrt,  hier  das 
Amt  des  Organisten  an  der  Kirche  St.  Antonio,   derselben  Kirche,   an  welcher 


448  Valls  —  Valsalva. 

Tartini  als  Soloviolinist  wirkte.'    Nach  dem  Eücktritt  des  Kapellmeisters  Cale- 
gari    übernahm    er    auch    dieses  Amt,    das  er  bis  zu  seinem  Tode,   welcher  am 
16.  Januar  1780  in  seinem  83.  Jahre  erfolgte,    verwaltete.     Er  wurde  um  die 
Mitte  des   18.  Jahrhunderts  als  der  bedeutendste  Organist  Italiens,  als  welcher 
ihn  auch  Tartini  bezeichnete,  geschätzt.     Ebenso    genoss    er  eines  bedeutenden 
Kufes  als  Theoretiker  und  Kirchencomponist;    so    hat    er    auch    viele  treffliche 
Schüler    in    der  Composition    gebildet,    zu  denen  auch  der  Abt  Yogier  gehört. 
Er  selber  war  als   Componist  ungemein  thätig,  so  dass  Burney,    als  er  ihn  be- 
suchte,   zwei    grosse   Schränke    voll    Messen,  Psalmen,  Motetten,  Vespern,  auch 
die  Begräbnissmusik   für  Tartini  u.  s.  w.   vorfand.     Es    ist   aber   fast    alles  Ma- 
nuscript  geblieben.    Gedruckt  sind:  yResjjonsoria  in  Farasceve  4  vocihus  cantanda 
comitante    clavictmhalo    (Mainz,    Schott).     f>Sesponsoria    in    sahbato   sancio  idtin«. 
(ibid.).     i>Iiesponsoria  in   Coena  Domini   4  vocibus   mit   zwei  vierstimmigen  An- 
thems  von  Orlandus  Lassus«   (ebenda).    In  der  Bibliothek  des  Abbe  Santini  in 
Eom    befanden    sich    von    ihm  ausser  mehreren  vierstimmigen  Messen  mit  Or- 
chester: Ealve  Eegina  für  zwei  Chöre,  eine  Messe  für  zwei  Chöre  und  Orchester, 
ein  Dies  irae  für  vier  und  ein  Domine  ad  adjuvandum    für    vier  Stimmen,  der 
Psalm  Beatus  vir  für  vier  Stimmen  und  fugirt  und  ein   De  profundis   für  vier 
Stimmen.     Vielfach  beschäftigte  sich  auch   T.  mit  der  Theorie  der  Musik.    Die 
Ergebnisse  seines  Nachdenkens  begann  er  aber    erst  im  Alter  zur  Mittheilung 
bereit    zu    machen    und    so    gelangte  nur  ein  Band  zum  Druck:  y^Della  scienza 
teorica  e  pratica  della  moderna  mtisica,  libro  primoa    (in  Padova,    appresso  (jio- 
vanni  Manfre,  1779,  ein  Band  in  4",  167  Seiten  und  7  Platten.    Eine  Analyse 
des  Systems    von   V.    giebt   Eetis    in    seinem    Buche:   y>JEsquisse  de  VMstoire  de 
riiarmoniea  (Paris,   1840,  in  8*^,  pog.  138 — 142),    ferner  in:    y>Traite  comflet  de 
VTiarmonie<i    (Paris,  Brandus,  1844,    ein  vol.  grand  in  8^  4°^«  partie).     Obwohl 
dies   System    keine    Anhänger  in  Italien  finden  konnte,  so  hat  doch  Sabbatini, 
Schüler    von  Valotti    und    Nachfolger    im  Amte,    einen   praktischen  Ueberblick 
desselben    gewährt    in    seinem    Buche:    »ia    vera    idea  delle  musicale  numericlie 
segnatureti.    Ferner  eine  Anzahl  Beispiele  der  Fugenbearbeitung  nach  der  Lehre 
seines  Meisters  in  dem  Buche:    »Trattato  sopra  le  fughe  musicali  di  Fra  Luigt 
Ant.  Sabhatini  M.  O.  Corredaio  di  copiosi  saggi  del  suo  antecessore  Padre  Fran- 
cesco Antonio    Vallotti«.     Zwei    Schriften    von    P.  Fanzago,    Valotti    betreffend, 
seien  noch  genannt:    rtOrazione  ne  funerali  di  H.  JP.  Franc.  Ant.    Valotti«.  (Pa- 
dua,   1780,  in  4")  und  y>FIogi  di  Tartini,  Valotti  e  Gozzi«   (Padua,  1780,  in  4°). 

Yalls,  Francisco,  Priester  und  Kapellmeister  der  Kathedrale  in  Barce- 
lona zu  Anfang  des  18.  Jahrhunderts,  wurde  gegen  1665  geboren  und  starb 
zu  Barcelona  1743.  Eine  grosse  Anzahl  kirchlicher  Compositionen  von  V. 
sind  in  den  Kirchen  Spaniens  verstreut.  Auch  hat  er  ein  didaktisches  "Werk 
geschrieben:  y>Mapa  armonica«,  welches,  wie  M.  Eslava  sagt,  von  lernbegierigen 
Musikern  aus  Hand  in  Hand  ging,  woraus  auch  gleichzeitig  der  Schluss  zu 
ziehen  sein  dürfte,  dass  es  Manuscript  geblieben  ist.  Ferner  kennt  man  von 
ihm:  •s>Itespuesta  a  la  censura  de  D.  Joachim  Martinez,  Organista  de  Falencia<i 
(Barcelona,   1717),  jedenfalls  eine  von  ihm  componirte  Messe  betreffend. 

Yalor  notarum  —  die  Geltung  der  Noten;  in  der  Mensuraltheorie  des 
Mittelalters  diejenige  Notengattung,  welche  bei  der  Ausführung  eines  Tonstücks 
als  Maass  angenommen  wurde,  um  damit  den  Zeitwerth  der  übrigen  und  somit 
die  Bewegung  des   Ganzen  zu  bestimmen   (s.  Mensuralmusik). 

Talsalva,  Antonio  Maria,  berühmter  Arzt,  geboren  zu  Imola  am  17. 
Januar  1660,  war  ein  Schüler  des  Malpighi.  Er  lehrte  an  der  Universität 
Bologna  Anatomie  und  starb  daselbst  am  2.  Februar  1723.  Er  wandte  der 
Anatomie  der  Gehörorgane  eine  besondere  Aufmerksamkeit  zu  und  verfasste 
demgemäss  folgendes  ausgezeichnete  Buch:  y>De  aure  Jiumana  tractatus,  in  quo 
integra  ejusdem  auris  fabrica  multis  novis,  inventis  et  iconilus  suis  illusirata, 
describiinr  omniumque  ejus  partium  usus  indagatur,  etc.«  (Bologna,  1704  in  4  ). 
Es  erschienen  von  diesem  "Werke   verschiedene  Ausgaben;    als    die    letzte    gilt: 


Valso  —  Van  den  Broeck.  449 

»  Viri  celeherrimi  Antonii  Mariae  Valsalvae  opera,  lioc  est  tractatus  de  aure  liu- 
manaa.  (Yenetiis,  1740,  zwei  Bände  in  4°  mit  Figuren). 

Yalse,  s.  Walzer. 

Vau  Boom,  Johann  E.  G.,  Flötenvirtuose,  ist  zu  Utreclit  am  17.  April 
1783  geboren.  Hier,  später  in  Amsterdam,  verfolgte  er  seine  musikalische 
Ausbildung  und  erhielt,  22  Jahre  olt,  die  Ernennung  zum  Soloflötisten  des 
Königs  von  Holland,  Louis  Napoleon.  Von  Compositionen  für  sein  Instrument, 
das  er  ausgezeichnet  zu  behandeln  verstand,  sind  folgende  im  Druck  erschienen; 
y)Sonate  pour  flute  et  pia)io<i,  op.  1  (Amsterdam,  Steup).  »Andante  varie  pour 
flute  et  orchestera,  op.  4.  y>Theme  original  varie  pour  la  flute  avec  q^uatuor<i, 
op.  5.  Eine  Anzahl  Duos  für  zwei  Flöten.  Drei  Trios  für  zwei  Flöten  und 
Guitarre.     Variirte  Arien  für  Flöte  und  Piano. 

Van  Boom,  Johann,  Pianist,  gehört  zu  derselben  Familie  wie  der  vorige 
und  ist  ebenfalls  zu  Utrecht  am  15,  October  1807  geboren.  Als  Clavierspieler 
und  Componist  hat  er  sich  in  seinem  Yaterlande  Ruf  erworben.  Er  Hess  sich 
gegen  1840  in  Stockholm  nieder  und  brachte  dort  eine  dreiaktige  Oper:  -aNecJcen 
op  het  elven  speeh  zur  Aufführung.  Der  ursprünglich  in  holländischer  Sprache 
geschriebene  Text  wurde  ins  Schwedische  übertragen.  Jenny  Lind  sang  die 
Hauptpartie.  Yan  Boom  wurde  Mitglied  der  königl.  Akademie  in  Stockholm, 
erhielt  den  Wasa-Orden,  den  dänischen  Danebrog-Orden  und  andere.  Zu  seinen 
gedruckten  Compositionen  gehören:  «Orand  concerto  pour  piano  et  orchestre»-, 
op.  24.  y>Grand  quatuor  pour  piano,  violon,  alto  et  violoncelloa,  op.  6.  »Trio 
pour  pjiano,  violon  et  violoncelle<i ,  op.  14.  -alntroduction  et  variations  sur  un 
theme  originah,  op.  7.  -»Beautes  musicales  de  la  Scandinavie«,  neun  Fantasien 
über  schwedische  Arien,     »ie  Salona,  Clavier-Etude,  op.  45. 

Tau  Buggeuhout,  Emil,  Clarinettist  und  Componist,  geboren  zu  Brüssel 
1825,  wurde  auf  dem  Conservatorium  seiner  Yaterstadt  gebildet  und  war  in 
der  Composition  ein  Schüler  von  Fetis.  Nachdem  er  als  Solo-Clarinettist  in 
der  Kapelle  des  Königs  thätig  gewesen  war,  nahm  er  eine  Stelle  als  Musik- 
direktor der  Philharmonischen  Gesellschaft  zu  Arlon  (Provinz  Luxemburg)  an. 
Zu  seinen  Compositionen  gehören:  f>Marguerite<s~,  Oper  in  drei  Akten;  Cantate: 
»Der  fünfundzwanzigste  Geburtstag«,  aufgeführt  1856,  wofür  er  die  goldene 
Medaille  erhielt;  gegen  hundert  Concertpiecen  für  grosses  Orchester  oder  für 
Blasinstrumente,  von  denen  einige  {y-InTcermannn  —  •oBuioardn)  in  ganz  Belgien 
gespielt  wurden;  Männergesangscompositionen.  Im  Jahre  1852  gab  er  ein 
Journal  für  Harmoniemusik  y>Metro7iome<s.  heraus. 

Vau  den  Acker,  Johann,  Yiolinist,  geboren  gegen  1828  zu  Antwerpen, 
schrieb  drei  Opern,  deren  Texte  in  flämischer  Sprache  von  Destanberg  verfasst 
sind.  Diese  Opern  wurden  in  Antwerpen  im  Nationael-Tonneel  1856  und  1857 
aufgeführt.  Sie  heissen:  y^Een  avontuer  van  Keiser  KareU;  »De  zinnelooze  Van 
Ostadea;  i>Jacoh  Sellamya, 

Van  den  Broeck,  Othon,  Yirtuose  auf  dem  Hörn,  ist  holländischer  Abkunft 
und  in  Ypern  in  Flandern  1759  geboren.  Er  erhielt  von  früh  an  Musik- 
unterricht im  Hornblasen,  wofür  er  Anlagen  zeigte,  von  Banneux,  dem  ersten 
Hornisten  der  Kapelle  des  Prinzen  Carl  von  Lothringen,  dann  in  Haag  von 
Spandeau,  ersten  Hornbläser  der  Kapelle  des  Prinzen  von  Oranien.  Musik- 
direktor Fuchs  und  ein  deutscher  Musiker  zu  Amsterdam,  Namens  Schmidt, 
unterwiesen  ihn  in  der  Composition.  1788  kam  Yan  den  Broeck  nach  Paris, 
wo  er  sich  mit  vielem  Beifall  hören  Hess.  Die  Opern,  die  er  hier  schrieb, 
gelangten  auch  zur  Aufführung:  »ia  B,essemlla7ice  supposeev,  y>Colinet  Colettea, 
T>Le  Codicillen  und  eine  ganze  Beihe  anderer.  Yan  den  Broeck  war  1789  erst 
am  Thetitre  de  Monsieur,  dann  an  die  grosse  Oper  ins  Orchester  eingetreten, 
wo  er  big  1816  thätig  war.  Bei  Gründung  des  Conservatoriums  wurde  er  als 
Lehrer  an  dasselbe  berufen  und  behielt  seine  Stellung  auch  nach  der  Reor- 
ganisation bei.  Er  starb  in  Passy  1832.  Instrumentalcompositionen  sind  folgende 
gedruckt:  »SgmpJionie  concertante  pour  deux  cors<i  (Paris,  Nadermann).    i>Deuxieme 

Musikal.  Convers.-Lexikon.    X.  -" 


450  Van  den  Gh.eyn  —  Vander  Does. 

idem,  pour  clarinette,  cor  et  hassona  (ibid.).  ^Premier  concerto  pour  clarinettei 
(ibid.).  i>Gon,certos  pour  cor  No.  1  et  2  (ibid.).  »Trois  duos  concertants  pour 
clarinette  et  cora  (Paris,  Hentz).  »Trois  quatuors  pour  cor,  violon,  alto  et  hasse«. 
(Paris,  Leduc).  's>Duos  pour  deux  cor^<i,  op.  1  et  2  (Paris,  Nadermann).  r>Six 
quatuors  pour  flute,  violon,  alto  et  hassen.  (Paris,  Graveaux),  Ferner:  y^Methode 
de  cor  avec  laquelle  on  peut  apprendre  et  connattre  parfaitement  Vetendue  de  cet 
instrumenta  (Pai'is,  Naderraanu).  y>Traite  general  de  tous  les  insfruments  ä  vent, 
a  Vusage  des  compositeursa  (ibid.). 

Tan  dea  Gheyu,  Matthias,  der  berühmteste  Organist  und  Glockenspieler 
Belgiens  im  XVIII.  Jahrhundert  (s.  M.  X.  van  Elewyk,  «Matthias  van  den 
Gheyn,  der  grösste  Organist  u.  s.  w.«  [Löwen,  Gh.  Peeters,  1862,  in  8°,  79  S.]), 
auch  Componist,  ist  am  7.  April  1721  zu  Toilemont  in  Brabant  geboren.  Sein 
\  ater  Andre  van  den  Ghejm,  geboren  zu  St.  Trond,  war  Glockengiesser,  deren 
desselben  Geschlechts  und  Namens  im  Reiche  bis  zur  Mitte  des  15.  Jahrhun- 
derts bekannt  sind.  Der  Yater  des  Matthias  Hess  sich  1725  in  Löwen  nieder, 
wo  er  sein  Kunstgewerbe  betrieb,  und  in  dieser  Stadt  erhielt  der  Sohn  seine 
musikalische  Ausbildung.  Es  ist  nicht  bekannt,  welche  seine  Lehrer  waren, 
doch  kann  man  mit  seinem  Biographen  van  Elewyk  annehmen,  dass  es  Abbe 
!ßaik,  sein  Vorgänger  im  Amt  gewesen  sei.  Als  der  letztere  1741  seine  Stelle 
als  Organist  an  St.  Pierre  verliess,  um  eine  ähnliche  in  Gent  anzunehmen, 
erhielt  sie  van  den  Gheyn,  der  damals  20  Jahre  alt  war.  1745  war  auch  die 
Stelle  des  Glockenspielers  frei,  um  welche  ein  Probespielen  stattfand,  in  welchem 
er  siegreich  auch  diese  Stelle  errang.  In  demselben  Jahre  schloss  er  seine 
Ehe  mit  Marie  Catharine  Lints,  die  mit  17  Kindern  gesegnet  wurde.  Der 
Ruf  seiner  Geschicklichkeit  als  Organist  war  bald  nach  seinem  Amtsantritt 
weit  verbreitet,  nicht  minder  der  als  Glockenspieler.  Es  wird  gesagt,  dass  wenn 
er  Sonntags,  wie  er  zu  thun  pflegte,  eine  halbe  Stunde  improvisirte,  die  Ein- 
wohner Löwens  den  Platz  um  die  Kirche  und  die  angrenzenden  Strassen  dicht- 
gedrängt umgaben,  um  seinem  reizvollen  Spiele  zuzuhören.  Die  in  Löwen 
noch  vorhandenen  Abschriften  von  Präludien  seiner  Comj)osition  für  das  Glocken- 
spiel enthalten  beträchtliche  Schwierigkeiten,  zeugen  aber  von  gutem  Geschmack. 
M.  van  Elewyk,  sein  Biograph,  hat  nach  eifrigen  Nachforschungen  eine  grosse 
Anzahl  von  Compositionen  von  van  -Gheyn  aufgefunden,  worunter  manches 
Verdienstliche  sich  befindet,  von  welchem  aber  nur  ein  kleiner  Theil  im  Druck 
erschien,  die  grössere  Menge  dagegen  Manuscript  verblieb.  Von  den  Präludien, 
Fugen,  Rondos  befindet  sich  zur  Zeit  eine  Sammlung  in  der  Bibliothek  des 
Conservatoriums  zu  Brüssel.  Eine  Abhandlung:  y^Traite  d'harmonie  et  de  com- 
positionv.  in  flämischer  Sprache  mit  dem  Datum  1783  gehört  zu  den  hinter- 
lassenen  Manuscripten.  Die  gedruckten  Werke  haben  den  Titel:  y>Fondemeiits 
de  la  hasse  continue,  avec  les  expUcatio7is  en  frangais  et  en  flamand,  deux  legons 
et  douze  petites  sonates  fort  utiles  aux  disciples  pour  apprendre  ä  accompagner  la 
hasse  continue,  composes  par  Mattliias  Vanden  Gheyn,  organiste  de  Veglise  colle- 
giale  de  Saint- Pierre  ä  Louvain.  Grave  ä  Louvain  par  M.  Wyherechts.«.  Der 
Titel  der  Sonaten  ist:  n XII  petites  sonates  pour  Vorgue  ou  le  clavecin  et  violon, 
fort  utile  pour  en  suitte  des  preditte  regles  venire  ä  la  pratique  ou  iisance  de 
Taccompaignement  de  la  hasse  conti7iue  par  etc.«.  Der  Titel  der  Ciavierstücke: 
•t>Six  divertissements  pour  clavecin,  composes  par  Matthias  Van  den  Gheyn,  orga- 
niste de  Veglise  colUgiale  de  Saint-Pierre,  ä  Louvaina  (London,  Welcker,  Gerrard 
Street  St.  Anns).  Gheyn  starb  nach  vierzigjähriger  Amtsthätigkeit  am  22. 
Juni   1783. 

Vauder  Borght,  Natalis  Christian,  Organist  und  Glockenspieler  der 
Abtei  St.  Gertrud  zu  Löwen,  in  derselben  Stadt  am  15.  Septbr.  1729  geboren 
und  am  14.  Novbr.  1785  gestorben,  hinterliess:  y>Six  suites  pour  le  clavecina, 
op.  1   (Löwen,  Wyberechts).    y^Six  suites,  idem«,  op.  2   (Löwen,  J.  F.  Maswiens), 

Tauder  Does,  Carl,  Pianist  und  Componist,  geboren  zu  Amsterdam  am 
6.    März    1821,    begann    seine    Musikstudien    in    seiner    Vaterstadt    und    setzte 


Vander  Doodt  —  Vander  Monde.  451 

diese  in  Biberich  unter  ßummel,  Kaj)ellmeister  des  Herzogs  von  Nassau,  fort. 
Nach  Holland  zurückgekehrt  wurde  er  alsbald  zum  Hofpianisten  des  Königs 
und  der  Königin-Mutter  ernannt.  Er  wendete  sich  nachdem  der  dramatischen 
Comj)osition  zu  und  hat  mehrere  Opern    in  Haag  zur  Aufführung  gebracht. 

Tauder  Doodt,  Johann  Ba^Dtist,  Organist  und  Professor  der  Harmonie- 
lehre, geboren  zu  Anderlecht  bei  Brüssel  1830,  wurde  im  Conservatorium  der 
letzteren  Stadt  gebildet.  Er  gab  eine  Harmonielehre  zum  Gebrauche  des  Or- 
ganisten in  flämischer  Sprache  heraus:  »Harmonieleer,  ten  gehruike  der  Organisten 
en  die  zieh  op  de  composlüa  toeleggen  zamengesteldv.  (Brüssel,  1852,  ein  Band 
gross  in  8°). 

Tauder  Hagren,  Amand  Jean  Frangois  Joseph,   Clarinettist,  Sohn  eines 
Organisten,  der  aus  Hamburg  stammte  und  in  E,ottei'dam,  später  in  Antwerpen 
lebte,  wo  sein  Sohn  A.   1753  geboren  wurde.     Dieser  wurde  im  zehnten  Jahre 
als  Chorknabe  in  die  Musik  eingeführt,  erhielt  sodann  von  seinem  Onkel  Van- 
der Hagen,  Hautboist  in  Brüssel  in  der  Kapelle  des  Prinzen  Carl  von  Lothringen, 
und    von    van  Malder    weiteren    Unterricht.     Er    machte    sich    sehr  bald  durch 
Composition  von  Märschen  vortheilhaft  bekannt  und  erlangte  in  der  Folge  eine 
solche  Fertigkeit,  dass  hunderte  seiner  Comjjositionen  meist  für  Harmoniemusik 
in    Paris    gedruckt    wurden.     Vander  Hagen    war    1785  nach  Paris  gekommen 
und  trat  als  erster  Clarinettist   in    das  Musikchor  der  Garden.     Nach  der  Re- 
volution gehörte  er  zu  den  45  Musikern,  die   Sarrete  (s.  d.  Art.)  um   sich  ver- 
sammelte.    Unter  dem  Consul  war  Vander  Hagen   Chef  der  Musik  der  kaiser- 
lichen Garden    und    erhielt  1807   den   Orden  der  Ehrenlegion.     Nach  dem  Fall 
des    Kaiserreichs    trat    er    als    Clarinettist    ins   Theater  Feydeau.     Er  starb   zu 
Paris   1822.     Seine    Schulen   für  Flöte,  Clarinette    und    Oboe    haben    folgenden 
Titel:    y>Methode  claire  et  facile  pour  apprendre  ä  joiir  en  tres-peu  de  temps  de 
la  ßätea    (Paris,  Pleyel).     Die    zweite    überarbeitete  Auflage    führt    den  Titel: 
y>Noicvelle    methode    de   flute  divisee  en  deux  parties,    contenant  tout  les  principes 
concernant    eet    instrumenta.    (Paris,    Pleyel).     Die    dritte    Ausgabe:    y>Grande  et 
derniere    methode    de   fliitei.    (Paris,  Janet).     Ferner:    y>Methode   nouvelle  et  rai- 
sonnee  pour  le  kauthois,  divisee  en  deux  partiesa  (Paris,  Nadermann).    nNouvelle 
methode  de  clarinette,  contenant  les  premiers  elements   de  la  musique  et  les  prin- 
cipes pour  hien  jouer  de  cet  instrument  (Paris,  Pleyel).     -aNouvelle  methode  pour 
la  clarinette  moderne  ä  douze  clefs,  avec  leur  application  aux  notes  essentielles  etc.di 
(Paris,    Pleyel    et    Nadermann).     Zu  seinen  Compositionen,  die  vorwiegend  bei 
Pleyel,  Sieber,  Leduc,  Janet  erschienen,    gehören  Concerte    für  die  Flöte,  acht- 
undzwanzig   Duos    für    die  Flöte;    Concerte  für  die   Clarinette;    achtzehn  Duos 
für  die  Clarinette;    vierzig  Fanfaren    für   vier  Trompeten    und  Timbal;    y>Smtes 
d'harmonie  militaire  ä  dix  parties«,  op.   14,  17,   20,  21;  liDeux  suites  de  pas  re- 
douhlesn;   Grande  Symphonie  militaire«  u.  s.  w. 

Vauder  Meulen,  Servals,  flämischer  Musiker,  lebte  in  der  zweiten  Hälfte 
des  16.  Jahrhunderts;  er  ist  nur  bekannt  durch  die  Herausgabe  einer  Samm- 
lung flämischer  mehrstimmiger  Gesänge:  r>JEen  duytsch  Musijbock  daer  inne  he- 
grepen  sijn  vele  shoo7ie  Liedehens  met  IUI  met  V  ende  met  VI  partyen.  Nunie- 
welyk  met  groote  neersticheyt  ghecolligaert  ende  vergaert.  Gecomponaerf  by  diversche 
excellente  meesters.  Zeer  lustich  om  singhen  ende  speien  op  alle  instrumenten« 
(tot  Löwen,  by  Peeter  Phalesius,  ende  Tantwerpen,  by  Jean  Bellerus,  1572, 
in  4''  obl.).  Es  sind  in  dieser  Sammlung  ausser  Stücken  von  Vander  Meulen 
solche  von  Winterberg,  Clemens  non  Papa,  Jean  de  Latre,  Gerh.  Turnhout, 
Adrien  Stockaei't  Leveque,   Jean  Belle,  Lupus  Hellink  u.  a.  enthalten. 

Vander  Monde,  gelehrter  Geometer,  geboren  zu  Paris  1735,  wurde  1795 
bei  der  Gründung  der  Akademie  der  Wissenschaften  Mitglied  der  physikalischen 
und  mathematischen  Klassen;  er  starb  am  1.  Januar  1796  zu  Paris.  1778  las 
er  in  der  Akademie:  »»S'«r  lon  nouveau  Systeme  d'harmonie  applicable  ä  Vetat  actuel 
de  la  musique«  (gedruckt  acht  Seiten  in  4°).  Vander  Monde  verfasste  und  las 
am    15,  Novbr,   1786    ein    zweites    Memoire    über    diesen    Gegenstand,    welches 

29* 


452  Vander  Planckeu  —  Vander  Straetten. 

i 
ebenfalls  gedruckt,,  aber  wie  das  erste  nur  in  kleiner  Anzabl  von  Exemplaren 
abgezogen  wurde;  es  enthält  achtzehn  Seiten  Text  und  vier  Seiten  Beispiele 
von  Harmoniefolgen.  Das  System  wurde  von  Abbe  Eossier,  nicht  in  allen 
Stücken  mit  B,echt,  hart  angegriffen,  ebenso  von  La  Borde,  welcher  sich  weit- 
läufig über  die  Abhandlung  auslässt  (y>^ssai  sur  la  7nusique(.(,  t.  III  p.   690). 

y ander  Plaucken,  Charles,  talentvoller  Violinist  und  Clarinettist,  ist  zu 
Brüssel  am  22.  October  1772  geboren.  Unter  Eugene  Godecharle's  Leitung 
entwickelte  sich  das  bedeutende  Talent  Vander  Plancken's  in  aussergewöhnlicher 
"Weise.  Als  ihn  Viotti  spielen  hörte,  beglückwünschte  er  ihn  und  hat,  so  oft 
er  später  Brüssel  berührte,  mit  ihm  musicirt.  Vander  Plancken  trat  1797  als 
Solo-Violinist  ins  Theaterorchester  der  grossen  Oper  in  Brüssel  und  wurde  zum 
Solo-Violinist  des  Königs  Wilhelm  von  Oranien  ernannt.  Er  erwies  sich  auch 
als  intelligenter  Orchesterdirigent  und  war  ein  ausgezeichneter  Lehrmeister  für 
die  Violine.  Zu  seinen  Schülern  gehören:  Meerts,  Bobberechts,  Snel  u.  a. 
Mehrere  Violin-  und  Clarinetten-Concerte  blieben  Manuscript.  Einige  Jahre 
vor  seinem  Tode  hatte  er  das  Unglück,  bei  einem  Ealle  ein  Bein  zu  brechen 
und  eine  Amputation  überstehen  zu  müssen.    Er  starb  in  Brüssel  im  Januar  1849. 

Tander  Straetten,  Edmond,  ist  zu  Audenarde  in  Flandern  am  3.  December 
1826  geboren  und  besuchte  in  seiner  Vaterstadt  das  College  der  Jesuiten,  deren 
Kleid  er  sogar  eine  Zeit  lang  trug.  In  diesem  Institut  erhielt  er  auch  den 
ersten  Musikunterricht.  Nachdem  er  dasselbe  verlassen,  machte  er  in  Gent 
einen  Cursus  der  Philosophie  und  schönen  Wissenschaften  durch  und  kehrte 
dann  nach  Audenarde  zurück.  Hier  beschäftigte  er  sich  auf  eigene  Hand  mit 
Musikstudien  und  machte  die  ersten  Compositionsversuche.  Daneben  unternahm 
er  historisch-biographische  Forschungen,  ein  Gebiet,  auf  dem  er  sich  auch  später 
bewegte,  jedoch  nicht  ausschliesslich  in  Bezug  auf  Musik  oder  Musiker.  Die 
zuerst  veröffentlichten  Ergebnisse  dieser  seiner  Thätigkeit  sind:  r>jSfofice  sur 
Charles-Felix  de  Hollandre,  compositeur  de  mtisique  sacreea  (Gand,  De  Busscher, 
1854,  in  8").  y>Notice  sur  les  carillons  d"  Audenarde<i  (Gand,  De  Busscher,  1855, 
in  8°)  und:  ytRecTierehes  sur  la  musique  ä  Audenarde  avant  le  XZX  sieclea 
(Anvers,  Buschmann,  1856,  in  8").  Im  Jahre  1857  verliess  Vander  Straetten 
seine  Vaterstadt  und  kam  nach  Brüssel,  wo  er  Fetis  aufsuchte,  von  diesem 
Unterricht  im  Contrapunkt  erhielt  und  als  Secretär  von  demselben  angenommen 
wurde,  in  welcher  Stellung  er  ungefähr  zwei  und  ein  halb  Jahr  verweilte.  Er 
besuchte  auch  während  dieser  Zeit  die  Lehrstunden  in  der  Composition  des 
Professors  am  Conservatorium,  Bosselet.  Später  erhielt  Vander  Straetten  eine 
Anstellung  in  den  königlichen  Archiven,  redigirte  eine  Zeit  lang  das  Journal 
»ie  Nordv.  und  war  vom  Jahre  1859  bis  1872  damit  betraut,  das  musikalische 
Feuilleton  des  r>JEc}io  du  Parlament  helgea  zu  redigiren.  Von  seinen  Arbeiten 
auf  dem  bezeichneten  musikalischen  Gebiete  sind  noch  anzuführen:  y> Jacques 
de  Goiiy,  chanoine  d'Emhrun,  Nachrichten  über  Leben  und  Werke  dieses  Musikers« 
(Antwerpen,  1863,  Buschmann,  in  8°).  nJean  Frangois  Joseph  Janssens,  compositeur 
de  Musiquevi  (Bruxelles,  Sannes,  1866,  in  12").  y>Maitres  de  chant  et  organistes 
de  Saint- Donatien  et  de  Saint-Sauveur  ä  Bruges,  1365 — 1796«  (Bruges,  Vande 
Casteele-Werbrouk,  1870,  in  S'*).  »ia  Musique  au  Pays-Bas  avant  le  XIX  sieden 
(Bruxelles,  Muquardt,  1867,  in  8").  Vol.  I,  Van  Tright,  1872;  Vol.  II  et  IIL 
»Ze  Theätre  Villageois  en  Flandrea  (Bruxelles,  Classen,  1874,  in  8").  ».De  noordsche 
Balck  (instrument  ä  cordes)  du  musee  communal  d'Ypresu.  (Ypres,  la  Fonteyne, 
1868,  in  8",  mit  einer  Tafel.  Compositionen:  »Xe  Proscritu,  lyrisches  Drama 
in  drei  Akten,  1849.  »ie  roi  Benea,  dasselbe  in  einem  Akt,  1862.  •nPhilipipe 
van  Arteveldev,  lyrische  Scene,  vier  Stimmen,  1832.  »Salve  Begina«,  vier  Stimmen. 
rtLitanie  delle  Verginea,  vier  Stimmen,  1849.  »Te  deuma,  vier  Stimmen,  1856. 
»Jt?  principio  erat  verhum  per  voci  a  Vunisonoa,  1867.  »Natalea  für  Sopran  und 
Chor,  1869.  nMesse  di  S.  Cecilia«,  vier  Stimmen.  uTre  litanie  della  Vergine», 
Solo  und  Chor.  y>Tre  Natali»  für  Sopran  und  Chor.  -aTantum  ergoi  für  vier 
Stimmen,    1855.     »Panis  aiigelicusa    für   drei  Sojprane,   Contra-Alt,  Bass,  1855. 


Van  Elewyck  —  Van  Geeraerdsberghe.  453 

KÄdoro  tev,  Basssolo,  1849.  y>Inter  munäi  frocellasn,  Basssolo,  1855.  Einige 
Gesänge  mit  Ciavierbegleitung.  Yander  Straetten  ist  Mitglied  vieler  gelehrten 
Gesellschaften  und  Akademien.  Er  machte  zu  wissenschaftlichen  Zwecken  weite 
Reisen  in  Italien  und  lebt  zur  Zeit  in  Dijon. 

Tau  Elewyck,  Xaver,  belgischer  Componist  und  Musikgelehrter,  wurde 
1825  in  der  Vorstadt  Ixelles  bei  Brüssel  geboren;  seine  musikalische  Erziehung 
begann  in  früher  Kindheit,  und  wurde  so  erfolgreich  betrieben,  dass  er  sich 
schon  im  Alter  von  sieben  Jahren  in  einem  Concert  der  Harmonie-Gesellschaft 
zu  Ixelles  als  Pianist  hören  lassen  konnte.  In  der  Folge  erhielt  er  auch  Unter- 
richt auf  der  Geige,  in  der  Hai*monie  und  in  der  Composition,  letzteren  von 
einem  Jesuitenpater  Namens  Gimeno.  Nachdem  er  sich  sodann  zu  Brüssel  auf 
das  Studium  der  Philosophie  vorbereitet  hatte,  setzte  er  dasselbe  an  der  Uni- 
versität Löwen  mit  solchem  Eifer  fort,  dass  er  nach  zurückgelegtem  neunzehnten 
Jahre  die  nöthigen  Examina  mit  Ehren  bestehen  konnte.  Zu  derselben  Zeit 
übernahm  er  die  Leitung  dgr  ersten  Gesangsabtheilung  an  der  Löwener  Aka- 
demie der  Musik,  und  veröffentlichte  er  seine  ersten  Clavier-Compositionen, 
darunter  die  Phantasie  »Xe  tournoiv.  (Gent  bei  Gevaert).  Später  wandte  er  sich 
der  Kirchenmusik  zu:  ein  -nAve  verumvi,  Antiphonie  mit  grossem  Orchester,  ein 
^Äve  maris  Stella«  dessen  Strophen  abwechselnd  im  alten  Stil  mit  Orgelbegleitung 
und  im  modernen  mit  Begleitung  aller  Instrumente  auszuführen  sind;  ein 
DTanfum  ergo«  als  Theil  eines  grösseren  Werkes  bei  obengenanntem  Verleger 
erschienen,  sind  vollgültige  Beweise  seiner  Fähigkeit  auch   auf  diesem   Gebiete. 

Die  fernere  musikalische  Thätigkeit  Elewyck's  hat  zur  Hebung  des  Kunst- 
sinnes der  Stadt  Löwen,  wo  er  seinen  festen  Wohnsitz  nahm,  in  wirksamster 
Weise  beigetragen;  zuerst  wurde  er  Sekretär,  dann  Präsident  der  Musik- Akademie 
dieser  Stadt,  endlich  auch  Begründer  der  Musik- Gesellschaft  »Sainte  Gecile«; 
daneben  ist  er  Mitglied  der  Jury  bei  den  Orgelprüfungen  des  Brüsseler  Con- 
servatoriums  und  fungirt  bei  fast  allen  musikalischen  Preisbewerbungen  in 
Belgien  unter  den  Richtern.  Schon  seit  einer  Reihe  von  Jahren  hat  E.  die 
Thätigkeit  des  Theoretikers  mit  der  des  ausübenden  Künstlers  zu  verbinden 
gewusst.  Unter  seinen  schriftstellerischen  Arbeiten,  die  Frucht  ernster  Studien 
auf  dem  Gebiet  der  Geschichte  und  Aesthetik  der  Musik,  namentlich  der  kirch- 
lichen, ist  die  früheste  eine  »Geschichte  der  Orsfel«,  welche  in  einem  Löwener 
Blatte  liLes  petites  affiches«  erschien.  Eine  Anzahl  kleinerer  Aufsätze  musika- 
lischen Inhalts  erschienen  in  andern  belgischen  Zeitschriften.  Im  Jahr  1860 
vertrat  E.  die  sechs  Diöcesen  Belgiens  bei  einem  zu  Paris  abgehaltenen  Congress 
zum  Zweck  der  Erhaltung  und  Förderung  der  Kirchenmusik,  wo  er  einen  Vor- 
trag über  den  Zustand  der  kirchlichen  Tonkunst  in  seinem  Vaterlande  hielt, 
veröffentlicht  in  den  Berichten  des  Congresses,  sowie  im  Separatabdruck  unter 
dem  Titel:  y>Discours  siir  la  musique  religieuse  en  Belgique«  (Löwen,  1861).  In 
demselben  Congress,  zu  welchem  sich  an  zweihundert  Musikkundige  aus  Frank- 
reich. Deutschland  und  England  versammelt  hatten,  bekämpfte  er  eifrig  den 
Antrag,  die  Instrumentalmusik  aus  der  Kirche  zu  verbannen  und  setzte  seine 
Nicht-Annahme  durch  —  eine  That,  welche  ihm  bei  seiner  Rückkehr  nach 
Belgien  den  Dank  der  Bischöfe,  der  königlichen  Familie  und  der  Regierung 
eintrug.  Eine  wichtige  Arbeit  hat  ihn  während  der  letzten  Jahre  beschäftigt: 
eine  Geschichte  der  Kirckenmusik  im  19.  Jahrhundert,  zu  deren  Darstellung 
er  durch  seinen  Forscherfleiss  und  seine  ausgebreiteten  Kenntnisse  besonders 
berufen  scheint.  Diese  Eigenschaften  zeigt  auch  eine  1862  von  ihm  veröffent- 
Abhandlung:  -nMatthias  van  den  Qheyn,  le  plus  grand  organiste  et  carillonneur 
helge  du  dix-huitieme  siede,  et  les  celehres  fondeurs  de  cloches  de  ce  nom  depuis 
1450  jusqii'ä  nos  jours«  (Paris,  Brüssel  und  Löwen),  in  welcher  man  eine  Menge 
interessanter  Mittheilungen  sowohl  über  den  Hauptgegenstand  der  Schrift  wie 
auch  über  manche  mit  ihm  verknüpfte  Nebenumstände  erhält. 

Van  Geeraerdsberghe,  Johann,  einer  der  ältesten  Orgelbauer  Belgiens, 
lebte   Mitte   des    15.  Jahrhunderts.     1458    erneuerte   er   die  Orgel  im  Hospital 


454  ^^^°  -^^^^  "~  ^'anneo. 

Notre-Dame    in     Audenarde,    wie    aus    alten    Eeciiniingen    der     Stadt    zu    er- 
sehen ist. 

Tau  Hall,  s.  Wanhall. 

Yan  Hecke,  auch  Van  eck,  Lehrer  des  Guitarrenspiels  und  Gesanges  zu 
Paris  gegen  1780,  erfand  ein  Instrument,  welches  er  Bissex  nannte  und  auf 
welchem  er  gleichfalls  Unterricht  ertheilte,  auch  eine  Methode  dafür  schrieb. 
Dies  Instrument  ist  ebenfalls  eine  Art  Guitarre,  aber  mit  zwölf  Saiten  be- 
spannt, weshalb  es  auch  Zwölfsaiter  genannt  wurde.  Der  Boden  gleicht  dem 
der  Guitarre,  das  Gewölbe  mehr  dem  der  Laute.  Das  Griffbrett  ist  kurz  aber 
breit  und  enthält  zwanzig  Griffe  bis  zum  Stege.  Fünf  Saiten  liegen  auf  dem 
Griffbrett,  die  übrigen,  tieferen  ausser  demselben.  Der  vollständige  Umfang 
umfasst  fünf  Octaven.  Das  Instrument  wurde  von  Nadermann  (s.  d.  Art.) 
construirt,  hatte  aber  keinen  dauernden  Erfolg.  Von  Van  Hecke  erschien  auch 
•üMetliode  de  violon<i.  zu  Paris  im  Stich. 

Tan  Hülst,  Felix  Alexandre,  Advokat  zu  Liege,  geboren  zu  Fleurus 
im  Hennegau  am  19.  Februar  1799,  veröffentlichte  1842  bei  Gelegenheit  der 
Aufstellung  der  Statue  vom  Componisten  Gretry  (s.  d.  Art.)  zu  Liege  eine 
Monographie  desselben  »Gretry«  (Liege,  1842,  gr.  in  8*^,  99  S.)  mit  dem  Bilde 
des   Gefeierten  geschmückt. 

Tan  Maldere,  Pietro,  Componist  und  Violinist,  geboren  zu  Brüssel  am 
13.  Mai  1724,  erhielt  den  ersten  Unterricht  als  Chorknabe  der  königl.  Kapelle, 
in  die  er  aufgenommen  wurde,  im  Gesang,  im  ViolinsjDiel  und  der  Composition 
vom  Kapellmeister  Croes.  1755  ernannte  ihn  der  Prinz  Karl  von  Lothringen, 
Gouverneur  der  Niederlande,  da  er  ein  hübsches  Talent  als  Violinspieler  ent- 
wickelt hatte,  zum  ersten  Violinisten  seiner  Kapelle.  Auch  erhielt  er  gleich- 
zeitig denselben  Platz  beim  Orchester  des  königl.  Theaters.  Als  er  1758  den 
Titel  Kammerdiener  des  genannten  Prinzen  erhielt,  überliess  er  seine  Stelle 
als  Violinist  der  Kajoelle  seinem  älteren  Bruder  Guillaume  Van  Maldere. 
Die  Compositionen,  welche  M.  hinterlassen  hat,  zeugen  entschieden  von  Talent. 
Besonders  seine  Symphonien  enthalten  in  Rücksicht  darauf,  dass  sie  vor  den 
Haydn'schen  entstanden,  viel  Interessantes  und  erhielten  ihrer  Zeit  auch  in 
Paris,  Brüssel  und  sogar  Deutschland  verdiente  Anerkennung.  Es  sind  ungefähr 
folgende  bekannt:  ^Six  quatuors  pour  violons,  alto  et  hasse«  (Brüssel,  1757;  das 
dritte  und  fünfte  bemerkenswerth).  nSix  sympJionies  pour  deux  violons,  alto,  hasse^ 
deux  hautbois  et  deux  corsn.  y>Six  symphonies,  dediees  au  dux  d'A'/ifina  (Paris, 
de  la  Chevardiere).  nSix  symphonies,  dediees  au  prince  Ch.  de  Lorrainea  (Paris, 
Venier).  -aSei  sonate  a  tre,  due  violini  e  hasso,  dediees  au  duc  de  Montmorengyn 
(Paris,  de  la  Chevardiere,  1761).  Während  eines  Aufenthaltes  in  Paris  brachte 
Van  Maldere  am  Theätre  italienne  eine  kleine  komische  Oper  y>La  Bagarrea 
zur  Aufführung. 

Tannaccl,  Pietro,  ist  1777  zu  Livorno  geboren  und  erhielt  zu  Florenz 
schon  als  Knabe  Unterricht  von  Cherubini  im  Gesang  und  Clavierspiel.  In 
der  Composition  unterrichtete  ihn  später  der  Kapellmeister  Checchi.  Er  lebte 
in  Livorno  als  Gesang-  und  Clavierlehrer  und  war  vortheilhaft  bekannt  durch 
Sonaten  für  Ciavier  und  Violine,  Ciavier-,  Kirchenmusikstücken,  Cantaten  und 
eine  Oper  y>Angelica  e  Medoro«. 

Tannaretti,  Pater  Francesco,  Mönch,  geboren  zu  Neapel,  lebte  zu  Rom 
um  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  als  Kapellmeister  des  Cardinais  Rappaccioli. 
Folgende  seiner  Arbeiten  sind  noch  bekannt:  i^Messe  e  Salmi  concertafi  a  tre 
voci«,  op.  5  (Napoli,  J.  Bicci,  1653).  y>Litanie  della  Beata  Virgine  con  le  an- 
iifone  a  3,  4,  5,  6,  7  e  8  voci«  (Roma,  Amadeo  Belmonte,   1668,  in  4"). 

Tanneo,  Steffano,  lateinisch  Vannaeus,  bedeutender  italienischer  Contra- 
punktist  und  Tonlehrer  des  16.  Jahrhunderts,  war  Mönch  des  Augustinerordens 
im  Kloster  zu  Ascoli  und  ist  geboren  zu  Recanati  im  Gebiete  von  Ancona 
1493.  Selbstverständlich  war  er  als  ein  so  unterrichteter  Musiker  auch  Kapell- 
meister seines  Klosters.    Er  hat  ein  interessantes  Lehrbuch  geschrieben,  welches 


Vanuini  •—  Varese.  455 

als  eines  der  besten  jener  Zeit,  in  der  es  geschrieben  wurde,  gelten  kann.  Das 
erste  Buch  desselben  beschäftigt  sich  mit  dem  Gregorianischen  Choral,  mit  der 
Solmisation  und  den  Tonleitern.  Das  zweite  Buch  enthält  das  vollständige 
System  der  alten  Mensural-Musik  und  das  dritte  eine  Abhandlung  über  den 
Contrapuukt.  Das  Buch  ist  von  Yanneo  in  italienischer  Sprache  abgefasst  und 
im  Jahre  1531  beendet  worden.  Das  Original  ist  nicht  im  Druck  erschienen, 
wohl  aber  die  lateinische  Uebersctzung  von  Vincent  ßosetti  in  Verona.  Der 
Titel  in  dieser  Uebersetzung  lautet:  yyRecanetum  de  Musica  aurea  a  Magistro 
Stephano  Vanneo  Hesinensi  eremito  augustiniano  in  Aseulana  ecelesia  cJiori  mode- 
rator  nuper  editum,  Vincentio  Sosseto  Veronensi  interpretevi  (ßomae,  apud  Vale- 
rium  Doi'icum  Brixiensem,  anno  Virginei  partus  1533,  in  Fol.  (zweiundneunzig 
schifFrirten  Blättern). 

Tannini,  P.  Bernardino,  Mönch,  lebte  in  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts 
und  war  Kajjellmeister  an  der  Kathedrale  von  Viterba  im  Kirchenstaat.  Von 
ihm  sind  noch  bekannt:  •nlüotetti  a  otto  voci  ed  anche  Litanie  per  li  processioni«. 
(Eoma,  Amadeo  Belmonte,   1666,  in  4°). 

Tanniui,  Elias,  jüdischen  Ursprungs,  trat  in  den  Carmeliterorden  zu  Bo- 
logna innerhalb  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts.  Folgende  von  ihm 
herrührende  Compositionen  sind  noch  bekannt:  i-tLitanie  della  Beata  Virgine  a 
4,  5  e  6  vocin  op.  2  (Bologna,  Pietro  Monti,  1692,  in  4°).  y>Salmi  di  Compietä 
o  2,  3  e  4  voci  concertati  con  violinia,  op.  5  (Bologna,  Mario  Silvano,  1699,  in  4"^), 

Tanini,  Francesca,  eine  berühmte  italienische  Sängei'in,  deren  eigentlicher 
Name  Boschi  ist,  und  die  in  London  1710  in  der  Händel'schen  Oper  y^üinaldod 
sang.     Tosi  rühmt  ihre  Gresangsfertigkeit  und  ihre  Kunst  diese  zu  lehren. 

Tauos,  Albert,  ein  holländischer  Orgelbauer,  welcher  in  Fiessingen  in 
Seeland  gegen  Ende  des  17.  Jahrhunderts  ansässig  war.  Bei  dem  ßepariren 
der  Orgel  in  der  St.  Nicolaskirche  zu  Utrecht  fand  er  an  einer  Stelle  das 
Datum   1120.     Diese  Orgel  hatte  bereits  ein  Ciavier  mit  Pedalen. 

Tan  Peteghem,  Peter,  Stammvater  der  flandrischen  Familie  dieses  Namens, 
welche  anderthalb  Jahrhunderte  als  Orgelbauer  thätig  waren.  Er  wurde  zu 
Wetteren  in  Flandern  1690  geboren  und  kam  sehr  jung  in  die  Lehre  zu  dem 
seiner  Zeit  berühmtesten  Orgelbauer  Belgiens,  Forceville  in  Brüssel.  Nachdem 
er  schon  längere  Zeit  in  dessen  "Werkstadt  gearbeitet  hatte,  übernahm  er  nach 
dem  Tode  seines  Meisters  die  Leitung  des  Gleschäfts  auf  Rechnung  der  Wittwe, 
etablirte  sich  jedoch  1733  in  Gent  und  starb  dort  1787,  97  Jahr  alt.  Die 
Zahl  der  von  ihm  gefertigten  Orgeln,  während  des  langen  Zeitraums  seiner 
Thätigkeit,  ist  sehr  beträchtlich.     Sein  ältester  Sohn: 

Tan  Peteghem,  Egi de  FrauQois,  geboren  zu  Gent  gegen  1734,  starb  da- 
selbst 1796  und  ebenfalls  sein  zweiter  Sohn: 

Tan  Peteghem,  Lambert  Benoit,  gestorben  1807  zu  Gent,  erlernten 
beim  Vater  die  Orgelbaukunst,  welche  sie  lange  Zeit  betrieben. 

Tan  Peteghem,  Pierre  FrauQois,  Sohn  des  Egide,  geboren  zu  Gent 
1764  und 

Tan  Peteghem,  Pierre,  Sohn  von  Lambert  Benoit,  geboren  am  15.  Jan. 
1792,  sind  noch  als  Orgelbauer  dieser  Familie  nennenswerth.  Der  Sohn  des 
Letztgenannten : 

Tan  Peteghem,  Maximilian,  geboren  zu  Gent  1811,  war  von  seinem 
Vater  in  dessen  Kunst  unterwiesen  und  arbeitete  zuerst  nach  dessen  System, 
welches  durch  mehrere  Generationen  seiner  Familie  vererbt  war,  später  jedoch 
war  er  den  Verbesserungen  des  neueren  Orgelbaues  zugänglich.  Er  lebte  in 
Lille;  von   1857   an  in  St.  Omer  {Pas  de  Calais). 

Tareuins,  Alanus,  Schriftsteller,  geboren  zu  Montauban  in  der  zweiten 
Hälfte  des  15.  Jahrhunderts.  Bekannt,  aber  bereits  sehr  selten,  ist  das  folgende 
Buch  von  ihm:  «Dialogus  de  Sarmonica  ejusque  elemenfisa  (Parisis,  aj^ud  E,o- 
bertum  Stephanum,  1503,  in  8°). 

Tarese,    Fabio,    Chordirektor    an    der    Kirche  della  Passione  zu  Mailand 


456  Vargas  —  Variationen. 

geoen   das   Ende    des    16.  JalirTiunderts.     Ton    seinen  Werken   ist  als  gedruckt 
bekannt:  nCanzonette  a  3  vocU  (Mailand,   1592). 

Varg-as,  Urban  de,  Kircbencomponist  und  Kapellmeister  der  Metropolitan- 
kirche  zu  Valencia,  Mitte  des  17.  Jahrhunderts,  übernahm  am  20.  Juni  1651 
dasselbe  Amt  an  der  Kathedrale  zu  Burgos,  und  erhielt  gleichzeitig  das  damit 
verbundene  Kanonikat.  Die  zahlreichen  Manuscripte  der  Kirchencompositionen 
von  Vargas  befinden  sich  in  den  Kirchen  von  Valencia  und  Burgos.  Eslava 
hat  einen  Psalm  des  talentvollen  Componisten  » Voce  mea  ad  Dominum^  für 
acht  Stimmen  in  seiner  -»Lira  sacra  hispanaa  aufgenommen  (Theil  I,  Serie  I 
der  Componisten  des  17.  Jahrhunderts).  Nach  der  Angabe  dieses  gelehrten 
Herausgebers  findet  sich  in  den  Archiven  zu  Saragossa  von  Vargas  der  Psalm 
y>Qui  cunqtiea  nebst  einem  gedruckten  Briefe,  in  welchem  Plan  und  Structur 
dieser  Composition  auseinandergesetzt  sind. 

Variationen,  Variazioni  (Tema  con  Variazioni),  heissen  bekanntlich 
die  veränderten  Darstellungen  eines  meist  einfachen,  in  Form  des  Liedes  oder 
Tanzes  gehaltenen  Satzes.  Der  zu  variirende  Satz  heisst  Thema;  er  unter- 
scheidet sich  von  dem  Motiv,  das  bei  den  fugirten  Sätzen  auch  Thema  heisst, 
dadurch,  dass  er  ein  für  sich  bestehendes  Tonstück  ist,  das  sich  selbst  aus- 
spricht in  vollster  Verständlichkeit,  auch  ohne  die  Variationen.  Das  Motiv 
ist  zwar  gleichfalls  nicht  inhaltslos,  namentlich  als  Fugenthema  muss  es 
einen  bedeutsamen  Gredanken  aussprechen,  allein  dieser  kommt  doch  erst  ganz 
und  vollständig  in  der  dialektischen  Entwickelung,  in  der  Verarbeitung  zur  Fuge 
zur  Erscheinung.  Das  Thema  der  Variationen  legt  seinen  Inhalt  auch 
ohne  sie  vollständig  dar,  dieser  erlangt  durch  sie  nur  eine  allseitigere  Beleuch- 
tung und  demnach  allerdings  auch  eine  Vertiefung.  Es  ist  klar,  dass  dies  nicht 
in  einer  Variation  erreicht  werden  kann  und  so  wird  das  Thema  mit  Varia- 
tionen zu  einer  besonderen  Kunstform,  welche  sowohl  für  sich,  als  auch  als 
Theil  einer  grössern  Form  stehen  kann.  Hierbei  ist  zunächst  dreierlei  zu  be- 
trachten: das  Thema,  die  Mittel  der  Veränderung  und  endlich  die  An- 
ordnung der  einzelnen  Variationen.  Bei  der  Wahl  des  Themas  braucht 
man  nicht  übertrieben  ängstlich  zu  verfahren,  weil  jeder  organisch  entwickelte 
und  in  sich  abgeschlossene  Liedsatz  oder  Tanz  hinreichend  Stoff  zu  einigen 
Veränderungen  giebt,  auch  wenn  der  ursprüngliche  Inhalt  nicht  gerade  einer 
sonderlichen  Vertiefung  fähig  ist.  Was  nach  dieser  Seite  die  geniale  Hand 
vermag,  das  haben  unsere  Meister,  wie  Beethoven,  bewiesen,  der  aus 
einem  unbedeutenden  Walzer  dreiunddreissig  wahrhaft  klassische  Variationen 
entwickelte.  Damit  soll  durchaus  nicht  gesagt  sein,  dass  alle  Themen  gleich 
günstig  und  empfehlenswerth  für  eine  derartige  Verarbeitung  zu  Variationen 
sind.  Selbstverständlich  werden  diejenigen,  deren  Inhalt  weder  grössere  Ver- 
tiefung erfordert,  noch  besonders  anregend  wirkt,  vorwiegend  mehr  nur  äusser- 
lich  zu  variiren  sein,  nach  der  nur  sinnlich  klangvoll  entwickelten  Seite,  während 
andere,  bei  denen  der  ideelle  Inhalt  so  bedeutsam  ist,  dass  er  eine  nähere  Er- 
läuterung zulässt  und  zeugend  und  anregend  weiter  wirkt,  auch  innerlich  be- 
deutsamere Variationen  erstehen  lässt.  Damit  sind  zugleich  die  beiden  Haupt- 
arten dieser  V^eränderungen  bezeichnet;  die  eine  ist  mehr  formeller  Art,  sie 
beschränkt  sich  auf  die  äusseren  Darstellungsmittel,  während  die  andere  den 
Inhalt  zu  erweitern  und  zu  verfeinern  bestimmt  ist.  Dass  auch  jene  nicht  ohne 
Einfluss  auf  den  Inhalt  bleibt,  ist  selbstverständlich,  denn  die  veränderten  Mittel 
der  Darstellung  verändern  auch  den  dargelegten  Inhalt,  allein  diese  ist  hier 
nicht  beabsichtigt,  wie  bei  der  zweiten  Art,  bei  welcher  der  ursprüngliche  Inhalt 
eine  mann  ichfaltigere  Anschauung  zulässt  und  anregt  und  dadurch  zu  immer 
neuer  Erscheinung  in  immer  neuen  Variationen  drängt.  Die  erste  Erscheinungs- 
form im  Thema  bildet  dann  nur  das  formelle  Band  für  alle  daraus  entwickelten 
Variationen. 

Die    Mittel   für   die    erste    Art    der  Variationen,    die  sich  mehr  auf  die 
äussere  Darstellungsweise  bezieht,  sind  natürlich  leicht  zu  übersehen.    Zunächst 


Yariationen.  45  7 

vrird  die  Melodie  variirt,  natürlich  nicM  so,  dass  eine  neue,  in  den  Intervallen- 
schritten  veränderte,  daraus  entsteht,  sondern  sie  wird  nur  durch  Figurenwerk 
ausgeschmückt  und  verziert.  Demnächst  erfolgt  dann  die  Veränderung  der  har- 
monischen Cxrundlage,  wie  die  der  besonderen  Darstellung  derselben  in  der 
Begleitung.  "Weiterhin  wird  dann  das  Tongeschlecht  verändert:  ein  Durlied 
wird  zu  einer  Moll  Variation  verwendet  und  umgekehrt.  Diese  Veränderung, 
wie  die  des  Metrum,  und  die  Erweiterung  im  Allgemeinen,  gewinnen  schon 
mehr  ideelle  Bedeutung.  Ein  ursprünglich  im  zweitheiligen  Metrum  darge- 
stellter Satz  verändert  seinen  Charakter  ganz  bedeutend  in  einer  im  dreitheiligen 
Zeitmaass  ausgeführten  Variation  und  umgekehrt.  Damit  ist  in  der  Regel  auch 
eine  Formerweiterung  (unter  Umständen  auch  Formverengung)  erreicht  und  es 
ist  möglich  diese  ganz  umzugestalten,  aus  einem  Liedsatz  einen  Tanz  oder  aus 
diesem  ein  Lied  zu  construiren. 

Namentlich  diese  mehr  nur  technisch  bedeutsame  Weise  der  Variation 
wurde  für  die  Entwickelung  des  Instrumentalstils  von  unberechenbarem  Ein- 
fluss.  Noch  beim  Beginn  des  17.  Jahrhunderts  erprobten  die  Instrumente  ihre 
selbständigere  Technik  derartig  bei  Ausführung  der  Vocalsätze,  dass  sie  ein- 
zelne Töne  oder  Phrasen  in  reicheres  Figurenwerk  auflösten,  dass  sie  dimi- 
nuirten  und  colorirten.  Nur  an  einzelnen,  besonders  dazu  geeigneten  Stellen 
der  ursprünglich  für  Gesang  geschriebenen  Tonstücke  versuchten  sie  die  har- 
monischen Massen  aufzulösen  und  sie  gewannen  dadurch  rein  instrumentale 
Figuren  und  Phrasen,  die  sie  aber  ganz  willkürlich  aus  dem  Stegreif  anwen- 
deten. Auch  als  dann  namentlich  von  den  Orgelmeistern  diese  Thätigkeit  be- 
wusst  und  wohlüberlegt  in  ihren  Toccaten,  Präludien  u.  s.w.  angewandt 
wird,  bleibt  die  vocale,  harmonische  Grundlage  immer  noch  Hauptsache,  das 
Figurenwerk  wird  nur  hineingewebt.  Der  nächste  Schritt  war,  dies  zur  Haupt- 
sache zu  machen  und  es  in  consequenter  Durchführung  als  Material  für  selb- 
ständige Tonschöpfungen  zu  verarbeiten;  hierzu  erwies  sich  die  Variation  am 
geeignetsten  und  dies  ist  der  eigentliche  Anfang  des  Instrumental-,  speciell  des 
Orgelstils.  Der  erste  bedeutsame  Förderer  desselben  auf  diesem  Gebiet  ist 
Job.  Samuel  Scheidt,  der,  angeregt  durch  seinen  Lehrer  Zarlino  (Otto 
variazione  canoniche  sopra  il  canto  fermo),  durch  die  in  seiner  1624  erschienenen 
Tahulatur a  nova  enthaltenen  Variationen  den  Stil  dieser  Form  begründete, 
in  der  Weise  wie  oben  angedeutet  wurde.  Er  variirte  Tänze  und  weltliche 
Lieder,  indem  er  die  Melodie  in  Nachahmungen  verarbeitet,  oder  sie  in  reiches 
Figurenwerk  auflöst,  ebenso  wie  sjDäter  die  Harmonie,  um  dann  auch  den  Rhyth- 
mus zu  verändern.  Auf  diesem  Wege  gelangte  der  Meister  zu  einer  durchaus 
planmässigen  Verarbeitung  der  neuen  instrumentalen  Mittel,  welche  die  Vor- 
gänger noch  nicht  kannten,  und  die  nicht  nur  für  die  Form  der  Variation, 
sondern  für  die  gesammte  Entwickelung  der  Instrumentalmusik  von  durchgrei- 
fendem Einfluss  wurde.  Der  Instrumentalstil  gewann  damit  erst  die  Grund- 
bedingung seiner  organischen  Entfaltung  und  in  der  Form  selbst  eins  der  be- 
liebtesten Mittel  reichsten  und  tiefsten  Ausdrucks.  Sie  wurde  bald  nicht  nur 
selbständig,  sondern  dann  auch  als  Bestandtheil  der  zusammengesetzten  Instru- 
mentalformen fleissig  geübt. 

Noch  Händel's  Variationen,  die  bekannten  62  über  die  Chaconne  in 
G-dur  und  die  in  E-dur,  entsprechen  vollständig  der  Weise  Scheidt's.  Sie  ver- 
folgen mehr  technische  Zwecke  und  sind  darum  nur  formell  aus  dem  Thema 
entwickelt  durch  melodische  harmonische  oder  rhythmische  Figuration,  wodurch 
der  Inhalt  durchaus  nicht  tiefer  oder  auch  nur  weiter  entwickelt  wird.  Un- 
gleich tiefer  erfasste  Bach  in  seinen  bekannten  dreissig  Veränderungen*)  in 
G-dur  die  Form;  er  variirt  nicht  nur  die  äusseren  Darstellungsmittel  in  der 
oben  angegebenen  AVeise,  sondern  er  breitet  vielmehr  den  Inhalt  mit  jeder 
neuen  Variation  mehr  aus,  zeigt  ihn  in  jeder  von  einer  andern  Seite.    Haydn 


*)  Aus  dem  vierten  Theil  der  Clavier-Uebung. 


458  Variationen. 

und  Mozart  scliliessen  sich  in  ihren  Variationen  mehr  der  Weise  Händel's 
an,  doch  in  den  ungleich  reicheren  und  mannichfaltigeren  Mitteln,  welche  sie 
anwenden,  gelangt  doch  auch  mehr  der  Inhalt  zu  allmälig  immer  weiter  und 
weiter  sich  darlegender  Entfaltung. 

Mit  der  ganzen  Energie  seines  genialen  Greistes  erfasste  Beethoven  diese 
Eorm  in  einer  Eeihe  von  selbständigen  und  als  Theile  von  grösseren  "Werken. 
Unter  jenen  ragen  namentlich  zwei  hervor,  die  Variationen  op.  35,  die  er 
später  in  seiner  Sinfonie  eroica  verwendet  und  die  33  Variationen,  die  er  über 
den  Walzer  von  Diabelli  schrieb.  Namentlich  im  letzteren  Werk  nimmt  die 
wahrhaft  geniale  Weise,  mit  welcher  der  Meister  ein  an  sich  unbedeutendes 
Thema  immer  neu  anschaut,  um  ihm  einzelne,  für  eine  musikalische  Verarbeitung 
bedeutsame  Züge  abzugewinnen,  unsere  volle  Bewunderung  in  Anspruch.  Das 
Thema  von  Diabelli  ist  vorwiegend  harmonisch,  der  Vordersatz  beruht  nur  auf 
Tonika  und  Dominant;  jede  wird  accordisch  ausgeprägt  vier  Tacte  lang  von 
der  rechten  Hand  festgehalten,  während  der  Bass  eine  der  einfachsten  melo- 
dischen Floskeln  dazu  ausführt.  Der  Nachsatz  wird  etwas  mannichfacher  har- 
monisch ausgestattet,  der  zweite  Theil  aber  ist  dem  ersten  ganz  ähnlich  con- 
struirt.  Beethoven  erfasst  diese  Construktion,  aber  schon  in  der  ersten 
Variation  führt  er  sie  weit  genialer  aus.  Die  harmonischen  Massen  verkörpern 
sich  ihm  zunächst  zu  einem  majestätischen  Marsch,  bei  welchem  der  Bass, 
wie  vorher  beim  Walzer,  melodieführend  bleibt,  aber  nicht  auf  Tonika  und 
Dominant  herumtappend,  sondern  im  gefestigten  energischen  Schi'itt  des  i>Marcia 
maestoso«.  Hiermit  schon  ist  das  Thema  der  niedern  Sphäre  entrückt,  der  es 
ursprünglich  angehört.  Die  nächste  Variation  nimmt  zwar  den  ursprünglichen 
Dreivierteltact  wieder  auf,  und  hält  auch  an  jener  ursprünglichen  harmonischen 
Grundlage  fest,  aber  sie  ist  von  ganz  neuem  Geist  erfüllt.  Jetzt  prägen  die 
TJnterstimmen  die  Harmonik  aus,  und  die  Oberstimmen,  in  rhythmischer  Auf- 
lösung, werden  selbständiger  melodisch  geführt.  Die  dritte  Variation  hält  die 
ursprüngliche  Construktion  nur  noch  in  den  Angelpunkten  fest;  der  Vorder- 
satz ruht  auf  der  Tonika,  aber  nicht  ohne  andere  Accorde  herbei  zu  ziehen; 
ebenso  wie  der  Nachsatz,  der  auf  der  Dominant  ruht.  Die  nächste  Variation 
stellt  diesen  ganzen  Apparat  in  lebendiger  Imitation  hin;  die  folgende  fasst 
ihn  wieder  mehr  accordisch,  in  rhythmischem  Motiv  aufgelöst,  das  sie  so  ener- 
gisch verfolgt,  dass  sie  am  Schluss  des  ersten  Theils  nach  einer  andern  Mo- 
dulation (JS-moll)  gedrängt  und  im  zweiten  Theil  weit  ab  von  der  ursprüng- 
lichen Tonart  geführt  wird.  Dasselbe  gilt  von  den  folgenden  beiden  Variationen 
(VII  und  VIII).  No.  IX  ist  wieder  im  Viervierteltact  gehalten  und  in  der  C-moll- 
Tonart,  so  dass  die  nächste  Variation  wieder  energisch  die  ursprüngliche  Grund- 
anschauung erfassen  konnte.  Wieder  liegt  der  tonische,  später  der  Dominant- 
dreiklang in  den  Oberstimmen,  aber  arpeggirt  und  in  der  höhern  Octave,  und 
die  Unterstimme  führt  einen  selbständigen,  der  Tonleiter  entlehnten  Gang  aus; 
der  Nachsatz  entspricht  dem  des  Themas;  dieser  erste  Theil  wird  dann  nicht, 
wie  beim  Thema  und  den  vorhergehenden  ^Variationen  treu,  sondei^n  umge- 
staltet wiederholt.  An  Stelle  der  festgehaltenen  Accorde  tritt  der  Ti-iller  auf  y, 
und  zwar  in  den  Bass,  während  das  Bassmotiv  in  Septaccorden  harmonisirt  von 
der  rechten  Hand  ausgeführt  wird;  der  Basstriller  wird  dann  auch  beim  Nachsatz 
beibehalten.  Dem  entspricht  auch  die  Behandlung  des  zweiten  Theils.  Die 
beiden  folgenden  Variationen  sind  wieder  auf  die  harmonische  Grundlage  des 
Themas  gebaut  und  streng  motivisch  entwickelt,  während  die  nächsten  vier 
(XIII,  XIV,  XV  und  XVI)  wieder  dem  ursprünglichen  Thema  einen  andern 
Charakter  {Vivace,  Grave  e  maestoso,  Presto  scherzando  und  Ällegro)  verleihen. 
Erst  mit  der  folgenden  Variation  (XVII)  gewinnt  auch  der  melodische  Ge- 
danke des  Themas,  natürlich  in  der,  durch  den  fort  und  fort  erweiterten  Inhalt 
bedingten  Umgestaltung  wieder  mehr  Berücksichtigung.  Für  die  Verarbeitung 
der  Motive  in  den  anschliessenden  beiden  Variationen  wird  wieder  die  Con- 
struktion des  Themas   entscheidend;    ganz   wie   dort  Vorder-    und   Nachsatz 


Variationen.  459 

von  einander  geschieden  sind,  so  auch  hier  beide  durch  die  Umgestaltung  des 
Motivs.  No.  XX  bi'ingt  die  ganze  harmonische  Grundlage  in  einer  wunder- 
baren Neugestaltung.  In  der  folgenden  Variation  wird  eine  neue  Darstellung 
des  Vordersatzes  des  Themas  (im  */4  Tact)  mit  der,  der  Variation  XVIII  ver- 
einigt und  nachdem  der  Meister  in  No.  XXII  jene  bekannte  Reminiscenz  an 
die  Leporello-Arie  verarbeitet  und  in  der  folgenden  noch  brillanter  ausgeführt 
hat,  entwickelt  er  aus  dem  Thema  eine  Fughette  (XXIV).  Die  nächsten 
Variationen  sind  wieder  direkt  aus  dem  Thema  hervorgegangen  bis  No.  XXVIII, 
welche  an  No.  XVIII  anknüjDft.  Die  nachfolgenden  drei  Variationen  in  der 
C-wioZZ-Tonart  leiten  dann  zu  der  vorletzten,  zu  der  Fuge  in  Es-dur,  hinüber, 
der  sich  nach  einer  kurzen  und  freien  Ueberleitung  die  33.  Vai'iation  anschliesst, 
im  Tempo  der  Menuett  gehalten. 

Aus  diesen  Erörterungen  geht  schon  hervor,  dass  sich  die  Form  des 
variirten  Themas  trefflich  für  den  Satz  in  langsamer  Bewegung  bei  der 
Sinfonie  und  Sonate  eignet.  Die  langsame  Bewegung  neigt  mehr  zur  Kühe, 
als  zu  einem  sichern  und  energischen  Vorwärtsstreben;  mehr  zum  Beharren  in 
sich,  als  zu  einem  entschiedenen  aufstrebenden  Herausgehen  aus  sich.  Die  be- 
wegten Kräfte  erscheinen  mehr  gebunden  und  verweilen  länger  bei  den  ein- 
zelnen Momenten  der  Bewegung,  um  diese  in  grösserer  Ausführlichkeit  hinzu- 
stellen. Die  langsame  Bewegung  ist  daher  weit  mehr  dem  Gefühl  eigen,  das 
gern  in  sich  ruht,  als  der  Phantasie,  welche  im  Gegensatz  zu  ihm  sich  gern 
im  kühnsten  Fluge  erhebt.  Die  Tonsätze  in  rascherer  Bewegung  sind  besser 
geeignet  die  kühnsten  Bilder  der  Phantasie  zu  gestalten,  und  den  leidenschaft- 
licheren Strömungen  und  Stimmungen  des  Gemüths  und  des  Herzens  zum 
Ausdruck  zu  dienen,  an  denen  jene  einen  regeren  Antheil  nimmt.  In  den 
instrumentalen  Tonsätzen  von  langsamer  Bewegung  äussert  sich  vorwiegend  das 
reine  persönliche  Empfinden  nicht  selten  in  lyrischer  Beschaulichkeit  der  Lied- 
form oder  in  der  zum  Hymnus  erweiterten  Arienform.  Allein  das  Instrumentale 
kann  sich  nicht  mit  den  knappen  Formen  des  Vocalen  begnügen,  und  so  wird 
auch  die  Liedform  für  diesen  langsamen  Satz  der  Sonate  in  der  instrumentalen 
Erweiterung  zum  Thema  mit  Variationen  eingeführt.  Beethoven  thut 
dies  in  den  Sonaten  op.  26,  30,  47,  109,  wie  in  mehreren  Trios  und  Quartetten. 
Der  Meister  erfasst  den  im  Thema  gedrängt  zusammen  gehaltenen,  auf  seine 
Pointen  zurückgeführten  Gefühlsausdruck  in  den  Variationen  immer  tiefer  und 
weiter  und  verfolgt  ihn  bis  in  seine  feinsten  Einzelheiten.  Andere  Themen 
gestatten  eine  solche  Erweiterung  und  Fortführung  nicht,  oder  regen  sie  nicht 
an;  für  sie  ist  jene  mehr  nur  äussere  Variirung  entsprechender,  welche  das 
ursprüngliche  Thema  eigentlich  nur  formell  umgestaltet.  Es  sind  dies  jene 
Themen,  deren  Gefühlsinhalt  rein  lyrischer  Natur,  also  nur  auf  sich  bezogen 
ist,  und  demnach  weniger  nach  Erweiterung,  als  nach  einer  wiederholten,  aber 
veränderten  Darstellung  verlangt.  Ein  Beispiel  ist  der  langsame  Mittelsatz 
der  F-moUSonate,  op.  57.  Beethoven  bezeichnet  ihn  nicht  als  »Thema  mit 
Variationen«,  sondern  nur  mit  Andante  (con  moto),  denn  das  Thema,  ein  zwei- 
theiliger Liedsatz,  wird  nicht  in  selbständig  ausgeführten  Variationen  weiter- 
geführt, sondern  nur  immer  anders  dargestellt;  es  wird  bei  seiner  ersten 
Wiederholung  rhythmisch  aufgelöst,  bei  seiner  zweiten  in  die  höhere  Octave 
verlegt,  harmonisch  figurirt;  bei  der  dritten  Wiederholung  werden  beide  Be- 
handlungsweisen,  jene  rhythmische  Veränderung  und  die  harmonische  Figuration 
vereinigt;  eine  vierte  Wiederholung  schliesst  sich  wieder  enger  der  ersten 
Darstellung  an  und  leitet  dann  zum  Schlusssatz  hinüber.  Auch  das  Adagio 
(Arietta)  der  Sonate  op.  111  gehört  hierher,  doch  ist  es  viel  freier  noch  ent- 
wickelt, als  das  vorerwähnte  Andante.  Dem  Gefühlsausdruck  der  Arietta  werden 
in  den  folgenden  Variationen  eben  so  wenig  neue  Seiten  abgewonnen  wie  dort, 
sondern  er  wird  nur  durchsichtiger  und  mehr  vergeistigt  dargestellt  und  er- 
langt dadurch  immere  grössere  Gewalt  und  Eindringlichkeit,  das  aber  ist  der 
Zweck  dieser  Art  der  Variationen. 


4  60  Variationen. 

Von  Jüngern  Meistern  haben  Schubert,  Mendelssohn  und  Schumann  die 
Form  der  Variationen  fleissig  gepflegt  und  mit  neuem  Inhalt  erfüllt.  Von 
Schubert  sind  ausser  seinen  Variationen  zu  vier  Händen  für  Ciavier  und  dem 
Andante  mit  Variationen  des  Forellenquartetts  namentlich  die  im  D-wzoZ^ Quartett 
zu  erwähnen,  in  welchem  er  bekanntlich  im  Andante  sein  Lied  »Der  Tod  und 
das  Mädchen«  (aus  op.  7)  variirt.  Der  Meister  hat  das  Ciaviervorspiel  des 
Liedes  zum  ersten  Theil  des  Thema  gemacht.     Den  Gresang  des  Mädchens: 

„Vorüber,  ach  vorüber. 
Geh'  wilder  Knochenmann! 
Ich  bin  noch  jung,  geh'  Lieber 
Und  rühre  mich  nicht  an!" 

übergeht  er  hier;  den  zweiten  Theil  des  Liedsatzes  entnimmt  er  dem  G-esange 
des  Todes;  die  erste  Hälfte,  die  dort  sehr  monoton  ist,  gestaltet  er  zu  erhöhter 
Wirksamkeit  um,  wie  es  durch  die  Natur  der  Streichinstrumente  bedingt  ist. 
Von  der  andern  Hälfte  wird  dann  unverändert  die  Clavierbegleitung  zu  den 
"Worten: 

„Sei  guten  Muths!  ich  bin  nicht  wild, 
Sollst  sanft  in  meinen  Armen  schlafen." 

entlehnt.  Das  Nachspiel  —  die  Wiederholung  des  Vorspiels  in  D-dur  —  bleibt 
hier  weg;  die  durch  dasselbe  bezeichnete  Anschauung  erhält  in  der  vierten 
Variation  Ausdruck  und  am  Schluss  des  Andante  erst  wird  es  unverändert 
verwendet.  Man  muss  sich,  um  die  Bearbeitung  des  Themas  ganz  zu  verstehen, 
einer  Stelle  aus  einem  Briefe  Schubert's,  den  er  aus  Steyr  an  seine  Eltern 
richtete,  erinnern,  in  welchem  er  sich  über  die  Furcht,  die  sein  Bruder  vor 
dem  Sterben  hat,  ausspricht:  »als  wenn  das  Sterben«,  heisst  es  dort,  »das 
Schlimmste  wäre,  was  uns  Menschen  begegnen  könnte.  Könnte  er  nur  einmal 
diese  göttlichen  Berge  und  Seen  schauen,  deren  Anblick  uns  zu  erdrücken  oder 
zu  verschlingen  droht,  er  würde  das  winzige  Menschenleben  nicht  so  sehr  lieben, 
als  dass  er  es  nicht  für  ein  grosses  Glück  halten  sollte,  der  unbegreiflichen 
Kraft  der  Erde  zu  neuem  Leben  wieder  anvertraut  zu  werden«.  Die  in  diesen 
Worten  niedergelegte  Anschauung  ist  im  Grunde  dieselbe,  welche  das  oben  er- 
wähnte Gedicht  vertritt  und  sie  beherrscht  auch  das  Andante  und  das  ganze 
Quartett.  Die  erste  Variation  schon  weiss  uns  mit  süsseren  Klängen  zu  locken, 
als  die  Stimme  des  Todes,  und  diese  Lockung  wird  noch  eindringlicher  und 
auch  sinnbefangender  in  der  zweiten,  welche  das  Thema  im  Violoncello  bringt; 
in  der  dritten  steigert  sie  sich  fast  bis  zu  sinnverwirrender  Wirkung  und  die 
vierte  in  G-dur,  wie  die  fünfte  in  G-moll  wollen  uns  entschiedener  damit  locken, 
dass  sie  uns  einen  bezaubernden  Blick  ins   Jenseits  eröffnen. 

Mendelssohn  wandte  sich  erst  in  späteren  Jahren  seines  kurzen  Lebens 
dieser  Form  zu.  Er  schreibt  darüber  an  Klingemann  (Briefe  II,  pg.  297): 
»Weisst  du,  vras  ich  in  der  vergangenen  Zeit  mit  Passion  componirt  habe?  — 
Variationen  fürs  Piano.  Und  zwar  gleich  18  auf  ein  Thema  in  D-moU;  und 
ich  hab'  mich  dabei  so  himmlisch  amusirt,  dass  ich  gleich  wieder  neue  auf  ein 
Thema  in  Es-dur  gemacht  habe  und  jetzt  bei  den  dritten  auf  ein  Thema  aus 
B-dur  bin.  Mir  ist  ordentlich,  als  müsste  ich  nachholen,  dass  ich  früher  gar 
keine  gemacht  habe.«  Nur  die  Variationen  in  D-moll  und  die  in  JSs-dur  sind 
veröffentlicht  worden,  jene  als  op.  54,  diese  als  op.  82;  auch  sind  nicht  18, 
sondern  nur  17  der  Variationen  in  D-moll  (  Variations  serieuses)  gedruckt.  Es 
ist  in  der  Eigenthümlichkeit  Mendelssohns  begründet,  dass  er  weniger  jene 
Gattung  der  Variationen  cultivirte,  welche  den  Gehalt  des  Themas  in  immer 
neuer  Gestalt  und  immer  mehr  erweitert  zur  Erscheinung  bringt;  sondern  viel- 
mehr jene,  welche  das  Thema  mehr  formell  umgestaltet.  Sein  Bestreben  ist 
immer  auf  möglichst  klaren  und  fasslichen  Ausdruck  gerichtet  und  zwar  so, 
dass  er  mitunter  die  tiefere  Gewalt  desselben  damit  abschwächt.  Selbst  in  den 
Formen,  welche  Vertiefung  und  Erweiterung  der  ursprünglichen  Gedanken  er- 
fordern, verfährt  er  nicht  selten  vorwieafend  nur   erläuternd  und  umschreibend, 


Variato  —  Varney.  461 

wie  im  Capriccio.  Ganz  ähnlich  sind  seine  Variationen.  Das  Z)-wjo/?-Thema 
ist  harmonisch  charakteristisch  und  die  harmonische  Grundlage  ist  so  vorwie- 
gend  polj'phon  ausgeprägt,  dass  diese  Construktion  schon  eine  E-eihe  mannich- 
facher  anderer  Darstellungen  und  Anschauungen  zuliess.  Die  rhythmische 
Anordnung  des  ersten  Theils  ist  etwas  monoton;  ihr  gegenüber  erscheint  die 
grössere  Breite  des  zweiten  Theils  dann  um  so  bedeutsamer,  und  so  bot  auch 
diese  Construktion  mancherlei  Momente  für  eine  neue  gestaltende  Variirung 
des  Themas.  Endlich  gewährte  der  ruhig  milde  Ernst  der  Grundstimmung  des 
Themas  noch  eine  Fülle  feiner  Züge  für  eine  speciellere  Ausführung.  Mendels- 
sohn hat  nicht  alle  ergriffen;  er  variirt  sein  Thema  vorwiegend  nur  formell 
in  rein  technischer  Verarbeitung  einzelner  Motive. 

In  den  ersten  vier  Variationen  bleiben  Melodie  und  Harmonie  fast  unver- 
ändert; in  der  ersten  wird  dem  Thema  eine  lebhafter  und  selbständiger  contra- 
punktirende  Mittelstimme  beigegeben;  bei  der  zweiten  betheiligen  sich  die  drei 
oberen  Stimmen  an  einem  derartigen  Contrapunkt,  so  dass  die  Melodie  nicht 
verändert,  sondern  nur  ausgeschmückt  ist;  die  dritte  Variation  erwächst  durch 
einfache  rhythmische  Auflösung  und  die  vierte  durch  melodische  und  harmo- 
nische Figuration  der  ursprünglichen  Grundlage.  Die  folgenden  Variationen 
halten  fast  unverändert  an  der  ursprünglichen  Construktion  fest,  die  Verän- 
derungen sind  hauptsächlich  durch  die  Verarbeitung  des  besondern  Motivs 
jeder  Variation  bedingt.  Die  -EJs-c^wr- Variationen  halten  weniger  streng  an 
der  formalen  Gestaltung  des  Themas  fest,  doch  fehlt  ihnen  der  innere  Zusammen- 
hang, den  die  D-otoZZ- Variationen  entschieden  zeigen.  Das  neue  Motiv,  mit 
welchem  bei  diesen  Mendelssohn  den  ursprünglichen  Apparat  technisch  ver- 
arbeitet, erscheint  immer  als  die  natürliche  Consequenz  der  vorangehenden 
und  in  der  dadurch  sich  steigernden  leidenschaftlichen  Ausdrucksweise  ist  ein 
gewisser  einheitlicher  Fortgang  bedingt  bis  zum  Ällegro  vivace  und  dem  Presto^ 
mit  dem  das  Ganze  abschliesst,  der  den  ^s-J^r- Variationen  fehlt. 

Schumann's  Innerlichkeit  wie  sein  Bildungsgang  hatten  ihn  früh  auf  die 
Form  der  Variation  geführt.  Ausser  seinen  Variationen  über  den  Namen 
Abegg,  welche  als  op.  1  erschienen,  hatte  er  früh  eine  Reihe  anderer  Themen 
variirt,  in  denen  er  das  Bestreben  zeigt,  den  Inhalt  des  Themas  immer  weiter 
zu  verfolgen  und  glänzender  und  reicher  darzulegen.  Das  ist  ein  Haupt- 
charakterzug seiner  Individualität,  dass  er  sich  gern  in  die  eine  Stimmung  mit 
der  ganzen  Energie  seiner  Innerlichkeit  vertieft,  um  sie  in  allen  ihren  Einzel- 
zügen zum  erschöpfenden  Ausdruck  zu  bringen.  In  demselben  Sinne  wählt 
und  erfasst  er  seine  Themen  und  versenkt  sich  dann  in  sie,  um  in  jeder 
Variation  eine  neue  Seite  derselben  zu  zeigen.  Die  nur  formelle  Umgestaltung 
des  Themas  genügt  ihm  nicht,  das  beweisen  schon  die  oben  erwähnten  Varia- 
tionen op.  1,  mehr  noch  die  JEtudes  en  forme  de  Variationes  (Etudes  sympTio- 
niques,  op.  13),  vor  allem  das  unstreitig  bedeutsamste  Werk  der  neueren  Zeit 
auf  diesem  Gebiet,  die  Variationen  für  zwei  Claviere  (op.  46).  Das  Thema 
der  letzteren  schon  ist  so  reich  ausgestattet,  dass  es  wie  eine  Variation  des 
Grundgedankens  erscheint.  Nur  einer  genialen  Kraft,  wie  der  Schumann's, 
wurde  es  möglich,  hieraus  eine  Reihe  neuer,  immer  prächtiger  ausgeführter 
Variationen  zu  entwickeln.  Eigenthümlich  und  äusserst  wirksam  ist  der,  in 
diesem  "Werk  eingeschlagene  Weg,  auf  welchem  das  Thema,  nachdem  es  mehr- 
fach variirt  worden  ist,  in  neuer  Gestalt  und  auch  in  anderer  Tonart  ein- 
geführt wird,  um  dann  wieder  in  dieser  Fassung  variirt  zu  werden.  Die 
Variationen  werden  dadurch  einheitlich  und  übersichtlich  gruppirt. 

Wie  die  Form  der  Variation  auch  anderweitig  auf  den  Orchesterstil  im 
Besondern  und  den  Instrumentalstil  im  Allgemeinen  einwirkt,  namentlich  bei 
der  Verarbeitung  der  Themen  des  eigentlichen  Sonatensatzes  und  des  Rondo, 
ist  hier  nicht  weiter  nachzuweisen. 

Tariato  (ital.),  franz.:  varie,  verändert. 

Tariiey,  Pierre  Joseph  Alphonse,  geboren  zu  Paris  am  1.  Decbr.  1811, 


462  Varoti  —  Vaudeville. 

wurde  im  Pariser  Conservatorlum  gebildet  und  bevorzugte  daselbst  das  Studium 
des  Violinspiels;  in  der  Composition  war  Reicha  sein  Lebrer.  Er  fungirte 
später  als  Orcbesterdirektor  zu  verscbiedenen  Zeiten  am  Tbeätre  historique, 
Theätre  lyrique;  in  Grent  (1835),  in  Haag  (1855),  in  Ronen  und  endlich 
1857  am  Theätre  Bouffes-Parisiens  zu  Paris,  dessen  Direktion  er  dann  von  1862 
an  führt.  An  den  vorgenannten  Theatern  sind  eine  Anzahl  meistentheils  ein- 
aktiger Opern  und  Operetten  seiner  Composition  aufgeführt  worden.  Ausser 
diesen  hat  er  eine  oratorische  Cantate  mit  Chören  vAtalaa  componirt,  welche 
ebenfalls  im   Theätre  historique  zur  Aufführung  gelangte. 

Yaroti,  Michele,  italienischer  Kirchencomponist  aus  der  ersten  Hälfte 
des  16.  Jahrhunderts,  geboren  zu  Novare,  deshalb  auch  Novarensis  genannt. 
Es  sind  von  ihm  noch  folgende  Arbeiten  bekannt:  i>Missa  a  6  vociv.  (Venedig, 
1565,  in  4°).  T>Misse  de  Trinitate  a  8  vooi<s.  (ibid.  1565,  in  4°).  -»Oantiones 
sacrae  in  omnes  anni  festivitafes<s.  (ibid.  1568).  »Simni  a  5  vocUi  (ibid.  1568). 
»Misse  a  Q  et  8  voci,  libro  primo'i  (ibid.  1563,  in  4").  y>Misse  a  2,  b  e  Q  vooi«. 
(Milano,  1588,  in  4°). 

Vasen,  Schallvasen,  Echea,  ijyeTa,  eherne  Schallgefässe ,  die  in  den 
griechischen  Theatern  nach  Vitruo  (1, 1, 9  und  5, 5, 2)  angebracht  waren,  um 
den  Schall  der  Stimme  zu  verstärken.  Die  Einrichtung  derselben  ist  noch  sehr 
dunkel  und  zweifelhaft,  wie  überhaupt  die  ganze  Angelegenheit. 

Tasquez,   s.  A'azquez. 

Vaticau,  s.  Sixtiuische  Kapelle. 

Tatri,  Rene,  geboren  zu  Reims  am  26.  October  1697,  begann  seine  Stu- 
dien in  seiner  Vaterstadt  und  vollendete  sie  in  Paris.  Später  erhielt  er  das 
Kanonikat  zu  Saint-Etienne  des  &res  und  wurde  Vorsteher  des  »College  de 
Reims«  zu  Paris,  Mitglied  der  »Academie  des  belies  lettres«  und  Redakteur  des 
}> Journal  des  savantsi.  1754  vom  Schlage  getroffen,  siechte  er  16  Jahre  dahin. 
Sein  Tod  erfolgte  im  December  1769.  Zu  seinen  Schriften  gehört:  y>8ur  las 
avantages  que  la  tragedie  aneienne,  retirait  de  ses  clioeurs,  et  sur  la  recitation  des 
tragedies  anciennesa;  in  den  Sammlungen  der  Akademie  befindlich  (Tome  VIII 
p.  199  bis  224). 

A'aucausou,  Jacques  de,  berühmter  französischer  Mathematiker,  geboren 
zu  Grrenoble  am  24.  Februar  1709,  starb  1782  zu  Paris.  Hier  machte  er  auch 
seine  Studien  und  war  später  zum  Mitgliede  der  Akademie  der  Wissenschaften 
ernannt  worden.  Besonders  bekannt  wurde  er  durch  die  Erfindung  und  den 
Bau  mehrerer  höchst  künstlicher  Automaten.  Es  gehört  zu  diesen  ein  aufrecht 
stehender  Schäfer,  der  auf  einer  Flöte  20  Stücke  spielt,  und  auch  ein  sitzender 
Flötenspieler,  der  gleichfalls  20  Stücke  spielt,  wobei  die  Töne  wirklich  durch 
Einblasen  der  Luft  und  erforderliche  Fingerapplicatur  erzeugt  werden.  Diese 
Gegenstände  wui'den  nebst  anderen  zuerst  1738  zu  Paris  gezeigt  und  kamen 
später  in  den  Besitz  des  bekannten  Hofraths  Beireis  zu  Helmstädt.  Eine  Be- 
schreibung des  Mechanismus  der  Maschine  gab  V.  unter  folgendem  Titel:  »ie 
mecanisme  du  ßüteur  automate,  aveo  la  description  d''un  canard  artificiel  et  aussi 
Celle  d'une  figure  jouant  du  tamhourin  et  de  la  fluten.  (Paris,  Grueria,  1738,  in  4**, 
80  S.).  Hierin  beschreibt  er  den  inneren  Mechanismus  des  Flötenspielers  ziem- 
lich deutlich.  Unter  andei'ein  sagt  er:  »die  Muskeln  der  Brust  brauchen  eine 
Kraft,  die  56  Pfund  gleich  ist,  um  das  hohe  c,  den  höchsten  Ton  des  Fla- 
geolets,  herauszubringen.  Hingegen  um  das  tiefe  e,  welches  die  tiefste  Note 
ist,  hören  zu  lassen,  ist  die  Kraft  von  zwei  Loth  hinlänglich  u.  s.  w.«  Ins 
Deutsche  übersetzt  findet  sich  diese  Abhandlung  im  »Hamburger  Magazin«, 
B.  II,  S.  1  —  24.  Ins  Englische  wurde  sie  übertragen  von  Desaguliers, 
London,  Parker. 

Taudeville  hiessen  ursprünglich  in  Frankreich  die  meist  witzigen,  saty- 
rischen Lieder  (Chansons),  die,  im  Volke  entstanden,  an  Ereignisse  und  Persön- 
lichkeiten des  Tages  anknüpften  und  deren  Schwächen  oft  mit  beissendem  Spott 
geisselten.     Olivier    B asselin,    Besitzer    einer    Walkmühle    bei   Vire    in    der 


\ 


VaupuUaire  —  Vecchi.  463 

Normandie  in  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts,  soll  mit  seinen  fröh- 
lichen Liedern,  die  er  »Vaux  de  viretf.  nannte,  den  Anstoss  hierzu  gegeben 
haben.  Unter  der  unumschränkten  Herrschaft  Mazarin's  (1642 — 1661)  kamen 
diese  Lieder  ausserordentlich  in  Blüthe  und  der  Cardinal  selber  wurde  mit  den 
giftigsten  Spottliedern  bedacht.  Sie  nahmen  damals  schon  die  Form  der  heu- 
tigen Chansons  an,  sind  strophisch  gegliedert  und  jede  Strophe  schliesst  mit 
dem  Refrain,  der  die  Pointe  des  Inhalts  kurz  und  schlagend  ausspricht.  Die 
eigenthümliche  Entwickelung,  welche  die  französische  Oper  im  18.  Jahrhundert 
nahm,  gab  diesen  Liedern  allmälig  eine  erhöhte  Bedeutiing.  In  dem  Kampf, 
der  für  die  nationale  Entwickelung  der  französischen  Oper  in  der  letzten  Hälfte 
des  Jahrhunderts  geführt  wurde,  hatte  sich  auch  für  die  dramatische  Musik 
jener  Coupletstil  gebildet,  der  ganz  direct  auf  das  Vaudeville  führen  musste. 
In  der  komischen  Oper  von  Duui,  Monsigny,  Danican,  genannt  Philidor, 
und  Grretry,  hatte  bereits  die  leichte  sangbare  Homanze  die  Herrschaft  über 
die  Arie  gewonnen.  An  Stelle  des  E-ecitativs  war  der  Dialog  getreten  und  es 
lag  zu  nahe,  dies  Verfahren  noch  weiter  auszudehnen  und  diesen  nur  mit 
leichten  Liedern  zu  durchziehen,  die  direct  dem  Yolksliederschatz  entnommen 
oder  nach  bekannten  Melodien  in  der  Weise  des  Volksliedes  gedichtet  waren. 
Diese  Liederspiele  erhielten  dann  den  Namen  Vaudeville  und  sie  wurden  in 
Frankreich  bald  so  beliebt,  dass  in  Paris  1791  ein  Theater,  das  Vaudeville- 
Theäti'e  eigens  dafür  errichtet  wurde.  Die  Grattung  fand  auch  in  Deutschland 
Vertheidiger  und  Vertreter;  der  erste  war  wohl  Fr.  ßeichardt  und  seitdem 
ist  das  Liederspiel  auch  in  Deutschland  mit  mehr  oder  weniger  Grlück  bis  auf 
den  heutigen  Tag  gepflegt  worden   (s.  Liederspiel). 

VaupuUaire,  Musiker  von  französischer  oder  belgischer  Abstammung,  welcher 
am  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  lebte.  In  den  bekannten  Sammlungen  ist  von 
seiner  Composition  nichts  aufzufinden;  nur  eine  vierstimmige  Messe,  y>Ohrisfus 
resurgensii.  betitelt,  ist  im  Manuscript  vorhanden  und  diese  befindet  sich  in  der 
Bibliothek  zu  Cambrai.  Coussemacker  hat  das  fiSanctusa  daraus  in  Partitur 
veröffentlicht.  (»Notice  stir  les  collections  musicales  de  la  hibliotheq^ue  de  Gam- 
hrai«,   No.   1.) 

A^auseuville,  s.  Hoberger  de  V.' 

Vavasseur,  Nicolas  le,  Lehrer  der  Chorknaben  an  der  Kirche  zu  Lisieux 
und  Organist  der  Kirche  St.  Pierre  de  Caen  um  die  Mitte  des  17.  Jahr- 
hunderts. Er  Hess  drucken:  »Ganons  ä  deucc,  trois,  quatre,  cinq  et  six  voixv. 
(Paris,  Ballard,   1648,  in  4°). 

Vayanakol,  eine  Flöte  der  Ostindier. 

Vazquez,  D.  Joäo,  Kapellmeister  an  der  Kathedrale  zu  Burgos  in  den 
ersten  Jahren  des  16.  Jahrhunderts.  Er  hinterliess  im  Manuscript  Messen, 
Motetten,  Vilhancicos  und  "Weihnachtsgesänge.  Einige  aus  der  grossen  Zahl 
seiner  Arbeiten  findet  man  in  der  Sammlung  von  Enriquez  de  Valderavano, 
gedruckt  zu  Burgos  bei  Did.  Fernandez  de  Cordova  (1542). 

Tc,  Abkürzung  für  Violoncello. 

Tecchi,  Orazio,  italienischer  Componist  des  16.  Jahrhunderts,  berühmt 
als  Förderer  der  dramatischen  Musik,  ist  nach  der  im  städtischen  Archiv  zu 
Modena  bewahrten  Chronik  des  Griambatista  Spaccini,  1605  im  Alter  von  vier- 
undfünfzig Jahren  gestorben,  mithin  1551  geboren.  Der  Ort  seiner  Greburt 
sowie  seine  frühesten  Erlebnisse  sind  unbekannt  geblieben;*)  doch  steht  fest, 
dass  er  für  den  geistlichen  Stand  und  demgemäss  in  einem  Kloster  erzogen 
worden  ist.  Seinen  ersten  Musikunterricht  erhielt  er  von  einem  Mönch  aus 
Modena  Namens  Salvatore  Essenga,  unter  dessen  Aegide  er  auch  als  Componist 
debütirte,    indem    derselbe    ein  Madrigal    seines  Schülers  in  die  von  ihm   1566 


*)  Der  gewissenhafte  Biograph  Vecchi's,  Catelani,  zögert,  als  seinen  Geburtsort 
Modena  anzugeben,  da  die  Taufregister  des  dortigen  städtischen  Archivs  liicht  bis  zu 
seinem  Geburtsjahr  reichen.  Dagegen  wird  er  in  den  Sterberegistern  als  '„Modenese" 
aufgeführt. 


464 


VeccM. 


zu  Yenedio-    veröffentlichte  Sammlung    vierstimmiger  Madrigale    aufnahm.     Am 
15.   October  1586    wurde    Y.    zum    Canonicus    der    Kathedrale    des    Städtchens 
Correggio    erwählt    iind   am  29.  Juli   1591  zur  Würde  eines  Archidiakonus  an 
derselben  Kirche  erhoben.    Dass  er  schon  damals   einen  grossen  Euf  als  Kenner 
des    römischen  Kirchengesanges    genoss,    zeigt    die  Yorrede    zu   dem  1591  von 
dem  venetianischen  Musikverleger   Angelo    Gardano    veröffentlichten    r,Gr aduale 
Romanuma,    welche    unter    den    mit    der    Herausgabe    betrauten    musikalischen 
Autoritäten    auch    seinen    Namen    nennt.     Bei   aller  Anerkennung  aber,  welche 
ihm  in  Coreggio  zu  Theil  wurde,    sehnte   er  sich  aus  der  Stille  der  Kleinstadt 
nach  einem  bewegteren  öffentlichen  Leben    und  verlegte  seinen  Wohnsitz  nach 
Modena.    Dies  muss  im  Beginn  des  Jahres  1595  gewesen  sein,  denn,  wie  Spac- 
cini  berichtet,  wurde  dort  am  5.  Februar  dieses  Jahres  ein  Mordanfall  auf  ihn 
gemacht,   welcher   übrigens    vereitelt    wurde,    da    die  Kleider  des  Künstlers  die 
Wirkunw   des  für  ihn  bestimmten  Dolchstiches    abschwächten.*)     Die  Ursache 
dieses  Angriffes  ist  unbekannt  geblieben.    Der  streitsüchtige  Charakter  Yecchi's 
mag  als  allgemeiner  Erklärungsgrund  dafür  dienen.    Bezüglich  dieser  Eigenschaft 
finden  sich  bei  dem  genannten  Chronisten  noch  weitere  Mittheilungen:    so  soll 
Y.  ebenfalls  in  jenem  Jahre  mit  einem  Liebhaber  seiner  Schwägerin  einen  hef- 
tigen Zwist    gehabt    und    denselben    bei  dieser  Gelegenheit  durch  zwei  Degen- 
stiche   am    Kopfe    verwundet    haben;    ein    anderer,    weniger    ernsthafter    Streit 
entbrannte  einmal  (1596)  während  des  Gottesdienstes    in  der  Augustinerkirche 
zu  Modena  zwischen  ihm  und  dem  Organisten  dieser  Kirche,    Fabio  Eicchetti; 
Y.,  der  die  Messe    zu    singen    hatte,    glaubte    seinen  Yortrag  durch  die  Orgel- 
begleitung   beeinträchtigt    und    erhob  seine  Stimme  lauter  und  lauter,  wogegen 
der  Organist,    der    auch    seinerseits    zur  Geltung    kommen    wollte,  ein  Eegister 
nach  dem  andern  zog,   um  seinen  Eivalen    zu  übertönen.     Der  Ausgang  dieses 
Kampfes  blieb  unentschieden,  da  die  anwesende  Gemeinde  sich  bald  einer  lauten 
Heiterkeit  nicht  mehr  erwehren  konnte  und  so  der  anstössigen  Scene  ein  Ende 
gemacht  wurde. 

Am  14.  October  1596  wurde  Y.  an  Stelle  Ferrari's  zum  Kapellmeister  an 
der  Kathedrale    von  Modena    ernannt.     Im  nächsten  Jahre  reiste  er  nach  Ye- 
nedig,    um    einige    seiner    Compositionen,   wahrscheinlich    den,    später   noch    zu 
erwähnenden  »Amfiparnaso«  zu  veröffentlichen.     Im  Jahre  1598  erfuhren  seine 
materiellen    Yerhältnisse    eine    Yerbesserung,    indem    er   neben    seinem  Kapell- 
meisterposten das  Amt  eines  Lehrers  der  herzoglichen  Prinzen  mit  einem  Gehalt 
von    achtzig    Scudi    übernahm.     Weitere  Yortheile    erwuchsen    ihm  1603  durch 
die  Protection  des  in  Modena  anwesenden  kaiserlichen   Gesandten,  welcher  den 
Gemeinderath  der  Stadt  bestimmte,  dem  Künstler  ein  Gehalt  von  hundert  Lire 
für  fünf  Jahre  zu  gewähren;    demselben  Beschützer  hatte  Y.  ohne  Zweifel  die 
Ehre    zu    verdanken,    an    den    Hof    des  Kaisers  Eudolf  IL  eingeladen  zu  sein, 
wie    dies    die    Inschrift  auf  seinem   Grabstein  meldet,  wo  ebenfalls  zu  lesen  ist, 
dass  er  bei  dem  Herzog  Octavio  Farnese  von  Parma  sowie  bei  dem  Erzherzog 
Ferdinand  in  hohem  Ansehen  gestanden.    Auch  vom  Könige  von  Polen  wurde 
er  ausgezeichnet  und  zwar  durch  eine  Medaille  im  Gewicht  von  zweiundzwanzig 
Scudi  als  Gegenleistung  für  mehrere  ihm  übersandte  Compositionen.  —  Yecchi's 
lebhaftes  Naturell    und    sein  Interesse    für    die  dramatische  Musik  veranlassten 
ihn    zu    häufiger    activer  Theilnahme    an    den  öffentlichen  Maskenfesten,  welche 
in  der  Zeit  von  1599  bis  1604  zu  Modena  in  grosser  Zahl  veranstaltet  wurden; 
wie  sehr  nun  auch  der  Geist  jener  Zeit  zur  Toleranz  neigte,    so    scheint  doch 
die  Geistlichkeit,    der  Y.    als   Mitglied    angehörte,    sein    künstlerisches    Treiben 
anstössig  gefunden  zu  haben  und  mag  dies  die  Ursache  gewesen  sein,   weshalb 
er  im  October  1604  auf  Befehl  des  Bischofs  seines  Kapellmeisteramtes  entsetzt 
wurde.     Diese  Kränkung,  für  welche  er  selbst  hauptsächlich  seinen  Amtsnach- 

*)     „A  höre  22  fu  data  una  stiletada  a  Horatio  Vecclno,  musico  eccellente  cii  qiiesti 
iempi,  non  s'e  sapuio  da  chi,  et  tion  ebbe  male." 


Vecchi.  465 

folger    und    frühercu    Schüler    Geminiano  Capilupi   verantwortlich  gemacht  hat 
führte,  in   Verbindung    mit    einem  älteren  katarrhalischen  Leiden  in  der  Nacht 
vom   19.  bis  20.  Februar  seinen  Tod  herbei.     Er  hinterliess  u.  a.   eine  Samm- 
lung   von  Portraits    berühmter  Musiker    seiner  Zeit,   die  er  auf  eigene  Kosten 
von  tüchtigen  Malern  hatte  anfertigen  lassen;  er  vermachte  dieselbe  nebst  seinen 
übrigen    Bildern    und    seinen    Büchern    seinem  Neffen  Pietro   Giovanni  Ingone 
unter    der    seltsamen  Bedingung,    dass    derselbe    einem  seiner  Söhne  den  Tauf- 
namen Orazio  gebe  und  ihn  musikalisch  ausbilden  lasse.    Die  Zeitoenossen  des 
Kunstlers  zeigten  ein  volles  Verständniss  für  den  Verlust,  der  sie  durch  seinen 
lod  getroffen  hatte;  auch  der  Bischof  von  Modena  unterliess  nicht,  den  Hinter- 
bliebenen sein  Beileid  auszudrücken,  und  seine  Absicht,  dem  Verstorbenen  eine 
glanzende  Leichenfeier  zu  bereiten,  wurde  nur  dadurch  vereitelt,  dass  V    selbst 
m  seinem   Testament  ein  prunkloses  Begräbniss  für  sich  bestimmt  hatte     Zwei 
Jahre  später  wurde  ihm  ein  prächtiges,  von  dem  Bildhauer  Pacchioni  zu  Ee^rgio 
angefertigtes  Monument  gesetzt  mit  folgender  Inschrift: 

B.  0.  M. 

HOEATIUS  VECCHIUS,  QUI  NOVIS  TUM 

MÜSICIS,   TUM  POETICIS  EEBUS  INVENI- 

ENDIS  ITA  FLORUIT.  UT  OMNIA 

OMNIÜM   TEMPOR.   INGENIA   PACI- 

LE  SUPERAEIT,  HOC  TUMULO 

QUIESCENS   EXCITATEICEM   EX- 

PECTAT  TUBAM. 

HTC   OCTAVIO   FARNESIO.   ARCHIDUCI   Q. 

FEEDINANDO  AUSTEIAE  CARISSIMÜS 

CUM  AEMONIAM  PEIMUS   COMICAE  FA- 

CULTATI  CONJUNXISSET,  TOTUM  TER- 

EARUM    OEBEM   IN   SUI   ADMIEATIONEM 

TRAXIT:  TANDEM,  PLUEIBÜS  IN  EC- 

CLESIIS   SACEIS   CHOETS  PEAEFECTUS.   ET 

A  RADÜLFO  IMP.  ACCERSITUS,  INGEA- 

VESCENTE  JAM  AETATE  EECUSATO 

MUNEEE,  SEE:  MO  ducI  CESARI  ESTEN- 

SI,  PROPEIA  IN  PATEIA  INSEEVIENS, 

ANGELICIS  CONCENTIBUS  PEAEFI- 

CIENDUS  DECESSIT 

ANNO  M.  DC.  V.  DIE  XIX.  MEN. 

FEBEUAEII. 

Wie  aUe  Tonsetzer  seiner  Zeit  componirte  V.  hauptsächlich  Messen  und 
Motetten,  wie  auch  mehrstimmige  Madrigale  und  Canzonetten;  was  aber  seinen 
Namen  besonders  berühmt  gemacht  hat,  ist  eine  Art  musikalischer  Komödie, 
jener  schon  vorhin  erwähnte  »Amfiparnaso«*),  von  ihm  ^^Comedia  liarmonica^ 
genannt,  zuerst  aufgeführt  in  Modena  1594  und  drei  Jahre  später  in  Venedig 
veroffenthcht.  Der  italienische  Geschichtsschreiber  Muratori  hat  behauptet, 
die  ersten  musikalisch-dramatischen  Versuche  Vecchi's  seien  denjenigen  voran- 
gegangen, welche  Ende  des  16.  Jahrhunderts  in  Florenz  namentlich  durch  die 
Bemühungen  des  Dichters  Einuccini  und  des  Componisten  Peri  zur  Entstehung 
der  modernen  Oper  geführt  haben,  und  diese  Erfindung  werde  ihn  unsterblich 
machen.  Der  berühmte  Historiker  stützt  seine  Behauptung  auf  den  Passus 
der  oben  angeführten  Grabschrift  yyÄrmotiiam  primus  comicae  facultati  conjionxisset, 
totum  terrarum  orhem  in  sui  admirationem  traxiU  Ueberdies  sagt  V.  selbst  in 
der  Vorrede  seines  Werkes,  »dass  die  Verbindung  der  Komödie  mit  der  Musik 
seines  Wissens  noch  von  Niemandem  unternommen  oder  erdacht  sei,  und  dass 
er  wegen  seiner  Erfindung,  wenn  nicht  gelobt,  doch  auch  nicht  getadelt  zu 
werden  verdiene«  (r>Ussendo  Vaccoppiamento  di  Comedia  e  di  Musica  non  piu 
stato  fatto,  ch'io  mi  sappia  da  altri,  e  forse  non  imarji7iato edio  in  tanfo  devro 

A  l.P■^^'^3^  ^^%  Schreibweise  Catelani's,  des  schon  erwähnten  Autors  einer  zuerst  in 
der  Mailänder  ,^azzeUa  Musicale",  dann  im  Separatabdruck  erschienenen  werthvollen 
AbhaDdlung:  Delle  vita  e  delle  opere  di  Orazio  Vecchi".  Arteaga  {„Le  rivoluzioni  del 
teatro  musicale  Italiano"  I.  S.  263)  schreibt  „AuHparnaso". 

Musikal.  Conyers. -Lexikon.    X.  3q 


466  Veccln. 

esser,  se  non  lodato,  almeno  non  hiasimato  delV  inventione.<i).  Endlicli  scheint 
die  Inschrift  auf  einer  im  Teatro  cotnmunale  zu  Modena  befindlichen  Colossal- 
büste  des  Künstlers  ytOrazio  VeccJii  dividi  col  Binuceini  la  gloria  dHnventare 
Vopera  in  musicaa  die  Ansicht  Muratori's  zu  bestätigen.  Bei  genauer  Unter- 
suchung der  historischen  Thatsachen  jedoch  sowie  des  in  Rede  stehenden  "Werkes 
ergiebt  sich  das  irrige  derselben:  die  musikalische  Beschaffenheit  des  »Amfipar- 
naso«  zeigt  keinerlei  Gemeinschaft  mit  dem  Stil  jener  Reformatoren  des  musi- 
kalischen Dramas,  des  Peri,  des  Caccini,  ja  selbst  des  Emilio  Cavaliere;  anstatt 
des  von  diesen  angewendeten  Recitativs,  des  sogenannten  Stile  parlante,  und  der 
Monodie,  besteht  Yecchi's  musikalische  Komödie  ausschliesslich  aus  einer  lockeren 
Verbindung  mehrstimmiger  Gesänge  im  Madrigalstil  mit  der  Handlung.  Nach 
der  bizarren  Manier  der  Componisten  seiner  Zeit,  welche  selbst  die  Reden  der 
einzelnen  Personen  in  der  geistlichen  wie  in  der  weltlichen  Musik  von  mehreren 
Stimmen  ausführen  Hessen,  wird  auch  im  »Amfiparnaso«  die  Klage  des  Lieb- 
habers, welcher  sich  durch  Eifersucht  geplagt,  von  einem  Felsen  hinabstürzen 
will,  vermittelst  eines  auf  die  fünf  Stimmen  Basso,  Tenore,  Quinto,  Alto,  Canio 
vertheilten  Chores  ausgedrückt.  Ebenso  bewegt  sich  die  Musik  während  eines 
Streites  zwischen  dem  Doctor  Pantalon  und  seinem  gefrässigen  Diener  Pedro- 
lino  im  regelrechten  contrapunktischen  Ensemble.  Der  Tenor  beginnt:  »Pedro- 
lino,  wo  bist  du?«  worauf  der  Quinto  antwortet:  »Herr,  ich  kann  nicht  kommen, 
weil  ich  in  der  Küche  zu  thun  habe.«  Nun  singen  Sopran  (Canto),  Alt  und 
Tenor  die  "Worte:  »Du  Dieb,  du  Hund,  was  machst  du  dort  in  der  Küche?« 
und  Sopran,  Quinto  und  Basso  erwiedern:  »Ich  fülle  mir  den  Bauch«  (Tenor 
allein)  »mit  gewissen  Vögeln,  welche  den  ganzen  Tag  singen«  —  hier  fallen 
sämmtliche  Stimmen  mit  dem  Vogelgeschrei  »Pipiripi,  Cucurucu«  ein.  Diese 
Probe  darf  genügen,  um  den  gewaltigen  Abstand  erkennen  zu  lassen,  welcher 
den  »Amfiparnaso«  von  der  »Euridice«  des  Peri  trennt.  Kann  somit  V.  als 
dramatischer  Componist  nur  geringe  Theilnahme  beanspruchen,  so  gewinnt 
dagegen  seine  künstlerische  Persönlichkeit  dadurch  an  Bedeutung,  dass  er  sich 
gleichzeitig  als  Dichter  bethätigte,  und  zwar,  wie  Muratori  behauptet,  in  hervor- 
ragender Weise. 

Unbedingte  Anerkennung  verdient  V.  als  Componist  für  Kirche  und  Kammer. 
Von  seinen,  diesen  Musikgattungen  angehörigen  Werken  sind  die  folgenden  ver- 
öffentlicht worden:  1)  r>Canzonetti  di  Orazio  VeccJii  da  Modona  libro  primo  a 
q_uattro  voci,  novamenfe  ristampate  in  Venetia  appresso  Angelo  Gardanov,  1580 
(ist  dem  Grafen  Mario  Bevilacqua  gewidmet  und  enthält  22  Canzonetten). 
2)  nCanzonette  etc.  libro  secondo«,  Venedig,  1580  (dem  Podesta  von  Bologna, 
Camillo  Pellegrini  gewidmet,  enthält  21  Canzonetten).  3)  -aMadrigali  a  sei  voeia, 
Venedig,  1583  (dem  Fürsten  Albert  Radzivil  gewidmet).  4)  r>Canzonette,  libro 
terzo«,  Venedig,  1585  (enthaltend  22  Stücke).  5)  y>lIoratii  Vecchii  Mutinensis, 
Canonici  Corigiensis  Lamentationes  cum  quattuor  paribus  vocibus«,  Venedig,  1587 
(enthält  drei  »JSenedictus«,  sechs  -^ Misereres,  je  ein  -aPopule  meus«,  vStabat«.  und 
»O  salutaris  Jiostiaa).  6)  y>Canzonette  a  sei  voci,  libro  primo«,  Venedig,  1587 
(dem  Primicerius  oder  ersten  Sänger  der  Kapelle,  Gonzaga,  zu  Mantua  gewidmet, 
21  Canzonetten  enthaltend).  7)  »Madrigali  a  cinque  voci,  libro  primo«,  Venedig, 
1589  (dem  Herzog  von  Mantua  gewidmet,  mit  19  Nummern).  8)  r^Motecta 
Soratii  Vecchii  Mutinensis  etc.  Quaternis,  Quinis,  Senis  et  Octonis  vocibus«, 
Venedig,  1590  (31  Nummern).  9)  »Selva  di  varia  ricreatione  di  JSoratio  VeccJii, 
nella  qttale  si  contengono  varij  soggetti  a  3,  4,  5,  6,  7,  8,  9  et  ä  10  voci,  eive 
Madrigali,  Capricci,  Balli,  Arie,  Justiniane,  Canzonette,  Fantasie,  Serenate,  Dia- 
loghi,  un  Lotto  amoroso,  con  una  Battaglia  ä  diece  nel  fine  et  accomodatovi  la 
intavolatura  di  liuto  alle  Arie,  ai  Balli  et  alle  Canzonette«,  Venedig,  1590  (der 
Autor  nennt  diese  Sammlung  einen  »Wald«,  weil  hier  die  Mannichfaltigkeit  der 
Kunstformen  nicht  minder  gross  sei,  wie  dort  die  der  Pflanzen,  Sträucher  und 
Bäume;  in  diesem  musikalisch-poetischen  Chaos  finden  sich  ein  achtstimmiges 
Madrigal  von  Luca  Mazio,  unter  den  Tanzliedern   ein  fünfstimmiger  Saltarello, 


Vecchi. 


467 


der    unter    dem    Namen    seines    Erfinders   »IZ    VeccUoi   allgemein    beliebt    war). 
10)  r>Canzoneüe  lilro  quarto  ä  quattro  voci^i,  Venedig,  1590  (dem  Grafen  Camillo 
dAustria  von  Correggio  gewidmet  und  22  Nummern  enthaltend).     11)  r>Ca)izo- 
nette    a    tre    voei    di  Horatio    Vecchi    ei   di    Gemignano    Gapi-Lupi    da  Madonm'i, 
Venedig,  1597    (18  Canzonetten   von  V.    und    16  von  seinem  schon  erwähnten 
hchüler  enthaltend,    dessen  Fähigkeiten  der  Meister  in  seiner  Vorrede  warmes 
Lob  spendet).    12)  r>Saerarum  Cantionum  JEoratii  VeecUi  in  Gathedrali  JEcclesia 
Mutinae  mimeae  magistri,  quinque,  sex,   Septem   et  octo  voeibus,    Liher  secundus<.i, 
Venedig,  1597  (enthält  24  Nummern,  darunter  zwei  von   Capilupi).     13)  »Obw- 
vito  musicale  a  tre,  quattro  etc.  voci^    Venedig,   1597    (eine    Sammlung   von  52 
ionstucken    verschiedener    Gattung    nach    Art  der   r>8elva  di  varia  ricreazionea, 
dem    Erzherzog    Ferdinand    von    Oesterreich    gewidmet).     14)    ^^m/mni  qui  per 
totum  annum  in  ecclesia  romana  concinuntur,  partim  hrevi  stilo  super  piano  cantu, 
partim  proprio  Marte,  cum  quaiuor  vocihus<s.,  Venedig,  1604  (enthält  32  Hymnen 
nach    eigenen  Textesworten    und   ist   dem    Erzbischof  von  Salzburg  gewidmet). 
15)  r>Le  veglie  di  Siena,  overo  i  varii  humori  della  miisica  moderna«,  Venedig,  1604 
(das  Jahr  darauf  unter  dem  Titel  y>]Sfoctes  ludicrae«  in  Nürnberg  und  1614  sogar 
in  Gera  in  einer  von  Peter  Negander  besorgten  deutschen  IJebersetzung  erschienen; 
versucht    die    verschiedenen    menschlichen  Charaktere   musikalisch  zu  schildern' 
zu  welchem  Zwecke  V.,    wie    er   in  der  Vorrede  des  Werkes  sagt,  »lange  Zeit 
Studien  gemacht«).     16)    y^Missarum   senis  et  octonis  voeibus   Über  jjrimus«,  Ve- 
nedig,  1607    (das  erste  posthume  Werk  Vecchi's,    von  seinem  Schüler  Bravusi 
herausgegeben).    17)   t>I)ialoghi  a  sette  et  otto  voci,  da  cantarsi  et  concertarsi  con 
ogm    Sorte    di    stromenti<,,    Venedig,    1608    (eine  Sammlung  von  9   Gesängen  zu 
7  und  8   Stimmen;    am    Schluss    befindet    sich    die  Musik    zu    einer  1604  vom 
Autor    veranstalteten    und    geleiteten  Maskerade,  eine  lOstimmige  Composition, 
betitelt  siMascherata  della  Malinconia,  et  Allegrezzaa). 

^     Eine  grosse  Zahl  von  kleineren   Compositionen  Vecchi's,  Canzonetten,  Ma- 
drigale etc.  finden  sich  in  den  am  Schlüsse  des  16.  und  zu  Anfang  des  17.  Jahr- 
hunderts veröffentlichten  Sammlungen  von  Werken  berühmter  Tonsetzer,  nament- 
lich m  den  bei  Hubert  Waelrant  zu  Antwerpen  erschienenen  r>Sinfonia  angelieaa 
(1594),    r>Melodia  oUmpica».  (1594)    und    y>Lauro  verde«.  (1591);    ferner    in    »JZ 
Trionfo  di  Bori<,,  Venedig,  bei  Gardano  (1596),  y>Madrigali  pastorali<s,  Antwerpen, 
bei    Phalese    (1604),    »De  floridi    virtuosi    d'Italia    il    terzo    libro   di    madrigali, 
Venedig,  bei  Vincenti  (1586)   »ie  muse  da  diversi  autori  a  5  voci«,  ebenda  bei 
Gardano  (1575),  -»11  trionfo  di  Musica<.^,  ebenda  bei  Scotto  (1579),  y>Gli  amorosi 
ardorKi,  ebenda,  Gardano  (1583),  y>Spoglia  amorosa«,  ebenda  (1592).  —  Alle  diese 
Arbeiten  Vecchi's  zeigen  den  Meister  im  strengen,  massvollen  Kirchenstil,   zu- 
gleich   aber   ganz    seltsam   dramatisch-malerische   Züge,   aus  denen,  wie  Ambros 
sagt,    »ein  tief  in  seinem  Innern  sitzender,    curioser  Kauz  hervorguckt;    ander- 
wärts   tritt    dieser    neckische    Dämon,    wo    er   sich  nicht  um  der  Kirche  willen 
geniren    muss,    offen   zu  Tage.«     So  im  »Amfiparnaso«,  der  mit  den   » Veglie  di 
Szena<i    als    bemerkenswerthes    Zeichen    gelten    darf,    wie    sehr   die  Musik  jetzt 
endlich  darnach  rang,    ganz    bestimmter  Ausdruck  des  wechselnden  Affektes  zu 
werden.     Die    dramatische  Bühne    schwebte    ihr    bereits    vor,  wenn  auch  einst- 
weilen m  noch  schwankenden  Umrissen.     Die  gewählte  Form  findet  zum  Theil 
ihre  Entschuldigung    darin,    schliesst  Ambros,    dass  das  für  die  wirkliche  Oper 
unentbehrliche  Orchester  damals  in  der  entsprechenden  Weise  (d.  h.  nicht  blos 
Akkorde  auf  einem  Grundbass  anschlagend,  wie  eben  damals  in  Aufnahme  kam, 
sondern  selbstbedeutend  eingreifend,  wie  z.  B.  bei  Mozart)  noch  nicht  zur  Ver- 
fugung stand  und  dem  V.  offenbar  ahnungsvoU  und  dunkel  ein  analoger  musi- 
kalischer Efi-ekt  vorschwebte,  den  er  denn  durch  belebte  Polyphonie  singender 
Stimmen  zu  ersetzen  versucht  hat. 

Vecchi,  Orfeo,  italienischer  Kirchencomponist,  wurde  um  1540  zu  Mailand 


*)    A.  W.  Ambros,  „Geschichte  der  Musik",  III.  p.  545. 

30  ^ 


468  Vecchi  —  Veit. 

geboren,  wirkte  als  Kapellmeister  an  der  dortigen  Kirche  Santa  Maria  della  Scala 
und  ist  daselbst  1613  gestorben.  Wie  der  Vorhergebende  dem  geistlichen  Stande 
angehörig,  vermied  Orfeo  V.  im  Gegensatz  zu  jenem  alle  Abschweifungen  über 
das  engere  Gebiet  seiner  Kunst  hinaus  und  stellte  dieselbe  ausschliesslich  in 
den  Dienst  der  Kirche.  Von  seinen  Compositionen  sind  im  Druck  ei-schienen 
und  zwar  zu  Antwerpen:  1)  ^')Gantiones  sacrae  sex  voeum,  lih.  3«,  1603.  2)  öan- 
tioiies  sacrae  quinq^ne  vocum,  lih.  1«,  1610.  3)  »Salmi  intieri  a  cinque  voci,  che 
si  cantano  alU  vespri  nelle  solennitä  de  tutto  Vanno,  con  doui  (sie)  Ma(jnificat, 
Falsi  Bordoni  et  le  quattro  Antifone  par  la  Compietä.  Nuovamente  ristampati  in 
Milano  appresso  Filippo  Lomazzo<i,  1614.  4)  y>Motectorum  quae  in  communi 
Sanctorum  quatuor  vocum  conein.  Liber  primusa,  Mediolani,  1603.  Eine  Anzahl 
von  Manuscripten  Vecchi's  findet  sich  in  den  Archiven  des  Mailänder  Doms, 
darunter  ein  Buch  vierstimmiger  Motetten,  fünf  Bücher  mit  fünfstimmigen  Mo- 
tetten, eine  Auswahl  von  Madrigalen  in  Form  fünfstimmiger  Motetten,  sieben 
Psalmen  für  sechs  Stimmen  mit  Basso  continuo,  ein  Magnificat  in  den  acht 
Kirchentönen  mit  Basso  continuo,  Faux-Bourdons  zu  vier,  fünf  und  acht  Stimmen, . 
endlich  mehrere  Bücher  mit  Hj^mnen,  theils  zum  Gebrauch  beim  Gregorianischen, 
theils  beim  Ambrosianischen  Bitus. 

Vecclii,  Lorenzo,  Geistlicher  der  Metropolitankirche  zu  Bologna,  zeitweilig 
auch  Kapellmeister  an  derselben,  wurde  1566  zu  Bologna  geboren.  Unter  einer 
Beihe  von  Compositionen  für  die  Kirche,  welche  von  ihm  im  Beginn  des  17. 
Jahrhunderts  zu  Venedig  bei  Augelo  Gardano  veröffentlicht  wurden,  ist  ein 
Buch  mit  Messen  unter  dem  Titel  y>Misse  a  otto  voci,  libro  pyrimoa  (Venezia, 
Angelo   Gardano,  1605)  hervorzuheben. 

Vecoli,  Pietro,  Componist,  zu  Lucca  um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts 
geboren,  gehörte  während  einer  Zeit  zur  Kapelle  des  Herzogs  von  Savoyen. 
Von  seinen  Compositionen  sind  gedruckt:  y>MadrigaU  a  cinque  vocia  (Toriuo. 
1581,  in  8"). 

Vecoli,  Begolo,  neapolitanischer  Componist,  ebenfalls  aus  der  ersten  Hälfte 
des  16.  Jahi'hunderts.  Von  ihm  sind  gedruckt:  »Canzonette  alla  napoletatia  a  3, 
4,  5  e^  6  vociti  (Venedig,  1569,  in  4").  y>Madi'igali  a  5  voci<i  (Lyon,  Clement 
Baudin,  1577,  in  4**  obl.). 

Veeuieote  (ital.),  Vortragsbezeichnung  =  heftig. 

Veesenmeyer,  Georg,  Theologe  und  Professor  zu  Ulm,  starb  daselbst  am 
6.  April  1833.  Er  gab  heraus:  »Versuch  einer  Geschichte  des  deutschen 
Kii'chengesanges  in  der  Ulmischen  Kirche«  (Ulm,  1798,   12   Seiten  in  4°). 

Veggio,  Claudio,  Contrapunktist  des  16.  Jahrhunderts,  veröffentlichte: 
»ZZ  primo  libro  di  madrigali  a  4  voci,  con  la  gionta  de  sei  altri  di  Archadelt 
della  misura  a  brevem  (Venedig,  Hyronimo  Scotto,  1540;  zweite  Ausgabe  eben- 
falls in  Venedig,  1545,  in  4°  obl.).  Befand  sich  auf  der  Münchener  Bibliothek. 
Veichtuer,  Franz  Adam,  Violinist  und  Componist,  Schüler  des  Franz 
Benda  in  Potsdam,  wurde  Kapellmeister  des  Herzogs  von  Kurland  zu  Mitau; 
machte  nach  Auflösung  dieser  Kapelle  Beisen  nach  Italien,  wo  er  sich  als 
Violinist  hören  liess,  und  kam  dann  als  Kapellmeister  nach  Petersburg,  wo  er 
auch  gestorben  sein  soll.  Geboren  wurde  er  1745  wahrscheinlich  in  Preussen. 
Die  Cantate:  »Cephalus  und  Procris«  wurde  1780  in  Berlin  aufgeführt.  Ausser- 
dem schrieb  er:  »Hymne  an  Gott«.  »Die  erste  Feier  der  Himmelfahrt  Jesucf, 
Oratorium.  Gegen  sechzig  Sinfonien,  von  denen  gedruckt  sind:  Vier  Sinfonien 
für  zwei  Violinen,  Alt,  Bass,  zwei  Hoboen,  zwei  Fagotte  und  zwei  Hörner 
(Leipzig,  Sommer,  1777).  Zwei  russische  Sinfonien  in  acht  Theilen  (Leipzig, 
Hartknoch).  Violincoucert  (ebenda  1771).  Drei  Quartette  (Petersburg,  1802). 
Vierundzwanzig  Fantasien  für  Violine  und  Bass,  op.  7,  Buch  1  und  2  (Leipzig, 
Breitkopf  &  Härtel)  u.  a. 

Veit,  Emil  Alexander,  bekannter,  trefflicher  Pianist  aus  der  Schule  der 
Herren  von  Bülow,  von  Bronsart  und  Bendel.  Geboren  am  3.  März  1842  zu 
Mirone    in    Mecklenburg,    als    der    älteste    Sohn  eines  Schulvorstehers  daselbst, 


Veit  —  Veitstanz,  ^^q 


seine  Eltern  siedelten  m  seinem  3.  Lebensjahre  mit  ihm  nach  Berlin  über,  wo 
r  Jr.  T?-  1  /  w  rl;-  ^'^^^  theoretischen  Studien  betrieb  er  unter  Professor 
V?JI'      Ti  """i  '^^VV^rt      Em    ernsthaft  strebender  Künstler,  war  er  der 

Erste,  welcher  hier  in  seinen  Concerten  «Für  Werke  von  Componisten  der 
Gegenwart«,  18.1-1873  (m  denen  er  nur  hier  noch  gar  nicht  aufgeführte 
Werke  lebender  Componisten  zu  Gehör  brachte)  energisch  für  das  Neufind  e 

h^rt:^  IHt/b  Z  "'"'''"t  •''>^^^^"  Componisten  zur  Anerkennung  ver- 
half. Seit  1874  Direktor  eines  Instituts  für  höheres  Clavierspiel,  wirkt  er  auch 
hier  in  durchaus  anregender  Weise  und  hat  auf  pUdagogisch^em' Gebfet  IreTts 
höchst  achtbare  Eesultate  seiner  Tüchtigkeit  und  seines  e^rigen  Streb  ns    rzTelt 

frsch-eTe'n:"'"'''  "''  '"  ^''''  ''""''^  '''''''''    '^'"^'^^   sLnsthen  ^n  ihm 

r,  /'^"' J^^^""^'^  Heinrich,  ist  am  19.  Januar  1806  in  Czepnitz,  einem 
Dorfein  Böhmen,  geboren  und  erhielt  auch  hier  seinen  ersten  Unter  icht" 
der  Musik  vom  Lehrer  des  Dorfes.  In  Leitmeritz,  wo  er  das  Gymnasium  und 
in  Prag  wo  er  (1821)  die  Universität  besuchte,  ;ernachlässigte 'eTd  Musii- 
Studien  durchaus  nicht,  und  obgleich  er  die  Jurisprudenz  zu  seinem  Berurer- 
wählte  -  er  ging  1831  in  Dienste  der  Stadt  Prag  -  wurde  1850  Oberlandel 
gerichtsrath  und  1861  Gerichtspräsident  in  Leitmeritz  -  so  bLhä  ttte  e" 
itt  'T''  Z  "Tn'^  ^"'^  erfolgreich  mit  der  Musik,  was  seine  voHreff' 
heben  Quartette  und  Quintette  für  Streichinstrumente,  dne  Ouvertüre  und 
rL^wTtz   ""''  "  (>esangswerke  darthun.    V.  st^rb  am  16^^ Febr.  1864 

Teitstanz.     Es   war   um   die   Mitte  des  14.  Jahrhunderts,  als  Europa  von 
einer  der   fürchterlichsten    Seuchen   heimgesucht   wurde.     Aus    China  kommlnd 

JahtT34T  atr'D  ".  n'",'  ''^'"^i'  ^^^^'^•^^^^^'  ^^^^^^^  -^  erreichtTim 
Der  !..l  auch  Deutschland,  wo  über  2000  Dörfer  vollständig  ausstarben. 
Der     schwarze   Tod«  -  so    nannte    man    diese  Krankheit,  die  keine  ander 

Wirtunr"  fl  ^^^^r tT  ~  ^°^^"''^  ^^^"^  °P^^^'  ^^^^  ^iilli—  ^-^  seine 
Wirkung  auf  das  sociale  Leben  war  eine  tiefgehende.  Da  traten  nun  jene  Aus- 
wüchse des  rohesten  mittelalterlichen  Aberglaubens  zu  Tage  und  es  schien  als 

rufrie^en  Dam"  ^'  'T'  ''^''^T^^^^  ^^^^^^--^  die  im  tollen  ^rbel  sich 
wuth    odP.  T  T^     '''t  ^^^^^^^  J^^«  merkwürdige  Erscheinung  der  Tanz- 

Zl  i  M^"".'^,^?'-  ^^  ^^^^'"  Rheinland  auf-  und  abwärts  bis  Aachen 
und  m  den  Niederlanden  erschienen  Schaaren  von  Männern  und  Frauen  die 
m  bacchantischer  Ausgelassenheit  unter  wilden  Sprüngen  und  Yerr  nkungen 
den  Umst  b"  f'"'  ^  .^and  -blossen  sie  Kreise  lind  tanzten  ohne  Scheu  vor 
den  Umstehenden  m  wilder  Raserei  bis  wuthschäumend  sie  zur  Erde  stürzten 

sThr.."l  LTt^  ';:  ^^'^  '^^  Neugierigen,  die  sich  an  dem  wunderblren 
bchauspiel    weideten,    aber   immer   mehr   auch    die    Zahl    der  Ergriffenen      Der 

iusWh  der"?"  ^-^'^  ''.'  "^^^'^  andere  Sinneneindrücke  Lförderten  den 
und  Xt  T^  dämonischen  Bewegungen,  welche  allen  Heilmitteln  der  Aerzte 
Johanni..  ''T^    der   Priester   zu   trotzen  schienen.     Man  nannte  sie 

Johannistanzer,  weil  nach  der  einen  Meinung  dies  Uebel  bei  der  Feier  des 
deshalb  TT  r'i  TT""  Y'^S  genommen,  nach  der  andern  Ansicht  aber 
de  Sn  b  f  M  ^^^f  ^^^^  ^^"  ^«^^ig«^  J^bannes  anriefen  und  sich  dem  Schutz 
nutzte  man  dt  K  ll'  ?''T  •!''.?  '"  ^^^-^^^-rg  die  Tanzwuth  losbrach,  be- 
nutzte man  die  Kapelle  des  heil.  Yeit  zur  Beschwörung  ge^en  diese  Krankheit 
und  von  diesem  Umstände  sollen  die  Ergriffenen  Yeits^ln^zer  h  sst  wt 
werden  unten  aber  eine  ganz  andere  Herleitung  anführen 

^^.«.1?'"  v""""^  '^''  ^""l^^Se,  wie  solche  in  Chroniken  beschrieben,  blieb  immer 
dieselbe:  Voran  einige  Sackpfeifer,  dann  eine  Heerde  Neugieriger  dann  di^Be- 
faUenen  m  ihren  wunderlichen  Sprüngen  und  Tänzen  \nf höh   L  a 

ATirrQi.?<,.;^«v,     A-  IT  1        ^i^^^^^gcu   uuu   xanzen,    endlich  die  lammernden 

für?  k      ^     •  ^Z^'^^'^^'  Anstrengung   machten,    die    unglückl  eben    Opfer 

sZ.nwT^r-  ?"^''^'"  ^'r'^''  "^"  ^^''^^  S^^läge  und  Stösse  die  Be- 
sonnenheit bei  den  Tanzern  wieder  zurückzurufen,  was  bei  einigen  in  der  That 


470  Veitstanz. 

zum  Ziele  führte.  Bei  manchen  dagegen  steigerte  sich  die  Ausgelassenheit  bis 
zum  vollständigen  Verlust  des  Bewusstseins,  schäumend  und  brüllend  tanzten 
sie,  bis  sie  todt  niederfielen,  oder  stürzten  blindlings  sich  ins  "Wasser  oder  zer- 
schmetterten ihren  Kopf  an  den  Wänden.  So  währte  der  Spuk  in  mannich- 
fachen  Varianten  bis  zu  Anfang  des  15.  Jahrhunderts,  wo  er  sich  dann  allmälig 
verlor.  Lassen  wir  aus  verschiedenen  Chroniken  von  dieser  Tanzwuth  aus- 
führlich berichten.  Vorangehe  die  Limburg  er  Chronik,  die  also  erzählt 
(Ausg.  V.  Vogel,  1828,  S.  72):  »Anno  1374,  zu  mitten  im  Sommer,  da  erhub 
sich  ein  wunderlich  Ding  auff  Erdreich,  und  sonderlich  in  Teutschen  Landen, 
auff  dem  Rhein  und  auff  der  Mosel,  also  dass  Laut  anhüben  zu  tantzen  und 
zu  rasen,  und  stunden  je  zwei  gegen  ein,  und  tantzeten  auf  einer  Statt  einen 
halben  Tag,  und  in  dem  Tantz  da  fielen  sie  etwan  dick  (=  oft  und  tüchtig)  nieder 
und  Hessen  sich  mit  Füssen  tretten  auff  ihren  Leib.  Davon  nahmen  sie  sich 
an,  dass  sie  genesen  wären  und  lieffen  von  einer  Stadt  zu  der  andern  und  von 
einer  Kirche  zu  der  andern,  und  hüben  Geld  auff  von  den  Leuten,  wo  es  ihnen 
mocht  gewerden.  Und  wurd  des  Dings  also  viel,  dass  man  zu  Köln  in  der 
Stadt  mehr  denn  fünffhundert  Täntzer  fand.  Und  fand  man,  dass  es  ein  Ketzerei 
war,  und  geschah  umb  Geldes  willen,  dass  ihr  ein  Theil  Frau  und  Mann  in 
Unkeuschheit  mochten  kommen  und  die  vollbringen.  Und  fand  man  zu  Köln 
mehr  denn  hundert  Frauen  und  Dienstmägde,  die  nit  eheliche  Männer  hatten. 
Die  wurden  alle  in  der  Täntzerey  kindertragend,  und  wann  dass  sie  tantzeten, 
so  bunden  und  knebelten  sie  sich  hart  um  den  Leib,  dass  sie  desto  geringer 
(dünner)  wären.  Hierauf  sprachen  ein  Theils  Meister,  sonderlich  der  guten 
Artzt:  dass  ein  theil  wurden  tantzend  die  von  heisser  Natur  wären  und  von 
anderen  gebrechlichen  natürlichen  Sachen.  Die  Meister  von  der  heiligen  Schrift 
die  beschworen  der  Täntzer  ein  Theil,  die  meinten,  dass  sie  besessen  wären  von 
dem  bösen  Geist.  Also  nahm  es  ein  betrogen  End  und  währte  wol  sechzehn 
Wochen  in  dissen  Landen  oder  in  der  Maass.  Auch  nahmen  die  vorgenannten 
Dänzer  Mann  und  Frauwen  sich  an,  dass  sie  kein  roth  sehen  möchten.  Und 
war  eitel  Täuscherei  und  ist  Vorbottschaft  gewesen  an  Christum  nach  meinem 
Bedünken. «  — 

Ueber  den  Namen  und  Ursprung  des  Veitstanzes  sind  die  Meinungen 
zeither  getheilt  und  verwirrend  gewesen.  Die  Basler  Chronik  (v.  Gross,  S.  241), 
nachdem  sie  von  einem  Dienstmädchen  erzählt,  das  1615  von  schwerer  Tanz- 
wuth befangen  war,  bemerkt  hierzu:  »Warum  es  der  Veitstanz  heisst,  das 
sollt  ihr  wissen:  dass  dieser  heilige  Mann  von  seinem  Vater  übel  geschlagen 
wurde,  dieweil  er  die  Götzenbilder  verachtete,  damit  aber  nichts  ausgerichtet 
wurde.  Da  wollte  er  es  anders  anfangen  und  Hess  immer  hübsche  feine  Mägd- 
lein herbeikommen,  unter  Musik  und  Tanz  seinen  Sohn  zur  Abgötterei  zu  ver- 
führen und  das  Abgöttische  ihm  angenehm  zu  machen.«  Anderer  Meinung  ist 
Agricola  (Deutsche  Sprüchwörter,  No.  497):  »In  deutschen  Landen  sind  der 
Plagen  viel  gewesen.  So  wurden  etliche  geplagt,  dass  sie  tanzen  mussten  oft 
Tag  und  Nacht  aneinander,  oft  zween  und  drei  Tag  und  Nacht.  Es  ist  eine 
Fabel:  St.  Veit,  der  14  Nothhelfer  einer,  habe  bei  seinem  Märtyrertode  Gott 
gebeten,  da  er  jetzt  den  Hals  solle  hinreichen,  so  wünsche  er:  dass  die  an 
seinem  Abend  fasten  und  seinen  Tag  feiern,  vor  demselben  Tanz  (?)  bewahrt 
bleiben  möchten  und  alsbald  ist  eine  Stimme  vom  Himmel  kommen:  Vite,  du 
bist  erhöret!«  —  Wer  war  St.  Vitus?  Ein  erdichteter  Heiliger,  der  in  der 
Diocletianischen  Christenverfolgung  den  Märtyrertod  erlitten  haben  soll.  Sein  Ge- 
dächtnisstag im  Kalender  ist  der  15.  Juni.  Wie  kommt  nun  aber  dieser  fabulöse 
christliche  heilige  St.  Vitus  dazu,  mit  dem  Tanze  derartig  in  Beziehung  gebracht 
zu  werden,  dass  man  die  Johannistänze  auch  Veitstänze  und  nach  ihm  eine 
Tanzwuth  benannte,  und  wieder  in  einem  alten  Volksreime  (»Heiliger  Sankt 
Veit,  beschere  uns  ein  Scheit!«)  ihn  anruft,  zum  sogenannten  Johannisfeuer  Holz 
zu  schenken?  Der  Widerspruch  wird  gelöst  und  das  ganze  fabulöse  Wesen 
des  Vitus  klar,  wenn  wir  erfahren,  was  in  neuester  Zeit  die  Wissenschaft  fest- 


Veitstanz.  471 

gestellt  hat:   Sanctus  Vitus  ist  nur  eine  Umformung  des  Namens  vom 
slavischen    Sonnengott    »Swantewit«*)    (d,   h.    heiliges   Licht).     Wegen 
des   Gleichklanges  Swante-wit  und  Sante  Vit  machte  die  TJebertragung  sich 
leicht.    Zur  Erklärung  aber  diene  noch  Folgendes:  Die  Verehrung  des  Swantewit 
reicht   tief  in    die  vorchristlichen  Jahrhunderte  hinauf.     Es  ist  der  slav.  Odin 
(Gode,  Wood),  denn  beide  Gottheiten  standen  der  Ernte  vor,    beide  reiten  ein 
weisses  Eoss.    Wenn  es  von  Odin  heisst,  dass  er  in  den  12  Nächten  auf  weissem 
Eosse  daher  tose:  so  glaubte  auch  der  Slave,  dass   Swantewit  auf  dem  weissen 
Rosse,  das  ihm  der  Cultus  hielt  und  das  nur  vom  Oberpriester  bestiegen  werden 
durfte,  Nachts  gegen  die  Feinde  des    Heiligthums   zum  Kampfe  ausziehe.     Der 
Hauptsitz    seines    Cultus    war    zu  Arcona    auf    der  Insel  Rügen,  weshalb  auch 
dort  gerade  zuerst  879  zu  Ehren  Veits  durch  Mönche  von  Corvey  eine  Veits- 
kapelle entstand.     Aber  auch  Böhmens  Hauptstadt  besass  einen  Tempel  dieses 
Gottes,  der  in  christlicher  Zeit  in  die  Domkirche  zu  St.  Veit  umgenannt  wurde. 
Nicht  zufällig  ist:  dass  die  Johannesfeierlichkeiten  (24.  Juni)  neun  Tage  nach 
St.  Veitstage   (15.  Juni)    erfolgen;    denn    das  Wesentliche    der  Johannisfeier 
besteht  in  Böhmen  noch  jetzt  in  dem  Anzünden  lichter  Flammfeuer,  um  welche 
ehedem  herumgetanzt  und  wobei  Lieder  gesungen  wurden.  Dass  die  Johannes- 
festgebräuche (Johanuesfeuer  und  Johannistänze)  vormals  wirklich  dem  Swante- 
wit galten,  bezeugt  ein  alter  Schriftsteller  in  den  •aScriptoresrer.Germ.<i  (Francof., 
1718, p.  508):  ».De  Chorea  Swante  Wite:  Meri  solet  annuatim  in  festo  Joaniiis 
Saptistae  —  uhi  scamna  in  circum,  que  transiliunt,  proferunt,  et  serio  cautum  ne 
quis  rubro  amictus  conspiccatur,  quem  invadunt.    Toto  mense  praecedenfe  Joannem 
sunt  timidi  et  choreas  ducentes  timore  liherantur.   Ädd.  Sodin.  lih.  V.  de  republ.  c. 
c.  5.  Nunc  ad  descriptionem  Idoli  his  ohiter  insertis,  2^'t'ogrediemur.  Inter  miiltiformia 
Slavorum  idola  excelluit  Swante  Wiet . . . .  etc.a  [Uebersetzuug:  Von  den  Chorreigen 
Swante  Wits:  Es  pflegt  alljährlich  am  Fest  St.  Johannes  des  Täufers  zu  geschehen, 
dass    sie    (die  Slaven)  Bänke    auf  den  Spielplatz  schaffen  und  darüber  hinweg- 
hüpfen und  wird  später  dafür  gesorgt,  dass  Niemand  im  rothen  Rocke  gesehen 
wird,  denn  auf  diesen  stürzen  sie  los.     Einen  ganzen  Monat  vor  Johanni  sind 
sie  ängstlich  und  werden  von  dieser  Angst  dadurch  befreit,  dass  sie  ihre  Chor- 
tänze ausführen.    Unter  allen  Götzenbildern  der  Slaven  glänzt  das  des  Swante- 
wit.]    Erwiesen  ist  längst,  dass  die  Slaven  dem    Sonnengott   das   Hauptfest  in 
Mitte  Juni  feierten,  wo  seine  Kraft  sowohl  in  der   Länge    des  Tages  wie  in 
der  steigenden  Hitze  sich  am  meisten  entwickelte  —  ähnlich  wie  die  Germanen 
zur   Zeit    der  Sommer-Sonnenwende,    21.  Juni,   ihrem  Wodan   zu  Ehren  Feuer 
anzündeten    und    unter  Tanz  ihre  Opfer  darbrachten,   woher  die  im  Mittelalter 
vielverbotenen  Johannistänze  und  Johannisfeuer   ihren  Ursprung   haben.     Dass 
die  Tänze  auch  bei  den  Slaven  zum  Cultus  des  Lichtgottes  gehörten,  beweist 
eine  lateinische  Stelle  bei  Eckhard  (^Monum.  Jutelok,  p.  59),  die  bei  Gelegenheit 
der  Erwähnung  des  Jutre  hog  (Gott  der  Morgenröthe)  angeführt   ist  und  über- 
setzt  also    lautet:   »Auf  jedem  Hügel  war  ein  Bild  des  Götzen,  mit  einem  be- 
sonderen   Namen    bezeichnet,    welches    die    Slaven  an  Festtagen  anbeteten  und 
auch  durch  Tanz  verehrten.    Denn  eine  uralte  Sitte  ist,  die   Götter  unter  Ge- 
sang   durch    Reigen    und    Tanz    zu    ehren,    wie  die  heilige  Schrift  hie  und  da 
durch    Beispiele    der    Aegypter,    Israeliten     und    Baalsdiener    deutlich    beweist. 
Daher  glaube    ich:  Dieser    ganze    Gebrauch  gehe  aus  dem  Heidenthum  hervor, 
wenn  die  Bauern  fast  in  allen  Gauen  dieser  Gegend  (Jüterbok)  und  der  Mark 
Brandenburg  bei  der  Feier  von  Hochzeiten  ein  altes  Rad  vor  dem  Hause  oder 
auf  dem  Hügel  anzünden  und  bei  dessen  Umdrehungen,   wie    beim  brennenden 
Scheiterhaufen,  festliche  öffentliche  Tänze  aufführen.« 

Nach  alledem  dürfte  es  nicht  gewagt  sein,  den  Veitstanz  von  den  Tänzen 


*)  Schon   Ilelmold  (Chron.  Slav.  I,  6)   hat   dies   nachgewiesen  und  andere  Forscher 
Mone,  Heidenthum  I,  185;  F.  Nork,  Mythologie  der  Volkssagen,  p.  562;  A.  Wnttke,  Volks- 


aberglaube 34  theilen  diese  Ueberzeuj^un": 


^„_  Veitstanz. 

472 


1      1  -i.         -TO-Ja  A',o  of.liwinrlplnden  Rundtänze  der  Druiden 
^'°  T^ze    zu    Ehren    de,   gönne   oft  in  teilige  Raserei   ansarteen    wovon 

Anton   (Yerf.  über   Sitten   -d  Geb-^be  ie^  ^"-^^Wn  J\,t!s,  Kolo  = 

r t,'t,r-Tp"inTl  e     gelÜnde    si"  auf   die    linke,    dann    einen 

Zirkel,  Ead  —  9"y^.%-^/  Trr„n  aber  die  Männer  allein  tanzen,  so  bleiben 
langsamen  auf  die  recbte  Se'*«-    Wenn  at>e.  3,y,„a„„  ^it  dem  reebten 

sie  nach  den  drei  l^J^^^u^^f^e^clZl    tZn  aber  dieser  Tanz  mit  Singen 
Beine  gegen  den  Mittelpunkt  des  t^irKeis^  ^^     ^^^  ^^^  ^^_. 

ISre^^oit^^ie™  DefsCeb^Tanrist   äusserst  wild,  was  man  be- 

'""'Tv'd  s'rbt^'a'ufL"    Yorg?Wb"ten1blr"   den  Veitstanz    fest:    Er  bat 
sl„frbtn%"  r-nt-d  leist  als  eni  Opfer-  ™dji.uden^ 
des  Licbtgottes  auf  die  Heidenzeit  -™'^'/j,''^\°f,'^t/;:  f.ifC  ,ig  in  De°utscb- 
Johannisfest  verlegt  wurde  und  auch  als  ^»''^"f'X    ,^'"i„„    wirklichen 
land   gekannt   war.     Im    Mittelalter   war    er    zeitweilig    zu   emer 

Seuche  geworden  und  stand  ™^^t  1  die   Fol<re  von  der  grossen 

Znsammenhang.     Denn  beide  Erscheinungen  war  ud^e   Folge  von  de     g 

r^^-en-erwÄrS^^i^^^ 

halten,  von  denen  einxge  Ueberreste  ^:\%]^^^^^^^  haben.     Noch 

Echternacher  Springprocession   sich  bis  zur   ^^g^^™  schnellwechselnde 

^KrL';^e^rderrusrf^::^HÄ^^ 
Äfrt^im^^SSkÄ^oi^r 

Artikels   über    Johannistänze    dienen.     Melodien    zu    aen   "^c  p,  • 

t^hSstänzen  haben  sic^-icHt  erhalten^  gewiss^  wa^^^^^^^^^^ 

aber  ihrer  Zeit  gekannte  Tanzlieder  ^«^'l^^^^^f -^^^^^i    -egeb        habe,  dürfte 
stücke    zur  Vertreibung    des    Veitstanzes    als    ^ran^^^^^^^^  ^^^^  gemeldeter 

sehr  zu  bezweifeln  sein;  wenigstens  ist  davon  nichts  weiter, 
Anruf  an  St.  Johannes,  bekannt  geworden. 


Verzeichniss 

der  im  zehnten  Bande  enthaltenen  Artikel. 


s. 

Stradivarius,      Francesco 
Seite    1. 

Stradivarius,  Omobone  1. 

Straehle,  Daniel  1. 

Straehle  1. 

Strakaty  1. 

Strakosch,  M.  1. 

Stramboli,  Bartolomeo  1. 

Strasciando  1. 

Strasciuaudo  l'areo  1. 

Strascinar,  strascino  1. 

Strascinato  Flautato  1. 

Strassburger  1. 

Strasser,  Johann  Georg  2 

Stratonicus  2, 

Strattner,     Georg    Chri- 
stoph   2. 

Straube,  Kudolph  2. 

Strauss,  Adolph  Friedr.  2 

Stranss,  Christoph  2. 

Strauss,  Joseph  2. 

Strauss,  Johann  3. 

Strauss,  Ludwig  7, 

Stravaganto  8. 

Stravaganza  8. 

Strebefeder,  s.  Balg  8. 

Streicheither,    s.    Streich- 
Zither  8. 

Streichen  8. 

Streichen  8. 

Streicher,     Johann     An- 
dreas 9. 

Streicher,  Nanette  9. 
Streichchor  9. 
Streichinstrumente  9. 
Streichquartett,    s.     Quar- 
tett  12. 
Streichquintett,    s.     Quin- 
tett  12. 
Streichsextett,  s.  Sextett  12. 
Streichseptett,  s.  Septett  12. 
Streichtrio,  s.  Trio  12. 
Streichzither  12. 
Streit,    Wilhelmine,    geb. 

Schulz  12. 
Streit wol  ff,  Johann   Hein- 
rich Gottlieb  13. 
Streng  13. 
Strenge  Fuge  13. 
Strenge  Nachahmung  13. 
Strenger     Satz,     s.     Satz, 

Schreibart  1.3. 
Strenger  Stil,  s.  Stil  13. 
Strepitoso  13. 
Strepponi,  Felis  13. 
Strepponi,  Josefina  13, 
Stretta  13. 
Stretto  13. 
Strich  13. 
Strich  14. 

Stricker,  Ängnst  Reinhardt 
14. 


Striggio,  Alessandro,  Seite 
14. 

Strignendo,   b.    stringendo 
15. 

Strina-Sacchi,    Regina,     s. 
Schlick,  Regina  15. 

Strinasacehi,  Teresa  15. 

Stringendo  15. 

Strisciando  15. 

Struad  (spr.  Stregnad),  Cas- 
par 15. 

Strobach,  Johann  15, 

Strobach,  Joseph  15. 

Strobel,    Julius  Alexander 
15. 

Strobel,  Valentin  15. 

Strofe,  s.  Strophe  16. 

Strohbass  16. 

Strohfiedel  16. 

Stromentato  16. 

Stromenti  di  fiato  16. 

Stromeyer,  Carl  16. 

Strophe  16. 

Strozzi,  Barbara  18. 

Strozzi,  Pater  Bernardo  18. 

Strozzi,  D.  Gregor  18. 

Strozzi,  Pietro  18. 

Struck,  Paul  18. 

Strumstrum  19. 

Strungk  (Strunck), Nicolaus 
Adam  19. 

Strungk,  Delphin  20. 

Stück  20. 

Stück   (Stuckius),    Johann 
Wilhelm  20. 

Stückprobe  20. 

Stuelp,  s.  V.  a.  Stürze  20. 

Stümer,     Johann    Daniel 
Heinrich  20. 

Stürze  21. 

Stürze  (Orgel)  21. 
Stufe,  s,  Tonstufe  21. 
Stnfenpsalm  21. 
Stufenweise  Fortschreitung 

21. 
Stumm,  Heinrich  21. 
Stumme   Claviaturen  21. 
Stumme  Register  21. 
Stumpf,   Johann    Christian 

21. 
Stunz,  Joseph  Hartmann  22. 
Stutzflügel  22. 
Sturmglocke,  s.  Glocke  22. 
Styl,  s.  Stil  22. 
Styles,  s.  Stiles  22. 
Snabile  22. 

Suarcialupus,  Antonius  22. 
Suard,   Jean    Baptiste  An- 

toine  22. 
Suave,  s.  Soave  23. 
Suavis  23. 
Sub  23. 
Snbbass  23. 
Subdiapente  23. 


Subdominante  Seite  23. 
Subiet,  Autoine,  mit  dem 

Zunamen  Cardot  23. 
Subito  23. 

Subject,  Subjectum  23. 
Sublatio  23. 
Subprincipal  23. 
Subprincipalis    mediarum 

23. 
Subsemifusa  23. 
Subsemitoninm  modi  23. 
Subsesquitertia  23. 
Subsuperbipartiente    sexta 

23. 
Subsuperquadripartiente 

duodecima  23. 
Subsupersetti     partiente 

noua  23. 
Suceentor  23. 
Sucher,  Josef  23. 
Sudre,  Jean  Fran90is  24. 
Süssflöte,  s.  V.  a.  Dolzflöte 

24. 
Süssmayer,  Franz  Xaver  24. 
Suevus,  Felicianus  25. 
Snfflöte,  s.  Sifflöte  25. 
Suidas  25. 
Suite  25. 
Sujet  27. 
Sul  27. 

Snl  ponticello  27. 
Sulla  corda  27. 
Sulla  tastiera  27. 
Suling  27. 
Sullivan,    Arthur  Seymour 

27. 
Sultzberger,  Joh.  Ulrich  27. 
Sulzer,  Franz  Joseph  27. 
Sulzer,  Johann  Georg  28. 
Sulzer,  Salomon  28. 
Sumara  30. 
Suraber  (sumper)  30. 
Summer  oder  Bourdon  30. 
Summpfeife  31. 
Summe  31. 
Sumphoneia   oder  Sampo- 

nia  31. 
Sumtio,  s.  V.  a.  Lepsis  31 
Sundelin,  Augustin  31. 
Sundelin,  Carl  31. 
Sunderreuter,  Georg  31. 
Sunk  31. 
Suoni  acuti  31. 
Suoni  armonichi  31. 
Suono-Terzo,    s.  Terzo  31. 
Superacutae  claves,  voees, 
oder  superacuta  loca  31. 
Superoctave  31. 
Supp^,  Franz  von  31. 
Supplemente  32. 
Supremma,    suprema    vox 

(Soprano)  32. 
Surdastrum  32. 
Surdeliue  32. 


Suremain    de  Missery,  An- 
toine  Seite  32. 

Susato,  Tylman  oder  Tyle- 
man,  s.  Tylman  Susato  32. 

Susato,  Johann  von   32. 

Sussmann,  s.  Soussmann  32. 

Sussurando  32. 

Suttihger,  JI.  32. 

Svegliato  32. 

Svelto  32. 

Svendsen,  Joh.  Severin  32. 

Sweda,  Wenzel  33. 

Sweelinck,  Jan  Pieters  33. 

Swert,  Jules  de  34. 

Swieteu,   Gottfried,  Baron 
van  35. 

Swirella  35. 

Swoboda,  August  35. 

Sydow,  s.  Murky  35. 

Syfert,  Paul  35. 

Syllaba  35. 

Syllabae  35. 

Syllabae  inferiores  35. 

Syllabae  superiores  35. 

Syllabisch  35. 

Sylva,  Manuel  Nnnez  de  35. 

Sympathie  der  Töne  36. 

Symphona  36. 

Symphoueia,    Syraphonia, 

auch  Symphonie  36. 
Symphoniaei  36. 
Syraphonia  36. 
Symphonie-Cantate  46. 
Symphonie-Ode  46. 
Symphonische  Dichtung  47. 
Sympson,  Christ.  48. 
Synaphe  48. 

Syucopatio,  Syucope  48. 
Synemmenon  50. 
Synemmeuon  diatonos   50. 
Syntonisch  50. 
Syntonisches    Komma,    s. 

Komma  50. 
Syntonolydisehe  Octav  50. 
Syriuges  50. 
Syrinx  50. 

Systaltische  Melopöa  51. 
System  (Systema)  51. 
Systcma  durum  oder  regu- 
läre 57. 
Systema  molle  oder  trans- 

positum  57. 
Syzygia  57. 
Syzygia  perfecta  57. 
Syzygia  simples  57. 
Syzygia  composita  57. 
Syzygia  propingua  57. 
Syzzgia  remota  57. 
Szarvady,  Wilhelmine,  ge- 
borene Clauss  57. 
Sz^keli,   Imre    (Emmerich) 

58. 
Szymanowska,    Marie,    ge- 
borene Wolowska  58. 


474 


Verzeicliniss  der  im  zehntea  Bande  enthaltenen  Artikel. 


T. 


T   Seite  58. 

T.  58. 

Tabala  68. 

Tabila  58. 

Tabl,  auch  TäbloderDawul 

58. 
Table  d'harmonie  58. 
Taborowsky,  Stanislaw  58. 
Tabourot,  Jean  59. 
Tabulatur  59. 
Tabuni,    auch    Psalterionl 

genannt  72. 
Tacohinardi,  Nicolas  72. 
Taee,  Tacet,  Taci  72. 
Tacioso  73. 
Tact  73. 
Tactarten  73. 
Taetaccent  77. 
Tactarsis  77. 
Tactart,  s.  Tact  und  Tempo 

77. 
Tact  77. 
Tactglieder  77. 
Taothalten  77. 
Tactiuversiou,    s.  Taetum- 

kehruug  77. 
Tactiren  oderTaetschlagen 

77. 
Tactirstab,  Tactirstock  78. 
Tactmesser,  s.Metrouom  78. 
Tactuote  78. 

Tactordnung,  s.  Rhythmo- 
pöie  und  Rhythmus  78. 
Tactpause  78. 
Tactschlagen.s.Tactiren  78 
Tactstriche  78. 
Tacttheil,  Tacttheile  78. 
Tacturakehrung  oder  Tact- 

Inversion  78. 
Tactus  78. 
Tactzeichen  78. 
Tactzeit,  s.  v.  a.  Tacttheil 

78. 
Tadolini,  Giovanni  78. 
Tadolini,  Eugenia  79. 
Taebl,  s.  Tabl  79. 
Täglichsbeck,  Thomas   79 
Tafalla,  P.  Pedro  80. 
Tafelblasen,  s.  Feldstück  80 
Tafel  werk  80. 
Taffet  80. 

Taffin,  M.  J.  D.  80. 
Tag,  Christian  Gotthilf  80. 
Tagelied,  Tageweise  81. 
Taglia,  Carl  82. 
Taglia,  Pietro  82. 
Taglietti,  Giulio  82. 
Taglietti,  Luigi  82. 
Taillard,  Constant  l'ainö  83. 
Taillasson,   Gaillard,    gen. 
Mathalin  od.Mathelin  83. 
Taille  83. 

Taillerus,  Simon  83. 
Taki-Goto  83. 
Takkay  83. 
Takoa  84. 
Tal  84. 
Talan  84. 

Talabardon,  Pascal  84. 
Talanderius,    s.    Talhaude- 

rius  84. 
Talea  84. 
Talent  84. 
Talesio,  Pedro  87. 
Talhandier,  Petrus  87. 
Talian  87. 
Talus,  Thomas  87. 
Taloni,  Hieronymus  88. 
Tamberlik,  Enriko  88. 
Tambour    de    basque.    s. 

Tambourin  88. 
Tambourin  88. 
Tarabonrin  88. 
Tambourin  de  Provence  89 
Tambourin  de  Gascogne  89 


Tambur,  s.  Tanbur  Seite  89. 
Tambur  Baglamah  89. 
Tambur  Bulgkary  89. 
Tambur  Buzurk  89. 
Tambur  Charky  89. 
Tambur  Kebyr-Turky  89. 
Tambur  Kütschek  89. 
Tamburek  89. 
Tamburini,  Anton  89. 
Tamburins  90. 
Tamburo  90. 
Tamburo  rullante  90. 
Tämerleiu  90. 
Tamitius,  Andreas  90. 
Tamitius,  Johann  Gottlieb 

90. 
Tamplini,  Giuseppo  91. 
Tancioni,  Eugenio  91. 
Tamtam  91. 

Tanbur  und  Dambura  91. 
Tandolini,  Giovanni  91. 
Taudolini,  Eugenia,  gebo- 
rene Savorini  92. 
Tangenten  92. 
Tangenten-Flügel  92. 
Tank,  Hugo  92. 
Tansur,  William  92. 
Tanto  93. 
Tantum  ergo  93. 
Tanz  93. 
Tanzlied  96. 
Tanzmusik  98. 
Tanzmeistergeige,  s.  Sack- 
geige,    Taschen-    oder 
Poschengeige  102. 
Tanzwuth,     s.    Tarantella, 

Tarantismus  102. 
Tapia,  Giovanni  de  102. 
Tapia,  Martin  de  103. 
Tapön  103. 

Tappert,  Wilhelm  103. 
Tapray,  Jean  Fran^ois  103. 
Tar  103. 
Tare  103. 
Taragato-Sip  104. 
Tarakawa  104. 
Tarantella  104. 
Taranteltanz,  Tarantismus, j 

s.  Tarantella  108. 
Taratantara  108. 
Tarchi,  Angelo  108. 
Tardando,    tardato,    tardo 

108. 
Tardieu  108. 
Tarditi,  Paolo  109. 
Tarditi,  Orazio  109. 
Tarenne,  Georges  109. 
Tarisio,  Louis  109. 
Tarnowsky,  Alexander  110, 
Taroni,  Antonio  110. 
Tartaglini,  Hippolyt  110. 
Tartini,  Giuseppo  111. 
Taschengeige  114. 
Taskin,  Pascal  114. 
Tastatur  114. 
Taste  114. 
Tasten-  od.  Tastaturinstru 

mente  115. 
Tastenbrett  115. 
Tasteugeige,  s.  Xänarphika 

115. 
Tasten-Harmonica  115 
Tastenschrauben  115. 
Tastiera  115. 
Tasto  solo  115. 
Tatto  116. 
Taubentanz  116. 
Tauber,  J.  S.  115. 
Tauber,   Johann    Heinrieh 

115. 
Taubert,  Ernst  Eduard  115. 
Taubert,  Gottfried  116. 
Taubert,  Otto  116. 
Taubert,     Wilhelm    Carl 

Gottfried  117. 
Taubner,     Anton   Maurin 
119. 


Tauleiara  Seite  119. 
Tausch,  Franz  119. 
Tausch,  Friedrich  Wilhelm 

119. 
Tausch,  Julius  119. 
Tauscher,  J.  G.  120, 
Tausig,  Aloys  120. 
Tausig,  Carl  120. 
Tauwitz,  Eduard  121. 
Tavares,  Manuel  121. 
Tavares,  Nicola  121. 
Tavelli,  Luigi  121. 
Taverner,  Johu  121. 
Tayber,  Anton  121. 
Tayber,  Franz  122. 
Taylor,  Brook  122. 
Taylor,  Edward  122. 
Taylor,  Jacob  122. 
Taylor,  John  123. 
Taylor,  Richard  123. 
Teatro  di  gran  cartello  123 
Teatro  diurno  123. 
Te-Bouni  123. 
Techler,  David  123. 
Technik  123. 
Tedeschi,    Giovanni,    gen. 

Amadori  124. 
Tedesco  Arrigo  124. 
Tedesco,  L.  C.  A.  124. 
Tedesco,    Ignaz    Amadeus 

124. 
Te  Deum  laudamus  124. 
Tegetmeier,  Georg  124. 
Teghi,  Pietro  de  124. 
Teichmüller,  K.  W.  124. 
Teixeira,  Antonio  124. 
Teixidor,  Don  J.  125. 
Telegraphie  musicale  125. 
Telemann,    Georg   Philipp 

125. 
Telemann,   Georg  Michael 

128. 
Telephanes  128. 
Telephon  129. 
Teliochord  131. 
Teile,    Friedrich    Wilhelm 

131. 
Tellefsen,     Thomas    Dyke 

Acland    131. 
Teller,  Marc  132. 
Tellier,  Pierre  de  132. 
Telyn  132. 
Tempelhof.Georg  Friedrich 

132. 
Temperatur  132. 
Temperatur-Intervalle  138. 
Tempestoso  138. 
Tempete  138. 
Tempo  138. 
Tempo  139. 
Tempo  alla  Breve  139. 
Tempo  alla  Semibreve  139.| 
Tempobezeichnung  139. 
Tempo  commodo  139. 
Tempo  di  Ballo  139. 
Tempo  di  Bolero  139. 
Tempo  di  Gavotta  139. 
Tempo  di  Marcia  139. 
Tempo  di  Minuetto  139. 
Tempo  di  Sarabande  139. 
Tempo  di  prima  (parte)  139. 
Tempo  giusto  139. 
Tempo  l'istesso,  s.  L'istesso 

tempo  139. 
Tempo  maggiore,  s.  Tempo 

ordiuario  139. 
Tempo  ordinario,  minore, 

alla  Semibreve  139. 
Tempo  ordiuario  140. 
Tempo  primo  140. 
Tempo  rubato  140. 
Temps  faible  140. 
Temps  fort  140. 
Tempus  140. 
Tempus  binarium  140. 
Tempus  imperfectum  140. 
Tempus  perfectum  140. 


Tempus    ternarium    Seite 

140. 
Tempus  vacuum  140. 
Tenaglia,    Antonio    Fran- 
cesco 140. 
Tendrement  140. 
Tendueei,  Just.Ferdinando 

gen.  Senesiuo  140. 
Teneramente  141. 
Tenero  141. 
Tenerezza,    con    tenerezza 

141. 
Teniers,  David  141. 
Tenor  141. 
Tenorbass,    s.    Teuorhorn 

142. 
Tenorbuffo  142. 
Tenorclausel,  Clausula  te- 

norizans  142. 
Tenor-Cornet  142. 
Tenorfagott  142. 
Tenorflöte  142. 
Tenorhorn  142. 
Tenori  aouti,  s.  Alti  natu- 

rali  143. 
Tenorist  148. 
Tenorpommer,  s.  Pommer 

143. 
Tenorposaune,  s.  Posaune 

143. 
Tenorschlüssel  143. 
Tenortrompete  143. 
Tenortrompetenbass  143. 
Tenorviola,  s.  Altviola  143. 
Tenorzeichen,     s.    Noten- 
schlüssel 143. 
Tenute  143. 
Tenuto  143. 

Tenzel,  Wilhelm  Ernst  143. 
Teplov,    Grigorei  Nikola- 

jewicz  143. 
Tepouatzli  143. 
Tepper  von  Ferguson  143. 
Ter  oder  Tre  144. 
Ter  unca  144. 
Terana  144. 
Terpander  144. 
Terpnes  146. 
Terpodion  146. 
Terpodion  (Orgel)  146. 
Terpsichore  146. 
Terradeglias,    Dominico 
Barnabas,  auch  Terra- 
dellas  146. 
Terrasson,  Antoine  147. 
Terry,  Leonard  147. 
Terschak,  Adolf  147. 
Tertia  147. 

Tertia,  Tertie,  Terz  147. 
Tertia  conjuuctarum  147. 
Tertia  divisarum  147. 
Tertia  excellentium  147. 
Tertia  modi  oder  toni  147. 
Tertian  147. 
Tertie  148. 
Terz,  Terzie  148. 
Terza,  Giovanni  148. 
Terzdecime  148. 
Terzdecimen-Accord  149. 
Terzdecimole  149. 
Terzett,  Terzetto  149. 
Terzflöte  149. 
Terzi,    Giovanni   Antonio 

149. 
Terziani,  Gustavo  149. 
Terziani,  Pietro  150, 
Terzo  Suono  150. 
Terzquart-  oder  Terzquart- 

sext-Accord  150. 
Terzquintsext-Accord,     s. 

Quintsext-Aceord  151. 
Tesohner,  Melchior  151. 
Teschner,  Gustav  Wilhelm 

151. 
Tesi-Tramontini,    Vittona 

153. 
Teasarini,  Carlo  154. 


Verzeicliniss  der  im  zehnten  Bande  enthaltenen  Artikel. 


475 


Tessier,  Carl,  Seite  154. 
Testa,  Domiuico  154. 
Testa,  Filippo  154. 
Testo  il  veechio  155. 
Teste,  J.  Alphonse  155. 
Testo  155. 

Testore,  CarloGiuseppe  155. 
Tcstore,  Carlo  Antonio  155. 
Testore,  Paolo  Antonio  155. 
Testore,  Guglieimo  155. 
Testori,  Carlo  Giovanni  155. 
Testudo  155. 
Testamanzi,    P.   Francesco 

Fabriecio  155. 
Tetrachord  156. 
Tetracomos  156. 
Tetradiapasou  156. 
Tetraphouia  156. 
Tetrardos  Tonus  156. 
Tetratouon  156. 
Te-tschung  166. 
Teuf'elssouate  156. 
Tcufelsstimme  156. 
Tevo,  P.  Zacharias  156. 
Tewkesbury,  John  de    156. 
Text  157. 

Textwiederholnng  160. 
Textor,  Abel  160. 
Textor,  üuglielmi  161. 
Textor,  Joannes,  auch  Ra- 

visius  161. 
Teyber,   Anton,  s.   Tayber 

161. 
Teyber,   Franz,    s.    Tayber 

161. 
Teyber,     Elisabeth,     auch 

Teuberin  161. 
Teyber,  Franz  161. 
Teylin,  s.  Telyn  161. 
Thabet   oder    Thabit,   beu 

Corrah,  ben  Haroun  161. 
Thadewaldt,  Hermann  161. 
Thalberg,  Sigismuud  162. 
Thaletas  164. 
Thalmaun,  Mathieu  165. 
Thamyria  165. 
Thargelia  165. 
Thaut,     Thaäut,     Theuth, 

Thoth,  Thoyth  166. 
Theaterstil,  s.  Stil  und  Oper 

166. 
Thebanische  Harfe  166. 
Theodoric,      s.     Dietrich, 

Georg    166. 
Theil,  vergl.  Tacttheil  166. 
Theil  eines  Tonstücks  166. 
Theile,  Johann  166. 
Theile,  Johann  166. 
Theile,  Adam  Gottlieb  16S. 
Theiltöne,     s.   Aliquottöne 

168. 
Theilung,  s.  Diminutio  168. 
Theinred,     auch     Thinred 

und  Thanred,  David  168. 
Thema,  Tema  168. 
Thematische  Arbeit  171. 
Theobald,  s.  Gatti  172. 
Theobaldus  172. 
Theodoricus,    Georgiens 

172. 
Theodoricus,  Sixtus  172. 
Theodulfus  172. 
Theogerus  172. 
Theon  von  Smyrna   (Theo 

Smyrnäus)  172. 
Theophanes  Graptus  173. 
Theophrastus  173. 
Theorbe,    Tiorba,    Tuorbe 

173. 
Theorbenflügel  173. 
Theorie  der  Musik  173. 
Terache,  Pierre  de  175. 
Thern,  Carl  175. 
Thern,  Willi  und  Louis  175 
Thesis  176. 

Thesselius,  Johann  176. 
Theuss,  Carl  Theodor  176. 


Theussner,  Zacharias,  Seite 

176. 
Th^venard,  Gabriel  Vincent 

176. 
Thiasos  176. 
Thibault,  Franfois  176. 
Thibaut,    Anton   Friedrich 

Justus  176. 
Thibaut  IV.  177. 
Thickucsse  177. 
Thiebault,     Paul    Charles 

FranQOis    Adrien    Henri 

Dieudonnö  177. 
Thiele,  Carl  Ludwig  177. 
Thiele,  Eduard  177. 
Thiöm^,  Frederic  177. 
Thierfelder,  Albert  178, 
Thieriot  178. 

Thiers,  Jean  Baptiste   178. 
Thijm,  Lambert  Alberdingk 

178. 
Thilo,    auch   Thielo,    Carl 

August  179. 
Thin-puk  179. 
Thoinot-Arbeau  179. 
Thoma,  Kudolf  180. 
Thomaner  180. 
Thomas,     Bajocensis    oder 

Bayoua  der  jüngere  180. 
Thomas  von  Aquino  180. 
Thomas,    Christian  Gottfr. 

181. 
Thomas,  Charles  Louis  Am- 

broise  181. 
Thomas,  Theodor  183. 
Thomoschek,  s.  Tomaschek 

183. 
Thomassehule  183. 
Thon,   Christian  Friedrich 

Theophil  184. 
Thooft,  W.  E.  184. 
Thorbecke,  H.  184. 
Thorette,  Pierre  184. 
Thorne,  John  184. 
Thrane  184. 
Thrasyllus,    gen.  Phliasius 

184. 
Threni,  Threnodie  185. 
Thro  oder  Tarau  185. 
Thubal    oder    Thubalflöte 

185. 
Thürschmidt,      s.     Türr- 

schmidt    185. 
Thür-   oder  Dachschweller 

185. 
Thuma,  s.  Tuma  185. 
Thuubass,    s.  Subbass  185. 
Thuringus,  eigentlich  Thü- 

ring,  Joachim  185. 
Thüring,  Johann  185. 
Thurm  185. 
Thurnund  Taxis,  Alexander 

Ferdinand,  Graf  von  185. 
Thurner,    Friedrich  Eugen 

185. 
Thureau,  Hermann  186. 
Thus,  David  186. 
Thyard,auchThiard,  Ponce 

de  186. 
Thys,  Alphonse  186. 
Thys,  Auguste  186. 
Thyssetius,  Benedict  186. 
Tibaldi,  Carlo  186. 
Tibaldi,  Constanze  187. 
Tibia  187. 

Tibia  berecynthia  187. 
Tibia  buxea  187. 
Tibia  embateria  187. 
Tibia  gingrina  187. 
Tibia  siticinum  187. 
Tibia  tityrina  187. 
Tibiae  bifores,  conjunctae, 

geminatae  187. 
Tibia  hemiopae  187. 
Tibia  augusta  187. 
Tibia  aperta  187. 
Tibia  major,  s.  Bordun  187. 


Tibia  sylvestris   Seite   187. 

Tibia  traverso  187. 

Tibia  vulgaris  187. 

Tibia  canere  187. 

Tibia  utricularis  187. 

Tibiceues  187. 

Tibilustrium  188. 

Tiburce,  P.  Franfois  188. 

Tichatscheck,  Joseph  Alois 
188. 

Tido,  Heinrich  191. 

Tiedemanu,  Dietrich  191. 

Tief  191. 

Tiefenbrucker,  Caspar,  s. 
Duiffopruggar  191. 

Tieffeubrucker,  Leonhard, 
Magnus  und  Wendelin 
191. 

Tiehsen,  Otto  191. 

Tielke,  Joachim  191. 

Tiersch,  Otto  191. 

Tietjens,  Thcrese  191. 

Tietz,  Hermann  192. 

Tietz,  Ludwig  192. 

Tigriui  193. 

Til,  Salomon  van  192. 

Till,  Johann  Herrmann  192. 

Tille  193. 

Tilliere,  Joseph  Bonaven- 
tura 193. 

Timäus  193. 

Timbaiana  193. 

Timbales  193. 

Timbalier  193. 

Timbre  193. 

Timbres  193. 

Timm,  Christian  Heinrich 
193. 

Timoroso  193. 

Timothais  193. 

Timotheus  193. 

Tinctoris,  Johannes  195. 

Timpani,  s.  Pauken  197. 

Timpanou,  Psalterium,  s 
Hackebrett  197. 

Tiugri,  Jean  Nicolas  C6- 
lestiu  197. 

Tinuazoli,  Agostino  197. 

Tinti,  Salvator  197. 

Tintinnabulum  197. 

Tinto  197. 

Tiorba  197. 

Tiraboschi,  Girolamo  197. 

Tirade  198. 

Tirana's  oder  Tonatilla's 
198. 

Tiraqueau,  Andreas  198. 

Tirato  198. 

Tira-Tutto  198, 

Tir6  198. 

Tire  199. 

Tischer,  Johann  Nikolaus 
199. 

Tischharfe,  s.  Trigonon  199. 

Tisohlinger,  Burkhard  199. 

Tissot,  Pierre  Franfois  199. 

Tissot,  Simon  Andrö  199. 

Titelouze,  Jean  199. 

Titl,  Anton  Emil  199. 

Titou  du  Tillet,  Evrard 
199. 

Tobanello,  Felician  200. 

Tobi,  Florian  Joseph  200. 

Toccata  200. 

Toccatina  202. 

Toccato  oder  Touquet  202. 

Tockler,  Conrad  202. 

Toderini,  Giambatista  202. 

Todeschiui,  Francesco  202. 

Todi,  Maria  Francisca  202. 

Todini,  Michel  204. 

Todt,  Johann  August  Wil- 
helm 204. 

Todtenmarseh,  s.  Trauer- 
marsch 204. 

Todtenpolonaise  204. 

Töpfer,  Carl  204. 


Töpfer,    Johann    Christian 
Carl,  Seite  204. 

Töpfer,  Johann  Gottlob  204. 

Toerök  Sip  207. 

Toeschi,  Carl  Joseph  207. 

Toeschi,  Carl  Theodor  207. 

Toeschi, JohannBaptist  207. 

Toeschi,  Susanna  208. 

Tognetti,  Francesco  208. 

Tolbecque,  JohannBaptiste 
Joseph  208. 

Tolbecque,  August  Joseph 
208. 

Tolbecque,  August  208. 

Tolbecque,  Charles  Joseph 
208. 

Toller,  Ernst  Otto  208. 

Tollius,  Jacobus  208. 

Tollmaun,  Joh.  209. 

Toloinas,     le    P.    Charles 
Pierre  Xaver  209. 

Tomalinson,  Kellom  209. 

Tomascheck,  Johann  Wen- 
zel 209. 

Tomaselli  210. 

Tomasi,  Blasius  210. 

Tomasini,  Luigi  220. 

Torabolini,  Raphael  210. 

Tomeoni    Dutillien,    Irene 
210. 

Tomeoni,  Florido  210. 

Tomeoni,  Erminie  211. 

Tomeoni,  Pelegrino  211. 

Tomkins  211. 

Tommasi,    Pater     Joseph 
Maria    211. 

Tommasi,  Giovanni  Batista 
212. 

Tonassi,  Pietro  212. 

Ton  212. 

Tonabstand  217. 

Tonale  Fuge,  Fuga  tonale, 
in  tona,  de!  tuono  217. 

Tonart  217. 

Tonarion  231. 

Tonatillas  231. 

Tonbeuennungen  231. 

Tonbezeichnende    Note,   s. 
Leitton  231. 

Tonbezirk,    s.   Tongrenzen 
231. 

Tonbildung  231. 

Tondichter  243. 

Tone,  Extensio  244. 

Tonemptindung  244. 

Tonentfernung,  s.  v.  a.  In- 
tervall 247. 

Tonfall  247. 

Tonfarbe  247. 

Tonfolge  247. 

Tonführung, Tongang,  Ton- 
fortschreitung  247. 

Tonfuge  (Fuge  im  Ton)  247. 

Tonfuss,  s.  Versfuss  247. 

Tongepräge  247. 

Tongeschlecht  247. 

Tongrenzen  248. 

Tonhöhe  248. 

Tonika  248. 

Toni  ficti,    tuoni   traspor- 
tati  249. 

Tonisch  249. 

Tonischer  Accord  249. 

Tonischer  Dreiklaug  249. 

Tonische  Harmonie  249. 

Tonini,  Bernardo  249. 

Tonkunde  249. 

Tonkunst  249. 

Tonkünstler  249. 

Tonleiter  249. 

Tonleiterübung  254. 

Tonlöcher  254. 

Tonmaass  254. 

Tonmalerei  254. 

Tonmesser  267. 

Tonmessung  267. 

Tonnani,  Alessandro  269. 


476 


Verzeichniss  der  im  zehnten  Bande  enthaltenen  Artikel. 


Tonolini,  Giovanni  Battiste|  Tossarelli,  Pietro  Seite  275, 
Seite  269.  I  Tosto,  b.  Piü  tosto  275. 

Tonometer,    s.    Sonometeri  Tottmaun,  Albert  275. 
269.  'Touche  275. 

Tononi,  Carlo  Antonio  269.1  Touchard-Lafosse,  G.  275. 


Tononi,  Feiice  269. 
Tononi,  Giovanni  269. 
Tonoplast  269. 
Touospsyehagogia  269. 
Tonordnung  269. 
Tonotechnie  269. 
Tonqualität  269. 
Tons   du   cor   et  la  trom- 

pette  269. 
Tonscheu    (Hyper    acnsis) 

270. 


I  Touchemoulin,  Joseph  275. 
1  Toujours  lie  276. 
j  Toulmon,  Auguste  Bottee 
de,  s.  Bott^e  de  Toulmon 
276. 
Toulouse,  Pierre  276. 
Touquet,  s.  Toccate  276. 
Tour,  Jehan,  auch  Jehannet 
oder  Jehannott  de  la  276. 
Tour,  Jean  la,  s.  Latonr  276. 
Tournebout  276. 


Tonschluss,     Tonfall,    Ca-  Tourte  276. 


denz,  Cadenza,  Cadence, 
s.  Cadenz  270. 

Tonschreibmaschine  270. 

Tonschrift,  Tonzeichen,  s. 
Notenschrift  270. 

Tonsetzer  270. 

Tonsetzkuust  270. 

Tonsprache  270. 

Tonstufe,  s. Klangstufe  271. 

Tonsystem  271. 

Tonumfang,  s.  Tongrenzen 
und  Umfang  271. 

Tonus  271. 

Tonus  271. 

Tonus  primus  271. 

Tonus  secundus  271. 

Tonus  tertius  271. 

Tonus  quartus  271. 

Tonns  regularis  271. 

Tonus  irregularis  271. 

Tonus  mixtus  271. 

Tonus  imperfectus  271. 

Tonus  perfectus  271. 

Tonus  plusquamperfeetus 
271. 

Tonus  faber  271. 

Tonverbindung  271. 

Touverhältuiss,  s.  Verhält- 
niss  271. 

Tonverweehslung,  s.  Enhar- 
raouisch  271. 

Tonverziehung  271. 

Tonverzierung,  s.  Verzie- 
rung 272. 

Tonwechselmaschine  272. 

Tonweite,  s.  Ambitus  und 
Intervall  272. 

Tonwerkzeuge  272. 

Tonsor,  Michel  272. 

Tonzeichen,  s.  Mensural- 
musik,  Neumen,  Noten- 
schrift, Tabulatur  272. 

Toomerce  272. 

Toph,  s.  Adufe  272. 

Torcellus,  s.  Sanuto  272. 

Torelli,  Gasparo  272. 

Torem,  Giuseppe  272. 

Torelli,  Luigi  272. 

Tori  oder  Torri  272. 

Torkesey,  Johann  273. 

Torlez  (...)  273. 

Torlez  273. 

Tornabocca,  Pascal  273. 

Torner,  JosephNieolaus273. 

Tornioli,  Marco  Antonio 
273. 

Torrebe  oder  Torrhebe  273. 

Torres,  Melchior  de  273. 

Torres  Martinez  Bravo,  Don 
Joäo  de  273. 

Torrian,  Jehan  273. 

Torriani,  Giov.  Antonio  273. 

Torropil  273. 

Torti,  auch  Torto,  Luigi 
273. 

Toscano,  Nicola  274. 

Tosi,  Giuseppe  Feiice  274. 

Tosi,  Pietro  Francesco  274. 

Tosone,  Matteo  274. 

Tosoni,  Giuseppe  274. 


Tourte,  Fran9ois  276. 

Tourterelle,  s.  Herdliska 
277. 

Tourti  277. 

Toutareh  277. 

Touzö  278. 

Tovar,  Francesco  278, 

Towsend,  John  278. 

Tozzi,  Antonio  278. 

Trabacci,  Giovanuo  Maria 
278. 

Trabattone,  Egidio  278. 

Trabattoue,    Bartolomeo 
278. 

Tractur  278. 

Tractus  278. 

Traditi,  Paolo  278. 

Traeg,  Andreas  279. 

Traeg,  Anton  279. 

Traeg,  Johann  279. 

Träger  279. 

Träger  279. 

Traetta,  Tomaso  279. 

Tragen  der  Stimme,  Portar 
la  voce,  s.  Portamento 
280. 

Tragische  Oper  280. 

Trahcier  280. 

Traine  280. 

Trait  280. 

Trait  de  chant  280. 

Trait  d'harmonie  280. 

Trajaneen  280. 

Trampeli,  Christian  Wil- 
helm 281. 

Trampeli,  Johann  Gottlob 
281. 

Trampeli,  Johann  Paul  281. 

Tranquillamente  231. 

Tranquillo  281. 

Transchel,  Christoph  281. 

Transcription  281. 

Transitio  282. 

Transitns  282. 

Transitus  irregularis  282. 

Transitus  regularis  282. 

Transponiren  282. 

Transponirende    Instru- 
mente 286. 

Transpositeur  286. 

Transposition  286. 

Transpositionsscalen  286. 

Transpositum  systema  287. 

Trascinando  287. 

Trasuntino,  Vito,  auch 
Guido  Trasuntin  287. 

Trauermarsch  287. 

Trautmaun,  Heinrich  287. 

Trautweiu,  Traugott  287. 

Travenol,  Louis  288. 

Travers,  John  288. 

Traversa,  Gioachimo  288. 

Traversenbass  288. 

Traversiere  288. 

Traxdorf,  Heinrich,  auch 
Drassdorff,  Gasdorf  288. 

Tre  288. 

Trebelli,  Zelia  289. 

Trebs,  Heinrich  Nicolaus 
289. 


Treffen  Seite  289. 
Trefl'übungen  289. 
Treiben  der  Töne  292. 
Treiber,  Johann  Friedrich 

292. 
Treiber,     Johann    Philipp 

292. 
Trem.  292. 
Tremando  292. 
Tremblement  292. 
Tremolando  292. 
Tremolo  292. 
Tremulant  292. 
Tremoliren  293. 
Tremoliren  293. 
Trento,  Vittorio  293. 
Trepodion  oder  Terpodion 

294. 
Tresti,  Flaminio  294. 
Treu,  Abadias  294. 
Treu,      Daniel      Theophil, 

auch  Daniele  Teofile  Fi- 

dele  genannt  294. 
Treubluth,   Joh.  Friedrich 

294. 
Trevelyan  295. 
Triaden  295. 
Trial,  Autoine  295. 
Triäl,  Armand  Emanuel  295. 
Trial,  Jean  Claude  295. 
Trial,  Marie  Jeanue  Milon 

296. 
Triangel  296. 
Trias,  Triade  297. 
Trias    anarmonica,   Triade 

anarmouique  297. 
Trias  aucta  297. 
Trias  deficiens  297. 
Trias  diffusa  297. 
Trias    harmonica,     Triade 

harmonique  297. 
Trias  harmonica  major,  na- 
turalis, perfecta  297. 
Trias      harmonica     minor, 

mollis,  imperfecta  297. 
Trias  manca  297. 
Trias  superflua  297. 
Tribrachys  297. 
Tricarico,  Giuseppe  297. 
Tricca-ballacca  297. 
Trichord  297. 
Trichter  297. 
Trichterförmiges     Corpus 

297. 
Trichterregal  297. 
Trichterschnarrwerk  297. 
Tricinium,    triples    cantns 

297. 
Triklir,  auch  Trickler,  Jean 

298. 
Triebensce,  Joseph  298. 
Triebert,  Charles  Louis  298. 
Triemer,     Johann     Sebald 

298. 
Trieraulus  299. 
Triest  299. 
Trigonistria  299. 
Trigonou  299. 
Trille-Labarre,    s.  Labarre 

299. 
Triller,     Trillo,     Gruppo, 

Groppo,     Tremblement 

299. 
Trillerkette  306. 
Trillo,  8.  Triller  306. 
Trillo  caprino  306. 
Trimeles  306. 
Trinciavelli  306. 
Trinklied  307. 
Trio  307. 

Trio  für  Orgel  307. 
Trio  beim  Walzer  307. 
Triole  308. 
Trionfante  308. 
Tripedisono  309. 
Tripelfuge  309. 
Tripelnoten  309. 


Tripeltaet,  Tripola,  Tripla 

Seite  309. 
Triphon  309. 
Triplum  309. 
Triple  de  9  pour  4    309. 
Triple  de  9  pour  8    310. 
Triple  de  6  pour  4  310. 
Triple  de  6  pour  8    310. 
Triple  de  12  pour  8    310. 
Triple  de  12  pour  16    310. 
Tripola  Crometta  oder  ot- 

tina  310. 
Tripola  maggiore  310. 
Tripola  minor  310. 
Tripola  picciola  310. 
Tripola  semi  crometta  od. 

di  Semicrome  310. 
Trippenbaeh,  Martin  310. 
Trisemitonium  310. 
Trite  310. 
Trite  Diezeugmenon,  Tertia 

divisarum  310. 
Trite  Hyperbolaeon,  Tertia 

excelleutium  310. 
Trite  Synemmenon,  Tertia 

conjunctarum  310. 
Tritonus,  Tritono  310. 
Tritouius,  Petrus  310. 
Tritonshorn    (Murex  trito- 

nis  L.)  310. 
Irittharfe  311. 
Tritto,  Dominico  311. 
Tritto,  Giacomo  311. 
Trittsehuh  311. 
Tritus  311. 
Trochaeus  311. 
Trössler,  Bernhard  311. 
Trofeo,  Eoger  311. 
Trois  deux  311. 
Trois  huit  311. 
Trois  quatrc  311. 
Trois  seize  311. 
Trois  un  311. 
Trojano,  Anton  311, 
Trojano,  Joannis  311. 
Trojano,  Massimo  312. 
Tromba,  Guglietto  312. 
Tromba  312. 
Tromba  mariua  312. 
Tromba  sorda  312. 
Trombare  312. 
Trombata,  trombettata  312. 
Trombe  312. 
Trombetti,  Ascanio  312. 
Trombetti,  Augustin  312. 
Trombettiere  312. 
Tromboncino  312. 
Tromboncino,  Bartolomeo 

313. 
Trombone  313. 
Trombone  d'Alto  313. 
Trombone  di  Basso  313. 
Trombone  grande  313. 
Trombone  grosso  313. 
Trombone  maggiore  313. 
Trombone  piecolo  313. 
Trombone  di  Tenore  313. 
Tromlitz,    Johann     Georg 

313. 
Trommel  313. 
Trommelbass  314. 
Trommelfell  315. 
Trommelklöppel  315. 
Trommelleine  315. 
Trommelschleifen  315. 
Trommelschlag  315. 
Tromraelstöcke,    s.    Trom- 
melklöppel 316. 
Trommeten,   s.  Trompeten 

315. 
Trommeten,    s.    Schlecht- 
blasen 315. 
Trompeo,  Bened.  315 
Trompete  315. 
Trompete,     Tromba,     Cla- 

rino   316. 
Trompet-Marine  317. 


Verzeichniss  der  im  zehnten  Bande  enthaltenen  Artikel. 


477 


Trompetenfest  Seite  317. 
Trompeteiiseif^e  317. 
Trompeter  317. 
Tronci,  Philipp  uud  Auton 

319. 
Troparium  319. 
Tropea,  Giacomo  319. 
Tropen,  Tropus  319. 
Tropus  319. 
Tropi  319. 
Tropiansky,     Constantius 

319. 
Troppo  320. 
Troschel,  Wilhelm  320. 
Trost,  Caspar  320. 
Trost,    Gottfried   Heinrieh 

320. 
Trost,  Johann  Caspar  320 
Trost,  Johann  Caspar  320. 
Troubadours,      Trobadors 

320. 
Troupenas,  Kuarene  323. 
Trousseau,  Armand  323. 
Trouvers  323. 
Trovadore  323. 
Trovatore  323. 
Truebensee,   s.    Triebensee 

323. 
Truffcadenz,     Trugschluss 

323. 
Trnhn,  Friedrich  Hierony- 

nuis  321. 
Trumscheit  326. 
Truscone,  Etrnscone  326. 
Trnska,  Simon  Joseph  326. 
Trutoren  327. 
Trydel  327. 
Tsai-yu  327. 
Tsang-kou  327. 
Tschajkowsky,  Peter  327. 
Tsche  328. 

Tschengr  oder  Cheng  328. 
Tschibuisga  329. 
Tschirch  329. 
Tschireh,  Adolph  329. 
Tschirch,    Ernst    Lebrecht 

329. 
Tschirch,  Herman  329. 
Tschirch,  Julius  329. 
Tschirch,  Rudolph  329. 
Tschirch,  Wilhelm  329. 
Tschortsch,  Johann  Georg 

330. 
Tschott  330. 
Tschoun^tou  330. 
Tseltselira  330. 
Tsudsumi  330. 
Tu  330. 
Tuba  330. 
Tuba  ductilis  331. 
Tuba  hercoteetonica  331. 
Tuba  marina  oder  Tromba 

marina  331. 
Tuba  tympanodis  331. 
Tnbal,  Thubal  oder  Tubal 

flöte  331. 
Tubal,  A.  331. 
Tubel,   Christian  Theophil 

331. 

Tubicen,  pl.  Tubicines  332. 
Tuch,     Heinrich    Agathon 

Gottlieb  332. 
Tucher,      Christian     Karl 

Gottlieb   von    332. 
Tucker,  William  333. 
Tuczek- Herrenburg,    Leo- 
poldine 333. 
Tudway,  Thomas  333 
Tulou,  Jean  Louis  333. 
Tulou,  Jean  Pierre  334. 
Turbry,    Fran9ois   Laurent 

Hubert  334. 
Türk,  Daniel  Theophil  334. 
Türkische   Becken,    Piatti, 

Cinelli,  s.  Becken  335. 
Türkische  Jlusik  335. 
Türkische  Musik  349. 


Türrsehmidt,  Karl  Seite  349- 

Türrsehniidt,  Karl  Nieolaus 
349. 

Türrschmidt,  Auguste,  ge- 
borene Braun  350. 

Tuyaux  350. 

Tuma,  Franz  350. 

Tumeri  350. 

Tumultuoso  350. 

Tunder,  Franciscus  350. 

Tunstede,     Simon,     auch 
Tunsted  350. 

Tuoni  trasportati  350. 

Tuppah  350. 

Turanyi,  Carl  von  350. 

Turato,  Antonio  Maria  350. 

Turbator  Chori,  s.  Chor- 
störer  351. 

Turbae  351. 

Turea,  alla  turca  351. 

Turcas,  Joseph  Franfois 
Chrysosthome  351. 

Turchant,  Ilermannus  351. 

Turco,  Giovanni  del  351. 

Turges,  Edmund  351. 

Turini,  Fernando  351. 

Turini,  Francesco  351. 

Turini,  Gregorio  351. 

Turley,  Johann  Tobias  352. 

Turlui-ette  352 

Turnbull,  John  352. 

Turner,  William  352. 

Turnhout,  Gerard  de  353. 

Turnhout,  Jean,  eigentlich 
de  Turnhout  353. 

Tusch.   Touche  353. 

Tutta  la  forza  354. 

Tutte  corde  354. 

Tutti  354. 

Twinuing,  Thomas  354. 

Ty  355. 

Tye,  Christopher  355. 

Tylman  Susato,  oftTileman, 
auch  Thielemann  genannt 
355. 

Tympanischiza  357. 

Tyrapauismos  357. 

Tympani  coperti  357. 

Tympanist  357. 

Tympanum  357. 

Tympanum  bellicum  357. 

Tyrolerlieder  357. 

Tyrolienne  357. 

Tyrrhenische  Flöte  357. 

Tyrrhenische  Trompete  357 

Tyrtäus  357. 

Tyttler,  William  358. 

Tzamen,  Thomas  358. 

Tzwejoel,  Theodorich  358. 


u. 

U  358. 

U.  C.  358. 

U.  S.  358. 

Ubald,  s.  Hucbald  358. 

Ubaldi,  Carlo  358. 

Ubaldus,  s.  Hucbald  359. 

Über,  Christian  Benjamin 
359. 

über,  Alexander  359. 

über,  Christian  Friedrieh 
Hermann  359. 

überti,  s.  Hubert  360. 

TIberti,   Grazioso  360. 

Uccelli,  Mad.  Carolina,  ge- 
borene Pazzini  360. 

Uccellini,  Dom.  Marco  360. 

Ud,  auch  Eud  (vergl.Eloud) 
360. 

Udalsehalk  vonMaissac  360. 

Udukai  360. 

Uebelklang  360. 

Ueberblasen  361. 

Ueberbläsig  301. 

Uebergallen  361. 


Uebergang,  Transition  Seite 

361. 
Uebergehung  der  Auflösung! 

361.  i 

Ueberladen  362.  i 

Ueberl^e,     Felix     Wilhelm 

Adalbert  363. 
üeberleitung  363. 
Ueberlcgen  364. 
Uebermässig,    superfluum 

364. 
XTebermässige  Prime  364. 
Uebermässige  Quart,  quarta 

superflua,   auch  Tritonus 

364. 
Uebermässige  Quint,  quinta 

superflua  364. 
Uebermässige  Secunde,  se- 

cunda  superflua  364. 
Uebermässiger     Dreiklang, 

Trias  superflua  364. 
Uebermässiger    Sextaccord 

364. 
Uebermässiger    Terzquart- 

accord  365. 
üeberschlag,  s.  Ueberwurf 

365. 
Ueborschlagen  365. 
Ueberschlasren  365. 
Ueberschlagende  Haue  365 
Uebersetzen  365. 
Uebersinger  366. 
Ueber-     und    Untersteigen 

366. 
Uebertheilendes     Verhält- 

niss,  Batio  superpartiens 

367. 
Uebertheiliges  Verhältniss, 

Ratio      superparticularis 

367. 
Ueberwurf  oderUeberschlag 

367. 
Ueberziehen  367. 
Uebungen  367. 
Ugab,  Ugabh  368. 
Ugherio,  Pompeo  368. 
Ugolino,  Blasins  368. 
Ugolino,  auch  Ugoliui  368. 
Ugolino.     Vincenzo,     auch 

Hugelinus  368. 
Uhde,  Johann  Otto  368. 
Ul-hieu  und  Sanhieu  369. 
Ullbischefi",    s.  Oulibischefl" 

369. 
ülich,  Johann  369. 
Ulloa,  Pedro  369. 
Ulrich,     Carl     Ernst    Her- 
mann 369. 
Ulrich,  Eduard  369. 
Ulrich,  Hugo  369. 
Ultima  371. 

Ultima  eonjunctarum  371. 
Ultima  divisarum  371. 
Ultima  excellentium  371. 
Umbreit,  Carl  Theophil  371. 
Umfang  371. 

Umfang  der  Singstimme372. 
Umgekehrt  375. 
Umkehrung  375. 
Umkehrung    der    Accorde 

375. 
Umkehrung    der  Intervalle 

376. 
Umkehrungsformen  376 
Umlauf,  Ignaz  385. 
Umlauf,  Michael  385. 
Umstimmen  385. 
Umwendender  Notenblätter 

385. 
Un  386. 

Un  pochettini  386, 
Un  poco  386. 
Un  poco  Adagio  386. 
Un  poco  Allegretto  386. 
Un  poco  crescendo  386. 
Un  poco  decrescendo  386. 
Un  poco  dimiaueudo  386, 


Un  poco  lento  Seite  386. 
Un  poco  ritardando  386. 
Un  poco  piü  386. 
Un  poco  piü  lento  386. 
Unabhängige  Töne  386. 
Una  corda  386. 
Uuaufliörlicher  Canon  387. 
Unbegleitetes  Recitativ  387. 
Unbewegliche    Töne,    soni 
stantcs,  s.  Tetraehord387. 
Unbeziflerter   Bass,    s.   Be- 
zifferung, Generalbass  u. 
Orgelstimme  387. 
Unca  oder  Fusa  387. 
Unda  maris  387. 
Undecime,  Undecima  387. 
Undecimenaccord  387. 
Undecimole  389. 
Unechte  Accorde,    Schein- 
oder Quasi-Accorde  390. 
Uneigentliche       Dissonanz 

390. 
üneiffentliche     Dreiklänge 

390. 
Uneigentliche  Fuge  390. 
Unendlicher  Canon  (canon 
infinitus  perpetuus)    390. 
Ungarische  Musik  390. 
Ungarischer  Werbungstanz, 

s.  Verbunkos  401. 
Unger  Caroline  401. 
Unger,    Johann    Friedrich 

401. 
Ungerader  Tact,  s.  Tact  401. 
Ungerade  Töne  401. 
Ungestrichen  oderklein401. 
Ungher,  Carlotta,  s.  Unger, 

Caroline  402. 
Ungleicher       Contrapunkt, 
Contrapunctus  inaequalis 
402. 
Ungleichschwebende    Tem- 
peraturen, s,  Temperatur 
402. 
UnharraonischerQuerstand, 

s.  Querstaud  403. 
Unichordum  403. 
Unisono  402. 
Unisonus  403. 
Unitamente  403. 
Unregelmässige  Cadenz  403. 
Unregelmässiger        Durch- 
gang,   Transitus    irregu- 
jaris  404. 
Unrein  404. 
Unterarme  405. 
Unterbass  405. 
Unterbrochene  Cadenz  405. 
Unterciavier,      Unterwerk, 

Untermanual  405. 
ünterdominant,  Quarta  toni 

405. 
Untergeschobene    Accorde 
oder  Stammaccorde  406. 
Untergeschobener  Ton  406. 
Unterhalbton,  Semitonium, 
Subsemitonium  modi  407. 
Unterhaltungsmusik  408. 
Unterlabium  411. 
Unterlage  411. 
Unterlegen  411. 
Unterlegen  des  Textes  411. 
Unterleisten- Labien    oder 

Kastenbart  412. 
Unterleitton  412. 
Uutermediante  412. 
Unterricht  in  derMusik  412. 
Untersatz  424. 
Unterschlag  424. 
Untersetzen  424. 
Unterstimme  424. 
Untertasten  424. 
Unterziehen  424. 
Unveränderlichervorschlag 

425. 
Unvollkommene  Consonan- 
zen  425. 


478 


Verzeichniss  der  im  zehnten  Bande  enthaltenen  Artikel. 


Unvollkommener  Ganz- 
schluss     Seite  426. 

Vnzelmann,  s.  Bethmann 
426. 

Unzer,  Johann  August  426. 

Uomo  426. 

Upmark,  N.  426. 

Urania  427. 

Uranikon  427. 

Uranien  427. 

Urban,  Christian  427. 

Urban,  Friedrieh  Julius  427. 

Urban,  Heinrich  428, 

Urbani  (...)  428. 

Urbano  428. 

Urena,  Pedro  d',  auch 
Uregna   428. 

Urfey,  Thomas  d'  428. 

Urhan,  Chretien  428. 

Ur-hin  429. 

Urio,  Francesco  Antonio 
429. 

Urmelodie  429. 

Ureari  430. 

Urseubeck  e  Massimi  430, 

Ursillo,  Fabio  430. 

Ursini,  Joachim  430. 

Ursprung  der  Musik  430. 

Ursprünglich  437. 

Ursprüngliche  Töne  438. 

U.  s.  438. 

Uso,  usus,  auch  Chresis 
438. 

Usper,  Francesco  438. 

Ut  438. 

Ut  bemol  438. 

Ut  diese  438. 

Ut  diese  mineur  438. 

Ut  fa  438. 

Ut  re  438. 

Ut  re  mi  fa  so  la  438. 

Utremifasollarii  438. 

Utricularius  438. 

Ut  supra  438. 

Uthe,  Joh.  Andreas  438. 

Uttendal,  auch  Uttenthal 
und  Uttendaler,  Alexan- 
der 438. 

Uttini,  Francesco  439. 


V. 

V.  Seite  439. 

f  439. 

Vaceai,  Nicolo  439. 
Vaccari,  Francesco  440. 
Vacchetti,     Giovanni    Bat- 

tista  440. 
Vaceto  441. 
Vacher,   Pierre  Jean,   oder 

Levacher  441. 
Vachon,  Pierre  441. 
Vaelrant,  Hubert,  s.  Wael- 

rant  441. 
Vaet,  Jaeobus  441. 
Väterehen  442. 
Vagans,  Quinta  vos  442. 
Vague  442, 
Vaisselius,    Matthieu,    s 

Waisselius   442. 
Valabreque,  s.  Catalani  442. 
Valderravano,  Enriquez  de 

442. 

Valdesturla,  s.  Schicht  443. 
Valente,  Antonio  443. 
Valente,  Saverio  443. 
Valentini,  Carlo  443. 
Valentini,  Domeuico  443. 
Valeutini,  Giovanni  443. 
Valentini,  Giovanni  444. 
Valentini,  Giuseppe  444. 
Valeutini,  Pietro  Francesco 

444. 
Valentinstanz  445. 
Valeruod,  Abbe  Marie  Ele- 

azar  de  445. 
Valesi,  Johann  Evangelist, 

eigentlich  Wallershauser 

445. 
Valgulio,  Carlo  445. 
Valhadolid,    Fraucisco    de 

445. 
Valla,  Georgia  445. 
Vallade,  Joh.  Baptist  Anton 

446. 
Vallaperta,  Giuseppe  446. 
Vallara,  P.Francesco  Marie 

446. 


Valle,  P.  Guglielmo  della 

Seite  446. 
Valle,  Pietro  della  447. 
Vallerius,  s.  Wallerius  447. 
Vallet,  Nicolas  447. 
Vallisnieri,  Antonio  447. 
Valle,  Dominico  447. 
Valotti,  Francesco  Antonio 

447. 
Valls,  Francisco  448. 
Valor  notarum  448. 
Valsal  va,AntonioMaria  448. 
Valse,  s.  Walzer  449. 
Van  Boom,  Johann  E.  G. 

449. 
Van  Boom,  Johann  449. 
Van  Buggenhout,  Emil  449. 
Van  denÄcker,  Johann  449 
Van  denBroeck,  Othon449 
Van   den    Gheyn,  Matthias 

450. 
Vander    Borght,    Natalis 

Christian  450. 
Vander  Does,  Carl  450. 
Vander  Doodt,  Johann  Bap 

tist  451. 
Vander  Hagen,  Amand  Jean 

Franfois  Joseph  451. 
Vander  Meulen,  Servals  451 
Vander  Monde  451. 
Vander  Plancken,    Charles 

452. 
Vander  Straetten,  Edmond 

452. 
Van  Elewyck,  Xaver  453. 
Van   GeeraerdsbergUe,  Jo' 

hann  453. 
Van  Hall,  s.  Wanhall  454 
Van  Hecke,    auch   Vaneek 

454. 
Van  Hülst,  Felix  Alexandre 

454. 
Van  Maldere,  Pietro  454. 
Vannacci,  Pietro  454. 
Vannaretti,  Pater  Francesco 

454. 
Vanneo,  StefFano,  lateinisch 

Vannaeus  454. 
Vannini,  P.Bernardino  455. 


Vannini,  Elias  Seite  455. 
Vanini,  Francesea  455. 
Vanos,  Albert  455. 
Van  Peteghem,  Peter  455. 
Van  Peteghem,  Egide  Fran- 

fois  455. 
Van  Peteghem,  Lambert  Be- 

noit  455. 
Van  Peteghem,  Pierre  Pran- 

fois  465. 
Vau  Peteghem,  Pierre  455. 
Van  Peteghem,  Maximilian 

455. 
Varenius,  Alanus  455. 
Varese,  Fabio  455. 
Vargas,  Urban  de  456. 
Variationen,     Variazioni 

(Tema  con  Variazioni) 

456. 
Variato  461. 
Varuey,  Pierre   Joseph  Al- 

phonse  461. 
Varoti,  Michele  462. 
Vasen  462. 

Vasquez,  s.  Vazquez  462. 
Vaticau,  s.  Sixtinische  Ka- 
pelle 462. 
Vatri,  Reu6  462. 
Vaucansou,  Jacques  de  462. 
Vaudeville  462. 
Vaupullaire  463. 
Vausenville,    s.    Koberger 

de  V.  463. 
Vavasseur,  Nicolas  le  463. 
Vayanakol  463. 
Vazquez,  D.  Joäo  463. 
Vc.  463. 

Vecchi,  Orazio  463, 
Vecchi,  Orfeo  467. 
Vecchi,  Lorenzo  468. 
teeoli,  Pietro  468. 
Vecoli,  Eegolo  468. 
Veemente  468. 
Veeseumeyer,  Georg  468. 
Veggio,  Claudio  468. 
Veiehtner,  Franz  Adam  468. 
Veit,  Emil  Alexander  468. 
Veit,  Wenzel  Heinrieh  469. 
Veitstanz  469. 


Druck  von  Metzger  &  Witt  ig  in  Leipzig. 


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