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NOT TO BE TAKEN FROM THIS ROOM
Brandeis University
Library
Gift of
a Life member of the
National IVomen's Committee
Brandeis University
Musikalisches
CONVEESATIONS-LEXffiON.
Eine Encyklopadie
dei'
gesammten musikalischen Wissenschaften.
Für Gebildete aller Stände,
unter Mitwirkung
der Herren Prof. Franz M. Böhme, Gustos A. Dörffel, Kapellmeister Prof.
H. Dom, Prof. (j. Ellgel, K. S. Kammermusiker M. Fürstenaii, Dir. Gevaert,
L. Hartmanii, Dr. F. Hüffer, Prof. F. W. Jahns, Dr. W. Langhans, Prof.
E. Mach, Prof. Dr. Emil Nanmann, Universitäts-Musikdir. Dr. Ernst Naumann,
Prof. Dr. Oscar Paul, Dr. A. Reissmann, Prof. E. F. Richter, Prof. W. H. Riehl,
Musikdir. Th. Rode, Prof. H. Rnff, Musikdir. Dr. W. Rnst, Geh. Eath Schlecht,
0. Tiersch, 0. Wangemann, Prof. Dr. H. Zopff u. s. w., u. s. w.
begründet
von
Hermann Mendel.
Fortgesetzt
von
Dr. August Reissmann.
Zehnter Band.
BERLIN,
Verlag von Robert Oppenheim.
1878.
Stradirarius, Francesco, ältester Sohn des Vorigen, arbeitete melirere
Jahre in Gemeinschaft seines Bruders Omobone. Es sind gute Instrumente
von ihm vorhanden, aber die Meisterschaft des Vaters erreichte er nicht. Man
findet es unbegreiflich, dass er sich nicht an das Modell des Vaters hielt. Er
wählte ein Originalpatron mit kühnen, aber roh gezeichneten Umrissen. Die
/"-Löcher sind ganz verschieden von den schönen Linien der Geige des Vaters,
auch verwendete er einen dunkleren und schlechteren Lack, Er starb am
11. Mai 1743. Seine Zettel vom Jahre 1725—1743 lauten:
FRANCESCUS STRADIVAUIXIS CREMONENSIS
FILIUS ANTONII, FACIEBAT ANNO 17—.
Stradivarius, Omobone, zweiter Sohn des Antonius, hat wenig gearbeitet.
Ein Cello von ihm ist geradezu hässlich und auch nicht von bedeutendem Ton,
Er starb am 5. Juni 1742. Seine Zettel vom Jahre 1725 — 1742 lauten:
OMOBONUS STEADIVARIUS FIGLY ANTONY
CREMONE FECIT ANNO 17—,
Straelile, Daniel, Gelehrter in Schweden, Mitglied der Akademie der
Wissenschaften zu Stockholm, lebte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Im fünften Bande der Memoiren dieser Akademie Hess er einrücken: »Versuch,
eine gleichschwebende Temperatur mechanisch zu entwerfen.«
Straehle, ein berühmter Orgelbauer in Schweden, geboren zu Matsbo 1720,
verfertigte viele herrliche Werke und starb im Februar 1765.
Strakaty, geboren am 2. Juli 1804 in Blatna in Böhmen, widmete sich
Anfangs der Jurisprudenz, ging dann aber unter Stepanek's Direktion in Prag
zum Theater. Hier errang er sowohl als Opern- wie als Concertsänger ausser-
ordentlichen Beifall. Namentlich war er in Mozart's und Weber's Opern aus-
gezeichnet. Bei seinem Abschiede von der Bühne am 4. Novmbr. 1858 wurde
er zum Ehrenbürger der Stadt Prag ernannt. Er starb hier am 21. April 1868.
Strakosch, M., Pianist, in Ungarn 1825 geboren, studirte Musik in Pesth
und Wien. 1846 ging er nach Italien und liess sich in den Hauptstädten
daselbst mit vielem Erfolg hören, auch erschienen bei Riccordi in Mailand meh-
rere seiner Compositionen. Gegen 1851 reiste er nach Amerika und lebte in
New- York als Claviei-lehrer ; nach Europa zurückgekehrt begleitete er Ade-
line Patti mit auf ihren Reisen. Seine Compositionen bestehen in Fantasien,
Etüden und andern Clavierpiecen. y>Äddio a VItaliav., Album für Ciavier, ent-
hält: eine Ballade, eine Etüde, eine Hymne, ein Gebet, ein Nocturno und einen
Galopp, op. 36 (Mailand, Riccordi).
Stramboli, Bartolomeo, Priester und Sänger an der Kirche San Marco
zu Venedig im Anfange des 18, Jahrhunderts, hat herausgegeben: y>Salmi vesper-
Uni a qioattro voci, con hasso continuo per Vorganoa (Venedig, 1619, in 4**).
Strasciaudo, strascinando (ital.), Vortragsbezeichnung, schleppend,
zögernd, wie rallentando.
Strascinando l'arco mit schleppendem oder aufliegendem Bogen und wie
beim Tremulando die Töne nicht trennend.
Strascinar, strascino, Terminus beim Gesänge, die Weise der Aus-
führung, nach welcher die Töne durch Hinüberziehen verbunden werden.
Strascinato, Flautato, franz.: Traine oder Flute, der Plötenstrich bei
der Violine.
Strassburger, eine Art Allemande (s. d.).
2 Strasser — Strauss.
Strasser, Johann Greorg, geschickter Uhrmacher aus Baden bei AVien,
Hess sich in Petersburg nieder und verfertigte daselbst eine grosse Spieluhr in
Form eines antiken Tempels, die er »Das Mechanische Orchester« nannte.
Dies Werk spielte von Mozart zwei Ouvertüren, zwei Clavierconcerte und ein
Quintett, die Militär-Sinfonie von Haydn und noch anderes. Alles nach der
Partitur, und hatte vor den mechanischen Kunstwerken dieser Art noch den
Vorzug, dass es crescendo und decrescendo, sogar tempo rubato spielte. Es wurde
für eine hohe Summe ausgespielt und der Predigerwittwe, welche es gewann,
kaufte es der russische Kaiser für 25,000 Rubel und eine lebenslängliche
Pension von 1000 Rubel ab. Im dritten Jahrgang der »Leipziger musikalischen
Zeitung« S. 736 ist das Werk näher beschrieben.
Stratonicus, ein Künstler auf der Cither, der zu Athen zur Zeit Alexander's
und Ptolemäus' blühte, soll zuerst sein Instrument mit vielen Saiten bezogen
haben. Dass er zugleich ein witziger Kopf war, musste er später mit dem
Tode büssen, denn König Nikokles liess ihn um eines Witzes willen vergiften.
Strattuer, Georg Christoph, geboren 1650 in Ungarn, gehörte erst
zur Kapelle des Prinzen von Durlach und erhielt später in Prankfurt a/M,,
dann in Weimar eine Stelle als Kapellmeister, wo er 1705 starb. Von ihm
sind gedruckt: »Melodien zu Neander's Bundes- und Himmelsliederna (Frank-
furt und Leipzig, 1691): »Vier Aria novissima mit einer Sing- und zwei
Instrumental-Stimmen nebst Generalbass« (Frankfurt, 1685, in Fol.).
Straube, Rudolph, Virtuose auf dem Ciavier und der Laute, 1720 in
Sachsen geboren. Auf der Thomasschule in Leij)zig unter Seb. Bach's Direktion
gebildet, liess er sich 1754 in London nieder und gab dort ein Heft, enthaltend
drei Sonaten für Ciavier und Laute, und ein Hefb Duos für Laute und
Violine heraus.
Strauss, Adolph Friedrich, Divisionsprediger, Professor an der Uni-
versität in Berlin, geboren 1817 als Sohn des Hof- und Dompredigers. Er
gab heraus: »Liturgische Andachten der Königl. Hof- und Domkirche für die
Feste des Kirchenjahres. Ausser der Liturgie in Noten sind darin noch viele
kirchliche Gesänge enthalten mit Musik von A. Neithardt, Bortniansky, M. Prä-
torius, J. Eccard, E. Grell, Schröter, Kübnast, Lotti, M. Frank, Cl. Goudimel,
S. Bach, M. Bach, Palestrina, Gumpeltzheimer, Stahlknecht, Vulpius« (Berlin,
bei W. Hertz).
Strauss, Christoph, Organist des Kaiser Matthias, lebte zu Wien in
der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Ein daselbst im Jahre 1613 veröffent-
lichtes Werk, betitelt: r>C'aiitiones sacrae seu motetti 5 — 10 vocumv. hat seinen
Namen als Componisten der Nachwelt erhalten.
Strauss, Joseph, Kapellmeister des Grossherzogs von Baden, ist 1793 zu
Brunn in Mähren geboren. Sein Vater, der früher das Amt eines Concert-
meisters an einem der kleinen Höfe Italiens bekleidet hatte, liess ihn im
Ciavier- und Geigenspiel unterrichten, ohne ihn jedoch zum Musiker zu be-
stimmen. Erst nachdem St., frühzeitig verwaist, nach Wien gekommen war,
entschied er sich für diesen Beruf und betrieb nun seine Studien mit solchem
Eifer, dass er im Alter von zwölf Jahren im Zwischenakt einer Vorstellung
im Theater an der Wien als Violinist an die Oeffentlichkeit treten konnte.
In Folge des Beifalls, welchen der bei dieser Vorstellung anwesende Kaiser
seiner Leistung spendete, erhielt er einen Platz im Orchester, was ihn indessen
nicht abhielt, seine Studien auf der Violine unter den besten Meistern — erst
Blumenthal, dann De Urbani, endlich Schuppanzigh — wie auch in der Har-
monielehre unter Teybert und im Contrapunkt unter Albrechtsberger eifrig
fortzusetzen. Eine Anzahl erfolgreicher Concerte begründeten seinen Ruf als
Violinvirtuose und Compouist schon in den ersten Jünglingsjahren und ver-
schafften ihm ein Engagement als Musikdirektor in Luzern und gleichzeitig
ein anderes als Soloviolinist am Theater zu Pest, welches letztere er annahm.
In Pest schrieb er seine ersten grösseren Compositionen, u. a. Ouvertüre und
Strauss. 3
Zwischenaktsmusik zu einem Drama »Die Belagerung Wiens«, ein Sextett für
Harfe und Blasinstrumente, eine Cantate auf liebräischen Text und Chöre für
verschiedene Tragödien. Im Jahre 1813 vertauschte er seine Pester Stellung
mit der eines Musikdirektors in Temeswar (Ungarn); doch blieb er hier nur
ein Jahr, um 1814 die Leitung der deutschen Oper in Siebenbürgen zu über-
nehmen, für welche er in der Folge die Opern: »Faust's Leben und Thaten«
und »Die Söhne des Waldes« schrieb. Zur selben Zeit componirte er auch
eine Messe, zwei Cantaten und eine Anzahl von Solostücken für die Violine.
Mit noch grösserem Eifer widmete sich St. der Composition, nachdem er
1817 in Brunn zeitweiligen Wohnsitz genommen hatte; hier schrieb er eine Messe
zur Feier des Amtsantritts des Bischofs, verschiedene andere Kirchencomposi-
tionen und ein Violinconcert; dann unternahm er eine längere Kunstreise und
Hess sich in den grösseren Städten Deutschlands und der Schweiz mit Beifall als
Violinist hören. Um diese Zeit (1822) erhielt er die Aufforderung, eine deutsche
Oper in Strassburg ins Leben zu rufen; seinem dortigen Aufenthalte hatte das
Publikum mustergültige Darstellungen des »Don Juan«, »Fidelio«, »Freischütz«
und anderer klassischer Opern zu danken. Im folgenden Jahre erhielt er die
Stelle eines Musikdirektors am Hoftheater zu Mannheim, verliess dieselbe jedoch
schon 1824, da er in Folge einer von ihm geleiteten Aufführung des »Ferdinand
Cortez«, welcher der Grrossherzog von Baden beigewohnt hatte, von diesem zu
seinem Hofkapellmeister ernannt wurde. Von da an wirkte er in Carlsruhe,
mit Ausnahme des Jahres 1840, wo er einem Hufe nach London folgte, um
an der deutschen Oper zu dirigiren und zugleich seine, 1838 in Wien mit dem
zweiten Preise gekrönte Symphonie zur Aufführung zu bringen. Für Carlsruhe
schrieb er noch die Opern »Armiodan«, »Zelide«, »Berthold, der Zähringer«
und »Der Währwolf«, welche letztere auch in Wien zur Aufführung gelangte
und mehr als fünfzig Wiederholungen erlebte. Ferner die Musik zu Auffen-
berg's Drama »Der Löwe von Kurdistan«, ein Te deum, eine Cantate »Das Lob
Gottes« und ein Oratorium »Judith«. Er starb am 2. December 1866, nachdem
er schon 1863 in den Ruhestand getreten war. An Kammermusik und klei-
neren Compositionen sind von ihm veröffentlicht: 1) y>Variations brillantes für
Violine mit Orchesterbegleitung«, op. 9 (Mannheim, bei Heckel). 2) »Streich-
quartett«, op. 5 (Leipzig, bei Hofmeister). 3) »Potpourris für Violine mit
Begleitung einer zweiten Violine, Bratsche und Violoncell«, op. 5 und 6 (ebenda).
4) »Zwölf Variationen für Violine mit einer zweiten Violine und Violoncell«,
op. 4 (Leipzig, bei Breitkopf & Härtel), 5) » Variations sur un menuet mila-
nais für Violine und Ciavier«, op. 3 (ebenda). 6) Mehrere Hefte Lieder mit
Ciavierbegleitung (Prag, bei Enders, und Leipzig, bei Hofmeister).
Strauss, Johann, deutscher Tanzcomponist, ist geboren am 14. März 1804
zu Wien, wo seine Eltern das Bierhaus »Zum guten Hirten« in der Leopold-
stadt besassen. Die häuslichen Verhältnisse brachten es mit sich, dass der
Knabe schon von Geburt an in der Wiener Volks- und Tanzmusik eine Art
geistiger Nahrung fand; schon im zartesten Alter äusserte sich sein musika-
lischer Nachahmungstrieb, indem er, wie auch Haydn, als kleiner Knabe, die
Bewegungen des Violinspielers mittelst zweier Stäbe wiederzugeben suchte. Als
er in der Folge von seinem Vater eine kleine Geige zum Geschenk erhielt,
wusste er sich bald darauf zurecht zu finden, so dass man ihm den Besuch der
mit der Elementarschule verbundenen Geigenschule gestattete; sein Wunsch,
sich durch Privatunterricht zu vervollkommnen, musste jedoch bei der Mittel-
losigkeit seiner Eltern unerfüllt bleiben; auch wollten dieselben, ungeachtet
seiner immer zunehmenden Neigung zur Musik, nicht gestatten, dass er sich
ihr ausschliesslich widme, vielmehr bestimmten sie ihn zum Buchbinder, und
wirklich musste sich S. bequemen, nach kaum absolvirter Schulzeit dies Hand-
werk zu erlernen. Die geringe Theilnahme, die er für seinen ihm aufgezwun-
genen Beruf empfand, konnte dem Meister, bei dem man ihn in die Lehre
gegeben, nicht entgehen, und nachdem alle Ermahnungen und Strafen vergeblich
1*
4 Straass.
gewesen waren, verbot derselbe ihm das Violinsj)ielen. Diesen Schlag ver-
mochte der vierzehnjährige S. nicht zu überwinden: er verliess heimlich das
Haus des, im Uebrigen ihm wohlwollenden Buchbinder-Meisters und ging mit
seiner Geige in die weite Welt hinaus, um auf eigne Hand sein Heil zu ver-
suchen. Aber schon bei dem nächst Wien gelegenen Dorfe Döbling hatte seine
Wanderung ein Ende, da ein dort wohnender Musikfreund, der den kleinen
Flüchtling von der Geigenschule her kannte, ihn vorläufig zu sich ins Haus
nahm; dann auch den Eltern wieder zuführte, gleichzeitig aber dieselben über-
redete, dem musikalischen Streben des Sohnes nicht länger hinderlich zu sein.
Auf seine Veranlassung erhielt sodann S. regelmässigen Violinunterricht bei
Polyschanski, und machte unter dessen Leitung so rapide Eortschritte, dass er
bald bei Streichquartetten in Privathäusern mitzuwirken im Stande war, später
auch eine Beschäftigung in dem Orchester des damals sehr beliebten Musik-
Direktors Pamer am Concertlocal »zum Sperl« fand.
Bei aller Freude über diese Erfolge schien doch dem strebenden und ehr-
geizigen Knaben sein neuerrungener AVirkungskreis bald zu beschränkt. Eben
um diese Zeit (1819) hatte sich Lanner mit den Brüdern Drochanek zu einem
Terzett verbunden, und die Vorträge dieses musikalischen Kleeblattes im Kaflfe-
hause »Zum grünen Jäger« in der Leopoldstadt und andern Vergnügungslokalen
erregten durch Schwang und treffliches Zusammenspiel grosses Aufsehen. S.'s
Anerbieten, sich ihnen als Vierter zuzugesellen, wurde von Lanner gern ange-
nommen, der ihn als Violaspieler engagirte, ihm aber zugleich das Amt Über-
trag, mit dem Teller in der Hand* das Honorar der Gäste einzusammeln. In
diesem Verhältniss blieb er bis zum Fasching 1825, wo Lanner bei stets wach-
sender Vergrösserung seines Wirkungskreises sich geaöthigt sah, sein Personal
zu vermehren; das kleine Orchester, zu welchem das ehemalige Quartett ange-
wachsen wai-, wurde getheilt, und S. für den Tanzsaal »Zum grünen Baum«
als Primsfeiger und Dirio-ent ernannt. Noch in demselben Jahre verheiratete
er sich; zugleich aber löste er sein Verhältniss zu Lanner und errichtete selb-
ständig ein Quintett, mit dem er zuerst im Gasthaus »Zum rothen Igel« in
der Leopoldstadt auftrat. Bei seinem Austritte aus Lanner's Orchester, Ende
1825, wurde es Verabredetermassen jedem Musiker freigestellt, ob er sich an
Lanner oder an S. fernerhin anschliessen wolle und da die meisten sich für
den letzteren entschieden, so konnte er schon im Carneval 1826 mit einem
Orchester von vierzehn Personen in dem damals berühmten Saale »Zum Schwan«
in der Rossau als Kapellmeister debutiren. Jetzt trat er auch mit seinen Com-
positionen offen hervor, nachdem er bis dahin die Autorschaft seiner Versuche
auf dem Felde der -Tanzmusik geheim gehalten; die ersten unter seinem Namen
aufgeführten Tänze, die »Täuberl -Walzer«, genannt nach dem Concertlokal,
»Bei den zwei Tauben«, hatten vollständigen Erfolg und fanden in Karl Has-
linger sofort einen Verleger. Seinen Ruf als Walzercomponist aber begründete
S. im Fasching 1827, wo er als Musikdirektor im Concertsaal »Zur Ketten-
brücke« in der Leopoldstadt seine »Kettetibrücken-Walzer« zum ersten Mal
vortrug. Diese fanden so allgemeine Anerkennung, dass er mit einem Schritte
alle übrigen Walzercomponisten überflügelt hatte und sich ebenbürtig an die
Seite des genialen Lanner gestellt sah. Von dieser Zeit an theilte sich das
lebensfrohe, tanzlustige Wien in zwei Parteien, die Lannerianer und die
Straussianer, deren jede den von ihr er^vählten Meister in den Himmel erhob,
nicht selten auf Kosten des Hauptes der andern; doch hatte der Wettstreit
zwischen Lanner und S. eine künstlerisch veredelnde Wirkung, indem er
der Gasthaus-Musik ihrer Zeit eine neue Richtung gab. Bisher hatte man
dieselbe nur als eine Beigabe zur Conversation betrachtet und sie an sich
keiner besonderen Aufmerksamkeit gewürdigt. Nun wurde diese Musik in ihrem
Repertoire durch Ouvertüren, Concertstücke u. s. w. erweitert und auch hinsichts
der Ausführung auf einen höheren Standpunkt gebracht, sodass nicht blos
solche, die sich bei Bier und AVein die Zeit vertreiben wollten, die öffentlichen
Strauss. 5
Musik-Gärten und Salons besuchten, sondern aucli warme Freunde der Musik,
denen ihre Vei'hältnisse den Besuch höher gestellter Kunstinstitute unmög-
lich machten.
Eine Glanzepoche in S.'s Wiener "Wirksamkeit bezeichnen die Jahre 1830
bis 1836, während welcher Zeit er die Musik in dem damals vornehmsten
Vergnügungsort der Hauptstadt »Zum Sperl« in der Leopoldstadt leitete und
diesem Lokale einen Zulauf verschaffte, der in der Geschichte der Wiener
Unterhaltungsmusik beispiellos war. Im Jahre 1834 wurde er zum Kapell-
meister des ersten Bürgerregimeutes ernannt; ein Jahr später wurde ihm die
Musik bei den Hof ballen übertragen; zudem hatte er sich durch sein beschei-
denes und taktvolles Auftreten als Mensch in den aristokratischen Kreisen so
allgemein beliebt gemacht, dass bei ihren Festen, sollten sie den vollen Genuss
bieten, er mit seinem Orchester nicht fehlen durfte. Seine Thätigkeit wurde
noch umfassender, als er nach dem Beispiele Lanner's angefangen hatte, Musik-
engagements für mehrere Localitäten zugleich anzunehmen; die Besitzer sämmt-
licher Vergnügungssokaie Wiens geizten nach dem Glück, den Namen »Strauss«
mit dem Zusatz »unter persönlicher Leitung« auf ihre Ankündigungszettel
setzen zu können und es genügte, wenn der Gefeierte sich nur kurze Zeit dem
Publikum als Musikleiter zeigte. Dennoch war sein künstlerischer Ehrgeiz
durch den Erfolg seines bisherigen Strebens noch keineswegs befriedigt und
eben jetzt richtete er seine Blicke auf ein höheres Ziel; aus den hundert bis
zweihundert Musikern, die während des Faschings bei ihm in Engagement
standen, hatte er sich ein Stamm-Orchester gebildet, das er stets dirigirte und
durch strenge Auswahl, sowie sorgfältiges Einstudiren zu einer solchen Voll-
kommenheit erhob, dass es in Wien nur von dem fast ausschliesslich aus be-
rühmten Virtuosen bestehenden Orchester des Kärnthnerthor-Theaters über-
troffen wurde. Mit dieser musikalischen Leibgarde umgeben, gedachte er seine
Kunst über die Mauern seiner Vaterstadt hinauszutragen, und die Ausführung
dieses Planes Hess auch nicht lange auf sich warten. Zunächst unternahm er
1833 einen kurzen Ausflug nach Pest; sodann 1834 eine längere Eeise nach
Berlin, wo er durch seine Concerte im Königstädtischen Theater die nord-
deutsche Bedächtigkeit des Publikums zum Enthusiasmus entflammte; endlich
1835 nach dem westlichen Deutschland, um dort den gleichen stürmischen Bei-
fall zu ernten. — In Folge einer noch längeren Reise durch ganz Deutschland
und Holland im September 1836 war S.'s europäischer Ruhm fest begründet,
und sein Vorsatz zu einer grossen Reise ausserhalb der deutschen Lande bei
ihm zur Reife gediehen. Er ging deshalb für die nächste Wintersaison in
Wien keine Verbindlichkeiten ein, knüpfte dagegen mit Paris und London
Unterhandlungen an, und erhielt von dort her so vortheilhafte Anträge, dass
er im October 1837 in Begleitung seines Orchesters von achtundzwanzig Per-
sonen die Reise mit gutem Muthe antreten konnte. Die grossen Erfolge, die
seine Leistungen unterwegs in München, Karlsruhe und Strassburg hatten,
sollten sich in Paris in noch verstärktem Masse wiederholen, wenngleich ihm
hier ein Musard als Nebenbuhler gegenüberstand. Schon sein erstes Concert
im Gymnase musical und hier besonders der »Gabrielen- Walzer« brachte eine
ausserordentliche Wirkung hervor; wenige Tage danach erhielt S. eine Ein-
ladung, sich mit seiner Kapelle vor der königlichen Familie in den Tuilerien
zu produciren, bei welcher Gelegenheit ihm Louis Philipp nebst den übrigen
Mitgliedern des Herrscherhauses auf die herzlichste Weise persönlich entgegen-
kamen. In wie hohem Grade er das Pariser Publikum zu fesseln wusste, be-
weist der Umstand, dass in seinen mit Musard gemeinschaftlich veranstalteten
Concerten — wo S. die erste, Musard die zweite Abtheilung übernahm — der
grösste Theil der Zuhörer nach dem ersten Tlieil den Saal verliess, obschon S.
mit seinem numex'isch bescheidenen Orchester den massenhaften Instrumental -
kräften Musard's gegenüber im Nachtheil war. Gleichen Beifall fand er in
den Provinzialstädten Frankreichs und in London, wo er im Frühjahr 1838
g Strauss.
mit seiner Gesellschaft eintraf. Für die ersten zwölf Concei*te, die er in der
englischen Hauj^tstadt gab, erhielt er die Summe von 1200 Gruineen garantirt,
und wie geachtet er in der musikalischen Welt dastand, mag die Thatsache
beweisen, dass ein Künstler wie Moscheies sich mit ihm zu Concerten verband.
Wohl hätte S. mit dem Ergebniss seiner Heise zufrieden sein können, wenn er
nicht in Folge der Anstrengungen und klimatischer Einflüsse erkrankt wäre.
Mit dem Aufgebot aller seiner Kräfte nach Wien gelangt, wurde er hier von
einem Nervenfieber befallen, dessen Ueberwindung er nur seiner kräftigen Natur
zu danken hatte. Bald nach seiner Genesung befiel ihn eine andere schwere
Krankheit (Nierengeschwüre) und hielt ihn monatelang' auf seinem Lager fest;
doch auch diesmal entrann er dem Tode und konnte am 1. Mai 1839 mit
einem Concert im Augarten sein Genesungsfest feiern, unter dem Jubel seiner
Landsleute, die sich zu Tausenden eingefunden hatten, um ihren Liebling, den
Walzerkönig, zu begrüssen.
Eine Eeihe von Musikfahrten füllten neben seiner Wiener Wirksamkeit die
Zeit aus bis zum Fasching des Jahres 1848. Um diese Zeit war das alte Wien
noch dicht von dem goldenen Schleier seiner weltbekannten Gemüthlichkeit um-
hüllt — wie S.'s Biograph Scheyrer bemerkt*) — und S. war noch unum-
schränkter Herrscher in diesem Reiche. Mit vollen Zügen schlürfte man den
süssen Melodientrank, den er in seinen neuen herrlichen AValzern »Adepten«,
»Amphionsklänge«, »Aetherträume« u. a. seinen Verehrern darbot, — da kam der
März und rüttelte die Wiener aus ihrer träumerischen Gemüthlichkeit; S. er-
wachte gleich seinen Anhängern und huldigte der über Oestreich herabschwe-
benden Göttin der Freiheit auch seinerseits durch Tonschöpfungen, wie der
österreichische »Nationalgardemarsch«, »Marsch der Studentenlegion«, »Marsch des
einigen Deutschlands«, die Walzer »Sorgenbrecher« und »Landesfarben«. Im
übrigen blieb er der Politik fern und bewahrte dem Herrscherhause, an dessen
Hofe er als Ballmusikdirektor fungirte, die alte Treue, wofür ihm freilich der
Spottname eines »Schwarzgelben« und häufige Drohbriefe nicht erspart blieben.
Der Wiener Carneval des Jahres 1849 war einer der traurigsten, welche die
Kaiserstadt seit ihrem tausendjährigen Bestehen erlebt hatte, und S., der wohl
fühlte, dass selbst seine Kunst nicht mächtig genug war, um die düstern Wolken
zu verscheuchen, entschloss sich zu einer neuen grösseren Kunstreise. Wieder
bildete London den Höhepunkt seiner Erfolge; wieder aber sollte das englische
Klima ihm verhängnissvoll werden. Bald nach seiner Ankunft begann er an
einer physischen Erschöpfung zu leiden, die ihm die künstlerische Freudigkeit
raubte, mit der er sonst seinem Berufe obgelegen hatte. Zwar schien er sich
nach seiner Bückkehr in die Heimath geistig und körperlich zu erholen, in-
dessen musste die Aussicht auf seine Genesung bald schwinden; am 19. Sep-
tember trat er zum letzten Male im »Sperl« vor das Wiener Publikum, zwei
Tage danach wurde er vom Scharlach befallen, dem er am 25. Septbr. 1849
erlag. Sein Leichenbegängniss fand unter lebhafter Theilnahme der gesammten
Bevölkerung Wiens statt, welche den weiten Weg bis zum Friedhof in Döbling
besetzt hielt, wo S. neben Lanner die letzte Ruhestätte fand.
So streng und fest S. in allem war was seinen Beruf anging, so gutmüthig
und heiter zeigte er sich im gewöhnlichen Leben; auch häusliches Unglück —
seine 1825 geschlossene Ehe musste 1845 getrennt werden — vermochte nicht
seinen Charakter zu verbittern. Mit seinem Nebenbuhler Lanner verkehrte er
bis zu dessen Tode 1843 in collegialischer Weise, wie sehr auch sein Naturell
mit dem Lanner's contrastirte. War Lanner melodisch-schmelzend, weich und
sentimental, so war S. feurig, stürmisch, erobernd, und wenn sich seine schmäch-
tige aber vornehme Figur, mit dem absonderlich geformten Kopfe — von den
Franzosen sttete carreen genannt — den wunderlichen Gesichtszügen mit inein-
*) Ludwig Scheyrer „Johann Strauss's musikalische Wanderuuo- durch das Leben",
Wien, 1851,
Strauss. 7
andergewachsenen Augenbrauen auf dem Orchester zeigte, so waren nicht nur
die Füsse der Tanzlustigen, sondern auch Herzen und Pulse wie elektrisirt.
Als Violinspieler zählte er zwar nicht zu den Virtuosen ersten Ranges, hatte
sich jedoch unter Leitung Jansa's (1835 — 1836) und durch stete eigene
TJebung die vollständige Herrschaft über sein Instrument angeeignet. Auch
in der Compositionskunst hatte er unter Ignaz Ritter von Seyfried gründliche
Studien gemacht; die zahllosen in seinen "Walzern verstreuten contrapunktischen
Feinheiten, seine gewandte und geistreiche Instrumentirung beweisen, dass die
Lehren jenes Meisters nicht auf unfruchtbaren Boden gefallen waren. Er com-
ponirte ausserordentlich schnell und machte sich nie früher an die Arbeit, als
bis ihn die Zeit unausweichlich drängte; hatte er einen neuen Tanz für irgend
ein Fest angekündigt, so begann er erst am Morgen desselben Tages mit der
Composition; trat im Lauf des Tages schlechtes Wetter ein, so dass das Fest
verschoben werden musste, so legte er sofort die Feder aus der Hand und liess
die Arbeit liegen.
S.'s Söhne, Johann, Joseph und Eduard folgten ihrem Vater in seinem
Berufe, weitaus mit dem meisten Glück der erstere. Johann S., hat nicht
nur als Tanzcomponist ähnliche Erfolge aufzuweisen, wie sein Vater, er wagte
sich auch auf das Gebiet der komischen Oper und hat sich hier neben Offen-
bach und Lecoq einen hervorragenden Platz zu erringen gewusst. Er debutirte
1871 mit »Indigo«, dem 1873 »Der Carneval in Rom« (nach Sardou's »Picco-
lino«) und 1874 »Die Fledermaus« (nach der Posse »Z<? reveillon«. von Meilhac
und Halevy), »Cagliostro«, 1875, endlich 1877 «La Tsigane<.(. folgten, letztere
für Paris geschrieben und dort im Theater »Z« Senaissance« aufgeführt. In
seinem Erstlingswerk für die Bühne ist von specifisch dramatischem Talent nur
wenig zu verspüren; einen bemei'kbaren Fortschritt nach Seite der technischen
Gewandtheit und des Theatereffektes zeigt die Musik zur »Fledermaus«. Den-
noch wird man, soweit bis jetzt zu übersehen ist, als das beste was Johann S.
geschrieben hat, nicht seine Opern, sondern seine Walzer rühmen. Der unge-
heure Erfolg, den sein Walzer »An der schönen blauen Donau« gefunden, ist
ein durchaus berechtigter und man darf Hanslick beistimmen, wenn er behauptet*),
die Donauwalzer des jüngeren Strauss seien zu einer Art von Volkshymne ge-
worden, welche den lebensfrohen Zug des österreichischen National-Charakters
mit der gleichen Treue musikalisch wiederspiegelt, wie Haydn's »Gott erhalte
Franz den Kaiser«, die sinnige und pietätvolle Seite desselben.
Strauss, Ludwig, ungarischer Violinvirtuos, ist am 28. März 1835 in
Pressburg geboren, wo sein Vater Lehrer an der Normalschule war. Bald
nach seiner Geburt erhielt dieser einen Ruf nach Pest und siedelte in Folge
dessen mit seiner Familie dahin über. Kaum dort angelangt wäre jedoch S.
beinahe ein Opfer der furchtbaren Ueberschwemmung geworden, welche die
ungarische Hauptstadt im Jahre 1836 heimsuchte: mit genauer Noth gelang
es, das zarte Knäblein zu retten, indem man es in seinen Windeln vermittelst
zusammengebundener Handtücher aus dem zweiten Stockwerk des Hauses in das
ersehnte Rettungsboot hinabliess, und dann durch die rasenden Fluthen nach
dem, auf dem jenseitigen (Ofener) Ufer gelegenen Blocksberg flüchtete. Weiteres
ist von seinem Aufenthalt in Pest nicht zu melden, da er schon im Alter von
fünf Jahren nach Wien gesandt wurde, um hier erst die Heiligenkreuzeshof-
Schule, dann das akademische Gymnasium zu besuchen. Die an letzterer An-
stalt betriebenen Studien hielten ihn nicht ab, gleichzeitig als Schüler in das
Conservatoiüum der Musik einzutreten. Hier vervollkommnete er sein von
früher Kindheit an gepflegtes Violinspiel unter der Leitung Joseph Böhm's,
bei dem er von 1848 an auch Privatunterricht genoss, da das Conservatorium
in Folge der politischen Verhältnisse die Staats-Subvention verloren hatte und
*) Hanslick, „Die moderne Oper", S. 333.
g Strauss — Streiclien.
■während zweier Jahre nur eine Scheinexistenz führte, Hand in Hand mit dem
Studium der Greige ging das des Contrapunkts und der Composition unter den
bewährten Lehrern Preyer und Nottebohm, und 1850 konnte er als ein nach
allen Seiten fertig ausgebildeter Künstler zum ersten Mal an die Oeifentlichkeit
treten. Wie sehr das "Wiener Publikum die Bedeutung des jugendlichen Vir-
tuosen schon jetzt zu würdigen wusste, zeigt die Thatsache, dass er wenige
Jahre später (1853) unter allgemeiner Theilnahme einen Cyclus von Quartett-
abenden veranstalten konnte — beiläufig erwähnt, in demselben Saale des
Grasthauses »Zum römischen Kaiser«, in welchem ein Menscheualter zuvor der
berühmte Beethoven -Spieler Schuppanzigh seine Quartett - Unterhaltungen
gegeben hatte.
Bedeutungsvoll war für S. das Jahr 1855, in welchem er seine erste
grössere Kunstreise unternahm. Auf dieser Reise, die ihn nach Steiermark,
Kärnthen, Krain, Italien und Oberösterreich führte und ihm überall reiche
Erfolge brachte, waren erst Anton Door, später Arabella Godard seine piani-
stischen Genossen. Noch wichtiger für seine künstlerische Entwickelung aber
wurden die beiden folgenden Jahre; an trefflichen Vorbildern hatte es ihm
zwar bis dahin nicht gefehlt, da er mit allen, zeitweilig oder beständig in "Wien
anwesenden Künstlern, mit Molique, Ernst, Vieuxtemps, den Schwestern Mila-
nollo, Laub, den älteren Gebrüdern Müller, Jansa, in musikalischem Verkehr
gestanden; die Jahre 1856 und 1857 jedoch brachten ihm besonders reiche
Anregung und Förderung, da er während derselben Gelegenheit hatte, im Hause
eines musikverständigen Aristokraten, des Baron Heiutl, mit Joseph Mayseder
regelmässig Quartett zu spielen. Dieser nahm zu jener Zeit als Quartettspieler
mit Recht eine Ausnahmestellung ein. Die Feinheit und der Humor seiner
Vortragsweise, besonders in Haydn'schen Quartetten, die kristallne Durchsich-
tigkeit seines Tones und die glockenreine Intonation, endlich seine Fertigkeit
im Gebrauch des springenden Bogens rühmt S. als unvergleichlich und gesteht,
dass das Beispiel dieses Meisters ihn mehr als alles bisher Gehörte zur Nach-
eiferung angeregt habe. — Selbst inzwischen zum Meister gereift, trat S. 1858
eine zweite Kunstreise an, auf welcher er fast alle grösseren Städte Deutsch-
lands sowie Belgiens und Hollands berührte, überall mit grossem Beifall con-
certirend. Im folgenden Jahre übernahm er das Amt eines Concertmeisters
am Theater und bei der Museums- Concertgesellschaft zu Frankfurt a. M. Zwei
von hier aus nach England unternommene Kunstreisen waren von solchem Er-
folg begleitet, dass er sich 1864 eutschloss, London zu seinem beständigen
"Wohnsitz zu nehmen. Hier wirkt S. noch gegenwärtig als Concertmeister der
philharmonischen Gesellschaft und als Soloviolinist im Orchester der Königin,
ausserdem noch abwechselnd als Geiger und Bratschist in den populären Mon-
tagsconcerten, bekanntlich ein Tummelplatz der berühmtesten Virtuosen aller
Nationen. Dass er bei den grossartigen, von Halle in Manchester veranstal-
teten Concerten ebenfalls als Concertmeister angestellt ist, mag als ein Beweis
der Achtung gelten, die man seinen künstlerischen Leistungen auch ausserhalb
Londons entgegenbringt.
Stravaganto, (ital.), ausschweifend, unbändig, toll. M. Presenti (ge-
boren 1640) veröffentlichte: »Oapricci stravagantw.
Stravaganza (ital.), Ausschweifung; Bezeichnung für ein Tonstück selt-
samsten Charakters.
Strebefeder, s. Balg.
Streicheither, s. Streichzither.
Streichen, bei Geigeninstrumenten den Saiten, mit Hülfe des Bogens, der
auf diese mit der breiten Fläche der Haare gesetzt wird, Töne entlocken, indem
man ihn hin und her zieht.
Streichen, beim Notenschreiben die Notenköpfe mit einem, nach ihrer
Streicher — Strelchmstrumente. 9
Stellung auf dem System aufwäi'ts oder abwärts gehenden Stricli versehen;
sie auf- oder abwärts streichen:
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t=ti
1
Streicher, Johann Andreas, geboren zu Stuttgart am 13. Decbr. 1761,
kam nach dem Tode seines Vaters auf die militärische Pflanzschule, welche 1771
der Herzog Karl von Würtemberg gegründet hatte, die sogenannte »Karlschule«.
Er war es, der seinen Mitschüler, den Dichter Friedrich Schiller, auf seiner
Flucht von Mannheim nach Fi'ankfurt begleitete und demselben in seiner da-
maligen Verlassenheit treu beistand. Erst im 17. Jahre konnte er sich der
Ausbildung im Ciavierspiel hingeben; dennoch erlangte er Fertigkeit und Hess
sich zuerst in München als guter Spieler in der Manier Kozeluch's öffentlich
hören. 1793 kam er nach Augsburg, wo er sich in demselben Jahre mit
Nanette, der Tochter des berühmten Orgel- und Instrumentenbauers Stein
(s, d. Art.) verheiratete. Das junge Paar Hess sich in "Wien nieder und Streicher,
der sich hier ebenfalls als Ciavierspieler bekannt machte, fand später in der, von
seiner Frau geleiteten Pianofortewerkstatt Gelegenheit, sich mit dem Bau der
Instrumente zu beschäftigen. Er veränderte das bisherige System, indem er
das Hammerwerk über den Saitenbezug legte, worauf der Ruf der Streicher'scheu
Pianoforte sich immer noch mehr ausbreitete. Dasselbe System wurde von Pape
in Paris (s. d. Art.) noch vervollkommnet. St. starb vier Monate nach dem
Tode seiner Frau am 25. Mai 1833. Bekannt von ihm ist ein Rondeau mit
acht Variationen: i>The Lass qf Biclimond's SilU (München, Falter). Zwölf
Variationen für Ciavier (Mannheim, Heckel).
Streicher, Nanette, Gattin des Vorigen und Tochter des mehrerwähnten
Oi'gelbauers Stein zu Augsburg, geboren am 2. Januar 1760, war, vom Vater
ausgebildet, eine geschickte Clavierspielerin, die 1787 ein Clavierconcert öffent-
lich spielte. Nach ihrer Verheiratung mit Streicher 1793 gründete sie in "Wien
eine Pianofortefabrik, in welcher ihr Bruder (s. Art. Stein) die technische
Leitung übernahm. Diese Fabrik gehört zu den berühmtesten ihrer Zeit. Noch
fällt auf Nanette Streicher ein freundlicher Strahl, denn sie ist Jahre hindurch
bemüht gewesen, dem grossen Beethoven, dem die sorgende Frauenhand fehlte,
in seinen häuslichen Bedrängnissen hilfreich zu sein. 1813, als sie seine Häus-
lichkeit in höchster Verfallenheit fand, nahm sie sich desselben durchgreifend
an, sie ordnete erst die Garderobe, dann das Hauswesen und bewog ihn zu
praktischen Veränderungen desselben, wurde überhaupt nicht müde, nach dieser
Seite hin »dem grossen Unmündigen« zu rathen und zu helfen.
Streichchor nennt man einen Chor von Streichinstrumenten zum Unter-
schiede vom Streichquartett (s. d.). In der Regel ist auch er wie dies aus
ursprünglich vier Stimmen zusammengesetzt: zwei Geigen, Bratsche und Cello,
aber bei diesem ist jedes dieser Instrumente nur mit je einem Spieler besetzt,
hei jenem aber mit mehreren und zum Cello tritt dann auch noch verstärkend
der Contrabass hinzu. So wird der Streichchor in der Regel im Orchester
verwendet. "Wie in älterer Zeit von Lully, Gluck, Händel, Bach u. a. ist er
auch in neuerer Zeit wieder in selbständigen Orchesterstücken benutzt worden,
wie von 0. Grimm in der Suite in Canonform, und von Volkmann.*
StreichinstrTimente heissen bekanntlich die Saiteninstrumente, deren Saiten
durch Anstreichen mit dem Bogen zum Tönen gebracht werden. Sie bestehen
aus dem Körper oder Kasten (Resonanzkasten), durch dessen Mitklingen der
Ton wesentlich verstärkt wird, dem Hals und Griffbrett und vier Saiten,
die über den Steg und das Griffbrett gezogen sind, am Ende des Resonanzkastens
an dem Saiten halt er, am Ende des Halses, am Kopfe in einer Höhlung
desselben, im sogenannten "Wirbelkasten an "Wirbeln befestigt sind. Der
Bogen, mit dem die Saiten gestrichen werden, ist ein eiwas eingebogener, nicht
starker Stab, an dessen Spitze eine Strähne Rosshaare befestigt ist, am andern
10 Streichinstrumente.
Ende ist diese in den sogenannten Frosch eingeleimt, der vermittelst einer
Schraube an dem entgegengesetzten Ende des Bogens festgeschraubt wird, so
dass die Haare die gleiche Richtung — selbstverständlich ohne die Abweichung
von der graden Linie — mit der Stange haben. Die tonangebenden Theile der
Saiten werden durch den Steg und den obei'n Rand des Griffbretts, den
sogenannten Sattel abgegrenzt; für den Bogen aber bleibt nur der Raum
zwischen Steg und Griffbrett zum Streichen.
Nach der Grösse des Körpers und der dadurch bedingten Länge und
Stärke der Saiten unterscheiden wir mehrere Arten von Streichinstrumenten:
gegenwärtig sind nur vier Arten in unserm Orchester in Gebrauch: Violine
(Geige), Viola (Bratsche), Violoncello und Contrabass. Die Violine
als die kleinste Art hat die höchste Lage; ihre Saiten sind in Quinten, kl. g,
d} , a^ , e^ gestimmt; die Bratsche aber steht eine Quinte tiefer, sie verliert
die ^-Saite, die ^-Saite wird ihre höchste und gewinnt dafür die Quinte nach
unten in der C- Saite, das Violoncell aber ist noch grösser gebaut, so dass
seine Saiten eine Octave tiefer gestimmt werden. Diese drei Instrumente haben
demnach diese Stimmung:
Geige, i
\
Bratsche. 1
Cello. ^
^
Der Contrabass ist wiederum bedeutend grösser als das Violoncello und steht
noch bedeutend tiefer. In neuerer Zeit ist er ebenfalls meist mit vier Saiten
bespannt, die in Contra-_E und A und gross D und G gestimmt sind. Doch
wird er 16füssig gebraucht, seine Töne werden eine Octave höher aufgezeichnet.
Die grosse Reihe der übrigen Töne wird nun bekanntlich dadurch erzeugt,
dass der Geiger mit den Fingern der linken Hand die Saite, indem er sie fest
an das Griffbrett drückt, verkürzt und dadurch einen höhern Ton gewinnt.
Auf diese Weise erzielen die Geiger die ganze chromatische Tonleiter durch
mehrere Octaven. Eine besondere Art, die Flageoletttöne (s. d.), die da-
durch erzeugt werden, dass die Finger nur lose aufgelegt werden, ergeben eine
abermalige Erweiterung des L^rafangs.
Die einfachste und natürlichste Behandlungsweise und daher auch die
gewöhnlichste ist die mit dem Bogenstrich. Der Klang ist nicht so weich
und rund wie der weichen Blasinstrumente, der Clarinette, Flöte und des Horns,
er ist etwas rauher, weil man immer das Reiben des Bogenstrichs hört; aber
er wird dadurch chai-akteristischer und grösserer Veränderungen fähig. Diese
Mannichfaltiffkeit des Klano-es wird noch durch mancherlei Nebenumstände
erhöht. So haben die leeren Saiten heilem Klang als die gegriffenen; weil
der aufsetzende Finger den Ton abdämpft, so dass der Klang dumpfer wird.
Die tiefern Saiten klingen rauher als die höhern, namentlich die übersponnenen,
zugleich aber auch voller, während die höhern heller und einschneidender, aber
auch weniger voll, sondern mehr geschärft und gespitzt ertönen, wie die untern.
"Weiterhin vermag der Geiger durch die besondere Führung des Bogens den
Klang der Streichinstrumente zu modificiren. Wenn er näher am Steg streicht
(sul po7iticello), so erreicht er einen etwas rauhern, klirrenden Ton, näher am
Griffbrett (sur la tauche), wird der Ton dumpf und surrend. Beim Nieder-
strich ist der Klang der Saiten etwas breiter und kräftiger, beim Aufstrich
wird er schärfer und etwas schwächer, weshalb die Geiger die Strichart sehr
genau beachten. Um eine gemeinsame Strichart im Orchester zu erzielen,
wodurch eine correcte Aufführung wesentlich erleichtert wird, bezeichnet der
Concertmeister oder Musikdirektor die Stricharten ganz genau für jeden ein-
zelnen Takt und dies muss dann von sämmtlichen Geigern streng beobachtet
Streichinstrumente. 11
werden. Es geschieht dies durch gewisse Zeichen, für den Niederstrich | |
oder A, für den Aufstrich I ^ oder y. Die Bezeichnung martellato
= gehämmert deutet an, dass jede Note mit Niederstrich und zwar mit vollem
Bogen genommen werden soll.
"Weiterhin erleidet der Klang noch wesentliche Modifikationen dadurch, dass
mit der Spitze oder mit dem untern Ende des Bogens gespielt wird. Wird
mit der Spitze des Bogens gespielt (punto deW areo), so werden die Töne
perlend leicht, aber auch kraft- iind marklos, während sie, wenn am untern
Ende des Bogens, am Frosch gespielt wird, härter und kräftiger, aber auch
imgelenker erklingen. Bei vollem, breitem Bogenstrich gewinnen sie die ganze
Klangfülle und Klangrundung, deren das Instrument überhaupt fähig ist.
Eine andere Behandlungsweise der Streichinstrumente, durch die das Fla-
geolettspiel erzeugt wird, erwähnten wir bereits. Der Klang der Flageoletttöne
unterscheidet sich wesentlich von dem der gewöhnlichen Behandlungsweise; er
wird fast flötenartig luftig und hell und durchdringend fein. Eine Yeränderung
des Klanges der Streichinstrumente wird ferner durch das Aufsetzen der soge-
nannten Dämpfer (con Sordino) erreicht. Es sind dies bekanntlich kammartig
eingeschnittene und der Länge nach offene Holzplättchen, die auf den Steg des
Instruments gesetzt werden. Dadurch werden die Töne abgedämpft, indem sich
die Einwirkung der Saitenschwingungen auf den Besonanzkörper vermindert.
Der Klang wird dadurch dumpfer, mehr verschleiert und zugleich wird ihm,
weil die Dämpfer in leichte Schwingungen mitgerathen, ein leises Beben mit-
getheilt, das für gewisse Stimmungen ausserordentlich charakteristisch sein kann.
Sollen die Saiten wieder frei ausschwingen, so müssen die Dämpfer wieder
abgenommen werden, was durch senza sordino = ohne Dämpfer angezeigt
wird. Durch eine andere Behandlungsweise der Saiten wird endlich ihr Klang
•ganz und gar verändert, durch das Pizzicato, bei welchem die Saiten nicht
mit dem Bogen gestrichen, sondern mit den Fingerspitzen gerissen werden, ähnlich
wie die Saiten der Harfe oder Guitarre. Dadurch wird der Charakter des
Instruments ganz verändert, es hört auf, Streichinstrument zu sein und wird
harfenartig. Der Ton verliert dabei an Fülle, er wird kürzer, härter und ohne
Nachhall klingend und erreicht auch nicht die Fülle des Harfentons, weil die
Saiten der Streichinstrumente bei dieser Behandhing nicht so frei ausklingen
können wie die bedeutend längern der Harfe. Das Pizzicato der Streich-
instrumente ist aus diesem Grunde nicht solcher Mässigung fähig, wie das
Harfen- und selbst Guitarrenspiel, zumal auch die Saiten dieser Instrumente
für diese Behandlungsweise hergerichtet sind. Soll nach dem Pizzicatospiel
wieder mit dem Bogen gestrichen werden, wird dies bekanntlich durch coli'
arco = mit dem Bogen (auch kurzweg arco^ bezeichnet.
Mit diesen vielseitigen Behandlungsweisen der Streichinstrumente, die
ebensoviel Klangveränderungen erzeugen, welche keine andere Art von Instru-
menten zeigt, haben sie ganz naturgemäss namentlich für das Orchester eine
so hohe Wichtigkeit erlangt, wie kaum noch eine andere Instrumentenart.
Hierzu kommt noch, dass sie in ihrer Organisation als Chor den gesammten
Umfang unsers Tonsystems umfassen und zugleich in allen möglichen Stärke-
graden und in, durch die Technik kaum beschränkter Weise angeben können.
Umfang, Technik und Klangwesen weisen dem Chor der Streich-
instrumente daher durchaus die bevorzugte Stellung im Orchester an. Selbst
die Rohrblasinstrumente sind einer so virtuosen Behandlung wie die Geigen
nicht fähig, noch viel weniger natürlich die Messinginstrumente, und weil die
Blasinstrumente auch in Bezug auf Umfang den Streichinstrumenten nicht gleich
kommen, so treten sie zum Orchester vorwiegend mit ihrem Klang-, nicht
auch in gleicher Weise mit ihrem Tonvermögen hinzu. Um das Tonvermögen
der Blasinstrumente zu erweitern, mit dem der Streichinstrumente einigermaassen
in ein Verhältniss zu setzen, mussten besondere Vorkehrungen getroffen werden,
wie die Einführung von Ventilen und Klappen, die nicht selten den
\2 Streichquartett — Streit.
ursprünglichen Charakter der Instrumente verändern, ohne dass dadurch die-
jenige technische Ausbildung ermöglicht wird, welche bei den Streichinstrumenten
zu erreichen ist. Ferner ergeben die Blasinstrumente nicht entfernt diese Fülle
von Modifikationen des Klanges, wie die Streichinstrumente. Dabei ist noch
zu bemerken, dass die Streichinstrumente auch noch in dem Hülfsmittel der
Doppelgriffe die Fähigkeit besitzen, eine grössere oder doch eben so grosse
Yielstimmigkeit zu erreichen, wie ein mit acht oder zehn Instrumenten be-
setzter Bläserchor.
Hieraus geht klar hervor, dass für die künstlerische Gestaltung der Streicher-
chor im Orchester die Grrundlage, und deshalb von wesentlicher Bedeutung ist,
denn für das Kunstwerk kommt zunächst die rein tonale Gestaltung in Betracht,
das Klangwesen erst in zweiter Eeihe. Technik, Umfang und Klangwesen
haben aber auch die Streichinstrumente zu beliebten Concertinstrumenten ge-
macht. Die Yioline wie das Cello und selbst Bratsche und Contrabass
nicht ausgenommen, erscheinen viel häufiger als jedes andere Orchesterinstrument
concertirend in unsern Concertsälen. Natürlich behält als solche die Geige
den Vorzug und eine Reihe der besten Meister der Composition haben Concerte
für dies Instrument geschrieben und eine weit grössere heute schon fast nicht
mehr übersehbare Reihe von Virtuosen haben sich die Technik angeeignet, sie
trefflich auszuführen. Kleiner schon ist die Zahl der Celloconcerte, noch
kleiner die der Bratschenconcerte und am kleinsten die der Contrabassconcerte
wie der Solospieler.
Dagegen hat das Solo-Ensemblespiel, das Zusammenspiel von drei, vier
und mehr solistisch ausgebildeten Streichinstrumentenspielern eine neue Dar-
stellungsweise bestimmter Foi'men, erzeugt im:
Streich(xuartett (s. Quartett) für zwei Violinen, Bratsche und CeUo,
Streichqnintett (s. Quintett) für zwei Violinen, Bratsche, zwei Cello (oder
Cello und Contrabass),
Streichsextett (s. Sextett) für zwei Violinen, zwei Bratschen, zwei Cello
(oder Cello und Contrabass),
Streicbseptett (s. Septett) für drei Violinen, zwei Bratschen, zwei Cello
(oder Cello und Contrabass),
Streichtrio (s. Trio) für Violine, Bratsche und Cello u. s. w.
Ferner werden die Streichinstrumente auch gern mit dem Pianoforte zur
Darstellung dieser Formen hingezogen, zum Duo für Pianoforte und Geige
(oder Bratsche oder Cello), zum Trio für Pianoforte, Violine und Cello (oder
Bratsche), Quartett für Pianoforte, Violine, Bratsche und Cello u. s. w.
Die Streichinstrumente gewinnen demnach unstreitig im Orchester als Streicher-
chor wie im Concertsaal als Soloinstrumente und bei der sogenannten Kammer-
musik im Concertsaal und Haus, im Duo, Trio, Quartett, Quintett u. s. w. unter
allen Instrumenten die höchste Bedeutung.
Streichzither ist ein neueres Saiteninstrument von Doppelnatur, bestehend
aus einem flachen Resonanzkörper in Herzform, ohne Hals, mit zwei Schall-
löchern und einem mit Bünden versehenen GrifiTaret, das auf der Mitte des
Resonanzbodens angebracht ist. Das Instrument wird vom Sjjieler, indem er
es vor sich auf dem Tisch liegen hat, abwechselnd bald mit einem Geigenbogen
gestrichen, wozu er auf dem Griff'brete fingert, bald wieder wie eine Zither
gekniffen ; daher der Name dieses doppelnaturigen Instruments, das nur zum
Melodievortrag sich eignet, aber zur harmonischen Begleitung noch eine Schlag-
zither erfordert. Gebaut werden solche Streichzithern billig und gut, sowie
preiswürdige Schlagzithern zu Markneukirchen in Sachsen, zu beziehen durch
die Firma Albert Bauer daselbst.
Streit, Wilhelmine, geborene Schulz, Sängerin beim grossherzoglichen
Theater zu Weimar, wurde am 16. Septbr. 1806 zu Berlin geboren und kam
mit ihren Eltern nach Carlsruhe, wo sie schon als Kind im Theater auftrat.
Eine Schülerin von Fesca und Mad. Gervais, bildete sie sich, im Besitze einer
Streitwolff — Strich.
13
mächtigen Sopranstimme, zu einer der bedeutendsten Sängerinnen. Sie glänzte
besonders in grossartigen Eolleu, -wie Medea, Alceste, Yestalin, Donna Anna,
Lady Macbeth, Fidelio u. a. in Weimar, bis sie 1848 pensionirt wurde.
Streitwolff, Johann Heinrich Gottlieb, geboren am 7. Novbr. 1799
zu Göttinsfen, starb dasell)st am 14. Februar 1837. Er war bis 1821 Yiolon-
cellist im akademischen Orchester, auch Lehrer der Guitarre und ein verdienst-
voller lustrumentenmacher. Hauptsächlich seine Flöten waren beliebt, auch
war er einer der ersten, welcher die Principien von Müller für die Clarinetten
anwendete und der 1820 nach der Idee von Stölzel das chromatische Basshorn
construirte. Seine Verbesserungen der Bassclarinette wurden von Sax noch
weiter geführt.
Streug, nach Vorschrift, come sta.
Strenjje Fuge, Fuga ohliyata, Fuga propria oder regularis, s. Fuge.
Strenge Nachahiuuug, s. Nachahmung.
Streuger Satz, s. Satz, Schreibart.
Streu ger Stil, s. Stil.
Strepitoso, Vortragsbezeichuung, geräuschvoll, lärmend.
Streppoui, Felix, ist in Monza geboren, wo er später als Kapellmeister
lebte. Er starb in Triest 1832. Am letzteren Orte und in Turin wurden von
ihm die Opern aufgeführt: -fiGli illinesia, »Amore e mistero«, » Ulla di Bassora«.
Streppoui, Josefina, Tochter des Vorigen, geboren za Monza, besuchte
das Conservatorium zu Mailand und wurde eine Sängerin, die in Italien viel
Erfolse aufzuweisen hatte. Ihr erstes Debüt fand 1835 in Triest statt, nach-
dem saner sie in allen grossen Städten Italiens bis zum Jahre 1846 oft unter
enthusiastischem Beifall, worauf ihre Stimme schnell abnahm, weshalb sie sich
von der Bühne zurückzog.
Sti-etta (ital.), der im schnellern Tempo ausgeführte Schluss eines Ton-
stücks von
Stretto (enge), eilender, schneller, abgeleitet. Die alte contrapunktische
Schule hatte die Steigerung am Schlüsse bei der Fuge auch durch ein Stretto —
die Engführung, Ristretto erreicht. Die Meister des sogenannten freien Stils
aber in Oratorium und Oper und in den selbständigen "Werken der Instru-
mental- und Vocalmusik erreichten sie durch einen grössern Aufwand der
harmonischen oder melodischen und rhythmischen Mittel. Die mehr nur auf
äussere Effekte bedachten Italienischen Operncomponisten seit Paisiello kamen
auf das mehr grobsinnlich, rein materialistisch wirkende Mittel der Beschleu-
nigung des Tempos gegen den Schluss. Den allseitigsten Gebrauch von diesem
Mittel der Steigerung, das dem Circus entstammt, machte Rossini, seitdem ist
es wieder allmälig in Abnahme gekommen.
Strich, dies Wort findet in mehrfacher Bedeutung in der Musik Anwendung.
Bei der Notenschrift bildet der Strich zunächst den Stiel der Halben, Viertel-,
Achtelnote u. s. w.:
-^-
Se
Ist eine solche Note auf- und abwärts gestrichen;
^^ \ X ^-.
r-' 11
-JL — f- — r — ^-
-1
IM ^ J!_.
-1
so deutet dies an, dass sie von zwei Organen, die im Uebrigen selbständig
geführt sind, hier im Einklänge gehen sollen. Durch senkrechte Striche werden
die Takte abgetheilt, daher der Name Taktstrich. Zwei solcher Striche bilden
das Theilzeichen; ein starker und schwacher Strich mit vorgesetzten Punkten
das Wiederholungszeichen:
1^ strich — Striggio.
Die Wiederholung einer Figur wird durch schräge Striche, ;bei Achteln einen,
bei Sechzehnteln zwei angezeigt:
(S.: Abkürzungen, Notenschrift.)
Strich heisst bei den Streichinstrumenten die Bogenführung. Er zerfällt
in den Aufstrich (franz.: le Fousse) und in den Abstrich (le Tire).
Beim Abstrich wird der Bogen nahe am Frosch aufgesetzt und dann herab-
gezogen; beim erstem vorn an der Spitze und dann hinaufgestossen.
Stricker, August Reinhard, war als Componist und Tenorist im Dienste
Friedrich I. zu Berlin und ward am 24. Febr. 1702 als solcher angestellt.
Wie aus der Dedication seiner sechs italienischen Cantaten vom 10. Octbr. 1716
hervorgeht, wurde er Kapellmeister des Fürsten von Anhalt in Köthen: daraus
ist ferner zu ersehen, dass er seine Studien wahrscheinlich in Italien gemacht
hat. Er componirte zur Yermählungsfeier des Kronprinzen (Friedr. Wilh. I.)
1706 mit Finger und Volumier gemeinschaftlich die Oper »Der Sieg der Schön-
heit über den Helden« und zur dritten Vermählung Friedrich I. 1708 die Oper
»Alexander und Boxanens Heirath«. Die sechs oben erwähnten Cantaten sind
als op. 1 in Cöthen bei Anton Löffler 1715 gedruckt.
Striggio, Alexandro, Componist, berühmt als Organist und Lautenspieler,
war als Edler zu Mantua 1535 geboren und wurde Kapellmeister am Hofe zu
Mantua. Als Componist gehörte er mit zu den ersten, welche Intermezzi fürs
Theater schrieben und Gewicht auf den Wortausdruck legten. Eine dieser
Arbeiten: »Amico ßdoa, componirt 1565, ebenso die beiden ersten Akte der
y>Psi/che«, zur Hochzeit Franz von Medicis mit der Erzherzogin Johanna von
Oesterreich zu Florenz, sind aufgeführt. Auch zu den Festlichkeiten, welche
1579 zu Florenz bei Grelegenheit der Hochzeit Franz I. von Medicis mit Bianca
Capello stattfanden, componirte er in Gemeinschaft anderer, wie P. Strozzi,
Caccini und Claude de Coreggio die Musik. Die gedruckten Compositionen
Striggio's sind in vielen Sammlungen verstreut. Bekannt sind die folgenden:
i>Ma(h'igali a 6 vociv, lib. 1 (Venedig, 1566). r>Il secondo libro de madrigali a
6 vocia (Venetia, Antonio Gardano, 1566, in 4° obl.; zweite Ausgabe 1569).
■all primo libro de^ madrigali a 5 voci nuovamente con nuova giunta ristampato
e correttoi'i (ibid. 1560; andere Ausgaben 1566, 1569, 1571, 1585, 1592, in 4"
obl.). Ausgaben des zweiten Buches dieser fünfstimmigen Madrigale sind bei
den Erben des Geronimo Scotto 1583 und 1585 erschienen, vermuthlich sind
dies aber nicht die ersten. Im Kataloge der musikalischen Bibliothek des
Königs von Portugal, Johann IV., is das 2., 3. und 4. der fünfstimmigen Ma-
drigale aber ohne Ort und Datum angegeben. y>Madrigali a sei vocia, lib. 3
(Venetia, 1582). »7Z Cicalamento delle donne al buccato, e la caccia a 4, 5 <? 7
voci, con il giuoco di primeria a 5 vociv. (Venetia, 1584, in 4"). Fetis giebt
noch eine ältere Ausgabe dieses Werkes an, mit dem Titel: »JZ Cicalamento
delle donne al huccato, e la caccia di Alessandro Striggio, con un lamento di JDi-
done ad Enea, per la sua partenza, di Cipriano Höre, a qiiattro, cinque, et sette
voci. Di nouo poste in luce per Giulio Bonagionta da San Genesi musico della
illust. Signoria di Venezia in S. Jifarco et con ogni diligentia corrette; in Vinegia,
1567, appresso Girolamo Scotto, in 4°. Di Hettore Vidue e d' Alessandro Striggio
e d'altri eccellentissimi musici Madrigali a 5 e 6 vocia (Venetia 1566). Ein
achtstimmiges Madrigal von Striggio findet sich in der Madrigalen-Sammlung
verschiedener Componisten: »JZ Lauro verde« (Antwerpen, 1591, in 4"); auch
sind andere Compositionen aufgenommen in den Sammlungen: 1) j>3Iusica divina
di XIX autori illustri a A, h, % et 1 vocia (Antwerpen, P, Phalese, 1595, in 4").
2) rtMelodia Olympica di diversi eccellentissimi musici a 4, 5, 6 eZ 8 vocin (ibid.
1594, in 4"). 3) »/Z Trionfo di Dori etc. 6 voci etc.v. (Venetia, Gardane, 1596,
Strigneudo — Strobel. 15
in 4°). Noch ist von Jacob Paix ein Madrigal von St. in sein Orgel- Tab ulatur-
Buch aufgenommen.
Strignendo, s. stringendo.
Strina-Sacclii, Regina, s. Scblick, Regina.
Striuasacchi) Teresa, ausgezeichnete Sängerin, die zu Rom 1768 geboren
lind dort gebildet wurde, Ihr erstes Debüt fand im Frühling 1787 in Mantua
in einer Oper von Paisiello statt. Dann sang sie in Triest, Florenz und Wien,
und in Venedig und Rom in den Opern von Mayr und in ihrer Glanzrolle,
der Carolina in y>Matrimonio segretOfs. von Cimaroso. 1801 ging sie mit der
ersten italienischen Operntruppe, die unter dem Consulat für Paris engagirt
wurde, dorthin und sang daselbst bis zum Schlüsse des italienischen Theaters
1805. Diese Bühne betrat sie 1816, 48 Jahre alt, noch einmal, aber weder
sie, noch ihre Stimme waren noch reizend wie ehemals, so dass sie bald zurück-
treten musste. Sie starb gegen 1830 in London in dürftigen Umständen.
Stringendo (ital.), Vortragsbezeichnung, eigentlich pressend = zusammen-
drängend, eilender, fordert eine etwas beschleunigtere Bewegung, ähnlich
wie accelerando.
Strisciando (ital.), Vortragsbezeichnung = hingleitend, einen Ton in den
andern hinüberziehend.
Strnad (spr. Stregnad), Caspar, Instrumentenmacher, gegen 1750 in
Böhmen geboren, Hess sich in Prag nieder und verfertigte in den Jahren
1781 bis 1793 gute Violinen und Violoncellos, auch Guitarren.
Strobach, Johann, Lautenist und Componist, in Böhmen um die Mitte
des 17. Jahrhunderts geboren, stand einige Zeit im Dienst Kaiser Leopold I.
und veröffentlichte zu Prag 1698 von ihm verfasste Concerte für Ciavier, Laute,
Mandoline, Viola d'amour und Bassviola. Eins dieser seltsamen Concerte
führte Fetis im März 1833 in einem seiner histoi'ischen Concerte vor. Der
berühmte Guitarrist Sor studirte eigens für diesen Zweck die Laute, Carcassi
spielte die Mandoline, Urban die Viola d'amour, Franchomme die Bassviola
und Fetis das Ciavier.
Strobach, Joseph, Violinist und Orchesterdirektor der Prager Oper, ist
am 2. Decbr. 1731 zu Zwittau in Böhmen geboren. Für den geistlichen Stand
bestimmt, studirte er in Breslau und Prag Theologie und Philosophie, widmete
sich jedoch aus Neigung ganz der Musik. Er war an vier Kirchen und an
der Oper in Prag Musikdirektor. Seine Compositionen, Concerte und Sonaten,
blieben Mauuscript. Er war ein intimer Freund Mozart's.
Strobel, Julius Alexander, ist ein tüchtiger, noch lebender Orgelbau-
meister. Derselbe wurde am 1. October 1814 zu Bösenbaum im sächsischen
Voigtlande, wo sein Vater Prediger war, geboren. Den Schulunterricht ertheilte
ihm sein Vater. Gleich nach der Confirmation — Strobel's Vater war kurz
vorher gestorben — kam Julius Strobel bei einem Gold- und Silberarbeiter
in die Lehre. Durch ein böses Augeaübel gezwungen, verliess er diesen Beruf
und ging zu einem Tischler. Nach bei demselben beendigter Lehrzeit trat er
als Orgelbaulehrling bei dem Orgelbaumeister Mende in LeijDzig ein. Hier
arbeitete Strobel vier Jahre. Nach dieser Zeit vervollkommnete er sich bei
dem Orgelbaumeister Bucher in Schlesien, bei Kreuzbach in Borna und bei
Schulz sen. in Paulinzelle. Das waren lauter Meister, bei denen Strobel sich
vervollkommnen musste. Erst im Jahre 1842 gründete Strobel in Franken-
hausen eine eigene Werkstatt und führte seit jener Zeit, ausser vielen Repara-
turen, 66 neue Orgelbauten aus. Von seinen grösseren Werken nenne ich
zwei Orgeln in Haarlem, eine Orgel in Thorn, eine Orgel in Salderhelden und
in Northeim, letztere mit 64 klingenden Stimmen. Zwei Söhne stehen dem
alten Meister jetzt helfend zur Seite.
Sti'obel, Valentin, ein berühmter Lautenist und Componist, lebte zu
Strassburg um die Mitte des 17. Jahrhunderts. Er gab heraus: »Melodien über
deutsche weltliche Lieder sammt den Ritornellen mit zwei Violinen und einem
16 Strofe — Strophe.
Bass« (Strassburg, 1652, erster Theil). »Zwei Symphonien mit drei Lauten
und einem Mandor, auch mit vier Lauten und Bass und Diskant« (ebend.
1654, in 4").
Strofe, s. Strophe.
Strohbass, vulgäre Bezeichnung für eine Bassstimme die keinen vollen
Klang namentlich in der Tiefe hat.
Strohfledel, ital.: Sficcato, franz.: Glaquebois, auch Holzharmonika
(Xylorganum) genannt, ist ein sehr altes, fast bei allen Völkern (insbesondei'e
bei den Russen, Tartareu, Polen) verbreitet gewesenes Schlaginstrument, das
aus einer E,eihe tannener Stäbe von verschiedener Länge besteht, die tonleiter-
mässig abgestimmt sind, auf dünnen Strohseilen liegen und mit zwei kleinen
Klöppeln (wie das Hackbret oder die Stahlharmonika) geschlagen werden. Sie
geben einen angenehmen, glockenähnlichen, nur weniger hellen Klang und
wird das Instrument zuweilen im Orchester zu Tonmalereien (z. B. in den
Traumbildern von Lumbye) verwendet. In den 1830 er Jahren machte der
Kusse Mich. Grusikow (s. d.) mit seiner nationalen, aber verbesserten Stroh-
fiedel Kunstreisen durch ganz Europa, und leistete nach Aussage damaliger
Zuhörer wirklich Ausgezeichnetes darauf. — Abbildungen der Holzharmonika
findet man vielfach. Bei ganz einfachen, alten Instrumenten der Art (wie ein
solches z. B. La Borde, y^JSssaia, I. 279 abbildet) sind die Holzstäbe, 7 an der
Zahl, nur an zwei Fäden aufgereiht, an denen sie mit einer Hand gehalten
werden, während die andere den Klöppel führt. Martin Agricola {»Musica
instr.«., 1529) bildet dagegen eins mit 25 Stäben, die in der diatonischen Ton-
reihe von Jff bis f^ abgestimmt sind (nur h und h kommt von chromatischen
Tönen darin vor). Mersenne (y> Harmonie U7iiversellea, 1637) kennt und be-
schreibt die Holzharmonika unter dem lateinischen Namen ligneum Fsalterinm.
Bei den Gebirgsvölkern in den Karpathen und am Ural heisst dasselbe Instru-
ment i>Jerova i Salamoa. In Deutschland wurde es sonst »das hölzerne Ge-
lächter« genannt.
StroHieutato (ital.), instrumentirt, s. v. a. Oon gli stromenti.
Stroinenti di flato (ital.), Blasinstrumente.
Stromeyer, Carl, einer der ausgezeichnetsten deutschen Basssänger, wurde
1780 im Stollbergischen geboren. Seine Stimme war von seltener Schönheit
und erreichte den Umfang vom Contra-C bis zum eingestrichenen g. Er war
erst bei der Hofbühne in Gotha engagirt, dann lange Zeit eine Zierde der
Weimarer Hofbühne. Er starb in Weimar am 11. Novbr. 1845.
Strophe heisst ein bestimmt gegliederter Abschnitt der lyrischen Dichtung,
dessen Gliederung sich in den nachfolgenden treu nachgebildet wiederholt. Wie
der Name sagt, ist diese Weise der Gliederung griechischen Ursprungs. Durch
die innige Verbindung, in welche die Poesie früh auch bei den Griechen zur
Tanzkunst trat, bildete sich der Rhythmus folgerichtig in der griechischen
Poesie zu grosser Macht aus und zwar in streng gegliederten Formen. Wie
beim Tanz gewisse Tanzschritte zusammengefasst werden zu bestimmten For-
meln (Pas'), so wurden auch in der Poesie eine bestimmte Anzahl Versfüsse
zu Metra zusammengefasst, aus deren gleichmässiger Wiederholung sich die
Verszeilen und durch deren engere Verknüpfung unter einander die Strophe
entwickelte. Unbewusst gelangten die Griechen zu diesen metrischen Formen
und unter dem Zutritt des sinnlich reizvollem Tons gewann der Rhythmus
eine reiche innere Harmonie und Mannichfaltigkeit und jenes System ge-
schlossener strophischer Compositionen, auf dem hauptsächlich die ganze Macht
griechischer Dichtung beruht. Namentlich in der chorischen Lyrik, in jenen
Gesängen, welche bei den Festen der Götter von einem tanzenden Chor unter
Musikbegleitung vor der ganzen Gemeinde vorgetragen wurden, zeigte sich bald
eine grosse Mannichfaltigkeit des sti'ophischen Baus. Für solche öffentliche
Aufführungen wurde dieser umfassender und kunstvoller ausgeführt, als bei den
Strophe.
17
andern. Auf die Strophe folgte gewöhnlicli eine ihr metrisch gleich construirte
Gegenstrophe und dieser dann die anders gegliederte Epode.
In der altdeutschen Poesie wurde die früheste Strophenbildung
durch die Allitteration bewerkstelligt. Die einfachste Strophenart bildeten
zwei Langzeilen, die durch die drei Reimbuchstaben derartig verbunden waren,
dass die ersten beiden (Stollen genannt) in die erste, der dritte (der Haupt-
stab) in die zweite Langzeile gestellt wurden. Hieraus entwickelte sich die
Heldenstrophe durch Verbindung von vier Langzeilen zu einer Strophe;
die drei ersten Langzeilen haben sieben, die vierte aber hat acht He-
bungen. Die Langzeilen selbst bestehen aus zwei Theilen, wovon der erste
reimlos, der zweite gereimt ist. Durch den Eeim wird dies strophische
Versgefüge erst vollendet, weil durch ihn erst die Verszeilen energisch abge-
schlossen und zugleich die zusammengehörigen unter einander verbunden wer-
den. Man bezeichnet die Heldenstrophe auch als Nibelungenstrophe, weil
das gewaltigste altdeutsche Epos, das Nibelungenlied, in dieser Strophen-
form ausgeführt ist. Aus ihr ist dann die Grudrunstrophe entwickelt, in
welcher das Gudrunlied gedichtet ist, und wiederum etwas abweichend die
Titurelstrophe, welche "Wolfram von Eschenbach für sein unvollendet ge-
bliebenes Heldengedicht »Titurel« erfand.
Eine ausserordentlich reiche Fülle von Strophenarten wurden in der
lyrischen Poesie erzeugt. Ihr genügt weder die einfache unstrophische Form,
in der die Erzählung noch häufig eingekleidet und bei welcher nur Vers an Vers
gereiht ist, noch auch die einfache Gliederung der Heldenstrophe. Ihr mannich-
faltig und rasch wechselnder Inhalt drängt dazu, eine unendlich grössere Reihe
von strophischen Gebilden zu schaffen. So entstand zunächst die einfachste
Ijrische Strophe durch Zusammenfassen zweier epischer Langzeilen im Schluss-
reim; um ihr aber die nöthige Abgrenzung zu geben, wurde der letzte Halb-
vers verlängert. Für die "Weiterentwickelung wurde das Gesetz der Drei-
theiligkeit, wie es sich schon in der Allitterationspoesie wirksam zeigt,
herrschend. Die zwei gleichen Theile der Strophe nannte man Stollen, beide
zusammen den Aufgesang, das dritte gegensätzliche Glied aber bildet der
Abgesang. Eine klare Anschauung von der regelmässigen Construktion der
Strophe in dieser "Weise geben die meisten unserer Kirchenlieder mit ihren
Choralmelodien, bei denen meist für die beiden Stollen des Aufgesanges
dieselbe Melodie beibehalten wird, während erst der, die Strophe schliessende
Abgesang wieder eine eigene Melodie erhält:
W
t^
-Ci-
I h
:t
:^
:|=
-^—
-^ — •—
Auf- I Erster Stollen. Nundan-ket al - le Gott mit Her-zen, Mund und Hän-den,
gesang.jZwelter Stollen. Der gro - sse Din - ge thut an uns und al - len En - den.
Abgesang. Der uns von Mut-ter- leib und Kin - des - bei- nen an
1 — == -^-
un-
i
-S=i-
t=t
:ö:
ist
^-
zäh - lig viel
zu
gut und noch jetz - und ge - than.
Diese Dreitheiligkeit ist natürlich schon in der fünfzeiligen Strophe herzu-
stellen durch eine einfache Refrainstrophe, die den beiden Doppelzeilen des
Aufgesanges angehängt wird. Die sechszeilige Strophe entspricht dem
Princip der Dreitheiligkeit wenigei-, weil es nicht nur auf das Vorhandensein
eines dritten Reimpaares oder dritten Theils überhaupt ankommt, sondern auf
Einführung eines gegensätzlich construirten Abschnitts, welcher Anforderung
MuBikal, ConTers.-LexikoB. X, -
■[ 8 Strozzi — Strack.
die fünfzeilige Strophe annähernd, die sechszeilige aber eigentlich gar nicht
entspricht. In ihrer grössten Einfachheit und Reinheit stellt sie sich in der
siebenzeiligen Strophe dar, den beiden gleichraässig gebildeten Abschnitten des
Aufo-esanges tritt hier der anders construirte dreizeilige Abgesang ent-
gegen. Es ist hier nicht der Ort, die Entwickelung weiter zu verfolgen, wie
namentlich durch die Meistersänger dieser strophische Bau zu wahren Unge-
thümen weiter geführt wurde. Nur darauf sei noch flüchtig hingewiesen, dass,
wie diese ganze Gliederung nach musikalischem Princip erfolgte, sie dann we-
sentlich und einflussreich für die ganze Musikentwickelung wurde. Die strophische
Gliederung wurde durch die Melodie nachgebildet; diese folgte nicht nur dem
Bau der einzelnen Verszeile, indem sie ihre Ausdehnung und den ganzen Gang
darnach bestimmte, sondern sie berücksichtigte auch die Eeimschlüsse, setzte
diese musikalisch in Correspondenz, so dass die im Reim vei'bundenen Vers-
zeilen auch musikalisch durch Melodiefall und verbindende Harmonie unter sich
in Beziehung gebracht wurden. Es entstand so das gesungene Lied als durch-
aus selbständige Vocalform und wie es dann auf alle übrigen Formen gestaltend
einwirkte, wie es zum Choral wurde und den Motetten- und Hymnenstil
neugestaltete, wie es die Formen des Canons und der Fuge neu belebte
und in schönerer Gestalt erstehen Hess und endlich neben den Tanz formen
den meisten Einfluss auf die Entwickelung der Instrumentalformen ge-
wann, ist an den betreffenden Orten nachgewiesen. Die strophische Gliederung
der lyrischen Formen wurde nicht überall zum Muster für die Instrumental-
formen, aber sie wirkte überall anregend auf die Bildung ein.
Strozzi, Barbara, eine Venetianerin, welche um die Mitte des 17. Jahr-
hunderts lebte und folgende Vocalcompositionen veröfi'entlichte: »7Z primo lihro
de' Madrigali ß 2, 3, 4 e 5 voci<!. (Venezia, app. Alessandro Vincenti, 1644,
in 4°). y>Gantate, ariette et duetti». (Venedig, 1653, in 4"), -»Äriette a voce sola«.
(Venezia, app. Barb. Magni, 1658, in 4"). y>Oanfate a voce solaa, op. 7 (ibid. in 4").
Strozzi, Pater Berardo, General-Prediger der Franziskaner zu Rom im
Anfang des 17. Jahrhunderts, war zugleich Musiker und gab die folgenden
"Werke in den Druck: »Motetti a cinque vocia (Venedig, 1618, in 4"). »JZ se-
condo lihro de Motetti a cinque voci«. (ibid. 1622; zweite Ausgabe 1629). y>Sacri
concentus, messe salmi, sinfonie, motetti, com^nete et antifone a 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7
et 8 voci, con hasso continuoa (ibid.). vSalmi magnificat, et concerti a 2 ei S
voci, con B. G.a (ibid.). y>Goncerti, motetti et salmi a 2, d et 4: voci, con B. C.«
(ibid.). y^Goncerto, ibid. messe, salmi, magnificat a 1, 2, 3 et 4: vocia.
Strozzi, D. Gregor, Abbe und Dr. der Rechte, lebte zu Neapel in der
zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und gab heraus: y>Elementarum musicae
praxis, utilis non tantum incipientihus, sed prqficientibus et perfectisa (Neapoli,
1683, in 4°), enthält zweistimmige Canons. »Gapricci da sonare sopra cembali
ed organi, ap. quartaa (Neapoli, 1687, per Novello de Bonis, in Fol.).
Strozzi, Pietro, entstammt einer vornehmen florentinischen Familie, er
lebte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und betrieb die Musik als
Dilettant. 1595 setzte er eine Maskerade in Musik: nMascarada degli accecatia,
zu welcher die Verse von Rinuccini, dem damals berühmten Dramendichter,
gedichtet waren. Ein grosser Theil der Masken war dabei zu Pferde, die
Musiker auf einem niedrigen "Wagen. Diese Anmerkungen sind von de la
Faye einem Manusci'ipt aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts entnommen,
welches sich in der Bibliothek Magliabecchiana zu Florenz befindet. Siehe auch
•aGazetta musicale di Milano«, Anno VI, No. 22.
Struck, Paul, Wiener Componist, der für einen Schüler Haydn's galt,
möglicherweise nur, weil er dessen Stil nachahmte. Seine ersten "Werke er-
schienen 1797. Es sind: Trios mit Ciavier, Streichquartette, Ciaviersonaten,
Sinfonien für grosses Orchester, eine Trauercantate für grosses Orchester, ein-
und mehrstimmige deutsche Gesänge bei Andre in OfPenbach, Wien, Kozeluch,
Mollo, Artaria, Weigl, Leipzig, Breitkopf & Härtel.
Strumstrum — Strungk. 19
Strumstrnm, ein bei den Indianern gebräuchliches citherartiges Instrument,
das aus einem grossen, halbdurchschnittenen und ausgehöhlten Kürbis besteht,
in dem ein Brett als Resonanzboden befestigt ist, über welchen Saiten ge-
zogen sind.
Striing-k (Strunck), Nicolaus Adam, geboren 1640 zu Celle, erhielt
den ersten Musikunterricht von seinem Vater (s. d.), den er schon als zwölf-
jähi'iger Knabe in seinen Funktionen als Organist an der Magnuskirche in
Braunschweig, wohin derselbe inzwischen gekommen war, unterstützen konnte.
Nach vollendeten Grymnasialstudien bezog er die Universität in Helmstädt
und ging dann nach Lübeck, um bei dem zu jener Zeit berühmten N. Schnittel-
bach Unterricht im Violinspiel zu nehmen. 1660 wurde er nach Braunschweig
zurückberufen, wo er als erster Violinist in die Herzogl. Kapelle kam. Er blieb
jedoch nicht lange in dieser Stellung, sondern ging in gleiche Dienste des
Hei-zogs Christian Ludwig zu Celle. Von hier aus unternahm er mit Bewilligung
seines Herrn eine Reise nach Wien und Hess sich daselbst vor dem Kaiser
mit so vieler Kunst hören, dass dieser ihn mit einer goldenen Kette mit daran
hängendem Bildnisse, zum Zeichen seiner Gnade und seines Beifalls beschenkte.
Nach seiner Zurückkunft widmete er seine Dienste ununterbrochen seinem
Herrn bis zu dessen Tode, wo er sich in die Kapelle des Herzogs Johann
Friedrich nach Hannover begab. 1678 kam er als Musikdirektor nach Hamburg.
Von da nahm ihn der Kurfürst Wilhelm von Brandenburg in seine Dienste,
von dem ihn aber sein Landesherr, der Herzog von Hannover und Bischof von
Osnabrück, Ernst August, wieder zurückforderte, ihn zu seinem Kammerorganisten
ernannte und ausserdem noch ein Canonicat im Stifte heatae virginis zu Eim-
beck verlieh. Blit seinem Herrn machte er eine Reise nach Rom, wo er Auf-
sehen als Ciavier- und ViolinsiDieler erregte. Corelli soll, als er ihn hörte, aus-
gerufen haben: »Herr, ich werde hier Arcangelo genannt, Sie aber möchte man
Erzteufel heissen!« Nach einem mehrjährigen Aufenthalte in Italien ging er
nach Wien, wo er sich auf dem Ciavier vor dem Kaiser hören Hess und eine
zweite Gnadenkette erhielt. Von Wien kam er nach Dresden an Stelle des
Vicekapellmeisters Ritter mit 500 Thlr. Gehalt. St. galt für einen der vortreff-
lichsten Ciavier- und Violinspieler und gebildetsten Musiker; er war nächst
Job, Theile damals einer der ersten und beliebtesten deutschen Operncompo-
nisten. Für Hamburg hatte er folgende dramatische Werke geschrieben : »Der
glückselig steigende Sejanus«, »Der unglückselig fallende Sejanus« (1678), »Die
liebreiche, durch Tugend und Schönheit erhöhete Esther«, »David oder der
königliche Sclave«, »Die drei Töchter Cecrops« (1680), »Theseus«, »Semiramis«,
»Floi'ette« (1683). St. musste in Dresden sogleich eine Oper von Pallavicini
»Antiope«, die derselbe angefangen hatte für das dortige Theater zu componiren,
an der Vollendung aber durch seinen Tod verhindert wurde, beendigen. Von
Kirchencompositionen wird von ihm ein Oratorium »Die Auferstehung Jesu«
erwähnt, welches zum ersten Male Sonntags den 21. April 1688, am Osterfeste
vor der Nachmittagspredigt »mit allgemeinem Beifall« aufgeführt wurde. Die
Königl. Bibliothek in Berlin besitzt mehrere seiner geistlichen Werke für eine
und mehr Singstimmen mit Instrumentalbegleitung. Auch für Violine und
Ciavier componirte er, doch ist nur ein solches Werk herausgekommen: »Mu-
sikalische Uebung auf der Viola oder Viola da Gamha, in etlichen Sonaten
über die Festgesänge, ingleichen etliche Ciaconen mit zwei Violinen bestehend«
(Dresden, 1691, QuerfoHo). Nach Christoph Bernhardt's Tode, am 14. Novbr.
1694, wurde St. wirklicher Kapellmeister. In demselben Jahre gründete er mit
Bewilligung und Unterstützung Johann Georg IV. in Leipzig ein italienisches
Opernunternehmen, das ihn vielfach von Dresden entfernte, was auch oft nicht
eben mit zufriedenem Tone in den damaligen Akten erwähnt wird. In dem
Dekret vom 13. Juni 1692, welches St. die Erlaubniss ertheilt, während zehn
Jahren in Leipzig während der Messzeit deutsches Singspiel zu geben, heisst
es: »anerwogen, wie dadurch das Studium musicum mehr und mehr excolirt,
2*
20 Strungk — Stümer.
fremde Liebhaber dieser Wissenscbaft herbeigebracht, vndt Sie (Johann Georg IV.)
solchergestalt ein Seminarium in Dero Landen haben und daraus allenfalls die
abgehenden Stellen bei Dero Capelle und Cammer-Musicis ersetzen könnten.«
St. scheint jedoch keine guten Geschäfte gemacht zu haben. In einem Memorial
an den Kurfürsten 1697 spricht er von sich »armer Diener, alss der alle das
meinige in dem operen Hausse zu Leipzig zugesetzet«.
In Leipzig besuchte der Kurfürst während der Oster- und Michaelismesse
1693 die italienische Oper unter Strungk's Direktion. Bei der ersten Anwesen-
heit sah Johann Georg IV. am 18. Mai die Oper »Alceste« von Strungk und
Paul Thiemich (Collega an der Thomasschule), der sie nach dem Italienischen
des Aurelio Aureli bearbeitet hatte. Die Gattin des Bearbeiters sang und
spielte darin »mit bewunderungswürdig schöner Stimme und Action«; die De-
korationen waren vom Kurfürstlichen Baumeister Sartorio. In Neumeister's
historisch-kritischer Dissertation y>De Poetis Germanicis Tiujus seculi praecipuisa
(1695) heisst es bei Erwähnung des Beifalls, den die Opern Thiemich's am
Hofe Herzog Johann Adolfs von Weissenfeis und in Leipzig fanden, folgender-
massen: y^Ättonito similes, si quando illorum Musurgetarum, Strunckii picto et
Kriegerii (dieser war für Weissenfeis der Componist), numeri accedunt musici,
voxque et actio conjugis Thimichianae mirißce suavis et apta mirißcev.. Im.
Jahre 1696 gab St. seine Stellung in Dresden auf, um nach Leipzig zu ziehen
und sich ganz seinem Opernunternehmen zu widmen, doch behielt er eine
Pension von 300 Thlrn. als Direktor der »Landmusik«. Als solcher hatte er
die Regelung der Verhältnisse zwischen den »Stadtpfeifern und Musikanten«
und den sogenannten Dorffiedlern zu leiten. St. starb am 23. September 1700
in Leipzig. Sein Vater:
Struug'k, Delphin, geboren 1601 zu Braunschweig, war während der Jahre
1630 — 1632 Organist zu Wolffenbüttel, dann einige Zeit in Celle in Hannover
und endlich in Braunschweig, wo er nach und nach vier Organistenstellen ein-
nahm, die er durch seinen jüngsten Sohn, seine Tochter und durch Schüler
mit verwalten liess. Sein Orgelspiel wird hoch gerühmt, noch mehr seine
Eigenschaft als Lehrer, weshalb die Schüler weit und breit zu ihm kamen.
Er starb 1694.
Stück, franz.: I*iece, Morceau nennt man ein Tonstück ohne beson-
dere Form.
Stück (Stuckius), Johann Wilhelm, geboren zu Zürich 1542, war in
derselben Stadt Professor der Theologie und starb daselbst am 3. Septbr. 1607.
In dem von ihm herausgegebenen Werk: y>Antiquitatum convivalium lihri Illa
(Zürich, 1597, in Fol.) behandelt er im 20. Capitel: »De mu-ücae divisione, vi,
utilitate ac suavitate, usu multiplici in sacris, bellis, ejmlis, apud Hehraeos, Graecos,
ßomanos« u. s. w.
Stückprobe heisst die Probe einer Oper, bei welcher die recitirenden Stellen
gesprochen und die Gesänge nur angedeutet werden, um darnach das gemein-
schaftliche Spiel der darstellenden Mitglieder im Zusammenhange mit der
Orchesterbegleitung und mit der scenischen Darstellung zu ordnen.
Stuelp, s. V. a. Stürze (s. d.).
Stümer, Johann Daniel Heinrich, ausgezeichneter Sänger und Gesang-
lehrer, königl, Hofopernsänger zu Berlin, ist 1789 zu Frödenwalde bei Lieben-
walde geboren, wo sein Vater als Cantor wirkte. St. kam jedoch früh nach
Berlin in das Haus des Cantor Streit, durch welchen er mit Zelter bekannt
gemacht wurde. 1804 trat er in die Singakademie, wo er zuerst als Altist mit-
wirkte. Die Gelegenheit, die er hier fand, klassische Kirchenmusik zu hören,
blieb auf seine ganze künstlerische Entwickelung von Einfluss. Als seine Alt-
stimme sich in einen klangvollen Tenor verwandelt hatte, erhielt er von Bighini
Unterricht in der italienischen Gesangsweise. Nachdem er bereits in Concerten
mit Beifall pfesungen hatte, wurde er 1811 bei der königlichen Oper in Berlin
engagirt, und debutirte am 2. Septbr. desselben Jahres als Belmont (»Belmont
Stürze — Stumpf. 21
und Constanze«). Sein Repertoir war ganz bedeutend, er sang alle grossen
Tenorpartien, die während der zwanzig Jahre seiner Thätigkeit an der Berliner
Bühne vorkamen (auch den »Orpheus« von Gluck) und zeigte sich in allen als
ein gründlich gebildeter Sänger. Da er kein ausgezeichneter Schauspieler war,
erschien er als Oratoriensänger noch vollkommener, als welcher er besonders in
den Händel'schen Oratorien und der Tenorpartie im Tod Jesu unübertrefflich
gewesen sein soll. Seine höchste Kunstleistung war die Partie des Evangelisten
in der Matthäuspassion von Seb. Bach, die nach hundertjähriger Ruhe unter
Mendelssohn's Leitung durch die* Singakademie zur Aufführung kam, deren
Vortrag er daher erst schaffen musste. Als Sänger an der Oper wurde er am
1. April 1831 pensionirt, jedoch als Gesanglehrer bei derselben beschäftigt.
Die grosse Zahl seiner Privatschüler veranlasste ihn aber, 1836 auch diese
Stellung aufzugeben. Am 29. Mai 1854, dem 50 jährigen Jubeltage seines
Eintritts in die Singakademie, veranlasste diese eine Feier, bei welcher ihm ein
goldener Lorbeerkranz überreicht wurde. An diesem Tage wurde auch eine
Motette von Stümer gesungen, in welcher er eine kleine Solopartie übernahm.
Für die Zelter'sche Liedertafel, deren Mitglied er war, hat er ebenfalls manches
gern gesungene Lied componirt. Er starb am 24. Decbr. 1857 zu Berlin und
ruht auf dem Jerusalemer Kirchhofe. Sein Bild, gezeichnet von Stein, litho-
graphirt von Leschke, erschien in Berlin bei Gropius. Seine Compositionen
sind in Ledebur's Tonkünstlerlexikon Berlins, dem auch dieser Artikel ent-
nommen ist, Seite 582 zu finden.
Stürze, Schallstück oder Schalltrichter, Schallbecher, Stülp,
franz. Pavillon, heisst die trichterförmige Erweiterung, in welche die Röhre
der meisten Blasinsti'umente ausläuft.
Stürze (Orgel) heisst auch der Aufsatz auf den Orgelpfeifen.
Stufe, s. Ton stufe.
Stufenspalin, ein Psalm, der an hohen Festtagen auf den Stufen des Altars
im Tempel der Juden gesungen wurde.
Stufenweise Fortschreitnng heisst die Bewegung der Melodie in Secunden-
schritten.
Stumm, Heinrich, Orgelbauer, lebte 1780 zu Rauhen- Sulzbach bei Kien
auf dem Hundsrückgebirge. In Gemeinschaft mit seinem Sohne baute er unter
anderen die Orgel von 36 Stimmen in der reformirteu Kirche in Bockenheim
(1768) und die grosse Orgel in der Katharinenkirche zu Frankfurt a. M. von
14 Stimmen und drei Ciavieren, Pedal und einem Echo im Jahre 1779. Viele
"Werke in den Kirchen am Niederrhein.
Stumme Claviatureu sind eine Erfindung der Neuzeit, hervorgegangen aus
der Sucht nach Virtuosität und am Ende ein völlig nutzloser Mechanismus,
der nur insofern Lob verdient, als er die nachbarliche Umgebung der Virtuosen
zeitweilig vor dem Zuviel der Clavierhämmerei verschont. Bekanntlich sind es
Tastaturen ohne Saiten, zur Ausbildung der Stärke und Selbständigkeit der
Finger. Es hat Virtuosen gegeben, die ihre stummen Claviaturen im Reise-
wagen bei sich hatten, um ja keine Zeit zur Dressur der Finger zu verlieren.
Stumme Register heissen bei der Orgel diejenigen mechanischen Züge,
welche keine Schleifen öffnen, also nicht zu klangbaren Stimmen werden, sondern
nur die Calcantenglocke in Bewegung setzen, oder das Sperrventil, oder die
Koppeln oder wohl gar nur der Symmetrie halber angebracht sind.
Stumpf, Johann Christian, berühmter Fagottist, lebte 1785 in Paris
und veröffentlichte dort mehrere Compositionen. Später gehörte er bis 1798
zum Orchester in Altona, worauf er am Theater in Frankfurt a. M. Repetitor
wurde. In dieser Stadt starb er 1801. Von seinen Compositionen sind gedruckt:
Entr'akts zu Schauspielen für grosses Orchester, deren er ungefähr 60 ge-
schrieben (Offenbach, Andre), Stücke für Harmoniemusik, Heft 1 — 4 (ebend.).
Concert für Flöte, op. 15 (Augsburg, Gombart). Duos für zwei Clarinetten,
op, 18 (Paris, Nadermann). Concerte für Fagott, Heft 1, 2, 3, 4 (Bonn, Simrock).
22 Stunz — Suard.
Duette für zwei Fagotte, Heft 1 und 2 (Paris, Leduc). Quartett für Fagott,
Violine, Alt und Bass (Bonn, Simrock) u. a. StumjDf arrangirte für verschiedene
Blasinstrumente Opern von Mozart, Salieri, Paer und Wranitzky.
Stnnz, Josejjh Hartmann, Hofkapellmeister in München, wurde in
Ariesheim in der Schweiz im Kanton Basel am 25. Juli 1793 geboren und
studirte unter Peter von Winter in München Composition. Schon 1819 erhielt
er von Mailand den Auftrag eine Oper zu componiren, den er mit der Oper
r>Rappresaglia«i ausführte. Diese und nach einander noch drei andere Opern:
i>Costantino« (zuerst in Venedig, dann in Padua und München aufgeführt),
•nJElvira e Lucindo« und -nÄrgene ed Almiraa fanden in Italien recht freundliche
Aufnahme. Dennoch suchte St. München wieder auf und nahm daselbst eine
Chordirektorstelle beim Hoftheater an. 1824 übernahm er die durch Fränzel
vacant gewordene Kapellmeisterstelle am selben Theater und trat 1826 nach
Winter's Tode in dessen Stelle als Hofkapellmeister, hatte aber nur die Kirchen-
musik zu dirigiren und erhielt einen verhältnissmässig nur geringen Gehalt.
In dieser Stellung componirte er eine Reihe von Kirchenmusiken: Messen,
Offertorien, Chorgesänge, ein schönes Stabat mater (für Wien 1822), eine Can-
tate zur Einholung des Kaisers von Oesterreich, eine andere zur Einweihung
der Walhalla. In München hatte er ausserdem nachfolgende deutsche Opern
geschrieben, die auch hier aufgeführt wurden: »Heinrich IV. zu Grivry«, »Cari-
bald«, »Schloss Lowinsky«, »Rosa« und das Ballet »Alasman«. Zwei Ouvertüren,
op, 7 und 9, erschienen Leipzig, Breitkopf & Härtel. Streichquartett, op. 8
(Augsburg, Gombart). Nocturnes für zwei Stimmen, »Der wilde Jäger« (war
sehr beliebt) und »Der Gesang der Helden zu Walhalla« für vier Männer-
stimmen (München, Falter). Stunz starb in München am 18. Juni 1859.
Stutzflügel heissen die kleinen »gestutzten« Fügel. Der Mechanismus ist
im Allgemeinen derselbe, wie bei den grossen Concertflügeln, der Kasten ist
nur kürzer und deshalb müssen auch die unteren Saiten verkürzt werden. Die
obern Saiten behalten ihre ursprüngliche Länge, erst von der Mittellage an
geht nach unten die Verkürzung an; dafür müssen die unteren Saiten um so
viel stärker werden, damit sie die richtige entsprechende Tonlage gewinnen.
Das aber beeinträchtigt ihren Klang, lange und weniger starke Saiten schwingen
freier nnd kräftiger als kurze und starke und da auch der Resonanzboden
beim Stutzflügel nicht die breite Fläche bietet, wie beim Concertüügel, so kann
die untere Lage des Stutzflügels nicht dieselbe Tonfülle und Stärke haben, wie
die gleiche des Concertflügels, in den oberen Lagen ist dagegen die gleiche
Klangfülle und Stärke zu erreichen. Für unsere Zimmer sind die Stutzflügel
indess vollständig ausreichend und da sie weniger Raum einnehmen, erfreuen
sie sich einer grossen Beliebtheit.
Sturmglocke, s. Glocke.
Styl, s. Stil.
Styles, s. Stiles.
Suablle, ein seltenes hölzernes Flötenregister in den Orgeln Englands.
Suarclalupus, Antonius, ein theoretisch und praktisch durchgebildeter
Tonkünstler des 15. Jahrhunderts, war in Florenz 1430 geboren. Dort hielt
er als Professor der Musik öflentliche Vorlesungen zur Ausbreitung dieser
Kunst, und Vossius sagt (j>Libr. de Scientis Mathemat.>i., Cap. LX, § 14, S. 351),
dass er wegen seiner musikalischen Kenntnisse berühmt gewesen sei, und wegen
der schönen Töne, die er seinem Instrumente entlockt habe, seien fern her die
Liebhaber gekommen, um ihn kennen zu lernen. Der Rath von Florenz liess
sein Bildniss in Marmor nahe bei der Kathedrale aufstellen.
Snard, Jean Baptiste Antoine, Mitglied der französischen Akademie
der Künste, ist zu Besangon am 15. Januar 1734 geboren und starb zu Paris
am 20. Juli 1817. In der musikalischen Welt machte er sich zuerst bekannt
als Anhänger Gluck's in dem Streite derselben mit den Piccinisten. Einige
pikante Artikel gegen die Letzteren erschienen im ^Journal de Parisa und im
Suave — Sucher. 23
•üMercure de Frmice«, unterzeichuet »1' Anonyme de Vaugirard«. Vereinigt
erschienen diese Artikel in >y3Iemoires pour servir ä lliistoire de la revolution
operee dans la musique par M. le chevalier Gluck<n (Paris, 1781, ein Band in 8").
Ausserdem nebst einigen andern musikbezüglichen Aufsätzen in r>Melanges de
litterature de Suard« (Paris, Dentu, 1804 — 5, cinq volumes in 8^*). Suard ist
auch der Verfasser einer italienischen Arbeit: »ZZ Teatro alla modaa. (von Mar-
cello), enthalten in ■!> Varietes Utferairesa (Paris, Lacombe, 1740, vier Bände),
S. 192 — 226, und des Supplements im TnEssai sur la musique«. von Laborde.
Er ist ferner der Verfasser einzelner Artikel im y>Dictionnaire de musique« der
n^nci/clopedie methodique«.
Snave, s. Soave.
Suavis, ein früher übliches Wort zur Bezeichnung des angenehmen Klanges
einer Orgelstimme.
Sab (lat.), unter.
Subbass, auch Tief flöte, ein grosses in den meisten Orgeln anzutreffendes
Pedalregister von 8, 16 und 32 Fusston, offen und gedact weit mensurirt, von
sausendem, etwas unbestimmtem Klange, deshalb nur mit andern Pedalregistern
zu gebrauchen, dann aber ist es auch von guter Wirkung als Fundament, wes-
halb es auch Untersatz genannt wird.
Subdiapente, wie
SnbdomiQaute, Unterdominant (Unterquint), die Quarte.
Subiet, Antoine, mit dem Zunamen Cardot, war als Sänger gleich
berühmt wegen seiner schönen Stimme, wie wegen seiner Kunst, zu singen.
Erst wurde er am Hofe Franz I. bewundert und Karl IX., der ihn sehr schätzte,
ernannte ihn sogar 1592 zum Bischof von Montpellier. Den Chorknaben von
St. Symphorien, zu denen er auch einst gehört hatte, vermachte er ein ansehn-
liches Vermächtniss.
Subito (ital.), schnell, plötzlich; Volte subito (abgek. V. 8.), wende
rasch um; Äccordaie subito = stimme schnell um.
Subject, Subjectum, franz.: Sujet, heisst das Fugenthema bei seinem
Auftreten in der Tonika. S.: Fuge und Quintenfuge.
Sublatio heisst im Takt die Arsis, der Haupttakttheil; Ulevatio der
Nebentakttheil ; beim Vortrage: das Erheben der Stimme auf einer Silbe.
Subprincipal bei der Orgel der Subbass von 32 Fuss.
Snbprincipalis inediarnin, latein. Name des Tones Parypate meson (f)
im griechischen Tonsystem.
Subsemifusa, Bis unca, die Sechzehntheilnote.
Snbsemitonium modi, der sogenannte Leitton, der Unterhalbton vor der
Tonika, die grosse Septime der Tonleitei*.
Snbsesquitertia, der Dreivierteltakt.
Subsuperbipartieute sexta, der Sechsachteltakt.
Sabsuperquadripartiente dnodecima, der Zwölfsechzehnteltakt,
Subsupersetti partieiite noua, der Neunsechzehnteltakt.
Saccentor, der Untercantor; auch ein Basssänger.
Sucher, Josef, geboren 1843 zu St. Grotthardt in Ungarn, war als Zög-
ling des Löwenburg'schen Convicts in Wien zugleich Sängerknabe in der k. k.
Hofkapelle und hier schon entwickelte sich sein bedeutendes Musiktalent der-
artig, dass in seinem zwölften Jahre bereits eine von ihm componirte Messe
aufgeführt wurde. Später wandte er sich dem Studium der Rechtswissenschaft
zu, trieb aber dabei fleissig Musik, machte unter S. Sechter's Leitung ernste,
theoretische Studien und entsagte bald der Jurisprudenz, um ganz der Musik
sich zu widmen. Er übernahm die Leitung des akademischen Gesangvereins,
wurde Sologesangsrepetitor bei der Kaiserl. Hofoper, später Kapellmeister an
der Komischen Oper und ging 1876 als Kapellmeister an das Leipziger Stadt-
theater. In einer Reihe von Liedern und mehrern grössern chorischen Werken
bekundet er ein bedeutendes Compositionstalent. 1877 verheiratete er sich mit
24 Sudre — Süssmayer.
der Prima-Donna des Leipziger Stadttheaters, Fräul. Hasselbeck, die seitdem
als Frau Sucher-Hasselbeck eine Zierde der Leipziger Oper ist und auch aus-
wärts bedeutende Anerkennung gefunden hat.
Sudre, Jean Frangois, geboren zu Alby (Tarn) am 15. August 1787,
betrieb von Kind auf Musik und erhielt eine höhere Ausbildung in derselben
auf dem Pariser Conservatorium zur Zeit, als Habeneck und Catel dort lehrten.
Nach beendeten Studien lebte er in Soreze und von 1818 an in Toulouse als
Musiklehrer, veröffentlichte auch Compositionen, als: Romanzen, Nocturnes,
Gesangsquartette und Terzette mit und ohne Begleitung. Schon 1817 beschäf-
tigte er sich damit, ein System auszudenken, in welchem die Töne als Zeichen
benutzt werden, um auf weitere Entfernungen eine schnelle Mittheilung zu
ermöglichen. Als ihm seine Idee reif genug schien, legte er die Ergebnisse
seines Nachdenkens einer wissenschaftlichen Coramission vor, zu welcher auch
Cherubini, Lesueur, Berton, Catel und Boieldieu gehörten und welche die Vor-
theile des Sudre'schen Systems einstimmig anerkannten und als den Keim einer
nützlichen Erfindung in sich tragend bezeichneten. Hierauf wurden vom Kriegs-
minister Versuche angeordnet, die auf dem Marsfelde in Gegenwart von hohen
Offizieren stattfanden. In dieser musikalischen Zeichensprache, welche durch
ein Hörn ausgeführt wurde, konnten Befehle und Eücksignale auf grosse Ent-
fernungen in 15 Secunden ausgeführt werden. Sudre nannte das System Tele-
phonie und hielt 1833 öffentliche Vorträge darüber. Bei den praktischen
Erläuterungen, die er hierbei ausführen Hess, drückte ein Hörn, nur durch die
verschiedensten Combinationen von Intonation, Dauer und Rhythmus mit nur
drei Tönen ganze Sätze aus. S. empfing von allen Akademien und in der
gesammten Presse neue Anerkennung und unternahm nun Reisen durch Frank-
reich, Belgien und England. Die höchste Ausbildung seines Systems erlangte
Sudre, indem er es auf die rhythmische Berührung der Hände allein anwendete,
zu Gunsten der Unglücklichen, welche blind und taub zugleich sind. Schon
auf der internationalen Ausstellung in London legte er vor der musikalischen
Jury exacte Proben in dieser Beziehung ab. Bei der Weltausstellung in Paris
1855 wurden ihm 10,000 Fr. von der Jury votirt und vom Staate ausgezahlt.
Ebenso erhielt er von der englischen Regierung eine lebenslängliche Pension
ausgesetzt, er starb aber schon 1862 am 3. Octbr. in Paris. Eine Zusammen-
stellung der Anerkennungszeugnisse erschien unter dem Titel: y>B,apports sur
la langue musicale inventee par M. F. Sudre, approiivee par Vinstitut roydl de
France, et opinion de la presse frangaise, beige et anglaise, sur les differentes
applications de cette science« (Paris, 1838, in 8").
Süssflöte, s. V. a. Dolzflöte (s. d.).
Süssmayer, Franz Xaver, Componist, hauptsächlich bekannt durch die
Fertigstellung des Mozart'schen Requiems, mit welcher er von der Wittwe des
unsterblichen Meister beauftragt worden war. S. ist zu Steyer, einer kleinen Stadt
in Oberösterreich, geboren und in der Benediktiner-Abtei zu Kremsmünster er-
zogen; er erhielt dort seine literarische und von Pasterwitz seine musikalische
Bildung. Als er nach Wien kam, um dort im Gesang und in der Composition
bei Salieri noch weiter zu studiren, hatte er bereits Sinfonien, Cantaten, Psal-
men und manches Andere geschrieben. Er wurde nun auch Schüler Mozart's,
der bekanntlich unmittelbar vor der Vollendung seines grossen Werkes starb,
so dass S. mit der Fertigstellung desselben nach seinen Angaben beauftragt
wurde. lieber den Antheil, den S. daran genommen, ist viel gestritten worden.
Da S. sich die Handschrift Mozart's bis zum Verwechseln angeeignet hatte,
so war es nicht leicht festzustellen, wie weit S. nur als Copist und wo er
ergänzend verfuhr. Abbe Stadler, Gottfr. Weber, J. F. von Mosel haben sich
an dieser Fehde betheiligt, über welche Jahn (»Mozart« IV, 690 ff.) genau
berichtet. S. übernahm 1792 die Kapellmeisterstelle am National-Theater in
AVien, zwei Jahre später erhielt er einen Platz als zweiter Kapellmeister am
Hoftheater und war nebenbei recht thätig als Operncomponist. Die erste Oper
Suevus — Suite. 25
war »Moses«, 1792 für Scliikaneder componirt. Dieser folgten: »Die schöue
Schusterin«; y>L'Incanto superatofi (Hoftheater 1793); »Der Spiegel aus Arka-
dien« ; »Die neuen Arkadier« (gedruckt) ; »Der Türke in Neapel« (in Prag auf-
geführt); »Die edle Rache«; »JZ due Goibür, »Die Freiwilligen« (Drama mit
Gesang), wofür er vom Kaiser eine goldene Dose erhielt; »Der Wildfang«; »Der
Marktschreier«; »Soliman 11.« (gedruckt); »Die Jagd« (gedruckt, Wien, bei
Artaria). Ebenda: Cantaten für den Erzherzog und andere. S. starb in Wien
am 17. Septbr. 1803.
Snevns, Eelicianus, Guardian des Kapuzin er or den s zu Strassburg 1650,
später Musikdirektor eines Klosters zu Insbruck, wo er sich noch 1661 befand.
Von seinen Compositionen wurden gedruckt: riCifhara patientis Jobi versa in
luctum, Motetten für drei Stimmen, zwei Violinen und Bass continuo« (Strass-
burg, 1647). y>Magnißcat seu Vaticinium Dei Parentis, semper virpnis, cum
Tiymno Ambrosiano et falsi bordoni 4 vocibus, adjuncto choro secundo cum violonis
et symphoniis non necessariisvi (Inspruck, 1651, in 4"). y)Psalmi vespertini 3 voc.i
(ibid. 1651, in 4°). y>Fasciculits rmisicus sacrorum concentuum, trium vocum tarn
instrumentorum quam vocalium etc.a (ibid. 1656, in 4"). nZitania JB. M. Virginis
Lauretanae von 2 oder 3 oder 5 Stimmen (ibid. 1661, in 4"). -»Sacra Eremus
piarum cantionum 2 ei S voc. cum 2 violinis«. r>Motetti a 2, 3, 4, 5 voci cum
vioUniu, T>Tuba sacra, seu concerti ö 1, 2, 3 vociv.. y>Mag7iißcat a 3 vocU.
Sufflöte, auch Suff löte, s. Sif flöte.
Snidas, ein gelehrter Grieche, lebte ums Jahr 1150 v. Chr. und schrieb
ein TnLexicon graece et latine«, worin er auch die vorkommenden musikalischen
Dinge erklärt. Es ist aus altern Wörterbüchern zusammengetragen, und obgleich
dies mit wenig kritischer Sorgfalt geschehen ist, erlangt es dennoch für uns
unschätzbaren Werth, als es über viele Dinge aus der griechischen Kunst Auf-
schluss giebt, über die wir sonst im Unklaren geblieben wären.
Suite (franz.), Reihe, Folge, wurde ursj)rünglich auch nur in diesem
Sinne als Reihe, Folge von Musikstücken, vorwiegend Tänzen, gebraucht.
Als seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts die Tonkünstler auch der Pflege
der weltlichen Musik eifrig sich unterzogen, Volkslieder bearbeiteten und
Tänze componirten und herausgaben, suchte man auch bald nach entsprechen-
den gemeinsamen Titeln für Sammlungen von Volksliedern oder Tänzen.
Für jene wurden die Namen Frottole, Falala, Vilanellen u. s. w. allgemeiner;
die Sammlungen von Tänzen führten dagegen das ganze 17. Jahrhundert noch
hindurch die verschiedensten Titel. Die Italiener nannten sie am häufigsten
B aletti. In Deutschland war die Bezeichnung »Neue lustig Tanz« oder
»Neue artige und liebliche Tanz« die wohl am häufigsten vorkommende
Bezeichnung. Prätorius nannte seine Sammlung »Terpsichore« (1611 etc.),
Büchner veröffentlichte seine Sammlung unter dem Gesammttitel: »S er via
von schönen Vilanellen, Galliarden vnd Couranten« (Nürnberg, 1614).
Schein veröffentlichte: y>Banchetto musicale neuer anmuthiger Paduanen,
Galliarden, Couranten und Allemanden« (Leipzig, 1617), und Oberndorffer:
y>Allegrezza Musicale oder auserlesene Pavanen, Galliarden, Intrathen etc.«
(1650). Aschenbrenner's »Gast- und Hochzeitsfreude« enthält Sonaten,
Präludien, Allemanden, Coui-anten, Balletten, Arien, Sarabanden (Leipzig, 1673).
Auch der Name Scherzi für solche Bearbeitungen von weltlichen und selbst
geistlichen Liedern begegnet uns hier: Cozzolani, •aScherzi di sacra melodiaa.
(1652), oder Petrobelii, -»Scherzo micsicala (A^enedig, 1693). Die Bezeich-
nung Suite finde ich in diesem Jahrhundert zum ersten Mal bei Auxcouste-
aux A.: »Suite de la premiere partie des quatrains de Mathieu ä trois voix,
Selon Vordre des doux modesa (Paris, Robert Ballard, 1652) und dann erst wieder
bei Porte G. de la: »Suites de pieces nouvelles choisies et disposees pour le
Concert pour deux dessus de Violen avec la Basse continue pour le clavecin, aux-
quels on peut joindre la Basse de Viele et le Teorben (Amsterdam, 1689) und
dann bei Schenk: »Scherzi musicale oii Suittes pour itne Basse de Viole et
26 Suite.
uiie Basse continue composes de JPreludes, Allemandes, Cour ante, Chaconuea (Am-
sterdam, 1692). Enthält 100 Tonstücke. Häufiger ist die Bezeichnung Partie,
sobeiDuraont: lyMelanges a II, III, IV e V Parties«. (Paris, Robert Ballard,
1649) oder Krieger, J.: »VI musikalische Partien, bestehend in Allemanden,
Couranten, Sarabanden, Doublen und Giguen nebst eingemischten Bourreen,
Menuetten und Gavotten« (Nürnberg, bei "W. M. Endter, 1697) und das Zu-
sammenstellen der verschiedenen Tänze zu Partien hat entschieden dazu mit-
gewirkt, der Suite eine bestimmte Ordnung zu geben. Erst als die Componisten
anfingen, die Tänze zu Partien zusammenzustellen, kamen sie darauf, diese in
eine gewisse Reihenfolge zu bringen, während sie in den frühem Sammlungen
meist willkürlich zusammengestellt waren. Es zeigt sich hierbei bereits die
beginnende Erkenntniss von der Noth wendigkeit eines Contrasts, wenn die
gehörige Wirkung erzielt werden soll. Man erkannte, dass die Art der Zu-
sammenstellung auch auf die Wirkung der einzelnen Tänze von ganz entschie-
denem Einfluss ist, dass es zweckmässiger ist, neben die sinnig gravitätische
Allemande nicht die verwandte Sarabande zu stellen, sondern zwischen beide
die etwas belebtere Courante, und dass man diese wiederum nicht nach der
feurigen Gigue bringen müsse, sondern dass diese am zwekmässigsten als die
beliebteste Tanzform möglichst den Schluss bilde.
Nachdem aber die einzelnen Tänze nach solchen Gesichtspunkten geordnet
wurden, so dass diese in einer gewissen überlegten Reihenfolge erschienen,
war der Name Suite für sie eben so passend und zweckentsprechend, wie der
Name Partie (ital. Partita'), und beide Namen finden wir dann seit dem
Anfange des 18. Jahrhunderts für diese Form angewendet. Anfangs hiess sie
auch noch Kammersonate: Sonate da camer a oder Sonata dei halletti zum
Unterschiede von der Kirchensonate Sonate da chiesa; so erklärt sie noch
Brossard in seinem: y> Dietionnaire de Musique« (Paris, 1703), und er giebt
ausdrücklich an, dass bei ihr die Tänze in bestimmter Ordnung eingeführt
werden. Er findet die Kammersonate von der Kirchensonate darin unter-
schieden, dass bei dieser die einzelnen Sätze: Adagio, Largo u. s. w, durch
Fugensätze geschieden sind, während bei der Sonata da camer a dem Prä-
ludium Sätze in bestimmter Ordnung: Allemande, Courante, Sarabande, Gigue
oder auch Allemande, Gavotte, Bourree und Menuett folgen. Auch Händel
und Bach halten im Allgemeinen an dieser Anordnung fest, ohne sie jedoch,
wie das im Wesen der ganzen Form begründet ist, zur feststehenden Norm zu
machen. Bach bezeichnet in der Regel, wenn er neben Tänzen noch andere
Sätze, wie Ouvertüre, Toccata Air, AUegro, Echo, Scherzo u. s. w. aufnimmt,
eine solche Zusammenstellung mit Partita oder wohl auch mit Sonata,
doch stehen auch in einzelnen Suiten andere Stücke als Tänze, wie in der
JS-ffio^Z-Suite, die mit der Ouvertüre im französischen Stil beginnt und deren
letzter Satz ein »Echo« ist. Das darf man übrigens wohl als einen klaren
Beweis dafür ansehen, dass die Zusammenstellung dieser einzelnen Sätze zur
Partita oder Suite durchaus nicht willkürlich war, sondern dass sie bei den
Meistern wie Bach und Händel wohl erwogen wurde, so dass die Anordnung
nach bestimmten Gesichtspunkten erfolgt. Insofern dürfen auch Suite und
Partita als Vorstufe für die Sonaten form betrachtet werden, wenn auch
diese im Grunde genommen neben der Suite bereits ihre eingehende Pflege
gefunden hatte, wie in dem betrefi'enden Artikel gezeigt worden ist (s. Sonate).
An der Suitenform entwickelte sich der Instrumentalstil zu greifbarem Re-
sultaten und als dann die Componisten dieselbe Sorgfalt, welche sie auf die
Zusammenstellung der einzelnen Sätze der Suite verwandten, auch auf die
Sonate übertrugen, gelangte diese rasch zu bedeutender Entwickelung und
Hess jene bald hinter sich zurück, denn die Suite war einer Weiterbildung im
Grunde nicht fähig. Auch die Tänze sind als Kunstform zu behandeln, allein
sie werden auch als solche nie zu der Höhe aller übrigen Formen gelangen
können. Daher war es auch natürlich, dass, als die höhere Form der So-
.Sujet — Sulzer. 27
nate zu so wunderbarer grossartiger Entfaltung gelaugte und zur Sinfonie
wurde, die Suite allmälig zurücktrat, sie wurde zum Divertissement, das
nur der mehr oder weniger geistvollen Unterhaltung dient.
Erst die Neuzeit hat die Suite wieder lebendig gemacht, in nothwendiger
Neugestaltung. Sie hat dabei ihren ursprünglichen Charakter als Folge von
Tanzstücken zumeist eingebüsst, man fasst sie jetzt mehr als Folge von
innerlich verbundenen Tonstücken von leichterem G-ehalt als die einzelnen Sätze
der Sinfonie. Es erscheint allerdings immerhin gewagt, Tänze, deren Eigenart
uns fast ganz verschwunden ist, wie Gigue, Courante, Sarabande u. s. w.
wieder lebendig machen zu wollen, und so ist es ganz natürlich, dass an Stelle
derselben neben die Menuett die Polonaise, der "Walzer, die Mazurkau. s.w.
treten und dass Scherzo, Romanze, Adagio und die Form der Variation
neben dem Präludium und dem Finale jetzt die Formen der Suite bilden.
In diesem Sinne ist sie von Raff und Reissmann zu Suiten für Violin-Solo
und Orchester benutzt und durch Lachner, Raff u. A. als Orchester-Suiten
wieder lebendig geworden.
Sujet (franz.), = Stoff, Thema, Hauptsatz; man bezeichnet damit dem-
entsprechend das Fugenthema, Subjekt, aber auch den Stoff, die einer Oper
zu Grunde liegende Begebenheit; des Sujet der Oper »Fidelio« ist die Helden-
that einer Frau (Leonore), die ihren Gatten (Florestan) aus dem Verderben
errettet, in das ihn die Bosheit seines Todfeindes (Pizarro) stürzte.
Sul (ital. Vorwort) = über.
Sul ponticello = über (nahe) am Steg.
Sulla corda = auf der Saite; sulla corda D = auf der D-Saite.
Sulla tastiera = nahe am Griffbrett.
Snllng', eine indische Laugflöte.
SuUivau, Arthur Seymour, englischer Componist, geboren am 13. Mai
1842, ist der Sohn eines Lehrers am Kneller Hall College, der Pflanzschule
der englischen Musikdirektoren. Seine musikalische Bildung begann mit dem
Eintritt in den Knabenchor der Königl. Kapelle, die er nach zweijährigem
Besuch derselben mit dem zuerkannten Mendelssohn-Preis verliess, um in Folge
dessen in die Königl. Akademie einzutreten. Hier erhielt er den Unterricht
Sterndale Benette's und des trefflichen Organisten an der Paulskirche, John
Gross. 1858 reiste er mit noch sechs Engländern nach Leipzig, um das dor-
tige Conservatorium zu besuchen und verbrachte dort drei Studienjahre. Ehe
er Leipzig verliess, um nach England zui'ückzukehren, wurden Bruchstücke aus
seiner eben vollendeten Partitur der Musik zu Shakespeare's »Sturm« aufgeführt.
Das ganze Werk kam zuerst 1862 im Crystallpalast zu Sydenham zur Aufführung.
Die von dieser Zeit an in England componirten Werke erfreuten sich von
Seiten seiner Landsleute stets einer guten Aufnahme. Es sind: Cantate y>Kenil-
worth« (beim Musikfest zu Birmingham 1864 aufgeführt); das Ballet »Die
Zauberinsel« (Conventgarden-Theater) ; Sinfonie ^ (Crystallpalast) ; Concert-
ouverturen; ein Cello-Concertino mit Orchester; Concerte; Pianofortecompo-
sitionen; Lieder; Chorgesänge; Kirchenstücke. Auch zwei komische Opern:
»Cox und Box« und »Der Schmuggler« wurden in England mit den ehrendsten
Erfolgen gegeben. Ebenso errang das Oratorium y>The Prodigal son« bei seiner
Aufführung am Worcester Musikfest 1868 lebhaften Beifall.
Sultzberger, Johann Ulrich, Musikdirektor und Virtuose auf dem Zinken
zu Bern im Anfange des 18. Jahrhundert, hat herausgegeben: »Vierstimmiges
Psalmenbuch, das ist, Psalmen Davids, durch D, Ambr. Lobwasser in teutsche
Reymen gebracht, worinn die hochclavierten Psalmen transponirt etc.« (Bern,
Daniel Tschiffelt, 1727, klein in 8", 641 Seiten).
Sulzer, Franz Joseph, Militär- Auditeur zu Wien, geboren zu Laufen-
burg im Breisgau, starb zu Wien 1790. Er gab ein Buch heraus: »Geschichte
des transalpinischen Daciens u. s. w.« (Wien, 1781 und 1782, drei Bände in 8",
28 Sulzer.
in welchem ausführliche Nachrichten über die Musik der Türken und Neu-
Grriechen enthalten ist.
Snlzer, Johann Georg, Professor und Direktor der philosophischen Klasse
der Königl. Akademie der Künste zu Berlin, war zu Winterthur 1719 geboren.
Nach beendigten Studien in seiner Vaterstadt und in Zürich war er eine Zeit lang
Prediger in einem Dorfe und dann in Magdeburg Erzieher. 1747 kam er auf
Sak's Empfehlung als Professor nach Berlin an das Joachimthal'sche Gymnasium,
kehrte aber nach dem Tode seiner Gattin nach der Schweiz zurück. 1760 wurde
ihm bei der neu errichteten ßitterakademie in Berlin eine Professur angetragen
und auch vom Könige ein Stück Land geschenkt, um sich ein Haus darauf
bauen zu können. Diese Professur legte er 1773 wegen Kränklichkeit nieder,
blieb aber als Literat noch thätig. Die Schriften Sulzer's, besonders eine
Encyclopädie der schönen Künste, sind schätzbar, obwohl zum Theil bereits
veraltet. S. that in diesem Werke den ersten Schritt zu einer allgemeinen
TJebersicht der schönen Künste und einer näheren Bestimmung der einzelnen
Kunstzweige. Das Werk führt den Titel: »Allgemeine Theorie der schönen
Künste, in einzelnen nach alphabetischer Ordnung der Kunstwörter aufeinander-
folgenden Artikeln abgehandelt« (Leipzig, 1772, zwei Bände in 4*'). Die besten
musikalischen Ai'tikel darin sind von J. A. P. Schulz und zwar vom Buchstaben
S. an alle, mit Ausnahme von »System«, welcher von S. ist. Die Artikel im
ersten Bande sind von S. und Kirnberger. lieber den Antheil Sulzer's sagt
J. A. P. Schulz (»Leipziger musikalische Zeitung«, IL Jahrg. S. 277): »Sulzer
wollte selbst schreiben und unterrichtet sein von dem, was er schrieb. Er be-
durfte eines Lehrers in der theoretischen Musik, den er zugleich bei seinem
Werk zu Bathe ziehen konnte. Dies hatte die Beendigung des Werkes ver-
zögert. Schon lange hatte er sich bei Männern wie Agricola, Quanz, Biedt,
Marpurg u. a. zu unterrichten gesucht, aber nicht damit von der Stelle kommen
können. Er wandte sich hierauf an Kirnberger. Die erste Frucht dieses Un-
terrichts war: »Die Kunst des reinen Satzes« von Kirnberger, die S. aus dessen
Papieren zusammengesetzt hatte; und darauf wurden die musikalischen Artikel
der Theorie der schönen Künste mit Eifer begonnen, zur grossen Unzufrieden-
heit Marpurg's; daher der zunehmende Groll dieses Mannes gegen Kirnberger etc.«
Die dritte Auflage dieses Werkes erhielt von v. Blankenburg, der sie veran-
staltet, ein Suj)plement: »Literarische Zusätze zu Johann Georg Sulzer's all-
gemeiner Theorie der schönen Künste etc.« (Leipzig, 1796 — 98, drei Bände
in 8"). Dijck und Schatz liefei'ten noch acht Bände Nachtrag. Uebersetzt sind
die meisten der Artikel auch ins Italienische und im »Dictionnair der schönen
Künste« zu Mailand abgedruckt. Die erste Schrift Sulzer's erschien in franzö-
sischer Sprache: liFensees stir Vorigine et les diff^erents emplois des sciences et
des heaux-arts, discours prononce dans Vassemblee royale des sciences et des belles-
lettresa am 27. Januar 1757 (Berlin, Haude & Spener) und eine deutsche Ab-
handlung, im Grunde dieselbe: »Die schönen Künste in ihrem Ursprünge, ihrer
wahren Natur und besten Anwendung betrachtet« (Leipzig, 1772, 8", acht Blätter).
Eine vierte Schrift, die Beschreibung der Hohlfeldischen Notenschi-eibemaschine,
befindet sich in den Abhandlungen der königl. Akademie der Wissenschaften zu
Berlin 1711, nebst zwei Kupfertafeln. S. starb am 24. Febr. 1779 zu Berlin.
Sein Bildniss befindet sich vor dem dritten Bande der Berliner vermischten
Schriften, ausserdem gemalt von Graaf und gestochen von Bause, auch nach
demselben Bilde gestochen von Berger.
Sulzer, Salomon, Obercantor der israelitischen Gemeinde in Wien, der
Regenerator des israelitischen Cultusgesanges, ward am .30. März 1804 in dem
Marktflecken Hohenems in Vorarlberg geboren als der Sohn eines geachteten
Kaufmanns und Fabrikanten, des Sprösslings einer der ältesten Familien des
Landes. Salomon Sulzer bewahrt jetzt noch gleich einem Stammbaume ein
goldgesticktes, rituelles Altarornat, welches laut eingesticktem Datum ein Alter
von 210 Jahren besitzt. Sulzer's Vater war ein geachteter Industrieller und
Sulzer. 29
Fabrikant, beschäftigte und ernährte selbst in den schwersten Zeiten, z. B, bei
der Hungersnoth im Jahre 1816, eine grosse Anzahl brodloser, in Noth gera-
thener Arbeiter in einer von ihm selbst errichteten "Weberei. Früh schon der
Synagoge gewidmet, erhielt S., kaum 15 Jahre alt, von Sr. Majestät Kaiser
Pranz I. die Bestätigung als geistlicher Funktionär der Israelitengemeinde zu
Hohenems. Schon mit 15 Jahren also stand der Jüngling begeistert vor der
Beterschaar seines Volkes und trachtete damals schon den halb erloschenen
Funken des Glaubenseifers zu beleben, zu regeneriren. Zu Ende des Jahres
1825 erhielt S. von Wien aus den ehrenvollen Ruf, am neuerbauten Tempel
das Obercantorat zu übernehmen. Seitdem wirkt S. hier, ihm zum Lobe, der Gre-
meinde zum Heil! Der Schall seiner mächtigen Stimme erhob und begeisterte aber
nicht nur die Wiener Gemeinde, sondern es verdanken ihm sämmtliche Israeliten
beider Hemisphären die Regenerirung ihres Gottesdienstes, wie denn auch, als
er seinen 70. Geburtstag feierte, in den meisten in- und ausländischen, ja sogar
in den entferntesten überseeischen Gemeinden ihm zu Ehren der Tag bei
offener Lade gefeiert wurde. Aber nicht allein durch seinen Gesang wirkte
er so in rühmenswerthem Eifer für israelitischen Cultusgesang, sondern und
mehr noch durch seine vielen Werke, die seinen Einfluss in die entferntesten
Gemeinden verpflanzten, sowie er auch für die Schule manch nützlich Büchlein
schrieb. Heute, am Abende seines Lebens, mag S. froh die Bahn übersehen,
die er gewandelt. Vielfach wurden ihm auch die ehrendsten Auszeichnungen
zu Theil, er erhielt den Franz-Josephs- und den Medschidje-Orden, die grosse
österreichische goldene und die grosse sowohl als kleine russische goldene Me-
daille für Kunst und Wissenschaft u, m. A. Ueberdem wurde er auch durch
werthvolle Geschenke erfreut: Brillantringe vom Kaiser Ferdinand, von Sr. M.
Kaiser Franz Joseph I., vom Grossherzog von Baden; eine für ihn geprägte
goldene Medaille erhielt er aus Amerika, eine ebensolche vom Herzoge Max in
Baiern nebst einem Handschreiben. Silberne Kränze, das Meisterdiplom der
Reale Äcademia di S. Cecilia in Rom u. s. w., gleichwie die Auszeichnungen
seiner Mitbürger und die Widmungen der entferntesten Gemeinden sind sicht-
bare Zeichen seiner Thaten. S. erfreute sich der Gunst Ihrer k. Hoheit der
Frau Erzherzogin Sophie, der Freundschaft des Fürsten Lotar Metternich.
Der Erzbischof sowie Pater Franz besuchten ihn persönlich — kurz: Alle,
Alle vereinten sich zum Lied des Dankes für die himmlische Lust, die sein
Lied ihnen bereitet!
Und wie das Gute sich nur zum Guten paart, so finden sich auch erha-
bene Geister. S. zählt zu seinen Freunden: Meyerbeer, Schubert, Schumann,
Paganini, Halevy, Thalberg, Liszt und viele Andere. Der Letztere sagt in
seinem Buche: »De Bohemiens et de leur musiquea, er habe bei Sulzer's Tempel-
gesang zum ersten und einzigen Male den Eindruck einer wirklich national-
jüdischen Kunst empfunden, während alle anderen, selbst trefflichsten Leistungen
jüdischer Tondichter, Poeten und Maler doch nur ein Nachbilden und Wieder-
holen chi'istlichabendländischer Kunst seien. S. hat nach jeder Richtung hin
Segen gespendet. Er ist Gründer der ersten akademischen Liedertafel, welche
aus 700 Personen bestand, war lange Jahre ohne jedes Entgelt Pi'ofessor am
Conservatorium und stiftete den Ertrag eines ihm zu Ehren veranstalteten
Concertes, 1500 Gulden, zu einer Sulzer'schen Concertstiftung, so dass die
Interessen von 75 Gulden alljährlich das Stipendium eines mittellosen Schülers
bilden. Viele Synagogen und Wohlthätigkeitsanstalten weihte er unentgeltlich
ein, der Gemeinde seines Geburtshauses schenkte er selbes mit der Widmung
der Stiftung eines Asyles für Leidende aller Confessionen — es wurde an
diesem Hause eine Votivtafel angebracht — ferner schenkte S. dieser Gemeinde
ein mächtiges Harmonium nebst den nöthigen Musikalien und mehrere rituelle
Gewänder. Als Mitgründer und Vice-Präses des Tirol- Vorarlberger Unter-
stützungsvereines setzte S. volle Kraft und eigene Mittel ein, keinen bedürf-
tigen Landsmann in Wien Noth leiden zu lassen, beherbergte, sättigte und
30 Samara — Summer.
placirte viele, während er jene, welche keine Stelle fanden, versorgt und wenn
nöthig neu bekleidet wieder heimsandte. Doch nicht nur Erwachsene lobpreisen
Sulzer's edle Güte. Er ist auch den Kleinen ein Beschützer und wirkt rastlos
als Präsident des ersten allgemeinen Unterstützungsvereines für Kinder. Als
hochbetagter Greis bemühte er sich in jüngster Zeit noch als Mitbegründer
um die Errichtung der ersten Wiener Suppen- und Thee-Anstalt. Darum
vereinigte sich auch Alles an den beiden Jubiläumstagen des geliebten Greises
am 24. März 1866 als an seinem 40jährigen Wirkungstage, und am 30. März
1874, seinem 70. Geburtstage, demselben Zeichen der Verehrung zu senden.
Der Gemeinderath der Stadt Wien unter Führung des Bürgermeisters Dr. Eelder
überbrachte dem Gefeierten das Ehrenbürgerdiplom, eine Unmasse von Adressen
und Glückwünschen aus allen Weltgegenden erdrückten beinahe den Jubilar,
den Alles beglückwünschte.
Von seinen Söhnen widmeten sich zwei der Musik: Julius, sein ältester
Sohn, ist Hofkapellmeister und geachteter Compositeur, und Joseph, sein
jüngster Sohn, nachdem er Professor am Conservatorium in Bukarest war, ist
gegenwärtig Mitglied der k. k. Hofoper. Auch seinen Töchtern wusste der
unvergleichliche Vater Liebe zur Musik einzupflanzen, Marie von Beiart
und Henriette Biacchi geborne Sulz er haben sich als Gesangskünstlerinnen
in Wien, Prankreich, Italien, Spanien einen ruhmreichen Namen erworben.
Marie von Beiart war Professorin an der k. k. Opernschule zu Wien und con-
certirte im Jahre 1848 gemeinsam mit ihrer Schwester in Tirol, Vorarlberg
und Baiern zum Besten der Verwundeten des k. k. Heeres. Henriette Sulzer,
nachmalige Biacchi, war durch drei Jahre Primadonna in Newyork und durch
zwei Jahre Directrice der k. Oper in Mexiko unter Kaiser Max I. — Das
Werk, durch das er namentlich verdienstlich wirkte, »Schir Zion«, ist eine
Sammlung von Gesängen für den jüdischen Cultus. Ausserdem componirte er
auch Lieder und Gesänge u. A.
Snmara, eine arabische Doppelfiöte ganz eigener Art. Sie besteht aus
einem kürzeren, mit Tonlöchern versehenem Rohre, auf welchem die Melodie
gespielt wird, und aus einem längeren, das durch Ansetzstücke verlängert, also
beliebig gestimmt werden kann und zur Melodie den Bass (in einem Tone
fortsummend) angiebt.
Sumber (sumper) war in Deutschland im 12. und 13. Jahrhundert eine
kleine Handtrommel in Cylinderform, nicht das Tambourin. Ueber die Be-
schaffenheit dieses Instruments in ältester rohester Form unterrichtet uns der
Umstand, dass dasselbe Wort sumper im Althochdeutschen, ebenso sumher im
Mittelhochdeutschen zugleich einen Korb und ein Getreidemaass (später Simri
genannt) bezeichnet. Also ein Hohlmaass (Metze, Viertel) wurde mit einem
Pell überzogen und die Trommel war fertig. Oder noch primitiver: das hölzerne
Gefäss selbst ward auf die hohle Seite gestellt und auf dessen Boden losgepaukt.
Es war der Sumber nebst Flöte und Geige die gewöhnliche Musik zum länd-
lichen Tanze. So heisst's beim Nithart (Hagen, Minnes. II. S. 117):
zwene vor im pfiiFen,
der dritte den sumber sluc.
Der Tanhuser (Hagen, MS. IL 85 und IL 59) singt:
Dort hoer ich die flöiten wegen,
hie hoer ich den sumber regen:
der mir helfe singen
disen reigen springen.
Sich huob in der stuben schal.
Vor den getelingen der sumher lüte erdöz.
Da tanzten megde überal.
Summer oder Bourdou hiess an Sackpfeifen (Dudelsack) die nur in einem
Tone fortsummende Pfeife; an alten Geigen (Rebec, Rebebe) und Lauten die
Summpfeife — Suppe. 31
neben dem Griflfbrett liegenden tiefsten Saiten, die nicht gegriffen wurden,
sondern deren unvei'änderter Ton mit der Melodie zugleich erklang. Auch:
Sammpfeife und
Summe wurden beim Dudelsack diese Pfeifen genannt.
Sumplioneia oder Samponia war ein, unserm Dudelsack ähnliches Instru-
ment der alten Hebräer, dessen Daniel cap. 3 v. 5 gedacht wird. Der Name
deutet auf griechischen Ursprung. In einem ledernen Sacke sollen zwei Pfeifen,
unten vind oben gleich hervorragend, gesteckt worden sein, die Löcher zum
Spielen hatten. Der Ton soll schreiend gewesen sein. Der Sack wurde von
den Alten aus Widderfell bereitet. Uebrigens sind die Beschreibungen verschieden.
Snmtio, s. v. a. Lepsis, die Tonlage der Melodie bei den Griechen in
Bezuff auf Höhe oder Tiefe.
Snudeliu, Augustin, Kammermusikus und Clarinettist der Opernkapelle
zu Berlin von 1827 — 29, wurde wegen eines Halsübels pensionirt und starb
am 6. Septbr. 1842 zu Berlin. Seine Compositionen, hauptsächlich Lieder,
reichen bis Op. 78. Ausserdem veröffentlichte er: 1) »Die Instrumentirung für
Orchester, oder Nachweisung über alle bei derselben gebräuchlichen Instrumente,
um dafür wirkungsvoll und ausführbar componiren zu können« (Berlin, Wagen-
führ, 1828, 4", 47 S.). 2) »Die Instrumentirung für sämmtliche Militärmusik-
chöre oder Nachweisung etc.« (ebend. 1828, 4"). Es sind dies zwei Werkchen,
die ihrer Zeit ihrem Zweck vollständig entsprachen.
Snndeliu, Carl, Bruder des Vorigen, Dr. med. und Professor zu Berlin,
gab hei-aus: »Aerztlicher Rathgeber für Musiktreibende«. Nach Angaben des
Königlich pensionirten Kammermusikus Sundelin zusammengetragen (Berlin,
1832, 8^ 58 Seiten).
Sunderrenter, Greorg, ein Kirchencomponist des 16. Jahrhunderts, hat in
den Druck gegeben: »Episteln auff alle Sontag und die fürnembste Fest Christi
und der lieben Gottes Heiligen, sampt etlichen Texten auss dem Alten vnd
Newen Testament, in geistliche Liebliche Melodeyen verfasst, mit vorgesetzten
Argumenten jedes Gesangs, Reimweiss« (Lawingen, 1580, 8°). »Nicolai Her-
manni, Sonntägliche Evangelien durchs ganze Jahr, sampt den fürnembsten
Festen in Gesangweiss aussgangen, durch Geo. Sunderrenter, geändert, gemehret
und in den Augsbui'gischen Confessions-Kirchen gebräuchlichen Melodeyen ver-
fasset« (Laupingeu, 1580, 8").
Snnk, eine Muscheltrompete der Hindostaner, die in Verbindung mit einem
Silberglöckchen (Gunda) gespielt wird. Die Brahminen bedienen sich desselben
bei ihren religiösen Feierlichkeiten. Eine Abbildung eines Sunkbläsers mit dem
Glöckchen in der techten Hand s. im »Asiatischen Magazin« 1810.
Suoni acuti = hohe Töne.
Suoui armonichi = die Flageoletttöne (s. d.).
Suono-Terzo, s. Terzo.
Superacntae claves, Toces, oder superacuta loca, die fünf höchsten Töne
des Hexachordsystems von a — la — mi — re bis e — la (a^ — e.^, s. Solmisation).
Superoctave in der Orgel, das Doppeloctavregister zum Pi-incipal. Häufig
bezeichnet man auch die kleinste Octave eines Claviers mit Superoctav, was
indess nicht richtig ist.
Suppe, Franz von, geboren am 18. April 1820 zu Spalatro in Dalmatien,
versuchte sich schon als Knabe ohne eigentliche Bekanntschaft mit den betref-
fenden Regeln im Componiren. 1839 kam er nach Wien, um die Universität
zu besuchen, widmete sich aber ausschliesslich der Musik. Er lernte mehrere
Instrumente spielen und erhielt in der Composition den Unterricht Seyfried's.
Dann versah er einige Zeit die Stelle eines Musikdirektors am Josephstädtischen
Theater, bis er in derselben Eigenschaft an das Theater an der Wien ging.
Es erschienen im Laufe der Zeit eine Menge seiner Compositionen. Er schrieb
Sinfonien, Quartette; die Opern: »Das Mädchen vom Lande«, »Die Müllerin von
Burgos«, Lieder und manches Andere. Bedeutendere Erfolge fand er jedoch
32 Supplemento — Svendsen.
hauptsächlich in der Operette und in Compositionen leichten Genres, wie »Fa-
tinitza«, »Piquedame«, »Flotte Bursche«, »Die schöne Galathea«, »Zehn Mädchen
und ein IMann«, »Frau Meisterin« u. s. w.
Supplemento (ital.), franz.: Douhlure, Substitut, heissen die Stellver-
treter, welche sich die ersten Sänger an den grossen Theatern Italiens halten,
damit diese für sie in den Fezzi concertanti singen.
Supremma, suprema vox (Soprano), die höchste Stimme eines mehr-
stimmigen Gesanges, meist also die Sopranstimme, der Discant.
Surdastrum nannte Kircher (r>I'honurgia nova«, 1673) eine Art Trommel
im Orient, die von beiden Seiten geschlagen wird, deren man sich in Begleitung
einer Schäferpfeife bediente, um mit solcher den Biss der Tarantel zu heilen.
"Woher er die Nachricht habe, sagt er nicht; der phantastische Vielwisser dachte
wahrscheinlich an die indischen Trommeln der Schlangenbeschwörer; aber weder
in Indien, noch im Mittelalter kommt dieser Namen vor.
Surdeliue, eine Art von Sackpfeife (s. d.), welche in Italien gebräuchlich ist.
Saremain de Missery, Antoine, Mitglied der Akademie der Wissenschaften
zu Paris und ehemaliger Artillerie-Offizier, zu Dijon am 25. Januar 1767 ge-
boren, lebte seit 1797 in Beaune. Zu seinen philosophisch-mathematischen
Schriften gehört auch: y>Theorie acoustico-musicale, ou De la doctrine des sons
rapj)07'tee aux principes de leurs comhinaisonsa (Paris, Didot, 1793, ein volume,
8°, 404 Seiten). Ein interessantes Buch, dessen Theorie aber nicht eigetitlich
mit der musikalischen zusammenkommt. Eine spätere Schrift: y>Geometrie dessons,
ou Principes d^acoustique pure et de musique scientißque'i legte er 1816 der
Akademie der "Wissenschaften in Paris vor, ein Gutachten darüber fordernd.
Die Beurtheiler dieser wichtigen Arbeit waren Prony, Hauy und Biot. Dieser
letztere hatte eben selbst eine Arbeit desselben Gebietes herausgegeben: y>Traite
de pTiysique experimentale et matJiematiquea, in der er alle alten Irrthümer der
arithmetischen Verhältnisse der Tonintervalle bei der Bildung der Tonleiter
gewissenhaft beibehalten hatte und über welche der Akademiker durch das
Manuscript, welches er in Händen hatte, zu spät aufgeklärt wurde. S. de
Missery erhielt kein Gutachten; er verschaffte sich aber Genugthuung durch
eine Broschüre, in welcher er M. Biot vollständig besiegte. Der Titel der
letzteren Schrift ist: •i>Meprises d^un geometre de V Institut, manifestees par un
provincial ; ou Ohservations critiques sur le traite de pliysique experimentale et
mathematique de M. Biot, en ce qui concerne certains points d'acoustique et de
musiquea (Paris, Dentu, 1816, in 8", 74 pag. de texte et 24 pag. de preface).
Im y>Dictionnaire de musique de VEncy dope die methodiquea sind die meisten die
Akustik betreffenden Artikel von S. de Missery. Er starb zu Baune am
15. April 1852.
Sasato, Tylman oder Tyleman, s. Tylman Susato.
SnsatO; Johann von, wahrscheinlich nach einer Stadt in "Westphalen, Soest,
lateinisch Susato, so genannt, war • Doktor der Medizin und in der Musik
erfahren, lebte im 15. Jahrhundert und starb Anfang des 16. Jahrhunderts (1511).
Sebastian Virdung (s. d. i in seinem Buche: »Musisa getutsch und ausgezogen«
erwähnt seiner als eines IMeisters (Johann de zusato), der in einem Pergament-
buch, das er componirt und geschrieben, auch Instrumente abgemalt habe.
Snssinann, s. Soussmann.
Snssnraudo, Vortragsbezeichnung = säuselnd, lispelnd.
Suttihger, M., Rektor an der Schule zu Lübben, hat geschrieben: »lieber
die in der Lausitz bei den gelehrten Schulen gewöhnlichen Singchöre«. Im
ersten Bande des »Neuen Magazins für Schullehrer«, herausgegeben von G. A.
Buperti und Schlichthort.
Svegliato (ital.), Vortragsbezeichnung = munter, aufgeweckt.
Srelto (ital.), Vortragsbezeichnung = frei, kühn, ungezwungen.
Svendseu, Job. Severin, geboren am 30. Septbr. 1840 zu Christiania,
erhielt den ersten Unterricht auf der Violine von seinem Vater. Für den
Sweda — Sweelinck. 33
Militärstand bestimmt, trat er nach seiner Confirmation als Jäger in die Nor-
wegische Armee, in welcher er sechs Jahre verblieb. Während seiner freien
Zeit beschäftigte er sich fleissig mit Musikstudien, und da seine Neigung zu
dieser Kunst immer stärker geworden war, fasste er den Entschluss, sich der-
selben ganz zu widmen. Nach erhaltenem Abschied regte sich die Lust, andere
Städte und das Musiktreiben derselben kennen zu lernen so stark in ihm, dass
er eines Tages, mit zehn Species in der Tasche und der Yioline in der Hand
in die "Welt zog. Nach mühsamen und abenteuerlichen "Wanderungen in ver-
schiedenen Städten Schwedens schloss er sich 1862 in Hamburg einer herum-
ziehenden Musiktruppe an, mit der er nach Lübeck ging. Bei einer zweiten
Anwesenheit in dieser Stadt erwarb er sich die Protektion des dortigen
schwedisch-norwegischen General- Consuls Leche, der sich seiner väterlich an-
nahm und sich bei der schwedischen Königsfamilie für ihn verwendete, so dass
er mit ihrer Unterstützung das Leipziger Conservatorium besuchen konnte.
David, Dreyschock, Hauptmann, Richter, Eeinecke waren hier seine Lehrer.
Durch eine Fingerkrankheit wurde S. genöthigt, das Violinspiel vorläufig auf-
zugeben und wandte sich desto eifriger der Composition zu. Mehrere derselben
wurden beifällig in Leipzig und andern Orten zur Aufführung gebracht. 1867
machte er Reisen nach Island und Norwegen, lebte dann einige Zeit in Paris
(1868) und ging dann 1869 nach Leipzig zurück. Seit 1872 lebt er in seiner
Heimath. Von seinen Compositionen sind veröffentlicht: zwei Quartette, ein
Quintett, ein Octett, eine Sinfonie, ein Concert für die Violine, ein Concert für
das Violoncello, symphonische Einleitung zu »Sigurd Slembe«. Für Orchester
bearbeitete er zwei Liszt'sche Rhapsodien, den Schumann'schen Carneval, die
Bach'schen Chaconne.
Sweda, "Wenzel, einer der allerersten "Waldhornisten in Böhmen, durch
den die Fertigkeit, es zu blasen, in Deutschland verbreitet wurde. Er war
zu Lissau geboren und ein Untergebener des Grafen Anton von Spork
(s. d. Art.), der ihn nach Paris schickte und in der Kunst, dies Instrument
behandeln zu lernen, daselbst ausbilden Hess, eben zu dem Zwecke, es in Deutsch-
land bekannt zu machen.
Sweeliuck, Jan Pieters, einer der ersten Förderer der nunmehr selb-
ständigen Instrumentalmusik, wurde wahrscheinlich in Deventer in Holland um
1561 geboren, das von ihm bekannte Portrait trägt die Unterschrift: )50biit 1621,
16. Octobris. Aet. 60«. Er wird zwar dort auch ein Amsterdamer genannt,
doch beweist dies nur, dass er die grösste Zeit seines Lebens in Amsterdam
verbracht hat und die ältere Ansicht über seinen Geburtsort deshalb umzu-
stossen, liegt kein Grund vor. Seine Musikstudien machte er bei Zarlino und
Cipriano de Rore. In sein Vaterland zurückgekehrt, erhielt er den Organisten-
posten an der alten Kirche in Amsterdam, wo bereits sein Vater früher angestellt
war. Hier hat er bis an sein Lebensende gewirkt als Componist und Lehrer
und starb, wie schon oben gesagt, am 16. Octbr. 1621. Sein Ansehen als
Orgelspieler und Lehrer war so bedeutend, dass die Schüler aus aller Herren
Länder zu ihm kamen; die bekanntesten sind Jakob Prätorius und Samuel
Scheidt. In Amsterdam selbst wurde er so hoch geehrt, dass die Kaufmann-
schaft daselbst ihm eine Pension aussetzte. In neuester Zeit sind durch die
Bemühungen Eitner's in Berlin eine grosse Anzahl seiner Compositionen in
Partitur gesetzt und ein kleiner Theil davon auch veröffentlicht worden, theils
durch den Verein zur Beförderung der Tonkunst in Amsterdam, der auch die
von Eitner in Partitur gebrachten "Werke Sweelinck's handschriftlich aufbewahrt,
theils durch Eitner selbst. Es sind dies folgende: 1) -»Cantiones sacrae cum
basso continuo ad Organum 5 vocuma. (Antverpiae, ap. P. Phalesium, 1619).
Davon ist nur ein Satz, Begina coeli, erschienen. 2) »J. P. Sweelinck's sechs-
stimmige Psalmen mit Lobwasser'schen Texten untergelegt von Martinus Mar-
tinus« (Berlin, bei George Rungen, 1616). Davon erschienen sechs Psalmen
mit dem Portrait Sweelinck's und einer sehr ausführlichen Biographie von
Musikal. CouTers.-Leiikon. X. <*
34 Swert.
Tiedemann. 3) »J. P. Sweelinck's vierstimmige Psalmen mit Lobwasser'schen
Texten untergelegt von M. Martinus« (ibid. 1618). Die Originalausgaben dieser
Psalmen, mit französischem Text, erschienen in vier Büchern theils in Leyden,
theils in Amsterdam in den Jahren 1603 — 1614 und spätere Ausgaben bis
1621, doch ist kein Buch desselben bis jetzt in einem completen Exemplare
gefunden worden. 4) 3 Cantici nuptiarum: r>In honorem Jacohi Fraetorii, 5 voc.n
(Hamburg, 1608). »J« honorem Joan. Stohaei, 8 voc.i (Amstelod. 1617). »J»
honorem Joan. Stolaei, 5 wc?.« (Gedani, 1638). 5) Handschrift im Besitze des
grauen Klosters zu Berlin, enthaltend: Fantasien, Toccaten und Variationen von
Sweelinck und einigen Anderen. Davon veröffentlicht von Eitner bei Simrock
in Berlin: drei Eantasien, drei Toccaten und vier Variationen, letztere von
Sweelinck und Scheidt. 6) G-esänge und Lieder in Sammelwerken; davon
erschienen zwei Chansons zu vier Stimmen im Verlage der holländischen Gre-
sellschaft (Amsterdam, bei E.oothaan) wie alle übrigen oben erwähnten Ausgaben.
Andere Werke sind bisher nur in einzelnen Stimmbüchern bekannt geworden
und in der oben erwähnten Biographie verzeichnet. 7) Handschrift im Besitze
der Stadtbibliothek in Hamburg: »Compositions-Pegeln (nach Zarlino's Istitu-
zioni Harmoniche)«. Eine moderne Bearbeitung im Besitze des holländischen
Vereins. Sweelinck erwarb sich, wie oben schon erwähnt ist, namentlich bedeu-
tende Verdienste um Ausbildung der Instrumentalmusik. Diese war seiner Zeit
vorwiegend nur eine auf Instrumente übertragene Gesangsmusik. Sweelinck
war der erste, der seine Pugenthemen mehr instrumental behandelte und vor
allem durch seine Variationen den Instrumentalstil mit vorbereiten half, der
schon in seinem Schüler Scheidt so bedeutend entwickelt erscheint.
Swert, Jules de, einer der bedeutendsten Violoncellisten der Gegenwart,
ist zu Löwen in Belgien am 16. August 1843 geboren. Sein Vater Hermann
de Swert, Kapellmeister an der Kathedrale daselbst (starb 1873 im 70. Le-
bensjahr), unterrichtete ihn schon sehr frühzeitig, besonders auf dem Violoncell,
das er selbst spielte, so dass er den vorzugsweise für dies Instrument begabten
Knaben schon im Knabenalter in die Oeffentlichkeit führen konnte. Auf einer
Concertreise, die er mit demselben unternahm, hörte ihn in Hall Servals und
übernahm seine Ausbildung, bis er ihm auf dem Brüsseler Conservatorium einen
Platz verschaffte. 15 Jahre alt verliess er, durch den ersten Preis ausgezeich-
net, dies Institut, und ging bald darauf nach Paris. Hier war ihm besonders
Rossini freundlich gesinnt, doch fand der Künstler auch beim Publikum die
wohlverdiente Anerkennung. Er unternahm erneute Kunstreisen durch Belgien
und Holland, bereiste später Dänemark, Schweden, Süddeutschland und die
Schweiz. Hauptsächlich imponirte er durch den meisterhaften Vortrag des
Beethoven'schen und Mendelsohn'schen'Violinconcerts, welches er für das Violon-
cell transponirt hat, und der selten gespielten schweren Compositionen von
Carl Schuberth. Ueberhaupt ist dem Künstler nachzurühmen, dass sein B,e-
pertoir die klassische und moderne Violoncellliteratur gleich vielfältig umfasste.
1865 nahm de Swert in Düsseldorf eine Concertmeisterstelle an, folgte aber
bald darauf einem Rufe an die Hofkapelle nach Weimar und vertauschte diesen
Platz abermals mit Berlin, wo er als Soloviolinist und Concertmeister eine
Stellung erhielt, die er indess nach wenigen Jahren wieder verliess, auf Concert-
reisen neue Triumphe suchend und gewinnend. Seine Compositionen sind:
•oMazurTca de coricertu, op. 1. -»Souvenir de StocJcholm«, op. 2. ryFanfaisie de
bravour«, ojj. 3. y>Itomance Sans parole^i op. 4 (Bremen, Cranz). Ballade, op. 5
(Berlin, Bote & Bock). -»Les Arpeges, deux Gaprices«, oj). 7 (Bielefeld, Sulzer).
'f>Mouvement perpetuel«, op. 8 (ibid.). yyGrande Fantaisie sur Faust de Gounodvi,
op. 9. »Caprices sur un motif espagnol«, op, 10 (Leipzig, Seitz). y>Trois mor-
ceaux caracterisfiques«, op. 11. Souvenir, op. 13 (Leipzig, Forberg). Ballade,
op. 12 (Leipzig, Seitz). Allemanden und Gavotten aus dem sechsten Violon-
cellconcert von Joh. Seb. Bach (Bremen, Cranz). Compositionen von Job. Seb.
Swieten — Sj'lva. 35
Bach, "W. Fr. Bach und Bochcrini, acht Hefte u. A. Neuerdings (1877) hat er
eine Oper: »Die Albigenser« beendet.
Swieten, Gottfried, Baron vau, Musikdilettant, wurde zu Leyden 1734
geboren und besuchte die dortige Universität. Als er später den Doctorgrad
erwarb, Hess er folgende Dissertation drucken: y>Disserfatio sistens musicae in
medicinam influxum et iiülitatema (Lugduni, Batavorum, 1773, in 4"). Seinem
Yater Gerhard van Swieten folgte er später nach Wien und wurde dort Präses
der Kais. Bibliothek, wirklicher Geheimrath u. s. w. Als Musikliebhaber bewies
er Kenntnisse und Geschmack durch alljährliche Aufführungen grosser Chor-
werke von Bach, Händel, Hasse u. a. Auch übersetzte er aus dem Englischen
ins Deutsche und überarbeitete für.Haydn, mit dem er befreundet war, den
Text zur »Schöpfung« und später zu den »Jahreszeiten«. Die »Schöpfung«,
welche schon vor fast 50 Jahren für Händel geschrieben worden war, hatte
Haydn aus England mitgebracht. Auch als der Stifter der »Musikalischen
Gesellschaft«, welche aus 25 Personen des ersten Adels bestand und welche es
sich zur Aufgabe machte, durch gute Musik den Geschmack des Publikums zu
fördern, ist van Sw. zu nennen. Dieser echte Kunstmäcen starb in Wien am
29. März 1803.
Swirella, die russische Pansflöte, ähnlich der Papageno - Pfeife in der
»Zauberflöte«.
Swoboda, August, Musiklehrer in Wien, ist in Böhmen 1787 geboren.
Er gehörte anfänglich als Clarinettist zum Orchester des Grafen Puchta, war
dann Musikmeister eines Infanterie-Regiments; nachdem Hess er sich in Wien
als Musiklehrer nieder. Die folgenden seiner Zeit geschätzten Werke sind von
ihm verfasst und veröffentlicht: »Allgemeine Theorie der Tonkunst« (Wien,
Ant. Strauss, 1826, 8). »Harmonielehre« (Wien, 1828—29, zwei Theile in 8).
»Instrumentirungslehre« (Wien, 1832, in Folio, obl. 30 S.) mit fünf Musik-
stücken in Partitur.
Sydow, s. Murky.
Syfert, Paul, Organist der Marienkirche zu Dauzig, wurde zu Dresden
in den letzten Jahren des 16. Jahrhunderts geboren und studirte Musik unter
Leitung des berühmten Sweelinck zu Amsterdam. Nachdem er einige Zeit der
damals berühmten Kapelle des Königs Sigismund von Polen angehört hatte,
kam er 1620 als Organist nach Danzig, in welcher Stellung er sich noch 1645
befand. Eine Sammlung Psalmen seiner Composition: -nTriticum Syfertinumts.
wurde von Scacchi einer scharfen Kritik unterzogen. lieber diese und seine
Antwort s. den Artikel Scacchi.
Syllaba, GvlXaß/j, nannten die Griechen die Quart.
Syllabae, die Guidonischen Silben und zwar
Syllabae inferiores die untern: nf, re, mi, und
Syllabae superiores die obern: fa, sol, la.
Syllabisch heisst ein Gesang, bei dem auf jede Tonsilbe auch nur ein Ton
gesungen wird, ohne melismatische Verzierung. Ganz rein und unverraischt ist
er höchst selten, ausser im Recitativ. Selbst im alten gregorianischen Ge-
sänge und dem sich daraus entwickelnden Choralgesange der protestantischen
Kirche, der vorwiegend syllabisch ist, werden doch einzelne Silben gedehnt und
durch zwei oder auch mehr Töne ausgezeichnet. Auch der Volksgesang ist
vorwiegend syllabisch, doch kommen hier Silbendehnungen und melismatische
Ausschmückungen noch häufiger vor als beim Choralgesange.
Sylva, Manuel Nunez de, Geistlicher in Lissabon in den letzten Jahren
des 17. Jahrhunderts, war zu gleicher Zeit Professor an einem College, erst
Chordirektor und dann Kapellmeister an der Collegiale Notre Dame. Er hat
ein Buch über die alte Notation veröffentlicht: y>Arte minima qiie cum semibreve
recopilagao trata em tempo hreve os 7nodos da maxima, e longa sciencia da musica«
(Lissabon, Joän Galrao, 1685, in 4"); zweite Auflage 1704 in 4°, eine dritte
1725, ein Band in 4", 136 Seiten).
3*
36 Sympathie der Töne — Symplionia.
Sympathie der Töne heisst jene eigenthümliche WaUverwandtscliaft der
Töne, nach welcher einer den andern erklingen macht ohne jegliche andere
äussere Einwirkung. Werden zwei Stimmgabeln von ganz gleicher Stimmung
in gehöriger Entfernung von einander aufgestellt, so dass die Oeffnung der
Respnanzkästen einander zugekehrt ist, und man bringt nur die eine der Gabeln
zum Erklingen, so klingt nach kurzer Zeit die andere mit und sie klingt noch
fort, auch wenn man die erstere plötzlich durch Handauflegen abdämpft. Eine
Violine oder ein anderes Saiteninstrument tönt leise mit, auch ohne äussern
Anstoss, wenn ein Ton in der Nähe erklingt, in welchem eine der Saiten ge-
stimmt ist. Diese Erscheinung ist leicht erklärlich: die Schwingungen des
erklingenden Tons theilen sich dem andern tönenden gleichgestimmten Körper
mit, dieser geräth ebenfalls in Schwingungen und klingt mit. Ferner gehören
hierher die mitklingenden sogenannten Obertöne, die auf ein ähnliches Yer-
hältniss zurückzuführen sind und dadurch entstehen, dass der tonerzeugende
Klangkörper, während er in seiner ganzen Ausdehnung schwingt, in gewisse
für sich schwingende kleinere Theile zerlegt wird, die zuletzt mit jenem Grund-
ton einen, zwei und mehr höhere Töne erzeugen, ßameau (y>TraUe de Vhar-
moniev) war der erste, der hierauf ein neues Harmoniesystem baute. Endlich
sind auch noch als hierher gehörig die Combinationstöne zu erwähnen
(s. d.), die wiederum Giuseppo Tartini (j>Trattato de Musica, seconda la vera
scienza delV armonian) zur Grundlage seines Harmoniesystems machte.
Syinphona hiessen bei den Griechen die consonirenden Intervalle: Dia-
pason = die Octave; Diatessaron = die Quart; Diapente = die Quint;
Diapason cum Diatessaron = die TJndecime; Diapason cum Dia-
pente = die Duodecime und Disdiapason, die Doppeloctave.
Sjm\ilioneiHf SympJionia, auch Symjyhonie, auf Instrumente bezogen,
bezeichnet: a) im Alterthum wie im frühern Mittelalter überhaupt Instrumente,
auf denen eine gewisse Mehrstimmigkeit und Vollstimmigkeit sich erzielen
Hess; darum verstand man die Sackpfeife darunter, dann ein Zusammenklingen
von Pauken, Schellen und Pfeifen; sogar die Lyra soll darunter begriffen sein,
b) Speciell das Instrument, welches früher als Organistrum, später als Yielle,
Bettlerleyer vorkommt; der Name wird auch verstümmelt als »Chifoniea ge-
funden, wobei immer an die Drehleyer zu denken ist. c) Im 16. und 17. Jahr-
hundert war das Wort Symphonia gleichbedeutend mit Clavicembalum, so
z. B. noch bei Prätorius (y>8ynt. mus.a II. 62), der ölavicymbalum , Virginal
und Spinett damit umfasst und es tadelt, dass man diese Tasteninstrumente ohne
Unterschied mit dem do ch zu allgemeinen Ausdrucke von »Instrument« bezeichne.
Symphouiaci hiessen im Alterthum die musikalischen Sclaven, welche die,
im Haushalt eines reichen Eömers niemals fehlende Hauskapelle bildeten,
Symphonia, ital. Sinfonie. Das Wort Symphonia ist griechischen Ur-
sprungs; die griechischen Theoretiker fassten unter den Begriff: Symphonoi
die Consonanzen, zum Unterschiede von den Diaphonoi, die Dissonanzen. In
demselben Sinne wurde das Wort Symphonia dann auch im Mittelalter noch
gebraucht, zugleich aber auch auf ein mehrstimmiges Tonstück im Allgemeinen
angewendet, bis es auf die kurzen Instrumentaleinleitungen überging, die seit
Ende des 16. Jahrhunderts den mehrstimmigen Gesängen vorausgingen. Dass
es auch auf Instrumente und Instrumentspieler Anwendung fand, ist oben er-
wähnt. Ueberall lag die ursprüngliche Bedeutung des Worts als »Wohlklang«
zu Grunde und es war ganz natürlich, das es in einer Zeit, welche dem Sang
des Vocalen den Klang des Instrumentalen gern gegenüber stellte, auf dies
letztere auschliesslich überging. »A n- oder Gleichstimmung« nennt Staden
die 11 Takte lange, von Geigen »hinter dem Fürhang« ausgeführte »Symphonia«
mit dem er sein Singspiel »Seelewig« (1640) eröffnet, und in diesem Sinne
wurde sie länger als ein ganzes Jahrhundert allein gebraucht. Sie nahm alle
nur möglichen Instrumentalformen an, bald die der Intrada, bald die der
Fanfare, oder Toccata, Ricercare, des Präludium u. dergl. Die Sym-
Symphonia. 37
phonie (oder Sinfonie) wurde eben nur als Einleitungssatz verwendet und
dieser erlangte erst als Ouvertüre, wie in dem betreffenden Artikel nachgewiesen
ist, bestimmte Form. Die Sinfonie von Job. Seb. Bach, mit denen er
mehrere seiner Cantaten einleitet, sind meist nach Art des Präludiums motivisch
entwickelt, zuweilen zweitheilig construirt, meist aber ohne jede weitere Glie-
derung, wie ein Präludium gehalten. Weil indess alle Instrumentalformen in
jener Zeit noch nicht so entschieden entwickelt waren, um ganz unterschieden
zu sein, so kommen natürlich häufig Verwechselungen der Namen auch der
entschiedener entwickelten Formen vor und es ist selbst hin und wieder die
unter dem betreffenden Artikel beschriebene dreitheilige Ouvertüre auch als
Sinfonie bezeichnet. Dies mochte vielleicht am meisten mit dazu beitragen,
dass man die aus dieser ganzen Praxis sich schliesslich ergebende selbständige
mehrsätzige Orchesterform Symphonie oder Sinfonie nannte.
Derselbe Process, der sich an der Sonate vollzog (s. d. A.) liess auf
orchestralem Oebiet die Sinfonie als selbständiges Instrumentalwerk erstehen,
das im Grunde ja nichts anderes ist, als eine instrumentirte Sonate; dennoch
erfolgte die Ausbildung beider ziemlich gleichzeitig neben und nicht nach-
einander; wie die Sonate aus dem Bedürfniss der Zeit am Ciavier sich grössten-
theils entwickelte, so die Sinfonie nach demselben Bedürfniss aus dem Orchester
heraus. Jene Einleituugssinfonie wurde meist für Streichinstrumente gesetzt
und sehr schüchtern nur traten später Flöten und Hoboen, wohl auch Hörner
hinzu. Für dies Orchester hatte aber bereits die Praxis des 18. Jahrhunderts
in der sogenannten Cassatio und dem Divertiment, die beide aus der
Suite (s. d.) hervorgegangen waren, eine Art selbständiger Formen erzeugt,
die nur der niedern Stufe, welche sie als Gelegenheitsmusik einnahmen, entrückt
und auf die höhere des künstlerischen Zweckes geführt zu werden brauchten,
um die entsprechende Orchesterform zu geben.
Die Suite als eine Folge von Tanzstücken, ist am realen Leben erzeugt,
ebenso die Cassatio als Serenade (s. d.), aber dieser ist zugleich in dem
besondern Zweck, dem sie dient, ein ethischer Hintergrund gegeben und es kam
jetzt nur darauf an von diesem aus die Form neu zu construiren, um zu der
neuen Orchesterform der Sinfonie zu gelangen, welche der Form der Sonate
vollständig entspricht. Auf diesem Wege und indem er dies Ziel erreichte,
wurde Joseph Haydn nicht nur der Begründer auch der Form der Sinfonie,
sondern des ganzen modernen Instrumentalstils. Wohl hatten einzelne
französische Operncomponisten seit Lully, wie Bameau, manches zur Erzeugung
eines instrumentalen Klangcolorits gethan, und Gluck war ihnen hier mit be-
deutenden Resultaten gefolgt, indem er allmälig auch mehr Instrumente in sein
Orchester hineinzog. Haydn blieb hierbei nicht stehen; er sucht nicht nur
wie jene, neue Klangeffekte zu gewinnen, sondern er war vor allem bemüht,
jedes der Instrumente, das er in seinem Orchester verwendet, nach seinem
eigensten Vermögen herbei zu ziehen, jedes einzelne zur Darstellung des Ganzen
nach seiner Leistungsfähigkeit mitwirken zu lassen. Er organisirte das Orchester
damit zu einem lebendig gegliederten Tonkörper, so dass jedes Instrument seinen
bestimmten Antheil erhielt, nicht in dem Sinne jener Polyphonie des Vocalen,
in dem ein Instrument nach dem andern Thema oder Gegenharmonie über-
nimmt, sondern nach dem Instrumentalen, nach welchem jedes Instrument aus
seiner eigenen Natur heraus nach dem Grade seiner Fähigkeit und nach seinem
eigenthümlichen Charakter verwendet wird. Die Blasinstrumente, selbst die
Messinginstrumente werden bis auf Bach und Gluck noch meist melodie-
führend angewendet. Die Streichinstrumente übernahmen selbstverständlich den
Haupttheil und ihnen schlössen sich die Blasinstrumente an, so weit es eben ihre
Technik gestattet und sie war bei den Blechinstrumenten jener Zeit sogar sehr
bedeutend entwickelt, so dass diese vielfach mit den Streichinstrumenten selbst
in Concurrenz treten konnten, bis die letztern allmälig zu einer Technik ge-
langten, welche ihnen die erste Stelle im Orchester anwies. Nun erst wurde
38 Symplionia.
der Antheil der einzelnen Chöre fester bestimmt. Während die Holzblas-
instrumente wie die Messinginstrumente bis auf Grluck immer noch
vorwiegend der vocalen Technik folgten, gewannen sie jetzt allmälig eine eigene.
Gluck behandelt sie in diesem Sinne mehr als Füllstimmen; Haydn Hess sie
in eigenster Weise an der Gestaltung des Kunstwerks theilnehmen. Seine
Erstlingswerke, die er meist für jene Strassenorchester, wie auch wohl noch die,
welche er in seiner langjährigen Thätigkeit als Direktor der Fürstlich Ester-
hazy'schen Kapelle schrieb, waren wohl durchgängig meist für Musiker berechnet,
die keine aussergewöhnliche Fertigkeit auf ihren Instrumenten erlangt hatten,
deren Leistungsvermögen er sich entschieden anbequemen musste. In allen
diesen Werken, bis zu den Londoner Sinfonien steht er so vollständig unter
der Herrschaft seiner Instrumente, dass ihr eigentlich musikalischer Werth
meist nicht selbst den der weniger bedeutenden Sonaten, oder gar den der
Streichinstrumente erreicht. Er opfert dem Bestreben, die einzelnen Instru-
mente nur nach ihrem natürlichsten Vermögen einzuführen, alles andere und
kommt daher wenig über den dürftigen harmonischen und rhythmischen Apparat,
wie ihn die Formen in ihren Grundzügen verlangen, hinaus, während die Me-
lodie häufig pikant und fein ausgeführt ist. Allein gerade auf diesem Wege
gelangte er zu dem neuen Orchesterstil. Er wurde mit der Leistungsfähigkeit
der einzelnen Instrumente so vertraut, dass er zugleich den Grad der Bethei-
ligung jedes an der Darlegung des Ganzen genau abmessen konnte, und als er
dann aller jener äussern Rücksichten enthoben war, als er seinem Genius durch
nichts behindert freien Lauf lassen konnte, hatte er jene Meisterschaft in Be-
herrschung der eigensten Technik gewonnen, dass er jedes einzelne Instrument
in seiner eigenen Zunge reden lassen konnte.
Als entsprechendste Form dieses neuen Orchesterwerks aber erwies sich
die der Sonate (s. d.), welche durch den Meister bereits in ihren Grundzügen
festgestellt worden war. In dieser nun strömte er die frische Fi-eude an der
Natur und am Leben aus, die ihn erfüllte. Das, was auch dem Volksliede zu-
meist Inhalt und Form giebt, das Singen und Klingen, der ganze Zauber der
Natur, die laute und stumme Fröhlichkeit des Lebens, das lässt auch seine In-
strumentalwerke üppig hervortreiben. Alle Themen derselben athmen diesen
Geist und seine Durchführungen sind überall mehr klangvoll als ideell, mehr
fein- als tiefsinnig und seine Beziehung zur Natur ist so intim und reell zu-
gleich, dass er vielfach durch Aufnahme von Naturlauten locale Färbung an-
strebt. Schon im Artikel Sonate ist darauf hingewiesen, dass mit der grössern
Zahl der Organe, welche zur Ausführung einer Sonate aufgeboten werden, auch
der Inhalt ein bedeutender, mehr allgemein gültiger werden muss; dass schon
die Sonate für Ciavier für zwei Spieler zu vier Händen weniger
subjektiv beschränkt sein darf, wie die für einen SjDieler zu zwei Händen; dass
dann der Inhalt immer bedeutender wird, wenn noch ein fremdes Instrument:
Geige, oder Cello, oder Clarinette, oder Hörn zugezogen wird, oder wenn drei,
vier, fünf und mehr Instrumente sich zum Trio, Quartett, Quin-
tett u. s. w. vereinigen. Doch tritt die Sonate in dieser Darstellung noch
nicht aus dem Kreise subjektiven Empfindens heraus, weil hier im Grunde
immer nur einzelne Instrumente wirken, als Soloinstrumente, die diesen engern
Kreis des mehr subjektiven Empfindens nur allmälig erweitern, aber noch
nicht überschreiten.
Erst in der Sinfonie wirken die Instrumente chorisch, das Streich-
quartett wird zu einem Streicherchor, dem ein Chor der Bläser gegen-
übertritt, welcher sich wieder in zwei Chöre theilt, den Chor der Rohr- und
den der Messingbläser und dem sich noch Schlaginstrumente: Pauken,
Triangel, Becken u. dergl. anschliessen. Dieser grosse Appai-at erfordert,
dass der Künstler, der sich seiner bedient, heraustritt aus dem engen Kreise
einzelner individueller Stimmungen; nicht diese, sondern ein ganzer Lebenszug,
in dem sich auch noch andere widerspiegeln, wie der von ganzen Perioden
Symphonia. 39
und Völkern wird Inhalt der Symphonie. In ihr spiegelt sich daher nicht mehr
nur der subjektive Geist des Menschen, der aus sich heraus empfindet, dessen
Phantasie durch sich selbst angeregt worden ist, leichte und anregende Bilder zu
erzeugen, sondern jener objektive Geist, der erfüllt ist von dem offenbar gewor-
denen Walten des Weltgeistes. Die AVunder der Schöpfung, die Macht der Welt-
begebenheiten erweisen sich jetzt wirksam auf die Phantasie des Tondichters
und erzeugen dort jene Sonaten für Orchester, die Symphonie, in denen
die entfesselte Weltseele, wie sie in den Wundern der Natur, m Lust und
und Leid des Lebens und als Geist der Geschichte lebendig geworden ist,
Ausdruck gewinnt. Das Darstellungsobjekt der Symphonie tritt heraus aus
dem engen Raum all der mehr beschaulichen Stimmungen, durch welche die
einfache Sonate erzeugt wird. Sie verlangt, dass grössere Bilder der Natur
oder der Weltgeschichte an der Seele des Künstlers vorübergehen, oder dass
ihn ein gewaltiges ernstes Geschick mächtig bewegt, wodurch in seiner Phan-
tasie Tonbilder erzeugt werden, so gross und bedeutsam, dass sie den erweiterten
Eahmen der neuen Form vollständig erfüllen und zu ihrer Darstellung auch
des gesammten orchestralen Materials vollständig bedürftig sind.
So stellt sich uns schon die Symphonie von Haydn dar. Nur selten
schweben ihm besimmte Ideale vor beim Schaffen seiner Instrumentalwerke —
einzelne Symphonien aus früherer Zeit tragen selbst charakteristische Namen —
und von einer Symphonie erzählt er selbst, dass in ihr der Seelenzustand eines
verstockten Sünders, der hartnäckig der göttlichen Gnade widerstrebt, darge-
stellt werden soll. Allein vorwiegend wird er doch nur von der unschuldigen,
naiven Lust am Schaffen, von jener kindlichen Freude, die es ihm bereitet,
sein volles, an den Wundern der Natur und der bunten Lust des Lebens er-
glühendes Herz in den neuen Formen offenbaren zu können, geleitet. Es ist
die frischeste Freude an der Natur und am Leben, die er austönt in der
Symphonie. Das, was auch dem Volksliede zu allermeist Form und Inhalt
giebt: das Singen und Klingen, der ganze Zauber der Natur, die laute und
stumme Fröhlichkeit des Lebens, das lässt auch seine Instrumentalmusik uppig
hervortreiben. Seine Thematik ist durchaus aus dem, hiervon beemflussten
Geiste geboren und daher auch die Durchführung derselben überall ausser-
ordentlich klangvoll. Seine Flöten sind die der Idylle, seine Gl an netten
oder Oboen die Schalmeien der Hirten, die Hörner und die Trompeten
sind die Instrumente des Waldes und der ländlichen Festesfreude und m seinem
Streicherchor singt und klingt, jubelt und klagt das ganze bewegte Aeussere
des Lebens. Bei ihm ist alles mehr das Ergebniss äusserer organischer Er-
regung, daher die zwingende Lebendigkeit seiner Melodien, die knappe Schlag-
fertigkeit seiner Rhythmen, der Wohlklang seiner Harmonien und die m alle
dem bedingte Naturwüchsigkeit seiner Instrumentation. Nur selten schlagt er
in seinem Adagio tiefere Herzenstöne an, aber auch sie sind alle voll wahrer,
frommer Innigkeit und bei aller rührenden Weichheit doch fern von jener Sen-
timentalität, die seiner Zeit eigen war. _
Mit ganz besonderer Vorliebe aber pflegte er die Menuett in ihrer
volksthümlichen Umgestaltung, bei welcher die Grazie der altern Menuett
durch die ungebundene Lust, die Innigkeit aber durch sprudelnde Laune er-
setzt ist. So wurde ihm gerade diese Form zum unmittelbarsten Ausdruck
schwunghafter, durch die Freude beflügelter, von Lebenslust getragener Em-
pfindung. Die Leichtigkeit der Tanzrhythmik wurde ihm zum beliebtesten
Ausdrucksmittel für jene Stimmung, in welcher er das Leben am liebsten an-
schaute, so dass sie auch häufig in seine Finales hinübergeht, m denen in
der Re<^el ausgelassener Jubel bis zu toller Neckerei gesteigert heiTScht, wahrend
ihm im Allegro noch ein gewisser ehrenfester Ernst das Gleichgewicht zu
halten sucht; jener Ernst, der auch der Freude erst die rechte Bedeutung, eine
gewisse Weihe giebt. Das ist hauptsächlich der Inhalt der neuen Sinfonie
40 Symphonia.
Haydn's, die er in unerschöpfliclier Manniclifaltigkeit, in immer neuer "Weise
zum Ausdruck bringt.
Aus der ganzen Fülle einer aussergewöhnlich reichen Innerlichkeit heraus
schuf dagegen der zweite Meister der Symphonie, Mozart, der überhaupt
das Orchester erst zu einem lebendig empfindenden Organismus beseelte und
belebte. Haydn steht unter der Herrschaft seiner Instrumente, er lauscht
ihnen ihre eigensten Naturlaute ab, um sie in ihren eigenen Zungen reden zu
lassen; Mozart machte sie sich ihm unterthänig, um ihnen seine reiche und
weiche Innerlichkeit einzuflössen, dass sie, ein jedes nach seinem Vermögen,
seine Sprache reden. Haydn empfindet instrumental, Mozart mehr ideal,
mehr rein musikalisch. Die Motive Haydn's sind daher mehr reiz- als
inhaltsvoll und erst die sinnige und geschickte Verwendung, ihre meisterliche
Anordnung zu grossen Tonstücken, vermag unser Interesse dauernd zu fesseln.
Die Motive Mo zart 's sind ungleich bedeutender und von so energischem Ge-
fühlsausdruck, dass sie eine weitere Verarbeitung nicht selten erschweren. Seine
ungleich tiefer und reicher bewegte Innerlichkeit war ja durchaus nicht jener
Freude am Lebensgenuss abhold, im Gegentheil ihr im Herzen zugethan und
er giebt ihr gern ebenso beredten Ausdruck; allein er war zugleich erfüllt und
gesättigt mit jenen grossartigen und gewaltigen Stoffen, die er zu seinen Opern
verwandte und dadurch gewann auch der Ausdruck in seinen Instrumental-
werken und vor allem in seinen Symphonien grössere Tiefe und Innerlichkeit
als bei Haydn und zugleich wenigstens in den bedeutendsten Sinfonien: der
G-moll-, Es-dur- und O-t^wr- Sinfonie auch grossartigere Form. Die innige
Gemüthlichkeit Haydn's ist bei Mozart zur Leidenschaftlichkeit gesteigert
und wie Haydn's kindlich fromme Innigkeit bei Mozart zu süsser Sehnsucht
wird, so ist der Ausdruck hinreissender Heiterkeit, wie sie Haydn gewinnt,
bei Mozart bis zu überwältigendem, sinnbethörendem Jubel gesteigert. Die
Menuett Mozart's entspricht mehr der altern Form, in der die Grazie vor-
wiegend ist, verbunden mit der überquellenden Innerlichkeit seines Innern und
dem Glänze seiner heitern Lebensanschauung. Der langsame Satz (meist An-
dante) ist aus einem Herzen herausgesungen, das unter den Widerwärtigkeiten
und Stürmen der Welt, die unaufhörlich den Frieden zu stören bemüht sind,
sich die Freude an allem Schönen, Hohen und Guten bewahrt hat, und sehn-
süchtig darnach verlangt. Der Ernst hat hier eine ganz andere Bedeutung
gewonnen als bei Haydn und dieser giebt endlich auch dem ersten und letzten
Satz bei den erwähnten Symphonien Mozart's noch erhöhte Bedeutung. Sie
ergreifen ungleich mächtiger und tiefer, weil sie uns schon von Stürmen,
Kämpfen, von Siegen und Niederlagen berichten, weil sie uns Conflikten gegen-
über stellen, in die das Innere gelangt, wenn es von gewaltigen Entschlüssen
bewegt, von grossen Ideen erfüllt ist, oder wenn es sich den Eindrücken der
bewegenden Weltseele erschliesst. Wenn uns die Haydn'schen Symphonien
ofi"enbaren, dass sie durch das äussere Leben in Flur und Wald in der Phan-
tasie des Meisters heraufgezaubert wurden, so ahnen wir, dass es noch höhere
Mächte waren, unter deren Gewalt Mozart stand, dass seinem lauschenden Ohr
selbst in Flur und Wald nicht nur noch wunderbarere Klänge zugeführt worden
waren, sondern dass ihm auch der die Geschicke der Menschheit leitende Welt-
geist schon manches Geheimniss offenbart hatte. Dieser neue Inhalt, der damit
der Sinfonie erschlossen wurde, erforderte indess wieder eine noch gewaltiger
herausgebildete Technik und diese zu gewinnen war erst dem grössern Meister
der Instrumentalmusik und der Symphonie im Besonderen, Beethoven, be-
schieden.
Wenn auch der Meister nur bei einigen selber Andeutungen gab über
die Vorgänge in seinem Innern, welche diese Symphonien hervortreiben Hessen,
so verrathen doch aiich die andern, dass er in diesen von mächtigeren Vor-
gängen erregt ist, als jeder seiner beiden grossen Vorgänger auf diesem Gebiet.
Während sie sich in ihrem Orchester meist nur der Clarinetten oder Oboen
Symphonla. 41
bedienten, bedurfte Beethoven von vorn herein beider für sein Orchester und
dies verstärkt er ausserdem noch in den einzelnen Fällen durch Pickelflöte,
Contrafagott, Serpent, durch Posaunen, Becken, Triangel und grosse Trommel,
und es ist dieser vermehrte Apparat nur durch die höhere Aufgabe geboten,
die der Meister sich stellte. Mit den ersten beiden Symphonien, op. 21 und 36,
hatte sich der jugendliche Meister auf die Höhe Mozart's gestellt, Schaffens-
drang und Schafi'ensfreude halten alles andere, was in dem jugendlichen Meister
sonst noch empor möchte, gefangen, oder vereinigen doch alles andere Wider-
strebende zu einheitlichem Zuge. Erst mit der dritten Symphonie, der
Eroica, beginnt die Reihe jener wunderbaren Offenbarungen, die der Meister
von da an in jedem seiner derartigen Werke gab und die ihm seine unei'reich-
bar hohe Stellung auf dem Gebiet der Symphonie zuwiesen. Es ist bekanntlich
das Bild eines Heros — wie wir wissen Napoleon's — das diese Symphonie
im Meister erzeugte. In der vierten giebt er wohl ein Stück eigner Le-
bensgeschichte, aber in so gewaltigen Bildern, dass sich ein jeder von uns
darin zugleich wieder findet. Die fünfte giebt dann das gewaltige Bild vom
Bingen und Kämpfen der gesammten Menschheit und von dem endlichen Siege
alles Guten und Schönen. »So pocht das Schicksal an die Pforte«, damit hat
er in dem Gespräch mit Schindler das Hauptmotiv des ersten Satzes selbst
charakterisirt und der Kampf mit dem Schicksal bestimmt den weiteren Ver-
lauf des ganzen Werkes. Mit der »Pastoral-Symphonie« veröffentlichte er
zugleich eine Art Programm. Er näherte sich mit dieser Symphonie zugleich
wieder dem Haydn'schen Standpunkt. Aber in welch anderer Weise fasst
er die gleiche Aufgabe. Wie bereits erwähnt kam Haydn wenig darüber hinaus,
der Natur das abzulauschen, was bereits in ihr klingt und singt, um es künst-
lerisch zu verarbeiten. Beethoven's tragisches Geschick hatte ihm schon eine
andere Stellung angewiesen. Als er seine Pastoralsymphonie schrieb war bereits
jenes furchtbare Ereigniss eingetreten, das ihn vereinsamen liess inmitten der
ländlichen Lust und Fröhlichkeit. Da konnte er schon nicht mehr die Natur
copiren, die Stimmen des Waldes und Feldes waren längst verstummt für ihn,
sie lebten nur noch als Erinnerung in seiner Phantasie. Und wenn er das
Bauschen des Wassers, die Stimmen der Wachtel, des Kukuks und der Nach-
tigal ertönen lässt, so ist das bei ihm schon mehr als Copie, es sind dies noth-
wendige Farbenpunkte in dem Tongemälde, welches jenes wunderbare Leben in
Wald und Feld seinem Innern Ohr vorüberführt.
Ein ähnlicher Zug geht durch die achte Sinfonie, nur dass hier alles
Jubel und Freude und Lebenslust athmet. Die siebente dagegen führt uns
wieder gewaltige Ereignisse, Streiten und Bingen, Sterben und Siegen, Klage
und Jubel vor, und in der neunten hat der Meister dann ein Werk geliefert,
das lange Zeit eine wahre Apokalypse für unsere auslegungssüchtigen Aesthe-
tiker geworden ist. Es ist hier nicht der Ort, die Programme, welche zu
dieser gewaltigsten aller Symphonien geschrieben wurden, zu kritisiren, oder
ein neues aufzustellen, nur die Stellung, welche sie überhaupt in der Ent-
wickelung der Form einnimmt, sei mit wenig Worten bezeichnet. Der halt-
und grundloseste Vorwurf, den man dem Werke gemacht hat, ist jedenfalls der,
dass es in ungerechtfertigter Weise den Gesang zu seiner Darstellung herbei
zieht. Die Symphonie ist allerdings ihrem Wesen und ihrer Entwickelung
nach Instrumentalform, aber dass sie es unter allen Umständen bleiben müsse,
ist damit doch noch nicht gesagt. Wenn es nicht stillos erscheint, nicht blos
die Vocalmusik der Instrumentalmusik zur Hülfe beizugeben, sondern sogar reine
Instrumentalformen dabei einzuführen, so kann es doch auch nicht verwerflich
sein, wenn das Umgekehrte stattfindet, wenn die Instrumentalform den Gesang
herbeiruft, wo ihre eigenen Mittel nicht ausreichen. Und dass das in der
neunten Symphonie der Fall ist, bedarf kaum eines Nachweises. Bei den un-
geheuren Dimensionen, welche die ersten drei Sätze des gigantischen Werks
gewonnen haben, bei der immer mehr von Satz zu Satz sich steigernden Aus-
42
Symphonia.
drucksfähigkeit, welche die Instrumente anstreben, ohne sie doch in der Welse
zu erreichen, wie es der Meister wünschte, bedurfte es für den letzten Satz
neuer Mittel, welche noch eine Steigerung ermöglichten und zugleich den un-
zweifelhaften Ausdruck gewährten, und diese gaben nur die Menschenstimmen.
Alles drängt von vornherein nach dem erlösenden Wort, das hier nicht aus-
bleiben konnte und durfte. Und wenn es ursprünglich nicht beabsichtigt
war, so konnte dieser Gang schon nach Beendigung des ersten Satzes für den
Meister gar keinem Zweifel mehr unterliegen. Wie er dann aber mit gewal-
tiger Hand diesen ganz aussergewöhnlichen vierten Satz der Symphonie voi'be-
reitet, wie er Schritt vor Schritt auf das Ziel mächtig vorschreitet, das kann
hier nicht weiter untersucht werden. Als bereits das Zauberwort gesprochen,
als der Eintritt der gesungenen Freudenmelodie augekündigt ist, da versucht
er es noch einmal mit den Instrumenten; erst als diese die Melodie noch
ausführlich dargelegt hatten, da erst tritt die Menschenstimme mit ihrer erlösenden
Gewalt ganz und grossartig abschliessend ein. Dass der Meister aber übrigens
nicht entfernt daran dachte, mit diesem Werke eine neue Gattung der Sym-
phonie zu schaffen, dass ihm das Aufgebot der Menschenstimme nur für den
einen Fall geboten erschien, das bewies er selbst, indem er den Plan zu einer
zehnten Symphonie fasste und zwar ohne Gesang, an deren Ausführung ihn
nur der bald darnach ihn ereilende Tod hinderte.
Einen neuen Inhalt vermittelten der Symphonie die sogeannten Roman-
tiker: Schubert, Mendelssohn und Schumann. Die grosse C-durSjm-
phonie Schubert's stammt ganz und voll aus jener phantastischen Zauberwelt,
welche die letztgenannten drei Meister musikalisch zu gestalten unternahmen.
Wie der Ruf von Oberons Hörn, so weckt die Melodie der Hörner in dem
einleitenden Andante, mit dem die Sjnnphonie beginnt:*)
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ein ausserordentlich reich bewegtes Leben, an dem sich zunächst die Streich-
instrumente betheiligeu, indem sie das in Chorweise von den Rohrbläsern aus-
geführte Hornmotiv contrapunktiren. Yiolen und Cellis schliessen dann mit
Nachsatz dies Motiv liedmässig ab, und die äusserst buntgefärbte Darstellung
dieses ganzen Liedsatzes durch das volle Orchester lässt es ausser allem Zweifel
erscheinen, dass die Welt, in welche uns das Werk versetzt, die phantastisch
aufgeputzte, mit zauberhaftem Glänze ausgestattete Traumwelt ist, und als dann
wieder der Liedsatz, von Oboen, Clarinetten und Fagotten ausgeführt, auftritt,
sagt es uns der trippelnde Contrapunkt der Violinen, dass die Welt auch be-
völkert werden soll und immer lauter und dringender wird der Ruf der Hörner,
Trompeten und Posaunen, bis im unmittelbar anschliessenden Allegro sich das
bunteste Leben in fortreissender Lebendigkeit, vor unsern Augen ausbreitet
und wir bedauern nur, dass wir in dem bunten Reigen der Figuren und Gruppen
nicht die einzelnen Gestalten erkennen und ihr Thun und Treiben verfolgen
können. Wohl sehen wir gewappnete Nachtgeister im feierlichen Marsch
aufmarschiren :
Oboen.
Fagotte.
treigen.
*) EeissmanTi -. „Franz Schubert. Sein Leben und seine Werke", Berlin, Guttentag,
pag. 242 ff.
Symphonia.
43
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aber wir möchten auch erfahren, ob es neckische Kobolde oder freundliche
Elfen sind und ob sie ausziehen um zu segnen oder Possen zu treiben. Darüber
lässt uns der Meister in Zweifel. Im Eifer für die lebens- und naturgetreue
Schilderung seiner sonnenstrahlenden und goldschimmernden Welt vergisst er
uns die Vorgänge zu erzählen, die sich innerhalb derselben zutragen; wir sind
deshalb nur mit unserer Phantasie, nicht auch mit unserm Herzen bei der
Sache. Im Andante führt er uns wieder eine neue Gruppe vor, und diese ist
schon bestimmter charakterisirt ; wenigstens wissen wir, dass, wer mit solchen
bezaubernden Melodien einzieht, nichts Uebles im Sinne haben kann. Ganz
besonders klärt uns der A-dur-Ha.iz und der Schluss über ihr Wesen und ihren
Charakter auf, wir wissen, unter solcher Maske erscheinen nicht böse Geister;
das sind die echten, lieblichen Töchter der Luft. Alle diese Gestalten zeigt
uns der dritte Satz im festlichen Reigen sich drehend vereint. Besonders hell
und glänzend wird er in dem kanonischen Sätzchen der Geigen und Cellis, zu
welchem die Blasinstrumente das ursprüngliche Menuettmotiv aufnehmen, und
dann im A-dur-Trio, das wieder im hellsten Glänze instrumentalen Colorits
schillert und prangt. Das Pinale bringt im Grunde nichts Neues; in einer
noch viel glänzenderen Darstellung giebt es uns eine noch umständlichere
Schilderung jener phantastischen Welt, in die wir schon im ersten Satze so
tiefe Blicke thun konnten; doch werden jetzt in ihr so süsse Stimmen und
Lieder laut, dass nunmehr auch unsere Empfindung zur Betheiligung angeregt
wird, und Herz und Sinn mit hineingezogen werden in den immer mehr in
bacchantischer Lust sich verwirrenden Knäuel der Bilder, Figuren und Ge-
stalten. Das Spiel mit allen Mitteln der musikalischen Darstellung, hat hier
in vollendetster Weise künstlerische Gestalt gewonnen und ein Bild geschaffen,
das in seiner berauschenden Wirkung seines Gleichen nicht hat. Damit war
zugleich diese neue Welt künstlerischer Darstellung in ihrer ganzen Pracht
und Herrlichkeit erschlossen, und nun konnten jene beiden Meister kommen,
die sie mit Elfen und Kobolden, und mit guten und bösen Geistern bevölkerten:
Mendelssohn und Schumann.
Wie energisch dies Ziel Mendelssohn in seinen Ouvertüren verfolgte und
erreichte, ist in dem betreffenden Artikel nachgewiesen. Seine erste Symphonie
(G-moll, op. 11), die er kaum dem Knabenalter entwachsen schrieb, steht noch
ganz auf dem Boden Mozart's. Im ersten Satz erinnern nur einige Geigen-
figuren, im Menuett nur die langgehaltenen Accorde der Blasinstrumente und
der einfachste Contrapunkt der Streichinstrumente im Trio daran, dass dem
Knaben schon eine Ahnung jener wunderbaren Mährchenwelt aufgegangen ist,
die er später in seinen besten Werken entschleiert vorführen sollte. Der süsse
Klang, den das Trio einzig und allein erstehen lässt, beherrscht das ganze
spätere Kunstwerk dieser Richtung. Die Musik fügt sich diesem Zuge gern
und willig, weil sie mit ihren glänzendsten Mitteln wirken kann. Allein höhere
und bedeutsamere Darstellungsobjekte sind auch für sie, wie für alle andern
Künste, immer jene grossen Ideen, welche die leitenden und wesentlichsten des
Lebens sind, unter deren Einfluss unsere grossen Meister bis auf Schubert
schufen und die grossen und weiten Formen müssen nothwendig unter dem
Bestreben, sie einseitig den romantischen Idealen dienstbar zu machen, an
44 Symphonia.
Grösse und Bedeutung verlieren. Dies zeigt sich namentlichi bei M endeis -
sohn's Symphonien, der A-moll- und A-dur-^jm-^h.oiiie. Der ideelle
Inhalt der ^-7noZZ-Symphonie ist in der Hebriden-Ouverture eigentlich voll-
ständig, wenn auch nur in seinen Grundzügen zur Erscheinung gelangt, und
dort füllt er auch die Form ganz. Indem Mendelssohn ihn in der Symphonie
weiter ausführt, wird er auf die mehr umschreibende Weise des Capriccio
geführt, die namentlich den ersten Satz der Symphonie in sehr verkümmerter
Form erscheinen lässt. Der Allegrosatz, der durch ein ganz ausdrucksvolles
Andante eingeleitet wird, hat eigentlich nur ein einziges Hauptthema, ebenso
der zweite Satz; beide Sätze charakterisiren das Sagenreiche Land, dem die
ganze Symphonie entstammt, Schottland vortrefflich, aber in wenig symphoni-
scher Form. Im Adagio erklingt dann die Harfe Ossians in mächtigen Accorden,
über denen sich klagende, herbsüsse Weisen erheben. Hörner und Trompeten
erinnern an die alte Herrlichkeit des versunkenen Reichs und wecken zugleich
ein kriegei'isches Leben, das sich dann im nächsten Satz: Allegro guerriero
entfaltet. Dieser Satz namentlich ist fest geformt und originell ausgestattet. Er
leitet in ein Allegro maestoso als Schlusssatz über, das sich frisch abspielt.
Allein man hat immer die Emj)findung, als ob die hier gestaltende Idee präcisern
Ausdruck in der Form der charakteristischen Ouvertüre gefunden hätte.
Erst dem Jüngern Meister ßobert Schumann war es vergönnt, auch
hier den reichsten romantischen Inhalt in wirklich symphonischer Form dar-
zulegen. Schon die jB-c?wr-Symphonie (op. 38) beweist dies. In der Ein-
leitung weckt gleich das erste Motiv des Aliegrosatzes, noch nicht von der
Octave, sondern von der Terz aus durch Trompeten und Hörner eingeführt,
ein reiches harmonisches Leben. Es tritt hier gewissermassen als Signal auf,
für den Beginn des bunten ßeigens, der sich vor unserm Auge und unserm
Ohr dann entfaltet. Als erstes Thema des Aliegrosatzes wird das Motiv dann
durch immer gewaltigere und gewichtigere Harmonisirung zum Vordersatz ver-
arbeitet. Das Motiv des Nachsatzes ist nicht weniger einfach und treu im
Sinne der Form erfunden, aber durch die eigenthümliche Weise, in welcher
Schumann die Dominanttonart darstellt, erhält auch dies wieder das ernste Ge-
präge seines Geistes und der neuen Richtung. In gleicher Weise wird dann
die Weiterentwickelung des ganzen Satzes ebenso von der alten Form, wie von
der neuen Richtung beeinflusst, so dass dieser Satz schon als eine wirkliche
Verschmelzung beider erscheint. Die ganze Fülle und Süsse der romantisch
bewegten Seele strömt der letzte Satz aus mit seinem ebenso macht- wie glanz-
vollen Schlüsse. Inmitten dieser beiden Sätze erscheinen die beiden anderen
zwar nicht minder von romantischem Geiste erfüllt, aber von etwas kleinerem
Zuschnitt. Das Larghetto ist kaum mehr als ein »Phantasiestück« der frü-
hesten Periode des Meisters. Die hymnische Breite des eigentlichen Adagios
von Beethoven liegt allerdings in der ganzen Richtung weniger begründet, die
mehr auf Fülle und Prägnanz des Ausdrucks, als auf Breite und Tiefe ge-
richtet ist. Ganz aus der Idee der neuen Richtung heraus ist die Einführung
eines zweiten Trios im Scherzo.
Die zweite Symphonie Schumann's (op. 61) ist in Anlage und im
ganzen Bau ungleich grösser geworden. Die einzelnen Sätze sind nicht nur
ideell unter einander näher verwandt, sondern sie nehmen auch vieKach formell
Bezug aufeinander. Bemerkenswerth nach dieser Seite erscheint zunächst das
stetige, fast monotone Festhalten des ursprünglichen Haupttones C. Der Ein-
leitung, dem ersten, zweiten und dem Schlusssatz liegt die C-dur-^onsxi zu
Grunde; dem Adagio Anfangs die getrübte C-dur-., die C-7«oZZ-Tonart, am
Schluss wiederum die O-^wr-Tonart. Das ist eine der bezeichnendsten Erwei-
terungen der neuen Richtung, dass sie nicht mehr nur die, durch die alten
Meister und die alte Schule sanktionirte Darstellung der Tonart beibehält und
übt, sondern dass sie hier wirklich neuschaflFend und neugestaltend eingegriffen
hat. Schon Schubert fasste auch hier den Begriff Tonart weiter und tiefer
Symphonia. 45
und Schumann folgte ihm auf dieser Bahn mit vollem Bewusstsein. In der
C-dur-Symphonie gewinnt die Einleitung die O-dur-Tonari von der Unter-
dominant (F-dur) aus, und auch der erste Satz stützt sich noch viel mehr auf
die Unterdominant als auf die Dominant und in ähnlicher Weise wird auch
der harmonische Verlauf in den übrigen Sätzen vielfach in verwandter Weise
bedingt. Die wesentlichsten Motive werden ferner schon in der Einleitung
angedeutet. Diese erlangt also eine wesentlich andere Bedeutung, wie in der
alten Symphonie, und selbst in der ersten unseres Meisters. Dort bei den
älteren Meistern dient sie nur als Vorbereitung. Sie soll uns in die Stimmung
versetzen, welche das Verständniss und den künstlerischen Grenuss des dann
folgenden Werkes voraussetzt. Hier, bei dem Jüngern Meister, erscheint sie
gewissermassen als das Motto, das den ideellen Inhalt der Geschichte seines
Herzens, die er uns erzählt, zusammengefasst enthält, und das er deshalb zum
sofortigen Verständniss und Erfassen vorsetzt. Die Richtung, welcher unser
Meister angehört, ist nicht von grossen, welterschütternden Ereignissen oder
von den Wundern der Natur erfüllt; sie holt ihre Objekte nicht aus der Ge-
schichte der Menschheit, sondern aus der Phantasie und der Geschichte des
Herzens des Einzelsubjekts. Wie ein solcher Zug symphonisch darzustellen
ist, hat Schumann in dieser Symphonie schlagend dargelegt. In der Einlei-
tung wird er schon, geweckt vom Mahnruf der Hörner, Trompeten und Po-
saunen, lebendig und in den folgenden Sätzen verfolgt ihn dann der Meister
mit der ihm eigenen Sorgfalt in alle seine Einzelheiten eindringend. Immer
neue Gestalten und Bilder erscheinen vor seinem Auge und Ohr, die er immer
*&"
reicher entwickelt, an der Einleitung als dem formellen und ideellen Band fest-
haltend. Daher ist er veranlasst, die Normaltonart vorwiegend festzuhalten in
immer neuer und eigenthümlicher Construktion. Es ist unschwer zu ei'kennen,
wie er seiner Stimmungen immer mehr Herr wird, wie sie in der Einleitung
weniger noch als im ersten Satze schwanken zwischen leidenschaftlicher Er-
regung und süsswehmüthiger Schwärmerei, wie sie sich dann im Scherzo zum
glückselig hinausstürmenden Humor, dem auch die ernstselige Seite — im
zweiten Trio — nicht fehlt, steigert, um dann, aber nur auf kurze Zeit, im
Adagio ganz seligschwärmender Selbstvergessenheit zu verfallen, die so recht
als ein Produkt der romantischen Richtung zu betrachten ist, aus welcher sich
dann das Finale zu jubelnder, weltstürmender Glückseligkeit erhebt.
Die JEJ5-<7?^r-Symphonie des Meisters (op. 97) knüpft zwar an äussere
Verhältnisse an, aber diese werden doch wiederum auch in echt romantischem
Lichte betrachtet. Diese besondern Verhältnisse, unter welchen sie entstand,
sind ihr so bestimmt aufgeprägt, dass sie die »rheinische« heisst. Schu-
mann schrieb sie in Düsseldorf, wohin er 1850 als Musikdirektor gegangen
war und der vierte Satz wurde direkt durch die Feierlichkeiten bei Erhebung
des Erzbischof von Geissei in Köln angeregt; er ist von Schumann nach seiner
Bezeichnung »im Charakter der Begleitung einer feierlichen Ceremonie« ge-
halten. Das »Scherzo« entfaltet ebenfalls nicht, wie die früheren, ein Stück
phantastischen, sondern des realistischen Lebens; es lehnt sich mehr an die
alte Menuettform, als an die des Scherzo von Beethoven und man erkennt
daraus, dass dem Meister eine Volksscene vorschwebte, als er diesen Satz schuf.
Vollständig unter der Herrschaft der romantischen Ideale steht dagegen
die D-TwoZZ-Symphonie (op. 120), die bald nach der ersten, der B-dur-
Symphonie, 1841 entstand, aber erst 1851 instrumentirt und als vierte Sym-
phonie gedruckt wurde. Schon in der Einleitung erhebt sich ein eigenthümlich
bewegtes phantastisches Leben, das sich im Allegrosatz bis zu unheimlicher
Aufregung steigert. Dieser erste Satz ist auch nach Art des Capriccio grössten-
theils aus einem Motiv entwickelt, das kurze, aber äusserst süss gesungene
zweite Motiv wird nur ganz vorübergehend berücksichtigt. Die statt des lang-
samen Satzes folgende Romanze zeigt den romantischen Charakter der Sym-
phonie noch näher und in ihr ist zugleich das Hauptmotiv der Einleitung mit
46 Sympliouie-Cantate — Symphonie-Ode.
verarbeitet uud das Violin-Solo zeigt in seiner herzgewinnenden Führung, wie
mächtig der Meister von dem Zauber des Bildes, das vor seiner Seele schwebte,
ergriffen ist; dieser ist so gross, dass er noch im Trio das Scherzo wieder-
holt zum Ausdruck drängt. Dies Scherzo unterscheidet sich auch dadurch
von den vorerwähnten, dass es weniger beweglich und leicht beschwingt ist,
aber dadurch entschieden mehr dem klassischen Ideal sich nähert, es ist so
formvollendet, wie nur noch wenige der Nach - Beethoven'schen Zeit. Der
Schlusssatz ist einer der brillantesten, welchen die ganze, doch mehr nach
innen gerichteten, einer so vollständigen Entäusserung eher abholden Richtung
erzeugt hat. Schon der erste Satz drängte nach einem so brillanten Abschlüsse
und der letzte ist nur die, mit den schallkräftigsten Mitteln ausgeführte Er-
weiterung und Vollendung des Satzes. Neben den neuen Motiven von blen-
dender Wirkung kommt auch das Hauptmotiv des ersten Satzes wiederholt zur
Geltung, um diese Symphonie zu einer der innerlich und äusserlich einheit-
lichsten zu machen, die der Meister schrieb.
Seitdem ist der Symphonie auch von den jüngeren Componisten eine eifrige
Pflege zugewendet worden und namentlich haben einzelne, um anzudeuten,
welchen Inhalt sie in symphonischer Form darstellen wollen, ihren derartigen
"Werken bestimmte Namen gegeben; so hat Ulrich eine Symphonie triomfale
geschrieben, Anton Eubinstein eine Symphonie »Ocean«, während ßaff eine
Wald-Symphonie, eine Erühlings-Symphonie, eine Alpen-Symphonie und eine
Symphonie »Leonore« schrieb u. s. w. Volkmann, Brahms, Reinecke, Vier-
iin g u. A. unterliessen solch nähere Bezeichnungen.
Diese ganze romantische Eichtung erzeugte schliesslich noch eine
Besonderheit in der Symphonischen Dichtung (s. u.). Die Beethoven'sche
neunte Symphonie speciell aber regte die
Symphouie-Cantate und
Symphonie-Ode an. Jene Bezeichnung wurde von Mendelssohn zuerst ge-
braucht für seinen »Lobgesang«, op. 52. Obwohl er durch das Motto, welches er
diesem Werke vorsetzt, die Bedeutung desselben hinlänglich bezeichnet, so ist es
doch vielfach missverstanden worden. Mit den Worten Luther's: »Sondern ich
wollt' alle künste, sonderlich die Musica gern sehen im Dienst des, der sie geben
und geschaffen hat", deutete Mendelssohn hinlänglich an, dass es ihm nicht um
Nachahmung der neunten Symphonie Beethoven's zu thun war, wenn diese auch
vielleicht die nächste Anregung gab. Wie Job. Seb. Bach die gesammten
Kunstmittel seiner Zeit in den Dienst dessen gab, der sie gegeben und ge-
schaffen, so hier Mendelssohn. Der ältere Meister brachte nur die insti'umen-
talen Mittel seiner Zeit mit den vocalen in Verbindung, indem er diese durch
jene erläuterte und bereicherte. Dem jüngeren Meister konnte es nicht mehr
genügen, nur die Mittel der neuen Kunst herüber zu nehmen, nachdem diese be-
reits durchaus selbständige Formen erzeugt hatten. Diese selbst mussten herüber-
genommen werden in den Dienst dessen, der sie gegeben und gemacht hatte.
In dem Sinne entstand die Instrumental-Einleitung, welche die drei Haupt-
formen, in denen die Instrumentalmusik jetzt entwickelt ist: Allegro, Alle-
gretto (an Stelle des Scherzo) und Adagio (religioso) zu einem instrumentalen
Lobgesange vereinigt. Dass Mendelssohn diesen Theil seines Werks nur als
Einleitung betrachtet, wird auch dadurch bekundet, dass er die drei Sätze zu
einer Nummer verbindet. Die anschliessende Cantate, aus Eecitativen, Solls,
Chorälen und Chören bestehend, giebt der in der Einleitung mit den reichern,
aber unbestimmtem instrumentalen Mitteln dargestellten Stimmung präcisern
und verständlichem vocalen Ausdruck. Auf die Bezeichnung Symphonie-
C antäte war Mendelssohn durch seinen Freund Klingemann geführt worden,
wie aus einem Briefe Mendelssohn 's an diesen hervorgeht: »Zum Concert
für die alten und kranken Musiker hier soll am Ende des Monats mein Lob-
gesang aufgeführt werden; da hab ich mir nun vorgenommen, ihn nicht noch
einmal in der unvollkommenen Gestalt zu geben, wie er in Birmingham aufge-
Symphouisclie Dichtung. 47
führt werden musste, meiner Krankheit wegen; und das giebt mir tüchtig zu
thun. — Du hast übrigens mit deinem vortrefflich gefundenen Titel viel zu
verantworten, denn nicht allein schick' ich das Stück nun als Symphonie-
C antäte in die "Welt, sondern ich denke auch stark daran, die erste "Wal-
purgisnacht, welche mir seit langem daliegt, unter dieser Benennung wieder
aufzunehmen, fertig zu machen und los zu werden. Sonderbar, dass ich bei
der ersten Idee dazu nach Berlin schrieb, ich wolle eine Symphonie mit Chor
machen; nachher keine Courage dazu hatte, weil die drei Sätze zu lang als
Einleitung waren und ich doch immer das Gefühl behielt, als fehlte etwas bei der
blossen Einleitung. Jetzt sollen die Symphoniesätze nach dem alten Plan
hinein und dann das Stück heraus.«*)
Der innere Zusammenhang der drei Symphoniesätze mit der Cantate ist
mehrfach auch äusserlich angedeutet. Das Motiv des eigentlichen Lobgesangs
wird zugleich im ersten Sinfoniesatz sehr ausführlich verarbeitet. Die Ein-
leitung von 21 Takten ist ausschliesslich aus ihm entwickelt. Eür den ersten
Satz bildet es nur ein Nebenmotiv, aber es verbindet die Hauptpartien, so
dass diese immer auf die ui'sprüngliche Idee des Lobsingens bezogen werden,
und in dem Bestreben erfunden erscheinen: »Den Herrn nicht nur mit unserm
Liede, sondern auch mit dem Saitenspiel zu lobsingen«. Dasselbe Motiv leitet
dann auch zum zweiten Symphoniesatz: Allegretto (un poco agitato) hinüber,
der wiederum in dem eingewobenen Choral auf die ursprüngliche Idee des
ganzen "Werkes bestimmt Bezug nimmt. Der dritte Satz endlich, das Adagio,
bereitet dann den ersten Chor der Cantate vor und leitet ganz direkt in diesen
hinüber. Diese ganze Einleitungs-Symphonie ist mit allem Grlanze der modernen
Instrumentation ausgestattet und erlangt in der künstlichen Form, in der sie
auftritt, fast redende Bedeutung, dass die anschliessende Cantate allerdings als
nothwendige Consequenz erscheint. Die betreffenden "Werke von Berlioz:
lijRomeo et Julietten und -nDamnation de Fausti treten schon mehr formell aus
dem Rahmen der Symphonie heraus, noch mehr die Symphonie-Ode von Fa-
licien David »Die "Wüste« und gehören deshalb unter die
Symphonische Dichtung. Diese Bezeichnung rührt von Franz Liszt her,
der seine grossen Orchesterwerke mit Programm unter der Gesammtbezeichnung:
Symphonische Dichtungen zusammenfasst, um damit anzudeuten, dass sie
nicht als Symphonien im gewöhnlichen Verstände des "Wortes betrachtet wer-
den können, sondern nur als Versuche, einen dichterischen Inhalt in sympho-
nischer "Weise darzustellen. Dagegen lässt sich kaum ein ernster Einwand er-
heben, nur erscheint es seltsam, dass man dies Verfahren als einen Fortschritt
gepriesen und als der Nachahmung würdig befunden hat. Einen dichterischen
Inhalt stellen ja die Meister der Symphonie: Haydn, Mozart, Beethoven,
Schubert, Mendelssohn und Schumann auch dar und wenn sie dabei
zugleich die Form der Symphonie in höchster Vollendung gewinnen, so er-
scheint das doch als ein höherer Standpunkt, wie jener der symphonischen
Dichtungen, bei dem die Symphonie zu kui'z kommt und dann auch ganz
unstreitig der Inhalt. Es ist unter dem Artikel Musikformen nachgewiesen
werden, dass die Form nichts weiter sein kann, als der Gestalt gewordene
Inhalt, und dass dieser nur durch die Form überhaupt erst künstlerischen Aus-
druck gewinnt; daher wird auch der symphonische Inhalt nur in der streng
gegliederten Symphonie-Form entsprechenden Ausdruck gewinnen. Dass unter
Umständen auch die freiere, loser gefügte Form einem besondern Inhalt ent-
sprechen kann, ist hier wie bei allen Formen selbstverständlich, allein solche
Ausnahmefälle bestätigen nur die Regel. Entsprechender für solche freiere
Gestaltung der Symphonie erscheint die Bezeichnung: Orchester-Fantasie,
die jedenfalls weniger prätentiös ist und doch das freieste "Walten der dichte-
*) Reissmann: „Felix Mendelssohn -Bartholdy. Sein Leben und seine Werke", BerUn,
Guttentag, pag. 280.
48
Sj-mpson — Syncopatio.
rischen Fantasie zulässt. Auf die besondere Art der Programme Liszt's und
seiner Nachahmer geht noch der Artikel Tonmalerei näher ein,
Sympson, Christ., englischer Tonkünstler, hat im Jahre 1670 zu London
in 8° ein aus fünf Theilen bestehendes »Com^eiidium Musicae ^racticaea in eng-
lischer Sprache drucken lassen.
Synaphe im Tonsystem der Griechen der Zusammenhang zweier Tetrachorde,
so dass der vierte Ton des tiefern zugleich der erste des höhern Tetrachords ist.
Syncopatio, Syncope, Zusammenziehung, ein rhythmisches Verfahren,
das in der griechischen Poesie bereits Anwendung fand. Die lange Silbe,
welche den Takt beginnt, also den Niederschlag bildet, konnte eine Dauer
erhalten, welche die von zwei Kürzen übertrifft; diese Verlängerung nannte
man rori]. Füllte die lange Silbe einen ganzen Takt aus, so dass sie also
Niederschlag und Aufschlag in sich begreift, so erhielt man eine solche
Zusammenziehung, eine Synkope. Ein ähnliches Verfahren fand auch im
christlichen Gesang Eingang, doch mit dem Unterschiede, dass nicht die acc ent-
lose Silbe an die accentuirte gehängt, sondern umgekehrt die accen-
tuirte an die accentlose, so dass der Ton auf der sogenannten schlechten
Zeit eintritt und während der anschliessenden guten Zeit ausgehalten wird.
Diese Weise der Stimmführung erfolgte zunächst indess weniger nach rhyth-
mischem als nach melodischem und harmonischem Gesetz, Es wider-
strebte dem Gefühl der Contrapunktisten der ersten Blüthezeit des Contra-
punkts, die Dissonanz auf dem guten Takttheil einsetzen zu lassen; sie berei-
teten sie vor, d. h. Hessen sie vorher als Consonanz auf der schlechten
Zeit eintreten und auf der guten zur Dissonanz werden:
3S:
icrt
=t
ES:
=P=
:ö5
-pi— I — ö
~(=r
Dass aber diese Synkopation schon zur Zeit des Tinctoris, also gegen Ende
des 15, Jahrhunderts wirklich rhythmische Bedeutung erlangt hatte, ersehen
wir aus der Erklärung, die er in seinem "Wörterbuch giebt (»Terminorum mu-
sicae Diffinitorium): r>Sincopa est alicuius notae interposita majore per partes
diviso.a Deutlicher noch spricht dies Sebald Heyden in: y>De arte canendi«
(Nürnberg, 1540) aus: er fasst die Synkope als »dem Takt entgegenstrebend
und zuwidergehend« auf und in diesem Sinne finden wir sie denn auch allein
machtvoll im 16. Jahrhundert im Vocalsatz verwendet. Zu eigentlicher Bedeu-
tung gelangte sie jedoch erst durch die Instrumentalmusik, durch welche die
Rhythmik ja überhaupt erst sich zu grösster Mannich faltigkeit entwickelte.
Es ist nicht nöthig, noch nachzuweisen, zu welch grosser "Wirkung sie beispiels-
weise Beethoven in seinen Instrumentalwerken wie im ersten Satze der Sin-
fonie eroica:
rfz. rfz. rfz. rfz. rfz. rfz. rfz. rfz. rfz.
rfz. rfz. rfz. rfz. rfz. rfz. rfz. rfz.
einführte und verwandte. Ist die "Wirkung der Synkopen bei Beethoven in
der Regel eine gewaltige, hinreissende, überwältigende, so wussten sie die Ro-
mantiker wiederum im entgegengesetzten Sinne zu verwenden. Die dadurch
bewirkte Auflösung des ursprünglichen Rhythmus versetzt uns in eine schranken-
lose Gefühlsschwelgerei. Namentlich wendet sie so Schumann an wie in dem
Liede »Dein Bildniss wunderselig« (No. 2 aus op, 39):
Syncopatio.
49
I
€
HS
3:
*
3=?=5:
Mein Herz still in sich sin - get ein
h^
i!g^g^Ee:
ES
-I —
-I —
^.
H=t
-^i
Unter Umständen ist wie hier eine solche vollständige Auflösung des ursprüng-
lichen Rhythmus von unnachahmlicher Wirkung; doch wird sie leicht in ihrer
Ausnahmestellung zur Manier. Eigenthümlich wirkend sind die Synkopen gleich
am Anfange der Manfred-Ouvertüre desselben Meisters eingeführt, in der
überhaupt die Synkope eine grosse Rolle spielt. Diese gewährt endlich noch
das sehr charakteristische Mittel, innerhalb der ursprünglich gewählten Taktart
eine andere darzustellen, ohne jene zu verändern, wie Reissmann im letzten
Satze seines Violin-Concerts, op. 30 (Berlin, Bote & Bock) zeigt:
Solo-Violine.
Blasinstrumente.
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Masikal. Courers.-Lezikou. X.
50 Synemmenon — Syrinx.
Der ursprüngliche Sechsachteltakt, in welchem der ganze Satz gehalten ist,
wird hier durch Synkopation in einen Dreivierteltakt verwandelt und
dagegen bringt dann die, bei der Wiederholung hinzutretende Sologeige den
Sechsachteltakt zur Greltung. Besonders eindringlich wirkend werden die
Synkopen, wenn einzelne Stimmen zugleich die natürliche Accentuation ener-
gisch angeben; das grandioseste Beispiel dieser Art ist der Anfang der Don-
Juan -Ouvertüre. Als Begleitungsfigur wurde die Synkope namentlich von
Grluck eingeführt, am charakteristischsten in der Arie der Iphigenia (in Tauris)
»0 lasst mich Tiefgebeugte weinen«. Seitdem ist von den Italienern
mancher Unfug damit getrieben worden; namentlich wurde die synkopirte Be-
gleitung zu grösserer Steigerung der nur äusserlichen Wirkung der Stretta
angewendet. Von besonderm Beiz werden solche Synkopen endlich auch im
Tanz und nach dem Vorgange von Franz Schubert haben auch Strauss,
Lanner, Labitzky und andern Tanzcomponisten äusserst anregende Effekte
damit zu erzielen gewusst.
Synemmenon, Name des dritten Tetrachoi'ds a — d des griechischen Tonsystems.
Synemmeuon diatonos, Bezeichnung des Tones Paranete synemmenon.
Syntonisch, gespannt, nannte Aristoxenus eine der beiden, von ihm ge-
lehrten Gattungen des diatonischen Klanggeschlechts. Das Genus diatonicum
syntonum bestand aus einer Halb- und zwei Ganzstufen; das Genus diatonicum
molle aus einer Halbstufe, einer Dreiviertelsstufe und einer Fünfviertelsstufe.
Syntonisches Komma, s. Komma.
Syntouolydische Octav hiess bei den Griechen die hypolydische (im Mittel-
alter lydische) Tonart: /"—y — a — h — c — d—e—f.
Syringes hiess ein Theil des Liedes auf den Apollo, das beim Wettkampf
bei den pythischen Spielen gesungen wurde.
Syrinx (ovQivi), die Siebenpfeife, Hirtenflöte, auch Pansflöte
(ßstula Panis, Syringe Panos), franz.: syrinne und sifflet f astorale genannt,
war ein den frühesten Zeiten entstammendes Hirteninstrument und blieb ein
ganz gewöhnliches Instrument der Griechen und Römer, auf deren Denkmälern
man es unzähligemal abgebildet und in Alterthumssaiumlungen erhalten findet.
Sie war ursprünglich aus sieben Bohrpfeifen von verschiedener Länge zusammen-
gesetzt, die man mit Wachs oder durch ein anderes Bindemittel nebeneinander
befestigte, daher der Name Siebenpfeife. Jedoch die Kunst vermehrte die
Zahl der Pfeifen, fertigte sie sorgfältiger und liefestigte sie mit Riemen oder
Ringen. Oben sind die Pfeifen offen, unten verschlossen. Angeblasen wird
das Instrument auf die Weise, dass man die Pfeifenmündungen, die eine gerade
Linie bilden, vor den Lippen hin und her bewegt. — Die Ehre der Erfindung
dieses Instruments legen einige alte Autoren dem Marsyas, andere dem Silenus
bei; die meisten jedoch entscheiden sich für Pan. Virgil (jiEclog.a IL 32) sagt:
r>Pan primus calamos cera coniungere plures instituit.«. (Mehrere Rohre mit
Wachs zu verbinden hat Pan zuerst uns gelehrt.) — Pan, der bei den Alten
als Erfinder der siebenröhrigen Hirtenpfeife gilt, die nach seinem Namen auch
Pansflöte genannt wird, war ein arkadischer Hirtengott, der Wald- und Weide-
gott. Seine Eltern werden verschieden angegeben, gewöhnlich findet man Merkur
und die Nymphe Penelope, aber auch Jupiter und die Nymphe Thymbris genannt.
Gleich nach seiner Geburt verliess ihn seine Mutter, weil sie durch seine Miss-
gestalt erschreckt war, und er ward vom Merkur in den Olymp getragen, wo
er von den Göttern seinen Namen erhielt. In der ihm gewidmeten Homer'schen
Hymne wird er ausführlich geschildert. Abgebildet trägt Pan gewöhnlich Hörner,
auf der Brust ein mit Sternen besäetes Bocksfell, unten ist er struppig, hat
Ziegenfüsse, in der einen Hand seine Panflöte mit sieben Röhren, in der andern
einen Stab. — lieber die Erfindung der Hirtenflöte erzählt die Fabel (s. Ovid,
r>Metamorph.<s. I. 691) Folgendes: »Pan war ein sehr eifriger Verfolger der
Nymphen in Arkadien. Eine unter ihnen, Syrinx mit Namen, in die er sich
verliebte, entfloh seinen Umarmungen und als sie, am Ladon-Flusse angekommen,
Systaltisclie Melopöa — System. 51
den Nachstellungen nicht weiter entgehen konnte, bat sie die Götter, in ein
Schilfrohr sie zu verwandeln. Das geschah. Pan schnitt sich aus dem Rohre,
in welches seine Lieblingsnymphe verwandelt worden war, sieben Pfeifen, setzte
sie zusammen und erfand so die Paus flöte, die später nach jener arkadischen
Nymphe auch Syrinx genannt wurde. Es findet sich dies schon im Hirten-
zeitalter erfundene Instrument fast bei allen Völkern. Nicht blos die alten
Griechen und Römer haben es als Syrinx, sondern auch die alten Hebräer als
Maschrokita (s. d.) gehabt. Bei den Chinesen kommt es, und wahrscheinlich
schon aus sehr alter Zeit stammend, mit 16 Pfeifen unter dem Namen Siao
(s. d.) vor. Aber auch bei australischen Völkerschaften haben Weltumsegler
es vielfach angetroffen, so z. B. fand es Forster auf den Freundschafts- und
Neuhebrideninseln mit zehn und acht Pfeifen und hat es in seiner Reise-
beschreibung (IL 74. 75) abgebildet. Andere Abbildungen von spätem Reisenden
bietet Fetis (y^IIist. de la musiquev. I. Fig. 1). — Von den Römern her war
die Syrinx auch im frühesten Mittelalter im Abendlande gekannt und ver-
muthlich da im Gebrauch, weil man sie auf mehrern Baudenkmälern vom
9. — 13. Jahrhundert dargestellt und in Handschriften aus dieser Zeit abge-
zeichnet findet. Näheres darüber berichtet Coussemaker über mittelalterliche
Instrumente in Didron, y>Ännales archeologiquesi. IV. 37 ff. Vermuthlich war
das Pandurium, das Cassiodor und Isidor von Sevilla als Blasinstrument
erwähnen, nichts anderes als die Paus flöte oder wenigstens mit ihr verwandt.
In Italien sind noch jetzt die Syringe zuweilen im Gebrauch. In Deutschland
sind sie unter dem Namen Papagenopfeifen mehr ein Kinderspielzeug ge-
worden, — Geschichtliches Interesse hat die Pansflöte noch insofern, weil sie
in Verbindung mit der Sackpfeife die Grundidee zur Orgel gegeben hat. In
der That gleichen die ältesten tragbaren Orgelu einer umgekehrten und mit
einem Blasebalg in Verbindung gesetzten Pansflöte. — Dass die alten Griechen
auch eine Art Schalmey mit dem Namen* Syrinx belegt haben sollen, ist
nicht erwiesen und offenbar eine Verwechslung mit Calamus jpastoralis, was
allerdings die Schalmey, Hirtenflöte bezeichnet. Ein ähnlicher Irrthum ist's,
wenn neuere französische Schriftsteller in illustrirten Werken die Siebenpfeife
(Syrinx) als CTialumeau bezeichnen.
Systaltisclie Melopöa bei den Griechen die zärtlichere Weise der Melodie-
bildung.
System (Systema). Das Wort kommt auch in der Musik in verschiedener
Bedeutung zur Anwendung. Zunächst und hauptsächlich bezeichnet man damit
die Anwendung der Töne nach bestimmten Gesetzen ihrer Zusammengehörigkeit
zu einem einheitlichen Organismus als Tonleiter. Die Töne werden allerdings
nach gewissen, ewig feststehenden Gesetzen erzeugt, und ihr Verhältniss zu
einander muss dasselbe bleiben, allein die Erkenntniss desselben ist bei den
verschiedenen Völkern und in verschiedenen Jahrhunderten ebenso verschieden
gewesen wie seine künstlerische Verwendung. Der Ton erscheint zunächst als
das, in gewissem Sinne nach rohe Naturprodukt, dem der künstlerisch schaffende
Menschengeist erst die Bedingungen, als Darstellungsmaterial dienen zu können,
aufnöthigen muss. Aus der unendlichen Reihe von überhaupt möglichen Tönen
wählt der menschliche Geist diejenigen aus, die er für seine Zwecke als ver-
wendbar erkennt und in dem er die Bedeutung jedes einzelnen und das Ver-
hältniss aller zu einander zu erkennen bemüht ist und sie demgemäss in ein
bestimmtes System bringt, gewinnt er erst eine sichere Grundlage für seine
künstlerische Thätigkeit. So entstehen die verschiedenen Tonsysteme der
verschiedenen Völker und Zeiten ebensowenig als willkürliche Annahmen, wie
als ewig feststehende unwandelbare Gesetze. Nur die Entstehung der Töne
erfolgt nach j^hysikalischen Gesetzen, ihre Anordnung und Verwendung
vielmehr nach ästhetischen. Die vorchristlichen Völker sind nicht dazu
gekommen, selbständige Tonformen zu bilden, sie haben dementsprechend auch
4*
^»
52 System.
nur beschränkte, aber zum Theil bis in die kleinsten Verbältnisse eng geglie-
derte Tonsysteme gewonnen.
Hieraus ist es erklärlicb, dass beispielsweise die Chinesen, obwohl sie
die gesammten Töne kannten und akustisch berechneten (s. Chinesische
Musik), wie die Inder, die noch schärfere Untersuchungen in Bezug auf die
Schwingungsverhältnisse der Töne anstellten, doch über die fünfstufige und
noch dazu unvollständige Tonleiter: 1. 2. 3. 5. 6. in ihrer praktischen Verwendung
nicht hinauskamen. Sie waren eben nur bemüht, mit Hülfe des Tones ihrer
Sprache Form und Klang zu geben und dazu genügten die erwähnten Ton-
schritte vollkommen; im Uebrigen reizte das wunderbare Wesen des Tones
ihre Phantasie nicht weniger wie ihre Sj)eculation und so wurden sie zu jenen
Untersuchungen geführt, welche hochbedeutsam sind, aber ihre praktisch in
Anwendung gelangenden Tonsysteme nur wenig beeinflussten, weil sie die Re-
sultate dieser Untersuchungen nicht zu verwerthen verstanden, und kein Be-
dürfniss empfanden. Anders gestaltet sich dies Verhältniss schon bei den
Griechen, welche diese Touberechnungen zum wissenschaftlichen Prinzip
erhoben und zugleich ihrer Praxis zu Grrunde legten. Die Basis des grie-
chischen Systems bildet das Tetrachord: die aufsteigende diatonische
Folge von vier Tönen im Umfange der reinen Quart, weil damit der
Umfang der gewöhnlichen Redeweise gegeben ist. Auch die Griechen machten
im Grossen und Ganzen keine andere Anwendung vom Ton, als dass sie mit
ihm der Sprache Form und Klang gaben, aber diese entwickelten sie mit Hülfe
des Tones zu einer solchen Fülle von künstlichen Formen, wie kein anderes
Volk vor und nach ihm.
Für einzelne griechische Philosophen, wie Ai'istoxenos, wurde schon jedes
zusammengesetzte, also jedes aus zwei nicht unmittelbar aufeinander folgenden
Stufen der Tonleiter gebildete Intervall, fähig, ein System zu bilden; die
meisten indess schlössen sich der Ansicht des Ptolomäus an, der nur die
Intervalle von der Grösse der Octave an als System gelten lässt. Grundlage
bildet wie erwähnt das Tetrachord und die BeschafiPenheit der Intervalle
innerhalb desselben einer- und die Verschiedenheit der Zusammensetzung andrer-
seits bildet die verschiedenen Systeme. Nach den Zeugnissen des Aristoteles
und des Aristoxenos setzte sich das System des Pythagoras (das Oct-
acliordum Bythagorae) aus zwei ganz gleich gebildeten Tetrachorden zusammen:
efgahcde
und diese Bildung finden wir bei allen griechischen Theoretikern übereinstim-
mend, während sie sich sonst oft in wesentlichen Punkten widersprechen. Die
verschiedene Zusammensetzung dieser Tetrachorde ergab verschiedene Musik-
systeme. Es wurde dem Pythagoräischen Octachord ein Tetrachord nach unten
und eins nach oben zugesetzt, und indem man dieser neuen Scala noch einen
Ton, den tiefsten, nach unten zusetzte, erhielt man nach Euklid und Gau-
dentius das grosse System, das aus zwei Octaven bestand:
ÄScdefga\hcdefga.
Das kleinere System entstand, indem man hinter dem zweiten Tetrachord
noch ein verbundenes einschaltete:
A Hcdefgahcdefga.
Das ganze System bestand demnach aus achtzehn in fünf Tetrachorde ein-
getheilten Tönen, Dies eingeschaltene ergab mit den vorhergehenden Tönen
das sogenannte metabolische System, so genannt, weil es die Modulation
nach der Unterdominant bezeichnet.
Wie die Versetzung der Halbtöne des Systems der Octave sieben neue
erzeugt: die Mixolydische, Lydische, Phrygische, Dorische, Hypo-
System. 53
l^^disclie, Hj'poplirygische und Hypodorische odei* Lokrische ist in
dem Artikel: Griecliische Musik nachzulesen.
Dass aus dieser Anschauungsweise selbständige Melodien nicht recht wohl
hervorgehen konnten, ist leicht einzusehen. Die griechischen Theoretiker kannten
das Octachord und wenn es trotzdem in der Praxis unbeachtet blieb, so ist
damit nur bewiesen, dass weder jene noch die praktischen Musiker und Sänger
das Bedürfniss fühlten, wirkliche Melodien hervorzubringen. Ihnen galt der
Gesangton eben nicht als Material, aus dem sie klingende Tonformen bilden
sollten, er war für sie nur das Mittel, mit seiner sinnlich zwingenden Natur-
gewalt der Sprache eine grössere Eindringlichkeit in kunstvoller Form zu geben:
die Rede zu fassbarer Gewalt herausbilden zu helfen. Daher unterwarfen die
Praktiker und Theoretiker den Ton und besonders das Intervall solch peinlichen
Untersuchungen und das Tetrachor d wird zur Grundlage des ganzen Systems,
weil, wie mehrere es aussprachen, die gewöhnliche Rede sich innerhalb
der Quart hält. In dem Bestreben, die Rhythmik der Sprache immer
entschiedener plastisch herauszubilden, wird die Speculation auf immer erneute
Theilung des Intervalls geführt, nicht nur um reichere Modulationen der Stimme
zu ermöglichen, sondern auch um immer mehr charakteristische Intervallen-
verhältnisse zu gewinnen, und in diesem Bestreben wird der griechische Geist
auch auf das chromatische und das enharmonische System geführt.
Wie erwähnt, entwickelten sich aus den Chorreigen der frühesten gottes-
dienstlichen Feier die einfachsten Metra der griechischen Poesie. Dann aber
bemächtigte sich ihrer der künstlerisch schaffende Geist der Griechen und ver-
bindet sie in so grosser Mannichfaltigkeit, wie vor und nach ihm kein Volk
der Erde. Der Gesangton tritt in ein ähnliches Yerhältniss zur Dichtung wie
bei den Juden, aber um wie viel künstlerischer und bedeutsamer ist seine
Wirkung. Dort hatte er nur als Accent den Parallelismus der Glieder heraus-
bilden zu helfen. Die Griechen messen ihre Silben nicht nach dem Accent
oder der logischen Bedeutung, sondern nach ihrer äussern Gestalt, nach ihrer
räumlichen Ausdehnung und Zusammensetzung, und fügen dann die, zu einer
metrischen Einheit »Fuss« genannt verbundenen in so grosser Mannichfaltigkeit
künstlich verwoben zusammen, dass die griechische Dichtkunst zu einer reichen
Zahl von Stropheuarten gelangt. Dies künstliche Versgebäude bis in seine
feinste Gliederung zu vei'folgen und vollständig plastisch herauszuarbeiten ist
letzte und höchste Aufgabe des griechischen Gesanges. Das Auf- und Abwogen,
der ruhig ernste Gang oder der leichte hüpfende Schi'itt griechischer Verse
gelangt erst dann zu vollständigem Ausdruck, wenn die Stimme zu erkennbaren
Intervallen sich erhebt. Erst durch den Gesangton, den weitern oder engern
lutervallenschritt wird die, von allen griechischen Dichtern im Rhythmus ver-
suchte Malerei wirklich vollendet. In diesem Sinne ordneten und regelten daher
Theoretiker und Praktiker das ganze Tonsystem und kamen auch auf das
sogenannte chromatische ebenso wie auf das enharmonische. Das ursprüng-
liche ist selbstverständlich das diatonische, aber das enharmonische wie
das chromatische waren zweifellos gleichfalls in der Praxis eingeführt.
Die beiden äussersten Töne des Tetrachords wurden dabei nicht verändert,
sie heissen deshalb die unbeweglichen; die mittlem nur wurden verändert
und nach alten Schriftstellern wurden beim chromatischen System zwei
Halbstufen eingeschaltet, so dass das Tetrachord zwei Halbstufen und eine
kleine Terz zählte, während beim enharmoni sehen zwei Viertelsstufen zwischen
die unbeweglichen Töne des Tetrachords traten, so dass es zwei Viertelsstufen
und eine grosse Terz zählte. Man hat mit Unrecht die Möglichkeit dieser
Klanggeschlechter in Zweifel gezogen. Unser harmonisch gebildetes Ohr
erkennt diese Viertelstöne noth wendiger "Weise als Detonation an, allein für
die Zwecke der griechischen Dichtung boten alle drei Klanggeschlechter wirk-
same Mittel musikalischen Vortrags und ihr Ohr wurde früh daran gewöhnt,
darin das rechte Mittel für musische Wirkung zu finden. Dementsprechend
54 System.
war die Messung und Benennung der Intervalle eine möglichst genaue und
scharf begrenzte und war das ganze System auf Tetrachorde gebaut und die
charakteristischen Intervallenschritte.
Der christliche Geist gab dem Gesänge und der Musik eine ganz andere
Bedeutung und veränderte damit ganz naturgemäss diese verschiedenen Ton-
systeme. Der reichere Inhalt, den das Christenthum der gesammten Inner-
lichkeit des Menschengeistes vermittelte, bedurfte zu seiner Darstellung des
Gesangtons in durchaus selbständiger "Weise. Das "Wort selbst in musi-
kalisch hochgesteigerter Form vermochte ihn nicht mehr erschöpfend darzu-
stellen; er drängte nach selbständigen Musikformen. So erwächst dem Ton
und seiner Entwickelung durch das Christenthum eine neue Geschichte. Das
Christenthum löst ihn zunächst los aus den Fesseln der Prosodie und bringt
die selbständige Melodie zur Entfaltung und dementsprechend erleidet das
Tonsj'stem eine Neugestaltung. Die Förderer und Gründer dieser neuen
Gesangsweise legten ihr das Octachord zu Grunde, und indem sie alles an-
dere, was nur für die griechische Praxis Gültigkeit hatte, ausschieden,
gewannen sie erst die Grundlage für die freie selbständig entfaltete Melodie-
bildung. Der heilige Ambrosius (von 374 — 397 Bischof von Mailand) wird
als derjenige genannt, welcher die vier diatonischen Tonreihen:
D^:E:-F—G-A — S-C-D als ersten Ton*) (Profus, primus),
M—F — G — A—H—C—D — F als zweiten Ton (Deuterus, secundus),
F-G-A-S-O-D-F-F als dritten Ton (Tritus, terims),
G—A — S—C—B — E—F—G als vierten Ton (Tetartus, quartus)
als Grundlage für die Hymnenmelodiebildung festgestellt, und sie sind es über
1000 Jahre geblieben und haben die Entwickelung des Kirchengesanges haupt-
sächlich bestimmt. Sie entsprechen ganz den betreffenden des griechischen
Systems, aber ihre Anwendung ist eine ganz andere geworden. Der christliche
Geist erfasste eben die Tonleiter als etwas Grosses und Ganzes und
ebenso das Verhältniss der einzelnen Töne innerhalb derselben und so wurde
er zu den Hymnenmelodien geführt, die als erste wirkliche Kunstprodukte zu
betrachten sind.
Gregorius Magnus (von 591 — 604 Papst) soll das System dann um
die fehlenden Tonarten erweitert haben, indem er jedem einen Nebenton auf
der Unterquart zufügte, so dass nun im Ganzen acht solcher Töne entstanden.
Die ursprünglichen ambrosianischen nannte man authentische, die neu
hinzu gekommenen plagalische und zwar wurden sie so eingereiht, dass
immer der plagalische Ton dem authentischen folgte:
Erster Ton: auth. D-B.
Zweiter Ton: plag. A — A.
Dritter Ton: auth. F—F.
Vierter Ton: plag. S— H.
Fünfter Ton: auth. F-F.
Sechster Ton: plag. C—C.
Siebenter Ton: auth. G—G.
Achter Ton: jDlag. B — B.
Der Unterschied beider Ai'ten der Tonleitern beruht in ihrer verschiedenen
Bewegung; beim authentischen Ton wird der Grundton Ausgangspunkt und
seine "Wiederholung als Octave Endpunkt; in plagalischer Führung dagegen
wird der Grundton Mittelpunkt dieser Bewegung:
Erster Ton: auth. B — E-F-G-A-H-C-B
Zweiter Ton: plag. A- H-C- D-E-F-G -A.
Hieraus ergiebt sich, dass das gegenseitige Verhältniss der Töne im neuen
) Ton hier gleichbedeutend mit Tonleiter.
System. 55
System ganz anders betrachtet wird, als im griechisclien. In diesem System
der Kircheatonarten machen sich bereits jene Innern Beziehungen der Töne
zu einander geltend, durch welche überhaupt erst möglich wird, dass sie sich
zu Formen zusammenfügen. Dies neue System heisst das der Kirchenton-
arten und die einzelnen Tonarten Hessen ganz dieselben Versetzungen zu wie
die griechischen, so dass man auf jedem Ton die andern Tonarten durch Ver-
änderung der einzelnen Tonstufen vermittelst der Versetzungszeichen erzeugen
konnte. In ausgebreitetster Weise war dies in der Praxis üblich. Einen fest-
stehenden Normal- oder Stimmton hatte man in jener Zeit nicht; das Ton-
stück wurde in der ursprünglichen Lage notirt, die Bestimmung der Tonhöhe
aber den Ausführenden überlassen, die natürlich auch überall die fehlenden
Versetzungszeichen ergänzten.
Das änderte sich, als der Instrumentalmusik ernstere Pflege zugewendet
und sie begleitend zum Gesänge hingezogen wurde. Es ergab sich hieraus die
Nothwendigkeit, auch für den Gesang die absolute Tonhöhe zu bestimmen und
zugleich die Transpositionen anzugeben. Bereits im 10. Jahi'hundert hatte
man dementsprechend zweierlei Systeme, das Systema reguläre auch durum
genannt, die ursprüngliche, in ihrer natürlichen Lage notirte Octavengattung
umfassend, ohne Versetzungszeichen; und das Systema transpositum, auch
molle genannt, welches die, um eine Quart höher oder eine Quint tiefer trans-
ponirte Octavengattung umfasst. Innerhalb dieses neuen Systems entwickelte
sich der altkatholische Kirchengesang in grossartigster machtvollster "Weise.
In der Gesangspraxis oder eigentlich nur als Unterrichtsmethode wurde
noch ein anderes System geltend, das des Hexachords, die Eintheilung des
gesammten Tonreichthums in Sechsstufenleitern. Allein sie gewann auf die
eigentliche Entwickelung der christlichen Kunst keinen bleibenden Einfluss;
sie war nur Hülfsmittel, die Sänger in die innersten Beziehungen der Töne
unter sich einzuführen und die Stimme zu bilden (s. Solmisation) und ver-
dankt weder einer besondern Anschauungsweise der Tonkunst und ihrer Ziele
wie die vorerwähnten Sjsteme ihre Entstehung, noch hat sie in derselben
Weise wie diese den ganzen Gang der Entwickelung beeinflusst. Dieser wäre
schwerlich ein anderer geworden, wenn das Hexach ordsystem nicht Bedeu-
tung für die Praxis und Methode des Gesangunterrichts gewonnen hätte. Es
wurde nur durch zeitweises Bedürfniss erzeugt und wich einer veränderten
Methode, ohne im Gange der Entwickelung der Musik im Ganzen etwas zu
ändern. Die Transpositionen der Scalen trugen schon dazu bei, dass ein neues,
unser modernes System zur Entwickelung gelangte. Zur Nothwendigkeit wurde
es indess erst unter dem zwingenden Einfluss der Instrumentalmusik und
der emportreibenden Liedform. Die Formen der Instrumentalmusik
ebenso wie die Liedform erfordern eine viel feinere und energischere Gliederung
und weit intimere Beziehung der einzelnen Glieder untereinander, als die Ge-
sänge des altern kirchlichen Cultus; die Möglichkeit einer solchen gewährt
aber im Grunde nur die jonische, unsere C-dur- entsprechende Tonart, denn
diese selbst ist bereits streng gegliedert. Sie besteht aus zwei ganz gleich
construirten Hälften:
c — d — e—f] g — a — h — c.
Diese Gliederung wird durch den Sitz des Halbtons bezeichnet. Keine andere
der Kirchentonarten zeigt eine solche Gliederung und ebensowenig die chro-
matische, denn diese verwirft das Grundprincip der Musikgestaltung, das in der
diatonischen Tonleiter von C liegt, indem sie das Abschliessende der Gestaltung,
den Halbton, zwischen jede Ganzstufe vei'legt. Daher legte auch die neuere
Praxis, obwohl sie die sämmtlichen Töne der chromatischen Tonleiter verwendet,
doch nicht diese, sondern jene diatonische dem künstlerischen Schaffen zu
Grunde. Bei der altern Praxis aber, wie sie sich im alten Kirchengesange
darstellt, wurde die diatonische Ton reihe für das künstlerische Schaffen
56 . System.
inaassgebend, diese wiederholte sie treu von den verschiedenen Stufen aus, und
sie hat die ebenmässige Gliederung des Kunstwerks nur wenig zu fördern
vermocht. Sie richtete ihr Hauptaugenmerk auf die harmonische Ausgestal-
tung des Systems und auf die Entwickelung des einfachen und doi^pelten Contra-
punkts. Die moderne Musikpraxis dagegen machte in dem Bestreben, zu
bilden und schön zu formen, die diatonische Tonleiter nicht nur nach ihrer
Tonreihe, sondern nach dem, in ihr waltenden gestaltenden Prin-
zip der Gliederung zur Grundlage ihres Bildens. Sie nahm die jonische
Tonleiter und bildete sie dann von den andern Stufen aus ganz treu nach.
Sie construirte von g aus nicht mehr die mixolydische oder von d aus die
dorische Tonleiter, sondern stellte hier wie dort die Verhältnisse der jonischen
treu her und erhöhte deshalb dort f in fis und hier f und c in ßs und eis u. s. w.
Hiermit waren die Angelpunkte der Tonleiter, die Grenztöne der beiden
Glieder auch zu Angelpunkten der Tonarten und des gesaramten künstlerischen
Schaffens gemacht. Der wesentlichste derselben ist natürlich der Grundton c,
die Bewegung geht von ihm aus und kehrt zu ihm zurück:
g—a — h — c.
c — d—e—f.
Als Grundton der Tonleiter und der aus ihm entwickelten Gestaltungen heisst
er Tonika; die andern beiden sind die Dominanten; der Ausgangspunkt
des zweiten Tetrachords ist die Ober domin ante, kurzweg Dominant genannt;
der Endpunkt der ersten die TJnterdominant. Diese Dominantbewegung ist
das wesentlichste Mei'kmal des neuen Systems und wie es gestaltend wirkt, ist
unter Musik formen nachzulesen.
Auch für die ältere Praxis wurde diese Dominantbewegung bedeutsam, wie
in dem Verhältniss der authentischen und plagalischen Tonarten, oder in dem
oben erwähnten System, des versetzten und unversetzten, und selbst in den
Formen des Canon und der Fuge macht sie sich geltend; aber wirklich
formbildend ist sie erst geworden, seitdem die Praxis die ältere Construktion
der Tonleiter verliess und nur die jonische noch beibehielt. Neben ihr wurde
aber auch noch die aeolische beibehalten, die sich als zweites Geschlecht in
der Musikpraxis festsetzte. Dies zweite Geschlecht ist hauptsächlich durch die
Terz unterschieden: jenes der joni sehen entsprechende bat die grosse Terz
und heisst von nun an das Durgeschlecht, und das zweite, der aeolischen
Tonart nachgebildete hat dagegen die kleine Terz und heisst das Mo 11 ge-
schlecht. Natürlich vollzog sich dieser Process nur sehr langsam, das alte
System erhielt sich noch lange, als das neue bereits in der Praxis schon volle
Bedeutung gewonnen hatte. Mit dem Eindringen des Volkslieds in die künstle-
rische Praxis im 16. Jahrhundert gewinnt es bereits entscheidenden Einfluss,
aber noch im vorigen Jahrhundert schwankte Theorie und Praxis häufig noch
zwischen alter und neuer Anschauung. Besondere Schwierigkeiten machte die
Construktion der Molltonleiter. Für dieses neue System ist der sogenannte
Leitton wesentlich und so musste denn auch bei der aeolischen Tonart als
Normaltonleiter für das Mollgeschlecht die Septime g \\\ gis verwandelt werden;
demnach gewann die Tonleiter folgenden Gang:
a — Ti — c — d — e —f—gis — a.
Damit aber ist in dem übermässigen Sekundenschritt f—gis der diatonische
Charakter der Tonleiter geschädigt. Um diesen wieder herzustellen, wird die
Sexte/" erhöht, '\u ßs verwandelt:
a — h — c — d—e —ßs — gis — a.
Hierdurch aber ist diese Molltonleiter der gleichnamigen Durtonleiter (der
Ä- dar -TonlQiiQr) viel näher gerückt, als der verwandten, der C-dur-Ton-
leiter; diese Verwandtschaft wird deshalb um so entschiedener in der abwärts
gehenden wieder hergestellt, indem sie ganz aeolisch geführt wird:
Systema durum — Szarvady. 57
a — g —f — e — d — c —h — a.
In diesen beiden Geschlechtern ist für die gesammte moderne Musik der ganze
Tonreichthum geordnet. Dieser beschränkt sich nicht, wie bei dem griechischen
System auf eine Reihe von etwa 18 Tönen, die dann im christlichen Mittelalter
auf einige zwanzig erweitert ist, sondern auf sieben bis acht in regelmässiger
Wiederholung gleich construirte Octaven, die also unser gesamrates Tonsystem
umfassen. Die Eigenthümlichkeit der verschiedenen Tonsysterae erzeugte weiter-
hin die verschiedenen Harmoniesysteme, wie sie sich seit dem Beginne der
Mehrstimmigkeit entwickelten. In den betreffenden Artikeln ist nachgewiesen,
wie Mehrstimmigkeit zunächst ein Produkt ist des melodischen Zuges, der
diese ganze früheste Ausbildung der christlichen Musik beherrscht. Sie ent-
stand unzweifelhaft zunächst aus der Verbindung ursprünglich der einstimmigen,
einander nachsingenden Wechselchöre (Antiphonen) zu gleichzeitiger Wirkung,
indem beide in Quinten oder Quarten dieselbe Melodie gleichzeitig oder ein-
ander canonisch nachsangen. Aus dieser Thätigkeit und der dann weiterhin
geübten des Diskantisirens erst hoben sich die einzelnen Accorde ab, die dann
von den Theoretikern ebenso untersucht wurden, wie vorher die Töne, um sie
nach ihrem Yerhältniss zu einander in ein ebenso bestimmtes System zu bringen
wie diese. Seit Zarlino und Earaeau sind eine nicht kleine Zahl von Har-
moniesystemen versucht worden, von denen indess keines auch nur annähernd
eine Bedeutung gewinnen konnte, wie jene verschiedenen Tonsysteme an sich.
Für das Kunstwerk hat das Harmoniesystem zunächst nur dann entsprechende
Bedeutung, sobald es seine formelle Gestaltung klar darlegt und das wird nur
dasjenige thun, in welchem die Principien geltend werden, nach denen die Ton-
leiter zusammengefügt ist. Erwähnt muss noch werden, dass man weiterhin
auch die Linien, deren man sich heute bedient, um die Stellung der Noten
bei der Aufzeichnung genau anzugeben, mit der Bezeichnung System belegt,
bestimmter mit Liniensystem oder Xotensystem (s. d. und Notenschrift),
Systema durnin oder regnlare, im Tonartensystem des 16. Jahrhunderts
die natürliche Construktion der Octavengattung nach ihrer ursprünglichen Ord-
nung im Gegensatz zum
Systema moUe oder transpositum, die durch Einführung des h nach der
Oberquart versetzte Octavgattung.
Syzygia, eine harmonische Verbindung von Tönen.
Syzygia perfecta, der Dreiklang.
Syzygia simplex, der einfache Dreiklang, ohne Verdoppelung eines
seiner Intervalle.
Syzygia composita, der vier- und mehrstimmig dargeatellte Drei-
klang.
Syzygia propingua, der Dreiklang in enger
Syzygia remota, der Dreiklang in weiter Lage.
Szaryady, Wilhelmine, geborne Clauss, ausgezeichnete Pianistin, ist zu
Prag 1834 als Tochter eines Kaufmannes geboren. Da ihre Begabung für die
jVIusik früh hervortrat, vertraute man sie bald dem geschätzten Professor des
Ciavierspiels Proksch an, der mit aller Sorgfalt die glücklichen Anlagen seiner
jungen Schülerin cultivirte. Schon 1849, 15 Jahre alt, konnte Wilhelmine
Clauss ihre erste Kunstreise antreten, und zog sofort die Aufmerksamkeit der
Kunstkenner auf sich. Das Spiel dieser Künstlerin, die eine brillante Technik
besitzt, zeichnet sich vorzüglich durch Eleganz und Geschmack der Auffassung
aus, welche Eigenschaften ihr auch bei ihren ferneren Concertreisen, die sie in
Begleitung ihrer Mutter unternahm, bald Euf verschafften. Sie durchreiste
Deutschland, und spielte in Paris 1852 zum ersten Male in einem Concert von
Berlioz, das erste Concert von Beethoven unter der allseitigsten Zustimmung.
Zu ihren Glanznummern gehörten, ausser klassischen Werken, auch Composi-
tionen von Schumann und Transcriptionen von Er. Lizst. Ein Jahr nach dem
58 Szekeli — Taborowsky.
Tode ihrer Mutter, die plötzlich in Paris starb, unternahm "Wilh. Clauss eine
neue Concerttour durch Süddeutschlaud, Ungarn und besuchte London. Nach-
dem sie sich mit Herrn Szarvady verheiratet, Hess sie sich dauernd in Paris
nieder. Von ihrer fortdauernden und eingehenden Beschäftigung mit der Kunst
giebt nicht allein das immer mehr vervollkommnete Spiel, sondern auch die Vor-
führung älterer fast vergessener Stücke Zeugniss. Hierzu gehört auch ein un-
gedrucktes Concert von Philipp Emanuel Bach für Ciavier, zwei Violinen, Alt
und Bass, von Mad. Szarvady für Ciavier allein arrangirt und herausgegeben
Leipzig, Barth. SenfP, Paris, J. Maho.
Szekeli, Imre (Emmerich), einer altadeligen Familie entstammend, wurde
am 8. Mai 1823 in Mälyfolva im Ugocsaer Comitat in Ungarn geboren und
erhielt früh Unterricht in der Musik, die er auch zu seinem Lebensberuf er-
wählte, nachdem die Uebersiedelung seiner Eltern nach Budapest ihm hierzu
die nöthige Grelegenheit verschafft hatte. 1846 ging er nach Paris und London,
der Tod seines Vaters veranlasste ihn jedoch, in seine Heimath zurückzukehren.
Nach einem abermaligen Aufenthalt in London wählte er 1852 Pest zu seinem
bleibenden Wohnsitz und schuf sich hier als Musiklehrer einen grossen Wir-
kungskreis. Szekeli ist einer der bedeutendsten Pianofortevirtuosen und von
seinen Compositionen: Clavierconcerte, Orchesterwerke und Werke für Kammer-
musik, Sonaten u. s. w. erfreuen sich einzelne besonderer Beliebtheit, namentlich
aber seine 30 Fantasien über ungarische Volkslieder.
Szymanowska, Marie, geboi'ne Wolowska, eine ausgezeichnete Pianistin
polnischer Abkunft, gegen 1790 geboren, war in Moskau eine Schülerin Field's.
Sie lebte eine Zeitlang in Warschau, wo sie von 1815 bis 1830 mit vielem
Beifall spielte. Gleichen Erfolg errang sie auch auf ihren Kunstreisen in
Leipzig, Wien, Berlin, Hamburg und Petersburg. In der letzteren Stadt starb
sie 1831. Es sind auch einige Compositionen von ihr gedruckt, als: r>Douze
exercices pour le pianov^ (Leipzig, Breitkopf & Härtel). »Variationen über eine
Bomanze« (Posen, Simon). ■s>Mazurlcas, danses nationales de ^ologne« (Leipzig,
Breitkopf & Härtel). »Gresänge nach den Poesien von Micklewicz«,
T.
T, der blosse Buchstabe »t« wurde ebenfalls wie die andern Buchstaben
des Alphabets schon früh, um die ersten Tonzeichen etwas näher zu bestimmen,
in Anwendung gebracht. In der Buchstabenschrift Bomans (s. d.) Ende des
achten und Anfang des neunten Jahrhunderts zeigte »^« (»Trahere, vel tenere
dehere testatura) an: dass man die, durch die betreffenden Neumen bezeichneten
Töne etwas länger aushalten soll.
In der Tonschrift Hugbald's bezeichnet T, an den Band der Linie links
gesetzt, dass von der einen zur andern ein Granzton gemeint sei (Tonus).
T., Abkürzung von Tasto (s. d.), Tenor (s. d.), Tiitti (s. d.).
Tabala, die Pauke bei den Parthern.
Tabila, die Trommel der Neger in Westafrika, die, aus einem Stück aus-
gehöhlten Baumstamm bestehend, welches auf den beiden offenen Seiten mit
Ochsenhaut überzogen ist, gewöhnlich bei ihren Tänzen gebraucht wird.
Tabl, auch Täbl oderDawul, eine Art paukenähnlicher Trommel der Türken.
Table d'harmouie (franz.), der Resonanzboden.
Taborowsky, Stanislaw, Violinvirtuose, geboren 1830 in Ki-zemienica in
Wolhynien, kam jung nach Odessa, wohin seine Eltern übersiedelten. Er erhielt
eine sorgfältige Erziehung, die mit dem Besuch der Petersburger Universität
ihren Abschluss fand. Die Musik hatte er ebenfalls cultivirt und gab, unter-
stützt durch die Kunstfreunde General Adam Rzewuski und den Grafen Wiel-
horski 1853 ein erfolgreiches Concert, worauf er eine Kunstreise durch Polen,
Tabourot — Tabulatnr. 59
"WolhyiiieQ, Ukraine und Podolien unternahm. Nach dem dreijährigen Besuch
des Conservatoriums in Brüssel, wo ihn Leonhard im Violinspiel unterrichtete,
kehrte er nach Russland zurück und concertirte mit erhöhtem Erfolge. Er
lebte erst in Petersburg, später in Moskau. In den letztvergangenen Jahren
machte er auch erfolgreiche Concertreisen in Deutschland.
Tabourot, Jean, Domherr von Langres, wurde zu Dijon 1519 geboren
und starb zu Langres 1595. Unter dem Namen Thoinot-Arbeau veröffent-
lichte dieser Greistliche ein Buch über den Tanz unter dem Titel -nOrcheso-
grapJilev. (Langres, 1589, Despreys, in 4°, 104 Blätter; zweite Ausgabe ebend.
1596, in 4"). Es enthält Tanzweisen des 16. Jahrhunderts.
Tabulatur oder Schulzettel hiess bei der Zunft der Meistersänger die
Zusammenstellung der besondern Statuten der Genossenschaften, wie der Regeln
und Gesetze, nach welchen die »holdselige Meistersängerkunst« geübt wurde.
(S. Meistersänger.)
Tabulatnr. Das "Wort, von »tahulaa = Tafel abstammend, bezeichnete
früh eine Zusammenstellung der einzelnen zur Ausführung eines Musikstücks
gehörigen Stimmen in der "Weise unserer heutigen Partitur. Doch wurde es
wohl hauptsächlich für die Uebertragung und Einrichtung der Yocalstücke zur
Ausführung für die Laute oder für Ciavier und Orgel gebraucht. Für die
Ausführung im Gesang wurden die betreffenden Tonstücke nur in den einzelnen
Stimmen gedruckt, die Mensuralnote war in der "Weise, wie sie in der Praxis
gebraucht wurde, für eine solche Partiturzusammenstellung wenig günstig; wo
sie aber gegeben wird, um die Schüler im Tonsatz oder Contrapunkt zu unter-
richten, wie von Ornitoparchus in seinem »Mikrolog« nannte man dies meist
Spartitur und das Verfahren »Spartirena. Intabuliren, intavolare ist
dagegen wohl meistens dann gebraucht, wenn ein, ursprünglich für Gesang
geschriebener Tonsatz zur Ausführung für Orgel, Ciavier oder Laute in Par-
titur zusammengestellt »abgesetzt« wurde. Indess verfuhr man hierbei nicht
so correct, dass nicht auch Abweichungen vorkamen, aber im Allgemeinen scheint
man an dieser Unterscheidung festgehalten zu haben. Ging ja doch auch
schliesslich der Name Tabulatur auf die eigenthümlicheu Notirungsweisen,
die sich sowohl für die Orgel, wie für die Laute abweichend, und auch noch
in Italien anders wie in Deutschland gestalteten, über. Es entwickelte
sich die Orgeltabulatur abweichend von der Lautentabulatur und diese
wiederum in dreierlei "Weise, als eine ältere deutsche, eine italienische
und eine neuere deutsche Lautentabulatur.
Die mangelhafte Construktion der Instrumente in den früheren Jahrhun-
derten ihrer Entwickelung hinderte eine schnellere technische Ausbildung der-
selben. Ganz besonders schwerfällig war die Orgel gebaut, sie vermochte noch
lange nicht dem Mensuralgesange zu folgen, und so war es ganz natürlich, dass
die Guidonische Buchstabenbezeichnung der Töne für die Orgelpraxis noch
lange ausreichte, um den, von ihr geführten Gantus firmus zu notiren, und da die
Orgel gerade in Deutschland grosse Verbreitung und eingehende Pflege fand,
so bildete sich hier zumeist zunächst eine eigene Aufzeichnungsweise in der
sogenannten deutschen:
Orgeltabulatur, welche die Töne in folgender "Weise in deutscher Cur-
rentschrift bezeichnete:
i^^^pHHgüi^^li^i^
"Wie hier angegeben, wurde die tiefste Octave mit grossen, die nächsthöhere
mit kleinen Buchstaben notirt, und die höhere dann durch die Striche angezeigt:
daher rührt die Bezeichnung grosse, kleine, ein-, zwei- und mehrgestri-
chene Octave. In der Begrenzung der Octaven machten sich einzelne Abwei-
gO Tabulatur.
chungen geltend; bei einzelnen Tabulaturen wird sie von R—h gerechnet.
Die Organisten richteten sich hierbei wahrscheinlich nach dem Umfange ihrer
Orseln, Asricola (in seiner »Musica instrmnentalisd) führt sie auch von jP— /;
unter der Aufschrift:
Die rechte Scala auff das Ciavier der Orgel applicirt
giebt er eine Abbildung der Claviatur mit den nachstehenden Bezeichnungen:
1 1
FF r
o:^cbeg(Sat)cbcf
A 7 C D E
g a ^ c b e f g
ao ü cc bb ee ff gg
1
1 1'
O es
•Sä
O CS
':}]^'6:}saS jCa^japap uaq'B'^sq^onq aap
Wie hier angegeben, stehen bei der grossen Octave nicht selten an Stelle der
grossen Buchstaben kleine mit einem Strich unterwärts und von der ein-
gestrichenen Octave an werden die Buchstaben verdoppelt. Dass wir heutigen
Tages unsere Octaven von C — c abgrenzen, ist bekannt.
Als dann später die chromatischen Töne immer erweitert Eingang fanden,
wurden diese durch ein angehängtes Häkchen angezeigt: f^ =ßs, g, = gis, b^ = dis,
und diese Bezeichnung galt auch für die durch ? erniedrigten Töne, indem man
statt es — dis, also h^ schrieb, statt as — gis, also g^, statt des — c,, also eis.
Obwohl nach Prätorius r>Syntagma musictimoi (1618) die Erniedrigung
des Tones auch durch ein aufwärts gekehrtes Häkchen angezeigt wurde: b*, t\
g*, so blieb doch die oben erwähnte, für die erhöhten und vertieften Töne
gleiche Bezeichnung die herrschende und noch im vorigen Jahrhundert finden
wir die 5 -Tonleiter in derselben Weise construirt; die Es -dur -Tonleiter:
dis—f—g—gis — h — c — d—dis und noch Bach bezeichnet die Tonarten es oder
as mit dis oder gis.
Nachdem dann die Verbesserung der Orgel auch allraälig die Ausführung
der Mensuralmusik möglich machte, musste natürlich auch die Messung der
Noten angegeben werden. Noch aber vermochten die Orgelspieler nicht das
auszuführen, was die Sänger möglich machten, und so ist erklärlich, dass jene
auch jetzt noch nicht die Mensuralnote annahmen, sondern vielmehr ihre alte
Buchstabenschrift beibehielten und die Mensur durch beigefügte Zeichen be-
stimmten; es waren dies folgende, die über die Buchstaben gestellt wurden:
Eine Brevis (|s|) wurde durch einen Punkt • bezeichnet,
die Semibrevis (-^) durch einen senkrechten Strich |,
die Minima /A\ durch N ,
die Semiminima Im\ durch j^,
die Fusa (^\ durch ^,
\^> ^
'\
die Semifusa (?) durch ^ .
Die Pausen wurden dementsj)rechend in folgender Weise bezeichnet:
1. = 7i (-^lla ireve),
_l_ = ganze Taktpause,
r = halbe Taktpause,
fv = Viertelpause,
Tabulatin
61
^ = Achtelpause,
J^ = Sechzehntelpause.
Da bei dieser Tabulatur die Takte durch Taktstriche oder dadurch abgegrenzt
wurden, dass man sie von einander trennte, so waren Zeichen für die Noten
von grösserem Werth wie Longa und Maxhna nicht nöthig. Um Töne von
längerer Dauer herzustellen, bediente man sich bereits des Bindebogens -— >-
und auch der Augmentationspunkt gelangte dabei zur Anwendung. Folgten
mehrere Viertel-, Achtel- oder Sechzehntelnoten hintereinander, so wurden sie,
wie noch bei uns gebräuchlich, zusammengestrichen, statt ^ ^ ^ j^ schrieb man
oder in flüchtiger Schreibweise itü , so dass diese Figur -ffl-f für
also vier Achtel gilt. Im Uebrigen werden die Stimmen so untereinander
gestellt wie in unsern Partituren, nur dass man natürlich auch schon Rücksicht
darauf nahm, dass sie auch bequem von den betreffenden Instrumenten aus-
geführt werden konnten.
N 1 1
1 ^i
Ach gott von
sieh darein.
1
1
1 '
b ^
1 -1- -1—
_i_X_| ^1
1-1—1—+ -^f— 1 —
L J__L
: i-+
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1
0 b c 0
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b c c
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1
a
0
D
T Ö ä f
b
D
1 1
9
Gabe
1 1
1 1
a g T 9
Dies Sätzchen in unsere moderne Notenschrift übertragen lautet so:
=t
fe
=^
-j 1 1 g \-
:*=#
^^^
-g— »
'^-'It^-:^
^^
Ei^
=) Ol— '
-^-
^
:t
-^-
-^-
-^-
Diese Weise der Aufzeichnung kam übrigens auch für reine Vocalsachen zur
Anwendung und auch für andere Instrumente, für die Laute, Geigen u. dergl.
Häufig wurde sie mit der in Noten verbunden, indem die Melodie in dieser
Weise, die andern Stimmen wie oben angegeben nach der Orgeltabulatur auf-
gezeichnet wurden. Agricola sagt in dem vorerwähnten Werk:
Ein vnterweisung vom absetzen:
Wenn du des nu alles hast einverstant
So nimm zum ersten für dich den Discant
62
Tabulatur.
Vud jhn ; wie folget mit Noten formirt
Auff funlF oder sechs linien notir.
Doch also / das allzeit ein gantzer schlag
Vom andern abgesundert stehen mag.
Anft das desto leichter dich kömmt an
Vnd subtil geschätzt wird von jedermann.
Darnach setz den Tenor aus den Noten
Inn Buchstaben / das sei dir geboten.
Also / das des Tenors schlag jnn allen
Gleich unter des Discants Tact gefallen
Zum letzten den Bass auch jnn buchstaben
Vnd hör / wie dich mit jhm solt haben.
Setze jhn mit seinem Tact / wie ich zege
Vnter des Tenors vnd Discants schlege.
Wie ich dirs in der Figur wU weisen
Wirstus merken / so wird man dich preisen
Ein solch absetzen / sag ich dir behend
Magstu brauchen auff alle Instrument
Sie sind Clavirt odder vngeclavirt
Auff welchem man mehr denn ein stim führt.
Jedoch hat die laut ein ander gestalt
"Welches im sechsten Capitel wird vorzalt.
"Wir lassen ein Beispiel aus Arnold Schlick's »Tabulaturen Etlicher
lobgeseng und liedlein vff die orgeln und lauten etc.« (getruckt zu Mentz durch
Peter Schöifern Yff sanct Matheis ahent. Anno M. d.x. ij. [1512]) folgen:
Maria zart.
— b
-s-
;i^v^
vi4
:^=?:
-l4
i
Öi^E$ES3Efe|3
leä
■--tv
^ —
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f ^b c
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^-
3^
3E
N N S N
agabc cbcbcbago
^ r ^ > > ?^ P ^ I 1
f e f b f e f g 0 f
N N N N N
^ ^ ,is j? |iv
e f c b c
In unsere Notenschrift übertragen lautet der Satz:
\
te3f:
4=
Tabiilatnr.
63
Diese Weise der Aufzeichnung hatte sich aus der ällmälig allgemeiner werden-
den Gesangspraxis, nach welcher die eine Stimme gesungen, die andern aber
(»auf der Laute) gezwickt« wurden, entwickelt.
Die Lautenisten erfanden daneben eine andere, dem Instrument ent-
sprechendere, die sogenannte
Lautentabulatur. Die Laute ist bekanntlich ein Saiteninstrument wie
unsere Guitarre, doch mit einem grössern, mehr schildkrötenartigen Klang-
körper und wie diese mit einem. Griffbrett versehen, auf dem durch Quer-
leistchen, die sogenannten Bünde, die Griffe für die Halbstufen abgetheilt
sind. Der Saiten, Chöre genannt, weil mehrere des vollem Klanges wegen
doppelt bezogen wurden, hatte das Instrument ursprünglich vier, im 15. Jahr-
hundert fünf; später kam noch eine sechste tiefere hinzu, der Grossbrummer.
Diese waren von der Höhe nach der Tiefe in folgender Ordnung gestimmt:
1. 2. 3. 4. 5. 6.
Quart. Quart. Gr. Terz. Quart. Quart.
und zwar nach Sebastian Wir düng*) in den Tönen
5 4 3 2 1 '
^
3
a e li g D
nach Martin Agricola**) einen Ton tiefer:
5 4 3 2 1
^
g
c
G
die leeren Saiten wurden nur durch Zahlen bezeichnet und zwar von der tief-
sten beginnend wie oben angegeben. Die Tabulatur ist für die fünfsaitige
Laute zunächst erfunden, welcher der » Grossprummer fehlt, deshalb wurde
der Mittelprummer mit 1 bezeichnet, und als dann die noch tiefere hinzu-
A
gesetzt wurde, versah man zu ihrer Bezeichnung die 1 mit einem Dach 1 .
ÄYeiterhin wurden dann die Griffe mit den Buchstaben des Alphabets be-
zeichnet, der erste auf der tiefsten Saite der fünfsaitigen Laute mit a, der
erste auf der nächsthöhern mit 6, der erste auf der nächsten Saite mit C, wie-
derum der erste auf der nächsten mit e und der erste auf der höchsten mit f
und in dieser Weise wurden im Alphabet fortlaufend die zweiten Griffe und
dritten u. s. w. auf den verschiedenen Saiten bezeichnet, wie in nachstehender
Tabelle angegeben ist. Nachdem in dieser Weise das Alphabet verbraucht ist,
beginnt man wieder von vorn, aber die Buchstaben werden nun verdoppelt.
Zur Bezeichnung der Griffe auf der nachträglich zugesetzten tiefsten Saite
wurden die entsprechenden Buchstaben der nächsthohen Saite gewählt, aber
als grosse. Folgendes Schema enthält die Bezeichnung und zeigt in der
Klammer ( ) den betreffenden Ton.
*) Musica getatscht (Basel, 1511).
**) Musica instrumentalis (Wittenberg, 1522).
64
Tabulatur.
Gross-
prummer.
Mittel-
prummer.
Clain-
prummer.
Gross-
sancksait.
Clain-
sancksait.
Quint-
sait.
i (A)
1 (d)
2 (g)
3 (h)
4 (7)
5 (7)
2t (b)
a (dis)
b (gis)
c (7)
b (T)
e (7)
g (ii)
f (e)
9 (a)
^ (eis)
t (fis)
! (7)
S (c)
t (f)
m (b)
tt ("d)
0 (g)
P (^)
O (eis)
q (fis)
r (h)
f (dTs)
t (gTs)
Ü (eis)
X (d)
l (g)
5 C"^)
ä Ö
z (a)
9 (7)
5ta (dis)
aci (gis)
bb (eis)
cc (T)
•bh (b)
ee (dis)
Sf (e)
ff (a)
99 (d)
^ (fi^)
ii (h)
«S
«(0
Auch diese Art der Aufzeiclinung wurde mit der in Noten verbunden,
wenn die eine Stimme gesungen, die andern »gezwiekt« werden sollten, wie in
dem folgenden Beispiel aus Arnold Schlick*) pag. 61,
Hertzliebstes pild.
£5^^Efcz^^
3S:
:ss
^
:^
I
\ N N
^1^4 1^ 5
D i^
r b ^
22grcrgI2bfi 2fI4 2
Dieser Satz lautet in unsre Notationsweise übersetzt so:
N \ \ \
r 1^ 1^ r
S 1 f I f I 2
m
"gy
-^—&-
-=)-
i
^^=W-
-»—*-
-^\r-
-ß—&-
-4-
t=pi
-:tE:
4=
EBE^=
-f=-
p
-P2_
r-
tz=\i:
:^EÖ
Diese allgemeinen Bestimmungen wurden noch durch die Meister des
Lautenspiels ergänzt, wie durch Hansen Gerle den Aeltern, der in: »Ein
Newes sehr künstlichs Lautenbuch, darinnen etliche Priambel (vnd Welsehe
Tentz / mit vier stimmen / von den berümbstesten Lautenisten / Francisco
Milaneso. Anthoni Rotta. Joan Maria Rosseto. Simon Gintzler vnd andern
mehr gemacht vnd zusammen getragen / aus welscher ihn teutsche Tabelatur
versetzt durch Haussen Gerle den Eltern / Burger zu Nürnberg vormals nie
gesehen / noch im Truck ausgegeben. MDLII«.
*) Tabclatureu Etlicher Lobgeseng und Liedlein pag. 56: „Hienacli fahet an Tabe-
latur vff die Lauten. Ein stim zu singen die andern zu zwikken."
Tabulatur.
65
nach dem Vorwort einen:
»Vnterricht von etlichen griffen wie man die greiffen sol« giebt:
»Welcher nun lust vnd liebe hatt / der lerne die nachfolgenden griff woll /
dan sie sind sehr dienstlich zu diesem Buch / du must den zeigfinger wol in
brauch bringen das du in vberzwerch auff den Laudtenkragen legst, das er
zwei buchstaben oder drei greiff, wie sichs dann wirdt begeben in den Preambel.
Ich hab die Buchstaben vnd ziffer / mit pünktlein oder düpfelein ver-
zeichnet / damit du weist wie man greifien soll, der zeigfinger hat ein düpf-
lein • / der mittelfinger hat zwei düpflein : / der goltfinger hat drey • J der
klein finger viere : /
Ich muss auch anzeigen, dass ich den grossen oder obern brummhart mit
zifern auf dem Kragen verzeichne also 123456789 damit du weist
zu greifen.
Nun hab ich dir die Klauseln auch verzaichnet, da mustu abweg den zeig-
finger / aufi" dem kragen vberzwerch stilhalten / in dem bundt / so da der
buchstab mit dem sternlein * jnnen steht, bis die klausein aus ist also mustu
in den Preambeln vnd tentzen auch thun, wenn eine colloratur in einem schlag
ist.« Diese Clausein sind die verzierten einfachen Schlüsse in verschiedenen
Tonarten, in folgender "Weise:
1)
c ': e
2)
! e ü e
*£
t
n
"3
R F
5
g b ! ü
9
b
1
3)
n
4)
ä : t 5 t c t 5
r i c
*f 9
\
1)
3
2
f
3)
1-
*3
fi^^^fe
f5^i'
4)
^-
^-
— r^^
I^H r-H—
^
• *8- *
trr>
g^
:^^
f^
Dass diese Tabulatur auch für die andern Instrumente Anwendung fand,
ersehen wir aus Gerle's: -nMusica Teusch auf die Instrument der grossen
und kleinen Geygen auch Lautten etc.« (Nürnberg, 1532).
Mu£ikal. CoQTers.-LexikoQ. X. ^
66
Tabulatur.
Herr Jesu Christ.
Discant.
^^
:=t=l:
-g^ — g^ — g=i-
:*
-jzäz
nji
-^^—■ä — ^ gs
3:
=4
i^
^a
r r r-'i n n n nn n= n n i
b b b 4ttnc n bbo5 oobobb4b
__j__^^__^___j_-_j_
-c^ ci c^ ^ — ^
-S=^
H— -j-
les — g^
:*
r r n n
b b b 0 0
-St— g 5^-
I i R— n I i ^1 R ^1 I 1
oppeÖOb 5 44nnnc
:=t
-^-
-^-
=PI=
4 9 9
F=r
e e
bb
Wie schwerfällig auch diese Lautentabulatur war, die Lautenisten hielten
doch mit grosser Zähigkeit an ihr fest, ausser dem genannten Gerle haben
noch Sebastian Ochsenkuhn (s. d.), "Wolf Heckel von München, Bürger
zu Strassburg (1552), Melchior Newsiedler (s. d.) und mehrere Andere
solche Tabulaturbücher veröffentlicht.
In Italien hatte man ein einfacheres Verfahren eingeschlagen. Die ita-
lienische Lautentabulatur ist gleichfalls mit besonderer Berücksichtigung
der Technik des Instruments erfunden. Durch ein System von sechs parallel
laufenden horizontalen Linien stellte man die sechs übergreifenden Hauptsaiteu
des Instruments dar und auf diesen Linien wurden die Griffe durch die Ziffern
0123456789 X(10) X(ll), X(12) angezeigt, wie aus nachstehender
Tabelle ersichtlich ist:
a
8
-eis-
-dis-
-f
H-s-
ns-
-a-
-dis-
4-
-giS-
-V
-gis-
-f-
-a^
-öS-
-li-s-
-ei-s-
-äi*-
^^
4-
Ss-
-gl-S-
-gm-
^IrS-
-a-
-Ss-
-ll-
-E-
3
-eis-
4
Ai^
8
X
-€t-
X X
"Wir haben hier zugleich gezeigt, welche Töne durch die so bezeichneten Griffe
erzeugt werden; bei der Notirung in dieser "Weise wurde nur der Griff durch
die unten verzeichneten Zahlen auf der die betreffende Saite vertretenden Linie
angegeben. Diese wurde auch nicht wie hier angegeben ist, mit den Buch-
staben bezeichnet, sondern durch die Null. Die obere Linie galt für die tiefste
Saite A, sollte diese leer gebraucht werden, so schrieb man eine Null auf diese
erste Linie; JB wurde dann mit 1, IT mit 2, c mit 3 auf derselben Linie be-
zeichnet; sollte der Lautenist e mit leerer Saite angeben, so schrieb er eine
Null auf die vierte Linie, im andern Falle, wenn dies e durch einen Griff er-
zeugt werden sollte, die 9 auf die dritte Linie von oben u. s. w.
Der Gesang eines mit der Laute begleiteten Liedes aus dem ersten ge-
druckten Lautenwerke von Petrucci (Venedig, 1509): r>Tenori e contrabassi in-
Tabulatur.
67
tahulati col so^ran in canto figurata per cantar e sonar col lauto libro primo.
Fransisci Bossinensis opusn steht als Beispiel hier.
-fr
^ f
Af-flitti spirti miei siate con-ten-ti:
r ^ h^ r r r r r r r i
-e — 7t-
3 1 0-
-e-2r
-3-2r-
-fr^
Klingt in der Ausführung:
^E^
T=^=
i^^li:
-f==-
3^
•
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
X
X
a
b
c
d
e
f
o
h
i
k
1
m
Auch die französischen und niederländischen Lautenisten nahmen
dies System der Linien an, aber sie wählten anstatt der Ziffern die Buch-
staben des Alphabets, um die Griffe anzuzeigen, sie bezeichneten die leeren
Saiten statt mit 0 mit a, den ersten Griff statt mit 1 mit b, den zweiten statt
mit 2 mit c u. s. w., so dass sich beide Tabulaturen in ihren Verhältnissen so
darstellen:
Zahlen - Tabulatur
der Italiener:
Buchstaben-Tabulatur
der Franzosen und Niederländer: abcdetcpjiik Imn
Seit dem Anfange des 17. Jahrhunderts wurde dies System auch in Deutsch-
land vorherrschend. Selbstverständlich ist bei der Entzifferung solcher, in
Lautentabulatur gesetzter Tonsätze die Stimmung der Laute zu berücksich-
tigen. "Wie bereits erwähnt ist, wurde sie im 16, Jahrhundert häufig einen
ganzen Ton tiefer gestimmt, in G — c—f—a — d—g', demgemäss stellt sich
auch das ganze, im vorigen Beispiel gegebene Tonsystem einen ganzen Ton
tiefer dar. Ferner ist noch zu erwähnen, dass die Niederländer und Fran-
zosen ebenso wie die Deutschen insofern abweichend von den Italienern
notiren, als sie die tiefern Linien auch für die tiefern Saiten an-
nahmen und dementsptechend selbstverständlich die höhern Linien
für die höhern Saiten:
a
2-d-|— dfe
3-ar
5-&
6
i^
iS-
-eis-
7-F
C
-a-
-Är
a
^
e
f g_ k i i
-^^
-€1S-
-M-
-f
-eis-
-di*
-^s-
-eis-
-a-
^i
is-
eis-
-§i-s-
-dis-
-f
-G — I
-dis
+
"Wieder haben wir hier zugleich die, durch diese Tabulatur festgesetzten
Töne angegeben; bei der Aufzeichnung verfährt man ganz in der früher be-
5*
68
Tabulatur.
schriebenen "Weise; soll die leere ^- Saite genommen werden, so schreibt man
a auf die oberste Linie; h wird dort mit dem dritten Griff genommen, mitbin
setzt man den Buchstaben d auf die oberste Linie, wenn man ihn haben will;
oder auch i auf die zweite (von oben) u. s. w.
Hier ist zugleich auch angedeutet, wie die, nach der Tiefe allmälig zuge-
setzten Saiten bezeichnet wurden. Ausser dieser siebenten Saite F setzte man
später noch eine achte E und neunte D und zehnte C und elfte 3 und
zwölfte G zu und ging auch noch tiefer bis S B A. Diese tiefsten Saiten
lagen gewöhnlich von D an ausserhalb des Gi'ifil)retts, so dass nur der eine
Ton, in dem jede gestimmt war, verwendet werden konnte, höchstens noch der
darüber liegende Halbton, der mit dem Daumen gegriffen werden konnte.
Zur näheren Erläuterunor fol^t hier ein Präludium von Besardus aus:
■»Thesavrvs Harmoiiicos divini Lavrencini Romani, nee non praesfantissimorvm
mvsicorvm, qvi hoc secvlo in diversis orbis partihvs excellvnt, selectissima omnis
generis canfvs in tesdvdine modvlamina continens — per Joannem Baptistam Be-
sardvm Yesontinvm artivm liheralivm excultorem, et musicis peretissimvmn (Colo-
niae Agrippinae, excudebat Gerardus Greuenbruch, sumptibus authoris, anno
redemptionis 1603).
-cTr— eL-
-d— ä-d.
^a^
^:-^^
^
^-^
-A—^
^a-
-ar%-
-ct-e-ar-
-ar-
-4-f^
-a-e — Vb-M-
^a-
ß P
-d-b-
-är-«-a — cUdd-e-a^-e-
-dr-Vc-h-
-i-6-l-dr
-a-
-¥
-\.
4-^
-tta-
-xb-
rj l
U
-^^
a-
4-^
.ä^_^d-
— a — d:-
-a ct-
a^-
-e-5.-
l
Ä^a-
-4-
f-^
-cfe-
-a^
f\
-a-
-N-ä-f
/TN
^i — ^clrb-a
dr^ d^ar-
^v&
^i-e-dr
e-ar-
-cfc a-fi-ar-
-drC-ci — arG-c — c-e cUe-a
d: äre-a-
Entzifferung: Hierbei ist zu erwähnen, dass die Laute bei Besardus die
höhere Stimmung hat: A — d—y — h — e — a.
^^S^S
33E3E
* — ß-
:-^i=t=t=r
t=t:
« 4
iu=.
i,
:t33E
£
Tabulatur.
6Ö
^
f^~ l^i^ ^<^ K=! 1^^ S^
13 -— -
Auch für diese erweiterte Laute wurde die ursprüngliche Tabulatur für
die sechssaitige Laute beibehalten. Die hinzutretenden Basssaiten bezeichnete
man unter dem Sechsliniensystem mit a und zwar die siebente mit a, die achte
mit a, die neunte mit a, die zehnte mit a, die ferneren mit Zahlen, die elfte
mit 4, die zwölfte mit 5, die dreizehnte mit 6 und die vierzehnte mit 7. In
der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts war die Stimmung auch eine andere
geworden, so dass die ganze Tabulatur folgender "Weise sich darstellte:
a
1 f
2 d
3 a
' f
5 d
6 A
1 Ga
gisl)
fisa
9E =
10
11
12
1» c[rJ)d. e f g i _i ^ 1 B B
fis I g I gis I ä I "15^-p^ I "c I ci-s I ST 1 3i-s i ^ i Y~
^AS-
^
1*
■dis-
3-
4is^
fe
-H-
-^
msr
^
4
IS-
Ns-
tas-
Nts-
€15-
^
^
ii_lK.si_a-ißi-s-U4-LB^4t
-^
^
W^
4**
n&
dis-
eis-
^i-
-ar-
-d-
«*
^is-
ms-
fi^
lis-
«.*
4i*
-f
eis-
g-is^
€iS-
31S-
Bä
(T)isl)
ÜA
AI
^
/F-B.->j
-a-
4-
Die Bezeichnung des Zeitwerths der einzelnen Töne blieb dieselbe, nur
mit dem Unterschied, dass die sämmtlichen Zeichen um die Hälfte ihres Werths
reducirt sind: | steht für eine Viertelnote, [^ für ein Achtel, und dies nahm
allmälig diese Gestalt an J ' und bei den folgenden Noten von geringerem
Werth werden die Fahnen zusammengezogen Jj oder J§ u. s. w. Statt c wählte
man, der häufigen Verwechslung mit e wegen später wie oben angegeben „^^".
70 Tabulatur.
Darnach wurde die ganze Tonleiter in folgender "Weise bezeichnet:
In Noten-
schrift.
Lauten-
tabulatur.
Si
LV^-
wwWwW^^^
I I
ff^t4i = §saiai «-^--'^
-€/r
-i-W^^-är-
L*_flA
I
-a-.a> • g» — *-
i
-^?-*- T^
jj-« »
• -tt* »y
-ÖSr-
h5— v^
"^ ^ >f B '^ ^ A^^
-9rh-^ft-
-^£iL
-O-
13=^^1=^
-eer-
:5:^
Im vorigen Jahrhundert hatte die Laute in der Regel die nachstehend
verzeichnete Stimmung:
Saiten neben dem Griffbrett.
Bezeichnung der
13 leeren Saiten.
Klane
J&
—
«- II
n "^ 1
/IT
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*
'
5"
«-
r ^f = = ^
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F 1
t) •
1 « r 1
^11 1
^
al
1
I
\ _
;
•
: S
t J
h J- •
1
Die sieben Saiten neben dem Griffbrett konnten nur als leere benutzt
werden und mussten deshalb, je nach der Tonart, umgestimmt werden. In der
nachstehenden Z)-?noZ^-Sonate steht deshalb vor 5 ein h.
Wir geben nachstehend den Anfang einer Sonate für Violine und Laute
von F. AV. Rust (1791):
Ällegro maestoso.
Violine.
Laute.
Stimmung :
Uebertragung
in
Notenschrift.
^
^ f^
-^-
J
ZTi ^
-p &r
-vt-
- — \
m
j-j t
-€ ?^aE —
-€6 r-T^^
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'S =
a.
-{fr-
(^
r
M
^5.
T T
-€ — e-
ct
a.
a, a.
aa s
i
w
E
^4-
122:
<tjl fi
Vt
^
123:
S
"IXT
®
3Z^
^
4-^
-ä^
?*
*^«' —
?f^
-•-•-
^3
i^t
hi
Tabulatur.
71
ta-no
Ausserdem hatten die Lautenisten bereits einige Spielmanieren, die sie
mit folgenden Zeichen andeuten:
- — Einfallen, ' ~ Abziehen, ) Triller, {J und x Bebungen oder Schwebungen.
Einfallen und Abziehen der Töne erklärt Baron (»Untersuchung des Instru-
ments der Lauten« pag. 167) dahin: »Das Schleiffen der Töne, welches man
kunstmässig Einfallen und Abziehen heisst, kommt auf den Lauten sehr
naturel und singend heraus, und bestehet das Wesen eines Einfalls darinnen,
dass man von einem Thon, welcher noch klingend ist, eine Seconde, Tertz etc.
höher mit dem andern oder vierdten oder kleinen Finger fällt, ohne diesem
Buchstaben speciellement anzuschlagen. Beim Abziehen statuirt man das Con-
trarium und zieht von höhern Tönen, wenn sie nachklingen, auf niedrigere den
Einger ab. Beyderseits Manieren aber werden also bezeichnet:
-&r-
-^
-K^
:2^:X
Neben diesen Tabulaturen waren die erwähnten Spartaturen auch für die
Orgelspieler im Gebrauch; Froberger schrieb sogar jede seiner Stimmen auf
besondere fünflinige Notensysteme. Bei andern Orgelbüchern des 17. Jahrhun-
derts finden wir das, im Artikel Partitur beschriebene Zehn-Liniensystem,
72 Tabuni — Tace.
auf dem die Stimmen mit verscliiedenen Schlüsseln und in verscliiedenen Farben
geschrieben, zusammengezogen wurden. Einzelne, wie Prätorius in nSyntagma
musicum« theilten dann diese zehn Linien in zwei Fünf-Liniensysteme, in un-
serer "Weise und schrieben auf das obere den Part für die rechte, auf das
untere den für die linke Hand in derselben Weise, wie das heute noch geschieht.
Diese Praxis befolgte auch Claudio Merulo und nach ihm andere italienische
Orgelmeister.
Anfang des 17. Jahrhunderts kam noch eine Art Orgel-Tabulatur in
Anwendung, die bei uns unter dem Namen Greneralbassschrift bekannte
Weise der Notirung durch einen bezifferten Bass, welche man in Deutschland
gewöhnlich als »italienische Tabulatur« bezeichnete. (S. Greneralbass
und Orgelstimme.)
Tabuni, auch Psalterion genannt, ein Instrument der alten Egypter, das
Kinnor der Hebräer und die Lyra der Griechen. Villoteau (in: y>Descnption
de VEgypte<i) giebt nähere Nachrichten darüber.
Taccliinardi, Nicolas, ausgezeichneter Sänger, geboren zu Florenz am
10. Septbr. 1776, war erst für den geistlichen Stand bestimmt, wollte aber aus
Neigung Maler werden. In der Musik vom elften Jahre an unterrichtet,
erwählte er schliesslich diese Kunst zu seinem Lebensberuf und nahm im
Theaterorchester zu Florenz eine Stelle als Violinist an. Als aber seine
Stimme sich als ein höchst klangvoller Tenor erwies, verwendete er auf die
Ausbildung dieser alle Sorgfalt; hierbei wurde der berühmte Tenorist Babini
sein Vorbild. Seine ersten Erfolge fand er auf dem Theater zu Livorno und
Pisa. Er sang dann in Florenz, Venedig und Mailand, in der letzteren Stadt
mit den Damen Fesca und Strinasacchi, später sang er auch in Rom. Hier
erwachte seine alte Liebe zur plastischen Kunst durch die Bekanntschaft mit
Canova, der auch seine Büste angefertigt und in dessen Atelier er sich mit
der Bildhauerei beschäftigte. 1818 betrat er im Theatre de l'Odeon vor den
Parisern zum ersten Mal die Scene, und diesen schien anfänglich seine für
eine Theatererscheinung nicht gerade günstige Körperbildung mehr noch als
seinen Landsleuten aufzufallen. Er hatte hohe Schultern und einen kurzen
Hals. Doch die ausgezeichnete Schule und seine schöne Stimme Hessen auch
hier alles Uebrige in den Hintergrund treten und machte ihn für eine Zeit
lang zum Liebling des Publikums. 1814 kehrte er zunächst nach Italien
zurück und besuchte abermals die Hauptstädte, wurde vom Herzog von Toskana
als erster Sänger engagirt, jedoch mit der Berechtigung, zu reisen. Diese be-
nutzte er denn auch, indem er Spanien besuchte und in Barcelona, ziemlich
50 Jahre alt, noch sang. 1831 verliess er das Theater gänzlich und lebte bei
Florenz auf seinem Landhause, wo er sich mit der Ausbildung von Gesang-
schülern beschäftigte. Für Letztere Hess er sogar zu ihrer Uebung in der
Darstellung ein kleines Theater in seinem Hause aufstellen. Mit zu seinen
vorzüglichsten Schülern gehören: die Frezzolini und seine Tochter Fanny,
Mad. Persiani. Von den Gesangstudien, die er geschrieben, ist in mehreren
Auflagen gedruckt: r>DelV Opera in musica sul teatro italiano e suoi difetti.'i
T. starb zu Florenz im Januar 1860.
Tace, Tacet, Taci = man schweige, zeigt an, dass das Instrument, in
welchem dies "Wort steht, während des so bezeichneten Abschnitts schweigt.
Bei mehrsätzigen Tonwerken, die für eine grössere Anzahl von Instrumenten
oder auch Singstimmen geschrieben sind, werden in der Eegel nicht alle aus-
führenden Organe bei jedem der Sätze verwendet. Bei Vocalmessen wechseln
vier- und mehrstimmige Sätze mit drei- und selbst zweistimmigen. Folgt in
einer vierstimmigen, für gemischten Chor geschriebenen Messe dem ersten Satze
nKyrie eleison», ein dreistimmiges i>Ghriste eleisona als zweiter Satz viel-
leicht für Alt, Tenor und Bass, so schreibt man, wenn man es nicht vorzieht,
die Pausen anzugeben, in die Sopranstimme: y>C7iriste eleison tacet«. Bei Sin-
fonien für Orchester lässt man beim Adagio oder im Scherzo häufig Posaunen
Tacioso — Tactarten. 73
und Trompeten schweigen, und dann wird dies, um die Pausen nicht anzeigen
zu müssen, durch »Adagio oder Scherzo tacetv. angezeigt.
Tacioso — selten und unrichtig angewandte Bezeichnung für tacciasi
= man schweige.
Tact. Die mehrfache Anwendung dieses Worts bei den musischen Künsten
im Allgemeinen und der Musik im Besondern bezieht sich immer auf die, in
bestimmter Zeit sich vollziehende Bewegung, die in Tönen oder in "Worten
und bei der Orchestik in den Bewegungsmomenten des menschlichen Körpers
besteht. Im weitem Sinne begreift man darunter die Bewegung nach einem
angenommenen Zeitmaasse (Tempo, s. d.), nach welchem gesungen oder mit
Instrumenten gespielt, gesprochen oder getanzt wird; im engern Sinne den an-
genommenen kleinern Zeitabschnitt, welcher diesem Zeitmaass als Norm gilt, nach
dem es geregelt wird. Hier beschäftigt uns zunächst diese engere Bedeutung
des "Worts.
Das rhythmische Princip, nach welchem diese Tacteintheilung erfolgt, ist
bereits im Artikel Rhythmus (s. d.) erörtert worden. Dort ist gezeigt, wie
es sich zunächst im Tanz geltend macht und von hier aus auf Poesie und
Musik gestaltend wirkt. Der Tact erscheint dort als die musikalische Dar-
stellung der Versfüsse und ihrer regelmässigen "Wiederkehr im bestimmten
Metrum. Dort wurde auch bereits seine logische und ästhetische Bedeutung
für das Kunstwerk erörtert; es bleibt uns hier nur noch seine mehr mecha-
nische Anordnung und Verwerthung im Kunstwerk zu betrachten, die dann
wiederum zu mehrfachen ästhetischen Erörterungen Veranlassung giebt. In
dem Artikel Rhythmus ist bereits ei'wähnt, dass die musikalische Darstellung
des Spi'achmetrums zunächst auf verschieden zusammengesetzte:
Tactarten führen musste. Die Sprachen mit Silbenmessung, wie die la-
teinische und griechische, setzten ihre Verse aus Längen und Kürzen
zusammen; die lauge Silbe erhielt den AVerth von zwei Kürzen, und als die
Musik sich diesem Princip anschloss, gewann sie einen Ton von längerer und
einen von um die Hälfte kürzerer Dauer, die genau abgemessen wurde. "Wie
die verschiedenen Versmaasse verschiedene musikalische rhythmische Darstellung
gewinnen, ist dort im Artikel Rhythmus ebenfalls dargelegt Avorden, ebenso
wie die historische Entwickelung. Die vollgiltigsten Zeugnisse aus dem zwölften
Jahrhundert bezeugen, dass die selbständige musikalische Tacteintheilung diesen
Gang nahm. "Wenn trotzdem Jahrhunderte noch vergingen, ehe sie zu durch-
greifender Geltung gelangte, so hat das seinen Grund nur darin, dass Theorie
und Praxis immer noch zu einseitig an der ursprünglichen Quantitätsmessung
festhielten, welche keine andere Möglichkeit gewährt, als das in grosser Mannich-
faltigkeit anwachsende rhythmische Material zu schätzen, nicht zum gegliederten
Organispius zusammenzufügen. Dies wurde erst möglich, als im Volksgesange
die Accentuation, und deren natürliche Folge der Reim immer siegreicher
hervorbrachen. Unter der Herrschaft dieser beiden neuen Sprachelemente ent-
wickelte sich nun der musikalische Rhythmus, erst selbständig und abweichend
von der Sprachrhythmik. Er wurde zunächst mechanisch wirkend im Metrum
oder der Tactart. Die regelmässige "Wiederkehr von accentuirten und accent-
losen Gliedern bildet die unterste Stufe rhythmischer Gliederung, die rhyth-
mische Tacteinheit. Diese ist zweitheilig, wenn der Hebung nur eine
Senkung, einem accentuirten Ton ein accentloser folgt:
— \^ — <j
oder d reitheilig, wenn der Hebung zwei Senkungen, einem accentuirten Ton
zwei accentlose folgen:
^ — \j
I I
74
Tactarten.
Nach der Anzahl dieser, in jedem Tact enthaltenen zwei- oder drei-
gliedrigen Metra, unterscheiden wir einfache und zusammengesetzte
Tactarten. Einfach ist die Tactart, wenn ein zwei- oder ein dreiglie-
driges Metnim als Tacteinheit zu Grunde liegt, zusammengesetzt dem-
entsprechend, wenn zwei oder mehrere solcher Metra zu einer Tacteinheit
verbunden werden. Auf der Zusammensetzung dieser Metra wieder beruht die
Eintheilung in gerade und ungerade Tactarten. Der einfach gerade Tact
besteht aus Hebung und Senkung, accentuirtem und accentlosem Ton von gleicher
Geltung. Da zur Darstellung derselben die Musik verschiedene Zeitwerthe
bietet, so entstehen weiterhin die verschiedenen Arten des einfachen zweithei-
ligen Tacts, der Zweihalbe Tact (auch Allabreve - Tact genannt), dessen
Glieder den Werth von Halben Noten erhalten und der, wie hier angegeben,
dui'ch ein senkrecht durchstrichenes (7: (aus dem, nach rechts offenen Halbkreise,
der Diminutio simplex, hervorgegangen) oder auch durch 2 bezeichnet wird:
— w
Selbstverständlich beschränkt sich auch diese Tactart nicht auf diese einfache
Darstellung der einzelnen TactgKeder in Halben, sondern sie macht von der
Freiheit aller übrigen Tactarten Grebrauch, dass sie jedes einzelne Grlied auch
in Viertel und selbst Achtel auflöst und beide in Granze Noten zusammenzieht.
Dies geschieht schon beispielsweise in Chorälen, die häufig in diesem Zwei-
Halben-Tact dargestellt werden:
Wach auf, mein Herz, und sin - ge dem Schö - pfer al - ler Din - ge
Wenn auch sämmtliche Halbe in Viertel aufgelöst werden, so wird die Tactart
dadurch noch nicht zu einem Viervierteltact:
— \j
\j
f
^EE^
i=!'
i?5i
— ^-
I I I ' ' I ' 1 I • • I
Die Accentuation bleibt genau dieselbe; auch in den vier (resj). fünf) Glie-
dern jedes Tacts der TJnterstimme hat immer nur das erste Glied des Tacts
den Accent, während, wie wir später sehen, im Viervierteltact noch ein
zweiter Accent hinzukommt. Ueber die weitere Bedeutung dieser Tactart siehe
noch Allabreve. Sehr wirksame Anwendung fand diese Tactart in neuerer
Zeit in Schumann's: »Das Paradies und die Peri« No. 23: »Hinab zu
jenem Strahlentempel« und No. 24: »0 heilige Thräne«.
"Werden diese beiden Glieder des einfachen zweitheiligen Tacts in Vierteln
dargestellt, so entsteht der Zweivierteltakt, der mit ^/t bezeichnet wird:
— ^ — \j ~ ^ —
P
^
=P5:
^
Es gilt in Bezug auf seine Darstellung, wie auch hier angedeutet ist, dasselbe,
was vom '^/2-Tact gesagt wurde: seine Glieder können in Achtel, Sech-
zehntel und noch kleinere Werthe aufgelöst werden, ohne dass dies die Tact-
art verändert, so lange nicht die Accentuation eine andere wird. Obwohl nun
beide Tactarten ganz gleich construirt sind, so sind sie doch in der Wirkung
verschieden. Die längern Notengattungen geben dem Zweihalben-Tact selbst-
verständlich grösseres Grewicht, mehr Würde, auch wenn es sich um Darlegung
eines erregtem Inhalts handelt, wie in den beiden erwähnten Tonsätzen von
Schumann.
Tactarten.
75
In ähnlicher Weise erscheint auch der einfache ungerade Tact in ver-
schiedenen Tactarten nach dem Werth, welchen die einzelnen Glieder erhalten;
in halben Noten dargestellt, wird er zum Dreihalbentact (a), in Vierteln
zum Dreivierteltact (b) und in Achteln zum Dreiachteltact (c).
P
^
a)
b)
3=^
^
t^
^- ~s-p-
:f:^f:
4:
p—^
=P
11=^
c)
:t=:1t=§
Es dürfte kaum nöthig sein, zu erwähnen, dass auch hier jedes einzelne Glied
in den verschiedensten Werthen dargestellt sein kann, dass die einzelnen zu
grössern Einheiten verbunden und alle in kleinere aufgelöst werden können:
Hier erhält fast jeder Tact eine von dem ursprünglichen abweichende Dar-
stellung, ohne dass die Tactart selbst dadurch aufgehoben wird. Auf dieser
Mannichfaltigkeit der rhythmischen Darstellung beruht hauptsächlich die ungleich
grössere Ausdrucksfähigkeit der Musik den andern Künsten gegenüber, und
für die Instrumentalmusik ganz besonders erwachsen daraus reiche Mittel ver-
feinerter Darstellung. Es ist klar, dass bei der Auflösung der einzelnen
Glieder in kleinere von geringerm "Werth wiederum eine Art von unterschei-
dender Accentuation stattfindet, so dass immer die erste dieser Noten von ge-
ringerm Werth von den übrigen ausgezeichnet wird. So gewinnen diese ver-
schiedenen Darstellungen eine Fülle von fein abgestuften Accenten, die eben-
soviel Mittel für characterischen Ausdruck werden.
Die zusammengesetzten Tactarten entstehen dadurch, dass zwei oder
mehr einfache Tacte zu einer Tacteinheit zusammengezogen werden. So ent-
steht aus der Verschmelzung zweier Z weihalbentacte der Vierhalbetact:
/2 o o : o o
Sechshalbetact: ®/2
, aus der Verschmelzung von zwei Dreihalbentacte der
I I i
o o : o
aus
der
Verschmelzung
von
I I
I I
u. s. w.
zwei Zweivierteltacten der Viervierteltakt: *ji oder C
Die Verschmelzung wird dadurch herbeigeführt, dass der Accent des angebun-
denen zweiten (und dritten) Tacts abgeschwächt wird, so dass in solch zusam-
mengesetzten Tactarten Haupt- und Nebenaccente unterschieden werden.
Der Construction nach sind demnach diese Tactarten einander gleich:
Va
o* o ■"■ ^
o o o
7«
0 0 0 ß
1 I
74 oder C
V-
I I I I
In Bezug auf ihre Wirkung im Grossen und Ganzen aber gilt, was schon
oben angegeben ist, dass die in Noten von höherm Werth dargestellten Tact-
arten: *J2 und */4 gewichtiger, ruhiger und gemessener wirken als die in klei-
nern dargestellten, der ^/s-und der höchst selten nothwendig erscheinende */i8-Tact.
Aus der Verschmelzung von zwei einfach dreitheiligen Tactarten : ^/2-, ^/i-
und '/s-Tacten und so weiter entstehen der: -
76
Tactarten.
72-Tact: V2 |== p
O O fS o
der 74-Tact: 7«
I I i
der 78-Tact: 78 r r • r r
die als zweitheilige Tactarten erscheinen. Drei solcher Tacte zusammengezogen,
ergeben den
I I I M I I I I
72-Tact: 72
74-Tact: 74
INI
78-Tact: 78
II I I
lL' lU Lu
In ähnlicher Weise entstehen dann:
II f t I
llS llS 'IL' LLJ
II f I I
u. s. w.
der ^78-Tact: ^78
der '7i6-Tact: ^7i6
der '7i6-Tact: ^^716
1 1 I
I I I I I I
u. s. w.
In diesen zusammengesetzten Tactarten erscheint der verschiedene Character
der einfachen gemischt zu neuen Characteren: der Sechsvierteltact, aus
zwei Dreivierteltacten bestehend, behält die grosse Lebendigkeit desselben, aber
indem er zwei Tacte zu einer Einheit verbindet, gewinnt er zugleich das
grössere Gewicht des zweitheiligen Tacts. Die zusammengesetzten Tactarten
bieten in der anwachsenden Fülle der Accente innerhalb einer Tacteinheit
reichere Mittel als jene und der breitere Rahmen des Tacts und dementsprechend
der Periode, giebt grüssern Raum für eine feinere Detailzeichuung. Deshalb
werden diese Tactarten mehr für tief innerlich erregte als entschieden nach
aussen drängende Darstellungsobjekte gewählt. Für den ersten Satz einer Sin-
fonie wird beispielsweise, ebenso wie für die verwandte Form der Ouvertüre
meist der Vierviertel- oder Dreivierteltact gewählt; für die leichter ge-
haltene Ouvertüre zur Komischen Oper der 7*-Tact. Für das Scherzo wählt
man meist den ^/i-, ^j*- oder 78-Tact, seltener den ^/s-Tact oder auch den
'*/4-Tact. Die weiter zusammengesetzten Tactarten dagegen, der 78- und '''/s-Tact,
erweisen sich für das Andante und Adagio sehr geeignet. Dass diese Tactarten
ferner für das spielselige Pastorale, das träumerische Nocturno gern gewählt
werden, ist gleichfalls ein Beweis für die Richtigkeit unserer Charakteristik.
Für das Finale der Sinfonie erscheinen dann neben dem Viervierteltact
der Sechsachteltact oder auch der Z weivierteltact die entsprechendsten
Tactarten.
AVie durch Verlegung des Accents innerhalb der einen Tactart eine neue
construirt werden kann, ist im Artikel Synkope nachgewiesen worden. Dort
wurde auch angedeutet, welche ästhetische Rücksichten eine solche Neuconstruk-
tion unter Umständen nothwendig ei-scheinen lassen. Hier sei noch erwähnt,
dass auch für komische Wirkungen solche rhythmische Verrückungen, die
Verschiebung des Accents auf ursprünglich accentlose Glieder des Tacts sehr
entsprechend sind. Alle diese ausnahmsweisen Gestaltungen sind nur geeignet,
den ursprünglichen Organismus in seiner natürlichen Wirkung zu stützen. Als
Experiment erscheinen dagegen die ganz ausserhalb des ursprünglichen rhyth-
mischen Systems liegenden ^ft- und 7*-Tact, die kaum als selbständige Tactarten
zu betrachten sind. Sie entbehren der Gliedei-ung, welche die umfangreichern
Tacte nothwendig haben müssen und man kann sie im Grunde nur auf den
74-Tact, wenn ein solcher festzustellen wäre, zurückführen. Dass sie im Volks-
liede und in der Volksmusik nichtsdestoweniger in Anwendung kamen und bei
wenig cultivirten Völkern auch noch kommen, spricht nicht dagegen. Das noch
ungebändigte, entfesselte Empfinden ebenso wie die noch wenig geschulte Phan-
Tactaccent — Tactiren. 77
tasie können recht wolil auf solche Grebilde geführt werden, die noch ein Suchen
nach der schönen Fox'm in rhythmischem Ebenmaass verrathen. Im deutscheu
Volksliede der frühem Jahrhunderte wird die Verszeile hin und wieder wie
ein einziger Tact behandelt und die fünlfüssige konnte auf den */4-Tact führen
wie im Liede »Prinz Eugen, der edle Ritter«. In diesem Sinne oder in ähn-
lichem kann auch der Künstler ausnahmsweise auf solche Tactgebilde geführt
werden; aber es wird ihm selten gelingen, das Unbehagen, das solche Neu-
construktion meist im Hörer verursacht, ganz zu beseitigen. Es gehören in
der Regel ausgesuchte harmonische und melodische Künsteleien dazu, um nicht
den ^/4-Tact als einen fortgesetzten Wechsel eines ^/i-Tact mit dem ^/4-Tact,
oder den ^/4-Tact als einen eben solchen "Wechsel des */4- und ^/4-Tact oder
aber den '•'ji- wie den ^/4-Tact als Y^'Tacte erscheinen zu lassen. Es erfor-
dert meist eine grosse Gewalt der andern Mächte, der Harmonie und der
Melodie, um diese unsymmetrische Gliederung des Rhythmus und die fort-
gesetzte Verwendung derselben einigermassen erträglich zu machen. Weil diese
Tactarten an sich ungegliedert erscheinen, erschweren sie natürlich auch den
weitern rhythmischen Bau. Rubinstein, Raff, Hiller und Liszt namentlich haben
in neuerer Zeit mit diesen Tactarten experiraentirt, ohne indess ihre Nothwen-
digkeit zu erweisen.
Ein beliebtes Mittel, rhythmische Mannichfaltigkeit zu gewinnen, war schon
zur Zeit der Mensuralmusik der plötzlich eintretende Wechsel der Tactart inner-
halb eines Tonstücks. In den Werken der Niederländer schon durchbricht die
dreitheilige Bewegung nicht selten die ursprüngliche zweitheilige, um dieser
dann wieder gegen den Schluss des Tonsatzes Platz zu machen. Wie bei Lully
im Recitativ und nicht selten auch in den Arien der Prosodie zu Liebe häufig
Tactwechsel eintritt, ist in den betreffenden Artikeln gezeigt worden. Einem
ähnlichen Verfahren begegnen wir ferner sowohl im altern deutschen Volksliede
wie im Kunstliede, namentlich von Heinrich Albert (s. d.) und dies Ver-
fahren ist auch bis in die neueste Zeit besonders von Liedercomponisten geübt
worden, mit mehr oder weniger Freiheit. Wenn auch gewiss die natürliche
rhythmische Construktiou der Tactarten alle Mittel für feinere Charakteristik
gewährt und den schaffenden Genius durchaus nicht beschränkt, so sind doch
auch wohl Fälle denkbar, dass diesem sich von selbst die derartige veränderte
Darstellung darbietet, wodurch sie dann gerechtfertigt erscheint und die rechte
Wirkung macht. Nur der nackten Declamation halber, wie wohl in den meisten
Fällen geschieht, den natürlich rhythmischen Bau aufzugeben, dürfte wenig
gerechtfertigt erscheinen.
Tactacceut heisst der Hauptaccent, zum Unterschiede von den Nebenaccenten.
Tactarsis heisst das accentlose Glied des Tactes.
Tactart, s. Tact und Tempo.
Tact heisst der Raum von einem Tactstrich zum andern auf dem Notensystem.
Tactgrlieder, Clemens metriques , heissen die accentlosen Theile eines
Tacts zum Unterschiede von den Tacttheilen.
Tacthalten heisst streng nach dem ursprünglich angenommenen Tempo
unter Beobachtung der Accente und des Rhythmus singen oder spielen, so dass
nicht nur jeder Note und Pause der, ihr zukommende Werth ertheilt, sondern
auch jeder Ton zugleich nach seiner logischen Bedeutung gewürdigt wird.
Tactinversion, s. Tactumkehrung.
Tactiren oder Tactschlagen (Battre la mesure) heisst die Thätigkeit des
Dirigenten, durch welche er den, ein Musikstück ausführenden Sängern und
lustrumentalisten den Tact angiebt, in welchem das Stück ausgeführt werden
soll und sie in demselben zu erhalten bestrebt ist. Mittelst der Hand oder
eines Stabes — Tactstab oder Dirigentenstab — markirt er das Eintreten eines
jeden Tacts, und der Tactart entsj)rechend wird der Tact weiterhin durch zwei,
drei oder vier Schläge angegeben. Alles Weitere . bringt der Artikel: Di-
rection (s. d.).
78 Tactirstab - Tadolini.
Tactirstab, Tactirstock (franz.: Bäton), nennt man das Stäbchen, dessen
sich der Dirigent bedient, um den Tact anzugeben.
Tactmesser, s. Metronom.
Tactnote, Ganze Note, Glanzer Schlag, heisst die Ganze Note (Semi-
hrevis), weil sie gegenwärtig die Einheit ist, auf die alle andern Notenwerthe
bezogen werden.
Tactordnung, s. Rhythmopöie und Rhythmus.
Tactpause, — -, eigentlich die Pause vom "Werth der Ganzen Note (Vier-
viertelnote). Sie wird indess auch zum "Werthe jeder andern Tactart für den
^ji-, ^/s-, ''/s-Tact u. s. w. gebraucht. Nur in den grössern Tactarten, dem */2-
oder °/i-Tact setzt man die Doppelpause als Ganze Tactpaiise und verwendet
die ursprüngliche Ganze Taktpause nach ihrem Werth von nur vier Vierteln:
P
-ps-
gleich :
Tactschlag-en, s. Tactiren.
Tactstriche, franz.: Barres, engl.: Bars, sind die, die Tacte abgrenzenden
senkrecht das Liniensystem durchschneidenden Striche. Sie kamen, wie in dem
Artikel Tabulatur gezeigt ist, erst durchgreifend bei dieser in Anwendung.
Hier erst wurden die Tacte abgegrenzt, und zwar Anfangs dadurch, dass man
sie durch grössere Zwischenräume schied. Es war dies namentlich der Fall
bei den Lautentabulaturen, bei welchen man sich des Liniensystems zu-
gleich bediente. Bei der deutschen Orgeltabulatur ohne dies Liniensystem
fand früh der Tactstrich Anwendung. Für die Avxfzeichnung der Singstimmen
nach der altern Mensuraltheorie war die Einführung der Tactstriche eine
Unmöglichkeit. In den Partituren fand er bereits während der Blüthezeit
der altern Mensuralmusik Anwendung. Seit dem Anfange des 17. Jahrhunderts,
als die selbständige Ausbildung der Instrumentalmusik die alte Mensuralnote
auch aus dem Gesänge verdrängte und unser modernes Notensystem allmälig
sich herausbildete, wurde die Abtheilung durch Tactstriche in der gesammten
Musikpraxis zur Nothwendigkeit.
Tacttheil, Tacttheile (franz.: Temps), sind die einzelnen Tactglieder,
im 7i"Tact die Ganzen, im ^/2 die Halben, im ^ji, ^ji, *ji die Viertelnote u. s. w.
Schwere Tacttheile (Temps forts), auch gute, nennt man die accentuirten,
leichte, auch schlechte (Temps faibles) , heissen dagegen die accentlosen.
(S. Tact.)
Tactumkehruug' oder Tactinversion nannte man eine Künstelei älterer
Componisten, die darin bestand, dass die beiden Zahlen der ursprünglichen
Tactart umgekehrt wurden, dass man den ^/4-Tact als ^/s-Tact fasste, d. h.
also vier Drittel des vorigen Tacts = */4 in einen Tact zusammenfasste; das
ursprünglich im ^/4-Tact stehende Stück im */4-Tact ausführte.
Tactus = Schlag in der alten Mensuralmusik (s. d.).
Tactzeichen nennt man die Zeichen (C C und Bruchzahlen ^/i, ^2, '^/t,
^li, ^/s u. s. w., welche an den Anfang jedes Tonstücks gesetzt werden, um die
besondere Tactart anzugeben, in welcher das Tonstück ausgeführt werden soll.
(S. Mensuralmusik, Notenschrift und Tact.)
Tactzeit, s. v. a. Tacttheil.
Tadolini, Giovanni, Componist, zu Bologna 1793 geboren, erhielt, für
die Musik veranlagt, schon früh Unterricht in dieser Kunst. Zu seinen Leh-
rern gehörten Mattei für die Composition und der Tenor Babini für den Gesang.
Mit 16 Jahren war er weit genug vorgeschritten, um in Paris am Theätre
Italien die Stelle des Accompagneurs und des Chordirigenten einzunehmen.
Es war dies in den Jahren 1811, 12 und 13, zur Zeit, als Spontini Direktor
Tadolini — Tägliclisbeck. 79
dieser Oper war, 1814, nach der Einnahme von Paris durch die Alliirten,
kehrte T. nach Italien zurück und brachte dort in Venedig seine erste Oper:
»ia Fata Alcinan. mit vielem Erfolge zur Aufführung. Dasselbe G-lück machten
die nachfolgenden Opern: »Z« Prmeipessa cli Navarraa zu Bologna, »JZ Gredulo
delusofs. in Rom, ebenda y>Il Tainerlanon, i>Moctar<s. in Mailand, »JZ UTitridatea
in Venedig und y>Älmanzo)'(i in Triest. Nachdem er schon einige Zeit an der
Kathedrale zu Bologna Kapellmeister gewesen war, folgte er 1830 nebst seiner
jungen Frau (s. d.), einer talentvollen Sängerin, einem Rufe nach Paris an die
italienische Oper, wo seine Frau als Sängerin, T. in seiner früheren Stellung
thätig war. Nach neun Jahren kehrte er in seine Vaterstadt zurück. Ausser
den genannten Opern sind von ihm viele Cantaten, Romanzen und Canzonette
aufgeführt worden, unter Anderem »L'Fco di Scozia« mit Hornbegleitung in
Concerten wiederholt von Rubini. Auch ein von ihm componirtes Trio für
Ciavier, Hoboe und Fagott (Florenz, Cipriani) und ein y>Itondo 'pour piano et
ßütevi ebenda sind vorhanden. Tadolini starb Ende 1872.
Tadoliui, Eugenia, Gattin des Vorigen, geborene Savorini, wurde 1809
zu Forli in der Romagna geboren. Ihre Gesanglehrer waren Fani, Grilli und
ihr Gatte. Sie debütirte 1829 in Parma und wurde darauf in Paris engagirt.
18.34 trennte sie sich von ihrem Gatten und kehrte nach Italien zurück. Diese
Sängerin erstrebte fortdauernd eine Vervollkommnung ihres Gesanges und er-
reichte diese in einem Maasse, dass sie Anfang der vierziger Jahre für eine
der ersten Sängerinnen Italiens galt. Besonders enthusiasmirte sie das Publi-
kum in Neapel in den für sie geschriebenen Opern von Donizetti und Merca-
dante. Sie sang wiederholt in Mailand, Padua, Triest, Wien, Turin, Sinigaglia,
Florenz, Mailand, Brescia, Lucca, Sienna, Rom. Am häufigsten besuchte sie
Wien und beschloss auch dort 1847 ihre Theaterlaufbahn.
Taebl, s. Tabl.
Täglichsbeck, Thomas, ist zu Ansbach in Baiern am 31. Decbr. 1799
geboren. Sein Vater unterrichtete ihn vom vierten Jahre an in der Musik,
worauf er 1816 in München bei Rovelli vorwiegend als Violinist seine Aus-
bildung fortsetzte, sich aber auch gleichzeitig unter Gratz's Leitung auf dem
Gebiete der Composition heimisch machte. 1817 schrieb er eine Messe, die in
München aufgeführt wurde, und bald darauf trat er als Violinist ins Theater-
orchester. Lindpaintner, der damalige Kapellmeister des Theaters, ernannte,
als er eine längere Urlaubsreise antreten wollte, T, zu seinem Stellvertreter,
und da er überhaupt in seine Stellung nicht wieder zurückkehrte, wurde T.
dieselbe definitiv übertragen. 1822 trat er als Violinist, als welcher er sich
bereits sehr vortheilhaft bekannt gemacht hatte, ins Orchester zurück. Zu
dieser Zeit ungefähr wurde von ihm eine kleine Oper, »Weber's Bild«, am Mün-
chener Theater mit einigem Erfolge aufgeführt. T. verliess darauf München
und Hess sich in der Schweiz, in Stuttgart, Prankfurt, Mannheim und Carlsruhe,
Wien, Berlin, Leipzig, später auch in Holland und Dänemark als Violinist
hören und veröffentlichte mehrere Compositionen für sein Instrument. 1833 trat
er auch mit einer Sinfonie hervor, die zuerst in Paris während der Anwesen-
heit des Componisten in einem Concex't des Conservatoriums aufgeführt und
beifällig aufgenommen wurde. 1837 folgte ihr eine zweite. 1827 schon war
T. Kapellmeister des Prinzen von Hohenzollern-Hechingen geworden und be-
kleidete diese Stelle bis 1848, zu welcher Zeit die Kapelle, durch die revolu-
tionären Zustände veranlasst, aufgelöst wurde. T. ging nach Strassburg und
übernahm die Direktion der Theaterkapelle; da der Prinz von Hohenzollern
ihm aber seinen Gehalt fortzahlte, so kehrte er auf dessen Aufforderung aus
der damals französischen Stadt noch einmal an seinen alten Platz zurück.
1852 begab er sich nach Löwenberg in Schlesien, lebte dann in Dresden und
starb am 5. Oktober 1867 in Baden-Baden. Ausser den beiden Sinfonien
(Premiere) op. 10 (Paris, Richault), der Messe op. 25 (München, Falter), sind
anzuführen: »Variationen (Gazza Ladra) für Violine und Orchester«, op. 1
80 Tafalla — Tag.
(Offenbach, Andre). »Variationen (Leocadie) für Violine, Piano«, op. 2 (Augs-
burg, Gombart). »Polonaise für Violine und Orchester«, op. 3 (Offenbach,
Andre). »Variationen über ein Original thema für Violine und Quartett oder
Piano«, op. 4 (München, Aibl). nConcerto militaire für Violine und Orchester
oder Ciavier«, op. 8 (Leipzig, Hoffmeister). f>Trois duos pour deux violons«,
op. 11 (Paris, Pichault). »Fantasie«, op. 13 (Stuttgart). -nOoncertino pour violon
et orehestrea, op. 14 (Leipzig, Hoffmeister), und andere Violincompositionen.
»Lieder für eine Stimme und Ciavierbegleitung«, »Lieder für Männerstimmen«.
»Gremischte Quartette mit Begleitung von Blasinstrumenten«, op. 29 (München,
Falter). ■t>Bondo pour cor cJiromatique et pianov., op. 21 (ibid.).
Tafalla, P. Pedro, spanischer Musiker, geboren in Tafalla am Ende des
16. Jahrhunderts, legte im Kloster Escurial 1623 seine Gelübde ab. In diesem
Kloster, wo er in Ehren lebte, starb er in hohem Alter. Zahlreiche Compo-
sitionen von ihm sind im Manuscript dort aufbewahrt. Eslava in nLira sacro
hispanati hat mehrere achtstimmige Responsorien von T. aufgenommen.
Tafelblasen, s. Feldstück.
Tafelwerk heissen die, in einem Orgelprospect mannichfach hervortreten-
den Flächen.
Taffet wird zur Anfertigung von Ventilen, die in dem Kanal angebracht
und vermöge einer Vorrichtung geschlossen oder geöffnet werden können, ver-
wandt. (S. Windschwellen.)
Taffln, M. J. D., Geistlicher im Norddeparteraent Frankreichs am Anfang
des 19. Jahrhunderts, studirte auf dem Seminar zu Cambrai und war bis 1839
Vicar in Lille, dann in Landrecies. Er verfasste: y>Metliode complete et rai-
sonnee de cTiant ecclesiastique, Offerte aux jeunes semitiaristesoi (Lille, Lefort, 1835,
ein vol. in 8**, 168 S.). ■nVademecum du hon chantre, ou recueil de plus de
Cent pieces de cliant ecclesiastique, feiles que messes, faux-hourdons tres nomhreux
et tres-varies, quatuors, frios, duos, motets ä voix seule, Litanies avec clioeur,
Stahat, etc.« (Lille, Lefort, ein Band in 8°, 326 Seiten).
Tagr, Christian Gotthilf, Cantor und Musikdirektor zu Hohenstein in
Sachsen, wurde 1735 in Bayerfeld in Sachsen, wo sein Vater Schullehrer war,
)oren. Der Vater unterrichtete ihn, bis er, 13 Jahr alt, als Schreiber bei
einem Richter in die Lehre gehen sollte. Diesem Beruf entzog sich der leb-
hafte Knabe und begab sich heimlich nach Dresden, wo er nach abgelegter
Prüfung vor dem Bector Schötgen und dem Cantor Homilius in die Kreuzschule
aufgenommen wurde. Während der sechs Jahre, welche er diese besuchte, hatte
er auch Gelegenheit, seinen Geschmack in der Musik durch die in Dresden
gepflegte Kirchen- und Opernmusik zu bilden. Durch energische TJebungen
hatte er es im Ciavier- und Harfenspiel schon zu einer gewissen Fertigkeit ge-
bracht, ebenso durch das Studiren der theoretischen Werke von Marpurg und
Kirnberger Sicherheit auf diesem Gebiete sich verschafft. In der Absicht, in
Leipzig die Universität zu besuchen, machte er sich zeitgemäss zu Fuss auf
den Weg dahin. In Hohenstein, einem kleinen Städtchen in Sachsen, wo er
Station machte, ereignete es sich jedoch, dass ihm die eben vacante Stelle eines
Cantors und Schullehrers angeboten wurde und er ging auf das Anerbieten ein.
Er verheiratete sich hier und verwaltete sein Amt 53 Jahre. In Niederzwönitz,
im Hause seiner verheirateten Tochter, starb er am 19. Juli 1811. Er hinter-
liess, obwohl er täglich zwölf Unterrichtsstunden ertheilte, eine grosse Anzahl
von Compositionen. Gedruckt sind folgende: »Sechs Choral vorspiele nebst einem
Trio und Alla breve« (Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1783). »Lieder beim Ciavier
zu singen« (1783, erste Sammlung ebend.). »Lieder beim Ciavier zu singen,
nebst einer dramatischen Scene« (1785, zweite Sammlung, in 4"). »Siebzig
Veränderungen über ein Andantino fürs Ciavier und theils für den Gesang
eingerückt« (1785 ebend.). »Der Glaube in einer neuen Melodie für die Orgel«
(1793). »Lieder der Beruhigung von Mattheson und Bürde« (1793). »Zwölf
kurze und leichte Preludien, Orgelvorspiele nebst einer Orgelsinfonie für ein
Tagelied. 81
Manual«, erste Fortsetzung (Leipzig, 1795, Breitkopf & Härtel). »XXIY Lieder
nebst einer vierstimmigen Hymne, zum Lobe Gottes beim Ciavier zu singen«
(dritte Sammlung, 1798 ebend.). »Urians ßeise um die Welt und Urians
Nachricht von der Aufklärung componirt« (Leipzig, 1797). «Naumann, ein
Todtenopfer, für den Gesang am Ciavier ganz dui'chcomponirt« (Berlin, 1803).
»Melodie zum Vater unser und zu den Einsetzungsworten mit Orgel« (Penig,
1803, ebend.). »Wörlitz, eine Ode für Ciavier ganz durchcomponirt« (Berlin,
1803). Die Zahl der ungedruckten Compositionen ist bei weitem grösser. Es
sind: ein vollständiger Jahrgang auf alle Sonn- und Festtage in 72 theils
Fest-, theils Gelegenheitscantaten; 11 Messen und Hymnen; 22 Leichenmotetteu;
6 Leichendialoge; 5 Weihnachtsmotetten; 20 Weihnachtsarien; 10 Ostermotetten;
6 Passionsmotetten; 6 Passionsarien; 3 Lob- und Dankmotetten, 1 zum Lobe der
Tonkunst für vier Singstimmen und neun Instrumente; 68 dreistimmige Grego-
riusarien; 20 Hochzeitslieder mit Clarinetten, Hörnern, Hoboen und Fagotten;
22 Choralvorspiele für Orgel, drei Orgel-Rondos, 7 freie Präludien; >'Die Haus-
haltung von Lessing«, ein Singstück fürs Concert; eine Sinfonie, eine Partie,
ein Quartetto, vier Clavierdiverdissements u. s. w. In den »Wöchentlichen Nach-
richten« von Hiller sind einige Compositionen von Tag abgedruckt.
Tagelied, Tageweise (mittelhochdeutsch: tageliet, iageioise), nannten
die Minnesinger ein Lied, das den Anbruch des Tages verkündete oder besang.
Da dieser nur zu häufig den Liebenden, die verstohlen zusammengekommen
sind, die Pein des Scheidens bringt, so giebt das Tagelied meist dieser Stim-
mung Ausdruck: es schildert, wie zwei Liebende mit Leid am Morgen von
einander scheiden. Das erste bekannte Tagelied ist von Dietmar von Aiste,
bei ihm ist noch ein Yögelein der Wächter und Wecker:
„man wekt uns leider schiere.
ein vogellin so wol getan
daz ist der linden an daz zwi gegän.
Heinrich von Morungen schildert das Leiden des Scheidens im Zwiegespräch
des Liebenden mit der Geliebten und Wolfram von Eschenbach führt in
seinen Tageliedern dann noch den Wächter mit ein, der den Morgen verkündet
und die Liebenden zum Aufbruch mahnt; ihm folgten darin Walther von der
Vogelweide, Ulrich von Lichtenstein u. A. und auch im Volksliede ge-
wann diese reizvolle Anschauung Eingang. Die Tagelieder wurden hier zu
Wächterliedern, deren helle Morgenweise sich zu bedeutsamer Wirkung mit
dem künstlichem Strophenbau des Tagelieds verband. Daher gewann diese
auch entscheidenden Einfluss auf die Weiterentwickelung des Gesanges zur
Zeit der Heformation und mehrere solcher Tage- und Wächterlieder gingen in
den protestantischen Gemeindegesang über. Die Limburger Chronik erwähnt
aus dem Jahre 1356 ein Tagelied von der heiligen Passion: »0 starker Gott,
all unsre noth befehln wir, Herr, in dein gebot«, das ein Ritter machte. Eins
der am meisten umgedichteten Tagelieder ist: »Ich stund an einem Morgen«.
Andere, wie: »Der Morgenstern hat sich aufgeschwungen« oder: »Wach auf
meins Herzens schöne«, sind ebenfalls in mehrfachen Umdichtungen bekannt.
Die Minnesinger selber sangen auch geistliche Tagelieder, wie ßeinmar von
Zweter: »Wache, krist, ez wil nu tagen«, und Graf Peter von Arberg:
„Ich Wächter, ich seit wecken
den sünder, der da riuzet aehr."
Es ist dies indess jedenfalls eine Bearbeitung eines altern Volksliedes. Auch
die Tageweise von den heiligen drei Königen:
„Eya herre Got, was mag das gesein?
zw Jherusalem ein wächter sangk."
ist in mehrfachen Bearbeitungen vorhanden. Im 16. Jahrhundert ist Heinrich
von Laufenberg als Dichter von Tageweisen zu nennen: »Stand vf, du sünder,
Muaikal. Convers.-Lexikon. X. 6
82 Taglia — Taglietti.
lass die clag«, »Es taget minneclicliea, »Stand vf und sih jhesum vil rein«
gehören ihm an.
Anderer Art wie die ohen erwähnten Tagelieder sind die, welche TJhland
in seinen »Deutschen Volksliedern« mittheilt. Das erste (B. I. 1. pag. 161):
„Ich sah den lichten morgen
darzu sein werthen schein,
ich weck sie mit gesange
die allerliebste mein."
hat einen noch viel ernstern Inhalt. Der minnende Ritter erscheint am Morgen
vor dem Schlafgemach der Geliebten um sie zu wecken, und diese bestellt ihn
zum Abend wieder her; als er dann erscheint und als sie ihn auffordert, zu
kommen und in ihrem Arm zu ruhen, da muss er erwidern:
„Nain ich zart schöne frawe
ich mag nit haben ru,
ich bin so sehr verhawen,
rat schöne fraw, wie ich nu ti."
und dann wird weiter erzählt, wie sie erscheint, ihm die Wunden verbindet und
als er stirbt, sich selber das Messer ins Herz sticht, Aehnlichen Tageliedern,
die nicht jene Klagen der Liebenden beim Scheiden am frühen Morgen zum
Inhalt haben, begegnen wir noch vielfach in den Sammlungen und Flugblättern
des 16. Jahrhunderts.
Taglia, Carl, Dr. phil. und Professor an der Universität Pisa um die
Mitte des 18. Jahrhunderts, verfasste ein Buch: i>Lettere scientißclie sopra vari
dilettevoli argomenti di Fisica« (Florenz, 1747, in 4"), in welchem er im ersten
Briefe auf 36 Seiten Betrachtungen anstellt, wie auf einer Geige eine so grosse
Menge von schönen Tönen hervorgebracht werden können. Im dritten Briefe
desselben Buches ist S, 95 — 124 von dem melodiösen Gesange des Finken die
Rede und der Erzeugung der Töne in der Luftröhre.
Taglia, Pietro, Mailändischer Componist, lebte um die Mitte des 16. Jahr-
hunderts und veröffentlichte: i>Madrigali a quattro vocin, Lib. I (Mailand, 1555).
Taglietti, Giulio, Instrumentalcomponist des 17, Jahrhunderts, war Lehrer
am Collegio Nobili di S, Antonio zu Brescia gegen das Jahr 1700. In dieser
Stadt war er auch geboren und schrieb nachstehende Compositionen: riSonata
da Camera a tre, due violini e Violoncello«, op. 1 (Bologna, 1697, in Folio). y>Sei
concerti a quattro e Sinfonie a tre 2 violini, violone e ci/mhaloa., op. 2 (Venedig,
1696, in 4°; hiervon eine Aasgabe in Amsterdam). r>Arie da suonare col Violon-
cello e spinetfo o violino ad uso di arie centahili le quäle finite, si torna da capoa,
op. 3. y>Goncerti o cappricci a quattro, due violini e viola e basso continuoa,
op. 4 (Venedig, 1699, in 4°). -»Sonate da camera a 3, 2 violini e hasso con-
tinuoa, op. 5. liPensieri musicali ad uso d^arie cantalili a violino e violone in
partitura col hasso continuo«^, op, 6 (Venedig, Bartoli, 1709). y>Concerii a 4
violini, viola col Violoncello, violone e hasso continuo«, op. 7. y>Sonate a violino
e bassoa, op. 8. ■s>Sonate da camera a 2 violini, Violoncello, violone e clavicemhalo«,
op. 9. liÄrie ad uso delle cantalili da suonare col violino, Violoncello e violone
e clavicembalod, op. 10, »Concerti a 4 cpn suoi rinforzi, op. 11. nJPensieri da
camera a 2 violini e basso«, op. 12,
Taglietti, Luigi, Instrumentalcomponist, der ebenfalls gegen Ende des
17. Jahrhunderts in Brescia lebte und wahrscheinlich Bruder oder Verwandter
des Vorigen war, hinterliess folgende Werke: -nSonata per violino e Violoncello,
con basso continuo«, op. 4 (Venedig). siConcertini e preludi con diver si pensieri
e divertimenti a cinque«, op. 5 (ibid.). -nConcerti a 4 e Sinfonie a 3«, op. 6
(ibid.; andere Ausgabe: Amsterdam, bei Roger). r>Sonate a violino e hasso«,
op. 7 (ibid.). -nSonate da camera a tre, due violini, Violoncello, violone o clave-
cino«, op. 9 (ibid.). r>Arie ad uso delle cantabili da sonare col violino, Violoncello
e violone o clavecino«, op. 10 (ibid.). nPensieri da camera a tre, due violini e
bassoa, op. 12 (ibid.).
Taillard - Takkay. 83
Taillard, Constant l'aine, Flötist in Paris, Hess sich in den Concerts
spirituels hören. Er starb gegen 1788 und hatte 13 Sammlungen von Stücken
für eine oder zwei Flöten, französische, italienische Stücke, kleine Arien und
Variationen herausgegeben. Die letzte dieser Sammlungen erschien 1782 und
in demselben Jahre in Paris beim Autor: »Methode pour apprendre ä jouer de
la flute traversiere et a lire la musique etc., suivie d^Ariettes pour s'exercer ä
accompagner la voior« (Pai'is, 1782).
Talllassou, Gaillard, genannt Mathalin oder Mathelin, ein namhafter
Violinist in Frankreich, wurde zu Toulouse 1580 geboren. Claude Gruillaume
Nyon, welcher zu Anfang des 17. Jahrhunderts als »roi des violons de francea
fungirte, übertrug auf T. für Toulous seine ihm zustehende Herrschaft über
die Musiker. Von zwei Notaren von Paris wurde hierüber ein gerichtlicher
Akt aufgenommen, datirt vom 21, August 1608. Ein Passus darin lautet
(s. Fetis »Biogr. univ.« Vol. 8, p. 177): y>Lui donnant le droit de recevoir tous
mattres, joueurs d' Instruments, tant audit Toulouse que dans les villes du ressort
de cette cite ; comme aussi de faire toutes corrections ou punitions quHl appar-
tiendra contre toute personne qui entreprendra siir ledit art sans son conge etlicence.es.
Musiker und Spielleute lehnten jedoch ab, sich einer derartigen Botmässigkeit zu
unterwerfen, worauf die Sache vors Parlament kam, 1609 aber dem Mathelin sein
Recht ausdrücklich zugesprochen wurde, worauf er seine Autorität ohne Hinder-
nisse entfaltete, bis er nach dem Tode des Nyon an dessen Stelle ebenfalls als
vroi des violons de france<i durch ein von Ludwig XIII. unterzeichnetes Patent
bestätigt wurde.
Taille (franz.), der Tenor; Saut taille, der hohe Tenor; Basse
taille, der Bariton. Dementsprechend heisst auch die Bratsche Taille.
Taillerus, Simon, Mönch des Dominikaner-Ordens, in Schottland ge-
boren, schrieb ungefähr 1240 mehrere musikwissenschaftliche Bücher. Er wird
Tailler (Britische Bibliothek), auch Tailer (ytScriptores ordines praedicatorum«,
T. 1, Fol. 111) genannt. Die ihm zugeschriebenen Bücher, auch von Pabricius
(lateinische Bibliothek des Mittelalters), sind: »Z)<? cantu ecclesiastico reformando<i,
nDe tenore musicaliic, y^Tefrachordum«, »PentacJiorduma.
Taki-Groto, ein modernes und sehr beliebtes Saiteninstrument in Japan,
bestehend aus einem länglichen, flachen ßesonanzkasten mit 13 Saiten bespannt,
die aus Seide zierlich gedreht und durch "Wachs gezogen sind. Schräg über
die Kesonanztafel laufen 13 bewegliche Stege, durch welche die Töne regulirt
werden. Diese Stege sind von Holz und ungefähr 2^2 Zoll hoch. Der Boden
ist mit gestickter Arbeit geziert und mit Inschriften, Blumen und Blätterwerk
bemalt; im Centrum ist ein offener Fächer (wie die Pose bei abendl. Cithern)
ausgehauen. Vergoldet und mit gemaltem Laubwerk verziert ist das Instrument
und hat Quasten an jedem Ende hängen. Grespielt werden die Saiten mit
einem am Finger befestigten Plectnim. Die Japanesen haben mehrere Instru-
mente vom Geschlecht der Hackbrete, dort Goto (nach andern Angaben Koto)
genannt. Sie sind eine Nachbildung des chinesischen Kin (s. Lexikon II, 399).
Nach Meijlan {y>Japan voogesteld in Schetsenv, Amsterdam, 1830) ist das Goto
in folgende chromatische Tonreihe gestimmt:
:t=:=lz
Jedenfalls sind aber bei verschiedener Stimmung der Musikstücke auch ver-
schiedene solcher chromatischen Tonreihen mit anderem Anfangstone anzu-
nehmen. Eine Abbildung des Taki-Goto steht in C. Engel's »Katalog der
Musikinstrumente« im Kensington-Museum zu London (1871, S. 21). Sie ist
gefertigt nach dem dortigen Exemplar, das 1867 auf der Pariser "Weltaus-
stellung gekauft wurde. B.
Takkay, ein citherartiges Instrument in Eidexenform bei den Siamesen.
Es besteht aus einem hohlen Körper, der auf der Rückseite drei SchalUöcher
6*
84 Takoa — Talent.
hat und auf der Vorderfläche mit einer kupfernen und zwei aus Seide gedrehten
Saiten bezogen ist, die durch Wirbel gestimmmt und guitarrenartig gespielt
werden. Aehnlich ist die Patola der Birmanen.
Takoa, soviel als Schofar oder Schophar (s. d. A. und hebr. Musik).
Es war ein aus Erz oder Silber gefertigtes Blasinstrument zu Kriegszwecken,
Kriegshorn, wie aus Ezechiel, Cap. 7, v. 14 erhellt. Printz (»Geschichte der
Sing- und Klingkunst«, § 24) hat eine Abbildung davon zu geben versucht.
Monumente fehlen.
Tal, eine Flötenart der Inder von stark einschneidendem Ton, welche be-
sonders bei den Tänzen der Bajaderen ihre Verwendung findet.
Talan^ ein Schlaginstrument der Inder, eine Art Cymbel, ähnlich wie die
griechischen und römischen Krotalen. Es besteht aus zwei Deckeln, durch
deren Schläge man den Rhythmus bei Tänzen und Märschen markirte.
Talabardou, Pascal, Professor der Musik, gab heraus: y>Traite-theorico-
joratique de V articulation musieale, avec des ohservations sur les sons de la langue
frangaise et sur la theorie des intervallesa (Paris, Schonenberger, 1841, in 4").
y>Cours de musique vocale. Introduction ä toutes les methodes de chant, deuxieme
edifion« (ibid. 1843, 1 vol. in 12°, avec trente quatre pages de musique).
Talauderius, s. Talhanderius.
Talea (vom latein. talis) bezeichnete bei den alten Theoretikern die voll-
ständige Einheit der kleinern Glieder eines bestimmten Theils eines Tonstücks
in Bezug auf Namen, Stellung und Geltung der Noten und Pausen. (»TÄLJEÄ
est idemtitas particidarum in una et eadem parte cantus existentium quoad nomen
locum et ualorem notarum et pausarum suarumu. Tinctoris: y>TerminoruTn mu-
sicae Diffinitoriuma..)
Talent ist ein Grad, und zwar nach dem Genie der höchste geistiger
Befähigung, Dem Wortsinn nach ist es »die reich zugewogene Gabe, das
Pfund, mit dem man wuchern soll«. Im engern Sinne unterscheidet man noch
als besondere untere Stufen: Wohlbegabtheit und Geschick. Beide be-
ziehen sich indess mehr auf technische Fertigkeiten. Unter Wohlbegabtheit
versteht man zunächst die Anlagen, auf verschiedenen Gebieten der Thätigkeit
etwas zu leisten; gewinnen diese dann eine bestimmte Eichtung in der ent-
sprechenden Ausübung gewisser Fertigkeiten, so werden sie zur Geschick-
lichkeit. Wohlbegabtheit ist für jede Leistung in allen Fächern geistiger
und mehr mechanischer Thätigkeit erforderlich, während das Geschick mehr
nur für letztere als Voraussetzung gilt. Als Talent äussern sich dann Be-
gabtheit und Geschick in der besondern Vei'anlagung für ganz bestimmte
Gebiete der Thätigkeit des Geistes. Das Geschick, Feder und Griffel anmuthig
und charakteristisch zu handhaben, verräth Talent zum Zeichnen und Malen;
das Geschick, Melodien nach dem Gehör nachzusingen und zu spielen, verräth
Talent zum Gesang und zur Musik überhaupt; ebenso wie die Fähigkeit, mit
Bausteinen instinctiv symmetrische Figuren zusammenzustellen, auf Talent zur
Baukunst schliessen lässt. Dies äussert sich zunächst auf der untersten Stufe
in solchen besondern Geschicklichkeiten. Künstlerisch angelegte Naturen zeigen
in der Eegel früh dies allgemeine Geschick für künstlerische Thätigkeit über-
hauj)t, sie versuchen zu zeichnen und zu malen, zu dichten und zu musiciren
und erst allmälig bricht dann das Talent für eine besondere Thätigkeit
hervor. Nicht selten aber auch überwiegt der eine Zug alle andern, so dass
kein Zweifel über die vorherrschende Befähigung: für die eine Kunst bleibt.
Als unterste Voraussetzung gilt natürlich, dass die betrefi'enden Organe des
menschlichen Körpers auch für die Ausübung der bestimmten Kunst besonders
günstig gestaltet sind. Wie die bildenden Künste: Malerei, Skulptur und
Architektur ein besonders günstig organisirtes Auge erfordern, neben der
leicht und geschickt gestaltenden Hand, so die Musik und in gewissem Sinne
ja auch die Dichtkunst, ein feines Ohr für den Klang und Tonfall des
Stimmorgans und die eigenthümlichen Wirkungen des Rhythmus.
Talent. 85
In den meisten Fällen, wenn ancli nictt immer, hat Mutter Natur dem
speciflschen Drange des Geistes auch die entsprechenden Organe in möglichster
Vollkommenheit beigegeben, und früh regt sich der Trieb im Kinde schon, sie
auch zu brauchen. Aus der blossen Freude, die dies an den einzelnen Erzeug-
nissen der Kunst empfindet, entwickelt sich gar bald der Drang, selbst zu
formen und zu bilden, zu singen und zu musicireu, zu dichten und zu fabu-
liren. Hier nun zeigt sich das besondere Talent und der eigenthümliche Grad
desselben. Die erste Vorbedingung für die Schöpfung des Kunstwerks ist die
Herrschaft über die technischen Mittel der Darstellung. Diese zu erreichen
ist daher die erste, höchste und in der Regel einzige Aufgabe des Talents.
Es eignet sich mit mehr oder weniger Leichtigkeit durch Fleiss und ernste
Studien alle die Fertigkeiten an, welche dazu gehören, künstlerisch thätig sein
zu können; durch Unterweisung und Uebung gelangt es dahin, selbst ein Kunst-
werk in höchster Formvollendung zu schaffen. Es unterzieht das gesammte
Darstellungsmaterial durch fortgesetzte Arbeit den ernstesten Untersuchungen
in Bezug auf seine Ausdrucksfähigkeit nicht minder wie in Bezug auf die
Gesetzmässigkeit seiner Verarbeitung; weil es hauptsächlich darauf gerichtet
ist, das formvollendete Kunstwerk zu schaffen, so muss es sich über die Be-
dingungen desselben zuerst die möglichste Klarheit zu verschaffen suchen. Es
schliesst sich daher bei seinen Uebungen wie bei seinem Schaffen den voran-
gehenden oder auch gleichzeitigen grossen Meistern an, indem es mehr nach-
ahmend verfährt. Das Talent kommt darüber aber auch nicht hinaus; es ge-
langt auf diesem "Wege der nur mehr aneignenden Thätigkeit wohl dazu, ein
schönes, selbst mustergültiges Kunstwerk zu schaffen, aber diesem fehlt der
selbständige neue Inhalt, den die höchste Potenz geistiger Befähigung, das
Genie, dem Kunstwerk giebt. Nur hierin unterscheidet sich dies von jenem,
im Uebrigen ist der Gang der Entwickelung desselben ziemlich genau derselbe
wie der so eben beschriebene; der neue Inhalt, den das Genie dem Kunst-
werk giebt, erfordert zu seiner Gestaltung ebenso unumschränkte Herrschaft
über das gesammte Darstelluugsmaterial, wie sie das Talent erwerben muss,
und diese gewinnt das Genie ebenso nur durch Uebung und eingehende Stu-
dien wie das Talent, wenn ihm diese auch meist noch leichter werden und
wenn es auch rascher damit zu Ende kommt, als jenes.
Die allgemeine Anschauung, nach welcher nur ein besonderer, ungewöhnlich
an- und aufregender Inhalt als genial gilt, und nach welcher der Genius alles
von selbst kann, auch die Technik seiner Kunst, ist gewiss ganz falsch iind
hat viel Verwirrung angerichtet. Das Verhältniss des Talents zum Genius
ist kein anderes als das erörterte; das Talent eignet sich nur an; es ist die
Fähigkeit, der höchsten Technik Meister zu werden und gewinnt mit dieser
jenen allgemeinen Inhalt, welcher diese überhaupt erzeugte und der höchstens nur
besonders individuell gefärbt erscheint, das Genie bringt einen eignen
Inhalt, für dessen Ausdruck es dann nach der entsprechenden Technik sucht.
Diese findet es naturgemäss nur im Anschluss an den Gang der Entwickelung
derselben. Wie an verschiedenen Orten des vorliegenden Werkes nachgewiesen
worden ist, unterliegt die Technik auch allgemeinen, im Material und der
eigensten Idee der Formen begründeten, nicht vom speciellen Inhalt bedingten
Bestimmungen, und diese muss auch der Genius kennen und meisterlich beob-
achten lernen. Dies aber erreicht er nur durch ernste Studien und
Uebungen, wie sie auch das Talent anstellen muss.
Der Bildungsgang aller grossen Meister der Vergangenheit giebt zahlreiche
Belege hierzu. Auch die glänzendste Begabung offenbart sich in den Jugend-
arbeiten in der Hegel nur dadurch, dass sie sich rascher die überkommenen
Mittel und Formen ihrer Zeit aneignet und sie in ungewöhnlicher Weise ver-
wendet, nur in einzelnen, meist sehr verborgenen Zügen giebt sich die beson-
dere Richtung zu erkennen, nach welcher das Kunstwerk weiter geführt werden
soll. Unter dem energischen Streben nach Aneignung der Kunstmittel wird
86 Talent.
selbst der geniale Zug eingeengt und zurückgetalten. "Wie stark diese äussern
Verhältnisse das "Walten des Genius beeinflussen, ist namentlich an Händel
und Gluck erwiesen, die beide die eine Hälfte ihres Lebens, und zwar die
für Produktion meist ergiebigste, einzig im Sinne und Anschluss an ihre Zeit
gearbeitet haben, ehe sie ihre eigentliche Aufgabe ergriffen und ihre Mission
erfüllten. Beide begannen dies erst in reifern Jahren ; jener, indem er das
Oratorium, dieser, indem er die heroische Oper zur Höhe der Vollendung
führte. Früher als diese beiden Meister erfasste Job. Seb. Bach seine Mission.
In ihm sollten die verschiedenen Strömungen, in welche die Kunstpraxis seiner
Zeit sich ausgebreitet hatte, wiederum einheitlich zusammengefasst werden, durch
ihn der strenge Contrapunkt der alten Schule mit den neuen Kunstmitteln be-
weglicher und freier gestaltet werden, um ihm zugleich höhere Bedeutung zu
geben; und in diesem Bestreben, dem alten Contrapunkt die Innigkeit des Volks-
liedes zu vermitteln, finden wir ihn von vornherein thätig; er ist unablässig
bemüht, sich den Contrapunkt mit all seinen künstlichsten Formen anzueignen
und zugleich aber die verschiedenen Stilarten der freiem instrumentalen Schreib-
art und dass ihm diese Vermittelung gelang, ist seine unerreichte Grösse. Damit
schuf er jene "Werke, die ihn unter den grössten Genies zu dem unstreitig
hervorragendsten machen.
"Wie ganz anders auch die künstlerische Thätigkeit Jos. Haydn's der,
der vorerwähnten Meister gegenüber erscheint, so ist doch sein Genie nicht
srerinffer zu achten, mit dem er die Instrumentalmusik in die neuen Bahnen
der Entwickelung führte, auf der ihm dann Mozart und Beethoven folgten,
und dass sie nicht blos wie das Talent, dem vordem Meister nachahmten, son-
dern in dem gleichen Streben und innerhalb derselben Formen einem neuen
Inhalt Ausdruck geben und dass sie auch andere Formen, wie die des Liedes
oder der Oper, mit neuem Inhalt erfüllten, lässt sie als Genies erscheinen. In
diesem Sinne ist es auch ganz zweifellos, dass auch die drei bedeutendsten Ro-
mantiker Schubert, Mendelssohn und Schumann, was man nicht überall
zugestehen will, als Genies gelten müssen, indem sie für den neuen, echt roman-
tischen Inhalt der neuen Zeit die rechte Form fanden.
Erscheint demnach das Talent auch dem Genie nach seiner Bedeutung
durchaus untergeordnet, so hat es dennoch nicht nur seine grosse kunst-, son-
dern auch cultur historische Bedeutung. In seinem Streben nach künstlerischer
Vollendung wird es nicht so leicht auf Abwege geführt, wie das Genie. Das
Talent hat zunächst kein anderes Ziel, als nur Vollendetes zu leisten, sei es
auch in mehr hergebrachten Formen und in allgemeiner VTeise, und in diesem
Bestreben offenbart es uns nicht einen neuen Inhalt, aber es giebt den be-
kannten und geliebten doch in möglichst vollendeter Form, wodurch immerhin
das künstlerische Vermögen eines Volkes wächst. Das Genie dagegen folgt
mehr dem gewaltigen Drange, das Neue, was es uns zu verkünden hat, zu
offenbaren, und dabei macht sich nicht selten der Trieb bemerkbar, auch nur
sich selbst zu folgen, nur die eigene Eigenthümlichkeit herauszukehren und
nicht mehr nach den allgemeinen Gesetzen der Schönheit, nach den Bedingungen
künstlerischer Verständlichkeit zu "fragen. Das geniale Individuum stellt dann nur
sich selbst dar in subjektivster Fassung, dabei leidet entschieden die künst-
lerische Darstellung, und einen wie interessanten Inhalt es uns auch zu offen-
baren vermöchte, dies geschieht dann doch nicht in der entsprechenden künst-
lerischen Form, Nach dieser Seite ist der Einfluss, den die nur mit Talent
begabten Künstler auf die genialen gewonnen haben, noch viel zu wenig ge-
würdigt, dieser wird im Gegentheil weit unterschätzt. Bei einzelnen genialen
Meistern ist dieser Einfluss direct nachzuweisen. Job. Seb. Bach hat an dem
Talent eines Buxtehude, und Heinkens eines Vivaldi und der bescheidenen
Cantoren Thüringens seinen Eiesengeist mit gross gezogen. Für Händel's
Genius wurde ebenso wie für den Gluck 's das Talent der italienischen Opern-
componisten seiner Zeit zum Lehrmeister; wie viel Haydn dem talentvollen
Talesio — Tallis.
87
Sohne des grossen Thomascantors, dem gesclimackvollen Phil. Em. Bach ver-
dankt, das hat er selber laut und wiederholt bekannt. Für Mozart's Genius
wurden gleichfalls die, dem bescheidenen Talent der italienischen Operncompo-
nisten entsprosste italienische Oper zur Arena, in welcher er seine junge Kraft
versuchte und zugleich stählte und schulte und was er weiter aus Schweitzer's
und der Zeitgenossen dramatischen Arbeiten lernte, hat auch er wiederholt
anerkannt. Die kleinern Meister des Liedes, wie Zumsteg, halfen auch Schu-
bert den ersten Liedstil auffinden und so dürften sich noch eine Reihe erwie-
sener Thatsachen anführen lassen, welche bis zur Evidenz darthun, dass das
Talent nicht so ohne Nachhall arbeitet und schafft, wie man in der Regel
annimmt. Die gewaltigen Thaten des Genius sind nur zu sehr geeignet, die
Sinne zu blenden und alles andere zu verdunkeln, so dass der Zusammenhang
zwischen diesem und jenem nicht mehr vorhanden erscheint. Aber in der That
wird das Genie immer nur dann unvergänglich Grosses und Herrliches schaffen,
wenn es sich im natürlichen Zusammenhange mit der organischen Entwickelung
hält, nur als die höchste Potenz des Talents, als der Inbegriff aller Vertreter
desselben erscheint. Darin beruht seine monumentale Grösse, dass es die ver-
einzelten Bestrebungen der mitstrebenden Talente zusammenfasst im einheitlich
organisirten Kunstwerk, wodurch dann allerdings jene Bestrebungen gewisser-
maassen die Existenzberechtigung verlieren, weshalb sie denn auch meist wenn
nicht ganz vergessen werden, doch auch nur für die Geschichte erhalten bleiben.
Talesio, Pedro, Professor der Musik zu Co'imbra im Anfang des 17. Jahr-
hunderts, hat herausgegeben: -»Arte do Carito chao com huma hreve instrugaö
para os Saeerdotes, Diaconos, e Suldiaeonos, e mogos do Coro conforme o uso
romanoa (Coimbra, 1617, 4", et ibi por Diogo Gomes do Loureiro, 1628, 4°).
Talhaudier, Petrus, lateinisch: Talanderius, Verfasser eines Manuscripts,
das sich in der Bibliothek des Vatikans No. 5129 befindet und verschiedene
Abhandlungen über den Gregorianischen Kirchengesang und über die Mensural-
Musik enthält. Der ganze Codex hat den Titel: r>Lectura tarn super cantw
mensurahili, quam super immensurahilia. Das Manuscript ist aus dem 15. Jahr-
hundert und enthält interessante Capitel.
Talian, ein altböhmischer Nationaltanz mit Tactwechsel, ähnlich den Ober-
pfälzer Bauertänzen. Der Name bedeutet so viel als Italiener. — Hier ist die
Musik dazu, mitgetheilt in Dionys. Weber's »Lehrb. der Harmonie« (Prag, 1830).
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Tallis, Thomas, einer der grössten Contrapunktisten Englands im 16.
Jahrhundert, gehörte als Organist zur Königl. Hofmusik unter der Regierung
Heinrich VIII., Eduard VI., der Königin Maria und der Königin Elisabeth.
In späterer Zeit versah er das Amt gemeinschaftlich mit seinem Schüler Bird,
welcher ebenfalls als Contrapunktist berühmt geworden ist. Die Leistungen
beider sind um so höher anzuschlagen, als sie, wenigstens in ihrem Vaterlande,
keine Vorbilder für ihre Arbeiten fanden. Die Musik des Tallis ist edel und
schön, anfangs ausschliesslich auf den Cantus firmus der lateinischen Gesänge
der katholischen Kirche eingerichtet, bis Dr. Aldrich zum Gebrauch der eng-
lischen Kirche den Gesängen englische Uebersetzungen und Parodien unterlegte.
Das Einkommen des Tallis belief sich nicht höher als täglich 7 Pfennige, doch
dass man ihn dennoch zu schätzen wusste, beweist die Ertheilung eines Privi-
legiums, an welchem Bird participirte. Es war Beiden dadurch das ausschliess-
liche Recht zugestanden, während eines Zeitraumes von 21 Jahren ihre Werke
selbst drucken zu dürfen. Dies Patent wurde zehn Jahre vor dem Tode des
38 Taloni — Tambourin.
Tallis ausgefertigt, und der erste Gebrauch, den sie davon macliten, war die
Herausgabe des folgenden Werkes, welches mit die besten Sachen von Tallis
enthält: y)Cantiones quae ah argumento sacrae vocmitur, qidnque et sex 'partium^
autoribus Thomae TaUisio et GuUelmo Birdo, Anglis sereniss (London, Yautrollier,
1575, in 4"). Reginae Maj. a privato savello Generosis et Organistisa. Andere
Arbeiten desselben Autors sind noch in Sammlungen und im Manuscript er-
halten. Zunächst in der Sammlung: y>Morning and evening prayer and com-
mmiion, set forthe in 4 partes to he song in cJmrches, hoth for men and children
witJi dyvers other godly prayers and anthems of sundry mens doyngs« (Imprinted
at London by John Day, 1565). Enthält Compositionen von: Cawston, Heath,
Hasleton, Johnson, Tallis, Oakland und Shepard. Ferner in des Dr. Boyce
Sammlung von Kirchenmusiken, gedruckt 1760. In: y>First Book of selected
church music«. von John Barnard (London, 1648). In der allgemeinen Musik-
geschichte von Burney, Band III, S. 27 — 28 steht (in Partitur abgedruckt) eine
fünfstiramige Motette. Ebenda ein fünfstimmiges Kirchenlied: yySalvator mundi«,
(in Partitur, Band III, S. 77 — 79). In der Musikgeschichte von Hawkins
(Band III, S. 267 — 275, in Partitur) eine fünfstimmige Motette •aÄhsterge, Do-
minev.. Ebenda ein Canon: y>]i£iserere nostri, Bominea für sieben Stimmen.
(Band III, S. 276—278) und nach einer Handschrift: y>8ong, Like as the dole-
fulU (Thl. V, S. 450 — 452). Manuscripte befinden sich in Cambridge und in
Oxford in der Bibliothek der Christkirche. Am letzteren Orte ist das inter-
essanteste seiner Werke, eine vierzigstimmige Composition aufbewahrt. Diese
ist 136 Takte lang und besteht aus 40 obligaten Singstimmen: acht Soprane,
acht Mezzo-Soprane, acht Contra-Tenöre, acht Tenore und acht Bassstimmen
nebst Bass continuo. Sein und des W. Bird Bildniss sind auf einer Platte,
das eine über dem andern von G. von Gucht in Kupfer gestochen.
Taloni, Hieronymus, Componist der römischen Schule und Kapellmeister
der Kathedrale von Albano im Anfang des 17. Jahrhunderts. Es ist von ihm
nur eine Composition bekannt: r>Motetti Salmi di Yespri e compieta con le Änti-
fone a tre e quattro vocia, op. 2 (Rom, Masotti, 1629, in 4°).
Tainberlik, Enriko, einer der ausgezeichnetsten Tenoristen seiner Zeit,
ist 1820 zu Rom geboren und bildete sich nicht nur zu einem der vortreff-
lichsten Sänger, sondern auch zu einem ausgezeichneten Schauspieler und in
dieser Doppeleigenschaft errang er ausserordentliche Triumphe namentlich in
Petersburg, wo er lange Zeit verweilte. 1867 ging er nach Madrid, wo er
namentlich auch als Gesanglehrer erfolgreich wii'kte.
Tambour de basqne, s. Tambourin.
Tainbouriu. Mit diesem Ausdruck bezeichnet man die baskische Trom-
mel (Tambour basque), d. i. eine flache Handtrommel, die aus breiten Reifen von
Holz oder Metall besteht, über welchen auf der einen Seite ein Fell gespannt
ist, das mit der Hand geschlagen, oft auch nur mit den Fingern gerührt wird.
Gewöhnlich sind in den Reifen kleine runde Stückchen Blech zum Rasseln
eingelassen oder an dem Reifen einige Paare kleiner Schellen angebracht, die
ein Geklingel machen, wenn man das Fell anschlägt oder das ganze Instrument
nach dem Takte schüttelt. Dieses Schlaginstrument ist aber uralt und führt
wohl mit Unrecht den Namen Baskentrommel, da man es schon unter den
Monumenten der Griechen und Römer, namentlich in der Hand von Tänzerinnen
(man denke an die Abbildung der bekannten Tänzerin aus Hex'culanum) abge-
bildet findet. In ganz Südeuropa wird noch gegenwärtig dasselbe Instrument zu
Volkstänzen verwendet und in der Regel von den Tänzerinnen selbst geschlagen.
Tambourin heisst ferner ein französischer Tanz nach Art der Gavotten, im
'/4-Tact, von munterem Charakter und in geschwinder, leichter Bewegung. Er
war ursprünglich in der Provence üblich und wurde mit der Handpauke (Tam-
burin) und dem Flageolet begleitet. Hier ist ein Musikstück dieses Namens aus
La Borde: -»Essai sur la musiquea II (1780).
Tambonriii de Provence — Tamburini.
89
Tambonrin.
ai^lgäi^feisl^^^^l^i^isi
Andere Beispiele von Tambourins finden sich in Rameau's Compositionen.
Tambonrin de Provence heisst eine kleine Trommel, welche der Spielmann
vor sich hängen hat und auf welcher er mit der einen Hand den Tact schlägt,
während die andere auf dem Galouhet (einem Pfeifchen) fingert, das er zugleich
dazu bläst. Solche Spielleute mit Pfeife und Trommel in einer Person findet
man im Mittelalter vielfach abgebildet. Das war gewöhnlich die einzige Musik
zum ländlichen Tanze in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden,
Tambonrin de Gascogne ist ein Saiteninstrument, das aus einem Schall-
kasten besteht, über welchen einige Saiten gespannt sind, die mit einem Stäb-
chen, das der Spieler in der rechten Hand hält, geschlagen werden, während
er mit der linken die Töne auf einer dazu geblasenen kleinen Flöte (Galouhet)
greift. In Gascogne und Bearn ist das sehr gebräuchlich.
Tambnr, s. Tanbur.
Tambnr Bag"laniah, Kinder-Mandoline, ähnlich dem T ambur Buzurk,
doch von dem geringern Umfang von zwei Octaven und kleineren Dimensionen.
Tambnr Bnlgkary, eine reich verzierte kleine Mandoline mit vier Metall-
saiten, zwei einzelnen und einer doppelten, im Umfange von zwei Octaven.
Tambnr Buzurk, grosse Mandoline, anscheinend persischen Ursprungs, mit
sechs Saiten, die einen Umfang von 2^2 Octaven umfassen.
Tambnr Cliarky ist mit einer Messing- und zwei Stahlsaiten bespannt.
Tambnr Kebyr-Turky, eine grosse Mandoline, etwas mehr halbrund gewölbt,
mit plattem Klangkasten und acht Saiten mit einem Umfang von 2^/2 Octaven.
Tambur Kütschek, eine kleine Mandoline mit acht Saiten.
Tamburek ebenfalls eine Mandoline der Türken, mit vier Saiten bespannt
und mit vielen Bändern und Schellen versehen.
Tambnrinl, Anton, einer der bedeutendsten Basssänger seiner Zeit, geboren
am 28. März 1800 zu Faenza, wo sein Vater, Pas quäle Tamburini, als
Musiklehrer lebte. Dieser wurde später Dirigent eines Militärmusikchors in
Fossombrone im Gebiet von Ankona und hier bereits unterrichtete er den kaum
neun Jahre alten Knaben im Hornblasen, was er jedoch einstellte, als er be-
merkte, dass die Behandlung dieses Instrumentes dem Knaben zu grosse An-
strengung verursachte. Er gab nun der musikalischen Ausbildung desselben
eine andere Richtung, indem er ihn dem Kapellmeister Aldobrando Bossi
übergab, der mit ihm Gesangstudien vornahm. Zwölf Jahre alt kam T. nach
Faenza zurück und sang zunächst während der Messe im Opernchor mit. Hier
war er im Stande, vermöge seines guten Auffassungstalents durch das Anhören
bedeutender Sänger, die als Solisten mitwirkten, schon bedeutenden Vortheil
zu ziehen. Als sein Contraalt sich bereits in einen sonoren Bass verwandelt
und er eine Zeit lang auch bei Kirchenmusiken mitgewirkt hatte, verliess er
das väterliche Haus und liess sich in Bologna von einem Operndirektor an-
werben. Sein erstes Auftreten fand in der Oper y>La Comteasa di Col-Hrhosi«
von Generali in der kleinen Stadt Cento statt und seine erste Tournee erstreckte
sich auf Mirandola, Correggio und Bologna. Von hier aus erhielt er ein bes-
seres Engagement nach Piacenza für den Carneval 1819 und hier zeigte er
sich so vortheilhaft in den Opern yiCenerentolaa, »Die Italienerin von Algier«
und yyGU Ässassinia von Trento, dass er für das Theater Nuovo in Neapel
engagirt wurde. Auf dem ganzen Zuge durch die Städte Italiens, den der
Sänger nun unternahm, gewann er immer mehr an Erfolgen. Sein Gesang soll
zwar nicht völlig ohne Mängel gewesen sein, doch die von Natur schöne volle
90 Tamburins — Tamltius,
und biegsame Stimme vom schönsten Timbre (sie reichte vom eingestrichenen
G bis zum tiefen C), vereint mit dem Vorzüge einer schönen Vocalisation und
einer ausdrucksvollen Cantilene, machte ihn für lange Zeit zum hochberühmten
Sänger, Livorno, Florenz, Turin, Mailand (wo er sich 1822 mit der schönen
Sängerin Marietta Gioja verheiratete), Triest und Venedig wurden zunächst
Orte seiner Triumphe, besonders in der letzteren Stadt glänzte er in einem
Hofconcert, bei welchem auch Rossini thätig war. Nun ging T. auf zwei Jahre
nach Rom, besuchte Palermo, wiederum Venedig, und war dann auf längere
Zeit vom Entrepreneur Barbaja für die Theater von Neapel, Mailand und Wien
engagirt. Vom Jahre 1832, während mehr als zehn Jahren, gehörte er den
Parisern und diese Zeit ist als seine Glanzperiode zu bezeichnen. Er behaup-
tete hier seinen Platz neben Rubini, Lablache, den Sängerinnen Persiani, Grisi,
Viardot und versetzte das Publikum gleich diesen in Entzücken. Ungefähr 1841
kehrte er nach Italien zurück und obwohl der Zenith seines Ruhmes nun über-
schritten war, sang er noch in Lucca, Sinegaglia, 1852 in Petersburg und
Moskau, noch später in London. Er besuchte nachdem Holland und 1854
noch einmal Paris und erschien in London zum letzten Mal auf der Scene,
zu lange, um nicht einen neuen Beweis zu liefern, dass hier nichts bleibend
ist. Kraft und Glanz der Stimme waren schon längst im Entschwinden. Er
lebte später in Nizza und starb daselbst am 6. November 1876.
Tamburins, eine Art Tamburek (s. d.), das aber nur drei Saiten hat.
Taiuburo (ital.), tamhor, atamhor (spanisch und portugiesisch), tahor
(provenc), tamhour (franz.), die Trommel und auch der Trommler. Davon
das Diminutiv tamhurino (ital.) und tambourin (franz.) für die kleine Hand-
trommel. — Alle diese Ausdrücke der romanischen Sprache für Trommel sind
vom persischen Worte tamhior und arabischen tanhur abzuleiten, was dort
aber nicht eine Trommel, sondern eine langhalsige, mit einem Stäbchen geschla-
gene Zither bezeichnet. Da alle diese romanischen Bezeichnungen für Trommel
an arabischen Ursprung gemahnen, so hat Wolfram in Willehelra ganz Recht,
wenn er von dem tarnbüe als einer sarazenischen Sache spricht. Uebrigens war
auch im Mittelhochdeutsch der fremde Ausdruck tamhür und tahür gebraucht,
z. B. im Parcival 764, 24:
„Do reit dar zuo mit schalle
Artus mit den sinen,
man bort da pusinen,
tambürn, floitieren, stiven."
{Stive, Estive, ein provencalisches Wort, ist bei Diez [»Poesie der Trouba-
dours«, S. 41] als Sackpfeife erklärt.)
Tamburo ruUante ist eine kleine Trommel, die sogenannte Militärtrommel,
auf welcher der Wirbel geschlagen wird (s. Trommel).
Tämerlein, eine Art Trommel. Das deutsche Wort, jedenfalls aus dem
französischen tamhour , tajnbotirin entstanden, kommt im 16. Jahrhundert
vor, z. B. in der Urkunde zu dem Triumphzuge Maximilian's I., wovon eine
Abbildung von Albrecht Dürer im Nürnberger Rathhaussaale sich befindet
(s. d. Lex. I. 595).
Tamitius, Andreas, seit 1669 als Orgelbauer bei der Kurfürstl. Sachs.
Kapelle in Dresden angestellt, galt seiner Zeit als einer der tüchtigsten Meister
in seinem Fache. Er baute 1683 — 1684 die Orgel in der Petrikirche zu Gör-
litz von 47 Stimmen mit drei Manualen und Pedal, die als treffliches Werk
galt, 1691 aber schon abbrannte. Näheres über diese Orgel enthält Brückner's
»Historische Nachricht von denen Orgeln der Petri- und Paulskirche in Görlitz
u, s. w.« (Görlitz, 1766).
Tamitius, Johann Gott lieb, der Sohn des Vorigen, lebte als Orgelbauer
in Zittau und baute 1744 zu Lossow bei Frankfurt a. 0. »ein zwar kleines,
aber trefflich intonirtes Werkchen von 17 Stimmen mit drei grossen Bälgen.
Er machte besonders vortreffliche Flötenstimmen und lebte noch 1754« (Gerber,
Tamplini — Tandolini. 91
»Neues Tonkiinstlerlexikon«). Sein Sohn, dessen Vorname nicht bekannt ge-
worden ist, lebte ebenfalls als Orgelbauer in Zittau. Nach Gerber haben die
Mitglieder der Familie Tamitius hauptsächlich Böhmen, die Lausitz und Schle-
sien mit ihren Werken versorgt.
Tamplini, Giuseppo, Fagottvirtuose, angestellt am Theater de la Scala
zu Mailand gegen 1840, gab heraus: •^Capriccio sopra VElisire d'amore per Fa-
qoHi con fianofortea. (Mailand, Riccordi). nüemitiiscenza dell Opera Eoherto tl
Diavolo di Meyerheer, Faniasia per Fagotto etc.v. (ibid.). -aSouvenir de Bellini,
Fantaftia per Fagotto etc.v. (ibid.) u. a.
Tancioni, Eugenio, Componist aus Perugia, gegeu 1812 geboren. Ausser
einzelnen Gesängen, erschienen bei Riccordi in Mailand, ist seine Oper »ia
Soffitta degli artisti« in Corfu aufgeführt worden,
Tamtam ist ursprünglich ein hindostanisches Schlaginstrument, das seinen
Weg nach dem Abendlande gefunden hat und noch nicht gar lange als eifekt-
machendes Lärminstrument in das Orchester aufgenommen wurde, während man
es vordem nur in Thierbuden zur Messzeit sehen konnte. Es besteht aus einer
Platte von Glockenmetall, mit etwas aufgebogenem Pande, die, mit einem Klöppel
(Holz- oder Metallhammer) angeschlagen, einen ungemein dröhnenden Schall
giebt. Die Anfertigung der Metallmasse, aus geflochtenem Draht zusammen-
geschmiedet, soll im Abendland noch ein Geheimniss sein; die Militärchöre
beziehen daher das Lärminstrument echt aus China — über Berlin, für ziem-
lich hohen Preis. In Hindostan heisst dasselbe Instrument Gong (s. d.) Die
Franzosen nennen den Tamtam Beffroi, ein Ausdruck, mit welchem sie früher
die Lärm- und Sturmglocke bezeichneten. — Der Tamtam eignet sich nur für
Trauermusiken oder für dramatische Scenen, wo das Grauen den höchsten Gipfel
erreichen soll. Seine Schwingungen in forte, mit den schmetternden Akkorden
der Blechinstrumente gemischt, machen schaudern. Die ganz schwachen (pia-
nissimo-) Tamtamschläge, wenn nicht durch andere Instrumente zu sehr gedeckt,
sind nicht minder grauenhaft. Letzteres hat Meyerbeer bewiesen in der herr-
lichen Scene der Nonnenauferstehunor im »Robert«. Als Mark- und Beindurch-
dringer wurde der Tamtam bei Trauerfeierlichkeiten in Frankreich zuerst ver-
wendet und zwar das erste Mal am 4, April 1791 beim Begräbniss Mirabeau's.
Gossec in seinem Trauermarsch verwendet dasselbe Instrument effektvoll, nach
ihm hat Spontini in der »Yestalin« eine schreckliche Wirkung erzielt. Zu der
Trauerceremonie bei Rückkehr der Reste Napoleon's I. am 15. Decbr. 1840
fand es ebenfalls Verwendung.
Tanbur und Dambura, ein persisch-türkisches Zitherinstrument mit langem
Halse und mehrern Saiten, einige von Stahl, andere von Messing, die mit einem
Plectrum von Schildkrot geschlagen werden. Raphael, ein Tonkünstler im
Dienste des Sultans in Constantinopel um 1786, zeichnete sich auf diesem In-
strumente aus, — Im Orient unterscheidet man mehrere Arten dieses Instru-
ments: 1) Tanhur huzureJc, gross Tanbur; 2) Tanhur hutscheh, klein
Tanbur; 3) Tanhur hulgliary, die bulgarische Zither; 4) Tanhur haghlama,
das niedliche, dünne; 5) Tanhur cJiarky, orientalisches, 6) Tanhur kehyr
turJcy, breites türkisches Tanbur.
Tandolini, Giovanni, Operncomponist, geboren zu Bologna 1793, kam
unter Mattei und des Tenoristen Babini Leitung in der Musik so schnell vor-
wärts, dass er 16 Jahre alt in Paris bei der dortigen italienischen Oper, die
damals von Spontini geleitet wurde, als Accompagneur und Chordirektor an-
gestellt wurde. Drei Jahre später, nach der Einnahme von Paris 1814 durch
die Alliirten, kehrte er nach Venedig zurück und brachte seine erste Oper »ia
Fata Älcinaa unter Mitwirkung von Rubini, Zamboni, Marlini mit günstigem
Erfolge zur Aufführung, »ia Frincipessa di Navarrav, y>Il credulo delusov, r>Il
Tamerlanoü, rtMoctara, i>Il Mitridatea wurden sämmtlich in den italienischen
Städten mit Glück aufgenommen. 1830 kehrte er mit seiner Frau (s, den
nächsten Artikel) nach Paris zurück und übernahm noch einmal seine frühere
92 Tandolini — Tansur,
Stellung am Theatre Italien. 1839 ging er wieder nach Bologna. Es sind auch
ein Trio für Ciavier, Hoboe und Fagott bei Cipriani in Florenz und ein Eondo
für Ciavier und Flöte erschienen ; auch schrieb T. Cantaten, Romanzen und
Canzonetten, darunter y>L''JEco di Scorziaa. mit obligatem Hörn, von Rubini in
Concerten mehrmals gesungen. Er starb Ende 1872.
Tandolini, Eugenia, geborene Savorini, Gattin des Vorigen, geboren
1809 zu Forli, Schülerin ihres Mannes, debütirte in Parma und sang dann in
Paris, "WO sie neben der Malibran und Sontag nicht in den Vordergrund treten
konnte. Später aber in Wien und den italienischen Städten hatte sie sich
gerechter Erfolge zu erfreuen und galt eine Zeit lang in Italien für die beste
Sängerin. Mercadante und Donizetti schrieben für sie.
Tangenten werden bei verschiedenen Instrumenten die Körper genannt,
durch welche die tongebenden Theile zum Erklingen gebracht werden. Man
bezeichnet damit die messignen Stifte bei den darnach: Tangentenflügel
genannten Tasteninstrumenten, durch welche anstatt der Hämmer die Saiten
angeschlagen werden, dass sie erklingen. Ferner nennt man damit auch die
Haken und Hebel bei den Spieluhren, welche zunächst von den Stiften der
"Walze erfasst werden und das Erklingen des Tons bewerkstelligen.
Tang'enten-Flngrel, ein Flügel, der nicht bekielt war, sondern nach alter
Art wirkliche Tangenten hatte, also eine Mittelgattung zwischen Cembalo und
Pianoforte, um 1780 zu Eegensburg von Späth erfunden und von ihm und
seinem Schwiegersohne Schmal daselbst gefertigt. Er war auch mit einem so-
genannten Lautenzuge von schöner und eindringlicher "Wirkung versehen und
mit einem Druckwerke für das linke Knie zur Aufhebung des Dämpfers. Nach
und nach brachte ihn Späth bis auf 50 Veränderungen in der Tonangabe. Das
Instrument aus der Uebergangszeit zu unsern jetzigen Flügeln fand keine all-
gemeine Verbreitung.
Tank, Hugo, geboren am 23. Decbr. 1844 in Berlin, erhielt seinen ersten
Ciavierunterricht im achten Jahre. Später wurde der Organist und königl.
Musikdirektor Beinhold Succo sein Lehrer im Greneralbass und Clavierspiel.
Letzterer veranlasste T., sich um Aufnahme in das Königl. Kircheninstitut zu
bewerben, die ihm auch nach einer gut bestandenen Prüfung, welche auf Ver-
anlassung des Ministers v. Mühler bei A. "W. Bach im Institut stattfand, ge-
währt wurde. T. folgte jedoch den Eathschlägen ihm wohlgesinnter Musiker
von Renommee, die ihn veranlassten, in das Königl. Institut für Kirchen-
musik nicht einzutreten und dies dem Ministerium mit der Bitte zu unter-
breiten, ihm seiner Vorliebe zur modernen Musik wegen und da er den Lehr-
gang des Königl. Kircheninstituts schon kennen gelernt hatte, zur Fortsetzung
seiner Studien bei den Professoren Friedrich Kiel und A. Löschhorn ein Sti-
pendium zu bewilligen, das auch nach einer nochmaligen Prüfung bei Friedrich
Kiel auf Befehl des Königs Wilhelm auf zwei Jahre gewährt wurde. T. war
hierdurch in den Stand gesetzt, eine tüchtige Schule des Contrapunkts durch-
zumachen und sein Clavierspiel zu vervollkommnen. Ausser den veröffentlichten
Compositionen leichten Genres schrieb er auch einige Werke ernsterer Gattung.
Tansar, William, englischer Contrapunktist und Musikschriftsteller, ist
1699 zu Barns in der Grafschaft Surrey, wo er auch Organist war, geboren.
1739 kam er nach Leicester, wo er bis zu seinem Tode lebte. 1770 wurde
noch sein Porträt von Newton gestochen und seiner y>Musica sacraa vorgesetzt;
ein Holzschnitt vom Jahre 1743 befindet sich vor seinem Werk: y>A compleat
Melodie«. Dies letztere Werk ist eins seiner umfangreichsten, es besteht aus
drei Bänden und der Titel heisst: riA compleate melody, or the Sarmony of Sion,
in tkrees volumes ; the first containing an Introduction to vocal and instrumental
Muaic; the second comprising the psalms, with new melodies; and the third heing
composed of pari songa (London, 1735). Ein zweites Werk enthält das Psalmen-
buch vierstimmig neu gesetzt: »The universal Sarmony containing the toliole hook
of psalms neivly set in four partsv. (London, 1743). Ein didaktisches Werk:
Tanto - Tanz. 93
y>Ä New musical Grammar: or tlie Jiarmonical Speetafor, confaining all the useful
theoretical, poetical and technical parts of Miisic« (London, 1746, in 4°). Drei
weitere Auflagen erschienen 1753 in 4", 1756 und 1767 in 8'*; diese letztere
mit dem Titel: »A Neio musical Grammar and Dictionarya. London, 1112, in
8" erschien: ^Elements of Music displayd, or its Grammar, or ground Work made
easy : rudimental, practical, philophical, historical and technical«, wahrscheinlich
dasselbe oder eine überarbeitete Auflage des Vorigen. Als letzte Auflage des-
selben erschien noch: y> Musical gramynar and Dictionary, or a general Intro-
duction of the whole art of Music«. (London, 1829).
Tauto (ital.) = so, zu, sehr; wird zur nähern Bestimmung des Zeitmaasses
eines Tonstücks verwendet: Allegro non tanto = nicht zu geschwind;
lento non tanto = nicht zu langsam.
Tantum ergo ist ein Gesang, der au hohen Festen der katholischen Kirche
gesungen wird. Der Text ist eine Strophe aus dem Hymnus des Thomas von
Aquino (f 1271): f>Pange lingua gloriosia.
Tanz. Der Tanz ist die, nach bestimmten Gesichtspunkten geordnete
Bewegung der Körper. Diese ist zunächst bei den lebendig empfindenden durch
die innere Bewegung angeregt. Ein höherer Grad innerer Erregung verursacht,
dass der Mensch, der sich bis dahin still verhielt, sich bewegt, dass er die
Arme erhebt, die Hände reibt oder mit ihnen gesticulirt, dass er, je nach dem
Grade der Innern Erregung, rascher oder langsamer zu gehen beginnt, dass er
springt, hüpft oder sich tanzend im Kreise herumdreht. Diese Bewegungen
müssen bestimmtere Formen annehmen, wenn sie zu wirklich verständlichen
Aeusserungen werden sollen, wenn es in der Absicht des so Bewegten liegt,
von seinem Innern Zustande Anderen Kunde zu geben; und sie müssen noch
fester und sicherer geregelt werden, wenn noch andere Gleichgestimmte daran
lebendig Antheil nehmen. So entsteht eine Kunst der Bewegung, die sich
nach drei Seiten ausbreitet: als Tanzkunst (oder Orchestik), als Kunst der
erhöhten Körperbewegung zum Ausdruck höchster Lebenslust und
der Innern Erregung; als Ausdruck des Mienen- und Gebehrdenspiels (Mimik)
und schliesslich zur Schauspielkunst, zur Kunst der Darstellung von Hand-
lungen wird. Die Tanzkunst entwickelte sich bei allen Völkern zunächst
und zwar im engsten Anschluss an den Cultus und dessen feierliche Zwecke.
So erscheint er in besonderm Glänze bei den Griechen. Zwei Stämme sind
es, die aus dem Dunkel frühester Geschichte Griechenlands sich hervorhoben,
die Pelasger und die Thraker, von denen namentlich die letztern für die Ent-
wickelung der Tanzkunst thätig waren. Vom Norden in das Innere Griechen-
lands einwandernd, begannen sie zur Verherrlichung der Mysterien der Demeter
festliche Tanzreigen auszubilden, die mit der, aus heimischem Rohr gefertigten
Flöte und mit Gesang begleitet wurden. In der weitern Entwickelung der
religiösen Tänze erzeugten die verschiedenen Festzeiten auch Tänze von ver-
schiedenem Charakter. So wurden sie schon bei dem Fest, das später der
Kybele zum Frühlingsanfang gefeiert wurde, rauschender und rasender. In
Phrygien waren es die Korybanten, welche mit orgiastischen Tänzen, wildem
Geschrei und lärmender Musik von Pauken, Cymbeln, Hörnern und Pfeifen
die Göttin feierten. In Kreta führten die Kureten zu Ehren der Göttin und
ihres Sohnes den lärmenden Waffentanz jiQvhg, nvijnr/.i^ auf. Kaum weniger
heftig und stürmisch waren die Tänze bei den dionysischen Festen, während
sie bei den apollonischen weit gemessener und friedlicher waren.
Daneben wurde aber auch die Orchestik als profane Kunst in Griechenland
fleissig geübt. Sie trat in späterer Zeit in nähei'e Beziehung zur Gymnastik,
damit so das Musische und Gymnastische vereinigt werde zu einem gemessenen
Ausdrucke des Innern durch Gebehrden, Haltung und Bewegung. So gelangte
diese Kunst bald allgemein zu grosser "Werthschätzung. Die jungen Sj)artaner
und Kreter wurden fleissig darin geübt, zum Theil schon vom fünften Lebens-
jahre an, und namentlich bei den Jugendfesten der Gymnopaidien zeigte sich
94 Tanz.
die Orchestik in ihrer höchsten Vollendung und vielseitigen Gewandtheit. Die
Knaben tanzten nackt in rhythmischen Bewegungen und anmuthigen Wendungen
und ahmten, ihr Haupt mit Palmzweigen umkränzt, durch ihre Gebehrden Faust-
und Ringkampf nach. Der tragische Tanz 'E^m^ktia war stark mimisch und
gesticulirend, und hatte etwas Feierliches und Erhabenes. Bei den Kriegstänzen
tanzten Knaben und Mädchen zugleich. Einen besonders kunstvoll ausgeprägten
Charakter trugen die Tänze als Chorreigen namentlich dann bei den drama-
tischen Aufführungen, die sich aus diesen Cultusfeierlichkeiten von selbst ergaben.
Bei den Römern stand auch diese Kunst nicht sehr in Achtung; doch
wurde auch bei ihnen der Cultus durch Tanz verschönt, die Salii haben daher
ihren Namen (s. d.). Gegen Ende der Republik wurden die weichlichen und
mitunter unzüchtigen ionischen Tänze beliebt und fanden Eingang auf dem
Theater. Als berühmte Meister werden genannt Pylades im ernsten, tragischen
und Bathyllos im muntern und beweglichen, im komischen Tanz.
Dass der Tanz auch bei den Israeliten durch alle Zeitalter beliebt war
und fleissig geübt und gepflegt wurde, darüber haben wir die unzweifelhaftesten
Zeugnisse. Er kam ebenso wie bei den Griechen zur Verherrlichung des Cultus
zur Anwendung. Man tanzte um Götter und Altäre (Exod. 32, 19; 1. Kor.
18, 26) oder auch in feierlichen Prozessionen (2. Sam. 6, 5. 14) und die nach
exil. Israeliten führten im Vorhofe des Tempels am Laubhüttenfüste einen
Fackeltanz auf. Aber auch im profanen Leben fand er bei den Juden weit-
ausgedehnte Pflege und Anwendung. Insbesondere waren es Weiber und Jung-
frauen, welche Tänze, selbst Solotänze bei Gastmählern ausführten. Auch öffent-
liche Feste und Ereignisse, wie die Weinlese, oder Siegesfeste, der Einzug
fürstlicher Personen oder Kriegshelden wurden durch Tanz verherrlicht, was
die Bibel durch zahlreiche Stellen bestätigt. Dass mit diesen Tänzen auch
häufig Gesang verbunden war, ist ebenfalls erwiesen; häufiger indess wurden
sie wohl mit Pauken, Cymbeln oder auch mit Saiteninstrumenten begleitet,
lieber die Art dieser Tänze sind wir meist auf Vermuthungen angewiesen,
wahrscheinlich waren sie wie bei allen Völkern in solche geschieden, die mehr
gegangen, Reihentänze, und solche, die mehr gesprungen wurden, wie wir es
noch im Mittelalter unter den Deutschen finden.
Tacitus (Germ. c. 24) beschreibt einen Schwertertanz, welchen germanische
Jünglinge ausführten und der aus Sprüngen und kühnen Bewegungen bestand,
wobei die Jünglinge ihre Schwerter schwangen. Aus dem Kampf, den dann
die Geistlichkeit, nachdem die alten Germanen zum Christenthum bekehrt
worden waren, gegen Tanz und Mummerei führten, ersehen wir, dass diese
auch bei den Opfer- und Leichenschmäusen und bei den anderen religiösen
Festlichkeiten der alten heidnischen Germanen üblich waren und dass sie auch
jetzt noch nicht von den alten Gebräuchen ablassen konnten. Aber wie sehr
auch die Geistlichkeit eiferte, sie vermochte doch nur wenig auszurichten. Es
gelang ihr selbst nicht einmal, immer Kii'che und Cultus rein zu erhalten.
Der Tanz drang auch in christliche Kirchen und zeitweis selbst in den Cultus.
Ueppig empor aber trieb er auf Wiese und Anger und auch im stillen Hause.
Aus den Schilderungen der epischen Gedichte und der höfischen Dorfpoesie des
13. Jahrhunderts ersehen wir, dass der Tanz in doppelter Weise, als um-
gehender (careole) und als springender geübt wurde. Jener, der ruhige,
blos getretene Tanz war der höfische. Zu seiner Ausführung nahm jeder
Mann eine oder auch zwei Frauen bei der Hand; es wurde ein Kreis gebildet
und unter Saitenspiel oder Gesang, oft auch beides vereint, hielten die Paare
mit schleifendem leisen Tritt ihren Umgang. Beim Rundtanz schloss die
Gesellschaft einen Kreis und ging singend mit sanfter Bewegung in der Runde
umher, den Gegenstand des gesungenen Liedes durch eine einfache Handlung
darstellend. Diese mehr dramatische Gattung des Rundtanzes war namentlich
bei Vermählungsfeierlichkeiten beliebt. Der einfachste Tanz war der, bei dem
Männer und Frauen eine einzige lange Reihe bilden und sich drei Schritte
Tanz. 95
vor- oder rückwärts bewegen, dann stehen bleiben, indem sie sich hin und her
biegen und dann wieder weiter bewegen. Die ganze Reihe singt dazu Lieder,
die wiederum mit entsprechenden Gebehrden begleitet werden. Diese getre-
tenen Tänze wurden in der Regel in geschlossenen Räumen ausgeführt. Im
weiten Anger, in "Wiese und Wald, dagegen wurde der Reien gesprungen.
Der getretene Tanz wurde in der Regel von einem Vorsänger geleitet;
der gesprungene Reien dagegen von Vortänzei-n, denen die Paare nach-
sprangen. Hierbei wurde natürlich mancherlei Unfug getrieben und wiederholt
musste die Polizei das Umwerfen der Frauen bei solchen Tänzen verbieten.
Die verschiedenen Tänze erhielten auch verschiedene Namen, wie: Grove-
nanz (vom französischen convenance), Ridewanz (vom böhmischen radowa),
Hoppaldei (von hoppen, hüpfen), Mürmun, Trypotey, Achselrote, Hou-
betschote u. s. w. Stadelwise (Stadelweise) hiess ein Tanz, weil er auf der
Tenne der Scheune (dem Stadel) ausgeführt wurde.
Wie erwähnt wurden diese Tänze entweder nur mit Gesang begleitet oder
aber ein Spielmann spielte auf der Flöte, der Pfeife, Geige, oder der Trommel
und dem Tambourin dazu:
„Schlag auf Pauker, ein frischen Reien
Lass sich die Weiber ein Weil ermeien.
Wann sie lang darauf gehart haben
Und lasst uns darnach fürbass traben."
oder:
„Pfeif auf Spielmann!
Ich will tanzen um den han
Und will den ersten Reien springen!"
heisst es in den Tanzliedern des Mittelalters und wir ersehen daraus zugleich,
dass hierbei auch mit besonderer Geschicklichkeit Preise zu erringen waren:
„Beit ein weil spielmann!
Ich will auch tanzen um den han.
Ich will ein kutwolf mit wein
Oben auf meinem Haubt fürn
Und soll dennoch die Erden nit perürn."
Rappelt Manz singt:
„Junkfrau Metz seit gebeten
Ich will den reien mit euch treten
Umb euren kränz, den ihr auf fürt,
Wenn ihr meiner kunst wol spürt
Der ich das pest heut hab gethan
Ich hof uns werd zu lohn der han."
und aus andern Liedern ersehen wir, dass die Schöne ihren Tänzer belobte
und mit dem Rosenkranz, den sie trug, beschenkte, wenn er am besten »sprang«:
„See hin, lieber Nikkei mein.
Nimm von mir das Rosenkrenzelein
Wann du hast von mir das lob
Mit Sprüngen ligstu allen ob."
Diese Volkstänze waren wirklich der Ausdruck des Volksempfindens und
da dies auch bei den verschiedenen Völkern verschieden sich äussert, so culti-
virte jedes auch eine eigne Art von Tänzen, so entstanden jene National-
tänze, die ebenso von dem Nationalcharakter des betreffenden Volkes Kunde
geben, wie die Volkslieder. Das vorliegende Werk widmet diesen verschiedenen
Tänzen meist eigene Artikel, weshalb hier nicht weiter darauf einzugehen ist.
Auch in den mittelalterlichen Spielen hatte der Tanz Eingang gefunden
und so wurde er auch in der recitirten und der gesungenen Tragödie verwendet
und endlich selbständig im Ballet (s. d.) zur theatralischen Vorstellung erweitert.
In Italien gewannen diese zuerst grössere Pflege und dann in Prankreich,
von wo aus sie sich rasch weiter verbreiteten.
96 Tanzlied.
Der gesellschaftliche Tanz ist jetzt allmälig in allen Kreisen zur blossen Be-
lustigung geworden. Im vorigen Jahrhundert noch wurden die eigenthümlichen
Tänze einzelner Stände oder (äewerke, wie der Tanz der Fischer, der Schäff-
1er, der Winzer, oder der Holzapfeltanz, der Fasstanz, der Milchtanz,
der Hammel- und Hahnentanz in einzelnen Gegenden Deutschlands gefeiert,
allein auch diese verschwinden immer mehr; auch die Tänze unter dem Volke
dienen nur noch hauptsächlich der reinen Tanzlust, ohne irgend welch höheres
Bedürfniss, wie der Tanz der Gresellschaft überhaupt. Dieser folgt nur noch
der Gewohnheit, er ist ja selbst nicht einmal mehr wie früher als Ausdruck
bestimmter innerer Bewegung zu betrachten, sondern dient nur der ganz all-
gemeinen Lust am Tanz, und entspricht meist nur rein conventioneilen Gewohn-
heiten; daher hat er auch seinen ursprünglichen Charakter und damit seine
höhere Bedeutung eingebüsst.
Tanzlied. Es unterliegt wohl kaum noch dem mindesten Zweifel, dass der
Tanz in seiner frühesten Entwickelung zugleich mit Gesang begleitet war, schon
weil beide demselben Boden entspringen. Wer zum Tanzen aufgelegt ist, ist
es in der Begel auch zum Singen, und Empfindungen, welche den Tanz erzeu-
gen, suchen wohl ziemlich ausnahmslos auch zugleich Ausdruck im Gesänge.
Hierzu kommt noch, dass der Gesang recht wohl geeignet ist, die rhythmischen
Bewegungen des Tanzes zu leiten und zu ordnen. Hierzu erwiesen sich aller-
dings die einfachsten Instrumente, die Trommeln in ihren verschiedenen
Abarten fast noch günstiger, welche nichts weiter thun, als den Rhythmus
markiren und das ist für den Tanz das Nothwendigste. Für die weitere Ent-
wickelung desselben wird dann allerdings auch die Melodie hoch bedeutsam,
indem diese sich den verschiedenen Zusammensetzungen der Tanzschritte zur
besondern Art des Tanzes genau anschliesst, sie in eigner Weise nachbildet
und so regeln hilft. Allein hierzu waren dann auch die melodiegebenden In-
strumente geeignet und wir finden sie daher früh im Dienste des Tanzes.
Der Spielmann, der Pfeife und Sumber (s. d.) zu behandeln verstand, war im
Mittelalter der best empfangenste Gast in Dörfern und Städten, und wo er
sich sehen Hess, da wurde rasch ein Tanz improvisirt auf der Wiese oder
der Tenne. Wo der Gesang mit hinzu trat, da sollte er nicht nur den
Spielmann ersetzen, sondern zugleich der, den Tanz erzeugenden Stimmung
Ausdruck geben. So entstanden die Tanzlieder, die im Metrum und der
Melodie sich eng den Tanzschritten anschliessen und deren Text die mannich-
fachsten, mit dem Tanz in Beziehung stehenden Stoffe behandelt. Sie schildern
die Freuden des erwachenden Frühlings, wie die, welche der Winter in
der Stube und im Hause bringt. Weiterhin gab natürlich auch die Liebe und
das Verhältniss der Geliebten zum Liebenden, von Frau und Mann vielfach
Stoff für diese Tanzlieder und sie gewinnen selbst eine Art scenischer Dar-
stellung, indem sie wie Duette in Rede und Gegenrede gehalten sind. Auch
Gespräche zwischen Mutter und Tochter werden in dieser Weise behandelt:
,,Dat geit hir gegen den samer,
gegen de leve samertit,
de kinderken gan speien
an dem dale;" dat sprack ein wif.
„Och mömken, min leve moder,
moste ick aldar tom aventdanze gan,
dar ick höre de pipen gan
und die leven trummen schlan!"
„Och nen, min dochter, nickten dat.
Du schalt, du schalt schlapen gan."
„Och mömeken min! Det deit mi de not,
dat deit mi de not
kome ick tom aventdanze nicht,
so mot ick sterven dot."
Tanzlied.
97
„Och nen du min dochter!
allein schaltu nicht gan
so wecke du up dinen broder
nnd lat en mit di gan!" u. s. w.
Viel häufiger ist natürlich das Zwiegespräch zwischen Liebenden Inhalt des
Textes wie in folgendem:
Ich kam für liebes fensterlein
an einem abend spate;
ich sprach zur allerliebsten mein-.
„Ich furcht, ich kum zu drate;
erzeug mir doch die treue dein,
die ich von dir bin gewarten,
sieh, liebe, lass mich ein!"
Ja lieber gesell es mag nit sein,
darumb so lass dein warten,
sehn' dich nicht nach der liebe mein
es ist darumb zu karten.
denn lieb und leid, das hat kein sinn
darumb so thu dich wassen.
Traut lieber holder mann
kein solche Frau ich doch nicht bin
dich fahren wil ich lassen
ich thu sein warlich nit.
Bei meiner treu ich dir versprich
ich wil dich nit verkeren,
mein treu ich doch an dir nit brich
tust du mich nun geweren;
kom glück und schlag mit häufen drein
dass sie mich tu geweren
sieh, liebe, lass mich ein. etc.
Wie hier werden die beiden redend eingeführten Personen häufig auch
durch den veränderten atrophischen Bau noch besonders charakterisirt. Es
hängt dies mit der Eigenthümlichkeit zusammen, nach welcher diese gesungenen
Tanzlieder meist in Tanz und Nachtanz geschieden waren, jener im geraden,
dieser im ungeraden Tact. So ist auch die Rede des Jünglings in dem oben
stehenden Liede mit einer Melodie im zweitheiligen Tact versehen:
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-m-0-
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Ich kam für lie - bes Fen-ster-lein an ei - nem A - bend spa
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Die Gregenrede der Jungfrau geht fast genau nach derselben Melodie, aber im
dreitheiligen Tact:
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:^=t
^
:t
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t:
-gg-
Ja lie-ber Ge - seil es mag nit sein da-rumb so lass dein war - ten
Diese Tanzmelodien erlangten grossen und bedeutenden Einfluss auf die Ent-
wickelung des Liedes, der Instrumentalmusik und der gesammten Kunstent-
wickelung überhaupt. Das rhythmische Element war im Gesänge bisher nur
noch wenig berücksichtigt worden. Im alten einstimmigen Hymnus der Kirche
wirkte es gestaltend, die Melodie desselben stellte zugleich den Bau der Strophe
dar; in der weitern Entfaltung des kirchlichen Kunstgesanges aber hatte es
nur wenig Beachtung und Förderung gefunden. Bei der Ausbildung des mehr-
stimmigen Gesanges war das Bestreben der Meister hauptsächlich auf macht-
und glanzvolle harmonische Entfaltung gerichtet und sie begnügte sich damit,
das Kunstwerk nur im Grossen und Ganzen auch rhythmisch zu gliedern. Im
Volksliede erst wurde das Bedürfniss nach einer, bis ins Kleinste hinein eben-
massig ausgeführten rhythmischen Gliederung rege und es fand im Tanzliede
zunächst entscheidenden Ausdruck.
Der Tanz setzt sich bekanntlich aus bestimmten, sich regelmässig wleder-
ItlxulkaL Coavera.-L«xikon. X, i
98 Tanzmusik.
holenden Tanzschritten zusammen, und dies Verfahren wird natürlich auch in
der Tanzmelodie nachgeahmt. Zwar findet etwas Aehnliches auch in den me-
trischen Toi-men der dichterischen Sprache statt, allein bei der Darstellung
derselben durch die Musik herrscht eine weit grössere Freiheit. An andern
Orten ist gezeigt worden, dass es der Sinn des Textes geradezu erfordert, die
ursprünglich musikalische Darstellung des Metrums zu verlassen, dass es noth-
wendig wird, einzelne logisch besonders wichtige Worte so zu verlängern, dass
das ursprüngliche Metrum dadurch fast aufgehoben wird. Das ist beim Tanz
natürlich nicht angemessen, hier muss genau die ursprünglich gewählte metrische
Grundformel festgehalten werden, da nur durch diese der betreffende Tanz
geregelt werden kann. Um die Tanzbewegung zu unterhalten, genügt es, nur
diese durch die, zu einem Pas zusammengefügten Tanzschritte erzeugte rhyth-
mische Figur ununterbrochen zu wiederholen, wie dies auch durch die Trommel,
durch Castagnetten und die ähnlichen tonarmen, wenn nicht tonlosen Instra-
mente geschehen kann. Allein eine solche monotone Wiederholung ermüdet
natürlich; deshalb werden diese rhythmischen Formeln zu grössern eng geglie-
derten rhythmischen Gebäuden zusammengefasst, die dann in Melodie und Har-
monie eine besondere Belebung finden, wie dies im folgenden Artikel noch
specieller dargethan wird. Dementsprechend gewann auch das Tanzlied diese
feine und regelrechte Gliederung noch früher als die andern Liedergattungen,
bei welchen die Weite der Empfindung oder auch wohl die nur absichtslose
Lust am Gesänge häufig das ursprüngliche metrische Schema ganz aufgiebt oder
doch erweitert oder verändert darstellt. Diese strenge rhythmische Gliederung
des Tanzliedes und des Tanzes überhaupt ging dann auch auf die Instrumental-
musik im Allgemeinen über und wie dadurch zumeist die andern selbständigen
Instrumentalformen angeregt und beeinflusst wurden, ist in den betreffenden
Artikeln gezeigt worden. Besonders einflussreich wurden die sogenannten r>Fa
la la<i der Italiener nach dem Refrain: y>Fa, la, la, la,<i der diesen Tanzliedern
eigen ist, so genannt. Wie schon erwähnt wurde, war für den blossen Zweck
der Regelung der Tanzbewegung die Instrumentalbegleitung immer noch mehr
geeignet wie der Gesang und deshalb finden wir auch häufig angedeutet, dass
beide Weisen, wenn es irgend anging, Anwendung fanden; dass ein Theil des
Tanzes mit Instrumenten begleitet wurde, der andere aber mit Gesang, und
hieraus ergab sich leicht die Praxis, im entsprechenden Falle, wenn die Instru-
mente fehlten, ihren Part durch die Singstimme auszuführen auf die Silben
y>J'a« und »Za«, ein Verfahren, das auch bei andern Liedern im Refrain geübt
wurde. Diese »Falala's« fanden dann auch in Deutschland Nachahmung:
„Fröhlich fangt alle an mit mir zu singen,
Zu Lob der Federn lasst eu'r Stimm' erklingen!
0 edle Musik, Sing: fa, la la la."
In Italien erfuhren diese Tanzlieder im 16. und 17. Jahrhundert namentlich
durch G. G. Gastoldi, in Deutschland besonders durch Melchior Franck,
Harnisch, Haussmann u. A. eifrige Pflege.
Tanzmusik. Wie schon im vorhergehenden Artikel angedeutet wurde, hat
die Musik zunächst die Aufgabe: die Bewegung des Tanzes zu regeln, indem
sie ununterbrochen das ursprüngliche, durch die betreffenden zusammengehörigen
Tanzschritte erzeugte rhythmische Motiv scharf ausgeprägt wiederholt. So, um
ein geläufiges Beispiel zu erwähnen, besteht der Walzer aus Umdrehungen, die
aus zweimal drei gleichmässigen Schritten zusammengesetzt sind. Dieser äussern
Anordnung des Tanzes riuss natürlich auch die, die Tanzschritte regelnde
Tanzmusik ganz genau sich anschmiegen und sie gliedert sich ebenso gleich-
massig wie der Tanz; der Walzer hat also dreitheiligen Tact und zweitactige
Rhythmen: 7* J J J j J J J .
Es genügt nun, um die Tanzbewegnng zu leiten, dass dieser Rhythmus
ununterbrochen während des Tanzes durch, selbst ton- und klanglose, nur stark
Tanzmusik.
99
schallende Schläge angegeben wird. Allein das wirkt denn doch ermüdend, und
um dies zu vermeiden, und im Gegentheil die Tanzlust zu beflügeln, werden
zunächst vier Tacte zu einer grössern rhythmischen Einheit zusammengezogen,
nicht zu einem ^'■^/4-Tact, sondern zu einer viertactigen Gruppe:
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« « «
w « «
4 4*
4 4 4
der dann wieder eine ähnlich construirte entgegengesetzt wird, die mit jener
wiederum eine grössere Einheit bildet:
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j
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I I i
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Das ist nun nicht mehr nur ein mechanisches Anschliessen der äussern Tanz-
bewegung, sondern schon ein wirklich künstlerisches Schaffen und Bilden; der
Tanz erzeugt nur das einfache Metrum, ein rhythmisches Motiv, das an sich
der Tanzbewegung vollständig genügt, in seiner einfachen Wiederholung; in
der weitern Anordnung zu einem gegliederten Ganzen zeigt sich schon der
schöpferische Geist. Noch bis ins 17. Jahrhundert hinein begegnen wir Tanz-
stücken, in denen das einfachste rhythmische Schema festgehalten ist, so dass
der erste Theil nur die rhythmische Figur, das Tanz-Pas, fixirt, wie in Alle-
manden aus Besardus »Thesaurusa, in denen der erste Theil nur aus zwei
Tacten besteht, aus einem Vortact, einem Takt und dem zum Vortact fehlenden
weitern Tacttheil, die also zusammen das rhythmische Tauzmotiv bilden. Es
ist dies eine Eigenthümlichkeit, der wir sehr oft begegnen. Der erste Theil
bringt häufig nur das i-hythmische Motiv, wie in dem 4. ßonde aus Tylman
Susato: »Souter Liedeken. Set derde musikhoexen 1541«:
und zwar meist auch wie hier bei einer etwaigen "Wiederholung mit derselben
Melodie. In einer handschriftlichen Sammlung von Tänzen und Liedern aus
dem Jahre 1607 befinden sich polnische Tänze von nur vier Takten, die einem
augenscheinlich gesungenen Liede folgen. Häufig tragen sie auch nur den
Namen »Tanz« ohne irgend welche nähere Bezeichnung. Erst im zweiten Theil,
wenn ein solcher folgt, wird in der Regel durch die mehrmalige Wiederholung
des rhythmischen Motivs eine achttactige Periode gewonnen. Die Allemande
namentlich erscheint überhaupt meist in der einfachsten rhythmischen Con-
struktion. In der Regel wird der erste Theil durch Wiederholung des rhyth-
mischen Grundmotivs zu einer viertactigen Periode, an die sich dann eine
zweite ebenso gebildete viertactige und manchmal auch noch eine dritte an-
schliessen. Nur selten wird die Allemande weiter ausgeführt, wie in der,
une jeune fillette bezeichneten bei Besardus. Aehnlich verhält es sich mit
der Galliarde, die indess häufig selbst aus fünftactigen Perioden besteht,
deren zwei später zu einem zehntactigen Theil zusammengezogen werden. Auch
hiervon enthält der ^Thesaurus», von Besardus Beispiele. Zu sechstactigen
Theilen werden die Tanz-Pas meist in der Branle zusammengefasst, aber nicht
in zwei drei-, sondern in drei zweitactigen Rhythmen. Robert Eitner giebt
in den »Tänzen des 15. bis 17. Jahrhunderts« einen Branle aus zwei
siebentactigen Theilen bestehend (Beilage zu den »Monatsheften für Musik-
forschung«, Jahrg. VII, No. 5, XII). Das rhythmische Gefühl jener Zeit war
noch nicht so vreit ausgebildet, um an solchen unsymmetrischen Zusammen-
setzungen Anstoss zu nehmen; andererseits sind gerade sie ein Beweis mehr
dafür, dass der Tanz jener Zeit und die Tanzmusik auch noch höhern Zwecken
diente, als der blossen Lust am »Reien und Springen«; dass er zugleich einen
7*
100
Tanzmusik.
bestimmten Inhalt darlegen sollte. Darauf lassen auch viele Namen schliessen,
welche besonders beliebte Tänze führten. Die Bezeichnung »der Ratten-
schwanz«, »der Kranichschnabel«, »der Fuchsschwanz« mögen wohl
zunächst von Tanzliedern herrühren. Es war ja Sitte, dass irgend eine be-
sonders hervortretende Anschauung, oder das erste bedeutsame "Wort der be-
treffenden Melodie den Namen gab. Die Melodie des einen, wahrscheinlich
Nach-Neithardt'schen Liedes, in welchem die Bauern verspottet werden, »da sie
einhertrotten, wie ein geschmierter "Wagen«, erhielt den Namen »der geschmierte
Wagen«. Da der Namen Schwanz aber häufiger in mancherlei Zusammen-
setzungen vorkommt, auch als Papierschwanz, Pfauenschwanz u. s. w., so
kann man wohl annehmen, dass auch die so benannten Tänze sich unterschieden
und in der Ausführung den gewählten Namen einigermaassen entsprechen, was
in diesen speciellen Fällen durchaus leicht möglich ist. Mit besonderer Vor-
liebe wurden die Fasse mezzi behandelt. Besardus theilt deren von 3, 4, 5,
6 und 7 Theilen mit, und jeder einzelne dieser Theile ist auch meist bis zu
16 Takten ausgedehnt. Demnächst erscheint ferner auch die Pavane bevor-
zugt von den Lautenisten, die häufig variirt vorkommt. Einzelne Tänze er-
halten auch bereits charakteristische Namen in Bezug auf den G-efühlsinhalt,
wie -nGalliarda Balardi vulgo passionata. Eigenthümlichen Rhythmus
haben die Ghoreae JBolonicae bereits im Anfange des 17. Jahrhunderts
n
r=; RH
r7i .pfj
und es ist interessant zu beobachten, wie sich daraus der Polonaisenrhythmus
entwickelte. Ebenso charakteristische Rhythmen zeigen dann auch die andern
Nationaltänze, die Pavane, der Saltarello, die Tarantella, die Fran-
gaise u. s. w.; ihre Eigenart ist in den besondern Artikeln näher dargelegt.
Dass die meisten Tänze jener Zeit sich bereits weniger in den Touren, als
hauptsächlich nur in ihrem Rhythmus unterscheiden, geht aus der Praxis hervor,
nach welcher ein Tanzstück durch Veränderung des Rhythmus einem andern
Tanz dienstbar gemacht wurde. Die im zweitheiligen Tact gehaltene »Ronde«
wurde im dreitheiligen ausgeführt zum Saltarello, die Pavane in derselben
Weise zur Graillarde u. s. w. lieber den Stand der Entwickelung dieser
Formen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts giebt eine, von den gelehrten
Musikern seiner Zeit sehr missachtete, aber jedenfalls sehr beliebte Sammlung
Kunde: »Sperontes, Singende Muse an der Pleisse in 2mal50 0deu,
Der neuesten und besten musikalischen Stücke mit den dazu gehörigen Melo-
dien zu beliebter Clavier-Uebung und Gemüths-Ergötzung, Leipzig auf Kosten
der lustigen Gesellschaft, 1736«. Wie der Titel sagt, enthält die Sammlung
zwar Gesänge, aber diese sind meist in Form von Tänzen: der Polonaisen (oder
wie es meist heisst Air en Polonaise, oder auch nur Folo?ioise), Menuett, Bouree
(und des Marsches), die darnach zu schliesseu wohl die beliebtesten Tänze
jener Zeit waren. Noch finden wir viele mit vier- und sechstaktigen ersten
und ganz gleich gebauten zweiten Theilen; daneben aber auch schon acht-
tactige Theile; besonders ist die Menuett meist immer in zwei achttactigen
Theilen dargestellt, häufiger noch der zweite Theil bis zu sechzehn Tacten er-
weitert; der zweite Theil der Polonaise in nicht seltenen Fällen bis zu zwölf
Tacten, wie in nachstehender Polonaise:
Polonaise.
^33=53
'-»-•-- 1
Falsche Seele, willst du mich nun län-ger nicht mehr um dich sehn und lei-den?
±st
— I
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Tanzmusik.
101
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iJi§Hgzgi;a£$^^:^^=jE;^)
0 so will ich dennocli dich zu meiner Qual doch lieben und nicht mei-den!
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Flie-he mein Gesicht! Ich ver-lass dich nicht. Sieh mich sauer an!
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pf=r--^=r-
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Kehr ich mich nicht dran ! Lästre, spotte, schmähe, wo ich geh und stehe !
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AI - les, al - les bringt mich nicht von dir !
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i-anü^r-bt
faSa^i
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Piä^
:3:
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^^^^Üi
Eine andere Polonaise desselben Werks ist in der Weise des Trio unserer
heutigen Polonaise gehalten:
Air en Polonaise.
-^s
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p — ^-
:ti=i:=:#:
S^j^
Nimm die Musche von der Gusche, schönstes Kind, ver-stell dich nicht.
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-X.~t=
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:=!
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>^.
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-n ^
r=|=(r:
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Wenn es der Na - tur ge- bricht, wirst du durch der - gleichen Sa-chen
^=
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102
Tanzmeistergeige
Tapia.
(
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=t
-^
E^
^F
dicli wohl schwerlich schöner machen, drum ent - lar - ve
dein Ge-sicht.
Da eapo.
Augenscheinlich sind die Texte dieser Lieder den Tänzen untergelegt, so dass
diese als bezeichnend für den Stand derselben in jener Zeit gelten können.
Dass diese Formen in der Suite durch die Meister zu weit höherer künstle-
rischer Bedeutung in jener Zeit gelangten, kommt hierbei nicht in Betracht,
wo es sich um die wirklich zum Tanz bestimmte Blusik handelt. Die Formen
derselben sind in dieser Zeit entschieden festgestellt. Die Gliederung in acht-
tactigen Theilen bei den beliebtesten Tänzen, wie der Menuett, wurde wohl
auch mit durch die französische Oper, wie sie sich zu Lully's Zeit entwickelte,
herbeigeführt, bei welcher ja bekanntlich der Tanz grosse Bedeutung erlangte.
Weiterhin konnte es nicht ohne Einfluss bleiben, dass der getretene Tanz
allmählich im vorigen Jahrhundert bereits dem gesprungenen, der zugleich
zum entschiedenen Eundtanz wurde, den Vorrang lassen musste. Der Tanz,
bei dem sich die Paare nur mit beflügeltem Schritte im Wirbel drehen, dient
nur noch dem Ausdruck ausgelassener Freude und gesteigerter Fröhlichkeit,
und dieser Umstand ist entscheidend für die weitere Entwickelung der Tanz-
musik geworden. Sie hat sich diesem Zuge mit aller Energie angeschlossen
und in Melodie, Rhythmus und Harmonie nur die sinnlich stark wirken-
den Mittel verwendet. Sie verfolgt nur noch das eine Ziel, die Lust am Tanze
anzuregen und bis zur höchsten Stufe zu steigern und zu erhalten. Je schlag-
fertiger und treffender sie den ursprünglichen einfachen Rhythmus darstellt
und weiterhin periodisch verwendet, mit je reizvollerer Melodik sie diese dann
ausstattet und durch eine ebenso sinnlich wirkende Harmonik beide unterstützt,
um 60 mehr entspricht sie den Anforderungen unseres Jahrhunderts. Dabei
wird sie noch durch den Glanz der Instrumentation gehoben. Im vorigen
Jahrhundert noch war das Tanzorchester meist klein und nur aus Streich-
instrumenten, oder nur aus Rohrblasinstrumenten zusammengesetzt. Die Stadt-
pfeifereien hatten in der Regel mehrere Tanzsäle gleichzeitig zu versorgen
und so mussten häufig zwei Clarinetten und zwei Fagotte, oder auch ein
Streichquartett genügen, zu denen dann wohl auch ein oder zwei Hörner hinzu-
traten. Besonders reich erschien schon das Tanzorchester bei dem sich der
Klang des Streicherchors mit einer Clarinette und einem Hörn mischen konnte,
wenn dazu dann noch gar Flöte und Trompete kamen, so wirkte es unwider-
stehlich, und so hat das Tanzorchester allmählich alle Orchesterinstrumente auf-
genommen in dem Bestreben, dem mit allen Mitteln der sinnlich wirkenden
Melodik, der Harmonik und Rhythmik ausgestatteten Tanz auch noch instru-
mentalen Glanz zu verleihen und so zu unwiderstehlicher Wirkung zu bringen.
Strauss und Lanner, Labitzky, Gungl, Musard in Paris u. A. haben
die Tanzmusik nach dieser Seite mit grossem Erfolg weitergeführt und sie
wurde selbst den noch getretenen Tänzen, wie Contretanz und Quadrille
vermittelt. Nicht minder haben unsere Militärmusikchöre in dieser Richtung
Einfluss gewonnen und der moderne Tanz hat fast den Marsch ganz ver-
drängt; einen solchen hört man hier nur noch selten und selbst unsere Pferde
tänzeln nach Galopp oder Schottisch zur Parade und zum Exercitium.
Tanzmeistergeige, s. Sack geige, Taschen- oder Poschengeige.
Tanzwuth, s. Tarantella, Tarantismus.
Tapia, Giovanni di, spanischer Geistlicher, der in Neapel als Protonotar
angestellt war und dort seit dem Anfange des 16. Jahrhunderts lebte. Er
gründete daselbst das erste bekannte Conservatorium der Musik, genannt: Gon-
Tapia — Tare. 103
servatorio äella madonna di Loretto. Mit der Idee dazu hatte ex* sich lange
getragen, da aber die Vorschläge, die er zu dieser G-ründung machte, bei der
Regierung, der es an Mitteln fehlte, nicht angenommen, er auch sonst nirgend
gehört wurde, entschloss er sich, da sein eigenes Vermögen zur Gründung
einer solchen Anstalt nicht ausreichte, die fehlende Summe zu erbetteln, was
er denn auch buchstäblich, von Haus zu Haus wandernd, ausführte. Diese
Schule wurde das Muster aller nachdem in Neapel, Venedig und anderswo er-
richteten. Tapia starb in Neapel 1543. (S. Villarosa -aMemorie dei Composiiori
di Musica del regno di Napoli«, pref. p. 11).
Tapia, Martin de, spanischer Musiker, geboren in Soria in Castilien 1540,
war Baccalaureus der Kirche von Burgos. Er gab ein musikalisches Lehrbuch
heraus : » Vergel de musica espiritual, especulatica y activa donde se tractan los
artes del canto llano, y contrapunto, en summa y en iheoricau. (Ossuna, 1570,
in 4**). M. Brunet {r>Manuel du librairea, 4. Aufl., Th. 4, S. 394) nennt das
seltene Buch, als 1831 in Paris verkauft, mit folgender Bezeichnung des
Herausgebers: «Sti Burgos de Osmas. D. Fernando de Cordohan, 1570, in 4°.
Tapon heisst bei den Einwohnern von Siam eine Trommel, die wie ein
längliches Fass gestaltet ist und deren Pelle von beiden Seiten her mit den
Fäusten geschlagen werden. Beschreibung und Abbildung davon in Mr. de la
Louber r> Description de Siam«, I, p. 209, wie Walther's Lexikon citirt.
Tappert, Wilhelm, geboren am 19. Februar 1830 in Ober-Thomaswaldau
bei Bunzlau in Schlesien, war ursprünglich für den Lehrerberuf bestimmt und
besuchte in den Jahren von 1848 — 1850 das Lehrer -Seminar in Bunzlau.
Nachdem er auch mehrere Jahre als Lehrer an verschiedenen Orten thätig
gewesen war, ging er 1856 nach Berlin, um sich hier ganz der Musik zu
widmen. Er besuchte die Neue Akademie der Tonkunst und genoss den Unter-
richt des Professor Dehn. Mehrere Jahre war er dann in Gross- Glogau als
Lehrer thätig und ging 1866 wieder nach Berlin, um hier seinen bleibenden
Wohnsitz zu nehmen. Seine beiden Schriften: »Musikalische Studien«
(Berlin, J. Guttentag) und »Musik und musikalische Erziehung« (Berlin,
abend.), wie die später folgende: »Das Verbot der Quintenparallelen«
machten ihn bald als einen ebenso geistvoll raisonnirenden, wie gründlich
forschenden Schriftsteller bekannt. Mit grosser Energie schloss er sich Richard
Wagner an und seine zahlreichen Beiträge zur Würdigung desselben gehören
zum Besten, was über den Meister geschrieben wurde. Tappert's »Wagner-
Lexikon« ist jedenfalls äusserst zeitgemäss; nur fehlt noch ein Pendant dazu,
der die Sünden der Wagnerianer in derselben Weise registrirt. Daneben hat
Tappert auch seine historischen Studien nicht vernachlässigt, wovon manch
werthvoller Artikel, vor allem aber seine bei Challier erschienene Bearbeitung
altdeutscher Lieder Zeugniss geben. An der von Tausig gegründeten
Akademie für höheres Ciavierspiel war er als Lehrer thätig; seit 1. Jan. 1878
redigirt er die »Allgemeine deutsche Musikzeitung«.
Tapray, Jean Frangois, Sohn des Organisten Jean T. zu Gray, 1738
geboren, kam 1768 nach Paris, wurde hier Organist an der Militärschule und
erwarb den Ruf als guter Clavierlehrer. Als Componist gehörte er zu den
sogenannten Vielschreibern. Er veröffentlichte über 60 Sonaten und Gesang-
stücke. Er starb 1809 zu Paris.
Tar, ein türkisch-arabisches Schellentambourin, das von niedern und vor-
nehmen Frauen, besonders zur Unterhaltung im Harem gespielt wird. Es ist
ein Holzreifen von etwa 11 Zoll Dui'chmesser, in welchem gewöhnlich fünf
Doppelscheiben (Räderchen) von starkem Messingblech angebracht sind. Je
nach Belieben wird das Rasselinstrument mehr oder weniger verziert und steigt
dadurch im Preis.
Tare, eine indische Trompete von dumpfem, klagendem Tone, die von den
Hindus nur bei Todtenfeiern oder wenn etwas Trauriges oder Religiöses ver-
kündet werden soll, geblasen wird. Sie hat die Form der alten (geraden) Tuba.
104
Taragato-Sip — Tarantella.
Taragato-Sip (ungariscli), Heerpfeife, auch Török-Sip, türkische
Pfeife, s. V. a, Haborn-Sip (s. d.).
Tarakawa, eine Schalmei der "Wenden in der Oberlausitz, jetzt selten noch
gefunden. Das oboe-ähnliche Instrument, aber ohne Klappen, nur mit 8 Ton-
löchern, ist über ^/4 Ellen lang, wird aus Buchenholz gefertigt und gibt mittelst
eines in den Knopf des Mundstücks gesteckten Rohrblattes einen durchdringenden,
gellenden Ton. Abbildungen davon bei Haupt und Schmoler »Volkslieder der
Wenden« (Grimma, 1841—1843).
Tarantella heisst ein, bis jetzt noch im Neapolitanischen gebräuchlicher
Volkstanz im raschen ^/s Takt, der gewöhnlich nur von drei Mädchen aufge-
führt wird, von denen die eine das Tambourin schlägt, während die beiden
andern unter eigener Castagnettenbegleitung die Tanzschritte in immer rascher
werdendem Zeitmaasse ausführen. Früher wurde dazu auch gesungen, was
jetzt in Wegfall gekommen ist; wohl spielen Geiger zuweilen zur Tarantella
auf und ist dieser charakteristische Volkstanz in manche italienische Oper auf-
genommen. Die Musik dieses neapolitanischen Strassentanzes ist im Grund
dieselbe, wie die des Saltarello in Rom. Es giebt verschiedene Compositionen
von Tarantellen, die aber in den Grundzügen übereinstimmen. In Reisewerken
sind dergleichen mitgetheilt, z. B. in Dr. Mayer »Neapel und Neapolitaner«,
I, 368. Es folge hier eine populäre Melodie der Tarantella Neapolitana, die
Referent vor Jahren von Freundeshand erhalten:
Tarantella der Neuzeit.
Sehr rauch.
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JBasso sempre legafo.
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Tarantella.
105
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Alle Reisenden, die aus Italien wiederkehren, wissen von diesem Volkstanze
viel Anziehendes zu erzählen. (]\Ian vei'gl. Goethe »Ueber Italien«, Dr. Mayer
»Neapel und Neapolitaner«, Oldenburg, 1840 — 1842.) Es liegt eine Art hin-
reissende, bacchantische Wuth in den Ehythmen der Tarantella. Die Tänzer,
immer nur ein Paar, ein Bursche und Mädchen, oder zwei Mädchen, stehen
einander gegenüber und trippeln dann eine Zeitlang auf einem Flecke hin und
her, und treten eigentlich nur rien Takt, wenden sich dnnn, wechseln die Plätze
und suchen einander in immer neuen Touren und Tanzsprüngen zu überbieten.
In Neapel wird dieser Tanz häufig mit einer Papidität getanzt, die den Tänzer
als einen vom Dämon des Tanzes besessenen Satyr erscheinen lässt. Wenn
man glaubt, alle seine Kräfte und Künste seien erschöpft, so schnellt und wii'belt
er aufs Neue in den Tanz, als gälte es erst zu beginnen. Der Sicilianer drückt
in demselben weniger die leidenschaftliche Glut des Südländers, als seine Frende
am rhythmischen Dahingleiten auf den Wellen der Musik. Es ist ihm mehr
ein zärtliches, als lüsternes Sichaufsuchen und A^ermeiden, ist eine tändelnde
Schaukelbewegung, so leicht und spielend, wie das Spiel zweier Schmetterlinge.
Der Taranteltanz (Tarantismus) war die im 15. bis 17. Jahrhundert in Italien
auftretende Tanzwuth, ein Paroxismus für Tanz, eine epidemisch gewordene
Nervenkrankheit. Die ersten Nachrichten davon sind aus dem 15. Jahrhundert.
Also etwas später, aber in ähnlicher Weise, trat diese Krankheit in Italien
auf, wie der Veitstanz der Johannistänzer in Deutschland. Als in Deutschland
im 17. Jahrhundert die Raserei des Veitstanzes längst erloschen war, erreichte
der Tarantismus in Italien seine Höhe. Ganze Schaaren von Spielleuten durch-
zogen während der Sommermonate das Land, um aufzuspielen, wo in Stadt
und Dörfern die Heilung der Tarentati im Grossen vorgenommen wurde. Weiber
bezahlten von ihren Sparpfennigen gewöhnlich die Kur-Musik für die Armen.
Nicht blos Eingeborene des Landes, sondern auch Fremde jeder Herkunft sah
man dort von dieser Krankheit befallen. Die Krankheit war (wie schon be-
merkt) nach dem Volksglauben die Folge vom giftigen Biss der Tarantel, aber
auch ohne diese Ursache trat sie ein und zwar gewöhnlich im Sommer, ganz
wie bei den Johannistänzern in Deutschland. Die Heilung der Erkrankten
durch gemeinsamen Tanz war in Italien ein Volksfest und hiess kleine Frauen-
fastnacht (il carnevaletto delle donne). Der Zauber der Tarantella (d. h, der
Tanzweise, die von Trommeln, Pfeifen, Lauten und im Gesang zum Tanz der
106 Tarantella.
Tarantati ertönte) riss die Leidenden zu den Bewegungen hm, die, mit Anstand
beginnend, zum heftigsten Sprung anstiegen und, bis zur Erschöpfung fortge-
setzt, auf ein Jahr oder für immer Genesung gaben. Neunzigjährige Greise
warfen bei diesem Klange die Krücken hin und gesellten sich, als strömte
verjüngender Zaubertrank durch ihre Adern, den wildesten Tänzern zu. Die
Töne der Tarantella waren mannigfach, sie mussten den verschiedenen Stim-
mungen der Kranken gemäss sein, und ebenso die zugehörigen Gesänge. Eine
tiefe Sehnsucht nach dem Meere kam bei Manchen zum gewaltsamen
Ausbruch, indem sie sich in die blauen "Wellen stürtzten, wie auch Yeitstänzer
blindlings in reissende Ströme sprangen; bei Andern verrieth sich dieselbe nur
durch die Annehmlichkeit, die ihnen der Anblick des klaren "Wassers in Glä-
sern gewährte, sie trugen im Tanze "Wassergläser mit wunderlichem Ausdruck
ihrer Gefühle umher, oder sie liebten es auch, wenn ihnen inmitten des Tanz-
platzes grössere Gefässe mit "Wasser, umgeben mit Schilf und andern Wasser-
gewächsen hingestellt wurden, worin sie Kopf und Arme mit sichtbarer Lust
badeten. Solche "Wasserfreunde hörten gerne von Quellen, rauschenden "Wasser-
fällen, Strömen nach entsprechender Tonweise singen. Man hat noch eine
Tarantella, die das Verlangen nach dem Meere ausdrückt:
AUu mari mi portati,
Se voleti che mi sanatati.
AUu mari, alla via:
Cosi m'ama la Donna mia.
AUu mari, aUu mari:
Mentre campe, f aggio amari.
(Zum Meere tragt mich, wenn ihr mich heilen wollt, zum Meere hinweg! So
liebt mich meine Schöne; zum Meere, zum Meere! so lang ich lebe, lieb ich
dich.) Auch für oder wider gewisse Farben hatten diese Tanzsüchtigen
eine Leidenschaft, doch liebten sie das Rothe, was die Johannistänzer verab-
scheuten. Je nach den Ideosynkrasien, damit die Kranken behaftet waren und
nach den Farben, die sie liebten, waren auch die zur Heilung gewählten Ta-
rantellen gestimmt (!) und benannt. So gab es eine Art derselben, die man
p an 710 rosa (rothes Tuch) nannte, zu welcher wilde, dithyrambische Gesänge
gehörten; eine andere war panno verde (grünes Tuch) genannt, die mit dem
milderen Sinnesreiz durch die grüne Farbe übereinstimmte, mit idyllischen Ge-
sängen von grünen Gefilden und Wäldern. Eine dritte hiess cinque tempi,
eine vierte moresca (sie wurde zu einem Mohrentanz gespielt), eine fünfte
catena (Kette, Halsband) und eine sechste spallata, die langsamste und un-
beliebteste von allen, mit passender Bezeichnung, als könne sie nur schulter-
lahmen Tänzern aufgespielt werden. Die Gesänge selbst nach Wort und Weise
sind leider verloren, wenigstens sind die dafür gehaltenen nicht als die Monu-
mente verbürgt, nach denen man im 15. und 16. Jahrhundert die Tarantel-
kraiikheit austanzte. Einige alte Melodien der Tarantella, im Takt aber von
der heutigen ganz abweichend, hat uns der gelehrte, aber sehr abergläubische
Athnasius Kircher, ein musikalisch -mathematischer Schriftsteller, in seinem
Buche: ȀTagnes sive de arte magneticaa (Rom, 1654, Fol. 591 aufbewahrt. Sie
mögen hier folgen:
Alte Tarantella-Musik, 1654 gedruckt.
1. Prinins modus Tareutellae.
si replica piu volte.
Tarantella.
107
2. Secundns modas.
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3. Tertius modus.
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4. Antidotnm Tarantnlae (Gegengift gegen die Tarantel-Krankheit).
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5. Mit Gesang (s. unten)
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Tu pet - tue fat - tu Cim - ba - lu d'A - mu - ri.
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6. Tarantella.
Schluss.
Gesanf^ zu No. 5:
Tu pettu e fattu Cimbalu d'Amuri.
Tasti li fensi mobili, eccorti:
Cordi li chianti, sospiri, e duluri:
Eosa e lu Cori miu, feritu ä morti:
Strali e lu ferru, chiari so li miei arduri:
Marteddu e lu pensieri, e la mia sorti:
Mastra e la Donna mia, cb'a tutti l'huri
Cantando canta leta la mia morti.
Zwischen diesen und den folgenden, verloren gegangenen Strophen wurde ge-
wöhnlich gesungen;
Allu mari mi portati etc. (s, oben.)
108 Tarantella - Tardieu.
Man sieht hieraus, dass es sechs verschiedene Tarentella-Melodien gab, die je
nach der Aeusserung der Kranliheit in Anwendung gebracht wui'den. Dass
dazu ehemals, wie noch jetzt, gesungen wurde, erfahren wir daraus ebenfalls.
Hat nun Kircher diese Melodien selbst componirt oder sich dieselben von
Andern aufbinden imd sich täuschen lassen, oder mögen sie wirklich die zur
Kur gebrauchte Musik sein: immerhin sind es interessante Denkmale. Noch
heute glauben ungelehrte und studirte Italiener und Spanier, dass der von einer
Tarantel Gebissene durchaus tanzen müsse, er möge wollen oder nicht. So-
bald Jemand in Spanien gebissen worden ist, ruft man einige Musikanten mit
Guitarre herbei und lässt sie den Taranteltanz aufspielen. Der Kranke wird
aufgefordert in der glühenden Sonne zu tanzen, die Musik wird rascher und
rascher und der unglückliche Tänzer macht verzweifelte Sprünge, bis er zuletzt
in Seh weiss gebadet — und darin liegt wohl das Heilmittel! — ermüdet nieder-
sinkt. Nach dem Biss von einer Tarantel folgt ein heftig stechender Schmerz,
ähnlich wie beim Biss einer Hornisse oder Wespe und die Stelle schwillt an,
wird roth und zuletzt dunkelroth. Der Schmerz hält ungefähr 12 Stunden an
und geht ohne weitern Erfolg vorüber, wenigstens ist noch Niemand daran
gestorben. Mit Einreiben von Ammoniak, wie Dr. Brehm zum Erstaunen der
Spanier versuchte (s. »Gartenlaube«, 1863, No. 6), ist dem Schmerz in einer
Stunde ein Eude zu machen. B.
Taranteltanz 1 rr j. ^^
^ ^. > s. Tarantella.
Tarantismns J
Taratantara wird von Ennio der Trompeten-Schall genannt, also ein Wort,
das in seinen Lauten die Eigenthümlichkeit des Trompetenschmetterns wieder-
zugeben sucht. Auch Prätorius erwähnt ein ähnliches Wort: »Die Trommet
(vulgo Tarantara oder Tuba) ist ein herrlich Instrument, wenn ein guter
Musiker darüber kommt etc.« Man wird unwillkürlich an den Ausdruck der
Kinder dafür »Täträtä« erinnert.
Tarclii, Angelo, italienischer Operncomponist, wurde 1760 zu Neapel ge-
boren, wo er das Conservatorium de la Pieta dreizehn Jahre lang besuchte.
Er schrieb auch noch als Schüler desselben seine erste Oper: y>ÄrcJiitette(t,
welche von den Schülern 1781 gesungen und hierauf am Hoftheater von Caserta
aufgeführt wurde. Mehr als dreissig italienische Opern und drei Oratorien
folgten nun rasch auf einander und die Theater in Rom, Neapel, Venedig,
Mailand, Turin, Florenz, Mautua, Monza, sogar London und Wien, beriefen
ihn als Operncomponisten. Die beste ist »Mitridateu, in Rom 1788 mit Beifall
aufgeführt. Als die Theaterverhältnisse in Italien ungünstig wurden, ging T.
1797 nach Paris, dort ein neues Thatenfeld suchend. Sieben französische
Opern, darunter zwei einaktige, wurden hier geschrieben; sie gefielen zum Theil
wenig, zum Theil gar nicht, so dass die rühmlichst begonnene Componisten-
Laufbahn ihm noch ganz verleidet wurde. Er verliess sie und lebte als Ge-
sang- und Compositionslehrer in Paris und starb hier am 19. August 1814.
Zwei seiner französischen Opern: nTrente et Quarantet-i und die bessere y>D'auherg
en auherge's. wurden in Paris gestochen. Die letztere erschien auch mit deutscher
Hebersetzunw und dem Titel: »Von Gasthaus zu Gasthaus« bei Kranz in Harn-
o
bürg und unter dem, Titel: »Die beiden Posten« in Wien.
Tardando, tardato, tardo, Yortragsbezeichnung = zögernd, nach und
nach langsamer werdend, wie ritardando, lentando^ rallentando (s. d.).
Tardieu, ein Geistlicher zu Tarascon und Bruder des dortigen Kapell-
meisters, erfand im Anfang des 18. Jahrhunderts an Stelle der bis dahin ge-
bräuchlichen Viola da Gamha das Violoncell. Er bezog das Instrument mit
fünf Saiten, welche er, von der tiefsten an gerechnet, in G G d a d stimmte.
Er selbst spielte es fertig und fand damit vielen Beifall. Fünfzehn bis zwanzig
Jahre später Hess er die fünfte, höchste Saite d weg, und so ist es noch gegen-
wärtig im Gebrauch. Die nächsten, welche sich auf diesem Instrument aus-
zeichneten waren: Buononcini, Bertant, Duport.
Tarditi — Tarisio. 109
Tarditi, Paolo, Componist in Rom um die Mitte des 16. Jahrhunderts,
Kapellmeister der St. Jacobi-Kirche daselbst, befand sich auf diesem Platze
noch 1620. Ausser mancher Kirchencomposition, worunter auch fünfstimmige,
die der Abbe Santini besitzt, wurde von T. veröffentlicht: vViUote«, appresso
Angelo Gardano, 1597, in 4". T. ist einer der ersten römischen Componisten,
welche den Stil des Pecitativs in Aufnahme gebracht haben.
Tarditi, Orazio, Componist der römischen Schule, war bis 1639 Kapell-
meister an der Kathedrale zu Forli, später am Dom zu Faenza, wo er 1670
noch in Wirksamkeit war. Die Bibliothek der Musikschule zu Bologna enthält
einen reichhaltigen Schatz von Werken dieses Meisters, als: -uMesse a quattro
e einque voci in concerto, con una Laudate in fine concertata a tre vod, due
violini e un chitaronea. (Venetia, ajjp. Aless. Yincenti, 1639, in 4°). -»Messe e
Salmi eoncertati a quattro vocif, op. 16 (ibid. 1640). nMesse a einque voce etc.«,
op. 27 (ibid. 1648). -aMesse a tre e quattro voci in concerto; lihro terzoi, op. 32
(ibid. 1650, in 4°). i>Messe e Salmi 2 voci«, op. 39 (Bologna, Jac. Monti, 1668,
in 4°). nll secondo lihro di Motetti eoncertati a 1, 2, 3, 4 e 5 voci eo'l hasso per
Vorguno con una Messe e Salmi a 5 voci in concerto« (Yenetia, Aless. Vincenti,
1625). •s>Il terzo lihro Motetti a 2 e 3 voci in concerto«, op. 7 (ibid. 1638).
t>Il quarto libro etc.«, op. 13 (ibid. 1637). -»Motetti a 2 e 3 voci«, op. 31 (ibid.
1651). »Motetti e Salmi«, op. 30 (Venetia, Gardano, 1650). yyMotetti a 2 e 3
voci, lihro 10«, op. 31 (Venetia, Vincenti, 1651). »Motetti«, op. 33 (ibid. 1652).
•»II decimo terzo libro de Motetti a tres voci eoncertati«, op. 34 (ibid. 1654). »ZZ
decimo quinto libro de^ Motetti etc.«, oj). 36 (ibid. 1663). »Motetti a voce sola
con violini«, op. 41 (Bologna, G. Monti, 1670). »II secondo libro, idem«, op. 43
(ibid. 1670). »Concerto a musiche da chiesa, Motetti, Salmi, Litanie dell B. Y.«
(Vincenti, 1641). »Salmi a 8 voci; co Vorgano«, op. 28 (ibid. 1649). -»Salmi
di compieta e Litanie delle JB. F". « 4 voci, Antifone a 3 voci« op. 24 (ibid. 1647).
^litanie, Motette, Te deum concertate a 4 voci« (ibid. 1644). -aMadrigali a 5
voci«, op. 14 (ibid. 1659). »öanzonette amorose a 2 e 3 voci« (ibid. 1647).
Tarenne, Georges, französischer Literat, lebte Ende des 18. und Anfang
des 19. Jahrhunderts. Zu seinen Arbeiten gehört auch: »ßecherckes sur le
Banz des vacTies avee musique« (Paris, Louis, 1813, in 8", 62 p.)
Tarisio, Louis, Sammler, Händler, Kenner altitalienischer Geigeninstru-
mente, hat sich ein namhaftes Verdienst erworben um die Erhaltung vieler der
werthvollsten Instrumente dieser Gattung, die vordem mehrere Jahrhunderte
theilweise unentdeckt und stumm an Orten ruhten, wo man von ihrem Werthe
keine Ahnung hatte. Die Kenntniss der italienischen Geigenbaukunst war An-
fang dieses Jahrhunderts noch gering, erst in den nächsten 50 Jahren gewannen
die Erzeugnisse derselben, die wun'dervollen Violinen, schnell neue Gunst und
neuen erhöhten Werth. Dem Auffinden dieser Geigen hat Tarisio sein Leben
geweiht. Er war Italiener und als Kind armer Eltern geboren, erlernte das
Zimmermanns-Handwerk und vergnügte sich in seinen Mussestunden mit dem
Spiel auf einer schlechten, geringen Geige. Da er mit feinem Gefühl und
Unterscheidungsvermögen begabt war, trachtete er bald danach, eine bessere
Geige einzutauschen; der erste Schritt zur Eutwickelung einer Liebhaberei, die
ihn bald ganz einnahm. Er verliess sein Handwerk und machte den Geigen-
handel zu seinem Beruf, da die Geigen ihn über alles interessirten. Wie ein
gewöhnlicher Hausirer, nur mit einem Vorrath einiger Geigen von geringem
Werth versehen, begann er seine erste Wandei-ung. Er besuchte die Klöster,
brachte die dort befindlichen Instrumente in Ordnung und suchte dabei Kennt-
niss von den dort vorhandenen zu gewinnen, und sich Bezugsquellen für später
zu eröffnen. Er durchreiste Städte und Dörfer Italiens und ging an dem ge-
ringsten Orte nicht vorüber ohne auf das zu fahnden, was er zu finden wünschte.
Es passirte ihm hier öfters, dass man ihm recht gern ein saitenloses Instrument
ersten Ranges für eine seiner gewöhnlichen Geigen, die er mit sich führte,
überliess. Nachdem Tarisio eine ansehnliche Collection vortrefflicher Instrumente
XIO Tarnowsky — Tartagliui.
zusammengebracht hatte, unternahm er seine erste Reise nach Paris, und zwar
zu Fuss, seine Greigen auf dem ßücken. 1827 war es, als er in Paris bei dem
Lautenmacher Aldric, beschmutzt und zerrissen wie er von der Wanderung war,
in den Laden trat, um seine mühsam aufgefundenen Werthstücke anzubieten.
Eine kleine schöne Nicolas Amati und fünf andere schöne Geigen von Magini,
ßuggeri und anderen legte er zum Erstaunen des Lautenmachers auf den
Tisch (s. Cremona, Niederheitmann), der sich aber doch über die Höhe der
Preise wunderte, da er in dem schäbigen Manne keinen Kenner vermuthete.
Sie wurden, nachdem ein beträchtliches herunter gedungen war, Handels eins,
und T. kehrte nach Italien zurück, wo er seine besten Instrumente für diesmal
noch zurückgelassen hatte. Bei einer zweiten Reise nach Paris führte er diese
mit sich und erzielte bei andern grossen Händlern, bei Vuillaume, Thibout und
Chanot, die von seinen Instrumenten entzückt waren, gute Preise, und wurde
aufgefordert, nur immer mehr zu bringen. So wanderte der seltsame Mann
viele Jahre hin und wieder und führte eine grosse Zahl der schönsten Instru-
mente auf den Weltmarkt von Paris und London, von wo aus sie in Hände
gelangten, die sie zu würdigen verstanden. Man sagt von Tarisio, dass er ein
grosser Händler, aber ein noch grösserer Liebhaber gewesen sei; wenn er ein
recht kostbares Instrument verkauft hatte, püegte er es im Auge zu behalten,
und gerne wieder an sich zu bringen. U. Hart (Verfasser des Buches: »TÄe
Violin: its famous maJcers and their imitatorsv., London, 1875) erzählt, dass
Tarisio zu Hause das Leben eines Einsiedlers geführt habe. Seine armselige
Wohnung in der Porta Tenaglia in Mailand, durfte kein lebendes Wesen be-
treten. Seine nächsten Nachbarn wussten nichts von seinem Treiben; schwei-
gend kam er und schweigend ging er. So sahen ihn seine Nachbarn eines
Tages heimkehren, und nachdem mehrere Tage vergingen, ohne dass man etwas
von ihm wahrnahm, auch auf lautes Klopfen an seiner festverschlossenen Thüre
keine Antwort kam, wurde diese auf Befehl der Behörden geöffnet. Man fand
Tarisio entseelt auf seinem Lager. Sein ganzes Mobiliar bestand aus einem
Tisch und einem Stuhl. Aber Violinkasten zu Haufen aufgethürmt, die Wände
voll Geigen, Böden, Decken und Schnecken. Nahe an hundert Instrumente
der verschiedendsten Meister, darunter »Messie«, die Stradivari- Geige, deren
Saiten noch von keinem Bogen berührt waren, nebst einem Dutzend anderer
Geigen, Bratschen und Cellis desselben Meisters, ein Contrabass von Gaspard
di Salo u. a. Man fand auch Werthpapiere und eine bedeutende Summe in
Gold. Einige Neffen legitimirten sich später als Erben. Vuillaume in Paris
reiste, sobald er die Nachricht von dem Tode des Tarisio erhielt, nach Mailand,
und erstand die ganze Gollection.
Tarnowsky, Alexander, Violinist, zu Wilna in Litthauen 1812 geboren,
wo er von einem dortigen Lehrer den ersten Unterricht erhielt; in Paris, wo-
hin er später ging, unterrichtete ihn Habeneck, Er gründete sich später in
Clermont-Eerrand einen Wirkungskreis als Musiklehrer und Dirigent der dor-
tigen Orchester-Concerte der Philharmonischen Gesellschaft. Er gab für die
Violine mehrere Eantasien über Motive aus Opern und Romanzen heraus.
Taroui, Antonio, Kanonikus an der Kirche St. Barbara zu Mantua und
Comj)onist, der jedenfalls mehr veröffentlichte als die beiden in der Zeit ziem-
lich auseinander liegenden Werke: •i>Madrigali a 5 voci<i (Venedig, 1612). »Misse
da Capeila a 5 vociv. (ebend. 1646).
Tartaglini, Hippolyt, Tonkünstler des 16. Jahrhunderts, in Modena
1539 geboren, war an mehreren Kirchen Roms, auch an der St. Peterskirche,
Organist. Er besass die Gunst des Kardinals Earnese und erhielt durch ihn
das römische Bürgerrecht und die Ernennung zum Ritter vom goldenen Sporen.
Im Jahre 1577 ging er als Kapellmeister an die Hauptkirche von Neapel und
starb daselbst 1580. Ein fünfstimraiges Madrigal von Tartagliui findet sich in
der Sammlung: r>Dolci Ä/fetli, Madrigali a 5 voci di diver si eccellenU musLci di
Tartiui. 111
Boma'i (Rom, Alexander Gardane, 1585). Ausserdem ein Heft fünfstimmiger
Madrigali von T. bei demselben Herausgeber 1576 und 1588.
Tartiui, Griuseppo, einer der grössten, wenn nicht der grösste Violin-
spieler des 18. Jahrhunderts, wurde nicht nur der Grründer einer Schule des
Violinspiels, sondern auch eines neuen Harmoniesystems. Er ist am 12. April
1692 zu Pirano in Istria geboren, erhielt zuerst in seiner Vaterstadt Unterricht
und besuchte dann in Capo-d'Istria die Schule Dei Padri delle scuole. Hier
erhielt er auch den ersten Unterricht im Violinspiel und machte darin bald
bemerkenswerthe Foi'tschritte. Seine Eltern wünschten einen Greistlichen, einen
Franziskanermönch aus ihm zu machen, wogegen er aber, damals ein tollkühner
und lebhafter Jüngling von 18 Jahren, eine gründliche Abneigung hatte. So
ging er denn auf die Universität Padua, um die Rechtswissenschaft zu studiren.
Begrabt wie er war, behielt er hier neben seinen Studien noch Müsse zu andern
Dinaren und übte in dieser Zeit mit Vorliebe auch die Fechtkunst. Er erwarb
darin eine so grosse Geschicklichkeit, dass er in dem sicheren Gefühl derselben
nicht allein Gelegenheit suchte, diese zu zeigen, und mehrere Duelle auszu-
fechten hatte, sondern dass er sogar den Entschluss fasste, nach Paris oder
Neapel zu gehen und von und für die Fechtkunst zu leben. Eine andere
Leidenschaft verhinderte die Ausführung dieses Planes. Er hatte sich in eine
junge Dame verliebt, eine Verwandte des Cardinais von Padua, Georg Cor-
uaro, und heiratete sie heimlich, musste jedoch fliehen, sobald diese Thatsache
bekannt wurde. Der Cardinal Hess ihn gerichtlich verfolgen, und unter die
Anklage der gewaltsamen Entführung stellen, und da ihm auch seine Eltern
jede Hülfe verweigerten, so irrte Tartini lange umher, bis er in einem Mino-
ritenkloster zu Assisi, in welchem ein Verwandter von ihm Pförtner war, eine
Zuflucht fand. Zwei Jahre verweilte er hier, bis ein Zufall dazu beitrug, ihn
der Welt wieder zu geben. "Während dieser unfreiwilligen Zurückgezogenheit
beschäftigte er sich viel und immer mehr mit seiner Geige und unter Anleitung
des Pater Boemo, eines ausgezeichneten Organisten, auch mit der Composition
und der Kunst des Begleitens. Diese Beschäftigungen, die Ruhe des Ortes,
vielleicht auch die kirchlichen Hebungen, hatten in Tartini eine vollständige
Umwandlung hervorgebracht; er war ruhig, ja fromm geworden und blieb es
auch fürs ganze Leben. Als er eines Festtages auf dem Chore des Klosters
die Violine spielte, so erzählt man, habe der Wind den Vorhang in die Höhe
gehoben, und ein Paduaner, der in der Kirche war, habe Tartini erkannt. Er
brachte eiligst die Botschaft heim; der Cardinal aber hatte sich bereits zur
Versöhnung bequemt, und so kehrte Tartini zu den Seinigen zurück. Bald
darauf wurde er zu einer Akademie nach Venedig verschrieben und reiste mit
seiner Frau dahin ab. Als er aber dort den berühmten Violinisten Veracini
hörte, wurde er von dessen kühner Spielart so überrascht, dass er den andern
Tag Venedig verliess, und nach Ancona ging, um den Gebrauch des Bogens
zu studiren. Er brachte es auch in der Folge in der Kunst der Bogenführung
zu einer bis dahin nicht gekannten Höhe. Während dieser Zeit des Studiums,
im Jahre 1714, entdeckte er auch das Phänomen der sogenannten Combinations-
töne, des Mitklingens eines tiefen Tons, wenn zwei höhere consonirende ange-
geben werden, und gründete später hierauf ein Harmoniesj^stem, welches er in
seinem y>Tratatto di Musicaa weitläufig darlegt. 1721 wurde er erster Violinist
an der Kapelle der Kirche des heil. Antonius zu Padua, einer der besten
italienischen Kapellen, welche aus 16 Sängern und 24 lustrumentalisten be-
stand. 1723 folgte er in Gemeinschaft mit seinem Freunde, dem Violinisten
Antonio Vandini, einer Einladung nach Prag zur Krönung Kaiser Karl V.
und beide traten dann in den Dienst des Grafen Kinsky. Hier hörte ihn
Quanz, der aber bei weitem mehr von seiner Fertigkeit, als seinem Vortrage,
der ihm nicht rührend genug war, erbaut wurde. Von Tartini weiss man
jedoch, dass er die Fertigkeit der Finger nicht als die Hauptsache einer Kunst-
leistung ansah. »Das ist schön«, pflegte er zu sagen, wenn ein Geiger grosse
112 Tartini.
Fingerfertigkeit entwickelte, »das ist schön, das ist schwer, aber hier (auf das
Herz deutend) hat es mir nichts gesagt«.
Nach drei Jahren kehrten beide Italiener nach Padua zurück und Tartini
errichtete daselbst 1728 eine Musikschule, nicht zu seinem Ruhm allein, y>Il
maestro delle nationeK nannten ihn die Italiener wegen der Schüler, die aus
allen Ländern zu ihm strömten. Ins Ausland ging aber Tartini nicht mehr,
selbst die grössten Anträge und glänzendsten Anerbietungen konnten ihn nicht
dazu bewegen. Noch 1744 wurden ihm von Lord Midlesex 3000 Pfd. Sterl.
geboten, wenn er mit nach London ginge. Er schrieb an den Unterhändler:
»Ich habe eine Frau, die mit mir gleichen Sinnes ist, und habe keine Kinder.
Wir sind mit unserem Zustande sehr zufrieden, und wenn sich ja ein Wunsch
in uns regt, so ist es doch der nicht, mehr zu haben«. In seiner Stellung als
Soloviolinist, die er 48 Jahre lang inne hatte, erhielt er 400 Dukaten, wofür
er nur vei-pflichtet war, an hohen Festtagen zu spielen; aber sein Eifer für
Kirche und^^unst führte ihn viel öfter dazu. Seine Violinschule und ein
kleines eigenes Vermögen vervollständigten seine Einnahmen so, dass er ge-
mächlich davon leben konnte. Zu seinen bedeutendsten Schülern gehören:
Nardini, Pasqualino Bini, Alberghi, Dominique Ferrari, Carminati, Capuzzi,
Mad. de Sirmin und die französischen Violinisten Pagin und Lahoussaye. Im
78. Jahre starb er am 26. Februar 1770 an einem Krebsschaden, der sich am
Fuss gebildet hatte. Bei der Nachricht seiner Krankheit eilte sein Schüler
Nardini von Livorno zu ihm und pflegte ihn bis zu seinem Ende. Seine
sämmtlichen geschriebenen Musikalien vermachte Tartini dem Grafen Thurn und
Taxis, seinem Schüler, und seinem Freunde Professor Colombe trug er auf,
sein Werk y>Delle ragioni e delle proporzioni libri sei«, durchzusehen und zum
Druck zu befördern. Colombe starb darüber und der Verbleib dieses Manuscripts
ist unbekannt. Tartini ist in der Parochialkirche der heil. Katharine begraben
und Griulio Meneghini, sein Schüler und Nachfolger im Amt, veranstaltete einen
Trauergottesdienst, auch wurde in der Kirche St. Antonio zu seinem Gredächtniss
ein Requiem von Valotti aufgeführt.
Tartini, ein ausführender Künstler ersten Ranges, erlangte fast noch mehr
Bedeutung als Lehrer und zugleich als Begründer einer Theorie. Dabei ent-
wickelte er auch als Componist eine für einen Instrumentalisten seltene Thätig-
keit. Er schrieb über 200 Concertstücke, von welchen einige noch unsere
heutigen Programme zieren, und zu welchen auch die berühmte Teufelssonate
(Trille du diable) gehört. Ueber die Entstehung derselben erzählt Tartini, dass
er einst im Traume den Teufel aufgefordert habe, ihm etwas zu spielen, was
dieser gethan, nachdem sie einen Pakt gemacht hatten, und dass diese Musik
so schön gewesen sei, dass er nach dem Erwachen gleich versucht hätte, sie
aufzuschreiben. Das im Traum Gehörte wäre allerdings noch viel schöner ge-
wesen, als die auf diese Weise entstandene Teufelssonate (s. Teufels so nate).
Tartini's erstes Werk erschien 1734 in Amsterdam bei Royer: -aSei concerti
composti e mandati da G. Tartini a Gaspari Visconti«, opera 1, lib. 1 und 2.
Diese Concerte sind für Violine mit Begleitung von zwei Violinen, Viola,
Violoncello, Bass continuo und Ciavier. Drei dieser Concerte wurden in Paris
separat gedruckt unter dem Titel: y>Tre concerti a cinque voci da Gius. Tartinia
und drei andere aus denselben Heften; ebenfalls in Paris: y>Goncerti grossi, com-
posti deir Opera frima dt Gius. Tartini. Ein anderes Heft von Tartini trägt
ebenfalls die Bezeichnung nOpera prima: Sonate (XII) a violino e Violoncello o
Cembalo dedicate a sua Eccellenza il signor Girolamo Äscanio Giustianiani di
Giuseppe Tartini« (Paris, Ledere, chez Mad. Boivin; auch bei Le Cene in
Amsterdam als op. 1). Das zweite Wei-k, auch sechs Sonaten für Violine mit
Violoncell, Bass continuo u. s. w., erschien in Rom, 1745, Paris und Amsterdam,
und mit sechs anderen vereinigt unter dem Titel: -oXII Sonate a violino e hasso
(nicht beziffert) dedicate al Signor Guglielmo Fegeri da Giuseppe Tartini, Opera
terza« (Paris, Leclerc). Ferner sind noch bekannt: -»Sei concerti a violino solo.
Tartini. 113
due violini, viola e Violoncello o cemhalo di concertoa, o^. ^. nVI Sonufes a violon
composees par M. Giuseppe Tartini di Padoa, dedie a M. Fagen (auch mit
Oeuvre 4 bezeichnet). Six sonates a violon seul et hasse continue, dedie a Pagena
(Paris, Leclerc, 1747). ^Sice sonates idema (ibid. 1770). Noch andere Sonaten
in Gruppen von sechs (Paris, Bertin, Meaupetit, ßoivin, Leclerc, Mad. Castagneri).
Eine Sammlung Violinsonaten y>L'Ärte delV arcoa in Paris von Cartier heraus-
gegeben: »L'Art de Varcheta. y>Ooncerti (III) a cinque con violino ohligato del
Sig. Giuseppe Tartini. Libro /« (Paris, Mad. Boivin, M. Leclerc, M. Castagneri,
M. Laine). » YI Concerti a otto stromenti, a violino principale, violi^io primo,
violino secondo, violino primo di ripieno, violino secondo di ripieno, alto viola,
organo e Violoncello oiligato, des S. Giuseppe Tartini di Padua. Opera secondaa
(Stampato a spese di Grerhardo Frederico Witvogel a Amsterdam). r>Sei concerti
a cinque stromenti, a violino principale, violino primo e secondo, alto-viola, organo
e Violoncello, composti e mandati per il Signor Giuseppe Tartini di Padoa. Opera
prima, Libro secondo« (Amsterdam a spesa di Michele Carlo, La Cene). »Sei
concerti a cinque stromenti, a violino principale, violino primo e secondo, alto
viola, organo e Violoncello del Sig. Giuseppe Tartini e Casparo Visconti. Opera prima,
libro terzoa (Amsterdam a spese di Michele Carlo di Cene). Ausser diesen "Werken
hinterliess Tartini im Manuscript: 48 Sonaten für Violine und Bass, ein Trio
für zwei Violinen und Bass und 127 Concerte für Violin-Solo, für zwei Violinen,
Violo, Bass continuo u. s. w., ein vier- und fünfstimmiges, am Schluss achtstim-
miges Miserere, 1768 in der päpstlichen Kapelle vor Clement XIII. aufgeführt.
Wie erwähnt, soll er bereits 1714 auf die Entdeckung der Combinations*
töne (jetzt Differenztöne genannt) gekommen sein, doch gab er erst 1754 in
dem erwähnten »Trattato« Kunde hiervon, während Bomieu (s. d.) bereits
1751 in Frankreich und Sorge (s. d.) in Deutschland schon 1745 darüber
berichten. Doch weil Tartini ein Harmoniesystem darauf baute, so nannte man
die Combinationstöne auch Tartinische Töne. Tartini's System erfuhr sehr
heftige Anfeindungen, namentlich stellte es Serre (»Observations sur le principe
de rharmonica, S. 109 — 169) als falsch und in der Praxis unhaltbar dar. Zur
weiteren Begründung seines Systems veröffentlichte Tartini 1767 »De principii
delV armonia musicale contenuta nel diatonico generea (Padoa, 1767, in 4°, 120 S.)
und direkt gegen Serre wandte er sich in der Schrift: »Risposta de Giuseppe
Tartini alla critlca del di lui Trattato di musica di M. Serre di Ginevra«. (in
Venedig, 1767). Die Entdeckung des sogenannten dritten Klanges, der
durch zwei rein erklingende Intervalle erzeugt wird, ist allerdings von grosser
Wichtigkeit, doch bieten die Folgerungen, die Tartini aus dieser Entdeckung
zog, sehr viel Angriffspunkte. Er schliesst aus dieser Erscheinung, dass jeder
Ton aus dem Zusammenklange bestimmter harmonischer Progressionen, die er
harmonische Monaden nannte, entsteht. Schon dieser Grundsatz wird mit Becht
angefeindet und widerlegt. Das weitere System aber, das Tartini darauf errich-
tete, ist dann mit metaphisischen und philosophischen Formeln so verbaut, dass
es nur sehr schwer verständlich wird. Nach dem Vorgange Kepler's dachte sich
Tartini im Kreise eine metaphisische Zeugung, die von einem Individuum ausgeht,
um das andere hervorzubringen, indess das Erzeugende stets als das Ganze
fortexistirt. Darnach ist ihm auch im Kreise, dessen Durchmesser ihm für die
Saite gilt, das harmonische Princip enthalten, das er dann nach dem harmoni-
schen, arithmetischen und geometrischen Eigenschaften des Kreises entwickelt.
Ein Brief von Tartini an seine Schülerin Sig. Lombardini, spätere Mad. Sirmen,
über die Kunst des Violinspiels, wurde einige Monate nach dem Tode Tartini's
in »L'Europa letteraria« (Jahr 1770, Band V, Th. II, S. 74 u. f.) mit dem
Titel: »Letter a alla signora Maddalena Lombardini, inserviente ad una importante
lezione per i suonatori di violino« abgedruckt. Das Schriftchen erschien noch
in demselben Jahre in Venedig ein halbes Blatt in 8", ausserdem von Burney
1771 in englischer Uebersetzung: »Tartiiii's Letter to signora Lombardini (after-
loards Signora Syrmen) ; published as an important Lesson to performers on the
Musikal. Convers.-Lesikou. X. 8
114 Tascliengeige — Taste.
violm.K (London, in 8"; eine zweite Ausgabe mit italienisclieni Text London,
R. Bremner, 1779, zwei Blatt in 4°) und von Fayolle in nNotices sur Corelli,
Tartini, Gavinies, Pugnani et Viottia (Paris, 1810, in 8") in französischer Sprache.
Eine deutsche Uebersetzung gab der Organist Heinrich Leopold Rohrmann
heraus unter dem Titel: »Mägdelein Lombardini«, enthaltend eine wichtige
Lection für die Violinspieler (Hannover, 1786, in 4°, 12 Seiten). Dieselbe,
wenigstens eine ihr vollständig gleiche Uebersetzung findet sich in »Lebens-
beschreibungen berühmter Musikgelehrten und Tonkünstler« u. s. w. von Hiller
(1784, S. 278 — 285). Eine Schule der Verzierungen von Tartini für seine
Schüler zusammengestellt -nTrattato delle appoggiature si ascendenti che discendenti
per il violino, come pure il trillo, tremolo, mordente, ed altro, con diclnarazione
delle cadenze naturali e compostea ist von Pietro Denis ins Französische über-
setzt herausgegeben: y>Traite des agrements de la musique contenant Vorigine de
la p)etite note, sa valeur, la maniere de la placer, toutes les differentes especes de
eadences etc.« (Paris, de la Chevardiere, 1782, in 8°, 94 S.).
lieber Tartini selbst sind folgende Schriftchen erschienen: 1) »Orazione
delle lodi di Giuseppe Tartini, recitata nella chiesa de' RR. PP. Serviti in
Padova li 31 di marzo Vaiino 1770, Äble Panzago (Padova, 1770, in 4°, 48 S,).
Dasselbe nebst einem Nachruf von P, Valotti unter dem Titel: y>JSlogi di Giuseppe
Tartini primo violinista nella capella del Santo etc.« (Padova, C. Conzati, 1792,
in 8°, 99 S.). 2) Nachrichten über Joseph Tartini von J. A. Hiller »Lebens-
beschreibungen berühmter Musikgelehrter u. s. w.« (Leipzig, 1784, in 8", S. 267
bis 285). 3) y>P^logio di Tartini par Augustin Forno in Palermo«. 4) »Giuseppe
Tartini, sua vita« findet sich in dem Buche von Camille Ugoni »Bella letteratura
italiana nella seconda metä del secolo XVIII« (Brescia, per Nie. Bettoni, 1802,
Th. 1, S. 1 — 28). 5) Nachrichten über das Leben und die Arbeiten Tartini's
von Eayolle in den oben erwähnten "Werken. Das Porträt Tartini's ist ge-
stochen von Carlo Calcinoto in Padua, von Scheener 1787 zu London und ein
drittes 1810 nach einer Zeichnung von Guerin.
Taschengeige, franz. poche, pochette, ital. pochette, kleine, drei-
saitige Taschengeige (s, Sackvioline).
Taskin, Pascal, geschickter und erfindungsreicher Ciavierbauer, ist zu
Lüttich 1730 geboren, kam aber jung nach Paris, wo er ein Schüler des In-
strumentenmachers Blanchet und dessen Nachfolger wurde. Er war Hofclavier-
macher und Aufseher über die zur königlichen Kapelle gehörigen Instrumente.
Seine Claviere zeichneten sich durch verbesserte Spielart und veredelten Klang aus.
Den letzteren erzielte er, indem er anstatt der Federkiele die Saiten vermittelst
Stückchen Büffelhaut zum Klingen brachte. Er nannte die Instrumente deshalb:
Instrument ä peau de huffle. Taskin starb in Paris 1793.
Tastatur, engl, Key-hoard, nennt man den Inbegriff sämmtlicher Tasten
eines Pianofortes, einer Orgel und anderer Ciavierinstrumente. Man hat dafür
auch den Ausdruck Claviatur (s. d.). Dass im Ganzen sonst die Tastaturen
an Umfang der Tasten geringer, die Form der einzelnen Tasten ehemals eine
etwas andere und die Beai'beitung eine rohe, weniger elegante war, sei noch
bemerkt. Der Grund der Vervollkommnung im Claviaturbau ist in der fabrik-
mässigen Herstellung und in der Theilung der Arbeit zu suchen.
Taste oder Clavis heisst jeder der hebelartigen Theile an Clavierinstrumen-
ten und Orgeln, durch dessen Niederdrücken der Ton hervorgebracht wird. Der
deutsche Name kommt daher, weil diese beweglichen Theile »betastet« werden,
theils mit den Fingern (Manual), theils mit den Füssen (Pedal). Der lateinische
Ausdruck Clavis (Schlüssel) ist von der Orgel herzuleiten, wo durch Niederdruck
der Taste die Cancelle gewissermassen aufgeschlossen wird. Soviel Tasten ein
Instrument hat, ebensoviel hat es Töne, da jede Taste nur einen Ton hervorbringen
kann. "Weil vormals bei Ciavieren und Orgeln der Tonumfang sehr gering war,
so war auch die Zahl der Tasten eine kleinere, als jetzt bei unsern sehr vollkom-
menen Instrumenten. Man fertigt bekanntlich die Tasten von Holz und belegt sie
Tasten- oder Tastaturinstrumente — Taubert. 115
mit Elfenbein- und Ebenholzplatten; für das kostbare Elfenbein dienten sonst ge-
wöhnlich Knochen, und jetzt auch "Wallross, da für die Unmasse von Claviaturen
nicht genug Elephantenzähne zu haben wären. In ältesten Zeiten des Orgel- und
Ciavierbaues war der Unterschied von Ober- und Untertasten auf der Claviatur
gar nicht vorhanden, und als die Obertasten für die Halbtöne nach und nach
im 15. und 16. Jahrhundert hinzukamen, war lange Zeit, bis Anfang des
19. Jahrhunderts, die Farbenordnung der Tasten eine der heutigen entgegen-
gesetzte, d. h. die Obertasten waren weiss, die Untertasten schwarz oder von
braunem Holz, wie man das an alten Orgeln und Ciavieren sehen kann. Statt
des Ebenholzes bediente man sich des billigern Birnbaumholzes und des Buchs-
baums zu den Tasten. Wie die einzelnen Tasten und ihre Vereinigung (Tastatur)
am zweckmässigsten herzustellen sind, das lehrt der Ciavierbau, darin man es seit
den letztern 50 Jahren sehr weit gebracht hat, und erwarte man darüber hier
keine Anweisung. Gutes, trockenes Holz und saubere Arbeit fordert man von
jeder soliden Fabrik von Claviaturen. Die rechte Stellung der Stifte für die
Hebel und die grössere oder geringere Schwere des hintern Theils am "Wag-
balken bedingen das leichtere oder schwerere Traktament der Tasten.
Tasten- oder Tastaturinstrumente sind alle Musikinstrumente mit Claviatur.
Hierzu gehören: Orgel, Ciavier, Clavicembal, Clavicord, Clavicitherium, Piano-
forte in Tafelform, Flügel, Pianino, Physharmonica, Glockenspiele mit Claviatur
und alle Arten der modernen Ziehharmonicas. Einige Tasten (Claves) hatte
auch das veraltete, mit Kurbel zum Drehen eines ßades versehene Saiten-
instrument, das schon im 9. Jahrhundert als Organistrum abgebildet ist,
später cifonie und Symphonie, in Frankreich Vielle heisst, in Deutschland
Bauern- und Bettlerleyer, lyra mendicorum genannt wird.
Tastenbrett heisst das Brett bei der Claviatur, auf welchem die Tasten,
durch ein Charnier zu bewegen, ruhen.
Tastengeigre, s. Xänarphika.
Tasten-Harmonica oder Ciavier -Harmonica nennt man die mit Claviatur
versehenen Glockenspiele und Glasharmonica's (s. Harmonica, Band 4, S. 536
d. Lexik.).
Tastenschraulben sind an der Orgel die Schrauben, durch welche die Tasten
höher oder tiefer gestellt werden können.
Tastiera (ital.), die Claviatur, zuweilen auch für Griffbrett der Bogen-
instrumente gebraucht, z. B. sulla tastiera, am Griff brette, d. h. die Saiten
sollen, vom Stege entfernt, nahe an dem Griffbrette angestrichen werden.
Tasto solo, abgekürzt t. s., zeigt in der Generalbassstimme an, dass nur
der Bass allein, ohne die sonst darüber gestellten Accorde gespielt werden soll.
Tatto (ital.), Tact.
Taubentauz, russ. Goluhez, ein russischer Nationaltanz, der mit Begleitung
der Balaleika und der Gudok ausgeführt oder auch nach der Melodie eines Liedes
getanzt wird. Er stellt den Streit und die Versöhnung zweier Liebenden dar;
die Tänzer hüpfen dabei abwechselnd auf einem Fusse und wiederholen oftmals
das "Wort y>Golubi. (Taube), daher der Name.
Tauber, J. S., Flötenvirtuos, zu Naumburg in Sachsen 1750 geboren, war
Schüler von Götze in Dresden, besuchte die Universität Göttingen und wurde
in Bernburg Mitglied der herzoglich bernburgischen Kapelle. Er starb 1803.
In Leipzig bei Peters und in Mannheim bei Heckel sind einige Compositionen
für die Flöte erschienen.
Tauber, Johann Heinrich, dänischer Gelehrter, lebte als Professor und
Direktor der Akademie zu Sorau Ende des 18. Jahrhunderts. Er gab eine
Abhandlung in dänischer Sprache heraus: »Gesang und Zeichnen, ein Mittel
zur Veredlung junger Leute überhaupt, insonderheit der Studirenden«. Dieselbe
ist auch abgedruckt in der Monatsschrift: -oMaaneäsJcriftet Iris, udjivet af S.
Faulsen. 2 den Äargang, 1792, IV. Bando.
Tanbert, Ernst Eduard, geboren am 25. September 1838 zu Regenwalde
8*
116 Taubert.
in Pommern, Sohn des dortigen Superintendenten, musste nacTi Absolvirung der
Gymnasialzeit auf Wunsch des Vaters in Berlin und später in Bonn Theologie
und Philologie studiren. Hier in Bonn zufällig mit Albert Dietrich bekannt
geworden, genoss er zum ersten Mal bei ihm als bei einem wirklichen Musiker
theoretischen Unterricht; später entschloss er sich gegen den "Willen seines
Vaters, der seine Hand gänzlich von ihm zurückzog, sich ganz der Musik zu
widmen, ging nach Berlin, contrapunktirte eifrig bei Kiel und ist in Berlin
bisher wohnen geblieben, nachdem er zeitweise in Leipzig und "Weimar seinen
Aufenthalt genommen hatte. Aus der Reihe von Compositionen aller Art, die
er bisher veröffentlicht hat, heben wir seine vierhändigen Stücke: »Unter fremden
Musikanten«, op. 22 (bei Leuckart) und "Walzer zu vier Händen, op. 33 (bei
Haynauer) hervor; desgleichen seinen »Liedercyklus aus dem Trompeter von
Säckingen« (bei Breitkopf & Härtel) und seine zwei Hefte »Toskanische Me-
lodien« nach Texten von Gregorovius (bei Kistner). Aus seinen Kammermusik-
werken verdienen besonders hervorgehoben zu werden: die Violinstücke, op. 17
(bei Siegel), sein Ciavierquintett, op. 32 (bei Paez in Berlin) und sein Streich-
quartett, op. 34 (bei Siegel), die ebenso Erfindung, wie technisches Geschick
zeigen und in weiteren Kreisen Anerkennung gefunden haben. Da der Com-
ponist sich in der Vollkraft des männlichen Alters befindet, sind die Akten
über ihn natürlich noch nicht geschlossen. Augenblicklich (1878) ist er auch
kritisch thätig als Peferent der politischen Zeitung »Die Post«. Obwohl er
sich entschieden der neudeutschen Richtung angeschlossen hat, ist er dabei er-
sichtlich bemüht, sich die Unj)arteilichkeit zu bewahren, wie denn auch bei
seinen Compostionen anerkannt werden muss, dass er seine eigenen "Wege zu
wandeln sucht.
Taubert, Gottfried, ein geborener Ronneburger, um 1700 Student in
Leipzig und seit 1710 öffentlicher Tanzmeister daselbst, ist merkwürdig durch
sein umfangreiches, gelehrtes, dem Kurprinzen Friedrich August von Sachsen
gewidmetes Werk über Tanzkunst, betitelt: »Rechtschaffener Tantzmeister,
oder gründliche Erklärung der frantzösischen Tantzkunst, bestehend in drei
Büchern, deren das Erst (Mstorice) des Tantzens Ursprung, Fortgang, Ver-
besserung, unterschiedlichen Gebi-auch, Zulässigkeit, vielfältigen Nutzen und
andere Eigenschaften mehr untersuchet. Das Andere (methodice), der so wol
galanten als theatralischen frantzösischen Tantz-Exercitii, Grund- Sätze, Ethice,
Theoretice und Practice, das ist: was in dem Prosaischen Theile zu der äusser-
lichen Sitten-Lehre und gefällig-machenden Aufführung: was in dem Poetischen
Theile zu der theoretischen Wissenschaft und Betrachtung so wol der nidrigen
Kammer- als hohen theatralischen Täntze: und was in Praxi sowol zu der
Regelmässigen Composition und geschicklichen Execution als gründlichen In-
formation dieser beyden Haupt-Theile gehöret, deutlich zeiget. Anbei wird,
nebst einer ausführlichen Apologie für die wahre Tantz-Kunst, der Haupt-
Schlüssel zu der Choreographie oder Kunst alle Täntze durch Charakteres,
Figuren und allerhand Zeichen zu beschreiben, als welches ingeniöse Werck
vormals durch Mrs. Feüillet, Tantzmeister in Paris, ediret, anitzo aber, nebst
den Kupflferstichen, von dem Autore aus dem Frantzösischen in das Teutsche,
und in diesen Format gebracht worden, zu finden seyn; Und das Dritte (clis-
cursive) deren Maitres, Scholaires, Assemblees, Balls, Hochzeit-Täntze und anderer
Tantz-Compagnien Requisita, wie sie nemlich beschaffen seyn sollen, und unter-
weilen beschaffen sind, zulänglich erörtert. Endlich ist ein vollständiges Re-
gister aller eingebrachten Sachen beigefüget worden« (Leipzig, 1717, Fr. Lancki-
schens Erben, 4°, 1176 Seiten und Register). Der abschreckend lange Titel
überhebt uns der weitern Inhaltsanzeige dieses Buches, das für Geschichte der
Tanzkunst und Tanzmusik gar manche treffliche Notiz darbietet.
Taubert, Otto, Dr., ordentlicher Lehrer am Gymnasium und Cantor an
der Stadtkirche zu Torgau, Dirigent des städtischen Gesangvereines, am 26.
Juni 1833 zu Naumburg a/S. geboren. Er besuchte das Gymnasium seiner
Taubert. 117
Vaterstadt, war während dieser Zeit Mitglied, in den zwei letzten Jahren
Präfekt des dortigen Domcliores, und in der Musik Schüler von Otto Claudius.
Von 1855 — 1858 studirte er in Halle Philologie, wurde 1859 in Bonn rite
zum Dr. phil. promovirt, unterrichtete an verschiedenen höheren Lehranstalten
in der ßheinprovinz, Westj)halen und Ostpreussen und wurde Ostern 1863 in
seine jetzige Stellung berufen. In dieser verhalf er, neben der traditionellen
Pflege der Kirchenmusik mit Begleitung des Orchesters, dem a capella-Gesange
zu grösserer Ausdehnung; betonte aber dabei das protestantische Element der
Art, dass er alle specifisch-katholische Musik aus der Kirche verbannte und
veranstaltete mit dem Kirchenchore zeitweise selbständige Concerte. Als Ge-
sanglehrer am Gymnasium führte er wiederholt Sophokleische Stücke mit der
Musik neuerer Componisten auf. Mit seinem Gesangvereine brachte er unter
anderen folgende Werke zur Aufführung: »Alexanderfest« und »Josua« von
Händel, »Schöpfung« und »Jahreszeiten« von Haydn, »Weltgericht« von Schnei-
der, »Hiob« von L. Klein, »Huss«, »Gutenberg«, »Lazarus« von Löwe, »Athalia«,
»Elias«, »Christus« von Mendelssohn, » Ver sacrum« von Ferd. Hiller. Anfangs
Alles mit eigenen Kräften, in den letzten Jahren unter solistischer Mitwirkung
vorzüglicher auswärtiger Kräfte. Als Orchester steht ihm die Begimentskapelle
des 72. Infanterie-Regiments zur Verfügung (das Stadtmusikchor ist vor drei
Jahren eingegangen). Auch literarisch und als Componist zeigte er sich thätig.
Von ihm erschienen: 1) Dichtungen, München-Gladbach, 1859 (darunter das
vielfach in Musik gesetzte Lied: »"Wenn ich zwei gehen seh' in Lieb' gesfellt«).
2) »Paul Schede (Melissus), Leben und Schriften« (Torgau, 1864). 3) »Die
Pflege der Musik in Torgau vom Ausgange des 15. Jahrhunderts bis auf unsere
Tage« (Torgau, 1868). 4) »Der Gymnasial-Singchor zu Torgau in seiner gegen-
wärtigen Verfassung nebst Nachträgen zur Geschichte der Pflege der Musik in
Torgau« (Torgau, 1870). Von seinen Compositionen sind zu erwähnen ausser
einer Reihe von Liedern, op. 1, 2, 3, 4, 5, 7, ein -nSahum fac regema für ge-
mischten Chor; »Skolion des Kallistratos« für Männerchor (griechisch und
deutsch) und andere Männerchöre.
Taubert, Wilhelm Carl Gottfried, ist am 23. März 1811 zu Berlin
geboren. Sein Vater war früher Regiments-Hoboist gewesen und wirkte noch,
nachdem er eine Anstellung als Kanzleidiener im Kriegsministerium gefunden
hatte, in Gartenconcerten und dergl. mit. So wurde die Freude an der Musik
auch in dem Sohne früh rege und im zarten Alter hatte dieser bereits ohne
Unterweisung gelernt kleine Stückchen auf der Piccoloflöte zu blasen. Sein
ei'ster Lehrer, der nachmalige Direktor des königlichen Domchors in Berlin,
Neithardt, der den Knaben im Clavierspiel unterrichtete, war von den Fähig-
keiten desselben wenig erbaut und auch Zelter, dem die Mutter den Knaben
später zur Prüfung zuführte, sprach sich durchaus ablehnend über die Begabung
desselben aus. Durch den Kriegsrath Langheinrich wurde der kunstsinnige
General von Witzleben auf den jungen Taubert aufmerksam gemacht und er
übernahm die weitere Sorge für die Ausbildung des nunmehr 12 jährigen Knaben.
Ludwig Berger wurde jetzt sein Lehrer und die nicht gewöhnliche Begabung
des Schülers für das Clavierspiel entwickelte sich jetzt so rasch, dass er schon
in dem nächsten Jahre öffentlich als Clavierspieler auftreten konnte, und in
wenigen Jahren den Ruf eines der geachtetsten Künstler seines Fachs erwarb.
Daneben vernachlässigte er auch seine wissenschaftliche Ausbildung nicht, er
absolvirte das französische Gymnasium und besuchte durch fünf Jahre die
Universität, obgleich er längst entschlossen war, die künstlerische Laufbahn zu
verfolgen. Von geringerem Erfolge waren die theoretischen Studien, die er
unter Berger und Bernhard Klein betrieb. Sein' Talent für Compositiou
erscheint der Hast gegenüber, mit welcher er nach äusserer Anerkennung, nach
Erfolgen rang, nicht bedeutend genug, und so gönnte er sich eigentlich auch
nicht die Zeit, sich eine feste und höheren Ansprüchen genügende Technik an-
zueignen. Indem er dem Geschmack des Salons seiner Zeit huldigte, gelang
118 Taubert.
es ihm, mit einigen Claviercompositionen vorübergehende Erfolge zu erreichen
und mit einzelnen seiner: »Lieder aus der Kinderwelt« sogar eine Zeit lang
ernster gestimmte Ki-eise zu interessiren ; grössere Bedeutung gewannen indess
auch diese ebenso wenig, wie irgend eine andere seiner zahlreichen Composi-
tionen. Mit um so grösserem Greschick wusste er anderweitig Erfolge zu er-
zielen. Bereits 1831 wurde ihm die Leitung der Hofconcerte am Piano über-
tragen; 1834 schon ernannte ihn die Akademie der Künste zu ihrem Mitgliede;
1841 wurde er Musikdirektor an der königl. Oper und 1845 Hofkapellmeister
und in dieser Stellung verblieb er, bis er 1870 mit dem Titel Oberkapellmeister
von der Oper zurücktreten musste. Seitdem blieb ihm nur die Leitung der
Hofconcerte und der Soireen der königl. Kapelle. An der Gründung dieser
Soireen (Winter 1842 — 1843) war er lebhaft betheiligt, was ihm als unbestrit-
tenes Verdienst angerechnet werden muss, denn der pekuniäre Erfolg derselben ist
ein aussergewöhnlicher; es wurde durch sie dem Pensionsfond für die Wittwen
und Waisen der Mitglieder der Kapelle bereits eine enorme Summe zugeführt.
Der kleinliche Kapellmeistergeist, von dem Taubert besessen ist, wie kaum ein
anderer seiner Herren Collegen, verhinderte indess, dass die Soireen auch die
historische Bedeutung erlangten, welche sie gewinnen mussten. Da er selbst
so geringe Erfolge als Componist zu erzielen vermochte, trieb ihn das zu einer
immer energischeren Opposition gegen die Schöpfungen der Gegenwart, die
durch ihn nicht die mindeste Förderung erfahren. Während alle andern der-
artigen Institute die hervorragenderen Werke auch der Neuzeit auf ihre Concert-
programme bringen, geschieht dies Seitens der Berliner königl. Kapelle nur selten,
und dann auch meist durch andere Rücksichten bedingt, und so, dass es der
Produktion der Gegenwart nicht zur besondern Ehre gereicht. Daher vermochte
auch die königl. Kapelle nicht die hohe Stufe, die sie ihrer Zusammensetzung
aus den besten Künstlern nach einnehmen müsste, auch thatsächlich zu gewinnen.
Selbst der ausgezeichnetste Virtuose gfeht in seinen Leistungen zurück, wenn
er nicht ununterbrochen sein ßepertoir durch neuere Werke bereichert und
ganz ebenso ergeht es einer Kapelle, die nur selten über den beschränkten Kreis
eines feststehenden Programms hinausgreift.
Von Taubert's zahlreichen Compositionen sind nur wenige noch mehr als
dem Namen nach bekannt. Bereits am 30. März 1831 wurde seine erste Sin-
fonie aufgeführt; 1832 folgte die Oper »Die Kirmes«, 1833 die Ouvertüren
zu »Othello«, zu »Der Zigeuner« und zum »Grauen Männlein«. Seine
Musik zum Schauspiel »Das graue Männlein« wurde in Dresden aufgeführt;
1834 ging die Oper »Der Zigeuner« im königl. Opernhause in Berlin in
Scene; ihr folgte 1842 die einaktige Oper »Marquis und Dieb«; 1843
schrieb er auf Befehl des Königs Friedrich Wilhelm IV. die Chöre zur
»Medea des Euripides«, die in Berlin und einigen andern Städten zur
Aufführung gelangten. 1844 lieferte er dann die Musik zu Tieck's »Der ge-
stiefelte Kater« und 1845 zu desselben Dichters »Blaubart«; 1846 führte
er eine neue Sinfonie (in F-dur) auf und 1850 eine dritte in S-moll. Zur
Unterstützung seiner Bewerbung um das durch Bungen hagen's Tod erledigte
Direktorat der Sing-Akademie comj)onirte er Kloj)stock's »Vater unser«, das
auch am 28. Jan. 1852 zur Aufführung gelangte. 1853 schon ging dann seine
neue Oper »Joggeli« im königl. Opernhause in Scene. 1855 brachte er
wieder eine neue Sinfonie {Ö-moll) heraus und dirigix'te in München seine
Musik zu Shakespeare's Drama »Der Sturm«. Seine Oper »Macbeth« ging
wieder in Berlin in Scene (1857), ebenso wie seine jüngste Oper »Cäsario«
(1875) und keins dieser Werke vermochte auch nur die, seiner Wirksamkeit
näherstehenden heimischen Kreise mehr als vorübergehend zu interessiren. Mit
mehr oder weniger pikanten conventionellen Redensarten vermag man wohl
auf Augenblicke zu unterhalten, aber nicht auf die Dauer, am wenigsten aber
ein Kunstwerk von Bedeutung zu schaffen. Tiefern Inhalt aber verräth Tau-
bert's Tonsprache nirgends und da auch seine Technik sich nicht über das
Taubner — Tausch. 119
Maass einer gewissen Routine erhebt, so konnten seine Compositionen, trotzdem
sie unter den möglichst günstigsten Umständen in die Oeä'entlichkeit gelangten,
nirgend feste Wurzel fassen. Auch die relativ besten Werke Taubert's, die
»Kinderlieder«, würden, obgleich sie sich dem Ijeschränktesten Bedürfniss unserer
Salons anschmiegen, niemals den Erfolg errungen haben, wenn sie nicht von
Sängerinnen wie die Lind, Johanna Wagner, Frau Harriers- AVippern
und Andern in die OefFentlichkeit eingeführt worden wären. Für den Maugel
an Erfolgen auf diesem Gebiet müssen ihn die äusseren Auszeichnungen ent-
schädigen, die er zu erringen wusste. Er ist gegenwärtig Vorsitzender des
Senats der musikalischen Abtheilung der Akademie der Künste in Berlin, Mit-
glied mehrerer Gesellschaften und eine ßeihe von Orden schmücken seine
Brust, wie: der rothe Adlerorden 4. Classe, das Verdienstkreuz des herzoglich
sächsischen Hausordens Ernestinischer Linie, der königlich bairische Verdienst-
orden vom heiligen Michael 1. Classe u. s. w.
Taubuer, Anton Maurin, Organist aus Böhmen, gehöi'te als Violinist
zur Kapelle des Prinzen Lobkowitz; er dirigirte die Kirchenmusiken bei den
Ursulinerinnen und in der Kirche S. Nepomuk in Prag um die Mitte des
lö. Jahrhunderts. Im Manuscript sind Messen, Motetten und Oratorien in
Prag aufbewahrt, als: »Horeb«, 1741. »Das Haus Jacobs«, »Die Hochzeit
des Lammes«, 1764. »Das Grab des Herrn«, 1758, u. a.
Taaleiara; ein älterer Ausdruck für Castagnetten (s. d.).
Tausch, Eranz, ausgezeichneter Clarinettist, eigentlich der Begründer des
Virtuosenthums auf der Clarinette, wurde in Heidelbei-g am 26. Decbr. 1762
geboren. Sein Vater Jacob Tausch war Musiker, seit 1764 bei der Kurfürst-
lichen Kapelle zu Mannheim angestellt. Der junge Tausch liess sich schon im
achten Jahre vor dem Kurfürsten auf der Clarinette hören und wurde in Eolge
dessen sofort in dessen Kapelle aufgenommen. 1777 kam er mit dem Hofe
nach München, begleitete den Kapellmeister Winter nach Wien und kehrte
nach einem sechsmonatlichen Aufenthalt, den er zu eifrigen musikalischen Stu-
dien benutzte, nach München zurück. 1784 unternahm er eine Reise durch
das nördliche Deutschland und besuchte auch Berlin und Dresden. 1790 wurde
er von der regierenden Königin von Preussen berufen und trat bald darauf
als Kammermusikus ein. Ungefähr 1799 richtete er musikalische Versamm-
lungen ein, die wöchentlich stattfanden und aus denen 1805 ein Institut für
Blasinstrumente hervorging. Heinrich Bärmann und sein Sohn Friedrich Wil-
helm sind seine besten Schüler. Eranz Tausch starb am 9. Eebr. 1819 zu
Berlin. Sein Sohn:
Tausch, Eriedrich Wilhelm, Königl. Kammermusiker und Clarinettist
der Königl. Kapelle zu Berlin, trat 1815 in die Königl. Kapelle und führte
nach seines Vaters Tode dessen Conservatorium für Blasinstrumente weiter.
Er starb am 29. April 1845. Sowohl sein schöner Ton wie seine ausser-
gewöhnüche Fertigkeit stellten ihn in die Reihe der ersten Clarinettvirtuosen
seiner Zeit.
Tausch, Julius, ist am 15. April 1827 in Dessau geboren und erhielt
seine musikalische Ausbildung zunächst durch den Unterricht von Friedrich
Schneider in Dessau. Vom April 1844 bis Ende October 1846 war er dann
Schüler des Conservatoriums der Musik zu Leipzig und insbesondere der da-
mals bei demselben thätigen Meister Mendelssohn, Hauptmann u. A. und wid-
mete sich vorzugsweise dem Studium der Composition und dem Pianofortespiel.
Im November 1846 ging er nach Düsseldorf. Hier, sowie an anderen Orten
trat er zunächst als Pianist auf. Nach Rietz's Abgange übernahm er die Di-
rektion der bisher von diesem geleiteten Künstler-Liedertafel und in den Jahren
1853 bis 1855 im Auftrage des Comite's des Allgemeinen Musikvereins die
Vertretung R. Schumann's, zu dessen Nachfolger er 1855 definitiv gewählt
wurde. Seine Compositionen bestehen in Kirchenmusiken, Ouvertüren und
andern Orchestercompositionen, gemischten Chören, Männerchören, Liedern,
120 Tauscher — Tausig.
Ciavierstücken u. s. w. Im Druck sind bisher erschienen: op. 1 »Fantasiestücke
für Pianofortea, zwei Hefte; op. 2 »Acht Lieder«; op. 3 »Duo für Pianoforte
und Violine«; op. 4 Musik zu Shakespeare's »Was ihr wollt«, Partitur und
Ciavierauszug; op. 5 »Männerchöre«; op. 6 »Sechs Lieder«; op. 7 »Drei Mal-
kastenmärsche«; op. 8 »Sechs Lieder«; op. 9 »Fest-Ouverture«; op. 10 »Der
Blumen Klage auf den Tod des Sängers« für Sopransolo, Frauenchor und Or-
chester; op. 11 »Ave Maria« für Sopran und Orchester; op, 12 »Dein Leben
schied, dein Ruhm begann«, Concertstück für Männerchor und Orchester; op. 14
»Zwei Duette für Sopran und Tenor«; op. 15 »Drei Lieder«. Seit dem Jahre
1853 leitet er auch die Abonnementsconcerte und war ausserdem als Mitdirigent
bei den Niederrheinischen Musikfesten, die in Düsseldorf in den Jahren 1863,
1866, 1869, 1872 und 1875 stattfanden, thätig.
Tauscher, J, Gr., Grerichtsdirektor zu Waidenburg, später Notar zu Löss-
nitz, wo er 1787 starb. Ihm wird folgende Arbeit zugeschrieben: »A'ersuch
einer Anleitung zur Disposition der Orgelstimmen, nach richtigen Grrundsätzen
und zur Verbesserung der Orgeln überhaupt« (Waidenburg, 1778, in 8°, 78 S.).
Angehängt ist eine Nachricht von einer neuerfundenen Windlade der G-ebrüder
Wagner, Orgelbauer zu Schmiedefeld bei Ruhla.
Tausig, Aloys, Pianist, geboren zu Prag 1820, zeigte bereits im Knaben-
alter bedeutende Begabung für das Ciavierspiel. Er kam 1831 nach Wien und
erhielt dort den Unterricht Thalberg's, unter dessen Leitung er schnelle und
bedeutende Fortschritte machte. 1837 unternahm er eine Concertreise durch
Deutschland, besuchte Petersburg und errang überall den Ruf als eleganter
Ciavierspieler. Nach Prag zurückgekehrt, widmete er sich dem Unterricht,
später liess er sich in Warschau nieder, wo er einer der gesuchtesten Clavier-
lehrer wurde und siedelte dann nach Dresden über. Claviercompositionen von
ihm erschienen: y>Deua; morceaux de salon pour pianoa, op. 1 (Leipzig, Breit-
kopf & Härtel). »jLffl Sirene grande etude pov/r le piano«, op. 6 (ibid.). r>Grande
fantasie idema, op. 7 (ibid.). »ia Berceuse, idem«, op. 8 (Warschau, Friedlein).
Sein Sohn:
Tausig, Carl, einer der genialsten Ciaviervirtuosen der jüngsten Ver-
gangenheit, ist am 4. Novmbr. 1841 zu Warschau geboren und genoss bis zu
seinem 14. Jahre den Unterricht seines Vaters im Clavierspiel. Die Vollendung
der Ausbildung des aussergewöhnlich begabten Kunstjüngers übernahm dann
Franz Liszt und unter seiner Leitung entfaltete sich Tausig's Genie in wahr-
haft wunderbarer Weise, so dass, wie das nicht anders zu erwarten war, als er
in die Oeffentlichkeit trat, Ende der fünfziger Jahre, er eben so staunende
Bewunderung als heftige Opj)osition fand. Die ungewöhnliche Technik, wie
man sie bisher nur an dem Grossmeister des Clavierspiels, an Franz Liszt,
kannte, wie das Stürmische, wild Leidenschaftliche seines Vortrags erwarben
ihm bald ebenso enthusiastische Verehrer wie heftige Gegner. Nach erfolg-
reichen Concertreisen und wechselndem Aufenthalt in Dresden 1859 und 1860
und in Wien 1862 liess er sich 1865 in Berlin nieder. Hier errichtete er die
Akademie für das höhere Clavierspiel, die seine bedeutende Fähigkeit auch für
die Lehrthätigkeit zeigte. Hier vollzog sich denn auch an ihm selber jener
Läuterungsprozess, aus welchem sein Genius hellleuchtend, ohne trübende
Schatten hervorging. Tausig beschäftigte sich auch eifrig mit wissenschaft-
lichen, namentlich philosoj^hischen Studien und unter dem Einfluss derselben
concentrirte sich seine leidenschaftliche übersprudelnde Innerlichkeit zu jener
künstlerischen Ruhe, die ihn bald zu dem unvergleichlichen Clavierinterpi'eten
der Meisterwerke machte, vor dem nun auch die O^Dposition verstummen musste.
So wurden seine Concerte und Soireen zu künstlerischen Festtagen für alle
Freunde namentlich der Romantiker, und die tiefste Trauer machte sich überall
kund bei der Nachricht von dem so früh erfolgten Tod des jugendlichen Mei-
sters. Er starb plötzlich am 17. Juli 1871 in Leipzig am Typhus. Wenige
Tage darauf wurde seine Leiche nach Berlin gebracht und hier zur Ruhe be-
Tauwitz — Tayber. 121
stattet. Von seinen Compositionen blieben die meisten Manuscript. Als be-
geisterter Anhänger Wagner's bearbeitete er dessen Opern in verschiedenen
Arrangements, unter andern auch den Ciavierauszug der Oper: »Die Meister-
singer«. Besonders zu erwähnen sind ferner die von ihm besorgte Ausgabe
von Clementi's «Gradus ad j)arnassum<i und die, nach Tausig's Tode von Ehr-
lich herausgegebenen »Technischen Studien« (beide in M. Bahn's Verlag
T. Trautwein in Berlin erschienen). Tausig war mit Seraphine geborene
V. Vrabely verheiratet, einer bedeutenden Pianistin, Schülerin von Dreyschock.
Diese ging nach seinem Tode nach Pest und errichtete dort ein Musikinstitut.
Gegenwärtig (1878) weilt sie wieder in Berlin.
Tauwitz, Eduard, geboren zu Grlatz in Schlesien am 21. Januar 1812,
besuchte das dortige Gymnasium und kam dann nach Breslau, um die Rechte
zu studiren. Er hatte sich von früh an auch mit musikalischen Studien befasst
und übernahm als Student schon die Leitung eines Gesangvereins. Später
widmete er sich ganz der Musik und nahm eine Stelle als Musiklehrer in "Wilna
an. 1846 ging er nach Prag als Kapellmeister an das dortige Theater, 1863
wurde er pensionirt und seitdem ist er als Direktor der Sophien-Akademie und
als Chormeister des deutschen Männergesangvereins thätig. 1844 wurde in
Riga die dreiaktige Oper »Brodamante« und 1846 eine komische Oper »Schmolke
und Bakel« aufgeführt (Breslau, bei Leukart). Ebenda erschienen eine Anzahl
Liederhefte für vier Männerstimmen und Lieder für eine Stimme mit Ciavier-
begleitung, op. 8, 10, 15, 17 und 18 (ibid.), von denen einzelne, wie: »Worte
der Liebe, ihr flüstert so süss« und einige Männerquartette weite Ver-
breitung fanden.
Tavares, Manuel, Componist aus Portalegra in Portugal, lebte gegen 1625.
Er war erst Sänger in der Kapelle Johann IIL, später Kapellmeister in Murcia,
dann in Cuenca in Spanien; in der letzteren Stadt starb er. Messen, Psalmen
und Motetten befanden sich von ihm in der Bibliothek des Königs von Por-
tugal. S.: Machado, y>BibliotJieca Lusitanan und yCatalogo Gritico por Joaquim
de Vasconcellos«.
Tavares, Nicola, portugiesischer Componist des 17. Jahrhunderts, war
Kapellmeister in Cadix und in Cuenca, wo er starb. Seine Compositionen be-
fanden sich ebenfalls in der Bibliothek des Königs von Portugal.
Tavelli, Luigi, venetianischer Componist aus der ersten Hälfte des 18.
Jahrhunderts. Bekannt von ihm ist nur die Oper y>Amor e Solegnoaa, Anfangs
unter dem Titel r>Ottone Amanten 1726 im Theater Cassiano zu Venedig aufgeführt.
Taveruer, John, einer der ältesten englischen Contrapunktisten, war Or-
ganist zu Boston in der Grafschaft Lincolnshire in der ersten Hälfte des 16.
Jahrhunderts, auch Chox'sänger an der Cardinais-, jetzt Christkirche zu Oxford.
Seine Neigung zum Protestantismus brachte ihn ins Gefängniss, nebst zwei
andern, wovon der eine durch die schlechte Luft des Gefängnisses getödtet,
der andere, ein Lautenist John Frith, 1533 verbrannt wurde. T. kam durch
seine Talente wieder in Freiheit. Der Cardinal entliess ihn mit dem Bemerken:
er sei ja nur ein Musiker. Seine Compositionen im Manuscript verblieben der
Bibliothek zu Oxford, auch sind einige im Britisch Museum zu London (Cot.
179, 226, 227) aufbewahrt. Gedruckt sind folgende: Motette -»Bum transisseU,
fünfstimmig im Kirchenton (Burney, ^General Histoire of Musik«, Theil II,
S. 557 — 559). Ebenda (S. 560 — 562) aus einer Messe ein dreistimmiger Canon:
»0, Michael«. Ein dreistimmiges Anthem: »O splendor gloriae« (Hawkins,
■aGeneral History of tJie science and pracHce of miisic«, Th. II, S. 513).
Tayber, Anton, geboren zu "Wien am 8. Septbr. 1754, lebte dort, nach-
dem er einige Zeit in der Kurfürstlichen Kapelle in Dresden gewirkt, als
Kammervirtuos (Clavierspieler) und Kammercomponist des Erzherzogs und der
Erzherzogin. T. starb zu Wien am 18. Novbr. 1822. Zu seinen Compositionen
gehören: »Zerbes und Mirabella«, Melodrama; »Das Leiden Jesu Christi«, Ora-
torium; »Die Eroberung von Belgrad«, Tongemälde; Quartette, Lieder, Tänze.
122 Tayber — Taylor.
Tayber, Franz, Hoforganist und Componist, zu Wien am 15. Novbr. 1756
geboren, war ausgezeichnet als Orgelspieler und machte in seiner Jugend Concert-
reisen durch die Schweiz, Schwaben und Baden, dann schloss er sich der herum-
ziehenden Operntruppe Scbikaneder's an. In Wien übernahm er die Direktion
des von Schikaneder gegründeten Theaters an der Wien. Er schrieb für dieses
und das Theater der LeoiDoldstadt viel Arien, Chöre, Ouvertüren, Tänze und
die Opern: »Alexander«, »Der Schlaftrunk«, »Scherodin und Almansor«, »Der
Telegraph«, »Pfändung und Personalarrest«, »Der Zerstreute«, »Das Spinner-
kreuz am Wienerberg«, »Arrac/io de Benevent».. In Augsburg, ßegensburg und
andern Städten wurden von ihm aufgeführt: »Carl von Eichenhoi'st« und »Laura
ßosetti«. T. wurde 1810 zum Hoforganisten ernannt und starb aber schon
am 22. October desselben Jahres.
Taylor, Brook, englischer Mathematiker von Ruf, sicherte sich diesen
auch in der musikalischen Welt durch die Lösung des Problems der Vibration
der Saiten (De Vibratione Ohordarum). Die Abhandlung hierüber befindet sich
in seinem Buche -nMethodus incrementorum directa et inversa<i (London, 1715
und 1717, in 4"). Ebenfalls in: y>Philosoph. Transactionsa, Vol. XXVIII pag.
26 und folgende unter dem Titel: r>Goncerning the motion of stretched stringa.
T. ist am 18. August 1685 zu Edmonton in der Grrafschalt Middlessex geboren
und starb am 29. December 1731.
Taylor, Edward, Urenkel des Dr. John Tayloi', wurde zu Norwich am
22. Jan. 1784 geboren. Er erhielt eine gute Erziehung und besonders sprach-
liche Bildung, beschäftigte sich aber von früh an mit Vorliebe mit der Musik,
obwohl er dem Kaufmannsstande angehörte. Er spielte Orgel, konnte auch in
Concerten Hoboe, Fagott oder Flöte übernehmen, besonders aber Hess er
gern seine schöne Bassstimme erklingen. Er wirkte als Liebhaber in den
geistlichen Concerten -nThe octogon GhapeW mit und war Mitglied des nGlee
Gluba in Norwich. fSound the TymbaU, ein Chor seiner Composition, wurde
in den »HaU-Concerts« aufgeführt. T. war auch einer der Hauptorganisatoren
des Musikfestes zu Norwich 1824, zu welcher Grelegenheit er mehrere Texte
der grossen Compositionen von Mozart, Spohr, Graun aus dem Deutschen ins
Englische übersetzte. 1825 kam er nach London, wo er zuerst als Sänger
auftrat; seine ausgebreiteten Kenntnisse in der Theorie und Greschichte der
Musik verschafften ihm aber 1837 beim Tode Steven's einen Platz am College
zu Gresham. 1837 veröffentlichte er seine drei ersten Vorträge: -oThree inau-
gural Lecturesa in 8°. Diesen folgte 1845 ein Artikel: r>The english Gathedral
Service, its glory, its decline and its designed ecctinctiona (in »Britsh and Foreign
Mevieiod), später separat gedruckt, eine Schrift, welche in England viel Auf-
sehen machte. Noch ist T. als der Gründer des y^ Pur cell Gluba und in Gemein-
schaft mit Dr. ßimbault und Chapell der »Musical antig^uarian Society^ zu nennen.
Auch die öffentliche musikalische Bibliothek zu Gresham ist sein Werk; er
veröffentlichte in Bezug hierauf: »An address from the Gresham professor of
music to the patrons and lovers of the art etc.«, ein Blatt (London, 28. 1838).
Zu seinen Arbeiten gehören noch die Uebersetzungen: »Vier Jahreszeiten« von
Haydn, »Tod Jesu« von Graun, und mehrerer Oratorien von F. Schneider und
Spohr, ferner seine Compositionen, die in »Gleesu und englischen Gesängen
bestehen, und eine Sammlung rheinischer Volkslieder, deren Worte er ins Eng-
lische übertragen, »Airs of the Mhinea benannt und die mit einer Vorrede ver-
sehen sind, welche eine Skizze der deutschen Musik enthält. Der Styl in aUen
seinen Schriften ist elegant. T. machte 1826 eine Reise nach Italien und
Deutschland und starb am 12. März 1863 zu Brentwood bei London.
Taylor, Jacob, Professor der Musik zu Norwich, wo er 1770 geboren
wurde, Hess in der musikalischen Zeitschrift »Quarterly musical Review«, meh-
rere Aufsätze erscheinen, darunter: »Remarhs on the minor Iceyv. (Tb. I S. 141);
»On Modulation<i (Th. I S. 304). »lieber Octaven- und Quintenfolgen« (ebenda
Th. II S. 271).
Taylor — Technik. 123
Taylor, John, Dr., geboren 1694 in der Gegend von Lancaster, studirte
zu Cambridge, wurde Pastor zu Norwich und dann Rektor einer Schule zu
Warringten, wo er 1761 starb. Eine ßede, die er in Cambridge hielt, wurde
gedruckt: y>The Music speechi (London, 1730, in 8"). Derselbe hat auch ein
Buch Anthems mit Anmerkungen über die Ausführung der Psalmodie heraus-
gegeben: y>A eoUection of tones in various airs ; with a scheine for supporting
the spirit and practice of psalmody in congreyationsv. (London, 1750, in 8°).
Taylor, Richard, geboren zu Chester 1758, gehörte zur Calvinistischen
Kapelle in London, wo er im Februar 1813 starb. Man hat von ihm folgende
Compositionen: Eine Sammlung Weihnachts-Hymnen: r>The Christmas Hymn<i
(London, Longman & Broderip). Eine Sammlung ^Anthems Church Music for
3 voicesa (ibid.). r>Beauties of sacred verse, selected principally front the worhs
of the Rev. Dr. Watts, Wesley, Dodridge and oihers eminent divine authers, xoitli
entire neiv Music, suited for the voice, organ, piano forte, etc.a, liv. I und IL
Ein Lehrbuch der Musik: r>The principles of Music at one view« (London, 1791,
in 8"; mehrere Auflagen).
Teatro di grau cartello (ital.), Theater vom ersten Range, auf welchem
grosse Opern gegeben werden.
Teatro diurno (ital.), in einigen Städten Italiens ein Theater, in dem in
der schönen Jahreszeit bei hellem Tage von fünf Uhr Nachmittags bis zum
Einbruch der Nacht gespielt wird.
Te-Bouni, ein Lyra- oder Lautenähnliches Saiteninstrument der alten Aegypter.
Techler, David, Greigenbauer deutscher Abkunft, lebte zwischen 1680 bis
1743 zuerst in Salzburg, wo er nach dem Modell der Geigen von Stainer
(s. d. Art.) arbeitete, später ging er nach Venedig und dann nach Rom und
dort baute er bessere Instrumente als seine früheren, nach dem Muster des
Nicolas Amati. Er musste seiner Concurrenten halber aus Venedig fliehen, die
ihn mit dem Tode bedrohten. Am werthvollsten von seinen Instrumenten sind
seine grossen Celli, der Lack derselben ist dünn aufgetragen und gelb. Seine
David Techler Liutaro
Fecit Romae An. D. 17 — .
Technik ist die Lehre von der praktischen Thätigkeit, welche sowohl die
Schöpfung wie die Ausführung eines Kunstwerks erfordert; sie ist gewisser-
massen der Gegensatz der Aesthetik. Wie diese die, in der Idee des Kunst-
werks gebotenen Gesetze zu erforschen und festzustellen sucht, so jene die durch
das Material gebotenen. In der Tonkunst umfasst die Technik demnach die
Lehre von der Erzeugung und der mehr materiellen Verwendung
der Töne und Klänge. Die Technik des Instrumentenspiels und des
Gesanges umfasst die Summe der Fertigkeiten, welche zur correcten Aus-
führung eines Tonstücks nothwendig sind. Zur Technik des Ciavier spiels
gehören ein präciser Anschlag in allen Stärkegraden; correcter Fingersatz und
der Grad von Geläufigkeit, welcher erforderlich ist, um auch die schwierigsten
Figuren im entsprechenden Tempo sauber und ohne Anstrengung ausführen
zu können. Diese Fähigkeit gehört auch zur Technik des Gesanges, wie
zu der aller andern Instrumente. Zur Technik des Geigenspiels gehört
dann ferner auch die Kunst der Bogenführung, der Applicatur, wie der
besondern Behandlungsweise der Saiten: des Flageolettspiels, des
Pizzicato u. s. w. Zur Technik des Gesangs gehören dementsprechend
die Kunst des Tonansatzes, die Accentuation, V ocalisation, das Por-
tamen to u. s. w. In wie weit diese Technik dann nach ästhetischen Gesichts-
punkten bestimmt wird, erörtert der Artikel Vortrag (s. d.) Auch die
Composition, die Schöpfung des Kunstwerks, hat ihre besondere Technik,
diese umfasst die Fähigkeiten, die Töne zu bestimmten Formen zusammen-
zufügen, nach den Gesetzen, die sowohl im Material wie auch in der Idee der
speciellen Formen begründet sind, deren Summe die Lehre vom Tons atz:
1 24 Tedeschi — Teixeira,
als Lehre vom Contrapunkt und als rormen- und Instruraentations-
lehre in sich begreift.
Tedeschi, Griovanni, genannt Amadori, war einer der grössten Sänger
aus der Schule des Bernaccbi, zu Bologna ungefähr um 1740. Er befand sich
später längere Zeit im Dienst des Königs von Neapel und war auch eine
Zeit lang Opernunternehmer. In den Jahren 1751 — 1755 sang er in Berlin
in den Graun'schen Opern »Montezuma« und »Ezio«, In Rom errichtete er
nach dem Beispiel seines Lehrers eine Singschule, aus der viel gute Schüler
hervorgingen. Er starb gegen 1790.
Tedesco Arrigo wurde Heinrich Isaak (s.d.) von den Italienern genannt.
Tedesco, L. C A., gegen 1807 von italienischen Eltern in Luxemburg
geboren, studirte Medizin an der Universität Löwen 1827 — 1829. Er hielt
dort folgenden Vortrag über die Anwendung der Musik in der Medizin: y>De
musica iatricaa. (Lovanii, 1829, in 8", 27 S.).
Tedesco, Ignaz Amadeus, trefflicher Ciavierspieler und Componist von
geschmackvollen und beliebten Salonstücken, ist zu Prag 1817 geboren. Die
ersten Studien im Clavierspiel machte er unter Anleitung des Vaters, ferner
des Kapellmeisters Triebensee, und mit so gutem Erfolge, dass er sich zwölf
Jahre alt schon öffentlich hören lassen konnte. Nach einer kleinen Kunstreise
nahm er in Prag den Unterricht im Clavierspiel und der Composition bei
Tomascheck wieder auf und 1835 machte er eine zweite Peise nach Wien und
spielte auch mit Beifall in Leipzig im Gewandhaus. Bei späteren erfolgreichen
Concertreisen bewegte er sich hauptsächlich in Süd-ßussland, blieb in Odessa
längere Zeit wohnhaft und ertheilte Unterricht. Dann lebte er in Hamburg
und London. 1850 wurde er Grrossherzoglich Oldenburgischer Hofpianist. Zu
seinen Compositionen, die in Capriccios, Variationen, Nocturnos, Salonwalzern
u. s. w. bestehen, gehört auch ein Clavierconcert mit Orchester. Spiel und die
Compositionen des Tedesco zeichnen sich hauptsächlich durch Eleganz aus.
Te Deum landamns: »Herr Gott dich loben wir«, der sogenannte Ambro-
sianische Lobgesang (s. d.).
Tegetineier, Georg, geboren am 20. Januar 1687 zu Halberstadt, starb
gegen 1750 als Domorganist zu Magdeburg; er war einer der vorzüglichsten
Organisten seiner Zeit.
Teghi, Pietro de, berühmter Lautenist, lebte in der ersten Hälfte des
16. Jahrhunderts. Man kennt von ihm: nOarminum ad testudinis vsum compo-
sitorum liher tertius ah excellentissimo artifice JBetro Tegliio Patauino elegantissime
coneinnatusti (Lovanii, apud Petrum Phalesium bibliopolam juratum, anno Do-
mini 1547). y>Des chansojis et Motetz reduicts en tahvlatvre de Luc a quatre^
cinque et six parties, livre troisieme. Composees par Vexcellent maistre Pierre di
Tegli Faduana (A. Lovvain, par Pierre Phaleys libraire iure, nel an de grace
1547. Avec grace et privilege a trois ans).
Teichmüller, K. "W., Violinist, Flötist, Guitarrist und Professor der Musik
zu Braunschweig gegen 1830, war hauptsächlich ausserordentlich geschickt auf
der Mundharmonika. Compositionen für die Violine und für Violine, Flöte
und Guitarre u. s. w. sind bei Breitkopf & Härtel (Leipzig), bei Cranz (Ham-
burg), bei Spehr (Braunschweig) erschienen.
Teixeira, Antonio, portugiesischer Componist, zu Lissabon 1707 geboren,
kam neun Jahre alt nach Pom, um Gesang und Contrapunkt zu studiren.
Zurückgekehrt nach Lissabon erhielt er die Titel eines ersten Sängers und
Examinators der Sänger des Patriarchats und zeigte sich als einer der geschick-
testen Contrapunktisten seiner Zeit und seines Landes. Er hinterliess im
Manuscript: Te Deum laudamus, zwanzigstimmig, ausgeführt 1734; Te Deum,
neunstimmig; Psalmen, Offertorien, Lamentationen, Motetten für vier und acht
Stimmen, mit und ohne Instrumente; ein achtstimmiges Miserere mit Beglei-
tung; vier- und achtstimmige Messen; vier- und achtstimmige Psalmen und
Vespern für die Portugiesische Antoniuskirche in Rom; mehrere Opern.
Teisidor — Telemann. 125
Teixidor, Don J., Organist der Königlichen Kapelle zu Madrid, geboren
zu Geros in Catalonien, wurde au Stelle von Nebra 1778 Vice-Kapellmeister.
Er starb 1814 oder 1815. In den Archiven der Königl. Kapelle sind von ihm
aufbewahrt: eine achtstimmige Messe: y>JEripe me Do7nine ah Jiomine maloa, 1779;
eine andere achtstimmige Messe : rySoli deo honor et gloriav., 1780; achtstimmige
Vespern, 1781; der erste Band des "Werkes: y)Discursos sohre la Mstoria uni-
versal de la miisicaa (Madrid, 1804, in 4°).
Tele^raphie musicale nennt Leonhard Mathieu (geboren 1752, gestorben
1801 zu Angouleme) die, von ihm erfundene Fernschreibekunst, vermittelst
welcher er die Silben dergestalt zusammenfügen konnte, dass ihre Zusammen-
stellung in Worten eine ordentliche, harmonischer Begleitung fähige Melodie
bildete. Seine darüber erschienene Schrift: »iVöwv. Methode telegr. mus. ou
langage exprime par les sons sans articulationa ist fast ganz verschollen, ebenso
wie die Methode. Die ähnlichen Versuche einer Tonsprache von Sudre (s. d.),
Organist Doli u. A. blieben ebenfalls ohne weitere Erfolge, erst in neuerer Zeit
ist eine andere Art der musikalischen Telegraphie durch das Telephon (s. d.)
bedeutsam geworden.
Telemann, Georg Philipp, deutscher Componist, ist am 14. März 1681
zu Magdeburg geboren, wo sein Vater Prediger an der Heiligengeistkirche war.
Diesem lag zunächst die wissenschaftliche Erziehung seines Sohnes am Herzen,
welcher sich demgemäss an der Domschule seiner Vaterstadt, später auf den
Gymnasien von Zellerfeld im Harz und Hildesheim, endlich (von 1700 — 1704)
auf der Universität Leipzig eine gründliche und universale Bildung aneignete.
"Wie stark dabei sein Trieb zu musikalischer Bethätigung war, beweist die
Thatsache, dass er neben seinen wissenschaftlichen Studien schon im zwölften
Jahre eine Oper componirte, wozu ihm eine Partitur des Lulli als Muster
diente, da sich von den deutschen Meistern zu jener Zeit noch keiner im mu-
sikalisch-dramatischen Fache hervorgethan hatte. Auch im weiteren Verlaufe
seiner Studienzeit verlor er die Musik nicht aus den Augen und erlernte nach
und nach die Elöte, die Violine und das Ciavier, alles dies ohne Unterricht,
ausgenommen eine 14 Tage dauernde Anleitung auf letztei-em Instrumente.
Auch im Dirigiren hatte er früh Gelegenheit, sich Uebung zu erwerben, da er
schon von 1695 an, während seines Aufenthaltes in Hildesheim, die Musik in
der dortigen katholischen Gotthardinerkirche leitete. Noch als Student in
Leipzig übernahm er (1701) den Posten eines Musikdirektors und Organisten
an der Neuen Kirche; nach absolvirtem Studium aber (1704) den eines Kapell-
meisters beim Grafen von Promnitz in Sorau. Hier wurde er mit Printz be-
kannt, der beim Grafen als Cantor angestellt war, und fand in dem lebhaften
Verkehr mit diesem gelehrten und vielseitigen Musiker mannichfache Anregung
zum Studium; ihm dankte T. in erster Reihe seine Vertrautheit mit dem Stile
Lulli's und anderer dramatischer Componisten der französischen Schule, zu
welcher er übrigens in ein noch intimeres Verhältniss trat während eines acht-
monatlichen Aufenthaltes in Paris im Jahre 1737. Im Jahre 1708 wurde er
Concertmeister und bald darauf auch Kapellmeister am Hofe zu Eisenach;
1711 aber folgte er einem Rufe nach Frankfurt a. M. als Kapellmeister an der
Barfüsserkirche und zugleich an der Katharineukirche, wobei er jedoch seine
Bestallung als Eisenachischer Kapellmeister behielt, mit der Verpflichtung, in
jedem Jahre eine Anzahl von Compositionen für Kirche und Kammer dorthin
zu liefern. Endlich erhielt er 1721 den Ruf als Musikdirektor an Stelle des
verstorbenen Gerstenbüttel nach Hamburg, wo er bis zu seinem Tode am
25. Juni 1767 in ununterbrochener Thätigkeit wirkte; die 1723 an ihn ergan-
gene Aufforderung, als Musikdirektor nach Leipzig überzusiedeln, lehnte er ab;
das im gleichen Jahre ihm angetragene Amt eines Kapellmeisters des Mark-
grafen von Bayreuth dagegen konnte er, unbeschadet seiner Hamburger Wirk-
samkeit annehmen, da es ihm keine andern Verpflichtungen auferlegte, als den
dortigen Hof, wie den von Eisenach, mit Compositionen zu versorgen.
126 Telemann.
Der Schwerpunkt von Telemann's künstlerischer Thätigkeit fällt in seinen
sechsundvierzigjährigen Aufenthalt in Hamburg, wo sich schon am Ausgang
des 17. Jahrhunderts ein so reges Musikleben hatte entwickeln können, dass
die besten deutschen Meister auf dem Grebiete sowohl der Kirchen- wie auch
der dramatischen Musik hierher ihre Blicke richteten. Hier sollte es sogar
gelingen, eine deutsche Opernbühne zu gründen, welche mit Hülfe genialer
Componisten, wie Reinhard Keiser und Händel, der im ganzen übrigen Deutsch-
land herrschenden italienischen Oper gegenüber beinahe ein halbes Jahrhundert
lang den nationalen Standpunkt behaupten konnte. Dieselbe Ursache aber,
welche die Entwickelung einer volksthümlichen Oper in Hamburg ermöglicht
hatte, nämlich die Unabhängigkeit des Publikums von dem, anderswo den
Kunstgeschmack bestimmenden Einfluss eines Hofes oder einer Aristokratie,
sie führte auch den Verfall des jungen Institutes herbei. Kaum auf ihrer
Höhe angelangt, begann die Hamburger Oper an einem Ueberwuchern des
possenhaften Elementes zu kranken, ohne dessen Mitwirkung auch die ernstesten
Stoffe nicht zur Darstellung gelangen konnten, sollte anders die Theilnahme
des Volkes dem Theater erhalten bleiben. An einem Dichter, der befähigt
gewesen wäre, in den Zwiespalt zwischen den Liebhabereien der Kenner und
denen der grossen Menge vermittelnd einzutreten, fehlte es zu jener Zeit in
Deutschland, und die Componisten allein vermochten trotz aller Begabung und
allen Fleisses nicht, die Kluft auszufüllen, weder die genannten noch T., der
hauptsächlich zu dem Zwecke nach Hamburg gerufen war, von der Oper das
ihr drohende Verderben abzuwenden. Dieser hatte sich schon vielfach mit
Operncompositionen beschäftigt, als er den Ruf als Musikdirektor und Cantor
des Johanneums zu Hamburg annahm; hier aber, wo er ausserdem als Opern-
componist mit 300 Thaler Jahresgehalt angestellt war, begann er seine Thätig-
keit hauptsächlich der Oper zuzuwenden. Schon im Jahre 1721 betrat er mit
der Oper »Der geduldige Sokrates« die Hamburger Opernbühne; im folgenden
Jahre brachte er die Oper »Der Sieg der Schönheit« oder »Grenserich«, schon
1693 unter dem Titel »Der grosse König der afrikanischen Wenden Oensericus«
aufgeführt, von ihm musikalisch revidirt, zur Darstellung; 1723 die Oper »Bel-
zazer«, Text von Beckau; 1724 erschien sein Name dreimal: als Mitarbeiter
am »Beschluss des Carnevals«, von welchem "Werke Mattheson sagt: »Die Herren
Campra, Conti und Telemann sollen alle drei ihren Beitrag hierzu geleistet
haben«; dann mit der »Omphale«, von ihm aus dem Italienischen übersetzt und
componirt; endlich mit der Oper »Der neumodische Liebhaber Dämon« von
einem ungenannten Dichter. Es folgten 1725 »Cimbriens allgemeines Frohlocken
über die höchst glückselige Verbindung Carl Friedrich's Erben zu Norwegen
etc. mit der russischen Prinzessin Anna Petrowna« von Prätorius; ein Gelegen-
heits-»Prologus« zur Händel'schen Oper »Tamerlan«; »Die ungleiche Heirath«
und r>La cappriciosa e il creduloa] Intermezzi aus dem Italienischen von Präto-
rius. 1727 »Adelheid« (Dichter ungenannt); »Ein Prologus von der neuen
Einrichtung des Opernwesens« (Worte und Musik von T.); »Geburtsfest König
Georg's I.« und »BuflPonet und Alga« (beide von Wend); »Calypso« (Prätorius);
»Ein Prologus auf die Geburt der Prinzessinnen von Fx-ankreich« (Haken);
»Die Amours der Vespetta« (von demselben); »Sancio oder die siegende Gross-
muth« (König); »Das jauchzende Grossbritanien« (Prätorius). 1728 »Die ver-
kehrte Welt« (nach le Sage von Prätorius); »Ein Prologus auf die Krönung
des russischen Kaisers Peter II.« (Dichter ungenannt); »Miriways« (Müller);
»Emma und Eginhardt oder die lasttragende Liebe« (Wend). 1729 »Der miss-
lungene Brautwechsel«, halb italienisch, halb deutsch, die italienischen Arien
von Händel, die deutschen von T. (Text von Wend); »Aesopus bei Hofe« (aus
dem Italienischen); Prolog »Die aus der Einsamkeit in die Welt zurückgekehrte
Opera« (Wend); »Flavius Bertaridus, König der Lombarden« (aus dem Ita-
lienischen). 17.30 »Margaretha, Königin von Castilien« (Hamann); »Ernelinda«
(;ius dem Italienischen, die Musik soll grösstentheils von Händel entlehnt
Telemann. 127
gewesen sein); »Das nenbeglückte Sachsen« (als Prolo^f zum wiederaufgeführten
»Sancio«). 1731 eine Yorstellung »Aus Kopf und Schwanz ohne Leib«, d. h.
ein Prolog und ein Nachspiel (Musik theilweise von T.); »Die Flucht des
Aeneas« (die Arien von Porpora, der verbindende, theilweise von Hamann zu-
rechtgelegte deutsche Text von T. cornponirt). 1732 »Judith, Gemahlin Kaiser
Ludwig des Frommen, oder die siegende Unschuld« (Recitative von T.). 1733
»Der AVeiseste in Sidonct (von Hamann). 1736 »Die rachbegien'ge Liebe oder
Orasia, verwittwete Königin in Thracien« (aus dem Französischen, in drei
Sprachen zusammengestoppelt und theilweise von T. cornponirt). 1737 »Das
Lob der Musen«, Prolog (die Musik des deutschen Theils von T.).
Von ungleich geringerer Bedeutung als diese, mit einer der merkwürdigsten
Epochen der neueren Musikgeschichte*) verknüpfte Wirksamkeit Telemann's
ist die, welche er auf dem Gebiete der Kirchen- und Kammermusik entfaltete,
als er sich mit dem letztgenannten Jahre von der Hamburger Oper abwendete,
deren Verfall auch er nicht aufzuhalten vermocht hatte. Zwar was die Menge
seiner Arbeiten anbetrifft, so hat er auch in den genannten Musikgattungen
ausserordentliches geleistet, denn er war nicht allein der grösste Vielschreiber,
den Deutschland je gehabt, sondern er übertraf in diesem Punkt selbst den
hierfür s^jrichwörtlich gewordenen Alessandro Scarlatti. Von seinen dahin-
gehörigen Werken, deren Zahl er selbst niemals vollständig anzugeben im
Stande war, seien hier nur die folgenden erwähnt: 44 Passionsmusiken von
den Jahren 1722 — 1767; 32 Musiken bei Einführung verschiedener Prediger;
33 sogenannte Hamburgische Kapitänsmusiken, deren jede aus einer Sonate und
einem Oratorium besteht (1724 — 1765); ferner 20 Jubel-, Krönungs- und Ein-
weihungs-Musiken; 12 Trauermusiken auf Kaiser, Könige und Hamburgische
Vornehme; endlich an Oratorien, Cantaten u. s. w.: Pamler's »Tod Jesu«, des-
selben »Auferstehung Christi«, die »Auferstehung« von Zachariä, dessen »be-
freites Israel«, ein Stück aus Klopstock's »Messias«, »Der Tag des Gerichts«
vom Pastor Ahlers, der 71. Psalm lateinisch. Die Gesammtzahl seiner Opern
mag 40 bis 50 betragen, die seiner Ouvertüren über 600; dazu kommt noch
eine unzählbare Menge kleinerer Stücke für Gesang und einzelne Instrumente
jeder Art. Einen Theil dieser Compositionen hat er selbst auf zinnerne Platten
gestochen und dann von einem Kupferdrucker abziehen lassen; von den Werken,
welche auf diese Art in die Oeffentlichkeit gelangten, sind folgende bemerkens-
werth: 1) 6 Solosonaten für Violine mit beziffertem Bass (Frankfurt, 1715).
2) »Die kleine Kammermusik«, 6 Stücke für Flöte, Violine, Oboe und Ciavier
(ebenda 1716). 3) Harmonischer Gottesdienst oder geistliche Cantaten u. s. w.
für eine Singstimme mit Begleitung einer Violine, Flöte oder Oboe nebst
Generalbass, enthält 74 Cantaten (Hamburg, 1725). 4) Auszug derjenigen
musikalischen und auf die gewöhnlichen Evangelia gerichteten Arien, welche in
den hamburgischen Hauptkirchen durchs 1727. Jahr vor der Predigt aufge-
führt worden, bestehend aus einer Stimme nebst dem Generalbass (Hamburg).
5) Der getreue Musikmeister, eine Sammlung von Stücken für Gesang und
verschiedene Instrumente, in vierzehn Lectionen vertheilt (Hamburg, 1728).
6) Das allgemeine evangelisch-musikalische Liederbuch, welches in 500 Melo-
dien sehr viele alte Choräle nach ihren Ur-Melodien und Modis wieder herge-
stellet, nebst einem zu Ende angehangenen Unterrichte der unter andern zur
vierstimmigen ComjDosition und zum damit verknüpften Generalbass anleitet
(Hamburg, 1730). 7) Heldenmusik oder zwölf Märsche, auf zwei Oboen oder
Violinen nebst dem Basse gerichtet, deren sechs mit einer Trompete und drei
mit zwei Waldhörnern begleitet werden können, alle aber auch auf dem Ciavier
allein zu spielen sind. 8) Singe-, Spiel- und Generalbass-Uebungen (Hamburg
und Leipzig, 1740). 9) Jubelmusik, bestehend aus zwei Cantaten für eine und
für zwei Singstimmen mit Streichquartett-Begleitung (1733). 10) Tafelmusik,
*) S. Näheres über dieselbe bei Lindner „Die erste stehende deutsche Oper".
128 Telemann — Teleplianea.
enthaltend drei Ouvertüren, drei Concerte, drei Schluss-Symplionien, drei Quatros,
drei Trios und drei Solos, wovon die neun ersten Stücke für sieben Instrumente
sind, welche durchs ganze Werk abwechseln. 11) Sechs Concerte und sechs
Suiten, mit einem concertirenden Claviere, Flöte und Violoncell, »damit aber
in Ermangelung eines hinlänglichen Clavieristen diese Musik dennoch zu ge-
brauchen sei, so wird man das Ciavier in eine insbesondere abgedruckte Violine
verwandeln und das Violoncell beziffern«. 12) Melodische Fi'ühstunden beim
Pyrmonter "Wasser oder kleine und lebhafte Introductionen, nebst der Suite für
Violine, Bratsche und Generalbass; erste, zweite und dritte Cur- Woche.
Der musikalische Werth aller dieser Arbeiten ist nur ein untergeordneter;
Telemann hatte, wie Lindner in seinem Werke über die Hamburgische Oper
bemerkt, Alles gelernt, was man als durchgebildeter Musiker wissen muss, und
schrieb mit allzeit fertiger Feder, was nur verlangt wurde; aber da er nicht
den zehnten Theil der ursprünglichen Schöpfungskraft eines Keiser oder Händel
besass, so brachte er es mit seiner Vielschreiberei wohl zu einer Unzahl von
Werken, aber es waren keine künstlerischen Schöpfungen, sondern Fabrikwaare.
Der originellen Erfindung baar, fehlt ihm die Zartheit, Lieblichkeit und Wahr-
heit Keiser'scher Melodien. Mit allem technischen Greschick bewegte er sich
doch in steifer conventioneller Manier, fehlt oft genug gegen den von der
Situation geforderten Ausdruck und greift vergebens nach instrumentalen Reiz-
mitteln, um den Mangel an Gedanken zu verdecken. — Trotz dieser Unzuläng-
lichkeit seiner musikalischen Begabung verdient jedoch Telemann zu den her-
vorragenden Männern seiner Zeit gerechnet zu werden; schon seiner vielseitigen
Bildung wegen, welche es ihm erlaubte, sich neben seiner umfassenden Musiker-
Wirksamkeit noch als Dichter und Schriftsteller zu bethätigen; zu mehreren
seiner Opern und kleineren Vocalwerken hat er selbst den Text gedichtet und
als Mitax'beiter an der Mitzler'schen »musikalischen Bibliothek« veröffentlichte
er eine Anzahl beachtenswerther theoretischer Arbeiten, unter denen hervor-
zuheben sind die über das Intervallen-System, eine Anleitung zum Transponiren,
endlich eine Klang- und Intervallentafel mit Erklärung, die ihn noch einen
Monat vor seinem Tode beschäftigte und unter dem Titel »Letzte Beschäftigung
Gr. Ph. Telemann's« im Mai-Heft des Jahrgangs 1767 der »Hamburgischen
Unterhaltungen« erschienen ist.
Telemann, Georg Michael, Enkel des Vorhergehenden, ist am 20. April
1748 zu Ploen in Holstein geboren. Seine Wirksamkeit fand er als Cantor
und Musikdirektor in Riga, woselbst er am 4. März 1831 gestorben ist. Das
erste Werk, welches ihn in weiten Kreisen bekannt machte, veröffentlichte er
1773 zu Hamburg unter dem Titel: »Unterricht im Generalbass- Spielen auf
der Orgel oder sonstigen Ciavierinstrumenten«. Im übrigen gelangten von
seinen Werken folgende in die Oeffentlichkeit: »Beiträge zur Kirchenmusik,
eine Sammlung von Orgelcompositionen« (Königsberg, 1785 und Leipzig,
Breitkopf & Härtel). »Sammlung alter und neuer Kirchenmelodien« (Riga,
1812). »Ueber die Wahl der Melodie eines Kirchenliedes« (Riga, 1821). —
Auch als Schriftsteller hat Telemann sich bethätigt: 1775 erschien von ihm in
Riga eine »Beurtheilung der im 23. Band der allgemeinen deutschen Bibliothek
befindlichen Recension meines Unterrichts im Generalbass-Spielen« und im Jahre
seines Todes in den »Rigaischen Stadtblättern« ein »Kurzgefasster Lebenslauf
Georg Michael Telemanns Cantoris in Riga, von ihm selbst entworfen«.
Telephaues, berühmter Flötenspieler des alten Griechenlands zur Zeit
Philipps von Macedonien und Alexander des Grossen, war zu Samos geboren
und starb zu Megara. Pausanias erzählt, dass man auf dem Wege von Megara
nach Corinth das Grab dieses Musikers antraf, welches eine Grabschrift trug,
in der es heisst, T. sei als Flötenspieler das, was Orpheus als Leyerspieler,
Nestor als Redner und Homer als Dichter gewesen (»Griechische Anthologie«,
Buch 3, Cap. 5, Ep. 1). Nach dem Plutarch bediente sich T. bei seinen Flöten
Telephon. 129
keines Mundstücks oder Rohrs und suchte auch die Flötenmacher zu veran-
lassen, keine solche an den Flöten anzubringen.
Telephou. Die verschiedenen Versuche, eine besondere Tonsprache (vergl.
Telegraphie musicale und Sudre) zu erfinden, d. h. vermittelst der Töne be-
grifflich, wie durch die Sjarache sich verständlich zu machen, sind bisher ohne
Erfolg geblieben. Erst die jetzt erfolgte Lösung des Problems, Wort und Ton
selber durch elektrische Ströme in die Ferne zu senden, scheint wesentliche
Bedeutung zu gewinnen. Die erste Idee hierzvi ging von einem französischen
Naturforscher aus und fand so wenig Anklang, dass Du Moncel, der in seinem
Werk über die Anwendung der Elektricität (»^^r^ose des Applications d'Electricitea,
V., III., p. 110, 1857) darüber spricht, sich veranlasst sieht, den Namen dessen
zu verschweigen, der sie zuerst aussprach. »Ich hielt es nicht für angemessen«,
sagt Du Moncel in dem Kapitel über elektrische Telegraphie, »die phantastische
Idee eines gewissen Hei'rn Ch. B. anzuführen, der da glaubt, dass es möglich
sein wird, die Sprache elektrisch zu übermitteln, weil man gefragt haben würde,
weshalb ich unter so bemerkenswerthen Erfindungen einer Idee ßaum gegeben
hätte, die, wie sie ihr Urheber darlegt, doch nichts weiter als ein Traum ist!«
Nichtsdestoweniger fiel die Idee des unbekannt gebliebenen Entdeckers auf
fruchtbaren Boden. Französische Physiker verfolgten sie weiter und am 2. April
1860 legte Abbe Laborde der Pariser Akademie die Construktion eines Tele-
phons vor, das Töne weiter zu tragen bestimmt war. Es gelang ihm, Eisen-
stäbe von bestimmter Schwingungsdauer in Vibration zu setzen und so die
ersten sechs Töne der Tonleiter in der Ferne beliebig hervorzubringen und
auch Accorde und selbst kleine Musikstücke in der Ferne zu erzeugen.
Dieser Versuch war noch sehr mangelhaft; weit bedeutender war das
Telephon, das ein deutscher Physiker, Philipp Reis, Lehrer der Naturwissen-
schaften an der Garnier'schen Erziehungsanstalt in Friedrichsdorf bei Hamburg
construirte. Philipp Reis ist als der Sohn eines Bäckers am 7. Januar 1834
in Gelnhausen geboren und erhielt seine Erziehung in jener Anstalt, an der
er später als Lehrer wirkte. Schon im zehnten Lebensjahre verlor er seine
Eltern und sein Vormund bestimmte ihn, trotz seiner glühenden Neigung für
Mathematik und Naturwissenschaften, zum Kaufmannstand. Während seiner
Lehrzeit setzte er indess seine Studien fort, so dass er nach Beendigung der-
selben als Lehrer in die erwähnte Anstalt eintreten konnte. Leider setzte der
Tod seiner Wirksamkeit ein frühes Ziel: er starb am 14. Januar 1874. Er
selbst giebt über die von ihm publicirte Erfindung in seinen Aufzeichnungen
Nachricht: »Durch meinen Physik-Unterricht dazu veranlasst, griff ich im Jahre
1860 eine schon früher begonnene Arbeit über die Grehörwerkzeuge wieder auf
und hatte bald die Freude meine Mühe durch Erfolg belohnt zu sehen, indem
es mir gelang, einen Apparat zu erfinden, durch welchen es mir möglich wird,
die Funktionen der Gehörwerkzeuge klar und anschaulich zu machen, mit
welchem man aber auch Töne aller Art durch den gcilvanischen Strom in be-
liebiger Entfernung reproduciren kann. Ich nannte das Instrument »Telephon«.
Seine ersten Apparate waren dem Ausgangspunkte des ganzen Experiments
entsprechend, dem Ohr nachgebildet: eine Blechröhre, die auf der einen Seite
zur Form einer menschlichen Ohrmuschel erweitert und auf der andern Mün-
dung mit einer das Trommelfell vorstellenden Membran bespannt war. In der
Mitte des Trommelfells war ein kleines Platinblech aufgeklebt, zu dem eine
metallne Leitung von dem einen Pole einer galvanischen Batterie führte. Ueber
dem Plättchen endigte senkrecht zu demselben ein, mit dem andern Pole der
Batterie verbundener Platinstift, der dasselbe bei Jeder Doppelschwingung der
Membrane einmal berührte und damit den Strom für einen unendlich kleinen
Zeitraum schloss. Dieser wurde nach einer Drahtrolle geführt, welche einen
Eisenkern umschloss, der bei jedem Stromimpulse um ein Geringes ausgedehnt
oder zusammengezogen wurde. Diese Veränderungen brachten einen Ton hervor,
der der Zahl der Schwingungen entsprach, welche der Apparat erzeugte. Dieser
Musik al. ConTers.-Lexikoii. X. i»
130 Telephon.
gab natürlich dem entsj)recliend durch Wiederholung der, von der Membrane
des Apparats hervorgebrachten Schwingungen die Tonhöhe wieder, nicht auch
Tonfülle und Klangfarbe, Das Instrument brachte nur den ihm eigenthüm-
lichen Klang, der etwa dem einer Kindertrompete entsprach. Es Hessen sich
mit halblauter Stimme in den Apparat gesungene Melodien auf der andern
Station erkennen. Ward der Tonabsender auf ein Ciavier gesetzt, so führte er
den Dreiklang oder einfache Tonfolgen weiter und liess auch die Töne anderer
Instrumente in weiter Ferne hören, wenn diese sich im Umfange von F — f
hielten. Nur die menschliche Sprache vermochte dieser Apparat nicht mit
Deutlichkeit weiter zu tragen, Indess fanden sich Männer der Wissenschaft,
welche auf der, einmal gebrochenen Bahn weiter gingen. Namentlich waren es
amerikanische Physiker, welche die Erfindung weiter verfolgten und das Tele-
phon in seiner jetzigen, zur Anwendung gelangten, Form construirten. Es sind
namentlich Professor A. Grraham Bell in Boston und Mr. Elisha Gray in
Chicago, denen dies Yerdienst zuzuschreiben ist.
Der Bell 'sehe Apparat ist gegenwärtig allgemein in Gebrauch. Er ist
sehr einfach und besteht im Wesentlichen aus einem Stabmagneten, dessen
Pol mit einer gewöhnlichen Elektromagnetrolle versehen ist. Diesem gegen-
über ist ein Diaphragma aus einem feinen Plättchen von gewalztem Bisen be-
stehend angebracht, das mit einem Lacküberzuge versehen ist, um das Oxydiren
zu verhindern. Ein Mundstück, das den Ton auf das Diaphragma leitet und
ein hölzernes, zur Aufnahme des Ganzen bestimmtes Gehäuse vervollständigen
die wesentlichsten Theile des Apparats. Die Zusammensetzung dieser Theile
erfolgt nun derartig, dass der Magnet mit der Induktionsrolle in die innere
Höhlung des Gehäuses eingelegt und in diesem an seinem untern Ende mit
Schrauben befestigt wird. Das Eisenplättchen aber wird am entgegengesetzten
Ende des Gehäuses, dicht über dem Induktionspol des Magneten aufgelegt und
auf dem Gehäuse durch das Mundstück und die Schrauben befestigt. Die Draht-
enden der Induktionsrolle gehen in die Klemmschraube aus. Wird nun gegen
das Diaphragma des Telephons ein Ton geleitet, so geräth dieses in die dem
Ton entsprechenden Schwingungen. Die dadurch hervorgerufene wechselnde
Annäherung und Entfernung des Diaphragma, gegenüber dem Magneten, ruft
diesem entsprechend Schwächung oder Stärkung des Magnetismus hervor, die
wieder durch die magnetische Induktion in den, den Magnet umgebenden Draht-
umwindungen elektrische Schwingungen erzeugen, welche den, diese ganze Be-
wegung hervorrufenden Tonwellen entsprechen. Sind nun die Drahtenden der
Induktionsrollen leitend verbunden, so werden die elektrischen Stromimpulse
unmittelbar in der Induktionsrolle des empfangenden Apparats fortgepflanzt
und bringen hier, im Magneten desselben, die gleichen Veränderungen hervor,
welche im Magneten des gebenden Apparats durch die Schwingungen des
Diaphragmas entstanden sind. Das Diaphragma des Empfangsapparats wird
dann genau in dieselben Schwingungen versetzt, wie das des gebenden Apparats
und so werden die durch Tonschwingungen erzeugten elektrischen Schwingungen
wieder in Tonschwingungen übertragen.
Neben diesem Bell'schen Apparat sind noch der von Gray und der des
Engländers Varley zu erwähnen. Der New-Yorker »Standard« berichtet über
den Gray 'sehen Apparat: »Die Apparate von Gray und Bell sind grund-
verschieden in der Form, beruhen auf verschiedenen Principien, sind verschieden
in ihrer Wirkungsweise und haben dennoch den gleichen Anspruch auf die
Bezeichnung Telephon. Der Bell'sche Apparat vermittelt gewisse Töne, wie
die menschliche Stimme mit ihren verschiedenen Artikulationen und Klang-
farben oder Instrumentalmusik durch Leitungen nach Art der telegraphischen
Beförderung. Das Gray'sche Instrument dagegen erzeugt die zu übermittelnden
Töne selber und kann als ein telephonisches Piano bezeichnet werden. Die
bedeutendsten Versuche, welche bis jetzt vor dem Publikum mit dem Gray'schen
Instrument angestellt worden sind, fanden am 27. Februar und 6. März 1876
Tt4ioclioi-d — Tellefson. 131
statt. Bei dem ersteren, der zwisclien Chicago und Milwaukee auf einer
137 Kilometer langen Leitung gemacht wurde, kamen mehrere bekannte Melo-
dien zum Vortrage, wie: »Die letzte Rose«, ■s>Yankee Doodle<i, -t>Hie sweet Bye
and hyev. und t>IIome sweet Somea und zwar, wie berichtet wird, laut und
deutlich; so wenigstens, dass sie von dem Publikum in Chicago mit
Leichtigkeit erkannt wurden, welches die Vorstellung mit lautem Beifall be-
grüsste. Der Triumph über die Entfernung fand jedoch bei der zweiten Ge-
legenheit, am 6. März, statt. Hier war der Centralpunkt wieder Chicago, der
andere Endpunkt aber Detroit im Staate Michigan, 457 Kilometer von Chicago.
Der Versuch wird als durchaus erfolgreich bezeichnet, die Leistungen waren
die nämlichen. Der Gray'sche Apparat entspricht denselben Pi'incipien wie
der Bell'sche, nur dass bei jenem die erzeugenden Töne durch Tasten gewonnen
werden; er ist deshalb auch nur zur Uebertragung von Tönen, nicht auch von
Lauten geeignet«.
Der Apparat von Cromwell Varley, mit dem dieser im Laufe des
Sommers im Queens-Theater in London experimentirte, ist ein Stimmgab elwei'k.
Bei diesem sind es Stimmgabeln, welche durch einen elektrischen Strom in
Schwingungen versetzt werden; diese sind zugleich mit Tasten in Verbindung
gebracht und erst wenn die betreffende Taste niedergedrückt wird, schickt die
ihr zugehörige Stimmgabel einen Strom nach dem im Empfangsapparat befind-
lichen Kondensator, worauf der, der Gabel zukommende Ton erklingt. — Von
all diesen Apparaten hat sich der Bell'sche am besten bewährt und man hat
bekanntlich auf Veranlassung des General-Postmeister Dr. Stephan in Berlin
in jüngster Zeit Versuche gemacht, ihn in umfassender Weise dem Verkehr
dienstbar zu machen. Wie weit das gelingen wird, muss die Zukunft erst lehren.
Teliochord nannte Charles Clagget in London das von ihm erfundene,
nicht temperirte, sondern in allen Tonarten mathematisch rein stimmende Forte-
piano. Auch die chromatischen Töne werden durch ein Pedal vollkommen rein
hervorgebracht.
Teile, Friedrich Wilhelm, geboren am 9. Septbr. 1798 zu Berlin, wo
sein Vater (gebürtig aus Mons) als Balletmeister angestellt war. Er erhielt
früh Unterricht in der Theorie von A. Gurrlich, im Clavierspiel von Lauskza.
Nachdem er im Jahre 1816 zum ersten Mal öffentlich gespielt hatte, ging er
nach Paris und setzte unter Cherubini seine musikalischen Studien fort. Nach
Deutschland zurückgekehrt, war er nach einander an den Theatern in Berlin
(Königsstädtisches), Magdeburg und Aachen als Kapellmeister thätig. Böckel,
der Direktor des letzteren Theaters, unternahm es als der Erste, eine deutsche
Oper nach Paris zu fähren, und Teile, der als Direktor derselben mitging, ward
auf diese Weise der Erste, der in Paris, im April 1829, den »Freischütz«
dirigirte. Es mag erwähnt werden, dass Hainziger, der den Max sang, bei
dieser Aufführung eine Bellinische Arie einlegte. Teile ging später als Musik-
direktor nach Kiel und dann nach Berlin, wo er bis zu seinem Tode blieb.
Folgende Opern schrieb er: »Das Schützenfest«, Singspiel, von Mad. Kricke-
berg, 2 Akte (Berlin, 1820); »Rafael Zambular«, Oper, 3 Akte, nach dem
Französischen (Aachen, 1831, München, 1852, Berlin, Friedr. Wilh.); »Sara
oder die Waise von Glincoe«, romantisch-komische Oper, 3 Akte (Kiel, 1844,
Berlin); »Lebende Blumen«, Operette (Berlin); Balletmusik.
Tellefsen, Thomas Dyke Acland, Pianist, Componist und Lehrer des
Ciavierspiels, ist zu Drontheim in Norwegen am 26. November 1823 geboren.
Er war für das Studium der Theologie bestimmt, und erst mit 19 Jahren ge-
lang es ihm, den Widerstand seiner Eltern gegen eine musikalische Laufbahn
zu besiegen. Ungefähr 1842 ging er nach Paris und wurde ein Schüler Cho-
pin's. Aus dem Verhältniss des Lehrers und Schülers entwickelte sich ein
Freundschaftsverhältniss, welches bis zu dem Tode Chopin's (1849) wähi-te.
Tellefsen blieb in Paris und lebte dort als Lehrer. Mehreren seiner Composi-
tionen hat Tellefsen norwegische Volksweisen zu Grunde gelegt. Veröffentlicht
9*
132 Teller — Temperatur.
sind: r>Deux concerto pour piano et orchestrea. (Paris, Richault). ^Sonate pour
piano et violoncellev. (ibid.). r>Trio pour piano, violon et violoncellea (ibid.). -nJPieces
pour piano et violonu (ibid.). Eine grosse Anzahl von Clavierstücken, Nocturnos,
Walzer, Mazourkas u. s, w.
Teller, Marc, Priester und Musiker, geborte im Anfange des 18. Jahr-
hunderts der Kirche zu St. Servasii in Mastricht an. 1726 Hess er zu Augs-
burg sein erstes Werk dracken, es erschien unter dem Titel : -nMusica sacra,
stylo plane Italico et Cromatico pro Gompositionis Ämatorihus, complectens IX Mo-
tetta hrevia de tempore et II Missa solennes etc.a Erst nach seinem Tode kam
sein zweites Werk heraus: -»Musica sacraa, bestehend aus vier Messen und vier
Motetten für vier Singstimmen, zwei Violinen, Fagott und Greneral-Bass.
Tellier, Pierre de, Musikdirektor der Kathedrale zu Chalons um die
Mitte des 17. Jahrhunderts, Eine gedruckte Messe von ihm ist bekannt: r>Do-
mine qui hahitavit« (Paris, Robert Ballard, 1642, in Folio).
Telyn, die wallisische Bezeichnung der uralten Bardenharfe, bretagnisch
Telen. Ueber die Beschaffenheit des Instruments ist nichts Bestimmtes ermittelt.
Vermuthet wird, dass die Saiten dieser Art Harfen nicht aus Darm, sondern aus
Metalldraht waren, wie bei der irischen Harfe: Clarseth oder Clarsach.
Tempelhof, G-eorg Friedrich, General - Lieutenant, Chef des dritten
Artillerie-Regiments zu Berlin, geboren 19. März 1737 zu Trampe in der Mark,
ward 1786 Lehrer der Mathematik des Kronprinzen Friedrich Wilhelm III.,
1795 Mitglied der Akademie der Wissenschaften, wurde geadelt und starb am
13. Juli 1807 zu Berlin. Von seinen Schriften gehört hierher: »Gedanken
über die Temperatur des Herrn Kirnberger, nebst Anweisung Orgeln, Claviere,
Flügel u. s. w. auf eine leichte Art zu stimmen, von einem Liebhaber G. F. T.«
Die Schrift handelt: von der Temperatur überhaupt, über allgemeine Bestim-
mungen derselben, von der Anwendung der Formeln und endlich von der
Kirnberger'schen Temperatur.
Temperatur nennt man in der Musik die Abänderung der akustisch
reinen Tonbestimmungen, welche erforderlich ist, um für die Insti'umente mit
gebundener Intonation (wie das Ciavier, die Orgel und die Blasinstrumente
mit Klappen und Ventilen) ein brauchbares, auf eine bestimmte Zahl von
Tönen beschränktes Tonsystem herzustellen. Ein solches kann nämlich durch
irgend eine Auswahl aus den an Zahl unendlichen Tonbestimmungen, zu welchen
die drei Grundverhältnisse der Octave (2 : 1), der Quinte (3 : 2) und der grossen
Terz (5 : 4) führen, unmöglich gebildet werden, weil dieselbe der unbedingt
nothwendigen Forderung absoluter Gleichheit der Tonverhältnisse in allen
Dur- und Moll-Dreiklängen und Scalen niemals entsprechen würde, da bekannt-
lich die Quinte zu w^esentlich anderen Bestimmungen derselben Töne führt, als
die grosse Terz. Hiervon überzeugt man sich leicht, wenn man die von den
Akustikern (Marpurg, Chladni u. A.) für die 21 gebräuchlichsten Töne festgestellten
Bestimmungen prüft. Sie sind der gewöhnlichen Annahme nach folgende:
0 = 1 a. = - = ö: ^''
^ 8 2 ^^'^ ~ 108 - Q3 JLs - ^ - .„
i: = - = T Ms=~= - Fes =^= ^
XT 4 2 ^. 25 2 . T2
^ = T = Q ^^^ = 18 = -Q2- G^«^
G =^= Q Gis^f^^T' As =^ =
A = ~ = —— Ais = — = — — R - — - — -^
72 Q^
625 _ 22^^
324 "■ ~~Q^
H='4 = TQ His='^.=.^\^ Ces=-^=^^
16
=
2
15
T. Q
6
5
=
Q
T
32
2
25
— —
rpt
36
Q2
25
T2
8
5
=
2
T
16
=
22
48
25
=
2.Q
y2
Temperatur. 133
Die hier beigefügte Umwandlung der Zahlenverhältnisse in Ausdrücke durch
die Buchstaben Q und T, mit welchen wir die Verhältnisse der Quinte und
der grossen Terz bezeichnen, verdeutlicht am besten ihre Abhängigkeit von
letzteren beiden. "Will man nun diese Tonbestimmungen als feststehende in
allen Tonarten beibehalten, so kommt man sehr bald in Collision mit jenem
Grundsatz absoluter Grleichheit der Verhältnisse in allen Dreiklängen und
Scalen von einerlei Art; D-dur, JEs-dur, D-moll, S-moll sind bereits abweichend
in Terz oder Quinte, und von Scalen erhält man nur C-dur und C-moll abwärts
ganz normal. Die grosse Sexte von C ist nicht zu gebrauchen als Quinte von
D, ebenso die gr. III von C nicht als gr. II von D u. s. w.
Französische Akustiker haben für kleine und übermässige Secunde, sowie
kleine und übermässige Septime andere Bestimmungen als die oben angegebenen
eingeführt, nämlich :
-n 27 Q.^ -n- 1b T^- . Q ^^ d Q^ 125 ^3
^^^ = 25 = 2— T2' -^^^ = 64 = —2—' ^ = y = ^ und ^^. = — = T»
In der That sind dieselben den früheren vorzuziehen, denn eine Prüfung der
24 gebräuchlichsten Tonleitern, wie solche sich nach diesem französischen
System ergeben, führt wenigstens zu einem etwas günstigeren Resultat, indem
hier 0-dur, G-moU, Cis-moll völlig normal sind, E-dur, Es-diir, E-moll und JEs-moll
nur eine zu tiefe gr. II, A-dur, Äs-dur und A-moll nur eine zu hohe IV zeigen.
Die übrigen Scalen weichen aber in 2, 3 oder 4 Intervallen ab; die Ungleich-
mässigkeit ist daher immer bedeutend genug, um auch dieses Tonsystem als
musikalisch unbrauchbar erscheinen zu lassen.
Aus dem Allen ergiebt sich für unsere praktische Musik, soweit sie es
mit gebundener Intonation zu thun hat, die Nothwendigkeit der Tem-
peratur, d.h. eines reducirten, die akustische Reinheit mehr oder weniger
aufgebenden Tonsystems.
Indem man nun zunächst den Versuch machte, die gebräuchlicheren Ton-
arten reiner als die entlegeneren herzustellen und deshalb einige der akustisch
i'einen Bestimmungen noch beibehielt, kam man auf die sogenannte ungleich-
schwebende Temperatur, wie solche z. B. von Kirnberger aufgestellt wor-
den ist. Dieselbe zeigt folgende Bestimmungen:
G, Cis = Des, D, Bis = Es, E = Fes, Eis = E, Ms = Ges, G, Gis = As^
256_9^32 _5^ ^ 45 3 128
243'8'27 "4 3 322 81
As, Ais =■ B, S =^ ces, His = c
270 16 15
161 9 8
Hier sind allerdings Tonarten wie G-dur und G-dur noch ziemlich rein, dagegen
werden die Abweichungen schon in E-dur und S-dur, noch mehr in B-dur,
Es-dtir, As-dur sehr merklich; sie häufen sich in den entlegeneren Tonarten
und bilden da Missklänge, welche die Musiker zur Zeit der Anwendung dieser
Temperatur »Orgelwölfe« nannten und möglichst zu vermeiden bemüht waren.
Aber abgesehen hiervon wird auch der innere Zusammenhang der Intervalle
zerstört, indem sich in manchen Tonarten z. B. gr. III und kl. VI oder kl. III
und gr. VI, IV und V u. s. w. nicht genau zur Octave ergänzen. Dieser Mängel
wegen und vor Allem, weil die oben bereits ausgesprochene musikalische Grund-
forderung absokit gleicher Tonverhältnisse für alle Dreiklänge und Scalen in
der Dur- und in der Moll-Tonart unerfüllt bleibt, ist jede ungleichschwebende
Temperatur als gänzlich unbrauchbar zu bezeichnen.
Der richtige Weg zu einem brauchbaren reducirten System festbestimmter
Töne war vielmehr der, nicht ungleichmässig, sondern gleichmässig alle die
vom Quint- und Terz- Verhältniss abhängigen Intervalle abzuändern, wodurch
man zu der zuerst in Deutschland, später allgemein angewendeten gleich-
134 Temperatur.
schwebenden Temperatur*) gefälirt wurde, deren grosse Brauchbarkeit für
die Tasteninstrumente sich aufs Beste bewährt hat, wenn sie auch weder für
die Harmonielehre noch für die freie Intonation bei Gesang und Streichinstru-
menten irgend Bedeuti;ng haben kann. Sie ist eben nichts als ein künstlich
hergestelltes Surrogat, eine geschickte Reduktion der unendlichen Vielheit, ein
Einschränken derselben in einen Quinteuzirkel; ihre Intervalle sind das Resultat
genauer mathematischer Berechnung, aber dem natürlichen musikalischen Ge-
fühl des Sängers und des Geigers durchaus fremd.
Indem man die Bestimmungen der Quinte und der grossen Terz gleich-
zeitig von der akustischen Eeiuheit abweichen lässt, ändern sich (mit Aus-
nahme der unveränderlichen Octave) nothwendigerweise alle übrigen Tonver-
hältnisse; bezeichnen wir jene beiden wieder kurz mit QnndT, ihre Abänderungen
aber mit Q' und T', so wird Q'* = 4. T' sein müssen, oder, wenn wir uns für
die Intervalle selbst der kleinen Buchstaben q' und f bedienen: 4 j' = 2 + ^'.
Da zu jeder temperirten Quinte q' sich die gr. III f = 4, q' — 2 dem vei'langten
System feststehender Töne genügend bestimmt, so kann theoretisch beti'achtet
die gleichschwebende Temperatur sehr mannichfacher Art sein; jedoch wird
sie der Beinheit näher kommen, wenn man das Intervall der V um etwas ver-
mindert und das der gr. III erhöht, weil ja ursprünglich 4 g- > 2 -}- ^ ist und
wenn dabei die Abänderung, welche das erstere trifft, die geringere ist. Die
beschränkte, endliche Zahl von Tönen (im Gegensatz zu der unendlichen der
akustisch reinen Bestimmungen, deren Gesammtheit eine unbegrenzte Zahl von
nach zwei Seiten hin unendlichen Reihen reiner Quinten bilden würde) erhält
das gleichschwebend temperirte System dadurch, dass sein Quintenintervall zu
dem der Octave in einem rationalen Verhältniss steht; verhält sich also
1 zu q' wie zwei positive ganze Zahlen a und b, so ist j' = — und a . q' = b,
et
d. h. die a*^ temj)erirte Quinte fällt zusammen mit der S**^"^ Octave des Grund-
tones. Bekanntlich nennt mau eine solche auf eine höhere Octave des Aus-
gangstones zurückführende Reihe temperirter Quinten einen Quintenzirkel
(ebenso lassen sich auch Quarten- und Terzenzirkel aufstellen). Je kleiner nun
ein solcher Zirkel ist, desto weniger verschiedene Töne enthält das temperirte
System, dem er zu Grund gelegt wurde; deshalb hat man für die Instrumente
mit gebundener Intonation, um ihren Mechanismus nicht zu complicirt und
unbequem für den Spieler werden zu lassen, den kleinsten brauchbaren
Quintenzirkel gewählt, bei welchem 12 Quinten genau 7 Octaven gleich sind,
1 ...
also j' = — . Es ergiebt sich hieraus das bekannte sehr einfache Tonsystem:
I - iit^ cc = ly^j = 0 VIII = VII« cc = jsis) = 1
I« = kl. II CCis = Des) = ^2 = 0,08333 YllVy^^rNU.=Nl^(ces=S^Ä') = ^ = 0,91667
l' = gx.ll=llV'(C' = B=&^)= ^ = 0,16667 kl. VII = VI« (B=Ais) = [^ = 0,83333
II« = kl. III (Bis = Es) = ~r^ 0,25000 VIP = gr. VI = Y^ (B^> ^A^G^J^-^ 0,75000
Il''=gr.in =IY^ CD^=i:^FesJ = ~ = 0,33333 kl. VI = V* C^s = OisJ = ^ = 0,66667
lll^=lY = Y^CMs=F= öbfT = 4 = 0,41667 VI^ = V = IV'^ CÄ^ =G= F^')=~ = 0,58333
IV- = V^ (Fis = Ges) = ^ = 0,50000.
Hier zerfällt also jede Octave in 12 gleiche Theile, die sogenannten
»halben Töne« der Claviatur; alle Intervalle sind rationale Grössen, die ihnen
entsprechenden relativen Schwingungszahlen dagegen irrationale. Die mit
der 7. Octave zusammenfallende 12. Quinte ist um das Intervall des pythago-
*) Als ihr Erfinder werden J. G. Neithardt und A. Werkmeister in Mattheson's ^
„Criiica musica", Bd. 11, genannt, deren bezügliche Schriften Ende des 17, und Anfang
des 18. Jahrhunderts erschienen.
Temperatur.
135
rischen Komma (= 0,01955) tiefer als die reine 12. Quinte des Ausgangs-
tones; die Abweichungen von der Reinheit sind am geringsten bei der Quinte
(— 0,00163) und der Quarte (+ 0,00163), danach bei der gr. II (- 0,00325)
und der kl. VII (+ 0,00325); alle übrigen grossen und übermässigen Intervalle
sind etwas grösser, alle kleinen und verminderten hingegen etwas kleiner, als
es bei vollkommener Reinheit der Fall ist. Es fällt aber auch die Erhöhung
eines Intervalls mit der Verkleinerung des darauf folgenden immer gerade in
einem Ton zusammen (IV^ = V^ I^ = kl. II, V* = kl. VI u. s. w.), wodurch
diese gewöhnliche gleichschwebende Temperatur die Bedeutung einer mittleren
erhält. Sie bildet in der That eine Grenzscheide zwischen solchen Tempera-
turen, bei denen die Intervalle I* IV* u. s. w. tiefer liegen als kl. II, V'^ u. s. w.
7
und solchen, bei denen das Umgekehrte der Fall ist. Bei ersteren ist g- < —
und sie nähern sich mehr einem Tonsystem, welches man ausschliesslich aus
dem Verhältniss der reinen gr. III ableiten kann, wenn man die Quinte von
diesem abhängig bestimmt:
Q'= /4.2'=:/5
2,99070
und
f + 2
0,58048
P {Cis) = 0,06337
II» (Bis) = 0,22434
III* (Eis) = 0,38530
IV* (Fis) = 0,48289
V* (Gis) = 0,64386
VI* (Ais) = 0,80482
VII* (His) = 0,96578
kl. II (Des) = 0,09759
kl. III (JEs) = 0,25855
IV'^ (Fes)
= 0,35614
V^ (Ges)
= 0,51711
kl. VI (Äs)
= 0,67807
kl. VII (B)
= 0,83904
YIU^ (ces)
- 0,93663
Es ist dies das System der reinen grossen Terz mit folgenden Be-
stimmungen :
I (C) = 0
gr. II (D) = 0,16096
gr. III (E) = 0,32193
IV (F) = 0,41952
V (G) = 0,58048
gr. VI (Ä) = 0,74145
gr. VII (R) ^ 0,90241
In diesem Tonsystem sind P, II*, VI* etc. sämmtlich tiefer als kl. II,
III, V*^ etc. und es nähert sich, da nur wenige Töne von dem hier abgeänderten
Quintverhältniss allein abhängig sind, sehr den akustisch reinen Bestimmungen ;
musikalisch befriedigend ist es aber hauptsächlich deshalb nicht, weil das Ohr bei
der V empfindlicher gegen Unreinheit ist, als bei der gr. III (nach Delezenne
ist diese Empfindlichkeit fast doppelt so gross) und daher grade die Quinte
reiner verlangt wird als die Terz.
Bei Temperaturen, welche eine umgekehrte Lage der benachbarten
grossen oder übermässigen und verminderten oder kleinen Intervalle zeigen, ist
7 . .
2' > — und sie nähern sich dem ausschliesslich aus dem Verhältniss der reinen
Quinte entwickelten alten Tonsystem der Pythagoräer, dessen gr. III abhängig
von der V bestimmt wird: T' = ^ = ^r: und f = 4$' — 2. Die Intervall-
64
werthe in diesem reinen Quintensystem sind folgende:
gr.
I rcj = 0
gr. II (D) = 0,16992
III (F) = 0,33985
IV (F) = 0,41504
V (G) = 0,58496
gr. VI (A) = 0,75489
gr. VII (H) = 0,92481
I« (Gis) = 0,09474
II* (Dis) = 0,26466
III« (Fis) = 0,43459
IV*f (Fis) = 0,50978
V« (Gis) = 0,67970
kl. II (Des) = 0,07518
kl. III (Fs) = 0,24511
IV^ (Fes) = 0,32030
V'^ (Ges) = 0,49022
kl. VI (As) = 0,66015
VI* (Ais) = 0,84963 kl. VII (B) = 0,83008
VII* (His) = 1,01955 VHP (ces) = 0,90526
Wie man sieht, ist hier das Umgekehrte der Fall im Vergleich mit dem
System der reinen gr. III; die Intervalle I*, II*, IV* etc. sind sämmtlich
136 Temperatur.
höher als kl. II, kl. III, V^ etc. Völlig rein sind V, IV, gr. II und kl. VII,
die übrigen grossen und übermässigen Intervalle werden etwas grösser, die
kleinen und verminderten etwas kleiner. Für das musikalische Ohr, welches
eher eine Aenderung der Terz als der Quinte verträgt, ist dies System wohl
sicher befriedigender, als das der reinen gr. III; es hatte in der That bis zur
Einführung der Bestimmung 5 : 4 für die letztere durch Zarlino (1558) all-
gemeine Geltung und spielt wahrscheinlich auch heute noch in der Musik eine
Rolle, indem sich ihm die Intonation auf den bekanntlich in reinen Quinten
(oder Quarten) gestimmten Streichinstrumenten factisch vielfach anschliessen
dürfte; namentlich die höhere Lage, welche hier I**, IV** etc. gegen kl. II, V*' etc.
haben und die grössere Schärfe der Leittöne entspricht der Praxis auf diesen
Instrumenten weit besser, als die durch die gegenwärtig geltenden akustisch
reinen Bestimmungen bedingte Lage dieser Töne, welcher zufolge z. B. eis und
ßs tiefer als des und ges liegen.
Von den zwischen diesen beiden Grenzsystemen liegenden Temperaturen,
die für Instrumente mit mehr als 12 Tönen innerhalb der Octave noch möglich
sein würden, wollen wir nur wenige erwähnen, da ihre Quintenzirkel meist so
gross sind, dass ihre Berechnung fast nur ein theoretisches Interesse hat; Aus-
führliches darüber findet man in Drobisch's unten angeführter Abhandlung § 42 — 58.
Zunächst ist hier die 19stufige gleichschwebende Temperatur (2' = — = 0,57895)
zu nennen, von welcher F. W. Opelt (»Allg. Theorie der Musik«, Lpz. 1852)
behauptet, sie sei die beste Grundlage unsrer musikalischen Notation. Aus
nachstehender Uebersicht
I (Cf) =0 \lll=Ylt (c=S^) == 1
I** = IV' (Cis = Z)''^; = 4 = 0,05263 VIlP = VII**(ces=Ms) = ^ = 0,94737
kl. II = r' (Des = a^j = A = 0,10536 gr.VII = VIII^CJ5=cW; = l^ = 0,89474
gr. II (B) = ^ = 0,15790 kl. VII = VI^ (B=Ä') = ^^ = 0,84210
II« = im (Dis = U'^)= A = 0,21053 VI** = VII^' (Ais .= B^) = ^^ = 0,1894.1
■ly ly
kl. III = 11"^ (M = D^) = A = 0,26316 gr. VI (A) = i| = 0,73684
gr.III = IV^V-^=^^; = 4 = 0,31579 kl. VI = V^ (As = G^) = i| = 0,68421
ly 19
III** = IV' (Ms = Fes) = :^ - 0,36842 V** = VI^ (Gis = A^^) = ^ = 0,63168
ly 19
IV = III^ (F = U-) = ^ = 0,42105 V (G) = H = 0,57895
l\^ = Y'^^ = (Fis^G'^) = ~ = 0,47368 V' = IV'' (Ges = ^^ = 1^ = 0,52632
ly 19
ersieht man, dass Cis und Des, Dis und Fs etc. hier zwar verschieden sind,
aber Fes und Fis, Ces und His, Ges und F' etc. in einen Ton zusammenfallen,
welcher Umstand allein diese Temperatur unbrauchbar erscheinen lässt, da die
Identität solcher Töne musikalisch geradezu widersinnig ist; unsere Notation
vertauscht bei enharmonischen Verwechslungen nie Fes oder Ces mit Fis oder
Sis, sondern stets mit F oder S.
Besser gruppiren sich die Töne in einem temperirten Tonsystem, dessen
IS
Quintenintervall q=— = 0,58065 ist (Galin's System) nämlich folgendermassen:
Temperatur.
137
0
VIII
(c)
= 1
1
31 ^
= 0,03226
VII«
(His)
30
~ 31 "
= 0,96774
2
31 '
= 0,06452
vim
(ces)
29 _
"" 31 ~
= 0,93548
3
31 '
= 0,09677
gr. VII
(^)
28
~ 31 ~
= 0,90323
4 '
31 ''
= 0,12903 VI
^ = VIII^
'(^^ = e-)=|^ =
= 0,87097
5
31 '
= 0,16129
kl. VII
(^)
_ 26 _
~ 31 ""
= 0,83871
6
31 '
= 0,19355
VI«
{Ais)
25
~ 31 ""
- 0,80645
7
31 ''
= 0,22581
VII^
(JB'O
__ 24
■" 31 '
= 0,77419
8
31 ''
= 0,25807
gr. VI
(^)
23
~ 31 '
= 0,74193
9
31 ''
= 0,29032
V'^
(ö")
22
~ 31 '
= 0,70968
10
31
= 0,32258
kl. VI
{As)
21
" 31 '
= 0,67742
11
31
= 0,35484
V«
(Gis)
_ 20
~ 31 '
= 0,64516
12
31
= 0,38710
YP
(A^)
_ 19
~" 31 ''
= 0,61290
13
31
= 0,41935
V
(G)
18
" 31 ''
= 0,58065
14
31
= 0,45161
iv^
(F-)
17
"■ 31
= 0,54839
15
31
= 0,48387
yfT
(Ges)
_ 16
"" 31
= 0,51613
I (0) -
(VI^) II** (It= B'^) :
I» (Gis)
kl. II (Des)
gr. II (B)
HP (^Vt)
II* (Bis)
kl. III (JEs)
it = IV^ (B"" = ^^^)
gr.III (^)
IV^ (Fes)
III» (Eis)
IV (F)
Ilt =Y^^(F'' = G"^)
IV* (Fis)
Den akustisch reinen Tonverhältnissen noch näher würde eine 74stufige
Temperatur (mit dem Werth q = -^ — 0,58108) kommen; es ist dies die von
Drobisch als »möglichst reinste Temperatur« bezeichnete. In dieser und den
beiden vorher angeführten ist die Lage der Töne eis, dis, fis etc. tiefer als die
von des, es, ges etc.; die gewöhnliche 12stufige Temperatur setzt sie bekanntlich
gleich; von ihr nach dem System der reinen Quinte hin wäre noch eine 5 3stu-
31
fige Temperatur möglich, bei welcher q = ^ = 0,58491 und die Aufeinander-
folge der Intervalle eine wesentlich andere sein würde, nämlich:
G, Ms,
53
0
53
^^^ Bes, Gis, H^, :P'^ F^^, B, C^ u. s. w.
3 4 5 6 7 8 9 10
53 53 53 53
53
53
53
53
Grleichschwebende Temperaturen mit so grossem Quintenzirkel gehören
natürlich nur der theoretischen Betrachtung an und ermangeln einer wirklichen
Bedeutung für die musikalische Praxis, für welche, soweit sie sich auf Instru-
mente mit gebundener Intonation erstreckt, die gebräuchliche mittlere mit ihren
12 Tonstufen bis jetzt als die beste allein anerkannt ist.
Von Schriften über Temperatur dürften die wichtigsten sein: Marpurg,
»Versuch über die musikalische Temperatur« (Breslau, 1776), Drobisch,
»lieber musikalische Tonbestimmung und Temperatur« und »Nachträge zur
Theorie der musikalischen Tonverhältnisse« (Bd. IV und V der Abhandlungen
der königl. sächs. Gesellschaft der "Wissenschaften), »lieber wissenschaftliche.
138 Temperatur-Intervalle — Tempo.
Bestimmuug der musikalischen Temperatur« (in Poggendorf's »Annalen der
Physik«, Bd. 90) und endlich »lieber reine Stimmung und Temperatur« (Berichte
der math.-i:)hys. Classe der königl. sächs. Gresellschaft der "Wissenschaften, 1877),
Hauptmann, »lieber Temperatur« (in Chrysander's Jahrbüchern, Bd. I) und
in Helmholtz's »Lehre von den Tonempfindungeu« (Braunschweig, 1863), der
16. Abschnitt der dritten Abtheilung.
Temperatur-Intervalle heissen diejenigen Intervalle, die in der praktischen
Musik nicht das ihnen ursprünglich bei der mathematischen Messung zukom-
mende Verhältniss haben, sondern abweichend um etwas zu klein oder zu gross
geübt werden (s. Temperatur).
Tempestoso, Vortragsbezeichnung = stürmisch, ungestüm, heftig.
Tempete, franz.: Sturm, heisst ein munterer, stürmischer Tanz, im Zwei-
vierteltact gehalten, der im vorigen Jahrhundert beliebt war, jetzt nur noch in
Balleten vorkommt.
Tempo = franz.: Mouvement, Zeitmaass, der Grad der Tactbewegung,
in welcher ein Tonstück ausgeführt werden soll. Durch die Gestalt der Noten
wird der Zeitwerth derselben nur sehr relativ angegeben; sie stellt nur ihr
Verhältniss unter einander dar, dass die Ganze Note den Werth von zwei
Halben, vier Vierteln u. s. w. erhält. Zu einer absoluten Bestimmung desselben
bedarf es noch einer besondern Angabe des Tempo, durch die der ange-
nommene Zeitwerth einer Notengattung bestimmt festgestellt wird, welche dann
als Maass für die übrigen gilt. Sie erfolgt jetzt in zweierlei Weise, entweder
durch die astronomische, mathematisch präcise Zeitmessung, welche der Metro-
nom gewährt (s. d.), oder annäherungsweise durch bestimmte Worte, über deren
ungefähre Bedeutung eine gewisse traditionelle Uebereinstimmung herrscht. Der
Metronom bestimmt in genau abgemessenen Schlägen den Werth der vor-
geschriebenen Notengattung und lässt also über die Intention des Componisten
nach dieser Seite nicht im Zweifel. Die andere Tempobezeichnung durch die
entsprechenden Worte kann nicht so genau sein und ist mehr der Auffassungs-
fähigkeit des Dirigenten oder der Ausführenden überlassen. Wir unterscheiden
drei Hauptbewegungen: die langsame, die mittlere und die geschwinde
mit ihren Abstufungen. Zur langsamen gehören Largo = breit, weit, ge-
dehnt, als langsamstes Tempo; Grave = ernsthaft, schwer abgemessen,
als zweiter Grad der Bewegung; Adagio = langsam, als dritter Grad; Lento
= gemächlich laugsam, als viei'ter, dem Adagio verwandter Grad, und
Larghetto = weniger breit und langsam als die vorgenannten, so dass
es sich dem Andante nähert. Dies als sechster Grad der Bewegung gehört,
als »gehend« bereits zu den mittleren Bewegungen, die dann als Andan-
tino, als Moderato und Allegretto immer an Zeitgewicht vei-lieren und zur
schnellen Bewegung hinüberleiten, die wiederum als Allegro == hurtig,
lebhaft, Vivace und Vivacissimo = noch lebhafter, Presto und Fre-
stissimo = schnell und so schnell als möglich — gesteigert wird. Dass
diese Tempobezeichnungen weiterhin noch durch die verschiedenen Beiworte:
assai, meno, ma non iroppo u. s. w. auch noch modificirt werden können,
ist in den betreffenden Artikeln nachzulesen. Bei der grossen Bedeutung, welche
der Rhythmus für das Kunstwerk gewinnt und bei der zwingenden Gewalt,
die er bei der Ausführung zu üben vermag, ist natürlich die Wahl des Tempo
von höchster Wichtigkeit, so dass ein Fehlgreifen nach dieser Seite eine im
TIebrigen noch so correcte Aufführung ganz wirkungslos zu machen im Stande
ist. Daher ist es Hauptaufgabe des Dirigenten oder Ausführenden, zunächst
und vor allem Andern das richtige Tempo eines Tonstücks zu erkennen und
da dies mit dem Charakter desselben, seinem eigensten Inhalt eng zusammen-
geht, so wird auch das Tempo nicht verfehlt werden können, wenn man diesen
erfasst hat. Die Erkenntniss desselben wird den Dirigenten über die Wahl
des Tempo sicherer noch aufklären, als die mechanische Bezeichnung desselben
durch den Metronom. Dabei soll die letztere nicht unterschätzt werden. Wer
Tempo — Tempo ordinario. 1 39
da weiss, wie schwierig eine solche mechanische Tempobezeichnung beizugeben
dem Coraponisten selbst meist ist, der wird sie kaum als letzte Instanz gelten
lassen. Daher werden auch von den meisten Compouisten in neuerer Zeit beide
Bezeichnungen angewendet, sowohl jene, die mit dem betreffenden Wort auch
zugleich den Charakter bezeichnet, wie die durch den Metronom. Bei der "Wahl
des Tempo kommen auch noch andere Umstände in Betracht. Tousätze, welche
eine machtvolle Harmonik in breiten Massen entfalten, werden immer in ge-
mässigterem Tempo ausgeführt werden müssen als die, bei welchen das melo-
dische oder rhythmische Element überwiegt. Auch die grössere oder geringere
Mannichfaltigkeit der Rhythmik ist hierbei zu beachten. Ein Adagio, in
welchem ausser Ganzen, Halben, Vierteln und Achteln auch noch Sechzehn-
theile häufiger in ganzen Figuren verwendet werden, wird langsamer zu nehmen
sein als ein anderes, in welchem ausser den längern Noten nur noch solche
vom Werth des Achtels angewendet sind. Bei langsamem Tempo bestimmen
die lang gehaltenen, bei raschem die geringwerthigen Noten, die Achtel
und Sechzehntel nach der Möglichkeit ihrer Ausführung das speciellere Zeit-
maass. Eine andauernde Reihe von lang gehaltenen Accorden ermüdet, im zu
langsamen Tempo ausgeführt, die Ausführenden wie die Hörenden; und schnelle
Passagen in zu raschem Zeitmaass ausgeführt werden den Hörenden meist
eben so unbequem, wie den Ausführenden. Endlich kommen bei der Wahl des
Tempo auch noch die Masse der Ausführenden, wie Ort der Ausführung in
Betracht. Bei sehr starker Besetzung von Chor und Orchester wird das Tempo
immer etwas massiger genommen werden müssen, wie bei schwacher Besetzung
und grosse und weite Räume erfordern ebenfalls ein um etwas massigeres Tempo
als kleinere und engere.
Tempo wird auch häufig statt »0' tempov. gebraucht, wenn angezeigt werden
soll, dass nach einem Ritardando oder Äccelerando oder nach einem voll-
ständigen Temj^owechsel wieder das ursprüngliche Tempo eintreten soll.
Tempo alla Breve, eigentlich das zweischlägige, zwei Semibreves enthaltende
Zeitmaass der Bi'evis (s. Alla Breve).
Tempo alla Semibrere, der gewöhnliche ^/2-Tact, mit der Semibrevis als
Tacteinheit.
Tempobezeichnung, ursprünglich die Bezeichnung des Zeitmaasses durch
die oben erwähnten, meist italienischen Kunstausdrücke; jetzt umfasst die Tempo-
bezeichnung selbstverständlich auch die Metronombezeichnung (s. Tempo).
Tempo commodo, in bequemem Zeitmaass, weder schleppend, noch
übereilt.
Tempo di Ballo, in Tanzbewegung.
Tempo di Bolero, in der Bewegung des Bolero (s. d.).
Tempo di Gavotta, in der Bewegung der Gavotte (s. d.).
Tempo di Marcia, im Zeitmaass des Marsches.
Tempo di Minuetto, im Zeitmaass der Menuett.
Tempo di Sarabande, im Zeitmaass der Sarabande.
Tempo di i)rima (parte), in der Bewegung des ersten Theils; wird
gebraucht, wenn in dem folgenden Theil Tempowechsel eingetreten ist, der
dann wieder aufgehoben wird.
Tempo giusto = in angemessener Bewegung, ist im Grunde keine
Bezeichnung des Tempos, da sie die "Wahl desselben dem Ermessen des Aus-
führenden überlässt. Es entspricht meist dem Tempo commodo.
Tempo l'istesso, s. L'istesso tempo.
Tempo maggiore, s. Tempo ordinario.
Tempo ordinario, minore, alla Seniiireve, der ordentliche viertheilige
Takt (5, vier Viertel enthaltend, die nach ihrem wirklichen Werth gemessen
werden. Das Tempo maggiore oder alla Breve ist der viertheilige diminuirte
Tact G.'; dem die Brevis Tacteinheit ist; die zwei Ganzen oder vier Halben, die
140 Tempo ordinario — Tenducci.
er enthält, erhalten nur die Hälfte ihres eigentlichen Werths (Diminutio simples),
seine Bewegung ist demnach dieselbe wie die im Ternpo ordinario.
Tempo ordinario wird auch ebenso wie
Tempo primo (abgekürzt T. 1^) = erstes Zeitmaass, gebraucht, um
anzuzeigen, dass nach einem Wechsel desselben das zuerst angenommene Zeit-
maass wieder eintritt.
Tempo rubato = geraubtes Zeitmaass — Ruhamento di Tempo be-
zeichnet sowohl die Verzögerung oder Beschleunigung einzelner Stellen bei der
Ausführung im Tact und Tempo, als auch Abweichungen von der natürlichen
Accentuirung und Phrasirung gewisser Partien. Die Rücksicht auf erhöhte
Wirkung einzelner Stellen eines Tonstücks kann es wünschenswerth erscheinen
lassen, diese in der Ausführung zu beschleunigen oder zu verzögern. Weiter
ausgeführte Cantilenen gewinnen nicht nur an sinnlichem Reiz, wenn sie etwas
zurückhaltend im Tempo ausgeführt werden, sondern es kann dies auch in der
innersten Idee derselben begründet sein; die äussere genaxie Messung entspricht
nicht immer dem Maass der innern Erregung und so erscheint eine zeitweise
Abweichung durchaus gerechtfertigt, so lange sie nicht die rhythmische Einheit
aufhebt. Dasselbe gilt von der Beschleunigung gewisser glänzender Passagen
oder erregter Figuren, die dadurch nicht nur wirksamer werden, sondern auch
mehr dem Inhalt entsprechend erscheinen. Ein so vortreffliches Hülfsmittel
des Vortrags das Tempo rubato demnach ist, mit desto grösserer Vorsicht ist
es einzuführen, wenn es nicht zur Manie werden und abspannend wirken soll.
Ferner bezeichnet man mit Tempo ruhato auch die Accentverrückuugen, durch
welche sogar zeitweise der ursprüngliche Tact verändert wird:
Chopin, op. 7.
m
:#^_c;"^j^
:#:
■w—^ — ' — \ — — r
^=i;^g^ggg^
-^-
ti
Solche Accentverrückungen sind namentlich bei Chopin sehr häufig, bei dem
auch jenes zuerst besprochene Tempo ruhato vielfach angewandt werden muss.
Temps faible (franz.), leichter Tacttheil.
Temps fort (franz.), schwerer Tacttheil.
Tempus (lat.), Zeit, Zeittheil. In der alten IMensuralnotenschrift be-
zeichnet man die Brevis, als Tacteinheit, mit Mensura temporis oder kürzer:
Tempus (s. Mensuralmusik).
Tempus biuarium = der zweitheilige gerade Tact.
Tempus imperfectum, in der Mensuraltheorie die zweitheilige Tactart,
in der die Brevis durch zwei Semibreves gemessen wurde (s. Mensural-
notenschrift).
Tempus perfectum hiess dagegen der dreitheilige Tact, bei welchem die
Brevis drei Semibreves enthielt (s. Mensuralnotenschrift).
Tempus ternarium = der dreitheilige Tact.
Tempus vacuum = leere Zeit, war in der alten Rhythmik eine Pause
für eine fehlende Silbe am Ende eines Verses, die gehalten werden musste, um
den Rhythmus auszufüllen. Galt sie nur eine kurze Silbe, so hiess sie Limma\
Prosfhesis aber, wenn sie zwei Silben währte.
Tenaglia, Antonio Francesco, Kirchencomponist zu Florenz, geboren
in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts, verbrachte einen Theil seines Lebens
in Rom, so dass man annehmen kann, er habe dort ein Amt gehabt. 1661 wurde
die Oper ■nCleano« in Rom aufgeführt, eine der ersten, in welcher das Da Capo
vorkommt. Unter seinem von Clowes gestocheneu Bild steht: -aTendlia Floren-
tinus musicis in rebus exeellensa.
Teudrement (franz), zärtlich.
Tenducci, Just. F er dinaudo, genannt Senesino, ausgezeichneter Sopran-
sänger, geboren zu Sienna gegen 1736, erschien ungefähr 1756 auf den Thea-
Tenerameute — Tenor. 141
tern Italiens, aber erst einige Jahre später in der italienischen Oper zu London
und in Irland und Schottland gelang es ihm, das Publikum aufs Höchste zu
entzücken, so dass man ihm hohe Summen zahlte. 1765 kehrte er nach London
zurück, musste aber 177G Schulden halber, die eine enorme Höhe erreicht haben
sollen, sich entfernen. Nach Jahr und Tag, nachdem diese Angelegenheiten
geordnet waren, kehrte er jedoch nach London zurück und sang daselbst am
Drury-Lane-Theater noch 1790. Einige Zeit vor seinem Tode, der in den
ersten Jahren des 19. Jahrhunderts erfulgte, war er nach Italien zurückgekehrt.
Es ist eine gedruckte Abhandlung über den Gesang von T. vorhanden: y>Trea-
tise on Siiigingi.] ferner: y>Ouverture for a füll Band's. (Preston, London) und
nRanelagh Songsa. (ebend.). Die Letzteren sang er in Concerten.
Teueraiuente und
Teuero, Yortragsbezeichnung = zart, sanft.
Teuerezza, con tenerezza, mit Zartheit.
Teniers, David, berühmter niederländischer Maler des 17. Jahrhunderts,
war zugleich trefflicher Gambenspieler. Er hat sich auf seinem Instrument
spielend nebst seiner Familie auf einem Bilde dargestellt.
Tenor, ital.: Tenore, franz.: Taille, Tenor, Bezeichnung für die oberste
Stimme der Männerstimmen, die diese schon früh mit der beginnenden Aus-
bildung der Mehrstimmigkeit erhielt. Als sich neben dem Organum (s. d.)
in der christlichen Kirche die Weise des Discantisirens geltend machte, indem
eine Stimme den Cantus ßrmus, die feststehende kirchliche Melodie, nicht mehr
nur in derselben Bewegung in Quarten, Quinten oder Octaven, begleitete, son-
dern in selbständiger Weise, nannte man diese neue Stimme als gegensätzlich
zum Cantus (firmus) sich verhaltend Discantus, der Cantus firmus aber
wurde als, die ursprünglichen sanctionirten Melodien festhaltend zum Tenor. Da
nun die Ausführung dieses Cantus ßrmus in der Pegel der hohen INIännerstimme
übertragen wurde, so nannte man diese entweder Cantus oder Firmus cantus
oder Tenor und der letztere Name wurde bald allgemein für diese Stimme
üblich. Die Tenorstimme hat einen Umfang
von bis
i
i^^^l-
Im Chor ist es natürlich nicht rathsam, den Tenor selbst bis a^ zu führen,
oder doch nur in seltenen Fällen, da dieser Ton nur bevorzugten Stimmen ohne
Anstrengung zu erzeugen gelingt. Yom Solo-Tenor verlangt man ihn wie
auch noch h^ und selbst li^ und c^.
Der Solotenor gewinnt namentlich in Oper und Oratorium aussergewöhn-
liche Bedeutung; Klangcharakter, Umfang und Ausdrucksfähigkeit führen dazu,
dass ihm meist die Hauptpersonen zugewiesen werden. Gewöhnlich sind diese
junge, thatkräftig vorwärts strebende Männer und Helden und dem entspricht
die Tenorstimme am meisten. Die Baritonstimme scheint mehr für ernstere,
ruhigere Charaktere geeignet. Man unterscheidet je nach dem Klangcharakter
zwei Arten: den lyrischen Tenor und den Heldentenor, die auch oft im
Umfange unterschieden sind. Der lyrische Tenor hat weicheres Klanggepräge
und eine höhere und in der Höhe leichter ansprechende Tonlage. Er eignet
sich besonders für empfindensvolle cantable Partien, wie Belmonte in der »Ent-
führung«, Don Ottavio im »Don Juan«, Nadori in »Jessonda« u. s. w. Der
Heldentenor hat mehr männlichen, markig kräftigen Klang, dem Bariton sich
nähernd und ist daher mehr für leidenschaftlichen heroischen Vortrag geeignet;
daher ist ihm auch die Höhe nicht so leicht erreichbar, wie dem lyrischen
Tenor, dafür ist aber der ganze Stimmklang männlich fester. Die Gluck'schen
Tenorpartien, wie Achilles, Rinaldo u. s. w. gehören in das Fach des Helden-
tenors. Im Oratorium erfordert Händel auch Heldentenöre, wie in Judas
Makkabäus, Samson u. s. w., Mendelssohn dagegen den lyrischen Tenor.
142
Tenorbass — Tenorhorn.
Zur Notirung dei- Tenorstimmen bediente man sich bisher eines besondern
C-Schlüssels auf der vierten Linie:
•ttH-
M:
c
g a
S a
In neuerer Zeit ist er meist ganz vom G- oder Violinschlüssel verdrängt, unter
welchem dann die Noten 16füssig, eine Octave tiefer gelesen werden müssen:
Tenor.
\m
W^^-
cdefgahcdefga
Einzelne Theoretiker nannten wohl auch die Kirchentöne — die Toni oder
Modi — Tenor es, weil sie als einheitlich feststehende Norm (tenor) anzusehen
sind. Erst als man beim mehrstimmigen Gesänge den Gantus firmus allgemeiner
mit Tenor bezeichnete, kam der Name für die Kirchentonart ausser Anwendung.
In noch anderer Bedeutung gebraucht Guido von Arezzo die Bezeichnung
Tenor; er versteht darunter einen Halteton, einen länger ausgehaltenen Ton.
Tenorbass, s. Tenorhorn.
Tenorbuffo, zweiter Tenor in der Oper, der in der Regel zugleich wie
die Soubrette im weiblichen Rollenfach "Witz, Schalkheit und gute Laune ver-
tritt oder doch hervorruft.
Teuorclausel, Clausula tenorizans . nennt man die Führung des Tenors
beim sogenannten Ganzschluss, also bei der Folge von Dominant und Tonika:
Teiior-Coruet, ein 1876 von Czerveny in Königgrätz erfundenes Metall-
Blasinstrument, das, obgleich es nicht grösser ist wie ein Cornet, doch wie ein
Tenorhorn klingt und in Höhe und Tiefe gleichmässig leicht anspricht. Es
hat drei Ventile und stimmt vollkommen rein.
Tenorfagott, Quintfagott, steht eine Quint höher als der gewöhnliche
Fagott, mit dem er sonst ziemlich gleichen Umfang hat, von F bis f^ chro-
matisch. Er wird im Bass- und Tenorschlüssel notirt wie der gewöhnliche
Fagott, aber die Töne klingen eine Quint höher, ¥ also wie c. Er ist gegen-
wärtig ausser Gebi'auch ; in unserm Orchester sind nur noch der gewöhnliche
und ausnahmsweise der Contrafagott in Anwendung.
Tenorflöte, eine veraltete Gattung der Flute douce, s. Flute ä hec.
Tenorhorn, Chromatisches Tenorhorn, Oorno cromatico di Tenore,
auch Tenor-Flügelhorn genannt, ist ein Ventilblechinstrument und steht
eine Octave tiefer als das jB-Cornet, wird aber im übrigen behandelt wie dies.
Die Naturtöne des Cornets erklingen auf dem Tenorhorn wie folgt:
f^fet:
i^jiL if: ± £
In der Regel wird es nach seiner natürlichen Tonhöhe im Tenorschlüssel notirt,
seltener im Violinschlüssel. Mit Sicherheit ist die chromatische Tonreihe von
As bis Cg zu erreichen;
Tenori acuti — Tepper von Ferguson. 143
Die tiefern Töne sind wohl noch möglich, aber meist schlecht klingend, und
da diese von den Bassinstrumenten leichter und gut genommen werden, so sind
sie für das Tenorhorn entbehrlich. ^
Tenori acuti, s. Alti iiaticrali.
Tenorist, ein Tenorsänger.
Teuorpomnier, s. Pommer.
Tenorposaune, s. Posaune.
Tenorschlüssel, der C-Schlüssel auf der vierten Linie (s. Notenschrift).
Tenortrompete, eine B - Trompete mit Ventilen wie die Alttrompete, welche
eine Octave tiefer klingt als diese, so dass die so notirten Notentöne:
.1 •*•
auf der Tenortrompete erklingen wie
^ ^ ± = ^=
-U
^
Sie wird nur in Militär- und Gartenorchestern angewendet.
Tenortrompeteubass, ein von Stölzel in Berlin 1820 erfundenes chroma-
tisches Blasinstrument, das mit einer ähnlichen Vorrichtung wie der Trompeten-
bass versehen ist und eine Terz höher steht als dieser. Die natürliche Stimmung
ist G-dur; durch den Gebrauch der Ventile lassen sich auch andere Tonarten
darauf blasen. Weitere Verwendung scheint es nicht gefunden zu haben.
Tenorviola, s. Altviola.
Tenorzeichen, s. Notenschlüssel.
Tenute, franz.: Tenue, ein Halt, ßuhepunkt, s. v. a. Permate.
Tennto (abgek. ien.), gehalten, getragen.
Tenzel, Wilhelm Ernst, gelehrter Polyhistoriker, geboren zu Greussen
in Thüringen am 11. Juli 1659, studirte in W^ittenberg, war dann Lehrer am
Gymnasium in Gotha und kam später, nachdem er mehrere ßeisen gemacht
hatte, 1702 als Historiograph und königlich polnisch kupfürstlich sächsischer
Eath nach Dresden. Diese Stelle verliess er schon im nächsten Jahre wieder,
da er, wenig Weltmann, Spötteleien der Hofleute nicht ertragen mochte, und
starb am 24. November 1707 in grosser Armuth. Hier ist eine seiner Disser-
tationen anzuführen: y>Dissertatio de veteris recentisqiLe Ecclesiae Hymno Te deum
laudamusi ■ Wittebergae, 1686, in 4°). Diese Abhandlung ist auch unter seinen
sämmtlichen Dissertationen: liExercitationes selectaa (Leipzig, 1692).
TeplOT, Grigorei Nikolajewicz, Russisch Kaiserlich geheimer Eath
und Senator, war am Seminar des Bischofs Teophan erzogen worden und ge-
bildeter Musik dilettant als Sänger und Violinspieler. 1750 gab er iu Peters-
burg eine Sammlung russischer Arien und Lieder heraus.
Teponatzli, ein lautenähnliches Instrument der Mexikaner, das aus einem
hölzernen Cylinder von der Grösse einer gewöhnlichen spanischen Laute, mit
zwei parallel laufenden Oeffnungen in der Mitte besteht. Die Saiten werden
mit zwei gummiüberzogenen Stäbchen geschlagen oder gestrichen.
Tepper von Ferguson, geboren zu Warschau, seit 1801 Kapellmeister in
Petersburg und Ciaviermeister der Grossfürstinnen. Als Clavierspieler war er
vorzüglich; einige seiner Compositionen, als: Ciavier- und Violinsonaten, Ro-
manzen, Variationen, Schiller's Ode an die Freude, eine mehrstimmige Cantate
u. A. erschienen 1797 und die folgenden Jahre bei Artaria in Wien und
in Hamburg.
144 Ter — Terpander.
Ter oder Tre = dreimal.
Ter unca (lat.) = dreimal geschwänzt oder gekrümmt, alte Benennung
der 32stel-Note = ^^ .
Terana = ein Musikstück der Indianer, das von den Rohillah's und zwar
nur von den Männern gesungen wird.
Terpander, griechischer Musiker, ist, wie Stephanus von Byzanz und Plu-
tarch berichten, zu Antissa auf der Insel Lesbos, nach der minder glaubwür-
digen Meinung des Suidas aber in Böotien geboren. Auch bezüglich der Zeit
seiner "Wirksamkeit weichen die Angaben der Historiker von einander ab;
einige nennen ihn einen Zeitgenossen des Lykurgus, andre des Thaies; die
meiste Wahrscheinlichkeit haben diejenigen Angaben, welche die 33ste Olym-
piade (638 — 634 V. Chr.) als den Zeitpunkt seiner wichtigsten Erfolge bezeichnen.
Alle Mittheilungen der Musikhistoriker aber stimmen überein bezüglich seiner
ausserordentlichen Leistungen als Dichter-Componist — bekanntlich verstand
man im Alterthum unter einem »Poeten« (Poietes) stets nur denjenigen, welcher
die Fähigkeiten des AVort- und des Tondichters in seiner Person vereinte —
sowie als Virtuose auf der Kithara und dem Aulos (letzterer das zum Solospiel
und zur Gesaugsbegleitung gebräuchlichste Blasinstrument der Grriechen, nicht
unserer Flöte, wie das Wort »Aulos« meist übersetzt wird, sondern mehr der
Clarinette oder Oboe entsprechend). Auf diesen Gebieten der Tonkunst feierte
T. die grössteu Triumphe, indem er bei den, von den Lacedämoniern dem Apollo
zu Ehren gefeierten, sogenannten Karneischen, wie auch bei den Pythischen
Spielen der Dorier, hier sogar viermal hintereinander, den Preis gewann. Als
ein Beweis der mächtigen Wirkung seiner Kunst wird von verschiedenen Autoren
des Alterthums noch ausserdem berichtet, dass er einmal die durch politische
Zwistigkeiten erregten Gemüther der lacedämonischen Bürger durch seine, mit
der Kithara begleiteten Gesänge beruhigt habe. Mag nun diese Angabe wört-
lich oder bildlich zu verstehen sein, so viel ist sicher, dass Terpander's künst-
lerischer Einfluss mächtig genug gewesen ist, um eine neue Epoche der grie-
chischen Musik zu begründen, wie Glaukus von ßhegium in seinem Werke
über die Dichter und Comjjonisten der ältesten Zeit Griechenlands sagt (citirt
von Plutarch y>de musicaa 9), der ersten sj)artanischen Katastasis, d. h. Fest-
stellung der musischen Kunstnormen*). Im Besonderen war es der kitharo-
dische Nomos, der, wie Westphal ausführt, durch ihn auf eine neue höhere
Stufe der Ausbildung erhoben wurde. Schon vor T,, in der homerischen Zeit,
hatte sich neben der epischen Dichtung die unter dem Namen Nomos bekannte
lyrische Kuustforra entwickelt; der Nomos (wörtlich »Gesetz«, weil in den
ältesten Zeiten die Gesetze in bestimmten Tonweisen vorgetragen wurden, um
sie dem Volke auf diese Weise besser einzuprägen) war ursijrünglich ein an
heiliger Stätte und zur heiligen Zeit von einem Priestersänger ausgeführter
Sologesang, bestimmt zum eigentlichen Cultuszwecke. An die Periode dieses
archaischen Nomos schliesst sich die des epischen Einzelliedes an, welche mit
Homer ihren Höhepunkt erreicht; als aber die in dem homerischen und cykli-
schen Epos waltende Produktionskraft mit dem Anfange des siebenten Jahr-
hunderts abzusterben begann, da war es der lyrische Nomos, dem sich die
poetische Triebkraft des hellenischen Volkes vorwiegend zuwandte. Der Nomos
erhielt nun durch T. eine feste kunstmässige Form, die für die ganze folgende
Zeit stereotyp bleibt: es ist die (bei Pollux 4. 66. angegebene) siebentheilige
Gliederung. Den Haupttheil bildete die Mitte, Omphalos genannt; er enthielt
in der epischen Sprache und Manier Homei's irgend eine Darstellung von den
Thaten des im Nomos zu feiernden Gottes. Voraus ging ein, demselben Gotte
gewidmeter lyrischer Theil, genannt Archa (Anfang), und dieser Archa ent-
sprechend folgte auf den Omphalos ein zweiter lyrischer Theil, der den Namen
*) Vergl: E. Westphal,' griechische Metrik, zweite Auflage, II. p. 278 und 279.
Terpauder. 145
Sphi'agis (Siegel) führte; diese drei grösseren Theile waren miteinander durcli
kleinere Uebergangsglieder verknüpft, und mit diesen fünf Theilen war der
eigentliche Nomos abgeschlossen ; voraus ging demselben ein Proömium und
diesem in Ton und Inhalt entsprechend folgte auf die Sphragis ein Epilog.
"Während der eigentliche Nomos sich lediglich in Epik und objectiver Lyrik
bewegte, waren diese, den Nomos umschliessenden Partien subjectiv gehalten.
Der Hauptsache nach gehörte mithin der kitharodische Nomos der epischen
Poesie an und die ganze Weise Terpander's ist wesentlich das Produkt des
Einflusses, den die homerische Epik auf die lyrische Poesie gewinnt; auch dies
hatte der Terpandei''sche Nomos mit dem Epos gemein, dass die frühere stro-
phische Gliederung völlig aufgegeben wurde; an ihre Stelle tritt für den ge-
sammten Nomos mit seinem Proömium und Epilog der daktylische Hexameter;
indem aber der so gestaltete Nomos die strophische Repetition der Melodie
verschmäht, erscheint er als das früheste Beispiel eines »durchcomponirten« Liedes.
Auch als ein Förderer der musikalischen Theorie und Systembildung ver-
dient T. zu den hervorragendsten Künstlern des Alterthums gerechnet zu
werden, denn, wie Helmholtz richtig bemerkt, ist nicht blos die Composition
vollendeter musikalischer Kunstwerke, sondern auch die Construktion unseres
Systems der Tonleitern, Tonarten etc. ein "Werk künstlerischer Erfindung, und
demgemäss neben den natürlichen Gresetzen der Thätigkeit unseres Ohres auch
denen der künstlerischen Schönheit unterworfen. Die Untersuchungen der
Verdienste Terpander's auf diesem Gebiete der Musik knüpfen meist an die,
von verschiedenen Schriftstellern wiederholte Erzählung an, er habe der bis zu
seiner Zeit sechssaitigen Kithara eine siebente Saite hinzugefügt und sei des-
wegen von den Ephoren des lacedämonischen Staates, welchen die Erhaltung
der bestehenden Einrichtungen oblag, mit einer Strafe belegt worden. Muss
man in dieser Vermehrung der Saitenzahl der Kithara (um nur eine neue)
lediglich eine, im ganzen Verlauf der Musikgeschichte wiederkehrende, stets
aber von den kritischen Ephoren beanstandete Erscheinung erblicken, nämlich
eine Bereicherung des Vorrathes an musikalischen Ausdrucksmitteln, — lässt
sich in ihr Terpander's reformatorische Wirksamkeit auf dem Gebiete der
Theorie noch nicht erkennen, so erfährt man bestimmtes über dieselbe durch
eine Aeusserung Strabo's (Buch XIII. p. 425), wo es heisst, T. habe an Stelle
der viersaitigen Lyra die siebensaitige gesetzt und dies selbst mit den Worten
ausgesprochen: »Wir, die wir der Gesänge von vier Tönen überdrüssig sind,
werden nunmehr neue Hymnen auf der siebensaitigen Lyra anstimmen.« Hier
wird es deutlich, dass T. eine durchgreifende Umgestaltung des Musiksystems
seiner Zeit beabsichtigte, indem er an Stelle des Tetrachords, dessen Entstehung
von der, in ältesten Zeiten viersaitigen Lyra herzuleiten ist, die durch die Ver-
hältnisse der menschlichen Stimme gegebene Octave zur Grundlage des Systems
machen wollte. Mag nun die Scala des T. eine diatonische in heutigem Sinne
gewesen sein, zu welcher ja, weil der achte Ton eine Wiederholung des ersten
ist, sieben Saiten genügen würden, oder sich, wie Helmholtz (a. a. 0. p. 410)
sagt, aus einem Tetrachord und einem Trichord in folgender Weise zusammen-
gesetzt haben:
e -^f— (j —■ a — h^^ — d^ — e'
wo dann mit Aufopferung des oberen Halbtonintervalls**) der Octavenumfang
*) Vergl,: Helmholtz, „Lehre von den Tonempfindungen", dritte Auflage, p. 568.
**) Die des Halbtones ermangelnde Scala war von Alters her der orientalischen
Musik eigenthümlich und ist noch heute bei einigen Völkern des Ostens, z. B. den Chi-
nesen, in Gebrauch. „Auch die fünfsaitige Lyra (Kissar) der Bewohner von Nordafrika
und Abyssinien, welche sich schon in den Basreliefs der assyrischen Königspaläste als
Instrument gefangener Männer dargestellt findet, hat nach Villoteau („Beschreibung der
Musikinstrumente der Orientalen") die Stimmung der fünfstufigen Scala g—a—h—d—e.
Der Umstand, dass Olympos, der das asiatische Plötenspiel in Griechenland einführte
und dem griechischen Geschmack anbildete, die dorische Scala der Griechen zu einer
Musikal. CouTers.-Leäkon. X. 10
146 Terpnes — Terradeglias.
festgehalten wurde — in jedem Falle darf mit Sicherheit angenommen werden,
dass der Zweck jener Neuerung des T. kein anderer war, als die Einführung
des Octavensystems an Stelle des Tetrachordsystems, eine Maassregel, zu deren
endgültiger Annahme man sich bekanntlich erst ein Jahrtausend nach ihm
entschliessen konnte.
Die Nachricht, dass T. auch den Gebrauch der Notenschrift vermittelst
eigener Tonzeichen eingeführt habe, entbehrt der Begründung, wiewohl Forkel
in seiner »Allgemeinen Greschichte der Musik« Band I, p. 292 dieselbe für
unzweifelhaft sicher erklärt. Er beruft sich dabei auf eine Stelle des Plutarch,
welcher dem Heraklides aus Pontus nacherzählt: »Terpander habe als Com-
ponist kitharodischer Nomen seinen eigenen, sowie Homer's Hexametern für
jeden einzelnen Nomos Melodien hinzugefügt und dieselben in den musischen
"Wettkämpfen vorgetragen.« Diese TJebersetzung Westphal's ist ohne Zweifel
die einzig richtige, und der hier in Frage kommende Ausdruck des Originals
fisXtj TiBQvn&tvra giebt keinerlei Anhalt zu der von Forkel gepriesenen Ueber-
setzung Burette's: -nTerpandre notoit la Musique sur les vers de cJiacun de ses
Nomes, de meme que sur les vers d^Somere ete.v. Selbstverständlich erscheint
dann auch die zu dieser Stelle gemachte Anmerkung: »Terpander habe seine
Melodien deswegen notirt, um sie in den öffentlichen Spielen entweder selbst
auszuführen oder durch andre ausführen zu lassen« als eine durchaus will-
kürliche Hypothese.
Terpnes, ein altgriechischer Citherspieler und Singmeister des Kaisers Nero,
dem er täglich nach dem Abendessen vorspielen musste.
Terpodion (auch unrichtig Trejjodion), eine Art Orchestrion mit Claviatur,
das die Blasinstrumente des Orchesters (Flöten, Fagott, Hörn etc.) nachahmt
und von J. D. Buschmann in Nordhau^sen 1818 erfunden wurde (s. »Leipziger
Allgem. musik. Zeitung«, Bd. 19, S. 619. 774).
Terpodion (Orgel), ein 8' oder 2,5 Meter Orgelregister, welches im Ton
dem vorerwähnten Instrument gleichkommen soll, hat J. F. Schulze in der
Domorgel zu Halberstadt von Zinn angebracht. Dasselbe muss jedoch, um
dem Ton des gleichnamigen Instruments gleichzukommen, mit Gedact 5' und
2,5 und mit Harmonica 2,5 Meter verbunden werden. Vergl. Schlimbach:
»Structur der Orgel«, verbessert von C. F. Becker, Leipzig, Breitkopf &
Härtel, 1845).
Terpsychore = die Tanzfrohe, die Muse des Tanzes; sie wurde mit
der Lyra abgebildet,
Terradeglias, Dominico Barnabas, auch Terradellas, dramatischer
Componist, wurde in Barcelona im Jahre 1711 geboren. Seine Neigung für
Musik entwickelte sich durch Anleitung zuerst in einem Kloster und steigerte
sich so, dass er den lebhaften "Wunsch hegte, nach Italien, dem gelobten Lande
der Musik, kommen zu können. Ein Kaufmann und Freund seines Vaters
interessirte sich für ihn, führte ihn auf seinem Schiffe mit nach Neapel und
erwirkte ihm im Conservatorium Santo Onofrio eine Stelle. Unter Durante's
Leitung studirte er hier einige Zeit eifrig und trat dann 1739 mit der Oper
»Astartea am Theater zu Neapel vor das Publikum. Die Ofier hatte viel Erfolg
und zeigte den Autor im besten Lichte. Seine Schreibart erinnerte an Hasse,
war aber energievoller und feuriger. Die nächsten Opern waren nÄrtemisiaa,
Oper in drei Akten (Rom), yiL'issi/ilea (Florenz, 1742) und »Merope«, welche
als sein bestes Werk zu bezeichnen ist. 1746 ging T. nach London und auch
hier gelangten mehrere neue Opern '»Mitridatei und y>BelleropIion<i mit Beifall
zur Aufführung; auch erschien damals in London eine Sammlung von zwölf
Arien und Duetten aus den Opern Terradeglias' zusammengestellt. Nach seiner
fünfstufigen, der alten enharmonischen Scala h^c e^f a umformte, scheint darauf
hinzudeuten, dass er aus Asien fünfstufige Scalen mitbrachte, und nur die Anwendung
des Halbtones der griechischen Scala entlehnte." (Helmholtz a. a. 0.)
Terrasson — Tertian. 147
Rückkehr nach Italien übernahm er 1747 in Rom die Kapellmeisterötelle an
der Jacobskirche der Sjjanier und lebte hier bis zu seinem Tode, den der
Kummer über den Misserfolg seiner Oper i)Sesosti'is<i herbeigeführt haben soll.
Eine andere Lesart, die aber wenig glaubwürdig ist und als Anekdote betrachtet
werden muss, sagt: die Oper des T. wäre von Erfolg gekrönt gewesen und besser
als eine von Jomelli zur selben Zeit gegebene aufgenommen worden. Nach
dem Erscheinen einer Medaille, auf der T. auf einem Kahn stehend abgebildet
ist, den Jomelli als Sklave zieht und welche die Umschrift trägt: »Jo soti capacea,
sei derselbe kurz darauf von Dolchstichen durchbohrt in der Tiber gefunden
worden. (Siehe »Leipziger Musikzeitung«, Bd. IL S. 431.)
Terrassen, Antoine, geboren zu Paris am 1. Novbr. 1705, studirte Juris-
prudenz und bekleidete später höhere Staatsämter, auch war er Professor am
College de France. Er starb zu Paris am 30. Octbr. 1782. Er schrieb eine
Abhandlung über ein Instrument, das um die Mitte des 18. Jahrhunderts in
Paris in der Mode war, unter dem Titel: y> Dissertation historique sur la viellea
(Paris, 1741, in 12"), auch abgedruckt in: -nMelanges d'histoire de litterature de
jurisprudence etc.a (Paris, 1768, in 12").
Terry, Leonand, geboren zu Liege 1817, besuchte das Conservatorium
seiner Vaterstadt erfolgreich bis 1845. Seine Compositionen »ia Vindettav.
und ein Kxiegsgesang wurden preisgekrönt, worauf man T. die Direktion der
»Musikalischen Gesellschaft« in Liege übertrug, die er bis zur Auflösung dieser
Gesellschaft 1852 behielt. Er wirkte nachdem als Gesanglehrer am dortigen
Conservatorium und übernahm 1861 die Direktion des Theaterorchesters. Terry
brachte drei Opern aufs Theater: •ajFridolin«, lyrisches Drama, ein Akt. y>Maitre
JBioch, ou le Chercheur de tresors«, komische Oper, zwei Akte, »ia Zingarella«..
Scene: r>Les jeunes filles et VOndine«. für Sopranstimmen und Orchester und
veröffentlichte folgende Compositionen: »Sechs Chöre für Frauenstimmen« (Liege,
bei Goüt). r>Douze melodies sur des textes frangais et italiensa (Bruxelles, Meynne).
»Vierzig Romanzen für eine Stimme mit Ciavierbegleitung« (Paris, Lemoine;
Brüssel, Schott und Meynne; Liege, Goüt und Muraille). Ferner erschien von
Terry: "altecherches Msforiques sur la musigue et le thedtre au pays de Liege,
depuis le onzieme siecle jusqu^ä nos joutsa und »Die Biographie vom Violinisten
Prume« (1853).
Terschak, Adolf, Flötenvirtuos, geboren 1832 zu Herrmannstadt in Sieben-
bürgen. Er ist auf dem Wiener Conservatorium gebildet und unternahm 1852
grosse Kunstreisen durch Deutschland, England, Schottland und Irland, Frank-
reich und Russland. Seit 1859 lebt er in Wien.
Tertia (lat.), die Terz (s. d.).
Tertia, Tertie, Terz (Diatonus, Decem, Decima), ist eine Neben-
oder Füllstimme in der Orgel von Zinn oder Metall mit der Intonation einer
Flöte und mit Principal-Mensur. Statt des eigentlichen Grundtones hört man
zu jeder Taste dessen grosse Terz, also auf C^ den Ton JE^. In alten Orgeln
findet man diese Stimme im Pedal unter dem Namen Decem oder Decembass,
wahrscheinlich, weil dieselbe hier den Ton e^ statt e-^ angab, also die Terz über
der Octave. Auch mit dem Namen Sexte belegte man diese Stimme oft
fälschlich. Die Grösse dieser Stimme ist 6^/5, 3^5, l^/s' oder 2,10 — 1,05 —
0,377 Meter.
Tertia coujunctarum, lateinischer Name des Tones: Trite synemmenon h
im griechischen Tonsystem.
Tertia divisarum, lateinischer Name des Tones Trite Diezeugmenon c^.
Tertia excellentium, lateinischer Name des Tones Trite Hyperholaeon f^
(s. Tetrachord).
Tertia rnodi oder toni, die dritte Stufe der Tonart, auch Mediante genannt.
Tertian ist eine Orgelstimme von Zinn oder Metall, welche sich von den
andern wesentlich unterscheidet. Sie ist weniger eine Füllstimme, als vielmehr
eine gemischte Stimme, indem sie auf jedem Ton zwei Töne hören lässt, nämlich
10*
148 Tertie — Terzdecime.
zum Grundtou c die Terz e und Quinte g; sie ist also zweicliörig. In alten
Orgelwerken ist es gar nicht selten, dass man diese Stimme dreichörig antrifft,
und zwar giebt sie dann zum Grundton die Terz, Quinte und Octave an. Die
neuere Zeit fertigt sie nur zweicliörig, und zwar die Terz im 1,05 und die
Quinte im 0,84 Meterton. Die Mensur ist Principalmensur,
Tertie wird zuweilen die i)- Saite der Viola wie des Violoncello genannt,
als dritte leere Saite.
Terz, Terzie, franz. Tierce, engl. Third, das Intervall von drei Stufen,
das in drei verschiedenen Gattungen geübt wird als grosse, kleine und ver-
minderte Terz und als zwischen Tonika und Dominant liegend auch Me-
diante genannt wird. Die grosse Terz (Tierce majeure, Major third) besteht
aus zwei Ganzen Tönen, c—e; d^ßs; e — ff is ; ßs — als n. s. w. nnd wurde daher
von den Alten Ditonus genannt. Da aber zweierlei Ganztöne in Anwendung
kommen, der eine nach dem Verhältniss von ^/g und der andere im Verhältniss
von ®/io, so entstehen selbstverständlich auch zwei grosse Terzen; wenn zwei
grosse Ganztöne aufeinander folgen, wie z. B. B — d, so entsteht eine Terz im
Verhältniss ^/e X ^/a = ''^/si. Folgt aber der kleine Ganzton dem grossen wie
G — -EJ, so entsteht eine Terz im Verhältniss ^/s X ^/lo = ^'^/eo = */s.
Aus demselben Grunde ist auch die kleine Terz in unserm System von
doppelter Art, da sie entweder aus dem grossen oder dem kleinen Ganzton und
dem Halbton besteht. Im ersteren Fall ist das Verhältniss der kleinen Terz
(beispielsweise a — c) 7» X ^^/le = ^^7^** = ^A» ^"^ andern aber (wie JD — F)
7io X 'Vi6 = ^'Vieo oder "/32.
Von diesen Terzen hat die grosse Terz, deren Verhältniss *Js ist, den
meisten Wohlklang. Dann folgt die kleine Terz im Verhältniss ^/e.
Auf diesen beiden Terzen beruht bekanntlich in der modernen Musik die
Scheidung der Tonarten in Dur und Moll (s. d. und Tonart).
Die verminderte Terz besteht aus zwei grossen Halbtönen, ihr Ver-
hältniss ist 256 : 225. Sie verlangt nicht eigentlich selbständige Bedeutung,
sondern sie entsteht durch Erhöhung des untern Gliedes der kleinen Terz als
alterirtes Intervall, so entsteht die verminderte Terz dis—f aus der kleinen
d—f; ais— c aus a — c.
Die grosse Bedeutung der grossen und der kleinen Terz für den har-
monischen Organisationsprozess geht schon aus diesen Erörterungen hervor.
Weiterhin ermöglicht die Terzverwandtschaft der Accorde, dass die Me-
dianten, die Ober- wie die Untermedianten unter Umständen recht wohl
für die Dominant stehen können. In der Molltonart ist dies ohnehin der Fall.
Diese findet ihre, der Dominantwendung in Dur entsprechende Erhebung nicht
in der Dominant, sondern in der Oberdominante, in der Paralleltonart. Die
C-??JoZ^-Tonart beispielsweise findet ihren harmonischen Gegensatz nicht vrie die
C-Jwr-Tonart in der Dominanttonart G-dur, sondern in der Paralleltonart, der
Obermediante, in JEs-dur. Dementsprechend kann auch in Dur die Dominante
durch die Obermedianten E- und selbst Es-dur ersetzt werden, unter Umständen
selbst durch die Untermedianten Ä-dur und As-dur. Die grossen Meister
haben aus diesen, in der Natur begründeten Verhältnissen treffliche Mittel ge-
wonnen, den ewig gesetzmässigen Organisationsprozess immer neu und indivi-
duell auszustatten.
Terza, Giovanni, Advokat und gelehrter Physiker, geboren zu Neapel
1751, gab heraus: r>Nuovo systema del suono. Neapel 8'*'^«.
Terzdecime heisst die Sext von der Octave des Grundtons, wenn sie (im
sogenannten Terzdecimenaccord) dissonirend auftritt. Gewöhnlich behalten die
Intervalle auch in den entferntem Octaven ihre ursprünglichen Namen bei, die
Terz bleibt Terz, auch wenn der Umfang des Intervalls sich über die Octave
erstreckt, vorausgesetzt, dass das Verhältniss nicht wesentlich ist wie bei der
Bezeichnung des do2:)pelten Contrapunkts, bei welchem die nähere Bezeichnung
als in der None, Duodecime, Terzdecime u. s. w. nothwendig wird zur
Terzdecimcn-Accord — Terziaui.
149
Bezelclinung der Versetzung. Als Terzdecime wird die Sexte benannt, wenn
sie dissonirend wird im
Terzdecimen-Accord. Dieser ist kein selbständiger Accord, sondern nur
ein Vorhaltsaccord, der dadurch entsteht, dass bei der Auflösung des Noneu-
accords auf der Dominant der Bass zur Tonika fortschreitet und alle übrigen
Intervalle desselben vorgehalten werden:
Terzdecimole, eine Figur aus 13 Tönen bestehend, im Gesamratwerth von
acht der gleichen Gattung:
13
P
I
I
Terzett, Terzetto, eine Yocalcompositlon für drei Solostimmen; die drei-
stimmigen Instrumentalcompositionen nennt man in der E,egel Trio. Das
Terzett ist eine beliebte Gesangsform in allen Zusammensetzungen. Es werden
gleiche Stimmen zusammengestellt: drei Soprane oder drei Tenöre, weniger drei
Alte oder drei Bässe; beliebter noch ist die Verbindung von zwei Sopranen
und einem Alt; Sopran, Alt und Tenor, oder Sopran, Alt und Bass,
oder von zwei Tenören und einem Bass. So wird es gern in Oratorium
und Oper eingeführt und hilft nicht nur den Verlauf der Handlung auf gewissen
Punkten concentriren, sondern kann auch zu einem wirksamen Mittel der effekt-
vollem Darstellung der dramatischen Handlung werden. Die Terzette der
drei Damen und der drei Knaben in der »Zauberflöte« sind ebenso reizvoll
wie poetisch und zugleich die Handlung fördernd eingeführt. Aehnliche Be-
deutung gewinnt das sogenannte Engelterzett im »Elias«: »Hebe deine Augen
auf«. Von grossartig dramatischer Wirkung sind die Terzette im »Don Juan«:
y>Ah! cM mi dice mala und y>Ah taci, ingiusto core'.a^
Terzflöte, eine kleinere Gattung der Querflöte, die um eine kleine Terz
höher steht als die gewöhnliche Flöte. Sie wird notirt wie diese, aber die von
ihr geblasene Stimme klingt eine Terz höher:
a) ^R:
1:=
.^^ -••1—'— -I —
Die unter a) verzeichnete Stelle klingt auf der Terzflöte wie bei b). Vermöge
ihres kürzern und engern Rohrs klingt sie härter und in der Höhe greller als
die gewöhnliche Flöte, daher kommt sie meist in der Harmoniemusik, z. B. in
Militärmusikchören, in Anwendung.
Terzi, Giovanni Antonio, ausgezeichneter Lautenist, wahrscheinlich in
Bergamo gegen 1580 geboren, Hess eine Sammlung von Lautenstücken in Ta-
bulatur drucken: r>Xntavolatura di liuto accomodata con diversi passaggi per suonar
in concerti a due liuti e solo, lihro prima, il quäl contiene motetti, contrappunti,
canzoni, etc.« (Venise, Ric. Amadino, 1613, in 4").
Terziani, Gustavo, Sohn des Pietro Terziani, Kirchencomponist, geboren
in Wien, zeigte frühzeitig grossen Hang zur Musik. Bei Rückkehr der Familie
150
Terziani — Terzquart- oder Terzqnartsext-Accord.
im Jahre 1818 nach Rom erlernte er die Anfangsgründe der Musik beim Vater,
hierauf die Composition bei Giuseppe Baini. Zuerst debütirte er mit einem
achtstimmigen Salmo mit zwei Chören für die Kirche del Gresu. Sodann com-
ponirte er eine vierstimmige Messe für die Kirche S. Luigi und ein Oratorium
»Daniele«. Er starb am 31. August 1837 an der Cholera, nachdem kurz vorher
seine Mutter derselben Krankheit unterlag. lieber sein Leben und seine "Werke
schrieb Ottavio Grigli in das y>Giornale arcadicoa zu Rom einen Aufsatz: ȟfe-
moria della vita e delle opere del giovane maestro di musica G. Terziani«.
Terziani, Pietro, Componist, geboren gegen 1768 im Kii'chenstaat, stu-
dirte Musik in Rom und Neapel. 1788 trat er als Operncomponist auf. Später
comj)onirte er ausschliesslich und zwar in grosser Menge gediegene Kirchen-
compositionen. Er verheiratete sich mit einer Deutschen Anna Steinhardt und
lebte auch längere Zeit in Wien. 1816 wurde er Kapellmeister am Latran
in Rom. Zu seinen Compositionen gehören: elf vierstimmige Messen; drei
achtstimmige Messen; der Psalm r>Conßtebor«, vierstimmig, auch achtstimmig;
der Psalm »Laudate«, vierstimmig; r>Äve Marias mit achtstimmigem Alleluja;
Motetten und Antems mit Orgelbegleitung; -nDixita, vierstimmig mit Orchester;
ein anderes für acht Stimmen und Orchester; r>Laetatus suma, vierstimmig mit
Orchester; vBeatus vir«, vierstimmig mit Orchester; zwei vierstimmige Messen
mit Orchester; achtstimmige Messe mit Orchester; Vespern für zwei Chöre,
Orgel und Orchester; Litanei mit Echo und Orchester; zwei Te deums, vier-
stimmig mit Orchester.
Terzo Saono (ital.), der von Tartini entdeckte sogenannte dritte Klang,
der mitklingende tiefere Ton, wenn zwei höhere consonirende auf der Geige
angestrichen werden. (S.: Tartini.)
Terzquart- oder Terzquartsext-Accord heisst die zweite Umkehrung des
Septimenaccordes, bei der die Quart desselben in den Bass tritt. Die Septime
wird dann zur Terz, der Grundton zur Quart und die Terz des Grundaccordes
im neuen Accord zur Sext:
rz^ — -1-
y
i=;
"El
e
r*" 1
o
•— 2=3
-fe
=
«/
-^-
IS'
-R^-
., CS
^^-
— ^ —
— ^
^
1 1
7
6
6
6
Selbstverständlich behalten die Intervalle auch in der Umkehrung ihre ur-
sprüngliche Bedeutung und werden ganz in derselben Weise aufgelöst wie im
Grundaccorde :
v'y — ~5~
-
/f ^ ^Ci
c^ ^
r \ ^-^
— <=>
V } <=" t— 1
~''^ ^
«.
-
)•
j
Nur der Grundton macht scheinbar hier eine Ausnahme, indem er nicht nach
der Tonika sich bewegt, sondern liegen bleibt und zur Quint wird. Er erscheint
demnach als Octave, welche im Septimenaccorde bekanntlich so behandelt wird.
Die andern Septimenaccorde ergeben selbstverständlich eine Reihe anderer
Terzquartaccorde :
m
tt=-
-S3-
:S:
"C5I
:t|::
-äm-—-:
"cy
Terzqumtsext-Accord — Teschner.
151
"==7
r Tri
IS2I
^3"
41
3
- u. s. w.
7
IS
Der Terzquartaccord kommt auch als nur durchgehender Accord vor, in
welchem Falle er nicht die regelmässige Auflösung erfährt:
m
\
-4-
-^=^
^
^=:A--
=t
4
2
-c=f-
-4-
^
:^=li
4
2
6
4
3
^ir
Terzquintsext- Accord, s. Quin tsext- Accord.
Teschner, Melchior, war Cantor zu Fraustadt in Schlesien um 1613, ist
Componist der ausgezeichnet schönen Melodie zu Valentin Herberger's Sterhe-
lied: »Valet will ich dir geben« (1657 goth. Cant.)-
Teschner, Gustav "Wilhelm, geboren am 26. Decbr. 1800 zu Magdeburg.
Sein Grrossvater, Anton Peter Andreas T., war Organist zu Croppenstedt
bei Halberstadt, auch sein Vater, Grottlieb Bernhardt, geschickter Orgel-
spieler. Seine Schwester, Wilhelmine, gute Sängerin, führte längere Zeit
hindurch in den sogeannten Eibmusikfesten die Altsolopartien aus. Seinen
ersten Unterricht im Clavierspiel erhielt Teschner von dem Organisten Burchardt,
später wurde Seebach und zuletzt Reinhardt in Magdeburg sein Lehrer. Im
Gesäuge unterrichtete ihn der Dom -Musikdirektor Wachsmann daselbst. Im
23. Lebensjahre, nach Aufgabe seiner kaufmännischen Laufbahn, übersiedelte
Teschner nach Berlin, um sich hier unter Zelter's, Bernh. Klein's und Louis
Berger's Leitung ganz der Musik zu widmen. Mehr dem Gesänge als der
Instrumentalmusik zugeneigt, ging er im Frühjahr 1829 nach Italien zum
Studium der Gesangskunst und um sich als Lehrer in derselben auszubilden.
Hier wurden ihm besonders die Lehren David ßonconi's und Eliodoro Bianchi's
in Mailand, so wie Nozori's und Crescentini's in Neapel von Nutzen. In Bologna
machte er die Bekanntschaft Rossini's, in dessen Hause er einer musikalischen
Soiree beiwohnte, sowie Giuseppe Pilotti's, des derzeitigen Direktors des Liceo
comunale zu Bologna, der ihm gestattete den Aufführungen der Schüler und
Schülerinnen desselben beizuwohnen. Durch B. Klein in Berlin schon vielfach
auf die Schönheiten älterer italienischer Kirchenmusik aufmerksam gemacht,
fand Teschner in Born in dem Abbate Fortunato Santini einen sicheren Führer
auf diesem Gebiete, der ihm zugleich Gelegenheit verschaffte, oftmals die
Leistungen der Sixtinischen Kapelle, sowie der Nonnen auf Santa Trinitä del
monte und anderer kirchlichen Chöre kennen zu lernen. Hier legte er auch
den Grund zu einer reichen Sammlung seltener Tonstücke aus den verschiedenen
Schulen Italiens und unterhielt zu diesem Behufe bis zum Tode Santini's einen
lebhaften Briefwechsel mit diesem ausgezeichneten Kenner im Fache der klassi-
schen italienischen Kirchenmusik. In Neapel sammelte er Volkslieder in Menge
und sein eifriges Streben danach brachte ihm unter seinen italienischen Be-
kannten bald den scherzhaften Titel eines Professore del Carito pleheju ein. —
Zur Vollendung seiner musikalischen Studien in Italien erhielt er 1831 durch
Vermittlung Zelter's von Sr. Maj. dem König Friedrich Wilhelm III. eine
namhafte Unterstützung.
Nach Berlin zurückgekehrt widmete er sich dem Unterricht im Gesänge
nach den in Italien angenommenen Princij)ien, Die Kenntniss der älteren
italienischen Gesangschulen, namentlich der Bolognesischen des Bernacchi, ver-
dankte er dem späteren Unterricht des auch als Gesanglehrer ausgezeichneten
Kammersängers Johannes Miksch in Dresden. Von Sehnsucht nach Italien
152 Teschner.
getrieben, bewarb sich Tescbuer um die durch einen Todesfall vacant gewordene
Organistenstelle an der preussischen Glesandtschafts-Kapelle zu üom, wurde
aber von Bunsen, dem damaligen preussischen Gresandten, nicht angenommen,
da diese Stelle nach seinem Wunsche einem jüngeren Musiker zu Theil werden
sollte, der dort, wie T. es bereits gethan hatte, seine Studien machen sollte.
So kam statt seiner sein ehemaliger Greneralbassschüler, Otto Nicolai, dahin.
Das Studium der Kirchenmusik führte T. in Dresden mit dem als Sammler
und Forscher auf diesem Oebiete bekannten Otto Kade (jetzt Kirchenmusik-
direktor des (irossherzogs von Mecklenburg-Schwerin) zusammen, der sich, gleich
ihm, von der italienischen Kirchenmusik dem Studium deutscher Kirchenmusik
zugewandt hatte. Durch seine Vermittlung erhielt er von der Handlung Breit-
kopf & Härtel in Leipzig den Auftrag, Job. Eccard's fünfstimmige Choral-
Compositionen, sowie dessen und Job. Stobäus (seines Schülers) »Preussische
Festlieder« nach den Königsberger Original-Ausgaben und in jetziger Notation
herauszugeben.
Im Jahre 1856, bei gelegentlicher Anwesenheit in Brandenburg a. H.,
führten seine Forschungen nach alter Kirchenmusik zur Entdeckung einer
reichen Sammlung älterer Notendrucke aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die
sich in einem bis jetzt ganz unbeachtet gebliebenen Schranke auf dem Schüler-
chor der St. Katharinenkirche befand. Herr Gymnasiallehrer Täglichsbeck da-
selbst machte diesen Fund 1857 zum Gegenstand eines Schulprogramms und
fügte demselben einen Katalog der aufgefundenen Musikschätze bei. Auch in
Wittenberg, in der Bibliothek des Prediger-Seminars, war T. so glücklich eine
reiche Sammlung solcher Kunstschätze aufzufinden, die sich ihm durch die
eigenthümliche Form der Bücher sogleich als Musikwerke älterer Zeit verriethen,
aber als »Philosophie« eingetragen und etiquettirt, ihrem Inhalt nach nicht be-
kannt waren. Jetzt befindet sich diese Sammlung in den Häumen der königl.
Bibliothek zu Berlin.
Aus seinen in Italien wie in Deutschland angelegten Sammlungen älterer
und neuerer Musik publicirte T. ausser den obengenannten beiden Werken
noch folgende: Hans Leo Hassler's vierstimmiges Choralbuch von 1607 (Berlin,
Trautwein, [Bahn]). Geistliche Musik aus dem 16. und 17. Jahrhundert.
Lief. I: Job. Eccard 12 vier- und fünfstimmige Gesänge; Lief. II: Mich. Alten-
burg 11 vier- und fünfstimmige Gesänge (Magdebui'g, Heinrichshofen). Antonio
Caldara y>Crucißxusa ä 16 (Berlin, Trautwein [Bahn]). Eine auf 8 Stimmen
reducirte Ausgabe dieses Werkes, für den königl. Domchor verfasst, gab T.
heraus: (Breslau und Leipzig bei Leuckart [C. Sander]). Nicc. Zingarelli
y>Christus factus esta und T>Miserere<.( ä 4 (Berlin, Trautwein [Bahn]). Geist-
liche Musik aus dem 16. und 17. Jahrhundert für gemischten Chor, von Orl.
di Lassus, M. Franck, A. Gumpeltzhaimer, S. Hemmel, B. Gesius, A. Scandellus,
J. Staden, J. a Burck, J. Eccard und Mich. Prätorius, in 20 Nummern (Leipzig,
Linnemann [Siegel]). Ant. Caldara: Te deum ä 4 (Berlin, Trautwein [Bahn],
gesungen vom königl, Domchor zur Feier des 150 jährigen Bestehens der Krone
Preussen). Derselbe: -aCaro mea vere est cibus«, Duo für Sopran und Mezzo-
Sopran mit hinzugefügter Pf.-Begl. (Berlin, Trautwein [Bahn]). Mich. Prä-
torius: 4 Weihnachtslieder ä 4 (Berlin, Schlesinger). Mehrstimmige Gesänge
für weibliche Stimmen von Terziani, Zanotti, Galuppi, S. Mayr, Pater Martini,
Orl. di Lasso, Benevoli, Caldara, Jomelli (in 2 Nummern), Hasse und Palestrina.
Band I (Berlin, Trautwein [Bahn]). Collezione di Canzonette, Barcarole etc.,
Napolitane, Veneziane etc., 4 Hefte, 2 für höhere, 2 für tiefere Stimme (ibid.).
Italienische Yolksmelodien, vierstimmig, für Sopran, Alt, Tenor, Bass. Deutsch
und Italienisch von T. bearbeitet (Leipzig, Klemm). Collezione di Duette da
Camera, di G. Donizotti e C. Goccia (Berlin, Trautwein [Bahn]). V. Bellini:
2 Äriette per Soprano (ibid.). G. Donizetti: 3 Ariette per Soprajio (ibid.).
Ambrogio Minoja: 45 Solfeggi per Soprano, 4 Hefte (Leipzig, Klemm). Gaetano
Nava: 24 SolJ'eggi per Contralto, 2 Hefte (ibid.). Girolarao Crescentini: 20 nuovi
Tesi-Tramontini. 153
Solfeggi per Mezzo-Soprano, 2 Hefte (Berlin, Trautwein [Bahn]). Dersell)e:
Nuovi SoLfeggi progressivi per Soprano, 3 Hefte (ibid.). 24 Solfeggi e Vocalizzi
für Bassstimme, 12 von Teschner, 8 von Minoja, 4 von Prota, 2 Hefte (Leipzig,
Klemm). A. Minoja: 24 leichte Solfeggi für die Altstimme, 2 Hefte (ibid.).
18 Solfeggi für Sopranstimme (Miksch dedicirt), 2 Hefte, enthaltend 8 Num-
mern von Teschner's eigener Composition, 6 von Fr. Bonoldi und 4 von Gr. Prota
(ibid.). C. Uboldi: Solfeggi für Alt oder Bariton, 2 Hefte (Berlin, Trautwein
[Bahn]). Nicc. Zingarelli: Solfeggi elementari für Sopran oder Tenor (ibid.).
Derselbe: Dieselben für Alt oder Bass (ibid.) Derselbe: Solfeggi elementari e
l^rogressivi per Soprano, 3 Hefte (ibid.). Derselbe: Solfeggi per Basso o Contralto,
3 Hefte (ibid.). Derselbe: Solfeggi für Sopran, 2 Hefte (Magdeburg, Heinrichs-
hofeu). Antonio Mazzoni: Erste vollständige Sammlung der Solfeggien für
Sopran oder Tenor, 4 Hefte (Berlin, Simrock). Derselbe: Dieselben für Mezzo-
Sojiran, 4 Hefte (ibid.). J. J. Rodolphe: Solfeggi für Sopran oder Tenor,
2 Hefte (Leipzig, Linnemann [Siegel]). Gr. M. Clari: 10 Solfeggi a 2 vocia.,
2 Hefte (ibid.). Vorbereitende Uebungen und leichte fortschreitende Solfeggi
für Sopran, 3 Hefte (Berlin, Trautwein [Bahn]). Dieselben für Alt, 3 Hefte
(ibid.). Pr. Durante: Solfeggi a 2 voci, senza accompagnamento (ibid.). 60 Sol-
feggi auf die Intervalle der Tonleiter zur üebung im Treffen und Eintheilen.
In zwei Ausgaben: für Sopran und für Alt, 4 Hefte (ibid.). Elementar-Uebungen
und Solfeggi für Sopranstimme in mittler Lage (Berlin, Challier). Heft 1:
Elementar-Uebungen; Heft 2: Leichte Solfeggi; Heft 3: Progressive Solfeggi;
Heft 4: zweistimmige Solfeggi von A. Minoja und dreistimmige Solfeggi von
Ang. Bertalotti. Dieselben Uebungen für Alt, 3 Hefte (ibid.). Bonif. Asioli:
10 italienische Lieder zum Studium des italienischen Gesanges (ibid.). Joseph
Pilotti: Solfeggi für Sopranstimme, 3 Hefte (Berlin, Simrock). Johannes Miksch:
Elementar-Solfeggi, 2 Hefte (Dresden, Hoffarth).
Durch die Herausgabe von mehr als 60 Heften der verschiedensten Ge-
sangsübungen, denen fast sämmtlich auch eine Clavierbegieitung beigegeben
wurde, hat Teschner für Deutschland eine Literatur geschaffen, wie eine solche
für dies Fach vor 30 — 40 Jahren bei uns nur sehr unvollkommen bestand.
Eine nicht geringe Anzahl ursprünglich einstimmiger Lieder richtete T. zu
vier- bis fünfstimmigen ein, und publicirte ausser den schon oben genannten
italienischen vierstimmgen Volksliedern noch folgende: 12 Lieder (deutschen
und italienischen Ursprungs), vierstimmig (Sopran, Alt, Tenor, Bass) gesetzt,
2 Hefte (Leipzig, Breitkopf & Härtel). 3 Weihnachtslieder, drei- und vier-
stimmig auf Melodien von Michael Haydn (Berlin, Trautwein [Bahn]). 12 Lieder
von Franz Schubert, vierstimmig für Sopran, Alt, Tenor und Bass bearbeitet,
2 Hefte (Leipzig, Breitkopf & Härtel). 36 Lieder von Franz Schubert, vier-
stimmig für Sopran, Alt, Tenor und Bass bearbeitet, 8 Hefte (Leipzig, Linne-
mann [Siegel]). 29 andere Lieder von Franz Schubert für Sopran, Alt, Tenor
und Bass, auch einige fünfstimmig, sowie für mehrere Männerstimmen harren
noch der Herausgabe durch Linnemann (Siegel) in Leipzig. 6 Lieder von
B. Schumann aus dem Lieder-Album für die Jugend, vierstimmig für Sopran,
Alt, Tenor und Bass eingerichtet (Leipzig, Breitkopf & Härtel). Alle diese
Herausgaben werden mit der Zeit noch fortgesetzt. So steht u. A. noch in
Aussicht der Choral »Ein feste Burg ist unser Gott« in einer möglichst voll-
ständigen Sammlung der verschiedenen Bearbeitungen berühmter Tonsetzer des
16. und 17. Jahrhunderts. Eine ansehnliche Sammlung kirchlicher tmd
weltlicher Gesänge für Männerstimmen aus dem 16. und 17. Jahrhundert.
Unterm 29. März 1873 wurde Teschner zum königl. Professor ernannt.
Tesi-Tramontini, Vittoria, berühmte italienische Sängerin, geboren in den
letzten Jahren des 17. Jahrhunderts zu Florenz, war eine Schülerin des be-
deutenden Gesanglehrers Bedi und des Campeggi in Bologna. Hier trat sie auch
zum ersten Mal auf und zwar aus Ungeduld auf die Scene zu kommen, noch
vor vollständig beendigten Studien. Der Umfang und die seltene Schönheit
154 Tessarini — Testa.
ihrer Contraalt-Stimme jedoch verschafften ihr schon jetzt bedeutende Erfolge,
die sich bald zur enthusiastischen Bewunderung steigerten. Auf fast allen ersten
Theatern Europas sang sie nun und sammelte Lorbeern, und zwar während
eines für eine Sängerin selten langen Zeitraumes. Nach authentischen Nach-
richten sang sie am 4. November 1749, als sie bereits über fünfzig Jahre alt
war, in AVien in der Jomellischen Oper »Didone« von Metastasio und der
Dichter schrieb darüber an die Prinzessin Belmonte, dass die Tesi sich um
zwanzig Jahre verjüngt habe {La Tesi e ringiovinata di vent' anni. Metastasio,
Opere postume, Th. I, S. 334). Am Carlstheater zu Neapel war diese Sängerin
vom 4. Novbr. 1737 bis zum Ende des Carneval für die •s>Olimpiade<i von Leo
engagirt und erhielt dafür 2867 Napoleondo'r. Sie starb in Wien mit Hinter-
lassung eines ansehnlichen Vermögens 1775. Mad. Tesi hat auch Schülerinnen
gebildet, zu denen De Amicis und Teyber zu zählen sind.
Tessariui, Carlo, erster Violinist und Concertmeister von Urbino, geboren
1690 zu ßimini im Kirchenstaate, genoss wahrscheinlich den Unterricht Corelli's
zu Rom, wenigstens hat er sich diesen Meister des Violinspiels bei seinen
ersten Comjjositionen ganz zum Vorbilde genommen. Tessarini war als treff-
licher Geiger bekannt, und seine hinterlassenen Compositionen geben auch von
seiner Geschicklichkeit auf diesem Gebiete Zeugniss. Man kennt von ihm:
y>Sonate per due violini e hasso con un canone in finein (Amsterdam, Roger, Paris,
Leclerc). y>Sonate a due violinii, lib. I und II (ibid.). r>Dodici concertini a
violino principale, due violini di ripieno, violetta, Violoncello et hasso eontinuo per
oryano o cembalo« (ibid.). »Dodici sonate a violino solo, e hasso per organoa
(Paris, Venier). y^Sei divertimenti a due violini«, lib. II. y)L'Arte di nuova mo-
dulazione, ossia concerti grossi a violino principale, due violini di concerto,
due violini di ripieno, violetta, Violoncello, e hassa eontinuo per organoa (Am-
sterdam und Paris, 1762). y>Contrasto armonico ossia concerti grossi a violino
principale etc.vi (ibid.). Eine Anleitung zum Violinspiel (fast ausschliesslich
praktisch zusammengestellt aus TJebungen, Etüden und kleinen Sonaten) : ytGram-
matica di musica, divisa in due parti per imparare in poco tempo o suonar il
violino etc.v., erschien in französischer Uebersetzung Amsterdam, 1762 und
auch in englischer Sprache: siAn accurate method to attaiti tJie art of playing
the violin«.
Tessier, Karl, geboren zu Pezenas um die Mitte des 16. Jahrhunderts,
gehörte zur Kapelle Heinrich IV., Königs von Frankreich. In England, wo
er sich einige Zeit aufhielt, veröffentlichte er einige Arien und Gesänge: »Le
premier livre des chansons et airs de cour, tant en franQois qu^en Italien et gascon,
ä quatre et cinq parties« (London, Thomas Este, 1597).
Testa, Dominico, Abbe und Professor der Philosophie und Metaphysik
zu Rom, ist 1746 zu San-Vito bei Palestrina geboren und nahm in Rom einen
Lehrstuhl von 1774 — 1786 ein. Er ging hierauf nach Mailand, später nach
Paris, wo er als j)äpstlicher Nuntius angestellt wurde. Bei der Revolution ■
verlor er beinahe sein Leben und kehrte nach Mailand zurück. Nachdem er
bei einer zweiten Anwesenheit in Paris, wohin er den Papst Pius VII. be-
gleitete, eine Verbannung nach Corsica erlebte, gelangte er erst 1814 wieder
nach Rom, wo er als Prälat 1832 starb. Er gab eine akustische Abhandlung
heraus: yfDella contemporanea propagazione e percezione di diversi suoni etc.«
(Mailand, 1787, in 4"). Diese Abhandlung wurde unter dem Titel: r>De la
resonnance des corps sonores«, eingerückt in y^Becueil des pieces interessantes, con-
cern. les Antiquites, les Beaux-Arts, les Belles-Lettres et la Philos. trad. de
different langues«, Tom III (Paris, 1788, in 8°, S. 167). Die Untersuchungen
des Testa in dieser Schrift, wie es kommt, dass wir hohe und tiefe Töne zu-
gleich hören und unterscheiden können, sind philosophischer, nicht physikalischer
Natur und in schönem Stil geschrieben.
Testa, Filippo, Orgelbauer in Rom zu Anfang des 18. Jahrhunderts,
Testo il vecchio — Testamauzi. 155
baute 1721 für die dortige Peterskirche ein Positiv, welches mit Hilfe vcn
Rädei'n dahin gebracht werden kann, wohin man will.
Testo il Tecchio, stammt aus Mailand und lebte gegen 1560. Nach der
Luthomonographie soll er der älteste Mailänder Greigenbauer gewesen sein,
welcher eine Violine nach dem Muster einer Viola gebaut hat (s. Cremona von
Nieder heitmann) .
Teste, J. Aliihonse, Professor der Musik zu Paris, gab folgende Arbeiten
heraus: -aNouveau cours d'efudes musicales et de chant elementairesa (Paris, chez
l'auteur, 1844, in 8°, 96 S. und 64 Seiten Musikbeilagen). »Solfege geant ä
Vusage des cours de mtisiquea (Paris, Franke, 1849, in 8°, quatre pages) nebst
einer mechanischen Vorrichtung für die Bildung der Tonleiter und die An-
wendung der Zeichen.
Testo (ital.), der Text einer Composition.
Testore, Carlo Giuseppe, Geigenbauer aus Cremona, arbeitete von 1690
bis 1710. Er wird als Schüler des Joseph Guarnerius betrachtet, da er diesen
Meister gut copirte. Die Arbeit derselben ist höchst sauber und seine Instru-
mente gewinnen in neuerer Zeit in der Gunst der Liebhaber und steigen dem-
gemäss im Preise. Bottesini besass einen ausgezeichnet schönen Contrabass
von seiner Arbeit. Seine Zettel lauten:
Carlo Testore me fecit
Cremona del Änno 16 — .
Testore, Carlo Antonio, Geigenbauer, der in Mailand von 1700 bis 1730
arbeitete, hat nach Nicolaus Amati und auch nach Guarnerius gearbeitet, aber
gute Instrumente geliefert. Eine seiner Geigen ist vorzüglich. Er zeichnete sich:
Carlo Antonio Testore Figlio Maggiore
Del fu Carlo G-iuseppe in Contrada Largo
al segno delV Aquita Milano 17 — .
Testore, Paolo Antonio, Bruder des Vorigen, arbeitete ebenfalls als
Geigenbauer in Mailand 1710 bis 1745 nach dem Modell des Joseph Guarnerius.
Seine Instrumente sind mitunter ohne Beifchen.
Testore, Guglielmo, italienischer Componist des 16. Jahrhunderts. Man
kennt von ihm: nMadrigali a cinque voci. Libro primo« (Venezia, appresso Claudio
da Correggio et Fausta Bethamo compagni, in 4*^ obl.).
Testori, Carlo Giovanni, in Vercelli im Piemontesischen 1714 geboren,
war Lehrer des Violinspiels und Kapellmeister an der Kirche St. Eusebius in
seiner Vaterstadt, wo er 1782 starb. Die Kirchencompositionen des T. sind
unbedeutend, sein musikalisches Lehrbuch, aus drei Abtheilungen bestehend, das
einzige eines italienischen Autors, welcher das System Rameau's angenommen,
sei angeführt: »ia musica ragionata espressa famigliarmente in dodici passegiate
a dialogo; opera per cui si giungera piii presto, e con soddisfazione dagli studiosi
giovani alV acquisto del vero contrappuntov. (Vercelli, presso G. Panialis, 1767,
in 4°, 151 S., 22 Platten). nPrimi rudimenti della musica e supplemento alla
musica ragionata in sette passegiate, libro secondoa (ibid. 1771, in 4", 70 S. und
sechs Platten), n Supplemento alla musica ragionata, passegiate sei, libro terzoa
(ibid. 1773, in 4**, 42 S., 8 Platten). rtJJarte di scrivere a otto reali, e supple-
mento alla musica ragionata, libro quartoa (ibid. 1782, in 4*^, 60 S., 29 Platten).
Testudo (lat.) = Schildkröte, ist zugleich der lateinische Name für Laute,
andeutend, dass die Schildkrötenschalen zweifellos die ersten Eesonanzköi-per für
die Cyther lieferten, der dann noch aus anderm Material nachgebildet wurde.
Tetamanzi, P. Francesco Fabriccio, Franziskanermönch, war 1650 in
Mailand geboren und verbrachte in dem Kloster daselbst, in welchem er seine
Gelübde ablegte, sein Leben. Er gab eine Abhandlung über den Gregoriani-
schen Kirchengesang heraus : i>Breve metodo per apprendere fondatamente e con
facilitä il canto fermo, diviso in tre libri etc.i (Milano, 1686, in 4", 149 S.,
156 TetracKord — Tewkesbury.
zweite Auflage ebenda bei Angelli, 1726, in 4°, eine dritte 1756, in 4", bei
Galeazzi.
Tetrachord, Viersaiter, die Folge von vier Tönen im Umfange einer
Quart, welche als Grundlage für die Bildung der Tonleitern und Tonarten der
Griechen dienten. Sie theilten darnach ihr ganzes Tonsystem in bestimmte
Abschnitte und gewannen durch die verschiedene Zusammensetzung derselben
verschiedene Klanggeschlechter, Octavengattungen, wie das in den Artikeln
Griechische Musik und System bereits erörtert ist. Im Artikel System
ist ferner noch nachgewiesen, dass auch für das System der Kirchentonarten,
wie für das moderne Tonsystem, obgleich beide die Octavengattungen der Praxis
zu Grunde legen, die Bedeutung der Tetrachorde nicht verringert wurde, indem
diese die Tonleiter gliedern und damit erst die Möglichkeit gewähren, gegliederte
Kunstwerke auf ihr zu erbauen.
Tetracomos, ein dem Herakles zu Ehren gesungener griechischer Nomos.
Tetradiapason, die vierfache Octave.
Tetraphouia, die Quart, auch ein mehrstimmiger Satz.
Tetrardos Tonus, der vierte Kirchenton: g—a—h — c—d—e—f—g
authentisch (s. Tonart),
Tetratonon, ein Intervall aus vier Ganztönen, die übermässige Quinte
(Quinta superflua).
Te-tschung, ein Glockenspiel der Chinesen (s. d. Lexikon, Bd. II, S. 401).
Teufelssonate, franz. Sonate oder Le Trille du Diable, das bekannteste
Werk von Tartini (s. d.), über dessen Entstehung erzählt wird, dass dem be-
rühmten Geiger, als er im Kloster Assisi lebte. Nachts im Traume der Gott-
seibeiuns leibhaftig erschienen sei, mit dem der Geiger einen Pakt abgeschlossen
haben sollte. Der Teufel habe die Kunst Tartini's verhöhnt und nachdem er
dessen Geige ergriffen, eine so wunderbar schöne Sonate gespielt, dass auch der
kühnste Plug der Phantasie sie nicht hatte erfinden können. »Ich war so hin-
gerissen, entzückt, bezaubert«, erzählte Tartini späterhin, »dass mir der Athem
stockte und als ich erwachte, grifi' ich nach meiner Violine, um wenigstens einen
Theil der im Traume gehörten Töne festzuhalten. Umsonst! Das was ich
davon niederzuschreiben vermochte, ist zwar das Beste, was ich in meinem
Leben gemacht habe, aber der Abstand zwischen der daraus entstandenen
»Teufelssonatea und ihrem Vorbilde ist so gross, dass ich mein Instrument zer-
brochen und der Musik auf immer entsagt haben würde, wenn es mir möglich
gewesen wäre, mich des Genusses, den sie mir gewährten, zu berauben.« Tar-
tini selbst liebte diese Sonate so, dass sie in seinem Zimmer an der "Wand der
Thür gegenüber hing. Die Sonate ist in vielen Ausgaben veröffentlicht und
ist auch heut noch ein, von den Geigenvirtuosen gern gespieltes Concertstück.
Teufelsstinime oder Luftmusik auf Ceylon, heisst jenes eigenthümliche
Phänomen, das von mehreren Reisenden dort und in den benachbarten Gegen-
den beobachtet worden ist. Sie vernahmen Töne einer tiefen klagenden Men-
schenstimme, die eine so mächtige Wirkung auf das Gemüth hervorbrachten,
dass die ruhigsten und verständigsten Beobachter sich eines tiefen Entsetzens
nicht erwehren konnten.
Tevo, P. Zacharias, Franziskanermönch, geboren zu Piove di Sacco im
Paduanischen Gebiet am 16. März 1651, lebte in Venedig in einem Franzis-
kanerkloster in den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts. Er veröffentlichte
ein Buch über Musik, welches er nll Musico Testorev. (Venezia, 1706, appresso
Ant. Bortoloni, ein Band in 4", 336 S.) nannte, und welches seinem Titel ge-
mäss in vier Theilen, aus vielerlei zur Musik gehörigem Stoff zusammengewoben
ist. In den vier Abtheilungen ist von der Natur der Musik, von der Stimme,
vom Gehör, von der Notenschrift, der Solmisation und den Formen des Contra-
punktes und vielem anderen die Rede.
Tewkesbury, John de, einer der ältesten englischen Musikschriftsteller,
wahrscheinlich nach seinem Geburtsort Tewkesbury, einer Stadt in der Graf-
I
Text. 157
Schaft Glocester, so genannt, lebte in Oxford. Ein Manuscript, welches sich
auf der Bibliothek befindet, enthält eine Abhandlung: y^Quatuor principalia artis
muslcaea und ist von verschiedenen englischen Historikern verschiedenen Schrift-
stellern zugeschrieben worden. Petis {■a'BiograpMe universelle des musiciensa,
Tome VIII, pag. 206) theilt mit, dass sich auf dem Manuscript (hinter dem
Inhaltsverzeichnisö) eine Notiz befindet, nach welcher John de Tewkesbury
dasselbe seinen Mönchen im Kloster zu Oxford 1388 vorgelegt.
Text heisst das sprachliche Element des Gesanges. In den sogenannten
Vocalisen und Solfeggien (s.d.), den Gesangstücken ohne "Woi'te fehlt dies
und diese sind deshalb auch im Grunde nicht als Kunstformen im höhern Sinne
zu betrachten, die einen bestimmten Inhalt darstellen sollen. Diese Vocalisen
und Solfeggien verfolgen keinen wesentlichen Kunstzweck, sondern sind nur
Studien. Die wortlosen Tonstücke für Gesang, wie das Lied mit Begleitung
von Brummstimmen, aber sind ohne Werth. Dem Gesänge, eines äusseren
Effekts willen, das Wort entziehen, heisst ihn herabwürdigen, seine künstlerische
Gestaltung rohmaterialistischen Experimenten opfern. Dies gilt natürlich auch
von jenen, nur aus Brummstimmen zusammengesetzten Chören, wie sie von
Operncomponisten (Meyerbeer und Spontini) angewendet wurden. Die
Sprache ist nach ihrer sinnlichen Erscheinung betrachtet, ebenso wie der Ge-
sang, Erzeugniss des Stimmapparats und Ton und Klang sind beiden gemeinsam.
Beim Gesänge lässt das Organ den Ton frei ausschallen, während er bei der
Sprache durch die andern Organe, Zähne, Gaumen oder Lippen gehemmt und
begrenzt wird. Dadurch wird der Ton zum Laut, der nichts weiter ist, als
eine Hemmungsform des Tons. Je weniger diese als solche auftritt, desto klang-
voller ist der Laut. Hiernach sind diese in Selbstlaute (Vocale), Doppel-
laute (Diphthonge) und Mitlaute (Consonanten) geschieden. Bei den Vo-
calen a, e, i, o und u ist der Ton weniger gehemmt, als bei den Consonanten,
weshalb sie auch eine dem Gesänge näher verwandte Wirkung erzielen, und
zwar »a«, als der am wenigsten gehemmte, die grösste ; er ist daher auch Wurzel
und Stamm aller gebildeten Sprachen und der erste Laut der Kinder. Ihm
folgen dann »e« und >n'« und in »m« und »o« wird der Klang durch veränderte
Mundstellung am meisten getrübt. Auch dies Verhältniss des Sprachtons zum
Gesangton muss bei der Erfindung der Vocalmelodie berücksichtigt werden.
Auf den weniger klangvollen Vocalen, wie »i«, »<?« und »m« macht die Ex-zeugung
der nicht so leicht ansprechenden Töne natürlich noch grössere Schwierigkeiten,
als auf dem Vocal »a«. Nun ist es zwar Aufgabe des Sängers, dieselben zu
überwinden, allein trotzdem ist es nicht weniger geboten, bei der Erfin-
dung der Melodie darauf bedacht zu sein, dass der Sprach- und Gesangton sich
leicht und innig verschmelzen lassen, weil nur in dieser innigen Verschmelzung
die höchste künstlerische Wirkung erreicht wird. Namentlich bei Stellen, welche
beim Vortrag besonders ausgezeichnet werden sollen, wächst die Nothwendigkeit
der Beobachtung dieser, durch die Natur gegebenen Verhältnisse.
Für die formelle Gestaltung direkt einflussreich, zum Theil entscheidend,
wird der Text und seine metrische Eorm beim Liede und der Ballade, der
Arie und den verwandten Formen. Die dichterische Form des Liedes
ist eine durchaus streng geschlossene metrisch geregelte und fest gegliederte
Strophe und dies strophische Versgefüge muss musikalisch genau nachgebildet
werden. Es genügt hierbei nicht, dass die Verse gut declamirt werden, sondern
sie müssen zugleich zur Verszeile auch musikalisch zusammengefügt und diese
Verszeilen dann unter sich zur Strophe verknüpft werden. Die entsprechende
Declamation erst macht eine Melodie zur Vocalmelodie, Die Instrumental-
melodie hat nur die allgemeinen Gesetze künstlerischer Gestaltung zu berück-
sichtigen, die Vocalmelodie muss daneben auch die Sprachmelodie beobachten
und erst wenn diese mit der rein musikalischen eng verbunden erscheint, ent-
steht die Vocalmelodie in vollendeter Form. Es ist hier nicht näher auf die
mancherlei Verstösse hinzuweisen, die hiergegen oft von den bedeutendsten
158 Text.
Meistern verübt worden sind. In dem Bestreben, dem Inhalt des Textes treuen
musikalischen Ausdruck zu geben, haben sie der Declamation häufig nicht die
nöthige Berücksichtigung geschenkt. Bei dem entgegengesetzten Vei'fahren,
welches nur die Declamation beachtet, kommt wiederum der Ausdruck und
seine künstlerische Form zu kurz; nur in der Verschmelzung beider, der Sprach-
melodie mit der absolut musikalischen Melodie ersteht die vollendete Vocal-
melodie. Noch weniger wie diese Forderung, wird die andere, welche das
sprachliche Yersgefüge auch durch die musikalische Darstellung respektirt wissen
will, beachtet und doch entsteht nur so die künstlerisch vollendete Form des
Liedes, dessen nothwendigste Bedingung die strenggegliederte strophische Form
ist. Die Artikel Deutsches Lied — Form u. s. w. bringen hierüber Aus-
führliches.
Auch bei der Ballade und bei der Arie wirkt die Form des Textes
bestimmend auf die Musikform, wenn auch nicht in der strengen Weise, wie
beim Liede. Bei der Ballade erfordert die Darstellung und Schilderung der
Begebenheit einen grösseren Rahmen, als in der Regel die begrenzte sprach-
liche Form gewährt, und diesen gewinnt die Musik dadurch, dass sie den In-
halt eines ganzen Versgefüges in eine einzige Gresangsphrase zusammendrängt,
die als Glrundton festgehalten wird, der nach dem Verlauf der Handlung sowohl
melodisch, wie harmonisch und rhythmisch verändert, die specielle Ausführung
der einzelnen Bilder bestimmt und wie der Refrain im Volksliede, oder wie
die Sprachmelodie der Erzählung hier die ganze Ballade durchzieht. Aehnliche
G-esichtsp unkte werden für die Arie geltend. Auch hier ist die Musik ge-
nöthigt, wenn die Dichtung strophische Gliederung angenommen hat, diese zu
erweitern, um Raum für die weiter ausgeführte musikalische Darstellung zu
gewinnen. Daher erweist sich für diese Form auch die ungebundene Rede-
weise, die Prosa, nicht weniger günstig als die gebundene. "Wenn auch das
Versgebäude bei der Arie nicht zur fesselnden Schranke zu werden braucht,
so erfordert es doch immer auch hier die nöthige Berücksichtigung, während
bei der Arie in ungebundener Form nur die Declamation zu beobachten ist
und im Uebrigen der Musikform grössere Freiheit gestattet. Den entscheidensten
Einfluss gewinnen die Textesworte selbstverständlich beim Recitativ, welchem
die Declamation derselben Hauptaufgabe ist (s. d.).
Da der Text für die Vocalmusik somit von entscheidender Bedeutung
wird, so muss er selbstverständlich überall so behandelt werden, dass man
ihn gut versteht. Daraus entspringen einige sehr bedeutsame Vorschriften für
den Componisten. Die grammatikalischen und logischen Gesetze der Sprache
müssen auch bei der musikalischen Behandlung beobachtet werden, so dass
nicht zusammengehörige Wörter und Sätze beim Gesänge zerrissen werden.
Der Satz- und Periodenbau verlangt die gleiche Berücksichtigung, wie die
Declamation, und Verstösse gegen jene sind noch folgenschwerer, als die
Vernachlässigung der Declamation, Schwierig wird es die Verständlichkeit
der Wörter zu erreichen beim mehrstimmigen Gesänge, wenn dieser nicht
homophon, sondern vorwiegend polyphon, mit möglichst selbständigen Stim-
men ausgeführt ist. Dann werden die einzelnen Stimmen oft gezwungen sein,
verschiedene Wörter zu gleicher Zeit auszusprechen, was natürlich hindert, den
Text deutlich zu verstehen. Es ist dies am Chorliede am bedenklichsten.
Die andern Chorformen haben meist Texte in ungebundener Redeweise und
gestatten und erfordern die Wiederholung einzelner Worte und Sätze, so dass
die Möglichkeit geboten wird, auch bei der complicirtesten polyphonen Schreib-
weise doch den Text verständlich zu machen. Die strophische Form des Liedes,
die auch gewahrt werden muss, lässt dies nicht in gleichem Maasse zu und
deshalb ist es schwieriger, bei einer selbständigen Stimmführung auch hier
Verständlichkeit des Textes zu erzielen. In dem Schluss des Mendelssohn'schen
Chorliedes: »Andenken« (op. 100, No. 1):
Text.
159
A
<i
^ö^:
^^3^
i-:ir:
li-ü
N:
rjt==j:
^^J^
dass auch der Trühling sein gedacht.
^ö£^:^
--i^~
dass
auch
der
:|t=:1-
:^:
Frühling sein ge - dacht.
o glücklich, wer noch singt und lacht, dass auch der Frühling sein ge - dacht.
m
=t
dass auch der Frühling sein ge - dacht,
lassen Alt und Bass nicht einmal die vom Tenor gesungene Zeile zu Ende
singen, sondern bringen vorher schon die Schlusszeile, so dass verschiedene
"Worte gleichzeitig gesprochen werden, allein beide Zeilen sind vorher ganz
verständlich declamirt worden, so dass sie auch bei der Wiederkehr am Schluss
nicht unverständlich bleiben. Zudem sind gerade solche Stellen so ausserordent-
lich reizvoll, dass man selbst solche Textvermischungen hier gern in Kauf
nimmt, wenn dadurch die Stimmung entschiedener musikalischen Ausdruck ge-
winnt. Freilich wollen solche Stellen vorsichtiger behandelt werden, als alles
Andere. Man wird namentlich auf die Oberstimme zu achten haben; weil sie
sich immer am leichtesten Geltung verschafft und am meisten verständlich wird,
so wird man namentlich bei ihr auf eine präcise und verständliche Declamation
des Textes bedacht sein müssen und dann bei Stellen, bei denen die anderen
Stimmen auch heraustretende Selbständigkeit gewinnen, die Praxis der alten
Contrapunktisten möglichst zu beobachten suchen. Um solchen Text- und
Worthäufungen durch die einzelnen Stimmen vorzubeugen, führten sie längere
oder kürzere Melismen in einer oder der andern Stimme ein, um die einzelnen
ungehindert den Text sprechen zu lassen. Namentlich wandten sie dies Ver-
fahren in weitgreifendster Weise bei der Fuge und dem Canon an. Hat die
anfangende Stimme das Thema vollständig ausgesungen, und tritt die zweite
mit der Eisposta oder dem Gefährten hinzu, so sang jene Stimme nicht auch
Text weiter, sondern führte auf dem Vocal der letzten oder vorletzten Silbe
ein Melisma aus, um den Eintritt der Eisposta und die Declamation des Textes
nicht zu hindern:
Cantus.
Estffi:
:4i
--^-z
:iz:=i=:j:=rl:
^t
•— ä=-
Pa-trem o - mni po - ten
Tenor. Pa
trem
^=^
se
tem,
mni po - ten
-^ pa-
_j____j__^.
Ef=&1
und dies Verfahren wurde ziemlich consequent bei den Meistern durchgeführt.
Auch in den nicht fugirten und canonisch behandelten Sätzen finden wir es
in Anwendung, wenn es darauf ankommt, eine Stimme mit den Textesworten
besonders hervortreten zu lassen. Dabei gewannen natürlich solche Sätze
ausserordentlich an Klangfülle und Glanz, und es ist gewiss nicht zum Vortheil
der Kunst unserer Tage, dass sie in etwas nüchterner Anschauung des Textes
und seiner Bedeutung für das Kunstwerk diese reichere melismatische Aus-
schmückung in einzelnen Stimmen vernachlässigt. In dem einseitigen Streben
nach Declamation hat die moderne Vocalmusik auch dies oben erwähnte Mittel
zu einer mehr ungehemmten Textwiedergabe zu gelangen, indem eine oder
einige Stimmen gar nicht declamiren, sondern nur singen, aufgegeben, sie ver-
1 60 TextwiederKolung — Textor.
sucht in allen Stimmen zu declamiren, und gelangt bei polyphoner Führung zu
"Worthäufungen, die dann ganz unverständlich werden. Jedenfalls ist jene
Praxis der Alten vorzuziehen. Die gleiche unhaltbare Basis hat auch die in
der neuern Musikentwickelung geltend gewordene Opposition gegen die
Textwiederholung:. Diese ist unter gewissen Umständen absolut geboten.
G-rössere, namentlich chorische Werke erfordern einen möglichst prägnanten
Text, der ohne grossen Wortreichthum den Inhalt in knappster sprachlicher
Form zum Ausdruck bringt. Indem dann die Musik diesen in erweiterter
Weise zu gestalten sucht, wird sie nothwendig darauf geführt, einzelne Wörter
und Sätze zu wiederholen, um den entsprechenden Rahmen zu gewinnen.
Hierauf wurde schon der gestaltende und bildende Instinkt des Yolksgemüths
geführt. Dieser erweitert nicht selten schon die sprachliche Darstellung durch
Wiederholung von einzelnen Wörtern oder Sätzen oder durch Einschiebung
zusammenhangsloser Silben, um einen grössern Raum für den gesanglichen
Ausdruck zu gewinnen und dieser Anleitung sind selbst unsere besten Dichter
gefolgt, ohne ein direktes musikalisches Bedürfniss dabei zu empfinden. "Wir
finden bei ihnen Textwiederholungen und häufig die Einführung des Refrains,
dementsprechend kann selbst im Liede schon der Tondichter recht wohl ver-
anlasst sein, in bestimmten Fällen, wenn ihm der sprachliche Satzbau nicht
genug Raum bietet für die musikalische Entfaltung, diesen zu erweitern, indem
er einzelne passende Wörter oder Sätze wiederholt. Dass das leicht zum Unfug
werden kann, ist gewiss, aber dadurch wird nicht die zeitweise Nothwendigkeit
aufgehoben. Gewiss können solche unzweckmässige Textwiederholungen,
namentlich in der dramatischen Musik unbeabsichtigt komisch wii'ken; wenn
der Held statt rasch zu handeln, nur wiederholt die Absicht ausspricht, etwas
thun zu wollen; wenn anstatt wirklich zu kämpfen die feindlichen Parteien nur
fortwährend mit heftigen Worten einander drohend gegenüberstehen u. dergl.,
so ist das gewiss verfehlt und zu missbilligen, aber die Textwiederholungen
überhaupt sind damit noch nicht als unzulässig hingestellt. Beim Gesänge soll
ja nicht nur der Text declamirt, sondern es soll zugleich dessen absolut musi-
kalischer Gehalt dargelegt werden, und diese Darstellung erfordert nicht selten
einen breitern Raum, als der Text gewährt, der dann nur durch Wiederholungen
desselben gewonnen werden kann.
Nur das Recitativ begnügt sich mit seinem Wortvorrath und dieser ist
deshalb meist auch ein reichei'. Eine ganze Reihe chorischer Texte aber
sind ohne Textwiederholung gar nicht zu behandeln. Das yyÄUelujaa, »Kyrie
eleisonvi, »Osannaa und noch manche andere derartige, für Chorweise fast aus-
schliesslich geeignete Gesänge, gehören selbstverständlich hierzu. Weiterhin
giebt die Bibel eine ganze Reihe trefflicher Chortexte, und zwar namentlich in
den kui'zen sentenzenhaften Parallelzeilen ihrer Yerse, die dann wiederum so
lange wiederholt werden müssen, bis sie den nöthigen Raum geben für die er-
schöpfende musikalische Darstellung. Das gilt aber auch für die Arie und die
verwandten Formen. Auch für sie sind die prägnantesten Texte die ent-
sprechendsten, die dann wieder in der angegebenen Weise zu erweitern sind
und wenn das sinngemäss geschieht, dann ist das Verfahren vollständig gerecht-
fertigt und kann künstlerisch hochbedeutsam werden, wie aus den zahlreichen
Beispielen unserer Meister nachzuweisen ist. Es erscheint durchaus nicht stich-
haltig, selbst bei den Formen der dramatischen Musik aus dem Grunde nur
die einfache Declamation zu verlangen, weil man bei der gewöhnlichen sprach-
lichen Recitation solche Wiederholungen vermeidet. Wenn die Musik hinzu
kommt, wird eben eine höhere, als die nur realistische Wahrheit ange-
strebt und diese rechtfertigt und erfordert dann auch die abweichende Be-
handlung.
Textor, Abel, gab ein Werk heraus, von welchem eine Ausgabe von 1620
bekannt ist: «Doli/etta musicale, delle Canzonette, Vilanelle et Arie Neapolitana,
de diversi excell. Musici, ä 3 voci. Novamente poste in lucea (Frankfurt, 1620, in 4*^).
Textor — Tilade waldt. 161
Textor, Gruglielmi, Componist des 16. Jahrhunderts. Man hat von ihm:
nMadrigali a 5 vocia (Venedig, 1566, in 4°).
Textor, Joannes, auch Ravisius genannt, war französischer Philolog
und geboren zu Nevers. Er lehrte zu Paris und starb daselbst 1524. Er gab
heraus: -oTheatrum poeticum et historicum, sive Officinaa (Basel 1592, in 4°),
die Musik betreffendes Cap. 34 bis 39 (Fork. Lit., S. 72).
Teyber, Anton, s. Tayber.
Teyber, Franz, s. Tayber.
Teyber, Elisabeth, auch Teuberin, von Forkel Taeuberin genannt,
war eine bedeutende Sängerin, Schülerin der Tesi (s. d.) und des Componisten
Hasse, und in "Wien ungefähr 1748 geboren. Ihr erstes Engagement erhielt
sie an der Fürstlich Esterhazyschen Kapelle, wo sie durch die Eathschläge
J. Haydn's sich noch ungemein vei'vollkommnete. Sie sang 1769 in Neapel
und ging dann nach Petersburg, hier aber war sie durch ungünstige klimatische
Verhältnisse in Gefahr ihre Stimme zu verlieren, die sich aber durch Ruhe
und das milde Klima Italiens, wohin sie zurückkehrte, vollständig wiederfand,
so dass sie auf den dortigen Theatern noch glänzte.
Teyber, Franz, Componist zu Wien, componirte unter anderm die Oper
»Alexander«, Text von Schikaneder, mit welcher am 13. Juni 1801 zu Wien
das Schikaneder'sche Theater eröffnet wurde.
Teyliu, s. Telyn,
Thabet oder Thabit, ben Corrah, ben Haroun, ein berühmter ara-
bischer Philosoph, Mathematiker und Arzt, welcher zu Harran in Mesopotamien
nach der christlichen Zeitrechnung 835 geboren und 900 gestorben ist. Er
war ein Schüler von Kindi (s. d.), sehr sprachkundig und gehörte zur Sekte
der Sadducäer. Zu der sehr grossen Zahl seiner Schriften gehören dreie über
Musik, die Manuscripte derselben besitzt die Bibliothek des Escurial zu Madrid.
Das erste heisst: »Das grosse Buch von der Musik, in zwei Gesprächen«; das
zweite führt den Titel: »Das kleine Buch von der Musik, in fünfzehn Artikeln«;
das dritte: »Einführung in die Musikwissenschaft«.
Thadeivaldt, Hermann, Kapellmeister und Präsident des Allgemeinen
deutschen Musiker- Verbandes, geboren am 8. April 1827 zu Bodenhagen in
Pommern, bekleidete in den Jahren 1850 bis 1851 die Stelle eines Blilitär-
kapellmeisters in Düsseldorf und war von 1853 bis 1855 Direktor der Kur-
kapelle in Dieppe (Normandie). Von 1857 bis 1869 unterhielt er eine eigene
Kapelle in Berlin und im Jahre 1871 leitete er die Concerte im zoologischen
Garten daselbst mit der aus 70 Mitgliedern bestehende Kapelle. Im Jahre 1869
begründete Th. im Verein mit einigen CoUegen den »Verein Berliner
Musiker« und im Jahre 1872 den »Allgemeinen deutschen Musiker-
Verband«, dessen Zweck ist: Hebung und Sicherung der geistigen und mate-
riellen Interessen und dadurch der gesellschaftlichen Stellung des Musiker-
standes. Der deutsche Musikerverband ist seitdem bis auf ca. 8000 Mitglieder
herangewachsen, die sich auf einige 90 Lokalvereine vertheilen, wovon ein
Drittel dem Auslande, als: Eussland, England, Amerika, Holland, Schweden,
Dänemai'k, Schweiz, Italien, Frankreich etc. angehören. Im Jahre 1873 be-
gründete der Verband unter Thadewaldt's Leitung eine Pensionskasse für die
Mitglieder des Verbandes, welche 1875 staatlich genehmigt wurde. Die Pen-
sionskasse zählt ca. 4000 Mitglieder und besitzt nach vierjährigem Bestehen
(die ersten Einzahlungen begannen am 1. Januar 1874) ein Baarvermögen von
400,000 Eeichsmark. Die Kasse gewährt ihren Mitgliedern Alters- und Inva-
lidenpensionen. Die 10 jährige Mitgliedschaft berechtigt zur Invalidenpension,
das 60. Lebensjahr zur Alterspension bei 10 jähriger Mitgliedschaft. Die Kasse
wird verwaltet durch ein Direktorium von drei Mitgliedern und einen Ver-
waltungsrath von neun Mitgliedern. Das Direktorium bilden: Thadewaldt
(Direktor), Kopsch (Rendant), Friese (Sekretär). Ausserdem besitzt der Ver-
band ein eigenes Organ »Die deutsche Musikerzeitung«, dessen Herausgeber
Musikal. Convers.-Leiikon. X ^^
162 Thalberg.
Thadewaldt ist. Die Zeitung hat einen so bedeutenden Aufschwung genommen,
dass sie einen jährlichen Reingewinn von ca. 12,000 Reichsmark abwirft, welche
Summe der Pensionskasse und der Unterstützungskasse des Verbandes zufliesst.
Begründet wurde die Zeitung vom Verein Berliner Musiker und erscheint seit
1. April 1870; Verbandsorgan ist dieselbe seit 1874, Zur Vereinfachung der
umfangreichen Geschäfte wurde von dem Präsidium des Verbandes ein Central-
Bureau errichtet, wohin die Eendantur der Pensionskasse und des Verbandes,
die Redaktion und Expedition der deutschen Musikerzeitung, so wie das seit
Januar 1878 neu errichtete Stellenvermittelungs-Bureau für Verbandsmitglieder
verlegt wurden. Das Centralbureau steht unter Thadewaldt's Leitung. Da Th.
seit Bestehen des Verbandes demselben seine ganzen Kräfte ausschliesslich ge-
widmet, so sprach die Delegirten- Versammlung des Verbandes in Hamburg (1874)
demselben in Anerkennung seiner Verdienste um die Förderung der Interessen
des Verbandes eine Remuneration von 3000 Reichsmark zu, welche Summe
ihm von den nachfolgenden Delegirten-Versammlungen alljährlich wieder zuge-
sprochen worden ist.
Thalberg, Sigismund, Claviervirtuos und Componist für sein Instrument,
ist am 7. Januar 1812 zu Grenf geboren, als natürlicher Sohn des Fürsten
Dietrichstein und einer Baronin von W. Nachdem er seine ersten Lebensjahre
unter der Leitung seiner Mutter verbracht, einer geistreichen und hochgebildeten
Frau, kam er noch im Knabenalter nach Wien, um hier, behufs Ausbildung
seines musikalischen Talentes den Unterricht Sechter's und Hummel's zu ge-
niessen; doch scheinen die beiden Meister keinen erheblichen Einfluss auf seine
künstlerische Entwickelung ausgeübt zu haben, da er selbst als seinen einzigen
Ciavierlehrer den ersten Fagottisten des Wiener Hof- Opernorchesters bezeichnet
hat. Es möge dahingestellt sein, ob T., wie einige seiner Biographen berichten,
ausserordentliche Anstrengungen zur Erreichung seines künstlerischen Zieles
gemacht hat, oder ob er die technischen Schwierigkeiten seines Berufes mühe-
los überwand, wie er selbst behauptete, so viel ist sicher, dass sich sein Talent
schon früh offenbarte, denn er hatte noch nicht das fünfzehnte Jahr zurückgelegt,
als es ihm schon gelang, in den Salons und Concerten die Aufmerksamkeit der
AViener Kunstfreunde auf sich zu lenken. Im Alter von sechzehn Jahren ver-
öffentlichte er seine ersten Compositionen y>Melange sur les themes d'^icri/anthe«,
op. 1 ; »Phantasie über eine schottische Nationalmelodie«, op. 2 und Impromptu
über Motive aus der »Belagerung von Corinth«, op. 3 (Wien, 1828), Arbeiten,
deren Werth er selbst zwar später gering schätzte, die jedoch schon eine An-
deutung des Stils enthalten, welcher in seinen späteren Werken zur Ausbildung
kam. Zwei Jahre danach unternahm er eine erste Concertreise durch Deutsch-
land, woselbst ihm von Seiten des Publikums wie der Presse schon jetzt laute
Anerkennung zu Theil wurde, dem Componisten sowohl wie dem Virtuosen,
wenngleich das für diese Grelegenheit geschriebene Clavierconcert, op. 5, nicht
die Eigenschaften zeigt, welche seinen, einer späteren Entwickelungszeit ange-
hörigen Phantasien über Opernmotive eine so ausserordentliche Beliebtheit ver-
schafften; man sieht vielmehr bei genauerer Bekanntschaft, dass diese Musik-
gattung seinem Wesen nicht entsprach, dass der Zwang der klassischen Formen,
wie auch die Mitwirkung des Orchesters auf seine Erfindung einen lähmenden
Einfluss ausübten. Ihm selbst konnte es bald nicht mehr zweifelhaft sein, dass
der von den Meistern des klassischen Clavierspiels gebahnte Weg nicht der-
jenige sei, welchen er zu verfolgen habe, dass vielmehr seine eigentliche Auf-
gabe in der Ausbildung des virtuosen Elements liege.
Zu jener Zeit hatte sich, wie Fetis in seiner ^Biographie universelle des
musiciensa (Band VIII, p. 207) bemerkt, die alte Clavierspieler-Schule in zwei
Richtungen getheilt, deren eine, mit Clementi an der Spitze, das glänzende,
effektvolle Spiel cultivirte, während die andere, durch Mozart und Beethoven
vertreten, tiefe Gedanken und harmonische Mannichfaltigkeit zum Ausdruck
brachte. Weitere Unterabtheilungen suchten das Charakterische jener beiden
Thalberg. 163
Richtungen zu vereinigen; Dussek und Kalkbrenner, obwohl in erster Linie
das Virtuosenthum vertretend, folgten dabei doch, von ihrem nationalen Em-
pfinden geleitet, den klassischen Vorbildern; andrerseits unterliessen Hummel
und später Moscheies, als Vertreter der klassischen Schule, nicht, ihr Spiel
und ihre Compositionen glanzvoller auszustatten, als es Mozart und Beethoven
gethan. Aber bei allen diesen Meistern erscheinen die Hauptbestandtheile der
Ciaviermusik, der melodische und harmonische Inhalt auf der einen, das Pas-
sagenwesen auf der andern Seite noch unverschmolzen, gleichsam für sich
gruppirt und sich einander in bestimmter Ordnung ablösend, jedoch so, dass
das letztere Element sich stets dem ersteren unterordnet. Erst gegen 1830
ändert sich dieses Verhältniss: der Virtuose erhebt sich über den Musiker;
das Bedürfniss, durch Greläufigkeit der Finger zu glänzen, durch technische
Kunstfertigkeit die Hörer zu überraschen und zur Bewunderung hinzureissen,
führt dahin, sowohl Form wie Inhalt als eine Nebensache zu behandeln. Um
dies zu erreichen mussten der Technik des Ciavierspiels neue Wege eröffnet
werden, vor allem musste man das Grebiet der Tonleiter verlassen, aus welchem
das bisherige Passagenwesen hervorgewachsen war. Unter diesen Zeitumständen
konnte T. auf die Idee kommen, in seiner Musik die Melodie mit dem Passagen-
werk derart zu verbinden, dass letzteres als Begleitung auftrat, meist in Form
von Arpeggien, deren mannichfaltige Umstellungen ebenso sehr in Erstaunen
setzten, wie der mächtige Ton, den er, hauptsächlich mittelst geschickter Be-
nutzung des Pedals, beim Vortrag der Melodie seinem Instrumente zu entlocken
wusste. Der Erfolg seiner stilistischen Neuerung war um so grösser, als die
Schwierigkeiten der Ausführung keineswegs unüberwindlich waren, wie es An-
fangs dem Publikum und selbst den Pianisten von Fach geschienen hatte. Bei
näherer Kenntnissnahme konnte man sich überzeugen, dass auch Spieler von
massiger Fingerfertigkeit die Thalberg'schen Compositionen bewältigen konnten
und indem die Mittel, durch welche er selbst einen so ausserordentlichen Ein-
druck hervorgebracht, bald Gemeingut wurden, musste die Begeisterung für
den von ihm geschaffenen Ciavierstil in verhältnissmässig kurzer Zeit wieder
erkalten. Dazu kam noch, dass T. weder Neigung noch Fähigkeit hatte, die
engen Grenzen, welche er sich gezogen, zu überschreiten; und wenn auch
Kritik und Publikum die Bereicherung keineswegs unterschätzte, die das Ciavier-
spiel ihm zu danken hatte, so konnte die Theilnahme doch nicht die gleiche
bleiben, nachdem man inne geworden, dass der durch ihn bewii'kte technische
Fortschritt nicht wie z. B. bei Liszt höheren, künstlerischen Zielen entgeg§n-
führte, sondern nur dem äijsserlichen, sinnlichen Effekte diente. Die Hoffnung
der ernsteren Kunstfreunde, es werde bei T. mehr und mehr der Musiker den
Virtuosen überwinden, sollte sich auch im weiteren Verlauf seines Lebens nicht
erfüllen; es hat wohl niemals einen Künstler gegeben, der sich so wenig mit
den Werken anderer Meister beschäftigt hätte, der so ausschliesslich von der
eigenen Persönlichkeit erfüllt gewesen wäre, als er.
Der ungeheure Erfolg, welchen Thalberg bei seinem ersten Auftreten in
Paris (1835) errang, wiederholte sich auf seinen Kunstreisen durch Belgien,
Holland, England und ßussland, welche die folgenden Jahre ausfüllten. Nach-
dem er in letzterem Lande während des Jahres 1839 eine besonders reiche
Ernte an Gold und Ehren gehalten, zog er sich für einige Zeit von der Oeffent-
lichkeit zurück, um sich der dramatischen Composition zu widmen; seine damals
geschriebene Oper »Florinda«, zu welcher ihm Scribe den Text geliefert hatte,
gelangte 1851 in London am italienischen Theater zur Aufführung, verschwand
jedoch, ungeachtet der Mitwirkung von Künstlern erster Grösse, wie Sophie
Cruvelli, Calzolari, Lablache, Sims Beeves und Coletti, alsbald wieder vom
Repertoire. Der Mangel an dramatischer Wirksamkeit in der Musik dieser
Oper zeigt sich auch in einer zweiten mOhristina di Sueziaa, welche in Italien
aufgeführt wurde, aber ebenso spurlos vorüberging, wie jene erstere. Im Jahre
1855 ging T. nach Brasilien, wo er fast ein Jahr verweilte; eine noch längere
11*
164 Thaletas.
Reise unternaliin er im folgenden Jahre nach den vereinigten Staaten von
Nordamerika, um nach einer grossen Zahl dort veranstalteter Concerte mit
reicher materieller Ausbeute zurückzukehren. Bald darauf, im Sommer 1858
zog er sich nach Neapel auf seine dortigen ländlichen Besitzungen zurück und
ergab sich an der Seite seiner Gattin, einer Tochter des Sängers Lablache,
dem beschaulichen Leben. Noch einmal unterbrach er dasselbe, um 1862 in
Paris und London mit dem gleichen Erfolg wie früher zu concertiren, auch (1863)
eine zweite Reise nach Brasilien zu unternehmen. Dann bezog er aufs Neue seine
Villa bei Neapel und blieb dort bis zu seinem Tode, am 26. April 1871.
T. hat ausser den genannten noch folgende Werke veröffentlicht: y>Souvenirs
de Viennea, zwölf Walzer-Capricen, op. 4. Phantasie über Motive aus »Robert
der Teufel«, op. 6. Divertissement in F-moU, op. 7. Phantasie über T>La stra-
niera«, op. 9. Phantasie und Variationen über »J Montecchi ed i Gapuleti«,
op. 10. Norma-Phantasie, op. 12. Don Juan-Phantasie, op. 14. Zwölf Capricen,
op. 15. Zwei Nocturnen, op. 16. Variationen über russische Lieder, op. 17.
Divertissement über Rossini's y>Soirees musicalesa, op. 18. Zweite Caprice, op. 19.
Hugenotten - Phantasie, op. 20. Drei Nocturnen, op. 21. y>Grande Fantaisie«,
op. 22. Zwölf Etüden, op. 26. Phantasie über y^God save the queen<s. und y>Rule
Britannia<i, op. 27. Nocturne in E-dur, op. 28. Scherzo, op. 31. Andante in
Des-dur, op. 32. Moses-Phantasie, op. 33. Divertissement über Benedict's Oper
y>The Gipsys Warninga (Der Zigeunerin Warnung), op. 34. Nocturne in Fis-
dur, op. 35. »iß Cadencea, Impromptu in Eorm einer Etüde nebst anderen
Stücken, op. 36. Oberon-Phantasie, op. 37. Romanze und Etüde, op. 37. Souvenir
de Beethoven, op. 39. Donna del iayo-Phantasie, op. 40. Zwei Lieder ohne
Worte, op. 41. Don Juan -Phantasie, op. 42. Zweite Hugenotten -Phantasie,
op. 43. Variationen über das Finale aus »Lucia von Lammermoor«, op. 44.
Originalthema und Etüde, op. 45. Capricen über -»La sonnambula«, op. 46.
Grandes valses brillantes, op. 47. Caprice über Halevy's Oper »Karl VI.«, op. 48.
Beatrice di Tenda-Phantasie, op. 49. Lucrezia Borgia-Phantasie, op. 50. Se-
miramis-Phantasie, op. 51. Phantasie über die Tarantella aus »Die Stumme
von Porticia, op. 52. Sonate, op. 56. Becameron musieal, zehn vorbereitende
Etüden, op. 57. Apotheose, Phantasie über Berlioz' Triumphmarsch, op. 58.
Marche funehre variee, op. 59. Barbier von Sevilla-Phantasie, op. 63. Souvenir
de Besth, op. 65. Neun Lieder ohne Worte (ohne Opuszahl).
ThaletaS) griechischer Dichter-Componist, geboren zu Grortyna auf der Insel
Ki^ta, wirkte um 620 v. Chr. und wird von den Schx-iftstellern neben Terpander
und Arion als der verdienstvollste Förderer der altgriechischen Musik genannt.
Aus dem Umstände, dass er nach Sparta berufen ward, um der durch innere
Stürme zerrütteten Stadt mittelst seiner feierlich-erhabenen Tonkunst Friede und
Ruhe zurückzugeben, ist die anachronistische Sage entstanden, dass ihn schon
Lykurgos mit sich aus Kreta gebracht und sich seines Beistandes bei seiner
Gresetzgebung bedient habe. T. bereicherte und vervollkommnete die von Ter-
pander begründete Musik-Ordnung, indem er bei dem Cultus des Apollon
ausser dem Päan, einem ernsten, gehaltenen Preislied zu Ehren Gottes, das
lebhafte, mit Tänzen und rhythmischen Bewegungen verbundene Hyporchema
einführte und so in die grossen Religionsfeste mehr Abwechselung und Mannich-
faltigkeit brachte. Seitdem war der muntere kunstvolle Tanz, der an den
Gymnopädien, dem Feste der »nackten Knaben« unter lebhafter Musikbegleitung
aufgeführt wurde, und auf anmuthige Weise die Bewegungen des Ringkampfes
nachahmte, die Gewandtheit, die frische Lebenskraft und die heitere Lust der
Jugend recht ins Licht stellte, das Lieblingsschauspiel des spartanisches Volkes.
Auch der Pyrrhichius oder Waffentanz, der in den wildrauschenden Tanzweisen
und dem Waffengeklirre der kuretischen Priester des Zeus auf Kreta seinen
Ursprung hatte, wurde von T. ausgebildet*). Im Besonderen berichtet noch
*) Vergl. Weber, „Geschichte des griechischea Volkes", pg. 312.
Thalman — Thargelia. 165
Plutarch (de musica), indem er dem älteren Chronisten Glaukus von Rhegium
nacherzählt, dass T. die Lieder des Archilochus nachgeahmt, sie aber weiter
ausgedehnt und die kretischen Rhythmen in die Melopöie eingeführt habe,
Rhythmen, die weder Archilochus, noch Orpheus, noch Terpander angewandt,
sondern welche er dem 01ymj)us entlehnt habe ; so sei er nicht nur ein treff-
licher Componist geworden, sondern auch mit Xenodamus von Kythere, Xeno-
kritus von Lokris, Polymnastus von Kolophon und Sakadas von Argos ein
Begründer der zweiten musikalischen Katastasis (d. h. Feststellung der musi-
kalischen Kunstnormen, deren erste, wie schon oben erwähnt, auf Terpander
zurückzuführen ist). Desgleichen ist bei Plutarch (nDe musica«, XXII, 42) zu
lesen, dass T. einst die Lakedämonier, die ihn nach einem Pythischen Orakel-
spruche herbeigerufen, geheilt und Sparta von der herrschenden Pest befreit
haben soll, wobei sich der genannte Autor auf einen Bericht des Pratinas beruft.
Thalman, Blathieu, Musiker zu Antwerpen Ende des 16. Jahrhunderts.
Er schrieb: y>Missae IV sex vocuma (Antwerpen, P. Phalese, 1593).
Thamyris, griechischer Musiker vom Thrakischen Stamme, der rpythischen
Zeit angehörig, soll nach Plutarch, der in seinem Bericht (»De musica«, IV, 25)
dem Heraklides folgt, wohltönender und klangreicher gesungen haben, als alle
Sänger seiner Zeit, so dass er sich den Musen zu einem musikalischen Wett-
kampf stellen konnte; er besang bei dieser Gelegenheit den Kampf der Titanen
gegen die Götter. Dieser "Wettstreit hat späteren Schriftstellern zu allerlei
scherzhaften Einfällen Anlass gegeben; T. soll sich, für den Eall seines Sieges
die Gunst jeder der neun Musen ausbedungen haben, unterliege er aber, so
sollten sie nach Belieben mit ihm verfahren. Er verlor und musste seine Ver-
wegenheit mit dem Verluste des Augenlichts, sowie seiner Fähigkeit auf der
Kithara zu spielen, bezahlen. Homer besingt diesen Vorfall in folgenden Versen
der nias (II, V. 580 nach Stollberg's TJebersetzung) :
.... Wo die Musen dem Thrakischen Sänger
Thamyris die heilige Gabe des Liedes entrissen,
Da er von Oichaliä kam, Eurytos verlassend.
Denn er hatte prahlend verheissen, im Liede zu siegen.
Wenn auch gegen ihn sängen die Musen, die Töchter Kronions;
Drob erzürnten die göttlichen Jungfrauen, gaben ihm Blindheit,
Nahmen die Gabe des Liedes, mit ihr die Gabe der Harfe.
Dieser Sage tritt schon Pausanias entgegen mit der Behauptung, dass T.
seine Augen durch eine natürliche Krankheit verloren habe; dass sie ein be-
liebter Gegenstand zur Darstellung für Maler und Bildhauer war, zeigt sich
in dem Bericht desselben Autors, dass der Maler Polygnotus auf seinem Ge-
mälde im Tempel zu Delphi »die Fahrt des Odysseus ins Reich der Todten«,
den T. mit ausgestochenen Augen, langem Bart und fliegenden Haaren, seine
zerbrochene und der Saiten beraubte Lyra am Boden liegend dargestellt habe;
und in seiner Beschreibung von Böotien erwähnt er, dass unter den auf dem
Berge Helikon aufgestellten Statuen sich T. befinde, ebenfalls blind und eine
zerbrochene Lyra in der Hand. Weiter berichtet Pausanias in seiner Beschrei-
bung des Phokischen Landes, dass T. ein Sohn des Philammon und der dritte
Sieger in den delphischen Kampfspielen gewesen sei. Diodorus Siculus nennt
ihn einen Schüler des Linus; Strabo vergleicht ihn mit dem Musäus und Plato
stellt ihn dem Orpheus, Olympus und Phemius zur Seite und wie er die Seele
des Orpheus nach dessen Tode in einen Schwan fahren lässt, so weist er der
Seele des T. eine Nachtigall zum Wohnsitz an. Clemens von Alexandrien hält
ihn für den Erfinder der dorischen Tonart, und Suidas erwähnt, dass er der
achte, nach andern der fünfte namhafte Dichter vor Homer gewesen sei; diese
Zeitangabe lässt zugleich auf die Beschaffenheit seiner Kunst schliessen, welche
zwar noch der religiösen Hymnenpoesie, jedoch in ihrem Uebergang zur episch-
rhapsodischen Heldendichtung angehört.
Thargelia, Qanytjliu, Fest des Apollo zu Athen, das im Monat Tharge-
lion, der von demselben den Namen erhielt, als Hauptfeier des apollinischen
166 Thaut - Theile.
Cultus in Athen begangen wurde. Der Name deutet an, dass es sich ursprüng-
lich auf die Zeitigung der Feldfrüchte, für die am 6. Thargelion auch der
Demeter Chloe ein Opfer gebracht wurde, bezog. Später wurde es ein Reini-
gungs- und Sühnefest, weil Apollon vorzugsweise für einen G-ott der Reinheit
der sittlichen "Welt galt. Am 6. Thargelion, dem Geburtstage der Artemis,
wurden die Reinigungen vorgenommen und am 7. dem des Apollon. Als Sühn-
mittel wurden bei diesem Feste auch Menschenleben geopfert; zwei zum Tode
verurtheilte Verbrecher wurden, mit Feigenschnüren behangen, unter Flöten-
musik hinausgeführt und entweder verbrannt oder von einem Felsen gestürzt.
Sonst trug das Fest, dem apollinischen Cultus entsprechend, einen freudigen
Charakter.
Thaut, Thaaut, Theuth, Thoth, Thoyth, ein ägyptischer Gott oder
"Weiser, dem die Erfindung einer Anzahl von Instrumenten zugeschrieben wird.
Er wurde als das Symbol des menschlichen Verstandes und der Erfindungs-
kraft verehrt.
Theaterstil, s. Stil und Oper.
Thebanische Harfe heisst jene Harfe, die auf einem von James Bruce in
einem der Königsgräber zu Theben entdeckten Gemälde abgebildet ist. Sie
ist sehr schön geformt, mit 13 Saiten bespannt und unterscheidet sich von
unserer Harfe nur dadurch, dass ihr das Vorderholz, die, mit der tiefsten Saite
parallel gehende, den "Wirbelhals stützende Säule fehlt.
Theodoric, s. Dietrich, Georg.
Theil, vergl. Tacttheil.
Theil eines Tonstiicks, soviel als Hauptabschnitt eines solchen, der wieder
in mehrere Perioden zerfällt. Zunächst versteht man darunter die Abschnitte
der strenger und enger gegliederten Formen des Liedes und des Tanzes (s. d.).
Beim Tanze und beim Liede bilden schon acht Tacte einen Theil. Darnach
unterscheidet man zwei- und dreitheilige Lieder und Tänze. Die einzelnen
Theile der Tänze werden in der Regel wiederholt und dementsprechend mit
"Wiederholungszeichen von einander getrennt. Sie heissen dann Reprisen.
Je ausgebreiteter die Formen werden, desto mehr wachsen auch die Theile
derselben, wie bei der Sonate und Sinfonie (s. d.). "Weiterhin braucht man
diese Bezeichnung auch für »Abtheilung«, die Scheidung der grössten der dra-
matischen Formen in grosse Abschnitte. Bei der Oper bezeichnet man sie mit
Act, beim Oratorium mit Abtheilung oder Theil. Händel's »Messias«
ist ein Oratorium in drei Theilen; Bach's Passion ist in zwei Theile zerlegt.
Dass man endlich auch Theil für »Band« braucht, sei noch erwähnt. Die
Lehrbücher für Composition, des Ciavierspiels, des Gesanges u. s. w. erscheinen
meist in zwei, drei und mehr Theilen, d. h. Bänden oder grösseren Ab-
schnitten.
Theile, Johann, geboren zu Naumburg 1608, studirte zu Jena, wirkte
dann als Lehrer nach einander an den Schulen von Frankenhausen, Altenburg,
"Windsheim und Arnstadt. Im Jahre 1635 übernahm er die Konrektor- und
1639 die Rektorstelle am Gymnasium seiner Vaterstadt, von wo er 1641 eben-
falls als Rektor nach Bautzen berufen wurde. Hier starb er am 16. August
1679 im Alter von 71 Jahren mit Hinterlassung einer reichen literarischen
Hinterlassenschaft von mehr als dreihundert Schulprogrammen, von denen eines
fiProgramma de Musicav. (Budissin, 1661) ihm in der musikalischen "Welt einen
Namen gemacht hat.
Theile, Johann, deutscher Componist und Musikschriftsteller, ist am
29. Juli 1646 als Sohn eines Schneiders zu Naumburg geboren. Nachdem er
sich in seiner Vaterstadt eine gediegene Schulbildung erworben, auch in der
Musik unter Leitung des tüchtigen Stadtkantor Scheffler einen guten Grund
gelegt, bezog er die Universität Halle, um dort seine Studien fortzusetzen. Da
er jedoch auf sein musikalisches Talent angewiesen war, um die Mittel zu seiner
Existenz zu erwerben, und es ihm in Halle au Gelegenheit fehlte, sich musika-
Theile. 167
iicli zu bethätigen, so wandte er sich nach Leipzig, wo er als geübter Sänger
und nicht weniger geübter Spieler auf der Viola da Gamba in den Kreisen
der Kunstfreunde willkommen geheissen wurde und sich bald reichlichen Unter-
halt erwerben konnte. So sehr ihm auch der Aufenthalt in Leipzig behagte,
so veranlasste ihn doch die Nachricht von der Anwesenheit des sächsischen
Kapellmeisters Heinrich Schütz in Weissenfeis, seinen Wohnort alsbald zu ver-
lassen und behufs gründlicher Studien im Contrapunkt bei diesem Meister
nach letzterer Stadt überzusiedeln. Nach Beendigung derselben begab sich T.
nach Stettin, wo er sich bis 1673 — mit Unterbrechung durch einen Aufent-
halt in Lübeck — dem Privatunterricht widmete und eine grosse Zahl tüch-
tiger Musiker heranbildete, unter ihnen die später als Organisten und Compo-
nisten berühmt gewordenen Meister Buxtehude, Hasse und Zachau. Endlich
fand er auch (im letztgenannten Jahre) eine feste Stellung, und zwar als
Kapellmeister am holsteinischen Hofe zu Gottorp, doch musste er dieselbe schon
nach wenigen Jahren wieder verlieren, da der Hof in Folge kriegerischer Er-
eignisse das Land verlassen hatte. Nach Hamburg geflüchtet, sah sich T. hier
wiederum auf eine private "Wirksamkeit hingewiesen, indessen sollte er bei dem
lebhaften musikalischen Treiben, welches sich eben jetzt in der Hansestadt
entwickelte, alsbald Veranlassung finden, seine Fähigkeiten in weitestem Um-
fange zur Geltung zu bringen. Schon seit Mitte des Jahrhunderts hatte sich
Hamburg als Pflegestätte ernster Musik vor den übrigen Städten Deutschlands
hervorgethan; hier war es wo der, um 1600 in Italien aufgekommene drama-
tische Musikstil zuerst in die protestantische Kirchenmusik Eingang fand; hier
konnte auch, bei der geringen Theilnahme für die italienische Oper seitens der
Bürger, der Gedanke an eine nationale Oper aufkommen und seine Verwirk-
lichung finden. Selbst unter der Geistlichkeit, welche sich im allgemeinen der
Oper abhold zeigte, fand sie einen eifrigen Vertheidiger in dem freisinnigen
Prediger an der Katharinenkirche, Elmenhorst, und nachdem es gelungen
war, die gegnerisch Gesinnten unter den geistlichen Machthabern zu beschwich-
tigen, konnte das Unternehmen ins Leben treten. T. war es, dem die Com-
position des Singspiels »Adam und Eva, oder der erschaff"ene, gefallene und
wieder aufgerichtete Mensch« (Text von Richter) übertragen wurde, mit welchem
im Jahre 1678 die erste deutsch-nationale Oper eröffnet werden konnte. Noch
in demselben Jahre wurde eine zweite Oper von Theile's Composition aufge-
führt: »Orontes oder der verlorene und wiedergefundene königliche Prinz aus
Candia«, aus dem Italienischen muthmasslich von Elmenhorst und 1681 ein
Oratorium »Die Geburt Christi«. Vier Jahre später verliess T. Hamburg, um
die. Stelle des verstorbenen Kapellmeisters Rosenmüller in Wolfenbüttel zu über-
nehmen; kurze Zeit darauf aber vertauschte er diese Stadt mit Merseburg, um
in gleicher Eigenschaft beim dortigen Herzog Christian IL in Dienst zu treten.
Endlich, nach dem Tode dieses Fürsten abermals seiner Stellung beraubt, zog
er sich nach seiner Vaterstadt zurück, wo er 1724 im Hause seines Sohnes im
Alter von 79 Jahren gestorben ist.
Ausser den erwähnten Werken schrieb T. noch eine Anzahl von Compo-
sitionen für Kirche und Kammer, darunter besonders erwähnenswerth eine
Sammlung von Messen zu vier und fünf Stimmen im Palestrinastil, betitelt:
r>Noviter inventum optis mtmcalis compositionis 4^ et 5 vocum, pro pleno ehoro,
rarae nee auditae prius artis ac siiavitatis primum, super Ganticis ecclesiae, scilicet
Kyrie, Patrem, Sanctus, Osanna, Benedictus, Agnus Dei, secundum veri Frae-
nestiniani styli majestaticam simulque reqidas fundamentales artis musicaev. So-
dann eine Sammlung von Sonaten, Präludien, Couranten, Airs und Sarabanden
für 2, 3, 4 und 5 Instrumente unter dem Titel: y>Opus secundum, novae sonatae
rarissimae artis et suavitatis musicae, partim 2 vocum, cum simplis et duplo in-
versis fugis; partim 3 vocum, cum simplis, duplo et triplo inversis fugis; partim
4 vocum, cum siinplis, duplo, triplo et quadruple inversis ftcgis; partiyn 5 vocum,
cum simplis, duplo, triplo, quadruple aliisque varietatis inventionibus et artißciosis
168 The ile — Thema.
syncopationibus etc.a Als Theoretiker hat sich T, durch zwei Arbeiten hervor-
gethan, welche als Manuscripte von der Hand Joh. Grottfr. "Walther's im Be-
sitze des Historikers Forkel waren; der Titel des einen lautet: »Musikalisches
Kunstbuch, worin 15 ganz sonderbare Kunststücke und Greheimnisse, welche
aus den doppelten Contrapunkten entspringen, anzutreffen sind« (Naumburg,
1691). Der des andern: »Unterricht von einigen doppelten Contrapunkten und
deren Grebrauch«. — T. war, wie es in einem seiner Nekrologe heisst, »ein
besonders frommer, redlicher Mann und verstand die harmonischen Künste aus
dem Grunde«. Yon der allgemeinen Achtung, deren er sich als gelehrter Ton-
setzer erfreute, giebt u. a. ein Brief des Kapellmeisters Schmelzer in Wien
Kunde, an den er im Auftrage des Kaisers Leopold jährlich eine Anzahl vier-
und fünfstimmiger Sonaten gegen ein Honorar von hundert Thalern für dessen
Hofkapelle einschicken musste. »Anlangend die überschickten Sonaten«, schrieb
Schmelzer, »sind solche fast schon alle bei Ihro Kaiserl. Majestät unter der
Tafel producirt worden, und versichere meinen Herrn, dass es Ihro Majestät
mit absonderlichem Content© angehöret habe; zumahlen Ihro Maj. den Contra-
punkt gar wohl verstehen und die wohlfugirten Sonaten sehr ästimiren«. Auch
von Seiten des preussischen Hofes wurden ihm Auszeichnungen zu Theil, indem
die Königin ihm nicht allein ein reiches Geschenk zugehen Hess (1701), son-
dern ihm auch eine Kapellmeisterstelle in Berlin zusicherte, ein Plan, der durch
ihren bald darauf erfolgten Tod vereitelt wurde.
Theile, Adam Gott lieb, ist am 20. März 1787 zu Kleinichstedt bei
Querfurt (Thüringen) geboren und wurde, nachdem er im Alter von sechzehn
Jahren in das Gymnasium der letzteren Stadt als Schüler eingetreten wai',
durch den dortigen Cantor Fuhrmann zum Musiker gebildet, als welcher er
von 1812 bis zu seinem Tode (22. Juli 1822) in "Weissensee, theils lehrend,
theils als Organist wirksam gewesen ist. Unter den von ihm veröffentlichten
Compositionen sind zu bemerken: eine Sammlung von Ciavierstücken unter dem
Titel »Der lustige Leiermann«, sowie eine Anzahl von Werken für die Orgel,
deren auch noch nach seinem Tode bei Körner in Erfurt erschienen sind.
Theiltöne, s. Aliquottöne.
Theilung', s. Diminutio.
Theinred, auch Thinred und Thanred, David, Benediktinermönch und
Vorsänger in seinem Kloster zu Dover in England, hat 1371 einen musikalischen
Traktat abgefasst, welcher in der Bodle - Bibliothek (832) aufbewahrt wird.
Das Manuscript besteht aus drei Büchern, die zusammen 46 Blätter in Folio
enthalten. Der Titel ist: ».De legitimis ordinibus PentacTiordorum et Tetraqjior-
dorum, Fr. Quoniam musicorum de Jus cantibus frequens et distinctio eic.« Der
erste Theil behandelt: »De i^roportionihus musicorum sonorum, de comatisa; der
zweite: »Z)e consonantiis musicorum sofioruma; der dritte enthält eine Menge
Diagramme und Scalen von verschiedenen Octavengattungen, nicht mit Noten,
sondern mit Buchstaben geschrieben.
Thema, Tema, heisst der Hauptgedanke eines Tonstücks, aus welchem
dies hauptsächlich entwickelt wird. Das Motiv erscheint als der kleinere Theil
desselben, aus dessen Verarbeitung dann zunächst das Thema hervorgeht. Daher
reden wir wohl auch von rhythmischen oder harmonischen Motiven, nicht
aber auch von rhythmischen oder harmonischen Themen. Beim Tanz geben
die charakteristisch zu einer Figur zusammengefassten Tanzschritte das rhyth-
mische Motiv und dies erzeugt gewöhnlich auch ein harmonisches, und
aus der Verarbeitung beider entsteht dann die Kunstform des betreffenden
Tanzes. Zum Thema wird ein Satz erst, wenn er einen in gewissem Sinne
selbständigen Inhalt ausspricht. Das Motiv ist auch nicht inhaltslos, allein
sein Inhalt kommt erst durch die dialektische Entwickelung zur vollen Er-
scheinung. Der Hauptsatz des ersten Satzes der (7-»?o^^ Sinfonie von Beethoven
wird aus einem solchen Motiv entwickelt:
Thema.
169
das erst in seiner weitern Fortführung zum Gedanken verarbeitet ist.
Gegensatz dagegen bringt gleich ein Thema:
Der
fe^=5:
%
+^^-
j-
r
r
[m
:^z
^
=^
Aus der Verarbeitung eines solchen Themas entsteht zunächst die Fugen-
form. Da diese hauptsächlich aus dem Thema her vortreibt, so muss dies
natürlich besonders reiz- und inhaltvoll sein. Manche Theoretiker haben als
Regel für die Gestaltung des Fugenthemas festsetzen wollen: dass es nicht
kürzer als zwei und nicht länger als acht Tacte sein soll. So unbestimmt und
nichtssagend diese Regel ist, so wenig haltbar ist sie. Bach's Fugenthemen
von einem Tact wie folgende:
sind hochbedeutsam und für die weitere Verarbeitung ganz vortrefflich. Die
Regel ist deshalb dahin abzuändern, dass ein Fugenthema genau so weit aus-
zuspinnen ist, dass es seinen melodischen Gehalt vollständig erschöpft, den in
ihm angeregten Zusf vollief darlegt. Dass es sich mit melodischer Freiheit
erhebt, aber innerhalb der natürlichen Grenzen, ist eine sehr zweckmässige
Forderung, weil dann die Verarbeitung wesentlich erleichtert wird. Die Fuge
ist eben durch mindestens zwei, meist aber durch mehr Stimmen darzustellen,
so dass man das Thema als Führer und Gefährte unmittelbar hintereinander
gleich zwei- und mehrmals zu hören bekommt. Der ersten Durchführung aber
folgt gewöhnlich noch mindestens eine, meist mehrere andere. Daher muss man
darauf bedacht sein, bei Fugen namentlich solche Themen zu wählen, die
auch werth sind, öfter als einmal unmittelbar nacheinander gehört zu werden.
Die Doppelfuge erfordert zwei ganz selbständige Themen, von denen jedes
allein, dann aber auch so, dass das eine des andern Contrapunkt bildet, ver-
arbeitet werden kann. Hieraus schon ergiebt sich die Forderung, dass beide
Themen in gewissem Sinne gegensätzlich erfunden werden müssen. Der Contra-
punkt in gleichen Noten ist der uninteressanteste; die Zweistimmigkeit erfordert
schon eine möglichst selbständige Führung der Stimmen. Sollen also die beiden
Themen sich gegenseitig wirksam contrapunktiren, so müssen sie möglichst
abweichend im Charakter gehalten werden. Dies ist aber au.ch deshalb absolut
nöthig, damit die Durchführungen auch das nöthige Interesse gewinnen und
rege erhalten. Als ein Beispiel stehen hier die Themen aus dem Schlusssatz
von Reissmann's »Wittekind«:
I.
Der Herr —
mmdE^L
&
•—
^ ^
:t=
II.
Der Herr hat Gro - sses an uns ge-tban! Des sind wir
— hat
-i 1
Gro
sses an uns ge - than.
"^ .^ 2 i i J
^öf-
:t=
froh
— • —
lieh.
170
Thema.
Zuerst wird das erste Thema: »Der Herr hat Grosses an uns gethan« in he-
sondern Durchführungen verarbeitet, darauf das zweite: »Des sind wir fröh-
lich« und dann erst treten beide Themen als eines mit- und gegeneinander
auf, wie hier angedeutet ist. Für die Tripelfuge werden drei, für die Qua-
drupelfuge vier Themen nothwendig und alle müssen untereinander charak-
teristisch geschieden sein, damit sie die Durchführungen rechtfertigen.
Bei der Yocalfuge ist natürlich die "Wahl des Textes sehr bedeutungs-
voll. "Wenn es als erste Bedingung gilt, ein Thema zu wählen, das für eine
oftmalige "Wiederkehr in den verschiedenen Verarbeitungen geeignet ist, so muss
auch ein Text gewählt werden, der ein solches bedeutendes Thema zu erzeugen
vermag. Der Instrumentalfuge am nächsten verwandt sind die Vocalfugen,
welche die bekannten Grebetsschlussformeln »Amen«, »Hallelujah« und
»Hallelujah Amen« zum Text haben. Diese "Worte an sich können nicht
eigentlich ein Thema erzeugen oder beeinflussen. Das »Amencf wird in der
Regel in der Auffassung Luther's als: »Ja, ja, das soll also geschehena
als Ausdruck frommer Zuversicht gefasst; es wird daher meist mehr gesungen
als deklamirt; bei Erfindung des Themas ist man mehr auf eine reiche melis-
matische Ausschmückung, als auf syllabische Deklamation bedacht:
Händel. Bach.
men, A
Haydn.
Des Herren Ruhm, er bleibt in
E - wig - keit.
E^Eg
ij:
-vt
:}2t
)
--X
r 0 -m-ß — -»
-r-f^-
La
men!
men. A
Das Hallelujah ist schon der syllabischen Auffassung etwas günstiger:
Händel.
Hai - le - lu - jah! Hai - le - lu - jah!
=t
:!=)=
— 7
a
'-r^^
» ß 0
ly 'y ly 1^
l/ k/ /
Hal-le-lu - jah! Hal-le - lu - jah! Hai - le
lu - jah!
ebenso die Verbindung beider Gebetformeln :
tr-
men
Hai - le - lu - jah A - men! A - men Hai - le - lu - jah A
Ungleich günstiger erweisen sich das t) Kyrie eleison^ und y>Ohriste eleison«,
weil hier die verschiedene Auffassung dieser Gebetsformeln die abweichensten
Themen erzeugen kann.*) Andrer Art ist die Thematik bei der Sonate und
den verwandten Formen der Ouvertüre oder beim Rondo. Beim Sonaten-
satz wird die Wirkung durch den Contrast das eigentlich Erzeugende und so
stellt sich der erste Theil in zwei Sätzen dar, im Haupt- und Nebensatz,
die nach ihrer ganzen Construktion entschieden gegensätzlich gehalten sind.
Gewöhnlich herrscht im Nebensatz das Lied- und Gesangmässige vor, und
namentlich hierauf beruht das ideell Contrastirende der beiden Sätze. Der
Hauptsatz hält dem gegenüber mehr die dialektische Entwickelung eines oder
mehrerer charakteristischer Motive fest, während bei diesem die getragene,
*) Siehe hierüber Reissmann: „Lehrbuch der musikahschen Composition" (Berlin,
.1. Guttentag, Band II. p. 224 ff.).
Thematische Arbeit. 171
^esangreiche Cantilene vorherrscht. Die Beispiele aus Beethoven's G-moll-
Sinfonie am Eingange dieses Artikels zeigen diese Unterschiede deutlich; der
Hauptsatz ist aus einem Motiv, der Nebensatz aus einem Thema entwickelt,
und das ist das Charakteristische dieser Form. "Weitere Beispiele und nähere
Erläuterungen bringt auch der Artikel Ouvertüre. Die Verarbeitung ist hier
eine ungleich freiere als bei der Fuge und wird diirch bedeutendere rhythmische
wie melodische Hülfsmittel unterstützt. Die oben erwähnten Artikel bringen
das Nähere auch hierüber. Dort ist auch gezeigt, wie die Themen und ihr
specieller Inhalt die ganze weitere Entwickelung bedingen und wie dadurch
diese Formen einem ganz bestimmten Inhalt dienstbar werden. Die besondere
Form des Thema mit Variationen wird in dem Artikel Variationen
eingehender besprochen.
Thematische Arbeit nennen wir die consequente Entwickelung eines Satzes
aus einem oder mehreren Motiven oder Themen. "Wir haben bereits den Unter-
schied von Thema und Motiv oben angedeutet, die thematische Arbeit
beschäftigt sich vorwiegend mit letzteren. Streng genommen fasst man nur
die freiem Gebilde unter den Begriff thematische Verarbeitung. Die
strengen Formen derselben führen eben bestimmte Namen wie Fuge oder
Canon. Diese sind zwar auch thematische Arbeiten, da sie aus einem Thema
entwickelt werden, allein ihre besondern Namen bezeichnen zugleich die beson-
dere Art derselben, und deshalb fasst man auch die freiem Formen derselben
unter dem Gresammtnamen Thematische Arbeit oder Verarbeitung zu-
sammen. Daher fallen auch die freier behandelten Partien in der Fuge, die
sogenannten Zwischensätze, welche die verschiedenen Durchführungen ver-
binden, und in denen nur kleinere, meist dem Thema entlehnte Motive ver-
arbeitet werden, unter den Begriff thematische Arbeit.
Diese kommt in ausgedehnterem Maasse in Instrumentalwerken, aber
auch in den freieren Vocalwerken zur Anwendung. Die begleitenden Stimmen
der Choral figuration werden in der Eegel aus einem oder mehreren Mo-
tiven thematisch entwickelt. Auch die Motettenform erfordert thematische
Arbeit in reicherm Maasse. Beim Liede mit Begleitung tritt diese nament-
lich in der Begleitung hervor. Die Grundstimmung des Textes erzeugt ein
Begleitungsmotiv, aus dem dann die ganze Begleitung vorwiegend gewoben
wird. Beispiele hierfür anzugeben ist ganz unnütz, da die Lieder unserer
Meister sie in Menge liefern. Die grossen Instrumental formen haben
in dem sogenannten Durchführungssatz einen besondern, rein motivisch
entwickelten Satz, doch werden auch die andern Sätze vielfach hauptsächlich
durch diese thematische Arbeit gewonnen. Auch der Hauptsatz des eigent-
lichen Sonatensatzes erwächst meist aus motivischer Arbeit und auch der
Nebensatz treibt kaum ohne sie empor; aber diese ist hier auf Schöpfung
grösserer Partien gerichtet. Im Durch führungssatz beginnt das leichtere
und pikantere Spiel mit Themen und Motiven, um den dann wieder gewich-
tigern und bedeutendem dritten Theil vorzubereiten.
Die Hülfsmittel dieser thematischen Verarbeitung sind ziemlich reich-
haltig. Selbst in den strengen Formen des Canons und der Fuge sind Ver-
änderungen des Themas zulässig und geboten. Schon in der ersten, strengsten
Durchführung werden bei der Beantwortung des Themas gewisse Melodie-
schritte verändert, aus einem Quarten schritt wird unter Umständen ein Quinten-
schritt (s. Quintfuge), die Modulation nach der Dominant muss durch den
Rückgang nach der Tonika beantwortet werden, wodurch ursprüngliche Inter-
vallenschritte verändert werden. Ferner sind besondere Durchführungen für
die rhythmische Veränderung des Themas, seine Vergrösserung oder
Verkleinerung bestimmt; und die harmonische Veränderung ist ebenfalls
in der eigensten Idee der Form geboten. Alle diese IMittel stehen natürlich
der freien thematischen Arbeit in noch weit erhöhterem Maasse zu Gebote.
Als ein Muster solcher thematischen Arbeit ist namentlich der erste Satz
1 72 Theobald — Theon von Smyrna.
der C-moU- Sinfonie von Beethoven zu empfehlen. Aus jüngerer Zeit darf
Mendelssohn's Ouvertüre zu den »Hebriden« erwähnt werden, die sich
ebenfalls aus einfachen Motiven in grossem Eeichthum entwickelt. Man hat
diese thematische Arbeit in neuerer Zeit zu verdächtigen und sie als mecha-
nisch gemacht, als den Grenius hemmend darzustellen versucht. "Wenn sie eben
»gemacht« ist, dann hat sie allerdings geringern Werth und wäre sie auch noch
so meisterhaft ausgeführt. Allein wenn das Motiv »erfunden« ist, und das soll
eben nicht gemacht sein, wenn es vielmehr aus einem wirklich bedeutsamen
Inhalt emportreibt, dann wird dieser auch die weitere Arbeit beherrschen und
durchdringen, dass sie eben nicht nur als kühle, sondern als eine Verstandes-
arbeit erscheint, bei der auch Herz und Phantasie vollauf betheiligt waren,
und dann ist die Arbeit höchste künstlerische That.
Theobald, s, Gratti.
Theobaldas, Kapuzinermönch und Componist, zu Costnitz geboren, gab
Anfang des 18. Jahrhunderts heraus: »Petra Deserti, oder Fesseln der schmerz-
haften Marianischen Linde, in geistlichen Arien, mit zwei Violinen im Ritor-
nelloa (Augsburg, 1703).
Theodoricus, Greorgicus, musikalischer Schriftsteller des 16. Jahrhunderts,
geboren in Meissen, gab heraus: f>Questiones Musicaea (Görlitz, 1575, in 8").
Theodoricus, Sixtus, Contrapunktist, lebte im Anfang des 16. Jahrhun-
derts. Auf der Münchner Bibliothek findet man (in Salblinger's nConcentus«,
Augsburg, 1545, 4"): y)Magnificat 8 Tonorum« (Argentorati, 1535 und 1537).
Theodulfns, ein französischer Bischof zu Orleans, in Poesie und Musik
erfahren, wurde in Folge eines Aufruhrs, den Ludwig I. Söhne gegen ihn
erregten, zu lebenslänglicher Gefangenschaft verurtheilt. Im Gefängniss schrieb
er den Lobgesang: y>Gloria, laus et Tionor sit tibi, CJiriste redemptora und sang
denselben mit lauter Stimme, als der Kaiser am Palmsonntage in Prozession
am Gefängnisse vorüberzog. Er erhielt dadurch seine Befreiung. (Printz,
»Histor. der Mus.« K. 9, § 15.)
Theogerus, Bischof von Metz im elften Jahrhundert, war Anfangs Bene-
diktinermönch im Kloster Hirschau und erhielt vom heiligen "Wilhelm Unter-
richt, welcher ihn auch 1090 zum Abt des Klosters St. Georgi im Schwarz-
walde einsetzte, von wo aus er nach Metz berufen wurde. Der Abt Gerbert
{•»Scriptores ecclesiastici de musicaa, Th. 2, S. 182 — 196) veröffentlicht drei
Manuscripte, welche zu seiner Zeit in den Klöstern Tegernsee, Peterskloster
im Schwarzwalde und der Blasianischen Bibliothek vorhanden waren, ein Tractat
von Theogerus, der aber nicht von Bedeutung ist. Der Inhalt desselben ist
folgender: De repertoribus mtisicae artis. De MonoeJiordo. De JKensura mono-
cTiordi, Quod spatium dicatur Tonus, qtcod Semitonium et caetera. De novem
modis vocum. De consideratione numerorum. De proportionihus dupla, sesquialtera,
et sesquitertia. De cadem proportione in mensura considerata. De divisione Mono-
chordi de Tetrachordis. Quomodo consitent Tetrachorda. De quatuor TetracTiordis A
aliis. De speciehus Diatessaron. De speciehus Diapente. De speciebus Dia- "^
pason. Quod graviores sint principaliores. De constitutione quatuor troporum.
De Proto. De Deutero. De Trito. De Tetrardo. De divisione Proti. De
divisione Deuteri. De divisione Triti. De divisione Tetrardi, Sanc divisionem
non esse recentem. De divisione Troporum naturales regulas servasse. De primo
Tono. De 2^", 3", 4*^ 5*°, 6*°, 7°^°, 8^*^. DecacJiordum secundi et exempla ejus.
Decacliordum Tertii et exetnpla ejus. Decachordum Octavi et exempla ejus. Ge-
nerales regulae autentici cantus. Generalis regula plagalis cantus. Generalis
regula communis cantus.
Theon von Smyrna (Theo Smyrnäus), Philosoph aus der Schule des
Plato und berühmter Mathematiker und Astronom, lebte unter den beiden
Kaisern Trajan und Hadrian (98 — 117 — 138 n. Chr.), war demnach ein un-
mittelbarer Vorgänger des Ptolemäus und wurde auch sein Vorarbeiter, indem
der letztere die astronomischen Beobachtungen des T. bei seinen eigenen Unter-
Theophanes Graptus — Theorie der Musik. 173
suchungen verwerthete. Von seinen Schriften ist nur eine bekannt geworden,
deren Titel auf einer alten Handschrift lautet: r>De iis qiiae in mathematicis ad
Piatonis lectionem utilia sunta; aber auch von ihr ist nur ein Theil erhalten,
worin er von der Arithmetik und von der Musik handelt, von letzterer in
61 Kapiteln. Dies Fragment wurde 1644 zu Paris nach einem Manuscript
der Bibliothek des De Thou von Bouillaud unter dem Titel nTheonis Smyrnaei
Flafonici, eorumqiiae in Mathematicis ad Piatonis lectionem utilia sunt expositio,
e. hibliotheea TImana. Opus nunc primum editum, latina versione, ac notis illn-
stratum ab Isma'ele Bullialdo Juliodunensi. Lutetiae Parisiorujn, apud Ludovicum
de ITeuqueville 1644« herausgegeben und mit einem noch jetzt leseuswerthen
Commentar versehen. Den Inhalt dieses "Werkes bilden ausführliche Auszüge
aus den Werken seines Vorgängers Thrasyllus (s. d.), nach welchem insbeson-
dere die Erklärung der fiEdotijzeg (die in der Mitte liegenden, die Tonart be-
stimmenden Töne einer Scala) des platonischen Timäus wörtlich mitgetheilt
wird. Ausserdem schöpft T. aus Eratosthenes und aus dem Peripatetiker Adrast,
dem Hauptgegner des Aristoxenus. Neues findet sich nur wenig bei ihm und
mit der Darstellung der musikalischen Akustik seines Nachfolgers hält die des
T. nicht den entferntesten Vergleich aus.*)
Theophaues Oraptus, Erzbischof zu Nicea, lebte um die Mitte des neunten
Jahrhunderts. Als Vertheidiger des Bilderdienstes von Kaiser Theopbilus ins
Exil geschickt, wurde er jedoch seiner Kenntnisse halber auch in der Musik
zurückgerufen. Er versah die Gesänge der Orientalischen Kirche mit Melodien
und erfand auch in Gemeinschaft mit Damascenus und Cosmas gewisse Zeichen
und Noten, um diese Melodien aufzeichnen zu können, wodurcli sie sich bei
ihren Zeitgenossen viel Ruhm erwarben und Melodos genannt wurden. Das
Bildniss T's. befindet sich im fTriodo Venet.a 1601. (Gerbert, y>De canta et
musica sacraa.)
Theophrastus, Tonkünstler des alten Griechenlands, aus Pierien, vermehrte
nach dem Nicomachus die Lyra des Merkur um die neunte Saite. (Forkel,
Geschichte, Band I.)
Theorbe, Tiorha, Tuorhe, eine Art Laute, der grossen Basslaute ähnlich,
weshalb sie auch von den Italienern Archileuto oder Archiliuto (die grosse Bass-
laute) genannt wurde. Doch hatte die Theorbe einen längern Hals mit dop-
peltem Wirbelkasten, den einen in der Mitte des Halses und den andern am
obern Ende desselben. Von den 14 — 16 Saiten lagen nur sechs oder acht über
dem Griffbrett, das wie bei der Laute mit Bünden versehen war, die andern
im zweiten Wirbelkasten befestigten Saiten lagen neben dem Griffbrett, sie
konnten also nicht gegriffen werden und wurden als Basssaiten nur nach ihrer
ganzen Länge für den Ton, in dem sie gestimmt waren, benutzt. Zu Prä-
torius' Zeit war die Theorbe nur mit einfachen Saiten bezogen, während
die Laute auf dem Griffbrett doppelte Saiten für jeden Ton. hatte. Bald
wurde indess auch die Theorbe doppelchörig auf dem Griffbrett bezogen. Sie
wurde früh schon zur Begleitung des Gesanges herangezogen, wie die Laute
und mit und neben dieser zur Ausführung des Generalbasses in Kirche und bei
den dramatischen Spielen verwendet. Erst durch das Ciavier wurde sie verdrängt.
Theorbenflügel, ein Tasteninstrument von 16 Pusston, mit drei Eegistern,
von denen zwei aus Darm-, das dritte aus Drahtsaiten bestand. Es war dem
Lautenclavier verwandt, doch hatte es eine Octave mehr Umfang. Es ward
1718 von dem Instrumentenmacher Joh. Eph. Fleischer zu Hamburg erfunden.
Theorie der Mnsik ist die Wissenschaft und Lehre von den Gesetzen, nach
denen die Mittel musikalischer Darstellung zum Kunstwerk verwendet werden.
Sie umfasst die Lehre von Ton und Klang nach ihrer physikalischen Erzeu-
gung und den natürlichen Verhältnissen der Töne und Klänge zu einander,
als Akustik und dann als Tonsetzkunst oder Compositionslehre, als
*) Vergl.: Westphal, „Griechische Ehythmik und Harmonik", zweite Aufl. I. p. 76.
174 Theorie der Musik.
die Lehi-e von den Bedingungen, unter denen die so gewonnenen Töne und
Klänge zum Kunstwerk verarbeitet werden. Einen direkten Einfluss gewinnt
die Akustik im Grunde auf die Schöpfung des Kunstwerks nicht; als Lehre
von den Tonempfindungen macht sie die Wii'kung von Ton und Klang nament-
lich zum Gegenstande ihx'er Untersuchungen. Wie weit die Tonsetzkunst
diese berücksichtigen muss, das hat sie bisher vielmehr durch die Erfahrung
als durch die Wissenschaft gelernt. So erklärt sich die Erscheinung: dass
Völker und Zeiten, welche die genauesten Messungen und Tonberechnungen
aufstellten, wie Griechen und Juden, doch kein Kunstwerk auf diesem Gebiet
zu schaffen vermochten, während wieder andrerseits die Höhenpunkte unserer
Musikentwickelung meist in Zeiten der Vernachlässigung akustischer Unter-
suchungen fallen.
Auch die Theorie der Tonsetzkunst, die Lehre von der musikalischen
Composition, ist gegenwärtig stark in Misscredit gekommen, aber ganz zweifellos
mit Unrecht. Gewiss vermag die Unterweisung in der Kunst nicht das man-
gelnde Genie oder Talent zu ersetzen. Allein das ist auch nicht ihr Zweck
und Ziel. Der Ausdruck an sich erfordert vielmehr die vollständigste Beherr-
schung desjenigen Materials, welches zum Ausdrucksmittel gewählt wird. Um
sich in einer Sprache verständlich zu machen, genügt es nicht, dass man eine
Reihe von Vocabeln kennt und mit dem Satzbau leichthin bekannt ist. Auch
das grösste Sprachgenie wird mit den sämmtlichen Vocabeln einer Sprache sich
nicht voll verständlich machen können, wenn es nicht auch mit dem Organismus
der betreffenden Sprache vertraut ist. Das gilt aber auch im ganzen Umfange
vom schaffenden Künstler, auch ihn wird nur die vollständigste Erkenntniss
der innersten Natur seines Darstellungsmaterials befähigen, sich durch dasselbe
zu offenbaren, und diese zu vermitteln, ist Aufgabe der Theorie seiner Kunst.
Der Künstler soll ja sein Ideal nicht nur offenbaren, sondern er soll es uns
in künstlerischen Formen darstellen. Das kann er aber nur, wenn er das Ma-
terial, mit dem er formen und bilden soll, nach seiner innersten Natur kennt,
wenn ihm die Gesetze, nach denen es zusammengefügt werden kann, vollständig
bewusst sind. Diese Einsicht in das Material und die Gesetze seiner Gestaltung
soll ihm die Theorie, hier die Compositionslehre vermitteln. Sie soll
ihm die ganze Eeihe von Experimenten, welche die Meister und Theoretiker
früherer Jahrhunderte anstellen mussten, um die innerste Natur ihres Materials
zu ergründen, entbehrlich machen; sie soll ihn vor den Irrwegen bewahren,
welche das Genie nur zu leicht, im Vertrauen auf die ihm innewohnende
schöpferische Kraft einschlägt. Ein geniales Kunstwerk zu schaffen befähigt
die Theorie natürlich nicht, wohl aber ein vollendetes, und dies zu schaffen
ist überhaupt Aufgabe des Künstlers. Er kann nichts weiter thun, als dem,
was er innerlich angeschaut hat, die vollendetste, vollkommen künstlerische
Form zu geben. Ob diese dann Kundgebung des Genius ist, liegt nicht in
seiner Entscheidung, am wenigsten im Moment des Schaffens. Zudem ist kaum
ein anderer Begriff weniger fest zu bestimmen, als der Begriff »genial«. Der
Genius erweist sich neu schaffend, aber deshalb ist noch nicht alles, was neu
ist, auch schon genial. Auch die aus Ungeschick, oder mangelnder Erkenntniss
erfolgende schülerhafte Abweichung von den untersten Gesetzen der Kunst-
gestaltung ist oft neu — aber doch meist nichts weniger als genial. Der Genius
hält fest an den unverletzlichen Naturgesetzen; er überspringt und negirt sie
nicht, sondern er erfasst sie nur tiefer, und das nur kann als genial gelten,
was innerhalb dieser natürlichen Schranken noch neu und eigenthümlich ist.
Daher begeht die Theorie aber auch einen grossen Fehler, der meist von folgen-
schwerer Bedeutung wird, wenn sie diese Gesetze aus bestimmten Kunstwerken
einseitig abstrahirt und nach ihrem Muster gewisse Maasse construirt, um dar-
nach neue Kunstwerke zu formen oder zu messen. Die Kunst vollzieht sich
nicht in einem Meister oder in einem Jahrhundert, sondern die ewigen Gesetze
der künstlerischen Gestaltung werden durch alle Meister aller Jahrhunderte
Therache — Tliern. 175
repräsentirt und dann ist das Kunstwerk auch kein nachzurechnendes mathe-
matisches Exempel. Die Kunstlehre kann nur die eine Aufgabe haben: dem
Kunstjünger die Natur des Darstellungsmaterials zu erschliessen und die Gesetze
darzulegen, nach denen dies zum Kunstwerk zu verarbeiten ist. Sie muss ihm
die nöthige Anleitung gewähren, dass er die vollständige Herrschaft gewinnt
über das Darstellungsmaterial, um ihn so zu befähigen, einen bestimmten Inhalt
künstlerisch darzustellen. Diesen selber kann sie ihm natürlich nicht ver-
mitteln; sie kann also nicht eigentlich im Schaffen, sondern nur im Formen
unterweisen, und dieser Unterweisung bedarf das Genie eben so nothw endig wie
das Talent oder die blosse Begabung.
Terache, Pierre de, französischer Musiker, der zur Kapelle des Königs
Ludwig XII. gehörte und von dem auch vierstimmige Motetten: »Senatus apo-
stoloritma, » Verbum honum et suave«. im ersten und zweiten Buche der nMotetti
de la Goronaa. von Petrucci de Fossombrone (1513 und 1519, klein 4°), vor-
handen sind.
Thern, Carl, geboren am 13. August 1817 zu Iglo in Oberungarn, war im
Jahre 1841 Kapellmeister am ungarischen Nationaltheater in Pest, von 1853 bis
1864 Professor der Compositionslehre und der höhern Ausbildung im Ciavierspiel
am Pest- Ofener Musikconservatorium und später fünf Jahre hindurch Dirigent
des »Vereins der Musikfreunde« in Pest. Er schrieb drei grosse ungarische
Opern: »Gizul«, »Die Belagerung von Tihang« und »Der eingebildete Kranke«,
nebst mehreren Singspielen, die sämmtlich auf dem ungarischen Nationaltheater
wiederholt zur Auffühi'ung gelangten. Ausserdem componirte er viele ungarische
Chöre und Lieder, welche bleibend ins Volk gedrungen sind und von den
Karpathen bis zur Adria gekannt und als Volksweisen gesungen werden.
50 Werke für Gesang wie für Ciavier sind erschienen theils bei ungarischen,
theils bei deutschen Verlegern. Seine Söhne sind die beiden Pianisten:
Thern, Willi und Louis. Willi, der ältere, ist geboren am 22. Juni 1847,
Louis, der jüngere, am 18. December 1848. Bereits im zartesten Kindesalter
verriethen beide grosse Neigung für Musik und sie wurden deshalb von ihrem
Vater mit aller Sorgfalt für diese Kunst ausgebildet. Als die beiden Brüder
sich mit der Zeit eine bedeutendere Fertigkeit im Ciavierspiel angeeignet
hatten und noch als Knaben sich einer von ihnen an ein grösseres Concertstück
wagte, beeilte sich der andere, dies am zweiten Flügel zu accompagniren;
mangelte es an einer Begleitungsstimme, so wurde sehr oft auch dasselbe Stück
im Tempo und in gleicher Ausdrucksweise unverändert von beiden zugleich
auf zwei Flügeln vorgetragen. Hieraus entwickelte sich das unvergleichliche
Unisonospiel, mit welchem die beiden Künstler jetzt in ihren Concerten das
Publikum oft in Erstaunen versetzen. Nachdem sie beide wiederholt in ihrer
Heimath öffentlich concertirt hatten, unternahmen sie ihre erste Kunstreise im
Jahre 1864 in Begleitung ihres Vaters nach Deutschland und verweilten, um
ihre allgemeine musikalische Bildung zu erweitern, anderthalb Jahre in Leipzig,
bis sie daselbst zum ersten Male in einem Concert der Singakademie im Ge-
wandhaus vor das deutsche Publikum traten und mit aussergewöhnlichem Erfolg.
Schon damals berichtete der Kunstkritiker Bernsdorf in den »Signalen« hierüber
Folgendes: »In ihren Leistungen zeigten sich die jungen Künstler als wahre
siamesische Ciavierzwillinge, denn die Glätte, Geschlossenheit und Ueberein-
stimmung ihres Zusammenspiels war so vollkommen gewahrt, dass man wirklich,
wenn man nicht hinsah, an eine körperliche und geistige Unität zu glauben
sich versucht fühlte.« In dieselbe Zeit fiel das Musikfest des »Allgemeinen
deutschen Musikvereins« in Dessau, bei welchem sie mit ihrem Ensemblespiel
wahrhaft Enthusiasmus erregten. Bis jetzt Hessen sie sich fast in allen grössern
Städten Deutschlands mit gleichem Beifall hören, bereisten bereits auch Frank-
reich, wo sie in Paris in den Salons beim Fürsten Metternich, Baron Erlanger,
wie auch bei Bossini, Berlioz, Damke, Szarvady, Vieuxtemps u. a. m. sowie in
Concerten die freundlichste Aufnahme und Anerkennung fanden. Auch in Eng-
176 Thesis — TMbaut.
land, wo sie in London im Crystallpalast in der »Musical Union«, y> Philhar-
monie Societya, in den Lesli'schen Concerten spielten, errangen sie, wie auch in
Liverpool in der »Philharmonischen Gesellschaft«, immer gesteigerten Beifall.
Ausserdem hatten sie sich der Auszeichnung zu erfreuen, in Baden-Baden
wiederholt sowie auch jüngst in Berlin bei Hofe sich hören zu lassen, ebenso
an dem Grossherzoglichen Hof zu Sachsen- Weimar, wie auch vor Sr. Hoheit
dem regierenden Herzog zu Altenburg. Als nicht zu unterschätzender Vorzug
der jungen Künstler bleibt zu erwähnen, dass sie in ihrer Auffassung parteilos,
keiner bestimmten Richtung sich anschliessen, vielmehr mit eben der Pietät,
mit welcher sie die Werke von Bach (z. B. das ganze »Wohltemperirte Clavier«,
von ihrem Vater für zwei Claviere eingerichtet), Beethoven, Mozart und andere
Klassiker feinfühlig und klar reproduciren, beherrschen sie auch mit Sicherheit
die glänzende Bravour der neuern Schule. Compositionen von Liszt z. B. werden
von ihnen eben so poesievoll erfasst, wie ästhetisch maassvoll wiedergegeben.
Thesis, der Niederschlag, der gute Takttheil (s. Niederschlag).
Thesselius, Johann, deutscher Componist aus dem Anfange des 17. Jahr-
hunderts, lebte zu Nürnberg und Wien und hat herausgegeben: »Newe liebliche
Paduanen, Intraden vnd Galliarden, mit fünf Stimmen componirt« (Nürnberg,
1609, 4°). »Tricinia sacra« (Wien, 1615).
Theuss, Carl Theodor, Militärmusikdirektor des Grossherzogs von Sachsen-
Weimar, 1786 in Weimar als Sohn eines Kaufmanns geboren. Erst 1814, nach
der Bückkehr aus dem Feldzuge, den er mitgemacht und der ihn in russische
Gefangenschaft gebracht hatte, widmete er sich ganz der Musik und erhielt
1818 die bezeichnete Stellung. Zu seinen Arbeiten, die hauptsächlich in Har-
moniemusik bestehen, gehört auch eine Oper: »Die blaue Aloe«, in Weimar 1836
aufgeführt, ferner: Serenade für Flöte, Clarinette, zwei Hörner und Fagott,
op. 21 (Augsburg, Gombart). Zwölf Stücke für Signalhorn, drei Hörner, zwei
Trompeten und Posaune, op. 43 (Leipzig, Hoffmeister). Sechs charakteristische
Märsche für grosses Orchester. Sammlungen von Nationalweisen 'und sechs
Tyroler Jodler.
Theussner, Zacharias, war ein tüchtiger Orgelbauer in der ersten Hälfte
des 18. Jahrhunderts. 1702 vollendete er die grosse Orgel in dem Dom zu
Merseburg, mit fünf Manualen, Pedal und 68 Stimmen. Ausser dieser baute
er noch mehrere bedeutende Werke.
Tlievenard, Gabriel Vincent, geboren zu Orleans am 10. August 1669,
zeichnete sich als Baritonsänger aus und in Paris, wo er engagirt war, erwarb
er besonders durch den Vortrag des Becitativs, auf welches zu jener Zeit viel
Werth gelegt wurde, Bewunderer. Er starb 1741 und hatte der Pariser Oper
40 Jahre angehört.
Thiasos, bei den Griechen ein Singtanz zu Ehren des Gottes Dionysos
(Bachus), der von den rasenden Weibern, Bacchantinnen, Mainaden, Thyiaden
u. s. w. ausgeführt wurde.
Thibault, Franko is, Sänger und Organist an der Kathedrale zu Metz um
die Mitte des 17. Jahrhunderts, veröffentlichte eine fünfstimmige Messe über
den Gesang: »O beata Caeeiliav. (Paris, Eobert Ballard, 1640, in Fol.).
Thibant, Anton Friedrich Justus, Dr., Professor der Rechte und
Baden'scher Geheimrath, lebte als solcher in Heidelberg, gleichzeitig als Freund
und Förderer der Tonkunst bekannt. Er war in Hameln in Hannover am
4. Januar 1772 geboren, besuchte die Universitäten Göttingen, Königsberg und
Kiel und lebte als ordentlicher Professor an der letzteren, in Jena und von
1805 bis zu seinem Tode am 28. März 1840 in Heidelberg. Hier pflegte er
in seinem Hause auch die Tonkunst und erwies sich als feinfühliger Kenner
der altern Musik in seinem Buch: »lieber die Reinheit der Tonkunst« (Heidel-
berg, Mohr, 1825, in 8**, 125 S.; zweite Auflage 1826, dritte 1853, ein Band
klein 8"). Die hohe Verehrung für Palestrina, dessen Porträt auch dem Buche
vorgesetzt ist, hat ihn zu einer gewissen Einseitigkeit verleitet, die auch von
Thibaut IV. - TMeme. 177
Nägeli und Anderen scharf gerügt ist. Thibaut ist der eigentliche Begründer
jener dilettantischen Kunstanschauung, die gern ihr beschränktes Erkenntniss-
verraögen und die eigene einseitige Geschmacksrichtung zur Norm erheben
möchte und die in neuerer Zeit namentlich an den Heri-en Grervinus, Chry-
s an der und Genossen plumpe und blinde Vertheidiger fand. Die Ergebnisse
der neuesten musikalischen Richtungen berührten ihn so unsympathisch, dass
er sich von der öffentlichen Musik fast ganz zurückzog. Seine werthvolle Mu-
sikaliensammlung kaufte nach seinem Tode der König von Baiern für die königl.
Bibliothek in München. Der Katalog derselben erschien in Heidelberg bei
Carl Gross, 1842, in 8", 46 Seiten).
Thibaut IV., Graf von Champagne, König von Navarra, geboren zu Troyes
im Anfange des Jahres 1201, war einer der berühmtesten Troubadours seiner
Zeit, der eine grosse Anzahl schöner Lieder schrieb, zu denen er auch die
Melodie erfand. Er soll der Königin Blanche seine Dienste gewidmet und für
sie gedichtet und gesungen haben. Die kaiserliche Bibliothek in Paris besitzt
63 von ihm componirte Lieder. Der Bischof de la Ravailliere hat sie in einer
Sammlung veröffentlicht: »Poesies du roi de Navarre avec des notes et un glos-
saire frangaisa (Paris, 1742, deux volumes, 8"). Th. unternahm mit Ludwig IX.
den Kreuzzug ins gelobte Land und starb 1253 oder nach anderer Angabe am
13. Juli 1254 in Troyes.
Thickuesse, Miss, Meisterin auf der Viola da Gamba, lebte in London 1787,
berühmt in ganz England. Sie schrieb auch für dies Instrument.
Tüiebault, Paul Charles FrangoisAdrien Henri Dieudonne, Baron,
Dr. der Universität Salamanka, wurde als Sprössling einer französischen Familie
in Berlin am 14. Decbr. 1769 geboren. Er trat 1792 als einfacher Grenadier
in die Armee ein und wurde von Grad zu Grad, nachdem er die zahlreichen
Feldzüge mitgemacht hatte, General-Lieutenant und mit dem militärischen Kom-
mando mehrerer Departements betraut. Zu seinen literarischen Arbeiten gehört
auch ein Werkchen, welches eine Geschichte der Romanze enthält und in welchem
man interessante und wenig bekannte Nachrichten über Dichter und Musiker,
welche diese Form cultivirten, findet. Der Titel ist: y>Du chant, et particuliere-
ment de la romancea. (Paris, Arthus-Berti'and, 1813, 8°, 130 S.).
Thiele, Carl Ludwig, Organist der Parochialkirche zu Berlin, wurde zu
Quedlinburg am 18. Novbr. 1816 geboren und erhielt den ersten Unterricht
von seinem Vater, der Cantor in Nieder-Schönhausen war. Später besuchte er
das Königl. Kirchenmusikinstitut zu Berlin. 1839 erhielt er sein Amt als
Organist, das er mit Auszeichnung versah. Seine Technik war eine eminente
und sein Vortrag phantasievoll, er gehörte nebst seinem Freunde Haupt (s. d.
Art.) zu den ersten Orgelspielern Deutschlands. Er starb leider bereits am
17. August 1848 an der Cholera. Wirkungsvolle Orgelstücke, Variationen,
Präludien, Concertstücke sind bei Schlesinger in Berlin erschienen.
Thiele, Eduard, Hofkapellmeister in Dessau, ist daselbst am 21. Novbr.
1812 als Sohn eines Hautboisten geboren. Seine musikalische Ausbildung
ei-hielt er durch Kopprasch und Friedrich Schneider. Er studirte Violine,
Ciavier, Orgel und Composition. Nach der Rückkehr von einer Reise durch
Deutschland, die er zu seiner Ausbildung auf Kosten des Herzogs Leopold
unternommen hatte, erhielt er die Stelle eines zweiten Musikdirektors am Des-
sauer Theater. Jedoch verliess er seine Vaterstadt zwei Jahre später und
fungirte als Orchesterdirektor in Halle, Altenburg und Cöthen; am letzteren
Orte war er auch Organist an der Hauptkirche und Musiklehrer am Seminar.
1855 wurde er nach Dessau zurückberufen^ um die durch Frdr. Schneider's
Tod erledigte Stelle bei der Oper einzunehmen. 1860 erhielt er den Titel als
Hofkapellmeister. Von seinen Compositionen sind zu verzeichnen: eine Messe,
Sonaten für Ciavier und für Ciavier und Violine, ein- und zweistimmige Lieder
mit Clavierbegleitung, mehrstimmige Gesänge für Frauen- und Männerstimmen.
Thiemö, Frederic, von Geburt ein Deutscher, lebte und wirkte jedoch
MusikaL. Converg.-Lexikon. X, 12
178 Thierfelder — Thijm.
ausschliesslich in Frankreich. Er Hess sich gegen 1780 in Paris nieder und
war bekannt als Lehrer des Gesanges und Yiolinspiels. Die Hevolutionsunruhen
trieben ihn 1792 nach ßouen, wo er Wohnsitz nahm und als Lehrer thätig
war. Er starb daselbst im Juni 1802. Herausgegeben wurden von ihm: y>Ele-
menfs de musique pratlque, et solfeges nouveaux pour apprendre la musique et le
goüt du chant<s. (Paris, 1784, in 4**, zweite Auflage). i>Eleme7its de musique pra-
tlque et solfeges nouveaux Italiens, destines particulierement pour apprendre les
principes detailles de cet arf, mis ä la portee des jeunes eleves, avee une hasse
ciliare suivant les principes de Vahhe Houssiera. (Paris, Nadermann, grand 8°).
y> Principes ahreges de musique, ä Vusage de ceux qui veulent apprendre ä jouer
du violoni (Paris, Louis). r>Principes abreges de musique pratique pour le forte-
piano, suivis de six petites sonates formees d^airs connusa (ibid.). y>Nouvelle
theorie sur les diß^erents mouvements des airs, fondee sur la pratique de la mu-
sique moderne avec le projet d'un nouveau chronometre etc.v. (Reuen, chez l'auteur,
1801, in 4°, mit zehn Kupfertafeln). Violin-Duos bei Louis und bei Nader-
mann in Paris).
Thierfelder, Albert, Componist, geboren am 30. April 1846 zu Mühl-
hausen in Th., besuchte das dortige Gymnasium und erhielt seine praktische
und wissenschaftliche Ausbildung in der Musik in Leipzig bei Moritz Haupt-
mann, E. F. Richter und an der Universität, welche ihm nach dreijährigem
Studium auf Grund einer musikhistorischen Abhandlung (nDe Ghristianorum
psalmis et Jiymnis usque ad Ambrosii temporan) den Doctortitel verlieh. Nachdem
T. kurze Zeit als Dirigent in Elbing fungirt hatte, folgte er im Jahre 1870
einem Rufe nach Brandenburg a. H. als Cantor und Gesanglehrer am Gymna-
sium. Im Jahre 1874 erhielt Th. das Prädikat »Königlicher Musikdirektor«.
Von seinen Compositionen sind im Druck erschienen: Cla vierstücke und Lieder,
op. 1 — 6. Von grösseren, noch im Manuscript befindlichen Werken sind zu
erwähnen: »Die Jungfrau vom Königsee«, romantische Oper in drei Akten,
Symphonie in C-moll für grosses Orchester, welche mehrfach mit Erfolg auf-
geführt worden ist, Ciavierquartett und Sonaten, Neuerdings hat T. Rudolf
Baumbach's Alpensage »Zlatorogvi für Chor, Soli und Orchester in Musik gesetzt
und das Werk mit Erfolg in Brandenburg zur Aufführung gebracht.
Thieriot, geboren am 7. April 1838 in Hamburg, ein Schüler von Marxsen
in Altona, wirkte in Hamburg, Leipzig (1867) und Glogau als Musikdirektor
und seit 1870 als Direktor des Musikvereins in Graz. Von seinen, von Talent
und Geschick zeugenden Compositionen haben namentlich einige Werke für
Kammermusik weitere Verbreitung und Anerkennung gefunden.
Thiers, Jean Baptiste, Theologe, geboren zu Chartres am 11. Novbr.
1636, war zuletzt Pfarrer in Vibraye im Stifte Mans und starb dort am 28.
Februar 1703. In einer seiner Abhandlungen findet man Specielles über die
Singchöre in den Kirchen Prankreichs, y» Dissertations ecclesiastiques sur les
principatipo autels la cloture du clioeur et les juhts des eglises« (ibid. 1688, in 12").
Eine andere hat mehr den liturgischen Gottesdienst zum Gegenstand. »Traite
des cloches et de la saintete de Vo/frande du pain et du vin aux messes des morts<i
(Paris, J. de Neuilly, 1721, in 12'').
Thijm, Lambert Alberdingk, Kirchencomponist und Musikschriftsteller,
ist in Amsterdam am 30. Septbr. 1823 geboren. Sein Vater, ein holländischer
Kaufmann, hiess Alberdingk, nahm jedoch 1835 für sich und seine Descen-
denten den Namen seiner Frau: Thijm an. Er war leidenschaftlicher und
wohlunterrichteter Musikdilettant, der mehrere Messen componirte und sich
auch um die gute Ausführung der Kirchenmusik in der Peter- und Paulskirche
verdient machte. Sein Sohn verdankt ihm eine gewissenhafte Ausbildung in
der Musik und den Wissenschaften. Sein Interesse wandte er vorzugsweise
dem Volksliede und dem Kirchengesange zu, und in den verschiedensten hol-
ländischen Journalen erschienen Aufsätze über diese beiden Themen. Ausserdem
gab er folgende selbständige Schriften heraus: »Z>e Musik in de Kerle. GedacJi-
1
Thilo — Thoinot-Arbeau. 179
teti over KerTcmuzieJc, naar aanleiting der geschiedenen oordeellcundige BescJioutvingen
over de ivereldsche en Icerhelijke MusijJc, hljeen gelragt en hearbeid door N. Ä.
Janseem. Pr.v^ (Amsterdam, C. L. von Langenliuijsen, 1850, 8°, 51 S.). »JVöy
eenige Gedachten over KerhnusiJca (ibid. 1854, in 8", 16 S.). Das dritte wich-
tigere Werk edirte er in Gemeinschaft mit seinem Bruder Joseph Albert,
Literat und Archäolog, Es ist eine Sammlung von alten und neuen Kirchen-
gesängen, desgleichen für alle Feste vom Advent bis Ostern. Alle Melodien
darin sind mit beziffertem Bass versehen und No. II, IV, XXY, LIII, LXX,
LXXXVII, LXXXIX, CXXVI et CXXXV von L. J. Thijm erfunden, mehrere
ältere von demselben überarbeitet. Der Titel des "Werkes ist: y>Oude en nieuwere
Kerstliedern benevens Gezangen en Liederen van andere Hoogtijden en Seiligen-
dagen, als ooh van den Advent en de Vasten, gerangsscMJct naar de orde van het
KerJcelijJc jaar etc.<i. (Amsterdam, C, L. Yan Langenhuijsen, 1852, ein Band 12",
318 S.). Auf dem Gebiete der Composition hatte er noch wenig geleistet, eine
Messe für Chor und Solostimmen mit Orgelbegleitung ist die umfangreichste.
Der Tod rief ihn schon im 31. Jahre am 1. Decbr. 1854 aus diesem Leben ab.
Thilo, auch Thielo, Carl August, dänischer Musiker, wurde in den
ersten Jahren des 18. Jahrhunderts geboren und erhielt in Kopenhagen das
königl. Privilegium, ein Theater zu eröffnen, auf welche Weise er die erste
Oper dort errichtete. Nachdem ihm das Privilegium entzogen und die Direktion
einigen hochstehenden Personen übertragen worden war, beschäftigte sich T.
mit Compositionen und Unterrichtgeben. Auch schrieb er folgendes Lehrbuch:
yyTanher og Begier fra Gründen af om Musiken, for dem soin vil laere Musiken,
til Sindeis Fornoydse saa og for dem som vil giore Fait of Claveer, General-Bassen
og Sgnge-Kunsten« (Kopenhagen, 1746, in Fol., 86 S.). Sieben Jahre später
erschien dasselbe Buch in deutscher Sprache: »Grundregeln, wie man bei weniger
Information sich selbst die Fundamente der Musik und des Claviers lernen kann,
mit Exempeln in Noten gezeiget« (Copenhagen, 1753, in 4°, 81 Seiten).
Thin-puk (armenisch) = Pauke.
Thoiuot-Arbeau (Pseydonym und Anagramm aus Jehan Tabourot), war
ein im 16. Jahrhundert zu Langres lebender Domherr, der durch die Heraus-
gabe eines jetzt höchst seltenen Werkes über Tanzkunst, das für die Musik-
und Sittengeschichte von Bedeutung ist, sich einen Namen machte. Das Buch
ist betitelt: nOrchesographie, traite en forme de dialogue, par lequel toutes per-
sonnes peuvent facilement apprendre et practiqtwr Vhonnete exercise des Dansesa
(Langres, 1588). Es behandelt dieses kostbare, jetzt antiquarisch mit 900 Fr.
bezahlte) Werk eine bisher wenig durchforschte Tanzepoche und enthält aus-
führliche Theorien von 40 Tänzen (als: Pavana, Allemande, Gaillarde, Gavotte,
Branle, Volte etc.) mit der dazu gehörigen Musik. Die zweite Auflage davon
führt den Titel: »Orchesographie, Metode et Teorie en forme de discours et Ta-
bulature pour apprendre ä Dancerv^ (Lengers, 1596). Von dem erstgenannten Ori-
ginalwerke hat der, um die Geschichte der Tanzkunst verdiente Alb. Czerwinski
in Danzig auf eigene Kosten eine deutsche Ausgabe 1878, mit 34 Figuren,
70 Melodien und dem Porträt des Arbeau herstellen lassen, die nur direkt vom
Selbstverleger gegen 15 Mark zu beziehen ist. Titel des neuen Werkes: »Die
Tänze des 16. Jahrhunderts und die altfranzösische Tanzschule. Nach Jean
Tabourot's Orchesographie herausgegeben von A. Czerwinski« (Danzig, 1878).
lieber die Personalien des Autors berichtet Czerwinski (»Geschichte der Tanz-
kunst« p. 93) Folgendes: »Jehan Tabourot, der Sohn von Etienne Tabourot,
königl. Rath und Verwalter des Amts zu Dijon, wurde im Jahr 1519 geboren.
Von kräftiger Körperkonstruktion, zeigte er schon in seiner Kindheit eine leb-
hafte Neigung für Leibesübungen und eine besondere Vorliebe für den Tanz,
den er in Poitiers erlernt hatte. Anfänglich dazu bestimmt, dem Vater in der
Ausübung seines Amts zu folgen, musste er diesen Plan in Folge eines Gelübdes
aufgeben: in einer schweren Krankheit, die ihn an den Band des Grabes brachte,
gelobte seine Mutter, ihn der Kirche zu weihen, falls er genesen sollte. Als
12*
180 Thoina — Thomas.
gehorsamer Sohn erfüllte er den Wunsch seiner Mutter und trat 1530 in einen
Orden ein. Trotz seines gänzlichen Mangels an Beruf für diesen Stand, der
so wenig in Uebereinstimmung mit seinem Charakter war, erlangte er doch
bald einen hervorragenden Platz in der Geistlichkeit, so dass er 1574 zum
Domherrn von Langres ernannt wurde. In dieser Stellung hatte er Gelegenheit,
sich neben der Ausübung seiner religiösen Pflichten auch mit dem Studium der
Gebräuche, die auf E-eligion Bezug hatten, und besonders mit den kirchlichen
Tänzen zu beschäftigen, die damals noch Sitte waren. Seine alte Neigung für
den Tanz erwachte und gab ihm den Gedanken ein, im Alter von 59 Jahren
noch ein "Werk über denselben zu veröffentlichen. Es erschien 1588 unter
obgenanntem Titel: »Orchesographie« von Thoinot Arbeau. Er schrieb dieses
Buch, wie er in der Vorrede sagt: »Weil er wünsche, wenn auch zu alt und
schwerfällig, um sich selbst fröhlich darin zu üben, dass die ehrbaren Tänze
wieder erhoben werden möchten, an Stelle der unzüchtigen und schamlosen, die
man an ihrer Stelle eingeführt, zum Bedauern der achtbaren Herren und Damen
von verständigem und züchtigem Urtheil.«
Thoina, Rudolf, geboren am 22. Februar 1829, wurde im Waisenhause
in Bunzlau erzogen (1840 — 1845), bereitete sich dann zum Lehrerberuf vor
und war auch in Sagan als Lehrer thätig. 1852 ging er nach Berlin und
besuchte das Königl. Institut für Kirchenmusik und die Akademie und ward
1857 Cantor an der Gnadenkirche in Hirschberg, 1862 an St. Elisabeth zu
Breslau, in welcher Stellung er noch thätig ist. Seine Compositionen, deren
er eine Reihe veröffentlichte, sind sehr harmloser Natur, weder durch Ex'findung,
noch durch Technik besonders beachtenswerth.
Thomauer, die gewöhnliche Bezeichnung der Thomasschüler (s. d.).
Thomas, Bajocensis oder Bayona der jüngere, ums Jahr 1169 Erz-
bischof zu York in England, vorher aber Priester in der Normandie, ist durch
die Herausgabe einer Sammlung von Kirchengesängen (j>Cantus JEcelesiastici«)
und eines Officiarum für seine Zeit von Bedeutung gewesen. Von einer Nach-
wirkung seiner Thätigkeit auf spätere Geschlechter ist jedoch nichts zu spüren,
und scheint er die Ehre, von Walther in sein 1732 erschienenes musikalisches
Lexikon aufgenommen zu sein, mehr dem Zufall als seinen Verdiensten um die
Tonkunst zu verdanken zu haben.
Thomas von Aquino, mit dem Beinamen des Heiligen, wurde 1227 zu
Aquino im Königreich Neapel geboren und zeichnete sich als Theologe wie
auch durch tiefe Gelehrsamkeit so sehr aus, dass er vom Papst Pius V. unter
die Zahl der scholastischen Doctoren aufgenommen wurde. Schon im frühen
Kindesalter begann er seine Studien im Kloster Monte Cassino und machte
hier so schnelle Fortschritte, dass er im Alter von dreizehn Jahren die Uni-
versität zu Neapel beziehen konnte. Später studirte er Theologie und Philo-
sophie zu Cöln unter Albert von BoUstädt, dem berühmten Scholastiker, der
wegen seiner umfassenden Gelehrsamkeit und ausgezeichneten Lehrgabe der
Grosse (Albertus Magnus) genannt wurde. T. starb in einem Kloster bei
Terracina unweit Neapel am 7. März 1274 und wurde am 18. Juli 1323 vom
Papste Johann XXII. heilig gesprochen. Seine Schriften erschienen 1570 zu
Rom in siebzehn Foliobänden; sie enthalten neben seinen philosophischen und
theologischen Arbeiten die Musik zu einem Messamt bei Gelegenheit der Abend-
mahlsfeier, die er 1263 im Auftrag des Papstes Urban IV. componirt hat und
am Donnerstag nach der Pfingstwoche des folgenden Jahres zum ersten Mal
aufführen Hess; sie enthält u. a. die berühmt gewordene Hymne y>Patic/e lingua<s.
wie auch die Prose (s. Näheres über diese Art altkirchlicher Hymnen unter
»Sequenz«) »Lauda Sion«. In der y>Biographie universelle« der Gebrüder Michaud
wird T. noch ferner als der Autor der Hymne y>Ädoro fe« bezeichnet; Fetis
jedoch widerspricht dieser Angabe und beruft sich auf ein, in seinem Besitz
befindliches aus dem 14. Jahrhundert stammendes Manuscript jener Musik, in
welchem die genannte Hymne fehlt.
Tliomas. 181
Thomas, Christian Gottfried, deutscher Componist und Musikschrift-
steller, ist am 2. Februar 1748 zu "Wehrsdorf bei Bautzen geboren, studirte
zu Leipzig die Rechtswissenschaften und errichtete 1777 ebenda eine Nieder-
lage von geschriebenen Musikalien; über den Zweck dieser Anstalt sprach er
sich in einer, das Jahr darauf erschienenen Broschüre aus, welche den hoch-
tönenden Titel führt: »Praktische Beiträge zur Geschichte der Musik, musika-
lischen Literatur und gemeinen Besten, bestehend vorzüglich in der Einrichtung
eines öffentlichen, allgemeinen und echten Verlags musikalischer Manuscripte
zum Vortheil der Herrn Verfasser und Käufer; wie auch in andern literarischen
Abhandlungen, die Musik betreffend«; es ist aber in dieser Schrift von nichts
weiter die ßede als von den Bedingungen seines Geschäftes. Dieses hatte nur
kurzen Bestand; dann widmete sich T. ausschliesslich der praktischen Musik
und unternahm 1785 eine Kunstreise, die ihn u. a. nach Hamburg führte.
Hier blieb er volle acht Jahre und veranstaltete während dieser Zeit Auffüh-
rungen seiner Compositionen, darunter eines »Gloria« für drei Chöre nebst
einer Einleitungsmusik. Von einem Theile des Publikums durch Beifall aus-
gezeichnet, hatte er den Muth, sich in Gesellschaft eines Hiller, Forkel und
Schwenke um die durch C. P. E. Bach's Tod (1788) erledigte Musikdirektor-
stelle zu bewerben; nachdem aber der letzte der genannten Mitbewerber für
diesen Posten gewählt war, kehrte er nach Leipzig zurück, um hier seine
concertgeberische Thätigkeit fortzusetzen. Vier Jahre später versuchte er sein
Glück wiederum als Schriftsteller durch Herausgabe einer Zeitschrift »Unpar-
teiische Kritik der vorzüglichsten, zu Leipzig aufgeführten und fernerhin auf-
zuführenden grossen Kirchenmusiken, Concerte und Opern wie auch anderer,
die Musik betreffenden Gegenstände«, von der im September 1798 bereits elf
Bogen die Presse verlassen hatten. Da jedoch seines Namens später nirgends
mehr gedacht wird, so scheint er in seinem Unternehmen gestört worden zu
sein. Schliesslich wendete er sich im Winter 1801 — 1802 nach Berlin, um
daselbst eine grosse musikalische Akademie zu gründen, welche nach wiederholten
Aufschüben durch die Bemühungen des Kapellmeisters ßeichardt zu Stande kam.
Einen festen Wirkungskreis zu finden sollte ihm aber auch hier nicht gelingen:
er kehrte nach Leipzig zurück, wo er in traurigen Umständen am 12. Sep-
tember 1806 gestorben ist. Von seinen Compositionen ist gedruckt und im
Ciavierauszug erschienen »Volksgesang am Friedrichstage« von Voigt (Leipzig,
1797, beim Autor); von seinen übrigen Werken sind ausser dem erwähnten
»Gloria« noch eine Anzahl von Quartetten und andern Instrumentalstücken,
sowie eine Cantate zur Ehre Kaiser Joseph's IL: »Das Glück der Völker in
Joseph's Reichen« — sämmtlich jedoch nur im Manuscript — bekannt geworden.
Thomas, Charles Louis Ambroise, französischer Operncomponist, Di-
rektor des Conservatoriums der Musik zu Paris und Mitglied der Akademie
der Künste am Institut de France, ist zu Metz am 5. August 1811 geboren.
Von seinem Vater, einem geachteten Musiklehrer dieser Stadt, erhielt er schon
nach zurückgelegtem vierten Lebensjahre Unterricht in den Elementen der
Musik; mit sieben Jahren begann er unter Leitung anderer Lehrer das Studium
der Violine und des Claviers und hatte sich, besonders auf dem letzteren In-
strument, schon eine beachtenswerthe Fertigkeit erworben, als er 1828 in das
Pariser Conservatorium aufgenommen wurde. Hier vervollkommnete er sich
durch den Unterricht Zimmermann's im Ciavierspiel und studirte bei Dourlen
die Harmonielehre sowie bei Lesueur die Composition, empfing auch gelegent-
liche Anregung durch Kalkbrenner und für sein Studium des Contrapunkts
durch Barbereau. In Folge der Bemühungen dieser Meister sowie eigenen
rastlosen Eifers konnte er schon 1829 den ersten Preis als Ciavier Spieler
erringen; diesem folgte im nächsten Jahre der erste Preis für Contrapunkt
und 1830 der von der Akademie der Künste verliehene grosse Preis für musi-
kalische Composition, welcher dem Gekrönten die Mittel gewährt und die Pflicht
auferlegt, drei Jahre behufs künstlerischer Ausbildung im Auslande, haupt-
182 Thomas,
sächlicli in Italien zuzubringen. Den grössten Theil dieser Zeit verlebte T. in
Rom und Neapel, besuchte dann Florenz, Bologna, Venedig, Triest und beschloss
seine Studienreise mit Wien.
Im Beginn des Jabres 1836 nach Paris zurückgekehrt, gelang es ihm bald,
die Schwierigkeiten zu überwinden, mit welchen dort der dramatische Componist
am Anfang seiner Laufbahn in der Regel zu kämpfen hat. Schon im folgenden
Jahre, 27. August 1837, debutirte er mit einer einaktigen komischen Oper
r>La douhle ecliellev-, der am 30. März 1838 ein dreiaktiges Werk derselben
Gattung folgte: »Ze joen^uquier de la regencen. Sein drittes Werk war das
1839 an der Grossen Oper aufgeführte Ballet »ia Gipsya, in zwei Akten, an
•welchem sich übrigens auch Benoist als Componist betheiligt hatte. In dem-
selben Jahr brachte er noch die einaktige komische Oper r>Le panier ßeuri«.
zur Aufführung und während der nächsten Jahre »Carline« (184U), r>Le comte
de Carmagnolai, grosse Oper in zwei Akten (1841), »ie gueriUeroa, grosse Oper
in zwei Akten (1842), y>Angelique et Medora, komische Oper in einem Akt (1843).
Der Erfolg der letzteren dieser Werke entsprach nicht den Erwartungen, welche
der Componist durch sein glückliches Debüt erregt hatte, und der geringe Bei-
fall, den sie fanden, entmuthigte ihren Autor so sehr, dass er sich für volle fünf
Jahre von der Bühne zurückzog. Nach Ablauf dieser Zeit aber erschien er
wiederum vor dem Pariser Publikum und errang diesmal mit den dreiaktigen
komischen Opern y>Le Cdid'i (3. Januar 1849) und r>Le Songe d'une nuit d'ete«
(20. April 1850) Erfolge, welche alle früheren weit übertrafen und ihn an die
Spitze der jüngeren Componisten- Generation in Erankreich stellten. Von nun
an widmete sich T. wieder mit dem fi'ühern Eifer der dramatischen Composition
und gab der komischen Oper nach einander die folgenden Werke: »Raymond«
(1851), «La TonellU (1853), »ia cour de CSlimenen (1855), »Psyche« (1857),
»Ze earneval de Venise« (ebenfalls 1857). Nach diesem Werke pausirte der
Künstler abermals eine Reihe von Jahren, bis er 1868 mit seinem »Hamlet«
(nach Shakespeare von Barbier und Carre bearbeitet) aufs Neue an die Oeffent-
lichkeit trat und bei dieser Gelegenheit den Beweis lieferte, dass er den Stil
der grossen Oper mit dem gleichen Geschick zu handhaben wisse, wie den der
komischen Oper. Nach dem glänzenden Erfolg dieses AYerkes, sowohl in Paris,
wie auch auf sämmtlichen grossen Bühnen des Auslandes, konnte es nicht
zweifelhaft sein, wer nach dem Tode Auber's die erste musikalische Ehrenstelle
in Frankreich, die Direktion des Pariser Conservatoriums zu übernehmen habe.
Zwar hatte die Commune, die beim Ableben des Nestors der französischen
Componisten das Regiment in Paris führte, alsbald für einen Nachfolger aus
den Reihen der Ihrigen Sorge getragen; als jedoch durch die von Versailles
eingerückten Truppen die alte Ordnung wieder hergestellt war, fiel die Wahl
einstimmig auf T., welcher seitdem den Pflichten dieses wichtigen Amtes mit
derselben Gewissenhaftigkeit und Einsicht obliegt, die er zuvor als Compositions-
lehrer an der genannten Anstalt bewährt hat.
Die Merkmale der Thomas'schen Musik sind Grazie, Eleganz und eine
gewisse Noblesse; was ihm an melodischer Erfindung abgeht, weiss er durch
genaue Kenntniss des dramatisch Wirksamen, durch Reinheit der Schreibweise
und durch geistvolle Instrumentirung zu ersetzen. Als Mann von gediegener
wissenschaftlicher Bildung konnte es ihm gelingen, sich auch durch rednerische
xand schriftstellerische Leistungen hervorzuthun und sich unter den Mitgliedern
der Akademie eine geachtete Stellung zu erwerben. Von seiner Vielseitigkeit
als Componist, die ihm nicht gestattete, sich mit seinen Bühnenerfolgen allein
zu begnügen, geben die folgenden von ihm veröffentlichten Werke Zeugniss:
1) Requiem (noch aus seiner römischen Studienzeit stammend) (Paris, bei
Richault). 2) Quintett für zwei Violinen, zwei Bratschen und Violoucell
(ebenda). 3) Streichquartett, op. 1 (Leipzig, Hoffmeister). 4) Trio für Ciavier,
Violine und Violoucell (Paris, Richault). 5) Phantasie über ein schottisches
Theiua für Ciavier, op. 5 (ebenda). 6) Phantasie für Ciavier und Orchester,
Thomas — Thomassdiule. 183
op, 6. Ausserdem eine Anzahl kleinerer Clavierstüclve, Chöre für Männer-
stimmen, mehrstimmiger Kirchengesänge und Lieder für eine Singstimme. Die
Aufführung einer, wie es scheint längst vollendeten grossen Oper y>Francesca
da Biminia ist für 1878 projektirt.
Thomas, Theodor, deutsch-amerikanischer Dirigent und Yiolinspieler, ist
am 11. October 1835 in Ostfriesland gehören, machte gediegene musikalische
Stadien unter der Leitung SchüUinger's und MavrhofFer's und ging 1847 nach
New -York, wo er sich zunächst durch den Vortrag klassischer Kammermusik
eine geachtete Stellung in den dortigen Musikerkreisen errang. Mit der Zeit
aher erweiterte er seinen "Wirkungskreis mehr und mehr; aus den Quartett-
Soireen wurden Sj'mphonieconcerte und 1869 trat er an die Spitze eines eigenen
Orchesters, welches, aus den besten Instrumental-Musikern der Union zusammen-
gesetzt, nach kurzer TJebungszeit eine so ausserordentliche Leistungsfähigkeit
zeigte, dass es den Vergleich mit den besten europäischen nicht zu scheuen
brauchte. Bei aller Tüchtigkeit der einzelnen Mitglieder gebührt indessen der
Hauptantheil der von Jahr zu Jahr glänzenderen Erfolge des Thomas'schen
Orchesters dem unermüdlichen Eifer und der genialen Reproduktions-Fähigkeit
seines Dirigenten. Im besonderen verdienen seine Bestrebungen nach steter
Erweiterung seines Concertrepertoires anerkannt zu werden; wiewohl längst der
populärste und gefeiertste unter allen Musikern der Union, ist er weit entfernt
sich mit dem gewonnenen Ruhm zu begnügen, vielmehr stets darauf bedacht,
durch Lösung neuer, schwieriger Aufgaben seinem künstlerischen Gewissen
Genüge zu leisten. In diesem Sinne hat T. ebenfalls mit seinen Collegen in
Europa Schritt gehalten, sie sogar bei manchen Gelegenheiten überflügelt, indem
er jeder hervorragenden Novität alsbald nach ihrem Erscheinen einen Platz auf
seinen Concertprogrammen einräumte und ihr beim Publikum Geltung zu ver-
schaffen wusste, auch wenn dasselbe sich anfänglich dem Neuen, Ungewohnten
abgeneigt zeigte. So darf T. zu den leider seltenen Musikern gerechnet werden,
welche, zu hoher Stellung gelangt, doch die beschwerliche Pflicht ihres Berufes,
auf den Kunstgeschmack ihrer Zeitgenossen umbildend und veredelnd zu wirken,
nie aus den Augen verlieren; er würde dies in noch weiterm Umfange thun
können, wenn die Stadt New-York, die ihm unter allen Städten der Union am
meisten verpflichtet ist, sich veranlasst sähe, ihm eine materiell gesicherte
Stellung zu schaffen und ihn auf solche "Weise von der Nothwendigkeit befreite,
durch anstrengende und zeitraubende Reisen selbst für den Unterhalt seines
Orchesters zu sorgen.
Thomaschek, s. Tomasche k.
Thomasschule in Leipzig, eine der ältesten Pflanz- und Pflegestätten der
kirchlichen Musik daselbst, war ursprünglich wie wohl die meisten derartigen
Schulen eine Klosterschule. "Wie an allen bedeutenderen Klöstern wurde auch
an dem Augustinerkloster im 13. Jahrhundert ein Kirchenchor errichtet mit
einer Anzahl Alumnen, d. h. Schülern, welche unentgeltlich in die Schule auf-
genommen und dort wissenschaftlich und musikalisch gebildet und vollständig
erhalten werden, wofür sie in der Kirche bei der Ausführung der Cultusgesänge
mitwirken mussten. Später, namentlich seit Einführung der Reformation, wurden
diese Chöre dann meist zu den sogenannten städtischen Cantoreien umgestaltet,
doch nur wenige behielten die alten Benefizien und zu diesen gehört die Can-
torei der Thomasschule in Leipzig. Als der erste noch bekannte Thomas-
Cantor gilt Johann Urban (1439); der erste, der geschichtliche Bedeutung
gewann, ist. Georg Rhau (er legte 1520 das Cantorat nieder, s. d.). Aus
dem 16. Jahrhundert sind Joh. Hermann und Wolfgang Winter zu nennen.
Von 1594 — 1615 hatte der bedeutendste Theoretiker seiner Zeit, Seth. Cal-
visius (Kaliwitz) die Stelle inne und mit ihm beginnt die Reihe der mehr
oder weniger berühmten Cantoren der Thomasschule. Ihm folgte der treffliche
Tondichter Joh. Hermann Schein (1617 — 1630), s. d. Diesem dann To-
bias Michael (1631—1657), ihm Seb. Knüpfer (1657—1676) und diesem
184 Thon — Thrasylius.
JosepliSchelle(1676— 1701). Dessen Nachfolger Joh.Kuhnau (1701—1722),
bekannt als Instrumentalcomponist, richtete die Kirchenmusiken in der Weise
ein, wie sie noch heute bestehen. Ihm folgte dann der Meister aller Meister:
Joh. Seb, Bach (1723 — 1750). "Weiter sind zu nennen: Grottlob Harrer
(1750—1755), Joh. Friedrich Doles (1755—1789), Joh. Adam Hiller
(1789 — 1800), welcher Concerte in der Thomasschule einrichtete und dazu ein
eigenes Orchester aus den Alumnen bildete; ferner August Eberhard Müller
(1800—1810), Johann Gottfried Schicht (1810—1823), Christian Theo-
dor Weinlig (1823— 1842), Moritz Hauptmann (1842—1868) und endlich
Ernst Friedrich Richter, der treffliche Theoretiker, der gegenwärtig den
ehrenvollen Posten bekleidet. Der Chor besteht aus 60 Alumnen, welche, in
vier Chöre getheilt, mit je einem Präfekten an der Spitze, den Gottesdienst
in den Kirchen St. Thomä, St. Nikolai, St. Petri und in der Neukirche
zu versehen haben. Der erste Chor, der stärkste, wirkt auch in den Kirchen-
musiken, die sonntäglich in der Thomas- oder Nikolaikirche in Gemeinschaft
mit dem Stadtorchester ausgeführt werden. Alle vier Chöre vereinigt singen
jeden Sonnabend Nachmitteg halb 2 Uhr in der Thomaskirche zwei Motetten,
die in der Regel von dem Präfekten (unter Oberleitung des Cantors) einstudirt
und dirigirt werden.
Thon, Christian Friedrich Theophil, geboren in Sachsen gegen 1780,
gab heraus: »lieber Clavier-Instrumente, deren Ankauf, Behandlung und Stim-
mung« (1817, in 8"; zweite Auflage 1826 bei Vogt in Ilmenau).
Thooft, W. E., ist am 10. Juni 1829 in Amsterdam geboren, machte seine
Studien in der Musik unter Dupont in Leyden und dann unter Richter und
Hauptmann in Leipzig. Nach Holland zurückgekehrt wurde er Direktor des
deutschen Theaters in Rotterdam. Er veröffentlichte Ouvertüren, Sinfonien,
Quartette, Opern u. s. w.
Thorbecke, H., geboren 1822 zu Osnabrück, ging 1841 nach Philadelphia,
wo er als Pianist wie als Componist beliebt war. Er verunglückte 1858 beim
Brande der »Austria« auf dem Ocean.
Thorette, Pierre, Musiker, an der Hauptkirche zu Liege angestellt,
starb daselbst 1684. Er schrieb und veröfi'entlichte eine Art Sinfonie y>Ghasse
de Saint Ilube7't<i, welche früher jedes Jahr in der Peterskirche, jetzt noch mit
grossem Orchester in der Kreuzkirche aufgeführt wird.
Thorne, John, Contrapunktist des 16. Jahrhunderts zu York in England,
war wahrscheinlich Organist in seiner Vaterstadt. Hawkins theilt eine Motette:
•ßStelle coeli, a 3 voeii von ihm mit. (»Musikgeschichte«, Bd. 2. S. 526.)
Thrane, Violinspieler und Componist, der bedeutendste Musiker Norwegens,
trat 1819 in Stockholm zum ersten Mal öfi'entlich auf. 1828 wurde er Musik-
direktor in Christiania, erkrankte aber unheilbar an einem Brustübel und starb
im selben Jahre. Der damals als Student in Christiania anwesende Violinist
Ole Bull unterstützte ihn im Amte während seiner Krankheit. T. setzte die
erste norwegische Oper y>Fjeldeventyret<i. von Bierregaand in Musik.
Thrasyllus, genannt Phliasius, von seinem Geburtsorte Phlius unweit
Korinth, Philosoph der Platonischen Schule, derselbe, welcher Plato's Schriften
nach Tetralogien eingetheilt hat, zugleich Mathematiker und Astronom und als
solcher der Hofastrolog und Vertraute des Kaisers Tiberius während dessen
mehrjährigen Aufenthaltes auf der Insel Rhodus vor seiner Thronbesteigung
(14 n. Chr.). Aus einem musikalisch-akustischen Werke des T. bringt Por-
phyrius in seinem Commentar der »Harmonica« des Ptolemäus ?^uf pag. 266
und 270 Citate pythagoräisch- platonischen Inhalts. Es wird dasselbe an der
ersteren dieser beiden Stellen Iv r(p tt^qI nov mra fiovov, an der lezteren iv zcp
7t£Qi tnzayöiß«-) citirt; beides ist, wie Westphal (»Griechische Rhythmik und
Harmonik«, 1867, Band I, pag. 76) mit Recht behauptet, dieselbe Schrift, ent-
weder iv ro) TieQi knrk rövoiv (das System der sieben Töne dem der dreizehn
Töne des Aristoxenus gegenübergestellt) oder Iv räi tzsqI tnrayoQbov (über das
Threni — Thnmer. 185
Heptachord). Ein anderes Mal findet sich T. citirt in einer noch nicht ver-
öffentlichten musikalisch-akustischen Abhandlung in der Bibliothek zu Heidelberg.
Threni, Threnodie bei den Griechen mit der Flöte begleitete Trauer-
gesänge 'bei Leichenbegängnissen und Leichenmahlen.
Thro oder Tarau, eine Art Geigen der Burmesen, mit 3 Saiten aus ge-
drehten Seidenfaden. (Vergl. Engels r> Katalog Kensington Museuma, p. 67.)
Thubal oder Thubal flöte, eine, nicht mehr gebräuchliche alte Flöten-
stimme der Orgel.
Thürschiuidt, s. Türrschmidt.
Thür- oder Dachschweller ist ein Schweller bei der Orgel, bei dem die
Pfeifen in einem Kasten stehen. Der Deckel und oft auch die Seiten desselben
können vermöge eines über dem Pedal befindlichen Tritte beliebig gehoben oder
geschlossen werden. Diese Art der Schweller ist indess veraltet.
Thauia, s. Tuma.
Thanbass, s. Subbass.
Thuring-us, eigentlich Thüring, Joachim, Candidat der Theologie und
gekrönter Poet, war zu Fürstenberg in Mecklenburg geboren und lebte im An-
fange des 17. Jahrhunderts. Der noch jugenliche Autor gab ein gutes Buch
über das alte Tonsystem heraus. Es sind demselben Belobigungen von den
Cantoren: Burmeister, Mylius, Dedekind und anderen vorgedruckt. Der Titel
heisst: r>Opusculum hipartitum de primordiis musicis, quippe. 1) De tonis sive
modis, 2) De componendi regulis. Utrumque ex optimis tarn veterum quam recen-
tiorum musicorum abstrusioribus scriptis erutum, et facili jucunditate, jucindaque
facilitate juventuti praeparatum«. (Berolini, typis Georgii Rungii, impensis et
sumptibus Johannis Vallii, 1624, in 4"). Der erste Theil besteht aus acht und
einem halben Blatt, der zweite aus siebzehn.
Thüringr, Johann, geboren zu Trebbin in der Mark, war in der ersten
Hälfte des 17. Jahrhunderts Schulmeister zu "Willerstadt. Er gab heraus:
»Cantiones sacrae« (Erfurt, 1617). »Zwei christliche Erndten-Gesänge« (Jena,
1620, in 4"). »XV geistliche Motetten nebst der Litanei und dem Te deum
laudamus von 4 — 8 Stimmen« (Erfurt, 1621, in 4"). nSertum spirituale musicale
oder geistliches Musik-Kränzlein von drei Stimmen« (Erfurt, 1637, in 4").
Thurm ist die Bezeichnung für eine besondere Aufstellung der Prospect-
pfeifen. Geschieht diese Aufstellung in Form eines Halbkreises, so bilden die
Pfeifen einen Thurm; in der Form eines Winkels aber einen Spitzthurm.
Thurn und Taxis, Alexander Ferdinand, Graf von, war in Eegensburg
1735 geboren und lebte längere Zeit in Venedig und Padua. Er war ein treff-
licher Clavierspieler und Violinist, der auch manches componirte. Als Tartini's
Schüler und Freund, der ihm seine Manuscripte vermachte, vertheidigte er seinen
Meister gegen die Anmerkungen J. J. Eousseau's in seinem i>Dietionaire de
musiquea, das System Tartini's betreffend, in einem Schriftchen: y>Risposfa di un
anonimo al celebre Signa Rousseau circa il suo sentimento in proposito d'alcune
proporzione del Sig. G. Tartini«. (Venezio, 1709).
Thurner, Friedrich Eugen, einer der berühmtesten Hoboenvirtuosen,
zugleich fertiger Clavierspieler und beliebter Componist, war am 9. December
1785 zu Mümpelgard im Würtembergischen geboren. Er bildete sich in Kassel,
wohin er sehr jung kam, später in München bei Ramm im Hoboenspiel aus.
Für den Zweck seiner musikalischen Ausbildung erhielt er von der Kaiserin
Marie Feodorowna eine Pension ausgesetzt. 1805 nahm er in Kassel, 1807 in
Braunschweig eine Stellung bei der fürstlichen Kapelle ein, worauf er auf
längere Zeit Concertreisen unternahm. In Wien verfiel er in Wahnsinn, wurde
aber für kurze Zeit geheilt und reiste 1818 nach Holland. Den Rest seines
Lebens musste er zwischen Genesung und Rückfällen in einem Irrenhause in
Amsterdam zubringen, wo er 1827 am 21. März starb. Zu seinen Compo-
sitionen, die bis op. 56 reichen, gehören: Drei Sinfonien, eine Ouvertüre, op. 31
186 Thureau — Tibaldi.
(Leipzig, Hoffmeister). Vier Concerte für Hoboe, op. 12, 39, 41, 44 (Mainz,
Schott, Leipzig, Hoffmeister und Amsterdam). Vier Quartette für Hoboe, Violine,
Alt, Bass (Bonn, Simrock, Leipzig, Hoffmeister), Trio für Hoboe und zwei
Hörner, op. 56 (Leipzig, Probst). Sonate brillante pour joiano seul, op. 55
(Leipzig, Probst) u. s. w.
Thureau, Hermann, ist 18.36 am 21. Mai zu Clausthal geboren und fand
seine Ausbildung zur Musik in Gröttingen und Leipzig. Hier besuchte er das
Conservatorium und genoss den Privatunterricht Hauptmann's. 1863 wurde er
Organist an der Hauptkirche zu Eisenach, 1865 Musikdirektor und Hofcantor
an derselben Kirche und erhielt 1872 das Prädikat Professor. Zu seinen
Funktionen gehört hier die Leitung des aus 64 Mitgliedern bestehenden Kirchen-
chors. Daneben wirkt er als Musiklehrer am Seminar und ist Dirigent des
Musikvereins.
Tims, David, mit dem lateinisirten Namen Thusius, Componist aus dem
Anfange des 17. Jahrhunderts, war im Mansfeldischen geboren und gab zu
Erfurt 1609 heraus: ■aEpithalamiumvi..
Thyard, auch Thiard, Ponce de, Bischof zu Chälons in Frankreich,
1521 auf dem Schlosse Bissi in der Diöcese Ma§on geboren, ist Verfasser des
Buches: »SoUtaire seeond, ou Prose de la Musiq^uea (Lion, par Jean de Touryes,^,
klein schmal Folio; auf der Pückseite des Titelblattes ist das Bildniss des Ver-
fassers in einem Holzschnitte befindlich, mit der Umschrift: y>Solitudo mihi pro-
vincia estn und »P. D. T. en son an 31«). Das Werk, in dem das musika-
lische System der Griechen entwickelt ist, ist 160 Seiten stark, ohne das Re-
gister und verschiedene Kupfer, deren letztes ein Monochord vorstellt, dem
eine Beschreibung, wie man es verfertigen und gebrauchen müsse, beigefügt
ist. T. starb 1605 auf seinem Schlosse Bissy.
Thys, Alphonse, Componist und Musiklehrer in Paris, daselbst am 8. März
1807 geboren, wurde auf dem Conservatorium dieser Stadt gebildet und durch
den ersten Compositionspreis ausgezeichnet. Seine ersten komischen Opern, die
1835 in Pai'is aufgeführt wurden, hatten wenig Glück, besser gefielen die
nächsten: siOreste et Pyladetn, 1 Akt und r>Amazone«, 1 Akt, 1844 — 1845 ge-
geben. Die letzte Arbeit war in Sournoise September 1848 aufgeführt. Ausser-
dem schrieb T. gemischte und Männerchöre,
Thys, Auguste, ist zu Gent 1821 geboren, und war in Belgien, haupt-
sächlich in seiner Vaterstadt, sehr bemüht zur Pflege des Chorgesanges beizu-
tragen und den Geschmack in Bezug auf den Männerchorgesang zu heben. Er
war von 1839 an als Sekretär der Gesellschaft Orphee eine lange Reihe von
Jahren hindurch ausserordentlich thätig. Ein von ihm herausgegebenes Buch:
T) Sistorique des Societes ehorales de Belgique<i (Gand, Busscher freres, 1855,
gr. in 8", 216 S., erschien in drei Auflagen). Der Titel der zweiten Auflage
hiess: »ie Societes ehorales en Belgiquev- (Gand, de Busscher freres, 1861, ein
Band in 8"). Man findet, darin alle Chorgesangsinstitute des Königreichs
Belgien verzeichnet; Nachrichten über deren Organisation, über erhaltene Preise
der Gesangvereine in Belgien, Frankreich, Holland, Deutschland und der Schweiz,
über Musikfeste und Notizen über belgische Componisten, hauptsächlich deren,
die für Männerchöre geschrieben.
Thyssetins, Benedict, Componist aus dem Anfange des 17, Jahrhunderts,
Man hat von ihm: »Christliche liebliche, anmuthige Gesänge mit 4 Stimmen«
(Wittenberg, 1614).
Tibaldi, Carlo, berühmter Tenorist, wurde 1776 zu Bologna geboren
und ward zuerst in den Jahren 1797 und 1798 durch seine Leistungen auf
italienischen Bühnen bekannt. 1804 kam er nach Deutschland und sang zu-
nächst in Wien, ward 1806 in Dresden bei der kurfürstl. italienischen Oper
engagirt und scheint seit 1810 grössere Gastspielreisen durch Italien, Deutsch-
land, Frankreich und England unternommen zu haben. Im Jahre 1826 ward
er pensionirt, kehrte hierauf nach Bologna zurück und starb dort 1833.
Tibaldi — Tibicenes. 187
Tibaldi, Constanze, Tochter des Vorigen, ward am 25. Juli 1806 in
Dresden geboren, erhielt ihre Ausbildung im Gesänge durch den berühmten
Tenoristen A. Benelli und ward 1822 bei der italienischen Oper in Dresden
engagirt, wo sie rasch beliebt wurde. 1827, nach dem Abgange der Sontag, kam sie
als erste Sängerin an das Königstädter Theater in Berlin. Ihr Repertoire war
nur klein, obwohl sie besonders in Männerrollen gefiel, weshalb sie 1828 Berlin
verliess und nach London, von da nach Paris ging. Dort ti-at sie als Tancred
auf, missfiel aber derart, dass sie sich entschloss, der Bühne ganz zu entsagen.
Sie ging nach Bologna zu ihrem Vater und verheiratete sich nach dem Tode
desselben mit einem wohlhabenden Privatmann, Namens Biagi. Es existirt ein
Bild von ihr, gezeichnet von Fr. Krüger, lithographirt von Grentili, gedruckt
im lithographischen Institut von Helmlehner.
Tibia (latein.) = Schienbein, der lateinische Name der Flöte (Aulos
s. d.), weil diese ursprünglich aus Schienbeinen von Thieren gefertigt wurde.
Erst später wurden andere Stoffe dazu verwendet, um die, der aus Schienbein ge-
wonnenen entsprechende Form nachzubilden. In den ältesten Zeiten, bei den
Grriechen, wurde die Flöte indess zuerst aus Schilfrohr geschnitten — {xo-
ravXog; später aus verschiedenen Holzarten, bei den Phrygiern aus Buxbaum,
aus Lot OS bei den Libyern und Phoinikiern, aus Epheu bei den Aegyptern,
erst die Tyrrhener machten sie aus Metall. Schon Herodot unterschied bei
der lydischen Flöte eine männliche und weibliche; die Bömer bezeichneten
die Tibia je nachdem sie mit der rechten oder linken Hand gespielt, mit der
rechten oder linken Seite des Mundes geblasen wurde: dextra oder sinistra,
beide aber waren in der Tonlage verschieden. Die dextra t. war die tiefere
und hatte in der Regel drei Tonlöcher; die sinistra t. war die höhere und
hatte vier und mehr Tonlöcher; weshalb pares und impares unterschieden wurde,
so dass parihus tihiis eanere heisst: mit zwei rechten oder zwei linken, imparihus
mit einer rechten und einer linken blasen. Die tihia wurde bei allen öffent-
lichen Feierlichkeiten, beim Cultus wie bei Volksfesten gebraucht, wie auch um
den Tact und den rechten Ton beim Reden und beim Vorlesen anzugeben.
Sie wurde nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen geblasen, die
avh;TQiösg werden oft genug erwähnt. Verschiedene Arten der Flöten waren, die
Tibia berecynthia, nach der Stadt und dem Berge Berecynthus so ge-
nannt, die
Tibia buxea war aus Buxbaum gefertigt, die
Tibia embateria = lacedämonische Flöte, mit der die Kriegslieder be-
gleitet wurden, die
Tibia giugriua = die Schalmei (von gingrire = das Crackern der
Gans), die
Tibia siticinnm = Leichenbläserflöte, die
Tibia tityrina = Hirtenflöte, die
Tibiae bifores, conjunctae, geminatae = Doppelflöte, die
Tibia Iiemiopae, die Flöte für Kinder, mit dicht neben einander liegenden
Löchern, die
Tibia augnsta heisst (in der Orgel) die Dolz flöte, die
Tibia aperta (in der Orgel), eine offene (nicht gedacte) Flöten-
stimme, die
Tibia major, s. Bor dun, die
Tibia sylvestris = Wald flöte, die
Tibia traverso, die Querflöte, die
Tibia vulgaris = Blockflöte.
Tibia eanere = die Flöte blasen, die
Tibia utricularis = die Sackpfeife, der Dudelsack.
Tibicenes, die Flötenbläser, bildeten in Rom seit der ältesten Zeit ein
Collegium; mehrere waren in Staatsdienst und wurden nur bei Opfern verwendet,
andere waren für jeden zum Dienst.
188 Tibiluatriiim — Tichatscheck.
TibilustriuiU; das zu Rom alljälirlicli am 13. Juni stattfindende Fest der
Pfeifenweihe.
Tiburce, P. Frangois, Mönch des Kapuzinerklosters zu Brüssel, seiner
Vaterstadt, wo er 1580 geboren wurde. Es ist von ihm eine Sammlung von
Litaneien bekannt: r>Litaniae seraphicae B. Mariae Virginis 3, 4, 5, 6 e^ 8 vo-
cibus cum basso continuo ad Organum»- (Antverpiae, apud heraedes P. Phalesii,
in 4°, ohne Datum). Das letzte Stück ist ein achtstimmiges Tantum ergo.
Ticliatscheck, Joseph Alois, wurde in dem durch seine romantischen
Felsenpartien berühmten Marktflecken Ober-Weckelsdorf in Böhmen am 11. Juli
1807 geboren. Sein Vater, Wenzel Tichatschke, ein einfacher Weber und
Landmann, besass entschiedenes musikalisches Talent, sang und spielte auch
mehrere Instrumente, weshalb er vielfache Beschäftigung bei vorkommenden
musikalischen Aufführungen, namentlich bei Kirchenmusiken fand. Sein Sohn
Joseph mag dadurch wohl die ersten Anregungen zu musikalischen Studien
erhalten haben, wenigstens ist soviel gewiss, dass derselbe frühzeitig als Altist
bei Kirchenmusiken mitwirkte. Zugleich ertheilte ihm der in Weckelsdorf an-
gestellte Schullehrer Wittig Unterricht im Gesang, auf der Violine und dem
Claviere. Der intelligente Knabe erregte bald das Interesse des Weckelsdorfer
Pfarrers Herrmann, welcher ihn während zweier Jahre zum Besuche des Gym-
nasiums in Braunau vorbereitete. Dieses damals gegen 3000 Einwohner zählende,
zwei Meilen von Weckelsdorf gelegene Städtchen besitzt nämlich eine bedeu-
tende Benedictiner-Abtei, mit welcher das oben erwähnte Gymnasium verbunden
ist. Der junge Tichatscheck fand im Jahre 1821 Aufnahme in letzterem, und
wurde natürlich bald für das Sängerchor der Schule als Altist sehr brauchbar
gefunden. Mit dem 17. Jahre erst mutirte seine Stimme und verwandelte sich
in einen herrlichen Tenor. Im Jahre 1827 absolvirte Tichatscheck das Gym-
nasium und ging nach Wien, um dort Medicin zu studiren. Da der junge
Student auch hier die Musik nicht vernachlässigte und sich insbesondere öfters
bei Kirchenmusiken betheiligte, wurde man bald auf seine schöne Stimme auf-
merksam. Namentlich interessirte sich der Chorregent Weinkopf an der Kirche
St. Michael, welcher zugleich Chordirektor am k. k. Kärnthnerthor-Theater war,
für Tichatscheck und bewog ihn, das Studium der Medicin aufzugeben und zum
Theater zu gehen. Er machte den damaligen Pächter des Kärnthnerthor-
Theaters, Grafen Gallenberg, auf den jungen Tenoristen aufmerksam und ver-
mittelte auch 1830 ein Engagement desselben als Chorist bei genannter Bühne.
Tichatscheck war nun wirkliches Mitglied des Kärnthnerthor-Theaters, sollte
aber auch sofort die Bitterkeiten seines neuen Standes kennen lernen, denn
die Finanzen des Herrn Grafen befanden sich in so desolaten Umständen, dass
der neue Chorist nur eine Monatsgage erhielt. Graf Gallenberg machte sehr
bald Bankerott, worauf der bekannte Duport als Pächter eintrat. Dieser er-
kannte sofort Tichatscheck's seltene Begabung und liess ihm in Verein mit
Clara Heinefetter, Sophie Löwe und Staudigl Unterricht durch den berühmten
italienischen Gesanglehrer Cicimara ertheilen. Im Jahre 1833 wird Tichatscheck
als Sänger und Chorinspicient mit 500 Gulden Gehalt aufgeführt; letzterer
sollte sich 1834 auf 600 Gulden erhöhen. Der junge Künstler hatte sich zur
Uebernahme kleiner Partien verpflichtet, in denen er bald solche Fortschritte
machte, dass man ihn mit der grösseren Bolle des Raimbaut in »Robert der
Teufela betraute; diesem folgte Jaquino (»Fidelio«), König Jurano (»Simira-
mis«) u. s. w. Tichatscheck schloss mit Duport einen Vertrag auf fünf Jahre
ab, erhielt aber behufs seiner weiteren Ausbildung einen längeren Urlaub und
ging nach Gratz. Hier war eine solche jugendlichfrische Erscheinung höchst
willkommen; Direktor Pollet gewann Tichatscheck für das erste Jahr mit
800 Gulden, für das zweite mit 1200 Gulden Gage. Sein erstes Debüt als
Raimbaut hatte glänzenden Erfolg, ebenso gefiel er als Alfonso (»Stumme«) und
Edmund (»Schwur«), und schnell schwang er sich zum gefeierten Liebling des
Gratzer Publikums empor.
Tichatscheck. 189
Inzwischen wurde ihm im Jahre 1837 von den neuen Pächtern des
Kärnthnerthor-Theaters Ballochino und Merelli ein Gastspiel auf Engagement
an Wild's Stelle angetragen; zur selben Zeit erhielt er von Dresden aus ein
gleiches Anerbieten. Kapellmeister F. Morlachi, die Schauspieler Pauli, Wei-
mar, sowie Caroline Bauer hatten Herrn von Lüttichau, den Generaldirektor
der königl. sächsischen musikalischen Kapelle und des Hoftheaters, auf den
jungen Tenoristen aufmerksam gemacht. In Wien gastirte Tichatscheck wäh-
rend des Monats Juli mit viel Beifall, in Dresden zuerst am 11. August 1837
als Herzog Olaf in der Oper »Die Ballnacht« (Gustav oder der Maskenball)
von Auber: aus Hofrücksichten hatte man nämlich König Gustav von Schweden
in einen Herzog Olaf verwandelt. Der junge Sänger entzückte durch seine
klangvolle jugendliche Stimme, sowie durch wahrhaft künstlerisch begeisterten
Vortrag. Der Beifall stieg, nachdem er noch als George Brown, Tamino und
Eobert der Teufel aufgetreten war. Die öffentliche Stimme entschied sich so
«allgemein für den trefflichen Künstler, dass Herr von Lüttichau einen sieben-
jährigen Contract (Ostern 1838 bis dahin 1845) mit Tichatscheck abschloss.
Zugleich ward derselbe als Sänger beim Chor der katholischen Hofkirche an-
gestellt. Sein Contrakt ward übrigens, wie hier im Voraus bereits bemerkt sei,
zu verschiedenen Zeiten verlängert, so in den Jahren 1844, 1849, 1857 und
1862. Tichatscheck gesellte sich in Dresden einem Künstlerkreise zu, der zu-
nächst im Bereiche der Oper damals den ersten Deutschlands zuzuzählen war
und unter der Leitung eines humanen, einsichtsvollen und für die Kunst und
das Institut warm fühlenden Chefs sich streng auf dem Boden echt künstle-
rischer Bestrebungen bewegte. An der Spitze dieses Künstlerkreises, mass-
gebend und bestimmend in wahrhaft genialer Weise, stand Wilhelmine Schröder-
Devrient. Ueberflüssig wäre es, hier noch Worte über die hohe künstlerische
Bedeutung der genialen Frau zu verschwenden. Nur von dem fördernden Ein-
flüsse, den sie wie auf alle Collegen, so auch auf Tichatscheck ausübte, mag
hier die Rede sein.
Auch Tichatscheck sollte erfahren, wie viel er seiner grossen Collegin zu
verdanken haben würde. Zunächst machte sich dies bemerklich in der ersten
Vorstellung der »Hugenotten« am 23. März 1838. Die Oper und besonders
Wilhelmine als Valentine, Tichatscheck als Raoul erzielten einen ausserordent-
lichen Erfolg. Tichatscheck bewies seine Dankbarkeit und Verehrung dadurch,
dass er an dem Hause in Coburg, in welchem sie 1860 gestorben war, eine
Erinnerungstafel anbringen Hess. Dieselbe ward am 27. October 1862 enthüllt.
Zahlreiche Gastspiele auf fast allen bedeutenden Bühnen Deutschlands verbrei-
teten den Ruf Tichatscheck's bald weit und breit. Im Jahre 1841 (Juni) be-
theiligte er sich an dem deutschen Opernunternehmen Schumann's in London,
Manchester und Liverpool, dem auch Staudigl, Clara Stöckel-Heinefetter und
andere ausgezeichnete Künstler angehörten, Tichatscheck trat zum ersten
Male in London als Tamino mit grossem Beifall auf. Das Jahr 1842 war
epochemachend im reichen Künsterleben Tichatscheck's. Am 20. Octbr. sang
er zum ersten Male die Rolle des Rienzi in der gleichnamigen Oper von
Richard Wagner. Mit dieser Partie eröffnete sich ihm eine glänzende Zukunft
als Wagnersänger. Enge Freundschaft verband ihn von nun an mit dem be-
rühmten Componisten. Am 19. Octbr. 1845 wurde zum ersten Male unter des
Componisten Leitung Wagner's »Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der
Wartburg« gegeben. Lange Zeit blieb Tichatscheck's Tannhäuser unerreicht,
nicht minder galt dies von Mitterwurzer's Wolfram, der mit dieser Rolle sich
seinem berühmten Collegen ebenbürtig an die Seite stellte. Sie beide und die
Nichte des Componisten, Johanna Wagner, welche die Elisabeth gab, blieben
noch lange mustergültige Repräsentanten ihrer Rollen; sie haben später die
Ausführung dieser Partien nur im Einzelnen, nicht aber im Ganzen steigern
und blos vollendeter machen können. Und neben ihnen spielte damals noch
die Schröder-Devrient (Venus). Diesen beiden glänzenden Rollen fügte Tichat-
190 Tichatscheck.
Scheck 1859 auch die des Lohengrin hinzu. Am 17. Januar 1863 beging
Tichatscheck in Dresden das 25 jährige Jubiläum seiner Mitgliedschaft am
königl. Hoftheater. Welch eine reiche, thätige und ruhmgekrönte Laufbahn
konnte der Sänger an diesem Tage überblicken; mit welcher Theilnahme aber
auch wurde ihm die allerdings in so reichem Maasse verdiente Anerkennung
seiner Kunstgenossen und Freunde, ja des Publikums aus vollem Herzen be-
wiesen. König Johann ernannte ihn an diesem Tage zum Kammersänger. Seit
1861 gehörte Tichatscheck dem Dresdener Hoftheater als Ehrenmitglied an.
Am 16. Januar 1870 feierte Tichatscheck sein 40 jähriges Künstler- Jubiläum
unter allgemeiner Theilnahme. Er erhielt an diesem Ehrentage das Ritterkreuz
des königl. sächsischen Albrechtsordens, des Eruestinischen Hausordens und
des österreichischen Franz Josephs-Ordens. Schon früher waren dem Sänger
mancherlei Ehrenbezeigungen zu Theil geworden. Durch Decret d. d. Neustrelitz,
22. Juni ernannte ihn der Grossherzog Georg Friedrich zum grossherzoglichen
Kammersänger. Durch Decret d. d. Darmstadt, 24. April 1860 verlieh derf
Grossherzog von Hessen-Darmstadt unserm Künstler die goldene Yerdienst-
medaille. Im Jahre 1866 erhielt er vom König von Schweden die goldene
Medaille mLiteris et Ärtibusn. 1835 ernannte ihn der Musikverein in der
Steiermark, 1842 der Musikverein zu Linz zu seinem Ehrenmitgliede. In Gratz
bereits hatte sich Tichatscheck mit seiner noch lebenden Gattin, Pauline Zeuner,
verheiratet. Von seinen beiden Kindern war eine Tochter, Josephine, an den
königl. sächsischen Hofoperusänger C. Rudolph verheiratet, sein Sohn, Franz
Joseph, diente als Lieutenant im königl. sächsischen vierten Infanterie-Regimente
und starb vor einigen Jahren.
Am 1. Januar 1870 trat Tichatscheck in den wohlverdienten Ruhestand.
Ueberblickt man nun das überaus reiche Repertoir, welches sich Tichatscheck
erworben hat, so steht er da als ein Künstler im grossen Stil. Seine Stimme
zeichnete sich von jeher durch Klangfülle, Schönheit und Classicität höchst
vortheilhaft aus; dabei hatte er sich durch sinnige vind unausgesetzte Studien
eine gediegene Gesangs-Technik erworben, die das Organ, trotz langjähriger
Anstrengungen, immer frisch und gesund erhalten hat. Nicht genug kann auf
die goldreine Intonation in dem Gesänge Tichatscheck's hingewiesen werden;
Reinheit in solcher Vollendung wird man selten antreffen. Da war unfehlbare
Sicherheit bei den schwersten Intervallen und Ausweichungen, bei leidenschaft-
lichen Ausbrüchen höchster Kraft, wie bei den im leisesten Piano hingehauchten
Tönen. Tichatscheck hat das ganze Tenor-Repertoire zunächst der grossen
Oper beherrscht. Von seinen Hauptrollen mögen hier nur erwähnt sein:
Admetos, Achilles, Idomeneus, Tamino, Hüon, Adolar, Licinius, Cortez, Ivanhoe,
Olaf (Gustav III.), Masaniello, Robert, Raoul, Prophet, Eleazar, Rienzi, Tann-
häuser, Lohengrin. Diesen Rollen schliessen sich, zugleich einen merkwürdigen
Gegensatz bildend, seine Partien in »Die weisse Dame«, »Joconde«, »Maurer
und Schlosser«, »Zum treuen Schäfer« und »Brauer von Preston« an. Von
lyrischen Partien sind Max, Joseph, Nadori, Sever, Stradella u. a. zu nennen.
Für die Dresdener Bühne war Tichatscheck von ausserordentlicher Wichtigkeit
und seine echte Künstlernatur war stets vom förderlichsten Einflüsse. Neben
dem Treiben der Routiniers ist es vorzugsweise die Blasirtheit der Mitglieder,
welche nachtheilig, ja zerstörend auf ein Kunstinstitut einwirken kann und
dieser ist Tichatscheck von jeher fern gewesen, sie hat nie durch den Panzer
seiner Künstlerschaft dringen können. Wahrhafte Begeisterung für alles Gute
und Schöne war stets die Triebfeder seines Wirkens, sie sicherte allein seinen
Leistungen die Unmittelbarkeit und poetische Frische, welche sie so bedeutend
erscheinen lassen. Sie Hess ihn zugleich die Bedeutung seiner Stellung an dem
berühmten Kunstinstitute, dem er angehörte, in ihrem vollsten Umfang er-
kennen; er betrachtete sein Engagement nicht als ein nothwendiges Uebel, als
eine Ruhezeit nach den Fatiguen endloser Gastspielreisen. Und wenn er auch
fast alle grösseren Bühnen Deutschlands betrat, so war und blieb doch immer
Tido — Tietjens. 191
seine regste Thätigkeit der Dresdener Hofbühne gewidmet, der er so zu sagen
mit Leib und Seele angehörte.
Tido, H einrieb, geboren in Litthauen in der zweiten Hälfte des 17. Jahr-
hunderts, gab in Frankfurt a. 0., wo er studirte, eine Abhandlung in Folio
heraus: liProgramma de Studioso musicaea u. s. w. (1692, in 4°).
Tiedemaun, Dietrich, Professor der Philosophie und Sprachen an der
Universität Marburg, war am 3. April 1745 in Bremer-Voerde bei Bremen
geboren. Er studirte in Gröttingen und lehrte zuerst an der Universität Kassel.
Er starb in Marburg am 23. Mai 1803. In seinem Buche über die Philosophie
der Alten hat er Anmerkungen über das Pythagoräische Musik- System ge-
schrieben; diese sind auch im dritten Bande der Forkel'schen »Musikalischen
Bibliothek«, S. 107—116 abgedruckt.
Tief heissen diejenigen Töne, im Gegensatz zu den hohen, welche durch
langsamere und breitere Schwingungen der tonerzeugeuden Körper hervor-
gebracht werden.
Tiefeubrucker, Caspar, s. Duiffopruggar.
Tielfeul) rucker, Leonhard, Magnus und "Wendelin, waren Lauten-
macher deutschen Ursprungs, die während des 16. Jahrhunderts in Venedig
arbeiteten und deren Instrumente gesucht waren.
Tiehsen, Otto, Musiklehrer und Componist, geboren am 13. Octbr. 1817
zu Danzig, besuchte zum Zwecke seiner musikalischen Ausbildung die königl.
Akademie in Berlin und erhielt mehrere Preise. Er lebte später in Berlin als
Musiklehi-er und veröjEFentlichte eine Eeihe von Compositionen, von denen haupt-
sächlich seine Lieder mit Clavierbegleitung sich Freunde erwarben. T. starb
an einer Herzkrankheit, 32 Jahr alt, am 15. Mai 1849. Die grösseren seiner
Arbeiten sind: Ein sechsstimmiges Kyrie und Gloria für Solo und Chorstim-
men (1839). "Weihnachtscantaten für Solo und sechsstimmigen Chor, op. 8
(Berlin, Trautwein). Crucificus sechsstimmig a capella, op. 11 (Berlin, Bote
und Bock). »Annette«, komische Oper, 1847 in Berlin aufgeführt. Das Ver-
zeichniss aller seiner Lieder ist in Ledebur (»Berliner Tonkünstler-Lexikon«,
S. 598) abgedruckt.
Tielke, Joachim, Lautenmacher, der zu Hamburg von 1660 bis in den
Anfang des 18. Jahrhunderts ansässig war. Er verfertigte Lauten und auch
Geigen von trefflicher Art. Eine seiner Geigen vom Jahre 1660 besass Herr
Andre in Offenbach. Lauten hat T. angefertigt, die ganz aus Elfenbein und
Ebenholz bestanden, und deren Hals mit Gold, Silber und Perlmutter oder
Schildpatt ausgelegt war.
Tiersch, Otto, geboren am 1. September 1838 zu Kalbsrieth (Sachsen-
Weimar), war Schüler von J. G. Töpfer, Ludw. Erk und H. Bellermann, seit 1861
in Berlin, derzeit Lehrer der Theorie am Stern'schen Conservatorium daselbst.
Er veröffentlichte: »System und Methode der Harmonielehre« (Leipzig, Breit-
kopf & Härtel, 1868). »Elementarbuch der musikalischen Harmonie und Mo-
dulationslehre« (Berlin, Robert Oppenheim, 1874; wird gegenwärtig ins Englische
übersetzt durch Prof. Dölker in Albany, N.-Y.). »Kurze praktische Generalbass-,
Harmonie- und Modulationslehre« (Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1876). Ferner
verschiedene theoretische Abhandlungen in Fachblättern (»Neue Berliner Musik-
zeitung«, »Neue Zeitschrift für Musik«, »Musik. Wochenblatt« u. s. w.), sowie
eine Reihe von Artikeln theoretischen Inhalts im vorliegenden Lexikon (Auf-
lösung, Ausweichung, Battuta u. s. w.), welche über die Principien seines Systems,
das, unter Beachtung der Resultate akustischer und anderweitiger Forschungen,
alle Erscheinungen im Gebiete der Harmonie aus zwei sehr einfachen Gesetzen
abzuleiten sucht, sowie über die Tendenzen seiner Bestrebungen auf theore-
tischem Gebiete überhaupt genügenden Aufschluss geben.
Tietjens, Therese, die berühmte Primadonna von her Majesty's Theatre
in London, wurde am 17. Juli 1831 in Hamburg von ungarischen Eltern ge-
boren. Nachdem sie daselbst ihre musikalischen Lehrjahre beendet, begann
192 Tietz - Till.
sie in ihrem 18. Lebensjahre als Lucrezia Borgia an der dortigen Oper ihre
sich so ruhmvoll gestaltende künstlerische Laufbahn mit ausserordentlichem
Erfolg. Die Zeitungsberichte darüber trugen rasch ihren Namen in alle Lande.
Von ihrer Vaterstadt ging sie nach Frankfurt a. M. und dann an die k. k. Oper
nach Wien, wo ihre Valentine ein brillantes Engagement zur Folge hatte. Von
"Wien aus folgte sie dem dringenden und lockenden E,ufe nach London; hier
wirkte sie bis zu ihrem am 3. Octbr. 1877 erfolgten Tode an der Oj)er und
als Sängerin Händel'scher Oratorien in glänzendster Weise. Ihre mehr gewal-
tige als schöne, aber trefflich geschulte Stimme, Spiel und Erscheinung prä-
destinirten die Künstlerin für das stolze Gebiet hochdramatischer Partien. Alle
ihre Gestaltungen (Fidelio, Valentine, Norma, Donna Anna u. s. w.) waren von
heroischer Kraft getragen und Feuer durchglüht, ohne je die künstlerische
Grenzlinie zu überschreiten, ihr Organ trotzte siegreich jeder Anstrengung.
Von der Königin Victoria hochgeehrt, nahm sie in der Londoner Gesellschaft
eine der bevorzugtesten Stellungen ein.
Tietz, Hermann, geboren am 8. März 1844 in Driesen, studirte zuerst
in Berlin an der Gewerbe-Akademie von 1859 — 1863 Chemie, dann aber wandte
er sich dem Studium der Musik zu; wurde 1865 Schüler und 1866 Lehrer an
der Neuen Akademie für Tonkunst, ging 1868 nach Gotha, wurde hier 1869
zum Hofpianisten ernannt und gründete den Musikverein, dessen Leitung er
seitdem führt. Er gehört zu den besten Pianisten der Gegenwart.
Tietz, Ludwig, geboren zu Dresden am 26. April 1774, wurde von seinem
Vater, der kurfürstl. sächsischer Kammermusikus war, frühzeitig für die Musik
bestimmt und erhielt eine sorgfältige Ausbildung, insbesondere Violinunterricht
bei Job. Gottlob Scholtz, der ebenfalls in der kurfürstl. Kapelle angestellt war.
Schon 1790 trat Tietz als Violinist in letzteres Institut ein, unternahm einige
Kunstreisen, ward 1814 mit dem Vorspiel bei der Zwischenaktsmusik betraut,
avancirte 1818 zum königl. Viceconcertmeister und starb am 8. August 1827.
Von seinen Compositionen sind einige Entreacts bekannt geworden.
Tigrini, Stiftsherr zu Arezzo, lebte in der zweiten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts und gab ein musikalisches Lehrbuch heraus, welches er Zarlino de-
dicirte und welches den Titel führt: »Compendio della musica, nel quäle ireve-
mente si tratta delV arte di contrapunto. Diviso in quattro libri« (Venezia, 1588,
appresso Ricciardo Amadino, in 4**, 136 S.; zweite Ausgabe Venedig, 1602).
Eine von Tigrini bekannte Composition ist enthalten in: »JZ primo libro de
Madrigali a 6 vocia (Venezia, app. Angelo Gardano, 1582, in 4** obl.).
Til, Salomon van, Professor der Theologie, geboren zu Wesop bei Amster-
dam am 26. December 1644, studirte zu Utrecht und Leyden, und bekleidete,
nachdem er eine Zeitlang Prediger gewesen war, in der letzteren Stadt eine
Professur. Er hat ein Werk über die hebräische Musik geschrieben, dessen
Titel in der Originalsprache: y>Digt-,Sa7ig- en Speelkonst, soo der ouden, als hysonder
der Hebrean eica (Dortrecht, 1692, in 4**, 72 Bl.). Ausser mehreren hollän-
dischen Ausgaben erschien das Werk: 1) in deutscher Uebersetzung: »Dicht-,
Sing- und Spiel-Kunst, sowohl der Alten, als besonders der Ebräer« (Frankfurt
und Leipzig, 1706, in 4°, 478 Seiten nebst Platten; zweite Ausgabe Frankfurt,
1719, in 4"); 2) eine lateinische Uebersetzung lieferte J. A. Fabricius in seinem'
y>Thesaurus antiquitatum hebraicaruma, T. VI, No. 50; wovon ein Auszug in
Ugolini: -nThesaurus antiquitatum sacraruma, T. XXXII, S. 231 — 350 aufge-
nommen ist.
Till, Johann Herrmann, Organist zu Potsdam, später zu Spandau (1730),
gab 1719 folgende Schrift zum Druck: »Aufrichtig und vernunftgründlich be-
antwortete Frage: Ob ein Musikus Practikus, so sich annechst der Composition
und deutschen Poesie äussert, auch bereits seine Proben darinnen bewiesen,
müsse und solle alle Classen Scholae durchgegangen und auf Universitäten ab-
solute absolvirt haben. Worbei noch gezeigt wird, woher die Ursache entstehe,
dass einige Theologi die edle Musik verachten; und wie man sie überweiset,
Tille - Timotheus. ' 193
dass sie eine reclitschafFene Musik ohne Noth verweliren wollen u. s. w.« (Jüter-
bogk, 1719, 4 Bogen in 8"). Im Manuscript hinteiliess derselbe Verfasser:
yiGatecliismios mitsicus oder Kurzer Auszug der heiligen Schrift von dem edlen
Studio mtisico«, 41 Hauptfragen mit Beantwortung.
Tille, Windrohr, heisst der Pfeifenfuss bei hölzernen Pfeifen.
Tilliere, Joseph Bonaventura, geschickter Violoncellist, ein Schüler von
Bertaut, gehörte gegen 1760 zur Musik des Prinzen Conti und ist einer der
Ersten, der eine Schule für Violoncell schrieb: ^^ Methode pour le violoncelle,
contenant tous les principes necessaires pour hien jouer de eet insfrumentv. (Paris,
1764, in 4" obl.). Das Werk erlebte noch später mehrere Auflagen bei Sieber,
Imbault, Frere. Nächstdem ist von T. vorhanden: y)Six sonates pour violoncelle
et hasse; six duos pour deux violoncellesK (Paris, 1777); -»Trois duos idema, op. 8
(Paris, Sieber).
Timäus, ein Tubicinist im alten Griechenland, war im Jahre 396 v. Chr.
der erste Sieger in den Olympischen Spielen auf seinem Instrumente (s. Forkel
«Geschichte«, Bd. I, S. 278).
Timbalaua war im Mittelalter eine kleine, cylinderförmige Trommel von
Kupfer, die mit zwei Schlägeln gerührt wurde.
Tlmbales (franz.), Pauken.
Timb alier (franz.), Paukenschläger.
Timbre (franz.), die unterscheidende Eigenthümlichkeit der verschiedenen
Klänge, die specifische Klang- oder Tonfarbe. Diese hängt von der Qualität
der klingenden Körper ab. Derselbe Ton mit der gleichen Anzahl von Schwin-
gungen hat, von einem Blasinstrumente angegeben, eine andere Klangfarbe, als
von einem Streichinstrument gespielt. Man ist gezwungen zur näheren Be-
zeichnung des Timbres aus anderen Gebieten die betreffenden Wörter zu ent-
lehnen und unterscheidet ein helles oder dunkles, weiches oder rauhes,
metallisches oder hölzernes, saftiges oder trocknes und dürres, glän-
zendes oder dumpfes, scharfes, spitzes, volles Timbre u. s. w. und hat
diese Bezeichnungen auch innerhalb ein und desselben Organs angewandt. So-
wohl bei den Singstimmen, wie bei den Bohrinstrumenten unterscheidet
man Register mit verschiedenen Timbre. Bei den Saiteninstrumenten ändert
sich die Klangfarbe durch die verschiedenen Streicharten. Ferner wirken auch
die Bäume, in denen musicirt wird, verändernd auf den Klang der verschiedenen
Instrumente.
Timbres nennen die Franzosen die stehenden, allbekannten Melodien, nach
denen die Vaudeville-Dichter ihre Couplets einrichten und singen lassen.
Timm, Christian Heinrich, geboren 1811 in Hamburg, war Schüler
Methfessels und Jacob Schmitt's. 1835 wanderte er nach New-York aus, wo
er in geachteter Stellung als Orchesterdirektor und Mitbegründer der »PÄ*7-
harmonic Society«, deren Präses er 15 Jahre war, lebte.
Timoroso, Vortragsbezeichnung = furchtsam, zitternd.
Timothais, ein berühmter Flötenbläser, der 330 v. Chr. lebte und mit seiner
Kunst, indem er den orthischen Nomos spielte, Alexander d. Gr. so in Wuth
versetzt haben soll, dass er die Waffe ergriff und einen Mord begangen haben
würde, wenn ihn nicht der Künstler durch einen andern Nomos wieder be-
sänftigt hätte. Diesem Vorgang liegt Händel -Dryden's »Alexanderfest«
zu Grunde. (Siehe den Folgenden.)
Timotheus, alt-griechischer Dichter und Musiker, ist im Jahre 182 der
Chronik von Paros (446 v. Chr.) zu Milet, einer ionischen Stadt an der klein-
asiatischen Küste geboren, war demnach ein Zeitgenosse Philipps von Mace-
donien und des Euripides. Er hat sich sowohl als lyrischer, wie auch als
dithyrambischer Dichter ausgezeichnet und galt als der geschickteste Kithara-
spieler seiner Zeit, hat auch dies Instrument durch Vermehrung der vor ihm
üblichen Zahl von sieben Saiten um vier neue vervollkommnet. Diese und
andere Neuerungen, welche er einzuführen suchte, stiessen bei einem Theil
MusikaL Convers.-Lexikon. X. 13
;[94 Timotheus.
seiner Zeitgenossen auf heftigen Widerstand, und noch Phitarch tadelt in
seinem Dialog über die Musik ihn (sowie seine Collagen Krexos und Philo-
xenus), »er strebe in unwürdiger Weise nach Neuem, indem er sich dem Stil
hingebe, der dem grossen Publikum gefällt und der Agonen-Preis-Stil genannt
wird; die Folge ist, dass Beschränkung der Töne, Einfachheit und Würde der
Musik durchaus der alten Zeit angehört«*). Der gleichen Meinung scheinen
die Lacedämonier gewesen zu sein, denn sie verdammten ihn, in der Furcht,
seine Neuerungen könnten eine Verderbniss der Sitten im Gefolge haben, zur
Strafe der Landesverweisung. Das bei dieser Gelegenheit erlassene, von Boetius
(»De institutione musicm, Buch I, Cap, 1) mitgetheilte Decret lautet: »Da
Timotheus der Milesier bei seiner Ankunft in unserer Stadt unsre alte Musik
entehrt hat und die Lyra mit sieben Saiten verachtet; auch durch seine Ein-
führung einer grösseren Menge von Tönen die Ohren unserer Jugend verdorben,
und durch die Anzahl seiner Saiten und die Neuheit seiner Melodie in unsere
Musik einen weibischen und gekünstelten Charakter gebracht hat, anstatt des
einfachen und geordneten, der ihr bisher eigen gewesen; nicht weniger auch,
weil er durch seine chromatischen Compositionen anstatt der enharmonischen
unsere Melodie verunreinigt hat, so haben der König und die Ephoren be-
schlossen, ihn dieser Umstände wegen zu verurtheilen und zu verfügen, dass er
die überflüssigen Saiten von seiner Kithara entferne und sich mit sieben Tönen
begnüge; auch dass er aus unserer Stadt verbannt sein soll und dadurch jeder-
mann gewarnt sei, in Zukunft schädliche Gewohnheiten in Sparta einzuführen«.
Athenäus, der diesen Vorfall ebenfalls berichtet, fügt noch hinzu, dass als T.
bei den, dem Apollo gewidmeten Carneischen Spielen um den Preis kämpfen
wollte, einer der Ephoren sich mit einem Messer ihm genähert und ihn auf-
gefordert habe, diejenigen Saiten von seiner Kithara abzuschneiden, welche über
sieben waren; dass aber der Künstler die Strafe von sich abgewendet habe
durch Hinweisung auf eine Statue des Apollo, dessen Instrument die gleiche
Saitenzahl hatte als das seinige.
Indessen waren es nicht die Lacedämonier allein, welche sich den musika-
lischen Neuerungen des T. widersetzen; auch in Athen beklagte man sich über
die zunehmende Complicirtheit der Musik und behauptete, sie sei übermüthig
geworden, habe sich nach und nach von der Poesie getrennt und wandle ihre
eigenen, von der alten und kräftigen Einfachheit abweichenden Wege. Unter
seinen vielen Gegnern war der heftigste der Lustspieldichter Pherekrates, der
in seiner Komödie »Chiron« die Musik, als Frauenrolle personificirt, mit Spuren
der Misshandlung am ganzen Leibe auf die Bühne bi'ingt, und ihr, nachdem
die Gerechtigkeit sich nach der Ursache dieser Schmach erkundigt hat, die
folgenden Worte in den Mund legt:
»Jetzt aber hat Timotheus aufs schmählichste mich ruiuirt, o Freun-
din«. — »Was für ein Timotheus ist diesV« — »Der Rothkopf aus
Milet«. — »Auch dieser hat misshandelt dich?« — »Er übertrifft weit
alle andern, singt Ameisenkribbelein, ganz unerhört verruchte, un-
harmonische, in hohen Tönen nach der Pickelpfeifen Art, und hat
mich gänzlich kurz und klein wie Kohl zerhackt und angefüllt mit
üblen Ingredienzien. Und als ich einst allein ging, übermannt er mich,
entblösste mich und band mich mit zwölf Saiten fest«.
Wenn alle diese Vorwürfe im Ganzen aufrichtig gemeint sind, wie ja zu
allen Zeiten diejenigen Künstler, welche das Gebiet der musikalischen Aus-
drucksmittel erweitern, bei der Mehrzahl ihrer Zeitgenossen Missbilligung ge-
funden haben und finden werden, so mag doch gelegentlich auch der Neid dabei
ins Spiel gekommen sein; denn es fehlte dem Dichter-Sänger auch nicht an
begeisterten Verehrern, und nach Makrobius sollen ihm die Epheser tausend
Goldstücke für ein Loblied auf die Diana zur Einweihung des ihr erbauten
*) Vergl. E. Westphal „Plutarch über die JTusik", p. 42.
Tinctoris. 195
Tempels bezahlt haben. Uebrigens ist das Ausehen, welches er als Künstler
genoss, durch seine Thätigkeit durchaus gei'echtfertigt ; in Bezug auf die Art
derselben äussert sich Plutarch (s. ß. Westphal a. a. 0., p. 37) »dass die alten
kitharodischen Nomoi aus Hexametern bestanden, davon legt Timotheus einen
Beweis ab. Seine ersten Nomoi trug er nämlich so vor, dass er dithyrambische
Phi'aseologie und episches Metrum vereinte, um nicht gleich anfangs als Ueber-
treter der alten musischen Kunstnormen zu erscheinen« — eine Bemerkung,
aus welcher sich entnehmen lässt, dass T. die Grundbedingungen einer erfolg-
reichen Musikreform, genaue Kenntniss des Vorhandenen und Anschluss an
die vorangegangenen Meister nicht verabsäumt hat. Seine Produktivität muss
ausserordentlich gewesen sein ; Suidas allein führt, ausser dem erwähnten Lob-
lied auf die Diana, neunzehn Nomen seiner Composition in Hexametern an;
ferner sechsunddreissig Proömien (Vorspiele), achtzehn Dithyramben, einund-
zwanzig Hymnen, drei Trauerspiele: »Die Perser«, »Phinidas« und »Laertes«.
Stephauus von Byzanz nimmt seine Autorschaft für eine noch weit grössere
Zahl von "Werken in Anspruch, Auch das Todesjahr des T. wird von den
beiden genannten Schriftstellern verschieden angegeben; nach Suidas ist er in
Macedonien im Alter von 97 Jahren gestorben, nach Stephanus, der seinen
Tod ins vierte Jahr der 195. Olympiade, zwei Jahre vor der Geburt Alexan-
ders d. Gr. oder ins Jahr 357 v. Chr. setzt, wäre er nur 89 Jahre alt geworden.
T. ist häuiig mit einem Jüngern Musiker dieses Namens verwechselt, welcher
aus Theben stammt und sich durch sein Flötenspiel grossen Ruhm erworben
hat. Dieser wurde, wie Athenäus im XII. Buche seiner »DeipHosophistaia er-
zählt, mit andern berühmten Tonkünstlern seiner Zeit zur Vermählungsfeier
Alexanders d. Gr. berufen und wusste den König durch seine Töne so zu er-
regen, dass derselbe, während einmal T. den orthischen Nomos vortrug, in einem
Anfall unwiderstehlicher Begeisterung zu den "Waffen gegriffen haben soll. "Wie
der Künstler noch nach anderer Seite auf das Gemüth des jungen Helden ge-
wirkt hat, ist von Dryden in seiner, durch Händel's Composition den Musik-
freunden bekannt gewordenen Cantate »Alexanderfest« vortrefflich geschildert.
Tiuctoris, Johannes, niederländischer Theoretiker, berühmt als Verfasser
des ältesten musikalischen Lexikons, ist nach der Aussage seines Zeitgenossen
Joannes Trithemius, der in seinem -nGatalogrim illustrium viroricm<i über Tinctoris'
Lebensumstände Nachrichten — und zwar die einzigen zuverlässigen — ■ mittheilt,
in der brabantischen Stadt Nivelles geboren. Der betreffende Artikel des
Trithemius lautet »Johannes Tinctoris aus Brabant, geboren in der Stadt Ni-
velles und an der Kirche derselben Stadt Canonicus. beider Rechte Doctor,
ehedem Oberkapellmeister und Cantor des Königs Ferdinand von Neapel, hoch-
gelehrt in jeder Beziehung, ein grosser Mathematiker, ausgezeichneter Musikus,
von feinem Geist und gewandter Beredtsamkeit, schrieb und schreibt viele
vortreffliche Werke, wodurch er sich bei der Mitwelt nützlich, bei der Nachwelt
berühmt macht. Von diesen habe ich nur folgende gefunden: in der Musik
drei Bücher über den Contrapunkt, dann ein Buch über die Töne, endlich ein
Buch über den Ursprung der Musik. Er hat ferner eine Anzahl ausgezeichneter
Briefe an Verschiedene geschrieben; er hat eine Darstellung gemacht, worin er
alle alten Musiker zusammengefasst und Jesum Christum als den grössten
Sänger genannt hat. Er lebt noch in Italien, wo er über Verschiedenes schreibt,
in einem Alter von ungefähr 60 Jahren. — Geschrieben unter der Regierung
des Königs Maximilian, im Jahre des Herrn 1495, im dreizehnten Indictions-
jahre« (d. h. vor dem 1. September 1495). Einer so bündigen Aussage gegen-
über, der sich eine Reihe von Autoritäten auf dem Gebiete der Musikgeschichte,
wie Walther, Gerber, Kiesewetter u. A. angeschlossen haben, darf in Bezug
auf den Geburtsort Tinctoris' kaum ein Zweifel bleiben, wenn auch ein
neuerer Forscher, Edmund Vanderstraeten, das in West -Flandern gelegene
Städtchen Poperinge als solchen bezeichnet. Mit Gewissheit ist aus obigen
Angaben des Trithemius zu folgern, dass T. gegen 1435 geboren ist und nicht
13*
196 Tinctoris.
1450, wie Schilling in seinem TJniversallexikon und nach ihm andere Autoren
behaupten; so wenig wie diese Jahreszahl kann die in demselben Werke als
Todesjahr des T. angegebene Zahl 1520 für zuverlässig gelten, da auch diese
letztere durch keinerlei Dokumente gestützt ist. Was den Aufenthalt des T.
in Italien betrifft, so verdient noch eine Mittheilung des Franciscus Sweertius
Beachtung, der in seinem zu Antwerpen 1628 erschienenen Buche y>Athenae
Belgicaea neben unserm Schriftsteller noch einen Johannes Tinctor*) erwähnt,
den er als »S. Theologiae in Grymnasio Coloniensi Professor, Canonicus Torna-
censis« und als Verfasser von vielen theologischen und philosophischen Schriften
bezeichnet, wobei er als Zeit seiner Blüthe die Regierungen Kaiser Friedrich's III.
(1440—1493) und Papst Paul's IL (1464—1471) angiebt. Wie H. Bellermann
meint, »wäre bei der Gleichheit der Zeit und des Namens die Annahme nicht
unwahrscheinlich, dass beide eine Person seien, da unser T. im Widmun^s-
schreiben seines oben erwähnten Lexikons ausdrücklich sagt, er habe sich nicht
einseitig mit der Musik beschäftigt, sondern sich eifrig bemüht, auch in andern
Wissenschaften Kenntnisse zu erlangen ; hierauf gründet sich wohl die Angabe
Forkel's, dass T. nach seinem Aufenthalt in Neapel wieder in sein Vaterland
zurückgekehrt sei. Wenn aber Kiesewetter hinzufügt, dass diese Rückkehr ins
Vaterland im Jahre 1490 geschehen sei, so widerspricht dies den obigen Worten
des Trithemius, T. lebe noch (nämlich 1495) in Italien.«
Während über Tinctoris' Jugend und den Zeitpunkt seiner Uebersiedeluncr
nach Italien alle Nachrichten fehlen, so bieten sich zur Kenntniss seiner Wirk-
samkeit in diesem Lande wenigstens einige Anhaltepunkte, In seiner Schrift
»J)e natura et proprietate tonoruma belehrt er selbst den Leser, dass er dieselbe
am 6. November 1476 beendet habe, in demselben Jahre, wo die »göttliche«
Beatrix von Aragonien (der sein Lexikon gewidmet ist) als Königin von Ungarn
gekrönt wurde. Ferner erfährt man aus der Voi-rede zu seiner 1477 beendigten
Abhandlung über den Contrapunkt, dass er sich der fortdauernden Gunst des
Königs von Neapel und Sicilien, Ferdinands von Aragonien, erfreute, bei
welchem er die Stelle eines Capellanus oder Capellmeister bekleidete. Endlich
giebt ein, im Jahre 1850 von Adrien de la Fage zu Neapel gefundener Brief
Aufschluss über die Dauer seines Aufenthaltes in Neapel; in diesem Briefe,
der vom 15. October 1487 datirt ist, beauftragt der König seinen Capellmeister
in huldvollsten Ausdrücken, eine Reise jenseits der Alpen an den Hof des
Königs von Frankreich und des Königs der Römer (des deutschen Kaisers)
zu unternehmen, um dort für seine Capelle tüchtige Gesangskräfte zu gewinnen,
lieber den Erfolg dieser Mission ist nichts bekannt geworden, doch darf man
annehnien, dass Tinctoris' Reise nach Norden ihn auch in sein Vaterland geführt
hat und dass ihm bei dieser Gelegenheit, spätestens 1488 das von Trithemius
erwähnte Amt eines Canonicus in seiner Vaterstadt übertragen worden ist.
Tinctoris' Verdienste sind keineswegs allein auf seine Wirksamkeit als
Musikschi'iftsteller beschränkt. Als Gründer und Direktor der auf Geheiss
seines Fürsten entstandenen öffentlichen Musikschule zu Neapel, der ersten in
Italien, konnte er mehr als irgend ein Künstler seiner Zeit zur Verbreitung-
musikalischer Kenntnisse beitragen. Dass er als Contrapunktiker den Vergleich
mit den besten seiner Landsleute nicht zu scheuen brauchte, beweisen die in
seinen theoretischen Schriften zahlreich vorhandenen ComjDOsitionsproben, beson-
ders die zwölf dreistimmigen Motetten in seiner Abhandlung über den Contra-
punkt und ein ebenda befindliches i>Deo (jratiasv. für fünf Stimmen mit Zugrunde-
legung einer gregorianischen Kirchenmelodie. Das Bedeutendste freilich hat
er als musikalischer Schriftsteller geleistet, und insbesondere sichert ihm das
schon mehrfach erwähnte, unter dem Titel y>Terminorum musicae Diffinitoriuma
*) Eine rorm, in welcher T.'s Name uicht selten vorkommt, jedoch nur aus Flüch-
tigkeit der Autoren und Abschreiber, da er selbst sich stets „Tinctoris" nennt. Es war
in den IS^iederlanden allgemein gebräuchlich, latiuisirten Eigennamen die Genitiv-Endung
zu geben, um dadurch die Partikel „van" (von) zu ersetzen.
Timpaui — Tiraboschi. 197
erscliienene musikalische Lexikon einen Ehrenplatz in der Musikgeschichte.
Dies Werk, welches Jahrhunderte lang verloren geglaubt wurde, und von dem
endlich Forkel ein Exemplar in der herzoglichen Bibliothek zu Gotha und
Burney ein zweites in der Bibliothek zu Paris auffand, ist nicht allein merk-
würdig als die erste Arbeit dieser Gattung und als das älteste im Druck
erschienene Buch über Musik, sondern noch weit mehr durch die seltene Klar-
heit und Präzision, mit welcher sämmtliche im 15. Jahrhundert gebräuchlichen
technisch-musikalischen Ausdrücke erklärt sind. Yerdientermassen wurde diese
Arbeit zuerst durch Forkel, der sie in seiner »Allgemeinen Literatur der
Musik« vollständig mittheilte, dann durch die Uebersetzung und Erklärung
H. Bellermann's in weiten Kreisen bekannt gemacht. Kaum weniger wichtig
für die Kenntniss der mittelalterlichen Musik ist ein zweites: -^Proportionale
musicesa betiteltes "Werk des T., welches in drei Büchern von den Yerhältnissen
der Mensuralnoten handelt. Diese, sowie die übrigen Schriften Tinctoris' exi-
stiren nur im Mauuscript; die Titel der letzteren sind nach der Angabe des
Padre Martini in dem, seiner Geschichte der Musik beigefügten Autoren-
Verzeichnisse: 1) nTractafus musieesa. 2) ■»Explanatio manusi. 3) i>De tonorum
natura ac irroprietatea. 4) »De notis ac pausis<i. 5) yJDe regulis, valore, imper-
fectione et alteratione notarumv.. 6) »De arte contrapunctw. Hierzu kommt noch
nach des Trithemius Angabe: 7) »De origine musicaev.. 8) r>^pistolae complv/resa.
Timpani, s. Pauken.
Timpauou, Psalterium, s. Hackebrett.
Tingri, Jean Nicolas Celestin, Yiolinist, geboren zu Yerviers am
7. Septbr. 1819, besuchte von 1832 bis 1837 das Pariser Conservatorium und
Hess sich mit vielem Beifall in Concerten hören. Er unternahm 1844 eine
Peise durch Südfrankreich und Deutschland und kehrte 1845 nach Paris zurück,
wo er Matineen veranstaltete, in welchen er Quintette und Quartette seiner
Composition vorführte. Er Hess sich in Cambrai als Musiklehrer nieder. 1857
erschien er noch einmal in Paris in Concerten, um eigene Compositionen vorzuführen.
Tinnazoli, Agostino, Oi'ganist zu Eerrara gegen das Ende des 17. Jahr-
hunderts; es ist von ihm gedruckt: y>Sonate e Capricci per VorganoK (Rom, 1690,
in Fol. oblong.), und im Manuscript aufbewahrt: y^Ki/rie, sanctus, Agnus e Vasso-
luzione della Messa di Morti a quattroa und liGantata a canto e Basso per Vorganoa.
Tiuti, Salvator, galt um 1770 in Italien für einen der ersten Yirtuosen
auf dem Cello. Er ist 1740 zu Florenz geboren und starb 1800. Gedruckt
sind von ihm sechs Quartette für zwei Violinen, Alt und Bass. Der Catalog
von Traeg in Wien nennt auch zwei Quintette für zwei Violinen, Alt und Violoncell.
Tiutiunabnlnm, eine kleine Glocke oder Schelle und auch ein Instrument
der Alten, ähnlich unserm Schellbaum oder Halbmond.
Tinto (ital.), franz.: Tintement, Nachklang.
Tiorba (ital.), Theorbe (s. d.).
Tiraboschi, Girolamo, italienischer Schriftsteller, durch seine Gelehrten-
geschichte Italiens und auch als Exjesuit bekannt, war zuletzt Eitter, Eath
und Präsident der Bibliothek und der Medaillen-Sammlung des Herzogs von
Modena. Er ist in Bergamo am 28. Decbr. 1731 geboren. Im Jesuitencollege
erzogen, nahm er später eine Professur der Beredsamkeit in Brera bei Mailand
ein, bis er 1770 durch den Herzog von Modena berufen wurde. Sein erstes
bedeutendes Werk von 13 Quartbänden, welches er innerhalb zwölf Jahren
fertig brachte: »Sforza della Letteratura italianav. erschien in Modena 1772
bis 1780 und enthält die Geschichte aller Wissenschaften, auch der Musik in
Italien, chronologisch kurz aber gut dargestellt. Das zweite Werk: y>Bihliotlieca
Modenese« (Modena, 1781. 1786, T. I — VI) giebt im sechsten Bande Nach-
richten von Gelehrten, Malern und Tonkünstlern des Modenesischen Gebiets.
(Von den Künstlern weniger vollständig.) Der Titel dieses Bandes heisst:
»Nofizie de pittori, scultori, incisori ed architetti nati degli Sfafi del Sgr. Duca
di Modena con un appendice de Frofessori di Musicaa (4°, 1786).
198
Tirade - Tire.
Tirade (itäl. Tirada), eine Yerzierungsweise, die darin besteht, dass zwei
entfernter liegende Hauptnoten durch die dazwischen liegenden, indem man sie
möglichst rasch ausführt, verbunden werden.
a) h) c)
•Die Tonleitern in b) und d) sind Tiradeu, die in a) und c) fehlen.
Diese Art der Verzierung wurde schon früh bei der ersten Entwickelung
des selbständigen Instrumentalstils geübt. Prätorius in r^ Sy7it.agma musicuma.
sagt darüber: »Tiratae: sind lange geschwinde Läufflein, so gradatim gemacht
werden, vnd durchs Ciavier hinauff oder herunter lauffen«, und die Beispiele,
die er davon giebt, beweisen, dass sie nicht angewandt wurden, um, wie jetzt,
grössere Intervalle auszufüllen, sondern längere Noten aufzulösen:
-^
f^^^^^m.
Tt*-
^=rr?:
.^E
x:r
•-Ö-
_^_,
p-r-^-.-
^
gesange,
Tirana's oder Tonatilla's (sj^r. Tonadillja's) sind spanische Tanz-
die nur aus vier Zeilen bestehen. Sie stammen ans Andalusien und
sind die eigentlichen Yolksliedchen der Spanier, mit Guitarrebegleitung abge-
sungen. Die Musik geht aus raschem ^/s-Takt wie bei den Seguidilla's. Eine
der beliebtesten Blelodien mag hier Platz nehmen, wie sie mir ein Spanier
Don Ciebra um 1865 mittheilte:
'\
Fine.
«ESEl^tS^rt
#
-r-
Sii^E^
Tiraqnean, Andreas, geboren gegon 1480 zu Fontenay le Comte, beklei-
dete lange Zeit in seiner Vaterstadt das Amt eines Seneschalls, war später
Parlamentsrath in Paris und starb 1558 in Fontenay le Comte. Er schrieb
einen lateinischen Commentar in 30 Bänden, welche sein Sohn zu fünf Bänden
vereinigt 1574 in Folio zu Paris herausgab: »Z)e nohüifate et jure primo geni-
torumvi. Im 31. und 34. Kapitel sind musikalische Materien behandelt; im
letzteren die Fras:e zu Gunsten der Musik beantwortet: Ob diese Kunst eine
nützliche sei und ob das Hajidwerk eines Musikers ehrbar sei?
Tirato (ital.), gezogen, s. v. a. verzögert.
Tira-Tutto, ein Orgelregister, welches silramtliche Stimmen zugleich anzieht,
Tire (franz. Subst.) = gezogen, bezeichnet beim Violinspiel den Nieder-
strich, bei welchem der Bogen unten am Frosch auf die Saiten gesetzt und
dann herabgezogen wird.
Tire — Titon du Tillet. 199
Tir6, franz. Adj. auf Titelblättern: ausgezogen, z. B. tire de VOpera u.s.w.
Tischer, Johann Nikolaus, Fürstlich Sächsich Coburgischer Concert-
meister und Organist in Schmalkalden, dessen Compositionen seiner Zeit beliebt
waren. Er war in Bohlen im Schwai'zburgischen 1707 geboren und erhielt
vom dasigen Organisten Rauche, später in Halberstadt, wo er als Schreiber
arbeitete, vom Doraorganisten Graf Unterricht im Ciavier- und Violinspiel.
In Arnstadt erst erhielt er vom Kapellmeister Schweitzelberg Anleitung in der
Composition und dem Viola-d'amour-Spiel. Nach einiger Mühseligkeit und nach-
dem er sogar eine Zeit lang Hoboist in Braunschweig gewesen war, wurde
ihm 1731 in Schmalkalden die Stelle als Schloss- und Stadtorganist zu Theil.
Von dem reichhaltigen Verzeichniss seiner Werke seien die bekannten gedruckten
hier angeführt: »Das vergnügte Ohr und der erquickte Geist, in sechs Galanterie-
Partien, zur Clavier-Uebung für das Frauenzimmer, in einer leichten und appli-
cabeln Composition«, I. Theil. II. Th. III. Th, r> Divertissement musical contenant
III Suites pour le clavecin Oeuvre I, II, III«. »Anmuthige Ciavierfrüchte, be-
stehen in sechs kleinen Suiten zum Dienst der Anfänger des Claviers, abson-
derlich der Kinder«, Erste und zweite Sammlung. »Musikalische Zwillinge
in zwei Concerten eines Tones vor das Ciavier, erste Frucht aus C|:f und Ob«,
»Derselben zweite Frucht Dj^ und i)[? u. s. w. bis A^ A\}. »Letztes und leichtes
Clavierconcert zum Beschluss der musikalischen Zwillinge«, 7. Th. »Wehkla-
gendes Kyrie und frohlockendes Halleluja oder Harmonische Herzensbelustigung
in zwei Clavier-Concerten aus C-moll und G-dur vorgestellt, worin der Affekt
etlicher beigefügten Schriftstellen durch angenehme Melodien und ajaplicable
Modulationen in etwas exprimirt wird«. »Sechs leichte und angenehme Ciavier-
partien, jungen Anfängern zur Hebung aufgesetzt«. 6 Th. München, 1763.
Alle übrigen Compositionen wurden zu Nürnberg gestochen.
Tischharfe, s. Trigonon.
Tischlinger, Burkhard, Orgelbauer zu Wien, welcher sich im Anfange
des 16. Jahrhunderts im Dienste des Kaisers Maximilian befand, hat 1507 die
Orgel in Wien in der Stephanskirche unweit der grossen Sacristei gebaut.
Tissot, Pierre Frangois, ausgezeichneter Schriftsteller, Professor der
lateinischen Literatur, Mitglied der Akademie Frangais u. s. w., zu Versailles
1768 geboren, starb am 7. April 1854. Hier ist von ihm nur anzuführen der
Artikel »Chor« in der -nEncyclopedie modernea von M. Courtin (Paris, 1823).
Tissot, Simon Andre, berühmter Arzt zu Lausanne, wo er am 13. Juni
1797 starb, war zu Groney im Canton Vaud am 20. März 1728 geboren.
Seinem medicinischen Werke: y>L^inoculqtio)i justißee, ou Dissertation pratique et
apologetique sur cette methode« ist angehängt: i>Ussai sur la mue de la voixv.
(Lausanne, 1754, 12^; Paris, Didot, 1774, in 12"). Diese Abhandlung befindet
sich auch in der Ausgabe der Gesammtwerke des Autors (Paris, Allut, 1809 bis
1813, elf Bände in 8").
Titelouze, Jean, Prediger zu St. Omer, Domherr und Organist der Kathe-
drale von Ronen von 1588 — 1633. Von diesem bekannte Compositionswerke
sind: riJUissa quatuor vocum ad imitationem moduli in ecclesia« (Parisiis, Ballard
1626, in Fol.). i^Hymnes de Veglise avec des fugues et recherelies sur le plain-
chantii (Paris, un volume in 4" obl.). »Magnificat in allen Tonarten auf Ver-
setten für die Orgel« (ibid., ein Band 4° obl.).
Titl, Anton Emil, geboren 1809 zu Bernstein in Mähren, studirte in
Brunn bei Rieger, Hess sich dann in Prag nieder und wurde später Orchester-
direktor am Burgtheater in Wien. Seine ersten Werke waren Ouvertüren für
Orchester, zu »Torquato Tasso« und »Der Leichenräuber«. Zu den späteren
gehört eine achtstimmige Messe, für die Einführung des Fürstbischofs zu Olmütz
coraponirt, die Opern: »Die Burgfrau«, »Der Todtentanz«, »Der Antheil des
Teufels«, »Der Zauberschleier«, welche in Wien zur Aufführung gelangten, und
eine Anzahl ansprechender ein- und mehrstimmiger Lieder.
Titon <lu Tillet, Evrard, geboren zu Paris am 16. Januar 1677, trat
200 Tobanello — Toccata,
nach beendeten Studien als Capitän in ein Infanterieregiment, nahm aber nach
dem Frieden von Ryswick seinen Abschied und wurde Haushofmeister bei der
Herzogin von Burgund. Nach deren Tode ging er auf Reisen und lebte der
Beschäftigung mit Kunst und Wissenschaften. Er projektirte ein Monument
zur A^erherrlichung Ludwig XIV., das ein y>Parnasse frangais«, welches aus
Bronze gefertigt, in einer Grallerie der Bibliothek aufgestellt werden und Ludwig
als Apollo, umgeben von den hervorragendsten Männeim des Zeitalters, dar-
stellen sollte. Er entwickelte seine Idee in der Schrift: «Description du Far-
nasse frangais, execute en hronze suivie d^me liste alpliahetique des poetes et des
musiciens rassamhlees sur ce monumenta (Paris, Coignard, 1732). Dieser Band
enthält auch mehrere Bildnisse von Musikern jener Zeit. Drei Supplement-
bändchen, welche in den Jahren 1743, 1755 und 1760 erschienen, enthalten
viele Notizen über französische Musik und Musiker. Titon du Tillet starb zu
Paris am 26. Novbr. 1762.
Tobanello, Felician, Kapellmeister zu Pavia in der ersten Hälfte des
17. Jahrhunderts, bekannt durch ein Werk: y>Salmi spezzati a quattro vociv.
(Venezia, app. Bartol. Magni, 1619, in 4").
Tobi, Florian Joseph, deutscher Musiker, lebte zu Paris gegen 1780
und Hess sich später in Amsterdam nieder, um Unterricht auf der Guitarre zu
ertheilen. In Paris erschienen Comjiositionen, in Amsterdam fMetliode de guitarev.
Toccata nannten die ersten Begründer des selbständigen Instrumentalstils
einen zunächst für Tasteninstrumente geschriebenen Tonsatz, der hauptsächlich
dazu bestimmt war, die Klang- und Spielweise des betreffenden Instruments in
das beste Licht zu setzen. Das konnte bei den Uebertragungen vocaler Ton-
sätze für Instrumente nur in sehr beschränktem Maasse geschehen. Selbst die
Variationen über solche mehrstimmige Tonsätze, wie sie namentlich seit
Scheidt (s. d.) für Instrumente geschrieben wurden, hielten sich noch zu streng
an den- vocalen Satz, um der Klang- und Spielfülle gerecht zu werden und das
sogenannte Diminuiren und Coloriren, das Ausschmücken der Accorde und
eines langen Tons mit Läuferwerk, wurde zu planlos getrieben, um direct zu
einem geordneten Clavierstil zu führen. Dazu trug die Toccata viel mehr bei;
sie wurde zunächst für die Orgel ausdrücklich erfunden, um dies Instrument in
seiner ganzen Behandlungsweise zu zeigen; wenn sie daher auch keine entschie-
dene Form annahm, so wurde sie doch nach einem bestimmten Plan entworfen:
die beiden Spielweisen der Orgel, in lang gehaltenen Accorden und in lebendig
bewegtem Figurenwerk, in welcher sie die meiste Wirkung gewinnt, wurden
hier einander gegensätzlich gegenübergestellt. Die Form der Toccata ist somit
direct aus der Spielweise der Orgel hervorgegangen, sie ist ganz speciell für
diese berechnet, zugleich aber kommt jenes Princip des Contrasts, aus welchem
die gesammte Instrumentalmusik hervortreibt, in der Musikpraxis zur Geltung.
Aus dieser Eigenthümlichkeit der Toccata, die namentlich darauf berechnet
ist, die Besonderheiten des Klanges und der Spielweise des Instruments dar-
zulegen, ist auch der Name zu erklären, den Prätor ins dahin erläutert (j>Syn-
tagma musicum« III, 23) : "Sie wird aber von den Italii meines erachtens daher
mit dem Namen Toccata genennet, weil Toccare heisst tangere, attingere, vnd
Toccato, tactits. So sagen auch die Italiener: Toccate un poco. Das heisst,
beschlagt das Instrument, oder begreifft das Ciavier ein wenig: daher Toccata
ein Durchgriff oder Begreiffung des Claviers gar wol kann genennt
werden.« Auch die oben bereits beschriebene besondere Gestaltung der Toc-
cata charakterisirt Prätorius ganz richtig als »ein Präambulam oder Prä-
ludium, welches ein Organist, wenn er erstlich vff die Orgel oder Clavicymbalum
ein Mutet oder Fugen anfehet, aus seinem KopflE" vorher phantasieret mit
schlechten entzelu griffen und Coloraturen«. Als »schlechte entzelne
griffe« bezeichnet Prätorius die Accorde, denen die Coloraturen, das Figureuwerk
gegenübertreten. Die beiden ersten bedeutenden Meister dieses Stils: Johannes
Gabrieli (s. d.) und Claudio Merulo (s. d.) zeigen in ihren Toccaten dies
Toccata. 201
Princip, ein jeder schon in eigner "Weise. Jener stellt es mehr in Partien
zusammengehalten dar, einer durchweg accordisch gehaltenen tritt eine in Fi-
gurenwerk aufgelöste gegenüber und dieser folgt dann ein kurzer wieder mehr
accordisch gehaltener Schluss. Die Toccaten von Claudio Merulo (y>Toccate
d'Intavolatura cfOrganov, 1604) dagegen sind weiter ausgeführt, aber nicht so
planvoll angeordnet wie die von Johannes Gabrieli, und der Gregeusatz
zwischen accordischer Wirkung und der beweglichem Figuratiou ist nicht so
scharf ausgeprägt wie bei jenem. Merulo 's Tonsatz ist vorwiegend drei- und
vierstimmig, Johannes Grabrieli hat vorwiegend vollgriffigere Accorde und
seine figurirten Sätze sind ebenfalls an keine Stimmzahl gebunden, sein Figuren-
werk wird zwei- und dreistimmig begleitet, wie es gerade nöthig erscheint.
Merulo hält dagegen ziemlich streng an der Yierstimmigkeit fest und bei ihm
wechseln kurze accordisch gehaltene Sätzchen mit figurirten und in Motetten-
weise fugirten Sätzen ab und nur selten fühi't er die Accorde ein, ohne wenig-
stens eine Stimme in eine trillerartige Figur aufzulösen. Auch bei ihm gewinnt
die Toccata keine bestimmte Form, sie bleibt als Phantasie vollständig frei
in der Construktion; zum Zweck, die Spiel- und Klangfülle des bestimmten
Instruments zu offenbaren, werden eben mehr accordisch gehaltene mit reicher
fugirten und figurirten Sätzen nach dem Prinzip des Contrasts zusammengestellt.
In dieser Weise wurde die Toccata zunächst von den Meistern des Orgel- und
Ciavierspiels weiter gebildet, von Frescobaldi: -nToccate e Partite iVIntavo-
latura di Gembelo<s. (ßom, 1615. II. 1616). Rossi, M. A.: y>Toccate e Cor-
reniea (Rom, 1657). Scherer, S. A.: fiTahulaturam in Cymhalo et Organo
Intonatiomiyn hrevium per octo Tonosa (Ulm, 1664) und Anderen. In schla-
gender Kürze und Gedrängtheit bringen diese Eigenthümlichkeit namentlich
die Toccaten Frescobaldi's in dessen: »Fiori musicali di diverse compositioni
Toccate, Kirie, Canzoni, Capricci e Ricercari<s- (Venetia, 1635) zur Erscheinung.
Die Toccata avanti la messa della Madonna oder die Toccata avanti
Ricercar, oder die Toccata avanti la messa degl' Apostoli sind kurze
Sätze, welche im reichen Wechsel accordisch und figurirt gehalten sind; die
beiden Toccata per JElevazione sind weiter ausgeführt. Joh. Seb. Bach hat
die Toccata in derselben Weise bis zu vollendetster Freiheit ausgebildet. Auch
für ihn wurde sie die Form, in welcher er den Charakter des Instruments, der
Orgel, in grossartiger Weise entfaltete. Auch bei ihm ist die Toccata anschei-
nend ganz frei aus Sätzen verschiedener Darstellungsweise zusammengesetzt,
Partien mit fest zusammengehaltenen Accorden wechseln mit solchen, bei denen
diese in reiche Arpeggien aufgelöst sind und mit canonischen und fugirten, wie
sich ihm eben der Orgelstil darstellt und wenn er auch die einzelnen Partien
fester gefügt zusammenhält, wie das eben bei dem grössten Meister des Contra-
punkts nicht anders sein konnte, so gewinnt doch auch bei ihm treu der An-
schauung, welche sie überhaupt entstehen Hess, die Toccata keine bestimmte
Form; auch er behandelt sie als Phantasie, als Präludium, dem sich dann
eine festgefügte Fuge anschliesst, in der somit das Phantasieleben bestimmtere
Gestalt gewinnt.
Dementsprechend wurde die Toccata auch in Italien als Instrumental-
einleitung für grössere Gesangwerke verwendet. Für die Instrumentaleinleituug
zu kirchlichen Tonwerken wurde früh die Bezeichnung Sinfonia (s.d.) gebräuch-
lich, die Vorspiele zu den sogenannten Musikdramen jener Zeit dagegen waren
die Int rata und die Toccata und die letztere entspricht ganz den oben
gegebenen Andeutungen. Ohne bestimmte Form anzunehmen, folgte auch die
Orchester-Toccata dem Prinzip der Entfaltung des Klangwesens und der Spiel-
fülle der betreffenden Instrumentenzusammenstellung mit Rücksicht auf Her-
stellung des Contrasts, und wenn sie diesen Zweck weniger erreichte als die
Toccata für Tasteninstrumente, so ist das erklärlich, weil die Orchesterinstru-
mente erst spät zu einheitlichem Gesammtwirken überhaupt gelangten. Daher
gewann auch die Orchester-Toccata keine höhere Bedeutung. Die so bezeich-
202 Toccatina - Todi.
neten Präludien sind meist kurz und auf den dürftigern Apparat beschränkt
und sie wurden bald durch die Ouvertüre (s. d.) verdrängt. Die Clavier-Toccata
aber hat selbst noch in neuerer Zeit in liobert Schumann einen Vertreter
gefunden; seine Toccata op. 7 ist eine Phantasie, die sich von den altern
derartigen Formen nur durch die modernen Darstellungsmittel unterscheidet.
Toccatiua, ein Tonstück nach Art der Toccata, aber von geringerem Umfang.
Toccato oder Touquet hiess bei dem sogenannten Aufzug, der bei feier-
lichen Grelegenheiten von einem Trompeterchor ausgeführt wurde, die vierte
Trompete, welche in Ermangelung der Pauken diese ersetzte, indem sie die
beiden Töne derselben ausführte.
Tockler, Conrad, aus Nürnberg gebürtig, daher Noricus genannt, stu-
dirte 1495 in Leipzig Medicin und wurde daselbst Doctor und 1512 Professor
an der Universität, der er sein Vermögen zu Stiftungen vermachte. Er bear-
beitete und erklärte 1503 in einer öffentlichen Vorlesung die -nMusica spemi-
lativav. von Joannis de Muris. Das von T, durchgesehene Exemplar dieser
Arbeit benutzte der Abt (jerbert zum Abdruck im dritten Bande seiner yyScrip-
tores ecclesiastioi de musicaa.
Toderini, Giambatista, geboren zu Venedig ungefähr 1728, wurde von
Jesuiten erzogen und lehrte später in Verona und Forli Philosophie. Nach
der Aufhebung des Ordens begleitete er den Gesandten Garzoni als Hofmeister
von dessen Sohn nach Constantinopel. Dort schrieb er und veröffentlichte 1787
zu Venedig »Xa Letteratura turchesev, drei Bände in 8". Er giebt darin auch
über türkische Musik Nachricht (Band I, Cap. 16, Seite 222 — 252) und am
Ende dieses Bandes ist eine Probe türkischer Musik in Noten gegeben, »ia
Literatura turcliese<i. wurde ins Französische übersetzt durch Courmand (Paris,
1789, trois vol. 8°) und ins Deutsche übertragen und mit Zusätzen und Anmer-
kungen versehen durch Phil. Wilh. Gotth. Hausleutner, Professor der Carlschule
zu Stuttgart (Königsberg, 1790, zwei Theile 4'^). Im »Deutschen Merkur« von
demselben Jahre im zweiten Stück Seite 190 — 196 ist ein Auszug davon
aufgenommen.
Todeschini, Francesco, italienischer Instrumentalcomponist um die Mitte
des 17. Jahrhunderts, hat herausgegeben: y>Con-endi, Gagliarde e Balletti a 2, '6
e 4 Stro'menti<i, 1653.
Todi, Maria Francisca, eine der gefeiertsten Sängerinnen des vorigen
Jahrhunderts, ist 1748 in Portugal geboren und erhielt ihre künstlerische Aus-
bildung durch David Perez, einem als königlichen Kapellmeister zu Lissabon
angestellten Italiener. In den siebziger Jahren trat sie zuerst in Lissabon auf
und erregte durch ihren herrlichen Mezzosopran die Aufmerksamkeit der dor-
tigen Musikfreunde. Im .Jahre 1777 nach London berufen, um in der komi-
schen Oper mitzuwirken, debutirte sie in Paisiello's »Xe due contessea, hatte
jedoch keinen besondern Erfolg, da weder ihre Stimme noch ihre Vortragsweise
für den Buffo-Stil geeignet waren. Dies muss ihr selbst schon bei jenem ersten
Versuche klar geworden sein, denn von nun an widmete sie sich auschliesslich
der ernsten Oper. Noch in demselben Jahre begab sie sich nach Madrid, wo
sie in Paisiello's »Olympiade« allgemeine Bewunderung erregte. Ihr Weltruf
aber datirt aus dem Jahre 1778, in welchem sie zum ersten Mal in Paris auf-
trat und sowohl im Concert spirituel, wie auch in den Hofconcerten der Königin
zu Versailles mit Beifall überschüttet wurde. Unter, wenn möglich noch
grösserer Theilnahme des Pariser Publikums erschien sie im October 1781
wiederum vor demselben, nachdem sie inzwischen ein Jahr lang in Lissabon
gesungen hatte. Trotzdem verliess sie Paris im folgenden Jahre, um gegen
das bescheidene Gehalt von 2000 Thalern jährlich ein Engagement am Berliner
Opernhaus anzutreten. Hier war man gegen sie weit weniger freigiebig mit
dem Beifall als in Paris; man wollte eine Ungleichheit an ihrer Stimme be-
merken und war insbesondere mit ihrem französischen Vortrag des Recitativs,
ihrem Schleppen und Schreien, ihren übertriebenen und äffe ktirten Gestikulationen
Todi. 203
niclit zufrieden; dadurch erklärt es sich, dass die Künstlerin ihren mehrjährigen
Contrakt mit der Berliner Oper schon nach einem Jahre löste und sich im
Frühjahr 1783 zum dritten Mal an die Stätte ihi-er ersten Triumphe, nach der
Hauptstadt Frankreichs begab.
AVie reiche Lorbeern auch Frau T. bei ihren früheren Besuchen in Paris
geerntet, so wui'den doch ihre bisherigen Erfolge diesmal noch übei'troffen. Der
Beifall, den sie jetzt im Ooncert spirituel fand, gereicht ihr zum besonderen
Ruhme, da zur selben Zeit ihre Rivalin, die Sängerin Mara (Gertrude Schmeh-
ling) das Publikum in Enthusiasmus versetzte. Der "Wettstreit zwischen den
beiden Künstlerinnen erregte die Gemüther der Pariser Musikfreunde dex'art,
dass sie sich in zwei Parteien grujipirten, welche sich als Maratisten und To-
disten leidenschaftlich bekämpften, ein Umstand, der nicht wenig zur Verbrei-
tung ihres Ruhmes beitrug, da das Urtheil der französischen Hauptstadt damals
mehr als je zuvor oder nachher die übi'ige Welt beeinflusste. Es gab kaum
eine künstlerische Vollkommenheit, welche der T. von ihren Verehrern nicht
beigelegt worden wäre, wiewohl sie in Bezug auf Coloraturfertigkeit der Mara
ohne Frage nachstehen musste; dagegen konnte diese im ausdrucksvollen Ge-
sang die T. nicht erreichen, und die ausserordentliche Zartheit im Vortrag des
Adagio, die Kunst in der Anwendung von Licht und Schatten wurde ihr auch
an solchen Orten zugestanden, wo man ihre Künstlerpersönlichkeit im Ganzen
weniger günstig beurtheilte, als in Paris. Ein glänzendes Anerbieten vou
Seiten der kaiserlichen Oper zu Petersburg führte die Künstlerin im Herbst
desselben Jahres an den Hof der Kaiserin Katharina, woselbst sie bei ihrem
ersten Auftreten in Sarti's »Armida« einen solchen Enthusiasmus erregte, dass
die Kaiserin ihr sofort ein Diamantenhalsband von hohem Werthe überreichen
liess. In der Folge wendete ihr Kathax'ina II. ihre persönliche Gunst in so
weitem Umfange zu, dass der Einfluss der Säugerin in Hofangelegenheiten ein
fast unbeschränkter war, ein Einfluss, den sie gelegentlich in kleinlicher Weise
gemissbraucht hat, z. B. bei ihrem Auftreten gegen Sarti (s. d.), wiewohl sie
im allgemeinen von liebenswürdigem Charakter und als gefällig, freigiebig und
bescheiden bekannt war.
Unter so glänzenden Verhältnissen würde sie Petersburg schwerlich je
verlassen haben, wenn nicht das russische Klima mit der Zeit ihrer Stimme
nachtheilig geworden wäre. In Folge dessen nahm sie ein Anerbieten des
Königs von Preussen, Friedrich Wilhelm IL, an, der sie schon als Kronprinz
auf ihrer Durchreise nach Russland in den Rollen »Cleofide« und »Lucio
Papirio« zu bewundern Gelegenheit gehabt, gegen ein Gehalt von 3000 Thalern
jähi'lich, nebst einer Gratifikation von 4000 Thalern innerhalb dreier Jahre,
einer freien Wohnung im königlichen Schlosse, Benutzung der Hofküche, sowie
einer Hofequipage der Berliner Oper anzugehören. Die Aufnahme, welche sie
diesmal beim Publikum der preussischen Hauptstadt fand, war eine ungleich
günstigere, als zur Zeit ihrer ersten dortigen Wirksamkeit: namentlich feierte
sie in Reichardt's »Andromeda« und Naumann's »Medea« grossartige Triumphe.
Ihr Aufenthalt in Berlin dauerte — mit einer Unterbrechung von sechs Mo-
naten, während welcher sie in Petersbixrg ihren contraktmässigen Verpflich-
tungen nachkam — bis zum INIärz 1789; dann kehrte sie nach ihrer künstle-
rischen Heimath Paris zurück, um dort wiederholt in den Concert spirituels
und in den Concerten der Loge Olympique aufzutreten, in welchen letzteren
sie u. a. mit einer von Cherubini für sie compouirten Gesangsscene vSarete
alßn content^ die Zuhörer zur Bewunderung hinriss. Am 21. Mai 1789 er-
schien sie zum letzten Male vor dem Pariser Publikum; die dort um diese Zeit
herrschende politische Erregung scheint sie bestimmt zu haben, ein Engagement
nach Hannover anzunehmen, welches sie bis zum October 1790 fesselte. Von
hier aus begab sie sich nach Italien, wo ihr das Publikum, besonders in Parma,
nicht minder enthusiastisch entgegenkam, als das des übrigen Europa. Im
Sommer 1792 wandte sie sich wieder nach ihrer Vaterstadt Lissabon zurück,
204 Todini — Töpfer.
woselbst sie im Juni des nächsten Jahres starb, mit Hinterlassung von acht
in ihrer zweimaligen Ehe gezeugten Kindern und eines Vermögens von ungefähr
400,000 Franken, ihren Schmuck nicht mit eingerechnet, dessen Werth von
Kennern auf 150,000 Franken geschätzt worden ist.
Todiui, Michel, vorzüglicher Contrabassspieler und sehr erfinderischer
Instrumentenbauer, Er war in Saluzzo im Piemontesischen 1625 geboren,
lebte aber später lange Jahre in ßom und beschäftigte sich mit dem Bau der
von ihm erdachten Instrumente. Es gehörte dazu der Contrabass, mit vier
Saiten bespannt, den T. auch in Concerten und bei Serenaden spielte. Bei
einer seiner Violinen war unterhalb der Saiten noch eine zweite Violine ange-
bracht, die in der Octave mitspielte, auch durch einen Mechanismus eine Se-
cunde, Terz oder Quinte erhöht werden konnte. Bei einer andern Violine
konnten Violine, Viola und Viola bastarda vereinigt werden. Bei zwei seiner
Claviere war der Mechanismus so eingerichtet, dass man diatonisch, chromatisch
und enharmonisch spielen konnte. Endlich baute er eine Orgel, welche beson-
ders kunstvoll coustruirt war. Es konnten allein oder zusammen sieben ver-
schiedene Instrumente darauf ertönen: ausser der Orgel mit vielen Stimmen
noch Ciavier, Spinett, Teorbe, Laute, Violine und Lyra. Die Imitation der
Bogeninstrumente soll besonders gelungen gewesen sein, auch ist manche Er-
findung an dieser Orgel später von Andern für neu ausgegeben worden. Das
ganze Werk wurde von der Familie Verospi gekauft, in deren Palais aufgestellt
und mit schönen Bildern und Skulpturen geschmückt. Bonanni giebt eine
Abbildung davon »Gabinetto armonicoa, (Rom 1722, Taf. 33). Die specielle
Beschreibung dieser und noch einiger andei'er künstlicher Instrumente, die T,
verfertigt und in seiner Wohnung aufgestellt hatte, giebt er selbst in der Schrift:
y> Dichiaratione della g aller ia armonica eretta in Roma da Michele Todini, Fie-
montese di Saluzzo nella siia hahitatione posta alV arco della Ciamhella« (Roma,
per Francesco Tizzoni 1676, 92 S., 12°). P. Kircher in »Pkonurgia novaa,
S. 167 u. folg. Burney sah diese Orgel im Palais Verospi's und giebt eben-
falls eine übereinstimmende Beschreibung in y>The present State of music in France
and Italya, S. 392 u. folg.).
Todt, Johann August Wilhelm, wurde am 29. Juli 1833 zu Düsterort
bei Ueckermünde geboren und erhielt von seinem Vatei", einem dasigen Lehrer,
frühzeitig auch Unterricht in der Musik. Später ging er nach Stettin, wo
Löwe seine weitere Ausbildung übei-nahm. In den Jahren von 1856 — 1858
war er Schüler des Instituts für Kirchenmusik und der Akademie und wurde
1859 Grymnasialgesanglehrer zu Pyritz, 1860 Cantor zu Küstrin und 1863 Cantor
und Organist zu Stettin. In den Jahren 1864 — 1866 vertrat er Dr. Löwe im
Amt und wurde 1875 zum Garnisonorganisten an St. Johanna ernannt. Todt
ist einer der bedeutendsten Organisten der Gegenwart. Ausser zahlreichen
Werken kleinerer Gattung: Liedern, Ciavier- und Orgelstücken componirte er
auch Sonaten, Psalmen, eine Sinfonie, ein Oratorium: »Das Gedächtniss der
Entschlafenen« und schrieb eine Gesanglehre für Schulen.
Todtenmarsch, s. Trauermarsch.
Todteupolouaise heisst allgemein die bekannte dem Grafen Oginsky (s. d.)
zugeschriebene Polonaise.
Töpfer, Carl, Dr. phil., geboren zu Berlin am 26. Decbr. 1791, war
längere Zeit Schauspieler in Wien, aber ein so bedeutender Guitarrist, dass er
Kunstreisen durch Deutschland machte. Seit 1822 lebt er in Hamburg und
hat sich als Bühnendichter beliebt gemacht. Er gab auch Einiges heraus,
darunter: Guitarrenstücke, Quodlibet (Berlin, Lischke).
Töpfer, Johann Christian Carl, geboren zu Apolda in Sachsen- Weimar
gegen 1740, war Professor am Gymnasium in Eisenach. Er gab heraus:
»Anfangsgründe zur Erlernung der Musik und insonderheit des Claviers«
(Breslau, 1773, in ^\ acht Blätter).
Töpfer, .Toliann Gottlob, ist am 4. Decbr. 1791 zu Niederrossla, einem
Töpfer. 205
Dorfe bei Apolda im Grossherzogthum "Weimar, geboren. Sein Vater war ein
Weber, Ackerbauer und Musikant. Der Ortscantor Scblömilch ertheilte dem
jungen T. Unterricht auf der Geige, im Ciavier- und Orgelspiel. Mit Vorliebe
spielte T. Bacli's »Wohltemperirtes Ciavier«. Die im Dorfe wohnende E,ätbin
Jagemann erkannte sein Talent und schickte den armen T. nach Weimar, wo
er den Unterricht des Concertmeisters Destouches und des Musikdirektors Rie-
mann genoss. Später, nachdem Destouches Weimar verlassen hatte, leitete der
Kapellmeister A. E. Müller seine Studien weiter. Zu gleicher Zeit besuchte
T. das Gymnasium und dann das Schullehrerseminar, widmete sich aber nach
dem Abgange von demselben vollständig der Musik und machte nun ausgedehnte
Studien im höheren Orgelspiel. Seine contrapunktischen Studien, die er eben-
falls mit Eifer betrieben hatte, setzten ihn in den Stand, einer der ersten
Improvisatoren auf der Orgel zu werden. Auch wurde er für die Entwickelung
des Orcrelspieles hochbedeutend, indem er zugleich das kirchliche Orgelspiel in
seine Einfachheit und Würde zurückführte. Als Componist war er ebenfalls
auf diesem Felde sehr thätig; dafür zeugen seine geistreichen Orgelcompositionen,
Fantasien, Sonaten, Prä- und Postludien, Fugen, Trios etc. Seine Phantasie
über den Choral: »Was mein Gott will« ist eines der ersten Meisterstücke der
Jetztzeit. Seine Compositionen zeichnen sich durch kirchlichen Ernst, melo-
dischen Fluss, gute Stimmführung und tüchtige thematische Arbeit aus. Auch
die alten Choralbücher verbesserte er, so das Choralbuch nach Rempt, Fischer
und Hiller (Erfurt, Körner). Später hat er ein eigenes zu dem Herder'schen
Gesangbuche (Weimar, Kühn) herausgegeben. Letzteres ist kürzlich neu bear-
beitet, von seinem Schüler und Nachfolger A. W. Gottschalg herausgegeben
worden. Der zweite Band dieses Choralbuches enthält die nöthigen Choralvorspiele.
1817 am 4. Juni wurde T. als Lehrer der Theorie und des Orgelspiels am
Grossherzoglichen Schullehrerseminar zu Weimar definitiv angestellt und er hat
dieses Amt mehr denn fünfzig Jahre bis zu seinem am 8. Juni 1870 erfolgten
Tode segensreich verwaltet, indem er durch Lehre und Vorbild viele unserer
jetzigen tüchtigsten Organisten herangebildet hat. Zu seinen vorzüglichsten
Schülern gehören: Zimmermann in Ilmenau, Winterberger in Leipzig, Schulze
in Naumburg, der Stadtorganist B. Sülze in Weimar, Carl Götze und der schon
erwähnte A. W. Gottschalg in Weimar. Seine »Organistenschule« (Erfurt,
Körner) bildete den Grund für seine Unterweisung. 1830 wurde er definitiv
als Organist der Stadtkirche in Weimar angestellt. Mehr aber, als in dem
Gesagten, liegt seine Bedeutung in der Neugestaltung der Orgelbaukunst (siehe
Geschichte der Orgel), indem er zuerst ein wissenschaftliches System, eine
neue Theoiüe der Orgelbaukunst aufstellte. Veranlassung gab ihm dazu die
von seinem Vetter Trampeli aus Adorf 1810 — 1812 erbaute misslungene Stadt-
kirchenorgel in Weimar. Er sah, wie derselbe hin und her manövrirte und
probirte, ohne ein entsprechendes Resultat zu erzielen. Um nun sein Ziel zu
erreichen, vertiefte T. sich in die höhere Mathematik, Mechanik, Akustik,
Aerostatik und Pneumatik. Nachdem dies geschehen, studirte er die älteren
Schriftsteller über Orgelbau. Von allen diesen waren Don Bedo's und Sorge's
Werke diejenigen, die ihm wenigstens einigen Anhalt bieten konnten. Sorge's
Berechnungen waren aber höchst willkürlich. So arbeitete T. nun zehn Jahre
lang unaufhörlich, um die wissenschaftliche Grundlage für den Orgelbau sich
anzueignen. Welche mühsamen Versuche musste er machen, welche Geldopfer
bringen! Sehr gelegen kam es ihm nun, als ihm die Verlagshandlung Voigt
in Weimar übertrug, eine deutsche Bearbeitung des Don Bedo'schen Werks
vorzunehmen. So konnte er diesem Werke, welches sich durch vorzügliche
Abbildungen auszeichnete, seine neue Theorie einverleiben. Es erschien dann
1856 sein »Lehrbuch der Orgelbaukunst nach den besten Methoden älterer und
neuerer in ihrem Fache ausgezeichneter Orgelbaumeister, und begründet auf
mathematische und physikalische Gesetze«, Th. 1 — 4 nebst Atlas (Weimar, Voigt).
Die beiden ersten Bünde enthalten lediglich Technisches, Bd, 3 — 4 die neue
206 Töpfer.
Töpfer'sclie Theorie. Diese Theorie skizzirt A. W. Gottschalg iu seiner Schrift
»Dr. Johann Gottlob Töpfer x S. 16 und 17 also:
»Die Construktion, Intonation der Labialpfeifen und was damit zusammen-
hängt, beruht auf folgenden Axiomen: 1) Wenn in Pfeifen von gleicher Länge,
aber verschiedener "Weite, die Luftsäulen mit gleicher Intensität schwingen sollen,
so müssen sich die ihnen zugehörigen Luftmeugen verhalten wie die Flächen
ihrer Querschnitte, oder wie die Quadrate ihrer Durchmesser. 2) Die Luftmengen
solcher Pfeifen, deren Flächeninhalt der Querschnitte gleich, deren Längen aber
verschieden sind, müssen sich bei gleicher Intensität der Schwingungen umgekehrt
verhalten, wie die Quadratwurzeln aus den Längen. 3) Wenn die Luftmengen
und Längen gleich, die Querschnitte aber verschieden sind, so ist die Grösse
des Ausschnittes nicht von der Grösse des Querschnittes, sondern von der
Grösse der Luftmenge abhängig, 4) Wenn die Längen gleich, die Querschnitte
verschieden und die Luftmengen mit den Querschnitten proportional sind, so
verhalten sich die Grössen der Aufschnitte wie die Querschnitte, oder vielmehr
wie die den beiden Pfeifen zugehörigen Luftmengen. 5) Wenn die Längen-
und Querschnitte gleich, die Luftmengen aber verschieden sind, so müssen die
Aufschnitte mit den Grössen der Luftmenge proportional bleiben. 6) Wenn
die Luftmengen und Querschnitte gleich, die Längen aber verschieden sind, so
verhalten sich die Aufschnitte wie die Quadratwurzeln aus den Längen. 7) Die
Aufschnitte verschiedener Pfeifen verhalten sich wie die zugehörigen Luftmengen
und wie die Quadratwurzeln aus ihi'en Längen. 8) Die Luftmengen stehen in
näherem Bezüge zu den Aufschnitten, und es können daher dieselben nur in
dem Falle nach den Querschnitten bestimmt werden, wenn diese mit den Auf-
schnitten in einem Verhältnisse bleiben. 9) Die Stärke des Tones (Intensität
der Schwingungen) ist von den Querschnitten und der Luftmenge, die Schärfe
und Helligkeit des Tones aber von dem Aufschnitte und der Luftmenge abhängig.«
Selbstverständlich lassen sich nach obigen Gesetzen die Luftmengen für
jede regelmässige Pfeife leicht finden. Hat man die Luftmenge, so lässt sich
anderseits leicht wieder die Grösse der Pfeifenmündungen, Bohrlöcher, Kan-
zellen, Windkasten und Windcanäle bestimmen. Als Normal-Mensurverhältniss
für alle anderen Mensuren stellt T. Folgendes auf: 10) »Wenn die Klangfarbe
irgend einer Stimme sich nach Höhe oder Tiefe nicht verändern soll, so müssen
die Flächeninhalte der Querschnitte der Hnteroctaven nach dem Verhältniss
1 zu 8 zu nehmen.«
Auf das Mensurverhältniss hier weiter einzugehen, verbietet der beschränkte
Raum einer Encyklopädie. Als Gesetz für die Mensur der Zungenstimmen sind
folgende massgebend (vergl. a. a. 0. S. 18 — 19): »1) Bei Stäben von gleicher
Dicke, aber ungleicher Länge stehen bekanntlich ihre Schwingungszahlen im
umgekehrten Verhältnisse der Quadrate ihrer Längen, oder auch: Die Längen
verschiedener Zungen verhalten sich umgekehrt wie die Quadratwurzeln ihrer
Schwingungszahlen. 2) Da bei einerlei Tonhöhe die Klangfarbe ebenso von
der Fläche der Zunge abhängig ist, wie bei den Labialstimmen von der Fläche
des Querschnittes der Pfeife (1 zu 8 als dem einer gleichen Klangfarbe und
Stärke entsprechenden Verhältniss), so lässt sich hieraus folgern, dass auch die
Fläche der Zungen, welche bei verschiedener Tonhöhe einerlei Klangfarbe
erhalten sollen, nach diesem Verhältniss zu- oder abnehmen muss. 3) Wenn
die Längen und Breiten der Messing- und Luftzungen einander proportional
gesetzt werden, so verhalten sich die Dicken der Luftzungen wie die Quadrat-
wurzeln aus den Dicken der Messingzungen. 4) Bei gleicher Tonhöhe wächst
oder nimmt die Klangstärke ab, mit den Produkten aus den Flächen der Zungen
in ihre Schwingungsweiten. 5) Die Klangstärke verschiedener Zungen von
gleicher Tonhöhe ist den Quadi'atwurzeln aus den Producten ihrer Flächen in
ihre Schwingungsweiten proportional zu setzen. 6) Zungen von verschiedener
Tonhöhe äussern einerlei Klangstärke, wenn sich die Produkte aus ihren
Schwingungsweiten in ihre Flächen umgekehrt zu einander verhalten, wie die
Toerök Sip — Toeschi. 207
Quadrate der dazu gehörigen Seliwinguugszahlcn. 7) Bei ungleicher Tonhöhe
können die verschiedenen Schwingungsweiten den Verhältnissen, in welchen
die Breiten zu ihren Längen stehen, umgekehrt proportional gesetzt werden.«
Wenn man bedenkt, wie namentlich die Construktion älterer Rohrwerke
stets verfehlt war, so treten Töpfer's Forschungen nur in ein um so helleres
Licht. Darzuthun, wie T. auch Tractur und Registratur verbessert hat, würde
hier ebenfalls zu weit führen. Ferner hat T. auch seine Ergebnisse über
Orgeldispositionen, sowie über Orgelrevisionen, Orgelstimmung ausführlich in
Schriften dargelegt. Die Töpfer'sche Theorie verbreitete sich in kurzer Zeit
über ganz Deutschland, die Schweiz und Dänemark. "Wenngleich die tüchtigsten
Orgelbaumeister seiner Zeit, wie Fr. Haas in Kloster Muri (Schweiz), J. M.
Haas in Bauerwitz (Oberschlesien), Fr. "Winzer in "Wismar, C. Gieseke in Göt-
tingen, Lütkemüller in "Witstock, Fr. Schulze in Paulinzelle, A. Vogel in Fran-
kenstein, Cavaille de Coli in Paris ihm Beiträge für sein bedeutendes "Werk
geliefert hatten, so ist es um so erfreulicher, zu sehen, wie die bedeutendsten
Ox'gelbauer der Jetztzeit, wie Friedrich Ladegast in "Weissenfeis, "Walcker in
Ludwigsburg, Peterneil in Seligenthal, Förtsch in Blankenhain, Mehmel in
Stralsund und "Wismar, Grüneberg in Stettin, Sauer in Frankfurt a. 0., Schlag
u. A. nach seinen Maximen bauen und wunderbar schöne Orgelwerke geliefert
haben. So ist durch ihn allein die Orgel wieder die Königin der Instrumente
geworden. Auch nachdem er sein theoretisches Orgelwerk fertig gestellt hatte,
wirkte er belehrend durch die von ihm redigirte Musikzeitung »Urania« fort.
Nach seinem Tode trat in sein Amt sein ihm so lieber Schüler A. W. Gott-
schalg, der, durch ihn gebildet, in jeder Weise der Mann wurde, der nach ihm
das Werk der Orgelbaues fördern konnte, was von ihm auch im wahren Sinne
des Wortes geschieht. Wie berühmt T. als Orgelrevisor war, das geht daraus
hervor, dass man ihn selbst nach Marseille rief, um eine Orgel zu revidiren.
Von seinen Compositionen nenne ich: ein Concertstück in C-moll (Erfurt,
Körner), eine grosse Orgelsonate, die _D-7«o7Z-Sonate. Alles für Orgel; verschie-
dene Stücke für Männerchor, so eine Bearbeitung des Hallelujah's aus Händel's
»Messias« für Männerchor und Oi'gel, ferner die Ciaviersonate A-moU (Leipzig,
Peters), eine Sonate und Variationen für Flöte und Pianoforte, ferner die grosse
Cantate »Die Orgelweihe«, gedichtet von Schreiber für Chor, Solo und Orgel
und viele andere. Die ganze Organistenwelt nennt seinen Namen mit Ehren,
und wie sie ihn ehren, haben sie bewiesen, indem zur Veranlassung seiner
goldenen Amts- Jubelfeier ein Töpfer-Album für die Orgel entstand, zu dem die
bedeutendsten Componisten der Neuzeit Beiträge geliefert hatten (Weimar, bei
A. Kühn). Ehre seinem Wirken!
Toerök Sip, ungarische und türkische Pfeife, so viel als Hahorn Sip.
Toeschi, Carl Joseph, Violinist und Componist, von Geburt Italiener,
dessen eigentlicher Name Toesca della Castella Monte ist, war 1724 in
einer kleinen Stadt der Romagna geboren. 1756 trat er in den Dienst des
Kurfürsten von der Pfalz in der Eigenschaft eines ersten Violinisten und wurde
zum Musikdirektor ernannt. 1778 folofte er dem Hofe nach München und dort
o
starb er am 12. April 1788. Er componirte viel, aber ohne hohen Anforderungen
zu genügen. Die Ballette »Don Quichote oder die Hochzeit des Gamaccho«,
»Arlequin« u. s. w.; drei Sextette für Flöte, Hoboe, Violine, Alt, Fagott und
Bass« (Paris, Hugard, 1765); drei Quintette für Flöte, Violine, zwei Alto und
Bass, op. 5 (Paris, Venier) ; sechs Sinfonien für zwei Violinen, zwei Hoboen,
zwei Hörne, Alt und Bass (Paris, Huberti); 21 Quartette für Flöte, Violine,
Alt und Bass (Paris, La Chevardiere, Builleux und Venier); Flöten-Concerte.
Toeschi, Carl Theodor, Enkel des Voiügen und Sohn und Schüler von
Johann Baptiste (s. unten), ist zu Mannheim 1770 geboren und nahm den
italienischen Familiennamen Toesca della Castella Monte wieder an. Er
war guter Violinist in München und componirte Ballet und Tanzmusik.
Toeschi, Johann Baptist, Sohn des Carl Joseph, wurde in Mannheim
208 ToescM — Tolllus.
geboren, wo er Violinunterricht von Stamitz und Compositionsunterriclit von
Cannabicli erhielt. Er wurde 1760 ebenfalls in die Kapelle des Kurfürsten
aufgenommen, wo er sich als Soloviolinist an der Stelle von Stamitz auszeich-
nete und später, nach seines Yaters Tode, mit dem er 1778 nach München
gekommen, erhielt er dessen Stelle als Musikdirektor. Er starb in München
am 1. Mai 1800. Die Compositionen von T. sind nicht ohne "Werth und be-
sonders seine Sinfonien ernteten in Paris, ehe die Hayd'nschen erklangen, viel
Beifall. Gedruckt sind: y>Six quatuors dialogues pour deux violons, alto et hasse«,
liv. I (Paris, La Chevardiere). y>Quafre quatuors idem et deux trios<i, liv. II,
op. 5 (ibid.). r>Six trios pour deux violons et lasse«, op. 4 (Paris, Venier).
y>Trois si/mplionies pour deux violons, deux hauthois, deux cors, alto et hasse«, op. 6
(Paris, Hubert). r>Trois idem, avec deux hassons«, op. 7 (ibid.). y>Trois grandes
symphonies«, op. 8 (Paris, Bailleux). »Trois idem«, op. 10 (Paris, Venier).
y>Six symphonies avec deux liauibois, deux cors et deux hassons«, op. 12 (Paris,
Bailleux, 1779).
Toeschi, Susanna, Hofsängerin bei der Kurfürstlichen Familie zu München,
galt für eine vorzügliche Sopransängerin, und da sie auch 1797 als Sängerin
in Mannheim genannt wird, ist anzunehmen, sie gehört der Familie der vor-
genannten Künstler an.
To§uetti, Francesco, geboren zu Bologna um 1765, war Professor der
Literatur am Philharmonischen Lyceum daselbst. Er publicirte: »Discorso suH
progressi della musico in Bologna« (Bologna, 1818, Annesio Nobili, in 4°). Als
ihm darauf in einer anonymen Schrift der Vorwurf gemacht wurde, mehr den
Verfall als die Fortschritte der Bolognesischen Musik bezeichnet zu haben,
veröffentlichte er eine zweite Schrift: y^Lettere di Francesco Tognetti holognese
che servono di appendice al suo discorso su i progressi della musica in Bologna«
(Bologno, 1819, in 4^ 16 Seiten).
Tolbecque, Johann Baptiste Joseph, geboren zu Hanzinne in Belgien
am 17. April 1797, besuchte das Conservatorium zu Paris und war daselbst
Schüler von Kreutzer und Peicha. Er gehörte dann zur Kapelle der ita-
lienischen Oper, bis er sich als 'Componist und Dirigent auf das Gebiet der
Tanzmusik begab imd darin viel Erfolg hatte. Er galt, bis ihm Musard die
Palme entwand, für den beliebtesten Dirigenten derartiger Orchester. Auch
waren die unzähligen Walzer und Quadrillen seiner Composition eine Zeit lang
sehr en vogue. Zwei seiner Brüder:
Tolbecque, August .Joseph, am 28. Febr. 1801 zu Hanzinne in Belgien
geboren, hatte wie auch der dritte Bruder denselben Studiengang verfolgt, er
war ein vorzüglicher Violinist und Hess sich mit Beifall in Concerten hören.
Von 1824 an gehörte er zur Operukapelle.
Tolbecqne, August, Sohn des Vorigen, geboren zu Paris am 30. März
1830, war gleichfalls Schüler des Pariser Conservatoriums und bildete sich zum
Violoncellisten; er erhielt die ersten Preise und liess sich später in Niort
(Departement des Deux-Sevres) nieder.
Tolbecque, Charles Joseph, der zweite Bruder von Johann Baptiste,
war Violinist, später Musikdirektor am Theatre Varietes, für welches er meh-
rere Stücke schrieb, die beliebt waren.
Toller, Ernst Otto, ist am 8. Mai 1820 zu Altenburg geboren und wurde
unter Leitung des Stadtmusikus Sachse daselbst zum Musiker erzogen. Später
als Mitglied des Stadtorchesters seit 1838 wurde er Schüler des Musikdii-ektors
C. G. Müller in der Theorie. 1845 trat er in die Kurkapelle in Bad Homburg
und 1846 in das Leipziger Gewandhausorchester. 1848 wurde ihm die Direktion
der Hof- und Militärmusik in Altenburg übertragen und 1859 erfolgte seine
.Ernennung zum Herzogl. Kapellmeister. Von seinen Compositionen sind nur
wenige gedruckt.
Tollius, Jacobus, Philologe, zu Utrecht gegen 1630 geboren, studirte zu
D eventer und Utrecht; lernte erst die Buchhandlung, war dann Secretär des
Tollmann — Tomascheck. 209
Gelehrten Heinsius, Gymnasial -Rektor und zuletzt Professor zu Duisburg;'
nachdem machte er Reisen durch Italien und Deutschland und starb in Armuth
in Utrecht am 22. Juni 169G. T. veranstaltete eine zweite Ausgabe der sehr
selten gewordenen Schrift von Bacchini: »i>e Sisirisa und zwar unter dem Titel:
y)De Sistris eoru?7iqiie figuris ac differentia's. (Trajecti ad Rhenum, 1696, in 4",
36 S. mit Platte), mit Hinzufügung einer kleinen sieben Seiten langen Abhand-
lung: »Z>e sistrorum varia ßguran. Beides ist aufgenommen von Graevius in
^Thesaurus antiq^uitatum romanorumv. (t. Y, S. 407 u. folg., nebst einer Kupfer-
platte mit 26 Abbildungen von diesem Instrumente, 37^ Bl. gross Folio) und
von Ugolino in ^Thesaurus antiquitatum sacraram<x (t. XXXII). Fetis (y>JBio-
graphie univ. des Musiciens«-, t. 8 p. 239) giebt den Nachweis, dass T. diese
Schrift nur neu herausgegeben, nicht, wie Chauffepie {j>Nouveau dicüonnaire
historique et criüq_uei t. lY, p. 465, Note L) angiebt, ins Lateinische übersetzt
habe, da Bacchini selbst sie schon in dieser Sprache herausgegeben hatte.
Tollmauii, Job., geboren 1775 zu Mannheim, lebte seit 1805 in Basel,
wo er am 22. October 1829 starb, machte sich um die Pflege der Tonkunst in
der Schweiz verdient. Seine Tochter Ida war eine geschätzte Clavierlehrerin
in Basel.
Tolomas, le P. Charles Pierre Xaver, Jesuit, geboren zu Avignon 1705,
starb zu Lyon 1763. Am College de la Trinite lehrte er die schönen Wissen-
schaften, Aus der Akademie der "Wissenschaften, zu der er gehörte, schied er
wegen einer Diskusion, die er mit dem Encyklopädisten und den Freunden
d'Alembert's hatte, aus. Zu den vielen seiner gedruckten und ungedruckteu
Schriften gehören auch zwei für die Akademie bestimmt gewesene Aufsätze,
welche sich im Manuscript auf der Bibliothek zu Lyon No. 965 befinden:
■aMelograpliie ou declamaüon notee des anciens«.
Tomalinsou, Kellern, ein musikverständiger Tanzmeister zu London im
Anfange des 18. Jahrhunderts, hat herausgegeben: »Original Art of Dancing,
with Dances and tJieir Musik, composed hy Tomlinson«. Sein Bildniss, 1716
gemalt und 1754 gestochen, befindet sich vor diesem Tractat.
Tomascheck, Johann Wenzel, geboren am 17. April 1774 zu Skutsch
in Böhmen, erlernte zwei Jahre lang unter dem Regenschori Wolf in Chrudin
Yioline und Gesang. 1787 fand er zu seiner wissenschaftlichen Ausbildung
im Kloster Iglau Aufnahme. In der Musik erhielt er während der nächsten
neun Jahre keinen weiteren Unterricht, sondern half sich durch Selbststudium
weiter und gelangte mit Hülfe der Lehrbücher von Marpurg, Kirnberger, Mat-
theson und Türk in der Composition imd dem Clavierspiel zu einer bedeutenden
Stufe der Fertigkeit. In Prag, wo er Jurisprudenz studirte, hatte er das
Glück, in einem seiner Ciavierschüler, dem Grafen Georg von Bourgnay, einen
Protektor zu finden, der es ihm ermöglichte, seinem eigentlichen Berufe, der
Tonkunst, leben zu können. Mit dem Titel eines gräflichen Tonsetzers und
einem ansehnlichen Gehalt nahm der Graf ihn in sein Haus. Auch als nach
zweijährigem Aufenthalte T. sich mit der Schwester des Dichters Egon Ebert
verheiratete und ein eigenes Haus bezog, behielt er alle Benifizien, welche
dieser Kunstfreund ihm zur Sicherheit einer unabhängigen Stellung zugewiesen
hatte. T. hat sich als Componist, Clavierlehrer und Lehrer einen bedeutendeu
Ruf erworben. Zu seinen Schülern gehöx-en Kittel, Dreyschock, SchiilhofF, Kühe,
Tedesco, Sig. Goldschmidt, Worzischek, Würfel u. A. Seine Compositionen, einige
80 Werke für Kirche, Orchester, Gesang, Ciavier, sind eigenthümlich, leider
nicht allgemeiner bekannt geworden. Die Hauptwei'ke sind: y^Missa cum gra-
duali et qff'ertorioa, vierstimmig mit Orchester«, op. 46 (Prag, Enders). -nSymni
in sacro pro defunctis cantari soliti etc.a, vierstimmig mit Orchester, op. 70
(Prag, Berra; Mainz, Schott). »Seraphine«, Oper, im Nationaltheater zu Prag
1811 aufgeführt). »Leonore«, Ballade von Bürger, für Ciavier arrangirt, op. 12
(Prag, 1808). Cantate zur dritten Yermählung Franz I. Neue Sammlungen
Goethe'scher Gedichte, für eine Stimme mit Piano. Mehrere Sammlungen böh-
Älnsikal. Convers.-Lexikon. X. 14
210 Tomaselli — Tomeoui.
misclier und deutscher Gesänge, op. 2, 6, 32, 34, 48, 50, 67 (Prag uud Leipzig).
Symphonie für grosses Orchester, op. 19 (Leipzig, Breitkopf & Härtel), Clavier-
concert für Orchester, op. 18 (Wien, Haslinger). Quartette und Sonaten, Ciavier-
stücke, welche in Leipzig hei Peters und Hoifmeister, in "Wien bei Haslinger,
in Zürich bei Hug erschienen sind, u. A. T. starb am 3. April 1850.
Tomaselli, ein trefflicher Baritonsänger und Gresanglehrer, der seine Lauf-
bahn in Mailand begann, darauf in Salzburg in der Fürstlichen Kapelle sang
und 1812 in Wien als Hofsänger engagirt wurde. Er unterrichtete die Milder,
die Sessi u. A.
Tomasi, Blasius, Organist zu Comacchio im Herzogthum Perrara. Anfangs
des 17. Jahrhunderts veröffentlichte er nachstehend verzeichnete Werke: »J/a-
drigali a cinque voci«, op. 1 (Venedig, 1611). «II secondo lihro de Madrifjali
a cinque et a sei voci, con il basso cotitinuo; de quali parte si poträ cantare con
Vinstrument a senza; et 'parte necesseriamenfe lo ricerca, Tiavendo posto nel fine
la tavola che insegnera il modo per concertantiv. (in Venetia, app, Bartolomeo
Magni, 1613, in 4°). r>Motetti « 2, 3, 4 voci con litaaie a 4 voci>i. (ibid.,
1615, in 4"). »JTi concerti a 1 — 8 vociv. (ibid.).
Tomasini, Luigi, Violinist, in Italien um die Mitte des 18. Jahrhunderts
geboren, war Orchesterdirektor der Kapelle des Fürsten Esterhazy zu derselben
Zeit, als Haydn dort als Componist angestellt war. Später war er Concert-
meister in Mecklenburg- Strelitz, wo seine Gattin Sophie geb. Groll, eine Schü-
lerin Eighini's, als Sängerin angestellt war. 1812 gaben beide in Berlin
Concerte. Gedruckt sind von ihm: »Drei Duos für zwei Violinen« (Wien,
Mollo). »Zwölf Variationen für die Violine allein«. Im Manuscript: Concerte
mit Orchester, Streichquartette.
Tomboliui, Raphael, Sopransänger an der königl. Oper zu Berlin, war
zu Permo im Kirchenstaate am 18. Januar 1766 geboren und wurde im Auf-
trage des Königs, der einen talentvollen jungen Sänger zu haben wünschte,
vom preussischen Gesandten zu Turin, Chambrier, engagirt. In Bologna hatte
er Generalbass und Gesang bei Gibelli studii't, und in Berlin, wo er am 15.
Novbr. 1784 anlangte, nahm er noch Unterricht bei dem Italiener Concialini.
Nach seiner Ankunft musste er dem Könige eine Arie von Graun vom Blatte
vorsingen, wobei ihn Pasch am Plügel begleitete. Am 24. Decbr. trat er zum
ersten Male als Apollo im »Orpheus« von Graun auf und sang bis zur Auf-
lösung der italienischen Oper 1807, mit Ausnahme der Oper »Vasco« von
Himmel, in italienischen, gleich der genannten vom Pepertoir verschwundenen
Opern. T. war der einzige italienische Sänger, der in königl. Diensten blieb,
er musste sich verpflichten, jährlich wenigstens einmal entweder in der Oper
oder in Concerten zu singen. Sein letztes Auftreten fand am 17. Decbr. 1815
in der Oper »Der Zauberwald« von Righini statt, worauf er 1817 pensiouirl
wurde. Er liess sich darauf in Charlottenburg nieder und ertheilte Gesang-
unterricht; er feierte dort auch den Tag seiner fünfzigjährigen Anwesenheit in
Berlin. Am 27. October 1839 starb er und ward auf dem katholischen Kirchhof
zu Berlin beerdigt. Seine höchst klangvolle Stimme soll einen ausserordent-
lichen Umfang gehabt haben, sein Vortrag edel und beseelt gewesen sein.
(Siehe »Si^ener'sche Zeitung« 1834 und Berliner »Tonkünstler-Lexikon« von
Ledebur, S. 601).
Tomeoui Dutillieu, Irene, erste Sängerin an der italienischen Oper in
Wien, ungefähr 1760 geboren, sang erst in Neapel und wurde 1791 in AVien
engagirt, wo sie bis zu ihrer Verheiratung 1801 thätig blieb. Sie wurde als
Sängerin hoch gerühmt.
Tomeoui, Florido, Professor des Gesanges, geboren zu Lucca ungefähr
1757, liess sich 1785 in Paris nieder, nachdem er auf dem Conservatorium zu
Neapel gebildet worden war. Er widmete sich dem Unterrichte, speciell für
den Gesang und die Kunst des Begleitens und gab die folgenden beiden darauf
bezüglichen Werke heraus: y>Methode qui ajjjjrend la connaissance de Vharmonie
Touieoui — Toinmasi. 211
et la pratique de raccompagnemetit, selon les principes de Vecole de Naplesa (Paris,
1708, in 4°). »Theorie de la musique vocale, ou des dix regles qu'll faitt con-
naUre et observer your hien chanter, ou powr apprendre ä juger soi-meme du
deijre de perfection de ceux que Von entenda (Paris, Pougens an YII (1799),
in 8°, 138 p. Ferner die Compositionen: »Sonate pour le piatioa (Paris, chez
l'auteur). »ie Rossignol et la Fauvettei, Cantate mit Orchester oder Piano
(ibid. 1798). »Rondo für Sopran und Orchester oder Piano«. »Paul au tom-
beaii de Virginie für eine Stimme mit Ciavier oder Orchester«, T. starb zu
Paris im Monat August 1820. Seine Tochter:
Tomeoui, Er minie, war auf dem Pariser Conservatorium und durch den
Vater gebildet und trat zuerst bei der komischen Oper in Paris auf. 1814 wurde
sie von Florenz aus, wo sie am Theater Pergola sang, für Mexiko engagirt,
wohin sie sich in Genua einschiffte. Das Schiff scheiterte, und erst nachdem
sie mit einigen anderen Leidensgefährten, die sich auf einer Barke gerettet
hatten, auf derselben 17 Tage in Todesgefahr umhergeschwommen war, landete
sie in Amerika.
Tomeoui, Pelegrino, Bruder von Florido, geboren zu Lucca 1759
studirte in Florenz, wo er sich auch später als Gesanglehrer niederliess, Musik
unter Baccini, Schüler des P. Martini. Er gab das nachstehende Lehrbuch
heraus: »Segole praticlie per accompagnare il lasso continuo, esposte in dialoghi
per facilitarne il possesso alla principiante gioventuv. (Florenz, 1795, in 4'^).
Abbe Santini besass die Partitur einer vierstimmigen Composition: »ie Salmi
del vespro a 4 vociv. von Tomeoni.
Tomkius, Organist und Componist, war in Glocester, wo sein Vater Sänger
der Kirchenkapelle war, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts geboren.
Er studirte unter Byrd, trat ebenfalls ungefähr 1580 als Sänger in die
königl. Kapelle ein und wurde später Organist dieser Kapelle. 1607 erhielt
er die Stelle des Bakkalaureus der Musik an der Universität Oxford und einige
Jahre später übernahm er das Amt des Organisten an der Kathedrale von
Worcester, in welchem Amte er wahrscheinlich gestorben ist. Zur Zeit der
Cromwell'schen Herrschaft lebte er noch. Von seinen Arbeiten, die in England
ihrer Zeit geschätzt wurden, können angeführt werden: »XXIV Songs of 3, 4,
5 and 6 parts« (London, in 4°). »Chatedral music or Music dedicated to the
honour and Service of God, and to the use of cathedrals and churches of England,
especially the chapel royal of Jcing CfJiarles the ßrsta. (London, 1623, in 4°, zweite
Ausgabe 1668). Die Gesänge dieser Sammlung, die in Anthems, Hymnen und
andern Kirchenstücken bestehen, sind fünfstimmig. Einige Madrigale von T.
sind in der Sammlung »The Triumph of Orianaa zu finden. Ein Manuscript
von Ciavier- und Orgelstücken befand sich im Besitz des M. Farrenc. Diese
sind augenscheinlich nach der 1624 von Samuel Scheidt herausgegebenen Ta-
bulatura nova gearbeitet.
Tommasi, Pater Joseph Maria, lateinisch Thomasius, ältester Sohn
des Prinzen von Parma, wurde im Schlosse Alicate in Sicilien am 14. Septbr.
1649 geboren und trat, 17 Jahre alt, in den Theatinerorden, wo er ein höchst
entsagensvolles Leben führte, sich aber die umfassendsten Kenntnisse in der
griechischen, hebräischen und chaldäischen Sprache, in der Philosophie und
den kirchlichen Wissenschaften aneignete. Vom Papste Clemens VI. erhielt
er die Cardiualswürde und starb am 1. Januar 1713. Seine Schriften sind
insofern für den Musikhistoriker von Werth, als sie vieles auf die alten Anti-
phonien, Litaneien, Kyrie eleison und andere kirchliche Gebräuche beim Messe-
singen Bezügliche enthalten. Einige erschienen unter dem angenommenen Namen
Carus. Das Bedeutendste ist: »Codices sacramentorum nongentis annis vetustiores,
nimirum Libri III sacramentorum ecclesiae. Missale Gothicum, sive gallicanum
vetus. Missale Francorum. Missale Gallicanum Yetusv. (Rom, 1680, in 4°).
»Psalterium juxta editionem Romanavi et Gallicam, cum canticis, hymnario et
orationalia (Rom, 1683, in 4°). »Responsorialia et Anthiphonaria Itomanae eccle-
14*
212 Tommasi — Ton.
siae a S. Greijorio magno, disposita cum appendice monumentorum veterum et
scholiisd (Rom, 1686, in 4°). y^Antiqui libri Missarum Romanae ecclesiae, id est
Antiphonarium S. Gregoriia (Rom, 1691, in 4°). yiOjficium Dominicae Passionis
feriae VI Parasceve, Majoris Hehdomadae, secmidutn ritiim Graecoricma (Rom,
1693, in 4°). r>Psalterium cum canticis et versihus primo more distinctum, argtt-
mentis et orationibus vetusfis etc.a (Rom, 1697, in 4").
Tommasi, Giovanni Batista, geboren zu Mantua um die Mitte des
17. Jahrhunderts, nur bekannt durch seine Oper y>8esto Tarquinio«, 1678 in
Venedig aufgeführt.
Touassi, Pietro, Contrabassist und Professor des Contrapunkts und der
Harmonielehre, ist als der TJebersetzer der Reicha'schen Harmonielehre aus dem
Französischen ins Italienische zu nennen. Abgekürzt gab er diese unter dem
Titel heraus: -»Trattato d'Ar7nonia di Antonio Peiclia, compendiato e recato dalV
idioma francese nelV italiano, da Pietro Tonassi, con qualclie Nota del TraduttOre.
Diviso in due librin (Milano Ricordi, 1844, in Fol.). Eine OjDer, in Gemein-
schaft mit Collaro componirt, und eine Anzahl Potpourri's für die Violine und
Guitarre sind unbedeutend.
Ton, franz. Ton, heisst der Klang, sobald dieser nach Höhe oder Tiefe
bestimmt abgemessen ist. Die mannichfache Bedeutung, welche das "Wort ausser-
dem gewinnt, widerspricht dem nicht. Vielfach wird es für Klang der Instru-
mente angewendet. Man spricht vom Gesang ton, vom Geigen ton, vom Ton
der Blasinstrumente, vom Orgelton u. s. w., wo man den Klang der
Instrumente meint, weil dieser hier fast immer zugleich die Bedeutung des Tons
gewinnt, in bestimmter abgemessener Höhe oder Tiefe auftritt, und weil nur so
überhaupt der Klang der betreffenden Instrumente seine wohlthuende Wirkung
ausübt. Weiter bezeichnet man damit auch das Intervall einer diatonischen
Stufe, als Maass für die übrigen Intervalle. Man unterscheidet dementsprechend
den Ganzton und den Halb ton, und beide wiederum mathematisch von ver-
schiedener Grösse: der grosse Ganzton (wie c — d) hat das Verhältniss von 9:8,
der kleine Ganzton (wie J— e) das Verhältniss von 10:9, der Halbton aber
erscheint bald im Verhältniss von 16: 15, bald von 256: 243. Dass man endlich
früher und zum Theil auch noch jetzt unter »Ton« auch die Tonleiter und
Tonart verstand, ist mehrfach erwähnt und kommt noch näher in Betrachtung.
Auf seiner untersten Stufe ist der Ton = Schall. Dieser entsteht durch
die zitternde Bewegung elastischer Körper: von Stäben, die durch ihre eigene
Steifheit elastisch sind, oder von Saiten, die durch die SjDannung elastisch
werden; von ebenen und gekrümmten Scheiben und begrenzten Luft-
säulen. Erfolgen diese Schwingungen regelmässig und sind sie nicht von zu
kurzer Dauer, so entsteht ein Klang und sobald Höhe und Tiefe zu unter-
scheiden sind, der Ton. Doch müssen sich diese Schwingungen innerhalb
gewisser Grenzen der Schnelligkeit halten, wenn der Ton hörbar werden soll.
Die Anzahl der Schwingungen, welche der klingende Körper in einer bestimmten
Zeit vollführt, bestimmt die Höhe oder Tiefe des Tons. Dieser heisst: hoher
Ton, wenn die Schwingungen schnell erfolgen; tiefer Ton, wenn sie langsam
geschehen. Die Grenzen der Schnelligkeit dieser Schwingungen, bei dei-en
Heberschreiten das menschliche Ohr keinen Schall mehr vernimmt, scheinen
für verschiedene Individuen auch verschieden zu sein. Gewöhnlich nimmt man
nach Baumgartner (»Die Naturlehre nach ihrem gegenwärtigen Zustande«,
dritte Auflage, 1829, p. 236) an, dass die Anzahl der einfachen Schwingungen,
wenn sie gehört werden sollen, nicht geringer als 32 in der Secunde sein darf.
Chladni giebt als Minimum ungefähr 30 Schwingungen in der Secunde an.
Savart aber erzeugte Töne von 16 Schwingungen. Vermittelst eines 6 Fuss
langen Stabes vernahm er schon mit 8 Schlägen = 16 Schwingungen einen
zusammenhängenden Ton. Die Empfindung desselben liegt nur im Gehörorgan
und hat derselbe auch hier seine Grenzen. Als die grösste Anzahl der Schwin-
gungen, bei welchen noch ein wahrnehmbarer Schall entsteht, nehmen Biot
Ton. 213
8192, Chladni 12,000, OH vi er 16,000, Young 18000—20,000 in einer Se-
cunde an. Nach W. "Weber (»Akustik«) sind 30,000 in einer Secunde an das
Ohr schlagende Wellen das Maximum für einen hörbaren Ton. Despretz
aber erhielt durch Verkürzung kleiner Stimmgabeln noch musikalisch bestimm-
bare Töne bis zu 32,770 Schwingungen, also 4 Octaven höher als unser c*
und selbst bis zu 36,500 Schwingungen glaubte er einen Ton zu hören. Savart
aber hat gezeigt, dass man, unter der Voraussetzung, dass die Töne in der
Höhe nicht zu sehr an Intensität abnehmen, auch noch bei 48,000 Schwingungen
in der Secunde einen Schall vernimmt. In der Praxis verengt sich natürlich
der Umfang bedeutend. Der tiefste Ton im Orchester ist E^ des Contrabasses
mit 41 Y* Schwingungen, der höchste das d^ der Piccoloflöte mit 4752 Schwin-
gungen. Auf grössern Orgeln hat man noch O-y mit 16^/2 Schwingungen; doch
werden diese tiefern Töne unter jE/j nur mit ihrer höhern Octave in Anwendung
gebracht, da sie allein gebraucht nicht recht feststehen. Das Ohr verliert hier
schon an Fähigkeit zu unterscheiden. Nach der Höhe geht das Pianoforte meist
bis zu a^ mit 3520 oder c' mit 4224 Schwingungen. Innerhalb dieser äussersten
Grenzen liegen nun eine zahllose Reihe von Tönen, von denen indess nur der
kleinste Theil künstlerisch zu verwenden ist. Die Ausscheidung dieser künst-
lerisch verwerthbaren Töne erfolgt zumeist nach ästhetischen Rücksichten,
aber die Natur unterstützt diesen Prozess wesentlich, ganz besonders dadurch,
dass sie die einzelnen Töne unter sich in nähere oder entfei'ntere Beziehungen
gesetzt und dass sie die besonders günstigen den einzelnen Organen, wie den Men-
schenstimmen oder den Blasinstrumenten als leichter anzugebende eingewirkt hat.
Schon als blosses Material betrachtet ist der Ton unter allen Darstellungs-
mitteln der künstlerischen Thätigkeit unstreitig das wirksamste. Mit unwider-
stehlicher Grewalt dringt er in das Innere, so dass man ihm kaum zu entrinnen
vermag. Er wirkt dabei noch weit inniger und nachhaltiger als selbst Licht
und Farbe. Gegen die Wirkung dieser beiden sich zu verschliessen ist leicht,
nicht so gegen die des Tons. Er überfällt und überrascht, nimmt uns gefangen,
wir mögen wollen oder nicht; er klingt noch lange in uns nach, wenn er selbst
schon längst verhallt ist. Weil er unkörperlich ist, unbegrenzt und wesenlos
erscheint, so erhebt er uns in höhere Welten, die sich ganz frei von allem
stofflich Bewegten vor unserm Innern ausbreitet. Der Ton, schon in seiner
rein materialistischen Erscheinungsform, vermag daher eine Gewalt über unsre
Empfindung zu gewinnen, wie selbst nicht das Licht. Ein lang und einförmig
fortklingender Ton wirkt aufregend bis zur Erschlaffung; bei sich steigernder
Stärke kann seine "Wirkung unheimlich furchtbar werden; bei Abnahme bis
zum Verschwinden fieberhaft ängstlich; während die rasch vorübersausenden
Tonfiguren Gemüth und Gedanken zu verwirren im Stande sind und der Wechsel
von all diesen verschiedenen Erscheinungsformen schon einen angenehmen Total-
eindruck zu gewähren vermag.
So erlangt schon der Ton als natürliches Darstellungsmaterial in seiner
ungebändigten Naturkraft eine höhere ästhetische Bedeutung als Marmor oder
Metall und selbst als Farbe und Licht. Indem dann der schaffende Genius
diese verschiedenen Erscheinungsformen nach bestimmten künstlerischen Prin-
cipien ordnet, hebt er ihre Naturgewalt nicht auf, sondern er macht sie seiner
Idee dienstbar, so dass sie zum beredten Verkünder derselben werden. In
diesem Bestreben nun erfolgt auch die oben erwähnte Ausscheidung der künst-
lerisch verwerthbaren Töne aus der grossen Masse von überhaupt zu erzeugenden.
Helmholtz ist der Meinung, dass das tiefe JEJ des Contrabasses mit 41
Schwingungen der tiefste künstlerisch zu verwendende Ton sei, dass das sech-
zehnfüssige G der Orgel mit 33 Schwingungen zwar noch eine ziemlich conti-
nuirliche Empfindung von Dröhnen gebe, aber ohne dass man ihm einen be-
stimmten Werth in der musikalischen Scala zuschreiben könne. Er nimmt an,
dass bei etwa 30 Schwingungen die Tonempfindung beginnt, aber erst bei 40
die Töne anfangen, eine bestimmte musikalische Höhe zu bekommen. Nach der
214 Ton.
Höhe gelten das viergestrichene a mit 3520 oder das fünfgestriclieue c mit
4224 Schwingungen bei dem Pianoforte als höchste Töne; beim Orchester das
i'ünfgestrichene d mit 4752 Schwingungen.
Die Scheidung und Eintheilung der brauchbaren Töne innerhalb dieses
weiten Raums vom tiefsten zum höchsten erfolgt nun auf Grund der Unter-
suchung ihres Verhältnisses zu einandei'. Wenn der Ton an sich, als Klang
von bestimmter Höhe, mehr elementar, sinnlich reizend wirkt, so wird diese
Wirkung schon eine höhere, wenn er zugleich in gewisse Beziehungen zu andern
tritt, denn dabei erweist sich der Greist bereits schaffend thätig und die Er-
kenntniss dieser Thätigkeit gewährt einen höhern als nur elementaren Genuss.
Die Intervalle zu beachten und festzustellen war erste Voraus-
setzung der gesammten weiteren künstlerischen Thätigkeit. Damit
war aber auch geboten, die Grenzen der Intervalle in den Tönen
zu fixiren. Mit diesem Unterscheiden der Töne und Intervalle beginnt
demnach die Entwickelung der Tonkunst. Unser Ohr ist nicht so genau, als
die mathematische Berechnung; es vermag nur die vollkommenen, im nahen
und darum verträglichen Verhältniss stehenden Intervalle zu unterscheiden und
so heben sich aus der Reihe möglicher Töne eine kleine Anzahl bestimmt
geschiedener heraus, mit denen der künstlerisch schaffende Menschengeist zu
operiren beginnt. Zwar wird dieser ganze Prozess durch die Natur wesentlich
unterstützt. In der Menschenstimme und in einigen Naturinstrumenten sind
jene bestimmt geschiedenen Töne der diatonischen Tonleiter so fest gefügt, dass
ihre Erzeugung wenig Schwierigkeiten bereitet. Allein die Beherrschung des
Muskelapparats und des einfachsten Mechanismus jener Naturinstrumente setzt
immer eine gewisse Uebung und Erfahrung voraus und auch das Ohr bedurfte
beider, um die Intervalle unterscheiden zu lernen. Es ist daher wohl als un-
zweifelhaft anzunehmen, dass die weiten Intervalle zuerst sich abhoben aus
der Masse ununterschiedener Töne. Das Intervall der Octave war jedenfalls
am leichtesten zu finden und so ist es auch erklärlich, dass von den ersten
Zeiten der Entwickelung der verschiedenen Tonsysteme an allen diesen Expe-
rimenten die Octave zu Grunde liegt. Dies Intervall in der bequemsten Weise
getheilt führte ganz naturgemäss auf das der Qu int, im weitern Verlauf ganz
consequent auf das der Quart und so ist recht wohl anzunehmen, dass, wie
Boethius berichtet, die älteste Lyra in diesen Tönen c—f — y — c, dem ganzen
Tonreichthum jener Zeit, gestimmt gewesen ist. Die weitere Theilung der
Quint ergab dann die Terz und deren Theilung, die Secunde. Damit aber
waren die sämmtlichen Töne der Tonleiter gewonnen und der besondere
Gang, den dieser ganze Prozess bei den verschiedenen Völkern und in ver-
schiedenen Jahrhunderten nahm, erzeugte die verschiedenen Tonleitern (s. d.),
Tonsysteme (s. d.), Tonarten (s. d.) u. s. w.
Dieser ganze Prozess wird, wie erwähnt, durch die Natur wesentlich unter-
stützt, allein er ist vielmehr durch ästhetische, als durch unabweisbare Natur-
gesetze hervorgerufen. Die Ordnung eines bestimmten Tonmaterials zu in sich
geschlossenen und gegliederten Tonleitern und Tonsystemen hat nur den
einen Zweck, das Material für die künstlerische Verwerthung ge-
eignet zu machen. In diesem Bestreben werden die Untersuchungen über
das Verhältniss der einzelnen Töne und Intervalle zu einander angestellt
und man erkannte, dass die Naturgesetze den Anforderungen der ästhetischen
Nothwendigkeit vollständig entsprechen. Früh schon erlangte man die Einsicht,
dass die einzelnen Töne ein näheres oder entfernteres Verhältniss zu einander
gewinnen und dass hierauf die mehr oder weniger angenehme Wirkung der
Intervalle beruht. Man erkannte ferner, dass, wenn man eine Saite in zwei
Theile theilt, oder einen klingenden Luftstrahl verkürzt oder verlängert, die
Töne der beiden Theile eine Consonanz bilden, wenn ihre Längen sich wie
zwei einfache ganze Zahlen zu einander verhalten. Die Erkenntniss, dass eine
genau um die Hälfte verkürzte Saite oder Pfeife die Octave des Tons der
Ton. 215
ursprüngliclien Länge giebt, musstc notliwendig zu weitem derartigen Unter-
suchungen reizen und so gelangte mau allmälig auf ganz natürliclieia Wege
zur Feststellung der Verhältnisse der Intervalle der Tonleiter: man erkannte,
dass "/s der Länge der Saite die Qu int ergiebt, ^jt die Quarte, ^/s die grosse
Sext, *Id die grosse Terz, ''/e die kleine Terz u. s. w. und dementsprechend
konnte leicht die Anordnung und Begründung der Tonleiter in der ange-
gebenen "Weise erfolgen. Die weitere Verfolgung dieses Prozesses und die
Anwendung, welche er gewann, wurde dann fast ausschliesslich nach ästhe-
tischem ßedürfniss geregelt. Wir wiesen schon am andern Orte darauf hin,
dass der Ton eine doppelte Verwendung findet, einmal selbständig als Baustein
für Musikformen, das andremal als Grundlage für die Sprache. Wir zeigten
dort, dass die Sprachlaute im Grunde nichts weiter sind, als ganz besonders
behandelte Töne und dass die Sprache nur als verdichtetes Singen betrachtet
werden muss, und wiesen nach, wie alle Culturvölker der Erde den letztern
Weg zuerst einschlugen, erst den Ton zur Sprache ausbildeten und mit Hülfe
des mehr selbständig wirkenden Tons dieser kunstvollere Gestaltung geben.
Wie sich darnach Tonleiter und Tonsystem anders gestalten, werden die
betreffenden Artikel noch näher beleuchten. Wie wenig alle diese Verhältnisse
absolute Bedeutung haben, wird ja auch dadurch bewiesen, dass selbst bis auf
den beutigen Tag ein allgemeiner Normalton noch nicht festgestellt werden
konnte. Um eine absolute Höhe festzustellen, hat man einen Ton mit bestimm-
tem Längenmaass und demnach mit einer bestimmten Anzahl Schwingungen
als Normalton angenommen, nach welchem die übrigen als Octave, Quint,
Quart, Terz u. s. w., wie oben angegeben worden ist, gemessen werden. Aber
auch dieser Normalton ist durchaus willkürlich, und er wird noch heute, wie
unter Normalton nachzulesen ist, in den verschiedenen Ländern verschieden
angenommen.
Schon auf dieser unteren Stufe der Bildung von Tonsystemen und ihrer
speciellen Anwendung zur Vollendung der künstlerischen Gliederung der Sprache
verliert der Ton seine nur sinnliche reizvolle j\Iacht. Während der einzelne
Ton vorwiegend die Nerven reizt, und nur indirekt auf die Phantasie wirkt,
gewinnt das Intervall schon eine höhere Bedeutung, indem es auch den Ver-
stand direkt anregend in Thätigkeit setzt. Das ist dann noch in erhöhtem
Maasse der Fall, wenn die Töne zu wirklichen Tonformen zusammengefasst
werden. Der Ton gewinnt dreifache Existenzform, melodisch, als Glied einer
Reihenfolge von Tönen (s. Melodie), harmonisch als Glied eines Zusammen-
klangs und rhythmisch, der Zeitdauer nach gemessen. Es wird möglich sein,
an einem einzigen Beispiel das Verhältniss dieser verschiedenen Erscheinungs-
formen zu einander etwas näher darzulegen. Die reinen Accorde
P
■3=»"
in dieser Weise von Instrumenten oder Singstimmen ausgeführt, wirken, wenn
auch nicht ausschliesslich, doch vorwiegend nur sinnlich reizvoll. Der Accord
ist im Grunde schon ein künstlerisches Gebilde als Vereinigung von Klängen;
allein sie wirkt doch in dieser Weise so voi'wiegend sinnlich anreizend, da&s
die andere Wirkung zurücktritt. Auch dadurch, dass die Accorde hier unter
sich durchaus in engster Beziehung stehen, wird das Sinnliche ihrer Klang-
wirkung noch wenig zurückgedrängt. Dass dies indess schon geschieht, ersieht
man aus Accordfolgen, denen dieser enge Zusammenhang fehlt:
und die daher nur sinnlich reizende Wirkung erzielen.
216
Ton.
Sobald nun bei der oben verzeichneten Accordfolge eine Art von Rhythmus
hinzutritt, wird die Wirkung schon eine höhere als nur rein sinnliche:
a)
i
±t
:^z
:ö
s:
iffi:
-.^r
b)
-•-
-•-
J A-
-i
-= — • — 0—
-§ — • — •-
I I
I
I I
In der Besonderheit desselben macht sich bereits das Vorhandensein einer be-
sondern Idee bemerkbar. Tritt dann weiterhin noch die Melodie selbst in ihrer
einfachsten Führung hinzu:
a) b)
-J-
E
icär
i
-^
-•-
-•-
-»-
I
:s:
t
-c^,
^
s:
_fi=_
so wird zwar die sinnliche Wirkung des Ganzen erhöht, aber diese wird zugleich
in den Dienst der höhern Idee gestellt, (S. Melodie und Rhythmus.) So
vereinigen sich Melodie, Harmonie und Rhythmus zur Darstellung der
höchsten Idee im Kunstwerk. Der Ton ist nicht mehr nur ein Mittel, die
Sinne angenehm zu reizen und aufzuregen, sondern er wird zugleich zum Bau-
stein für kunstvolle Formen, in denen die höchsten und heiligsten Ideen Gestalt
gewinnen. Nur unter dieser Voraussetzung wird die Tonkunst überhaupt erst
zur Kunst. So lange der Ton noch andern Zwecken dient, so lange er eben
nur mit der Sprache sich verbindet, um diese klangvoller herauszubilden, oder
so lange er nur äusserliche Handlungen und die Bewegungen, dieselben regelnd,
begleitet, kann von einer Tonkunst noch nicht die Rede sein. Diese beginnt
erst, wenn ein gestaltender Inhalt wii'kliche Tonformen erzeugt.
Aus diesen Erörterungen sind auch die verschiedenartigen Anwendungen,
welche im Sprachgebrauch von dem Begriff »Ton« noch gemacht werden, zu
erklären. Wenn man bei einem Sänger oder Geiger von seinem grossen oder
kleinen, dicken oder dünnen, weichen oder harten »Ton« spricht, so meint man
allerdings im Grunde den »Klang«, allein dennoch scheint jene Bezeichnung
»Ton« die richtigere, weil, wie schon oben angedeutet worden ist, diese Künstler
nicht nur den Klang ihres betreffenden Instruments hören lassen, sondern
dieser ist zugleich zum »Ton« gesteigert; hier ist es ganz unmöglich, Ton und
Klang zu scheiden. Viel eher kann man von dem Instrument sagen: es
habe einen guten Klang, klinge gut, weil man hierbei diesen wirklich als
losgetrennt vom Ton sich denken kann und muss. Eine eigenthümliche An-
wendung fand das Wort in der mittelalterlichen Dichtkunst. Bei den
Minnesingern galt er ebenso für Melodie wie auch für Versbau und stro-
phisches Versgefüge. Die achtzeilige alexandrinerartige Strophe, in welchem
das Hildebrandlied und andere Volksepen gedichtet sind, heisst der Hilde-
b randton. Die dreizehnzeilige Strophe der »Berner Weise« hiess auch der
Herzog-Ernst-Ton; die siebenzeilige Strophe des Jüngern Titurel hiess
»der schwarze Ton Klingsors« u. s. w. Wer den eigenthümlichen Vers-
und Strophenbau eines andern Dichters nachahmte, wurde als Tönedieb ge-
scholten und verachtet. Nachdem dann die Melodie selbständiger heraustritt,
die eben dies strophische Versgefüge in ihrer Weise nachbildete, ging dann der
Name »Ton« selbstverständlich auf die Melodie über und die Bezeichnung im
Tone: »Der alte Greis« zeigt an, dass das neue, so bezeichnete Lied nicht nur
im Vers- und Strophenbau dem altern Liede: »Der alte Greis« nachgebildet
ist, sondern dass es auch nach der Melodie desselben gesungen werden soll.
Der »Pavierton« bezeichnet Melodie und Strophe des Liedes von der Schlacht
bei Pavia. Beliebt war im 16. Jahrhundert der »Bruder Veits Ton«,
kaum weniger der »Lindenschmidt Ton«, der »Stortebecker Ton«, der
Tonabstand — Tonart.
217
»Benzenauer Ton«; »Schilhers Hofton« war ein Meistersilngerton;
weiterhin hatte man mehrere »Schweizertöne« oder <>E,eutertöne« (Melodie
und Strophenbau von Reiterliedern). Der »Spete Ton« war auch ein Meister-
sängerton. Diese eigenthümliche Bezeichnung erhielt sich so lange während
der Entwickelung des deutschen Liedes, als eben Melodie und strophisches Vers-
gefüge im engsten Zusammenhange blieben. Die neu zu erfindende Melodie
wurde möglichst genau der Strophe angepasst, und wurde umgekehrt zu einer
vorhandenen Blelodie ein neues Lied gedichtet, so geschah dies selbstverständlich
im engsten Anschluss an die, die Strophe erzeugende Melodie. Erst als die
letztere selbständiger wurde, indem sie sich die auf dem Grebiet der Instru-
mentalmusik viel freier und mannichfaltiger sich entwickelnde Rhythmik aneig-
nete und der sprachlichen Darstellung der Strophe eine viel mannichfaltigere
musikalische beigab, schieden sich auch die Begriffe; man nannte seitdem die-
gesangliche Darstellung der Strophe Melodie und scheidet sie damit von der
sprachlichen. An Stelle der Bezeichnung: »im Tone« wählen wir die jetzt
entsprechender »nach der Melodie«, bei Liedern, welche nach vorhandener
Melodie und Strophe gedichtet sind.
Touabstand, ein, nicht gerade glücklich gewählter Ersatz für die Bezeich-
nung: Intervall.
Tonale Fuge, Fuga tonale, in tona, del tuono, heisst die Fuge, welche
bei der Beantwoi'tung nach der sogenannten Octavtheilung erfolgt, so dass Eührer
und Gefährte sich gegenseitig ergänzen, indem dieser in der imtern Hälfte
antwortet, im Fall jener in der obern Hälfte eingetreten ist. Bei der Fiiga
reale wird das Thema streng in der Quint beantwortet ohne diese Rücksicht,
doch vermeidet man auch hierbei Ausweichungen.
a)
Gefährte.
?^^
=r=c
-n — •-
i^ö
b) Führer,
2. ,:
pi
¥^
m
-^ — •-
i^^^jg^
Bei a) ist das Thema tonal beantwortet, -in der untern Hälfte der Tonleiter
sich bewegend folgt ihm der Gefährte in der obern, bei b) antwortet er in
der Quint ohne diese Rücksicht.
Tonart, lat.: Modtis, franz. und englisch: Mode, nennen wir die beson-
dere Ordnung, nach welcher die künstlerisch verwendbaren Töne unter fort-
währender Bezugnahme auf einen gewählten Grundton, gebracht werden. Der
Artikel Ton schon zeigt, wie unter dem Bestreben, eine solche Ordnung in
das gesammte Tonmaterial zu bringen, die Tonleiter entstand, und später
wird gezeigt werden, dass eine solche von jedem Ton aus construirt wurde.
Wird nun eine derartige, in sich fest bestimmte und gegliederte Tonreihe dem
künstlerischen Schaffen derartig zu Grunde gelegt, dass dies durchaus dadui'ch
beeinfiusst wii'd, so wird die Tonleiter zur Tonart, deren natürlichen und
unerlässlichen Bedingungen auch das betreffende Kunstwerk entspricht. Alle
Völker, welche daher die Tonleiter ihrem künstlerischen Schaffen zu Grunde
legten, wurden auch auf das System der Tonarten geführt. Doch geschah
dies bei den vorchristlichen Völkern in sehr beschränktem Maasse, weil sie
eine eigentlich künstlerische Thätigkeit doch nicht entwickelten. Bei den
Chinesen (s.d.) wie bei den Indiern (s.d.) finden wir fein und sinnig aus-
geführte Systeme von Tonarten, aber sie sind vielmehr das Produkt phantasie-
voller Spekulation als der, eine künstlerische Thätigkeit vorbereitenden Unter-
suchung. Die Völker des Orients schwelgen gern in phantastischen Anschauungen
218 Tonart.
und diese werden durch die gelieimnissvolle Macht des Tons mächtig angeregt
und so bilden sie die Tonarten mehr phantastisch und sinnreich als wirklich
praktisch und schöpferisch anregend.
Es gilt dies zum Theil noch von den Griechen, bei denen doch die
Praxis erheblichen Antheil an der Bildung der Tonleitern und Tonarten
gewinnt und dann aber auch bedeutenden Yortheil aus ihnen zieht. Im Artikel
System zeigten wir, dass bei ihnen in der Gesangspraxis das Tetrachord-
system vorherrschend ist, aber auch dies stellt sich uns in verschiedenen Arten
(Quartengattungen) dar: als dorisch, lydisch und phrygisch. Das unter-
scheidende Merkmal bildet die Lage des Halbtons: beim dorischen Tetrachord
liegt der Halbton am untern Ende: e'~^f—g—a und li'^c — d—e^ beim lydi-
schen am obern Ende: g — a — }i''^c und c — d~e'~^f\ beim phrygischen aber
in der Mitte: a — ä^'^c — ^und d—e'~^f—g. Durchgreifender werden diese Unter-
scheidungen natürlich bei der Zusammensetzung der Tetrachorde zu Octaven-
gattungen und Tonarten. Die Griechen erhielten auf diese "Weise zunächst
sieben Scalen und Tonarten, die sie noch mannichfach erweiterten (s. Grie-
chische Musik). Dass indess diese sehr weit ausgeführte Theorie der Scalen
und Tonarten von besonderm Einfluss auf die Musikpraxis geworden ist, erscheint
zweifelhaft; auch sie ist vielmehr als ein Produkt einseitiger Spekulation und
nicht als das nothwendige Ergebniss einer besonders sich gestaltenden Praxis
anzusehen. Als solches erscheinen erst die sogenannten
Kirchentonarten, die dem ältesten Gesänge, dem Choralgesange der
christlichen Kirche zu Grunde liegen. Im Artikel System ist bereits
darauf hingewiesen worden, dass der neue Inhalt, den das Christenthum brachte,
nach einer breitern Melodieentfaltung drängte und dass deshalb die ersten
Förderer des neuen Gesanges aus dem griechischen complicirten Tonsystem nur
vier Scalen aushoben und diese zur Grundlage der neuen Gesangspraxis
machten. Ambrosius, Bischof von Mailand (333 — 397), wird als derjenige
genannt, der in dieser Weise dem Gesänge eine ganz neue Geschichte begrün-
dete. Er wählte die phrygische, dorische, hypolydische und hypo-
phrygische aus, bezeichnete sie aber als:
Erster Ton (primus): B—E'^F—G-A-H^C-D.
Zweiter Ton (secundus): E^F—G-A-H-C-B — E.
Dritter Ton (tertius): F-G-A-R^G—D-E^F.
Vierter Ton (quartus): G — A — S^G- D-E^F—G.
Die griechischen Mönche belegten sie mit den Namen:
Frotus (jiqmrog).
Deuterus (deme^og),
Tritus (roirng).
Tetrartus (znQUTog).
Diese Tonleitern wurden insofern auch zu wii'klichen Tonarten, als
der ganze tonale Verlauf der Melodien sich streng an die in dieser Weise vor-
geschriebenen Töne und das dadurch bedingte Verhältniss derselben unter
einander und zu jenem Grundton hielt. Auf dieser neuen Grundlage erhob
sich nun der christliche Gesang in so reicher Fülle, dass der beschränkte Raum
jener vier Tonarten bald erweitert werden musste und es wird als das Haupt-
verdienst der Regelung der neuen Weise kirchlichen Gesanges unter und durch
Papst Gregor d. G. Ijetrachtet, dass jenen vier Tonleitern (Tönen) noch vier
neue hinzugefügt wurden. Seitdem hiessen jene vier ambrosianischen
authentische und die neu hinzugefügten plagale (von nläyioo). Bei der
Aufstellung dieser letztern verfuhr man wieder nach griechischer Theorie, nach
welcher die Octave als aus Quint und Quarte zusammengesetzt erscheint. Bei
der authentischen Führung der Tonleiter bildet die Quinte die untere, die
Tonart.
219
Quarte die obere Hälfte uud es war somit die neue plagale Führung sehr
leicht bewerkstelligt durch Versetzung der Quart, indem mau diese der Quinte
vorsetzte:
autluMitiscli
-J. -ö-
^
-f=-
r — ü
1
plagalisch
Dies Verfahren auch auf die andern authentischen Tonarten angewendet,
ersah acht Tonarten:
Erster Kirchenton
oder
1. authent. Ton.
Zweiter Kirchentou
oder
1. plagaler Ton.
Dritter Kirchenton
oder
2. authent. Ton.
Vierter Kirchenton
oder
2. plagaler Ton.
Fünfter Kirchentou
oder
3. authent. Ton.
Sechster Kircheuton
oder
3. plagaler Ton.
Siebenter Kirchentou
oder
4. authent. Ton.
Achter Kirchenton
oder
4. plagaler Ton.
^
^
m
-m — »-
=^^
i
m
^
;i±
Die Verschiedenheit der Oi'ganisation dieser verschiedenen Tonleitern giebt
ihnen und dementsprechend auch den auf denselben erbauten Melodien einen
entschieden abweichenden Charakter. Der erste und der achte oben verzeich-
nete Kirchenton sind anscheinend ganz gleich, beide bewegen sich von D bis
zu d und doch sind beide ganz verschieden organisirt; als erster Kirchenton
hat die Scala von D — d die Quint a zum Mittelpunkt, als achter aber als
plagaler Ton hat sie die Quart ff zum Mittelpiinkt und das verändert ihre
ganze Organisation und dementsprend ihren Charakter. Damit ist zugleich
der unterschiedene Charakter der übrigen Tonarten angedeutet. Der zweite,
vierte, sechste und achte Ton sind nicht eben so selbständige Tonarten
wie der erste, dritte, fünfte und siebente Ton, aus deren Versetzung sie
erst entstanden sind. Die plagale Tonreihe findet in demselben Ton ihren
Schwerpunkt, in welchem ihn die authentische findet, aber während ihn diese
an die Enden verlegt, tritt er bei jener in die Mitte, so dass hier seine "Wir-
kung entschieden gemildert und beeinträchtigt wird. Daher haben auch die
plagalen Töne einen weichern, unentschiedenern Charakter als die authen-
tischen. Diese erheben sich bis zur Dominant und über diese dann hinaus
in energischem Emporschreiten, um dann wieder im Gruudton zur Ruhe zu
220
Tonart,
gelangen. Der Plagalton dagegen beginnt scli wankend mit dem Moment der
Bewegung und findet ßulie nur im authentisclien Ton. Dieser gewinnt
daher die Bedeutung der Tonica und jener die der Dominant und in diesem
Sinne finden sie auch meist in der Praxis ihre Anwendung.
Es ist vielfach bestritten worden, dass der gregorianische Gesang in den
ersten Jahrhunderten seiner vorwiegend einstimmigen Entwickelung sich der
Chromatik ganz enthalten und nur streng innerhalb der Töne sich gehalten
habe, welche die Tonleiter gewährt, und doch erscheint diese Thatsache ganz
unzweifelhaft feststehend. Für die rein melodische Entfaltung ist der soge-
nannte Leitton durchaus nicht so Bedürfniss wie für die harmonische und so
war es für den ersten Kirchenton durchaus nicht nöthig, c in eis zu ver-
wandeln oder für den dritten d in tlis und für den siebenten /" in ^s u. s, w.
Um beim fünften Kirchenton den Tritonus (f—h) zu vermeiden, ohne Ji in h
zu verwandeln, vermied man den Ton im Aufsteigen und nahm ihn nur im
Absteigen. Einige Beispiele von ältesten Singweisen (aus Schu biger, »Die
Sängerschule von St. Grallen«) mögen als Beweise hier stehen.
1. Hymnus de S. Othmaro (No. 44 der Beispiele bei Schubiger).
Notker Physicus, Monaehus S. Galli (f 981).
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2. In Conversione S. Pauli Ap, (bei Sclmbiger, No. 50).
Auetore incognito saeculi XI.
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Di - xit Do-mi-nus: ex Ba-san convertam convertam in pro fuu-dum ma-ris.
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Quod di - xit et fe - cit Sau - lus ut stra - vit Pau-lum et sta - tu - it.
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Quod dum im-pug-nat au - di - vit: Sau- le, Sau-le, quid me per-se queris?
3. Seqneutia brevis de b. Maria (No. 51).
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O de - cus mun - di Ma - ri - a, ge - ni - trix De - i, Nos re - os ad
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te cla- man - tes fac clemens ciinctis nos a cri - mi-ni-bus e mun-da - ri.
Tonart.
221
Ut cum tu
ua-to sem -per reg - ne-mus iu ex - cel - sis.
4. Sequentia de Epipliania Domini (No. 8).
Notker Balboli.
^-
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-cs-
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Fe - sta
Chri
sti 0 - mnis chri- sti - a - ni - tas ce - le - bret.
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:=|=^=:ö^^
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:t
-c:^
=1=
Quae mi-ris sunt mo-dis or - na ta cun-ctis-que ve-ner au- da po-pu-lis.
Per 0 - mni-to-nan-tis ad ven-tum at - que vo - ca - ti - o-nem gen-ti-um.
na - tus est Chri-stus, et stel - la Ma - ^is vi
sa
lu
ci
da.
Wir finden hier die vier authentischen Tonarten angewendet, die erste
(No. 1), dritte (No. 2), fünfte (No. 3) und siebente (No. 4) und zwar ohne
jede Veränderung irgend einer Stufe durch ein Kreuz oder Be. No. 3 erfasst
den Ton h erst im Absteigen von der Quint c aus. Da wo indess die Melodie
auf die Quart steigend geführt wird, mag wohl immer beim dritten Kirchen-
ton Ä in 5 verwandelt worden sein. So lansfe dieser Gresanof einstimmisr blieb,
war sonst gewiss wohl kaum ein Bedürfniss vorhanden, Veränderungen der
ursprünglichen Intervalle vorzunehmen. Das wurde wesentlich geändert seit
der allmäligen Ausbildung der Mehrstimmigkeit. Beispiel 3 zeigt zugleich, dass
diese Gesänge nicht immer auch mit dem eigentlichen Finalton schlössen.
Ursprünglich war der Umfang der Melodien unzweifelhaft auf den Umfang der
Octave des betreffenden Kirchentons beschränkt; also im ersten auf D—d; im
zweiten auf A — D — a u. s. w. Später wurde dann der Umfang erweitert, wie
Bischof Theoger US von Metz bestätigt (lebte um 1100), ein Ton nach
unten und oben hinzugefügt; der erste, zweite, dritte und achte Ton auch um
zwei Töne nach oben und nach unten erweitert. Dadurch wurde die Organi-
sation der Tonart nicht gestört oder schwankend gemacht, aber sie war weniger
leicht zu erkennen. Die Tonlehrer waren daher bemüht, die charakteristischen
Merkmale der einzelnen Tonarten aufzusuchen, und als solches gilt namentlich
die Bepercussion, das charakteristische Intervall, welches in jeder Tonart am
meisten Bedeutung hat und deshalb öfter vorkommt; es sind dies im ersten,
dritten, fünften und siebenten Ton die Quint der Finaltöne, im zweiten
und sechsten die Terz und im vierten und achten die Quarte. Aus der
Braxis der Erweiterung der einzelnen Scalen ergaben sich weiterhin die soge-
nannten Mischtöne (toni mixti) und Neutraltöne (toni neutrales), die
weder völlig den Gang eines authentischen, noch völlig den eines plaga-
lischen Tons haben. Der Mischton steigt eine Octave oder auch noch
höher und füllt eine Quarte, so dass er sich also das Gebiet des authentischen
und des plagalen aneignet. Der Neutralton dagegen erhebt sich nicht über
die Sext, fällt aber auch nicht unter die Terz, so dass man ihn weder als
echt authentisch, noch echt plagalisch bezeichnen kann. Die weitere Praxis
führte dann zu der Transposition der Scalen, der treuen Nachbildung der
einen auf einem andern Grundton und dies erschwerte natürlich die Erkenntniss
der Tonart immer mehr, so dass man auf neue Hülfsmittel zur Feststellung
derselben bedacht sein musste. Als solches galten auch die sogenannten Tropen
(s. d.), einzelne Melodieformeln, die treu nach den ursprünglichen Gesetzen der
222 Tonart.
Kircheuiöue gebildet, beim Psalmen- und Eesponsoriengesaugo Anwendung
fanden. Ea waren ursprünglicb Scblussclauseln für die entsprechenden Kirchen-
töne, Als sie dann wiederum vermehrt und erweitert wurden (als Differenzen,
s, d. Art. Tropen), waren sie auch kein untrügliches Mittel mehr, die Tactart
zu erkennen. So lange der ursprüngliche Umfang des betreffenden Tons nicht
bedeutend überschritten wurde, gaben der Final ton (oder Schlusston), der ^
für die authentische und plagalische Tonart gleich war, und der Ambitus, "«|
der Umfang, die sichersten Kennzeichen für die Tonart. Die authentische
Tonart steigt alsdann eben eine Octave über den Grundton, die plagalische
fällt eine Quart unter und steigt eine Quint über denselben und der Umfang,
der Ambitus, wurde darnach Anfangs ebenfalls genau bestimmt. Als dieser
überschritten wurde, war dann, wie oben erwähnt, die E,epercussio ein sichereres
Kennzeichen für den Ton und ist es auch geblieben durch die weiteren Um-
wandlungen und Erweiterungen des Systems hindurch.
In der Sängerschule zu St. Gallen bediente man sich zur Bezeichnung
der Tonart besonderer Buchstaben :
a bezeichnete den I. Kirchenton auiJientus protm.
e - - II. - plagis proü.
i - - III. - autlientus deuterus.
o - - IV. - pla(jis deutri.
V - - Y, ' authentus tritus.
II - - VI. - plagis triti.
y - - VII. - authentus tetrardus.
oj - - VIII. - plagis tetrardi.
Zuerst wandte man diese Buchstaben bei den Antiphonen der Vesper
und den canonischen Stunden an, erst später auch bei den Hymnen und Se-
quenzen. Es ist nicht mehr festzustellen, ob diese Weise die Bezeichnung erst
von Roman und seiner Schule eingeführt wurde, oder ob sie schon vorher in
Gebrauch war. Nach Schubiger (»Die Sängerschule St. Gallen«, pag. 19)
war sie im 10. und 11. Jahrhundert in St. Gallen und der ganzen Umgegend
in Anwendung. Die ältesten Vesper-Antiphonarien der St. Gallener Stifts-
bibliothek tragen diese Bezeichnung. Um diese Zeit hatte man auch bereits an
Stelle der ursprünglichen Bezeichnung der Kirchentöne als ersten, zweiten,
dritten Ton u. s. w. die griechischen Namen angenommen. Der Benediktiner-
mönch Hucbald, der im Jahre 930 in hohem Alter starb, berichtet darüber
(Gerbert, nScriptores« I, pag. 127). Hucbald war mit der antiken Literatur
durchaus vertraut und ein schwärmerischer Verehrer des Boethius und so ent-
wickelte er auch die Eigenheit der Kirchentöne aus dem griechischen Tonsystem
und es ist erklärlich, dass schliesslich auch die griechischen Namen für die
Tonleitern und deren Tonarten adoptirt wui-den. Dabei aber geschah es, doch
wohl weil das tiefere Verständniss für die ursprünglichen griechischen Systeme
verloren gegangen war, dass die Tonarten verwechselt, in eine andere Ordnung
gebracht wurden: die ursprüngliche hypophrygische Tonart wurde jetzt zur
mixolydischen und umgekehrt die mixolydische zur hypophrygischen, die dorische
zur phrygischen und umgekehrt, nur die äolische blieb unverrückt, wie aus
folgender Zusammenstellung zu ersehen ist:
Kirchenton. Griechisch.
(Zweiter) Aeolisch . . . AHcdeft/a Aeolisch.
(Vierter) Hypophrygisch H c d e f (j a h Mixolydisch.
(Sechster) Jonisch . . . cdefcjahc Lydisch.
(Erster) Dorisch . . . . defgaJicd Phrygisch.
(Dritter) Phrygisch . . e f g a h c d e Dorisch.
(Fünfter) Lydisch . . . fgahcdef Jonisch.
(Sechster) Mixolydisch . g a h c d e f g Hypophrygisch.
Tonart.
223
Diese Beücnnuug hat sich bis auf den heutigen Tag im Kirchengesange
erhalten. Anfangs behielten die Tonlehrer wohl auch noch die frühere Be-
zeichnung als erster, zweiter Ton u. s. w. bei, aber schon die Theoretiker
des 13. Jahrhunderts, wie Abt Wilhelm von Hirschau oder Abt Engelbert
von Admont lehren die Kirchentonarten als identisch mit den griechischen
Tonarten. Die ältere Bezeichnung erhielt sich auch noch in der Praxis, allein
sie war doch mit der allmäligen Erweiterung des Tonsystems unbestimmter
geworden, weil die Theoretiker von verschiedenen Punkten aus zu zählen be-
gannen. Während in der älteren Bezeichnung D (dorisch) als erster Ton galt
und A (äolisch) als zweiter, zählen Hucbald und Gruido von Arezzo von A
als erstem, als tonus primus. Später wurde wieder D dorisch zum ersten Ton,
Zarlino (ein bedeutender Theoretiker des 16. Jahrhunderts) nahm C (jonisch)
als authentische Octave zum ersten Ton, wodurch G (mixolydisch) zum plagalen
zweiten Ton wurde u. s. w. Dem gegenüber wurde jene erwähnte griechische
zur festbestimmten unzweifelhaften Bezeichnung.
Allmälig brach sich weiterhin die Anschauung Bahn, dass nicht nur jeder
der vier Töne der Scala d—e—f—g Grundton eines authentischen Kirchentons
sein könne, sondern dass man ebenso auch die andern drei Töne: a — h und c
als Grundtöne authentischer Tonarten betrachten müsse, so dass die Zahl der
authentischen Kirchentöne auf sieben anwuchs und da jede dann auch eine
plagalische Führung zulässt, so ergiebt das vierzehn selbständige Kirchentöne.
Allein die Tonreihe von F—f musste doch hierbei ausgeschieden werden, sie
konnte nicht arithmetisch getheilt werden, indem sie den verpönten Triton
F—h ergab, die Theilung der plagalischen Tonleiter R—h aber ergab das
ebenso verpönte Intervall R—f. Beide Modi — die als Hyperphrygisch
und Hy per äolisch einzufügen wären, blieben ausgeschlossen; mithin ergab
das neue System 12 Tonarten. Glareau in seinem: y>Dodecacliordon<i. (Basel,
1547) hat namentlich ausführlich die Theorie dieser zwölf Tonarten entwickelt.
Sie stellen sich in folgender Weise dar:
Authentische Tonarten.
Erster Ton. Dorisch.
Plagalische Tonarten.
Zweiter Ton. Hypodorisch.
— ^-
nü »-
Dritter Ton. Phrygisch,
.-. ■•- -•-
Vierter Ton. Hypophrygisch.
-■OS — •-
m
-es;
i
Fünfter Ton. Lydisch.
Sechster Ton. Hypolydisch.
rpi^
Siebenter Ton. Mixolydisch.
Achter Ton. Hypomixolvdisch.
"^
-* — •-
- — -jr ■•- —
Neunter Ton. Aeolisch.
Zehnter Ton. Hypoäolisch.
^^
a — »-
Elfter Ton. Jonisch.
-a — #-
f
Zwölfter Ton. Hypojonisch.
-m — •-
224 Tonart.
Wie schon erwähnt wurde, blieben bei der melodischen Verwendung dieser
Tonarten die chromatischen Veränderungen des Tones, sowohl t> als ö, aus-
geschlossen bis auf einige vereinzelte Fälle. Schon bei der dorischen Tonart
(dem ersten Kirchenton) machte, wie wir früher zeigten, der arg verpönte
Tritonus (f—h), das Mi contra /«, eine vorsichtige Führung der Melodie noth-
wendig, oder aber die Veränderung des li in h. Dies ist natürlich erst x'echt
beim fünften Ton, der lydischen Tonart, der Fall, und Guido schon giebt
im achten Kapitel des Microlog als Grund der Einführung des h rotundum
an Stelle des h quadratum Ij, des Ji, die Umwandlung der grossen Quarte y — h
in f—i an. Daher behandeln die Theoretiker auch das h und t] als einen
Ton, jenes als Nona prima und dies als Nona secunda. Dai'nach wurde auch
die Einführung des einen oder des andern bestimmt. Nur wenn es direct oder
indirect die Vermeidung des Tritons galt, wurde h in h erniedrigt. Später
gewann das b aber noch eine andere Bedeutung für die Bildung der Tonleiter.
Wenn bei der lydischen Tonart zur Vermeidung des Tritons h in h verwandelt
wurde, dann war dadurch die Tonart selbst verändert, sie hatte genau die
Verhältnisse der jonischen gewonnen, nur um eine Quart höher intonirt
als diese:
Lydisch. | -/^ »-(^)»-
Jonisch,
_^s_
Dies Verfahren führte dann auf die Versetzung der Tonarten durch Ein-
führung der Be und Kreuze. In der Gesangspraxis wurde diese natürlich
schon längst ausgeübt. Namentlich wurden die mehrstimmigen Gesänge meist
ohne Begleitung gesungen, einen Normalton hatte man noch nicht und so war
dem Dirigenten oder den Sängern die Wahl des »Tons«, in dem ein solcher
a capella-Gesang ausgeführt wurde, überlassen. Jene oben angegebene Trans-
position gewinnt allerdings noch ganz andere Bedeutung, indem sie innerhalb
der bestimmten Grenzen einer feststehenden Tonart durch Veränderung des
einen Intervalls eine neue Tonart mit andern Verhältnissen erzeugt. Schon
die altern Theoretiker hatten als das Wesentliche der alten Tonart den Sitz
des Halbtons erkannt; dass dieser aber durch Gebrauch der Versetzungszeichen
sich leicht reguliren lasse und daher die Tonarten auch von jedem andern als
dem ursprünglich gegebenen aus construirt werden können. Namentlich hatte
Tinctoris in seinem ytLiber de natura cognitione tonarumti diese Anschauung
geltend gemacht, deren Weiterverfolgung schon früher, als es in der That
geschah, auf unser modernes Tonsystem führen musste. Allein die Theorie
hielt noch zu streng an der ursprünglichen diatonischen Tonleiter fest. Dieser
war nur der Ton »?;« als fast gleichbedeutend mit h eingefügt und so ent-
wickelte man auch dies Systema transpositum zunächst nur mit diesem.
Es entstand neben dem Systema reguläre oder durum — hartes System —
nach welchem die Kirchentöne in ihrer ursprünglichen Lage mit dem ij h notirt
wurden, das Systema transpositum oder molle, bei welchem tj in b ver-
wandelt wurde, was die Versetzung der Tonart nach der Oberquint (oder Unter-
quart) zur Folge hatte, wie oben schon gezeigt und wie die nachfolgenden
Transpositioneu gleichfalls beweisen:
Dorisch. Aeolisch (versetzt).
I
r.
-=i=ar
Mixolydisch. Dorisch (versetzt).
f
Tonart. 225
Die weitei'e Verfolgung dieses Prozesses der Entwickelung der Tonarten
fühlte zu neuen Versetzungen durch Einführung eines zweiten und selbst
dritten h, die denn auch iu der Vorzeichnung angegeben wurden. Auf diesem
AVege musste schliesslich unser modernes Tonsystem gewonnen werden.
Hierzu wirkte allerdings auch die harmonische Ausgestaltung des ganzen
Systems mit, die seit dem elften Jahrhundert planmässig angestrebt wurde.
Bezeichnend für den Gang dieser Entwickelung ist, dass im 16. Jahrhundert
bereits anstatt der dorischen die jonische zum ersten Ton geworden ist. Seth.
Calvisius, unstreitig die erste Autorität auf diesem Gebiet in jener Zeit, sagt
ausdrücklich, dass ausser vielen andern Gründen es die untrügliche harmonische
Mitte beweist, dass die Gattung von ut zu ut, d. h. im regulären System von
c zu Cj und im transponirten von f zu f^ die erste ist. Darnach wird dann
die dorische zur zweiten, die phiygische zur dritten u. s. w.
Mit der Harmonisirung des Systems beginnt eigentlich im Grunde
dann schon die Auflösung desselben. Es ist so ureigenthümlich bestimmt
melodisch entwickelt und die kleine Terz ist in ihm so bedeutsam vor-
herrschend, dass es unter dem Einfluss der Harmonie, durch welche die grosse
Terz herrschend wurde, nothwendig absterben und dem modernen System Platz
machen musste. Es tritt dieser Auflösungsprozess noch weniger hervor, so lange
diese Harmonisirung auf melodischem Wege, durch die Nachahmung der
Melodie im Canon sich vollzog und in der freiem Weise des Discantisirens.
In beiden Fällen folgte die Melodie ihrem eigensten Zuge und wahrte, alle
harmonischen Härten unbeachtend, die ursprüngliche Tonart in möglichster
Reinheit. Als aber die Accorde als solche immer mehr Werth und Beachtung
gewannen und in den Vordergrund traten, als man die accordische Fort-
schreitung mehr beobachtete und durch sie ganz besondere Wirkungen zu
erzielen suchte, da wurde die Abweichung von der Diatonik der ursprünglichen
Tonart zur Nothwendigkeit. Die Harmonik drängte zunächst dazu, das Sub-
semitonium — den vorletzten Ton der Tonleiter — in der mixolydischen,
dorischen und äolischen Tonart, also f va. fis, c in eis und g in gis zu
erhöhen, und es erschien dies unbedenklich, als es sich hier um Töne handelte,
die für die Quarten- und Octavengattung, also für die Tonart nicht kenn-
zeichnend ist. In der jonischen und der lydischen Tonart liegt das Sub-
semitonium in der Tonleiter, dagegen war es für die phrygische Tonart nicht
zulässig und so bildete sich bei dieser der eigenthümliche Schluss:
i
If
Daneben sind übrigens auch Fälle genug zu verzeichnen, in denen die Schluss.
clausein von den Meistern so eingerichtet waren, dass sie ohne Erhöhung des
Subsemitoniums erfolgen konnten. Bei den Cadenzen wurden übrigens diese
Erhöhungen fast niemals vorgezeichnet, weil man sie als selbstverständlich
voraussetzte und bei den Sängern so viel Verständniss annehmen durfte, sie
zu ergänzen. Freilich sind dadurch manche Stellen zweifelhaft geworden, da,
wie erwähnt, in einzelnen Fällen recht wohl die Diatonik der alten Tonart
gewahrt bleiben kann. Es ist dies noch bedenklicher, wenn, wie gleichfalls nur
zu häufig auch im Verlauf eines Satzes die nothwendigen Versetzungszeichen
fehlen. Im Allgemeinen verfuhr man allerdings nach Eegeln, welche der Praxis
jener Zeit geläufig waren und daher von den Sängern leicht ergänzt werden
konnten; doch mehren sich auch aus der Zeit der Blüthe dieses a capella-
Gesanges die Klagen über die Nachlässigkeit der Componisten in Bezug auf
die genaue Einfügung der beiden Signa chromatica.
Die Schule der Niederländer und der Eömer sah und fand in der har-
Musikal. Convers.-Lexikon. X. 15
226 Tonart.
monischcn Ausgestaltung dieses Systems der Kirchentöne ihre Hauptaufgabe.
Die Venetianer führten mit grosser Energie die Chromatik ein und so vollzog
sich der Zersetzungsprozess des alten Systems vollständig und es trieb jenes
neue heraus, das zunächst im Volksliede herrschend geworden war und bald
der ganzen Musikpraxis zu Grunde gelegt wurde.
Im Artikel System ist bereits darauf hingewiesen, dass in der Volks-
melodie das Bestreben lebendig wirksam sich schaffend erweist, das strophische
Yersgefüge musikalisch darzustellen ; ein ähnliches Streben wird dann auch in
der Tanzmusik geltend. Dort ist auch angedeutet worden, dass von den sämmt-
lichen Kirchentonarten nur die jonische und zum Theil die äolische den
Bedingungen für die Formgestaltung entsprechen. Die jonische Tonleiter besteht
aus zwei ganz gleichen Hälften; und diese Gliederung wird durch den Sitz des
Halbtons herbeigeführt. Eine solche Gliederung bietet keine der andern Kirchen-
tonarteu; die dorische
d—e—f; g — a — h — c; d
ebenso wie die phrygische
e—f; g — a — Ti — c; d — e
und jede andere sind ganz ungleich getheilt; diese Gliederung aber wird haupt-
sächlich bestimmend für die Melodiebildung. Die chromatische Tonleiter
verwischt dies Grundprinzip der Musikgestaltung, das in der jonischen Ton-
leiter liegt; denn das eigentlich Abschliessende der Gestaltung ist in jener
jonischen Leiter der Halb ton; indem ihn die chromatische Tonleiter zwischen
jede Ganzstufe verlegt, wird sie selbst in lauter kleinere Glieder zerlegt, die
sich aber nicht gegenwirkend verhalten ; die Gipfelpunkte jener jonischen Ton-
leiter, welche durch die Halbstufe bezeichnet werden, sind verwischt, weil sie
nach jedem Ton der Tonleiter verlegt sind. Obwohl daher die moderne Musik-
praxis die sämratlichen Töne der chromatischen Tonleiter verwendet, so fegt
sie doch nur die diatonische dem künstlerischen Schaffen zu Grunde. Bei
der altern Praxis aber, wie sie sich im alten Kirchengesange darstellt, wurde
die diatonische Tonreihe für das künstlerische Schaffen maassgebend; diese
wiederholte sie treu von den verschiedenen Stufen aus, und sie vermochte daher
die ebenmässige Gliederung des Kunstwerks nur wenig zu fördern. Sie richtete
ihr Augenmei-k namentlich auf die Entwickelung der Harmonik und die
verschiedenen Formen des Contrapunkts.
Die moderne Musikpraxis machte dagegen in dem Bestreben, zu bilden
und zu formen, die diatonische Tonleiter nicht nur nach ihrer Tonreihe,
sondern nach dem, in ihr waltenden Prinzip zur Grundlage ihres Schaffens.
Sie machte die jonische Tonleiter zur Normaltonleiter, die sie von den andern
Stufen aus treu nachbildet. Sie construirte von d aus nicht mehr die dorische
Tonleiter, sondern stellte von diesem Grundton aus alle Verhältnisse der joni-
schen her; sie erbaute auf e nicht mehr die phrygische, sondern ebenfalls
eine Tonleiter mit den genau nachgeahmten'Intervallenverhältnissen jener Normal-
tonleitern. So wird das System der modernen Tonarten die Grundlage der
Schöjjfungen seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts.
Die Entwickelung des Tonartensystems erfolgt nun in ähnlicher Weise wie
bei der frühesten Erweiterung des Systems der Kirchentöne. Um die plagalische
Tonart zu gewinnen, wu.rde dem ei'sten Tetrachord des authentischen der zweite
vorausgestellt, beide Tetrachorde aber sind ungleich. Beim modernen Tonsystem
wird dem obern Tetrachord ein neues ganz gleichgebildetes angehängt oder
aber vorgesetzt, und so breitet sich das System zugleich nach zwei Seiten aus,
nach der Unter- vind nach der Oberdominantseite:
Tonart.
907
Des.
Es.
F.
G.
Ges.
As.
B.
C-dur.
A.
H.
Cis.
i^^^^^^^^^m
D. E.
Die Normaltonleiter C-dur steht hier
zweite Tetrachord g — a — h — c als erstes
Eis.
in der Mitte.
Betrachtet man das
der neuen, so muss man, um eine
neue, der Normaltonleiter ganz gleich gebildete Tonleiter zu gewinnen, ein
zweites zufügen, und um dies dem ersten ganz gleich zu bilden, muss f in fis
verwandelt werden; man erhält die G-c^^r-Tonleiter mit einem jj in der Yor-
zeichnung. Dies letztgewonnene Tetrachord wiederum als erstes gesetzt, dem
ein zweites gleichconstruirtes angefügt ward, ergiebt wiederum eine neue Ton-
leiter und Tonart, die i)-c?M?'-Tonart mit zwei Kreuzen, fis und eis, und so
erweitert sich das System nach der Dominantseite im Quintenzirkel und
wir gewinnen die sämmtlichen Kreuztonarten. Bei dem andern Verfahren setzen
wir das erste Tetrachord der C-f^wr-Tonleiter als zweites, dem dann ein gleich
construirtes vorausgehen muss. Dabei müssen wir h in h verwandeln und
wir erhalten die J'^-c^wr-Tonleiter mit einem b; dies erste neugewonnene als
zweites gedacht, veranlasst wieder die Construktion eines ersten, bei dem dann
e in es verwandelt werden muss: dies ergiebt die S-dur-Tonaxi mit zwei h:
b und es, und so erweitert sich das System nach der Tinte rdominantseite
durch die 5-Tonarten. Die Zusammenstellung der Vorzeichnungen, um 0-dur
gruppirt, mag diesen Prozess noch übersichtlich darstellen:
^rT^t^k^rr:
m^-^£^
m
i:
^
hA
^ö;
m
m^^fis^^%^
Gas- Des- As- Es- B- F- Cdur. G- D- A- E- H- Eis- Cisdur.
Dieser Prozess könnte noch weiter fortgesetzt werden und mit zwölf Kreuzen
würden wir auf Sis und mit 12 b auf Deses kommen, welche beide mit G
enharmonisch eins sind, allein nach unserm temperirten System ist der Kreis
schon mit Fis und Cis und Ges und Des geschlossen, die ebenfalls enharmonisch
eins sind. Die beiden Seiten fügen sich demnach in dieser Weise zusammen:
w
5fi-
fefcrt-Ä»i«y^
m
i
C G D
E
siüiitt^i
Ges Des
As Es B F C
Besondere Schwierigkeiten machte die Construktion der Moll -Tonleiter.
Der Leitton ist für die moderne Anschauungsweise wesentlich und so musste
denn auch bei der Aufnahme der äolischen Tonleiter als Normaltonleiter für
das Mollgeschlecht g in gis verwandelt werden, darnach hiess die Tonleiter:
a — h — c — d—e —f—gis — a.
Damit aber ist durch die übermässige Secunde f—gis der diatonische Charakter
der Tonleiter aufgehoben; um diesen wieder herzustellen, muss auch die Sext
f in fis verwandelt werden; die Tonleiter heisst demnach:
a- li—c—d-G —fis —gis — a.
15*
228
Tonart.
Damit aber ist die Molltonleiter der gleichnamigen Durtonleiter viel näher
gerückt, als der verwandten (7-^/«r- Tonleiter; um die Verwandtschaft mit dieser
wieder herzustellen, wird die^-wioZZ-Tonleiter dann abermals ganz äolisch geführt:
a—g—f — e — d — c — h — a.
Jene mit dem übermässigen Sekundenschritt heisst die harmonische, weil sie
harmonisch gerechtfertigt ei'scheint. Denn wie auf seiner Tonika (a) hat die
Molltono,rt auch auf der Unterdominant (d) einen kleinen Dreiklang (d—f—a),
aber auf der Dominant einen grossen (e—gis — li), so dass also durch diese
beiden Accorde der übermässige Sekundenschritt (f—gis) harmonisch gerecht-
fertigt ist: dem gegenüber ist die andere Führung (fis—gis) die melodische.
Die Molltonart erscheint durchaus so abhängig von der Durtonart, dass sie
einen solchen Formationsprozess wie den, den wir oben verfolgten, nicht zu
erzeugen vermag; sie folgt nur als Paralleltonart den Durtonarten. Der
^-moZZ-Tonart folgt im Quintenzirkel die E-moll-Ton^ri als Paralleltonart der
G-dur-Ton^vi, dann die ZT-j/joZZ- Tonart als Parallele der D-o'wr-Tonart u. s. w.
Im Quartenzirkel folgt der ^-woZZ-Tonart die D-7noll-T onsxvi als Parallele
der i^'-^wr-Tonart, dann G-7noll-T onn.vi als Parallele der B-dur-Tonvivi u. s. w.
Die Bedeutung der modernen Tonart für das Kunstwerk ist oben schon
angedeutet, sie ermöglicht erst die einheitliche künstlerische Form. Sie bestimmt
zunächst den Harraonisationsprozess. Die Tonart wird schon durch die beiden
Hauptangelpunkte Tonika und Dominant harmonisch dargestellt:
m
=1=
=t
-t=x
-CS-
Der harmonische Apparat wird dann erweitert durch die Unterdominant:
P
-#-iSiv"
und dann durch die Paralleltonarten noch reicher ausgestattet:
A -Ä
:^
"Wir haben bei den verschiedenen Formen nachgewiesen, wie selbst die
weitesten und grössten: Sinfonie, Oper und Oratorium an diesem ursprüng-
lichen harmonischen Apparat festhalten, wie dann aber aus dem reichen Schatz
von Mitteln, welche der ganze weite Formationsprozess darbietet, alles aus-
gewählt werden kann, um diesen einfachen Apparat immer wieder neu auszu-
statten und in fortwährend erneuter Gestalt zu zeigen. Wir konnten an ver-
schiedenen Stellen zeigen, mit wie einfachen harmonischen Mitteln hier schon
bedeutende Wirkung erzielt werden kann und wie dann die weitern rhythmischen
und harmonischen Ausdrucks- und Darstellungsmittel nicht zu erschöpfen sind,
um dem einfachen harmonischen Apparat auch individuelle Bedeutung zu geben.
"Wir zeigten namentlich an der Ouvertüren- und Sonaten form, wie diese
durchaus durch die Organisation der Tonart bedingt werden, und wie sie nur
dadurch, dass sie sich diesem dienstbar machen, einen lebendigen Inhalt dar-
zustellen vermögen. Die Tonart wird so zu einer noth wendigen künstlerischen
Schranke, aber nicht zur hemmenden Fessel. Die grossen Meister haben an
dem ganzen Apparat streng festgehalten, aber sie haben ihn jeder in eigen-
thümlicher "Weise anzuschauen und zu verwenden gewusst. Nur dem kleinen
Tonart.
229
Geiste wird er zum beengenden Zwange, den dieser abzuwerfen sich gedrängt fühlt.
Ein viel bestrittener und viel vertheidigter Gegenstand ist noch zu erwähnen,
die sogenannte:
Charakteristik der Tonarten. Schon die alten Theoretiker legten den
Kirchen ton arten gewisse Charaktereigenthüralichkeiten bei und da sie von
einander unterschieden construirt sind, so müssen sie natürlich eine unter-
schiedene Wirkung machen, wenn diese auch nicht gerade leicht in Worte zu
fassen sein dürften, Adam von Fulda hat versucht, den Charakter der acht
Kirchentöne in folgenden Vers zu bringen:
Omnibus est Primus, sed alter, tristibus aptus:
Tertius iratus, quartus dicitur fieri blandus.
Quintum da laetis, sextum pietate probatis,
Septimus est juvenum, sed postremus sapientium.
Weitläufig hat unter Andern auch Cardinal Bona f»Z)e cantu Eccl. div. psalm
CXVII«) den Charakter der acht Kirchentöne behandelt. Obwohl durch die
Praxis hinlänglich bewiesen, ist doch die Charakteristik der modernen Ton-
arten häufig geradezu abgeleugnet worden. Seit Einführung der gleichschwe-
benden Temperatur und des modernen Tonsystems meint man, seien alle Unter-
schiede der einzelnen Tonarten, bis etwa auf die, welche durch die ausführenden
Organe erzeugt werden, verwischt. Dass die letztern nicht so gering sind, ergiebt
die einfachste Untersuchung. Die nachstehend verzeichneten, ganz gleichmässig
construirten und unter a-) und b) auch gleichmässig an die Singstimmen ver-
theilten Accorde machen nicht nur, in Beziehung zu einander gebracht, sondern
auch für sich betrachtet, eine verschiedene Wirkung:
Tenor
Bass
Es bedarf keines weitern Nachweises, dass durch die eigenthümliche Lage
der Männerstimmen bei a) die gleichmässig construirten Accorde in der Wir-
kung unterschieden sein müssen, dass wiederum die in weiter Lage dargestellten
unter b) ein von jener und imter sich verschiedenes Klanggepräge gewinnen.
Dieser mehr relative Charakter der Tonarten wird auch von den Gegnern nicht
abgeleugnet, wohl aber der absolute und wie wir meinen mit Unrecht. Es ist
gewiss nicht nur Rücksicht auf die ausführenden Organe, welche die F-dur-
Tonart bei den Contrapunktisten des 16. Jahrhunderts zur vorwiegend ge-
pflegten Lieblingstonart machte, oder welche Beethoven bestimmte, die Eroica
in Es-dur, die Pastorale in F-dur zu schreiben und die ihm für seine neunte
Sinfonie, oder die Mozart für sein Requiem und für die erschütterndste Scene
im »Don Juan« die D-moU-Tonart wählen Hessen. Vor allem aber liefert die
moderne Ciavierliteratur den schlagendsten Beweis dafür, dass in den Ton-
dichtern ein Gefühl für die feinste Charakteristik der Tonarten lebt. Aus den
Werken der sogenannten Romantiker scheinen die einfachen, näher auf die
Normaltonleiter bezogenen Tonarten G-, F- und D-dur, F-, D- und A-moll und
die Normaltonleiter selbst fast ziemlich verdrängt; mindestens finden wir jene
entfernteren, auf die Halbtöne Cis und Des, Fs, Fis und Ges, Äs und B ge-
gründeten Tonarten viel häufiger und zwar bei dem Claviere, dem wohltem-
perirten Instrument, angewendet. Wie schwer der wissenschaftliche Nachweis
für diese Erscheinung zu führen ist, wird hinlänglich dadurch bewiesen, dass
selbst die Physiologie und Akustik, welche die Tonempfindung zum Gegenstande
wissenschaftlicher Untersuchung machen, jene Frage bisher noch als eine offene
behandeln. Doch mögen hier einige Andeutiingen zur möglichen Beantwortung
derselben folgen, um zu zeigen, dass sie nicht von der Hand zu weisen ist,
dass aber auch jene Deuteleien von: IMattheson, Schubert, Marx u. A. in
230 Tonart.
das Reich, der Träume gehören. Es erscheint zunächst docli als ganz zweifellos,
dass die verschiedene Tonhöhe der Tonleiter und der Accorde bei sonst
gleicher Construktion, auch für sich betrachtet, eine erkenn- und künst-
lerisch verwendbare Verschiedenheit der Wirkung erzeugt.
Für unsere Empfindung hat der D-dur-Dreiklang und die dadurch bedingte
Tonart ein weit helleres Grepräge als der C-f^wr-Dreiklang und ein Tonstück in
D-dur ausgeführt, muss im Klange sich von der Ausführung in C-dur bei ganz
unveränderten Innern Verhältnissen ebenso unterscheiden, wie der einzelne Ton
c von dem Ton d. Die Versetzung desselben Tonstücks um eine Stufe tiefer
muss nothwendig dann auch die entgegengesetzte Wirkung wie die Versetzung
nach einem höhern Ton hervorbringen, dass aber dieser Steigerungs- oder Ab-
schwächungsprocess nicht in dieser Weise gleichmässig fortgeht, hat unserer
Empfindung nach seineu Grund nur in der nähern oder engern Beziehung der
Töne der Normaltonleiter unter sich, wie zur chromatischen Tonleiter. Die
Töne sind nicht indifferent unter sich, sondern sie treten in nähere oder ent-
ferntere Beziehung zu einander und diese müssen sich nothwendiger Weise gerade
bei gleicher Construktion auch auf die, über ihnen erbauten Tonarten erstrecken,
so dass, wie die Terz e dem Grrundton c näher verwandt ist, als die Secunde d,
auch die, auf jener erbaute J^-dur-Ton&vt der C-dur-Tonart im Klange näher
verwandt ist, als die D-dur-T onart, obgleich jene wiederum höher liegt als
diese. Dem entsprechend gewinnen wir in der nach der Tonleiter folgenden
F-dur-Tonait sogar eine Vertiefung der Grundstimmung. Wir müssen immer
wiederholen, dass wir die ganze gleiche Construktion fordern, denn die
^-rfwr-Tonart, in der tiefern Lage verwendet, gewinnt natürlich ein viel weicheres
Colorit, als die C-dur-Tonavt in den höheren Lagen ausgeprägt und die JF-dur-
Tonart wird in ihren höhern Lagen festlicher erklingen, als die drei vorer-
wähnten in ihren untern Regionen.
Die weitere Charakteristik der Tonarten, wie die G-dior-T onart den hellen,
aber mildplagalischen Charakter der Dominant gewinnt, der sich in der A-dur-
Tonart so steigert, wie der Charakter der G-dicr-Tonavi in der D-dur-Touari,
und wie endlich die -Ef-Jwr-Tonart das, wir möchten sagen zugespitzte Colorit
des Leittons gewinnt, ist nach alle dem leicht einzusehen. Wie ferner die
chromatischen Halbtöne als Trübungen oder Steigerungen der diatonischen
Töne erscheinen, so auch die auf ihnen erbauten Tonarten den diatonischen
gegenüber. Die Des-dur-Tonavi erscheint verhüllter als die D-dur-, die Es-dur-
Tonart nicht schreiend und schwankend wie die JE-dur-Honavi, sondern mehr
gedrungen und energisch festlich und Ges- und As-dur wiederum verhüllter im
Kiangfe wie A- und G-dur. Wie die chromatischen Töne zwischen den diato-
nischen liegen, so die, auf ihnen erbauten Tonarten ihrer Klangfarbe nach.
Wiederholt müssen wir übrigens darauf hinweisen, dass für den Charakter der
Tonarten ihre besondere Darstellungsweise bedeutungsvoll wird. Wir haben
wenigstens kurz angedeutet, dass die Tonart mit sehr geringem und mit einem
reichen harmonischen Apparat dargestellt werden kann und haben gezeigt, dass
dieser noch ausserordentlich zu erweitern ist. Die besondere Weise, in der das
geschieht, wird einflussreich auf den eigenthümlichen Charakter der Tonart.
Die hellere D-dur-Tonaxi vorwiegend nach der Unterdomiuantseite entwickelt,
wird in ihrer Wirkung gegen die C-dur-^onavt zurückstehen, wenn diese sich
mehr der Oberdominantseiie zuwendet; noch mehr aber ist dies der Fall, wenn
dabei dort die verwandten Molltonarten stärker berücksichtigt werden. Diese
erscheinen überhaupt als Trübungen des ursprünglichen Charakters der Dur-
tonarten. Bei der Molltonart sind die beiden Terzen der Ober- und Unter-
dominant herabgedrückt und dies giebt der Tonart den etwas verdüsterten
Charakter, der sie ebenso für den Erguss weicher, sentimentaler und schwei--
müthiger, wie leidenschaftlich erregter Stimmungen geeignet macht. Aus der
Mischung beider, der Dur- und der Molltonarten, entstehen dann neue Wir-
kungen. Die Molltonart erscheint freundlicher, wenn sie vorwiegend mit Her-
i
Tonariou — Tonbildung. 231
beiziehung von Durtonarten construirt ist, die Durtonavt dagegen wird milder,
weicher und selbst düster, wenn zu ihrer Darstellung die Molltonarten häufiger
herbeigezogen werden. Bei alledem ist noch darauf hinzuweisen, dass für den
Charakter eines Tonstücks die andern Mächte: Melodie und E-hythmus viel
bedeutsamer werden und dass namentlich durch die Veränderung des Rhythmus
oder auch nur des Tempos der ursprüngliche Charakter eines Tonstücks in
sein Gee:entheil verkehrt werden kann. Das berührt den Charakter der Tonart
nicht, allein es muss doch hier erwähnt werden, weil man nur zu häufig aus
dem Charakter eines Tonstücks glaubt auf die Tonart schliessen zu können,
was ganz falsch ist.
Nur aus dieser falschen Voraussetzung sind wohl die erwähnten, meist ganz
haltlosen Charakteristiken der Tonarten, wie sie Mattheson in seinem »Or-
chester« (1713, pg. 236 if.) weitläufig ausgeführt, Schubart in seiner »Aesthetik«
(1806, pg. 377 ff.) und nach ihm Schilling oder Marx geben, entstanden.
Ernsthaft kann wohl kein Mensch behaupten wollen, dass: y>G-dur die Tonart
der Unschuld, Einfalt, Naivetät, Kindersprache und der Jugendgedanken sei«;
dass D-moll »die Tonart schwermüthiger Weiblichkeit sei, die Spleen und Dünste
brütet«, oder As-dur der Gräberton, in dessen Umfange Tod, Grab, Verwesung,
Gericht und Ewigkeit liegen, wie Schubart träumt; oder dass nach Marx
G-dur: angehellt und angewärmt sein soll, wie von der emportauchenden Sonne
der junge Tag, wie die Jugendzeit bei dem ersten fröhlichen Anschauen in das
beginnende Leben; oder E-dur »funkelnd, hell emporsteigt, mit durchgreifender
Wärme, heiter und leuchtend wie lauteres Gold«. Eine Vergleichung dieser
mehr oder weniger phantasiereichen Phrasen ergiebt sofort ihre Unhaltbarkeit,
da sie sich meist direkt widersprechen. Charakteristische Unterscheidungen
der Tonarten wird man nach alledem kaum mit Grund ableugnen können, aber
sie dürften nur dort zu suchen sein, worauf wir oben hindeuteten, in dem Ver-
hältniss der Töne der Tonleiter zu einander und in der besondern Weise ihrer
jedesmaligen Darstellung.
Touarion hiess das Instrument der Alten zur Bestimmung der Tonhöhe,
sowohl beim Gesänge, wie bei der Declamation.
Touatillas, spanische Nationalgesänge, s. Tiranas.
Tonbeneunungen, s. Aretinisch, Bobisation, Damenisation, Noten-
benennung, Solmisation u. s. w.
Tonbezeichuende Note, s. Leitton.
Toubezirk, s. Tongrenzen.
Tonbildung: im Gesänge, ist entweder das primitiv physische Hervorbringen
des Gesangtones im Allgemeinen, und fällt praktisch mit der Stimmbildung
zusammen (s. d.), oder man verbindet damit den Begriff der Veredelung der
Stimme bis zum Punkte der höchsten Klangschönheit, wo, wenn die Seelen-
thätigkeit des Säugers hinzutritt und ihm Ausdruck verleiht, der eigentlich
künstlerische Ton entsteht. Aller Kunstgesaug ist auf diesen Ton basirt, hat
ihn zur nothwendigen Voraussetzung, kann ohne ihn nicht zur berechtigten
Erscheinung kommen. Handelt es sich darum, Natur- und Kunstgesang von
einander zu unterscheiden, so ist der Ton beim ersteren vielleicht zufällig wohl-
klingend, während er beim zweiten ein bewust schöner sein muss. Jeder Ge-
sangsunterricht beginnt mit der Tonbildung, sowie das ganze Leben des Sängers
von dem Streben ausgefüllt wird, den schönen Ton zu vervollkommnen und zu
l)ewahren. Die erste Frage, die zu beantworten ist, bezieht sich auf die Natur
und Eigenschaft des Tones und lautet: was ist schöner Ton?
Bevor wir an diese Frage herantreten, müssen wir einer Eigenthümlichkeit
erwähnen, die sowohl der menschlichen Stimme, wie jedem Instrument zukommt,
und die man Klangfarbe nennt. Diese Klangfarbe entsteht, wie die Physiologie
lehrt, durch die Form der Luftschwingungen. So verschiedene Katagorien da-
durch auch hervorgerufen werden, ist in jeder derselben ein höherer oder
niederer Grad von Tonschönheit möglich, wovon die Instrumente auszuschliessen
232 Tonbildung,
sind, die eben keinen Ton, sondern nur ein sogenanntes Geräuscli geben und
deshalb Lärminstrumente heissen. An einer Clarinette oder Flöte mit unserem
Athem angeblasen, wird jeder den Unterschied der Klangfarbe erkennen, der
diese Instrumente charakterisirt, aber der Ton, den wir beiden entlocken, wird
nur dann Anspruch auf Schönheit machen dürfen, wenn wir den Eintritt oder
das Entweichen der Luft bei dem einen, sowie das Anblasen des Athems an
die scharfen Ränder des Mundloches beim andern Instrumente, überhaupt kein
störendes Luftgeräusch bei beiden hören. Der Violinspieler richtet seine Auf-
merksamkeit auf das Verhältniss zwischen dem Druck, den er mit dem Pinger
auf die Saite ausübt und dem Grade von Kraft, mit dem er den Bogen über
die Saiten führt. Die Güte des Instrumentes vorausgesetzt, wird sein Ton
dann ein schöner genannt werden, wenn man das Kratzen des Bogens auf der
Saite nicht hört. Ebenso sucht der Ciavierspieler durch berechneten Anschlag
das Klopfen des Hammers an die Drahtsaite zu mildern, obgleich er es nie
ganz dem Empfinden des Hörers entziehen kann. Deshalb spricht man auch
beim Ciavierspieler selten vom schönen Ton, sondern gewöhnlich vom guten
Anschlag. Je mehr ein Mechanismus, wie beim Ciavier, durch Complikation
seiner Bestandtheile der unmittelbaren Einwirkung des Künstlers entrückt ist,
desto schwerer wird es den Ton zu beherrschen und zu beseelen. Das Instru-
ment, das einzige, das unserer seelischen Einwirkung offen steht und deshalb
dazu berufen ist, den schönsten und recht eigentlich künstlerischen Ton zu er-
zeugen, ist die menschliche Stimme, weshalb man ihr auch den ersten Rang
unter den Instrumenten einräumt.
Der Klang der menschlichen Stimme ist das Produkt der gegen die Stimm-
bänder aus den Lungen andrängenden Luft. »Die Stimmbänder selbst sind
membranöse Zungen«, sagt Helmholtz*), deren Ansatzrohr, nämlich die Mund-
höhle, verschiedene AVeite, Länge und Stimmung erhalten kann.« "Wir re-
gistriren an dieser Stelle den für die Gesangskunst wichtigen Umstand, dass
die Mundhöhle einer Stimmung fähig ist, um später ausführlicher darauf zurück-
zukommen. Wenn es als ausgemacht gilt, dass die Punktionen der Stimm-
bänder ohne unsere unmittelbare Einwirkung von Statten geht, so ist uns nun
in dem Ausatzrohr, der Mundhöhle, ein Objekt gegeben, auf dessen Behand-
lung wir möglichste Sorgfalt verwenden müssen. Man ist im heutigen Gesang-
unterricht so gern bereit dem Kehlkopf das Geschäft des Tonerzeugens zu
überlassen und die Mundhöhle für nebensächlich zu betrachten. Man geht darin
so weit den Schüler zu veranlassen, dass er den Mund recht weit aufmache,
und den Kehlkopf durch Einziehen der Zungenwurzel nach oben stelle, damit
der Stimmklang unmittelbar nach Aussen treten könne. Die schreienden, un-
angenehmen Laute, die so entstehen, hält man irriger Weise für den richtigen
Gesangston, während Helmholtz in seinem Buche, pg. 159, sagt: »Freie Zungen
ohne Ansatzrohr, bei denen alle die einzelnen einfachen Töne der von ihnen
erregten Luftbewegung unmittelbar und frei an die umgebende Luftmaasse über-
gehen, haben deshalb immer einen sehr scharfen, schneidenden oder schnarren-
den Klang«. Daraus wird klar, dass die Mundhöhle bei der Tonbildung eine
sehr wichtige Rolle spielt, indem sie dazu berufen ist, dem Tone, der aus dem
Kehlkopf kommt, den nöthigen Wohllaut zu geben. Auf diese unanfechtbaren
Wahrheiten muss nun die Aufmerksamkeit der Stimmbildner gerichtet werden.
Es darf ihnen nicht gleichgültig sein, das, was früher auf empirischem Wege
gesucht wurde, nun durch die Wissenschaft begründet zu sehen; denn vergessen
wir nicht, dass die alte Gesangschule sich einer Sprache (italienisch oder latei-
nisch) bediente, die an sich wohlklingend, den Sänger gleichsam herausforderte,
Mundstellungen zu suchen, die diesen Wohlklang zur Geltung brachten.
Wenn der Gebrauch des Kehlkopfes eigentlich keiner Schwierigkeit unter-
liegen sollte, weil man sich nur an die natürlichen Funktionen halten darf, so
*) „Die Lehre von den Tonempfindungen", 3. Ausg. 1870.
Tonbildiing. 233
ist dagegen die Mundliöhe mit ihren festen und weichen Bestandtheilen um so
vorsichtiger zu behandeln. Wir sehen an tausend Fehlern, die begangen werden,
wie viel Vorsicht nöthig ist, um ein Organ, von dessen Thätigkeit wir nur ein
dunkles Gefühl haben und das sich zum grossen Theil unserer Willkür entzieht,
in naturgemässer Wirksamkeit zu erhalten. Vergegenwärtigen wir uns die Auf-
gabe, die an den Sänger gestellt wird, so besteht sie zunächst in nichts Anderem,
als die Integrität des Tones, der aus den Stimmbändern kommt, zu bewahren.
Die Zunge ist der erste Gegenstand, der in den Weg tritt. Von ihrer Wurzel
angefangen bis zur Spitze ist sie im Stande, dem Tone Hindernisse zu bereiten
und ihn von der rechten Bahn abzuleiten. Alles was wir unter die Rubrik
von Kehlton, Gaumenton, Nasenton u. s. w. zusammenfassen, findet seinen vor-
nehmlichen Grund in der fehlerhaften Haltung der Zunge und ihrer Wurzeh
Da nun aber die Zunge und der Unterkiefer Bestandtheile sind, über die wir
einige Herrschaft ausüben, so ist der Sänger im Stande bessernd einzuwirken,
indem er diesen Organen eine Lage und Stellung zu geben sucht, die der
freien Entfaltung des Tones förderlich ist. Hier, wie in der Stimmbildung
überhaupt, ist es dringend geboten, dem Schüler in Bezug auf den Einfluss,
den er auf seine Organe ausüben kann, eine i-ichtige A'^orstellung zu verschaffen.
Während der Oberkiefer mit seiner Zahnreihe und dem Gaumen in der körper-
lichen Haltung, die der Singende einnimmt, geradezu unbeweglich ist, steht es
ihm frei, den Unterkiefer mit seiner Zahnreihe, die Zunge und Lippenmuskeln
nach Bedürfniss in verschiedene Lagen und Stellungen zu bringen, um der
Mundhöhle die erforderliche Form zu geben. Nehmen wir zu dem Allen noch
die Luft, den eigentlichen Motor in der Tonerzeugung, so ist die Reihe der
mechanischen Medien geschlossen und wir dürfen nun den Begriff des schönen
Gesangtones feststellen, als eines Klanges, der unabhängig auftritt von
dem Mechanismus, der ihn hervorbringt. Somit ist jeder fremde und
störende Anklang, den der Ton durch Zunge, Nase und Schlund erhalten könnte,
ausgeschlossen und nur der Klang als gut zu bezeichnen, der durch Beherr-
schung und naturgemässen Gebrauch des Organes frei auftritt, ohne das Ohr
des Hörers an die Medien zu mahnen, die bei seiner Hervorbringung thätig
sind. Zur Beurtheilung aber, ob ein Ton schön sei, gehört ein kunstgewöhntes
Ohr, und man glaube nicht, dass Jedweder berufen und geeignet sei, darüber
zu entscheiden. Es ist die Aufgabe des Lehrers, den Begriff des »schönen
Tones« beim Schüler zu entwickeln, und das wird er nur dann können, wenn
seine eigene geistige Bildung auf der erforderlich hohen Stufe steht. Frau
Emma Seiler sagt in ihrem Buche: »Altes und Neues über die Ausbildung des
Gesangorganes«: »Verlangt schon die Bildung des Gesangorganes eine besondere
Befähigung des Lehrers, und neben der feinsten Beobachtungsgabe ein Gehör,
welches nicht allein die Reinheit des Tones nach Höhe oder Tiefe bemerkt,
sondern auch die Richtung des Tonstrahls, das Zuviel oder Zuwenig des Athems,
das Gleiche oder Ungleichmässige der Schwingimgen, die Färbung des Tones etc.
empfindet, so verlangt die künstlerische Ausbildung eines Sängers oder einer
Sängerin einen in jeder Hinsicht gebildeten Menschen, denn alle Technik bleibt
etwas Todtes, wenn sie nicht von Geist und Gefühl durchwebt ist.« Hier darf
also der Sänger sich nicht von dem irrigen Gedanken leiten lassen, dass das
schön sei, was der Masse gefällt, denn er steht da einem Körper gegenüber,
der aus sehr disparaten Elementen zusammengesetzt ist und wo der Ausschlag-
gebende leider nicht immer der gebildetere Theil ist.
Noch ist hier zweier Begriffe zu erwähnen, die genau von einander ge-
schieden werden müssen, nämlich: Stimme und Ton. Man setzt häufig das
Eine, wo man das Andere meint, und bringt eine unliebsame Verwirrung in
Sachen, die eine geordnete Anschauung verlangen. Unter Stimme ist die
Aeusserung des Organes aus seinem Naturzustande heraus zu verstehen. Es
ist das Material, dem noch die Beai'beitung und künstlerische Verwerthung
fehlt, und somit kann jedes Individuum eine mehr oder weniger gute, sogar
234 Tonbildung.
schöne Stimme haben. Tou aber ist ein durch Kunst und Geschmack Ge-
läutertes, das erst dem Künstler zu eigen wird und als Hauptbedingung in
seiner Kunstthütigkeit erscheint. Ist es doch manchmal wie Profanation, wenn
man bei einer kunstgeübten Sängerin von Stimme spricht, während es Nieman-
dem einfällt, beim Spiele Liszt's oder Joachim's vom Ciavier oder der Violine
zu reden, und doch bezeichnen die Worte hier wie dort das Material, mit
dessen Hülfe der Künstler das tönende Kunstwerk schafft, indem er der Materie
seine eigene Seele einhaucht. Stimme ist etwas Vergängliches, Alter und ab-
nehmende Lebenskraft können sie schwächen und ihr den jugendlichen Heiz
nehmen; wir hören aber Greise, wenn sie Künstler sind, noch mit schönem
wohlklingendem Tone singen, denn die Jahre können die Kraft des Athems
schmälern, auf den Wohllaut haben sie nur geringen Einfluss. Wo sich also
der Unterricht darauf beschränkt, das Stimmmaterial in seiner ursprünglichen
Eigenschaft zu verwenden, ohne den Ton zu wecken, oder wenn er ihm gar eine
fehlerhafte Richtung giebt, da arbeitet er dem Verfall der Gesangskunst in die
Hände; und wenn in neuer Zeit über Mangel an Gesangskünstlern geklagt
wird, so liegt der Grund vielleicht darin, dass die Stimmen schwinden, noch
ehe die tonlosen Sänger Künstler geworden sind.
Die Gesangskunst hat im Verlaufe der Zeit offenkundige Rückschritte
gemacht und wir finden heute nur selten Leistungen vor, die den besseren aus
früherer Epoche an die Seite zu stellen sind. Die Ansprüche an den Sänger
sind gesteigert, denn der Musik- und Gesangstil ist ein vielfältiger geworden,
während man sich früher nur in verwandten Gattungen bewegte. So konnte
es kommen, dass man gegenwärtig in den Anforderungen, die an Gesangs-
leistungen gestellt werden, nach verschiedenen Richtungen auseinander geht
und die Hauptsache aus den Augen verliert. Die Einen verlangen nur schöne
Stimmen, die Anderen feurigen, italienischen Gesang mit Triller und Rouladen,
die Dritten sehnen sich nach Wahrheit im Ausdruck und nennen das deutsche
Methode. Von der Tonschönheit, dem unentbehrlichsten und wirksamsten Aus-
drucksmittel sieht man ganz ab, und ist gern einverstanden, wenn der Sänger
den fehlenden Wohllaut durch Kraft ersetzt. Auf diese Weise aber werden
die Sänger an sich selbst und ihrer Kunst irre gemacht, denn da sie Allen
gerecht werden möchten, genügen sie in keiner Richtung. Nun ist aber die
heutige Musik ohne schönen Ton eine Unmöglichkeit geworden, während sie
ihn früher bis zu einem gewissen Grade entbehren konnte, ohne in ihrem Effekt
wesentlich geschmälert zu sein. Ein kurzer Ueberblick über die Geschichte des
Gesanges, wobei der Ton als leitender Faden dient, möge hier Platz finden,
um obigen Satz weiter auszuführen.
In den Uranfängen des Gesanges als Kunst im römischen Kirchengesange
war die Stimme ein Instrument, das den Vortheil gewährte, Klang und AVort
zugleich hervorzubringen. Die Entwickelung des Notensystems, die Uebung
des langen Athems, die Ausführung aller Verzierungen, wie wir sie heute noch
besitzen, war die Aufgabe der damaligen Sänger. Von der Schönheit des
Klanges können uns die Aufzeichnungen aus jener Zeit keine rechte Vorstel-
lung geben, denn Theils war der Geschmack der Berichterstatter zu primitiv,
als dass er uns zur Richtschnur dienen könnte, anderen Theils lässt sich nicht
annehmen, dass dort wahrhaft edler Ton herrschen konnte, wo der Sopran von
spanischen Falsettisten, der Alt von künstlich präparirten Stimmen gesungen
wurden. Schelle »Die Sixtinische Kapelle« sagt: »Die Soprane, auch spanische
Stimmen genannt, weil besonders Spanien viele Sopranisten lieferte, wurden
durch eine künstliche Ausbildung des Falsetts erzeugt, sie blieben im Gebrauch
bis 1600, wo die Kastraten sich in die Kapelle drängten. Die Alte waren
ebenfalls das Werk einer künstlichen Procedur, man gewann sie, indem man
wähi'end der Mutationsperiode den Wechsel der Stimme durch eine gewisse
Behandlung des Organs zu hindern wusste«. Wir wissen heute, was wir von
solch künstlichen Präparaten zu halten haben, denn wir sehen zu häufig, dass
Tonbildung. 235
dort, wo die Stimmbeliandlung von den "Wegen, die die Natur vorzeiclinet, ab-
weicht, der Verfall sich vorzeitig ankündigt. Selbst der Kastratengesang, dessen
A'^erlust noch heute wie das verlorene Paradies betrauert wird, kann in uns
nicht die Vorstellung grosser Klaugschönheit wecken, da der störende Beige-
schmack des Unnatürlichen sich dem Hörer unwillkürlich aufdrängen musste.
Alle Fertigkeit und Bravour wird den Eindruck eines erkünstelten Vorganges
nicht verwischen können, wenn ein Mann vor uns steht, der Laute eines AVeibes
hervorbringt und Ausdruck und Gefühle lügt, die er nie gekannt hat. Vom
technischen Standpunkte aus werden wir im Verlauf der Abhandlung sehen,
dass eine Hauptbediugung zur Erlangung des schönen Tones die sei, dass
Athem, d. h. Luftstrom, und Spannung der Stimmbänder in das richtige Ver-
hältniss treten. Wie sollte das aber möglich sein bei einem Wesen mit männ-
lich ausgebildetem Brustkasten und Lungen, während Stimmbänder und Kehl-
kopf die eines Kindes geblieben sind. Solche Missverhältnisse lassen sich durch
alle Künsteleien nicht ausgleichen, und wenn jene Zeit von solchen Leistungen
entzückt wai', so ist man heute berechtigt anzunehmen, dass der Sinn für
Klangschönheit damals noch wenig entwickelt war. »Dem Aussterben dieser
Art von Sängern schreibt nun B,ossini hauptsächlich den Verfall der Gesangs-
kunst zu,« sagt Frau Emma Seiler, »und mau darf es ihm nicht verargen,«
fügen wir bei; für das, was Rossini in der Gesangkunst anstrebte, waren diese
Gesangsmaschinen vollkommen geeignet und dürften kaum zu ersetzen sein. Im
17. Jahrhundert sehen wir aus bescheidenen Anfängen die Oper entstehen,
durch sie entwickelt sich eine sangbare Melodie, an die sich aber bald das
unvermeidliche Flitterwerk der Coloratur anhängt. Ob hier auch die Anfänge
des schönen Tones zu suchen sind, möchte man bezweifeln, denn das begleitende
Orchester war grösstentheils mit klanglosen Lärmiustrumenten besetzt und die
Erfahrung hat uns hinreichend belehrt, dass der Wohllaut der menschlichen
Stimme sich im Kampf ums Dasein entwickelt, d. h. dass der Ton dort seinen
besten Klang sucht, wo ihm andere euphonische Elemente zur Seite stehen.
Man sagt, dass die Instrumente Nachahmungen der menschlichen Stimme sind,
ihre Entwickelung aber ging sehr langsam von Statten. Bis sie ihren heutigen
Höhepunkt der Klaugschönheit erreichten sind Jahrhunderte vergangen, was
uns auf die Vermuthung bringt, dass das Vorbild, die menschliche Stimme,
in ihrer Klangentwickelung auch nicht mit Biesenschritten vorwärts geeilt sein
mag. So kam das 18. Jahrhundert heran und mit ihm trat die weibliche
Stimme in den Wettkampf ein, der bisher nur von Kastraten geführt wurde.
Die weibliche Stimme ist so recht das Urbild der Klangschönheit, kein Wunder
daher, wenn nun der Gesang im Allgemeinen einen Aufschwung nahni, wo be-
rühmte Kastraten mit ihrer Erfahrung und praktischen Fertigkeit als Lehrer
fungirten. Wir wollen Händel noch keinen zu grossen Einfluss beimessen auf
die tonliche Förderung der Stimmen, Mozart aber und Gluck, auch Haydn in
seinen Oi'atorien, zeigen uns einen Melodieubau und eine Orchestrirung, die
nur mit grossem edlem Tone zu bewältigen ist, und hier sind die Anfänge des
wahrhaft schönen Gesanges zu suchen. So überschreiten wir die Schwelle des
19. Jahrhunderts und sehen uns umgeben von einem reichen Kranz von
Künstlern, Damen und Herren. Nun sind die Bedingungen zu schönem Ge-
sänge gegeben, aber auch die Nothwendigkeit schöner Tonbildung tritt offen
hervor, denn überall sind grosse Opernhäuser erbaut, überall starke, wohl-
klingende Orchester und reich besetzte Chöre zu finden und fordern den Sänger
heraus, sein Bestes für den Ton einzusetzen. Und siehe, es wird Ausserordent-
liches geleistet. Allein die Musikgattuug, die nun an die Reihe kommt, ist
nicht geeignet, den erworbenen Ton festzuhalten. Rossini wird der Mann des
Tages, für die Gesangskunst aber bezeichnet er die Auflösung in gi-aziöse
Spielerei. Wo die Roulade Selbstzweck wird, da hat der schöne Ton wenig
Spielraum. AVenn auch hin und wieder eine sangbare Melodie hervortritt, darf
der Sänger nicht viel Ton darauf verwenden, denn er muss gewärtig sein, dass
236 ^ Tonbildung.
der nächste Moment ihm Bravourläufe bringt, die die Leichtfüssigkeit seiner
Stimme herausfordern. Man kann im Gesänge nicht nobler Herr und Clown
zugleich sein. Der Geschmack des Publikums aber neigte sich entschieden dem
Letzteren zu, und so kam es, dass Beethoven, Weber, Spontini, Meyerbeer und
die deutschen Componisten insgesamrat, als »unsingbar« verschrien wurden. Die
Sänger fanden nicht gleich den erforderlichen Ton dafür. Diese Tonsetzer
wichen zu sehr von der Art der Italiener ab, die ihre Melodie singend erfan-
den, während die Anderen sie irgend einem Instrumente entnahmen. Doch
bald wurde man der Sache Herr. Das goldene Zeitalter des schönen Gesanges
sollte nicht so schnell zu Ende gehen und würde vielleicht heute noch über
uns walten, wenn nicht der Geschmack am Wahren und Schönen durch Giuseppe
Yerdi untergraben worden wäre. Er war es, der in Melodie und Roulade
Blechinstrumente mit der Singstimme gehen Hess, wodurch der schöne Ton in
Geschrei ausartete ; er war es ferner, der durch die Charakterlosigkeit seiner
Musik demoralisirend auf die Sängerwelt wirkte, denn aus denkenden Künstlern
wurden sehr bald gedankenlose Schreier. Und wenn man heute bekümmert
nach Stimmen sucht, so meint man damit vielleicht den verlorenen Ton, den
Gesanglehrer und Sänger nicht mehr zu finden wissen.
Kehren wir zu unserem Thema zurück. Im Vorhergehenden war mehr
negativ verfahren und dargethan, was bei der Tonbildung zu vermeiden sei.
Jetzt wird es nöthig, die positive Seite in Betracht zu ziehen und zu zeigen,
welche Eigenschaften dem schönen Ton zukommen. Wir fassen sie in drei
AVorte zusammen: Wohllaut, Kraft und Elasticität oder Schwungfähig-
keit. Nicht als ob damit allen Anfordei'ungen genügt wäre, bilden sie doch
den Grund und Boden zum weiteren Ausbau.
Wohllaut für das Ohr ist gleichbedeutend mit Schönheit für das Auge.
Man folgt dem Sprachgebrauch, indem man von schönem Ton spricht, während
Schopenhauer den Begriff des »Schönen« blos für das Sichtbare der Aussenwelt
gelten lässt. Hugo Söderström sagt*): »schön sind solche Gegenstände, welche
durch eine gewisse, unserer Idee wohlthuende Sonderheit bei ihrer Wahrneh-
mung eine derartig harmonische Stimmung über uns bringen, dass unser ganzes
Empfinden für längere oder kürzere Zeit mit Behagen darin aufgeht«. Indem
wir diesen Ausspruch beim Gesangston adoptiren, übernehmen wir die Aufgabe,
beim Tone jenen Grad von Reinheit, man möchte sagen Unmittelbarkeit anzu-
streben, der alle diejenigen Momente ausschliesst, die das Empfinden des Hörers
beunruhigen könnten. Um diese Ruhe herzustellen, müssen sich alle mitwir-
kenden Bestandtheile des Stimmorganes in naturgemässera Zustande befinden,
und nirgend ein erkünstelter Vorgang bemerkbar werden. Der Ton darf auf
diese Weise nicht gemacht erscheinen, sondern muss eine Seelenthätigkeit des
Sängers dem Sinne des Hörers vermitteln, die ungetrübt und harmonisch auf-
tritt und dadurch wohlthuend wirkt. Wie weit Diejenigen vom richtigen Wege
ab sind, die einzelnen Bestandtheilen des Organes eine künstliche Mitthätigkeit
bei der Tonhildung einräumen, und z. B. verlangen, dass der Kehlkopf des
Schülers bei der Tonerzeugung in diese oder jene unnatürliche Stellung ver-
setzt werde, lässt sich daraus entnehmen, dass selbst das physische Vermögen
des Schülers gegen eine solche Behandlung protestirt, indem Ermüdung und
sehr bald auch Entkräftung dieser Theile eintritt. Niemandem wii'd es ein-
fallen, seinem Herzen oder Magen eine künstliche Theilnahme an den natür-
lichen Funktionen aufnöthigen zu wollen, und doch ist die Analogie hier und
dort unverkennbar. Der Wohllaut ist also jenes harmonische Zusammenwirken
der Faktoren, wo der Einzelne nicht mehr fühlbar wird, sondern in der Wir-
kung der Gesammtheit aufgeht.
Wir hängen beim Erzeugen des Wohllautes von körperlichen Dispositionen
ab, die ungleich vertheilt sind. Kein Individuum gleicht dem Anderen so ganz,
*) Hugo Söderström: Ueber den Begriff „Kunst".
Tonbildung. 237
dass eine Regel auf Beide bedingungslos anwendbar wäre. Der Begriff der
Tonschönlieit wird aber überall derselbe bleiben, ob wir es mit einer hohen
oder tiefen, mit einer grossen oder kleinen Stimme zu thun haben. Die Kate-
gorien von kleinen und grossen Stimmen finden ihren Grund in der zufälligen
Gestaltung der Mundhöhle, sowie in der Beschaffenheit der Stimmbänder. "Wo
der innere Mund hinreichend gewölbt und geräumig erscheint, da wird sich
wie von selbst der Ton gross gestalten, denn dieses Ansatzrohr ist der Raum
für die Resonanz des Stimmtones, seine Beschaffenheit trägt zum "Wohllaut wie
zur Entwickelung der Tougrösse wesentlich bei, während Kehlkopf und Stimm-
bänder nur die Aufgabe haben, den Klang zu erzeugen. Ein von Natur gross
entwickelter Kehlkopf ist nicht eo ipso die Garantie für eine grosse Stimme
oder ebensolchen Ton, wenn nicht damit auch eine geräumige Mundhöhle in
Verbindung steht, sowie bei Blasinstrumenten nicht das Mundstück, sondern
das Ansatzrohr den Klang gross macht. Die Schallwellen, die aus dem Kehl-
kopf zunächst in diesen Raum dringen, erhalten hier all die guten oder schlechten
Eigenschaften, die ihnen auch dann noch anhaften und bleiben, wenn sie die
Grenze der Lippen überschritten haben. Bei Besprechung des "Wohllautes
müssen wir auch eines Punktes erwähnen, der in Gesangschulen vielleicht aus
zarten Rücksichten übergangen wird, es ist die numerisch möglichste Voll-
zähligkeit der Zähne. Sie sind dazu berufen, dem Tone das zu geben, w^as
man iimhre nennt, jenen metallischen Beiklang, der an den Klangcharakter der
Metallinstrumente erinnert. Die weichen Bestandtheile, aus denen Schlund und
Mundhöhle bestehen, sind nicht geeignet, den Schallwellen jenen festen "Wider-
stand entgegen zu setzen, dessen sie bedürfen, um metallisch zu klingen. Ohne
Mitwirkung der Zähne wird der Ton zu weich und dumpf erscheinen, und
diese Klangfarbe selbst bei erhöhter Kraftanstrengung beibehalten. "Wo also
der Sänger jener Mittel zur Tonverschönerung vorzeitig beraubt ist, versäume
er nicht, das Fehlende durch Kunst ersetzen zu lassen, sonst entbehrt er eines
wichtigen Faktors, um Gesang und Sprache wohlklingend zu machen.
Professor Helmholtz' Forschungen auf dem Gebiete des Tonwesens sind
bis jetzt speciell für Gesangskunst nicht genügend verwerthet worden, obgleich
hier ein reiches Material vorliegt. Indem Helmholtz den Beweis führt, dass die
Mundhöhle, d. h. die darin enthaltene Luft auf verschiedene Töne abgestimmt ist,
je nachdem sie die Stellung ändert, ist der Sänger an ein Gesetz gebunden,
welches ihn nöthigt, für jede Tonreihe die passende Mundstellung zu suchen.
Die willkürliche Annahme, dass man beim Beginn der Tonbildungsübung den Mund
so weit als möglich aufmachen und ein grelles a hervorstossen müsse, wird sich nun
der Nothwendigkeit fügen, die Mundhöhle so zu formen, dass sie zur Verschöne-
rung des Tones beitragen könne. Der Gesanglehrer sowie der Sänger, der früher
auf empirischem ^QgQ vorging und höchlich erstaunt war, dass dieser und
jener Ton gut ansprach, während ein anderer gar nicht klingen wollte, wird
nun den Grund in dem Umstände finden, dass er für den einen Ton die
Mundstellung unbewusst getroffen hatte, während er bei dem Andern fehl ge-
gangen war. Helmholtz weist ferner nach, dass in jedem Ton, den wir singen
oder auf irgend welchem Instrumente angeben, eine Anzahl anderer Töne mit-
klingen, die in einem harmonischen Verhältniss zum Grundton stehen und
deshalb harmonische Obertöne heissen. Man kann sich von der Wahrheit über-
zeugen, wenn man einen Resonator an das Ohr hält, während der Ton klingt.
Mit diesen harmonischen Obertönen ist jeder Ton gleichsam ausgestattet, ihr
Vorhandensein ist eine nothwendige Bedingung seines "Wohlklanges, ja Helm-
holtz beweist, dass sie seine Klangfarbe charakterisiren. Die Luft, die unsere
Mundhöhle in ihren verschiedenen Stellungen einschliesst, ist also wie jeder
andere Hohlraum abgestimmt, d. h. wenn wir sie mit einem Luftstrom von
Aussen anblasen, so erklingt sie in einer bestimmten Tonhöhe, die sich nur
ändert, wenn wir der Mundhöhle eine andere Stellung geben. Jeder Vocal,
den man deutlich ausspricht, erfordert eine gewisse Mundstellung und Helm-
238 Tonbildung.
holtz giebt die Stimmung der Mundhölile bei den verschiedenen Vocalen an.
Wenn nun der Ton, den wir singen, in einem seiner harmonisclien Obertöne
mit dem Ton der Mundhöhle zusammentrifft, so unterstützen sich die beiden
Klänge und vereinen sich zu einem wohlklingenden Ganzen. Wir müssen uns
hier auf blosse Andeutung dieser Theorie beschränken und empfehlen Jedem,
der weitere Belehrung sucht, das Studium des Abschnittes : »Klänge der Vocale«
in Helmholtz' »Tonempfindungena.
Man wird aber schon jetzt einsehen, dass es die Aufgabe des Sängers ist,
das harmonische Verhältniss herzustellen zwischen dem Klange der Mundhöhle
und dem Tone, den die Stimmbänder anschlagen, wenn der zu singende Ton
leicht ansprechen und wohlklingen soll. Die Theorie der vielen Register in
der menschlichen Stimme schmilzt dabei zu dem Umstände zusammen, dass
sich auf gewissen Tonstufen eine andere Klangfarbe zeigt, die in der veränderten
Mundstellung, nicht aber in der veränderten Thätigkeit der Stimmbänder ihren
Grund hat*). Das Falsettregister dagegen, dessen Bestehen in der Natur des
Stiramorganes begründet ist, tritt allein in sein Recht ein, jedoch erfordert diese
Tonreihe eine Mundstellung, mit der die Ausspi-ache der Vocale in Einklang
zu bringen ist. Die Mundstellung wird also in diesem Falle die Hauptsache,
der wir die Aussprache vinterordnen und anpassen müssen.
Wir wollen versuchen, die Helmholtz'sche Theorie durch einige Bemer-
kungen für die Tonbildung zu verwerthen. In der Region der Bruststimme
giebt es wenig Schwierigkeiten zu überwinden, denn so lange das Organ vor
Anstrengung bewahrt bleibt, kann der Sänger mit Bequemlichkeit die vortheil-
haften Mundstellungen aufsuchen, um seiner Aussprache die erforderliche Deut-
lichkeit zu geben. Anders verhält es sich in der höheren Region der Stimme,
wo die grosse, manchmal übermässige Spannung der Stimmbänder dem Organ
Gefahr bringt. Da sieht man sich nothgedrungen nach derjenigen Methode
um, die im Stande ist, durch Vortheile Erleichterung zu verschaffen. Es ist
Thatsache, dass Männerstimmen bei dem TJebergange von e^ zu d^ und es^ die
Neigung haben, in dunklen Klangcharakter überzugehen. Garcia bestätigt diese
Wahrnehmung. Hier ist der Punkt, wo das Brustregister an das Falsett grenzt.
Wenn der Sänger im Stande war, in der Region des Brustregisters alle Vocale
mit der ihnen zugehörenden Klarheit und Deutlichkeit wiederzugeben, so hängt
er beim Falsettregister von der Mundstellung ab, die dieses Register verlangt
und die möglichst gewölbt sein muss, um diesen an sich schwachen, mehr
flötenden Tönen die nöthige Resonanz zu geben. Eine solche Mundstellung
ist die für den Vocal o, welche, wenn wir sie auf ihre Resonanz prüfen, ohne-
hin dem Tone h^ aus der höchsten Lage des Tenors entspricht. Helmholtz
sagt, S. 166: »die Stellung des Mundes beim o ist besonders günstig für die
Resonanz, die Oeffnung des Mundes ist weder zu gross noch zu klein und die
Höhle hinreichend geräumig«. Da nun aber die ersten Töne d^ e^ f^ mit dem
Falsett gesungen bei den Männerstimmen zu schwach erscheinen, so sucht sie
der Sänger in einem Klangcharakter hervorzubringen, der zwischen Brust- und
Falsettstimme in Mitten liegt, und so entsteht die voicc mixte, die gemischte,
d. h. aus Brust- und Falsettstimme zusammengesetzte Stimme. Diese voix mixte
unterscheidet sich von der Bruststimme dadurch, dass sie nicht mehr auf der
Spannung der Stimmbänder allein beruht, sondern eine sogenannte Compensation
(Ausgleich) eintreten lässt, bei der die -Spannung nachlässt und das Luft-
quantum vergrössert wird. Das ist nun ein Vorgang, den jeder Sänger an
sich erfährt, und der in der Natur des Stimmorganes begründet ist, so zwar,
dass wer davon keine Kenntniss hat oder ihn zu umgehen sucht, seinem Organ
über kurz oder lancc Schaden zufügen muss. Eine andere Art diese Töne
Auch jene Tonreihe von _^a-1 bis c^, die in der Sopranstimme als besonderes Register
bezeichnet ist (s. Stimmbildung), verfällt diesem Gesetze, und wenn wir es dort
„Mittelregister" nennen geschiebt es nur, um die Nothwendigkeit dieses Wechsels in der
Klangfarbe nachdrücklich hervorzuheben.
Tonbilduns?. 239
•■ö
hervorzubringen ist jene unnatüx'liche erzwungene, wo der Sänger den Kehl-
kopf nach Oben zieht, bis er in die Oeffnung der Eachenhöhle tritt, und jene
hellen aber grellen Laute hervorbringt, die man mit dem Ausdruck »offene
Stimme« bezeichnet. Jede Unnatur und jeder Zwang, den wir dem Organe zu-
rauthen, rächt sich durch Entkräftung der betroffenen Theile. Dass aber in
der Mundposition der voix mixte alle Vocale dunkleren Charakter annehmen,
versteht sich von selbst.
Der Sänger wird a, e, ae, i u. s. w. aus der Mundstellung des o hervor-
gehen lassen, gleich wie du Bois-Reymond das a als Ausgangspunkt für die Vo-
cale bei der Sprache annimmt. Damit wird sich der "Wohllaut leicht herstellen,
während bei dem hellen Anschlage der offenen Stimme die krampfhafte Mund-
stellung keine Nuancirung mehr zulässt. Im letzten Falle werden dem Sänger,
wie Helmholtz sagt, sogar die Töne d^ e^ f^ auf den Yocal e gut ansprechen,
nur wird der Klang ein für edlen Gesang unbrauchbarer sein. Es bedarf
kaum der Erwähnung, dass, wenn hier von dunklem Klange die Rede ist, man
sich diese Eigenschaft nicht auf die äusserste Spitze getrieben denken darf.
Wir wollen aber auch warnen vor der Meinung, dass die Aussprache der
Vocale im Gresange eine karikirt deutliche sein müsse, sowie überhaupt jenes
Bestreben gewisser Lehrer, das Heil des Gesanges bei ihren Schülern in der
deutlichsten Aussprache des Textes zu suchen, nie von glücklichem Erfolge
begleitet war, und gewöhnlich mit dem Ersterben des Tones endete. Wenn
der dramatische Sänger bisweilen in die Lage kommt, in Scenen der höchsten
Erregtheit eine Tonfarbe zu wählen, die hell und grell erscheint, so ist das
eben ein vorübergehender Moment, der bald wieder dem allein berechtigten
Wohllaut Platz machen muss.
Wir verfolgen den Aufbau der Stimme weiter und kommen nun in die
Tonregion, wo beim Tenor Falsett- und Bruststimme um die Herrschaft streiten.
Es sind die Töne (/^ a^ h} c^ Hier ist wieder die Art der Tonbildung, was
dem Sänger diese Tonlage erleichtert oder erschwert. Versteht er es nicht,
die B,esouananz der Mundhöhle mitwirken zu lassen, so wird sein Ton nur ein
krampfhafter Aufschrei, über den er selbst keine Macht hat, und der wie eine
Explosion auftritt, um gleich wieder zu erlöschen. Weiss er aber seine Mund-
höhle an der Tonerzeugung zu betbeiligen, so entsteht ein ähnlicher Klang
wie bei d} e' /', der den Charakter des Falsetts mit der Festigkeit der Brust-
stimme vereinigt, und jenen Grad von Modulationsfähigkeit behält, in dem die
verschiedenen Vocale zum deutlichen Ansprechen kommen. Die vermeinte Un-
möglichkeit in hoher Lage auf i oder ü zu singen, verschwindet bei richtigem
Versuch, da, wie Helmholtz nachweist, die Mundhöhle bei diesen Vocalen ohne-
hin auf sehr hohe Töne abgestimmt ist; nur wird der Ton sich überwiegend
dem Charakter des Falsetts nähern, ohne deshalb spitz und pfeifend zu sein.
Dabei sei erwähnt, dass sich im Volksmunde für das Falsett das Wort »Fistel«
eingebürgert hat, vielleicht zur Bezeichnung jener Abart von Klang, die uns
bei tyroler Natursängern an dieser Stelle begegnet. Es wäre zu wünschen,
dass dieses in seiner Grundbedeutung anstössige Wort (ßstolare ital. pfeifen)
aus der Terminologie des Kunstgesanges gestrichen würde. Der Begriff des
Pfeifens liegt vom wahren Falsettton so weit ab, dass es nichts so Widersinniges
giebt wie diese Wortbezeichnung.
Werfen wir nun einen Blick auf die weiblichen Stimmen, so findet sich
viel analoges zwischen Alt und Bass, sowie Sopran und Tenor. Die ersten
beiden Gattungen, nämlich Alt und Bass, haben im Tone gleiches Volumen,
die anderen beiden gleichen metallischen Charakter anzustreben, der sich beim
Sopran bis zum Glänzenden und Prächtigen aufschwingen kann. Auch im
Sopran tritt bei den Tönen d"^ e" f^ die Nothwendigkeit ein, die Spannung
der Stimmbänder zu mildern, und so den Uebergang ins Falsett zu vermitteln.
Die richtige Mundstellung wird auch hier Hauptsache werden, besonders dann,
wenn die Stimme bei a^ h^ u. s. w. ganz in die Kegion des Falsetts (von
240 Tonbildung.
Einigen »Kopfstimme« genaunt) eingetreten ist. Dieser Theorie widersprechend,
findet man bei vielen Sängerinnen die üble Gewohnheit, bei den hohen und
höchsten Tönen den Mund so weit und unschön aufzumachen, dass die rück-
wärtigen Theile der Mundhöhle dadurch ganz blosgelegt werden. Sie geben
auf diese "Weise Laute von sich, die trocken und grell klingen, ohne Anspruch
auf irgend welche Tonschönheit zu machen, weil nach Helmholtz' Theorie das
Ansatzrohr fehlt, das allein im Stande ist, den Wohllaut herzustellen. "Wenn
nun die Stimme ihre normale Thätigkeit gefunden hat, dann treten auch all
die Erscheinungen hervor, die Helmholtz in seinem Buche nachgewiesen, und
der Sänger kommt zur Ueberzeugung, dass er sich auf der Fährte der Natur
befindet. All jene Künsteleien aber, die darauf ausgehen, dem Organe Effekte
abzugewinnen, die nicht in seinen natürlichen Funktionen liegen, werden ver-
derblich, indem sie den Mechanismus schädigen. Das empirische Vorgehen,
das die Wissenschaft für unnöthig erachtet, und einer vermeinten Erfahrung
folgen zu müssen glaubt, birgt manche Gefahr in sich. So sieht man häufig
die Willkür schalten und walten, man sucht sich in neuen Theorien und
barocken Erfindungen zu übertreffen, ja es giebt Gesanglehrer, die sich beklagen,
dass sie keinen Schüler finden können, der ihre selbsterfundene Gesangs-
methode aushält. Dann herrscht aber aucb Verwüstung, wo sorgfältige Pflege
walten sollte, und die Folge ist jener vielbeklagte Mangel an schönen Stimmen,
der so lange anhalten wird, bis man zur Einsicht gekommen, dass nur in der
Erkenntniss der Natur die Wahrheit liegt.
Ehe wir von der Besprechung des Wohllautes scheiden, wäre es nicht
uninteressant, einen Blick auf das Sprachorgan zu werfen. «Der Wohllaut in
Sprache und Gesang hängt von der richtigen Mundstellung ab, die Deutlichkeit
der Aussprache aber von dem schnellen und präcisen Wechsel der Mund-
stellung« (»Musik. Wochenblatt«, Jahrg. VIII, No. 3). Auf diesen Satz werden
wir durch Helmholtz geleitet und finden ihn überall bestätigt und begründet.
Die Frage, welche Sprache die wohlklingendste sei, hat ihre Beantwortung in
dem Satze gefunden, dass offene Vocale und leicht zu sprechende Consonanten
am meisten dazu beitragen, um ein Idiom schön und wohlklingend zu machen,
nur muss der Eedner diese Eigenschaften zur Geltung bringen. Wenn man
die Italiener um ihre Sprache beneidet und ihr im Leben wie im Gesänge
den Vorzug vor allen anderen giebt, so liegt der Grund nur darin, dass der
Italiener es sich angelegen sein lässt, seine Vocale und Consonanten möglichst
deutlich und wirksam zu machen, während der Deutsche beim Sprechen kaum
den IMund öffnen mag, aus Furcht affektirt zu erscheinen. Somit geht dem
Deutschen all der Wohllaut verloren, der seiner Sprache vermöge ihrer wohl-
klingenden Vocale und Diphthongen eigen ist. Dass die Resonanz der Mund-
höhle auch den Sprachlaut verstärke und verschönere, ist durch Helmholtz
genau nachgewiesen und durch das lebendige Beispiel der Italiener bewiesen,
denn ihm ist es zur zweiten Natur geworden, die Mundstellungen schnell und
präcise zu wechseln, was sich in der Lebendigkeit seiner Gesichtszüge abspiegelt.
Sprachen dagegen, denen der volle offene Klang der Vocale fehlt, und die
durch Consonantenhäufungen der freien Entwickelung des Tones ungünstig
sind, wie die französische, englische oder die slavischen Sprachen, können trotz
aller guten Eigenschaften, die ihnen sonst anhaften, nicht Anspruch machen auf
Klangschönheit, weshalb ihre Verwendung im dramatischen Gesänge nicht
immer von guter Wirkung ist.
Wir kommen nun zur zweiten Eigenschaft des Tones, zur Kraft.
Die Baumverhältnisse sowohl, als auch die grössere Musikgattung, in der
sich der Sänger zu bewegen hat, machen es nöthig, dass er seiner Stimme die
Fähigkeit gebe, weithin zu wirken, und den Tonwellen eine gewisse Intensität
verleihe. Die Physiologie lehrt uns, dass die Stärke der Klänge mit der Breite
(Amplitude) der Schwingungen des tönenden Körpers wächst und abnimmt.
Dieser tönende Körper für den Sänger sind die Stimmbänder in ihrer gemein-
Tonbildun«'. 241
'S)
ö
samen Thätigkeit als Eins genommen, die, wie uns der Kehlkopfspiegel zeigt,
in der Region der Bruststimme in ihrer ganzen Breite in Schwingung sind.
Nur knüpfen sich daran gewisse Bedingungen. Die Stimmbänder müssen sich
in jenem Grade der Spannung befinden, in dem sie im Stande sind, die an-
dringende Luft gleichsam abzusperren und Widerstand zu leisten. In schlaffem
Zustande, wie bei den tiefen und tiefsten Tönen, entweicht ein grosses Quantum
von Luft, ohne die Stimmbänder kräftig erfassen zu können; deshalb erscheinen
diese Töne ursprünglich schwach und kraftlos. Ein fast gleicher Fall tritt ein
in der Region des Falsettregisters, wo nur die inneren Ränder der Stimmbänder
in Vibration gesetzt sind. In beiden Fällen ist der Sänger darauf angewiesen,
von jener Compensation Gebrauch zu machen, von der wir oben sagten, dass,
wo die Spannung vermindert sei, die Luftmasse vergrössert werden müsse.
Diese Töne erfordern daher ein grösseres Luftquantum,' um in der Kraft den
höheren Tönen des Brustregisters gleich zu kommen. Während der Sänger
aber in der tiefen Lage seines Stimmumfanges nie recht zu voller Kraft gelangt,
bietet sich ihm in der Lage des Falsetts ein Mittel, die verlangte Amplitude
der Schwingungen herzustellen. Durch zweckmässige Athemverwendung ver-
maß er die Randschwingungen auf einen breiteren Theil der Bänder auszu-
dehnen. Indem die Bänder sich nicht in voller Spannung wie beim Brust-
reo-ister befinden, hängt es vom Luftstrom ab, wie breit der Rand werden soll,
der den Ton erklingen macht. Wenn es also unserer Vorstellung schwer wird,
sich eine Amplitude der Schwingungen bei schmalem Rande der Stimmbänder
zu vergegenwärtigen, so steht dem Sänger frei, diesem Rande mehr Breite zu
geben und somit einen Ton hervorzubringen, der ohne Anstrengung dem Klang-
charakter der Bruststimme sich nähert. Und dieser Vorgang tritt in der Natur
wirklich ein, und ist eine naturgemässe, ungekünstelte Erscheinung, während
jene andei-e Stimmbehandlung, wo die Stimmbänder über die Grenze des Brust-
registers hinaus noch weiter gespannt werden und jenen forcirten kreischenden
Klang erzeugen, der uns bei manchen Sopranstimmen so unangenehm berührt,
dem Organ verderblich wird, weil er unnatürlich ist.
Dass bei jeder Kraftäusserung die Grenze der Schönheit einzuhalten sei,
bedarf nur der Erwähnung. Wohlklang an sich ist schon eine Kraft, die unter
allen Verhältnissen zur Geltung kommt. Unedler Gebrauch der Stimme erzeugt
nicht das Gefühl der Tonstärke, sondern artet in Geschrei, also in ein Geräusch
aus, das unser Empfinden unangenehm berührt. Indem Helmholtz davon spricht,
wie unser Ohr für die Töne der viergestrichenen Octave ganz besonders em-
pfindlich ist, bemerkt er weiter, dass wenn die menschliche Stimme mit An-
strengung gebraucht wird, so dass sie einen schmetternden Charakter bekommt,
man Obertöne der viergestrichenen Octave hört, die dicht neben einander liegen
und sehr unangenehm wirken. »Bei kräftigen Männerstimmen, welche forte
singen, hört man jene Töne gleichsam wie ein helles Schellengerassel mit-
klingen, am deutlichsten aber bei Chören, wenn die Stimmen etwas schreien. Es
giebt jede einzelne Männerstimme in solcher Höhe schon dissonirende Ober-
töne. Wenn Bässe ihr hohes e^ singen, so ist d* der siebente, e* der achte,
ßs* der neunte, gis^ der zehnte Oberton. Wenn nun gleichzeitig e* und ßs*
stark, d* und gis* schwächer hörbar werden, so giebt das natürlich eine scharfe
Dissonanz. Kommen gar viele Stimmen zusammen, welche diese Töne mit
kleinen Höhenunterschieden angeben, so giebt es eine eigenthümliche Art von
Gerassel, was man sehr leicht immer wieder wahrnimmt, wenn man erst einmal
darauf aufmerksam geworden ist«. Wir sehen hier, wie der gelehrte Physiologe
eine Erscheinung kennzeichnet, die gewiss jedem Musiker, besonders aber dem
Gesangverstäudigen aufgefallen ist, der er aber wie einem mysteriösen a- iHQeaiv
naturae aus dem Wege gegangen, ohne nachzuforschen, wo der eigentliche Grund
liege. Dieses Gerassel tritt nicht allein im Gesänge von Männerchören auf,
auch bei Opernsängern können wir ihm begegnen, besonders wenn sie den Effekt
in Kraftanstrensfunö- suchen und die Gesetze der Tonschönheit ausser Acht lassen.
Musikal. Convers.-Lexlkon. X. 16
242 Toubildung.
Die Stärke des Tones hängt vom Bau der Miindhölile und von der For-
mation des Kehlkopfes resp. der Stimmbänder ab, nicht aber, wie Viele glauben,
von der robusten Körperbildung des Sängers. Es hat sich sehr oft gezeigt,
dass anscheinend schwächliche Personen durch die Macht ihres Tones imponirten,
während herkulische Gestalten durch das Gegentheil überraschten. Dort, wo
in geräumiger Mundhöhle die Luftschwingungen sich räumlich ausbreiten können,
entsteht das, was wir Volumen der Stimme nennen, und was nicht allen
Organen in gleichem Maasse eigen ist. Gewisse Stimmgattungen, wie Alt und
Bass, sind dadurch charakterisirt, weshalb auch ihre Klangfarbe sich wesentlich
von der des Tenors und Soprans unterscheidet, welch letztere dafür durch
Klangreichthum in heller Farbe glänzen. Der Resonator weist bei ihnen eine
Anzahl höherer Obertöne auf, die bei jener Stimmgattung fehlen. Dass man
aber eine von Natur kleine Stimme durch künstlerisches Zuthun zu einem
Wohllaut und daraus hervorgehender Klangfülle entwickeln kann, in der das
Gefühl der ursprünglichen Kleinheit verschwindet, unterliegt um so weniger
einem Zweifel, als wir dafür lebende Beispiele anführen können (Adelina Patti).
Die Elasticität oder Schwungfähigkeit endlich, als dritte nothwendige
Eigenschaft des Gesangtones, ist das Produkt des Athems. Der Athem hat
nicht allein die Aufgabe den Ton hervorzubringen, er muss ihn auch beleben
und beseelen können. Fragen wir nach dem Mittel, durch welches der Sänger
auf den Zuhörer wirkt und in ihm alle Gefühle wachruft, so ist es die Elasti-
cität des Athems, dieses nie ruhende Agens, das in einem Moment aufleuchtet,
um im nächsten zu erlöschen und in geistvollem Schwünge die Seelenthätigkeit
des Sängers auf den Hörer überträgt. Der Athem an sich ist als gerade un-
unterbrochen strömende Linie aufzufassen, nach welcher Richtung auch die
Intervalle der Melodie ablenken mögen, jene Linie, die vom mathematischen
Punkte (dem Tonansatz) ausgeht, anschwellend die nöthige Stärke erreicht und
wieder abnimmt, um im nächsten Momente von Neuem anzuheben. Der Zug
des Athems muss einer ruhig dahinziehenden Strömung gleichen, elastisch, doch
unbeirrt durch die Schwingungen der Luft, die den Ton erklingen machen,
aber selbst im schwungvollen Lauf wellenlos und glatt. Hier liegt die Aufgabe
des Sängers, der durch Ruhe und Ordnung im Ein- und Ausathmen die grösste
Herrschaft über sein Organ erlangt. Die Athembehandlung ist daher ein wich-
tiger Paragraph der Singschule; je früher der Schüler es darin zur Fertigkeit
bringt, desto weniger ist er später der Anstrengung ausgesetzt. Deshalb darf
aber die Schule nicht darauf ausgehen, langen Athem durch andauernde Arbeit
erzwingen zu wollen, sondern muss jene weise Oekonomie walten lassen, die
aus gegebenen Mitteln den möglichsten Vortheil zu ziehen sucht.
Die Verwendung des Athems bei der Tonbildung hat vor Allem die Auf-
gabe, das richtige Maass herzustellen zwischen der Spannung der Stimmbänder
und dem Luftstrom, der sie in Vibration setzt. Ein Missverhältniss nach der
einen oder andern Seite erzeugt TJebelstände, die sich durch heulenden Ton
oder durch falsche Intonation kundgeben. Die Stimme gleicht dann einem
überblasenen Instrument, im andern Falle einer Orgelpfeife, die nicht ansprechen
kann, weil ihr der nöthige Wind fehlt. Gleichwohl verlangen die oberen Töne
des Brustregisters ein sehr geringes Luftquantum, wodurch sie sich eben als
wahre Brusttöne erweisen, während die tiefen und tiefsten, bei der geringen
Spannung der Stimmbänder, eine beträchtliche Menge Athem unbenutzt ent-
weichen lassen. In der Region der voix mixte ist der Luftstrom gewisser-
massen gehemmt und verursacht dem Sänger ein beängstigendes Gefühl, als ob
er sich der andringenden Luft nicht entledigen könnte. Erst zweckmässige
Uebung vermag hier Erleichterung zu verschaffen, bis dann im eigentlichen
Falsettregister die Stimmbänder, aus der früheren Spannung zurücktretend, nur
noch einen Hauch beanspruchen, um ihre Ränder in Schwingung zu bringen.
So vielfältig die Anforderungen hier erscheinen mögen, gelingt es doch, mit
Hülfe der passenden Mundstellung, ihnen allen gerecht zu werden, und in der
Tondichter. 243
Scala wie Roulade die Register zu durclieilen, ohne eine TTnterbrecliuiig fühlen
zu lassen. Nur bleibt die Ruhe des Athems das Haupterforderniss, sowohl im
gehaltenen Ton, als auch in der Scala, während jenes Tremoliren, das manche
Sänger sich angewöhnen, den widerlichsten Effekt hei'vorbringt und alle Funk-
tionen des Organs beeinträchtigt.
Treten wir nun einen Schritt zurück, um das bisher Gresagte zu überblicken,
so finden wir die Aufgabe der Tonbildung in dem Bestreben gelöst, Mund-
stelluug und Athem richtig zu verwerthen, um der Stimme jenen Klang zu
geben, der edel und rein auftritt, ohne die Stimmwerkzeuge von ihrer natür-
lichen Thätigkeit abzulenken. Dem Künstler bleibt es dann vorbehalten,
diesem Tone Licht und Schatten zu geben, ihn zur Klage zu stimmen oder
freudig aufjauchzen zu machen, kurz, ihn alle Regungen des Herzens ab-
spiegeln zu lassen, — die Bedingungen der Schönheit müssen überall ein-
gehalten werden.
Tondichter nennt man den Componisten, den Schöpfer eines Tonstücks,
weil er in Tönen dichtet. Es ist bezeichnend für die Eigenart der beiden
Künste: der Poesie und der Tonkunst, dass man diesen Begriff nur auf
sie und nicht auch auf die andern Künste anwendet, dass man nicht auch, oder
doch nur sehr vereinzelt von einem Farbendichter, niemals aber von einem
Stein- oder Metalldichter spricht. Der Sprachgebrauch stützt sich hier
auf das intimere Verhältniss, in welchem Dichtkunst und Tonkunst zur Phan-
tasie stehen. Diese hat bei den andern Künsten, der Malerei, der Sculptur
und Architektur nicht mindern Antheil, als bei der Poesie und Musik;
allein doch in anderer Weise. Die sogenannten bildenden Künste finden ihre
Anleitung und zum grossen Theil selbst die Formen für ihre Schöpfungen
meist in der äussern Natur vor, die sie dann mit der anschauenden Phantasie
erfassen und künstlerisch gestalten. Für die Poesie und noch mehr für die
Tonkunst muss dagegen die produktive Phantasie erst Stoffe und grössten-
theils auch die Formen schaffen und diese Thätigkeit heisst eben dichten.
Auch wo die bildenden Künste ihre Stoffe der produktiven Phantasie entnehmen,
wo sie der Traumwelt des Mährchens sich zuwenden, sind sie doch überall zu-
gleich auch an die Formen und Vorgänge der concreten "Welt gebunden. Sie
vermögen wohl phantastische Stoffe darzustellen, aber, durch das Material in
welchem sie bilden genöthigt, doch immer in Formen, die der realen Welt
entstammen. Das Material, in welchem Dichtkunst und Tonkunst dar-
stellen, Laut und Ton, ist dagegen an und für sich wesenlos und daher auch
ganz geeignet zur Darstellung jener erdicliteten Welt des Träumens, der
schaffenden Phantasie, wie der gesammten lebendig wirkenden Innerlichkeit des
Menschen. Der schaffende Geist dichtet, indem er dies Leben der Phantasie
zu Bildern verdichtet und ihnen dann tönenden Ausdruck in Worten oder in
Tönen und Klängen giebt. So wird der Componist zum Tondichter. Dem
Wortlaut nach ist der Componist (von componere = zusammensetzen, aus-
arbeiten) noch kein Dichter, sondern zunächst nur der, mit der Technik seiner
Kunst vertraute Verfertiger des Kunstwerks. Erst darin, dass dieses einen
wirklich dichterischen Inhalt bringt, der von der Phantasie und der ganzen
Innerlichkeit des Menschen gleichmässig erzeugt ist, zeigt sich der Tondichter.
Die formale Meisterschaft macht erst den Componisten und dass diese selbst
nicht ohne Inhalt sein kann, ist mehrfach auch in diesem Werk nachgewiesen
worden. Inhaltslose Formen giebt es überhaupt nicht, denn jede Form hat
einen bestimmten, sie erzeugenden Inhalt zu ihrer Voraussetzung. Der wahre
Tondichter giebt diesem individuelles Gepräge und der Form damit eigen-
thümliche Ausgestaltung. Zum vollendeten Tonkünstler gehört es demnach,
dass beide sich bis zu vollständiger Einheit durchdringen. Der geschickte
Componist, der nicht zugleich Tondichter ist, wird nur vorübergehend
interessiren und nur wenig mehr, ohne dass er grössere Bedeutung gewinnt,
der Tondichter, der nicht zugleich vollendet ist als Componist.
16*
244 Tone — Tonempfindung.
Tone, JExtensio, hiess bei den Griechen eine Setzmanier, das Anhalten
eines Tones oder eine mehrmalige Wiederholung desselben.
Tonempflndung'. Die Tonempfindung ist erste Voraussetzung für die Ton-
kunst. Wohl operirt der Tonkünstler zunächst mit dem Ton als einem, in
gewissem Sinne abstrakten BegrifiP, er erfindet Tonfiguren, aber diese haben
doch die eigentliche Bedeutung erst als Klangfiguren. In todten Zeichen für
die Töne schreibt er sein Kunstwerk nieder und bezeichnet zugleich so genau
als hierdurch möglich ist, die speciellen Klänge, in denen er seine Töne lebendig
gemacht wissen will, aber hierzu sind dann die fremden Organe nöthig, welche
das Kunstwerk erst der Tonempfindung vermitteln. Wohl vermag der
dieser Zeichensprache Kundige auch aus dem blossen Lesen dieser Zeichen,
die Noten und was dazu gehört, ein Bild zu gewinnen, ohne diese wirklich
lebendige Uebertragung in Klänge, allein es kann dies doch nur unvollkommen
sein und wird selbst nicht die Wirkung einer nur mittelmässigen Ausführung
ersetzen. Soll diese eine entsprechende sein, so muss das Kunstwerk durch
die vorgeschriebenen Organe unserer Tonempfindung vermittelt werden.
Diese erscheint zunächst wieder als blosse Gehörempfindung. Das Gehör-
organ vermittelt diese Empfindung und zwar nicht nur die des Tons und
Klanges, sondern auch die des blossen Schalls als Geräusch. Das Sausen,
Heulen und Pfeifen des Windes, das Rauschen und Rieseln des
Wassers, das Rollen des Donners, das Getöse einer lärmenden Volks-
menge vernimmt das Gehörorgan ebenso, wie die Töne und Klänge der
Menschenstimme oder der Instrumente. Der Grund dieser Erscheinung liegt
bekanntlich in der uns umgebenden Luft, deren Bewegung im menschlichen
Ohr die Gehöremijfindung erzeugt. Die unregelmässigen Erschütterungen der
Luft erzeugen auch eine wechselnde Empfindung im Ohr, die wir mit Geräusch
bezeichnen; die regelmässig andauernde, in gleichmässiger Weise erfolgende Be-
wegung der Luft erzeugt dagegen die entsprechende Empfindung im Ohr, welche
wir mit Klang bezeichnen. Diese regelmässigen Bewegungen sind Schwingungen,
d. h. hin- und hergehende Bewegungen der tönenden Körper, und sie müssen
periodisch sein, d. h. nach genau gleichen Zeitabschnitten immer in derselben
Weise wiederkehren. Dabei gewinnt das Ohr die Empfindung des Klanges und
bei ganz bestimmter Anzahl der Schwingungen den betreffenden Ton von be-
stimmter Höhe oder Tiefe. Diese sind desto höher, je grösser ihre Schwingungs-
zahl in einer bestimmten Zeit ist. Dabei empfindet das Ohr weiterhin auch
die verschiedenen Stärkegrade der Klänge. Dieser entspricht die Breite der
Schwingung des tönenden Körpers, daher tönt eine nur leicht angestrichene
Saite leiser, als eine kräftig und mit breitem Bogenstrich tönend gemachte
Saite, und die Stärke des Klanges nimmt ab, ohne dass sich Tonhöhe und
Klangfarbe ändern, wenn die Breite der Schwingungen dieser stark ange-
strichenen Saite sich verringert.
Den Grund der grossen Anzahl von Klangfarben, welche unser Ohr zu
unterscheiden vermag, hat die wissenschaftliche Untersuchung in der grössern
oder geringern Bedeutung, welche die mitklingenden Töne, die Obertöne,
bei den betreffenden Instrumenten gewinnen, gefunden. Namentlich hat Helm-
holtz hierüber die treffendsten Aufschlüsse gegeben; er fasst das Resultat
seiner eingehenden Untersuchungen in folgende Sätze zusammen*): 1) Ein-
fache Töne, wie die der Stimmgabeln mit Resonanzröhren, der weitgedacten
Orgelpfeifen, klingen mehr weich und angenehm, ohne alle Rauhigkeit, aber
unkräftig und in der Tiefe dumpf. 2) Klänge, welche von einer Reihe ihrer
niedern Obertöne bis etwa zum sechsten hinauf in massiger Stärke begleitet
sind, sind klangvoller, musikalischer. Sie haben, mit den einfachen Tönen ver-
glichen, etwas Reicheres und Prächtigeres, sind aber vollkommen wohllautend
und weich, so lange die höhern Obertöne fehlen. Hierher gehören die Klänge
*) „Die Lehre von den Tonempfindvingen", 11. Ausgabe, pag. 180.
Tonempfiudung. 245
des Fortepiano, dei* offenen Orgelpfeifen, der weichen Pianotöne der menscli-
lichen Stimme und des Horns, welche letztere den Uebergang zu den Klängen
mit hohen Obertönen machen, während die Flöten und schwach angeblasenen
Flötenregister der Orgel sich den einfachen Tönen nähern. 3) "Wenn nur die
ungeradzahligen Obertöne da sind, wie bei den engen gedacten Orgelpfeifen,
den in der Mitte angeschlagenen Fortepianosaiten und der Clarinette, so be-
kommt der Klang einen hohlen, oder bei einer grössern Zahl von Obertönen
einen näselnden Charaktei-. Wenn der Grundton überwiegt, ist der Klang
voll; leer dagegen, wenn jener an Stärke den Obertönen nicht hinreichend
überlegen ist. So ist der Klang weiter offener Orgelpfeifen voller, als der von
engeren, der Klang der Saiten voller, wenn sie mit den Hämmern des Piano-
forte angeschlagen werden, als wenn es mit einem Stöckchen geschieht, oder
wenn sie mit den Fingern gerissen werden, der Ton von Zungenpfeifen mit
passendem Ansatz voller, als von solchen ohne Ansatzrohr, 4) Wenn die
höhern Obertöne jenseits des sechsten oder siebenten sehr deutlich sind, wird
der Klang scharf und rauh. Der Grad der Schärfe kann verschieden sein;
bei geringerer Stärke beeinträchtigen die hohen Obertöne die musikalische
Brauchbarkeit nicht wesentlich, sind im Gegeutheil günstig für die Charakteristik
und Ausdrucksfähigkeit der Musik. Von dieser Art sind besonders wichtig die
Klänge der Streichinstrumente, ferner die meisten Zungenpfeifen, Oboe, Fagott,
Physharmonika, die menschliche Stimme. Die rauhern, schmetternden Klänge
der Blechinsti'umente sind ausserordentlich durchdringend und machen deshalb
mehr den Eindruck grösserer Kraft, als ähnliche Klänge von weicherer Klang-
farbe. Sie sind deshalb für sich allein wenig geeignet zur künstlerischen Musik,
aber von grosser Wirkung im Orchester.
Auch über die Funktionen des Ohrs und der Gehörnerven im Besondern
hat der genannte ausgezeichnete Gelehrte die gründlichsten Untersuchungen
angestellt und ist unter Anwendung bereits feststehender Thatsachen zu über-
raschenden Schlussfolgerungen gelangt. Früher war man der Ansicht*), »dass
das Ohr sowohl die Fähigkeit habe, die Zahl der Schwingungen eines Klanges
zu unterscheiden und darnach die Höhe des Tons zu bestimmen, als auch die
Form der Schwingungen, von welcher letzteren die Verschiedenheit der Klang-
farbe abhänge«. Die letztere Behauptung gründet sich nur auf Schlüsse, welche
auf die Exclusion der anderen möglichen Annahme gegründet waren. Da nach-
gewiesen werden konnte, dass gleiche Höhe zweier Töne durchaus gleiche Zahl
der Schwingungen erfordern, da ferner die Stärke des Tones sichtlich von der
Stärke der Schwingungen abhing, so musste die Klangfarbe von etwas anderm
als von der Zahl und Stärke der Schwingungen abhängen. Es blieb nur die
Form der Schwingungen. Wir können nun diese Ansicht noch genauer be-
stimmen. Die Versuche ergaben, dass Wellen von sehr verschiedener Form
gleiche Klangfarben haben können, und zwar existiren in jedem Falle (den
einzelnen Ton ausgenommen) unendlich viele verschiedene Wellenformen dieser
Art, da jede Aenderung des Phasenunterschiedes die Form verändert, ohne den
Klang zu ändern. Entscheidend ist nur, ob die Luftschwingungen, welche das
Ohr treffen, wenn sie in eine Summe einfacher pendelartiger Schwingungen
zerlegt gedacht werden, die gleichen einfachen Schwingungen in gleicher Stärke
geben. Das Ohr unterscheidet also nicht die verschiedene Form der Wellen
an sich genommen, wie das Auge Bilder der verschiedenen Schwingungsformen
unterscheiden kann, das Ohr zerlegt vielmehr die Wellenformen nach einem
bestimmten Gesetze in einfachere Bestandtheile, es empfindet diese einfachen
Bestandtheile einzeln als harmonische Töne; es kann sie bei gehörig geschulter
Aufmerksamkeit einzeln zum Bewusstsein bringen, und es unterscheidet als
verschiedene Klangfarben nur verschiedene Zusammensetzungen aus diesen ein-
fachen Empfindungen. Der Artikel Ohr bringt das Nähere über Einrichtung
*) Daselbst pag. 196.
246 Tonempfindung.
derselben und den Antheil, den die einzelnen Theile desselben an der Ton-
empfindung nehmen. Aus diesen Wabrnehmungen zieht nun Helmholtz die
Schlüsse: 1) dass verschiedene Theile des Ohrs durch verschieden hohe Töne in
Schwingung versetzt werden, und diese Töne empfinden; 2) dass ein einfacher,
dem Ohre zugeleiteter Ton die Cortischen Fasern, die mit ihm ganz, oder nahehin
im Einklänge sind, stark erregt werden, alle andern schwach oder gar nicht,
dass also 3) jeder Ton von bestimmter Höhe nur durch gewisse Nervenfasern
empfunden werde und verschieden hohe Töne auch verschiedene Nervenfasern
erregen; dass 4) wenn ein zusammengesetzter Klang oder ein Accord dem Ohre
zugeleitet wird, alle diejenigen elastischen Gebilde erregt werden, deren Tonhöhe
den verschiedenen in der Klangmasse enthaltenen einzelnen Tönen entspricht, so
dass bei gehörig gerichteter Aufmerksamkeit alle die einzelnen Empfindungen
der einzelnen einfachen Töne auch einzeln wahrgenommen werden können. Der
Accord wird darnach in seine einzelnen Klänge, der Klang in seine einzelnen
harmonischen Töne zerlegt werden müssen. Auf diese Verschiedenheit der
empfindenden Nervenfasern ist endlich auch nicht nur die Tonhöhe, sondern auch
die Klangfarbe zurückzuführen.
Erscheint demnach die Tonempfindung als erste Voraussetzung für die
Existenz eines Musikstücks, weil nur daraus überhaupt erst das Material ge-
wonnen wird, aus dem es zu construiren ist, so hat es doch nicht auch weiterhin
noch die Bedeutung, welche ihm die Physiologen und namentlich Helmholtz
zuschreiben. Die Hörorgane vermitteln die Empfindung des Tons und Klangs
und damit natürlich das Kunstwerk, allein doch aber nur in seinem materia-
listischen Theil. Schon für die Unterscheidung der Töne und Klänge tritt der
vom Gehör geschiedene Intellekt ein, und dieser ist ausschliesslich thätig, wenn
es sich um Erkenntniss der Tonformen und des sie erzeugenden Inhalts handelt.
Man kann namentlich in unserer Zeit, für welche das Kunstwerk vielfach nur
in seiner augenblicklichen Wirkung Bedeutung hat, nicht energisch genug
darauf hinweisen, dass ein Musikstück durch seine Wirkung auf die Tonem-
pfindung nur seinen alleruntersten Zweck oder eigentlich noch keinen Zweck
erreicht hat. Diese Wirkung üben Ton und Klang ohne jegliche künstlerische
Absicht. Es ist das Elementarische der Musik die Bewegung, was wirkt, wenn
auch die Wirkung selbst schon eine mehr ideale ist, weil sie gegenstandslos
ist. Diese Naturgewalt des Tons wird durch das künstlerische Schaffen nicht
aufgehoben, sondern sie bildet vielmehr die Grundlage desselben. Wenn auch,
wie wir bereits erwähnten, der Künstler zunächst mit dem abstrakten Ton
operirt, so haben doch die Tonfiguren nur Bedeutung für ihn, als sie zugleich
auch Klangfiguren sind, und nur so weit es ihm gelingt, diese Naturgewalt
sich und seinen Ideen dienstbar zu machen, kommt das von ihm innerlich An-
geschaute auch wirklich im Kunstwerk zur Erscheinung. Darauf beruht das
höhere, das sittliche Interesse, welches der gebildete Geist beim Genuss der
Musik empfindet, dass er nicht nur die Töne hört, dass er nicht nur die, in
ihnen waltende Naturgewalt auf sich wirken lässt, sondern dass ihm durch die
Besonderheit des Waltens auch das Bewusstsein von der Idee vermittelt wird,
unter deren Einfluss das betrefi'ende Kunstwerk entstand, welche sich in ihm
verkörperte. Das Ohr empfindet die hohen und die tiefen Töne als solche,
ebenso die rauhen Klänge und die weichen, die starken und die schwachen,
aber zur speciellen Scheidung und Messung reicht es schon nicht mehr aus.
Hm die Töne und Intervalle festzustellen, nach ihren künstlerisch verwendbaren
Verhältnissen zu bestimmen und einzuordnen, müssen schon die höhern Mächte
des Geistes hinzugezogen werden. Bereits bei der Bildung der Tonleitern und
Tonsysteme finden wir sie in ausgedehntem Maasse thätig, und wenn auch bei
der harmonischen Ausgestaltung der Systeme dann wieder die Tonempfindung,
namentlich bei der Scheidung der Consonanzen und Dissonanzen in den Vorder-
grund tritt, ebenso wie bei dem, den einzelnen ausführenden Organen zuzumessen-
den Antheil am Kunstwerk, so wirken doch auch hier jene amiern nicht weniger
Tonentfemung — Tongeschlecht. 247
energisch mit, denn auch der höhere oder geringere Wohlkang wird ja nicht
weniger nach rein aesthetischen, als nach Rücksichten auf die blosse Tonem-
pfindung bemessen. Die rein formelle Gestaltung aber, die immer erst das
Kunstwerk bedingt, erfolgt, wie in den betreffenden Ai-tikeln gezeigt worden
ist, nach vorwiegend andern Gesichtspunkten. Die Tonempfindung macht eben
nur fähig, das Material als solches aufzufassen, sie ermöglicht die weiteren
Untersuchungen zur Ei'griindung der Gesetze für die künstlerische Verwendung
desselben, aber für diese selbst, für die Anordnung des Materials zu künstle-
rischen Formen vermag sie dann wenig zu thun. Diese ist eben Sache des
schaffenden Genius und wendet sich an die gesammte Geistigkeit des Menschen,
nicht nur an sein Tonempfinden. Diese wird von da ab eben nur Yermittlerin
des Kunstwerks, wie die andern Sinne für die andern Künste. Am augen-
scheinlichsten ist dies bei dem am schlagendsten wirkenden Mittel der Dar-
stellung, dem Rhythmus der Fall, dessen höhere Anordnung durchaus idealen
Zwecken dient. Um die Tonfolge dann zur ausdrucksvollen Melodie zu
gestalten und die Accord folge zur nicht nur klang- und reizvollen, sondern
auch formvollendeten, einen idealen Inhalt darstellenden Harmonik zu machen,
müssen, wie an den betreffenden Orten nachgewiesen ist, auch andere Principien
waltend werden, als die der Tonempfindung. Dies ist selbst bei der Vertheilung
an die ausführenden Organe, bei welcher doch das Element des Klanges vorwie-
gend Berücksichtigung findet, der Fall. Auch bei der Auswahl des speci-
fischen Klanges dürfen die ästhetischen Principien des Kunstwerks nicht ausser
Acht bleiben.
Tonentfernung, s. v. a. Intervall.
Tonfall heisst bei der gesungenen Melodie, ebenso bei der Rede, das
Sinken der Stimme nach der tiefern Lage. Im weitern Sinne gebraucht man
diese Bezeichnung wohl überhaupt für den tonischen Verlauf einer Melodie
oder auch der Rede und spricht von einem Tonfall derselben, wo man doch
den Gang derselben meint. Wörtlich genommen kann es natürlich nur ein
»Fallen des Tons«, also ein Sinken der Stimme bezeichnen und da man dies
in der Regel nach dem Schluss zu anwendet, bezeichnet man auch wohl diesen
damit (s. d,).
Tonfarbe, s. v. a. Klangfarbe, Timbre (s. d.).
Tonfolge, das stufen- oder sprungweise Fortschreiten von einem Tone
zum andern.
Tonftthrung, Tongang, Tonfortschreitung, der Gang der Melodie (s.d.),
und auch der Harmonie, der Modulation (s. d.).
Tonfnge (Fuge im Ton) nannten ältere Tonlehrer eine, in einer Kirchen-
tonart gesetzte Fuge, deren Thema und Antwort nicht die Grenze einer Octave
überschritten (s. Tonale Fuge).
Tonfuss, s. Versfuss.
Tongepräge nennt man die Eigenthümlichkeit des Klanges, welche dieser
durch die Besonderheit des Materials, aus welchem das betreffende Instrument
gearbeitet ist, gewinnt. Eine Voigtländer Geige ist nach denselben Regeln
im grossen Ganzen gebaut, wie eine italienische, aber das andere Holz, aus
dem sie verfertigt ist, giebt ihr ein anderes Tongepräge. Die hölzernen
Orgelpfeifen gewinnen ebenfalls ein anderes Tongepräge wie die aus Metall
gefertigten.
Tongeschlecht, oder eigentlich Klanggeschlecht, nannte Aristoxenus die
Ordnung, in welche er gewisse Töne nach ihrer nähern oder entferntem Ver-
wandtschaft brachte. Indem er das Tetrachord in 30 Theile zerlegte, wovon
12 auf einen ganzen, 6 auf einen halben Ton kamen, construirte er dann
folgende Klanggeschlechter:
6
9
15
6
12
12
4
4
22
4,5
4,5
21
6
6
18
3
3
24
248 Tongrenzen — Tonika.
Abtheilung des Tetracliords. Name des Klanggeschlechts. Tonstufen.
Weich diatonisch Y^ — ^A"*/*
Syntonisch diatonisch ^j^ — l — 1
Weich chromatisch ^Js — ^js — ^/a + ^Ja
Fünfthalb chromatisch ^Js — ^Js — Vji
Tonisch chromatisch ^/2 — '/z — ^/z
Euharmonisch ^ji — ^4 — 2
Die griechischen Theoretiker in den ersten Jahrhunderten vor und nach Christus
unterscheiden nur drei Klanggeschlechter: das diatonische, chromatische
und enharmonische, die sich durch die Eintheilung des durch die beiden
feststehenden Töne begrenzten Tetrachords unterscheiden (s. Griechische
Musik, System u. s. w.). Wir verbinden mit den Bezeichnungen: diatonisch,
chromatisch und enharmonisch bekanntlich andere Begriffe (s. d.) und
unterscheiden gegenwärtig nur zwei Greschlechter: Dur und Moll, die in je
12 Tonarten dargestellt werden (s. d.).
Tongrenzen, diese werden durch das Vermögen des Ohrs: die langsamsten
und die raschesten Schwingungen eines klingenden Körpers als Ton aufzufassen
bestimmt. Diese sind natürlich für verschiedene Ohren auch verschieden.
Während die meisten Akustiker als äusserste Grenzen 32 und 16,384 Schwin-
gungen annahmen, gingen andere weit darüber hinaus (vergl. Ton).
Tonhöhe, ital.: Acutezza, ist die, durch Vermehrung der Luftschwingungen
erzeugte Veränderung des Tons.
Tonika (Nota finales, principalis), franz. Tonique, der Grundton der
Tonleiter und dem entsprechend der Tonart, ist als solcher der ohnstreitig
wichtigste Ton derselben. Die Bewegung der Tonleiter geht von ihm aus
und kehrt zu ihm zur Ruhe zurück; er bestimmt den Verlauf und, wie im
Artikel Tonart nachgewiesen ist, auch damit in gewissem Grade den Charakter
der Tonleiter und Tonart. Weiterhin wird die Tonika für die melodische
Ordnung von Bedeutung, als sie die Möglichkeit gewährt, unter reichster Ent-
faltung aller seiner Mittel, der Darstellung doch die grösste und vollständigste
Einheit der Stimmung zu wahren. Wie weit sich auch der melodische Gang
im Verlauf von ihr entfernt, indem er zum Schluss wieder auf die Tonika
zurückkehrt, ist die Einheit doch vollständig gewahrt. Wie sie weiterhin in
ihrem Verhältniss zur Dominant und zur Unter dominant formbildend wird,
ist an verschiedenen Stellen gezeigt worden. Tonika und Dominant sind
die Angelpunkte der Tonleiter und der Tonart, und wie diese sich auf jene
stützen, so auch alle Formen und wie aus der Gegenwirkung von Dominant
und Tonika die Tonleiter entsteht, so auch die Formen. Bedeutsamer noch
wird die Tonika und dem entsprechend auch die Dominant für den Harmo-
nisationsprocess; durch ihn werden noch viel reichere Mittel der Darstellung
gewonnen, und diese zu gruppiren und anzuordnen, erweist sich die Tonika
und erweisen sich Dominant und Tonika in ihrem gegenseitigen Vei-hält-
niss noch bedeutsamer. In den betreffenden Artikeln ist nachgewiesen worden,
wie mit Feststellung dieser Angelpunkte der Tonart es zunächst erst gelingt,
das strophische Versgefüge musikalisch nachzubilden und damit die rechte Form
für das Lied zu gewinnen, und wie daraus weiterhin die Möglichkeit sich ergiebt,
unter treuer Wahrung dieser Angelpunkte doch den reichsten harmonischen
Apparat zur individuellen Ausgestaltung des Liedes zu gewinnen, ohne die
knappe Form desselben zu zerstören. Weiterhin wurde nachgewiesen, dass aus
diesem Harmonisationsprocess, der sich namentlich innerhalb und mit Hülfe
dieses Verhältnisses von Tonika und Dominant vollzieht, die Instrumental-
formen: die Sonate, Ouvertüre und Sinfonie hervortreiben und dass es
wiederum gelingt, diese Formen in reichster Fülle und Pracht auszustatten
und in der Tonika doch die Einheit zu wahren. Daher heisst die Tonika auch
mit Recht Nota principalis: Hauptnote. Nota finalis heisst sie, weil mit ihr
in der Eegel auch der vollkommene Schluss gemacht wurde.
der Dreiklang auf der Tonika.
Toni ficti — Tonleiter. 249
Toui flcti, tuoni trasportati, heissen die versetzten Töne im System
der alten Earclientonarten (s. Tonart, System).
Tonisch lieisst alles, was zur Tonika in direktem Bezüge steht.
Toniseber Accord
Tonischer Dreiklaugr
Tonische Harmonie
Touiui, Bernardo, Instrumentalcomponist von Verona, ungefähr 1668
geboren, von dem die nachgenannten gedruckten Compositionen bekannt sind:
nSonate a violini e B. O.«, op. 1 (Venedig, 1693). ^Sonate da cliiesa a tre, due
violini et organo con Violoncello ad lihitumvi, op. 2 (Venedig, 1695, in 4°; zweite
Ausgabe, Amsterdam, bei Roger, ohne Datum). y>Balletti da camera a violino,
spinetto o violone«, op. 3 (Venedig, 1697, partitura in 4" obl.; zweite Ausgabe
ebenfalls Amsterdam). »Sonate a 2 violini, Violoncello e continuo<s., op. 4.
Toukunde, die Kunde oder Wissenschaft vom Ton, umfasst alles, was
vom Ton und den Tönen zu wissen möglich und nothwendig ist. Sie unter-
sucht die Art und die Mittel seiner Erzeugung, wie die Eigenart seiner Wir-
kung als Akustik, und stellt durch die genauesten Messungen und Berech-
nungen das Verhältniss der Töne unter einander fest als Canonik. Sie sucht
weiterhin die allgemeinen Gesetze zu ergründen, für die Kunstgestaltung über-
haupt und für die Tonkunst im Besondern als Aesthetik der Tonkunst
und zeigt dann deren specielle Anwendung auf das musikalische Kunstwerk,
als: Tonsetzkunst, Theorie oder Compositionslehre, die wiederum in
die einzelnen Zweige, die Lehre von der Harmonik, von der Melodik
und der Rhythmik, vom Contrapunkt und der Formenlehre und die
Instrumentationslehre zerfallen. Im Grunde gehören dann weiterhin auch
die Unterweisungen im Gesänge und im Instrumentenspiel, die Lehre
vom Vortrage und vom Instrumentenbau hierher, vor Allem aber auch die
»Geschichte der Musik«, welche in gewissem Sinne alle diese Disciplinen
verbindet. Die
Tonkunst dagegen umfasst die praktische Anwendung all dieser Unter-
weisungen im Kunstwerk; sie bezeichnet ein Können, die Fähigkeit in Tönen
ein Kunstwerk aufzubauen. Sie ist geschieden in die selbstschöpferische
und in die ausübende. Jene lässt das Kunstwerk in an sich stummen Zeichen,
den Noten erstehen. Der schaffende Künstler bestimmt genau, welche Töne
und Klänge und in welcher Ordnung und Weise er sie verwendet wissen will,
aber er thut dies in Zeichen, die noch nicht schon Musik, noch nicht Töne
sind. Diese Zeichen in Töne zu übersetzen ist der ausübenden Tonkunst
übertragen; indem sie getreu nach den Vorschriften des schaffenden Künstlers
die Noten zu Tönen macht, bringt sie erst das Kunstwerk zu lebendiger
Darstellung.
Toukiinstler heisst der Künstler, welcher die Tonkunst zu seinem Lebens-
beruf erwählt hat. So wie die Musik nicht immer auch Tonkunst genannt
werden kann, so verdienen auch nicht alle Musiker den Namen Tonkünstler.
Erst wenn die Musik einen wirklich bedeutsamen Inhalt in echt künstlerischer
Form darlegt, wird sie zur Tonkunst und nur wer dieser letzteren erfolgreich
dient, ist ein Tonkünstler zu nennen. So lange die Musik nur niedern
Zwecken dient, wie meist die Tanz- und die Unterhaltungsmusik im
Salon, Concert und selbst im Theater ist sie eben nicht Tonkunst und
der Musiker, der die gleichen Zwecke verfolgt, ist kein Tonkünstler. Die
höheren Ziele erst und die entsprechenden Fähigkeiten und Fertigkeiten machen
den Tonkünstler und erheben die Musik zur Kunst. Im andern Falle bleibt
die Musik Handwerk, die als solches ihre Berechtigung, aber nur niedere
Bedeutung behält.
Tonleiter, ital.: Scala, franz.: Gamme, engl.: Scala, Gamiit, heisst be-
kanntlich die stufenweis geordnete Folge der Töne innerhalb einer Octave.
Gegenwärtig unterscheiden wir zunächst zwei Arten, die diatonische, welche
250 Tonleiter.
aus fünf Ganztönen und zwei Halbtönen besteht und die chromatische,
welche aus lauter Halbtönen zusammengesetzt ist. Eine dritte Art, die en-
harmonische:
|z;;^^.^„^.-^,=^^^=j^3SEg':^-^-M-3i^l
gewinnt bei unseren temperirten Instrumenten nur selten joraktische Anwendung,
wohl aber Bedeutung für die Orthographie (s.d.). Im Artikel System ist
nachgewiesen, weshalb die moderne Musik die diatonische Tonleiter zur
Grundlage ihres Schaffens macht, wenn sie auch die Töne und Tonarten
der chromatischen sämmtlich verwendet. Dort iet auch nachgewiesen, dass wir
die diatonische Tonleiter in zwei Arten verwenden, als Durtonleiter und
und als Molltonleiter, und wir kommen noch später darauf zurück.
Die wahrscheinliche Entstehung der Tonleiter wurde bereits angedeutet:
sie erschien dort als das ganz natürliche Produkt der fortgesetzten Theilung
der weiten Intervalle: zunächst wurde die Octave ausgeschieden, deren Theilung
ergab die Quint und im weitern Verlauf die Quart, die Theilung der
Quint führte dann ebenso folgerichtig auf die Terz und deren Theilung
dann zur Secunde. Einzelne Völker scheinen den Versuch der Theilung der
kleinen Terz nicht gewagt zu haben, so dass sie diese als einheitliches
Intervall betrachten und nur eine unvollständige Tonleiter gewannen, wie die
Chinesen, deren ursjDrüngliche Tonleiter folgende ist:
+
f—g — a — c — d.
In ähnlicher Weise ist die alte gälische Tonleiter construirt:
+ +
c — <?— y — g — h — c
die den meisten alten schottischen und irischen Melodien zu Grunde liegt.
Diese Tonleitern wurden, ebenso wie die unsern, auch von andern Stufen aus
nachgebildet. Auch bei den Griechen war nach glaubwürdigen Zeugnissen die
Tonleiter in den frühesten Zeiten der Entwickelung noch lückenhaft. So wird
von Terpander berichtet, dass er die alte viersaitige Lyra durch drei neue be-
reicherte. Die Stimmung derselben war nach Ottfried Müller*):
P
und Nicomachus giebt die vorpythagoräische Tonleiter in dorischer Stim-
mung so an:
I
In beiden fehlt demnach der Ton h. Wie durch die weitere Theilung der
Intervalle des Tetrachords dann die verschiedenen Systeme entstanden, indem
der Zwischenraum zwischen den Endpunkten desselben mit verschiedenen Inter-
vallen ausgefüllt wurde, ist im Artikel System nachzulesen. Dort ist auch
gezeigt worden, dass auch, als die griechische Tonleiter vervollständigt war,
die griechische Praxis vorwiegend am Tetrachord festhielt. Die achttönige Ton-
leiter war zumeist bei den Instrumenten in Anwendung. In der Regel wurde,
während der Blüthezeit griechischer Kunst, der Gesang mit achtsaitigen Lyren
begleitet, deren Stimmung und Umfang wohl unzweifelhaft einer der Tonleitern
entsprach, welche innerhalb einer Octave gebildet werden konnten. Es sind
dies folgende:
1) die lydische: c—d — e— jT— ^ — a — h — c.
2) die phrygische: d — e—f — g — « — h — c — d.
*) „Geschichte der griechischen Literatur", 2. Aufl., Bd. I, p. 270.
Tonleiter. 251
3) die dorische: e—f — g — a — h—c — d — e.
4) die hypolydische: y— y — «5 — li — c — d—e—f.
(syutonolj'dische)
5) die hypophrygische: g — a — Ji — c — d — G—f — 5'-
(jouisclie)
6) die hypodorische: a — % — c — d — ß—f—g — o.
(aeolische oder lokrische)
7) die mixolydische: h~c — d — ß—f — g — a — Ji.
Die unterscheidenden Merkmale dieser Tonarten treten noch deutlicher heraus,
wenn mau sie, wie dies zur Blüthezeit griechischer Kunst gleichfalls geschah,
innerhalb derselben Octave construirt:
Lydisch: c — d — e—f—g—a — h — c.
+
Jonisch: c — d — e— /" — g — a — h — c.
+ +
Phrygisch: c — d—es—f — g — a — h — c.
+ + + .
Aeolisch: c — d — es^f—g — as — h — c.
+ + + +
Dorisch: c — des — es—f—g — as — h — e.
+ + + + +
f Mixolydisch: c — des — es—f—ges — as — h — c. 1
\ Syntonolydisch: c — d — e—fis — g — a — li — c. ]
Die spätere griechische auf 19 Töne erweiterte Tonleiter, die Euclides im
dritten Jahrhundert zuerst erwähnt (s. System), gewann durchaus nicht die
Bedeutung einer Tonleiter im oben bezeichneten Sinn; sie war nur eine Zu-
sammenstellung aller damals gebrauchten diatonischen Töne und ihre Eintheilung
in die verschiedenen Tetrachorde (s. d. und System): hypaton, meson, diezeug-
menon, hgperholaion und synemmenon beweist am besten ihre nur stückweise
Verwendung beim Gesänge. lieber die weitere Verwendung dieser Scala, wie
der verzeichneten Octavengattungen bringt der Artikel Grriechische Musik
das Nähere.
Ganz ähnlich sind die persisch-arabischen Tonleitern construirt, wovon uns
Kiesewetter*) Nachricht giebt. Die arabischen Tonleitern ergaben sich nach
den Vorschriften des Abdul Kadir durch eine Reihe von 16 Quintenschritten,
die, wenn wir O als tiefste Stufe annehmen, in unserer Weise sich folgender-
maassen darstellen:
1) Uschak: C-B-E-F-G- A-B-C.
2) Newa: G-B -Es-F- G-As-B-C.
3) Buselik: G-Bes—Fs-F—Ges-As—B-G.
Diese drei entsprechen vollständig der 1) hj^pophrygischen, 2) hypodorischen
und 3) mixolydischen Tonleiter nach der pythagoräischen Stimmungsweise. Die
darauf folgenden fünf Tonarten, welche die natürliche Stimmung zeigen, sind:
4) Rast: G—B—e—F~G—a—B—G.
5) Husseini: G—d—Fs—F—g—As—B—G.
6) Hidschaf: G—d~Fs—F—g—a—B—G.
7) Rehawi: G—d—e—F—g — As—B—G.
8) Sengule: G—B—e-F—g—a—B—G.
Die vier letzten enthalten je acht Tonstufen.
9) Irak: G—d—e—F—g—a — B—c—G.
10) Ifzfahan: G—B—e—F—G—a—B—c—G.
Diese um eine Quart transponirt ergeben:
11) Büsürg: C—B-e—F-g-G—A-h—G.
Die letzte ist die Tonleiter:
12) Zirefkend: G—d—Es—F—g—As—a—'k — G.
*) „Die Musik der Araber nach Originalquellen dargestellt", Leipzig, 1842.
252 Tonleiter.
Als Hauptonarten werden:
1) Uschak: C—B-I^—F-G—A—B-a
2) Rast: C—B—e—f—G—a-B—C.
3) Hussein!: C — d — JEs—f — g — As — B — O und
4) Hidschaf: 0-d—Es—F—g-a—B—G.
bezeichnet.
Alle diese abweichenden Tonleitern sind in der Natur begründet und mehr
oder weniger günstig in der Praxis anzuwenden. Damit ist aber zugleich be-
wiesen, dass es keine von der Natur direkt vorgezeichnete Anordnung der
einzelnen Töne zur Tonleiter giebt. Der menschliche Geist musste diese viel-
mehr erst aufsuchen und feststellen. Dabei kommt ihm, wie wir zeigten, die
Natur fortwährend zu Hülfe, aber die Verwendung der, von der Natur vorge-
zeichneten Verhältnisse bleibt dem schöpferischen Menschengeiste überlassen
und er ordnet sie durchaus verschieden, nach verschiedenen Bedürfnissen. Dass
auch unsere moderne Tonleiter nach denselben Gresichtspunkten ausgewählt
wurde, ist schon früher angedeutet worden.
Erst durch das Christenthum wurde das Bedürfniss lebendig, mit dem
Tone zu fox'men, ihn so zum Material zu machen, aus dem Formen gebildet
werden, wie mit Stein, Metall, mit Licht und Farbe. Die vorchristlichen Völker
kamen nicht über die Experimente mit Ton und Klang hinaus. Sie waren
unablässig bemüht, die Natur beider zu untersuchen, Tonsysteme zu begründen,
um dann mit Hülfe derselben ihrer Sprache Form und Klang zu geben oder
mit Klang und Ton die äusserlichen Bewegungen Einzelner und ganzer Massen
zu regeln und zu leiten. Das Christenthum erst machte den Ton zum Bau-
stein, aus dem es künstliche Formen bildete, in welchen eine bestimmte Idee
zur Anschauung gelangte. Es hob daher aus der Reihe von Tonarten zunächst
jene vier authentischen heraus, welche die Möglichkeit gaben, eine Melodie zu
formen, die in ihrem Verlaufe die Strophe nachbildete. Unter der rastlosen
Arbeit der weitern Entwickelung des mehrstimmigen Gesanges und der dadurch
bewirkten harmonischen Ausgestaltung des Systems der Kirchentonarten, ging
dann dies Princip der Formgestaltung allmälig verloren und erst im Volksliede
brach es wieder mächtig empor. Die Volksmelodie will nicht nur die Textes-
worte illustriren, sondern sie will der Stimmung, aus welcher Text und Melodie
hervortreiben, selbständige musikalische Formen geben, und das kann sie nur,
indem sie die Strophe nachbildet, die Verszeile respektirt und diese ebenso
unter sich in Correspondenz setzt, wie diese durch den Reim unter sich in
Verbindung gebracht sind. Das aber Hess durchgreifend nur die eine Tonleiter
des alten Kirchensystems zu, die jonische, weil, wie unter Tonart und
System gezeigt ist, diese in ihrer Gliederung diese Möglichkeit der musika-
lischen Formgebung gewährt. Sie macht Tonika, Dominant und Unter-
dominant zu Angelpunkten der Tonleiter und dem entsprechend auch zur
Tonart und dass auf diesem Verhältniss überhaupt alle Formgestaltung beruht,
konnten wir vielfach nachweisen. Hauptsächlich beruht auch auf ihr die ganze
Construktion der Instrumentalformen, die ohne sie nicht denkbar sind. Diese
aber herauszubilden, hatte sich die moderne Musikpraxis seit dem 17. Jahr-
hundert zum Hauptziel gesetzt und so sehen wir denn seitdem die Tonarten
und Tonleitern des alten Systems allmälig zurück und an ihre Stelle die des
modernen Systems treten, welches die jonische von C zur Noi'maltonleiter macht,
die sie dann ganz treu von den anderen Stufen der chromatischen oder besser
enharmonischen Tonleiter an nachbildet. Sie construirt ebenso eine Tonleiter
von Cis wie von Des, von Dis wie von -Es, von Fis wie von Ges, von Gis wie
von Äs und selbst von Ais wie von B. "Wir mussten diesen ganzen Formations-
process schon im Artikel Tonart bringen und können deshalb hier darauf
verweisen. Dort wurde auch schon das Verhältniss der Dur- und Molltonleiter
zu einander erörtert und es erübrigt hier nur noch zu zeigen, dass auch der
Formationsprocess der Molltonleitern genau dem der Durtonleitern entspricht:
Dur.
Des.
Tonleiter.
Es.
253
F.
<
^
=S
Lti±:±
Ges.
Moll.
As.
B.
B.
C.
D.
^
Es.
G.
G.
A.
H.
:|i^^^^i^^e^^li^iü^i
c.
D.
E.
Eis.
E.
Eis.
Gis.
^
^^.^^^^-_^^^.^^,^^_^^^_
f^^^4Ki---^-f^^t^H--^P^l^«-^-^^
A.
H.
Cis.
Cis
Dis.
^0«=^
:fi-M^
J:?ijM^
Ais.
»._M-^^?^^=^
g^Bi=^
Für die absolute Tonhöhe der Scala wird von den deutschen Physikern
•grösstentheils die von Scheibler gegebene und von der deutschen Naturforscher-
Versammlung im Jahre 1834 angenommene Bestimmung festgehalten, dass
das a^ in der Secunde 440 Schwingungen macht. Darnach ergiebt sich für die
C-c?Mr- Tonleiter folgende Tabelle:
Noten
Contra-
Octave
Grosse
Octave
Kleine
Octave
Einge-
strichene
Octave
Zweige-
strichene
Octave
Dreige-
strichene
Octave
Vierge-
strichene
Octave
C^S
C-S
c — h
ci-/ii
c2-Ä3
c3-P
C*-/i4
C
33
66
132
264
528
1056
2112
D
37,125
74,25
148,5
297
584
1188
2376
E
41,25
82,5
165
330
660
1320
2640
F
44
88
176
352
704
1408
2816
G
49,5
99
198
396
792
1584
3168
A
55
110
220
440
880
1760
3520
H
61,875
123,75
247,5
495
990
1980
3960
TJeber die abweichenden Stimmungen siehe den Artikel Nor malton.
254
Tonleiterübung
Tonmalerei.
Tonleiterübung'. Die Uebuug der Tonleitern ist für alle Instrumente ebenso
unerlässlicli, wie für den Gesang, weil nur wenig Studien noch die technische
Fertigkeit so zu fördern vermögen, wie gerade sie. Beim Gesänge ist die
Tonleiter die hauptsächlichste Uebung, um einen guten Tonansatz zu erreichen
und zugleich die Register auszugleichen, überhaupt auf allen Vocalen eine
gleichmässige Tonbildung sich anzueignen. Sie wird zu diesem Behufe in länger
gehaltenen, getrageneu Tönen ausgeführt. Und zwar dürfte die diatonische
Tonleiter der chromatischen vorzuziehen sein. Es erscheint viel zweckmässiger,
um auch diese doch zu üben, die diatonische Tonleiter immer einen halben Ton
höher einzusetzen:
Uebergang.
i
-[,C5-^
-ss~
I
~4^^-
=^
i2öl|ti
-^Ö=|75
Uebergang.
m
P
=^ö^
u. s. w.
Auch zu Uebungen für die Kehlfertigkeit ist sie vortrefflich zu verwenden.
Nicht minder bedeutungsvoll werden die Tonleiterübungen für das Ciavier-
spiel. Gleichmässiger Anschlag und Fingerfertigkeit werden dadurch gebildet
und die Uebungen in Terzen und Sexten und vor allem mit Tonleitern in
entgegengesetzter Richtung:
'^^ß
befördern die Selbständigkeit der Finger und der Hände ausserordentlich. Daher
bilden denn auch die Tonleiterstudien in den Ciavierschulen einen wichtigen
Theil, ebenso wie in den Etüden von Cramer, Clementi, Czerny, Ber-
tini u. A. Auch für das Violinspiel, wie überhaupt für das Spielen der
Streichinstrumente sind die Tonleiterstudien die hauptsächlichsten Uebungen,
schon weil sie die Grundlage für die gesammte Applicatur bei diesen Instru-
menten bilden, und weil an ihnen zugleich Fertigkeit und Bogenführung zu
üben ist. Nicht weniger Bedeutung gewinnen sie endlich auch für die Rohr-
blasinstrumente, da an ihnen der Gebrauch der Klappen systematisch zu üben
und zugleich die Register auszugleichen sind.
Toulöcher heissen die Löcher im Rohr der Holzblasinstrumente, mit
deren Hülfe die Töne von verschiedener Höhe hervorgebracht werden. Es sind
Oeffnungen, die an den Seiten (vorn und hinten) im Rohr angebracht und ent-
weder mit Klappen versehen sind oder mit den Fingern geschlossen und wieder
geöffnet werden können. Mit Hülfe derselben ist die vollständige chromatische
Tonleiter meist durch mehrere Octaven auf diesen Instrumenten zu erzeugen
(s. Pfeife). Von den Messinginstrumenten ist das darnach benannte
Klappen- oder Kenth-Horn mit Tonlöchern und Klappen versehen.
Toumaasä heisst ein, von Abt Vogler erfundenes achtsaitiges, dem Monochord
ähnliches Instrument, zur "Wahrnehmung der mathematischen Tonverhältnisse.
Tonmalerei nennen wir die malende Schilderung äusserer Vorgänge durch
Töne. Es ist dies allerdings zunächst nicht Aufgabe der Musik; als Kunst
der Innerlichkeit soll sie nur dem Ausdruck derselben dienen. Allein diese
selbst wird so stark von der Aussenwelt beeinflusst, sie ragt so bedeutsam in
die Phantasie, die eigentliche Geburtsstätte des Kunstwerks hinein, dass sie
auch häufig einen ganz wesentlichen Antheil an der Gestaltung desselben nehmen
muss. Die "Welt der Wirklichkeit, durch welche bekanntlich die Phantasie die
mächtigste Anregung zum Bilden und Schaffen erhält, ist so mit natürlichem
Tonmalerei.
255
Sang und Klang erfüllt, dass beide sich auch dem Kunstwerk aufprägen, welches
der so angeregten Phantasie entstammt. Wenn es auch als irrig bezeichnet
werden muss, dass die Musik eine Nachahmung des Singens und Klingens in
der Natur ist, so ist doch nicht abzuleugnen, dass dies vielfach auf die Ent-
wickelung der Musik einflussreich wurde. Es ist falsch, dass die Menschen
von den Vögeln das Singen erlernten, denn sie folgten dabei ebenso dem natür-
lichen Triebe wie diese, und sie wurden ebenso durch einen natürlichen Orga-
nismus dazu befähigt. Aber ohne Einfluss konnten alle die, in der Natur laut
werdenden Stimmen, könnte das Rollen des Donners, das Säuseln des Windes,
das Rauschen des Wassers auf die Entwickelung des Gesanges und die Musik
nicht bleiben. Wenn schon die äussere Umgebung, wenn klimatische Einflüsse,
wenn Bodenbeschaffenheit und die dadurch bedingte Beschäftigung auf Laut-
und Sjirachbildung von Einfluss werden, so mussten es die wirklichen Musik-
elemente, welche in der Natur als solche schon vorhanden sind, erst recht und
sie fanden auch ganz direkt Eingang in die künstlerischen Aeusserungen auf
diesem Gebiete. Es ist dies schon am Volksliede und den mehr instinktmässig
sich äussernden Regungen des künstlerisch schaffenden Menschengeistes nach-
zuweisen. Selbst von jenen geistlichen Sängern, die gern den Sinn der äussern
umgebenden Welt ab- und dem Jenseits zuwandten erfahren wir, dass sie nichts-
destoweniger zu einzelnen ihrer Lieder von aussen angeregt wurden. So wird
von Notker Balbulus erzählt, dass sich in der Nähe seines Klosters eine
Mühle befunden habe, deren Rad nur spärlich vom Wasser getrieben wurde,
was ein eigenthümliches, von gewissen Tönen begleitetes Knarren bewirkte.
Durch diesen Ton fühlte er sich zu der Composition seiner weit berühmten
Prosa: nSanti Spiritus adsit nobis gratiav, in welcher der melodische Schluss
jedes Satzes in der That das langsame Kreisen des Rades nachzuahmen scheint,
angeregt. Zu einer andei'n Sequenz, der noch heute gesungenen -o Media vita
in morte sumusa, wurde er angeregt, als er in eine tiefe Schlucht bei dem
Martinstobel hinabsah, während man sie zu überbrücken im Begrifi" war. Aber
nicht nur in dieser Weise anregend wirkten die in der Natur laut werdenden
Klänge, sondern sie wurden früh auch schon direkt nachgeahmt. Die Nach-
ahmung der Yogelstimmen wird schon in der griechischen Lyrik vielfach ver-
sucht und sie ist auch bis auf den heutigen Tag mit allen Mitteln der mo-
dernen Kunstmusik geübt worden. Besondere Berücksichtigung fand natürlich
der Kuckuck; das beliebte Volkslied: »Der Gutzgauch auf dem Zaune
sass« gab den Contrapunktisten des 16. Jahrhunderts Gelegenheit, den Kuckuck-
ruf als Motiv für die Behandlung der Melodie zu verwenden, wie in folgender
Bearbeitung von Laur. Lemblin (Georg Forster's Sammlung, II, 29):
Sopran I.
^l
ä=
^--
— I— ^-
-■^=^-
:e==S:
-lO-
Sopran II.
iffi:
Guck guck!
Sopran III.
zz 1=
Guck guck!
=|-
^-
Guck guck!
Tenor I.
Guck guck!
Guck guck!
Guck
=rti-
:^:
itn
Guck guck guck guck guck guck
S
zc?!:
-^
hS=
:?5=
Tenor II (Melodie).
Guck
-^—^-
:!i=t:
1 [—-
z^zz:^-.
Bass.
Der Gutzgauch auf dem Zau - ne
sass!
der
:=«s
C3
SE^E
L
256 Tonmalerei.
Scandelli ahmt im vierzehuteu Gesänge seiner: »Newen und lustigen welt-
lichen deutschen Liedlein« (Dresden, 1570) die Stimmen der Hühner
beim Eierlegen nach:
^-
^:
-f::
^-
:itz=:
Ka ka ka ka ka ka ney ka ka ney ka ka ka ka ney.
Nicol. Grombert componirte bereits einen: y>Le chant des oyseauxis. (in Tylman
Susata »Chansons«), in welchem er ein lustiges Vogelconcert giebt, in dem die
Yögel angeredet werden, unter dem fortwahrenden Gesänge derselben: »^»Vj/,
pity<ii, Hititia, •nfrian tulun, Hartartara, -ochoua, nthoy« u. s. w. Nächstdem waren
es Schlachtgemälde und die verwandte Darstellung der Jagd, welche die Contra-
punktisten des 16, Jahrhunderts lebhaft beschäftigten. Auch bei der Bearbei-
tung der Martinslieder Hess man sich selten die Gelegenheit entgehen, das
Gänsegeschrei nachzuahmen. Bei den Jagdliedern aber ahmten die contra-
punktirenden Stimmen mit dem charakterischen Eefrain: »Wuffa oder »Puff«
das, die Jagd begleitende Getöse nach. Diese Weise der Tonmalerei fand in
Clemens Jannequin seiner Zeit die keckste Ausführung und Ausdehnung. Er
begnügt sich nicht damit, nur Lerchengesang (la louette) und Nachtigallenschlag
nachzuahmen, sondern auch das Getöse des Strassenverkehrs und der Schlacht.
In einem motettenartigen Satz (gedruckt in: »Sion gaillardes et six Pavannes
avec treze chansons Musicales a quatre parties par Fierre Attaignant, 1529«)
schildert er den Strassenverkehr in Paris; er charakterisirt die Ausrufe der
verschiedenen Verkäufer: von Fischen, Backwerk, Schuhen u. s. w. und verwendet
sie in einem tollen Durcheinander. In seiner nBataille ou Defaite des
Suisses ä la journee de Marignana, für vier und fünf Singstimmen gesetzt,
wii'd das Anrücken der Truppen, werden Kanonendonner und Kleingewehrfeuer,
Trompetensignale und das ganze Getöse der Schlacht nachgeahmt, bis die
Schweizer mit dem Geschrei »toute frelore higot«. die Elucht ergreifen unter dem
jubelnden Siegesruf der Franzosen: f>Victoire, victoire au noble de roi JFrangoisa,
Tomaso Cimello veröffentlichte eine ^Bataglia vilaneschai zu drei Stimmen
und M. Trojano die y>Bataglia della Gutta e la Cornacchiaa zu fünf Stim-
men (1568). Besonders beliebt aber war die »Battaglia Talianaa von Le
Maistre (1552). In den Schlachtruf der Franzosen: -aCompagnons en avanta
mischt sich das Feldgeschrei der Italiener: y>Viva il duca Mila^ioa, dem dann
später das »O nostre dame, o hon Jesus astour nous sommes tous perdusa der
geschlagenen Franzosen entgegentritt. Selbst die strengen contrapunktischen
Formen wurden zu derartigen Malereien verwendet. Claudio Merulo schrieb
eine Fuge (1600), in der eine lateinische Lection, welche der Lehrer den Schü-
lern giebt, geschildert ist. Sie sollen -nq^ui, quae, qicoda decliniren, stottern und
stocken dabei und kommen aus dem Ton und der Lehrer schreit zankend
dazwischen.
Durch die Instrumentalmusik gewann dieser Zug nach möglichst rea-
listischer Naturmalerei ganz besonders die reichste Nahrung. Diese brachte
noch ganz andere und viel entsprechendere Mittel für Tonmalerei als der Ge-
sang und sie bediente sich ihrer bald in ausgedehntem Maasse. Hierzu gaben
die dramatischen Versuche beim Beginn des 17. Jahrhunderts die nächste und
passendste Gelegenheit. Wenn die Musik bei der Oper einen äussern Vorgang
zu begleiten, oder wenn sie einen solchen im Oratorium mit ersetzen helfen
soll, so wird sie durch diesen Vorgang ganz naturgemäss beeinflusst werden.
Dieser wird in der Phantasie des schaffenden Tondichters eine Musik erzeugen,
welche auch in der Phantasie des Hörers denselben Vorgang entstehen lässt.
Die Musik tritt ja deshalb hinzu mit ihren reichen Mitteln, um die Wirkung
auf den Zuhörer zu erhöhen; sie darf sich demnach keinen Moment entgehen
lassen, diese Aufgabe zu erreichen, und in diesem Sinne ist die Tonmalerei
geboten. Wenn diese betreffenden Vorgänge selbst schon musikalische
Tonmalerei. 257
Momente in sich bergen, wenn sie mit "Waldesrauschen und Bachesrieseln,
mit Heerden- und Grlockenklang, oder mit dem Rollen des Donners,
mit Sturm und Gewitter u. dergl. zusammenhängen, dann ist es um so
leichter der Phantasie zu Hülfe zu kommen und die Tonmalerei ist ganz un-
ahweislich.
In diesem Sinne nun verwendeten sie die dramatischen Componisten schon
seit dem Beginn ihrer selbständigen Ausbildung. Claudio Monteverde
wandte in seinen ersten dramatischen "Werken, seiner »Arianna« (1606), seinem
«Orfeo« (1607) die Instrumente noch vorwiegend zu Tänzen, Sinfonien, Ritor-
nellen an und zwar in Chorweise gehalten. Erst 1624 erschienen die r>Madrigali
guerrieri ed atnorosi«, in denen er, wie er selbst in der Vorrede auseinander-
setzt, die Nachahmung des Zornes instrumental durch Auflösung der ganzen
Noten in Sechzehntheile von Geigen ausgeführt versucht. Er verwendet diese
Begleitung zunächst bei der Composition der 52. bis 68. Stanze des zwölften
Gesanges von Tasso's »Befreitem Jerusalem«. In die Ausführung theilen sich
drei Sänger. Der eine als Erzähler recitirt und die andern beiden stellen die
Kämpfer dar: Chlorinda und Tasso. Die Erzählung wird nun durch die Streich-
instrumente illustrirt. Diese suchen den Kampf und was ihm vorangeht in
ihren Einzelheiten darzustellen. Das Gespräch der Kämpfenden wird dann in
der "Weise des Recitativs gehalten, bis zu den letzten, das Hinscheiden Chlo-
rindens bezeichnenden langgehaltenen Accorden. Arteaga erzählt in seiner
»Geschichte der italienischen Oper« (»Le rivoluzione del teatro musicale italiano
della sua origine sin 'al presetita), dass Milano in seinem Drama: »II Podesta
di Colonialaa sich viel Mühe gab die Stimmen einzelner Thiere durch Instru-
mente nachzuahmen.
In ausgedehnterem Maasse fanden dann derartige Tonmalereien in der
fi-anzösischen Oper seit Lully Verwendung. Die Instrumentalmusik begnügte
sich bei ihr zumeist damit, die äusseren Bewegungen zu verfolgen und die
"\¥irkung der Decorationen zu unterstützen. Lully versuchte schon Stürme zu
malen und die Chöre der Najaden oder Nymphen von denen der Amazonen
und Krieger durch die Begleitung zu unterscheiden. "Ungleich geistvoller und
wirksamer, wie seine Musik überhaupt, werden solche Malereien dann bei Ra-
meau, der sich nicht leicht einen feinen Zug der äussern Darstellung entgehen
lässt, ohne ihn durch seine Mittel zu illustriren. Es ist dies Verfahren nicht
nur vollständig gerechtfertigt, sondern ganz unerlässlich. Diese äussern Vor-
gänge werden freilich scenisch dargestellt, und die Musik hätte nicht nöthig,
dies auch zu thun. Dann kann sie allerdings schweigen. Allein wenn man
einmal überhaupt die Musik zum Drama hinzuzieht, dann darf sie sich auch
solcher Schilderungen nicht entziehen und dass die dramatische "Wirkung da-
durch ganz aussergewöhnlich erhöht wird, bedarf doch gewiss keines weitern
Beweises. Die grossen Meister der dramatischen Musik haben deshalb auch
niemals unterlassen, ihre Musik auch mit dem äusseren Fortgange der Hand-
lung selbst mit der Decoration im Einklänge zu halten. Gluck malt in der
Ouvertüre zur »Iphigenie in Tauris« im Andante die Ruhe des Meeres; ein
Paukenschlag kündigt dann den Sturm an, der allmälig mit aller "Wuth im
Allegro losbricht, dann in der Scene noch forttobt, ohne dass er von den Gebeten
der, auf dem Theater umherirrenden Iphigenia mit ihren Frauen beschwichtigt
wird und erst spät und allmälig sich beruhigt. Von grösserer Bedeutung noch
werden solche Tonmalereien für das Oratorium. Dies verzichtet auf die
äussere Darstellung, und der Tonkunst erwächst daraus häufig die Nothwendig-
keit, diese zu ersetzen. Die weniger bedeutenden Componisten lassen sich
hierbei zu allerlei Geschmacklosigkeiten verleiten. "Wenn Mattheson in seiner
Passion im Anfaugschor das Ringen unter der Last der Stricke darzu-
stellen sucht:
Musikal. Couvers.-Lexikou, X. 17
258
Tonmalerei.
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so erscheint das eben so wenig geboten, wie so liandgreifliche Malereien als
die folgenden:
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Das bange Herz fing an so stark zu klo
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oder wenn er, um den Regenbogen, den der Evangelist auf dem Rücken
des gegeisselten Erlösers erblickt, darzustellen, diese Greigenfigur verwendet:
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oder wenn Tele manu in einer Passion das Lachen malt:
Tonmalerei.
259
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der, da ich ge - fühlt, ge - lacht
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so ist das allseitig verwerflich. Diese Anschauungen sind nur figürlich geraeint,
und sie zu malen besitzt die Musik keine Mittel. Solche Versuche wirken daher
in entgegengesetzter Richtung; sie unterstützen nicht, sondern verwirren und
werden meist komisch. Eben so verwerflich ist es, wenn Gross ec (s. d.) in
seinem einst vielgerühmten Requiem die Singstimmen dazu missbraucht, das
Zittern und Beben der Sünder darzustellen:
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■••■•■■•"#"•■
\ I ' ' I fr I I I
jyp Quan - tus
tre
mor
I I I I Tf !
tre
"i i ! I ! I ' I f f ^ f »-b-»J
mor est
Händel und Joh. Seb. Bach haben in ihren unsterblichen Werken gezeigt,
wie solche Tonmalereien auszuführen sind. Die charakteristische Figur, mit
Avelcher Händel die Arie in »Israel in Egypten«: »Und Frösche ohne Zahl«
begleitete:
Violine I.
Violine IL <
Basse.
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lässt in der Phantasie des Hörers wirklich die Situation entstehen, ebenso die
Weise, wie er den Mücken- und Fliegenchor in demselben Oratorium illustrirt:
Violine I.
Violine IL
Bratsche.
Organe.
260
Tonmalerei.
Solche Situationsmalerei ist für das Oratorium wie für die Oper uner-
lässlich nottiwendig. Der Componist wie der Dichter müssen uns über den
Boden orientiren, auf welchem sich das Drama vollzieht, und dies geschieht
natürlich dann am leichtesten, wenn dieser durch gewisse Localtöne charakteri-
sirt ist. Eine Scene im Freien, am Bach, in Flur und Anger, bei Sonnenschein
oder Grewittersturm wird eine andere Musikbegleitung in der Phantasie des
Tondichters erzeugen, als eine im geschlossenen Raum, im Dom, im Prunksaal
der Mächtigen der Erde oder am stillern Heerde des Hauses. Für jeden dieser
Fälle bieten unsere grossen Meister Gluck, Händel und Bach, Haydn,
Mozart und Beethoven bis zu den neuern: Schubert, Mendelssohn und
Schumann und Weber, Meyerbeer, Wagner und die jüngste Gregenwart
zahlreiche Beispiele. Nur der Unverstand konnte es einem der genialsten Meister
solcher Situationsmalerei, Jos. Haydn, zum Vorwurf machen, dass er in seiner
»Schöpfung« und seinen »Jahreszeiten« sich keine Gelegenheit zur wir-
kungsvollsten Tonmalerei entgehen lässt. Schon die wahrhaft geniale Weise
mit der er den Hahnschrei nachahmt:
<
Oboe
5 Ma^ /
Violinen.
■*-^
Viola.
^=#
Bass.
t^f — t-^ — *—^ — Si=C:
Des Tas^es Herold meldet sich
mm.
-^-
Tonmalerei.
261
müsste mit ihr versöhnen, auch wenn sie nicht so vollständig berechtigt wäre,
wie sie es in der That ist. Das gilt aber im ganzen Umfange von den reizen-
den grossen und kleinen Tonbildern, zu denen ihm der Text der » SchöiDfung«,
wie der der »Jahreszeiten« so überreiche Veranlassung giebt. Weniger
realistisch sind die Malereien Bach 's. Man giebt den berühmten Stellen der
Erzählung des Evangelisten in der Matthäus Passion:
^>4=^j^&,^-^
.J:t^L-t
— -»-b»
(77
und der andern
-•-
rj 1
^ 6-6fT5
1>
t^H 3
Und fing
au
zu
trau -
ern und zu kla-gen
I I
6 6
Und ging hinaus und wei
I
ne - te bit- ter-lich.
eine viel zu einseitige Deutung, indem man annimmt, der Meister habe hier
das »Weinen und Klagen« darstellen wollen. Nicht das, was der Evangelist
berichtet, sollte näher erläutert werden, sondern der Eindruck, den dieser Be-
richt auf ihn selbst macht, und der natürlich die Art der Erzählung beeinflusst.
Dort sind ihm der leidende Jesus, hier der zerknirschte Petrus persönlich so
nahe getreten, dass er selbst empfindet, was sie leiden, und diese Empfindung
gewinnt natürlich treuen Ausdruck in der Erzählung. So findet auch die Be-
handlung der Worte;
E - he der Hahn krä - heu wird
entsprechende Erklärung. Dass Bach hier nicht entfernt daran gedacht hat,
das Krähen des Hahns nachzuahmen, geht aus der Behandlung der vorher-
gehenden Worte:
f
i
^:
-tk-
=5=5
h
i:
Und als - bald krä - he - te der Hahn
unwiderleglich hervor. Hier wäre es eher am Orte gewesen »den Hahn krähen
zu lassen«, wenn hier überhaupt eine derartige Tonmalerei zulässig war, nicht
aber in jenen Worten, die nur erzählen, dass Petrus an den Ausspruch Jesu
dachte: »Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen«; jener Auf-
schrei auf dem Worte »krähen« deutet nur an, wie erschütternd der Hahn-
schrei auf den Jünger wirkte, da er ihn an diese Worte Jesu erinnerte. Hier-
mit ist zugleich ein wichtiger Grundsatz für die Einführung solcher Wort-
malerei angedeutet. Sie hat an sich wenig Bedeutung, wenn sie nicht zugleich
auch Situationsmalerei ist. Wie die vorstehenden Beispiele zeigen, kann
damit manch feiner Zug entwickelt werden, aber nur, wenn sie die Situation
näher charaktex'isirt; sonst wird ihre Wirkung nur zu leicht ins Gegentheil
verkehrt und komisch. Schon Grottfried Weber*) weist auf das Bedenkliche
•=) Cäcilia, eine Zeitsfhrift für die musikalische Welt, 1825, Bd. IIT, p. 131 ff.
262
Tonmalerei.
solcher "Wortmalerei hin. "Wenn er indess Marcello tadelt, dass er das Wort
yeccessoa (Uebermaass) in folgender Stelle:
2-3==
'^:
1:1=^:
-?»-
-ö-
^-
--^:
i=^-trj2ö
i:j=4
— g^— ^fe^
ces
so.
Ab - ba - stan - za com - pren - do il gran - de ec
durch eine übermässige Secunde charakterisirt, so ist er im Unrecht. Jeden-
falls war für den alten Meister hier nicht der Name, sondern die Wirkung
des Intervalls entscheidend, und diese ist allerdings hier so treffend, wie zu-
fälliger Weise auch der Name. Dagegen hat AVeber ganz recht, wenn er es
unzweckmässig findet, dass die Messen-Componisten bei den Worten:
Qui ... descendit de coelis = Welcher ... vom Himmel herab kam
immer das Niedersteigen durch absteigende und das
y>et resurrexiti = und wieder auf erstand
durch aufsteigende Figuren malen. Sehr richtig sagt Weber hierüber: »All
diese Wortraalereien sind nebenbei auch darum in sich selbst unrichtig und
unpassend, weil die Ausdrücke: hohe und tiefe Töne an sich selbst nur figür-
lich und blose willkürlich angenommene Redensart sind, indem ein hoher Ton
keineswegs eine räumliche Höhe hat, und das vermeintliche Abconterfeien räum-
licher Höhe durch hohe Töne also nicht einmal wirkliche Tonmalerei, sondern
nur wortwitzige Anspielung auf die figürliche Redensart hohe Töne und diese
selbst wieder nur eine von der Wortähnlichkeit hergenommene Anspielung auf
die Höhe des Himmels ist, von welcher der liebe Herrgott hier als herabsteigend
abgebildet werden soll. Hätten wir für hohe Töne, d. h. für schnelle Klang-
schwingungen ein anderes Wort als das figürlich entlehnte hoch, so würde
kein Mensch auch nur eine Tonmalerei in den befraglichen Stellen ahiaen: sie
sind also nicht einmal Tonbild, sondern nur von einem figürlichen Sprachaus-
drucke hergenommenes Wortspiel.«
Andrer Art ist schon die Bedeutung der Wortmalerei in Beethoven's
»Meeresstillle und glückliche Fahrt«;
Hier ist die »ungeheure Weite« durch die weiten Intervallenschritte auch wirk-
lich charakterisirt. Wie äusserlich auch solche Malereien immerhin sind, so
darf sich ihnen der Meister durchaus nicht entschlagen; sie sind an passender
Stelle von bedeutender Wirkung und daher recht wohl geeignet, das Verständ-
niss des ganzen Kunstwerks zu erleichtern und zu fördern. Natüx'lich müssen
sie passend angebracht sein und dürfen nicht zur Hauptsache werden.
Sie dürfen immer nur als Hülfsmittel auftreten im Dienste höherer Idee, zu
deren überzeugender Darstellung sie das Ihrige nur beizutragen haben.
Unter den Begriff Tonmalerei fasst man ferner auch die versuchte
Darstellung äusserer Vorgänge durch IMusik, die an und für sich keine direkte
Beziehung zu ihr haben, die nicht, wie Wellenschlag und Windesranschen, wie
das Schnurren des Spinnrades, oder das Rollen des Donners u. s. w. als Schall
oder Geräusch dem Ton verwandt sind, oder als Yogelsang schon in gewissem
Sinn in das Gebiet der Musik fallen und daher leicht nachzuahmen sind,
sondern auch solche, die, wie der Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang,
Waldeslnft und Waldesduft, die Stille in Flur und Wald oder auf
Tonmalerei.
263
dem weiten Meere, wie die treibende Lenzluft oder der reifende Haucli
des Sommers, wie Herbsteswehen und Winterschlaf ohne Beziehung
zur Musik sind, aber doch eine eigeuthümlich gestimmte Musik zu erzeugen
im Stande sind. Diese Art von Tonmalerei ist bereits Stimmungsmusik
im eigensten Sinne des Worts. Jene erwähnten äussern Vorgänge sind nur
insofern zeugend, als sie in der Phantasie des schaffenden Küustlers ganz
i)estimmte eigenartige Bilder hervorrufen und seinem gesammten Empfinden ein
eigenthümliches Gepräge ertheilen. Sie verhalten sich ganz genau eben so
einwirkend auf Phantasie und Empfindung wie alle andern Stoffe, aber es geht
doch mehr von ihrer Eigenart in Phantasie und Empfindung über und dem
entsprechend auch in das Kunstwerk als von jenen, die nicht so äusserer Art
sind. Diese lösen sich dort in der Innerlichkeit des Künstlers mehr auf und
verschmelzen inniger mit ihr, während jene auch nach ihrer materiellen Seite
noch Einfluss und Ausdruck im Kunstwerk gewinnen. Wenn Joseph Haydn
unternimmt, in der Einleitung zu seiner »Schöpfung« die Vorstellung des
Chaos zu geben, so musste er sich darauf beschränken, zu zeigen, wie am
Anfange alles noch wüst und leer war, wie die waltenden Kräfte aus dem
Dunkel allmäiig hervortreten und alles nach Gestaltung schleicht und ringt
und dazu ist die Musik vollständig befähigt und der in solchen Materien ganz
unvergleichliche Meister hat auch mit genialer Hand Unübertreffliches geleistet.
Bereits in dem Es-dur-Satz (Tact 26) tritt ein Moment grösserer Festigkeit
ein und Haj'dn kann es sich nicht versagen, solch überraschende Detailraalereieu
einzureihen wie die durch die Clariuette, die wie ein junger emporschiessender
Stern mit einem brillanten Lauf in die Höhe geht:
Aehnliches gilt von den Schilderungen des Sonnenaufgangs wie des Sonnen
nicht den mindesten
Untergangs. Beide Naturerscheinungen haben
Anknüpfungspunkt mit der Musik; sie werden
( T e m ü t h und Phantasie
diese besitzt die Mittel
direkten
erst in ihrer W^irkung auf
Darstellungsobjekten für die Tonkunst,
um
zu
analoge Wirkungen zu erzielen. Der Tondichter
wird sich hierbei namentlich darauf beschränken müssen, die anscheinende Be-
wegung dieses ganzen Vorganges darzustellen; er wird die tiefste Ruhe voraus-
setzen und schildern müssen, er wird mit wenig Stimmen, vielleicht nur mit
einer beginnen und dann, wie allmäiig der Tag heraufzusteigen scheint und sich
ausbreitet, auch allmäiig immer mehr Stimmen und Mittel entwickeln, und wie
der junge Tag dann Leben weckt, so wird auch der Tonsatz immer lebendiger
und mannichfaltiger sich gestalten müssen, bis er in sonnigem Glänze zu strahlen
scheint wie der helle lichte Morgen. In der Besonderheit der Anwendung der
musikalischen Mittel wird der Tondichter dann vielfach Gelegenheit finden, das
Bild noch treuer zu gestalten, so dass wirklich der durch Sonnenstrahlen erzit-
ternde Aether zu klingen, dass der jxmge Morgen aus Bosenwolken hervorzu-
brechen scheint, wie in dem j^rachtvoUen von Streichinstrumenten und Hörnern
begleiteten Flöten-Terzett der Einleitung zum dritten Theil der »Schöpfung«
oder in der zum zweiten der »Jahreszeiten«; dass man die Empfindung haben kann,
als gingen Sonne, Mond land Sterne auf, wie in Uriers Recitativ im ersten
264
Tonmalerei.
Theil der »Schöpfung«. Unter dieselben Gesichtspunkte gehören die zahlreichen
weitern Malereien, die Haydn in der «Schöpfung« in meisterhafter Weise aus-
führt, wie das Herniederfallen des Regens und des Schnees und des
Lebens in Wald und Flur: am kriechenden Gewürm, am Schwärm der Insekten
und der Vögel des Waldes u. s. w.
Auch Beethoven hat solche Malereien nicht von der Hand gewiesen, wo
sie sich aufdrängten. Die Pastoralsinfonie enthält alle besprochenen Arten
derselben, vom Kuhreihen und der Bauernmusik und der mehr derb realistischen
Malereien des Sturms, der Vogelstimmen (Kukuk, Nachtigall und Wachtel),
des Rieseln des Baches bis zu jener mehr idealen, der weichen, warmen
zitternden Sommerlüfte, der Mittagshelle und Mittagsgluth. Auch der »Fidelio«
enthält zahlreiche feine und überraschend ausgeführte Malereien, wie im ersten
Duett, in dem das verlegene Stammeln Jacquino's so ergötzlich durch die Staccato-
figur in den Streichinstrumenten charakterisirt wird, oder im Chor der Gefangenen,
in welchem die Einleitung in uns das wehmüthig wonnige Gefühl der mild
und lind uns umwebenden Lüfte erweckt, oder im Melodrama der Kerkerscene,
das den ganzen äussern Hergang ganz treu musikalisch begleitet. Auch die
Musik zu Goethe's »Egmont« ist ein Meisterwerk solcher Tonmalerei von den
ersten Accorden bis zum Melodrama und der anschliessenden Siegessinfonie.
Der Schlachtsinfonie des Meisters ist schon früher gedacht worden im
Artikel Programmmusik.
Eine eigenthümliche Weise der Tonmalerei erzeugte die Romantik
und zwar zunächst in Carl Maria von Weber. Er war der erste, der die
Feen mit ihren leichten und luftigen Spielen zum Darstellungsobjekt machte.
Mozart hatte in seiner »Zauber flöte« (und namentlich schon in der Ouver-
türe) gezeigt, welch treffliche Bildnerin gerade die IMusik für dies Zauberreich
ist, und Weber machte das Reich der Feen zum Objekte für künstlerische
Darstellung. Diese nur von und für die Phantasie geschaffene Welt trat mu-
sikalisch zunächst mit der Oper »Oberon« in die Erscheinung. Sie wurde
von Oberon's Zauberhorn beherrscht, dies spielt daher in der ganzen Romantik
eine bedeutsame Rolle und der »leichte Feentritt«, in welchem Weber die herrlichen
Geister der Luft einführt, ist charakteristisch für die ganze Gattung geworden:
Flauti.
Clarinetti in B.
Diese Weise und die nachstehend verzeichnete sind die Formeln geworden,
in denen sich das Elfenreich erschloss. Die vorstehenden leichten Accorde der
Flöten und Clarinetten werden bereits in der Ouvertüre dazu benutzt, um uns
zu dem »Ritt in das romantische Land« einzuladen oder eigentlich gleich direkt
hineinzuführen. In der nachstehenden Einleitung zum ersten Chor der Oper,
zum Elfenchor: ^j^^:^^^^ ^^^ Feentritt nur weht.
Durch den Saal ihr Elfen geht.
Viel zu laut die Quelle tönt,
Viel zu laut der Zepliyr stöhnt!
Jagt die wii-re Mücke fort,
Lasst die Bien' nicht summen dort!"
erhalten sie dann ihre höhere Erläuterung und sie namentlich weckten in dem
Jüngern Zeitgenossen des Meisters, in Felix Mendelssohn, einige seiner unver-
gänglichen Schöpfungen.
Tonmalerei.
265
Andante quasi Ällegreüo.
Flauto.
SE=:^
Clarinetti in B.
S^S
^■
-jsä-
Corno-Solo in F.
Fagotti.
-S=k-
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Violino 1. c. sord.
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Violino 2
S?IE:
Viola. SoZi.
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Pf
Violoncello.
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266 Tonmalerei.
"Wie Schubert, Mendelssohn und Schumann diese Richtung weiter
verfolgten, ist in den Artikeln ^Sinfonie und Ouvertüre bereits weitläufig
erörtert worden und wir können hier darauf verweisen. Dort ist auch darauf
hingewiesen, dass diese Jüngern Romantiker namentlich dadurch so nachhaltig
wirkten, dass sie hierbei nicht nur die Phantasie beschäftigten, sondern auch
das Herz in Mitleidenschaft zogen. Sie wussteii diese Welt nicht nur in blenden-
den Farben uns zu schildern, sondern zugleich so, dass wir auch mit unserra
Herzen daran lebhaften Antheil nehmen. Damit gewinnt diese Tonmalerei erst
die höhere künstlerische Bedeutung, die überhaupt die Möglichkeit gewährt,
ganze grosse Formen damit zu füllen. In den früher erwähnten Fällen, in
denen es nur galt einzelne Worte oder Situationen zu illustriren, erwartet man
nicht mehr als eine möglichst treue Tonmalerei; um ganze Formen damit zu
füllen, muss ein ethischer Inhalt vorhanden sein, der diesen Formen überhaupt
erst künstlerische Bedeutung giebt. Diesen Inhalt gewinnt die romantisch con-
struirte Welt nur, indem sie mit der concreten AVeit in Zusammenhang und
direkte Wechselwirkung gebracht wird und indem dies die erwähnten Meister
thun, gewannen sie ihre bedeutende kunsthistorische Stellung innerhalb der
Entwickelung der Kunst, Dort konnten wir auch schon der Meisterschaft
Richard Wagner 's in Ausführung von Situations- und Detailmalereien ge-
denken. Die Darstellung des Mysteriums vom heiligen Gral, des Walküren-
ritts, Feuerzaubers und einer Reihe anderer derartiger Schilderungen, wie
die reizvollen Naturmalereien im »Lohengrin« und der »Nibelungen-
trilogie« sind mit so glühenden Farben ausgeführt, dass sie zaubei'haft wirken;
sie zu allermeist haben diesen Werken eine tiefgreifende Bedeutung für die
Gegenwart gegeben. Der Zug derselben drängt nach dem eingehendsten Ver-
ständniss aller Dinge und diesem entspricht die realistische Tonmalerei voll-
ständig. Sie richtet sich mehr an den combinirenden und erwägenden Ver-
stand und diesem erscheint so das geheimnissvolle Wesen der Musik leichter
fassbar. Dass die Tonmalerei indess dem innersten Wesen der Musik nur be-
dingungsweise entspricht, wurde schon im Eingänge angeführt und im weitern
Verlauf von uns mehrmals stark betont. Solche Tonmalereien können und
dürfen daher nichts weiter als Hülfsmittel sein, welche die Erkenntuiss der
die Musikformen erzeugenden Idee befördern helfen. Diese Idee zu verkörpern
ist immer einziges Hauptziel, wie aller Kunst, so auch der Tonkunst. Diese
wird durch einseitige Berücksichtigung der Tonmalerei herabgedrückt zum
blossen decorativen Beiwerk, das die Sinne zu reizen, aber nicht auch der
Psyche einen Inhalt zu vermitteln vermag.
Von besonderer Bedeutung wird die Tonmalerei für die Form des be-
gleiteten Liedes. Hier wird es, wenn auch nicht immer, doch oft nothwendig
in der Begleitung die Situation anzudeuten. Es erscheint unerlässlich, dass
das Begleitungsraotiv zu Goethe's »Gretchen am Spinnrade« dem Summen des
Spinnrades abgelauscht ist:
r
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i
wie in der Schubert'schen Composition dieses Liedes und es ist genial und
fein empfunden zugleich, dass der Meister es ununterbrochen zur feinem Nüau-
cirung der Stimmung bald verengt, bald erweitert beibehält, in immer heftigerer
Bewegung, bis es plötzlich abreiset und still steht, wie das Fädcheu:
«.
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pp
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Toumessor — Tonmessung.
267
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sein Kuss!
« if — +-ij^.-+Ti +-i4=te-7 — + — ^■u-^ — I — I — I — 1-+ — r-' — '- — -i-u— i — I — I — I — I —
und dann erst langsam sich wieder in Bewegung setzt. Wie in einzelnen
Müllerliedern desselben Meisters das tauschen des Wassers oder in Ellens
zweitem Gesänge: »Jäger ruhe von der Jagd« Höruer- und Trompeteuöchall,
oder in Mendelssohn 's: »Wenn durch die Piazetta« Wellen- und Kuderschlasr,
in Schumann 's: »Uebern Garten durch die Lüfte« das Weben und Wogen
der Frühlmgslüfte und Düfte die Begleitungsfiguren erzeugt haben, ist hier
eben so wenig weiter zu untersuchen, wie die tausend weitern Beispiele von
Tonmalereien der grossen und kleinen Meister unserer Zeit.
In noch ausgedehnterer Weise kommt die Tonmalerei natürlich in der
Ballade zur Anwendung. Für sie ist die Dai-legung und Schilderung der
Situation von noch grösserer Bedeutung; die Singstimme übernimmt aber selbst-
vei-ständlich nur die Erzählung und diese zu erläutern und unserm Gefühl und
Verständniss näher zu legen, das bleibt der (Jlavierbegleitung oder überhaupt
der instrumentalen Begleitung überlassen. Und um diese darin so wenig als
möglich zu beschränken, wird sogar der gesangliche Theil abweichend von der
Praxis beim Lied und der Bomanze gestaltet. Bei diesen versucht die Melodie
das strophische Versgefüge nachzubilden, und alle andern Mittel der Darstellung
ordnen sich, ihn unterstützend, diesem Zuge unter. Bei der Ballade dagegen
wii'd der Romanzenton, der hier noch zu einem ganzen Versgebäude ausge-
weitet ist, in eine möglichst knappe, einheitliche Gesangsphrase zusammen-
gefasst und sie gewinnt dadurch den rechten Ton für die episch sich aus-
breitende Erzählung. Die mehr rhetorische, aber in sich geschlossene Gesangs-
phrase bildet den Grundton, der nach dem Verlauf der Handlung sowohl
melodisch, wie harmonisch und rhythmisch verändert, die speciellere Ausführung
der einzelnen Bilder bestimmt und zugleich der instrumentalen Begleitung den
nöthigen Raum gewährt, diese einzelnen Bilder in entsprechender Treue und
Ausführlichkeit hinzustellen. Indem Job. Gott fr. Löwe diesen Ton traf,
wurde er der eigentliche Schöpfer der Balladenform und die nachkommenden
Meister dieser Form haben sich ihm eng angeschlossen. So erscheint die Ton-
malerei als eins der wesentlichsen und vor allem wirksamsten Hülfsmittel:
das Kunstwerk in höchster Vollendung hinzustellen und ihm zugleich Allge-
meingültigkeit und Verständlichkeit zu geben. Freilich darf sie dann nicht
zum Selbstzweck erhoben und es dürfen ihr nicht Schilderungen zugemuthet
werden, deren sie nicht fähig ist. Im erstem Falle gewinnt sie nur sinnlichen
Reiz, der unter Umständen die Bedeutung des Kunstwerks im Besondern, und
der Musik im Allgemeinen arg gefähi-den kaun, im andern wird sie zwecklos
und nicht selten komisch. Im Dienste der Idee dagegen bedarf und fordert
sie energische Pflege und eingehendes Studium, und künstlerisch verwendet
wird sie ihre echt künstlerische Wirkung niemals versagen, wie an zahlreichen
Beispielen, die ins Unendliche fortgesetzt werden könnten, nachgewiesen wurde.
Toumesser, s. v. a. Saitenmesser (s. Monochord, Sonometer).
Tonmessnua:, die Bestimmung der Tonhöhe nach der Länge der klingenden
Körper und der dadurch bedingten Zahl der Schwingungen wurde schon früh
268 Tonmessung.
von den ersten Cultnrvölkern versucht und bei einzelnen bis zu einem gewissen
Grade entwickelt. Die frühesten Beobachtungen nach dieser Seite führten zu
der Ueberzeugung, dass die Dicke, Länge und Spannung der klingenden
Tonkörper die Höhe des Tons bestimmen und so erwiesen sich denn die aus
Seide oder aus Sehnen und Schaafd armen gedrehte Saite und daneben
die aus Schilf- oder Bambusrohr oder gewissen Knochen der Thiere ge-
fertigte Pfeife als für die Tonmessung zweckmässig und bequem. Mit Hülfe
beider kamen die Chinesen schon in den ersten Jahrhunderten ihrer Cultur-
entwickelung zu einem ganz scharf abgemessenen Tonsystem, das dann von den
Gr riechen wissenschaftlich begründet und bedeutsam erweitert wurde (siehe
Akustik, geschichtliche Eutwickelung). Mit Hülfe des Monochords (s. d.)
namentlich machten sie die eingehendsten Untersuchungen und fanden jene
Naturgesetze, nach welchen der Schall Klang und Ton wird und in be-
stimmte Systeme zu ordnen ist. Pythagoras fand, dass wenn eine Saite in
zwei gleiche, oder so in zwei ungleiche Theile getheilt wird, dass ihre Längen
sich wie zwei einfache ganze Zahlen verhalten, die Töne der beiden Theile
eine Consonanz bilden. Er fand in der Hälfte der Saite die Octave und zu-
gleich dass diese Hälfte die doppelte Menge von Schwingungen machte, als der
Grundton, mithin im Verhältniss von 1:2 stand; zwei Drittel der Saitenlänge
und demnach ^J2 der Schwingungszahl ergab die Quint und die Quart endlich
^/i der Saitenlänge und ^/s der Schwingungszahl. Die weitere Entwickelung
dieses Prozesses ist unter Akustik (Geschichte) nachzulesen.
Auch durch die Jahrhunderte der fernem Entwickelung der Musik unter
dem Einflüsse des Christenthuras blieb die Saite und namentlich das Mono-
chord das hauptsächlichste Mittel zur Tonmessung, die immer schärfere
Bestimmung fand. Seit dem 17. Jahrhundert kamen dann mehrere abweichende
Methoden der Tonmessung zur Anwendung. Beim Beginne desselben wandte
Mersenne die Saite schon in eigenthümlicherer Weise an. Er fand, dass
eine Saite von 15 Fuss Länge, wenn sie mit G^/s Pfund gespannt war, zehn
Schwingungen in der Secunde vollendete, und wenn man sie auf den zwanzigsten
Theil verkürzte 200 Schwingungen in einer Secunde und er nahm den dadurch
erzeugten Ton — zwischen unserm g und gis liegend — als Normalton an.
1825 machte W. "Weber mit einem neuconstruirten Monochord ähnliche
Versuche, und es gelang ihm, die Schwingungszahlen mit grosser Genauigkeit
von 1 — 500 zu messen. Wollte er die Schwingungszahl irgend eines bestimmten
Stimxngabeltons messen, so stellte er durch Veränderung der Länge der Saite
seines Monochords die vollständigste Uebereinstimmung der Tonhöhe beider,
der Stimmgabel und des Monochords her, schnitt dann die Saite, nachdem er
die Länge derselben genau gemessen, scharf an den Klemmen ab und bestimmte
ihr Gewicht und darnach die Schwingungszahl, Aehnliche Versuche, wie Mer-
senne mit der Saite, machte dann Chladni mit einem elastischen Stabe, allein
diese Methode ist nicht der gleichen Genauigkeit fähig.
Zu sicherern Resultaten fährten dagegen die Beobachtungen der soge-
nannten Stösse und Schwebungeu (s. d.), welche Scheibler zuerst anstellte,
um absolute Schwingungsmengen und relative Touverhältnisse zu messen, und
weiterhin dann die von Siebeck, Cagniard la Tour undDove construirten
Sirenen und die von Helmholtz angewandte Doppel-Sirene (s. Sirene). Doch
hat die Anwendung derselben immer bedeutende Schwierigkeiten, so dass die
auf das Monochord und die Schwebungen gestützten Methoden immer noch
ihre grosse Bedeutung für die Tonmessung behalten haben und zu den sichersten
Resultaten bisher führten. Die deutsche Naturforscherversammlung vom Jahre
1834 hat die von Scheibler gefundene Bestimmung für die Tonhöhe der
Tonleiter angenommen, wonach das eingestrichene a* in der Secunde 440 Schwin-
gungen macht, darnach stellt sich das Vcihältniss der Tonleiter durch sieben
Octaven folgendermassen dar:
Tonnani — Tous du cor et la trompette.
269
27,5
^2
30,9375
33
37,125
41,25
■^1
44
49,5
1 55
1
^1
61,875
66
B
74,25
82,5
88
G
99
1 ^
110
123,75
132
148,5
165
/
176
9
198
a
220
h
247,5
264
^1
297
330
352
9'
396
«1
440
495
C2
528
594
^2
660
704
9'
792
a2
880
ä2
990
1056
d^
1188
e3
1320
1408
9'
1584
1760
ä3
1980
<?4
2112
d''
2376
2640
2816
3168
3520
Tonuaui, Alessandro, war um die Mitte des 17. Jahrhunderts Sänger
an der Kirche St. Maria-Maggiore zu Rom. Es sind auch Compositionen von
ihm vorhanden, die sich in der Sammlung des Abbe Santini befanden und die
zum Theil vom Jahre 1620 datirt waren: »ie quattro Änüfone delV anno della
Madonna a tra. r>Messa a tre voci parW. y>Litanie della heata Vircjine a trea.
•t>Äve Begiiia für Sopran, Bass continuo für die Orgel«. Dreistimmige Motetten.
Tonolini, Giovanni Battiste, Organist zu Salo bei Brescia, wo er im
Anfange des 17. Jahrhunderts geboren war, und von dem noch bekannt ist:
y>Salmi a otto voci<i (Venedig, 1616, in 4°).
Tonometer, s. Sonometer.
Tononi, Carlo Antonio, Greigenbauer, der um 1700 in Venedig lebte.
Tononi, Felice, Greigenbauer, der zu Bologna und Rom 1730 lebte. Seine
Instrumente sind von ziemlich hoher Wölbung. Der Lack ist hellgelb und sehr gut.
Tououi, Griovanni, ebenfalls Geigenbauer, welcher nach verschiedenen
Modellen arbeitete und dessen flach gewölbten Geigen seine besten sind. Der
Lack ist hellroth. Ein anderer Geigenbauer desselben Namens, Joannes
(Rom, 1710) ist nicht bedeutend.
Tonoplast nannte Kapellmeister C. F. Müller in Berlin ein, von ihm er-
fundenes unverstimmbares Instrument, das für den Gesangunterricht bei Kindern
bestimmt war.
Tonospsychagogia (gr.) ist die Wirkung der Töne auf die Seele.
Tonordnung- nennen ältere Theoretiker den Inbegriff der Regeln, nach
denen die Bildung der Melodie in gesetzmässiger Weise erfolgt. Sie umfasst
die Lehre von der Tonart, von der rhythmischen und harmonischen Gliederung
und den dadurch bedingten Schlussclauseln.
Tonotechnie ist die Lehre von der Einrichtung der, durch Walzen tönend
gemachten Instrumente. Das erste Werk hierüber veröffentlichte Pater M. D,
J. Engramelle 1775 in Paris unter dem Titel: ^Tonotechnie ou l'art de noter
les cyliiidres etc.«, welches von der Verfertigung der Spieluhren und Dreh-
orgeln handelt.
Tonqualität, s. v. a. Klangfarbe, Timbre (s. d.).
Tons du cor et la trompette (franz.), s. v. a. Bogen oder Einsatzstücke
beim Hörn und der Trompete (s. d.).
270 Tonscheu — Tonspraclie.
Toiischeu (Hyper acusis) ist ein Leiden des Grehörsinns, das in einer zu
grossen Empfindlichkeit des Nervensystems seinen Grrund hat, so dass der
leiseste Ton und das geringste Geräusch schon bei den betreffenden Pei'sonen
nervöse Aufregung verursachen und schmerzhaft berühren. Es ist in der Regel
die Folge von Ueberanstrengung und ist, wie alle Nervenüberreizung, am leich-
testen durch Ruhe zu heben.
Tonschluss, Tonfall, Cadenz, Cadenza, Oadence (s. Cadenz).
Tonsclireibmascliine. Giuseppe Marzolo zu Padua erfand im Jahre
1858 eine Art Tonschreibmaschine, oder besser eine Vorkehrung, durch deren
Anwendung an Orgel und Ciavier es möglich gemacht wird, die von dem
Spieler hervorgerufenen Töne neuerdings nach Belieben identisch zu reprodu-
ciren und zugleich die entsprechenden Notenzeichen aufs Papier zu fixiren, so
dass sie mit aller Sicherheit abgelesen werden können. Der geniale, aber äusserst
arme Erfinder erhielt von der Gesellschaft zur Ermunterung der Gewerbe zu
Padua die grosse goldene Medaille.
Tonschrift, Tonzeichen, s. Notenschrift.
Tonsetzer heisst auch der Componist oder Tondichter, weil er Töne zum
Kunstwerk zusammensetzt. In den frühern Jahrhunderten der Entwickelung
der Harmonik und des mehrstimmigen Gesanges war der Begriff etwas enger
gefasst; man verstand darunter den Tonkünstler, welcher die voi'handenen Me-
lodien mehrstimmig bearbeitete, für mehrere Stimmen »setzte« und bis ins
Reformationszeitalter hinein war man gewöhnt, Sänger, der die Melodie erfand,
und Setzer, der sie contrapunktirte, zu scheiden. Es war diese Scheidung in
der ganzen Entwickelung begründet. Diese erfolgte zunächst innerhalb der
christlichen Kirche und des Cultus derselben; für ihn waren die Melodien fest
bestimmt, und den Contrapunktisten blieb eben nur die Aufgabe, diese mehr-
stimmig zu behandeln, »zu setzen«. Im Volksgesange und in der welt-
lichen Musik überhaupt erst wagte man Melodien zu erfinden und diese wuchsen
in so reicher Fülle an, dass sie sich bald auch den Contrapunktisten aufdrängten
und diese wussten ihnen gegenüber zunächst auch nichts weiter zu thun, als
sie mehrstimmig zu setzen. Sie waren also auch jetzt immer noch nur im
wahren Sinne des Wortes »Ton setz er«. Erst als sie dann auch selbständige
Melodien erfanden, wurden sie zu Tondichtern (s. d.). Darnach ist
Tousetzkunst im engen Sinne des Worts die Kunst: die Töne nach den
feststehenden Regeln des reinen Satzes (s. d.) zusammenzusetzen. Sie umfasst
als solche die rein technischen Fertigkeiten der Composition, welche durch die
Uebungen nach den rein grammatikalischen Regeln der Melodie, der Harmonie,
des Rhythmus, des Contrapunkts und der Instrumentation erworben werden.
Die Formenlehre gehört nur noch theilweis hierher, sie verfolgt schon einen
höhern Zweck und setzt einen gewissen Grad von Erfindung voraus, welche
den Tondichter charakterisirt. Daher fasst man im weitern Sinne Tonsetzkunst
auch gleichbedeutend mit Composition und Tondichtung, als die Kunst: in
tönenden Formen einen bestimmten Inhalt darzulegen.
Tonspraclie nannte man das Verfahren: mit bestimmten Tönen und Ton-
formeln feststehende Begriffe zu verbinden, um sich auf diese Weise auch durch
Musik begrifflich verständlich zu machen (s. Telegraphie musicale). Dass
man in neuerer Zeit die Musik überhaupt als Tonsprache, als eine Sprache der
Gefühle auffasste, hat viel Verwirrung angerichtet. Wenn auch die Tonkunst
viel unmittelbarer auf unsere Sinne und dementsprechend auf Phantasie und
Empfindung wirkt als die andern Künste, so wird sie doch ebensowenig zur
Sprache als diese; und wie folgerichtig diese nur durch kunstvolle Formen
wirken, in denen sich der Inhalt verkörpert, so auch die Musik. Durch das
blose, ungeformte oder doch nicht zur schönen Form entwickelte Material wirkt
sie nur sinnlich reizvoll, ohne einen Inhalt der Psyche zu vermitteln. Der
Irrthum, die Musik als Sprache zu betrachten, hat zu jener Verachtung der
Form geführt, welche nothwendig künstlerische Verwilderung im Gefolge hat
Tonstufe — Tonverzieliung. 271
und die nur eiuseitig auf schlagende und drastische Wirkung gerichtet ist.
"Während als oberster Grundsatz aller künstlerischen Gestaltung gilt: die rein
sinnliche Wirkung des Materials durch den zu schöner Form verkörperten In-
halt zum wirklichen Vermittler desselben zu erheben, erklärt die, aus jener
falschen Anschauung von der Kunst als Sprache hergeleitete Doctrin, alle
künstlerische Form für überflüssig und den Genius hemmend, und die auf ihr
basirte Eichtung unserer Kunstentwickelung ist nur auf die glanzvollste sinnlich
anreizende AVirkung durch und mit dem Material bedacht. Die Artikel Phi-
losophie der Kunst und Musikformen weisen nach, dass in dieser Weise
nicht eigentlich ein Inhalt zu vermitteln ist, sondern dass nur die Sinne an-
und aufgeregt werden können; dass die Wirkung eine mächtige und berückende
und berauschende sein kann, nicht aber auch eine künstlerische. Diese ist nur
zu erreichen, wenn auch die Musik nicht als Sprache, sondern als Kunst behandelt
wird, die ihren Inhalt nicht darlegen, nicht deduciren, sondern gestalten soll.
Toustufe, s. Klang stufe. Nach der allgemeinen als gültig anerkannten
Definition von Klang und Ton, nach welcher dieser ein Klang ist von be-
stimmter Höhe und die Bezeichnung »Klang« auf die specifische Wirkung des
Tones sich bezieht, ist auch die Benennung Ton stufe cdrrecter als die
»Klangstufe«. Denn wenn es gilt, die Töne nach Tonstufen zu ordnen, so
kommt nicht ihr Klang, sondern ihre bestimmte Höhe in Betracht.
Tonsystem ist der Inbegriff aller in der Tonkunst verwendbaren Töne, in
eine bestimmte Ordnung gebracht. (S. System).
Tonumfang:, s. Tongrenzen und Umfang.
Tonus = die grosse Secunde, und:
Tonus = die Kirchentonart. Modus.
Tonus primus, der erste,
Tonus secnndus, der zweite,
Tonus tertius, der dritte,
Tonus quartus, der vierte Ton (oder Tonart).
Tonus regularis, eine Kirchentonart, welche mit dem ursprünglichen Final-
tone abschliesst;
Tonus irreg'ularis, eine Kirchentonart, welche mit einem andern als dem
ursprünglichen Finalton endet;
Tonus mixtus, ein gemischter Ton, der weder durchweg plagalisch, noch
durchweg authentisch gehalten ist;
Tonus imperfectus, ein Kirchenton, der den Ambitus seiner Octave nicht
ganz ausfüllt;
Tonus perfectus, ein Kii-chenton, der den Ambitus ausfüllt;
Tonus plusquamperfectus, ein Kirchenton, der den Ambitus überschreitet
(s. Tonart).
Tonus faber, die lateinische Bezeichnung für das Glockenspiel der Orgel.
Tonverbindung- nennt man eine Ileihe von Tönen, welche nach einem
bestimmten Gesetz geordnet sind. Bei der Ausführung versteht man darunter
die Weise, nach welcher die Töne möglichst eng aneinander gereiht werden,
ohne die geringsten Pausen und wesentlichen Klangunterschiede. Bei den Sing-
stimmen und einigen Blaseinstrumeuten setzt diese Tonverbindung die Register-
verbindung voraus. In der natürlichen Construktion dieser Instrumente wie
in der, der Singstimme ist begründet, dass Töne gewisser Lagen leichter an-
sprechen und eine andere Klangfarbe haben, als die andern. Man bezeichnet
die so geschiedenen Lagen mit »Register« und es ist Aufgabe jedes Sängers
(s. Stimmbildung und Tonbildung), diese Unterschiede möglichst auszu-
gleichen, diese Register unter sich zu verbinden, um dadurch die Ton ver-
bin düng herzustellen,
Tonverhältniss, s. Verhältniss.
Tonverwechslung', s. En harmonisch.
Touverziehun^, s. v. a. Tempo rubato (s. d.).
272 Tonverzierung — Tori.
Tonyerziernug:, s. Verzierung.
Tonivecliselniaschiue heisst eine von Cerveny im Jahre 1845 erfundene
VorricMung an Blasinstrumenten, durch deren Stellung die Stimmung des In-
struments sofort verändert werden konnte, indem dadurch die Röhrenlänge durch
Hinzufügung oder Beseitigung gewisser Einsatzstücke verändert wurde.
Tonweite, s. Ambitus und Intervall.
Tonwerkzeuge sind die, zur Hervorbringung der Töne dienenden Werk-
zeuge. Diese sind entweder natürliche, d. h. von der Natur gegebene, wie
die Singstimme (s. d.), oder künstliche, d. h. solche, welche erst die Be-
dingungen, unter denen sie tonerzeugend werden, durch die Besonderheit ihres
Materials, ihrer Form und sonstigen Einrichtung gewinnen (s. Instrumente)
Tonsor, Michel, Kirchencomponist, der Ende des 16. und Anfang des
17. Jahrhunderts lebte, war Organist in seiner Vaterstadt Dünkelsbühl bei
Ingfolstadt in Baiern und hatte seinen deutschen Namen Bartscherer in den
lateinischen Tonsor umgewandelt. Folgende seiner Compositionen sind gedruckt
vorhanden: y>Selecta quaedam cantiones sacrae, modis musicis quinque vocum recens
compositae^ (Noribergae, in officina Theod. Grerlacchii, 1570, in 4** obl.). -aSacrae
cantiones planae novae, quatuor, quinque et plicrium vocum ita compositae, ut ad
omnis generis instrumenta accomodari p)Ossint<i (ibid. 1573, in 4** obl.). nOantiones
ecclesiasticae, quatuor et quinque vocum, ex sacris litteris desumptae, quihus additi
sunt Psalmi Davidis, qui in Yesperis catTiolicorum decantari solent« (Monacchii,
excudebat Adamus Berg, 1590, in 4° obl.). Dies Werk enthält vierzehn vier-
stimmige und vierzehn fünfstimmige Motetten. t>Fasciculus cantionum ecclesiasti-
carum quinis et senis vocibus, ad omiiia genera iiistrumentorum accomodattcsa
(Dillingen, 1605, in 4").
Tonzeichen, s. Mensuralmusik, Neumen, Notenschrift, Tabulatur.
Toomeree ist ein in Bengalen gebräuchliches, aus einer Gourd- oder Cocos-
nuss verfertigtes Blasinstrument. An den äussern Enden sind zwei enge Bohren
oder Flöten von Bambusrohr mit Tonlöchern angebracht, deren Stiel, durch
welchen der eingeblasene Luftstrom ausfliesst, am entgegengesetzten Bande der
Nuss eben so lang heraussteht.
Toph, s. Adufe.
Torcellus, s. Sanuto.
Torelli, Gasparo, Componist der römischen Schule, welcher mit dem Vio-
linisten Gius. T. fast zu einer Zeit lebte, war Kapellmeister zu Imola, wo 1683
sein Oratorium »Betsaieaa aufgeführt wurde.
Torelli, Giuseppe, einer der ersten Meister des virtuosen Violinspiels,
ein Veroneser von Geburt, Äcademico Filarmonico zu Bologna, war, so weit
bekannt ist, 1685 Violinist an der St. Petroniikirche daselbst und wurde um
1703 Concertmeister des Markgrafen zu Anspach. T. erfand eigentlich das
Violinconcert; er kam dem Corelli, der dieselbe Form anwendete, noch um einige
Jahre zuvor, er starb 1708. Neben mehreren Vocalsätzen schrieb er namentlich
Kammermusik, wie: »Balletti da camera a tre, 3 violini e B. C«, op. 1. y>Gon-
certo da camera a due violini e hasso«, op. 2 (Bologna, 1686, in Fol.). y>Sinfonie
« 2, 3, 4 istromentiti (ibid. 1687, in 4"). y>Concertino per cainera a violino et
Violoncello»., op. 4. t>Sei sinfonie a tre e sei concerti a quattron, op. 5 (Bologna,
1692, in Fol.). ^Concerti musicali a quattroa, op. 6 (Amsterdam). -aCapricci
7nusicali per camera a violino e viola, ovvero arciliufon, op. 7 (Amsterdam, in
Fol.). y>Concerti grossi con tma pastorale per il Santissimo natale«, op. 8 (Bo-
logna, 1709, in Fol.). Dies Werk, welches XII concerti ä 2 Viol. concertini,
2 Viol. ripieni, Viola e Ceinhalo enthält, wurde erst nach dem Tode Torelli's
von dessen Bruder Feiice herausgegeben.
Torelli, Luigi, unter diesem Componistennamen wurde zu Wien im Na-
tionaltheater wiederholt eine kleine Oper »Die musikalische Akademie« aufgeführt.
Tori oder Torri, italienischer Componist, welcher Ende des 17. und Anfang
des 18. Jahrhunderts in Deutschland lebte. Er war 1690 Kapellmeister des
Torkesey — Torti. 273
Markgrafen in Bairenth und ging ein Jahr später als Direktor der Kammer-
musik nach München, brachte dort 1791 zwei seiner Opern zur Aufführung:
yiL' Amhizione fulminata<-<^, eine komische Oper und eine andere »J Pregi della
prima vera«. Nachdem wandte er sich nach Brüssel, wo er 1702 an der St.
Michael-Kirche und St. Gudule Kapellmeister wurde. Nach Hawkins war er
ein Schüler des Agostino Steffani (s. d.), dessen Manier er sich zu eigen machte.
Besonders Vocalsachen machten ihm in Flandern einen Namen. Seine Duetten,
darunter »Heraklitus« und »Demokritus«, in welchen das Lachen und Weinen
musikalisch ausgedrückt ist, machten besonderes Aufsehen. Später wechselte T.
seinen Wohnort noch einmal und lebte in Köln als Kapellmeister, wo er unge-
fähr 1722 starb. Es ist nichts von seinen Compositionen gedruckt, doch sind
im zweiten Manuscript-Verzeichniss von Breitkopf noch zwei Duette verzeichnet.
Torkesey, Johann, musikalischer Schriftsteller, der nach Burney ums Jahr
1400 lebte, wahrscheinlich ein Engländer, hat einen Traktat geschrieben: »Äe-
gulae Magistri«, welcher für die Entzifferung der Compositionen aus dem Anfange
des 15. Jahrhunderts sehr brauchbar ist. Das Manuscript befindet sich als
No. 5 in einem Codex, welcher neun Traktate enthält und den Graf von Schei-
burne in England besass.
Torlez (...), Musiklehrer an den Akademien zu Clermont, Grenoble und
zu Moulins, lebte um die Mitte des 18. Jahrhunderts und veröffentlichte zu
Paris 1767: »Cinq motets a Yoix seiile, avec Symphonie«.,
Torlez, Violinist bei dem italienischen Theater zu Paris, gab 1783 heraus:
■s>Six duos pour flute et violona, op. 1.
Tornabocca, Pascal, Cölestinermönch zu Aquila, einer Stadt in den
Abruzzen, gegen 1560 geboren, hat einen Beweis dafür, dass er auch Componist
war, hinterlassen in der: nMissa a cinque voci<i (in Venetia, appresso Giacomo
Vincenti, 1590, in 4°).
Torner, Joseph Nicolaus, Domorganist zu Trier um 1740, hat zu Augs-
burg gegen diese Zeit herausgegeben: »Musikalisch ABC per tertiam minorem
continens 8 Gantilenas pro Ojfertorio, tot pro Mevatione et 8 pro Communione,
quibus ex diversis. Tonis per tertiam majorem XII. partim Toccatae, Currentes,
Äiae cantahiles etc. additaea.
Tornioli, Marco Antonio, Kapellmeister an der Hauptkirche zu Siena,
wo er 1580 geboren wurde, hat Opern und auch Kirchenmusik geschrieben.
Von der letzteren ist bekannt: r>Sacrarum catitionum a 2, S et 4, vocum, Über
secundusa (Venetiis, apud Jac. Vincentium, 1617, in 4**).
Torrebe oder Torrhebe, griechischer Musiker, Sohn des Atys, nach dem
eine Stadt in Lybien benannt ist und dem einige Historiker die Erfindung des
Lydischen Modus zuschreiben.
Torres, Melchior de, ein spanischer Tonkünstler des 16. Jahrhunderts,
geboren zu Alcala de Henares in Neu-Castilien, wurde im Anfange des Jahr-
hunderts geboren und gab heraus: nÄrte de la musicav. (Alcala, 1554, in Fol.).
Torres Martinez Bravo, Don J 6 a o de, erster Organist an der königlichen
Kapelle zu Madrid, daselbst 1665 geboren, schrieb ein Lehrbuch der Orgel-
begleitung: riBeglas generales de accompanar en organo, clavicordo y harpaa (en
Madrid, en la imprenta di musica, 1702, in 4**, 163 Seiten).
Torrian, Jehan, Orgelbauer, geboren zu Venedig, liess sich zu Montpellier
gegen Ende des 15. Jahrhunderts nieder und baute dort 1504 eine Orgel in
Notre-Dame-des-Tables von acht Fuss und acht Eegistern (aNoveau Manuel
complet du facteur d^orguesa, t. III p. 490).
Torriani, Giov. Antonio, Componist des 17. Jahrhunderts, von Cremona,
hat in Musik gesetzt: »Za Conversione di San Bomualdo«, Oratorium, aufgeführt
zu Fabriano 1688.
Torropil, eine Art Maultrommel (s. d.), ein Nationalinstrument der esth-
ländischen Bauern.
Torti, auch Torte, Luigi, Eürchencomponist an der Kapelle der Theatiner-
Musikal, Convers.-Lexikon. X. 18
274 Toscano — Tosoni.
Kirche in Turin, war zu Pavia 1547 geboren. Es sind von seinen Werken
gedruckt: rill primo libro delle Canzoni a tre vocia (in Venetia 1581, in 4°),
»II primo libro di Madrigali a cinque vocia (ibid. 1585, in 4"). »JZ secondo
lihro delle Canzoni a tre vocia (ibid. 1583, in 4"). »II primo lihro di Motetti
a quattro vocia (in Yenetia, app. Giacomo Vincenti, 1589, in 4*^). »Messa e
Vespri a tre vocia, op. 6 (ibid. 1607, in 4").
Toscano, Nicola, Dominikanermönch, auch Sänger, geboren zu Monte di
Trapani in Sicilien um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Nachdem er sein
Gelübde abgelegt hatte, bereiste er Italien und zog sich 1605 in sein ehemaliges
Kloster zurück. In der Bibliothek zu Palermo sind Manuscripte von ihm vor-
handen, welche musikalische Abhandlungen enthalten.
Tosi, Giuseppe Pelice, Componist, ist zu Bologna 1630 geboren und
war zuerst Organist an San Petronio, später Kapellmeister der Kirche San
Giovan' in Monte. Bei der Gründung der philharmonischen Akademie in
Bologna 1666 wurde er Mitglied derselben, und 1683 Kapellmeister an der
Kirche zu Ferrara. Dessen ungeachtet war er auf dem Gebiete der Oper als
Componist am thätigsten. Er schrieb: »Atide«, ein Akt (Bologna, 1679). »Eris-
mondaa (ebenda 1681). »Trajanoa (Venedig, 1684). »Giunio Brutoa (Bologna,
1686). »Orazioa (Venedig, 1688). »Ämtilio o Numitorea (ebenda 1689). »Pirro
e Demefrioa (ebenda 1690). »La Incoronazione di Sersea (Venedig, 1691). »Etä
del oro«, Ballet, bei Gelegenheit der Hochzeit des Herzogs von Parma mit
Dorothea Sophie von Neuburg, 1690, im Palais zu Parma. Einige Kirchen-
compositionen sind gedruckt: »Salmi concertati a tre e quattro voci con violini e
ripienia, op. 1 (Bologna, J. Monti, 1683, in 4"). »Cantate da Camera a voce
sola, cd'l basso continuoa, op. 2 (ibid. 1686, in 4").
Tosi, Pietro Francesco, Sohn des Vorigen, Sopransänger, Gesangsmeister
und Componist, wurde in Bologna gegen 1650 geboren und erwarb sich in der
Folge bedeutenden Ruf als Sänger und Gesanglehrer. Nachdem er in allen
bedeutenden Städten Europas sich hatte hören lassen, Hess er sich in London
nieder, und glänzte dort als Opern- und Concertsänger. Er verliess diese Stadt
nur noch einmal, um noch nach Bologna zu reisen, und dort sein Buch über
die Gesangskunst drucken zu lassen, ein Werk, welches die Methode der alt-
italienischen Gesaagsweise in aller Klarheit darlegt, sich auch sonst durch
treffliche Anmerkungen auszeichnet. Die Bedeutung desselben wurde auch durch
Uebersetzungen ins Englische und Deutsche anerkannt. In die letztere Sprache
übertrug es Agricola: »Anleitung zur Singkunst; aus dem Italienischen mit
P]rläuterrngen und Zusätzen« (1757, in 4"). Die englische Uebersetzung von
J. E. Galliard mit Anmerkungen, die aber nicht ausnahmlos belobt wird, er-
schien unter dem Titel: »Observations on tlie florid song or sentiments of the
ancient and modern singersa (London, 1742, in 8°). Der Titel des Original-
werkes heisst: »Opinione de cantori antichi e moderni o siano osservazioni sopra
il canto figuratoa (Bologna, per Lelio della Volpe, 1723, in 8°, 118 S.). Es
existiren auch Exemplare dieser Ausgabe, die eine Dedication an Lord Peter-
borough enthalten. Dieser Lord stellte dem Tosi, der in London allgemein
sehr geschätzt war, im Alter eine Wohnung in seinem Hause zur Disposition,
die derselbe auch bezog und bis zu seinem Tode, ungefähr 1730, bewohnte.
Nachdem Tosi nicht mehr öffentlich sang, beschäftigte er sich auch mit der
Composition und schrieb Cantaten, die nicht übel sein sollen, und deren Ma-
nuscripte noch in England zu finden sind.
Tosone, Matteo, genuesischer Componist aus der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts, gab heraus: »II primo libro di Madrigali a quattro voci«.
(Genova, app. Girolamo Bartoli, 1590, in 4°). »II primo libro de Motetti a
cinque vocia (ibid. 1593, in 4°).
Tosoni, Giuseppe, Sopransänger der königl. Oper zu Berlin, geboren zu
Brescia, wird bereits 1750 in Berlin erwähnt, kam jedoch erst nach dem sieben-
Tossarelli — Touche moulin. 275
jährigen Kriege in Thätigkeit, 1795 sang er noch in Berlin, aher nur noch in
den Lehmaun'schen Kirchencoucerten. Er war von Agricola gebildet.
Tossarelli, Pietro, Domherr von Aqui, geboren zu Benevent, Musik-
dilettant, lebte im 16. Jahrhundert und veröÖ'entlichte: •oMadrigali a sei vocia
(Mailand, 1570, in 4").
Tosto, s. Pili tosto.
Tottmanu, Albert, geboren am 31. Juli 1837, Sohn des Seminar-Musik-
lehrers in Zittau und späteren städtischen Musikdirektors Moritz Tottmann in
Löbau. Er studirte auf dem Gymnasium in Zittau und später in Dresden, in
welcher Stadt er zugleich in der Musik Seelemann's, Dotzauer's und Reissiger's
Unterricht genoss. Von Dresden siedelte er nach Leipzig über und besuchte
hier das Conservatorium und von 1857 — 1860 die Universität, an welcher er
germanische Sprachen, Philosophie, Mythologie, Literatur, Kunstgeschichte und
Physik studirte. Daneben bekleidete er eine Stelle als Yiolinspieler im Theater-
und Gewandhausorchester zu Leipzig und war von 1868 an zugleich Musik-
direktor am alten Theater daselbst. Da letztere Stellungen ihm jedoch nicht
genügten, legte er dieselben nieder und übernahm die Direktion mehrerer Ge-
sangvereine, wo er sich besonders um die Einführung von "Werken lebender
Componisten verdient machte. Sein Vorhaben, einen längeren Aufenthalt in
Paris zu nehmen, vereitelte der Krieg von 1870. Tottmann widmete sich nun
ganz der Ausführung seines »Kritischen Repertoriums der Violin- und Bratschen-
literatur«, wozu ihm durch die Firma J. Schuberth in Leipzig der Auftrag
wurde. Das Werk fand schnelle Verbreitung und die allgemeine Anerkennung
der Fachpresse und veranlasste, in Verbindung mit anderen kunstwissenschaft-
lichen Arbeiten und Vorträgen Tottmann's, die Ernennung des Letzteren zum
königl. bairischen Professor, während ihm vom König von Sachsen das Ritter-
kreuz des sächsischen Albrechtordens verliehen wurde. Von Tottmann's zahl-
reichen Compositionen sind besonders zu nennen: »Dreisätziger Hymnus für
Männerchor und Messinginstrumente«, op. 4, mit deutschem und englischem
Texte (Leipzig, Kistner), die melodramatische Märchendichtung »Dornröschen«,
für gemischten Chor, Soli und Orchester; sowie die Chorstücke mit Ciavier:
»Die stille "Wasserrose«, »Ostern«, »Christnacht« und die vierstimmigen »religiösen
Festgesänge« (Leipzig, Hoffmeister); von seinen Sologesängen aber: »Vier
Gesänge«, op. 21; »Amarauthslieder«, op. 22; »Zwei kirchliche Arien mit Orgel
für hohe und tiefe Stimme«, op. 9 und 10 (Leipzig, J. Schuberth) und aus der
jüngsten Zeit »Zwölf Coloratur- und Bravourstudien für eine hohe und eine
tiefe Stimme«, op. 26 (Leipzig, Mei'seburger), von denen namentlich die Sachen
für gemischten Chor auch im Auslande vielfache Verbreitung gefunden und
verschiedentliche Aufführungen erlebt haben. Gegenwärtig lebt Tottmann als
einflussreicher Schriftsteller und geachteter Lehrer der musikalischen Theorie
und Aesthetik in Leipzig.
Toaclie (franz.) = Clavis, Taste, bei Saiteninstrumenten das Griffbrett.
Touchard-Lafosse, G., Historiograph und Romanschriftsteller, geboren zu
Chätre (Sarthe) am 8. August 1780. Unter seinen zahlreichen "Werken ist
hier zu erwähnen: liCJironiques secretes et galantes de VOperav. von 1667 bis
1844 (Paris und Blois, zwei Bände in 8'', auch vier Bände in 12"), in welchem
über die Verwaltungen der Theater und über die seit dem Anfang des 19. Jahr-
hunderts stattgefundenen Aufführungen der Stücke manche historische Nach-
richten zu finden sind.
Toncliemouliu, Joseph, geboren zu Chrdons gegen 1727, erhielt früh
Unterricht und liess sich zuerst in Paris 1754 im Concert spirituel mit vielem
Erfolg hören. "Während er sodann in Köln zur Kapelle des Kurfürsten gehörte,
erhielt er die Erlaubniss nach Italien zu reisen, und benutzte die Gelegenheit,
den Unterricht Tartini's zu geniessen. Nach seiner Rückkehr erhielt er den
Titel Kapellmeister. Später trat er in die Dienste des Prinzen von Thurn
und Taxis zu Regensburg in derselben Eigenschaft. Dort starb er 1801 und
lö*
276 Toujours lie — Tourte.
hinterliess im Manusci'ipt viel Messen, Vespern, Litaneien, Psalme, Motetten,
Opern, Sinfonien und Concerte.
Toujours lie (franz.), Vortragsbezeichnung = immer gebunden.
Toulmon, Auguste Bottee de, s. Bottee de Toulmon.
Toulouse, Pierre, Professor der Musik und Guitarrist, lebte gegen 1800
in Jena, wo er monatlich einen Bogen sauber geschrieben für Gesang mit Be-
gleitung der Guitarre herausgab. Jeder Bogen sollte vier der besten, entweder
deutschen, französischen oder italienischen Lieder enthalten. Ausserdem wurde
von ihm gedruckt: »Utude pour guitare, ou trois graiides so7iates et variaiions,
potir cet Instrument, avec accompagnement d^altoa (Braunschweig, Speer).
Touquet, s. Toccate.
Tour, Jehan, auch Jehannet oder Jehannott de la, war Lehrer der
Chorknaben der Kapelle Philipps des Guten zu Burgund vom Jahre 1427 an.
Es ist anzunehmen, dass T. ein wohlunterrichteter Musiker war, da um jene
Zeit durch die schwierige Notenschrift zum Unterricht nur erprobte Musiker
genommen wurden. De la Tour ist bis 1465 im Etat dieser Kapelle ver-
zeichnet, eine Zeitlang auch als Sänger.
Tour, Jean la, s. Latour.
Tournebout, ein altes Blasinstrument, das am untern Ende gekrümmt
und mit vielen Tonlöchern versehen ist.
Tourte ist der Name einer Pariser Instrumentenmacher-Familie, welche sich
im Laufe des vorigen Jahrhunderts grosse Verdienste um die Vervollkommnung
des Geigenbogens ei'worben hat. Ihr berühmtestes Mitglied
Tourte, Fran^ois, wurde 1747 zu Paris geboren, wo sein Vater sieben
Jahre zuvor seine Wirksamkeit begonnen hatte. Diesem, sowie dem älteren
Bruder des Franz, der schon frühzeitig dem Vater als Gehülfe zur Seite stand,
sind die ersten Verbesserungen zu danken, durch welche der Violinbogen geeignet
wurde, die seit Corelli und noch mehr seit Tartini auf ausdrucksvolles Spiel
gerichteten Bestrebungen der Geiger zu unterstützen. Sie waren es, welche
nicht nur der Stange eine grössere Biegsamkeit gaben, als sie zuvor besessen,
sondern auch den am untern Ende des älteren Bogens befindlichen Haken
(cremalliere) zum An- und Abspannen der Haare durch die, für diesen Zweck
weit geeignetere Schraube ersetzten. Noch ungleich Bedeutenderes leistete
Franz T., obwohl gerade er verhältnissmässig spät den Beruf seines Vaters
ergriff, nachdem er vorher acht Jahre lang als Uhrmacher gearbeitet hatte;
nur weil dieser Stand ihm nicht einträglich genug schien, entschloss er sich,
Instrumentenmacher zu werden. Doch war die in den Uhrmacherwerkstätten
verbrachte Zeit für ihn keine verlorene, da er sich dort jene Feinheit und
Geschicklichkeit der Hand erwarb, welche ihm später beim Verfertigen der
Violinbogen vortrefflich zu statten kommen sollte. Zu seinen ersten Bogen
nahm er das Holz aus den Dauben von Zuckerfässern, da die überseeischen
Hölzer ihm zu kostbar waren; seine Arbeiten verkaufte er damals zu zwanzig
bis dreissig Sous. Nachdem er sich indessen einen gewissen Grad von Fertig-
keit erworben, benutzte er fremde Holzarten, von denen er schliesslich dem
Fernambuc-Holz den Vorzug gab, weil es an Leichtigkeit, Biegsamkeit und
Festigkeit alle andern Sorten übertrifft. Um diese Zeit (1786) kam Viotti
zum ersten Mal nach Paris und erkannte sofort die Ueberlegenheit der T.'schen
Fabrikate im Vergleich zu denjenigen der andern Pariser Instrumentenmacher;
auf seine Veranlassung ersann T. ein Mittel, um das bei den damaligen Bogen
unvermeidliche Zusammenballen der Haare zu beseitigen: er gab ihnen am
Frosch eine breite, bandähnliche Form, indem er sie in eine metallene Zwinge
fasste; später vervollständigte er diese Erfindung durch eine Perlmutterbeklei-
dung der Haare vom unteren Ende des Frosches bis zur Zwinge. Die so ver-
fertigten Bogen, anfangs arehets ä recouvrement genannt, wurden bald von allen
Fabrikanten nachgeahmt; keiner von ihnen aber konnte T. erreichen in der
glücklichen Auswahl seiner Stangen, welche stets die wünschenswerthe, mit der
Tourterelle — Toutareh. 277
Richtung der Holzfasern übereinstimmende Biegung besitzen. Um diese zu
erzielen, scheute er nicht die Mühe, seine Blöcke Feruambuc-Holz so lange zu
zersägen, bis er den geraden Faden des Holzes erhalten hatte; die so gewonnene
gerade Stange bog er dann am Feuei", wobei er besonders darauf achtete, dass
auch ihre inneren Theile genügend erwärmt wurden, weil die nur an der Aussen-
seite erwärmten Stangen, wie er bemerkt hatte, durch den Einfluss der Feuch-
tigkeit sich werfen und dadurch unbrauchbar werden.
Die Geldopfer, welche T. bei der sorgfältigen Auswahl seiner Stangen
bringen musste, waren um so bedeutender, als die Schwierigkeit der Einfuhr
des Feruambuc-Holzes in Folge der Seekriege zwischen Frankreich und England
den Preis desselben ausseroi'dentlich erhöht hatte; so erklärt sich auch der hohe
Preis seiner Bogen, für welche ihm 200 — 300 Franken und darüber bezahlt
wux'den, während die besten Bogen der gegenwärtigen Meister nicht mehr als
20 bis 30 Franken kosten. Im steten Verkehr mit den bedeutendsten Violi-
nisten seiner Zeit und durch ihre Rathschläge geleitet, hörte T. auch nach
seinen glänzenden Erfolgen nicht auf, in seiner Kunst fortzuschreiten. Bis
1775 waren weder die Länge des Bogens, noch sein Gewicht, noch die Be-
dingungen seines Gleichgewichtes in der Hand festgesetzt gewesen: T. bestimmte
um diese Zeit die Länge des Violinbogens (den Knopf mit einbegriffen) auf
74 oder 75 Centimeter, die des Bratschenbogens auf 74 Centimeter, die des
Violoncellbogens auf 72 oder 73 Centimeter; ebenso bestimmte er die Grösse
des Kopfes und des Frosches, um den richtigen Winkel zu erhalten, in welchem
die Haare die Saiten schneiden müssen, ohne mit der Stange in Berührung zu
kommen. Da bei den, nach diesem Prinzip verfertigten Bogen der Kopf grösser,
folglich auch schwerer war als bei den früheren, so sah sich T. veranlasst, zur
Herstellung des Gleichgewichts auch das Gewicht des unteren Bogenendes zu
vermehren und zu diesem Zwecke schmückte er den Frosch mit allerlei me-
tallnen Verzierungen. Endlich verwendete er noch grosse Aufmerksamkeit auf
die Haare, die er zunächst vermittelst Seifenwasser von allen Fetttheilen befreite,
sie dann in Kleienwasser reinigte und schliesslich in klares, leicht blau
gefärbtes Wasser tauchte. Seine Tochter war beständig mit dem Aussuchen
der Haare beschäftigt, wobei alle diejenigen ausgeschieden wurden, welche nicht
völlig cylindrisch und in ihrer ganzen Länge gleichmässig waren. — T. endete
seine erfolgreiche Laufbahn erst im 85. Lebensjahre, als die Schwäche seiner
Augen ihn am Arbeiten zu hindern anfing; er starb drei Jahre später im April
1835 zu Paris. Seine einzigen Leidenschaften waren sein Beruf und der Fisch-
fang; während der schönen Jahreszeit schloss er seine Arbeit regelmässig um
vier Uhr Nachmittags ab und vergnügte sich damit, bis Sonnenuntergang in
seinem eigenen Kahn auf der Seine zu angeln. Nach Hause zurückgekehrt
speiste er einfach, häufig nichts anderes als die von ihm gefangenen Fische;
dann legte er sich schlafen, um am andern Morgen mit der Sonne aufzustehen.
Dieser einförmigen Lebensweise blieb er bis an sein Ende getreu, ohne doch
jemals Langeweile zu empfinden — merkwürdig genug, da er weder Lesen
noch Schreiben gelernt hatte. Die von ihm vertretene Kunstspecialität füllte
sein Leben vollständig aus, und indem er sich ihr ausschliesslich widmete,
brachte er es zu einer Berühmtheit, ohne selbst recht zu wissen, auf welche
Weise er dazu gelangt sei. Wie beschränkt auch das Kunstgebiet ist, welches
er sich erwählt hatte, so konnte er doch innerhalb desselben durch Fleiss,
Geschicklichkeit der Hand und geniale Sicherheit des Auges Grosses erreichen
und darf mit vollem Rechte einen wichtigen Antheil an der Entwickelung des
modernen Violinspiels für sich in Anspruch nehmen.
Tourterelle, s. Herdliska.
Tourti, ein der Schalmei ähnliches Instrument, mit dem die Bajaderen
ihren Gesang und Tanz zu begleiten pflegen.
Toutareh, eine indische Kriegstrompete, in ihrem Aeussern nur durch den
geringern Umfang von der Tare unterschieden.
278 Touze — Traditi.
Touze, Abbe. Stiftsherr zu Ebeims und Vicar an St. Grervais zu Paris,
war Mitglied einer von den Erzbiscböfen zu Ebeims und Cambrai eingesetzten
Commission zur Revidirung der Graduale und Antipbonarien. Er verfasste
eine Scbule für den Gregorianiscben Kircbengesang, die unter folgendem. Titel
erscbien: -»Methode elementaire de plahi-cliant appliquee a Vedition de la commis-
sion de Hheims et de Cambrai^ deuxieme editionn (Paris, Jacques Lecoffre et Co.,
1854, in 12°).
ToTar, Francesco, spanischer Musiker, der in der zweiten Hälfte des
15. Jahrhunderts geboren wurde, liess drucken: nLihro de musica practica^,
welches Buch, jetzt bereits sehr selten geworden, drei Auflagen erlebte (Bar-
celona, 1510, 1519, 1550, in 4°).
Towsend, John, Elötenvirtuos, in der Grafschaft York in England An-
fang des 19. Jahrhunderts geboren, kam jung mit seiner Familie nach Liver-
pool und erhielt von Georg Ware Unterricht auf der Flöte. Mit fünfzehn
Jahren Hess er sich in seiner Vaterstadt zum ersten Mal hören und erregte
allgemeines Erstaunen durch die Leichtigkeit, mit der er Schwierigkeiten über-
wand. Er gab eine Flötenschule heraus : r>New and complete flute preceptora, ferner
Compositionen für eine oder zwei Flöten, englische Lieder und Ciavierstücke.
Tozzi, Antonio, Componist, in Bologna 1736 geboren, war Schüler des
P. Martini und bildete sich unter Leitung dieses vielgerühmten Lehrers zu
einem vielseitigen Componisten. Nachdem er sich durch die Opern »Tigranets.
(1762), ninnocenza vendicataa schon E,uf erworben, ging er 1765 als Kapell-
meister an das Hoftheater nach Braunschweig. Hier schrieb er die Opern
■nAndromaccav. (1765) und -»Binaldod (1775). Nach dem Tode des Herzogs
(1785) verliess er seine Stellung und ging nach München, um dort die Oper
•»Serva astutaa auf die Scene zu bringen. Andere Opern: y>Caccia d^ Enrico IV.a
(1788), y>Oiifeo(.i (1789); das Oratorium y>Sa7ita Mena al Calvarioa (1790) führte
er in Madrid, wo er die Stelle eines Accomj^agneurs angenommen hatte, auf;
•aZemire e Azo7'<.< erschien in Barcelona zum ersten Mal vor den Lampen. Tozzi
kehrte ungefähr 1792 nach Bologna zurück, wo er noch eine Reihe von
Jahren lebte.
Trabacci, Giovanno Maria, Organist der königlichen Kapelle zu Neapel,
geboren in der letzten Hälfte des 16. Jahrhunderts, liess von seiner Composition
drucken: DÜicereari per Vorgano, libro primovi (Neapel, 1603, in Fol.). »11 lihro
primo de madrigali a cinque voci« (Venedig, Gardane, 1608). »II secondo lihro
de madrigali a cinque voci«- (ibid.). »Ricercari per l'organo« (Neapel, 1616, in Fol.).
Trabattone, Egidio, Organist an der St. Victorkirche zu Varese im Mai-
ländischen am Anfang des 17. Jahrhunderts, liess von seinen Compositionen
drucken: »Messe, motetti, magnificat, falsi hordoni et litanie della B. V. a qucvttro
e sei vocidi (Milano, Georg Rolla, 1625). »Messa, Salmi con Litanie della Beata
Yirgine a 5 vocin. op. 6 (ibid. 1638).
Trabattone, Bartolomeo, gab ebenfalls in Mailand heraus: »Teatro mu-
sicale, opera postuma data in luce de Carlo Ämhrogio Rotoiidi, musico della Me-
tropola di Milano, op. 3, dove sono Motetti, Messe, Salmi, Litanie della Beata
Virgine a quattro voci« (Milano, per Franc. Vigone, 1683, in 4").
Tractur (vom latein. tractare) nennt man das ßegierwerk der Orgel (s.d.),
den Gliedermechanismus, durch den beim Niederdrücken der Tasten die Can-
cellenventile geöffnet werden.
Tractus, im römischen Kirchengesange ein Gesang, der während der Fasten-
zeit, vom Sonntag Septuagesimae bis Ostern, an Stelle des auf das Graduale
sonst folgenden »Alleluja« gesungen wurde und weit gemessener ausgeführt wird,
als dieses, daher der Name (von tractim). Der Text des Tractus ist den
Psalmen entnommen, entweder ein ganzer Psalm oder auch nur ein Vers.
Ti'aditi, Paolo, Kirchencomponist aus der römischen Schule, war Kapell-
meister an der Kirche St. Jacob und St. Alfons der Spanier zu Eom im An-
Traeg — Traötta, 279
fange des 17. Jalirliunderts. Es ist noch folgendes Werk von ihm bekannt: »Salmi,
Magnificat, con le quattro aniifone per i vespri a otto vocw (Rom, 1629, in Fol.).
Traear, Andreas, Toukünstler, der Endo des 18. Jahrhunderts in Wien
lebte, liess daselbst bei Traeg 1798 als op. 1 «Sechs Fantasien für Flöte« drucken.
Sechs Sinfonien für grosses Orchester, Lieder und Tänze sind ebenda im Ma-
nuscript zu finden.
Traeg, Anton, Sohn des Vorigen, ist in Wien 1818 geboren und bildete
sich bei frühzeitigen Studien und im Conservatorium unter Professor Merk
zum Violoncellisten. Von 1845 bis 1852 war er als Professor für dies In-
strument am Conservatorium zu Prag angestellt; er starb in Wien am 17. Juli
1860. In AVien und Prag hat er einige Compositionen veröffentlicht.
Traeg', Johann, Verwandter der Vorigen, gründete 1799 in Wien eine
Musikalienhandlung von bedeutendem Umfange, besonders für Verlagswerke.
Er gab einen wohlgeordneten Catalog seiner Sammlung von 300 Seiten in 8**
heraus: »Verzeichnisse alter und neuer, sowohl geschriebener als gestochener
Musikalien, welche in der Kunst- und Musikhandlung des Job. Traeg zu Wien
in der Singerstrasse No. 957 zu haben sind« (Wien, 1799).
Träger heisst der Balken bei den Saiteninstrumenten (s. d.).
Träger, Zeichenlehrer an der Zeichenschule zu Bernburg um 1792, erfand
ein Instrument, das er Nagelciavier oder Stahlclavier nannte. Es ist auf den
Principien der Nagelgeige erbaut, hat fünf Octaven und die Form des Claviers.
Der Ton in der Höhe ist flageolettartig, in der Tiefe von angenehmer Bebung.
Eine Beschreibung der Construktion des Instrumentes steht in der »Berliner
musikalischen Monatsschrift«, S. 24.
Traetta, Tomaso, zu seiner Zeit berühmter Operncomponist der neapoli-
tanischen Schule, ist in Bitonto im Königreich Neapel am 19. Mai 1727 ge-
boren. Diese von allen andern Biographen abweichende Angabe des Geburts-
tages und -Ortes fand Fetis (jaBiogr. univ.«, t. 8, p. 248) unter einem Bildaiss
von T., welches bei seiner Anwesenheit in London (1776) von Ghinocchi in
Kupfer gestochen worden ist. T., ungemein begabt, besuchte vom elften Jahre
an das Conservatorium zu Loreto in Neapel und war einer der letzten Schüler
des Durante. Mit 21 Jahren verliess er das Institut und trat als Lehrer und
zunächst als Kirchencomponist in die Welt. Messen, Vespern, Motetten, Lita-
neien aus jener Zeit sind noch im Manuscript vorhanden. Sein eigentliches
Talent war jedoch das Dramatische, und die erste grosse Oper »7/ JFarnacea,
1750 am Karlstheater in Neapel aufgeführt, errang einen so glänzenden Erfolg,
dass sechs Opern nach einander von ihm geschrieben und an demselben Theater
aufgeführt wurden. Man wollte ihn nun aller Orten haben, und so ging er
zunächst 1754 nach Rom, für das er nEzio», eines seiner besten Werke schrieb.
Florenz, Venedig, Mailand, Turin bedachte er gleichfalls und durchzog so
Italien im Triumphe, bis er in Parma an dem Hofe Don Philipp's als Kapell-
meister und Lehrer des Gesangs der Prinzessinnen für einige Zeit festen Wohn-
sitz nahm. Die erste an diesem Hofe bei Gelegenheit der Vermählung der
Infantin von Parma mit dem Prinzen von Asturien aufgeführte Oper y>Ippolito
ed Ariciaa (1759) trug ihm eine Pension des Königs von Spanien ein, so ausser-
ordentlichen Beifall errang sie. In Wien, wohin man den einmal beliebt ge-
wordenen Componisten ebenfalls berief, wurde noch in demselben Jahre -»Ifigeniav.^
auch eine seiner besten Opern, mit ungetheiltem Beifall aufgenommen; ebenso
yyÄrmidea, die auch für Wien geschrieben und wie yylfigeniaa nachdem die Runde
durch alle Theater Italiens machte. Nach dem Tode des Herzogs von Parma
begab sich T. nach Venedig, wo man ihm die Direktion des Conservatoriums
•t>Ospedaletto« antrug, die er auch annahm, jedoch nach zwei Jahren anderen, ihn
mehr anziehenden und glänzenderen Vorschlägen folgte und diese Stelle wieder
aufgab. Er ging als Hofcomponist nach Petersburg an den Hof Katharina's IL
als Nachfolger Galuppi's, und Sacchini trat an seinen Platz am Conservatorium.
An dem Hofe der Kaiserin verbrachte T. sieben Jahre, während welcher Zeit
280 Tragen der Stimme — Trajaneen.
er ebenso viele Opern und eine Anzahl Cantaten schrieb. Die erste der in
Petersburg zur Darstellung gelangten Opern war y>La Didonea, schon in Parma
1764 componirt. Nun wünschte T. entlassen zu werden, und ungern bewilligte
man ihm seinen Abschied, doch zwang ihn sein Gesundheitszustand, das ihm
ungünstige Klima zu verlassen. Zunächst ging er nach London, wo er mit
hochgespannten Erwartungen empfangen wurde, die er aber nicht, wie es ihm
bisher gelungen, zu erfüllen vermochte. y>Germondea, 1776 in London aufgeführt,
wurde kalt aufgenommen, und der Componist zögerte nun nicht, sein Vaterland
aufzusuchen, wo er die alte körperliche und geistige Frische und Energie wieder
zu finden hoffte. Dies war ihm aber nicht beschieden. Er schrieb zwar für
Neapel und Venedig noch mehrere Opern, aber seine Gesundheit befestigte sich
nicht wieder; das Lebenslicht erlosch in seinem 52. Lebensjahre am 6. April
1779. (Siehe Burney und Moschini -n Delle letteratura veneziana del secolo XVIII,
pari. III, p. 208«.)
Traetta besass entschieden viel Talent und wird dem Piccini und Sacchini
an die Seite gestellt, obwohl diese Beiden noch bedeutend grössere Erfolge auf-
zuweisen hatten. Im dramatischen scharf pointirten Ausdruck war er ihnen
wahrscheinlich voraus, was seinen Landsleuten gar nicht einmal immer zusagte,
die ausser Melodie nichts begehrten. Man erzählt, dass T. am Ciavier sitzend,
um einer derartigen Wirkung vorzubeugen, die Gewohnheit hatte, vor gewissen
Stücken seinen Zuhörern zuzurufen: y>8ignori hadate a questo pezzo<s. (»Meine
Herren, auf dies Stück geben Sie acht!), worauf denn der Beifall nicht ausblieb.
Er cultivirte jedoch ebenso eine Art Gluck'schen Stiles. Eine derartige Arie
(aus T>Se7niramis(i) ist in: »Methode de chant du conservatoire de Parisv, p. 274
et suiv., aufgenommen. Merkwürdig ist, dass seine Kirchenmusiken sich bis
auf die neueste Zeit erhalten haben, während die Opern, die seinen Euf be-
gründeten, ganz verschollen sind. Es sind ungefähr zwanzig dem Titel nach
bekannt, aber wahrscheinlich ist dies nur ein Theil derer, die er geschrieben
hat. Ausser den bereits genannten, können noch angeführt werden: »/ Pastori
felici (Neapel, 1753). »ie Nozze contrastatev. (1754). -all Buovo d^Änto7ia«
(Florenz, 1756). y>Stordilano, principe di Granata<s. (Parma, 1760). »Xa Francese
a Malaglierav. (Parma, 1762). y>Didone abbmidonatavi (ibid. 1764). y>Semiramide
riconosciutan (1765). »ia Serva rivalea (Venedig, 1767). ^oAmore in trappolaa.
(ibid. 1768). •nL'Isola disabitatav. (Petersburg, 1769). »Olini'piadea (ibid. 1770).
■üAntigoneii (ibid. 1772). »2Z Cavalier errantev. (Neapel, 1777). »La Disfatta
di Darioa (ibid. 1778). »Artenicea (Venedig, 1778). Im Conservatorium zu
Neapel befindet sich ein Stahat mater für vier Stimmen und Orchester, Weih-
nachts-Morgengesänge, Theil einer Passionsmusik nach dem Evangelium Johannes.
Die Partitur des Oratoriums »Salomon« befand sich in der Bibliothek von
Fetis; es besteht aus zwei Theilen und ist für fünf Sopran- und Contraltstimmen
geschrieben. Auf diesem Exemplar sind die Namen der Ausführenden, Schü-
lerinnen des Conservatoriums, von denen einige Berühmtheit erlangten: Laura
Conti, Francesca Gabrieli, Messana, Pasquate, Vertramin, wahi'scheinlich von
Traetta's Hand verzeichnet.
Tragen der Stimme, Fortar la voce, s. Portamento.
Tragische Oper ist die ernste Oper mit tragischem Ausgange, bei welchem
der Held zu Grunde geht (s. Oper).
Trahcier, Pseudonym für J. Fr. ßeichardt (der rückwärts gelesene Name),
unter dem der bekannte Berliner Kapellmeister Mehreres veröffentlichte, u. A.
auch »Neue französische Lieder«.
Traine (franz.), geschleift, gebunden, gleich Legato.
Trait (franz.), eine rasche Tonfolge.
Trait de chant (franz.), ein melodischer Satz.
Trait d'harmouie (franz.), eine Accord folge.
Trajaneen, von Hadrian dem Trajan zu Ehren gestiftete Feste bei den
Hörnern, welche zugleich mit musikalischen Wettkämpfen verbunden waren.
Trampeli — Transcription. 281
Trampeli, Christian "Wilhelm,
Trampeli, Johann Gottlob,
Trampeli, Johann Paul, drei Brüder und berühmte Orgelbauer zu Adorf
im Kursüchsischen Voigtlande, wo sie auch geboren wurden. Sie haben alle
drei gemeinschaftlich gegen hundert Orgeln gebaut, nur wenige sind von einem
oder zweien der Brüder allein ausgeführt. Eines der bedeutendsten Werke,
von J. Gottlieb und Christ. Wilhelm (von 1790 — 1793) gemeinschaftlich erbaut,
ist die Orgel in der Nicolaikirche in Leipzig, sie enthält 49 Stimmen, 3 Ma-
nuale und Pedal mit 7 Bälgen; 12 Fuss lang, 6 Fuss breit, nach Silbermann-
scher Art angelegt.
Trauquillameute (ital.) oder
Trauquillo, Vortragsbezeichnung = ruhig, gelassen, fordern ein massiges
Tempo und eine ruhige Ausführung, ohne starke Accente.
Trauschel, Christoph, geboren 1721 zu Braunsdorf bei Bosbach, lernte
frühzeitig Clavierspielen und etwas Latein. 1731 kam er auf das Gymnasium
nach Merseburg, wo er beim dortigen Concertmeister Förster Unterricht in
der Musik erhielt. Nach bestandenem Maturitäts-Examen bezog er die Univer-
sität zu Leipzig, um dort Theologie und Philosophie zu studiren; da er aber
von Hause gar keine Unterstützung hatte, so sah er sich bald genöthigt Unter-
richt zu geben, um für die nöthigsten Bedürfnisse zu sorgen. Dies war denn
auch die Ursache, dass er sich immer mehr der Musik zuwendete, wodurch er
wiederum das Glück hatte, die Bekanntschaft des grossen Job. Sebastian Bach
zu machen und dessen Schüler zu werden. Er verliess Leipzig erst im Jahre
1755 und ging auf Veranlassung seiner Freunde und Gönner nach Dresden,
wo er bald vielfache und lohnende Beschäftigung als Ciavierlehrer fand. Er
selbst soll das Ciavier mit ausserordentlicher Feinheit und Delikatesse gespielt
und die besondere Kunst verstanden haben, seinen Schülern diesen Geschmack
beizubringen. Von universeller Bildung besass er eine ansehnliche Musikalien-
sammlunaf und die vorzüglichsten Werke der älteren und neueren Schriftsteller.
• • "TT
Insbesondere soll T. im Besitz bedeutender Sprachkenntnisse gewesen sein. Von
seinen Compositionen sind drei Sonaten und einige Polonaisen für Ciavier be-
kannt gewoi'den, doch nur im Kreise seiner Schüler und Freunde. Man konnte
ihn nie bewegen, etwas davon drucken zu lassen. Die Musikaliensammlung des
Königs von Sachsen besitzt von diesen Sachen eine Sonate und 14 Polonaisen.
Seit 1792 ungefähr gab T. wegen Kränklichkeit seine Lehrerthätigkeit auf
und starb im Sommer 1800. Vergl. J. G. Kläbe's »Neuestes gelehrtes Dresden«
(Leipzig, 1796, S. 171).
Trauscription = Uebertragung, heisst die Bearbeitung von Tonstücken zur
Ausführung für andere, als die ursprünglich von dem eigentlichen Schöpfer
desselben gewählten Organe. Die Uebertragung von Orchesterwerken, Sinfonien,
Ouvertüren, Quartette u. dergl., wie von Opern, Oratorien und andern grössern
Chorwerken bezeichnet man in der Begel mit »Arrangement«; unter Transcrip-
tion versteht man meist die Uebertragung von Vocalliedern zur Ausführung
für das C lavier. Während es beim Arrangement die Arrangeure als Haupt-
aufgabe betrachten, das Original genau wiederzugeben, muss dies sich bei der
Transcription mancherlei Aenderungen gefallen lassen, der »Wirkung« halber.
Bei der Transcription von Liedern mit Ciavierbegleitung muss die Lage der
Melodie häufig verändert werden, um die Begleitung aufnehmen zu können,
und diese wieder verändert ihre Lage au andern Stellen, um der Melodie Platz
zu machen. Zu diesen, durch die Nothwendigkeit gebotenen Veränderungen,
kommen aber viel durchgreifendere von dem betreffenden Bearbeiter, der höhern
»Wirkung« halber beliebte, die nicht selten die Transcription zur »Paraphrase«,
zur Umschreibung des Originals machen. Die ganze, namentlich seit Liszt's
Transcription Schubert'scher Lieder in Aufnahme gekommene Gattung hat nur
untergeordneten Kunstwerth. Die oben erwähnten Arrangements sind zur Noth-
wendigkeit geworden in mehr als einer Hinsicht; die Transcriptionen da-
282
Transitio — Transponiren.
fifesren dienen meist nur der niedern Lust am Musiciren. Sie sind nur Con-
cessionen an die dilettantische Musikpraxis der Gregenwart, die alles, was auf
andern Gebieten der Musik Beachtung findet, dem Allerweltsinstrument, dem
Pianoforte, zu vermitteln sucht. Sie begnügt sich nicht damit, die grossen,
schwerer zugänglichen Orchester- und Vocalwerke in Arrangements der Haus-
musik zu vermitteln; sie überträgt und verarbeitet auch den vocalen Theil
instrumental-claviermässig, der im Hause im Original seine eigentliche Stätte
haben müsste.
Transitio, Ausweichung in eine andere Tonart.
Transitus (lat.), Durchgang (s. d.).
Transitus irregularis = die Wechselnote (s. d.).
Transitus regularis = die durchgehende Note.
Transponiren heisst einen Tonsatz in eine andere, als die ursprüngliche
Tonart übertragen. Wir konnten unter Tonart und Tonleiter schon zeigen,
dass unser ganzes Tonsystem auf solcher Transposition beruht. Wir machen
eine (resp. zwei) Tonleitern: die C-dur- (und ^-otoZZ-) Tonleiter zu Normal-
tonleitern und bilden dann auf jeder Stufe der chromatischen Tonleiter eine
neue, jener Normaltonleiter ganz gleich construirte Tonleiter nach. Wenn
wir also auf dem Tone des eine neue Tonleiter, unter genauer Beobachtung
der Verhältnisse der Normaltonleiter erbauen, so erhalten wir die Des-dur-
Tonleiter, oder wir haben die 0-dur -Tonleiter nach Des-dur transponirt. Dies
Verfahren lässt sich natürlich auf ganze Tonsätze anwenden. So erscheinen
folgende Anfangstacte des »0 sanctissimaa, ursprünglich in G-dur gedacht, nach
F-dur und nach A-dur transponirt:
a)
M i ^
"SS""
^^-^
ri
b)
=^'=^
Lg=
-p=-
i^i
-#=-
^-
Auf dem Papier zu transponiren ist darnach nicht schwierig. Instrumentalisten,
namentlich Orgel- und Ciavierspieler aber kommen häufig in die Lage, vom
Blatt transponiren zu müssen. Wenn ein Oesangstück einem Sänger nicht
bequem liegt, oder wenn begleitende Instrumente, die nicht, oder doch nur sehr
schwierig umzustimmen sind, eine andere Stimmung haben, so ist der Orgel-
oder Clavierspieler genöthigt, zu transjjoniren, ein Stück, das iirsjDrünglich in
C-dur steht, nach S- oder B-dur oder Des- oder D-dur zu transponiren; daher
müssen dies die Künstler früh zu üben anfangen. Hierbei kommen mancherlei
Hülfsmittel in Anwendung. Die Uebertragung eines Tonstücks um einen halben
Ton wird meist dadurch leicht bewerkstelligt, dass man sich eine andere Vor-
zeichnung denkt. Soll eine üebung wie die nachstehende nach Des-dur über-
tragen werden, denkt man sich die Vorzeichnung Cis-dur (= Des-dur); um
einen halben Ton tiefer zu transponiren, muss man sich die Vorzeichnung von
Ces-dur denken;
Transpouiren.
283
Dementspi'ecliend muss man sich auch alle Yorzeichnungen wegdenken, wenn
ein Tonstück von Gis-dur oder von Ces-dur nach G-dur transponirt werden soll.
Um ein Tonstück von D-dur nach Des-, oder von läl nach Es-dur, von G- nach
Ges-dur, von A- nach As-dur und von S- nach B-dur zu transponiren, darf
man nur an Stelle der ursprünglichen Vorzeichnungen sich die neuen denken
und darnach die Noten ablesen. Soll nachstehender Satz aus dem »Freischütz«
von E-dur nach Es-dur transponirt werden, so denkt man sich anstatt der
vier Kreuze von E-dur die drei Be von Es-dur: alle zufälligen j:} werden dabei
zu t^, die >^ zu Ij, die ^ zu j? und |? natürlich zu \>\}.
\
Original.
Transponirt nach Es-dur.
-^-H
« K
Hieraus ist auch zugleich zu ersehen, dass es sich ähnlich verhält, wenn
der Begleiter einen halben Ton höher transponiren soll. Ist die untere Lesart
— in Es-dur — das Original, das nach E-dur transponirt werden soll, so denkt
man sich statt der drei Be von Es-dur die vier Kreuze von E-dur. Das zu-
fällige t( wird dann zum {J, das t? zum i; und [?> zu einem b- So lassen sich
alle Tonstücke leicht von D- nach Des-dur, von G- nach Ges-, von A- nach
As- und von H- nach B-dur transponiren und umgekehrt.
Schwieriger ist natürlich die Transposition nach den weitern Intervallen,
um eine Ganzstufe, eine Terz, Quart, Quint u. s. w. Diese Fertigkeit setzt
voraus, dass der betreffende Ciavier- oder Orgelspieler mit dem harmonischen
Material einigermassen vertraut ist. Die Transposition nach diesen Intervallen
erfordert, dass man die neue Tonart vollständig vor Augen hat und dann
nicht die Noten, sondern die Intervalle liest. Soll jene Uebung, die wir
zuerst transponirten, eine Granzstufe höher transponii-t werden, so darf man
nicht erst überlegen: aus c wird d; aus e—fis; aus g — a] sondern der Spieler
muss sich sagen: das Sätzchen, einen Ton höher transponirt, steht in D-dur]
dem Anfangston d folgt die Terz, die heisst jetzt ,^s, dieser die Quint, und so
muss er die Intervalle verfolgen und nicht die Noten (a). Ganz ebenso muss
man natürlich verfahren, wenn die Transposition einen ganzen Ton abwärts
erfolgen soll (b), die neue Tonart ist dann hier B-dur und innerhalb dieser
werden daun die Intervallenschritte ebenso nachgeahmt:
284
Transponiren.
a)
b)
^^ . - ■-^-^^
IP^
^Ü
Mit den nöthigen Uebungen, die anfangs auf dem Papier vorgenommen werden
müssen, lässt sich bald einige Fertigkeit in dieser Weise der Trausposition
erreichen. Für die reicher harmonisirten Tonstücke ist es dann nöthig, die
Grrundaccorde richtig zu erfassen und dann ist es nicht schwer, diese nach der
neuen Tonart zu übertragen. Ein weniger bequemes Hülfsmittel für die Trans-
position sind die verschiedenen Schlüssel schon deshalb, weil sie in neuerer Zeit
ausser Gebrauch gekommen sind. Bekanntlich werden die Noten im Sopran-
schlüssel eine Terz höher aufgezeichnet wie im G-Schlüssel; im Altschlüssel
aber um sieben und im Tenorschlüssel um neun Töne.
Sopranschlüssel wie
Alt- wie
Tenor- wie
=^
Aus dieser Verschiedenheit erwächst ein neues Mittel für die Transposition;
will man einen Satz nach der Unterterz transponiren, so liest man den im
Yiolin- (dem G^-) Schlüssel geschriebenen Satz im Sopranschlüssel; im Altschlüssel
gelesen und eine Octave höher versetzt, natürlich mit der entsprechenden Vor-
zeichnung, wird er um einen Ton höher; um einen Ton tiefer aber, wenn man
ihn in der höhern Octave im Tenorschlüssel liest; und um eine Terz, wenn man
ihn im Bassschlüssel liest, aber um zwei Octaven höher:
-• » • »-
-t a
ii — « > • s o *-
iKtfe
?=ff=fr:
-m s
—M^
t^
=a 0 * i • — * II
-• _ • « _ • H
-«--£■-«- — S- -0-
+tw
15
•— ^S=
- • a • a 0 •—
-0- -B. .0. — JL .0.
^1=
i • »^
: 0 = •
-t • • • S • •
-9 • 0 • S 0 •
Hier ist auch jenes Verfahrens zu denken, nach welchem Sopran- oder Tenor-
lieder durch Transposition ohne Weiteres zu Alt- oder Bassliedern gemacht
werden, das in den meisten Fällen nur als Unfug zu bezeichnen sein dürfte.
Wenn der Tondichter sein Lied wirklich für eine bestimmte Stimmgattung
schrieb, so kann dies unmöglich von einer andern ausgeführt, die gleiche Wirkung
machen. Ein Tenorlied ist nicht auch zugleich ein Sopranlied, wenn auch
beide Stimmklassen grosse Verwandtschaft haben, noch weniger aber wird es
dadurch zu einem Alt-, Bariton- oder Bassliede, wenn man es in die Lagen
dieser Stimmklassen transponirt; denn nicht diese hauptsächlich, sondern beson-
dere Eigenthümlichkeiten der inuern Organisation bedingen den Charakter der
Stimmklasseu, die der Tondichter bei der AVahl der betreffenden Organe berück-
Transponiren.
285
siclitigt. Die meisten Lieder aus Schubert's »Die schöne Müllerin«, »AVinter-
reise«, »Schwanengesang« werden ihre höchste Wirkung immer nur von einer
Tenorstimme ausgeführt machen, weit weniger schon vom Sopran gesungen.
Diese aber müssen durch Transposition in die Alt- oder Basslage den grössten
Theil ihrer Wirkung einbüssen. Dazu kommt noch, dass, wie unter Tonart
gezeigt wurde, dieser unstreitig eine gewisse Charakteroigenthümlichkeit eigen
ist, auf welche die Componisten entschieden Eücksicht nehmen. Bei Liedern
mit Begleitung bildet diese endlich einen wesentlichen Bestandtheil, der durch
Transposition um eine Terz, Quart oder gar um eine Quint meist in der
Wirkung ganz und gar verändert wird. Die Eigenthümlichkeit des Tonmate-
rials, nach welcher die Töne nach der Höhe heller, glänzender und sogar schärfer
werden, während sie in der Tiefe allmälig an Grlanz und Eindringlichkeit ver-
lieren und in den äussersten Tiefen mehr dröhnen als klingen, tritt namentlich
auch am Pianoforte und an der Orgel hervor. Bei beiden Instrumenten ist die
Mittellage die wohlklingendste und sie wird deshalb auch hauptsächlich verwen-
det, die obere und untere kommt nur verschärfend und charakterisirend hinzu.
Das gilt auch für die Begleitung bei den verschiedenen Stimmgattungen. Die
Clavierbegleituug für ein Sopranlied wird etwas anders gehalten sein müssen,
wie für ein ausgesprochenes Basslied, aber sie wird sich ebenso vorwiegend in
der Mittellage des Instruments halten müssen, wie die Begleitung zu einem
Tenor- oder Sopranliede. Durch eine Transposition nach der Höhe oder Tiefe
um mehr als eine Secunde, eine Ganz- oder Halbstufe, muss demnach der
Charakter der Begleitung schon entschieden verändert werden.
In dieser Beziehung dürfte die Transposition um eine Halb- oder Ganz-
stufe nicht viel verändern, wohl aber schon die um eine Terz, und die um eine
Quart oder Quint ist meist ganz verwerflich. Die Clavierbegleitung zum ersten
der »Müllerlieder« hat durch die Transposition (in der Peters'schen Ausgabe)
nach F-dur ihre ganze saftige Weichheit verloren, sie ist färb- und charakter-
los geworden. Noch mehr gilt dies von der Begleitung zu dem zweiten »Wo-
hin ?a die im Verlauf bei der Transposition nach Es-dur mehr dröhnt als klingt:
Original.
{
^====tl=ti=^-
• — '-m m-
S^S
^Öi^-i-dri^i^
=^^=d
.P:*-_i:?rrL-?L.
a *
=t^"rt
LÄT^'SI
^p=r=r
=t-:4:
M — '
::1t
{
w
i*
— I-
Ei
Transponirt.
{
m
i^;
-»-UZÜ-
Ej2=t
— * ^ 1 -i-
— _i • j • -A-
e — ß-\--* ^ •-
:p;t=e:
1=
^m
286
Trausponirende Instrumente -^ Transpositionsscalen.
1
■m^
^
3
-^
Ganz dasselbe gilt von dem vierten: »Danksagung an den Bach«, wie vom
fünften und sechsten und fast allen andern, deren Wirkung nicht selten voll-
ständig aufgehoben erscheint. Nicht weniger geschädigt erscheinen die Lieder
der Winterreise durch die Transpositionen der Peters'schen Ausgabe für
eine tiefe Stimme, vor allen andern das Lied: »Der du so lustig rauschest«, das
vollständig abgeblasst erscheint. Das alles gilt auch fast ausnahmslos von allen
andern derartigen Transpositionen. Es erscheint ebenso ganz unstatthaft Beet-
hoven's y>A7i perfido« nach A-dur zu transponiren, wie das Richard Wuerst
gethan hat, um die Arie für Alt zuzurichten, da dies niemals ohne Versün-
digung am Original erfolgen kann. Ist ein solches Gesangsstück nicht durch
Versetzung um eine Halb- oder höchstens Ganzstufe einer Stimmgattung be-
quem zu machen, so erscheint es eben angemessener, darauf zu verzichten, als
es in seiner innersten Wesenheit anzutasten, was immer dann geschehen wird,
wenn die Uebertragung dieses Intervall übersteigt.
Transponirende Instrumente heissen diejenigen Instrumente, welche anders
erklingen, als sie notirt werden. Es gehören hierzu eine Reihe von Orchester-
instrumenten, wie der Contrabass, das Contrafagott, das Hörn, welche
eine Octave tiefer klingen, als sie notirt werden. Die Piccoloflöte (auch
Octavfiöte genannt) lässt dagegen alle für sie aufgezeichneten Töne eine Octave
höher erklingen, die Terzflöte eine kleine Terz höher. Andere Instrumente
wiederum, wie Trompete und Clarinette geben die Töne je nach ihrer
Stimmung verschieden an. Nur die C-Trompete und die O-Clarinette geben
die vorgezeichneten Töne. Die 5-Clarinette giebt sie einen Ton tiefer, die
Z)-Clarinette einen Ton höher, die ^s-Clarinette eine kleine Terz u. s.w.
und in derselben Weise verändert jede andere Stimmung der Trompete die
ursprüngliche Tonweise. Dass das Englische Hörn eine Quint tiefer klingt,
als es notirt ist, ebenso wie das Bassethorn, das Quint fagott aber eine
Quint höher, ist unter den betrefPenden Artikeln nachzulesen.
Transpositeur nannte Boiler in Paris ein von ihm erfundenes Pianoforte,
bei welchem durch einen sinnreichen Mechanismus die Tasten allmälig auf die
chromatischen Töne der Tonleiter verschoben werden konnten.
Transposition heisst ein veralteter Begisterzug an der Orgel, welcher im
Bückpositiv, dort, wo die Manualtasten auf die, unter ihnen sich befindenden
Stecher drücken, angebracht ist. Der Mechanismus ist derartig aufgestellt, dass,
sobald er durch den betreffenden Begisterzug in Bewegung gesetzt wird, sämmt-
liche in einer Scheide laufenden Stecher einen halben oder auch ganzen Ton
aufwärts wirken, so dass dann der C- Stecher unter Gis oder D zu stehen kommt.
Mit Hülfe des Zuges ist es also sehr bequem, ein Tonstück auf der Orgel um
einen halben oder ganzen Ton aufwärts zu transponiren. In neuerer Zeit ist
indess der Begisterzug abgekommen, schon aus dem Grunde, weil diese Trans-
position nicht mehr so nothwendig ist, wie früher.
Transpositionsscalen heissen die Tonleitern, die nach demselben Princip
von verschiedenen Tönen aus erbaut werden, so dass die Intervallenverhältnisse
immer genau dieselben bleiben, zum Unterschiede von den Octavengattungen
der Griechen und den Kirchentonarten innerhalb der christlichen Kunst-
entwickelung, bei welcher die Lage der Intervalle immer verändert ist. Dass
die Griechen neben dem System der Octavengattungen auch schon das der
Transpositionsscalen kannten, wird durch verschiedene ihrer Schriftsteller
bezeugt. Ptolemäus berichtet von drei Trauspositioussalen, der:
Transpositum systema — Trautwein. 287
dorischen: = d e f g ah c^ d^ e^ f g^ a^ b^ c^ (P
phrygischen : = e fis g a h e' d^ e^ fis^ g^ a^ h^ c* d^ e^
lydischen: = ßs gis a h cis^ d^ e^ ßs^ gis^ a} h^ eis" d' e^ ßs^
Auch Plutarch erwähnt ihrer; ebenso Aristides Quintilian, Heraclides
Ponticus und Andere. Dass unser, der modernen Musikpraxis zu Grunde
liegendes System sich aus Transpositionsscalen zusammensetzt, ist im Ar-
tikel Tonart nachgewiesen.
Transpositum systema wurden im Tonarten-System des Mittelalters die,
durch Einführung des h um eine Quart höher versetzten Tonarten genannt
(Systema molle), s. Tonart.
Trascinando (ital.), Yortragsbezeichnung = schleppend.
Trasnntino, Vito, auch Guido Trasuntin, war ein äusserst geschickter
Instrumentenbauer, zu Venedig um die Mitte des 16. Jahrhunderts geboren.
Ein Ciavier dieses Meisters, welches derselbe 1606 für den Grafen Camillo
Gonzago angefertigt hatte, ging in den Besitz des Abbe Baini über. Es war
äusserst kunstvoll und sorgfältig gearbeitet, umfasste vier Octaven, wovon jede
aus 31 Tasten bestand, so dass das ganze Ciavier 125 enthält, und ist so ein-
gerichtet, dass man diatonisch, chromatisch oder enharmonisch darauf spielen
kann. Wahrscheinlich war der Yater des Trasuntino auch als geschickter In-
strumentenmacher bekannt, wenigstens geschieht an mehreren Stellen eines
solchen Erwähnung. Giordano E,iccati (»Delle corde ovvero ßhri elasticJiea, Vor-
rede p. XIII) führt ein Ciavier an, welches den Namen Trasuntini und das
Datum 1559 trägt.
Trauermarsch heisst der Marsch, der bei Leichenfeierlichkeiten ausgeführt
wird, unter dessen Klängen sich der Leichenzug in Bewegung setzt. Die Con-
struktion desselben ist selbstverständlich die des gewöhnlichen Marsches; aber
der heilige Ernst der Handlung, die er begleitet, nöthigt ihm ein langsameres
Tempo und einen düstern Charakter auf. Bei den Leichenbegängnissen von
Militärpersonen werden namentlich gedämpfte und umflorte Trommeln verwendet,
daneben meist auch die Feldmusik mit gleichfalls gedämpften und umflorten
Instrumenten. Zugleich gewinnt der Trauermarsch durch die Handlung, die
er begleitet, auch einen so bedeutenden Inhalt, wie kein anderer Marsch und
er erscheint daher als die höchste künstlerische Form desselben. Neben der
Trauer und der Klage über die Vergänglichkeit alles Irdischen gewinnt zugleich
auch (im Trio) die tröstliche Hoff'nung auf eine dereinstige Wiedervereinigung
Ausdruck und in diesem Sinne ist der Trauermarsch von unsern Meistern in
die höchsten Instrumentalformen, die Sonate und die Sinfonie aufgenommen
worden. In solchen Fällen gewinnt die Form des Marsches eine weit höhere
Bedeutung, als sie an sich hat. So lange sie eben nur dem äussern Bedürfniss
dient, steht sie noch auf einer niedern Stufe künstlerischer Gestaltung; erst
wenn sich eine bestimmte Idee mit ihr verbindet, tritt sie ein in die Eeihe
der Kunstformen. In diesem Sinne verwandte Beethoven den Trauermarsch
in seiner ^s-^e^r-Sonate und der Sinfonie eroica und Chopin in seiner
Sonate und wählte Schumann die Form desselben als langsamen Satz in
seinem -Es-Jwr-Quintett, op. 45.
Trautmanu, Heinrich, Cantor zu Lindau im Anfange des 17. Jahrhun-
derts, wurde zu Ulm geboren, verfasste nachstehendes lateinisch-deutsches musi-
kalisches Schullehrbuch: i^Compendmm musicae latino germanicum in tisum scholae
Undaviensis maxime accomodatuma. (Kempten, 1618, in 8°).
Trautwein, Traugott, Musikalienverleger, gründete 1820 die bekannte
Trautwein'sche Musikalienhandlung in Berlin. 1821 trat Ferdinand
ö
Mendheim mit ein und bald wurde die Handlung eine der einflussreichsten
o
und berühmtesten in jener Zeit. Sie erwarb sich namentlich Verdienste um
288 Travenol — Tre.
Verbreitung der classisclien Chorwerke, die sie in trefflichen Ciavierauszügen
(einzelne auch in Partitur) und den ausgezogenen Stimmen zu billigen Preisen
herausgab. Daneben vernachlässigte sie auch die neuern Componisten nicht.
Der Verlagskatalog aus jener Zeit schon weist die Namen; Curschmann,
Grell, Klein, Löwe, Zelter, Spontini u. A. auf. 1840 verkauften die
Besitzer das mit dem Verlage verbundene Sortimeutsgeschäft an J. Guttentag
und 1858 gingen beide, Verlag und Sortiment, an Martin Bahn über, der
beide durch die rührigste Thätigkeit in höchsten Flor brachte. 1874 verkaufte
er die Sortimentshandlung an die Herren Püschel und "Wentzel uud wid-
mete sich ganz seinem Verlagsgeschäft, das zu einem der bedeutendsten in
Deutschland geworden ist. Ausser den bereits oben genannten weist der Ver-
lagskatalog auch noch die besten Namen der Neuzeit auf.
Travenol, Louis, Violinist, in Paris 1698 geboren, gehörte vom Jahre
1739 der Kapelle der Grossen Oper an. Er starb 1783, als guter Violinist,
mehr aber noch durch seinen Streit mit Voltaire bekannt. Als der letztere in
die Äcademie frangaise aufgenommen wurde, erschienen verschiedene Schmäh-
schriften, die verbreitet zu haben er beschuldigt wurde. Sammt seinem alten
Vater wurde er auf Voltaire's Veranlassung festgenommen, aber nach fünf Tagen
aus dem Gefängniss wieder entlassen, und Voltaire musste eine erhebliche Geld-
entschädigung zahlen. T. gehörte auch zu den entschiedenen Vertheidigern der
französischen Musik, als der bekannte Brief von Bousseau^ erschien. Er ver-
öffentlichte bald darauf die Broschüren: »Ärret du conseil d'Etat d^AjJoUon rendu
en faveur de Torchestre de V Opera, contre le nomine J. J. Rousseau, copiste de
musique eta (Paris, 1754, in 12°) und »Xa Galerie de VAcademie royale de
musique, contenant les portraits en vers des principaux sujets qui la composent
en la presente aiinee 1754, dediee a J. J. Sousseauu. (Paris, 1754, in 8").
Travers, John, englischer Musiker, erhielt den ersten Unterricht in der
St. Georg-Kapelle zu "Windsor, und verwaltete nach einander die Stelle eines
Organisten an der Paulskirche (1725) und Avährend einiger Jahre die zu Fulham.
1737 trat er als solcher in die königliche Kapelle, in welchem Amte er 1758
starb. T. componirte viele Anthems, die in den Büchern der KajDelle enthalten
sind. Auch die sämmtlichen Psalme sind von ihm in Musik gesetzt und unter
dem Titel nThe whole booJc of Fsahns for 1, 2, 3, 4 ön 5 voices, with a thorough-
hass for the harpsichorda (London, 1746, 2. Thl., in 4").
Trarersa, Gioachimo, erster Violinist des Herzogs von Carignan zu Paris
ums Jahr 1770, spielte auch in den Concerts spirituels, wo er besonders durch
Schönheit des Tons und Leichtigkeit der Bogenführung entzückte. Er schrieb
und Hess drucken: rtSis quatuors pour deux violons, alto et bassea, op. 1 (Paris,
Huet, 1770). y>Six sonates pour violon seul et hassest, op. 2 (ibid.). y^Six quatuors
d'airs connus variees pour violon«, op. 4 (ibid.). nGoncerto pour violon et orchestrea,
op. 5 (Paris, Bailleux).
Traversenbass bei der Orgel, s. v. a. Querflötenbass.
Traversiere, die Querflöte, s. Flöte.
Traxdorf, Heinrich, auch Drassdorff, Gasdorf genannt, einer der
ältesten berühmten Orgelmacher, stammt aus Mainz. Um die Mitte des
15. Jahrhunderts fällt die Hauptzeit seiner Thätigkeit. Von seinen Werken
sind anzuführen: Drei nicht näher bezeichnete Werke in Nürnberg, 1443;
ebenda 1469 in der Sebalduskirche ein Orgelwerk, welches aus zwei Octaven
und drei halben Tönen bestand, als : C, c{§, b u. s. w. bis c, eis, d. Das Pedal
bestand aus einer Octave und einem halben Ton, nämlich A, B, H, c bis a, b,
er erhielt dafür 1150 fl. (Siehe Prätorius i^Syntagma'i, Thl. II, S. 110.) Ein
drittes Orgelwerk, auch in Nürnberg, stellte er in der Frauenkirche auf. Es
hatte 22 Tasten, ein Pedal und soll wie eine Schalmei geklungen haben. Die
Orgel in der Marienkirche zu Lübeck ist wahrscheinlich auch von ihm.
Tre (ital.) = drei, dreimal; a tre = zu Dreien; Canon a tre =
Canon für drei Stimmen.
Trebelli — TreÜübungen. 289
Trebelli, Zelia, eine der ausgezeichnetsten und Leriilimtesten Sängerinnen
der Gegenwart, ist 1838 zu Paris von deutschen Eltern geboren, Sie ver-
tauschte, als sie 1859 zum ersten Male in Madrid auftrat, ihren ursprünglichen
Namen Grilbert mit Trebelli. Ihren Weltruf gründete sie erst in Berlin,
wo sie als Mitglied der, von dem Impressario Eugenio Morelli geleiteten
italienischen Operngesellschaft im königl. Opernhause (1860—1861) unerhörte
Triumphe erraug. Ihr wundervolles Organ, wie die siegende Gewalt ihres Aus-
drucks machten sie bald zum enthusiastisch bewunderten Liebling der besten
Kreise Berlins, und diese grossartigen Erfolge wiederholten sich in Leipzig,
wo sie auch als Concertsängerin (1862) im Gewandhause stürmischen Beifall
errang und in London (1862) und überall, wo sie seitdem auftrat. Die ausge-
zeichnete Künstlerin strahlt seitdem in altem Glänze als Stern ersten Ranges
am Bühnenhimmel. Ein Correspondent der »Signale«, der sie schon 1861
unter die Sterne der italienischen Oper zählt, urtheilt über sie:*) »Die Stimme
hat, wie uns dünkt, an Weichheit, Schmelz und Süssigkeit erheblich gewonnen,
namentlich ist die Behandlung des Piano und Mezza voce zu höchster
Meisterschaft entwickelt. Umsonst durchsuchen wir unsern Vorrath an Bildern
und Redeblumen, um für den Reiz, der diesem Flötenregister innewohnt, den
entsprechenden Ausdruck zu finden. Einen anderen unschätzbaren Vorzug der
Sängerin ei'blicken wir in der absoluten Ausgleichung der verschiedenen Lagen.
Vom kleinen f bis zum zweigestrichenen a, also im Umfang von fast drittehalb
Octaven, fügt sich Ton an Ton in vollendeter Reinheit und Symmetrie. Nirgends
bemerkt man auch nur die leiseste Spur von Härte und Unebenheit, von einem
Bruch oder Hiatus. Ueber dieses Material verfügt aber die Signora nicht wie
über ein stets von Neuem zu erzeugendes, sondern wie über einen ruhigen,
fertigen Besitz. Ihr gegenüber vergisst man, dass Singen doch eine Thätigkeit
ist, eine Action des Willens und Körpers voraussetzt. Nicht blos in Allem,
was mit der eigentlichen Tonbildung zusammenhängt, sondern überhaupt im
Tonischen (das Wort im weitesten Sinne genommen) offenbarte sich eine be-
merkenswerthe Steigerung. Die meisten Coloraturen in dem » Tina voce«, dem
Duett mit Figaro und den Variationen übertrafen an Glanz und eleganter
Leichtigkeit alles was uns früher die Sängerin in dieser Beziehung geboten.
Wahre Cabinetstücke von chromatischen Scalen, Doppelschlägen und ähnlichem
Zierrath befanden sich darunter«.
Trebs, Heinrich Nicolaus, herzogl. weiraarischer Hof-Orgelbauer, ge-
boren zu Frankenhausen 1678, erlernte seine Kunst bei Chr. Rothe in Salzungen.
Er war bis gegen 1730 thätig; bekannt als sein Werk ist jedoch nur die Orgel
in der Jakobskirche in Weimar,
Treffen heisst, namentlich beim Singen, die Fertigkeit, jedes Intervall
sicher und rein zu intoniren. Sie setzt neben einem feinen Auge, das Intervall
zu messen, ein feines Ohr voraus und Gewandheit im Gebrauch des Muskel-
apparats der Stimme; dem Ohr muss das betreffende, vom Auge erfasste Inter-
vall gewissermaassen vorschweben und der Stimmapparat muss dann geschult
werden, es sofort präcis zu fassen. Dazu gehört aber auch, dass dies mit
Beobachtung des betreffenden Rhythmus und wenn möglich des ursprünglich
geforderten Tempos geschieht. In Beziehung auf das Letztere macht man in-
dess mancherlei Concessiouen; man wählt Anfangs ein langsameres Tempo, um
das Treffen zu erleichtei'n, aber der Rhythmus ist immer streng auch dabei
zu beobachten. Beim Instrumentalspiel bedient man sich des Ausdrucks Treffen
nur selten, hier bezeichnet man diese Fertigkeit mit Prima- Vista- Spiel (s.d.).
Die Fertigkeit des Treffens setzt grosse Uebung voraus ; Auge, Ohr und Stimme
müssen dazu erzogen werden.
Treffübung-eu sind solche Uebungen, welche insbesondere den Zweck ver-
folgen, die Fertigkeit des Treffens zu erzielen. Zunächst sind Auge und Ohr
*) „Signale für die musikalische Welt", 1861, 41, pag. 571,
Musikal. Conrers.-Leiikon. X. •••"
290
Treffübungen.
in die nöthige Wechselwirkung zu setzen. Jenes muss geübt werden, das Inter-
vall sofort zu fassen und dies es zu hören. Es wird sich dies immer leichter
am gesungenen, sogar an dem nach dem Gehör gesungenen Liede erreichen
lassen. Doch sind auch besondere Treffübungen nicht auszuschliessen, sie werden
sich zunächst auf die Tonleiter gründen müssen. An ihr sind zuerst die Secunden-
schritte dem Auge und Ohr einzuprägen. Um dem Schüler die Natur des
Halbtons klar zu machen, genügt es nicht zusagen, zwischen c und f/ beträgt
die Entfernung einen Granzton, e und f aber einen halben, weil dort noch ein
Halbton (oder wenn man vor dem Ciavier sitzt, eine Obertaste) dazwischen
liegt. Das Yerhältniss beider muss vielmehr mit dem Ohr gefasst werden, etwa
in der Weise, dass die Schüler eine Figur wie unter 1) wiederholen, (2 3 4):
1) 2) 3) 4)
n
4=
4=
li
-" — :ir
^=1=
^
^-
Schon im zweiten Tact werden sie d—cis, im dritten c — dis singen wollen, und
man lasse sie gewähren, fordere sie aber dann auf, c des ersten Tacts recht
stark zu singen und auf das des zweiten Tacts zu achten und sie werden dann
selbst hören, dass sie hier einen andern Ton singen wollen, der zwischen c
und d liegt und dass sie diesen einschieben müssen, wenn sie die erste Figur
(c — h — c) genau im zweiten Tacte nachahmen. Dasselbe beobachten sie dann
beim dritten Tact, von e aus; hier muss dis eingeschoben werden, während im
vierten wieder der Halbtcn bereits da ist; und sie haben dann mit Auge und
Ohr erkannt, dass zwischen h und c ebenso wie zwischen e und f nur eine
Halbstufe, zwischen den übrigen Tönen eine Oanzstufe Entfernung ist. In
ähnlicher Weise muss dann die Natur des erhöhten, wie des vertieften Tons
dem Ohr erkennbar gemacht werden. Der Schüler muss bei der Construktion
der verschiedenen Kreuztonarten begreifen lernen, dass der erhöhte Ton immer
Leitton wird, der ganz bestimmt nach der neuen Tonart drängt, daher hat
der erhöhte Ton den Zug nach seinem Obei'halbton und wird er wieder auf-
ffelöst, nach seinem Unterhalbton:
P
'^
I
r
I
Dass dann der durch b erniedrigte Ton ebenso darnach neigt zu fallen, müssen
die Schüler ebenfalls mit dem Ohr erfassen:
-e^-
Ö
t-
-!=ä-
-Ö-
:^
te
^
:&
M:
"CT'"
u. s. w.
Die weiteren Intervalle werden dann ebenfalls leicht an der Tonleiter geübt.
Es ist sehr zweckmässig, damit der Schüler das Intervall der Terz e — e mit
Auge und Ohr erfasst, den dazwischen liegenden Ton erst leise mehrmals mit-
singen zu lassen, den ersten und dritten aber sehr stark:
dann erst mag man den zweiten Ton weglassen und nur die beiden stark ge-
sungenen Grenztöne singen; und dem Auge und dem Ohr muss sich das Inter-
vall einprägen. Dann kommen die andern Terzen der Tonleiter dran in der-
selben Weise:
m
Bei der Hebung der Quart, der Quint und Sexte kann man in derselben
Treffübungen.
291
Weise verfahren, und dann zur weitern TJebung noch folgende tägliche Stimm-
übungeu benutzen, welche diese Intervalle enthalten:
I 3 5 8 5 3 I
I 4 6 8 6 4 I
J
ß
' / ß
•
»^ m
• •
r \ mm
• •
• •
''1 « • * m
• P
• •
V ■-•
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-•- -•-
1 P
13 5 8 5 3 1
•
•
J * ' m
• *
/ • •
p m
f\ m M
« '• * »
VT m m
^^ ^'
Diesen Dreiklängeu mag dann auch der Dominantaccord angeschlossen werden
und damit düi'fte der Schüler alle natürlichen Intervallenverhältnisse gewonnen
haben. Für die sichere Einprägung aller können dann nachstehend verzeichnete
Uebungen eintreten:
E^
f^
i
u. s. w.
doch hat diese Uebung nur sehr relativ Bedeutung, der Schüler darf nie damit
ermüdet werden. Dagegen ist es sehr zweckmässig, ihn durch entsprechende
Hebungen in die eigenste Natur und den darauf basirten Zug der einzelnen
Intervalle anzuführen, etwa in ähnlichen Uebungen wie der folgenden:
E^z • •-* • J= •-, •-«= — *-• —
^ -0- ' .0- ' -0. • -•- • -•- -•- •
n i| I 1 1 I LI
-•ii^- • H— — ; \—g +-, 4— g h-0 +1— • +<- I H
U. ß. w.
Das Verhältniss der Intervalle wird noch eindringlicher durch die Mehr-
stimmigkeit zum Bewusstsein gebracht, was hier sehr leicht ist, wenn mehrere
Schüler vereinigt sind; dann lässt man einen oder einzelne in den oben ange-
gebenen, auf den Dreiklang basirten Stimmübungen den Grrundton halten;
andere bleiben dann auf der Terz, andere auf der Quint ruhen und die
übrigen auf der Octave und sie gewinnen dadurch den Dreiklang. In der-
selben Weise werden auch die andern dabei verzeichneten Uebungen gesungen,
wodurch die Intervallenverhältnisse immer fester dem Auge und Ohr sich ein-
prägen. Dann mögen sie die Tonleiter selbst mehrstimmig gestalten durch
canouische Nachahmung:
■-4^.^,4^^:
■•- ß
N< K<
Weiterhin ist es unerlässlich, dass der Schüler die Natur des Molldreiklangs
im Gegensatz zum Durdreiklange auch mit dem Ohr erfasst. Hierbei haben
nachfolgende Uebungen sich sehr förderlich erwiesen. Sind die Schüler mit
den Intervallenverhältnissen vollständig vertraut, dann lasse man zwei ver-
schiedene Stimmen den Grundton und grosse Terz singen, z. B. f und a und
dazu füge der Lehrer, am besten mit der Geige, das eine Mal die obere Terz c
und das andere Mal anstatt deren die untere d hinzu:
Dadurch ei-wachsen zwei Dreiklänge, zuerst ein Durdreiklang, bei dem die kleine
Terz oben liegt und dann ein Molldreiklang, bei dem die kleine Terz unten
liegt. Dies Experiment wird auf den andern Stufen ebenfalls ausgeführt:
19*
292 Treiben der Töne — Tremulaut.
P
_S=2_
und überall durchgesproclien; die jedesmalige Untersucliung lässt immer die-
selben Verhältnisse erkennen. Um den Unterschied der grossen und kleinen
Terz direct mit Auge und Ohr und dem Verstände zu fassen, bedarf es dann
noch einer Uebung. Die Schüler singen Grundton und Quint und der Lehrer
geigt oder singt erst die grosse, und dann nach einer Pause, während wieder
das Quintintervall leer klingt, die kleine Terz dazwischen:
-'^-
^—
-^ ^-
,_ —
w(\ \
c— ,'
^,— ,
'(—5' l'(^
* J
b«
J
-^-
-fe-
-e- ^-U-
Es muss dies natürlich mehrmals wiederholt werden, bis die Schüler den eigen-
thümlichen Charakter eines jeden Accordes gefasst haben. Von hier aus wird
es dann dem Schüler nicht weiter grosse Schwierigkeiten bereiten, auch die
anderen schwierigen Intervalle, die verminderten und die übermässigen,
zu treffen. Sie sind meist melodisch abhängig von den Grrundintervallen und
führen zu ihnen, die verminderte ab- und die übermässige aufsteigend und sind
daher wenigstens von hier aus leicht zu erlernen. Grössere Uebung erfordert
es, in Accorden die verminderten und übermässigen Intervalle zu singen, was
indess nur selten nöthig sein dürfte.
Treiben der Töne heisst bei einigen Blasinstrumenten, Flöten, Carinetten
u. dergl., die mittelst stärkern Anblasens erfolgende Steigerung der Tonhöhe,
um kleine Schwebungen auszugleichen.
Treiber, Johann Friedrich, Schulrector zu Arnstadt, geboren 1641,
starb 1719. Er gab 1694 zum Gebrauche in seiner Schule eine Sammlung
von 19 Hymnen in Partitur heraus. Ob er sie selbst aufgeschrieben und den
Generalbass dazu gesetzt hat, ist nicht bekannt. Der Titel ist: i>Freces et
Tiymni lycei Schivartshurgi Arnstadiensis, cum melodies numeris musicis etc.v. (Typis
Arnstadiae, Nie. Bachmann, 1694, in 4", 78 Seiten). Ein von T. veröffent-
lichtes Programm führt den Titel: T^De Musica Davidica, itemque discursibus per
urhem musica nocturnisa (Arnstadt, 1701, 8 Seiten, in 4°).
Treiber, Johann Philipp, Sohn des Vorigen, geboren zu Arnstadt am
2. Februar 1675, war gelehrter Jurist, Advokat und Bürgermeister zu Erfurt,
wo er auch bei Adam Dresen Composition studirt hatte. Er starb in Erfurt
am 9. August 1727. Man hat von ihm: 1) »Invention, eine einzige xlrie aus
allen Tönen und Accorden« u. s. w. (Jena, 1702). 2) »Der accurate Organist
im Generalbasse, das ist eine neue deutliche und vollständige Anweisung zum
Generalbass, worinne statt der Exempel nur zween Geistliche Generalbässe,
nemlich die von denen Chorälen: »Was Gott thut das ist wohl gethan« und
»Wer nur den lieben Gott lässt walten«, durch alle Töne und Accorde derge-
stalt durchgeführet sind, dass in denenselben zweien Exempeln alle Griffe, mit-
hin die Signaturen aller Claviere, anbei die bequemsten Vorthel zur Faust
gewiesen werden«. Der Text beträgt sieben und die gestochenen 24 Exempel
vier Blätter.
Trem., Abkürzung für tremando, tremolando und tremolo (s. d.).
Tremando, s. v. a. tremolando.
Tremblemeut (franz.), der Triller.
Tremolando (ital.), zitternd, bebend, s. Bebung.
Tremolo (ital.). Bebung (s. d.).
Tremulant heisst eine Vorrichtung im Windkanal der Orgel, welche den
Zufluss des Windes zu den Pfeifen derartig hemmt, dass dadurch dem Ton
eine bebende Bewegung gegeben wird. Eine im Windkanal angebrachte Klappe
steht mit einem ßegisterzuge in Verbindung, durch den sie niedergelassen wird,
wenn der Tremulant wirken soll. Eine Feder hält sie aber so weit nieder,
dass der Wind sie nicht vollständig aufstösst; sie wird so abwechselnd durch
Tremoliren — Trento. 293
den Luftstrom aufgestossen und durch die Feder niedergedrückt, so dass der
Wind nur stossweise zu den Pfeifen gelangt und dem Tone die bebende Be-
wegung ertheilt. Je länger die Feder ist, desto langsamer ist die Bewegung;
je kürzer, desto schneller. Eine besondere, nur für zartere Stimmen dienende
Art des Tremulanten, welche keine Stösse, sondern nur ein weiches, wellen-
artiges Schweben und Schwingen des Tones bewirkt, führt den Namen Bebung.
Der Tremulant wurde in früherer Zeit zum besondern Ausdruck der Trauer
verwendet, bei Leicheufeierlichkeiten und beim Gottesdienst in der Charwoche,
namentlich am Charfreitag. Die neuere Zeit hat ihn als unästhetisch und meist
komisch wirkend abgeschafft.
Tremoliren der Kropfventile im Balg (Balgfieber genannt) ist ein grosser
Fehler, dessen Dasein man au dem Zittern des Orgeltones erkennt, ohne dass
eine Verstimmung des Pfeifwerkes eintritt. Dieser Fehler kann entstehen, so-
bald das Ventil durch angezogene Feuchtigkeit zu schwer geworden oder durch
unregelmässiges Treten der Bälge aus seiner ursprünglichen Lage gerückt ist,
so dass es in jedem Falle dem Spiel des "Windes überlassen ist und nicht mehr
die Oefifnung regelrecht schliesst. Die fortwährende Bewegung des Ventiles
unterbricht die Strömung des Windes vom Balg in den Kanal, versetzt den
Wind in eine wellenförmige Bewegung, welche sich wieder dem Orgeltone mit-
theilt. Solchen Fehlern kann nur der Orgelbauer abhelfen.
Treniolireu der Pfeifen kommt gewöhnlich bei jeder Stimme enger Mensur,
z. B, Gambe, Salicional, Aeoline u. s. w. vor. Dieser Fehler zeigt sich, sobald
die Töne einer solchen Stimme einzeln gespielt werden, verschwindet aber, sowie
eine andere Stimme dazu gezogen wird. Er ist am besten durch einen Orgel-
bauer, der mit dem Wesen dieser schwer zu intonirenden Pfeifen vertraut ist,
fortzubringen. Leichter ist er durch den Organisten bei gewöhnlichen Zinn-
pfeifen von Principalmensur zu corrigiren, da nur die Labien oder der Kern
zu richten nöthig ist. Gedeckte Pfeifen tremoliren, sobald der Hut oder Deckel
festsitzt. Das Tremoliren der Holzpfeifen ist abzuändern, indem man in die
Kernspalte ein kleines, rundes hölzernes Keilchen einschiebt. Durch Tönen-
lassen der Pfeife und fortgesetzten Versuch erfährt man leicht den Ort, wo
der Keil einzuzwängen ist. Sehr oft tremoliren Pfeifen, wenn sich Sand oder
Staub in der Kernspalte festgesetzt haben. Eine Beseitigung desselben hilft
dem Uebel ab. Schwache Zinnpfeifen, welche vermöge ihrer dünnen Wände
den Schwingungen der Luftsäule nicht genügend Widerstand entgegen setzen,
sondern ebenfalls tremoliren, müssen durch neue ersetzt werden. Jedoch ist
vorher festzustellen, ob der Fehler auch von zu starkem Luftzufluss herrührt.
In diesem Falle ist der Windzufluss in den Pfeifenfuss zu reguliren, indem
man ebenfalls ein Keilchen in die Mündung desselben eintreibt.
Trento, Vittorio, dramatischer Componist zu Venedig, 1761 geboren, ein
Schüler Bertoni's, war zuerst Accompagneur an mehreren Theatern in Venedig
und versuchte sich als Componist mit Balletmusiken, die im Venetianischen und
der Lombardei Anklang fanden. Das erste dieser Ballette, 1785 in Venedig
gegeben, war y>Mastino della Scalm; diesem folgten eine Reihe anderer. Die
erste Oper -nTeresa vedevaa wurde ebenfalls in Venedig zuerst aufgeführt, ihr
folgten: -aCofjnate in contesaa (Padua, 1791), •»Andromedm (Rom), y>Äsino di
Trentovi, komische Oper, »Ze Ästuzie di FicJiettoa. y>Il Vecchi delusi«, y>Il cucii
scopre tuttod, ^La Fedeltä 7ielle sehe«, y>Rohinsone secondoa, -nLucrezia romana«,
y>Ißf/enia in Aulidea (1804). Die einem Pietro Trento zugeschriebenen Opern
■DÄndromedaa (1805), »ia Foresta di Nicolai wurden abwechselnd in Rom,
Neapel, Turin, Venedig gegeben. 1806 übernahm Trento in Amsterdam die
Direktion einer italienischen Oper. Hier schrieb er die Oper y>La Donna
giudicea und das Oratorium »Die Sündfluth«, welches 1808 brillant dort aufge-
führt wurde. Nachdem ging Trento nach Lissabon, ebenfalls als Operndirektor
und brachte auch dort einige neue Opern mit Beifall zur Aufführung. 1818
befand er sich wieder in Rom und schrieb fleissig weiter. Eine 1819 ent-
294 Trepodion — Treublath.
standene und in Venedig aufgeführte komische Oper »Quanti casi in un sol
gmrno, ossia gli Assasinin wird als sein bestes Werk bezeichnet. T. ging noch
einmal auf drei Jahre nach Lissabon und kehrte 1824 nach Italien zurück,
wo er mit der Oper »Giulio Sabino in Langresu, aufgeführt in Bologna, seine
ComjDonisten-Thätigkeit beschloss.
Trepodion, oder Terpodion, eine Art Orchestrion, von J. D. Buschmann
in Nordhausen 1818 gebaut, das mit Claviatur versehen war und verschiedene
Blasinstrumente des Orchesters nachahmte.
Tresti, Flaminio, Kirchencomponist, geboren zu Lodi 1563, hat ver-
öffentlicht: tiConcentus vespertini 6 cocumi (Mailand, 1590, in 4"). r>Motetae 4
vocu7na (Frankfurt, 1610, in 4"). «Eine achtstimmige Messe«. (S. Katalog der
Bibliothek des Königs von Portugal Jöan IV.)
Treu, Abadias, Professor der Mathematik zu Altorf, war in Anspach
am 22. Juli 1597 geboren. Xach vollendeten Studien wirkte er an mehreren
Orten als Prediger, bis er 1625 eine Stelle als Schulrektor in Anspach erhielt.
Da er jedoch in Folge der Kriegsuuruheu drei Jahre lang keinen Oehalt
empfing, ging er nach Altorf, wo er die angegebene Professur übernahm; dort
starb er 1669. Zu seinen Schriften gehören mehrere, die Musik betreffend:
1) iiJanitor Lycei miisici intimatio, et epitoma (Rotenburg, 1635). Eine zweite
Ausgabe erschien lateinisch und deutsch unter dem Titel: »Lycei musici intijnatio
et epitome oder Kurzes musikalisches Büchlein.« 2) -»Disputatio de natura mu-
sicaen, 1645. 3) y>Disputatio de causis consonantiae«, 1643. 4) y>Dispuiatio de
naturi soni et auditusa, 1645. 5) »Dissertatio de divisione monocTiordi deducen-
disque in sonorum concin7iorum speciebus et aff'ectibus et iandem tota praocicompo-
sitionis musicae etcM (Altorf, 1662, in 4°). 6) »Directorium matliematicum ad
cujus ductum et informationem tota Mathesis et omnes ejusdem partes, nominatim
arithmetica, geometria, astroaomia, geographia, optica, Jiarmonica, mechanica, metTio-
dice doceri et facile discipossunt<.i (Altorf, 1657, in 4°). Das dritte Buch ent-
hält ein ■siCompendium Sarmonicae sive canonicaea.
Treu, Daniel Theophil, auch Daniele Teofile Fidele genannt, Ton-
künstler, der 1695 in Stuttgart, wo sein Vater eine Buchdruckerei besass,
geboren wurde. Von einem Buchdruckergehülfen, der auf der Violine etwas
Geschicklichkeit besass, erhielt T, die erste Anregung und Anleitung schon im
zartesten Alter. Als er später die Schulen besuchte, wurde ihm Gesang und
Ciavierunterricht zu Theil, und während er darauf als Lehrling in der Buch-
druckerei beschäftigt war, componirte er bereits flott darauf los. Viel Instru-
mentalsachen und mehrere Opern gehören in jene Zeit. 21 Jahre alt, ergab
sich die Gelegenheit, bei einem Feste vor dem Herzog von AVürtemberg zu
spielen und er erhielt in Folge seiner Leistung ein Geldgeschenk, welches zu
einer Peise nach Italien ausreichte. Treu ging nach Venedig und suchte Vi-
valdi's Unterricht, erlernte die italienische Sprache und soll auch für das Theater
in Venedig Opern geschrieben haben; auch soll ihm eine Kapellmeisterstelle
dort angetragen worden sein (s. Mattheson). Gewiss ist, dass er als Maestro
mit einer italienischen Truppe, die als vorzüglich galt, nach Breslau ging.
Diese Gesellschaft bestand aus drei Sängerinnen, drei Sängern, mehreren Tän-
zern und Tänzerinnen, einem Maler, einem Maschinenmeister, einem Vorspieler
und einem Orchester, aus 20 Breslauer Musikern zusammengesetzt. Für dies
Theater schrieb er vier Opern: >^ Astarte«, yCoriolanoa, y>Z~lisse e Telemaccoa,
■f>Don Chisciotteti, die noch 1740 im Rufe standen. Um diese Zeit ging T. nach
Hirschberg und trat in den Dienst des Grafen Schaffgotsch, wo er starb. Er
hinterliess zwei Abhandlungen im Manuscript, deren Verbleib aber nicht bekannt
ist. (S.: Mattheson, »Musikal. Ehrenpforte«. S. 379—80.)
Treubluth, Job. Friedrich, geboren zu Veiksdorf in der Oberlausitz am
29. Mai 1739, machte seine Lehrzeit als Orgelbauer von 1754—1760 bei dem
bekannten Tamitius in Zittau durch und arbeitete später als Gehülfe bei dem
bei'ühmten Job. Gottfr. Hildebrand, unter dessen Leitung er 1760 mit beim
Trevelyan — Trial. 295
Baue der grossen Orgel in der Michaeliskirche in Hamburg beschäftigt war.
Einige Zeit darauf kam er nach Dresden, wo er den Hoforgelbauer Zacharias
Hildebrand, den Vater seines früheren Principals, zeitweilig vertrat und nach
dem Tode desselben die Stelle als Hoforgelbauer erhielt. Er starb in Dresden
am 28. April 1821. Geschätzt als Orgelbauer, verbesserte er auch die Har-
monika derart, dass sie mit und ohne Claviatur gespielt werden konnte und
erfand ausserdem eine Maschine ohne Wirbel gegen die Verstimmung des Forte-
pianos, welche er selbst im 51. Stück des »Dresdener Anzeigers« (1795) beschreibt.
Näheres darüber theilen auch Gerber im »Neuen Tonkünstlerlexikon« (IV. 386)
und Kläbe im »Neuesten gelehrten Dresden« (Leipzig, 1796) mit.
Trevelyan (engl. rokJcer = Wa ekler. Wieger) ein, nach seinem Erfinder
Arthur Trevelyan sogenanntes Instrument für akustische Experimente.
Trevelyan, im Begriff, eine Harzmasse mit einem Löthkolben platt zu streichen
(1829), sah, dass das Eisen dazu noch zu heiss war und lehnte es deshalb an
einen Bleiklotz, um es abkühlen zu lassen. Kaum hatte das Eisen das Blei
berührt, als Trevelyan einen hellen Ton hörte; dabei schien der Kolben sich
rasch hin und her zu wiegen. Diese Erscheinung brachte Trevelyan darauf,
seinen Wackler oder Wieger zu construiren. Es besteht dies Instrument
aus einem aus Eisen oder Messing gefertigten Kolben, dessen untere Fläche
mit einer Rinne versehen und dessen Stil gehörig abgerundet ist. Durch einen
am Ende befestigten Knopf werden die Bewegungen, welche der Wackler aus-
führt, geregelt. Erhitzt man ihn bis auf etwa 200*^ und legt ihn dann mit
der stumpfen Schneide auf ein Stück Blei oder Zinn und mit dem Knopfende
auf dessen Unterlage, so beginnt er hin- und herzuwiegen und diese Bewegung
bleibt unterhalten, bis seine Temperatur mit der der Bleiunterlage sich aus-
geglichen hat. Robinson stellte das Experiment auch mit einem Löffel oder
einer eisernen Schaufel an, die er am Feuer erhitzte und dann querüber auf
zwei, in einen Schraubstock geklemmte dicke Bleistreifen legte. Die Schaufel
wiegt sich dann stark und bringt einen Ton hervor, den man dadurch modifi-
ciren kann, dass man den Stiel etwas unterstützt.
Triaden, s. v. a. Dreiklänge.
Trial, Antoine, zu Avignon 1736 geboren, war in seiner Vaterstadt
Chorknabe, wurde durch seinen Bruder Claude (s. unten) nach Paris gerufen
und fand an der Comedie italienne als Sänger Anstellung. Er hatte eigentlich
keine Stimme, aber viel Intelligenz, auf welche AV'eise er dazu gelangte, der
Schöpfer des Rollenfaches der stimmlosen Sänger in der komischen Oper zu
werden, ein Fach, welches nachdem ein halbes Säculum hindurch von den Com-
ponisten berücksichtigt wurde. Bei der revolutionären Bewegung 1793 ging
er, wahrscheinlich in dem Glauben, sich populär machen zu müssen, zu weit,
denn nach der Reaktion zwang man ihn, auf der Scene kniend, unter Pfeifen
und Zischen »Za Reveil du peuplea zu singen. Die unangenehmen Folgen,
welche dieser Vorfall noch für ihn nach sich zog, trieben ihn dazu, sich durch
Gift am 5. Februar 1795 den Tod zu geben.
Trial, Armand Emanuel, Sohn des Vorigen, geboren zu Paris am
1. März 1771, war musikalisch sehr begabt, so dass seine erste komische Oper:
yJulien et Colette, ou la Ifilicea bereits 1788, als er 17 Jahre alt war, im
Theätre Favard aufgeführt wurde, y^ Adelaide et Mirvah (1791), »Les deux petits
aveuf/lesa (1792), «Cecile et Julien oü le Siege de Lillea nebst einigen erfolglos
aufgeführten folgten. T. starb nach einem ungeregelten Leben bereits am
9. September 1803.
Trial, Jean Claude, Componist und in Gemeinschaft mit Berton Direktor
der grossen Oper in Paris, wui'de am 13. December 1732 geboren. Den ersten
Musikunterricht erhielt er an der Kathedrale zu Avignon und konnte, da er
das Studium der Musik leidenschaftlich ergriff, schon sehr jung eine Concert-
meisterstelle in Montpellier annehmen, dort erhielt er auch Anleitung in der
Composition von Garnier und bildete sich als Violinist noch mehr aus. Sein
296
Trial — Triansrel.
Verlangen, Eameau, dessen Partituren er studirte, kennen zu lernen, trieb ihn
nach einiger Zeit nach Paris, und da er glücklicherweise eine Stelle als erster
Violinist bei der Opera comique fand, blieb er in Paris. Der Prinz Conti
stellte ihn alsbald auch bei seiner Kapelle an und übergab ihm nach einiger
Zeit die Direktion derselben. Ja, durch Hergabe der nöthigen Caution verhalf
er Trial sogar dazu, nebst Bertram 1764 die Direktion der grossen Oper zu
erhalten. Trial erwies sich ganz am Platze und nahm durchgreifende Ver-
änderungen im Orchester vor, starb aber schon einige Jahre später ganz plötzlich
am 23. Juni 1771. Seine Compositionen bestehen in Ouvertüren und Musik-
stücken für die Opera comique, und Cantaten, für die Concerte des Prinzen
Conti geschrieben; ferner schrieb er die Opern rtSylviaa (1765), der dritte Akt
von Berton); itTheonisv. (1767), mit Berton und Grarnier; »Za fete de Florea
(1771); «Esope ä Cytherev. (1766), in Comedie italienne aufgeführt.
Trial, Marie Jeanne Milon, Gattin des Vorigen, geboren zu Paris am
1. August 1746, debütirte in Paris als Sängerin unter dem Namen Mademoiselle
Mandeville; später glänzte sie als eine der bedeutendsten Coloratursängerinnen.
Sie zog sich aus Gresundheitsrücksichten 1786 von der Bühne zurück und starb
am 13. Februar 1818.
Triangel (ital. Triangolo), Dreieck, ist der Name für ein Schlaginstru-
ment, das besonders bei der Janitscharenmusik seine Verwendung findet, in
einzelnen Fällen auch im grossen Orchester. Es besteht aus einem, in ein
Dreieck gebogenen Stahlstabe. "Wo die beiden Enden desselben zusammenstossen,
ist eine Schleife angebracht, an der ein Riemen oder ein Band befestigt ist,
um das Instrument frei daran halten zu können. Durch einen kleinen eisernen
Stab wird das Instrument an allen drei Seiten angeschlagen und so zum Klingen
gebracht. Da es nur den Rhythmus anzugeben vermag, so genügt für seine
Aufzeichnung, die indess auch in Noten erfolgt, eine Linie; und da es in der
Regel mit der grossen Trommel (gran Tamhuro), den Becken (Cinelli) und
zuweilen auch mit der Roullirtrommel (Tmnhuro militare) zusammen gebraucht
wird, werden sie alle in folgender "Weise notirt:
Triangolo. - ^ ■ ■ J J J J . J 1 1 I
Cinelli,
Tamburo mili-
tare.
GranTamburo.i — Q
Häufiger werden auch diese Instrumente auf dem Fünf-Liniensystem aufge-
zeichnet; Triangel und Becken auf einem System, die Trommeln auf einem
zweiten; jene im Violin-, diese im Bass Schlüssel, wonach das obige Beispiel
in dieser "W^eise notirt wird:
J-J-
Triangolo.
CinelU.
Tamburo mili-
tare e gran
Tamburo. . ^ .^ -^ ^ \-i7
N
Abweichend notiren wiederum namentlich die Militärmusiker die kleinen Trom-
meln im Violin- und die grosse Trommel und Triangel im Bassschlüssel:
Tamburo militare.
Triaagolo e grau Tamburo
\
:-ö-
B p c;
^-y-\
—r^ p — ^- —
Rf— TT—
- t— t 1=
^
:J - f-
i •»} — —
r
i r
Trias — Tricinium, 297
Mendelssohn bedient sich in seiner Ouvertüre für Harraoniemusik zur Auf-
zeichnung der »Janitscharen«, unter welchen Begriff er die erwähnten Instru-
mente fasst, nur des Violinschlüssels; die oberen Noten gelten für kleine Trommel
und Triangel; die unteren für grosse Trommel und Becken:
Janitscharcu.
!i^=i
Triang. Solo.
^==^
-ä-9-ä—ihiä—ä-^'-*-^-
Trias, Triade = der Dreiklang.
Trias auarmouica, Triade anarmonique = ein unvollkommener oder
dissonirender Dreiklang.
Trias aucta, ein Dreiklang, bei dem ein oder auch alle Intervalle vei--
doppelt sind.
Trias deflciens = der verminderte Dreiklang.
Trias diffusa = ein Dreiklang in weiter Lage.
Trias harmonica, Triade 7«or»jo?u'g'Me = ein consonirender Drei klang.
Trias harmonica major, naturalis, jjerfecta = der Durdreiklang.
Trias harmonica minor, mollis, imperfecta = der Molldreiklang.
Trias manca = der verminderte Dreiklang.
Trias snperflaa = der übermässige Dreiklang.
Tribrachys, ein metrischer Fuss aus drei Kürzen ^^ ^ w bestehend, siehe
Versf uss.
Tricarico, Giuseppe, italienischer Componist, in Mantua um die Mitte
des 17. Jahrhunderts geboren, von welchem die Oper »Generositä d^Alessandroa
1662 zu Wien und syEndimionev. in Ferrara 1665 aufgeführt wurden.
Tricca-ballacca, hölzerne Klappern, die nach Art der Castagnetten behandelt
werden, beim Tanze des Landvolkes im Neapolitanischen noch im Gebrauch.
Trichord = Dreisaite r, hiess eine kleine dreisaitige Laute oder Mandoline.
Trichter, Schalltrichter, Stürze (s. d.).
Trichterförmiges Corpus, die Gestalt der Pfeifen der E,ohrwei-ke der Orgel.
Trichterreg-al und
Trichterschnarrwerk, ein veraltetes Schnarrwerk der Orgel von 8 Fusston.
Tricinium, triplex cantus, ein dreistimmiges Tonstück. Zunächst wur-
den dreistimmige, meist weltliche Gesänge darunter verstanden. Georg Bhau
veröffentlichte 1542: nTricinia tum veterum, tum recentiorum in arte
musica symphonistarum latina, germanica, hrahantica et gallica an-
tehac typis nunquam excusa, ohservata indisponenda tonorum ordine
quo utentibus sint accommodatioraa. 1546 veröffentlichte Thomasi:
i>Triciniaa zu Venedig. 1559 erschien eine grosse Sammlung uTriciniena
bei Montanus und Neuber in Nürnberg. Weitere Sammlungen veröffentlichten
dann: Hollander (1573), Pichler (1573), Regnart (1584), Dedekind
(1588) u. s, w. Im Anfange des 17. Jahrhunderts, nach dem Beginne der
selbständigem Ausbildung der Instrumentalmusik, wurde die Zusammenstellung
von drei Instrumenten: zwei Violinen und ein Bass, oder auch drei Violinen,
sehr beliebt, aber die für diese Instrumentenzusammenstellungen geschriebenen
Tonsätze nannte man deshalb noch nicht Tricinien, sondern sie behielten die
ursprünglichen Bezeichnungen: Sonaten, Allemanden, Sarabanden, Ca-
pricci, Scherzi u. dergl. bei. Erst mit dem Ausgange des Jahrhunderts
nannten die Stadtmusici, wie Petzelius ihre zweistimmigen Instrumentalsachen
Bicinia und die dreistimmigen Tricinia. Die zünftigen Trompeter verstanden
unter Bicinium einen zweistimmigen, unter Tricinium einen dreistimmigen
Satz für Trompeten. Beim Quatricinium wurde die vierte Trompete, manch-
mal auch die dritte durch Hörner ersetzt, so dass dies aus drei Trompeten und
einem Hörn, oder aus zwei Trompeten und zwei Hörnern bestand und dem
entsprechend giebt es auch Tricinia für zwei Trompeten und ein Hörn.
298 Triklir — Triemer.
Triklir, auch Trickler, Jean, Violoncellist und musikalischer Schrift-
steller, geboren im Jahre 1750 zu Dijon, sollte Greistlicher werden, widmete
sich aber aus Neigung und Talent der Musik, insbesondere dem Studium des
Violoncello. 1765 ging er nach Mannheim, welches damals berühmt durch
sein treffliches Orchester war, blieb dort drei Jahre und reiste dann nach
Italien, welches er- später noch zweimal besuchte. 1783 trat er als Violon-
cellist in die kurfürstlich sächsische Kapelle ein und stai'b in Dresden am
29. Novbr. 1813. Ausserordentlich geschätzt als Virtuos auf seinem Instrument,
versuchte er sich auch als Componist; es wurden 6 Concerte und 6 Solos von
ihm für Violoncell gedruckt. Die Musikaliensammlung des Königs von Sachsen
besitzt folgendes Werk von ihm: i>La Microsco^ne Musical. Ouvrage phyloso-
geometrimusical fonde sur lindiscorcldbilite, invention concourant avec le present
Systeme a la perfection de la musiquea. Es sollte dies ein Mittel sein, alle und
jede, sowohl Draht- als Darmsaiten-Instrumente bei aller Veränderung der Luft
unverstimmbar zu erhalten. Gerber berichtet darüber: »Triklir kam damit im
Januar 1785 in Gesellschaft des Herrn Hennequin zu Dresden zu Stande, Hess die
Güte und den Werth dieser Erfindung durch die Herren Schuster, Babbi, Uhlig
und Caselli untersuchen und ein visum repertum darüber ausstellen, um sich
dessen auf einer Reise nach England und Eranki'eich zu bedienen. Man kann
über diese Sache mehreres in dem 2. Jahrgange des Cramerischen Magazins,
S. 499 und 829 nachlesen. "VVo man auch Nachi-ichten von den Bemühungen
des Herrn Jürgensen, Instrumentenmachers zu Schleswig, in dieser Sache findet.
Auch schon 1765 soll ein Orgelmacher zu Paris, Namens Richard, nach dem
Berichte des Lacassagne in seinem ^Traite des Siemens du chaiita, ein ähnliches
unverstimmbares Instrument erfunden haben«. Triklir's Erfindung hat keinen
Nutzen gehabt; dieselbe ist der Vergessenheit anheim gefallen.
Triebensee, Joseph, Virtuose auf der Oboe, ist zu Wien gegen 1760 ge-
boren. Unterricht auf der Oboe erhielt er von seinem Vater, der als Bläser
dieses Instrumentes beim Theater angestellt war. Albrechtsberger ertheilte
ihm Unterricht im Contrapunkt. 1796 trat er in die Dienste des Prinzen
Lichtenstein als Musikdirektor. Von seinen Compositionen sind zu erwähnen:
»Der rothe Geist im Donnergebirge«, 1799 im Schikaneder'schen Theater auf-
geführt und mit Seyfried gemeinschaftlich coraponirt. »Concert für die Oboe«,
in Wien 1795 vom Componisten geblasen. »Drei Quartette für Oboe, Violine,
Alt und Bass«. »Grosses Quintett für Piano, Clarinette, englisch Hörn, Basett-
horn« (Wien, Haslinger). »Zwei Quintette für Ciavier u. s. w.« Sonaten, Va-
riationen u. s. w. (Wien, Diabelli und Haslinger).
Triebert, Charles Louis, geboren zu Paris am 31. Octbr. 1810, bildete
sich auf dem dortigen Conservatorium, als Schüler von Vogt, vornehmlich als
Oboenbläser aus. Er erhielt den ersten Preis und Hess sich nach seinem Ab-
gange von dieser Schule in Paris in Concerten hören. Eine von ihm compo-
nirte Fantasie über Themen aus Norma für die Oboe erschien bei Richault in
Paris. Gleichzeitig beschäftigte ihn die Verbesserung seines Instrumentes, und
der diesem verwandten, als: engHsch Hörn, Fagott, Bariton. Er gelangte nach
mühevollen Versuchen dazu, eine durchaus verbesserte Methode der Bauart
dieser Instrumente aufzufinden. Bei der Ausstellung 1855 erhielt er die goldene
Medaille. Näheres über seine Verbesserungen giebt Fetis: y>Bapport sur les
instruments de musique mis a VexposiUon imiverselle de Faris, en 1855«.
Triemer, Johann Sebald, Violoncellist, war zu Weimar in den ersten
Jahren des 18. Jahrhunderts geboren, vom Kammerdiener und Musiker des
Grossherzogs von Weimar, Eybenstein aus Erbach, unterrichtet. Er erlangte
soviel Fertigkeit auf dem Violoncell, dass er mit Beifall eine Kunstreise durch
Deutschland unternehmen konnte. Er lebte dann längere Zeit in Hamburg
und in Paris, bereiste Holland und lebte dann in Amsterdam und starb hier
1762. Gedruckt sind nur: »Sechs Sonaten für Violoncell mit Bass continuov
(Amsterdam, 1741).
Trieraulus — Triller.
299
Trieraulus (griech.) war bei den Grriechen der Flötenbläser, der den Ruder-
knechten auf den dreiruderigen Schiffen den Tact mit der Niglaros angab.
Triest, Prediger zu Stettin in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts,
hat gute Aufsätze über musikalische Materien in der »Leipziger musikalischen
Zeitung« herausgegeben: 1) »Ideen zu einer metaphysischen Entwickelung der
Lehren vom Takt der Musik«, Jahrg. III, S. 3. 2) »Bemerkungen über die
Ausbildung der Tonkunst in Deutschland im 18. Jahrhundert«, Jahrg. III,
S. 225—445. 3) »Ueber reisende Virtuosen«, Jahrg. IV, S. 736, 753, 769.
Trig-onistria, die Spielerei einer Tischharfe.
Trigonon, ein dreieckiges, der Harfe ähnliches Tonwerkzeug der alten
Griechen, das bei Athenäus erwähnt, und mehrfach auf erhaltenen Monumenten
mit und ohne Spielerinnen abgebildet ist. Plato im 8. Cap. »i>e Hepubl.». rechnet
es unter die vielseitigen (polychorda) Instrumente. An das dreieckige Psalte-
rium, ein hackbretartiges Instrument, das über seinem liegenden Eesonanzkasten
ebenfalls viel Saiten hat, ist dabei nicht zu denken, obwohl einige Erklärer
dieser Meinung waren.
Trille-Labarre, s. Labarre.
Triller, Trillo, Gruppo, Groppo, Tremhlement, eine sehr gebräuch-
liche Verzierung, welche durch die lange Zeit der Entwickelung der Tonkunst
bedeutende Wandlungen erfuhr. Wir begegnen ihr schon in der frühesten
Zeit der Entwickelung des Gesanges innerhalb der christlichen Kirche, in dem
sogenannten Quilisma der Neumenschrift (s. d.). Dies hiess bekanntlich
auch Tremula, weil es mit vibrirender Stimme, gleich dem Tone eines Horns
oder einer Trompete vorgetragen werden musste. (r>Est vox tremida: sicut est
sonus flatus tubae vel cornu, et designatur per neumam, qiiae vocatur Quilisma<i,
B. Engelbertus, Lib. II, Cap. 29.) Dass diese Gesangsweise im Beginn des
17. Jahrhunderts sich zu dem seiner Zeit sogenannten Trillo herausgebildet
hatte, bestätigt Giulio Caccini durch die seiner Nuovo mu siehe, 1601, bei-
gegebenen Gesanglehre.*) Der Triller wurde darnach in jener Zeit wie nach-
stehend ausgeführt; den Triller in unserem Sinne aber bezeichnet Caccini
mit Gruppo:
Trillo. (^T^x^vo^ , ^__
;4
::r
■'^^—•-d-«'4~*-4-*-^-*-ä-*-i—*-^-*-
^—d — l-d
^-it^^rf^i?i^i
Daneben lehrte er auch die Ausschmückung solcher Melismen wie unter 1) in
der Weise wie unter 2) als Trillo:
2) Trillo.
Prätorius in seiner -aSyntagma musicum«, Tom III, pag. 146 ff., giebt
über das Tremulo nachfolgende Auskunft:
rtTremulo: Ist nichts anders, als ein Zittern der Stimme vber einer Noten:
Die Organisten nennen es Mordanten oder Moderanten:
Tremulus ascendens. Descendens. Tremoletti.
— I— I — !■
£Öi^
ip^
^ — t-S-t — •
^^S^S
*) Uebersetzt von K. Kiesewetter: „Schicksale und Begebenheiten des weltlicheu
Gesanges", Leipzig. 1841, pag. 61 ff.
300
Trill
er.
Ynd dieses ist mehr vff Orgeln vnd Instrumenta pennata gericMet als vff
Menschenstimmen.
Gruppo vel Groppi: "Werden in den Cadentiis vnd Clausulis formalibus
gebraucht vnd müssen schärfFer als die Tremoli angeschlagen werden:
I i I tr~\—W-t-
Die Diminutiones, so nicht gradatum fortgehen, sind Trillo vnd
Fassaggio Trillo: Ist zweyerley: Der eine geschiehet Unisono entweder
auff einer Linien oder in Spatio; wenn viel geschwinde Noten nach einander
repetirt werden:
Der Andere Trillo ist vff vnterschiedene Art gerichtet. — Vnd ob zwar ein
Trillo recht zu formiren vnmöglich ist ausser vorgeschriebenen zu lernen, es
sey dann, das viva Praecepforis voce et ope geschehe vnd einem vorgesungen
und vorgemacht werde, damit es einer vom anderen, gleich wie ein Vogel vom
andern observiren lerne. Dahero ich auch noch zur Zeit ausser vorgedachtem
Caccini, in keinem Italienischen Autore dieser Art Trillen beschrieben, sondern
allein vber die Noten, so mit einem Trill formiret werden sollen t: oder tr:
oder tri: übergesetzt befinde: Jedoch habe ich etliche Arten allein obiter
mit beyzusetzen notig erachtet, damit die noch zur Zeit vnwissende Tyrones,
nur in etwas gehen und wissen mögen ohngefähr wie Trillo genennet werde« :
Auch Prätorius lehrt, wie wir hieraus sehen, noch die alte Art des Trillo
und Gruppo. Erst bei den französischen Clavier-Componisten wird das Gruppo
zum Trillo und dies in seiner ursprünglichen "Weise verschwindet ganz. Cou-
perin setzt seinen y>Pieces de Clavecinv. (1713) eine y>Explication des Agre-
ments« vor, aus der wir ersehen, dass er mehrere Gattungen trillerartiger
Figuren unterscheidet:
Signes.
Schreibart.
Ausführung.
*=
=r|:
==l^
^
Pince simple. Pince double
Portdevoix'
simple.
Port de voix.
Triller.
301
\
tr
=^5:
1
Tremblement continu.
"Wie man hieraus ersieht, kennt und verwendet Couperin zwei Arten des
Triller, eine Pince bezeichnete mit der unter dem Hauptton liegenden Hülfs-
note und eine zweite, Tremblement genannt, bei welcher der Hülfston über
dem Hauptton liegt. Die einfachen Arten beider Verzierungen werden dabei
wie Vorschläge behandelt, so dass sie dem Hauptton im Grunde nichts von
ihrem "Werth nehmen; ebenso wie die besondere Art des Pince, das Porte
de voix. Erst das Pince continu und Tremblement continu lösen die
Hauptnote auf, und für die letztere Art erst hat Couperin das Trillerzeichen.
Der Nachschlag fehlt dem Couperin'schen Tremblement noch. Dieser wurde
erst durch die Verbindung des Trillo mit dem Mordent gewonnen, wie uns
das Clavier-Büchlein von "Wilhelm Friedemann Bach, angefangen in
Cöthen, den 22. Januar Ao. 1720 belehrt. Dies erläutert in der »Explication
vnterschiedlicher Zeichen, so gewisse Manieren artig zu spielen andeuten«,
die betreffenden Verzierungen in nachstehender Weise:
r^ "
\
■^
1— '^'^^ 11
Ws r ^
P!
1
— f=
*^ Trlllo.
— — -t
\ 1 \
Mordent.
P~m-^
1 — 1 — 1
^ — 1
1 1 n
Trillo und Mordent.
j: ti=t=p=f_p_._p JJ
Eine besondere Art bildet dann der Trillo mit Accent:
-tr-n-
1
Accent
Accent Accent Accent
fallend, und Mordent. und Trillo.
Accent
vmd Trillo.
1^^^
Diese AVeise, den Triller nach Art des Grruppo mit der Hülfsnote zu be-
ginnen, ihn also aus dem Vorschlage zu entwickeln, wie Couperin, blieb noch
lange darnach die einzig übliche. Marpurg in seiner »Anleitung zum
Ciavier spielen«, pag. 53, sagt ausdrücklich: »Der Triller nimmt seinen Ui--
sprung aus dem angeschlossenen Vorschlage von oben nach unten, und ist folg-
lich im Grunde nichts anderes, als eine Eeihe in der grössten Geschwindigkeit
hinter einander (zwischen der jedesmaligen Hauptnote) wiederholter fallender
Vorschläge«. Hierzu meint Türk in seiner » Ciavier schule«: »Noch ein
subtilerer Grund wäre vielleicht dieser, dass bei dem Triller eine gleiche Ab-
theilung in zwei und zwei, oder in vier und vier Noten stattfindet, wenn man
mit dem Hülfstone anfängt, da im entgegengesetzten Falle, wie bei b), am Ende
ein einzelner Ton übrig bleibt, der in rhythmischer Hinsicht störend wäre«:
a)
b)
— ( — t-A — I — I — 1—1 — I—
,,->-,-*-,-p-, II
Auch Leopold Mozart (Vater) lehrt in seiner Violinschule noch den Triller
ohne Nachschlag:
302
Triller.
-: * r >■ I ^-1 F I F I P I ^
F r F • 3 II
Daneben aber auch mehrere Arten »Auszierungen zum Schluss« desselben. Er
sagt: Eben also kann man den Triller entweder plattweg oder mit einer Aus-
zierung schliessen:
Z. E,:
„So schliesset man am gewöhn- hy u^ rr
liebsten und natürlichsten." ^^^^ — ^-
jOder mit dem Nachschlage." :
?ip£=gip=f3=Pj:f=p-r f F ,—^11^: j
,,Ein ausgezeichneter Schluss."
\r
-r^KT^-
=F=r-F-
— I — I — \ — I —
#-•— ö-
5^
Hummel war wohl der erste, der in seiner grossen »Ciavierschule« lehrte,
den Triller mit der Hauptnote zu beginnen. Er sagt darüber (pag. 386): »§ 3.
Man ist hinsichtlich des Trillers bisher beim Alten stehen geblieben, und
begann immer mit der obern Hülfsnote, was sich wahrscheinlich auf die ersten,
für den Gesang entworfenen Grundregeln gründet, die späterhin auch auf In-
strumente übergegangen sind. Allein wie jedes Instrument seine eigenthüm-
liche Spielart, Applikatur und Lage durch die Hand hat, so hat sie auch das
Pianoforte, und es ist kein Grund vorhanden, dass dieselbe Eegel, die für die
Kehle gegeben wurde, zugleich auch für das Pianoforte gelten müsse, und
keiner Verbesserung fähig sei. § 4. Zwei Hauptgründe bestimmen mich zur
Aufstellung der Regel, dass jeder Triller im Allgemeinen von der Note
selbst, über der er steht, und nicht vom obern Hülfston, ohne besondere An-
merkung, anfangen soll;
a) weil die Trillernote, auf die gewöhnlich eine Art Schlussnote folgt, dem
Gehöre eindringender, als die Hülfsnote sein, und das Tongewicht auf das Gute
der beiden Tactglieder, nämlich die Trillernote, fallen muss, z. B. :
-S3-
W-^
%
-p=-
tr
tr
II
b) weil sich Tonfolgen beim Pianoforte anders als bei andern Instrumenten
gestalten, und es die mit der Lage unserer Hände übereinstimmende Pinger-
ordnung dem Spieler meist bequemer macht, den Triller 1) von seinem Haupt-
ton anzufangen, als 2) von der Hülfsnote, wo er, um den Triller von oben
herab zu machen, oft gezwungen ist, die Hand zu erheben, oder auf dieselbe
Taste einen andern Finger einzuschieben, z. B.:
Triller.
303
anstatt
\
1^
'-ß- ■»-
^--
m
-»- -•- 1 — ■"#-.
T^~,-^
^^^i^
Der Triller fängt also im Allgemeinen mit der Hauptnote an, und endigt
sich stets auch mit derselben 1); soll er von oben oder von unten anfangen,
so muss dieses durch ein Zusatznötchen von oben oder von unten bemerkt
werden 2):
2)
tr-
Ausführunor.
I ! I i ' I M ! I I 1 n I I
Hummel knüpft dann weiter die ganz entschiedene Forderung an: § 6. Jeder
wahre Triller muss einen Nachschlag erhalten, wenn er auch nicht angemerkt
ist; gestattet ihn aber die Kürze der Trillernote oder die nächste Tonfolge
nicht, so ist er kein eigentlicher Triller, sondern nur eine getrillerte Note zu
nennen, und darf nicht mit dem ^r.-Zeichen bezeichnet werden. Der dem Triller
anzufügende Nachschlag besteht aus der untern Zusatz- und der Trillernote
selbst, deren Intervalle entweder einen ganzen oder halben Ton ausmacht:
tr-
ll
tr-
t-
Ganzer Ton.
I I ; i I ; j 1; I j I M Ij— ■
-^^
E
Er ist ebenso schnell wie der Triller; nur bei einer sogenannten Hauptfermate,
besonders wenn Begleitung anderer Instrumente dabei ist, wird er langsamer a),
öfters auch noch mit verlängertem Zusatz b) gemacht, damit die Begleiter den
Schlussfall in den Hauptton desto leichter auifassen und mit dem Spieler zu-
gleich in das Tempo oder Tutti fallen:
Hummel erwähnt dann auch noch eines falschen Nachschlags, der aber selten
mehr gebraucht wird:
tr
I
-■=fi
4
-^1 I ! I I I
304
Triller.
Dieser Anschauung haben sich, als die entschieden richtige, die meisten
bedeutenden Meister des Clavierspiels angeschlossen. So führt Moscheies,
in der von ihm besorgten Ausgabe der Sonaten von Beethoven, den Triller in
Noten in folgender "Weise aus:
Sonate, op. 31. Xo. 1. Adagio.
W^-
-^^P^^
^
^
3fr*?=e?*?^r»r3Te^zs:Mp— p-f^t:
-ergg- »rgr->-»" >:^g
• a*ä
,t;
^ —
^---■o P-
^
:^^^=f^z
Sonata appassionata.
:-iESEfe=±ti
^=EEtE5EE^
-H»-
I 1 »^ H-
1«^
^gE^t^EEza^^_p=f=f.r.r--»=^^
5E^
-v^
^
-*-T 1 1 i i I 1 \ 1 ß
=S-
mm
V
ö?-
^-=i;
tr
^^fe
ftr
^=^
];g=^^irtasgj3i;*^*^=a;^gj»j=*^i^:
— I — F-l — F-i «-I — *-i — P-l — F-l — ^1 — W—\ — W- I — W-i — P-f-fi»
^ — ^ — ^__i.Mi
illi
S^
^-?-^
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VI-
=i^.=r
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I —
r -^- -r ^ y -^- -A- -^— •■- -^- -K. -^. .A. _^. JL -^* vfi- -^o 'S» »0-'^
I 1 1 1 1-
^
9S^
E^s
In ähnlicher Weise schreibt auch Liszt den Triller aus in seinen Aus-
gaben, wie in dem umstehend verzeichneten Beispiel aus Weber's Sonate
op. 49.*) Auch Hans von Bülow folgt demselben Princip in der von ihm
veranstalteten Ausgabe der Beethoven 'sehen Sonaten (Verlag der Cotta"-
schen Buchhandlung in Stuttgart), und seitdem dürften nur noch wenige Lehrer
und Ciavierspieler sein, welche den Triller mit der Nebennote beginnen.
*) C. M. von Weber's Ciavierwerke. Herausgegeben von Franz Liszt (Stutt-
gart, Cotta).
Triller.
305
Weber, Sonate, op. 49.
tr
=1:
S^^i
^1=^
tr
-8.A-
f=^
-7^
aiiaiiTt
-'-^'V-^
^^
fr»-
^
^
! ,^ I i I I I i I I I , I
Soll der Triller mit der Hülfsnote beginnen, so muss dies durcli die be-
treffende Vorschlagsnote angezeigt werden, wie in obigem Beisj)iel aus der
Sonata appassionata oder dem folgenden aus der ^-t/wr-Sonate:
tr ^ ^ -^— tr
*
S
S;?B33^E3
— m — '-• — a -
=4=
1 ^ I
I ' 1 I 'i Ll-L I
M
'-^m-^^i^i
Länger nocb als in der Instrumentalmusik behielt der mit der Hülfsnote
beginnende Triller beim Gesänge die Herrschaft. Der Triller auf der Schluss-
cadenz aber, dem eine sogenannte Rihattuta (s. d.), von der auch schon Caccini
spricht, vorausging, wurde mit der Hauptnote begonnen:
tr
_pj r
-4-
Ausführung.
^
Sonst giebt die: »Singschule des Conservatoriums der Musik in Paris«
(nMethode de CJiant de Conservatoire de Mtisique ä Paris«) die Ausführung des
Trillers in folgender "Weise an:
tr tr
S--
ti^'
m
Ausführung.
«ri«
--t:
T:±;tttl=
•••«•*•<-•••«•••-* jj:Jr*
^=:i
Andre Art der Ausfiihrnng.
Musikal, ConTer3.-LexikOD. X.
20
306
Trillerkette — Trinciavelli,
In besondern Fällen kommt indess auch nach dieser Methode der Triller mit
-dem Hauptton beginnend zur Anwendung:
-ß-
-S^'
-Ö-.J
-t=
Ausführuno'.
=;5^f£^i^=^
:f^*^^^^f::fc:
Die Meister und Lehrer des italienischen Gesanges, wie auch noch Grarcia
in seiner grossen Gesangschule, halten an dieser Methode fest. In Deutschland
ist man in neuerer Zeit der andern Praxis gefolgt, nach welcher der Triller
mit der Hauptnote beginnt. Nur in Betreff des Nachschlags verfährt man
meist abweichend, indem man ihn langsamer und mit einem Ruhepunkt
construirt:
■tr ^
Doch wird auch der Nachschlag häufiger in der Weise des Instrumentaltrillers
ausgeführt (s. Verzierungen).
Trillerkette, ital.: Catena di trilli, eine Folge von Trillern, auf- oder
absteigend auf verschiedenen Tönen:
tr tr
Hierbei ist es meist von äussern Umständen abhängig und dem Ausführenden
überlassen, ob jeder Triller einen Nachschlag haben soll. So giebt Liszt für
die Ausführung der Trillerkette in Weber 's erster Sonate zwei Weisen an:
Entweder: _ l.
:£*22ti2S!!*r=^?söif'
Trillo, s. Triller.
Trillo capriuo, Bockstriller, auch Geisstriller genannt, wie in Leopold
Mozart's Yiolinschule, Spottname für einen nicht mit der nöthigen Rundung
und Fertigkeit, sondern steif und meckernd ausgeführten Triller.
Triuieles, ein Lied der Griechen, das mit Begleitung der Flöte gesungen
wurde. Angeblich bestand es aus drei Strophen, von denen die erste in der
dorischen, die zweite in der phrygischen und die dritte in der lydischen
Tonart gesungen wurde,
Triuciavelli, Jacopo, Compouist, gegen Ende des 16. Jahrhunderts
zu Buggiano di Valdimievola im Toscanischen geboren, kam jung nach Rom,
Trinklied - Trio. 307
wo er auch Musik studirte und war gegen 1620 Sänger an St. Griov. de Latran.
Er veröffentlichte; -»Musiche spirituali a 3 voeiv. (Roma, per Luca Antonio Soldi,
1620, in 4").
Trinklied, ein Lied fröhlichen Charakters zum Lobe des "Weins, das beim
festlichen oder auch nur fröhlichen Mahle gesungen wird. Seit Anacreon
haben die Dichter neben der Liebe auch den Wein begeistert besungen und
die Tondichter sind ihnen gern auf das Grebiet gefolgt. Es gab eine Zeit, in
welcher der komischen Oper, wollte sie auf Erfolg rechnen, ein Trinklied nicht
fehlen durfte, und selbst die tragische Oper hat ihm wiederholt ihre Pforten
geöffnet.
Trio, eigentlich jedes Tonstück für drei selbständige Stimmen, wie Tri-
cinium oder Terzett, doch verbinden wir jetzt ganz entschieden bestimmtere
Bewrifle damit, die indess alle auf den Ursprung hinweisen. "Wir nennen jetzt
die Sonate für drei Stimmen: Trio, ebenso wie wir für die zu vier Stim-
men die Bezeichnung Quartett, für die zu fünf Stimmen Quintett u. s. w.
adoptirt haben. An der Form, wie unter dem Artikel Sonate nachgewiesen
ist, wird nichts geändert, dort ist dargethan, dass nur der Inhalt ein bedeut-
samerer werden muss, mit der anwachsenden Zahl von Personen, die sich zur
Ausführung der Sonate vereinigen. Dort wurde auch bereits angeführt, dass
die Sonate zu drei Instrumenten sich vorwiegend als Kammermusik ent-
wickelte, als Solostücke für die in den Privatzirkeln der Fürsten wirkenden
Tonkünstler. Daher wurden im vorigen Jahrhundert solche dreistimmige So-
naten für alle Instrumente, die eine selbständige Ausbildung gewannen, für
Oboen, Flöten, Violinen u. A., mit begleitendem Bass geschrieben. Diese
Zusammenstellung finden wir noch bei Beethoven, der Trios für zwei Violinen
und Bratsche, für Violine, Bratsche und Cello, und für zwei Oboen und Englisch
Hörn componirte. Als das Ciavier dann allmälig die ausserordentliche Ver-
breitung und die grosse Bedeutung für die Hausmusik gewann, wurde dies
auch hauptsächlich für diese verschiedenen Formen herangezogen und neben
dem Quartett für Streichinstrumente wurde jetzt das Trio für Pianoforte,
Violine und Violoncello die am eifrigsten von unsern Meistern gepflegte
Form. Anfangs wurde sie noch Sonata a tre genannt, allein weil das Ciavier
wohl für ein Instrument gilt, aber nicht auch für eine einzige Stimme, so war
es ganz natürlich, dass man bei dieser Zusammenstellung die Bezeichnung a tre
als für drei Stimmen aufgab, und die »Trio«, als für drei Instrumente, wählte.
Unter diesem Namen ist diese Form von den grossen Bleistern, seit Haydn,
von Mozart, Beethoven, Schubert, Mendelssohn, Schumann u. A.
eifrig gepflegt worden. Die Form ist schon früher unter dem Artikel Sonata
behandelt worden. Eine besondere Art des Trio, das
Trio für Orgel, wurde durch die äussere Construktion der Orgel hervor-
gerufen. In den beiden Manualen und dem Pedal, welches die einigermaassen
grössern Orgeln besitzen, und die selbständig zu registriren, d. h. mit selbstän-
digen Stimmen zu versehen sind, ist die Möglichkeit einer durchaus polyphonen
Führung der Stimmen geboten, und so entstand in dem Orgeltrio ein aus drei
durchaus selbständigen Stimmen gebildeter Orgelsatz, der die Form des Prälu-
dium, des figurirten Choral, des Fugato u. s.w. annahm. Bach's »Sechs
Orgelsonaten für zwei Claviere und Pedal« sind durchweg als Trios
gehalten und Muster der Form. Endlich ist noch das
Trio beim Walzer, dem Marsch, der Menuett und dem aus ihr hervor-
treibenden Scherzo zu erwähnen, das als besonderer Satz dieser Formen be-
handelt wird. In der Zeit der frühen Entwickelung der Instrumentalformen,
als die Nothwendigkeit des Princips des Contrastes immer lebendiger wurde,
machte sich dies auch in diesen Formen äusserlich geltend. Es lag zu nahe,
dem mehr der äussern Bewegung dienenden ersten Tanzsatz einen zweiten
gegenüber zu stellen, welcher der Empfindung mehr zum Ausdruck dient, die
ja weder beim Tanz noch beim Marsch unbetheiligt bleibt. Während der
20*
308 Triole — Triomphant.
erste Theil hauptsäcUicli darauf berechnet ist, die Bewegung der Massen zu
leiten, giebt der zweite Theil, das »Trio«, zugleich der Stimmung dieser
Massen Ausdruck. Die wehmüthige Abschiedsstimmung erzeugt in der Regel
das Marschtrio, das sehnsüchtige Verlangen nach Yereinigung der Liebenden
das "SValzertrio. Damit gewinnt dies eine mehr gesangliche, liedmässige
Fassiing; der E-hythmus des Marsches und Tanzes bleibt natürlich unverändert,
aber sein Charakter wird weicher, indem die getragene Melodie die Oberhand
gewinnt. Ganz folgerichtig wird für das Trio auch eine andere Tonart ge-
wählt, die aber mit der Haupttonart in möglichst naher Verbindung steht. Es
sind dies zunächst die Dominanten, die Ober- und Unter dominant, für die
Durtonart; dann aber auch die Medianten. Für die Molltonart sind es
hauptsächlich die Medianten, welche gern als Tonart zum Trio gewählt werden.
Dass dem Trio wieder der erste Theil folgt und meist eine Coda das
ganze Stück abschliesst, ist an den betreffenden Orten schon gezeigt worden.
Der modernen Romantik genügte dies eine Trio nicht zur Darstellung ihres
lebendigem und mannichfaltigern Inhalts. Der Ausdruck der Klage und des
Schmerzes ist sehr vielfältiger Natur, er kann resignirt in sich verharrend
sein, oder aber in wilder Leidenschaftlichkeit ausbrechen und dieser Anschau-
ung giebt Schumann in seinen beiden Trios Ausdruck, wie in seiner B-dur-
Sinfonie, im -Es-^^wr- Quintett, in der C-dur-Sinionie u. s. w., in denen
dem Scherzo zwei Trios beigegeben sind, welche die Stimmung mehr gegen-
sätzlich fassen; das eine dient dem Ausdruck der heissesten Sehnsucht, sanfter
Klage, es ist von süsser Schwärmerei durchglüht. Das andere aber erhebt sich
dann meist zu wilder Leidenschaft, und steigert sich oft bis zu »irren Traumes-
wirren«. In diesem Sinne hat das Trio bei den modernen Meistern grosse
Bedeutung gewonnen für den treuesten Ausdruck der Stimmung und auch bei
den modernen Tänzen ist es ein besonders sorgfältig ausgeführter Satz gewor-
den, seitdem "Weber in seiner »Aufforderung zum Tanz« und Schubert in
seinen Tänzen die Gremüths- und Empfindungsseite so hervorkehrten.
Triole, die bekannte rhythmische Figur, welche aus der Theilung eines
Zeitwerths in drei, anstatt, wie allgemein üblich, in zwei gleiche Theile ent-
steht. Bekanntlich wird die Ganze Note, in Halbe, Viertel, Achtel, Sech-
zehn theil u. s. f., immer durch die Zwei weiter getheilt. Die Dreitheilung
des Tacts, die bei der ersten Entwickeliing des Tactwesens die bevorzugte war,
musste dazu führen, auch die einzelne Note durch drei zu theilen und so ent-
stand die Triole, aber ohne dass diese Theilung zu einem besonders rhyth-
mischen System geführt hätte:
F^
— ^ — ^— ^ — 1
— • — « — • —
— •-•-•—
-.-.=S=:
.-•^« STiTi-:
1 1 — 1 — i i — i — i
0 •-• 0 0 0- -
h^^
Hierbei ist zu bemerken, dass die ursprüngliche Bezeichnung als Viertel und
Achtel u. s. w. beibehalten wird mit dem Zusatz Triole: Achtel-Triole,
Sechzehn teltriole u. s. w. Eine eigene rhythmische Weitergestaltung findet
diese "Weise im Grunde in den dreitheiligen Tactarten, dem ^U- und ^/s-Tact
und deren Zusammensetzung; der ^/4-Tact erscheint darnach als ein in Triolen
dargestellter Tact mit halben Schlägen; der '^/4-Tact als ein ''/2-Tact, der ^/s-
als ein ^/4-Tact u. s. w. Bei raschem Tempo werden sogar der ®/s-, namentlich
aber die weiter zusammengesetzten Tonarten, der ®/8- und ^^/s-Tact so be-
handelt. Der Dirigent zählt 2, 3 oder 4 Schläge (als Viertel) und die Achtel
erscheinen dann als Triolen:
8 \ ' I li 8 i i i I
1. 2. 3. 1. 2. 3. 4.
Triomphaut (franz.) und
Trionfante — Triple de 9 pour 4. 309
Trioufaute (ital.), Yortragsbezeiclmung = triumphirend, singend, im
Vortrage feurig, gewichtig.
Tripedisouo, ein von Aguado in Paris erfundener Guitarrehalter.
Tripelfng'e, eine Fuge mit drei Subjekten — drei Themen. Nach der all-
gemeinen Idee der Form wird erst jedes Thema einzeln in je einer Durch-
führung verarbeitet, so dass der eigentlichen Tripelfuge, in welcher alle drei
Themen zusammen auftreten, drei Durchfühi'ungen vorausgehen. Bach 's leider
unvollendet gebliebene Tripelfuge, welche der »Kunst der Fuge« beigefügt ist,
hatte noch eine erweitertere Anordnung. Zuerst werden zwei Themen, jedes
für sich zu ziemlich ausgeführten Fugen verarbeitet und dann zu einer Doppel-
fuge zusammengefasst. Darauf wird das dritte Thema über den Namen Bach
wieder selbständig und ausführlich bearbeitet. Hiermit aber bricht die Fuge
ab. In der Hegel beginnt man mit der gleichzeitigen Verarbeitung zweier
Themen, also mit einer Doppelfuge u.nd führt dann das dritte entweder in
einer selbständigen Verarbeitung oder gleich in Vereinigung mit beiden aus.
Die erstere Form finden wir in einer C an täte Bach's, welcher er später den
Text zur Messe unterlegte, und so ist sie als G-dur-Messe bekannt geworden.
Der Chor: »Siehe zu, dass deine Gottesfurcht nicht Heuchelei sei«, in der Messe
das yiKi/rief. und t>Qhriste eleisona ist zugleich dadurch bemerkenswerth, dass
er Anfangs eine sogenannte Gegen fuge bildet. Der Bass hebt mit dem
Führer an, und der Tenor antwortet in der Gegenbewegung; mit dieser Ant-
wort tritt aber auch als Contrapunkt (zu den Worten: »und diene Gott nicht
mit falschem Herzen«) das zweite Thema ein, und da es ebenso festgehalten
wird, wie das erste, so ist die Fuge hier schon zur Doj)pelfuge geworden.
Darauf wird das dritte Thema mehr canonisch als fugirt in einem Zwischensatz
verarbeitet, worauf das erste, später in Verbindung mit dem zweiten wieder
herrschend wird, gegen den Schluss hin dann wieder das dritte allein und mit
dem ersten vereinigt. "Wie alle künstlichen Formen hat auch die Tripelfuge
nur untei'geordneten Werth, wenn sie nur der Lust an der Ueberwindung
selbstgeschaffener Schwierigkeiten, oder der eitlen Sucht technisches Geschick
zu zeigen dient; an der rechten Stelle aber kann sie die einzige Form zur ent-
sprechenden Darstellung der Massenempfindung in höchster charakteristischer
Verfeinerung werden, wenn eben alle drei Themen aus einer Gesammtstimmung
hervortreiben und dann jedes einzelne diese in anderer Weise erfasst und dar-
legt und die besondern Durchführungen diese entsprechend weiter führen.
Tripeluoteu heissen die Haupttacttheile des ungeraden Tacts; der einfache
engl.: Simple Triple time ^/2, ^/i, ^/s ; der zusammengesetzte: Compound T. i.
^/s, ^/i u. s. w.
Tripeltact, Tripola, Tripla, heisst der aus drei Gliedern von gleichem
Werth zusammengesetzte Tact (s. d.).
Triphou, ein Saiteninstrument in aufrechtstehender Flügelform, 1810 von
Meidner in Frankfurt erfunden. Die den Ton erzeugenden Tasten sind Stäbe
vom härtesten Holz; die tiefste Basstaste ist etwa 12, die höchste 6 Zoll lang,
sie sind so an die Saiten in horizontaler Lage angesetzt, dass diese in darin
befindlichen Einschnitten eingeklemmt wei'den. Der Spieler bedient sich
lederner Handschuhe, die an den Fingerspitzen mit gepulvertem Geigenharz
(Colophonium) bestrichen sind. Indem er damit die Stäbe reibt in der Rich-
tung von den Saiten nach seinem Sitze, entstehen die hohem flötenartigen und
die tiefern violoncellähnlichen Töne. Das Instrument hiess als Holzinstrument
auch Xylophon oder Xylorganon.
Triplum, in der älteren Musik der Name für den Sopran; der Tenor
war die Hauptstimme (s. d.), zu dem dann der Alt als die höhere Stimme und
dann der Sopran als dritte Stimme (Triplum) hinzukommen.
Triple de 9 pour 4, Xeiif q^iiatre, Nonupla di Semiminime, Dupla
Sesqiiiquarta, der Neunvierteltact.
310 Triple de 9 pour 8 — Tritonshorn.
Triple de 9 pour 8, Neuf Imit, Nonupla di crome, Sesq^uiottava,
der Neunachteltact.
Triple de 6 pour 4, Six quatre, Sestupla di Semiminime , Super-
hipartieiite quarta, der Sechsvierteltact.
Triple de 6 pour 8, Six huit, Sestupla di crome, Superbipartiente
sesta, der Sechsachteltact.
Triple de 12 pour 8, Douze huit, Dodupla oder Bosdupla di erome,
Super quadripariiente ottava, der Z wölfachteltact.
Triple de 12 pour 16, Douze seize, Docedupla oder Bosdupla di Semi-
crome, Suisuperhipartiente duodecima, der Zwölfsechzehnteltact.
Tripola Croinetta oder ottina, Tripola di crome, Triple de croches,
de trois pour huit oder Trois huit, Proportio suhdupla superhipartiens
tertias, der Dreiachteltact.
Tripola mag-giore, Tripla major, Triple majeur oder Trois tm, der
grosse Tripeltact = drei Ganze Tactnoten oder deren Werth ent-
haltend.
Tripola minor, Tripla minor, Triple double, Triple des Blanches,
Trois deux, Proportio sesquialtera, der Drei -Halbetact, aus drei
halben Noten oder deren Werth bestehend.
Tripola picciola, Triple de Ifoires, Petit Triple, Triple de trois
pour quatre, Proportio subsesquitertia, der Dreivierteltact.
Tripola semi crometta oder di Semicrome, Triple de doubles-croches
oder Trois seize, der Dreisechzehnteltact.
Trippenbach, Martin, ein Franziskanermönch und Organist zu Coblenz
um die Mitte des 18. Jahrhunderts, liess zu Nürnberg 1740 eine Sammlung
seiner Ciavierstücke drucken: »Musikalisches Vergnügen nach dem Geschmack
jetziger Zeiten, bestehend in drei Clavierpartien«.
Triseinitonium (lat.) = drittehalber Ton, Bezeichnung der kleinen Terz.
Trite, der Name des zweiten Tons jedes der drei obern Tetrachorde im
sogenannten vollkommenen oder unveränderlichen System der Griechen (siehe
Griechische Musik, System und Tetrachord).
Trite Diezeugmenon, Tertia divisarum, der Ton c^ im Tetrachord Z)?e2;eMy-
menon oder Divisarum.
Trite Hyperbolaeon, Tertia cxcellentium, der Ton f-^ im Tetrachord
Syperbolaeon oder Excellentium.
Trite Syuemmenou, Tertia conjunctarum, der Ton 5 im Tetrachord
Synemmenon oder Conjunctarum.
Tritonus, Tritono, die aus drei Halbstufen bestehende übermässige Quart:
f—g — a — Ä, die ihrer melodischen Härte wegen aus dem altern Kirchengesange
verpönt war und auch in der neuern Zeit noch mit Vorsicht eingeführt werden
darf (s. Querstand, Tonart u. s. w.).
Ti'itouius, Petrus, auf jeden Fall der lateinisirte Name eines deutschen
Contrapunktisten, der zu Augsburg im Anfange des 16. Jahrhunderts lebte.
Eines seiner Werke, aus der Druckerei von Ehrhardt Oglin hervorgegangen,
gehört zu den ersten in Kupfer gestochenen Notenwerken. Die Noten sind auf
fünf Linien gedruckt, der Diskant und Tenor stehen auf der einen, Alt und
Bass auf der andern Seite. Das Werk enthält 22 Stücke, zu denen einige der
Verse aus dem Horaz entnommen sind. Der Titel des Werkes, in Form eines
Bechers gedruckt, lautet: nMelopoiae seu harmoniae tetracenticae super XXII
yenera carminum heroicor. elegiacor. lyricor. et ecclesiasticor. hymnor. per P. Tri-
tonium et alias doctos sodalitatis literariae nostrae Musicos secundum naturas et
tempora sylldbarum et pedum eompositi et regulati, ductu Chunrandi Celtis foeli-
eiter impressai (Impressum Augusta Vindelicorum, ingenio et industria Er-
hardi Oglin, 1507, in Fol.). Das Werk ist bereits sehr selten.
Tritoushorii (Murex tritonis L.), eine Schneckenart, zur Familie der
Trittharfe — Trojano, 311
BJydrobrancJiien gehörig, deren bauchiges, längliches Gehäuse von den Südsee-
Insulanern als Trompete oder Signalhorn im Kriege gebraucht wird. Das
Tritonshorn hat einen aussergewöhnlich starken Ton und wurde deshalb auch
von den alten Römern in ihren Kriegen zu gleichen Zwecken verwendet.
Trittliarfe, s. v. a. Pedalharfe, s. Harfe.
Tritto, Dominico, Sohn des nachstehend Genannten, und von diesem in
der Composition unterwiesen, machte sich als dramatischer Componist bekannt
durch die Opern: >->ZeUnda e Rodrigov, opera semi seria, in zwei Akten. r>La
Parola d^onore«, ein Akt, 1815. -nJl Trionfo di Trajano«, op. seria, 1818.
Tritto, Giacomo, italienischer Operncomponist, geboren im Jahre 1734
(nach Einigen 1732) zu Altamura in der Provinz Bari im Königreiche Neapel,
trat 11 Jahre alt in das Conservatorium della Pietä de' Turchini zu Neapel
und widmete sich zuerst dem Violoncellspiele, woi'auf er in der Composition
von dem berühmten Cafaro Unterricht erhielt. Nach dem Tode Cafaro's (1787)
schien er sein wirklicher Nachfolger werden zu sollen, doch die Stelle erhielt
der von Eussland heimgekehrte Paisiello. Endlich wurde er im Jahre 1799
zum Professor der Harmonielehre am Conservatorium della Pietä, dann nach
dem Tode des Contrapunktisten Nie. Sala (1800) zum Professor der Compositions-
lehre und endlich vom König zum Kapellmeister ernannt. Tritto beschäftigte
sich viel mit Componiren für die grössten Theater Italiens, sowie für die
Kirche. Von seinen zahlreichen Opern sind die besten: t>II Principe riconos-
ciutod (1780), »Xa scuola degli amantia (1781), »ia vergme del sole« (1787),
y>La prova reciproca<i (1789), y>Ginevra di Scozia« und »GH Americani«, t>Ar-
minico'i, »/ S,agiri scoperti«, r>Cesare in Egittoi. Seine vorzüglichsten Kirchen-
compositionen sind: 1 Messe für 8 Realstimmen und 2 Orchester; ein vier-
stimmiges Credo; 1 Beatus vir und 1 Miserere für 2 Chöre. In den letzten
Jahren (1821) erschienen von ihm in Mailand im Drucke: y>Partimentioi (General-
bassbeispiele) und eine y>Scuola di Contrappunto<i (Mailand, 1822). Tritto war
als ein sehr rechtlicher Mann allgemein geachtet und starb am 17. Septbr. 1824
in Neapel.
Trittschuh, bei Kastenbälgen der Eing, in welchen der Calcant (Balgen-
treter) den Euss steckt, um den Balg wieder aufzuziehen.
Tritus, der dritte Kirchenton, F lydisch, s. Tonart.
Trochaeus, ein metrischer Fuss aus einer langen und darauf folgenden
kurzen Silbe bestehend — ^>-^, s. Versfuss.
Trössler, Bernhard, Hess sich gegen 1806 in Paris als Lehrer nieder
und starb dort 1828. Er veröffentlichte zwei Unterrichtsbücher: 1) y>Traite
general et raisonne de musique dedie ä la memoire de Gluck, Saydn et Dussechn
(Paris, chez l'auteur, 1825, in 4°, 130 p.). 2) -uTraite d^harmonie et de modu-
lation Selon les six mouvements de la hassest (Paris, Pleyel, in Fol.).
Trofeo, Roger, Kapellmeister der Kirche de la Scala zu Mailand gegen
Ende des 16. Jahrhunderts, veröffentlichte: y>Canzonnette a sei voeiv, lib. I (Ve-
nedig, 1589, in 8"). y^Canzonette a tre con alcune di Giov. Domenico Sognone«
(in Milano).
Trois (leux, der */2-Tact.
Trois huit, der ^s-Tact.
Trois quatre, der ^/4-Tact.
Trois seize, der '/le-Tact.
Trois nn, der ^/i-Tact.
Trojano, Anton, lateinisch Trojanus, bekannt durch eine vierstimmige
Motette: -aJuMlate Deo omnis terraa, welche sich im dritten Bande der von
Tylman Susato 1547 zu Antwerpen veröffentlichten Sammlung: -nSacrarum can-
tionum quatuor vocum, vulgo Moteta vocant, ex optimis quibusque hujus aetatis
musieis selectarum Liher etc.<s^ befindet.
Trojano, Joannis, Kapellmeister in Rom, wurde zu Todi im Kirchen-
staate geboren. Er folgte im Amte als Kirchenkapellmeiser an Maria Maggiore
312 Trojano — Tromboncino.
dem Annibal Stabile 1596. Im Jahre 1600 nahm F. Soriano diese Stelle ein,
es ist jedoch nicht festgestellt, ob T. in jenem Jahre bereits starb oder veran-
lasst wurde, diese SteUe aufzugeben. Von seinen Compositionen ist nur das
Bruchstück einer Motette: ■s>JE'lange quasi Virgo«, das Kircher in seiner r>Mu-
surgiaa als Beispiel für den Affectus dolorosi, pag. 601, und darnach Reiss-
mann in seiner »Musikgeschichte«, Bd. II, pag. 150, 151 mittheilte.
Trojauo, Massimo, Musiker der Neapolitanischen Schule, gehörte 1568
zur Kapelle des Kurfürsten von Baiern zur Zeit als Orlandus Lassus Kapell-
meister derselben war. Im genannten Jahre gab er bei Adam Berg in München
folgende Sammlung heraus: -nDiscorsi di triomfi, fjiostre apparati, e delle cose
piü notahile fatte nelle Nozze delV illustr. et eccellent. Signor. Duca Guglielmo etcM
In der Vorrede stellt er für das folgende Jahr das vierte Buch mit seinen
neapolitanischen Vilanellen und fünfstimmigen Madrigalen, nebst solchen von
Oi'l. Lassus und andern Musikern in Aussicht. Sonst ist von Trojano noch
bekannt: »JZ terzo libro delle sue Hirne e Canzoni alla Napolitana a tre voci
colla Battaglia della Gutta, e la Cornacliia, et una Amascherata alla Turchesca
a cinque voci et una Moresca novamente faüav. (Vinegia, Girolamo Scotto, 1568,
kl. in 4" obl.). Von 1593 an gehörte Trojano nicht mehr zu den Mitgliedern
dieser Kapelle.
Tromba, (xuglietto, erster Violonist an der Kirche des heiligen Antonius
zu Padua, war Schüler Tartioi's und erhielt nach dessen Tode seine Stelle.
Tromba, die Trompete (s. d.).
Tromba marina, das Trumbscheit (s.d.), Marin-Trompete.
Tromba sorda, die durch eine Sordine gedämpfte Trompete, klingt einen
Ton höher wie aus der Ferne.
Trombare = Trompete blasen.
Trombata, tromhettata, das Blasen der Trompete.
Trombe. Unter diesem Namen beschreibt Altenburg in seiner Trompeter-
und Paukerkunst (S. 126) ein zum Schlagen bestimmtes Saiteninstrument, in
Form einer gegen zwei Ellen langen Lade, deren obere Decke mit einem runden
Schallloch durchbrochen ist. Ueber diesem Besonanzkasten ist eine starke
Contrabasssaite aufgespannt, welche durch den Steg so getheilt wird, dass (nach
Paukenart) der eine Theil in c, der andere in G stimmt. Sie wird mit Holz-
klöppeln geschlagen, wodurch ein den gedämpften Pauken ähnlicher IQang ent-
steht. Es ist also dies Instrument ein Stellvertreter für die Pauken. Die Ver-
wandtschaft mit dem Trummscheit (tromha marina) ist nicht zu verkennen.
Auffallend ist, wie der Ausdruck trombe dazu kommt, ein Schlaginstrument zu
bezeichnen; jedenfalls liegt eine "Wortverdrehung vor, die sich dadurch erklärt,
dass im Althochdeutschen nur ein gemeinsames Stammwort drumme für Trum-
mel (Trommel) und zugleich für das Blasinstrument drommet (Trompete) vor-
handen war. — Ueber den Ursprung und das Alter dieses Instruments sagt
Altenburg nichts. Scheinbar haben wir hier eine Variante oder Umgestaltung
des aus dem Monochord hervorgegangenen Trummscheits vor uns, indem
man dieses einsaitige Instrument nicht blos zum Trommeln (worauf sein
deutscher Name hindeutet), sondern auch zum Greigen verwendete. Letzteres
war vermuthlich der spätere Gebrauch.
Ti'ombetti, Ascanio, Bolognesischer Componist, welcher in der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts in Neapel lebte, wo er mehreres veröffentlichte,
darunter: 1) Drei Bücher y>Canzoni alla napoletana a tre vocia (Venedig, 1572,
1577, 1581), Münchener Bibliothek. 2) y>Musica a piu voci«. (Bologna, Rossi,
1585, in 4").
Trombetti, Augustin, berühmter Bolognesischer Gruitarrist, im Anfange
des 17. Jahrhunderts geboren, gab heraus: y>Intavolatura di sonate novameiite
inventate sopra la Chitarra spagnuola, libri äuev. (Bologna, 1639, in 4°).
Trombettiere, ein Trompeter.
Trombouciuo, eine Sackpfeife.
Trombonciuo — Trommel. 313
Tromboueiuo, Bartolomeo, Componist von Frottoles, war in Verona in
der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts geboren. Compositionen der genannten
Art von T. sind in der folgenden Sammlung vom Jahre 1509 enthalten:
Tenori e contrahassi intahulati col sopran in eanto ßgurato per cantor e sonare
col Lauto. Libro Primo. Franciscl £ossi7iensis Opus. Impressum TJenetiis: per
Octavianum Petrutium Forosemproniensem: Cum priuilegio inuictissimi dominij
JJenetiaruin : quod nullus possit intahulaturam LauU imperimere: suh penis in
ipso priuilegio confentisa (Die 27 Martij, 1509, in Querquart); enthält 70
Lieder und 26 Ricercari. Die Tonsetzer der Lieder sind: Franc. Anna* Josq.
dAscanio, Ant. Capriolus, Phil, de Luprano, Mich. Pesentus, Nicolo Pi-
sai'o, Bart. Trombonciuo, P. Zanin und Ungenannte. Ferner: in den neun
Bücher »Frottole«, herausgegeben von Petrucci in den Jahren 1504 bis 1508,
und in: TaLamentationum Jeremiae prophete, Liher secundus. Impressum, TTenetiis,
per Octauianum Petrutium Forosemproniensem<i. (Die 29 Martij Salutis anno 1506,
in Querquart); enthält 10 dreistimmige Gesänge von Graspar, Erasm. Lapicida
und Bart. Tromboncino.
Tromboue, die Posaune.
Tromboue d'Alto, die Alt posaune.
Trombone di Basso, die Bassposaune.
Trombone grande, die grosse Bassposaune.
Trombone grosso, die grosse Quartposaune.
Trombone maggiore, die grosse Altposaune.
Trombone piccolo, die kleine Altposaune.
Trombone di Tenore, die Tenor posaune.
Tromlitz, Johann Georg, Flötist und Flötenfabrikant, geboren am
9. Februar 1726 zu Gera, lebte in Leipzig, wo er während einer Reihe von
Jahren auch in Concerten auftrat, sich aber mehr durch Kraft, als durch "Weich-
heit des Tones im Flötenblasen auszeichnete. Hauptsächlich geschätzt war er
als Lehrer und Yerbesserer der Flöten (durch Vermehrung der Mittelstücke
und Klappen), deren er auch in den verschiedensten Qualitäten verfertigte.
Eine Flöte von Buchsbaum, mit drei Mittelstücken, einer silbernen Klappe mit
Elfenbein belegt, verkaufte er für vier Dukaten; die complicirteste mit sieben
Mittelstücken und sieben Klappen und einem Fussstock mit einer C- und Gis-
Klappe galt achtzehn Dukaten. (In Kramer's Magazin, Jahrgang I. S. 1013
ist Näheres darüber zu finden.) T. gab heraus: »lieber die Flöten mit mehreren
Klappen, deren Anwendung und Nutzen« (Leipzig, Böhme, 1800). Früher
schon: »Kurze Abhandlung zum Flötenspielen« (Leipzig, Breitkopf, 1786, in 4",
30 S.). Diese Schrift zu einer grösseren umgearbeitet erschien unter dem Titel:
»Ausführlicher und gründlicher Unterricht, die Flöte zu spielen« (Leipzig, Böhme,
1791, in 4", 376 S. und 22 S. Vorrede). Die Compositionen von T. sind
folgende: »Sechs Partien für die Flöte«. »Drei Coucerte für Flöte, zwei Vio-
linen, Alt und Bass«. »Zwei Sonatenwerke für Ciavier und Flöte«. »Eine
Sammlung deutscher Gesänge«. T. starb in Leipzig am 4. Febr. 1805.
Trommel, franz.: Tambour, ital.: Tamburo, ein uraltes Schlaginstrument,
welches schon bei den Hebräern als Pauke (Topli) und als Trommel (Maanim)
mit ihren verschiedenen Abarten verwendet wurde. Zu den Trommeln im All-
gemeinen gehören eigentlich alle Gattungen von rhythmischen Schlaginstru-
menten, bei welchen der tonerregende Körper ein Fell ist, das, über Reifen
gespannt, auf irgend eine Weise durch Schläge in Vibration gesetzt wird.
Das Instrument, welches jetzt Vorzugs- und unterscheidungsweise diesen Namen
führt, ist besonders beim Militär gebräuchlich und giebt einen einfachen,
dumpf rasselnden oder schwirrenden Ton von sich, wenn man darauf schlägt.
Es besteht aus einem Cylinder von Messingblech oder Holz , der oben
und unten mit einem in einem Reifen befestigten Kalbfelle überspannt ist.
Beide Reifen werden durch eine mehrmals durch dieselben gezogene Schnur,
Trommelleine genannt, über dem Instrumentenkörper befestigt und vermittelst
314 Tirommelbass.
verschiedener Schlingen, welche über die hin- und hergehende Schnur gestreift
werden und diese zusammenziehen, können die Felle durch den Stellschlüssel
mehr oder weniger angestrafft werden. lieber das untere Fell ist eine starke
Darmsaite, die sogenannte Sang- oder Schnarrsaite, gezogen, welche vibrirend
gegen dasselbe rasselt, wenn das obere Fell mit den Klöppeln (Trommelstöcken)
creschlagen wird. Der Cylinder bei unseren jetzigen Militärtrommeln ist ganz
flach. Die Trommelstöcke sind Stäbe aus hartem Holze, je nach der Grösse
der Trommel 10 — 16 Zoll lang und vorn mit einem ovalrunden Knopf ver-
sehen. Obgleich die Trommel nur einen einzigen Ton hat, so kann doch durch
das einfache oder doppelte Schlagen, durch Stärke und Schwäche, Schnelligkeit
und Langsamkeit des Schlages viele Veränderung in dem Trommelschlage hervor-
fferufen werden. Daher wird auch beim Militär der Trommelschlag zu ver-
schiedenen Zeichen und Commandos benutzt. Auch dient er dazu, beim regel-
mässigen Marsche den Schritt in gleichem Tempo (rhythmisch) zu erhalten
und dadurch die Anstrengungen der Marschirenden zu erleichtern oder die
Janitscharen-(Infanterie-)Musik zu unterstützen. Die Manieren beim Trommel-
schlagen bestehen aus dem Wirbel, dem Schleifschlag, Doppelschlag u. s. w.
Bei Trauermärschen wird die Trommel durch ein auf das obere Fell gelegtes
Tuch und TJmwickelung der Sang- oder Schnarrsaite gedämj)ft. Es giebt ver-
schiedene Arten: 1) die grosse oder türkische Trommel (franz.; grosse caisse,
ital.: (/ran cassa), die grösste Art, drei- bis viermal grösser. Bei ihr ist der
Cylinder immer von Holz und fehlt beim untern Fell die Schnarrsaite. Man
schlägt sie mit einem Kllöppel, dessen grosser Knopf einen weichen Lederüberzug
hat. Daher kann auch immer nur ein Schlag darauf geschehen, der einen
gleichförmigen Ton hervorbringt. Sie wird hauptsächlich bei der Janitscharen-
musik gebraucht oder ausnahmsweise in grossen Orchestern mit starker Besetzung
der Blasinstrumente. Zu diesen Schlägen lässt man gewöhnlich die Becken
ertönen. Da sie keine bestimmte Tonhöhe hat, kann sie als rhythmische Accen-
tuation zu jeder Harmonie dienen und wird gewöhnlich mit der Note C im
zweiten Zwischenraum im Bassschlüssel notirt. 2) die Wirbel- oder Bolltrommel
(ital.: Tamhuro rulante), gewöhnlich zu dumpfen Wirbeln dienend, die mit dem
Trillerzeichen (tr.) bezeichnet werden; notirt wird sie auch im Bassschlüssel.
3) die Militärtrommel, lauter und heller an Schall als die Eolltrommel, sonst
ebenso wie diese behandelt. Die Italiener führten die grosse Trommel zuerst
in den Opern ein, wahrscheinlich zunächst nur, um in den grossen Bäumen
ihrer Theater und bei rauschender Musik den Takt vernehmbar zu markiren.
Früher gehörte diese Trommel ausschliesslich nur der Janitscharenmusik an.
Hieraus geht denn auch hervor, dass sie nur da in Orchestern Anwendung
finden darf, wo volle Accorde tönen und es nothwendig wird, bei rhythmischen
Accenten starke Effekte zu erreichen. Wer höheren Sinn für Kunst hat, wird
daher auch der Trommel die untergeordnete, richtige Stellung in seiner Musik
anweisen. Wo es darauf ankommt, Schlageffekte zu erzielen, da mögen die
Kalbfelle rasseln, aber sonst empfehlen wir die grösste Sparsamkeit beim Ge-
brauch derselben in einer vollen Orchestermusik. Suum cuique sagen wir. Der
Janitscharenmusik ausschliesslich, aber nicht auch der Jäger- und Cavallerie-
musik gehört die Trommel. Schon die Inder bedienten sich im Kriege einer
Art länglicher schmaler Trommel, Dole genannt, die dem Tambour um die
Schulter hängt. In gewissen Tempeln bediente man sich der Trommel "Oudoukai«,
in andern der Trommel »Pambe«. Die Ulemas bei den orientalischen Völkern
führen immer verschiedene Arten von Trommeln mit sich und trommeln sich
damit von den Gläubigen die Almosen ein.
Trommelbass nennt man spottweise einen Bass, der mehrere Tacte hindurch
nur aus der Wiederholung desselben Tons, im Einklang oder in Octaven besteht.
Trommelfell — Trompete. 315
Trommelfell lieisst der Ueberzug der Trommel aus Pergament, von Esels-
haut oder weichgarem Kalbfell gefertigt, mit dem die Trommel bezogen und
das hier schallerzeugend verwendet wird (s. Trommel).
Trommelklöppel heissen die beiden Stöcke von hartem Holze, je nach der
Grösse der Trommel 10 — 16 Zoll lang, mit denen das Trommelfell geschlagen
wird, um es tönen zu machen. Sie sind zu diesem Behufe vorn mit einem
Knopf versehen.
Trommelleine nennt man die hänfene Schnur bei der Trommel, durch welche
es möglich wird, dem Trommelfell die gehörige Spannung zu geben. Sie ist
durch die, in den beiden hölzernen Keifen, welche die beiden Trommelfelle über
dem Cylinder festhalten, befindlichen Löcher gezogen und mit den Enden an
den Stellschlüssel befestigt, so dass vermittelst der Schleifen (s. u.) dem
Instrument die nöthige Stimmung gegeben werden kann.
Trommelschleifeu sind feste Lederstreifen, welche um je zwei Stück der
Leine so gelegt sind, dass diese zwei spitze "Winkel bilden. Durch Verschiebung
dieser Schleifen wird die Spannung des Trommelfells erhöht oder vermindert
und dadurch der Klang natürlich verändert.
Trommelschlag': die verschiedenen Arten desselben sind der "Wirbel, der
mit einem »fr.« oder ^bezeichnet wird, der Doppelschlag und der Schleif-
schlag, die mit kleinen Noten angedeutet werden:
Trommelstöcke, s. Trommelklöppel.
Trommeten, s. Trompeten.
Trommeten, s. Schlechtblasen.
Trompeo, Bened., Dr. med., aus Sardinien gebürtig, lebte in Turin und
veröfi'entlichte eine Abhandlung, die menschliche Stimme betreffend: r>Memoria
sulla voce considerata nel tripliee rajpjporto fisiologico -praticoii (Turin, Pomba,
1822, in 8", 42 S.).
Trompete, ital.: tromha, auch clarino, lat.: tuha, franz.: trompette,
ein im Theater- und Concertorchester sowie in der Militärmusik sehr gebräuch-
liches Blechblasinstrument, besteht aus einer Köhre, zumeist aus Messingblech
gefertigt, zusammengelöthet und inwendig verzinnt. Bis auf etwa zwei Euss vor
der Mündung ist ihre "Weite gleichmässig und beträgt ^J2 Zoll; von da an aber
beginnt sie nach und nach zu wachsen und läuft in einen Schallbecher (Schall-
trichter, auch Stürze genannt) aus. Angeblasen wird die Trompete mit einem
kesseiförmig ausgetieften Mundstück, ähnlich dem der Posaune, nur nicht so
weit und tief. Die Röhre, eigentlich acht Fuss lang, ist der bequemen Hand-
habung wegen zweimal zusammengebogen und die Biegungen sind aneinander
gelöthet. "Wie das Hörn, die Posaune und die Trommel gehört auch die Trom-
pete zu den ältesten musikalischen Instrumenten. Die ältesten Völker der
frühesten Zeit bedienten sich ihrer im Krieg, zum Zusammenrufen des Heeres
und des Volks bei öffentlichen Versammlungen und OiDfern, Alle Abbildungen
aber, welche wir in den "Werken der Greschichtschreiber von diesem Instrument
finden, stellen dasselbe in Eorm eines Füllhorns dar. Es giebt verschiedene
Arten von Trompeten. Die Hauptart ist die Natur trompete, deren Röhre
keine Tonlöcher hat, so dass die verschiedenen Tonhöhen allein durch die Ver-
schiedenheit der Lippenstellung und des Anblasens (den Ansatz) hervorgebracht
werden. Die Scala der Naturtrompete, welche auf diese "Weise hervorgebracht
werden kann, ist :C'c^c e g h c d e {f fis) gab (Ji) c. Vom einge-
strichenen c an lassen sich auch die fehlenden Töne mittelst Lippeudrucks und
Stopfens erzielen ; dieselben sind aber gegen die offenen bedeutend unwirksamer.
Ueberhaupt ist der Umfang der Naturtrompete erst vom kleinen g an brauchbar ;
316 Trompete.
die tieferen Töne sprechen schlecht oder gar nicht an. IJm sie bei allen Ton-
arten gebrauchen zu können, wird die Trompete in verschiedenen Grössen an-
gefertigt, die den betreffenden Grundtönen entsprechen. Notirt werden alle
Stimmungen in C-dur (im Violinschlüssel), aber nur die C-Trompete klingt
übereinstimmend mit der Notirung, die andern transponiren. Die gewöhnlichsten
dieser Stimmungen sind die in tief B, C, D, Es, E, F, G, As, hoch A, B, 0.
Die Scala jeder dieser Stimmungen kann durch den Aufsatz eines Krummbogens
oder Setzstückes, wodurch die Röhre verlängert wird, um einen halben Ton
tiefer gestimmt werden, woraus dann sich noch die fehlenden Tonarten ergeben.
Da die für ein Tonstück erforderliche Stimmung nicht aus der Notirung zu
ersehen ist, so wird sie besonders ausgedrückt, z. B. Tromba in F, C, B alto,
B lasso etc. Im Forte ist der Klang der Trompete stark, glänzend, heroisch
und schmetternd. Wie beim Hörn (Waldhorn) hat man auch bei der Trom-
pete viel an der Ergänzung ihrer Scala durch die chromatischen Töne (ohne
Beihülfe des Stopfens) gearbeitet. Zur besseren Hervorbringung der chroma-
tischen Töne erfand Meyer in Hamburg (1760) ein eigenes Mundstück, Michael
"Wögel (auch "Wöggel) in Carlsruhe (1780) die mit Zügen versehene Inventions-
trompete, der Hoftrompeter A. "Weidinger in Wien (1801) die Klappentrompete,
der Goldarbeiter Christ. Fr. Nessmann zu Hamburg (1809) verborgene Klappen
unter dem Gebinde, die eine rein intonirte chromatische Scala ergeben. Durch
die Anwendung des Stölzel'schen Ventilsystems sind alle eben angeführten
Trompetenerfindungen verdrängt worden. Die Ventile (s. d.), wodurch die ein-
fachen Waldhörner und Trompeten eben zu chromatischen oder Ventil-Instru-
menten werden, sind 1817 durch den Königl. Kammer musikus Heinrich Stölzel
(auch Stölzl) in Berlin erfunden, und vermöge ihrer können alle Töne der
chromatischen Scala, im Umfange von beinahe drei vollen Octaven, offen, ohne
Beihülfe des Stopfens, hervorgebracht werden, indem der Gebrauch eines oder
mehrerer Ventile etwa eine ^-Trompete in eine F-, Fs- oder Z>-Trompete
umwandelt und die Tonstufen dieser Stimmungen alsdann zur chromatischen
Scala sich ergänzen. Stölzel brachte zuerst zwei Ventile an; C. A. Müller in
Mainz fügte 1830 noch ein drittes hinzu. Lässt man die Ventile (Pistons)
ausser Thätigkeit, so verwandelt man das Ventilinstrument wieder in ein ein-
faches Naturinstrument. Die mittlem Trompetenstimmungen sind für Anwen-
dung von Ventilen die geeignetsten, Ventiltrompeten in Fs, F und F sind
die gebräuchlichsten. In Orchestermusiken sollte die Trompete niemals über
klein e bis zweigestrichen g hinausgehen. Die i?-Trompete steht einen Ton
tiefer als die Violine und ist dem B alto des Hornes gleich. Die C-Trompete
ist mit der Violine gleich und daher um eine Octave höher als das C-Horn.
Die i^-Trom^oete steht einen Ton höher als die Violine und um eine Octave
höher als das Z>-Horn. Gleiches Verhältniss findet bei der ^s-Trompete und
bei der F- und P- Trompete statt. In früheren Zeiten hatten die Trompeter,
welche sehr in Ehren standen und eine eigene Zunft bildeten, zur Bezeichnung
der Octaven wunderliche, gleichsam zunftmässige Namen eingeführt. So hiess
bei ihnen das grosse C Flattergrob, wahrscheinlich, weil dieser Ton etwas
unsicher und zitternd klingt; das kleine c Grobstimme und das kleine g
Faulstimme, ohne Zweifel, weil diese Stimme den Ton ^ oft nacheinander zu
blasen hat, da er sowohl als Quinte der Tonika wie als Grundton des Dominant-
accordes oft vorkommt, faul an seiner Stelle bleibt. Das Blasen der Grund-
stimme hiess Princi palblasen, und das der Oberstimme, wo auch Solosätze
vorkommen, Clarinblasen. Das Schmettern nannte man trommeten, und
dem entgegen das sanfte, leise Intoniren schlecht blasen. Daher übersetzte
auch Luther so die Stelle 4. Mos. 10, 1 — 10. Händel hat in seinem »Messias«
bei der Bass-Arie »Sie tönt, die Posaune« die Trompete melodiös wirksam benutzt.
Trompete, Tromha, Clari7io, in der Orgel ein sehr brauchbares und
charakteristisch schünklingendes Manual- und Pedalrohrwerk, mit trichterförmi-
gem Aufsatzrohr, wie bei der Posaune, aber mit engerer Mensur und dem ent-
Trompet-Marine — Trompeter. 317
sprechend schwachem Zungen und schmalerm Mundstück. Sie hat in der Regel
8 Fuss, seltener 16 oder 4 Fuss und ist meist durchweg aus gutem Metall ge-
baut; die Holzpfeifen sind nicht zu empfehlen. Ein 8 Fuss-Trompetenregister
im Manual eignet sich vortrefflich zur Führung des Cantus ßrmus und im Pedal
giebt es namentlich den 16 Fussregistern grössere Klarheit.
Trompet-Marine, das Trum seh eit (s. d.),
Trompeteufest wurde am ersten Tage des siebenten Monats (Nissan) im
Tempel begangen (s. v. a. Sabbath des Blasens), 5. Mose 29, 1. Man hält es
für das Erntefest der Juden.
Trompeteugeig-e, das Trumbscheit (s. d.).
Trompeter nennt man die Trompete blasenden Musiker. Sie bildeten in
den frühen ersten Jahrhunderten der Entwickelung der Instrumentalmusik als
gelernte Hof- und Feldtrompeter mit den Heerpaukern eine besonders pri-
viligirte Zunft, Cameradschaft genannt. Die Hof- und Feldtrompeter und
Heerpauker standen unter der unmittelbaren Jurisdiction der Fürsten und es
wurde als eine besondere Gnade betrachtet, dass der Kaiser Sigismund der
Stadt Augsburg 1426 das Privilegium ertheilte, Stadttrompeter zu halten, da
die andern freien Reichsstädte sich nur mit Thürmern begnügen mussten.
Später erst erhielten gegen entsprechende Gegenleistungen auch die andern
freien Reichsstädte die gleiche Vergünstigung. Die Privilegien der Pauker und
Trompeter wurden wiederholt bestätigt, so 1528 durch einen Reichsabschied.
1623 ertheilte Kaiser Ferdinand II. ihnen wiederum ein besonderes Reichs-
privilegium, sowohl in Ansehung ihrer Kunst, wie ihres Ranges und 1630
wurde es aufs neue bestätigt und erläutert. Diese Privilegien bestätigten alles,
wie es ausdrücklich heisst: »so wie es uhralters gebräuchlich«. In diesen Privi-
legien wird die Kunst der Trompeter und Pauker ausdrücklich als eine »adelich
ritterlich freie Kunst bezeichnet, und immer hervorgehoben, dass man einen
Trompeter oder Pauker einem Offizier gleichhalten solle und dannhero nach
dem Kriegsrecht kein Trompeter mit den Lieutenants und andern geringern
Offizieren zur Wacht und Parthei commandii't ohne dem Rittmeister Dienste
zu thun angehalten werde«.
Man hat es deshalb nicht obenhin und als eine blosse Zierrath anzusehen,
dass man die Trompeter bei Hofe sowohl, als im Felde, mit Federn auf den
Hüten, folglich mit einer sonst den Rittern oder nach der heutigen angenom-
menen Redensart den Cavalieren blos zukommenden Tracht erblicket. Es ist
dies vielmehr ein Merkmal ihres Ansehens und Fürzuges dessen sie vor un-
denklichen Zeiten schon theilhaftig gewesen. Dies Ansehen verdankten sie
wohl nur der nähern Beziehung, in welcher sie zu den Gewaltigen der Erde
standen. Johann Ernst Altenburg giebt in seinem; »Versuch einer
Anleitung zur heroisch-musikalischen Trompeter- und Pauker-
kunst« (Halle, 1795) ihre Verrichtungen wie folgt an. Darnach hatten sie:
Die Abgesandten zur Audienz einzuholen, diese wie andere Grosse zur Tafel
einzuladen, auf der Reise die herrschaftlichen Quartiere vorher zu reguliren,
die Aufsicht sonderlich während der Tafel über die Livreebedienten zu haben;
vornehmlich wurden sie aber auch in wichtigen Angelegenheiten verwendet, weshalb
ihnen gewöhnlich ein Pferd gehalten wurde. In der Bestallung eines solchen
Trompeters heisst es nach Fürsten au: »Zur Geschichte der Musik und des
Theaters«, 1861, I, pag. 197: »Insonderheit aber soll er sich nach Uns, Unsern
Ober- und Hof-Marschall Befehlich richten, aufi" denen Reisen zu denen ihn
bestimmten Stunden aufi'warten, zur- Tafiel blasen, sich im Felde zu verschicken
und worzu "Wir ihn tüchtig erkennen, ieder Zeit gehorsam und verschwiegen, auch
zugleich nach der Musica gebrauchen lassen und alles andere thun, was einem
getreuen Diener und Hoff-Trompeter gegen seinen Herrn eignet und gebühret«.
Der Ort, wo sie täglich ihre Stücklein bliesen und damit zu Tisch aufforderten,
hiess darnach »Trompetergang« und »Trompeterstuhl« und die Bezeichnung
»Trompetertisch« ist gleichfalls hierauf zurückzuführen. Die Reiterbestallung
318 Trompeter.
von 1670, zu Speier erneuert, hebt ausdrücklicli hervor, dass der Trompeter
keines Passport bedürfe, sondern ohne dasselbe in das feindliche Lager ein-
rücke, »wann er nur in seine Trompete stosset, keinem andern war das erlaubt«.
Dabei halfen sie den Grlanz der Höfe jener Zeit vermehren; v. Seckendorf
rechnet sie mit zum Staate eines Fürsten, denn ausser »dass der Klang der
Trompete solenner und erhabener sich ausnimmt, macht ein grosser Herr auch
viel Aufsehen, wenn er ein oder zwei Chöre in prächtiger Livree gekleideter
Trompeter und Pauker mit silbernen Instrumenten aufstellen kann, die bei
Gralla und Freudentagen das menschliche Herz durch ihre hinreissende Musik
jedes Affekts empfänglicher machen« und Altenburg setzt ganz ernsthaft
hinzu: »Hat auch ein Fürst eine noch so gute Kapelle, Jägerei, Marstall und
andere dergleichen Ministeriales, und hält nicht wenigstens ein Chor Trompeter
und Pauker, so scheinet meines Erachtens an der Vollkommenheit seines Hof-
staats etwas zu fehlenif. Dieser bevorzugten Stellung, welche die Zunft der
Hoftrorapeter und Heerpauker einnahmen, entsprechen auch die Bestimmungen
über das Verhalten derselben, wie über die Aufnahme als Lehrlinge. Darnach
durften Trompeter und Pauker ihre Instrumente nur im Dienste und niemals
in Gremeinschaft mit nicht zünftigen Musikern gebrauchen; es war ihnen unter
Androhung von hohen Strafen verboten mit Stadtpfeifern zu trompeten oder
zu pauken, während ihnen andere Instrumente mit jenen in Gremeinschaft zu
spielen gestattet war. In die Zunft aufgenommen zu werden konnte nur, wer
bei einem priviligirten Trompeter oder Pauker eine bestimmte Zeit ausgelernt
hatte und freigesprochen war. Zur Erlernung dieser ritterlichen Kunst war
aber ehrliche Geburt und ehrliches Herkommen nöthig, ebenso dass der Lehr-
junge keiner Leibeigenschaft oder Unterthänigkeit angehörte.
Als Reichserzmarschall hatte der Kurfürst von Sachsen die Schutz-
und richterliche Grerechtigkeit über sämmtliche Hof- und Feldtrompeter
und Hof- und Heerpauker des ganzen deutschen Reichs, und dass er sie
auch thatsächlich ausübte, davon geben eine ganze Reihe noch erhaltener ge-
fällter Erkenntnisse in den verschiedensten Rechtshändeln Zeugniss. In Dresden
gab es, nach Fürstenau (a, a. 0.), 1680 zwanzig Hoftrompeter inclusive eines
Oberhoftrompeters; drei Pauker, einen Pauken- und einen Trompetenmacher
mit einem jährlichen Gragenetat von 4405 Thlr. 6 Gr. Der Oberhoftrompeter
hatte 300 Thlr. Besoldung, der höchste Gehalt eines Trompeters war 250 Thlr,,
wobei er sein Pferd selbst erhalten musste, bei 200 Thlrn. stellte es der Hof.
Zu jeder Zeit gehörten dazu ferner noch Hoftrompeter- und Paukerlehrjungen,
die unterrichtet und nach beendeter Lehrzeit freigesprochen worden. Für einen
solchen waren jährlich 28 Thlr. für Schuhe und "Wäsche und 7 Thlr. für
Quartier ausgesetzt. Ausserdem bekam er Livree und die Kost am Lakaien-
tische. Bei Galla trugen die Hoftrompeter »gelbtuchene Trompeterröcke« mit
schwarzem »Perpetuan« gefüttert, guten goldenen Gallonen und schwarz-sammet-
nen Schnüren verbrämt, französische Hüte mit goldenen leonischen Hutschnüren
und schwarzgelben »Federturencf, sowie lange Gehenke von schwarzem Corduan
mit goldenen und schwarzen Franzen besetzt. An den Trompeten hingen
Fähnchen von schwarz-gelbem Damast, mit dergleichen seidenen Franzen und
dem gestickten Fürstl. Wappen. Die bevorzugte Stellung, welche so die Trom-
l^eter und Pauker Jahrhunderte hindurch einnahmen, hatte zur nothwendigen
Folge, dass sie auch einen seltenen Grad von Kunstfertigkeit im Gebrauch
ihrer Instrumente erwarben. Die Trompeter waren wohl die einzigen Instru-
mentalisten, welche im 16. und 17. Jahrhundert ihre Instrumente wirklich
virtuos zu behandeln verstanden und selbst die Pauker hatten ihrem Instrumente
eine Art von virtuoser Behandlung abgenöthigt, die sie noch durch allerlei
equilibristische Kunststücke zu erhöhen wussten. Namentlich aber die Künste
der Trompeter wurden einflussreich für die Entwickelung der Instrumental-
musik, weil sie auch die andern Instrumentalisten zu gleichem Eifer anregten
Tronci — Tropiarisky. 319
und dass sie direkt auch das Kunstwerk beeinflussten, sehen wir bei den
beiden grössten Meistern des 18. Jahrhunderts, bei Bach und Händel.
Trouci, Philiijp und Anton, berühmte Orgelbauer zu Pistoja in der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Söhne Philipps, Louis und Be-
nedikt, setzten das Geschäft des Vaters fort. Auch die dritte Generation,
die Söhne Benedikts: Peter, Agathon und Josua, gehören in der Gegen-
wart zu den berühmtestens Orgelbauern Italiens.
Troparinm heisst die, dem Kaiser Justinian I. zugeschriebene Hymne von
der Gottheit Christi, die noch heute in der griechischen Kirche gebräuchlich ist.
Tropea, Giacomo, neapolitanischer Musiker, geboren in der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts, vei'öffentlichte von seiner Composition: •nMadrigali a
q^uattro voci, con clue madrigali a cinque voci nel fine, libro primo« (in Neapoli,
per Constantino Yitali, 1592, in 4"). y>Madrigali a cinque voei«. (ibid. 1621,
in 4**). -nMadrigali a qnattro voci. libro secondo« (ibid. 1622, in 4").
Tropen, Tropus, nannte man im mittelalterlichen Gregorianischen Psalmen-
gesange kurze melodische Formeln, welche den Psalmen-Responsorien- und
Introitusversen angehängt und auf Euouae, die Vocale aus Secnlorum amen,
gesungen wurden. Zunächst hatte jeder Psalmenton (d. h. jede Kirchentonart)
seinen regelmässigen Schluss, den Psalmenschluss; mit der wachsenden Aus-
breitung des Gesanges mehrten sich auch diese Schlüsse, die aber, als von
den ursj)rünglichen Schlüssen unterschieden, als Differenzen bezeichnet wur-
den. Wie die Tonarten nach der Praxis der St. Gallener Schule mit den
Buchstaben a — e — i — o — v — II — y — lo bezeichnet wurden, so auch die Psalmen-
schlüsse. "War nur ein Buchstabe a, e ödere angefügt, so schloss der Psalm
regulär mit der ihm zukommenden Melodie; nur die Abweichung wurde mit
doppelten Buchstaben ah, oh, oc u. s. w. angezeigt. Der jedem Ton eigne
Tropus erhielt beim Unterricht, um ihn dem Gedächtniss der Schüler besser
einzuprägen, bestimmte Bezeichnung, wie z. B. der des I. Adam primus homo
bezeichnet wurde, der II. Noe secundus, III. Tertius Abraham, IV. Quatuor
Evangelistae, V. Quinque lihri Mosis, VI. Sex Sydriae positae, VII. Septem
scholae sunt artes, VIII. Sed octo sunt partes. Jeder dieser Tropen hatte meist
mehrere Differenzen {T>ifferentiae tonorurn), auch Definitiones genannt, und ihre
Anzahl scheint nicht nur nach den verschiedenen Jahrhunderten, sondern auch
nach den verschiedenen Gegenden verschieden gewesen zu sein. Nach sanct-
gallischen Antiphonarien hatte der erste Ton neun Differentiae, der zweite
zwei, der dritte fünf; nach andern hatte der erste nur fünf, der zweite
keine, der dritte vier. Lucas Lossius giebt {Erotemata') für den ersten zwei,
für den zweiten eine, für den dritten drei Differenzen an u. s. w. Aus dem
Umstände, dass diese Tropen, da sie für jede besondere Tonart erfunden
waren, diese auch besonders charakterisirten, ist zu erklären, dass bei den
Theoretikern der Ausdruck:
Tropus auch gleichbedeutend mit Tonart, Ilodus, Tonus, Octavgat-
tung gebraucht wurde und dass einzelne Schriftsteller mit
Tropi auch die Melodien der Psalmen, der Doxologie und der Versetten
beim Eesponsoriengesange überhaupt bezeichnen.
Tropiaiisky, Constantius, Clarinett- und Violinvirtuos, geboren im Jahre
1820 in Wilna, lernte frühzeitig auf verschiedenen Instrumenten, namentlich
auf der Violine, Clarinette, Flöte und Piano spielen und kaum zum Jüngling
emporgewachsen dirigirte er schon ein Orchester. Später unternahm er eine
Kunstreise durch Italien, Frankreich, England, Deutschland, Polen und Euss-
land. Im Jahre 1850 ging er nach Warschau, wo er sich als Clarinettvirtuos
hören und bewundern liess. Später concertirte er in Moskau, wo er auch das
Aljaber'sche Orchester dirigirte und reiste dann nach Sibirien, wo er in Tobolsk,
Jrkutsk und Kiachta Concerte veranstaltete. Seit dem Jahre 1860 verweilte
er in Warschau. Er schrieb kleinere Werke für Violine, Clarinette und den
Gesang, sowie auch Instrumentalsachen im Sinfoniestil.
320 Troppo — Troubadours.
Troppo (ital.) = zu sehr, zu viel, wird zur nähern Bestimmung einer
allgemeinen Tempobezeichnung verwendet, wie: Allegro ma non troppo =
Geschwind, doch nicht zu sehr.
Troschel, "Wilhelm, Liedercomponist und Opernsänger, geboren 1823 in
"Warschau, lernte bei K. Hermann die Anfangsgründe der Musik und bei
Freyer die Harmonielehre. Kaum 12 Jahre alt sang er schon auf den Kirchen-
chören in "Warschau correkt die ihm vorgelegten Kirchencompositionen. Nach-
dem er sich tüchtig im Gresange ausgebildet, trat er im Jahre 1843 in der
polnischen Oper -aJeziero Wieszczeka mit Beifall auf und zeichnete sich nicht nur
in den polnischen Nationalopern -allalkaa, »lirabinaa, sondern auch in den
französischen Opern »Robert«, »Hugenotten« u. s. w. und italienischen »Lucretia«,
»Linda« u. s. w. durch die treffliche Auffassung und Durchfühi'ung seiner Bollen
aus, wobei ihn seine starke und klangvolle Bassstimme, seine ausgezeichnete
Gesangsweise und sein ausdrucksvolles Spiel trefflich zu Statten kamen. Auch
als Liedercomponist erwarb sich T. einen günstigen Ruf und seine Lieder:
nOna sie smiala«, »Grajeka;, y^Lzy Sozi/«, »S/crzi/pkii:, y>jBocian«, fiLira« gehören
zu den beliebtesten und populärsten polnischen Liedern. Ausserdem schrieb
er einige Instrumentalsachen und eine Gesangschule.
Trost, Caspar, Organist zu Jena im Anfang des 17. Jahrhunderts, gab
von seinen Compositionen in den Druck: Begräbniss-Ai'ie »Ich weiss dass mein
Herr Jesus Christ«, für vier Stimmen (Jena, 1621). Hochzeit-Motette für acht
Stimmen (ebenda 1623).
Trost, Gottfried Heinrich, ein vortrefflicher Orgelbauer zu Altenburg,
arbeitete in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit vielem Euhme. Seine
bedeutendsten "Werke sind: Die Orgel zu Dollstädt im Gothaischen von 20
Stimmen, 1709. Die Orgel in "Waltershausen bei Gotha von 58 Stimmen,
worunter ein zweiunddreissigfüssiger Untersatz und eine zweiunddreissigfüssige
Posaune sich befinden, im Jahre 1730 für 6000 Thlr. erbaut; die vorzüglich
schöne Orgel in der Schlosskirche zu Altenburg von 40 Stimmen, in den
Jahren 1736—1739 verfertigt. Die Orgelbauer Friederici in Gera, Casparini
in Königsberg, Job. Jakob Groichen und Job. Nie. Ritter hatten die Orgel-
baukunst bei Trost erlernt.
Trost, Johann Caspar, der Aeltere, war Regierungsadvokat zu Halber-
stadt und Organist daselbst um 1660. Seine für seine Zeit nicht bedeutungs-
losen Schriften gelangten nicht zum Druck, es sind: vAdversaria Musica, ad
tJieoriam et praxin in 2 partes divisa«. y>Praecepta Musicae theoreticae et prac-
ticae, Tahulis St/7iopfieis inchisae«. »Organof/raphia rediviva Michaelis Fraetorü«.
»Examen Organi ptneiimatiei contra Sycophantas, mit Zeichnungen und Kupfern«.
»Ausmachung des Clavicimbel-Claviers u. s. w.« »Eigentliche Beschreibung der
heutigen vornehmsten Orgeln in Deutschland und in den Niederlanden, mit
historisch-mathematischen Anmerkungen«. y>Tractatus de inodis musicis vindicatus,
mit Exempeln aus den berühmtesten Italienern«. s^L'Ärte del Contrapunto ri-
dotta in tavole da Gio. Maria Artusi da Bolg.« -nMusica Practica, Thomas
Morleg, aus dem Englischen«, -nlnstitution harmonique, Salom. de Gaus, aus dem
Französischen, mit Anmerkungen, Zeichnungen und Kupfern«. »Dreissig Vor-
reden des Frescobaldi, Donati, Rovettan, Malgarini u. A. aus dem Italienischen«.
Trost, Johann Caspar, der Sohn des Vorigen und Hof-Organist zu
Weissenfeis, hat herausgegeben: »i)e luribits et Privilegiis Musicoruma. »Aus-
führliche Beschreibung des neuen Orgelwerks auf der Augustusburg "Weissen-
fels, worinne zugleich enthalten, was zu der Orgelmacherkunst gehöre, wie nach
allen Stücken eine Orgel disponirt, vermittelst des Monochords gestimmet und
temperirt, die Stimme auf allerhand Arten vei'wechselt und ein neu Orgelwerk
probirt werden solle« (Nürnberg, 1677, 72 S. in 12").
Tronbadonrs, Trohadors (proven^alisch Trobais, nordfranzösisch Trou-
veres), von trobar, trouver = erfinden, hiessen die ritterlichen Sänger in
Südfrankreich, welche vom 11. Jahrhundert an die Pflege der lyrischen Poesie
Troubadours. 321
mit Eifer und Innigkeit übernahmen. In Südfrankreich, an der linken Seite
der Loire, in Provence und Catalonien hatte die Cultur seiner Einwohner
bereits im 11. Jahrhundert eine hohe Stufe erreicht und das ßcmanische, was
sie sprachen, war nicht nur vollkommen zur Schriftsprache ausgebildet, son-
dern auch so klangvoll und zugleich künstlerisch entwickelt, dass es die Be-
dingungen für den dichterischen Ausdruck vollständig erfüllte, für den Gesang
ganz und gar geeignet war. Die Regenten der Provence aber, die Grafen
Berengar aus dem Hause Barcelona: Raimon Berengar III. (1167 — 1181),
Bruder des Alfons von Aragon; Alfons IL, dessen Sohn (1196 — 1209) und
Eaimon Berengar lY. (1209 — 1245) werden schon als Beförderer und Schützer der
Dichtkunst und des Gesanges genannt; sie waren selbst als Dichter und Sänger
thätig und versammelten die gleicbgesinnten Standesgenossen an ihrem Hofe
und bald stand der ganze Adel der Provence im Dienste von Poesie und Musik.
Doch galt ihr Eifer hauptsächlich der Dichtkunst und zwar namentlich der
leichtern und graziösem Gattung des lyrischen Liedes. Sie dichteten Soulas
(solatio, soulagements), lustige und schalkhafte Lieder; Lais (Lieder), traurige
und melancholische Gesänge; Pastou relies = Schäferlieder, Syrventen, Lob-
reden oder auch Satyren in bald bitterm, bald klagendem Ton und Tenson
oder Tenzen (Tenzonen genannt), poetische "Wettkämpfe. Diese letztern na-
mentlich waren sehr beliebt und es ist bekannt, dass sich ein förmlicher Gerichts-
hof bildete (Cours (Vamour oder Corte cVamore), in welchem poetische Wettkämpfe
ausgeführt wurden, bei denen die Damen die Entscheidung herbeiführten. Die
meisten dieser Troubadours, namentlich die eigentlichen Hofdichter, waren
zugleich des Singens und Spielens der Instrumente kundig und erfanden auch
ihre Melodien selbst. Diejenigen, bei welchen dies nicht der Fall war, nahmen
einen oder auch mehrere Spielleute in Dienst, die Jongleurs genannt
wurden, weil sie in der Regel zugleich auch allerlei kurzweilige Künste trieben;
sie waren zugleich Possenreisser ( Joculatores) und Sänger, Chanteors,
und spielten auch zum Tanz auf Estrumanteors. Der Jongleur tanzte,
überschlug sich, sprang durch Reifen, fing kleine Aepfel mit zwei Messern auf,
ahmte den Gesang der Vögel nach, Hess Hunde und Affen ihre Kunststücke
machen, lief und sprang auf einem hochgespannten Seil und spielte übei'haupt
den Lustigmacher.« Von Instrumenten, welche die Troubadours oder die
Jongleurs bei der Begleitung ihres Gesanges in Anwendung bi-achten, werden
die Viola, Harfe und Cither, die Rotta, Geige, Leier und Handpauke,
Trommel, Castagnetten und Sackpfeife genannt.
Selbstverständlich hatten diese Jongleurs stets eine untergeordnetere Stellung
dem Troubadour gegenüber inne; wenn dieser auch seine Melodien selbst erfand
und sang, so sank er dadurch noch nicht zum Jongleur herab, erst wenn er
dafür wie der Hofdichter Bezahlung nahm, wenn er um andern als Liebeslohn
sang, musste er es sich gefallen lassen, Jongleur zu heissen. Dabei aber konn-
ten die Troubadours selten die Dienste des Jongleurs entbehren. Selbst wenn
er sein Lied gedichtet und auch mit der entsprechenden Musik versehen hatte,
war es ihm nicht immer möglich, es selbst an die rechte Adresse zu bringen,
und dazu bediente er sich des Jongleurs, der sein Lied »Vers und Ton« übers
Meer trug und dessen Gewissenhaftigkeit und Kunstfertigkeit er sicher sein
musste. Pierre von Auvergne (1155—1215) bittet die Spieler dringend, seine
Dichtungen und Melodien nicht zu entstellen und von Guirault de Cabreira
und Guirant de Calanson sind ausführliche Unterweisungen für ihre Jongleurs
entworfen.
Auch in Nordfrankreich hatte die Freude an Dichtung und Musik
unter dem Adel tiefe Wurzel geschlagen und sie führte hier noch zu einer
ernsteren Pflege als in der Provence, so dass im 12. Jahrhundert ganz Frank-
reich der Dichtkunst und Musik huldigte. Die ritterlichen Sänger hiessen hier
Trouvers. Ausser den schon erwähnten mächtigen Gönnern sind noch zu
nennen die Grafen von Toulouse, besonders Raimon IV. von St. Gilles,
Musibal, Convers.-Lexikon. X. «^l
222 Troubadours.
der 1006 das Kreuz nalim, die Grafschaft Tripolis erwarb und melir als den
dritten Tlieil des provencalisclien Sprachgebiets von Frankreich beherrschte.
E,aimon V. (1148 — 94), an dessen Hofe Peire ßogier, Bernart von Yen-
tadour und Peire Raimon von Toulouse lebten; Raimon VII, (1222 — 1249),
bei welchem Pa im on von Miraval lebte; ferner sind noch zu nennen; Richard
Löwenherz, Graf von Poitou (1169 — 1196), später König von England, selbst
Troubadour; Wilhelm VIIL von Montpellier (1172— 1204), Barral Viz-
graf von Marseille, aus dem Hause Baux um 1180 Wilhelm V. von
Baux, Graf von Orange (1182 — 1219), Robert Delphin von Auvergne
(1169 — 1234), und unter den Frauen besonders Eleonore, Gattin Ludwig's VII.
von Frankreich und von 1152 Heini'ich's II., Herzogs der Normandie und Königs
von England und Ermengarde, Vitzgräfin von Narbonne (1143 — 1192).
Einer der ältesten Troubadours ist Guillem von Portiers (1071 — 1127);
ihre Blüthezeit erreichen sie mit Bernart de Ventadour, Bertran de Born,
Arnaut Daniel, Guirant de Borneil von 1140 — 1250. Einzelne Melodien
dieser Lieder sind uns erhalten, wie die von Chatelain de Couzy, vom König
Thibaut vonNavarra und einige Tanzlieder, welche beweisen, dass die Trou-
badours in Freiheit der melodischen Ei'finduug unsere deutschen Minnesänger
überragen. Der bedeutendste Troubadour ist nach dieser Seite unstreitig Adam
de la Haie (um 1270), der zugleich durch seine Liederspiele als Begründer
der dramatischen Kunst in Frankreich galt; er wie Machaud waren zugleich
mit den Künsten des Contrapunkts so weit vertraut, dass sie auch einzelne
ihrer Gesänge mehrstimmig bearbeiten konnten.
Nach Italien gelangten diese Lieder durch den lebhaften Verkehr, der sich
namentlich seit dem Beginne des 13. Jahrhunderts mit Frankreich entwickelte.
Die glänzenden Feste der grossen und reichen Städte Florenz, Venedig,
Genua, Padua u. s. w. lockten Troubadours und Jongleurs herbei und
mit ihnen gewann die provencalische Poesie Boden in Italien. Hier hatte die
Sprache noch nicht jene Festigkeit und Geschmeidigkeit erlangt, dass sie sich
geschickt zum dichterischen Ausdruck erwies und so fanden sich die italienischen
Trovatore von den Vorzügen und Reizen der Provencalsprache so angezogen,
dass sie in dieser dichteten. Sie gingen nach dem südlichen Frankreich und
wurden von den Fürsten hier eben so freundlich aufgenommen wie von den
Troubadours. Darnach fanden sich auch in Italien Fürsten, wie Graf Azzo VII.
von Este (1215 — 1264), der die berühmtesten Trovatore seiner Zeit an seinem
Hofe versammelte, aber auch hier blieb die Provencalsprache die herrschende.
Von den in der Volkssprache dichtenden Adeligen sind nur Franz vonAssisi
zu nennen und seine Genossen Giacopone von Todi, Bonaventura, Gia-
comini von Verona, welche Beiden mit hinreissender Liebesglut sangen.
Erst Dante (geboren 1265) gab der Sprache seines Vaterlandes die dichterische
Bedeutung und Petrarca erst erhob sie zum Ausdruck der innigsten und
zartesten Liebe eines Einzelnen und machte die provencalische Dichtung in
Italien verstummen.
Auch die Trobadores in Spanien hatten Anregung und Anleitung für
ihre Sangesweise aus der Provence erhalten. Die Dichtkunst und Musik fanden
auch hier an den Königen meist die thatkräftigste Unterstützung. Alphons II.
(t 1196), Peter IL (f 1213), Peter IIL (f 1285) sind selbst unter die
Trobadores zu zählen, und als die Kunst derselben zu verwildern drohte, stif-
tete Johann L, um dem vorzubeugen, eine eigene poetische Akademie : de gaya
Ciencia, nach dem Muster der zu Toulouse 1324 errichteten Akademie des Jeux
fie%ireaux-^ zwei andere Könige: Martin (f 1409) und Ferdinand I. (f 1416)
erweiterten und erneuerten diese Anstalt und wohnten ihren Sitzungen bei;
aber auch das hatte nur wenig Erfolg: mit dem Sinken des Ritterthums verfiel
überall die ritterliche Poesie. Welch grosse Bedeutung diese ganze Phase der
Dichtkunst und Musik, durch die ritterlichen Sänger in Deutschland
(Minnesang), Frankreich, Spanien, Italien und England (Minestreis)
Troupenas — Trugcadenz.
323
herbeigeführt, für die Entwickelung der Kunst im Allgemeinen hatte und wie
sie in Deutschland den Meistersang und dann vor allem den Volksgesang
beeinÜussten, ist hier nicht weiter zu verfolgen. Mit dem Verfall des Ritter-
wesens, der ebenso von oben, durch die energische Ausbildung der monarchischen
Gewalten, wie von unten, durch das nach Macht und Bedeutung ringende
Bürfferthum im 15. und 16. Jahrhundert befördert wurde, verlor dies auch das
Interesse an der Poesie; die Pflege derselben ging allmülig auf das Bürgerthum
und auf das Volk über.
Troupeuas, Eugene, geboren zu Paris 1799, studirte unter "Wronsky Ma-
thematik und betrieb aus Liebhaberei auch ernstlich die Musik. Wahrscheinlich
diese zweifache Beschäftigung liess bei ihm den Gedanken entstehen, eine ma-
thematische Musiktheorie zu entwerfen. Zwei hierauf bezügliche Briefe sind
1832 in der y>Revue musicalea veröffentlicht: 1) y>Essai sur la theorie de la
musique, deduite du principe metliaphysique sur lequel si fonde la realite de cette
Science. Premier lettre ä M. le redacteur de la Revue musicalea. 2) r>Seconde
lettre ä M. le redacteur de la Revue musicaleti. Beide Briefe sind auch separat
abgedruckt worden. T. begründete auch eine renommirte Musikverlagshandlung
in Paris. Er starb am 11. April 1850.
Trousseau, Armand, Arzt in Paris, Mitglied der medicinischen Akademie,
zu Tours 1801 geboren, hat viele Schriften herausgegeben, darunter: »Tratte
pratique de la phthisie laryngee, de la laryngee chronique, et des maladies de la
voixa (Paris, Baillere, 1837, en vol. in 8").
Trourers (franz.), s. v. a. Troubadours (s. d.).
TroTadore (spanisch), s. v. a. Troubadour (s. d.).
TroTatore (ital), s. v. a. Troubadour.
Truebensee, s. Triebensee.
Trugcadenz, Trugschluss, Cadenza dHnganno, ficta, Cadence rom-
qiie, trompeiise, auch unterbrochene Cadenz heisst die Auflösung des
Dominantaccerds nach einem andern als seinem tonischen Dreiklauge:
J
--^m:
'g?"
~cs~
-CT'
--m:
-J?^
i
i
"C5'
5 ÜC3"
^^
E^ii
B-
b^c^-
etc.
_Äa_
1
1»;
fia_
Unter 1. 2. geben wir hier die natürliche Auflösung des Dominantaccordes,
die weitern Auflösungen sind Trugfortschreitungen. Der Dominant dreiklang
ist nur dann zu einer Trugfortschreitung zu verwenden, wenn er wii'klich als
Accord des Ganzschlusses auftritt:
{
zM. — gg'
ZS~
ISI
-^ ^-
^
21*
324
Truhn.
^
5.
=t
6.
~cs~
— -
-^ —
7.
-^5—
8.
-^r-
^
-s_^=
■m-A
Us-
_c:i_
=s=
-^ — 4
— ^-
1 — 1^>—
C5 °
-^ — ^-
"C5"
— ,--—
— g-
-^-
röi
-o-
->
zz-^n
-C5— ö-
-=SI
-^-
-=— ;
- cr>
-^-
-tf=-j
:-'^
Die unter 1 — 4 verzeichneten Fortschreitungen sind nicht als Trugfortschrei-
tungen zu betrachten, weil hier der Dreiklang auf der Dominant durchaus
noch freie Bewegung hat, nicht nothwendig nach der Tonika sich zu bewegen
braucht. In den folgenden Beispielen 5, 6, 7 und 8 dagegen ist er der ent-
scheidende Accord der Schlusscadenz und man erwartet, dass er sich zum Schluss
nach der Tonika wendet. Jede andere Wendung, die er nimmt, wird darum
zum Trugschluss, zur Trugcadenz. Daher muss man aber auch die als
solche bezeichnen, die ihn nicht nach dem Grrund-, sondern nach dem Sext-
accord führt, wie hier unter 1:
1 2.
w
"^^ g5~
:^
Der unter 2 verzeichnete Schluss ist nicht, wie doch häufig geschieht, unter
die Trugschlüsse zu rechnen, wenn auch der Schlussaccord in die Terzlage
eintritt, da es durchaus nicht nöthig ist, in der Octavlage zu schliessen. Seine
häufio-ere Yerwenduner findet der Trugschluss in Concerten für ein Soloinstru-
ment mit Orchesterbegleitung. Hier leitet er in der Eegel die sogenannte
Cadenz, in der der Solist seine besonderu Forcen entwickelt, ein und ist dann
noch durch eine Fermate wirksamer gemacht. Bei der Fuge bereitet er die
Stretta vor.
Traliu, Friedrich Hieronymus, einer der bedeutendsten und geist-
vollsten Musiker der Gegenwart, ist am 14. October 1811 zu Elbing geboren.
Schon als ICnabe erregte er durch seine klangvolle und umfangreiche Stimme,
wie durch sein ausgezeichnetes Gehör und die eigenthüraliche Art seines Vor-
trags allgemeines Aufsehen, und als er dann, kaum 10 Jahre alt geworden,
veranlasst durch das öffentliche Auftreten des Flötenvirtuosen Otto Kressner
aus Dresden, seine Eltern zu bewegen wusste, dass sie ihm Flötenunterricht
ertheilen Hessen, machte er so rasche Fortschritte, dass er sehr bald im Stadt-
orchester mitwirken und dann selbst als Solist in den Abonnementsconcerten
seiner Vaterstadt auftreten konnte. Als er, etwa zwölf Jahre alt, den »Frei-
schütz« zum ersten Male hörte, ward er von dieser Oper so hingerissen, dass
er Mutter und Vormund mit Bitten bestürmte, ihm durch den Organisten Carl
Kloss Ciavierunterricht ertheilen zu lassen; allein er erlangte nur, dass ihm
gestattet wurde, Violinunterricht zu nehmen. Obgleich er für dies Instrument
weniger Talent und noch weniger Neigung hatte, machte er dennoch auch hier
so bedeutende Fortschritte, dass er bald im Orchester am ersten Pulte und
schliesslich auch als Solist in den Concerten mitwirken konnte. Trotz dieser
aussergewöhnlichen Eesultate gelang es ihm doch erst vei'hältnissmässig spät,
von den Seinen die Zustimmung dazu zu erhalten, dass er die Musik zu seinem
Lebensberuf erwählte. Im Sommer 1831 ging T. nach Berlin und hier wurden
Bernhard Klein und nach dessen Tode S. Dehn seine Lehrer in der Com-
position und später hatte er auch das besondere Glück, bei Mendelsohn
einige Monate Instrumentation zu studiren. Noch während er bei Klein stu-
dirte, erschien seine erste Composition zu Goethe' s »Fischer«, die sich
eines so aussergewöhnlichen Beifalls erfreute, dass ihm von der Firma Becht-
hold & Hartje die Composition des Gedichts auf den Tod des Herzogs von
Truhn. 325
Eeichstadt übertragen wurde. Ein besonderes Interesse erhielt dies "Werk noch
dadurch, dass die Titelvignette die erste veröffentlichte Zeichnung des gegen-
wärtig wohl bedeutendsten Malers unserer Zeit, Adolph Menzel's ist. Des
jungen Künstlers Truhn reiche Begabung aber zeigte sich besonders in der bur-
lesken Musik zu dem Puppenspiele: »Der baiersche Hiesel«, die im Herbst 1832
von dem Jüngern Künstlers-erein aufgeführt wurde, und seine humoristischen
Compositionen, wie die »"Weinlieder« (op. 3), »Die schöne Kellnerin von Bacha-
rach« (op. 13) oder das Quartett »Die Käferknaben« (op. 30) fanden eine so
rasche Verbreitung, dass sein Name bald in ganz Deutschland bekannt wurde.
1833 componirte er Körner's Operette: »Der vierjährige Posten«, die auch
von der Königl. Bühne zur Anschaffung angenommen wurde. Doch T. zog
sie wieder zurück, brachte dafür die Operette »Trilby«, nach dem Französischen
des Nadier und Scribe von L. Schneider bearbeitet, zur Aufführung am 22. Mai
1835, welche beifällige Aufnahme fand. 1835 nach seiner Verheiratung siedelte
T. nach Danzig über, übernahm hier die Stelle als Kapellmeister am Stadt-
theater und erLheilte Gresang- und G-eneralbassunterricht. Der Direktor des
Theaters Ziethen-Liberati gerieth 1837 in Concurs und dies veranlasste T.,
Danzig wiederum zu verlassen und nach Berlin zurückzukehren.
Um diese Zeit machte er auch die Bekanntschaft mit Robert Schumann,
der ihn zur Mitarbeiterschaft bei der von ihm gegründeten »Neuen Zeitschrift
für Musik« veranlasste. T. schrieb für diese Zeitung eine Eeihe werthvoller
Artikel und mit dieser literarischen Thätigkeit hat er fast noch raschere und
durchgreifendere Erfolge erzielt als mit jeder andern. Er war einer der ersten,
welche in Bearbeitung künstlerischer Fragen technische Grründlichkeit mit
geistvoller, anziehender Darstellung zu verbinden wussten, und das
machte ihn zu einem der beliebtesten Mitarbeiter der verschiedenen Musik-
zeitungen, denen er seine Thätigkeit widmete. Einen ganz besondern Eeiz
gewannen dadurch seine Feuilletons, die er als Redakteur des feuilletonistischen
Theils der »Neuen Berliner Musikzeitung« und für den »Hamburger Coi-respon-
denten« schrieb. Eine solche Eleganz der Darstellung und ein so feiner Humor,
der den Ernst der Sache überall herauszukehren versteht, war bisher auf diesem
Gebiete unbekannt und machten gerechtes Aufsehen. Daneben blieb T. auch
auf den andern Gebieten seiner Kunst nicht unthätig.
Zur Zeit der Huldigung Friedrich "Wilhelm IV. veranstaltete er in Kö-
nigsberg ein grosses Fest-Coucert im Theater, bei welcher Gelegenheit er eine
von ihm gedichtete und componirte Cantate aufführte, die mit grossem Beifall
aufgenommen wurde. Von hier aus machte er eine weitere Kunstreise durch
die russischen Provinzen und kam bis "Warschau und Krakau und übei*all
erfreuten sich seine AYerke des grössten Erfolges. 1843 unternahm er eine
neue Kunstreise mit Th. Döhler nach Skandinavien und auch dort fanden seine
Compositionen wie sein Direktionstalent ungetheilten Beifall. Nach seiner Rück-
kehr nach Berlin entwickelte er wieder eine grosse Thätigkeit als Componist
und eine Reihe seiner in dieser Zeit veröffentlichten Gesänge drangen in die
weitesten Kreise und machten ihn volksthümlich im wahren Sinne des Worts.
Ein grösseres AVerk: »Mahadöh« für Soli, achtstimmigen Chor und Orchester,
das er 1846 componirte, wurde in Berlin, Breslau, Dresden, Königsberg und
Elbing mit grossem Beifall aufgeführt. Im Herbst 1848 nahm er seinen
AVohnsitz in Elbing, wo er einen Gesangverein gründete, die Leitung der dasigen
Liedertafel und des ältesten Männergesaugvereins und zugleich den Gesang-
unterricht in der ersten Töchterschule übernahm. Hier veranstaltete er eine
Reihe öffentlicher Aufführungen, in Folge deren ihm auf Antrag des Ober-
präsidenten der Provinz »in Anerkennung seines rühmlichen Eifers um För-
derung der Tonkunst« das Prädikat eines Königl. Musikdirektors ertheilt wurde.
1850 wurde ihm die Leitung des zweiten Preussischen Sängerfestes übertragen
und hierbei brachte er seine Composition: »Der Abschied« von IJhland für
Soli, Männerchor und Orchester mit grossem Erfolge zur Aufführung. 1852
326 Trumsclieit — Truska.
kehrte er nach Berlin zurück und stiftete hier die neue Berliner »Liedertafel«,
die bald einen bedeutenden Aufschwung nahm. Das von ihm für Johanna
"Wagner componirte Melodrama: »Cleopatra« ging zum ersten Mal am 23. Fe-
bruar 1853 mit bedeutendem Erfolge auf der Königl. Bühne in Scene. Im
Winter 1854 verband er sich mit Hans von Bülow zu einer Kunstreise
und ging dann nach ßiga, wo er bis Anfang 1858 als Lehrer des Gesanges
und der Theorie lebte und die dortige »Liedertafel« leitete. Seitdem lebt er
ununterbrochen wieder in Berlin, mit Musikunterricht, der Composition und
literarischen Arbeiten beschäftigt. Ausser den bereits erwähnten Compositionen
sind noch eine grosse Reihe von Liedern zu erwähnen, von denen einzelne,
wie »Ach keine, keine find ich je« (op. 74) und »Schloss Boncourt« (op. 100)
so weite Yerbreitung fanden, wie nur wenige Lieder in neuerer Zeit, und
andere, wie op. 64 »Liederroman« in zwölf Liedern, op. 67 »Elegische
Poesien« oder op. 75 »Stille Lieder«, die mit zu dem Besten gehören,
was auf diesem Gebiete hervorgebracht wurde. Ein vollständiges Verzeichniss
seiner Compositionen bringt Ledebur's »Tonkünstler-Lexikon Berlins«.
Trnnischeit war ein im 14. und 15. Jahrhundert namentlich bei Festlich-
keiten sehr gebräuchliches Instrument. Glarean beschreibt es in seinem
•aDodecacIwrdona. »als ein Instrument, das bei den Deutschen, Franzosen
und Niederländern gebräuchlich auch TympaniscMzam genannt wurde und
aus drei dünnen Brettern zusammengefügt, in der Länge zugespitzt und auf
dem obersten Brett, dem Resonanzboden, mit einer Darmsaite bezogen war,
die dann mit einem aus Pferdehaaren gemachten und mit Pech oder Colopho-
nium bestrichenen Bogen angestrichen und dadurch klingend gemacht wurde.
Man zog wohl auch noch eine, um die Hälfte kürzere Saite auf, um jene durch
die Octave zu verstärken«. Sebastian Yirdung in seiner yilfusicaa (1511)
und Agricola in der rtMusica instrumentalisa (1545) bringen es gleich-
falls, halten aber beide nicht viel davon. Yirdung sagt: »Die Art saiten spill
seynd nit so eygentlich zu reguliren vnd zu beschryben. Daruf zu lernen muss
vil mere durch den verstand des Gesangs zugan, dann man das durch Regeln
beschryben mag; darumb ich sye och für onnitze Instrumente achte die cleynen
geigen vnd das trumsclieit.« Das von Prätorius beschriebene {ySyntagma mus.'i
II. p. 59) lind abgebildete Trumscheit (ySciagraphia»., col. XXI) ist mit vier
Saiten bezogen, »also dass die rechte Principal vnd längste Saite ins G, die
andere ins c, die dritte ins g vnd die vierdte ins c gestimmt. Ynd bleiben die
obersten drey allezeit in einem laut vnd Ton, wie sie ins c g c gestimmt seyn:
Yff der gröbsten Saite aber, wird mit anrühren des daumens, die rechte Melo-
dey gleichwie ein rechter Clarion vff einer Trummet zuwege gebracht, also,
dass wenn es von fernen gehöret wird, nicht anders lautet, als wenn vier Instru-
mente miteinander lieblich einstimmeten.«
Truscone, Etruscone, ein ländlicher Tanz der Toscanen, welcher von den
ehemaligen Etruriern abstammen soll, wie der Name andeutet.
Trnska, Simon Joseph, Yirtuose auf der Yioline und Yiola da Gamba,
war zu Raudnitz in Böhmen am 5. April 1734 geboren. Zu allererst erlernte
er das Handwerk seines Yaters, der in Prag Kunsttischler war. 1758 trat er
als Laienbruder in das Stift Strahof, widmete sich von der Zeit an mit
Eifer der Musik und brachte es als Yiolinist, Yiola da Gambist, auch in der
Composition zu erfreulicher Fertigkeit, wie seine Quintette, Quartette, Trios,
Sonaten und Tänze, die auf den Bällen in Prag viel Anklang fanden, bezeugen.
Die Ausbesserung der Orgel in seinem Kloster, welche gut gelang, veranlasste
ihn zu dem Yersuch, eine kleine tragbare Orgel, später ein Positiv zu bauen.
Da Beides vorzüglich ausfiel, legte er sich mit Leidenschaft auf den Instru-
mentenbau und verfertigte Pianos und Streichinstrumente, welche in Böhmen
und auch anderweit gern gekauft wurden. Truska starb 75 Jahre alt am
14. Januar 1809.
Trutoreu — Tschaikowsky. 327
Trutoren, iingarisclae Liederdichter, die bei Festen und im Kriegslager die
Thaten ihrer Herzöge besangen.
Trydel, irländischer Musiker, Professor zu Dublin um die Mitte des 18.
Jahrhunderts, gab ein musikalisches Lehrbuch heraus: y>Two Essays on the iheory
and practice of Musica (Dublin, 1766, in 8°).
Tsai-yn, Prinz der kaiserlichen Familie Ming in China, lebte in der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts und beschäftigte sich mit Forschungen der alt-
chinesischen theoretischen "Werke vornehmlich in Bezug auf die Bildung der
Tonleiter und die Verhältnisse der zwölf chromatischen Halbtöne (lü) der älteren
chinesischen "Werke. Das Buch, welches er 1596 abfasste und herausgab, hat
den Titel: y^Lü-lü-Tsing-y«.
Tsang-kou, ganz kleine Trommel in Form einer Sanduhr bei den Chinesen.
Tschaikoirsky, Peter, russischer Componist, ist am 25. April 1840 im
Uralwebirge geboren, wo sein Vater ein Bergwerk besass. Im Alter von zehn
Jahren wurde er nach Petersburg gesandt, um die dortigen Schulen zu besuchen,
und nachdem er seine Studien mit Absolvirung des ersten Cursus der kaiserl.
Schule der Eechtsgelehrsamkeit abgeschlossen, trat er für drei Jahre in das
gerichtliche Departement als Mitarbeiter ein. Mittlerweile aber hatten sich
seine musikalischen Anlagen derart entwickelt, dass sein "Wunsch, die Tonkunst
berufsmässig treiben zu dürfen, nicht mehr zurückzudrängen war: 22 Jahre alt
verliess er die bis dahin verfolgte Laufbahn und trat in das eben jetzt eröffnete
Petersburger Conservatorium der Musik als Schüler ein. Hier reifte sein Talent
in so schneller und glücklicher "Weise, dass er schon nach drei Jahren (1865)
als Compositionslehrer an das Conservatorium der Musik zu Moskau berufen
werden konnte, in welchem Amte er alsbald eine erfolgreiche Thätigkeit begann,
es auch bis zur Gregenwart (1878) mit Ehren fortgeführt hat. Von seinen
Compositionen, welche sich, wie die der ganzen jüngeren Musiker- Generation
Russlands der neudeutschen Richtung anschliessen, sind im Druck erschienen:
op. 1 ■silmpromptit, et Scherzo russe für Claviera; op. 2 -aSouvenir de IIapsaU<.,
drei Ciavierstücke (die Schlossruine, Scherzo, Lied ohne "Worte) ; op. 4 » Valse-
Caprice für Ciavier«; op. 5 »B-omanze für Ciavier; op. 6 »Sechs Lieder für
eine Singstimme mit Ciavierbegleitung«; op. 7 ifValse- Scherzos; op. 8 -aCaprice«;
op. 9 »Drei Charakterstücke«; op. 10 »Nocturno und Humoreske«; sämmtlich
für Ciavier; op. 11 »Erstes Streichquartett«; op. 13 »Erste Symphonie für grosses
Orchester (G-moll); op. 16 »Sechs russische Lieder mit Clavier«; op. 18 »Der
Sturm«, Phantasie für Orchester nach Shakespeare; op. 19 sechs Ciavierstücke:
■aReverie du soir«, »Scherzo Immoristiq^uea, i>Feuillet d^album«, jyNocturne«, »Capric-
cioso«, »Thema mit Variationen« ; op. 20 »Sechs Ciavierstücke mit einem durch-
gehenden Thema: Präludium, Fuge, Impromptu, Trauermarsch, Mazurka, Scherzo«;
op. 22 »Zweites Streichquartett«; op. 23 »Clavierconcert mit Orchester«; op. 25
»Sechs russische Lieder mit Clavier«; op. 26 -"Serenade melancolique für Violine
mit Orchesterbegleitung«; op, 27 »Sechs russische Lieder mit Clavier«; op. 28
dasselbe; op. 29 »Dritte Symphonie für grosses Orchester«; op. 30 »Drittes
Streichquartett« (Ferdinand Laub's Andenken gewidmet); op. 31 »Marsch für
grosses Orchester mit Benutzung russischer und serbischer Volksweisen« ; op. 32
■nFrancesca da BiminU, Phantasie für Orchester nach Dante. Ausserdem hat
er noch folgende, zum Theil im Druck befindliche "Werke vollendet: »Variationen
für Violoncell über ein Eococo-Thema« (op. 33); -aValse- Scherzo für Violine«
(op. 34); beide mit Orchesterbegleitung; zwei Symphonien für grosses Orchester
(No. 2 und No. 4) und die Musik zum Frühlingsmärchen »Schneewittchen« von
Ostrowsky.
Nicht weniger fruchtbar als auf den bisher erwähnten Grebieten der Com-
position ist T. auf dem der dramatischen Musik gewesen. Dem grossen Beifall
nach zu urtheilen, welchen seine Opern beim russischen Publikum gefunden
haben, scheint gerade hier der Schwerpunkt seines Talentes zu liegen. Die
Namen derselben sind »"Wojewod« (in drei Akten), »Opritschnik« (in vier Akten),
328 Tsche — Tscheog.
»Vakula der Schmied« (komisctie Oper in drei Akten) und »Eugen Onägin«
(grosse Oper in drei Akten und sieben Bildern nach einem Stoffe von Puschkin).
Auch in der Balletmusik hat sich T. mit Erfolg versucht, wie dies sein grosses
vieraktiges Ballet »ie lac des cygnesa. beweist.
Tsche (d. h. wunderbar), eine chinesische Querflöte mit sechs Tonlöchern,
aber ohne Klappen; die beiden Enden sind geschlossen, das Mundloch befindet
sich in der Mitte des Rohres.
Tscheng" oder Cheng ist eins der ältesten Blasinstrumente der Chinesen
und noch jetzt dort im Grebrauche, zugleich ist es als die älteste Art von
Orgeln anzusehen. Es besteht aus 13 oder 17, 19, 25 Pfeifen von Bambus,
die auf einem Luftbehälter aufgestellt sind, zu welchem gewöhnlich ein halb
abgeschnittener Flaschenkürbis benutzt wird. Eine längere, in Form eines
Gänsehalses gebogene Bohre dient als Mundstück, so dass das
Instrument mit seinem Anblasrohre der' Form einer Kaffee-
kanne gleicht. Die Abbildung hier mag die Grestalt und
Behandlungsart des Instruments veranschaulichen.
Im Kensington-Museum zu London befindet sich ein
Cheng mit 17 Pfeifen, die nach ihrer Länge in fünffacher
Abstufung aufgestellt und in den Luftkasten so eingesetzt
sind, dass sie in der Mitte des Kreises einen freien Raum
lassen. An ihrem Untertheil hat jede dieser Pfeifen ein
Fingerloch, das bei den meisten nach der äussern, nur bei
einigen nach der Innern Seite gekehrt ist. Der Bläser hält
die Finger an diese Oeffnungen, um sie, wenn es zur Musik
nöthig wird, zu bedecken. Der Cheng enthält am Fusse
seiner Pfeifen freischwingende Metallzungen, die sich
beim Luftstrom hin und her bewegen, aber nur antönen,
wenn das betreffende Fingerloch geschlossen wird. Diese
»durchschlagenden Zungen« sind für den europäischen Orgel-
bau (seitdem man das chinesische Cheng in Europa kannte)
nachgeahmt worden, somit ist diese Chinesen-Orgel von grossem Einfluss gewesen,
wie die Greschichte des Orgelbaues lehrt. — Der Luftkasten des Cheng ist,
wie schon bemerkt, ein Becken von einem Kürbis, aber auch zuweilen aus Holz
gemacht, und gewöhnlich schwarz lackirt. Der Klang der Pfeifen hat vermöge
seiner Einrichtung (weil die Zünglein nicht aufschlagen, sondern frei schwingen)
nichts Schnarrendes, sondern ist mehr der Gambe in unsern Orgeln ähnlich.
Man kann den Ton durch stärkeres oder schwächeres Anblasen an- oder ab-
schwellen lassen. Auch ist es einerlei, ob man den Athem einzieht oder aus-
haucht, immer kommen Töne zum Vorschein. Die Zungen sind Stückchen von
sehr dünnem Messingblech, die auf die Aushöhlung der Pfeifen mit Wachs
angeklebt sind. Auch am freien Ende der Zunge ist bei allen ein Stückchen
Wachs angeklebt, um die Zunge damit schnell stimmen zu können. Die Pfeifen,
nach unten am Fusse etwas zugespitzt, haben oben ein Loch, bis wohin die
Luftsäule schwingt; das Ende, was oberhalb dieses Loches sich noch befindet,
ist blos der Symmetrie halber da. So viel Pfeifen, so viel Töne natürlich giebt
das Instrument und diese befinden sich meist in der diatonischen Tonleiter
von E\ der tiefste Ton ist das eingestrichene h, der höchste das dreigestri-
chene h. Uebrigens stehen manche Tschengs auch in anderer Stimmung. Dass
von einem Tiefklang unserer Orgeln bei diesen Tschengs nicht die Rede sein
kann, ergiebt sich aus der Natur dieses Pfeifenwerks, da die Pfeifen sehr eng
sind, im Durchmesser die kleinsten Y* ^^^ ^^^ grössten nicht über ^/s Zoll
betragen und die Grösse des Windbehälters ungefähr der einer grossen Kaffee-
schale gleichkommt.
Früher wurde dies Instrument in China auch Yu genannt, worunter man
aber jetzt eine klingende Steinplatte versteht. Die Chinesen versichern, dass
das Cheng in alten Zeiten schon gebraucht worden sei und zwar bei dem
Tschibuisga — Tschircli. " 329
"a
religiösen E,itus zu Ehren des Confucius. Tradescant Lay in seinem Bericht
über die Chinesen nennt dies Instrument die Jubals-Orgel und bemerkt,
dass es das Embryo zu unsern reichgestaltigen mächtigen Orgeln gewesen sei.
Das Tscheng ist auch in Japan gebräuchlich und ein ähnliches, obgleich in
der äussern Erscheinung etwas abweichendes Instrument ist das Heem auf
Borneo und in Slam. Die Siamesen nennen ihr Heem auch die Laos-Orgel,
welcher Ausdruck sagt, dass sie es als ursijriinglich von Laos abstammend be-
trachten. TJebrigens verdient ein anderes chinesisches Instrument hier erwähnt
zu werden, das einfacher in seiner Construktion ist und wahrscheinlich die ur-
sprünglichste Beschaffenheit des Cheng darstellt. Es wird gefunden unter den
Meaou-tzen oder Bergbewohnern, von denen vermuthet wird, dass sie die Ur-
einwohner Chinas gewesen seien. Sie nennen es Sang. Diese Art hat keinen
Luftkasten, ähnelt vielmehr der Panspfeife und tönt mittelst eines Mundstücks,
das aus einer kleinen Röhre besteht, welche im rechten "Winkel zu den Pfeifen
gestellt ist. — lieber das Neu-Tschiang, ein 1828 von Eeichsstein erfundenes
Messing-Blasinstrument, dem man wegen seinen durchschlagenden Zungen diesen
chinesischen Namen gegeben, vergl. den betr. Art. d. L.
Tschibüisg'a, eine Pfeife der Kirgisen aus Holz oder Schilfrohr.
Tschirch, sechs Brüder, welche eben so reich begabt, wie trefflich durch-
gebildet, Ansehen und Bedeutung als Musiker gewannen:
Tschirch, Adolph, geboren am S.April 1815, gestorben 1875 als Pastor
prim. in Gruben. Er war ein guter Ciavier- und Orgelspieler, und in den
Jahren von 1845 — 1855 Mitarbeiter der »Neuen Zeitschrift für Musik«.
Tschirch, Ernst Lebrecht, geboren am 3. Juli 1819, gestorben am
26. December 1854 in Berlin, war ebenfalls ein guter Clavierspieler. Von
1849 — 1851 bekleidete er die Kapellmeisterstelle am Stadttheater in Stettin;
hinterliess ausser vielen Compositionen für Orchester und Gresang auch die
Opern »Frithjof« und »Der fliegende Holländer«, die jedoch bis jetzt noch nicht
zur Aufführung gekommen sind.
Tschirch, Hermann, geboren am 16. October 1808, gestorben 1829 in
Schmiedeberg als Organist und Musiklehrer.
Tschirch, Julius, geboren 1820, gestorben am 10. April 1867 als Or-
ganist und königl. Musikdirektor in Hirschberg in Schlesien. Ein sehr tüch-
tiger Organist und Componist guter instructiver Ciavierstücke, die sämmtlich
bei E. Stoll in Leipzig im Druck erschienen sind.
Tschirch, Eudolph, geboren am 17. April 1825, gestorben am 16. Januar
1872 in Berlin als königl. Musikdirektor. Er schrieb eine grosse Anzahl von
Werken für Harmoniemusik, von denen besonders »Die Hubertusjagd« und
»Das Fest der Diana« beliebt geworden sind. Erstere Composition wird all-
jährlich bei der Hubertusjagd im Grunewalde bei Berlin in Oegenwart des
königl. Hofes aufgeführt. 1860 gründete er den Märkischen Central-Sängerbund
und leitete ihn bis zu seinem Tode. Von ihm sind ausser den obengenannten
Instrumentalwerken auch eine grosse Anzahl Männergesänge im Druck erschienen,
unter Andern das beliebte Volkslied »"Wenn ich den "Wandrer frage«.
Tschirch, "Wilhelm, geboren am 8. Juni 1818 in Lichtenau in Schlesien.
Den ersten musikalischen Unterricht erhielt er mit seinen vorgenannten Brüdern
von seinem Täter, der selbst ein tüchtiger Musiker war, und daher die Fähig-
keiten seiner Söhne in frühester Jugend zur Entwickelung brachte. "W. Tsch.
trat, nachdem er den Cursus im königl. Lehrerseminar in Bunzlau absolvirt
hatte, 1839 auf Kosten des Staats als Eleve in das königl. Institut für Kirchen-
musik in Berlin ein, später in die musikalische Section der Akademie der
Künste und genoss gleichzeitig noch den Unterricht in der Composition von
A. B. Marx. 1843 wurde er in Liegnitz als städtischer Musikdirektor angestellt,
folgte 1852 einem Eufe nach Grera, woselbst er als fürstl. Kapellmeister, Cantor
und Musikdirektor sich gegenwärtig einer segensreichen "Wirksamkeit erfreut.
Seine von ihm daselbst veranstalteten Concerte und grössern Musikaufluhrungen
330 Tschortsch — Tuba.
haben sich auch ausserhalb einen guten Euf erworben. Er ist ein ebenso
tüchtiger Dirigent, wie vorzüglicher Ciavier- und Orgelspieler. Als Componist
machte er sich zuerst bemerklich durch sein grösseres Werk »Eine Nacht auf
dem Meere«, das von der königl. Akademie der Künste in Berlin mit dem
ersten Preise ausgezeichnet wurde. Der ungewöhnlich günstige Erfolg dieses
"Werkes bewog ihn, sich vorzugsweise der Männergesangscomposition zuzu-
wenden. Er huldigt hierin dem ernsten Genre. Die Beweise dafür sind seine
veröffentlichten grössern Compositionen: »Der Sängerkampf«, »Das Turnier«,
»Die Zeit«, »Die Harmonie«, »Die Waffen des Geistes«, »Die letzten Meister-
sänger in TJlm«, »Eine Sängerfahrt auf dem Eheine« und eine Messe. 1861
wurde in Leipzig eine Oper von ihm »Meister Martin und seine Gesellen« mit
Beifall aufgeführt. Die Partitur davon ist leider beim Theaterbrande in Breslau
verloren gegangen. Seine Männergesangscomj)Ositionen sind besonders auch
bei den deutsehen Sängern in Nordamerika beliebt geworden und in Folge
dessen erhielt er 1869 von den dortigen Gesangvereinen eine Einladung, dem
in Baltimore stattfindenden Sängerfeste beizuwohnen, der er Folge leistete.
Hier wie später in New-York, Philadelphia, Washington, Buffalo, Albani fand
er die orastlichste Aufnahme und erntete reiche Lorbeern. Tsch. ist Ehren-
mitglied von mehr als 50 Männergesangvereinen, unter denen sich mehrere
deutsche Vereine in Amerika und Australien befinden. Von ihm sind ausser
einer grossen Anzahl Männergesänge auch Compositionen für Ciavier, Orgel
und für gemischte Stimmen im Druck erschienen. Auch hat er unter dem
Pseudo-Namen Alexander Czersky viele Salonpiecen für Ciavier veröffentlicht.
Tsehortsch, Johann Georg, Priester, Beneficiatus und Componist zu
Schwetz in Tyrol, lebte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Von seinen
Compositionen sind im Druck erschienen: y)Sacerdos mitsicus concerfans seu conc.
Litanias, 10 Lauretano - Marianas etc.ti (Augustae Vindelicorum, 1725, in Fol.)
nlnceiisiim mysticum ad aram magnae coelorum Reginae adolendum 3^IV Off er
toria a 4 voci, 2 viol., alto, viola, 2 lituis et G. B.a (Augsburg, 1730, in Fol.)
»VII Messen nebst einem Eequiem für 4 Stimmen, Violine, Alt und General
bass« (ibid. 1731, in Fol.).
Tschou, ein Rasselkasten unter den chinesischen Schlaginstrumenten. Es
ist ein einfacher viereckiger Kasten von Holz, auf welchen vor Beginne der
eiffentlichen Musik mehrere Schläge mit einem Hammer gethan werden. Schein-
bar sollte dadurch die Aufmerksamkeit auf den Beginn des Concerts und das
Publikum zur Ruhe vermahnt werden.
Tschoungton, chinesisches Klapperinstrument aus zwölf Brettchen zu-
sammengesetzt.
Tseltselim, das Schellen- Cymbel der Hebräer.
Tsudsnmi, zwei kleine Trommeln der Japanesen, deren eine auf der Schulter,
die andere auf dem Schooss des sitzenden Spielers liegt und die beide mit den
Fingern geschlagen werden.
Tu, die fünfte der Graun'schen Solmisationssilben.
Tuba (Bass-Tuba, s. Moritz) heisst ein Messinginstrument, das 1835
durch C. W. Moritz und W. Wieprecht erfunden und eingeführt worden ist,
das tiefste Blasinstrument, welches bei der Militärmusik den Contrabass des
Streichorchesters vertritt. Wie alle Messinginstrumente giebt die Tuba die
gewöhnlichen Accordtöne GGcegbcdefgu. s. w. Die zwischen diesen
fehlenden Töne werden durch vier Ventile gewonnen. Die gewöhnliche Stim-
mung ist F; doch giebt es auch E-, Es- und D-Tuben. Angeblasen wird das
Instrument durch die sogenannte dS-Eöhre, an deren Ende ein Bassposaunen-
mundstück angebracht ist. 1838 erfand Moritz die Tenortuba. Was die Bom-
bardons, Euphonions, Bass- und Tenoi'flügelhörner, Flügelhörner in Es, G oder
jB in der österreichischen Militärmusik vertreten, das wirken in der preussi-
schen resp. deutschen Militärmusik die Tuben, Baritons, Posaunen, Tenorbässe,
Tenorhörner, Alt- und Sopran-Cornette. Die Tuben mit ihren Eagenkreuzungs-
Tuba ductilis - Tubel. 331
klaiigwerkzeugen haben die Stürze der preussisclien Signalhörner, also keinen
Schallbecher, während die Instrumente der österreichischen Messingblasinstru-
mentenfamilie, vom Bombardon abwärts, mit gebogenen, trompetenartigen Stürzen
ausgestattet sind. — Bei den Römern hiess die eigentliche Kriegstrompete
Tuba, die ihrem Tone nach mehr unserer Posaune glich und auch bei religiösen
Feierlichkeiten, Spielen und Begräbnissen gebraucht wurde. Siehe den Artikel
Posaune und Trompete. Bei den Hebräern hiessen die trompeten- (posaunen-)
artigen Instrumente nach ihren verschiedenen Dimensionen und "Wirkungen:
Chatzozeroth, Sumphoneia, Maschrokita und Magrepha. Die Griechen ge-
brauchten bei ihren Instrumental-Nomen (nach den alten Gesangsweisen ge-
nannt) zur Leitung des Kriegsmarsches bei Darstellung des Kampfes Apollons
mit dem Drachen die Trompeten (Posaunen, Tuben) und ahmten damit das
Zähneknirschen des verwundeten Thieres nach (Thiersch »Einleitung zu Pindarct,
S. 60, Thl. l). — Die Inder wendeten bei Kriegsmusiken die Trompeten (Po-
saunen) Bouri, Toutare und Combou und bei A'erkündigungen und Todten-
feiern die dumpfe Trompete «Tare« an. — Die Trompeten der Singalesen
haben den ungefälligsten Ton, den man sich nur denken kann. Dessen unge-
achtet lieben sie dies Instrument leidenschaftlich und es ist ihren Tempeln
und Königen geweiht. Auch bei den alten Egyptern waren die Trompeten
wichtige und dominirende Instrumente. Yilloteau's grosse Abhandlung (2 Thl.)
über die orientalische Musik, die 1821 von Michaelis deutsch übersetzt erschien,
sei hier erwähnt.
Tnba ductilis (Zugtrompete), die Posaune.
Tuba hercoteetonica, ein von dem berühmten Mathematiker Christian Otter
(1598 — 1660) für den König von Dänemark verfertigtes Instrument von Trom-
petenart, das indess nicht weiter bekannt geworden ist.
Tuba marina oder Tromha marina, das Trumscheit (s.d.).
Tuba tympanodis, ein wunderlich geformtes Blasinstrument in Form eines
langgestreckten Cylinders, an dem unterhalb des Anblasi'ohres eine kleine
Militärtrommel angebracht war. Also eine Trompete mit Trommel vereint, von
einem Menschen gleichzeitig traktirt. Das Curiosum ist bei La Borde y^Essai
sur la musique«, II, abgebildet, aber wohl nie öffentlich in Gebrauch gekommen.
Tubal, Thubal oder Tubalflöte heisst ein veraltetes Orgelregister, s. v. a.
Halbprincipal.
Tabal, A., Musiker des 16. Jahrhunderts und unzweifelhaft Belgier. Com-
positionen von ihm sind in zwei Sammlungen, die in Antwerpen und Löwen
gedruckt sind und Compositionen von belgischen und in Belgien gebildeten
Musikern enthalten, mit aufgenommen. Die eine Sammlung heisst: y>Sacrarii7n
Cantionum (vulgo Jiodie Moteta vocant) quinque et sex vocum ad veram liarmo-
niam concertumque ab optimis quihusque Musicis in pMlomusorum gratiam compo-
sitarum, Libri trestn (Antwerpiae, per Jeannem Latuim et Aubertum Walrandum,
1554 — 1555, in 4° obl.). Es sind darin fünf vierstimmige Motetten von Tubal
enthalten, im ersten Buche Seite 15, im zweiten Buche Seite 14 und 19 und
im dritten Buche S. 18. Von dieser Sammlung besitzt die Müncheuer Bibliothek
unter No. 126 ein Exemplar. Auch von der zweiten dieser Sammlungen ist
auf derselben Bibliothek ein Exemplar aufbewahrt. Diese besteht aus acht
Büchern, welche nur Tonstücke belgischer Musiker enthalten. Im dritten dieser
acht Bücher steht von Tubal eine fünfstimmige Motette Spiritus sanctus unter
der No, 16, Der Titel dieser Sammlung ist: -»Cantionum Sacrarum (vulgo Mo-
teta vocant) quinque et sex vocum ex optimis quihusque Musicis selectarum«
(Lovanii. apud Petrum Phalesium, 1555 — 1558, in 4'^ obl.).
Tubel, Christian Theophil, deutscher Musiker aus der Mitte des 18.
Jahrhunderts, lebte in Amsterdam als Lehrer der Composition und des Ciavier-
spiels mehrere Jahre, kehrte aber später nach Deutschland zurück. Er ver-
öffentlichte in holländischer und deutscher Sprache: nKorte Onderrigtinge der
Musijk met de daar hygevoegde 77 Sandstüchjes voor het Ciavier, henevens een
332 Tubicen — Tucher.
Tiorte hehandeling van Tiet contrapunct etc.«. (Amsterdam, 1767). Die Cantate
y>Ino<i von Ramler, von Tubel comjDonirt, erschien in Braunschweig 1768.
Tubicen, pl. Tuhicines , bei den Hömern der Tubabläser oder Trompeter,
was nicht mit den Tibicines, den Pfeifern oder Flötenbläsern zu verwechseln ist.
Tuch, Heinrich Agathon Gottlieb, wurde 1768 zu Gera in Sachsen
geboren, kam mit seinen Eltern nach Sangerhausen, wo er in der Musik ein
Schüler Rolle's wurde. AVährend er um Theologie zu studiren die Universität
Leipzig besuchte, trieb er unter Leitung von Doles auch Musik, die ihn von
der Theologie bald ganz zu sich herüber zog. Im Besitz einer schönen Bass-
stimme verwerthete er diese bei verschiedenen Operngesellschaften als Sänger,
von 1790 bis 1800 in Dessau, worauf er die Theaterlaufbahn aufgab und in
derselben Stadt eine Musikalien-, Kunst- und Buchhandlung etablirte, die viele
Jahrzehnte blühte. Dabei war er als Componist äusserst thätig. Die kleine
Oper »Der glückliche Tag« von A^uljiius; Chöre zu »Lanassacf und anderen
Theaterstücken, viele Arien blieben uugedruckt. Dagegen erschienen: »Das
Vater unser« und auch die Einsetzungsworte mit Singstimme und Orgelbeglei-
tung, wovon die Melodie in der sächsischen Kirchenagenda aufgenommen ist
(Dessau, 1802). »Kleine und leichte Orgelvorspiele nebst Allegros und Aus-
gängen«, 1. Heft 1809, 2. 1810. Sinfonien, Sonaten und Tänze für Ciavier
und mit Flöte, Violine, Violoncell. »Journal für das Pianoforte«. »Ein Hand-
buch zum Elementarunterricht«, 1806. Viele Lieder und Gesänge mit Ciavier-
begleitung, darunter »Blüthen und Blumen« in 30 Liedern für unbefangene
jugendliche Herzen, ein-, zwei- und dreistimmig, op. 32 (Leipzig u. Dessau, 1813).
Tuclier, Christian Karl Gottlieb von, (Freiherr Tucher von Simmels-
dorf) stammt aus dem altberühmten Patriziergeschlecht derer von Tucher; er
ist am 14. Mai 1798 als der dritte Sohn des Senators Jobst "Wilhelm B. Frei-
herr von Tucher zu Nürnberg geboren, widmete sich dem Studium der Rechts-
wissenschaften auf den Universitäten Erlangen und Heidelberg und ging dann
nach Berlin, wo er durch Hegel, den Gatten seiner ältesten Schwestex", auch
zu eingehendem Studium der ernsteren Fragen des Lebens veranlasst wurde.
Besonderes Interesse nahm er seit frühester Zeit an der Musik und namentlich
die Kirchenmusik beschäftigte ihn auf das Lebhafteste. Als er, nach glücklich
bestandenem Staatsexamen, ein Jahr in Italien verweilen durfte, ergab er sich mit
Eifer dem Studium der altern Kirchenmusik. Nachdem ging er in den Staats-
dienst und während der Zeit seines Aufenthalts zu Stuttgart verheiratete er
sich 1828 mit M. H. W. Freiin Haller von Hallerstein, einer ebenso geistvollen
als edlen Dame, die sein Interesse an der Kiixhenmusik theilte, die er aber
leider nach kaum sechsjähriger glücklicher Ehe wieder verlor. 1833 wurde er
zum Assessor des Kreis- und Stadtgerichts zu Schweinfurt ernannt, 1841 zum
Rath des Kreis- und Stadtgerichts zu Nürnbei-g, 1849 das Appellationsgerichts
von Schwaben und 1856 Rath des obersten Gerichtshofes von München,
als welcher er 1868 in den Ruhestand trat; er starb am 17. Februar 1877.
Seit 1836 war er zum zweiten Mal verheiratet mit H. E. Reichsfreiin von
Gemmingen-Steinegg. Schon nach seiner Rückkehr aus Italien veröflPentlichte
er eine Sammlung älterer Kirchenmusik (1826) unter dem Titel: »Kirchen-
gesänge der berühmtesten altern italienischen Meister, gesammelt
und dem Herrn Ludwig von Beethoven gewidmet von Gottlieb Freiherr von
. Tucher« (Partitur, AVien bei Artaria). Die erste Lieferung enthält von Pa-
lestrina: nAdoramus te«, »0 hone Jesu^, riHosanna in excelsisa, yJPueri hebrae-
orum«. und y>Loquebantur variisu; von Feiice Anerio: »2 Christus f actus est<s. und
»O sacrum convivium«^ und von Vittorio: »O vos omnosa und y) Jesus dulcis me-
moriaa. Die zweite Lieferung enthält von Palest rina: »Adoramus tea, y>Salve
re(/inav, »O salutaris Jiostiaa, »Ingrediente Dominev.; von Nanini (G. M.): »Stabat
mater<i, vExaudi nosa, ytHaec dies quam fecitv-, und von Vittoria: y>Vere lan-
guoresa, y>Fueri hehraeoruma, »0 quam gloriosav.. 1829 veröffentlichte er weiter-
hin in Band VII (Heft 27, pag. 182 fl\) der »Cäcilia« einen Räthselcanon
Tucker - Tulou. 333
von Senffl mit einer werthvollen Einleitung und gab dann im X. Bande der-
selben Musikzeitschrift (Heft 39, pag. 149) die Auflösung, in welcher er zwölf
vei-schiedene selbständige vierstimmige Räthselcanons entwickelte. Seitdem wandte
er sich mit grösserem Eifer dem evangelischen Kirchengesange zu, 1840
erschien seine Sammlung: »Schatz des evangelischen Kirchengesanges,
der Melodie und Harmonie nach aus den Quellen des XVI. und
XYII. Jahrhunderts eingerichtet« (Stuttgart, ein Band in 4°). Die neue
Ausgabe desselben Werks erschien ausserordentlich vermehrt unter dem Titel:
»Schatz des evangelischen Kirchengesanges im ersten Jahrhundert
der Reformation« (Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1848, zwei Theile in 4"),
dem Tucher auch noch eine Schrift: »lieber den Gremeindegesang der
evangelischen Kirche« (1866) folgen Hess. Endlich betheiligte er sich noch
neben Zahn und Faisst an der im Auftrag der deutsch-evangelischen Kirchen-
conferenz zu Eisenach veranstalteten Ausgabe des Choralbuchs: »Die Melo-
dien des deutsch-evangelischen Kirchengesangbuchs« (1854),
Tncker, William, Priester und Stiftsherr an St. Peter in der Westminster-
Abtei zu London, gehörte zur Kapelle des Königs Karl II. und starb am
28. Februar 1678. In y^Harmonia sacrav. von Page finden sich Anthems
von Tucker.
Tuczek-Herrenbur^, Leopoldine, königlich preussische Kammersängerin,
Tochter des Professors der Musik, Franz Tuczek, wurde in Wien 1824 ge-
boren und Schülerin des dortigen Conservatoriums. Sie genoss daselbst den
Unterricht von Josephine Fröhlich und zeichnete sich durch Fleiss, Stimme
und Talent so aus, dass sie ein Stipendium erhielt und erst 15 Jahre alt am
Kärnthner-Thor-Theater engagirt wurde. Sie begann hier ihre künstlerische
Laufbahn in der Oper »Nachtigall und Rabe« von Weigl. Ihre weiteren Ge-
sanesstudien leiteten Mozatti, Gentiluomo und Curzi. Durch Wild an Graf
Redern empfohlen, gastirte sie im Jahre 1841 an der hönigl. Oper in Berlin.
Das glänzend verlaufende Gastspiel hatte das Engagement der jungen Sängerin
zur Folge, die der Berliner Oper treu bleibend bis zu ihrem Abgange von der
Bühne — Susanne in »Figaros Hochzeit« im Jahre 1861 — eine Hauptzierde
und Hauptstütze derselben bildete. Leopoldine T. gehörte zu den immer seltener
und seltener werdenden Sängerinnen, die Dank ihrer gründlich absolvirten Ge-
sangslehrjahre, die verschiedensten Aufgaben zu deuten vermögen. Zu diesem
Vorzug gesellten sich noch Schönheit der Stimme, ein von Anmuth und jovialer
Laune, sowie von künstlerisch geläutertem Geschmack und Beweglichkeit des
Geistes getragenes Spiel und ein so gediegenes, musikalisches Können, dass
Frau Tuczek in Erkrankungsfällen stets schlagfertig für ihre Colleginnen ein-
treten konnte. Das Repertoire unserer Sängerin, deren eigentliche Domäne
das colorirte Fach war, umfasste das ganze Soprangebiet der Oper: Vom
Aennchen im »Freischütz« an bis hinauf zur Donna Anna im »Don Juan«.
Eine ihrer glänzendsten Leistung war neben so vielen andern die Frau Fluth
in den »Lustigen AVeibern«, die Nicolai selbst für sie bestimmt hatte.
Tndway, Thomas, englischer Musiker, war erst Baccalaureus und dann
Professor der Musik an der Universität Cambridge in England. In der könig-
lichen Kapelle durch Blow in der IMusik ausgebildet, trat er 1664 in die
Kapelle zu Windsor. Seine Stellung in Cambridge erhielt er 1671. Die letzten
Jahre seines Lebens verbrachte Tudway in London, wo er im Auftrage des
Grafen Oxford eine Sammlung von Kirchenmusikstücken der berühmtesten
englischen Componisten zusammenstellte. Diese Sammlung von der Handschrift
Tudway's, welche sechs starke Bände in 4*^ ausmacht, befindet sich im Brittisch-
Museum, Tudway's Compositionen wurden in Cambridge verschiedentlich bei
feierlichen Gelegenheiten ausgeführt.
Tulon, Jean Louis, einer der talentvollsten Flötisten seiner Zeit, ist zu
Paris am 12. September 1786 geboren und wurde im Pariser Conservatorium
unter specieller Leitung von Wunderlich im Flötenblasen ausgebildet. Er war
334 Tulou — Türk.
dafür besonders glücklich veranlagt, erhielt noch nicht 15 Jahre alt schon die
ersten Preise und galt bald unbestritten für den ersten Flötenvirtuosen Frank-
reichs. 1804 trat er bei der italienischen Oper als erster Flötist ein, 1813
an Stelle seines Lehrers "Wunderlich bei der Grossen Ojoer. In dieser Zeit
war er beinahe auf dem Punkte überholt zu werden, und zwar weil er sich
der Jagd und dem Vergnügen überhaupt, auch der Malerei, mehr hingab, als
es für seine Künstlerschaft wünschenswerth war. Drouet erschien als sein
Concurent. Es bedurfte jedoch nur des Willens bei Tulou, und er war wieder
der Unübertreffliche. In einem Concerte der Catalani, wo er auf einer einge-
spaltenen Flöte blies, was er erst im letzten Moment bemerkte, ebenso in der
Oper y>Le Rossignol<s. von Lebrun, riss er das Publikum förmlich hin, so dass
er den ersten Platz völlig behauptete und Drouet nach England ging. Nach
der Restauration musste er seine volksthümliche Gesinnung insofern büssen,
als man ihn in die neugebildete königliche Kapelle nicht wieder aufnahm, aus
eben dem Grunde besetzte man auch den Platz am Conservatorium, welchen
Wunderlich aufgab, mit seinem unbedeutenden Nachfolger in der Kapelle.
1826 jedoch, bei einer neuen Verwaltung, welche die Interessen der Oper besser
wahrnahm, berief man ihn zurück und einige Zeit darnach wurde er auch
Professor am Conservatorium. 1856 legte er beide Stellen nieder. Der Ein-
führung der Flöten des Böhm'schen Systems hatte er Widerstand geleistet,
auch nur Flöten des alten Systems in einer von ihm errichteten Fabrik ver-
fertigen lassen. Tulou's Compositionen sind ungefähr folgende: y>8y'mphonie con-
certante "pour flute, hauthois et basson« (Paris, H. Lemoine). y>I>euxieme Sym-
phonie idem«. (Paris, Pleyel). »Ooncertos pour flute et orchestre<s^ (No. 1, Paris,
Lemoine; No. 2, Paris, Hertz; No. 3, Paris, Schönenberger; No. 4, Paris, Pleyel;
No. 5, op. 37, Paris, Pleyel). »Grandes solo p)our flute et orcJiestrev. (No. 1
und 2, Paris, chez l'auteur). ^Fantasies pour flute et orcliestrea (op. 16, Paris,
Pacini; op. 54, Paris, Troupenas; oj). 66 ibid.). y>Airs varies pour flute et or-
chestrea. (op. 22, Paris, Pleyel, op. 35, 39, 56, 62). y>Airs varies avec qicartetta,
op. 17 (Paris, Bonn, Mainz, Berlin). »Flusiers airs varies avec deux violon et
hasseis.. y>Grande trio pour trois fluten, op. 24 (Paris, Pleyel). »Polonaise de
Tancredi pour deux flute et pianoa, op. 32 (Paris, Schlesinger). »Duos pour
deux flütes, livres 1, 2, 3 (Paris, H. Lemoine, op. 8; Paris, Schöneberger,
op. 14, 15; Paris, Pacini, op. 18, 19; Paris, Gambaro, op. 31, 33, 34; Paris, Pleyel).
Tulou, Jean Pierre, der Vater des Vorigen, war 1749 zu Paris geboren
und Schüler Cugnier's auf dem Fagott. Er wurde für dieses Instrument Pro-
fessor am Conservatorium bei dessen Gründung und Mitglied des Theaters.
In Paris bei Sieber erschienen: »Six duos pour deux bassons« und »Douze airs
varies j^our deux bassoiisa.
Turbry, Francois Laurent Hebert, ist zu Paris am 27. Septbr. 1795
geboren und wurde auf dem Pariser Conservatorium hauptsächlich zum Violi-
nisten ausgebildet. Er war zeitweise Mitglied der Opernkapelle, verscherzte diese
jedoch später vollständig, indem er sich wiederholt plötzlich aus Paris entfernte,
ohne dass man erfuhr, wohin er sich begeben. Einmal bei solcher Gelegenheit
hielt er sich in Tolouse auf, wo er »Abrege du dictionnaire de musique de S. J.
JEtousseauv. (Toulouse, Imprimerie de Bellegard, 1821, in 12'', 140 S.) herausgab.
Eine »Symphonie phantastiq.ue<s., »Ouvertüre pour les concertsa (Paris, Frey). »Grand
quatuor p>oi(,r deux violons, alto et hasse«, op. 7 (Paris, Pacini). »Grand trio
pour violon, alto et hasse«, op. 14 (ibid.) wurden in Paris aufgeführt und heraus-
gegeben. Der Autor ging an seinen Sonderbarkeiten zu Grunde.
Türk, Daniel Theophil, gelehrter Tonkünstler des 18. Jahrhunderts,
war am 10. August 1756 zu Claussnitz bei Chemnitz in Sachsen geboren.
Sein Vater, Musiker im Dienste des Grafen Schönburg, ertheilte ihm den ersten
Unterricht in der Musik und im Violinspiel, später unterwiesen ihn auch
andere Lehrer. Auf der Kreuzschule in Dresden zog er die Aufmei'ksamkeit
von Homilius auf sich, welcher ihn speciell im Coutrapunkt und in der Har-
Türkische Becken — Türkische Musik. 335
monielehre unterrichtete. Als er 1772 die Universität Leipzig besuchte, fand
er durch die Empfehlung seines Lehrers einen warmen Protector an Hiller,
welcher ihn ebenfalls unterrichtete und zunächst als Violinisten in das Orchester
der Oper und der Concerte unterbrachte. In dieser Zeit entstanden die ersten
Compositionen Türk's, welche mit Beifall in Leipzig ausgeführt wurden, sie
bestanden in zwei Sinfonien und einer Cantate. 1776 erhielt Türk, ebenfalls
durch Hiller's Verwendung, die Stelle des Cantors an der St. Ulrichs-Kirche
in Halle, und übernahm zu gleicher Zeit die Stelle eines Lehrers am luthe-
rischen Gymnasium. Vier Sinfonien, vier Cantaten, ein grosser Chor und
Ciaviersonaten, von Türk componirt und aufgeführt, erwarben ihm die Stelle
des Musikdirektors an der Universität in Halle. 1779 übernahm er auch noch
die Organistenstelle an der Frauenkirche ebendaselbst. Die Lehrerstelle am
Gymnasium gab er jetzt auf, da er sich gleich vielseitig mit der praktischen
und theoretischen Musik beschäftigte, "Werke der letzteren Art, die ihm den
E-uf eines gelehrten Musikers verschafften, veranlassten die Universität (1808)
ihn zum Dr. phil. und zum Professor der Theorie der Musik zu ei'nennen.
Sein Leben war, wie nachfolgende Aufzählung seiner Compositionen und theore-
tischen Arbeiten erweist, ein arbeitsvolles, zuletzt noch getrübt durch die Noth
des Vaterlandes, besonders 1806, in welchem Jahre die Universität Halle fast
verödet war. Türk starb nach längerer Kränklichkeit am 26. August 1813,
57 Jahre alt. Seine didactischen Werke sind: »Von den wichtigsten Pflichten
eines Organisten. Ein Beitrag zur Verbesserung der musikalischen Liturgie«
(Leipzig und Halle, 1787, in 8°, 240 S.). »Clavierschule, oder Anweisung zum
Clavierspielen für Lehrer und Lernende, mit kritischen Anmerkungen« (Halle
und Leipzig, 1789, in 4**, 408 S.; zweite vermehrte Ausgabe 1802, Leipzig und
Halle). Ein Abi-iss dieser Schule unter dem Titel: »Kleines Lehrbuch für
Anfänger im Clavierspielen« (Halle, 1792, in 8*^; zweite Ausgabe ebenda, 1805,
in 8"). »Kurze Anweisung zum Generalbassspielen« (Halle und Leij)zig, 1791,
1 Band in 8", 307 S.). Dies Buch, nebst der Ciavierschule von Türk, das
beste und verbreiteste, erlebte sechs Auflagen. Die zweite und vermehrte er-
schien in Halle und Leipzig, 1800, 1 Band in 8", 390 S. Die dritte Auflage
veranstaltete nach dem Tode Türk's sein Schüler und Nachfolger Naue, Halle,
1816, in 8\ Vierte Auflage ebenda 1824. Fünfte Auflage "Wien, Haslinger,
in 8", 335 S. (ohne Datum). Eine sechste Auflage veranstaltete Breitkopf &
Härtel in Leipzig. Eine zwei Blätter starke Broschüre ohne Orts- und Da-
tums-Angabe gab Türk ebenfalls heraus: »Beleuchtung einer Becension des
Buches: Kurze Anweisung zum Generalbassspielen«. Sein letztes "Werk erlangte
keine Bedeutung. Compositionen, welche gedruckt wurden, sind: »Die Hirten
bei der Krippe in Bethlehem«, Cantate (Halle, Hemmerde und Schwetschke, in
Fol., 1782). Sechs Ciaviersonaten, dritte und letzte Sammlung (ebend. 1798).
Sechs Ciaviersonaten, zweite und letzte Sammlung (ebend. 1789). Sechs kleine
Ciaviersonaten, erste Sammlung, dritte Auflage (ebend. 1793). Sechs Sonaten,
zweite Sammlung, zweite Ausgabe (ebend. 1793). Sechs Ciaviersonaten (ebend.
1793). Sechzig Ciavierstücke für Anfänger, erste und zweite Sammlung, 1798
bis 1806. Dreissig vierhändige Ciavierstücke, zweiter Theil 1807, dritter und
vierter Theil 1808. Lieder aus dem Siegwart mit Ciavier-Begleitung 1780.
Vieles im Manuscript.
Türkische Becken, Piatti, Cinelli, s. Becken.
Türkische Musik. "Weniger noch als die andern Völker des Orients haben
die Türken Antheil genommen an der historischen Entwickelung der Tonkunst,
obwohl sie nicht weniger Empfänglichkeit und Liebe für sie zeigen, als jene.
Ihre wilde Kriegs- und Mordlust und die unbezähmbare Leidenschaftlichkeit,
welche sie nicht nur zur Herrschaft über das grosse osmanische Reich führten,
sondern auch zu einem der gefürchtetsten Völker der Erde machten, Hessen
Kunst und Wissenschaften nur in beschränktem Maasse gedeihen und verhin-
derten es, dass sie auch nur die Bedeutung für die Entwickelung der Tonkunst
336 Türkische Musik.
gewannen, welche die Araber und Perser errangen, von denen sie übertaupt
nur erlernten, was ihnen auf diesen Gebieten nothwendig erschien und verständ-
lich war. Ihr Auftreten in der Geschichte erfolgte bereits in den frühesten
Zeiten. Der Stammvater »Türk« ist wahrscheinlich der »Targitacs« Hero-
dots (IV, 5) und der Togharma der Bibel (Genesis X, 3) und auch Plinius
kannte sie schon (r>Turcae que sylvas occupantv, Lib. I). Aus Turkestan stam-
mend wurden sie bald ihrer Raubzüge und ihrer wilden Mordlust wegen von
den Nachbarn gefürchtet, und der Name Türke wurde eben so zur Bezeich-
nung eines Barbaren, wie der der Scythen unter den Griechen, und das zu
einer Zeit, in welcher Araber und Perser bereits einen gewissen Culturgrad
erreicht hatten und selbst der Musik und der Poesie schon eine gewisse
Pflege angedeihen Hessen. Freilich war auch dieser noch bis ins siebente Jahr-
hundert unserer Zeitrechnung sehr gering; die arabische Halbinsel war von
der übrigen civilisirten Welt ziemlich abgeschnitten und sehr langsam nur ge-
langte die Cultur der einzelnen Völker Asiens hierher. Der grösste Theil ihrer
Einwohner lebte von Viehzucht und Krieg; nur die Küstenbewohner und die
Bewohner der einzelnen Städte trieben Handel. Yemen und später Irak und
Syrien bildeten nach Christi Geburt abgeschlossene Reiche mit einer bestimmten
Verfassung und Mecca und Medina genossen den Segen einer republikanischen
Verfassung, die übrigen unermesslichen Striche des grossen Landes wurden von
unabhängigen Beduinenschwärmen durchstreift und obgleich jene Reiche und
die Republiken mit Asien und Afrika durch die Handelscaravanen, die meist
von Beduinen formirt wurden, einigermassen zusammenhingen, so drang doch
über die Wüsten, welche sie von der gebildeten Welt absonderten, wenig von
der Cultur Asiens herüber nach der arabischen Halbinsel. In den Städten
hatte sich der gesellschaftliche Zustand durch Gesetze und den Einfluss einer
regelmässigen Regierung etwas gehoben; aber in den Wüsten waren sie noch
völlig rohe Kinder der Natur, die sich nicht über die geringe Bildung erhoben,
zu der die patriarchalische Regierung führte, und die spätem Araber selber
bezeichnen die Jahrtausende vor dem Propheten als die Zeit ihrer Unwissenheit.
Doch selbst in jenen Zeiten äusserte sich in dem ganzen Volke, wo es auch
lebte, in Städten und Wüsten, ein hoher edler Sinn, ein leichter Verstand zum
Begreifen und grosse Anlagen, welche nur der Ausbildung harrten. Sie galten
im Alterthum namentlich als die zuverlässigsten Menschen (Herodot III, 8).
Ausser mit der Astrologie und einer Art roher Medicin beschäftigten sie
sich auch mit der Dichtkunst, mit welcher, wie wir früher schon zeigten, auch
immer die Musik verbunden ist. Mit Hülfe derselben bildeten auch sie ihre
Sprache zu einem grossen Wortreichthum in einigermassen geordneten Formen
aus. Dabei aber blieben ihre Verse rohe Naturprodukte; Ergiessungen ihrer
Empfindungen, wie sie der Augenblick eingab; eine Kette von Bildern, ohne
Kunst und in regelloser Prosodie an einander gereiht. Aber diese kunstlosen
Reime standen in solcher Achtung bei der Nation, dass sich jeder Stamm, jede
Familie, aus deren Mitte ein Dichter hervorging, für geadelt ansah. Daher
strebte auch Mohammed, als er den kühnen Plan fasste, der Prophet einer
neuen Religion zu werden, nach dem Ruhm eines grossen Dichters, da es eine
grosse Empfehlung für ihn und seine Lehre war, wenn seine Reden für echte
Poesie angesehen wurden und als der Dichter Lebid (aus Schelmerei und
Politik) eine Stelle der zweiten Sure des Korans für göttlich schöne Poesie
erklärte, nahm dies Mohammed als ein günstiges Zeichen für die Gründung
und Ausbreitung seiner Religion. Diese freilich erwies sich den Künsten wie
den Wissenschaften äusserst wenig günstig. Noch während seines Lebens drang
Mohammed seine neue Religion, den Islam, durch die Gewalt der Waffen der
Halbinsel auf, auf welcher er geboren war und nach seinem Tode brachen seine
Nachfolger in die Reiche ihrer Nachbarn ein und stürmten so weit vor, dass
sich das neue Reich des Islams über 200 Tagereisen von Osten nach Westen
von der Grenze der Tartarei und Indiens bis an die Küsten des atlantischen
Türkische Musik. 337
Meeres erstreckte. In den zwei Jahrhunderten ihrer siegreichen Kämpfe (632
bis 833 unserer Zeitrechnung) drangen sie gewaltsam den Völkern, welche
diesen Ungeheuern Raum bewohnten, den Islam sammt ihrer Sprache auf, wo-
durch bei den unterjochten Völkerschaften eine völlige Umkehrung ihrer Sitten
und Denkungsart und ihrer Lage zu der übrigen Welt bewirkt wurde. Während
dieser Zeit blieben die Araber die fanatischen Barbaren ohne Kenntniss und
Schätzung der Werke des Geistes und der Denkmäler der Kunst; sie suchten
eben den Inbegriff aller denkbaren Weisheit im Koran und unter ihrer harten
Hand wurden noch viel Ueberreste griechischer Kultur, welche das Christen-
thum noch hatte bestehen lassen, in den Ländern der griechischen Herrschaft
schonunsfslos vernichtet. Dabei verschonten sie doch auch viele Klöster in den
griechischen Provinzen, wenn diese Tribut zahlten und Hessen auch die Schulen
zu Antiochien und Berytus, zu Edessa und Nesibus bestehen, die denn
auch von Einfluss auf die Bildung der Araber werden mussten. Schon in der
Mitte des achten Jahrhunderts zeigten sich die Vorboten, dass sich der bis-
herige kriegerische Geist der Araber allmälig veredelte und verfeinerte. Dem
Reiche der Chalifen (den Nachfolgern des Propheten) wurden die Schätze der
Welt zugeführt, und diese wuchsen mit der Ausbreitung ihrer Macht immer
mehr an; dadurch aber fand der den Orientalen angeborene Hang zum Luxus
immer mehr Nahrung; dieser zeigte sich zunächst in noch edler Weise in der
Pflege der mechanischen Künste, namentlich aber auch in der verschwenderischen
Belohnung von Poesie und Musik, die man früh zu den unentbehrlichsten Be-
dürfnissen für den Glanz des Hofes rechnete.
Die unmittelbaren Nachfolger des Propheten: Abubekr, Omar Osman
und Ali, wie die Omai jaden, welche von 670 — 749 die Herrschaft inne
hatten, waren den Künsten und Wissenschaften nicht günstig gewesen, erst
unter der Herrschaft der Abassiden, die mit Abul Abbas auf den Thron
gelangten, begann die Blüthezeit der arabischen Kunst und Wissenschaft. Die
Omaijaden hatten als Barbaren nur erobern und zerstören lassen; die ersten
Abassiden schon suchten die eroberten Länder zu bilden und zu veredeln,
jene hatten nur, durch ihre Freude an Pracht und Luxus veranlasst, Künste
und den Handel zu befördern gesucht, die Abassiden gaben dem Handel erst
eine sichere Grundlage und gründeten Anstalten zur Pflege von Kunst und
Wissenschaft. Die Namen: AI Mansor, Harun al Raschid und AI Ma-
mun werden nach dieser Seite in der Geschichte ewig unvergesslich sein. Sie
erweiterten die Handelsbeziehungen derartig, dass der äusserste Osten vom
Indus und Oxus mit dem Westen bis ans atlantische Meer vei'bunden war.
Balsora, von Omar am Zusammenflusse des Euphrats und Tigris erbaut,
Damaskus, als Residenz der prachtliebenden Omaijaden besonders von ihnen
bevorzugt, und Bagdad, der reiche Sitz der Abassiden, wurden nunmehr
grosse Handelsniederlagen, welche die Reichthümer der östlichen Welt, die Er-
zeugnisse der Natur und des Kunstfleisses empfingen und vertheilten. Wie die
Hauptstädte des grossen Reichs, so wurden auch unzählige kleine Städte und
Flecken Sitz der Industrie, des Kunst- und Fabrikfleisses und zu Wasser und
zu Lande, durch Karavanen und Schiffe wurden ihre Produkte nach allen
Küsten des grossen arabischen und selbst des griechischen Reichs verschickt
und die Araber wurden so unter den Abassiden die grösste Haudelsnation
der Welt.
:■; Die nothwendige Folge davon war, dass auch die geistige Cultur des
Volkes mächtig gefördert wurde. Während die übrige Welt in Unwissenheit
versank, erhoben sich die Araber zu Gelehrten, die in ihrem Zeitalter nur
wenige ihres Gleichen fanden. Sehr bald, mit der beginnenden Beschäftigung
mit den Wissenschaften, begriffen sie den hohen Werth derselben und ebenso
schnell erfassten sie auch die Gx'undsätze der Wissenschaften, die ihnen bekannt
wurden und bildeten sie in ihrer Weise weiter. Sie gingen zuerst bei den
|i. Griechen in die Lehre; der Beginn ihrer wissenschaftlichen Bildung knüpft
B Musikal. Converä.-Leiikon. X. 22
i
338 Türkische Musik.
an die Uebersetzung griechischer Schriftsteller an. Die Abassiden hatten
syrische und griechische Aerzte an ihren Hof gezogen und durch diese waren
sie zuerst mit den Wissenschaften näher vertraut geworden. Zunächst waren
es die Schriften des Hippocrates, Galen, Theophrast, des Euclides, Pto-
lomaeus und Aristoteles, welche die Chalifen AI Mansor (136 — 158 der
Hegira = 753 — 775 unserer Zeitrechnung), Harun al Raschid (170—193
der Hegira = 786—808 u.Z.) und AI Mamun (198—218 der Hegira =
813 — 833 u. Z.) unter Aufsicht ihrer Leibärzte in das Arabische übersetzen
Hessen. AI Mamun namentlich war ausserordentlich nach dieser Richtung
thätig. Er versammelte an seinem Hofe Gelehrte aller Länder; und sein Eifer
für die Wissenschaften ging so weit, dass er nach einem siegreichen Feldzuge
gegen den griechischen Kaiser sich erbot, alles Eroberte wieder herauszugeben,
wenn ihm der Kaiser gestatte, alle wissenschaftlichen Bücher Griechenlands ins
Arabische übersetzen zu lassen, und er selbst führte bei Anfertigung dieser
Uebersetzungen den Vorsitz. Zugleich legte er Schulen zu Bagdad, Basra,
Bocchara und Kufa an und gründete grosse Bibliotheken zu Bagdad,
Alexandria und Kairo. Diesen Bestrebungen schlössen sich auch die Cha-
lifen zu Cordova an, unter ihnen zeichnete sich namentlich der Chalif Ha-
kem II. (961) aus, der in Bagdad Abschreiber beschäftigte und zu Cordova
eine Bibliothek von 600,000 Bänden anlegte. Hier namentlich gewann die
Wissenschaft eine so bedeutende Pflegestätte, dass aus Frankreich und Deutsch-
land und andern Ländern des christlichen Europas die Schüler nach Cordova
kamen, um bei den Arabern zu studiren.
Früher noch gelangte die arabische Dichtkunst zur Blüthe und zwar
als echt nationale Schöpfung. Bei der Lebhaftigkeit der Phantasie und der
Leidenschaftlichkeit der Empfindung, welche die Araber auszeichnen, bedurfte
es keines äussern Anstosses oder einer besondern Anleitung zu dichterischer
Aeusserung derselben; jene Mächte suchen und schaffen diese von selbst und
so erfahren wir von einer arabischen Poesie schon aus jener Zeit, in
welcher die Stämme der Halbinsel noch in höchster Barbarei und Unwissenheit
lebten. Natürlich war diese ältere arabische Poesie nur erfüllt von einem
wilden kriegerischen Geiste oder einer verzehrenden Leidenschaftlichkeit:
Schlacht- und Blutgesänge wechseln mit realistisch derben Liebesliedern.
Die Messe zu Mecca wurde insofern auch bedeutungsreich für die Entwickelung
der Poesie, als sie zu dichterischen Wettkämpfen veranlasste. Anfangs blieben
diese noch dem Zufall überlassen, aber im sechsten Jahrhundert bestimmte man
den Platz Occadh für solche poetische Wettkämpfe und seitdem wurde auch
das Gedicht, das den Preis erhielt, mit goldenen Buchstaben in Leinewand oder
Seide gestickt, um es an den Thoren der Kaaba*) aufzuhängen. Davon, dass
es am Tempel aufgehängt wurde, nannte man dies Preisgedicht: Moallacät,
und weil es mit Gold eingestickt war Modhabebät. Die sieben noch vor-
handenen Preisgedichte reichen nicht über das sechste Jahrhundert nach Christus
hinaus. Die Dichter derselben: Amru ben Kalthun, Hareth und Tarafah
lebten kurz vor dem Propheten; Zoheir und Antara wohl nur um einige
Zeit früher. Lebid dichtete sein Preisgedicht kurz vor dem Propheten, dem
zu Ehren er der Poesie ganz entsagte; Amri'l Kais aber war ein Zeitgenosse
des Propheten. Wie schon erwähnt trat dann die Poesie in den Dienst der
Chalifen, um den Glanz ihres Hofes zu erhöhen und ihre ganze Erscheinung
zu verherrlichen. Der Chalif wurde dichterisch begrüsst und selbst alltäglichere
*) Das angesehenste Natioualheili^thum der Araber zu Mekka, ein Tempel mit
einem schwarzen Stein in der äussern Mauer. Nach der Sage hat Ismael, der Stamm-
vater der Araber und der Erbauer dieses Heiligthums, denselben vom Engel Gabriel er-
halten. Zu der Kaaba, wo neben dem Einen höchsten Gott (Allah) jeder Stamm seine
besondern Götter oder Genien aufzuweisen hatte, fanden jährlich Wallfahrten statt,
während welchen die Kriege eingestellt wurden, die Blutrache schwieg und Freund und
Feind an den heiligen Handinngen und Umgängen friedlich Theil nahmen.
Türkische Musik. 339
Ereignisse seines Leben dichterisch ausgezeichnet; das ganze Ceremoniell bei
Hofe erhielt eine gewisse dichterische Anordnung, bei der auch der Chalif in
dichterischer Weise einzugreifen genöthigt war. Zu diesem Zweck namentlich
wurden Akademien für die Dichtkunst an den Höfen en-ichtet. Die
dichterischen Wettkämpfe wurden zahlreicher aller Orten, nicht nur in Mecca,
ausgeführt und selbst Dichterinnen betheiligten sich daran. Die Dichter be-
gleiteten das Heer auch in den Krieg und kriegerische Ereignisse und grosse
Heldenthaten waren gern gewählte Stoffe. Die berühmtesten arabischen
Dichter dieser Zeit waren Habib Abub Tammam, der Sohn armer Eltern,
der als Wasserträger in Kairo sein Leben fristete und am liebsten von
Schlachten sang, von »der Musik der klirrenden Waffen« und »dem Tod, der
süsser schmeckt als Feig und Wein«; ferner: Motenabbi (geboren zu Kufa
im Jahre 915 und in der Nähe seiner Vaterstadt im Jahre 965 von räube-
rischen Beduinen ermordet), dessen Preis- und Schlachtenlieder hochberühmt
und weit verbreitet waren. Toghrai (ermordet 1121) und Asmati waren
als Lyriker, M ei dam (gestorben 1125) als Didaktiker hochberühmt, lieber
den Antheil, welchen die Musik, besonders der Gesang, hierbei gewann, sind
wir nicht berichtet, doch lässt die allmälig immer künstlicher werdende strophische
Form darauf schliessen, dass diese hauptsächlich, wie bei allen andern Völkern,
durch die Hülfe des gesungenen Tons ermöglicht wurde. Der kurzathmige
Bau der Strophen wird meist duixh die Rücksicht auf den Athem des Sängers
bedingt. Die kurzen Strophen erscheinen überall als das unmittelbare Produkt
der Sangeslust, die längern dagegen als das der dichterischen Technik, der be-
rechnenden Prosodie.
Im TJebrigen erfassten die Araber die Musik vielmehr als Wissenschaft,
weniger als Kunst. Es ist dies ebensowohl in ihrem Naturell, wie in dem
Gange ihrer Bildung und ihrer Religionsverfassung begründet. Mathematik
und Sternkunde wurden früh von ihnen gepflegt und wie sehr namentlich
Mathematik und Rechenkunst unter ihrer Pflege gefördert wurden, dafür
sind die durch sie erfundene oder doch vervollkommnete »Algebra« und die
arabischen Ziffern, wodurch die Abendländer mit der wunderbaren Erfindung-
vertraut wurden, den Zahlen durch ihre Stellung einen Werth zu geben, Sie
erweiterten daher auch die geographischen Kenntnisse durch Entdeckungsreisen
und durch Messung der Längen- und Breitenkreise. Dieser Zug ihres Geistes
wurde dann noch durch das Studium der griechischen Schriftsteller ganz be-
sonders genährt und es ist daher erklärlich, dass sie auch durch den wissen-
schaftlichen Theil der Musik mehr angezogen wurden, als durch den praktischen,
dass sie mit mehr Sorgfalt Ton und Intervall untersuchten, ohne die gewon-
nenen Resultate auch praktisch durchgreifend zu verwerthen. Begünstigt wurde
dieser ganze Zug auch dadurch, dass der Koran die Künste unberücksichtigt
liess und dass die Musik keinen Theil am Cultus gewann, wie doch bei allen
andern Culturvölkern, die deshalb auch zu einer höhern Blüthe der Musikent-
wickelung gelangten. Es musste dies namentlich für alle dem Islam ergebenen
Völker bedeutungsvoll werden, weil für sie in der Religion alle anderen In-
teressen aufgingen, durch sie Staat und Gesellschaft vollständig geregelt und
beherrscht wurden, so dass der Koran zugleich staatliches und bürgerliches
Gesetzbuch ist. Was daher durch ihn nicht geheiligt ist, das gedeiht nur
wenig bei den Bekennern des Islams und so kam es, dass die Musik wohl
die arabischen Gelehrten in dem angegebenen Sinne beschäftigte, dass sie aber
als Kunst keine Bedeutung gewann, sondern nur in gewisser volksthümlicher
Weise ausgebildet sich erhielt. Schon in der Mitte des zweiten Jahrhun-
derts ihrer Zeitrechnung (der Hedgra oder Hidschret), etwa im 8. Jahrhundert
der unsrigen (n. Chr.), erscheinen bereits Schriftsteller, welche sich mit Unter-
suchungen über die Musik beschäftigen. Unter den*) von Herrn Kosegarten
*) Vergl. R. G. Kiesewetter „Die Musik der Araber" (Leipzig, 1842).
22*
340 Türkische Musik.
nach den Nachrichten des alten Ali aus Ifsfahan genannten Dichtern und Sän-
gern erscheint wenigstens Obeidallah Ben Amed Ben Tahir, mit dem
Beinamen Abu Ahmed, als Verfasser eines musikalisch-theoretischen Werkes*)
(r>Liher disciplinarmn 7iobilium«). Den weiteren Verlauf des Ganges der Ent-
wickelung der arabischen Theorie fasst dann Kiese wetter**) dahin zusammen:
»Wenn wir also die ersten Anfänge einer musikalischen Theorie unter
den Orientalen in der Umgebung der Chalifen aus dem Stamm der Omajiden,
dann der Abassiden entdecken, so lassen sich von da an folgende Phasen der-
selben in Kürze bezeichnen:
1) Entstehung und allmälige Entwickelung einer eigenen einheimischen
(weder ererbten noch überlieferten) Theorie durch arabische Philosophen, seit
dem III. Jahrhundert arab. Zeitr., dem IX. u. Zeitr. — Das System ist jenes,
welches zwischen dem ganzen Ton zwei mittlere annimmt, und in dem Umfang
der Octave 17 Intervalle begreift.
2) Grosse persische Theoretiker (gegen Ende des VII. Jahrhunderts der
Hidschret, im Anfange des XIV. u. Zeitr.) bearbeiten vorzüglich den mathe-
matischen Theil, mit mancher Neuerung, obgleich von dem älteren arabischen
(17. Ton-) System noch ausgehend, auf eben dasselbe einlenkend, auch dieselben
Tonformeln oder sogenannte Tonarten beibehaltend; und dies ist die arabisch-
persische Schule.
3) Wenig später (vielleicht noch gleichzeitig mit dieser letztern) taucht
in Persien ein absolut neues System auf, erweislich aus unserm Europa dahin
verpflanzt, von den Persern nach orientalischer Weise, doch die Spur seines
Ursprungs nicht gänzlich verwischend, verarbeitet. Es ist das System der 7
ganzen Töne, mit eingerückten 5 halben Tönen, wie es unsere Claviere dar-
stellen : wir wollen es das Zwölfton-System nennen. Unter dem achtbareren
Theil der persischen Gelehrten scheint aber dasselbe noch lange keinen Ein-
gang gefunden zu haben.«
Diese verschiedenen Perioden und deren wechselnde Systeme sind
bisher von den Schriftstellern, welche über die Musik der Araber Nachricht
gegeben haben, nicht bemerkt worden, und so ist es gekommen, dass man ent-
weder alles irgendwo Vorgefundene — Systeme, die einander gegenseitig sogar
ausschliessen — ohne Unterschied den Arabern zugeschrieben hat, oder dass
man Manches (ja wohl gar Alles), was diesen unwidersprechlich eigen, von
den Persern hergeleitet haben wollte, deren Ansprüche auf eine ihrer eigenen
Schule selbst aus einer so beträchtlich späteren Periode datiren. Endlich findet
es sich, dass jenes früheste System der Musik, unter den Arabern selbst, ebenso
wenig der (von uns so bezeichneten) arabisch- persischen Schule oder dem
neuern (europäisch-)persischen System, als früher Farabi's griechischer Theorie
gewichen war, sondern sich weit über die Periode der einstigen Blüthe ara-
bischer Wissenschaft und Kunst hinaus, ja unter den im Orient noch vorkom-
menden Liebhabern musikalischer Gelehrtheit bis zu unseren Tagen erhalten,
hat. Dass diese von den Theoretikern aufgestellte, in 17 Stufen getheilte,
Tonleiter in der Praxis gebrächlich wurde, bezeugen die Nachrichten von der
Einrichtung der Laute, die wir aus jener Zeit schon erhalten. Diese ist fünf-
saitig (oder, da jede doppelt vorhanden ist, doppelchörig) in aufsteigenden
Quarten gestimmt und das Griffbrett ist in acht feste Bünde getheilt, die von
der leeren Saite, bei den Arabern der »absolute Ton« benannt, durch gleiche
Dritteltöne aufsteigend bis zum achten Bund gezählt werden, dieser giebt
immer den absoluten Ton der folgenden Saite:
*) Er war ein Enkel des berühmten Statthalters von Chorasan und durch einige
Zeit Oberster der Leibwache zu Bagdad. Er lebte zur Zeit des Chalifen el Mutadid.
*♦) A. a. 0., pag. 15.
Türkisclie Musik.
341
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Die Laute der Araber.
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Der kleine Finger
Der Groldfingei
Der mittlere des Geräthes
Der mittlere alte (oder
des Pferdes)
Der Zeigefinger
Der nächstseitige oder
benachbarte des Zeige-
fingers
Der überflüssige
Der absolute
342
Türkische Musik.
Wir haben hier die Töne zugleich nach unserm System benannt und die Er-
höhung des Normaltons durch Punktiren angedeutet: c. ist das um ein und
c: das um zwei Drittel erhöhte c. Dies Tonsystem hat sich im Oi'ient bis auf
den heutigen Tag auch in der Praxis erhalten, es erscheint daher meist un-
möo-lich, solche Gesänge in unsere moderne Tonleiter zu zwängen. Ssaffieddien,
ein persischer Theoretiker zeichnet nur eine Saite auf und giebt den Tönen
zugleich besondere Namen:
Wie weit dann die daraus entwickelten Ton-
artensysteme in der Praxis Anwendung fanden
und wie weit sie nur der Speculatiou dienten,
ist ebensowenig nachzuweisen, wie bei den grie-
chischen Tonsystemen. Jedenfalls darf man auch
hier mit Bestimmtheit annehmen, dass aus den
früher schon angegebenen G-ründen die Praxis
der Araber weit hinter ihrer Theorie zurückblieb.
Der Rhythmus wurde bei ihnen zu-
nächst in derselben Weise ausgebildet wie bei
allen Völkern: an der Sprache. Die Araber
unterschieden Silben von verschiedenem Zeit-
werth und gewannen vier einfache Füsse. Es
sind dies:
1) Der leichte Strick: tsn
2) Der schwere Strick: tene
3) Der Pflock: terien
4) Das Zwäckchen: teneten
und aus der verschiedenen Zusammensetzung der-
selben gewannen sie die sogenannten Cyclen,
die sich von unseren Versfüssen darin unter-
scheiden, dass bei jenen verschiedene Metren
zu einem Cyclus vereinigt werden, während wir
unsere Vers füsse einheitlich aus einem Metrum
entwickeln. Auf den untern Stufen der Ent-
wickelung der Prosodie gilt immer mehr die
Strophe im Ganzen betrachtet, als der einzelne
Theil. Die arabische Strophe erscheint deshalb
auch unserer Empfindung nach ziemlich unge-
geregelt. Wie sehr aber dieser Rhythmus als
musikalisches Princip erkannt wurde, geht daraus
hervor, dass ihn die Araber gern auf die Trom-
mel angewendet erörtern. Die langen Schläge
werden dabei der linken, die kurzen der rech-
ten Hand zugewiesen. Einige Autoren erwähnen
auch bereits künstlicher Trommelstücke und
nennen einzelne Meister, die sich durch die Zu-
sammensetzung solcher Trommelstücke, welche
auch schon ihre bestimmten Namen erhielten, wie:
Der neue Schlag, Der Schlag des Mordes,
Der Schlag der Eroberer, Der königliche
Cyclus u. s. w. hervorthaten.
Endlich müssen auch die Araber als Erfinder oder doch Verbesserer ein-
zelner Instrumente genannt werden, welche nachmals für die Entwickelung der
Musik in Europa hochbedeutsam wurden, wie die Laute, welche die Araber
von den Persern übernahmen, aber erweiterten und verbesserten, so dass, als
sie durch die Kreuzzüge nach Deutschland gelangte, sie hier sehr bald Einfluss
auf die ganze Musikenfwickelung gewann. Die verwandten Instrumente: das
Der Kamm,
(Die Sail
.enfessel.)
u
o
o
OD
a
n3
Ö 18 '
' Neiva
b: 17 '
' Osal
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a 14 •
' Buselik
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9- 12 •
' Neliawent
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/: 10 .
' Behawy
/. 9 .
> Sengule
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' Bast
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> Nerm mahur
d: 6 '
> Irak
d. 5
' Nerm adschem
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> ÄascTiiran
C: 3
> Nerm hissar
G. 2
• Nerm hejati
C 1
■■ Jegjah
^
Die
Nase.
Der Wirl
oelkasten?)
Türkische Musik. 343
Tanbur von Bagdad und das Tanbur von Korassan waren mit zwei,
seltener mit drei Saiten bespannt, die über einen Steg liefen, welcher der Laute
fehlt. Von den andern Instrumenten wurden dann das Rebab, auch ßubeb
oder Rebec (s. d.) hochbedeutsam, indem es die Familie der Streichinstrumente
erzeugte, welche bald eine so ungewöhnliche Bedeutung in Europa, ganz be-
sonders in England, Erankreich und Deutschland gewinnen sollte, nachdem sie
hier bekannt geworden war. Ausserdem waren den Arabern noch eine Menge
anderer Saiteninstrumente bekannt, wie das Tscheng (s.d.), Nufhet, Ka-
nun u. s. w. Ton Blasinstrumenten werden erwähnt das Nay oder Ney in
verschiedenen Grössen, die Sackpfeife und eine Art Orgel. Endlich waren
eine Menge der bekannten Schall- oder Schlaginstrumente: Trommeln,
Tamburin, Cinellen, Castagnetten u. s. w. im Gebrauch.
So waren bei den Arabern schon im Grunde die Vorbedingungen einer
herrlichen Entfaltung der Tonkunst gegeben; dass diese dennoch nicht weiter
gefördert wurde, ist aus dem oben angegebenen Grunde erklärt. "Wie wenig
unter den Arabern, bei aller wissenschaftlichen Bildung, die Praxis gefördert
worden war, das wird am Schlagendsten dadurch bewiesen, dass sie nicht über
die Versuche eine Notenschrift zu finden hinausgekommen sind, Wo aber
die Kunstpraxis bedeutendere Ausdehnung gewinnt, da ist die Notenschrift un-
abweisbar. Als dann die Türken die Herrschaft über das grosse arabische
Reich gewannen, war an eine weitere Entwickelung nicht mehr zu denken,
selbst die Theorie fand unter ihnen keine weitere Pflege.
Der begeisterte Heldenmuth und die Lust am Kriege waren den Arabern
allmälig unter den Beschäftigungen des Friedens geschwunden. Luxus und
Ueppigkeit untergruben die Kraft und die "Waffenkuude früherer Jahrhunderte.
Es entstanden religiöse Streitigkeiten, welche Spaltungen erzeugten und Secten
entstehen Hessen, die sich unter einander bekämpften und befehdeten. Treulose
Statthalter und übermüthige Stammeshäupter erregten wiederholt Empörungen,
in Folge deren ganze Provinzen abfielen. Wie schon früher Abderrhaman
ein selbständiges Reich in Spanien gegründet hatte, so rissen sich unter Harun
auch Tunis und Fez los. Unter AI Mamun machten sich die Statthalter von
Khorassan unabhängig und andere Statthalter folgten diesem Beispiel. Im
Jahre 877 machten sich Aegypten und Syrien frei, in Tunis setzten sich die
Fatimiden fest, welche sich rühmten, von Fätime, der Tochter des Propheten
abzustammen. Bereits Harun al Raschids dritter Sohn, Motassem, der
Nachfolger Mamuns, hatte sich veranlasst gesehen, zum Schutze gegen Empö-
rungen eine Leibwache zu bilden. Er hatte dazu jenes erwähnte tartarische
Nomadenvolk, die Türken, erwählt und diese wurden bald so mächtig, dass
der Chalif nur als ein Spielball in ihrer Hand erschien und sie schliesslich
Herren des ganzen Reiches wurden. Der zunehmende Verfall des Chalifats
begünstigte ihre Bestrebungen. Der Chalif Mohammed IV. besass (940) nur
noch die Herrschaft über Bagdad und er sah sich schliesslich genöthigt, den
letzten Rest seiner weltlichen Gewalt dem mächtigen Ebu Raik, dem Befehls-
haber seiner türkischen Leibwache, unter dem Titel eines Emir al Omrah, d. h.
eines Fürsten der Fürsten zu übertragen. Nach dem Tode Mohammed's em-
pörten sich wieder einzelne Statthalter und machten sich zu selbständigen Herr-
schern. Im östlichen Persien bemächtigte sich der Statthalter von Khorassan,
ein Türke Namens Alphtekin, der Festung Gasna und gründete das Reich der
Ghasnaviden, das den Gipfel seines Glanzes unter Muhammed mit dem Bei-
namen Jemin ed daula, d. h. Säule des Reiches (999) erreichte. Bei seinen
blutigen Eroberungszügen schützte und förderte er dennoch auch Kunst und
"Wissenschaft und belohnte die Dichter mit wahrhaft königlicher Freigebigkeit.
An seinem Hofe glänzte der bedeutendste persische Dichter Firdusi (der
Paradiesische), der in seinem grossen Epos, dem Schah nameh oder Helden-
buche, die Thaten aller persischen Könige von den ältesten Zeiten bis zum
Untergange der Sassaniden besang. Ein türkischer Emir Namens Seldschuk
344 Türkische Musik.
hätte sich inzwischen mit seinem Stamm von seinem Chan frei gemacht und
nachdem er zum Islam übergetreten war, im Osten von Bochara niedergelassen.
Um ihn für sich zu gewinnen, räumte Mohammed Jemin ed daula diesem
Stamme Wohnsitze in Khorassan ein, aber Seldschuks Enkel Togrul Beg
empörte sich, unterwarf sich ganz Khorassan und machte sich im Jahre 1038
zum Beherrscher von Ostpersien; er eroberte Bagdad nnd zwang den Chalifen,
ihm selbst die Würde eines »Emir al Omrah« zu ertheilen (1058). Damit war
die Macht des Ghasnaidenreichs gebrochen, dies verfiel immer mehr, während
Togrul Beg seine Herrschaft immer weiter ausbreitete. Sein Brudersohn Alp
Arslan (der muthige Löwe), der ihm 1063 in der Herrschaft folgte, kämpfte
siegreich gegen den griechischen Kaiser und eroberte Armenien und Georgien.
Zum grössten Glänze aber gelangte das Seldschucken reich unter Alp Arslans
Sohne Malek Schah (1072 — 1092), der Syrien und Kleinasien beherrschte,
dabei aber auch Kunst und Wissenschft beschützte und förderte. Er legte zu
Bagdad, Ispahan und Basra Schulen an und baute zu Ispahan eine Sternwarte,
Noch zwei Jahrhunderte bestand die Würde eines Chalifen fort, bis Haluga,
der Enkel des Mongolen Dschengis Chan Bagdad erstürmte (1258) und der
letzte der Chalifen Mostassim seinen Tod fand. Bochara, Samarkand, Balkh
und andere blühende Städte gingen mit all ihren reichen Schätzen der Kunst
und Wissenschaft in Flammen auf, die Bibliotheken wurden in Ställe verwan-
delt und mongolische Barbaren lagerten sich über die Staaten und Völker vom
Indus bis zum kaspischen Meere.
Um dem Schwert der Mongolen zu entrinnen, verliessen die Osmanen
gegen Ende des 13. Jahrhunderts ihren Wohnsitz in den Ostgegenden des
kaspischen Meeres und erkämpften sich in Kleinasien die Trümmer des Seld-
schuckenreichs. Mit seinen, durch mohammedanische Derwische zum Kampfe
wider die Christen begeisterten und von der Aussicht auf Beute angetriebenen
Schaaren drang Osman durch die olympischen Pässe nach Bithynien, erhob
Prussa (Brussa, Bursa) zu seinem Herrschersitz und behauptete seine Erobe-
rungen gegen die verweichlichten Griechen und die von ihnen zu Hülfe geru-
fenen abendländischen Söldner. Seine Nachfolger verbesserten das Kriegswesen
und die Janitscharen schuf Murad I. zu einer Macht, mit Hülfe deren er
ganz Kleinasien unterwarf und dann nach Europa übersetzte, um in wenig
Feldzügen alles Land vom Hellespont bis zum Hämus sich unterthänig zu
machen. Durch Alaeddin (1328) war bereits ein stehendes Heer bei den
Türken eingerichtet worden. Da indess die Türken zu genusssüchtig und stör-
risch sind, so kamen er und sein Bruder Urchan bereits auf die Idee, aus den
gefangenen Christen und Ueberläufern eine neue Truppe zu bilden, vor der
nur zu bald die Welt erzittern sollte. Den Namen, wie die Form der unter-
scheidenden Filzmütze sollen sie durch den Derwisch Hadschi Begtasch, den
Stifter eines noch heute im Osmanischen Reiche weit verbreiteten Ordens,
erhalten haben. Von Urchan aufgefordert, die neue Truppe einzusegnen und
ihr einen Namen zu geben, legte der Scheich (der oben erwähnte Derwisch)
den Aermel seines Filzmantels auf den Kopf eines der ihm vorgestellten Söld-
linge, so dass der Aermel rückwärts herabhing und sprach: »Ihr Name sei:
Die neue Truppe (Jeni Tscheri), ihr Angesicht weiss, ihr Arm siegreich, ihr
Säbel schneidend, ihr Speer durchstossend; immer sollen sie zurückkehren mit
Sieg und Wohlsein.« Zum Andenken des Segens erhielten die weissen Filz-
mützen einen rückwärts herabhängenden Zusatz. Bald widerstand dieser für
den Islam begeisterten Truppe keine andere mehr. Adrianopel wurde ein-
genommen und, mit glänzenden Moscheen geschmückt, von Murad zum Herrscher-
sitz erwählt und von hier aus breitete er seine Herrschaft weiter aus, bis er
in der blutigen Schlacht von Kossowa (1389) erschlagen wurde. Aber sein
Sohn Bajazeth setzte den Siegeslauf seiner Vorgänger mit solchem Erfolge
weiter fort, dass man ihn den Blitz nannte, und schon erhob er die Hand, um
Constantinopel zu erobern und das byzantinische Reich zu zertrümmern, als er
Türkische Musik. 345
von dem klugen Mongolenbelierrscher Timur der Lahme (Tamerlan, Timurlank),
der zum zweiten IMal Bagdad zerstörte und das herrliche Damaskus nieder-
brannte, daran verhindert wurde. Bajazeth wandte sich gegen diesen Feind
und trotz der Kriegskunst und der Tapferkeit der Türken entschied sich die
Schlacht bei Angora, wo beide Heere zusammentrafen, zu Gunsten des streit-
baren Hirtenvolks. Bajazeth selbst wurde gefangen und starb bald darauf
vor Kummer.
Seinem Enkel Murad II. (1421 — 51) gelang es bereits, die abtrünnigen
Emire Kleinasiens wieder unter seine Herrschaft zu bringen und sein thatkräf-
tiger und ebenso blutdürstiger wie herrschsüchtiger Sohn Mohammed II. (1451
bis 1481) eroberte am 29. Mai 1453 Constantinopel, um es zu seinem Herrscher-
sitz zu machen. Die Sophienkirche wurde in eine Moschee verwandelt und auf
den Trümmern christlicher Cultur pflanzte der Islam seinen Halbmond auf.
Wohl erhoben sich zahlreiche Feinde des Osmanischen Reichs, allein sie ver-
mochten es nicht, zu hindern, dass es sich immer weiter verbreitete. Mohammed
hatte bereits seinen Fuss in das im Innern zerrüttete Italien gesetzt, um mit
dem Sturz Roms den christlichen Glauben zu verderben, als der Tod seinen
Entwürfen ein Ende machte. Unter seinen Nachfolgeim waren es namentlich
Selim I. (1512—1520) und Suleiman der Prächtige (1550—1566), welche das
Osmanische Reich zu Glanz erhoben. Mit dem Tode Suleiman's aber begann
der Verfall des Reiches, der nur durch die Eifersucht und Trägheit der euro-
päischen Staaten durch Jahrhunderte aufgehalten wurde.
In der Dichtkunst und den Wissenschaften hat der Osmanische Stamm
weit weniger geleistet, als jeder andere der muhammedanischen Yölkerfamilie.
Er hat in der Dichtkunst nur die Persischen A^orbilder nachzuahmen verstan-
den, in der Musik aber ist er hinter diesen und den Arabern entschieden
zurückgeblieben. Es ist bereits erwähnt worden, dass die Türken die Tonleiter
der Araber in ihrer Praxis annahmen, aber sie haben nichts gethan, weder um
die Theorie zu erweitern, noch die Ausführung der praktischen Musik zu fördern.
Wohl werden einzelne Perioden genannt, in welchen die Musik zu einer
gewissen Blüthe gelangte, wie unter Muhammed IV. (1650) und Chaili
Hafis, Ssoloksade und Nassrullah Wakif Chalchali (der nach Naima,
des türkischen Reichshistoriographen 1147 der Hidschret, 1734 nach unserer
Zeitrechnung zu Constantinopel gedrucktem Werk: »Tarschi« mit einem »Tral-
lala« den Geist aufgab) werden als Sänger und Tonkünstler gerühmt. Ihre
Bedeutung kann immer aber nur nach der beschränkten Praxis, über welche
sich die Türken nicht erhoben, gemessen werden. Zahlreiche Zeugnisse bestä-
tigen, dass auch die Türken Musik lieben: dem Krim Chan (1769) war Gift
beigebracht worden, und als er fühlte, dass sein Ende herannahte, Hess er seine
Musikbande herbeikommen und unter den Klängen derselben gab er seinen Geist
auf. Bei dem kriegerischen Charakter der Türken waren namentlich die Mi-
litärmusikbanden früh stark besetzt. Neben den stark schallenden Hörnern
und Trompeten (Zürna und Kabuzürna) waren früh verschiedene Arten von
Trommeln in Gebrauch und andere nur schallverstärkende Instrumente, neben
denen dann die Oboen (Burnas) und die pfeifenartigen einen sehr schweren
Stand hatten. Nach den Vignetten zu: Guer J. A. y>Moeurs et usages des Turcsa
(Paris, 1746) bestanden die Trompeten aus einer langen Röhre mit einem weiten
Schalltrichter, bei den Hörnern war das Rohr einmal zurück und dann wieder
vorwärts gewunden und ging in einen noch weitern Schalltrichter aus, durch
dessen Oeffnung der Ton gerade ausgeführt wurde, so dass diese Instrumente
einen mächtigen Ton entwickeln konnten. Doch erwiesen sich die anders gebil-
deten Europäer wenig erbaut von dieser Musik. Die Gesandtschaftsberichte
aus dem 17. Jahrhundert stimmen alle mit dem, welcher in: »Die neu eröff-
nete Ottoman ische Pforte« (Augsburg, 1694, pag. 278) veröffentlicht ist,
überein. Bei der Beschreibung des Festes, welches bei der Beschneidung des
erstgeborenen Prinzen von Amur ad, der den Namen Meemes erhielt (1582),
346 Tüi-kiselie Musik.
heisst es: »Rings herum waren Fenster / in deren einem so ziemlich gross /
sich eine Music präsentirte mit Pfeiffen, Hörnern, Cymbalen / grossen und
kleineu Pauken / so mehr ein lächerliches Grethön als liebliche Har-
monie gab.« Doch erfüllte diese lärmende Musik jedenfalls ihren Zweck voll-
ständig. Nach dem bereits erwähnten Werk y>Moeurs et usagesa befand sich
während des Kampfes die Musikbande in der unmittelbaren Nähe des Vezirs,
folgte den Bewegungen der Armee ganz genau und hörte nicht auf zu spielen,
so lange der Kampf währte ; erst wenn dieser entschieden war, schwieg die Musik.
Neben diesen Militärmusikbanden, welche der Grrosswessir und die Paschahs in
grosser Menge unterhalten, unterhält der Sultan auch noch eine eigene Kammer-
musik. Diese ist nach Toderini's: •s'Letteratura turchese«. (Venedig, 1787)
aus den weniger schallenden Instrumenten zusammengesetzt. Diese heissen:
1) Keman, eine Art A^ioline. 2) Ajakii Keman, eine grössere Art, unserm
Bass verwandt. 3) Sine Keman, eine Viola d'amour. 4) Rebab, ein Instru-
ment mit einer oder zwei Saiten. 5) Tanbur, ein Instrument von acht Saiten,
von denen sieben von Stahl sind und eine von Messing, mit einem langen
Griffbrett, auf dem die Töne durch Bünde fest abgegrenzt sind. Es wird mit
einem biegsamen Stöckchen aus Schildkrötenschaale gespielt. 6) Nei, eine Art
Querflöte aus Rohr, das im Ton unserer Flöte und der menschlichen Stimme
verwandt ist. Ferner das Meskal, eine Art Pansflöte, aus 23 Röhren be-
stehend, von denen durch verschiedenes Anblasen drei Töne erzeugt werden;
das Santur wie das Kanun sind Arten des Psalterium, jenes mit metallenen,
dieses mit Darmsalten bespannt. Jenes wird mit metallenen Stäbchen geschlagen,
dieses mit den Fingerhüten von Schildkrötenschaale, die mit vorragenden Spitzen
von Kokusnussschaale besetzt sind, gespielt. Endlich fehlt auch nicht das
Daire, aus einem drei Zoll breiten Reif bestehend, zwischen welchem ein
Fell ausgespannt ist; an fünf eisernen Blättchen befinden sich doppelte runde
Messingbleche nach Art des Tambourin, die mit ihrem Geklingel den Ton be-
gleiten, wenn man es schlägt. Die Musikanten der Kammermusik nehmen,
wenn sie vor dem Sultan spielen, ihren Platz an der "Wand des Zimmers, sie
sitzen auf den Fersen und spielen ohne Noten, alles im Einklang oder in
der Octave begleitend allerlei Melodien, welche die Gesellschaft mit tiefem
Stillschweigen anhört, indem sie beim Rauch der Tabakspfeife und einigen Pillen
Opium von einem hinschmachtenden Enthusiasmus berauscht ist.
In Constantinopel sind es namentlich Griechen, Armenier und Juden,
unter denen sich geschickte Musiker befinden, von denen einzelne gleichfalls
vom Sultan besoldet werden, wofür sie monatlich einmal berufen werden, um
vor ihm zu musiciren. Im vorigen Jahrhundert werden namentlich Anastasius,
ein Grieche, und Stephanus, ein Armenier, als gute Rebabspieler genannt,
Raphael galt als gelehrter Musiker und spielte das Tanbur sehr gut. Die
vornehmen Türken lieben zwar meist die Musik, aber sie üben sie seltener aus,
sie überlassen das ihren Sclaven und Sclavinnen. Das Volk dagegen ist nament-
lich sehr gesanglustig und singt auf der Strasse und bei seinen verschiedenen
Beschäftigungen Lieder meist zärtlichen Inhalts, die sie mit einer aus Kürbis
gefertigten Laute begleiten.
Die türkischen Frauen beschäftigen sich auch mit Musik, namentlich mit
Gesang, den sie mit dem Santur oder dem Tanbur begleiten. Jenes wird
noch heute meist in der primitivsten Form angewendet: es besteht aus einem
einfachen länglichen Resonanzkasten, über welchem die Saiten aufgezogen sind.
Die Frauen legen es auf ihren Schooss und spielen es entweder mit einem
Stäbchen oder mit Hämmern, oder wie es das Bild in dem oben erwähnten
Werk i>Moeurs et usages des Turcsa zeigt, mit den Fingern wie die Cither.
Der Tanbur ist dagegen bereits mehr entwickelt. Nicht selten wird auch zum
Gesänge das Tambourin gespielt, nicht nur zum Tanz, der wiederum häufiger
mit kleinen Trommeln begleitet wird und mit den Castagnetten. Dieser Gesang,
der nach verschiedenen Zeugnissen, wie nach dem von Bartholdy »Bruchstück
Türkische Musik. 347
zur nähern Kenntniss des heutigen Griechenlands« (Th. I. 1803; Th. II. 1804,
p. 260) dem Gesänge der jüdischen Vorsänger in den Synagogen gleicht, bei
dem sie zugleich sich so anstrengen, dass sie die Kinnbacken mit den Händen
halten«, vermochte sich niemals die Gunst der übrigen Europäer zu erwerben.
Was Nicolai »Burtig aus dem Delphinat, Kammerling und Geograff K. Mt.
inn Frankreich« davon berichtet in »Vier Bücher Von de Raisz vnd Schiffart
in die Turcky« (Antorflf, 1576), »dass die Azmoglin, das sind die Kinder so
beim Türkischen Kaiser von den Christen aus Graeca, Albania, Valacchia, Ser-
via, Bosnia, Trapezunt, Mengrelia, Colchida zu Tributh gegeben werden, auf
der Gasse auf einem Instrument spielen, sieht schier wie ein Gittern, sie heissen's
Tamburas, in dasselbig singen sie so lieblich, dass die Ziegen oder
Geiss dabei dantzen möchten« wird auch in den spätem Jahrhunderten
bestätigt. Nach der Abbildung, welche dabei gegeben ist, war das Instrument
eine Art sechssaitiger Laute. Die griechischen Bauern müssen in Constanti-
nopel Frohnarbeit thun; sind sie damit fertig, dann ziehen sie durch die Stadt
mit einer Sackpfeife, zu deren Tönen sie auch Lieder sangen und diese erhielten
sich nicht selten längere Zeit.
Der Hauptgrund, weshalb die Türken nicht über diese Anfänge der Musik-
entwickelung hinweg kamen, liegt wohl darin, dass der Cultus der Musik nicht
bedurfte. Selbst der Klang der Glocken, der die Christen zum Gebet ruft, ist
ihnen versagt. Ein Priester der Muezins oder Meizeins besteigt des Tages
fünfmal das Minaret, kurz vor Sonnenaufgang, zur Mittagszeit, kurz vor
Sonnenuntergang, bei eintretender Nacht und um Mitternacht. Seine
Ohren verstopfend, oder nach andern sich die Kinnbacken haltend mahnt er mit
seinem Geschrei die Gläubigen daran, für das Wohl des Sultans, die Ausbrei-
tung des Islams und die Vertilgung der christlichen Lehre, welche Gott in
beständiger Zwietracht erhalten möge, zu beten. Der Gottesdienst selbst ist
äusserst schmucklos. Der mittägliche Theil der Moschee ist durch eine Arkade
in Nischenform bebaut. Hier ist der Sitz des Iman, des Priesters, der den
Gottesdienst verrichtet. Ihm links zur Seite befindet sich ein Pult, vor welchem
jeden Freitag die kirchliche Handlung verrichtet wird. Ein wenig mehr seit-
wärts ist eine Art Chor, in dem sich Sänger aufhalten, die dem von Iman
angestimmten Gesänge antworten oder Strophen aus dem Koran psalmodirend
ablesen. Nur der Orden der Mewelewiten bedient sich bei seinen seltsamen
religiösen Exercitien der Nej, einer Pfeifenart. Die Mewelewiten versammeln
sich am Dienstag und Freitag in einer grossen Kapelle, wo der Iman ihnen
Stellen aus dem Koran vorliest und erklärt. Wenn dies geschehen ist, grüssen
sie alle ihren »Superiorem«, erzählt »Die neu eröffnete Ottomanische
Pforte« (pag. 104) und bücken sich vor ihm nieder; nach diesem fangen sie
an, sich rund herumzudrehen, welches etliche so geschwind thun können, dass
man ihnen kaum in das Gesicht sehen kann. Wenn sie nun diese Bewegung
machen, spielt unterdessen einer auf einer Flöte von Eosenholz, und so bald
die Musik aufhört, stehen alle still und ohn' alles Daumein (Taumeln), als wenn
sie immerdar ruhig gestanden wären. Sie glauben, dass die Flöte ein sehr altes
geheiligtes Instrument sei und dass Jakob und die andern heiligen Hirten alten
Testaments damit zum Lobe Gottes aufgespielt haben. Der Ton dieser Flöte
aber ist an sich selbst kläglich und melancholisch, allein durch die grosse
Uebung haben sie es dazu gebracht, dass sie eine zierliche artige Harmonie
damit zu wege bringen«. Die orthodoxen Türken nahmen Aergerniss daran,
dass diese Derwische sich der Flöte bedienten, weil das gegen den Koran ver-
stösst und es wurde den Mewelewiten auch schliesslich untersagt, eine Pfeife
zu brauchen; allein diese beriefen sich auf David, der selber vor der Bundes-
lade getanzt habe und so wurde das Verbot auch wieder aufgehoben. Eine
andere Secte Derwische nehmen, indem sie Ullah-hoh- Ullah-hoh heulen und sich
auf einem Bein herumdrehen, ein glühendes Stück Eisen in den Mund, dessen
Gluth sie gewaltsam aushauchen. Bei dieser heiligen Ceremonie ertönt eine
348
Türkische Musik.
sanfte Musik von einer Flöte oder der Santer, um die Kräfte des Heulenden
anzufachen, wenn sie ermatten wollen, bis dieser erschöpft und nicht selten
ohnmächtig zu Boden sinkt.
Nachstehend geben wir noch einige türkische IMusikstücke in unserer Auf-
zeichnung, wobei indess bemerkt sei, dass es sehr gewagt sein würde, für die
volle Aechtheit einzustehen. Toderini, von dem das Concert zuerst mitsretheilt
wurde, erzählt selber, dass der französische Gesandte Ferriol (■i>Recueil de cent
estampes de Mr. Ferriol ä Paris 1714«) ein türkisches Musikstück in unsere
Noten übertragen habe und dass, als man es darnach den Türken vorgespielt
habe, diese es nicht wieder erkannt, sondern nur herzlich gelacht hätten.
Ändantino.
Türkisches Concert genannt:
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Adagio.
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Türkische Musik - Tüfrschinidt.
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tempo primo.
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Da Capo al Segno.
Danse Maure.
Aus: La Borde: „Essai sur la mus." T. I. p. 383.
^^=U^öEQ=^,G=t
-^-=w--ti
1^
itt-
I^SI ^S-
t^f=f:
Danse Turque.
La Borde.
ß-0-
Bekanntlich hat C. M. von Weber diesen türkischen Tanz in seinem
»Oberon« verwendet. lieber die
TUrkisclie Musik bei unserer Militärmusik siebe den Artikel Janit-
scbarenmusik.
TUiTSchniidt, Karl, Kammermusiker und Waldhornist der königl. Kapelle
zu Berlin, geboren am 24. Febr. 1753, erhielt von seinem Vater, Primhornist
des Fürsten von Oettingen-Wallerstein, Unterricht im Hornblasen. 18 Jahre
alt begann er eine Concertreise, auf welcher er auch Paris besuchte und dort
lange Zeit verweilte. Er verheiratete sich dort und lernte auch den ebenfalls
auf seinem Grebiete höchst bedeutenden Hornbläser Palsa kennen. Beide con-
certirten von da an gemeinschaftlich, Palsa als Primbläser, T. als Secundant
mit ungeheurem Beifall. Von Paris gingen beide nach London und dann nach
Kassel, worauf sie 1785 bei der königl. Kapelle in Berlin angestellt wurden.
T., einer der bedeutendsten Virtuosen seiner Zeit, starb in Berlin am 1. Novbr.
1797. Mehrere Vervollkommnungen des Hornes sind ihm zuzuschreiben, schon
1781 verbesserte er das Inventions-Horn, indem er die Krümmungen überkreuz
legen liess, wodurch der Wind in den Bohren ungehindert fortlaufen kann,
wogegen bei der alten Invention sich die Bohren aus ihrer zirkeiförmigen
Krümmung bald links, bald rechts rasch wendeten, wodurch das Blasen er-
schwert ward. Das erste Instrument, das er nach dieser Idee bei Raoux in
Paris anfertigen liess, war ein silbernes Hörn, das er bis zu seinem Tode ge-
brauchte. Im Jahre 1795 erfand er eine Sourdine, vermittelst welcher man
die halben oder gestopften Töne ebenso sicher und rein als mit der Hand
nehmen kann. Er veröffentlichte, wie schon Artikel Palsa angegeben, mit
diesem zusammen: i>Six Duos four deux cors« (Paris, Sieber). »50 Duos pour
deux cor Sa (Paris, Jan et).
Türrschmidt, Karl Nicolaus, Musiklehrer zu Berlin, Sohn des Vorigen,
geboren zu Paris am 20. Octbr. 1776, kam mit seinem Vater, dessen Unterricht
auf dem Hörn er genossen, nach Berlin und später in die königl. Kapelle. Als
Musiklehrer war er geschätzt.
350 Türrschmidt — Turato,
Tiirrschmidt, Auguste, geborne Braun, Gattin des Vorigen, geboren am
20. Novbr. 1800 zu Berlin, Tochter des Kammermusikus Daniel Braun und
der Sängerin geborne Catb. Brouwer. Zuerst als Sopransängerin ausgebildet,
trat sie 1814 in die Singakademie. Frl. Blank, Mitglied derselben, bildete
hierauf ihre schöne tiefe Altstimme, die sie bald als solche erkannt hatte, mit
mehr Erfolg aus. Frau T. wurde in der Folge während vieler Jahre eine der
Hauptträgerinnen der Alt-Solopartien bei den Aufführungen der Singakademie.
Auch veranstaltete sie selbst kirchliche Aufführungen zu wohlthätigen Zwecken
und erwies sich höchst bereitwillig gegen Künstler. So übernahm sie 1822
die Partie des Pippo in der y>Gazza ladraa. in einem Concerte der Sängerin
Milder. In einem andern Concerte sang sie die Arie »Dies Bildniss ist be-
sonders schön«, in der Tenorlage, und als bei der Aufführung des »Messias«
der Basssänger plötzlich krank wurde, übernahm Frau T. einige Bassarien, die
sie in der Altlage mit grossem Beifall vortrug. Nachdem sie von der Oeffent-
lichkeit zurückgetreten, gründete sie sich einen Wirkungskreis als Gesanglehrerin.
Ihr Sohn Albrecht, in der Musik Dilettant, veröffentlichte Lieder (Berlin,
Trautwein).
Tayaux (franz.), Pfeifen; Tuyaux a anche, Zungenpfeifen; Tuyaux
ä louche, Pfeifen mit Mundstück.
Tama, Franz, Componist, geboren zu Kostelecz in Böhmen am 2. Octbr.
1704, machte seine Studien in Pi-ag und wurde als Tenorsänger an der Jakobs-
kirche daselbst angestellt. Segert, Altist in derselben Kapelle, war sein Mit-
schüler bei Kapellmeister Bohuslasz Czernohorsky. In Wien, wo er auch einen
philosophischen Cursus durchmachte, fand er im Fürsten Kinsky einen Pro-
tektor, der ihn von Fux im Contrapunkt unterrichten Hess. 1741 als Kapell-
meister der Kaiserin Elisabeth angestellt, zog er sich später in ein Kloster
zurück und starb daselbst 1774. Seine Compositionen, welche in Motetten,
Messen, einem Miserere und Instrumental- Compositionen bestehen, blieben
Manuscript.
Tumeri, hindostanische Doppelflöte, deren Röhren aus einem hohlen Kürbis
oder aus einer Codda-Nuss hervorragen.
Tumultuoso (ital.), Vortragsbezeichnung = tumultarisch, aufgeregt.
Tnnder, Franciscus, einer der grössten Oi'gelspieler seiner Zeit, Schüler
Frescobaldi's, dessen Blüthezeit in die Mitte des 18. Jahrhunderts fällt. Er
war Organist an der Marienkirche zu Lübeck, und starb daselbst 1780.
Tunstede, Simon, auch T uns ted, Franziskanermönch und Dr. theol., auch
wegen seiner Kenntnisse in der Musik berühmt, ist zu Norwich in England im
Anfange des 14. Jahrhunderts geboren. Er starb zu Bruzard in der Grafschaft
Suffolk 1369. Ein Manuscript der Bibliothek zu Oxford, No. 515, enthält
zwei musikalische Abhandlungen von T.: 1) y>De Musica continua et discreta cum
diagrammatihiis, per Simonem Tunstede ann. Dom. 1351«. 2) »De quatuor princi-
palibus in quihus totius musicae radices consistunta.
Tuoni trasportati, die Toni ficti oder transponirten Töne im System der
Tonarten des 16. Jahrhunderts (s. d.).
Tuppah, ein indisches Tonstück, leidenschaftlichen Charakters.
Tarauyi, Carl von, 1806 in Ungarn geboren, ein bedeutender Pianist und
fruchtbarer Componist, wirkte von 1842 — 1857 in Aachen als städtischer
Kapellmeister und starb 1872. Seine Compositionen: Sinfonien, Trios,
Pianofortestücke und Gesangsachen zeigen Begabung und Geschick und
fanden auch weitere Verbreitung.
Tarato, Antonio Maria, zuletzt Kapellmeister am Dom zu Mailand, ge-
boren 1608, war in der Jugend an demselben Dom als Diskantist angestellt,
und machte als solcher bei Gelegenheit von Vermählungsfestlichkeiten Aufsehen.
Er wurde 23 Jahre alt Kapellmeister an St. Celso zu Mailand und am dasigen
Dom Clericus. Er starb 1650. Von seinen vielen Compositionen wurde nach
seinem Tode gedruckt: » Una Muta die Motetti a 2, 3 e 4 vociv. (Mailand).
Turbator Chori - Turini. 351
Turbator Thori, s, Chor störer.
Turbae, die Volkshaufen, Volkschöre in den geistlichen Spielen und
Passionen des Mittelalters.
Tnrca, alla turca, auf türkische Art und "Weise.
Turcas, Joseph Frani^ois Chrysosthome , zu Marselle am 27. Novbr.
1788 geboren, starb zu Paris am 20. Decbr. 1841. Er war Militäx'-Iutendant,
übte aber als Liebhaber die Musik und suchte den Verkehr mit Musikern.
Cherubini, der auch sein Schwiegervater wurde, gehörte zu diesen. Quartette
und Quintette seiner Composition wurden unter Mitwirkung von Haheneck und
Baillot in Paris aufgeführt, auch zwei Sinfonien und verschiedene Balletmusik.
Turchant, Hermannus, Contrapunktist des 16. Jahrhunderts. Von seinen
Arbeiten sind in Salblinger's «Concentus 4 — 8 voc.« (Augsburg, 1545) mehrere
eingerückt.
Tnrco, Giovanni del, florentinischer Edelmann, welcher in der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts lebte und viel Musik trieb. Es sind zwei Hefte
fünfstimmiger Madrigale seiner Composition vorhanden, das zweite hat den
Titel: »JZ secondo libro de' Madrigali a cinque voci di Giov. del Turco, cavaliere
di S. Stefanos (Firenze, per Zanobi Pignoni e Compagni, 1614, in 4").
Turg'es, Edmund, englischer Coraponist, Hofmusikus König Heinrich VI.
von England, lebte ums Jahr 1440. Burney, in seiner »Musikgeschichte«,
Bd. II, S. 548, giebt einen dreistimmigen englischen Gesang von T., einem
vom Componisten Fairfax gesammelten Manuscript entnommen.
Tnriui, Fernando, auch nach seinem Onkel, dem Kirchencomponisten
Bertoni so genannt, war von diesem musikalisch erzogen. In Salo im brescia-
nischen Gebiet geboren, bekleidete er zuerst die Stelle eines Accompagneurs
am Theater, bis er, 23 Jahre alt, das Unglück hatte zu erblinden und dadurch
genöthigt war, eine Organistenstelle an Santa Giustina in Padua anzunehmen,
welche er 25 Jahre versah. 1800 zog er sich nach Brescia zurück, wo er
nothdürftig vom Stundengeben lebte. 1808 wurde daselbst ein Miserere von
ihm mit Beifall aufgeführt.
Tarini, Francesco, Kirchencomponist und gelehrter Contrapunktist, zu
Brescia 1590 geboren, war Schüler seines Vaters und erlernte die Behandlung
mehrerer Instrumente, vorzüglich aber die Orgel spielen. Er war jung mit
seinem Vater nach Prag gekommen und die Gunst, welche Kaiser Rudolph II.
seinem Vater zuwendete (s. den nächsten Artikel) erstreckte sich, nachdem er
diesen durch den Tod verloren, auch auf ihn; er erhielt, fast noch Knabe, die
Stelle des Organisten bei der kaiserl. Kapelle, auch später die Erlaubniss Ve-
nedig und Rom zu besuchen, um sich noch in der Gesangskunst und der Com-
position zu vervollkommnen, nach welcher Reise er nach Prag in sein Amt
zurückkehrte. Wiederholte Besuche in Brescia und dem Stifte der Kathedrale
daselbst endeten mit der Erfüllung des Wunsches des Stiftsherrn, die dortige
Dom- Organistenstelle einzunehmen. T. starb in Brescia 1656. Seine bekannten
Compositionen sind: nMisse a quattro e cinque voci«. (Venedig, Gardano, in 4").
•aMotetfi a voce sola, da potersi cantare in soprane, in contralto in tenore et in
hassoa (Brescia, per Giov. Battista Buzzola, neu gedruckt von Alex. Vincenti,
1629). 'ȀTadrigali a cinque et 3 voci, 2 violini e cTiitarone libro terzoi (Venezia,
Alex. Vincenti, 1629, in 4"). -nMadrigali a una, due, tre voci con alcune sonate
a 2 e 3. Libro primo e libro secondon (Venedig, Bartolomeo Magni, 1624).
nMisse a capella a 4 vocii (Venedig, 1643). -DMotetti comodi in ogni parte«
(Venedig, Bart. Magni). Einige Motetten von T. sind in Bergam. y^Farnassus
musicus«. Noch befindet sich im zweiten Bande »Arte pratica di contrappunto«
von P. Paolucci (S. 119 u. ff.) ein vierstimmiger künstlicher Canon aus dem
ersten Buche der Messen von T. nebst kritischen Anmerkungen.
Tariui, Gregorio, Vater des Vorigen, geboren zu Brescia gegen 1560,
war als Sänger und Cornetbläser gleich geschickt und dieserhalb von mehreren
Fürsten Italiens au ihren Hof gezogen worden. Schliesslich rief ihn auch der
352 Turley — Turnhout.
Kaiser Rudolph II. nach Prag. Am Hofe dieses Fürsten fanden seine Leistungen
so viel Beifall, dass er vom Kaiser hochbelohnt und in dessen Privatkapelle
aufgenommen wurde. Er starb aber nicht allzu lange darauf, ungefähr 1600.
Von seinen Compositionen sind bekannt: y>Cantiones admodum de votae cum ali-
quot Psalmis Davidicis, in Ecclesia Dei decantandis, ad quatuor aequales vocesa
(Venetiis, apud Angelum Gardanum, 1589, in 4" obl.). y>Il primo lihro di can-
zonette a 4 vocU (Nürnberg, 1597, in 4'*). »Teutsche Lieder nach Art der
welschen Vilanellen mit 4 Stimmen«.
Turley, Johann Tobias, Orgelbauer, geboren am 4. August 1773 zu
Treuenbrietzen bei Potsdam, war der Sohn eines Landmanns und lernte und
betrieb das Bäckerhandwerk. An einer alten ausrangirten Orgel studirte er in
seinen Mussestunden den Bau derselben, und stellte danach ein Instrument von
acht Stimmen zusammen, das sich noch in der Kirche zu Brackeritz bei Treuen-
brietzen befindet. Er unternahm nun einige Orgel-Reparaturen, die gelangen,
worauf er sich von 1814 an ausschliesslich der Orgelbaukunst widmete. Eins
seiner besten Werke befindet sich zu Joachimsthal. lieber die letzte von ihm
in Perleberg erbaute Orgel erschien eine ausführliche Beschreibung (Neu-B-uppin
bei ßiemenschneider, 1831). T. starb am 9. Ajoril 1829.
Turlui'ette (vom franz. turluter , dudeln), eine Dudelsack-Art, in Frank-
reich unter Karl VI. im Gebrauch. Wenn das musikalische Lexikon von Koch-
Dommer (S. 152) die Gheorette (rede Ghevrette) und Tuvrelette als Guitarren-
Arten bezeichnet, so ist das falsch. Beides waren Sackpfeifenarten.
Turnbull, John, schottischer Musiker und Chordirektor der St. Georgs-
Kirche zu Glasgow, 1825 bis 1842, gab eine Sammlung von vierstimmigen
Kirchengesängen für den Gebrauch in den Kirchen der Presbyterianer heraus:
y)A Selection of orirjinal sacred Music in four parts, adapted to the various
mefres used in Presbyterian Ghurehes and Ghapels etc. throughout the Kingdom».
(Glasgow, 1833, in 8" obl.).
Turuer, William, englischer Tonkünstler, geboren zu London 1651, war
Schüler des Dr. Blow und Chorschüler unter dessen Direktion. Im Besitze
einer schönen Tenorstimme, erhielt er 1669 einen Platz in der königl. KajDelle.
Später wurde er Vikarius bei der Paulskirche und der Westminster-Abtei zu
London, und erhielt 1696 zu Cambridge die Doctorwürde. Er starb 1740. Im
Jahre 1716 führte man zu London eine sogenannte Maskerade oder Operette
im italienischen Geschmack von ihm auf, y>Fresuvi])tuos lowea. benannt. Mit
Dr. Blow gemeinschaftlich componirte er ein Anthem. Ohne Datum und Jahres-
zahl ist ein Buch von Turner in zwei Auflagen erschienen. Da es aber weder
von Hawkins noch von Burney als von W. Turner herrührend erwähnt ist, so ist
es wahrscheinlich einem jüngeren Autor desselben Namens zuzuschreiben. Der
Titel ist: nSound anafomized in a philosophical essay on Musik. To tohick is
added a Discourse concerning the Abuse cf Musicka (London, in 4").
Turuhout, Gerard de, berühmter Componist des 16. Jahrhunderts, nach
seiner Vaterstadt Turnhout in der Provinz Antwerpen so benannt, wurde 1520
oder 1521 geboren. Aus den Registern der Frauenkirche zu Antwerpen geht
hervor, dass Gerard erst Priester war und dann 1562 Musikdirektor der geist-
lichen Bruderschaft der heil. Jungfrau daselbst wurde. 1563 übernahm er auch
die Kapellmeisterstelle an der Kathedrale, als Nachfolger von Anton Barbe.
Die Pflege, welche er hier der Kirchenmusik zuwendete, erhielt 1566 durch
den Aufstand der Bilderstürmer eine erhebliche Störung, da in der Kathedrale
die Orgeln zerstört und die Musikalien vernichtet oder verbrannt wurden. T.
verwendete die nächstfolgenden Jahre dazu, einiges wieder herzustellen und zu
ordnen. So Hess er eine grosse Anzahl Messen und andere Kirchencompositionen
abschreiben, auch gehörte er zur Commission, welche die neue Orgel in der
Kathedrale abnahm; ausser ihm waren es: Louis Broomans, Organist aus Brüssel,
und Servals Vandermeulen; der Erbauer der Orgel war Gilles Breber. Als
Turnhout Kapellmeister des Königs von Spanien, Philipp IL, wurde, legte er
Turnhout — Tusch. 353
1572 die beiden vorgeuannten Aemter (am 15. März an der Kathedrale und
am 20. Juni an der Kapelle der heil. Jungfrau) nieder. In den Akten hierüber
wird er genannt: y>honorahiUs vir Dominus et magister Gerardus Turnliouta. In
Madrid war er Kapellmeister und Direktor des Knabenchors. Er wirkte in
dieser Stelle bis zu seinem Tode 1580 und war in der Zeit im Besitze zweier
Praebenden, Bethune und Tournai, gewesen. Die noch bekannten Werke dieses
Musikers sind: »Liber primiis Saci'arum cantionum quatuor et quinque vocum
nunc primum in lucem aediiu (Lovanni, ajiud Petrum Phalesium typogr. juratum,
1568, in 4°). nSacrarum et aliariim cantionum triwn vocum, tarn viva voce quam
insirumentis cantatu commodissimarum afque jam primum in lucem aeditarum
Liher unusv.. Authore M. Gerardo a Turnhout Insignis Ecclesiae Beatae Mariae
Äntverpiensis Phonasco«. (Lovanii, excudebat Petrus Phalesius Typographus
juratus. Anno 1569, in 4" obl.). y>Fraestantissimarum divinae musices auctorum
missae decem, quatuor, quinque et sex vocum, ante liac nunquam excusaea (Lovanii,
excudebant, P. Phalesius et Job. Latius, anno 1570, in Fol.) Die sechste
fünfstimmige Messe dieser Sammlung ist von Gr. de T. Andere Compositionen
desselben finden sich in den Sammlungen: »Hecueil des ßeurs produictes de la
divine musique ä trois parties, par Clemens non Papa, Thomas Crecquillon et autres
excellents musiciens« (Lovain, Pierre Phalese). Das dritte Buch, 1568, in 4'' obl.
Das vierte Buch enthält: »JLTX/F^ chansons nouvelles a quatre partiesa (Ant-
werpen, Tylman Susato, 1544, in 4"). Diese Gesänge sind von folgenden
Autoren: Nie. Gombert, Pierre Lescornet, Corneille Canis, Philippe de Yuildre,
Joannes Gallus, Autoine Barbe, Pierre Certon, Jean Bassiron, Tj-lman Susato,
Adrian "Willaert, Petrus de ölanchicourt, Gerard Thurnhout, Crecquillon, Claudin
und Benedictus. Das zwölfte Buch enthält: »XXX chansons amoureuses ä cinq
parties par divers autliersv. (ibid. 1558, in 4"). In der flämischen Sammlung:
»^e« duytsch MusijJchoek, daerinne iegrepen sijn vele schoone LiedeJcens met 4,
met 5 ende 6 partijena (Tot Loven by Peter Phalesius ende by Jan Bellerus
t'Antwerpen, 1573, in 4** obl.) sind vier fünfstimmige Gesänge von T. enthalten; in
der Sammlung: »Xo fleur des chansons ä trois parties, contenant in recueil produit
de la divine musique de Jean Castro, Sevirin Cornet, Noe Faignent etc.«. (A Lou-
vain, Pierre Phalese, en Anvers chez Jean Beilere, 1574, in 4° obl.), neun drei-
stimmige Gesänge von Gerard Turnhout; und in: nLivre de musique contenant
plusieurs excellentes chansons et motets a deux partiesu (Louvain, Pierre Phalese;
Anvers, Jean Bellere, 1571, in 4° obl.), sieben zweistimmige Motetten.
Turnhout, Jean, eigentlich de Turnhout, nach seiner Vaterstadt so be-
nannt, geboren gegen 1525. lieber den Bildungsgang dieses Musikers oder ob
er ein Verwandter oder Bruder des Gerard T. war, ist nichts bekannt, aber
anzunehmen, dass er in Antwerpen studirt hat. Er war Kapellmeister des
Alex. Farnese, Herzogs von Parma und Gouverneurs der Niederlande, an dessen
Hofe zu Brüssel. Den Nachfolger desselben, Erzherzog Ernst, begleitete er bei
dessen Einzug in Antwerpen als y>Maitre de chapelle de son Altessea und wid-
mete dem Magistrat der Stadt bei dieser Gelegenheit eine Messe, wofür er als
Gegengeschenk »fünfzig Livres« erhielt. Im Jahre 1595 erhielt er für dieselbe
Kapelle auch die Function und den Titel tnaitre des chantres. Sein Todesjahr
ist nicht bekannt, das letzte bekannte Werk, eine Motettensammlung, erschien
1600, unter dem Titel: y>Sacrarum cantionem quinque, sex et octo vocum Johannis
Turnhout regii in Belgia phonasci Über primus<i (Duaci, ex officina Joannis ßogardi,
Typ. jurati 1600). Noch sind zwei andere Werke bekannt: »Madrigali a sei
ooci di Giovan. Turnhout, maestro de eapella del sereniss.a (Duca di Parma et di
Piacenza, Anversa, appresso Pietro Phalesio et Giovanni Bellero, 1589, in 4°).
ȟfadrigali a cinque vocia (Douai, 1595).
Tusch, Touche, ein von einem Trompeterchor ausgeführter, meist impro-
visirter Tonsatz, mit welchem auszuzeichnende Persönlichkeiten bei öffentlichen
Festen empfangen und mit dem die bei solchen ausgebrachten Toaste begleitet
werden. Man beschränkt sich dabei in der Regel auf einen Dreiklang, der
Musikal. Convers.-Lexikou. X. 23
354 Tutta la forza — Twinning,
von den Trompeten und den verwandten Instrumenten in den verschiedensten
Lagen und "Weisen arpeggirt wird.
Tutta la forza, die ganze Ki-aft, d. h. mit ganzer Anwendung derselben.
Tatte corde = alle Saiten, eine Bezeichnung, die beim Pianoforte in
Anwendung kommt. Nach dem Grebrauch der Verschiebung (una cordd),
wenn diese aufgehoben werden und alle Saiten des Bezuges wieder tönen sollen,
setzt man tutte corde an die betreffende Stelle.
Tutti = alle; in den Partituren, wie den Stimmen von Vocal- und Orchester-
sätzen angewendete Bezeichnung, welche angiebt, dass die so bezeichneten Stellen
von allen Instrumenten und Stimmen ausgeführt werden sollen. Sie ist natür-
lich nur dann nothwendig, wenn vorher ein- oder mehrstimmige Solosätze die
Gresammtausführung unterbrochen haben. Bei Chören, wie bei Orchestersätzen,
ist es zunächst üblich, dass alle gesonderten Stimmen und Instrumente so lange
mitwirken, bis nicht durch die Bezeichnung »Solo« nur die Ausführung durch
eine, oder einige Stimmen und Instrumente gefordert wird. Soll dann wieder
der ganze Chorus der Stimmen und Instrumente die Ausführung übernehmen,
so muss das angegeben werden und dies geschieht durch die Bezeichnung
Tutti. Diese gewinnt indess eine etwas andere Bedeutung noch bei wirklichen
Solosätzen, bei Arien, Duetten oder bei Concerten für irgend ein Instru-
ment mit Orchesterbegleitung. Dies bildet dem Solisten gegenüber nicht nur
den Chor, sondern es führt bekanntlich zugleich auch die Begleitung aus. Da-
bei natürlich tritt es entschieden gegen die Solostimme zurück und um dies
den begleitenden Spielern anzudeuten, werden die betreffenden Partieen gleich-
falls mit »Solo« bezeichnet und die, in welchen der Solospieler schweigt und
bei denen dann das Orchester mit gewisser Selbständigkeit dem Solisten gegen-
übertritt, mit Tutti. Es ist diese Einrichtung selbstverständlich nicht ohne
entscheidenden Einfiuss für die Construktion des Coucerts. Soll dasselbe
einen tiefern Gehalt darlegen, so muss es gewissermaassen einen "Wettstreit des
Solisten mit dem gesammten Orchester darstellen, in welchem ein bestimmter
ethischer Inhalt dargelegt ist und in diesem Falle müssen dann die Tuttis
des Orchesters nicht minder sorgfältig ausgearbeitet werden, als die Solls; sie
können natürlich nicht so brillant ausgestattet werden, das würde auch der
ganzen Idee der Form widersprechen, aber sie können und dürfen jenem an
Bedeutsamkeit des Inhalts nicht nachstehen. Eine ähnliche Bedeutung gewinnt
das Tutti auch bei den Orchesterformen überhaupt. Ein Orchestersatz, bei
welchem alle Instrumente ununterbrochen betheiligt sind, muss natürlich sehr
bald abspannend und ermüdend wirken, es ist deshalb ästhetische Nothwendig-
keit, dass man die einzelnen Instrumente in der mannichfachsten "Weise zu-
sammengesetzt, auch in einzelnen Zusammenstellungen und in reicher Ab-
wechselung mit dem Tutti verwendet. Aber auch dies kann in mannichfacher
Zusammensetzung eingeführt werden, als: Tutti sämmtlicher Streich-
instrumente, oder sämmtlicher Holzblas- oder sämmtlicher Messing-
instrumente, als Tutti der Streichinstrumente und der Holzblas-
instrument oder dieser und der Messinginstrumente oder als Gresammt-
Tutti aller, zu denen auch noch die Schlaginstrumente: Pauke, Trommel,
Triangel, Becken u. s. w. hinzukommen. In dieser "Weise gefasst bietet das
Orchester erst den entsprechenden trefflich gegliederten Organismus zur Dar-
legung und Gestaltung der höchsten künstlerischen Aufgaben und das Tutti
ist eins der wirksamsten Hülfsmittel desselben.
Twinning, Thomas, englischer Schriftsteller, gegen 1734 geboren, studirte
auf der Universität Cambridge, wo er auch die academischen Concerte dirigirte,
denn er war in der Musik und in den "Wissenschaften gleich erfahren. In
"White-Notley in der Grafschaft Essex wurde er zuerst Schulrector, später Pastor
in Colchester, wo er am 6. August 1804 starb. Dieser Gelehrte lieferte eine
Uebersetzuno- der Poetik des x4.ristoteles ins Englische mit Anmerkungen und
zwei Abhandlungen über die Poesie uud die Musik als nachahmende Künste.
Tj' — Tylman Susato. 355
Der Titel dieser TJebersetzung lieisst: ^^Aristoteles poetics, xoith nofes ontTie transla-
tions and on tlie original, and two dissertations on poetieal and musical imitationsv
(Oxford, 1787, in 4°). Ins Deutsche übertragen findet man diese Abhandlungen
von Joh. Gottl. Buhle: »Aristoteles über die Kunst der Poesie, aus dem Grriechi-
schen übersetzt« (Berlin, 1798), die Abhandlung von der Musik S. 242.
Ty, eine chinesische Flötenart ohne Klappen.
Tye, Christopher, bedeutender englischer Kirchencomponist, geboren zu
"Westminster im Anfange des 16. Jahrhunderts, war zuerst Chorknabe, später
Musiklehrer der Kinder Heinrich VIII. 1545 erwarb er von der Universität
Cambridßfe den Doctorhut und 1548 wurde er Professor an der Universität
Oxford. Die Königin Elisabeth berief ihn jedoch als Organist an ihre Kapelle
und diesen Posten bekleidete er bis zu seinem Tode, welcher ungefähr 1570
erfolgt sein wird. Tye war als Componist in England hochgeschätzt, das von
ihm Aufbewahrte rechtfertigt dies auch. Sehr schön sind die Anthems: ^'From
tlie depth called on thee, o Lorda {j>IIarmoniea sacraa von Page) und »J ivill
exall theea (Boj^ce •aÖathedral music<i). Die umfangreichste seiner Arbeiten ist
die Apostelgeschichte, welche er in Musik setzte, und wovon die vierzehn ersten
Kapitel veröffentlicht worden sind. Zwei Verse vom 14. Kapitel sind in Haw- .
kins »Musikgeschichte«, Band III, S. 256 abgedruckt. Burney in seiner »Musik-
geschichte« giebt Bd. II, S. 589 eine Probe aus einer sechsstimmigen Messe von T.
Tylniau Susato, oft Tileman, auch Thieleman genannt, war Noten-
druckei', Instrumentalist und Componist und hat sich besondei's als Sammler,
d. h. als Herausgeber interessanter Sammlungen von Musikstücken verewigt.
Er ist in den letzten Jahren des 15. Jahrhunderts geboren. Nachforschungen
verschiedener Biographen und Historiker haben ergeben, dass sein Familienname
Tylman gewesen sei, Susato sich auf den Ort seiner Geburt bezieht. Dehn
in einem Briefe vom 1. Septbr. 1854 an Fetis glaubte Soest (lateinisch Susato
oder Susatus), eine kleine Stadt in "Westphalen, als diesen Ort annehmen zu
dürfen. Dem ist nichts entgegenzustellen und so kann man annehmen, T. habe
in Cöln studirt und sei von dort nach Antwerpen gekommen, denn dort wird
er in den Rechnungen der Stadt Tielman von Coelen genannt. Im Jahre
1529 wird er in Antwerpen schon aufgeführt und zwar in Rechnungen, welche
der Kapelle der Jungfrau an der Kathedrale daselbst zugehören. -Er war hier
als Kalligraph und Abschreiber von Musikalien thätig, deren er eine Menge
dort in jenem und dem folgenden Jahre geliefert hat. Nachforschungen des
Herrn Leon de Burbure haben auf demselben "Wege, nämlich durch die Rech-
nungen der Kapelle ergeben, dass T. 1531 als Instrumentist an derselben
thätig war. Er wird bezahlt, neunzehn Mal bei Messen und feierlichen Gele-
genheiten die Trompete geblasen zu haben; auch gehört er zu den fünf von
der Stadt unterhaltenen Musikanten. Nach einem Kataloge der Stadt über
deren Instrumente gehörten dem Tylman neun Flöten im Futteral, zwei Trom-
peten, eine »Velt-Trompet« und eine »Teneurpipe«. Auch ist ersichtlich, dass
er einen Zuschuss dafür erhielt, dass er als Musiker in dieser Stadt Wohnsitz
genommen. Als 1549 Philipp II. nach Antwerpen kam, wurden mit Ausnahme
eines, sämmtliche Stadtmusikanten entlassen, aber später wieder angenommen;
Susato jedoch trat nicht wieder in den Dienst der Stadt. 1543 errichtete er
eine Druckerei, die er 1547 in ein von ihm erbautes Haus verlegte, welchem
er als Zeichen die Comorne (ein altes Blasinstrument) gab. Das erste Werk,
welches aus seinen Pressen hervorging, war -»Premier livre des cJiansons ä quafre
parties, auquel sont contenues XXX7 nouvelles chansons, convenahles tant ä la
comme aux instrumentzu. (imprimees en Anvers, par Tylman Susato, imprimeur
et correcteur de musicque, 1543, in 4"). Dagegen ist die letzte bekannte von
T. S. herausgegebene Sammlung vom Jahre 1560 eine neue Ausgabe der bereis
1555 erschienenen »Chansons ä quatre parties, Livre XIV, contenant XVIII
chansons italiennes, VII chansons frangaises et VI motetz par Orlando de Lassus,
Anvers, Tylman Susato«. Im Jahre 1564, als mit dem Namen »Jacques Susato«,
23*
35 ß Tylman Susato.
wahrscheinlich seines Sohnes, eine Sammlung von Gesängen des Orlandus Lassus
veröffentlicht wurde, war Tylman Susato jedenfalls bereits verstorben. Jacques
Susato starb am 19. oder 20. Novbr. desselben Jahres.
Von Tylman Susato sind noch folgende Sammlungen bekannt: Zunächst
eine ohne Datum, von der sich ein Exemplar auf der Bibliothek zu Upsala in
Schweden befindet. Diese enthält eine Dedication in Yersen an die Königin
von Ungarn und ßegentin der Niederlande, Marie. Das letzte Stück darin ist
ein fünfstimmiger ßäthsel-Canon. Von der oben bereits erwähnten Sammlung:
»Chansons« erschienen im Glänzen 13 Lieferungen, in den Jahren 1543,
1544: IL in. IV. V.; 1545: VL VIL VIIL IX. X; 1549: XI; 1558: XII
und XIII. Die Tonsetzer sind: J. Baston, A. Barbe, N. Balduin, E. Barbion,
C, Canis, Th. Crecquillon, J. Castiletti, Crispel, Courantier, Certon, Claudin,
le Cocq, Clemens non Papa, Ducis, Descaudin, N. Grombert, Grerardus, Groddart,
Gallus, J. Hollander, D. Havericq, Hanadu, Josquin de Pres, Jannequin, J.
Lupus, P. Lescornet, Larchier, Pierre de Manchicourt, J. Mouton, Cl. Morel,
L. Pieton, N. Payen, Richafort, Rocourt, Rogier, Tylman Susato, Ph. de Vuildre,
Jer. Vinders und "Willaert. Ausserdem veröffentlichte er auch mehrere Samm-
lungen kirchlicher Tonstücke, wie: y>Liher primus Sacrarum cantionum
qtiinque vocum vulgo moteta vocant ex optimis quibusque hujus aetatis musicis
seleciarunKi (Antverpiae, apud Tilemannum Susato, anno 1546, gr. 4°). y>Liber
secundus sacrarum etc.a. (1546). y>Liber iertiusa und y>Liber quartusa (1547).
Diese vier Bücher enthalten 74 Motetten von Castiletti, Crequillon, Pierre de
Manchicourt, Clemens non Papa, Jacobus Gallus, Cadeac, Ant. Trojanus, N. Payen,
C. Canis, Lupus Hellinc, Crecquillon Rocourt, Willaert u. A. Eerner: »Liber
primus missarum quinque vocum a diversis musicis compositarum, quarum nomina
catalogis andicabita (enthält vier Messen, eine von Tylman Susato: »In ille tem-
porev., zwei von Crecquillon und eine von P. de Manchicourt). »Liber secundus«
enthält vier Messen von Crecquillon, zwei von Lupus Hellinc, eine von Barbe.
y>Liber tertiusa enthält je eine Messe von Lupus Hellinc, Richafort, Mouton,
Crecquillon, von P. de Manchicourt. Eine Sammlung zwei- und dreistimmiger
Chansons eigener Composition veröffentlichte Tj^man Susato unter dem Titel:
»ie premier livre des chäsös a deux ou a trois parties contenant trente et tcne
nouvelles chansons convenables taut ä la voix comme aux instrumentz composes en
Anvers par Thilman Susato, Correcteur de musique demourant en ladicte ville
aupres de la nouvelle bourse en la rue des douze mois. Avec grace et privilege
de sa majeste pour trois ans, Lam. I544.a Der Tenor enthält eine kurze Vor-
rede: y>Aiix amateurs de la noble scienne de Musicq Tilman Susato<i, in welcher
er sagt, dass er diese ComiDositionen, die entweder dreistimmig oder wenn zwei-
stimmig mit Weglassung der Bassstimme gesungen werden können, hauptsächlich
für kleinere Privatzirkel geschrieben habe, damit Anfänger sich erst in leicht
auszuführenden Sachen üben können. Hierbei bezeichnet er diese Gesänge als
chansons amoureuses. Der »Superius« und der »Tenor« enthalten den Vers:
und der »Bassus«:
„Chantez ä deux si bon voussemble.
Puls chanterez tous trois ensemble.
„Veulx-tu chanter par bon advis!
Attends que tu en soys requis."
Hochbedeutend für die Entwickelung des Liedes ist endlich die Sammlung;
yyllet ierste musyJc boecken mit / Vier Party en Daer j Inne Begrepen zyn XXVlij
nieuue amoureuse liederkes in onser neder J duytscher taleii, Gecomponert by
diuerscJie componisten zeer lusticJi om singen en spielen op alle musieale Instru-
metena (Ghedruckt Tantuuerpe by Tielmä Susato vu one de noer die nieuue
vua / glie In der Cromhorn Com Gratia Anno 1551). »Set tvueetste musih
boecJceni und »Set derdev. führen denselben Titel; das vierte, fünfte und
sechste (1556) und das siebente (1557) haben den Koj^ftitel: »Sovter Lie-
Tympanischiza — Tyrtäus. 357
denJcensK. Ausserdem druckte Tilman Susato vollständige "Werke von Clemens
non Papa: y>Motecta qidnis« (1546), von Orlandus Lassus u. A.
Tympanischiza, der alte Name des Trumscheit (s. d.).
Tympanismos hiess bei den G-riechen ein, der Cybele geweihtes Instrument,
bei welchem die Priester die Pauken schlugen.
Tympaui coperti, gedämpfte Pauken (s. Pauken).
Tympauist, ein Paukenschläger.
Tympauum (lat.), ital. : Tympano = Pauke.
Tympauum bellicum, die Kriegs- oder Heerpauke der alten Römer.
Tyrolerlieder, franz.: Tyroliennes, Nationalgesänge der Tyroler; einfache
Lieder, die in der Regel mit einem Jodler ausgehen. Sie waren einst auch
in Norddeutschland sehr beliebt, namentlich seit sie durch die Tyroler-Sänger-
gesellscliaften der Geschwister Hausser und später Rainer aus Fügen im
Zillerthal dort und auch in Frank reich und England bekannt gemacht
worden waren. Die
Tyrolienne ist ein früher sehr beliebter Tanz von massiger Bewegung
im 74-Tact.
Tyrrhenische Flöte und
Tyrrhenische Trompete, wahrscheinlich ein und dasselbe stark tönende
Kriegsinstrument der alten Griechen, angeblich von Tyrrhenus, einem ums
Jahr 2800 lebenden Sohne des Herkules erfunden.
Tyrtäus, altgriechischer Dichter, Flötenspieler und Trompetei', ist zu Athen
geboren und lebte in der 25. Olympiade (um 676 v. Chr.). Er war auf einem
Fusse gelähmt, und als die Spartaner im zweiten messenischen Kriege, nach
dem Rathe des delphischen Orakels, von den Athenern einen Feldherrn zu
verlangen, ihn gewählt hatten, glaubte man, dies sei zum Scherz geschehen.
Bald aber zeigte es sich, dass die Spartaner gut berathen gewesen waren, denn
T. verstand nicht allein, durch seine Kriegslieder das Heer zum Kampfesmuth
zu entflammen,*) sondern er lehrte sie auch den Gebrauch der Metall-Blas-
instrumente und bewirkte dadurch, dass die, mit dem Klang der Trompeten
noch unbekannten und dadurch erschrockenen Messenier beim Heranrücken der
Spartaner in Unordnung geriethen und die Flucht ergriffen. Plutarch erzählt,
dass die Lacedämonier aus Dankbarkeit dem T. das Bürgerrecht verliehen haben
und seine Kriegslieder in der Armee singen Hessen, so lange ihre Republik
dauerte. Lykurg (der im vierten vorchristlichen Jahrhundert lebende athenische
Redner) sagt in seiner Rede gegen den Leokrates, dass die Spartaner ein Gesetz
hatten, nach welchem sie, so oft sie zu einer kriegerischen Unternehmung die
"Waffen ergreifen würden, vor das Zelt des Feldherrn gerufen werden mussten,
um erst die Kriegslieder des T, singen zu hören. Aber auch abgesehen von
seinen kriegerischen Erfolgen ist der Einfiuss, welchen T. durch seine Kunst
auf die Sitten der Spartaner ausübte, ein bedeutender gewesen, namentlich da-
durch, dass er die Elegie, eine ionische Dichtungsart, nach dem dorischen Sparta
verpflanzte; seine Elegien wurden als Bildungsmittel der Jugend angesehen und
auf Feldzügen des Abends nach dem Mahle vorgetragen. Ausser kleineren
Bruchstücken sind von Tyrtäus' Dichtungen drei vollständige Kriegselegien
erhalten (jiHypotheJcaU, »Ermahnungen«, »Ermunterungen«), sowie ein kleines
Marschlied: y>Emhaterion<i. Berühmt war seine Elegie y>]Eunomiaa (gute Ver-
fassung), durch welche er Streitigkeiten der Spartaner wegen einer, von vielen
verlangten neuen Aeckervertheilung beschwichtigte. Nach Plutarch ist er auch
der Erfinder eines beliebten dreichörigen Tanzliedes, bei welchem der erste Chor
aus alten Männern, der zweite aus Jünglingen, der dritte aus Knaben bestand.
Ein anderer Musiker dieses Namens, dessen Plutarch in seiner Schrift
*) „Tyrtaeusque mares animos in martia bella
Versibus exacuit."
heisst es hierauf bezüglicli bei Horaz (de arte poetica, Vers 402).
358 Tyttler — Ubaldi.
»lieber die Musik« (XIY. 21) erwähnt, stammte aus Mantina und gehörte nebst
dem Korinther Andreas, dem Phlyasier Thrasyllus und vielen andern zu einer
Schule, welche sich die Enthaltsamkeit im Gebrauche der Kunstmittel zum
Gesetz gemacht hatte und deren Mitglieder die Anwendung des Chromas, der
Metabole (Modulation), des weiten Tonumfanges sowie der, in ihrer Zeit zur
Geltung gekommenen Rhythmen, Tonarten und Metren geflissentlich vermieden.
Tyttler, William, bei einigen Historikern irrthümlich Tylten, englischer
Schriftsteller, welcher zu Edinburg 1711 geboren wurde. Ursprünglich zum
Kaufmann bestimmt, beschältigte er sich demungeachtet mit dem Studium der
Philosophie, der Malerei und der Musik. Die Gesellschaft der schottischen
Alterthumsforscher erwählte ihn zum Mitgliede, später zu ihrem Präsidenten.
Er starb zu Edinburg am 12. September 1792, mehrere interessante Schriften
hinterlassend: 1) »Eine Abhandlung über schottische Musik«, in der »Geschichte
Edinburgs« von Arnot, 1788, in 4°, aufgenommen, zuerst abgedruckt in den
philosophischen Abhandlungen der Antiquarischen Gesellschaft, Band I, S. 469
u. folg. In demselben Bande S. 499 giebt er eine Beschreibung der Vergnügen
und Moden zu Edinburg im 17. Jahrhundert und eines grossen Concerts am
Cäcilientage, daselbst abgehalten im Jahre 1695. Noch eine andere Abhandlung
enthält Mehreres über den Antheil Jacob's I., Königs von Schottland, an den
altschottischen Gesängen in der Schrift: »Poetical remains of James tlie First,
King of Scotlanda (Edinburg, 1783, in 8°).
Tzamen, Thomas, Contrapunktist des 16. Jahrhunderts, in Aachen ge-
boren, ist nur bekannt durch eine dreistimmige Motette y>Domine Jesu Christen,
welche Glarean in seinem y>DodecacJiordonv. S. 298 aufi"ührt.
Tzwejoel, Theodorich, Mönch, auch Montegaudio genannt, lebte in
einem Kloster entweder in Oesterreich oder in Baiern gegen Ende des 15. und
Anfang des 16. Jahrhunderts. Zwei von ihm verfasste Aufsätze, die aber sehr
selten sind, wurden veröffentlicht und in seinem Kloster gedruckt. Der eine
ist: ytArithmeticae Opuscula duo Theodorici Tzwejoel numerorum praxi (Quod
algorithmi dicuntur) unum de integris per figurarum (more allemano) delectionemm
(Alterum de proportionibus cujus usus frequens in musicam harmonicam Seve-
rini Boetij. Monasterii (ohne Datum), ein Blatt klein 4"). Ein Exemplar hiervon
befindet sich auf der kaiserl. Bibliothek zu Wien, auf welchem am Ende die
Worte stehen: »Quintell (Drucker in Köln) {terato disseminari procuravit<i. Das
andere Schriftstück, von welchem das einzige bekannte Exemplar die königl.
Bibliothek zu Berlin besitzt, heisst: «Introductorium musicae practicae ex pro-
hatis scriptoribus per Theodoricum Tzivejoel de Montegaudio excerptum, collectum
in ordinem que redactwnm. (Prima hujus opusculi editio. Impressa Colonia in
Officina literaria ingenuorum librorum Quintell. Anno Domini 1513, ein
Blatt in 4*').
IT.
U (franz. Ou geschrieben), ein Easselinstrument der Chinesen: ein hölzerner
Tiger mit einem gezackten Bücken, durch Streichen mit einem Holzstab über
diese Zähne (Holzzähne) wurde gerasselt. Abgebildet ist er fast in allen Be-
schreibungen von chinesischer Musik, zuerst bei Pater Amiot.
r. C, Abkürzung für: T7na corda = eine Saite; s. Verschiebung.
U. S., Abkürzung für: Ut supra = wie oben; s. JJt supra.
Ubald, s. Hucbald.
rbaldi, Carlo, geboren zu Mailand gegen 1780, war Professor des Ge-
sanges am Conservatorium daselbst. Die Oper nSirve re di Fersia». wurde in
Turin mit Erfolg aufgeführt, ebenso anderen Ortes die Cantaten rtEro e Leandro<s.
und T>Moisa ed Ahelardoi. Es ist einiges von TJ. bei Riccordi in Mailand ge-
druckt, darunter zwei Pastorale für die Orgel.
Ubaldus — Über. 359
Ubaldns, s. Hucbald.
über, Christian Benjamin, Oberamts-Regierungs-Advokat und königl.
Justiz-Commissar in Breslau, ist daselbst am 20. September 1746 geboren.
Nachdem er auf dem Elisabetanum die nöthige Vorbildung genossen, bezog er
1769 die Universität Halle, um sich dem Studium der Rechtswissenschaft zu
widmen und Hess sich dann 1774 in Breslau als Ober-Amts-Avokat nieder.
Sein Haus wurde zugleich eine Stätte ernster Pflege der Kunst und Wissen-
schaft und ein Sammelplatz der ausgezeichnetsten Vertreter derselben. Sonntags
und Mittwochs fanden bei ihm regelmässig öffentliche Concerte statt, in denen
Quartette und Sinfonien und zuweilen auch kleine Opern aufgeführt wurden.
Er selbst war Virtuos auf mehreren Instrumenten vind componirte eine grosse
Zahl grösserer und kleinerer Werke. Gedruckt sind davon: »Cla risse oder
das unbekannte Dienstmädchen«, komische Oper; »Deukalion und
Pyrrha«, Cautate; die Musik zum Lustspiel: »Der Volontair«; y>Six Diver-
tissements pour le Clavecin avec Vaccompagnement d'une Flute, d''un Violon, deux
Cors de cJiasse et le Sasse«; -»Sonate pour le Clavecin avec V accompacjnement d^un
Violon et de Basse«; »Auszug aus einer Serenata fürs Ciavier«; »Sechs Sonaten
fürs Cla vier mit einer begleitenden Violine«; »Divertissement für den Flügel
mit zwei Violinen, Flöte, Bratsche, zwei "Waldhörner und Bassetel«; »Neun
Divertissements für Ciavier mit Begleitung einer Violine, zwei Hörnern und dem
Bassus. Über starb gegen 1812. Seine beiden Söhne widmeten sich der Musik.
Der jüngere
Über, Alexander, ist 1783 zu Breslau geboren und machte sich nament-
lich als ausgezeichneter Violoncellist einen Namen. Seine Lehrer waren Schnabel,
Janetzeck und Jäger d. A. und der Umgang mit Carl Maria von Weber
und Berner förderte seine Ausbildung wesentlich. Bereits 1804 machte er
erfolgreiche Kunstreisen in Süddeutschland als Cellovirtuos, wurde 1823 Kapell-
meister beim Fürsten Karolath in Karolath, starb aber schon ein Jahr darauf
1824. Von seinen Compositionen sind gedruckt: Concert für das Violoncello
und Variationen für Cello mit Orchesterbegleitung. Sein älterer Bruder:
Über, Christian Friedrich Hermann, ist am 22. April 1781 geboren
und erhielt im elterlichen Hause ebenfalls die sorgfältigste Ausbildung auch
in der Musik. Da er nach dem Willen des Vaters Jura studiren sollte, so
bezog er, nachdem er das Elisabetanum in Breslau absolvirt hatte, 19 Jahr alt
die Universität Halle. Hier übernahm Türk seine weitere musikalische Aus-
bildung und schon 1801 übertrug er ihm die Leitung der Winterconcerte in
Halle. In diesem Jahre trat Über auch bereits mit einem Violinconcert eigener
Compositon in die Oeffentlichkeit. Ende 1803 ging er nach Breslau zurück,
um sich hier ganz seinem ursprünglich gewählten Beruf zu widmen, doch er-
klärte sich der Vater endlich auch damit einverstanden, dass er die Künstler-
laufbahn verfolgte. Gegen Ende 1804 wurde er durch den Fürst Radziwil
veranlasst nach Berlin zu gehen. Hier wurde er mit Bernhard Romberg be-
kannt und durch ihn empfohlen trat er in ein Engagement beim Prinzen Louis
Ferdinand von Preussen, das indess durch die Ereignisse von 1805 und 1806
gelöst wurde. Im Winter des Jahres 1808 folgte er einem Ruf als Violinist
in die Kapelle des Königs von Westphalen nach Kassel und wurde im Januar
1809 Musikdirektor der deutschen Oper. Nach Auflösung des deutschen Theaters
in Kassel, die noch in demselben Jahre erfolgte, war er für die französische
Oper thätig. Der Sturz der Fremdherrschaft in Deutschland 1814 brachte ihn
natürlich um seine Stellung, aber im Januar 1815 finden wir ihn bereits als
Musikdirektor des Nationaltheaters in Mainz thätig; ein Jahr darauf ging er
nach Dresden als Musikdirektor der Seconda'schen Truppe, nach deren Auf-
lösung er sich in Leipzig privatisirend aufhielt, bis er im Februar 1817 zum
Musikdirektor an der Kreuzkirche zu Dresden ernannt wurde, als welcher er
bereits am 2. März 1822 starb. Von seinen Compositionen sind zu nennen
ausser den Opern vLes marins«, »Der frohe Tag«, die Musik zum lOingemann-
■ggQ TJberti — Uebelklang.
sehen »Moses« und zu dem allegorischen Schauspiel y^Saxoniaa; ferner ein Ora-
torium »Die sieben Worte des Erlösers«, Cantaten u. s. w.
Uberti, s. Hubert.
Uberti, Grrazioso, Professor der Eechtswissenschaft zu Cisena in Italien
im 17. Jahrhundert, ist von Allacci als der Verfasser des Buches: nOontrasto
musico in sette farti divisoa (Eoma, Luigi Grrignano, 1630, in 8") bezeichnet.
Uccelli, Mad. Carolina, geborne Pazzini, wurde in Florenz Anfang des
19. Jahrhunderts von wohlhabenden Eltern geboren. Anfänglich betrieb sie die
Musik zu ihrem Vergnügen, jedoch nach dem Tode ihres Gatten, dsr Professor
der Literatur war, machte sie einen Beruf daraus. Im Juni 1830 wurde auf
dem Theater Pergola in Florenz eine Oper r>Saul«, zu welcher sie auch das
Libretto geschrieben hatte, aufgeführt. 1832 folgte -nEmma di Resburgoa nach
dem von Meyerbeer gleichfalls benutzten Texte. Eine dritte Oper: yiEufemio
di Messinaa gelangte nicht zur Aufführung, nur die Ouvertüre wurde in Mai-
land in einem Concerte gespielt. Mit ihrer Tochter, die bei Bordogni als
Sängerin ausgebildet war, unternahm sie später Reisen durch Belgien, Holland
und die Schweiz.
Uccellini, Dom. Marco, Kapellmeister zu Parma um die Mitte des
18. Jahrhunderts, führte daselbst folgende Opern seiner Composition auf: »Le
N'ave d'Eneav-, 1673, liGiove de Mide fulminato«., 1677. Instrumentalcomposi-
tionen erschienen zwischen 1650 — 1660: i>Sonate Sinfonie e correnti a 2, 3 e 4
stromentiv, lib. 1 et 2. -nSonate a 2 e 3 violini, o altri stromentia, lib. 3. -(»Sonate
correnti ed arie a 1, 2 e 3 sfromenti«, lib. 4.
Ud, auch Eud (vergl. Eloud), heisst die arabische Laute, die noch jetzt
im Orient gebraucht ist. Das Saiteninstrument hat ganz die Form der abend-
ländischen Laute, die von dort sammt ihrem Namen entlehnt ist. Der Körper
ist von Holz, gewöhnlich Tannenholz, der Hals von Ebenholz und dergleichen
und häufig sind Schallboden und Hals mit Elfenbein und Perlmutter ausgelegt.
Seine Gesammtlänge steigert sich bis auf 25 Zoll, länger ist das Instrument
selten. Seine Bespannung urafasst im Ganzen 7 Doppelsaiten von Schafdarra.
Gespielt wird es, wie die Laute, mit einer Eidcheh, was im Abendlande eine
Geierfeder war.
Udalschalk von Maissac, wurde 1126 Abt zu St. Ulrich in Augsburg und
starb daselbst 1151. In den Jahrbüchern der Stadt wird er als Dichter und
Tonkünstler gerühmt und die von ihm componirten Hymnen an den heil. Ulrich
und den heil. Afra haben sich an der dortigen Kirche bis in unser Jahrhundert
hinein erhalten. Er hat dazu auch die Musik gesetzt, der Gesang ist nur mit
den damals üblichen Zeichen notirt. Eine Abhandlung: »De Musicav. hinterliess
er im Manuscrij)t.
Udukai, eine indische Trommel, welche beim Tempeldienst in Anwen-
dung kam.
üebelklaug wird fälschlich auch als deutsche Bezeichnung für Dissonanz
angewendet. Selbst die schärfsten Dissonanzen sind keine Uebelklänge, so lange
sie überhaupt noch die Intervallenverhältnisse erkennen lassen. Die schärfste
Dissonanz: die grosse Septime, namentlich in ihrer Umkehrung als kleine Se-
cunde, ist immer noch nicht als Uebelklang zu bezeichnen, wenn sie vorbereitet
und so eingeführt wird, dass die Intervalle noch zu unterscheiden sind. Zu
Uebelk längen werden die Secunden erst, wenn sie sich häufen; die grosse
Septime schon, wenn sie durch stark tönende Messinginstrumente eingeführt
wird. In der Lage wie unter a) sind der grosse Nouenaccord ebenso wie der
kleine nur Dissonanzen und als solche durchaus wohlklingend; in der Lage
wie unter b) wird selbst der kleine Nouenaccord zum Uebelklänge:
a) b)
mi
Ueberblasen — Uebergeliung der Auflösung. 361
Die Häufung der Secunden in den Lagen unter b) stört die Wirkung, so dass
die Töne und Intervalle kaum mehr zu unterscheiden sind und die Dissonanz
wird so wirklich zum Uebelklang.
Ueberblasen nennt man bei den Blasinstrumenten die durch veränderte
Lippenstellung und Luftführung herbeigeführte Erzeugung der sogenannten
Obertöne als Gi'undtöne. Bei Flöten, Oboen und Fagotten ist zunächst durch
Ueberblasen die Octave des ursprünglichen, bei normaler Lippenstellung und
Luftführung erzeugten Tons zu gewinnen. Die zweite Ueberblasung ergiebt
die Duodecime, die dritte die Doppeloctave. Nach derselben Ordnung erfolgt
auch das Ueberblasen bei den Messinginstrumenten. Bei der Clarinette da-
gegen wird, den gedakten Pfeifen der Orgel entsprechend, schon bei der ersten
Ueberblasung die Duodecime gewonnen.
Ueberbläsig heisst eine Oi'gelpfeife, wenn sie einen höhern Ton erzeugt,
als den, den sie ihrer Grösse nach angeben sollte.
Uebergallen heisst das fistulireude Ueberblasen der engmensurirten Orgelpfeifen.
Uebergang, Transition , nennt man die Modulation (s. d.) nach einer
andern Tonart; sie unterscheidet sich von der Ausweichung nur dadurch,
dass diese die neue Tonart nur berührt oder vorübergehend festhält, während
nach einem Uebergange die neue, dadurch gewonnene Tonart meistens zeitweis
als Haupttonart festgehalten wird. So erscheint bei den zwei- und mehrtheiligen
Tonstücken jeder neue Theil in einer neuen Tonart und wenn diese auch vor-
wiegend in nächster Beziehung zu einander stehen, so werden sie doch fast
immer durch einen entschieden in die neue Tonart führenden Uebergang vor-
bereitet, wie bei dem Sonatensatz oder dem Rondo. Bei jenem tritt der
zweite Theil in der Begel in der Dominante oder auch einer der IMedianten
ein, die nicht eigentlich einer modulatorischen Vorbereitung bedürfen, aber diese
wird doch meist von den Componisten mit grosser Sorgfalt ausgeführt. Auch
bei der Fuge wird nicht selten eine oder die andere Durchführung in einer
neuen Tonart eingeführt und diese in solchem Falle zuerst durch einen wirk-
lichen Uebergang gewonnen. Die Zwischensätze der Fuge aber moduliren
meistens nach fremden Tonarten, so dass, wenn wieder eine Durchführung
im Hauptton eintreten soll, dieser erst wieder durch einen Uebergang gewonnen
werden muss. Von besonderer Bedeutung wird der Uebergang für unsere mo-
derne Musik, namentlich in der ausübenden Praxis. Wenn ein Ciavierspieler
in die Lage kommt, Stücke aus verschiedenen Tonarten, die unter sich nicht
nähere Beziehung haben, vorzuspielen, so wird er sich den Erfolg sehr beein-
trächtigen, und nicht selten sogar Unbehagen erzeugen, wenn er das thun wollte,
ohne die neue fremde Tonart durch einen Uebergang vorzubereiten. Nach einem
Stück aus C-dur kann er ein neues aus Ä-moll, G-dur, F-dur, JE-moll spielen,
aber brächte er eins aus H-, £-, Des- oder D-dur unmittelbar darauf, so würde
er damit feiner organisirte Ohren beleidigen, jedenfalls aber für sie den Anfang
des neuen Stücks abschwächen, weil das Ohr, das noch die C-Jwr-Tonart fest-
hält, erst an die neue Tonart sich gewöhnen muss, um zum ruhigen Genuss
zu kommen. Hier ist es zweckmässig, die neue Tonart durch einen geschickt
ausgeführten Uebergang zu gewinnen. Begleitet aber der Ciavierspieler zum
Gesänge, dann wird ein solcher Uebergang auch in den Fällen meist nöthig
und zweckmässig, in denen er bei der Ausführung von Ciavierstücken über-
flüssig erschien, wenn diese in näher verwandten Tonarten geschrieben sind.
Für den Sänger dagegen ist es durchaus nöthig, der Tonart immer sich be-
wusst zu sein und es ist daher meist eine grosse Hülfe für ihn, wenn er selbst
beim Wechsel nach verwandten Tonarten in die andere Tonart des neuen Ge-
sangsatzes durch einen Uebergang eingeführt wird.
Uebergehung der Auflösung einer Dissonanz oder eines dissonirenden
Accordes (JEllipsis, Katachrestische Auflösung). Eine solche findet schon statt,
wenn ein Intervall eine andere als die ursprünglich normale Wendung nimmt,
ohne den harmonischen Gang zu verändern:
362
a)
<=5
Ueberladen.
b)
—»--
-R-
=^=i«i=^^
.. (= .
i^EM. :
-eü- Pg—
t -
— •—
-^ —
F=*» • ••-•i=]
— ^ —
'?=?■
Doch bezeichnet man diese Fälle besser als verzögerte Auflösungen, da es um-
ständlicher erscheint a) als vereinfachte Darstellung von b) zu betrachten. That-
sächliche Uebergehung der Auflösung ist es, wenn, wie in folgenden Beispielen
dissonirende Accorde einander folgen, durch welche eine Ausweichung herbei-
geführt wird:
a) b)
I I uJ
=it:=:=s=i:=^
-•-
-»-
--^
I
I II'
Die normale Auflösung unter b) ist bei a) verlassen, indem die Auflösung des
ersten Dominantaccordes unterdrückt und übergangen, er ohne Weiteres in
einen andern Dominantaccord geführt wird, ebenso wie in den folgenden Bei-
spielen unter a):
a) b)
I I I
Ueberladen ist ein Kunstwerk, wenn die an sich untergeordnetem Einzel-
heiten, die nur als nähere Erläuterungen oder als Ausschmückungen des Ganzen
erscheinen sollen, sich so häufen und so vorherrschen, dass sie den einheitlichen
Gesammteindruck stören, Verständlichkeit und Uebersichtlichkeit desselben er-
schweren. Freilich hängt dies auch viel von dem das Kunstwerk Betrachtenden
und Geniessenden ab. Die Fähigkeit, diese Einzelheiten aufzufassen und sie
fortwährend im Zusammenhange zu geniessen und im Verhältniss zum ganzen
Kunstwerk zu erfassen, ist natürlich in sehr verschiedenen Graden vorhanden,
so dass dem Einen das noch dürftig erscheint, was der Andere schon für über-
laden erklären muss. Das Maass für Einführung, Ausdehnung und Durch-
arbeitung dieser Einzelzüge des Kunstwerks ist deshalb sehr schwer zu be-
stimmen. Die instrumentale Begleitung zum Gesänge erscheint überladen, wenn
sie diesen verdeckt und seine Wirkung beeinträchtigt. Bei der Verbindung
von Gesang und Instrumentalmusik bleibt ersterer immer die Hauptsache und
wo die Begleitung solche Bedeutung gewinnt, dass sie jenen beeinträchtigt und
in den Hintergrund drängt, darf man sie mit vollem Becht als überladen be-
zeichnen. Ebenso häufig wie der instrumentalen Ueberladung begegnet man
der harmonischen. Diese tritt da ein, wo sich Accord auf Accord häuft,
ohne dass die Tonart oder auch die Tonarten eine bestimmte Ausprägung ge-
winnen, so dass auch Melodie und Rhythmus in ihrer Entfaltung gehindert
werden. Die Forderung, dass auch bei dem grössten Beichthum der aufge-
botenen und verwendeten Harmonik dennoch die Haupttonart und Hauptton-
arten als solche geltend bleiben und dass dabei die Melodie in freiester Ent-
faltung diese harmonischen Massen in Fluss bringt und der Bhythmus mit
seiner ordnenden Macht sie übersichtlich gruppirt, ist keine individuelle, von
grösserer oder geringerer Fähigkeit abhängige, sondern in der Idee des Kunst-
werks bedingt und ihre Erfüllung lässt dies in reichster Ausstattung, aber
ohne Ueberladung, entstehen, wie unsere grossen Meister von Palestrina bis
auf die Gegenwart gezeigt haben. Im vorigen und noch in der ersten Hälfte
des gegenwärtigen Jahrhunderts musste sich die Melodie eine eigne Art lieber-
Ueberlee — Ueberleitung. 363
ladung gefallen lassen, indem sie die Sänger, um ihre Kehlfertigkeit zu zeigen,
so mit Coloraturen und Schnörkeln überluden, dass man fast keinen gehaltenen
Ton mehr zu hören bekam und diese Weise fand auch im vorigen Jahrhundert
namentlich im Clavierstil weite Verbreitung. Zum Charakterisiren der ver-
werflichen Vortragsart, die auf Erzielung äusserer Effekte durch scharfe
Accente, häufige Gegenüberstellung von Forte und Piano, von Crescendos und
Decreseendos, von Hitardandos und Accelerandos u. s. w. berechnet ist, bedient
man sich weniger der Bezeichnung überladen; diese Art heisst vielmehr ma-
nierirt, um zugleich anzudeuten, dass die Anwendung von an und für sich
reizvollen Kunstmitteln zur Unnatur geworden ist, dass diese nicht die ent-
sprechende Verwendung finden.
Ueberlee, Felix Wilhelm Adalbert, königl. Musikdirektor, Gesanglehrer
an der Louisenstädtischen Realschule, Cantor und Organist an der Dorotheen-
städ tischen Kirche und Dirigent des Gesangvereins Dorothea in Berlin, ist
daselbst am 27. Juni 1837 geboren, besuchte das Gymnasium zum grauen
Kloster und, da er die Musik zu seinem Lebensberuf erwählt hatte, das
Conservatorium der Musik in Berlin, später das Kircheninstitut und die
königl. Akademie. Hier gewann er 1862 die silberne Medaille und 1864 mit
einem Te deum laudamus für Solo, Chor und Orchester den Michel-Beer'schen
Preis, bestehend in einem Stipendium zu einer Studienreise nach Italien, die
er in den Jahren 1864 — 1865 ausführte. 1865 wurde er Organist an der
Bartholomäuskirche, 1866 an der Dorotheenstädtischen Kirche und 1867 Ge-
sanglehrer an der Louisenstädtischen Gewerbeschule. Seit 1873 ist er auch
bei den sonntäglichen Hausandachten in der Kronprinzlichen Eamilie thätig.
Von seinen Compositionen sind nur einige kleinere gedruckt: Lieder, Ciavier-
stücke, Quartette u. s. w. Ein Oratorium »Das Wort Gottesa brachte er
1872 zur Aufführung; ein Requiem für Solo und Chor 1873, ein Stahat mater
für Solo und Chor 1874 und ein zweites Oratorium »Golgatha« 1878. Ausser-
dem sind noch drei Opern: »Egmont«, »Karin« und eine Komische »Weiberlist«
gleichfalls im Manusci-ipt beendet.
Ueberleitung-, nicht zu verwechseln mit Uebergang, obgleich beide immer-
hin nahe verwandt sind. Der Uebergang ist allerdings auch eine Ueber-
leitung im strengsten Sinne des Worts, allein in der Regel bezeichnet man
damit die meist kurzen, oft auch weiter ausgeführten Zwischensätze (s. d.),
durch welche die Hauptsätze der grössern Instrumentalformen, des Sonaten-
und Rondosatzes verbunden werden; bei der Fuge heissen sie Zwischen-
harmonie (s. d.). Die Ueberleitung ist in der Regel auch mit einem
Ueber gange verbunden, häufig wird dieser auch zu einer Ueberleitung
ausgeweitet, aber dennoch müssen beide Begriffe streng auseinandergehalten
werden, da sie im Grunde etwas Verschiedenes bezeichnen. Der Uebergang
soll eben nur die neue Tonart vorbereiten, er bezieht sich nur auf die Har-
monik bestimmter Tacte; durch die Ueberleitung dagegen sollen grössere,
weitausgesponnene Hauptpartien von bestimmtem und verschiedenem Charakter
verbunden werden; hierbei kommt dann nicht nur die Harmonik in Betracht,
sondern hauptsächlich der Inhalt der zu verbindenden Partien. Im Artikel
Rondoform ist nachgewiesen worden, wie hier einem Liedsatz von bestimmtem
Inhalt ein anderer von ebenso bestimmtem aber gegensätzlichem Ausdruck ent-
gegengestellt wird und dass, um diese Contraste etwas zu vermitteln, oder sie
auch in andern Fällen noch bestimmter heraustreten zu lassen, dem ersten
Satze des Rondo, dem Liedsatz, eine Ueberleitung folgt und dann erst der
Gegensatz, und dass diesem dann auch nicht wieder unmittelbar darauf der
erste Liedsatz folgt, sondern dass wiederum eine Ueberleitung die neue Ein-
führung des Liedsatzes herbeiführt. Natürlich werden beide Ueberleitungen
verschieden ihrem Charakter und Inhalt nach sein müssen, da sie von ver-
schieden charakterisirten Partien aus, und nach solchen auch wieder zurück
gehen. Wir deuteten mehrfach an, dass in der Regel der harmonische Apparat
364
Ueberlegen — TJebermässiger Sextaccord.
einen Uebergang nicht absolut nöthig erscheinen lasse, da diese Partien meist
auch in näher verwandten Tonarten gehalten sind, aber der ideelle (rehalt
macht eine solche Verwendung als TJeberleitang nöthig. Das gilt auch von
dem eigentlichen Sonatensatz; der erste Satz desselben, der Hauptsatz
geht in der Regel in eine Ueberleitung aus: dann erst tritt der Seitensatz
auf; nicht selten wird dann auch der Durchführungssatz durch eine Ueber-
leitung eingeführt und ebenso der dritte Theil, der die mannichfach modificirte
"Wiederholung des ersten Theils bringt. Aehnliche Bedeutung gewinnt auch
die Ueberleitung bei grössern Yocalwerken: Oper und Oratorium. Hier
erwächst oft die Nothwendigkeit, die einzelnen entschieden ausgeprägten und
auch abgeschlossenen grösseren Formen unter sich äusserlich zu verbinden;
dies geschieht dann ebenfalls durch eine Ueberleitung, die denselben Gre-
sichtspunkten unterliegt, wie die beim Rondo oder dem Sonatensatz, Auch
hier gilt es nicht nur, etwa eine Lücke auszufüllen, um auch äusserlich anzu-
zeigen, dass der Fortgang der dramatischen Entwickelung keinen Stillstand er-
leidet, sondern es sollen die betreffenden Tonsätze so verbunden werden, dass
dadurch auch die dramatische Darstellung unterstützt, der dramatische Verlauf
der betreffenden Situation verständlicher wird.
Ueberlegen, die eigenthümliche Fingersetzung, nach welcher man den län-
gern vierten Finger unter Umständen auch über den kürzern fünften, den
kleinen Finger setzt:
12 3 4 5 4
^i^|i:
Uebermässig, swperfluum, heissen alle um einen kleinen Halbton erhöhten
reinen und grossen Intervalle. Diese Erweiterung des ursprünglichen grossen
Intervalls kann auf doppelte "Weise hervorgebracht werden, entweder durch
Erhöhung der obern a), oder durch Vertiefung der untern Töne b):
a) 1.
3.
b)
:ü
f?^
:ö^
^^
'^^
■^^
^
Uebermässige Prime, die Erhöhung der Prime um einen Halbton, oben
unter a) und wohl zu unterscheiden von der kleinen Secunde c — des, dem auf
zwei verschiedenen Stufen der diatonischen Tonleiter liegenden grossen Halbton.
Uebermässige Quart, quarta superflua, auch Tritonus, das aus drei
Ganzstufen bestehende Intervall — oben unter a) 3 — daher der Name Tri'
tonus (s. d.).
Uebermässige Quint, quinta superflua, das aus vier Ganzstufen be-
stehende Intervall, oben unter a) 4.
Uebermässige Secunde, secunda superflua, das aus einer Ganz- und
einer kleinen Halbstufe bestehende Intervall, oben unter a) 2.
Uebermässige Sexte, sexta superflua, das aus fünf Ganzstufen bestehende
Intervall, oben unter a) 5.
Uebermässiger Drelklaug, Trias superflua, der aus zwei grossen Terzen
bestehende Dreiklang:
a^
Näheres unter Dreiklaner und Alterirte Accorde.
Uebermässiger Sextaccord, der Sextaccord mit grosser Terz und über-
mässiger Sext als erste Umkehrung des durch Erhöhung seines Grundtons alte-
rirten Molldreiklangs ;
Uebermässiger Terzquartaccord — Uebersetzen.
365
P
^ '•'gy
t=
=i— Ife
w
-BS ijg
-ü'
a=^
fe=
a
Uebermässiger Terzquartaccord mit grosser Terz, übermässiger Quart und
Sext als zweite Umkehrung des alterirten Septimenaccordes: *
Ueberschlag, s. üeberwurf,
Uebersclilagen, das Kreuzen der Hände beim Ciavierspielen, so dass die
rechte Hand unter die linke zu stehen kommt, und die l'nterstimme spielt,
oder dass die linke über die rechte tritt und die Oberstimme spielt, s. mano
destra und sinistra.
Ueberschlageu, franz. Octavier, bei Blasinstrumenten durch stärkeres An-
blasen die höhere Octave des ursprünglichen Tons angeben, s. Ueber blasen.
Ueberscblasreude Haue, eine Blasmanier der Ti-ompeter, ein sogenannter
Zungenschlag, der sich von der sogenannten schwebenden Haue dadurch
unterschied, dass diese auf einem Ton aasgeführt wurde, während die über-
schlagende Haue aus zwei Accordtönen bestand:
Schwebende Haue. ff clim
Ueberschlagende Haue.
pp eres - cen - do ff to - ho to - ho to, to - ho to- ho to.
Die hier beigegebenen Silben deuten die Art der Ausführung an. Altenburg
giebt darüber*) Auskunft. Er sagt pag. 92: »Die deutschen und gelernten
Trompeter haben besonders in diesem Feldstückblasen vor andern einen grossen
Vorzug, denn sie bedienen sich hierzu gewisser Manieren und Vortheile, wo-
durch das Feldstück- und Principalblasen sehr ausgeschmückt und ver-
bessert wird. Sie heissen: die Zunge oder der Zungenschlag und Haue.
Die erste benennet man darum so, weil man sie nicht anders als durch einen
gewissen Schlag und Stoss mit der Zunge, vermittelst Aussprechung etlicher
kurzer Silben in das Mundstück hervorbringen kann. Dieser Zungenschlag ist
von verschiedener Art; denn man braucht hierzu sowohl bei der einfachen als
doppelten Zunge nicht einerlei Aussprache der Silbena. Für die verschiedenen
Arten der Zunge giebt er dann die Silben: »ritirifonn oder ■atitilciton«. und »^i-
ritiritoTKi oder ytihitikitonn an. Er fügt dann noch hinzu: »Ausserdem ist noch
zu erinnern, dass die Haue nur am Ende beim Feldstück- und Tischblasen,
keineswegs aber, doch nur selten, in der Mitte oder beim Principal stattfindet«.
Uebersetzen, Bezeichnung für eine Art der Fingersetzung — Applicatur,
durch welche die Instrumentenspieler es ei'möglichen, den gesammten Tonreich-
thum mit fünf resp. zehn Fingern hervorzubringen. Beim Ciavierspiel ge-
schieht es dadurch, das man den zweiten, dritten und vierten Finger über den
Daumen setzt:
5 4_
*) „Versuch einer Anleitung zur heroisch-musikalischen Trompeter- und Paukerkunst'
Halle, 1795.
366
Uebersetzen — üeber- und Unterstei^en.
Bei den Streichinstrumenten geschieht das Uebersetzen so, dass die
Hand vorwärts rückt und der erste Finger den Ton greift, der vorher vom
zweiten, dritten und vierten Finger gegriffen wurde:
3 4 3
I 2 3 I 2 3
fe"^'E^|p^=ffe==F=^|:=fe:
.,.JC
±it
Beim Pedalspiel bei der Orgel erfolgt das Uebersetzen, wenn der Fuss sich
über die SjDitze des andern hebt; wenn er hinter der Ferse sich vorbewegt
heisst dies Untersetzen:
linker, rechter.
1.
1.
1.
^
Uebersetzen.
Absatz. Spitze.
Unter- Ueber-
setzen. setzen.
Untersetzen.
Absatz. Spitze.
Uebersetzen beim Pfeifenwerk der Orgel, auch Uebergallen genannt,
heisst die zu scharfe Intonation, wodurch das Ueberschlagen derselben in die
Octave oder Decime herbeigeführt wird.
Uebersing'er wurde in den Meistersingerschulen derjenige Sänger genannt,
welcher bei dem sogenannten Haupt- und Wettsingen den ersten Preis
gewann. Dieser bestand in dem sogenannten Kleinod, dem Davidsgewinner,
s. Meistergesang.
Ueber- und Untersteig'en, das Durchkreuzen der Stimmen, so dass im mehr-
stimmigen Satz zeitweis eine höhere unter eine tiefere Stimme zu liegen kommt.
Es wird dies zum Theil aus der mehr äussern Rücksicht, um falsche Fort-
schreitungen zu vermeiden, unternommen, theils aber, und das ist die höhere
Weise, um den selbständigen Gang der Stimmen nicht zu unterbrechen. Wenn
Bach in den nachstehenden Stellen aus Choralbearbeitungen den Alt unter
den Tenor führt:
E^
3£
■»-0
M^"-
rj T
I
JL I
-^
^^1
'J
jl5: = = .j.
ä^
i^^
--^
--^
1^^
^
so thut er dies allerdings zunächst um Octaven zwischen Alt und Bass zu ver-
meiden, allein zugleich erhält der Alt durch die neue Führung eine wesentlich
bessere Melodie. Bei den älteren Italienern, auch noch bei Palestrina, war
diese Weise der Verwendung der Octave nicht selten und zwar in noch aus-
gesprochenerer Weise wie bei Bach, so dass die accordische Wirkung durchaus
auf Quinten und Octaven beruht b), die nur durch die Kreuzung der Stim-
men aufgehoben werden a):
/
9 "'
-/ ^ —
— CS
b)
s^ —
<=l
1
.CS-
"^ — ^
CS —
C2
Si 1
^ —
— =
— s 1
— ^ 1
Wirklich künstlerisch gerechtfertigt ist natürlich jene Kreuzung der Stimmen,
weiche dadurch herbeigeführt wird, dass die eine Stimme einen bedeutsamen
melodischen Gang ausführt, wie häufig bei Job. Seb. Bach:
1)
Uebertheilendes Verhältuiss' — Uebungen. 367
2) So wird auch. der
K^.-4
=E
:5=:;^
'•-4—^^
Je - SU mei- ne Freu
r
-^7*-
m^^^"^
wird auch, der
Im ersten und zweiten Beispiel wird der Tenor an den bezeichneten Stellen
über den Alt geführt; im dritten geht der Tenor anfangs unter den liegenden
Bass, und dann steigt dieser über den auf g ruhenden Tenor, der zweite Sopran
aber geht, um sich in seinem melodischen Gange nicht aufhalten zu lassen,
unter den Alt, der wiederum, seinem melodischen Zuge folgend, nach h steigt.
Zu macht- und glanzvoller "Wirkung wird diese Kreuzung unter andern auch
von Händel in seinem »Judas Maccabaeus« angewendet:
Stimmt an ! Zi-on hebt ihr Haupt, hebt ihr Haupt em - por!
\
Stimmt an!
ihr Haupt
em
hebt ihr Haupt em - por.
por. Stimmt ihn an.
Stimmt ihn an !
stimmt ihn an !
:»J. I
mä
-^^
t:^
:!=
em - por!
Uebertheilendes Verhältuiss, Batio superpartiens, heisst ein Yerhält-
niss, bei dem die grössere Zahl die kleinere ganz enthält und noch einige
Theile derselben, wie das Verhältuiss der Sext: 8:5.
Uebertheiliges Verhältniss, Batio superparticularis, dagegen wenn
die grössere Zahl die kleinere ein Mal ganz und noch einen Theil derselben
enthält, wie das der Quint 2:3, der Quart 3:4, der Terz 4:5 u. s. w.
Ueberwurf oder TJ eberschlag nannte man früher wohl auch den auf-
steigenden Xachschlag (s, d.).
Ueberzielien, das Herüberziehen des einen Tons nach dem andern, beim
Vortrage der Cantilene namentlich angewendet. Auch bezeichnet man damit
die fehlerhafte zu hohe Intonation beim Gresange, im Gegensatz zu der eben
so fehlerhaften zu tiefen Intonation, welche Unterziehen heisst.
Uebungen nennt man die Tonstücke, die zur leichteren und sicheren Er-
langung gewisser technischer Fertigkeiten geschrieben werden. Haben sie eine
bestimmte, in sich abgeschlossene Form, meist die des Präludiums, so heissen
sie Etüden oder Studien, für den Gesang Solfeggien (s. d.). Ausserdem
368 ■ Ugab - ULde.
erhalten sie besondere Namen nach den bestimmten Zwecken, welche sie ver-
folgen; die meist formlosen Fingerübungen sind Uebungen, welche beson-
ders die Kraft und Geläufigkeit der Finger anstreben sollen, wie die Hand-
gelenkübungen die Leichtigkeit des Gebrauchs des Handgelenks; die Uebungen
zur entsprechenden Ausführung des Trillers heissen Trillerübungen; die
auf die Tonleiter gebauten technischen Studien Tonleiter Übungen. Die
ebenfalls meist formlosen, nur aus tonleiterartigen und arpeggirenden Figuren
zusammengesetzten Stimmübungen verfolgen den Zweck die Stimme einzu-
singen und ihr Geläufigkeit zu geben. Auch besondere contrapunktis che
und harmonische Uebungen, ebenso wie rhythmische, sind nothwendig
zur Beherrschung der contrapunktischen Formen, wie der harmonischen und
rhythmischen Darstellungsmittel.
Ugab, Ugahh, wahrscheinlich der Gesammtname für Blasinstrumente in
der althebräischen Musik zum Unterschiede von Kinnor, unter welchen die
Saiteninstrumente zu verstehen sein werden. Jubal wird als der Erste genannt
derer, die mit Kinnor und Ugab umzugehen wissen, und Hiob 21, 12 heisst
es: »Sie jubeln bei Adufe und freuen sich beim Ugab-Schalle«.
Uglierio, Pompe o, Yirtuose auf der Doppelharfe und Tanzmeister zu
Mailand im Anfange des 17. Jahrhunderts, zeigte sich auch als Componist in
dem folgenden von ihm herausgegebenen "Werke: i>Salletti, Gagliarde e Correnti
a 3, eioe 2 Canti et il B con partituraa (Milano, 1627).
TJgolino, Blasius, venetianischer Priester und Gelehrter, lebte um die
Mitte des 18. Jahrhunderts. Er veröffentlichte in den Jahren 1744 — 1769
34 Bände in Folio über hebräische Alterthümer. Die umfangreichste derartige
Sammlung führt den Titel: y>Thesaurus antiquitatum sacrarum, complectens selec-
tissima clarissimorum virorum puscula, in quibus veter um Sehraeorim mores, leges,
instituia, ritus sacri et civiles illustrantura (Venetiis, 1744 — 1769). Der Inhalt
des 32. Bandes bezieht sich ausschliesslich auf die hebräische Musik. Zehn
Kapitel des y>ScJiilte Sagrjihoruma, welche von der hebräischen Musik handeln,
sind von Ugolino aus dem Hebräischen ins Lateinische übersetzt.
Ugolino, auch Ugolini, mit dem Beinamen D'Orvieto, nach seiner
Geburtsstadt desselben Namens benannt, lebte im 14. Jahi-hundert und schrieb
die Abhandlung »De Musica mensurataa, welche die Bibliothek Casanaterse in
Rom besitzt; früher befand sich dieses Manuscript im Besitze des Abbe
Baini daselbst.
Ugolino, Vincenzo, auch Hugelinus, gelehrter Kirchencomponist, in
Perugia in der Mitte des 16. Jahrhunderts geboren, war ausgezeichneter
Kirchencomponist und Lehrer. Er kam jung nach Rom und wurde dort der
Schüler von Bernardino Nanini. 1603 übertrug man ihm das Amt des Kapell-
meisters an Maria Maggiore zu Rom, doch bereits 1604 wurde er von einer
so schweren Krankheit heimgesucht, dass er erst 1609 wieder in Thätigkeit
treten konnte, man hatte ihn aber seiner Verdienste halber im Amte belassen.
Im genannten Jahre ging er nach Benevent in eine ähnliche Stellung, kehrte
aber 1615 nach Rom zurück und übernahm die Kapellmeisterstelle an St. Luigi,
bis er 1620 an die Kapelle des Vaticans berufen wurde. Im Februar 1626
nahm er krankheitshalber seinen Abschied und starb noch in demselben Jahre.
Ugolini war einer der gelehrtesten Musiker der römischen Schule und berühmt
als Lehrer; zu seinen Schülern gehört Horace Benevoli. Yon seinen Compo-
sitionen erschienen im Druck: »Zwei Bücher achtstimmiger Motetten« (Rom,
Zannetti, 1614). »Zwei Bücher fünfstimmiger Madrigale« (Venedig, Vincenti,
1615, in 4**). »Vier Bücher ein-, zwei-, drei- und vierstimmiger Motetten mit
Bass continuo für die Orgel« (ibid. 1616, 1617, 1618 und 1619, in 4"). »Zwei
Bücher achtstimmiger Psalme« (ibid. 1620). »Zwei Bücher Messen und Mo-
tetten für acht und zwölf Stimmen« (Rom, Soldi, 1622). -aSalmi et motetti a
12 vocid (Venedig, Vincenti, 1624, in 4**).
Ulide, Johann Otto, königl. Kammergerichtsrath, Criminalrath und Hof-
Ul-hieu - Ulrich. 369
richter zu Berlin, wurde am 12. Mai 1725 zu Insterburg in Ostpreussen ge-
boren. Sein Vater, Hofgerichtsratb daselbst, hatte ihn zwar gleichfalls für die
juridische Laufbahn bestimmt, aber er Hess ihm zugleich auch eine sorgfältige
Ausbildung in der Musik zu Theil werden. 1739 wurde er nach^erlin versetzt
und auf dem Joachimsthal'schen Gymnasium, das der Sohn nunmehr besuchte,
wurdeauch die Liebe zur Musik in diesem wach gehalten und gepflegt. In den
Musikzirkeln des Ministers von Hoppe fand er bereits Gelegenheit, als Solist
auf der Violine mit Beifall aufzutreten und auf den Eath des Ministers nahm
er noch Unterricht bei dem bedeutenden Geiger Simonetti und studirte bei
Schaffrath Ciavier. Im Jahre 1743 bezog er die Universität in Frankfurt
a. 0., wurde 1746 Auskultator und 1748 Hof- und Kammergerichtsrath in
Berlin. Dabei blieb die Musik seine stete Genossin, bis er am 22. Decbr. 1766
starb. Von seinen Compositionen sind zu erwähnen: y^Temistocle«, Op. di
Metastasio, aus der mehrere Arien im »Musikal. Allerlei« gedruckt erschienen.
Eine Cantate auf den Sieg bei Torgau, eine ital. Cantate auf den Geburtstag
Friedrich IL und die Cantate: »Die Grazien«, Text von Gerstenberg; ferner
Sinfonien, Concerte, Soli, Trios, Lieder u. dergl.
ül-hien und Sanhien, zwei Saiteninstrumente der Chinesen, nur in einigen
Gegenden Chinas bel:annt, wahrscheinlich indischen Ursprungs (s. Bd II pag.
399 dieses Lexikons).
l'libiscliefiF, s. 0 ulibische ff.
Ulich, Johann, Cantor und Componist zu "Wittenberg gegen Ende des
17. Jahrhunderts, war zu Leipzig geboren und veröffentlichte: »Kurze Anlei-
tung zur Singkunst, in einer Tabelle abgefasst« ("Wittenberg, 1678, in Fol.,
drei Bogen). Ferner hat er noch Concerte mit viel Singstimmen und Instru-
menten und religiöse Gesänge, theils stark, theils schwach besetzt, und andere
Compositionen geschrieben.
XJlloa, Pedro, Jesuit in Spanien, lebte im Anfange des 18. Jahrhunderts
zu Madrid. Er veröffentlichte eine musikalische Abhandlung: y^Musica universal,
0 principios universales de la musicaa (Madrid, 1717, in Fol.).
Ulrich, Carl Ernst Hermann, Pastor zu Sj)rottau in Schlesien, geboren
am 21. Februar 1795 zu Bolkenhain in Nieder-Schlesien, war in der Musik
gründlich gebildet. Er erhielt zuerst vom Cantor Kadelbach, dann in Hirsch-
berg, während er das dortige Gymnasium besuchte, beim Organisten Kahl und
später in Breslau, wo er studirte, bei Schnabel und Berner Musikunterricht.
Nachdem er die Feldzüge 1813 — 14 mitgemacht, wurde er Prediger in Sprottau.
Es erschienen einige Compositionen von ihm im Druck: »Kleine Liedersamm-
lung u. s. w.« (Breslau, Grass). »Versuche einiger Ciavier- und Gesangstücke«
(Leipzig, Breitkopf & Härtel). »"Wandliedertafeln«, Sammlung von zwei-, drei-
und vierstimmigen Liedern und Chorälen für den Schulgebrauch (Kassel, Luckhart).
Ulrich, Eduard, geboren zu "Weimar 1795, erhielt daselbst von Haase
Unterricht im Violoncellspiel und in Berlin eine Zeit lang im Contrapunkt,
worauf er mit 16 Jahren als Cellist in die "Weimarer Hofkapelle eintrat. Die
Opern »Der treue Eckard« und »Der Eremit« wurden 1841 am dasigen Hof-
theater aufgeführt. Gedruckt sind: »Erstes und zweites Concertino für Hörn
und Orchester« (Leipzig, Breitkopf & Härtel); einige Solos für Violoncello
und Fagott.
Ulrich, Hugo, einer der begabtesten Componisten der Gegenwart, wurde
am 26. Novbr. 1827 zu Oppeln in Schlesien, wo sein Vater Gymnasialoberlehrer
war, geboren. Beide Eltern waren für Musik begeistert; der Vater als Ciavier-
spieler geschätzt und die Mutter sang namentlich Mozart'sche Arien mit viel
Geschmack und Verständniss. Diese ersten Eindrücke im elterlichen Hause
waren natürlich von entscheidendem Einfluss auf seine spätere Laufbahn. Nach-
dem er im neunten Jahre bereits seinen Vater verloren hatte, ertheilte ihm der
Rector Kotzoldt Ciavier- und Orgelunterricht, und seine Fortschritte hierin
waren so ausserordentlich, dass die Einsichtigern unter seiner Umgebung über
Musikal. Convers.-Lexikon. X. ^4
370
Ulrich.
den späteren Beruf des aussergewöhnlichen Knaben keinen Augenblick im
Zweifel waren. Kaum zwölf Jahre alt verlor er auch die Mutter durch den
Tod und so wurde er früher als unter gewöhnlichen Verhältnissen in den
Kampf des Lebens hinausgeführt. Er kam zunächst auf das Gymnasium St.
Matthias und ward in das mit demselben verbundene Convict aufgenommen,
in welchem arme Schüler Unterhalt und freien Unterricht erhalten, wofür sie
die Kirchenmusik auszuführen haben. Er wirkte hier als Altist und hatte
beim Glymnasialgottesdienst die Orgel zu spielen. Hier erhielt er auch den
ersten Unterricht im Generalbass durch den damaligen Domorganisten Brosig;
Die Musik nahm ihn nunmehr bald so gefangen, dass er sich jetzt schon ihr
ganz zu widmen entschlossen war; allein dem widersetzten sich Vormund und
Verwandte ganz entschieden. Ulrich ging 1846 nach Glogau, um hier seine
Gymnasialbildung zu vollenden, und Ende desselben Jahres nach glücklich be-
standenem Abiturientenexamen bezog er die Universität Berlin, aber mit dem
entschiedenen Vorsatz, sich ganz der Musik zu widmen. Er war von dem
Breslauer Universitätsmusikdirektor Mosewius an Marx gewiesen, allein da er
zu unbemittelt war, um Honorar zahlen zu können, nahm ihn Marx nicht zum
Schüler an. Auf die Verwendung von Meyerbeer genoss er aber den Unter-
richt Dehn's durch länger als zwei Jahre und dieser wurde so fruchtbringend
für ihn, dass er mit seinen ersten Werken für Kammermusik schon (das Dehn
gewidmete Trio op. 1) wie mit seinen beiden Sinfonien das allgemeinste Auf-
sehen erregte. Seine H-moll-Sinionie, welche 1852 erschien, machte bald
die Bunde durch die meisten bedeutenden Concertinstitute Deutschlands und
mit seiner Sinfonie triompliale gewann er 1853 den von der Königl. Bel-
gischen Akademie zu Brüssel ausgeschriebenen Preis von 1500 Frc. und die
erste Aufführung der Sinfonie in Brüssel am 27. Septbr. 1853, der er bei-
wohnte, brachte ihm zugleich den begeisterten Beifall des Publikums; den
gleichen Erfolg hatte die Sinfonie bei jeder Aufführung an den verschiedenen
Orten, und mit den gespanntesten Erwartungen sah man neuen Schöpfungen
des jugendlichen Componisten entgegen. Ulrich hatte sich in diesen "Werken
vollständig als Künstler von Gottes Gnaden offenbart, dass man das Höchste
von ihm glaubte erwarten zu müssen. Dass er diese Hoffnungen nicht erfüllte,
verschuldet zumeist die Erbärmlichkeit unserer gesammten Musikverhältnisse,
die nur die Mittelmässigkeit trägt und begünstigt, bedeutendere Naturen aber
zum erbittertsten Kampfe nöthigt. Ulrich war eben zu bedeutend, um von
unsern modernen Musikverhältnissen getragen zu werden, aber er hatte auch
den Muth nicht, mit ihnen auf Tod und Leben zu kämpfen und so — verkam
er trotz seiner herrlichen Begabung leider unter Handwerkerarbeit. Im Sep-
tember 1855 war es ihm endlich beschieden, das Land seiner Sehnsucht, Italien
zu sehen, das er mit den grossartigsten Plänen zu neuen "Werken betrat; er
lebte in Venedig, Turin, Genua, Rom und Mailand und nachdem er sich zuerst
ganz dem ungeti'übten Genuss des "Wunderlandes hingegeben hatte, begann er
auch wieder zu arbeiten. Eine Oper: -oBertran de Borna-, zu der ihm
Max Ring den Text geschrieben hatte, beschäftigte ihn neben andern ernsthaft,
bis ihn die äussern Umstände wieder nach Deutschland trieben. Im März 1858
kam er wieder nach Berlin zurück und sah sich bald von dem Ernst des Lebens
so erfasst, dass ihm die Schaffensfreudigkeit seiner Jugendjahre ganz vollständig
verloren ging. Unterricht zu ertheilen war ihm so widerwärtig, dass er es
bald vollständig auferab, nur kurze Zeit war er als Lehrer am Conservatorium
thätig; dann aber führte er, um sein Leben zu fristen, Arrangements für Cia-
vier aus. Diese gehören zum Besten, was auf diesem Gebiete zu leisten ist ;
aber er selbst ging dabei zu Grunde. "Wohl brachte er noch den grössten
Theil seiner Ojaer fertig, auch neben manchem Andern eine dritte Sinfonie
in G-dur, allein Zeit und Menschen "hatten ihm alle Lust am Schaffen geraubt,
er vei'mochte nichts mehr zu arbeiten, was seinen ersten "Werken auch nur ent-
sprach. Dazu zeigten sich in den letzten Jahren seines Lebens bereits die
Ultima
Umfang.
371
ersten Spuren der fürchterlichen Krankheit, einer schmerzhaften Nierenkrank-
heit, der er am 23. März 1872 erlag. Er ruht in Berlin auf dem Katholischen
Kirchhofe in der Liesenstrasse. Wenn es auch eines günstigem Geschicks be-
durfte, um alle die Hoffnungen zu erfüllen, die man auf ihn setzen konnte, so
hat er doch auch mit dem, was er hinterliess, sich ein Gedächtniss gestiftet in
der Geschichte seiner Kunst.
Ultima, der vierte Ton der Tetrachorde Synemmenon, Diezeugmenon und
Hyperbolaeon im vollkommenen Tetrachordsystem der Griechen.
Ultima coujuuctarum, der vierte Ton (Nete) des Tetrachords Synemmenon,
unser d^.
Ultima divisaram, der vierte Ton des Tetrachords Nete Diezeugmenon,
unser Cy
Ultima excellentium, der vierte Ton des Tetrachords Nete hyberbolaeon,
unser a^
Umbreit, Carl Theophil, ausgezeichneter Organist, geboren am 9. Juni
1763 zu ßehstedt bei Gotha. Er erhielt in Erfurt durch Kittel seine Aus-
bildung als Organist und 1785 in einem reichen Dorfe bei Gotha, Sonneborn,
eine Anstellung als solcher, die er 35 Jahre lang verwaltete, bis ihn eine Miss-
helligkeit mit dem Cantor des Orts veranlasste, seinen Abschied zu nehmen
und in seinen Geburtsort zurückzukehren, wo er am 27. Api'il 1829 starb.
Er hat sich seiner Zeit bekannt und verdient gemacht durch die Herausgabe
folgender "Werke: »Allgemeines Choralbuch für die protestantische Kirche, vier-
stimmig ausgesetzt mit einer Einleitung über den Kirchengesang und dessen
Begleitung dux-ch die Orgel« (Gotha, Eud. Zach. Becker, 1811, in 4°, 186 S.).
Dies Choralbuch enthält 332 Melodien zu zwölf der besten neuen Gesangbücher
Ober- und Niedersachsens, zusammen die Melodien zu 3830 Liedern enthaltend,
die vierstimmig gesetzt und mit bezifferten Bässen versehen sind. Auch sind
die damals noch bekannten Componisten der betreffenden Melodien in diesem
Werke genannt. Dasselbe ist von Choron ins Französische übersetzt und heraus-
gegeben unter dem Titel: ytChants Chorals ä quatre parties avec hasse continue
ad libitum en usage dans les eglises d'AUemagne, mis dans un nouvel ordrev.
(Paris, in 4°). Eine andere Sammlung von einfachen Choralmelodien erschien
unter dem Titel: »Die evangelischen Kirchenmelodien zur Verbesserung des
häuslichen und kirchlichen Gesanges mit einem Vorworte über die zu ver-
bessernden Mängel des Vortrags religiöser Gesänge von Bretschneider« (Gotha,
Becker, 1817, gross in 8°). Folgende Orgelcompositionen: »Zwölf Orgelstücke
verschiedener Art u. s. w., seinem Lehrer, dem Organisten Kittel gewidmet«,
erste bis dritte Folge (Gotha und Leipzig, 1798, vier Bogen in Fol.). »XXV
Orgelstücke« (Bonn, Simrock). »Zwölf Choralmelodien für die Orgel mit ver-
schiedenen Bässen« (Gotha, Becker, 1817, zwei Folgen). »Vier Choralmelodien
mit Variationen« (ebenda, 1821). »Fünfzig Choralmelodien, vierstimmig für
die Orgel bearbeitet« (Gotha, 1808) sind von ihm erschienen.
Umfang. Den Umfang der, überhaupt möglichen und noch vernehmbaren
Töne bezeichnet der Artikel Tongrenzen (s. d.). Hier mag noch eine Zu-
sammenstellung des TJmfangs der Singstimmen und der gebräuchlichen Instru-
mente folgen:
Organe.
Gewöhnlicher
Umfang.
Aussergewöhnlicher
Umfang.
Im Ganzen.
1. Sopran . .
2. Mezzosopran
3. Alt . . . .
c' bis a"'
a bis g'^
f bis/^
c bis «'
A bis /'
F bis e'
bis f^ und höher
bis d
bis c^
bis ö'
^1
2 bis 27^ Octaven
2 „
4. Tenor . . .
5. Bariton . .
6. Bass . . .
2
2
2 »
372
Umfang der Singstimme.
Gewöhnlicher
Aussergewöhnlicher
Organe.
Umfang.
Umfang.
Im
Ganzen.
7.
Violine ....
g bis c*
durch das Flageolett
noch höber
4
Octaven
8.
Viola
c bis a^
4
»
9.
Violoncello . . .
C bis «^
4
M
10.
Contrabass . .
^x ^is /
27.
»
11.
Piccoloflöte . .
d'^ bis «*
274
)>
12.
Flöte
li bis c*
37*
))
13.
Clarinette in A
eis bis a^
bis d'
3^4
)>
in B .
d bis &^
bis e^
374
5>
in C .
e bis c^
bis/^
374
»
14.
Bassclariuette . .
B bis &2
3^4
»
15.
Bassethorn . . .
F bis f
4
»
16.
Oboe
c, bis r
2^/3
»
17.
Englisch Hörn . .
f bis c^
27.
»
18.
Fagott ....
B^ bis es^
374
>>
19.
Contrafagott
B^ bis d^
2
)>
20.
Trompete in G
C bis y
q bis c^
2
»
in B .
B bis as^
5j bis h'
2
;)
in D .
B bis c'
2
)>
u. s. w.
21.
Ventiltrompete . .
e bis y^
27.
»
22.
Hörn in C . . .
C^ bis c^
272
»
in J5 . . .
^2 bis h^
27^
»
in D . . .
B^ bis c'
2\'.
»
u. s. w.
23.
Posaunen, Alt-
^j^ bis es^
174
)>
Tenor- .
B^ bis &^
174
»
Bass-
q bis /^
2'/.
»
24.
Ophicleide . . .
5^ bis c'
374
)»
25.
Basstuba ....
F, bis /i
3
»
26.
Harfe
JSg bis A*
7
»
27.
Pianoforte . . .
-42 bis a*
7
»
28.
Orgel . . . .
C^ bis c'
1
8
Umfang der Singstimme, franz.: diapason, ist die Ausdehnung des Stimm-
organes nach Höhe und Tiefe. Bei Verwendung im alten katholischen Kirchen-
gesange war den einzelnen Stimmgattungen noch ein geringer Umfang ange-
wiesen, der sich kaum eine Quint über die Octave erstreckte. Palestrina und
seine Zeitgenossen überschritten diese Grenze nicht, so dass Otto Gibelius in
seinem •» Seminar imn modulatoriae vocalisa vom Jahre 1657 die vier Singstimmen
folgenderweise angeben konnte:
D iscant
Alt
Tenor
Bass
/
e
F
bisr
bis a^
bis r
bis c^
»sintemalen heutigen
Tages
die meisten Gesänge, so für Sänger eigentlich
gemacht und verordnet geschrieben werden, auch wenn dieselben zu Zeiten gar
hoch, als im Diskant bis ins zweigestrichene (/ oder a hinaufgehen, wie solches
bei den neuen Autorihus Musicis hin und wieder genugsam befindlich.« Wir
müssen dabei in Erwägung ziehen, dass es im Sopran und Alt Knabenstimmen
sind, von denen hier gesprochen wird und dass man eine lobenswerthe Vorsicht
in Behandlung derselben beobachtete, beweisen auch spätere Schriftsteller.
Wolfgang Caspar Printz in seiner «Sing-Kunst« 1678 sagt (pag. 21): »Je mehr
Umfang der Siugstimme. 373
eine Stimme aufsteiget und je höher sie ist, je subtilei- und linder soll sie
gesungen werden und je tiefer eine Stimme wird, je grössere Stärke soll ihr
gegeben werden.a In gleicher "Weise lässt sich M. Johannes Quirsfelden im
y>Breviarium Musicutnvi 1717 vernehmen: »Je höher der Gesang hinausgehet,
mit desto linder und lieblicher Stimme soll der Knabe singen und den Mund
nicht deswegen weiter aufmachen, oder den Ton mit vollem Halse herausdrücken.
Das allzugrosse Mundaufsperren verunziei't den Knaben und auch den Ton.
Denn je weniger der Mund offen, desto lieblicher kann der Ton im Munde
formiret werden.« Hier sind Regeln gegeben, die auch heute noch ihre volle
Berechtigung haben. Im Granzen mag es befremden, dass, während die Kirchen-
componisten nach Palästrina, wie Seb. Bach und Andere, mit Sopran und Alt
in Bezug auf Umfang sehr schonend und vorsichtig umgehen, sie gleichwohl
auf den Tenor weniger Rücksicht nehmen und ihm nicht selten die schwie-
rigsten Dinge zumuthen. "Wenn wir die Partitur der Matthäus-Passion durch-
sehen, so finden wir den Sopran nie das a^ überschreiten, während der Tenor
in den Chören sowohl als im Solo des Evangelisten sich in den gewagtesten
Stimmregionen bewegen muss, ohne, in den Recitativen namentlich, von irgend
einer Instrumentalbegleitung unterstützt zu sein. Es ist schwer zu glauben,
dass in der Umgebung Bach's sich Sänger befunden haben, die ein so aus-
gebildetes Falsett besassen, dass sie es dem Brustregister ohne Störung an-
schliessen konnten, wie wir es heute von Vogel in München hören. In Hän-
del's »Messias« findet man derartige "Wagnisse dem Tenor nie zugemuthet,
obgleich der Componist bedeutende Sänger zur Verfügung hatte.
Von dem Moment an, als der Gesang aus der Kirche heraus auf die Bühne
trat und statt von Knaben von Kastraten und Frauen ausgeführt wurde, sehen
wir den Umfang der Stimmen sich um ein Bedeutendes erweitern, so dass
Joh. Adam Hiller in seiner »Anweisung zum musikalisch richtigen Gesänge«
1774 ihn folgendermassen angeben konnte:
Discant c' bis c^
Alt f bis/'
Tenor c bis c^
Bass F bis f\
Somit stehen wir auf dem Boden der Gegenwart und dürfen, um ganz sicher
zu gehen, nur noch bemerken, dass seit jener Zeit sich die Stimmung um ein
Bedeutendes gehoben hat. "Wir finden in Tosi's »Anleitung zur Singkunst«,
dass man es seiner Zeit mit dem Kammerton nicht genau nahm und an ver-
schiedenen Orten in Italien um eine Terz differirte. Als eine Normalstimmung
eintrat, entsprach das a^ in Paris
1680 unter Lully 404 Schwingungen in der Sekunde
1774 „ Gluck (»Iphigenia«) 410 „ „ „ „
1807 „ Spontini (»Vestalin«) 420 „ „ „ „
1829 ,, Rossini (»Teil«) 430 „ „ „ „
Seit 1859 in Frankreich 435 „ „ „ „
„ „ „ Deutschland 440 „ „ „ „
„ ,, „ England 444*) „ „ „ ,,
"Wir sehen also seit 200 Jahren in der Stimmung eine Zunahme von
40 Schwingungen in der Sekunde, was circa einen ganzen Ton ausmacht, um
welchen unser a^ höher geworden ist. Dieser Umstand muss wohl in Erwägung
gezogen werden, wenn man uns die Geschichte von dem unerhörten Umfange der
Kastratenstimmen, wie Farinelli, erzählt, oder man erstaunen wollte, dass Mozart
die Arie der Königin der Nacht bis ins /'^ hinaufgehen lässt; dagegen wird
man mehr verwundert sein dürfen, wenn diese Arie noch heute in derselben
Tonart gesungen wird. Unser Jahrhundert steht also gegen die alte Zeit, was
den Stimmenumfang nach der Höhe betrifft, um Nichts zurück. Die wohl-
*) Ernst Mach, „Einleitung in die Helmholtz'sche Musiktheorie"-
374 Umfang der Singstimme.
klingende Tiefe nur zeigt sich auf der Bühne seltener, weil sie von den neuesten
Operncomponisten nicht mehr begünstigt wird. Daher kommt es, dass Sänger
für die Partie des Osmin in Mozai't's »Entführung« schwer zu finden sind, weil
bei ihnen das häufige Singen in hohen Lagen die tiefen Töne der grossen
Octave beeinträchtigt und nicht mehr ansprechen lässt. In der kaiserlichen
Kapelle zu Petersburg giebt es Bassisten, die bis in die Contra-Octave herab-
gehen, und Schreiber dieses weiss aus eigenem Anhören von einem derselben
zu berichten, der das Contra- (r als Octave im Schlussaccord angeben konnte.
Ungewöhnlicbe Entwickelung von Kehlkopf und Mundhöhle können in seltenen
Fällen solche Abnormitäten hervorbringen, doch dürften diese Fälle zu selten
sein, als dass man darauf die Theorie eines Contrabassregisters stützen könnte,
wie Grarcia in seiner Singschule es versucht, um so weniger, da diese Töne
mehr den Eff'ekt eines dumpfen Geräusches als eines wirklichen Tones machen,
j\Iehr Berechtigung haben dagegen die spanischen Falsettisten der päj)stlichen
Kapelle, denn weiche, schmiegsame Stimmbänder werden sich selbst beim Manne
in Soprantöne versteigen, wenn sie in günstigem Klima vor schädlichen Ein-
flüssen bewahrt bleiben. Im Jahre 1839 hatte Job. Strauss in "Wien in seiner
Kapelle einen Mann (einen Deutschen), der zwischen den Orchestervorträgen
Sopran- Arien, wie: y>Una voce poco faa. und andere mit recht schönem Sopran-
tone und grosser Geläufigkeit vortrug; gleichwohl werden wir uns nicht ver-
anlasst fühlen, in den Männerstimmen ein Sopranregister nachzuweisen.
"Wir gelangen zu der Frage: Welchen Umfang soll eine Stimme haben
und was ist dabei die Aufgabe der Gesangschule? Jede Stimme, welcher Gat-
tung sie angehören mag, muss aus einem gewissen Kernpunkte herausgebildet
sein, muss also in einer gewissen Region ihre Stütze haben, aus der sie strahlen-
artig nach Höhe und Tiefe vorgeht und sich ausbreitet. Diesen Punkt zu
erkennen, ist die Aufgabe des Lehrers, der sich über die Stimmgattung des
Schülers Gewissheit zu verschaffen sucht und bei der "Weiter entwickelunsr alle
jene Vortheile und Erfahrungen zu Eathe zieht, die die Gesangstheorie bis
heute gewonnen hat. "Wir finden in jeder Stimmart eine Octave, die vom
angehenden Sänger fast mühelos hervorgebracht wird, nämlich:
beim Bass von c bis e^
„ Tenor „ / ,, /^
„ Alt „ c^ ,, c^
_ „ Sopran^ ,, f „ f\
Hat das Oi-gan in dieser Region Sicherheit erlangt, dann darf die Stimme
stufenweise nach Höhe und Tiefe weiterscbreiten. Es ist eine alte Erfahrung,
die uns lehrt, dass der Falsettcharakter der hohen Register nur dann zur An-
sprache kommt, wenn die Bruststimme sich zur Basis entwickelt hat, mit andern
"Worten: dass die Randschwingungen der Stimmbänder nur dann in Thätigkeit
treten, wenn die Bänder in ihrer Breitenschwingung möglichst ausgebildet sind,
gleichwie der Violinspieler seine Saiten »auszuspielen« sucht, damit die Flageolett-
töne sicher ansprechen. Hat der Sopran oder Tenor erst den Falsettton gefun-
den, was nicht immer leicht gelingt, dann wird es ihm möglich, durch denselben
die Kopfstimme (s. d.) herzustellen und die hohe Lage seiner Stimme mit
voix mixte und Falsett gemeinschaftlich ohne Anstrengung zu bilden und zu
bewahren. Auch die Tiefe der Bass- und Altstimmen unterliegt dem Gesetz
des stetigen Fortschreitens aus dem Centralpunkt nach der Peripherie, wobei
nur ein besonderes Augenmerk auf das Volumen des Tones zu richten ist.
Auf diesem "Wege wird es fast jeder Stimme möglich, einen Umfang von zwei
Octaven zu erreichen. Wir sehen aber viele Organe an dem FehlgriflP zu Grunde
gehen, dass der Sänger hohe Töne durch angestrengtes Ueben und Arbeiten
im Schweisse des Angesichts erzwingen will. Dieser Missgrifi" muss immer den
Ruin herbeiführen, weil der zarte Tonmechanisraus, wenn er vorsichtig behan-
delt wird, sich wohl Manches abgewinnen. Nichts aber mit roher Gewalt ab-
zwingen lässt. Ohne dass man sie durch eine Notenscala anschaulich macht,
Umgekehrt — Umkelirung der Accorde.
375
wird der Sänger die Grenze im Umfange seiner Stimme dort erkennen, wo die
Schönheit sie gezogen hat, denn nicht die Quantität, sondern die Qua-
lität des Tones ist das Schiboleth des Gresangkünstlers.
Umgekehrt (von hinten nach vorn), River so, Rovescio, vom umgekehrten
Notenblatt spielen, Rivoltato. Es gehörte im 17. und noch im vorigen Jahr-
hundert zu den Lieblingspielereien der Contrapunktisten solche Sätze zu er-
finden, die dadurch zweistimmig wurden, dass die eine Stimme den betrefi'enden
Satz vom Anfange und die andere gleichzeitig vom Ende ausgehend rückwärts
ausführte, oder dass die eine vom geraden, die andere vom umgekehrt stehenden
Notenblatt spielte.
Unikehrung. Das "Wort wird in mehrfacher Bedeutung in der Theorie
angewendet. Die
Umkehrnug der Accorde erfolgt dadurch, dass ein anderes Intervall als
der Grundton in den Bass tritt. Der Dreiklang hat demnach zwei, der
Septimenaccord drei solcher Umkehrungen; bei der ersten tritt anstatt des
Grundtons die Terz in den Bass a), bei der zweiten die Quint b):
a) i'Ät.. b)
P
_«5_
^
6 o
4 4
Der Accord hört dadurch nicht auf Dreiklang zu sein, aber er erhält in
jedem Falle einen besondern Namen, weil es nunmehr geboten erscheint, die
Intervalle nach dem neuen Grundton zu messen; h ist in der ersten Umkehrung
nicht mehr Terz, sondern der neue Grundton; g nicht mehr Grundton, sondern
Sext des neuen Grundtons, darnach bezeichnet man diese erste Umkehrung
des Dreiklangs nicht als Terz -Sext-, sondern nur als Sextaccord. Die
zweite heisst Quartsextaccord, bei diesem ist d der neue Grundton und
von ihm aus ist g die Quart und h die Sext. Der Septimenaccord hat drei
zu versetzende Intervalle, die Terz, die Quint und die Septime, von denen
jedes im Bass stehen kann, mithin hat dieser Accord drei
I. II. m.
Umkehrungen:
-^ ^ ^
-& ^ ^
-^ ^ ^
C5-
4
Die erste Umkehrung ergiebt den Quintsextaccord, die beiden wich-
tigsten Intervalle ausser der im Bass stehenden Terz, der Grundton und die
«Septime stehen jetzt zu dem neuen Grundton im Verhältniss der Quint und
der Sext; die zweite Umkehrung heisst demnach der Terzquartsext-
oder auch nur Terzquartaccord und die dritte der Secundquartsext- oder
auch nur Secundaccord. Im Uebrigen erliegen auch die Umkehrungen den
allgemeinen Regeln über
Auflösung
und
Vorbereitung
wie der Grundaccord:
oder
.4
3
:§;
Selbstverständlich sind auch die beiden Nonenaccorde in dieser Weise um-
zukehren; allein da bei der Versetzung der Intervalle aus None und Septime
Secunden werden, so treten diese in einzelnen solchen Umkehrungen so nahe
aneinander, dass sie zu wirklichen Uebelklängen werden. Die Umkehrung
des Nonenaccords in dieser "Weise bei b):
a)
^-
b)
376
Urakelirung der Intervalle — Umkehr ungsformen.
stellt die dissonirenden Intervalle so dicht zusammen, dass sie sich gegenseitig
geradezu stören und widerwärtig klingen. Diese Versetzungen können nur in
der weiten Lage eingeführt werden:
^-^ ^^- ^-^-
i^-
l>7
6
5
1t7
6
5
6
i
Auch diese TJmkehrungen unterliegen den Bestimmungen über die Auflösung
des Nonenaccordes:
Die
Umkehrnng der Intervalle beruht auf der verschiedenen Messung derselben
von einem Grundton aus nach oben oder nach unten. Von c aus gemessen
ist d oberhalb die Secunde, unterhalb aber die Septime; e oberhalb c
ist die Terz, unterhalb die Sexte; /" oberhalb c ist die Quarte, unter-
halb die Quinte; g ist oberhalb c eine Quinte, unterhalb eine Quart;
a oberhalb c die Sext, unterhalb die Terz; k oberhalb die Septime,
unterhalb die Secunde und c oberhalb die Octave, unterhalb die
Secunde:
Prime. Secunde. Terz. Quart. Quint. Sext. Septime. Octave.
i
m
Terz. Secunde. Prime.
Octave. Septime. Sext, Quint. Quart.
Hieraus ist ersichtlich, dass bei der TJmkehrung der Intervalle die Prime
zur Unteroctave, die Obersecunde zur Unterseptime, die Oberterz
zur Untersext, die Oberquart zur Unterquint, die Oberquint zur
TJnterquart, die Obersext zur Unterterz, die Oberseptime zur TJnter-
secunde und die Oberoctave zur Prime wird. Die einfachere Formel
heisst: die Prime wird bei der Umkehrung zur Octave, die Terz zur
Sext, die Quart zur Quint und umgekehrt. Auf dieser Anschauung
beruhen die
TJmkehrnngsformen, d. h. diejenigen Formen, bei welchen eine oder die
andere Stimme oder auch alle in die höhere oder tiefere Octave versetzt werden
können, ohne die harmonische Wirkung zu stören. Hierbei müssen diese oben
dargelegten Intervallenverhältnisse genau berücksichtigt werden, und Stimmen,
die nach diesen Gresichtspunkten der möglichen Umkehrung ausgeführt sind,
heissen im künstlichen, dem doppelten, drei- und vierfachen Contra-
punkt, die, bei denen eine solche Versetzung nicht stattfinden kann, ohne den
"Wohlklang zu trüben, dagegen im einfachen Contrapunkt erfunden. Aus
dem oben aufgestellten Schema, das sich in Zahlen so darstellt:
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
8. 7. 6. 5. 4. 3. 2. 1.
ergiebt sich: dass bei der Umkehrung in der Octave aUe Consonanzen auch
Consonanzen bleiben mit Ausnahme der Quint,
alle Dissonanzen auch in der Umkehrung
die zur Quart wird; und dass
Dissonanzen bleiben, mit Aus-
nahme der Quart, die zur Quint, also zu einer Consonanz wird. Der doppelte
Umkelirungsformen.
377
Contrapunkt der Octave erweist sich also als sehr günstig, da er nur
wenig Beschränkung auferlegt ; eigentlich nur erfordert, den zweistimmigen Satz
auf die Terz, Sext und Octave zu hasiren und die Quint, Quart, Se-
cunde und Septime nur im regelmässigen Durchgange anzuwenden. Ein
nach der Octave zu versetzender Satz darf aber nicht in der Quart beginnen
und er muss sie auch auf dem Haupttacttheil vermeiden, da in der Versetzung
leere Quarten entstehen, die beim zweistimmigen Satze nur als Durchgang an-
zuwenden sind, daher darf auch die Quint nur in dieser Weise eingeführt werden:
a) Contrapunkt. b)
Umkehrunc'.
Umkehruno'.
Ebenso ist sie durch Bindung einzuführen:
1
Cantus firmus.
E
^S
-*-4
Umkehrung.
Die sogenannte falsche Quint muss regelmässig vorbereitet werden; dass aber
die Stimmen im Einklänge und in der Octave nur in der Gegenbewegung zu-
sammentreffen und ausser am Anfange und am Ende nur äusserst selten anzu-
wenden sind, ist schon beim einfachen Contrapunkt Gresetz und gilt natürlich
beim doppelten der Octave in noch erhöhtem Maasse. Die entsprechende prak---
tische Anwendung findet dieser Contrapunkt der Octave zunächst bei der
Doppel fuge; diese wird bekanntlich aus zwei Themen entwickelt und diese
contrapunktiren sich zugleich gegenseitig so, dass jede als Ober- und Unterstimme
der andern auftreten kann, dass sie also umgekehrt werden können, im doppelten
Contrapunkt der Octave erfunden sind, wie dies z. B. an der ersten Doppelfuge
des Mozart'schen Requiems zu ersehen ist:
I. 2. Alt.
Christe e - le
^S^^^§3
1. Bass.
Ky-ri-e e - le - i- son,
n. 1. Alt.
Christe e - le
378
Umkelirungsformen.
Beim Beginn der Doppelfuge führt der Bass, wie hier angegeben ist, das
erste Thema ein, der Alt das zweite und schon bei der unmittelbar anschliessen-
den Antwort werden die Stimmen umgekehrt, indem das erste Thema zur Ober-
stimme wird, vom Sopran eingeführt, während das zweite als TJnterstimme auf-
tritt, vom Tenor eingeführt, wie hier mit Hinweglassung der Gegenharmonie
gezeigt ist:
Sopran.
Ky-ri - e e - le - i - son, e - le - - - - - ■
?«i
;p£S
y k/ •
I I I I
*-•-* 1-»-»
--^t^' '
Tenor. Christa e - le
Darauf erst werden die beiden Führer in der Weise eingeführt, wie im vorigen
Beispiel angegeben ist; der Bass das zweite Thema, wodurch die ümkehrung
beider bedingt ist: in der hierauf folgenden Antwort erscheint wieder die erste
Antwort hier in der Umkehrung, indem jetzt der Tenor das erste, der Sopran
das zweite Thema bringt:
Sopran. Christa e - le -
^^•^feiS
J5-
Tenor." ' "l ^ ' ^ ' ^ ^-= ' =
Ky-ri - e e - le - i - son, e - le - - -
"Weil hier beide Stimmen sich weiter als eine Octave von einander entfernen,
müssen sie beide umgekehrt, beide um eine Octave versetzt werden, damit
sie sich nicht kreuzen:
a) Cantus firmüs
\
Sa^E^^^S^^i^
b) Cantus firmus in der tiefern Octave.
^^35
:t
:|=
In dem vorstehenden Beispiel, die erste Zeile des Chorals: »Yom Himmel
hoch da komm ich her« ist die contrapunktirende Stimme im doppelten
Contrapunkt der Octave erfunden, so dass die Stimmen also umgekehrt werden
können und da sie sich im Umfange einer Octave gegen einander halten, so
braucht immer nur eine Stimme versetzt zu werden; bei b) tritt die Melodie
eine Octave tiefer in den Bass, während der Contrapunkt unversetzt bleibt und
zur Oberstimme wird; bei c) ist dann die Melodie in ihrer Lage geblieben,
der Contrapunkt um eine Octave höher versetzt. "Weiterhin können zwei-
stimmige Sätze so eingerichtet werden, dass sie sich auch in andern Intervallen
umkehren lassen, so entsteht die Umkehrung in der
None (statt Secunde),
Decime (statt Terz),
Undecime (statt Quart),
Umkehrungsformen.
379
Duodecime (statt Quint),
Terzdecime (statt Sext),
Quartdecime (statt Septime).
Es ist leicht einzusehen, dass durch diese TJmkehrungen das Intervallenverhältniss
der unversetzten Melodie die Lage der Halb- und Granzstufen verändert wird;
was nur an zwei solchen Umkehr ungen hier nachgewiesen werden soll:
Versetzung nach der None.
Tonleiter.
Nach der Decime.
V3
V2
V3
V2
^
-^
1
V2
_C5-.
Es ist daher selbstverständlich, dass bei feststehenden Melodien, die nicht
verändert werden sollen, man nur den Contrapunkt umkehren kann, und nicht
auch die Melodie, wenn man nicht durch Einführung der Versetzungszeichen
die ursprünglichen Intervallenverhältnisse derselben herstellen will. Von den
hier erwähnten Arten des doppelten Contrapunkts sind nur die der Decime
und der Duodecime noch recht wohl und zweckmässig im Kunstwerk zu ver-
wenden. Die Veränderung der Intervalle bei der Vei'setzung nach der Decime
zeigt folgendes Zahlenschema:
10. 9. 8. 7. 6. 5. 4. 3. 2. 1.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
Man ersieht daraus, dass aus der Prime bei der Umkehrung eine Decime und
umgekehrt aus dieser eine Prime, dass aus der Secunde eine None und umge-
kehrt aus der None eine Secunde wird u. s. w. Daraus ergeben sich, wie beim
doppelten Contrapunkt der Octave, die entsprechenden Eegeln für die Behand-
lung der Intervalle. Auch hier bleiben die Consonanzen auch in der Umkehrung
Consonanzen, ebenso wie die Dissonanzen auch in der Umkehrung Dissonanzen
ergeben. Aber die Terz wird zur Octave, die Sext zur Quint und die
Decime zum Einklang; die Folge dieser Intervalle giebt dementsprechend
bei der Verfolgung der einen Stimme selbstverständlich Quinten- und Octaven-
folgen und Einklänge, die nicht erlaubt sind; beim doppelten Contrapunkt
der Decime müssen deshalb Terzen- und Sextenfolgen, die im einfachen
Contrapunkt gestattet sind, vermieden werden, weil sie bei der Umkehrung
verbotene Fortschreitungen ergeben. Beim doppelten Contrapunkt der
Decime müssen daher die Terz und Sext so behandelt werden, wie beim ein-
fachen der Octave und Quint, d. h. sie dürfen nur in der Gegenbewegung ein-
geführt werden, wie überhaupt bei diesem Contrapunkt die Gegenbewegung
durchaus geboten ist. Die Secunde wird als Unterstimme eingeführt und in
die untere Terz aufgelöst; sie ergiebt bei der Umkehrung die None mit ent-
sprechender Auflösung in die Octave:
ümkehrungen.
-c^— t— g)-
-^=ä-
Die Quart wird in der untern Stimme gebunden und sowohl in die Quint:
f
Umkehrungen.
löi
-■&-
ist
_C5_
380
Umkehrungsformen.
wie in die Sexte aufgelöst:
-si-
J-hJ-^
Umkelirungeii.
-g^-
■-g^-
P -is-
-c^-
-ö-
— H o— t— «=-
-c^-
r"
Die Septime wird in der Oberstimme gebunden und in beiden Stimmen in
die Quint aufgelöst:
Umkehrangen.
-^-
-J-
-<=^
:^:
i=s~
Endlich ist auch die Einführung der None zulässig
^^ , Umkehrung,
• -•-
b)
Umkehrungen.
I
m
1 1 I r — r 1^ f- '■ — ■■ I r
Bei diesen Beispielen ist schon mehr auf eine dritte Füllstimme gerechnet.
Der selbständige Gebrauch solcher zweistimmiger Sätze ist natürlich ausser-
ordentlich beschränkt und dürfte selten geboten sein, allein im weiter ausge-
führten Kunstwerk, mit den andern Mächten musikalischer Darstellung ver-
einigt, ist er recht wohl geeignet, diesem eine einheitlich kunstvolle und doch
äusserst mannichfaltige Grestaltung zu geben. So lässt sich ein nach diesem
Contrapunkt erfundener Satz leicht dreistimmig machen, weil die Umkehrung
eine passende dritte Stimme ergiebt. Wie wenig selbständig dieser Contra-
punkt zu verwenden ist, geht auch daraus hervor, dass nur wenig Ganz- oder
Halbschlüsse in der Umkehrung auch als solche erscheinen, wie aus den folgen-
den Beispielen zu ersehen ist:
Umkehrung des Contrapunkts.
Der doppelte Contrapunkt der Quint oder Duodecime ist nicht weniger
brauchbar, wie der der Octave. Das Schema für die Umkehrung gewinnen wir
natürlich in derselben Weise wie bei den vorherbesprocheuen:
12. 11. 10. 9. 8. 7. 6. 5. 4. 3. 2. 1.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.
Man ersieht hieraus, dass alle Consonanzen auch bei der Umkehrung Conso-
nanzen bleiben, mit Ausnahme der Sext, die zur Dissonanz wird; demnach ist
nur diese vorzubereiten, da sie zur Septime wird. Die Einfährung der Sext
muss sich nach der Behandlung der Septime richten, wenn der Satz sich um-
kehren lassen soll. Wir geben in der untern Zeile die Vorbereitung und Auf-
Umkehrungsformen.
381
lösnng der Septime und in der obern die dadurch bedingte der Sext im
doppelten Contrapunkt:
m
= — s-
g3
-^ ^_
_^..
-^ 1
C. f.
:I^__^__ö:
^ — sa — ^ — \\ — irs_
TJmkehruno',
-^ s^ — &-
Die Septime lässt aber auch noch eine freiere Behandlung zu, die natürlich
auch, wie die der Sext beim doppelten Contraj)unkt, der Decime zu Gute kommt.
Die andern Septimen sind darnach leicht zu behandeln:
==--C3 — O-
^^T-.^-®:
-/p.-
C. f.
=*' = .«. •■■
-^^_£=!_
i
Umkehrung des Contrapunkts.
Auch die freiere Behandlung der Septime als frei eintretende Dissonanz und
als Durchgang kommt natürlich hier dem doppelten Contrapunkt der Duo-
decime zu Gute:
~rf g-
=t
-.^äz
C. f.
:§^===
-S=2 &-
ISZ
Umkehrung des Contrapunkts,
Diesem Verfahren entspricht auch die Einführung der Septime:
:=t
^-
^EE^3
"55-
C. f.
-Ä:^
S^
-^-
;^c
-?=^
:|=
m
:t
-c^-
:t
Umkehrung des Contrapunkts.
Ihre Vorbereitung erfolgt bequemer noch durch die Octave:
Umkehrungeu.
-!=5-
: fii-
^-
'! I
C. f.
Die Quarte und die Secunde werden in üblicher "Weise durch die Terz,
Quinte oder Octave vorbereitet und in die Terz aufgelösst:
C. f.
1
W
I 1 I I
I
mmi^^m
ji
• -•- —
Umk. d. C. f.
Umk. d. Contrapunkts.
iE
^=^1
382 Umkehrungsformen,
Wie bereits erwähnt -worden ist, hat nur der doppelte Contrapunkt in der
Octave selbständige Bedeutung. Die andern beiden: der doppelte Contrapunkt
der Decime und der Duodecime dagegen werden erst im grössern und weiter
ausgeführten Kunstwerk, als einzelne Theile desselben, bedeutungsvoll. Nur
deshalb legen die Meister desselben sich alle die Beschränkungen in Bezug auf
melodische Entfaltung auf, weil für die specielle Construktion eines Kunstwerks
daraus Yortheile erwachsen. Nicht dasselbe gilt von den künstlichen Contra-
punkten der andern Intervalle, die mehr herausgeklügelt, als durch die künstle-
risch gestaltende Hand des schaffenden Genius erzeugt sind. Der doppelte
Contrapunkt der None (oder Secunde) verwandelt, wie nachstehendes Zahlen-
schema zeigt:
9. 8. 7. 6. 5. 4. 3. 2. 1.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
bei der Umkehrung die Consonanzen in Dissonanzen und umgekehi't; nur die
Quint bleibt unverändert, weshalb dieser Contrapunkt sich nur auf dies Inter-
vall stützen kann. Dies muss None und Septime vorbereiten und auflösen,
■wie es ebenso als Vorbereitung der Octave dienen muss. Ist demnach schon
die Abfassung dieses Contrapunkts bis zur Dürftigkeit beschränkt, so dürfte
seine Verwendung auch nirgends im Kunstwerk geboten sein. Dasselbe gilt
von dem dopjjelten Contrapunkt der Undecime (oder Quarte) aus dessen
Zahlenschema:
11. 10. 9. 8. 7. 6. 5. 4. 3. 2. 1.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.
man ersieht, dass nur die Sext Consonanz bleibt, wieder zur Sext wird, wie
vom doppelten Contrapunkt der Terzdecime (oder Sext), dessen Zahlenschema:
13. 12. 11. 10. 9. 8. 7. 6. 5. 4. 3. 2.' 1.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.
zwar mehrere unveränderte Consonanzen zeigt, die 1 die zur 13, die 8 die zur
6, die 6 die zur 8 und die 13 die zur 1 wird, allein die 8 ist nur eine
Wiederholung der 1 und die 13 eine Wiederholung der 6, so dass auch für
diesen Contrapunkt nur Einklang und Sext als die, die andern vorbereitenden
Intervalle erscheinen, er ist demnach nicht weniger düi'ftig als die andern und
wie der doppelte Contrai^unkt der Septime (oder Decima Quarta), obwohl auch
er, wie das Zahlenschema zeigt:
14. 13. 12. 11. 10. 9. 8. 7. 6. 5.
4. 3. 2. 1.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
11. 12. 13. 14.
oder:
7. 6. 5. 4. 3. 2. 1.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
zwei Consonanzen in der Umkehrung als Consonanzen bestehen lässt; die 3
wird zur 5, deren häufige Wiederkehr den zweistimmigen Contrapunkt ziemlich
ungeniessbar werden lässt. Ein dreistimmiger Satz, dessen Stimmen in der
Octave umkehrungsfähig sind, heisst im dreifachen Contrapunkt der Octave
erfunden. Ein solcher Satz erlaubt nach folgendem Schema im Ganzen sechs
verschiedene Darstellungen:
I. 1. 2. 3.
IL 3. 1. 2.
III. 2. 3. 1.
IV. 1. 3. 2.
V. 2. 1. 3.
VI. 3. 2. 1.
Die alte Lehre bezeichnet die erste als Haupt-, die andern als Nebenversetzuugen.
Nur in der ersten (oben zweiten) Versetzung müssen alle Stimmen versetzt
Umkehrungsformen.
383
werden; iu den übrigen nur eine, wührend die andern beiden mit einander
wechseln oder, wie in den letzten drei, die eine Stimme unverändert bleibt.
Lassen die Stimmen nocb Versetzungen in verschiedene Intervalle zu, so sind
sie im vielgestaltigen (polymorphischen) Contrapunkt erfunden. Ein
vierstimmiger Satz, bei welchem die Stimmen so erfunden sind, dass sie
versetzt werden können, ist im vierfachen (auch vierdoppelt genannten) Contra-
punkt abgefasst. Vom vierfachen Contrapunkt der Octave gilt, wie vom drei-
fachen, was wir vom doppelten überhaupt angegeben haben. Neben Consonanzen
können auch Dissonanzen eingeführt werden, wenn sie in der Umkehrung keine
fehlerhaften Fortschreitungen ergeben. Quarten sind daher zu vermeiden, da
sie in der Versetzung zu Quinten werden und die Quint muss vorsichtig ein-
geführt werden, da sie in der Umkehrung zur Quart wird, welche der Vorbe-
r-^itung und Auflösung bedarf. Ein nach diesen Grrundsätzen ausgearbeiteter
Satz lässt dann 24 Versetzungen zu:
I.
IL
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XL
XII,
1
4
O
2
3
2
3
2
1
1
1
2
2
1
4
3
1
3
2
1
3
2
4
4
3
2
2
4
2
1
1
3
2
4
2
1
4
3
1
1
4
4
4
3
4
3
3
3
XIII. XIV. XV. XVI. XVIL XVIII. XIX. XX. XXI. XXII. XXIIL XXIV.
4231144244 3 3
21143 13432 4 2
14434 31323 2 4
33222 22111 1 1.
Die ersten vier heissen wieder Hau ptver Setzungen, weil sämmtliche Stim-
men versetzt sind; bei den nächsten fünf bleibt die vierte, dann die dritte,
dann die zweite und bei der letzten fünf die erste Stimme unversetzt. Erwähnt
sei noch, dass einzelne Theoretiker, wie Albrechtsberger in seiner »An-
weisung zur Composition« (Leipzig, dritte Auflage) unter Umkehrung
die melodische Veränderung des Themas versteht, die wir mit Gegenbewegung
oder Verkehr ung bezeichnen, nach welcher jedes aufwärtsgehende Intervall
in ein abwärtsgehendes und ebenso jedes absteigende in ein aufsteigendes ver-
ändert wird. Die Umkehr ung der Stimmen beim künstlichen Contrapuukt
aber bezeichnet A11)rechtsberger dem entsprechend mit Umkehr ung. Die auf
dieser Weise der Umkehrung der Stimmen beruhenden Umkehrungs formen
sind, wie schon erwähnt, die Doppelfuge und selbstverständlich auch die
Tripel- und Quadrupelfuge. Es ist zwar bei den letzten beiden Formen
nicht absolut nothwendig, dass die drei oder vier Themen alle auch gleich-
zeitig verarbeitet werden, allein eine solche Verarbeitung ist doch immer äusserst
wünschenswerth, weil durch sie erst die letzte Bedingung der Formen erfüllt
wird. So lange bei der Doppel fuge die beiden Themen nur in abgesonderten
Durchführungen verarbeitet werden, so lange erscheint sie nur als aus einfachen
Fugen zusammengefügt; erst wenn beide Themen zusammentreten, so dass das
eine als der Contrapunkt des andern dient, wie gleich im Anfange des ange-
führten »Kyrie« des Mozart'schen Requiems, ist die letzte und höchste Be-
dingung der Doppel fuge erfüllt. Das gilt natürlich auch von der Tripel-
und Quadrupel fuge, auch diese entsprechen ihrem Namen und Begriff erst,
wenn die drei resp. vier Themen auch gleichzeitig, nicht nur nach einander in
besondern Durchführungen verarbeitet werden. Selbstverständlich müssen des-
halb die Themen im doppelten Contrapunkt der Octave erfunden sein: Als
Beispiel mögen noch hier die drei Themen zu Bach's Tripelfuge die »Kunst
der Fuge« stehen, mit den Anfängen der angewandten Versetzungen:
384
TJmkelirunorsforinen.
^
m.
^^ö
^^S
--it^-
3=^^3^
äSSE=
-J^^j^jXj;^
1 -T — r"
-J^^J-4
3^^^
Versetzungen.
1. II.
I
^^^^E^EE^^^ÖÖ
'tNt?
II.
III.
I
I.
-g^-gi^
i^-F bi
^S^
=1?=^
ri^=t:
Lini.
15. LI.
^^^-^ III. I '
ä!s^
:^
^töite
:=^
II.
m.
II.
Beim Canon für verschiedene Stimmen sind natürlich dieselben Bedingungen
zu beobachten; der Canon für gleiche Stimmen ist nur nach den Gesetzen des
einfachen Contrapunkts zu erfinden, beim Canon für verschiedene Stimmen,
welche die Versetzung der ursi:)rünglichen Melodie nach andern Intervallen,
nach der Octave oder Quint, nothwendig machen, müssen selbstverständlich die
Regeln des doppelten Contrapunkts beobachtet werden. In der freiem "Weise,
wie sie die Technik der verschiedenen Instrumente und ihre besonderen Klang-
farben und deren Mischungen erfordern, haben unsere grossen Meister der In-
strumentalmusik: Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Mendelssohn
und Schumann von diesen Umkehrungsformen den weitesten Gebrauch ge-
macht. Haydn hat namentlich in seinen Streichquartetten und in einigen
Finales und Durchführungssätzen, seinen Sinfonien ebenso wie Beethoven
durch solche contrapunktische Arbeit kunstvolle Form bei genialem Inhalt zu
geben vermocht. Eins der grossartigsten Beispiele liefert hierzu Mozart in
dem Finale seiner grossen C-iwr-Sinfonie, das aus den nachstehend verzeich-
neten, in diesem Sinne erfundenen Themen:
Umlauf — Umwenden der Notenblätter. 385
•
entwickelt ist, und zu den grossartigsteu Instrumentalstücken geliört, die je
geschrieben wurden. Der Satz überragt trotz dieser kunstvollen Form an
genialem Inhalt alle, nur der »freien, unbehinderten Ph intasie« entsprungenen
»Tondichtungen j der Geofenwart.
Tinlanf, Ignaz, Componist, in "Wien gegen 1752 geboren, vertrat anfangs
Salieri bei der Kirchenmusik und wurdj dann kaiserl. Kapellmeister und Musik-
direktor beim deutschen Opern-Theater in ^Vien. Es sind folgende Opern und
Overetten von ihm dort nicht ohne Beifall aufgeführt worden: »Die Ber»-
knai:)peu«, »Die Apotheke«, »I)as Irrlicht^, »Die schöne Schusterin« (im Ciavier-
Auszug gestochen), »Die glücklichen Jäger«. Auch Lieder erschienen in Wien
im Druck. Umlauf starb 1799.
Umlauf, Michael, Sohn des Vorigen, geboren zu Wien am 9. AugUit 1781,
wurde ebenfalls Operndirektor nach dem Rücktritt We'gl's. Nach dei- Auflösung
der deutschen Oper wurde er pcQsion'rt und starb am 20. Juni 1842. Folgende
Opern von ihm wurden aufgeführt: »Der Grenadier«, klein? Oper; »Das Gast-
haus zu Granada«, kleine Oper (Wien, Haslinger) und eine Anzahl Ballette.
Gedruckt sind: »Grosse Sonate für Ciavier und Violine«, op. 4 (Wien, Weigl).
»Grosse Sonate für Ciavier ä quatre-mainsa u. a.
Umstimmen, ital. scordare, einem Instrument eine andere Stimmung geben.
Es ist dies zunächst bei mehreren Orchesterinstrumenten nöthig, welche ihrer
Construktion nach immer nur über einen gewissen Umfang verfügen. Die
Pauke hat bekanntlich immer nur einen Ton, die zwei, drei und mehr Pauken,
welche im Orchester in Anwendung kommen, müssen also immer jedesmal in
die Töne gestimmt werden, welche sie in dem betreffenden Tonstück angeben
sollen, und man muss sie dann umstimmen, sobald andere erfordei-lich werden.
Vor Erfindung der Ventile wurden Hörner und Trompeten durch die
Einsatzbogen umgestimmt. Man wendet die Weise des Umstimmens indess
auch bei andern Instrumenten an, bei welchen es an sich nicht nöthig ist, nur
um die technische Ausführung gewisser Tonsätze zu erleichtern, oder dem In-
strument höheren Glanz zu geben. So stimmte Paganini die Saiten seiner Geige
-^i
-4i
unter Umständen höher statt in: -fej "'ir~^^~ i" ^^'•
Mit einer so gestimmten Geige spielte er einen ursprünglich in Us-dur stehenden
Satz in D-dur, einen in Ges-dur stehenden in F-dttr, und hatte dabei den Vor-
theil, technische Schwierigkeiten, die in den ursprünglichen Tonarten (Ms- und
GeS'du)') unüberwindlich erschienen, in den neuen, D- und F-d-:tr, in denen er
das Tonstück auf seiaer höher gestimmten Geige ausführen musste, mit Leichtig-
keit zu überwinden. Zugleich gewann die Ausführung auch klanglich an Glanz,
weil die freier klingenden leeren Saiten dann auch in Tonarten zur An-ivendung
gelangen konnten, in denen es nach der ursprünglichen Sitmmung nicht mög-
lich war. Aus ähnlichen Gründen stimmte de Beriot die Saiten seiner Geige
in a, d^, a}, ^e; Baillot in fis, d^, a^, e^ und Winter in _/, J', a\ e^. Bei der
Laute machten die tiefsten, ausserhalb des Grififbretts liegenden Saiten ein
Umstimmen nöthig, wenn eine oder die andere einen von der urspränglicoen
Stimmung abweichenden Ton zu irgend einem Tonstück beisteuern sollte. Da
sie eben nicht gegriffen wurden, wie die sechs auf dem Griffbrett liegenden,
sondern nur mit dem Ton Verwendung fanden, in welchem sie gestimmt
waren, so mussten sie immer in die Töne gestimmt werden, welche in dem
betreffenden Tcnstück gefordert wurden. In den Lautenbüchern des 17. und
18. Jahrhunderts ist deshalb diese Umstimmung immer am Anfange der
betreffenden Tonstäcke unter der Bezeichnung Accord angegeben. Fehlte
d'ese Angabe, dann wird die ursprüngliche Stimmung der Laute vorausgesetzt.
Umweadea der Notenblättei*, eine Th-itigkeit, welche von den Ausführenden
recht wohl zu berücksichtigen ist, da sie leicht d:e Ausführung stört. Für
Musikal, Convers.-Lexikon. X. 20
3g ^J Jn — una corda,
#
Notenschreiber, -Stecher und -Setzer erwächst zunächst die Noth-
wendicrkeit, es möglichst so einzurichten, dass im Laufe eines Tonstücks das
betreffende Notenblatt nicht umzuwenden ist, namentlich bei den Instrumenten-
spielern, deren Hände durch ihre Instrumente vollauf beschäftigt sind. Für die
Sänger ist es weniger nothwendig, da sie die Hände, mit welchen sie die Noten-
blätter halten, jederzeit frei haben und beliebig umwenden können, ohne im
Singen dadurch gestört zu werden. Die Geiger und Bläser dagegen müssen
das Spiel unterbrechen, wenn sie umwenden wollen. Daher beobachtet man
beim Einrichten der Stimmen für die Instrumentenspieler zunächst die Rück-
sicht, dass man Tonstücke, die nicht auf einer Seite Platz haben, sondern zwei
einnehmen, nicht auf der Vorder- und Rückseite (pag. 1 und 2) eines
Notenblattes, sondern auf den gegenüberstehenden Seiten zweier (pag. 2 und 3)
aufzeichnet, so dass beide gleich von vornherein aufgeschlagen vor dem Spieler
liegen können. Nimmt ein Tonstück mehr als zwei Seiten Raum ein, so muss
allerdings umgewendet werden ; dann aber ist die Stimme so einzurichten, dass
dies nur an solchen Stellen geschieht, wo dem betreffenden Spieler durch Pausen
die nöthige Zeit dazu gegeben ist. In den speciellen Fällen, in denen solche
Stellen nicht vorhanden sind, muss der betreffende Spieler, wenn das Instru-
ment nur einfach besetzt ist, einen Umwender haben, damit er sein Spiel
nicht zu unterbrechen braucht. Dieser muss, bei langsamen Sätzen einen, bei
raschen mehrere Tacte vor Ablauf der Seite, die dann der Spieler auswendig
spielen muss, rasch umwenden. Bei Instrumenten und an Notenpulten, die
doppelt besetzt sind, wendet in solchem Falle der zweite Spieler um. Mehr-
fache Versuche, dies Umwenden der Notenblätter durch einen besonderen, vom
Spieler geleiteten Mechanismus besorgen zu lassen, ohne die Ausführung zu
unterbrechen, haben zur Erfindung von Notenumwendern (s. d.) geführt, die
indess noch keine weitere Verbreitung fanden.
Uu (ital.), ein.
Un pochettino (ital.) = ein klein wenig.
Uu poco (ital.) = ein wenig, etwas, als nähere Bestimmung bei Tempo-
und Vortragsbezeichnungen, wie:
ün poco Adagio = ein wenig langsam;
Allegretto = ein wenig bewegt;
crescendo = ein wenig stärker werdend;
decrescendo = ein wenig schwächer werdend;
diminneudo = ein wenig abnehmend in der Tonstärke;
lento = ein wenig ruhig;
ritardando = einwenigzögernd;
piü = ein wenig mehr, ein klein wenig;
piü lento (ital.) = ein wenig mehr langsam; ein klein
wenig langsamer.
Unabhängige Töne, ursprüngliche oder natürliche Töne, heissen
die unveränderten Töne der Normaltonleiter: c — d — e—f—g — a — h — c, von
denen die erhöhten eis — dis —fis — gis — ais und die vertieften h — as — ges — es — des
abgeleitet sind, und welche deshalb auch abhängige oder abgeleitete Töne
genannt werden.
Una corda (ital.) = eine Saite, bei Saiteninstrumenten auch a una corda,
eine Bezeichnung, welche erfordert, dass die betreffende Stelle auf einer Saite
ausgeführt werden soll. Bei den Streichinstrumenten bedient man sich dieser
Bezeichnungen an solchen Stellen, die nach der gewöhnlichen Weise auf zwei
und mehr Saiten ausgeführt werden; wünscht der Componist, dass diese Aus-
führung auf einer Saite erfolgen soll, so muss er das anzeigen. Dies geschieht
durch die erwähnte Bezeichnung, häufiger noch indem die betreffende Saite an-
gegeben wird: sul G — sul D — sul A u. s. w. Dagegen findet man bei
Werken für Pianoforte die oben angegebene Bezeichnung »una corda», und diese
bezieht sich dann auf die Verschiebung (s.d.), durch welche die übrigen
Un
poco
Un
poco
Un
poco
Un
poco
Un
poco
Un
poco
Un
poco
Un
poco
Unaufhörlicher Canon — Undecimenaccord.
387
Saiten jedes Tons abgedämpft werden, so dass die Taste nur an einer Saite
anschlägt und nur diese zum Tönen bringt.
Unaufhörlicher Cauou, s. v. a. unendlicher Canon (s.d.).
Uobegleitetes Kecitativ, das nur mit einem Bass begleitete Recitativo
parlante oder Recitativo secco, das in der älteren italienischen und fran-
zösischen Oper nur den Dialog ersetzte (s. ßecitativ).
Unbewegliche Töne, soni stantes (s. Tetrachord).
Unbezifferter Bass, s. Bezifferung, G-eneralbass und Orgelstimme.
Uuca oder Fusa = gekrümmt, geschwänzt, lateinischer Name für die
Achteluote.
Uuda maris (Meeres welle) ist ein 2,5 Mtr. Flötenwerk. Dasselbe wird
etwas höher als die andern Register gestimmt, so dass durch Verbindung des-
selben mit einem andern Register ein schwebender, wogender Ton entsteht.
Die Stimme erhält doppelte Labien, ähnlich wie die Pifara. In Verbindung mit
einer zarten Zungenstimme kann die Wirkung dieser Stimme nicht übel sein;
trotzdem bleibt dieselbe eine unnütze Spielerei.
Undecime, Undecima, ein Intervall von 11 Stufen, die Octave der Quart
des Gi'undtons, daher auch nur in seltenen Fällen selbständig zu verwenden;
eigentlich nur in dem doppelten Coutrapunkt der Undecime, zu welchem
kaum irgend welche künstlerische Veranlassung gegeben sein dürfte. In Bezug
auf die harmonische und melodische Führung folgt die Undecime nur
den Bestimmungen, welchen die Quart unterliegt:
m
¥
iS:
-c=i
£
-T=^-
-T=^
3:
f
ro-
Sie wird eben nur als Quartenvorhalt behandelt (siehe den Artikel Vorhalt).
Als melodisches Intervall erscheint sie aber so ungeheuerlich, dass ihre Ein-
führung nur zur Erreichung eines komischen Effekts gestattet sein dürfte.
Dem entsprechend erscheint auch der
Undecimenaccord nur als ein Vorhaltsaccord. Er entsteht allerdings auf
dem Wege, auf dem wir alle Accorde gewinnen, indem wir Terzen überein-
anderstellen; dem Nonenaccord eine Terz zugefügt, ergiebt den Decimenaccord:
'C5~
allein seine Unselbständigkeit wird durch seine Zusammensetzung dargethan;
er vereinigt ursprünglich die beiden äussersten Grenzaccorde der harmonischen
Formation:
Oberdominant
und Unterdominant
In seiner fünfstimmigen Anwendung verliert er natürlich ein Intervall, und
zwar meist die Terz:
i
W-
Ihre Einführung und Auflösung überzeugt vollends, dass sie keine selbständigen
Accorde sind, sondern durch Vorhalte erzeugte, und daher nur als solche be-
handelt werden können. Die natürlichste Auflösung ist die nach dem ursprüng-
lichen Septimenaccorde, auf dem sie erbaut sind:
:^.
^H^
:Bz
'C5~
"CT"
b^
25*
388
Undecimenaccord.
und hieraus ergiebt sich auch von selbst ihre Vorbereitung, wie ihre weitere
Behandlung im fünfstimmigen Satz:
Noch bedenklicher ist natürlich der sechsstimmige Gebrauch der Undecimen-
accorde. Im Allgemeinen gilt als Regel, dass selbst bei dem, auf der Dominant
ausgeführten Oi-geljDunkt die Modulation nach der Unter dominant möglichst
vermieden wird. Allerdings liegt es im Wesen des Orgelj^uukts, den fort-
klingenden Ton nicht allzu angstlich zu berücksichtigen, wenn nur die über
ihm fortschreitenden Stimmen regelrecht geführt sind. Die harmonische Grund-
lage derselben ist eine ziemlich freie, doch nur bei dem auf der Tonika er-
bauten. Bei dem auf der Dominant erbauten wird die Ausweichung nach der
TJnterdominant vermieden oder doch nui- sehr vorsichtig ausgeführt, weil es
eine zu scharf dissonirende "Wirkung macht, diese beiden entgegengesetzten
Angelpunkte der Tonart: Dominant und TJnterdominant zusammenzubringen;
bei zwei sechsstimmigen Undecimeuaccorden werden aber beide sogar in einer
einheitlichen Accordwirkung zusammengefasst, die Wirkung muss deshalb eine
scharf dissonirende sein, und zugleich aber auch eine schwankende. Eine sehr
ausführliche Behandlung hat diesen Accorden J. C. Hauff in seiner »Theorie
der Tonsetzkunst« (Frankfurt a. M., H. L. Bronner, 1863, pag. 111 ff.) zu
Theil werden lassen, und wir führen aus derselben noch einige Beispiele ihrer
Einführung an:
c)
d)
-^=5-
-S s-
\
^
?3
-C-J
-Pä-
Umleclmole.
389
Jedenfalls sind die Beispiele, in denen None und Undecime nicht als so scharf
dissonirende Intervalle auftreten (d, e, g), jenen vorzuziehen, namentlich jenen,
in denen diese Dissonanzen mehr seihständige Bedeutung gewinnen, wie bei a,
h, c, f und h. Wir können eigentlich in keinem der Beispiele die None und
Undecime als Vorhalte betrachten, weil es ungehörig ist, den Vorhalt mit dem
Ton, nach welchem er sich wendet, im Einklänge oder der Octave zugleich ein-
zuführen und festzuhalten. Das Letztere könnten wir durch folgende Fassung
schon vermeiden:
a)
Hiermit ist zugleich gezeigt, wie als Vorhaltsaccord behandelt auch der Un-
decimenaccord recht wohl zu verwenden ist. Die scharfe Dissonanz tritt über-
all nicht so entschieden heraus, wo die zusammentretenden Dreiklänge nicht £0
gegensätzlich wirken.
Undecimole, die durch Theilung eines bestimmten Zeitwerths in 11 Theile
gewonnene rhythmische Figur:
-^-
1 1
I I 1 .
J-J-J-
In der Werthbezeichnung herrscht indess nicht die nöthige Uebereinstimmung;
einigen gilt die in Sechzehntheilnoten dargestellte Undecimole für den Werth
einer halben Note, während Chopin eine Viertelnote schon in Achtel-Undecimolen
darstellt:
390
Unechte Accorde — Ungarisclie Musik.
Aus Op. 62 No. 2.
Ped.
^ Ped. ^
Unechte Accorde, Schein- oder Quasi Accorde nennen einige Theore-
tiker wirkliche Grundaccorde, die aber nicht als solche beabsichtigt sind, sondern
auf dem Wege der Einführung der Vorhalte oder Durchgänge entstehen. In
dem unten stehenden Beispiele können die bezeichneten immerhin als Accorde
gelten:
-<=(-
_Ö-
=^
-g^-
-C^-
i
Der erste ist ein vollständig ausgeprägter grosser Septimenaccord c — e—g — h]
dem zweiten fehlt nur die Quint d, die wesentlichsten Intervalle eines Septimen-
accprdes: Grundton, Terz und Septime aber sind vorhanden. Doch sind
hier beide Accorde nicht als solche intendirt, sondern der erste ist durch Ein-
führung des Durchgangs h in der melodischen Bewegung von c nach a ent-
standen, der andere dadurch, dass die Quart der Terz des Grundtons vorge-
halten wird.
Uneig-eutliche Dissonanz nennen einzelne Theoretiker die Septime in den
TJmkehrungen des Septimenaccords, also im Terzquartaccord die Terz,
im Quintsextaccord die Quint und im Secundaccord den Basston aus
nicht recht einleuchtenden Gründen.
Uneig'entliche Preiklänge, auch Nebendreiklänge, wurden von den altern
Theoretikern die dissonirenden Dreiklänge genannt, der verminderte — Trias
deficiens; der übermässige — superflua oder ahundans und der hart-
und doppeltverminderte.
Uneig'entliche Fnge heisst ein fugirter Satz, der sich aus einem feststehen-
den Thema nach Art der Fuge entwickelt, ohne indess auch nur die Haupt-
regeln derselben streng zu beobachten.
Unendlicher Canon (canon infinitus, perpetuus) ist ein solcher Canon,
der so geführt ist, dass der Schluss des Satzes wieder unmittelbar in den An-
fang übergeht, wie der nachstehende Canon in der Ober quint.
:=!-
~^r-
nsTt
I^-
3=t
-P=L-
P
-.säz
i
-c=f-
::öi
-Si-
-^=-
Bei der -\- bezeichneten Stelle ist der Canon zu Ende, allein der melodische
Schlusston c ist zugleich der Aufangston des Canons und da die nachahmende
Stimme treu folgt, so bleibt der Canon ohne Ende, bis man ihn mit dem an-
gehängten Schlusstact abschliesst.
Ungarische Musik. Die Magyaren gehörten zu den, am Altai wohnenden
Nomadenvölkern, welche, zum Kriege und Raube geneigt wie kein anderes, ihr
unwirthliches Land verliessen, um sich eine neue, schönere Heimath zu suchen.
Sie stürzten sich rasch auf andere Völker, beredeten oder zwangen sie, an
Ungarisclie Musik. 391
ihren Raubzügen mit Theil zu nehmen und überflutheten so die andern bereits
angebauten Länder in verhältnissiuässig kurzer Zeit. Die Völker des Altai
waren so allmälig bis tief nach Süden gekommen und hatten sich oberhalb
Iran und am K aspischen Meere bis in die Nähe der Donau festgesetzt
und beunruhigten von hier aus die benachbarten Länder durch unaufhörliche
räuberische Einfälle. Erst 888 einigten sich die verschiedenen Stämme unter
Ar päd, den sie zu ihrem Führer erwählten. Doch konnte das, seit Jahr-
hunderten unaufhörlich wandernde und kämpfende Volk die Ruhe nicht so
bald gewinnen; Krieg und Plünderung waren ihm auch jetzt noch Bedürfniss;
wiederholt brach es in die Nachbarländer ein und Inldete so lange den Schrecken
des civilisirten Europas. Das griechische Reich, Deutschland, Italien
und Frankreich wurden fürchterlich heimgesucht von diesen Raubzügen und
der Litaney wurde in diesen Ländern der neue Vers: y>A sagittis hungarorum
libera nos Z>omi)ie!« eingereiht. In ihrer alten Heimath waren die Ungarn
Nomaden, ihr Lieblingsthier war das Pferd und es ist dies bis auf den heutigen
Tag geblieben.
Unter Stephan L der Heilige (997 — 10.38) wurden sie dann zum Christen-
thum bekehrt. Er zog Lehrer herbei, verbot die heidnischen Gebräuche und
verordnete, dass die christlichen Sklaven sich frei kaufen konnten, während er
ihnen auf seinen eigenen Besitzungen die Freiheit schenkte. Wohl stiess er
auf heftigen "Widerstand bei diesen Bestrebungen, der sich bis zum offenen
Aufstande steigerte, allein Stephan blieb Sieger und das Christenthum fasste
unter seiner Regierung schon festen Boden. Er gründete Klöster und es trat
bereits eine Art von Civilisation ein, die sich auch in der Entwickelung des
Handwerks zeigte. Es werden Tischler, Schmiede, Bauleute, Weber, Gold- und
Silberarbeiter in den Urkunden genannt, welche zum Bereich der Klöster
gehörten. Unter Andreas (1046 — 1061) erhob sich zwar wieder ein blutiger
Aufstand gegen das Christenthum, in welchem Klöster verbrannt und mehrere
Bischöfe ermordet wurden, allein Andreas blieb Sieger und förderte das Chri-
stenthum mit dem günstigsten Erfolge, doch erst unter Ladislaus (1077—95)
kam das Land wieder einigermassen zur Ruhe.
Bedeutendere Fortschritte konnte indess die Civilisation unter solchen
Umständen nicht machen und so darf man sich nicht wundern, dass das Volk
noch im 12. Jahrhundert sehr hart beurtheilt wurde. Otto von Freisingen
(De reb. gestis Friederici I.), der zu Anfang des Zeiti'aums, bei Beginn des
Kreuzzugs von 1147 Gelegenheit hatte, durch eigene Anschauung mit den Zu-
ständen Ungarns bekannt zu werden, erzählt: dass die Ungarn den Sommer
und Herbst über grösstentheils unter Zelten wohnen, dass die Häuser in
Städten und Dörfern armselig, meistens aus Rohr, seltener aus Holz und nur
ausnahmsweise aus Stein gebaut sind. »Man muss,« heisst es wörtlich bei ihm,
»sich über die göttliche Vorsehung verwundern, dass sie solchen Menschen,
nein, nicht Menschen, sondern Ungeheuern von Menschen, ein so schönes Land
wie Pannonien eingeräumt hat.« Anders urtheilt mehr als drei Jahrhundert
früher freilich Leo, der morgenländische Kaiser, welcher sie 889 zu Hülfe
gerufen hatte: »Das ungarische A^olk ist reich an Männern und frei. Es hat
keinen Hang zum Prunk oder Schätze zu sammeln und strebt darnach, seinen
Gegnern an Stärke überlegen zu sein. Sie verfolgen alles mit reger Aufmerk-
samkeit und verbeigen sorgfältig ihre Absichten. Von ihi-er frühesten Jugend
an ans Reiten gewöhnt, besteht ihr Heer aus Reiterei und ihre kriegerischen
Uebungen haben vornehmlich den Zweck, sich auch während des schnellsten
Rittes der Lanzen mit Sicherheit bedienen zu können.«
Ueber die reichste Quelle von Poesie und Musik — die Religion — der
Ungarn in der Zeit von ihrer Bekehrung zam Christenthum erfahren wir, dass
sie monotheistisch war. Die Ungarn verehrten einen Nationalgott: Isteu a
Magyarok Istene: der Gott der L^ngarn, der sich ihnen in der Sonne, dem
Feuer, in Luft und Wasser und in seiner Schöpfung, der Erde, dar-
gt,2 LTrigari^clie Ivlusi.
stellte, unter welchen Sj-mbolen sie ihn verehrten und ihm Hymnen sangen.
Als sein Gegensatz erschien ihnen »Ordög« (der Teufel), der Urgrund des
Bösen vni über und neben beiden übten noch eine Reihe von guten und bösen
Geistern Einflus^s aus auf die Geschicke der Menschen, welche sie unter dem
Gesammtnamen »Tündera zusammenfassten. Als eine natürliche Consequenz
dieser Anschauung bekannten sie sich auch zur Lehre von der Unsterblichkeit
und sie feierten dem entsprechend auch das Andenken der Verstorbenen. Die
Sprache der Ungarn bildet eine der sechs Familien, welche man zusammen als
die scjthiscbe Sprachklaste bezeichnet: es sind ausser der ungarischen die
mongolische, türkisch-tart arische, samojedische, finnische, und unter
ihnen ist die ungarische jedenfalls die planvollste und darum auch die einzige,
welche zu grösserer Bedeutung gelangte und unter deren Einfluss sich auch
das gesungene Lied f:e:er entwickelte.
So wii'd schon aus dem fünften Jahrhundert von ungarischer Poesie
und ungarischem Liedergesang berichtet durch Priscus, den byzantinischen
Ehetc^r, der an der 448 von dem griechischen Kaiser Theodosius IL an Etele,
den König von L^ngaru, abgeordneten Gesandtschaft Theil nahm und mit ihr
am Hofe des Hunenkönigs verweilte.
Aus seinem ziemlich umständlichen Bericht über ihren Empfang ersehen
wir, dass der heimkehrende Etele durch einen Chor scythischer Mädchen unter
Absingung von Liedern begrüsst wurde; bei dem darauf stattfindenden Gast-
mahl besangen dann zwei hunische Sänger die Siege und kriegerischen Tugenden
des Hunenkönigs in selbstverfassten Gesängen, denen die Gäste mit gespannter
Aufmerksamkeit und mit Begeisterung lauschten ; und endlich erzählt der grie-
chische Berichte rstaltir noch von einem halb verrückten Spassmacher, »der
durch allei'lei wunderliche und unsinnige Spässe ein aEgemeines Gelächter
erregte,« also der Spruchsprecher oder Pritschenmeister des Mittelalters
gewesen zu sein scheint.
Lange noch erhielt sich unterm Yolke ein Theil der Etelesage, wie die
verschiedenen Gesänge vcn Etele's Hochzeit, seinem Tode und seinen
drei Särgen. Von der altungarischen Poesie geben weiterhin auch Ekke-
hard von St. Gallen sowie der Biograph Belae ß. Notarius Kunde und
die alten ungarischen Chronisten erzählen ebenfalls von den religiösen, den
Trauer-, Liebes- und Heldenliedern der Ungarn. Diese letzteren na-
mentlich waren sehr zahlreich; sie erzählen wie überall von den Schicksalen
des Volkes und seinen Helden und Anführern. Die Verfasser und Verbreiter
dieser Gesänge bildeten einen besonderen Stand, deren Mitglieder in der Zeit
der Arpaden bereits Igric und Hegedös (Lautenschläger) genannt wurden
nach dem Saiteninttrument, unter dessen Pegleitung sie, bei Gastmählern,
Hochzeiten und Xationalfesten, im Lager und in Schenken sangen. Doch
fanden diese Gesi'nge auch unter dem Volke Eingang, so dass sie auch von
diesem allerorten gesungen wurden.
Wie bei allen Völkern gab die Einführung des Christenthums auch der
ungarischen Poesie neue Nahrung und eine eigenthümliche Richtung. Die ver-
wüstenden Einfälle barbarischer Volker, die vielen Kriege mit den benachbarten
Stallten und die sich fort und fort erneuernden Unruhen im Innern waren
freilich der Pflege von Wissenschaft und Kunst wenig günstig, dennoch machten
beide auch in dieser bedrängten Zeit im ungaiüschen Volk nicht unerhebliche
Fortschritte. Die Schulen an Bischofssitzen und Klöstern vermehrten sich;
auf den kleinern wurde das Trivium gelehrt: Grammatik, Arithmetik und
Geometrie, auf den grössern das Quadrivium oder sämmtliche freie Künste,
also auch: Musik, Astronomie, Dialektik und Rhetorik. Zur Beendigung ihrer
Studien besuchten dann die Studenten noch in der Reofel eine der Akademien
von Paris oder Bologna. Als die natürliche Folge der veränderten Lebens-
anschauung entwickelte sich eine neue religiöse oder kirchliche Poesie und
die nationale gewann daneben neue Stoflfe und dementsprechend auch neuen
Ungarlsclie Musik. 393
Aufschwung. Jene Sänger von Beruf, welche die Helden und überhaupt die
(jrtschicht.e ihres Volkes besangen, behitltea ihre Bedeutung bei, ja diese wuchs
noch mit der weitern Ausbreitung der Gesittung. Die Sänger gehörten zur
Hofhaltung des Königs wie der Bischöfe, wie von Johann Hunyadi und
unttT anderm auch von dem Bischof Niklas Biitori bezeugt wird. Nach
einer Urkuude Andreas III. waren zur Erhaltung der Sänger bestimmte Grüter
angewiesen und vom Hofe des Königs iMathias erzählt Galeoti, dass die
Hofmusiker und Cytherspieler während der Mahlzeit die Heldenthaten
der Väter zur Laute sangen. Licbeslieder brachten sie seltener zum Vortrage;
besonders gern besangen sie dagegen die, gegen die Türken vollbrachten
Kriegtthcten.
Wiederholt berichten die Chronisten, dass die Thaten der Helden nicht nur
gepriesen, sondern auch zur tönenden Laute gesungen wurden. »Im
Sana- hab ich's vernommen, ob es wahr, ob nicht es wahr« sagt Tenödi (in
der iNIitte des 16. Jahrhunderts in seiner gereimten Siegmundschronik) und
bei Erwähnung der Hinrichtung der zweiunddreissig Edlen unter König Sieg-
mund sagt er ausdrücklich:
„Der Helden zweiunddreissig sah man dorten,
Von denen oft die Cytherspieler sangen."
Der Minnesänger Klingsohr, welcher im zweiten Theile »des Sängerkrieges
auf der Wartburg« erwähnt wird, der am Hofe des Königs Andreas IL,
dessen Gemahlin Gertrud, eine deutsche Prinzessin, seine Poesien angeblich
enthusiastisch liebte, gelebt haben soll und den unter andern auch Hermann
der Damen erwähnt:
Wolferam und Klinsor genannt von Ungerlant
diser zwier tichte ist meisterlich irkant.
ist eine mythische Persönlichkeit. Daneben entwickelte sich unter dem directen
Einfluss des Christenthums auch eine nationale Hymnenpoesie; es wurden
seit Einführung desselben nicht nur die alten lateinischen kirchlichen Gesänge
übei'setzt, sondern auch eigen erfundene in der ungarischen Sprache gedichtet.
Die Thatsache, dass schon im zweiten Jahrhundert der Einführung des Christen-
thums in Ungarn alle in der Kirche zu singenden Lieder unter kirchliche
Censur gestellt wurden, lässt darauf schliessen, dass schon in der frühesten
Zeit Kirchenlieder in der Nationalsprache gedichtet wurden und Eingang in
der Kirche fanden. Diese haben sich indess nur in sehr spärlicher Zahl länger
zu halten vermocht und nur einzelne, wie das Lied von Andreas Väsärheli
an die Jungfrau Maria oder das an die rechte Hand des Heil'gen Stephan
gerichtete, das 1484 in Nürnberg gedruckt wurde, sind bis auf uns gekommen.
Auch das volksthümliche Schauspiel trieb unter dem ganz directen
Einfluss der neuen Religion hervor. Von dergleichen Schaustellungen im un-
garischen Volke aus früheren Jahrhunderten haben wir nicht die mindeste
Kunde, während schon aus der 1279 abgehaltenen Synode in Ofen »den Geist-
lichen verboten wurde, den Mimen, Histrionen und Joculatoren zuzuhören«
und wiederholt klr.gen einzelne Geistliche über die Volkskomödien, die immer
beliebter wurden, während die hauptsächlichsten Stoffe derselben doch schliessen
lassen, dass wiederum andere Geistliche sich ihrer Pflege unterzogen. Diese
Volksspiele sind wie überall meist mit christlichen Gesängen durchflochtene
Oster- und Adventspiele, mit einem Worte geittliche Spiele wie die
Mystei'ien der andern christlichen Völkerschaften. Ohne Zweifel waren die
eingestreuten Lieder Kirchenlieder und wurden nach den, in der Kirche üb-
lichen gregorianischen Weisen gesungen.
Dass alle diese Bestrebungen jetzt nicht schon zu bedeutendem Erfolgen
führten, mag wohl die Lage Ungarns zumeist verschulden, die es zum Bollwerk
der Christenheit Q-ecren die Macht des anstürmenden Halbmonds machte. Jahr-
hunderte hindurch waren die Kräfte Ungarns vollständig in Anspruch genommen,
394 Ungarisclie Musik.
um die europäische Civilisatiön vor den alles verheerenden Fluthen der osma-
nischen Barbaren zu beschützen.
Zunächst brachte die Reformation auch in Ungarn wieder einen Um-
schwung und führte "Wissenschaft und Kunst in neue Bahnen. Die Pflege
der Poesie ging in das Volk über, Prediger und Lehrer wurden ihre eifrigsten
Diener. Die Poesie erlangte jenen naiven, volksthümlichen Charakter, der sich
zunächst in emsiger Pflege der Lyrik kundgiebt; es entstanden neben reli-
giösen auch eine Reihe bedeutender weltlicher Lieder, die im Tone des Volks-
liedes gehalten, weite Verbreitung fanden und sich durch Jahrhunderte zum
Theil bis in die neueste Zeit erhielten. Unter den schweren Sorgen und
Nöthen, welche das 16. Jahrhundert namentlich über Ungarn verhängte, gedieh
besonders das religiöse Lied ausserhalb der Kirche und Johann Szepet-
neki (1555), Georg Palatics (1570), Balthasar Batori (1594), vor allen
Valentin von Balassa (f 1594) haben einzelne hochbedeutsame Lieder dieser
Art hinterlassen. Von Balassa sind auch patriotische und andere weltliche
Lieder noch heute in Ungarn allgemein verbreitet. Diese Lieder wurden meist
nach vorhandenen Melodien gesungen. Dies gilt auch von den dramatischen
Versuchen, welche dieses Jahrhundert hindurch gleichfalls fortgesetzt wurden.
»Eine aus vier Abtheilungen bestehende halb lustige und halb
traurige Geschichte« ist in Versen geschrieben und wurde nach verschie-
denen Melodien abgesungen, welche vor jedem Act bezeichnet sind, wie: r>Ad
notam ödes hist: Vom Feenreich — oder: ad notam ödes militaris:
Der Arie der Helden: nach der Melodie von Szigets Untergang u. s. w.
Wie in Deutschland, England und Frankreich waren auch in Ungarn
die Darsteller solcher Schauspiele die herumziehenden Musikanten, die Harfen-
und Citherspieler. Wie in den genannten Ländern wurden auch in den un-
garischen höhern Schulen sogenannte Schulkomödien fleissig aufgeführt; und
wie dort waren diese auch hier meist mit Gesang-, namentlich Chorgesang-
einlagen versehen. Daneben erhielten sich aber auch jene fahrenden Sänger,
welche zur Laute die Heldenthaten der Vorfahren besangen, und Sebastian
Tinödi, der letzte dieser ungarischen fahrenden Sänger, erlangte noch eine
grosse Bedeutung. Er sang seine selbstgedichteten Lieder, mit denen er die
Begebenheiten der jüngsten Vergangenheit besang an den Höfen der Grossen
zur Laute und war im ganzen Lande als Sebastian der Lautensänger
bekannt. Dazu war er zugleich im Besitz einer Schulbildung, die ihn befähigte,
seine Gesänge auch durch Schrift und Druck zu verbreiten. Tinodi starb in
dem ersten Jahrzehnt der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts.
Auch das 17. Jahrhundert brachte dem Lande noch keine Ruhe, der
Kampf zwischen Protestantismus und Katholicismus wurde hier das ganze
Jahrhundert hindurch heftig weiter gekämpft und lähmte den Fortschritt von
Kunst und Gesittung ganz gewaltig. Nur die Lyrik, namentlich die religiöse
und neben ihr auch die weltliche gedieh zu schöner Blüthe, besonders in
Johann Rimay (1564 — 1631) und Peter Beniczky (blühte um 1620).
Auf dem Gebiete der kirchlichen Lyrik ist besonders Albert Molnär von
Szens zu nennen, der mit seinen nach Beza und Marot bearbeiteten Psalmen
(1607) ein eijochemachendes Werk schuf, das heute noch in der protestantischen
Kirche Ungarns in hohem Ansehen steht. Ferner gab dies Jahrhundert der
ungarischen Heldenpoesie ihren uastreitig grössten Vertreter in Graf Niklas
VII. Zrinyi, einem Sohne vom Enkel des Szigeter Niklas Zrinyi, jenem
Georg, den Wallenstein 1626 durch Gift aus dem Wege räumen Hess. Der
Dichter ist 1616 geboren und starb am 18. November 1664 an der tödtlichen
Verwundung, die ihm auf der Jagd ein wilder Eber beigebracht hatte. Seine
Zrinyiade ist unstreitig das grösste Heldenepos der L^ngarn; dabei war er
nicht minder hervorragend als Lyriker. Neben ihm sind dann noch als epische
Dichter der Freiherr Ladislaus Liszti und Stephan Gyöngyosi als epische
Dichter zu nennen.
Ungarische Musik. 395
Im 18. Jahrhundert behauptete dann die Lyrik allein das Feld; in den
Liedern des Freiherrn Ladislaus Am ade und des Jesuiten Franz Faludi
herrscht volle unmittelbare Empfindung und zugleich sind sie leicht und fliessend
in der Form. Der Ausgang des Jahrhunderts brachte auch wieder eine all-
gemeinere Erhebung der Poesie, aber auf die Entwickelüng der Musik scheint
auch das keinen wesentlichen Einfluss gewonnen zu haben, wie das doch immer
in Deutschland und auch in Frankreich und Italien der Fall war. Die unga-
rische Literatur war bisher zu einseitig Ausfluss des Nationallebens, so dass
sie dessen Wandlungen treu folgte, mit ihm sich hob oder senkte. Seit dem
Ausgange des vorigen Jahrhunderts wurde das Yerhältniss erst ein anderes;
jene erlangte eine gewisse Selbständigkeit, so dass sie nunmehr eine bedeutende
Einwirkung auf das Nationalleben ausüben konnte.
Die Schöpfung der adeligen Leibgarde (1760) durch Maria The-
resia veranlasste die ungarischen adeligen Jünglinge, nach Wien zu kommen,
um dort eine allgemeine Bildung zu gewinnen, welche von dem wohlthätigsten
Einfluss auf die Literatur wurde, indem sie diese aus den engen Banden eines
beschränkten nationalen Sinnes erlösen half und die strengen Massnahmen
Joseph II. gegen die ungarische Sprache andrerseits weckten und stählten
wieder das Nationalgefühl so, dass es in hellen befruchtenden Flammen auf-
loderte: so entstand jene Literatur, die wir bereits oben als eine selbständigere
bezeichnen konnten, die zugleich aber auch bedeutend auf das öffentliche Leben
einwirkte. Georg Bessenyei (1742 geb.) gab hierzu den ersten Anstoss
und bald sammelte sich um ihn ein Kreis Gleichgesinnter und Gleichstrebender,
aus dem Orczy, Barcsai, Anyos, Joseph Teleki, Peczeli u. A. zu
nennen sind, welche der ungarischen Poesie auf allen Gebieten und in allen
Formen neuen Aufschwung gaben. Diesem Kreise folgte dann jene Schule,
welche sich antiken Mustern anschloss, wie David Szabo von Barot,
Eäjnis, Nikolaus Revai, deren Beispiel Michael Szathmäri, Carl
Dome, Franz Kazinczi, Johann Foldi, Johann Kis u. A. folgten.
Die mehr volksthümliche Dichtung ruhte daneben nicht: sie fand in Andreas
Dugonics, Johann Könyi, Stephan Kulcsär, Adam Horväth u. A.
energische Pflege. Für die Musik besonders bedeutungsvoll wurde Franz
Yerseghy nicht nur durch seine Abhandlung über die Musik (1791),
sondern namentlich auch durch seine Dichtungen. Diese Abhandlung wie die
über die Poesie (1793) sind die ersten Anfänge einer ungarischen, auf die
nationale Dichtung angewandten Aesthetik. Besonders betonte Yerseghy das.
in der ungarischen Dichtung und ganz besonders in der ungarischen
Musik schrankenlos waltende rhythmische Prinzip und versuchte in seinen, als
Anhang beigegebenen Liedern den Reiz eines geordneten musikalischen Rhyth-
mus fühlbar zu machen. Er stellte für die Liedform den Accent als Grundsatz
auf und begnügte sich damit, der Arsis schwere, der Thesis leichte Silben
zuzuweisen.
Wiederum wurde diese ganze Richtung für die Lyrik besonders bedeutsam
und von Ladislaus Szabo von Szentjobs (1791) Liebesliedern bis auf
die Lieder der neuesten Zeit sind eine ganze Reihe bedeutender ungarischer
Liederdichter zu verseichnen, wie: Franz Kazinczy und Gabriel Dayka,
Yiräg, A^ilkovics, Michael Yitez von Csokona noch im vorigen Jahr-
hundert; Alexander Kisfaludy (der Aeltere), Döbrentei, Josef Szäsz,
Lengyel, Fazekas, Berzsennyi, Graf Tel eck i, Graf Mailäth, Czuczar,
Töltenyi, Carl Kisfalady (der Jüngere), Michael Yörösmarty, Baron
Josef Eotvos; Josef Gäl, Johann Erdelyi, Lorenz Töth, Peter
Yajda, Zsigmond Beothy, Cäroly Berczy, Johann Rimai, Ignaz
Rischko, Anton Sujansky, Coloman Töth, und der unstreitig grösste
unter ihnen: Alexander Petöfi.
Der beschränkt nationale Zug, der die ungarische Dichtung nur spät erst
zu grösserer Bedeutung kommen Hess, hemmte die eigentlich künstlerische Ent-
396 Ungarische Musik.
Wickelung der Musik fast vollständig, so dass ungeachtet der ausserge wohnlichen
Empfänglichkeit und Begabung dtr Ungarn für die Kunst sie dennoch in der
Gresammtentwickelung derselben nur durch die volksthümlichen Elemente, welche
sie andern Völkern zuführten und durch einzelne Männer, nicht aber eigentlich
selbstthätig Antheil nahmen.
In der Liebe zur Musik wird der Ungar kaum übertroffen, aber er liebt
es weniger, sie selbst auszuüben, er lässt sich vielmehr gern vorspielen und
seine alten Kriegs-, Sieges- und Heldenlieder vorsingen. Vor allem
aber ist ihm seine Nationalmusik eine sehr ernste Sache und daher
ist es wohl zu allermeist gekommen, dass die, durch die Kirche eindringenden
fremden Elemente hier nicht den praktischen Erfolg hatten wie in Deutsch-
land, Italien und Erankreich und selbst auch in den nordischen Staaten,
dass sie nicht die volksthümlichen Elemente zu einer eigenthümlichen Kunst-
musik gestalteten. Der alte gregorianische Kirchengesang erzeugte in den
oben erwähnten Ländern ganz neue Richtungen der Musikeutwickelung, der
protestantische nahm aus der Volksmusik in Deutschland seine befruch-
tenden Elemente und erzeugte dann wiederum eine eigene Art weltlicher Musik.
In Ungarn dagegen blieb der gregorianische Gesang ebenso wie die unter
dem Einfluss der Reformation entstandene neue Weise der Musikübung ziem-
lich einflusslos. Inmitten dieser Strömungen erhielt sich die alte nationale
Musik und sie gewann als solche wiederholt und namentlich in der Neuzeit
Einfluss auf die Kunstentwickelung, aber das Volk und Land selber nahmen
daran wenig Antheil.
Ungarische Tanzweisen und auch Melodien fanden schon im Mittel-
alter Eingang in Deutschland und auch in Erankreich. Einzelne Sammlungen
des 16. und 17. Jahrhunderts für die Laute enthalten auch ungarische
Tänze und Melodien. Die ungarischen Studenten brachten sie nach Deutsch-
land oder unsere fahrenden Schüler und Handwerksburschen, für die das Land
immer eine besondere Anziehungskraft hatte, holten sie dort, und die Laute-
nisten und Instrumentisten nahmen sie eben so begierig auf, wie die Melodien
und Tänze anderer Länder. Die ungarische Volksmusik entspricht übri-
gens im Grossen und Ganzen der türkischen Musik, wenigstens ist der gleiche
Ursprung unschwer zu errathen, doch hat sich die ungarische Musik immer
noch zu grösserer Gesetzmässigkeit entwickelt wie jene.
Wie die lyrische Poesie der Ungarn früh zu einer sehr scharf ausgeprägten
strophischen Gliederung gelangte, so auch die ungarische Volksmelodie;
aber innerhalb derselben herrscht eine grosse Freiheit fast bis zur Willkür.
Die Verszeilen werden streng herausgebildet und die einzelnen dann unter sich
eben so energisch zu einem eng geschlossenen Versgefüge vereinigt; aber in
der Bildung der Zeile herrscht eine ausserordentlich grosse Freiheit, die auf
ihren Ursprung hindeutet. Aus dieser verschiedenen Darstellung der Verszeilen
und ihrer Zusammensetzung entstehen die unter den Namen des Lassü — Hal-
gato maffi/ar, Andalgo — Fris u. s. w. bekannten Musikformen; die dann
noch durch die verschiedenartigsten Ausschmückungen mit Vorschlägen, Ver-
zierungen und allerlei Figurenwerk bis zur Aufregung verschieden wirkend
gemacht werden. Durch diese reichbelebte Rhythmik namentlich unterscheiden
sich die ungarischen AVeisen vortheilhaft von den türkischen. Der häufig
angewandte Rhythmus
^ ^
/ .^
N \ N ^
' N S "
hat unzweifelhaft seinen Ursprung im ungarischen Tanz. Schon im Mittel-
alter war auch in Deutschland ein Tanz unter dem Namen »ungrisch« oder
auch »hanuakischa bekannt und beliebt, der in dieser Weise ausgeführt
wurde, dass der Tänzer den rechten Fuss hob, auf dem linken sich leicht
wiegte und dann zwei kurze Tritte folgen Hess, um darauf wieder auf dem
Unerarische Musik.
397
rechten zu verweilen; jedenfalls wurde dabei auch eine Drehung ausgeführt,
ahnlich -wie beim Mazurka, was demnach folgendes Tanzschema erg.ebt:
"^ ^ ^ ,^ I ^ ^ ^ ^
• • 4' • ■ ••IC- • " •" *•
links rechts links rechts links rechts links rechts
liuks
das hau2:)tsachlich wie den ungarischen Tänzen so auch den ungarischen
"\"olksmelodien zu Grunde liefft, wie weiterhin das daraus entstandene
rhvtliraische
,J^
K
A
und die häufige Wiederkehr von Synkopen und synkopirt^n Rhythmen
8^
!^
.i^
,^
.^
.^
Diese Eigenthümlichkeit der rhythmischen Gestaltung war schon von den
deutschen lustrumentalisten des Mittelalters erkannt worden; augenscheinlich
sind die vingarischen Passaraezzi, Saltarelli, Gagliarden u. s. w., die
wir in den Tabulaturen einzelner finden, nicht ungarische Originalmelo-
dien, sondern nur im Charakter der ungarischen Musik erfunden; und sie
zeigen diesen Rhythmus als charakteristisches Merkmal. Die wirklich natio-
nalen Tanz- und Liedmelodien sind noch freier und ungezwungener, bis zur
"Wildheit ungezwungen rhythmisirt. Dem entspricht dann die weitere rhyth-
mische Construktion, die durchaus nicht immer nur durch zwei mal zwei geordnet
ist, wie bei den civilisirten Tänzen, sondern fünf- und siebentaktige Rhythmen
aufweist. Dieselbe Freiheit zeigt die Melodie; diese hält sich enger wie die
der Türken an unser modernes Tonleitersystem; hieran namentlich ist zu
merken, dass die Ungarn früher in näheren Verkehr mit dem übrigen civili-
sirten Europa gelangten als die Türken, bei denen die arabischen Ton-
systeme vorwiegend die ganze Musikpraxis beherrschten. Auch die unga-
rischen Originalweisen, wie sie in der Puszta entstehen, lassen sich nicht
immer leicht in unsre Notenschrift übertragen, auch hier begegnen wir Melo-
dienschritten, die nicht immer in unsern Intervallen ganz deckend sich dar-
stellen lassen; allein sie erscheinen dann immer mehr als unmittelbar momen-
taner Ausdruck der überreizten Empfindung, weniger als Eigenthümlichkeit
eines andern Systems. Diese das Lied erzeugende Empfindung aber ist fast
stärker noch als bei den andern Völkern, welche Volkslieder haben; besondere,
hierauf beruhende, unterscheidende Eigenthümlichkeiteu der Melodiebildung
beim ungarischen Nationalliede können erst in den Artikeln Volkslied
und Volksmusik erörtert werden. Hier sei nur noch erwähnt, dass die über-
mässige Sekunde in den ungarischen Volksweisen häufig eingefühi't wird, wie
beispielsweise im Räcoczy-Marsch:
^
=j:
Diese Freiheit der Melodiebildung wird noch dadurch begünstigt, dass
auch die ungarische Volksmusik nicht bis zu einer geregelten Mehrstim-
migkeit gelangt ist. Die Ungarn sind zwar auch hier wieder einen Schritt
weiter gegangen wie die Türken, in den nationalen Musikchören der Ungarn
spielen die einzelnen Instrumente im Grunde auch alle nur die Melodie wie
bei den türkischen Chören: allein jedes einzelne Instrument schmückt sie nach
seinem abweichenden Charakter und der andern Technik in so eigenthümlicher
"Weise mit Figuren, Arpeggien u. dergl. aus, dass eine ganz seltsam wir-
kende Mehrstimmigkeit erzeugt wird, die, ganz abweichend von unserer kunst-
voll geübten, durchaus improvisirt erscheint und daher eine um so überraschen-
dere "Wirkung hervorbringt. Die ungarischen Musikanten werden meist
398
Ungarische Musik.
ebenso durch die unausgesetzte Hebung nach derselben Richtung zu Meistern
ihrer beschränkten Instrumente, wie sie sich mit aller Begeisterung in ihre
nationalen Weisen hineinleben und so ist es erklärlich, dass sie diese ein jeder
auf seinem Instrument in der entsprechendsten und zugleich wirksamsten Weise
darzustellen vermögen. Jetzt sind diese Chöre meist aus möglichst viel Streich-
instrumenten zusammengesetzt, zu denen sich das Lieblingsinstrument, das
Cymbal neben der Clarinette gesellen. Die älteren Instrumente, die Täro-
gato, die Kriegspfeife, sind ausser Grebrauch gekommen; die Turulya
(die Hirtenflöte) und der Tilinko (kleine Flöte) sind wie das Cymbal bei
der Hausmusik, deren der Ungar nicht entbehrt, im Gebrauch. Dies letztere
Instrument ist neben der Geige an die Stelle der alten Laute bei den Volks-
sängeru getreten. Jene Musikbanden gewinnen, wie erwähnt, eine ausser-
ordentlich grosse Fertigkeit auf ihren Instrumenten, deren Behandlung nichts
weniger als leicht und deren Ton an sich meist nicht sehr angenehm ist.
Weder ihre Geigen noch die Clarinetten und Cymbals sind vorzügliche Instru-
mente und dennoch vermögen sie ihnen Klänge zu entlocken, die oft einen
wunderbar tiefen Eindruck machen und welche ihre Dichter zu enthusiastischen
Lobgedichten begeistern. Von jenem Lehel, der zur Zeit der ersten Nieder-
lassung der Ungarn in Europa bei Munkäcs vor länger als einem Jahrtausend
aus dem Hörn des Elefanten, den er erlegte, sich ein Hörn schnitzte, mit dem
er dann austönte:
„Was sein Haupt ersann und was sein Herz beseelte.
Dröhnen konnte es gleich schwerstem Ungewitter.
Dann erklangs voll Lust, dann wieder herzensbitter.
Girren konnt's den Yöglein gleich, so zart und sinnig.
Das das Pärchen lockt von Zweig zu Zweig gar minnig."
und der vielfach in Liedern gefeiert wurde; bis zu Lavotta, Czermak,
B-uzcitcka wurde vor allem Rozsavolgyi als hervorragender Geiger solcher
Musikbanden von ungarischen Dichtern in ihren Liedern gefeiert. (Vergleiche
auch: Zigeuner.)
Wie bereits angeführt wurde, ist die ungarische Nation nicht über diese
anziehende Nationalmusik hinausgekommen. Seit jenem gelehrten Georg Slat-
konia, der als Bischof an der Stephanskirche (geboren 1456) zugleich Hof-
kapellmeister Kaiser Maximilian I. war, bis auf Liszt und Joachim, zählt
Ungarn unter seinen Söhnen manchen bedeutenden Tonkünstler, aber diese sind
es immer nur geworden, indem sie in andern Ländern ihre Studien machten.
Zu einer Weiterentwickelung im nationalen Sinne vermochte die nationale
Volksmusik sich nicht zu erheben. Nur von A^ersuchen aus neuester Zeit,
eine Nationaloper zu gewinnen, ist noch zu berichten; aber weder Erkel's
•siJIunyadi di Laszloi, noch Doppler's »Ilkaa können als solche gelten; sie
sind eben nur Opern nach der italienischen Schablone mit mehr oder weniger
glücklich eingefügten Volksmelodien.
Wie die ungarische Nationalmusik kunstvoll weiter zu bilden ist, das haben
namentlich einige deutsche Meister gezeigt. Von unzweifelhaft bedeutendem
Einfluss wurde die ungarische Musik auf Joseph Haydn, der während
seines Aufenthalts in Eisenstadt, als Direktor der Fürstlich Eszterhazy'schen
Hauskapelle, auch die magyarische Volksmusik kennen lernte und sich durch
sie befruchten Hess. Direct entlehnt er ihr nur in seltenen Fällen, wie etwa
in seiner Sinfonie (No. 11 in A-dur aus dem Jahre 1765) das Trio der Menuett.
Ungarische Musik.
399
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Bei andern wurde seine Thematik augensclieinlicli durch den Geist und Cha-
rakter der ungarischen Musik beeiuflusst, in der Weise wie in folgendem ersten
Thema des Allegro der vierten Sinfonie (in D-dur, 1764):
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das in der bunten Rhythmik diesen Einfluss zeigt, während er sich in dem
nachstehenden Andante:
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in der wunderlichen Verkräuselung der Melodie kundgiebt, der wir auch noch
in zahlreichen langsamen Sätzen seiner Streichquartette begegnen.
Weit bedeutender als diese directe Einwirkung, die sich in Entlehnung
oder Nachbildung zeigt, wurde der mehr indirecte Einfluss, den die ungarische
Musik auf Haydn gewann, indem er nur ihren Charakter auf sich wirken Hess.
So nur gelangte er dazu, dass er die Leidenschaftlichkeit der ungarischen
Musik zu herzlicher und entzückender Gemüthlichkeit abklärte; dass er ihre
Wildheit zu gediegener Lebendigkeit mässigte, ihr vePEehrendes Feuer zu be-
fruchtender Wärme abdämpfte und ihre regellose, alle Schranken künstlerisch
vermittelnder Schönheit überschreitende Willkür zähmte und zügelte und die
Musik in ewig schöne künstlerisch mustergiltige Formen goss. Diesen Ein-
drücken, welche Haydn aus der ungarischen Musik gewann, verdanken nament-
lich die Finales seiner Sinfonien ihre Frische und Lebendigkeit; sie erinnern
nach dieser Seite an das Fris — das Allegro oder Presto, mit welchem in der
Regel der Czä,rdäs oder auch andere Tänze oder Tonstücke der Ungarn aus-
gehen. Beethoven hatte bei seiner Musik zu »König Stephan« Veran-
lassung, diese nationalungarische Musik zu berücksichtigen; er that dies
in der Weise, die seinem nichts weniger als nationalbeschränkten, weltumfas-
senden Genius entsprach. Er fasste auch diesen nationalungarischen wie alle
anderen Stofi'e in seinen weitesten Beziehungen und schuf eine Musik, die
400
Ungarische Musik.
salbst da, -wo sie an die ungarische erinnert, immer als seine eigenste Erfin-
dung erscheint, nur der Ausdruck seiner eigensten Anschauungen und Emjsfin-
duncren vom AVesen des ungarischen Nationalcharakters ist. Dass nationale
Ei.?enthümlichkeiien für diesen Meister und seinen allumfassenden Geist nicht
eio'entlich vorhanden waren, zeigte er ja auch in seiner Bearbeitung der schot-
tischen Lieder.
Yon wesentlichem Einfluss war dagegen die ungarische Nationalmusik
für die Romantiker, zunächst und vor allen für Franz Schubert. Bekannt-
lich war er in Zelescz in Ungarn in den Jahren 1818 und 1824 bei dim
Grafen Job. E^^zterhazy als Hauslehrer und hier wurde er mit der ungarischen
Nationalmusik bekannt. Er sammelte die Melodien, die ihm die Zigeuner vor-
spielten oder die Mägde vorsangen und verarbeitete sie dann selbständig oder
als Theile grösserer Werke, lieber das Entstehen des y^ Divertissement ä la
Mongroisev. (op. 54) wissen wir, d-iss er sich das Thema aus dir Eszterhazy'schen
Küche holte, wo es eine Magd sang, als Schubert mii; seinem Freunde, dem
Herrn von Schönstein, vorüberging. Solchen Weisen oder doch Anklängen an
national-ungarische Melodien begegnen wir vielfach in seinen instrumentalen
Werken aus dieser und der späteren Zeit, wie im Scherzo und im Schluss-
satz der A-moll-^ ou&ie oder in dem Menuett des .^-woZZ-Quarletts (op. 29)
und im Schlusssatze desselben Quartetts. Namentlich dieser Satz zeigt, auf
welchem Wege die ungarische Musik sich aus ihren naturalistischen An-
fängen zur Kuastmusik entwickeln konnte. Das Hauptthema ist, wenn auch
nicht entlehnt, doch im Charakter der ungarischen Musik erfunden:
und wird dann zu einem der brillantesten und festgefügtesten Quartettsätze
verarbeitet. Auch die grosse Sinfonie in C-dur zeigt den Einfluss der un-
garischen Volksweise namentlich im zweiten Satz, ebenso das -almpromptu in
F-moll« (op. 142, No. 4), die r>Momens musicales«; die Sonate op. 143,
die vierhändigen Märsche, das C'-iwr- Quintett, die beiden Trios in Es-dur
und B-dur; die letzten Streichquartetten u. s. w.
Ein anderer Romantiker, Carl Maria von Weber, hat ausser der Musik
zur »Preziosa«, welche eine specifischa Seite der ungarischen Musik, die
Zigeunermusik, berücksichtigt, noch ein i?ow(7o ongarese und ein Allegro
ongarese geschrieben, die nicht bedeutsam genug sind. Seitdem ist die unga-
rische Welse noch vielfach von den jüngeren Romantikern verwendet worden,
bewusst und mit bedeutendem Erfolge von Brahms und Volkmann, von
Joachim uad vor allem von Franz Liszt. Brahms hat durch seine »un-
garischen Tänze« hauptsächlich sein Publikum erobert und seitdem wird
die ungarische Weise auch in seinen selbständigen Compositionea erkennbar.
Ungarisclier Werbungstanz — Ungestrichen. 401
Volkmann hat in seinen »Ungarischen Skizzen« (op. 24) und in seinem
op. 21 »Visegrud« mehr den Standpunkt Beethoven's gewählt, indem er
den ungarischen Nationalcharakter auf seine Phantasie wirken und dort Ton-
bilder erzeugen lässt und weniger sich unter den Bann der Nationalmusik
stellt, während seine 5- Jzfr-Sinfonie wie das ^-«zoZZ- Concert mehr diesem
unterstellt sind. Joachim verwendet in seinem »Ungarischen Concert« gleich-
falls ungarische Melodien. Besondern Reiz erhalten die y> Rhapsodies hon-
(jroisesa von Liszt, in denen echt ungarische Melodien vollständig im
nationalen Sinne verarbeitet sind, sodass sie den ungarischen Nationalcharakter
in der blendendsten Mannichfaltigkeit, mit seinen scharfen Contrasten so
treu wiederspiegeln wie kein anderes derartiges "Werk. Auch in seinem Ora-
torium »Die heilige Elisabeth« hatte Liszt Gelegenheit, streng unga-
rische Musik zur Lokalcharakteristik zu verwenden. Seitdem sind noch un-
garische Suiten und Concerte, ungarische Tänze und Märsche zu
Tage gefördert worden, doch meist nur als Produkte einer unkünstlerischen
Spekulation, die mit den anziehenden äusserlichen Mitteln nationaler Melodien
leicht und sicher die Massen zu blenden versucht. Sie können nur vorüber-
gehende Bedeutung beanspruchen und nehmen keinen Antheil an der Weiter-
entwickelung der Kunst unserer Tage. Das hat der deutschen Musik diese
universale Bedeutung gegeben, dass ihre Träger sich leicht fremdem Einfluss
öffnen, um zu neuen Thaten sich befruchten zu lassen; aber die Nachahmung
äusserlicher Effekte gehört in das Gebiet unkünstlerischer Spekulation und
erscheint daher nur verwerflich.
Ungarischer Werbungstanz, s. Verbunkos.
Unger, Caroline, in Italien Carlotta Ung her genannt, wurde zu "Wien
1800 geboren und erhielt auch dort die erste Ausbildung in der Gesangskunst,
welche sie dann in der Schule des Dominique Ronconi zu Mailand vollendete.
Ihr Aeusseres war ebenso imponirend, wie ihre Stimmmittel höchst bedeutend,
und nur einige Eigenthümlichkeiten ihrer Gesangsweise hinderten sie daran,
die höchsten Ziele zu erreichen. Sie trat als Cherubin in Mozart's »Figaro«
in Wien 1819 zum ersten Male auf, wurde dann, nachdem sie in mehreren
italienischen Städten gesungen hatte, in Paris engagirt. Bei einer zweiten An-
wesenheit in Italien wurde sie besonders glänzend aufgenommen. Sie sang zu-
letzt (1839) in Dresden, Triest und Florenz. Am letzteren Orte verheiratete
sie sich an Hrn. Sabatier. Es ist ein Schriftchen vorhanden: »Trionß melo-
drammatici di C. Ungher in Viennav. (Wien, 1839, in 8°).
Unger, Johann Friedrich, geboren zu Braunschweig 1716, war herzogl.
"braunschweigischer Justizrath, er erdachte ungefähr 1752 eine Maschine, ver-
mittelst welcher sich von selbst alles, was auf einem Ciavier gespielt wird, auf-
zeichnet, sobald diese Maschine an dem betreffenden Ciavier angebracht ist.
Ein Mechanikus Hohlfeld in Berlin verfertigte eine solche Maschine nach der
Angabe Unger's und legte sie der königl. Akademie vor. Da sie indessen
nicht für vollkommen praktisch angesehen wurde, erhielt er nur ein Geld-
geschenk von 25 Thlr. Unger gab 1774 eine Beschreibung der Maschine unter
folgendem Titel heraus: »Entwurf einer Maschine, wodurch alles, was auf dem
Ciavier gespielt wird, sich von selber in Noten setzt, 1752 an die königliche
Akademie der Wissenschaften zu Berlin eingesandt, nebst dem mit dem Herrn
Direktor Euler darüber geführten Briefwechsel u. s. w.« Unger stai'b in Braun-
schweig am 9. Februar 1781.
Ungerader Tact, s. Tact.
Ungerade Töne, s. v. a. authentische Töne, s. Tonart.
Ungestrichen oder klein heissen die Töne der dritten Octave zum Unter-
schiede von den vorhergehenden und den nachfolgenden. Bei der Aufzeichnung
der Töne durch Buchstaben in den frühern Jahrhunderten werden die ver-
schiedenen Octaven dadurch entschieden, dass man die zweite Octave mit grossen
und die dritte mit kleinen Buchstaben bezeichnete, bei der vierten dann einen,
Musikal. Convers.-Lexikon. X. 26
402
Ungher — Unisono.
bei der fünften zwei, bei der sechsten drei Striche über die Buchstaben stellte.
Diese letztern hiessen darnach die ein-, zwei- und dreigestrichene und
dem entsj^rechend die dritte oder kleine Octave auch die ungestrichene; die
tiefste oder erste Octave aber bezeichnet man mit Contraoctave:
Erste oder Contra-Octave.
Zweite
oder grosse Octave.
Dritte, kleine oder
ungestrichene Octave.
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^sta^b^m' Gl Dl El Fl Gl Ai Hl C D E F G A H c d e f g a h
Vierte oder
eingestrichene Octave.
Fünfte oder
zweigestrichene Octave.
Sechste oder
dreigestrichene Octave.
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e a
f g
Ungher, Carlotta, s. Unger, Caroline.
Ung'leicher Contrapuukt, Gontrapunctus inaequalis, ein Contrapunkt,
der in Noten von anderem, geringerem Werth, als der Cantus ßrmus, ge-
halten ist.
üngleichschwebende Temperaturen, s. Temperatur.
Unharmonischer Querstand, s. Querstand.
Unichordum = Einsaiter, das Monochord (s. d.) und die Marine-
trompete.
Unisono (ital.), franz.: ä l'unisson, im Einklänge, gehen zwei oder
mehrere, sonst gewöhnlich selbständig geführte Stimmen, wenn sie ein und die-
selbe Melodie in gleicher Tonhöhe gleichzeitig ausführen. Es ist dies bekannt-
lich die früheste "Weise der praktischen Musikübungen zur Zeit der Anfänge
unserer Kunst und die Völker des Orients u.nd die weniger civilisirten des
hohen Nordens und tiefen Südens der Erde sind bis heutigen Tages nicht
darüber hinaus gekommen. Noch heutigen Tages vereinigen sich bei den
Türken und Chinesen die sämmtlichen höhern Stimmen und Instrumente
zur Ausführung derselben Melodie in ein und derselben Tonlage, ebenso wie
die tiefen in der tiefern Octave. Bei den civilisirten Völkern des Alterthums,
den Juden und Griechen, entwickelte sich dann diese Weise des Gesanges zu
den sogenannten Wechselgesängen, den Antiphonien der Juden und den
in Strophe und Gegenstrophe dargestellten Chören der Griechen, bei denen die
höhern unisono zusammengehaltenen Stimmen mit den in einer andern, ihnen
bequemsten Tonlage unisono vereinten tiefern Stimmen abwechselten. Es ist
erwiesen, dass dieser antiphonische Wechselgesang auch noch Jahrhunderte lang
in der christlichen Kirche einzig geübt wurde, und dass dann erst die beiden
Wechselchöre zu gleichzeitiger Wirkung zusammengeführt wurden, so dass sich
nun erst die Mehrstimmigkeit daraus entwickelte. Diese ist seitdem in der
europäisch-abendländischen Musik herrschend geworden, das Unisono einzelner
Stimmen dagegen wird nur noch als ein wirksames Eifektmittel in einzelnen
Fällen angewendet. Wahrscheinlich in Rücksicht auf die oben erwähnte Weise
des Psalmodirens im althebräischen Gottesdienst hat namentlich Mendelssohn
in seinen Psalmen einen häufigen Gebrauch vom Unisono (und dem eng ver-
wandten Gesänge in Octaven) gemacht, wie in Psalm 2: »Warum toben die
Heiden«, besonders aber in Psalm 43: »Pichte mich Gott«, Bei dem Choral:
»Dir Heri', dir will ich mich ergeben« im Paulus fühi-en Sopran und Alt
Unisonus — Unrein.
403
die Melodio unisono und die Verbindung beidei' Stimmcharalitere zu einem
neuen ist hier von grossem Effekt. Im Orchester sind solche Unisono, in
welchen sich alle Stimmen auf einem Ton vereinigen, sehr selten. Die in
zweifacher Besetzung vorhandenen Blasinstrumente, die l)eiden Flöten, Oboen,
Clarinetten und Fagotte, Hörner und Trompeten werden ebenso, wie
erste und zweite Geigen, häufiger mit einander unisono geführt, wenn es gilt
eine Melodie herauszuheben. Den Flöten schliessen sich auch wohl Oboen und
Clarinetten im Einklänge an, häufiger noch in Octaven, wie die Fagotte. Ein
Gresammtunisono dieser Instrumente kann sich nur auf sehr beschränkten Um-
fang erstrecken, da dieser bei den erwähnten Instrumenten sehr verschieden ist
und bei jedem andern Voraussetzungen der Technik unterliegt. Ein Unisono
der gesammten Streichinstrumente giebt Meyerbeer in der Einleitung
zum fünften Akt seiner » Afrikanerin«. Mächtig eindrucksvoll weiss Beethoven
die Violinen und die Bratschen mit den Cellis im Unisono zu führen,
wie beispielsweise in der (7-?n o/Z- Sinfonie. Die Ausführung derselben Me-
lodie in Octaven macht eine ähnliche "Wirkung, wie die im Einklänge, weshalb
man sie häufig mit unter den Begriff ytunisonoa setzt und von einem solchen
spricht, auch wenn nicht alle Stimmen und Instrumente im Einklänge gehen,
sondern einzelne in der höhern oder tiefern Octave verdoppeln. So wirksam
auch solche Unisonos sind, und so wenig man sie an den passenden Stellen
verwerfen darf, so muss doch vor dem Missbrauch gewarnt werden. Namentlich
ist es nicht zu billigen, wenn in neuerer Zeit wieder versucht worden ist, weiter
ausgeführte chorische Sätze durchweg in den Singstimmen im Einklänge oder
in Octaven zu führen; der so erreichte Effekt ist viel zu äusserlicher Art, um
auf Billigung Anspruch erheben zu dürfen und der Gewinn an unmittelbarer
Virkung, den er bringt, ersetzt nicht die Einbusse an künstlerischem Werth,
den ein solches Werk dadurch erleidet. Mit Instrumenten darf man noch eher
in dieser Weise exj)erimentiren; dennoch würde auch das oben erwähnte Vor-
spiel der im Einklänge vereinigten Instrumente aus Meyerbeer's »Afrikanerin«
nicht zur Nachahmung emjifohlen werden dürfen.
Unisonus (lat.), der Einklang, zwei Töne gleicher Höhe von verschiedenen
Stimmen ausgeführt, nicht zu verwechseln mitPrime, welche Bezeichnung sich
auf das Intervallenverhältniss bezieht, die Identität mit sich selbst bestimmt.
Unitamente (ital.), übereinstimmend.
TJnreg-elmässig'e Cadenz wurde in früherer Zeit jeder nicht ganz vollkommen
ausgeprägte Abschluss in der Haupttonart oder der Tonart der Domi-
nante oder auch in einer fremden Tonart, die nur vorübergehend ergriffen
wurde, genannt. In der Regel bereitet eine solche unregelmässige Cadenz im
ersten AUegrosatze den Eintritt des zweiten Theils vor; in dem Concert für
ein Solo-Instrument mit Orchesterbegleitung wurde meist die von
dem Solisten zu erfindende sogenannte Cadenz, in welcher er seine besondern
Fertigkeiten entwickeln soll, eingeleitet, wie im C-dur-Concert von Beeth-
oven, op. 15:
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TJnregelmässiger Durchgang — Unrein.
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TJnregelmässiger Durchgang, Transitus irregularis, die "Wechselnote,
noia eamhiata, s. Wechselnote.j
Unrein, im Gegensatz von i'ein, wird in mehrfacher Bedeutung auch in
der Tonkunst angewendet. In Bezug auf die Stimmung bezeichnet man damit
das getrübte, incorrecte Schwingungs- und Intervallenverhältniss. Nach unserer
Temperatur wird mathematisch rein, d. h. genau nach der, für jeden Ton
berechneten und festgesetzten Schwingungszahl nur die Octave geübt, alle
andern Intervalle weichen mehr oder weniger von der, physikalischen Reinheit
ab, ohne dass diese Abweichung unserem Ohr schon als unrein erscheint; erst
die Abweichung von den so gewonnenen Verhältnissen, ohne dass dadurch ein
neues sicher bestimmtes erreicht wird, bezeichnen wir mit unrein. Soll ein
Sänger von einem gegebenen Ton beispielsweise die kleine Secunde singen und
er singt so viel zu hoch, dass der von ihm gesungene Ton mit dem gegebenen
eine grosse Secunde bildet, so hat er falsch gesungen, wenn er dagegen zu
hoch singt, ohne die grosse Secunde zu erreichen, so hat er unrein intonirt.
Dem entsprechend sind Instrumente falsch gestimmt, wenn sie andere Inter-
valle als die ursprünglich geforderten angeben, unrein, wenn sie diese in em-
pfindlichen Abweichungen geben, ohne dass sie wirklich zu neuen festbestimmten
werden. In diesem Sinne heisst auch der Gesang und das Spiel bei allen den
Instrumenten unrein, bei denen der Ton erst vom Spieler erzeugt wird, bei
den Streich- und Blasinstrumenten; bei den Tasteninstrumenten aber
nennt man auch das Falschspielen, das Anschlagen falscher Töne unrein,
was passender mit unsauber zu bezeichnen wäre. — Ferner wird der Klang
als unrein bezeichnet, wenn er rauh, heiser und unklar wirkt. Die Ursachen
liegen im klingenden Material, wenn dies durch geringe und ungleiche Con-
sistenz die gleichmässige und gleichartige Schwingung verhindert und die Yer-
mischung verschiedener Schwingungsbewegungen, die in keinem rechten Yer-
hältniss zu einander stehen, verursacht. Nicht fest genug, oder aus ungleich
knotigen Fäden gedrehte Darmsaiten, leichter biegsame Stahlsaiten, unsauber
gearbeitete Orgelpfeifen, deren Wände nicht hinlänglich dick, und aus schlechtem
Holz oder Metall gefertigt sind, geben leicht, und wenn die erwähnten Eigen-
schaften des betreffenden Materials besonders hervorstechen, immer unreine
Klänge, und es ist meist auch nicht möglich, mit diesen Instrumenten die
Intervallenverhältnisse rein zu erzeugen. Auf Streichinstrumenten, die mit
Saiten bespannt sind, welche unreine Klänge erzeugen, ist es auch dem be-
deutendsten Virtuosen meist nur mit Anstrengung möglich, reine Töne zu
erzeugen, rein zu spielen. Aus alle dem ist erklärlich, weshalb man endlich
auch die Verstösse gegen den sogenannten reinen Satz als unrein bezeichnet.
Wie in dem betreffenden Artikel nachgewiesen worden ist, sind die Regeln
des reinen Satzes über Stimmführung, Melodie und Harmonisation
Unterarme — Unterdomiuant. 405
namentlich mit Rücksicht auf die Klangwirkung entworfen und aufgestellt.
Verstösse dagegen trüben dem entsprechend diese, machen sie in demselben
Sinne zu einer unreinen, wie die Abweichung von den festgestellten Inter-
vallenverhältnissen, und so erscheint die Bezeichnung eines solchen Satzes, als
unreiner Satz, ebenfalls vollständig gerechtfertigt.
Unterarme heissen die Theile der Orgelregisterwellen, an denen die Schieb-
stangen mit den Registerknöpfen befestigt sind.
Unterbass, s. v. a. Subbass (s, d.).
Unterbrochene Cadeuz = der Trugschluss (s. d.).
Unterciavier, Unterwerk, TJntermanual ist bei der Orgel mit mehreren
Claviaturen immer die unterste, welche dem Pedal am nächsten liegt.
Unterdomiuant, Quarta tont, die vierte Stufe der diatonischen Tonleiter,
die vollkommene Quarte. Sie bildet sowohl bei der Construktion der Ton-
leitern, wie bei dem harmonischen Formationsprocess einen der wich-
tigsten Factoren und zugleich einen der Hauptangelp unkte derselben. Selbst
in jenen Systemen der Völker der alten Welt, welche nicht in dem Bestreben
zu formen aufgestellt wurden, wie beispielsweise in den gi-iechischeu Tonsystemen,
finden wir das eigeuthümlich gestaltende Verhältniss der Quarte als Unter -
dominante wirksam. Die Grundlage dieses Systems bildet das Tetrachord,
dessen unwandelbar feststehende Grenzpunkte auch bei den anderweitig ver-
schieden construirten Systemen nicht verändert wurden. Wie dies Verhältniss
die sogenannten Quartengattuugen erzeugte und bei den Trans p ositions-
scalen bedeutsam wurde, ist an dem betreffenden Orte nachgewiesen worden,
und wir fanden es durchaus wahrscheinlich, dass die früheste Lyra in Quarten:
c—f und g — c gestimmt war. In der christlichen Musik wurde dann neben
der Theilung der Tonleiter durch die Quart, auch die durch die Quint ge-
staltend und die letztere erlangte endlich die Herrschaft als Dominant, so
dass dann auch die Unterdominant als Dominantbewegung und zwar
nach unten aufgefasst wurde. Wir sahen auf diesem AVege die sogenannten
Kirchentonarten entstehen, die authentischen, bei welchen die Quinte
die untere, die Quarte die obere Hälfte bildet; und die plagalischen,
bei denen umgekehrt die untere Hälfte durch die Quarte und die obere
durch die Quinte gebildet wird. Wir fanden dann, dass es namentlich das
Quartenverhältniss war, was die Einführung des ersten versetzten Halb-
tons, des '? (f—b), nothwendig machte und zwar als selbständigen Ton, als Er-
satz für h und wie die Versetzung der Tonarten lange Zeit nur nach dem
hierauf basirten genus molle (die Unterdominant) erfolgte, bis allmälig auch
die übrigen Halbtöne Eingang fanden und nun erst wurde mit der Ober-
dominante die moderne Tonleiter herrschend. Aber auch die Unter dominant
zeigte ihre Bedeutung schon bei der Construktion des ganzen modernen Systems;
nur die Kreuztonarten wurden dadurch gewonnen, dass man den Process
der Bildung der Tonleiter nach der Oberdominantseite fortführte; erst indem
man diesen auch nach der Unterdominantseite entwickelte, gewann man
die Be-Tonarten und damit die Durtonarten des modernen Systems.
Dem entsprechend erhielt aber auch die Unterdominant die gleiche Bedeutung
für die Construktion des Kunstwerks. Der Dreiklang der Unterdominant er-
langt beim Harmonisationsprocess, der sich auf das moderne Tonsystem gründet,
mehr als nur, wie die andern, ausgestaltende Bedeutung; er wird zugleich, wie
das Intervall bei der Tonleiter, einer der Angelpunkte der Tonart und als
solcher selbstverständlich wichtig für die Bildung der grossen und kleinen
Formen. Es wurde bei der Liedform und beim Tanz schon nachgewiesen, wie
aus dem intimen Verhältniss von Tonika und Dominant die Mittel erwachsen,
diese Formen harmonisch zu gestalten, dort beim Liede die Verszeilen, hier
beim Tanze die rhythmischen Gruppen abzugrenzen und unter sich in Ver-
bindung zu bringen und dadurch zum grossen Ganzen zu gestalten. In dem-
selben Bestreben wird dann die Unterdominant herbeigezogen, welche als
406
Untergescliobene Accorde — Untergescliobener Ton.
Dominantbewegung nach unten genau dieselbe gestaltende Kraft besitzt, zugleich
aber auch den Inhalt in neuer, vertiefter Weise darstellen hilft, denn wie die
Oberdominant eine Steigerung nach der Höhe bezeichnet, so die TJnter-
dominant ein Versenken nach der Tiefe, wogegen dann die Rückkehr nach
der Tonika wiederum als Steigerung erscheint. Die Bildung des Schlusses ist,
fanden wir weiter, durch Tonika und Dominant allein zu bewerkstelligen, aber
dieser erhält grösseres Gewicht, wenn auch noch die TJnterdominant hinzu-
gezogen wird. Diese nahe Beziehung, welche die Unterdominant zur Ober-
dominant gewinnt, lässt es fernerhin möglich erscheinen, dass man diese auch
mit jener unter Umständen vertauschen kann. Das Trio beim Marsch und
beim Tanz dient, wie nachgewiesen wurde, ausschliesslich dem Ausdruck der
Empfindung, während die ursprünglichen Formen an äussere Yorgänge an-
knüpfen, diese Empfindungen aber sind in den meisten Fällen wehmüthiger Art
und dem entspricht die Unter dominant mehr als die Oberdominant;
deshalb tritt in solchen Fällen an Stelle der letztern diese, während es sonst
Norm ist, das Trio der Oberdominant zuzuweisen.
Nach diesen Gresichtspunkten kann es auch geboten sein, ganze Partien
der grössern selbständigen Instrumentalformen der Unterdominant zuzuweisen.
Beim eigentlichen Sonatensatze (dem ersten Allegrosatz) berücksichtigt die Mo-
dulationsordnung in der Regel nur in der Coda die Unterdominant in aus-
gedehnterer "Weise: der Hauptsatz wird in der Haupttonart, der Seitensatz
in der Dominant (unter Umständen der Mediante) eingeführt; im Durch-
führungssatz herrscht dann die nöthige Freiheit der harmonischen Construktion
und bei der Wiederholung des Hauptsatzes und Nebensatzes als dritten Theil
herrscht dann die Haupttonart vor, allein hier kann es ebenso begründet sein,
das zweite Thema (den Seitensatz) in der Unterdominant einzuführen,
vielleicht vor dem ersten, dem Hauptsatz, und diesen dann in der Haupttonart,
oder, wenn die Durchführung darnach eingerichtet ist, den Hauptsatz in der
Unterdominant und den Seitensatz wie die anschliessende Coda im Haupt-
ton. Es widerstreitet diese Modulationsordnung durchaus nicht der Idee
der Form, wenn auch die erste ursprüngliche als die natürlichere gelten muss;
unter Umständen, durch den Inhalt bedingt, kann aber die zweite, ausnahms-
weise die einzig entsprechende sein. Als durch die Dominantbewegung erzeugt,
kann natürlich die Unterdominante überall für die Oberdominant ein-
treten, wo es der Inhalt erfordert; daraus aber ist ebenso zu folgern, dass
diese Vertretung am unrechten Ort den Eindruck nothwendig abschwächen
muss. Wo Erhebung gefordert wird, ein präciser gewichtiger Fortschritt und
vor allem ein sicheres Ausprägen der ursprünglichen Form wird immer die
Bewegung nach der Oberdominant geboten sein; die Unterdominant-
bewegung wirkt abschwächend, beruhigend, die Conturen verwischend.
llntergreschobene Accorde oder Stammaccorde zweiter Ordnung nannten
ältere Theoretiker den Nonen-, Undecimen- und Terzdecimenaccord
ein Verfahren, das nur in der Lust zum Schematisiren seinen Boden findet,
aber ohne stichhaltigen Grund ist und keinen rechten Zweck verfolgt. Das-
selbe gilt von der Bezeichnung:
Untergeschobener Tou für die zum Septimenaccord anstatt seines Grundtons
gesetzte Tonika:
¥
■3^-
-^-
iä:
--^^
i
Selbst wenn die Tonika hier in beiden Fällen wieder angeschlagen wird, behält
sie doch immer den Charakter eines orgelpunktartigen Haltetons und bedarf
Unterlialbton. 407
keines besondern Namens, der hier nocli ziemlich unpassend erscheint, da man eher
den Septimenaccord als eingeschoben bezeichnen müsste.
Unterbalbtou, Semitonium, Suhsemitonium modi, die grosse Septime,
als solche Leitton zur Tonika und dementsprechend der Tonart, daher Sub-
se mit Olli um. Als unmittelbar unter der Octave liegender Halbton wird durch
ihn die Bewegung der aufsteigenden Scala in der Octave zum Schluss geführt.
Er wurde für die Entwickelung des modernen Tonsystems von grösster Wichtig-
keit, das ältere konnte ihn bei seiner melodischen Construktion entbehren.
Für dies ist gerade die verschiedene Lage des Halbtons von charakteristischer
Bedeutung; nur bei zwei Tonleitern desselben, die von c und die von _/ aus
construirten, war der zweite Halbton zugleich Leitton, dort h—c, hier e—f,
die zweite aber kam, des Tritonus f— li halber nur selten in Anwendung. So
lange die Tonarten dieses ganzen Systems nur melodisch verwandt wurden,
beobachtete man diese Verhältnisse gewiss ganz genau und sang dorisch,
phrygisch, mixolydisch und äolisch zweifellos ohne Leitton; erst die
harmonische Ausgestaltung des Systems machte die Einführung des Leittons all-
mälig auch bei den andern Tonarten nothwendig und damit beginnt die Auf-
lösung des alten und die allmälige Ueberleitung in unser modernes System.
Man darf mit Recht demnach die Einführung des Leittons als den direkten
Grund des Absterbens des alten Tonsystems und als Anfang unseres neuen
bezeichnen. Er gliedert die moderne Tonleiter in zwei ganz gleich construirte
Hälften, Tetrachorde, c— d— e—f, g— a — Ti—c und giebt ihr in dem zweiten
den energischsten Abschluss. Wie dann das zweite als erstes gesetzt und diesem
ein neues ganz gleich gebildetes angefügt wird, um die neue Tonleiter G-dur
mit dem neuen Leitton fis, zu erhalten und wie weiterhin durch die Fort-
setzung dieses Processes die Kreuztonarten entstehen, ist im Artikel Tonart
nachgewiesen; ebenso wie das entgegengesetzte Verfahren, das erste als zweites
zu setzen, dem dann ein erstes vorauszustellen ist, auf die Betonarten führt. Die
Nothwendigkeit, auch bei der aufsteigenden Molltonleiter den Leitton anzu-
wenden, ergab die abweichende Führung, welche sie der gleichnamigen Dur-
tonleiter näher verwandt erscheinen lässt, als der verwandten. Die Verwandt-
schaft mit der C-f?«r-Tonleiter rechtfertigte die Construktion ohne Versetzungs-
zeichen: a — Ji — c — d — e—f — y — «. Allein eine solche Tonleiter erscheint fremd
in unserm modernen System. Der vorletzte Ton wurde also zum Leitton er-
höht, g in gis verwandelt, und um das diatonische Verhältniss wieder her-
zustellen, auch f in ßs, so dass die A-moll-T ovXeÜQr sich so darstellt:
a—h — c—d—e—ßs—gis — a; erst bei der absteigenden wurde dann die Ver-
wandschaft mit der Paralleltonart ausgeprägt, sie wurde getreu nach der Vor-
zeichnung derselben: a—g—f—e — d — c — h — a construirt. In dieser doppelten
Fassung gilt sie dann unserm modernen Tonsystem als Normaltonleiter, nach
welcher die andern Molltonleitex-n ebenso gebildet werden, wie die Durtonleiter
nach der (7-J«<r-Tonleiter. Bei der Erweiterung des Tonartensystems nach der
TJnterdominantseite ist es immer der Leitton, der in der nächsten Tonart ver-
tieft werden muss; der C-f?Mr-Tonart folgt im Quartenzirkel F-dur, bei welcher
Ä, der Leitton von G-dur, in & verwandelt wird; dann folgt B-dur, bei welcher e,
der Leitton von F-dur, in es verwandelt wird; der Leitton von B-dur ist a
und dieser wird in der folgenden Tonart Fs-dur in As verwandelt u. s. w. Der
Leitton heisst auch der charakteristische Ton, nota characteristica, ton sensible,
weil er direkt in die Tonika führt und dem diese unmittelbar vorbereitenden
Dominantaccord nothwendig erforderlich ist. Darnach ist auch seine Auflösung
im Dominantseptnccorde und Dominantdreiklange, sobald dieser die Stelle des
Septaccordes vertritt, geboten; der Leitton löst sich, namentlich wenn er in
der Oberstimme liegt, immer in die Octave auf; a) in der Mittelstimme geht
er unter Umständen auch nach der Quint b):
408
Unterhaltungsmusik.
doch sind die vorhergehenden Auflösungen immer vorzuziehen; der Tenor wird
immer die "Wendung unter b) mit Unbehagen ausführen. Selbstverständlich
behält der siebente Ton der Tonleiter nur in diesen und ähnlichen Fällen seinen
Charakter als Leitton; er verliert ihn und gewinnt durchaus freie Bewegung,
sowie er anders harmonisirt erscheint:
"TT '~~
^
?— ;
^
c?
=o^
S
^3
—
b^ m
^
^
"^=r
C3
^
^
CT
■ C5
t^
^
^
^' =5
^ —
=SZZ
Bei der grossen Bedeutung, welche demnach der Leitton gewinnt, ist er
namentlich auch bei der Ausführung mit grosser Sorgfalt, namentlich beim
Gesang, zu behandeln. Selbst a ca2)eUa-Ch'öre werden selten unrein singen und
im Ton sinken, wenn der Dirigent darauf hält, dass der Sänger den Leitton,
in welcher Stimme er auch auftritt, scharf und sicher intonirt. Das ist nicht
schwierig bei den Tonarten mittlerer Lage, bei welchen die zum Detoniren
leichter geneigten Soprane und Tenöre mehr ihre bequemeren Lagen verwenden
können. Daher sind die Sänger bei Chören in 0-dur schon leichter ffeneisft
zu detoniren, als in Ä-, B- und S-dur, weil die Septime f und die Terz des
tonischen Dreiklangs e beim Tenor im Stimmbruch liegen, mehr aber noch bei
den Tonarten Es-, E-, F-, Fis- und G-dur, weil hier die Leittöne vom Sopran
und Tenor nicht so leicht genommen werden, und nicht vollkommen ausge-
bildete Sänger nur zu bald ermüden, so dass die Reinheit des Tons dann meist
nicht mehr zu erhalten ist. Derartige Sätze bedürfen der besondern Aufmerk-
samkeit der Sänger wie des Dirigenten.
Unterhaltungsmusik im engern Sinne ist diejenige Musik, welche keinen
andern Zweck verfolgt als den, wie Gresellschaftsspiele, Erfindung und
Erzählen von Geschichten und Schwänken, Taschenspielereien
oder leichte amüsante Gespräche und dergl., grösseren oder kleineren Kreisen
angenehm die Zeit zu vertreiben. Schon der Umstand, dass die Unterhaltungs-
musik damit einem ausser ihr liegenden Zweck entspricht, lässt sie etwas tiefer
stehend erscheinen als jene, welche zunächst nur der nach Offenbarung ringen-
den Idee dient. Allein die Unterhaltung an und für sich ist doch auch eine
solche Nothwendigkeit für Geist und Herz, dass sie, als Ziel gesetzt, noch
nicht unedel, sondern vielmehr durchaus schätzenswerth erscheint. Der Geist
bedarf solcher Erholung nicht minder als der Körper und um so mehr, als er
sie nicht eigentlich wie dieser im vollständigen Nichtsthun findet. Der Geist
ist vielmehr immer thätig, er bedarf deshalb oft dringend der Unterhaltung,
um durch sie von schwerer, anstrengender und aufreibender Arbeit auf eine
Zeit wenigstens abgelenkt zu werden. Das aber vermag die Musik meist in
so vollendeter Weise wie kaum irgend eine andere Unterhaltung, weil sie uns
unmittelbar packt, gewaltsam auf uns eindringt, auch wenn wir uns ihr zu
entziehen versuchen und weil sie dies zugleich in der angenehmsten, beruhi-
gendsten Weise zu thun vermag. In diäsem Sinne gewinnt selbst die blose
Unterhaltungsmusik eine durchaus nicht zu unterschätzende Bedeutung. Dabei
ist es ihr vergönnt, in Verfolgung dieses Zieles selbst noch rein künstlei'ische
Zwecke anzustreben, wie denn überhaupt ihr specifischer Werth durch die
Unterhaltungsmusik. 409
verschiedenen Kreise, denen sie Unterhaltung gewährt, viel bedingt wird.
Je gebildeter diese sind, desto bedeutsamer werden Formen und Inhalt des
Kunstwerks sein müssen, das ihnen Unterhaltung gewähren soll, und in diesem
Sinne werden selbst die grössten Meisterwerke zur Unterhaltungsmusik. Doch
betrachtet man diese in der Regel nicht iu dem Sinne. Doch auch die reine
Unterhaltungsmusik zeigt, nach dem Bildungsgrade der Kreise, für welche
sie berechnet ist, die verschiedensten Abstufungen. Ihren Zweck, angenehm
zu unterhalten, wird sie natürlich dann am Ersten erreichen, wenn sie an das
Yerständniss des Hörers keine zu hohen Forderungen stellt, nur leicht und
anmuthig anregend und vielmehr beruhigend als aufreizend wirkt, wenn sie mit
einem Wort mehr die äusseren als die inneren Sinne bewegt. Sie wird deshalb
die vorwiegend sinnlich reizvoll und schlagend wirkenden Darstellungsmittel
Melodie und Rhythmus mehr berücksichtigen, als die Harmonie, die schon
intimeres Yerständniss erfordert, wenn sie in grösserer Fülle und Breite wirk-
sam wird. Reizvolle Melodik und pikante Rhythmik sind deshalb die
Hauptbedingungen einer zweckentsprechenden Unterhaltungsmusik. Mit der
Fülle des Reizes aber, die beide entwickeln, steigert sich natürlich dann auch
die Anforderung an die Harmonik, so dass diese ebenfalls zu grösserer
Entfaltung gelangt. "Wie die Art der gesellschaftlichen Unterhaltung durch
die verschiedenen Bildungsstufen der betreffenden Kreise bedingt wird, so auch
die Unterhaltungsmusik. Wem es nur darum zu thun ist, eine oder einige
Stunden angenehm zu verbringen, der wählt zu seiner Unterhaltung für diese
Zeit die leichte Leetüre, das oberflächlich über Dinge und Menschen sich
erstreckende Grespräch, oder die weniger complicirten Gesellschaftsspiele. Wer
dagegen auch in der Unterhaltung Nahrung für Geist und Herz, Stoff für seine
weitere Entwickelung in angenehmerer Form sucht, der findet sie natürlich
hier noch nicht, der muss eine entsprechende ernstere Leetüre, der muss die
Conversation mit den tiefer und reicher gebildeten Geistern suchen, für den
genügen Gesellschaftsspiele nur, wenn sie zugleich auch Geist und Gemüth
anregen.
Noch bedeutsamer aber wird die Unterhaltung sein müssen, wenn es gilt,
den tief und mächtig erregten Geist zu beruhigen. Stürme, die im Innern
herauf beschworen wurden, zu besänftigen; innere Kämpfe, wenn auch nicht
abzuschliessen, doch auf einige Zeit zum Stillstand zu bringen, oder den Geist
von schwerer Arbeit abzulenken. Das gilt in gleichem Grade von der Unter-
haltungsmusik. Soll diese nur über eine gewisse Zeit geistigen Ausruhens
hinweg helfen, dann wird sie leichter und oberflächlicher gestaltet sein können,
wie wenn sie zugleich auch anregend auf Geist und Herz einwirken oder wenn
sie sogar beide beruhigen, aus beiden die das Gleichgewicht störenden Ein-
drücke entfernen soll. In jenem Falle braucht sie eben nichts weiter zu sein
als Unterhaltungsmusik, die durch leichtes gefälliges Spiel die Zeit ver-
kürzt; in den andern Fällen muss sie der ernstern Aufgabe gemäss auch tiefer
und ernster gefasst werden. Schon in den frühesten Zeiten der Entwickelung
unserer Kunst, selbst da, als sie noch fast ausschliesslich im Dienst der Kirche
stand, diente sie schon auch der Unterhaltung und zwar selbst mit den
Formen, die innerhalb der Kirche entstanden und als der direkte Ausdruck
religiöser Empfindung erscheinen.
Als solche Unterhaltungsmusik müssen wir jene Parodien der Cultus-
gesänge, die im Fugen- und Canonstil gehaltenen Scherzgesänge, welche
schon zur Zeit der emportreibenden Blüthe des Chorgesanges bei den Nieder-
ländern selbst in Klöstern geübt und auch von den Meistern des Contrapunkts
nicht verschmäht wurden. Die ernst-kirchlichen Formen, mit den aus-
gelassenen profanen Texten, gewährten jener Zeit einer natürlichen urwüchsigen
Rohheit eine Unterhaltung von grossem Reiz. Ganz besonders waren die
Lieder jener Mischpoesie beliebt, durch welche die einzelnen Verse lateinischer
Kirchengesänge eigenthümliche deutsche Umdichtung fanden, wie:
410 Unterlialtungsmusik.
„ Yenite —
Uns gesellen besweret sorgen
Den abent und den morgen:
Wir sin frölich unverborgen.
Salutari nostro praeoccupemus
An gutem Tranke uns wol genüget
Ob es sich füget
Ein voll fass wird uns geruget.
In confessione
Da von so werden wir hochgemut
Der wirt gibt uns spise gut.
Juhilemus et quordam
Und die braten von der glut.
Ob es euch dünket gut."
Als dann das Volkslied zu grosser und höchster Blüte gelangte, das dem
edelsten Bedürfniss des Volks entsprach, wurde auch dies Stoff zu einer eigen-
thümlichen Form der Unterhaltungsmusik in den sogenannten Quodlibets,
in denen die verschiedensten Volkslieder zu einem drolligen, meist sehr drastisch
wirkenden Tonsatz verbunden sind. Wie bekannt, wurden solche Quodlibets
unter den Musikanten, Organisten und Cantoren bei ihren Zusammenkünften
zu besondex'er Gemüthsergötzung improvisirt; der ganze tolle Humor jener Zeit
fand in ihnen seinen drastisch wirkenden Ausdruck. Daneben wurden auch
solche Quodlibets von den Componisten zusammengestellt; es sind uns solche
von Orlandus Lassus, Johann Eccard, Melchior Frank, Georg
Forster u. A. erhalten. In einem Eccard'schen Quodlibet beginnt der Tenor:
„Kessel, Multer binden, Pfannen flicken —
Ein alter Mann, der nahm ein' junge Frau" —
und sofort fällt der Alt ein:
„Nun woUf ich hören neue Mähr —
Zu meiner Königinn" —
und der Bass zugleich
„Ich will zu lant ausreiten —
Es ist ein Seusack kommen" —
Ein Viertel später kommt der erste Diskant hinzu mit der Melodie:
„Warum sollt ich nit fröhlich sein"
und der zweite mit:
„Der Müller auf der Obermühl' —
Die hat ob ihm ein Grauen" —
und endlich auch der zweite Tenor:
„Es hat ein Schwab ein Töchterlein —
Und haben guten Muth" —
und dann geht es so fort in immer tolleren Zusammenstellungen, bis sich end-
lich alle Stimmen in dem Schlussrefrain einigen:
„Trink gar aus, noch muss er unser Schwager sein!
Wisch einmal herumb, ich bitt dich all mein lebtag drumb,"
der ein beliebter Schluss für derartige Quodlibets gewesen zu sein scheint, da
er uns öfter begegnet. Noch in der ersten Hälfte des gegenwärtigen Jahr-
hunderts waren solche Quodlibets für eine Stimme in gewissen Kreisen eine
beliebte Unterhaltung; sie fanden selbst als Einlage in der komischen Oper
und im Singspiel ein dankbares Publikum. Mittlerweile hat das Lied eine so
hohe ernst künstlerische Bedeutung gewonnen, dass seine Verwendung zu solchen
Quodlibets wie Profanation erscheint, wir begegnen ihnen daher nur noch auf
instrumentalem Gebiet in den sogenannten Potpourri's.
Es liegt in der Natur der Instrumente begründet , dass die Instrumental-
musik leichter dem Bedürfniss nach blosser Unterhaltung entspricht, als die
Vocalmusik; der oberflächlichste Gesang regt immer noch tiefer und nachhal-
tiger an, als die entsprechend einfache Instrumentalmusik, weil der Gesangton
an sich seelenvoller und innerlich belebter ist als der Instrumentalton und so
Unterlabium — Unterlegen des Textes. 411
ist es erklärlich, dass die Instrumentalmusik viel öfter zur blossen Unter-
haltungsmusik wird als die Vocalmusik.
Als solche erscheinen zunächst die verschiedenen Arrangements von Yocal-
sätzen für Instrumente, auch wenn diese sich nicht in der Form von Pot-
pourris darstellen. Solche Vocalsätze können durch Uebertragung auf Instru-
mente an Glanz und Macht der sinnlichen Wirkung gewinnen, aber diese
verliert mit dem Wort und dem Zauber der Menschenstimme entschieden an
Tiefe und Eindringlichkeit. Die Uebertragungen von Liedern, Arien, Opern-
finales und ganzen Opernacten gehören daher meist nur unter die Unterhal-
tungsmusik, wenn auch der höhei'n Art. Die Tanzmusik, wenn sie nicht
wirklich zum Tanz ertönt, gehört ebenfalls wie die Marschmusik hierher.
Sie nimmt einen höhern Standpunkt ein, wenn sie zugleich einen bestimmten
nationalen Charakter trägt und damit die Eigenthümlichkeiten eines Volkes
charakterisirt oder die Physiognomie eines bestimmten Meisters der Tanzmusik
trägt. In diesem Sinue wurden bekanntlich die Tänze des 15., 16. und 17.
Jahrhunderts schon von den Meistern der Instrumentalmusik gepflegt und
schliesslich zu der Kunstform der Suite zusammengefügt, und im 19. Jahr-
hundert gewann der Tanz nicht nur durch Männer wie Strauss, Lanner,
Labitzky, sondern auch durch Meister wie Weber, Schubert und Chopin
künstlerische Bedeutung. Er bleibt noch Unterhaltungsmusik auch in dieser
Eorm und wird es namentlich bei Schubert und Chopin, indem er sich dem
praktischen Bedürfniss entzieht — es ist nicht immer leicht, nach diesen Tänzen
zu tanzen — aber diese gewährt Unterhaltung der edelsten Art. Das gilt dann
auch von aus dem Lied und Tanz hervortreibenden andern Instrumentalformen:
vom »Lied ohne Worte« — »Nocturno« — »Eantasiestück« u. s. w.
Vermag diesen der Tonsetzer nicht höhern Werth dadurch zu geben, dass er
sie individuell eigenartig gestaltet, gehören sie nur zur alltäglichen Unter-
haltungsmusik; erst wenn sich ein besonderer Inhalt in ihnen darlegt, treten
sie auf die höhere und höchste Stufe derselben. Im vorigen Jahrhundert be-
zeichnete man mit Divertissement sehr treffend jene aus der Suite her-
vortreibenden zusammengesetzten Tonsätze, die nicht einen so ernsten Inhalt
gewannen wie Sonate und Sinfonie und doch auch sich über die Tanzformen
erhoben. Dass die höchsten Kunstformen die beste und erspriesslichste
Unterhaltung gewähren, wurde bereits erwähnt und ist selbstverständlich; allein
unter die Unterhaltungsmusik zählt man sie deshalb doch nicht, weil sie
höhere Zwecke verfolgen. Die Oper, die Sinfonie, das Oratorium, die
Sonate, Ouvertüre, das Quartett, Trio u. s. w., die nur unterhalten, dürfen
eben nicht auf höheren Kunstwerth Anspruch erheben, einen solchen eidangen
sie erst dann, wenn sie die höheren Anforderungen erfüllen, die an diese Formen
nothwendig gestellt werden müssen.
Unterlabinm heisst die sanfte Einbiegung am Fusse einer Orgelpfeife un-
mittelbar unter dem Kern. Dieselbe stösst aber mit dem Kerne fast zusammen
und hat nach unten hin die Form einer Zunge oder eines Halbkreises. Bei
Prospektpfeifen ist auch das Unterlabium aufgeworfen.
Unterlage heisst bei dem Ciavier ein Stück Holz, das mit Leder überzogen
ist und auf das der hintere Theil der Taste fällt.
Unterlegen bei der Fingersetzung beim Clavierspiel, das Unterziehen eines
andern Fingers als des Daumens unter einen andern Finger, das nur nothwendig
war, so lange der Daumen nicht beim Clavierspiel angewendet wurde.
Unterlegen des Textes, die Thätigkeit, nach welcher einer vorhandenen
Melodie ein Text Wort für Wort angepasst wird. Es geschieht dies bekannt-
lich vielfach mit Choral- und mit Volksmelodien, denen immer neue
Texte angepasst werden. Auch Instrumentalmelodien sind schon Worte unter-
gelegt worden. Bei den Chor formen und namentlich bei den künstlischen,
contrapunktisch geführten bildet die Textunterlage ein besonderes Studium, da
sie die Wirkung des Ganzen ausserordentlich fördern oder beeinträchtigen kann.
4J2 Unterleisten-Labien — Unterricht in der Musik.
Hier ist es nicht genug, die Gesetze der Prosodie und des Rhythmus zu beobach-
ten sondern es muss auch die Deutlichkeit der Textaussprache für alle Stimmen
möglichst gewahrt werden und das erfordert meist eine besondere Geschicklichkeit.
Uuterleisteu-Labien oder Kastenbart ist ein den Aufschnitt einer Orgeljjfeife
von beiden Seiten und von unten umgebender Bart.
Unterleitton nennen einige die Quart der Tonart, die als Septime des
Dominantaccordes eine ähnliche Bedeutung gewinnt, wie der eigentliche Leit-
ton, da sie den Accord, welcher die Tonika unmittelbar vorbereitet, charak-
terisirt und dieser Accord dieselbe Bedeutung gewinnt, wie der Leitton.
Unterinediante heisst die Unterterz der Tonart vom Grundton aus ge-
rechnet, im Gegensatz zur Obermediante, als welche die Oberterz Bedeu-
tung gewinnt. Als vermittelndes Intervall zwischen Grundton und Quint tritt
die Terz auch in ein näheres Yerhältniss zu diesen beiden Pfeilern der Tonart,
als jeder andere Ton und dies gewährt ihr auch einigen Antheil in der har-
monischen Entwickelung, so dass die Tonarten der Median ten dem tonischen
Dreiklange näher verwandt sind, als die andern und dass jede unter Umständen
die Dominant vertreten kann. Für die Molltonart wird diese Vertretung zur
Regel; sie findet ihre Erhebung nicht in der Dominant, sondern in der
parallelen Durtonart, das ist aber die Obermediante: in A-moU — C-dur, in
C-moll — Es-dur, in D-moll — F-dur u. s. w., sodass der Seitensatz eines Alle gro-
satz es in Moll, beispielsweise in O-moll, nicht in G-dur, sondern in Es-dur, iu
D-moll nicht in A-dur, sondern in F-diir eintritt u. s. w. Es ist einleuchtend,
dass für die Obermediante auch die Untermediante , in G-moll — As-dur,
in D-moU — B-dur, in A-moU — F-dur u. s. w. einstehen kann. Dies Verfahren
lässt sich aber ebenso leicht auf die Durtonarten anwenden, wie dies unsere
Meister häufig gethan haben. Beethoven führt den Nebensatz seiner G-dur-
Sonate, op. 31, No. 1, nicht in der Dominant B-dur ein, sondern in der
Obermediante R-dur, ebenso den Nebensatz der C-i«^r- Sonate, op. 53, nicht in
der G-dur-, sondern in der E-dur-Tonavi und ähnlich ist auch das Allegro der
grossen Leonoren-Ouverture construirt. Besonders reichen Gebrauch von
dieser Freiheit der Einführung der Medianten anstatt der Dominanten macht
auch Schubert in seinen Liedern und er verwendet ebenso häufig die Unter-
wie die Obermediante. Zunächst erstreckt sich die Einführung der Medianten
selbstverständlich auf die in der Tonleiter selbst liegenden, in G-dur auf die
E-dur- und A-dur-T ona,vi] allein wir können noch einen Schi-itt weiter gehen,
und da das ganze Verfahren ursprünglich dem bei der gleichnamigen Mollton-
leiter üblichen nachgebildet ist, auch deren beide Medianten für Dur adoptiren,
diese sind bei C-moll: Es-dur und As-dur, mit denen dann der Apparat für
C-dur zu erweitern ist, so dass für diese Tonart nicht nur die E-dur- und
A-dur-Tonart, sondern auch die Es-dur- und As-dur-Tona.rt an Stelle der Do-
minant eintreten können. Der weiche Dreiklang der Untermediant kann
selbstverständlich niemals die Dominant ersetzen, so dass in C-dur der Seiten-
satz anstatt in der G-dur-, recht wohl in der A-dur- oder As-dur-Tonart neben
der E-dur- und Es-dur- eintreten kann, niemals aber in der A-moll-Tonavi.
Unterricht iu der Musik. Plan und Ziel des Musikunterrichts werden
sich am sichersten aus der Betrachtung der Stellung ergeben, welche die Musik
im Leben der Völker einnimmt und die Bedeutung, welche sie überhaupt in
der Erziehung des Menschengeschlechts gewonnen hat. Der erste Blick nun
lehrt, dass sie in so enge und intime Beziehungen zum Leben getreten ist, wie
keine andere Kunst; dass sie es ist, welche sich von den frühesten Regungen
des menschlichen Geistes in der Kinderstube bis zum vollständigen Verlöschen
durch sein ganzes Leben schlingt, jede Phase desselben mit ihren besten
Schätzen begleitet. Wir erkennen sie als die Kunst, in der sich der mensch-
liche Geist am Unmittelbarsten ausspricht; durch die uns längst entschwundene
Zeiten, Zustände und Gestalten zu unmittelbarerem Erkennen und Erfassen
gegenwäi'tig werden, und welche die ganze Unendlichkeit der reichen "Welt des
Unterricht in der Musik. 413
Geistes, die weder das AVort zu umschreiben, noch der Griffel oder der Meissel
des Meisters abzubilden versteht, die überhaupt kein Auge eines Sterblichen
zu schauen vermag, zu vollständig fassbarer bis in die Einzelheiten trschöpfen-
der Darstellung bringt. Was je das Menschenherz empfunden, was es gehofft,
erduldet und ersehnt, was es gelitten oder was es in freudiger Lust emportrug
bis in die höchsten Regionen, alle seine Zustände von der göttlichen ßuhe,
kindlichen Unschuld, bis zu der stürmischen Hast verzehrender Leidenschaften,
vermag sie in ihrem Bilden in vollster Unmittelbarkeit festzuhalten, um es an
die fernsten Zeiten zu überliefern. Allerdings gehören aber auch intime Be-
ziehungen, gehört eine eingehende Beschäftigung mit ihr dazu, wenn sie in
dieser ihrer höchsten Mission sich wirksam erweisen soll. Wohl gewährt schon
die rein sinnliche Wirkung des Tons einen edlern Genuss, als die ähnliche
Wirkung des Materials der andern Künste, aber ein wahrhaft sittliches Interesse
hat die Musik doch auch nur für den, der nicht nur das Material in seiner
rein sinnlichen, reizvollen Gewalt auf sich wirken lässt, sondern dem sich zu-
gleich die Idee erschliesst, welche die Materie wirken hiess; wenn sich seinem
Auge die Phantasiebilder vermitteln, welche der Tondichter in ihr Gestalt
werden Hess. Diesen Standj^unkt aber lässt nur eine allgemeine Musik-
bildung gewinnen. Wohl ist auch jetzt noch die blosse Lust am Musiciren
immer noch vorwiegend, aber daneben macht sich auch ein immer mächtiger
werdender Trieb nach tieferer Einsicht in die Geheimnisse gerade unserer
Kunst hochbedeutend geltend.
Fragt man nun zunächst nach den Zielen einer solchen Musikbildung, so
stellen diese sich uns nach zwei Eichtungen dar: die eine, die allgemeine
Musikbildung, die man als dilettantisch bezeichnet, soll Anleitung geben
das Kunstwerk zu geniessen, die andere, die künstlerische, es zu schaffen,
sei es produktiv, also selbstschöpferisch oder reproduktiv, nachschaffend.
Indem wir uns anschicken, die verschiedenen Institutionen, welche diesen Zwecken
gewidmet sind, durch die verschiedenen Phasen des Lebens zu betrachten, stellt
sich uns gleich die Kinderstube dar, die schon eine grössere Bedeutung hat,
als man ihr gewöhnlich zugestehen will. In der Kinderstube schon wird dem
Charakter in der Pegel seine eigentliche Sichtung gegeben, dort werden ihm
meist schon alle die Eigenthümlichkeiten angebildet, die das Leben nachher
erst vollständig ausbildet, wenn nicht verdrängt; das gilt nicht minder von der
Musik. Der Einfluss des Wiegenliedchens der Mutter oder der Amme,
des lustigen Liedes, das sie ihm singen, um ihn still zu machen, oder um seine
Spiele zu begleiten, des Tänzchens oder des Marsches, zu dem sie sich mit
ihm verbinden, ist sicher unberechenbar gross, wie es nicht minder von direktem
Einfluss ist, ob das Kind in frühester Jugend öfter den lebendigen Gesangton,
oder den der verwandten Blas- und Streichinstrumente, oder den der Blech-
instrumente oder des Pianoforte zu hören bekommt. Einen nicht besser zu
berechnenden Einfluss übt dann die Hausmusik, wenn solche getrieben wird,
und zwar einen um so grössern, je mehr sie gerade in die für unbewusste Ein-
drücke empfänglichste Zeit fällt. Es ist vielleicht keine zu kühne Annahme,
dass die Natur das künstlerische Vermögen überhaupt gewährt, und dass die
besondere Richtung dann, nach der es sich äussert, ob es den Ton oder das
Wort, Metall oder Farbe zu seinem Material wählt, zumeist durch die Kinder-
stube bedingt wird. Bei einigen unserer Jüngern Meister, wie: Schubert,
Mendelssohn und Schumann, können wir es nachweisen, dass dort die
eigenthümlichen Richtungen, welche ihr Genius nahm, zu allermeist bestimmt
wurden und aus den Werken eines Bach, Haydn, Mozart und Beethoven
deutet gar vieles auf die unbewussten Eindrücke ihrer frühesten Kinderzeit
hin. Will man daher ein musikalisches Geschlecht, oder auch nur eine musi-
kalische Familie erziehen, so muss auch dieser früheste Zweig der Kunstbildung,
die Musik der Kinderstube, mit einiger Sorgfalt gepflegt werden.
Der beginnende systematische Unterricht kann dann zunächst kein
414 Unterricht in der Musik.
anderes Ziel haben, als; den iMusiksinn zu wecken und ihn in bestimmte
Bahnen zu leiten. Hierin nun versündigen sich Schule und Privatunter-
richt meist gleichmässig; jene, indem sie überhaupt beim Gresangunterricht
planlos verfährt, ohne irgend ein bestimmtes Ziel, dieser, indem er einen ge-
wissen Grrad technischer Fertigkeiten als bestimmtes Ziel sich setzt.
Der Musikunterricht in den öffentlichen Schulen beschränkt sich selbst-
verständlich auf den Gesangunterricht, und er könnte, mit etwas grösserer
Sorgfalt betrieben, uns wieder ein singendes, im echten Sinne des "Worts musi-
kalisches Geschlecht erziehen. Der Gesang beginnt mit dem fünften oder
sechsten Jahre und dauert bis in die Zeit etwa, in der die Mutation beginnt,
und so könnte er alle die Voraussetzungen erfüllen, unter welchen erst die
Unterweisung im Kunstgesange beginnen kann. Selbstverständlich kann sich
der Gesangunterricht in den ersten Jahren nur daravif beschränken, eine Reihe
von Liedern und Chorälen nach dem Gehör einzuüben. Damit aber lässt sich
schon eine Art systematischer Unterricht verbinden. Die Melodien müssen
ebenso vorsichtig ausgewählt werden, wie die Texte, damit diese nicht das
Begriffs- und jene nicht das Stimmver ra ögen der Kinder überschreiten.
Es ist eine Haujotanforderung, dass die Melodien Anfangs von geringem Um-
fange sind, der nur allmälig sich erweitert. Es genügt Anfangs der beschränkte
Umfang von drei Tönen g — a—h, der dann durch c und d nach oben und
später durch fis, f und e und endlich d nach unten bis zur Octave erweitert
werden muss. Dabei aber wird man den Kindern schon begreifflich machen
können, dass ein Choral anders zu singen ist als ein weltliches Lied, ein
Wiegenlied anders als ein Soldatenlied, indem man sie mit wenig Worten
in die betreffende Stimmung zu setzen versucht, was bei den Kindern äusserst
wenig Schwierigkeiten verursacht. Hauptsächlich aber sei der Lehrer darauf
bedacht, dass der Gesang schon auf dieser Stufe eine gewisse Macht in dem
Leben des Kindes gewinne und darnach richte er seinen Liederstoff ein. Hier
namentlich verfahren die Lehrer mit der naivsten Gedankenlosigkeit, sie lassen
mitten im heissesten Sommer singen: »0 wie ist es kalt geworden«, dagegen:
»0 der schöne Maienmond«, wenn der Winter sein strengstes Regiment fühi't.
Man betrachte die Forderung: dass auch nach dieser Seite der Gesang den
besondern Umständen anbequemt werden muss, nicht als kleinliche Pedanterie.
Es wird mit jener gedankenlosen Wahl der Lieder nicht gerade Unheil ange-
stiftet, aber doch verhindert, dass der Gesang auch schon für das Kind zu
einem bildenden Moment in seinem Leben erhoben wird. Um dies zu erreichen
muss man den Liederstoff für die Kinder nicht nur ihren Verhält-
nissen entnehmen, sondern auch zugleich diesen immer möglichst
direkt anpassen. Der Knabe muss ein Marschlied, er muss Lieder für
die fröhlichen Ausflüge und Spiele erhalten, das Mädchen aber Wiegenlieder
für seine Puppe, Lieder für seine Spiele u. s. w. und diese müssen mit seinem
unmittelbaren Denken und Empfinden in direkte Verbindung gebracht werden.
Hat der Lehrer über Gott und sein allmächtiges Walten gesprochen, hat er
ihnen von den Wundern der Natur erzählt, oder ihnen geschichtliche Ej^isoden
vor die Seele geführt, wie könnte er dem allen einen bessern Abschluss geben,
als durch ein passendes Lied. In dieser Weise würde der Gesang schon in
dem Leben des Kindes zu einer wirklichen erziehenden Macht werden, er würde
sich nicht nur auf die Gesangstunde beschränken.
Hierbei, auf dieser Stufe schon, sind aber auch technischen Anforderungen:
natürliche Tonbildung und gute Textausprache in gewissem Grade zu errei-
chen. Unverdorbene Kehlen singen meist instinktiv richtig und der Lehrer
wird vorwiegend darauf zu achten haben, dass sich nicht Fehler in dieser Be-
ziehung erst einschleichen. Wenn dann der allgemeine Unterricht der Kinder
so weit vorgerückt ist, dass die Elemente des Schreibens, Lesens und Rechnens
überwunden sind, dann muss der Gesangunterricht auch einen Schritt weiter
thun, er muss nach Noten beginnen und alles in seinen Bereich ziehen, was
Unterricht in der Musik. 415
zur Ausführung mehrstimmiger Gesänge notliwendig ist. Hierbei ist nicht ein-
dringlich genug zu fordern, dass die Kinder alles mit dem Ohr und dem Ver-
stände zugleich erfassen lernen. Sie müssen zunächst das Verhältniss der
Intervalle in dieser Weise auffassen. Im Artikel Treffübungen ist gezeigt
worden, wie das unterscheidende der Intervallenverhältnisse des Halbtons und
des Ganztons, der Secunde, Terz u. s. w. mit Auge und Ohr aufzufassen ist.
Der Lehrer darf sich dann durchaus nicht dabei begnügen, den Kindern die
Tonleiter nur aufzuschreiben, um sie darnach absingen zu lassen ; er muss, was
durchaus keine Schwierigkeiten macht, darauf hinausgehen, dass die Schüler die
Organisation der Tonleiter mit dem Auge und dem Ohr auffassen, was nach
den vorausgegangenen TJebungen durchaus keine Schwierigkeiten bereitet.
Als eine besonders wichtige Disciplin tritt nunmehr auch mit dem Tact-
wesen die Lehre vom Rhythmus hinzu. Wenn der Lehrer die nothwendige
Forderung des tactmässigen Aocentuirens beim Gehörsingen beobachtet hat,
wenn er beim Vorsingen der einzelnen Liedchen die Haupttacttheile hervorhob
und dai-auf achtete, dass auch die Kinder beim Nachsingen streng accentuirten,
so wird ihm jetzt nicht schwer fallen, ihnen auch die Lehre vom Tact
zum Verständniss zu bringen, um so mehr, als diese ja auch an äussere, den
Kindern geläufige Vorgänge anknüpfen kann. Man braucht sie nur daran zu
erinnern, dass beim Marschiren der eine Tritt etwas schwerer ausfällt als der
andere, dass man daher dabei Eins! zwei! eins! zwei! zählt; dass von drei
Dreschenden der erste etwas stärker aufschlägt als die andern beiden: eins!
zwei! drei! — eins! zwei! drei! ebenso bei vieren: eins! zwei! drei! vier!
eins! zwei! drei! vier! dass aber im letzten Falle auch der dritte weniger
stark als der erste, aber immer stärker als der zweite und vierte aufschlagen
und die Kinder werden es leicht begreifen, dass man auf dieselbe Weise in
die Töne Ordnung brinoft und sie werden daraus selber die zwei- und drei-
theiligen Tactarten zu construiren vermögen. Schwieriger ist es dann die
mannichfaltigeren Darstellungsweisen derselben in Noten von verschiedenem
Werth ihnen klar zu machen, allein da auf dieser Stufe nur noch die ein-
facheren zur Anwendung kommen, so gelingt auch dies in ordnungsmässigen
Reihenfolgen.
In Bezug auf die Wahl der Lieder gelten natürlich dieselben Gesichts-
punkte wie früher, mit dem sich allmälig erweiternden Gesichtskreise der
Kinder erweitert sich auch der Liederstoff und hier darf geradezu gefordert
werden, dass der Gesangunterricht vorgreift und den Schüler mit einem Vor-
rath von Liedern versorgt, die er nicht mit den Kinderschuhen bereits auszieht,
sondern mit hinüber ins Leben nimmt. Gerade diese Periode der Schulzeit
könnte aussergewöhnliche Resultate erzielen. Die Schule könnte und müsste
die Schüler mit einem so reichen Stoffe von Liedern versehen für das fernere
Leben, dass diese nicht gezwungen wären, sich ihren Liederstoff selber zu
holen, von da wo er eben zu finden und selten in wünschenswerther Weise zu
finden ist. Die Schule müsste darauf Bedacht nehmen, dass der Knabe und
das Mädchen von der Zeit ihrer beginnenden Reife an auch mit einem Lieder-
stoff versehen werden, den beide nicht mit den Kinderkleidera ablegen, sondern
den sie in die neuen Verhältnisse mitnehmen und der dort ihr steter Begleiter
bleiben kann. In dieser letzten Periode des Schulgesangunterrichts müssen we-
niger Schullieder, als vielmehr Lieder für das Leben und die mannichfachen
Verhältnisse gesungen werden. In dieser Weise vorbereitet, würden die ins Leben
tretenden Jünglinge und Jungfrauen an dem Gesänge eine wirkliche Stütze
haben und ein Verein von so vorgebildeten Sängern und Sängerinnen würde
wiederum ein mächtiger Träerer und Förderer des öffentlichen wie des Privat-
lebens sein.
Der häusliche Musikunterricht ist leider vorwiegend Ciavier Unter-
richt; wäre dabei der Gesangunterricht in unseren Schulen in oben erörterter
Weise geregelt, würden die Nachtheile des gegenwärtigen Ciavierunterrichts in
416 Unterricht in der Mnsik.
der allgemeinen Musikbildung sich weniger bemerklich machen. So gross auch
die Vortheile sind, welche das Pianoforte der Hausmusik gewährt, so muss
man doch beklagen, dass es eine solche ausschliessliche Herrschaft bei derselben
gewonnen hat, da es die Lust am blossen Material, am Spiel mit sinnlich reiz-
vollen KJangeffekten in einer Weise fördert, die das Gefallen an wirklich
künstlerischer Gestaltung allmälig in bedenklicher "Weise zurückdrängt. Natür-
lich trägt der Unterricht viel dazu bei, weil er weniger auf die Erreichung
einer allgemeinen Musikbildung, als auf die Erzielung möglichst ausgedehnter
technischer Fertigkeiten gerichtet ist. Bei diesem Streben spielen natürlich
die Fingerübungen eine grosse Rolle, welche das feinere Musikempfinden,
den Sinn für Kunstgestaltung systematisch todt machen. Es wäre thöricht zu
verkennen, welche grosse Bedeutung eine alle Schwierigkeiten überwindende
Technik hat, allein sie darf dabei doch niemals Selbstzweck werden. Für den
Virtuosen mag es nothwendig sein, dass er auch durch seine Technik glänzt;
bei ihm wird das Mehr oder Weniger des Beifalls der urtheilslosen Menge
zur Lebensfrage: je grösser nach dieser Richtung seine Erfolge sind, um so
lohnender ist sein Verdienst. Daher erweisen sich auch die Virtuosen fort
und fort bemüht, Schwierigkeiten zu erfinden, um diese dann überwinden
zu lernen, nur um dem vielköpfigen Götzen »Publikum« zu opfern und man
muss das ganze Verfahren gelten lassen, auch wenn man ihm keine höhere
Bedeutung zuerkennen kann. Das Virtuosenthum als solches hat in diesem
allerdings mehr unkünstlerischen Wesen seine Lebenselemente.
Nachtheilig wurde diese Richtung erst dadurch, dass sich ihr der Dilettan-
tismus mit grossem Eifer anschloss. Für ihn giebt es im Grunde keine Ver-
anlassung, durch technische Fertigkeit zu glänzen, und dennoch suchte er sie
mit einem Eifer zu erreichen, als ob es auch für ihn Aufgabe sei, auf offenem
Markte Lorbeern einzuhandeln. Begünstigt wurde dieser Zug durch jene Reihe
dilettantischer Schwätzer, die vom Wesen der Kunst so wenig Begriff haben,
dass sie in diesem von Grund aus unkünstlerischen Zuge der Zeit die Vor-
läufer einer ganz neuen Kunstepoche erblickten, an der mit zu arbeiten der
Dilettantismus sich nun verpflichtet fühlte. Das Clavierspielen wurde zum
Mittelpunkte der gesammten Musikbildung und die Fingerübungen zur
Grundlage des ganzen Unterrichtes. Für die allgemeine Musikbilduug ist diese
ganze Richtung entschieden, wenn nicht geradezu verderblich, doch gewiss wenig
förderlich gewesen. Für sie kann immer nur als Hauptziel feststehen: die
Empfänglichkeit für die Tonkunst zu mehren, den Genuss des
Kunstwerks zu erleichtern und bis zum bewussten Verständniss
zu steigern. Selbstverständlich wird auch dies Ziel durch eine möglichst
ausgebreitete eigene, selbstthätige Betheiligung an der technischen Ausführung
des Kunstwerks leichter ei-reichbar gemacht, als wenn dies nur passiv als
Hörer genossen, wenn es nur dem Gehör und der Empfindung vermittelt wird.
Diese aber erfordert eine immer mehr sich steigernde technische Kunstfertig-
keit, zu deren Erreichung auch technische Uebungen nothwendig werden. Allein
diese dürfen doch nimmer einseitig in den Vordergrund treten, und dann werden
selbst diese technischen Kunstfertigkeiten viel sicherer mit fortwährender Rück-
sicht auf das Kunstwerk, als durch rein technische Uebungen erreicht. Deshalb
sind im Grunde alle technischen Uebungen, die nicht auch ihre direkte Ver-
werthung durch das Kunstwerk finden, solche die nichts weiter als Finger-
fertigkeit anstreben, nur sehr gering zu schätzen. Weit zweckmässiger nicht
nur für die allgemeine Musikbildung, sondern selbst für die technische Fertig-
keit erscheint es, dass der Lehrer für die einzelnen Schüler, nachdem er ihre
Individualität erkannt hat, den musikalischen Lehrstoff für eine bestimmte
Periode ganz genau festsetzt; eine vollständige Auswahl derjenigen Tonstücke
trifft, welche der Schüler spielen soll und darnach die technischen Studien und
Etüden erst mit Rücksicht auf jedes einzelne Tonstück bestimmt. Auf diesem
Wege wird der Schüler von vorn herein die rechte Werthschätzung der Technik
Unterricht in der Musik. 417
gewinnen, ohne dass die rein technischen TJebungen den Musiksinn schädigen
und untergraben.
Als wirklich beklagenswerth aber muss es gelten, dass durch den Ciavier-
unter rieht und durch das Cla vier spiel der Gesang im Hause allmälig,
wenn nicht geradezu verdrängt, doch auf ein bescheidenes Maass zurück-
gedrängt worden ist. Es ist hier nicht mehr nöthig nachzuweisen, ein wie viel
edleres Instrument die Menschenstimme ist, als jedes andere und welch
mächtigern Factor der Gesang in der Erziehung des Menschengeschlechts bildet,
als die gesammte Instrumentalmusik. Daher aber müsste eine planmässig zu
erreichende Musikbildung nicht den Ciavier-, sondern den Gesangunter-
richt zum ^Mittelpunkt machen, oder aber, da dies Insti'ument dem Gesänge
so wichtige Dienste leistet, müssten beide zusammen die Grundlage bilden, auf
der sich die gesammte Musikbildung und Musikübung aufbaut. Nachdem der
Verfasser vor Jahren diese Anschauung ausgesjarochen, ohne dass sie zu wei-
teren Schritten in dieser Richtung die Veranlassung wurde, hat er nach hin-
länglich reicher eigener Erfahrung einen Lehrgang veröffentlicht, in welchem
er darthut, wie mit dem untersten Ciavierunterricht zugleich der
Gesangunterricht verbunden werden kann, ohne dass beide sich
stören, dass sie imGegentheil einander fördern und heben, so dass
nicht nur die technische Ausbildung in beiden Disciplinen, son-
dern auch die allgemeine Musikbildung wesentlich dadurch ge-
fördert wird. Das Werkchen ist unter dem Titel: »Ciavier- und Ge-
sangschule für den ersten Unterricht von August Reissmanna in
Leipzig (C. F. W. Siegel's Musikalienhandlung, E,. Linnemann) erschienen und
seine überaus freundliche Aufnahme von Seiten der competentesten Richter auf
diesem Gebiet haben es bezeugt, dass es einem wirklichen Bedürfniss entspricht
und einem Uebelstand in unserem Musikleben durchgreifend abzuhelfen be-
rufen scheint.
Besonderes Gewicht legt dabei der Verfasser auch darauf, dass mit diesem
gemeinsamen Unterricht auch die theoretische Anleitung Hand in Hand gehen
kann, aber nicht etwa als Unterweisung im Componiren oder zum Schwatzen
über Kunstwerk und Künstler. Die Musikbildung soll zunächst nicht die
Schöpfung, sondern nur das Verständniss des Kunstwerks vorbereiten; nicht
aber in der "Weise, dass man dem Schüler in mehr oder weniger hochtönenden
Phrasen den ideellen Inhalt der betreffenden Tonstücke darlegt; dieser Phraseo-
logie ist vielmehr von früh mit aller Energie entgen zu arbeiten. Ein wahres
Verständniss der Kunst wird immer nur durch die klare Einsicht in die Be-
sonderheit der formellen Gestaltung des Kunstwerks gewonnen, und diese kann
schon bei dem ersten Unterricht angebahnt werden. Schon an den ersten
Uebungen, namentlich an den Singübungen lässt sich das eigenthümliche
Verhalten der einzelnen Intervalle zu einander nachweisen; die Construktion
der Tonleiter gewährt dann einen Blick in die Art der Organisation des
Tonsystems, an den kleinen Liedern und Tonstücken lässt sich weiterhin auch
das Verhältniss der drei Factoren musikalischer Darstellung, Melodie, Har-
monie und Rhythmus erörtern und die Besonderheit der musikalischen
Formgebung nachweisen. Schon auf dieser Stufe kann man den Schüler mehr
als nur mechanisch beschäftigen, ohne ihn mit nichtssagender Phraseologie
bekannt zu machen. Er kann hier schon einigen Einblick gewinnen in den
Organismus des Kunstwerks und dieser wird und muss ihn auch technisch för-
dern. Es handelt sich hier um den einfachsten Apparat, der bei allen Kunst-
erzeugnissen derselbe bleibt, um die einfachen Urformen, die immer wieder-
kehren, die nur nach dem besondern Inhalt reicher werden, künstlicher und
mannichfacher oder auch einfacher und einförmiger. Diese Erkenntniss aber
befähigt nur allein, den ideellen Inhalt eines Kunstwerks zu empfinden und
zu begreifen.
Alle diese Anforderungen gelten namentlich auch für den Gesang unter-
Musikal. Convers.-Lesikon. X. 27
^^g Unterricht in der Musik.
rieht. Er leidet unter jenen Stimmübungen noch ungleich mehr als der
Ciavierunterricht unter den Fingerübungen. Das Pianoforte ist das Instrument,
das sich dem virtuosen oben besprochenen Zuge gern und willig fügt. Seine
Technik wie die Besonderheit des Klanges widerstreben ihm zum wenigsten
nicht. Ein anderes Instrument aber ist die Menschenstimme; sie ist ein leben-
dic^er Organismus; ein Organ in der höchsten Bedeutung des Wortes. Sie ist
kein todter Mechanismus und bei ihrer Klangerzeugung wirken noch ganz andere
Factoren mit, als der blosse Muskelapparat. Sie steht in engster Verbindung
mit dem höchsten und reinsten Produkt des menschlichen G-eistes, mit der
Sprache. Der Gesangton schliesst sich dieser daher eng an, er giebt ihr höhere
künstlerische Bedeutung, indem er sie in Yers und Beim zu künstlerischer
Form abrundet und er greift da ergänzend ein, wo die Sprache nicht den vollen
erschöpfenden Ausdruck für das geistige Leben, die Regungen der Seele findet;
der Gresang wird dadurch zum erschöpfendsten Ausdruck innerer Zustände
des Geistes.
Darf man demnach auch noch dem Standpunkt, von welchem aus die In-
strumentalmusik nur als sinniges Spiel mit klingenden Tonformen erscheint,
einige Berechtigung zu erkennen, so ist er doch für den Gesang verwerflich,
lieber den Instrumentalgehalt lässt sich immer noch streiten; er ist unmessbar,
weil er sich jeder direkt fassbaren Schätzung entzieht, aber der poetische Inhalt
des Vocalen ist nicht zu bestreiten, er breitet sich so unmittelbar aus vor unsern
Augen, dass sein Vorhandensein keines Beweises bedarf. Daher erscheint auch
■ jene Eichtung und jene Methode des Gesanges, welche auch die Singstimme
nur als Instrument behandelt und die Stimmübungen und Coloraturstudien zum
Mittel- und Zielpunkt desselben macht, durchaus nicht anempfehlenswerth.
Selbstverständlich erfordert der künstlerische Gesang gleichfalls eine vollständige
Beherrschung der gesammten technischen Kunstmittel; selbst der Bravourgesang
hat seine vollkommen künstlerische Berechtigung und diese sind vollständig nur
mit Hülfe jener rein technischen Uebungen zu erfüllen. Allein noch vielmehr
als beim Ciavierspiel sind sie beim Gesänge nur als Mittel zum Zweck, nicht
als dieser selbst zu betrachten. Es ist mehrfach schon erwähnt worden, dass
auch beim Gesänge die vollständige Herrschaft über das Organ und seine Mittel
durch besondere Studien, durch Tonstudten angestrebt werden kann, dass
Klangschönheit und Fertigkeit durch besonders darauf berechnete Uebungen
erworben werden müssen. Allein der Abschluss aller dieser Uebungen kann
nicht von aussen, er muss auch beim Schüler von innen heraus erfolgen. Den
individuellen Klang des bestimmten Organs mit jener absoluten Klangschön-
heit zu verschmelzen, ist als höchstes Produkt des künstlerischen Gesangunter-
richts zu betrachten und nur so ist der Ton zu künstlerischen Leistungen zu
verwerthen. Diese Verschmelzung aber ist nur am Kunstwerk zu gewinnen.
Es gilt dies namentlich vom »deutschen Gesänge«. Der italienische Gesang
ist mehr das Erzeugniss der absichtslosen Lust am Klange; Sprache und Na-
tionalcharakter verweisen ihn auf diese Stufe der Entwickelung. Der deutsche
Gesang hat sich zu einer höhern Stufe entwickelt, indem er zugleich zum
Verkünder des ganzen reich bewegten innern seelischen Lebens in seinen feinsten
und geheimsten Regungen wurde. Daher erwächst für den Gesangunterricht
mehr noch wie für den im Instrumentalspiel die Nothwendigkeit, von vorn herein
auf das Kunstwerk und nicht nur auf die technische Ausbildung die allseitigste
Bücksicht zu nehmen. Für Diejenigen, welche nicht gerade die Künstlerlauf-
bahn einschlagen wollen, ist das nächste und einzige Ziel des Gesangunterrichts,
sie in die Schätze der gesammten Gesangsliteratur einzuweihen, damit sie sich
dieselben in selbstthätiger Uebung aneignen zu bleibendem und immerwährendem
Besitz. Natürlich wird dies Ziel auch nur in planmässigen Studien erreicht
und diese beginnen selbstverständlich mit technischen Studien. Die Erzeugung
eines schönen Tons erfolgt nicht willkürlich, sondern nur bei rechtem Gebrauch
des Muskelapparats; die Funktionen desselben sind aber nicht in allen Lagen
Unterricht iu der Musik. 419
gleich leicht und sicher zu beherrschen, einzelne Töne und Tonfolgen bereiten
dem Organe grössere Schwierigkeiten als andere und so sind besondere Vocal-
und Tonstudien an Vocalisen und Solfeggien geboten. Allein haben diese
ihren Zweck ei'reicht, dann muss die Vei'wendung des gewonnenen Tonreich-
thums am wirklichen Tonstück orfolcfen. Auch wenn nur die Töne des einen
Registers bis zu einem gewissen Grrade absoluter Klangschönheit entwickelt
sind, müssen sie in einem Liede dieses TJmfangs angewendet werden.
Bei der Verbindung des Worts mit dem Ton verliert dieser wieder etwas
Ton seiner absoluten Klangschönheit, gewinnt aber an Charakter. Um diesen
Verlust auf d;:is geringste Maass zu reduciren und das neu gewonnene charak-
teristische Element zu steigern, sind wieder neue Hebungen nöthig, die mit
Erfolg aber nur am lebendigen Wort ausgeführt werden können. So stellt sich
der Plan für den Gesangunterricht dahin fest, »dass die technischen Mittel des
Gesangsorgans allmälig zu entwickeln sind, dass aber ihre praktische Verwen-
dung am Kunstwerk fort und fort Hand in Hand geht.« Wir sind so ausser-
ordentlich reich an Liedern und Gesängen aller Art, dass es dem umsichtigen
Lehrer selbst für die unterste Stufe technischer Fertigkeit nicht an Stoff für
diese Methode fehlen wird. Freilich gehört dazu eine umfassendere Kenntniss
des Gesaramtgebiets, als die meisten Gesanglehrer sich anzueignen für noth-
weudig halten. Dabei darf der Lehrer sich niemals von dem durchaus un-
begründeten Gesichtspunkt leiten lassen, ob der Schüler die Kunstlaufbahn
verfolgen, oder als Dilettant nur Hausmusik machen w'ill. Künstler und
Dilettanten sollten nur in ihren speciellen Leistungen, nicht aber in der
Schule sich unterscheiden. Der Gesangskünstler soll sich nur durch ein vor-
treffliches Organ und durch die erhöhte technische Fertigkeit, die er sich durch
ausschliessliche Uebung und Beschäftigung in seinem Beruf erworben haben
muss, vom Dilettanten unterscheiden, wie durch die von ihm zu fordernde
freiere und genialere Weise des Vortrags und der Auffassung; Dinge, die mehr
in der Individualität des Einzelnen begründet sind. Mit allem Uebrigen wur-
zeln Sänger und Sängerinnen in der allgemeinen Musikbildung. Die künst-
lerische Bildung ist nur eine erhöhte und erweiterte allgemeine Musik-
bildung, die jeder erreichen sollte. Darnach sind Zweck und Ziel des
Musikunterrichts dahin festzusetzen: dass er jene allgemeine Musik-
bildung erreicht, aus der sich dann der Künstler mit seiner indi-
viduellen Bildung ablöst. Jene hat eben nur den Zweck, die Empfäng-
lichkeit für das Kunstwerk zu erhöhen, den Genuss desselben zu erleichtern.
Diese geht dann weiter; sie giebt Anleitung und Anregung, das Kunstwerk
selbst zu schaffen, entweder ganz aus sich heraus, als Componist und Tondichter,
oder es nachzuschaflPen als ausübender Künstler.
Der so organisirte Unterricht wird dann auch leicht die Frage entscheiden
lassen: Welche von den Schülern mit Erfolg zum Künstler weiter zu bilden
sind ? Wähi'end desselben werden sich die Individualitäten bereits so äussern,
dass man diejenigen erkennt, die nach einer speciellen Ausbildung verlangen
und bei denen eine solche erfolgreich zu -werden verspricht. Die blosse Lust
am Schaffen giebt allerdings noch keine Gewähr für ein wirkliches Vorhanden-
sein von Talent; wie viele dichten ohne dichterisches Talent und malen ohne
Talent für Malerei. Nicht der Schaffensdrang für sich, sondern die Art, wie
er sich äussert erst lässt erkennen, ob und wie viel Begabung für eine gewisse
Kunst vorhanden ist. Um den Drang, zu schaffen, hervorzurufen, dazu wirken
oft sehr äussere Dinge mit, wie Lieblingsneigungen der nächsten Umgebung,
die specielle Beschäftigung geliebter Personen und dergleichen mehr. Erst die
wirkliche Bethätigung lässt einen sichern Schluss zu, ob für die gewählte ßich-
tung Geschick vorhanden ist. Dies zeigt sich zunächst darin, dass der Schüler
die technischen Schwierigkeiten, welche das Handwerk der speciellen Kunst
mitbringt, mit spielender Leichtigkeit überwindet, dass er sich die handwerks-
mässige Technik rasch aneignet. Weitere Rücksicht in Bezug auf den höhern
27*
420 Unterricht in der Musik.
oder geringern Grrad der Begabung oder des Talents als in der Natur der Sache
lieot, kann dann die Unterweisung kaum nehmen. Zunächst wird noch die
Wahl des besonderen Berufs dadurch bestimmt. Das blosse Geschick für iMusik
befähigt natürlich nur zu einer allgemeinen Musikbildung, die der Dilettantismus
erfordert. Zeigt sich jener höhere Grad für die Musik, den wir Talent nennen,
so ist es zunächst gerathen, den Schüler für die praktische Musik siDeciell zu
erziehen, ihn zum ausübenden Künstler heranzubilden.
Dass hierbei die Theorie nicht auszuschliessen ist, sei ausdrücklich erwähnt.
Sie erscheint ja selbst für jene allgemeine Musikbildung nothwendig, welche
der Dilettant erreichen soll, wie vielmehr der wirkliche Künstler, Ebenso noth-
wendig erscheint es aber auch in unserer Zeit jene Kunstjünger, welche das
Vorhandensein eigenen Schaffensdranges zeigen und für die Composition erzogen
werden sollen, zugleich mit der praktischen Musik vertraut zu machen. Im
Allgemeinen also wird der Grundsatz festzuhalten sein, praktisch und theo-
retisch durchgebildete Künstler zu erziehen. Die Unterweisung kann im
Grunde nicht Virtuosen und auch nicht Componisten bilden wollen. Sie
kann nur die nöthige Anweisung dazu geben, damit Talent und Genie gleich
in die ihnen natürlich vorgezeichnete Bahn geleitet werden.
Hier nun müssten unsere Conservatorien ausserordentlich einflussreich wer-
den, wenn sie in dieser Weise den Gesammtunterricht organisirten. Sie böten
alle Mittel, jene Durchbildung zu erreichen, die dem Privatunterricht natürlich
schwerer zugänglich, wenn nicht ganz unerreichbar ist. Die Lehre der musi-
kalischen Composition müsste natürlich die Grundlage des gesammten
Unterrichts sein und alle Schüler müssten daran Theil nehmen. Wie oben
schon erwähnt wurde, kann es nicht Absicht sein, Componisten zu erziehen,
diese lassen sich eben nicht erziehen; der Unterricht kann sich nur darauf
beschränken, die Schüler in die eigenste Natur des Darstellermaterials einzu-
führen, sie mit den Gesetzen vertraut zu machen, unter denen es bestimmte
Formen gewinnt und dadurch zum Träger höherer Idee wird. Die Lehre kann
nur die technischen Voraussetzungen erledigen, unter denen das Kunstwerk
entsteht, und das ist nicht nur für diejenigen nothwendig, welche als wirklich
selbstschaffende Künstler auftreten wollen, sondern auch für die, welche den
Beruf des ausübenden Künstlers erwählt haben. Diese bedürfen der vollstän-
digen Einsicht in die Compositionstechnik nicht weniger als jene; nur dass sie
sich diese dann selbst aneignen in fortlaufenden energischen Studien; das ist
für die praktischen, für die ausführenden Musiker nicht nothwendig. Während
es für jene, welche selbst schaffen wollen, absolut nothwendig ist, um sich die
o-esammte Technik anzueignen, die contrapunktischen, rhythmischen und melo-
dischen Studien, die Studien zur Erlernung der Instrumentation und Bildung
der Formen praktisch selbstthätig durchzumachen, genügt es für die Kunstjünger,
welche sich der ausübenden Musik zuwenden, vollkommen, wenn sie eine voll-
ständige Einsicht in die Sache erhalten, ohne dass sie diese Formen auch selbst-
thätig erzeugen lernen.
Die Einführung in die Natur des Materials und die Formen, in denen es
sich darstellt, bezeichneten wir als Hauptziel dieses Unterrichts in der Compo-
sition, dies aber wird sich nicht erreichen lassen, wenn diese Studien nicht
zugleich auch praktisch ins Leben treten und dazu ist es nothwendig, dass
die Compositionsschüler auch am Gesangunterricht Theil nehmen
müssen. Es dürfen dabei auch die nicht ausgeschlossen werden, welche keine
oder doch nur schlechte Stimmen haben. Singen kann jeder lernen, auch wenn
kein besonders günstiges Organ und keine Anlagen vorhanden sind; denn hierauf
kommt es hierbei auch gar nicht an, sondern nur darauf, dass der Schüler über-
haupt singen lerne, weil das Verständniss der Gesangstechnik die schöpferische
Thätigkeit ungemein unterstützt, und weil gerade zum Studium einer Reihe der
herrlichsten Meisterwerke die selbständige Gesangsthätigkeit unerlässlich ist.
Daher erscheint auch für den Compositionsschüler die Selbstbetheiligung an der
Unterriclit iu der Musik. 421
Ausführung der grössten Meisterwerke aller Jahrhunderte von unberechenbarem
Yortheil. Deshalb müsste an jeder bedeutenden Musikschule ein Sängerchor
gebildet werden und selbstverständlich auch ein Instramentalchor, welche in
stufenweiser Reihenfolge durchaus nach einem bestimmten Plan, möglichst mit
der übrigen Unterweisung Hand in Hand, die Meisterwerke aller Jahrhunderte
den Schülern zu lebendiger Anschauung bringen. Es genügt nicht, in soge-
nannten Musikabenden einige Werke für Kammermusik oder etwas Haus- oder
Salonmusik in buntester Weise vorzuführen, oder wohl auch öffentliche Auffüh-
rungen von grösseren Werken in charakterlosester willkürlichster Unordnung
aufzuführen, das beföx'dert nur das dilettantische Musikmachen und das Tändeln
mit Musik. An diesen Schulen müssen die grossen Meisterwerke von Bach
und Händel die Grundlage dieser Studien bilden, die Werke von Haydn,
Mozart, Beethoven und die der neuern von Schubert, Mendelssohn und
Schumann gruppiren sich dann um jene beiden grössten Meister.
Dabei ist dann auch Gelegenheit gegeben, die Schüler das, was sie selber
geschrieben haben, wenn der Lehrer es zweckmässig hält, hören zu lassen, damit
sie die Wirkung beachten lernen. Wenn eine Schülerarbeit einigermassen den
Anforderungen entspricht, sollte man immer Gelegenheit suchen, sie auszuführen,
weil dadurch der Schüler weit mehr gefördert wird als durch haarscharfe Unter-
w^eisungen. Mit diesen jDraktischen Uebungen aber müsste die gewissenhaft
geleitete Kritik verbunden werden, Ueber alle derartige Uebungen müssten
die Musikschüler in besonderen Stunden mündlich oder iu besondern Arbeiten
schriftlich referiren; nicht etwa, um Kritiker auszubilden — obgleich dies auch
kein geringer Gewinn für das öffentliche Musikleben wäre, wenn die öffentliche
Kritik durch technisch gebildete Fachmänner ausgeübt würde — sondern na-
mentlich, um die Selbstthätigkeit anzuregen. Die Verschiedenheit des Alters
und der Begabung werden die verschiedensten Urtheile hervorbringen und dem
Lehrer wird es dann überlassen sein, zu berichtigen oder zu bestätigen und aus
der Vielheit der Urtheile ein allgemeines Gesammturtheil zu gewinnen. Vom
grössten Nutzen aber müssen diese Uebungen für die Schüler werden, deren
Arbeiten die erste Feuerprobe vor so geleiteten jugendlichen Kritikern zu be-
stehen haben. Wenn es der Lehrer vei'steht, diese Uebungen recht zu leiten,
müssteu sie zu einer so fördernden Selbstkritik führen, wie keine andere Uebung
und die jugendlichen Künstler würden einen mehr objektiven Standpunkt
gewinnen, von dem aus sie früher Erfolge erringen würden, als es jetzt der
Fall ist. Selbstverständlich muss ferner jeder Compositionsschüler auch das
Ciavierspiel üben, da es jedenfalls das für unsre gegenwärtige Musikpraxis zweck-
mässigste Instrument ist. In seinem grossen Umfange, der fast das gesammte,
in unserer praktischen Musik verwendbare Tonmaterial umfasst, und der leichten
mehr- und vollstimmigen Behandlung, welche es zulässt, bietet es für alle Zweige
der Comi^osition die sicherste Stütze. Daneben wird es fast bei jeder prak-
tischen Beschäftigung, der sich der Kunstjünger zuwendet, gefordert. Er mag
als Lehrer, Dirigent oder selbst als Orchestermitglied sich am öffentlichen Musik-
leben betheiligen, eine gewisse Fertigkeit in der Behandlung des Clavieres wird
ihm seine Stellung entschieden erleichtern.
Von ausserordentlichem Vortheile wird es dann für den Kunstjünger
sein, wenn es ihm möglich ist, daneben auch noch eins oder das andere der
übrigen Instrumente, der Orchesterinstrumente zu erlernen. Es soll damit
durchaus nicht jenem Allerweltsmusikantenthum das Wort geredet werdsn, das
eine ganze Eeihe von Instrumenten mit gleicher Unzulänglichkeit traktirt, ohne
auf einem etwas Erhebliches zu leisten. Das eine Instrument müsste immer
das besonders bevorzugte bleiben, die andern werden nur nebenbei geübt. Schon
die Technik der Composition erfordert eine gewisse Vertrautheit mit den übri-
gen Instrumenten; mehr aber noch als dies macht der Umstand die Beschäf-
tigung mit einer grössern Anzahl von Musikinstrumenten wünschenswerth, dass
die ausschliessliche Uebung eines Instruments leicht eine einseitige Richtung
ö
422 Unterriclit iü der Musik.
erzeugt, welche das Talent nicht zu voller Entfaltung gelangen lässt. Das ist
an einer Eeihe von Meistern nachzuweisen. Bach 's und Händel 's objektive
Grösse wurde durch ihr vielseitiges Musiciren und ganz besonders durch das
Instrument der Instrumente, die Orgel, ganz ausserordentlich gefördert; auch
bei Haydn und Mozart sind ähnliche Einflüsse nachzuweisen, und sie wie
Beethoven standen noch unter direkter Einwirkung des gewaltigem Orchester-
organismus. Bei den Jüngern Meistern begann das Ciavier seine verengende
und einschränkende Herrschaft und diese erzeugte dann in Chopin eine so
subjektiv zugespitzte einseitige Eichtung, dass unter ihr nur noch die kleinsten
Formen gedeihen und schliesslich auch diese noch zertrümmert werden müssen.
Auch an dem grossen Geigenmeister Spohr wäre nachzuweisen, dass die ein-
seitige Beschäftigung mit einem Insti'ument auch ein bedeutendes Talent nicht
zur vollen Entwickelung kommen lässt; dass es unter den glänzenden Klängen
desselben gewissermassen verkommt. Es muss wiederholt werden, nicht bis zur
wirklich künstlerischen Ausführung möge der Kunstjünger auch andere Instru-
mente zu spielen erlernen, sondern nur, um jener einseitigen Beschäftigung mit
seinem Hauptinstrument ein Gegengewicht zu bieten und ihn vor dem Ver-
sinken in einseitiger Richtung zu bewahren. Der Ciavierspieler muss so viel
Geigen- oder Cellostudien machen, um seine betreffende Stimme im Quartett
oder Trio u, dergl. ausführen zu können. Ueberhaupt erwächst auch dem Vir-
tuosen hierdurch schon Gelegenheit, sich mehrseitiger auszubilden, indem Geiger-
und Ciavierspieler fleissig Kammermusik: Duos, Trios, Quartette u, s. w.
üben, um so mehr, als sie damit zugleich vorwiegend Musik der ernstesten,
edelsten und höchsten Art pflegen. Die Geiger müssen fernerhin auch viel im
Oi'chester spielen, wenn sie sich allseitiger entwickeln sollen. Alle diese Be-
dingungen müssten unsere Conservatorien und Musikschulen erfüllen, aber in
planmässiger Ordnung, so dass immer die eine Discipliu die andere
ergänzt; was darin bis jetzt geschieht, ist nicht der Bede werth
und meist dem Zufall und gutem Glück anheimgestellt.
Diese Anforderungen erscheinen um so weniger übertrieben, als sie bei
zweckmässiger Anordnung durchaus nicht so schwierig zu erfüllen sind. Nament-
lich wäre es bei den betreffenden Instituten sehr leicht, durch eine verständigere
Organisation, als sie in der Hegel haben, diese harmonische Durchbildung zu
erreichen. "Wenn der Leiter einer solchen Anstalt die Ziele überschaut und fest
vor Augen behält, wird es ihm nicht schwer werden, alles so zu ordnen, dass
die einzelnen Disciplinen auch so ineinander greifen, um das Gesammtziel leicht
zu erreichen; wenn aber ein gemeinsamer Wille eine solche Anstalt leitet, werden
auch die einzelnen Lectionen einander ergänzen und fördern, so dass aus der
Summe aller dann jene allgemeine künstlerische Durchbildung als glänzendstes
Resultat hervorgeht.
Dann aber dürfen auch die beiden Disciplinen nicht fehlen, welche diese
Bildung eigentlich erst abschliessen und die in unserer Zeit zugleich zu den
mächtigsten Förderern der ganzen Musikentwickelung werden müssten: Aesthe-
tik und Musikgeschichte. Beide aber sind gerade an unsern bedeutendsten
Instituten verwahrlost wie keine andere.
In früheren Jahrhunderten wurde die Tonkunst eben nur als Kunst gefasst
und nur in der einen Richtung weiter geführt. Die Meister aller Schulen älterer
Zeit, wie sehr sie auch in der speciellen Ausführung abweichen, kommen doch
alle in dem einen Ziele überein, dass sie ihre Ideen, wie verschieden sie auch
sein mochten, in kunstvollen möglichst streng gefügten Formen darlegen, und
doch hatten auch sie das Bedürfniss, sich hierüber wie über ihre speciellen
Aufgaben durch reflektirende Untersuchungen Klarheit zu verschaffen. Nicht
nur bei den Theoretikern, sondern auch bei den Meistern der niederländischen
und der italienischen Schulen finden wir zahlreiche Beweise dafür, dass sie die
Ziele und Bedeutung unserer Kunst sich ästhetisch zurechtlegten, obgleich sie
durch die ganze Praxis direkt darauf hingeführt wurden. Auch aus der spätem
Unterricht in der Musik. 423
Zeit, welche besonders als die Zeit des naiven SchafFeus bezeichnet wird und
von jenem Meister derselben, der als Typus desselben gilt, Joseph Haydn,
oder von jenem, bei dem alles nur geniale Eingebung zu sein scheint, Mozart,
wissen wir, dass sie nicht in so naiver Bewusstlosigkeit schufen, wie man in
der Regel annimmt, sondern dass sie auch über ihre Kunst dachten, um den
ihrer Zeit entsprechenden Standpunkt zu gewinnen. Seitdem hat sich die ganze
Entwickelung in mannichfacher Richtung zeitheilt, ihr anfangs einheitlicher
Strom hat sich in viele Arme, der ursprünglich einheitliche Stamm in viele
Aeste ausgebreitet, so dass es nicht mehr so leicht ist, die Hauptrichtung, die
doch jeder Ivunstjünger einschlagen muss, zu erkennen, und dass es eines
förmlichen Orientirungsprozesses bedarf, um die gesunden, vom Stamm aus trei-
benden Aeste von den krankhaften Auswüchsen, um die zu beachtenden Neben-
flüsse von den sich verlaufenden trüben Grewässern zu unterscheiden. Diese
Zurechtweisung aber müssen Aesthetik und Geschichte übernehmen. Beide
dürfen dann freilich nicht, wie meistentheils bisher geschehen, sich damit be-
gnügen, den Eindruck, den das Kunstwerk macht, in einige tönende Phrasen
zu bringen. Die Aesthetik, als die Lehre vom Schönen, muss nachweisen,
welche Bedingungen ein Kunstwerk erfüllen muss, um als solches gelten zu
können, sie muss die ewigen Gesetze zu ergründen suchen, nach welchen die
Kunst überhaupt erst zur Kunst wird. "Wir fanden diese ebenso im Material
begründet, in welchem sie formt, als in den Formen selber, die sie hervorbringt,
und fanden, dass sie bestimmten Ideen dienstbar werden, als deren Ausdruck
sie dann erscheinen. In diesem Sinne wird die Aesthetik zum Gesetzbuch für
die Kunst und die Künstler, das diesem die nöthige Anleitung giebt für seine
weitere gesammte "Wirksamkeit und das auch zugleich den Laien auf jenen
einzig begründeten Standpunkt stellt, auf welchem allein er die Kunst und das
Kunstwerk erfolgreich zu geniessen im Stande ist, ohne die in seiner Indivi-
dualität etwa bedingten Störungen und Trübungen.
Die Musikgeschichte giebt dann Gelegenheit zur praktischen Anwendung
der hieraus gezogenen Theorien des auf diesem Wege gewonnenen Maassstalies.
Sind diese richtig, so müssen sie in der Geschichte ihre Bestätigung finden.
Sie zeigt, dass die Grundprinzipien durch alle Phasen und Jahrhunderte der
Entwickelung immer dieselben bleiben, dass nur die specielle Art der Erkennt-
niss und Anwendung eine andere wird. Die Musikgeschichte zeigt, dass jedes
Jahrhundert und jeder Meister ihre eigene Mission erfüllen, dass sie die ewigen
Gesetze der Kunstgestaltung immer nur in anderer Anwendung versuchen und
sie führt damit kommenden Zeiten und Geschlechtern die eigene Aiifgabe vor
die Augen. Diese vollständige Einsicht nur in das innerste Wesen der Kunst,
welche die Aesthetik uns giebt und die umfassende Erkenntuiss der Entwicke-
lung, welche uns die Geschichte gewährt, sind im Stande, dem Künstler der
Gegenwart seine Stellung klar zu machen und nur wer diese erkannt hat,
wird thätig eingreifen können in die Entwickelung der Kunst unserer Tage.
Wem diese Einsicht verschlossen bleibt, kann kaum etwas anderes werden als
ein — Virtuos oder — ein Dilettant.
In wenig Worte zusammengefasst lässt sich nach alledem die Aufgabe des
Musikunterrichts dahin festsetzen: Er soll jene allgemeine Musikbil-
dung als Ziel feststellen, die es zunächst möglich macht, die vorhandenen
Kunstwerke mit dem nöthigen Erfolge zu geniessen und auch auszuführen.
Schon in Bezug auf die Ausführung fanden wir dann einen zwiefachen Stand-
punkt, den des Dilettanten und den des Künstlers von Beruf, die in der
Weise der Ausführung geschieden sind. AVie der Künstler schon hier sich von
der allgemeinen Musikbildung abheben soll, so soll er weiterhin auch dahin
gelangen, das Kunstwerk zu schaffen und hierzu fanden wir eine Reihe theore-
tischer und praktischer Studien nothwendig, die aber alle Hand in Hand gehen
müssen, um ihm die höchste Ausbildung für seinen Beruf zu geben. Es erschien
uns nothwendig, dass er nicht nur in die Technik der Composition eingeführt
424 Untersatz — Unterziehen.
werden, damit er die nöthige Einsicht gewinnt, sondern er muss sie sicli in
praktischer Selbstthätigkeit zu eignem Können aneignen. Weiterhin fanden
wir für nöthig, dass er ausser ernsten Gesangstudien auch Ciavierstudien unter-
nimmt; dass er sich ferner auch mit der Technik der übrigen Instrumente
vertraut macht und dass er endlich auch Aesthetik und Musikgeschichte
in den Bereich seiner Studien zieht. Nur so wird ein Künstler erzogen, der
Bedeutung gewinnen kann für die Entwickelung der Kunst seiner Zeit.
Untersatz, auch Major, Majorbass, Maxima pihata, 10 oder 5 metr.,
ist ein, in grossen Orgelwerken im Pedal stehendes gedecktes Labialregister
von Holz mit weiter Mensur. Der Ton dieser Stimme giebt den 5 — 2, 5 — und
1,25 metrigen Pedalstimmen Deutlichkeit und Fülle und ist dem des Subbasses
sehr ähnlich.
Unterschlag oder Rückfall werden die absteigenden Nachschläge genannt.
Untersetzen heisst beim Fingersatz der Tastinstrumente, den Daumen unter
den Fingern wegziehen und eine Taste erfassen, um so die übrigen Finger
wieder für die weiter liegenden Tasten nach oben oder nach unten frei zu
machen. Bei der rechten Hand wird der Daumen für die aufwärtsgehende,
bei der linken für die abwärtsgeheude Tonfolge untergesetzt; bei jenem werden
die obern, bei diesem dann die untern Töne den andern Fingern dadurch
erreichbar. Beim Pedalspiel bei der Orgel wird das Untersetzen dadurch
bewirkt, dass sich der eine Fuss hinter der Ferse des andern vorbei bewegt.
üuterstimme heisst in mehrstimmigen Sätzen die tiefste Stimme; aber diese
ist nicht immer der Bass. In der allgemeinen Organisation des Chors nur
bildet der Bass die tiefste Stimme. Wir stellen aber auch Chöre ohne Bass
zusammen, deren Unter stimme dann eine andere tiefste Stimme bildet. Beim
zweistimmigen Frauenchor ist der Alt oder zweite Sopran die tiefste
Stimme; beim dreistimmigen, aus zwei Sopranen und einem Alt zusammen-
gesetzten, der Alt; beim vierstimmigen Prauenchor der zweite Alt; bei
einem aus Sojjran, Alt und Tenor zusammengestellten Chor bildet der Tenor
die tiefste Stimme u. s. w. Noch mannichfacher sind natürlich die Zusammen-
stellungen beim Orchester. Für dies sind Bassinstrumente ausser dem
Contrabass und Cello das Fagott und Contrafagott, die Bassposaune
und Basstuba und wohl auch die Pauke; aber unter Umständen bilden auch
die Hörner oder die zweite Clarinette u. s. w. zeitweis die tiefste Stimme.
Untertasten heissen bei unsern, noch nach der gewöhnlichen Weise ein-
gerichteten Tasteninstrumenten die längeren, jetzt meist weissen Tasten, welche
für die Töne der diatonischen Tonleiter bestimmt sind. Die für die chroma-
tischen Halbtöne bestimmten kürzeren (schwarzen) Obertasten liegen so, dass
sie bedeutend zurückstehend über die Fläche der weissen zu liegen kommen.
Es ist bekannt, dass bei älteren Flügeln die Untertasten schwarz und die
Obertasten weiss waren. In neuerer Zeit ist wieder der Versuch gemacht
worden, die chromatische Tonleiter auch zur Grundlage der Tastatur zu machen
und die Tasten für sie auf einer Fläche aneinander zu reihen. (Hierüber s.
im Sui3plementband: Neu-Claviatur.)
Unterziehen nennt man die fehlerhafte, zu tiefe Intonation eines Sängers
im Gegensatz zum Ueb erziehen. Es kann dies verschiedene Gründe haben
und passirt oft Sängern, welche sonst keine Neigung zum Detoniren, zum
Unreinsingen haben; es ist dann meist die Folge von Indispositionen oder
auch einer falschen Athemgebung. Ist der Sänger etwas matt, dann werden
ihm namentlich die Töne im Stimmbruch und an den Grenzen der Register
überhaupt nicht leicht, rein zu singen. Die Ermüdung des Muskelapparats
zeigt sich hier am frühesten, indem die Töne etwas zu tief schweben. In der
Hegel ist damit auch eine lahmere Athemgebung verbunden, welche die nor-
male Schwingung der Stimmbänder gleichfalls beeinträchtigt. Häufig trägt
diese allein am Unreinsingen die Schuld. Wird der Ton mehr gehaucht als
mit festem Ansatz genommen, so ist er meist unrein; dieser Fehler ist dann
I
Unveränderliclier Vorschlag — Unvolikommeue Consonanzen, 425
sofort beseitigt, wenn der Sänger scharf articulirt. Es erscheint überhaupt
immer sicherer, den Grund des Detonirens hier und nicht im Gehör zu suchen.
Wir haben an mehreren Stellen gezeigt, dass dies allerdings beim Sänger sehr
geschärft sein muss, damit er das Orgau anleiten kann, den richtigen Ton za
treffen; allein um die oben erwähnten Schwächen des Organs zu heben, dazu
kann das Ohr dann nicht viel mehr thun. Sänger mit sehr feinem Gehör
vermögen doch selten zu unterscheiden, ob sie unrein singen; sie hören sehr
wohl, ob sie falsch singen, aber weit seltener, ob der Ton auch eine Schwebung
zu hoch oder zu tief ist. Hier kann der Lehrer vielmehr thun als der Schüler.
Jener muss die speciellen Gründe des ITnreinsingens zu erforschen suchen, ob
diese in dem noch nicht intim genug hergestellten Verhältniss zwischen Ohr
und Stimme zu suchen ist, oder in fehlerhafter Tongebung oder ungenügender
Athemführung, und darnach müssen systematische TJebungen angestellt werden.
Im ersteren Falle erweisen die unter dem Artikel: Treff Übungen verzeich-
neten Uebungen sich sehr zweckmässig, namentlich wenn diese auch mehr-
stimmig unternommen werden können. Für Athemführung und Ton-
gebung genügen dann die üblichen Unterweisungen und Uebungen. Gegen
momentane Indisposition kann nur der eigene feste "Wille des Sängers Abhülfe
schaffen. Beim mehrstimmigen Gesänge ist das Unterziehen gewöhnlich
durch die Stimmen verursacht, welche den Leitton zu matt nehmen; und
daneben durch die, auf welchen die Modulation hauptsächlich beruht; deshalb
muss der Dirigent besonders auf diese achten, muss sie der besondern Sorgfalt
der Sänger anempfehlen.
ünreränderlicher Yorschlag' wird wohl auch der kurze Vorschlag genannt,
weil er nicht auch wie der lange von verschiedener Zeitdauer sein kann.
Beim langen Yorschlage wird die Zeitdauer bekanntlich durch die Note
bestimmt, vor der er steht; ist diese zweitheilig, so gilt er die Hälfte derselben;
vor einer dreitheiligen zwei Drittel ihres "Werthes, und ist noch eine gleich-
stufige an die Hauptnote angebunden, so gilt der Vorschlag den vollen "Wertb
der Hauptuote; der kurze Vorschlag wird dagegen immer so kurz angegeben,
dass seine Zeitdauer schon nicht mehr zu bestimmen ist; daher helsst er im
Gegensatz zu jenem, dem langen, dessen Zeitdauer eben veränderlich ist, auch
der unveränderliche.
Unvollkommene Consonanzen sind die grosse und kleine Terz und die
Sext, deren mathematische Schwingungs Verhältnisse bereits weiter ab von der
ursprünglichen Einheit liegen und daher zusammengesetzter erscheinen als die
vollkommenen Consonanzen, die Octav, Quint und Quart; dabei sind sie
doch immer noch einfach genug, um als Consonanzen gelten zu müssen. Dem
entspricht auch ihre Anwendung in der Praxis. Die vollkommenen Con-
sonanzen vertragen in den Temperaturen wie die Octave gar keine oder doch
nur geringe Abweichungen von der mathematischen Reinheit, die unvoll-
kommenen lassen grössere Differenzen zu, ohne das Gehör zu beleidigen oder
auch nur als Trübungen zu erscheinen. "Weiterhin erscheint als charakteristisches
Merkmal, wodurch sie sich von den vollkommenen Consonanzen unter-
scheiden, dass sie in zwei Gattungen als gross und klein eingeführt werden
können, ohne den Charakter als Consonanz zu verlieren. Die grosse Terz
und grosse Sext können in die kleine Terz oder Sext verengt werden,
ohne dass sie ihren consonanten Charakter verlieren, während die vollkom-
menen Consonanzen durch eine derartige Veränderung zu Dissonanzen
werden. Auf diesen "Wahrnehmungen beruhen bekanntlich hauptsächlich die
Regeln des reinen Satzes, dass: vollkommene Consonanzen einander
nur in der Gegen- oder Seitenbewegung folgen können; dass von
einer unvollkommenen zu einer vollkommenen nur in der Gegen-
oder Seitenbewegung geschritten werden darf, während von einer
A'ollkommenen zu einer unvollkommenen ebenso von einer unvoll-
kommenen zu einer andern unvollkommenen auch noch neben der
426
Unvollkommener GanzscUnss — Upmark.
Gegenbewegung und der Seitenbewegung auch noch die gerade Be-
wegung gestattet ist.
UuTollkommener Ganzschluss. Der vollkommene Ganzschluss besteht be-
kanntlich aus der unmittelbaren Folge des Dominantseptimenaccordes
und des Dreiklangs; unvollkommen nennt man ihn, wenn der Dreiklang
nicht in der Octavlage, als der befriedigendsten, sondern in der Terz- oder
Quintlage angewendet wird:
{
_C2_
-^^
-^-
— ^-
z^ä^z
^
-t
-P2-
-tr-
-1=2-
Die Meister der Instrumentalmusik wussten diesen unvollkommenen Ganzschluss
rhythmisch bedeutsamer und gewichtiger zu machen:
t
während den Romantikern in ihm eines der wirksamsten Mittel erwuchs
zur charakteristischen Darstellung jener romantischen Unendlichkeit, welche mit
dem Schluss erst oft die weitesten Perspectiven eröffnet und die Phantasie
anregt, diese auszufällen. Einzelne Romantiker, allen voran Robert Schu-
mann, haben diesen unvollkommenen Schluss noch unvollkommener gemacht,
indem sie ihm sogar den Grundton entziehen:
oder diesen doch nur als leichten Vorschlag angeben:
Selbst im Orchester wusste der genannte Meister einen derartigen unvollkom-
menen Schluss zu erzielen, indem er die Quint den stärker schallenden Instru-
menten zuertheilte und damit den von weniger kräftigen ausgeführten Grund-
ton verhüllte.
Uuzelmann, s. Bethmann.
Unzer, Johann August, Dr. med., geboren zu Halle am 29. April 1727,
starb zu Altena am 2. April 1799. In dem von ihm herausgegebenen Wochen-
Journal »Der Arzt« befindet sich im siebenten Bande eine Abhandlung über
die Musik in Bezug auf die Medicin. Im Auszuge hat dieselbe Hiller in:
»Wöchentliche Nachrichten über Musik«, 1770, S. 307—311, 315—319 und
323 — 325 aufgenommen.
Uomo, ital. Primo uomo, ist der erste Tenorsänger bei der italienischen
Oper, wie die Prima Donna die erste Sopranistin und die Prima Donna
assoluta die einzige erste Sopranistin ist.
Upmark, N., ein schwedischer Gelehrter, Professor an der Universität Upsala
Urania — Urban. 427
im Anfange des 18. Jahrhunderts, hat eine Dissertation veröffentlicht: nMusica
priscari(?n (/entiumi (TJpsala, 1708, in 4").
Urania = die Himmlische, eine der neun Musen. Als Muse der Stern-
kunde wurde sie mit einem Globus abgebildet.
Urauikon = das Himmlische, nannte Fr, von Holbein in Wien ein
von ihm 1806 construirtes Instrument, das aus zwei Harfen bestand, deren
Saiten durch Tasten klingend gemacht wurden.
Urauiou nannte A. Buschmann ein von ihm (1810) erfundenes, dem Me-
lodion (s. d.) ähnliches Instrument. Es ist 4 Fuss laug, 2 Fuss breit und
1^/2 Fuss hoch und hat einen Umfang von ö'/a Octaven, von F bis c*. Der
Ton, der sehr angenehm, gesangreich und aller dynamischer Modificationen
fähig ist, wird durch Eeibung eines mit Tuch bekleideten Cylinders aus höl-
zernen Stäben gelockt. Buschmann war ein Posamentirer und wohnte in
Friedrichsroda bei Gotha; er fand Vergnügen am Pianofortebau und baute
selbst mehrere derselben. Einzelne Enthusiasten sahen in dem TJranion das
Instrument, das berufen sein sollte, das Piauoforte zu verdrängen, doch ver-
mochte es durchaus nicht w^eitere Verbreitung zu finden.
Urban, Christian, Eaths- und Stadtmusikant zu Elbing, wo er am
16. Octbr. 1778 geboren wurde, kam 1824 nach Berlin und ging später als
Musikdirektor nach Danzig und dann nach Elbing. Er gab folgende Schriften
heraus: »Theorie der Musik nach rein naturgemüssen Grundsätzen« (Königsberg,
Härtung, 1824, ein Band in 8°, 274 S.). 1826 mit neuem Titelblatt von Ewert
neu herausgegeben. Eine Einleitung zum genannten Buche erschien in Elbing
1823 unter dem Titel: »lieber die Musik, deren Theorie und den Musik-
Unterricht u. s. w.« Später veröffentlichte Urban noch: »Ankündigung meines
allgemeinen Musikunterrichts- Systems und der von mir beabsichtigten normalen
Musikschule« (Berlin, Krause, 1825, 16 Seiten in 8"). Von seiner praktischen
Musik kennt man: die Musik zu Schiller's »Braut von Messina« und die Oper
»Der goldene Widder«.
Urban, Friedrich Julius, ein trefflich durchgebildeter Musiker und aus-
gezeichneter Gesanglehrer, wurde als der Sohn eines wohlsituirten Kaufmanns
am 23. Decbr. 1838 zu Berlin geboren. Er zeigte schon in seinen frühesten
Kinderjahren eine ungewöhnliche Neigung zur Musik und der Vater, welcher
sehr musikalisch war, Hess ihm und dem um etwas älteren Sohne Heinrich
im Alter von sechs und sieben Jahren schon den ersten musikalischen Unter-
richt auf der Violine ertheilen. In seinem achten Lebensjahre trat Urban als
Solosopranist in den königl. Domchor, dessen Leistungen damals unter August
Xeithardt's Direktion auf dem Culminationspunkt standen. Die Kunstreisen
dieses Instituts führten ihn in die grössten Städte Deutschlands und im Jahre
1850 nach England. Später hielt er sich längere Zeit in Holland auf. Die
weitere künstlerische Ausbildung erhielt er unter Leitung des königl. Concert-
meisters Hubert Ries im Violinspiel, in der Composition und im Clavierspiel
durch den als Dommusikdirektor zu Halberstadt verstorbenen Bichard Hell-
mann, im Contrapunkt durch Professor Ed. Grell, im Gesänge hauptsächlich
durch den Chordirektor an der königl. Hofoper Elssler und den Kammersänger
Professor Mantius, in der Bhetorik durch den Hofschauspieler Berndal. Seit
1860 ist Urban in Berlin als einer der gesuchtesten Gesauglehrer thätig. Im
Jahre 1862 verlieh ihm der Herzog Ernst von Sachsen-Coburg-Gotha die Me-
daille für Kunst und Wissenschaft am Bande. Von 1862 — 1873 war er Dirigent
eines grösseren Gesangvereins. Zu gleicher Zeit folgte er dem Hufe als Ge-
sanglehrer an mehrere königliche und städtische höhere Unterrichtsanstalten.
Seine im Druck erschienenen Compositionen finden beifällige Aufnahme; das
»Schilflied«, op. 12, ist populär geworden. Besondere Erwähnung verdient sein
Lehrbuch: »Die Kunst des Gesanges«, das bis jetzt in vier Heften (Potsdam,
Verlag von P. Gustedt) erschien und, einzig in seiner Art, den zwei- bis acht-
stimmigen Gesang in einer vortrefflichen, allgemein anerkannten Methode be-
^28 Urbaa — Urhan.
handelt. Das Werk ist weit verbreitet und hat namentlich in den höheren
Schulen bereits zu ausgezeichneten Resultaten geführt.
Trbau, Heinrich, Bruder des Vorigen, geboren am 27. August 1837 in
Berlin, ein vorzüglicher Yiolinspieler und fieissiger Componist; als Knabe
Altist im königl. Domchor, sjDäter Accessist der königl. Kapelle, Schüler von
Hub. Ries, Ferd. Laub, Richard Hellmann u. s. w. Behufs seiner Ausbildung
hielt er sich längere Zeit in Paris auf. Von seinen gedruckten und zur öffent-
lichen Aufführung gelangten Instrumentalwerken sind zu nennen: die Ouvertüren
zu Schiller's »Fiesco«, zu einem »Fastnachtspiele«, »Sheherazade«, die Symphonie
»Frühling«, ein Violinconcert u. s. w. Ausserdem hat er viele Lieder, Duette
und Terzette geschrieben. Er lebt gegenwärtig, wie sein Bruder, in Berlin.
Urbaui (...), italienischer Componist, liess sich 1776 in Edinbourgh nieder
und gab dort mehrere Sammlungen schottischer Melodien mit Clavierbegleituug
heraus, darunter: »Vocal anthologyv^ (Edinburg, 1782). »Scotch songs and duetsv.,
erster, zweiter und dritter Band (London, Clementi). Ausserdem componirte
er selbst Lieder und Balladen, in denen er den schottischen Stil nachahmte,
z, B. stThe red Bosev, Ballade, 1784. Urbani siedelte später nach Dublin über,
wo er auch 1816 starb. Er schrieb dort die beiden italienischen Opern »JZ
Farnacev. und »/Z trionfo di Oleliaa.
Urbano, Ordensbruder eines Minoritenklosters, war zugleich Orgelbauer
und unter dem Namen Urbano da Venetia im 15. Jahrhundert thätig. 1420
baute er eine Orgel, die für vorzüglich galt, in der Hauptkirche zu Treviso;
später eine nicht minder berühmte in der Markuskirche zu Venedig, welche
noch 1604 vorhanden war und nach dem Chronisten Stringa die Inschrift trug:
y)Öj)us hoc rarissimum TJrhaaus Venetusa. Diese Orgel war mit Malereien von
Franciscus Tachoni versehen, welche das Datum 24. Mai 1490 trugen. Leider
ist nichts von dem alten Kunstwerk erhalten worden, als es 1671 durch eine
neue Orgel von De Beni aus Verona ersetzt wurde.
üreua, Pedro d', auch Uregna, ein Spanier, war in der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts geboren und von Oeburt an blind. In de:n Kloster
Espina legte er seine Gelübde ab. 1620 verfasste er eine Abhandlung, die in
drei Ausgaben erschien, und in welcher er (nach Arteaga in Italien der Erste)
den sechs Silben des Guido von Arezzo eine siebente zusetzte. Der Titel
heisst: »Arte nueva della musica inventada per San Gregorio, desconcertada Anno
1022 por Guido Aretino, restituida a su primera perfeccion Anno 1620 por Frag
Fedro de Urena, y reducida a este hreve Oompendio Anno 1644 por I. C. etc.a
(En Roma for Fabio de Falco, 1669, in 4°). Ein Abriss des Werkes wurde
von Caramuel von Lobcomitz 1645 zu Wien veranstaltet. Das Werk wurde
in allen sjmnischen Klöstern zum Gebrauch angeschafft.
Urfoy, Thomas d', Sänger, der in London in den Wein- und Bierhäuseru
heimisch war, um dort seine Balladen und lustigen Lieder zur Zither abzu-
singen. Er lebte zur Zeit der Regierung Karl's IL, in dessen Gegenwart er
auch wiederholt seine Gesänge vortrug. Auch sammelte und veröffentlichte er
diese und gab sie unter dem sonderbaren Titel heraus: T>Wit and Mirtli, or
Fills to purge melanclwly , heing a collection of the best merry Ballads and songs,
old and new, ßtted to all humours, having each their proper tune for either voice
or instruments<s. (London, 1719). Das Portrait des Autors befindet sich vor
der Sammlung. IJrfey starb in ziemlich hohem Alter am 26. Februar 1726.
Urhau, Chretien, geboren zu Montjoie bei Aachen am 16. Febr. 1790,
zeigte schon früh sehr glückliche Anlagen für die Musik und componirte bereits
als zwölfjähriger Knabe ohne Anleitung, nur von seinem Vater im ^ iolin- und
Clavierspiel unterrichtet, Variationen und andere kleine Stücke. In Aachen
hörte ihn 1805 die Kaiserin Josephine, nahm ihn in Protektion und liess ihn
in Paris von Lesueur in der Composition unterrichten. Bald machte sich 17.
in Concerten als Violinist bemerkbar und brachte durch treffliche Ausführung
namentlich die Maiseder'schen Compositionen zur Geltung. Auch die bereits
TJr-hin — Urmelodie.
429
der Kirche St Paul
gedruckt: y>Premier
altos et violoncellea
aus der Mode gekommene Viola (Vamour brachte er noch einmal wieder zu
Ansehen. ^IMeyerbeer schrieb das Viola d'amoio'-Solo in den Hugenotten speciell
für Trhan. In den historischen und den Concerten des Conservatoriums zu
Paris spielte er häufig auf der Viola d'amoiir und der mit fünf Saiten bespannten
Viola d'alto, auf welcher er schöne Effekte erzielte. Auch als Quartett- Spieler
■war er höchst geschätzt und gesucht. 1816 trat er als Bratschist, später als
Soloviolinist in das Orchester der Oper. Auch verwaltete er längere Zeit in
das Amt des Organisten. Yon seinen Compositionen sind
et deii.xieme quintettes romatitiques pour deux violons, deux
(Paris, Richault). »Quintettes pour trois altos, violoncelle,
contrebass et timhales ad lihituma (ibid.). -aMle et moi, duo romantique a quatre
mains pour le piano», op. 1 (ibid.). i>Beuxieme duo romantique ä quatre mains«.
(ibid.). »Xß salutation angelique, idemv. (ibid.) »Les Regrets, piece pour piano
seul ou a deux voixa. Ürhan starb zu Belleville bei Paris am 2. Novbr. 1845.
Ur-liiu, engl. Vr-heen, ist eine zweisaitige Fiedel der Chinesen, wie sie
nebenan nach dem Exemplar im englischen Museum (Engel's »Catalog«, p. 184)
abgebildet steht. Die zwei
Saiten sind aus Seide und
zu einander in der Quint ge-
stimmt. Der Bogen ist ein
Stück Eohr mit Pferdehaar
bespannt. Merkwürdig ist da-
bei, dass die Haare des Bogens
zwischen den 2 Violinsaiten
gehen(alsodurchgestecktsind).
Weil aber diese Saiten sehr
nahe aneinander liegen, so ent-
steht hierdurch eine Haupt-
schwierigkeit beim Spiel. Es
erfordert eine lange Praxis,
um den Lernenden zu be-
fähigen, den Bogen blos auf
einer Seite spielen zu lassen, ohne die andere zu berühren und verlangt dies
eine widrige Bogenführung mit Nebengeräusch verbunden. Dennoch sahen und
hörten Reisende dort Künstler auf diesem elenden Dinge zuweilen Töne von
grossem Glanz hervorlocken, so dass sie ihnen ein vollkommeneres Instrument
für ihre Mühen gewünscht hätten. Die Aehnlichkeit mit dem Bavanastron
(s. d. Lexikon 9, 232) ist augenfällig.
Urio, Francesco Antonio, Geistlicher und Kapellmeister an der Brüder-
kirche in Venedig gegen Ende des 17. Jahrhunderts, liess drucken: -»Salmi con-
certati a 3 voci con violiniv, op. 2 (Bologna, 1697, in 4°).
Urmelodie heisst die zu einem Text ursprünglich erfundene Melodie, nach
welcher andere Texte gesungen werden. Im Kirchengesange wird dies Ver-
fahren häufig angewendet. Die Zahl der Kirchenlieder mit eigenen Melodien
ist bei weitem nicht so gross, wie die der Lieder, die überhaupt im Gemeinde-
gesang üblich sind und so werden denn die ohne eigene Melodie, nach der
Melodie eines andern gesungen, was als TJeberschrift in der Kegel angezeigt
wird. Auch zur Zeit der Blüte des Volksliedes war dies Verfahren neue Texte
auf alte Melodien zu dichten gebräuchlich, wie noch heutigen Tages. Die Ur-
melodie wurde gleichfalls als L'eberschrift angezeigt, wie: »Ein liepliches
Gesang in Hertzog Christofs Ton« oder »Twe Lede volgen: Dat
erste vam Pensenouver. Dat ander van der Gellerschen vn. Bur-
gundischen Slacht. Im Tone, Idt geit ein frischer Sommer daher.
Zwei Newr schöner Lieder ins Schillers hoff thon vnd ins Saxen kurtzen
thon u. s. w.« Dass übrigens hier Ton auch für das rhythmische und strophische
Versgebäude steht, ist selbstverständlich. Andererseits bezeichnet man auch
430 Ursari — Ursprung der Musik.
mit Urmelodie diejenige Melodie des Volks- oder Kircliengesanges, aus denen
der protestantische Gemeindegesang einige seiner köstlichsten Melodien durch
Umbildung gewann. So lieferte das Liebeslied »Mein Gr'müth ist mir ver-
wirret« die Urmelodie zu dem Choral: »Herzlich thut mich verlangen
nach einem selgen End'; die Melodie des weltlichen Liedes »Venus du und
dein Kind, sind alle beide blind« die Urmelodie zu dem Choral »Auf meinen lieben
Gott, trau' ich in aller Noth«; die Melodie des weltlichen Liedes: »Warum
willst du wegziehen« wurde zur Urmelodie für den Choral: »Christus
der ist mein Leben«. Das schöae Gemeindelied: »Was mein Gott will,
das g'scheh allzeit« hat Markgraf Albrecht der Jüngere zu Brandenburg-
Culmbach auf die Melodie eines französischen Liedes: y II me suff ist de tous
mes maulxv. gedichtet. Für die ganze Eeihe von Luthers Liedern, die er
aus der Uebersetzung der alten Hymnen gewann, wie: »Mitten wir im Leben
sind« (Ifedia vita), »Komm Gott Schöj)fer heiiger Geist fT^enz Cre-
ator), »Nun kommt der Heiden Heiland« (Veni redemptor), »Der
du bist drei in Einigkeit« (O lux beata trinitas) u. s. w. wurden die
Melodien dieser Hymnen zu Urmelodien für die neuen Gesänge.
Ursari heissen bei den Türken die musikkundigen und musiktreibenden
Zigeuner.
Ursenbeck e Massimi, Graf d', Oberaufseher der Musik und Kammerherr
des Grossherzogs von Darmstadt um die Älitte des 18. Jahrhunderts, Hess zu
Lüttich 1768 von seinen Compositionen drucken: Sechs Violintrios und Sei
Sonate notturne für Violine und Bass.
Ursillo, Fabio, berühmter Theorbenspieler, geboren zu Rom Anfang des
18. Jahrhundert, war auch guter Violinspieler, Flötist und Guitarrist. 1748
erschienen zu Amsterdam: drei Trios für zwei Violinen und Violoncell und
zwei Sonaten für die Flöte. Im ManuscrijDt hinterliess er drei Goncerte grossi
für die Theorbe und ein Concert für die Guitarre.
Ursini, Joachim, italienischer Comjionist, geboren zu Pontremoli im
Toskanischen, lebte um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Zwei Bücher seiner
vierstimmigen Madrigale erschienen 1550 zu Venedig.
Ursprung- der Musik. Früher als alle andern Künste gewann die Musik
im Leben der Völker Bedeutung und Ansehen und dem entsprechend auch
eifrige Pflege. Der geheimnissvolle Zauber, der schon im rein sinnlichen Klange
ruht , übte auch früh auf der untersten Stufe der Culturentwicklung seine
bestrickende Macht. Den ersten Culturvölkern, den phantasiereichen Völkern
des Orients, erschien er so wunderbar und unfasslich, dass sie glaubten ihn
von den Göttern herleiten zu müssen. Je weniger sie im Stande waren, die
Ursache der wunderbaren Wirkung des Klanges zu ergründen, desto mehr waren
sie bemüht, ihm symbolische und mythologische Bedeutung zu geben; es bildete
sich somit ein reicher und sorgfaltig durchdachter Sagenkreis bei den Völkern
der alten Welt über den Ursjorung und die weitere Entwickelung der Musik.
Der Sonnengott Osiris der Aegypter wurde auch als Erfinder der Musik
verehrt, durch die er, da er keine Waffen hatte, liauptsächlich die Völker be-
zwang und veredelte. Umgeben von neun im Gesänge geübten Jungfrauen
durchzog er die Welt, um sie ohne Waffen, nur mit der Kraft seiner von Musik
begleiteten Rede zu bändigen und zu entwildern. Auch die Erfindung der ein-
röhrigen Flöte, wie des Krummhorns werden ihm von den Aegyptern zuge-
schrieben. Nach einem andern ägyptischen Mythus war Thot (die Säule) Er-
finder der Musik und zugleich der erste Verkünder der Lehre von der Har-
monie und Natur der Töne. Namentlich aber wird ihm die erste Construktion
der Lyra zugeschrieben. Als er, so erzählt die Sage, einst am Nil entlang
spazieren ging, stiess er zufällig mit dem Fusse an eine Schildkröte, welche
der Nil bei seiner Ueberschwemmung zurückgelassen hatte und die hier umge-
kommen war. Er vernahm einen hellen Klang, den die vertrockneten und blos-
liegenden Sehnen des Thieres von sich gaben; dies brachte ihn auf den Ge-
Ursprung der Musik. 431
danken, die Schildkrötenschale mit ihren Sehnen zum Instrument zu verwenden
und so entwickelte er die Lyra.
Einen Schritt weiter auf dieser Bahn gingen schon die Inder. Wie alles
Schöne und alles Wissen ist auch die Musik aus den »Veda's«, den heiligen
Büchern, die von den Lipjjen des Gottes Brahma geflossen sind, hervorgegangen.
Die Gemahlin des Gottes Brahma — Saraswati — brachte den Menschen
selbst das erste und schönste Instrument, die Vina, fertig vom Himmel, und
es fand wiederum in Nared, dem irdischen Gott der Musik, den ersten und
bedeutsamsten Pfleger, Fünf Tonarten (Raga) sind aus dem Hauj^te Moheda-
Krishna's entsprungen, die sechste verdankt seiner Gemahlin Parbuti ihre
Entstehung. Die Gewalt dieser sechs Tonai'ten war daher ganz ausserordent-
lich, so dass ihr weder die Thiere noch Menschen widerstehen konnten und
dass selbst die leblose Natur sich ihrer Zaubermacht beugte. Brahma ent-
wickelte dann aus diesen Haupttouurten (Ragiuit), deren jede in einer Nymphe,
Tonnymphe, personificirte. Auch der Gandharba, der Tonkünstler, war ihnen
aus Indras Himmel hervorgegangen, nicht direkt von Brahma selbst, sondern
durch seine wirkende Kraft Saraswati, seine Gemahlin, die Göttin der Sprache
und Wohlredenheit und der Künste. Ihre Tochter ßhamba ist die Nymphe
des Tanzes und beide ordnen den Reigentanz der himmlischen Tonnymphen
und himmlische Sänger und Tänzer, (xandharven und Asparasen, ergötzen
die Götter durch Musik, Gesang und Tanz.
Weniger phantastisch, mehr praktisch beschaulich, ihrem eigensten Cha-
rakter entsprechend, erscheinen die Spekulationen der Chinesen über Wesen
und Ursprung des Tons. Sie unterschieden bereits Ton und Klang, be-
gannen den ersten zu messen und die Verhältnisse der einzelnen Töne gegen-
einander abzuwägen und auch die Klänge nach den tonerzeugenden Körpern
zu unterscheiden und erst bei dieser Thätigkeit begann die Phantasie sich zu
regen, indem diese die durch jene praktisch-verständige Spekulation gewonnenen
Resultate mit Sage und Mythe umrankt. Die Chinesen unterschieden früh
achterlei Klänge nach den verschiedenen Stoffen als gegerbte Thierhaut, Stein,
Metall, gebrannte Erde, Seide, Holz, Bambus und den Flaschenkürbis (Calebasse).
Nach ihrer Anschauung hatte jeder dieser Stoffe seinen Platz in der Welten-
harmonie erhalten; die einzelnen Töne wurden ihnen ferner zu Symbolen für
Himmel und Erde, für Sonne und Mond, Mann und Frau und demnach be-
zeichneten sie auch die Musik als die Wissenschaft aller Wissenschaften. Der
Ursprung ihres geregelten Tonsystems wui-de gleichfalls mythisch erklärt: »Nach
der Eroberung des chinesischen Reichs durch Hoang-Ty im Jahre 2700 v. Chr.«,
so erzählt die Sage, »war dieser eifrig bemüht, sein Volk durch weise Gesetze
ebenso wie durch die Pflege von Kunst und Wissenschaft zu beglücken und
daher befahl er auch dem weisen Lyng-lun, die Musik in bestimmte Regeln zu
bringen. Der Weise ging in das Land Si-Yung, an die Quelle des Hoang-ho,
nordwestlich von China gelegen. Auf der Höhe des heiligen Berges, dessen
Nordseite reich mit Bambuswaldungen bepflanzt war, weilte er in tiefem Nach-
denken über seine Aufgabe. Er schnitt von Knoten zu Knoten Stücke Bambus
ab und erzeugte, indem er hinein])lies, einen Klang, ähnlich dem Klange der
Sprache und dem Gemurmel des Flusses Hoang-ho, der vorüberfloss. Da er-
schien ihm das Wundervogelpaar Fung-Hoaug, das immer nur kommt, um den
Menschen eine Wohlthat zu erzeigen. Das Männchen — Fung — sang sechs
Töne (die sechs vollkommenen männlichen) und das Weibchen Hoang sang
sechs andere (die sechs unvollkommenen weil)lichen Töne). Nur ein Ton glich
dem, welchen der Weise bereits auf seiner, aus Bambusrohr geschnitzten Pfeife
erzeugt hatte. Zugleich gab er den einzelnen Tönen auch ihre besondere
Namen: den durch die längste Röhre: Huang-tschung = die gelbe Erde, er-
zeugten tiefsten Ton nannte er Kung = Kaiser; der nächste Ton, ein Ganzton,
hiess Tschang = der Minister; der nächste wieder ein Ganzton, Kio = unter-
thänig gehorchendes Volk: der nächste, eine kleine Terz, Tsche = Staatsange-
432 Ursprung der Musik.
legenheit und der nächste, wieder ein Ganzton, Yu = Gesammtbild aller Dinge.
Die hier fehlenden Töne: <?, genannt Pien-kuug oder auch Tschung, der Ver-
mittler; h, genannt Pien-tsche oder Ho, der Führer, galten den Chinesen nicht
als selbständige Töne, sondern nur als Vermittler und Führer zu f und c. In
demselben Sinne wurde auch das weitere System, so weit dies überhaupt ge-
schah, von den Chinesen entwickelt.
In ähnlicher Weise symbolisirend sind auch die Namen und Systeme der
Araber, die bekanntlich, wenn auch erst spät, ein sehr verwickeltes Tonsystem
ausbildeten. Feinsinnig und dem ernsten "Wesen des Tons entsprechend, erfasste
der griechische Mythus auch den Ursprung der Tonkunst. Der Lieblingssohn
des Zeus, den ihm. Latona oder Leto, eine Tochter des Titanen Koios, die
Gattin der Dunkelheit, zugleich mit Artemis gebar, der goldgelockte, fernhin
treffende Phöbus Apollo, der reine helle Lichtgott, der Alles Unreine als der
Finsterniss angehörig bekämpft, der da reinigt und sühnt und überall Glanz
und Freude hervorruft, der die Harmonie des Weltlaufs ordnet und die ge-
störte Ordnung wieder herstellt, er, der Städtegründer, der Gott der Weissagung
und des Orakels, ist auch der Gott der Dichtkunst und Musik. Während des
Olympischen Mahles unterhält er die Götter durch sein Saitenspiel, wie die
ihn begleitenden Musen durch Gesang und die Hören und Chariten durch Tanz;
er unterrichtet auch Sänger in seiner Kunst. In den Windeln noch zerreisst
er die goldenen Bänder, mit denen man ihn gebunden hat und ruft den Göt-
tinnen zu: »Werth soll die Kithara sein und werth der gekrümmte Bogen, und
ich will den Menschen des Zeus untrüglichen Willen künden«. Vier Tage
nach seiner Geburt tödtete er bereits den, seine Mutter verfolgenden Drachen
Python, wobei zum ersten Male der Siegesgesang — Paean — erscholl, der
dann als Schlachtlied, besonders aber bei der Frühlingsfeier zu Ehren des
wiederkehrenden Sonnengottes, aus welcher Feier dann die delphischen und
pythischen Spiele hervorgingen, gesungen wurde.
Kurze Zeit nach seiner Geburt erwarb er auch die von Hermes (Merkur)
erfundene Lyra und wusste sie bald meisterlich mit dem Plectrum zu schlagen.
Kaum geboren verlässt Hermes, ein Sohn des Zeus und der Maia, die Win-
deln und die Höhle seiner Mutter und stiehlt 50 Rinder von den Heerden der
Götter, welche Apollo in Pierien weidet. Er weiss sie geschickt zu führen
und in der Höhle in Pylos zu verbergen, dass man keine Spur von ihnen
findet und geht dann in seine Windeln zurück. Am Eingange zum Vorhofe
findet er eine Schildkröte, welche auf üppigem Grase weidet; die nimmt er
lachend auf und spricht: »Du bist mir ein gutes Zeichen! du sollst mir nützlich
sein! Lebend sollst du bösem Zauber wehren, aber gestorben sollst du süss
tönena. Darauf trägt er sie in die Höhle, schneidet mit scharfem Eisen das
Thier heraus, befestigt harte Rohrstäbe in die harte Schale und spannt sieben
Saiten darauf. Sehnen der gestohlenen Rinder. Dann schlägt er sie der Reihe
nach mit dem Plectrum, dass es wunderbar ei'klingt, namentlich als er auch
noch dazu singt. Da erscheint Apollo; kraft seiner Gabe der Weissagung hat
Apollo den Dieb entdeckt und führt ihn, da er leugnet, in den Olymp vor
Zeus Richterstuhl. Zeus gebietet ihm die Rinder zurückzugeben; als aber
Hermes die aus der Schildkrötenschaale gefertigte Lyra spielt, ist Apollo davon
so entzückt, dass er ihm für dies Instrument seine Rinder schenkt, die nun Hermes
weidet. Die Lyra aber wurde zu einem Attribut des Gottes der Dichtkunst
und Musik. Mit ihr besiegte er zunächst in einem Wettkampf den Marsyas,
den Sohn des Olympos oder des Hyagnis oder Oiagros, ein phrygischer Silenos,
Perscnification des phrygischen Flötenspiels, im Gegensatz zu der apollonischen
Kitharistik.
Die Flöte soll nach dem Mythos von Pallas Athene, der mutterlosen
Tochter des Zeus, die aus seinem Haupte geboren ward, nachdem er die Metis
(die Klugheit), seine erste Gemahlin, auf den Rath der Gaia verschlungen
hatte, erfunden sein. Nach Pin dar wurde die gewaltige Jungfrau, die perso-
Ursprung der Musik. 433
nificirte Klugheit Zeus, die kluge Lenkerin und Schirmerin der Städte wie der
Staaten im Kriege iind Frieden darauf geführt, eine Flöte anzufertigen, als
Perseus mit ihrem Beistände das Haupt der Medusa abgehauen hatte. Die
beiden Schwesttrn der Medusa, Stheino und Euryole, deren Köpfe anstatt
mit Haaren mit Schlangen besetzt waren, erhoben ein Wehklagen über den
Ted der Medusn, in welches die Schlangen einstimmten und ihren Ton nach-
zuahmen, soll Pallas Athene auf der Flöte, die nach Ovid aus Buxbaum, nach
Hyginos aus Knochen gefertigt war, versucht haben. Pallas Athene wurde
ihres neuen Instruments halber verlacht, und als sie selbst in dem Wasser-
spiegel einer Quelle die Verunstaltung ihres Gesichts durch die Flöte bemerkte,
warf sie unwillig das Instrument von sich und sprach einen Fluch aus gegen
jeden, der es wieder tragen würde. Der bereits erwähnte Marsyas fand die
Flöte und ihn traf der Fluch. Er vervollkommnete das Instrument und erlangte
eine solche Fertigkeit, dass er glaubte es wagen zu dürfen, mit Apollo einen
Wettkanipf einzugehen. Apollo nahm den Kampf an und die Musen wurden
zu Schiedsrichtern erwählt. Der Besiegte sollte der Willkür des Siegers an-
heimfallen. Anfangs neigte der Sieg sich auf die Seite des Marsyas, als aber
Apollo seinen Gesang zugleich mit der Lyra begleitete, was der Flötenspieler
nicht konnte, wurde der Kampf zu Gunsten des Apollo entschieden. Dieser
Hess dem Besiegten, ohne auf dessen und seines Schülers Olympus Bitten zu
achten, die Haut abziehen und hing sie in einer Höhle bei Kelainoi in Phry-
gien auf, in welcher der Fluss Marsyas seine Quelle hat. Die Haut, so erzählt
die Sage weiter, bewegte sich freudig, wenn Flötenmusik in ihrer Nähe ertönte.
Als stete Begleiter sind dem Gesangesgotte die Musen zur Seite. Die
Dichter erzählen, dass, als Zeus bei der Feier seiner Vermählung die olym-
pischen Götter gefragt habe, ob sie eines Dinges bedürften, sie ihn baten,
Götter zu schaffen, welche die Wunder der Schöpfung durch Wort und Gesang
priesen, und Zeus Hess die Musen geboren werden, die alsbald singend und
tanzend im Olymp einzogen und von Zeus zur Gottheit erhoben wurden. Sie
wohnen in seiner Nähe dicht unter dem Gipfel des Olymps und nahe bei ihnen
Himeros — die Sehnsucht, und die Chariten, die Göttinnen der Anmuth und
der geselligen Freude. Ursprünglich waren nur drei Musen: Melete (Sinnen,
Nachdenken), Mneme (Gedächtniss), Aoide (Gesang), deren Dienst Otos und
Ephialtes am Helikon eingesetzt haben sollen. Später werden neun Musen
aufgezählt und die Neunzahl ist die herrschende geblieben. Wie sie den Sänger,
der anerkennt, dass er nur unter ihrem Schutze etwas zu leisten vermag,
schirmen und belehren, so strafen sie den, der sich überhebt und sie zu über-
treffen sich erkühnt. Sie blendeten den thrakischen Sänger Thamyris, einen
Sohn Philammons und der Nymphe Argiope und beraubten ihn des Gesanges,
weil er sie zum Wettkampfe herausgefordert hatte.
Als zweiter Musenführer tritt dem Apollo dann Dionysos zur Seite,
der daher auch als Dionysos Melpomenos verehrt wurde. Es ist der Gott
der höchsten an Easerei grenzenden Begeisterung, der schallenden Musik, der
Pauken und Flöten, des Dithyrambus. In seinem Gefolge sind der wohlbeleibte
Silen und Satyr, der Vertreter der ländlichen bäurischen Muse, der beim Klange
der Syrinx und Pfeife, der Cymbeln und Klappern tanzt. Eine ähnliche Be-
deutung hat Kybele, die Tochter des phrygischen Königs Maeon, die dieser
auf dem wilden Gebirge Kybtlus aussetzen Hess. Wunderbar durch Thiere
ernährt, wuchs sie dort zur guten Mutter vom Berge heran, einen Namen, den
sie sich dadurch verdiente, dass sie die Pfeifen und Trompeten erfand und
Arzneien für Menschen und Vieh bereitete. Ihr treuer Diener ist Marsyas,
der ihr auch folgt, als sie, zurückgekehrt in den väterlichen Palast, nach Nysa
floh, weil ihr Vater ihren geliebten Attis, von welchem sie schwanger war,
ermordet hatte. In Nysa traf sie bei Dionysos den Apollo, der sie sehr lieb
gewann. Dionysos und Kybele wurden die Vertreter des sogenannten orgiasti-
schen Cultus. Ihre Verehrer, die Bacchen, schwärmten beim Fackelscheine
Masika]. Convers.-Lexikon. X, 28
434 Ursprung der Musik.
durch die "Wälder, begleitet von Bläsern, Pfeifern und Cymbelschlägern. Als
Begleiter des Dionysos und der Kybele wird auch Pan genannt, ein Sohn des
Zeus oder des Uranus und der Gre. Als Beschützer der wilden und zahmen
Heerden, als Gott der Jäger, der Bienenzucht und des Fischfangs liebte er
zugleich leidenschaftlich Musik und erfand die Syrinx oder Hirtenflöte.
Syrinx ist ursprünglich eine arkadische Nymphe, die, von Pan verfolgt, den
Tellus um Hülfe anrief und von diesem in Schilfrohr verwandelt wurde. Der
betrogene Liebhaber schnitt sich aus diesem Rohr sieben Stücke von verschie-
dener Grrösse, die er dann nach der Reihe in folgerechter Abstufung zusammen-
klebte; er gewann so die Pan- oder Hirtenpfeife, auch Syrinx genannt, und
erlernte sie so meisterhaft blasen, dass er sogar den Apollo zu besiegen ver-
suchen durfte. Auch in die Nymphe Echo war Pan verliebt, die von einem
noch tragischeren Geschick ereilt wurde. Sie wurde bekanntlich von Juno
verwandelt, damit die Zunge, mit der sie die Göttin durch lange Gespräche
hingehalten, um sie zu verhindern, den Herrn Gemahl bei den Nymphen zu
überraschen, zur Ruhe komme. Von Narcissus, den sie leidenschaftlich liebte,
verschmäht, verschmachtete die Nymphe, so dass nur noch ausser ihren Gebeinen
die Stimme übrig blieb. Mit Eupheme, der Amme der Musen, zeugte Pan
den Krotos, der sich auf dem Heiion aufhielt, sich dort als Jäger auszeichnete
und den Gesang der Musen durch die Erfindung des Tactschlagens regelte.
Wie die Griechen so den Ursprung der Musik direcfc auf die Götter zurück-
führten und die wunderbare Wirkung derselben in nächste Beziehung zu den
olympischen Göttern und Halbgöttern brachten, so wurden ihnen auch jene
Helden und Heroen, welche fördernd an der Kunstentwickelung Antheil nahmen,
zu Lieblingen der Götter, die erhaben über den gewöhnlichen Menschen gleich-
sam als Mittelspersonen zwischen diesen und den Göttern gelten. Es entstan-
den jene heroischen Sagen von Amphion, dem Sohne des Zeus und der
Antiope, der mit seinem Bruder Zethos sich der Herrschaft Thebens bemäch-
tigte und durch die Lieblichkeit seines Gesanges und die Macht seiner Lyra
die Steine bezauberte, dass sie von selbst sich zu Mauern um die Stadt Theben
zusammenfügten. Orpheus, der mythische Sängerheros der Traker, bewegte
mit seinem Gesänge nicht nur Bäume und Felsen und zähmte wilde Thiere,
sondern er rührte sogar auch durch Gesang und Saitenspiel die Königin der
Schatten. Als Eurydike, seine Gattin, auf der Flucht vor dem sie verfolgenden
Aristaios von einer Schlange gebissen starb, stieg er in den Hades hinab,
um die Geliebte wieder zuholen und mit Gesang und Saitenspiel bezauberte er
die Königin der Schatten, dass sie der Eurydike gestattete, ihrem Gemahl zur
Oberwelt zu folgen, doch mit der Bedingung, dass er sich nicht eher umsehen
dürfe, als bis sie die Oberwelt erreicht hätten. Da Orpheus gegen diese Be-
dingung fehlte, musste Eurydike wieder zurück in die Unterwelt. Weiter wird
von Orpheus berichtet, dass er die Argonauten auf ihrem Zuge begleitete
und durch seinen Gesang manche Wunder zum Heile seiner Genossen ver-
richtete. Als besonders begabt thaten sich neben ihm hervor: Linos, ein
Sänger der Urzeit; wie die Argivier erzählen, ein Gottesknabe, der unter
Lämmerheerden bei Hirten seine Jugend verlebte und von wüthenden Hunden
zerfleischt wurde. Nach einer andern Sage ist er der Sohn Apollos und der
Muse Urania, empfing vom Vater die dreisaitige Lyra und wurde der Erfinder
neuer Gesangweisen, namentlich der Klagelieder, des Liedes überhaupt und des
Rhythmus. Noch andere Sagen melden, dass er von Apollo im Wettgesange
überwunden oder von Herkules, den er im Kitharspiel unterrichtete, mit der
Kithara erschlagen wurde, als er den ungelehrigen Schüler strafen wollte. Den
nach ihm benannten »Linosgesang« soll zuerst der halbmythische Pam^ihos
an Linos Grabe, das man ebenso in Theben wie in Argos und in Chalkos
zeigte, angestimmt haben. Sein Sohn Musaios, nach andern ein Sohn des
Orpheus, ist gleichfalls ein mythischer Sänger, welchem eine Reihe von Weihe-
und Reinigungsliedern, Hymnen und Weissagungen zugeschrieben werden.
Ursprung der Musik. 435
Wie dieser Mytheukreis vollauf beweist, war die göttliclie Macht der Musik
den Grriechen so vollständig bekannt geworden, dass sie sich diese Kunst nur
als direct von den Göttern ausgehend denken konnten un,d wenn sie auch sich
in der Pflege und Entwickelung derselben weit über die bisher erwähnten
Völker erhoben, so vermochte doch bei ihnen, weil sie sich diesen Anschauungen
zu einseitig hingaben, die Tonkunst sich auch nicht annähernd zu der Höhe
zu erheben, welche die Dichtkunst, die Architektur und Baukunst bei
ihnen erreichte.
Auch den alten G-ermanen erschien die Musik als göttlichen Ursprungs;
sie leiteten sie direct von der höchsten Gottheit, von Od hin her, stellten sie
unter den besonderu Schutz und die Obhut von Saga, Odhin's Gemahlin, und
bildeten einen reichen Sagenkreis aus, welcher die Macht des Gesanges ver-
herrlichte. Aehnlichen Mythen und Sagen begegnen wir fast bei allen einzelnen
Völkern des Nordens. "Wäinämöinen, eine der höchsten Gottheiten der Finnen,
der Urheber der ganzen geistigen Kultur, gab den Menschen auch die Kunst
des Gesanges und schenkte ihnen die Freuden spendende Harfe. Er selbst
besang die Gründung der Welt und die Luft erzitterte bei seinem Gesänge;
er beklagte die Nichtigkeit des menschlichen Lebens und die Sterblichen ver-
gossen Thränen. Jäger und Fischer rufen ihn an, um mit dem Klange seiner
Saiten ihre Beute herbeizulocken. Die Harfe — Kantele — bereitete er aus
den Gräten eines gewaltigen Hechtes, der nach der Sage bei einer Wasser-
fahrt, welche Wäinämöinen mit seinem Bruder Ilmarinen unternahm, das Boot
hemmte und den er deshalb tödtete. Die Saiten, mit denen er die Harfe be-
spannte, waren aus dem Schweifhaar eines wilden Hengstes, des bösen Geistes
Lempo gedreht. Als er Wunder mit dieser Harfe verrichtet hatte, ging sie
ihm bei einem Sturm auf der See verloren und so fertigte er sich eine neue
aus den Zweigen der Birke und bezog sie mit Saiten, die er aus den Haaren
eines jungen Mädchens gedreht hatte.
Dieser Anschauung blieb auch das Christenthum im Grossen und Ganzen
treu. Die Kirchenväter betrachten diese herrliche Kunst immer wie die Völker
der alten Welt als eine Gottesgabe, welche fertig und direct vom Himmel zur
Erde herabgekommen ist, und die späteren Schriftsteller, welche über die
Musica Sacra schrieben, huldigen meist alle der Ansicht jenes Adam Erd-
mann, der (in Miro's: »Kurze Fragen aus der Musica sacraa, 1707) meint,
dass: »die ersten Eltern vor dem kläglichen Sündenfall den weisen Schöpfer
mit ihrem singenden Munde gelobet» und »nach dem kläglichen Sündenfall
die Traurigkeit des menschlichen Elends mit Singen erleichtert, also manches
Busslied angestimmt, in welchem sie ihren Jammer und ihre Noth dem grossen
Gotte geklaget; ja, es hat die erste Mutter ihre Kinder Kain, Abel und Seth
vielmal in ihrer zarten Kindheit mit Singen nach Art und Weise aller Mütter
besänftigt, wenn sie in der Wiege entweder nicht schlafen wollen, oder sonsten
unruhig gewesen.«
Daneben machten sich auch allmälig Vorstellungen über den Ursprung
der Musik geltend, die auf mehr praktisch verständiger Anschauung beruhen.
So wurde bei den Griechen schon erzählt, dass Pythagoras, ein berühmter
griechischer Philosoph, auf die mathematische Berechnung der Intervallenver-
hältnisse durch die anderen Klänge, welche Amböse von verschiedener Grösse
unter den Hammerschlägen der Schmiede hören lassen, geführt worden sein
soll. Allmälig zogen die grossen Denker Griechenlands auch die Musik in
den Kreis ihrer Spekulationen und sie schufen bereits eine Theorie, die in
ihren Grundzügen massgebend für Jahrtausende geworden ist. Namentlich
muss es als Plato's Verdienst hervorgehoben werden, dass er bei aller Befangen-
heit doch das gemeinsame Wesen der schönen Künste in ein helleres Licht
setzte, überhaupt aber die allgemeinen Grundlagen einer Theorie der schönen
Künste zog. Eine weitere Förderung fand diese dann in Aristophanes,
der sich noch mehr vom Mythischen und Phantastischen zu befreien vermochte,
28*
436 Ursprung der Musik.
bis endlich Aristoteles mit dem grössten Tiefsinn die verborgenen "Wurzeln,
aus denen die Kunst im menschlichen Gemüth hervorsprosst, ergründet. Die
gesammte künstlerische Produktivität ist für ihn nur das unmittelbare Ergebniss
eines rein menschlichen, der Spekulation würdigen Bedürfnisses.
Bis auf den heutigen Tag wurden endlich auch einzelne Männer oder
Völker als Erfinder der Musik bezeichnet. In der israelitischen Urgeschichte
gilt Jubal, der Sohn Lamechs, nicht nur als Ahnherr der Zither- und Flöten-
spieler, sondern zugleich als der Erfinder der Musik. »Er war der Vater aller
derjenigen, die Cither und Blasinstrumente handhaben (1. Mos. 4, 21). Andere
schreiben wieder den Chinesen die Erfindung der Musik zu, von denen sie
dann erst die übrigen Völker erlernt hätten. Irrig wie diese Anschauung ist
auch die einzelner römischer Schriftsteller, die bis auf die heutige Zeit ihre Be-
kenner gefunden hat, dass die Menschen von den Vögeln Anleitung zum Gesänge
erhalten hätten, dass überhaupt das Klingende der leblosen Natur ihr Lehr-
meister geworden sei. Ebensowenig wie die Sprache ist auch die Musik weder
als fertiges Geschenk vom Himmel gekommen, noch ist sie von irgend einem
Manne oder Volke erfunden worden, sondern sie hat sich wie diese organisch
entwickelt durch Jahrtausende anhaltende Arbeit des schaffenden Menschen-
geistes. Hierzu bedurfte es aber ebensowenig wie zur Entwickelung der Sprache
einer besonderen Anleitung. Das Organ für beide ist dem Menschen von der
Natur gegeben und für seinen Gebrauch bedurfte es keiner besonderen Anwei-
sung, sondern nur innerer Anregung.
Wie die ton- und lauterzeugenden Thiere brauchten auch die Menschen
nur den Stimmapparat anzuwenden, um Töne und Laute zu erzeugen und sie
wurden dazu ebenso wie diese nur durch die wechselnden Stimmungen, durch
den veränderten Grad ihres Wohlbehagens veranlasst. Unwillkürlich wird der^
den Gesangton erzeugende Muskelaj)parat bei wechselnder Stimmung in Bewe-
gung gebracht zum Schreien, zum Jauchzen, zum Heulen und zum Singen.
Der Grad der inneren Erregung aber bestimmt den Grad der Spannung der
Stimmbänder und hiermit die Höhe des Gesangtons. Freude oder leidenschaft-
liche Erregung erhöhen die Spannung und der gesangliche Ausdruck bewegt
sich in den höhern Lagen des Organs, während Wehmuth und Trauer das
innere Leben herabstimmt und damit auch die Spannung der Stimmbänder, so
dass der Ausdruck sich in den tieferen Lagen des Organs hält. So erscheint
der Gesangston wohl unzweifelhaft als der ursprünglichste Ausdruck innerer
Erregung und als der unmittelbarste, aus dem dann erst der Sprachton
gebildet wurde. Hiermit aber sind die untersten Anfänge der Musik gewonnen.
Indem der Mensch lernte, auf die unterscheidende Wirkung der verschiedenen
Gesangstöne zu merken, gewann er auch allmälig den Klängen in der Natur
erhöhtes Interesse ab; und aus der immer eingehenderen Beobachtung derselben
und der Vergleichung mit den eigen erzeugten gelangte er allmälig dazu, ein-
zelne Töne aus der Unmasse der überhaupt zu erzeugenden heraus zu heben
und diese zu fixiren. Hierzu aber erwiesen sich die natürlichen Instrumente,
die er aus dem Rohr des Schilfs oder des Bambus, dem Hörn oder Beinknochen
der Thiere, den Saiten, die er aus den Sehnen und Därmen derselben gewann,
ausserordentlich förderlich. Durch die Länge und Stärke der Saiten und die
Metallstäbe, wie durch die Länge und Weite der verschiedenen Röhren lernte
er allmälig die Höhe der Töne bestimmen; und so hoben sich aus der unüber-
sehbaren Menge der überhaupt möglichen und erzeugbaren Töne diejenigen
heraus, welche für die künstlerische Verwendung geeignet sind. Dann aber
wurden dem menschlichen Geiste Pfeife, Trompete, Hörn und Saite ebenso zu
Werkzeugen, die Vorgänge in seinem Innern auszutönen, wie durch die Menschen-
stimmen. Quell und erster Ausgangspunkt der Musik ist somit das bewegte
Innere mit all seinen Höhen und Tiefen. Der natürlichste Apparat, den dieser
besitzt, um sich zu äussern, ist die Menschenstimme als der unmittelbare Träger
und Verkünder inneren Lebens.
Ursprünglich. 437
Nur auf diesen im Menschen lierrsch enden Trieb, seine Stimmungen und
Empfindungen zu äussern und auf das Vergnügen, das er zugleicli am Klange
findet, ist der Ursprung der Musik zurückzuführen. Jener drängt ihn, den
Gesangton zu erzeugen, und die Freude, die er am Klange empfindet, veranlasst
ihn zu näheren Untersuchungen über die Natur desselben und treibt ihn zu
Experimenten mit leblosen Stoffen, den Sehnen, Hörnern, Häuten und Knochen
der Thiere oder dem Rohr und dem Metall, denen er ebenfalls Töne entlockt.
Es ist daher ein ganz vergebliches Bemühen, nach dem Ort zu suchen, wo,
oder nach dem Volk, unter welchem die Musik zuerst entstanden ist; denn sie
ist nirgend zuerst entstanden, sie ist ein ganz natürliches Produkt der Cultur-
entwickelung jedes Volks und erst auf den höheren Stufen macht sich ein
gegenseitiger Einfluss bei den verschiedenen Völkern geltend. Der Gresang
konnte überall Anfangs kaum mehr sein, als ein eintöniges Brummen und
Summen; denn die gleichmässige Beherrschung der Stimmbänder, durch welche
erst ein in unterscheidbaren Intervallen sich bewegender Gesang möglich wird,
setzt schon eine bedeutende Kultur voraus. Die Lust am Klange beherrscht
zunächst überall die ganze weitere Entwickelung. Der sprachbildende Menschen-
geist macht sich ihn dann dienstbar und gelangt mit seiner Hülfe zu den
kunstgemäss gegliederten und gebildeten dichterischen Formen. Mit der wach-
senden Kultur wächst dann auch die Sorgfalt, die man der Erzeugung des
Klansres zuwendet; um ihn zu veredeln, werden die Instrumente von edleren
Stoffen verfertigt und allmälig so vervollkommnet, dass sie höheren künst-
lerischen Ansprüchen genügen. Vor allem aber wird der Ton zum Gegen-
stande eingehendster Studien gemacht; er wird gemessen und nach seiner
unterscheidenden Höhe bestimmt, und als natürliches Resultat ergeben sich
die verschiedenen Systeme, die seine verschiedene künstlerische Verwendung
ermöglichen.
Ursprnoglich heisst die Kunstschöpfung, die einzig in ihrer Art ganz
selbständig, nicht nachgebildet oder von andern Kunstschöpfungen abgeleitet
erscheint. Als ursprünglich müssen demnach zunächst die Melodien des
gregorianischen Kirchengesanges betrachtet werden, da sie sich so we-
sentlich von denen des griechischen oder hebräischen unterscheiden, dass sie
vollste Selbständigkeit gewinnen. Die Tonleiter, auf der sie sich erheben, ist
allerdings der griechischen Praxis entlehnt, allein die besondere Weise der
Anschauung derselben, wie der andere Geist, der diese Melodien hervortreibt,
geben ihnen ein vollständig anderes Gepräge und damit das Merkmal der Ur-
sprünglichkeit. Die Volksmelodie ist dann zum Theil von ihnen her-
geleitet, aber nicht als Nachahmung jener Kunstschöpfung, sondern als durchaus
selbständiges Produkt derselben. Jene kirchlichen Melodien gaben dem schö-
pferischen Volksgeist Anleitung und Anregung, sein eigenes Empfinden aus-
zutönen und dies erzeugt wiederum Melodien, die nach denselben Principien
entstanden wie jene, denen jedoch der andere Inhalt wesentlich andere Form
und veränderte Wirkung verleiht und die deshalb gleichfalls durchaus ursprüng-
lich erscheinen. Damit aber sind die wesentlichsten Bedingungen der Ursprüng-
lichkeit gegeben; diese verfährt durchaus neu schaffend, aber innerhalb der,
durch die ewigen Kunstgesetze gegebenen Schranken. "Werden diese verletzt,
dann verliert das Eigenthümliche der Ursprünglichkeit, das, was die Gattung
als solche kennzeichnet, und es wird zur Sonderbarkeit, zur Abnormität.
Ist die Ursprünglichkeit nur gesucht, indem man absichtlich auf Besonderheiten
und Abweichungen vom allgemein Gültigen bedacht ist, so heisst sie barock,
und da sie dann in der Regel zugleich auch das Kunstwerk in der Verzerrung
erscheinen lässt, bizarr. Monströs wird sie, wenn die Besonderheit in un-
geheuerlichem vergrössertem Massstabe auftritt und dadurch das Kunstwerk
aus seinen natürlichen Schranken treibt. In diesen besonderen Erscheinungs-
formen kann die Ursprünglichkeit immerhin noch interessiren, aber sie hat
entschieden weniger künstlerische Bedeutung als das bescheidenere Talent, dem
438 Ursprüngliclie Töne — Uttendal.
die formvollendete Darstellung des Kunstwerks erstes Erforderniss ist, schon
weil jene gesuchte Ursprünglichkeit weit leichter zu gewinnen ist, als die Herr-
schaft über die Kunstformen. Zu jener barocken, bizarren oder mon-
strösen TJrsprünglichkeit gelangt in der Eegel schon das intentionenreiche
Ungeschick des Anfängers, gelangt der Dilettantismus, wenn er grosse Vor-
würfe, bedeutende Stoffe künstlerisch bearbeiten will, wie das in unseren Tagen
namentlich an zahlreichen Beispielen nachzuweisen wäre. Die echte Ursprüng-
lichkeit kommt nur innerhalb der ewig gesetzmässigen Formen im muster-
giltigen Kunstwerk zum Ausdruck, wie die ganze Entwickelung der Tonkunst
bis auf den heutigen Tag beweist.
Urspriing-liche Töne heissen die Töne der Normal-, der G-dur-T onleiter
c — d — e—f — g — a — h; zum Unterschiede von den chromatischen, durch Erhöhung
oder Vertiefung veränderten oder versetzten Tönen: eis — des — dis—es —
fis — ges — ffis — as — ais — J.
U. s., Abkürzung für Ut supra (s. d.).
Uso, usus, auch Chresis; der Theil der griechischen Melopöie, der sie in
Hinsicht auf Schönheit der Tonfolge und der Intervallenverhältnisse behandelt.
Sie umfasst die verschiedenen Fortschreitungen der Agoge, Petteia und
Tone (s. d.).
Usper, Francesco, Venetianischer Prediger und ausgezeichneter Organist
an der Salvatorkirche in Venedig, lebte in der ersten Hälfte des 17. Jahr-
hunderts. Von seinen Compositionen sind nur bekannt ein Grradual und ein
Tractus, aufgeführt am 25. Mai 1621 bei den Trauerfeierlichkeiten für den
Grossherzog von Toscana Cosmus IL von Medicis.
Ut, die erste Silbe der alten sogenannten Guidonischen Solmisation, welche
im Cantu naturalis dem unversetzten System auf den Ton c, im Cantu durali
auf den Ton g, im Cantu molli auf den Ton f zu stehen kam (s. Solmisation).
Bei den Italienern und Franzosen bezeichnet die Silbe jetzt immer den Ton c,
die Italiener gebrauchen auch die Silbe do.
rt bemol (franz.), der Ton Ces.
Ut diese (franz.), der Ton Cis.
Ut diese mineor (franz.), Cis -m oll.
Ut fa, in der alten Solmisation diejenige Mutation, in welcher auf den
Tönen c und f nicht die Silbe ut, sondern die Silbe fa gesprochen wird
(s. Solmisation).
Ut re, in der Solmisation die Mutation, bei der auf dem Ton g nicht ut,
sondern re ausgesprochen wird (s. Solmisation).
Ut re mi fa so la, die Solmisation (s. d.).
Utremifasollarii hiessen die Solmisatoren, welche nur die sechs Silben nach
der Weise der alten Solmisation beim Gesangunterricht anwendeten.
Utricularius, ein Sackpfeifer, Dudelsackspieler.
Ut supra (abgek. u. s.), wie oben, wie vorher, wird gleichbedeutend
mit come sopra namentlich in Partituren angewendet, um nicht ganz gleich
wiederkehrende Stellen aufs Neue ganz ausschreiben zu müssen. In solchen
Fällen wird bei der "Wiederholung nur die Hauptstimme geschrieben mit der
Bezeichnung -nut supraa oder ■ncome sopra«, um anzuzeigen, dass auch alle übri-
gen Stimmen die Stelle bei der Wiederholung genau so auszuführen haben wie
beim ersten Eintritt (s. Partitur).
Uthe, Job. Andreas, Orgelbauer zu Sondershausen, früher zu Dresden,
namentlich bekannt als Erfinder des Xylosistron (s. d.), das er 1807 baute.
Utteudal, auch Uttenthal und Uttendaler, Alexander, Componist
und Sänger an der Kapelle des Kaisers Ferdinand I. und dessen Nachfolger
Maximilian IL In dieser Stellung befand er sich noch 1585. Seine gedruckten
und bekannten Compositionen sind die folgenden: -DSeptem Psalmi poenitentiales
ex prophetarum scriptis orationihus ejusdem argumenti, quinque ad dodecachordi
modos duodecim, tarn vivae voci, quam diversis musicorum instrumentorum generihus
1
Uttini - Yaccai. 439
Tiarmonia accomodath (Noribergae, in officina Theod. Gerlatzeni, 1570, in 4'^ obl.).
i>Sacrarum cantionum, quas viilgo Mctetas vocant, antea in lucem itnquam editarum
sed nunc recens ad modum tarn insirumeniis musicis, quam vivae melodiae quinque,
sex et plurium voeum attemperatarum Über primitsu; idem, lib. 2 et 3 (ibid.
1571 — 1577, in 4° obl.)- -^CanHones gallicae a A, 6 et plur. voc. (ibid. 1574).
-aTres Missae quinque et sex vocum. Item Macjnificat per octo tonos, quatuor
vocilusv (ibid. 1573, in 4" obl.). «Froeliche neue teutsche und französische
Lieder, lieblich zu singen und auf allerley Instrumenten zu gebraueben, nach
sonderer Art der Musik componirt, mit vier, fünf und mehr Stimmen« (Nürem-
berg, Dietricbt Gerlach, 1574, in 4° obl.). Zweite Aufl. ebend., Catarina
Gerlach, 1585, in 4° obl. (eine andere in Frankfurt bei Stein, ohne Datum, 4**).
Acht vier-, fünf-, sechs- und achtstimmige Motetten von TJttethal sind im
ftNortis Thesaurus musicusa von Peter Joanelli, Venedig, Antonius Gardani, 1568,
enthalten. Auch Jacob Paix hat Compositionen arrangirt und in sein Orgel-
tabulaturbuch aufgenommen (Lauingen, 1583, Fol.). Viele der gedruckten
Kirchencompositionen befinden sich auf der Münchener Bibliothek mit dem
Namen l'ttendal.
L'ttini, Francesco, Componist, geboren zu Bologna gegen 1720, war
Schüler von Sandori und Berti, wurde 1743 Mitglied der Akademischen Gesell-
schaft zu Bologna und 1751 Bräsident derselben. Er lebte einige Zeit in
London und veröffentlichte dort 1770: r>VI Son. for 2 Yiolins and a Boss,
one Sonata for tlie Violoncello^ and tlie otJier for ihe Harpsichorda. Von London
ging er nach Stockholm, wo er Hofkapellmeister wurde und in dieser Stellung
20 Jahre thätig blieb. 1795 wurde er mit 500 Thaler pensionirt, starb aber
bereits 1796. In Schweden componirte er die Opern, welche dort aufgeführt
wurden: »Aline, Königin von Golconda« (schwedisch, 1775 aufgeführt); »Aeneas
zu Karthago« (dergl.): »Tetis und Peleus« (eine dergl., nach dem Entwürfe des
Königs 1790 zu Stockholm aufgeführt); die Chöre zu »Athalia« (schwedisch).
Eine italienische Oper »i2e pastora entstand in seiner Jugendzeit in Italien.
V.
T., Abkürzung für T crte (s. d.), Voce (s. d.), Volta (s. d.).
V = Abkürzung für V er seit (s. d,).
Vaccai, Nicolo, italienischer Operncomponist, wurde 1791 (nach andern
1790) zu Tolentino im ehemaligen Kirchenstaate geboren, kam aber schon im
Alter von drei oder vier Jahren nach Besaro, wohin sein Vater behufs TJeber-
nahme eines öffentlichen Amtes übersiedeln musste. Hier begann der Knabe
seine wissenschaftlichen Studien und betrieb vom zwölften Jahre an nebenbei
das Clavierspiel als Erholung. Einige Jahre später ging er nach Eom, um
die Eechtswissenschaften zu studiren, konnte indessen diesem Berufe keinen
Geschmack abgewinnen und folgte bald dem unwiderstehlichen Drange, sich
ausschliesslich der Kunst zu widmen. Zunächst nahm er nun Tuterricht im
Kunstgesange, dann auch (bei Janacconi) im Contrapunkt. Gegen Ende des
Jahres 1811 ging er nach Neapel, um sich hier unter Baisiello's Leitung in
der dramatischen Composition auszubilden, schrieb auch um diese Zeit unter
der Aufsicht des genannten Meisters seine ersten Cantaten •aL'Omaggio della
gratitudineK und r>Andromeda<i, sowie eine Anzahl von Kirchencompositionen.
Dann versuchte er sich als dramatischer Componist mit der 1814 im Teatro
Nuovo zu Neapel aufgeführten Oper »J SoUtari di Scoziav, welcher im nächsten
Jahre die einaktige Oper y^Malvina«, aufgeführt im Teatro San Benedetto zu
Venedig, folgte. An diese "Werke schlössen sich an: das Ballet y>Gamma, Re-
gina di Gallizia<.<. (1817), die Oper r>Il Lupo d'Ostendau. (1818), das Ballet
y>Timur CJiana (1819), sowie die BaWete r>Alessandro in Bahiloniaa wn^ i>Ifigenia
440 Vaccari — Vacclietti.
in Aulidea (1820), sämintlicli für die Venetianisclien Theater San Benedetto
und Fenice geschrieben. Mittlerweile hatte V., entmuthigt durch den geringen
Erfolg einiger seiner Arbeiten, sich entschlossen, der Operncomposition zu ent-
sagen und das Gresangsunterrichtsfach zu ergreifen. In seinem neuen Berufe
wirkte er anfangs in Venedig, dann (von 1821 an) in Triest, endlich (1823)
in AVien; doch konnte ihn die Lehrthätigkeit, so erfolgreich sie auch war, nicht
lange fesseln: 1824 sehen wir ihn sich aufs Neue der Bühne zuwenden und
auf Grund der inzwischen gemachten Erfahrungen mit ungleich mehr Glück
als im Beginn seiner Laufbahn. Zuerst trat er in Parma mit der komischen
Oper y>Pietro il Grande, ossia il geloso alla tortiiraa hervor und noch in dem-
selben Jahre brachte er in Turin seine -»Pastorella feudatariav. zur Aufführung.
Im nächsten Jahre schrieb er für das Theater San Carlo in Neapel die Oper
y>Zadig ed Ästarfea«, für Mailand y>Giulietta e Romeou. und y>Le Fucine di Nor-
vegian; endlich im Laufe der folgenden Jahre für Venedig »Giovanjia d'Äreo«,
für Turin y>Bianca di Messinav, für Florenz y^Saladinov. und für Mailand y)SauUeti.
Der "Wunsch, sich in Paris bekannt zu machen, bestimmte V., 1829 dort-
hin überzusiedeln, und zwar wiederum als Gesanglehrer; als solcher wusste er
sich unter den dortigen Italienern eine der ersten Stellungen zu erringen, auch
in London, wohin er sich nach zweijähriger pariser "Wirksamkeit begab, gelang
es ihm, eine Anzahl tüchtiger Schüler zu bilden. Schliesslich zog es ihn jedoch
wieder in sein Vaterland und zu seinem Berufe als dramatischer Componist
zurück, und als nach den politischen Stürmen des Jahres 1830 die gesellschaft-
lichen Verhältnisse Italiens wieder geregelt waren, konnte er es zum dritten
Mal unternehmen, zu den dortigen Opernbühnen in Beziehung zu treten; dies-
mal gab er denselben vier Werke: »Marco Visconti«, «Giova7ina Gray« (für die
Sängerin Malibran geschrieben), »ia sposa di Messinav. und » Virginias. Im
Jahre 1838 übernahm V. die, durch Basilj Berufung nach Bom erledigte Stelle
eines Censors und ersten Compositionslehrers am Conservatorium der Musik
zu Mailand, welches Amt er bis zu seinem Tode 1849 bekleidet hat. In den
letzten Jahren seines Lebens war seine schöpferische Thätigkeit ausschliesslich
auf die Kirche gerichtet; eine bei Bicordi in Mailand erschienene Sammlung
von Canzonetten seiner Composition hat seinem Talent auch über die Grenzen
Italiens hinaus zur Anerkennung verholfen.
Vaccari, Francesco, talentvoller Violinist, ist 1773 in Modena geboren,
erhielt sehr frühzeitig Violinunterricht und spielte, sieben Jahre alt, bereits
die schwierigsten Stücke vom Blatt. Von seinem zehnten Jahre au genoss er
in Florenz den Unterricht Nardini's und trat einige Jahre später in Mantua
zuerst vor das Publikum. Hier soll er auch ein Concert, welches ihm der
Violinist Pichl vorlegte, vom Blatte gespielt haben. Nachdem er hierauf auch
in den andern italienischen Hauptstädten mit Erfolg concertirt hatte, nahm er
in Mailand mehrere Jahre hindurch seinen Aufenthalt und trat dann 1804 in
den Dienst des Königs von Spanien, bis er 1808 aufs Neue Concertreisen
unternahm. Er besuchte Paris, kam auch nach Deutschland, um 1815 abermals
zuerst nach Lissabon und dann nach Madrid zu gehen. Hier erhielt er wie
bei seiner früheren Anwesenheit in Spanien eine vortheilhafte Stellung am
Hofe König Ferdinands, die er aber 1823 in Folge der Unruhen wieder aufgab.
Er starb wenige Jahre darauf in Portugal, Gedruckt sind von ihm: i>Duos
four deux violonsa, op. 1 und 2 (Paris, Louis). y>God save the hing, varie pour
violon avec piano« (Paris, Janet et Cotelle). y>Potpouri varie sur le 'Fandango
et Rohin Adair avec accompagnement de piano« (Paris, Leduc). r>L^Fcossaise,
nocturne dialogue pour piano et violon«, mit Var. (Paris, Schönenb erger).
Vacchetti, Giovanni Battista, Pater, geboren zu Rubiera im Gross-
herzogthum Modena, lebte in der Stadt dieses Namens Mitte des 17. Jahr-
hunderts als Ordensbruder und Organist seines Klosters. Von seinen Compo-
sitionen sind gedruckt vorhanden: -nMotetti a due, tre e quattro voci con organo«
(in Venetia, Bart. Magni, 1646, in 4"). »Mottetti a voce sola«, Hb. 1, op. 2
Vaceto - Vaet. 441
(in "Venetia, Franc. Magni, 1664, in 4"). r>Mottetti concertati a una, due, tre
e quattro con violini e senzaa, lib. 2, op. 3 (Bologna, 1667, in 4 ).
Vaceto (ital.), Tempobezeichnung = gemässigt, massig, geschwind.
Vacher, Pierre Jean, oder Levacher, Violinist, wurde am 2. August
1772 zu Paris geboren, wo er 1819 starb. Er war eine Zeit lang Schüler
Viotti's und nacheinander am Orchester der Theater Vaudeville und Feydeau
und an der grossen Oper thätig. Einlagen, die er für das Theater componirte
und mehrere niedliche Romanzen wurden seiner Zeit populär. Oedruckt sind:
»Trios j)oar deux violons et hassea, op. 3 (Paris, Nadermann). -nÄirs varies pour
violon et violoncelloa (ibid.). »Duos four deux violons«, liv. 1 et 2 (Paris, Q-a-
veux). Viele Arien mit Variationen für Violine allein in Paris bei Tavet,
Frey, Omont.
Vachon, Pierre, geboren zu Arles 1731, erhielt den ersten Unterricht in
der Musik und im Violinspiel in seiner Vaterstadt und kam, 20 Jahre alt,
nach Paris, wo er den Unterricht Chabran's genoss. 1758 Hess er sich zum
ersten Mal im Concert spii'ituel in einer eigenen Composition hören und erwarb
vielen Beifiill. La Borde bezeichnet ihn vornehmlich auch als einen ausgezeich-
neten Quartett- und Trio-Spieler. 1761 trat er als erster Violinist in den Dienst
des G-rafen Conti, in welcher Zeit er auch seine ersten dramatischen Compo-
sitionen fürs Theater schrieb. 1784, als er bei einer Reise durch Deutschland
in Berlin mit Beifall auch bei Hofe spielte, engagirte ihn der damalige Prinz
von Preussen als Concertraeister seiner Kapelle. Er starb 1802 zu Berlin.
Ausser den Opern: »Benaud d'Astui (1765); »Le Monnier<i (1765); nLes femmes
et le secretv. (1767); »Esope ä Cithere«. (1765, mit Trial gemeinschaftlich);
•aSaran (1773), componirte er eine Reihe von Instrumentalstücken: »Trois con-
certos pour violon et orchestre«, op. 1 (Paris, Venier); y>Six trios piour deux
violons et hasset, oj). 2 (ibid.); r>Six sonates pour violon et hassen, op. 3 (ibid.);
r>Deux concertos pour violon et orcliestre<i., op. 4 (Paris, la Chevardiere) ; »Six
sonates pour violon et hasse« (London, 1770); »Six quatuors pour deux violons,
alto et hasse«, op, 7 (Paris, la Chevardiere); »Six quatuors pour deux violons,
alto et hasse«, op. 9 (Berlin, 1797).
A^aelrant, Hubert, s. "Waelrant.
Vaet, Jacobus, niederländischer Componist, ist von verschiedenen Lexiko-
graphen — u. a. von Grerber — mit einem Landsmanne und Collegen Namens
Jaques de Wert oder G-iaches di "Waert (s. d.), der während der ersten Hälfte
des 16. Jahrhunderts in Italien in Ansehen stand, unrichtigerweise identificirt
worden, wiewohl der Nestor der Musiker-Biographen, Johann Grottfried AValther,
schon in seinem 1732 vollendeten Lexikon zwei verschiedene Personen als die
Träger obiger Namen bezeichnet hatte. Die Unklarheit bezüglich der Lebens-
umstände beider Künstler mag dazu beigetragen haben, dass der verdienstvolle
Historiker Anton Schmid in seiner Schrift über Petrucci da Fossombrone und
nach seinem Vorgange auch Fetis sich jener irrthümlichen Meinung ange-
schlossen haben. Doch ist der letztere Autor zu einer anderen Ueberzeugung
gelangt, nachdem er aus verschiedenen Compositions-Sammlungen des 16. Jahr-
hunderts den untrüglichen Beweis für die Sonderexistenz V.'s gewonnen hatte.
Sicheren Aufschluss über die Lebensumstände dieses Künstlers gewährte ihm,
wie er in der zweiten Auflage seiner »Biograpliie universelle« berichtet, die unter
dem Namen »Novus Thesaurus musicus« 1568 zu Venedig durch Joannelli de
Grandino veröffentlichte Sammlung von Gesangscompositionen, deren Autoren
ausschliesslich demselben Jahrhundert angehören und Mitglieder der kaiserlichen
Sängerkapelle zu Wien waren. Aus einer in dieser Sammlung befindlichen
sechsstimmigen Motette V.'s zu Ehren des Erzherzogs Ferdinand von Oesterreich
(In laudem Sereniss. Prineipis Ferdinandi Archid. Austriae) lässt sich mit Ge-
wissheit schliessen, dass der Künstler schon vor 1527 unter Karl V. in der
kaiserlichen Sängerkapelle angestellt gewesen ist, denn in diesem Jahre wurde
der genannte Erzherzog zum König von Böhmen und Ungarn gekrönt. Eine
442 Väterchen — V alderravano.
andere in dem y^TIiesanrusa aufgenommene Composition V.'s, drei Motetten (die
erste für vier, die beiden andern für sechs Stimmen) zu Ehren Kaiser Maxi-
milians II. (In laudem Invictiss. Born. Im'p. Max. II) beweist, dass ihr Yerfasser
noch nach 1564 gelebt hat, da erst im Juli dieses Jahres Maximilian den
durch den Tod Ferdinand's I., des Nachfolgers Karl's V., erledigten deutschen
Kaiserthron bestieg. Dass aber V. im Jahre 1568 schon gestorben war, erhellt
aus einer ebenfalls im -uNotus Thesaurus musicusa enthaltenen siebenstimmigen
Motette von Jakob Eegnart, die, wie der Titel besagt, zur Erinnerung an seinen
Tod (In Ohitum Jacohi Vaet) geschrieben worden ist.
Die von Y, hinterlassenen, im Druck erschienenen "Werke sind folgende:
■nModulationes quinque vocum (vulgo motecta nuncupatae)<i (Venedig, bei Antonio
Gardano, 1562, 4°). Sodann enthält die vorhin erwähnte Sammlung ■dNovus
Thesaurus musicus«. 25 Gesangstücke seiner Composition, unter ihnen eine i^n-
zahl von Motetten, sieben Compositionen des vSalve reginaa für vier, fünf, sechs
und acht Stimmen, sowie ein achtstimmiges Te deum. Andere Sammlungen
von mehrstimmigen Gesängen aus dem 16. Jahrhundert haben, vermuthlich um
dem Wunsche der Zeitgenossen des Künstlers zu entsprechen, ebenfalls Com-
positionen von ihm aufgenommen; so enthält die 1553 — 1557 zu Antwerpen
bei Tylman Susato erschienene Sammlung y>Ecclesiasticae Cantiones quatuor et
quinque vocum, vulgo moteta vocant, tarn ex veteri quam ex novo Testamento, ah
optimis quibusque hujus aetatis musicis compositaea. fünf vierstimmige Motetten
Y.'s; und die in Nürnberg 1554 — 1556 erschienene Sammlung y>Evangelia Do'
minicorum et festorum Dierum, musicis numeris imlcherrime comprehe7isa et cor-
recta quatuor, quinque, sex et plurium vocuma enthält von ihm gleichsfalls fünf
vierstimmige Gesänge unter dem Specialtitel y>Sententiae piae«. Ferner findet
sich ein vierstimmiges weltliches Lied mit französischem Text {y>Ämour leal« etc.)
in dem zu Antwerpen bei Hubert Watlrant und Johann Laut (ohne Angabe
der Jahreszahl) erschienene r>Jardin musical, contenant plusieurs helles fleurs de
chansons ä quatre partiesa; auch sind in den zu Nürnberg 1564 erschienenen
•/»Thesaurus musicusa — nicht zu verwechseln mit dem vorhin citirten nNovus
Thesaurus musicus«. des Joannelli — r>continens selectissimas octo, Septem, sex,
quinque et quatuor vocum Harmonias tarn a veterihus quam a recentiorihus sym-
phonistis compositas, et ad omnis generis instrumenta musicae accomodatasa meh-
rere Motetten Y.'s von verschiedener Stimmenzahl aufgenommen. Y. gehört
ohne Frage zu den hervorragendsten Componisten seiner Zeit und alle Kenner
der niederländischen Tonkunst, unter ihnen Fetis, dessen Autorität auf diesem
Gebiete wohl unbestritten ist, rühmen an seiner Musik die Correktheit des
Stils, den religiösen Charakter und die Einfachheit seiner Notirungsweise, im
Gegensatz zu den Pedanterien und kleinlichen Spielereien, in welchem sich selbst
noch zu seiner Zeit ein grosser Theil der Tonsetzer gefielen.
Väterelien wurden bei der Orgel die 4 — 6 Centimeter langen, aus Messing-
draht gefertigten Schraubengewinde, welche sich hinter dem Yorsatzbrette (s. d.)
auf jeder Taste befinden, benannt.
Vag-aus, Quinta vox, nannten die Tonsetzer des 16. und 17. Jahrhunderts
in fünfstimmigen Tonsätzen die fünfte Stimme, weil sie jeder der vier Stimm-
klassen angehören, hier ein zweiter Sopran, dort ein zweiter Alt oder Tenor
sein konnte; am häufigsten ist sie ein zweiter Tenor.
Yagne, Musiklehrer, in Marseille in den letzten Jahren des 17. Jahrhun-
derts geboren, hatte sich in Paris niedergelassen und gab hier eine Elementar-
Musikschule heraus unter dem Titel: y>UArt d'apprendre la musique expose
d^une maniere nouvelle et intelligihle, par une suite de legons qui se servent suC'
cessivement de 'preparation<s. (Paris, 1733, in Fol., 32 S. nebst einer Yorrede).
Eine zweite Auflage erschien 1750 in Paris.
Yaisselins, Matthieu, s. "Waisselius.
Talabreque, s. Catalani.
Valderravano, Enriquez de, spanischer Musiker, der Anfang des 16»
Valdesturla — Valentin!. 443
Jahrhunderts zu Penacerrada geboren wurde. Er veröffentlichte eine Abhand-
lung über die Viola nebst einer Sammlung von Stücken für dies Instrument
unter dem Titel: T>Musis dicaium. Lihro llamado. Silua de Sirevas. Compuesto
por el ecccellente musico Anriquez de Ualderauano. Divigido al ülustrissimo
sennor don Francisco de Cunniga conde de Miranda etc.a Am Ende des Bandes
steht: -oFMe impresso en la muy insigne y noble villa de Vallodolid Pincia in
oiro tiempo llamadaa (por Francisco Eernandez de Cordova impresor, 1547, in
Fol.). Es sind in dem Werke: Motetten, Vilhanhios, Romanzen, Gesänge,
Fantasien und Sonaten in Tabulatur für die Viola enthalten ; ebenso eine Er-
klärung der Zeichen der Tabulatur und der Art der Ausführung derselben.
Ferner ist von demselben Autor eine allgemeine Abhandlung der Musik vor-
handen, die verschiedenen Tabulaturen des Spinets, der Harfe, der Viola, des
Kirchengesanges und des figurirten Gesanges behandelnd. Der Titel lautet:
•»Tratado de cifra nueva para tecia, arpa y vihuela, canto-llano de oryano y contra'
puntod (Alcala de Henares, 1557, in Fol.).
Yaldesturla, s. Schicht.
Talente, Antonio, mit dem Beinamen Cieco, war blind und bekleidete
in Neapel ein Organistenamt. Er veröffentlichte eine Sammlung von Orgel-
stücken unter dem Titel: y>Versi spirituali sopra tutte le note, con diversi capricci
per suonar negli organia (Napoli, 1580).
Talente, Saverio, neapolitanischer Componist, lebte in der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts. Seine Studien machte er auf dem Conservatorium la
Pietä und war später Kapellmeister an der Kirche S. Francesco Saverio, auch
Lehrer am College San Pietro a Majella und am Conservatorium von Neapel.
Auf der Bibliothek hierselbst sind folgende Compositionen im Manuscript auf-
bewahrt: almpromperi a 4 voci pel vener di santo«. r>Messa a 4 voci e piu stro-
menti«. -uMessa a 5 voci e piu stromentia. y^Tratti delle tre profezie del salafo
santOK. » Vespere del sahato sanio a 4 voci col hasso continuo«. r)Credo a 4 voci con
oryanofi. y>Oraiorio per il S. Natale a piii voci e piü stromenti.a »Solfeggien für
vier Stimmen«. »Eine Sammlung Partimenti«. »Eine Methode des Contraj^unkts«.
Talentini, Carlo, dramatischer Componist, geboren zu Lucca gegen 1790,
war von 1827 bis 1835 Kapellmeister am Theater zu Messina. Gegen das
Ende seiner Laufbahn kehrte er nach Lucca zurück. Er hat ungefähr zwölf
Opern, die auf den verschiedenen Theatern Italiens zur Aufführung kamen,
geschrieben. y>Il Capriccio drammaticoa, y>Amine<s. und r>Il Figlio del signor padrea
waren die ersten. Diejenigen, welche am meisten gefielen, waren: y>GU Ärago'
nesi in Napoli«, 1838 in Eom, und »JZ Figlio del signor padrea, in Neapel
aufgeführt.
Talentini, Domenico, ein i\m die Mitte des 18. Jahrhunderts zu Lucca
lebender Componist, hat unter Anderem ein Oratorium: »Der Tod Abel's« nach
Metastasio in Musik gesetzt.
Talentini, Giovanni, Kirchencomponist und Contrapunktist der römischen
Schule, wurde in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts geboren. Anfang
des 17. Jahrhunderts, gegen 1615, trat er zu Wien als Organist in den Dienst
des Königs. Von seinen Compositionen wurden folgende gedruckt: y>Motetti a
sei vocia (Venedig, 1611, in 4°). y>MusicJ/e concertate ö 6, 7, 8, 9 e 10 voci
ossia insiromentia (Venedig, 1619, in Fol.). y>Musiche a 2 voci col hasso per
organod (Venedig, 1622). yiSacri concerti a 2, 3, A e 6 vocia (Venedig, 1625,
in 4°). Musiche da camera a 2, 3, 4, 5 e 6 voci, parte concertaia con voci soli
e parte con voci ed istromenti, nelle quäle si contengono Madrigali ed altri varie
composizioni. Lihro quartav. (Venetia, app. Aless. Vincenti, 1621, in 4°). y>Lihro
quinto. Le MusicJie da camera a una e due voci c'ol hasso contimioa (ibid. 1622,
in 4"). Im Manuscript blieben Messen, Magnifikats und Psalmen. Der Abbe
Santini besitzt davon ein Stabat mater für vier Stimmen und ein Magnifikat
für vierundzwanzig Stimmen und sechs Chöre vom Jahre 1620. In der Ma-
nuscriptensammlung im Schlosse zu Prag befinden sich Compositionen dieses
444 Valentinl.
Meisters auch sind einige Stüöke in: fJParnassust musicus Ferdinandaeus« von
Bergamo (Venedig, 1615) aufgenommen. Gerber führt die eine sechschörige
Messe, Magnißcat et Juhilate, als 1621 zu Venedig gedruckt an. (»Tonkünstler-
Lexikon«, B. III, S. 422).
Valentini, Giovanni, neapolitanischer Componist, lebte in der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts und machte sich durch folgende Opern vortheilhaft
bekannt: y>La Nozze in contrastoa, komische Oper, 1780 zu Mailand, 1784 zu
Leipzig aufgeführt. »J Gastellani burlatia, komische Oper (Parma, 1786). »Za
statua matematicav. (Pesaro, 1786). ^L' Impresario in rovinm (Cremona, 1778).
Talentini, Giuseppe, Violinist und Instrumentalcomponist, zu Florenz
gegen 1690 geboren, veröffentlichte bei Eoger in Amsterdam die folgenden
Compositionen: y>XII Sinfonie a 2 violini e violoncellov-, op. 1. » VII Bizzarrie
per Camera a 2 viol. et violonc.a, op. 3. » VIII Idee da camera a violino solo
e violoncellotn, op. 4. -nXII sonate a 2 viol. et violonc, op. 5. y>Concerti a 4 viol.,
alto violaa. »Sonate a violino solo e basso continuoa, op. 8. »X eoncei'ti«, op. 9.
Yalentini, Pietro Francesco, berühmter Contrapunktist der römischen
Schule, auch seiner Zeit als Poet bekannt und als theoretischer Schriftsteller
thätig, entstammte einer vornehmen Familie zu Rom und wurde daselbst in der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts geboren. In der Schule des J. M. Nanini
bildete er seine musikalischen Fähigkeiten und starb zu Rom 1654. Er schrieb
zwei grosse Opern, dem damaligen Geschmacke entsprechend mit Zwischen-
spielen (Intermezzi's) und zwar die Musik und die Worte; es sind dies: »La
Mitra. Favola greca versißcata con due intermedii, il primo rappresentante la
TJccisione di Orfeo; e il secondo Pittagora che ritrova la musica. Foesia di Fier
Francesco Valentini Romano, musica dell istesso«. (Roma, Mascardi, 1654). ^La
Trasformazione di Dafne. Favola morale con due intermedii, il primo contiene
il Batto di Froserpina ed il secondo la Cattivita di Venere e di Harte neue
rete di Vulcanoa (Roma, Mascardi, 1654). Seine übrigen Compositionen sind:
»Canone di Fier Francesco Valentini Romano sopra le parole del Salve Regina:
illos tuos misericordes oculos ad nos converte, con le sue risolutioni a 2, 3, 4 <?
5 voci, etc.<i (Roma, Blasotti, 1629). Dieser Canon enthält mehr als zweitausend
Resolutionen. Das Thema desselben nebst vier der Hauptresolutionen giebt
Kircher an (tiMusurgiaa, Th. I, S. 402). »Canone nel nodo di Salomone a 96
vocivi (Roma, 1631, in Fol.). Auch von diesem Canon sind bei Kircher {»Ma-
surgiai, Th. I, S. 404) und bei Hawking in seiner Geschichte (Band II, S. 375)
die vornehmsten Resolutionen zu finden. -»Canone a 6, 10, 20 voci<i (Roma,
1645). «Madrigali a 5 voci, musica e poesia del Valentini«, zwei Hefte (Rom,
Mascardi, 1654). »Motetti ad una voce con instromenti«, zwei Hefte (ebenda).
•aMotetti a 2, 3, 4 vocii, zwei Hefte (ebenda, 1655). »Canzonette spirituali a
2 e 3 vocia, zwei Bücher (ebend, 1656). »Canzonette spirituali a 2, 3, 4: voci«,
zwei Bücher (ebenda, 1656). -»MusicTie spirituali per la iiativita di N. S. Gesii-
Cristo a 1, 2 voci«, zwei Bücher (Rom, Belmonti, 1657). »Canzoni, sonetti ed
arie a voce sola«, zwei Bücher (ebenda, 1657). »Canzonette ed arie a 1, 2 voci«,
vier Bücher (ebenda, 1657). »Litanie et motetti a 2, 3, 4 voci«, zwei Bücher
(ebenda, 1657). Diese Compositionen, die Opern und die Canons ausgenommen,
wurden erst nach dem Tode des Autors von dessen Erben, die er testamen-
tarisch dazu verpflichtet hatte, in den Druck gegeben. Drei theoretische Ab-
handlungen hat er der Bibliothek der Familie Barberini vermacht. Sie befinden
sich unter No. 3287 und 3288 noch daselbst. Die Titel sind: r>I)upUtonio
Musica. Dimostrazione di Fier Francesco Valentini Romano per la quäle appare
li tont, e modi musicali ascendere al numero di ventiquattro, dove dodici soll
communemente sono stimati. Ed anco alcune figure dimostrative di alcuni generi
musicali, antichi ed altre teoriche curiositä«. »Trattato del tempo, del modo, e
della prolazione di Fier Francesco Valentini Romano, nel quäle ampiamente si
dimostra cosa sia tempo, modo, prolazione, e copiosaynente si discorre delle figure
e proporzioni musicali de segni delle perfezioni, delle alterazioni, dei punti, delle
Valentinstanz — Valla. 445
ligature, e di ciascun altro accidente, a cui defte ßgure sono sotto^wstea. »Trattato
delle battiita musicale. In qicesfo si vedono deseritti gli esempi per i quali sHtisegna
il modo 0 la maniera di giustamente proferire e cantare le note, ed aspettare le
pause tanto sotto il tempo delV egualo, quanto delV ineguale hattutaa.
Valentiustanz, s. v. a. Taranteltanz (s. d.).
Valernod, Abbe Marie Eleazar de, Domherr des adligen Stifts zu St.
Martin d'Ainay, ist zu Lyon geboren und hielt in der Akademie daselbst, deren
Mitglied er war, folgende Vorlesung: ^Nouvelle methode pour noter le plain-chant
Sans larres et Sans clefs« aufbewahrt unter den Manuscripten in der Bibliothek
daselbst unter No. 965. V. starb 1778.
Yalesi, Johann Evangelist, eigentlich "Wallers haus er, geboren am
28. April 1735 zu Unterhattenhofen in Baiern als der Sohn eines Bauern,
wurde von einem vermögenden Kunstfreunde adoptirt, welcher ihn in München
ausbilden Hess. Nach einiger Zeit jedoch unterbrach Y. seine Studien und
begab sich zu einem Landwirthe. Später nach München zurückgekehrt cultivirte
er die Musik und hauptsächlich den Gresang. Der Kapellmeister Camerloher
zu Freising war sein Lehrer und V. machte so schnelle Fortschritte, dass er,
19 Jahre alt, bereits als Sänger am Hofe des Cardinais und Fürst-Bischofs von
Freising angestellt wurde. 1755 ging er erst nach Amsterdam, dann nach
Nancy, um sich als Sänger hören zu lassen, und betrat, nach Baiern zurück-
gekehrt, 1757 die Bühne als Bellerophon. Das Verlangen, sich immer mehr
zu vervollkommnen, trieb ihn nach Italien, wo er in verschiedenen Städten
ebenfalls als Opernsänger auftrat. 1770 kehrte er nach Baiern zurück und
erhielt dort vom Herzog Titel und Function eines Kammersängers. Nach einem
abermaligen Besuch Italiens, bei welchem er viel Ruhm einerntete, verblieb er
nach seiner Rückkehr 1778 dauernd in München, wirkte dort an der Hofoper
als Sänger und errichtete hier die erste deutsche Singschule, in welcher er
über 200 Schüler bildete, zu denen auch Adamberger gehörte. Nach 42jähriger
Dienstzeit wurde er 1798 pensionirt und starb in München 1811.
Talgulio, Carlo, gelehrter Hellenist, stammt aus einer alten Familie von
Brescia, wo er 1440 geboren wurde und 1498 starb. Er war eine Zeit lang
Secretär des Cardinal Cesar Borgia. Die lateinische Uebersetzung der musi-
kalischen Abhandlung des Plutarch, welche er lieferte, wurde erst lange Zeit
nach seinem Tode gedruckt und aufgenommen in der Sammlung der Schriften
des Plutarch: -nFlutarchi Chaeronei philosophi historicique clarissimi ojmscula (quae
quidem extant) omnia, undequaque collecta, et diligentissime jam pridem recognitaa
(Venetiis per Jo. Ant. et Fratres de Sabio, sumptu et requisitione D. Mel-
chioris Sessa; Anno Domini MDXXXII, in 8°). Ferner von J. Cornarius in
seiner Ausgabe der Schriften über Moral des Plutarch (Basel, 1553, in Folio,
p. 19 bis 25).
Yalhadolid, Francisco de, Kapellmeister am erzbischöflichen Seminar zu
Lissabon, geboren zu Funchal, der Haujjtstadt der Insel Madeira, wurde in der
Musik zuerst von Manoel Fernandes und später zu Lissabon von Joaö Alvares
Frovo unterrichtet. Er starb am 16. Juli 1700, ehe er sein Werk über theo-
retische und praktische Musik zum Druck befördern konnte. Ausser diesem
"Werke hat er viele Compositionen, Messen, Psalmen, Lamentationen, Respon-
sorien. Motetten u. a. geschrieben.
Talla, Georgia, gegen Mitte des 15. Jahrhunderts zu Piacenza geboren,
studirte in Pavia Medicin und wurde 1450 in Venedig als Professor Huma-
niorum angestellt, als welcher er 1499 starb. In seiner Sammlung von Ab-
handlungen aller Wissenschaften: »De eccpetendis et fugiendis rebusa (Venedig,
1497 — 1501, zwei Bände in Fol., ist auch die Abhandlung: »J)e Musica, lih.
Y. Sed primo de inventione et commoditate ejttsa enthalten. Zu den weiteren
Arbeiten des V. gehört auch die lateinische Uebersetzung der Einleitung zur
Harmonik des Euclid unter dem Namen Cleonides. Sie führt den Titel:
^Cleonidae harmonicum iniroductorium, interprete Georgia Valla jPlacentinoa und
446 Vallade — Valle.
ist mit den Schriften der Autoren, die aus dem Titel liervorgehen, in einem
Bande herausgegeben. Der Titel desselben heisst: »Soc in volumine haec opera
continentur: Oleonidae hartnonicum introductorium interprete Georgia Valla Pia-
centino. — L. Vitruvii Pollionis de Archifectura libri decem. — Sexti Julii
Frontini de aquaeductihus liber unus, — Angeli Policiani opusculwm quod. Pane-
pistemon inscrihitur. — Angeli Policiani in p)>'iora analytica praelectio, ciu ütiilus
est Lamian. Das Datum ist nur am Ende der Vitruv'schen Abhandlung zu
finden. Man liest dort: '>->Impressum Yenetiis per Simonem Papiensem dictum
Biniloiuam. Anno ah incarnatione MCOC. LXXXX. YII. Die tertio, Augusti«,
in Fol. Die betreffende Uebersetzung der Euclid'schen Schrift gelangte im
Jahr darauf mit einigen anderen Arbeiten des Valla vereinigt in einer zweiten
Ausgabe zum Druck. Yon dieser findet sich auf der Pariser Bibliothek ein
Exemplar mit dem Datum Venedig, 1504.
Vallade, Joh. Baptist Anton, dessen Namen auf französische Abkunft
schliessen lässt, war Organist in Mendorf um die Mitte des 18. Jahrhunderts.
Die nachgenannten Werke von ihm sind gedruckt worden: »Dreifaches musi-
kalisches Exercitium auf der Orgel, oder VI Praeambula und Fugen, wobei
nach jedem Praeambulo der Greneralbass ausgesetzt ist« (Augsburg, 1751, in
Folio). »Musikalische Gemiiths-Ergötzung in VI Clavier-Partien«, erster Theil
(Nürnberg). Der zweite Theil: »XVI Fugen für die Orgel« (Nürnberg). »Prä-
ludirender Organist, oder neue Präludien und Gadenzen in doppelten ABO
D E P G, beide Töne mit der Terz major und mineur so bequem eingerichtet,
dass man durch die angewiesenen Zeichen und Nummern nicht nur ein Prä-
ludium nach Nothdurft und Belieben verlängern, sondern auch mitten im Prä-
ludiren alle 4, 5 oder 6 Takte eine Cadenz formiren kann«, in zwei Theilen
(Augsburg, 1757, in Folio). »Liturgiae Ahreviatae Vrhi et Orhi accommodatar
i. c. VI Missae a 4 voc. et instrum.<t, op. 2 (Augsburg, in Fol.).
Vallaperta, Griuseppe, Kirchencomponist, geboren am 18. März 1755 zu
Mezzo bei Mailand. Sein erstes Werk, drei Ciaviersonaten, erschien in Ve-
nedig, das zweite, ein Clavierconcert mit Orchester, wurde während seines
Aufenthaltes in Dresden 1789 — 91 bei Hilscher gedruckt. Nachdem er 1793
nach Italien zurückgekehrt war, erhielt er in Aquila, einer Stadt in den
Abruzzen, eine Anstellung als Kapellmeister. Während er hier lebte und
nachdem er 1803 Mailand wieder aufgesucht, componirte er viel Kirchenmusik,
die geschätzt wurde. Es gehören dazu drei Oratorien: rtEzecJtiad, »II Trionfo
di Daviden., »II voto di Jeftei, Messen, Eequiem, Miserere u. a. V. starb zu
Mailand 1829.
Yallara, P. Francesco Marie, Carmelitermönch des Klosters zu Mantua,
wurde gegen 1670 zu Parma geboren. 1724 lebte er noch in seinem Kloster.
Er hat die nachgenannten Bücher über den Oregorianischen Choralgesang ver-
fasst: 1) »Scuola corale nella quäle sHnsegnano i fondamenti piii necessarii alla
Vera cognizione del canto gregorianon (in Modena, per Ant. Capponi, 1707, in
4", 90 Seiten). 2) »Primizie di canto fermou. (in Modena, Ca^iponi, 1713, in 4°).
Die zweite Auflage hat den Titel: »Primizie di canto fermo, ristampate, corrette,
e ridotte in miglior forma con altre addizioni di ecessitä ä cM professa, e desi-
dera la vera cognizione di tutti i principii e fondamenti di questo angelico canto<t
(in Parma, per Giuseppe Rosati, 1724, in 4°, 106 S.). 3) »Trattato teorico-
pratico del canto gregoriano« (in Parma, per Giuseppe Bosati, 1721, in 4", 133 S.).
Yalle, P. Guglielmo della, Franziskanermönch und Generalsecretär seines
Ordens, wurde zu Sieuna gegen 1740 geboren und legte im dortigen Kloster
seine Gelübde ab. In Bologna, wohin er vom Orden gesendet war, trat er in
freundschaftliche Beziehungen zum Pater Martini, nach dessen Tode er dem-
selben eine Lobrede hielt, die gedruckt erschien: »JElogio del Padre Giambattista
Martini, minore conventuale, Letto il 24 novemhre 1784« (Bologna, 1784, in 4°).
Abgedruckt in: 1) »Antologia romafiaa, Th. XI, S. 190, 201, 209, 217, 225,
233, 241; 2) »Giornali de letterati di Pisa, 1783«, Th. LVII, S. 279—305.
Valle — Valotti. 447
las Deutsche übersetzt erscliieu sie in: »Musikalische Correspondenz von Speier«
(1791, S. 217 u. folg.). Eine zweite Schrift: »Memorie storiche del P, M. Giam-
hattista Martini, minor conventuale di Bologna, celebre maestro di capella<i (Xapoli,
1785, nella staniperia Simoniana, in 8°, 152 S.) wurde in Neapel gedruckt.
Valle hat sich auch durch Schriften auf anderen Grebieten vortheilhaft be-
kannt gemacht.
Yalle, Pietro della, ist zu Rom am 2. April 1586 von vornehmen Eltern
geboren und erhielt eine treffliche Erziehung. Quintus Solini, Organist an
Madonna del popolo, war sein erster, Paolo Qaaliati sein zweiter Lehrer in
der Musik. Nachdem er zunächst die militärische Laufbahn verfolgt, auch an
mehreren Seegefechten (1611 auf einem spanischen Schiff gegen die Barbaren)
thätigen Antheil nahm, entschloss er sich bald nach seiner Rückkehr in Italien
161-4 zu einer Pilgerfahrt nach Jerusalem. Er kam durch Egypteu, Syrien,
Persien, focht im letzteren Lande gegen die Türken und kehrte 1626 nach
Rom zurück. Seine Reisebeschreibuugen, die er hierauf lieferte, sind für den
musikalischen Greschichtsschreiber des 16. und 17. Jahrhunderts von Werth.
1640 erschien folgende Schrift im Druck: y>Della masica delV etä mostra, che
non e pmito inferiore, aazi e migliore di qiiella delV etä passata, all Signor Lelio
Guidicionia. In den Werken des Gr. Bat. Doni (B. II, S. 249 u. folg.) ist die
Dissertation aufgenommen. Von Valle ist auch ein zwölfstimmiges Tantum ergo
bekannt geworden. Er starb am 20. April 1652.
Yalleriuh, s. W aller ius.
Yallet, Nicolas, ein berühmter Lautenist und Componist für dies Instru-
men , lebte zu Anfang des 17. Jahrhunderts zu Paris. 1618 erschien der erste
und 1619 der zweite Theil eines Lautenwerks, welches er unter folgendem Titel
zu Amsterdam herausgab: »ie Secret des Muses auquel est naivement jnontre la
vraie maniere de hien et facilement apprendre ä jouer du Luth par Yallet, Lu-
theniste frangaisv. (zwei Theile in 4°). Das Bildniss des Autors befindet sich
vor diesem Werke. Eine frühere Ausgabe erschien zu Paris.
Tallisuieri, Antonio, berühmter Mediziner und Dr. philos., geboren am
3. Mai 1661 im Schlosse Tresilico in Carafagnana im Herzogthum Modena, stu-
dirte in Bologna und wurde dann als Professor der Medizin an die Universität
Padua berufen. Daselbst starb er 1730. Er war Mitglied fast aller Akademien
Italiens. Sein Werk y^Opere fisico-medichea (Venedig, 1733, drei Bände in Fol.)
enthält auch Briefe, die Erhaltung der hohen Stimme und andere Eigenschaften
der Castraten betreffend. Ins Französische übertragen sind dieselben unter
dem Titel: nLettres sur la voix des enujuesa in Bibliotheque italique No. 6 in
Grenf 1730 zu finden. Die Briefe sind an Jacques Vernet in Genf, der sie
veranlasst hatte, gerichtet. Sie sind auch ins Lateinische übersetzt worden.
Tallo, Dominico, Neapolitaner, anfänglich Jurist, betrieb er die Musik
nur als Liebhaberei, bis er sie zu seinem Beruf machte. Er veröffentlichte ein
Lehrbuch unter dem Titel: nOompendio elementare di musica speculativo-pratiean
(Neapel, 1804, ein Band in 8').
Valotti, Francesco Antonio, gelehrter Musiker und Kirchencomponist,
geboren zu Verceil im Piemontesischen am 11. Juni 1697. Da seine Eltern
arm waren, wurde es nur durch Mithülfe seiner Landsleute ermöglicht, dass er
ein Seminar besuchen konnte. In der Musik zeichnete er sich schon hier aus.
Nachdem er das Seminar verlassen hatte, kam er nach Chambery in das Kloster
der Franziskaner, wo er seine Grelübde ablegte. Seine theologischen Studien
setzte er hier im Kloster Cuneo und dann in Mailand fort; die Begabung für
die Musik überwog jedoch so, dass er endlich in Padua unter Anleitung des
Pater Calegari Kapellmeister an der Kathedrale sich ausschliesslich dieser Kunst
weihte. Er erlernte von seinem Lehrer die Theorie nach den neueren Prin-
cipien, die er auch während seiner Laufbahn beibehielt. 1728 hielt er sich
eine Zeit lang in Rom auf und übernahm, nach Padua zurückgekehrt, hier das
Amt des Organisten an der Kirche St. Antonio, derselben Kirche, an welcher
448 Valls — Valsalva.
Tartini als Soloviolinist wirkte.' Nach dem Eücktritt des Kapellmeisters Cale-
gari übernahm er auch dieses Amt, das er bis zu seinem Tode, welcher am
16. Januar 1780 in seinem 83. Jahre erfolgte, verwaltete. Er wurde um die
Mitte des 18. Jahrhunderts als der bedeutendste Organist Italiens, als welcher
ihn auch Tartini bezeichnete, geschätzt. Ebenso genoss er eines bedeutenden
Kufes als Theoretiker und Kirchencomponist; so hat er auch viele treffliche
Schüler in der Composition gebildet, zu denen auch der Abt Yogier gehört.
Er selber war als Componist ungemein thätig, so dass Burney, als er ihn be-
suchte, zwei grosse Schränke voll Messen, Psalmen, Motetten, Vespern, auch
die Begräbnissmusik für Tartini u. s. w. vorfand. Es ist aber fast alles Ma-
nuscript geblieben. Gedruckt sind: yResjjonsoria in Farasceve 4 vocihus cantanda
comitante clavictmhalo (Mainz, Schott). f>Sesponsoria in sahbato sancio idtin«.
(ibid.). i>Iiesponsoria in Coena Domini 4 vocibus mit zwei vierstimmigen An-
thems von Orlandus Lassus« (ebenda). In der Bibliothek des Abbe Santini in
Eom befanden sich von ihm ausser mehreren vierstimmigen Messen mit Or-
chester: Ealve Eegina für zwei Chöre, eine Messe für zwei Chöre und Orchester,
ein Dies irae für vier und ein Domine ad adjuvandum für vier Stimmen, der
Psalm Beatus vir für vier Stimmen und fugirt und ein De profundis für vier
Stimmen. Vielfach beschäftigte sich auch T. mit der Theorie der Musik. Die
Ergebnisse seines Nachdenkens begann er aber erst im Alter zur Mittheilung
bereit zu machen und so gelangte nur ein Band zum Druck: y^Della scienza
teorica e pratica della moderna mtisica, libro primoa (in Padova, appresso (jio-
vanni Manfre, 1779, ein Band in 4", 167 Seiten und 7 Platten. Eine Analyse
des Systems von V. giebt Eetis in seinem Buche: y>JEsquisse de VMstoire de
riiarmoniea (Paris, 1840, in 8*^, pog. 138 — 142), ferner in: y>Traite comflet de
VTiarmonie<i (Paris, Brandus, 1844, ein vol. grand in 8^ 4°^« partie). Obwohl
dies System keine Anhänger in Italien finden konnte, so hat doch Sabbatini,
Schüler von Valotti und Nachfolger im Amte, einen praktischen Ueberblick
desselben gewährt in seinem Buche: »ia vera idea delle musicale numericlie
segnatureti. Ferner eine Anzahl Beispiele der Fugenbearbeitung nach der Lehre
seines Meisters in dem Buche: »Trattato sopra le fughe musicali di Fra Luigt
Ant. Sabhatini M. O. Corredaio di copiosi saggi del suo antecessore Padre Fran-
cesco Antonio Vallotti«. Zwei Schriften von P. Fanzago, Valotti betreffend,
seien noch genannt: rtOrazione ne funerali di H. JP. Franc. Ant. Valotti«. (Pa-
dua, 1780, in 4") und y>FIogi di Tartini, Valotti e Gozzi« (Padua, 1780, in 4°).
Yalls, Francisco, Priester und Kapellmeister der Kathedrale in Barce-
lona zu Anfang des 18. Jahrhunderts, wurde gegen 1665 geboren und starb
zu Barcelona 1743. Eine grosse Anzahl kirchlicher Compositionen von V.
sind in den Kirchen Spaniens verstreut. Auch hat er ein didaktisches "Werk
geschrieben: y>Mapa armonica«, welches, wie M. Eslava sagt, von lernbegierigen
Musikern aus Hand in Hand ging, woraus auch gleichzeitig der Schluss zu
ziehen sein dürfte, dass es Manuscript geblieben ist. Ferner kennt man von
ihm: •s>Itespuesta a la censura de D. Joachim Martinez, Organista de Falencia<i
(Barcelona, 1717), jedenfalls eine von ihm componirte Messe betreffend.
Yalor notarum — die Geltung der Noten; in der Mensuraltheorie des
Mittelalters diejenige Notengattung, welche bei der Ausführung eines Tonstücks
als Maass angenommen wurde, um damit den Zeitwerth der übrigen und somit
die Bewegung des Ganzen zu bestimmen (s. Mensuralmusik).
Talsalva, Antonio Maria, berühmter Arzt, geboren zu Imola am 17.
Januar 1660, war ein Schüler des Malpighi. Er lehrte an der Universität
Bologna Anatomie und starb daselbst am 2. Februar 1723. Er wandte der
Anatomie der Gehörorgane eine besondere Aufmerksamkeit zu und verfasste
demgemäss folgendes ausgezeichnete Buch: y>De aure Jiumana tractatus, in quo
integra ejusdem auris fabrica multis novis, inventis et iconilus suis illusirata,
describiinr omniumque ejus partium usus indagatur, etc.« (Bologna, 1704 in 4 ).
Es erschienen von diesem "Werke verschiedene Ausgaben; als die letzte gilt:
Valso — Van den Broeck. 449
» Viri celeherrimi Antonii Mariae Valsalvae opera, lioc est tractatus de aure liu-
manaa. (Yenetiis, 1740, zwei Bände in 4° mit Figuren).
Yalse, s. Walzer.
Vau Boom, Johann E. G., Flötenvirtuose, ist zu Utreclit am 17. April
1783 geboren. Hier, später in Amsterdam, verfolgte er seine musikalische
Ausbildung und erhielt, 22 Jahre olt, die Ernennung zum Soloflötisten des
Königs von Holland, Louis Napoleon. Von Compositionen für sein Instrument,
das er ausgezeichnet zu behandeln verstand, sind folgende im Druck erschienen;
y)Sonate pour flute et pia)io<i, op. 1 (Amsterdam, Steup). »Andante varie pour
flute et orchestera, op. 4. y>Theme original varie pour la flute avec q^uatuor<i,
op. 5. Eine Anzahl Duos für zwei Flöten. Drei Trios für zwei Flöten und
Guitarre. Variirte Arien für Flöte und Piano.
Van Boom, Johann, Pianist, gehört zu derselben Familie wie der vorige
und ist ebenfalls zu Utrecht am 15, October 1807 geboren. Als Clavierspieler
und Componist hat er sich in seinem Yaterlande Ruf erworben. Er Hess sich
gegen 1840 in Stockholm nieder und brachte dort eine dreiaktige Oper: -aNecJcen
op het elven speeh zur Aufführung. Der ursprünglich in holländischer Sprache
geschriebene Text wurde ins Schwedische übertragen. Jenny Lind sang die
Hauptpartie. Yan Boom wurde Mitglied der königl. Akademie in Stockholm,
erhielt den Wasa-Orden, den dänischen Danebrog-Orden und andere. Zu seinen
gedruckten Compositionen gehören: «Orand concerto pour piano et orchestre»-,
op. 24. y>Grand quatuor pour piano, violon, alto et violoncelloa, op. 6. »Trio
pour pjiano, violon et violoncelle<i , op. 14. -alntroduction et variations sur un
theme originah, op. 7. -»Beautes musicales de la Scandinavie«, neun Fantasien
über schwedische Arien, »ie Salona, Clavier-Etude, op. 45.
Tau Buggeuhout, Emil, Clarinettist und Componist, geboren zu Brüssel
1825, wurde auf dem Conservatorium seiner Yaterstadt gebildet und war in
der Composition ein Schüler von Fetis. Nachdem er als Solo-Clarinettist in
der Kapelle des Königs thätig gewesen war, nahm er eine Stelle als Musik-
direktor der Philharmonischen Gesellschaft zu Arlon (Provinz Luxemburg) an.
Zu seinen Compositionen gehören: f>Marguerite<s~, Oper in drei Akten; Cantate:
»Der fünfundzwanzigste Geburtstag«, aufgeführt 1856, wofür er die goldene
Medaille erhielt; gegen hundert Concertpiecen für grosses Orchester oder für
Blasinstrumente, von denen einige {y-InTcermannn — •oBuioardn) in ganz Belgien
gespielt wurden; Männergesangscompositionen. Im Jahre 1852 gab er ein
Journal für Harmoniemusik y>Metro7iome<s. heraus.
Vau den Acker, Johann, Yiolinist, geboren gegen 1828 zu Antwerpen,
schrieb drei Opern, deren Texte in flämischer Sprache von Destanberg verfasst
sind. Diese Opern wurden in Antwerpen im Nationael-Tonneel 1856 und 1857
aufgeführt. Sie heissen: y^Een avontuer van Keiser KareU; »De zinnelooze Van
Ostadea; i>Jacoh Sellamya,
Van den Broeck, Othon, Yirtuose auf dem Hörn, ist holländischer Abkunft
und in Ypern in Flandern 1759 geboren. Er erhielt von früh an Musik-
unterricht im Hornblasen, wofür er Anlagen zeigte, von Banneux, dem ersten
Hornisten der Kapelle des Prinzen Carl von Lothringen, dann in Haag von
Spandeau, ersten Hornbläser der Kapelle des Prinzen von Oranien. Musik-
direktor Fuchs und ein deutscher Musiker zu Amsterdam, Namens Schmidt,
unterwiesen ihn in der Composition. 1788 kam Yan den Broeck nach Paris,
wo er sich mit vielem Beifall hören Hess. Die Opern, die er hier schrieb,
gelangten auch zur Aufführung: »ia B,essemlla7ice supposeev, y>Colinet Colettea,
T>Le Codicillen und eine ganze Beihe anderer. Yan den Broeck war 1789 erst
am Thetitre de Monsieur, dann an die grosse Oper ins Orchester eingetreten,
wo er big 1816 thätig war. Bei Gründung des Conservatoriums wurde er als
Lehrer an dasselbe berufen und behielt seine Stellung auch nach der Reor-
ganisation bei. Er starb in Passy 1832. Instrumentalcompositionen sind folgende
gedruckt: »SgmpJionie concertante pour deux cors<i (Paris, Nadermann). i>Deuxieme
Musikal. Convers.-Lexikon. X. -"
450 Van den Gh.eyn — Vander Does.
idem, pour clarinette, cor et hassona (ibid.). ^Premier concerto pour clarinettei
(ibid.). i>Gon,certos pour cor No. 1 et 2 (ibid.). »Trois duos concertants pour
clarinette et cora (Paris, Hentz). »Trois quatuors pour cor, violon, alto et hasse«.
(Paris, Leduc). 's>Duos pour deux cor^<i, op. 1 et 2 (Paris, Nadermann). r>Six
quatuors pour flute, violon, alto et hassen. (Paris, Graveaux), Ferner: y^Methode
de cor avec laquelle on peut apprendre et connattre parfaitement Vetendue de cet
instrumenta (Pai'is, Naderraanu). y>Traite general de tous les insfruments ä vent,
a Vusage des compositeursa (ibid.).
Tan dea Gheyu, Matthias, der berühmteste Organist und Glockenspieler
Belgiens im XVIII. Jahrhundert (s. M. X. van Elewyk, «Matthias van den
Gheyn, der grösste Organist u. s. w.« [Löwen, Gh. Peeters, 1862, in 8°, 79 S.]),
auch Componist, ist am 7. April 1721 zu Toilemont in Brabant geboren. Sein
\ ater Andre van den Ghejm, geboren zu St. Trond, war Glockengiesser, deren
desselben Geschlechts und Namens im Reiche bis zur Mitte des 15. Jahrhun-
derts bekannt sind. Der Yater des Matthias Hess sich 1725 in Löwen nieder,
wo er sein Kunstgewerbe betrieb, und in dieser Stadt erhielt der Sohn seine
musikalische Ausbildung. Es ist nicht bekannt, welche seine Lehrer waren,
doch kann man mit seinem Biographen van Elewyk annehmen, dass es Abbe
!ßaik, sein Vorgänger im Amt gewesen sei. Als der letztere 1741 seine Stelle
als Organist an St. Pierre verliess, um eine ähnliche in Gent anzunehmen,
erhielt sie van den Gheyn, der damals 20 Jahre alt war. 1745 war auch die
Stelle des Glockenspielers frei, um welche ein Probespielen stattfand, in welchem
er siegreich auch diese Stelle errang. In demselben Jahre schloss er seine
Ehe mit Marie Catharine Lints, die mit 17 Kindern gesegnet wurde. Der
Ruf seiner Geschicklichkeit als Organist war bald nach seinem Amtsantritt
weit verbreitet, nicht minder der als Glockenspieler. Es wird gesagt, dass wenn
er Sonntags, wie er zu thun pflegte, eine halbe Stunde improvisirte, die Ein-
wohner Löwens den Platz um die Kirche und die angrenzenden Strassen dicht-
gedrängt umgaben, um seinem reizvollen Spiele zuzuhören. Die in Löwen
noch vorhandenen Abschriften von Präludien seiner Comj)osition für das Glocken-
spiel enthalten beträchtliche Schwierigkeiten, zeugen aber von gutem Geschmack.
M. van Elewyk, sein Biograph, hat nach eifrigen Nachforschungen eine grosse
Anzahl von Compositionen von van -Gheyn aufgefunden, worunter manches
Verdienstliche sich befindet, von welchem aber nur ein kleiner Theil im Druck
erschien, die grössere Menge dagegen Manuscript verblieb. Von den Präludien,
Fugen, Rondos befindet sich zur Zeit eine Sammlung in der Bibliothek des
Conservatoriums zu Brüssel. Eine Abhandlung: y^Traite d'harmonie et de com-
positionv. in flämischer Sprache mit dem Datum 1783 gehört zu den hinter-
lassenen Manuscripten. Die gedruckten Werke haben den Titel: y>Fondemeiits
de la hasse continue, avec les expUcatio7is en frangais et en flamand, deux legons
et douze petites sonates fort utiles aux disciples pour apprendre ä accompagner la
hasse continue, composes par Mattliias Vanden Gheyn, organiste de Veglise colle-
giale de Saint- Pierre ä Louvain. Grave ä Louvain par M. Wyherechts.«. Der
Titel der Sonaten ist: n XII petites sonates pour Vorgue ou le clavecin et violon,
fort utile pour en suitte des preditte regles venire ä la pratique ou iisance de
Taccompaignement de la hasse conti7iue par etc.«. Der Titel der Ciavierstücke:
•t>Six divertissements pour clavecin, composes par Matthias Van den Gheyn, orga-
niste de Veglise colUgiale de Saint-Pierre, ä Louvaina (London, Welcker, Gerrard
Street St. Anns). Gheyn starb nach vierzigjähriger Amtsthätigkeit am 22.
Juni 1783.
Vauder Borght, Natalis Christian, Organist und Glockenspieler der
Abtei St. Gertrud zu Löwen, in derselben Stadt am 15. Septbr. 1729 geboren
und am 14. Novbr. 1785 gestorben, hinterliess: y>Six suites pour le clavecina,
op. 1 (Löwen, Wyberechts). y^Six suites, idem«, op. 2 (Löwen, J. F. Maswiens),
Tauder Does, Carl, Pianist und Componist, geboren zu Amsterdam am
6. März 1821, begann seine Musikstudien in seiner Vaterstadt und setzte
Vander Doodt — Vander Monde. 451
diese in Biberich unter ßummel, Kaj)ellmeister des Herzogs von Nassau, fort.
Nach Holland zurückgekehrt wurde er alsbald zum Hofpianisten des Königs
und der Königin-Mutter ernannt. Er wendete sich nachdem der dramatischen
Comj)osition zu und hat mehrere Opern in Haag zur Aufführung gebracht.
Tauder Doodt, Johann Ba^Dtist, Organist und Professor der Harmonie-
lehre, geboren zu Anderlecht bei Brüssel 1830, wurde im Conservatorium der
letzteren Stadt gebildet. Er gab eine Harmonielehre zum Gebrauche des Or-
ganisten in flämischer Sprache heraus: »Harmonieleer, ten gehruike der Organisten
en die zieh op de composlüa toeleggen zamengesteldv. (Brüssel, 1852, ein Band
gross in 8°).
Tauder Hagren, Amand Jean Frangois Joseph, Clarinettist, Sohn eines
Organisten, der aus Hamburg stammte und in E,ottei'dam, später in Antwerpen
lebte, wo sein Sohn A. 1753 geboren wurde. Dieser wurde im zehnten Jahre
als Chorknabe in die Musik eingeführt, erhielt sodann von seinem Onkel Van-
der Hagen, Hautboist in Brüssel in der Kapelle des Prinzen Carl von Lothringen,
und von van Malder weiteren Unterricht. Er machte sich sehr bald durch
Composition von Märschen vortheilhaft bekannt und erlangte in der Folge eine
solche Fertigkeit, dass hunderte seiner Comjjositionen meist für Harmoniemusik
in Paris gedruckt wurden. Vander Hagen war 1785 nach Paris gekommen
und trat als erster Clarinettist in das Musikchor der Garden. Nach der Re-
volution gehörte er zu den 45 Musikern, die Sarrete (s. d. Art.) um sich ver-
sammelte. Unter dem Consul war Vander Hagen Chef der Musik der kaiser-
lichen Garden und erhielt 1807 den Orden der Ehrenlegion. Nach dem Fall
des Kaiserreichs trat er als Clarinettist ins Theater Feydeau. Er starb zu
Paris 1822. Seine Schulen für Flöte, Clarinette und Oboe haben folgenden
Titel: y>Methode claire et facile pour apprendre ä joiir en tres-peu de temps de
la ßätea (Paris, Pleyel). Die zweite überarbeitete Auflage führt den Titel:
y>Noicvelle methode de flute divisee en deux parties, contenant tout les principes
concernant eet instrumenta. (Paris, Pleyel). Die dritte Ausgabe: y>Grande et
derniere methode de fliitei. (Paris, Janet). Ferner: y>Methode nouvelle et rai-
sonnee pour le kauthois, divisee en deux partiesa (Paris, Nadermann). nNouvelle
methode de clarinette, contenant les premiers elements de la musique et les prin-
cipes pour hien jouer de cet instrument (Paris, Pleyel). -aNouvelle methode pour
la clarinette moderne ä douze clefs, avec leur application aux notes essentielles etc.di
(Paris, Pleyel et Nadermann). Zu seinen Compositionen, die vorwiegend bei
Pleyel, Sieber, Leduc, Janet erschienen, gehören Concerte für die Flöte, acht-
undzwanzig Duos für die Flöte; Concerte für die Clarinette; achtzehn Duos
für die Clarinette; vierzig Fanfaren für vier Trompeten und Timbal; y>Smtes
d'harmonie militaire ä dix parties«, op. 14, 17, 20, 21; liDeux suites de pas re-
douhlesn; Grande Symphonie militaire« u. s. w.
Vauder Meulen, Servals, flämischer Musiker, lebte in der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts; er ist nur bekannt durch die Herausgabe einer Samm-
lung flämischer mehrstimmiger Gesänge: r>JEen duytsch Musijbock daer inne he-
grepen sijn vele shoo7ie Liedehens met IUI met V ende met VI partyen. Nunie-
welyk met groote neersticheyt ghecolligaert ende vergaert. Gecomponaerf by diversche
excellente meesters. Zeer lustich om singhen ende speien op alle instrumenten«
(tot Löwen, by Peeter Phalesius, ende Tantwerpen, by Jean Bellerus, 1572,
in 4'' obl.). Es sind in dieser Sammlung ausser Stücken von Vander Meulen
solche von Winterberg, Clemens non Papa, Jean de Latre, Gerh. Turnhout,
Adrien Stockaei't Leveque, Jean Belle, Lupus Hellink u. a. enthalten.
Vander Monde, gelehrter Geometer, geboren zu Paris 1735, wurde 1795
bei der Gründung der Akademie der Wissenschaften Mitglied der physikalischen
und mathematischen Klassen; er starb am 1. Januar 1796 zu Paris. 1778 las
er in der Akademie: »»S'«r lon nouveau Systeme d'harmonie applicable ä Vetat actuel
de la musique« (gedruckt acht Seiten in 4°). Vander Monde verfasste und las
am 15, Novbr, 1786 ein zweites Memoire über diesen Gegenstand, welches
29*
452 Vander Planckeu — Vander Straetten.
i
ebenfalls gedruckt,, aber wie das erste nur in kleiner Anzabl von Exemplaren
abgezogen wurde; es enthält achtzehn Seiten Text und vier Seiten Beispiele
von Harmoniefolgen. Das System wurde von Abbe Eossier, nicht in allen
Stücken mit B,echt, hart angegriffen, ebenso von La Borde, welcher sich weit-
läufig über die Abhandlung auslässt (y>^ssai sur la 7nusique(.(, t. III p. 690).
y ander Plaucken, Charles, talentvoller Violinist und Clarinettist, ist zu
Brüssel am 22. October 1772 geboren. Unter Eugene Godecharle's Leitung
entwickelte sich das bedeutende Talent Vander Plancken's in aussergewöhnlicher
"Weise. Als ihn Viotti spielen hörte, beglückwünschte er ihn und hat, so oft
er später Brüssel berührte, mit ihm musicirt. Vander Plancken trat 1797 als
Solo-Violinist ins Theaterorchester der grossen Oper in Brüssel und wurde zum
Solo-Violinist des Königs Wilhelm von Oranien ernannt. Er erwies sich auch
als intelligenter Orchesterdirigent und war ein ausgezeichneter Lehrmeister für
die Violine. Zu seinen Schülern gehören: Meerts, Bobberechts, Snel u. a.
Mehrere Violin- und Clarinetten-Concerte blieben Manuscript. Einige Jahre
vor seinem Tode hatte er das Unglück, bei einem Ealle ein Bein zu brechen
und eine Amputation überstehen zu müssen. Er starb in Brüssel im Januar 1849.
Tander Straetten, Edmond, ist zu Audenarde in Flandern am 3. December
1826 geboren und besuchte in seiner Vaterstadt das College der Jesuiten, deren
Kleid er sogar eine Zeit lang trug. In diesem Institut erhielt er auch den
ersten Musikunterricht. Nachdem er dasselbe verlassen, machte er in Gent
einen Cursus der Philosophie und schönen Wissenschaften durch und kehrte
dann nach Audenarde zurück. Hier beschäftigte er sich auf eigene Hand mit
Musikstudien und machte die ersten Compositionsversuche. Daneben unternahm
er historisch-biographische Forschungen, ein Gebiet, auf dem er sich auch später
bewegte, jedoch nicht ausschliesslich in Bezug auf Musik oder Musiker. Die
zuerst veröffentlichten Ergebnisse dieser seiner Thätigkeit sind: r>jSfofice sur
Charles-Felix de Hollandre, compositeur de mtisique sacreea (Gand, De Busscher,
1854, in 8"). y>Notice sur les carillons d" Audenarde<i (Gand, De Busscher, 1855,
in 8°) und: ytRecTierehes sur la musique ä Audenarde avant le XZX sieclea
(Anvers, Buschmann, 1856, in 8"). Im Jahre 1857 verliess Vander Straetten
seine Vaterstadt und kam nach Brüssel, wo er Fetis aufsuchte, von diesem
Unterricht im Contrapunkt erhielt und als Secretär von demselben angenommen
wurde, in welcher Stellung er ungefähr zwei und ein halb Jahr verweilte. Er
besuchte auch während dieser Zeit die Lehrstunden in der Composition des
Professors am Conservatorium, Bosselet. Später erhielt Vander Straetten eine
Anstellung in den königlichen Archiven, redigirte eine Zeit lang das Journal
»ie Nordv. und war vom Jahre 1859 bis 1872 damit betraut, das musikalische
Feuilleton des r>JEc}io du Parlament helgea zu redigiren. Von seinen Arbeiten
auf dem bezeichneten musikalischen Gebiete sind noch anzuführen: y> Jacques
de Goiiy, chanoine d'Emhrun, Nachrichten über Leben und Werke dieses Musikers«
(Antwerpen, 1863, Buschmann, in 8°). nJean Frangois Joseph Janssens, compositeur
de Musiquevi (Bruxelles, Sannes, 1866, in 12"). y>Maitres de chant et organistes
de Saint- Donatien et de Saint-Sauveur ä Bruges, 1365 — 1796« (Bruges, Vande
Casteele-Werbrouk, 1870, in S'*). »ia Musique au Pays-Bas avant le XIX sieden
(Bruxelles, Muquardt, 1867, in 8"). Vol. I, Van Tright, 1872; Vol. II et IIL
»Ze Theätre Villageois en Flandrea (Bruxelles, Classen, 1874, in 8"). ».De noordsche
Balck (instrument ä cordes) du musee communal d'Ypresu. (Ypres, la Fonteyne,
1868, in 8", mit einer Tafel. Compositionen: »Xe Proscritu, lyrisches Drama
in drei Akten, 1849. »ie roi Benea, dasselbe in einem Akt, 1862. •nPhilipipe
van Arteveldev, lyrische Scene, vier Stimmen, 1832. »Salve Begina«, vier Stimmen.
rtLitanie delle Verginea, vier Stimmen, 1849. »Te deuma, vier Stimmen, 1856.
»Jt? principio erat verhum per voci a Vunisonoa, 1867. »Natalea für Sopran und
Chor, 1869. nMesse di S. Cecilia«, vier Stimmen. uTre litanie della Vergine»,
Solo und Chor. y>Tre Natali» für Sopran und Chor. -aTantum ergoi für vier
Stimmen, 1855. »Panis aiigelicusa für drei Sojprane, Contra-Alt, Bass, 1855.
Van Elewyck — Van Geeraerdsberghe. 453
KÄdoro tev, Basssolo, 1849. y>Inter munäi frocellasn, Basssolo, 1855. Einige
Gesänge mit Ciavierbegleitung. Yander Straetten ist Mitglied vieler gelehrten
Gesellschaften und Akademien. Er machte zu wissenschaftlichen Zwecken weite
Reisen in Italien und lebt zur Zeit in Dijon.
Tau Elewyck, Xaver, belgischer Componist und Musikgelehrter, wurde
1825 in der Vorstadt Ixelles bei Brüssel geboren; seine musikalische Erziehung
begann in früher Kindheit, und wurde so erfolgreich betrieben, dass er sich
schon im Alter von sieben Jahren in einem Concert der Harmonie-Gesellschaft
zu Ixelles als Pianist hören lassen konnte. In der Folge erhielt er auch Unter-
richt auf der Geige, in der Hai*monie und in der Composition, letzteren von
einem Jesuitenpater Namens Gimeno. Nachdem er sich sodann zu Brüssel auf
das Studium der Philosophie vorbereitet hatte, setzte er dasselbe an der Uni-
versität Löwen mit solchem Eifer fort, dass er nach zurückgelegtem neunzehnten
Jahre die nöthigen Examina mit Ehren bestehen konnte. Zu derselben Zeit
übernahm er die Leitung dgr ersten Gesangsabtheilung an der Löwener Aka-
demie der Musik, und veröffentlichte er seine ersten Clavier-Compositionen,
darunter die Phantasie »Xe tournoiv. (Gent bei Gevaert). Später wandte er sich
der Kirchenmusik zu: ein -nAve verumvi, Antiphonie mit grossem Orchester, ein
^Äve maris Stella« dessen Strophen abwechselnd im alten Stil mit Orgelbegleitung
und im modernen mit Begleitung aller Instrumente auszuführen sind; ein
DTanfum ergo« als Theil eines grösseren Werkes bei obengenanntem Verleger
erschienen, sind vollgültige Beweise seiner Fähigkeit auch auf diesem Gebiete.
Die fernere musikalische Thätigkeit Elewyck's hat zur Hebung des Kunst-
sinnes der Stadt Löwen, wo er seinen festen Wohnsitz nahm, in wirksamster
Weise beigetragen; zuerst wurde er Sekretär, dann Präsident der Musik- Akademie
dieser Stadt, endlich auch Begründer der Musik- Gesellschaft »Sainte Gecile«;
daneben ist er Mitglied der Jury bei den Orgelprüfungen des Brüsseler Con-
servatoriums und fungirt bei fast allen musikalischen Preisbewerbungen in
Belgien unter den Richtern. Schon seit einer Reihe von Jahren hat E. die
Thätigkeit des Theoretikers mit der des ausübenden Künstlers zu verbinden
gewusst. Unter seinen schriftstellerischen Arbeiten, die Frucht ernster Studien
auf dem Gebiet der Geschichte und Aesthetik der Musik, namentlich der kirch-
lichen, ist die früheste eine »Geschichte der Orsfel«, welche in einem Löwener
Blatte liLes petites affiches« erschien. Eine Anzahl kleinerer Aufsätze musika-
lischen Inhalts erschienen in andern belgischen Zeitschriften. Im Jahr 1860
vertrat E. die sechs Diöcesen Belgiens bei einem zu Paris abgehaltenen Congress
zum Zweck der Erhaltung und Förderung der Kirchenmusik, wo er einen Vor-
trag über den Zustand der kirchlichen Tonkunst in seinem Vaterlande hielt,
veröffentlicht in den Berichten des Congresses, sowie im Separatabdruck unter
dem Titel: y>Discours siir la musique religieuse en Belgique« (Löwen, 1861). In
demselben Congress, zu welchem sich an zweihundert Musikkundige aus Frank-
reich. Deutschland und England versammelt hatten, bekämpfte er eifrig den
Antrag, die Instrumentalmusik aus der Kirche zu verbannen und setzte seine
Nicht-Annahme durch — eine That, welche ihm bei seiner Rückkehr nach
Belgien den Dank der Bischöfe, der königlichen Familie und der Regierung
eintrug. Eine wichtige Arbeit hat ihn während der letzten Jahre beschäftigt:
eine Geschichte der Kirckenmusik im 19. Jahrhundert, zu deren Darstellung
er durch seinen Forscherfleiss und seine ausgebreiteten Kenntnisse besonders
berufen scheint. Diese Eigenschaften zeigt auch eine 1862 von ihm veröffent-
Abhandlung: -nMatthias van den Qheyn, le plus grand organiste et carillonneur
helge du dix-huitieme siede, et les celehres fondeurs de cloches de ce nom depuis
1450 jusqii'ä nos jours« (Paris, Brüssel und Löwen), in welcher man eine Menge
interessanter Mittheilungen sowohl über den Hauptgegenstand der Schrift wie
auch über manche mit ihm verknüpfte Nebenumstände erhält.
Van Geeraerdsberghe, Johann, einer der ältesten Orgelbauer Belgiens,
lebte Mitte des 15. Jahrhunderts. 1458 erneuerte er die Orgel im Hospital
454 ^^^° -^^^^ "~ ^'anneo.
Notre-Dame in Audenarde, wie aus alten Eeciiniingen der Stadt zu er-
sehen ist.
Tau Hall, s. Wanhall.
Yan Hecke, auch Van eck, Lehrer des Guitarrenspiels und Gesanges zu
Paris gegen 1780, erfand ein Instrument, welches er Bissex nannte und auf
welchem er gleichfalls Unterricht ertheilte, auch eine Methode dafür schrieb.
Dies Instrument ist ebenfalls eine Art Guitarre, aber mit zwölf Saiten be-
spannt, weshalb es auch Zwölfsaiter genannt wurde. Der Boden gleicht dem
der Guitarre, das Gewölbe mehr dem der Laute. Das Griffbrett ist kurz aber
breit und enthält zwanzig Griffe bis zum Stege. Fünf Saiten liegen auf dem
Griffbrett, die übrigen, tieferen ausser demselben. Der vollständige Umfang
umfasst fünf Octaven. Das Instrument wurde von Nadermann (s. d. Art.)
construirt, hatte aber keinen dauernden Erfolg. Von Van Hecke erschien auch
•üMetliode de violon<i. zu Paris im Stich.
Tan Hülst, Felix Alexandre, Advokat zu Liege, geboren zu Fleurus
im Hennegau am 19. Februar 1799, veröffentlichte 1842 bei Gelegenheit der
Aufstellung der Statue vom Componisten Gretry (s. d. Art.) zu Liege eine
Monographie desselben »Gretry« (Liege, 1842, gr. in 8*^, 99 S.) mit dem Bilde
des Gefeierten geschmückt.
Tan Maldere, Pietro, Componist und Violinist, geboren zu Brüssel am
13. Mai 1724, erhielt den ersten Unterricht als Chorknabe der königl. Kapelle,
in die er aufgenommen wurde, im Gesang, im ViolinsjDiel und der Composition
vom Kapellmeister Croes. 1755 ernannte ihn der Prinz Karl von Lothringen,
Gouverneur der Niederlande, da er ein hübsches Talent als Violinspieler ent-
wickelt hatte, zum ersten Violinisten seiner Kapelle. Auch erhielt er gleich-
zeitig denselben Platz beim Orchester des königl. Theaters. Als er 1758 den
Titel Kammerdiener des genannten Prinzen erhielt, überliess er seine Stelle
als Violinist der Kajoelle seinem älteren Bruder Guillaume Van Maldere.
Die Compositionen, welche M. hinterlassen hat, zeugen entschieden von Talent.
Besonders seine Symphonien enthalten in Rücksicht darauf, dass sie vor den
Haydn'schen entstanden, viel Interessantes und erhielten ihrer Zeit auch in
Paris, Brüssel und sogar Deutschland verdiente Anerkennung. Es sind ungefähr
folgende bekannt: ^Six quatuors pour violons, alto et hasse« (Brüssel, 1757; das
dritte und fünfte bemerkenswerth). nSix sympJionies pour deux violons, alto, hasse^
deux hautbois et deux corsn. y>Six symphonies, dediees au dux d'A'/ifina (Paris,
de la Chevardiere). nSix symphonies, dediees au prince Ch. de Lorrainea (Paris,
Venier). -aSei sonate a tre, due violini e hasso, dediees au duc de Montmorengyn
(Paris, de la Chevardiere, 1761). Während eines Aufenthaltes in Paris brachte
Van Maldere am Theätre italienne eine kleine komische Oper y>La Bagarrea
zur Aufführung.
Tannaccl, Pietro, ist 1777 zu Livorno geboren und erhielt zu Florenz
schon als Knabe Unterricht von Cherubini im Gesang und Clavierspiel. In
der Composition unterrichtete ihn später der Kapellmeister Checchi. Er lebte
in Livorno als Gesang- und Clavierlehrer und war vortheilhaft bekannt durch
Sonaten für Ciavier und Violine, Ciavier-, Kirchenmusikstücken, Cantaten und
eine Oper y>Angelica e Medoro«.
Tannaretti, Pater Francesco, Mönch, geboren zu Neapel, lebte zu Rom
um die Mitte des 17. Jahrhunderts als Kapellmeister des Cardinais Rappaccioli.
Folgende seiner Arbeiten sind noch bekannt: i^Messe e Salmi concertafi a tre
voci«, op. 5 (Napoli, J. Bicci, 1653). y>Litanie della Beata Virgine con le an-
iifone a 3, 4, 5, 6, 7 e 8 voci« (Roma, Amadeo Belmonte, 1668, in 4").
Tanneo, Steffano, lateinisch Vannaeus, bedeutender italienischer Contra-
punktist und Tonlehrer des 16. Jahrhunderts, war Mönch des Augustinerordens
im Kloster zu Ascoli und ist geboren zu Recanati im Gebiete von Ancona
1493. Selbstverständlich war er als ein so unterrichteter Musiker auch Kapell-
meister seines Klosters. Er hat ein interessantes Lehrbuch geschrieben, welches
Vanuini •— Varese. 455
als eines der besten jener Zeit, in der es geschrieben wurde, gelten kann. Das
erste Buch desselben beschäftigt sich mit dem Gregorianischen Choral, mit der
Solmisation und den Tonleitern. Das zweite Buch enthält das vollständige
System der alten Mensural-Musik und das dritte eine Abhandlung über den
Contrapuukt. Das Buch ist von Yanneo in italienischer Sprache abgefasst und
im Jahre 1531 beendet worden. Das Original ist nicht im Druck erschienen,
wohl aber die lateinische Uebersctzung von Vincent ßosetti in Verona. Der
Titel in dieser Uebersetzung lautet: yyRecanetum de Musica aurea a Magistro
Stephano Vanneo Hesinensi eremito augustiniano in Aseulana ecelesia cJiori mode-
rator nuper editum, Vincentio Sosseto Veronensi interpretevi (ßomae, apud Vale-
rium Doi'icum Brixiensem, anno Virginei partus 1533, in Fol. (zweiundneunzig
schifFrirten Blättern).
Tannini, P. Bernardino, Mönch, lebte in der Mitte des 17. Jahrhunderts
und war Kajjellmeister an der Kathedrale von Viterba im Kirchenstaat. Von
ihm sind noch bekannt: •nlüotetti a otto voci ed anche Litanie per li processioni«.
(Eoma, Amadeo Belmonte, 1666, in 4°).
Tanniui, Elias, jüdischen Ursprungs, trat in den Carmeliterorden zu Bo-
logna innerhalb der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Folgende von ihm
herrührende Compositionen sind noch bekannt: i-tLitanie della Beata Virgine a
4, 5 e 6 vocin op. 2 (Bologna, Pietro Monti, 1692, in 4°). y>Salmi di Compietä
o 2, 3 e 4 voci concertati con violinia, op. 5 (Bologna, Mario Silvano, 1699, in 4"^),
Tanini, Francesca, eine berühmte italienische Sängei'in, deren eigentlicher
Name Boschi ist, und die in London 1710 in der Händel'schen Oper y^üinaldod
sang. Tosi rühmt ihre Gresangsfertigkeit und ihre Kunst diese zu lehren.
Tauos, Albert, ein holländischer Orgelbauer, welcher in Fiessingen in
Seeland gegen Ende des 17. Jahrhunderts ansässig war. Bei dem ßepariren
der Orgel in der St. Nicolaskirche zu Utrecht fand er an einer Stelle das
Datum 1120. Diese Orgel hatte bereits ein Ciavier mit Pedalen.
Tan Peteghem, Peter, Stammvater der flandrischen Familie dieses Namens,
welche anderthalb Jahrhunderte als Orgelbauer thätig waren. Er wurde zu
Wetteren in Flandern 1690 geboren und kam sehr jung in die Lehre zu dem
seiner Zeit berühmtesten Orgelbauer Belgiens, Forceville in Brüssel. Nachdem
er schon längere Zeit in dessen "Werkstadt gearbeitet hatte, übernahm er nach
dem Tode seines Meisters die Leitung des Gleschäfts auf Rechnung der Wittwe,
etablirte sich jedoch 1733 in Gent und starb dort 1787, 97 Jahr alt. Die
Zahl der von ihm gefertigten Orgeln, während des langen Zeitraums seiner
Thätigkeit, ist sehr beträchtlich. Sein ältester Sohn:
Tan Peteghem, Egi de FrauQois, geboren zu Gent gegen 1734, starb da-
selbst 1796 und ebenfalls sein zweiter Sohn:
Tan Peteghem, Lambert Benoit, gestorben 1807 zu Gent, erlernten
beim Vater die Orgelbaukunst, welche sie lange Zeit betrieben.
Tan Peteghem, Pierre FrauQois, Sohn des Egide, geboren zu Gent
1764 und
Tan Peteghem, Pierre, Sohn von Lambert Benoit, geboren am 15. Jan.
1792, sind noch als Orgelbauer dieser Familie nennenswerth. Der Sohn des
Letztgenannten :
Tan Peteghem, Maximilian, geboren zu Gent 1811, war von seinem
Vater in dessen Kunst unterwiesen und arbeitete zuerst nach dessen System,
welches durch mehrere Generationen seiner Familie vererbt war, später jedoch
war er den Verbesserungen des neueren Orgelbaues zugänglich. Er lebte in
Lille; von 1857 an in St. Omer {Pas de Calais).
Tareuins, Alanus, Schriftsteller, geboren zu Montauban in der zweiten
Hälfte des 15. Jahrhunderts. Bekannt, aber bereits sehr selten, ist das folgende
Buch von ihm: «Dialogus de Sarmonica ejusque elemenfisa (Parisis, aj^ud E,o-
bertum Stephanum, 1503, in 8°).
Tarese, Fabio, Chordirektor an der Kirche della Passione zu Mailand
456 Vargas — Variationen.
geoen das Ende des 16. JalirTiunderts. Ton seinen Werken ist als gedruckt
bekannt: nCanzonette a 3 vocU (Mailand, 1592).
Varg-as, Urban de, Kircbencomponist und Kapellmeister der Metropolitan-
kirche zu Valencia, Mitte des 17. Jahrhunderts, übernahm am 20. Juni 1651
dasselbe Amt an der Kathedrale zu Burgos, und erhielt gleichzeitig das damit
verbundene Kanonikat. Die zahlreichen Manuscripte der Kirchencompositionen
von Vargas befinden sich in den Kirchen von Valencia und Burgos. Eslava
hat einen Psalm des talentvollen Componisten » Voce mea ad Dominum^ für
acht Stimmen in seiner -»Lira sacra hispanaa aufgenommen (Theil I, Serie I
der Componisten des 17. Jahrhunderts). Nach der Angabe dieses gelehrten
Herausgebers findet sich in den Archiven zu Saragossa von Vargas der Psalm
y>Qui cunqtiea nebst einem gedruckten Briefe, in welchem Plan und Structur
dieser Composition auseinandergesetzt sind.
Variationen, Variazioni (Tema con Variazioni), heissen bekanntlich
die veränderten Darstellungen eines meist einfachen, in Form des Liedes oder
Tanzes gehaltenen Satzes. Der zu variirende Satz heisst Thema; er unter-
scheidet sich von dem Motiv, das bei den fugirten Sätzen auch Thema heisst,
dadurch, dass er ein für sich bestehendes Tonstück ist, das sich selbst aus-
spricht in vollster Verständlichkeit, auch ohne die Variationen. Das Motiv
ist zwar gleichfalls nicht inhaltslos, namentlich als Fugenthema muss es
einen bedeutsamen Gredanken aussprechen, allein dieser kommt doch erst ganz
und vollständig in der dialektischen Entwickelung, in der Verarbeitung zur Fuge
zur Erscheinung. Das Thema der Variationen legt seinen Inhalt auch
ohne sie vollständig dar, dieser erlangt durch sie nur eine allseitigere Beleuch-
tung und demnach allerdings auch eine Vertiefung. Es ist klar, dass dies nicht
in einer Variation erreicht werden kann und so wird das Thema mit Varia-
tionen zu einer besonderen Kunstform, welche sowohl für sich, als auch als
Theil einer grössern Form stehen kann. Hierbei ist zunächst dreierlei zu be-
trachten: das Thema, die Mittel der Veränderung und endlich die An-
ordnung der einzelnen Variationen. Bei der Wahl des Themas braucht
man nicht übertrieben ängstlich zu verfahren, weil jeder organisch entwickelte
und in sich abgeschlossene Liedsatz oder Tanz hinreichend Stoff zu einigen
Veränderungen giebt, auch wenn der ursprüngliche Inhalt nicht gerade einer
sonderlichen Vertiefung fähig ist. Was nach dieser Seite die geniale Hand
vermag, das haben unsere Meister, wie Beethoven, bewiesen, der aus
einem unbedeutenden Walzer dreiunddreissig wahrhaft klassische Variationen
entwickelte. Damit soll durchaus nicht gesagt sein, dass alle Themen gleich
günstig und empfehlenswerth für eine derartige Verarbeitung zu Variationen
sind. Selbstverständlich werden diejenigen, deren Inhalt weder grössere Ver-
tiefung erfordert, noch besonders anregend wirkt, vorwiegend mehr nur äusser-
lich zu variiren sein, nach der nur sinnlich klangvoll entwickelten Seite, während
andere, bei denen der ideelle Inhalt so bedeutsam ist, dass er eine nähere Er-
läuterung zulässt und zeugend und anregend weiter wirkt, auch innerlich be-
deutsamere Variationen erstehen lässt. Damit sind zugleich die beiden Haupt-
arten dieser V^eränderungen bezeichnet; die eine ist mehr formeller Art, sie
beschränkt sich auf die äusseren Darstellungsmittel, während die andere den
Inhalt zu erweitern und zu verfeinern bestimmt ist. Dass auch jene nicht ohne
Einfluss auf den Inhalt bleibt, ist selbstverständlich, denn die veränderten Mittel
der Darstellung verändern auch den dargelegten Inhalt, allein diese ist hier
nicht beabsichtigt, wie bei der zweiten Art, bei welcher der ursprüngliche Inhalt
eine mann ichfaltigere Anschauung zulässt und anregt und dadurch zu immer
neuer Erscheinung in immer neuen Variationen drängt. Die erste Erscheinungs-
form im Thema bildet dann nur das formelle Band für alle daraus entwickelten
Variationen.
Die Mittel für die erste Art der Variationen, die sich mehr auf die
äussere Darstellungsweise bezieht, sind natürlich leicht zu übersehen. Zunächst
Yariationen. 45 7
vrird die Melodie variirt, natürlich nicM so, dass eine neue, in den Intervallen-
schritten veränderte, daraus entsteht, sondern sie wird nur durch Figurenwerk
ausgeschmückt und verziert. Demnächst erfolgt dann die Veränderung der har-
monischen Cxrundlage, wie die der besonderen Darstellung derselben in der
Begleitung. "Weiterhin wird dann das Tongeschlecht verändert: ein Durlied
wird zu einer Moll Variation verwendet und umgekehrt. Diese Veränderung,
wie die des Metrum, und die Erweiterung im Allgemeinen, gewinnen schon
mehr ideelle Bedeutung. Ein ursprünglich im zweitheiligen Metrum darge-
stellter Satz verändert seinen Charakter ganz bedeutend in einer im dreitheiligen
Zeitmaass ausgeführten Variation und umgekehrt. Damit ist in der Regel auch
eine Formerweiterung (unter Umständen auch Formverengung) erreicht und es
ist möglich diese ganz umzugestalten, aus einem Liedsatz einen Tanz oder aus
diesem ein Lied zu construiren.
Namentlich diese mehr nur technisch bedeutsame Weise der Variation
wurde für die Entwickelung des Instrumentalstils von unberechenbarem Ein-
fluss. Noch beim Beginn des 17. Jahrhunderts erprobten die Instrumente ihre
selbständigere Technik derartig bei Ausführung der Vocalsätze, dass sie ein-
zelne Töne oder Phrasen in reicheres Figurenwerk auflösten, dass sie dimi-
nuirten und colorirten. Nur an einzelnen, besonders dazu geeigneten Stellen
der ursprünglich für Gesang geschriebenen Tonstücke versuchten sie die har-
monischen Massen aufzulösen und sie gewannen dadurch rein instrumentale
Figuren und Phrasen, die sie aber ganz willkürlich aus dem Stegreif anwen-
deten. Auch als dann namentlich von den Orgelmeistern diese Thätigkeit be-
wusst und wohlüberlegt in ihren Toccaten, Präludien u. s.w. angewandt
wird, bleibt die vocale, harmonische Grundlage immer noch Hauptsache, das
Figurenwerk wird nur hineingewebt. Der nächste Schritt war, dies zur Haupt-
sache zu machen und es in consequenter Durchführung als Material für selb-
ständige Tonschöpfungen zu verarbeiten; hierzu erwies sich die Variation am
geeignetsten und dies ist der eigentliche Anfang des Instrumental-, speciell des
Orgelstils. Der erste bedeutsame Förderer desselben auf diesem Gebiet ist
Job. Samuel Scheidt, der, angeregt durch seinen Lehrer Zarlino (Otto
variazione canoniche sopra il canto fermo), durch die in seiner 1624 erschienenen
Tahulatur a nova enthaltenen Variationen den Stil dieser Form begründete,
in der Weise wie oben angedeutet wurde. Er variirte Tänze und weltliche
Lieder, indem er die Melodie in Nachahmungen verarbeitet, oder sie in reiches
Figurenwerk auflöst, ebenso wie sjDäter die Harmonie, um dann auch den Rhyth-
mus zu verändern. Auf diesem Wege gelangte der Meister zu einer durchaus
planmässigen Verarbeitung der neuen instrumentalen Mittel, welche die Vor-
gänger noch nicht kannten, und die nicht nur für die Form der Variation,
sondern für die gesammte Entwickelung der Instrumentalmusik von durchgrei-
fendem Einfluss wurde. Der Instrumentalstil gewann damit erst die Grund-
bedingung seiner organischen Entfaltung und in der Form selbst eins der be-
liebtesten Mittel reichsten und tiefsten Ausdrucks. Sie wurde bald nicht nur
selbständig, sondern dann auch als Bestandtheil der zusammengesetzten Instru-
mentalformen fleissig geübt.
Noch Händel's Variationen, die bekannten 62 über die Chaconne in
G-dur und die in E-dur, entsprechen vollständig der Weise Scheidt's. Sie ver-
folgen mehr technische Zwecke und sind darum nur formell aus dem Thema
entwickelt durch melodische harmonische oder rhythmische Figuration, wodurch
der Inhalt durchaus nicht tiefer oder auch nur weiter entwickelt wird. Un-
gleich tiefer erfasste Bach in seinen bekannten dreissig Veränderungen*) in
G-dur die Form; er variirt nicht nur die äusseren Darstellungsmittel in der
oben angegebenen AVeise, sondern er breitet vielmehr den Inhalt mit jeder
neuen Variation mehr aus, zeigt ihn in jeder von einer andern Seite. Haydn
*) Aus dem vierten Theil der Clavier-Uebung.
458 Variationen.
und Mozart scliliessen sich in ihren Variationen mehr der Weise Händel's
an, doch in den ungleich reicheren und mannichfaltigeren Mitteln, welche sie
anwenden, gelangt doch auch mehr der Inhalt zu allmälig immer weiter und
weiter sich darlegender Entfaltung.
Mit der ganzen Energie seines genialen Greistes erfasste Beethoven diese
Eorm in einer Eeihe von selbständigen und als Theile von grösseren "Werken.
Unter jenen ragen namentlich zwei hervor, die Variationen op. 35, die er
später in seiner Sinfonie eroica verwendet und die 33 Variationen, die er über
den Walzer von Diabelli schrieb. Namentlich im letzteren Werk nimmt die
wahrhaft geniale Weise, mit welcher der Meister ein an sich unbedeutendes
Thema immer neu anschaut, um ihm einzelne, für eine musikalische Verarbeitung
bedeutsame Züge abzugewinnen, unsere volle Bewunderung in Anspruch. Das
Thema von Diabelli ist vorwiegend harmonisch, der Vordersatz beruht nur auf
Tonika und Dominant; jede wird accordisch ausgeprägt vier Tacte lang von
der rechten Hand festgehalten, während der Bass eine der einfachsten melo-
dischen Floskeln dazu ausführt. Der Nachsatz wird etwas mannichfacher har-
monisch ausgestattet, der zweite Theil aber ist dem ersten ganz ähnlich con-
struirt. Beethoven erfasst diese Construktion, aber schon in der ersten
Variation führt er sie weit genialer aus. Die harmonischen Massen verkörpern
sich ihm zunächst zu einem majestätischen Marsch, bei welchem der Bass,
wie vorher beim Walzer, melodieführend bleibt, aber nicht auf Tonika und
Dominant herumtappend, sondern im gefestigten energischen Schi'itt des i>Marcia
maestoso«. Hiermit schon ist das Thema der niedern Sphäre entrückt, der es
ursprünglich angehört. Die nächste Variation nimmt zwar den ursprünglichen
Dreivierteltact wieder auf, und hält auch an jener ursprünglichen harmonischen
Grundlage fest, aber sie ist von ganz neuem Geist erfüllt. Jetzt prägen die
TJnterstimmen die Harmonik aus, und die Oberstimmen, in rhythmischer Auf-
lösung, werden selbständiger melodisch geführt. Die dritte Variation hält die
ursprüngliche Construktion nur noch in den Angelpunkten fest; der Vorder-
satz ruht auf der Tonika, aber nicht ohne andere Accorde herbei zu ziehen;
ebenso wie der Nachsatz, der auf der Dominant ruht. Die nächste Variation
stellt diesen ganzen Apparat in lebendiger Imitation hin; die folgende fasst
ihn wieder mehr accordisch, in rhythmischem Motiv aufgelöst, das sie so ener-
gisch verfolgt, dass sie am Schluss des ersten Theils nach einer andern Mo-
dulation (JS-moll) gedrängt und im zweiten Theil weit ab von der ursprüng-
lichen Tonart geführt wird. Dasselbe gilt von den folgenden beiden Variationen
(VII und VIII). No. IX ist wieder im Viervierteltact gehalten und in der C-moll-
Tonart, so dass die nächste Variation wieder energisch die ursprüngliche Grund-
anschauung erfassen konnte. Wieder liegt der tonische, später der Dominant-
dreiklang in den Oberstimmen, aber arpeggirt und in der höhern Octave, und
die Unterstimme führt einen selbständigen, der Tonleiter entlehnten Gang aus;
der Nachsatz entspricht dem des Themas; dieser erste Theil wird dann nicht,
wie beim Thema und den vorhergehenden ^Variationen treu, sondei^n umge-
staltet wiederholt. An Stelle der festgehaltenen Accorde tritt der Ti-iller auf y,
und zwar in den Bass, während das Bassmotiv in Septaccorden harmonisirt von
der rechten Hand ausgeführt wird; der Basstriller wird dann auch beim Nachsatz
beibehalten. Dem entspricht auch die Behandlung des zweiten Theils. Die
beiden folgenden Variationen sind wieder auf die harmonische Grundlage des
Themas gebaut und streng motivisch entwickelt, während die nächsten vier
(XIII, XIV, XV und XVI) wieder dem ursprünglichen Thema einen andern
Charakter {Vivace, Grave e maestoso, Presto scherzando und Ällegro) verleihen.
Erst mit der folgenden Variation (XVII) gewinnt auch der melodische Ge-
danke des Themas, natürlich in der, durch den fort und fort erweiterten Inhalt
bedingten Umgestaltung wieder mehr Berücksichtigung. Für die Verarbeitung
der Motive in den anschliessenden beiden Variationen wird wieder die Con-
struktion des Themas entscheidend; ganz wie dort Vorder- und Nachsatz
Variationen. 459
von einander geschieden sind, so auch hier beide durch die Umgestaltung des
Motivs. No. XX bi'ingt die ganze harmonische Grundlage in einer wunder-
baren Neugestaltung. In der folgenden Variation wird eine neue Darstellung
des Vordersatzes des Themas (im */4 Tact) mit der, der Variation XVIII ver-
einigt und nachdem der Meister in No. XXII jene bekannte Reminiscenz an
die Leporello-Arie verarbeitet und in der folgenden noch brillanter ausgeführt
hat, entwickelt er aus dem Thema eine Fughette (XXIV). Die nächsten
Variationen sind wieder direkt aus dem Thema hervorgegangen bis No. XXVIII,
welche an No. XVIII anknüjDft. Die nachfolgenden drei Variationen in der
C-wioZZ-Tonart leiten dann zu der vorletzten, zu der Fuge in Es-dur, hinüber,
der sich nach einer kurzen und freien Ueberleitung die 33. Vai'iation anschliesst,
im Tempo der Menuett gehalten.
Aus diesen Erörterungen geht schon hervor, dass sich die Form des
variirten Themas trefflich für den Satz in langsamer Bewegung bei der
Sinfonie und Sonate eignet. Die langsame Bewegung neigt mehr zur Kühe,
als zu einem sichern und energischen Vorwärtsstreben; mehr zum Beharren in
sich, als zu einem entschiedenen aufstrebenden Herausgehen aus sich. Die be-
wegten Kräfte erscheinen mehr gebunden und verweilen länger bei den ein-
zelnen Momenten der Bewegung, um diese in grösserer Ausführlichkeit hinzu-
stellen. Die langsame Bewegung ist daher weit mehr dem Gefühl eigen, das
gern in sich ruht, als der Phantasie, welche im Gegensatz zu ihm sich gern
im kühnsten Fluge erhebt. Die Tonsätze in rascherer Bewegung sind besser
geeignet die kühnsten Bilder der Phantasie zu gestalten, und den leidenschaft-
licheren Strömungen und Stimmungen des Gemüths und des Herzens zum
Ausdruck zu dienen, an denen jene einen regeren Antheil nimmt. In den
instrumentalen Tonsätzen von langsamer Bewegung äussert sich vorwiegend das
reine persönliche Empfinden nicht selten in lyrischer Beschaulichkeit der Lied-
form oder in der zum Hymnus erweiterten Arienform. Allein das Instrumentale
kann sich nicht mit den knappen Formen des Vocalen begnügen, und so wird
auch die Liedform für diesen langsamen Satz der Sonate in der instrumentalen
Erweiterung zum Thema mit Variationen eingeführt. Beethoven thut
dies in den Sonaten op. 26, 30, 47, 109, wie in mehreren Trios und Quartetten.
Der Meister erfasst den im Thema gedrängt zusammen gehaltenen, auf seine
Pointen zurückgeführten Gefühlsausdruck in den Variationen immer tiefer und
weiter und verfolgt ihn bis in seine feinsten Einzelheiten. Andere Themen
gestatten eine solche Erweiterung und Fortführung nicht, oder regen sie nicht
an; für sie ist jene mehr nur äussere Variirung entsprechender, welche das
ursprüngliche Thema eigentlich nur formell umgestaltet. Es sind dies jene
Themen, deren Gefühlsinhalt rein lyrischer Natur, also nur auf sich bezogen
ist, und demnach weniger nach Erweiterung, als nach einer wiederholten, aber
veränderten Darstellung verlangt. Ein Beispiel ist der langsame Mittelsatz
der F-moUSonate, op. 57. Beethoven bezeichnet ihn nicht als »Thema mit
Variationen«, sondern nur mit Andante (con moto), denn das Thema, ein zwei-
theiliger Liedsatz, wird nicht in selbständig ausgeführten Variationen weiter-
geführt, sondern nur immer anders dargestellt; es wird bei seiner ersten
Wiederholung rhythmisch aufgelöst, bei seiner zweiten in die höhere Octave
verlegt, harmonisch figurirt; bei der dritten Wiederholung werden beide Be-
handlungsweisen, jene rhythmische Veränderung und die harmonische Figuration
vereinigt; eine vierte Wiederholung schliesst sich wieder enger der ersten
Darstellung an und leitet dann zum Schlusssatz hinüber. Auch das Adagio
(Arietta) der Sonate op. 111 gehört hierher, doch ist es viel freier noch ent-
wickelt, als das vorerwähnte Andante. Dem Gefühlsausdruck der Arietta werden
in den folgenden Variationen eben so wenig neue Seiten abgewonnen wie dort,
sondern er wird nur durchsichtiger und mehr vergeistigt dargestellt und er-
langt dadurch immere grössere Gewalt und Eindringlichkeit, das aber ist der
Zweck dieser Art der Variationen.
4 60 Variationen.
Von Jüngern Meistern haben Schubert, Mendelssohn und Schumann die
Form der Variationen fleissig gepflegt und mit neuem Inhalt erfüllt. Von
Schubert sind ausser seinen Variationen zu vier Händen für Ciavier und dem
Andante mit Variationen des Forellenquartetts namentlich die im D-wzoZ^ Quartett
zu erwähnen, in welchem er bekanntlich im Andante sein Lied »Der Tod und
das Mädchen« (aus op. 7) variirt. Der Meister hat das Ciaviervorspiel des
Liedes zum ersten Theil des Thema gemacht. Den Gresang des Mädchens:
„Vorüber, ach vorüber.
Geh' wilder Knochenmann!
Ich bin noch jung, geh' Lieber
Und rühre mich nicht an!"
übergeht er hier; den zweiten Theil des Liedsatzes entnimmt er dem G-esange
des Todes; die erste Hälfte, die dort sehr monoton ist, gestaltet er zu erhöhter
Wirksamkeit um, wie es durch die Natur der Streichinstrumente bedingt ist.
Von der andern Hälfte wird dann unverändert die Clavierbegleitung zu den
"Worten:
„Sei guten Muths! ich bin nicht wild,
Sollst sanft in meinen Armen schlafen."
entlehnt. Das Nachspiel — die Wiederholung des Vorspiels in D-dur — bleibt
hier weg; die durch dasselbe bezeichnete Anschauung erhält in der vierten
Variation Ausdruck und am Schluss des Andante erst wird es unverändert
verwendet. Man muss sich, um die Bearbeitung des Themas ganz zu verstehen,
einer Stelle aus einem Briefe Schubert's, den er aus Steyr an seine Eltern
richtete, erinnern, in welchem er sich über die Furcht, die sein Bruder vor
dem Sterben hat, ausspricht: »als wenn das Sterben«, heisst es dort, »das
Schlimmste wäre, was uns Menschen begegnen könnte. Könnte er nur einmal
diese göttlichen Berge und Seen schauen, deren Anblick uns zu erdrücken oder
zu verschlingen droht, er würde das winzige Menschenleben nicht so sehr lieben,
als dass er es nicht für ein grosses Glück halten sollte, der unbegreiflichen
Kraft der Erde zu neuem Leben wieder anvertraut zu werden«. Die in diesen
Worten niedergelegte Anschauung ist im Grunde dieselbe, welche das oben er-
wähnte Gedicht vertritt und sie beherrscht auch das Andante und das ganze
Quartett. Die erste Variation schon weiss uns mit süsseren Klängen zu locken,
als die Stimme des Todes, und diese Lockung wird noch eindringlicher und
auch sinnbefangender in der zweiten, welche das Thema im Violoncello bringt;
in der dritten steigert sie sich fast bis zu sinnverwirrender Wirkung und die
vierte in G-dur, wie die fünfte in G-moll wollen uns entschiedener damit locken,
dass sie uns einen bezaubernden Blick ins Jenseits eröffnen.
Mendelssohn wandte sich erst in späteren Jahren seines kurzen Lebens
dieser Form zu. Er schreibt darüber an Klingemann (Briefe II, pg. 297):
»Weisst du, vras ich in der vergangenen Zeit mit Passion componirt habe? —
Variationen fürs Piano. Und zwar gleich 18 auf ein Thema in D-moU; und
ich hab' mich dabei so himmlisch amusirt, dass ich gleich wieder neue auf ein
Thema in Es-dur gemacht habe und jetzt bei den dritten auf ein Thema aus
B-dur bin. Mir ist ordentlich, als müsste ich nachholen, dass ich früher gar
keine gemacht habe.« Nur die Variationen in D-moll und die in JSs-dur sind
veröffentlicht worden, jene als op. 54, diese als op. 82; auch sind nicht 18,
sondern nur 17 der Variationen in D-moll ( Variations serieuses) gedruckt. Es
ist in der Eigenthümlichkeit Mendelssohns begründet, dass er weniger jene
Gattung der Variationen cultivirte, welche den Gehalt des Themas in immer
neuer Gestalt und immer mehr erweitert zur Erscheinung bringt; sondern viel-
mehr jene, welche das Thema mehr formell umgestaltet. Sein Bestreben ist
immer auf möglichst klaren und fasslichen Ausdruck gerichtet und zwar so,
dass er mitunter die tiefere Gewalt desselben damit abschwächt. Selbst in den
Formen, welche Vertiefung und Erweiterung der ursprünglichen Gedanken er-
fordern, verfährt er nicht selten vorwieafend nur erläuternd und umschreibend,
Variato — Varney. 461
wie im Capriccio. Ganz ähnlich sind seine Variationen. Das Z)-wjo/?-Thema
ist harmonisch charakteristisch und die harmonische Grundlage ist so vorwie-
gend polj'phon ausgeprägt, dass diese Construktion schon eine E-eihe mannich-
facher anderer Darstellungen und Anschauungen zuliess. Die rhythmische
Anordnung des ersten Theils ist etwas monoton; ihr gegenüber erscheint die
grössere Breite des zweiten Theils dann um so bedeutsamer, und so bot auch
diese Construktion mancherlei Momente für eine neue gestaltende Variirung
des Themas. Endlich gewährte der ruhig milde Ernst der Grundstimmung des
Themas noch eine Fülle feiner Züge für eine speciellere Ausführung. Mendels-
sohn hat nicht alle ergriffen; er variirt sein Thema vorwiegend nur formell
in rein technischer Verarbeitung einzelner Motive.
In den ersten vier Variationen bleiben Melodie und Harmonie fast unver-
ändert; in der ersten wird dem Thema eine lebhafter und selbständiger contra-
punktirende Mittelstimme beigegeben; bei der zweiten betheiligen sich die drei
oberen Stimmen an einem derartigen Contrapunkt, so dass die Melodie nicht
verändert, sondern nur ausgeschmückt ist; die dritte Variation erwächst durch
einfache rhythmische Auflösung und die vierte durch melodische und harmo-
nische Figuration der ursprünglichen Grundlage. Die folgenden Variationen
halten fast unverändert an der ursprünglichen Construktion fest, die Verän-
derungen sind hauptsächlich durch die Verarbeitung des besondern Motivs
jeder Variation bedingt. Die -EJs-c^wr- Variationen halten weniger streng an
der formalen Gestaltung des Themas fest, doch fehlt ihnen der innere Zusammen-
hang, den die D-otoZZ- Variationen entschieden zeigen. Das neue Motiv, mit
welchem bei diesen Mendelssohn den ursprünglichen Apparat technisch ver-
arbeitet, erscheint immer als die natürliche Consequenz der vorangehenden
und in der dadurch sich steigernden leidenschaftlichen Ausdrucksweise ist ein
gewisser einheitlicher Fortgang bedingt bis zum Ällegro vivace und dem Presto^
mit dem das Ganze abschliesst, der den ^s-J^r- Variationen fehlt.
Schumann's Innerlichkeit wie sein Bildungsgang hatten ihn früh auf die
Form der Variation geführt. Ausser seinen Variationen über den Namen
Abegg, welche als op. 1 erschienen, hatte er früh eine Reihe anderer Themen
variirt, in denen er das Bestreben zeigt, den Inhalt des Themas immer weiter
zu verfolgen und glänzender und reicher darzulegen. Das ist ein Haupt-
charakterzug seiner Individualität, dass er sich gern in die eine Stimmung mit
der ganzen Energie seiner Innerlichkeit vertieft, um sie in allen ihren Einzel-
zügen zum erschöpfenden Ausdruck zu bringen. In demselben Sinne wählt
und erfasst er seine Themen und versenkt sich dann in sie, um in jeder
Variation eine neue Seite derselben zu zeigen. Die nur formelle Umgestaltung
des Themas genügt ihm nicht, das beweisen schon die oben erwähnten Varia-
tionen op. 1, mehr noch die JEtudes en forme de Variationes (Etudes sympTio-
niques, op. 13), vor allem das unstreitig bedeutsamste Werk der neueren Zeit
auf diesem Gebiet, die Variationen für zwei Claviere (op. 46). Das Thema
der letzteren schon ist so reich ausgestattet, dass es wie eine Variation des
Grundgedankens erscheint. Nur einer genialen Kraft, wie der Schumann's,
wurde es möglich, hieraus eine Reihe neuer, immer prächtiger ausgeführter
Variationen zu entwickeln. Eigenthümlich und äusserst wirksam ist der, in
diesem "Werk eingeschlagene Weg, auf welchem das Thema, nachdem es mehr-
fach variirt worden ist, in neuer Gestalt und auch in anderer Tonart ein-
geführt wird, um dann wieder in dieser Fassung variirt zu werden. Die
Variationen werden dadurch einheitlich und übersichtlich gruppirt.
Wie die Form der Variation auch anderweitig auf den Orchesterstil im
Besondern und den Instrumentalstil im Allgemeinen einwirkt, namentlich bei
der Verarbeitung der Themen des eigentlichen Sonatensatzes und des Rondo,
ist hier nicht weiter nachzuweisen.
Tariato (ital.), franz.: varie, verändert.
Tariiey, Pierre Joseph Alphonse, geboren zu Paris am 1. Decbr. 1811,
462 Varoti — Vaudeville.
wurde im Pariser Conservatorlum gebildet und bevorzugte daselbst das Studium
des Violinspiels; in der Composition war Reicha sein Lebrer. Er fungirte
später als Orcbesterdirektor zu verscbiedenen Zeiten am Tbeätre historique,
Theätre lyrique; in Grent (1835), in Haag (1855), in Ronen und endlich
1857 am Theätre Bouffes-Parisiens zu Paris, dessen Direktion er dann von 1862
an führt. An den vorgenannten Theatern sind eine Anzahl meistentheils ein-
aktiger Opern und Operetten seiner Composition aufgeführt worden. Ausser
diesen hat er eine oratorische Cantate mit Chören vAtalaa componirt, welche
ebenfalls im Theätre historique zur Aufführung gelangte.
Yaroti, Michele, italienischer Kirchencomponist aus der ersten Hälfte
des 16. Jahrhunderts, geboren zu Novare, deshalb auch Novarensis genannt.
Es sind von ihm noch folgende Arbeiten bekannt: i>Missa a 6 vociv. (Venedig,
1565, in 4°). T>Misse de Trinitate a 8 vooi<s. (ibid. 1565, in 4°). -»Oantiones
sacrae in omnes anni festivitafes<s. (ibid. 1568). »Simni a 5 vocUi (ibid. 1568).
»Misse a Q et 8 voci, libro primo'i (ibid. 1563, in 4"). y>Misse a 2, b e Q vooi«.
(Milano, 1588, in 4°).
Vasen, Schallvasen, Echea, ijyeTa, eherne Schallgefässe , die in den
griechischen Theatern nach Vitruo (1, 1, 9 und 5, 5, 2) angebracht waren, um
den Schall der Stimme zu verstärken. Die Einrichtung derselben ist noch sehr
dunkel und zweifelhaft, wie überhaupt die ganze Angelegenheit.
Tasquez, s. A'azquez.
Vaticau, s. Sixtiuische Kapelle.
Tatri, Rene, geboren zu Reims am 26. October 1697, begann seine Stu-
dien in seiner Vaterstadt und vollendete sie in Paris. Später erhielt er das
Kanonikat zu Saint-Etienne des &res und wurde Vorsteher des »College de
Reims« zu Paris, Mitglied der »Academie des belies lettres« und Redakteur des
}> Journal des savantsi. 1754 vom Schlage getroffen, siechte er 16 Jahre dahin.
Sein Tod erfolgte im December 1769. Zu seinen Schriften gehört: y>8ur las
avantages que la tragedie aneienne, retirait de ses clioeurs, et sur la recitation des
tragedies anciennesa; in den Sammlungen der Akademie befindlich (Tome VIII
p. 199 bis 224).
A'aucausou, Jacques de, berühmter französischer Mathematiker, geboren
zu Grrenoble am 24. Februar 1709, starb 1782 zu Paris. Hier machte er auch
seine Studien und war später zum Mitgliede der Akademie der Wissenschaften
ernannt worden. Besonders bekannt wurde er durch die Erfindung und den
Bau mehrerer höchst künstlicher Automaten. Es gehört zu diesen ein aufrecht
stehender Schäfer, der auf einer Flöte 20 Stücke spielt, und auch ein sitzender
Flötenspieler, der gleichfalls 20 Stücke spielt, wobei die Töne wirklich durch
Einblasen der Luft und erforderliche Fingerapplicatur erzeugt werden. Diese
Gegenstände wui'den nebst anderen zuerst 1738 zu Paris gezeigt und kamen
später in den Besitz des bekannten Hofraths Beireis zu Helmstädt. Eine Be-
schreibung des Mechanismus der Maschine gab V. unter folgendem Titel: »ie
mecanisme du ßüteur automate, aveo la description d''un canard artificiel et aussi
Celle d'une figure jouant du tamhourin et de la fluten. (Paris, Grueria, 1738, in 4**,
80 S.). Hierin beschreibt er den inneren Mechanismus des Flötenspielers ziem-
lich deutlich. Unter andei'ein sagt er: »die Muskeln der Brust brauchen eine
Kraft, die 56 Pfund gleich ist, um das hohe c, den höchsten Ton des Fla-
geolets, herauszubringen. Hingegen um das tiefe e, welches die tiefste Note
ist, hören zu lassen, ist die Kraft von zwei Loth hinlänglich u. s. w.« Ins
Deutsche übersetzt findet sich diese Abhandlung im »Hamburger Magazin«,
B. II, S. 1 — 24. Ins Englische wurde sie übertragen von Desaguliers,
London, Parker.
Taudeville hiessen ursprünglich in Frankreich die meist witzigen, saty-
rischen Lieder (Chansons), die, im Volke entstanden, an Ereignisse und Persön-
lichkeiten des Tages anknüpften und deren Schwächen oft mit beissendem Spott
geisselten. Olivier B asselin, Besitzer einer Walkmühle bei Vire in der
\
VaupuUaire — Vecchi. 463
Normandie in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, soll mit seinen fröh-
lichen Liedern, die er »Vaux de viretf. nannte, den Anstoss hierzu gegeben
haben. Unter der unumschränkten Herrschaft Mazarin's (1642 — 1661) kamen
diese Lieder ausserordentlich in Blüthe und der Cardinal selber wurde mit den
giftigsten Spottliedern bedacht. Sie nahmen damals schon die Form der heu-
tigen Chansons an, sind strophisch gegliedert und jede Strophe schliesst mit
dem Refrain, der die Pointe des Inhalts kurz und schlagend ausspricht. Die
eigenthümliche Entwickelung, welche die französische Oper im 18. Jahrhundert
nahm, gab diesen Liedern allmälig eine erhöhte Bedeutiing. In dem Kampf,
der für die nationale Entwickelung der französischen Oper in der letzten Hälfte
des Jahrhunderts geführt wurde, hatte sich auch für die dramatische Musik
jener Coupletstil gebildet, der ganz direct auf das Vaudeville führen musste.
In der komischen Oper von Duui, Monsigny, Danican, genannt Philidor,
und Grretry, hatte bereits die leichte sangbare Homanze die Herrschaft über
die Arie gewonnen. An Stelle des E-ecitativs war der Dialog getreten und es
lag zu nahe, dies Verfahren noch weiter auszudehnen und diesen nur mit
leichten Liedern zu durchziehen, die direct dem Yolksliederschatz entnommen
oder nach bekannten Melodien in der Weise des Volksliedes gedichtet waren.
Diese Liederspiele erhielten dann den Namen Vaudeville und sie wurden in
Frankreich bald so beliebt, dass in Paris 1791 ein Theater, das Vaudeville-
Theäti'e eigens dafür errichtet wurde. Die Grattung fand auch in Deutschland
Vertheidiger und Vertreter; der erste war wohl Fr. ßeichardt und seitdem
ist das Liederspiel auch in Deutschland mit mehr oder weniger Grlück bis auf
den heutigen Tag gepflegt worden (s. Liederspiel).
VaupuUaire, Musiker von französischer oder belgischer Abstammung, welcher
am Anfang des 16. Jahrhunderts lebte. In den bekannten Sammlungen ist von
seiner Composition nichts aufzufinden; nur eine vierstimmige Messe, y>Ohrisfus
resurgensii. betitelt, ist im Manuscript vorhanden und diese befindet sich in der
Bibliothek zu Cambrai. Coussemacker hat das fiSanctusa daraus in Partitur
veröffentlicht. (»Notice stir les collections musicales de la hibliotheq^ue de Gam-
hrai«, No. 1.)
A^auseuville, s. Hoberger de V.'
Vavasseur, Nicolas le, Lehrer der Chorknaben an der Kirche zu Lisieux
und Organist der Kirche St. Pierre de Caen um die Mitte des 17. Jahr-
hunderts. Er Hess drucken: »Ganons ä deucc, trois, quatre, cinq et six voixv.
(Paris, Ballard, 1648, in 4°).
Vayanakol, eine Flöte der Ostindier.
Vazquez, D. Joäo, Kapellmeister an der Kathedrale zu Burgos in den
ersten Jahren des 16. Jahrhunderts. Er hinterliess im Manuscript Messen,
Motetten, Vilhancicos und "Weihnachtsgesänge. Einige aus der grossen Zahl
seiner Arbeiten findet man in der Sammlung von Enriquez de Valderavano,
gedruckt zu Burgos bei Did. Fernandez de Cordova (1542).
Tc, Abkürzung für Violoncello.
Tecchi, Orazio, italienischer Componist des 16. Jahrhunderts, berühmt
als Förderer der dramatischen Musik, ist nach der im städtischen Archiv zu
Modena bewahrten Chronik des Griambatista Spaccini, 1605 im Alter von vier-
undfünfzig Jahren gestorben, mithin 1551 geboren. Der Ort seiner Greburt
sowie seine frühesten Erlebnisse sind unbekannt geblieben;*) doch steht fest,
dass er für den geistlichen Stand und demgemäss in einem Kloster erzogen
worden ist. Seinen ersten Musikunterricht erhielt er von einem Mönch aus
Modena Namens Salvatore Essenga, unter dessen Aegide er auch als Componist
debütirte, indem derselbe ein Madrigal seines Schülers in die von ihm 1566
*) Der gewissenhafte Biograph Vecchi's, Catelani, zögert, als seinen Geburtsort
Modena anzugeben, da die Taufregister des dortigen städtischen Archivs liicht bis zu
seinem Geburtsjahr reichen. Dagegen wird er in den Sterberegistern als '„Modenese"
aufgeführt.
464
VeccM.
zu Yenedio- veröffentlichte Sammlung vierstimmiger Madrigale aufnahm. Am
15. October 1586 wurde Y. zum Canonicus der Kathedrale des Städtchens
Correggio erwählt iind am 29. Juli 1591 zur Würde eines Archidiakonus an
derselben Kirche erhoben. Dass er schon damals einen grossen Euf als Kenner
des römischen Kirchengesanges genoss, zeigt die Yorrede zu dem 1591 von
dem venetianischen Musikverleger Angelo Gardano veröffentlichten r,Gr aduale
Romanuma, welche unter den mit der Herausgabe betrauten musikalischen
Autoritäten auch seinen Namen nennt. Bei aller Anerkennung aber, welche
ihm in Coreggio zu Theil wurde, sehnte er sich aus der Stille der Kleinstadt
nach einem bewegteren öffentlichen Leben und verlegte seinen Wohnsitz nach
Modena. Dies muss im Beginn des Jahres 1595 gewesen sein, denn, wie Spac-
cini berichtet, wurde dort am 5. Februar dieses Jahres ein Mordanfall auf ihn
gemacht, welcher übrigens vereitelt wurde, da die Kleider des Künstlers die
Wirkunw des für ihn bestimmten Dolchstiches abschwächten.*) Die Ursache
dieses Angriffes ist unbekannt geblieben. Der streitsüchtige Charakter Yecchi's
mag als allgemeiner Erklärungsgrund dafür dienen. Bezüglich dieser Eigenschaft
finden sich bei dem genannten Chronisten noch weitere Mittheilungen: so soll
Y. ebenfalls in jenem Jahre mit einem Liebhaber seiner Schwägerin einen hef-
tigen Zwist gehabt und denselben bei dieser Gelegenheit durch zwei Degen-
stiche am Kopfe verwundet haben; ein anderer, weniger ernsthafter Streit
entbrannte einmal (1596) während des Gottesdienstes in der Augustinerkirche
zu Modena zwischen ihm und dem Organisten dieser Kirche, Fabio Eicchetti;
Y., der die Messe zu singen hatte, glaubte seinen Yortrag durch die Orgel-
begleitung beeinträchtigt und erhob seine Stimme lauter und lauter, wogegen
der Organist, der auch seinerseits zur Geltung kommen wollte, ein Eegister
nach dem andern zog, um seinen Eivalen zu übertönen. Der Ausgang dieses
Kampfes blieb unentschieden, da die anwesende Gemeinde sich bald einer lauten
Heiterkeit nicht mehr erwehren konnte und so der anstössigen Scene ein Ende
gemacht wurde.
Am 14. October 1596 wurde Y. an Stelle Ferrari's zum Kapellmeister an
der Kathedrale von Modena ernannt. Im nächsten Jahre reiste er nach Ye-
nedig, um einige seiner Compositionen, wahrscheinlich den, später noch zu
erwähnenden »Amfiparnaso« zu veröffentlichen. Im Jahre 1598 erfuhren seine
materiellen Yerhältnisse eine Yerbesserung, indem er neben seinem Kapell-
meisterposten das Amt eines Lehrers der herzoglichen Prinzen mit einem Gehalt
von achtzig Scudi übernahm. Weitere Yortheile erwuchsen ihm 1603 durch
die Protection des in Modena anwesenden kaiserlichen Gesandten, welcher den
Gemeinderath der Stadt bestimmte, dem Künstler ein Gehalt von hundert Lire
für fünf Jahre zu gewähren; demselben Beschützer hatte Y. ohne Zweifel die
Ehre zu verdanken, an den Hof des Kaisers Eudolf IL eingeladen zu sein,
wie dies die Inschrift auf seinem Grabstein meldet, wo ebenfalls zu lesen ist,
dass er bei dem Herzog Octavio Farnese von Parma sowie bei dem Erzherzog
Ferdinand in hohem Ansehen gestanden. Auch vom Könige von Polen wurde
er ausgezeichnet und zwar durch eine Medaille im Gewicht von zweiundzwanzig
Scudi als Gegenleistung für mehrere ihm übersandte Compositionen. — Yecchi's
lebhaftes Naturell und sein Interesse für die dramatische Musik veranlassten
ihn zu häufiger activer Theilnahme an den öffentlichen Maskenfesten, welche
in der Zeit von 1599 bis 1604 zu Modena in grosser Zahl veranstaltet wurden;
wie sehr nun auch der Geist jener Zeit zur Toleranz neigte, so scheint doch
die Geistlichkeit, der Y. als Mitglied angehörte, sein künstlerisches Treiben
anstössig gefunden zu haben und mag dies die Ursache gewesen sein, weshalb
er im October 1604 auf Befehl des Bischofs seines Kapellmeisteramtes entsetzt
wurde. Diese Kränkung, für welche er selbst hauptsächlich seinen Amtsnach-
*) „A höre 22 fu data una stiletada a Horatio Vecclno, musico eccellente cii qiiesti
iempi, non s'e sapuio da chi, et tion ebbe male."
Vecchi. 465
folger und frühercu Schüler Geminiano Capilupi verantwortlich gemacht hat
führte, in Verbindung mit einem älteren katarrhalischen Leiden in der Nacht
vom 19. bis 20. Februar seinen Tod herbei. Er hinterliess u. a. eine Samm-
lung von Portraits berühmter Musiker seiner Zeit, die er auf eigene Kosten
von tüchtigen Malern hatte anfertigen lassen; er vermachte dieselbe nebst seinen
übrigen Bildern und seinen Büchern seinem Neffen Pietro Giovanni Ingone
unter der seltsamen Bedingung, dass derselbe einem seiner Söhne den Tauf-
namen Orazio gebe und ihn musikalisch ausbilden lasse. Die Zeitoenossen des
Kunstlers zeigten ein volles Verständniss für den Verlust, der sie durch seinen
lod getroffen hatte; auch der Bischof von Modena unterliess nicht, den Hinter-
bliebenen sein Beileid auszudrücken, und seine Absicht, dem Verstorbenen eine
glanzende Leichenfeier zu bereiten, wurde nur dadurch vereitelt, dass V selbst
m seinem Testament ein prunkloses Begräbniss für sich bestimmt hatte Zwei
Jahre später wurde ihm ein prächtiges, von dem Bildhauer Pacchioni zu Ee^rgio
angefertigtes Monument gesetzt mit folgender Inschrift:
B. 0. M.
HOEATIUS VECCHIUS, QUI NOVIS TUM
MÜSICIS, TUM POETICIS EEBUS INVENI-
ENDIS ITA FLORUIT. UT OMNIA
OMNIÜM TEMPOR. INGENIA PACI-
LE SUPERAEIT, HOC TUMULO
QUIESCENS EXCITATEICEM EX-
PECTAT TUBAM.
HTC OCTAVIO FARNESIO. ARCHIDUCI Q.
FEEDINANDO AUSTEIAE CARISSIMÜS
CUM AEMONIAM PEIMUS COMICAE FA-
CULTATI CONJUNXISSET, TOTUM TER-
EARUM OEBEM IN SUI ADMIEATIONEM
TRAXIT: TANDEM, PLUEIBÜS IN EC-
CLESIIS SACEIS CHOETS PEAEFECTUS. ET
A RADÜLFO IMP. ACCERSITUS, INGEA-
VESCENTE JAM AETATE EECUSATO
MUNEEE, SEE: MO ducI CESARI ESTEN-
SI, PROPEIA IN PATEIA INSEEVIENS,
ANGELICIS CONCENTIBUS PEAEFI-
CIENDUS DECESSIT
ANNO M. DC. V. DIE XIX. MEN.
FEBEUAEII.
Wie aUe Tonsetzer seiner Zeit componirte V. hauptsächlich Messen und
Motetten, wie auch mehrstimmige Madrigale und Canzonetten; was aber seinen
Namen besonders berühmt gemacht hat, ist eine Art musikalischer Komödie,
jener schon vorhin erwähnte »Amfiparnaso«*), von ihm ^^Comedia liarmonica^
genannt, zuerst aufgeführt in Modena 1594 und drei Jahre später in Venedig
veroffenthcht. Der italienische Geschichtsschreiber Muratori hat behauptet,
die ersten musikalisch-dramatischen Versuche Vecchi's seien denjenigen voran-
gegangen, welche Ende des 16. Jahrhunderts in Florenz namentlich durch die
Bemühungen des Dichters Einuccini und des Componisten Peri zur Entstehung
der modernen Oper geführt haben, und diese Erfindung werde ihn unsterblich
machen. Der berühmte Historiker stützt seine Behauptung auf den Passus
der oben angeführten Grabschrift yyÄrmotiiam primus comicae facultati conjionxisset,
totum terrarum orhem in sui admirationem traxiU Ueberdies sagt V. selbst in
der Vorrede seines Werkes, »dass die Verbindung der Komödie mit der Musik
seines Wissens noch von Niemandem unternommen oder erdacht sei, und dass
er wegen seiner Erfindung, wenn nicht gelobt, doch auch nicht getadelt zu
werden verdiene« (r>Ussendo Vaccoppiamento di Comedia e di Musica non piu
stato fatto, ch'io mi sappia da altri, e forse non imarji7iato edio in tanfo devro
A l.P■^^'^3^ ^^% Schreibweise Catelani's, des schon erwähnten Autors einer zuerst in
der Mailänder ,^azzeUa Musicale", dann im Separatabdruck erschienenen werthvollen
AbhaDdlung: Delle vita e delle opere di Orazio Vecchi". Arteaga {„Le rivoluzioni del
teatro musicale Italiano" I. S. 263) schreibt „AuHparnaso".
Musikal. Conyers. -Lexikon. X. 3q
466 Veccln.
esser, se non lodato, almeno non hiasimato delV inventione.<i). Endlicli scheint
die Inschrift auf einer im Teatro cotnmunale zu Modena befindlichen Colossal-
büste des Künstlers ytOrazio VeccJii dividi col Binuceini la gloria dHnventare
Vopera in musicaa die Ansicht Muratori's zu bestätigen. Bei genauer Unter-
suchung der historischen Thatsachen jedoch sowie des in Rede stehenden "Werkes
ergiebt sich das irrige derselben: die musikalische Beschaffenheit des »Amfipar-
naso« zeigt keinerlei Gemeinschaft mit dem Stil jener Reformatoren des musi-
kalischen Dramas, des Peri, des Caccini, ja selbst des Emilio Cavaliere; anstatt
des von diesen angewendeten Recitativs, des sogenannten Stile parlante, und der
Monodie, besteht Yecchi's musikalische Komödie ausschliesslich aus einer lockeren
Verbindung mehrstimmiger Gesänge im Madrigalstil mit der Handlung. Nach
der bizarren Manier der Componisten seiner Zeit, welche selbst die Reden der
einzelnen Personen in der geistlichen wie in der weltlichen Musik von mehreren
Stimmen ausführen Hessen, wird auch im »Amfiparnaso« die Klage des Lieb-
habers, welcher sich durch Eifersucht geplagt, von einem Felsen hinabstürzen
will, vermittelst eines auf die fünf Stimmen Basso, Tenore, Quinto, Alto, Canio
vertheilten Chores ausgedrückt. Ebenso bewegt sich die Musik während eines
Streites zwischen dem Doctor Pantalon und seinem gefrässigen Diener Pedro-
lino im regelrechten contrapunktischen Ensemble. Der Tenor beginnt: »Pedro-
lino, wo bist du?« worauf der Quinto antwortet: »Herr, ich kann nicht kommen,
weil ich in der Küche zu thun habe.« Nun singen Sopran (Canto), Alt und
Tenor die "Worte: »Du Dieb, du Hund, was machst du dort in der Küche?«
und Sopran, Quinto und Basso erwiedern: »Ich fülle mir den Bauch« (Tenor
allein) »mit gewissen Vögeln, welche den ganzen Tag singen« — hier fallen
sämmtliche Stimmen mit dem Vogelgeschrei »Pipiripi, Cucurucu« ein. Diese
Probe darf genügen, um den gewaltigen Abstand erkennen zu lassen, welcher
den »Amfiparnaso« von der »Euridice« des Peri trennt. Kann somit V. als
dramatischer Componist nur geringe Theilnahme beanspruchen, so gewinnt
dagegen seine künstlerische Persönlichkeit dadurch an Bedeutung, dass er sich
gleichzeitig als Dichter bethätigte, und zwar, wie Muratori behauptet, in hervor-
ragender Weise.
Unbedingte Anerkennung verdient V. als Componist für Kirche und Kammer.
Von seinen, diesen Musikgattungen angehörigen Werken sind die folgenden ver-
öffentlicht worden: 1) r>Canzonetti di Orazio VeccJii da Modona libro primo a
q_uattro voci, novamenfe ristampate in Venetia appresso Angelo Gardanov, 1580
(ist dem Grafen Mario Bevilacqua gewidmet und enthält 22 Canzonetten).
2) nCanzonette etc. libro secondo«, Venedig, 1580 (dem Podesta von Bologna,
Camillo Pellegrini gewidmet, enthält 21 Canzonetten). 3) -aMadrigali a sei voeia,
Venedig, 1583 (dem Fürsten Albert Radzivil gewidmet). 4) r>Canzonette, libro
terzo«, Venedig, 1585 (enthaltend 22 Stücke). 5) y>lIoratii Vecchii Mutinensis,
Canonici Corigiensis Lamentationes cum quattuor paribus vocibus«, Venedig, 1587
(enthält drei »JSenedictus«, sechs -^ Misereres, je ein -aPopule meus«, vStabat«. und
»O salutaris Jiostiaa). 6) y>Canzonette a sei voci, libro primo«, Venedig, 1587
(dem Primicerius oder ersten Sänger der Kapelle, Gonzaga, zu Mantua gewidmet,
21 Canzonetten enthaltend). 7) »Madrigali a cinque voci, libro primo«, Venedig,
1589 (dem Herzog von Mantua gewidmet, mit 19 Nummern). 8) r^Motecta
Soratii Vecchii Mutinensis etc. Quaternis, Quinis, Senis et Octonis vocibus«,
Venedig, 1590 (31 Nummern). 9) »Selva di varia ricreatione di JSoratio VeccJii,
nella qttale si contengono varij soggetti a 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 et ä 10 voci, eive
Madrigali, Capricci, Balli, Arie, Justiniane, Canzonette, Fantasie, Serenate, Dia-
loghi, un Lotto amoroso, con una Battaglia ä diece nel fine et accomodatovi la
intavolatura di liuto alle Arie, ai Balli et alle Canzonette«, Venedig, 1590 (der
Autor nennt diese Sammlung einen »Wald«, weil hier die Mannichfaltigkeit der
Kunstformen nicht minder gross sei, wie dort die der Pflanzen, Sträucher und
Bäume; in diesem musikalisch-poetischen Chaos finden sich ein achtstimmiges
Madrigal von Luca Mazio, unter den Tanzliedern ein fünfstimmiger Saltarello,
Vecchi.
467
der unter dem Namen seines Erfinders »IZ VeccUoi allgemein beliebt war).
10) r>Canzoneüe lilro quarto ä quattro voci^i, Venedig, 1590 (dem Grafen Camillo
dAustria von Correggio gewidmet und 22 Nummern enthaltend). 11) r>Ca)izo-
nette a tre voei di Horatio Vecchi ei di Gemignano Gapi-Lupi da Madonm'i,
Venedig, 1597 (18 Canzonetten von V. und 16 von seinem schon erwähnten
hchüler enthaltend, dessen Fähigkeiten der Meister in seiner Vorrede warmes
Lob spendet). 12) r>Saerarum Cantionum JEoratii VeecUi in Gathedrali JEcclesia
Mutinae mimeae magistri, quinque, sex, Septem et octo voeibus, Liher secundus<.i,
Venedig, 1597 (enthält 24 Nummern, darunter zwei von Capilupi). 13) »Obw-
vito musicale a tre, quattro etc. voci^ Venedig, 1597 (eine Sammlung von 52
ionstucken verschiedener Gattung nach Art der r>8elva di varia ricreazionea,
dem Erzherzog Ferdinand von Oesterreich gewidmet). 14) ^^m/mni qui per
totum annum in ecclesia romana concinuntur, partim hrevi stilo super piano cantu,
partim proprio Marte, cum quaiuor vocihus<s., Venedig, 1604 (enthält 32 Hymnen
nach eigenen Textesworten und ist dem Erzbischof von Salzburg gewidmet).
15) r>Le veglie di Siena, overo i varii humori della miisica moderna«, Venedig, 1604
(das Jahr darauf unter dem Titel y>]Sfoctes ludicrae« in Nürnberg und 1614 sogar
in Gera in einer von Peter Negander besorgten deutschen IJebersetzung erschienen;
versucht die verschiedenen menschlichen Charaktere musikalisch zu schildern'
zu welchem Zwecke V., wie er in der Vorrede des Werkes sagt, »lange Zeit
Studien gemacht«). 16) y^Missarum senis et octonis voeibus Über jjrimus«, Ve-
nedig, 1607 (das erste posthume Werk Vecchi's, von seinem Schüler Bravusi
herausgegeben). 17) t>I)ialoghi a sette et otto voci, da cantarsi et concertarsi con
ogm Sorte di stromenti<,, Venedig, 1608 (eine Sammlung von 9 Gesängen zu
7 und 8 Stimmen; am Schluss befindet sich die Musik zu einer 1604 vom
Autor veranstalteten und geleiteten Maskerade, eine lOstimmige Composition,
betitelt siMascherata della Malinconia, et Allegrezzaa).
^ Eine grosse Zahl von kleineren Compositionen Vecchi's, Canzonetten, Ma-
drigale etc. finden sich in den am Schlüsse des 16. und zu Anfang des 17. Jahr-
hunderts veröffentlichten Sammlungen von Werken berühmter Tonsetzer, nament-
lich m den bei Hubert Waelrant zu Antwerpen erschienenen r>Sinfonia angelieaa
(1594), r>Melodia oUmpica». (1594) und y>Lauro verde«. (1591); ferner in »JZ
Trionfo di Bori<,, Venedig, bei Gardano (1596), y>Madrigali pastorali<s, Antwerpen,
bei Phalese (1604), »De floridi virtuosi d'Italia il terzo libro di madrigali,
Venedig, bei Vincenti (1586) »ie muse da diversi autori a 5 voci«, ebenda bei
Gardano (1575), -»11 trionfo di Musica<.^, ebenda bei Scotto (1579), y>Gli amorosi
ardorKi, ebenda, Gardano (1583), y>Spoglia amorosa«, ebenda (1592). — Alle diese
Arbeiten Vecchi's zeigen den Meister im strengen, massvollen Kirchenstil, zu-
gleich aber ganz seltsam dramatisch-malerische Züge, aus denen, wie Ambros
sagt, »ein tief in seinem Innern sitzender, curioser Kauz hervorguckt; ander-
wärts tritt dieser neckische Dämon, wo er sich nicht um der Kirche willen
geniren muss, offen zu Tage.« So im »Amfiparnaso«, der mit den » Veglie di
Szena<i als bemerkenswerthes Zeichen gelten darf, wie sehr die Musik jetzt
endlich darnach rang, ganz bestimmter Ausdruck des wechselnden Affektes zu
werden. Die dramatische Bühne schwebte ihr bereits vor, wenn auch einst-
weilen m noch schwankenden Umrissen. Die gewählte Form findet zum Theil
ihre Entschuldigung darin, schliesst Ambros, dass das für die wirkliche Oper
unentbehrliche Orchester damals in der entsprechenden Weise (d. h. nicht blos
Akkorde auf einem Grundbass anschlagend, wie eben damals in Aufnahme kam,
sondern selbstbedeutend eingreifend, wie z. B. bei Mozart) noch nicht zur Ver-
fugung stand und dem V. offenbar ahnungsvoU und dunkel ein analoger musi-
kalischer Efi-ekt vorschwebte, den er denn durch belebte Polyphonie singender
Stimmen zu ersetzen versucht hat.
Vecchi, Orfeo, italienischer Kirchencomponist, wurde um 1540 zu Mailand
*) A. W. Ambros, „Geschichte der Musik", III. p. 545.
30 ^
468 Vecchi — Veit.
geboren, wirkte als Kapellmeister an der dortigen Kirche Santa Maria della Scala
und ist daselbst 1613 gestorben. Wie der Vorhergebende dem geistlichen Stande
angehörig, vermied Orfeo V. im Gegensatz zu jenem alle Abschweifungen über
das engere Gebiet seiner Kunst hinaus und stellte dieselbe ausschliesslich in
den Dienst der Kirche. Von seinen Compositionen sind im Druck ei-schienen
und zwar zu Antwerpen: 1) ^')Gantiones sacrae sex voeum, lih. 3«, 1603. 2) öan-
tioiies sacrae quinq^ne vocum, lih. 1«, 1610. 3) »Salmi intieri a cinque voci, che
si cantano alU vespri nelle solennitä de tutto Vanno, con doui (sie) Ma(jnificat,
Falsi Bordoni et le quattro Antifone par la Compietä. Nuovamente ristampati in
Milano appresso Filippo Lomazzo<i, 1614. 4) y>Motectorum quae in communi
Sanctorum quatuor vocum conein. Liber primusa, Mediolani, 1603. Eine Anzahl
von Manuscripten Vecchi's findet sich in den Archiven des Mailänder Doms,
darunter ein Buch vierstimmiger Motetten, fünf Bücher mit fünfstimmigen Mo-
tetten, eine Auswahl von Madrigalen in Form fünfstimmiger Motetten, sieben
Psalmen für sechs Stimmen mit Basso continuo, ein Magnificat in den acht
Kirchentönen mit Basso continuo, Faux-Bourdons zu vier, fünf und acht Stimmen, .
endlich mehrere Bücher mit Hj^mnen, theils zum Gebrauch beim Gregorianischen,
theils beim Ambrosianischen Bitus.
Vecclii, Lorenzo, Geistlicher der Metropolitankirche zu Bologna, zeitweilig
auch Kapellmeister an derselben, wurde 1566 zu Bologna geboren. Unter einer
Beihe von Compositionen für die Kirche, welche von ihm im Beginn des 17.
Jahrhunderts zu Venedig bei Augelo Gardano veröffentlicht wurden, ist ein
Buch mit Messen unter dem Titel y>Misse a otto voci, libro pyrimoa (Venezia,
Angelo Gardano, 1605) hervorzuheben.
Vecoli, Pietro, Componist, zu Lucca um die Mitte des 16. Jahrhunderts
geboren, gehörte während einer Zeit zur Kapelle des Herzogs von Savoyen.
Von seinen Compositionen sind gedruckt: y>MadrigaU a cinque vocia (Toriuo.
1581, in 8").
Vecoli, Begolo, neapolitanischer Componist, ebenfalls aus der ersten Hälfte
des 16. Jahi'hunderts. Von ihm sind gedruckt: »Canzonette alla napoletatia a 3,
4, 5 e^ 6 vociti (Venedig, 1569, in 4"). y>Madi'igali a 5 voci<i (Lyon, Clement
Baudin, 1577, in 4** obl.).
Veeuieote (ital.), Vortragsbezeichnung = heftig.
Veesenmeyer, Georg, Theologe und Professor zu Ulm, starb daselbst am
6. April 1833. Er gab heraus: »Versuch einer Geschichte des deutschen
Kii'chengesanges in der Ulmischen Kirche« (Ulm, 1798, 12 Seiten in 4°).
Veggio, Claudio, Contrapunktist des 16. Jahrhunderts, veröffentlichte:
»ZZ primo libro di madrigali a 4 voci, con la gionta de sei altri di Archadelt
della misura a brevem (Venedig, Hyronimo Scotto, 1540; zweite Ausgabe eben-
falls in Venedig, 1545, in 4° obl.). Befand sich auf der Münchener Bibliothek.
Veichtuer, Franz Adam, Violinist und Componist, Schüler des Franz
Benda in Potsdam, wurde Kapellmeister des Herzogs von Kurland zu Mitau;
machte nach Auflösung dieser Kapelle Beisen nach Italien, wo er sich als
Violinist hören liess, und kam dann als Kapellmeister nach Petersburg, wo er
auch gestorben sein soll. Geboren wurde er 1745 wahrscheinlich in Preussen.
Die Cantate: »Cephalus und Procris« wurde 1780 in Berlin aufgeführt. Ausser-
dem schrieb er: »Hymne an Gott«. »Die erste Feier der Himmelfahrt Jesucf,
Oratorium. Gegen sechzig Sinfonien, von denen gedruckt sind: Vier Sinfonien
für zwei Violinen, Alt, Bass, zwei Hoboen, zwei Fagotte und zwei Hörner
(Leipzig, Sommer, 1777). Zwei russische Sinfonien in acht Theilen (Leipzig,
Hartknoch). Violincoucert (ebenda 1771). Drei Quartette (Petersburg, 1802).
Vierundzwanzig Fantasien für Violine und Bass, op. 7, Buch 1 und 2 (Leipzig,
Breitkopf & Härtel) u. a.
Veit, Emil Alexander, bekannter, trefflicher Pianist aus der Schule der
Herren von Bülow, von Bronsart und Bendel. Geboren am 3. März 1842 zu
Mirone in Mecklenburg, als der älteste Sohn eines Schulvorstehers daselbst,
Veit — Veitstanz, ^^q
seine Eltern siedelten m seinem 3. Lebensjahre mit ihm nach Berlin über, wo
r Jr. T?- 1 / w rl;- ^'^^^ theoretischen Studien betrieb er unter Professor
V?JI' Ti """i '^^VV^rt Em ernsthaft strebender Künstler, war er der
Erste, welcher hier in seinen Concerten «Für Werke von Componisten der
Gegenwart«, 18.1-1873 (m denen er nur hier noch gar nicht aufgeführte
Werke lebender Componisten zu Gehör brachte) energisch für das Neufind e
h^rt:^ IHt/b Z "'"'''"t •''>^^^^" Componisten zur Anerkennung ver-
half. Seit 1874 Direktor eines Instituts für höheres Clavierspiel, wirkt er auch
hier in durchaus anregender Weise und hat auf pUdagogisch^em' Gebfet IreTts
höchst achtbare Eesultate seiner Tüchtigkeit und seines e^rigen Streb ns rzTelt
frsch-eTe'n:"'"''' "'' '" ^'''' ''""''^ ''''''''' '^'"^'^^ sLnsthen ^n ihm
r, /'^"' J^^^""^'^ Heinrich, ist am 19. Januar 1806 in Czepnitz, einem
Dorfein Böhmen, geboren und erhielt auch hier seinen ersten Unter icht"
der Musik vom Lehrer des Dorfes. In Leitmeritz, wo er das Gymnasium und
in Prag wo er (1821) die Universität besuchte, ;ernachlässigte 'eTd Musii-
Studien durchaus nicht, und obgleich er die Jurisprudenz zu seinem Berurer-
wählte - er ging 1831 in Dienste der Stadt Prag - wurde 1850 Oberlandel
gerichtsrath und 1861 Gerichtspräsident in Leitmeritz - so bLhä ttte e"
itt 'T'' Z "Tn'^ ^"'^ erfolgreich mit der Musik, was seine voHreff'
heben Quartette und Quintette für Streichinstrumente, dne Ouvertüre und
rL^wTtz ""'' " (>esangswerke darthun. V. st^rb am 16^^ Febr. 1864
Teitstanz. Es war um die Mitte des 14. Jahrhunderts, als Europa von
einer der fürchterlichsten Seuchen heimgesucht wurde. Aus China kommlnd
JahtT34T atr'D ". n'",' ''^'"^i' ^^^^'^•^^^^^' ^^^^^^^ -^ erreichtTim
Der !..l auch Deutschland, wo über 2000 Dörfer vollständig ausstarben.
Der schwarze Tod« - so nannte man diese Krankheit, die keine ander
Wirtunr" fl ^^^^r tT ~ ^°^^"''^ ^^^"^ °P^^^' ^^^^ ^iilli— ^-^ seine
Wirkung auf das sociale Leben war eine tiefgehende. Da traten nun jene Aus-
wüchse des rohesten mittelalterlichen Aberglaubens zu Tage und es schien als
rufrie^en Dam" ^' 'T' ''^''^T^^^^ ^^^^^^--^ die im tollen ^rbel sich
wuth odP. T T^ '''t ^^^^^^^ J^^« merkwürdige Erscheinung der Tanz-
Zl i M^"".'^,^?'- ^^ ^^^^'" Rheinland auf- und abwärts bis Aachen
und m den Niederlanden erschienen Schaaren von Männern und Frauen die
m bacchantischer Ausgelassenheit unter wilden Sprüngen und Yerr nkungen
den Umst b" f'"' ^ .^and -blossen sie Kreise lind tanzten ohne Scheu vor
den Umstehenden m wilder Raserei bis wuthschäumend sie zur Erde stürzten
sThr.."l LTt^ ';: ^^'^ '^^ Neugierigen, die sich an dem wunderblren
bchauspiel weideten, aber immer mehr auch die Zahl der Ergriffenen Der
iusWh der"?" ^-^'^ ''.' "^^^'^ andere Sinneneindrücke Lförderten den
und Xt T^ dämonischen Bewegungen, welche allen Heilmitteln der Aerzte
Johanni.. ''T^ der Priester zu trotzen schienen. Man nannte sie
Johannistanzer, weil nach der einen Meinung dies Uebel bei der Feier des
deshalb TT r'i TT"" Y'^S genommen, nach der andern Ansicht aber
de Sn b f M ^^^f ^^^^ ^^" ^«^^ig«^ J^bannes anriefen und sich dem Schutz
nutzte man dt K ll' ?''T •!''.? '" ^^^-^^^-rg die Tanzwuth losbrach, be-
nutzte man die Kapelle des heil. Yeit zur Beschwörung ge^en diese Krankheit
und von diesem Umstände sollen die Ergriffenen Yeits^ln^zer h sst wt
werden unten aber eine ganz andere Herleitung anführen
^^.«.1?'" v""""^ '^'' ^""l^^Se, wie solche in Chroniken beschrieben, blieb immer
dieselbe: Voran einige Sackpfeifer, dann eine Heerde Neugieriger dann di^Be-
faUenen m ihren wunderlichen Sprüngen und Tänzen \nf höh L a
ATirrQi.?<,.;^«v, A- IT 1 ^i^^^^^gcu uuu xanzen, endlich die lammernden
für? k ^ • ^Z^'^^'^^' Anstrengung machten, die unglückl eben Opfer
sZ.nwT^r- ?"^''^'" ^'r'^'' "^" ^^''^^ S^^läge und Stösse die Be-
sonnenheit bei den Tanzern wieder zurückzurufen, was bei einigen in der That
470 Veitstanz.
zum Ziele führte. Bei manchen dagegen steigerte sich die Ausgelassenheit bis
zum vollständigen Verlust des Bewusstseins, schäumend und brüllend tanzten
sie, bis sie todt niederfielen, oder stürzten blindlings sich ins "Wasser oder zer-
schmetterten ihren Kopf an den Wänden. So währte der Spuk in mannich-
fachen Varianten bis zu Anfang des 15. Jahrhunderts, wo er sich dann allmälig
verlor. Lassen wir aus verschiedenen Chroniken von dieser Tanzwuth aus-
führlich berichten. Vorangehe die Limburg er Chronik, die also erzählt
(Ausg. V. Vogel, 1828, S. 72): »Anno 1374, zu mitten im Sommer, da erhub
sich ein wunderlich Ding auff Erdreich, und sonderlich in Teutschen Landen,
auff dem Rhein und auff der Mosel, also dass Laut anhüben zu tantzen und
zu rasen, und stunden je zwei gegen ein, und tantzeten auf einer Statt einen
halben Tag, und in dem Tantz da fielen sie etwan dick (= oft und tüchtig) nieder
und Hessen sich mit Füssen tretten auff ihren Leib. Davon nahmen sie sich
an, dass sie genesen wären und lieffen von einer Stadt zu der andern und von
einer Kirche zu der andern, und hüben Geld auff von den Leuten, wo es ihnen
mocht gewerden. Und wurd des Dings also viel, dass man zu Köln in der
Stadt mehr denn fünffhundert Täntzer fand. Und fand man, dass es ein Ketzerei
war, und geschah umb Geldes willen, dass ihr ein Theil Frau und Mann in
Unkeuschheit mochten kommen und die vollbringen. Und fand man zu Köln
mehr denn hundert Frauen und Dienstmägde, die nit eheliche Männer hatten.
Die wurden alle in der Täntzerey kindertragend, und wann dass sie tantzeten,
so bunden und knebelten sie sich hart um den Leib, dass sie desto geringer
(dünner) wären. Hierauf sprachen ein Theils Meister, sonderlich der guten
Artzt: dass ein theil wurden tantzend die von heisser Natur wären und von
anderen gebrechlichen natürlichen Sachen. Die Meister von der heiligen Schrift
die beschworen der Täntzer ein Theil, die meinten, dass sie besessen wären von
dem bösen Geist. Also nahm es ein betrogen End und währte wol sechzehn
Wochen in dissen Landen oder in der Maass. Auch nahmen die vorgenannten
Dänzer Mann und Frauwen sich an, dass sie kein roth sehen möchten. Und
war eitel Täuscherei und ist Vorbottschaft gewesen an Christum nach meinem
Bedünken. « —
Ueber den Namen und Ursprung des Veitstanzes sind die Meinungen
zeither getheilt und verwirrend gewesen. Die Basler Chronik (v. Gross, S. 241),
nachdem sie von einem Dienstmädchen erzählt, das 1615 von schwerer Tanz-
wuth befangen war, bemerkt hierzu: »Warum es der Veitstanz heisst, das
sollt ihr wissen: dass dieser heilige Mann von seinem Vater übel geschlagen
wurde, dieweil er die Götzenbilder verachtete, damit aber nichts ausgerichtet
wurde. Da wollte er es anders anfangen und Hess immer hübsche feine Mägd-
lein herbeikommen, unter Musik und Tanz seinen Sohn zur Abgötterei zu ver-
führen und das Abgöttische ihm angenehm zu machen.« Anderer Meinung ist
Agricola (Deutsche Sprüchwörter, No. 497): »In deutschen Landen sind der
Plagen viel gewesen. So wurden etliche geplagt, dass sie tanzen mussten oft
Tag und Nacht aneinander, oft zween und drei Tag und Nacht. Es ist eine
Fabel: St. Veit, der 14 Nothhelfer einer, habe bei seinem Märtyrertode Gott
gebeten, da er jetzt den Hals solle hinreichen, so wünsche er: dass die an
seinem Abend fasten und seinen Tag feiern, vor demselben Tanz (?) bewahrt
bleiben möchten und alsbald ist eine Stimme vom Himmel kommen: Vite, du
bist erhöret!« — Wer war St. Vitus? Ein erdichteter Heiliger, der in der
Diocletianischen Christenverfolgung den Märtyrertod erlitten haben soll. Sein Ge-
dächtnisstag im Kalender ist der 15. Juni. Wie kommt nun aber dieser fabulöse
christliche heilige St. Vitus dazu, mit dem Tanze derartig in Beziehung gebracht
zu werden, dass man die Johannistänze auch Veitstänze und nach ihm eine
Tanzwuth benannte, und wieder in einem alten Volksreime (»Heiliger Sankt
Veit, beschere uns ein Scheit!«) ihn anruft, zum sogenannten Johannisfeuer Holz
zu schenken? Der Widerspruch wird gelöst und das ganze fabulöse Wesen
des Vitus klar, wenn wir erfahren, was in neuester Zeit die Wissenschaft fest-
Veitstanz. 471
gestellt hat: Sanctus Vitus ist nur eine Umformung des Namens vom
slavischen Sonnengott »Swantewit«*) (d, h. heiliges Licht). Wegen
des Gleichklanges Swante-wit und Sante Vit machte die TJebertragung sich
leicht. Zur Erklärung aber diene noch Folgendes: Die Verehrung des Swantewit
reicht tief in die vorchristlichen Jahrhunderte hinauf. Es ist der slav. Odin
(Gode, Wood), denn beide Gottheiten standen der Ernte vor, beide reiten ein
weisses Eoss. Wenn es von Odin heisst, dass er in den 12 Nächten auf weissem
Eosse daher tose: so glaubte auch der Slave, dass Swantewit auf dem weissen
Rosse, das ihm der Cultus hielt und das nur vom Oberpriester bestiegen werden
durfte, Nachts gegen die Feinde des Heiligthums zum Kampfe ausziehe. Der
Hauptsitz seines Cultus war zu Arcona auf der Insel Rügen, weshalb auch
dort gerade zuerst 879 zu Ehren Veits durch Mönche von Corvey eine Veits-
kapelle entstand. Aber auch Böhmens Hauptstadt besass einen Tempel dieses
Gottes, der in christlicher Zeit in die Domkirche zu St. Veit umgenannt wurde.
Nicht zufällig ist: dass die Johannesfeierlichkeiten (24. Juni) neun Tage nach
St. Veitstage (15. Juni) erfolgen; denn das Wesentliche der Johannisfeier
besteht in Böhmen noch jetzt in dem Anzünden lichter Flammfeuer, um welche
ehedem herumgetanzt und wobei Lieder gesungen wurden. Dass die Johannes-
festgebräuche (Johanuesfeuer und Johannistänze) vormals wirklich dem Swante-
wit galten, bezeugt ein alter Schriftsteller in den •aScriptoresrer.Germ.<i (Francof.,
1718, p. 508): ».De Chorea Swante Wite: Meri solet annuatim in festo Joaniiis
Saptistae — uhi scamna in circum, que transiliunt, proferunt, et serio cautum ne
quis rubro amictus conspiccatur, quem invadunt. Toto mense praecedenfe Joannem
sunt timidi et choreas ducentes timore liherantur. Ädd. Sodin. lih. V. de republ. c.
c. 5. Nunc ad descriptionem Idoli his ohiter insertis, 2^'t'ogrediemur. Inter miiltiformia
Slavorum idola excelluit Swante Wiet . . . . etc.a [Uebersetzuug: Von den Chorreigen
Swante Wits: Es pflegt alljährlich am Fest St. Johannes des Täufers zu geschehen,
dass sie (die Slaven) Bänke auf den Spielplatz schaffen und darüber hinweg-
hüpfen und wird später dafür gesorgt, dass Niemand im rothen Rocke gesehen
wird, denn auf diesen stürzen sie los. Einen ganzen Monat vor Johanni sind
sie ängstlich und werden von dieser Angst dadurch befreit, dass sie ihre Chor-
tänze ausführen. Unter allen Götzenbildern der Slaven glänzt das des Swante-
wit.] Erwiesen ist längst, dass die Slaven dem Sonnengott das Hauptfest in
Mitte Juni feierten, wo seine Kraft sowohl in der Länge des Tages wie in
der steigenden Hitze sich am meisten entwickelte — ähnlich wie die Germanen
zur Zeit der Sommer-Sonnenwende, 21. Juni, ihrem Wodan zu Ehren Feuer
anzündeten und unter Tanz ihre Opfer darbrachten, woher die im Mittelalter
vielverbotenen Johannistänze und Johannisfeuer ihren Ursprung haben. Dass
die Tänze auch bei den Slaven zum Cultus des Lichtgottes gehörten, beweist
eine lateinische Stelle bei Eckhard (^Monum. Jutelok, p. 59), die bei Gelegenheit
der Erwähnung des Jutre hog (Gott der Morgenröthe) angeführt ist und über-
setzt also lautet: »Auf jedem Hügel war ein Bild des Götzen, mit einem be-
sonderen Namen bezeichnet, welches die Slaven an Festtagen anbeteten und
auch durch Tanz verehrten. Denn eine uralte Sitte ist, die Götter unter Ge-
sang durch Reigen und Tanz zu ehren, wie die heilige Schrift hie und da
durch Beispiele der Aegypter, Israeliten und Baalsdiener deutlich beweist.
Daher glaube ich: Dieser ganze Gebrauch gehe aus dem Heidenthum hervor,
wenn die Bauern fast in allen Gauen dieser Gegend (Jüterbok) und der Mark
Brandenburg bei der Feier von Hochzeiten ein altes Rad vor dem Hause oder
auf dem Hügel anzünden und bei dessen Umdrehungen, wie beim brennenden
Scheiterhaufen, festliche öffentliche Tänze aufführen.«
Nach alledem dürfte es nicht gewagt sein, den Veitstanz von den Tänzen
*) Schon Ilelmold (Chron. Slav. I, 6) hat dies nachgewiesen und andere Forscher
Mone, Heidenthum I, 185; F. Nork, Mythologie der Volkssagen, p. 562; A. Wnttke, Volks-
aberglaube 34 theilen diese Ueberzeuj^un":
^„_ Veitstanz.
472
1 1 -i. -TO-Ja A',o of.liwinrlplnden Rundtänze der Druiden
^'° T^ze zu Ehren de, gönne oft in teilige Raserei ansarteen wovon
Anton (Yerf. über Sitten -d Geb-^be ie^ ^"-^^Wn J\,t!s, Kolo =
r t,'t,r-Tp"inTl e gelÜnde si" auf die linke, dann einen
Zirkel, Ead — 9"y^.%-^/ Trr„n aber die Männer allein tanzen, so bleiben
langsamen auf die recbte Se'*«- Wenn at>e. 3,y,„a„„ ^it dem reebten
sie nach den drei l^J^^^u^^f^e^clZl tZn aber dieser Tanz mit Singen
Beine gegen den Mittelpunkt des t^irKeis^ ^^ ^^^ ^^^ ^^_.
ISre^^oit^^ie™ DefsCeb^Tanrist äusserst wild, was man be-
'""'Tv'd s'rbt^'a'ufL" Yorg?Wb"ten1blr" den Veitstanz fest: Er bat
sl„frbtn%" r-nt-d leist als eni Opfer- ™dji.uden^
des Licbtgottes auf die Heidenzeit -™'^'/j,''^\°f,'^t/;: f.ifC ,ig in De°utscb-
Johannisfest verlegt wurde und auch als ^»''^"f'X ,^'"i„„ wirklichen
land gekannt war. Im Mittelalter war er zeitweilig zu emer
Seuche geworden und stand ™^^t 1 die Fol<re von der grossen
Znsammenhang. Denn beide Erscheinungen war ud^e Folge von de g
r^^-en-erwÄrS^^i^^^
halten, von denen einxge Ueberreste ^:\%]^^^^^^^ haben. Noch
Echternacher Springprocession sich bis zur ^^g^^™ schnellwechselnde
^KrL';^e^rderrusrf^::^HÄ^^
Äfrt^im^^SSkÄ^oi^r
Artikels über Johannistänze dienen. Melodien zu aen "^c p, •
t^hSstänzen haben sic^-icHt erhalten^ gewiss^ wa^^^^^^^^^^
aber ihrer Zeit gekannte Tanzlieder ^«^'l^^^^^f -^^^^^i -egeb habe, dürfte
stücke zur Vertreibung des Veitstanzes als ^ran^^^^^^^^ ^^^^ gemeldeter
sehr zu bezweifeln sein; wenigstens ist davon nichts weiter,
Anruf an St. Johannes, bekannt geworden.
Verzeichniss
der im zehnten Bande enthaltenen Artikel.
s.
Stradivarius, Francesco
Seite 1.
Stradivarius, Omobone 1.
Straehle, Daniel 1.
Straehle 1.
Strakaty 1.
Strakosch, M. 1.
Stramboli, Bartolomeo 1.
Strasciando 1.
Strasciuaudo l'areo 1.
Strascinar, strascino 1.
Strascinato Flautato 1.
Strassburger 1.
Strasser, Johann Georg 2
Stratonicus 2,
Strattner, Georg Chri-
stoph 2.
Straube, Kudolph 2.
Strauss, Adolph Friedr. 2
Stranss, Christoph 2.
Strauss, Joseph 2.
Strauss, Johann 3.
Strauss, Ludwig 7,
Stravaganto 8.
Stravaganza 8.
Strebefeder, s. Balg 8.
Streicheither, s. Streich-
Zither 8.
Streichen 8.
Streichen 8.
Streicher, Johann An-
dreas 9.
Streicher, Nanette 9.
Streichchor 9.
Streichinstrumente 9.
Streichquartett, s. Quar-
tett 12.
Streichquintett, s. Quin-
tett 12.
Streichsextett, s. Sextett 12.
Streichseptett, s. Septett 12.
Streichtrio, s. Trio 12.
Streichzither 12.
Streit, Wilhelmine, geb.
Schulz 12.
Streit wol ff, Johann Hein-
rich Gottlieb 13.
Streng 13.
Strenge Fuge 13.
Strenge Nachahmung 13.
Strenger Satz, s. Satz,
Schreibart 1.3.
Strenger Stil, s. Stil 13.
Strepitoso 13.
Strepponi, Felis 13.
Strepponi, Josefina 13,
Stretta 13.
Stretto 13.
Strich 13.
Strich 14.
Stricker, Ängnst Reinhardt
14.
Striggio, Alessandro, Seite
14.
Strignendo, b. stringendo
15.
Strina-Sacchi, Regina, s.
Schlick, Regina 15.
Strinasacehi, Teresa 15.
Stringendo 15.
Strisciando 15.
Struad (spr. Stregnad), Cas-
par 15.
Strobach, Johann 15,
Strobach, Joseph 15.
Strobel, Julius Alexander
15.
Strobel, Valentin 15.
Strofe, s. Strophe 16.
Strohbass 16.
Strohfiedel 16.
Stromentato 16.
Stromenti di fiato 16.
Stromeyer, Carl 16.
Strophe 16.
Strozzi, Barbara 18.
Strozzi, Pater Bernardo 18.
Strozzi, D. Gregor 18.
Strozzi, Pietro 18.
Struck, Paul 18.
Strumstrum 19.
Strungk (Strunck), Nicolaus
Adam 19.
Strungk, Delphin 20.
Stück 20.
Stück (Stuckius), Johann
Wilhelm 20.
Stückprobe 20.
Stuelp, s. V. a. Stürze 20.
Stümer, Johann Daniel
Heinrich 20.
Stürze 21.
Stürze (Orgel) 21.
Stufe, s, Tonstufe 21.
Stnfenpsalm 21.
Stufenweise Fortschreitung
21.
Stumm, Heinrich 21.
Stumme Claviaturen 21.
Stumme Register 21.
Stumpf, Johann Christian
21.
Stunz, Joseph Hartmann 22.
Stutzflügel 22.
Sturmglocke, s. Glocke 22.
Styl, s. Stil 22.
Styles, s. Stiles 22.
Snabile 22.
Suarcialupus, Antonius 22.
Suard, Jean Baptiste An-
toine 22.
Suave, s. Soave 23.
Suavis 23.
Sub 23.
Snbbass 23.
Subdiapente 23.
Subdominante Seite 23.
Subiet, Autoine, mit dem
Zunamen Cardot 23.
Subito 23.
Subject, Subjectum 23.
Sublatio 23.
Subprincipal 23.
Subprincipalis mediarum
23.
Subsemifusa 23.
Subsemitoninm modi 23.
Subsesquitertia 23.
Subsuperbipartiente sexta
23.
Subsuperquadripartiente
duodecima 23.
Subsupersetti partiente
noua 23.
Suceentor 23.
Sucher, Josef 23.
Sudre, Jean Fran90is 24.
Süssflöte, s. V. a. Dolzflöte
24.
Süssmayer, Franz Xaver 24.
Suevus, Felicianus 25.
Snfflöte, s. Sifflöte 25.
Suidas 25.
Suite 25.
Sujet 27.
Sul 27.
Snl ponticello 27.
Sulla corda 27.
Sulla tastiera 27.
Suling 27.
Sullivan, Arthur Seymour
27.
Sultzberger, Joh. Ulrich 27.
Sulzer, Franz Joseph 27.
Sulzer, Johann Georg 28.
Sulzer, Salomon 28.
Sumara 30.
Suraber (sumper) 30.
Summer oder Bourdon 30.
Summpfeife 31.
Summe 31.
Sumphoneia oder Sampo-
nia 31.
Sumtio, s. V. a. Lepsis 31
Sundelin, Augustin 31.
Sundelin, Carl 31.
Sunderreuter, Georg 31.
Sunk 31.
Suoni acuti 31.
Suoni armonichi 31.
Suono-Terzo, s. Terzo 31.
Superacutae claves, voees,
oder superacuta loca 31.
Superoctave 31.
Supp^, Franz von 31.
Supplemente 32.
Supremma, suprema vox
(Soprano) 32.
Surdastrum 32.
Surdeliue 32.
Suremain de Missery, An-
toine Seite 32.
Susato, Tylman oder Tyle-
man, s. Tylman Susato 32.
Susato, Johann von 32.
Sussmann, s. Soussmann 32.
Sussurando 32.
Suttihger, JI. 32.
Svegliato 32.
Svelto 32.
Svendsen, Joh. Severin 32.
Sweda, Wenzel 33.
Sweelinck, Jan Pieters 33.
Swert, Jules de 34.
Swieteu, Gottfried, Baron
van 35.
Swirella 35.
Swoboda, August 35.
Sydow, s. Murky 35.
Syfert, Paul 35.
Syllaba 35.
Syllabae 35.
Syllabae inferiores 35.
Syllabae superiores 35.
Syllabisch 35.
Sylva, Manuel Nnnez de 35.
Sympathie der Töne 36.
Symphona 36.
Symphoueia, Syraphonia,
auch Symphonie 36.
Symphoniaei 36.
Syraphonia 36.
Symphonie-Cantate 46.
Symphonie-Ode 46.
Symphonische Dichtung 47.
Sympson, Christ. 48.
Synaphe 48.
Syucopatio, Syucope 48.
Synemmenon 50.
Synemmeuon diatonos 50.
Syntonisch 50.
Syntonisches Komma, s.
Komma 50.
Syntonolydisehe Octav 50.
Syriuges 50.
Syrinx 50.
Systaltische Melopöa 51.
System (Systema) 51.
Systcma durum oder regu-
läre 57.
Systema molle oder trans-
positum 57.
Syzygia 57.
Syzygia perfecta 57.
Syzygia simples 57.
Syzygia composita 57.
Syzygia propingua 57.
Syzzgia remota 57.
Szarvady, Wilhelmine, ge-
borene Clauss 57.
Sz^keli, Imre (Emmerich)
58.
Szymanowska, Marie, ge-
borene Wolowska 58.
474
Verzeicliniss der im zehntea Bande enthaltenen Artikel.
T.
T Seite 58.
T. 58.
Tabala 68.
Tabila 58.
Tabl, auch TäbloderDawul
58.
Table d'harmonie 58.
Taborowsky, Stanislaw 58.
Tabourot, Jean 59.
Tabulatur 59.
Tabuni, auch Psalterionl
genannt 72.
Tacohinardi, Nicolas 72.
Taee, Tacet, Taci 72.
Tacioso 73.
Tact 73.
Tactarten 73.
Taetaccent 77.
Tactarsis 77.
Tactart, s. Tact und Tempo
77.
Tact 77.
Tactglieder 77.
Taothalten 77.
Tactiuversiou, s. Taetum-
kehruug 77.
Tactiren oderTaetschlagen
77.
Tactirstab, Tactirstock 78.
Tactmesser, s.Metrouom 78.
Tactuote 78.
Tactordnung, s. Rhythmo-
pöie und Rhythmus 78.
Tactpause 78.
Tactschlagen.s.Tactiren 78
Tactstriche 78.
Tacttheil, Tacttheile 78.
Tacturakehrung oder Tact-
Inversion 78.
Tactus 78.
Tactzeichen 78.
Tactzeit, s. v. a. Tacttheil
78.
Tadolini, Giovanni 78.
Tadolini, Eugenia 79.
Taebl, s. Tabl 79.
Täglichsbeck, Thomas 79
Tafalla, P. Pedro 80.
Tafelblasen, s. Feldstück 80
Tafel werk 80.
Taffet 80.
Taffin, M. J. D. 80.
Tag, Christian Gotthilf 80.
Tagelied, Tageweise 81.
Taglia, Carl 82.
Taglia, Pietro 82.
Taglietti, Giulio 82.
Taglietti, Luigi 82.
Taillard, Constant l'ainö 83.
Taillasson, Gaillard, gen.
Mathalin od.Mathelin 83.
Taille 83.
Taillerus, Simon 83.
Taki-Goto 83.
Takkay 83.
Takoa 84.
Tal 84.
Talan 84.
Talabardon, Pascal 84.
Talanderius, s. Talhaude-
rius 84.
Talea 84.
Talent 84.
Talesio, Pedro 87.
Talhandier, Petrus 87.
Talian 87.
Talus, Thomas 87.
Taloni, Hieronymus 88.
Tamberlik, Enriko 88.
Tambour de basque. s.
Tambourin 88.
Tambourin 88.
Tarabonrin 88.
Tambourin de Provence 89
Tambourin de Gascogne 89
Tambur, s. Tanbur Seite 89.
Tambur Baglamah 89.
Tambur Bulgkary 89.
Tambur Buzurk 89.
Tambur Charky 89.
Tambur Kebyr-Turky 89.
Tambur Kütschek 89.
Tamburek 89.
Tamburini, Anton 89.
Tamburins 90.
Tamburo 90.
Tamburo rullante 90.
Tämerleiu 90.
Tamitius, Andreas 90.
Tamitius, Johann Gottlieb
90.
Tamplini, Giuseppo 91.
Tancioni, Eugenio 91.
Tamtam 91.
Tanbur und Dambura 91.
Tandolini, Giovanni 91.
Taudolini, Eugenia, gebo-
rene Savorini 92.
Tangenten 92.
Tangenten-Flügel 92.
Tank, Hugo 92.
Tansur, William 92.
Tanto 93.
Tantum ergo 93.
Tanz 93.
Tanzlied 96.
Tanzmusik 98.
Tanzmeistergeige, s. Sack-
geige, Taschen- oder
Poschengeige 102.
Tanzwuth, s. Tarantella,
Tarantismus 102.
Tapia, Giovanni de 102.
Tapia, Martin de 103.
Tapön 103.
Tappert, Wilhelm 103.
Tapray, Jean Fran^ois 103.
Tar 103.
Tare 103.
Taragato-Sip 104.
Tarakawa 104.
Tarantella 104.
Taranteltanz, Tarantismus, j
s. Tarantella 108.
Taratantara 108.
Tarchi, Angelo 108.
Tardando, tardato, tardo
108.
Tardieu 108.
Tarditi, Paolo 109.
Tarditi, Orazio 109.
Tarenne, Georges 109.
Tarisio, Louis 109.
Tarnowsky, Alexander 110,
Taroni, Antonio 110.
Tartaglini, Hippolyt 110.
Tartini, Giuseppo 111.
Taschengeige 114.
Taskin, Pascal 114.
Tastatur 114.
Taste 114.
Tasten- od. Tastaturinstru
mente 115.
Tastenbrett 115.
Tasteugeige, s. Xänarphika
115.
Tasten-Harmonica 115
Tastenschrauben 115.
Tastiera 115.
Tasto solo 115.
Tatto 116.
Taubentanz 116.
Tauber, J. S. 115.
Tauber, Johann Heinrieh
115.
Taubert, Ernst Eduard 115.
Taubert, Gottfried 116.
Taubert, Otto 116.
Taubert, Wilhelm Carl
Gottfried 117.
Taubner, Anton Maurin
119.
Tauleiara Seite 119.
Tausch, Franz 119.
Tausch, Friedrich Wilhelm
119.
Tausch, Julius 119.
Tauscher, J. G. 120,
Tausig, Aloys 120.
Tausig, Carl 120.
Tauwitz, Eduard 121.
Tavares, Manuel 121.
Tavares, Nicola 121.
Tavelli, Luigi 121.
Taverner, Johu 121.
Tayber, Anton 121.
Tayber, Franz 122.
Taylor, Brook 122.
Taylor, Edward 122.
Taylor, Jacob 122.
Taylor, John 123.
Taylor, Richard 123.
Teatro di gran cartello 123
Teatro diurno 123.
Te-Bouni 123.
Techler, David 123.
Technik 123.
Tedeschi, Giovanni, gen.
Amadori 124.
Tedesco Arrigo 124.
Tedesco, L. C. A. 124.
Tedesco, Ignaz Amadeus
124.
Te Deum laudamus 124.
Tegetmeier, Georg 124.
Teghi, Pietro de 124.
Teichmüller, K. W. 124.
Teixeira, Antonio 124.
Teixidor, Don J. 125.
Telegraphie musicale 125.
Telemann, Georg Philipp
125.
Telemann, Georg Michael
128.
Telephanes 128.
Telephon 129.
Teliochord 131.
Teile, Friedrich Wilhelm
131.
Tellefsen, Thomas Dyke
Acland 131.
Teller, Marc 132.
Tellier, Pierre de 132.
Telyn 132.
Tempelhof.Georg Friedrich
132.
Temperatur 132.
Temperatur-Intervalle 138.
Tempestoso 138.
Tempete 138.
Tempo 138.
Tempo 139.
Tempo alla Breve 139.
Tempo alla Semibreve 139.|
Tempobezeichnung 139.
Tempo commodo 139.
Tempo di Ballo 139.
Tempo di Bolero 139.
Tempo di Gavotta 139.
Tempo di Marcia 139.
Tempo di Minuetto 139.
Tempo di Sarabande 139.
Tempo di prima (parte) 139.
Tempo giusto 139.
Tempo l'istesso, s. L'istesso
tempo 139.
Tempo maggiore, s. Tempo
ordiuario 139.
Tempo ordinario, minore,
alla Semibreve 139.
Tempo ordiuario 140.
Tempo primo 140.
Tempo rubato 140.
Temps faible 140.
Temps fort 140.
Tempus 140.
Tempus binarium 140.
Tempus imperfectum 140.
Tempus perfectum 140.
Tempus ternarium Seite
140.
Tempus vacuum 140.
Tenaglia, Antonio Fran-
cesco 140.
Tendrement 140.
Tendueei, Just.Ferdinando
gen. Senesiuo 140.
Teneramente 141.
Tenero 141.
Tenerezza, con tenerezza
141.
Teniers, David 141.
Tenor 141.
Tenorbass, s. Teuorhorn
142.
Tenorbuffo 142.
Tenorclausel, Clausula te-
norizans 142.
Tenor-Cornet 142.
Tenorfagott 142.
Tenorflöte 142.
Tenorhorn 142.
Tenori aouti, s. Alti natu-
rali 143.
Tenorist 148.
Tenorpommer, s. Pommer
143.
Tenorposaune, s. Posaune
143.
Tenorschlüssel 143.
Tenortrompete 143.
Tenortrompetenbass 143.
Tenorviola, s. Altviola 143.
Tenorzeichen, s. Noten-
schlüssel 143.
Tenute 143.
Tenuto 143.
Tenzel, Wilhelm Ernst 143.
Teplov, Grigorei Nikola-
jewicz 143.
Tepouatzli 143.
Tepper von Ferguson 143.
Ter oder Tre 144.
Ter unca 144.
Terana 144.
Terpander 144.
Terpnes 146.
Terpodion 146.
Terpodion (Orgel) 146.
Terpsichore 146.
Terradeglias, Dominico
Barnabas, auch Terra-
dellas 146.
Terrasson, Antoine 147.
Terry, Leonard 147.
Terschak, Adolf 147.
Tertia 147.
Tertia, Tertie, Terz 147.
Tertia conjuuctarum 147.
Tertia divisarum 147.
Tertia excellentium 147.
Tertia modi oder toni 147.
Tertian 147.
Tertie 148.
Terz, Terzie 148.
Terza, Giovanni 148.
Terzdecime 148.
Terzdecimen-Accord 149.
Terzdecimole 149.
Terzett, Terzetto 149.
Terzflöte 149.
Terzi, Giovanni Antonio
149.
Terziani, Gustavo 149.
Terziani, Pietro 150,
Terzo Suono 150.
Terzquart- oder Terzquart-
sext-Accord 150.
Terzquintsext-Accord, s.
Quintsext-Aceord 151.
Tesohner, Melchior 151.
Teschner, Gustav Wilhelm
151.
Tesi-Tramontini, Vittona
153.
Teasarini, Carlo 154.
Verzeicliniss der im zehnten Bande enthaltenen Artikel.
475
Tessier, Carl, Seite 154.
Testa, Domiuico 154.
Testa, Filippo 154.
Testo il veechio 155.
Teste, J. Alphonse 155.
Testo 155.
Testore, CarloGiuseppe 155.
Tcstore, Carlo Antonio 155.
Testore, Paolo Antonio 155.
Testore, Guglieimo 155.
Testori, Carlo Giovanni 155.
Testudo 155.
Testamanzi, P. Francesco
Fabriecio 155.
Tetrachord 156.
Tetracomos 156.
Tetradiapasou 156.
Tetraphouia 156.
Tetrardos Tonus 156.
Tetratouon 156.
Te-tschung 166.
Teuf'elssouate 156.
Tcufelsstimme 156.
Tevo, P. Zacharias 156.
Tewkesbury, John de 156.
Text 157.
Textwiederholnng 160.
Textor, Abel 160.
Textor, üuglielmi 161.
Textor, Joannes, auch Ra-
visius 161.
Teyber, Anton, s. Tayber
161.
Teyber, Franz, s. Tayber
161.
Teyber, Elisabeth, auch
Teuberin 161.
Teyber, Franz 161.
Teylin, s. Telyn 161.
Thabet oder Thabit, beu
Corrah, ben Haroun 161.
Thadewaldt, Hermann 161.
Thalberg, Sigismuud 162.
Thaletas 164.
Thalmaun, Mathieu 165.
Thamyria 165.
Thargelia 165.
Thaut, Thaäut, Theuth,
Thoth, Thoyth 166.
Theaterstil, s. Stil und Oper
166.
Thebanische Harfe 166.
Theodoric, s. Dietrich,
Georg 166.
Theil, vergl. Tacttheil 166.
Theil eines Tonstücks 166.
Theile, Johann 166.
Theile, Johann 166.
Theile, Adam Gottlieb 16S.
Theiltöne, s. Aliquottöne
168.
Theilung, s. Diminutio 168.
Theinred, auch Thinred
und Thanred, David 168.
Thema, Tema 168.
Thematische Arbeit 171.
Theobald, s. Gatti 172.
Theobaldus 172.
Theodoricus, Georgiens
172.
Theodoricus, Sixtus 172.
Theodulfus 172.
Theogerus 172.
Theon von Smyrna (Theo
Smyrnäus) 172.
Theophanes Graptus 173.
Theophrastus 173.
Theorbe, Tiorba, Tuorbe
173.
Theorbenflügel 173.
Theorie der Musik 173.
Terache, Pierre de 175.
Thern, Carl 175.
Thern, Willi und Louis 175
Thesis 176.
Thesselius, Johann 176.
Theuss, Carl Theodor 176.
Theussner, Zacharias, Seite
176.
Th^venard, Gabriel Vincent
176.
Thiasos 176.
Thibault, Franfois 176.
Thibaut, Anton Friedrich
Justus 176.
Thibaut IV. 177.
Thickucsse 177.
Thiebault, Paul Charles
FranQOis Adrien Henri
Dieudonnö 177.
Thiele, Carl Ludwig 177.
Thiele, Eduard 177.
Thiöm^, Frederic 177.
Thierfelder, Albert 178,
Thieriot 178.
Thiers, Jean Baptiste 178.
Thijm, Lambert Alberdingk
178.
Thilo, auch Thielo, Carl
August 179.
Thin-puk 179.
Thoinot-Arbeau 179.
Thoma, Kudolf 180.
Thomaner 180.
Thomas, Bajocensis oder
Bayoua der jüngere 180.
Thomas von Aquino 180.
Thomas, Christian Gottfr.
181.
Thomas, Charles Louis Am-
broise 181.
Thomas, Theodor 183.
Thomoschek, s. Tomaschek
183.
Thomassehule 183.
Thon, Christian Friedrich
Theophil 184.
Thooft, W. E. 184.
Thorbecke, H. 184.
Thorette, Pierre 184.
Thorne, John 184.
Thrane 184.
Thrasyllus, gen. Phliasius
184.
Threni, Threnodie 185.
Thro oder Tarau 185.
Thubal oder Thubalflöte
185.
Thürschmidt, s. Türr-
schmidt 185.
Thür- oder Dachschweller
185.
Thuma, s. Tuma 185.
Thuubass, s. Subbass 185.
Thuringus, eigentlich Thü-
ring, Joachim 185.
Thüring, Johann 185.
Thurm 185.
Thurnund Taxis, Alexander
Ferdinand, Graf von 185.
Thurner, Friedrich Eugen
185.
Thureau, Hermann 186.
Thus, David 186.
Thyard,auchThiard, Ponce
de 186.
Thys, Alphonse 186.
Thys, Auguste 186.
Thyssetius, Benedict 186.
Tibaldi, Carlo 186.
Tibaldi, Constanze 187.
Tibia 187.
Tibia berecynthia 187.
Tibia buxea 187.
Tibia embateria 187.
Tibia gingrina 187.
Tibia siticinum 187.
Tibia tityrina 187.
Tibiae bifores, conjunctae,
geminatae 187.
Tibia hemiopae 187.
Tibia augusta 187.
Tibia aperta 187.
Tibia major, s. Bordun 187.
Tibia sylvestris Seite 187.
Tibia traverso 187.
Tibia vulgaris 187.
Tibia canere 187.
Tibia utricularis 187.
Tibiceues 187.
Tibilustrium 188.
Tiburce, P. Franfois 188.
Tichatscheck, Joseph Alois
188.
Tido, Heinrich 191.
Tiedemanu, Dietrich 191.
Tief 191.
Tiefenbrucker, Caspar, s.
Duiffopruggar 191.
Tieffeubrucker, Leonhard,
Magnus und Wendelin
191.
Tiehsen, Otto 191.
Tielke, Joachim 191.
Tiersch, Otto 191.
Tietjens, Thcrese 191.
Tietz, Hermann 192.
Tietz, Ludwig 192.
Tigriui 193.
Til, Salomon van 192.
Till, Johann Herrmann 192.
Tille 193.
Tilliere, Joseph Bonaven-
tura 193.
Timäus 193.
Timbaiana 193.
Timbales 193.
Timbalier 193.
Timbre 193.
Timbres 193.
Timm, Christian Heinrich
193.
Timoroso 193.
Timothais 193.
Timotheus 193.
Tinctoris, Johannes 195.
Timpani, s. Pauken 197.
Timpanou, Psalterium, s
Hackebrett 197.
Tiugri, Jean Nicolas C6-
lestiu 197.
Tinuazoli, Agostino 197.
Tinti, Salvator 197.
Tintinnabulum 197.
Tinto 197.
Tiorba 197.
Tiraboschi, Girolamo 197.
Tirade 198.
Tirana's oder Tonatilla's
198.
Tiraqueau, Andreas 198.
Tirato 198.
Tira-Tutto 198,
Tir6 198.
Tire 199.
Tischer, Johann Nikolaus
199.
Tischharfe, s. Trigonon 199.
Tisohlinger, Burkhard 199.
Tissot, Pierre Franfois 199.
Tissot, Simon Andrö 199.
Titelouze, Jean 199.
Titl, Anton Emil 199.
Titou du Tillet, Evrard
199.
Tobanello, Felician 200.
Tobi, Florian Joseph 200.
Toccata 200.
Toccatina 202.
Toccato oder Touquet 202.
Tockler, Conrad 202.
Toderini, Giambatista 202.
Todeschiui, Francesco 202.
Todi, Maria Francisca 202.
Todini, Michel 204.
Todt, Johann August Wil-
helm 204.
Todtenmarseh, s. Trauer-
marsch 204.
Todtenpolonaise 204.
Töpfer, Carl 204.
Töpfer, Johann Christian
Carl, Seite 204.
Töpfer, Johann Gottlob 204.
Toerök Sip 207.
Toeschi, Carl Joseph 207.
Toeschi, Carl Theodor 207.
Toeschi, JohannBaptist 207.
Toeschi, Susanna 208.
Tognetti, Francesco 208.
Tolbecque, JohannBaptiste
Joseph 208.
Tolbecque, August Joseph
208.
Tolbecque, August 208.
Tolbecque, Charles Joseph
208.
Toller, Ernst Otto 208.
Tollius, Jacobus 208.
Tollmaun, Joh. 209.
Toloinas, le P. Charles
Pierre Xaver 209.
Tomalinson, Kellom 209.
Tomascheck, Johann Wen-
zel 209.
Tomaselli 210.
Tomasi, Blasius 210.
Tomasini, Luigi 220.
Torabolini, Raphael 210.
Tomeoni Dutillien, Irene
210.
Tomeoni, Florido 210.
Tomeoni, Erminie 211.
Tomeoni, Pelegrino 211.
Tomkins 211.
Tommasi, Pater Joseph
Maria 211.
Tommasi, Giovanni Batista
212.
Tonassi, Pietro 212.
Ton 212.
Tonabstand 217.
Tonale Fuge, Fuga tonale,
in tona, de! tuono 217.
Tonart 217.
Tonarion 231.
Tonatillas 231.
Tonbeuennungen 231.
Tonbezeichnende Note, s.
Leitton 231.
Tonbezirk, s. Tongrenzen
231.
Tonbildung 231.
Tondichter 243.
Tone, Extensio 244.
Tonemptindung 244.
Tonentfernung, s. v. a. In-
tervall 247.
Tonfall 247.
Tonfarbe 247.
Tonfolge 247.
Tonführung, Tongang, Ton-
fortschreitung 247.
Tonfuge (Fuge im Ton) 247.
Tonfuss, s. Versfuss 247.
Tongepräge 247.
Tongeschlecht 247.
Tongrenzen 248.
Tonhöhe 248.
Tonika 248.
Toni ficti, tuoni traspor-
tati 249.
Tonisch 249.
Tonischer Accord 249.
Tonischer Dreiklaug 249.
Tonische Harmonie 249.
Tonini, Bernardo 249.
Tonkunde 249.
Tonkunst 249.
Tonkünstler 249.
Tonleiter 249.
Tonleiterübung 254.
Tonlöcher 254.
Tonmaass 254.
Tonmalerei 254.
Tonmesser 267.
Tonmessung 267.
Tonnani, Alessandro 269.
476
Verzeichniss der im zehnten Bande enthaltenen Artikel.
Tonolini, Giovanni Battiste| Tossarelli, Pietro Seite 275,
Seite 269. I Tosto, b. Piü tosto 275.
Tonometer, s. Sonometeri Tottmaun, Albert 275.
269. 'Touche 275.
Tononi, Carlo Antonio 269.1 Touchard-Lafosse, G. 275.
Tononi, Feiice 269.
Tononi, Giovanni 269.
Tonoplast 269.
Touospsyehagogia 269.
Tonordnung 269.
Tonotechnie 269.
Tonqualität 269.
Tons du cor et la trom-
pette 269.
Tonscheu (Hyper acnsis)
270.
I Touchemoulin, Joseph 275.
1 Toujours lie 276.
j Toulmon, Auguste Bottee
de, s. Bott^e de Toulmon
276.
Toulouse, Pierre 276.
Touquet, s. Toccate 276.
Tour, Jehan, auch Jehannet
oder Jehannott de la 276.
Tour, Jean la, s. Latonr 276.
Tournebout 276.
Tonschluss, Tonfall, Ca- Tourte 276.
denz, Cadenza, Cadence,
s. Cadenz 270.
Tonschreibmaschine 270.
Tonschrift, Tonzeichen, s.
Notenschrift 270.
Tonsetzer 270.
Tonsetzkuust 270.
Tonsprache 270.
Tonstufe, s. Klangstufe 271.
Tonsystem 271.
Tonumfang, s. Tongrenzen
und Umfang 271.
Tonus 271.
Tonus 271.
Tonus primus 271.
Tonus secundus 271.
Tonus tertius 271.
Tonus quartus 271.
Tonns regularis 271.
Tonus irregularis 271.
Tonus mixtus 271.
Tonus imperfectus 271.
Tonus perfectus 271.
Tonus plusquamperfeetus
271.
Tonus faber 271.
Tonverbindung 271.
Touverhältuiss, s. Verhält-
niss 271.
Tonverweehslung, s. Enhar-
raouisch 271.
Tonverziehung 271.
Tonverzierung, s. Verzie-
rung 272.
Tonwechselmaschine 272.
Tonweite, s. Ambitus und
Intervall 272.
Tonwerkzeuge 272.
Tonsor, Michel 272.
Tonzeichen, s. Mensural-
musik, Neumen, Noten-
schrift, Tabulatur 272.
Toomerce 272.
Toph, s. Adufe 272.
Torcellus, s. Sanuto 272.
Torelli, Gasparo 272.
Torem, Giuseppe 272.
Torelli, Luigi 272.
Tori oder Torri 272.
Torkesey, Johann 273.
Torlez (...) 273.
Torlez 273.
Tornabocca, Pascal 273.
Torner, JosephNieolaus273.
Tornioli, Marco Antonio
273.
Torrebe oder Torrhebe 273.
Torres, Melchior de 273.
Torres Martinez Bravo, Don
Joäo de 273.
Torrian, Jehan 273.
Torriani, Giov. Antonio 273.
Torropil 273.
Torti, auch Torto, Luigi
273.
Toscano, Nicola 274.
Tosi, Giuseppe Feiice 274.
Tosi, Pietro Francesco 274.
Tosone, Matteo 274.
Tosoni, Giuseppe 274.
Tourte, Fran9ois 276.
Tourterelle, s. Herdliska
277.
Tourti 277.
Toutareh 277.
Touzö 278.
Tovar, Francesco 278,
Towsend, John 278.
Tozzi, Antonio 278.
Trabacci, Giovanuo Maria
278.
Trabattone, Egidio 278.
Trabattoue, Bartolomeo
278.
Tractur 278.
Tractus 278.
Traditi, Paolo 278.
Traeg, Andreas 279.
Traeg, Anton 279.
Traeg, Johann 279.
Träger 279.
Träger 279.
Traetta, Tomaso 279.
Tragen der Stimme, Portar
la voce, s. Portamento
280.
Tragische Oper 280.
Trahcier 280.
Traine 280.
Trait 280.
Trait de chant 280.
Trait d'harmonie 280.
Trajaneen 280.
Trampeli, Christian Wil-
helm 281.
Trampeli, Johann Gottlob
281.
Trampeli, Johann Paul 281.
Tranquillamente 231.
Tranquillo 281.
Transchel, Christoph 281.
Transcription 281.
Transitio 282.
Transitns 282.
Transitus irregularis 282.
Transitus regularis 282.
Transponiren 282.
Transponirende Instru-
mente 286.
Transpositeur 286.
Transposition 286.
Transpositionsscalen 286.
Transpositum systema 287.
Trascinando 287.
Trasuntino, Vito, auch
Guido Trasuntin 287.
Trauermarsch 287.
Trautmaun, Heinrich 287.
Trautweiu, Traugott 287.
Travenol, Louis 288.
Travers, John 288.
Traversa, Gioachimo 288.
Traversenbass 288.
Traversiere 288.
Traxdorf, Heinrich, auch
Drassdorff, Gasdorf 288.
Tre 288.
Trebelli, Zelia 289.
Trebs, Heinrich Nicolaus
289.
Treffen Seite 289.
Trefl'übungen 289.
Treiben der Töne 292.
Treiber, Johann Friedrich
292.
Treiber, Johann Philipp
292.
Trem. 292.
Tremando 292.
Tremblement 292.
Tremolando 292.
Tremolo 292.
Tremulant 292.
Tremoliren 293.
Tremoliren 293.
Trento, Vittorio 293.
Trepodion oder Terpodion
294.
Tresti, Flaminio 294.
Treu, Abadias 294.
Treu, Daniel Theophil,
auch Daniele Teofile Fi-
dele genannt 294.
Treubluth, Joh. Friedrich
294.
Trevelyan 295.
Triaden 295.
Trial, Autoine 295.
Triäl, Armand Emanuel 295.
Trial, Jean Claude 295.
Trial, Marie Jeanue Milon
296.
Triangel 296.
Trias, Triade 297.
Trias anarmonica, Triade
anarmouique 297.
Trias aucta 297.
Trias deficiens 297.
Trias diffusa 297.
Trias harmonica, Triade
harmonique 297.
Trias harmonica major, na-
turalis, perfecta 297.
Trias harmonica minor,
mollis, imperfecta 297.
Trias manca 297.
Trias superflua 297.
Tribrachys 297.
Tricarico, Giuseppe 297.
Tricca-ballacca 297.
Trichord 297.
Trichter 297.
Trichterförmiges Corpus
297.
Trichterregal 297.
Trichterschnarrwerk 297.
Tricinium, triples cantns
297.
Triklir, auch Trickler, Jean
298.
Triebensce, Joseph 298.
Triebert, Charles Louis 298.
Triemer, Johann Sebald
298.
Trieraulus 299.
Triest 299.
Trigonistria 299.
Trigonou 299.
Trille-Labarre, s. Labarre
299.
Triller, Trillo, Gruppo,
Groppo, Tremblement
299.
Trillerkette 306.
Trillo, 8. Triller 306.
Trillo caprino 306.
Trimeles 306.
Trinciavelli 306.
Trinklied 307.
Trio 307.
Trio für Orgel 307.
Trio beim Walzer 307.
Triole 308.
Trionfante 308.
Tripedisono 309.
Tripelfuge 309.
Tripelnoten 309.
Tripeltaet, Tripola, Tripla
Seite 309.
Triphon 309.
Triplum 309.
Triple de 9 pour 4 309.
Triple de 9 pour 8 310.
Triple de 6 pour 4 310.
Triple de 6 pour 8 310.
Triple de 12 pour 8 310.
Triple de 12 pour 16 310.
Tripola Crometta oder ot-
tina 310.
Tripola maggiore 310.
Tripola minor 310.
Tripola picciola 310.
Tripola semi crometta od.
di Semicrome 310.
Trippenbaeh, Martin 310.
Trisemitonium 310.
Trite 310.
Trite Diezeugmenon, Tertia
divisarum 310.
Trite Hyperbolaeon, Tertia
excelleutium 310.
Trite Synemmenon, Tertia
conjunctarum 310.
Tritonus, Tritono 310.
Tritouius, Petrus 310.
Tritonshorn (Murex trito-
nis L.) 310.
Irittharfe 311.
Tritto, Dominico 311.
Tritto, Giacomo 311.
Trittsehuh 311.
Tritus 311.
Trochaeus 311.
Trössler, Bernhard 311.
Trofeo, Eoger 311.
Trois deux 311.
Trois huit 311.
Trois quatrc 311.
Trois seize 311.
Trois un 311.
Trojano, Anton 311,
Trojano, Joannis 311.
Trojano, Massimo 312.
Tromba, Guglietto 312.
Tromba 312.
Tromba mariua 312.
Tromba sorda 312.
Trombare 312.
Trombata, trombettata 312.
Trombe 312.
Trombetti, Ascanio 312.
Trombetti, Augustin 312.
Trombettiere 312.
Tromboncino 312.
Tromboncino, Bartolomeo
313.
Trombone 313.
Trombone d'Alto 313.
Trombone di Basso 313.
Trombone grande 313.
Trombone grosso 313.
Trombone maggiore 313.
Trombone piecolo 313.
Trombone di Tenore 313.
Tromlitz, Johann Georg
313.
Trommel 313.
Trommelbass 314.
Trommelfell 315.
Trommelklöppel 315.
Trommelleine 315.
Trommelschleifen 315.
Trommelschlag 315.
Tromraelstöcke, s. Trom-
melklöppel 316.
Trommeten, s. Trompeten
315.
Trommeten, s. Schlecht-
blasen 315.
Trompeo, Bened. 315
Trompete 315.
Trompete, Tromba, Cla-
rino 316.
Trompet-Marine 317.
Verzeichniss der im zehnten Bande enthaltenen Artikel.
477
Trompetenfest Seite 317.
Trompeteiiseif^e 317.
Trompeter 317.
Tronci, Philipp uud Auton
319.
Troparium 319.
Tropea, Giacomo 319.
Tropen, Tropus 319.
Tropus 319.
Tropi 319.
Tropiansky, Constantius
319.
Troppo 320.
Troschel, Wilhelm 320.
Trost, Caspar 320.
Trost, Gottfried Heinrieh
320.
Trost, Johann Caspar 320
Trost, Johann Caspar 320.
Troubadours, Trobadors
320.
Troupenas, Kuarene 323.
Trousseau, Armand 323.
Trouvers 323.
Trovadore 323.
Trovatore 323.
Truebensee, s. Triebensee
323.
Truffcadenz, Trugschluss
323.
Trnhn, Friedrich Hierony-
nuis 321.
Trumscheit 326.
Truscone, Etrnscone 326.
Trnska, Simon Joseph 326.
Trutoren 327.
Trydel 327.
Tsai-yu 327.
Tsang-kou 327.
Tschajkowsky, Peter 327.
Tsche 328.
Tschengr oder Cheng 328.
Tschibuisga 329.
Tschirch 329.
Tschireh, Adolph 329.
Tschirch, Ernst Lebrecht
329.
Tschirch, Herman 329.
Tschirch, Julius 329.
Tschirch, Rudolph 329.
Tschirch, Wilhelm 329.
Tschortsch, Johann Georg
330.
Tschott 330.
Tschoun^tou 330.
Tseltselira 330.
Tsudsumi 330.
Tu 330.
Tuba 330.
Tuba ductilis 331.
Tuba hercoteetonica 331.
Tuba marina oder Tromba
marina 331.
Tuba tympanodis 331.
Tnbal, Thubal oder Tubal
flöte 331.
Tubal, A. 331.
Tubel, Christian Theophil
331.
Tubicen, pl. Tubicines 332.
Tuch, Heinrich Agathon
Gottlieb 332.
Tucher, Christian Karl
Gottlieb von 332.
Tucker, William 333.
Tuczek- Herrenburg, Leo-
poldine 333.
Tudway, Thomas 333
Tulou, Jean Louis 333.
Tulou, Jean Pierre 334.
Turbry, Fran9ois Laurent
Hubert 334.
Türk, Daniel Theophil 334.
Türkische Becken, Piatti,
Cinelli, s. Becken 335.
Türkische Jlusik 335.
Türkische Musik 349.
Türrsehmidt, Karl Seite 349-
Türrsehniidt, Karl Nieolaus
349.
Türrschmidt, Auguste, ge-
borene Braun 350.
Tuyaux 350.
Tuma, Franz 350.
Tumeri 350.
Tumultuoso 350.
Tunder, Franciscus 350.
Tunstede, Simon, auch
Tunsted 350.
Tuoni trasportati 350.
Tuppah 350.
Turanyi, Carl von 350.
Turato, Antonio Maria 350.
Turbator Chori, s. Chor-
störer 351.
Turbae 351.
Turea, alla turca 351.
Turcas, Joseph Franfois
Chrysosthome 351.
Turchant, Ilermannus 351.
Turco, Giovanni del 351.
Turges, Edmund 351.
Turini, Fernando 351.
Turini, Francesco 351.
Turini, Gregorio 351.
Turley, Johann Tobias 352.
Turlui-ette 352
Turnbull, John 352.
Turner, William 352.
Turnhout, Gerard de 353.
Turnhout, Jean, eigentlich
de Turnhout 353.
Tusch. Touche 353.
Tutta la forza 354.
Tutte corde 354.
Tutti 354.
Twinuing, Thomas 354.
Ty 355.
Tye, Christopher 355.
Tylman Susato, oftTileman,
auch Thielemann genannt
355.
Tympanischiza 357.
Tyrapauismos 357.
Tympani coperti 357.
Tympanist 357.
Tympanum 357.
Tympanum bellicum 357.
Tyrolerlieder 357.
Tyrolienne 357.
Tyrrhenische Flöte 357.
Tyrrhenische Trompete 357
Tyrtäus 357.
Tyttler, William 358.
Tzamen, Thomas 358.
Tzwejoel, Theodorich 358.
u.
U 358.
U. C. 358.
U. S. 358.
Ubald, s. Hucbald 358.
Ubaldi, Carlo 358.
Ubaldus, s. Hucbald 359.
Über, Christian Benjamin
359.
über, Alexander 359.
über, Christian Friedrieh
Hermann 359.
überti, s. Hubert 360.
TIberti, Grazioso 360.
Uccelli, Mad. Carolina, ge-
borene Pazzini 360.
Uccellini, Dom. Marco 360.
Ud, auch Eud (vergl.Eloud)
360.
Udalsehalk vonMaissac 360.
Udukai 360.
Uebelklang 360.
Ueberblasen 361.
Ueberbläsig 301.
Uebergallen 361.
Uebergang, Transition Seite
361.
Uebergehung der Auflösung!
361. i
Ueberladen 362. i
Ueberl^e, Felix Wilhelm
Adalbert 363.
üeberleitung 363.
Ueberlcgen 364.
Uebermässig, superfluum
364.
XTebermässige Prime 364.
Uebermässige Quart, quarta
superflua, auch Tritonus
364.
Uebermässige Quint, quinta
superflua 364.
Uebermässige Secunde, se-
cunda superflua 364.
Uebermässiger Dreiklang,
Trias superflua 364.
Uebermässiger Sextaccord
364.
Uebermässiger Terzquart-
accord 365.
üeberschlag, s. Ueberwurf
365.
Ueborschlagen 365.
Ueberschlasren 365.
Ueberschlagende Haue 365
Uebersetzen 365.
Uebersinger 366.
Ueber- und Untersteigen
366.
Uebertheilendes Verhält-
niss, Batio superpartiens
367.
Uebertheiliges Verhältniss,
Ratio superparticularis
367.
Ueberwurf oderUeberschlag
367.
Ueberziehen 367.
Uebungen 367.
Ugab, Ugabh 368.
Ugherio, Pompeo 368.
Ugolino, Blasins 368.
Ugolino, auch Ugoliui 368.
Ugolino. Vincenzo, auch
Hugelinus 368.
Uhde, Johann Otto 368.
Ul-hieu und Sanhieu 369.
Ullbischefi", s. Oulibischefl"
369.
ülich, Johann 369.
Ulloa, Pedro 369.
Ulrich, Carl Ernst Her-
mann 369.
Ulrich, Eduard 369.
Ulrich, Hugo 369.
Ultima 371.
Ultima eonjunctarum 371.
Ultima divisarum 371.
Ultima excellentium 371.
Umbreit, Carl Theophil 371.
Umfang 371.
Umfang der Singstimme372.
Umgekehrt 375.
Umkehrung 375.
Umkehrung der Accorde
375.
Umkehrung der Intervalle
376.
Umkehrungsformen 376
Umlauf, Ignaz 385.
Umlauf, Michael 385.
Umstimmen 385.
Umwendender Notenblätter
385.
Un 386.
Un pochettini 386,
Un poco 386.
Un poco Adagio 386.
Un poco Allegretto 386.
Un poco crescendo 386.
Un poco decrescendo 386.
Un poco dimiaueudo 386,
Un poco lento Seite 386.
Un poco ritardando 386.
Un poco piü 386.
Un poco piü lento 386.
Unabhängige Töne 386.
Una corda 386.
Uuaufliörlicher Canon 387.
Unbegleitetes Recitativ 387.
Unbewegliche Töne, soni
stantcs, s. Tetraehord387.
Unbeziflerter Bass, s. Be-
zifferung, Generalbass u.
Orgelstimme 387.
Unca oder Fusa 387.
Unda maris 387.
Undecime, Undecima 387.
Undecimenaccord 387.
Undecimole 389.
Unechte Accorde, Schein-
oder Quasi-Accorde 390.
Uneigentliche Dissonanz
390.
üneiffentliche Dreiklänge
390.
Uneigentliche Fuge 390.
Unendlicher Canon (canon
infinitus perpetuus) 390.
Ungarische Musik 390.
Ungarischer Werbungstanz,
s. Verbunkos 401.
Unger Caroline 401.
Unger, Johann Friedrich
401.
Ungerader Tact, s. Tact 401.
Ungerade Töne 401.
Ungestrichen oderklein401.
Ungher, Carlotta, s. Unger,
Caroline 402.
Ungleicher Contrapunkt,
Contrapunctus inaequalis
402.
Ungleichschwebende Tem-
peraturen, s, Temperatur
402.
UnharraonischerQuerstand,
s. Querstaud 403.
Unichordum 403.
Unisono 402.
Unisonus 403.
Unitamente 403.
Unregelmässige Cadenz 403.
Unregelmässiger Durch-
gang, Transitus irregu-
jaris 404.
Unrein 404.
Unterarme 405.
Unterbass 405.
Unterbrochene Cadenz 405.
Unterciavier, Unterwerk,
Untermanual 405.
ünterdominant, Quarta toni
405.
Untergeschobene Accorde
oder Stammaccorde 406.
Untergeschobener Ton 406.
Unterhalbton, Semitonium,
Subsemitonium modi 407.
Unterhaltungsmusik 408.
Unterlabium 411.
Unterlage 411.
Unterlegen 411.
Unterlegen des Textes 411.
Unterleisten- Labien oder
Kastenbart 412.
Unterleitton 412.
Uutermediante 412.
Unterricht in derMusik 412.
Untersatz 424.
Unterschlag 424.
Untersetzen 424.
Unterstimme 424.
Untertasten 424.
Unterziehen 424.
Unveränderlichervorschlag
425.
Unvollkommene Consonan-
zen 425.
478
Verzeichniss der im zehnten Bande enthaltenen Artikel.
Unvollkommener Ganz-
schluss Seite 426.
Vnzelmann, s. Bethmann
426.
Unzer, Johann August 426.
Uomo 426.
Upmark, N. 426.
Urania 427.
Uranikon 427.
Uranien 427.
Urban, Christian 427.
Urban, Friedrieh Julius 427.
Urban, Heinrich 428,
Urbani (...) 428.
Urbano 428.
Urena, Pedro d', auch
Uregna 428.
Urfey, Thomas d' 428.
Urhan, Chretien 428.
Ur-hin 429.
Urio, Francesco Antonio
429.
Urmelodie 429.
Ureari 430.
Urseubeck e Massimi 430,
Ursillo, Fabio 430.
Ursini, Joachim 430.
Ursprung der Musik 430.
Ursprünglich 437.
Ursprüngliche Töne 438.
U. s. 438.
Uso, usus, auch Chresis
438.
Usper, Francesco 438.
Ut 438.
Ut bemol 438.
Ut diese 438.
Ut diese mineur 438.
Ut fa 438.
Ut re 438.
Ut re mi fa so la 438.
Utremifasollarii 438.
Utricularius 438.
Ut supra 438.
Uthe, Joh. Andreas 438.
Uttendal, auch Uttenthal
und Uttendaler, Alexan-
der 438.
Uttini, Francesco 439.
V.
V. Seite 439.
f 439.
Vaceai, Nicolo 439.
Vaccari, Francesco 440.
Vacchetti, Giovanni Bat-
tista 440.
Vaceto 441.
Vacher, Pierre Jean, oder
Levacher 441.
Vachon, Pierre 441.
Vaelrant, Hubert, s. Wael-
rant 441.
Vaet, Jaeobus 441.
Väterehen 442.
Vagans, Quinta vos 442.
Vague 442,
Vaisselius, Matthieu, s
Waisselius 442.
Valabreque, s. Catalani 442.
Valderravano, Enriquez de
442.
Valdesturla, s. Schicht 443.
Valente, Antonio 443.
Valente, Saverio 443.
Valentini, Carlo 443.
Valentini, Domeuico 443.
Valeutini, Giovanni 443.
Valentini, Giovanni 444.
Valentini, Giuseppe 444.
Valeutini, Pietro Francesco
444.
Valentinstanz 445.
Valeruod, Abbe Marie Ele-
azar de 445.
Valesi, Johann Evangelist,
eigentlich Wallershauser
445.
Valgulio, Carlo 445.
Valhadolid, Fraucisco de
445.
Valla, Georgia 445.
Vallade, Joh. Baptist Anton
446.
Vallaperta, Giuseppe 446.
Vallara, P.Francesco Marie
446.
Valle, P. Guglielmo della
Seite 446.
Valle, Pietro della 447.
Vallerius, s. Wallerius 447.
Vallet, Nicolas 447.
Vallisnieri, Antonio 447.
Valle, Dominico 447.
Valotti, Francesco Antonio
447.
Valls, Francisco 448.
Valor notarum 448.
Valsal va,AntonioMaria 448.
Valse, s. Walzer 449.
Van Boom, Johann E. G.
449.
Van Boom, Johann 449.
Van Buggenhout, Emil 449.
Van denÄcker, Johann 449
Van denBroeck, Othon449
Van den Gheyn, Matthias
450.
Vander Borght, Natalis
Christian 450.
Vander Does, Carl 450.
Vander Doodt, Johann Bap
tist 451.
Vander Hagen, Amand Jean
Franfois Joseph 451.
Vander Meulen, Servals 451
Vander Monde 451.
Vander Plancken, Charles
452.
Vander Straetten, Edmond
452.
Van Elewyck, Xaver 453.
Van GeeraerdsbergUe, Jo'
hann 453.
Van Hall, s. Wanhall 454
Van Hecke, auch Vaneek
454.
Van Hülst, Felix Alexandre
454.
Van Maldere, Pietro 454.
Vannacci, Pietro 454.
Vannaretti, Pater Francesco
454.
Vanneo, StefFano, lateinisch
Vannaeus 454.
Vannini, P.Bernardino 455.
Vannini, Elias Seite 455.
Vanini, Francesea 455.
Vanos, Albert 455.
Van Peteghem, Peter 455.
Van Peteghem, Egide Fran-
fois 455.
Van Peteghem, Lambert Be-
noit 455.
Van Peteghem, Pierre Pran-
fois 465.
Vau Peteghem, Pierre 455.
Van Peteghem, Maximilian
455.
Varenius, Alanus 455.
Varese, Fabio 455.
Vargas, Urban de 456.
Variationen, Variazioni
(Tema con Variazioni)
456.
Variato 461.
Varuey, Pierre Joseph Al-
phonse 461.
Varoti, Michele 462.
Vasen 462.
Vasquez, s. Vazquez 462.
Vaticau, s. Sixtinische Ka-
pelle 462.
Vatri, Reu6 462.
Vaucansou, Jacques de 462.
Vaudeville 462.
Vaupullaire 463.
Vausenville, s. Koberger
de V. 463.
Vavasseur, Nicolas le 463.
Vayanakol 463.
Vazquez, D. Joäo 463.
Vc. 463.
Vecchi, Orazio 463,
Vecchi, Orfeo 467.
Vecchi, Lorenzo 468.
teeoli, Pietro 468.
Vecoli, Eegolo 468.
Veemente 468.
Veeseumeyer, Georg 468.
Veggio, Claudio 468.
Veiehtner, Franz Adam 468.
Veit, Emil Alexander 468.
Veit, Wenzel Heinrieh 469.
Veitstanz 469.
Druck von Metzger & Witt ig in Leipzig.
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