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2)ct§ 9^ec^)t ber Überfeijmtg tfi Vorbehalten.
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Jtran? Xtsjt
6ew § 6 e et C
6 er ^Snrf wo fear.
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M unter allen fünften be§ 9taumS unb ber
ßeit bie Xonfunft oljne grage bie bettorsugtefte
ber ©egemoart, jo fann es nidft SBunber nehmen,
toenn aud) bie grauen, benen unfre fortfdjret=
tenbe Qät eine nmdjfenbe 33ett)ätignng am öffent»
licken Seben einräumt, fid) an ber pflege berfelben
neuerbiitgS emfig Beteiligen . 3ft bod) bie SRufif
rett eigerttlit bie ®unft be§ ©emiitfjS, fpridjt fie
bod) wie feine anbere bie Seele ber Seele ans.
2Iuf frei fdjöpferifdjem ©ebiet jmar barf fidj ber
weibliche ©eniuS nur befdj eibener ©rfolge rühmen.
®ie eigentlich geftaltenbe Straft , bie Spontaneität
ber ©rfinbung unb beS combinatorifcfien SSermögenS
fdfeinen ifjm, menn nidjt oöllig oerfagt , fo bot
in jn fargem SUJafje oon ber Statur »erliefen, um
mirflid) grofje , fjeroorragenbe Seiftungen in biefer
Stidjtung nitf)t tton oornljerein auSjuf d) liefen.
&
&
VII
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Seine ©omponiftin fiat je epodjemadienb ober gar
bahnbredjenb gemirft, feine ihren SEBeg burcf) um
»ergängfidje Saaten bezeichnet. So »erhängnifj*
»off eS aber für bie grauen erfd^eint , tpre §anb
na cf) jenen am f)öd)ften madjfenben mufifafifdien
2 or beeren ans§rtftrecferr , ein um fo ergiebigeres
9tuf)meSfefb bietet fid) ihnen als auSübe nben
Sünftferinnen bar. 3n bie fperrfdjaft über bie
Stimme unb einzelne Snftrumente tfjeifen fie fid)
»offberedjtigt mit bem ftarfen ©efdjledjt, unb am
©fa»ier zumal, bem mobernen SiebfingSinftrument,
auf bem fie fefbftänbiger unb unabhängiger als
auf jebem anbern ifjre Sunft geftenb ju machen »er=
mögen, ringen fie »ereint mit jenem um bie ißafme.
5fn Steife ber bie Sbee repräfentirenben Sompofi»
tion, eröffnet fid) ihnen in .ber bie SBermirffidjung
berfefben »ertretenben SSirtuofität ein unbeftrittener
SßirfungSfreiS. 9fidjt afS ob ifjnen innerhalb bie=
feS festeren jebe fdjöpferifdie Xhätigfeit benommen
fei. 8m ©egentpeif. „®er 23irtuoS", — fo formm
firt Sigjt, ber größte aller SSirtuofen, feine $or=
berung an benfefben — „fcpeinbar nur Interpret
eines fremben SßerfeS, muff, inbem er burcp bie
SDarftetfungSf orm , bie er einem gegebenen Stoff
»erfeipt, baS Sbeaf nad^fcfiafft , mefcpeS berfefbe
feiner Seele »orpieft, eben fo fepr ißoet fein mie
M
w
SDMer uttb 23ilb£)auer, bie ja aud) gleicfjfant bie
Statur nur in tfjrer SiBeife öortragen, gewiffermafjett
au§ ben üftotenbüctjern be§ Sd)öpfer§ tiom Statt
fingen. . . Stidjt paffitie Wienerin ber ßompofition
ift bie Sirtuofität, benn »on it)rem §aud)e fjängt
Sieben nnb Stob be§ itjr antiertrauten getriebenen
ftunftwerfeS ab ; fie fann e§ int ©tanj feiner
Sdjönfjeit, grifcfje, Segeifterung wiebergeben, ober
es tierbretjen, tierunfdjönen, entftelten. Sie SJiaterei
ift feine fnedjtifdje ftofflidje Steprobuction ber 9ia*
tur, nnb eben fo tierfjätt fidj bie SSirtuofität jur
erfinbenben Sonfunft. . . Set Sänger, ber burdj
baS SBort genau beftimntten Stusbrud wieberp*
geben tjat , barf ba§ tnenfdb)ltdE)e Sßort fo wenig
wie ber Porträtmaler ben ptjpfioguomifdjen 2tu§=
brud in grober ©enauigfeit wiebergeben. Seibe
Ijaben fid) mit bem ©fjarafter ber Perfon — beS
2ßort§ — ba§ fie tiergegenwärtigen fotten, p
burdjbringen, um ifjrer Interpretation ba§ Sieget
geiftiger SBa^rtjett aufpbrüden."
Sorübergetjenb wie bie ©egenwart freitief) ift,
im ©egenfaij p bem für bie Sfadjwett fdjaffenben
ßomponiften, Sinter, fötaler, Sitbner, Strdjiteften,
bes SSirtuofen Stufgabe, ob if)m aud) fein anbereS
Problem at§ jenen tiom ,,©ott ber ®unft, ber aud)
be§ 3Bettatt§ ©ott ift", gefegt warb. Um fo ge*
'S*.
M
IX
W~ — “ as
rechtfertigter gewifj erfcf)eint e§, uns (auf ©rmtb
authentifcffen, non ben ©efdfitberten faft ausnahms*
tos fetbft empfangenen SOlateriat§) bie SBtlber ber
fjerüorragenbften Äünftterinuen unferer Xage, beren
©aben nur für un§, bie SJiitmett, leben unb bie
bie ©päterfommenben nur au§ ber ßeitgenoffen
ßeugnif? fennen werben, ju ü er a n f c£) a nt i cf) en unb
ihnen, benen „bie 9iad)wett feine dränge flicht",
ben 3°ff unfere§ ®artfes in feiten 5U entrichten.
October 1882.
Xa läara.
fe.
M
F
3 n 1) ö 1 1.
Seite
(Slara @d)umann 1
@ofie Center 19
21nna SD^eJjIig 33
3)lat9 43
$auline gidjtner=(Srbmann3börfer 55
Saura ^a^rer^appolbt 75
Sityelntine (Oaub^anmbt) 89
Arabella ©obbetrb 99
(Srifa 2ie=9?iffen 109
Sngeborg üon 23ronfart 125
Annette (gffipoff^Sefd^etigft) 145
$era Sitnanoff 161
2Büma 9?eruba=^orman 177
$auline 2>iarbot=©arcia 187
S)efiree 5Xrtot 213
gelia £rebelli 233
21belina $atti 249
(Sfyriftine ^iBfon^ougaub 273
Sftarie 2öüt 287
Amalie Soadjim 313
^aultne 2ucca 325
Marianne 23ranbt * . . 347
Sdjerefe SBogl 367
21malte 9Jfaterna 379
&
XI
*
w
ps^^lir finb im Kemanbljau^faale ju Seidig. Sie
berühmten claffifc^en SDtufifraume prangen
tjeute — mirfdjreibenben 24. Dctober 1878
— in Weiterem Seflglan^e* Krün^ unb 93lu*
rnengeminbe fangen fjernieber; umfränjt fielen Kla*
merfeffel nnb glügel, unb bie alte Snfd^rift ju Raupten
be§ Drdjefterg, ba$ »Res severa est verum’ gaudium«
fietjt einem feftlicf) erregten Sßublifum in § 9tngeficf)t.
2Bem tno£)I bie feltene freier gilt? Ser Koncertjettel,
ber tjeute and) ein geftgemanb angelegt unb neben
bem lorbeergefdjmüdten Soppelmebaißon Stöbert unb
Klara @d)umann’3 bie 3;af)re3äaI)Ien 1828 unb 1878
nennt, giebt barauf SIntmort : Klara Sd)it man it’§
gotbene^ ®ünftt er Jubiläum begehen mir* Sa ift fie
fetber, bie (Gefeierte ! Sa3 £>aupt mit bem milben fiu*
nenben 2tu3brud ein menig geneigt, ba§ §aar tmm
erften Steif be§ 2eben3minter3 ftfjon geftreift, fo grüfd
fie ein taufenbftimmiger Subeiruf , ein SSIumeitregen
ofjne Knbe. $n biefer SShtmenfpenbe, biefent $ubeR
ruf fafd ba§ mufifaüfdje Seipjig feinen San! für bie
Kaben eiltet falben 3aljrf)unbert§ jufamnten* Stimmt
e3 un£ SSunber, menn bie SSegeifterung jept jur fetten
flamme auflobert?
3üt)ft bie nod) immer a fö Krfte iljreä Kleicben
oeretjrte ®ünftlertn, bie, non bem SoppeInimbu£ ber
fjinterlaffenen Kattin unb ®unftgefät)rtin eineg unferer
&L. ■ ' M
3
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getiebteften Sonbidjter umftoffen, Bott unBertümmerter
Üraft unb ©nergie nodj if)re§ Berufes waltet, bie
ebetften Schöpfungen unferer Swngenien in reinem
Sichte wieberäuftrapten, nicf»t Bon je ju ben beBorjug»
teften (Säften im (Sewanbpaufe? Unb ift fie nicEjt oben*
brein nacp (Seburt unb ©rjiepung ein Seipjiger ®inb?
|>at bie alte SOtufifftabt nic^t iljre ©inbpeit unb
Sugenb, ihr erfte§ Siebet unb ©hegtücf, Wie bie ©nt»
wicftung ihrer ®ünftterfcf)aft mit angefeljen unb er»
fcfjeint fomit at§ berufenfte ,3eugtn it)rer fünftterifchen
SSefenpeit unb ihrer £riumppe?
9tocp jenfeit§ ber mufifatifcpen (Stansperiobe Seif»5
jig§, bie fie peranfommen feilen, mit burcpteben unb
fcbmücten helfen fottte, fiel atterbing§ ©tara’§ (Seburt.
SBefcf) eibenere 33tiiten nur trieb ba§ SJtufif leben bafetbft,
at§ fie am 13. September 1819 bem befannten ©ta=
Bierpäbagogen griebricp SBiecf at§ erfte§ ®inb in bie
SSiege gelegt warb. ®er SSater fetbft, ber, feine ©ar»
riere at§ |>au§Iehrer beginnenb, eine mufifatifcpe $n»
ftrmnentenpanbtung unb Seipanftatt am Drt begrünbet
patte unb überbem at§ ©lauierteprer tpätig War, patf
an feinem Steile bie mufifatifcpe S3itbung in Seipjig
förbern. SSon ipnt unb feiner erften (Sattin, SDiarianne
geb. Xromtil , bie atö ©taBierfpieterin unb Sängerin
in ben (Sewanbpauöconcerten wieberpott unb erfolg»
reicE) ipr Sicpt teucpten tiefj — fie nermäptte fid^ fpäter
nact) erfolgter Trennung Bon ipm mit bem Sötufif»
teurer S3argiet in Berlin, bem SSäter be§ ©omponiften
SSotbemar SSargiel , wäprenb SSietf mit ©tementine
gecpner in Seipjig einen ^weiten ©pebunb fc£)Io§, bem
bie ^ianiftin SOlarie SSSiecf *) entftammt — erbte ©tara
*) £)iefelbe mürbe fcom 93ater, mit bem fie bi$ ju feinem $obe in
$>teSben §ufammenlebte, gleid)faü$ $ut ßünjHerin auSgebilbet. 3n
cutcfj bie tonfünftlerifdje Begabung. SBäfirenb itjrer
aKererften 2ebenSjaf)re geigte fie freilidj feine fonber*
ficken Slnlagen. Saunt aber 0 erriet!) fie, fünf !yaf)re
alt, muftfalifdfeS f£alent, als ifjr SSater fie fofort in
feine fünftlerifdfe gucfjt naf)m unb nacf) ber if)m eigen*
tfjümlicfjen ämecfmäffigen 9ftetf)obe mit fo glücflic|em
©rfolge im ©laöierfpiel unterrichtete , baff fie bereits
nacf) tiier Safjren ©oncerte tion ÜDiojart unb Hummel
ausmenbig mit Drcf)efter ju fielen öermocfjte unb ben
erften ©cfmitt in bie Öffentlicfifeit magen burfte. Sn
einem ©oticert ber ißianiftin Sßertlfaler aus ®raj, am
20. October 1828, erfdfien bie Sfteunjäfjrige gum erften
ÜOiale in bem berühmten SJiufiffaale i^rer Sßaterftabt,
um mit Salfbrenner’S öierljänbigen SSariationen über
einen Sliarf cf) aus „SDtofeS“ (Op. 94) ju bebütiren. @ie
trug biefetben , in ©emeinfcfjaft mit ©milie 9teicf)olb,
einer Schülerin ifjreS 23aterS, laut einem S3ericf)t ber
„3ftfgemeinen mufifalifcfjen Leitung" üom Stoüember
1828 „mit allgemeinem unb üerbientem SSeifatt" tior,
unb bie Sritif äufjerte an gleicher ©teile über jene erfte
Seiftung : „Unter ber Seitung itjreS mufif erfahrenen,
bie Sunft beS fßianofortefpiels moI)I tierftelfenben unb
bafür mit Siebe fef)r tfjätigen S3aterS bürfen mir tmn
ifjr bie größten Hoffnungen liegen.“
Um bie $eit if)rer ©rftlingSerfolge mar eS, als
Dtobert ©cf)umann — SEUufifer im Herren, feines
SeicfjenS aber bajumal nod) ©tubent ber 9tecfjte —
jnerft in ilfr Seben trat unb, burcf) itjre üirtuofen
Seiftungen befeuert, iljren SSater um feinen Unterricht
bat. ßum erften ÜDtal begegneten fic^ it)re ©cf)icffalS*
feinem <3inne päbagogifd) mirfenb, fjat fie fic^ burd) Verausgabe feiner
(Stubien, mie burd) ^unftreifen in 2)eutfd?Ianb, föu^anb, (Sngtanb,
ffranfreid), Statten befannt gemalt unb tturbe in ben testen Sauren
namentlid) in £)änemarX, ©d)foeben unb üttormegen t?ieXfacf? gefeiert.
M
w
ftcrne. ®odj junädjft nur borübergefjenb, ba ber SRutter
(Sebot, bie gortfefzung feiner juriftifcEjen Stubieu ber=
tangenb , Schumann int fJrütjjatjr 1 829 nad) tpeibet»
Berg trieb. Slnberttjatb 3at)r fpäter aber, nachbem
ihm injtbifchen 28ied’§ Autorität jum (Srreidjen feiner
SBünfdje nnb (Sr f affen be§ erfet)nten &ünftterberuf§
bertjotfen, lehrte er, unbbie§mat bauernb, wieber nnb
niftete fidf at§ fein tpau§genoffe fo nah at§ ntöglid) bei
feinem Söleifter feft. *) (Sr brachte mehr ber jugenbtid)
frifdjett (Stemente nnb mit ihnen eine neue poetifdje
Seben§ftrömung in ba§ einem fünftterifdjen Söerfefjr
gafttidj offen ftetjenbe tpau§ — getbifj eine mot)(tt)ätige
Anregung für (Stara , bie oott ber eifernen tpanb be§
üßater§ ftreng genug geführt marb. SieSlnftrengungen
ber Arbeit lernte fie frühzeitig lennen. So lang ihre
phpfifctjen Kräfte ausreichten tpett man fie am (Stabier
feft. 3U ©pieten unb (Srbotungen, mie fie fonft ba§
SinbeSgemütt) ergötzen, lieh man ihr fo toenig ÜDhifze,
bah fie, toie Si§jt in feinem poefiebotten 9tuffa£ über
(Stara Schumann erjä^tt, **) fetbft bie furjen Slugett*
btide, trenn fie ihre Siebtinge , junge Kätzchen, an
benett fie befonbere§ SBofdgefatten hotte, einmal tieb=
fofte, fid) heimlich hinter be§ 2$ater§ dtüden abftehten
muhte. „®urdj biete§ Spielen ober üietmehr trotz be§
bieten Spietenä", fagt Si§Jt, „aber ertoudjg it)r juteüt
ftatt Überbruh, toie man e§ moht glauben möchte, bas
innere SSerftänbnih beffen, ma§ fie fpiette. SSott ba
au berfudjte ihr ®eift immer höher tu bie geheimen
^Regionen ber ißoefie auftoärtd ju bringen."
3u improbifiren unb componiren hotte (Stara fdjon
*) ©ine au^Qcfü^rterc Scbcnöffijje Robert ©cfyumann’S fiefyc in:
ßa OJtara, TOuftfal. ©tuMcnföpfe. I. 5. Qlufl. Seidig, ©törniM
unt> ©untrer.
**) ©cf. ©Triften, IV. Seidig, 25reitfopf unb gärtet. .1882.
im jepntett Snt)re angefangen. ©ompofitionSuuter*
ricpt beim i£t)oma§cantor Sßeintig unb fpäter bei §ein=
rief) Sorn gab it)rem ftf>öp>ferifc£)en Srieb 9taf)rung unb
Regelung. (Sin Xt)ema öon itjr liegt bereits einem
ber frülfeften SBerfe iRobert Stf)uinann’§ (ben Sw=
promptuS Op. 5) ju (Srunbe — ba§ erfte .ßeicfjen fei*
ner ibeetten Hinneigung §u ipr , wetdfeS nadf aufsen
brang.
„Sa icf) Seute fenne", fcfireibt er 1833 üon itfr,
„bie fidj fd)on auf ba§ nädjfte SRat freuen, Wenn fie
eben ©tara gehört Ratten, fo frag’ idf, Wa§ bemt ba§
Sntereffe für fie fo tauge näf)r.t? Sft ba§ 3ßunber=
finb, über beffen Secimenfpannungen man ben Sopf
fdjüttett, obwot)! oerwunbert — finb e§ bie fcfjwierigften
Sdjwierigfeiten, bie fie fpietenb atS ©(umcnfetten in’S
ißubtifum jurüdfdjtingt — ift eS oietteicfjt einiger Stotj,
mit bem bie Stabt auf bie ©angeborene fietjt — ift'eS
baS, baff fie uns baS Sntereffantefte ber jüitgften Seit
oorfüfjrt in fürjefter? — Set) weif? eS nicf)t: icfi meine
aber einfach, eS ift ber (Seift, ber jwingt." Unb an
aitberer Stette tjeijft e§: „Sie 30g frü^jeitig ben Sfi§*
febteier ab. SaS Sittb fiet)t rüf)ig auf, — ber ältere
SRenfct) würbe üietteicEjt am (Statt 5 erbtinben.“
Sodj itictjt Sdfumann unb Seipjig allein freuten
fief) an ©tara’S aufbtüljenber Sünftterfdfaft ; Später
ÜSiect fäumte niefjt , feinem ®inbe bie 2Bett unb ber
Sßett fein ®inb ju geigen. Sie @lfj;ät)rige fcf)on fütjrt
er f)inauS ttnb befriebigt berichtet er in bie Heimat*)
„weites Stttffefjen" fie unb er fetber at§ if)r SBitbner itt
SreSben madfen. „Stber ict) bin ängfttief)", fügt er
f)inju, „baff bie ©f)rett unb StuSjeidjnungen auf ©tara
*) t>. 3K cjd) g ne t , 3t- ÜBiccf unt> feine 6eiien Södjtei. Seipjifl,
9JUttf)e$, 1 S75.
k - . ^
ST
einen fc^Iitrtmen Kinfluß üben fönnten. 3Jterfe icf)
etmag 3tad)tf)eiligeg, fo reife icf) fogteirf) ab, bamit fie
mieber in bürgerliche Drbitung fommt ; benn icf) bin
ju ftolj auf ihre 9fnfprucfj§Iofigfeit itnb oertaufcße bie=
felbe um feine @hre ber SSelt."
3m näcfjften 3af)re (1831 — 32) geht eg meiter
nach SBeimar, ®affel, graitffurt a. 31t. unb Parig.
„34 hoffe Klara foü ung feine Scpanbe in Parig
machen,“ tieifst eg in einem ung üorliegeuben unge=
brucften Briefe Sßied’g an feinen bort lebenben Sclima*
ger, SOtafer Sechser (aug Gaffel, Dom 17. 3toüember
1831 batirt). „®ie Urtßeile Spol)r’g unb üieler an*
beren ebfen unb u n p a r t ei i f cf) e n Senner , mo ber fürcf)=
terlicfje 3teib feine Stoße fpielt — bringe ich oHe mit
unb mir maßen nun fefjen, mag Kßopin, pijig,
fpünten, Salfbrenner u. 21. ju einer mufifalifchen
pianiftin (icf) habe nie eine gefannt außer ber üerftor*
benen Spgmanomgfa in Petergburg) fagen merben,
bie in ber großartigen gielb’fchen Schule ebenfo üon
mir auggebifbet morben, afg in ber SBieiter unb neue»
ften franjöfifcf)en, bie üerhältnißmäßig eben fo gut
oom SBlatt fpielt, Partituren lieft, pfjantafirt unb
componirt."
3n SBeimar faßt ©oetf>e — mie früher in Seipgig
fc£)on Paganini, ber ißm eine gfanjenbe $ufunft meif*
fagte — ein tiefeg 3«tereffe für bag munberbare Sinb .
3um ®anf für bie greube, bie ißm ißr (Spiel bereitet,
fenbet er „ber geiftreichen Klara SSiecE“ fein SBilb. 3n
Gaffel lernen fie Spoßr, in Parig, tion mo fie bie
Kpolera nur ju f cf) ne 11 oertreibt, 211ejanber oon §um*
bolbt, 33tenbelgfof)n, Slteperbeer, Salfbreitner unb ben
eben bort concertirenben Kljopin fennen.
gür beg Seigeren Kompofitionen faßte SSiecf üon
21nbeginn ein fo lebßafteg 3ntereffe , baß er in üer*
fdfiebenen mufifalifehen Seitfehriften eine S'ritif, ober
tote er feXbft fagt, eine äftfeetifche Stljapfobie über Op. 2
beröffentticf)te. 2)ie§ Sariationenloerf unb anbere
(Schöpfungen be§ polnifehen 3tomantifer§ machte Gltara
juerft in roeiteren Greifen befannt. Auch Seetl)oben’§
Sonaten, Sach unb Stenbelöfohn nimmt fie nun in
ihr ©oncertrepertoire auf, ba§ fidf bisher im SBefent»
liehen auf Srabourftücfe bon §erj, Jftaifbrenner, SDto»
freies befchränft hatte. Um bei SRieffdj ©efang, bei
©apellmeifter Steiniger Snftrumentation jtt treiben,
nahm fie 1833 einen ha^jät)t:tgen Aufenthalt in
Sreöben, too fie u. A. bie Sefanntfcfeaft mit ber fie in
hohem Sftafee begeifternben Sdjröber=2)ebrient , bie
fcfion in ihrem ©oncert in ißari§ mitgetoirft hatte, er*
nente ; bann liefe fie fict) in ihrer Saterftabt mit Seriot
unb Sauline ©arcia gemeinsam hören. ®en ©rften
unb ©röfeeften in ihrer ®unft burfte fie, bie Sugenb»
licfee , fiel) fdfon gefeüen. Salb pflücfte fie ficb) in
Serlin unter Spontini’ö ©önnerfchaft, halb in Sariö,
halb in Sra9 unb ÜBien neue Sorbeeren. SÖteinte
9teHftab, ber allmächtige feitifer ber preufeifefeen
£>auptftabt, auch bebauernb : „Schabe, bafe fie in beit
|)änbeu eine§ Saterö liegt, ber folrften Unfinn bon
Kfeopin fpielen läfet", ba§ „bebeutenbe latent“ ber
Spielerin mufete er hoch anerfemten. Auch 3eti§ be*
ftätigt, melcf)’ „lebhafte Senfation" fie an ber Seine er»
regte. Unb an ber Sonau boüenbö feierte fie Siege
über^ Siege. ®ie ®aiferin bon Defterreid) ernannte
fie ju iferer Sammerbirtuofin — eine @hre - bic biö
baffen noch feiner Auölänberin toiberfalfeen war — unb
bie Ariftofratie jog fie begierig in ihre Greife. „£ie
Soeten", bezeugt Si§jt, ber fie hörte, „erfannten in
biefer anmutfeigen ©rfdfeinung eine Tochter ihres
Saterlanbeg. Sie ftreuten S^len unb ©efättge bor
k M
fie f)tn unb feierten biefen 93enjamin it)re§ Stammet,
ber, mit fdjmeifenbem getfttraüen 93Iid umfjerfdjauenb,
feltfam lädjelnb einer fdjmeigenben -Jiajabe glidj , bie
im Sanbe ber fßrofa fidj unfjeimtid) fütjlt*" ©o befang
©rtttpanjer fie itnb itjren SSortrag boit 93eetf)oben’3
F-moll-@onate:
„Kin Sunbermann, ber Seit, be§ Sebent fatt,
©d)tof3 feine ßauber grollenb ein
3n feftnerraabrtem, bemantbartem ©darein,
Unb raarf ben ©djliiffel in ba§ 9)ieer unb ftarb.
©ie äftenfdjlein müben ftc^ gefdjäftig ab, —
Itmfonft! fein ©perrjeug löft ba3 Ijarte ©cblofi
Unb feine gauber fdflafen rate ibr Reiftet.
(Sin ©djäferfinb, am ©tranb be£ $tere§ fpielenb,
©ieb)t ju ber baftig unberufnen Sagb.
©inmrall, gebanfenlo£, raie üttäbdfen ftnb,
©entt fie bie raeifjen ginger in bie glut
Unb fajst unb bebt unb bat’3. — K3 ift ber ©dflüffel !
Stuf fpringt fte, auf, mit böber’n §er^en§f plagen:
©er ©djrein blintt raie au3 klugen ibr entgegen.
©er ©dflüffel pajü, ber ©edel fliegt, ©ie Keifter,
©te fteigen auf unb fenten bienenb fid)
©er anmutbreidjen, unfd)ulb3t)olIen §errin,
©ie fte mit weiten gingern fpielenb lenft."
®a§ mar Klara 2ßied’» letzte SKäbdjenreife. Um
mibcrftef)tid), übermädjtig mar bie feit langem gemeint
gehaltene Siebe jmifdjen if)r unb Robert ©dfumann
rnittlermeile an» ©ageälidjt getreten* ®aj3 er in
it)r feine SJhtfe gefunbett, ba3 berrietfjen fd)on bie
©djmärmbriefe an „Kfjiarina" in ber bon iljnt gegrünt
beten „Plenen ^eitfcfjrift für SKufil"; bie „®abib^
bünblertänse", ber „Kantebal", bie Fis-moll-®onate,
bie „Sreigleriana", bie „£mntore3fe", bie „-Jiobetletten"
10
w
unb „SRadEjtftüdEe" gaben eg tötteitb oor alter SBelt fmtb
unb erjätjtten eg Sebent, ber jn hören uerftanb nnb
ber „inneren Stimme" laufdjte. Unb Klara t)atte bent
füllen äftattn mit bem tief gegrünbeten Sicfjtergemüth
ihr §erj gefdjenft; fie mar fein, trotj beg heftigen
Sinfprud)g beg Saterg, ber fein ®leinob mit eifere
füchtigen Süden hütete unb non einer Serbinbung
Seiber, ba er it)re gufuuft nicht genügenb gefiebert
glaubte, nur unter ber Sebingung eineg längeren
2luffcf)ubg etmag t)ören mollte. 2Bie tonnte gleidjmol)!
fein SSille trennen nnb augeinanber Ratten, mag fid)
bod) unaufhaltfam ju einen trachtete, mag bie Statur
felber für einanber beftimmt nnb gefdjaffen I)atte?
©d)merjltd)e Sümpfe tonnte er ben Seiben motjl bereit
ten, feinen ©egen tonnte er ber äBa^I feineg Sinbeg
oermeigern; aber er tonnte nicht tjinbern, baf$ fie enb=
lief) ®anf bent Seiftanb ber ©erid)te erreichten, mag
er felber ihnen ^artnäcEig oorentljielt, baf$ fie otjne
feinen ©egen jurn Slltare traten. Stt'bcr Sirdje ju
©d)önefelb bei Seidig, ant 12. September beg S(*hre£
1840, empfing it)r Sunb bie SSeifje Don oben. Unb
ber ©egeit beg ^pimmelg mettigfteng fehlte ihrer Sl)e
nicht.
„Shre ®efd)ide", fagt Sigjt, „erfüllten fid) in
biefer unter bem ©egengftrahl ber Sitnft erblühten
gegenfeitigen Siebe unb fortan „„lebte er bichtenb unb
fie bidjtete lebenb."" Kg mar feine gliidlidjere, feine
harmonifdjere Sereinigung in ber Sunftmelt benfbar,
alg bie beg erfinbenben SJtanneg mit ber augführenbett
©attin, beg bie Sbee reprafentirenben Komponiften
mit ber iljre Sermirflidjung uertretenben Sirtitofiit.
Seibe übten bieSmtft nach oerfdjiebetten aber gleich be*
beutenbeit Dichtungen aug. Suterpreten begfelbeit poc*
tifefjen ©efühlg, flauten unb oerfüitbcten fie bagfetbe
11
SSorltilb be§ Scfjönen , maren fie üon bemfetben 9tb=
fd^eu gegen Sriöiate§ in berSunft, üon berfelben <£f>r=
furdjt für gleiche (Sigenfcpaften erfüllt. £>anb in §anb
getjenb, trugen fie gleiche dränge unb gleiche ißatmen,
ernteten fie gleichen 23eifatt ; benn ipn ober fie bettmn*
bern Reifst SSeibe bettmnbern , bie in üerfcpiebenen
jungen aber int bjerrlidEjften (Sinftang fangen. Sie
Stnnaten ber Sunft tnerben SSeiber ©ebädjtnijj in feiner
83ejief)ung trennen unb ifjre kanten nicfjt tiereinjett
nennen fönnen, biegufunft tnirb mit einem golbnen
Schein beibe Häupter umtoeben , über beiben (Stirnen
nur einen Stern erglänzen taffen, mie and) ein be*
rütjmter Söilbner unferer Beit*) bie Profite be§ um
fterblicfien ißaareg fdjon in einem SJiebailton öer*
einigt pat. "
SSatb gaben fie üon bem nacf) langen Sümpfen
errungenen ©lüd banfbar aucp nacp aufjen Sunbe.
§atte er ipr furj jutior fcpon feine erften Sieber, bie
„SJtprtpen", at§ föftticpe Srautgabe bargebradjt , fo
fangen fie nun öereint bie „Btnölf ©efänge au§
9tüifert’§ SiebeSfrüpting" (Op. 37), bie erften berebten
Beugen ipre§ jungen (Spegtüifö , bie ipnen ber Sicpter
fetber mit bem poetifcpen Sanfelgrufj topnte:
„Sang ift’8, tang,
@eit tc() meinen SiebeSfrüpling fang;
lus ^erjensbrang,
SBie er entfprang,
23erflang in ©infamfeit ber fiiang.
Sroansig 3apr
Sßurben’g, ba f)ört’ id) E»ier unb bar
®er SBogelfcpaar
*) tfUetfcper.
= M
12
Sinen, ber flar
$fiff einen £on; ber bortl)er mar.
Unb nun gar
$ommt im einunbsroansigften 3af)r
Sin SBogetpaar,
SD^ac^t erft mir flar,
S)a(3 nidjt ein £on verloren mar.
9Reine Sieber
©ingt Ujr mieber,
$D?ein Smpfinben
klingt if)r mieber,
9Mn ®efüf)l
33efdjraingt ifjr mieber,
deinen grüfjling
bringt if)r mieber,
SDftcfj, mie fdjön
Verjüngt ifjr mieber.
Sftefymt meinen 2)anf, menn aud) bie SDßelt,
Sie mir einft, ifjren norentplt !"
2ln eigenen ©omüofitionen — nteift für ©lattier
unb ©efang , bod) barunter an dj ein ©oncert mit 0r*
cfjefter, ein Xrio unb ^omansen für $ianoforte unb
©eige — neröffentlitfjte ©lara int Saufe ber $eit
23 opera unb einiget ofjne DpuSjaljl ©rfdjienene* *)
*) 3m Sanken (laut 51. SDorffet) ftolgenbeS :
Op. 1. 4 Polonaises p. Pfte. Seidig, £ofmeifter.
Op. 2. Caprices en forme de Valses p. Pfte. Sbenb.
Op. 3. Romance variee p. Pfte. Sbenb.
Op. 4. Yalses romantiques p. Pfte. (Sbenb.
Op. 5. 4 Pieces caracteristiques p. Pfte. Sbenb.
2)arau$ „^eyentanj". 2öien, £a$Unger.
Op. 6. Soirees musicales p. Pfte. Seipjtg, £ofmcifter.
£occatina — 23attabe — Nocturne — ^otonaifc —
2 SDtajurfaS.
k
13
316er and) ba£, ma§ if)r ©atte fdfuf, bnrdflebte fie
treutid) mit if)m, unb an feinem Streben nad) bem
tpödfften nat)m fie Xlfeit. „<St mar iffr" — mie gerbi*
nanb Ritter in bemegter Siebe am ©rdbe Stöbert @d)u=
mann’3 bezeugte — „mie ber Xodjter berSSater, mie
ber Sörartt ber Bräutigam , mie bem Siinger ber
SDteifter, mie bem ©laubigen ber ^eilige." 3tl§ tiebe=
ootte SSermittterin ftanb fie jmifdjen bem in feine
Op. 7. ©rfie3 (Soncert (A-moll) f. Vfte. m. Drd). (Stent.
Op. 8. Variations de concert (Pirat de Bellini) p. Pfte.
SBien, §>a3tinger.
Op. 9. Souvenir de Vienne. Impromptu p. Pfte. SÖien, ©pina.
Op. 10. ©d)er^o f. ^3ftc. Seipjig, Vreitfopf unb Partei.
Op. 11. 3 Romances p. Pfte. VBien, ©pina.
Op. 12. 3 ©ebid)te au3 Dtütfert’3 Siebe^früfyting für 1 ©ingftimme
m. Vfte. Seipjig, VreifEopf unb Partei.
(QIucE> in 9tob. ©djumann’S Op. 37 beröffentt.
Op. 13. 6 Sieber f. 1 ©ingft. m. Vfte. (Sbenb.
Op. 14. 2me Scherzo p. Pfte. ©benb.
Op. 15. 4 Pieces fugitives p. Pfte. ©benb.
Op. 16. 3 Vrätubien unb $ugen f. Jßpe. ©benb.
Op. 17. £rio f. tßfte. , Viol. u. Vcetl. (G-moll) ©benb.
Op.’ 19 I iinb niä?t wWemn-
Op. 20. Variationen über ein $tjema bon Dt ob. ©djumann f. fßfte.
Op. 21. 3 Vornamen f. Vfte. ©benb. [©benb.
Op. 22. 3 Otoman$en f. 9ßfte. u. Violine. ©benb.
Öp. 23. 6 Sieber au3 3ucunbe bon Otoftet f. 1 ©ingft. mit fßfte.
©benb. ,
©abenjen $u Veettjoben’S ©tabierconcerten Op. 37 unb 58. Seip^ig,
fftieter*Viebermann.
„Siebe3$auber" bon ©eibet für 1 ©ingftimme m. Vianoforte. Seip$ig,
©djubertf) u. ©o.
Sinbante u. VEegro f. Vfte. ©benb.
„Stm ©tranb" f. 1 ©ingft. m. Vftc. ©benb.
'SDie bei Vreüfopf unb §ärtel in Scipjig erfdjeinenbe ©efantmt*
auSgabe ber Sßerfe Otobert ©ejumann’^ mirb bon ©tara
fyerauSgegeben, unb aud) mit einer Viograpbie tfyreö beworbenen ©atten
ift fie feit ben testen 3af)ten befcfyäftigt.
w
bräunt» unb ©ebantenwett oertieften, fchweigfamcn
Spanne itnb bem praftifcfjen Seben , ber Stuffenwett.
Bon ber ftilten tpeimftätte, bie fie fidf atg SDtittetjnmft
harntonifchen bänglichen ©tiicfg juuächft in Seidig,
bann in (Sregben — oon 1844 feig 1850 — unb jit-
te|tin (Süffetborf gegrünbet, 30g fie i£)tt and) jeit=
toeitig mit in’s SBeite |inau§; in Stufftanb, wie in ben
üerfdjiebenften ©egenben ®eutfcE)tanbg, öfterreid)§ unb
betrieb ertaube, a ((erwarte (Jriumphe mit if)m feiernb.
(Sur cf) feinen ©eniug empfing ber ifjre feine eigenttidffte
hödjfte 2Beit)e. SBeit über bag, wag ©tara SBiecf einft war,
Wud)g ©tara Schumann hittaug. Stng ber „lieblichen
üötufenffnetgenoffin warb eine weitjetiofte , treu pffiefe =
tige rtnb ftrenge fßriefterin." Sie offenbarte ber SBett,
Wag in feiner Seele erftungen , unb raftete nicht, big
fie feinen tieffinnigen Etaüierbichtungen ein immer atfe
gemeinereg SSerftänbnifä erfdftoffen. So war ifjre @t)e
ein gegenfeitigeg fetigeg ©eben unb Stehmen , fo War
ihre ©röfse fein, feine Slnerfennitng ihr SSerbienft.
konnte eg im !3tthre 1846, aig Beibe SBien befugten,
wie fpangtief erg䣻£t , noch gefcEjeljen , baff man Oon
ihm nur atg Oon bem „SDtann ber ©tara SBied" fpradj
unb bei einem tpofconcert ficfi eine hohe Sßerfon nach
©tara’g ißrobuction mit ber hutböotten $rage an ihren
©atten wanbte : „Sinb Sie auch mufifatifdfj?" fo lernte
bie SBett , Sanf ber treuen ©attin Bemühungen , affe
malig erfennen, wa§ fie in ihm befafj.
Unb bem erwählten Berufe blieb ©tara treu in guten
Wie in böfen (Jagen. 2ttg wertige 3fahre nad)bem
Stöbert Schumann fein bigfjerigeg oorwiegenb freieg
®ünftterteben gegen eine amtliche SBirlfamfeit in
(Sitffetborf ocrtaufdfjte, ftdf im gebruar 1854 an ihm
bag furdftbarfte ©efd)id erfüllte, atg Sranffieit beg
ßeibeg unb ber Seete ben reichen ©eift in geffetn
ÄL
M
15
w
fcfitug, bi§ nad) jtoei trauriger Suf)re grift ber mit=,
leibigeSob ba§ umnad)tete®afein enbete, ba erhob fid)
bie Sdfmerjgebeugte „mit ber 2Biüen§ftärfe berSJtutter,
mit ber Vegeifterung ber ®ünftlerin , mit ber unge*
brochenen Siebe p bem ©ahingefchiebenen", um ba§
ißriefterttjum feiner Sunft in feinem Sinne p bollen*
ben. 2ll§ feine SSittme, bie if)r §eim bon ©üffelborf
medffelnb nad) Verlin (bon 1857—1861), nad)
Vaben=Vaben (bis 1873), fobann tbieber nach Verlin
(bi§ 1878) unb enblid) nach $rantfurt a. ber=
legte, mo fie nod) gegentoärtig an ber ^od^’fcEjeit |>od)=
fd)ule für SJtufil ixnterric£)tet , trat fie bon neuem in
bie 28elt.
„SSenn fie ben ©reifuff be§ Tempels befteigt" —
fo hören mir Si§jt fie fcfjilbern — „fpridjt nid^t mehr
bad SSeib p un§. Sie unterhält un§ al§ ®id)terin
meber bon irbifdjer 8eibenfd)aft unb ftürmifd)em ®antpf
menfd)lid)er @efd)ide, nod) überzeugt fie un§ burd) bie
®üt)nl)eit ihrer SInreben, unb nod) meniger bemirbt fie
fic^ um Sympathien. (Sine untermürfige, glaubend
unb efjrfurd)t§bode ©emeilfte be§ bel^tjifc^en ©otteS,
bient fie mit fdjauernber ©emiffen§treue feinem (Sul*
tu§. 3üternb, and) nur ein Sota be§ p fünbenben
Sprud)e§ p berlieren , eine Sylbe falfdj p betonen
unb fo pr fd)ulbigen, trügerifcben Snterpretin p
merben, bepingt fie it»r eigene^ ©efüb)I. ®ie Orale!
al§ unbefted)lid)e Vermittlerin unb treue Stu§legerin
p berfünben, entfagt fie ben eigenen (Singebungen.
Unb fo febjr ift fie bott 9Inbad)t beherrfcpt, baf) ba§ be=
meglidjere menfdflidje (Slement bor biefer objectiben
Snterpretation ber Snnft faft gänjlid) prüdtritt. ®a=
gegen mirb SUemanb itjr ben Vorrang in ber ergrei=
fenben SBappit abgeminnen, mit meldier fie bie burd)
botleS Verftänbnif) geheiligten SJteifter borträgt."
& M
16
p— -w
„Selten wirb wieber wie fie eine grau ihr ganzes
inneres Seben in bie ®unft übertragen, um nur noch
in ihrem (Gebiet ju fügten unb ju genießen. (Sine bor»
wurfsfreie SSottenbuttg cfjarafterifirt {eben Xon biefer
fanften teibenben Sibylle, bie, §immefsbüfte att»=
menb, mit ber (Srbe nur noch burch ihre £t)ränen ber»
bunben bleibt." Unb an anberer Stelle heilst eS : ,,©S
finb fd)on öfter Söemerfungen über bie ©ewiffent>aftig=
feit gemacht worben , mit Wetter grau Schumann itjr
öffentliches Auftreten borbereitet : Wie fie bie %a*
ftatur burchfpürt, wie fte jeben £on prüft, beffen
Wenn and) richtiger ®fang hoch bie gewoffte fftefonanj
unb gärbung nicht bottftänbig t»ergiebt ; Wie fie forgt,
baff ihr Sih nicht um baS Oeringfte ju f)oc^ ober ju
niebrig fei ; Wie fie nicht allein fange Stunben auf bem
ißiano , baS fie fpiefen fott , übt , um affe feine gein»
heiten, Schwächen nnb SSorjüge fennen ju fernen, fon»
bern womögfid) in bem betreffenben Sofafe fefbft ihre
Übungen madht, nur um abjufaufdjen wie in beffen
Sffuftif jeberSfccorb, jebeS Slrpeggio, jebeS ShtfchWeffen
unb 2fbnehmen ber Sonffuten wirft. 3Bir fönnen
barin nur eine -Jiothwenbigfeit ihres SBefenS fetjen,
eine Sottfequenj ihrer äftetfwbe , ihrer Sluffaffung bon
Üt'unft, 33erufS treue unb Schwierigfeit ber fünftferifchen
SebenSaufgabe erbficfen. Sie erlaubten ihr nicht, ihrer
bon ber (Sunft beS SfugenbfidS unb jufäffiger Stirn»
mung abhängigen perfönfichen SSegeifterung ju ber»
trauen; fie überzeugten fie biefmehr, baff , um ber
SBürbe ber S'unft treu ju Bleiben, man ju jebem ihrer
gefte mit bemfefben (Srnft , mit berfefben SCßeilje
fchreiten muff. gn jeber tpinfidjt mafeffoS , ift fie
burdf anbauernbe Sorgfaft, (Snergie beS SBitfenS nnb
aScetifdfe Eingebung ju einer ÜJteifterfdjaft gefangt,
bie fie gewiffermaffen afs unfehlbar ftempeft."
Sfc- ^
ßa IDiara, 6tut>ienföpfe. V. 17
2
w
„Stnbere bicEjten — fie ift eine ®icf)tung“, fdjreibt
©djumann bon Slara, beredter mit Sftedjt nac£)rüfimt,
baff fie inmitten oder Sriumpfje ftet§ ba§ „einfache,
waitirijaftigfte, edjtefte Sßeib, bie aufopfernbfte SJtntter,
bie getreue greunbin“ bleibe. SBerlioj nennt fie bie
„@rfte unb ©injige", unb 2i§§t fügt |inju : „SBenn
aucfj SJiete metjr Särm machen, SBenige geben fo biet
SDlufif." Siafjejn brei Satjrjetwte finb bergangen, feit
Si§jt jene SBorte fdjrieb ; aber fie fjaben Üjnen nidjtS
bon itjrer boHen (Rettung geraubt. 9It§ bie berufenfte
SSermittferin ber unter ifjren Stugen entftanbenen, biel*
facf) für fie fetber gebauten unb burdj fie admätig
populär geworbenen ©dwpfungen i£>re§ (Satten wie
ber ctaffifdjen ÜDteifterWerfe bemunbern wir fie nod)
f»eute unb eljren unb lieben in if»r mit £>an§ bon
23ütoW’§ Sßorten bie „nod) immer unenttljronte Königin
ber (£tabierfpieterinnen."
&. SB
18
2
w
fcE) eint burdf ©tara Schumann bie ältere
ißianiftenfcbule auf ba§ ^eröorragenbfte
repräfentirt , fo nimmt unter ben SSer=
treterinneu ber mobernen Schute (Sofie
ßjtenter bie erfte Stelle ein. §at ihr botf) bie
£)öc£)fte pianiftifcbe Autorität ber SBett , granj SiSjt,
ben oberften Slang juerlannt. Xurcfj nnb burcb ntufi*
fatifdjen Staturettö , if)r ganje§ Sehen nur an ihrem
^nftrument oerbringenb, mit aß’ ihren Sntereffen
einzig ber ®unft, ber fie ficb getoibmet, jugemanbt,
ßat fie, mie mob't leine anbere ihrer ©taöierfdfmeftern,
fidj einzig in biefer concentrirt, if»r gefammte§ ©e=
nnitt)ä5 nnb @eifte§teben auSfctßiefiticb in if»r aufgeben
taffen. „ Sofie SDtenter ift ba§ ©tatiier fetber. Stidft
fie fpiett ba§ ©tatiier, fonbern ba§ ©tatiier fpiett fie",
foß, toenn ber ißarif er »Voltaire« (188 1) recht berichtet,
Siäjt über feine Siebting§ = ©tatiiertocfjter geäußert
haben. Spiet in ber t£bat ift ihr jebe tecbnifcbe
Scfjmierigleit, nnb märe e§ bie unerbörtefte, fie fpottet
ihrer, mie bie ©tafticität nnb nie oerfagenbe S'raft
ihrer £anb jegticher SInftrengung fpottet. ©ine big
in’§ ©injetnfte ptaftifcb auSgemeiffette ’Xec^nil , ein
männlicher ©rnft in Söemättigung bes geiftigen XbeitS
ihrer Stufgaben, babei ißoefie unb SSärme ber ©m=
pfinbung, ©tanj unb Sener ber Xarfteßung, ein bin*
- &
21
reifjenbe§ Temperament, ba§ aucp Beim füpnften Sicp»
gepentaffen ber Scpönpeit nnb ber 2tnmutp feine
(Srenje ecpt meibticp nie Berührt nnb üornepm ftet§ bie
äußere fftupe maprt, ein großer, urträftiger gug ber
SSirtuofität , ber, miberfprucpStiott genug, mit Scpo»
nung be§ jarteften Tetaife fiep paart, eine üppige
güHe unb SarBengeBung be§ Ton§ , bie jeber, aucp
ber teifeften Ökfüpfötütance gerecht mirb unb für bie
gegenfäptiepften Stimmungen ftets ba§ entfprecEienbe
©otorit, bie rechte 23eteucptung Bei ber §anb pat, eine
eigentpümticp fcpneibige fftpptpmif, bie an 23ütom’§
(Srunbfap : „Snt Stnfang mar ber Sftpptpmug" gemapnt:
ba§ ift bie Signatur ber SSirtuofin unb genialen ÜDtu»
fiferin jugleidp , at§ metcpe Sofie ÜDtenter oor un§
pintritt,
2tuperft imputfioen SBefeus, Batb parmto§ peiter,
Batb ju tiefer Scpmermutp geneigt , baBei grunbepr»
ticpen, marinen nnb tieBenSmürbigen (Semütp§, gab
fie fiep tion je ganj unb au§f(ptiepticp , mit ecpt fünft»
terifeper (Sinfeitigfeit ber Srfüttung ipre§ 23erufe§ pin.
Spre gange geiftige Sraft , ipr ganzes (Smpfinben lei»
tete fie in ben einen Strom. 2Ba§ SInbere gern alJ
Sdpmucf be§ 8eBen§ pflegen, ba§ tiep fie füpt. 23er»
feptoffen BtieB ipr, ber SDtufiferin, ber Sinn für bie oer»
fepmifterten fünfte. Sie Begnügte fiep, ipre Stnmutp
unb Scpönpeit ber Bitbenben Sunft at§ Stoff gu teipen.
Ter ißoefie unb Siteratur BtieB fie fremb, ipren (Seift
an guter Seetüre gu erfrifepen , feptt ipr ba§ 23ebürf=
itip. Setbft ©oncert nnb Tpeater toefen fie nur,
meitn fie ÜluperorbentticpeS Bieten. SBeber am 23er»
fepr mit ber Statur noep am (Senup ber (Sefettigfeit ift
ipr ?$reube gegeben, niept im Umgang mit perüorra»
genben ÜJtenfcpen fuept fie Anregung unb Srpotung.
Sicp, gumal feit fie manepes? Seib erfapren, in ßurücf»
22
p— ^
gejogenheit gefattettb , ein nur mätjrenb ber Sauer
ihrer Steifen abmechfetungSbotteS , int Übrigen t)ö<hft
ruhiges, gleichförmiges Seben füljrenb, f)ab f^e ctufser
ihrer Kunft nur eine, bon Standjen freilich abfonber»
tidj gefcfjoltene ißaffion : ihren bierbeinigen §auSge=
noffen unb (Gefährten, ben Kater Klep, mie SiSjt ihn
um eines fdjmarjen gtecfS auf feiner Stafe mitten ge»
tauft. @r, ber fie, mie fie fagt, nie ärgert, niemals
fränlt, geniefit ihre ganje Siebe, auf alten ihren
SSanberjügen ift er ihr treuer ^Begleiter. Sein ptjo»
tograptjifcheS (Gonterfei mirb neuerlich in Kopenhagen
Oerfauft, ats märe nicht feine §errin fonbern er ber
grofje SßirtuoS. gn alten |>auptftäbten (SuropaS ift
Ktep fcfjon eine poputäre ißerfönticf)feit. (Gefiet eS
hoch feiner (Gebieterin enbtidj , nacf)bem fie fi<h jahre-
lang um ütuSbreitung ihres StuhmS menig ober nicht
bemüht — bis 1879 noch tonnte man fie faft nur in
Seutfchtanb, ber ©chrneij, ^ottanb, Öfterreich unb
Ungarn — , bie mufitotifche SBett gtatienS, graut»
reiche Sngtanbs, ber pprenäifchen fpatbinfet, <3fan»
binatiienS , SänemarfS, StufjtanbS neuerbingS ju
beugen ihrer Künftterfchaft aufjurufen. 9Jtit einem
State ftang nun ihr Starne bon ben Sippen atter 9ta»
tionen mieber, als ber (Srften ipreS (Gleichen flocht
man ipr atterorten Kränke, mo man fie hörte. 2öo —
fo fragte man fidj erftaunt — tjat biefe Steifterin, in
ber man bie @djüterin SiSjt’S unb Saufig’S ertannte,
injtoifchen gelebt, mo unb mie ift fie grof? gemorben ?
(Gut mufifatifcfiett gmrtommenS ift ©ofie Sienter.
Shr SSater mar ber einft gefeierte unb berühmte SSio=
toncettift gofef Stenter in Stündjen. 2tud) bie Stutter,
SBithetmine geb. Siepolb , mar tonfünftterifch bean»
tagt. 23on ihrem Später, ber, einer ber erften Beamten
beS gürften bon föohenjottern^edpngen , ats Kom»
te- M
23
p=— — — — =TJ5
ponift bitettirte, f)atte fie Suft mtb Siebe jur SJtufif
überfommen. Sn if)rer Sugenb fang fie häufig in
®ird)en* itnb £>ofconcerten ber Keinen fftefibenj, unb
nur an ifjrer Sdjeu bor einer Stinftter* ober Speater*
carriere fdjeiterte be§ funftfinnigen gürften SBunfdj,
it)r eine grünblidfe Stüdbitbung geben ju taffen. SSon
neun Sinbern, meldie itjre 6tje mit Sofef SJtenter feg*
neten, Hieben nur jmei, bie am 29. S«ti 1846 ge*
bereue Sofie unb tpre jüngere Sdjmefter ©itgenie*),
am Seben. gtoei ältere , nitfjt minber at§ Sofie be*
gabte Sdimeftern , metcfje , bie pflege ber S'unft auf*
gebenb, ficE) früf) üertjeirateten unb batb barnadj ftar*
ben, nannten nod) au Sofien^ erfter ©rjie^ung tljätig
SHjeit. Sie SMobien, bie fie bon ihnen hörte, fpielte
ihnen bie vierjährige Steine fdjon frifdjmeg nach.
Spielten fie etmad bon SCtio^art ober Schubert, fo rief
fie and bem Stebensimmer herüber : „Dt), bö§ ift aber
fthött, bö§ fpief noch a mal!"
93id jum fiebenten Sahre liefs ber SSater, ber fein
ganje§ ©tüd im latent feines ®inbe§ fanb, ben Un*
terrietjt beSfebben auäfdjtiejjtidfj burcf) bie älteren
Sdimeftern leiten. ®ann übergab er feinen Siebling
Sigmunb Sebert’y — be» jetjt an ber Stuttgarter
3Jtufitfd)ute mirfenben SD^eifterS — lunbigen £>änben.
Stur turje $eit ober tarn if)tn beffen trefftidje gülfrung
teiber ju ftatten, benn eine fernere Grrfrantung Sofef
SJtenter’d bebang einen Stufenttjalt im Süben, unb bie
ganje gamitie gab it)m batjin ba§ ©eteite. So trat
für Sofie eine Unterbrechung oon anberttjatb Sehren
im Sernen ein. Stad) ber Stüdfefjr mar motjt Viel bon
ber SBaht eined Sef)rer§ bie Stebe, ba be§ SSater§
*) «Sie Btlbete ficX> gIeid)faH$ $ur Gtanicrfptelcrin au$, tnad)te fiefy
irietfadj unb bortJjeilijaft in (Soncerten befannt unb iji in it>rer 23ater*
fiabt 9Mnd)en je^t Uornnegenb päbagogifdj ttjätig.
24
unüberminbtidje dtbneigung gegen ÜDiufiffdjuten ben
33efud) einer folgen für fein Sinb tion tiorntjerein
nu§fcE)to^ ; baS tägtidj fidj fteigernbe Seiben beS
Sranfen aber lärmte bie (Energie feiner ©ntfdjtüffe —
Sofie blieb of)ne Unterridjt fo lang ber SSater lebte.
(Sanj unfgftematifcfj toar eS gteidjermeife unt bie
©rutiblage iljrer ütügemeinbitbung befteüt. ®ie erften
(Stementarfenntniffe ben Sdjmeftern banfenb, Ijatte fie
bann tiorübergeljenb eine Sdiute befugt, fpäter tüitrbe
iljr toieberunt ein §auStet)rer getjatten : furj , nadj
feiner 3tid)tung regetrecEit gingen bie erften SSil-
bungSjafjre beS genialen ®inbeS Ijin. (Sin (Stüd, bafs
eS felber ben regften £rieb jum Sernen in fidj trug.
Seinen unermüblidjen gteifj am ©tatiier beobadjtenb,
fagte ber feibenbe SBater, bem baS untierfennbare £a=
ient auf’§ tüärmfte ant §erjen lag, ju feiner (Sattin :
„(Seit grau, auf’s Soferf giebft Stdjt, in beut ®inb
ftedt ’maS!" Unb als ber arme ®ranfe im Stymf 1S56
feine Singen für immer fdjlofj*), ba gelobte bie nodj
nidjt jefjnjä^rige Sofie ber ÜOiutter, „redjt fleißig ju
fein , benn fie mode eine grofje ©tatiierfgielerin
merben."
ÜJlun mürbe fte bocfj ber iDiündjner S0JnfiffcE)uIe
übergeben, gutiörberft marb ißrofeffor Seonljarb,
bann difjeinberger iljr Sefjrer , ber fidj tiief tion iljrer
Begabung tierfpracfj. gurn großen Sumers feiner
Schülerin nur tiertaufdjte er halb ben ©tatiier= mit
bem ©omjmfitionSunterridjt ; fie muffte fidj in gutes
®olb einen ©rfaf$ für ifjn fudjen. gnbeffen mätjrte
and) biefer nur furje geit. grattj Sadjner’S diatlj
mieS fie an griebridj diieft, unb unter beffen forgtidjer
Scitung trieb iljr latent atSbalb fcfjönfte . 33lüten.
*) ftar 1808 geboren unb ftarb fomit 48 3af)re alt.
w* M
25
¥
SBaS ein ungeregelter BitbungSgang an it)r berfäumt,
baS braute fie nun mit nmnberbarer Stafdjbeit ein.
Saum fünfzehn Satire alt, legte fie bor bem jßubtifum
itjrer SSaterftabt im Soitcert ber mufifatifcben 2tca*
bemie unter Sad)ner’S Direction baS erfte gtänjenbe
Seugnif? ilfrer jungen Sünftterfdjaft ab. S^e @rft=
tingSgabe , Sßeber’S ©oncertftüd , marb ibjr mit rau*
fdjenbem 93eifaIX gelotjnt. 9ioc£) im fetben Sabre ber*
anftattete fie unter ber eljrenben Beseitigung Sad)5
ner’S als Drcbefterteiter, im großen ©aale beS DbeonS
ju übtündjen ein fetbftänbigeS ©oncert, beffen (Stabier*
nummern fie fämmtticb auSwenbig ffiiette, wie itjr
(Sebäditnifj it»r in biefer SBejieljimg bon je unbebingten
©efiorfam teiftete. Die ermutbigenbe Stufnabme,
tr»eld^e bie aucf» in if»rer äußeren Grrfdjeinung überaus
anmutt)ige jugenblidje Debütantin fanb, war nur baS
Borfpiet weiterer, fid) immer fteigernber (Srfotge.
Sbre erfte Sunftreife führte fie in Begleitung ber
energischen , fürforgtidjen Sbhitter nadf Stuttgart unb
ber Schweig ; fpäter^in fam fie nadj Srantfurt. 2tm
10. Sanuar 1867 aber feierte fie in SeipgigS ctaffifctjen
SDZufiftialten mit SiSgt’S jweiter SrangiStuS * Segenbe
einen weithin fdjattenben ©ieg. (Sr war feit früher
Sugenb itjr fwdjfteS IünftXerif(f)e§ Sbeat, ber Sönig
unb Sttteinberrfdjer ber ißianiften ! 2ttS f»albe§ Sinb
noch fiatte fie, ba er einmat für wenige Dage in ihrer
§eimat berweitte , einen Befudj bei ibnt gewagt, unb
blieb es für’S ®rfte auch bei oberftädt»Iid^er Befannt*
fcfjaft , fie foüte ibm fpäter näher treten. (Sinftweiten
hatte fie burdj BütoW, feinen großen Schüler, befj
Sehre unb Beiffnet fie in München bietfättig förberte,
wenigftenS inbirect bon ihm gelernt. 9tun fdjrieb fie
tübn SiSjt’S tarnen auf itjre Sahne, unbelümmert ba=
rum, bb man hier unb bort bietteidjt baS ober jenes
st
26
lieber gehört, beifälliger ausgenommen haben mürbe.
(Sin fefter lünftterifdfer (Hjaratter mit feijr entfcfiiebe-
nen @runbfä|en , ging fie , ma§ beim ^Beginn ihrer
Karriere hoppelt in’§ @emid)t fiel, üon §au3 au§ if)re
eigenen SBege ; bie 9tüdfid)t auf ben (Sffect ltnb (Sr*
folg, auf itjren eigenen S3ortt)eil beftimmte fie nic£»t ;
fie fpielte , ma§ ifjr fetber intereffant unb fpmpathifch
mar. So feilte fie auch, at§ fie einige SEodjen nach
ihrem erften Auftreten im Seidiger @emattbf)au§ an
fetber Stelle im fßauliner=(Soncert mitmirlte, ba§ t)ier
noch nid)t gehörte Fis-moll=(£oncert be§ früh tierftor*
benen , öon Schumann fo marm gepriefenen Norbert
SSurgmütter auf ba§ Programm unb ermarb fid) burd)
biefe aparte 2Bat)t ben befonberen SDant ber SÖiufifer.
2lt§ bie fettene ®raft , bie man in Seipjig in if>r
erlannte , brauste fie auch in S3erliit nicht auf Slner»
fennung ju märten. Sind) bort, mo fie menige SDtonate
fpäter, im Slpril erfdjien, erfreute man fid) einmüffjig
itjrer „bie fcfjmierigften Stufgaben bemättigenben %td)<
nit, ber Startjeit, ft'raft unb Sdfünheit it>re§ SSortragS,
ber ©efunbfjeit unb Sßatüriidjteit ihrer geiftigen Stuf»
faffung." SSon entfdjeibenbfter 93ebeutung aber mürbe
ber SöefucE) 93erlin§ für fie, iitbem er if)r jur S3elannt=
fdjaft mit (Sari häufig @etegent)eit bot. SSöttig über»
mättigenb mirtte bie phänomenale SSirtuofität be§ be»
reit§ ju öottenbeter Störung unb ju einer in ifjrer Slrt
einzigen (Sröfje gelangten (Statoiergeniu§ auf fie, unb
beljerrfcht tion bem heifsen Sßunfdje, ihm na^jueifern,
iljn öieöeicht gar ju erreidjen, marb fie, in ber man
felbft fcEjon eine SMfterin erlannte, bie Schülerin beS
über 2lße§ öon il)r bemunberten unb üerehrten SJtan»
ne§. S)ie gortfetjung ihrer (Sr folge im (Soncertfaat
menn nicfit gänjlich unterbredfenb , fo bodj fe^r me»
fentlid) einfdfräntenb, taufchte fie jmei ^öhre
fünftterifcfien 9tuf)m§ für gmei Satire be§ tjingebenbften
urtb angeftrengteften Stubium§ ein, — gehörten bodj
gehn» bi§ gmötffiünbige Staöierübungen für fie gur
SageSorbnung. ©old)’ BefjarrltcEie Strenge gegen fid)
felber trug in SBerbinbitng mit bem tiefen ©inftuf? be§
genialen Set)rer3 reiche ginfen: ein neue§ @mpfin=
bung§teben toaste, toon ibjm gerufen, in ihr auf; erft
jeijt Befeelte fid) ihre ®unft mahrhaft, erft je|t warb
Sofie Sftenter gang fie fetbft. Unb Staufig mar ni(f»t
nur ftotg auf feine fcEjöne ©d)üterin, bie größte unb
tiefte, bie gu leiten it>m befd)ieben mar; er hoffte aud),
fo fagte ntan, fie nod) ntit anberen 33anben at§ benen
be§ Sef)rer§ an fid^ gu feffetn unb, nadjbem er in feiner
©pe menig ©tüd gefunben , fid) mit if)r ein beffereö
gu grünben. tJrug er fit^ in SBaprpeit mit folgern
SBunfcpe, fo nahm er if)n mit fid) in fein früpe§ @rab,
inbef? Sofie bie (Sepeintniffe, bie fie feiner f'unft ab=
getaufcpt, mit ber eigenen Snbiüibuatität tiermahtt,
ber SBett fünbete. Spre SDceifterfcfjnft ift ein» ber
fcpönften SSermäcptniffe, ba§ er un§ fjinterlaffen.
Si^odE) mäffrenb fie bei häufig ftubirte, mar Sofie
tiom dürften toon §opengottern, — bemfelben, bem
eiuft itjr ©rofjtoater mütterticE) erf eit§ , mie, üor Antritt
feiner ÜDtüncpner Stellung, au cp if)r SBater gebient unb
ber aud) ben gefänglichen töeftrebungen ihrer SDtutter
epebern feine protection gefcpenft hatte — gur $of*
pianiftin ernannt morben. Stuf feinem Iftutjefi^
Sömenberg in ©cptefien , mo er, feine Siebting§lunft
at§ feiner Kenner foftegenb , fich eine eigene Stapelte
erften 9tange§ fjtett unb für bie attfonntägtidjen ©on-
certe ftet§ bie tieften fünftter gemann, oerbrad)te fie
einen Sßinter (1868 — 69). Sort auch lernte fie ben
SSiotoncettiften SDatoib Popper, einen auSgegeidpneten
Vertreter feine§ Snftrumente§, mie e§ it»r Später ge*
&- M.
28
mefen, lernten, unb am 4. ^mti 1872 reicftte fie iljm
in Sßien, mo er al§ erfter Solo=Bioloncet(ift am fjof=
operntfjeater ttjätig mar, fre §anb. Sa§ ®lücf aber
toollte itjre Bereinigung nicht fegnen ; fiebert Safjre
fftäter trennten fitf) Beiber Sßege für immer, mie e§
fcfieint.
Big jum 3at)re 1877 lebte Sofie in SBien, feit
frem erften Auftreten bafelbft im gebruar 1869 ber
Siebling be§ bortigen ißublifumg; im SDtai 1874 and)
Dom ®aifer bon Dfterreid) jur fe'amnterpianiftin er*
nannt, melcfje Sfire fie nur mit SXara Schumann
feilt. 8e nadjbem f re ni(f»t fetjr fefte ©efunbljeit e§
geftattete, mar fie biel ober menig auf Steifen; über
Seutfflanb, Öfterreich, bie Sfmeij, fpoßanb , Un*
garn, Siebenbürgen, Stuntänien , bie ruffiff en Dft*
feeprobtnjen, ®alijien gingen fre Siele für’g ©rfte
nidjt IjinauS. fpulbigungen fammelte fie ein , umhin
fie f am. Sie Bertreter ber berff iebenfien mufifaliff en
Stiftungen, bie Stimmführer ber Steften mie ber
Sinfen einigten fif frieblif in ihrem greife. Bon
ben Sippen be§ ftreng conferoatitien (Sumpreft mie
Oon benett feineg Slntigoben, beg SiSjt* unb Sßagner*
Jperolbg Stif arb ißoljl Hingt gleif eg Sob beg. alle
bpnamiff en Sfattirungen beherrfcfjenben Slnfflagg,
„ber ®raft unb gertigfeit, um melfe fie bie meiften
ihrer männlichen Berufggenoffcn beneiben fönnten,
ber marm empfinbenben , auf’g lebenbigfte geftalten*
ben Snnerlif feit , mit ber fie fidj ber Snbibibualitat
ber einzelnen Smmponiften anfdjmiegt." „Sie inter*
gretirt Beethoüen nift minber ftilooll alg Gfopin
unb Sigjt,“ hebt $ol)l herbor. „2Senn fie aber Sigf’g
Sßerfe mit befonberer Borliebe jum ©oncertbortrag
mahlt, fo hai fie ein bolleg Steft baju, ba fr feine
ißianiftin hierin gleidjfommt."
29
r
■>
2Bar Sofie Center bem munberbaren SJiufifgeift
ßigjt’g jutior nur mittelbar, burcp feine Scpute unb
bie fßerfönticpfeit feiner großen jünger 23ütom unb
häufig, nape getreten, fo bot fiel) ipr in SSien unb
mepr uoep in fßeft, n>o fie päufig öermeitte, auep bie
erfepnte ©etegenpeit jur unmittelbaren 93erüprung
mit bem ÜDieifter ber ttJieifter. 9imt fdpöpfte fie birect
aug ber Duette , aug ber in ber Sanft beg mobernen
©tatiierfpietg atte pöpere ©rfenntnifi fto§ unb fließt.
Smmer unb immer mieber lernte fie; im raftlofen
Streben nur fanb fie 93efriebigvtng unb ©tüd. Unb
muffte ipre ec£)te ttftufifnatur ipr nietjt auep bie marme
Speitnapme unb Spmpatpie beg üttianneg ertneden,
ber mit ber greigebigfeit beg mapren ©enieg unb
üftenfcpenfreunbeg feine Sanft, fein faft unbegrenjteg
fünftlerifcpeg Vermögen toon je in ben Sienft SInbrer
ftettte, bamit fie feinen Sfteieptpunt mit iprn tpeitten
unb groff mürben an feiner ©röffe ? Spürte er toiet=
teiept aud) in Sofie ÜÖienter einen ülbglanj beg bämo=
nifepen Seuerg , bag unter feinen §änben aug ben
haften gtüpt unb fprüpt unb bie §örer mit Stügematt
in ben Sreig feineg ©mpfinbeng bannt? 2Bie fepr er
fie mürbige , bezeugte er auep öffentlich , inbem fid)
bag Spiet feiner gauberpänbe bem ipren oereinte,
unb, mie 'einft in Berlin an Saufig’g unb fpater in
Sonbon an Sftubinftein’g Seite, faff fie in fßeft neben
granj Sigjt im ©oncertfaat am fjtüget, pödjfte Gpren
feiernb.
©anj naep ber ungarifepen §auptftabt öertegte fie
im Sapre 1877 ipren SBopnfip. Ser Jpaugpattungg*
forgen mübe , feptug fie im ipotel ipr Duartier auf.
Sa pauft fie noep je|t, fobatb fie niept auf fünftte»
rifepen SBanberungen begriffen ift. 3um ©tittteben,
mie ermäpnt, öon SRatur geneigt, burep mancherlei
&
30
Kämpfe unb Seiben im §ang bagu beftärft, mieb fie
e§ jahrelang, itjrert Steifen eine größere 2tu3bef)nung
gu geben. Stur nad) Dften fenfte fie mieberpoft it)re
Stritte unb fieff ficf) in Sßarfdfau unb St. fßeter§=
bürg af§ „bie erfte febenbe fßianiftin" frönen. gana=
tifdj pufbigte man it»r gumaf in ber mufiffiebenben
©garenftabt. Stad) iprem SSortrag ber Don Si§gt für
©faöier übertragenen Sanntfäufer = Dutierture (im
SIprif 1880) fannte bie SSegeifterung feine ®rengen.
Sn Sdjaren tierfammefte ficf) ba§ fßubfifutn auf ber
Strafe, um ifjr nod) im SBagen bie entfjufiaftifdjften
Düationen bargubringen, fobaff bie ißofigei, in foIcE)’
itngemöpnfidier geräufcfjöotler Scene eine 9Zit)iIiften=
Sfffaire öermutfienb, in ernftfidje Unrupe gerietf).
2i§gt’§ energifcffer gufprud) mar e§, ber Sofie
SOfenter enbfid) beftimmte, and) ben europäifdien Sü=
ben, Söeften unb korben in ba§ SBereicE) itjrer 2Ban=
berftüge gu gieren , nacfjbent mieberpofte Anträge gu
einer ©ofbreife über ba§ SBeftmeer eine abfepnenbe
©eantmortung üon ipr erfahren patten. 3um etften
'SJtafe fpiefte fie benn gn beginn be§ Snp*e3 1881 in
Sforeng, fobann in ©egentoart ipre§ 3Jteifter§ in Storn
unb barauf in Steapef, unb fam, mit itafienifcpem
Sorbeer reidE) gefcpmüdt, nacp $ari§ unb Sonbon.
9ftö „Sömin ber Saifon" fab» fie fiep pier mie bort ge*
feiert, unbefcpreibficper @ntpufia§mu§ begleitete i£»re
cfaffifcpen mie ipre mobernen ©fabier*ißrobuctionen in
ben Concerts populaires mie in. St. Snnte§*§aff.
Stuf einem ipr bi§ bapin frembeit Serrain and)
geigte fie ficf) in ber nädpftfofgenben Saifon, im SSinter
1881 — 82. Stun freuten fiep Spanien unb ißortugaf,
Sänemarf unb bie ffanbinatiifcpe ^pafbinfef ber 93e=
fanntfdpaft ber feftenen Sünftferin. Sn Sbpenpagen
mufften an ben Sagen ipreä 5luftreten§ ©jtragüge bie
M,
31
/
w
SCftaffert ber ^örfuftigen f»er6eifüfirert , unb auc£> in
©ffriftiania unb ©tocflfofm erntete — fo fdfrieb man
— „feit fftubinftein fein ®ünftfer fofcf)’ ptyramibafen
Söeifatt»" SOiit eigener £>anb fdfmücften bie Könige
non SDänemarf unb Sctgoeben bie beinunberte Tteu
fterin mit ber Perbienftmebaitte unb bem gofbenen
®reuj für ®unft unb Sßiffenfdjaft. ®ann tnieberfioften
ficfj in HftoSfait unb Petersburg, Paris unb Sonbon
ifjre früheren Siriumpfje. S55ie fönnten fie if)r aucf)
fehlen ! ©ine „leibhafte @rajte, mit tnarm fdifagenbem
£>erjen , t»eiter, fctjergfjaft, non bejaubernber Slnmutf)
unb untoiberftefiiidfer SiebenStoürbigfeit , eine ebenfo
nottenbete Pirtuofin als grojfe ec^te ÜDiufiferin“, fo
c^arafterifirt ber feine S'unftfenner StmbroS ben Steb=
fing SiSjt’S, unb Pitbinftein nennt ©ofie SJienter „bie
2ftfeinf)errfdferin aller haften unb £) errett." Pebarf
eS, tno fo getnidjtige Stimmen reben, nocf) Weiteren
^eugniffeS ?
32
2a üftara, Stufcienfcpfe. V.
3
r
|oit bern regen ÜDtüfifbetrieb in unferent fang»
unb ttangreicfeen beutfcfeen SSaterfaitb giebt
bie 3afet unb Srequenj ber SCRufitfc^uten
berebte Sunbe. So biet ihrer finb , fie
warfen unb mehren fic^ fort unb fort unb ftreuen itjre
fegnenbe Saat freigebig weithin and) aufeerfeatb ber
©renjen ihrer ipeimat au§. S« befonberen (Sferen
unter unferen beutfcfeen ©ottferüatorien aber ftefet feit
langem ba§ ju Stuttgart , wie benn aucfe bie rufem»
gelröntefte unter feinen Schülerinnen : 3t n n a iöt et) »
I i g mit in borberfter 9teifee unter ben gegenwärtigen
SSertreterinnen be§ (nabierbirtuofentfeumg ftefet. 2)er
Drt, bem biefetbe ihre tünftterifche 3tu§bitbung banft,
fah fie am 11. Suni 1847 auch tn’§ Sebett treten.
33on ihrem SSater, ber at§ ©feorfänger Ootte breifeig
Safere lang an ber Stuttgarter 93üfene wirlte , würbe
fie in bie 3lnfang§grünbe ber Xonfunft eingeweifet.
^Sann führte fie Zweigte , ber Seiter eine§ SDtufifinfti«
tuteg, weiter. Stt beffen ißrüfuug§concert trat fie im
$0tai 1857 mit einem teilten SSariationenwer! Don
£>. Jpers jum erften SJtat öffentlich feerüor. 2)em an»
wefenben ^ßrofeffor Sebert fiel bag rfefetfemifcfee (Sefüfet
auf, burcfe ba§ fie fid) üou iferen ÜDtitfcfeüterinnen unter»
fcfeieb. (Sr fragte einen ber neben ifem Stefeenben, wer
bieg Sinb fei? 6in gtücfticfeer .Qufatt fügte eg, bafe ber
Gefragte gerabe ber Steinen SSater War , ber , erfreut
35
3'
w
über ba§ Sntereffe be§ I)oc^attgefe^enen SDtufifpäba»
gegen, nun um bie freunbtid) gewährte (Srtaubnifj
nadjfudjte, fein Urtf)eil be§ genaueren einljoten ju
bürfen. ®ie§ gefc^af» batb barauf. ißrofeffor fiebert
tonnte itjrrt freilich nic^t oertjetjten, baff bie nutfifalifctje
unb tec£)nifc£)e 2Iu§bilbung feiner £od)ter oom fünft»
lerifdfien ©tanbpunft öiet ju wünfdjen übrig taffe, unb
at§ ber ißater it)m, unter fjinWeiS auf feine äufjerft
befdjeibenen, burd) eine jafjlrei^e Samitie nur p fef)r
in Stnfpruch genommenen ÜDtittet, ben SBunfd) aus*
fpradf , it)m felber ben Unterricht be§ ®inbe§ in bie
§änbe p geben , wufjte ber menfd)cnfreunbli<f)e SJJu»
fiter aud) bafür Statt). 6r betoog ben bamatigen SSor»
ftanb unb materiellen (Srünber be§ erft feit wenigen
Sßodjen beftetjenben GfonferbatoriumS, Dr. SSrachntann,
ber ^einjährigen 3tnna StJlefjtig eine ffrreiftette p geben,
wetdje Sergünftigung fie benn auch burch aefjt Satjre
bi§ p ihrem Slbgang aus ber Slnftatt genofj. Shte
gefammte fünfilerifdje StuSbitbung banft fie fomit,
ihrem eigenen .Qeugnifj pfotge', ißrofeffor fiebert , bei
bem fie and) noch in ben testen Sahren jeitweife ftu»
birte unb beffen treffliche Sehrmethobe bei ihr bie
fdjönften ffrüdjte jeitigte.
®em sj3ubtifnm ihrer SSaterftabt gab fie tion ihrer
fortfdjreitenben ®ünftterfd)aft alljährlich öffentlich
®unbe. 3Jtit bem Sat)re 1861 begann fie fobann and)
p Heineren SluSftügen bie gtüget p heben. Sn
Karlsruhe hörte man fie in einem ©oncert unb am
grofstjerjogtidien <pofe, batb barauf aud) in ®armftabt.
Sn einem DbeonSconcert unter ffranj fiadjner’S fiei»
tung machte fie fict) 1864 perft in SJtündjen befannt
— überall erntete fie entfdjiebenen Söeifatt, unb gtän*
jenb genug lautete auch fiadjner’S, in einem Briefe an
ben SSorftanb ber SJtufiffchute Dr. Saifjt auSgefprodje»
&
36
neö geugnih : „Site Sünftterin erften Stanged muff ich
unbebirtgt grüutein äRef)Iig anerfennen, bie mit aite=
gebitbetfter Xedfnif Wohtthuenbe Sßcirme ber Empfin*
bung unb fetbftänbige fünftterifcheSluffaffung mit bem
feinften (Sefchtnacf uitb einem feinfühlenden latente,
bie Intentionen unb @igentf)ümtict)feiten eineö ®unft=
Werte im Stile wieberjugeben, üerbinbet."
S^idflt minber erfolgreich Oertief if)r ®ebüt im
Seipjiger (Sewanblfauö, beffen anfprucfteüott fritifcheö
fßublifum fie , nad)bem eine württembergifdje Staate*
unterftü|ung fie ju einer Steife nach Storbbeutfdjtanb
in ben Stanb gefegt fwtte, am 26. Sanuar 1 865
burcf) ihre Seiftungen höchtichft überrafchte. „Sie
nimmt burd) ba8, Wa§ fie tarnt, nicht allein eine f)er=
üorragenbe Stelle unter ben fßianiften weiblichen ®e*
fdjtechte ein , fonbern bie Slriftofratie beö gefammten
©taoierfpiete mu| ihr bie 9teif)en öffnen. ®ie Un=
fetjtbarfeit ihrer ®e<hnif ift fo groß , bah auch ba§
fdjärffte unb feinfte Dhr währenb ihrer fämmttichen
Verträge nicht ben teifeften 2ref)l unb ÜDtatet wirb
haben entbecfen fönnen ; babei täfft ihre Stitebauer unb
®raft gait/, ihr ©efcptecht bergeffen, unb ihrem ganjen
mufitatifchen ®arftettung§üermögen ift bewuffte Sicher*
heit unb objectioirenbe SBerftänbigteit eigen.“ So täfft
fich ber ftrenge ®ritifu§ ber „Signale“ ber neuen ®r*
fcheinung gegenüber bernehwen , bie fich -mit biefem,
auf einem anerfannt fdjwierig ju gewimtenben ®errain
errungenen Grrfotg einen Freibrief erfpiette, ber ihr
atte weiteren Pforten öffnete. Studf in ^Berlin begrüßte
man in ihr atebatb eine „auf§ reidjfte auögeftattete,
burch bie forgfättigfte $ucht unb Übung nach jeher
Stidjtung £)tn geftärte unb gefräftigte fiinftterifche .
Statur." £pier wie in SBeimar unb anberenorte
wünfchte man fie atebatb audh bei §ofe ju hören, unb
ifc: . '
37
r
Sintig SBillfettn namenttid) fagte i'ljr titel Sd)meid)el*
f>afte§* 2Bo immer ba§ fc^Iic£)te acf)tjei)nj;ät)rige 3Mb*
dEjen erfcfiien , fie , bie „mit fjotben EJönen fam“, mar
überall mitlfommen.
®ie gleidfe Steife mieberl)otte fie mälfrenb ber
näcEjften Saf^e unb befjnte biefetbe nun aud) bi§ nad)
(Jnglanb au§. Sfm ©ucceff in ber atten f)|ü^armo*
nifdfen ©efettfd^aft ebnete if»r bort alle SBege ; in allen
erften Soncerten mar atebalb itjre 3)titmirfung be*
gef)rt. Um üon bem (Sroffmeifter be3 ©laoierffnete
nod) bie testen SBeitjen ju empfangen, ftubirte fie
1869 mehrere 3Jto'nate bei öi§gt in SBeimar. ®ie ganje
28elt, ba§ füllte fie, ftanb iljr je|t offen. Sdfon im
£>erbft barauf oerfudjte fie itjr (Sttid jenfeitd be§
Öcean§ in 3torbamerifa unb fjielt auf bem bi§ batjin
nod) menig bebauten unb um fo ergiebigeren 9tuf)me§=
felb eine reiche (Srnte. SSier SSinter Ifinburd) concer*
tirte fie bafetbft ; einmal ac£)t 3Jtonate lang mit %f)eo*
bor EJt)oma§ unb beffeit öortrefftic£)em Drdfefter reifenb,
fpäter aud) an bett lüften be§ füllen 2Bettmeere§, im
(Solblartb ©attfornien, San Francisco, Sacramento,
ißortlanb nnb anbermärü iEriumpfm feiernb, mie faunt
eine ißianiftin üor ober nad) if)r. Setbft ber Sommer,
ben fie bajmifcfjen in ®eutfd)lanb pbradfte, fanb fie
auf einer Hournee mit Uttman tfjätig. Sie feierte
nid)t. 3tad) ber Stüdlelfr üon Stmerifa (1873) mar
fie batb in beutfdfen Stabten unb an beutfdjen £>öfen,
batb in ben ruffifcljen OftfeefiroDinjen, balb in Öfter*
reict), Ungarn, Stätten, imtlanb unb Belgien ju (Safte.
Sn 3MiIanb Junta!, mo fie auf (Sintabung ber Societä
clel Quartetto mit ^eermann au§ Sranffurt uub Soff*
mann au§ 33aben %rio fpiette — fie ift ja , ma§ in
unferer Seit nicfft t)od) genug anjufddagen ift , aud)
eine feine ®ammermufiff)neterin — erlebte fie einen
A
38
W V
ungepeuren ©rfolg. ©ine begeifterte Slufnapme be=
reitete man ipr aucp in ben Concerts spirituels ju
33rüffel, unb in ©nglanb, Wofelbft fie aßwinterlicp für
mehrere SJlonate einjufepren pflegte , gehörte fie feit
iprem erften Söefucp ju ben au§erwäplten Sieblingen
be§ ißublifumS. Stßentpalben geniest fie pope ©pren,
wie benn jwei beutfc^e ffürftinnen , bie Königin bon
SBürttemberg unb bie ©ropperjogin üon SBeimar, bie
SSielgef eierte , üon ißublifum unb ®ritif gleicp att§=
napm§lo§ Slnerfannte aucp (1866) mit bem Xitel iprer
fpofpianiftin fdpmücften.
3pre Programme jeigen , gleich benen (Sofie
Sßlenter’S, bie Sßietfeitigfeit ber neueren Scpule. Die
tarnen, SSad), Seetpoüett, SBeber, Schumann, ©popin,
Si§jt, IRubinftein behaupten in ipnen bie üornebntfte
Stoße. $n jeber Stilgattung ift fie ju £>aufe, ber
claffifcpen wie ber mobernen Sticptung Wirb fie gteicf)
gerecpt. Db Wir eine 93acp’ftpe Suge , ober ipr Sieb=
ling§ftüd, tpapbn’3 grajiöfe F-moll-9Sariationen, ober
eine ber itngarifcpen 9lt»apfobien Si§jt’§, ober wa§ im»
mer üon ipr pören, wir rniffen nirgenb§ bie fünftlerifcpe
SSotlenbung , bie jeber iprer Seiftungen ba§ ©epräge
giebt. 3n ber pertenben Scala, bem Waren Drißer,
ben meifterlicpen Dctaüenläufen unb Doppelgriffen
läuft ipr wopl leine iprer ®unftfcpweftern ben Slang
ab. fpinter jener pöcpft entwicfelten Decpnif aber tre=
ten , bei aßer inneren ©ebiegenpeit iprer ©aben,
geuer , Scpwung unb Seibenfcpaft jurütf. Stnua
SOtepIig Wirlt nidpt faScinirenb wie bie genialere
Sofie Silenter. !ypr feplt ba§ Tämonifdpe, ba§ ge»
waltfam ißaclenbe, Unwiberfteplicpe ber ©mpfinbutig
unb ber DarfteßungSweife. !ypr gleichmäßig ritpigeS,
urgefunbe§ Temperament läßt feine Slufregung in un§
mtffommen. SJtan fönnte fagen, baff au§ iprem Söor»
39
W : “ —
trag meljr fein tedinifdjeg al§ feelifcfieg ©efüfjl fpredje.
Streng objectiü, mel)r benfenb alg btc^tenb t>erf»ä£t fie
fic^ gegenüber bem ju beutenben ®unftmerf, hierin
ettna mit bemfelben Siebte häufig (nämlicfj in feinen
fpäteren Salden) öergXeicEjbar , mit bem man Sofie
latenter einen meiblidjen 9tubinftein nennen fönnte.
3m Serbft be§ ^atjreg 1879 mürbe' 2lnna ÜDteljlig
bie 3reube ju Sljeil, i£)re jüngere Sdjmefter 33ertt)a
— and) eine Schülerin Dr. Sebert’g — in bie Öffent*
licEjteit einjufültren. 2Bie fie in fdjönem Samilienfimt
bie reichen materiellen (Srträgniffe ifjrer &nnftt£)ätigfeit
freigebig mit iljren Angehörigen tljeilte unb ihren (£1=
tern ein forgenfreieg Seben fdjuf, fo füllte nun auct) ihr
9iut)m ihrer Scfymefter bie 23at)n bereiten. Unb oer=
Ijeifjunggboll genug lief? fid) biefelbe an. Ser glän=
jenbe ©rfolg eineg tion 93eiben gemeinfam in itjrer
SSaterftabt tieranftalteten ©oncertg (im Dctober 1879)
mieberljolte fich in rljeinifcfien unb norbbeutfdjen
Stabten mie am f)reuf;ifd)en $ofe, mo fie fid) mäljrenb
ber erften IDtonate 1880 hören liefen. Sd)on ftellten
jaljlreidje englifdje ©ngagementg eine lange Solge
meiterer glüdlidier ©rgebniffe in nalje 21ugfid)t — ba
brad) bie fo üielöerfpred)enbe ©arriere plöjjlicf) ab.
©in ÜDtagbeburger Kaufmann 93runner , ber fie , alg
fie bafelbft concertirten, fennen lernte, gemann fid) bie
achtjehnjährige Söerttja ju eigen, unb oor ber Äunft
gab fie ber Siebe ben Sßreig.
SBalb aber folgte and) bie ältere Sdjmefter iljrem
Söeifpiel. 83on ber Steife nacf) Sonbon, mofelbft fie bie
©rfüllung ber eingegangenen SSerpflicfjtungen nun
allein auf bie Schultern genommen hatte , lehrte fie
alg 23raut in bag ©lternl)aug jurüd. Auf ber Surd)*
reife in Slntmerpen in befreunbetem Saufe öermeileitb,
fanb fie in bem bort anfäffigen Kaufmann 3alf ibven
' - ' ffll
40
P" ^
lünftigen ©ental)!. 21n iljrem (SeburtStage , bem
11. Sunt (1880) feierte fie in (Segenmart ber braut*
lidfen ©djmefter unb bereu Bräutigams im Familien»
freife iljre Berlobung. Sßie in ben Brautftanb ging
if)r ©djmefter Bertha and) in bie Gct)e tioran. 2I1S
21nna ÜDielflig am 10. Sluguft grau galt tnarb, mar
aucl) baS brei Sßodjen früher öermäfylte ißaar, baS
bagu öon ber §ocf)geitSreife gurücflelirte , Selige iljreS
(SlücfS.
®er Ausübung ber ®unft als Beruf entfagte bie
üielbemunberte ÜDieifterin feit fie fiel) in 21ntmerf>en
eine neue fpeimat grünbete. 2)od) bie flanggemolinten
£)änbe rulfen nidjt, unb an gefttagen ber E'unft, mie
in ber frönen ÜDiaiengeit 1881, mo eS grang SiSgt in
Slntmerpen mit allem (Slang gu feiern galt , bemäffrt
fie gern ibjre erprobte ÜDladft über baS Snftrument,
beffen <£onüermogen gu offenbaren ifjr mie SBenigen
gegeben ift.
41
IST
|te golbtte beräSunber unb ber 23unber=
finber ift tiorüber. Sem mobernen 9teali§=
mu§ ift ba§ Sntereffe an bert fünftlerifdjen
Sreibf)au§hfIanjenohnegefunbe2eben§fraft
abfjanben gefommen, unb für eine fur^e, nur §u feinet!
ficf) tierflüd)tigenbe grüljreife bünlt if)n bie lebend*
lange ÜDtittelmäfjigfeit , mit ber fie jumeift erfauft
mirb, ein untierhättnifjmäfjig £)of)er ißreid. 3n mie
augenfälligem Sßiberfhrud) bie einftigen SSertjeifsungen
ju ben fpäteren Seiftungen biefer finblicfjen SBunber
aber and) gemeinhin §u fielen pflegen, ÜÖtart) ®rebd
gehört ju jenen feltenen 91udnaf)men , bie und tion
feiner ber (Srtoartungen , melche fie tion früf) an er*
regten, bie ©rfütfnng fcfjutbig blieben. 2Bad fie tier*
fpratf) , bad tjat fie auch gehalten , unb bied bebeutet
nit^t menig , benn machte fie nicht fdjon im jarteften
Stlter tion fict) reben ? SRocf) betior fie fpredjen fonnte,
fang fte, bie am 5. Secember 1851 ju Sredben ®e*
borene, bie tion ber ÜOfutter gehörten SJtelobien nad),
unb bie erften unficfjeren ©djritte bed ®inbed fction
lenften ficf) bem ißianoforte ju, beffen Saften Söne 51t
entlüden ihre hödjfte greube mar. ®aum hatte fie bad
brüte 3ahr erreicht, ald bie Butter, bie ju jener ßeit
nod) ber Sredbner 33üf)ne angehörenbe gefeierte fädj*
fif<he £>ofopernfängerin 211ot)fia geh. SOlic^atefi, mit iljr
ben (Slatiierunterridjt begann, melchen ber SSater, §of*
45
sr
capellmeiftcr (Jarl ©rebg , jimädjft baburcf) förberte,
baff er allerlei Meine anregenbe ©labierftüde für feinen
Siebling componirte , big er mit bem fiebenten Sabre
beg Se|teren benfelben in bie eigenen £>änbe nahm.
Sie ©Itern blieben benn auch bie augfdiliefilidien
SSilbner ber ihrem ©inbe tierHeljenen aufjergewöbn»
IidE)en Begabung , unb unter ihrer Dbljut trmrbe bie
©leine , bie fidj auch in ber ©djule burcb Sleifl unb
©ifer augjeicbnete unb immer bie beften geugniffe mit
tjeimbrac^te, allmälig grofj iu ber SDtufif.
SüSie fie bie SDtutter beim Stubium ihrer Partien
fcfjon bon früher Sugenb an bjäufig auf bem ©labier
begleiten muffte, fo trugen and) iljre puppen bte
Stamen ber ihr mof)lbelannten Stollen. Sa gab eg
eine Sibeg, Sljucena, Drtrub it. f. w. unb alle —
9 Jtarp bewahrt fie jum Sf)eil big auf biefen Sag —
waren getreulich nach iDiamag ©oftümen gefleibet.
Obwohl mit einer fjübfdien Stimme begabt, gehörte
bod) ihre Sieblinggneigitng bem ©labier. frntte fie,
launt hier Saljre jä£)lenb , bereits Heine @tüdcf)en, in
ihrem fünften ^alfre fd)on S. 33urgmüller’g 25 ©tuben
(Op. 100) mit überrafdjenber SkUlommenbeit aug=
Wenbig borgefpielt, fo burfte bieSteunjährige fid) ohne
SSeforgnifi in ber „©ocietät“, eiper großen Sregbner
fßribatgefellfchaft , hören taffen , liier burd) bie Stein*
beit unb ©raft itjreS §lnfd)lagg , ben SBotjttaut unb
bie Sülle ifjreS Soneg 93ewunberung erregenb. Sw
barauffolgenben Sdfw (1862) trat fie jum erften 9)tale
öffentlich in einem 21bonnement=©oncert in Steifen,
1863 auch iu ihrer SSaterftabt in einem eigenen, mit
ber föniglidien ©apelle beranftalteten ©oncert auf.
Sag Cis-moll-©oncert bon Stieg, eine Jßtjantafie ihre«
Skterg über „Sucrejia Skrgia", eine S3ad)’fd)e Suge
(A-moll) , SBeber’g »Perpetuum mobile« unb Slnbereg
46
^ -,i
ftanben auf ihrem Programm unb mürben, (aut einer
$ritif ber „®regbner 9tad)richten", menn auch nicht
immer mit ber nötigen „fftuf)e in ber gleichmäßigen
®empobemegung", fo boct) „mit überrafdjenb Oolllont»
mener -ißräcifion unb Reinheit in ber ®ed)nif unb,
mag noct) mehr ift, mit einer Sicherheit unb echten
©mpfinbung oorgetragen, mie fie fonft nur bei be»
jahrten ©ünftlernaturen anjutreffen ift."
Sßenige SSochen fpäter mürbe SDtart) auch in 2eip=
jig, mo fie in einem ©oneert ber „©uterpe" fpielte, auf
bag beifälligfte aufgenommen. Smrner meitere Greife
umfehrieben Pon ba an ihre fünftlerifchen SBanberun*
gen unter ber Eput ber ©Itern. 3n Hamburg, Bremen
unb Sonbou erregten ihre Seiftungen (1864) Sluffeßen,
unb mie juüor fchon ber fädjfifche $of, fo oerlangte
nun auch ber englifdje bie jugenblidje Sünftlerin 31t
hören, bie bag Problem löfte, „Siitb unb Süeifterin
zugleich ju fein“ unb fidj, ihrer oorjeitigen ©ntmid*
lung jum ®roß, in fchöner üftatürlidjleit gleichmäßig
meiter entfaltete.
SSon ®pe, bem Sirector ber Royal italian Opera
in ©oöentgarben, gleich auf üier 3aßre mit ber S8e»
bingung engagirt, alljährlich im SCRai ‘ für fünf big
fieben ÜJtonate jur Sftitmirfung in feinen ©oncerten
nach Sonbon ju tommen , lehrte fie in ben nädjften
Sahren regelmäßig nach ©nglanb jurüd, bereifte aber
and) ®eutfd)lanb , Dfterreid) unb in ©efeflfdjaft beg
belannten Smprefario Ußmann unb ber Sßatti 1867
auch Stalien, Sübfranfreid) unb ißarig. Shre Stubien
feßte fie baneben eifrig fort , ja fie fanb bei attebem
noch SJiuße, auch ben ©efang ju pflegen mtb bie ißr
oom §immel oerließene angenehme unb umfangreiche,
menn auch nicht befonberg ftarfe Stimme — einen
hohen Sopran — augjubilben. SJtit großer Seicßtig»
47
feit fernenb, ftubtrte fie al§ fünfzehn jähriges SD^äbcEjen
ba§ jugenbfidie gad) — Slgatfje, Sütargaretlfe, ißa=
mittet, fogar (Slfa — uttb trat and) al§ (Sängerin
roieberf)o£t in ©oncerten an bie Öffent£ic£)feit. lynbefj
ftanb fie fpäter, al§ ©efunbbeit unb Stimme unter
ben ülnftrengungen ifjrer Reifen litten, mieber f)ierbon
ab unb befd^ränfte fid^ auf bie Gcrfolge, bie if)r al§
Elabierfünftlerin blühten. Sie maren unb finb in ber
X^at reief» unb auffergemöhnlid) genug : erachtete man
fie bo«f> fdjon mit noc £) nicf)t bodenbetem fünfzehnten
Saf)re (1869) be§ £itel§ einer föniglid) fäehfifcfjen
©ammerbirtuofin tbertf). 211§ „ber jüngften Trägerin“
berfelben überreizte ihr fpäter (1873) ber fjersog bon
(£oburg=($otha aud) bie SJiebaitle für^unft unb SBiffen-
fdjaft, ju ber mehrere Satire barauf (1879 unb 81)
aucf) bie Könige bon Sßürttemberg uttb Sadffenbie ihren
fügten, mä!)renb fich bie menfd)enfreunblid)eSünftlerin
al§ Sof)n für ihre Bemühungen junt heften ber im
beutfZ 5 franjöfifZen Kriege Bermunbeten and) ba§
facf)fifZe ®rittnerung§frettj ermarb. dlad) ißragerSon*
certen (1869) jttnt Sfjrenmitglieb be§ „Berein§ jur
Beförberung ber SEonfunft in Böhmen" ernannt, holte
fie fief) 1869 unb 70 bie ffulbigungen £ollanb§ unb
Belgiens. SJfad) ben Sfufjntegfräujen ber neuen SBelt
berlattgenb, ging fie bann in Begleitung ihrer Bhttter
über ben Dcean, bom Dctober 1870 bi§ -jum Suni
1872 bafelbft bertbeilenb. !yn fünf ©oncerten ber
dtilgfon führte fie fich gleich nad) ihrer ülnfunft in
Stem^orf ein unb ftettte fic£) barauf in Bofton unb
ißt)ilabefpl)ia bei Gelegenheit ber bort abgehaltenen
Beethoben* unb anberer ÜOhtfiffefte bor, ttm eigene
Slcabemiett unb if$ianoforte=9tecitafö folgen ju laffen.
5Rahe an ztoeitjunbert ©oncerte in ben Bereinigten
Staaten rühmten fief» ihrer SDütmirfitng. So mürben
48
w
toätjrenb eine? fiebenmonattid)en 9leifeengagementS
mit Stjeobor Sf)omaS’ Drdjefter , baS fie junächft in
alte an ber ®üfte gelegenen Stabte oon Augufta bis
hinab nach 9ieW=DrteanS, nnb nach einer Sat)rt nad)
9)iemp^i§ auch in bie inneren Staaten führte, WödjenU
tid) nicht weniger als fed)§ ©oucerte, überbem eine
SKatinee nnb oft noch eine SonntagSauffütjrung unter
ihrer Settjeitigung oeranftattet. Sa bei reifte man
tägtidj bi§ §u oierjetjn Stunben. ®urj oor ^Beginn
ber fßrobuctionen angefomtnen, 50g man oft fofort
nach Söeenbigung berfetben Weiter , um bie 9iad)t t»in=
burd) bis jum nädjftfotgenben ©oncertabenb wieberum
untertoegS ju fein. 2ttS einzige ©rhotungSfrift bei
fo unerhörten Anftrengungen mußten eine SEBod£)e
wafirenb beS SBeit)nad)tS= , brei Sage wätjrenb beS
DfterfefteS genügen. 3n ©hicago würbe bie ©efett»
fdjaft , ftatt ju concertiren , Beuge beS entfe^lidjen
93ranbungtüdS. ÜOiit ÜDiutfe nur entlam fie, auf offener
Straffe Staub , Dualm nnb tpiije , fetbft junger nnb
Surft auSgefeijt, ba alte fpötetS eben niebergebrannt
waren ober in Stammen ftanben. Am Abenb beS
SageS erft f»otte fie ein ©ifenbatjnjug oon ber Uit=
gtüdSftätte ab, um fie nad) St. ßouiS ju bringen, wo,
nad) lanm überftanbenem Scfjreden, bie Sortfe|ung
ihrer ©oncerte erfolgte.
So ungeheuren Strapazen unb Aufregungen mußte
enbtid) um fo gewiffer ein emßfinbiidier 9tüdfd)tag
folgen, als bie rafttofe junge Sünftterin ficfi auch nad)
ihrer ©nbe $uni 1872 erfotgenben 9tücffehr nad)
©uropa nidjt bie nötf)ige Unterbrechung ihrer Stetig*
feit gönnte. SBieber concertirte fie in Seutfdjtanb
ftheitS mit Uttmann, ttjeitS fetbftänbig) unb tpottanb;
f ef)rte jeboch oon bort (1873) franf in bie §eimat ju=
rüd , bitrch ein heftiges Aerüenfieber monatetang au
M
8 a Sftara, Stubicnfö^fc. V. 49
4
23ett mtb £>au§ gefeffett. ©rft im §erbft 1873 oer*
mochte fie ihrem Berufe tion neuem ju folgen. @r
führte fie im nädjften Safjr nach ©ngtanb, mofetbft fie
at§ einer ber gefeiertften unb mittfommenften @äfte
feitbem alljährlich öom Januar bis 2Iuguft iJjren 2tuf=
enttjatt nimmt. Sa fpenbet fie bntb mit ^oadjirn,
^ßiatti, SReruba , Straufj u. 21. gemeinfam, in ben
Monday unb Saturday- populär -concerts, batb in
&'amntermufif*Soireen unb Pianoforte-recitals , batb
in ben pf)iIt)armonifct)ett unb Crystal-palace-©oncer=
ten in Sonbon, batb in SDiandjefter, Sitierpoot, Sub*
tin unb anberen Stabten ilfre traben.
Seit erften St)eit beS SBinterS benützt fie anberweit
jit ®unftauSftügen , toie fie fttf) benn, ifjre ©rfotge in
2)eittfd)ianb baneben unabtäffig fortfeljenb , 1873 im
SSerein mit bem Sioloncettiften griebricf) ®rü|mad)er
in Oft* unb Ußeftpreufjen, 1876 in ben ruffifdjen Oft*
feeproüinjen, 1879 in2ßarfd)au neuegreunbe ermarb.
3u unmittfommener 9tuf)e faf) fie fid£) injmifchen oer*
urteilt, als eine in SBarfcEjau junt Stusbrudj font*
menbe ©rtrantung be§ jmeiten Ringers ihrer tinfen
§anb , mieberf)otte fchmerjhafte Operationen nad) fid^
jieljenb , fie natjeju ein 3at)r üon ihrem Snftrument
fern tjiett. 2tod) nicht genefen, fc^tugitjr (am 16. SEßai
1880) berSob beS$aterS, beS geliebten Oberhauptes
ifjrer mit grofjer Smtigfeit unter fid) üerbunbenen
Familie, eine neue fcljmerjtiche SBunbe. ©rft 1881
erfchien fie, nad)bem fie fiel) int September 1880 ge*
legenttid) eines ©oncerteS ber SreSbner Siebertafel
jum erften SDMe mieber öffentlich am ©taüier gegeigt unb
fobann mit @rü|mac£)er in Sänemarf unb Schieben
gefpiett hatte, mieber jur Saifon in Sonbon, bieSmat
befonberS heräft$ unb begeiftert empfangen. ©S mar,
fo fagt fie fetbft, „ats mottte ihr Seber feine befonbere
<X£)ei£ua£>me an bem 33orgefaHenen , ferne Sreube an
itjretn SBieberfomtnen funbgebett." Sie felber „mußte
fidf überwiuben", um ben antheilüollen Säuberungen
beg Sßublifuntg gegenüber ihre Ruhe ju behaupten.
Sn ii)re g emo bitte Xfjütigfeit trat fie feitbem tut eher
eitt. Sbre Serien uerbrittgt fie meift im §au§ ber
ÜDiutter, in ber fäd)fiftf)en §eimatftabt, tuofetbft fie and)
am 21. Dctober 1881 ibr taufenbfteg ©oncert in feft*
lieber SBeife (unter Rtitwirfung Somhitn’g). üeranftal*
tete. 280Ö gerechten ©)anfeg fcEjä^t Sregben bentt auch
in ibr einen ber glänjenbften Sterne au feinem $unft=
bimmel.
©ine ©ßrenftelte itn Greife unferer beften 23irtito=
finnen ift 9RaTt) ®rebg in SBahrljeit nicht ftreitig §u
machen. SBollftänbige Söeljerrfchung ber Sechtüf, eine
— tueil uon Stimmungen unb nerUöfer (Erregtheit
unangefochtene — faft unfehlbare Sicherheit ber Jpanb
bezeugen ihre 9Reifterfd)aft. ®urdjfid)tige Klarheit,
©lafticität neben Sraft unb Rugbaner, eine getuiffe
einfache Solibität, bie, unbefdbjabet aller Sorgfalt unb
miitutiöfer Seinfjeit ber ^Durcharbeitung, jeben gefudj'
ten ©ffect, jebeg Raffinement uerfchmäht, babei ein
äußerft bigereter, bie S5)entlicE)feit nie fc^äbigertber ©e=
brauch beg Sßebalg unb ein ©ebädjtniß , bag ihr ein
Repertoire öon ettua jmeißunbert SRufifftücfen claffi»
fcfjer unb mobertter SReifter in jebem Rugenblide ju
©ebote fteHt: bieg finb bie ©igenfdjaften , bie ihre
®ünftlerfd)aft groß gemacht. Sie würbe noch größer
fein , gefeilte fich jenen noch ein Sßlug an Sreiljeit ber
Ruffaffunggweife, an innerer SSärme ingbefottberc.
Ron merllidj inbiuibuell gefärbter, fubjectiüer 21ug=
legung ber reprobneirten SBerfe f)ätt fie fich fern.
©leid)Wol)I ftef)t fie benfelben weniger referüirt unb
felbftlog alg Rnna SRehlig gegenüber. Sitte gefteigerte
51
4*
w
^ßoefie beS SluSbrudS t»at fie ofjrte 3toeifet öor if>rer
nif t rninber als fie felbft berühmten ©enoffin tiorauS,
ob f rem rifig fügten Naturell auf bie infpirirte
Sßeife fern liegt, bie ©ofie SDtenter’S intpulfibent
‘Jemperament entfprift. Stimmt fie bof jwiffen
Reiben etwa eine äi)ntif e SDtittelftellung ein, Wie jwi*
fc^en Stubinftein unb häufig, ben SSertretern ber einzig
in SiSjt öodfontmen geeinigten extremen Stiftungen,
£)attS oon Stülow. ®of bieS fetbftrebenb nift öer»
gleif SWeife unb nur ganj int Sillgemeinen. 3m 93e=
fonberen ftefjen fif 93eibe unöerWanbt unb gegenfäjfif
genug gegenüber. ®er ff neibigen ©f ärfe uub über»
ragenben ©enialität feiner Sauft »Statur tritt in fr
eine harmlos ausgeglichene, mit fid) unb ber SBelt in
nötiger Übereinftimmung tebenbe Sraueninbiöibualität
entgegen , wie fie fid) beutlif ff on in frem Spiele
funbgiebt. ®a giebt eS feine Rolfen nof liefen ;
©türme unb Seibenff aften bewegen fie nid) t, Kummer
unb Kämpfe fanben nof nift ben SBeg ju fr. Stur
üorübergetjenb einmal umbunfelte fif f re SebenS»
fonne , unb was fie an ernfterem ©f merj fcnieben
erfahren, war wenig metjr als bie naturgemäße Xren»
nung beS ®inbeS üom Skter, ben ein günftigeS ©e»
ff id fr bis ju ben äufferften ©renjen beS menff lif en
SllterS erfelt. 3m Übrigen hat ein tieferes äßet) fte
Seele wot)t faum geftreift. 3hr Sßefeu ift ju in fif
befriebigt, fr ©eift nif t tief unb fff fliegenb genug
geartet, als bah fie ben SSotlenbungSbrang gröberer
Üünfttergenien ringettb in fif burffämpfte, als bah
fie ben ßwiefpalt jwiff en 3beat unb Söirflif feit, jwi»
ff en Sßollen unb können leibttoU an fif erfunbete.
Reiter offnen SSlideS ben ©rffeinungen ber Statur
unb beS SebenS jugeWanbt , freut fie fif finblifen
Sinnes an Stlumen unb ^hieren, pflegt gern in häuS»
Ife- ' . m
52
ip.
iZ
lieber ©title geiebnenfunft unb meibtidfe Arbeiten unb
befd)äftigt ficb ab unb ju mit beit Siteraturerjeugniffeu
ber öerfdjiebenen Sänber, mit betten fie fünftterifdje
Schiebungen unterhalt unb beren Sprayen fie fid) ge=
läufig ju eigen machte. Dbenan in ihren ßeben§be=
bürfniffen aber ftefjt itjre ®unft, bie ÜDtufit „2Benn
id) mich", fagt fie fetber , „baran erfreuen , an mir
fetber tabetn ober toben !ann — benn ber toafire,
ftrebenbe Äunftter ift ja faft nie mit fid) ganj ju=
frieben — bann bin id) am gtüdtidiften ! " tOtögen ihr
aud biefem (Stüd nod) biet gotbene grücfjte reifen !
53
■
■
w
Ser SBien mtb bieäßiener einigermaßen fennt,
bent ift aucß bon bem tebenbigen ÜDJufitfinn,
ber ißnen innetooßnt, ®mtbe geworben unb
er begreift, baß bie größte (Sßocße nic£)t
nur ber beutfcßen , fonbern ber Sonfunft überhaupt
ficß gerabe auf biefem Soben beließen mußte. Sie
üöfufif liegt ba fojufagcn in ber Suft ; alte Suft ftrömt
in ber greube am ®Iang jufammen unb fcßeint ficß in
ißr aufjulöfen. 23on 21Iter§ ßer ßat e§ ber ®eniu§
ber Sontunft mit SBiett borjug§Weife gut gemeint.
Spießt nur bie fperoen unter ben feßopferifeßen Son»
geiftern lebten unb feßufen ißr §errticßfte§ in ber ton»
reicßeit Sonauftabt, audj bie großen SSirtuofeit erftan»
ben un§ ba guerft : mie bie ©tuet, §ai)bit, ÜOiojart,
53eetßoben, ©cßubert erwueßfen aucß bie Kummet, ÜDio»
fcßele§, Sßatberg, Si§jt, fpenfelt bort 31t ißrer ®röße.
3tncß einer ber beften toeibtießen 9tebräfentanten
be§ gegenwärtigen SSirtuofentßum§ ift un§ bon ba ge»
fommen: ißauline gießtner ift einliebenSWürbigeä
SBiener ®inb. 9^ic£)t bon ißren (Sltern empfing fie ben
tarnen, bem fie in ber ®unftwelt ju gutem ®lang ber»
ßatf: bie am 28. Suni 1847 Geborene ßieß juerft
Sßautine Dprawitl. Sa fie feßon in friißefter IHnbßeit
bie Butter berlor, ber in engen SSerßättniffen lebeube
SSater aber für brei ®inber ju forgen ßatte, naßm ißre
Siebtingötante , bie $rau eines tooßlßabenben Sabril»
befitjerg, fie ju ficf) unb aboptirte fte rtacf» einigen
fahren. 2Iuc£) ihren kanten übertrugen ihr itjre pflege*
eitern, benen fie Sltteg ban!t. SSon tiier fö'inbern, bie
fie befaßen, blieb ibjnen feineg erhalten ; fo genofi benn
ißautine itjre reiche, ungeteilte Siebe, ©lüdlicf) mar
bie ÜDtutter, bie felbft fefjr fcljön fang , alg fic^ bei ber
kleinen bie erften Spuren mufifatifcber Steigungen
geigten unb fie fünf ober fedfg 3af)re alt alle Seier=
faften = ÜMobien , bie fie tförte , auf bent Slabier
mieberjugebeit oerfucftte. Ser $8ater freilicb) moflte
für’g Srfte nichts baüon toiffen, baff fie „SJtufif lernen"
folle ; boct) fanb ba§ lernbegierige @inb für feine
ÜDtufifliebe in ber ÜDtutter eine unt fo bereitmiüigere
^elferSfjelferin : fjinter bent Stücfen beg SSaterg toarb
if)nt, alg eg fieben ^alfre jälflte, eine ©laoierlefjrerin
engagirt. Stur bauerte bie Sreube nicEjt lange. Stach
Verlauf eineg fjalben Salfreg fünbigte bie Seherin ber
SOtutter an , baff fie ihrer Schülerin „nichts met»r ju
lehren oerntöge, ba if>re Siteratur erfdföpft unb bie
Meine ißauline eine ma|re Stotenfrefferin fei , bie nicht
genug SteueS befame!" Unb allerbingg befdfulbigte fie
bie letztere niif)t mit UnrecEjt.
Sa überrafcf)te ber Safer eineg Sageg fein ®inb
aut ©laoier unb mar burdf bag offenfunbige Salent
begfetben feinet! für feine SieblingSneiguitg gemonnen.
Sr fetber führte it)m nun einen Sefjrer ju, ber in Sßiett
alg „brillanter Salonfpieler" galt. Sie oberflächliche
SXiufif , bie biefer ing |>auS brachte , mar jeboch nirf)t
nach bent ©efeftmaef ber Meinen ißauline. So tapfer
fie auch ctHe Schmierigleiten ber il)r oorgelegten Salon*
ftücfe übermanb , ju ihrer eigenen Sreube befefjäftigte
fie ficf) banebeit felbftänbig hoch mit befferer SDtufif,
unb alg fie, neun 3ohre eilt, ficb) in einem Soitcert bor
fünfhunbert 3uf)örern mit einigen Salonpiecen eine
fe. M
58
erftaunlicEje Singerbratiour befunbeitb, tjören tief?,
magte fie fic^i habet aud). mit bettt felbft einftubirten
Vortrag pon S£Ro§art’§ C-moll-fßf)antafie t)erau§. 3 b r
mutiger gleit blieb nidtjt unbetot)nt. SSotjt mef)r at§
jef)nmat mürbe fie nad) Veenbigung ber ißfjantafie
Ijertiorgerufen, ja fdjtietftdj auf einen blumenbefräns*
ten Setjrtfeffet gehoben unb int <SaaI fjerumgetragen,
mobei e§ Vouquetä unb Vonbon§ für bie finbtidje
Virtuofin regnete. S)ie ec^te Sieben§mürbigteit unb
fpntpatf)ifd)e SSärme , mit ber bad SBiener fßubtifum
bem Zünftler für gelungene Seiftungen ju banfen
pflegt, lernte fie eben früt^eitig fennen.
Sie SItern maren natürlich ftotj über biefen @rft=
ting§erfotg , unb fidjerlic^ tjcitte itjrem tatentbotten
Siebting bie (Sefaljr gebraut, at§ SSunberfinb burd)
bie SBett geführt ju merben unb bamit einer ernfteren
SCuäbitbung bertuftig ju geben, f»ätte nidjt eine bebenf=
Iicf>e (Srfranfung fßautine’S bafür geforgt, bat fie
monatelang ihrem lieben Stabier gänglid^ fern bleiben
muffte.
Sine ber erften Sinterungen ihrer SBiebergenefung
mar ber Sßunfd), ba§ SBiener ©onferbatorium befugen
ju bürfen. Sa bie Sttern gteidjmobl tein rechtes Qu=
trauen ju einem fotcE»en „(Sefammtftubium" butten, in
beffen Ötefolge fie bie §atbbilbung fürsteten , lamen
fie überein , ficj) bei einer ber erften mufif=pabagogi=
fc^eu Stutoritäten 3Bien§ , -jSrofeffor Sbuarb ^ßirftjert,
9tatf)3 ju erholen. SDiit (Stunben überhäuft, tonnte
biefer jmar bie mufifatifcfie Steine tro| atlen 3n=
tereffe§ nidjt augenblidtid) jur Sd) uterin avtnetjrnen,
empfaf)t aber §ur Vorbereitung für ben nad} Slbtauf
eine? 3af)re§ fetbft meiterjufütjrenben itnterridjt in
©taüierfpiet unb Harmonie fßrofeffor fOtattt)iaä SBeijj.
©ent hätte auch fßrofeffor <Sfima, ber fie mitttermeite
59
hörte, fie jur (Schülerin gehabt, unb 93eibe, er unb
SBeih , erboten fic£) , fie unentgeltlich ju unterrichten ;
$auline ober entfdfieb fich für ben letzteren unb hot
ihre in finblichem Snftinft getroffene Sßahl nie ju be=
reuen gehabt, ©in ernfteS , fhftematifcheS Stubium
begann je|t für fie , unb als ber Seljrer fie nad) ber
beftimmten grift an Sßirfljert überlieferte , erfreute fie
fid) auch beffen üoUfter 3ufriebenl)eit. „Sch hin9 mit
großer Siebe unb Verehrung an biefetn liebenSwür«
bigen ©haralter, ber nebft feiner gebiegenen Sehr«
methobe auch fonft noch alles Schöne unb ©rljabene
in mein junges ©emüth ju hflanjen beftrebt war",
fagt fie felbft in töejug auf ißirfijert, beS im grühjahr
1881 oerftorbenen trefflichen ÜDteifterS noch über baS
©rab hinaus bantbar gebenlenb.
Sie War aber auch eine eifrige, fleißige Schülerin,
unb ba es aufjer ber SÖtufif noch bieleS Rubere $u er«
lernen gab — benn ihre ©Itern liefen ihr bie befte
©rjiehung ju 'XhetI werben — fo muhte fie bom frühen
ÜOlorgen bis in bie fpäte -Kacht gefdjäftig fein. Shr
SieblingSftubium bilbeten bie SSacfi’fcfien §ugen. $on
einer Stunbe jur anbern lernte fie ju ißirfhert’S gröfs«
tem ©rftaitnen meift fedjS bis fieben unb fpielte fie
ihm auSWenbig bor. ®aS ftärfte auch ihr ©ebächtnifj
ungemein. 3Bar fie hoch ju jener 3eit im Staube,
boit fämmtlichen ißrälubien unb $ugen aus Sadi’S
„wohltemherirtem ©labier", fowie bon allen Sfeetlw«
ben’fchen Sonaten (nur Op. 106 unb 111 auSgenom«
men) jebWebe fofort auS bem ©ebächtnifj borju«
tragen. S3ei ben jährlichen Prüfungen , bie ißirllfert
mit feinen Schülern unb Schülerinnen beranftaltete,
that fie fid) benn auch rtterflicf) hertwr , unb bie 3ei=
tungen machten auf ihr Talent aufmerffam. So gingen
etwa fünf Saljre ber Stubien unter Obhut beS SeljrerS
■ -'jm
60
inS Sanb : ba ftettte er bie Srage an fie , ob fie Woftt
Suft unb 50lutt) in ficf) fütjle , nun mit einem fetbftän»
bigen ©oncert herauSptreten? Sin freubigeS Sa Würbe
it)m pr Antwort, unb furje Seit barauf , eS war im
Aobentber 1865, gab ißauline gidjtner, unter Sethei*
ligung gerbiitanb Saub’S, im alten ÜDtufitüereinSfaate
unter ben i£uchtauben it)r erfteS ©oncert in ihrer
Vaterftabt. Shr 3)ebüt üertief fo gtücftid) , baß fie
fdjon tuerpfp £age fpäter ein jweiteS ©oncert folgen
taffen tonnte, welches fi <ft ber SDtitWirfüng ÜDiarie
Söitt’S, ber nochmaligen gefeierten ißrimabonna ber
Söiener §ofoper, rühmte. ißubtifum unb Sritif tieften
an SeifaltSWärme nichts ’p wünfcften übrig , unb auf
©intabungen pr 93etf)eitigung an auswärtigen ©on*
certen brauchte fie nicht p Warten. Auch in ißrag,
in Sriinn unb anberwärts War ber ©rfotg nicht min*
ber günftig.
Sn ber nädfften Saifon (1866 — 67) fdjon fah fie
fidh p ben berühmten Sammermufif * Soireen öon
|>ettmeSberger unb Sanb atS SJiitWirfenbe pgepgen.
SOiit erfterem ftubirte fie fämmttiche ©tattier*Viotin*
Sonaten oon Sach, SJiojart, Seett)oben, gleich bieten
mobernen. Swmer um Stteftrung ihres Könnens, um
Ausbreitung unb Vertiefung ihres SSiffenS bemüht,
naftm fie bei ÜDtarie SBitt (Sefang*, bei|>ofcapettmeifter
®effoff ©ompofitionS-'Unterricht ; nicht ©tabierfpieterin
allein, SDtufiferin Wollte fie gern fein unb werben.
(Singen bie Quartette, Sonaten u. 'bergt., bie atSStu*
bien unb Scftüterarbeiten entftanben, Wot)I auch toum
über biefen $wed hinaus : in einer Anjatd bon Sie*
bern, bie fie fpäter, pnt STIjeit erft nach it)rer Vertjei*
ratung , üeröffenttidjte*) , reiften iftr nochmals bie
*) ©e$ eängcrä SBunfdt f. 1 6ingjl. m. ?Pfte. fflien, ©ottljarb.
1870.
61
w
grüßte btefer Übungen* Sftelj rere berfelben haben in
Öfterreitf) greunbe gefunben* ^amentlid) jtnei, ba£
innig empfunbene „gm tiefften gnnern" (aus : SSier
Sieber. §ft* 2) unb ba3 £)übfcf)e ©djlummerlieb
„©djlaf, bn liebet ®inb", üerbienten aber and) bei un£
in ®eutf^Ianb gefangen unb gehört ju tnerben.
2tudj al§> SSer^Iünftlerin £)at fitf) *ßaulitte gidjtner
jutneilen in befdjeibener SBeife üerfudjt* §ier ein ©e=
bidjt , ba§ fie in erfter gugenb fd)rieb unb baS , tro|
geringen poetifdjen SBertfje^ , bod) bie SBärme it)re§
6mbfinben§ neranfd)aulid)t :
Sftein klarier.
2) u bift erroäb)It ba£ Seben mir §u mürben,
©ramrolle ©tunben liebreid) mir p türmen:
2)enn fyab’ id) einen tiefen ©c^mer^ in mir,
©o flag’ idj’§ meinem ©ott auf bem Planier!
Oft finb e§> ernfte, feierliche klänge,
Oft büft’re, melandjolifdje ©efänge; —
3n beinen £önen tann id) miebergeben,
2öa§ id) gefügt, wa§> mid) enttäufdfjt im Men!
3) odj nicht allein wenn Srübfinn auf mir ruht
Söirb mir’3 in beiner lieben Sftäbe gut,
Slud) bann wenn froh unb leidjt mein ©inn
3iel)t mid)’§ p meinem glügel fyn.
3u iljm laff’ ich mid) fdjer^enb nieber
Unb fpiele heitre, muntre Sieber,
2)a§ Hingt fo luftig, frifd) unb rein, —
Id), fönnt’ id) immer, immer frö^lid) fein! —
$)rei Sieter (Söeljmutf) , Skrgleid), ÜMn §ödjjie$). SBien,
©ottfyarb. 1870.
ßttei ©cbid)te ton £.Singg. £)reSten, UUe^. (ftrütjer Seidig,
©eiij.)
23ier Sieter. 2 $fte. (££>enb.
„©cfylaf, tu liebet ßint", in $räger’£ „$>eutfd)e ^unft in SBitt
unt Siet'' fccröffenttid)t.
• JB
62
F
SüBie eg bod) einfad), fdiön unb ouferbaulid) Hingt,
Senn man ein inniges» ©ebet in beinen Xönen fingt!
©ebet ift Xroft. ®tum roilt idj meinem greunbe, bem
©lauter,
Xreu bleiben bi« an’S ©nbe, für unb für!
£)ierf)in itnb bortlfin fcfiott War bie jugeitblidjc
Sünftlerin auggeflogen unb lehrte eben, alg bag !yal)r
1867 fict» ju ©nbe neigte, tion einer biefer fitrjereit
©jrcurfionen fjeirn, alg fie fßirffjert gegenüber fdfüdjtern
ben 2Bunfd) äußerte, nun eine etWag größere Steife
ju unternehmen. ftßie erftaunte fie aber, ba er er»
Wiberte: er f)abe bereits barüber nadfgebadjt unb
Wolle fie — nad) Stufflanb f^icfen ! Stile föebenfen,
bie fie augfpracf), nad)bem fie, anfangg ftumnt tior
SSerWunberung, enblic^ ÜBorte fanb, Ralfen 51t nichts.
,/2)u getjft nacf) Stufflanb unb madjft mit Dbeffa ben
SInfang", lautete bie Sofung. Unb babei blieb eg.
©orglidf t»atte ber Öetjrer feiner Spulerin fdjon bie
S3al)n bereitet ; fie brauste nur 51t fommen , um fidf
fjulbigen ju laffen. 211g „§elbin ber mufifalifdien
©aifon“ gefeiert , mit Sympathien , bie man itjrer
Sünftlerfdiaft Wie it)rer anmutf)ig liebengwiirbigen
fßerfönlidjleit barbrad)te, überfc£)iittet , gefiel eg it»r in
ber Xl)at berntaffeit in Dbeffa, baff fie tiolle jwei 10to»
nate bafelbft tierweilte , tiiele ©oncerte gebenb unb in
anberen mitwirfenb , in golge beffen jebocf) ben beab»
fidftigten fBefucl) ÜDtogfaug ganj tierfäumte unb auch
in fßetergburg tierfpätet eintraf. Stur §u einem ©on»
cert mit fpenri SBieniaWgfi brachte fie eg bort unb
fpielte bann nod) mit SSiltjelmj in einer Duartett»
(Soiree im laiferlidfen Schlöffe. ,ßu Weiterem laut eg
nic^t mehr.
fölinber günftig bagegen als in Stufflanb unb an»
berWärtg, führte fid) fßauline f$id)tner in Seipjig ein.
03
33om ®irectorium ber ®ewanbf)auSconcerte , bem fie
ftcf) im §erbft 1869, mit Sdjumann’S „ft)mpf)onifd)en
©tuben", üorgeftellt t)otte, erhielt fie toenige SSoc^en
fpäter bie telegrapt)ifc£)e ©inlabung , an Stelle ber er»
franften Stau S>d)untann , fofort mit 33eetl)oüen’S
Es-dur-©oncert einjutreten. $ung wie fie War, bie
Tragweite eines ©rfolgS im (SewanbljauS fennenb,
wagte fie, troll eines bebentlid) angefdiwoltenen Singers,
nid)t, abjuleljnen. Sie reifte, befarn bie ganje Stacht
^inburd) ©iSumfdiläge unb fpielte anbern XagS
(28. Dctober) mit aller SelbftüberWinbung, beren fie
fällig war. Selbft mit fiel) unjufrieben , erfuhr fie
bod) feitenS beS IßublifumS , jumal nad) ben Solo»
ftüden, eine freunblidfe 21ufna^me. Sie ®ritif aber,
ber oermutt)lid) baS öerliängnifwolle fpinberniff unbe»
fannt blieb , urteilte unnadffiditig unb natfm eine
„unfertige SSiebergabe beS 93eetl)0ben’fcl)en ©oncerteS"
ju ißrotofod. ©aff mehrere ber beften SJlufifer unb
ißäbagogenöeipjigS, wie 9Jtofcf)eleS, SSenjel, Dr. ißaul,
nidjtsbeftoweniger bem SBiener ©afte unb feiner prä»
beftinirten SKufifnatur ib»r lebenbigeS $5tttereffe be»
jeugten unb erhielten, burfte ifjm woljl ein £roft bei
bem obwaltenben SOli^gefcfjitf fein.
@egenfät$lid) genug oerfjält fitf» ju ben Seipjiger
Urttjeilen eine 83efpred)ung ber Sßiener „Blätter für
üötufif unb ®unft" oom 8. ÜDtärj 1870, worin man
iJSanline Sidftner als „bie befte ©laoierfpielerin, weldie
23ien fjeute aufjuweifen l)at", bezeichnet. 31n itjr , fo
tjei^t eS „ift alles gefunb , bie ®raft , bie Sedinif , bie
Sluffaffung , ber ®efd)mad, baS ©ebäc^tni^, aus Wel»
d)em fie baS ganje Programm fpielt.“ ©ine neue, tief»
gelfenbe Anregung war ihrer lünftlerifd) empfänglichen
Statur aHerbingS mittlerweile burdf bie perfönlidie SBe»
fanntfefiaft mit Stau* SiSjt geworben. Sie felbft er»
dfarafteriftifdj , wie fie, um bie erfte Begegnung
mit bem großen SEReifter bauernb feftjüfialten , fid)
gteicE) auf bem Ütüdweg tion feinem §ötef ju ifjrer
Sßofjnung in SBien „pf)otograf>f)iren“ fieff, 2fudj mit
Si§jt’§ SERufe Warb fie um biefe $eit burdf ben 9Ser=
fefjr mit Sranj SertiaiA feinem Stüter, unb Xljeobor
Soreffo, einem ifjrn auf§ Wärmfte antfängenben genia*
len SRufiter , ber teiber früf) tion Rinnen muffte, toer=
traut. Sei teuerem ftubirte fie eingeffenb ade größeren
Sigjt’fdfen ©fatiiercontpofitionen , unb af§ fie im 3)e=
cernber 1870 fidf in ißrag mit bem A-dur-(£oncert
unb ber „Ungarifcfien ißfjantafie" einen großen (Srfofg
gewann , fanbte fie alte if)re Sorbeerfränje nadf ißeft
mit ber Sitte, Si§jt bort auf einige Xage befugen ju
bürfen. (Sie Würbe mit edft ßiäjt’fdier 2ieben§Würbig=
feit wittfommen gefielen unb war „übergfüdfidf", ein
paar SBodjen „mit ifjrent Sbeaf“ jufammen fein unb
tion if)nt fernen ju fönnen.
Sfffjäfjrficlf befudfte fie feitbem 2i3jt in SSeimar,
Wo fie aud) im Sdfwe 1872, ebenfo Wie 1873 in
Xarmftabt, jur gro^erjogfidjen ®ammerpianiftin be=
förbert würbe, wäfjrenb ber Sürft tion Sdfwarjburg*
Sonberdlfaufen fie mit ber gotbnen ÜÖfebaitfe für S’unft
unb Sßiffenfdfaft becorirte. 2tucE) af§ £>ofpianiftin be§
Königs tion ^annotier fungirte fie, wenttgfeid) fie offi»
ciett nie biefen Xitel trug. £>odj fjatte fie, Wie fie
fefbft fagt , nie einen anbädjtigeren $uf)örer peit
bfinben Iftünig, beffen f^amilie fie, af§ fie in 2Bien unb
Dberöfterreid) lebte, faft tägfid) ju ficf» fub.
Sängere 3eit f)inburd) fpiefte fie , tffeifil au§ Se= .
geifterung unb Serefjrung für ben SBeimarer ÜOleifter
unb feine SBerfe, tfjeifö Weif if)r bamit überall ber
gröfjte (Srfofg lohnte , aucf) öffentfid) faft nur ßiäjt.
•Kannten and) ifjre Heineren SortragSftüde affe mög»
8a 9ftara, «Stubicnföpfc. V. 65
5
lidjett kennen, iit bett größeren Hummern He§ fte nteift
iljm baS Sßort. (piefi man fie boef) toäljrenb ber UE»
mann='£ournee, bie fte im Januar 1872, mit ber ÜDion»
belli, Sibori unb bem Florentiner Duartett als £>aupt»
magneten, burtf» Aorbbeutfdjlanb unternahm, aUge»
mein bie „fftljapfobiftin", ba fie an feinem Abenb eine
ber SiSjt’fdjen Sftljapfobien ju bringen berfäumte.
SSiel concertirte fie in öfterreidjifdjen unb beutfdjen
§auptftäbten unb an beutfdjen fpöfen.
Selbft jur ©ommerjeit raftete fie nidjt. 3u ben
großen ©urfjauSconcerten in SBieSbaben, ©mS unb
S3aben»93aben riefen fie ba, meift bei Antoefenljeit
,,atlerf|öc£)fter" (Säfte, ©inlabungen. Sn 23aben»93aben
lernte fie im Sommer 1873 fjanS bon 23ulotb fen»
nen, ber bantals baS fdjnteidjelfjafte SBort non itjr
fagte , fie fei „eine ber wenigen ißianiftinnen , bie
unter bie ©labierfpieler gehören.“ @r tt)ut if)r feit=
bem and) bie ©fjre an, fie „unter bie weifjen Stäbinnen
ju zählen, bie eine SSeetbjotien’fcEje Sonate ju fielen
buffen." Aodj 1881, wäljrenb eines Aufenthaltes in
SBien unb ißeft, bjat er fetbft biet SSeetfjoben wie fpäter
audj SJrafjmS mit itjr ftubirt, nnb fie barf auf bie An»
erfennung unb Freunbfdjaft beS „iftitterS of»ne Furdjt
unb Sabel“, wie man beit bietgefürdjteten ftreitbaren
Zünftler genannt, mit Fug unb 9tedjt ftolj fein. @r
Ijintbieberum , ber immer nur Anbere , nie fidj felber
f pielt, barf in ißauline Fidjtner eine feinfinnige Suter»
(pretin feiner ©labierfd)öpfmtgen fdjäfjen. 2So tjörte
man beifpielStneife feine »Lacerta« fo leidjt unb färben»
fdjillernb über bie Saften gleiten, als unter ifjren §än»
ben ? And) ütubinftein unb fftaff gehören ju ben Sun ft»
genoffen , mit benen fie biel unb genufjreidj berfeljrte,
Wie beS ©inen D-moll-, beS Anbern C-moll-©oncert
§u ibjrert beliebteften 3tepertoireftüden jäljlen. Staff’S
» ' %
bekannte Suite Op. 162 ift ipr jugeeignet, unö eine
fßpantafie für §mei Elabiere trägt bie SBibntung : „3ln
9Ka£ unb ißauline Erbmanngbörfer" — beutt mit
einem anbern -Kamen bertaufepte ißaulitte Sicptner ja
ben ipren, ober fie berbanb it)n bentfelben boep ju
flangbollem Söunbe.
Sm September 1873 mar eg, alg bie bielbegeprte
aSirtuofin auef) nadp Sonbergpaufen , ber fürftlicp
Scpmarjburg’fcpen iftefibenj, fam, um bort. getegenttict)
einer Sigjt^eier be§ SKeifterg A-dur-Eoncert — bag
fie fepon tängft „bag meine" nannte — unb feine „Un=
garifepe fßpantafie“ ju fpielen. ®a§ Ergebnis mar
ein Subei, mie man ipn an felber Stelle noep niept
gehört paben moüte. Sntmer unb immer mieber mürbe
ber (Gefeierte gerufen , unb immer unb immer mieber
muffte feine Snterpretin mit il)tn erfepeinett. Eg mar
ein f)ob»er SErimnpp für biefelbe. Hub fie feierte gleicp»
jeitig in ber Stille noep einen anbern Sieg. 3Agg
barauf rnaepte bie fßrinjeffin bie Sörautmerberin für
ipren Jpofcapeömeifter — unb etje ber näcftfte SKonat
berging , patte fßauline ipr §erj unb ipre bielbermö»
genbe tpanb 9Kap Erbmanngbörfer angelobt, ber alg
Drcpefterfüprer ipr bereits im Eoncert bottfte 93emun»
berung ablb.cfte unb fiep auep alg Xonfeper eineg fidj
immer mepr berbreitenben iftufeg erfreute*). „Erb»
manngbörfer pat ung bie ffücptner burep Sift megge»
rafft", mipelteu bieSBiener, auf benSigjt» unb 9taff»
Eultug iprer Sanbgmännin anfpielenb ; aber ungern
*) „^rinjeffin ,,^c^necvt>ittc^en"f „Sraumfönig unb fein
Sieb", „0etinbe". „©onnenfdjeindjen" für <Soto, (£f)or unb Drdjeficr,
„$>e3 ^aifertyeereS iftomfafyrt" für Mnnerdjor unb Ordner, bie 9iar*
ciß*Cuberture, eine 23ioIinfonatc unb ein (Stabiertrio finb neben
reifen Glabierftüifen, Siebern unb DJiännerdjören bon feinen beröffent*
litten Gompofitionen befonberä ju nennen.
pu - — - — M
07
fallen fie fie fdjeiben. Uitb mürbe etma if»r bie Streu =
mtng bon ifjrer lieben fdjönen ©aterftabt leidet? 0f)ne=
f)in bafetbft gern unb fjäuftg concertirenb, mar fie im
lebten ©Sinter nod) befonber§ freigebig. S3ei öerfctjie=
benen Oelegenbeiten tiefj fie fidf fjörett nnb gab enb=
lief) am 20. iDiärj 1874 ein „atterleiUeS 2fbfc^ieb§'
concert."
2iü’ bie Sorbeeren, bie fie fidf mälfrenb ii)rer furjen
Saufbalfn berbient , faf) fie ficb ba nod) einmal jum
Oranje gemuttben. Si)r ©onterfei mürbe titf)ograpf)irt
unb beim Siuggang in jaf)Ireid)en ©jempiaren ber»
lauft. ®ie ®ritifer metteiferten in Sobreben auf itfr
©pief, unb man berfpract), baff fie „afö grau @rb»
mann§börfer gleidjertneife miüfommen fein merbe, at§
fie e§ ai§ gräutein Sidjtner gemefen."
£>a§ mar iljr Slbfdjieb bom ißnbiifum. Unb am
5. SJiai napm fie SCbfcpieb bon itjrer SJiäbtfienjeit unb
bon ber Heimat, ber ftolgeften ©tabt am ftoljeften
beutfdjen ©trome. Unb bie neue Heimat, für bie fie
bie alte batpngegeben? @o Hein unb befdfeiben fie
mar, fie machte bem bermötjnten SBiener ®inb, ba§ ju
@nbe ÜDtai 1874 bafeibft feinen Sinjug fjielt, bod) ein
freunbticpeS ©eficf)t, unb bie ®unft, bie bort, feit !fjaf)r=
jefjnten emfig gepflegt, jetH unter ber tput ©rbmannö»
börfer’§ blüfjte, forgte, baff ipnt fjeimifc^ie ßüfte ent»
gegenmepten. ®ie ÜDiufif, bie ber ®ünftterin SebenStuft
mar, brauchte fie and) tünftig nic^t ju entbehren, and)
f)ier ging batb ipr ganje§ SDafein auf in ber fdjönen
S'unft, unb einen fruchtbaren ©oben fap fie iprern 23ir»
fen gegönnt. S)ie fünftterifdfen (Srunbfä|e ipre§ hatten
tpeilenb, mie er nidft nur an bie lobten, fonbern and)
an bie Sebenben gtaubenb , unterftüfjte fie, at§ feine
treue ©enoffiit unb SDtitarbeiterin, ipn in bem berbieuft»
botten ©eftreben, ber gonfunft ber © e g e it m a r t in§»
befonbere itt SonberSljaufen eine fixere Ipeim* unb
Sdjirmftätte §u grünben. ®er mufifliebenbe gürft
faurnte niefit , bie junge grau §ofcapetlmeifterin and)
als Ipofpianiftin in ißflidjt ju neunten unb ihr burdf
häufige .gofconcerte unb regelmäßige winterliche mufi*
falifche SonntagS=@oire'en üielfältige (Gelegenheit jur
Ausübung ihrer pianiftifdjen ÜDleifterfdjaft ju geben.
Unb alles, wag fie brachte, mochte es 211teS ober 3Jio=
berneS fein , warb gern gehört ; feinerlei SSorfchrift
beengte ihre Sßaljl bei gufammenftellung ißrer ißro-
gramme. (Ganje Slbenbe fpielte fie nur Söeethoben,
nur SSach unb §änbel, nur (Kljopin jc., ebenfo wie
auch rhr (Gatte in feinen renommirten 2ohconcert=ißro*
grammen niemals beeinflußt ober befcfjränft Würbe.
SBaS aber würbe in biefeit „Sohconcerten", beren ad*
fommerlich 20 — 2.5 unb jWar meift im greien unb
ohne (Kntree ftattfanben, nid^t alles ju (Gehör gebracht !
®aß grau (KrbmamtSbörfer, tioll burdj unb burch
mufilalifchen gntereffeS, wie fie war unb ift, nicht nur
allen biefen, fonbern auch fäntmtlidjen ^ofconcerten
unb ©horanfführungett mit ihren groben ihre leben5
bige X£)eilnahme fchenfte unb ju ihrem eignen (Genuß
für fid) felbft noch alle Sßerle eingeßenb mit ipülfe
ihres Cannes ftubirte, führte fie jum SSefits einer
Siteraturfenntniß , bie unter ihren claüierfpielenben
(Kolleginnen wohl ihres (Gleichen fudjt. 21ber auch auf
bie Weitere (Sntwidlung ihres Spiels gewannen bie
großen mufterhaften ord)eftralen21uffül)rungen wefent--
licken (Kinftuß. Sie jerglieberte ficf» alles feiner, ge5
wiffenljafter , trachtete nadj anberen (Sffecten in ber
Sdjhttirung unb legte jeher ißhrafe ein beftimmteS
gnftrument unter, fobaß fie fich fdjließlich jebeS £on=
ftüd ordjeftral buchte. (Srfdnen ein neues (KlaOiercon*
cert, fo ftanb ihr fofort bie üortrefflidje (Kapelle jur
69
w %
Verfügung, um e§ §u probtren uub fennen ju lernen.
Semgemafj mürbe aud) ifjr Repertoire ein äufjerft
reicf)f)aftige§ unb öieffeitigeä.
Sie atfjätjrticf) mieberfeprenbe grojje September?
feier in Sonderkäufen , bei ber man augfdjfiefjficfj
einen Rteifter auf ba§ Programm fe|te unb fo im
Sauf ber gafjre Si§jt, 33eetf)oüen, Sdjumann, Rubin?
ftein , Raff ber Reipe nacb) feierte , mie §mifd)enburdj
bie SJiufiffefte in §affe, Srfnrt, Rrnftabt nahmen mit
©apeffe unb ©apeffmeifter aucf) bie ©apeffmeifterin
toieffadj.in Rnfprucf). gfjren jmeimafigen Urlaub im
Safjre aber benutzte grau ©rbmannäbörfer fleißig ju
©oncertreifen. gu bester Seit pflegte fie mit befon?
berer Rortiebe bie Sbammermufif unb beranftaftete mit
Sonber§f)äufer Kräften Srio?<Soireen, bie, ifjren fünft?
ferifdfen (Srunbfätjen treu, afterfei Reue» brachten unb
affentfjafben febfiaftem Sfuffang begegneten, häufig
aud) folgte fie mit iprem (Satten ©infabmtgen ju ©on=
certen , bei beneit er fid) birigirenb betätigte. Sa§
mar bann ftet§ ein f)armonifdje§, für 53eibe „perrfidjeg
gufamtnenmirfen.“ ,,gd) münfdje", fagt fie fefber,
„jeder ©offegin einen fofdjen Dirigenten jitm ÜDtann."
Safj fie aud) ba§ gufammenfpief auf jmei ©fabieren
gern mit ifjm pflegte, fonnte man namentfid) bei ben
Rfatineen, bie affmonatfid) in iprem tpaufe ftattfanben,
erfahren. So berfdjieben aud) ifjrer Leiber Sdjufe
mar — er mar auf beut Seipjiger ©onferbatorium unb
bei Riet) in bie Sepre gegangen — ben öoffen fünft?
ferifc£»en ©inffang tief; ipr Rfiteinanber nie bermiffen.
Sen SSerfen ifjre§ Siebfing§meifter§ Si§jt mürbe babei
immer eine beborjugte Steffe eingeräumt. ®am ber
SBeimarer Rfeifter bann fefber nad) Sonber§f)aufen —
unb jeber Sommer bradjte fofcfje „gofbne Sage" — fo
nafpn e r ben ißfatj am gfügef neben feiner epemafigen
70
w
Schülerin ein. SItS fotdje bemäljrte fie fic£) bann mot)t
ju feiner greube, tnenn fie — mie einft in einem §of=
concert — bei Vortrag bon <Saint=(3aenS’ Variationen
über ein Veett)Oben’fdjeS Sbjema it)m alte Veränberum
gen unb Slbmeidjungen , bie er tjinein intforobifirte,
getreutief) nactjfpiette, ober ein anbermat im ißrima*
Vifta=2efeit feiner ^ejameron-Variationen, oI)ne jebe
öorfjerige Verftänbignng halb ben erften, batb ben
^weiten ^ianopart fpiette , fdjnett erratt)enb , baff ber
SJteifter bie größten ©djmierigheiten beS if»r unbe*
bannten SBerheS in feiner gütigen SBeife ftetS auf fein
£f;eil nehmen motte.
SS mar ein „mufihatifdj ibeateS öeben" in bent
Keinen ©onberSfyaufen , eine gtücttictje, befriebigungS*
reiefje .Seit für baS ®ünftterpaar, an beffen SBirhen fict)
jene§ hnüpfte. Stber fie enbete nur attjubatb. Sine
SrbmannSbörfer feinbticb) gefinnte ffofpartei öerteibete
i f) m burcf) bösmittige , berteumberifd)e lyntriguen bie
tiebgemorbene £f)ätigheit , unb atS ber alte gürft bie
^Regierung niebertegte, erbat audt) fein ^ofcapetlmeifter
feine Snttaffung.
2tm 4. 3uti 1880 führte er in einem großen Sot)=
concert im Stjeater , baS SiSjt mit feiner Stnmefentjeit
beetjrte , ben Sactftod: jum testen SO^ate — ein pom»
pöfer Stbfdjtufj. Saut genug betonte fein te|teS ißro=
gramm noef) einmal fein bünftterifdjeS StaubenSbe»
benntnifj. ®ie neubeutfdje getane , bie er bis batjin
bräftig gefdjmungeit , er ffiett fie tjoef) bis jurn testen
Stugenblicf , fo lange er feines ÜtrnteS mattete, ©eine
Sattin fpiette „itjr“ A-dur-Soncert. 2Sie baSfetbe
einft itjr Sntree gemefen, fo mar eS nun and) if)r 9Ib=
fd)ieb in @onberSt)aufen !
ittoef) einmal, am nädjften Xage bei einer Sftatinee
k
71
w
in ihrem §aufe unb einer SIffemblee Bei ber ißrinjeff,
mürben SJleifter unb ©djülerin mitfammeu gehört —
bann mar alles öorbei ! 2iSjt !ant nid)t mieber nad)
(SonberSbaufen , unb ba§ Sünftlerpaar, baS ibn oft
als (Saft gefdfen , Bract) feine gelte bort ab für
immer.
!ynt SBinter 1880 — 81 fpielte ißauline SrbmannS*
börfer tfier unb bort auf beutfdfem Soben, üerBanb
fidf mit Sölaj ©tägemann ju einer Tournee burcb Oft*
preuffen unb trat nach fieBenfätjriger ißaufe mit einem
felbftänbigen ßoncert mieber üor baS ißublifum ihrer
Saterftabt. 23ie ebebern, fo f)utbigte man ber Beliebten
SanbSmännin toon neuem; bie alten @gmfiatl)ien
maren il)r treu geblieben. 21ucb bie ihren Ratten fic^
um nichts oerminbert. SBof)l brofjte bie alte $eimat,
fie in ben Sann ju nehmen unb mieberum ganj an
fiel) jit feffeln ; bodE) Seipjig ermieS fic£> als geeigneterer
SRittelpunft für fernere Engagements; als Zünftler
füllten fiel) 5Dta£ unb ißauline ©rbmannSbörfer eben
boef) mehr nadf ®eutfcl)lanb gehörig. @o fiebelten fie,
bie ^ßiortiere ber neuen ÜDtufif , fid) benn in ber alten
iDtufilftabt an, unb am 22. $tai 1881 ftellte 5rau
ißauline fic^ in einem großen Drd)efter=93enefij*©on*
cert im SOfeater ben Seidigem als Seipjigerin oor.
9tur ab unb ju t»atte fie fidf, feit ihrem erften ®ebüt
im (Semanbl)aus, in ber „Suterpe" gezeigt ; nun gab fie
mit bem A-dur-©oncert SiSjt’S if)re ißarole aus. ®er
©rfolg , ben fie feierte , entfprad) ihrem tarnen unb
9tul)m. ©aff man in ii)r eine ber erften ÜDieifterinnen
ilfreS SnftrumenteS §u bemunberit Ijat , baS bat nun
aucl) baS Sorum ber Seidiger fOlufilOerftäubigen ooll*
ftimmig beftätigt. ©ine in allen ©tilgattungen be*
mäbrte 2ed)nif, ein Sortrag, ber mtS halb burdf Srit*
lanj, halb burdf Seibenfdjaft, halb burdf 21nmutl) unb
72
(Sefül)tSinnigfeit gewinnt, habet eine utäunlidfe ®lar=
tjeit unb ©dfärfe her fßbrafirung unb 9tf)t)tl)mifirung,
etwas ©tarfgeiftigeS mit einem SBorte fennjeidinen
iljre lünftterifdfe 2trt. Unitierfell wie it)r ©piet unb
iljre gan^e fünftterifdfe Silbung ift i^r ^Repertoire, baS
alte bebeutcnberen (Soncerte tion 93atf» bis auf bie (Se=
genWart, nidft minber alle einfdftägigen Sßerfe ber
Üammermufif=£iteratur umfaßt. SJiag immerhin baS
©d)Wergewid)t ilfrer ÜReigung auf ©eiten bet mobernen
äRufif liegen, mag eS fie brängen, „ben fortfdjteitenben
(Seift ber 3eit bei ben glügetn ju greifen unb feft ju
hatten“, fie wirb bem potpphonen (Sewebe Sadf’s ftets
nic^t minber als ber gtänjenben $actur SiSjt’S geregt
werben — bem Saifer Wirb fie immerbar geben, WaS
beS ®aiferS ift. Sei adern ©dfwunge, alter Segeifte»
rung ift ihrem ©piel ein reftectitier 3ug eigen, unb
ein SBiener ©ritifer fpradj untängft aus, bafj bei il)r
tion ÜRaitietät leine Siebe fei. UnS heutigen freilich ift
bie alte SEugenb ctaffifdfer Sorjeit gemeinhin abfianben
gefommen, unb wenn Siidjarb SBagner fagt, baf? „baS
Hunftwerf ber t)öd)ften SilbungSepodie ni<f»t anberS
als im SeWufftfein probucirt werben fönne", fo gilt
bieS itidjt minber tion bem freijufdjaffenben als tion
bem nadfjufdfaffenben Sunftwerf. ißautine $id)tner
ift eine tiottbewufft ftfjöfofenbe unb fpenbenbe ÜRatur.
SRit einer ®ntfd)loffent)eit unb Energie, tion ber itjre
weibticf» jarte @rfd)einung nichts algten läfft, get)t fie
if)ren Rieten ttad). Stiles in Slllent ift fie eine ®ünft=
lerin, bie allenthalben, wo fie and) wirft, als ein (Se=
winn für baS ®unftleben ju betrauten ift. @ie wäre
eS and) für Seipjig geworben — ihre erftwinterlic^e
X^ätigfeit bafelbft bezeugte eS — fjätte fie t)ier eine
bleibenbe (Stätte gefunben. 9tun aber hat bie rnt)m=
tiode Serufung iljreS (Satten an Siicotai Stubinftein’S
Ä
73
©teile, ctt§ Setter ber (ütoncerte ber ÜDtufitgefeßftfiaft
unb ißrofeffor be§ (£onferüatorium§ in 3Ro§!au, fie
Xeiber nidjt nur bern atten SJtufifcentrunt , fonbent
SDeutfdftanb überhaupt entführt» $Diötf)te fie un§ nirfjt
baiternb fern bleiben !
w
S war in ben lebten SDlaitagen beS SalfreS
1870, beS bunbertfcprigen ®eburtSjal)reS
unfereS größten beutfpen DongeniuS, als
SBeintar, bie alte ÜDtufenftabt, ben artberen
Stabten unfereS SBaterlanbeS npmreip ooranging mit
ber Sei« feines SSeetlfooenfefteS. 2$om „Slllgemeinen
beutfpen iDatfitüerein" Deranftaltet , Dort SiSjt , beffen
SSorfiijenben, organifirt, burfte fip baSfelbe ber S0lit=
Wirlung einer fettenen Gclite Don Zünftlern : Wie SiSjt,
häufig, Saiut=SaenS, Saffen, 3)cart) ftrebS, .'pettme§=
berger, Daoib, @ömbel, ©rüijmaper, ißautineSöiarbot»
®arcia, 211ot)fe ®rebS=£Dlipalefi, (Seorg §enfpel, Don
SJtilbe, rühmen. Den Seftgäften, bie in SiSjt’S enge»
rem Greife üerfetjrten , fiel unter feinen Spulerinnen
ein äufjerft jartgebauteS brünettes ÜDläbpen auf,
beffen DöCtig finblipeS SluSfelfen fein fiebjeffnicprigeS
weiter Sügen ftrafte. 233of»b deiner t)ätte ifjtn mef)r als
breijefjn 3al)re juerlannt. ®leipWof)l üerriepen bie
bunfetn , ernft £>Iicfenben Singen ein ert)öf)teS (SeifteS*
leben , unb wer bei groben unb Sluffüfjrungen ben
Gsinbrud ber SJlufif auf baS oermeintlipe ®inb beob*
aptete, fonnte watfrnet)men, mit Welp’ lebenbigem in-
neren Slnpeil baSfelbe ben oerfpiebenen lünftlerifpen
Darbietungen folgte. Daff ber SÄeifter Don if»r, ber
kleinen — Saura ®alfrer nannte fie fip —
©roffeS erwartete , baff er i|r , beren erfte Spritte in
fc- M
77
bie Öffentlidjfeit er fdfon feines SntereffeS vuertt) ge=
galten Ifatte, befonbere Xtfeitnalfme jumenbe, baS
fatjert itnb mufften mir alle. §at fie mitttermeite feine
(Srmartungen erfüllt ? 353er mar fie, unb maS ift auS
if)r gemorben?
®aS mufifatifdfe Öfterreicf) ift Sanra Üfalfrer’S
fjeimatfanb. Sn fötiftefbad) , einem Meinen S0larft=
ffecfen bei 353ien, mürbe fie am 14. Januar 1853 ilfren
Gütern gefcfienft. ®er SSater, ein fmfferer Seamter
bafetbft, bemerfte, fetber fef>r mufifafifcf), bie Suft unb
Anlage feiner ®ocf)ter jur SJtufif unb fieff iffr , nadf*
bent fie baS jettnte Salfr erreicht, Güabier* unb ®ene=
rafbaffunterridjt ertfjeifen. -Jiidjt entfernt jebocf» fam
eS ifjtn in ben Sinn , eine Güabierfpieferin bon ffradj
aus ilfr ju machen. „Sebigfid) jum SSergnügen", er=
jälfft bie ^ünftterin fetber, „faßte icf) etmaS Güabier*
fpiefen lernen unb im Übrigen mirtfjfdfaftfid) tüdftig
erlogen merben , mie eS überhaupt in Öfterreicf) mefjr
atS anberSmo gebräud)fid) ift.“
(Sin $af)r tuug b»atte bie Untermeifung bei Sofef
unb Submig ($fpann gemäfjrt — SSeibe Sdfuffefjrer
am Ort unb tüdßige SOfufifer , inSbefonbere erfterer,
ber atS örganift 33orpgfid)eS teiftete — ba erltärten
biefe ben Gütern, baff fie ifjrer @d)üfertn nichts mefjr
ju teuren bermödßen. bereits fpiefte fie aßeS, maS
man iffr borfegte , prima vista unb improbifirte auf
SSertangen über jebeS beliebige ®f)ema. ÜDtit lauter,
nid)t rnefjr ju überfjörenber Stimme gab fidf ber an=
geborene 33eruf pr-Suuft in bem tafentboßen ®inbe
funb. ®effen StuSbitbung ot)ne SBeitereS p betreiben,
maren bie Gütern, ob aud) mofjffituirt , gfeidjmofß
nic^t bermögenb genug ; erforberte biefefbe bod) um fo
größere Opfer, als fie in feiner (Mrofiftabt, feinem
SDtittefpunft ber ®unftpffege lebten, ber bie geeigneten
Sehrmittet uitö Stnftatten barbot. Um Statt) unb Ur»
ttjeit oon Slutoritäten einjuhoten , reiften fie bemnadj
mit ber elfjährigen Saura nach SSien. Sort marb fie
bem §ofcapettmeifter 9tanbt)artinger borgeftettt, ber
fich unter Stnberem ihre unter Seitung Sofef ©fpann’d
gefertigten ©omfwfitionen öorffneten tief). ©icfittidf)
Don it)ren Smprobifationen namentlich iiberrafcEjt, ber»
antafjte er, baff bie Meine Sünftterin nach ©cfwnbrumt
befohlen mürbe, mofelbft fie berSaiferin ©tifabett) bon
öfterreich im Söeifein bed gefammten §ofed ihre jwötf
©omfwfitionen unb eine freie ißhantafie über bie öfter»
reid)ifd)e 23otfdt)hnine bortragen burfte. Samit war
ihr ©tüd gemacht ; fpiette fie ficf) bod) mit ihrem brei»
ftünbigen ©oncert oöttig in bie ©unft ber hohen fai»
fertidjen grau ein. SSon ihr getiebfoft unb mit .ßuder»
wer! befdjenft, bon ber ©rjljerjogin ©ifeta fetbft am
2Irm in beren ©fnetjimmer geführt, um fich bort ader»
tjanb fperrlidjleiten audjufuchen, Wie fie badSinbedljerj
erfreuten , fah fie ihrem unb ihrer iOtutter ©tüd über
bie wiberfat)rene ©fjre bei ber Heimfahrt nod) burd)
bie Eröffnung bed ^wfcapettmeifterd bie Srone aufge»
fe|t, baff ©rgherjogin ©ifeta eine ©ompofition, Welche
ihr befonberd gefiel, jur SBibmung angenommen
habe*), 3hre SRajeftät fetbft aber bie Soften ber Wei»
teren Studbitbung ihred mufttalifchen ©chüjdingd tragen
wolle. Sie nötfiige ißrobe bor ber ißrüfungdcommif»
fion bed ÜBiener ©onferbatoriuntd Warb atdbatb abge»
legt. @ie hatte bie fofortige Aufnahme Saura’d in bie
Studbitbungdctaffe bedißrofeffor ^ofef $ad)d, wie ihre
ÜberWeifung an fpofcapeümeifter Seffoff für ©om^o»
fition unb ©ontrapunft jur gotge.
*) toar eine ^tyantafie, bie bei ^ctsünger in 2öien erfcfyien.
®rei, ftrengent ©tubium gemeinte Scttjre tiergingen.
©>ie mürben ber fleißigen @djüterin mit bem erften
5ßrei§ im ©tatiierfpiet nnb in ber ©ompofition getonnt.
§atte fie in ben @Pnferöatoriuntg=(£oncerten jcEjon bes
öfteren mitgewirft , fo ftettte fie fidj gelegentlich eine»
int f. !. |>ofoperntf)eater tieranftatteten 28of)ttf)ätig=
feitgconcertg im 2lprit 1869 and) einem größeren ißubtü
tum tior nnb erfpiette fidj mit Stenbetgfoljn’g G-moll-
ßPncert unter ißrocf)’§ Seitung einen raufdjenben
Srfotg. SGSic^tiger atg bie taute Sluggeidjnung ber
Stenge aber mar if)r ber Seifall grang Siggt’g, ben fie
fidj mit ifjrer Seiftung gemann. 2>er grofje Steiftet*,
ber fidj gufältig unter ben Slnmefenben befanb , fanbte
ber jungen Debütantin barnadj eine fitberne gebet*
gum ©ontponiren, im ©eteit ber SBorte :
„Siebe erftauntidje Sünftterin !
(Empfangen ©ie bieg Meine @rinnerung§geid)en an
bie ©tunbe, mo mid) Sfm aufjerorbenttidjeg latent fo
freubig überrafdjte, unb feien Sie ber aufrichtigen
SSot)tgemogenf)eit tierfidjert , mit metdjer Stjnen uer=
bleibt
15. ütprit 1869. SJBien. g. Siggt."
Den ©rebitbrief für bie Äunfttoett , ber iljr bamit
tion ber bjöcfjften Snftang im ©tatiierfpiet auggefteltt
mar , fäumte bie jugenbtidje Sirtuofin nicht , atgbatb
eingutöfen. 2tu§ bem ©onfertiatorium trat fie jejjt
au§, fidj in ©emeinfdjaft itjrer (Sttern itnb if»rer
jüngeren ©djmefter gu größeren SPncertreifen rüftenb.
Sn SBiett fetbft uod) gab fie in ben erften ganuartageit
1870 unter Stitmirfung ißopper’g ein erfteg fetbftän=
bigeg ©oncert. Sfm ttäd)fte§ $ict mar ißrag, mo bag
©djidjat fie gum erften State mit itjrem SJiener Sanbg»
ikf
mann uttb fpäteren hatten, ©buarb Ütappofbi, jufant»
ntenfüljrte, mit bem oereittt man fie am 10. lyanuar
fjörte. ®a§ eine ©oncert, ba8 fie ju geben beabfidp
tigte, tierfünffadjte ficf) ; bie ißrager würben nicfjt
mübe, fie ju bewunbern. ,,©ie fomrnt, fie fpieft, fie
fiegt" — fo feiert Dr. 21. SB. 2lmbro8 , ber belannte
SJinfifgele^rte , fie in ber „S3of)emia“*), „unb af8 ba8
erfte ©oncert ju ©nbe ift, jiefjen bie ißrager mufifafi»
fd)en Patres conscripti in ißroceffion gegen ba§ Sitnft»
ferjimmer unb geben ber iftotiije itjren ©egen. Saitra
Saurer ift fein mufifafifcfjed SBnnberfinb, Wofjf aber
ein finblidjed SBunber tion einer ÜDtufiferin. ©ie plan*
bert fo lieb unb tiertraut mit bem gewaltigen (Seifte
23eetf)Otien’8, mit bem geniaf = pfjantaftifdjen '©dju*
mann, bem ©cfjwärmer ©fwpin, af8 Ratten biefe (Senien
einft an iljrer SBiege geftanben. SBa8 wafyrfjaft über»
raffen mu| , ift ba8 tiefe , wafjre , niefit etwa einge»
lernte SBerftänbnifj , womit bie junge Sünftferin bie
tierfdjiebenften Slufgaben ju löfen weife. ®enn überall
Wef)t jener (Seift, ber febenbig macfjt, ber, wo ifjn
nic^t (Sott gegeben , burd) fein ©cafenfpiefen unb fein
©tübenfdjarwerfen fferbeisujaubern ober $u erfefwn
ift. ©8 finb bie 2Iit§erwä£jften unter ben Zünftlern,
benen biefer (Seift in fo reidjem SJiafee jit SOjeif wirb.
Unb man barf oijne Weitered fagen : grüulein Safjrer
ift auf ifjrem (Sebiete eines ber jum 2UIerf)öcf)ften be»
fä^igten unb berufenen Talente. ©8 wirb wof)f nidjt
fange bauern, fo wirb man ÜÖJart) Srebs, Sofie äßen»
ter unb Saura Sa f) rer af8 gfänjenbeS SDreigeftirn gern
mit einanber nennen. 3ft je|t uuwiberftefjfid) be»
jaubernb, biefeS anmuff)ige Sinb mit liebfidjem ©rnft
*) 22. 3anuar 1870.
fia üftara, Stubicnföpfc. Y. 81
mtb fo anf:prud)3tog, at§ öerftefje fi(^ atte§ üon fetbft,
am ißiano at§ oerftänbnifmotte Snterpretin 93eetJ)o=
öen’§ unb @d)umann’§ gu erbtiden , fo mirb bei fort»
gefegtem ©tubinnt in brei bi§ bier ^atjren nodj
jene Steife unb tßottenbung bagu fommen, burdj
metdje ber Sünfttcrin bann ber t)öd)fte, reidjfte ®rang
ficEjer ift."
®er geteerte gorfdjer ermie§ fidj at§ ftuger ©elfer,
unb „ber (Sotte§funfe mirftidjen (Senie§", ben er, mie
oor ifjm Si§gt unb 2Inbere , in ber jungen fßianiftin
erfnnnt, ftraljtte batb in immer fetterem (Stange.
Seipgig, S)re§ben, Söerlin, Stettin freuten fidf an fei»
nem erften Seud)ten. Sn 9teu » ©tretijs tub fie ber
medtenburgifdie $of eine SSodje lang gu (Safte. £äg»
tief) muffte fie fidj. batb beim (Srofjtjcrgog , batb bei ber
(Srofjljergogin , batb bei ber Epergogin ©arotine tjören
taffen, unb bei ber Stbreife trug fie einen gangen Stibe»
tungentjort gotbenen (Sefdjmeibe§ gur ©rinnerung mit
fidj tjinweg. 2>ie (Srofjljergogin tief? burdj eine iljrer
^ofbamen aud) Saura’g Söitbnifj maten , unb beim
9tbjd)ieb3concert im |>oftt)eater gab fie eugeitfjänbig
ba§ ©ignat gu einem Stumenregen, ber bie Gefeierte
überfdjüttete.
©o täfelte bad (Sttid fd)on 2aura’3 erften SBegen.
®od) mar fie ftug genug, itjm nid^t btinbtingg ttacfjgu»
jagen unb fidj borgeitig mit Eoncertiren gu übermüben.
(Sin längerer Slufenftjatt in SBeimar feiste im 2tpril
be§fetben Saf)re§ iljrem SSeiterftuge bortäufig (Sren»
gen , ob er and) feine§meg§ Stufje , fonbern bietmetm
erneute ülrbeit für fie bebeutete. Unter 2i3gt’§ unber»
gteicfjtidier $üf)rung mar fie — mir begegneten iljr be=
reit§ in SBeimar — mehrere ÜKonate lang mit unge»
teurem Steife an iljrer fünftterifdjenSSerboltfommnung
tljätig.
W • ”
■
@o lange ber ÜDteifter in SBeimar berweifte, gettoft
fte ben SSorjug feiner Unterweifung. 2HS er bann
aber „!3tm=2fthen" wieberum ben Stüden fefjrte , ben
korben mit bem ©üben bertaufcfjenb , nahm aud) fie
int herein mit ihrer gamitie lieber ifjr unterbrochenes
Sßanberfeben auf. Saftete bod) auf ihren zarten
Schultern fcEjon bie ©arge für bie (Sjiftenj ber
gen. SDer beutfdj'franzöfifche Srieg, ber fünftterifcfjen
Unternehmungen nicht günftig tnar, trieb fie in bie
gerne. Sie festen Stufitanb auf itjr Programm, eine
lange, toeite, erlebnisreiche Steife. SJtehr benn zwei
Satfre waren fie unterwegs, ©ie befugten SBarfchau,
Petersburg, SDtoSfau, ®iew, Dbeffa, bereiften 33efs=
arabien ttnb bie Srim. SSom Stfow’fdien ÜOteer bis
hinauf nach ginntanb, @ftf)fanb, Surtanb, Siebfanb tc.
liehen fie feine ber gröberen unb Heineren ©täbte un=
berührt. Sn ®tew fahen fie fidj Wiber ihre Slbfidjt
auf berhängnifsboße SBeife gefeffett. ®ort, wo eben
baS fchwar?\e QJefpenft ber Stjotera umging, würbe
Saura mit ÜDtutter unb ©djwefter bon ber ntörberifchen
Sranflfeit befaßen. ®ie SJtutter fiel ihr pr SSeute
unb fanb it)r ®rab in frember ®rbe, inbefs bie Su-
genbfraft ihrer ®inber gtücEticf) bie auch ihnett brohenbe
Gefahr befiegte.
@ine längere Paufe gönnten fidj bie Steifenben nur
in ©t. Petersburg. ®urd) ben medfenburgifchen £>of
an bie ©ro^fürftin Katharina empfohlen , fpiefte bie
Mrtftterin berfdjiebene SJtate am faifertichen §of, bon
ber bamalS noch untiermähtten Xod)ter2ffejauber’SlI.,
ber felsigen ^erjogin bon ©binburg , burch befonbere
fputbbeweife ausgezeichnet. 2fud) bie 23efanntfd)aft
2lbotf §enfeft’S, Stubinftein’S, S)abiboff’S, Senj’, u. 21.
War ein (Gewinn beS Petersburger 2fufenthaftS.
®ie ßahl ber bon Saura Wahrer auf ruffifchem
k
83
6*
w
23oben gegebenen ©oncerte beläuft ficf) auf rneljr
. benn gmeifjunbert ; eine um fo beträchtlichere Stjätig-
feit, afS if)r nur in Petersburg unb ÜDfoSfan (in ben
SJhtfifoereinSconcerten) bie SDiitmirfung eines £)r*
djefterS §u (Snte fam, mäljrenb fie an ben übrigen
• £>rten — ba ficf) in 9lufsfanb geeignete Prüfte gur 33e=
tfjeitigung fdjtoer auftreiben laffen — fidf faft aus»
fdjfiefüct) auf fic^ fefber angetttiefen faf) unb baS Pro*
gramm meift gang aus eigenen Kräften beftreiten
muffte. ®abei machte fie if)re Sunft oieffadj mofjf*
tfjätigen gtoecfen bienftbar. Sn feiner UnioerfitätS*
ftabt g. S3. üerfaumte fie, für bie armen ©tubenten gu
fpiefen. 3)er (SntfjufiaSmuS, ben fie baburcf) erregte,
fam if>r jebocf) ttjeuer gu fielen. StfS fie in SDorpat
im ©ebrange ben SBagen beftieg, fielen ifjre fdjönen
fdjtoargen f5iec£)ten einer räuberifdjen tpanb gnm Opfer.
(Sebicfjte in ben XageSbfättern fpieften auf ben feit*
famen Siebftafjf an. 2Ber aber ber gogfabfdjneiber
aus SBegeiftenmg gemefen, baS nutzte unb oerrietf)
deiner.
Söalb nac(j ifjrer £>eintfef)r nacf» Seutfdjfanb (1873
foßte bie junge ®ünftlerin and) ben SSerluft if)reS
SSaterS beffagen. 2)oc£) fdjon im barauffotgenben
Safjre, nadjbem fie im Sommer nodj bei Dr. §anS
üon 23üfott) in ©afgungen unb Siebenftein bie festen
58eetf)oüen’fd)en Sonaten ftubirt, oertraute fie if)r
Seben ber güfjrung eines Sfnberen an unb reidjte im
September 1874 (Sbuarb fftappolbi , bem aitSgegeid)*
neten (Zeigen fünftler unb Profeffor beS Rotieren 93io*
linfpiels an ber berliner tpodjfcfjufe für üühifif, beffen
33efanntfdjaft fie in Soadiim’S £>aufe erneuert fjatte,
itjre |>anb.
2)aS S)uo, baS ficf» in ifjnen gufammenfanb , liefe
an Harmonie nichts gu loünfdjen übrig. SJian feöre
& M
84
^
nur bag ®ünftterpaar in feinen tiereinten ßeiftungeit,
bie, atg entfprängen fie einer ütßufiffeete, bie einfeit»
tidjfte ©efüftgmeife, bie gleite ©ebiegentjeit betun»
ben ! ©g giebt Vertreter feineg lynftrumenteg, bie f)in»
reifjenber, eteltrifirenber atg 9tappotbi mirfen. ÜUiefjr
t)of)e Sntettigenj unb rufyige SIbgeftärtfjeit atg ©lut
unb ßeibenfd)aft ber ©mpfinbung ffjricEjt aug feinem
(Spiet, unb feine eminente, an Soac^im’S SSorbilb ge»
reifte £ed)nif tierteitet it)n nid£)t jur teifeften ©onceffion
an ben ©ffect, nidjt jur geringften ©igenmädjtigfeit
ober Stiluntreue gegenüber bem barjuftettenben^nnft»
merf. @g ift bag ebet Stittiotte feiner Steprobuctionen,
mag mir jutiörberft an it»m fcfjäjjen. ®iefer feiner
fünftterifdjen 2Irt ift bie feiner ©attin tiermanbt. 2tud)
it)r gef)en §erj nnb ißtjantafie nicfjt burcf) mit bem
fortmäfrenb madjen ÜDiufiftierftanb , ein ftarfer SBitte
jügett unb regiert itjr bebeutenbeg können. So
fdfmiegt fid) itjre 9tatur fjarmonifd) ber beg ®at»
ien an.
3f)re |>aupttt)ätigteit befdjräntte bie junge j$rau
feit ifrer 23ermäf)tung tebigtid) auf bag ©tatiier.
Sfjren ißftidjten atg §au§frau unb SDiutter t)ingegeben
— fie fdjenfte ifyrem ©emaljt jmei Sötjne unb jmei
Xöcfjter — gab fie fottmt)! bag früher mit ©ifer betrie»
bene eigene Schaffen (fie fdjrieb mefrere ©tatiierfonaten
unb tjauptfädjtid) jaftreid) e jjmgen , beren einige in
SBien preiggetrönt mürben), atg aud) 311m größten
£t)eit bag Unterridjterttjeiten auf. 3>m -6 erb ft 1877,
atg Stappotbi, tro| alter 93emüt)ungen iptt an Sertiit
ju feffetn, auf befonberen SBunfd) beg mufittiebenben
®önigg tion Sadjfen einer efjrentiotten ^Berufung atg
„erfter ^ofconcertmeifter" nacf) ®regben folgte, fiebette
fie mit ifjnt bat)in über. Sdjnett genug mactjte fid)
ipr reidjeg Sttufiftatent bie ($unft ber 35regbner, benen
k
A
85
fie fidj §unäcf)ft in ben üon Sftap^otbi unb (Srütjmacfier
üeranftalteten Xriofoireen, wie fpäter in ifjrett eigenen
Koncerten üorfüljrte, ju eigen. 2Bie fefjr aud) ©önig
Sllbert if)re ü n ft£ er f d} a f t ju fc£)ätjen tonnte, gab er itjr
im SJiai 1879 burd) iljre Ernennung jur föniglid)
fädjfifdjen ©ammerüirtuofin funb.
@o glid^ audj wäljrenb ber dtunbjüge, bie fie nun
gemeinfam mit itjrem ®emaf)t nad) ©openljagen, 2Bar=
fdfau, Sßien, SKündjen, Snglanb (1878, 79 unb 81),
an bie £öfe oon grebengburg _ ggeimar, Sdtedlenburg,
Sarlgrutje, Berlin u. f. m. unternahm, jebe ifjrer
lünftlerifdjen ßeiftungen einem Xriumplje. 2Bo fie
aud) erfdjeint, ber Krfolg !ann ifjr nic^t fetjlett. £ed)-
nif, Sonbilbung, SSortrag , adeg, wag eben ben S5ir=
tnofen madit, ftempelt bie Meine grau jur SOJeifterin .
®ie ^>Iaftif(f»e güde iljreg „(Slodentong", bie rl)t)tf)=
mifdje Sdjärfe, bie überjeugenbe ©larlfeit, Energie
unb 2lu§bauer, ba§ üortjerrfdjenb SBideng* unb
©eifteifräftige iljreg Spietg ift bie ©ritit ju greifen
nid)t mübe geworben. dtidft allein bie Stimme ber
ißreffe unb beg ißublifuntg , aud) bag gewichtigere Ur=
t£)eil ffrranj ßigjt’g , Slbolf fpenfelt’g unb £>ang üon
SSülow’g weift it)r benn aud) eine Stelle in erfter 9teil)e
ber gegenwärtigen ^ßianiftinnen an. Sl)üe „ftauneng*
wertlje, auf bag grünblidffte auggebilbete £ed)nit,
üerbunben mit iljrer mufitwiffenfdjaftlid) entwidelten
Sntedigenj befähigt fie", nad) §ang oon 33ülow’g
geugnif?, „wie leine ibjrer Kolleginnen ber (Gegenwart
jur Söfung ber fdjwierigften unb ebelfteu Slufgaben
üorjuggweife ber claffifdjen Xonfitnft“, wie benn ber*
felbe iöleifter fie belobte , baff iljr unter ben heutigen
ißianiften beg ftarfen wie beg frönen ©efd)led)tg
©einer 33eetf)0üen’g Op. 106 nacfjfpiele.
diod) ift bie junge ©ünftlerin , bereit frilf»geitige
w
Vermählung au§gebef)nteren Reifen fürerft ein 3«l
feiste, nidft ju einer ihrer Vebeutung angemeffenen
Verbreitung if)re§ 9iuf3 gelangt; aber fie £)at — fo
bebünft un§ — noch einen langen 9iuhine§n>eg tior
fidf. 2Köge it)r, gleid) bem ®eniu§ ber Sunft, and) bei*
be§ @tüd§ roeitertjin ^otb fein!
87
w
erfen wir bett SSIid hinaus über bie Erenjen
unfereS bevttfc£)en 23aterlanbeS uttb jielien
aud£) bie bem SluSlanb entftammenben ober
im SluSlattb lebenbett 83irtuofinnen in ben
JSreiS nuferer Betrachtung, fo fetien wir vffrrantreich,
©nglanb , Norwegen , Bufflanb iljre berühmten Ela*
Oier=9tebräfentantinnen aufweifen. 9iur bie alte §ei=
mat ber SJtufif, Italien, fann f{^ feinet ftertiorragert-
ben ÜRamenS rühmen unb läfjt fid) fiierin tton bem
unmufilalifdien Englanb befchämen, Wenn freilich ba*
fetbft and) eine granjöfin , Wie in granlreich eine
Seutfdje, bie weibliche Elaöierfunft an erfter Stelle
oertritt. S'licEtt ber Geburt nach gehört SBilhelmine
Elauft'Sjartiabt), bie gefeiertfte ißianiftin jen=
feitS beS SRheinS , unferem Diachbarüolf an. ÜRür in
golge ihrer Berljeiratung h®ben wir fie an baSfelbe
üerloren, ob fie auch in ©efinnung unb Ift'unftridjtung
Don ganzem §erjen beutfcf) geblieben. Seutfdj ift ber
ibeale 3ug, bie feelenüoüe Sßeife ihres Spiels, hinter
ber ihr üon mancher 21nbern überboteneS üirtuofeS
können ficf» erft in ^Weiter Sinie geltenb macht. Sie
Einbürgerung beutfdfer ®unft im fremben Sanbe auch
ift bie Aufgabe, bie fie fid) gefteüt, unb Wenn heute
bie ÜÖJeifterWerle unferer claffifdjen Sonfiirften in=
mitten eine§ ißubtitnmS , bem bie innerliche 21rt
unferer oaterlänbifdjen ®unftübung feiner Statur nach
& ■ M
91
w
fern oietfüttig (Srunb unb93oben gewonnen fabelt,
jo f>at fie baran nad) Kräften mitgearbeitet.
2ttS Xoc£)ter eines in ißrag tebenben Kaufmanns
warb SBithelntine Staufs bafetbft am 13. ®ecember
1834 geboren. Sie war üier Satire alt, atS itjre
Stiutter, eine ftuge, bie tOiufit tiebenbe grau, fie einft
betaufctjte , wie fie üerfud)te , einen SDlarfdj , ben eine
üorüberjiehenbe SOlititärcapetle gefpiett bjatte, auf bem
Slaüier nadfjufpieten. Sofort würbe befcE»toffen, baS
fid) bamit lunbgebenbe latent ber Meinen auSbitben
ju taffen, unb fo warb fie, nadfbem fie jwei Satire
lang oon untergeorbneter Maft im Ipaufe Unterweis
fung genoffen , ben erfahrenen £änben Sofef fßroffdj’3
anoertraut, beffen Siebting fie batb würbe unb in
beffen Sttufifinftitut fie alten ihren Ü0titfc£)üterinnen in
furjern ben 9tang abtief. SItteS, was fie geternt,
üerbanft fie, bem eigenen ßeugnifj jufotge, auSfchtrefj*
tief) biefem Selfrer.
Snt Sahre t849 war eS , als fie fich mit ihrer
ütftutter — ber $ater War bereits 1843 geftorben —
auf bie erfte Mmftwanberfdiaft begab. SDtit großem
SBeifatt fpiette fie am §ofe ju ®reSben unb 1850 auch
im Seipjiger ®ewanb£)auS, oon StttofctjeteS ob ihrer 3Siet=
feitigleit betobt unb atS „neuer Stern" am ißianiften=
himmet bezeichnet. SDann ging fie weiter nach $8raun-
fchWeig, Raffet, granffurt, Hamburg, bis fie 1851
über ben Ütfwin nad) $ariS fam. Sn einem Soncert
Suttien’S unb in einer üon iöertioj birigirten Drdjefter=
tOiatinee, in wetcher fie baS erfte Seettjooenfche Son=
cert oortrug , führte fie fid) auf baS üortheitt)aftefte
ein, unb bie Mitif, fo bezeugt getiS, „War einftimmig
im Sobe btS zarten unb gtänjenben latentes". Sen
ißtan, ein fetbftänbigeS Soncert zu oeranftatten, ocr*
eitette inbeffen teiber ber ptbtjtiche Xob ber ÜDtutter.
k
p“ ";i= ^
©in ©lüd , b'af? bie hülflofe SBaife in. ber berühmten
(Sängerin ©aroline Üngljer * Sabatier bie liebreichfte
Stü|e fanb. 93ei i£)r, in Sour be garge§ bei ÜDiont*
petlier , f)ieit ficb) Sßilhelmine , bereit ©efunbijeit felbft
erfdfüttert War, mehrere SJionate auf. ©rft 1852
füllte fie fiel) jur gortf eijung ihrer fünftlerifdjen ©ar=
riere fähig unb gab am 2. gebruar ib)r erfte§ ©oncert
in ber franjofifdien ipauptftabt. Ser glänjenbe ©r*
folg beleihen, ber fofort noch einige weitere ©oncerte
jur SoXge hatte, ftellte ben Sftuf ber ®ünftlerin ein- für
allemal feft.
©ine nicht minber günftige 2Iufnal)me erfuhr fie
einige fölonate fpäter, int Slpril, in Sonbon, Wo fie mit
ihrem erften öffentlichen $ ortrage an Stelle ber er--
Iranften Sttabame fpiepel eintrat. Sed)§ ©oncerte
jog bie§ erfte Sebüt auf englifdiem Sieben nach fid),
unb abwedjfelnb in fßariö unb Sonbon trat fie and)
Wäljrenb be§ nädjften 3ahre§ auf.
©rft im Januar 1854 toar fie mieber in Seutfdh*
lanb. 3n Seipjig brachte man bem Uftäbchen, mit bem
tiefen mufilalifdjen ©femüth , ba§ mit ben einfachen
Mitteln rührt, begeiftert, hinreiht", Serenaben bar.
Sie Sritif erlennt ihr „tiollenbete Sicherheit, grifdje,
Zartheit, Sraft, Seele" ju unb nennt fie einen „Sieb*
ling ber ©ötter unb SRenfdfeit". Sludj ber berliner
fReöftab fdfjreibt oon ihr : „Shr SSirtuofenthum pflanjt
bie reine, echte glamnte ber Schönheit auf ben Slltar
ber @unft unb barnm ftraljlt e§ nicht nur, fonbern er*
wärmt". Snöbefonbere preift man ihre 58ad)* unb
Seethooen*58orträge ; hoch fteljen and) fOJenbel§fohn,
. Schumann , fetter , ©hopin , Si§jt auf ihrem fReper*
toire. ÜRidft minberer 31nerfennung begegnet ihr
„poetifd)e§ Spiel" im beutfehen fRorben, in Hamburg,
Sübed, Siremen unb am fRlfein. Sann labet fie
• M
93
W " «5
©ngEanb unb tu ber nädfftenSaifon, 1854 — 55,§ot=
lanb ju Beugen itjrer Xriumplfe. 1855 ift fie in
ißrag , SBien unb ißeft. Söegrüfft man fie an bet*
j)onau aucE) junäd)ft mit einer gewiffett Burüdtfattung,
i£)re feine weibüdfe Statur gewinnt fid) and) bort Wie
aEEentlfaiben halb greunbeunb fiegt über aEEeDppofition.
Söauernb wählte fie ißari§ ju if)rem 3tufentfjatt,
nadfbem fie fid) am 12. SJtai 1855 mit bem ungari»
fdjen Sdfriftftetter unb ißubticiften griebrid) Sjar»
nabt), ber at§ ©efanbtfdfaftgfecretär unter f offutlj nad)
granEreict) getommen War — er würbe bem beutfdfen
Sftufifpubtitum üorjug§weife burd) feine ©orrefpon»
beugen in ben „Signalen“ belannt — oermälftt Ejatte.
Stur bet)uf§ fürjerer f unftreifen nad) 2)entfdEjEanb,
EpoEEanb unb ©ttglanb üerlieff fie feitbem bie neue §ei=
mat. So Ejörte man fie 1858 in Sonbon, 1860 in
föln, Seipjig, Hamburg unb Jpannooer, 1865 in
föln jum nieberrEjeinifdfen SOtufiffeft , Wie fpäter in
SBafel, foblenj unb granffurt a. ÜDt., 1866 in ©ent
unb 23rüffeE, 1871 in Sonbon, bat)in fie Wäbrenb be§
beutfdj=franjöfifd)en Krieges für längere Bett überge»
fiebelt War. Sw Übrigen befdjränfte fie fid^ barauf,
ben ißarifern ben ©enuf) ifyrer fünftterfdfaft ju ©ute
lommen ju laffen unb nur au§nat)m§Weife bann unb
wann in einigen franjöfifdfen ißroüinjiatftäbten, wie
93orbeau£, §n fpieten. Sie ift nicf)t fonbertid) freigebig
mit il)ren Spenben, unb mancher SBinter ging bafjin
olfne baff fic^ bie beliebte fünftierin and) in ißari§
öffentlicE) am ©Eaoier jeigte. 35arum Wuffte man e§
iffr hoppelt ®anf, wenn fie fid^. Wie bie§ juweilen ge»
fdfalj, mit ©Eara Schumann, ober ben ©ebrübern
SJtüEIer, ober filier unb !yoad)im ju gemeinfamen
Seiftungen Oereinte , ober and) mit felbftänbigen ©on=
certen Ejeru ortrat.
fr- — ^
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w
^5
Sftacp Rector aSertiog’ Meinung , ber fie bie ©rfte
unter ben ißianiftinnen nannte, beftept i£)re Überlegen»
heit weniger in ihrem herrlichen latent ber 2Iu§füf)5
rung , at§ in ihrem tiefen SSerftänbnife alter 9)ceifter=
werfe unb in ber getüiffenbjaften poetifcfjen Xreue,
Welche fie bei beren SSorfüfjrung jeigt. Steppen fetter,
ber in if»r eine gefdjätjte Interpretin feiner eigenen
©tabierpoefien bereprt , fagt bon tpr nacf) Sßiebergabe
©hopin’fcper Stücfe: „SprSortrag war unbefdtjretbticf»,
Slnmutp war mit ®raft, gierticpfeit mit 2tu§brucf ge=
paart. Sie Cis-moll-@tübe, biefe reijbott poetifcpe
©Köpfung ©popin’3, Hang Wie eine gtücHicfje Smpro»
bifation , mit ber ®tarpeit unb ©tut ber augenbticf»
tidjen ©ingebung Wiebergegeben. Sie§ fcpeint mir ba§
pöcpfte 2ob, ba§ man bem reprobucirenben ®ünftter
jotten tann". *) Unb Samcfe ändert in einem ißarifer
33erid)t an gleicher Stelle**): „Stau Sjarbabp pat
ipr fcpöne§ latent ganj unb gar ber ernften ctaffifcpen
StJtufif pgewenbet , welche fie benn and) mit boß=
enbeter ^ünftterfcpaft borträgt. 3« ber Haren, einfach»
natürlichen Sßeife itjrer SBiebergabe bereitet bie beutfcpe
Sünftterin ber beutfcpen ftunft neue unb gtänjenbe
Triumphe." 9?icpt btenbenbe SSirtuofität giebt ihrem
Spiet aucf» heute nocp feinen 9teift, nid£»t ju Triumphen
ber Secpnif labet fie un§ ein. Sie ift feine SSirtuofin
großen Stit§; ba§ innige, Slnmutpbotte ift ipr tReicp ;
ebte§ ÜDtafs, SBeiblidffeit, ©rajie unb Snnerticpfeit be=
jeicpnen ihre 2Beife. Sie wirft nicpt imponirenb unb
eteftrifirenb, fie nimmt nur gefangen burdf if»re fcptichte
ißoefie, wenn fie auf ben fitbertönigen gHigetn tßtepet’3,
bie ©hopin borjugSWeife liebte , bie SSerfe fpiett, bie
ihrer gnbibibuatität entfprecpen.
Signale. 1859. üftr. 17. **) Signale. 1863. $cfcr.
95
w
9tod) fort unb fort gefeiert unb bei jeber ihrer
öffentlichen Seiftungen freubig begrübt, gewährt ihr
felbft gleichwohl ihr Stuftreten in ber Öffentlich5
feit au|er ber inneren Söefriebigung wenig greube;
leibet fie bod) unfägtich öon Stngft unb Slufregung, fo=
batb fie üor ba§ ißubtifum tritt, Setbft bie Eewofjn5
heit oermochte biefe neroöfe Erregtheit nicht ju min»
bern ; fo oft fie im Eoncertfaat erfdjeint , wieberhott
fich bie gleiche ißein. SOJag ihr Spiet fid) noch f°
burdjfichtig unb fidjer barfteden, fobafj man nidE»t§ öon
ber fieberhaften Unruhe ihres Tunern fpürt : bie ihr
Staheftehenben Wiffen, wa§ fie leibet unb mit wetten
Sümpfen fie jebe fünftterifche Ediat erfauft. Schrieb
un§ hoch ihr Eatte, „er mache fid) eine orbentlidje
wiffenSfad)e barauS , fie ju einem Eoncert ju übe x-
reben." Slber nicht etwa bie Sorge um Beifall, ober
um Mangel an SBeifatt ift e§, was fie babei erregt ; e§
ift üietmehr eine franfhafte Surdjt , ben eigenen Sin*
forberungen nicht $u genügen.
SWehr unb mehr entfagte fie benn auch int Saufe
ber Satire beu ^ulbigungen, bie man tl)r im Eoncert»
faat entgegenbrachte. ®ent beutfdjen Sitnftteben blieb
fie , ob auch Söeften beutfcher Sunft im StuStanbe
Wirfenb , feit nahezu jWei Sahrjehnten fern , unb
außerhalb ber franjöfifchen |iauptftabt lieh fie fich
fdjon feit langem nicf)t mehr hören. Sie gog e§ üor,
ihre fünftterifche Sraft burch |>eranbitbung jüngerer
latente §it berwertt)en. Si§ auf biefen £ag noch ift
fie eine gefucfjte unb geliebte Sehrerin. Stncf) burd)
Verausgabe älterer Etaüierwerfe hat fie fich SSerbienfte
erworben. Ein Eoncert (F-moll) üoit ißhütpp Erna«
nitel Sach*) - fDtüie eine Slnjatd Reinerer Stüde öon
*) $ür (Slabiet allein. £eip§ig, @enff. 1S65.
96
r
©cartatti, fRameau, ©ouperin u. 9t., wie man fotc^e
au§ ifjren Soncertprogrammen fannte , oeröffentticpte
fie in eigener Bearbeitung. *)
®a§ §au§, ba§ fie im Bouteüarb SüiateSt )erbe§ be=
wopnt , ift ein ©ammetpunft be§ mufifatifcpen £eben§
in fßari§. ©aftticp ftepen feine 'Spüren ben Sunftge*
noffen offen, unb Seiner wopt ift e§ , bem , feprte er
ein , nicpt barin tnopt geworben Wäre ; ber , ging er
pinweg, nicpt oon ber tieben§würbigen Sünftterin, bie
er at§ ©attin, tpaugfrau unb ÜDiutter Watten unb neben
iprem Satent ipre perföntidpen unb päu§ticpen Sugem
ben entfalten fap, ben (Sinbrucf eine§ waprpaft par»
mottifcpen 9Befen§ mit fiep fortgenommen pätte. iyept
freitiep, naepbem griebriep ©jarüabp am 2. föiärj 1882
ben ©einen burep ben Sob entriffen Warb , ift e§ ftitt
geworben in ben fonft tebenerfuttten kannten unb
Srauer ift ber büftere ©aft be§ §aufe§. Sie fDtufen
jebo«t£) werben nicpt barau§ entftiepen fo lange 2Bitpet=
mine ©tauff barin gebietet.
*) (Slaoierjlitcfe au3 ben (Soncert * Programmen oon 2ötll)elmine
S^atOabl) geb. (Stau§. 3 £fte. ßeipjig, Senff.
I. Sonate oon $)om. Scartattt — ßlrte oon ^ergolefc — Les
niais de Sologne Oon Olameau. II. ©aitfatbe oon (Styambon nietet
— La de Croissy, (Courante o. $r. (Xou:perin — ©aootte o. Sftameau.
III. Sonate Oon $>om. Scarlatti — Sonate oon 33eneb. Üftarcetto —
9toman§e oon $atbaftre.
&L=
ßa Sftara, <Stut>icnföpfc. Y. (J 7
.
7
ong, long ago, bag afte fdjottifdfje SSoO§=
lieb , fommt itng in ben (Sinn , wenn mir
ber üöteifterin, in ber ©ngtanb feine erfte
pianiftifdje (Stoffe öereljrt unb beren 9tufjm,
wie ber feiner ifjrer fünftterifdjen SdjWeftern, bucfiftäB =
lieben Grrbbad umfreift : ÜDlrg. 2trabeüa (Sobbarb
gebenfen. üttabjeju brei S^vjefjnte ja Ijaben fitf» twd»
enbet, feit man fie in ®eutfdjtanb junt erften unb ein»
jigen SJiate gehört , fobafj nur ben älteren unter uitg
nodj eine perfon£ic£)e (Srinnentng an fie oerbtieb , ber
jüngere Xtjeit ber gegenmürtigen ÜDiufif» (Seneration
aber fie nur eben betn Stauten nadj fennt. Sßarttm
fam fie nur eiumat unb nie toieber ? Sermifjte fie bei
ung bie (Saftfreunbfdjaft, bie fie fidj in frembeit Bönen,
unter ben fernften Epimtuelgftridjen unferer Gerbe bar»
geboten faf), ober gelüftete eg ifjrent fünftterifdjen @f>r»
geij meljr nadj ben lauten §utbigungen ber Sötfer
Slfieng, Stuftratieng unb 3(metifa§ atg nadj bem Sei»
fad beg mufifgebilbetften Sotfeg ber Gürbe ?
Stidjt bag britifdje Snfetreid) , fonbern bie franjö»
fifd)e Sretagne ift Strabeda (Sobbarb’g Heimat. §ier
erblicfte fie ju <St. Serüan im ^a^re 1840 bag öicf»t
biefer SSett. Saft üott ber SSiege an fdjon offenbarte
fic^ itjre Siebe unb Sefäljigung jur ÜDtufif; beim faum
üier unb ein fiatbeg Safjr war fie alt, alg fie in einem
2Sot)ttf)ätigfeitgconcert eine ißljantafie über Sötotiüe aug
„®on Suctn" mit fo biel ißräcifion mtb Sßerftärtbni^
bortrug, baf? Sitte, bie fte Rotten, fie mie ein SBunber
anftaunten. 33alb nach biefer erften glän^enben Sunb=
gebung ihrer f5ät»igfeiten fiebelten itjre ©Itern nach
ißariS über unb übergaben fie ber mufilalifdjen ©r=
jiehung ®alfbrenner’S. ®ocl) ber StuSbrucf) ber 9te=
bolution 1848 unb bie burd) biefelbe beranlafjte 2luS=
manberung ber gamilie nach Sonbon machte bem
Unterricht ein frühes ©nbe. 3l)n fetjte nun SigiS=
munb Balberg fort, beffen £ieblingSfd)ülerin fie
lange Beit fjtrtburt^ mar. üötit Stolj, fo erjäl)lt man,
rühmte ftch ber gefeierte SSirtuoS , jmei ißianiftinnen :
ÜDiarie ißletjel unb Slrabetta ©obbarb — »une Pleyel
en herbe«, mie er fie ju nennen pflegte — gebilbet ju
haben.
SllS achtjähriges ®inb bereits fpielte bie Setjtge*
nannte bor ber Königin SSictoria, als breijefinjährigeS
magte fie fich rnuthig als Suterpretin £ummefS unb
anberer SOieifter in Her Majesty’s Theatre oor bie
Öffentlichfeit- SllS fie bann ein fpäter in einem
ber ißhilharmonifchen ©oncerte unter ©irection £iitb=
paintner’S auch mit SBiebergabe ber ©laffifer epcettirte,
mar ipre Stellung unter ben heroorragenbften ißia»
niften begrünbet. ©in 33efud) beS ©ontinents bradjte
ihr in Berlin, Seipjig, ißaris unb anberen Drten nur
bie oottgüttige SSeftätigung beffen. Sn Seipjig fdjrteb
SJtofcheleS ©nbe 1854 bon ihr, ber er fcfjon als IHnb
in ißariS eine glanjenbe Brunft prophezeit hQtte - m
fein £agebutf) *) : „Sie beherrfdjt bie größten Schmie*
rigfeiten mit bemunbernSmerther Stühe unb ©leganj,
unb ihr Stnfdjlag ift flar unb h^tt mie eine ©lode.
§ier fanb fie bie gebührenbe Slnertenmtng unb mirb
*) ScBcn. I. Öeipjig, 5Dun<fer u. §umMot. 1S72.
JA
102
» ■*
überall aud) bem ftrengften Sunftricfjter gefallen."
(Sine SSefprecfjung beS ©ewanbhauS=(SoncerteS üom
11. Fanuar 1855 hebt tjerüor, baß fie „mit burchauS
unanfechtbarer Xedjnif unb Harem SSerftänbniß" bei
„glänjenbftem ©rfolg“ fpielte. (Siner ber beften unb
geiftüodften unter öeipgigS ÜDtufilern, ber unlangft (1880)
öerftorbene (Srnft Ferbinanb SBenjet — ein intimer
Freunb SKenbelSfohn’S unb Sdjumann’S — aber
äußerte noch furj öor feinem S£obe, baß er SKenbelS*
foßn’S D-moll-ßoncert nie öoüenbeter als bajumal
öon Arabella ©obbarb hörte unb jwar ebenfowoljl
nach ber oirtuofen als nach ber poetifdjen (Seite unb
nach öer SÖlacfit unb ©röße ber tonlidjen ©eftaltung
hin. ®aß fie bie ©rfte war, bie eS unternahm, baS
SRiefenWerf unter SBeeHjotienS Sonaten, B-dur, Op.
106, öffentlich unb jwar in muftergültiger SBeife tior=
jufüßren , trug ihr namentlich au<| iftellftab’S £mlbi=
gungen ein.
So brachte fie ben Sorbeer auS ber Frernbe mit in
baS Sanb jurüd, bas ihr jur ^Weiten Heimat geworben
unb bafelbft fie fiel) im Fuhre 1859 mit SDaüifon, bem
einflußreich ften unb angefeljenften mufifalifdjen £ri=
tiler SonbonS, oermählte. ®urd) bie »Times« unb bie
Oon ihm rebigirte »Musical world« begrüubete er ihren
Sßeltruf unb geftaltete ihre Stellung in (Snglanb halb
$u einer unanfechtbaren. SSerlautet hoch fd)on 1858 in
ben Seipjiger „Signalen für bie mufifalifdje SBelt", baß
er „neben ißr Wenig anbere ißianiften gelten laffe", unb
in einem Feuilleton ber SBiener „treffe" fdjreibt IpanS»
lief (im Februar 1864) gerabeju: „Frau ©obbarb
(§errn 2>aöifon’S junges unb fdjöneS SSeib) ift be*
fanntlid) tion SaOifon’S ©naben bie erfte unb einzige
ißianiftin in ©roßbritannien ; Wer neben ißr glänjt,
ift ber fritifdjen SSeßme oerfalleu."
f —TS?
SSie bem auch fein ntocfjte , ja fo wenig man ficfj
einen SJiangel an SSärnte, eine gemiffe acaöemifcfje &üf)le
unb öorherrfdjenbe Söerftanbe^mäfjigfeit bei ihr oer=
bellte, man lieb ficf) in (Snglanb bie pianiftifct)e2IIIeitt=
Ijerrfchaft 2lrabella ©obbarb’S gern gefallen ; ja man
rühmte fiel) ihrer als eines »veritable Champion«, ber
„bie @f>re beS mufifalifcffen (SnglanbS allen fremben
Sinbringlingen gegenüber aufrecht halte."*) SaS eng*
lifdje ißublifum liebt in if)r fein mufifalifcljeS Schob5
ftnb, auf baS eS mit hödjftem Stolje blictt, unb in ben
©oncerten, bie fie burd) iljre SDlitwirlung toertferrlicffte,
— in ber alten unb neuen ^ß^il^armonif^ert @efe(I-
fefjaft, ben 93irmingt)amer SDtufiffeften , ben Crystal-
Palace-Concerts, ben Monday-Popular-Concerts unb
oielen ißrobinjial5@oncerten — feierte man fie neben
iljren ruljmgefrönteften auSlänbifcfien Sunftgenoffen
als „Stern erfter ®röbe.“
SftichtSbeftoWeniger gelüftete eS fie nach anberen
frentbartigeren guhörerfreifen , it ad) einem fühnerat
Unternehmen, als eS je jubor eine ®ünftlerin gemagt :
fie fabte ben $lan jit einer mufilalifchen ©roberungS*
fahrt um bie SGßelt. 3 m Februar 1873 nahm fie in
einem groben »Farewell-Concert« Slbfdjieb öon ihren
Sonboner Verehrern , um fich birect nach Sluftralien
einjufchiffen. 3hr erfteS $iel war SJlelbourne. Ster,
wo fie mehrere SDtonate oerweilte, wie in Sibnep,
SSriSbane, Slbelaibe unb anberen gröberen (Stabten,
begegnete fie, fo oft man fie wäljrenb ipreS 2lufent*
palteS in ber ßolonie hörte unb fah , beit lauten 2IuS*
brächen eines unbefchreiblichen (SnthufiaSmuS. Sßeiter
nach Sofien fegelnb, lanbete fie auf ©eplon ; ba ipr
jeboch baS SHima oerhängnibboll 51t werben brohte,
*) Times, 1 1. gc'&r. 1873.
& ^
104
*■ ' ■*
»erlieft fie eS auf Sftatfj ber Är,’,te fdjon nad) ihrem erfteu
Eoncert unb begab ficft nad) üötabraS, bei ihrer Anfunft
bafelbft »oit ber Elite ber ©tobt unb bem (Statthafter
feierlich empfangen. 3it ber itjr jur Verfügung geftett*
ten S3anfetȤatle beS teueren gab fie fedfS Goncerte,
bereu jebeS eine .ßufiörerfchaft öon jweitaufenb Per»
fönen faftte — eine ,ßahl , bie anberwärtS fogar noch
um baS 3tü^efa<he übertroffen würbe. ®arnad) feftte
fie ihren Saüumphäug nad) Saitgalore , Sombaft unb
Ealcutta fort, an welch’ le|terem Drte man — fo
fchreibt ber »Englisliman«, eine bortige Leitung — in
„ihrem Söefuch ein widrigeres Ereignis als bie An»
funft irgenb eines gefrönten fmnpteS" erblidte. Steht
großartige Eoncerte »ermochten ber allgemeinen Se»
geifteruitg hier nicht genug 51t tfjmt, unb in fold)’ auf»
reibenben Seftftrubel fanb fie fid) f)ineingeriffen unb
ju beffen SJtittelpunft gemacht, baft fie enblicft ermübet
bie glud)t ergriff, ihre Strafe nad) Gljitta weiter »er»
folgenb.
Sott ^ongfong unb ©hangai auS befucfite fie ÜDta»
nilla, bie Philippinen, ©ingapore unb Sataöia, bort
als Eaft beS EouüerneurS in beffen ©ommerpalaft in
Suitenjorg beherbergt , fowie beim Abfdfieb burdj) ein
großes Eoncert , baff ihr bie Singebornen gaben, ge»
feiert. SBofjin fie fam, wetteiferten Surften unb
Potentaten mit bemSolfe, ihr einen feftlidhen Ern»
pfaug unb Aufenthalt ju bereiten. 3)ajwifdjen fehlte
eS aud) nicht an Abenteuern bebenflidjfter Art. Auf ber
Steife ton Saoa nach Auftralien litt fie in ber Stahe
oon 2mwnSbilIe Schiffbruch unb muftte jwölf ©tunben
im offenen 33oot umhertreiben, gutn <Slüd würben
aud) ihre Juwelen unb ihr waftrenb biefer Steife er»
worbetteS Serntögeit bis auf einige Imnbert Sofia rS
gerettet.
M
W = = ? ^
Stadf einem jtüeimonatlichen, äufjerft einträglichen
Stuf enttjatt in Steufeelanb lehrte fie über Storbamerifa,
mo fie in Kalifornien , ben bereinigten Staaten unb
Kanaba noih ihre Triumphe concertirenb Oermehrte,
fi<h aud) in San Francisco anfaufte — toie fie gleicher*
ioeife in Sluftralien, Sonbon unb boulogne Krunb*
befijjerin ift — , um einige hanberttaufenb S5olIarS
reicher, 1876 in bie Heimat jurücf.
®er Sntpfang bei ihrem erften öffentlichen SBieber*
erfdjeinen nach brei unb einhalbjähriger Slbtoefenljeit
in berSt. $ameS’ $aß ju Sonbon lonnte nicht toärmer
fein, begeiftert begrüßte baS ißublifum feinen Sieb*
ling, unb alle Zeitungsberichte — man üergleiche bei*
fpielStoeife »Daily Telegraph«, »Observer«, »Daily
News«, »Hörnet«, »Examiner«, »Illustrated London
News«, »Court Circular« in ihren ^Referaten öont 14.,
15., 18. unb 21. Dctober 1876 — ftimmen überein,
baf? fie unübertroffen unb ihre Stellung bon feinem
ihrer injtoifchen gehörten Stibalen auSjufüHen fei.
SJtan preift fie als im befij} „jloeier rechten ,'Dänbe“,
eine» „poetifcpen 21nfchlagS, eines gefangreicheit, fraft*
unb auSbrucfSOollen, fhmpathifdjen ShneS, einer per*
lenben 'Secfyrtif , eines reijenbeit, bie rechte bertheifung
Oon Sicht unb Schatten gemährenben bortragS." SDtan
nennt fie bie „glänjenbfte bertreterin englifcher ®unft
in ber §eimat toie in ber grembe", bie bacf) unb
£änbel, SRojart unb beethooen, Rummel unb SDto*
freies, SBeber unb Khopiit, SRenbelSfofm unb Stern*
bale bennett gleidjertoeife gerecht toerbe.
Db man fie mit Stecht ober Unrecht alfo rühmt,
baS ju beurteilen gab fie unS jüngeren inSeutfchlanb
leiber feine (Gelegenheit. Stur bei ben ißarifern lieh
fie eS fich angelegen fein, ipr Slnbenfen im SRärj 1877
mit beethoüen’ften, SDtenbelSfohn’fchen, Khopinfdjen
w
unb Siäjt’fdfen ©ompofitionen wieber aufjufrifdfen.
Snt Übrigen warb fie feit ber §eintfef)r bon itjrer
Sßettumfegetung nur in Sonboit unb ben ettglifdjett
^robin^en gehört. Senn bie §änbe in ben ©djojj
ju legen , ba§ fommt ifjr , bereit feine S3itbung unb
©pradigeWanbtfjeit ntan anerfennenb |erbort)ebt, and)
fjeute nodj nicfft bei. Ser reid^e ©rtrag ber ©otb=
unb 9tuf)me§ernte , bie fie gehalten , bünft ber uner*
mubtidien ®ünftterin feilt Stntafi, fid) borjeitig müßigem
(Senuffe f)iitjugeben , unb ba§ SBebürfniff itacf) 9M)e
fdieint fie nidjt ju fennen, bereit ©tim ein ®ran$ um»
grünt , ju bent ade (Segenben ber ©rbe ben ßorbeer
geliefert.
107
.
■
■
■ VI
.
f
w
att fennt ba§ oft wiehert) otte SBort , baff bie
befte grau biejettige fei, üon ber ntan am
Wenigften ffaricfit. ©o Wenig ba§fetbe im
Slttgemeinen auf bie Sünftterin SInwenbung
leibet unb itjrer ÜRatur uatf) leiben fann , eine unfrer
tjerüorragenbften ißianiftinnen tjat e§ ficf» gteic£)roo£)l
augenfcf)einlicf| jum ©runbfatj gemacht unb mit allem
(Sifer barnacf) geftrebt, baf? ifjr 9tame fo Wenig at§
möglich üon anberen Sippen genannt werbe — ober
mü|te nach bem ÜDiafjftab ihrer ®unftleiftungen ber
üftame @rifa Sie Riffen fic^ nicht einer ungleich
Weiteren Verbreitung erfreuen , at» bie§ in SBaprpeit
ber gatt ift? Sie ift eine äufjerft eigenartige gnbiüi=
buatität, biefe norbifdje Srifa. @chticf)t unb befdjeiben,
wie bie Vturne, beren ÜRamen fie trägt, oerbirgt fie fit^
lieber im fcEiattigen 2>unfet at§ bafj fie tjeroortritt an
ba§ t)ette Sic^t ber Öffentlicfjfeit. 2tlter (Stanj ber
Virtuofencarriere biinft ifjr reijtoS. ®ie tauten §utbi=
gungen ber iDtenge taffen fie eben fo Hilft at§ ber
gteifjenbe (Sotbtotm , ben fie bem Sünftter barbringt ;
ja man fagt, baft retigiöfe ©crupet it)r fogar ernfU
tjafte Vebenten erregten, bie Vatjnen ber^ünftterin ju
Wanbetn. 2lt§ eine if)r üon ber SSorfefjung aufertegte
ißftidlt nur betrachtete fie bie 2tu§bitbung unb 2tu§*
iibung einer ®raft , mit ber fie oor Stnberen begnabet
worben. Unb fie natjm e§ ernft mit (Srfültung biefer
lti
M
W~~ — — ■ *
ißfticpt. 2Ba§ fie erreicht, ftettt fie in bie Steife ber
beften SlReifterinnen. ©g ift mapr, iprer ©pietmeifc
mangelt, trop einer ipr angeborenen rnerfmürbigen
tecpnifcpen Seicptigfeit, ber eigentliche öirtuofe ®tan§ ;
bag SBort ©ffect ift ipr fremb, nnb öon btenbenben
Sßirfungen täfst fidf bei ipr nic^t fpredjen. Spre tiefe
Snnerticpfeit ift eg, bie ihrem Spiet feinen beften ffteij
öerteipt. !ypre “Sedinif erreicht nicht ben ©ipfetpunft. .
©ie mirb non ber mancher ihrer ©otteginnen , bie fie
burdf beftänbigere§ ßufammenteben mit ihrem gtüget
confequenter pflegen nnb erjiepen , atg ©rifa’g ©e=
funbpeit nnb SSerpättniffe bie§ geftatteten, übertroffen ;
aber fie ift öon fcpöner fRunbung nnb 2tbgeftärtpeit.
£)pne befonbere pppfifcpe Sraft, opne erhebliche ©röfse
nnb förperticpe SDtacipt be§ Soneg, ift bocp ipr ©piet
feberjeit eineg bebeutenben ©inbrucfeg ficper. ©ine
fettene geinpeit nnb ©teganj jeicpnet ipren 2tnfcptag
and nnb macht fie üorjuggmeife jur ©popin»@pieterin
gefcpidt , atg metcpe fie fiep in ©eutfeptanb befonberen
. SRüpm ermarb. 5Räper jeboep als ber epeentrifepe, batb
teibenfcpafttiip gtüpenbe, batb fcpmärmerifdj fentimem
täte ißote ftepen iprem §erjen unfere beutfepen $8acp
nnb ©eetpoüen ; ben ernfteften , erpabenften ltnferer
©onbiepter menbet fiep, eparafteriftifep für ipre 2Irt
■Jtatur, ipre Sßapt mit Vorliebe ju. ©abei ift fie niept
einfeitig ; auep ©cpubert , SDienbetgfopn , ©cpumann ,
Sigjt, 23rapmg, ipr Sanbgmann ©böarb ©rieg u. 2t.
ftanben nnb ftepen neben ben genannten StReiftern auf
iprem ^Repertoire. ©urdp feinen ©eminn aber ift fie
fematg ju beftimmen, SRufif, bie ipr niept jufagt, ju
interpretiren. ÜRicpt 2Itteg mtb niept immer fpiett fie
gteiep gut, baju ift ipr Söefen, fo fepr fie naep Dbfecti»
üität ftrebt, ju fubfectiö, öietteiept gu meibtid) geartet
nnb — mag bieg immerpin eine ©cpmäcpe unb Un*
& : M
112
TS
tiottfommentjeit fein — ju mächtig bem (Sinftuff tiou
gufättigfeiteit unterworfen. StertiöS, tion jartcnt Sör=
perbau unb nidft eben fefter (Sefunbljeit, ban!t fie ficf»
felbft oft itjre Seiftungeit am toeitigften unb ift ifjnen
ber ftrengfte Stifter. Qeber einzelnen berfelben aber
Ijaftet, fei eS in guten, fei eS in minber gtüdtid)en
©tunben, baSßkpräge beS ©etbfterlebten an; Stnmutf)
unb feetifdfe Sßärme beS 23ortragS , ißoefie ber Stuf*
faffmtg, fddidfte ®ebiegenf)eit, 2Baf)rf)eit nnb Stobteffe
beS SluSbrudS finb it)r unauSbleiblict) ju eigen. SllteS
in Stttem genommen offenbart förifa’S gefammte fünft»
terifd)e 28efenf)eit eine Harmonie unb Steife, Wie fie
nur ber SluSftufs eines oöttig tjarmonifdjen Innern ift.
3BaS fie fetber Wüitfcfit: baf; bie tion if)r jur SDar»
ftetlung gebrachte SDtufif nicEjt nur ben ©inbrud äußerer
®langfd)önf)eit Ifertiorbringen , fonbern ben SluSbrud
eine§ ebten (SeifteS üergegenmärtigen fotte , baS er»
fdteint in ber Xfyat bei i£)r tiod erreicht. Strenge reli»
giöfe Stnfdfauungen unb ©ruubfätje fielen mit ilfrer
l?unftrid)tung in gufammenfjang ; bürfte man bodf
als baS SJtotto ilfreS ßebenS bejeidjnen , waS fie un»
längft in baS Sttbum eines SSertegerS fcfjrieb :
fudfe in Sittern, and) in meiner ®unft, bem tperrit ju
bienen".
Sticht ju ben friit» enttoidetten Staturen gehörte
@rifa. Sßälfrenb ifjrer erften ®inbf)eit, bie fie in
SoitgStiinger, einer fteinen norWegifdjen ©tobt un»
fern .Stfriftiania, mofetbft fie am 17. Januar 1845
geboren Warb, tierlebte, nafjm man feine auffattenbe
Begabung bei if)r iualfr. Slufserorbenttid) fdgneigfam,
rutjig unb in ficf) gefetjrt jeigte fie fic£( ; fiel) fetber nn=
betoufft aber naf)m fie bie (Siubrüde ber ausgeprägt
geiftigen Sttmofplfäre beS ©IternfjaufeS in fid) auf.
S5on 33ater unb ÜJhttter — ber SSater war Slbtiocat —
k ' &
Ca 9ftara, Stubicnföpfc. V. 113
r
erbte fie trefflidje ©igenfdjaften be§ ©eifte§ uttb §er=
jen§. Söeibe ©Itern traten ungewößnlid) nutfifalifd)
unb literarifcß angelegt unb pflogen in intern gaft-
freien , ®unft unb SBiffenfcßaft allzeit offen fteßenben
§eim einen lebenbigen SSerfetjr mit ßeroorragenben
Beuten. Die Söult, $8jörnftjerne Söjörnfon unb anbere
fünftlerifcße ©roßen , 3otta§ Sie, @rifa’§ SSetter, bet
fpäter ißre ältefte ©cßwefter jur ©attin naßm , geßör=
ten jit ben täglichen ©äften be§ §aufe§. Sßren ein5
geßenben unb eifrigen ®i§cuffionen über bie oerfcßie5
benften , itjre Sntereffen berüßrenben fragen iiörte
©rifa fcßon in früher Sugenb 31t. Schöpften and) i£>re
älteren ©cßweftern naturgemäß babei ßößeren ©eminn
— it)r poetifcßer unb fimfilerifcßer ©inn tnarb bod) un5
Wiüfürlicß früßjeitig baburcß angeregt , unb in feiten
wucߧ unb reifte fie ißrent fpäteren S3eruf entgegen.
Sen erften SJlufifunterricßt empfing fie bon ißrer
ÜJtutter unb ißrer älteren ©cßwefter ^ba, bie fpäter
nach bereit Sobe SJintterfteKe an ißr oertrat unb, felbft
eine ber angefeßenften ÜDtufifleßrerinnen ©ßriftiania§,
entfd^eibenben ©influß auf @rifa’§ mufifalifdje ©nt»
tnidelung gewann, ©itte fo treue ©efäßrtin war fie
berfelben , baß fie fogar al§ ©rifa ficß nacßmalg einen
eigenen §erb grünbete , ißr ftüßenb unb ßülfreicß jur
ißre ßäu§Iicßen Wie fünftlerifcßen Qn=
auf biefen Sag fort unb fort mit ißr
©eite blieb ,
tereffen bi§
tßeilenb.
Sm fünfjeßnten Saßre ftanb ©rila , al§ ber $ater
ftarb unb bie gonülie ißren SSoßnfiß nad) ©ßriftiania
oerlegte. 9tun warb £>alfban Sjerulf , ber befanntc
norwegifcße ©omponift, ißr Beßrer. klaren Elidel er=
fannte er fcßon al§ er ba§ junge üftäbcßeit jum erften
SDtale ßörte, ißre große Begabung. „Sßren tarnen
wirb bie SBelt einmal ßören!" fagte er 31t SO^arie iölicß,
114
ber Sreunbin , bie fie begleitete. Sn ber Spat gab fie
fdjott bamat§ 2Itte§, ma§ man ipr bortegte, mit fo biet
ßeicptigfeit unb ©icperpeit mieber, baff ®jerutf erft
nacpbent fie einige feiner eigenen SJtanufcripte mit
gleicher gertigfeit borgetragen patte, ju überzeugen
toar , bafs fie Dom Statte fpiete. 2tucp Dte Sud be*
jeigte biet Speitnapme an iprem Satent. Sr führte
feine junge ßanbärnannin zuerft in bie Dffentticpfeit
ein : benn in einem feiner Soncerte trat fie zum erften
ÜÖMe bor ba§ ißubtifum iprer Heimat, ©ie mittfaprte,
tiebenSmürbig unb fetbftto§ bienftmittig wie fie mar
unb ift, bamit einfad) bed ®ünftter£ SBünfdjen — e§
mar ipr ja niept gegeben, mit einem „itiein" zu antmor»
ten , menn Sentanb etma§ non ipr erbat. Sparafte»
riftifcp äußerte fiep Sjerutf einmal über fie zu iprer
©cpmefter : „ ©age icp ipr, fie fotte biefeS ober jene§
fpieten, ma§ e§ auep immer fein mag, fo fragt fie niept,
ob e§ für fie pafft ober niept ; niept , ob fie ed zu be=
mattigen bermag ober niept, fie tput e§, eben meit
icp fie barum bitte, ttnb menn icp fie bäte, burep ben
©epornftein zu gepen, fie mürbe fiepertiep ja fagen unb
e§ berfuepen.“ @o tarn fie einmal, um Spopin’g ißpan=
tafie=Surpromptu zu entteipen, zu bem Seprer. „3Ba§
motten Sie bamit?" fragte ®jerütf Scp merbe e§ in
Dte Sut(’§ Soncert fpieten"". „2Botten©ie im Soncert
fpieten?" „„Sa, benn Dte Sntt bat miep barum"".
„ SSarum aber mäpten Sie bann biefe§ ©tüd, ba§ @ie
noep nie gefpiett paben? §eute ift Sonner§tag unb
am ©onnabenb ift ba§ Soncert!" „„SBeit Dte Sütt
münfepte, bafj icp e§ fpiette. S<P pabe ipm auep niepts
babon gefagt, baff icp e§ nodj niept gefpiett pabe. SDtir
bleibt ja morgen ein ganzer Sag , baran zu üben ! " "
Sjerutf töcpette nur — er fannte feine ©cpüterin unb
tiefs fie gemäpren.
115
Sin Sal)r lang ging Srifa bei i £) nt in bie Sef)re.
Sann trieb ber SBunfch , ficf) unter einem beutfchett
Öefjrer p üeröotllommnen unb ihre SluSbilbung burd)
Stntjören guter ÜDZufil p förbern, fie nad) ^Berlin. Sie
trat, als eine ber meiftüerfpredjenben Kräfte, in Kul*
laf’S Slcabemie ber Xonhmft ein. Sa itjr injmifchen
ber Sob aud) bie ÜDZutter raubte, ber Statt) ihres Sltei*
fterS aber fie entfliehen auf bie fünftlerifdje Saufbat)n
mieS, oermeilte fie ftatt eines SBinterS, mie fie anfangs
geplant, öier »olle Safjre bafetbft, mäfjrenb ber testen
Hälfte ibjrer ©tubienjeit, ba fie fidj barauf angemiefen
fat), gleichzeitig als Setjrerin in Kuttaf’S Slnftalt mir*
fenb. jeher ber atijährlid) in ber Slcabentie ftatt*
finbenben öffentlichen Prüfungen trat fie auf unb tier*
abfdjiebete ficf) am Snbe itjreS ^Berliner SlufenthalteS,
am 19. Slpril 1866 mit einem eigenen Soncert im
©aale beS ©cttaufpielljaufeS. Ser Srfolg liefj nichts
p münfctjen übrig. „3n ber fünftlerifdfen SOZitgift ber
Spielerin" — oerjeidpete bie Kritil in ibjren 21nna*
len*) — „gehören namentlich eine forgfältige , ben
feinften Sontouren ber Slufgabe fich anfdfmiegenbe SBe*
hanblung beS SonS, mufterhafte Klarheit unb Sauber*
feit ber ffiguration, enblid) eine bis in ben fleinften
Shell burcfjfichtige Öllieberung beS SSortragS“.
SSon ber gleichen Ölunft getragen mar ihr Srfdjei*
neit in ben Soncertfälen ihrer norbifcheit ^eimat. 3n
Shrifttania , Kopenhagen, ©todljolm erregte fie, als
bie erfte ißianiftin, beren man fid) int Storben rühmen
fonnte , 21uffel)en , ja in ber fdjmebifchen fpuptftabt
fal) fie ficf) pnt @hrenmÜ9^e^ *>er böniglicften mufifa*
lifchen ülcabemie ernannt. 1868 ftubirte fie auch eine
Zeitlang in ißaris unb concertirte in biefem mie im
*) Signale, 1866.
116
W~ —
barauffolgenben Saljre in Sonbon. Sidj in einem
doncert unter protection ber Pringeffin oon 3Sale§,
an bie fie burcf) beit fdjmebifdjen ©önig unb ben
bänifdjen ©ronpringen empfohlen war, bei ben ©ng=
länbern einfütjrenb, fati fie fiel) batb in bie ariftofra*
tifdien ©reife gezogen, benen fie freigebig if)re ©unft
gunt Söeften gab, ofjne fid) üon ber 2lrt ihrer (Sefellig*
feit fonberlid) angegogen gu fühlen. ©in mufifalifd)e§
©rlefmifj jebod^ banft fie Sonbon, ba§ fie fetbft al§
ba§ größte if)re§ Sebeit§ begeidjnet: bie perfönlidje
Söefanntfcfjaft mit S«tnp Sinb. ©in 93rief £mlfban
©jerulf’§ bahnte if)r ben SSeg gu ber großen Sänge»
rin, beren menfchlidje toie fünftleriftf)e Snbiüibualität
fie mit IföcEjfter SSereftrung unb 93etounberung erfüllte,
®ie Sieber, bie ihr jene oorgefungen, toaren bie erfte
föiufif, bie fie ate in üolter Harmonie mit itjrer eige»
nen Stiftung fteljenb , hörte , unb bie fie al§ eine
it)rem eigenen (Seifte oertoanbte anfpradj.
©rifa felbft pflegte eine geitlang eifrig ben (Sefang.
2ll§ eine ©ranffjeit ber §anb, tioit ber fie in (Saftein
Teilung fuc^te unb fanb, fie über 3df)re§frift am ©la»
üierfpiel üerl)inberte, ergab fie fiel) gang bem Stubium
beg (Sefangg. 3n (Sefellfdjaften, in größeren unb flei»
neren ©reifen, in benen man fonft it)r ©laöierfpiel be=
mnnberte, hörte man fie nun alg Sängerin, unb toenn
fie aud) alg fotd^e nidjtg eigentlich 23ebeutenbeg gab,
fo üerlief) bod) tf)r feltener Vortrag ber ©einen aber
jungfräulich reinen Stimme einen eigenen gauber.
ÜDZit befonberer SSorliebe fang fie neben Sdiumann’g
Siebern biejenigen ©jerulf’§, (Srieg’g unb anberer ihrer
norbifchen ©omponiften, bie fid) freuten, ihre (Sefänge
oon ihr toiebergegeben gu hören. Seit fie ben (Sebraudj
ihrer §anb mieber gemontten aber oerftummte ihre
Stimme, um fortan nur noch be§ Sonntagg in ber
117
w
®ird)e unb bei ber attabenbtidien §au§anbad)t ju er=
Hingen.
Sn ihrer Heimat öiet mit Unterric£)tertf)eiien be=
fdjäftigt, war @rifa aucf) einen SSinter tjinburd) — e£
war int Satire 1870 — at§ Sefjrerin am ©onferöato*
rium ju Kopenhagen tbjätig , wo fie, burd) ©abe be=
rufen, bie Siede be§ erfranften ißrofeffor SBinbing
erfe|te. 2tud) bie Pforten be§ Seipjiger ©ewanb=
f)aufe3 öffnete if)r juerft be§ bänifdjen 5Dteifter§ (£m=
pfetitung. Unb if)r erfte§ ©rfdjeinen bafeibft fcfjon
glich einem Siege. 2It§ fie fidj am 14. Secember 1871
mit (£f)opin’§ Fmoll-Goncert bem öon ben Zünftlern
gefürchteten , weit mit feiner Slnerfennung nicht eben
oerfchwenberifchen ißubtifum öorftettte, gewann fie ba§=
fetbe fo üottftänbig , bah man fid) fofort für jwei wei=
tere Güoncerte ihrer SJtitwirfung öerfidierte. ®ie mufi=
fatifihe ißreffe pries mit fettener Übereinftimmung bie
Xrefftichleit ihrer Seiftungen , bie tünftterifdje Steife,
ba§ fetbftänbige , burch Seben§erfat)rungen geläuterte
Kunftbewuhtfein ber jungen btonbtodigen ÜÖteifterin ;
ja fie fpradj ba§ bebeutung§fd)Were SBort au§, bah
(Srifa Sie an Stara Schumann, bie &laüierf)eilige ber
Seipjiger, erinnere. „Sft Sine unter ben ctaüier*
fpietenben Künftterinnen", twifst tut „ SDtufifatifchen
23od)enbtatt" (28. Suni 1872), „welche berufen ift,
ganj bie §öt)e biefer unöergteid)tid)en grau ju errei*
dien , fo ift e§ gewih jene jüngere Künftterin. Sie hat
wenige Künftterinnen be§ Statiierfpiet§ neben, noch
wenigere aber über fid)."
(Sintabungen über Sintabuugen riefen fie nun nach
beutfchen Stabten, nach §ottanb unb ber Schweif 2Bo
man fie hörte, reihte man fie ben beften ihrer ®enof=
finnen an. Schmeichelhafte Anträge tarnen ihr öon
alten Seiten entgegen; bocf) wie§ fie biefetben, fobalb
k
M
» “TU
fie ihre Setbftänbigfeit ju gefätjrben brottten , unent*
megt jurücf. Setbft bie öocfititg einer (Sotbreife nach
Stmerifa ijatte für fie nidjtö 23erfüf)rerifcf)e§. Stützen
$erjen§ lernte fie biefetbe ab.
3m 3ahre 1874 grünbete fie fidf ein ftitle§ jurücf=
gezogenes (Stücf, inbem fie bie (Sattin eine§ prafti*
cirenben SIrjte§ , Dr. £>§car Riffen in ©friftiania ,
mürbe, hinter bem S3eruf ber ipau§frau unb SJintter
trat je|t ber ber ®ünftterin jurücf , um fo mehr ate
ifjre fcproache (Sefunbljeit ihrer ®unfttf)citigfeit ohnehin
natürliche Sdjrattfen aufertegte. Stfö (Srmerb§quelte
brauchte fie biefelbe junt (Stücf nicht ju nuöen ; ba§
lebhafte ^rttereffe it»re§ (Semat)t§ aber erhielt ihre $8e=
jiehungen jur ®unft attjeit lebenbig , unb at§ ba§ S3e*
bürfnifj, ÜÖiufif ju t)örert unb perföntict) au^nübeit,
fie im SSinter 1876 — 77 mieber ju einer Steife in’d
Studtanb, nach ®eutfchtanb, £>ottanb, SSetgien, ®äne*
mar! unb Sdfmeben brängte, gab er ihr babei ba§
(Seteite, ihren fünftterifdjen $mecfen feine tüiffenfd£)aft=
liehen öerbinbenb.
Stücf) 1881 gab fie beit ® openf)agenern, bie in it)r
tängft ihren erfanden Siebting feiern, mieberum (Se»
tegenheit, fid) an ihrem Spiel ju erfreuen; in (£b>ri=
ftiania unb ben normegifcheit Sßroüinjiatftäbten aber
faitn mau fie, fobatb ihre (Sefunbheit fich babei nicht
eben hiubertict) ermeift, attmintertich hören. (Sehen oft
auch gan^e fOtonate in’ 3 Saitb, ohne bah fie nur ihre
Ipanb auf ben fjlügel fetjt, ihr Spiet üerräth, fobatb
fie at§ ®ünftterin hertiortritt, feine naclftheitige 9tücf=
mirfung beffeit. 3ebe§ neue Stuftreten ift für fie felbft
„ein mat)re§ ffreft" unb erfüllt fie mit einer fettfam
feierlichen Stimmung. 3hren Setuf unb ihre Stettuug
bem SSubtifum gegenüber nimmt fie fo ernft, bah fie
beim Seginit ihrer SSorträge oft mit grober Stngftticf)5
m, JE
119
jß " %
. feit ju fämpfen fjat imb fic^ meift auf ifjre Snfpiration
öerfaffen muff, bie fie benn aucf) faum je im Stidfe
fäfft , fo grofie , fid) felbft bisweilen unbewußte 2fn»
fotberungen fie an fie ftettt. Elfarafteriftifdj bafür ift
beifpiefsweife SofgenbeS : 93on ber ©irection einer
f)otfänbifdjen Eoncertgefetffd)aft ergäbt fie einft, waf)=
renb fie in ®eutfd)fanb reift , ein Programm mit ber
Anfrage jugefanbt, ob fie an bem bezüglichen Eoncert»
abenb baSfefbe ju fpiefeit bereit fei, ober irgenb welche
Sfbänberung baran 51t treffen wünfdje. Sn bemfetben
finbet fid) unter anberem eine ber Heineren CTompofi=
tionen Sdjumann’S öergeic^net , wefdfe fie fjinreicfjenb
51t fennen meint, um fie, fobatb fie biefefbejtod) ju=
oor einmal auf fftoten burdjnimmt, fpiefen ju'fönnen.
®enug , fie ergebt, ifjrer fftatur gemäfj, feinen SBiber»
f^orucE). Snbeffen reift fie, ber Sfngefegenljeit nidjt wei=
ter gebenfenb, tion Drt ju 0rt unb erreicEjt in Sofge
einer 23erfpätung erft am felben fSfbenb, an bem baS
Eoncert ftattfinben foll, bie betreffenbe fjolfänbifdje
(Stabt. SntSSagen, ber fie jum Eoncertf)au§ füfjrt,
erft ruft ifjr bie Srage ber Sdfwefter , wag fie tion
fteineren Stüden fpiefen Werbe, bie Sadje in baS ®e»
bädftnifj jurüd . offne baf) fie ifjrer SSertegenfieit ber
Sdfwefier gegenüber SfuSbrud giebt. Snt Sünftfer»
jimrner angefommeit, forbert fie fofort ein Programm.
2>a ftefjt in ber SOfat ba§ erwähnte Stüd. Einiger»
maffen befangen fetjt fie fid), wie bieS ifjre ©ewofjnljeit
ift, an ben Dfen, fpieft eS auf bem ®nie, geljt es in
©ebaitfeit burd) — bleibt aber jebeS ÜOtaf bei ein paar
Harmonien fteden, auf bie fie fid) fdffedfterbingS nidjt
befinnen fann. Sd)feunigft fdjidt fie in oder Stifte §u
einem fOiufifafienljänbfer — bod) bie ffioten fommen
nid)t meljr redjtjeitig in ifjre frnnb : fie muff tior ba§
fßubfifum treten otjne über bie oerfjängnifjtiotfe Steife
120
im klaren ju feilt. So fpiett fie beitn, unb fieße ba,
bie Snfpiration !ommt ißr ju |>ütfe mtb trägt fie fieg*
reic^ mtb oßne fjefit über jebe Ungemißßeit ßinmeg.
Scßmefter 3ba freilich faß iitbeß in peintiotter Stngft
baneben. „ 2Bie in aller Sßett ", ßerrfcßte fie nacß be*
enbetem Spiet, bon ber erlittenen Stufregung bebenb,
(Srifa an , „ mie in alter SBett fonnteft bn nur barauf
fommen, bie# Stücf ju müßten? Sn ßaft e§ ja nie*
mat§ in beinern Seben gefpiett?" 3n SSaßrßcit ßatte
fie e§ bi§ßer nur ooit Stgatße (Srößnbaßt, ißrer Sanb§*
männin unb üunftgenoffin, geßört. Jpatte (Srifa biefe
mit ficß fetbft bermecßfett? (Senug, ißr (Senie ßatte
ißr gtüdjicß über bie# gefäßrticße Spiet ßinmegge*
ßotfen. —
3ßr Seben im Sägticßen ift feßr rußig unb prücf*
gezogen, ißrem (Satten, ißren linbern , ißrem §aufe
unb — nicßt ju bergeffen — ben Strmen gemeißt. Sie
liebt e§, ißre Seit in einer faft gefcßäftämäßigen SSeife
ein^utßeiten. (Sin paar Stunben mibmet fie tägticß
bem Unterricßtertßeiten. Sie ift befonber§ begabt ab?
Seßrerin , unb ißre Scßüterinnen ßängen ißr mit gro*
ßer SSereßrung unb Siebe an. 2tn einigen Sagen ber
SBocße empfängt fie jn beftimmter Stnnbe SSefucße;
an einem gemiffen Sage aber fteßt jur fetben Seit ißr
£au§ ben Strmen offen. Sie ift ungemein gütig unb
tiebemsmürbig gegen biefetben. Socß giebt fie nicßt
btinbling# , fonbern läßt e§ fidß lieber biet Seit unb
SOJüße foften, um bie SSerßättniffe jebe# (Sinjetnen auf
ba§ genanefte ju unterfucßen, beöor fie ißre (Saben
au#tßeitt.
So ßat fie ficß buriß ißre menfcßticßen mie fünft*
terifcßen (Sigenfdßaften bie Siebe unb Söemitnberung
ißrer Sanbäteute in reicßem SÖiaße gemonnen. S8ei
greub’ unb Seib, bie fie treffen , fcßtt el nicßt an 53e*
k
121 .
w
weifen beffen. Sie finben ein taufenbfättig Sctio in
Anbeter föerjeit. Stt§ Stuöbrud ber Serefjrung if)re»
eigenen @5efcf)tecf)t3 warb itfr an if)rem §odheit§tage
tion ben ®anten be§ 2anbe§ einer ber fdjönften (£on=
certftügel 3teinmat)’§ at§ Srautgefdjenf bargebraiijt.
SSätjrenb einer lebensgefährlichen ^ranftfeit, bie fie
oor mehreren Safjreit befiel , aber war e» ertjebenb ju
fet)en , wie Sitte wetteiferten, itjr itjr SJtitgefütjl ju be=
geigen , wie §ocfj unb fftiebrig , Sttt unb 3ung , 93e=
fannte unb Unbefannte fidh in ®unbgebung ifjrer
Xheilnahttte unb Iraner gteidjerweife erfinberifdfj er»
wiefen. Sei ben öon itjr öeranftatteten Gfoncerten rei»
djen fetbft bie geräumigften SoMe nicht au§, bie ÜDtaffe
ber fidh tjerbeibrangenben .ßuljörer §u faffen, unb ihrer
finb Siete, bie mit ungefülltem Sertangen wieber tjeirn»
feljren muffen. §ineingeff»iett unb gelebt tjat fie fidh
eben in biefperjen ihres Sollet, ba§ in itjr, rein, ebet
unb geniat , wie fie ift , eine ber erften Srauen be§
Sanbeg ehrt. 2)ie fchöne Übereinftimmung , in bie fie
itjr Seben mit ilfrer ®unft gebracht, barf ihr , ba§
ift gewifj , manche ihrer ^unftfdfweftern neiben ! Sn
fwetifdjer SBeife fdjitberte benn auct) iljr Sanb§mann
Sjörnftjerne Sjörnfon (Srifa Sie’» ®ünftterfctjaft wie
folgt*) :
Sie an StorblanbS gelfenroüfte,
Über buchtenreiche füfte
©onne mübe gebt jur 9tüfte
Unb ftd) über Sälber, hatten
Seife malen blaue ©«batten
Unb mit Stbenbrotb fi«h gatten:
*) ©ie freie beutfdje Überfclpung ift non Simitbe ©erwarb in
Seidig.
k
M
122
©o meigt Du mit fügen Dönen
9Menb 2ltleg oerfdjönen,
Siegt unb Dunfel gu oerfögnen,
Dag mir mitempfinbenb laufegen
deiner äftelobien ^aufegen
Unb ent^üdte SBlide taufegen.
glügel gaft Du gleicg Sibellen,
Drägft ung gin §u ©een unb Duellen,
©cgaufelft ung auf äfteeregmeHen,
Unb alg ob Dein (Seift fie riefe
Unb Dein ©aitenfpiel fie fdgüfe
Daucgen Snfeln aug ber Diefe.
Unb bie§ ©egaffen ogne ©nben,
Diefeg monneoolle ©penben
Danten mir ^roei SJtäbcgengänben !
Sgr gegeimnigoolleg Seben
Unb igr Daften, ©egmingen, ©egmeben
Seig ung goeg empor gu geben.
SUleg, mag mir tief empfinben,
Sag mir agnen nur, niegt jtnben:
Deine Äunft oermag’g ju fünben.
Unfer ©offen, ©egnen, 3^gen,
greub’ unb Suft unb Seib unb Klagen
tannft Du ung in flängen fagen.
Dag igr ©egen Dicg umminbe
(Saben ©Item Dir, bem $inbe,
Sn bie Siege Slngebinbe,
Die alg ^acgflang burdg Dein Seben
Dicg oerflärenb noeg umfdjmeben,
Dicg mit ©lücf unb ©lanj umgeben.
123
$ater§ ©eift Uel) ®ir bie ©Zwingen,
Stuf §utn §öd)[ten l)in3ubringen
Unb nur ©d)öne3 anjuflingen.
Sa§ in ifyrer ©eele blühte,
^3flan§te tief ®ir in’§ ©emütlje
9)?utter3 fromme ^er^en^güte.
£>olbe Saub’rin oljne gef)le,
Sungfrau mit ber $inberfeele,
3)ie idj ®otte§ §ut empfehle,
$DHt $urora’§ ginger male
Un§ bie Seit im rof’gen ©trafyle,
25lonbe 9Jlaib nom ©lommentfyale!
¥
1
ärdjengteicf), wie ein für furje grift in bic
Sßirfliddeit getretenes IfoI)e§ fünftlerifd)e§
lybeal, gemahnt ben einftigen Slugen» unb
D^renjeugen ber SiSjt’fdjen 9Jlufifferrf<f)aft
in SBeimar bie geit, ba ber „tauberer tion ber Sitten»
bürg" bafelbft nod) ben ©apettmeifterftab fdjwang unb
3Im = Sitten nad) einer ©podje Ijöcbften bid)terifd)en
©lanjeS aud) eine mufifalifdje SBbüte feltenfter SIrt
feierte. 9tief nic£)t baS SKufiffcepter beS gewaltigen
ÜDtanneS, Wie einft ber ÜDtofeSftab aus tobtem ©eftein
ba§ lebenbige SBaffer, t»ier einen neuen Sonquell in’S
Seben? ©etbftf c£) öpf erif er ©eniu§, itnnacf)al)mlid}er
Interpret ber üongeifter ber S3ergangenf)eit unb
(Gegenwart am ©latiier Wie im Drdjefter, lefjrenb
unb leitenb, fdfaffenb unb reprobucirenb neue Dffen»
barungen tiinbenb, bie eigene ©röfje für ba§ nod)
Unbefannte ober 53erfannte einfefjenb unb fo bem
©wigen wie bem geitlidfen in feiner Sanft jit feinem
ungefdjmälerten 9ted)t berlfelfenb : crffob er bie alte
fädffifdfe SJZufenftabt ju einem Stittelpunft nutfifa»
lifdfen Sehens unb einer neuen poetifirenben Sanft»
ridftmtg, ju einem ,3iel= unb SBallfalfrtSort aller ftre»
benben mitftfalifdfen ©eifter. 3« feinen güffen fitjenb,
in bunter ffteilje um ifjn tierfammelt faf) man fie ba
Sitte, bie Präger ber öornefpnften mufifalifdien Slamen
unfrer Xage. S)ie SSeften , bie bie tjeutigc ÜOtufifwelt
nennt unb tennt, fie gingen bei ifjm in bie Setjre,
ober erfuhren bod) für längere ober fürjere 3eit feine
(Saftfreunbfdjaft. §an§ tion Söütow unb Xaufig , tion
S3ronfart unb ®tinbwortt), fßrudner unb SabaSfopn,
goadjim unb Saub, 9tement)i, SDamrofdj, 33ieujtemp§,
®orneliu§, Sräfede, Staff, Saffen, S5ral)m§, Stubin*
ftein, SBagner unb SSerlioj, fie wufjten unb wiffen Sitte,
wa§ fie Si»jt unb feiner tebenfpenbenben Sßirtfamfeit
in SSeimar bauten. Unitierfett toie ber SDZeifter fetber,
ber bie§ neue i^unftleben Wedte , aber muffte audj ber
®rei§ berer fein, bie ficf) um itfn fdjarten. SDtänner
ber 2Biffenfd)aft, SBidjter, ÜDtater, 33üf)nenfünftter —
e§ fei t)ier nur an (Senetti, Bretter, Stautbad), Stiet*
fcEiet, fwffmann tion gattergleben, $ebbet, Stuerbad),
greptag , Sltfreb SO^eifsner , 2>ingetftebt , Stoquette,
Stanf, ®enaft, tion ÜDtitbe’d , Sawifon, ®etirient,
fßautine SSiarbot erinnert — ntifcfjten fict) unter bie
SÖtufiter, alte feinen unb fdjönen ©elfter waren Witt*
fommen auf ber „ Stttenburg ", Wo mit Si§jt jugteicE»
atö §errin be§ §aufe§ gürftin ©arotine tion Sßittgen*
ftein — eine grau tion f)ot)er geiftiger Söebeutung —
tpof f)iett.
hinein in biefe tion^unft unb (Senie burcpftrömte,
tion geift* unb anmutpreidfen grauen belebte Sttmo*
fppäre trat — im Sommer 1858 war e§ — eine junge
^unftnotiise: eine bocpgewacpfene adjtjepnjäprige 33ton*
bine tion tiornepmer @rfd)einung, beren garte, burcp*
fic^tige Scpönpeit unb blaue , ein wenig tüpt btidenbe
Stitgen bie Storbtänberin auf ben erfteu 23tid erfemten
tiefen, gttgeborg Start nannte fie fiep unb at§*
batb tegitimirte fie fid) in SSaprpeit at§ eine ber Star*
ten, bie e§ wagen burften, ben oberften §errn unb
SJteifter be§ ©tatiierfpiet§ um bie ©unft feiner Unter*
weifung ju bitten. Sludp als ©omponiftin ftettte fid)
128
\W - ' m
it)m bie warm ©mpfofjtene oor. Sie bradjte atterljanb
©etbftgefdjriebeneS, barmtter eine Slnzalfl üon ©tarier*
fugen mit. Silit mochte es feltfam bebünfen, baff bie
jugenblictje iDüibd)enp£)antafie ficfi innerhalb ber ftreng*
ften ®unftform gefalle; üietleidjt and) Wollte er fidj
oergewiffern, ob fie ofjne frembe Söei^iilfe fdEjaffe, ge*
nug , er Ifiefi ifjr, eine neue , üon ber SBeimarer Suft
gezeitigte guge ju fdfaffen. Sticfd lattge währte eS, ba
legte fie it)m biefetbe auf baS ©laüier. ©igent)änbig
fpiette er fie burd), bann fdfaute er bie ©omponiftin
läcfjelnb an : „§m, Sie fefjen gar iticf)t barnacl) aus !"
meinte er. „Sinn id) bin redjt frot», baff idj nicE)t wie
eine $uge auSfelje ! " lautete bie fd^neUe ©rwiberung.
Sie fc^Iagfertige SlntWort beluftigte ben ÜDleifter ber
rebenben Sunft : @d)ön*Sttgetwrg gehörte halb ju
feinen erflärten Sieblingen. „ Söer weif; , üielleidft
werben @ie nocl) bie (Seorge ©anb ber ÜOtufif!" fagte
er it)r einmal in feiner liebenSWürbig aufmunternben
SSeife. Sind) feinen ©djütern ttjat eS bie äftitfdjüterin
an ; halb fcliWärmten fie alle für bie blonbe ©djwebin,
bie nad) SBeimar lam, bamit fid) if»r ©djidfal bort er*
fülle. Unb weit fam fie b»er.
Sm .'perlen beS ^eiligen ruffifc^en dteidiS, in
©t. Petersburg , ber ©jarenftabt , ftanb Sageborg’S
SSiege. Sort begrüßte fie am 24. Sluguft (baS ift am
12. rnffifdier .geitredjnung) im Satire 1840, um mit
IpanS üon Pütow ju reben, jum erften SJlale „baS
Sunfet" biefer SESett. ©teid)Wot)t war 9tufjlanb nid)t
i£)re eigentliche §eimat. ©djwebifdje ©Itern, bie, ob*
Wol)t feit langen Satiren bafetbft angefiebett, fdfwe*
bifc^e Untertanen oerblieben , gaben tpr baS Sehen.
Sf»r eigentliches Paterlanb f»at fie bis auf biefen Sag
not nicht mit Singen gefefjen. Ser aus ©todlfolm
gebürtige Pater, Dtto 2Bitf)elm ©tarf, gehörte jur
__ __J
ßa ÜDZara, StuMenföpfc. V. 129
9
ruffifdjen SaufmannSgilbe unb war SDiitglieb beS
fdjwebifdjen SirdfenratfieS in Petersburg, wo er nod)
gegenwärtig als Priüatmann lebt. ®ie oor fünf 3a£)5
ren geftorbene SDlutter, SJiargarettje (Slifabetf) geb.
Ddermann, war bie Xocfjter eines fdjwebifdjen f>aupt=
ntannS, ber, nadjbem er feinen 2tbfdjieb genommen,
fid) in ginntanb nieberlie^ unb eine ber Södjter beS
SanbeS pm SBeibe nahm. ©ine einzige, um jwei
Satire ältere Sdjwefter, Dtioia — fie öertjeiratete fidj
fester an einen ruffifdjen Dberft fdjwebifdjer 2lbftant=
mung , (Sraf ©ronijjelm — , unb ein P etter, ber im
§aufe mit ben Sdjweftern erjogen würbe, waren bie
dtefäfjrten üon Sngeborg’S S'inbfieit. Surd) ba§ Piotin=
fpiel ber SOlutter , bie , otjne je Unterricht gehabt p
tjaben , ja ohne audj nur bie fjloten p lernten , atteS
nadj bem (M)ör fpiette, burd) baS Stötenfpiel beS
PaterS , bie fdjwebifdjen Sieber, wetdje bie §auSf)äU
terin ütbenbS pr (Suitarre fang , empfing baS Sinb
feine erften mufifalifchen Gtinbrüde. Unb frühzeitig
fdion erwarte in if)m bie Suft pr ®mtft ber SEöne ;
benn als bie neun Sahre alte ©djWefter ben erften
ßlaüierunterridjt ermatten foltte , für ben man Snge=
borg nodj p jung eradjtete , bat fie fo lange unb in=
ftänbig, bis fie ben ©ttern bie ©rtaubnifj pm Pegimt
ber Sftufitftunben abrang. @djon in ber erften Section
meinte bie Setjrerin : „ SDie Steine fdjeint öiet latent
p fabelt", unb efje ein halbes Sat)r tierging, Tratte
fie bie ältere @d)Wefter bei Weitem überflügelt, Üant
fie and) nic£)t gar tiiel jum Üben; benn Unterricht
unb Schularbeiten in bem Penfionat , baS fie mit ber
Sdjwefter gemeinfam befudjte , gaben itjr tjinreidjenb
p tf)un — fie lernte unter Slnberem fünf (Sprachen :
fRuffifd^, SdjWebifdj, granpfifcfj, S)eutfdj unb Stalie=
nifdj — fie machte beffenungeadjtet fo überrafdjenbe
i— “*
Sortfdjritte, baff ti)r 3Sater, umfomehr afS fie mit bem
achten S<ihre and) bereite afferlfanb SOJelobieu unb
ffeine £änje ju comboniren anfing , fi«f) nach einem
geeigneten Sefjrer für fie umfaf). SBei 23af)f beS fe|te»
ren §og er einen anSgejeid)neten ®ifettanten, AicofaS
öon SDiartinoff ju fRattje, ber, ein ehemaliger Offizier,
jit ben erften ffamitien Petersburgs gehörte unb, mit
SiSjt , SEfjatberg , Aboff §enfeft befreunbet , mit allen
bebeutenben Zünftlern in Serbinbung ftanb. Obgleich
er fonft feinen Unterricht erteilte, intereffirte if)n,
nacf)bem er Sngeborg gehört , baS ©bief beS jetjnjäf)*
rigen ®inbeS bergeftalt , baff er fie jur ©chüferin an»
nafjm. Auch bei feinen ©ftern, mit beiten er pfammen
lebte , war fie mit ihrer @cf)Wefter halb Wie ®inb im
Haufe. ®ie ©tunben , in benen fidj ber alte £err oon
äftartinoff, ein oieffeitig gebitbeter unb gelehrter ÜDJann,
mit ihr befcEjäftigte , jähft fie ju ben intereffanteften
ihre§ SebenS. SDfufifafifcfie ©enüffe eröffneten fich ihr
burch ben Umgang mit ber gamifie mannigfaft. Sn
ber itafienifchen Ober abonnirt, nahm biefetbe bie eif»
rige ^nnftjüngerin häufig mit in ihre Soge , unb fo
hörte fie , ba in Petersburg bie beften unb berühmte»
ften itafienifchen ©änger unb Sängerinnen engagirt
Würben, oft unb gut fingen.
®aS elfte S<*hr f>a^e Srcgeborg erreicht, afS fie bei
Eonftantin $eder, einem trefflichen ©faüierfbiefer unb
©omboniften, auch Harmonielehre P ftubiren begann,
unb bieS mit fo gutem (Srfolg , ba| fie fcfjon ein Sßhr
fpäter, als fie ihr erfteS Gbncert im ©aale beS ©rafen
®ufcf)efeff»PeSborobfo oeranftaftete , eine eigene Heine
©omgofition für Orcfjefter, bie oon ihrem Sefjrer in»
ftrumentirt Worben War, §itr Aufführung bringen
fonnte. $aS ©rfte, was fie öffenttidh ffiefte, waren
bie Preciofa»i8ariationen Oon ÜDfenbefSfofm unb 5£>?o»
9*
131
fdjeled für jrnei ©tatoiere mit Driijefterbegteitung. 2tm
jmeiten ©taöier mar itjr ÜDteifter, oon SKartinoff , it)r
Partner. ®a§ ißubtifum mar freigebig im 93eifaII=
fpenben, uttb bie^ritif fpradj fic£) fefjr günftig au§, ber
Debütantin atte§ @cE)öne für bie 3ufunft meiffagenb.
ffortan gab fie alljährlich ein großes ©oncert mit
Drdjefter , babei ©hren unb in reifer Sütte
einfatnmelnb. 33iet bemunbert mürbe bie ©eifte§gegen=
mart unb Sicherheit be§ bierje^njätjrigen 9Jtäbcf)en§
gelegentlich eine§ biefer ©oncerte, ba§ im Sweater
SOtictjet ftattfanb. Sie fpiett, nom Drdjefter begleitet,
©Ijopin’d E moll-©oncert frei au§ bem ©ebächtnifj, at§
ptöhtidj eine Saite reifjt unb in ben benachbarten ®ai»
ten bernet)ntbar ju Wirren anfängt. -Jtiemanb fommt,
bie Störung ju entfernen; fo aber mit bem tauten
©eftirr fann fie nicht meiter fpieten. ®a hilft fie ficf),
fdjnett entfdjtoffen, fetbft. ÜDtit ber rechten fjanb reifjt
fie bie ©aite Ijeraud unb mirft fie hinab in’d ißarquet,
mit ber Sinfen inbeffen, ohne herauf ju fommen, mei»
ter fpietenb. Sn einer SSiertetminute geht ba§ atted
oor fidj, fie fetbft meifj faum mie ;'at§ aber ber fritifdje
SDtoment tiorüber ift, bricht ba§ gefammte ißubtifum
in tauten Subei au§.
Snt §aufe ihrer ©ttern, in bem bie Ijerborragenb»
ften Zünftler au§ unb ein gingen , mürbe möcfjentlid)
einmal ÜDfufif gemacht, unb fo fanb bie junge SSirtuofin
©etegenheit, oft oom S3tatt ju begleiten unb fidj eine
grofse ©emanbtheit im prima- vista-Sefen anjueignen.
Da§ ©omponiren mürbe baneben nicht bernadjtäffigt;
mie benn iljr fdjöpferifdjeS latent mehr noch ihr
reprobuctiöeg bie Stjeitnahme Stnton 9tubinftein’§ er»
regte, ber fie in ihrem jehnten Safme f ernten lernte
unb ihr big auf biefen Sag eiu marmer Sreunb ge»
blieben ift. Jpatte fie fdjon mit breijetjn Suhren brei
-_ä
132
r
(Stuben, eine £arantede unb ein Siocturne für piano«
forte öeröffenttidjt , fo fcßrieb fie ein paar Saßre fpäter
(Sonaten, Sugen, Sieber unb bergteicßen. ®abei trieb
fie aucß atterßattb förderliche fünfte unb Übungen.
Sßäßrenb ber Sommerzeit, bie fie regelmäßig auf
Ptartinoff’S ©ute am Stettmftranb jubracßte, lernte fie
Schwimmen, Peiten, Pittarbfpieten, unb ihre Sterben,
bie früher fo empftnbftdj maren, baß, afö fie mit neun
Saßren jum erften Pta! Strio fpiette, ber gufammen«
ftang ber Snftrumente fie oßnmäcßtig macßte , fräftig«
ten, ißre ©efunbßeit ftäßtte ficß.
Saft auSfcßfteßftdj oerfeßrte Sngeborg in ben muß!»
gebitbeten Steifen ber ßoßen ruffifcßen 3triftolratie ,
beren auSertoäßlter Siebting fie toar. ©ent fcßmüdte
man mit ißrem latent bie gefedigen Sefte- @o naßm
fie bei ber ©roßfürftin ©onftantin , bie ißr, mie fpäter
bie ©roßfürftin ifetene, ißre befonbere ©unft sumanbte,
an einer bramatifcßen Sarfteltung Stßeil , melcße jur
Seiet be§ ©eburtStageS be§ ©roßfürften in ißrem
Sommerfcßtoffe ;$uPamtott>gf bei Petersburg ftatt fanb.
©ine Operette »Arlequin prestidigitateur« , bie ©raf
Sodoßub , ber namßaftefte ber bamaligen ruffifcßen
Scßriftfteder, für Sngeborg gefcßrieben unb bie ©arl
Semp in Piufif gefeßt hatte, tarn babei mit !yngeborg
als ©otombine jur Puffüßrung.
2ÜS Scßaufpielerin unb Sängerin and) trat fie
ißrem fpäteren ©ernaßt £>an§ öon Pronfart juerft ent«
gegen, at§ furj juüor bie Puffüßrung beSfetben Stiicfes
ißn, beffen pianiftifcße SDteifterfcßaft Petersburg foebeu
betounberte, im §aufe be§ Sürften ©atißin unter ben
©äften faß. SDocß erft nadjbem fie ficß fpäterßin in
SBeimar toieber begegneten , fottten fie einanber näßer
treten. §inauS in’S SBeite brängte fa Sngeborg’S
Sünfttertrieb ; ßinauS in’S SluStanb aud) toieS fie
M
f — «r
Sftartinoff’g, be§ 2el)rer» unb ffreunbe§, fürforgticffer
IRatt). (Sr tjatte, bei 2tue>brud) be§ &rimfriege§ wieber
in bie Slrmee eintretenb, feine ©dfülerin ber ntufifali*
fdjen 0bf)ut Slbolf fpertfelt’S übergeben. -Jiacf) nalfeju
jweijä^rigen ©tubien unter gütfrung be§ ate Sbmpo*
nift, Virtuos unb ißäbagog gleidjerweife berühmten
ÜDteifter§ glaubte er nun ben rechten Beitpunlt für fie
getommen, mit ber SBett unb bem Sünftteben and)
auffertjalb 9tu^tanb§ in 23ejiefjung p treten. SOlit
feinen (Smpfeijlungen auSgerüftet, ging fie, tion SJiut*
ter unb ©djwefter geleitet , pnädjft nacfj Seutfdjlanb
unb wanbte fid) bort bem SRittelpunlt einer neuen
lebenSfräftig aufbtüfienben ®unftfcf)ule p : fie fam
itad) Sßeimar, um fid) begeiftert benen p tiereinen,
bie ficf) um Sranj 2i§jt’§ gaffne fdjarten.
Bwei ©ommer tiermeilte fie bei if)tn , ber ilfrer
®ünftlerfcfjaft bie teijte SSolleubung gab — nad) ifjren
eigenen Sßorten eine für fie unbergefjtid) fcfföne unb
genuffreidje B^t- SJlit ben ©dföpfungen ber größten
XonbicEjter alter Briten madfte fein untiergleid)lid)e§
Sefjrgenie fie befannt. „©eine Seitung", bezeugt fie
felbft, „f)at mich tior lünftlerifdjer ©infeitigfeit be=
waf)rt, unb ba§ Söeifpiel biefer trmnberbaren ftünffler*
natur lehrte micf), ba§ ©djöne in ber SDtufit überall
p fudfen unb in micf) aufpnefjmen , gleidjtiiel welcher
Sflidftung i£»r ©cfjöpfer angefjörte". 2luf ba§ ©latiier*
fpiet legte fie je|t ba§ |>auptgewid)t, nur beider würbe
eine ©onate componirt. 23ei ben allfonntäglicf) auf ber
eilten bürg ftattffabeuben SDtatineen war fie oftmals
bie Sluäerwäfjlte, bie mit bem SDteifter tiierfjäitbig unb
auf jwei ßlatiieren tiom SSlatt Rieten burfte. Bwifcf)en=
burc| bebütirte fie and) beifpofe, im Sßinter 1858 — 59
and) im Seidiger @ewanbf)au§, in$re§ben unb fßari§.
Sin berS'ünftlerfafjrt, bie Si§jt unb bie ©einen in ben
:d
134
W~ ^5
erften Sunitagen 1859 nacf) Seipjig jur Xonfünftler*
oerfantntlung führte, bereit folgenreiche^ Srgebnifi bie
(Sriinbung be3 „ SlUgemeinen beutfdjen 3Jhtfifberein£ “
toar, nat)tn fie XE) eil. Unter ber ,3af)I ber Übrigen toar
audj ber it)r fdjon üon ^ßetergburg tjer befannte §an§
oon Sronfart, ein feiner Klatnerf vieler nnb SontpO'
nift , ber alz einer ber beüorjugtefteu jünger ßi§jt’§
fidf) nnt biefe geit toieber in SBeintar aufljielt. gf)n
uafjnt @djön=Sngeborg in if)ren 93amt, nnb halb nacf)
iffrer 9tücffet)r nacf) Sßeimar, am 15. ^nn i, fpracf) fie
ba3 Sßort, ba§ if)r Sebett an ba3 feine battb.
D fcpnfter ©ag oon allen frönen ©agen,
©a idj mein §eil, mein §immelreidj errungen,
©a ©idj mein 2lrm gum erften umfdüungen,
©en erften $uf$ idj bebenb öurfte magen!
2öie id) ©idj liebe, fann fein SSort ©ir fagen;
©od) habend meine Sieber ja gejungen,
©ie febnfudjtSooll ^ur @eele ©ir gebrungen,
SBerfünbenb böcf)fte§ ©lüdf au§ tiefften Klagen.
Unb alle Blumen, bie im Sen§ erblühen,
ülftödjt’ idj für ©id) §um buft’gen ©traufi oerbinben,
2fu§ allen @ternen, bie im Sitter glühen,
Sin ftrablenb ©iabern um’3 §aupt ©ir minben —
! fel’gen, fdjönften SoE)tt für ruf)lo§ üftuben
3n ©einem lieberollen 23lid nur finben !
@o feiert ber Sräntigam bie geliebte S3rant , nnb
biefe eine 93Inme au3 bem ©onettenfranj , ben er,
®id)ter unb SKufifer jugleidj, für fie gettmnben, $eugt
berebt genug oon bem ®füd , ba3 er in ifjrent SSefi^
gefunben.
Sljre Sünfttercarriere feilte fie für 3 Srfte fort unb
lieft fid) juoörberft in Petersburg unb Paris appfau*
birett. 21n letzterem Drt, mo fie aufter SRoffini unb
s fc. M
135
W~. "
Stüber aud) Stidjarb SBagner lernten lernte, ben ißro*
Ben unb Stuffüprung feines „SEannbäufer“ bafetBft be*
fd^äftigten , mar ipr ba§ ©tüd faft nocp mepr at§ bet
itjrem erften Befucpe im borpergepenben 3<*pre t»otb,
obmopt man ipr fcf»on bamatS in SBort unb Bitb,
poetifcp ttnb materifcp — fetbft in ©aricaturen , mie
bie§ bajumat in SßariS ÜOtobe mar — geputbigt patte.
©efunbpeitSrüdficpten nötfjigten fie fobattn, ipre con*
certirenbe tEpätigfeit mepr at§ t£)r fetbft ermiinfcpt fam
auf ®anjig (ben SlufentpattSort bon Bronfart’S fframi*
tie) , Seipjig , mo ipr Bertobter bie ©irection ber @u=
terpe fiifirte, unb Sömenberg, ben Stupefip be§ dürften
tpopensotterndpecpingen, gn befcpränfen.
SDie beiben teptgenannten Orte blieben, aufjer einer
gtänjenb bertaufenben Steife in bie Dftfeeprobinjen,
aud) in ber näcpften Saifott bie mefentticpen Stätten
ipreS SBirfenS. SieSmat jebod) fapen fie Sngeborg
unb |>an§ als gtiidticpeS ©pepaar: am 14. Septem*
ber 1861 patten Beibe ju Königsberg, bapin Bronfart’S
Bater mitttermeite berfept morben mar, ipre Bermäp*
tung gefeiert. Sie Sommermonate meift in ber Samitie
beS SJtamteS berbringenb , bertebten fie ben SBiitter
1862 — 63 in SreSben, unb |>anS bon Bronfart ber*
anftattete ba unter SJtitmirlung feiner ©attin eigene
2tbonnement*©oncerte (Spmpponie* unb Kammerntufil*
auffüprungen) . !ym näcpftfotgenben Sapre aber trat
er atS tpanS bon Biitom’S Bacpfotger bie Seitung ber
„ ©oncerte ber SDtufiffreunbe “ in 93erlin an , unb mit
ber preufjifcpen Stefibenj bertaufcpten fie nun bie fäcp*
fiftpe. SBäprenb iprer §meiminterticpen Stiebcrtaffung
bafetbft tief? fiep bie junge 3rau , naepbem fie fiep in
einem ber bon- iprem ©atten geleiteten ©oncerte mit
SiSjt’S Bearbeitung ber Scpubert’fdjen C-dui-tßpantafie
einen erften bitrcpfcptagenben ©rfotg erfpiett, mieber*
136
f)oft öffentfidj f)ören. 2lud) in beit ®onner§tag*@oireen
ber Königin unb bei ber fmtftfinnigen ißrinjeffin grieb»
rid) Karl fpiette fie be§ Öfteren , üon beiben fjotjen
grauen wie üon ber Sronprinjeffin mit ifjrer befonbe*
ren unb bauernben Kunft befdjenft.
giir ba§ eigene ^mftrument auSfdjfiefjfidj fiatte
Sttgeborg — begreif tief) bei ber SSirtuofin — jitnäcbft
gefdiaffen. ©ie fjatte, af§ umfängfidffte ibjrer bisherigen
Arbeiten, fidb) jufefjt and) ein Slaüierconcert (mit ör»
djefter) in bie ginger gefdjrieben , ba§, af§ fie e§ hier
unb bort (unter anberem in fpannoüer unter Soadjim’ä
©irection) öffentticf) üorfüfirte, jwar ifjre SSirtuofität
in f)ette§ Sid)t fe|te, ob feiner „ftarf 3Bagner=futurifti»
fdjen gärbung", feiner gactur tc. aber üon ber Sritif
üieffadf bemängelt Würbe, ©eit bem 3af)re 1864 wen»
bete fie fid) nun audj ber (Sefangcompofition •$«.*)
*) Veröffentlicht mürben hon (Sompofitionen 3. h. Pronfart’S :
3 (Stüben, 1 Tarantella, 1 Nocturne für Vfte. Petersburg, Pernarb.
6 rufftfehe Sieber (hon Sermontoff) . Petersburg, 3oI)anfen. [1855.
Sorelety für 1 ©ingft. mit Pfte. SOtainj, ©d)ott.
3 Sieber, §annoher, CRaget.
4 (Stahierftütfe. Ptainj, ©d)ott.
PioIin*9toman$e mit Pfte. Söeimar, Äüfyn.
3 :patriotifd)e Sieber. ü)tainj, 6d)ott.
Jpurral) ©ermania". Ptännercfyor. £annoher, ©cfylüter.
„5tennft bu bie rotfye Otofe nicht". Ptännerdior. Söeimar, $üfyn.
Äaifer*PHIf)elm*Ptarfdj f. Drd). (ober Pfte.). Pcrlin, Pote u. Pod
5 Sieber (herfd)iebener Dieter). DIbenburg, ©djulje.
Op. 8. 6 Sieber (hon 9Jiir$a ©djaffty). Seidig, ikaljnt.
Op. 9. 3 Sieber: »Hafisa« (hon 5)tirja ©d)affh). (Sbenb.
Op. 10. 6 Sieber (hon $r. Pobenftebt). (Sbenb.
Op. 11. 5 2öeil)nad)tSlieber (h. Otto 3acobi). DIbenburg, ©dmljc.
Op. 12. 6 Sieber (hon $r. Pobenftebt) . DIbenburg, ©djufye.
Op. 13. Notturno 1
Op. 14. (Siegte > f. Pceü. m. Pfte. Seidig, Preitfopf u. Partei.
Op. 15. Otoman^e J
Op. 16. 3ert) unb Pätell), Dper in 1 Slot. Seidig, $af)nt.
137
w
Über bie engen Sormen be§ Sieben, nach benen fie p»
twrberft gegriffen , brängte e§ fie af§bafb p breiteren
©eftaftungen t)in. 3ßa§ fonft in ißoefie unb SDtufif
bern weiblichen @eniu§ fern liegt : bramatifc^e (Mufte
regten fid) in if)t. öhrein Verlangen nad) einem
Dperntejct entfprach ber SJortefer ber Königin , Sega»
tionSratfj Sieber , unb fo entftanb auf (Srunb feines
®ebid)t§ bie breiactige Oper : Göttin tion @ai§,
ober Sina3 unb Siane".
SBie auf bie mufifatifcffe Sntwidfung feiner ©attiu
im Stögemeinen fiat §an§ üon Sronfart auch auf biefeS
SBerf üief (Sinffufs gehabt. ©efbft Sfutor herüorragen»
ber ©ompofitionen — wie be§ fd^önen , Sngeborg ge»
wibmeten ©faüierconcertg *) , um beffen SManntwerben
ficf) §an§ twn Süfow groffe SSerbienfte erwarb , bed
Xrio§ für ßdatiier, SSiofineunb Selfo**) unb ber„$rüf)5
lingSfotjarrtafie“ für Drdfefter***), bie ficf», gfeich affen
feinen Arbeiten, burd) Stobfeffe ber Gcmpfinbung unb
be§ 3fu§brnd§ anSjeichnen — ftanb er ifjr mit Statt)
unb Xfiat pr ©eite unb tief? iffr fein SSiffen unb feine
(Erfahrung p @5ute fommen. üDtit wie tiiefem Geifer
bie Geomponiftin aber auch an ihrer Oper f^uf' ^er
Ungebrucft Mickn :
2),ie ©öttin oon SaiS, ober SinaS unb Siane, Oper in 3 Mieten.
2 Sonaten für $fte.
$ugen be$gl.
Fantaisie melancolique p. Piano.
12 5Unbertieber ton (£lau3 ©rotf).
(Soncert für Q3ftc. mit Drcfyefter.
Mehrere öiebert>eftc.
2 Sdjmebifcfye Sieber (STeyte oom §od)fel. $önig oon Sdjtoeben).
Äönig §iarnc. Oper in 3 Steten unb 1 SJorfpiet. $cpt oon $riebrid)
23obenftebt unb £an$ o. 23ronfart.
*) Seip^ig, $ti£fcf). **) lüiündjen, Stibl.
***) Seipjig, SSrcitfopf unb gartet.
138
ir —
EUangel an §aitblung , ber bent Xej;t6ucf) anhaftete,
beraubte biefetbe üon ücrntjerein alten bramatifchen
ßebenS, machte fie für ihren tBütinenberuf ungefctjicEt.
Eiirgenb ift fie auch über bie SBretter gegangen. Etur
eine Slufführmtg am ©taüier hat fie im frünprinjttctjen
IßataiS in Berlin erlebt.
göret ESirtuofentaufbafjn fat) gngeborg früher als
fie mol)! ahnte ein $iet gefegt, töatb nach betn öfter*
reicf)ifd)en Kriege mürbe ihr (Satte üom ®önig üon
tßreuffen jum gntenbanten be§ tpaitnoüer’fchett $of*
tbeaters ernannt, unb ba bie grauen preufjifcher Dffi*
jiere unb ^Beamten nicf)t öffentlich at§ Sünftterinnen
auftreten bürfeit, muffte auct) fie in gufuitft üer öffeut*
ti^en EtuSübung ihrer ®unft entfagen. gn ihrem
§aufe nur , bei beit möchentiichen EUatiiteen bafetbft,
in beiten bie erften Kräfte bc§ DüdjefterS unb ber
Dper , jumeiten auct) be§ ©cfjaufpielS , mit fremben
(Säften unb ben EBirthen metteiferten , ober auct) hin
unb mieber in ©ottcerteit, metche für mot)ttf)ätige ober
auSermät)tte fünftterifcf)e gmecfe gegeben mürben,
tonnten ihre greunbe fic£) fortan no(| an ihrem ©piet
erfreuen. @o trat fie gelegentlich ber Etnmefenheit
EUeifter ßigjt’ä , beffeit EÜitmirfung ben üon ber gtt*
tenbanj üeranftatteten ©oncerten 5 um SÖefteu be§
©ifenadjer 93acf)*®enfmat§ (1875) unb be§ SBapreuther
Unternehmend (1876), mie ber 1877 infpamtoüer ab*
gehaltenen Xontünftterüerfammtuug be§ „Etttgemeinen
beutfchen EUufifüereiitS“ höc()fteit (Stanj üertieh , um
ber ©hre feiner ißartiterfdjaft theithaftig ju merben,
mieber auS ihrer gurücfgejogenheit herüor. ®ic ihrer
gnbiüibuatität gegenmärtig am meiften äufagenbeit
©omponiften finb nach ^hrer eigenen EtuSfage 93a<h,
'-Becthoüen , ÜBrahmS , ©bopiit unb SiSjt. Ekrftänb*
uiffootteS ©ingehen auf bie Intentionen ber üerfcf)ie*
139
r>
benen bon ihr borgeführten Tonfdjöpfer, ertergifc^e§
(Srfaffen ifjrer Stufgabe in geiftiger tute pf)l)fifdf er 53e«
gielgung unb meifterlidje Tedjnif Werben ifjr je|t tute
bormald mit 9ted)t nachgerühmt. 3hr figurirteS (Spiel
indbefonbere ift leidet unb glängenb, ihrem (Sefang
fäme t)in unb Wieber etWa§ mehr Sßärrne gu ©tatten ;
e§ ift bie füttere Temperatur i^re§ rtorbifctjen Statu«
rell§, bie fict) ba geltenb macht.
©eit grau bon 93ronfart auf ihre pianiftifcpe Tf)ä«
tigteit al§ 93eruf 9Sergitf»t teiftete, legte fie ben Schwer«
punlt ihrer fünftlerifcpen S8etf)ätiguug auf ba§ Gom«
poniren unb h<*t auch in biefer Sejietiuug manchen
fdiönen Srfolg gu bergeidinen. Teutfdfe unb ruffiftfje
Sieber, Gdabierftüde, eine 23iolin«9tomange mit ißiarto«
forte mürben beröffentlidjt. 211§ bei 2tu§brucf) be§
frangöfifcpen Krieges 1870 itjr (Satte al§ freiwilliger,
unb gWar , ba er einer fytngerlätjmuug halber feiner«
geit nidft gebient hotte, al§ gemeiner ©olbat in bie
Strmee eintrat unb, gum Unteroffizier auSgebilbet, fic£>
bei bem testen StuSfatt bor SJieh ba§ eiferne Sreitg er«
Warb, um au§ atten ©efecEjten unb ©djlachten am
(Snbe unberletgt mit bem Dfjigiergbegen al§ ©econbe«
tieutenant heimgufehren, begehrte ihre patriotifcbje 93e=
geifterung nach einem mufifatifchen 2Biberf)aII. Trei
ber ®aiferin gemibmete „patriotifdje Sieber", gmei
SJtännerdwre unb ber ®aifer«2öiIhelm«!iDtarfd) mit bem
bie beutfdfe frau ben wieberlehrenben Truppen beim
©ingug — er mürbe bei ber feftborftellung im $of«
theater 1871 aufgeführt — ihr SSittfommen gurief,
reiften it)r al§ frucpt biefer bewegten Seit. Tartu lieff
fie ihrem erften Dpernberfudj einen zweiten folgen.
Sie affociirte ficf) mit (Soethe’d (Seniit§ unb felgte fein
©ingfpiel „^erp ttnb SBätelp" in SJtufif, bie alte, ein
bolle§ 3al)rhunbert gählenbe Tidjtitng ber mobernen
kc
140
93iU)tie jurüdgeitmuteub. Unter be§ ihr befreunbeten
ßbuarb Saffen Seitung erblidte baS einactige Sßerf int
(5riit)ioI)r 1873 in Sßeimar jurn erften Riale baS
ßampenlicht. ©ann nannten eS nad) bent erfolgreichen
Vorgänge 31m*21thenS and] ©arlSruhe, Vaben*Vaben,
SdjWerin, ©affet, SBieSbaben, Vraunfdfweig, £>anno*
Der , Königsberg , Rtannheim in if)r Repertoire auf.
£>at e§ mit feinen bent Singfpiel entfpredfenben Hei*
nen geraten and) mehr im Salon als inmitten beS
anfprud)St>ollen RafjmenS ber Mutigen Opernbütjne
feine eigentliche tpeimat : eS hflt bocf( auch auf biefer
unleugbares ©lüd gehabt. Ruch bie Kritif enthielt
; ber grauenarbeit ihre Riterfennung nicht üor. ,,©ie
Rlufif", fdjreibt Ricparb Pol)I nad) ber Vabener Sluf*
. führuitg 1874, „ift burchauS gett)ät»It ; man befinbet
fid) hier in guter mufifalifcher ©efellfdjaft , meld)e bie
Popularität um feben Preis nicht fud)t. ©ie melo*
bifcfie ©rfittbung ift frifcf» , nobel unb anfpredfenb , bie
Rrbeit gemanbt, bie guftrumeutation (für Heines Cr*
chefter) fein unb mirffam. VefonberS anerlennenS*
werth ift bie fixere ©inhaltung beS ©efepeS ber bra*
matifchen Steigerung. Heiner ßiebfornt beginnenb,
nehmen bie folgenben Stüde immer größere ©inten*
fiotten an ; baS ginale (bie werthtioüfte Rümmer beS
ganjen SBerfS) ift fehr breit unb wirfungSöotl auSge*
arbeitet. gtt gewiffem Sinne geht bie Rtufif hier über
ihren Stoff hinaus ; allein biefeS Streben nad) gröffe*
rett formen ift ber entgegengefepten Richtung ent*
fdfieben borju^iehen unb ein beweis , bah grau oon
Vronfart and) bebeutenbere Rufgaben mit ©lüd ju
löfen befähigt fei."
©ie ©ewähltheit unb Vornehmheit ber©onfprad)e,
bie ber eben angeführte Krittler an „Serp unb Vätelp"
hertiorhebt, ift nicht mittber ben Heineren Rrbeitett ber
&
141
©omponiftin, wie ihren Siebern unb ©eff oftiiden, eigen.
Sßier ganje tpefte ber erfteren (Op. 8, 9, 10, 12) fdjrieb
fie auf 33obenftebt’fd)e Sejte. ©tuen ü offen Sieber»
ftraufj , barunter manche SBtöte öon recEjt apartem
Sitft , toanb fie bem ifjr in 3reunbfd)aft oerbuttbenen
Siebter aus feinem eigenen ©arten jufammen. Sie
SMobif barin ift, unbefchabet beS noblen gugS, Warm»
blutig, entgegenlommenb. SJtan felje fiel) nur : „3$)
fühle beinen öbem" Op. 8, „9?eig’ fdjöne ®noSpe bich
ju mir“ Op. 9, „ÜDJir träumte einft ein fdföner Sraum"
Op. 10, beS SRä^eren an. ©injelneS, j. 33. ©uleifha
Op. 8, fönnte leicht populär werben.
Sluch ben bramatifdfen Neigungen feiner Iprifcpen
33unbeSgenoffin erwies fid) ber Sinter beS „SOtirja
Schafft)“ gefällig : er willfahrte ihrem 93egel)ren nach
einem neuen Dpernbud). Sang fudjten 33eibe öergeb»
lid) nach einem ihnen jufagenben ©toff, ba fcljlug
ipanS öon 33ronfart einen öon ihm felbft p eigenem
©ebraucf) gebicfiteten Dperntept „S'önig §iarne", ber
eine alte bänifcfie ©age in felbftänbiger StuSgeftaltung
bel)anbelte, jur Umarbeitung öor. Sbee unb Sichtung
fanben 33obenftebt’S SBeifall, ben bramatifchen Slufbau
ber leideren behielt er bei, gebürgt unb umgebidjtet lieh
er bann bas ©anje in feinem SBerf „@infef)r unb Um»
fchau“ erfdieinen. 3n eben biefer Raffung gab ihm
Sngeborg öon 33ronfart als Dper in brei Steten mit
einem SSorfpiel feine muftfalifcEje ©eftalt, nur manches
ißoetifdje , WaS fid) ber ©ompofition beffer fügte, aus
bem Sejt ihres ©atten herüberitehmenb. Sie §aupt»
unb Sitelpartie Würbe ©chott , bem £>elbentenor ber
fbannoüer’fchen 33ül)ne, in bie ®ehle gefdfrieben , ber
bem 2Berf üiel lyntereffe fdjeufte unb ber Slutorin
burch alterlei componijtifd) » gefängliche 9lathfd)läge
nützlich würbe. ÜOtit großer Begeiferung fdjitf biefe,
142
laut iljrem eigenen ^eugnif; an it)rer Dp er , wetdje
gegenwärtig bis auf einen Df) eit ber Snftrumentation
üottenbet üortiegt. ,,Sd) fann fagen", äußert fie fetbft,
„baff idj jeben Dact mit Suft unb Siebe getrieben
tjabe. Sd) Wäre ja aucf) tängft fertig. Wenn mein Seben
nid)t ein fo üietfeitigeS fein müfjte unb id) nic£)t nur
bie geit ber ÜDtufif wibmete, bie mir meine attberen
fßftidjten, wetcfje für mid) obenan fielen, übrig taffen."
Der ©rjiefyung ber beiben ®inber, bie iljr ber
^nmmet fdjentte , gab fie fid) mit alter (Sorgfalt t)in.
Sie fjat bie greube, bie mitfifatifdje ^Begabung ber
©ttern auf bie Dodjter ©tara SBilfjetma (geb. 1864)
Wie ben Sotjn gri| (geb. 1868) oererbt §u feljen unb
fie bei S3eiben pflegen unb entwidetn fjetfen ju bürfen.
Drei unb ein t)atbe§ Saf)r att , fang ba§ Död)terd)en
fdjonmit feiner Stimme bie®inbertieber, bie tOtama für
baSfetbe componirt fjatte , unb ein t)atbe§ 3apr fpäter
üerfudjte e§ fid) mit ber SJtntter bereits in jweiftim*
migen ©anonS unb fe|te bie jweite Stimme immer
correct unb fidjer jur ®enugtt)uung berfetben ein.
grau Sngeborg’S Steigungen wie itjre Stellung
bringen e§ mit fid) , bafj ifjre gefetXigen greuben fid)
meift um einen fünftterifdjen SJattetpunft bewegen.
So War fie aucf) am tpofe be§ in £annoüer refibiren*
ben fßrinjen Sttbred^t , wo fie unb it)r ($emaf)I 31t ben
gern gefetjenen (Säften jätjten , be§ Öfteren ats ißia=
niftin, Sdjaufpieterin unb ©omponiftin — ju bem
Suftfpiet „9tm ©taüier" fdjrieb fie fid) fetbft bie einju*
tegenben Sieber — tfjätig ; ja fie betrat in teuerem
Stüd, in einer Dilettanten = Stuffüfjrung ju mitbem
,ßwed, 1881 fogar bie fönigtidje 93üf)ne. Der üon
it)rem ÜDtann geleiteten ft'unftanftatt weit)t fie it)v
üotteS gntereffe. Sn ben erften SJatftfern ber ^eit:
SiSjt, üon 93ütow, Stubinftein, 9Sraf)m§, Soadjim,
» • *
t)ere£)rt fte bie greunbe if)re§ §aufe^ Unb fo and)
in bem Keinen intimen ®rei§ Sttufifliebenber unb
=93efät)igter , bent bie einft als ©opljie Stelle ge*
feierte SSaronin Knigge jur Qicrbe gereicht, pflegt fie
bie Sunft, ber fie iljr Seien gemibmet. Srfd)eint fie
aui) feiten nod) im Soncertfaal, Sßobenftebt fjielt im
„Sftadjlaffe be§ Sttirja Schafft)“ i£)r [93ilb am Klarier
— unb jtnar n ad) SSortrag bon Eljopin’S G-dur-
üftocturne, auf beffen Sftittelfafc fic£) bie SInfangS*
geilen begiefjen — in beit fdjönen Werfen feft :*)
3)u lodft ben Mang
9DWt bolbem 3™anÖ
$u3 leifem 0d&laf fjeroor,
Unb betner §anb entftrömt Eefang,
SSe^aubernb §er§ unb Dijr.
2)er Mänge glut fdjmillt an gum SWeer
Unb ftimmt ba§ halb leidet, halb fcbroer,
Unb taufenb 0terne fpiegeln dar
3n bie) er glut ftd& rounberbar.
Unb au§ ben SBogen rounbermilb
Sluffteigt mir mand) geliebte^ iBilb.
0o mogft bu in ben £önen fort,
Unb au£ bem 2öoI)lIaut atijmet griebe,
Unb jeher Xon mirb mir gum 2öort
Unb 2Bort unb 2ßort eint fidf) ^um Siebe.
0o fprang bie§ Sieb au§ beinen §änben
Um raieber ftd) $u btr gu menben,
2)a ^CUeS mieber bat)in ftrebt
Sot)er e§ !am, moburd) e§ lebt.
*) Unter bent Xitel »Agni«, ba$ ift umgefefyrt 3nga, tt>ie 3nge*
borg gettöfynltd) genannt mirb.
—
144
i'a ata, Stuticnfcpfc. V.
10
F
*
aenige Sahrjefinte erft ift eS , feit bie SBett
üott ber eigentt)ümtid)en 9)tufifbegabung
beS ruffifcfjext VotfeS Stotij nimmt, Slucf)
bticft bie SJtufifpftege im (Zarenreich in ber
Xf)at auf feine tangere Vergangenheit jurücf. 3hr
juttgeS ®afein banft fie inSbefonbere ber energifcfjen
SCrbeit jweier Sünftter , bie, fdjtummernbe Kräfte
mccfenb , ißftanä* unb ißftegfchuten ber Xonfunft tn’S
Seben rnfenb, fetbft burct) Selfre unb Veifpiel Untier*
gteichtidjeS wirfenb , einen bisher fünftterifcfj fteriten
Voben ju einem fruchtbaren , reich ergiebigen um*
fcfiufeu. Unberechenbar finb bie S)ienfte, bie Stbotf
fpenfett unb Stnton Stubinftein in biefer Ve^iehung ber
ruffifchen Station geteiftet. Dber wirb nicht in Stufj*
tanb gegenwärtig bur<hfcf)nittlich fetbft beffer atS in
®eutfcf)tanb ©tatiier gefpiett, finb nicht mehrere ber
talenttiotlften unb urfprüngtichften Xonfcfjöpfer unferer
Xage ruffifchen (SeblütS ? Settfam, im Sanb beS 9ti*
tjiliSmuS unb beS SpnamitS, ber footitifcfjen Schrecfen
unb ®ataftropf)en blüht bie gartbefaitetfte , entpfinb*
famfte ber fünfte unb entfenbet ihre, jünger unp
Sängerinnen ätS berebte geugen ihres @5ebeif)enS unb
Voten beS Schönen in alte Steiche.
Unter ben Virtuofinnen , bie StufjtanbS mufifati*
fchen 9tuf)m in bie Sßeite hinaustragen , h<U Segen*
wärtig fein Stame befannteren Solang atS ber Slnuette
147
10'
W—
@ffif)off*Sefchetig!h. SSott ihrer ®ünftlerf<f)aft
fingen unb fagen bie alte unb bie neue SBelt, unb bodj
gehört fie erft feit 1872 ber Dffentlidfleit an. 3nt
ginge tioKgog fie ihre ©roberungen unb grünbete ficf)
einen SBeltruf.
®er 1 2 . gebruar 1851, baS ift ber 3 1 . Januar ruf*
fifcffer Beitredfnung, ift Slnnette ©ffipoff’S (Geburtstag,
©t. Petersburg ttjre Heimat, gfjr ®ater, ,§ofratl) int
ruffifcffen ©taatSbienft , war ber ©ingige in ber ga*
ntilie, ber, Wenn er auch nicht eigentlich mufilalifcl) gu
nennen war , bocb» eine groffe Vorliebe für ÜUtufif an
ben ®ag legte ; benn Weber bie Hftutter noch bie brei
anbern (Gefdfwifter geigten irgenb welche Begabung ober
befonbere, über bie bem Utuffen gemeinhin angeborene
SKufiHiebe t»irtau§get)enbe Zuneigung für bie ®on*
funft. ®er SSater fäumte benn auch nicht, als fiel) in
einem 211ter tion fedfS bis fieben gat)ren baS Talent
feines ®inbeS burdf ein eminentes (Gehör unb mufifa*
lifdfeS (Gebächtnifj gu ändern begann , eS in ben Sin*
fangSgrünben ber ÜSJtufif belehren gu laffen. ©onber*
liehe fftefultate ergab biefer erfte Unterricht — 28ieS=
fjolsfh hieh ber ßehrer — gunächft nicht. ®ie Heine
2lnnette fgielte eben nur gu eigenem unb gu PapaS
Vergnügen. Shre Begabung aber begeugte fict) halb
tior einem Weiteren 3uf)ör erlreife, inbem fie eines
®ageS, nach Seenbigung eines Heilten öffentlichen
©oncerteS, bem fie gufäßig beigewohnt, unb nach ©nt*
fernung ber ÜÜtehrgat)! ber Slnwefenben an’S ©latiier
ging unb baS foeben im ©oitcert (Gehörte mit fo nie!
(Gefchicf nachffüelte , bah fi<h ein beWunbernbeS ülubi*
torium um fie fammelte, welches bem SSater bringenb
bie ernfte mufifalifche SluSbilbung feiner Tochter an*
rieth- ®agu fam es tior ber £>anb nod) nicht, gtt*
gwifchen übergab man fie gemeinfchaftlicf) mit ihrer
fc = Ü
14S
a* .
älteren ©djwefter einem £Otäbchen*ißenfionat, Wofetbft
man it)r allerlei Senntniffe in tuiffenfdEiaftticEjen @egen=
ftänben wie in ber franzöfifcljen Sprache beibrad)te.
5)a bie finanziellen SSerf»äItniffe ber gamilie zurück
gingen, muffte fie jeboch bie 2tnftatt noch tior Sotten»
bung ihrer ©rztetjung wieber üertaffen.
®a§ mufifalifche latent be§ elf» big zwölfjährigen
äJJabcheng wucherte nun wieber in witber SBeife. Sei
angenehmem Stuwern unb angeborener ©ra§ie ber öer*
Wohnte Siebtittg höherer gefettfchafttidjer Steife, fpiette
fie zur Unterhaltung 2lnberer, wag itjr eben unter bie
,*pänbe tarn unb entwickelte fomit fdjon frühzeitig jene
erftauntidje Sirtuofität im üftotentefen, bie fie toietteidjt
Oor allen ihren Kolleginnen augzeidjnet unb worin fie,
nach bem Urttjeit itjreg Seljrerg , bie Koncurrenz ber
bebeutenbften Sünftter ihres gacfjg nicht zu fdjeuen
braucht. S)a§ ®echnif<he , bag , wag man ©chute
nennt, freilich Würbe ebenfo Wie bie geiftige Sluffaffung
baneben um fo mehr öernactjläffigt, atg ihr Sater —
ber ©inzige unter ben Shrig£lt - ber £iuen günftigen
©inftufs auf fie übte — in biefer $eit in eine lang»
wierige fdjwere Sranfljeit öerfiel unb fie ficfj bamit faft
ganz atteirt übertaffen blieb, fßtan* unb ziettoS mufi»
cirte fie weiter. Zugleich mit einer heUftingenben, rei»
nen unb hübfdjen ©opranftimme begabt, fang unb
fpiette fie, wie unb Wo man Wollte. §eute fang fie
ruffifche SRomanzen , morgen fpiette fie ben ganzen
„Sauft" tion ©omtob nach bem ©efjör ; bann Wieber
ein it)r im Df)r trugen gebtiebeneg Sruchftüd; einer
öiSzt’fchen Shapfobie, bazwifchen einen ober recht öiete
SSatzer unb ißolfen üonStraufj — ein bunteg SDurcf)5
einanber oon SfJtufif , wie eg ihr eben burdj ben Sopf
ging, @enug, bie ©efatjr tag nahe, ganz tut ®itettan»
tigmug ftecfer. zu bteiben. 3 um ©tüct erbot fic£) ein
149
reicher Kaufmann, SiamenS Utin, ber bie begabte (£ta*
üierfpieterin hörte, bie Soften ifjrer 2tuSbitbung in
bem erft feit einigen Sauren beftelfenben fßeterSburger
(£onfertiatorium ju tragen, unb am 1. September trat
Annette, ba berSBater tion bem ebetfinnigen SInerbieten
frenbig (Gebrauch machte, in bie 3Rufiffcf)ute ein. 2tn*
fängticf) ber SBorbereitungSctaffe tion SSittoing einge*
reitjt , ging fie bereits nach wenig ÜDionaten ju (£art
oan 5trf, einem früheren (Stüter Sfjeobor Sefdfetizfg’S
über. 3U jener 8eit fcfjou lernte ber teuere, it)r fpä*
terer ©atte, fie fennen unb war fofort über ifjr bebeut*
fameS “Satent im klaren. Streit STceiftern aber machte
bie geniale ©ctjüterin tiiet p fcfjaffen. 2>er arme «an
2lrf würbe ber Aufgabe, fie jn unterrichten, wenig frof),
unb oftmals ftagte er feinem einftigen öefjrer feine
Stoth unb welche SRüfje es itfrn fofte, bie SSiberfpenftige
jum (Stubium beSjenigen ju bewegen, beffen fie gerabe
am meiften beburfte.
®afj feine Etagen nur ju gerechtfertigt waren, ba=
tion fonnte Sefdjetizft) ft cf) perföntief) überzeugen, ats er
eines XageS bei Schaltung einer Setjrftunbe im Gon*
fertiatorium, burcf) „heftiges Gtatiierpaufen" im Sieben*
Zimmer geftört, in baSfetbe eintrat, um ben Stüljeftörer
jur Drbttung zu «erweifen. ®enn wen fanb er ba*
fetbft? „Siiemanb anberen" — fo hören Wir it)n felber
- — „atS Fräulein SInnette (Sffipoff , wetdje «or einem
fie anftaunenben ®reiS ihrer Kollegen unb Kolleginnen
bie befannte fedfifte Dctaöen*9ihapfobie tion SiSzt in
erbarmungStofer SSeife burdj ®icf unb S)ünn abbrafch,
obwot)t fie fich bamatS mit ber richtigen Kpecution ber
C-dur-@cata nicht in brillanter SSeife abfinbeit fonnte.
®afj bie ©ünberin bei biefer (Gelegenheit ernftticfi tion
mir gefefjotten würbe (eS war baS erfte, aber nicht baS
tefste SRat) , brauche ich iuotjt nicht tierfidjertt zu müffen ;
b. , M
<F
baff idf aber bamit einen bteibenben ©inbrud auf fie
t)erüorgebrad)t tjätte, bann idf nicf)t behaupten."
Sdfon ju biefer geit fang bie jugenbtidfe Annette
im ©ffor ber ruffifcffen SJtufifgefettfcffaft fomofft bei ben
Übungen at§ aud) bei ben Aufführungen mit, unb
man tonnte ilfre t)ette unb burdfbringenbe Stimme
leicht beim ©intreten ber Soprane f)erau#f)ören , ju
beren Stüfce fie burd) iffr au#gejeid)nete§ ©efför unb
iffre mufifatifdf e Statur berufen mar. Anton Stubin»
ftein, ber bajumat ©irector be# ©onferoatorium# unb
Dirigent ber ©oncerte ber ruffifdfen SDlufifgefeltfctjaft
mar, fpradf Sefcffetijtt) gegenüber fogar bie Anficfjt
au#, baff er ba# Sftäbdjen meit et)er jur Sängerin at#
jnr ©taüierfpieterin quatificirt fjatte ; eine Meinung,
ber teuerer jebodfi ni<f»t beitreten mochte , ba er , mie
er fagt, „in itjrer Stimme nic£»t ben Steij finben
tonnte, beffen fdjtiefftid) eine Sängerin erften Stange#
bebarf — benn at# ®ünftterin jmeiten Stange# moüte
id) mir fdfon bamat# bie Heine fpeje nidft für bie 3«=
tnnft oorftetten.“
.guSteufatjr 1866 naffrn Sefdfetiätt) Annette, na^5
bem fie juoor ein ©jamen in ber SSorbereitunggctaffe
gut beftanben unb bamit „anftänbige gortfcffritte in
Anfdjtag unb XecEjnif" aufjumeifen fiatte , in feine
©taffe auf. ffreitid) mar e# it)r nod) fetjr menig ©ruft
mit bem. Stubium, unb „e# muffte bie größte Strenge
geübt merben,'um fie jur correcten Ausführung menn
aud) nur be# fteinften Stüde# ju bringen unb fie an
©inffattung oon Stit ju gemötjnen. ®ie ©taffiter
maren it)r bamat# fo äümtidj ein ©räuet." So rutjig
unb anfdfeinenb paffib fie fid) if)rem SJteifter gegenüber
toertjiett — fie jeigte fid) ba gerabeju fchtoeigfam unb
tieff febmeben fßormurf offne ein Anjeicffen innemof)*
nenben ©ffrgeije# über fid) ergeben — fo tott unb über»
M
mufflig tt>ar fie itjreit ©ottegen unb ©otteginnen gegen»
über, fobafb fie ficf) unbeobachtet füllte ober glaubte.
SnSbefonbere fjatten bie talentfofen unb geiftig unbe»
gabten biel boit if)ren Redereien ju erbufben. ©feiet)»
wof)f berftanb fie ficf) berart bei Sitten in IRefpect $u
fefeen, bafe ®einS fie je ju berratljen magte. Sei alle»
beut waren ifjre gortfdjritte bodj fo bebeutenb, bafe fie
bei ber erften Satjresfa'üfung mit einer ber erften
Seetfjoüen’fc^en Sonaten einen grofeen ©rfolg baoon»
trug. ©r würbe folgenreich für fie; gewann er ibjr
hoch baS lebhafte ^mtereffe ber ©rofefürftin fpelene,
bie als fßräfibentin ber ruffifdjen $0cufifgefetlf<f)aft
unb ißrotectorin beS ©onferbatoriumS babei anwefenb
war. Stuf baS eingefjenbfte erfunbigte fid) biefelbe bei
Sefdjetisft) nach feiner neuen Schülerin unb tiefe ficf)
oon ifem fein in ben üblichen ißrüfungSliften über fie
abgegebenes ©efammturffieif borfegen. ©S lautete
charafteriftifcfe : „®iefeS SRabchen hat ben »Teufel im
Seib unb fann eine grofee ftünftlerin werben, wenn eS
gelingt, Drbnung in ihr Sßefen hineinsubringen."
Son Stunbe an blieb bie »Hjeilnahme ^er h°^en
grau Slnnette jugewanbt. Sa ba bie festere, wie
Sefchetiglt) ihr Wagte , wäfjrenb ber Sommerzeit, bei
feiner Slbwefenljeit, unter bem ©influfe einer gänzlich
unmufifalifchen Umgebung — ber Sater war mittler»
weile geftorben — regefmäfeig IRücffchritte ’öu machen
pflegte, fühlte fie ficf) fogar bewogen, fie; nadjbent baS
britte SahteSejamen bie bottgültige Seftätigung bon
Öefchetijfh’S erftem Stusfprucf) gebracht , im Sommer
1869 naife Sfcftt- bem gewöhnlichen gerienaufentfiatt
ihres SOieifterS, ju fefeiefeu. Unter ber auSfdjliefeficfjen
©inwirfung beS borjügliifeen SünftlerS , ben beengen»
ben $amilienberf)ältniffen entrüdt, inmitten einer Ijerr»
licfeen §ochgebirgSnatur, entwicfelte fie fiel) geiftig unb
152
förperlicp in glüdlicper Stöeife. gu eben jener .geit
auc£) leimte in iprem fonft für lalt geltenben §erjen
juerft ein ©efütjt warmer Zuneigung unb Siebe ju
bem Spanne empor, bem fie fo SSieteS banfte, unb in
iprem ©ein unb ®en!en gegenüber ber ®unft gab fiep
ein peilfamer Umfepwung lunb. @o fcpnett blühte jept
ipre jugenblicpe ®ünftlerfcpaft auf, baff Sefcpetijfp eS
noep beüor ber (perbft Oerging Wagen Eonnte, fie in
einem Eoncert beS ©aljbitrger SfiojarteumS , für Wel=
cpeS man feine eigene ÜDlitwirfung erbeten patte , an
feiner ©teile auftreten ju (affen. 3« (Segenwart iprer
popen fßrotectorin, ber (Sropfürftin §elene, erfpielte fie
fiep, waprenb ipr Seprer als Drcpefterbirigent fungirte,
mit Epopin’S E-moll-Eoncert ipren erften grofjen
öffentlidpen Erfolg. 3pm gefeilte fiep binnen furjern
ein ^Weiter, als fie, naep Petersburg äurücfgefeprt, fiep
im Stoüember in einem grofjen Slbonnementconcert ber
ruffifepen Sftufifgefettfepaft mit Söeetpoben’S G-dur-
Eoncert pören liefs ; in ber f£pat ein um fo epren*
oottereS E)ebüt für fie , als bisper noep nie eine bem
Eonferüatorium noep angepöreitbe ©cpülerin ju gleicper
Epre gelangt War.
3pr SluStrittSepamen aus Sefdjetijlp’S Eiaffe be=
ftanb fie im SDiai 1870 mit ÜDlenbelSfopn’S G-moll-
Eoncert mtb felbft gelernten ©oloftücfen unter nage*
peuerem EntpufiaSmuS ber 3urp unb beS ifSublilumS,
ber fiep, als fie ein Sitten unbefannteS fcpwierigeS
©eperjo Oon SaSloWSlp brillant Oom Sölatte laS unb
ben lepten @ap aus ©cpumann’S Ouintett mafelloS
tranSponirte , noep fteigerte , fobafj ipr bie bis bapin
noep niemals oerliepeite golbene Stttebaitte einftimmig
juerlannt Würbe. Ein 3apr fpäter, itacpbem fie fiep
auep bei Söeenbigung beS tpeoretifepen EurfeS ber
Eompofition, Snftrumentation :c. , unter güprung
■&- — = M
w
3aremba’§ im ©ontrapunft ’unb Qofiannfen’3 in ber
Harmonie , nidjt minber bewährt , trug fie , au§ bem
©onferöatorium anäfcffeibenb , ifjr ootte§ ®iptom
baöon.
Sinn gog fie t)inau§ in’3 Söeite. Qm ©ommer
1871, al§ ber ÜDteifter, bem fie nidft allein ifjre fünft*
lerifdfe ©rgietjung, fonbern überhaupt eine fjöfjere unb
ernftere Stiftung if)re3 ganzen 3Befen§ banft , ingwi*
fdjen and) ber Qüfjrer unb ©efäfirte if)re§ £eben§ ge*
worben War, fjörte man fie in 23aben*23aben auf
beutfdfem Sobett gum erften fötale. Qfjre erfte felb*
ftänbige i'unftreife aber unternahm fie im Januar
1872, wo fie, mit 93raunfd)Weig unb §annooer begin*
nenb , in Seipgig (unb gWar in ber ©uterpe Wie im
©ewanbf)au§) unb unmittelbar barauf aucf) in Berlin,
fötagbeburg unb 3Ro§fan aKfeitig al§ ©taöiertatent
oberften 9tange§ bewitlfommnet würbe. frntte man
fd)on im ötoüember 1871 au§ fßeter§burg gefdjrieben :
„Qrctuleüt ©ffipoff ift im S$oHbefit$ aller berjenigen
©igenfcfjaften, bie einen oollenbeten Zünftler gieren",
fo einigte man fic^ and) in Seipgig unb Sertin im Um*
fet)en über bie „männticfje fßraöour unb StuSbauer, bie
SSerüe unb ©ragte“ ber äünftlerin. „Sötan fiat", befräf*
tigt Dtto ©umprecfft, „bei if)r ben wofdtfjuenben ©in*
brucf, baff fie mit if)rem gefammten Renten unb @m=
pfinben bei ber @acfie ift , baff ber barguftedenbe Qn*
ijatt wirf lief) ifjre ©eele erfüllt. Qm ©egenfap gu ben
meiften ©laöierfpieterinnen fcfjeint ifjre Ötatur niefits
£atbe§, 3Serfcf)Wommene§, Unfertige^ gn bulben."
©oncerte in SSien unb fßeft (1878), wo £i§gt ber
jungen SSirtuofin bie freunblidifte 21ufnat)me bereitete,
wiebertjotte Steifen nad) £>odanb, ©ngtanb unb fßari§,
ben Dftfeeprooingen , Belgien unb ©)eutfd|tanb be*
feftigten in ben nädfften Qalfren (1874 — 76 ifjren
Jt
154
f(fmetC gewonnenen Stuf. Sechs bolle Monate — bom
Dctober 1876 bis jum Suni 1877 — bertoeilte fic in
21merifa, itnt (für ein Honorar boit lOOOOO Francs,
Bei freier Station für fich nnb it)re Begleitung) in 1 06
©oncerten t£)ätig ju fein. Seit it»rer 9tücffel)r bejeicf)5
nen wieberum alle |>auptftäbte ©uropaS Stationen
il)reS SiegeSwegS.
©)eS Sängeren unterbrochen nur tourbe ihre emfige
öffentliche Xljätigteit - al§ Annette int SJtai 1878 am
£pphuS lebensgefährlich crfranfte. Schmer nnb lang»
fam nur erholte fie fich , nnb ba gleichzeitig auch Se=
fchetizft) bott einem langmierigen SBechfelfieber befallen
Warb , faxten fie ben ©ntfchlufi , it)r £>eim auS bem
ungefunben ruffifchen ®lima hinweg nach 2öien ju ber=
legen, wofelbft er fid) fchon im borhergehenben Sahre
in bem neu creirten ©ottage*Berein in 2Bäf)ring eine
Heine Billa als Sommerferienfii} erworben haHe-
dtid)t leichten §erjenS freilich nahm er 2lbfcf)ieb bon
feinem 21boptibbaterlanb , Wo er biele Qahre gelebt
nnb gewirft nnb im ©ecember 1877 fchon fein ruffi*
fiheS Siuiftlerjubiläum feftlich begangen had£ - wo
mehr als taufenb Schüler beiberlei (iefchlediteS ihm
ihre mufifalifdje Bilbung banlten. Unb and) Slnnette
fiel bie Trennung bon ber Heimat fchwer. ®ocf) Wur=
ben fie halb auf bem neuen Boben heimifd) unb nifte»
ten fich in ber 9täh£ jenes geweihten ©rbenfledS an,
in welkem Beethoben unb Schubert neben einanber
ruhen. 91ud) ihnen gegenüber berleugnete SBien nicht
bie alte, faft magifdje 3tnziehungSfraft, bie eS bon je
auf ben 9Jtufi!er inSbefonbere übt. ©>em ©omponiften
Sefdjetijft) etwieS eS fich gaftfreunblid) gefinnt, ittbem
eS fein Dpernunicum : „Z>k erfte Saite“, baS in 2BieS=
haben unb SRaitnheim fchon warme 2lufuahtne gefun=
ben, auf bie Bretter feiuer erften Opernbühne rief.
Unb ebenfo mangelt eg beut ißäbagogen unb Sötrtuofen
Ttic^t an Gelegenheit, feine bemälfrte Sunft beg SSeite*
ren ju üben, ©ct)üter aug aßen Sänbern fammetn fich
in feiner 2tu§bitbunggctaffe um if)n ; ja beit fettenen
(Stabierfpieter, ber er in SBaffrffeit ift, lernt bie aufjer*
ruffifcfje Sßett jefjt eigentlich erft fennen , iitbem fie
tt)af)rnimmt, bafs bie SSirtuofität SInnette (Sffipoff’g bie
ihres (Satten unb Sefjrerg teinegmegg berbuntett.
Sf)r Sicht Xä^t bieSünftterin inbeffen nicht minber
tjeß atg einft bon Stufßanb, fo jetß bon Öfterreith aug
teuften. Tie ©cffmeij, §oßanb, Teutfcfßanb, Ütufh
taub, (Sngtanb, Storbitalien , ÖfterreidE) , granfreidf
hörten unb fatjen fie atg gefeierten (Saft, ©eit 1880
machte fie auch Portugal, ©cfßegmig^otftein, @<hme=
ben, Ungarn, Stumänien, TänemarE (bie Regenten
ber beiben letztgenannten Sauber hefteten if)r bie 9D(le=
baiße für Sunft unb SSiffenfc^aft an) , bie fie big ba=
hin noch nicht kannten, ihrer Sun ft tributpflichtig .
Ter korben unb ©üben, Dften unb SBeften boten ihr
ihre Sränje bar. SBo wirb fie ihre nächften pftücten ?
Sßag bie biel erprobte üßiactß unb SBirlung ihres
©piefS bebingt , ift nicht bag Tetait , bie Beinarbeit
in ihren Seiftungen — hier, ibie in befonberen te<h=
nifdjen gorcen , bem Trißer, bem Dctabenfpiet ober
bergteithen, !ann it)r manche (Soßegin ben Stang ab=
taufen — eg ift bietmef)r bie Totalität , bie gefammte
Tarfteßunggtoeife unb bag Temperament, bag aug
ihr fpricEß. Slßeg , mag fie giebt , trägt bag (Sepräge
einer mufifatifc^en lynbibibuatität , einer fetbftänbig
mattenben, überfprubetnb fpielfreubigen Statur. (Sin
fingenber, tongefättigter Slnfchtag , eine mertmürbige
Sltuglettraft, metc^e bie gertigfeit unb Stugbauer ihrer
Mein gebauten f>anb miterftüpt, ein mcifterpafter iße=
baigebrauch , eine männliche (Snergie ber Stuffaffung
& M
156
unb beg Stusbrucfg , ein burcf) mit SSorliebe ange»
wanbte fdjarfe Eontrafte nocf) gefteigerter btenbenber
©tan^ ber garbengebung eignen ber füfjnen ißianiftin,
bie ein berliner Äritifer nidjt mit Unrecht einer auf
fcfjäumenbem ©treitrofj eintjerftürmenben SSaltiire tier»
glicE) . 2tm nädjften unter aßen, bie fie interpretirt,
ftef)t itjrer ©ubjectitiitcit Efjobin, iljr „@f>eciat»§ei*
iiger" ; näcfjft ifjm tftobert (Schumann. Studj SSeber
mag fie gern, unb fein Eoncertftücf gilt atg eine iljrer
impünirenbften Seiftungen, SSeit meniger tiertraut at§
jene romantifdjen ©eifter blieben it)r big jur ©tunbe
nocf) bie ctaffifcfjen dtiefengröfjen 23ad) unb Söeetfwticn.
®üt)t unb fremb ftefjt fie bem alten Drgetgeniug gegen»
über, unb bem Es-dur-Eoncert unfereg gemattigften
i£oni)erog bleibt fie an £iefe ber Empfinbung unb
©röfje beg ©tilg nodfj SSieteg ftfjulbig. Sßer fagt, ob
eg itjr tro£ adern gtänäenben Egprit, ja tro| einem un»
tierfennbar bicfjterifdjen Element in ifjrern ©piet nid)t
an Snnigfeit unb Siefe gebricht , um in bag Stderfjei»
tigfte ifjrer Sunft einpbringen ; ober ob eg iljr tiietmeljr
bei june^menber innerer Steife getingen wirb, aitcf) in
ben ©eift unferer erfjabenften ctaffifcfjen SDteiftermerfe
tebenbiger Ijinein ju wadjfen? Sind) bei bem ifjrem
Sßefen gernertiegenben fommen ifjr ja if»re ftatiifcfje
Etafticität unb bag wunberfame 2tneignunggtatent ju
ftatten , bag ifjr tion dtatur jur tdtitgabe geworben.
Eben bie fabelhafte Seidjtigfeit , mit ber fie lernt, er»
Hart bie ©röfje if)reg mufifatifcfjen 9tepertoireg , bie
nad) bem Urtljeil Sefd)etijH)’g nur tion bem Sütow’g
übertroffen Werben bürfte. ©teidjwoljl btidt bie junge
SSirtuofin auf eine untieHjättnifjmäliig furje öffenttidje
Saufbafm jurücf. begann fie biefetbe bodj erft mit
iljrem 21. !yat)re, wä^renb Slnbere, wie dtnbinftein,
Etara ©djumann 2c. fdjou in friitjefter Sinbljeit, unter
157
befter Seitung unb aCCer ©uttft ber mufifalifdien Ser*
£)ättniffe bie ©ftrabe betraten. ©taunenSmerth ift bie
©djneßigfeit, mit ber fte eine Sompofition pr concert*
reifen Sßiebergabe in fidj aufnimmt, @o ftubirte fie
beifpielStoeife bie E-moll-$uge toon tDtenbelSfoljn (mit
bem ©horal) in einem 2mg binnen tiier ©tunben put
öffentlichen (felbftDerftänblich auStoenbigen) Sortrag
für ein» ihrer Petersburger ©oncerte. Sierjeljn 2age
pflegen ihr pnt ©inftubiren ihres Repertoires für ein
ganjeS, meift aus fünfzehn bis achtzehn neuen ©tüden
beftefjenbeS ©oncert p genügen. Sn Amerifa ermög*
licf)te fie- es, fi<h für ifjre pei testen öffentlichen 33or=
träge, mäffrenb fie baneben mit anberen ©oncerten
nod) üottauf befc^äftigt mar, ad)tjef)n Piecen ameri*
tanifc£)er ©omponiften in einigen 2agett p eigen p
machen. UnbebenHid) auch burfte iljr ©atte unter
anberem einft in Petersburg, inbeft fie nod) auf Rei*
fen mar, eine ©hopiit=©oiree für fie anlünbigen unb
fed)S ©ompofitionen — barunter baS 2rio — in baS
Programm aufnehmen, bie fie ptior nod) nie gefpiett
hatte, obgleich if)D p bereu ©tubiurn nicht meljr als
üier 2age Srift tierblieben.
©in ©eljör unb ©ebädjtniff ber fettenften Art finb
bie natürlichen Helfershelfer biefer ihrer munberbaren
AneignungSfraft. AIS in Sonbon in einer ©efettfdjaft
tion Zünftlern ein englifcher üöiufifer, ber ein Don
ihm für üier Hänbe arrangirteS Drcfiefterftüd feiner
©ompofition mit ihr Dom Statt fpielte, ihr fein @r=
ftaunen über ihr auSgejeidjneteS Sefen beS fehr fdpe*
ren ©tüds auSbrüdte, fpielte fie ihm fofort baS ©anje
peiljänbig ans bem tiierf)ättbigen Arrangement tior.
Roch attiet Sahre barnad) aber, als Sefdhetigtt) in
Petersburg einmal pfäßig biefer bantalS tiielbemun*
berten 2f)at gebad)te, feüte fie fich au ben glitgel unb
reprobucirte bei» Scherjo au» bem betreffenbeit SSerf
frei aug bem ©ebächtniff.
@einegmegg auf bag (Gebiet ber ÜOtufit allein be»
fcfjränft fidf inbejj if)re ®abe teichteften Sluffaffeng.
®ie beutfefje Sprache erlernte fie in einem big gm ei
Sauren ot)ne Selber, nur bitref» ben Umgang mit Sefdfe*
tijfp unb beffen SMannten , geläufig genug , um fie
jiemtid) fetjterlog fpredfen unb fc^reiben ju fömten.
®urch jmeimonattidhen Unterricht im (Sngtifchen be*
reitete fie fidf auf ihre amerifanifefje Steife tior, unb
naef) fedfg SJtonaten beg Stufent£)atteg in ben 23ereinig*
ten Staaten lehrte fie im tiollen münbticf)en unb
fcfjriftticEjen 33efi| ber Sprache über ben Dcean jurüd.
lyn ben tiier tion ihr beherrfdften Sprayen lieft fie tiiel
unb gern, unb treu hält ihre (Erinnerung feft, mag
einmal ihre Slufmerffamleit feffelte, jumal ißoetifdjeg.
Shre (Eontierfation ift grajiög, pitant, oft funfen»
fprühenb roie ihre Kmnfprache. Stile mathematifdie
SC3iffenfc£)aft lehnt fie ab — fie liebt nicht ju jät)ten,
menn eg fidE) nicht um SDtufif tjanbelt. dagegen offen»
hart fie päbagogifd)eg Talent, nicht allein in ihrer
Sunft, mie fie benn ihre beiben ®ittber — einen ®na=
ben unb ein SDtäbdien — felbft in Sittern unterrichtet.
Sogar für meiblid)e unb bängliche Slrbeiten geigt fie
@efd)id. Sind) hier fehlt il)r nicht bie fie djaratterifi»
renbe „leichte £>anb".
Sie ift eben genial , biefe Slnnette (Sffipoff , mie
menige ihrer Kolleginnen , unb bie ßeid)tigteit itjreg
Sönnettg unb ßerneng bürften fie ihr öietteid)t alte
neiben. ©erabe biefer SSorjug aber birgt feine <$e=
fahr, er fönnte ihr bei minberer (Energie mot)t gar
jum SSerlfängnifj merben. SBem bie Statur bie SJtütJen
ber Slrbeit fpart unb bag (Erreiihen alg unmittelbaren
ißreig hinter bag Streben feljt, für ben liegt mohl bie
JT" “
SSerfudfung naf)e , feine affju ftrengen Sfnforberungen
an fidj fefbft ju ftetten unb fic^ ba§ Seifte no<f) feidfter
ju ntacffen. 2fud) öon Annette Effipoff f)at ntan in
feister Seit mannigfacf) Behauptet , baff fie fid) ni<f)t
alfjubief melfr um Erweiterung ifjreg ^Repertoire*
müfje, fonbern au§pruf)en Beginne auf ben errun»
genen Sorbeeren. 23 ir unferntf)eif§ fjaBen , af* wir
in einem ber SSiener Eefelffcf)aft§concerte im Januar
1882 Efwpin’ö F-moll-Eoncert in ebenfo fein poeti=
fc^er af§ öirtuo§ Brillanter SBiebergaBe öon ifjr gärten,
feinerfei Einbuße an ifjrem reichen pianiftifcfjen 23er=
mögen wafjrgenommen, unb in ber £f)at, nidfjt atfein
um ber ®unft fonbern au cf) um ber Stünftferin fefber
willen müßten Wir’§ Beffagen, wenn bem attber§ wäre.
2)enn nidjt in beriRufje, fonbern im raftfofen ©Raffen
unb Streben, in ber ftrengen, unerbittlichen ©etbft=
jucfjt liegt be§ ®ünftfer§ SBefriebigung unb fein Efticf.
& X
w
M
£a SMara, Stutienfcpfc. V.
11
as wufjte bie Sunftwett im weiteren Sinne
nod) cor wenigen Sagten üon SSera %i*
manoff, ein 9?ame, ber fjeute ju ben
beftberufenen int Steidje beS pianiften*
tpumS jätjtt? S« Petersburger unb berliner Sadj*
freien nur nannte man bie Trägerin beSfetben fdjon
oor mef)r aES einem 3af)rjcf)nt , ba fie faunt noa)
bie ®inberfdjuf)e ausgetreten, unb bie SDlufifgeitungen
öffneten it)r if»re ©patten, ein aufgelfenbeS GHanj»
geftirn am S3irtuofenf)immeE in ifjr weiffagenb. @ie
Ifat bie Propheten if>reS iRufjmS nicbjt Sügen geftraft,
unb WaS fie bereinft tierfprad), baS begann fie frühzeitig
burcf) i£f)aten einptöfen. Db aud) bie jüngfte unter
ihren torbeergefrönten Kolleginnen, barf fie mit ber
9)tef)rsaf)l berfetben bocE) ungefdieut in bie ©djranfen
treten.
$u ben fettenen ®aben , bie i!jr tmn 9tatur junt
Stngebinbe geworben , freilich gefeilt ficf) bei itjr bie
Smgenb eines Steiges, ber jur Srpotung oon ber 2lr*
beit nach neuer Slrbeit greift , ber fid) nie genug tlfut,
fid) mit feinem Ütefultat jufrieben giebt unb baS 93 d ft =
brachte immer an bem Gewollten, baS Krreidjte an
bem Unerreidftgebliebenen mifft. ©o leichtlebig unb
fcEjeinbar of>ne {eben tieferen fpitttergrunb fid) if»r per=
[&L
jH
163
11*
j*—“ "■ -’X.
föntidjeS SBefen giebt , fo ernft ift fie in ihrer ®unft,
in ihren iünforberungen an fidf felbft. Sin Stüd, baff
ihr bei fo energifdj rafttofer Sfjätigfeit eine geftäfjtte
Sefunbbeit ju ftatten fommt , bie if)r erlaubt , ihrer
pfjtlfif^en dtatur mögtichft menig ju gemäfiren, um if)r
um fo mehr abjuforbern. S§ ift neben ber moratifdjen
zugleich eine förderliche ®raft in bem jungen btonben
SOläbc^en tfjätig , um bie fie monier üdiann beneiben
bürfte. 2tderbing§ f»at fie and) ba§ Seben frühzeitig
in bie @d)ute genommen , unb bie Strbeit , bie je|t bie
greube unb Senugttjuung iljre§ 3)afein§ ift, b»at fie
at§ ißflidjt fennen gelernt fdjon ju einer Zeit, ba 2tn=
bere noch unbefangen unb t)armlo§ genießen unb if)re§
®inbf)eit§gtüd3 in filtern 2tic^t§tt)un frot) merben
bürfen.
Sera Sitnanoff ift oornehmer Slbfunft ; itjreSttern
gehörten bem ruffifd)en 2fbet an. Ser Sater beKeibete
atd Sicegouüerneur einer tßroOinj eine angefetjene
©tedung. Son it)m erbte Sera, bie Kfm am 6. gebr.
1855 nad) ruffifcbier Zeitrechnung, ba§ ift am 18. ber
unfern , in Ufa, einer Keinen ©tabt im Ämtern 9tufs=
tanb§ , af§ erfte§ ®inb geboren mürbe , bie tonfünfK
terifche Segabung , metdje feiner gangen Samifie eigen
mar, obgleich fein Stieb berfetben bi§t»er bie SDiufif
oon Serufgmegen getrieben h<KK. Sine munberbare
ÜDiadd übten bie Söne oon früh an auf lebhafte
®inb. SBenn nid)t§ ba§felbe gur 9tuf)e ju bringen
oermochte, Staüierffnet befänftigte e§ fdjned unb
miegte e§ in fieberen, feften ©ddmomer. Srei ^alfre
faum jähtte bie Keine Sera, ba fang fie fdjon mit
reiner Stimme ade ÜMobien, bie fie hörte, ober fudjte
fie fidj auf ben Saften be§ Staoierd jitfammen. @o
Kein auch ihre Jpänbe maren , fo gefd)idt unb efaftifd)
ermiefen fie fich hoch ; ja fo unmiberftefdicf) bezeugte
104
w
1
ficf) tf»r natürlicher SDrang jur SOcnfif , bafj man nicht
anber§ fonnte, at§ im fünften Satire mit ifjr fcfjon
fhftematifdhen Unterricht ju beginnen. Siicfit lange
hatte fie benfelben genoffen, ba ftarb ber Später. SSier»
unbjwanjig S«hre oft- mit tiierlft'inbern, beren ättefteS,
Sera, fünf Satire gä’htte, beren jüngfteg aber am Sage
nach bem £ob it)re§ (hatten auf He SBett tarn, faitb
ficf) bie SDiutter at§ Söitttne atteinftetjenb. Shr ®er*
mögen ging ju ©runbe. Stuf Sera unb ihr latent
richteten ficf) je^t ihre ganjen Hoffnungen : biefe muhte
nun fleißig fein , fortan für ficf) unb ihre Samitie ar-
beiten. gum ®tücf befafs man einen oortreffticfien
Sehrer am Drt. Subwig SowitjK), ein ejütirter ißote,
braute Sera fo fchnett tiorWärt§ , bah fie mit neun
Satten ihr erfte§ ©oncert geben unb ber ÜDtutter ihre
erften 1000 9tubel tierbienen fonnte. SSar fie auih
noch fo Kein , bah man fie auf einen h°hett ©tut)t
fe£en unb eine befonbere Sorrichtung für ba§ ißebal
anbrittgen muhte, ba fie te|tere§ nicht mit ihren Süffen
ju erreichen tiermochte, mie fie benn auch teine Dctaoe
ju greifen im ©tanbe ttrnr , fie brachte e§ hoch fertig,
SDtojart’fche ©oncerte au§tnenbig mit Drcf)efterbegtei=
tung ju fpieten, unb bie unbegreifliche ®unftfertigfeit
ber Keinen Hänbe mnrbe tiom ißubtifum wie ein
SBunber angeftaunt, inbeh auch bie Sritif ihre „Freiheit
unb Ungenirtheit in ©piet unb Haltung" Wohlgefällig
hertiorhob.
So tioltfommen gelang biefer erfte Serfucf) , bah
man batb baranf auch ben ißtan ju einer Keinen ©on=
certreife fahte. Son SDtutter unb Sehrer geleitet, weK
eher teuere batb am jweiten ©tatiier, batb at§ Dr*
chefterbirigent neben it)r wirfte, trat Sera in tierfcßie*
benen ißrotiinjiatftäbten tior ba§ ißubtifum , unb
überall gab e§ reichliche @innaf)men , babei wertt)tiotte
k
M
165
W~ "l
(Gefchenfe, foftbaren (Golbfchmucf neben Spielzeug unb
^ucferwerf für bie finblicife SSirtuofin. SSerfü^rerifc^
genug , juntal in auf bie Inappen 9Serb)äit=
niffe ber Samilie , erfd)ienen fernere 2Bieber£)oIungen
foldfer Reifen ; bod) ber Seljrer , ber fc^äbli^ jer»
ftreuenbe (Sinftüffe für feine Schülerin fürchtete, machte
ein ernfteS ununterbrochenes ©tubium jetd jur ^Sfticfjt.
Seiber führten bie mangelnben Mittel berSJiutter f(f»ort
mit Pera’S elftem SebenSjahre eine abermalige Unter»
bredfuitg herbei. Slufjer ©tartbe, bie SluSbilbmtg ihrer
Xoditer beS Weiteren ju beftreiten , muffte fie eS mit
®anf begrüben, als eine Petersburger gamilie, (Ge»
neral PafilewSfi unb bie ©einen, fidf beS begabten
SinbeS annafjmen unb ifjm mit ber Heimat in ihrem
§aufe pgleicf) bie (Gelegenheit jurn Söefu<f»e beS
Petersburger ©onfertiatoriumS barboten. Peirn @in»
tritt in bieS le^tere fteltte ber bamalige ®irector beS»
felben, Slnton Stubinftein, Pera baS geugniff aus, baff
fie als „fabelhaftes Talent ju ben größten Hoffnungen
berechtige."
2lber auch baS ©onferüatoriitm behielt bie auSer»
lefene Schülerin nicht lange. Perljältniffe nöthigten
bie SDiutter, fie nach Perlauf eines halben Sabres
fcf)on mieber git fid) juriidjurufen, unb in Ufa unter
beS erften SehrerS Seitung ftubirte fie nun abermals
weiter, wenn auch nur für lurje geit ; benn wieberum
fcfjlug fid) if)r Petersburger Protector , (General Pafi»
leWSfi in’S Piittel mit bem ebelfinnigen Angebot, bie
Soften ihrer SlnSbilbung ju tragen, bafern bie SDiutter
mit ihr in baS SluSlanb gehen Wolle. IJtubinftein’S
Patfj wieS fie nach Perlin ju (£arl häufig. $iefer
hatte fie faum gehört unb in feine 3ud)t genommen,
als er fie nach SPeimar ju Sranj SiSjt, feinem ge»
liebten SDIeifter, führte, bamit auch er fein Urteil über
' ä
166
w
fie abgebe, gum erften SOiale Begegnete ba 23era bem
großen DJtann, ber nadfmats ber Süfjrer unb gütig Be*
ratfjenbe greunb i()ter ®ünftterfd)aft werben joltte. $Wei
unb ein B<dbeS Saf)r ber ©tubien üerbradjte fie unter
ber 2tgibe SEaufig’S. SßoBt gebaute bie SJiutter fid)
nad) StBtauf eine§ tnieber Beimjuwenben. SDod)
ber Se()ter wollte feine ©dfüterin nidjt üon fid) taffen,
©r erftärte fid) Bereit, „feine fteine 9TcanS" — fo nannte
er fie — in fein f>auS ju nehmen unb aus eigenen
Kräften für ifjre f ünftferifcfje unb a ((gemeine ©rjieBung
ju forgen. ®a btieb benn bie ÜDlutter. Unb and) als
bann üon Stufjtanb ^er burd) bie ©rojffürftin geleite
beS Öfteren an i()n bie ülufforberung gelangte, feine
PftegebefoBtene an baS Petersburger ©onferüatorium
abjutreten, weit eS WünfdjenSWertB fei, ein fotcfjeS
latent im SSatertanbe auSjubitben unb jit Begatten,
ging häufig nidjt barauf ein. ©r broBte feinem Sieb»
ting Wot)t mandjmat , if) rt üon ficf) weg unb nad)
Petersburg ju ftf)iden , Wenn er mit Üjm nidjt äufrie*
ben war. ®odj nur fetten gab SSera it)m baju 2ln=
tafj ; benn WaS fie ber SRutter Bei beginn ber berliner
öe^rjat)re getobt fjatte : fid) mit altem gteifj itjrer ge=
liebten S'unft ju wibmen, baS Biett fie getreu(id). 2tdjt
©tunben unb metjr nod) tägtidj fafj baS bierjet)njäf)rige
®inb am Stüget feft. SDiodjie fein Xemiperament
immert)in nodj fo feurig unb tebenbig fein — bie 9J£u=
fit Biett a(te unruBigen ©eifter in itjm gebannt , unb
unermübtid) tag eS feinen Übungen ob. ©o finbtidB
bie Steine mit iBren furjen Leibern , iBren tang über
ben tftüden Berabfattenben ticf»tbtonben gtedjten auS=
fcEjaitte, iBren ptafe am Snftrument naBm fie mit ber
guüerfidjt unb Süf)ttBeit eines ÜÖteifterS ein. ®abei
gab fiiB ein überrafdjenber ©ruft beS ©mpfinbenS bei
iBr tunb. 33efennt bodj eine iBrer älteren @tubien=
te=
M
167
W~ "Tt
genoffinnen, bie Stmerifanerin ÜDiifj 9fmb gat) *) ,
»little TimanofF s« (öeftänbnifj , baff fte itatf) einem
(Soncert Saufig’§ bie ganje S'iacfit ttic^t jefjtafert fonnte,
I)abe iljr felbft bie ©cbamrötbe in’§ (Sefidjt getrieben,
bet fie ifyre§ eigenen ungeftörten <SdE)Iaf§ gebaute.
S3ei atlebem oerfubr ber geniale Setjrer au§nebntenb
ftreng gegen feinen Bögling. Sie it)m eigene nerüöfe
$aft unb Ungebulb, bie feinen ©cbüfern oft ju fdjaffen
machte, mitberte fidj aitcE) i£)r gegenüber trot$ feiner
SSorliebe für fie nicht. SJfit Sob üertoöbnte er fie fei*
ne§toeg§, unb fein Sabel blieb if)r nicht erfpart. (Sin
troefened „@0!" — fo ergäb)lt ÜDiifj Sat) ab? £>bren=
jeuge — lohnte beifjnefdtüeife ihrem gfanjüotten S3or=
trag üon (Sfjoftin’l großer A-moll-(Stübe, mätjrenb er
fpäter Sfnberen gegenüber befannte , baff er felbft fief)
nicht beffer bamit abjufinben im ©tanbe fei. Um fo
rücftfaltiofer pflegte ber ShtSbrucf feiner Unjufrieben*
I)eit ju fein. ftören toir ÜDfifj gab eine jener ©eenen
fefutbern !
„Sie geniale Heine Simanoff braute if)m eine
©cbitbert’fcbe ©onate , üon ber Saufig , aus? ber 2trt
feinet S3enet)men§ ju febfiefjen, eine ganj befonbere
Sfuffaffung fjdben muffte. SCRit gemolfnter gertigfeit
begann Simano ff fie ju fpiefert ; fie batte offenbar jebe
fdEjtaflofe Spinnte feit ber testen ©tunbe auf ba§ ©tu*
biunt berfetben üertoanbt. Sodj toar fie noch niibt toeit
auf ber erften ©eite gelommen , a(§ er fie innet)atteu
tjieff unb an ihrem 9fu3brucf allerlei au§feijte. Sßon
neuem begann fie , bodj .mit feinem befferen (Srfofg.
2fucb ein britteS SDfaf blieb er unbefriebigt, obfefjon er
fie ein ©tücf loeiter geben fieff. $eben 5fugenbticf
jebotb unterbrach er fie in ber beftigften , rüäficf)tS=
*) Music Study in Germany.
--M
108
lofeften SBeife. $d) Wäre an ihrer Stelle fidjerfid) in
sdjränen abgebrochen , hoch tJimanoff errötete nur
über itnb über. 23on einer Sfpfefbfiite fcffeen fie itjr
Sncarnat gu borgen, häufig tnitrbe inbefe immer auf=
geregter nnb tief fie in feiner llngebutb gange Seiten
überfpringen. „Spiele hier!" fagte er, unbufbfant auf
eine, eine halbe ober gange Seite weiter ffenau§ tiegenbe
Stelle beutenb. „8ch fann ba§ nicfjt hören! Spiele
Weiter ! (£§ ift gu fd^tec£)t um e§ anguhören !“ — Snb»
fid) fuhr er mit ber £>anb üf)er bie 9ioten nnb rief wie
bergweifefnb au§ : „Üinb , e§ liegt eine Seele barin,
fpürft bu’§ benn nicEit , e§ liegt eine Seefe barin!"
Ximanoff, bie Weber eine Seefe, nod) Srfatjrung genug
fiat, um eine fofcfje gn erheudjefn, hatte öon bem, wag
er meinte, augenbfidfid) feinen rechten begriff. Statt
nnb geläufig wie immer futfr fie in ihrem Spiele fort,
big Xaufeg eg nic^t länger ertragen fonnte nnb bie
Sioten gufcfefug. SOiidE). berührte biefe mir neue Scene
äufeerft unangenehm , benn gern f)öre ich Simanoffg
Keine Ringer über bie haften hufehen. 9ftag fee nun
eine Seefe hoben ober nicht, ihre attgeit accurate gier»
liihe Spanier nnb ein gewiffeg Stwag in ihrem gefun»
ben fteinen Seffent faffen mich faum nad) Seele ber»
fangen."
$afe er in bem tafentboffen Stäbchen eine birtuofe
Sröfee aufergog , war bem reigbaren ibeafiftifdfen
Äünftfer fefbftrebenb erfidfetid) genug, liefe er hoch
auch nadfbem er, feiner fdfwanfenben Sefunbhcit
halber, feine Schüfe aufföfte, SSera ttod) ferner pri»
batim ein feafbeg Safer feine Unterweifung gu Sitte
fommen, fie gu ihren nädjften Soncertunternehmungen
borbereitenb.
Scfeon im $erfaufe ihrer Stubien bei if)tn hatte fee
im üftobentber 1870 ein erfteg SDebiit auf bag gfiid»
k
169
tidjfte beftanben. Sn einem bon ber renommirten ®e*
fangtet)terin Sennt) SOletjer im Slrnim’fdien ©aal ber=
anftatteten 2Bohtthätigfeit§concert trug bie günfsehn*
jafjrige, bttrcE) ein ißrefto bon ÜDtenbetSfohn unb 2i§jt’3
@ o mm ern a c£)t§ träum = ißt) atttafi e ba§ ißubtifum in einen
Wahren „23eifatt§j)aroj;i§mu§" berfetjenb, ben ißrei§
be§ SIbenb§ babon. „(SHeic^ nach ben erften Stccorben
mar e§ jmeifetto§ , baff man e§ tjier mit einem ganj
ungemöhntidjen latente p tfjun habe, ba§ in bortreff*
lieber Sdpte fic^ herrlich entmidett Ijat unb p großen
Grmartungen berechtigt. ®ie junge, fräftige Iftnffin
bearbeitete ben 93ecf)ftein’fc£)en §Iüge£ mit einer iftraft
unb Energie , um metcfje fie mancher fdjmächtiche ißia*
nift mit Stedjt beneiben mürbe ; mit einer 9Irt naiben
£ro|e§ feilte fie fid) bor ba§ Snftrument t)in, at§ ob
fie p itjm fagen moHte: ,,„bir mitt id) fdjon jeigen,
mop bu ba bift, bu mufft mir gehorchen unb menn bu
bid) auch noch fo fetjr fträubft!"“ S« bem SDtenbete*
fohn’fchen ißrefto bemnnberten mir befonber§ bie per*
ienben , fauberen Saufe, metdje bie junge fßiaitiftin
fpietenb p i£age förberte, unb in ber Si§jt’fd)en
@ommerna(ht§traum='ißhantafie überrafchte un§ bor
adern bie Steife ber Sluffaffung."
@o taffen fid) bie „Signale" über bie erfte öffent*
liehe Seiftung ber ®ünftterin auf beutfdjem 93oben ber*
nehmen. 2lucf) ®umf>recht, Gnget unb anbere fbäupter
ber berliner lü'ritif ftimmen in ihrem Sobe überein
unb fagen ber „eminenten SSirtuofin" eine „thatenreidje
3ufunft“ borau§. Stt SS5a£>r£)eit tiefj biefetbe nicht auf
fich märten. Stach faurn erfolgtem Stbfdjtufj ihrer
, Stubienjeit bei Saufig trat fie in einem grofjen Gon*
cert pm föeften be§ ©uftab=S£bo£f)S3=9Serein§ mieberum
bor bie £>ffenttid)feit , bie§mat bie .Sühörerfdjaft mit
9tubinftein’§ brittem Goncert unb einer Valse-caprice
fc. • • •
W . ” %
iljreg Sef)ter§ entljufiaSmirenb. Sie SCnmefentjeit be§
letzteren fjatte fte fidj habet berbeten. 9Bie bor feinem
SQJertfdEjen fonft fürchtete fie ficfi bor tfjnt. @o ruijig
ttnb unbefangen , frei bon allem Sampenfieber fie aß*
jeit üor bag fßubtifum trat itnb tritt , bor bem Urtljeit
be§ fo ljocfj tion if>r bereiten SDleifterS bangte if)r
munbertidj. Um fo gtüdtidjer mar fie bann freilich, at§
fie erfuhr, er fei trof; be§ SSerboteS, tjinter einer ®äute
berftedt, i£>r 3uf)örer gemefen unb feine Heine $£Rau§
fjabe fict) feine boße gufriebeufieit ermorben.
9tadj Vorgang ber beutfdjen ©rfotge blieben and)
bie ruffifcfjen nidjt au§ ; benn Ijinmeg bon bem lieben
Setjrer, ber bafb barauf feiner tjotjeu fünftterifdjen
unb päbagogifdfert Sßiiffion gattj entriffen merbeu unb
ben fie nimmer mieberfefien foßte, muffte fie jejjt. 3f>r
9Beg führte fie f)eim nadj ßtufjtanb. ßtadj fßeter§burg
mar itjre gamitie mitttermeile, um ber ©rjieijung if»rer
brei jüngeren ©efcEjmifter mißen, übergefiebett. Safjin
ging aud) fie, um fidj bon iljren 2anb§teuten feiern ju
faffen. 5n einem @t)mpt)onie*©oncert ber ruffifdjen
SRufifgefeßfdiaft unb £ag§ barauf in einem großen
Soncert Sabiboff’g, be§ berühmten SSiotonceßtften, im
Sweater fteßte fie fidj bor unb gab eigene ©oncerte,
bereu fftefultat nidjt§ ju miinfdjen übrig tiefj.
.Qmifdjett bem Stu§tanb unb ber Heimat, bie feit*
bent 93era’§ jäf»rlicfie ©oncerte ju iljren beften Uitnft*
genüffen jäf)tt , tijeilte fie fortan ifjrett Stuf enthalt.
@djon im Secember 1871 mar fie mieber in fßrag,
bort unb in SBien, mo fie fidj im Januar 1872 in
einem felbftänbigen ©oncert [preit liefs, begeiftert auf*
genommen; für fertig aber ljiett fie ficf) fetbft aud) jeijt
ttod) !eine§meg§. 9Kit aßen Kräften nadj Ijödjfter 95er*
boßfommnung ftrebenb , genofj fie bietmeljr um biefe
3eit nod) brei iötonate fjinburcE) Stubinftein’S Unter*
171
Reifung , mährenb biefer at§ Dirigent ber 9)iufifoer=
einS=©oncerte 1872 in SSien öermeitte, unb ftebelt
fidf feit 1875 auch int Saufe feben ©ommerS in 2Bei=
mar an, fo lange ber kufentftatt SiSjt’S bafetbft
mät)rt , um aus Selfre unb 23eifpiet beS unerreichten
SJteifterS fjotjen (Setoinn unb ebetfte ©enüffe ju
fcf)öpfen» SaS ift ifjre ©rtfotung üon ben 2tnftrengnn=
gen beS SßinterS, toenngteid) fie aud) toährettb biefer
Sinfiejeit tagtäglich acht bis jrnölf ©tunben am ©taüier
tt)ätig bleibt. 3f)re ftäl) lernen Heroen, ihre urträftige,
ed)t ruffifche (Sefunbheit, bie auS ihrem jugenbfriftf»en,
anmutfjig btühenben Pufferen fpridjt, ertauben es it»r
ungeftraft. Unb fie lennt lein f)öb>ere§ ®ebot als für
ihre ®unft ju ftreben unb ju leben — unb jugteid)
burdf ihre ®unft ihrer gamitie ein behagliches Safein
ju bereiten. SJian muh ihre treue Sürforge für bie
lyhren lennett, um Sera Simanoff nid)t nur ju be*
wunbern, fonbent auch ju fchä^en unb ju lieben.
üftidft gering and) finb begreiftidjertoeife bie ‘än-
forbernngen , bie SiSjt an eine fotche ©chüterin ftettt.
@o machte fie ficf) 5. 23. im ©ommer 1877 auf feinen
Sßunfdf 9tubinftein’§ jmeiteS ©oncert (F-dur), baS fie
bis bafiin noch nicht gefpieft , binnen üier Sagen fo
oottftänbig ju eigen, bah fie es ihm am fünften Sage
ausmenbig oorjufpieten unb am fechSten Sage in einer
feiner SJtatine'en mit gtanjenbem ©rfotge üorjutragen
oermochte. SaS jufriebene Sädfetn beS SJieifterS, mit
bem er, fetbft am jtoeiten ©laoier bie Drdjefterpartie
fpietenb, bie Seiftung feiner ©chüterin begleitete,
mochte ihr tt>of)t "ber tiebfte Sohn für biefetbe fein.
(Steicherioeife überrafdfte fie ihn im ©omnter 1881,
als er nach einer oiertägigen ütbioefentjeit heintfef)rte,
burdf Sorfithrung oon Subinftein’S erftem ©oncert,
mit beffen ©tubium fie fid) ixtjiüifc^en befcffäftigt hatte.
©bopin’3 B-moll-@onate mitbemSrauermarfch Op. 35
— ein t>eriif)inte§ Jtepertoireftücf iRubinftein’S — , $Ru=
binftein’S ©uite, feine „Seonore" ntit ihren riefigen
©chwierigfeiten , bie fie letzthin in i£)r ^Repertoire auf*
genommen , fiitb gleich unzähligem anberen ebenfalls
baS IRefuItat toeniger Sage; ja ju ber teueren be=
hauptet fie nur gtoötf ©tunben beburft ju haben. 2BaS
fie irgenb intereffirt — gteic^öiet ob GHaffifcheS ober
ÜRoberneS, h)enn fie auch befonberS ju (Hjopin, SiSjt,
IRubinftein neigt — baS macht fie fidj ntit eitergifdbent
Sifer WiberftanbSloS ju eigen. SDafj ibr bei ber ®lein=
beit ihrer bon ÜRatur für baS ©laüierfpiel nicht günftig
gebauten fpanb , bie faurn eine Heine SRone ju greifen
oerntag, bermehrte ©cbtoierigleiten erwadjfen, Himntert
fie Wenig. 2BaS ihr an ©pannlraft mangett, erfeijt fie
an ©lafticität. Sludj Weifj fie fidj ju helfen unb mit
ber gleichen SBirfung öieleS anberS auSjufüljren, als
eS gefchrieben ift. »Je ne sais comment vous ferez
pour adapter la »Sonnambula« ä vos petites mains ;
eiles devront se promener sur les toits ä la ma-
niere des somnambules« fdjrieb ihr SiSjt einmal, als
fie ihm feine @onnambula=ißbantafie als ben neneften
©egenftanb ihrer ©tubien unb als eine ißrogrammnum*
nter feiner nächften SRatinee anlünbigte. Sa wie oft
war „23era SSeriffima“ bie „Sierbe" biefer SERatineen,
mit benen baS mufilalifche Sßeimar, feinen (§5ro^f)er§og
an ber ©pitje, in SiSjt’S §eim , ber ibt)llifd)en „§of*
gärtnerei“, bie fommerlichen ©onntage feierte! Unb
wen falj unb hörte man ba nicht alles ! SBelcb ein
SReicbthum fünftlerifdjer 33ilbung flofs ba nicht jufam*
men unb fanb in ÖiSjt feinen SRittelpunft ! 93ülow unb
häufig, fRubinftein, ©aint=@aenS, ©auret, ißauline'
SSiarbot , ©ofie SRenter, ©räfin ©djleiniü, grau oon
SRoudjanoff, ißinner, garentbSU), ©charwenla, — ja
wer nennt fie ade, bie wedjfetnb mit bem SDteifter felber
freigebig ibjre ©aben fpenbeten unb unS mit Sang nnb
Slang erfreuten , inbeß burdj bie offenen fünfter oom
©arten herein fftofen= unb Drangenbuft brang unb
bie fjotjen Sinben ber SMtiebere*2tltee, bie alten SBaum*
riefen be§ claffifcfjen IßartS unS frifcfje Süfftung ber=
über fächelten, wenn brihnen bie Temperatur ber $8e=
geifterung atlju ßod) ju fteigen brotjte. SBoljt War baS
fcflön unb bocf) ift’S nun — ba jene üötatineen, wie eS
fdjeint, auf immer üerftungen unb ibjr SSeranftatter fie
nidjt rneßr fortjufelen geneigt ift — audj üorbei unb
gehört nicf)t meljr ber ©egenwart, fonbern ber ©e-
fcf»i(f)te an , bie eS unter bem , was SiSjt feiner geit
gegeben, tierjeicßnen wirb.
TaS , wa§ ber ÜDteifter feinen Sdjülern gab unb
nodj fortwäljrenb giebt, aber gewahren unb erleben
wir nod) tägtid). SSiel ift eS and}, was SSera Timanoff
itjrn banft. SSBenn fie bon jebem ibjrer brei großen
Seßrer, ben größten, bie bie Sßett befeffen, etwas ats
©rbe unb ©igentßum empfing : bon Taufig bie frpftaß*
fjelte Tedjnif, bon Ütubinftein bie Ißlaftif beS Tons,
fo beeinflußte SiSjt inSbefonbere bie fpirituette ©eite
itjreS SpieitS, jenes tiefere mufiMifdje Sßefen, baS
nocß über ber birtuofen Seiftung ftetjt. 2BaS fie ficß
ba im S3unbe mit ben ©aben ber Statur burdj Seßre
unb SSeifpiel ju eigen gewonnen: bie Saat emfigen
ÜDtüßenS unb nie ermübenber Arbeit , fie ift ißr nun
jur gotbenen ffrudjt gereift. Ter füßne Scßwung
ißreS, wenn nidjt fonberlidj feeten», fo bodj tempera»
mentboüen Spiels , itjr wuchtiger unb babei fammt*
weicßer, gefangreicßer Ton , iljre padenbe SRßptßmifi*
rung, itjre nicßt nur in ißrer Speciatität, bem
Staccato , fonbern nacß jeber Stiftung ßin treffließ
entwidette Tecßnif mit einer meßr als weibficßett Sraft
\jfr ■ «
unb StuSbauer , ^aben fie nicht attenthatben , Wo fic
fid) geigte , taute SInerfennung gefmtben? SJlod)te
ficf ) aud) t)ier unb bort auf gatijifdjem unb ungari*
fdjem Soben bie teibige fßotitif in bie rein fünft»
terifcfien fragen mifcfjen unb man ber SDtufiferin ifjre
ruffifdje Stbftammung entgelten taffen , e§ btieben
bie§ bocf) eben nur üereinjette gälte. ®am e§ in ®r a»
tau, ba§ SSera auf ihrer großen Sournee (1878) mit
©auret, bem ausgezeichneten (Seiger, berütjrte, auf ber
(Straffe unb im ©oncertfaat ju fo feinbfetigen Semon»
ftrationen, baf] fie faum angefjört mürbe unb bie Äritif
ficf) bis jur ^Behauptung üergaff, „baS GtXaoier freifdje,
quiefe unb fdfreie unter ihren Ringern“, febaff SSera
ihrem entrufteten SSegteiter alten (SrnfteS ben SBorfdqfag
machte, fic^ non itjrn ju trennen ; unterfagte beifpietS»
meife and) bie Dbrigfeit einer Meinen ungarifdjen Stabt
au§ eitet fftuffentjafj bas Stuftreten ber .tüuftterin , fo
rief baS an anberen Orten um fo bemonftratitiere Düa»
tionen tjeroor. Stn ber ferbifdjen (Srenje begrüßte man
fie unter anberem (1879) mäprenb ihrer doncertreife
mit fE&ercfhta Seibt, einer ©djüterin ^ettmeSberger’S,
an ben Stohnpöfen mit feierlichen Slnfpracpen , oon
benen bie (Sefeierte freiticf» , ba fie in ferbifdjer gnitge
gehalten mürben , nicht baS SJiinbefte oerftanb ; ja in
(Sffegg an ber Sonau überreichte man ii»r gar eine
ruffifdje reidjgeftidte gähne , bie auffer Stamen , Ort
unb Saturn bie Snfdjrift trug : „Ser norbftaüifd)en
®ünftterin bie fübftaoifcpen greunbe". Stud) bie ruf*
fifche 23otfSf)hmne mottte man ihr fpieten taffen, hätte
fie fetber eS fidj nid)t aus Stüdficpt für bie Ungarn
Oerbeten. (Serabe in ben potnifdjen unb ungarifdien
£>auptftäbten Sßarfdjau , Semberg , fßeft tjntbigte man
ihr übrigen^ am feurigften. Stur fetten burfte fie fid)
über Ungafttichteit beftagen. SiSjt’S SBort: »Votre
... —
w
talent est de force ä convertir meme les Turcs«,
womit er ihre Söeforgniffe fcfjort 1876, als fie mit
Slglaja Drgeni unb 93erff)a §aft concertirte , beruhigt
fjatte, bewährte fid).
93i§ jum golbenen Jporn hinab ging fie allerbingS
für’S (Krfte noch nic£)t. Sie 50g eS bor, bie f»otIänbi=
fd)en Stäbte (1878 unb 1881), ißariS (1877) unb
Soitbon (1880, 81 unb 82) ju erobern unb ifjre Siege
in ©eutfdjlanb unb Uiufjlanb (im ©üben Wie im 9tor=
ben) fortjufeijen. . Sind) Slnterifa ftrecfte bie fpanb nad)
ilfr auS ; bod) blieb if)r junädjft nod) in (Europa genug
ju ttjun. 3m Sommer 1879 fpielte fie bei bem twm
„Slßgemeinen beutfdjeit SJtufif herein“ beranftatteten
SßieSbabener SJlufiffeft unb im barauffolgenben föerbft
jum (Geburtstag ber ®aiferin in SSaben = 53aben , Wo
itnfer beutfdjer ftatfer fid) mit ber ruffifdjen ftünftlerin
in ihrer Sprache unterhielt. 9c od) früher fd)on, gelegent*
lieh feines (Kuraufenthaltes in @mS (1876), hotte fie
ihrem (Kjar 911ejanber II. ihre mufifalifdje |>ulbigung
bargebradjt unb in einer auf feinen 93efe£)l eigens für
fie oeranftalteten Soiree bor ihm gefpielt. 2ludj bei
SCHac 9Jtal)on , bem weilanb ißräfibenten ber franjofi*
fcfjeu Uiepublif, ftanb fie in befonberer (Gunft, unb ber
SBeimarer Ipof, bei bem fie ein gern gefeljener (Gaft ift,
ernannte fie im Dctober 1880 jur gro^tjer^raglicEien
®ammerpianiftin. So jung fie ift, fie trägt fd)on ber
Sf)ren biele auf ihren Schultern. 2llS 1881 bie
(Koncertgefellfchaft »Sempre crescendo« in Serben ihr
50 jähriges Subiläum feierte, nal)m fie bie jugenblidte
50?eifterin unter ihre @f)renmitglieber auf. SSir wüßten
auch für S3era Simanoff S immer hoher ftrebenbe ®ünft=
lerfdjaft fein richtigeres SJiotto als »sempre crescendo«.
=JÜ
w
M.
öa üftara, Stufcicnföpfc. V.
12
wei Satire ftttb eS, ba üb erraffte ber Sötann
ber Überrafclfungen , §an§ oon Vütow,
inbem er ber mufifatifchen SJcenfcbbeit wie»
ber einmal einen feiner eben fo berühmten
als ob if)rer SarfaSmen gefürchteten Steifebriefe unb
»Strtifet jum SSeften unb bamit allerlei ernfte fragen
ju benfen gab, bie SSett mit ber SOcittfjcitimg , baff es
einen „Stioaten Soadjim’S" gebe.*) „®eS Sinnigen
einziger Stiüat“, fo fjtefs eS , „lebt in ©ngtanb , biefer
©r ift eine Same unb biefe ®ame twifst SBitrna
Steruba-Storman." SDen Süngften, mit ber mufi»
fatifchen ©hronif minber Vertrauten unter nnferen
beutfdjen ©oncertbefuchern Hang ber Stame jiemticf)
fremb an’S Dfjr. 28ar bie Trägerin beSfetben auch
nicht gerabe, Wie Vütow meint, für baS Sanb ber
SDtufit „nur tegenbenhaft" — benn noch im 3<*hre 18 74
hatte man fie beifpietSWeife in Seipjig gehört — fic
war hoch eine fo fetten begrüßte ©rfcfjeinung in unferen
StRufifhatten geworben, war bem Oatertänbifchen £on=
teben feit langem fo fern gerüdt, bafj bie bitteren,
Vetefeneren ber SBifjbegier ber jüngeren ju §ütfe
tommen unb fie belehren mußten, baff aus einem einft*
maligen Sßunberfittb SSitma SZeruba, ba§ fich ju ©nbe
ber oierjiger Sat)re baheim unb im VuStanb feinen
*) „£tc ©etgenfec." Signale 1S80, 9?r. 16.
179
12*
w
erften Stupm erftricpeit , jene äBunberfrau gereift fei,
bie at§ „©eigenfönig öott Stpolto’3 ©naben" fiep int
„Steicp ber optifdpen , nicpt aber ber atuftifcpen Siebet"
iprett Spron erbaute. „Sie ©eigenfee" tauft fie §an§
tion VütoW unb befennt fid) non ipren Seiftungen
„eteftrifcp gepacft." „fjrrau 9teruba’§ Secpnit ju prei*
fen", fagt er, „wäre eben fo abgefcpmacft ate materia=
tiftifcp. SBer fpricpt non Soacpim’3 9Jtecpani3mu§ ?
Ser ©eift , bie Seele , ba§ Seben , bie Sßärme , ber
Stbet , ber Stil , bie au§ ber innigften Vertiefung in
ba§ ®unftwerf, au§ bem tiebeüoltften Slufgepen in
bemfetben fid^ entfattenbe |>ocp'Vtüte ibeater 3nbiöi=
buatität , bie oerftärte Stuferftepung bes Subject§ als
Sopn für feine Eingebung an ba§ Dbject , barin liegt
ba§ ÜDtadptgepeimnif biefer Zauberin über bie bergen
ber $upörer. Sarin ift fie grop unb rein wie Soacpim,
barin ift fie fo einzig Wie ©r. Sag ift’§, Wa§ be=
wirtt, bap man ipr ntepr at§ »talent hors ligne«, baf;
man ipr ©enie, atfo Valentin pöcpfterißotenä
jujuerfennen pat."
Stuf eine tange Steipe lünftterifcper Stpnen blicft
SBitma Sieruba jurücf. Ser erfte als SSiotinfpieter be=
fannt geworbene Stepräfentant ipre§ 9iamen§ , ber ju
Stoffip in Vöptnen gebürtige Sopamt SprpfoftomuS,
weift bi§ in bie erften 3apre be§ üorigen Saptpunbert§
pinab. $u ^ra9 für SDtufif erjogen , oertaufcpte er
fpäter bie bortige Speatercapette mit bem ®tofter unb
ftarb als ißrämonftratenfermöncp im Strapofer Stifte.
Sein jüngerer Vruber Sopann ©eorg griff gteicpfatt§
jur ©eige, componirte aucp Stüertei , ging auf Steifen
unb folgte 1750 einem Stuf nacp Sre§ben, fiep nacp=
mat§ nur ber Stugbitbung feiner Söpne Subwig unb
Stnton griebridp wibmenb. Ser Vritnner Somorganift
Sofef Steruba , ber um ein tiotte§ Saptpunbert jünger
ä
y\
War alS'jeneS erftgenaunte Srüberpaar, War äBilma’S
Sater. Son ber mufifalifchen Samilienbegabung erbte
jebeS feiner fünf föinber fein X^eiL SSeitauS am reich =
lidfften bamit gefegnet aber Würbe bie am 29. 3Mrj
1839 geborene SBilma, ber fcf)on üon aüererfter ®inb=-
beit an ber Fimmel öoüer Zeigen iiittg. ®aum üier
Sabre alt, begann fie bereits tiont Sater ju lernen,
mit bem Sogen umjugeben , unb fo fehltet! unb ficfjer
gewöhnte fie fiel) il)n $u fiitjren , baff man bie @ech§5
jäbrige nadj 2Bien fc£)ic£te , bamit fie bei einem guten
SDleifter in bie Selfre gebe. Sin Sal)r öer ©tubien bei
Seopolb Sanfa befähigte fie, fidf öffentlich hören ju
laffen. äftit ihrer älteren Sd)Wefter SImalie trat fie
1846 im Salon Streicher auf unb gab fobann im ®e=
cember beSfelben, wie im Sanuar beS barauffolgenben
SahreS brei Soncerte im alten SBiener SDinfifoereinS*
faal , beren brittem Sennh Sinb bie ®hre ihrer SÖtit*
Wirlung fchentte. 911S bie Sd)Weftern im Sluguft in
Saben bei 2Bien ein oierteS Soncert oeranftalteten,
hatte fidf auch ein Sruber, Sictor mit tarnen, als
aSioIoncefffpieler {»ittjugefuttben* Sßilnta , „ber Heine
geigenbe Sngel" , erregte ebenfoöiel ©tjmbatbjien als
Sewunberung. „S)ie weit über ihren Sehren ftefjenbe
ütuffaffung , bie tiollenbete Sorm beS SortragS , bie
Feinheit ber Sntonation überhaupt unb ber feine, fräf*
tige £on, ben fie ber Keinen ©reioiertelgeige entlocfte",
fanben bie lautefte 21nerfennung.
■JtorbwärtS giehenb , fegte bie ftinber = StriaS ihre
Srfolge in Seipjig, Serlin, Hamburg unb anberen
Stäbten fort. Sn Sonbon führte fiel) SSilma am
11. Suni 1849 bei ben ißhiliwrmonifern mit einem
Soncert Seriot’S ein , bie nächften Sal)re fallen fie
üorjugSWeife in Sinfflaub. ®ie Sücfe , bie ber in 5)3e=
terSburg erfolgenbe Sob beS SruberS in baS @e*
fcf)Wifter = iXrio riß, warb burd) ben (Eintritt eine§
Zweiten Kruberg, granj, jdwell Wieber ergänzt; ja
burcf) Slnfnahme ber jüngeren ©djWefter Sparte al§
zweite SStoIiniftin erweiterte fic£) ba§ Gnjemble fogar
eine 3eitlang junt Buartett. 5Ba§ ®treidj=5Eerzett, ba§,
at§ Slntalie jid) bann oorn Glaüier jurüdjog, übrig
blieb, erwarb jid) in ©djweben, Norwegen unb ®äne=
rnarf, im leipziger GewanbljauS, wo SSilnta am 23.
Dctober 1862 mit 3Jienbel3jof)n’§ Goncert itjren @in=
jug hielt, wie allenthalben , wo e§ jid) ^^o^wcirte,
zahlreiche greunbe. ®ann löjte ficf) ba§felbe auf.
©ie, bie bie erjte Violine fpielte, fchlofj einen anberen
Sunb unb folgte am 27. Januar 1864 bem Gompo=
nijten unb jdjwebijdien 'pofcapellmeifter Subwig 9tor=
man alg Gattin nadf ©todholm. ©djwefter ÜJtarie
janb fpäter in ber fdjwebifchen §auptftabt in bem §of*
opernjänger 2lrlberg ihren SebenSgefährten, unb auch
ben Sruber fjranj hielt ©lanbinaüien fejt — in ber
^openljagener Gapelle eröffnete fid) ihm ein lang»
jähriger 28irfung§frei§. 3mmer wieber aber fanben
jid) bie ©ejcfjWijter 51t gemeinjamen fünftlerifdjen ßei=
ftmtgen jufammen. 2ln bem oon Sßilma gegrünbeten
Sammermufifoerein , ber bem SKufifleben ©todf)oIm§
jur hohen $ierbe gereichte , betheiligte and) ÜDiarie jich
jahrelang auf’3 eifrigjte, unb al§ bie ältere ©djwefter
fpäterfjin ihre Xljätigfeit ganz naih Sonbon berlegte,
oereinigte jich ihr iwrt wieberunt granz oI§ treuer Ge=
nojje.
®er Gewohnheit alljährlicher Steifen entjagte
SBilma auch im Storben nicht. Kopenhagen, Seipzig,
ihre Saterftabt Srünn , granffurt, ®öln unb anbere
£>rte hörten jie in biefem unb jenem Saljr. Grofj=
artigen Grfolg hotte 1868 ein Sefudj in ißariä. „Shre
weibliche Grazie, ihre ungezwungene gewanbtc Sogen*
Sfe.
182
* "
füfjrung, ihre unoergleichliche ©orrectljeit , if)r auSge=
jeidjnet reiner Stil, ihre erftaunlidje Sicherheit unb
ißoefie" erwedten , laut ffetig , erttf» ufiaftif cf» e 33ewun=
beruttg. Sie war „ber ©lern bet großen ©efellfchaft",
fpielte beim Saifer in ben Suilerien , in ben SalonS
ber gürftin SRetternidj , im Conservatoire , bei fßaS=
beloup , in eigenen ©oncerten , ohne baff man fidj an
i£)t fatt ju hören oermod)te. SRidjt minber beeilte man
fidj in 2lmfterbam , fRotterbam , SBritffel,' iljr bie ge»
bütjrenben ©Ijren $u erweifen. 3n Sonbon üodenbS
erbaute man fidj berart an it)rer Mnftlerfdjaft , baf?
man fie ^infort nicht meljr entbehren wollte. Slls ber
eble, feetenbode (Sefang ibjrer (55eige am 17. SRai 1869
nad) jmanjigfähriger fßaufe baS ißublifum ber ißtjil»
harmonifdjen ©oncerte wieber entjfidte, ba inaugurirte
fie, otjne es felbft ju ahnen, bamit eine Xtjätigteit, ber
fie, wie eg ben Stnfcfjein tjat, wofjl nun lebenslang
angeboren Wirb. So Oiel Sd)Wierigfeiten bem $or=
,fc£)lag SSieujtempS’, ben SBinter über in Sonbon ju
bleiben unb in ben Monday- populär -concerts bie
ißrimgeige ju übernehmen , anfangs iljrerfeitS begeg=
treten , fie trat , als fie fidf enblidj baju bereit finben
liejjj , hiermit in einen SBirfungSfreiS ein , ber fie halb
ganj unb bauernb in fßflid)t unb Sßann nahm.
3 eben Sßinter unb Srüljling wibmet fie feitbem
bem englifdjen üERufifleben, fa and) ihren SSohnfi|
oerlegte fie fchtiefjlidj nadf Sonbon. Sie Populär-, bie
Philharmonie- unb Crystal-Palace-concerts, bie Re-
citals oon ©hartes fern Ile rühmen fidj ihrer als einer
ihrer öotnehmften Iträfte , unb ihre &'ammermufif=
SSorträge mit fßiatti, fRieS unb Berbini, ober mit Spalte
nnb ihrem Sruber graitj gehören ju ben auSerlefen*
fteu tonfünftterifdjen ©enüffen ber Shemfeftabt.
Sprach 93ütow eS boc£) noch uutängft aus, bah fidj
flO vjs!
XW. - -*)l»
ÄT" ^
nidE)t§ SSottenbetereS benfen taffe als 5. 33. ber $8or=
trag üon SöralfmS’ H-dur-Srio burcf) baS letztgenannte
Zünftler Kleeblatt. Ser friifje beginn wie bie lange
Sauer ber Sonboner (Eoncertfaifon berauben unS
Seutfdje freilitf) letber beS SSorjugS, beS toeibtidjen
Soadfim in nuferen (Eoncertfälen öfters frof) ju wer*
ben. 9tur $u üereinjelten Sütalen, wie 1874 in Seipjig
unb granffurt, 1877 in SSien, 1878 in ißaris, 1879
in §oöanb unb Süffelborf, 1880 unb 81 in SBien,
^Seft , ®öln, tpannoüer, Söertin , SreSben, ißrag,
Srieft , braute fie fid) auf beut Kontinent Wieberum
glaiqti dH in (Erinnerung.
211S lünftlerifdjen (55 ef Sorten iljrer Dorlebten Sour*
nee fiatte ficlf §anS Don 33üloW, ber iüuftre Saufpatlfe
ber ©eigenfee, in Storbbeutfdfknb angetünbigt. (Eine
unjeitige (Srfranfung beS fDieifterS betrog uns jebocf)
teiber um eine fötufilerbauung fo fettener 21rt. 21n
feine ©teile trat (EljarleS .Salle , ber als (Elaoierfpieler
unb Sirigent eben fo gefcfjaijte als um baS SDtufifwefen
(SttglanbS oerbiente greunb ber Sünftlerin , unb an
beffen ©eite erntete fie jefct mie jenfeitS fo audf bieS*
feits beS (EanalS ge^iemenbe Sriumplfe. Sie SSielfei*
tigfeit, bie man mit Htedft als SaHe’S Sugenb preift unb
bie er in gleidf liebeüotler pflege ber claffifd^en wie
ber wertvollen moberneit Sonwerfe im Snfelreid) be=
funbet , erfannte man nun aud) in SBilma’S beutfd)er
§eimat als einen ber SBorjüge, bie f i e fdjmücfen. Sn
ber an Soacffim gemalfnenben ©tilooHenbung, mit ber
fie 33ac£) 23acf)ifci) - 33eetl)oöen 93eetl)oöenifdj . ©rafftnS
33raf)ntSifcf) fpielt, Sebent baS ©eine gebenb unb iffn
in feinem inbioibueHeit (Seifte reprobucirenb ; in ber
fie c^arafterifirenben „(Eorrectlfeit rticfit bloS beS 33ucf)*
ftabenS, fonbern beS (SeifteS" gewahrte ntan ferner
eins ber Slttribute il)rer lwl)en SJteifterfdjaft- 9ticf)t ber
^ M
184
F
fouberäne ©tanj unb bie SJSottSommentieit iijrer Sedp
nif, bie frpftattljelle IReintjeit if)re§ £on§, bie erftaun»
litfie ©emanbttieit itjrer Söogenfütjrung erftären bie
grofje, tiefgeljenbe SBirtung itjrer Seiftungen , fonbern
metjr at§ ba§ 2ttte§ ifjre innerft mufitatifdje Statur.
S3ei männticfjer Sraft unb tüei6ficf)er ©rajie, bem brit-
tanteften ißaffagenfpiet bie fünfte ©antitene berbin*
benb, bei ebter ©infadjfjeit , ®eufct)f)eit unb $>urcfp
geiftigung be§ 2tu§bru<f§ , bem ©ffect bietmeljr au§
bem SJBege getjenb at§ itjn fncfjenb , ift fie bie berföm
perte ißoefie auf ber Sßioline , eine lünftterin bon
©otte§ ©naben , mie mir auf itjrem Snftrument jur
Stunbe eben nur biefe einzige befijjen.
2lt§ SSieujtempg, „ifjr Anbeter unb 33emunberer",
nodj lurj bor feinem tEobe ba§ Urttjeit feiner „Sßitma
cariffima" über fein bestes SBerf, fein fecfjftc» ©oncert,
in ba§ er „alt fein können, feine ©rfatjrung unb feine
Seele fjineingetegt“, fomie gteidjjeitig ifyre Steinung er*
bat, „ob fie e§ für mertt) fjalte, ibjrert Stamen ju tragen",
ba träumte er — mie er in feinem testen Briefe fcfireibt
— bon „itjrern bejaubernben Spiel“ unb bon bem
©tücf, feine ©ompofition bon itjr borgetragen ju
t)ören. @§ mar it)in niefit mefjr ju erleben beftfjiebext,
baf? fein itjr at§ oeuvre posthume gemibniete§ 28 er!
unter iljrem 23ogen lebenbig marb , baf? e3 ifjre 2Sie=
bergabe abette. 2>enn 2Bitma Steruba gehört ju jenen
bornefpnen Mnftternaturen, bie, bei alter Breite gegen
ba§ ®unftmerf , ba§fetbe gern in eine t)öf)ere Sphäre
rücfen. 2Benn e§ aber matjr ift, ma§ ©tjarteS fpatte einft
fagte : baf? fie „nidjt bto§ mit jebem ^fa^re , fonbern
mit jebem Stuftreten fdjöner fpiett“, fo müffen mir mof)t
mit|)an§ bonS3ütom fragen: „2Bofottba§nocf)enben?"
185
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tarnt barüber ftreiten, ob ber au!füf)reube
Sünftter , beffen Graben für bie Öffentlich
feit berftummten, obfdjon er noch unter uni
weilt, mit größerem Strebte all ber (Segen»
rnart ober ber Sergangentjeit angetförenb $u betrachten
fei ; benn ntetjr all fein S)afeiit Weifen feine Seiftungen
bem herborragenben Sftenfchen feinen ißlaij in ber
SDtenfchheit unb in if)rer <Sefc^ic£)te an. SBenn aber
fein ©enie , bal bon nieten ber ÜDtittebenben noch in
feiner eigenften @pt)äre genoffen unb gefeiert warb,
ficfj bei SBirfen! in feiner Sunft unb für feine S'unft
nod) feinelWegl böttig begeben , fonbern balfetbe nur
auf anbere ©ebiete übertragen t)at, in benen el ber
2tttgemeinf)eit nod) fort unb fort ju ©ute fontrnt , fo
bürfen wir eine foldfje fünftterifdie ©röfse wotjl in ber
Xtjat nicht unberechtigt all eine für unfere Sage noch
ihre bolle ©ettung behauftenbe in’! Stuge faffen unb
ben Steil ber ©egenWärtigen mit ihrem Silbe fd)müden.
gür ißautineSiarbot»©arcia nehmen wir
bie! Stecht in Slnfprud). ©ine ber gtänsenbften bra»
matifchen ©rfdjeinungen alter Beiten, in ber bornehmen
©ruppe ber Sßafta, SÖtatibran, @c£)röber = SDebrient,
Stiftori , Stächet , ÜOtarie (Seebad) nach Siljt’l SBorten
eine ber ©rften; babei burdj Sietfeitigfeit ber Se*-
gabung, bie ihr bie ^errfcfjaft über bie berfcf»iebenften
Üunftftite, ben tragifchen unb heitern, ben itatienifcfsen.
&
franjöfifcßen unb beutfcfjert , ben getragenen unb colo*
rirten ©efang gleichmäßig geftattet, burd) Diefe unb
Steicßtßum mufifatifdßer unb allgemein geiftiger ©it=
bung fetbft im Greife jener 2Iu§ermäßtten ßerüorragenb,
unter ben heutigen aber oßne ©rbin unb Nachfolgerin :
entfagte fie jmar fdjon feit langem ber Darbietung
ißrer unbergteicßticßen Sitnft in töüßne unb ©oncert*
faat, beffenungeacßtet aber bürfen mir und aitcE) heute
nod) ißred 23efiße§ rühmen unb fie mit Stotj §u ben
Unfern jäßten. Denn , mocßte immer bie 3eit , bie
tßrannifcße (Gebieterin , ißren Dribut , ben fie deinem
erläßt , einforbern unb einer Stimme Scßmeigen ge*
bieten, beren unbegreifliche SSirtuofität unbStudbritcfd*
gemalt tior jmötf Saßren nocß bie 2Sett tn Staunen
berfeßte, bad, mad fie groß gemacht: bad ©eßeimniß
einer und meßr nnb meßr bertoren gegangenen maßr*
haften unb fcßönen ©efangdfunft bemaßrt fie noch un'
gefcßmädhi unb tßut ed bereitmittig benen funb, bie
oon ihr ju lernen begehren. 9Itd erfte Stimmbitbnerin
ber ©egenmart, bie unbeftritten oberfte Autorität ißred
f5ac£)§ , pftanjt fie bie öon SSater , trüber unb Scßme*
fter ererbte Drabition unb Scßitte fort. SSiete ber ge*
feiertften Sängernamen, bie mir heute nennen, mürben
groß unter ißrer ißftege.
Docß auch mit anbern Säben ift tßautine
tßiarbot bem heutigen SJtnfilteben oertnüßft: fie ßat
ficß auch aitf tonfcßößferifdiem ©ebiete Sorbeeren ge*
ßftücft, unb menn biefe bie ©omßoniftin auch unber*
gteicßticß farger urnmuchern atd bie Sängerin unb
Seßrerin — mie ben grauen nun einmal im iöereieß
ber ißrobuction nur fpärtieße ©rfotge geheißen — fo
fießt fie ficß boeß unter ißren ®unftfcßmeftern bergebend
naeß berjenigen um , bie ißr aueß in biefer töejießung
ben 9tang ftreitig ju machen oermöcßte. £>at fie aneß
190
— ^
eben fo wenig atg fie alle eine Wirftid) grofje compofi»
torifc^e Xtjat ju ftierjeidinen , feeffere unt? gerechtere
©omponiftenfreuben atg ber genialen Sc£)Wefter ber
SJtatibran tjat bag ©Ui cf nodj immer feiner Stnberen
gegönnt.
ÜDtorijs .‘pauptntattn erffärt in einem feiner an fei»
iten ^Beobachtungen fo reichen Briefe bie auffaltenb
geringe compofitorifcfje SEtjätigfeit ber Sänger baraug,
baf? beren perföntidje Statur of»nef)in in itjre Seiftung
gelegt werbe. Sw ©egenfatj ju ©tatiierfpieter unb
©eiger ift ja ber Singenbe fetbft fein Snftrument.
Stid)t wie biefe bebarf er eine? ÜOtebiumg , muff er erft
einem fremben , aufjer it)m ftef»enben Körper Seben
unb Seele teifjen. Sßag er giebt ift fo ju fagen fein
eigen Steift unb S3tut , ein Stücf feineg förpertidjen
unb feetifdjen Sebeng, unb in feinem Sltfjem ftrömt er
fein Sntterfteg aug. SSenn bieg tiorn Sänger im Stil»
gemeinen gilt, wie tiiet meljr non einer ©efangggröfje,
beren bramatifdje ©eftattungen tion je mit überwätti»
genber iütacfjt wirften ! SBetdjeg ÜDtafj fdjöpferifdjer
Üraft tierbraud)te fßautine SSiarbot wotjl bei Verleben»
bigung ifjrer bramatifdjen ©Ijaraftere , beren manchen
fie offne jebegSBorbitb, rein aug fidj fetbft Ijeraug fdjuf.
beren jeben fie aber um neue feine 3üge bereicherte !
„SJtan fann mit Stedjt bag franjöfiftfje »eile cree son
role« auf fie anwenben", bemerft Sötofdjeteg. „Sft eg
bod) oft , alg empfinge fie beg Somponiften Strbeit atg
Sto^wateriat unb tierarbeitete eg erft ; atg tierftänbe
man ben ©baraftcr , ben fie perfonificiren witt, erft
burct) if)re ®arftettung."*)
Sn met)r atg einer SBejieljung fpottete fßautine
*) Wof c^ete^’ öcbcn. II. Scipjtg, 2)un(fcr u.-^umMot. 1S73.
p. — ----- ^
W ~ *
SSiarbot ber bon berKatur gemeinhin gefegten ®<hran*
fen uttb ©efe|e. SCRit einer burd) Schönheit nicht be=
fonberS ausgezeichneten, ben ©inffüffen beS SfimaS,
lote ber -Kerben ttnb Stimmungen merffid) untermor*
fenen Stimme öerricEjtete fie SSunber ber ©efangS*
funft, erreichte fie SBirfungen höchfter Strt. SBeit über
bie herföntmlichen jeittic^en ©renjen hinaus belauft»
tete fie itjre fouberäne tperrfdjaft über it»r Organ ; tote
mof)f feine anbere ihres ©teilen berftanb fie SBudjer
p treiben mit einem ihr feineSmegS überreich berlie|e=
nett ©timmcapitaf. Kicht in ©inem, in Stttent faft
toar fie grofi, maS fie in’S SBereic^ ihrer Xtjätigfeit pg.
Sie gehört noch p jenen fpontanen, uniberfeü be=
gabten unb gebildeten Katuren, bie in ttnferer auf
Steifung ber Strbeit unb ©ntmidetung bott @peciati=
täten gerichteten ,ßeit ju ben immer fetteneren ©rfcheü
nungeit toerben. ©ine ©efangSbirtuofin, metche, jebem
©tit, jebem Sbeal gerecht merbettb, bon ber ©efdjichte
ber Sitnft unter ben Unübertroffenen genannt mirb,
eine im tragifctien ißathoS mie in ber feichtgefdjürjten
Somit gteict)ermeife bollfommene barftefterifdje Sraft,
eine ©fabier* unb Orgeffpieferin, bereit fiel) ihr SCUeifter
SiSzt afS ©chüferin nicht ju frönten braucht, eine
KJufiferitt , bereu ficheres ißartitur* unb prima-vista-
©piel fammt ihrem feinen 0>hr manchem ©apetlmeifter
ju ftatten fäme; eine ©omponiftin bon ©rajie unb
Originalität , eine Sehrmeifterin , ber mir feine anbere
pr ©eite p ftellen haben, mit einem SESorte: eine
grau bon ©enie unb ©efehrfamfeit , bereu geiftreidje
Knmnth im 33nnb mit einer fetbft SßiffenfchaftficfieS
umfaffettben fiterarifchen SSitbiutg unb tiefget»enben
Senntnifj febettber unb tobter Sprachen ihr bie greunb*
fchaft bieler ber bebeutenbften ÜDiänner unb grauen
ihres 3af)rjiuttkertS gewann , fo ftanb unb ftef)t $au=
p ■ m
tine SSiarbot , 93ewmtberung Ijeifcfjenb , tor unferen
33tic!ett.
2ltS ©lieb einer fpanifcpen gamitie , in ber , wie
bei ben Sernet’S in grantreidj, ben Dftabe’S in gtan»
bern, ben Stobbia’S in gtatien , bie (Genialität erblich
fd^ien, nmrbe SOcicf) ettc gerbinanbe ißautine ©arcia ant
18. guti 1821 §u ißariS geboren, unb in ber ®ircf)e
©t. 9toch bafelbft empfing fie ton itjren ^atpen , bem
befannten ©omponiften gerbinanb ißaer unb ber
giirftin Kantine ©atiijin , i£>re Taufnamen. ®er
Weltberühmte ©angmeifter Scannet bet ißoputo ©arcia
— nact) Si^ät’S geugnifi*) „ber oottfommenfte SEppuS
eines paffionirten, feurigen, an latent unb Straft un»
erfcpöpfticpen ©ängerS oott ißpantafie - SBärrne unb
fünftterifcper ©ewatt“ — War ihr Sater. Sind) ihre
SOtutter, goaquiita ©itdjej, War eine Oorjügtidje 93iih'
nentünftterin , unb ihre reiche Segabung hatte lange
geit bem 9Jtabriber iEpeater jur gierbe gebient. SOdit
jwei älteren ©efdjwiftern theitte ißautine baS elterliche
©rbtpeil mufifatifchen ©enieS. Stuf ben Sruber 93t a=
nuet übertrug fiep beS SaterS päbagogifdEje ®nnft, fein
Seprerruhm; ber ©tanj feines ©ängertatenteS , feine
unb feiner ©attin fchaufpieterifche ©aben feierten in
ber um breitet) n gapre älteren ©cpwefter 93caria , bie
ficf) als 93tatibran bie SSett eroberte, erneute , fiep Oer»
jüngenbe Xriumppe. ©inen pellen ©traptenfepein
warf biefer btenbenbe, nur ju batb wieberum er»
töfepenbe ©tern über ber jüngeren ©cpwefter Äinbpeit.
®a ißautine faum brei gapre gäptte, fammette 93iaria
fcfion bie erften §utbigungen ber ißarifer ein. 93tufif=
unb Süpnentuft fog bie Steine fepon mit ihren erften
*) ©efammeltc Schriften. III. $aulinc $tarbot'©arcia. Seidig,
23reitfopf u. gärtet.
Jä
ßa üftara, Stubicnföpfe. V. 193
13
Athentjügen ein , unb bie fie nmgebenbe fünftlerifclje
Atmofpljäre blieb biefelbe, ob and) ber Sdjauhlah
wedjfelte. Vach fahrender Sänger Art tuar ©arcia mit
ben Seinen batb h ier, batb bort. 2Bie er fidj früher,
batb in feiner fpanifchen Heimat, batb in Surin, Vom,
Neapel, ißari§ wedjfelnb als Senorift, als Sirigent
unb ©omponift SBeifatI unb Vuljm erworben bjatte , fo
Oertaufdjte er 1824 nun feine let^tjäf^rige Sßirtfamfeit
an ber ißarifer italienifctjen Oper mit einer gleichen in
Sonbon , feine glorreich gebeiljenbe ©efangfdjule nach
bem Snfetreid) oerpftanjenb, wofetbft auch feine Sodj*
ter Vtaria fic£> ifjre erften 93üi»nenfrän§e üerbiente.
Soch and) h ier War feines VIeibenS nicht lang. Schott
nach SatjreSfrift trieb e§ itjn , fein ©lud in ber neuen
Sßelt ju üerfudjen. SBaS er fncfjte, fanb er -freiEid^
nic^t. Abenteuer, bunte Wedjfetooße ©rlebniffe, An er*
lennung unb ©hren würben ihm jur ©enüge; bod).
baS ©lüd jeigte fitf) ihm Eaitnifch gefinnt. Sein Unter*
nehmen einer itaEieniftEjen Dper in 9fEew=^)orE fchEug
junächft nicht minber fehl als bie Verheiratung 9Va*
ria’S mit bem Sranjofert Vtalibran, burd) beffen oer*
meintlichen Veichthum fie ber Vebrängnifj ihres VaterS
oergeblidj anfjuljelfen gehofft hatte. Vach furjer nn=
glüdlidjer ©he lehrte bie Sünftterin ju ihrem eigenften
Veruf, ber Vüf)ne, jurüd. Schien ©arcia auch mitt*
terweite baS ©lüd günftiger — bie Schäle, bie er aus
VeW*jJ)orf unb bem ©olblanb Vtejifo mit heirnjufüh*
ren gebacht hatte, feilten ©uropa nicht fehen. Schon
im Vegriffe, baf)in jurüdjufehren, würbe er mit feiner
gamilie auf bem SBege üonVera*©ntä ton einer Väu*
berbanbe überfallen unb auSgeplünbert. 600 000
yrancS, baS Vefultat eines mehrjährigen Aufenthalts,
fielen berfelben jur Veute , ja felbft ton feiner ®unft
Warb noch ein Sribut geforbert. Ser Veraubte muhte,
194
p ^
mochte er fid) gegen bas unerwünfdfte Snblifum ftrau»
6en wie er wollte , üor ben Kangburftigen Spieffge»
feilen noch eine ißrobe feines ©efangS jum Scften
geben — eine (Scene , bie in ber ©rinnermtg feiner
Sodfter Sauline unanSlöfddich lebenbig blieb.
So üielgeftaltige ©inbrüde, Silber unb ©rfalfrun»
gen fteigerten bie geiftige frühreife ber letzteren unb
beflügelten ihre ohnehin gtütjenbe (SinbilbungSfraft.
9tadi jeber Sichtung ^in begabt, erfaßte fie bei ber il)r
ju it^eil werbenben forgfältigen @rjief)ung alles, waS
man ihr teerte, mit fo lebhafter Shantafie, fo ent»
gegenfommenbem Serftänbnifi, baff man fdjwer ju er»
fennen bermod)te, welches unter biefer SSielbjeit non
Talenten baS auSgefprodjenfte fei, Welch’ eigentlichen
Seruf it)r bie Satur oorgejeidjnet habe. SBie ffoietenb
erlernte fie frembe Sprachen, it)re Segeln erriet!) fie
inftinftiö. Auffällig begabt geigte fie fid) auch für Sta»
lerei, für baS ißorträtiren inSbefonbere. Sicher, wie
it)r 2tuge bie djarafteriftifdjen @igentf)ümlic£)feiten eines
Seben erfaßte, gab ihre §anb fie im Silbe wieber.
Sicht minber ttjat fie fid) im Slabierfpiel fierüor, nad)»
bem fie burd) SSarcoS Sega , ben Drganiften an ber
SeW»ff)orfer Satbebrate, ben erften Unterricht empfan»
gen. 2llS achtjähriges ®inb bereits biente fie bei ben
©efangftunben beS SaterS — nach ihrer Südfeljr bon
SSepifo nad) SflriS — als Segleiterin, unb „ich glaube,
icp profitirte babei mel)r nod) als bie Stüter felber",
fdireibt fie unS. Snbirect lernte fie fortwäljrenb oon
beS SaterS Setjre unb Seifpiet , obgleich , laut ihrem
eigenen geugnifj, bie SOlutter ihr einziger ©efangmeifter
War. Snbefs gab ficf» ©arcia augenfcheinlid) mit ben
grüdjten biefer 5Setf)obe jufrieben, betraute er bodj
feinen Keinen Qiebling mit ben fdjwierigften Aufgaben.
2lls er im Saljre 1829 mehrere SaIon»Dperetten fcfjrieb,
L
M
bie er bon @cf)ütern in feinem $aufe aufführen liefe,
betam auch ißauline ifjre Sollen barin guert^eilt.
„Di) ne mich im ©efang 51t unterrichten", erjätjtt fie
uns, „comfwnirte er bod) für mich unb tiefe midf ©tüde
fingen , bie fdjwieriger finb ats atteS, was irf) feitbem
gefungen fwbe. S<h befitje fie nod^ unb bewahre fie
ats foftbaren ©chatj".
Sin mehrjähriges ©tubium beS StabierfpietS unter
Stnteitung 9Jtet)fenberg’S brachte fie fo weit, bafe granj
SiSjt fie at§ ©chüterin annahm. Sn Soncerten ihrer
©djwefter 9Katibran trat fie , bierjehn ober fünfzehn
Satire alt, ats ißianiftin bor bie Öffentlid^feit , bie
Srfte, bie Shatberg’S grofee 9KofeS« unb Hugenotten«
ißhantafien in Belgien unb 2)eutfcf)tanb fpiette. Shren
teilten 5tnfchtag, bie ootlfommene Stbrunbung ihrer
ißaffagen rühmte SiSjt nach Sahren ttoch, ßt§ fee, pbä«
tubirenb unb ptjantafirenb, ihre bocaten Soncertbor«
träge mit reijenben Singebungen am Stabier einteitete.
Unb 9)tofcheteS fc^reibt 1858: „2tts fie ein 93eett)oben’=
fdjeS £rio mit Begleitung bon £>abib unb tftieh fpiette,
rnertte man ihr bie ©ängerin nicht an , bietmehr er«
fehien fie mir ats ein twdjgefchähter Sottege."*)
■Kur bie erften Srfotge ihrer ©djwefter ats ißiani«
ftin aber erlebte SKaria iOcatibratt. 2ttS ißautine ©ar«
cia in bie 9teit)e ber grofeen Sängerinnen eintrat, war
ber fangreiche 93t unb ihres fdjWeftertidjen 93orbitbeS
fdjon berftummt, unb bie SBett betrauerte ben borjei«
tigen 9tiebergang eines ihrer teuchtenbften ©eftirne.
2)er 9Kann jebod), beffen Siebe bie SJerftorbene wäh«
renb ihrer testen SebenSjahre noch begtüdt, bem fie
furj bor ihrem Snbe noth bie §anb gereicht hade :
*) $u3 £ef>en. II. £etp§ig, Wunder u. 1873.
w
©hartes be 33eriot, ber als 3ftiöa£ ißaganini’S gefeierte
©eigenfünftler, gab an tfjrer ©teile ber jungen Sdjwe*
fter beim erften Stritt in bie ©oncertarena baS ©e=
leite. 2llS bie fechjehnjährige Ißauline am 15. Secbr.
1837 in SBrüffel, wofelbft fie nacf) bem Sobe üon
SSater unb ©cfjwefter, gang ihren ©tubien fjingegeBen,
mit ber ÜÖtutter lebte, in einem auch oom $of befucti=
ten Sol)ttl)ätigfeit§concert junt erften Sftal ihre ©e=
fangSfunft öffentlich glänzen lieft, erllang neben ihrer
Stimme 93eriot’§ üielbewunberte ©eige. 2lndj auf
Steifen begleitete fie iftr Schwager, unb als fie 1838
im Theätre de la Renaissance bie erfte iprobe Oor ben
ißarifern beftanb, gierte fein Stame neben bem ihren
baS Programm. Sie fabelhafte Schulung ihrer
Stimme trat ba fcfjon bei Vertrag ber nach Sartini’S
»Trille du diable« eingerichteten »Cadence du diable«
an ben Sag. SaS fcheinbar für ©efang Unmögliche
machte fie möglich, alles, waS fie wollte, baS fonnte
fie auch- geglichen Slttforberungen erwieS fief) iftr öom
breigeftridjenen C bis jutn fleinen F herabreicbenber,
ausgiebiger SDtejjofopran willig; muftte er fief) nicht
auch ©jopin’fche Sttajurfen, ©oncert=@tüben, genüg
baS SBiberftrebenbfte aneignen? !yn ftrenger ^ucht
hatte fie ihn gewöhnt, ihr nicfttS ju. oerfagen. Sie
fchwierigften ©olfeggien componirte fie, burch contra*
punftifetie ©tubien bei Steicha ftie^ü befähigt, für fieft
felbft. ©ie felber war iftr unerbittlichster Sefjrer.
©chwierigfeiten gu befämpfen War ihr unabläffigeS
bemühen , unb bie Schärfe ihres ©eifteS , itjr feiner
©efehmaef, iftr aufs -ööhfte gerichtetes lünftlerifcheS
Streben führten fie auf bie §öl)e ber SDteifterfchaft.
©eorge Sattb, iftre greunbin, ber ißauline ©arcia
bei Schöpfung einer ihrer ebelften Stomanbicfjtungen,
„Sonfuelo", als SSorbilb biente, fcfjitbert fie als „eine
197
p- " - — *
jener feXtenen gtücftidjen Naturen, für wetdje bie 2tr=
beit ein (Senujj, ttmfjre 9tut)e, ja ein unentbetjrftdber
SXormatjuftanb ift unb benen bie Untljätigfeit eine er»
mübenbe Slnftrengung . ein trantfjafter Jjuftanb fein
würbe, Wäre fie if)nen überhaupt möglich. 2lber fie
lernten bie Untljätigfeit nicht. Scheinbar ntüfjig, ar»
beiten fie; iljr träumen ift fein infjaltlofeS, e§ ift öiel=
mef)r ein Sßadjbenfeu. SBemt man fie wirfen fiefjt,
fo meint man if)r ©Raffen wa^rjune^men, wäbrenb
fie nur ba§ fc£»on ©eftfjaffene offenbaren.“ 3br äufje»
re§ SBefen aber jeidjnet fie in ben SBorten: „®ie§
bteidje, ftitte unb auf ben erften 93‘Iicf glanjlofe Singe»
ficfjt, biefe abgerunbeten unb ungezwungenen 93ewe»
gungen , biefe ftaunenswertlje Sreitjeit oon alter unb
jeber Sbquetterie — wie umgewanbett unb tierftärt er»
fc^eint ba§ altes?, Wenn fie fid^ im (Sefang oon ihrem
eignen ©eniu§ Ijinreifjen täfjt."
fpingeriffen wie fie fetber füllten fiel) auch bie
£örer bon ihrem ®enie, unb at§ fie am 9. 9Kai 1839,
im Sitter bon ae^tgetjn Satiren, auf engtiftfjem 23oben,
ba§ ift in Her Majesty’s Theatre ju Sonbon, at§
®e§bemona in 9toffini’§ »Otello« iXtre ttjeatralifcbe
Saufbaljn eröffnete, ba begrüßte man in itjr eine ber
§öct)ftgeborenen im Steidje ifjrer ®unft. Die gefä£>r=
tiefje 9Xad)barfct)aft ber erften eurojoäifc^en ®efaitg§=
fräfte: 9Xubini’§ at§ Dtetto, £amburini’§ at§ Sago,
Sabtactie’» at§ (Stmiro , berfdjtug if>r nichts ; fie er»
f)öf)te nur ben Triumph ber Debütantin, in ber mau
bie ecEjte Tochter jene§ (Sarcia erfannte, bei beffen
bämonifdj leibenfd^afttic^er SBiebergabe be§ Dtetto
einft fein eigen Steifet} unb S3tut, SJtaria SJtatibran
at§ $)e§bemona ernfttidj für ifjr Öeben gegittert batte.
Sludj bie ed)te ©cbwefter jener Sbühoerbtidjetten er»
lannte man in if»r, beren ®e§bemona noch in Sitter
198
_= =
öerjen lebte, beten fiolbe Stimme unb oergöttertc
i'imftterfctjaft unüergefsficb unb unerreichbar fd)ien.
SBieber auferftanben glaubte man bie Sßielbemeintc
unb frönte ihre (Srbin unb Sftacbfofgerin bereitwillig
mit ben drängen, bie nadj jener einen Stirn feiner
anbern mehr ju gebühren fdjienen.
2öar Maria Mafibran einft ber Siebling ber eng»
fifdjen Striftofratie gewefen, jo überjcfjüttete biefefbe
nun auch ihre Sdjwefter mit ©unftbeweifen. SSieber»
f)oft entbot auch bie Königin jie ju fidj , um fidj an
ihrem ©efang ju erfreuen. Sieg über Sieg feierte bie
ooüenbete mufifafifcfje SSifbung unb egceptionetfe Dr»
ganifation ber jungen Künftferin , gfeidjtiief ob fie fidj
al§ iSragöbin ober at§ Weiterer ©eniu§ geigte ; benn
aucfj in 9toffini’§ fonnigften Snfpirationen : in »Cene-
rentola« unb »Barbiere«, bewährte fie ihre Meifter»
fdiaft. Stellte 2i§jt ifjr niefit swanjig Satire fpäter
noch ba§ 3engrtiB au§, baff „unter allen fjodjgefeierten
unb reijenben Ütofinen, bie er bemunberte unb ap=
pfaubirte, nicht eine fei, welche ißaufine SSiarbot in
©efang unb Spiel bie ißafme ftreitig machen fönne"?
hinter ber SSegeifterung ber ©ngfänber bfieb bie
ber Sranjofen nid)t jurücf, af§ ißaufine ©arcia, burdj
Soui§ SSiarbot bem Theätre italien gewonnen, am
9. Dctober beöfefben Saf)re§ öor ben ißarifern erfc^ien.
Snmitten einer Sünftferöereinigung , welche bie ©rifi
unb ißerfiani, fftubini, ßabfadje, Xairtbitrini ju Mit»
gfiebern jäfjfte unb beren ©feidien bie SSeft Don beute
nicpt mehr befijst, nahm fie bei SBiebergabe 9toffini’»
jeher SBerfe bie Sfuöjeidinungen entgegen, mit benen
man ihrer jungen ©röfje ben gebübrenben ^off ent»
richtete.
SIffreb be Muffet, ber nod) öor furjem in feinen
Sfa- -- jd
199
wr— — — “ — ^
berühmten „Stangen an bie SRatibran"*) flagenb aud=
gerufen hatte :
„Sßad wir an beinern frühen ©rab beweinen,
3ft nid)t bie Äunft, bie bir fo ganj gehört,
3tein, beine Seele machte bidj und wertl).
SBad funft war, wirb an dtnbern aud) erfdjeinen,
Der öerjendton nur, ber jurn bergen bringt,
Die Seele ift’d, bie feiner wieberbringt".
er fang nun bon ißautine :
„Sltan fage nidjt, bie Duelle fei oerfiegt,
Die bie Unfterblidied und fpenbet,
Der §intmeldfunfen, nod) o erglomm er nid)t,
3c od) warb und Srbifdjen bie ©ottljeit nidit entfrembet,
3lod) ftraptt und beined ©eniud reined Sicht!"
„2>ie ißoefie unb SJtufif in ißerfon", Wie ©eorge
©anb ißauline ©arcia genannt, gab fie bon bem
9teict)tt)inn ipred gefänglichen unb barftetterifdjen 3Ser=
mögend , bon ber SSietfeitigteit iljred ©enied, bie fie
für jeben Gl)aratter , jebe (Situation unb Stimmung
bie rechten Slöne finben tiefj, batb ganj ©uropa ®unbe.
iltoch nicht neunzehnjährig, berbanb fie fid) im Steril
1840 mit Souid SSiarbot, bem geiftreidien ®unft-
Schriftfteller unb energifdjen Vertreter ber rabifaten
ißreffe, bem ©rünber ber »Revue independante«, ju
. glüdtidier @he unb begab fid) mit ihrem ©atten, ber
bon ber bid bafjin geführten ©irection ber itatienifdjen
Oper jurüdlrat, für Satire auf Steifen. Statien, <3pa=
nien, Seutfdjtanb, iftufitaub, ©ngtanb fudjten fie auf,
unb bie £>auptftäbte unfered ©rbttjeitd mit ihren bor=
nehmften Greifen wetteiferten, ber betuunberten Sän=
gerin eine ft)mpatt)ifdhe unb begeifterte Stufnaljme §u
*) Nouvelles poesies. Paris.
200
P' ^ ■ *
bereite«. Sn SSerlin, too bie furj juDor über alles.
SDtaß gefeierte Sennp Sinb nocß in frifcpeftem ©ebäcpt»
niß ftanb, blieb man ber ungleich größeren bramati*
fcpeit Begabung, ber genialeren, großartigeren Statur
ber romanifcpen &üttft lernt bie if)r gebüßrenbe entßu*
fiaftifcße Slnerfetutung ebenfotoenig, als in SBien unb
äRabrib, in Petersburg, ÜDioSfau unb Sonbon fcßulbig.
9Jtit welcßem SDtaßftab man fie aucf) rneffen mocßte,
neben feiner anberen ©röße erfcßien bie ißre Heiner,
©anj befonberS impouirte beit 23erlinern ein füßneS
SBagftiicf ißreS toeltberüßmten ©afteS. Sie Sluffüßrung
oon „Stöbert ber teufet" ift geplant, unb Pauline
SSiarbot mitt bie Sllice fingen. 2)a erfranft ptö^IicE»,
unmittelbar oor SSeginn ber SSorftettung bie 9Sertre=
terin ber SfabeHa, ffräuleut £ucjed. SJiart ift in
äußerfter SSerlegenßeit. 3)ocß fiepe, Srau SSiarbot er»
fcßeint als rettenber ©eniuS. Sie erbietet fidj oßne
SßeitereS, beibe Stollen fofort ju übertteßmen unb füßrt
bie Stiefenaufgabe mit glänjenbem ©elingen bnreß.
SSon SReperbeer §ur Stepräfentantin feiner SibeS
auSerforen, bereu ©reirung er feiner ©eringeren an»
tiertrauen wollte, geigte fiep Pauline SSiarbot enblidß
ißrer SSaterftabt wieber. Stur einmal, im 3aßre 1842,
mar fie feit iprer erften SBirffamfeit bafelbft im Theätre
italien wiebermtt erfeßienen. SJiit alternben, ober un»
üollfommen auSgebilbeten Kräften patte man fiep mitt»
lermeile begnügen gelernt. 3)ie großen ©efangSfünftler
begannen auSjufterben, unb bie an ipre Stelle traten,
bezeugten fiep als unreeptmäßige ©rben. „Seit Stof»
fini’S Dpern mepr unb mepr tion ber SSüßne üer»
feßroinben“, fagt SiSjt in feinem bereits citirten geift»
reiepen ©ffap über Pauline SSiarbot, „geben fiep bie
Sänger nießt mepr bie SRüße fingen ju lernen. @S ift
gar niept mepr bie Siebe baooit, eine fleißige, Stiftung
k $
201
p ' %
erftrebenbe Arbeit Wäljrenb ber Sugenbjeit bem öffent*
liefert Auftreten ooraugefjen 31t (affen. Gin paar
Sa()re fcf»etTtert übergenug jitrn ©tubium, ja ein paar
SÖionate, eine fReifje üon gegebenen unb genommenen
©tunben finb bem SJieifter unb ©c^üter, ja auch bem
ißubüfunt 31t feinem eigenen Schaben, £)in(ättg(icf)
augreidjeitb. ®a§ Siegfantmachen, ba§ Silben, ©tär*
!en unb Seljerrfchen be§ Drgan§ ift faft eine ©age ge*
worben. Saper fommt e§, bafj ba§ ißublifum, an guten
(Sefang nic^t mehr gewöhnt, nur nach frifdjen ©tim*
men oerfangt, unb biefe einer admäligen reifen Si(*
bung ermangelnben Stimmen itjre ffrrifcfje ba(b ein*
büfjen, unb ba§ Sublifum nun üie( länger mit oer*
borberten Stimmen fief) begnügen muff , al§ e§ an ber
griffe Genufj fartb.“ „Gc§ möchte fcf»tperfic£) ein diame
3u fittben fein", fjeifjt e§ weiter, „ber, wa§ S0lett»obe
unb Sßirtuofität, Gefühl unb Stitsbrucf gegenüber jeber
Seiftung betrifft, neben ber ©djwefter ber SJMibran
and) nur genannt werben, gefdjweige benrt mit ifjr
wetteifern bürfte. Sei ifjr bient, wie bei allen grofjen
Sortragenben , benen ba§ (jeilige Seuer ber ißoefie
nicht mangelt, bie Sirtuofität nur 3 um rfikbntcf ber
Sbee, ber Gebauten , beö Gpara!ter§ eiltet SfSerfe#
ober einer Sftode. ®ie SSirtuofität ift nur baju ba, bafj
ber Zünftler ade» wieberäugeben im ©taube ift, wa§
in ber Sauft 311m rfu»brucf lommt. Sueppt ift fie un*
entbehrlich unb fanit nicht genug gepflegt werben."
3e|t enblidj lehrte nun bie fönigüdje ©ängerin,
bie mit ber grofjen t£rabition ber Vergangenheit ben
ßauber ihrer genialen 3mbiüibua(ität üerbanb , nad)
langer rfbwefenpeit nach s$ari§ 3urüd, um ben ihr ge*
3iemenben tß(a| an granfreidjä erfter Dpernbühne ein*
3itnehmen. ®er 16. 2lpri( 1848, ber bie erfte 2(uf*
füfjritng be§ „Propheten" in ber Opera brachte, beben*
& M
202
*■
tete für beit ©omponiften mtb bie Scßöpferin bei* SibeS
einen großartigen Triumpß. ©nblofe äßieberßolungen
beS SCBerfeS mürben ju einer ®ette oon (Siegen. Sind)
inSottbon, in Berlin, Seipjig, Petersburg, überall
moüte ntan biefe gibeS ßöreit. 2öar fie nicßt in ber
Tßat, mie SJtoßßeleS rüßmt, „bie Seele ber Dper, bie
ißren großen ©rfolg moßl jur tpälfte ißr üerbanft'i"
Paße an jmeißunbert SJial fang ffrau Piarbot bie an=
ftrengenbe Partie. SQlit Staunen aber naßmen bie
granjofen maßr , baß bie unübertroffene Interpretin
Poffini’S uub ber Italiener überhaupt, .bte fie biSßer
auSfcßließlicß in ißr gelaunt, ficß in beut gemifcßten,
bramatifdE» effectreicßeren Stile SPeßerbeer’S nicCit mim
ber groß ermeife. Tann füßrte fie aucß ©ounob, betn
ißre Protection mit ber für fie gefcßriebetten »Sapho«
bie Pforten ber Opera öffnete, ißren SanbSleuten oor,
um ficß enblicß aucß als Permittlerin ber beutfcßen
©laffifer eine neue (Glorie oor ißneit §u geminnen.
3m PoOember 1859 mar eS, als ©aröalßo, ber
Tirector beS Theätre lyrique , baS „SSagniß", mie
Perlioj ficß auSbrüdt, itnternaßm, ©lud’S „DrpßeuS",
ber feit brei Saßr^eßnien oon ben Parifer Püßnen
üerfcßmunben mar, mieber auf bie Scene ju rufen,
©r üerficßerte fiiß ßierbei jmeier mäcßtiger Perbünbe=
ten. Perlioj felbft, ber leibenfcßaftlicße Pereßrer
©lud’S, oon bem bie SBieberaufnaßme beS naßeju ßum
bert Soßoe alten SPeiftermerfS anSging, unterzog ficß
ber notßmenbigen Pearbeitung unb Peinigung ber
burcß Pacßläffigfeiten beS ©omponiften. beim Piebem
fcßreiben unb ©orrigiren, mie burcß ilnbermtg unb
.ßufäße grember arg eutfteüten unb oerunfäuberten
franjöfißßen Partitur, inbem er jugleicß bie urfprüng*
ließe SeSart ber für 2Bien gefeßriebenen Oper, berjm
folge eine Pltftimme ber Träger ber Titelrolle ift,
203
ar
wieber fjerftettte. Sur Sarftettung bieder leiteten aber,
tion ber ber (Srfolg be§ (Sanken wefentti(| abt)üngt,
faub ftc£) fßautine SSiarbot Willig. SBas fie bomit er=
reicfjte, war eine ber untiergefftidiften ©roffttjaten im
©ebiete ber barfteöenbeu Sunft. iöertioj füllte fid)
burd) biefebbe an ißouffin’fdfe ©eftatten unb aniife
9tetief§, an £t)eofrit’§ nnb iBirgit’s ißoefie erinnert.
„®ad ift @ri)abeit[)eit in ber ühunutt) , ba» ift ba§
Siebe§=Sbeat , ba§ ift götttic^ fd^ön !" ruft er t)inge=
riffen au§. „Sfwe Begabung“, fo fc£)ibbert er grau
23iarbot*), „ift eine fo tiottfommene unb mannigfah
tige, if)re meifterbjafte 2)arftettung§funft berührt gteidj*
jeitig fo tierfdjiebene Snnftfragen, fie tierbinbet both
fommene ®urcf)bitbung mit einer fo genialen Selb»
ftänbigfeit ber 2tuffaffung : baff fie un§ pgteidj in
©rftaunen unb in tftütjrung tierfeijt ; bafj fie gleichzeitig
p überragen unb fßnpreifjen, p intßoniren unb p
überjeugen weif? ! Sffjre mufterfjaft gefdjutte Stimme
tion au§nat)m§weife großem Umfang tierftelft fie nicht
nur tiottftänbig fünftterifd) p beßerrfdfen, fonberit fie
befifd auct) bie ßeutptage aufferorbenttid) fetten ge»
worbene Sanft einer tabettofen ißfjrafirung im getra»
genen ©efang. Sie tiereinigt einen unwiberfteßtidjen,
atte§ mit fid) fortreiffenben Schwung, ein unfefjtbar
pnbenbe§ $euer ber Segeiftermtg mit tieffter ©npfin»
bung unb einer faft beweinen§wertf)en ©abe, bie un=
gefjeuerften Seetenfdfmerjen prn tioftfommenften 2Iu§»
brud p bringen. Sw ©eberbenfpiet weif? fie ftet§ ba§
fdfönfte 9Jcaf? p hatten; itfre tßtaftif ift eben fo ebet
at§ Waf)r, unb ihr ftet§ bramatifd) wirffanieb SJiierten»
fpiet wirb in ben ftummen Scenen nod) au§bruddtioIIer
*) ©efammeUc Schriften, $)cutfd)c QluSg. fcon fö. ^of)L ßetpjig,
§cinje. 1865.
204
r
al§ ba, tt>o e§ nur gut 33erftärfung beS mufifalifchcn
2luSbrudS bient."
Sie SBirfung beS in fo ibealer Sßeife tnieber be=
lebten „Dr^euS" mar benn aud) eine ungeheure.
(Sine golge non mehr benn fjunbert SBorftellungen üer»
mochte bie Sheilnafime unb 33egeifterung ber fßarifer
nicht ju erfd£)öpfen. Sold) glänzenbeS (Srgebnif? legte
ben Serfucf) ber flteuermedung aucf) eines anbern
©Indien SBerfeS nafje, unb int Dctober 1861 folgte
bem „Drf»l)euS" — bieSntal auf bent fßoben ber Opöra
— feine jüngere Schmefter „fttlcefte". fttudj jur fötei»
fterin ber „faft unnahbaren fftoHe" ber theffalifdjcn
Königin machte fich fßauline Siarbot, um einen neuen,
öielleidjt, mie föerlioj meint, ihren fdjmierigften
‘Sriurnfth ju oerjeichnen, ber fich einen öoHen SGBinter
hinburch fortfeiste. fötan mürbe nicht mübe, bie ebenfo
grojje Sdicmffnelerin als Sängerin in ihr ju betoun»
bern, bie, ohne non ber Statur bnrch Schönheit ber
güge beoorjugt ju fein, hoch bnrch bie hinburd)leuch*
tenbe innere Schönheit , bnrch baS heilige Seuer beS
©eitieS öerllärt unb geabelt marb. Sie oollenbete
fßlaftif ihrer Stellungen, melche ihre tiefe Senntnijs
ber Slntife unb ber föieiftergebilbe beS cinque-cento
oerrieth, erregte baS (Sntjüden ber 93ilbf)auer unb
fötaler, mie ihr ©efang ben fötufifer, bie fßoefie ihrer
flluffaffung unb ©eftaltung ben Sichter mit SBegeifte*
rung erfüllte. £aben nicht auch bie Vertreter aller
fünfte fie einmüthig gefeiert unb ihr mit fßinfel unb
fDteifjel, in Sßorten unb Sönen ihre §ulbigungen bar»
gebracht? §aben nicht be fDtuffet unb Surgenem fie
befungen, (George Sanb unb SiSjt ihr 93ilb mit poe»
tifher ?jeber gezeichnet, mie 2lrt) Sdjeffer eS in Farben,
fOtiüet eS im fötarmor feftf)ielt? §aben fÖteperbeer,
öourtob , föcrlioj nicht für fie gefdjrieben , nannten
- ... ■ M
205
xy
'ffr ^
neben itjnen allen nid)t SRoffini, ©fmpin , ©fjorlet),
Setacrois, Stbelaibe fftiftort im 33unb mit ben SRäm
nern ber Sßiffenfdjaft : $enrt) SRartin, SRenan, SRanin
unb bieten anberen fic^ ilfre greunbe? SSSie biet Se*
geifterung, greunbfdfaft, 33eret)rung unb Siebe tjäuft
fid) nicfjt im Safein ber bemunbernSmerffien grau,
bereu eitt^ufiaftifcEje Eingabe an baS gbeat nur in
ifjrer SöerufStreue , beren umfaffenbe SSitbung nur in
ifjrern ©enie ilfreS ©teilen t)at !
„gn ifjr ©piet mie in itfren ©efang legt fie itjr
ganjeS SBiffen, it)ren ganjen ©eift, itjre ganje ©eete
unb erreicht fo bie f)öd)fte ©tufe ber fünftterfdfaft",
fcfireibt Stjeobore ißettoguet*), inbem er tjinjufügt:
„bie Uniberfatität itjreS ©enieS, itjre 23ottfomment)eit in
jebem ©tit , jeber fRotte madjt fie ju einem Unicum in
ber ©efdiidjte ber ©anger." SBar fie nidjt in SBatjrfieit
gleich grof? als ÜRorma unb iRofine, als gibeS, ats
©onnambuta mie atS Sonna Stnna? SSSie fetten ©ine
aucf) mof)t ift fie ©oSmofmtitiu, unb menn Stnbere ber
SluSbitbung unb fünftterifcf) boltenbeten SSiebergabe
eine§ ifjneit eingeborenen nationalen ©tementeS ifjre
©röffe banfen, fo tjaben ju ißautineSSiarbot’S 3Reifter=
fdtiaft bietmetjr berfdfiebene Sänber unb ißötfer itjre
©abeit unb ©inftüffe beigefteuert. „SRit ibrent fpani*
fdjen ÜRaturett", tjören mir SiSjt, „itirer franjöfifdfen
@rjie[)ititg unb itjren beutfdfen ©t)mpat()ien bereinigt
fie bie ©igenfjeiten berfdjiebener -Rationalitäten berart
in fid), baff man feinem beftimmten 23oben einen auS=
fdftiefftidien Stnfprud) an fie jugeftetfen , bietme^r bie
fünft „,,baS SSatertanb itirer freien 23a ff t unb Siebe""
nennen möchte. Sie itjrem 23tut bererbte fiibtid^e ©tut
ibentificirt fie burdf ©eburtSredjte mit ber itatienifdien
*) Les hommes du jour. Paris.
& J
206
p— — — — — ' —
Sd) ule, tuelcfje beit braufenbeu Schaum ber Seiben»
fdfaft in üodent (Srgufj über beu feingefdfnittenen Stanb
bes 53ed)erS (jtrtaubj’trönten läfft, welker bie ®unftform
bebeutet mtb Weniger juitt ^itfic^beroa^ren ba ju fein
fcfjeirtt, als jum Überfprubeln beS beranfdfenben ©ran»
feS in ein feuriges, aufgeregtes Slubitorium. ®raft
ihrer üoHenbeten, mit männlichem (Seifte bewältigten
Stubien f)at fie burdf 6roberungSred)t fidf in ben er»
babenen Stegionen ber ®unft, f)od) über ben Tälern
unb ben ihnen eigenen Suftftrömungen, eingebürgert,
bereu greub unb Seib, bereu Süllen unb Streben ber
großen ÜDtenge immer unzugänglich , immer ein (Se=
beimnifs bleibt, Wo aber bie (Sind, SSad) unb Söeetlw»
Den , Wo bie Stiefen Raufen, bie im üorauS auf bie
Modularität beS SeierfaftenS Merjidjt letften. So
wirb ficf) and) fdfwerlid) eine oorjüglidjere ©arftellerin
jur Stneignung eines Stils finben , ber mit weniger
oerjeljrenber Seibenfdfaft unb miitberer 6rl)abeul)eit
als in ben Schulen beS SübenS unb StorbenS liegt,
ben Steij ber einen mit bem (Sel)alt ber anberen in
einem glüdlidjen (SflefticiSmuS ju üerbinben ftrebt.
©urcff dlafticität beS ©alenteS unb Schnede bramati»
fcfjer Intuition war fie üon Statur auS baju berufen
ben ©eftalten 5)tet)erbeer’S ihren pdjftert SluSbrud,
if»r üollfteS Stelief 31t oerleifjen".
SSor allen Nationalitäten unb in allen Stilgat»
tungen bjatte fidf bie ©od)ter (Sarcia’S als |)ödjftbe*
rufene bewährt ; in ffranfreid) wie im SluSlanb — in
©nglanb b)örte man fie üon 1848 bis 1858 alljährlich,
auch in ©eutfdjlanb War fie, jumal gegen Snbe ber
fündiger Sabre, ein häufiger (Saft — gab eS feinen
gefeierteren Sängernamen als ben ihren : nun 30g fie
fid) üom öffentlichen Scbauplalj jurüd, fich nur noch
l)in unb Wieber im (Soncertfaal jeigenb. Unterrichten
k m
207
w — «
unb ©omponiren füllten tion je|t ob in erfter Sinie
ipr Seben au§.
SSon ißari§ tierfegte fie 1863 ifjr tpeimtoefen nacp
33aben*93aben , bent £iebting§aufentpatt ber bort au§
alten Sanben jufammenftrömenben Äünftter , bereit
iDtittetpunft fie halb bitbete. 5 nt taufcpigen Stpat ber
0o§ , ttio fiep , tnte int SBinter unb ?5vü£)jat)r an ber
©eine, bie elegante Sßett @uropa§ 9tenbeä*toou§ gab,
tüo fiep „ganj ißarig, ba§ fritiote iuie ba§ intelligente,
ba§ fociale toie ba§ tünftterifcpe" jufantmenfanb, muffte
aud) bie SJhtfif, bie jitr Unterpattung entboten lottrbe,
international fein. S3erfioj, (Sounob, SpontaS, geti*
eien 2)atiib,@aint=©aen§, Dffenbacp, bie ipre Opern auf*
führten, Stubinftein, Grfara ©cpumann, 23rapnt§, gean
23eder, gofepp unbStmatie ^oacpint, ©todpaufen, 93ü*
loto, ülofenpain, SSieurfemp§ forgtenfürifteiiptpumunb
SJtannigfattigfeit ber (Senüffe. 2)a§ SSirtuofentpum
fanbte feine Vertreter, männticpe unb tüeibtirfje , in
©cparen ; ipm gehörte int ÜDtufifteben 33aben*S3aben§
ber Sötoenantpeit. Sind) in ber SSitta S3iarbot*©arcia
erfupr e§ pertiorragenbe pflege; tjatte bocf» bie tperrin
berfetben, tiiete Sernbegierige na<f»jief)enb, eine form*
licfje SSirtuofenfcfjnle bafetbft errichtet. SBie früher im
fßarifer ©alon ber geiftreicpen grau , bie and) in ge*
fettiger Söejiepung ntepr ju geben at§ ju empfangen
gemöpnt ift , tonnte man ba bei ben atttüöcpentticpen
ntufifalifcpen ÜDtatineen bie @tite ber ®unftwett tiereint
fepen unb p breit unb neben ben ertefenen (Saben ber
SDleifterin and) bie iprer ©cpülerinnen empfangen,
©etbft ber pöcpfte gefettfcpaftlicpe ©tanj feptte biefen
fünftterifepen ^Bereinigungen nicpt. SDcifctjten fidj bocp
®önig unb Königin tion fßreufsen, ©rofspersog unb
(Sroffperjogin tion 93aben gern unb päitfig unter bie
(Mabenen.
Sfc. M
Stuf einem eigene erbauten Stjeater gab cs and)
SSorfteüungen Keiner Operetten, ju benen 3man Sur»
genew , ber geniate Sreunb beS §aujeS , ben Sejt,
grau SSiarbot fetbft bie üDiujit gefdjrieben t»atte. jfür
bie ©Hüterinnen unb Itinber ber ©omponijtin be»
ftimmt, jeher ber üortjanbenen Kräfte genau angepajjt,
tarnen ba »Le dernier sorcier«, »Trop de femmes«,
»L’ogre, conte de fees« §ur Aufführung, als grajiöfe,
formfeine, ebenfo jangbare ats bantbare Sftufit nid)t
umfonft um S3eifatt merbenb. „Ser fetjte tauberer",
üon tftidjarb ißoljt in’S Seutfdje übertragen, tterfudjte
bann and) in SSeimar unb Karlsruhe (1869 unb 70),
Wie fpäter in tftiga fein tpeit. Sod) reichte jein (Srfotg
auj jenen größeren Sütjnen an ben im engeren Greife
nidtit hinan. Atte brei SBerte blieben ungebrudt unb
märten, jammt einer Anjaf)! Sieber, Suette, Serjette,
©höre, metd)e bie SJiappe ihrer Urheberin birgt , ber
SSeröffentlidjung. 23ieteS Anbere bagegen : atomanjen
unb Sieber, ©taüier» unb SSiotinjtücfe, $5nftructitoe§ zc.
janbte jie in bie SBett hinaus , unb jinb aujjer if>ren
©ejangfdjutert namentlich itjre Arrangements Gnjopin’*
jdjer 3)cajurfen, beren SSortrag jtetS ju ihren bettmn»
bertften Koncertteiftungen gehörte, unb öier bei ©eitj
erfchienenepitanteSieber, bie jie 1870 beim Seethoüen»
fejt in SSeimar mit großem Krfotge jang (barunter üor»
jugSmeife baS Sefiree Artot gemibmete äujjerft aparte
„Ser (Gärtner"), in Seutfddanb betannt gemorben*).
*) 23eröffentUd)t lourbc bt^er oon $auline SSiarbot :
Album de 12 Romances , illustre par Ary Scheffer. Paris,
Troupenas.
6 Pieces pour Piano et Yiolon. Paris, Gerard.
Polonaise ä 4 mains. Paris, Gerard.
Album russe de 12 melodies. Petersburg, Johansen. Leip-
zig, Breitkopf & Härtel.
— M
Sa 9Jtara, ©tubicnföpfc. Y. 209
14
„9taf)e 33ermanbtfcfjaft mit ©l)opin, fjarmonif(f)e gehn
'ficiten , gragiöfe Originalität“ rüfjmt Sigjt it)rem
fc£)öpferifd|en latent nacff.
Sem betfaglidfen 21ufentf)alt ber Sünftlerin in
23aben=$8aben machte ber 2Iu§bruct) be§ beutfc^=fran=
jöfifcfjen Striegel ein öorfcfjnette§ @nbe. 2(ts ©attin
eineg granjofen fal) fie ficEt gelungen, Seutfc£)lanb
1871 §u öerlaffen unb if)r 2Sefi|tt)um bafelbft auf^u*
geben* ©ie teerte, nacfjbem fie im ÜDiai 1870 nodf ein
le^te§ ÜDtal in SBeimar , im -Jtotiember mieberfiott in
2Bo|ltt)ätigleit§concerten nodj in Sonbon öffentlich ge=
fttngen, nun bauernb an ben Ort itjrer (Geburt juriict.
S0le£)rere 3af)re lang mar fie al§ ©efanggprofeffortn
am Conservatoire in ißarig tfjätig. Sa it)r jebocf) bie
hier üblicfje Unterricl)t§meife nid^t gufagte, bie öerfcfji e=
benen lötetfjoben ber öerfdjiebenen @efang§meifter öcm
ber Opera comique unb ber Opera ibjr tiielmefm für
2d Album russe. Petersburg, Johansen. Leipzig, Breitkopf &
Härtel.
4 Lieder. Leipzig et Weimar. Seitz.
6 Mazurkes de Chopin arr. p. la voix. Paris, Gerard. Leipzig,
Breitkopf & Härtel.
6 Melodies. Paris, Heugel.
Ecole du chant classique, en 6 livraisons, contenant une choix
d’airs, duos et trios des maitres de toutes les ecoles, avec
prefaces, nuances, annotations p. P. Y. Paris, Gerard.
Recueil de melodies de Manuel Garcia (pere), arr. avec ac-
compagnement de Piano.
Canzonetta de Haydn (tiree d’un quatuor), arrang. p. la voix.
Paris, Heugel.
Une heure d’etude, en 2 parties. Paris, Heugel. Berlin,
Bote & Bock.
6 Melodies. Paris, Heugel.
Trois recueils de Yalses de Schubert , arr. ä 2 voix. Paris,
Ge'rard.
Danses hongroises, arr. ä 2 voix. Paris, Maho.
Une 30ne au moins de Me'lodies. Petersburg, Johansen.
k. ■
210
p . “*
bie Stimme itnb beren ÜCuSbitbung oerberbticf) er=
fcf)ienen, legte fie itjrStmt bereits 1864 mieber nieber,
um in notier Uuabt)ängigfeit toie junor ifjren päbago=
giften Seruf ju üben. 2tucf) als Seherin mar if)r ber
©rfotg in t)ot)em ©rabe günftig, unb ihrer Schule jum
großen Sth^t banleit bie erften beutfctjeu unb frentb=
länbifchen Sühnen ihre beften Kräfte. ®efiree Strtöt,
'älgtaja Drgeni, SJiariamte Sranbt, Bianca SBiancEji,
ÜDiarie Schröber=Hanfftängt, Serttja ©hnn, 9ftatt)ilbe
SBecfertin, SKagbatene ÜDturjahn, Stnna Söffe, bie in
Sonboit gefeierte 2Intoinette Sterling, ÜDtathilbe ißhit5
tipS, ber amerifanifche Stern, bie Silbaut^Sauchetet
an ber fontifchen Dper in ißaris, bie 35uoioier, metdfe
bie Hauptrolle in ÜDiaffenet’S »Herodiade« creirte, unb
niete SInbere, fie holten fich bei ißautine Siarbot ihre
fünftlerifche Steife. Stuch bie Succa, SmeroSctii,
STcarte Siro be ÜDtarion, bie jebt in Station Surore
macht, ftubirten eine Seitlang bei ihr. SSer jählt unb
nennt fie alle, bie aus Setehrung unb Sorbitb ber
aufferorbenttichen grau ©eminn fcpöpften ? ©in ©enie
mie fie fetber freilich hat fie nicht mieber heranjubitben
uermodjt, fetbft an ihren Siubent — brei Töchtern unb
einem Sohn nererbte fie ihre mufitatifche Segabuitg — ,
fo tatentnott fie finb, nicht. . So barf bie SBett fich
immerhin in ©ebutb faffen, bis fie eine jmeite Siarbot»
©arcia ihr eigen nennt !
*
211
14*
f— - — — —tw
in eigentümliches Qrttereffe gemährt eS, bei
^Betrachtung ber mannigfaltigen Zünftler»
inbitiibuatitäten ben duetlen ihrer Sega*
bmtg nachjugehert unb baS Stugenmerf
barauf ju richten, ob ihnen biefelbe als gamitienerb*
gut, ober üietmehr ats freies perföntic^eS iRaturge*
ftenf jufiel. Senn menn mir in uns atten nicht nur
eine in uns felber murjetnbe Snbiüibuatität, fonbern
jugteich baS Sftefuttat beS SafeinS nuferer 2thnen unb
Sorettern ju erfennen hüben, menn in einem Seben
üon uns, mie in altem (Geftaffenen, neben bem -Jiatur*
gefeß ber Sererbung jugtcict) baS beS SerättberungS*
tiermögenS tätig ift, fo lohnt es mof)t ber SJiühe 51t
fragen, metdjeS biefer beiben Siaturgefe^e fit im
SebenS* unb ©ntmicttungSgange biefeS unb jenes her*
öorragenben 9Jienften ats baS mättigere ermies.
Srei (Sigenftaften, bieSefireeStrtot oorjugS*
meife turatterifiren , mürben ihr ats gamitienber*
mädjtniß in bie SSiege gelegt. SJiit bem oornehmen
©inn beS abtigen fran^öfifd^en ©eftf)lecE)t§ Strtot be
ÜDiontagnt), bem fie entftammte, überlam fie and) baS
bemfetben fton burt mehrere (Generationen eingebo*
rene mufifatifte (Genie, Son ben beiben (Großmüttern
toätertiter* unb müttertiterfeitS, mette, beibe Seutfdje
t>on Geburt, bem frangöfifd^en Samitienbtut ein ger*
manifteS Element juführten, aber erbte fie bie Siebe
215
jST" ~ ”**
für beutfcf)e§ SBefeit unb beutfcfje Sunft, bie fie §eit=
lebend fo warnt betätigt.
SOhtfifer nott Beruf waren fdjon Bater unb (Srofj*
nater. 2)a§ ariftofratifcf)e f>aupt be§ Urgrofsöater§
fjatte in ber @cf)reclen§zeit ber franjofifc^en Steöolution
unter bent Söeit ber (Suillotine geblutet, ©einem
©obn, ber fict) afleirt auf ficf) fetbft geftettt fab, mufite
bie Sunft al§ |>anbwer!, al§ Broberwerb bienen. (Sr
würbe Drcbeftermufifer , tpornift bei ber SSrüffeler
Dper, wie fpäter fein ©obn 2>efire. 2)ocb nicht biefer
allein , atf feine Sinber waren mufilbegabt. (Sine
£od)ter Souife, al§ ©ängerin berühmt, ats ©d£»önbeit
beWunbert, bebütirte mit achtzehn fahren in Bari§,
ftarb aber frühzeitig babin. (Sin anberer ©obn, lyofef,
gewann fic^ mit feiner (Seige 9tubm unb Beicbtbum.
®efire, ber Bater unferer »desiree cantatrice«, machte
fid) als» SKitglieb be§ föniglidjen Xbeaterorcbefterg unb
ber IwfcapeÖe, wie auch al§ fwrnlebrer am (Sonfer=
tiatorium ju Trüffel feiner Sun ft oietfättig nützlich-
$ocb nicht an bem Drt feines 2Birfen§ unb bauernben
21ufentl)alt§, fonbern in ißari§, bal)in er in Begleitung
feiner jungen , ben Slrbennen entftammenben (Sattin
eine ©efc^äftSreife unternahm, würbe ihm — am
12. Suni 1839 war e§ — feine geniale £odjter ate
erfteS Sinb geboren. SRan bitte i|re Slnfunft auf ber
Sßelt erft fpäter erwartet. 9tun muhte fie mit einem
wenig gaftlidjen (Smpfang auf ©trob, zwifcben ben
eier leeren SBänben eine§ ^immer§ , ba§ man ihrer
oon ihrer Bieberfunft überrafdjten ÜRutter auf ber
(Sifenbabnftation' einräumte, fürlieb nehmen. (Srft
fecf)S ÜDtonate fpäter lehrte SDefiree mit ben (Sltent in
ihrer rechtmäßigen Heimat ein, um ihr bis .jum
fechjehnten Saßre auSfc^lie^licE) anzugehören unb ihre
(Srzieljung bafelbft zu empfangen.
k- - M
216
SSorjeitig, Wie t£)r (Eintritt in öie SSett, mar aud)
ihre (Sntwidtung. Salb teufte fie als SSunberlinb bie
5lufmerffamfeit auf fid) . 5ölit fieben Satjren ftfjon trat
fte in ba§ ©onferüatorium ein, unb noch nicfjt elf
Safjre alt, trug fie in Harmonielehre unb prima-vista- '
Sefen in aßen Scfftüffetn ben erften ißreiS baüon. 3113
SSierjefinjä^rige üertiej? fie bie ütnftatt Wieber, nod»
bebor fie baS Stubium be§ OefangS begonnen, ittur
auf ©tabierfpiet unb itatienifdje Spraye hatte fic^ ber
Unterricht erftrecft ; aufferbem aber toar it»r au cf) ba§
gtämifch, granjofifcf) unb ©ngtifd) geläufig geworben,
wie itjr fetteneS Spradjtatent ficf) fpäterf)in aud) baS
Spanifcfje unb ®eutfdie aneignete. Grft in Soubon
erwachte bie Sängerin in ihr. Shr ©nfel ®f)arte§
föaitgnieb, ber at§ Skater ber Königin bort lebte,
nahm fie in fein £>au§. ^um erften iDtate hörte fie ba
bie itatienifche Dper mit ber SSiarbot, ber fßofio unb
©rifi, mit SJiario, Sabtacfje unb Xamburiiti, unb be*
griff, wie fie fetbft fagt, „bah man Wof)t mit @mpf in =
b u n g fingen f ö n n e , jubörberft aber mit ÜDt e t h o b e
fingen gelernt haben?* muffe". SBiefe SÖtethobe eignete
fie ficf» fetbft bei ißautine Siarbot an. Sechsehn HJio=
nate (1856 unb 1857) ging fie bei ber genialen 9CRei=
fteriu ttjeitS in Sonbon, ttjeitS in fßariS in bie Sd)ute,
um fetbft at§ Stteifterin barauS beroor^ugehen. ©in
erfte§ $ebüt im Salon ber Königin üon Grngtanb,
gelegentlich ber 3lnwefenheit be§ betgifdjen ®önig§,
gtüdte auf’S 33efte. Sie fang bann mehrfach in ben
SatonS ber engtifchen SIriftofratie unb trat in 93rüf=
feter Gioncerten juerft üor bie Dffenttidffeit. Surj
barauf, im Januar 1858, hatte man fie bereits für
bie grofje Dper in $ari§ gewonnen. 2Bo fie einft baS
Sicht ber SSett juerft erbticft , foftte fie, fo Wollte e§
eine günftige Rügung, nun auch jum erften SOtat üor
M
217
2?
F
bem Sicpt ber Sampen erfcpeinen. Stuf SEBunfcp 50Zet)cr=
Beer’S, ber, nacpbetn er fie faunt gehört, fie pr Snter»
pretin feiner §ibe» auSerfor, führte fie ficft mit bem
„ißroppeten" ein. @o ferner bie fftotte für bie jungen
©cputtern be§ acptjepnjäprigen SDiäbcpenS fcpien, fie
Bemättigte biefetbe bocp fiegreicp unb erfang fiep aucp
at§ »Favorita«, at§ SStancpe in §atepp’£ neuer Dp er
»La magicienne« unb ata »Sapho« in ©ounob’S gteid)»
namigem SBerf, ba§ ber Somponift eigens für fie um»
gefcprieBen unb gefürjt patte, grofje Srfotge. ®ie 2tn»
ftrengung mar jebocp ju gemattig für bie jngenbticpe,
nocp nicpt genugfam geftäptte (Stimme. Sprer @e»
funbpeit bropte ernftticpe Sefapr, unb ba bie SDirection
auf ben 33orfcptag eines Sngagements mit Perminber»
ter SöefcEjäftigung nicpt eiuging, fap ®efiree Strtöt fiep
nacp Stbtauf eine§ QapreS genötpigt, bie Opera jit Per»
taffen. Sine Srpotungreife nad) ber ©cpmeij unb
Statien Bemtpte fie, um Pei Samperti in SDtaitanb nod)
einige @ecco»9Jecitatipe ju ftubiren ; bann füprte fie
ipr (Stern nacp Seutfcptanb, nacp Söertin.
.Qiemticp tüpt mürbe bie ißrimabonna ber itatieni»
fcpen Dperngefettfcpaft ßorini’S im SSictoriatpeater im
Januar 1860 empfangen; bo<p im ©türm Pefiegte fie
bie §erjen ber Sunftfreunbe. ©eit fpenriette ©ontag
patte leine ©ängerin einen äpnticpen SntpufiaSmuS
pier erregt, tütan fcpmärmte für „bie Ptonbe gtaman»
berin", unb menn man in ber ißarifer Dper bie leiben»
fcpaftticpen Accente, bie StuSbrudSmacpt ipreS munber«
Polten fammtrneicpen SDtejpfopranS Pemunbert patte,
fo ergöpte man fiep in SSertin an ber teilten Steganj
unb fpietenben Srajie , mit ber fie bie unmögtiepften
gieratpen unb Saufeteien ber metfepen ÜDtufif rnieber»
gap. SängftPertraute Seftatten , mie Sftoffini’S Sieb»
tingSfinb, bie fede tRofine im „SSarBier", bie „Sene»
K
21S.
rentota", „iftegimentstocfeter", „Sonnambuta", mitfetc
ifere üott ecfeter ©mpfinbung befeette 23irtuofität, ifjrc
feine ®arftettungS= unb ©fearafterifirungSgabe mit
neuen btüfeenben Üteijen ju umfteiben. Stucfe ben iäb
teften SSeräcfeter beS italienifcfjen ©efangS 50g fie mibcr»
ftanbStoS in ben .gauberfreiS itjrer fünftterifdfeen Sn-
biöibuatität ; erfcfeienen bocfe fetbft bie teicfetmiegenbften
fßrobucte in iferer geift= unb gemütfetiotten SBiebergabe,
iferer tebenfprüfeenben Stetion berebett, über fid) fetbft
emporgefeobeit. Sn Sparen toatlfa^rte man in’S SSic=
toriatfeeater. „28er uod) niefet in ber itatienifefjen
Dfeer mar, fiifett fiefe bottftänbig biScrebitirt in ber
eleganten ©efettfefeaft", f d) reibt ©rnft Soffaf , ber
ÜDtann beS eleganten Feuilletons.
Slucfe ber §of nafem bie Statiener in feinen befort-
bereu ©c£)itt3 - Ser fßrinj=9tegent, ber jetzige beutfefee
Saifer, oerfäumte fetten eine ifjrer SSorftettungen unb
tiefe fie beS öfteren in feinen Soireen fingen. Seiner
SSorliebe für iferen ftrafetenbften Stern, Sefiree Strtöt,
aber ift er unb feine ©etnafelin treu geblieben : feit 22
Saferen bringt bie gefeierte Sünftterin attmintertiefe
einige SBtonate in ©erlitt ju, um ifere Sfeätigfeit ba«
fetbft auSfcfetiefeticfe bem ©enufe beS SaiferfeaareS unb
feines fmfeS §u mibmen. Sängft trägt fie auefe ben
©ferentitet feiner, mie beS SaiferS üon Öfterreicfe,
Santmerfängerin.
Sie fetber feeimette inbefe ber beutfdje ©oben teb=
feaft an. „Saum einen ÜDtonat featte iefe in Seutfcfetanb
gelebt", fefereibt fie fetbft, „fo füfette iefe, bafe feier meine
eigentticfee fünftterifefee §eimat fei, unb bantm feabe iefe
fie auefe nie mieber bauernb bertaffen mögen. Sie
gtänjenbften Stnträge, bie fiefe mir in ÜDiaitanb,
SKabrib, Stmerifa unb anbertoärtS boten, mieS itfe bon
mir, unb menn iefe auefe neben ber fßatti unb Succa in
21!)
©obentgarben in Sonbon unb iftufilanb, jumeilen aucf)
in Belgien fang — im (Srunbe f»at fid) bocff meine
ganje ©arriere in 2)eutfd)tanb abgefpielt unb idf
Ijoffe, fie and) ba ju befcfftieffen."
Sn ber £f)at bergiitg feit itjrem erften SSefucfj fein
Safir, mo fie nic£)t beutfdje Süfte afffntete. Sie fang
überall , faf) ficf) attermürtS — fetbft bei beit fjatbmiU
ben SSötfern Slfieitg — umtjutbigt ; bocf) bie Bedungen
aller §auptftäbte ©uropag machten fie bem SSaterfanb
ber edjten f)ot)en ®unft nidjt ungetreu. So biel fie
manbernb umfjerjog unb bieg rufjfofe UrnfjerfdjmeU
fen and) nacf) ifjrer Sermäfjtung mit fOtariano be
ißabida, bem 2lbföntmling einer fpanifdjen 9lbel§=
famifie, ben bie lanterfte Segeifterung unb augge»
fprodjenfter 93eruf für bie ®unft jur Stugbilbung fei=
ne§ frönen 23ariton§ unb §ur Sülfne getrieben fjaite,
fortfüljrte , S3erliit bfieb ber fefte ißunft inmitten alter
Ünftetfjeit ifjreS Sebeng. SSie nad) ifjrem „SBafjnfrieb“
— fo nannte fie jüngft fdjerjenb i|re bon ifjrern Dnfel
Qofef ererbte SSitta in Sebreg — , tno fie einft (am
15. September 1869) itjre §od)3eit feierte, wo iljre
®inber geboren tourben unb mo fie attjcHfrlid) eine
^eitlang ber Ütufje pflegt, lefjrt fie aud) nad) ber beut*
fdfen §auptftabt anjätjrlid) jurüd. §ier in itjrer
jmeiten §eimat brachte fie, bie gran^öfin, felbft bie
3eit mäfjrenb beg beutfd)=franjöfifd)en Krieges ju, i()r
SSefitjtfjum in Sebreg irtbefi für Unterbringung ber
ißermunbeten jur Verfügung ftellenb. Sie fingt unb
fprid)t auf uitferen S3üf)nen unfere Sprache, nnb ifjre
®iitber: bie fdjmarääugige ©armen unb bie blonbe
Sola, merben bon einer beutfcfjeu ©rjietjerin gebilbet.
Sie fprec^en, fd£»reiben unb fingen beutfd), „bamit fie
früher atg ifjre SJtntter mit ber if)r fo lieben Sprad)e
bertraut merben.“
220
SBetdj treff lief) e Rermittterin beutfdjer Äunft and)
bürfeit mir in SDefiree Strtot fcpä|en ! Sine Smitbef jdjc
Strie, eind unferer Sieber — ntan ben!e nur an 33en»
bet’d toiel gefungened „SEBie Berührt miep ttmnberfam"
— üon ipr gu pören, gehört gu ben audertefenften
geingenüffen. 3« intern ein patbed tpunbert Partien
untfaffenben Repertoire üon fonft unb jept ift bie beutfepe
©per burep Rtogart (mit Somta Rmta unb ^erlitte,
(Gräfin unb ©ufanne) , SBeber, Stotom, bie italienifd^e
öon ißergotefe unb Simarofa bid gu SSerbi unb ben
Sebrübern Ricci, bie frangöfifepe üon Rteperbeer unb
Sluber bid SSiget, Dffenbacp unb ißoife oertreten. Sine
für nur gtoei ißerfonen getriebene £>per bed tepteren :
»Bonsoir voisin«, fang fie mit iprem Satten gemein»
fam am preupifepen §ofe, mo fie mit ber Succa, Dr»
geni unb §arrierd » SBippent gufamnten fiep gur 2tb»
medjdtung and) einmal gu ein paar mufiMifcpen
©epergen Dffenbacp’d perabtiep.
,ßu ®aiferd Seburtdtag , beffen mufifatifepe §eft»
foften fie feit Satiren mefenttiep beftreitet, pat fie
immer eine befonbere Sabe bereit. 3)a fepmuggette fie
and) eine iprer Siebtingdopern : SSiget’d jept überall
eingebürgerte „Sarmen", guerft in ESeutfcptanb ein,
loenngteicp, ba man fiep ber 2tufnapme berfetben ab»
geneigt geigte, gunäepft unter frembem Ramen. Spre
geniale 2)arftettung ber ESitetrotte, bie peute noep gu
ipren aparteften Seiftungen gepört, gemann bem pitan»
ten 2Berf bed ®aiferd 33eifatt in fo popem Srabe, bap
er fofort bie Smfcenirung in ber Epofoper befapt. Dft
auep gefepiept ed, bap bie mufifatifcp fein gebitbete
Sünftterin mit iprem atd ©änger unb ©cpaitfpieter
gteiep epcedirenbeit Semapt fidp aud biefem ober jenem
Dpernfragment unb einem improöifirten Sept bie bad
beutfepe Reicpdoberpaupt feiernbe geftoper eigenpänbig
121
W «j
gufammenftedt. Spr bietfeitigeg Talent ertoeift fiep
eben gur Söfung ber berfcpiebenartigften Aufgaben ge=
fcpicft. Übernapm fie bocp einft aucp in einer uitgari»
fcpen Cp er : ©rfet’S »Hunyadi Laszlo«, eine ißartie
(bie (Sara üötaria) in ungarifcper ©pracpe !
gür bie ungarifdpe ©odegin, bie barnats an iprer
©eite fang : SSilma non SSoggenpuber, ttmrbe übrigens
biefe ÜÖlitwirfung fotgenreicp ; bapnte ipr niept Sefiree’S
©mpfeptung ben SBeg nacp Seutfcplanb unb an beffen
größte Cpernbüpne? ©ine tiebensmürbigere , pütfs*
bereitere ftunftgenoffirt als bie SOleifterin Strtot gab eS
faunt je. SBie SSieXen pat fie freunbticp bie fpanb ge=
reicht gum SSormärtSfommen. ©pracp niept aucp f i e
baS entfcpeibenbe SBort, baS ÜDtarie äßitt auf bie
93ät)ne mieS? ©rfupren nicXjt nocp in jiingfter 3eit
ipre SanbSmännin SSertpa SBalbi unb bie ißotin Sota
Söeetp ipre teprreicpe Süprung ? SJiit perborragenbem
latent unb Steigung für baS Unterrichten begabt, ge=
bricpt es ber immer Xpätigen nur an $eit unb Stupe,
fiep ber 33itbung junger latente in auSgebepnterer
SBeife gu toibmen. Sie befepränft fiep im (Sangen unb
(Srofjen barauf, burep ipr SSeifpiet gu mirfen. 9$on
iprem wunberbar meiepen 2onanfa|, iprer eblen $on=
gebung, boit iprer in ber ©otoratur mie im getragenen
(Sefang gteiep meifterpaften Xecpnif, bon ber entinen»
ten tperrfepaft, mit ber fie ber Stimme fetbft gu einer
3eit, tbb bie Statur ipre (Saben gurüctgugiepen pflegt,
noep gebietet, bau bem ©Sprit unb ber Stobteffe iprer
gangen fünftterifepen (Seftattungen (eS fei pier nur an
ipre Stofine, StmneriS, Slgucena erinnert) fönnten mopt
uapegu ade ipre gegenmärtigen ©odeginnen, fetbft bie
beften niept ausgenommen, lernen, ©ntfagt fie aber
einft iprem Süpnenberuf — unb fie meint, fie toerbe
beS beftänbigen SSanbernS in niept gu ferner $eit
222
miibe merbeit — fo ftellt fidf bie raftlofe ®ünftlerin
bag „ißrofefforat" jur meiteren Sebengaufgabe. 2Bie
möchte fie and) leben ohne SIrbeit für ihre ft'unft ?
Sßelcf) reifer Eeminn inmitten einer Seit ber ©e=
fanggoermilberung aug ber auggebreiteten Sehrtfjätig*
feit einer iOceifterin erfteben mürbe, in ber mir eine
ber lebten un§ noch oerbliebenen Vertreterinnen öolt*
enbeter Schule unb mabrer, echter ÖSefanggfunft ber*
ehren, ergiebt ficb üon felbft. Sie bornehmften ÜDtufif»
fdiulen Europag : Vrüffel, SSieit, Sbtogfau, ißeterg*
bürg, granffurt a. 9Ä. ’tya'btn benn aucb fdfoit bie
$anb nach ifm auggeftredt unb berfud)t, fitf» folcb be=
gebren§mertbe ®raft ju fiebern. Sodf Sefiree SCrtbt
def)t bor, fich ihre Selbftänbigfeit ju mal)ren unb ficb
bie freie 2lugmaf)l berer, bie fie begabt unb §u einer
fd)önen berechtigt glaubt, borjubefjalten.
„Senn“, fdjreibt fie ttng felbft, „bie Sünftlerlaufbabn.
ift ein ißarabieg für ben, ber auf ber £>öf)e ; “6er
eine §öile für ben SOlittelmä^igen. gef) bilbe mir 9e'
miff nicfit ein, aug meinen (Schülerinnen Engel ju
bilben — hoch Elüdlidje menigfteng möchte icf»
madfeit."
(Sie felbft gehört ju ben Elüdlichften, Veborjug*
tefteu in ber Äurtft mie im Seben. Slug ihrem ganjen
SSefen fpricfjt innere Vefriebigung unb Harmonie.
Sßer bie SHinftlerin in ihr ehrt, barf auch bie grau in
ihr lieben. ®ein Schatten heftet ficb an bie reine
(Glorie, bie ihre Stirn umfliegt, unb bie Siebe jum
Schönen bat fie ber Siebe jum Euten nie abmenbig
gemacht. Unb ift fie nicht gleidfermeife geiftreicb unb
liebengmürbig im perf ältlichen Verfehl alg ihre fünft»
lerifdfe Erfcheinung bebeutenb ift?
güngft bebütirte fie auch al§ Schriftstellerin, in*
bem fie „Erinnerungen an ihre EoncerUSournee im
fc ^
®aufafu§", bie fie mit ihrem (Ratten uitb bem ^)Sia=
niften Sternberg üom ©ecember 1879 bi§ ÜDtärä 1880
unternahm, üerßffentlichte. *) Semen mir fie bemt
auch öon biefer ©eite fennen, unb hören mir fie i£)re
mefentticEiften Srfebniffe bort fc^ilbern !
„2M<f)en Gmtbetjrungen, Sfitühfefigfeiten unb ©e»
fahren mir entgegen gingen", fo fcbjreibt fie, „baoon
Ratten mir feine 2t£)nung. ®er Beginn unfereö fünft»
lerifcfjen 9tomabentf)um§ mar inbeffen Weiterer Statur.
Sn ber ©tabt Sfifabethgrab, mo mir unfer erfte§ Sott»
cert gaben, mottte e§ ber Sufalf, baff mir einen ©aat
erhielten, in meldfem am öorlferigen Sfbenb ein S§ca=
moteur feine „Sauberfünfte" trieb. 2U§ ich nun ganj
argfoei auf bie Sftrabe trat, unb mein «Una voce poco
fä« intonirte, ba — mefdfe Überrafchung ! — erhoben
}u gteidE»er Seit etma ein ®u|enb Sanarienüögef ifjre
Stimmen unb begannen ju jmitfchern unb ju trillern ;
mäfjrenb eine Stnjahf größerer Bögef — eine redete
f5 1 ü g e I begXeitmtg — unruhig baju mit ben gtügefn
fc^Iug. SSSie ficf) fjerangfteüte, fjatte unfer Borgänger
öon feiner Sauberfoiree feine Bögef im ©aale öer»
geffen, mefdfe, in einer Scfe im lläfig pfacirt, eine
afferbing§ unüorhergefef)ene Bereicherung unfere§ fßro»
gramm§ unternahmen. SBelcEjen Sffect ba§ oietftim»
mige Soncert machte, fann man fid) bettfen. Unter
allgemeiner |>eiterfeit mürben bie freimiUig SKitmir»
fenben au§ bem ©aafe entfernt, morauf ba§ Soncert
ungeftört feinen Fortgang nahm.
Bon ©tabt p ©tabt ging e§ nun meüer bie
SBfabifamfaS im ®aufafu§, öon ba bie Straffe @ru»
finSfi SBacjeni ®aroga , mefdfe öon grauenboßer
*) ßetoinäfp, 33or tcn (Souüffen. II. Berlin, $ofmann & ßomp.
1882.
k M
224
p ' — %
Sdjönf)eit ift, nadj giftig. 50tan fäljrt biefeit 2Beg
mit ber Sßoft ; auf ber einen Seite, bic ed)t afiatifcf)
burd) fein ©elänber gefdjüfct ift, ein mehrere fpnbert
Klafter tiefer, gälpenber Slbgrunb, auf ber anberett
gen |>immel ftrebenbe, fcfjnee* unb eiSbebedte Seifen,
tiefer SBeg, in ben Seifen genauen, fdfier enbloS bis
pr Spitze fid) fd)längelnb unb fo fdjmat, baff nur ein
SSagen pr 9iotf) fßlafs fjat, wirb an ben gefäf)rlid)ften
Stetten non ben fßoftiüonen mit ber rapibeften
SdjneHigfeit befafjren. ©on 3eit p 3eit bläft ber
®utfdjer in fein £>orn , um (Sntgegenfommenbe p
rnarnen, bie bann an einer etwas breiteren Stelle
Jpalt machen, bis Sener tiorüber ift.
SBir tfatten nun ungefähr bie Hälfte biefeS SßegS
prüdgelegt, als fid) frtö^Iid) ein Sturm erifoß, baff
mir glaubten, bie Seifen würben über uns pfammen»
ftürjett. ©on feiner Station wollte man unS Weiter
beförbern, ba man überall ben Sturj tion SaWinen be=
fürchtete. Sod) unfere ©oncerte waren für beftimmte
Sage bereits annoncirt ; fo fallen Wir unS genötigt,
tro| ber fdfredlidfften ©efa^ren mit groffen ©elbopfern
unfere Steife fortpfeften. Sa fuhren benn wir oier im
Splitten bafjin, auf Strof) gelagert Wie bie Säiber
unb woI)I and) mit ber ©npfinbung, als ging’S birect
pr Sdflad)tbanf, ftumm unb ergeben in unfer Sd)id=
fal ; wäf)renb ber Sutfdjer, mit einer SJtiene, bie beut=
lid) fpradj : wir finb oerloren ! ben ©lid fortwäfjrenb
auf bie Seifen gerietet, oon Wo ber Sdjnee auf unS
Ifernieberpfaden brofjte, (Gebete nturmelnb fid) be=
freute, bann wieber auf bie bampfenben ißferbe ein-
tlieb , bie baljin fauften , als Würben fie üon böfen
(Seiftern getrieben. Sap baS Reuten beS Sturmes,
baS ©raufen ber ©ergftröme, — eS War eine fdfauer* "
lidfje Safjrt ; unfer Seben (fing an einem Setbeit , icf)
- M
ßa üftara, Stufcienföpfc. V. 225
15
W — Hü
£)atte eS bem Sdjuije beS £>öcf)ften empfohlen uttb
backte nur an meine armen Einher in ber gerne . . .
(Snbliß), o gubel ! erblißten mir ein ©ebäube auf ber
$öf)e, — es mar baS ißoftljauS. SSir fßjöpften fri=
fcf)en ÜDtutf), ber ®utfdjer i)ieb mit erneutem (gifer auf
bie Stoffe ein, gtiicflicfi Ratten mir baS ißoftI)auS er*
reicht unb mir mareit eben im begriff, burß) baS Sf)or
jn fahren, als ein (Setöfe entftanb, fo furchtbar, als
ob bie SBelt aus ben gugen ginge, — eine Sarnine
mar tjeruntergeftürjt unb f>atte ba§ ißoftf)auS oer=
fcfȟttet. SSelc^e Situation ! 2ln eine gortfefjung
unferer galfrt mar nun nictß ju benfen. .Qmei Sage
maren mir genötigt, im 5J$oftI)auS jnjubringen, ein
Staunt, in meldjem eine maijrfjaft peftilensialifdje Suft
£)errfcf|te unb alles toott Sßjmuü ftarrte. §arte Bretter
bienten unS als Sagerftätte ; felbft ber aßerbefc£)eibenfte
Somfort fehlte, unb maS baS Slßerfctßimmfte, eS gab
nichts ju effen! Sn einem unbefßjreiblißjen ©efäft
mürbe uns bie fogenannte ,,3)tat) I^eit" aufgetragen,
ein entfeißiß) auSfetjenber unb fürßjterlict) riedfenber
9Jtifd)mafß), baju für uns aße ein ÜDteffer unb eine
(Sabel. 2Iber felbft bie £mnbe, benen mir baS ledere
(Serictß überlaffen mußten, liefsen baSfelbe unberührt.
Sorf) ba ber ißoftfterr mit großem Stolje, beibe 2lrme
in bie Seiten ftemmenb, unS ju mieberfiolten SDtalen
oerfic^erte , bei ilfnt fei SlßeS in ooßfommenfter Drb*
nung unb Steinzeit, fo mußten mir mof)I fßßiefßid)
brau glauben.
(Snblict) mar ber 2Beg frei unb mir fomtten unfere
Steife fortfe|en. 0f)ne nennenSmerttjen Unfaß langten
mir am folgenben Sage in Siftis an, mo mir fßjon
mit 33eforgnifi ermartet unb mit Segeifterung aufge*
■ nommen mürben. Ü3on ba ging es naß) (Sitbaisf, mo
unS ein aßerliebfteS Abenteuer begegnete. Stm Slbenb
L *
226
beg ©oncertg, atg uufer ^nxprefario fid) gur ©ontrote
an bie ©affe begab, erfdjien ein Heineg ÜDiäbdjen non
neun ^safjren in ber Sradft ber <£fdjerfeffinnen unb
oertangte fcE)üc£)tern nont ©affirer ein 93iIIet in ber
erften fRei^e. .Sperr ®enig *) backte, bie kleine fei nie!'
teidjt barnact) gefdjidt worben ; ju feiner SSertounberung
jog aber bag ®inb ein groffeg Xud) Iferüor unb jätftte
fünf fRubel in lauter Meinen ®opefenftüden auf ben
Sifcf), worauf fie mit bem Söiltet gang ftotj in ben
Saat ging unb ficf) fetbft in bie erfte 9teif)e fe|te, 9tun
fjatte ber Symprefario bie SSeranftattung getroffen, baff
bag Programm beg jweiten ©oncertg wäfjrenb einer
ißaitfe beg erften unter ben 3uf)örern jur Sßertfjeilung
getaugte. SCRit 2f)ränen in ben Stugeu ging bag Sinb
jum ®affirer unb bat if)n, biefen Stein, einen Swrfig,
einftweiten an ©etbegftatt anjunefjmen unb iffr bafür
ein bittet für bag jweite ©oncert ju referüiren. 3unt
erften ©oncert, fagte bie Steine, fjabe fie jwei ÜDtonate
üorf>er geit gefjabt, bie fünf Stubet fopefenweig in-
fammenjufparen, um bie großen Zünftler ju tjören;
aber bag jweite fomme ifjr ju fd)netl unb fie müffe
morgen erft taufen, bag (Selb aufjutreiben. Statür*
tid) befafjt id), atg id) bag (55efcf)id)td)ett erfuhr, baff
bem ®inbe ein Stillet grätig tierabfotgt werbe, unb id)
barf oerfidjern, baff eg mir eine watjre greube madfte,
atg id) am Slbenb beg ^weiten ©oncertg bie Keine
®unftentf)ufiaftin wieber oor mir in ber erften Steitfe
fat). -
Stuf ®ameeten ging nun bie Steife weiter nad)
Orofno unb Xpmintfantfdjura. 2Bir waren genötigt,
ung für jwei Sage ju öerproüiantireit, benn in ben
f) $)cr 3mpre[avio ber Tournee, ein faiferl. ruffifdjcr Kammer*
j mufifuä.
I
&
M
wüften Stegenben, bitrcf) bie ber SBeg utt§ führte,
Ratten Wir feine (Stätte menfcEjlic^er Stnfiebtung §u er»
warten, iftur fcfjrittweife tarnen wir in ber fengenben
§i|e borwärt§, waren aber fonft heiter unb guter
Singe, Se tiefer wir in ba§ Sintere 2lfien§ t)inein ge»
langten, befto intereffanter, rontantifdEjer, abenteuer»
licEjer geftattete fic^ unfere gatjrt. 2tt§ id) in $i§tar
au§ bem ®ünftteräimmer, unt ju fingen, auf bie ©ft»
rabe trat, prallte ich bor Sdfred jurüd; idf befanb
mich bem fettfamften ißubtifum gegenüber. 9Ran
benfe fid) ben Saat gefüllt mit einer Verfammtung in
pf)antaftifdier Srad)t, tf)eit§ in oerfdmürte ißet^e, tfjeits
in grofie Sücfjer gefüllt, auf bem tpaupt eine hohe
Värenmütje, um bie ÜDtitte be§ Seibe§ ein breiter Stürtet,
in welchem ein 9tiefenmeffer unb jwei ißiftoten fteden,
unb in ber tpanb eine ßanje. So geljt ba§ ißubtifum
in ®i§tar in’3 ©oncert. Sabei applaubirt man nid)t,
fonbern brüllt, at§ wären witbe Siliere lo^gelaffen.
Sro|bent Programme im Saat üerttjeitt würben, blieb
ba§ ißubtifum hoch auf feinem ißta^e, at§ b.a§ ©oncert
ju ©nbe war. Sßir waren in Verlegenheit ; mit biefer
(5SefetCfcE)aft war nid)t ju fpa^en. S<h fing noch einige
Sieber; ba§ ißubtifum btieb fi|en. SDtein Statte fang
noch einige SXriett; unfere Zuhörer brüllten oor ©nt»
jüden unb rührten fid) nicht bont $tede. SBir Veibe
empfahlen un§ sans adieu, unb tperr Sternberg ging
an’§ ©taoier. Dt)ne Unterbrechung fpiette er atte§
burcheinanber : SSatjer, SRärfcfie, ©tuben, bi§ brei
Uf)r 3Rorgen§, unb at§ er enbtid) jum Srütjftüd nad)
tpaufe tarn, erzählte er uu§ tachenb : „Sch habe heute
im ©oncert fetjr biet ©tabier ftubirt."
Sie Vewolfner biefer martiatifd)en Stabt begnüg»
ten ficf) aber nicht bamit, un§ ihren Veifatt in bto§
ptatonifcfjer SBeife au§jubrüden. 2lm Sdjtuffe be§
228
Jff ' " - ■ ■ .
jweiteit SoncertS erfcfjien eine Deputation , um mir
in Slnerfennung meiner fünftleriff en SSerbieufte einen
alten, mit {oftbaren Steinen befehlen §elm aus bem
14. Qatjrfiunbert ju überreifen. 91IS Wir in ber fot=
genben Stabt Derbent ahnungslos bei ber etwas frag*
würbigen Mittagstafel fafjen, entftanb auf ber Strafe
ein furf tbarer Samt ; brüüenb unb fyeulenb wäljte
fif ein Menff enftrom ju unferem £>ötel. Srff recft
fprangen wir auf, um naf ber SSeranlaffung biefeS
DumultS ju feljen. 21ber Wir blieben nicfjt lange in
Ungewiffeit. Sin S t ä n b f e n Wollte baS SSolt oon
Derbent ber „großen Sängerin" bringen. Der mufi*
faliff e ©erutfj, ber unS bereitet würbe, erhielt jebof
einen nif t ganj befriebigenben 2lbff lufs ; benn als
baS §eulen, welfeS Sefang bebeuten follte, immer
lauter unb bie Segeifterung bei meinem Slnblid immer
ftürmiff er Würbe, erffien plöfif ein Drupp berit*
tener Äbfafen auf ber Söilbflftf e, Welfer bie Menge
auSeinanber trieb.
SS mag inbef? tjier bemerlt werben, baff auf einer
wie niebrigen Stufe ber Sultur biefe afiatiff en 9Söl=
ferff aften auf nof fteljen mögen, fre mufifaliffe
Smpfänglif feit unb namentlif if)re Vorliebe für Se*
fang bof aufjerorbentlif entwidelt finb. Sn Welfer
urwüf figen SESeife fif biefe Smpfinbungen ju äufjern
fuf en, baoon jeugen einige SSorfontntniffe.
Sn 93uccu erffien ein falber SBilber an ber ®affe
unb naf)tn ein SBillet für fünf Ütubel. 9caf ber jwet*
ten Kummer ging er mit Dtjränen im Sluge IjinauS
unb legte bem ®affirer ff Weigenb einen 503tubelff ein
fit. Stuf bie grage beS §errn Denis, was eS bamit
folle, erwiberte ber Dff erfeffe : „Sür mein S3illet." 911S
itjm nun barauf entgegnet würbe, baff bieS ja bereits
bejaft fei, rief er mit lebhaftem S'opfff ütteln : „0
— • ... M
229
nein, mein §err, für fünf Stubet fd»äme icf) midj, fo
grofje Seute ju fjoren!" . . .
. . . ©inen ganj eigentümlichen ©fjarafter fjatte
aber eine Dtiation, bie uns in Drenburg ju Xtjeil
Würbe. Ser Goittierneur fjatte uns ju Gfjren ein
Siner gegeben , wäfjrenb beffen eine ^ofafencapeüe
bie mufifafifcfjen iponneurS machte (übrigens ein 9ta*
bicatmittel, um ©obffcfimerjen ju befommen). 2Bäf»'
renb ber Safet änderte icE) gegen unferen freunbtid»en
SBirtf) unter anberem meine Bewunberung ber afiati»
fd»en ißferberace.
Ser Goutierneur tierfdjwanb für wenige Stugen*
blide, unb nach einer Biertetftunbe etwa würben bie
gtügetthüren beS ©aafeS weit geöffnet, unb ein Siener,
einen herrlichen Straber am gügel füf»renb, erfdjien
tior meinem ißta|e. „3>ch bin entgädt", fagte ber Kie=
benSwürbige §auSf»err , „baff unfere fßferbe 3f)ten
SöeifatC finben. Sch bitte @ie, fötabame, biefen gab)=
men Araber jur Grinnerung an uns SSitbe entgegen
nehmen $u Wollen !"
@o fjatte id» benn auch meinen Araber. Sa bie
Begleitung biefeS BierfüfjferS auf unferer Goncert*
Sournee uns für bie Sauer aber bod» wof»f etwas um
bequem geworben wäre, fo engagirte icf» bei feiten
einen fDiaitn, burdj ben id» mein Drenburger „Stnbem
fen" nad» ißariS beförbern lief».
ÜDtittterweite f»atten wir nad» mannigfachen Grleb=
niffen, beren€>d»itberung jebocf» ju weit reichen würbe,
unfere 9tüdreife angetreten. Unfer 2öeg führte unS
über SiftiS wieber ben gefürchteten GrufinSfi Sßaijeni
Saroga, unb abermals foüten wir einer grofjen 2e=
benSgefaijr entgegengehen. Sie SahreS^eit war in=
5Wifd»en weit tiorgerüdt unb fein Sag tierging of»ne
bie fjeftigften ©türme. 9ttS wir nun jene getfenftrafje
m* - — M
230
PT“
batjinfuhren, tiielt unfer SBagen ptöfctich ftitl. Stuf
unfere Srage nach ber 23erantaffung ertoiberte bei*
®utfcf)er, bie 33efd)äbigung eine§ 9tabe§ mache eine
Reparatur erforbertidj. Sßir mochten etwa jetjn 9)ii»
nuten ber gortfefsung unferer 3raf)rt entgegengefehen
haben, at§ wir mit einem SJiate ein bonnerähnticheil
Sradjen tiernahnten, neröenerfctjütternb unb (Entfetten
erregenb, fobafj Wir bauten, unfer te|te§ ©tünbtein
fei gefotnmen, um fo mehr at§ un§ faft gleicfigeitig
©anb» unb Steinmaffen mit furdjtbarfter (Gewalt in’3
@efic£)t gefdjteubert würben, baf? wir heftig btuteten.
Ser ®utf<her betreute ficf» unb meinte, ein ©tücf get»
fen fei wahrfdjeintich fjerabgeftürst. SSott ber 9Jaid)t
biefe§ ©turje§ fann man fid) einen begriff machen,
Wenn i dj bemerfe, bafj wir tion ber betreffenden ©teile
eine SBerft entfernt waren. Sem $ufatt, bafj wir
burdj bie Sleparatur be§ 9iabe§ in unferer SBeiterfatjrt
aufge^atten würben, Ratten Wir aber unfer Seben ju
banten. Dljne jenen Umftanb würben Wir ohne .Qwei»
fei jene ©d)reden§fteüe in bem SJioment be§ ©turjeä
paffirt haben unb tion ben ^erunterfattenben Stein»
cotoffen unfehlbar jerfc^mettert worben fein . . .
Sodj bie SSorfefjung Ijatte un§ erfidhttidj in ifjrert
@dju| genommen, ©tücttid) erreichten Wir bie ©ta»
tion . . .
Unfere tiiermonattiche (Eoncert»Sournee war ju
(Enbe, unb ber (Erfolg War gtcmjenb über atte§ (Er»
warten. Sölit banferfütltem §erjen nahmen wir 2tb»
fdjieb tion einanber. Sie f>ärteften ©trapajen hatten
wir ertragen, (Entbehrungen alter Strt hatten Wir er»
buXbet, Wiebertjott befanben Wir itn§ in größter Seben§=
gefahr, unb bennoch preife ich ba§ @efd)id, ba§ mid)
auf biefe Steife geführt unb ba§ uit§ fo wunberbar er»
hatten."
fc.
231
w •%
<Bo anmutfjig toeiis fie fcfjrifttidf mtb münblicf) ju
Räubern, bie große ®ünftlerin , fo amüfant mit^u*
tßeilen au§ bem fReicf)±£)um be§ ©elbfterlebten. Unb
ber SJtufif üfrer (Sprache, mag fie fingen ober reben,
laufest man gern ; mie SJiinuten fließen bie ©tunben
in ißrer (SefellfcEjaft. Sem @§prit, ber (Srajie unb
Oefdfmeibigfeit ber granjöfin paart ficE) in itjr beutfdfe
®emütt)§tt)ärme , beutftfier (Srnft ber ®unftbilbung.
©o öerfeßiebene (Elemente ben in granfreid) geborenen,
in Belgien unb ©nglanb erlogenen, mit Seutfißtanb
blutl* unb waf)toermanbten öiebting aller Sänber unb
SSölfer beeinflußten, fie gleichen firf) ßarmonifcf) in ißnt
au» unb erfaßen nur bie eigene Stngiet»ung§Iraft, bie
fein SSefeit au§iibt. SBir lernten unter ißren beutfdfen
unb fremblänbifcßen ^unftfdimeftern leine jugleidf oor=
neßmere unb geminnenbere Statur als Sefirce Strtot.
jfe. M
232
er Mannte (Berliner SDiufifer unb Sritifer
©uftab ©ngel bezeichnet in bent 2lrtifel
„2llt" in ÜDienbel^Sieißmann’S bortrefflidjem
„SJiufifalifchen (£onberfation§le£ifon"*)
nor nnb 9llt al§ „bie ibealften (Stimmgattungen, meil
fie bie ©£treme bereinigen, inbent in jenem auf ber
©runblage männlicher ®raft ein Slbglanj weiblicher
ßartljeit erfcEjeint, mätjrenb biefer auf ber ©runblage
toeibltdjer Sölilbe bie männliche (Snergie noch ju ihrem
Siechte lomnten läßt." S)em gegenüber Xie^e fich tüofiX
bie entgegengefeßte 9lnfid)t nicht unberechtigt geltenb
machen , baß bie bollfommenere Stimmgattung biel»
mehr biejenige fei, Welche ihr eigentümliche! SBefen
rein unb unbermifcht bewahrt unb bie natürlichen
©egenfäße männlicher unb weiblicher ^rtbibibualität
fo boü entfnredjenb jurn 2lu!brud bringt, wie bie!
burdj (Sopran unb Baß ober Bariton gefchießt.
(Sin müßige! beginnen gleidjtuohl tbäre e!, eine
Bangorbnung unter ben Stimmgef<hled)tern aufju*
ftetten , beren jebe!, fein felbftänbige! $>afein!red)t
bon ©otte! ©naben beßauptenb , zugleich, fobalb e!
ber $anbreid)ung aller Kräfte ju einem fiinftlerifdjen
(Snfemble gilt, al! naturgemäßer Präger ber £ar=
monie bem ©anjen gleidjerweife bienlid) unb unent*
*) 11 33be. ^Berlin, Cppenfyctnt 1870 — 79.
235
r-
beßrlidj ift. 3umeift tüirb bie ©pmpatf)ie, bie per*
föntidje Neigung ficf) ba§ entfdjeibenbe IXrtfieil barüber
anmaßen, tnefcfjer unter ben Stimmgattungen ber
fjößere ?ßrei§ gebüßte, unb in ber Xb»at ntan ßat ju
oerfcßiebetten $eiten batb biefe batb jene beüorsugt;
toecßfefnb tüte bie fetten felbft tüar aucf) bie ©unft, bie
man ber einen ober anbern fcßenfte. So fiel in ber
atten italieitifc^en Opera seria bem fEenor ftetS ber
Sötüenanfßeif ju. ©aß unb Bariton, auf ben niebereren
©oben ber Opera buffa üertniefen, fanben im Staßmen
ber ernften Dper faurn fßfaß unb famen minbeftenS
afs fpauptcßaraftere ni(f»t in $rage. drft Stoffini, ein
greunb jener tieferen Stimmlagen unb felbft ein au§*
ertefener ©aritonift, feßte fie affmäfig in ißre natür*
ticken Stecßte ein. ©benfo tnar in ber ©or=9toffini’fcßen
Opera seria, ja felbft nocß im »Tancredi« unb in attbe*
ren Dpern be§ ißefarefer ÜDteifterS, ber ©ontraaft ber
beüorjugte Präger ber tneibficßen fpauptpartie ; ntodjte
biefefbe ficf» immerl)in — tüie beifpiefsweife noch in
fötojarfs „fEttuS" — in ÜDtännerffeibern üerfteden,
tnäßrenb , banf einer ßäßficßen ©ergetnaftigung ber
Statur, ÜDtättner ben ©opran fangen. Slucß fiter griff
tüieberunt Stoffini entfcfieibenb ein. SDer atfmäcßtigen
^»errfcbiaft ber »primi unb secondi uomini« auf ber
©efangSbüßne feines ©aterlanbeS mit entfc£)Ioffener
fpanb ein ©nbe macßenb, fteftte er, üon feiner für feine
nacfjmafige ©attin Sfabefta ©ofbranb gefcßrtebenen
»Elisabetta« an , nie£ntef)r naturgemäß bie tueibfidje
©opranftimme in ben ©orbergrunb ber Dper. SDtit
einer jmeiten Stolle im bramatifcßett ®unfttt>erf mußte
ficf) ber 2fft, tnäßrenb er im Dratorium unb in ber
fircßficßen üOtufif ber ©cßtoefterftimme ftets gfeicßbe*
recßtigt jur ©eite blieb, fortan meift begnügen, unb
auSnaßmStoeife nur — tnie in ber ffibeS im „ißro*
Sl_
236
p|eten", in ber ÜCjuceita int »Trovatore« — fat) er
fidj eine anfpruchStmllere Aufgabe juertheitt, bie, alter»
bingS §unäc^ft für eine StuSnahmSerfcheinung ge»
fdjaffen, über fein eigentliches? Siebiet ^inau§griff nnb
mit ber Xiefe beS StttS jugteich bie Jpötje beS Sttejs o»
fopranS bebang.
Su jenen 2luSermäf)tten , bie fief) ungeftraft über
bie Strengen iljreS eigentlichen 2Itt»93erei<f)S hinaus in
tjohere Ütegionen magen bürfen, bie heute eine 2ttt=,
morgen eine ©opran»ißartie übernehmen, auf Sßunfcfi
auch übermorgen atS ©tettöertreter eines SEenorS ein»
jufpringen bereit finb, gehört .Qetia Xrebetti —
eine nnferer gefeiertften ÖtefangSgröfjen im ülttgemei»
neu, imiöefonberen bie größte Stttiftin ber Stegenmart.
@cfjöne Stttftimmen finb fetten, man pflegt fie atS be»
fonbere Stäben ber 23orfef)ung hoch anäufdjtagen. llnb
fchön mar bie ihre , ja fie fudjte ihrer Seit an @cf)ön»
heit ihres Stteicljen, nnb noch heutigen SEageS fehen
mir unS üergebenS nach einer ihr ebenbürtigen 9Zacf)=
fotgErin um. 2ßar eS — jumat ihre fünftterifcfien
ßeiftungen burcE) Stnrnuttj nnb ©djönheit ber äußeren
©rfcheinung mächtig gehoben mürben — ben ^Berlinern
ju üerbenfen, bah fie öor 22 gatmen, atS Setia Sre»
betti jum erften SJfate in J5pree»2tthen erfd^ien , it)r
enthufiaftifd) jujubetten nnb ber SSett ihr Entlüden in
fchmungreichen SBorten fünbeten?
Sntereffant ynb lehrreich ift eS, »vergangenen Seiten
an ber §anb atter Seitungen nachjugehen. SERit un»
mittelbarer Srifdje noch hatten fie Sinbrücfe feft, bie
tängft oermeht unb Oertebt finb unb auS ben alten
93tättern hoch mieber aufteben mie mit frifc^em Dbem.
Verjüngen mir benn bie SBett unb unS mit ihr für
eine turje ©tunbe unb teben unS um jmei Sahrjehnte
prücf in bie Sßergangenljeit!
3m lebten SSiertet be» 3al)re§ 1860 burfte fitfi bie
©tabt ber ^nteüigenä, wie man bie £auptftabt ißreu=
f?en§ mit fftecfjt genannt, be§ 23efi£e§ zweier italieni=
fcfjer Opern erfreuen. Sie Sorini’fdje ©efedfdjaft im
2Sictoriatf)eater mit Sefiree Slrtot al§ ©onne unb
SJiittelpunft , war ben berliner SJtufilfreunben fcfyon
feit ber lejjtbergangenen ©aifon lieb unb Pertraut ge=
Worben. Sie @efellf<f)aft 2)terelli’§, bie, inbefj bie
beutfdje Oper feierte, im föniglidjen Opernljaufe ifjren
©i| aufgefd)lagen b»atte, fonnte trot> it)re§ ariftofrati*
fdjen ißobiuntg nidjt entfernt mit jener riüalifiren. Sa
fünbigte bie Sirection mit 9toffini’§ »Semiramide« ba§
Auftreten einer Slltiftin Pom töniglid^en Sljeater in
SCUabrib al§ SIrface an, „Weldje alle§ bisher (5Jeb)örte
weit ijinter fid) laffe.“ „@emirami§“ — behauptet
Srnft ^offat, ber pifante ißlauberer in ben „Signalen"
— „@emirami§ War nie eine SieblingSoper ber 93er=
liner ; aber eine tüchtige Slltiftin lann fie bi§ an bie
Pforten ber IpöÖe loden. Se fdjnurrbartiger bie
Stimme in ben tiefen Sljorben Hingt, befto rafenber
tobt ber SBeifaß, befto meljr Wütfjet ba§ SSolf Por @nt=
Juden."
Unb fie lam , bie ©epriefene. 3elia Srebelli
nannte fie fiel) ; bocf) Ijatte mit biefem iljrem welfdien
tarnen if>re Slblunft rticf»t§ gemein. ffranjöfifdjer
©Hern ®inb, ju ißari§ im Saljre 1838 geboren, fyatte
fie burdj Umleitung ifjre§ Familiennamens ©illebert
(nur mit £>inweglaffung be§ 21nfang§bud|ftabenS) ib»ren
®ünftlernamen gebilbet. klingt er ftjmbolifcf» an «tres
belle« an , fo ftrafte bie ©rfdjeinung ber Sängerin
biefe ©pmbolil reicht öiigen. ßweifelloS tjatte it)r bie
Statur bie üünftlerlaufbal)n oorgefdjrieben. Stur tjatte
3elia, mufilalifd) in feltener SBeife beanlagt unb bie§
in aller Sriifje befunbenb , if)ren $8entf junädjft im
w
©laoierfpiel gefugt. Scpon erntete fie mit fecpjepn
Sauren ipre erften belangreicpen ©rfolge am ©laöier,
afö i£)r SJleifter ptopticp in iprer Sepie einen nodp
größeren ©cpap afe in ipren funftfertigen tpänben ent*
becfte. SSier SSapre ber Sepre bei grancoiö SBartel in
ißarig ftatteten fie mit bem tecpnifcpen Stüftjeug ber
Sängerin aug, unb im 3apre 1859 empfing fie auf
bem ÜOtabriber föniglicpen Speater bie SSüpnentaufe.
Seine (Geringeren al§ SDUtrio unb bie (Grifi üertraten
'$atpenfteüe bei iprem ©intritt in bie Sunftmelt; botp
erfolgreicp bepauptete fie fiep in ber gefäprlicpen Sllacp*
barfepaft ber berüpmten (Gen offen. Sem erften Sebüt
im »Trovatore« folgten bie Partie be§ ißagen in ben
„Hugenotten“, bie Siofine im „SBarbier“, »Cenerentola«
unb Drfini in „Sucrejia" mit ©rgebniffen, melcpe ipr
alle 2Bege öffneten. Unb ipr erfter SBeg füprte fie aug
bem fepönen ppantafiereiepen ©üben pinauf in unfern
oom füplen SSerftanb beperrfepten beutfepen 9?orben,
oon ber fonnigen ©tabt am SDIanjanareg an bie nücp»
ternen Ufer ber Spree. Sa mar fie benn !
23on norbbeutfeper Süple unb -Jlücpternpeit fpürte
bie frembe Signora gteicpmopl menig. 5Dian beraubte
fiep im (Gegentpeil OöIIig an ipren Sönen, unb niept
fparfamer alg jenfeitg ber ißprenäen bie p einblütigen
Spanier fpenbeten ipr bie berliner Sanf unb Stpplaug.
„Sa8 ißublifum überfepüttet bie neue ©rfepeinung mit
93eifatt“, piep eg fepon naep iprer erften Seiftung alg
SIrface. SJIan begrüßte in ipr „eine ber peröor*
ragenbften SUtiftinnen , eirtS ber reiepften Säten te ber
(Gegemuart.“ „Spr brittepalb Dctaoen umfaffenber
©ontraalt“, lautet eine ^Berliner ©orrefponbenj ber
„Signale", „imponirt gleicp beim erften Soit burep
üppige güüe unb blüpenbe (Gefunbpeit. ben t>er=
fepiebenften Sagen geporept bag Drgan, opne auep nur
M
239
bie geringste 2tuftrengung ju oerratfjen, bie Intonation
bleibt ftet§ glocfenrein, aucf) nidjt ba§ leifefte Tremolo
trübt bie ttare Tonftut — unb mit fo überfc£)Wäng=
licken Mitteln berbinbet bie Sängerin eine ungetoöf)n=
ticEje bramatifclje ^Begabung".
@twa§ jurücflfaltenber äußert ®offaf : „Qn gittte,
Umfang^ unb Timbre be§ Drgan§ ift 2lf)niicf)feit mit
ber 2lrtbt oorfjanben, nur ift teuere ber Trebelti an
Temperament unb 33üt)nenerfaf)rung überlegen. Tie
2trtöt weifc, baff eine ®ünftlernatur in ben widftigften
Momenten juweiten alte§ magen mufi um aße§ ju
gewinnen; bie TrebeHi ftef)t noef) mit einem gufj
am ißiano if>re§ üDtaeftro unb fingt metjr concert*
mafsig, tjödjft correct, aber noct) ein wenig grün im
2tu§brmJ. Tocf) fefjlt e§ nietjt an gtücEticf»en SDtomen*
ten, in benen fidf bie einftige Steife unb Süfjigfeit be§
23ortrag§ atjnen läßt".
Stäubern bie (Gefeierte als Stofine in Stoffini’S
Steifterwerf ben Stufjrn ifjreS erften TebütS nod) mädftig
gefteigert, lefen wir aus berfelben geber in ber „9Jlon=
tagSpoft" : „Ter SSorratf) ber jur Verfügung ber
geuiltetoniften ftebjenben ßobfprüc^e ift erfctwpft, mtb
fcf)on brotjt bie ©efaf)r für einen unüorfidjtigen Sdjrift*
ftetler, ber StacEie einer großen unb obenbrein einflufs=
reifen Partei ju oerfallen, wenn er baran ju erinnern
wagt, bafj noef) nietjt alles in bem (Sefange ber reijen=
ben Ä'ünftterin fertig entwicfelt ift unb einige (Stjren-
bejeigmtgen für bie SSotlenbung anfjufparen feien.
2Ber aber wollte ben SDtufiffreunben, bie fiel) am ©e=
fang betagter SSögel mübe gefjört ffaben, bie fjreube
oerleiben, if)r ötjr in biefem Silbergeriefet füffer Töne
ju haben, baS olfne Dual ber Stnftrengung unb ber
Steflepon in bie anberen, trüberen Stimmen unb 3n=
ftrnmente rinnt, Wie ein reiner SSergqueü in einen au
Sfr — 4^
240
allerlei ittieberfditägen reichen Strom ? Diefe ruhige
Stage ber ^otben Stimme, mie fie fetbft burdf bie
heiterften SCtcetobien Hingt, ift ber mächtige Sauber ber
Drebetti."
gmmer üerhängnifjüolter aber übte biefer Sauber
üon SBodfe ju 2Bod)e feine ÜD!ad)t. „SDtan ffnett nid)t
mehr l’hombre" — fpottet Sofia! über bie itatienifdfc
Sranffieit — „man ifft nicf»t metir einen Keinen |>afen=
braten, man fpricfit niefit metir üon ißotitif ; man muff
mit ber grau unb ben Döcfitern in bie itatienifdje
Oper getjen unb reben bi§ in bie 9?adft üon ber itatie*
nifctjen Dfmr ! geh fage glfnen, e§ Reifet in Berlin :
»Trebellum omnium contra omnes«. Sie Senner unb
Sunftfreunbe an ber Stifte, ift bie gaf)lung§fäf)ige
SBeüötferung fortmätfrenb untermeg§ nadf einem ber
beiben Stfeater unb über nicf)t§ toirb fo üiet gebrochen
at§ über bie Stbatgifa ber Strtbt, bie itiorma ber Sa*
grange unb bie Stjucena ber Drebetti. Seit gennt)
Sinb üon ben 23rettern gurüdgetreten unb ben $ßia=
niften ®otbfd)mibt geheiratet, haben mir feinen ahn*
ticfien mufifatifdjen ißaro;rismu§ erlebt."
@enug, mie meitanb ba§ hei^9e römtfdje fReicE) in
©hibettinen unb SSetfen, fo fpattete fid) je|t ^Berlin
in gmei ^eertager, auf beren Bannern „ipie Strtbt ! " unb
„§ie Drebetti !" gu tefen ftanb. Denn für ben Stern
Sorini’g ober 3Jieretti’§ brach geber, fo tauge ber itatie*
nifc^e Sängerfrieg mährte, feine Sange. Dabei fc^metgte
man f)ier, man fdfmetgte bort, hüben unb brüben ging
man molftig auf im ©enufj am frönen Stange.
@rft mit ©nbe be§ gaf)re3 gog ^Beruhigung ein in
bie aufgeregten (Semütfier. Die Sorinianer gmar be*
hauf»teten noch länger ba§ getb, bod) SDieretIi’§ (Mefett*
fd^aft befdftoff ihre Darbietungen, gn einer SDiatinee
im Dpernhaufe geigte fich ©ignora Drebefti gunt teütcn
ßa 901 ata, «StuMcnföpfe. V. 241
1(>
Ü0lale, unb matt regiftrirte gemiffenpaft 84 23ouquetS,
bie ber „bom ißublifum als Ginget öere£>rten" Sängerin
ju Süfjen flogen.
Spre näcpfte §auptftation mar ißaris, ipre §ei=
mat. Sin ber italienifepen Dp er bafelbft lief; fte fiep
für mehrere SJloitate feffeln. ©in glänjenber Srfolg
Btiet» auep pier nicEjt aus ; boep mar bie Semunberung,
bie man ipr jollte, feine ganj ungetpeilte. hinter ber
germanifepen 33egeifierung blieb bie romanifepe jurücf.
„Sie pat" — fagen Suttner’S „^ßarifer Sfijjen"*) —
„eine fetjr fepöne Stimme unb ift eine angenehme @r=
fepeinung. Slber mir fönnen niept in ben berliner
(SntpufiaSmuS einftimmen. Sn ben popen Sagen läfjt
ipre Stimme ju münfepen übrig nnb über ipre Schule
märe autf» mampeS ju fagen.“
Sn boHer Übereinftimmung mit ber berliner be»
^eugt fic£) bagegen bie Seipjiger ®ritif. Sie gipfelt,
al§ ÜDleretli’S Xruppe mit iprer tpelbin im SHai 1861
bie alte ÜDlufifftabt befugt, in bent geugniff : „Sräu»
lein Srebelli beperrfept bie ganje GSefangStecpnif als
tioßenbete SDieifterin“. Stucp 93reSlan, ®reSben pul»
bigen ipr gleicpermeife, unb als berSSinter 1861 mie»
ber feinen ©injug pätt, pat Berlin auep feinen Sieb»
fing mieber. SDtan finbet, baf? „bie Stimme an Sßeicp»
peit, Scpmelj unb Süfiigfeit noep erpeblicp gemonnen“
pabe; niept nur in 35epanblung beS piano unb mezza
voce, fonbern in „allem Xecpnifdpen überpaupt" nimmt
man einen bernerfenSmertpen Sortfcpritt mapr, unb
bennodp miß fiep baS DpernpattS bieSmal nur mäfsig
füllen, ber 23efucp bleibt ein fpärlicper ; niept fonber»
liep gaftlicp §eigt fiep jept SSertin feinem bermöpnten
Scpofjfinb. Serrancpt, mie Stropfeuer üerflogen ift
*) „Signale", 1861.
te.
242
w ^
ber üorjätjrige @ntf)ufiaSmuS. $runt fc^erjt audj
Soffaf : „®aS junge, mufifatifch trefflich gejaulte unb
üon ber dlatur reich auSgeftattete SBefen war in ber
lebten Saifon ber Abgott ber fcdfeggirenben weiblichen
Sugenb, ber tugenbljaften äftfjetifchen ÜDiütter, ber ge=
müti)lid)en ©reife üon gutem ©efchmacf. ®ie Sünber
üerweigerten ber ©d£)önt)eit ihrer Stimme, ber (£or=
recffjeit beS SortragS nict)t ade Slnerfennung, aber fie
üermifjten eben jenen weltlich fünbfjaften Slnflang
beS Organs, ohne ben es nun einmal feinen Stern
erfter (Sröjje in ber Söühnenfunft giebt. ®ie liebliche
Signora ift mit ihrem gejammten ^Repertoire Wieber*
gelehrt, eS fehlt baran nicht eine ÜRote, aber eS ift auch
feine -Rote hinjugefommen, itnb baS befrembet unferen
dRitbürger."
fperber unb unoerblümter tautet ber Spruch ber
Sritif, al§ ßelia Xrebedi, nachbem fie im fferbft 1862
nochmals in Berlin gehört Worben war , erft nach
längerer ißaufe 1865 baljin jurücff ehrte. „®ie Stimme
hat nichts üon ihrem Sdjmelj unb ihrer jfüde üer=
loren, ihr ©reScenbo unb 2)ecreScenbo befiid benfelben
finntichen gauber tüie früher, ihr ißiaito bie gleiche
einfchmeichelnbe Süfsigfeit. SSerfagt aber ift ihrem
dRunb, bem fo~üppiger Sßohttaut entquidt, nicht adein
bie Sprache ber Seibenfdjaft, fonbern felbft ber reine
dlaturlaut wirfticdjer ©mpfinbung.“ — fpatte man fich
gleichwohl nicht für fie, ber man jetjt fperjenSWärme
unb SBefeeltheit abfpracf), bie hoch bem £one erft fein
befteS Seben leihen , üor wenigen Sahren ooheSu bis
jur £runfenf)eit erhi|t?
Snbeffen hotte bie Sünftlerin auch an anberen
mafjgebenben Stätten für SluSbreitung ihres dtuhmS
geforgt. 2Bie fie ficE) in ben fpauptftäbten beS Weft=
liehen (Suropa, in ißaris, 2lmfterbam, Trüffel, unb
243
16*
¥
fpäter 28ien Kränze minben lieh, fo fam fte 1862 and)
nach Sonbon unb gemann fiel) in Her Majesty’s
Theatre, inmitten einer ©efetlfcfjnft, meldje bie 9?a=
men 'XietjenS , ©rajinni, (Siuglini tc. aufzumeifen
batte, einen unmittelbaren unb DoIIftänbigen (Srfolg.
Sbt 2)ebüt tnar baS (Sreignih ber ©aifon. 2IIS fie im
nädjftfolgenben Salme mieberfefmenb, an fetber ©teile,
mit ber 2lrtot, ber ‘SietjenS, ber 2Hboni — beren
Nachfolgerin fie tnarb — im Punbe, ihre Kunft Ieud}=
ten liefe, fam fie als junge Stau : it)r (College in Her
Majesty’s Theatre, ber Xen orift NIeffanbro 23 ettini,
mar injmifiben itjr (Satte gemorben. 21m 9. SJtarz
1863 in ber ^ircEje St. Roch ju Paris mürbe fie ihm
angetraut. Sfmern IpeiratScontract miberfitbr bie 6f)re,
Don fRoffini eigenbänbig mit unterzeichnet ju merben,
unb mit bem alten ©chman Don Pefaro mobnten jabl*
reiche fünftlerifd)e unb literarifdje Notabilitäten ber
Permäf)Iung ber gefeierten ©ignora bei.
Pereint fammelte nun baS ©ängerpaar in allen
£intmelSgegenben unfereS SBelttfjeilS (Solb unb 23 eh
fall ein. §eute in Nom, morgen in äöarfdjau, bann
in Petersburg, Kopenhagen, PtoSfau, Paris, Sonbon,
bulbigten Peibe bem fahrenben ©äugertbum. SSie
ßelia Trebedi fchon früher in Perlin , mo man ihr
gleich bei ihrem erften Pefitche Ueffeln anjulegeit oer=
fudjte, fich mit ber liebenSmürbigen Srllärung flügel-
frei zu erhalten muhte, bah fie fich für ben ebeln beuh
fd)en (Sefang noch nicht reif genug fühle, fo führte fie
auch mit ibimem (hatten gemeinfam ihr ÜBanberleben
meiter. 21m beftänbigften noch fettete fie fich an S°n'
bon, mo fie nachmals auch anfäffig mürbe unb fich ein
eigenes §auS ermarb, baS fie gegenmärtig and) als
SBittme bemohnt. Sn Her Majesty’s Theatre —
SonbonS zweiter Dperrtbübne, bie fidj Zu ‘)e,n avifto*
M
244
fratifdjen Coventgarden wie Unter» junt öberbaitS
»erhält unb, Wäljrenb jenes in erfter Sinie bitrd) erfte
23irtuofenfräfte glängt, in einem oielfeitigeren, and)
bie beutfdje öfter mehr berüdfiddigeuben ^Repertoire
if)re Starte fndjt — t)örte man fie 3at)r unt Sa^r.
SBie bie ißatti unb Succa ©tr. ®tje nnb feiner Royal
Italian Opera, blieb bie Srebelli neben Sljerefe Siet»
jene, ber fid) fpäter SCiriftine SRilSfon als erfter (Stern
gefeilte, ©er. ©laplefon nnb Her Majesty’s Theatre
treu. 2lucb als ein 23ranb baS alte tpauS (1869) in
Ulfdie legte, tbeilte fie baS Snterimifticum ber Oper
im St)ceum»Sbeater unb Drurylane. Sie wibmete ifjr
bis ju i|rer 1882 erfolgenben SSerfcbmeljung mit
©pe’S S3übne beftänbig tljre ®raft unb ging nun erft
an bie teuere über, wofelbft fie bereits 1881 nebenher
tbätig gewefen war unb unter anberent ©ubinftein’S
„Sämort“ mit aus ber Saufe gehoben hatte.
öb auch hinter bem Sreigeftirn ißatti, ©ilsfon,
Succa, baS in ber italienifd)en unb franjöfifchen öfter
noch immer bominirt, erft in ^Weiter ffteib)e genannt,
an Stimmreij Wie an SluSbrudSgewalt unb mufilali»
fdjer (Eigenart gegenwärtig mehr benn jemals jenen
nad)ftef)enb, behauptet fie hoch innerhalb ihres eigent»
liehen (Gebietes als Stltiftin unangefochten ben erften
9tang. 211S Wir fie im ganuar 1874 gelegentlid) ihres
Ullmann^SelbjugeS in Seipjig hörten, fiel unS, wir
bürfen eS nicht Perhehlen, bie nicht fonberlid) pornehme,
etwas materialiftifche SBeife auf, in ber fie ihr noch
immer fonoreS mädjtigeS örgan behanbelte. 2tud)
ihrem SSortrag war ber ihr ehemals nachgerühmte
feine (Sefdpnad, baS eble ©Zafj, baS ihn auSjeid)'
nete, abhanben gefontmeit. Sem Sffect, ben fie fonft
uerfdjmäbte, fcbjien fie jejjt nadjjitgehen — mit einem
Sßort: if)re ®ef)le bünfte nnS mufifalifcher als ihre
... ^
245
r
(Seele. Uttb bennod) fetten wir un§ öergebenS nad)
einer Rnberen um, bie, tute einft feitet (Trebetti an
ber großen Rtboni Siebte, fo an itjre Stelle ju treten
berufen Wäre. 28o Wäre bie, bie fie ju erfeßen oer*
möchte?
(Sine nom Iteinen F bi§ jum jtoeigeftricEjenen A ju
feftöner Kbenmäßigfeit ausgeglichene Stimme üon
eigenti)ümticf) fatter Rttfarbe, bereit treffliche Schute
itjrer Krtjattung ju ftatten tommt, eine fettene (8ir=
tuofität, unfehlbare Reinheit ber Intonation, baju
bramatifdte (Begabung : baS ift ba§ reid^e fünftterifefje
ÜRateriat, mit bem bie Sängerin bauernber unb uit*
begrenjter ats bieS gemeinhin bei ihren Kolleginnen
ber Satt ju fein pflegt, fdfattet unb waltet. Kitt
äufjerft mannigfaltiges Repertoire, baS, ber tragifcften
Wie ber fomifchen Oper gleidjerweife gerecht werbenb,
bie Ramen Kimarofa, Roffini, SDonijetti, (Berbi, Rio*
jart, SBeber, StotoW, Rteperbeer, Kounob, Xhoma§,
SBiget umfdjließt — bie (Titetrotte in „Karmen“ bitbet
einen ihrer neueren (Triumphe — macht fie, wo immer
fie einfehrt, jum witttommenen (Büfinengaft. Künft*
lerifche (Bertegenlfeiten bereitet fie Wot)t nie ; wo aber
Rubere fie bereiten, ba leiht fie gern hütfreid) itwc
(Tienfte. So trat fie einmal in Riga, wo es am (Tenor
fehlte, ats ©raf Rtmaöiöa, in Rewcaftte ats (Tamino
in ber „ßanberftöte", in Sonbon in ber »Traviata« ats
Oaftone ein.
Ruch dts Koncert* unb Dratorienfängerin fterüor*
ragenb, wirfte fie bei ben engtifdjen |>änbet* unb an*
bereu RZufitfeften toietfach mit. Regelmäßige Koncert*
unb Dpern*2öanberjäge unternahm fie unter Sülfrung
beS (Baffiften (BehrenS feit 1876 attjährtich nach Sfan*
binaöien, wo man ihr freigebig (Blumen unb SBeihraudj
ftreute. Sn Kopenhagen, ju beffen gefeiertften Käften
Ift. .
246
w
*
fie gäi)It, trug fie bon ber $anb be§ Königs? IS 77 bie
SOJebaitXe »Litteris et artibus« babon, nad)bent ißr
bor (1876) fcßon ber^önig bon Schweben feinen SSer*
bienftorben, ber Sönig ber -Jlieberlanbe bie große
ÜDlebaitte für ftunft b erließen ßatten.
23erlin, bafelbft fie ficß einft ißren SBeltruf be=
grünbet, unb 5ßari§ begrüßten fie 1878 unb 1880
ft)mpatßifcß Wieber. ©ßrerbietig fenfte bie ®ritif bor
ißr bie SBaffen unb falntirte : „3rau Srebelli ßat im
Saufe ber $toßre nicßt§ bon ißrern tounberbaren
(Stimmflang eingebüßt; au§ ber großen ®efang§*
fünftierin ift aber mit ber $eit aitcß eine bramatifcße
Straft erften 5Range§ erftanben." 2)ie berliner er*
tbärmten ficß wieber für fie, bie einft ißre reicßfte ®unft
genoffen. 2lucß SBien ßörte fie im Saufe ber lebten
Saßre (1877, 78 unb 81) meßrfadß in Dßern unb
Sbncerten.
Sin 23efncß ©eutfcßlanbd fianb neuerbing§ mie=
herum auf ißrem Programm, ba bereitelte ißn leiber
eine ©rfranfung ber ftiinftleriu. 23 tr mürben, bringt
fie ißren ißlan ju glüdlicßerer Stunbe jur 21u§füßrung,
fie bobbeit midfommen ßeißen , moüte fie un§ ißre
fünftlerifcßen ®aben bann nicßt nur im Soncertfaal,
fonbern in ißrer eigentlicßen ©bßjäre, bon ber SSüßne
ßerab reicßen.
247
o uerfdpieben aucp gemeinpin ©efcfintacf,
gungett unb Slnficpten in Sachen ber ®unft
Wie in alten Singen finb, auf bie grage :
wetcpeö wopt bie größte ©efangötünftterin,
bereu fiep bie (Gegenwart freue ? wirb man peute nur
immer bie eine Slntwort in Sereitfdjaft paben, wie
au§ einem SDtunbe, Wirb un§ üon 2111er Sippen ber
9iame Stbetinaißatti entgegenftingen. SBer itjn
aber nennt, bem gept e§ wie Sonnenfcpein über §
(Gefiept unb in ber (Srinnerung noep füptt er ben
Räuber, ben biefer Siebting ber Siatur unb ®unft
auf geben, auep ben SBiberftrebenbften auöübt. (£ine
Stimme tion potbeftem Slangreij, üon befeettem Stu §»
brnef unb tiottenbet üirtuofer Scputung ; ein Statu»
reit, ba§ ganj SJinfif ift, ba§ an @epör§feinpeit, an
Stuffaffungöleicptigfeit, an (Sebäcptniptreue unb in»
ftinctitiem Scpönpeitöfinn feinet ®teicpen fuept ; ein
bebeutenbeö barftetlerifcpeö Satent, Scpönpeit unb
©rajie ber änderen ©rfcpeinnng, bie lieben§würbigfte
9rfatiirlicf)1£eit be§ 2Befen§, bem bie tauterfte @efang§*
unb Spietfreubigfeit pell au§ ben Singen lacpt mtb
teudptet: ba paben Wir, fo Weit bürre SBorte ba§
btüpenbe Seben ju fepitbern tiermögen, ein 23itb be§
beftridenben (Sangen, ba§ Slbetina ißatti peipt. SDtan
fragt, ob un§ bie Sängerin, bie Scpaufpielerin, bie
fepöne grau am eigentlidjften gefangen nimmt? ©§ ift
M
251
sr
baS untrennbare fjarmonifcfie ÜMteinanber , beffen
Sßirfmtg wir atS eine überaus i)armonifcf)e empfinben.
SKan ^at 2Ibetina ißatti eine 9tacf)tigatt in Weib*
tiefer (Seftatt genannt, unb in ber Xt)at, fie hat jene
f) ot)e Stufe erreicht, wo altes Stinftticfie aus ber ®mtft
oerfchwuubeit unb biefetbe jur Statur jurücfgefetjrt
fdjeint. 2Bie bie SSöget fingen, bie 93tumen buften,
bie Sterne teuften, weit eS eine 9totf)Wenbigfeit ihrer
9?atur, fo täfst ein innerer füffer Swang i£)ren Sippen
SSotjttaüt entfct)Weben ; fie fingt, weit es it)r SebenS*
bebürfnif?, weit fie muff unb nicht anberS fann. Sn
if)rem ©efang ftingt alte Suft unb Seligfeit auS, bie
fie in itjrern 23eruf empfinbet. SSaS Sßunber Wenn fie
barnit eine magnetifche ®ette um beit |wrer fcEftingt?
Unb wie fouüerän fc^attet fie int S8ereic£)e ifjreS hoffen
fitberf)etten Soprans , ber fief» mit feinem nicfjt über*
großen, aber nnfägticf) fpmpafhifchen ^tang in unfer
Otjr unb §erj fchmeichett. ®aS H in ber Xiefe,
baS breigeftridfene F in ber |)öf)e finb feine ©renjen,
unb innerhalb berfetben giebt es wotjt feine SSirtuo*
fenfünfte, betten fie nicht fpieteub unb mit tädfetnben
Sippen geböte, Sotoraturen unb dritter, Scateit unb
oerwegenfte Sprünge, Staccato unb Segato, EreScenbo
unb SDecreScenbo, atte bpnantifcheit Sctjattirungen giebt
fie, ftetS in unfehlbarer 9teinf)eit intonirenb, in ptafti*
fetjer ißoltenbung wieber, unb iffrefühnen ißaffagen, ihre
cofetten XonarabeSfen btenben ben überrafdhten £>örer
nicht minber als ihn ber Sdfntetä ihrer Eantitene ent*
jiteft. freilich ift fie je|t bie einzige nttb Ie|te San*
gerin, welche noch int oottftänbigen 23efi| ber Xrabi*
tionen beS Ütoffini’fchen ©efangftitS ftelft*). unb nicht
umfonft bejeidjnete fie SS. öon Senj, ber ruffifefje
(Hoffini felbji jlubirte if>r bie Partie ber „6emirami$" ein.
JA
252
■ ~~~~
SJhtfiffritifer itnb 93eetf»oüen=©foffateur, als ben ,,^§o=
gattini ber SSo catöirtu ofität . ' '
Slbelina ißatti ift feine Sängerin im großen Stil,
gür ba§ ^»eroifdje , £od)bramatifd)e warb Weber ißrc
äußere, nod) ißre fünftlerifdfe ißerfönlidffeit gefcßaffen.
2)iefe Heine jartgebaute ©eftalt, bteS lieblicße 2Intlib
unb finblicße SBefen , bieje ßolbe Ieicf)t6efdf»wingte
Stimme unb gefammte fünftlerifcße ©igenart fügen
fidi bem weiten dtaßmen ber großen tragifcßen Oper
nid)t naturgemäß ein, fie oerlangen nadf einer engeren
Raffung unb Weifen ißre ©igentßünterin bielmeßr auf
bie SDarftetlung beS ^eiteren, Sftaiben, auf ßalbernfte
©ßaraftere f)in. ©reift bie reijenbe ®iba in neuerer
3eit mit Vorliebe nacß Aufgaben entfliehen bramati»
fc^en ©eßrägeS, fo entfpringt foldje Sßaßl meßr ber
Saune als bem inneren ©ebot ; baS ftarf Seibenf(f»aft=
ließe, baS Sragifcße, ©ewaltige geßt über i£>r pf»t)fi=
fcßeS unb pfßcßifdjeS Vermögen. @S ftetjt ißr nicßt
woßl an, auf bem ®otßurn übfelßomene’S einßerp»
fcßreiten. Sfire §anb, geraffen bie 931umen aufju»
nehmen, welche ©egciftentng üor fie fiinftreut, oermag
bie tragifdße SBaffe nicßt ju regieren. Sfw« läcßelnbe,
tßränenlofe ®unft fann itnS woßl ergäben unb ent»
jüden, nicßt aber rüßren unb ergreifen. 2)aS 2In»
mutbige beftimmte ißr Statur al§ eigenfteS 9feicß, bamit
fie als Königin barin ßerrfcße. „Sßr ©eitre ift Hein,
bodj fie ift groß in ißrem ©enre“, baS geflügelte SBort,
baS einft bie ©atalani üon §enriette Sontag gefßrocßen,
leibet and) auf ülbelina ißatti oolle HnWenbung. Sie
ift feine groß organifirte, and) feine auf baS Sbealc
gerichtete Sünftlernatur. 9?icßt Wie etwa ißauline
©arcia, !yennß Sinb, mit bem ßeiligen ©rnft beS ißro»
bßeten, ben eS fpoßeS unb £)öcßfteS ju fünben treibt,
erfaßt fie itjre fünftlerifcße SCRiffion. Sie fingt, weil e§
W ' *
ipre 2uft unb Sreube ift, weil fie bie Statur, iprer
fetbft faft unbetoupt, in bie 2lrme ber ®unft gelegt.
Cinfeitig tnie itjre Begabung ift auep ipre 93itbung.
Sie Rotieren Stagen ber ÜOtenfcppeit taffen fie äugen*
fdpeinticp !att unb unberührt ; ja £>an§ticf erjäptt, tnie
er nergebenä nerfucpte, nur ba§ atterbefcEjeibenfte tite=
rarifcpe Sntereffe in ipr p tnecfen , tnie ipr feibft für
bie fepticpte ißoefie eine§ Sßoj’fc^en 9toman§ jegtidpeg
SSerftänbnip mangelte, ©efang unb 33üpne , SBeifatt
unb ©etoinn : ba§ finb bie Stufen , um bie fiep ipr
Öeben au§feptiepticp bemegt. 2Ba§ fümmert fie tneiter?
Slber toopt gerabe in biefer Chtfeitigfeit reifte ipr bie
Srucpt ber SSottfommenpeit in iprer lünftterifepen
Sppäre. SDiit ber ÜDlüpfat be§ Sernen§ unb ber Strbeit
auperpatb berfetben pat fie ipren grajiöfen S'opf nie
ernftpaft befcptnert, ja feibft ba machte e§ ipr bie gütige
töorfepung, bie biefe ppänomenate Begabung in ipre
®epte, ba§ imputfioe ntufiMifcpe SSefen in ipre (Seele
pineinbitbete, teicpt. ©teicpfam non feibft auep eignete
fiel) ipre angeborene gungenfertigfeit, oom mufifalifd^=
ften Dpr unterftüpt, bie Spracpett an, mit benen ipre
Steifen fie non früp an in töerüprung braepten. &e=
fällig bereitete ipr eben ba§ ©efepid: ipre 33apn. SßucpS
fie niept auep fepon burep (Geburt unb Sinbpeit in ba§
ipr natürlidpe Ctement pinein, in bem ipr tnoptig ift
tnie bem Sifcp im SBaffer, bem Sßoget auf bem tßaum?
Stbetina ^Satti ift ein Speaterfinb. Sie 33üpne,
ber ©ttern tnanbernbe §eimat, ift auep bie ipre ; bem
lünftterifepen ßigeunertpum gepörte bie mufilbegabte
Samitie an. Ser au§ Catania in Sicitien ftammenbe
Satnatore ißatti, ber tßater, tnar ein tücptiger Seno*
rift. *) Seine ©attin, bie Stömerin Caterina geborene
*) (Sr ftarf) im 2iugufl 1869 $u $ari3.
Sa
254
¥ “ "
Kfjiefa, Warb unter beut bauten itjreS erften (Satten
töartUi at§ Sängerin in Italien fo gefeiert, baff fie —
Wie |>an§tid in feinen Ifier mannigfad) benähten 30^it=
Leitungen über Slbetina*) erjäfjtt — fogar bie Kifer=
fucf)t ber (Srifi rege machte unb biefe nief»t wieber in
berfetben Stabt mit itjr auftreten wollte. üJtufifatifd)
waren alte ibjre Sin ber. Sie ältefte Softer Amalie,
bie nadfmatS ben Smprefario Strafofdf heiratete, be=
fajf eine fcEjöne, ilfr leiber nur ju halb oertoren gelfenbe
ÜJtejjof obranftimme. Sie jWeite SdfWefter Sartotta
bitbete ficfi jur Statoierfpieterin au§. Srft fpäter, nadj=
bem man audf in if»r einen Rolfen Sopran entbecfte
unb bie ©rfotge 5tbetinen§ fie aufforberten, ilfrem 93ei=
fpiet ju folgen, tiertaufdfte fie bie Karriere ber 8nftru=
mental* mit ber ber (SefangSbirtuofin, at§ Wetdfe fie
aucf) in ben beutf^en Soncertfäten bie 9tunbe madfte.
Ser 93ruber Karto enbtidj warb SSiotinift.
2tu§ biefem (Sefd)Wifter=Srio warb am 10. gebr.
1843 ein Quartett, afö Stbetina um bier Ulfr 9tad)*
mittag^ — fo befagt ba§ Saufjeugniff Sofef Soffaba’S,
SSicarS ber fßfarrfirdfe junt Zeitigen Subwig — ju
SOtabrib, Wo bie Kttern wälfrenb ber itatienifcbjen Sta*
gione fangen, auf bie SBett tarn. 2ln ber ©rjietjung ber
Süngften mufften bie älteren (Sefdfwifter mitfjetfen, als
bie ffamtlie batb barauf nad) 9teW=?)orf überfiebette, unb
faum fünbigten ein trefftidfeS (Sef)ör unb bie fangeS*
tuftigfte ®ef)te SlbetinenS mufifatifdje Begabung an, at§
bie SdfWefter Kartotta itfr im SXabierfpiet, ber ©tief*
bruber Saritti — ein tüchtiger Sänger, ber audf fein
Stieit Oon bem gamitientatent geerbt fjatte — im (Se=
fang ju Selfrern beftettt würben, (Sans fpftematifd),
nid^t fpietenb ober fprungweife unterrichtete ber teuere
*) ÜJtufifalxfcfye Stationen. Berlin, £ofnxann & (Sorap. 1880.
255
<r
feilte Keine Schülerin , bie , ein fünfjähriges ®inb,
fdjon tion uuwibcrftefjfid)er 93cttfif= ttttb Xheaterfitft
Befeffen war. geben 2lbenb, fo oft bie ÜDiutter fang,
fafj fie in ber Dper. „gebe ÜDiefobie, jebe ^Bewegung",
ergäbt fie, „prägte fidh ntir unöergefjfidj ein. SBentt
icf) bann, nacfj fpaufe gefommen, ju 93ett gebracht tnar,
ftanb ich fjeintfidj tnieber auf nnb fpiefte beim Schein
be§ SiadjtfämpchenS alle bie ©eenen, bie icf) im STfjea»
ter gefefjett, für midj nach- Sin rotljgefütterter fOcantef
meines ißaterS, ein alter geberfjut ber SOlutter bienten
mir als tiiefgeftaftigeS Softiim, nnb fo agirte, tanjte,
gmitfeherte idj — barfuß, aber romantifd) brapirt —
affe Dpern burdj."
„SineS SlbenbS", fo berichtet SlbefinenS 93iograpf)
^fieobore be ®raüe, *) „nach einer 2luffüf)rung ber
„ffforma“, Weldje ben Darfteffern SBeifatt nnb Söfttmen
in güffe eingetragen hatte, macht fid) bie eben auS bem
Xfteater f)eint^e^)ren‘5e Sfbeüna ben Sfugenbficf jtt
ifhttje, wo ifjre gamifie bei ber Sfbenbmahheit tier*
fammeft fi|t, um fief) in baS Zimmer ber Butter ju
fcfifeidjen. f?ier , Wo fie fief) unbefaufdjt nnb fiefher
glaubt, hüllt fidj bie faum fechSjährige kleine fo gut
e§ eben gehen Wifi in ein SSetttud), fe|t fid) eine Krone,
eine alte Dropljäe ber ÜDlutter, auf nnb ftimmt, fid)
öor bem Spiegel feierlich in fßofitur ftetlenb, bie @in=
gangSarie ber fftorma mit bem ganzen @rnft einer
Debütantin an, welche bie 3uhöver in ©ntjüdeit jtt
oerfe|en erwartet, fftad) SBeettbigung ber SIrie fpieft
fie fefber ihr 2fubitorium, Hatfcht fid) ungemeffenett
föeifaff, nimmt fich bie Krone öon ber Stint nnb Wirft
fie fid) fefber Wieber ju, um, inbem fie biefefbe auf =
hebt, bie gragiöfeftc Sßerneiguttg ju berfudjen, mit ber je
Biographie cFA. Patti. Paris, Castel. 1865.
JA
251 >
■^1
eine ®ünftlerin bent ißublifutn banMe. So fih immer
unb immer toieber tierneigenb unb babei mehr unb
mehr zurücfweihenb , erreicht fie ertblicf» bie ©hitr,
hinter ber bie ÜDtutter, bie if)r oerftot)ten gefolgt war,
ficf) tierborgen unb äße ©etailS ber Scene beobachtet
hatte."
gür bie §utbigungen ber SDienge war Slbelina eben
geboren, unb ben SöeifatI, bie dränge, Wethe ber %t--
genftanb ihrer erften ©räume Waren, faf) fie fih halb
genug in SBirMihteit gereiht. Sßann begann je eine
Sängercarriere fo frühzeitig als bie ihre? freilich „ber
ütioth gehorchenb , nidt»t bem eignen ©rieb", trat baS
®inb zunächft in bie Öffenttichfeit hinaus.
©er Smprefario ber italienifhen Dper, welcher
Saltiatore ißatti unb feine Gattin angehörten, machte
Söanferott unb tierfchwanb, ohne bie Shulb ber riicf =
ftänbigen (Sagen ju tilgen. Sn alle SBinbe tierftreute
fih bie ©rupfe. SJtit bem fehlenben (SrWerb aber trat
an Stelle ber früheren SSehaglichfeit halb fftott) unb
Sorge in Saltiatore ißatti’S §auS. „(Sin Stüd nach
bem anbern trug er", fo erzählt ülbetina, „in’S 2eii)hauS
unb muffte manchen ©ag nicht, Wotion Wir am nächften
leben würben. Sh aber tierftanb Wenig tion aüebem
unb fang barauf loS tion früh fu3 Slbenb. ®a würbe
ber 23ater aufmerffam unb geriett) auf ben (Sinfatl, ih
lönnte mit meinem hellen Äinberftimmhen bie Santilie
aus bem fhlimmften ©rangfal retten. Unb ©ottlob !
ih rettete fie auh."
Sieben Salme alt, betrat baS Meine SBunber „mit
ber ganzen Suft unb Unbefangenheit beS ÄinbeS“ in
■Jtew=j!)orf ben (Soncertfaal, unb „eS gab Bulauf unb
93eifatt in Sülle." SSar bie (Soncertgeberin auh uoh
fo Mein, baff man fie auf einen ©ifdj neben baS (£ta=
tiier fteüen muhte, bamit bie Buhörer fie nur fehen
fia SDtara, (Stubienföpfe. Y. 257
17
tonnten, lucir fie noch fo wollig finbifdj, baff man fie
nidjt offne ifjre ißuppe auf bie (Sftrabe f)erau§jubringen
oermodjte: ihre gertigfeit mar Bereits eine fo merf»
mürbig gereifte, bafj fie mit ben fcljmierigften Eotora»
turarien, itnb jtoar juerft mit »Una voce poco fä« au§
bem „93arbier" bebütirte, ba§ fie genau mit benfetben
Verzierungen, mit benen fie e§ tjeute noch fingt, au§=
führte. 2ttt’ bie oerpfänbeten Kleiber unb <Sc^imutf=
ftücfe manberten nun juriict in’§ §au§, unb mit ber
Sorge fjatte e§ ein (Snbe. Ter Schafs, ben bie gütige
Statur in 2tbetinen§ Reifte gelegt, trug in aller grüfje
fcfion reiche ginfett. Sn alten §auptftäbten ber Ver»
einigten Staaten , an ben Ufern be§ mejnfanifdjen
tüteerbufenä, auf ben Slntitfen, an ben $eftaben be§
füllen 0cean§, mo man bie Steine umherführte, fe|»
ten ficE) bie erften ittem^orler Erfolge fort. Slben»
teuer, Eefafjren unb Unbequemtiddeiten gab e§ mät)=
renb biefer Steifen jur Genüge ju beftet)en. Sange
Strecfen ber entlegenen unmirtf)ticf)en Eegenben, bie
3tbetinen§ erfter Sroberung§pg einfchtofj, fonnten nur
reitenb, ju fßferbe ober auf SDtautthieren, prüdgetegt
merben. (Sin furchtbarer Sturm ereilte fie auf bem
SSeg nad) (Suba, unb in Santiago be (Suba unterbrach
ein (Srbbeben, ber üerfjcingnifmolle Vorbote einer ent»
fetstichen ®ataftropf)e, metdje jmei Tage ff>äter bie
Stabt in einen Trümmerhaufen oermanbette, Stbeti»
nen§ Eoncert. Söei attebem bemährte ba§ neunjährige
Sinb, banf ber Sorgtofigfeit ber ®inbf)eit unb ber
gläubigen 3uoerfidjt auf feinen Stern, einen uner»
fchüttertidjen ÜDtutf) ; fobafj, fo er§äC)£t ihr Biograph
be @raoe, „bie Heine §epe", toie man bie tapfere Heine
Sünftlerin nannte, ber nicht eben fehr anfgeHärten
Veüötferung ißortorico§ gerabep at§ ein übernatür»
tid)e§ Sßefen galt.
5fc. M
25S
»y* — v" :
$rei()iinbert Goncerte fjatte Stbetina im Sauf zweier
2Bauberjat)re, ohne Sd)äbigung ihrer aufdfeinenb jar=
ten unb bocf) fo wunberbar etaftifdfen Stimme gegeben.
Stun gönnte man if)r einige 3abre ber Stutze unb 3u=
rüdgesogenffeit, um fid) für ba§ $iet it)rer SBünfdfe :
bie $8üf)ne, oorjubereiten. SSRittlertoeile war SCRorife
. Strafofcf), ein Öfterreic^er, ber atd Gtaöierfpieter nacf
Stew^orf laut, ber ©atte ihrer Sd)wefter unb in ®e=
meinfcbaft mit Uttmann Swprefario ber bortigeit i.ta=
tienifctjen Dper geworben. Gr feilte groffe§ gutrauen
in feine Heine Schwägerin, bie, obwot)t erft fecEi^eljn
Sabre alt unb — Wie fie fid) fetber fcbitbert — „ber
gigur nach noch ein ®inb", bei brennenber %tya\tx-'
paffion unb ohne eine Stauung bon Sampenfieber, nid)t
tanger mehr mit bem Stuftreten in einer Dper warten
wollte. ÜDtod)te fic^ Uttmann aud) junäcbft noch fo
fef)r bagegen fträuben, einer Slnfängerin gteid) eine
£>aubtrotte §u überlaffen (bon ^Weiten Partien wottte
Stbetina nun einmal nidfts! böten): e§ gelang Strafofd)
bocb, bie Siebenten feines Kompagnon^ ju befcbwid)5
tigen, unb am 24. Stoöember 1859 ging Stbetina
Statti’3 Sonne at§ »Lucia di Lammermoor« ifi SteW»
|)ort am 53übnent)immet auf. Sortan war if>r Seben
nur ein großer Xriumbbäug bur<b bieSBett. Stt§ Stofine
im „SSarbier" unb at§ „Sonnambuta" börte man fie
bann noch in SteW=ft)orf. (®ie Stofine blieb übrigeng
bie einzige Partie, bie, taut ihrem eigenen geugnib,
Strafofcf), ben man für ihren erften unb augfcfjtiefj»
tidien Selber bätt, i^r einftubirte, wäbrenb er fid) bei
ihren Steifen in Guro^a barauf befd)ränfte, ihre Stötten
mit it)r ju wieberboten.) SltS „9tad)tWanbterin" and)
erlebte fie, ttacbbem fie ba§ ncidjfte Sal)t auf ©aftfpieH
reifen in 93ofton, ißbitabetpbw unb anberen großen
Stabten ber Union tterbracbt, ihren erften bebeutfamen
IIl •• M
259
17*
(Srfolg auf europäifcber @rbe. 2(m 21benb iJjre§ erften
GrrjcbeinenS auf bem ©oüentgarben^’fieater in Bonbon
— eS mar am 14. SJiai 1861 — bem englifdjen ißu-
blilum noch eine üolßommen unbefannte (Sröfje, „er*
toaste fie am anbern SKorgen Berühmt“, mie meilaub
Sorb 23t)ron. ®aum jeljn Minuten batte bie anfangs
fremb unb fühl Smpfangene auf ber S3üf)ne geftanben,
als baS tpauS bon bonnernbem 33eifall mieberbröbnte,
ber fidj im Verlauf beS SlbenbS noch fortmäbrenb ftei=
gerte unb bei jeber folgenben SSorftellung (and) als
Bucia, SSioletta, .Qerline („®on Suan") , 3?lartt)a, Sto=
fine jeigte fie fid}) mieberfmlte. „Schon bei ber jmeiten
SSorftellung", eS in einem Sonboner ülrtifel ber
„Signale"*), „tnar bie Aufregung fo grof? mie einft,
als Sennt) Sinb unb bie 211boni miteinanber metteifer*
ten.“ „!3br Segato", fcbreibt man meiter, „ftebt bem
Staccato nad) unb öielleidft fingt fie im (Sanjen etmaS
ju biel mit Jftopf* ftatt mit SBruftftimme ; aber ibr 2ln*
fa| ift ausgezeichnet unb ibr XriHer unöergleic^licf).
Sie mirb fcbmerlid) je als tragifcbe Sängerin ejcelliren,
als Iprifcber Sopran aber biirfte ibr gegenmärtig 91ie=
manb ben iRang ftreitig mailen. "
2We tpauptftäbte (SuropaS trachteten nun, fid) ber
neuen ^Berühmtheit ju öerficbern. Siadjbetn fie im
2>ecember 1861 in Berlin, barauf in Trüffel, §oHanb
unb mieberurn in Sonbon — mo fie feit ihrem erften
©aftfpiel bis auf biefen £ag aüjäfirlicf) ben gefeierten
SUlittelpunlt ber Royal italian Opera bilbet — ihre
Grroberüngen fortgefefct batte< marb fie am 17. 9lo*
Oember 1862, faum im Theätre italien evfcbeincnb,
auch „baS lybol" ber ißarifer, bie, ihrer fcfion im ?ftüc£=
gang begriffenen (Proben Sllboni, SUlario, gre^olini
*) 1861, 9tt. 41.
V
.v»
260
altgemach überbrüffig, jid) oott Gntjüden beut Steige
biefer frifdjen Stimme tjingabeit. Stieb bie Segeifte»
rung ber granjofen auch tjiitter bem tjodjgrabigen
Fanatismus ber Söhne SltbionS jurücf, bie einen
eigenen G^trajug , eine eigene ©ampffcfjifffahrt bon
Sonbon nach fßariS oeranftatteten, um bem erften Stuf»
treten if»re§ SiebtingS in ber §auptftabt FranfreidiS
beijuwofpten: über ®attbtütigfeit ber ißarifer burfte
ber festere nicht Magen, mie benn gar batb baS be»
jeidjnenbe Sonrnot courfirte: »Le jeu de la Patti
triomphe de l’apathie du public.«
„Sttan fp rieht nur noch bon Slbetina tßatti", fdpreibt
Scubo, ber befannte SJtufiffchriftftetter, „bon ihrer Sin»
mutt) unb lyugenb, ihrer fd)önen Stimme unb ihrem
wunderbaren SnftinM, ihrer Srabour unb it»ren SDtie=
nen eines bezogenen ®inbeS. Statürtich" — fo geidEjnet
biefelbe Feber baS Silb ber Gefeierten — „fie ift eine
reijenbe iß^fon mit itjrer Meinen ebenfo fdtitanf» als
wohlgebauten Geftatt. SDtettr noch ots Schönheit
gtänjen Geift unb Seben in ihrem Slngefidjt. ^hre
* auSbrudSbotlen $üge finb burth jwei fd)öne, neugierig
btidenbe Stugen erhellt unb baS Ganje bon fchwarjem
üppigem <paar gefrönt . . . 2)iefe Stimme mit ihrem
gtänsenben metattifdjen Ximbre, ber baS £>hr, wie
eteMrifdjeS Sicht bie Singen, trifft, ift bon wunberbarer
Gefchmeibigfeit, unb bie junge Sängerin mad)t bamit
alles, was fie Witt. ®ie biatonifche unb djromatifche
Tonleiter, Slrpeggien alter Slrt, Staccato, bie gefätjr»
tichften Sprünge, ber Triller jumat, ben fie trefflich
borbereitet unb wie einen Sidjtftraht in finfterer Stacht
lang funfetn tagt , alte fünfte ber Socatifation Werben
burch Sräutein tßatti mit tädjetnben Sippen unb ohne
bie minbefte Stnftrengung auSgefüfwt. Sie fingt mit
Feuer, $ug, jugenbtic^er SBärme, bie ben tpörer fofort
*
261
padt unb bienbet. Sie fptelt, wie fie fingt, mit Sühn*
heit unb ohne bie minbefte Befangenheit. Sie ift ftet§
boßfomtnen bei ber «Sache, ihr ©efidft fpridjt fortmäh'
renb unb geigt immer bie ©efühlSnüance, bie gerabe
auSgebritcft merben fott. 2lbetina ißatti ift eine fettene
Drganifation , eine ber reidjften , üietüermögenbften
Sünftternaturen.“'
(Sleicf) ber ißrofa be§ Sriti!er§ hu^bigt ihr auch bw
ißoefie be§ S)id)ter§, unb ©harle§ ©otignt) befingt fie
in bem Sonett:
Es-tu le rossignol, la rose, l hsirmome,
Jeune divinite du ciel italien?
Es-tu l’amour, l’esprit, le charme, le genie,
Etoile aux eclairs, don de lart cecilien?
0 diva radieuse ! 6 musique intime !
Tn nous suspends ä toi dun celeste lien.
Tu portes dans ton eil les pleurs d'Iphigenie,
La gaiete de Ninon et l’eclat de Tallien.
Chante, ö ma Lucia; chante 6 belle Adeline!
Tressaille sous ton lys et sous ta mandoline,
Respire dans ta pourpre et dans ta floraison.
0 brune Adeline! Comme Venus la blonde
De la pointe du pied boit l’ecume de l'oncle,
Tu sembles une fleur qui boit une chanson.
2lucf) in Sßien, Wo bie »divina Adelina« int gebruar
1863 eintraf, um mit SQJeretti’g ö^erngefettfdEjaft bie
gum 9Jtai im @arltf)eater gu gaftiren, graffirte, wie
überall, wo fie fid) geigte, gar batb ba§ „ißatti=3ieber".
2Sar man bon oornherein auch über bie gubringlicbe
2Irt ber 9tedame miffgeftimmt, bie burdh riefeugroffe
2tnfd)taggettel unb mit 2Ibetiuen§ ßbnterfei honbetnbe
tpaufirer, mit hellen 'Srompetenftöfien auf ihre (Srfdfei*
uung borbereitet hotte ; moquirte man fid) auch tt>eib=
Ii<h über bie 93equemli(f)feit „ber Keinen ißatti“, bie,
. . *
um fidj bie Süiühe ber groben ju fparen, ftets Schwa*
ger Stratofeh barin für fid) fingen unb batb Stmina,
halb 9tofine, halb Sncia ober Merline an if»rer Stelle
fielen liefe; befannte man auch unumwunben : „au§
ber £iefe fommen ifere ESone nicht unb bringen bafeer
auch nicht in bie £iefe" — ber „ißatti*Schwinbet‘‘ trieb
nicht miitber an ber Sonau at§ juoor an ber Xbentfe,
an ber Spree unb Seine feine Sötüten. Sa wenig
fehlte, fo hätte ber 6ntfenfia§mu§ ber SBiener bie jartc
2)iöa um’§ ßeben gebracht. 2113 fie einft, nacfebem fic
at3 gute fatfeotifcfee ©feriftin bei einer SDteffe in ber
2tuguftiner!ircfee Soto gefangen, in iferenSBagen fteigen
Witt, finbet fie fid) ptöfeticf) bergeftatt umbrängt, bafe
fie mit jerriffenen Steibern unb ofene ihren in ben
£>änben ihrer SSereferer jurüdbteibenben Schrnud, ge*
ftofeen, faft erwürgt unb vertreten, in ba§ benachbarte
ißataig SJiontecncuti flüchten mufe, oor Scfjred faftofen*
mächtig, unb mehrere Sage taug unfähig auf ju treten.
©in 23ewei§ fettener ©eifteSgegenwart erwarb ifer
um eben jene Seit noch erhöhte Sfempatfeien. 93ei
einer SSorftettung ber „StacfetWanbterin" gefcfeafe e§, bafe
in Sotge eine§ ^tr>ifcf(enfalle§ ba§ Drcfeefter ptöfetidj
au§ bem Xejt tarn. SDa trat 2tmina fcEjnett entfdjtoffen
an ben Souffteurfaften oor, fang ihren ißart ohne
Spiet unb fcEjtug mit ber fmnb fo energifd) unb richtig
ben £act baju, bafe ba§ Drdjefter atSbatb Wieber in
Harmonie mit ben Sängern War. Ütaufchenber Söeifatt
lohnte ber jwanjigjäf)rigen Sängerin für ihre ©apett*
meifterthat, ohne welche bie Scene unrettbar umge*
worfen Worben Wäre.
Sum Sürftencongrefe , ber im Stnguft 1863 in
granffurt a. $01. tagte , tnb man „bie SJiignon ber
ißrimabonnen" ein, ber ©ataüorftettung be§ „tBarbier"
burch ihre SDlitWirfung erhöhten ©tanj 31t tjerteifjcn,
1 JS?
263
w
~^4
unb bei* (£rfte ber berfammeften Potentaten, Äaifer
granj !yofef üon Öfterreidf , ber fie fidj f^äter aucf)
ju feiner Mmtmerfängerin augerfor, gab ba§ (Signal
ju bem fdfallenben Slppfaug, ben if)r fürftficfje §änbe
fpenbeten. !ym fetben 3a^r fang fie aucf) in Surin
unb ÜDtabrib unb eroberte ficf), im Übrigen fcf)on be=
fannte ©tragen jictjenb , bantit neue Sänbergebiete.
£>ocf) wer wollte ihr auf affen SSegen folgen, jeben
ihrer Triumphe bezeichnen ? ©g genügt, ju fagen,
baff man if)r an einem einzigen Sfbenb, bei einer 2lb=
fd)ieb§tiorfteüung in Neapel (1877) mehr benn taufenb
Pouquetg, barunter bie foftbarften, mit Schmucf unb
SJtafereien bewerten , reichte , baff man in Bologna
ihren -Kamen mit gotbenen Settern einer üötarmortafef
über bem £f)eaterportaf eingrub uub fie junt SKitglieb
ber Academia filarmonica ernannte — eine Gfjre,
welche biglfer nur einer grau: SOiarie SCRalibran, bor
if)r loiberfaf)ren toar.
§ezengfiege feierte fie babei fortwälfrenb neben
ben fünftferifd)en, inbeff ifir eigeneg §erj faftunb un=
bewegt blieb unb fie über bie (Schwärmereien ihrer
Verehrer fpottete. Saf; ein befgifdfer Paron, ber if)r
überafffn« nadEjreifte unb auf Schritt unb Stritt folgte,
ohne baff einer feiner fiebeflehenben SSriefe beantwortet
warb, bei ben Sonboner ©ericfjten eine Mage gegen
ihren Pater unb Schwager anftreugte, weif biefefben,
wie er infolge einer coquetten SKpftification feineren*
gebeteten bermeinte, fie in tprannifcher ©efangenfcffaft
hielten, gereichte ihr fehr jur Pefuftigung. 2heater=
finb bom Scheitel big jur ©ohfe, nahm fie bie @m=
pfinbungeit beg fperjeng nur afg ein unterhaftenb
Spiel, unb währenb fie biefe anbere in Stammen
fe^te, fannte fie felber bie Stuben unb Seiben ber
„groffen Paffion" nur auf ber Püfnte. 2lu<h afg fie
k=
Jt
264
aer
am 29. Suli 1868 in Sonbon in ber ©apelle ber 9 te*
bemptoriften=2$äter ju Elappam bem Stallmeifter beS
brüten Napoleon, SCRarquiS be (£au£, angetrant tuarb,
bem SRitglieb beS $tofeß»©lnbS unb XppuS ber Parifer
»jeunesse doree« fomit ben 23orjug bor bem genialen
fötaler $>ore , feinem feurigen ItRitbewerber, gebenb,
fpratfj nicpt baS £erj, fonbern bie Sippe, ber bered)*
nenbefßerftanb, bielleiept aud) bie (Sitelieit, ber bie pope
Stellung beS ©rwäplten fcpmeicpelte, baS Sa, baS ipre
2ßege ben feinen berbanb. „ÜEReine Xocpter, bu begeht
einen bummen Streif", patte fRoffini, im ^inblid auf
bie beborftepenbe 23ermäplung, wenige Monate öor
feinem £obe ju feinem Siebling gefagt. „(Sine Sän*
gerin Wie bu fann nur einen ®önig ober einen —
Sänger heiraten !“ SReun Sap^e fpäter aber fpielte
firf) in ben Parifer ©ericpten ein Proceß jwifdjen bem
Gfpepaar ab, ber oiel bon fidj reben machte unb im
Stuguft 1877 mit bem SluSfprucp ber Scpeibung enbete.
Ütofine patte mittlerweile ipren 2llmabiba gefunben:
ein Sänger, ber SEenorift ÜRiccolini, opne ben fübelina
patti feitbem nie mepr auftritt, warb nun ber Sönig
ipreS Ifer^enS.
Sie felber pörte amp als SRarquife nicpt auf, bie
Königin ber Sängerinnen ju fein. SP^ ®emapl, ber
Sopn ber ^erjogin bon SSalmp, war ber Swprefario
SlbelinenS. 3Bie früper Strafofcp feinen „©olbfifcp“,
begleitete nun er fie auf ipren beftänbigen Steifen unb
ftricp für fie bie Honorare ein, bie fiep ju immer
fcpwinbelnberer §öpe fteigerten. Sie ergiebigfte (Srnte
pielt fie in Petersburg, Wo fie feit bem Smum* 1869
eine fReipe bon Sapren, abwecpfelnb mit Paris unb
Sonbon, regelmäßig jur Spernftagione fang unb wo
man fie bereits bei iprent erften föefucp feitenS beS
§ofS unb ber Slriftolratie fo reiep befepenfte, baß naep
k
=M
W —
ilfrer Stüdfeljr nad) $ari§ bie gurfdjaufteßung ber
mitgebradften Siamanten unb anberen Sitweten Stuf»
fet»ert erregte. Sfjr Sdjmudfdfrein birgt Slngebinbe
aßer ißotentaten SuropaS, unb ilfre befannttid) aus»
ertefen fdfönen 33rißanten repräfentiren einen fo f)of)en
SBertf), baff fie biefetben wäfjrenb ifjrer Steifen ftetS
unter befonberen gaoti§eiti(f)en Sdfufs ju ftetten pflegt.
Stidjt minber bewunbert man in ißaris unb Wo immer
bie berühmte Sängerin erfdjeint, ben Sefdfntad unb
9teid)tf)um itjrer Soitetten, unb bie Ißatti»@£pofitionen,
welche ber bon it)r befd^äftigte 9toben»Stutofrat Sßortf)
beranftattet, bebor er baS bei it)m SöefteXtte an bie
Sigentfjümerin abtiefert, erfreuen fid) ftetS beS Sit'
tereffeS unb .gutaufs ber frönen SGßett. Sludf baS
SanSfouci, baS fict) Stbetina erbaut : Sdftofj Craig-y-
Nos in SBateS , Wofetbft fie fid) bie aßjäljrlidfe, turj
bemeffene Stutje gönnt, ift mit fürfttidjer tßrad)t anS»
geftattet. @S gefällt if)rer Sänger»äJtaieftät, als toelcfje
fie fetbft bon ben f)öd)ften gefeßfdfafttidjen Greifen ge»
feiert unb umlfutbigt wirb, fid) mit altem Su£uS ju
umgeben.
Sie barf wof)I berfdfwenben, bie fdföne Stbetina,
ift i£)r bod) baS SrWerben fo teicfjt gemacht. Sin in»
biScreter Step orter rechnete ifjr bereits 1877 nad), bafj
fie feit 33eginn ifjrer Sfiätigfeit auf bem Sfjeater fid)
nic^t weniger als 12,500000 Francs erfuugen Ifabe,
unb Weid) reiche (Sotbminen eröffneten itjr nod) bie
testen $yat)re ! 32 Spiet» unb Singabenbe ergaben bei
itjrer testen Steife burd) bie Union eine SluSbeute bon
160 000 SoßarS. Sur bie fedfSmonatticlje amerita»
nifdfe Sonrnee bon 1882 — 83 aber bebang fie fid),
abgefeftett bon aßen erbenftidjen Steifebequemtidfteiten,
at§ abenbtidfeS Honorar 5000 SoßarS, baS finb
2'2 000 Francs. SItS ber Swprefario bagegett jögernb
' . M
266
einmanbte, baff bie geforberte Summe 50 000 S)otlar§
pro tDtonat, alfo ebenso tiiet atg bag ganp 3al)te§ =
eintommen beg fßräfibenten ber bereinigten Staaten
betragen mürbe, entgegnete fie tadfenb : „ÜJhtn, fo
taffen Sie bod) ben billigeren ijßräftbenten fingen !“
2tud) bie fünftterifcfien <$aben, bie fie im gefettigcn
Greife fpenbet, ift fie getooffnt, fid) in fürfttidfjer SBeife
getotpt p fetfen. (Sinem fßarifer banquier, ber itjr
ein foftbareg ©ottier atg Slugbrud feiner Santbarfeit
fanbte, lieft fie fagen, 2trmbanb itnb Dfirgetjänge feien
mof)t aug berfefjen bei if)m prüdgebtieben, fobajf ber .
SJtäcen if)r and) biefe nadjträgtid) p ffrüffen legen
muffte. Sft 2tbetina für itjre Seiftung jebocf» nitfjt ooit
bornfierein einer ®egenteiftung fidfer, fo te|nt fie jeb» i
mebe Singpmuttpng mit itjrem tiebengmürbigften
Säbeln ab. „bringen Sie auch SDfufifatien mit?"
fragte fie ein berliner £>ofcapet(meifter , nadjbem er
itjr eine Sintabung p einem berühmten Später über»
bradjt b)atte. „Sßie gern tt)äte idj’g", lautete bie 2tnt=
mort, „aber id) tjabe rnerfmürbigermeife nur auf ber
bü^ne Stimme, Stufjerljalb beg tXtjeaterS bin id)
oöttig ftimmtog."
£ro£ iljreg uuauftjörtidjen Untermeggfeing muffte
2tbetina fßatti itjr töfttidjeg Organ tior Überanftrengung
ftetg forgtidj p magren. 28ie fie ben £on fetbft im
b)öc£)ften Stffect nie über fein natürlichem ÜDiaff , über
bie (Sren^e ber Sdmntjeit Ijinaug fteigerte, mic fie bem
bramatifdfien Ütugbrud p Siebe fidf nie eine gefang»
tidje Übertreibung geftattete, fo fiat fie and) in anberer
beriet) mtg ftanbXjaft jebem .ßutiiet gemehrt, „bciemals
in meiner Karriere“, äufferte fie jüngft nod) fetbft,
„tjabe idj öfter atg brei b?at in ber SBodje gcfungcu,
uttb biefer borfidft fdireibe idj meine üieten Satire beg
Qrrfotgg p." ®ie fluge SCRä^igfeit nnb fetbft auf
M
267
Steifen ftreng feftgeljaltene Stegelrnäffigfeit it»re§ SebenS
fant baju, um im 23unb mit einer feltenen @unft ber
Statur iE)r bie Sfugenblichfeit unb (Slafticität ber
Stimme unb ©rfchetnung ju bemahren, ohne melcfje
bie groffe Sängerin eines ihrer mäcfytigften Steije be=
raubt fein mürbe, ©o nahm ihr bie gludft ber 3^it
nichts t)inmeg bon ihrem $8efi|e, nur reifer geftaltete
fidj berfelbe noch mit ben ^sab>ren. 2Bo man fie, mie
in S)eutfd)tanb unb Dfterreid), feit langem als (Saft
entbehrt, fanb man fie allfettig mufifalifcf) unb brama*
tifct) größer gemorben beim Sßieberfehen. 3U größerer
Süße unb Schönheit mar ifjre ©timme namentlich in
ben tiefen tJönen aufgebläht ; merflich gereift mar ihre
ganje ®ünftlerfd)aft. tpatte man 1862 tmn ißariS ge*
fdjrieben: ,,©ie hat mehr errathen als gelernt", fo
ftanb fie gehn 3al)re fßäter auf ber §öhe unangefoch*
tenen SDteifterthumS , eine in ihrer Slrt bollfommene
Srfcheinung. SßaS einft bie fran§öfifc£)e S'ritit fo bitter
an ihr getabelt, maS ihr auch £ine bielbelachte SSoSlfeit
ihres ©öttnerS Stoffini eingetragen — er meinte, als
fie einft feine 9tofinen*21rie mit ©trafofch’S „33erjierun*
gen" oerbrämt fang, bieS fei nicht auS feinem „93ar*
hier", fonbern auS bem »Barbier stracochonne« — :
ber SSirtuofemÜbermuth, beffen fie fich oftmals gegen
ben ©omponiften fcffulbig gemacht, menn fie feinem
SSerf allerlei mißlürliche Schnürte! anl)ing, jetjt mar
er einer gemiffenhafteren Sichtung ber borgefchrtebenen
Stote gemidfen. 3hre Beinen Unarten bon fonft maren
üerfchmunben , unb in ber auSerlefenen Reinheit beS
SluSbrudS fucifte fie fegt ihren beften (Sffect. „@ie ift
fo oollenbet", fcfmeibt ©jarbabt) 1880 mährenb ihres
(SaftffnelS in ißariS (mo man fie nach erfolgter ©<hei*
buug 1879 jum erften SDtal unb mit bem alten ®nt*
jiicfen bon ehemals mieber hörte) , — „bah man bei*
rtafje glauben füllte, fie ermübe ihre 33ewunberer eben
burd) if)re S3olIenbung."
©egeu (Sing nur lernte fid) bie ®ritif alter Sänber
einftimmig auf: gegen bie ©rweiterung beg Stollen»
fad)g, in ber fid) Slbelina ißatti neuerbingg gefiel. So
anerfennengwerffj bag Streben ttad) neuen fielen unb
Aufgaben fd)ien, fo reichte bo«^ it)r Söunfef) : „feine blofse
SSuffa ju fein", ihre SSorliebe für bag groffe tragifdfe
©eure nidjt aug, iljr bie SSebingungen anjueignen, bie
allein jur Herrfdjaft in bemfelben berechtigen. 2Bag
half alle 21rbeit unb ÜDtü he, aller SBiHen^tnang, wo
ihr bie Statur non üornherein ben 5ßrei§ beg ©elingeng
unweigerlich üorentfjalten ? SSerlorene Siebegmüh’
muhte eg fd)einen, wenn fie, ton ber ber Schöpfer aud)
ben leifeften Slnflug Ijeeoifdien SBefeng fern hielt- alg
»Giovanna d’Arco« mit Helm unb §arnifd) befleibet,
an ihr tpelbentf)um glauben machen Wollte. Sie, bie
alg Stoffini’g Stofine, alg SJtojart’g Merline, alg Sucia
unb SSioletta, Storina („Sion ißagquale") unb Slbina
(„Siebegtranf"), alg ©ilba unb 2)inoraf) auch ben faltblü»
tigften ftritiler ju enthufiaftifdfer Sewunberung ftimmt,
fah alg Jungfrau üon Drleang bie SBaffen ber franjö»
fifchen -fßreffe gegen fidj gefelfrt, *) unb ihr ©rfolg fah
einer Stieberlage ähnlich. 311g ©lüira in SSerbi’g ,,(£r»
nani", alg Stalentine in ben „Hugenotten", alg ©ret»
dfen im „Sauft" War fie um wenig glüdlid)er. Sie
fingt, wie Hanglid ung mittheilt, bie jwei leijtgenann»
ten Stollen mit leibenfchaftlidfer Vorliebe — unb ben»
noch fehlt ihr für bie eine bie aug bem Stollen quel»
lenbe Seibenfdfaft , für bie anbere bie Snnigfeit unb
t£iefe haft unauggefprodjener ©mpfinbung. 2)rum
pfliiden fich in 9Jtet)erbeer’g Dper bie Succa unb Sßilt,
in her ©ounbb’S Glfriftine Rilgfon unoergleidflich
reichere unb gerechtere Sorbeereit.
(Sin fanm je oerfagenbe§ ©ebädßniff fteßt Rbelina
ißatti ein Repertoire Don 34 Roßen ju (Gebote, ohne
bafj fie biefelben ju wieberlfolen braucht; benn wa§
fie einmal gelernt, bleibt ihr al§ eiferner Seftanb ju
eigen, ©ie lernt eine neue Roße, inbem fie biefetbe
jwei» breimal leife am Glarner burdffingt ; einer 0r=
dfefterprobe bebarf fie nicht. 2luc£) ihre tägticfien Übun»
gen nehmen , banl ber munberbareit Schulung i tfre§
0rgan§, menig 3eit in Rnfprud) — fie befchränfen
ficf) auf ein l)albftünbige§ @olfeggien»@ingen. Rie
befragt fie ben ©piegel al§ Rathgeber für Übung einer
Riiene ober ©eberbe. „®arau§ h0^ man fid) nur
©rimaffen", meint fie. 3hreit ©efang§part ober ben
Glauierau§pg ber ju fingeitbeit Opern führt fie auf
Reifen feiten mit fid). Rur Wenn fie eine Roße fahre»
lang nicht gefangen, wirft fie oor bem Ruftreten einen
Slid hinein. So erjäl)lt §an§Iid, ber fie in einer
Rufführung Don „®on ißagquale" nach bem erften Rct
in ihrer ©arberobe befuchte, bafj fie plöfslid) mitten in
ber Gonüerfaiion nach einem GIaüierau§äug ber £>per
Derlangte. „@ie fchlägt eine ©teße be§ jweiten Rcte§
auf, fingt leife jwei £acte unb legt ba§ Such, in ber
angefangenen GonDerfation ununterbrodjen f ortfah =
renb, bei ©eite. „2Sa§ War ba§?“ fragte icf). „Ricf)t§.
3>d) tenne bie Oper, in ber id) Dor einem Salfr julet^t
aufgetreten, üoßftänbig au§wenbig; aber Dorgeftern
habe ich, miß ©ie wiffen, bie „Sinba" gefuitgen, unb
ba fiel mir eben ein, baff eine ©teße ber Sinba genau
fo anfängt, wie ein ©ah im ^Weiten Sinale be§
„®on ißalquale"; ich wollte nur ber Riöglid)feit Dor»
beugen, etwa in ein anbere§ Riotiü ju geraden."
$ie3 ift ber einzige Saß einer momentanen Ilnficfier»
ipr— -*
tjeit if)re§ ©ebädftniffeg, Oon beut ich weif; ; er fc^eirtt
mir eben fo fe£)r für biefeg (Sebädjtnif; felbft, alg '
für bie mufifatifche ©eifteggegenwart ber Sängerin ju
fprechen."
2Iud) oon ber unfehlbaren Sicherheit itjre§ ©et)örg,
ber nie getrübten ffteinf)eit ihrer Intonation führt
©anSticf ein charatteriftifdjeg 93eifpiel an. „SJtan gab
in SBien jurn S3enefije ber Sßatti ben „Sauft" oon ®ou=
nob. Stach ^>er „©chmudarie" im britten Stet erhebt
ficf) ein minutenlanger SIppIaug, bem eine üodftänbige
lange Doationgfcene folgt: Oranje fliegen aug ben
Sogen herab, Stiefenbouquetg, ja ganje Stumenlörbe
fteigen aug bem Drcfiefter ju ihr empor; ba§ atle§
wirb in jahttofen SSerbeugungen in Empfang genom»
men unb enblid), alg ber Spectafet fcfton ju erlöfchen
fdjeint, ertönen immer mehr unb mehr Stufe nach bem
da capo ber 2Irie. ®ie ißatti fefet, ohne bem Drdfefter
ein 3eic^eTt ju geben, ben Xrider auf H ein, Oon wet=
djem bag wie an einem 99anb in bie Sejt hin»
aufflattert, — bag Drd)efter fällt im nächften £act ein
unb — fie ftimmen haarfcE)arf jufammen. $>ie ge=
räufdjooöe , ermübenbe Unterbreihung burd) eine
SSiertelftunbe tonnte bie ißatti nicht irre machen in
bem freien 2tnfd)Iageu beg richtigen Soneg.“
2luch at§ Somponiftin ift SIbelina aufgetreten,
©efänge auf italienifcfjen iJept : »II bacio d’addio« unb
»Speme arcana«*) für eine Singftimme mit ißiano»
forte, fowie ein SBaljer für Elaüier »Fior di prima-
vera« würben Oon ihr oeröffeutlicht, bie erfteren auch
juWeilen in Eoncerten oon iljr gehört. SDa tw* Üe
neben italienifdjen, franjöfifdjett, engtifdjen unb fpa=
uifchett Strien unb üütetobien und juweiten, Wenn fie
*) 33rüffet, 6<fyott.
*&=*
271
jr
auf beutfdiem 83oben fang, auch ein beutfdjeS Sieb,
wie Sdert’S ,,Sdw", als liebenSwürbige Sabe jugetheilt.
Sie SiebenSWiirbigfeit i£)re§ fünftlerifdjen unb perfön*
liehen Naturells, baS ift gewifi, f»at nicht jum gering*
ften Sfjeile baju mitgefjolfen, if)r neben ber 33ewun=
berung and) bie Siebe unb 93egeifterung ihrer guhörer
in allen Sanben, bieSfeitS wie jenfeits beS atlantischen
DceanS ju getninnen. SS ift wahr, fie macht bem
fßublifum ben §of. SSoü freunblidjen Sntgegenfom*
menS nimmt fie auf feine Siebhabereien unb <Sc^tt)äcf)en
3tüdfic£)t. @ie will eS gefangen nehmen, unb fo, in
coquetter ©rajie mit ihm in Sriüern unb Sabenjen
plaubernb, btenbet unb berüdt fie eS §ugleic^ unb
forgt, baff mit ben Dlfren aud) bie Singen nicht leer
auSgehen beim ©enuffe. „SJtein ißublifnm liebt mid) ;
ich muff ihm dtfo frocf) auch etwas ju Siebe thun“,
äußerte fie einft ju einem Vertreter ber franjöfifcfjen
Sournaüftif. *) Sin echtes Sheaterfinb, bebarf fie beS
SSeifallS, wie ber Suft jum Slthmen, unb jeber Srfolg
bereitet ihr eine finbliche Sreube. „SebeS Stuftreten",
fagte fie einmal in Berlin, „ift eine neue Prüfung, um
fo mehr, wenn man Oor einem neuen ißnblifum fteht.
SS h^fet fein gatt§e§ können einfeijen, unb ber Slp*
plauS ift nur bie S3eftätigung, bah bie Prüfung wieber
glüdlicf) beftanben Würbe. SSie arm Wären Wir bei
aller inneren SSefriebigung ohne biefe Söeftätigung !"
Sinn bie banfbare SJtitwelt ift ihr biefelbe nicht
fdfulbig geblieben. @ie fchäbt mit §anSlid’S SSorten
in Slbelina ißatti „bie ibeale SSerförberung ber italie-
nifchen Sftufif."
*) Guy de Charnace, A. Patti. Paris, Pion. 1868.
fc — ^
272
— — — -f— «s
dc£) tjatte Settnt) Siitb, bie erfte 9Jteifter=
fängerin, bie un§ Dom Sorbett gelontmen,
nicf)t ju fingen aufgeijört, noclf faßten i£)re
ÜJtadjtigaßentöne int Dffr unb §erjen berer
nriber, bie fie mit reinem Sntjüden fußten, a(§ ber
SSett bie Kunbe üon einer neuen „fdfmebifdfen 9tad)ti=
gaß" Warb. St) ri ft ine 9tiI§fon nannte fie fiel),
unb üon itjrer Sdfönlfeit üerlauteten leine geringeren
SBunber al§ üon ifirer (Stimme. ®ie ganje SBett fennt
rnittlermeile itjren Stamen, unb bag ißublifum jtneier
Srbtlfeite t)at ifftn feinen Storienfdfein gewoben, Ijat
if)ren fünftterifdjen ißrobuctionen frotßodenb juge»
jaudjjt. ,3äf)It fie nidft fjeute ju ben Königinnen
be§ (Sefangeg, beren SEöne fic£) in Solb üertnanbeln
unb 51t beren lüften bie banfbare ÜDtenge freigebig
ibjren 2of)n niebertegt ? §utbigt man nicf»t aßertnege,
wo immer fie erfdjeint, bereittoißig ber fettenen 2Ser=
einigung üon latent unb Sdfönfieit, bie fidf in if»r
uerförpert? ||
Sine gütige 5ee, fo fdfeint eg, fafj an beg Kinbeg
SBiege unb Warf mtb medjfelte bie 2ofe, Wie eg it)m
frommte, Sdßimmeg in Suteg üerfelfrenb. Ober finb
eg nid)t bie hntnberfamften Sontrafte, bie fid) in ilfrem
öeben abfpielen, reifen fid) nicfft bie Sjtreme menfd)=
ticken @(üd§ : Slrmutlf unb Sfteidjtljum, S)unfett)eit
unb 9htf)megglans in ifjrern Sd)idfal üerföfjnt bie
£anb ? SSSertn heute ber ©lief ber gefeierten Sängerin
bont $Reicf)tt)um unb Supg, bie fie umgeben, jurücW
fdfweift jur ©ürftigfeit ihrer öugenb, ba fie bag bittere
©rob ber Strmutf) aff unb mit ihren finbtic^en &'nnft=
teiftungen bie SDätbthätigfeit Srember anfprechenb, ben
®ampf um’g SDafein in aller Srütje fennen lernte, barf
fie wot)t bie freunbtiche Rügung einer t)öf)eren tpanb
banfbar erf ernten, inbefj i£)re ©ruft bag ertjebenbe ©e=
Wufstfein fd)Wettt, baff fie bie Sfjren unb Süter, beren
fie ficf) gegenmärtig freut, ficf) burd) eigene Straft er*
worben , baff fie ber ©reig ihrer eigenen energifcfjen
Strbeit, ilfreg Steiffeg unb Strebeng finb.
iünben füblidfen ©renjen ber ffanbinabifcf)en§atb=
infei, in beut Weinen ®orfe fpuffabt) bei SBejjö, jwi*
fc£) en ben Seen unb Sßätbern Smatanbg, warb £t)ri'
ftine -Jtitgfon am 20. Sluguft 1843 geboren unb in
ber £)rtgfcf)ule auf Soften ber Semeinbe ergogen. ®er
geringe Srwerb beg ©aterg atg Setbbauer reifte für
bie SBebürfniffe ber gamitie nicht aug; itjr älterer
©ruber, ber atg SDorfmufifant mit feiner Seige batb
t)ier batb bort jum Sange auff^iette, muffte bag häng»
tiefte Sinfommen mehren. ©atb fanb er in ber
Scf)tt>efter eine wittfommene ©enoffin. Sin gröffereg
Stücf fannte ®tein*St)riftine nicht, atg, fobatb ber
©ruber bom £>aufe fern war unb fie feineg Snftru=
menteg Ijabfjaft werben tonnte, alt’ bie tOtetobien gu
wieberfwten , bie ihr feineg Dtw mit Sicherheit feft*
hielt. Sie frühreife ©irtuofin oerftanb, ihnen einen
eigentümlich ergreifenbeit 2Iugbrucf gu geben. Sieh
fie aber ihre finbtidtje Stimme erftingen, fo bewunberte
man bie 9teinf)eit unb 5Dtacf)t berfetben, Wenn freilich
auch Sh^füne ©itgfon, ber nachmatg ein parterre
bon Surften ©eifall ftatfchte , ihre erften ©eWunberer
inmitten eineg fcf)tic£)ten tänbticfjen f3ut)örerfreifeg
276
r “■*
fucfeeu mufete. ,ßog ^er ®ntber mit feiner SSiotine
Sefteu uitb Safermärften nacfe, fo gab fie ifem babei feäu*
fig ba§ (Geleite, bie melancfeotifcfeett 2}otfStieber iferer
§eimat fittgertb unb feinem Spiet ifere Stimme oer*
einenb, um ben befcfeeibenen ©rtrag fotcfe improüifirter
©oncerte in bie £>anb ifereS SkterS ju legen.
Sa wollte eS ber gufatt, bafe ein ebelfinniger
Sunftfreunb, Stbüocat Dr. Xornerfefettn, ©feriftine im
SBoriibergefeen fpieten unb fingen feörte unb ben Scfeafe
entbedte, ber in iferer Sefete nocfe t)atb oerborg eit rufete.
©r war nicfet fänmig ifen ju f»eben. SJiacfebem er ficfe
fcfenett bie ©rtaubnife ber ©ttern erbeten, ifer Sinb oon
einem Sacfeüerftänbigen mufitalifcE) prüfen ju taffen,
führte er baSfelbe ber funftgebitbeten SSarottin ßeu*
befem ju, um ben SBertfe feiner ©ntbedung oon ifer
betätigen ju taffen. Sie, bie fetbft efeebem Sängerin
gewefen War, tiefe ifer können bereitwillig ber kleinen
ju ©ute fontmen; fie ertfeeitte ifer ben erften Unter*
riefet. 9tfö fie aber fpäterfein mit ©feriftinenS ©önner
Xornerfejetm überein lam, bafe granj 93erwatb, ber
2)irector be§ Stodfeotmer ©onferüatoriumS, bie Unter*
weifung fortfefeen fotte, foftete e§ feine geringen
Scfewierigf eiten, ben SBiberftanb ber Samitie ju über*
winben. SJlit ÜDlüfee unb ÜRotfe nur waren bie ©ttern,
bereit ftotje Strmutfe ifer Sinb nicfet oon fiefe taffen
wollte, ju bewegen, in ba§ ©tüd beSfetben einju*
willigen.
^artnädiger noefe regte ficfei ifer SSiberfprucfe, als,
nad)bem ©erwatb ba§ Seine getfean , ein 2tufentfeatt
in ber grembe in Stage fam. Sttrcfe wofetfeabenbe
Sreunbe unb SSermitttung bei Sättig ©art XV. oon
Scfeweben gelang eS ber werftfeätigen 53aronin Seu*
befem, bie nptfeigen StRittet feerbeisufdfeaffen. fRacfe
langem Sträuben aber erft gaben bie Sftifefon’S nacfe.
r
Urtb bocf) mußte bie junge Sünftterin jeßt hiuauS.
2BaS Schweben ifjr ju lefjren tiermochte, baS |atte fic .
gelernt. Stuu ging fie rtac£) ißariS, um bort in ein»
jetzigen ©tubien bei SJtaffe unb breijätjrigen ©tu»
bien bei Söartet, bem berühmten (1882 tierftorbenen;
@d)ubert»©änger unb Sehrer ber Srebcßt, ifjre ge»
fangtieße StuSbitbung zutioßenben.
Stafcß unb untierfeßenS blühte ba§ Talent Gßrifti»
nettS auf. „Sie gtief)" — fagt Souis (Snautt in feinem
il)r gewibmeten Stuffaß in ber Revue illustree *) — -
„ber freigebigen Statur itjrer tiatertänbifeßen ©efitbe,
bie, unter ber ©cßneebede eines langen SßinterS
feßtummernb, ptößtieß bei bem ermärmenben ©onnen»
ftraßt erwachen. Snt SIßrit oertraut man ißnen beit
©amen an ; er feimt im SJZai, reift im Suni unb fpen»
bet im £$uti bie gotbene grueßt.“
SBelc^e tierfeßwiegenen ©ebanfen unb ehrgeizigen
Hoffnungen belebten mot)t wäßrenb ihrer 2eßrzeit ben
(£ifer ber fcbjtoebifcEien ft'ünftterin ? 3ergtert ihr ihre
träume baS todenbe SSorbilb Sennß Sinb’S, bie, ber
©totz unb bie greube ©todßotmS, eben auf ber Höhr
ihres StußmeS ftanb ? SBoßt getobte fie fitß in ihrem
Innern, eines SageS als eine anbere $ennt) £inb in
bie StBett zu treten ; aber fie tierbarg bie füßnen unb
heißen Sßünfcße ihres Herzens unter ber ruhig fühlen
Stußenfeite, welche bie Schönen beS StorbenS cßaraf»
terifirt.
2(m 27. Dctober 1864 tßat fie als »Traviata« im
Theätre lyrique ben erften ©cßritt in bie Öffentlich»
feit, ©o feßr bie Stoße ber in’S SDZufifatifcße über»
feßten ißarifer „ßametienbame" mit bem unberührten
feufeßen SBefen ber jungen ©eßwebin in SBiberfprucß
27S-
) 27. ÜKo&em'ber 18S0.
ftanb , fo wenig man ft cf) fetbft öerpeptte , baff ifjre
Stimme, ein poper Sopran, bei aller Sdpönpeit ber
popen £öne, in ber tieferen unb ber StRittettage nocp
ju wünfdpen übrig tief; : ifjr „feetentiofter ©efang, ipr
mimifcpe§ latent" nahmen ben fpörer gefangen, unb
bie Kritif ftanb nicfjt an’, ipr „eine gtanjenbe 3ufunft"
ju proppejeien. SJRoc^te ber aufgepenbe Stern aucp
ttod) mie unter einer Sftebetpütte erf cf) einen; f<f>on fün=
bigte fiep bei ©priftine 9?itöfon eine SCRadtjt be§ 3S5iI=
ten§ an, bie, ftarf, peftig, napeju toitb, tior feinem
fpinbernip jurüdweicpt unb ib>re§ Siegel gewif; ift, ba
fie }u fiegen fiep oorgefept pat.
SSotiftänbiger itocfi at§ ber Srfofg ber Sängerin
war — fo bezeugt (Snautt abo 2Iugen= unb Dpren»
jeuge — ber Srfotg ber grau. ®en einbrucfäfäpigen
SEpeit be§ fßubtifumS überrafepte bie 2Bürbe iprer £>at=
tung, bie fidpere ©teganj iprer ©rfepeinung. 5Üfan
ftaunte ob be§ tabettofen 2tnftanbe§ be§ fdptidpten ®orf*
finbeS, ba§ burep feinertei Ungetenfpeit feine fperfitnft
tierrietp. SDfan bewunberte bie natürliche Begabung,
bie fie fepon tiom erften Stbenb an ben Königinnen ber
23üpne gteidpftettte ; bie — bie Söefangenpeit ber ®e=
bütantin bemeifternb — ficf) be§ f£peater§ mit bem
Sfecpte be§ @roberer§ bemächtigte unb ficf) wie in einem
fdpon unterworfenen 9teicpe bafetbft bepauptete. SRit
Sßoptgefatten üerweifte ber 33ficf auf ben in iprer
jugenbtidpen Sdptanfpeit nocp unau§gebitbeten gor*
men, auf bem btonben §aar, ba§ ipre Scptäfe wie mit
tieptgotbener Krone umgürtete, auf bem weepfetnben
garbenfpiet biefer gtänjenben unb bodp füpten Sappir*
fttugen , bem tion feiner gatte ber Seibenfcpaft um*
büfterten ÜEliunb, ber poep unb füpn ntobeHirten, ntepr
Kraft afö SJbitbe offenbarenben Stirn, ben fdpneeigen
SBangen, bie fetten eine fanfte fftötpe färbte. (£§ war
etwa3 $arte3, Qtefdpneibigeä, 2ttf)erifc£)e§ tu Gfjrifttne
9tit§fon’§ Srfdjeinung, ba§ an bie SIfen, bie Unbi=
neu unb ©treuen gemahnte. Unb war nicht and) %
©efang firenentjaft? Socfenb, üoß bejaubernber ©üffe
— unb bocf) bi§ an’§ £erj hinan?
Sn einer phantaftifdfen fftotfe , at§ Königin ber
3iad)t in SOlogarfS „gauberftöte", jeigte fid) bie fdföne
©chwebin öier SJionate fpäter ben ißarifern junt j$wei=
ten ißtat. Sin 9Iu§ruf be§ Sntjitdend, ungenteffener
Seifaß grüßte gleicf) bei ihrem Srfcfieinen ihre fieg=
reiche Schönheit. „Sßtan glaubte“, fagt Snautt, „ein
übermenfdjticfjes, mit wmtberfanten $auberfräften au§=
geftattete§ Sßefen tior ficf) ju f et) eit unb taufdjte ftau=
nenb ben Srpftaßtöncn ifjrer Stimme, bie fict) rein unb
fieser in für Stnbere fetten erreichbaren tpöhen bewegte.“
©eit biefem 'Jage trat St)riftine -Jtiföfon in bie
9teit)e ber ißarifer $8erüt)mtt) eiten ein. Jag§ jutior
noch foura genannt, war nun ihr ßtarne auf Stßer Sip=
pen; in aßetpimmefegegenben rufenb, btie§ Santa, bie
iaunifdje, mit ooßen SBangen in ihre gotbene Jrompete.
Satb mißgönnte bie erfte SOiufitöütjtte Stanfreid)§ bem
Theätre lyrique feinen gefeiertften ©tern unb gewann
ihn fid) fetbft ju eigen, um mit feiner jugeubtidfen
Schöne ber Opera neue 2tnsief)ung§fraft ju oerteihen.
Salb bewarben fid) Sngtanb *) unb Stmerita, ruffifdie
nnb beutfdje, öfterreidfifche unb ungarifdje ©täbte,
Jäuemarf unb ©fanbinatien, Setgieit unb Spanien
um bie ®unft i£jre§ 93efuch§, unb fie fahen fie äße at§
Jriumphatorin. J)er 9M)m §og ihr twran, begeifterte
Sewunberung 50g ihr tpnterbrein ; fie warb neben
*) Sic trat am 8. 3uni 1867 jum ctjicn Sftat in Her Majesty’s
Theatre in £onbun auf unb fang feitbem fafl afljäijtlid) nneber auf
biefer 23üf>nc ober in £>rurtylant\
& ä
280
— ■ — — — ■ — ■ — »
Abetina ißatti bie gefeiertfte ber jur $eit actiüen
Sängerinnen. „Sie Sage ber Sinb fdjeinen wieber*
jufef)rett, fo oft fie auftritt, fo gefüllt fittb bte Sweater
t>om eteganteften ißubtifum", fdjreiben engtifctje $et=
tuttgett. Ser Referent eines in Snbtana erfcfjeinenben
93Iatte§ aber üerftieg fict) — bejeic^nenb für bte en=
tf)ufiaftifd)e Stimmung jenfeits be§ £>cean§ — ju bem
nicfjt eben gefdfmadootten Sitt)t)rambu§ : „Sie tarn toie
ein tfelter Sonnenftralft unb fiel auf bie Stanfen be§
^ritiferbjergenS toie bie toogenbe SDtufit ferner 2Saffer=
fälle auf ein S3eet jerbrüdter Stofen."
dürften unb (Stoffe ber Srbe legten itjr itjre SM
unb Drben freigebig ju Hüffen unb tfutbigten itjren
fReijen, inbem fie fie mit (Sotb unb (Sbetgeftein fdftnüd»
ten. Saifer unb Könige etfrten if»re ®unft, unb an
ifjren Safein toar fie ein gern gefetjener (Saft. Sn=
mitten aller Sriumpfye, bie fie erlebte, alter Sdjä|se,
bie fie fammette, aber oergafj fie ber Armutf) if)rer
Sugenb, ber befdfeibenen Anfänge itjrer Sünftterfdjaft
nidjt. Sftoe fdjtidjte Epeimat, bie SSertoanbten unb
ffreunbe itjrer fiinbf)eit fucfite fie banfbar toieber auf,
unb bie 2Bof)Itf)aten, bie ifjr einft ertoiefen toorben,
oergatt fie reidftid). SRit ifjrer tunftfertigen Setfte toie
mit itfrer offenen Epanb toar fie immer bereit $u tjetfen
unb bie Stott) ber Armen, Oranten, oom Ungtüd §eim»
gefugten — gteidjoiet toetdjer Station fie angeboren
mochten — nacf) Kräften ju füllen. So f»at fie bei»
fpietStoeife für bie fdjtoebifdjen Armen, für bie engti»
fdjen feanfent)äufer, für bie Abgebrannten C£f)icagoS ,
für bie fßarifer Association des artistes musiciens et
artistes dramatiques, für bie Übcrfctjtoemmten in Spa»
ttien fürftticfje, Summen geopfert. And) au§ itjrett
®ngagement§ pflegte fie nic£)t, toie Anbere in erfter
ßinie eine (Setbfrage ju machen — unb bennod) ftoffen
Sw. - ■■■ ■•*>«
281
W «5
if)r Sölitttonert ju. <Sie braute fie bem Sttamte iljrer
2Baf)l, bem jungen tßarifer Financier EJEugufte ERou*
jaub, bem fte -am 27. SuEi 1872 in Soubon in ber
Sßeftminfterfircfje, unter einem ©Ijrengeteit ber ©ödfjter
ber 2Eriftofratie be§ 8anbe§ ifire fpanb reifte, aE§ 9Rit=
gift su. ©aneben al§ föftlid)fte§ iljrer ®leinobien ben
mafeEEofen, bon feinem Hauet) getrübten Eftuf, ben fie,
bie „norbifcEje SSeftalin", fidj inmitten ber fßerfudjungen
itjrer ftünftterEanfbat)n ju betoaljren gemußt tjatte.
Stirer fünftterifcfien ©tjätigfeit lebte fie aucE) nadj
ifjrer EBermäljtung fort, SranfreicE), bie Heimat iljre§
©atten, tnarb aud) bie itjre; mar e§ boctj aucE) bie
SBiege iE)re§ ÜtuljmS. 2Eudj nadjbem ifjre jat)retange
SBirffamfeit an ber grofjen öfter iffr @nbe erreicht
Ejatte, beEjiett fie, menigften§ für einen ©tjeit be§ Sutj5
re§, iljren feften Slufenffjatt in Eßari§ bei. bEieb
feEbft nadj bem frühen ©ob be§ feinen, EiebenSmür»
bigen SEngufte ERoujaub (er ftarb im EDiärj 1882 ber
EÜtitteEfmnft für bie Sunftreifen, bie fie nacE) allen Epim-
meE§ridjtungen führten.
Qn mannigfacfier (Seftatt gab fie ber SESeEt ®ete gen«
fjeit, fie in iljren Seiftungen ju bemunbern. Sie fang
batb SRojarfS ©onna ©Ebira, (Gräfin unb ©Eiernbin,
baEb SRartlja, Dftljelia unb ©retdjen, ©e§bemona,
ÜIRatljitbe im ,,©elE" <3emiranti§, Sncia, Seonore im
„©roubabour", baEb SRignon, SEEice, bie ©tfa im
„Soljengrin", EBatentine in ben „Hugenotten“ unb EERar*
garita in „SRefiftofete“ ; bie eine iljrer Snbibibuatität
entfftredjenbe 9MEe begreiftidjermeife mit größerer, bie
anbere mit geringerer tßolEEommentjeit. ©ie fRid)*
tung itjrer Begabung ift eine jiemtid) eng umgrenjte,
unb mie einerfeitö ba§ ©räumerifdj*fßoetifcE)e ber ©tfa,
geljt anbererfeit§ ba§ Hoct)bramatifcf)e, Seibenfctjaftlicfie
ber SSateutine über iljr Vermögen, ©e» fiinftEerifdjen
I
Sft- M
Gcrnfteg mtb ©tilg ober entbehrt feine ifirer Sei*
ftungen.
Sind) bei ben großen |)änbet=3eften unb onberen
engtifdjen Oratorien »Stuffüfjrungen Wirfte fie häufig
mit. SSielfacf), and) bei ifjrent SSefud) in ®eutfd)tanb
(1878), tno fie nur Berlin, bie Steidjgfiauptftabt, ten*
benjiög überging, trat fie im Soncertfaat auf, unb p
Wie ungezählten fötalen prte man fie in amerifanifdjen
(loncerten ' ^t)r fBortrag fdjluebifcfjer Sieber pinnt
gehört p ben (Sinbrücfett, bie deiner »ergibt. 3m
gefetligen Greife aud) gefcf»iet)t eg Wollt, baff fie tjier
unb ba pr SSioline, bem in ifirer ®inbf)eit geübten
3nftrumente, greift, ober pr (Guitarre, auf ber fie
ficE) wäprenb ipreg fpanifdjen Slufenttjatteg pr fDtei»
fterin gebitbet. ©djart fid) pr SIbwedjgtung ein firtb*
tidjeg Stübitorium um fie, bie ®inberfreunbin, fo üer»
fe|t fie bagfetbe burd) ifjre fßfeiffunft in Ghttpcfen, bie,
fo Reifst e§, in ber Spat ipre ganj aparten Steife t)at.
gür tebengüotte Stuggeftattung gemiffer brama*
tifcfjer Aufgaben eigenttfümtid) begabt, fjat ©priftine
Stitgfon jeher ber üon if»r bargeftettten Stötten ipren
befonberen ©tempet aufgeprägt unb aud) ba, loo eg
ficfy nicht um eine wirftidje Steufdjöpfung panbette, Wo
Stnbere ifjre SSorgängerinnen Waren , neue , über»
rafcfjenbe ($5efid)tgpunfte entpüttt. @o wirfte (Sou*
nob’g (Sretdjen in ifirer SBiebergabe mit bem ootten
Steij ber Steutjeit, obgteid) eg nicf)t Wie Oppetia unb
pm £f)eit aud) fötignon — welche fßartie ber (£om*
ponift eigeng für fie itmfdirieb — üon itjr ereirt wor»
ben ift. Sitte brei Stollen bezeichnen ben ©ipfet ifirer
Seiftnngen auf ber 93üt)ne ; bie meiften Sränje aber
Würben tpr atg Dpbetia gewitnben.
®en Gcrfotg ber „§amtet" genannten, fdjwäddidjen
mitfitatif(f»en fDcofaif üon Slmbroife Xpomag bei iprer
283
erften 9Sorfüf)rung in ber Opera, am 9. ÜDiärj 1868,
ihren jahrelangen 23eftanb im Repertoire biefer 93ü£)ne
banft biefelbe an erfter ©teile ber wunberbaren 3nter=
pretation ©priftine RitSfon’S. Rn jenem Rbenb trat
fie in ben Benitp ihrer ft'ünfttertaufbapn ein. tpöper
fonnte fie nicpt mehr fteigen, lauter fonnte ber 3ubet
nicht an ihr Dpr bringen ; begeifterungStrunfener fah
fie fiep niemals feiern — niemals aber auch patte fie
ihre gauberfünfte üerfü£)rerifc£)er geübt. RlS Dppetia,
fo fdjeint eS, wirb fie baS eigenfte Rbbilb ihrer felbft
jurüdtaffen. SOlit welcher Rotte auch patte fie ber fie
bewunbernben Rienge ihr 23itbnifj tiefer unb unauS*
Xöfc^lic^er eingeprägt? Talent unb ißerfönlicpfeit ber=
einigten fich pier 3ur öotten SBirfung, um eine in ihrer
Rrt einzige, ibeate unb bocp wahre (Seftatt ju fc^affen,
bie, ©pafefpeare’S fpetbin über bie ®unft beS ©ont=
poniften weit hinaus oertebenbigenb , bennocp ganj
©priftine RitSfon war.
($5anj fie fetber, eine burcpauS eigenartige 3obibi=
bualität, bie fiep jeber ©taffificirmtg, jebem SSergleicp
entjiept, ift ©priftine RitSfon bis auf biefen Dag ge=
blieben. SBeber für baS jöodjbramatifdje nod) für baS
^eitere angelegt, oertritt fie auch ™ ©otoraturfaep
unb als tprifepe Sängerin nur ein fpecietteS, fiep auf
ben engen ®reiS einiger ipr befoitberS jufagenber
Rotten befcpränfenbeS (Benre. Der bei Ruffaffung unb
Durchführung biefer Rotten pett ju Dage tretenben
3nbioibuatität in SSerbinbung mit einer unmittelbaren
©inigung oon (Sefang unb Spiet banft fie ipre $8e=
beutung ats SSüpnenfängerin. 3a iprem (Sefang ift eS
niept bie bottenbete oirtuofe Decpnif, nicpt bie aus
einer ÜRifcpung itatienifeper unb franjöfifcper ©cpute
peroorgegangene Sunft, woburep fie wirft, fonbern
bietmepr bie beftridenbe ©dpönpeit unb eigentpümtidje
& ^
284
Süfjigfeit ihrer Stimme, bie uns fetbft jejst, nacf)bem
if)re gugenbfrifcfie bereits mcrf(icf) üon ihr getrieben,
gefangen nimmt. 3hrem weichen unb ausgiebigen,
babei muftergüftig ausgeglichenen h°hen Sopran,
ber noch gegenwärtig me|r als jwei unb eine £)atbc
Dctaoe bis jum breigeftricbenen D umfpannt, früher
aber noch um einige £öne höher hinauf reichte, ift ein
munberfamer ©fangreij eigen, ein Seefenton, ber ju
ihrer norbifcf) fühlen Statur in feftfamen ©egenfap
tritt. Shr 2wn Hingt an unb für fidj befeeft, toäljrenb
ihr Vertrag mehr non fdjarfem ©unftüerftanb afS üon
(Smpfinbung unb Snfpiration beherrfetjt wirb. So
täufdjt uns bie SBärme beS ©inen oft über bie ®üf)te
beS Slnbern hinweg. ®enn ihre §erfunft auS bem
faften Sforben hot ©fwiftine S^itSfott 51t feiner geit
üerfeugnet. ®aS geuer, baS fie entfachte, hot fie fefber
nie tierfengt; rein unb füfjf, Wie bie Htmofpt)äre ihrer
§eimat, erhieft fie je unb je bie Suft, in ber fie atf)5
mete. SJiag in ber £hat i|re bfenbenbe (Srfdjeinung,
ihre nornehme Schönheit unb Orajie audj nicht auS
Weitefter gerne mehr an baS Sorffinb oon einft ge*
mahnen, baS üftorbfanbSfinb Wirb ©einer, ber fie ge*
hört unb gefehen, jemals in ihr üerfennen ober üer*
geffen.
M
285
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S ift nicht fdfwer, fie ju jeictinen, benn fie
fteift bor mir in greifbarer Sebenbigfeit,
ÜDtarie SSitt, bie grofse JftÜinftlerin. StudE)
Eenne ich fie non innen unb bon auhen, wie
greunbe einanber fennen unb foweit man eine ®ünft»
ternatur, bie im lebten ©runbe bod^ unberechenbar
bleibt, eben Eennen Eamt. 9M)e fielen aber muh man
ihr, um fie ju lieben; auS ber gerne lernt fidfj baS ihr
gegenüber nicht. Sticht ju ben ©rfcheinungen gehört
fie , welche bie Sympathien unwittfürticf) gefangen
nehmen ; nidft bie beneibete Sötitgift ber Schönheit legte
ihr bie SorfeEptug in bie SSiege. StarE , ja über»
Eräftig bitbete bie Statur, ihrer mehr groff atS fein
organifirten gnbibibuatität entfprecheub , bie gönnen
ihrer ©eftalt, unb and ben ausgeprägt reatiftifdfen
Sinien ihres StnttibeS fpric£)t mehr SßittenSEraft als
SlnmutE). ©nergifd) Wölben fidf bie bunften Srauen
über bem eigenartig fchitternben, metanchotifdj btiden»
ben Stugenpaar, unb ein $ug bon Sitterfeit nnb Ser»
achtung fpiett oft um ben teibenfdjafttichen ÜDtunb, ber
bon heimlichen Kämpfen erzählt Wie baS Sluge bon
ungezählten Xhränen. 2Ber ÜDtarie SBitt fieht nnb fie
fingen hört, ber füfjtt eS unfchwer heraus, bah fie ben
ißreiS ihrer Eünftlerifchen ©rohe bitrd) ein einfameS, an
trüben ©rfaf)rungen reiches Seben zahlt, unb nicht alt»
Zunahe braucht man ficf) mit ihr zu berühren, um ge»
M
Sa SJfara, Stufcicntöpfe. Y. 2S9
l'.l
tegenttid) einen heftigen Sluäbrucfj bon SebenStwh bon
benfetben Sippen ju üernepmen, bie ju anberer Stunbe
einen Sonfegen wonnigften 2Bohtftang§ über un§ au§*
Jütten. Stu§ fettfamen @Segenfä|en mifc^t fidb» ihr
ÜEBefen jufammen. Salb parmlog fröhlich, ja heiter
bi§ jur Stu§getaffenf)eit, batb tobeStraurig bi§ jur
Serjweiftung , halb unerbittlich energifcf) unb confe*
quent, batb fcfjtnad^ unb tenffam wie ein ®inb, heute
f)au§f)ölterifd) wie ein ©einiger, morgen mit boßen
$änben gebenb, je|t egoiftifdj, bann aufopfernb, ein*
mal mtbeugfam ftarren @inne§ , ein anbermat ba§
weidjfte ®emütt) offenbarenb — fotct) wunbertiche
SBiberfprüche bitbeten Statur unb Seben in itjr nur ju
einbrud§fäf)ige§ §erj {»itteitt. Smmer aber giebt fie
fidj ganj at§ bie, bie fie ift. Sou ber ®unft ber ge*
feßfdjafttichen Süge unb §eud)etei ^at- fie Wenig er*
lernt, ungefdjminft jeigt fie ihre Steigungen unb 21b*
neigungen. Sw Seben wie in ihrer Sunft trägt fie
ba§ £erj auf ber Bunge. 2tm wenigften aber ift fie
gewißt, ficf) fetber ju befdjönigen, ihre ©djwädjen unb
Sehter in ein günftige§ Sicht ju rüden, unb wer fie
au» ihren eigenen SBorten fennen lernen Wüßte, würbe
fich eine wenig jutreffenbe Sorfteßung bon ihr bitben.
®en (Schein ju meiben unb ju fürchten hat fie nie ge*
lernt. Offen unb rüdhatttoö giebt fie, teibenfchafttidj
wie fie ift, ihr Smpfinben auch ba fmtb, 100 bieSBett*
fitte lehrt, e§ ju berfchteiern. 2Ba§ fragt fie freilich
nach SBettftugheit, fie, bie nicht anftef)t, bie gtänjenb*
ften Sorttjeite um eines? SßunfdjeS, einer Sbee wißen
in bie Schande ju fdjtagen — weit fie ficf) fetbft ihre
SBett ift?
Sticht fo teidjt unb einfach gteidjWotß at§ man
meint, beurtheitt fich bie Stünfttcrin, bie fich f° allf5
richtig, fo fdßidjt unb unberfteßt jeigt, bah fetbft ber
oberftäd)Iichfte SSIicE itjr SBefen mühelog p erfaffeit
glaubt. Um if)r gerecht p werben, um bie gütte tiott
©utherjigfeit , bantbarer Sweue, anfprudjätofer Sie»
bengwürbigfeit unb fünftterifdjer ©ewiffenfjaftigfeit,
bie bie geniale grau fcEjmücft, gaitj p erfunbeu, be=
barf eg genauerer Sefanntfdfaft. 9tid)tgbeftoWeniger
gehört eg p ihrem StRifegefcEjitf , häufig in fatfdfem
Sicht betrachtet, ja fetbft in ihren fünjtlerifdjen Sei»
ftungen oft nid^t nach Serbienft gewürbigt p Werben.
Gin Seipjiger Sritifer, ber eg jweifettog reblicf) mit
feinem Berufe meint, fagte mir einmal, er fönne nidjt
an bie Sßafjrfjeit ihrer Gtnpfinbung bei SDarftettung
28agner’fd)er ©eftalten, ingbefonbere ber SBrünrttjitbe,
gtauben — unb bocfj ging ihre ganje (Seele auf in ber
SBiebergabe bief er Partie, bie if>r mie feine anbere an’g
Öerj geworfen ift. „SJiein ungtüdfetigeg ©efidjt trägt
Scf)ii(b baran“, entgegnete fie mir, atg ich gelegentlich
ber mir unbegreiflichen Sinterung gebachte. „SBäre
ich fdjön — fie tnürben fidjertid) Stile an bie @c£)tt)eit
meine§ Gmpfinbeng unb meiner Segeifterung gtauben !"
Solcher Ungeredjtigfeiten hat ficf) bie Sritif — auch
bie Wot)lmeinenbe — itjr gegenüber mannigfach fdfut»
big gemacht, unb bemtocE) burfte einer ber angefehenften
ber Sßiener SJiufifreferenten in feinem Slbfcf)iebgWort an
bie aug ber faiferlidjen §ofoper Sdjeibenbe*) fragen:
„SBetche beutfdfe Sühne Weift eine Sängerin auf, bie
ber SSiener Äünftlerin auch uur an bie Stirne reicht?"
üftocfj heute lann bie Antwort auf biefe grage nicht
anberg atg negatio tauten. 3Bo Wäre bie Stiüatin, bie
an ©lanj unb ©röffe beg Drgang, an Sietfeitigfeit,
an SSirtuofität im cotorirten wie bramatifdien ©efang,
an Stthemfütte, an Sraft unb Zartheit pgteid) ben
*) 2öiencr ftrcmbenMatt. >DZär$ 1878.
w
*
SBettfampf mit ifjr magen mödite? gft man nic£)t längft
baritber einig, bafj itjr Sonmaterial, phänomenal mie
e§ ift, an @d)önl)eit unb Umfang nid)t allein auf ber
beutfden, fonbern auf ber euro^äifcEjert S8ü£)ne, ja in
ber gattjen fingenben Sßett ber ©egenwart nic^t feiltet
©teilen f)at? Siefe Stimme, beren unoerminberte
gitgenbfrifde ber Regeln ber Statur fpottet, ift fie
nidt fürwahr ein SSunber, wie bie ganje Zünftler*
laufbaljn SDtarie SBilt’d unb Junta! ifjr fpäter (Eintritt
in biefetbe eine ber wunberbarften ©rfdeinungen
bleibt, weide bie ®unftgefdidte fennt?
2U§ armer Seute ä'titb laut Sttarie Siebenthaler
am 30. gattuar 1833 in Sßien auf bie 28e!t. Sie
©Itern würben i!)r fdon in ben erften Seben§ja!)ren
entriffen. Sei einer in SBien graffirenben ©pibemie
fanb ber SIrjt Saron Pratobeöera ba§ ®inb am Sterbe-
bett ber SJiutter , einer armen £w!jerin, unb bradte
bie oerlaffene Söaife ju feiner Sdwefter, grau Sre=
mier, bie mit ihrem ©atten gemeinfam fie an ®inbe3=
ftatt annafim unb ihr eine forgfältige ©rjiefjung
geben lieft. Sie Pflegemutter entflammte fef)r ange=
f ebener gamilie. gftr Pater war a!§ erfter gurift
feiner geit berühmt, einer ihrer Srüber wibmete a!§
guftijminifter unb fpäter itieberöfterreidifder ©eneraU
Sanbe§f)auptmann bem Staat feine Sienfte. 3hr
©atte Sremier betrieb leinen eigentliden Seruf ; pri=
oatifirenb ttjeilte er mit grau unb Pflegelinb feinen
Stufentfialt jwifden Stabt unb Sanb.
ÜII3 ®inb be§ Sollet, be§ mufifatifden fanget
luftigen SBien, fjatte iDtarie aud feinen lebenbigen
SJtufiffinn geerbt. Sdubert’g Sieber, bie fie in frühe»
fter ®inbl)eit twn ber Butter fingen fjörte, wedten ju=
erft it)re Siebe ju ben Säuen. SDtit jarter wunber»
fü^er Stimme begann fie felbft ju fingen, unbewußt,
292
w~ — ■%
tute ber Sßoget fingt. SOJan wufjte nid)t, wer it)r jene
Keinen Sieber lehrte, mit benen fie bie Hörer ju ®fj rä»
nen bewegte. Suttner ober trällerte nnb jwitfdjerte
fie, bie fdjwierigften Koloraturen erfcfjienen nur Wie
ein Sfietjeug ihrer Keinen Reifte, at§ ntüffe e§ fo
unb nid)t anberS fein.
Stuf ba§ Gtaüierfpiet warf fie fidj mit Seibenfdjaft
unb machte batb grofje Sortfdjritte barin, Wie fie beim
' bis auf biefen ®ag eine treffliche ijSianiftin ift. Shr
ganzer Sinn aber war, obwoljt ihre Stimme nod) im
fed)jef)nten S^hre äufjerft fdfwadf war, auf ben ©efang
gerichtet, unb als fie nun gar Smnt) Sinb hörte,
ging ihr ganjeS träumen unb Sehnen bahin , eine
gröle Sängerin ju Werben. Stur fingen, fingen Wottte
fie. Stuf S3ätte unb anbere SSergnügungen, Wie fie ber
Inbegriff ber ffrreuben anberer junger SDtäbdfen finb,
wollte fie gern oerjichten ; nur $u einem berühmten
©efangmeifter, fo flehte fie, fotlte bie ÜDtutter fie füf)5
ren. $wei SDtonate lernte fie bei einer ©efangStefjrerin,
ba gab bie ÜDtutter ihrem ®rängen nadj unb tiefj fie
öon ißrofeffor ®unt, einer ju jener .Qeit in SSien fehr
gefeierten Gapacität, prüfen. ®aS Stefuttat lautete
für fie öernichtenb. ®ie SBorte: „S BaS wotten Sie
fingen, mein ®inb, Sie hflöen ja feine Stimme!"
fnidten mit einem SDtate atT ihre Hoffnungen. SBaS
half eS , baf? ihr bie Sötutter jum ®roft feinen ©e=
riitgeren als Serbinaitb Saub , ben großen ©eigen»
fünftter , engagirte, bamit fie über SSeethoüen’S 33io=
tinfonaten ihre§ vereitelten SBunfdjeS üergeffe? So gern
fie Gtaoier fpiette, bie inftrumentate ®unft that ihrem
Serben hoch nicht rechte ©enitge — bie SJtufif, bie in
ihrer Seete lebte, oertangte fein anbereS SDtebium at§
bie Stimme.
Gin für attemat fc^ien ihr bie ®ünfttercarriere
I fe. *
293
w
berfagt, iJjr Siebting§gebanfe unerreichbar — fo »11=
tigte bie Steunäepnjäprige benn in eine anbere nüdj»
ternere Saufbapn ein unb reichte bent Ingenieur Sranj
SSÖilt ipre §anb. 2)ie Stellung, bie er ipr ju bieten
ijatte , tnar eine fetjr befdjeibene. Sein gefammte§
Sapre^einfommen belief fiep nicpt pöper at§ ba§ Spiet»
ponorar, ba§ fie nacpmats? für einen einzigen 2Ibenb
empfing. ®od) non Statur anfprudj§to§ unb fparfam,
früpjeitig — weit bon ben SBopttpaten Srember tebenb
— ben Söertp be§ @etbe§ erfennen ternenb, baju
wirtpfcpaftticp tücEjtig erlogen , in ber ®ocpfunft wie in
weibticpen tpanbarbeiten geübt, berftanb fie at§ finge
§an§frau and) ba§ Sßenige ju ratpe §u palten, ja fid)
bon bem, wa§ ibjre ißftegeettern juftenerten, fogar nod)
einen Keinen Sparpfennig ju erübrigen. SSSeit pinber»
ticper at§ bie (Snge it)r e§ päu§Iidpen §erbe§ aber war
iprent epeticpen ©tüd bie gänjticpe SSerfrf)iebent)eit bon
Seben»auffaffung unb iEenbenjen, bie fiep gtoifcEjen itjr
unb iprent (hatten gettenb machte. ,8u einem regten
(Sinbernepmen wollte unb fonnte e§ bbn Slnbeginn
jwifcpen Seiben nic^t fommen. Unb biefer burcp ifjre
Staturen begrünbete gwiefpatt gbicf) fic^ nicpt au§ im
Saufe ber geit. (Sr würbe nur fcproffer, füptbarer
mit ben Satiren.
®ie (Geburt einer 2wcpter änberte niepts?. Salb
barauf warb SBitt bon 2tmt§wegen bepuf§ SluSftedung
neuer Strafen nacp ©atmatien gefanbt unb feine
©attin gab ipm bapin ba§ (Geleite. 2>a§ war eine
romantifcpe (Spifobe iprer (Spe. SK§ »strega« ober
»sorciera«, wie man fie nannte, jur 2tbwecp§Iung aud)
at§ SDtortafin berfteibet, ftreifte fie, bon iprent ÜDtann,
wenn fie ipm bei feinem Seruf nic£)t folgen fonnte,
mutterfeetenattein jurüdgetaffen , in ben SSitbniffen
ber batmatinifcpen Serge um per. Sw SSatbe, am
294
r
braufenben 33ergftrom, am $Dteere3ufer, am tofenben
SBafferfatI übte fie ifjre Stimme. 2>er vertraute Um*
gang mit einer großartigen Statur gab ißrern Senten
nnb Müßten einen früher nie geahnten Seßwung itnb
ißr bi^ßer jo Weicßer ©ßarafter ftäßfte ficß an ben ©nt*
beßrungen unb ©efaßren, beiten fie öiele SStonate ßin*
burcß in ben unwirtßticßen ©egenben au§gefe|t war,
bergeftalt, baß fie alg ein ööCtig oevänbertcS Sßefeit
enbtieß wieber ßeimfeßrte.
Saßre be§ 2eiben§ folgen. Sieben lange (yaßre
fämpft fie mit einem SSruftübet, ba§ fie ißre§ feßten
©fücfe§ ber Söefcßäftigung mit ber SDtufif, beraubt.
Stießt meßr fingen, nießt meßr fpreeßen fann fie, nur
noeß ftüftern. 2Ber glaubt e§ ßeute, wenn er bie §it«
nengeftatt ber großen Sängerin betraeßtet? ®ocß ißre
ftarfe Statur bleibt am ©nbe boeß Siegerin ; fie geneft
Wieber, unb mit ber rücEfeßrettben ©efunbßeit btüßt
aueß ißre Stimme wieber auf unb entfaltet ficß ju fet*
teuer SÜraft unb Scßönßeit. 33afb Wirb ißr ba§ 3im-
mer ju eng, fie üerfangt naeß größeren Stäumen : Eon*
certfaal unb Sircße öffnen ficß ißr. SBo man fie ßört,
bewunbert man ißr örgan, ißre mufifalifeße ©ntpfin*
bung, Wenn aueß ißr ©efang noeß ben feineren fünft*
lerifeßen Seßfiff öermiffen faßt. ®a ßört fie (im Saß«
1863) Dr. ©änöbaeßer, ein üielfeitig gebilbeter SJtit*
fifer unb gegenwärtig ber erfte ©efaitgfeßrer SSienö,
unb maeßt ißr ben gern angenommenen SSorfcßfag, mit
ißm ernftließe Stubien ju beginnen. ®a§ über*
rafeßenbfte Stefuftat bfeibt nießt au§. ®ie früßer bitet*
tantifeße 9lrt ißre§ ©efange§ tierwanbeit fieß , banf
forgfamer Sßfiege, in eine eeßt fünftterifeße SSortragö*
weife, waßrenb bie glücfticßfte Staturanfage jebe
(^rfnniprinfpit w Tprfimf fpiefenb übcrwiiibet. Scßou
befferc ©oncertfängerin at§ fie.
295
Sn Dftern 1865 fingt fie gemeinfam mit Seftree Slrtöt,
bereu lebenbigfte§ ^ntereffe fie bereits juüor al§ So»
liftin in 33acp’§ ißaffion erregt, in einem großen S5urg»
tpeater»(Eoncert. Surcp bie tieben§würbige Sünftterin
aufgeforbert, fie ju befucEjen, fingt fie ipr, bon ®än§=
bacper begleitet, bie grofje Slrie au§ „gibelio“ unb ben
befannten Sßatjer (8enäano’§ bor. „Unb mit biefem
(Kapital in ^Ijrer Sepie gefjen Sie nicpt auf bie S3üpne?“
ruft bie Strtot ftaunenb au§, nacpbem fie geenbet. „Sn
meinem Sitter ift e§ ju fpcit nocp anpfangen , aucp
feplt mir ba§ ©ebäcptnifj für ba§ SSort! " lautet bie
(Entgegnung, au§ ber bie IjeimlicEje Sepnfucpt nadp ber
SSiitjne bo«ä) beutlicp perau§ Hingt. „9iun mit biefen
Mitteln läfjt fiep 2tUeS lernen, unb nicEjtS ift p fjpät.
Scp fage Spnen, menn Sie nicht pm Speater qepen,
fo ift e§ nub gaulpeit!"
®a§ pnbet wie ein 23tip in ibjrer Seele, unb Wa3
fie bisher nur in ipren SBünfcpen unb Sräumen be»
fcpäftigt, ba§ reift nun pm (Sntfcplufj,' pr Spat. Sille
SSelt rätp ipr ab. SJcan berladEjt bie Sporpeit ber
Sweiunbbreifjigjäprigen, bie ba beginnen will, wo Sin»
bere tängft auf ber £öpe ber SReifterfcpaft ftepen. Spre
Samitie tepnt fiel) einmütig auf gegen ifjren SBitlen.
(£3 fommt p päu§ticpen Scenen , ipre ißflegeeltern
gieren bie §anb bon ipr ab. Seine Unterftüpung,
feine Speitnapme, nur Spott unb §opn nocp paben
bie ipr Stäcpftftepenben fortan für fie. Sie mutpige
grau bietet beut Scpwerften Srop. SJiit jener (Ener»
gie, bie ben ©runbpg ifjreS SBefen§ bitbet, wirft fie
fid^ auf bie Slugfüprung i^reS (Entfdpluffe3, unb um
bie (Erfahrung eine® friifjer felbft ber S3üpne ange»
porigen SStanneä für ipr Sorpaben p benupen , be»
ginnt fie bei ^ßrofeffor (Earl SCRaria SBolf bie unmittel»
baren bramatifchen Sorftubien. 21m 1. ÜOtai 1865
I nrirb fie feine Sdfülerin. Sin fleineg Sapital , bag
fie aug mülffam Srfpartem jufammengebracht , einen
frönen Srißant , bag Seffent ihrer Pflegemutter,
ihr einjigeg ®leinob, opfert fie, um bie Soften für ben
Unterricht §u erzwingen. Streng gegen fidj felbft,
oerfagt fie fiel) SC 11 eg. Selbft bie S'aiferfentmel jum
Sttorgenimbif? erfc^eint if>r alg öerbotener Sugug ;
feben ®reujer barbt fie ficti ab , nur bag eine erfetjnte
$iel oor Slugen. Sie ftubirt ben ganzen dag, unb
fo mangelhaft eg um ihr SBortgebächtniff beftetlt ift,
fie tro|t ber Statur bag Unmögliche ab unb erzwingt
eg, traft eifernen fjleijjeg unb unglaublicher Slugbauer,
im Saufe Weniger SDtonate ihrem Sopf ein Steper*
toire ber größten Stollen aufjubringen. Sinnen fecf)§
Stochen bereite hat fie bei wöchentlich brei Unterridjtg*
ftunben ihre erfte Partie, bie Storma, fertig ftubirt;
bann folgen Sontta Slnna unb Sibelio. 50tit allen
brei Stollen wagt fie ein erfteg ®ebüt in Sraj, ba ber
Statt) ilweg Sehrerg ihr einen Serfudf auf einem flei=
nen CSSfeater anempfiehlt. So betritt fie im ®ecember
1 865 alg S)onna Slnna im „®on Suan“ jum erften SJtal
bie Sühne, unb über aU’ ben Spott, bie ^ttaeifet unb
Sebenfen , bie gegen ihren fünftlerifdfen Seruf unb
bie Serecfftigung ihrer oerfpäteten Sühnenlaufbahn
laut geworben, feiert fie unoerweilt einen glänjenben
Sieg. Sa bag Unerhörte gefdjieht. Saum hört fie
Spe, ber ©irector beg Soöentgarben=Xheaterg in Son*
bon, alg er fie, bie unerfahrene Anfängerin, bie auf
ber Sühne erft fojufagen ftehen unb gehen lernen muß,
ba ber Soncertfaal bigher ihre augfdfjliefflidhe §eimat
gewefen, für bie nädffte season an bie erfte Sül)ne ber
SSelt engagirt. SJtit einem Sprung fdjwingt fie fiep
an bie Seite ber Patti hinauf unb wirb iljre Sollegin.
^
297
w
Spre Stedung neben ben größten (Sängerinnen ber
3eit ift gewonnen.
Sind) Berlin bewirbt fic^ um bie mit einem Scptag
berühmt (beworbene. Sw SJtarj 1866 gaftirt fie an
ber Spree auf Engagement, aucp fjier als ®onna 2tnna
beginnenb. Scpon ift ber Vertrag, ber fie mit einer
(Sage üon 2000 Spätem für brei Sapre an bie Ver=
tiner Dper binben fod, ausgefertigt unb mit iprer
Unterfcprift öerfepen, ba tritt ein ungeapnteS §inber=
nip bajwifcpen. Eine Vergiftung burcp ®optenga§
bringt in ber dtacpt, wetcpe iprem britten Auftreten
oorangept, ipr öeben in äuperfte (Sefapr. 9tur burcp
3ufad pört ipre .gimmernacpbarin im §btet bie Ver=
fucpe ber fcpon patb Vewupttofen, bie Sanfter einp*
fcptagen, unb ruft eitenbS §ütfe perbei, fobap ipr nocp
recpt^eitig dtettung fommt. DbwopI an ben folgen
biefeS Unfalls fcpwer teibenb, befielt fie barauf, iprer
Verpfticptung gemäp am nädfften Stbenb ben gibetio
p fingen. Sa§ ftrenge Verbot beS 2trjte§ adein,
wetcper erflärt, bap fie ben Sob baoon paben tönne,
beftimmt fie, bie Vorftedung abpfagen. §ierin er*
btidt ber iyntenbant tion hülfen einen Stntap, ben
Eontract mit SKarie SBitt nicpt p ratificiren, unb baS
Verliner Engagement töft fiep fomit in — Kopien»
ftoff auf.
Eine tiefe Sntmutpigung bemächtigt fiep in gotge
beffen ber fonft fo ftarten, widenSfräftigen grau.
Scpon ift fie, fampfeSmübe, entfeptoffen, bie faum be=
gonnene Speatercarriere ein für ademat aufpgeben,
ba fügt e§ baS (Stüd, bap (Spe in Vertin anwefenb
ift. Uncrfcpüttert pätt er an bem mit ipr gefeptoffenen
Vertrage feft; fie mup, mag fie tooden ober niept, mit
ipm it ad) Sonbon. 9It§ ißrimabonna in eine Zünftler*
gefedfepaft eintretenb, ber (SefangSfterne wie 9lbetina
fßatti, Saure, ©rajiani, Siarini, SDtario angeboren,
erfdfeint fie at! Slorrna put erften State in ©ooent»
garben, um einen feit ber ©tanjjeit ber ©rifi nic£)t er»
t)örten ©rfotg baüonjutragen, ber if)r and) bei ifjren
weiteren Atollen at! Satentine in ben „Hugenotten"
unb Seonore im „tEroubabour" treu bleibt. Smtbig
fjeifft man in „Signora Sitba“ — fo nennt fie fid) —
bie „miirbige 9tad)fotgerin ber ©rifi" Wittfommen, ja
»Times« fteßt fie ber Statibran an bie Seite unb be»
geicfjnet ifjre Stimme at! „eine ber gtänjenbften, Wetc£)e
bie jetjt lebenbe ©eneration getfört." Sei Hofe fingenb,
oon ber Striftofratie gefugt unb au!geseicf)net, öom
großen ißubtifum enttfufiaftifd) gefeiert, oon ber treffe
mit 2obe!erf)ebungen überfcbiüttet, ift fie bie He©©
ber Saifon, bereu tEriumpfje weit über ben ©anal
tjerübertfaHen.
©rreic^t, oott erreicht erfdfeint nun ba! ,giet jatfre»
langen Streben! unb Seinen!. Sie, bereu 9tame
nod) Oor furjem ber Äunftwett auffertfatb SEßien!
fremb an’! Dfjr ftang, Wirb je^t neben ben ©röfjten
ifjre! ©teilen genannt unb erfüllt bie erfte Dpern»
bübjne ber SBett mit ibrent Sftufjme. 9tt! bteibenbe!
‘Eerrain ilfre! SBirfen! unb itfrer ©rfolge bietet fid) it)r
bie te|tere benn and) bar. Unter gtänjenben Sc»
bingungen fudjt ein Antrag ©ge’! fie für Safjre t)in»
au! au!fd)Iiefitid) an bie itatienifdje Df»er ju feffetn ;
eine Saufbatjn ftetft if»r offen, tote fie gtanj» unb ge»
toinnreidjer faum gebadjt Werben fann. SBonacf) 2ln»
bere aber at! nad) einem Jjöcfiften ©tüde begierig
greifen würben, ba! Weift Starie SBitt unentwegt oon
ber Hanb. ,,Sd) bin eine b e u tf d) e ®ünftterin", fagt
fie „unb Witt e! bteiben. 5tu! oottem HerJen unb
©emütt)e fjerau! fann idf nur in meiner beittf offen
Spradje fingen!"
290
w
So blieb fie beim , nur gaftfpiet§n?eife in bett
Qapren 1867 unb 68, 1874 unb 75 jur italienifdjen
Stagione nacp Soubon jurüdfeprenb, ber oaterlänbi»
festen @efangdbüpne treu. @d focE»t fie wenig an, baff
fie ipr Seutfcptpum in SSenebig, Wo fie im Jperbft 1866
einige Niale bie Norma fang, buffen muffte unb fie
ed bort, iprer Nationalität palber — ed War furj nacp
Abtretung SSenetiend an fßiemont — ju einem rechten
(Srfolg um fo weniger bringen tonnte, ald ipr oben»
brein bei ber erften 21uffüprung am Stpluff bed erften
Necitatibd bad ÜOliffgefcpid paffirte , bei ben Sorten
»Pace v’intimo, e il sacro vischio io milto« ftatt
vischio (Stiftet) fischio (gifepen) audsufpreepen , wo»
für fie ein pelled (Mäcpter firafte. ®aff man, wäprenb
bie ganje übrige ©efeHfcpaft total audgejifept würbe,
fie fernerhin rupig anpörte, war ftltled, womit bie 9Se=
netianer bie Seiftungen ber bentfepen Siinftlerin epr»
ten. (Sine monatelang wäpreitbe Sranfpeit, ju ber
fie fic£) burdf eine peftige (Srfältung in ben Sagunen
ben Seim gepolt patte, war fcpliefflicp noep bad fcplimme
Nadffpiel bed benetianifepen Sntermejäod.
®en ipr natürlicpften unb aitgemeffenften SBobeit
fanb NZarie Silt enblicp in iprer SSaterftabt. 5)ie ed
bidper nur ald ©oncertfängerin gefannt unb geliebt,
fap Sien nun ald berüpmte SBüpnenfängerin wieber.
Staunenb überjeugte man fiep, baff fie bie Staffel bom
©oncertfaal jur 93üpne im f51uge emporgeftiegen, unb
fäumte nid)t , fiip ipre (Sröffe jum eigenen Nupme ju
fiepern. Saum bebütirte fie am 8. SOlärg 1867 ald
Seonore im „Xroubabour" in ber £ofoper, fo War and)
fepon ipr (Sontract ald prima donna assoluta unter»
jeiepnet. Sonnte ber S£riuntpp bed mittpigen Siener
Sinbed in ber Spat ooUftänbiger fein? Unb immer
ntepr wuipd 9Narie Silt in bie ©unft ber Siener
M
300
w~ " — *s
tjinein , immer ntef)r burften ficf) biefetben §u itjrem
SBefi^e ©liitf tnünfdfen. Sßeidjer, toärmer, Kräftiger
entfaltete ficf) ifjre Stimme non gatjr p Qaftr. Sie
3eit naf)m itjr nicfjtg tion ilfrem Vermögen, fie metfvte
eg nur. (Stänsenber itnb üietfeitiger bitbete fictj it)r
latent, if)re ©efanggtedpif aug. Sind) in ber Sar»
ftettung, in ber fie p Slnbeginn Sieteg fdptbig blieb,
erwadfte attmätig mef)r bramatifdieg Seben, unb menn
fie aucf) tjeute nod) atg Sdjaufgieterin fjinter ber
Sängerin tuef entlief) prücfbteibt, fo muf ifjre ©rfcfjei»
nitng, toetcfje fie barauf t)inweift, metjr nur anpbeuten
unb im (Sroften p jeidfjnen, ein gut Stfeit ber Ser»
anttnortung beffen übernehmen. Sabei bemättigt fie
bie öerfdjiebenartigften , entgegengefetsteften Stufgaben
mit gleicher Sottfommenf)eit. So fang fie bei @röff»
nung be§ neuen Dperntjaufeg im 5Dlai 1869 an gtoei
tjintereinanber fotgenben Stbenben bie Sonna Stoira
unb bie Sonna Stnna im „Son guan" — ein mufifati»
fclfeg fpetbenftücf , bag bie ßapettmeifter für unaug»
fütjrbar erttärt hatten unb bag fie gerabe begfjatb p
öoltfüt)ren unternahm. Salb erging fie ficf) atg Königin
ber fftadjt in beit höcfjftett Siegionen if)reg gtodenreinen
Sopraneg ; batb ftieg fie atg Ortrub in bie Siefen ber
Sttttage hinunter. Sßechfetnb fingt fie in ben „tpuge»
notten“ bie Satentine unb bie Königin, im „Stöbert"
bie ißrinpffin unb bie Sttice, in „@urt)antf)e" bie
Sitetrotte unb bie Gcgtantine. Senn it)r eigenttidjeg
gelb f bag bramatifcfje , eg rnirb if)r p eng — auch
bag ©ebiet beg cotorirten ©efangeg mit! fie fiel) er»
obern. Ser ßufatt öerfjitft iifr gefällig bap. Sttg
anfangg ber fiebriger gatjre bie Sotoraturfängerinnen
üöiurgfa unb Stabatingtt) itjre Snttaffung oou ber
Sßiener Oper nehmen, ofpe bafi fic^ ein geeigneter @r»
fa| für fie finbet, erbietet ficf) SDiarie SBitt, ber Sirec»
k m
301
w
tion aug ber SßertegenCjeit gu Reifen. So mifjtrauifch
ttRufifer mtb fftecenfenten ihrem Unternehmen p=
jehauen, fo wenig fetbft ihr für ben großen heroifchen
(Stil gefdjaffeneg SDZateriat ber Seidftigfeit ber Solo*
ratnr Vorfdjub gu teiften fcheint : fie ftubirt unter Sei*
tung (Sängbacher’g nun (£oIoraturj)artien unb be*
währt fidh autt) füer halb atg HReifterin, burdj latent
unb SSitten ihren fftottenfreig „faft in’§ Unbebingte“
erweiternb. $at in 2Bahrf)eit ber fonft nicht eben Iob=
bereite Sßiener Speibet nicht recht, Wenn er fagt:
„SBettn fie fingt, fann grau SBitt 2ltteg, wag fie Witt" ?
Sa, tna§ tonnte fie benn nicht? bürfen Wir fragen.
2Ug fölogart * Sängerin in „Son guan", „gigaro",
„(Sntführung", „Sauberflöte" unübertroffen, ein öiet
belobter „gibelio", feiert fie in ber italienifchen Wie in
ber fraitgöfifchen , in SBagner’g wie in SSeber’g unb
SJieherbeer’g Dper gleiche Sriumphe* 2Mb nennt man
bie Sonna SInna, halb bie tttorma, halb bie Voten*
tine in ben „Hugenotten" bie ißerte unter ihren tttotten,
unb mit ben SSienern, bie beifpietS weif e bie Sietjeng,
Softer, Suftmann, fßatti, Succa, tttitgfon atg 9fteprä*
fentantinnen letztgenannter Partie hörten, fM man
ihr atterwärtg unter atten Vertreterinnen biefer tttotten
bie ißatme guerfannt. Um ihrer ganzen Sünftterfcfjaft
inne gu werben aber muh man ihr auch bei Söfung
tteinerer Slufgaben folgen. Sic ©utamith in ®otb*
marl’g „Sönigin tion Saba", bie Vertt)a im „ißrobhe»
ten" rücft fie in ein tiöttig neueg Sidjt unb tierleiht
ihnen eine ungeahnte Vebeutung, wie benn auch 3tu*
binftein eg augfbrach , er habe bei SBiebergabe ber
Vertfja erft SRarie SBitt’g SReifterfchaft eigentlich ^ens
neu gelernt.
Surdf Vebeutfamfeit unb Vietfeitigfeit ber Sei*
ftungen bie befte $ierbe unb feftefte Stüfee ber Dper,
302
erwarb fie ficf) faum minber große SSerbienfte um ba§
Koncertwefen ihrer Vaterftabt. 2ll§ Sieber» wie al3
Dratorienfäitgerin gleicherweife herüorragenb, gab fie
jeber großen Stufführung ben rechten (Glanz, gleidjbiel
ob Veetljoben’g neunte Sßmphonie UIt^ große S^effe,
ober Shuntamt’S „Sauft" ober „ißeri", (papbn’ä Dra»
torien ober (Golbfhmibt’g „fieben SEobfünben", Verbi’S
ober 23rahm§’ Siequiem auf bem Programme ftanben.
SBer, ber fie gehört, fönnte beifqoiet§Weife ihre wunber»
bare SluSfüßrung be§ Solo§ im fünften Säße be§
letzterwähnten 2Berfe§ je bergeffen, Wo bei bem Wie
au» himmtifcf»en fernen hera^Hin9en‘5en „SBieber»
fehen" ungezählte Singen thränenfeucfjt erglänzten?
Sliemal» wirb au§ bem (Gebäcl)tniß ber SBiener bie
(Erinnerung an all’ jene großartigen oratorifchen Sei»
ftnngen fcßwinben, Welche in ber „Säcilienobe“ boit
fpänbel gipfelten, „grau SBilt", fctjreibt (Ebuarb |>an§»
lief bei biefer (Gelegenheit, ,,fcf)tug mit ihrem ißart nicht
nur ihre Vorgängerin, foitbern alle benfbaren 9iiba»
linnen. SBirflih erinnern Wir un§ feiner Seiftung im
Dratorienfacl) , Welche an impofanter SBirfung mit
jener ber grau SBilt in ber Säcilienobe ju oergleihen
wäre. Siebft einer ungewöhnlichen Sraft unb 31u§=
befjnung ber Stimme forbert biefe Partie ooHfommene
SJteifterfhaft auf zwei feiten bereinigten (Gebieten : im
, breit au§haltenben getragenen (Gefange unb in bir»
tuofer Koloratur. Veibe Slnfprüdje erfüllt $rau SBilt
in eminenter SBeife. (Gerabeju fjinreißenb War ber
(Glanz unb bie i’raft ihrer Stimme in bem lebten mit
Sljor unb Drgel wetteifernben Solo. Sll§ fie bie
leßte Stelle fang : ,,'sDoh weß’ Stimme gleicht, o weihe
Sunft erreicht ber Drgel Slang V ba brängte fih Sftan»
hem bie improbifirte SlntWort auf bie Sippen: „®ie
3hre, Stau SBilt, bie 3hre'“
303
w
Sag Sftajj ihrer Stnforberungen an ihr Vermögen
War unb ift atterbingg faum geringer atg biefeS lefetere
fetbft. 9Kan hat bie fparfame grau, bie mit bem ©otb,
bag tt»r ber ©itberftang ifjrer Stimme reid^Iidj ein-
trug, fetjr t)an§t)ätterifct) umging , üietfadj beg (Seijeg
gediehen. (Sing jebod) ift gewif : mit ihren fünftleri*
fcEjen (Sabeit übt fie bie greigebigfeit, ja bie $erfd)Wen=
bung beg Üteidjen, ber ficf) eineg unerfd^öpflicEjen S3e-
fitjeg bewußt ift. S55etd^e it»rer Kolleginnen Wof)t tnagte
eg mie fie, ungeftraft an einem unb bemfetben Sage
SSormittagg im Koncert in ben „$5ab)reg§eiten'‘ , Slbenbg
im Sheater in ben „Hugenotten", ein anbermat früh in
ber 33eethotien’fcf)en D-dur-50ieffe, am SIbenb in ber
„Sübin“ §u fingen ? 2Bie oft auch ha* fie ung im grenn* .
begfreig mit ein paar Sutsenb Scfjumannfcher, Si§§t’=
fcher, granj’fdher, @ cf) u 6 er t’ f cf) e r Sieber befcheuft, bar*
unter mit Vorliebe ©efänge aug ber „SBinterreife", bie
ihr für bie hödjften Offenbarungen in Siebform gelten.
9?ur ber im Sdjmerj Gereifte fönne fie in ihrer ganzen
Siefe oerftehen unb nachbidjten, pflegte fie ju fagen.
Ob fie wolft Semanb ergreifenber ju interpretiren oer=
mag atg fie? greitid) fie hatte bem Sdpnerj tief itt’g
Singe gebtidt, atg bem oertrauten Sreuitb einfam
bnnfter Sage unb Mächte. Sie SJtadjt bie Heräen §u
rühren mit ihrer ®unft ift ihr mie SBenigen gegeben.
Unb hoch ift eg nur bie burct) bie munberbare 2Seich=
heit unb 9)tad)t ber Stimme getragene fdjtichte SSahr=
heit ber Smpfinbung, woburdj fie wirft, teilte Spur
Oon Sentimentalität mifdjt ficf) ihrem (fiefange. Saju
ift ihr ©mpfinbunggfeben j$u ftarf geartet , ju leiben*
fchafttid), aud) ju gefunb. 9Jtit ber ihr, wie üieten
echten ®ünftternaturen, eigenen Siaiüetät erfaßt fie ihre
Stufgabe, oertieft ficf) mit üotter Hingebung in ben
fünftterifdjen ©egenftanb unb bringt i()n ohne oieteg
304
W
©rübeln mit iferett gewaltigen pfepfifdjen Mitteln junt
Stugbrud. ©ie benlt nictit baran, je einen ©ffect ju
f udjen , ber ja üon felbft iferen Seiftungen folgt. Sft
fie bod) burcfeaug impulfiü, ein ©inb beg Slugen£»lic£§,
bag feinen ©ingebungen unb einem genialen Snftinlte
gläubig oertrauen barf. Sebt nicfet aud) eine güße
üon SJtufif in iljr, ja ift fie nicf»t burdj unb burdj mu=
fifalifdj ? ©in Si§ät’fd)e§ Sieb , bag fie nie juüor ge=
ijört, nodj gefeljen, nimmt fie jur §anb unb giebt bag
compücirte, bie feinfinnigfte Interpretation fjeifc^enbe
SEongebidjt, üom SBIatt lefenb, im Slugenblicf alg fer*
tigeg ©unftgebilb wieber. Sft fie boc^ im ©taube,
eine ganze SBagner’fdje Partie oljne Begleitung ju
fingen , fo fidler unb poerläffig ift iljr ob feiner
©djärfefprüdjwörtlidj geworbeneg mufilalifdjeg ©eljör.
SfJJit iljrem Seferer am ©laüier eine neue Partie ftubi*
renb, lommt iljr plöfelid) ein Auftrag in ben Sinn,
ben fie ber ©ödjin ju geben bergeffen tjat. Bitten in
einer pjrafe ftürjt fie Ijinaug ; bodj bie Debatte fpinnt
fid) über ©rwarten aug unb eg bauert lange big fie
Wieber eintritt. ©nblidj lommt fie, unb oljne einen
Slccorb abzuwarten fefet fie genau im felben Xone ein
unb füljrt bie abgebrochene ißferafe ju ©nbe. SBaljrlidj
man weife nidjt, foH man bie SBoljllautgfülle, bie un^
bebingte ffolgfamleit unb unbegrenzte Slugbauer biefer
Stimme ober bie .fjerrfcfeaft unb ©enialität , mit ber
ifere ©ignerin fie meiftert, mefer bewnnbent !
©eine gröfete ©ängerin Ijod) zu Ijalten unb fid)
itjreg 33efifee§ ju freuen, baran liefe bag banfbare
SBien eg benn aud) nidjt fefelen. $>er §of geigte nidjt
mit ©unftbeweifen, ber ©aifer fefete (1869) iferem
Slameit bag ißräbicat feiner ©ammerfängerin üoran,
bag ißublifum nannte fie feinen Siebling. ®ie 93üfj=
nenbirection gab ifer ifere SBertfefdjäfeung burdj ent'
& M
8a SDtara, 6tut>ienföpfe. V. 305
20
fpredjenbe (Sagen funb. 9tur bie f ritif erwie§ fid) itjr
itic£)t fonbertict) tiolb ; ja einer ber SSiener 93ericE)t=
erftatter ftanb nicht an, fie einft at§ „ba§ rtottjtoenbige
Übel be§ Dpernt)aufe§" ju bezeichnen. (Serecfjtere 9In»
erfennung wiberfutjr ihr ton ©eiten ber auswärtigen
ißreffe, fobatb fie als (Saft frember ©täbte erfct)ien.
®er berliner (Sumpredht greift fcf)on bei ber erften ®e»
fanntfctjaft mit itjr at§ ®onna 2Inna im Safjre 1866
i£)re „öon ber Statur überreif auSgeftattete, mit alten
rein mufifatifctjen Obliegenheiten Wot)t öertraute
©timme, ben ootten unb echten ©opran, ber nocf» ein
gutes ©tücf ber breigeftricbienen Octatie fein eigen
nennt, tion febem herben ober trübenben, nicfjt ju
fchönem ftang aufgetöften unb getänterten (Stement
gänjlicf) frei bleibt“ unb unS „fetbft beim t)öc£)ften
fraftaufwanb ben peinlichen (Sinbrucf ber Stnftrengung
fpart, noch int teifeften ißiano feine Klarheit unb fei»
nen (Stanz betoahrt." gür tEonbitbung, Intonation,
(Sotoratur, für Stiles finbet er nur SBorte beS SobeS.
Stuch ber ,'oauptüertreter ber Seipziger&ritif, Dr. Oscar
iJSaut, nennt ihre ^Durchführung ber ®onna Stnna»
Partie „eine ber bebeutenbften tEf)aten auf bem (Se»
biete ber reprobuctiüett fünft,“ nnb nach SDarftetlung
ber Storrna im ÜDtai 1878 fctjreibt er: „(Sine Sängerin,
Welche im gortiffimo unb im ißianiffimo atte Montagen
im getragenen (Sefang ebenfo betjerrfcht wie im leichten
tEonwettenfpiet beS cotorirten S3ortragS, welche batb mit
ber tOtacht ihres Organs bie gewichtigften Slccente in
ber (Sntfeffetung ber hofften Seibenfcfjaft herauswirft
unb ben 3uhörer burdi bie (Sröfje beS tEonS, burct) bie
(Sewatt ihrer ÜOtittet im bramatifchen StuSbrucf über»
wättigt, batb aber auch in ben zarteften Otüancirungen,
im hingehaudhten ftagetaut Wie im feetenöotlen Sin»
unb Stbfdiwetten beS ftangeS, ihre fünftterfdfaft in
#■ a
oollenbetfter gorm eutwicfelt: eine fotcfje Sängerin
wirb fantn mit einer anbereit bergticljen werben fön»
nen, felbft wenn ntan geltenb machen will, baff baS
Xremoliren, biefe in Seipjig nicht gebilligte Sßiener
9)fanier, aus ber SSortragSWeife noch hinweg ju wün»
f<hen wäre." (2luch gegen itjre namentlich bei leiben»
jcf)aft£ic£)en ütccenten oft etwas grelle garbengebung in
ben höheren Xönen erwies man fich in Seipjig ent»
pfinblidj.) fRic^arb >J$ohl, ber befannte mufitalifdie
Sdjriftfteller in 33aben»33aben, aber hebt bie „erftaun»
liehe ©raoour unb anbererfeits Zartheit" fjerbor, mit
ber „bie phänomenale Sängerin ihre gewaltigen SÖiittel
beherrfcht." „Shr mezza voce“, fagt er, „ift noch be»
wunbernSWerther als ihr bis in bie höchften Sagen
reichenber pradjtooller bramatifcher 3mn, bie (Sewanbt»
heit ihrer Koloratur bei folgern URaterial gerabeju
einzig baftehenb.“ 3m großen tragifchen Stil wie im
jarteften Siebe fdjeint fie ihm gleich beWunbernSWertf),
felbft bem Unbebeutenben haucht fie, fo meint er, eine
Seele ein, unb hoch hat ..feine Sängerin bon ähnlichen
Qualitäten Jemals weniger ®unftreifen gemacht, weni»
ger jur Segrünbung unb 2tuSbreituug ihres StufS ge»
than.“ 3)ie ffeinen fmlfSmittel ber 3tectame berfchmät)t
fie ftolj, unb um bie Kunft ber ®ritif hat fie nie ge»
buhlt. 3)urcfj fich felber allein, fo Wollte fie, foHte ihre
®unft wirfen ; benn fo anfprudjiStoS unb befdheiben fie
ift, ber SDlacf)t ihres UalenteS bertraut fie mit bem be»
redftigten fünftlerifchen Setbftgefühl, baS fich eines
bon oben empfangenen hohen ®uteS bewußt ift. gür
50lel)rung ihres 9£ul)mS nach auffen hin hat fie felbft
burcf) ©aftfpiele unb Soncertreifen wenig Sorge getra»
gen. 9iur einige fübruffifche unb beutfehe Stäbte —
rheinifche unb fchtefifche SWnfiffefte berherrlichte fie Wie»
berfjolt burch ihre SJiitwirfung — würben auffer ber
307
20'
ff *
ettgtifcEjen SJtetrofwle geugen it)ver gefänglichen (Srofj=
traten, bie, ba fte bie alljährlichen Vuljemonate rneift
in 3iirit<Jg e§ogenf» eit unb Sftaturftille ju tierbringen
liebt, im Übrigen auf Öfterreid) befd)rän!t blieben, fo
lange fie ber Vüf)ne ihrer SSaterftabt angehörte.
Elf 3al)re war 9Jcarie SESilt mit ihrer „foutieräneu
Stimme unb (SefangSfeele" ber Stolj beS SBiener
SJtufiflebenS. Sa entfagte fie freiwillig ber beneibeten
Stellung, bie Erfte auf ber erften (SefaugSbüljne beut»
föher Bunge 5U fein. So bringenb tierlangte fie nad)
Söfung ihre§ fidj mit ben Salden immer unglüdlicfier
gefialtenben EljebunbeS, bafj fie felbft auf bie horte
Vebiitgung ihres (Satten einging, auf jebeS öffentliche
91uftreten in SBien fernerhin ju tierjichten nnb bie
Summe tion 100 000 (Sulben gerichtlich ju hinterlegen,
um bie Einhaltung biefer tion it)r pgeftanbenen Ve=
bingung ju geltiährleiften. Vergeblich waren bie
Bemühungen ber Dpernbirection , bie „utxerfe^liche“
®ünftlerin bnrch namhafte Erhöhung ihrer ohnehin
glän^enben (Sage ju f eff ein ; tiergeblich auch bie ®e=
monftrationen beS ißublilumS unb ber ®ritif, welche
letztere offen auSfprach , baf? „ihr Slbgang einer üer=
ftörung beS StepertoireS gleite.“ 91m 17. ÜDlärj 1878
nahm fie als Valentine in ben „Hugenotten“ tion „ihren
lieben Söienern" 9lbfdjieb, unter VeifadSftürmen unb
Dtiationen, wie fie baS lötafs beS Herkömmlichen weit
iiberfchritten.
Steuer erlauft hatte fie bie erfehnte Freiheit, unb
für ben fie tioll befriebigenben lünftlerifdjen 9SirfungS-
freis in ihrer fdjönen Heimat taufchte fie bie $rembe,
baS fahrenbe Virtuofenthum ein. Sn Seipjtg , ber
alten claffifd)en ÜDtufifftabt, badjte fie junächft feften
Suff ju faffen. Um eben biefe Beit bereitete man ba=
felbft eine (Sefammtaufführung tion SSagner’S „9Ube=
[tk
M
30s
Tfäf — ' ' .
lungeitring“ üor. 3)ie Sßiebergabe ber Vrüitnpilbe»
Partie in „SBalfüre", „Siegfrieb“ unb „©ötterbamme»
rang", biefe größte unb fdpwierigfte Aufgabe, bie je
einer bramatifcpen Sängerin gefteÖt worben, reifte bie
Energie unb ©d^affenStnft ber für Sßagtter’g Scpöpfun»
gen §ocpbegeifterten : fie trat in ben Seipjiger Vüp»
nenöerbanb ein. 5)rei Stonate — ein nnglaublicp
für, 5er Zeitraum — genügten i£)t pr Bewältigung ber
riefigeit Aufgabe, unb int September 1878 führte fie
fiep mit ber glanpolfen (ffeftaltung biefer Stoffe auf
bem neuen ©oben ifjrer üpätigfeit ein. ®er Stoffe
iprer bramatifcpen Steiftertpaten fcplofj ifjre Brünn»
pilbe fiep würbig an, ja fie barf üielleicpt alg bie grofj»
artigfte 001t affen bejeiepnet werben. Stögen bie an»
bereit Vertreterinnen ber fßartie — Slmalie Staterna,
Sperefe Vogl , §ebwig Reicper»lftinbermann an iprer
Spipe — ben niept p itnterfcpäpenben Borpg ber
$ngenb unb Scpönpeit, bie ©rfte iitgbefonbere auep
ein betaiffirtereS feibenfcpaftficpereS Spiel üor Starie
SBilt öorau§ paben : gefanglicp , bag ift gewifj , föft
feine ipre Aufgabe fo fiegreiep unb walfürenpaft, mit
fo big pm fepten Sone unüerminberter (Gewalt unb
SBopffautgfüCfe. Um p erfennen, Wie bie wunberbare
Slugbauer iprer Stimme fefbft ber unerpörteften Sin»
ftrengung fpottet, pöre man ipre Sobtenflage an Sieg»
frieb’g Bapre, bie ganje granbiofe Scpfufsfcene ber
„©ötterbämmerung“. GrgifteinSriumpp, ben fie, optte
bie Harmonie ber ©efammtwirfung nur im Seifefteit
p fcpäbigeit unb fefbftmäctitig peroorptreten, über all’
bie entfeffelten Stäcpte beg Drdjefterg feiert. 2Bo bie
®raft ber Slnberett ermattet , ba wäcpft bie ipre nur
itocp ntepr. Sreijepnmal fang fie wäprenb einer ein»
jigen Saifott (1878 — 79) in Seipjig ben gefammten
©pelug, bag ganje übrige fepr reiippaltige Repertoire
XW.
;109
nebenbei auf ifyrett ©futtern tragenb. 28er tput i£)r
baS nad) ?
2)aS Seipjiger pubtifum , bem bie unmittelbare
©mpfängtidffeit ber fübbeutfdfen unb SBiener 2trt ab»
gefjt, befunbete ber fettenen ftünftterin gegenüber benn
auct) fid) immer fteigernbe ©pmpatfiien. ©S mar itjr
9tut)m, fid) biefetben, bie if>r nicht freimütig entgegen»
gebracfjt mürben, ©d)ritt für Sd)ritt ju erobern. Saum
aber mar man gemat)r gemorben, maS man an itfr be»
faff, als fie Seip^ig fcfjon mieber ben tRüden feprte.
©cpon mit ©nbe 2Rai 1879 gab fie, ba bie 2)irection
be§ StabttpeaterS bie contracttid) feftgefe|ten SSebing-
ungen unerfüllt tieff, itjre Stellung mieber auf. 2tn»
träge öertocfenbfter 2trt tarnen if)r oon alten ©eiten
entgegen. Paris, ttRaitanb, Petersburg, Sonbon,
5Rem»Porf, ©tjicago, ©incinnati bemarben fid) um bie
rufjmgefrönte Sängerin. ®ie Siebe jn beutfcper ®unft
unb beutfdiem Sanb aber trug and) je|t mieberum ben
Sieg baüon über alte Sodungen nad) auffen, fo gtän»
jenb fie fein mochten. 20 000 ttRarf bot man if)r in
$Rem»Porf nod) untängft für jmei ©oncerte — ein
§onorar, mie eS motjt nod) feine Sängerin, bie
Patti ausgenommen, empfangen. Sie, beren über»
groffe ©etbtiebe man gern geifsett , fctitug eS gleich»
mütpig aus.
gür mehrere SRonate altjätjrtidj tief) fie fid) bis
junt Satjre 1882 in Smanffurt am SRain feffetn, mo
fie im October 1880, in ©egenmart beS beittfdfen Sai»
ferS, ats ®onna Slnna baS neuerbaute prächtige Sperrt»
pauS inaugurirte. ©in af)nti<heS 2Serpättni| banb fie
mehrere 3<d)re t)inburc^ an Peft, mo man fie sunt
©hrenmitgtieb beS ütationattpeaterS ernannte unb
ebenfo mie in ffrranffurt unb atterorten, mo fie gehört
marb, cntfmfiaftifcf) feierte.
310
w
3n ißrer §eimat blieb fie inbeß unöergeffen. ®a§
Slnbenfen, ba§ fie fttf) fdjeibenb tion „ißren lieben
SSienern" erbeten, e§ blieb ißr treu gewahrt, unb üor
bem (Stans ber Sterne, bie gegenwärtig am SBiener
•Dpernßimmet ftraßten, erbleichte nictjt bie ©rinnerung
an bie Sonne , bie eßebetn bafelbft geleuchtet. iftocf)
üerßattte nid£)t bie Stage ob ißre§ tiorjeitigen Unter»
gang§. S)a gelang e§ einer neuen einflußreichen £$n=
tenbanj, fie mieber aufget)en p machen unb bie |>in»
berniffe, bie iOiarie SEBitt’S Auftreten in ißrer SSaterftabt
entgegenftanben, fiegreid) p beheben. Unglaublicher
Subet, unbegrenzter @nttjufia§mu§ begrüßte im ÜOiai
unb !yuni 1882 bie Sangentbehrte, Unerfeßtiche, fo oft
man fie faf) unb t)örte. SJian fdiwetgte mieber im
SBuuberftang biefer königlichen Stimme, „ber fdjönften
unb größten nuferer geit", mie S)efiree Slrtot fie noch
jiingft genannt. ®em 3ait^er einer unmiberfteßticßen
Sfaturtraft gab man fid) mittig t)in, unb alte ©abinet»
ftüde ihrer (Sefangöfunft begehrte man tion neuem p
genießen. SBirb SBien fid) ben Schaß, ber ißnt in bie»
fer Sängerin geboren warb, nidjt nur üorübergeßenb,
fonbern bauernb mieber p eigen machen?
311
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ennt matt beit -Kamen 3 o a d) i nt , fo wirb
bie Sßorftetlung eine» in feiner 3trt ^»ödftften
in un§ febenbig, baS 93ifb be§ (GeigerfönigS
fteigt bor unS auf, be§ an (Grüfte unb $or»
neftmfteit ber Seftanbtung feines SnftrumenteS , an
©tiftreue in SSiebergabe ber öerfdfiebenen Kceiftcr»
werfe bon feinem ber (Gegenwärtigen (Srreidften, ober
gar Ubertr offen eit. 9(6 er attcf) bie grau , bie feinen
Kamen trägt, repräfentirt ein (GröftteS in iftrer SBeife.
SUlinbeftenS fann unfer beutfcfjeS SSaterfanb fiel) jur
©tunbe feiner größeren Oratorien» unb Sieberfängerin
af§ Sfntafie Soadiim rühmen, nnb Wenn bie claffifdfe
ÜKufif auf if)rem §eimatboben ifjre gefte feiert, wenn
man ben föerrf öfter im oratorifeften ffteid^, ben efjerneit
SCongeift §änbef§, ober ben ergaben tieffinnigen ®e=
baftian 93acft, ben fteftrften Vertreter fireftfidfter ÜKufif,
citirt, um mit tpren Wie für bie ©Wigfeit gefdfaffeiten
(Gebifben eine ftunbert» unb taufenbföpfige SSerfamm»
fung ju erbauen, ba trägt man ©orge, fieft ber ÜKit»
Wirfung nuferer efaffifeften Sängerin ju berfieftern.
Kicftt einer auSerfefenen SSirtuofität banft Kntafie
Soacftim it»re fünftlerifcfte ©tetfung. Sie weift in bie»
fer SSejieftung Slnbere über fieft. (Groft aber mad)te
fie bie ©iefterfteit, mit ber fie baS Söerei«^ iftreS ®ön*
nettS unb beffen (Grenzen erfennt ; bie ftrenge ©efbft»
jueftt, mit ber fie fieft innerhalb biefer ©eftranfen ftält
315
— — — — — —
unb fitf) nie oerftattet, ficf» Siele unb 2Iufgaben ju
ftetten, bie au cf) nur um Haaresbreite über biefelben
hinaus lägen, bie nicht in üoHfomntener Harmonie mit
ihrem Vermögen ftänben. Hinaus - in Serbinbung
mit einem fein auSgebilbeten Stilgefühl, ermucf)S bie
Soltfommenheit ihrer Seiftungen, bie mir an it>r be»
mnnbern. ®ie fmhe ÜRobleffe unb Stilöotlenbung,
melcffe bie Sünftlerfcfjaft iljreS ©atten dfarafterifirt, fie
ift aud) ber ihren fclföneS 9Sorred)t. 2SaS SBunber, ba
fie fiel) an feinem SSorbilb gebilbet , ba fie neben iffnt
erft ju ihrer eigentlichen ©rohe empormuc£)S ! $>er eble
munberüolle Slang ihrer Stimme felbft gemahnt an
feinen ©eigenton , nur bah biefer märmer, feuriger,
inniger Hingt. SBenn unS an ben mafellofen ©aben,
bie mir Slmalie SoadE)im banfen, jumeilen ©inS noih
ju müttfehen übrig bleibt, fo ift es ein unmittelbarerer
Herjfchlag, eine gefteigerte innere SBärrne. fßlaftifdf,
monumental, mie aus SJtarmor gefügt, tritt unS jebe
einzelne ihrer fünftlerifcffen Seiftungen entgegen ; mef)te
unS nicht bei allem feufcheit Stbel manchmal eine ge»
miffe marmorne Süfjle auS ihnen an, fie mürben noch
unmiberftehlicf)er ju unferem Heräen fprecfjen. Db
bieS natürliche SDiSpofition, ob eS oielmel)r ein ftreitg
feftgehalteneS Sunftprincip , baS bem ®urcf)bruch beS
fubjectiüen ©mpfinbenS im Sunftmerf mehrt, bamit
bieS letztere möglichft rein unb unberührt üoit ber
©igenart beS iDtebiumS jur ©rfcheinung fomme?
Sern liegt, baS ift gemiff, bem meiblidfen SÜSefen im
SHlgemeinen folch» felbfttofer DbjectioiSmuS , unb nur
menige unter ben grauen befenuen fidf ju ihm. Siel»
leicht feine entfcEjiebener als bie Sünftlerin, tion ber
mir reben.
SlaueS Slut fließt in 21malie $oac£)im’S Slbern ;
fie entftammt einem alten 2tbelSgefcE)lerf)t , baS, im
31«
SS ■ ■ '*
elften Saprpunbert auS Saufen in ©teiermarf eingc*
manbert, in Sraiit unb Unterfteiermarf grojie Sänbe*
reien unb (Süter befap. 2lmaIienS (Sropoater jebodf
oerjicptete, nacpbetn er beim ©taatsbanferott fein Ser*
mögen eingebüpt, auf baS „Son" öor feinem Samen.
21ucp ifjr Sater, granj SSap ©cpneemeip, begab fiep,
übgleicf) er bie ©ocpter eines altariftofratifcpen $aufeS,
eine geborene SinbeS bon Sinbenau aus ©dplefien, jur
©attin naptn, feiner abeligen Sßorretfjte. 3pm, ber
in bem fteirifcpen Starburg bie ©tede eines SJtagift*
ratSratpeS belleibete, marb 2lmalie am 10. 93t ai be§
SapreS 1839 geboren. ÜDtufifalifdp toaren beibe (Sltern;
fie gelten barauf, bafs audp ipre Minber ade fritfigeitig
bie tönenbe ®unft pflegten. @o erhielt and) 21malie,
bei ber fiep fepon in früpefter ®inbpeit eine fräftige
Stimme jeigte, (Sefangunterridpt, fo gut er eben in
ber Meinen Stabt ju paben mar. 3epn bis elf Sapre
alt, bemältigte fie bereits fepmierige ©oli in Steffen
unb ftubirte fleifjig DJto^art’fdpe Dpernarien unb an*
bere claffifcpe ©efangSmerfe. Sine bauernbe Unter*
breepung erlitten ipre mufifalifepen ©tubien felbft naep
bem in SImalienS jmölftem 3'apte erfolgenben ©ob
ipreS SaterS niept ; nur energifeper unb fpftematifeper
noep mürben fie fortan betrieben. 9Jcit ber fangeifrigen
©oepter unb bereu ©cpmefter fiebelte bie Stutter naep
©ra§ über, unb in bem bortigen (Sonfertiatorium, baS
bamals unter Seitung beS Operncapedmeifter (Seorg Ott
ftanb, fanb bie erftere nun Stufnapme. Sei einer fepr
mufifalifepen ©ame, Srau oon granf, empfing fie neben*
bei nodp ißrioatnnterricpt. Stit ipr ftubirte fie Opern*
Partien — benn bie pecuniären Serpältniffe madpten
eS münfcpenSmertp , baff 2lmalie fobalb als irgenb
möglidp büpnenreif merbe. Überrafcpenb fdpned fefjon
ftanb fie oor biefem Sefultat. @ie patte eben ipr üier*
jefjnteS 3ai)r erfüllt, als fic£) if>r ein (Sngagement nach
Xroppau in Sdjteften Bot, welches fie, üoit itjrer
StRutter Begleitet, unter Bern ißfeubonpnt SCmatie SBeifs
anttaf)nt. StlS Slbalgifa in „Storma“ führte fie fid)
ein. ®ann fang fie alle „jugenblicffen“ Partien : Slnn^
djeit im „greifchütj", Saline im „3ra ®iaoolo" unb
wie fie alte Ifeiffen.
(Sin halbes Satjr nur Blieb fie in (Sroppan ; bann
oertaufchte fie if»reit bortigen SßirfungSfreiS mit einem
größeren in bem fiebenbürgifchen fiermannftabt. Sticht
.nur fwcbbramatifche Partien, au di erfte Stollen in
Singfpiel unb ißoffe würben il)r t»ier übertragen. 93ei
ihrer „leibenfcf»aftlic^en Eingabe an ihren SSeruf" aber
war il)r baS, wie fie felbft fagt, gerabe wiUfommen.
Sie freute feine Stnftrengung, feine 9CRüt»e unb arbei»
tete Sag unb SRac^t, um ben Slnforberungen ber ®i=
rection ju genügen. So muffte fie einmal in einem
Spectafelftüd bie Stolle eines (SauBftummen über»
nehmen, ber alle mögliche grofje (Sreigniffe nur burd)
©eberben ju fdjitbern hat. ISaubftumme wohnten ber
SSorftellung Bei ; fie folgten mit Subet ber SDarfteöung
unb liefen nach SSeenbigung berfelben ber Bewunberten
^ünftleriu, fehr jn ihrer ©enugthuung, fagen , „fie
hätten Stiles öerftanben.“
Sluch §ermannftabt Beherbergte Slmatie SBeifj niefit
über ein halbes Sahr. ®aS ühea^r würbe trot} ber
Stnftrengungen ber ©irection Banferott : bie junge ißri=
mabonna muffte ficf) fammt SJtutter unb Sdjwefter
nach einem anberen Unterfommen umfchauen. Sie
Brauste eS nicht lang, auch nicht weit ju fuchen; fie
fanb eS in 28ien. ®aunt ftellte fie fid) bem Sirector
beS nunmehr längft non ber sBilbftädje oerfdiwunbeiten
Sär n 1 1) n er t f) o r = dl) ea terS , SuliuS ßoritet, üor, als er
fie Sofort für fieben £saf)re an feine 33üf)ne feffelte.
31S
Sieben lange Satire ! 2Bie bitter beflagte fie int Saufe
berfetben, bie. eine Summe fünftterifdier Seibeit unb
Prüfungen in fid) fdjloffen, auf ben itjr fo UDrtt)eiU|aft
erfcfjeinenben Vertrag eingegangen ju fein ! „$urch
unglaubliche Sntriguen" mürbe $)irector (Sornet batb
barauf geftürgt ; be§ auSbauernbften gleifseS ungeacf)»
tet aber gelang e§ ber bon if)m gemonnenen Sängerin
nid)t, in ein it)r contractlid) in 2Iu§fid)t geftettteS erfteS
gad) boräubringen. 2ßieberf)oIt, bod^ immer öergeb»
(ich, bat fie um if»re (Sntlaffung. SttufiMifd), mie fie
mar, jugleid) über ein großes Stepertoire berfügenb,
mar fie für alle fogenannten „bertorenen ißoften“ oor*
trefflict» ju gebrauchen. Sobatb eine Sängerin er»
franfte ober in irgenb einer ißartie nicht genügte,
muffte SImalie at§ bequemer Südenbüffer bienen,
freilich mürben bie SSertreterinnen ber erften Partien
meift fchnett mieber gefunb bei ber 9?achrid)t, baff jene
fie am Stbenb erfe|en foltte. (Sin fcfdimme» Regiment
fjerrfcfjte eben bajumat im faiferlid^ föniglichen §of»
oherntheater. „S3iet be§ Sntereffanten“ faf» bie miber
SSerbienft gurüdgefetite bantalS tjinter ben (Soutiffen
fich abfpieten, unb ein gutes Stüd ^heatergefdiichte
erlebte fie leibOod genug mit. Setbft ben befdjeibenen
Xroft eines auSmärtigen ©aftfpietS aber mißgönnte
man ihr, unb nadibcnt fie einmal mährenb eines 93e=
fud)S in (fkaj als Stjucena im »Trovatore«, atS Stofine
im „barbier" unb als „Sucrejia" lebhaften SSeifaft ern»
tete, ber auch burd) bie Berichte ber SBiener Leitungen
miberftang, marb ihr hinfort jeber Urlaub confequent
oermeigert. (Senug bie Sd£me, bie Stmalie Sßeifi in
bem fd)önen lebenStuftigen SSien oerbrachte, maren
„eine Schmer^enSseit" für fie, noch erhöf)t burch beit
SSertuft üon SERutter unb Schmefter. SSott ba ab ftanb
fie gattj allein ; lebt bod) ihn einziger 93rubcr feit bent
319
w — — — — — — — — ^
Safjre 1848, burcf) ba§ SBettmeer üon if)r getrennt, in
Stmerifa.
Sticht über Sltanget an SBefc^äftigung fjatte fte in
Sßien ju Hagen. $ür bie beutfcfje wie für bie itatie-
niftfje Oper üerwenbbar, ftanb fie manchen SJtonat
ni(f)t weniger ate breifügmat auf ber Süt)ne — wenn
freilich auch fetten in bebeutenben Stötten, gatime im
„Oberon“, bie Königin im ,„8weifampf", Stbatgifa in
„Storma“, wetd)’ teuere fie itatienifd) fang, btieben bie
größten Stufgaben, mit benen man fie betraute.
Site (Srtöfung begrüßte fie e§ bemgemäji, ate enb=
lid) it)r (Eontract ju (Enbe ging unb fidj it)r in §anno-
oer bie Stugfidjt auf eine it)r angemeffenere 'Sdjätigfeit
eröffnete. ®d)ort fjatte fie fetbft, tief niebergebrüdt
unb mut^to§, wie fie war, an ihrer Begabung, ihrem
®ünftterberuf ju jweifetn begonnen, unb „eigentlich
nur um tior fich fetber eine SJSrobe abjutegen“, trat fie
auf ber Steife nach Storbbeutfdjtanb in Sinj en passant
ate gibe§ im „Propheten", ate Stofine im „Sarbier"
unb Storneo in Settinite „Stomeo unb !yutie" auf. ©er
gtänjenbe (Erfolg tieg itjre (Erwartungen weit hinter
fidf jurüd, unb oott neuen 33tutf)e§ begann fie im
Stprit 1862 ifjr ($aftfpiet an ber ^attnoberaner §of=
büt)ne. Stach brei Partien, fo war e§ oereinbart, fottte
bie ^ntenbanj fich entfcheiben, ob ber ®aft üom fot=
genben |>erbft ab ber Sühne angehören fotte. SBät)'
renb berißrobe jur erftenSorftettung, nach bem jweiten
Stet be§ „ißropheten" aber bereite brachte ber bamatige
Sntenbant ©raf tßtaten Stmatie SBeifj bie witttommene
Sotfdjaft, bah ba§ (Engagement nod) öom fetben Sage
an in ®raft treten fönne. Schon bei ihrem erften Stuf-
treten lieh ihre Slufnahme beim ißübtifum itnb §of
an §erjtid)feit nid)te ju wünfhen , unb immer war=
mer unb ftjmfoathif^ier gestatteten fich ihre Schiebungen
& M
320
* • —M
im Verlaufe be§ ^aljreiS, in bent fie in tpannoüer
tptig war. SOlit ©enugtljuung fal) fie fid^ wieber
grofje, bebeutenbe Aufgaben gefteüt — fie freute fidj
wieber iljrer ®ünftterfd)aft. Uttb audj ülnbere freuten
fid) an ifjr. 2U§ auf Soadfint’ä Sßeranlaffung unb
unter feiner Tirection ©lud’§ „Drpl)eug“ im ülpril
1863 auf ber fjannoöerfdjen Stülpte feine SBieberauf-
erftetjung feierte, ba floffen bie 33eridjte in beutfdjcu
SDZufifseitungen üom Sobe be§ „öoHenbeten ©aitjen"
über, ba§ Slmalie SSeifi an Stimme, Vortrag, ©r=
fdjeinung unb Spiel in ber Titelrolle oergegenwärtigte.
llitb über itjre SBiebergabe be§ „Sibelio" la§ man in
ben „Signalen“ : „93oll Tiefe unb Seibenfcfyaft, atljmete
ber 23ortrag überall bie SBeilje edjter ®unft, unb ebenfo
trug ba§ Spiel burdjweg ba§ (Gepräge eblen 3Rafie§
unb wahrer Sünmutl)."
9I1§ fjibelio aud) fagte fie am 31. SDlai 1863 ber
93ül)ne Sebewolft, um fic^ am 10. lyuni lyofef
!yoad)im — „bem Prince-consort ber Königin ber S«'
ftrumente“, nad) 93ülow — ju oermäljlen, ber ju jener
3eit al§ ©oncertbirector be§ ®önig§ oon §annotier in
beffen Dfitefibeng lebte. Ungern genug faf) man bie be=
liebte Sängerin öom Theater fdjeiben, unb and) iljr
würbe, fo bezeugt fie felbft, „ber 2Ibf<f)ieb fcf)Werer al§
wol)l irgenbwer aljnen modjte. Tod) fjielt id) e§ für
eine ÜJlotljwenbigfeit, ber SSüfyne ju entfageit ! Sftod)
jahrelang fämpfte id) ben fd)Weren Sümpf , unb felbft
|eute nocfj lebt ber SBunfdj in mir, nod) einmal einem
ber großen Ijerrlidjen ©ebilbe , weldje gerabe bie
beutfdje Oper befijjt, Seben ju oerleifjen. Slber be§
SBeibeS Seben ift ja: ©ntfagung!"
©inen ©rfajj für ba§ §ingegebene, „wenn and)
nidjt einen fie üodfomnten auäfüllenben", fanb fie im
©oncertfaal. SSon iljrem SBirfen bafelbft erft batirt
fe-
Sa ÜDfara, StuMenföpfc. V.* 321
21
w ~ *
gteic^tuofȣ bie weite Verbreitung iljreS DtufS, iljre
europäifdE»e Verüt)tntf)eit. Satte fie and) fd)on bei
itjrem erften Vefnd) im Seipgiger ©ewanbfjauS (am
19. Februar 1863) als gräulein SBeiji auf einem i£>r
fremben, anerfannt anfprudjStooden Voben Vubltfum
unb ®ritif ju ungewöhnlichen VeifadSäufjerungen
angefeuert : bie mufitalifcfje Vielt im weiteren Sinne
lernte fie erft als grau goadjim tennen unb fdjäijen.
©rft an ber Seite beS fjerrlidjen Zünftlers , ber if)r
SebenS* unb Jdunftgefäljrte warb , ftieg fie auf ber
Staffel ber SJteifterfdjaft 1)51) er unb fjölfer, ftieg fie ju
jener ©röjje empor, bie wir fjeute an if)r bewunbern.
gmmer geläuterter unb ibeeder bezeugte ficf) bie Scfjön»
Seit ifjreS gottbegnabeten DrganS, immer auSgeglidje»
ner in allen Sagen bis in bie tiefften ©fjorben hinab.
üldeS dßateriede ftreifte es ab, burdjweg Karte es ficf),
wie ©umpredjt fagt, „jurn reinen 2Biberf)ad beS
©eifteS." gmmer mafjtioder nnb ftiloodenbeter and)
geftalteten ficf) Vortrag unb SluSbrud. 28o man bie
glodentönige mächtige Slltftimme Ijörte, blieb man il)r
nirgenb ben Tribut begeifterten ©anleS fcfiulbig. ©r=
Hang fie twdenbS neben goadjim’S 3aubergeige, be=
griifjte man foldf feltene Sunftüereiuigung als geftge*
nufj. IXnb wie tiiele foldjer gefte bereitete baS Zünftler»
paar ben greunben ebler ®unft! SBie oiele Sorbeeren
unb Volmen wudjfen Veiben üereint auf iljren SBegen !
gn oorneljmer fünftlerifdjer ©efedfdjaft geigte fid)
Slmalie goadjim ftetS. ©ab if)r nid^t, wie bieS bod)
meift gefdjal) , if)r ©atte baS ©eleite , fo gefedten fid)
if)r ©lara Sdfumann, Stodfjaufen, bie XietjenS,
genug Sinb unb anbere mufifalifdfe ©röfjen als ©on=
certgenoffen. 21riftofratifd) unb apart aucf) erwies fie
fid) toon je in ber SBaljl ifjrer VortragSftüde. Vergeffene
unb oergrabeneXonfleinobien Vadj’S, SättbefS, ©lud’S
Hi
-*>»
322
•%
rief fie iuieber an’§ Sicf)t ; Sieber Sdfubert’3, bie juoor
mofß niemals , ober bod» feiten im ©oncertfaal er»
Hungen — mie „©olma’3 ®Iage", „ÜDiemtton“, ,,Su»
leifa" — medte fie tnieber auf. (Schumann unb granj
unb jurnal itjre greunbe 93rucE) unb 23raf)m§ fingt fie
mit Vorliebe. 3Son if)r mu| man be§ legieren „Silfap»
fobie", „ÜJtainadit", „SSon einiger Siebe" ic. f)ören, um
bereu mufilalifdien unb poetifcfjen 23oßgeI)aIt ju er»
griinben. 9ieuerbing§, mo fie tmrjug§meife „Sieber»
abenbe" ju neranftalten liebt, erfreut fie and) bittet)
SSiebergabe ganzer ©fielen. 93eetI»oüen’§ „2ln bie ferne
(Seliebte“, Sdjubert’3 „StJcüIIerlieber“ , Sdjumann’S
„grauenliebe unb »Seben", ba§ |»errlid)fte , ma§ mir
auf biefern (Gebiet befitjen, reicht fie ba al§ immer miß»
lommene Spenben in muftergültiger SBeife bar.
2II§ goad)int, nad) bem 9iegierung§medjfel in
fiannoüer, 1868 feinen 2BoI)nfi| nad) Berlin neriegte
unb er bort, al§ ißrofeffor in ben Senat ber föniglidjen
Slcabemie ber fünfte unb halb barauf jurn S)irector
ber neubegrünbeten acabemifdjen £>od)fd)uIe für SDiufif
berufen, eine neue umfaffenbe STlfätigfeit entmidelte,
gemann bie preufsifdje §auptftabt aud) in feiner (Sattin
eine freubig begrüßte fünftlerifd)e ®raft. 2)a§ §au§
be§ gefeierten ißaared, ba§ fecf)g ®inber, brei Knaben
unb brei iDtäbdjen, gegenmärtig anmutig beleben,
marb ber ÜRittelpunft eines? füttftlerifd) mie gefeßfdjaft»
lief» ausermäplteit föreifeä. ßhtr im Sommer mirb e§
für einige ißionate ftiß. ßiaturfreuben unb Iänblic£»e
gurüdgejogenlfeit treten bann an bie Steüe be§ be»
megten fünftlerifc£»en £reiben§, unb bie fjübfdfe „SSiüa
goaepim", bie ber tonreidje ßReifter fid^» im 93ergfrieben
Salzburgs, angefid)t§ ber perrlicpen gefte unb bes ei§»
übergoffenen SBapmann, in Sligen erbaute, bietet ein
traulid) §eim für fommerlidfe ßtupe. 2Iu§ bem Salon
IV, orfl
— «Sk
21*
323
y ' ' t*
ju ebener @rbe überfdjüttet ben ju guter ©tunbe
SSorüberfommenben bann oft ein Sonfegen, ber feine
©dritte tjemmt uitb if)n anbädjtig tauften läfst. ©ans
unberfehenä genieist er ein §au§concert, toie e§ ber»
gebend feines ©teilen fudjt.
ÜDtan fann Stmatie 3oad)im biet nnb boeb nie ge»
nug hören. @ie f»at in alten bebeutenben ©täbten
Seutfd)tanb3 unb Öfterreic£»S , §ottanb§ nnb ber
©cbweis, wieberbott and) in Sonbon unb fßariä ge»
fungen, unb atterwärt§ grünten it»r friftfje SBtätter für
ihren fftubmeSfrans. ©etbft tbo fidf unferen bentfdjen
Sieberfdfäben (Singang unb SJerftänbnifj fdfwieriger
erfebtiefjen : bei unferen fftadfbarn jenfeitS be§ fRfjeinS,
eroberte, fo tjeifft e§, „iffr t)errtid)er SSortrag beutfdjer
Sieber alte §erjen." Sen öfteren (Sintabungen, ihre
®unft and) in fftufjtanb teuften ju taffen, toiberftanb
fie bisher , ba fid^ it)r fdfon bei einer Soitrnee nach
©Sweben ba§ norbifdfe Stirna fo feinbtid) erwie§, baf;
fie erfranfte. Über bie ruffifdfen Oftfeeprobinjen tjat
fie fid) bentnad) bis beute noch nic£)t binau§gewagt. Um
fo lieber half unb hilft fie ben ©tanj ber rbeinifdjen,
wie ber medtenburgifeben unb bjolfteinifd^en fDiufiffefte
erhöben. Senn in träger Stube gefättt fid) Stmatie
Soacf)tm’g ernfte Sfünftternatur nicht.
„2Ba3 ich fünftterifd) anftrebte?“ — mit biefeit
^Sorten fddiefd fie bie un§ gegebenen ÜDtittbeitungen
— „e§ war immer ba§ $öcbfte nnb mein Sbeat flog
ftets höher unb höher! 2ßa§ id) erreichte? 2Sie wenig
ift ba§ ! §abe id) aber nur einmal einem ÜUtenfeben
ba§ Schöne unb @bte näher gebracht — fo t)dbe i<b
nicht bergebtief) gerungen!"
324
w
ine togifcpe ©onfequenj nuferes Zeitalters
beS ©ubjectiüiSmuS uitb ©peciafiSmuS finb
bie ©peciafitäten and) im S3ereidj ber ®e=
fangSfunft, öon benen bie uniöerfetlere
S3ergangenf)eit wenig wufjte. 2HS f^ecififc^fte @pecia=
lität, afS inbiüibuefffte Znbiöibuafität unter ben ©än*
gerinnen unferer Sage aber hat Dfjne §rage Sßa ult n e
Succa ju gelten, ©mpfängt bie SSirtuofität über»
fjaupt öon ber Snbiüibuatität beS ®iinftferS ihren
Stempel unb erfdjeint um fo intereffanter, je mehr fie
ein Sfbbifb feiner Eigenart, feines Innenlebens ift,
fo wirb ißauline Succa atS eine ber intereffanteften
Sunfterfdjeinungen betrachtet Werben muffen. SOian
fann über bie 33ered)tigungf über baS ©djönfjeitSmaf}
ihrer Sluffaffung unb Sarftedung biefer unb jener
dtotte ftreiten; über bie Sefonberpeit, baS ©eift reich»
Sigentpümtidje ihrer Süpnendjaraftere fann man nicf)t
wohl jweierfei Meinung fein. 3Ipart ift bie Heine
ffrau mit bem SSotlbluttalent , ben bfiijenben 2fugcn
unb ber geläufigen fdjfagfertigen Zunge immer; fie ift
attgeit pifant unb intereffant. ©apriciöS, Wie fie in
ber ®unft unb im Seben öon ©runb aus ift , im $ße»
wufjtfein ihrer Originalität auch ein Sßagnifj, eine
Übertreibung nid)t fdjeuenb, bie fie bie feine Sinie ber
@d)önf)eit oft unbebenffid) überfpriitgen laffen, hat fie
ftets eine Überrafduntg für uns bereit , unb es ge»
w
währt eilten abfonberticben ffteij, bent eigenartig fed>
genialen SSurf ihrer Seiftungen ju folgen. Sin echtes
Üinb unferer reatiftifcben Seit, ftefjt fie mit beiben
Süfjen auf bem Soben ber 2Birfli<f)teit ; fie erfaßt unb
porträtirt bie SSett unb bie 3Kenfcf)t)eit toie fie ift, nicht
im milben SBiberfdjein einer oerftärenben ®unft. SBer
Silber ibeateren (SeprägeS öon ber Sühne herab ju
flauen begehrt, wirb fit fermer mit ißautine Succa’S
fc^arf reatiftifcben Darbietungen befreunben. Sie liebt
grelle Siebter unb Statten, unb je fcfjtagfräftiger unb
energifcEjer fie §u djarafterifiren unb ju cotoriren (Se=
tegen£)eit finbet, befto mehr fii£)tt fie fidj in ihrem Sie»
mente. Son Statur jur Soubrette gefdjaffen, jur Dar»
ftettung genrebitbti^er giguren bitrcb ißerföntiebfeit
unb Stimme b)ingeit)iefen , bat fidj ihre reiche (Seftat*
tungSgabe gbeicf»VDobI auch eine 2lnjaf)t bramatifdjer
Partien in üirtuofer SBeife jn eigen gemacht. Die
berjtofe, bämonifebe Sarmen, bie mitbe Setica, bie
auSgetaffene fjrau Slutt) , bie ben fßoftilton» (Satten
übertiftenbe SSJZabeteine , bie trotzige Sßiberfpenftige
fiitb beifpietSWeife in ihrer 2Bieberga6e C££)arafter6itber
oon hoher Soltenbung. Sticht ba§ febtietjt Statürticbe,
ba§ mafstioH Gehaltene, foitbern ba§ fc£)arf ÜÖtarfirte,
ba§ Dutrirte, Sjtreme fteht ihr ju (Sefidjt- tpöljer
ftitifirten, ebteren (Seftatten, toie Donna Stnna, bleibt
jie SieteS fcf)tt£big . Sbre fcf)öpferifcE)e Sraft Iaht fie
auch ba nicht im Stidf» ; boc£) it)r ureignes Sereicb,
barin fie toie ber gifcb im SBaffer fdjeint, liegt nach
jener Seite bin - wo fie ihrer mutwilligen Saune
ober ihrem überfchäumenben Demperament bie 3ügel
fcfjiejjen taffen, mo fie mehr ober weniger fid) fetbft
fpieten barf.
Sn bem ftarfen $ug biefer fßerföntidjfeit liegt ihre
SOZac^t , welche gefängliche unb bramatifebe Segabmtg
äf — — ' :
nur einbrittglicf) uuterftübeu. So ftjmpatfjifcf) uni ber
bunfte , warm gefättigte Slang ihrer fcpnen Stimme
and) tjeute , Wo ihre Sttüte öorüber, noch immer trifft,
Weber au! biefetn Slang, noch au! einer üottenbeten
©efangltedfnif itnb 53raüour, bereu ficf» bie naturati»
ftifcfje SSilbung ber Sängerin nicht rühmen fann, er»
Märt fid) ber ,§auber, ben bie (Gefeierte üon je auf bie
§orer aulgeübt. Ter ©efang ift ifjr mehr nur ÜDtittel
bei Stulbrudl, unb nur im Tienft bei Tramatifchen
offenbart er fein Vermögen. @1 ift mit einem SBort
ihre iöü^nenüirtuofität , bal in ©efang, Tarftettung
unb ißerföntichfeit jufammentreffenbe ©anje, Wal ihr
fotcb’ feittene SSirfunglfraft fidfert unb, wenn el
auch o^ne Zweifel ebtere Sunfterfcfjeinungen all bie
ihre giebt, if)r bocf» bie gtänjenbften Triumphe ge*
wann , welche eine beutfdfe Sängerin ber ©egenwart
ju bezeichnen hat.
©in itatienifc^er SSater, bal ift ein oenetianifcf»er
Sube , ber bei feiner SSerfjeiratung bal mofaifcfie S3e»
fenittnifj mit bem dfriftlidjeu bertaufdjte, unb eine
beutfdje Butter gabenißaulineSucca, bie am 26. SIpril
1841 im ^eiteren, lebenlfrolfen SBieit bal Sicht ber
Sonne jum erften ÜDlale begrüßte, bal Seben. Drien*
taIifch*romanifdiel unb germanifchel 23Iut mifcf)te fich
fomit in ihren Stbern ; um bie SRifchung aber noch pi*
fanter ju machen, gefeilte fich — bafern ißaulineSucca,
bie el felbft erjählte, fich nicht etwa in einer Üttpftifi*
cation gefiel — ein ©lement apartefter 2Irt : Oon einer
afrifanifchen 2Imme, einer üötutattin, fog fie bie SRitct)
ber frommen Tenfunglart ein. SSunbert uni , wenn
wir bie fomit au! alten brei ©rbtlfeilen ber alten SSelt
äufammenftiefsenben Duetten fennen, bal ber Meinen,
äierlidj gebauten ©eftalt innewohnenbe Temperament,
bal ißifant = ©apriciöfe ihre! iftaturettl? ÜSunbert e!
M
329
w
unS , baff SQ^etjerBeer in if)r bie präbeftinirte tfteprä*
fentantin feiner „Stfrifanerin" erfannte?
Sn ber Sirene gewann fid) baS Talent beS ÄinbeS
feine erften greunbe. 33 om ©hör ber ©artSlirche berat,
beren Regens chori Sofef tRupredjt juerft ißautinenS
33egabung wahrnat)m uttb if)r ben erften Unterricht
erteilte , half i£)re jugenbticE»e Stimme bie anbädftige
©emeinbe erbauen. 2ttS fie aber eines Sonntags beim
StuSbteiben ber Sotiftin baS Sopranfoto in einer ÜDto*
jart’fc^en SÖteffe übernahm , ba ftaunten bie Slnwefen*
ben über ben 2Bof)ttaut eines DrganS , bie Stnrnutf)
eines 33ortragS , beren 9tut)m nachmatS weitläufig
Werben fottte. Sn SRidfarb 2ewp unb Otto Ufdmtann
empfing bie mufifatifche Steine behufs höherer 2IuS*
bitbung fpäter ihre weiteren Selfrer; ba inbef? bie
engen 33ert)ättniffe ber ©ttern lein langes foftfpietigeS
Stubium geftatteten, trat bie günfgehnjährige, frifd)*
weg gur ißrajiS übergehenb, 1856 in ben Dpernchor
beS Särnthnerthor^heaterS ein. StufmerffameS 33e*
obachten ber an ber faifertid)en Dper wirlenben
Sühnengröpen trug ihr bei frühreifer Sntettigeng er*
wünfdfte grudjt. 33ot fid) ihr auch un ber SSiener
£ofoper faum ©etegentjeit , ihr können gu geigen:
benn trotj ber empfet)tenben ^inweife competenter
Sftufifer unb ^ritifer auf baS bitbungSfähige latent
oerftanb fid) bie 9tegie nicht bagu, fie mit einer beben*
tenberen Stufgabe gu betrauen, unb bie 33rautjungfer
im „Sreifchüh" blieb ihre größte Seiftung, — fie arbei*
tete fich i*oc£) mit ber ©nergie ber wahren ^Begabung
fchnett genug auS ihrer bunften ©horiftenefifteng her 5
auS. ©in Sebitt atS ©toira in 33erbi’S „©rnani" er*
warb ihr (am 4. September 1859) im gtuge bie Spm*
pathien beS Dtmüher ißubtifumS , unb atS fie ein
halbes S«hr fpäter in $rag auf ©ngagement gaftirte,
J
330
W -TM.
gögerte man ftpon na cf) iprer erften SSorftettung als
SSafentine in beit „Hugenotten" ntc^t, ben Vertrag mit
if)t abgufcpliefjen. Sie Anfängerin opne Stuf unb
Stauten warb bie ißrintabonna ber Frager SBiiptte, unb
baS untierpoplene ÜDtifjtranen, mit bent ipr baS ißubli»
tunt gunäcpft entgegenfam , wanbette fiep alSbalb in
eben fo offenfunbige Vorliebe. @o wenig ipreErfcpei»
nttng für bie Valentine ober gar für bie Storma , als
Welcpe fie fiep an jweiter ©teile präfentirte , geeignet
war, ja fo fepr bie Keine, fetbft nocp palb finblicpe
ißriefterin mit ben ®inbern an ber §anb bie ©pottluft
rege rnacpte, fie fang ficf) bodp nidjtSbeftoWeniger in
bie (Gunft ber Hörer unwiberfteplicp pinein , unb als
man fie am 1. April 1861 an bie ^Berliner Hofoper
abgeben rnufste, ba bettagte man ben SSertuft beS ori»
gineilen (Genies , als welcpeS ber prettfjifdpe (General»
intenbant Oon Hülfen fie 51t finben unb gu gewinnen
gewußt tjatte.
®ein (Geringerer als SDteperbeer patte bie Anre»
gung gu iprem Engagement gegeben, ©eit langem
fcpon fap fiep ber ©cpöpfer ber „Hugenotten" naep einer
Helbin für feine „Afrifanerin“ um, beren Partitur, in
feinem ißulte toerfcploffen , bereits feit Saprett beS
SebenbigwerbenS auf ber 33üpne parrte. Sn ber tem»
peramentüollen SSienerin glaubte er nun bie Stecpte
gefunben gu paben , unb er napm fie fofort in feinen
mäeptigen ©cpup unb ftanb ipr mit Statp unb praf»
tifeper UnterWeifung fo pülfreiep gur@eite, bafi fie ipn
banfbar als ipren eigentlichen Seprer unb SDteifter be»
geiepnet. SOtit Vorliebe auep löfte fie, „ein waprer Sa»
oib (Garrid", wie er fie nannte, ftets bie Aufgaben
feiner S'unft. ©eine SSalentine unb Alice, 93ertpa unb
gibeS unb üor allem ©elica, bie fie unter feiner Sei»
tung ftubirte, gepörten gu ipren betoorjrigteftcn Stollen.
33t
w
©leicperweife üerbiente fie fitf» nacptualS Stoffini’S uub
Slitber’S warnten Stntfjeü unb SSetfaH ; tüte beim audj
beS le^teren Spielopern ; „Ser fcpwarje Somino", „gra
Siaüolo", „Sie ®ronbiamanten", „Sarlo 23roScpi",
batt! tftrer genialen SSiebergabe, wieberum eine fefte
Siede int berliner IRepertoire fanben.
2Bie tnenig Sängerinnen üor ipr faf) fiel» ißauline
Succa in Berlin gefeiert , unb pöper unb pöper ftieg
fie in ber allgemeinen ©uitft empor. Sem ®önig unb
feinem tpofe, ber Slriftofratie, bem ißublifum unb ber
®ritif — irrten Sillen tbjat fie es an unb fie Sille wett=
eiferten, bem Keinen Siebling ju pulbigen, ipn ju üer=
göttern, ju oerwöpnen. |>ief eS fepon naep ipretn
erften Sluftreten als Valentine : „gränlein Succa im=
ponirte , weil fie in Slllern mit üoller Sicperpeit auf*
trat; man faf) ein HareS SBodett unb eine unbebingte
fterrfepaft beS SBiüettS über baS ÜÜlaterial“,*) fo üer=
fepaffte fiep biefe itjre Energie unb SBiltenSperrfcpaft
halb auep anberweit Geltung. Sie bereits im 0cto=
ber 1863 unter bem Sitel einer föniglicpen Kammer»
fängerin auf SebenSjeit engagirte primadonna capric-
ciosa Warb bie Sprannin ber berliner Dper nnb iprer
gntenbanj. geber Saune bnrfte fie ungeftraft fröp=
tten, jebeS (SefepeS mutpwillig fpotten. Spr Säcpeln
ober Stirnrunjeln genügte, um jeglicpen SBiberfprucp
ju befepwieptigen. Sie ttjat. Was ipr gefiel, fang ober
fang niept , je naepbent es fie freute. Ser Sntenbanj
gegenüber üerpflicfjtete fie fiep, bis Dftern 1866 gräu=
lein Succa ju bleiben. SllS jeboep ein tapferer Seut=
rtant, iöaron SIbolf üon Stpaben, ipr waitfelmütpig
§erj beftürmte, oerlobte mtb oermäplte fie fiep fonber
Söebettfen, unb ber ernfte üDtacptpaber beS gaprpum
*) Signale 1861. April.
332
bertä , ifjr greitnb unb ©önner ©raf Snsmavcf , mar
ber fettere ©aft il)rer ^»oc^geitfeier unb brachte ben
feftlidien Xrinffprucf) auf „ben SSerfaffer unb bie Iper»
au§geberin unfrer Succa", baS ift auf SSater unb 9Jcitt=
ter ber jungen S3aroniu, au§. Bitten in itjre erften
'Jriumphe als „Slfrifanerin" fiel if)re Trauung — fie
fanb am 25. 9totiember 1865 burtf) ben ißrobft ber
St. tpebmigSfirdje in il)rer 2Bof)nung in ber SSictoria*
ftrafje ftatt , — unb um be§ 2orbeer§ mitten , ben fie
al§ Sefica auf ifire Stirn tjäufte, tiergab man ifjr
gern, baff fie fid) eigenmächtig unb tiorjeitig aud) mit
ber ÜDigrte gefdE»mücft. üftacf) einer ißaufe tion meitig
Sagen fjörten bie berliner if)r Sd)o§finb in feiner
neueften Stoffe af§ „grau Succa" mieber, unb fie blieb
ihnen af§ fofdje nid^t minber lieb af3 fie e§ juttor
gemefen.
,Qum SBeftruf patte fiel) rnitttermeite ifjr Socatrutjm
ermeitert. ©eit fie, tion 2)tegerbeer empfohlen, 311=
erft im !yufi 1863 auf berSBeltbiHjne be§ Sonboner
©Dtieutgarben=^eaters af§ SMentine unb ©retten
it»re fief) ate „Sffrifanerin" nochmals (1865) noef) me»
fentHcf» fteigernbe SSirtungstraft and) bei ben @ng=
länbern 3af)r um $ahr bemäljrte, feit fie fid) meiterf)in
aud) in SBien, 93rüffel, Petersburg unb allen grofsen
©täbten Seutfd)lanbS gleidjermeife als Siegerin er»
mies , mar ibjre Stellung neben SIbelina Patti unb
©firiftine Stilsfon , ben gefeiertften Sängerinnen ber
©egenmart, gemonnen. Stur in Paris fjörte man fie
nie. So gern äfteperbeer feine „Slfrifanerin", bie fie
in Sonbon unb Berlin jur erften Sarftetlung braute,
auch in Paris tion it)r creirt gefeljen hätte, fie für ct)»
tete, baf? ihr beutfdjer SIccent im franjöfifcfjen ©efang
ben ©rfolg beeinträchtigen fönne, unb fteftte ben
fdjmeicf)etl)afteften Einträgen ein nncrfrfjüttct'licCjc*
w ~n
Stein ! entgegen. So war, als beS SOZeifterS lang p=
rüdgehalteneS SllterS* unb SieblingSfinb erft nad)
feinem Sobe, am 28. Slpril 1865, feinen Sühnen*
geburtStag in ber franpfifdjen |>auptftabt feierte, nicf»t
ißauline ßucca bie e r ft e Trägerin betreiben, ob fie
aucfrbie rufjmgefröntefte warb *) .
Segeljrt mürbe fie oon allen Seiten. Sa, bort,
überall oertangte man barnadj,fiepbewunbern. Ser
SSicefönig non %ppten üerfudjte, fie nad) bem 9Zätt»feC=
lanb Slfrifa, ein ober ber anbere finge Speculant, fie
nad) ben ©olbgefitben SlmerifaS p loden. „Sie oom
®önig üon ißreufjen lebenslänglich engagirte Dftreidje*
rin", wie fie fid) fdjerjenb nannte, aber füllte fiel) an
ber Spree behaglich aufgehoben.
konnte — ob biefer unb jener giirft fie and) be=
corirte , bie begeifterten ffrranffurter it>r fogar -baS
(Sljrenbürgerredjt erteilten — man fie irgenbwo fana*
tifc^er oerehren , als fper - tt)D ij)re ©rfdjeinung fction
hinreichte, tldeS p eleftrifiren , wo ganje SZäcfjte hin*
burdj oor bem jebeSmaligen Auftreten be§ SieblingS
ein unabfeljbareS ÜDtenfdjengebränge ber Eröffnung
ber Saffe harrte? (Sine geil faum je poor erlebten
©langes banfte ihr bie SerlinerDpernbüIjtte, unb mit
ber Sljeaterfaffe um bie Sßette profperirten bie Silber*
hanblungen unb oljotographifchen SltelierS. SaS Ser*
langen nach ihrem Porträt war faum p füllen. Stenn*
taufenb (S^emplare muffte allein ber 5ßh°f09raPh ®raf
binnen furjern liefern. Sdjmerjlichft mifjte man baS
allgemeine $bol, als nach SluSbrudj beS beutfdj*fran*
*) (Ein f^ätercö (Engagement an ber Opera (IS 74; mad)te fie, ba
bie treffe fie al$ „erbitterte $einbin $ranfreid)$" angriff unb bie 5ln*
banger ber üftiläfon , mie e3 bie§ , gegen fie agitirten , mieber rücf *
gängig, obtnobi bereits ade $tä|c für bie erfte 2>orftedung bcfieUt
maren, unb man if)r mit allgemeiner Spannung entgegenfab-
k
M
334
jöfifdjeit Krieges eilte fdfmere SSermunbmtg Sfaron
Sftßaben’S feine ©attin nad) ißont a ÜDfouffon ju feiner
pflege rief, uitb als man fidf, nadfbem fie barnacf)
eine§ SmdftercßenS genefen , nacf) faft einjähriger @nt=
beßrung enblicß beS fdjönen SSoßllautS ißrer Stimme
mieber freute, ba begrüßte fie ein Sßittfommenfturm
unb Sölumenregen oßne ©nbe.
„gr. Succa" — fcßreibt Sßilßelnt £appert beneid)*
nenb im „ÜDlufiMifdjen SBocßenblatt"*) — „biefe fieben
Sucßftaben bebeuten meßr als bie fieben Opern fölo*
jart’S, meßr atS bie fieben SBeltmunber; fie miegen bie
fämmtlidjen SSerfe ber fieben SBeltmeifen auf. Sin
ißläßcßen im „Dlßtnp" gilt heute meßr als ber fcßönfte
Sperrfiß in einem ber fieben $immel. grau Succa
fingt jum erften ÜDlale mieber nadf einer ißaufe üoit
11 50lonaten. Sie allein ift es, melcße „gigaro“ unb
„Sott guan“ in ßugopern oermanbelt ßat. Sie 21n=
jießungSfraft biefer grau ift unerhört; meil burcß fie
nie! eingenommen mirb, barf fi<h bie fßrimabonna
and) nie! ßerauSneßmcn. gm ©efüßle ißrer 21ttmad)t
troßt fie bem Stabe beS SapettmeifterS , ebenfo mie
beit 9?oten beS Somponiften; fie fcßredt üor feinem
Sonflicte jurüd, baS fßublifum nimmt fßartei ju ißren
©uuften, unb bie ®ritif ebenfalls, fei eS and) nur um
beS lieben griebenS mitten . Sßäre grau Succa außer
Staube, eine fcßmierige Stelle ju iiberminben, man
mürbe jeßumal lieber ben Somponiften „öerbeffern",
ehe man .gumutßungen an bie Sängerin magte. SItteS
unb gebeS, maS ber Keinen tperrin beliebt, mirbjubelnb
beflatfcßt unb unitacßaßmlic| fdjön gefunben ; baS ift
eine nadte Sßatfacße, fo meit bei uns batioit überhaupt
nod) bie IRebe fein barf. grau Succa ift eine Soubrette
*) 1871. 17. SDlärj.
Jt
335
w
comme il faut, aber nicht mehr. Som ©efang Witt ich
nicfjtg Übles fagen, aber in ber 21uffaffung ber Lotten
unb im ©piel tritt nadfgerabe eine bebenfliche Sor*
liebe für ba§ Sanale ftörenb ju Sage. 211S .gerline
mag fie im „($5aftl)auS bon Serracina" nach ©efaüen
fdjalten unb malten , im „Son Suan“ fotlte fie bocf)
mehr ÜÜJtaf? hatten , itnb meldje Slltotria treibt fie in
„gigaro’S fmchjeit" ! Sie SluSfteuer für ihren ©herils
bin maiht ftettenmeife ben (Sinbrud, als fei fie bon
^elmerbing , nnferem beliebteren Socalfomifer,. be=
jogen.'1*)
„Sie fdjlägt unfrer ©efd)madsbilbung SBunben“,
Reifst es bon anbrer ©eite. fpier unb bort mirb eine
unjufriebene Stufjerung barüber taut , bah bie S8erli=
ner Dper „nur ben 9taf)men für einzelne Perfönlid)s
teiten abgebe."
21n ihrer bisherigen Unumfchränltheit litt Pauline
Succa’S §errfchaft gleichmohl einige (Sinbuffe, feit 8fta=
thitbe SDtallinger fiel) 1869 ben Plitgliebern ber §of=
oper beigefeCCte. (Siferfüdjteleien §toifc£)en ben beiben
Primabonnen hatten ©treitigfeiten unb Parteinahme
für bie eine ober anbere jur ffolge , unb im 3anuar
1872, mährenb einer SSorfteÜung beS „gigaro", in ber
SBeibe als ©herubin unb ©ufanne auf ber Sühne
maren, fam es ju öffentlichen Semonftrationen. Sur cf)
^ifdieu berleijt, »erlief Gtfierubitt bie ©eene. „Sch bin
mir feines Unrechtes bemufjt unb fehe nid)t ein, meS=
halb ich uiijh beleibigen laffen fod!“ rief er, auf bie
Sühne jurüdgerufen , furjhiu unb energifchen SoneS,
*) 3nt ©egenfaij ffierju t^ebt §an3tt(f in 2öien $n?ci 3af>re fpater
(1874) toieltneffr ifyre biäcrete 25ef)anblung be3 dberubin unb ber
Unc fyerfcor unb ba£ fie nad) Seiten beS äußeren djfecteS t>in für ben
Sßiener ®efcüma(f elfer ju ttenig al$ $u uiel tf»uc.
336
bem ^ublifunt ju — itnb beibe Ütiöatinnen reitfiten if)r
EnttaffungSgefucf) ein. E§ würbe,' fo ungern man fid)
baju entfdflof} , SÖlatfiitbe SRattinger bewilligt, it)r
Eontract warb getöft, unb ju Dftern 1872 fdtfeb fie
au§ bem Verbanb ber Dp er au§ (um befannttid) fcfioit
im 3a|r barauf öon neuem in benfetben einjutreten) .
Stuf bie (Seite be§ älteren SiebtingS ftettten fitf) tpof,
3ntenban§, bie ÜDiajorität be§ $ßubtifum§. SB er mochte
an eine Trennung non itjrn benten, wer an eine Ver*
tiner Dper, ber er nid)t jum beften Sd)ntud ge=
reitfite?
Unb bennod) plante bie Vergötterte, beren man
fic^ bauernb oerfidfert ju haben glaubte , im Stillen
Sreubrud) unb §hitf)t. Statt, nachbem fie, wie all*
jährlich , jur Seafon in Sonbon gefungen unb itjre
fommerlidie Erholung in 'Sfdjl gefnnben hatte , nach
bem Drt tpre» öertragämäfjigen 28irten§ jurüdjufef)^
ren, fc^iffte fie fief) bielmehr, ein Engagement in 2Ime=
rifa eingetjenb, mit bem beginnenben September fammt
®inb unb Ettern in Siberpoot nach 9iew=2)orf ein.
„SBenn Sie biefe feiten erhalten" — fdjreibt fie in
einem bont 31. Stuguft au§ Siberpoot an ben 9tebac=
teur be§ Vertiner „3rembenbtatte§" gerichteten offenen
Vriefe — „bin id) tängft über’m SDteere ; botf) tann id)
nicht fc^eiben non einer Stabt , bie meine §eimat ge=
worben war, fo fefir , baff idj bie alte ganj oergeffen
hatte , otjne Stbfdjieb ju nehmen , offne meine Erünbe
anjugeben einem ißublitum gegenüber, ba§ mich ftet§
berwöhnt unb mit Eüte überfdjüttet hat. 2>er Ee=
banle ift mir unerträglich , bap man wirftidj glauben
fönnte, idf bertaffe be§ Eetbe§ wegen Vertin. Seber
ru^ig 2>enfenbe wirb ficE) wof)t fetbft fagen, bafj, wenn
bie§ ber Erunb wäre , id) nicht jeffn Sahre hätte ju
Warten brauchen ; aber ich gebe 5hnen bie heilige Ver=
fc- . ä
5a 2Kata, Stufcienföpfe. "V. 337
22
fidferung , baff nid)t alle „Sd)ä£e QnbienS“ ntidE» ber*
modjt fjätten , eine Stabt ju öertaffcn , an ber icf) mit
ganjem §erjen Ijänge. Unmögfid) fann id) ntid) aber
äf)nlid)en Vorgängen wieber auSfejsen , wie ben ber*
gangenen SBinter bon einer Partei arrangirten , offne
meinen tarnen, bem icf) mit ©otteS §üffe einen fo
guten ®fang berfcfjafft tjabe', ju bejubeln. $0tan ftette
mir jur Seite wen man Witt ; id) werbe nie einen Sßett*
eifer mit ben SDtittefn, wefcfje bie Statur mir berfiefjen,
fdfeuen ; §u Sntriguen unb SSefeibigungen werbe icf)
micf) niemals fiergeben, bagegen berftefie id) and) nicf)t
ju fämpfen , um jo weniger, afs icf) mid) aucf) feines
23ergef)enS bem fßubfifum gegenüber fdjufbig weif).
Sd) f)abe alle Schritte getfjan , aus meinem ©ontract
entfaffen ju werben ; man I)at eS mir abgefdffagen, eS
ift bieS troftfoS für mid), ba mir Berlin baburd) ber*
. fdjfoffen ift, — änbern fann aber nicfjts meinen ©nt*
fd)fufj. SOteine ©f)re als ütünftferin ift ju tief berfe|t
unb bie mir feinbfidfe ©fique ju wenig wäf)ferifcf) in
ilfren SKittefn , afS baf; id) midi nochmals benfefben
Snfuften, bor benen mid) fein SOienfc^ bewahren fann,
auSfe|en fottte. ®arum bitte id) Sie fjersfid), fperr
iftebacteur, meinen lieben Berlinern meinen innigften,
aufridftigften ®anf für atte Siebe unb ©üte, mein f)erj*
fidjfteS SebeWofjf jujurufen. fßergeffen fonnen wir
unS Sitte wof)f nie, aber :
,,©S war fo fcfiön unb muffte bocf) berget) n."
(SDtein Sieb.)
Stun leben Sie wol)f zc.
fßauline Succa."
®arauf erfolgte feitenS ber ©eneraf = Sntenbantur
ber fönigfidfen Sdfaufpiefe in 33erfin unterm 17. Sep*
tember 1872 eine fBefanntmadjung nad)ftef)enben Sn*
^afteS :
33S
„Siachbem bie königliche kamnterfängerin grau
Succa auf ein (Sefuch unt ©nttaffung juerft feitenS ber
Unterzeichneten 93erwattung, fobann auf eine ginnte»
biateingabe non gleichem gnlfatt audf 3ttterf)ö(f)ften
Ort§ abfcE)Iägig fteftf)ieben worben , hat bie genannte
künftterin in einem unter bem 31. Sluguft b. g. au§
Sitierfwol an ben (Seneralintenbanten ber königt.
Schaufftiete gerichteten Schreiben bie beftimmte ©rftä»
rung abgegeben , baf? fie nic^t Wieber in ihr ©ngage»
ment bei ber königt. Öfter jurücffehren werbe. Sa
nun mit bem 15. b. ftß. ber contractlidfe Urlaub ber
grau Succa abgetaufen unb fie fetbft jum SBieberein»
tritt in bie ihr obtiegenben SBerftflicEitungen nicht er»
fdfienen ift, fo fietjt bie (Seneratintenbantur ber königt.
Sctjauffnele fic£) ju ihrem 93ebauerw tierantafft, bie
königt. kammerfängerin grau Succa hiermit für con»
tractbrüchig ju erftären."
©rft nad)bem ber gtüdjtting fich herbeitief?, bie
burch ben ©ontractbrucf) tierwirtte ©ontientionatftrafe
ju jahten, Würbe ihm 1873 „mit 2Hterhöcf)fter (Senet)5
migung bie ©nttaffung au§ bem SSerbanb ber königt.
Öfter gewährt.“
5tber auch bie Söfung anberer , ihr täftig gewor»
bener Söanbe begehrte fßautine Succa im Sanbe ber
greiheit. Sie üiecfjte einer Bürgerin ber ^Bereinigten
Staaten erwerbenb, erlief fie 1873 ein (Sefud) um
Sdfeibung tion ihrem (Satten , um nach erwünfchtem
©nbe mit ber |tanb , bie fie biefetn entzog , einen
anbern: ÜDtajor a. S. 23aron ©mit non Sßatttwffen
nannte er ficf), zu begtüden.
93öttig to§getöft non ber beutfchen Heimat, ber
neu gewonnenen greiheit froh, nernahm ber entflohene
Singtioget bie ktage, bie ber Spötter „klabberabatfch"
ihm über’£ SJteer nachrief :
339 22*
„Sreulog bift bu entflogen
Sen fernften Golfern ju,
Seit über beg Dceang Sogen,
Su böfeg 23öglein bu!
§aft mit bir fortgejogen
@ar mandjes ^öerjens 9tub’!
©o fdjön pat feine gelogen
llnb feine gefungen roie bu!"
Snbefi man aber in Berlin fcfgnollte uttb grollte
unb ben Sßerluft ber originellften bramatifdfen
fanggfraft ber (Gegenwart, bie — modjte man ficfi
immerhin gegen ifjre Schwächen nic£)t öerblenben —
bocf) ein fjauptfactor beg bortigen ntufifalifchen Sebeng
gewefen war, nicht öerfcpmerjen fonnte, entbehrte fie
auch bei ben Slnterifanern nitf)t bie gewohnte 9ltmo=
fpfjäre wärmfter, ja gliiljeubfter SBegeifterung. Unb
fie oerfcl)mäf)te nicht, au§ berfelben Kapital ju fdflagen.
S)er Vertrag, ben fie mit üöiaj; SKareijef, bem ®irector
ber italienifdfen DperngefeUfchaft in -Jiew = ?)orf unb
(Senior ber amerifanifdfen Smprefarii, abgefcploffen,
fünnte in ber Spat ben gefteigertften fßrimabonnen»
Slnfprüdjen genügen. S3ei oiermaligem Sluftreten in
berSBocpe ein abenblicpeg Spielponorar öon 200 ^3funb
Sterling, bag ift 4000 SJcarf, nebft Upeitung beg Über»
fdfuffeg einer gewiffen (Einnahme ; baju ein fafhiottableg
fpaug, Sienerfdjaft unb ©quipage jur Verfügung, fo=
wie freier Unterhalt ifjreg £augftanbeg — wag wollte
felbft ißauline Succa mehr?*
illew = Dorf, bag fßarabieg ber Triumphe enropäi»
fdjer S'unftgröhen tfjat fein ÜOiögticpfteg , fie für ben
SSerluft ber ©tut ft „ihrer lieben berliner" fcpablog ju
halten. Sie feierte ©rfolge, benen fiep nacpUbo Dracf)*
: .rf
340
üogel’g .Seugitih*) „Weber bieSeitnp ßinb’g, noch Et)ri*
ftine Stitgfon’g mit beit aufgetöften Xurcoife * Stttgen,
ber fetten Ehorfnabenftimme mtb ber gefrorenen
ßeibenfdiaft annäherten“, obfdjon fie fidj ben ©oben
„erft erfämpfen itnb ber tölpelhaften ülteclame unb we*
niger atg mittetmäfjigen Umgebung gegenüber bag
ganje EeWidjt it)re§ fünftterifchen Eotteggnabentt)umg
in bie SSagfdjate werfen muhte." 3hre „ganje unb
üoUe lynbiüibuatität", bie „Energie iljreg bramatif^en
Stugbrudg“, „ihre in frifdjem ©ruftlaut fchwetgenbe
Stimme, bag feetenüottfte alter Drgane" finben in
©racfjüoget einen berebten Stnwatt, einen begeifterten
SSortfüt)rer ber allgemeinen ÜDteiitung — unb mit bem
ibeeCten Erfolg geht ber materielle |>anb in §anb.
X'ie Sünftterin fetber fchitbert mittlerweile in
einem ©rief, ben fie 1873 in ihre ©aterftabt an ihren
einftigen fiehrmeifter Ufcfjmann fanbte, ßanb unb
ßeute ttic£»t fonberiich fcftmeichelhaft. ,,©on bem ßanbe
fetber," tjeiht eg barin, „fann itf) Sh1«11 nod£) nicht üiet
fchreiben, weit ich fetbft nod) nicht tiiet gefetjen höbe
unb, wie mir fcheint, auch nicht üiet tpe* int Storben
Stmerifag ju fetjen ift. Stewart fetbft ift eine cotof*
fate Stabt mit einer ÜDtittion Einwohner , bie mehr
ober minber ben Einbrud unermübticher Eewerbg*
thätigfeit wedt. ©efettfdjafttidje Xournitre , 9tut)e im
©erfehr , ÜOtähigfeit im Eenuh geiftiger fowie realer
Statur muh atterbingg erft einem ^weiten Eotumbug
jur Entbedung öorbehatten bleiben ; hoch bie übten*
fdjen haben fetjr üiet Eetb unb taffen eg üttnbern nic^t
fchwer werben, wetcf)eg p üerbienen. iyebenfattg tann
ich nur in jeher ^infidjt mit meinem Erfotge pfrieben
fein. ®ie erften jwei ÜOtonate haben mir bie fchöne
ä
:) Signale, 1872.
Summe öon 44000 SoöarS eingebracpt, maS gleicf»=
bebeutenb mit 58000 Skatern ift. SSenn baS Grnbe
bem Anfang gleicht , fo f»offe icp nacp jmei SaifonS
meinen fepnfidjften Sßunfcp auSfüpren unb ber SSü^rtc
SSatet fagen ju fömten. S<P fepe Sie SSeibe bariiber
tacken, unb bocp ift eS fo ! Scp fann Spnen nicpt fagen,
mie fefig idj ben Sag fein merbe, an bem icp biefetn
eingebilbeten (Sind entrinnen merbe tönnen , an bem
icp mirHicp für nticp ju leben beginnen fann, nicpt nur
immer an ben Sopran benten nutfj , mit bem idj be=
paftet bin, unb ber ganj entfliehen bie größte Sorge
meinet Sehens mar unb teiber and) ift ; benn icp fann
Sie oerficpern , id) tebe mie eine (befangene pier , ba
baS ®tima fo fcptedjt ift, baff id) es ftets büfjen muff,
menn id) jemals bie Supnpeit pabe, meine 9?afe tmr
bie Xfjiire ju fteden."
3tn pifanter 2fbmecpfefung , mie fie bie Sünftterin'
liebt, feptte eS jum (Stüd aud) iprem amerifanifcpen
Sfufentpaft nicpt. Setjr jur Söeluftigung gereifte eS
ipr , baff fogar bie IRotfjfjäute , eine (Sefanbtfdpaft ber
Siou£, ifjr bei iprer Slnmefenpeit in Stern »f!)orf ipre
Stufmartung machten. Sie tub bie Söpne ber Sßilbnifj
ju fic^. SSierfpännig famen fie tiorgefapren. Ser 9te»
gierungSageni übernahm bie SBorftettung , inbem er
gteidjjeitig als Sofmetfcp biente. „§ier ift running
antelope, 50iabatne Succa !" „§au !“, lautete bie 93e»
grüfjung beS SSorgefteftten , mäprenb er ber ißrima»
bonna bie §anb fdjüttette. „|>au!" antmortete aud)
fie, ben ©ruf? beS Sioug fo getreu afs mögticp nacp»
apmenb. „§ier ift the grass!" ging eS meiter, bis bie
(Gefeierte bie 9tunbe gemacht patte. Stacp Snbianer»
2lrt fauerten bie (Säfte auf bem gupboben. Sen
©pampagner , ben fie ipnen reicpen tief? , ftürjten fie
mit üietem S3epagen pinab. Sn angeheiterter Stirn»
fc - *
342
¥ "”Sj
müng gaben fie fobann einige groben ibjres ©efangeS
jum Söeften. 211S Sohn für ihre rtitf»t eben euphonifche
©abe erbaten fie fid), baff and) SrauSucca ihnen etmaS
tiorfinge. „9tur ettoaS re<f»t Seb^afteS !'* riet!) berSoU
metfdjer. So ergötzte fie benn mit ber Sdjmudarie
auS ©ounob’S „Sauft“ bie Dljren ber SBilben unb be=
jauberte fie nic^t minber als fie ben blafirteften ®unft=
fenner ju bejaubern gemohnt mar.
Ungleid) meniger günftig als im erften Satfr ge=
ftalteten fid) bie ®unfttierl)ältniffe im SSinter 1873 bis
1874. Ser berliner S^adjtigatt machte feist bie fcfjme*
bifdje ©oncurrenj, unb eine jmeite 9tem»|)orfer Dpern*
gefettfdjaft, bie Strafofd) mit ©tfriftine SJtilSfon an ber
Spitse in’S Selb fdjidte, fdjmälerte ber Dper SÖtaretsefS
ben ©rfolg. SaS Sarnieberliegen beS JjaubelS , nn-
glüdliche finartgieble ^uftänbe tarnen t)inju, um
tünftlerifd)e Unternehmungen oon oorntjerein mit ©e=
fatjren ju bebrohen. SRic^tSbeftotoeniger müßten SJ3au=
line Succa unb ihr Otebenftern Sima tion SßlurSla tion
einer oon SDtarefset tiorgefdßagenen Sftebuction ber
©agen nichts hören. Sie befdßoffen tiielmef)r, auf
eigene §anb mitfammen unter bie Sheaterbirectoren
ju gehen unb nadf 51itflöfung ber bisherigen ©efeß=
fdfaft mit ben mefentlichften (flementen berfetben ben
Kubanern italienifdje Dpern üorjufingen.
Sie ©röffnung beS in .fsabanna gepachteten Sacon*
SlfeaterS mit ber „Sonnambula“ lieh fid) am 18. Se»
cember 1873 oerheifsungStioß an. Socf) nur ju halb
melbete fid) Unjufriebenlfeit. Sen §abamtefen bünf=
ten bie greife ju hoch, bie Seiftungen felbft ber beiben
Sßrimabonnen nid)t entfpredjenb ; fie marfen ihnen
Mangel an Schule tior. 51m ©nbe fpielte SSeiben mie=
ber bie @iferfud)t fdflimme (Streiche fie meigerten fid)
tiereint aufjutreten. Snt gleichen 25erl)ältnifs mit bcm
343
93efuc£) ber SSorfteüungen itafjm aucf) bie Sinnafjme
ab. Sie gjlö^tic^e (Sntwertfjung be£ Papiergelbes ber=
fdjfimmerte nod) bie Sage ; turj als am Sdduf? ber
Saifon ©£)or unb Drd)efter iffre ßafdung forberten,
and) ber Sf)eaterbefi|er wegen contractwibriger &ür=
jung ber Saifon auf dntfd)äbigung Wagte, fafjenSucca
unb SJiurSfa fidf gezwungen, ben fid) auf 9000 SoHarS
betaufenben Sdjaben ju tragen. Sie greuben beS
SfjeaterbirectorS beS Weiteren ju foften, gelüftete eS
Routine Succa nicfit. Stadj einer Steife 9fbfd)iebSbor=
ftellungen in -Kew^porf, tno fie, bieSmat als (Saft non
Strafofdj’S (Sefettfcfjaft, wieber ben gewohnten (£ntf)u=
fiaSmuS erregte, teerte fie, mitbem Sorbeer ^weierSBeW
ten gefdfmüdt, im (Sommer 1874 nad) (Suropa junid.
Qn it)rer Sßaterftabt fang fie im Sltobember 1874
juitt erftenüDJat wieber in beutfdjer Sprache, unb jwar,
ba bie wiberredjtlictie Söfung ifjreS berliner PertragS
fie äunädjft non ber £wfbüf)ne auSfd)lof3, in ber fonti=
fcbien Oper, bis bie Vermittlung beS if)r wofffge»
neigten beutfd)en Ä’aiferS if)t batb aud) bie erfte 2Ssie=
ner (SefangSbüfjne öffnete, gortan erfreute ficf) if)re
§eimat ifjrer befonberen Pebcrsugung. ßwifdienburd)
in beutfcfjen , fwftänbifcfien , fcffweijerifdien unb itati=
enifcfjen Stabten, in Sörüffet, Petersburg, ÜDioSfau,
SJiabrib , yiiföa, Sonbon itjre Sriumpfie ntef)renb,
fefjrte fie Safw um nad) SBien jurüd. nad)=
bem fie am 7. !yuni 1877 in Prag atS Palentine in
aller Sorm oom Sfjeaterleben Slbfdjieb genommen,
um, toie fie fagte, „in ber Stabt, in ber fie ifjre Sauf»
baffn eröffnete , fie nun aucf) befinitib ju befcfjfiefsen,"
Wäfjfte fie ben frönen Drt itjrer (Seburt ju ifjrem
bauernben SBoffnfiij.
SJtit bem Scheiben bon ber 23üf)ne aber war eS
nid)t fo ernftfid) gemeint, ,ßu feft tjatte fie in ber bret=
344
(ßfr
^S)K
tenten 23ett ber lyßufionen SBurjet gefcptagen, ju fepr
waren ipr Scpein unb ©ein in eiitanber gewacpfeit unb
eine Xpätigfeit jwifcpen Sampenficpt unb ©oufiffen
jurn iöebütfnifj geworben , als baff fie ber fügen @e=
wopnpeit berfefben entfagen mocpte. 2BaS fie einft
perbeigefepnt, fie tierfcpmäpte eS, nun 9iatur unb $Ber=
pättniffe eS ipr Ieic£»t gewährten. SP*e Stimme, ein
über äwet unb ein palb sDctaüen bis jum breigeftric£je=
nen C gebietenber Sopran, feiftet it»r , obfcpon er in
ber §>öpe an SBeicppeit eingebüfft, autf) gegenwärtig
itocp mittigen ©eporfam. ®ie leidste 23ewegficpfeit unb
23eröe itjreS Spiels, bie ©fafticität unb drajie iprer
©rfcpeinung bleibt ipr unoerfeprt treu ; bie Sipatfraft,
bie bie grope Meine ®iüa üon jet)er auSgejeicpnet, öer»
fagt ipr bis in bie neuefte $eit bei (Erweiterung ipreS
opnepin reichen, an fedjsig fRotten umfaffenben 9teper»
toireS nicEyt ihre bewährte §üffe. 2Bie juoor in ittieper»
beer’S unb Sfuber’S Dpern, bie fie, Wie erwähnt, mit
Vorliebe fang, in §afeop’S, ©ounob’S, SEpomaS’,
®onijetti’S, SSerbi’S, äRojart’S unb Slnberer SBerfen,
erprobte fie nun aucp afS SOlabeleine im „ißoftitton",
atS 9tejia im „Dberon“, als „©armen“, als ,,2Biber»
fpenftige“, als ©reichen im „ttftefiftofefe“ ipr (Sitücf.
9htr im 33uub mit SBagner’S Kßufe blühten ipr feine
iftofen — mit ifjrer (Eifa fügte fie iprem 9tupmeSfranj
fein neues 93Iatt ju. Um fo erfolgreicher war ein
beim 93efudj beS beutfepen SaiferS in 3fd)t 1882 wie»
berpotter SSerfucp als Sßanbf im „Sßerfprecpen pinter’m
§erb", wo fie, auf bie mäeptige Sftitpüffe ipreS ®e»
fangS in ber §auptfacpe t>eräirf»tenb, nur ipre fepau»
fpieferifepen ®aben jur (Seftung braepte.
Scpon im Srüpjapr 1876 jur Kammer fängerin
ber öfterreiepifepen SRajeftät ernannt, trat fie jwar ben
SOiitgfiebern berföofoper niept bei, boep wibmet fie ber»
345
W~ H
fetben Sapr aus Sapr ein in ber ©igenfcpaft eines
($5afteS in perüorragenber SBeife ipre 2)ienfte. ®aS Seft=
fpiel („Sn ber £ eintat") , baS 1879 bie fiXberne |>ocpjeit
beS SüiferpaareS feierte, ber äRojarUCrpctuS 1880, ja
napeju jebe feftticpe ©etegenpeit fanb unb finbet fie
unter ben SJtitwirfenben. Stucp im ©oncertfaat fpenbet
fie ab unb ju , wenn fie in ber „©ebertamte", ibjre
immer gern empfangenen ©aben.
teuere Sodungen in ferne SBetten gingen uner=
pört an ipr oorüber. Sßieberpotte ameritanifcpe §tn*
träge feptug fie aus, unb einem Sluftratier, ber ipr für
jwötf Monate ber Xpätigteit eine SJiittion SDottars
anbot, antwortete fie mit ber fie cparafterifirenben
berben Dffenpeit, bie fo nieten Stnefboten baS SDafein
gab: „S<P pabe genug, warum fott icp noep fo üiet
Silber aus Stuftratten importiren V‘
Sn ^Berlin begrüßte man nad) langem (Sntbepren
am 7. Stprit 1880 ben atten unüergeffenen Siebting
wieber im DpernpauS. ®er Sßunjep beS ®aiferS patte
ipn bapin gerufen. „Saft närrifcp“ Oor Sreube nnb
©ntjüden geberbete fiep baS ißnbtifnm beim SBieber»
fepen ; ein tRaufep , ein ©etirium bemäiptigte fiep ber
baS £>auS füttenben erregten SJerfammtung. S9egeifte=
rungSauSbrüepe alter Slrt tiepen bie Keine Stau taum
ju SBorte fommen. ®ie S3ertiner fargten niept mit
93eweifen beffen, bap fie, „wie faum ©ine oor unb
fieper ®eine naep ipr" fiep bie Spmpatpien Sitter ju
erwerben gewupt patte.
Unb „triumppat“, wie ber erfte Stbenb iprer 3ßie=
berfepr, war and) ber ipreS StbfcpiebS. Sie oertröftete
fcpeibenb ipre Sreunbe „auf SBieberfepen !“ ®ocp foll
fie ipr SBort bis p biefem Slugenbtid eintöfen.
fo- M
346
w
it bem ©eitie im Sunbe maltet eine geheim'
nißüolle, nennen mir’§ göttliche , nennen
mir’§ bämonifd)e ®raft, unb mem e£ ju
eigen gegeben marb, beit treibt fie mit 2111=
gemalt ju beffen ©ntfaltung unb Setlfätigung l)in.
£)a§ 9ted)t be£ 2>afein§ malert fie bem ©eniu§; al§
fiegreidfe ©efährtin ermeift fie ficfi im S'ampf mit ben
9Sert)ältniffen, unb ibjrer Ungunft fpottet fie, mie ba§
au§ ©ott ©eborene alleg Srbifdjen, ÜDienfdjlichen fpot*
tet. 2Bo immer ber ®ampf jtoifchen 9tatur= unb 2JZen=
fdfengebot burchfodften mirb , bleibt jnm §eile ber
®unft ba§ innere ©elfeiß ba§ jmingenbere, übermüd)*
tige, üor bem ber oon außen fferantretenbe SBille früher
ober fpäter meidfen mu|. Sßer freilich bie äßadjt be§
©influffe§ ermißt, ben §erfommen unb ©rjiefjvutg,
SErabitiorten unb Seben§gemol)nl)eiten be§ £mufe§ unb
ber gamilie naturgemäß üben, ber mirb aiu| ba§ 21uf=
gebot törperlic^er unb geiftiger föraft ju ermeffen oer=
ftefjen, ba§ allein jurn erfolgreichen SBiberftanb gegen
biefe oon früh an mirtfamen ©emalten befähigt. 9tur
eine große Segabmtg , ein Xalent ober ©enie oon
©otteö ©naben öoKbringt e§, ihren SannfreiS ju
überfd^reiten unb fid) bie freiere Sphäre ju erobern,
bie feinem SBefen ©efeß unb iftothtoenbigfeit ift.
Sn ÜJiarianne Sranbt, ber größten 2lltiftin,
meldfe bie beutfcEje Sühne ber Sefetjeit befaßt, betoun»
ä
349
bent wir eine fold^e mutfjig auSbauernbe Kämpferin,
ein fo tapfer fiegenbeS ©enie. 2Beit abfeitS tagen
fünftterifche iöebürfniffe unb ©epftogenfjeiten bent
Saufe , barin fie — SJiaria 2fttna ©ifcfjof tautet if)r
eigentlicher 9tame — ant 12. September 1842 in ber
SSiener SSorftabt SRargarettjen geboren ttrnrbe. Satte
auch ber SSater , eines in ber guten atten Seit fcf)txetl
reich geworbenen 93anbfabrifanten Sohn , in früheren
Satiren burch Umgang mit Zünftlern unb namentlich
SJtatern, bie im elterlichen Saufe öerfefjrten, manches
fünftterifd) 2Inregenbe in fidh aufgenommen : jur Seit,
ba Sltarianne ihm ats erfteS ®inb einer ^weiten ©he
geboren mürbe, mar jegliches fünftterifche ©tement
tängft untergegangen im nüchternen Treiben beS ©e*
fchaftShaufeS, baS , theitS burch grofje SSertufte, theitS
in Sotge beS bem SSater mangetnben ©efchäftSgeifteS,
fich nicht auf ber Söt)e hatte haften fönnen, ju ber eS
ber ©rofjöater gebracht. Arbeit, Arbeit Dom frühen
ÜDiorgen bis jum fpäten 9tbenb mar bie ißarote beS
SaufeS, in ber auch bie SOlutter, bie, ats SBaife oom
©ropüater SÖifc£)of auf’S einfachfte erjogen, mehr-
©nergie uub inbuftrietten Sinn ats ihr ©atte befajs,
ihre befte greube unb ©enugthuung fanb. SQ^ufitalifcf)
gebitbet mar feinS ber ©ttern, feinS hatte eS auch uur
jur ®enntnifj ber üftoten gebracht. So hett unb üott=
tönenb bie Stimme ber SRutter in ihrer SDiabchenjeit
burch’S SauS ftang, für aU’ bie Sieber unb SBeifen, bie
fie fang , hatte fie feinen anberen 8ef)rmeifter gehabt
atS ihr gutes ©ef)ör, baS Stiles , was ihr Dt)r uur
irgenb auffiug, treu bewahrte, ©in ernftereS mufifa»
tifcheS Stubium bünfte ihr bentgemäfj auch bei ben
Sinbern, bie fd)Iicht bürgerlich erlogen werben fottten,
überftüffig, unb praftifdj, wie fie mar, beftärfte fie bie
©rfatjrung , bah ein fiebenjühriger ©latiierunterricht
Sfe. ■ M
350
bei SÖtarianneS älterer ScfeWefter aus erfter ©fee fein
weiteret fftefultat ergab, als bafe biefe fiel) allenfalls
mit einem Sßaljer leiblich abfattb, in bem ©ntfefetufe,
bei iferem eigenen Siitbe ben 2ujuS eines ©laöierlefe»
rerS ju fparen. ©aff Marianne eben fo öiel leben»
bigen Xonfinn an ben Sag legte als er itirer Scfewefter
mangelte, blieb gänjlicfe aufeer Serücfficfetigung. SDtocfete
fie immerfein ben ganzen Tag fingen unb trällern unb
fitfi naefe tperjenSluft alle SMobien auf bem ©latiier
jufammenfuefeen : fein aufmerffameS Singe unb Dfer
waefete über ben erften finblicfeen ®unbgebungen ifereS
bereinftigen SerufS.
SJtan liefe fie in ©otteS Stauten breijefen Safere alt
werben, beöor man fiefe entfcfelofe, fie §um Regens
chori in ber Sorftabt ÜDtargaretfeen in bie ©ingfefeule
ju fefeiefen, bamit er ifer bie Serattnife ber Stoten bei»
bringe. Sßie fie in ber Scfeule, ber Siebling aller
Seferer, leiefet begriff unb eifrig arbeitete, fam fie auefe
in ber SDtufif fcfenellen ScferitteS üorwärtS. @S wäferte
niefet lange, fo üertraute man ifer bie Sopranfoli in
ber ®ir<fee an. SllS fiefe bann ifere Stimme mefer naefe
ber Tiefe entwidelte, trat fie, nun ttotn alten Stupreefet,
bem Regens chori ber ©artSfirefee, einer ber fcfeönften
unb gröfeten ®ir<feen SBienS , geleitet, jum Sllt über.
Sluefe einen ©latiierleferer featte man ifer mittlerweite
enbliefe jugeftanben. Tie $eit jum Üben freilict» warb
ifer färglicfe jugemeffen. „Stur SlbeitbS, naefe beS TageS
SJtüfe’ unb ißlage" fanb fiefe ein ©tünbefeen, Wo fie fiefe
an’S ©taöier flüefeten unb — ©atonftücfe fpielen burfte,
ba Tonleitern unb ©tüben ben müben ©Itern feine
Dferettweibe bereiteten. Slm ©laüier ju fingen aber
War ifer anfangs im ipaufe ftreng unterfagt. ’ „©in
orbentlicfeeS SSürgermäbcfecn“, fo meinte man, „bürfe
fiefe niefet mit berlei unnüfeen Tingen befaffen.“ Sei
fo- M
351
bei* Arbeit bagegen, fei e§ be§ ÜD?orgen§ mit bem
Söefen in bei §anb, ober am iJiätjtiftf), ober am „SSafcf)5
tag", mo fie fotzen muffte, beim §erb, fonnte fie, fooiet
fie wollte, ihrer ©angegfuft (genüge fljun.
6§ gab ja feine häusliche SSefdijäftigung, bie fie —
gleich bei älteren ©chwefter, bie if)r ooranging, unb
ben jüngeren beiben, bie ifjr folgten — nicht erlernen
unb ausüben muffte , bamit fie bereinft eine brauch5
bare, gut bürgerliche §au§frau abgebe. SUchtSbefto»
toeuiger mar bie $orfteßung, baff fie nach ber SDJutter
SSorbilb einft auch Gefährtin irgenb eines gabri=
fanten äuSerlefen fein foße, wenig nach ihrem Sinn ;
fie ftimmte fo gar nicht mit bem überein , was fie in
ihrem Innern ftürmen unb wogen fühlte, ©o fern
ihr auch noch ber (gebanfe an eine fünftlerifche (Ear=
riere tag , benn bem engbegrenjten (geficfßSfreiS ihrer
Familie galten bie „Xheaterhrinjeffinnen" atS eine tief
oerachtete ÜDJenfchendaffe, unb nur „ooß 2fbfcheit würbe
man baran gebacht haben, eine XodE»ter beS£>aufeS auf
fo abfcf)üffiger 93af)n ju fehen" : fo Waren hoch, feit fie
mit fiebjehn fahren bie (genüffe, welche ©djauffiief
unb Oper bieten, juerft aus eigener Slnfchauung fen»
nen gelernt, lebhafte (belüfte nach 2Bieberhofung.ber=
artiger greuben in ihr rege geworben. ,8ur 93efrie=
bigung berfefben brängte eS fie, ficE) felbftänbig ju
machen unb auf bie eigenen jungen güffe ju fteßen.
Sen fßfan, eine ©djufe für SCeiberoerfertigung ju er=
richten , miffbißigte inbeff bie ßRutter. SSon einem
gefdjäftlichen Unternehmen woßte fie, Wofß baitf ber
eigenen (Erfahrungen, nichts wiffeit. „@ieb ©ing=
ftunben", rietf) fie. 2ÜS fie aber, SftariannenS Gin=
wanb unzulänglicher Üt'enntniffe gegenüber, auf bie
Unmöglichfeit hinwies, bei ben foftfjnefigen ©tubien
zweier @öt)ne noch baS Honorar für einen renommirten
.§&=
p
©efangEef)rer ju erfdjmingen, irnar ber ©ntfdjluf; it>rer
£ocE)ter fdjneEE gefaxt : bie SJJittet ju it)rer ESEuSbilbung
moIEte fie ficf) fetbft oerbienen. 3n berf eiben Stnftatt,
tt)o iljre <ScE)tDefter nod) lernte , oerbingte fie ficE) als
Seljrerin im ®leibermad)en , barin fie auSreidjenbe
gertigfeit befafj. SBar fie bereits 1861 bem GEEjor beS
ju jener Seit unter Jperbecf florirenben „SingoereinS"
beigetreten, ber, mit ©onferbatorium unb „(Sefellfdjaft
ber EDtufilfreunbe“ in Serbinbung ftetienb , if)r halb
audj bie 33ermenbung für (Solopartien in ben ©efefl»
fdjaftSconcerten oermittelte, fo trat fie im !yat)re 1862,
nun jmanjig 3af)te alt, mit ©intoißigung ifjrer SEtern
als Sdjülerin in baS SBiener ©onferüatorium ein. 2) er
(SefangSprofefforin Sttarfdjner jugetEjeilt, naEjrn fie
nebenher nod) italienifdjen unb 2)eclamationS=Ünter=
rictjt, SEEEeS in ber SEbfidjt unb Hoffnung, ficE) binnen
SaljreSfrift bie für eine ©efangletjrerin erforberlidjen
®enntniffe anjueignen. Höljer Ijinauf gingen bajumat
ifjre SBünfdje unb Hoffnungen nod) nidjt.
„@S war“, fagt fie felbft, „eine Ejarte geit, ba id)
täglich öier Stunben Unterridft im ®Ieibermad)en
geben mufjte, aud) meine Arbeiten im Haufe nic£)t ber*
nadjlaffigen burfte unb breimaE bie 2Bod)e fünf Stun*
ben ©onferbatorium Ejatte. 3d) fdjEief barnaES !aum
hier bis fünf Stunben unb ftanb im Sommer um brei
UE>r, im SBinter jmifdjen EjaEb oier unb Ejalb fünf Xlfjr
auf. 33on bem, toaS icf) mir burd) Unterrichten ber*
biente, jatjlte id) baS ©onferbatorium ; mar eS bocf)
fd)on eine grofje SBergünftigung , bafj man mir über*
Ejaupt bie Jjeit baju tief). Sd) mad)te bamaES foE*
genbeS Sprüchlein, baS meine Slnfdjaitung ber Sadje
djarafterifirt :
SOtein Siebfter beifet ©efang;
2)em bleib’ id) treu mein lebenlaitg,
te- M
ßa 9)1 a x a, (stiifrienföpfe. V. 353
23
Unb meine greunbin, bie Srfjneibetei,
Die fjab’ id) immer nebenbei."
Unb bennod) lant gar halb bie ^eit , wo fie „bie
greunbin ©djneiberei" für immer t>erabfd)iebete, um
fid) „bem Siebften ©efang" ganj unb tiöllig ju er»
geben, güljrte bod) ber Simmel felber fie burd} ein
abfoitberlid) ©reignifj bem erfeljnten ,ßiele näfjer.
SOiit ber grofsen ©eene ber Stedja au§ £>aleüt)’§
„Sübin" trat SJiarie Bifdjof — fo nannte fie fid) ju
ber ^eit nodj — in ber ©onfert>atorium§prüfung im
guli 1863 eben auf, al§ ein heftiges (Gewitter plöfs
lief) loSbrad} unb ben §immel öerfinfterte. Dunfle
9tad)t warb e§ mit einem SOlale im ÜDiufifbereinSfaal ;
man muffte für fünfflidfe £elle ©orge tragen. gudenbe
Nötige, groüenbe Donner bilbeten bie lebenbige Deco»
ration unb Begleitung ju ben SSorten ber Slrie : „Die
9tad)t unb i£)re ©djreden, be§ fernen Donnert Stollen,
o ©ott, wie fürdjterlid) !“ 2Bar e§ ein SBunber, wenn
bie Bortragenbe fid^ mitten hinein geriffen füllte in
bie Situation, öon ber fie fang ? war, al§ würfen
bie Bli§e ben günbftoff in iljre eigene ©eele ; in lidjter
glamme loberte ba§ it>r eingeborene bramatifdje geuer
empor. Der ©oncertfaal oerwanbelte fid) ilfr jur
Bülfne, bie fünftlerifdje Aufgabe geftaltete fid) il)r jum
©rlebniff. ©elbft fjingeriffen, rifj fie and) ba§ ißubli*
lum in ungewöhnlicher SSeife mit fid} fort. Dafj fie
auf ber Bühne ihren eigentlichen naturgemäßen Bobeu
habe, barüber war feiner ber §örer im Zweifel, bie,
ergriffen üon biefem leibenfdiaftbefeelten ©efang, ber
Offenbarung be§ neuen machtöollen Dalente§ laufdj=
ten. „@ie müffe jum Sweater" : bal)in einigte fid) ba§
Urtfjeil ber mit Beifall nicht fargenbeit uielföpfigeit
Berfammluug, Doch Weber bie Debütantin nodh if)re
©Itern nahmen fich ba§felbe fonberlidj ju fersen.
&
ä
354
<*— ~ — S
Ratten fidj nicfjt auch bie Überrebunggoerfucfie ißrer
Seßrerin , bie juerft auf ifire bramatifdje Vegabung
aufmerffam geworben war, feit langem fruchtlos er»
wiefen? Sßunberlid) wiberftreitenbe ©ntpfittbungen
befämpften fid) in ber jungen Sängerin. UnWiber»
fte£)Iic^ angejogen unb abgeftoßen jugleitf» füllte fie
fid) non ber baS ßeben wiberfpiegelnben ®unft unb
bem if»r anßaftenben äußerlichen 2tp^>arat. £roß aller
lebhaften bramatifchen Smpulfe beßerrfdjte fie ein
tiefer S&iberwiße gegen ba§ Xßeatertreiben , unb in»
mitten beleihen ju ftet)eu bäuchte iljr, ber auS engen,
ffeinlichen SSertjäXtniffen §erau§gewad)fenen, gleiche»
beuteub mit moralifdiem Untergang.
2lu§ bem glänjenben ©rfolg ber Prüfung ben
©Itern gegenüber Uüglidj ÜDZunje ju prägen, oer»
fäumte fie gleichwohl nicht. 2Ba§ fie errang, war bie
©rlaubniß , noch ein jweiteS gaßr , bel)uf§ weiterer
2lu§bilbung , auf bem ©onferoatorium ju ftubiren.
®em £>anbwerf teerte fie nun ben fftüden, fich ganj
ber S'unft ju wibmen. Sie hing bie profaifdje Schnei»
berei an ben fftagel , nahm bafür ©laöier» unb @e=
fangfdjülerinnen unter ihre glügel unb feßte bie Ve»
fcßäftigung mit biefen aud) fort, als fie 1864, burch
Verleihung ber filbernen föiebaüle „für Talent, gleiß
unb Sittlicßfeit" auSgejeicßnet, bie 9)tufiffd)ule oerließ.
Sem eigenen Stubium entfagte fie bamit noch
leineSwegS. ißrioatim genoß fie aud) ferner grau
9Jiarfct)ner’§ Veleßrung, unb ba fie nun auch in ©on»
certen unb Vereinen öfters gehört Warb, mehrten fid)
bie Stimmen, bie lauter unb immer lauter ißren Vüß»
nenberuf beglaubigten. Sa fpracß enblid) ß. 21. Bell»
ner , ber befannte SSiener ÜÜhtfiffritifer , baS entfdiei»
benbe SSort. Vor feinem berebten Beugniß, baß fie
Wie SSenige §ur Vüßne gefdjaffett fei, baß er felbft fie
ä
355
23*
— M
für biefelbe oorbereiten motte , mufjte am (5nbe aud)
ba§ fjartnädigfte SSorixvtJjeit meinen, ©djritt für
Stritt befiegte er jeglichen SSiberftanb , ftubirte fei»
nem ©djüijting mehrere Partien ein unb vermittelte
ipm ein erftes fcenifd)e§ Auftreten.
©o mar e§ in ber Spat fein SBerl unb SSerbienft,
baf? bie faft Sünfunbärnansigjaprige mit einem erften
SBerfurfi at§ fftecfja am 4. Januar 1867 in Dtmüp in
bie 23üpnentaufbapn eintentte. Um im galt be§ Mifh
Iingen§ ben ©ttern unb fiep fetber, namentticp vor
ifjren ©cpüterimten , benen fie ipr SSorpaben geheim
piett, eine 93efcpämung ju erfroren, griff fie nacp ber
bequemen Ma§fe ber Ütnonpmität. Sem Mäbcpen-
namen itjrer Butter : 33ranbftetter, unb iprem eigenen
SSornamen Maria 5tnna entlehnte fie ben tarnen
Marianne SSranbt, unter beffen ©dpup fie ben erften
fotgenfcpmeren ©cpritt au§ bem engen Stieben ipre§
|>aufe§ pinau§ auf bie gefürchteten Bretter magte.
©otcper 33orficpt pätte e§ inbeffen nicht beburft ; benit
ber erfte Sßerfucp gtücEte auf’§ befte unb hatte batb
meitere groben ihres Sonnen§ at§ Sljucena unb $a»
tentine an fetber ©teile jur Sotge. Ser fetbft gemailte
•Karne aber gefiel feiner Srägerin beffer at§ ber ipr
Vom ©dhidfal befcperte; auch fapen bie (Sttern ipre
i^ünftlerfcpaft unter einem anberen -Kamen lieber : furj
für bie Sunftmett mar unb blieb fie fortan Marianne
Siranbt unb gemann fiep at§ foldhe 9tupm unb Spren.
Iftafdh unb unaufpattfam führte nun ihr 2Beg empor
jur ipöpe. Spreu erften mirftiepen Sriumpp errang
ihr halb uacp bem Dtmüper Sebüt ein ®aftfpiet in
®tagenfurt at§ Komeo. @o fcpeu unb ängftticp ipr
aucp in SricotS unb Männermam§ ju Mutpc mar, fo
fepr fie and) ber entfepte 2tuSruf iprer 93rüber: „2Ba§,
fo mittft bu vor’§ ißitbtifum gepen, Marie? Sa bift
&
350
fr • «
bu uitfere @cf)Wefter nicht mehr!“ oon oorutjeretn um
alle Unbefangenheit gebracht hatte : bag ißublifum mar
unermüdlich in 33emeifen feines SBohlgefaHeng , mol)l
mehr alg jmanjig SDtat jubelte eg ben fchüchternen
Stomeo h^or, ber gar nicht an fein (Slücf glauben
mollte unb eg bocfj noch nach Sahnen ftauneub erfuhr,
mie tief unb nachhaltig ber (Sinbrucf feiner noch an*
fängerifchen Seiftung gemefen.
gefthatten für nahezu ^5a£)resfrift lief? fich ÜDtari*
anne im Sani 1867 in ber fteirifdjen fpauptftabt.
®ort auch trat fie. nachbent fie biStjer bramatifctje
Sftezzofopratt* Sollen gefungen, in bag Slltfah über.
®a ihr jebodj menig fünftlerifche SSefriebigung aug
einer Shätigleit ermuch§, meiere fie, unzulänglicher
Stubienjeit zufolge, nöthigte, mit halbfertigen Sei*
ftungen üor bag ißublilum zu treten , fdjlug fie- eine
ihr angetragene SSerlängernng beg ©ontracteg mit oer*
bofofoelter (Sage aug. Sn einen ermeiterten Sßirfungg*
freig hiuaug brängte eg fie, unb fo machte fie fidb» benn,
einen Vertrag mit bem Hamburger Stabttljeater in
ber Xafhe, am 13. ülpril 1868 — eg mar am ©har5
famftag — „nicht ohne gittern unb gagen zum erften
total ganz allein auf ben SBeg in’g Slttglanb."
„Sn Berlin“ — fo hören mir fie felbft — „machte
ich Nachtruhe unb mollte ben bamalg fo berühmten
Slgenten Stöber auffudjen, ber gegen mich in §am*
bürg intriguirt hatte, ohne mich Su lernten. @r etn*
hftttg mich mit ben ^Sorten : „SEag motten Sie in
Hamburg? S <h habe bort bie Sieht oorengagirt. Sie
lommen niht an.“ Sh ermiberte : „Sttein Slgent hat
mir gefagt, fingen Sie nur bort, man mirb Sie
bann fcfjon engagiren!“ Stöber oerlangte nun, ich fotle
ihm oorfingen, unb ba idf ben „Segen" aug bem ztoei*
teu 9lct beg „ißropheten“ gefuitgeit hatte, tourbe er
Sfr -
357
gteicf) ganj freunbtict) unb fagte : „Sieben &inb, Sie
toerben nic£)t nacf) Hamburg gefeen , Sie toerben in
Berlin engagirt inerben." Sd) inar tnie Oom Bonner
gerüfert. (Sr fdfedte mict) gteid) in’S SBureau beS Sn»
tenbanten, id) follte unt ein Ufer im Dpernfeaufe ißrobe
fingen — unb um f»atb jtoei Ufer featte icfe einen 2tn»
trag für Berlin mit 1800, 2000 unb 3000 Ratern
auf brei Satire."
„SBie baS Rtäbcfeen aus ber grembe erfd^ien fie.
SJtan toufete niefit toofeer fie tarn, unb Riemanb featte
iferen Ramen bisfier gehört. (Sine fcfetanfe, feofee ®e=
ftatt mit bleichem 2Inttife , nid^t frönen , aber beben»
tenben $ügen , ftugen , fpäfeenben 2lugen , feaftig in
Spracfee unb SSetoegung" — fo fcfeitbert fie ein Rügen»
unb Dferenjeuge jenes entfdfeeibenben ißrobemorgenS*),
inbem er feinjufügt: „Sie featte faum gefdfetoffen, als
ifjr ba§ Drcfeefter tnie auS einem ÜÜtunbe Söeifaft §u=
rief." So blieb es benn babei : SJtarianne 93ranbt
ging nicfet nacfe Hamburg ; ats Racfefotgerin Sofennna
SBagner’S unb (Steonore be Rfena’S bot ficfe ifer in ber
norbbeutfdfeen ^auptftabt bie angemeffenere Stellung.
„Scfe fanb micfe fetbft", fagt fie befdfeeiben, „nocfe fiel ju
unfertig für fotcfee (Sfere unb featte audfe tnirMid^ tnieber
fearte $eit, bis icfe einigermaßen 33oben feier getnann.
®odfe ging eS tangfam nortnärtS, unb feabe id) beSfeatb
immer bie gleiche 3)antbarfeit für baS berliner $ubti»
tum, baS micfe fo toofettootlenb üon ben fdfetoacfeen Sei»
ftungen an nortnärtS fommen tiefe.“ Sfer Repertoire
toar atterbingS junäcfeft nocfe befcferänft, erft attmätig
aucfe mufete fie ficf) bie nötfeige Routine getninnen unb
in ber bunten SBett ber (Soutiffcn nöttig feeimifcfe tner»
*) 6. ©. tReif. OflufifatifcbeS ÜEBodicnMatt. IX. Saljtg. 91*. 1.
358
<ß . '*
beit. Sam ihr bod^ aud) nicht einmal ber 33ortf)eiI
öfterer Anfdjauung non früher ^er 51t ©ute, ba fie faft
nod) nid)tg gehört unb gefehen hatte, af§ fie fetbft bie
Süfjne betrat.
„2lf§ fie bie (Sgfantine jurn erften Sftafe fingen
fodte", berichtet it>r Söiograph im „SJiufifafifchen 3Bo=
chenbfatt", — „eine Stoffe , bie fie fpäter fo bemun=
berngmürbig gab, baff ein büf)nenfunbiger 9Jtann bem
Sdfreiöer biefer Beden öerfidferte , feine ber nieten
itjm befannten Sängerinnen reiche if»r barin big an
bie Snie, — tnar fie nod) auf ber (Senerafprobe un=
fieser. „ÜJlit meiner (Sur^antfie ging eg nicht nief
beffer", erjätilte ung SJtatf)ifbe ÜDtalfinger , „unb afg
mir mit einanber nach £>aug fuhren, ba haben mir erft
um bie SBette geteuft, bann f»at fie mir gerätsen, mie
id) nod) in ber 3tad)t ftubiren fottte. 3cf) ^abe if)t
Sttutf) äugerebet, unb fdffiefifid) mürbe mieber gemeint.
Aber am anbern Sage ging’g bod^i !"
Aug ber genialen Anfängerin entmidette fid) in
Serfin bie SOteifterfängerin , beren Stuf) nt meltfäufig
gemorben. Unabfäffig an ihrer tßernodfommnung ar=
beitenb, emfig bemüht, fort unb fort nid)t allein f>raf=
tifcf» fonbern and) ftyftematifdj ju fernen, oermanbte fie
itjre Urfaub^eit im Sommer 1869 unb 1870 ju
Stubien bei ißaufine 33iarbot=@arcia in 93aben=93a=
ben. Sene bejeichnete fie afg eine ihrer begabteften
Schülerinnen , unb fie fetbft befennt , „ber genialen
grau oief öon bem, mag fie fönne, ju oerbanfen.“
3m fofgenben 3afm ftubirte fie fobann bei (Sdert in
Berlin itafienifdje ißartien, fid) für ihre breimonatfid)e
SJtitmirfung am ©oüentgarben * Sweater §u Sonbou
mäfjrenb ber Seafon 1872 Oorbereitenb. Bu itjrcr
eigenen (Senugtfjuung oerfief jebod) bag engfifdfe ©aft=
fpief nicht, ba in (Srmaugefitng eineg tpefbentenorg bie
& ' ^
359
s21uffüf)rung bott „ißrophet" unb „Sohengrin", für bie
fie in erfter Sinie engagirt war, unterblieb. Stur al»
Sttiira unb ein einzig SDtal als ffibelio hörte ntan
fie in Sonbon. Ungeachtet be§ @rfo!g§, ben fie babei
erntete, aber fclßofj fie für ein nädjfteä Qa^r mit @pe
nicht wieber ab.
Statt beffen war fie nahezu ein Salfr, bont grüh5
ling 1873 bi§ 1874, auf Steifen, ihren grofsen, in
■©erlitt gewonnenen Stuf burch faft aße großen ©täbte
®eutfcf)lanb§ unb nach ihrer £>eiwat tragenb. Smtri*
guen hatten ihr bie ©erliuer Steßung oerteibet, fobafj
fie ihre (Sntlaffung au§ berfetben erbat unb empfing.
2ll§ injWifdhen 1874 „Sliba" bem Stepertoire ber £>of*
oper eingereiht Werben foßte unb ber lyntenbanj teine
21mneri§ jur Verfügung ftanb , rief ntan SJtarianne
©ranbt unter günftigeren ©ebingungen benn jubor
jurücf. 93eftänbiger, treuer Statur, be§ 2Banberleben§
iiberbrüffig, an bem ihr liebgeworbenen 2Birfung3frei§
hängenb, fehrte bie fcfimerslic^ ©ermifjte wieber, um
im Stpril 1874 bie 21mneri§ für ©eutfcfßanb, im fei*
ben SJtonat be§ näclfftfolgenben Sal)re§ bie Seah in
Stubinftein’S „Sßtaccabäern" ju creiren.
SBeit haßten bie Triumphe burch bie föunftwelt,
bie fie in beiben Partien, ptna! in lefßerer, wolß ber
anfprucf)3boßften, bezüglich be§ Umfangt wie ®ehalt§,
bie einer Slltiftin je §u Xheil geworben, feierte. Slu§
Stubinftein’§ eigenem SDtunbe wiffen wir, wie hoch er
ihre SBiebergabe feiner Seah fteßt. Schlechthin al§
„ibeal“ bejeidfnete er fie, unb feine Slttbere, fagt er,
fei neben ihr §u nennen.
Zugleich bramatifche unb @oloratur=Sängerin, be*
herrfc^t fie bie claffifcfje unb romantifdfe beutfdje, bie
italienifdje unb franjöfifche Dper mit gleicher Sicher*
heit. SJtan höre fie al§ 0rpheu3, Slptemneftra, gurie
fc. ' M
360
bei Raffel, ®onna ©loira, all @g£antine mtb 3Rar=
garere (iit Schumann’! „(Senooeoa") , all Sljucena,
SJlabbalena, Vomeo, Drfitto, all SSatentine , gibeS,
Selica, Vecha, Dberpriefterin („Veftatin") ! Sin ihren
gibetio oornehmtich wirb Stiemanb, ber iljn faf), offne
innere Gsrgriffenheit jurücfbenfen. SßeicE)’ treue, wert»
tf»ätige Vefennerin unb Slnljättgerin aber war fie allzeit
bem Sunftwerf SBagtter’S! (Üefjören nicht Stbriano
unb ©lifabetf), Drtrub unb Vrangäne feit langem ju
ben Sieben ihre! ^Repertoire!? 3f)re Sarftedung ber
Drtrub 50g bereit! im (Sommer 1870, mäf)renb ber
SRufterüorftetlungen SBagner’fcher Opern in SBeimar,
mo man fie all bie erfte Vertreterin biefer Volle in
$eutfcl)lanb prie! , ßi!jt’S lebhafte! gntereffe auf
fich, ba! ifjr feit jener 3eit itnoerminbert jugewaubt
blieb.
Stl! wäl)renb ber Vapreuttjer geftfpiele int Stuguft
1876 bie Darftellerin ber SBaltraute, grau gaibe,
plötzlich am „Siegfrieb'^Xag fjeifer warb, lernte ÜDlari*
anue Vranbt über 5Racf)t bie Partie, um fie an Stelle
jener bei Stuffüfjrung ber „@ötterbämmerung" Sag!
barauf ju übernehmen, „greilicfj war meine Seiftung
auch barnach“, fagt fie felbft in ihrer tieben!Würbig
befcheibenett , oon Selbftgefätligleit hintmelweit ent=
fernten Sßeife. Slnbere aber bachten anber! unb banf=
ten ihr ihre echte Sünftlerthat beffer all fie felber.
Obenan SCReifter SBagner. @r erfal) fie neben Slmalie
SRaterna jur erften Vepräfentantin ber Suttbrt) in
feinem Vühnenweihfeftfpiel „ißarfifal". ©rofjeS, 33e=
beutenbe! erwartete er bei ßöfung biefer fc^wierigften
aller gefangticf)5bramatifchen Stufgaben üon Slnbegimt
oon ihr. Schon beim btojjen Vorlefen ber Partie, bie
fie im Sommer 1881 in Vapreuth oorbereitenb mit
ihm burchnahm , befannte er fiep auf! 1) öd) fte über»
k ' M
361
tafelt ; atf feilte Intentionen fanb er oon it)r erfaßt
unb jum 2tu§brud gebracht. ®er fonft fo fcfjwer §it
befriebigenbe SOleifter bejeicfjnete ifjre bamat§ erft in
ber Stntage fertige Seiftung nidft nur at§ eine geniale,
fonbern at§ eine unüergteic£)tid)e — unb bürfen wir
Sitte , bie wir nun itfre ®unbrt) in S3at»reutl) gefetjen
unb gehört, fein Urtlfeit nicf»t frenbig unterfdjrciben ?
@o £reffli(f)e§ audj 2lmatie SJiaterna, bie berühmte
©dföpferin ber 23rünnf)ilbe, in ber gleichen fftotte bot,
ööttig anfcfjaulicl) unb toerftänbtief» trat un§ ba§ rätf)fel*
unb wiberfprud)§botIe gauberweib, bie „Urteufetin",
bie fid^ in eine büfsenbe SJiagbalena oerwanbett, erft
in SJiariamte 23ranbt’3 3)arfteKung entgegen. 2ln
geinfjeit ber pft)(f)otogifc^en Aufarbeitung, an bärno»
nifc^er Sraft unb ©enialität ber gefammten ©eftattung
gab fie nid^t leidft ju Übertreffenbe§ , unb wenn ifjre
buntlere, gtanjlofere <3tintmfarbe bem ©itberftang
oon Stmalie 3Jiaterna’§ Stimme an finntidjem Räuber
nad)ftet)t, fo ift bafür ba§ ©eiftige, ba§ ©eetifdfe ber
Partie bei if)r in um fo entfdfiebenerem Übergewicht,
deinen $ug läfft fie fidf entgegen, ber bie @tarfeit unb
33eftimmtt)eit if)re§ fdjarf umriffenen ©barafterbitbe?
förbern fönnte. Ü0iit alter itjr ju ©ebote ftefjenben
Seibenfdfaft unb bramatifdjen SBat)rf)eit ftattet fie
ba§fetbe au§. ©in ootte§ !yat)r — wir hörten e§ oon
ilfren eigenen Sippen — oertiefte fie fidf in ba§ ©tu*
bium ber ißartie ; in it)r gef)eimnif5üotte§ Sßefen lebte
fie ficf) oöttig ein, um fobann ber natjeju fertig in if»r
au§gereiften ©eftalt mit be§ Sidftercomponiften per*
fönlid^er ©inwirlung bie tetjtc SSottenbung ju geben,
©o ju itjrem eigenen Steift unb 93Iut geworben, tra*
ten be§ SOJeifterg Intentionen un§ lebenbig in it)r ent*
gegen, unb Oon ber 2ßeif)e be§ 9lugenbtid§, ber 3n=
fpiration getragen , geftaltcte fie oor itnfercn 93tiden
*
ein SJieiftergebitb , für baS ttjr Sitte , bie eS geflaut,
bteibenbett ®anf itnb eine unauStöfcf)ti(f)e (Erinnerung
fdjutben.
ttttan tjat gefagt, wer bie grofje Sdjröber=®ebrient
in itjrer guten ,ßeit getannt habe, finbe SOtarianne
23ranbt itjr congeniai unb ebenbürtig, Zweierlei, baS
ift gewifj, hatte bie bramatifihe ©röfje ber Vergangen»
heit bor ber ber ©egenwart borauS : an Schönheit ber
perföntidjen (Erfdjeinung wie ber Stimme tönntc bie
jüngere ficf) mit ber älteren Jfturtftfdjwefter, !äme fie
wieber, nimmermehr meffen. Um fo fdjwerwiegenber
freitid) nur erfdjeirtt baS SSort, baS, troj3 ber ungleichen
äußeren ttiaturgaben , 93eiben bie gleiche SD^ad^t ber
SBirfung juerfennt. Um bieleS beftedjenberen, impo»
fanteren SBühnenerfdjeinungen, größeren unb fcfjönereit
Stimmen, atS wir fie in üüiarianne 93ranbt berförpert
finben, finb wir mannigfach begegnet. 9Zicf)t im Hang»
liehen Steige it»re§ DrganS, baS, unbefdjabet feines Um»
fangS nach ber §öhe hin — fteigt bom Keinen G
bis gum breigeftridjenen D hinauf — feine bunHe,
warme SHtfarbe bewahrt, liegt bie twn ihr auSgetjenbe
ttJiacht ; eS ift baS ©eiftige, baS burct) unb burd) ©e»
fühlte unb durchlebte, baS eminent dramatifdje ihres
©efangeS , WaS ihn für unS fo wirfungSbott macht.
3n ber drantatiferin geht bie Sängerin auf , ja um
biefer Witten fdjeint jene nur ba gu fein. So paart
ficf) bei ihr eine fettene Jperrfchaft über bie Stimme mit
©rö^e unb Seibenfdjaft beS (EmpfinbenS unb bewun»
bernSWerttjer ©eniatität in Stuffaffung unb durch»
fiihrung ber entgegengefetgteften ©haraftere , ohne bah
fie babei, Wie biete ihrer (lotteginnen im 93üf)nenberuf,
im Bereich ber reinen Sprit unheimifdj bliebe. (ES
giebt Sieber, bie man nicht fdjöner atS boit ihr hören
tarnt. 2Bie biel danf unb Scifatt hat fie ficf) nicht
. M
363
W~ — — *
aud) al§ Sieberfängerin int ©oncertfaal wie in s$riDat»
(reifen üerbient ! 2)enn fie ift freigebig , eingebenf
beffen, bafj fie nie! ju geben f)at.
Unb biefen 8d)a| an Dielfeitiger 2eiftung§fäf)igfeit
unb feltener ^utiertäffigfeit liefs ficf> bie berliner |>of»
oper, bie if)n iljr eigen nannte, entgegen ! dreimal
t)atte üötarianne 33ranbt Anträge ber SBiener Dper
abgelebt. @ie tjatte, fo freubig e§ fie betnegte, baff
ifjre glänjenben ©rfolge bafefbft int $uni 1880 ttocff
bie testen SebenStage iJfrer tränten ÜDtutter Derflärten,
ber Soduttg wiberftanben, al§ ®ünftlerin auf ber fjöJje
be§ 9tut)me§ i£)rer fjeiteren, frönen Sßaterftabt bauernb
wieber anjugelwren , um in bem ifjr an’§ fferj ge»
wadjfenen 2Birfung§frei§ Derbleiben ju tonnen. Sie
(jatte gebaut, Berlin , bafetbft fie, bie mitftfalifcf),
fprac^ticE) unb literarifd) (jotf» (Mebilbete, in SBefen unb
SBanbel allfeitig nad) SSerbienft ©eadftete, ein begehr*
ter ©aft ber f)öcE)ften ®efeltfd)aft§freife geworben War,
uic£)t tnefir ju oertaffen. fpatte bod) aud) föäifer 2Stl=
l)elnt it)r burdf bie (Ernennung jur ®ammerfättgerin
1879 feine befonbere Setzung fnnb gegeben. 2Idein
Sntriguen, Wie fie fctjon 1873 wiber fie gefdfäftig ge»
wefen, trieben Don neuem if)r garftig Spiel; ifinen
muffte fie weicffen. 2>em Dom ®aifer bereite bewillig»
ten leben§läitglicf)en ©ontract, ben fie erhalten füllte,
würbe eine ^laufet angefügt , bie ilfre fünftlerifdje
Stellung berart befc^ränfte, baf? fie nid)t barauf eilt»
gefjen ju tonnen ertlärte. SBa man fidf gleic^wof»! ju
feiner Slnberung fterbeiliefj , fa() fie ficf) gezwungen,
mit Slblanf i()re§ ©ontracted am 1. SDlai 1882 fiel) Don
ber föniglidfen Oper ju oerabfe^iebett. 211§ 3nbe§, mit
ber fie ficf) einft f)ier eingefülfrt, freute man fid) am
29. 2lpril il)rer f'ünftlerfdjaft jum lebten SJtale unb
gab it)r bttref) ein faft erbrüdeitbe§ Übermaß Don 0Da»
$
364
W — — — — ^
tionen bemonftratiü genug funb , wie tief man ihren
aSerluft beflage.
33on neuem nahm fie ihr früheres SBanberleben
mieber auf. ©ie fang in ÜDiündjen, SBien, in Soitbon
bei ißotlirti*9tichter’g beutfcfiem 0pernunternef)men, in
SBatjreutt), Seipgig nnb berpflichtete ficE) , auch bei 2Bt*
gelo Reumann § manbernbem Stidfarb SBagner^heater
periobifd) tbätig ju fein. „(Ein fefte§ (Engagement", fo
äußert fie fiel) Be^üglicfj ihrer ferneren ißläne, „nehme
icf) n i cb) t met)r an, nnb nad) ein paar fahren ®aft=
fpielen fefjre id) ber Söätine ben SRüden. Sie testen
(Erfahrungen tjaBen mir ba§ Theater grünblich ber*
leibet. Sßenn ich & erlebe, merbe ich bann, wag id)
jiterft werben follte : ©efanglehrerin. Tenn bag Thea*
ter fann nur bem ganj genügen, ber pm ®omöbianten
geboren ift; mir brachte eg immer mehr ©chmerjen
alg ffrreuben , wenn ich e§ flU1h ben einzigen Drt
anbererfeitg fdjähen mufj, wo fich meine fünftlerifcfie
Snbibibualität ganj entwideln formte ! "
365
w
|ft unb mit Siadjbrud tjat SRidjarb SBagner
e§ au§gefprod)en, baff, toährenb er bei fei»
nett fünftterifcfjen Unternehmungen „ber
Xüdjtigteit unb bem StRutf) nuferer Xtjeater*
rütjrer äufjerft fetten begegnete", ihm feine treueften
SKithetfer „im Kampfe gegen bie 5ffentticE)c Theater»
meinung tion fe au§ ben Seihen ber ©änger unb
SJiufifer" erftanben, baff er „rnahre görberung feiner
Siete ftet§ nur bei ben ®ünfttern", ben natürlichen
Prägern unb ©tüpen ber Jft’unft, gefunben habe. Sitte
groffe ©d)ar für ibeate Stufgaben begeifterter ©änger
unb ©ängerinnen jumat fammett fief», mit jebem Sapre
fiep mehrenb, um bie gapne be§ größten unb beutfcpe»
ften 9Jiufi!er§ ber Segentoart unb erwirbt fich, inbem
fie jenen mit üotter Eingabe bient, bie höhere Sotten»
bung be§ eigenen ®öntten§ unb bamit Sut)m unb
Stans be§ Samen§ bafür jutn ißrei§. Siegt e§ bocp
im treuen Sienft unb ißrieftertpum ber Jftüuft , bah
ba§ Opfer feiner fetbft reiche äinfen trögt unb man für
ba§ , toa§ man giebt, unöergteicplich h oberen Semitttt
jurüdempfängt. äRandje unferer beften unb ange»
fepenften SefangStünftter hat 2Bagner’§ Seniu§ erft
auf ihre eigentliche Sahn, auf ben SBeg ju Sröfje unb
Siipm getoiefen. ©ahen Wir nicht eben jept mieberum
japtreicpe ©terne fich um bie ©ontte oon Sagreuth
fcparen, um üon ihr erhöhte ßeucf»tfraft 51t borgen unb
Öa DJJara, 6tufrtcnföpfc. Y. 369
24
in ihrem Slbgtanj ftrat)tenber benn ^noor ju er*
feinen?
Ungern b<*ben mir bort ein ©ängerpaar tiermifet,
ba§, mo e§ 2Bagner’§ ®unft neue ®ränje ju erringen
gilt, fonft ftet§ tioranjufcbreiten pflegt int eblen 2Bett=
ftreit unb ba§ e§ bent ©icbtercomponiften tion je burdj
fetbfttofe Eingebung lohnte , bafj bie ^Berührung mit
feinem (Seniu§ e§ juerft auf bie §öt)e ber S?leifter=
fcpaft geführt. brauet tut» bie SSerbienfte Epeinridb
unb Sperefe 23ogt’§ nicpt ju fcbmätern, ba^ ipre
eigenen iEriumpbe mit benen SBagner’g jufammen»
fieten ; benn feine§meg§ tierbürgt noch toar ipnen ber
s$rei§ , ba fie um ifjn ju ringen begannen. 9Kepr
3tueiflern unb (Segnern ate (Staubigen noch begegne*
ten bie Offenbarungen ber neuen Sßagner’fdfen Sünft,
at§ fie bie Söegeifterung ber SBeiben entjünbete unb fie
fiep biefetbe fjinfort junrSeitftern erforen. Sbr (Staube
an ba§ Sbeat, ba§ bie ÜDtenge fctjmätjte, et)e fie e§ be*
wunbern lernte , aber trog fie nitf»t ; e§ mar ba§ 3ei*
eben, in bem fie fiegen füllten.
2In ben Ufern be§ (Starnberger @ee§, in ber tänb*
tieften ©title be§ ©d)utt)aufe§ ju £u|ing, mo ipr SSater
in unermübticber Arbeit ber fpetanbitbung ber ternbe*
bürftigen Sorffugenb obtag , bat £berefe 95ogt, ober
Xfjerefe £bonta, mie ibr tötäbebenname tautet, ihre
<Seburt§ftätte; bort btiette fie am 12. Stotiember be§
3abre§ 1845 jum erften ^Diate in biefe SBett unb bie§
Sehen hinein. ®ort auch Übermächte ihr SSater, !yacob
Xboma, tiott Siebe unb ©orgfatt bie erften Stufferun*
gen ihrer mufifatifeben ^Begabung. Sie Seicfjtigleit,
mit ber fie ba§ mufifatifebe 3tbc erlernte, ihre ©toper*
beit im Stotentefen unb ihre ftare Stimme , bie batb
jur §reube ber geifttidf»en Herren unb ihrer (Semeinbe,
für fedf§ baprifebe ^renjer pro üöteffe, ©onn* unb
fcs.
M
370
gefttagS auf bem Sljor ber Xuginger Sirene ertönte,
ioedten in ihm bie Hoffnung , baff in feinem Xöditer»
tein eine tüchtige Sängerin ^eranttJactjfe. Stuf alle
gatte fottte es , fo tnünfc|te er , einer f)öt»eren SluSbit»
bung tfjeitfjaftig merben. 2)od) nicht lange btieb eS
ifjm oergönnt, toie in Sittern, fo auct) in ber Soufunft,
ber gufjrer feines SiebtingS ju fein, griff) nat)m if)n
ber Xob oon beffen Seite t)inmeg, wätfrenb ber un=
gtüdtidje SluSgang eines fünfzehnjährigen ißroceffeS,
in gotge beffen baS Weine, feit oiertjunbert Sauren im
Sefif) ber gamitie Stjorna befinbtidje Öfonomiegut an
bie Sird)e oertoren ging, Summer unb flftifjgefchid ber
Seinen nod) erhöhte.
®eS fürforgtidjen SaterS toie beS oätertidjen S3e»
fiheS oerluftig , erbarmungslos Oon tpauS unb ipof
oertrieben, fat) bie junge Sßaife fid) burd) ben gebiete»
rifdien ^toaitg ber Serljäftniffe jutn energifdjen Sr»
ftreben beS fjietS gebrängt, baS ju erreichen bem Sater
nid)t befdjieben toar, baS aber fein Sot)n, Sefjrer
Xt)oma in Stgmphenburg, an feiner Stelle weiter oer»
folgte. SIlS treuer Sruber fid) ber Sdjtoefter annef)5
meub , brachte er bie Vierzehnjährige auf baS Sonfer*
oatorium ju ÜDtündien, um fie unter Seitung fperger’S
unb tpaufer’S, beS ®irectorS ber Stnftatt, bafetbft im
Sotogefang auSbitben ju taffen. Sin oierjätjrigeS
Stubium reifte fie jur fertigen Sünftterin, atS welcher
fid) ihr bereits im 3al)re 1864 ein Sngagement an
baS §oftheater in SartSrutje barbot. ®od) nur ein
gatjr lang gereichte ihre grofje unb fdjöne Stimme,
ihr hoheg bramatifdjeS latent ber groffherzogtidien
©ühne zur gierbe. ®eit fettenen Schah eignete fid) bie
iöMnchener Dfjer an. ÜÖZit offenen Slrnten fah fief)
Sljerefe Xhoma gteid) bei ihrem erften Stuftreten atS
Safitbe in „Teufels 3lntf)eit", im ®eeember 1865, hier
& ■*
371
24*
aufgenommen. Seitbem blieb fie, als Sängerin wie
als Sdjaufpieferin immer fiöfjer fteigeitb auf ber
Staffel ber SReifterfdjaft, ber Siebbing ber Sfar*2Üt)e=
ner, unb ihrer Dper, afs beren ißerfe man fie f^ä|te,
Wahrte fie unöerfetjrt Sireue. 2fud) ihre Sermäfjtung
machte fie berfetben nicf)t abwenbig ; war er bocb ein
SJtüncfjner .fittb, ihr Softege Heinrich tßogf, ber fie im
Dctober 1867 als glücEtic^er ©atte beimfiifjrte. ÜRur
fefter wuchs fie t)irtein in ihren 93üf)nenberuf an ber
Seite beS f)err^^ett ©ängerS, ber in if)r bie waf)föer=
wanbte Statur, bie gfeidjftrebenbe ®unftgenoffin er=
fannt batte, unb mit bem tiereint fie erft ben ©ipfef
ber Sünftferfdjaft erffomm.
SSSie fie in einem batjrifc^ert Sdjufbaufe erlogen,
afS Sobn eines £auSnteifterS an ber Sd)ufe ber
Sltüncbener SSorftabt 2Iu jum Sebrer beftimmt unb als
fofcber bereits in 2fmt unb SBürben ftefienb , batte er,
tion einem unwiberftebficben inneren ©ebot getrieben,
bie Scbufftube mit bem £beater tiertaufdjt unb gleich
bei feinem erften SBübnentierfud) als SJtaj im „grei-
fcbü|" (am 5. Stotiember 1865) bie Söerec^tigung biefer
SBanbfung feftgeftefft. 2Iucb ben beweis feiner SSief*
feitigfeit blieb er nid)! fcfiulbig* ©enie unb Sfeifj tier=
baffen ibm im Zeitraum tion wenigen fahren ^u einem
Repertoire, baS, ungefähr bunbert Stoffen umfaffenb,
an Steidjtbum Wobf bemfenigen aller feiner beutfdjen
Stitiafen ben Stang abfäuft. $on entfdjeibenber SBe=
beutung für ihn würbe inSbefonbere ber ©inffufj,
Wefcber ju eben jener 3eit bes ^Regierungsantritts
®önig Subwig’S II. Stidjarb SBagner auf baS 9Rün<be-
ner SRufif leben eingeräumt warb. SXcit Seib unb
Seele gab er fid) in ben ®ienft ber 23agner’fd)en
®unft. ®ie ScfiWierigfeit ihrer Rufgaben galt feinem
fünftferifdjen ©fjrgeij nur als Sporn, feinem ebfeit
(Streben atS toftnenber ißreiS, unb in atten £eitor*
Partien üon Sßagner’S fÜtufifbrameu betüäftrte er fieft
atS Sieger.
Sftrem (Satten gteieftgefinnt, babei bureft fein f8ei=
fpiel angefeuert , tieft Sfterefe 93ogt ficf) an (Sifer unb
93egeifterung üon iftm nieftt befcftämen. §atte fie ficE)
atS SSenuS unb Drtrub , atS (Stfa mtb Stfteintoeftter
fcfton mit SBagner’S (SeniuS nafte befreuubet , fo trat
fie iftm atS Sfotbe nocft um üieteS näfter, ja bie nocft
nieftt trierunbjtoanäigjäftrige Sängerin teiftete atS fotefte
bie gröftte biSfterige Sünfttertftat iftreS SebenS.
®ie Scfticffate üon „ftriftan unb Sfotbe“, üietteieftt
ber geniatften unter beS SDicfttercomponiften Scftöpfun*
gen , finb befannt. ÜDtan toeift , baft biefetbe , ber
Scbtüierigfeit ber Srtetrotten ftatber als „unmögticft"
üerfeftert , üiefe Saftre nacft iftrer SSotfenbung üergeb»
tieft ber bramatifeften fßertebenbigung ftarrte, bis 2ub=
tüig Seftnorr üon ©arotSfetb unb feine (Sattin bie
ruftmreiefte Stufgabe gtanäüott belüättigten unb baS
Sßerf enbtieft — eS tüar am 10. Suni 1865 — jur
(Senugtftuung feines fönigticften ißrotectorS Subroig
üon 23aftern auf ber fDtüneftener ^ofbüftne feinen (Se=
burtstag feierte. SDoeft nieftt lange freute eS fieft
feines SebenS. @in neibifefter Sbb raffte ben ebiten
Sänger batb barnaeft ftintoeg ; fein Stnberer mottte an
feine Stelle treten — toieber famen lyaftre beS Seftmei»
genS für „Sriftan unb Sfotbe.“ ®a naftmen, toaS
fein jtüeiteS beutfcfteS Sängerpaar toagte, enbtieft §ein-
rieft unb Xfterefe SSogt mofttgemutft auf iftre jungen
Scftuttern. Xapfer erftärten fie fieft im £saf)K 1869
jur SBieberaufermecfnng beS ffttoierigen SBerfeS bereit,
unb batb barnaeft marb eS in SBaftrfteit unter |>anS
üon SJütotü’S „einziger" Seitung mieber tebenbig , um
ber Stfüneftener Dper feitfter bauentb atS eines iftrer
*
ä
" ” " ;
fettenften Schmudftüife ju oerbleiben. Satjrelang war
ber Genufi beS ejxeptioneßen ÜDtufilbramaS auSfchliefi*
lief) an bie SDtitWirfung be§ genialen SSoglpaareS ge*
Inüpft. Sßad) SDlüncfien muffte tnanbern, wer bei ben
ab unb ju ftattfinbenben Sßieberholungen feiner frot)
werben wollte , unb jebe biefer nur in langen Raufen
Wieberfet)renben Slufführungen galt bengremtben unb
Kennern be§ „Triftan" at§ geft , ju bent man fie aus
aßen Gegenben TeutfctitanbS fjerbeiftrönten fat). Grft
fpäter, nacf)bem ingwifcE»en (SSaftf^iele SBogl’s inSBeimar
(1874 unb 75) — wie nadfmals in Königsberg —
„Triftan"*23orftelIungen auef) außerhalb äJiiinchens er*
möglicfit Ratten , als nadf langem Sägern wenigftens
bie SBübjnen tion 23erlin unb Seidig ihre Kräfte an ber
gewaltigen Stufgabe erprobten , bot fidf auef) fftorb*
beutfeptanb erwünfdjte Gelegenheit jur Söetanntfcfjaft
mit bem wunberfamen SBerfe. Tod) Weber Stiemann
unb grau oon SSoggenlfuber, nodf Seberer unb §ebwig
ifteicher^inbermann, bie berliner unb Seipjiger 23er*
treter ber Titelrollen , oermochten bie hurmonifche
Schönheit unb SBirfungSmacht oon 33ogl’§ Oereinter
Seiftung ju erreichen. Srn „Triftan“ an erfter Stelle
finb unb bleiben fie baS „unoergleichlicheSünfilerpaar",
baS £>an§ oon SSüloW in ihnen würbigt, unb baS
ber 9Mnchener9ticf)arb3Bagner*23erein nach einer Stuf*
führung ber Dper am 28. guni 1872 mit ben S3erfen
feierte :
„§eil bent ebten, echten ßünftlerpaare,
®a§ äum hofften gluge, gleich bem Stare,
©eine tunft auf mächt’gen glügetn fdEnoirtgt ;
9teu ju fchaffen lang entbehrte SBonnen,
föabt 3hc tüfm ein Stiefenroert begonnen,
©rop unb meifterlicb Sbr’s heut’ oollbringt.
fr~ ■*
9113 ung „Sriftan" einften^ faum geboren,
(Schien er fd&merglidöft ung algbalb oerloren,
Sa ber ©elb in’g ©djattenreid) entrüdt,
heften ©ang ibjm fd^uf ein tönenb Seben ;
9ld), bag eigne muj3t’ fo frü^ entfdjroeben,
Unb mit i£)m fc^ien aud) bag Serf gerftüdt ! —
Sod) eg brang bie ijeijre „ernfte Seife"
Sief in eineg Sünglingg 23ruft; bie leife
Mahnung bat fein $ünftler£)er§ erfannt,
§at nad) raftlog mannhaft ernftem ©treben
9tun ber beutfdjen Äunft jurüdgegeben.
Sag für eraig fdjien aug ii)r oerbannt.
Unb bie mutige ©attin, bie er freite,
Syrern Sriftan treu 3folb’ gut ©eite
stimmt an feinem 9?uljm fie gleidjen Sfjetl;
9flag brum l)eut’ in (Sureg Sirfeng ©allen
Saut beg ©er^eng Sanfegruf erfdiailen:
©eil (Sudj, Sriftan unb Sfolbe, ©eil!"
Sie Steife ber Sagner’fcfjen Siebegpaare, in bereu
Siebergabe 23eibe i^reg ©leiden futfjen , oerooßftcin*
bigen Sofjengrin unb Stfa,, ©igmunb unb ©igtinbe,
©iegfrieb unb S3rüuub)ilb. 2luch ^Sarfifal unb ®unbrt)
ttrnren ihnen gugebacE)t — toarunt eutfagteu fie aug
eigenem Antrieb beu @f)reu, bie 93at)reuth für fie
bereit tjielt? ®urs oor beginn ber fßroben nahmen fie
ifjr tängft gegebeneg Sort jurüd, toeil, toie man fagt,
ber SUieifter im Unmutt) über bie „moralifche Sertoir*
rung berSlioatitäten", ihnen bag non ihnen bebungene
Vorrecht, bie Sollen ju „creiren", nid^t jugeftanb-
Entgegen Sagner’g , ftf)on burd^ 93iUigfeitgrücfficf)ten
gegen fein „oietgtiebrigeg Sünftterberfonat1* geboteneg
$rincib, bie S3efe|nng ber ^auptbartien bei jeher 2tuf*
fü^rung toechfetn ju taffen, begehrten fie bie aug*
■L- A
375
w
fdüiefftidie Vertretung i£}rer Stötten mätfrenb ber erften
Vorftettungen. ©em fonnte unb mottte ber ©idfter»
com^onift nid)t genügen. So famen mir ^3arfifal=
SBaftfaJjrer um bie greube, VogF§ aud) in be§ SDieifterd
neueftem SBerfe gu ffören. ©aff in feinen ^änben bie
©itetpartie ju bottfommenerer SBirfung gelangt märe,
atä e§ burd) bie gegenmärtigen Stepräfentanten ber=
fetben gefdfaf), erfdieint atterbingä jmeifetlofer, at§ ob
in grau SSogl bie redfte Sunbrt) erftanben märe?
gmar ftetft e§ un§ nic£)t an, bon borntferein ein Urzeit
über eine nodf ungeborene Seiftung abjugeben. ©od)
büntt un§ , baff ber ©ünftterin SBefen ba§ bämonifdfe
(Element fern liege, baff bie mitbe 2eibenfd)aft unb ber=
jelfrenbe (Stut, ba§ fengenbe geuer, bie au§ Slmatie
SDtaterna’3 unb Marianne Vranbt’§ ®unbrt) empor*
toberten, i|r nidft gegeben feien, unb menn fd)on bie
SSiener Sängerin tfinter bem Siebliitg ber berliner
an bramatifdfer 2tu§brud§gematt prüdbtieb, fo tjätte
fid) X^erefe SSogl mof)I biel melfr nocf) al§ jene einer if)r
frembartigen Aufgabe gegenüber gefunben. @ntfprid)t
bod) aud) bie (Slfa beffer at§ bie Drtrub, bie Siglinbe
beffer at§ bie Vrünntfitb .itjrein eigenften ttiaturett, ja
giebt fie bod) in beiben melfr tprifdfen Partien Un=
übertroffene§, mälfrenb grau ttfiaterna gerabe at§ bie
bämonifcffe (Sefätfrtin ©etramunb’3, at§ bie fjerotfcpe
Softer SCdoater» itjr unbeftritten SöefteS teiftet. Sind)
grau Vogt ift eine auäertefene, berühmte S3rünnf)ilb,
unb mir miffen ttttandien , ber ilfr at§ foldfer bor ber
Vapreutfier unb jeber anbern ©arftetterin bie $atme
reicht, mie itfr bemt an Sd)önf)eit ber (Srfdfeinung, an
tttobteffe unb ißoefie feine unter ifjnen ben Stang ftrei*
tig mac£)t. Sie fiat itfre befonbereit Vorzüge, unb
menn beifpiefömeife Sfmafie ÜDtaterna’§ Stimme an
(Stans unb tfetter grifcfje gegenmärtig etma» oor if)r
376
üoraus ßat, fo ift grau Sogt bafür bie größere, bie fßfte»
matifcß gebitbetere Sängerin. Slteiftertid) beßanbett fie
ißren äußerft fßmpatßifcßen, jugteicß meicßen unb mäcß»
tigen Sopran , ber , jegtidjen Slugbrudeg fäßig , ben
§örer mit eigener (Sematt berührt. Stur motte fie mit
ißrem Steicßtßum nicßt attju tierfcßmenberifcß umgeßen
unb ißr foftbareg Snftrument meßr benn bigßer oor
Überanftrengmtg unb (Srmiibung maßten , bamit ber
fcßon ju fcßminben broßenbe Stütenfcßmetj ißm nicßt
üor ber geit abgeftreift merbe.
Snt §erbft 1878, baut ißren Serbienften um bie
SJtüncßener Stibetungen»2luffüßrungen, jur tönigticß
baßrifcßen ®ammerfängerin ernannt, meßrte Sßerefe
Sogt bei ben immer mieberfeßrenben ÜDtufterüorftet»
tungen Sßagner’fcßer Dperit , mie at§ Strmiba unb
SStebea , atg gibetio, SImnerig , ®enot>eba (in Scßotä’
,,($oto") je. in ber Stöße unb $erne ißren Stußm. 3n
Seidig unb Sertiit (1880 unb 81) atg „ibeatfte Stfa",
atg Sigtinbe unb Srünnßitbe ßocßgefeiert, faß fie ficß
aucß bei Steumann’g Stuffüßrungen ber Xetratogie in
Sonbou (im SDtai 1882) in ®emeinfcßaft mit ißrern
®emaßt ben erften ißreig unter ben Sängern juer»
fannt. Sßrten Seiben, fo befannte man, gebüßte ber
Sömenantßeit am gtängenben (Gelingen be§ füßnen
Unterneßmeng. Stimmt eg und SBunber, baß ber eße»
matige Seidiger Dpernbirector , ber nun mit feinem
Sticßarb 2Bagner=Sßeater bie SSett burcßjießt, bie
SSerfe beg Saßreutßer SJteifterg nacß atten fMmmetg»
gegenben üerbreitenb, ficß, inbem er meßrere ber gtän»
jenbften Stamen ber beutfdßen Dper feinen Rieten ge»
fettte , ber SScitmirfung Sogt’g in erfter Sinie ju üer»
ficßern tracßtete? @g gelang ißm, ba ®önig Submig’g
tpulb ben erforberticßen Urlaub gemäßrte , fie für bie
Sauer feineg Sßanberjugg an ficß ju feffetn unb fornit
feinem Unternehmen ben Schmucf eine§ Sünftler»
f>aare§ ju gewinnen, mie wir ein jweiteä auf gleichem
©ebiete nergeblich fuchen.
Sind) ba§ fßritiatleben SBeiber bietet ein harmoni-
fdjeS S3ilb. §anb in §anb mit ihrer Siebe jur äunft
geht bie Siebe jur Statur, junt Sanbleben. Sie grei=
heit, bie ihr 93eruf ihnen gönnt, genießen fie im §rie=
ben be§ frönen SanbbefiijeS , ben fie fidE) in ber 9täf)c
oon Sufjing, unfern Slferefe 83ogl’§ Heimat, am berg-
umranbeten See erwarben. Sa galtet fie, inbeff itjr
©atte tanbwirtt)fct)afttichen Sorgen unb ritterlichen
fünften na<hgef)t , ftiU al§ gefc^äftige £>au§frau , ober
tummelt ihr Stoff als bie furcfjtlofe St eiterin, als welche
Wir fie öon ihrem fühlten füammenritt mit ©rane her
im Sheater fennen. Überall, wo fie waltet, im tpaufe
unb auf ber 33üf)ne, ficf) geliebt unb bewunbert ju fehen,
ba§ ift Sherefe $Bogl’§ gliicflicbe§ So§.
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ben rrmfifatifctiert geiertagen non 23at>»
||2|ig|| reutf) , ba man, unter 2tntt)eitnaf)me ber
jjjfll gtänjenbften geftberfammtung, SBagner’g
ISallilll „Siibetungenring" au§ ber Xaufe fjob, war
e§, at§ idf 2tmatie Sftaterna jum erften SJRat björte
unb bitrd) fte einen ber tiefgef»enbften Sinbrüde ent»
pfing, bie idf bem gelungenen ®rama überhaupt ban!e.
Sb re Sfteufctjöpfung ber 95rünnt)itb war eine £t)at fo
genialer 2trt, baff fie bie SBiener Sünftterin mit einem
©cfjfag in bie 9?cif)e ber erften bramatiftfien Sänge»
rinnen ftettte unb ilfr einen feften s$Iai3 in ben SBüdfern
ber ®unftgefct)icf)te lieferte. SJtit bem tarnen be§
©icbtercomponiften unb feine§ größten 2Berfe§ ift nun
ber if)re für alte Sutunft tierfnüpft, unb ber Nimbus,
ben fie fief) in 23at)reutt) gewonnen , bleibt if>r unoer»
äuffertiif) ju eigen, fetbft wenn fie ju fingen längft auf»
gehört paben Wirb.
2tn ifirer SBiege würbe Slmalie SJiaterna ni(f»t§
gefungen bon einftiger (Sröffe in ber SBelt be§ fdfönen
©d]eitt§ — befdfeibene 23ert)ättniffe waren e§, bie it)re
Sinb^eit umgaben. Sw fcE)Iict|ten ©diutbaufe be§
fteirifdjen $orfe§ ©t. Georgen an ber ©tiefing, wo»
fetbft fie am 10. Suli 1847 itjre ülugen bem Sebett
öffnete, wuct)§ fie auf; tjier erftangen itjre erften Sie»
ber. ®enn baff ba§ ®ittb tOiufif in ber ®ef)te unb in
V»,
■■ — -^K
ber ©eete trug , äußerte ftcf> batb. Sie fdjtoierigften
Dpernarteu unb ©oti aud §at)bn’d unb SCRogarfS
tDieffen fang bie Steine fo correct unb fidfer, atd rnüffe
ed fo fein : fotdf’ gute grüdjte trug ber mufifalifdje
Unterricht bed SSaterd fdfon in alter grülfe. 2Bad
SBunber, baff mau auf ben (Sebanfeit fant, ber tatent*
tiotten SJtati eine orbenttidfe mufifaltfdfe ©rjietjung ju
geben? $u biefem gtoede trat fie, jtoötf gat)re alt, in
ben SJtufiftierein ju @raj , eine SDtufiffdfute ein , auf
welcher auch ©caria, ihr nachmaliger SBiener Gottege,
foeben feine ©tubien beenbet tfatte. daneben feilte fie
itfre @efattgübungen unter Seitung bed Gapettmeifter
9te|er fort, ftubirte fleißig mit ber an ber (Srajer
töütjne fetjr beliebten Sängerin Seopotbine tpofmann,
bie (Sr§^ergog fbeiitricf) oon Dfterreirf) fpäter ju feiner
@entat)tin machte, unb mirtte b)äufig in Goncerten mit.
töei einer Stufführung bed erften Stcted aud „Sofien*
grin", bei ber bie ißrimabonna bed (Srajer Xheater§,
öartmann (fe|t atd grau gottmaper in Raffet ttjätig)
bie fßartie ber Gtfa tiertrat, fang bie breigefjnjä^rige
Stmatie bie Drtrub unb ergriff bamit juerft Sefitc üon
einem (Gebiet, für bad fie, tuie für fein anbered, be*
ftimmt erfcheint. Sa ftarb ptöijtid) — ed tuar im
gafjre 1863 — ber SSater, unb bie SJtittet jur gort*
fepung ihrer fünftterifctfen Studbitbung oerfiegten b)ier=
mit. Stmatie muffte @raj unb bie tOtufiffdiute tier*
taffen. Ser Serfuch ifjred ätteften 33ruberd , fie in
einer ber SBiener Dpernfcfjuten unter nur einiger*
rnaffen möglichen SSebingungeit unterjubringen , fc|ei*
terte — ein für attemat tierfdjtoffen fd)ien itfr ber er*
fetjnte SSeg jur fünftterifchen Saufbahn. 3 um @tüd
bot fidf it)r im .fpaufe eined ihrer törüber ju @t. ißeter
bei Seoben wenigftend tiorübergelfenb eine 3uftucf)td*
ftätte bar. $sn tt)irtf)fc^aftlicd)en Gingen tt?ob)Ierfab(ren, ja
w
fie , wie fie fetbft jagt, mit „befonberer Seibenfdjaft"
betreibenb, fiebette fie gem.einfchaftütf) mit ber ÜEitutter
jum trüber über, um jeinern £au§wefen oorjufteljen.
©rft at§ jpäter£)in eine (Sattin in’§ §au§ fam , jogen
Seibe wieber oon bannen , um itjre f)aug£»älterifc^en
Xugenben einem aitberen ber Srüber ju ©ute fommen
ju baffen , ber injwifchen in ber fteirifcfyen tpauptftabt
eine Slnftettung gefunben biatte unb ihre jjütfe be=
gehrte.
Seicht jwar machte man ber jungen Sängerin in
St. ißeter ba§ jfortge^en nicht. Xie ©emeinbe wottte
ihren Siebbing , bejfen ©efang ber all jo nn täglichen
Sircbenmujif ib)te bejte SBeitje gab , burdjauä nicht
mijjen. „Sie tonnten nic£)t mehr beten ohne if»ren ©e=
jang,“ jagten fie alle. 3a bie ^3farr=$5nfaffen machten
it)r, um fie an it)r befcf)eibene§ ®orf ju jeffebn , jogar
ben wohlgemeinten Sorfdjlag, „ib)r burdj ©oltecten
eine 2lrt ©efjatt ju üerfcfiaffen." 2tt§ e§ aber bejjen-
ungeachtet @rnft mit bem jfortjieljen tnurbe, gab e§
einen rüfjrenben Sbbfc^ieb, wobei Stirnen über %t)xä*
nen ftojjen.
Xie jicfj in ©raj barbietenbe ©ebegenb»eit jur Sßer=
Werbung unb 3(u§bitbung ihrer Stimme muffte ber
eijrigen Sunjtjiingerin fetbftüerftänbtich bodjmittfom»
men jein, unb fie fäumte nicht, oon berfetben SSortbjeib
ju äietjen. 3 nt Umfeljen janb fie fid) at§ Sotijtin für
bie 93htjifaujjitt)rungen breier ®irdjen engagirt , and)
für Soncerte üietfättig in Slnfpruch genommen ; elfe fie
ed ahnte aber oerwanbette ficfj ber Sdjauptah ihrer
Xhätigfeit — au§ ber Stirdie hinweg warb fie birect
auf bie Sühne gerufen. 2tt§ Xirector Sjernib im
3ahre 1864 ©raj mit einem ^Weiten, bem Xhatia»
Xt)eater befcfjenfte , gewann er 2lmatie SDiaterna jur
erften Sängerin. So betrat fie ate j)anbwerf§burfch
& j£
3S3
2tnton iit ©itppe’S „gtotte 93urfc£)e" pm erften SO^al
bie Sretter , bie bie SSelt bebeuten. @ie jeigten fitf)
i£>r am erften 2tbenb mit 93ütmen überbedt , bie man
ber beliebten ©oncert» unb Sirdjenfängerin fo frei*
gebig geftreut hatte, bafs itjr 3fufj über einen tebenbigen
Seppid) bat)infcf)ritt. Unb ofjne ©dheu, at§ fei fie
fdjon längft an bie eigentümliche Suft gemöhnt, bie
bor unb hinter ben ©outiffen meht, fanb fie fich in bie
neue 9totte; fo unbehaglich eSifjr and) in ben SRänner*
fteibern p HRuthe mar , ihr gtüdticher lynftinft half
ihr barüber hinmeg. @o fdhnett gemann fie fich bie
©unft beS ißubtifumS, bah fdfmn nach Verlauf ber
erften hier SSocfjen ber Sirector au§ freiem Antriebe
ihre monatliche ©age bon 45 auf 100 ©utben erhöhte
unb ihr not aufjerbem ein 93enefij mit 500 ©utben
pgeftanb, p bem man bie fünfunbjmanjigfte 23or=
ftettnng bon Dffenbadj’S „fdjönen SBeibern bon ©eor=
gien“ beftimmte. Senn Operetten bon Dffenbadfj,
©uppe unb ma§ an bergteidjen leichter Sßaare eben
gang unb gäbe mar, bitbeten baprnat ihr ^Repertoire.
„Sie fchöne tpetena“ $. 23. fang fie nicht meniger at§
130 9Rat. Sie ©rajer lonnten nicht mübe merben,
ihren Siebting in biefer 9totte p hören. Sodfj blieb er
ihnen leiber nur lurje 3eit erhalten. 3m Safme
fdjenlte Stmatie SRaterna bem ©chaufpieter ©art
griebrid) in ©raj ihr §er§ unb ihre §anb , unb batb
nad)bem fie fich einen eigenen häuslichen §erb gegrüm
bet, that fich ihn auch eine neue §eimat auf. SaS
©arttheater in SBien machte bem ©ra^er Stjatiatheater
ba§ junge ©Ijepaar abfpenftig , unb in „Ser £>e};e bon
S3oiffh“ erfang fidh Seait 9lmatie ihren erften ©rfotg
auf SBiener 23oben. Sie burfte mit bemfeiben pfrie»
ben fein. ©dfon in ber ©eneratprobe erregte fie 9tnf=
fehen ; ja man ertjibte fich bermafjen für fie, baff man
3S4
w
ftcf» in Sßetten entlief? , ber ©uccefj ber neuen @önge=
rin inerbe ein aufjerorbentlidjer fein , bocp weit inet)r
atd jur Operette Werbe fie fiep jur Oper quatificircn.
■JticptisbeftoWeniger Warf fie bei ber Stuffüpruitg
ein fleined 9tecitatiö — ba§ (Sittjige, wad fie int erfteu
Stete ju fingen tjatte — üor tanter Aufregung total
um. 2Bar ed betn ®irector ®reuntantt ju oerargett,
baf? er im gwifcpenact ganj auffer fidj ju ipr fatn unb
fie ftepenttid) bat, ftd) äufammettäunepmen unb bie
Hoffnungen, bie man auf fie gefe|t, itictit ju ©cpan*
ben Werben ju taffen? Unb fie nafjm fiep jufantmett.
©iport bie erfte Slrie im jWeiten Stet rief entpufiafti*
fcpett 33eifatt perbor. (Sin ®acapo nutzte bem anbertt
folgen , immer unb immer wieber nutzte fiep bie ®e=
bütantin seigen , bid enbticp ber ®irector fie mit ö)e=
Watt non ber SBütjne pinwegjog, um ben gorberungett
bed ißublifumd ein @nbe ju machen. 9ttd aber aut
©cptuf? bed ©tüded in ®reumann’d Partie bie SBorte
oorfamen: „©efegnet fei ber ®ag, ba btt in unfer
§aud famft!" ba begrüßte man baritt eine wiltfom»
mene Slnfpietung auf bie (Gefeierte, unb ein allgemein
ner $ubet bracp and.
®ad war Stmatie SDiaterna’d (Sntree in SBiett. Uttb
ben toerpeiffungdreicpen Stnfang ftrafte ber Fortgang
iticpt Sügen. ®aum war ipr bie tion üerfcpiebeiteit
®unftfreunben audgefprocpene SJteinung befannt ge=
worben, baf? fie ju pöperen bramatifcpen 2lufgabett
atd ju ber bisher audfiptiefflicp gepflegten friootett
Operette berufen fei, atd fie bad ©tubiutn oon Opern*
Partien unter StnWeifung ißrocp’d begann. ®aitit eitte
fie , bad Urtpeit einer Stutorität einjupoten, uttb bc*
fragte Hofcapettmeifter CSffer unt feine Stnfidft. Saut
berfetben untertag ipre ^Begabung für bie Dper feinem
^Weifet. 93eftimmte @ffer ipr botp fcpott batttafe, atd
M
Sa 9Jtara, «StubienfÖpfe. V. 385
25
er fie jurn erften SDtate tjörte , im (Stillen eine 9totte
(bie gurie be§ §affe§ in Gtud’§ „Ütrmiba"), für bie
fie ilfnt au§erlefeit fctjien unb in ber fie in ber SOfat
fpäter, at§ nad) iffrem ©intritt in ba§ §ofoperntf)eater
bie Oper in ba§ fftepertoire aufgenommen marb, 2tu§=
gezeichnetes leiftete.
©inftmeiten bereitete fie fiel), baneben ben Sßflidjten
ihres ©ngagementd obtiegenb, auf einen fpäterett
höheren 3ßirfung§frei§ bor. ©in Gaftfpiet „mit unter*
tegtem SSertrag" aber marb, mätjrenb fie itoc£) ein Satyr
an ba§ ©artttyeater gebunbeit mar, mit ber unter
2)ingetftebt’§ Sirection ftetyettben taiferlidjen Dp er be*
reitS abgefetytoffen. ©§ umfafste brei Sorftettungen
berfctyiebenartigften Genre§ : „S>ie2lfrifanerin", SSerbi’S
„SEJJaStenbaU” unb „gibetio.“
SOlit nicht geringer Spannung fatyen bie SBiener
Xtyeaterfreunbe bem erften ©rfdjeinen ber Operetten*
fängerin im anfprudjSbotten SKatymen be§ Opern*
haufeS entgegen. Ser Sprung bon ber SSorftabt** auf
bie §ofbütyne mar ju jäh unb gemagt, at§ bafs nictyt
9^eib unb 3meifet ihn mit fetyeten Stielen begleiteten.
SSie brei Satire früher, bei ber Generalprobe bor ityrem
erften Auftreten im ©artttyeater , fo bitbeten fict) and;
jetd mieberum förmtictye Parteien für unb miber fie,
um il)r einen glänjenben ©rfotg ober ein ectatante§
gia§co ju meiffagen. 3U teuerem fam e§ inbeffett
gtüdlictyertoeife nicht. Sie Setica, afe metdje grau
iäJiaterna * griebricty am 2. Stprit 1869 jum erften
SOiate ein ityr neue§ Serrain betrat, gemanit ityr „ftür*
ntifctyen 2Ipptau§." „S'arn aucty,‘‘ — fagt Dr. §etm im
„iötufif atifetyen Sßoctyenbtatt'1 *) — „ntand)e§ in Gefang§*
tectynif unb Spanier nod) etma§ naturatiftifch , fetbft
1880. $Rr. 33.
386
probinäiett fterauä, fo( jerftreute boct) ber ©tanjeffect
ber pradjtbott üppigen, bad grofte £au§ fouberän be*
Ijerrfdfenben Stimme, fowie ba§ eminente, bon einer
impofanten gigur nnb auPbrudabotten SJJimif geför=
bcrte Tarftetlungdtatent alte Siebenten ; bor altem aber
warb e§ fofort ftar, baft man e§ mit einem feftr ftarfen
Temperamente ju ttjun tjabe , Wetdjed für bie Siütjne
Wie gefcftaffen fei unb Wetd)e§. inbem e§ fid) bon feiner
Stotte ju bem Ütudbrud ftiirmifdjer ßeibenfdjaft fort*
reiften taffe, felbft ba§ tßnbtifum mit fief) fortreifte."
iftadfbem fie am britten 2tbenb itnb jwar oftne
borftergeftenbe Drcftefterprobe ben gibetio gefangen,
naftm Tingetftebt fie unberjügtid) in ben SSerbanb ber
faifertieften Dp er auf. Ten bie tefttere jierenben
fertigen ©röften tOtarie SBitt, Suife Tuftmann, SSertfta
©fjnn gefeilte fief» nun bie Werbenbe, um iftre Um»
wanbtung bon ber ßoeatfängerin jur fßrimabonna an
iftrer Seite ju oottenben. $on iftnen ternenb, boc^
babei iftre botte (Sigeutftümticftfeit bewaftrenb, Wuftte
fie „bitrcft iftr gtüt)enbe§ Temperament , iftre bon bem
2prifd)=Sentimentaten abgefeftrte ftot§=^eroif(f»e Gat-
tung unb bie iftr ju ©ebote ftetfenben cinbringticften
bramatifdfen Stccente" batb eine ganj aparte Stettung
an ber SBiencr §ofoper einjuneftmen.
Sftre Antritts rotte at§ SDtitgtieb ber letzteren, ben
gibetio, fang fie am 7. 9J?ai nod) im alten tpaud am
©ärntftnerttjore. 2tfe bann gegen ©nbe be§fetbcn
SJconata ber neue fterrtidje Sunfttempet , ben man ber
bramatifeften ÜDtufif am SRing errietet ftatte, mit jwei
„Ton guan" = 2lbenben eröffnet Warb, fang fie bei ber
^weiten SSorftettung (am 25. ÜDtai) bie ©tbira, unb
^War nad) unmittelbarem SBorauggang bon töiarie
Sßitt, Wetcfte biefetbe Partie am borftergeftenben Stbcnb
387
25*
388
*ör " ! — 1
gbeate getreu in’§ Seben ju rufen tiermöge. 3um
erften SJtate feörte er mofet bamalö ben Stauten Slmatie
SJtaterna , ber gtuei gafere f pater ber marmornen ®e=
benftafet am Safereutfeer geftfpietfeauö mit gotbenen
Settern eingegraben marb. Salb barauf mürbe er ifent
rnieber bitrcf) ben Saffiften ©caria in’§ ©ebädfenif;
prüdgerufen , at§ biefer ifem feine Sanbömännin für
bie nocfe immer tiergebticfe gefugte Srünnfeitb in Sor»
fcEjIag bracfete. SBagner tierlangte fie ju fetjen , 51t
feören, unb birect tion Sonbott fomtnenb , mo fie , um
feinem Sßttnfcfee ju genügen , ein ficfe ifer eben bar»
bietenbeö Engagement an Her Majesty’s Theatre un»
bebentticfe fahren tiefe, traf fie im grüfejafer 1874 in
Safereutfe ein. Er featte feine feette greube, at§ er fie
erbtidte. „Stein, fie ift’S nic£)t , fie ift’S nicfet!" rief er
mit fröfetidfer Stimme feiner ©attin ju. Serftaub fie
aucfe nicfet fogteicfe ben ©inn feiner SBorte, fcfenett Härte
ficfe’3 auf, bafe ficfe feine ©enugtfeuung, fie einer ißfeoto»
grapfeie, bie er tion ifer gefefeen unb bie fein SDtifefatten
erregt featte, fo unäfenticfe ju finben, in biefem 5Iu§»
ruf Suft gemacfet featte. 3U guter ©tunbe !am fie
iiberbem. ®ie Eintoeifeung be§ „SBafenfrieb", SBag»
ner’§ neugebauter fcfeöner SSitla, fottte am Stbenb feft»
lidfe gefeiert merben. Unb grau SDtaterna meifete ben
Säufting mit bem ©ang ber Elifabetfe. „®icfe, tfeeure
Irntte, grüfe’ icfe mieber!" Hang e§ mit fitbertöniger
Stimme burdfe bie meiten funftgefcfemüdten Staunte.
Stun mnfete SSagner, bafe er feine Srünnfeitb, bie taug»
gefucfete, enbtidfe gefunben.
©etroft tegte er benn bie fcfemierigfte aller bisfeer egi»
ftirenben Dpernpartien in ifere £>anb . Uttb mit Seib unb
©eete fang fie ficfe feittein in biefetbe, bie 31t ocrf örpern unb
tebenbig ju befceten bie SJtiffion iferc§ Scbcttö merben
fottte. Sie fcfetummernbe Srünnfeitb juerft crmedt, ifer
389
3F *
Steifdj unb S3Iut , (Seift unb flammenbeg Seien oer»
liefen ju fjaben, bleibt f$rau $Dtaterna’§ unfterbtid)e§
SSerbienft. S33ie fie felber mit iljrer Aufgabe mud)3 unb
mit tftiefenfctjritten oorioärt§ fdjritt, ba§ offenbarte fid)
fdfoit, at§ fie bei ben im SJtärj unb Stprit be§ barauf»
fotgenben!3at)re§ ju Sunften be§ 93apreutf)er geftfpietä
oon SBagner in Sßien unb Berlin geleiteten großen
„Sötterbämmerung§“ * ©oncerten ben SDtonolog ber
93riinnf)itb an ©iegfrieb’§ SeidEje fang. Sa mo^te ber
üöteifter feine 3Baf)i tootjt greifen ; beim at§ fc^on beim
erften biefer Soncerte bie SBegeifterung be§ ißublifumS
ifjn jmang , feinen (Sefübjteu in bantenben 2B orten
5tu3bru<f ju geben, ba führte er bie Interpretin feiner
©riinnbitb oor unb fprad) e3 au§, baff er ftolj barauf
fei, biefe Sünftterin empfangen ju tjaben.
3mmer enger fd)ür§te fid) feitbem ba§ 93anb, ba§
bie barfteltenbe Sängerin mit bem fcfjaffenben ®iinft»
ter üerfnüpfte. !ym Sommer 1875 riefen bie 3eft=
fpiet»33orproben fie für mehrere Sßodjen nad) 23at)»
reutt). Sann folgten im 9loüember 1875 unb ÜDiärj
1876 bie Sßiener Stuffütjrungen oon „Sanntjäufer"
unb „Solfengrin" unter Sßagner’3 Seitung — ein Sauf
be§ Sidjtercomponiften für ba§ Dperninftitnt , ba§
il)tn bereitwillig feine 93rünnf)itbe lief). Unb nun im
Utuguft 1876 bie Seftjeit felber in bem Meinen $Bat)=
reutt), ba§ S'aifer, Könige unb dürften, bie potitifd)eu
unb tünftterifd)en SKadjtljaber Suropaä bei fid) ju
Safte fal) ! 2Bie fjaben fie atte fie einmütt»ig bemun»
bert ! SSSie oereinigten fief) alle bie oerfdfiebenen 9tid)»
tungen unb Meinungen ber taufenbtöpfigen 2Ser=
famntlung im greife ber Sängerin, welche bie riefen»
grofse Aufgabe mit fooict Eingebung unb Scnic töftc !
Sctbft bie, roctdfe bem Slünftwerf ber .Qufunft gegen»
über eine oppofitionetle Stellung cinnaljmcu , faitbcn
390
nur Sßorte be§ Sobe^ für fie, bie bie fjerrlidjfte ®e*
ftaft bcr Sßagtter’fdjen SOiufe oor unfern ® liefen in's
Tafeiit rief, fie frei unb ofjne anbere§ SSorbifb af§
ba§jenige nerförperte, ba§ in ber Seele if)re§ Sdjöpfcr§
lebte. ©rfdjeint ber „Ning be§ Nibelungen", Wie jebeg
edjte S'unfttoerf at§ ein @an^e§, beffen einzelne @lie=
ber fic^ mit gebieterifdjer Sogif unb ©onfequenj in
einanber fügen, fo bafj ifjrer feines unwefentfidj ober
entbefjrfidj wäre; fjinterfiefj ba§ gefammte Seftfpief
auef) bemgemäjj beit erfjebenbett ©inbruef einer fünft*
ferifdjen 'Xfjat, bei ber jeber ©injefite ber Ntitbetfjei*
figten nadj Ntafjgabe feiner Kräfte unb feiner Aufgabe
mitwirfte am ©dingen be§ ©anjen, fo bafj ber 9JJei=
fter bie Eingabe 2111er auSnafjmfoS rüfjmenb unb ban*
fenb anerfennen burfte : auf bie Tarfteffung ber tpef*
bin fällt bod) ba§ Sdjwergewidjt ; mit ifjr ftetjt unb
fällt bie SSirfung beS gewaltigen TrarnaS.
Trum wofjf bem SNeifter , baff er fotc£»e Nteifter*
fängerin fattb ! ©§ fjat ofjne .Qweifef größere ©efangS*
füitftferinnen gegeben af§ 2lntalie ÜNaterna unb giebt
beren auefj fjeute nodj. Nicfjt bie ®unft unb Scfjufe
ifjrer Stimme madjt iljre ©röfje au§. Naturafiftin,
wie fie oon §au§ au§ war , ofjne fonberfidje Neigung
für beit eigentfidj birtuofen ©efang, gab fie ifjre mefjr
metatfifefj fjefftönenbe af§ wei^e, mefjr beftimmte unb
fdjneibige af§ ftjmpatfjifdje Stimme — Sopran unb
Nfejjofopran jugfeidj — ganj in ben Tienft ber
bramatifdjen ®unft. |>ier fjat fie mit ifjrer ftro^en *
ben ®raft , itjrent fübficfj fjeifjbfütigen Temperament
ifjr eigentliches, ifjr auSfdjfiefjfidjeS (Sebiet. 2lnt gröfj*
ten ift fie, Wo nidjt ber abfofut mefobifdje, fonbent ber
Spredjgcfang fjerrfcfjt, wo fie ifjre wunberbare, ber
ntannigfaftigften Nfobufation , be§ wedjfefbottften
©mpfiitbungSauSbrudeS fäfjige Tecfamation entfalten
k M
391
fann. Xa§ eben macpt fte in SSerbinbitng mit iprem
meifterftdieit Spiel jur 2Bagiter=Sängerin par excel-
lence. Am beften freilitf» ftepen i£jr and) unter ben
SSagner’fcpen Kparafteren bie peroifcpen, tragifcpen,
grof ftitifirten 311 Q5efic£)t. gür bie mepr fprifcpen
Partien — mie ©fifabetp — festen ipr bie meidperen
Xöne, tnie ipr beim and) af§ Sieberfängerin feine Sor=
beeren macpfen. $on übermäftigenbem SluSbrud aber
ift ipr (Sefang in beit pödpften bramatifcpen Accenten ;
mir fitsten uit§ ba midenloS fortgeriffeit bon feiner
(bemalt. @0 ift fie afs SSenuS gaitj Seibenfcpaft, afs
Drtrub ganj Xärnon, af§ 23rüitnpilb ganj baS Götter»
finb mit bem marmfüpfeitben Accnfcpenperjett , baS
SBeib mit ber |>efbenfeefe, ba§ bie Sitnben feinet ®e=
fcpfedjts in reiner Suffe fiipnt.
Xabei päft fiel) Sfmafie ÜÖiaterna bon (Sinfeitigfeit
fern. 9Iudp als treffücEje (Sgfantine (in „föurpantpe") ,
Sfrmiba, ©fectra (in „Sbomeneo") , 2fiba, Königin bon
Saba, ÜDiebea pat fie — mit fiier nur einige perbor*
ftedfenbe neben ipren früper ermähnten fRotfen anjufit^
ren — in Sßien uitb anbernortS, mo fie gaftirte , mit
9ted)t bon fid) reben gemaept. Xurcp Reifen förberte fie
bieffaep bie Ausbreitung i£)re§ iRupmS; i£jre größten
©rfofge aber gemann ftefief» mit ober bitrd) ben Scpöpfer
ber „Aibefungen". Unb mie ipr ipre groffe Sapreutper
Xpat 51t aff bem begeifterten Xanf ber auSerfefetteit
geftberfammfung and) mandperfei ©unftbejeignngen
fiirftficper Häupter eintrug — ber ®önig bon kapern
berfiep ipr bie gofbene SubmigSmebailfe, ber §erjog bon
Meiningen baS gofbene Serbienftfreuj mit ber ®rone,
ber ®aifer bon Öfterreicp ben Xitel feiner Kammer*
fängerin — fo mar ipr affertbärtS baS (Sfiid borjugS»
meife günftig, mo immer fie baS Samter beS Sapreu=
tper SfteifterS entfaltete. 2ln ben Xriumppen , bie er
392
* . ^
im ÜDtai 1877 beim 2Bagner=f5eftiüat in Bonbon feierte,
nafjm fie at§ ©tifabetf), Drtrub, Sfolbe’ Siglinbe
unb 93riinnb)ilb and) im ©oncertfaat Tljeit. Tannbradj*
ten if)r bie ©efammtauffüljrungen ber Tetralogie in
2Bien, Seipjig unb Berlin (1879, 1880 unb 81), toie
nacf) Sdjtufj ber (enteren bie SSorfteUung be§ „Sotjen*
grin" an ber berliner |>ofoper neue ©tjren. $ont
Stpril bi§ jum Suni 1882 (fielt fie in Slmerifa, ba§
fie, anstelle ber ben efirentiotlen Slntrag abtetfnenben
StKarie SBitt, für bie großen SJiufiffefte ju 9iem-'?)ort,
©fjicago unb ©incinnati engagirte, eine golbene ©rnte.
2lt§ Söagner aber im lyuti unb Stuguft feine ©etreuen
mieberum um ficfi oerfammelte unb ba§ 93üf)uenweit)feft=
fpiet „ißarfifat" jurn erften 9JM lebenbig marb, creirte
bie £>eimgefet)rte, mie einft bie 93rünnf)itb, fo nun im
Sßettftreit mit Marianne SSranbt aucf) bie Sunbri) .
Sind) bie feltfame 33otin be» ©rat§ füllte — fo wollte
e§ ber SQleifter — burd) fie jvterft Sieben unb ©eftatt
empfangen , unb wenn ibr aud) itjre Snbioibuatität
nid^t geftattete, bie it)r frentbartige wiberfprud)§üotte
Stufgabe mit ber gleichen SSottfommenfjeit ju töfen,
mit ber fie einft bie §etbin be§ „5JiibeIungenring§" iit’3
Tafein rief, oon neuem bocE) Ijat fie fid) in (öapreutf)
at§ eine jener 2lu3erwät)tten bezeugt, benen ber bra*
ntatifrfje ©eniu§ bie Stirn gefügt.
üfr, M
2)rucf uon 35reitfopf unb Partei in Sctyjtg.